© 2003 by Thorsten Oberbossel
Das abgelegene Anwesen war wie ein kleiner Palast mit Erkern und Spitzbogenfenstern, die in waldgrünen Holzrahmen untergebracht waren und mit ebenso waldgrünen Holzläden verschlossen werden konnten. Rund um das altehrwürdige Haus, das wohl noch zur Zeit der Königin Elisabeth der ersten errichtet worden war, standen hohe Eichen und Ulmen, Zeugen vergangener Jahrhunderte, waren säuberlich Gemüsebeete und Blumenwiesen angelegt worden, und ein in der Sommermorgensonne glitzernder Teich bot ein Heim für Frösche und kleine Zierfische, ab und zu auch für Enten, die hier rasteten oder für mehrere Monate blieben, um ihre Jungen aufzuziehen. Nichts deutete darauf hin, daß in dem herrschaftlichen Haus Leute wohnten, die nicht ein Auto in der Garage, elektrische Beleuchtung oder Telefon besaßen. Dies war nicht so, weil die Bewohner dies wegen Umweltschutzbedenken ablehnten, sondern weil sie es schlicht nicht brauchten. Denn sie brauchten kein Telefon, um mit ihren Freunden und Verwandten zu sprechen, Autos belächelten sie als stinkende und viel zu umständlich und langsam vorankommende Fahrzeuge, und Fernsehen hätte sie wohl gelangweilt. Denn wer Ahnenbilder mit sich bewegenden Motiven in den Räumen hängen hatte, mal soeben mit Hilfe eines wundersamen Pulvers und eines brennenden Kaminfeuers aus dem Haus verreisen oder sich schlicht in nur einem Augenblick von einem Ort an einen anderen begeben konnte, benötigte doch keinen Fernseher. Einer der Bewohner, ein sportlicher Mann so um die dreißig Jahre, trat gerade durch die kirschrot lackierte Haustür hinaus in den Vorgarten. Er trug einen veilchenblauen Umhang und hatte einen Holzbesen mit Reisigbündeln geschultert. Aus graugrünen Augen blickte er suchend über den Vorgarten hinweg, bis er einen sich schnell bewegenden Punkt wohl einhundert Meter vom Anwesen entfernt erblickte. Er nahm den Besen von der Schulter, legte ihn hin, sagte "Auf" und wartete, bis der Besen sich von selbst schräg nach oben aufgerichtet hatte. Dann schwang er sich auf und stieß sich mit Schwung vom Boden ab. Der Besen flog in die Luft, was für jemanden, der nur an Flugzeuge oder Hubschrauber gewöhnt war, absolut erschreckend wirken mußte, hier jedoch völlig in Ordnung war.
Der Bewohner des Landhauses flog mit hoher Geschwindigkeit über den Vorgarten hinweg, zwischen den hohen Bäumen hindurch und steuerte den etwas entfernten Punkt am Himmel an.
"Aurora, der Brief ist gekommen. Mummy freut sich richtig!" Rief der Hausbewohner, als er auf Rufweite an ein etwa elfjähriges Mädchen herangekommen war, welches ebenso völlig normal auf einem Besen herumflog. Es besaß lange schwarze Haare und ebenso graugrüne Augen, wie der Mann aus dem Haus. Nur die Gesichtszüge waren etwas anders, sodaß man nicht sofort darauf kam, daß das Mädchen die Tochter des Hausbewohners war. Sie trug einen scharlachroten Umhang und flog auf dem Besen wilde Figuren in der Luft: Loopings, Schrauben, Achten senkrecht und waagerecht. Als sie ihren Vater rufen hörte und ihn sah, schwenkte sie auf eine Flugbahn ein, die direkt zu ihm führte, beschleunigte und sauste ansatzlos an dem Mann auf dem anderen Besen vorbei, wobei sie vergnügt lachte.
"Heh, du Biest, nicht sowas!" Rief der Besenflieger und wendete, um seiner Tochter nachzujagen. Kurz vor dem Haus landeten beide auf einer kurzgeschnittenen Wiese und lachten.
"Wann ist die Eule denn gekommen, Dad?" Fragte das Mädchen, das Aurora hieß.
"Vor einer halben Stunde. Dumbledore hat ihn eigenhändig unterschrieben. Offenbar wollte er sich das nicht nehmen lassen, die Tochter einer Kollegin willkommen zu heißen", sagte Auroras Vater. Dann gingen sie beide ins Haus, wo eine Frau in fliederfarbenem Umhang über ein dickes in Büffelleder gebundenes Buch mit goldgeränderten Pergamentseiten saß und las. Sie besaß dasselbe Gesicht wie Aurora, jedoch nicht die graugrünen Augen, sondern graublaue. Außerdem trug sie schulterlanges rotblondes Haar, das hinter dem Nacken mit einer Silberspange zusammengehalten wurde. Sie sah Aurora an und klappte das Buch zu.
"Professor Dumbledore hat den Brief geschickt. Hätte mich auch sehr gewundert, wenn sie nicht geschrieben hätten", sagte die Frau, zog aus ihrem Umhang einen etwa acht Zoll langen Stab aus Rotbuchenholz und deutete auf eine Kommode. Diese sprang auf, als habe eine unsichtbare Hand sie berührt. Aurora holte aus der Kommode einen Pergamentumschlag und hüpfte mit einem lauten Freudenschrei in die Luft. Dann setzte sie sich hin und las den Brief. Ihr Gesicht hellte sich mehr und mehr auf. Dann sagte sie:
"Sie schreiben, daß sie sich freuen, mich endlich in Hogwarts willkommen heißen zu können. Dann darf ich endlich auch richtig zaubern und nicht nur mit diesen Trickkugeln spielen", sagte Aurora.
"Ich gehe mit dir morgen in die Winkelgasse und kaufe mit dir ein", sagte Auroras Vater begeistert. Seine Frau jedoch schüttelte den Kopf.
"Nichts da, Hugo, damit du dich im tropfenden Kessel wieder mit Rudolph, Dave und Rob über alte Zeiten ausquatschen und dabei mehrere Humpen Meet trinken kannst. Aurora geht mit mir in die Winkelgasse. Das Ministerium wartet doch auf deinen Schlußbericht über die Einsatzmöglichkeiten heimischer Saatkrähen zur Fernbeobachtung."
"Regi, das wirst du verstehen, daß ich euch beide nicht allein in die Winkelgasse lasse. Gestern stand ja wieder was über die Gehilfen von Du-weißt-schon-wem im Tagespropheten, daß die nun versuchen, in der Winkelgasse die Muggelstämmigen zu terrorisieren. Ich habe keine Lust, daß ihr beide diesen Verbrechern in die Hände fallt."
"Wenn es nach denen ginge, dürfte überhaupt keiner mehr in die Winkelgasse, Hugo. Denen sind ehrliche Zauberer und Hexen doch ein Gräuel. Der, dessen Name nicht genannt werden darf, hat ja schon einige von uns überfallen. Aber andererseits werden wir uns nicht davon abhalten lassen, unsere Tochter anständig auszurüsten, wenn sie nach Hogwarts geht. Nachher schieben sie es mir in die Schuhe, daß ich mein eigenes Kind vernachlässige. Nichts da! Wenn du meinst, uns begleiten zu müssen, Hugo, dann reisen wir eben zusammen in die Winkelgasse."
Hugo, der Hausherr, stimmte seiner Frau zu.
Am nächsten Tag brachen die drei Bewohner des Landhauses auf. Sie warfen jeder für sich eine Prise Zauberpulver in das muntere Kaminfeuer, bewirkten dadurch, daß es zu einer smaragdgrünen, grollenden Feuerwand aufschoß und traten ohne jede Angst in diese Flammenwand. Jeder rief: "Zur Winkelgasse!" und verschwand in einem laut rauschenden Wirbel aus dem Kamin. Einige Zeit Später fielen sie aus einem Kamin in einem irgendwie heruntergekommen wirkenden Pub heraus. Hugo, der zuerst angekommen war, begrüßte einen kahlköpfigen Mann in Küchenschürze, der gerade an einem Tisch große Gläser mit goldenem Inhalt absetzte. Am Tisch saßen drei ältere Männer in lindgrünen Umhängen und spielten ein Würfelspiel, bei dem der Würfel von selbst rollte. Einer der drei Männer erkannte den Neuankömmling und begrüßte ihn.
"Hallo, Hugo. Na, was machen die Vögel?"
"Ich habe es bald raus, wie ich wilde Waldvögel abrichten kann, Regulus. Was machen die Drachen?"
"Wenn ich da dasselbe behaupten könnte, was du gesagt hast, Hugo, dann bekäme ich den Orden der Merlin erster Klasse", lachte der Bekannte Hugos. Dann trat Aurora aus dem Kamin. Der Bekannte ihres Vaters sah sie und winkte ihr. Sie erkannte ihn. Zwar hatte sie gelernt, daß man nicht einfach auf andere Zauberer zugehen sollte, da die ja mit dem bösen Magier zu tun haben könnten, den kein ehrlicher Zauberer beim Namen zu nennen wagte, aber Regulus Swift war ein alter Bekannter, den sie schon seit der Zeit kannte, als ihre Mutter ihr beigebracht hatte, die Toilette zu benutzen. Der Bekannte ihres Vaters arbeitete mit echten Drachen, gefährlichen Tieren, in Wales. Sie kannte auch seine Frau Divine und deren Kinder Mortimer, Ramona, Ritaund Roxane.
"Ach deshalb bist du unterwegs in der Zivilisation. Dein Schmuckstück geht ja auch nach Hogwarts", lachte Regulus Swift und stellte Aurora und ihren Vater seinen Spielkameraden vor, einem Drachenjäger aus Schottland und einem Einhornforscher aus Irland.
"Aurora Dawn?" Fragte der schottische Drachenjäger. "Ist ja witzig. Aurora war bei den alten Römern die Göttin für die Morgenröte. Dein Freund hat schon tolle ideen bei der Namensgebung."
"Nicht, daß man sie mit unseren Strafverfolgern verwechselt", meinte der Ire und sah das Mädchen an, das keck zurückgrinste. Dann kam noch Auroras Mutter aus dem Kamin und begrüßte den kahlköpfigen Mann mit der Schürze und sammelte danach ihre Familienmitglieder ein.
"Ich wußte es doch, daß zumindest einer von der alten Bande schon da ist", sagte sie und sah den Drachenjäger aus Schottland an. Dieser lachte nur. Dann wandte sie sich dem hinteren Ausgang des Pubs zu und trieb ihre Familie an, das Lokal zu verlassen. Regulus Swift lachte:
"Tja, Hugo, das kommt davon, wenn man eine Lehrerin heiratet. Dann wird man diszipliniert." Über diesen Scherz lachten seine Kumpels lauthals. Dann schloß sich die Tür hinter den Dawns, und sie traten auf eine scheinbar undurchlässige Mauer zu, die nach kurzen Klopfern an einen bestimmten Stein durch den Holzstab der Familienmutter zu einem hohen Torbogen wurde, durch den sie auf eine lange mit Kopfstein gepflasterte Straße hinaustraten: Die Winkelgasse. Die Straße für alles, was Hexen und Zauberer zum Leben benötigten.
Zunächst begaben sich die Dawns in ein imposantes weißes Marmorgebäude, wo sie von kleinwüchsigen, menschenähnlichen Wesen mit durchtrieben wirkendem Gesichtsausdruck empfangen wurden. Mit einem Schienenwagen, der von alleine fuhr, ging es im Höllentempo tief hinunter durch verschlungene Stollen, Kavernen und Gewölbe, bis sie vor einer massiven Tür hielten, die ein Bediensteter dieses Hauses mit merkwürdigen Handbewegungen öffnete. Mrs. Dawn betrat den hinter dieser Tür liegenden Raum und las klimpernd und klirrend mehrere Gold- Silber- und Bronzemünzen auf, die sich dort stapelten. Dann ging es mit der Bahn wieder nach oben zurück und aus dem weißen Marmorbau hinaus.
"Die sollten mal diese Windschutzscheiben einführen, wie sie in Gringotts Paris verwendet werden", bemerkte Mrs. Dawn. "June hat mir davon berichtet, daß die Fuhrwerke der Kobolde dadurch noch schneller in die Gelasse hinunterfahren können als hier."
Aurora erinnerte sich, daß ihre Tante June, die Schwester ihrer Mutter, häufig in Frankreich war und die dortigen Hexen und Zauberer und ihre alltäglichen Gebräuche kannte.
"Windschutzscheiben, wie bei den Muggelautos?" Fragte Hugo Dawn verwundert. "Warum nicht gleich diese stinkenden Knattervehikel?"
"Schatz, nicht alles, was die Muggel zu Stande bringen, ist grundsätzlich albern oder unbrauchbar. Außerdem müssen sie ja irgendwie damit klarkommen, daß sie nicht zaubern können", wandte Mrs. Dawn ein.
Ein lauter Schrei klang durch die Straße. Offenbar war jemand in Not. Aurora sah sich um und erblickte drei bullige Männer in schwarzen Kapuzenumhängen, die einen Jungen mit rotbraunem Haar mit Ellenbogenstößen in die Rippen von einer Seite zur anderen schubsten. Keiner kam dem Jungen zu Hilfe, der blaue Hosen und ein kurzärmeliges Überziehhemd aus weißer Baumwolle trug. Seine Eltern, die Mutter in Hosen und kurzärmeliger Bluse, der Vater im Anzug, aber nicht im Umhang, sahen verdutzt auf die drei Männer, wagten jedoch nicht, ihrem Sohn zu helfen, weil ein weiterer Mann mit erhobenem Zauberstab sie bedrohte. Dann jedoch tauchten gleich zehn Männer in dunkelblauen Umhängen auf, stürmten im Geschwindschritt auf die Viererbande zu und riefen dabei Zauberworte. Blaue, rote und gelbe Blitze zuckten durch die Gasse und trafen die vier Untäter. Dann war der gepeinigte Junge wieder frei und ging zu seinen Eltern zurück.
"Die werden immer dreister", schimpfte eine Frau so im Alter von Auroras Eltern, als die vier Gewalttäter offenbar unschädlich gemacht waren. Denn die Vier lagen auf der Straße und waren mit magischen Stricken gefesselt.
"Wenn man sie auch läßt", sagte Mrs. Dawn verärgert zu der Fremden. Diese verzog das Gesicht und ging eilig davon, wohl weil sie keine gescheite Antwort darauf finden konnte.
"Sind das Muggel?" Fragte Aurora ihre Mutter. Diese nickte bestätigend.
"Die haben genauso ein Recht, hierher zu kommen, wie wir, wenn ihr Sohn von Hogwarts den Brief bekommen hat", sagte sie noch. Dann ging sie ohne weiteres zu den nun wild gestikulierenden Eltern des gepeinigten Jungen hinüber, die sich mit den zehn Zauberern unterhielten. Aurora lief ihr einfach nach, ohne ihren Vater zu fragen, ob sie durfte. Sie hörte, als sie nahe genug herankam:
"... Schöne Begrüßung hier! Davon hat uns dieser Mr. Watergate nichts erzählt, daß neue Zauberschüler beim Einkaufen verprügelt werden dürfen." Das war die Stimme des Vaters, der immer noch mit einer Mischung aus Wut und Unbehagen dastand, während seine Frau tröstend auf ihren Sohn einsprach, der jedoch trotzig sagte:
"Mum, wenn die mich nicht abkönnen, dann hauen wir eben ab. Ich wollte sowieso nicht nach Hogwarts. Soll doch Erica alleine diesen Krempel lernen. Ich werde Astronaut. Wenn dieser Voldemort meint, ich sei kein Zauberer, dann soll er doch seinen Willen kriegen", stieß der Junge in ohnmächtiger Wut aus.
"Junger Sir, sagen Sie den Namen des dunklen Lords nicht so laut!" Zischte einer der zehn, die ihm geholfen hatten. Ein Mädchen um die dreizehn Jahre mit rotbraunem Haar, das ungebändigt ihre Schultern umwehte, eilte herbei. Es trug einen zu ihren braunen Augen farblich passenden Umhang und sah die zehn Zauberer an und dann den Jungen, der ihr sehr ähnlich sah, wie auch dessen Eltern, denen dieses Mädchen auch sehr ähnelte.
"Was redest du für einen Unsinn, Roy? Du kannst zaubern, habe ich rausgefunden. Du mußt nach Hogwarts. Außerdem wäre das blöd, diesem Voldemort seinen Willen zu lassen, einem Terroristen. Der ist doch nur stark, weil alle Angst vor ihm haben und ..."
"Neh, ich will nach Hause. Dad hat ja noch die Möglichkeit, mich in der Schweiz im Internat anzumelden. Die in Eton wollten mich ja nicht", quängelte der Junge wie ein verärgertes kleines Mädchen. Das ältere Mädchen, vielleicht seine Schwester, ging auf ihn zu und baute sich sehr gebieterisch vor ihm auf.
"Die Leute hier haben dich beschützt, weil sie wissen, daß du einer von uns bist, Roy. Wenn du nicht sofort mit Mum und Dad weiter einkaufst, schleife ich dich am Kragen in jeden Laden rein. Ich lasse mir nicht nachsagen, daß mein Bruder nur nicht nach Hogwarts geht, weil er meint, in der Muggelwelt würden sie ihn nicht mehr ärgern. - Oh, Professor Dawn. Ich habe gar nicht gesehen, daß Sie auch hier sind", sagte das ältere Mädchen und blickte Mrs. Dawn an. Diese lächelte und winkte Aurora zu sich heran.
"Auch Lehrerinnen haben Kinder, die mal in die Schule müssen, Miss Fielding. Das ist meine Tochter Aurora. Und das ist ihr Bruder Roy, der dieses Jahr zu uns kommt?"
"Nur wenn Ostern und Weihnachten auf einen Tag fallen", knurrte der gerade noch gepeinigte Junge trotzig. Das ältere Mädchen legte ihm die Hand auf den Mund und sagte:
"Ja, das ist Roy. Irgendwie muß es denen von Vol..., dem Unnennbaren gelungen sein, in die Winkelgasse zu kommen. Ich dachte, die Leute von der Strafverfolgung passen auf."
"Wenn wir das nicht täten, hätten die deinen Bruder wohl gefoltert, junge Dame", bemerkte einer der zehn Helfer. Dann sagte er zu den Fieldings:
"Wir bedauern diesen Vorfall, Mr. und Mrs. Fielding. Lassen sie sich nicht davon abhalten, Ihre Einkäufe zu machen. Mr. Watergate wird Sie dann wieder aufsuchen, um mit Ihnen abzuklären, wie die Abreise bewerkstelligt wird. Professor Dawn, einen angenehmen Tag wünsche ich noch."
Die zehn Zauberer gingen davon. Das ältere Mädchen ließ ihren Bruder wieder los und sagte zu Aurora:
"Du siehst ja gar nicht aus, wie deine Mutter."
"Das liegt an meinem tollen Erbgut", lachte Mr. Dawn, der nun herangekommen war.
"Ich habe ihr Buch über die wortlose Sprache der Hausvögel gelesen, Mr. Dawn. Glauben Sie wirklich, daß wir bald auch die wilden Vogelarten ohne Gewaltmaßnahmen für uns nutzbar machen können?" Fragte das ältere Mädchen. Mr. Dawn sagte nur:
"Yep!"
"Komm, Mum, wir gehen wieder zurück zu dieser Kneipe und machen den Abflug", wandte Roy Fielding sich an seine Mutter, als er meinte, daß seine Schwester ihn nicht mehr beachtete. Doch diese griff ihn ohne Vorwarnung am Arm und zog ihn hinter sich her. ER stemmte sich zwar erst dagegen, doch sie zog ihn einfach hinter sich her.
"Erica, lass das!" Rief Mr. Fielding dem Mädchen zu. Doch dieses war wild entschlossen, dem Bruder den richtigen Weg zu zeigen.
"Sie sind Lehrerin in Hogwarts?" Fragte Mrs. Fielding Mrs. Dawn. Diese nickte.
"Ich bin die Arithmantiklehrerin Ihrer Tochter, Mrs. Fielding. Es ist manchmal bedauerlich, daß nichtmagische Eltern nicht immer die Zeit finden, unser Besuchsangebot wahrzunehmen. Ich bin Professor Regina Dawn, und das ist meine Familie, mein Mann Hugo und meine Tochter Aurora."
"Wir kommen noch mal auf dieses Angebot dieses Dumbledores zurück", sagte Mr. Fielding und zog seine Frau mit sich, die sich wohl gerne noch länger mit Mrs. Dawn unterhalten hätte.
Der restliche Tag verlief ohne Störung. Bei Madame Malkin kaufte Aurora drei schwarze Schulumhänge und Zaubererhüte, versah sich in einem Laden für Zaubertrankgeschirr mit Kessel, Phiolen und Waagen, sowie Drachenhauthandschuhen, kaufte in der Bücherei Flourish & Blotts die auf der dem Brief an sie beigefügten Liste erwünschten Zauberbücher und konnte in einem Laden für Astronomische Geräte ein sehr gutes Teleskop für die Himmelsbeobachtung bekommen. Zum Schluß gingen die Dawns zu Ollivanders Zauberstabladen. Dort saßen zwei Jungen. Einer trug einen etwas ramponiert wirkenden Umhang aus scharlachrotem Tuch, der andere trug einen dunkelvioletten Umhang mit Stehkragen. Der erste besaß weizenblondes Haar, welches zu einer Igelfrisur geschnitten war, graublaue augen und eine sportliche Figur. Der zweite sah drahtig aus, besaß brünettes, schulterlanges Haar, eher wie ein Mädchen und besaß ebenfalls graublaue Augen. Beide hatten eine große Himmelwärts weisende Nase im Gesicht, sahen sich aber sonst nur an den Augen ähnlich. Aurora erkannte den Brünetten. Es war Mortimer, der älteste Sohn der Swifts.
"... kannst du diesen langweiligen Sport vergessen, Bruster", hörte Aurora Mortimer gerade noch sagen, als sie den Verkaufsraum betrat. Der weizenblonde Junge antwortete:
"Daran kann man sehen, daß du von Fußball null Ahnung hast, Mortimer. Da kommt es wirklich auf die Leistung an, nicht aufs Glück. Bei Quidditch gewinnt doch die Mannschaft, deren Sucher diesen Schnatz fängt, egal, wieviele Tore die vorher kassiert haben."
"Bursche, das ist Blödsinn. Wenn 'ne Mannschaft mehr als fünfzehn Tore Vorsprung rausgeholt hat, kann der Gegner den Schnatz kriegen und doch verlieren. Außerdem ist das ein Knochenjob, Quidditch zu spielen. - Hallo, Aurora!" Erwiderte Mortimer und sah Aurora Dawn an. Diese lächelte und fragte:
"Ist das dein Vetter Bruster, Mortimer? Ich hörte doch von deiner Mum, daß nicht sicher sei, ob der auch nach Hogwarts darf. Aber schön, wenn es geklappt hat."
"Deine Freundin, Morty?" Fragte der weizenblonde Junge. Mortimer grinste und sagte:
"Neh, nur die Tochter eines Bekannten meines alten Herren, Bruster."
"Wo sind denn deine Eltern?" Fragte Aurora Bruster. Dieser sagte:
"Meine Mum sucht mit Onkel Regulus Zaubertrankzutaten und Zauberbücher zusammen, mein Dad ist mit diesem alten Zauberer Watergate zusammen unterwegs, um Zauberbücher zu besorgen. Er meinte, daß die Zauberstabsucherei bei Ollivander länger dauere und wir so Zeit sparen."
"Achso. Meine Eltern warten vor der Tür, bis hier alles erledigt ist", entgegnete Aurora Dawn.
Die nächste halbe Stunde unterhielten sich die drei Kinder über Hogwarts, was sie dort erwartete. Aurora, die wußte, das Mortimers Tante einen Muggel geheiratet hatte, fragte bruster, was der Vater denn beruflich mache und fragte, was das denn sei, ein Automechaniker. Bruster lachte nur und erklärte es ihr, daß ein Automechaniker die Kraftwagen der Muggel reparierte oder in Gang hielt. Zwischendurch durfte sich Mortimer seinen Zauberstab aussuchen. Der bleichäugige Zauberstabmacher Ollivander nahm sich viel Zeit mit dem Sohn von Regulus Swift. Der mußte um die zwanzig Zauberstäbe ausprobieren, bis er schließlich beim Schwingen eines Weidenholzstabes mit Drachenherzfasern einen kurzen Schauer roter und goldener Funken hervorrief.
"Bis zum ersten September, Leute!" Wünschte Mortimer und ging mit dem Zauberstab aus dem Laden. Nun kam Bruster an die Reihe. Ollivander erzählte, daß er seine Mutter kannte und ihr damals einen neun Zoll langen Nusbaumholzzauberstab mit Einhornschweifhaarkern verkauft hatte. Bruster hörte sich das an und nickte nur. Dann wurde er an allen Körperstellen vermessen und probierte von zwanzig Zauberstäben, die Ollivander daraufhin herbeigeholt hatte, bis er bereits nach dem vierten Versuch eine ähnliche Wirkung erzeugte, die Mortimer mit seinem Zauberstab vollbracht hatte, nur das hier ein Regen aus silbernen und blauen Funken aus dem Stab kam. Bruster zahlte die sechs Galleonen und vier Sickel für den Stab und verließ den Laden mit einem Gruß an Aurora. Dann war sie dran.
"Ich freue mich, daß Sie meinen Laden aufgesucht haben, Ms. Dawn. Ich weiß, daß Ihre Eltern und Ihre Tante June ebenfalls bei mir ihre Zauberstäbe erworben haben", sagte Mr. Ollivander. "Ihre Frau Mutter hat einen Rotbuchenzauberstab mit Phönixfedern gekauft. Hat sie den noch?"
"Ja, sicher", erwiderte Aurora Dawn.
Auch Sie mußte über sich ergehen lassen, daß ein magisches Maßband von Selbst ihre Körperlänge, den Abstand der Nasenlöcher, die Länge der Finger oder den Abstand der Augen vermaß. Mr. Ollivander holte daraufhin mehrere Dutzend längliche Schachteln und stapelte sie links von Aurora auf. Dann mußte die Tochter von Regina und Hugo Dawn Zauberstäbe ausprobieren. Zuerst kam ein fünfzölliger Sandelholzstab mit Einhornschweifkern dran, der ihr jedoch seltsam schwer in der Hand lag. Dann folgte ein Weißbuchenstab mit Phönixfederkern, der schon leichter zu schwingen war, jedoch einen merkwürdigen Pfeifton erklingen ließ, als blase ein Sturm durch eine hauchdünne Türritze. Ollivander nahm den Stab sofort wieder an sich und legte ihn rechts von Aurora auf den ersten ausprobierten.
So folgten sechs weitere Zauberstäbe, die alle merkwürdige Sachen machten. So fiel beim Ausprobieren des dritten Stabes ein Bild herunter, aus dem vierten schoß eine Folge von Seifenblasen, der fünfte erhitzte sich unvermittelt und drohte, Aurora die Finger zu verbrennen. Als sie dann den achten Zauberstab, einen Kiefernholzstab mit Einhornschweifkern, der seine sieben Zoll maß, in die Hand nahm, fühlte sie eine starke, durch ihren Körper strömende Kraft, hob ihn an und ließ unvermittelt einen warmen Wind und einen Strom goldener Funken aus dem Stab herausfahren. Sie sagte noch: "Lumos!" Das brachte den Stab dazu, an seiner Spitze ein helles Licht aufglühen zu lassen. "Nox!" Rief Aurora Dawn, und das Licht erlosch wieder.
"Sie haben ihn gefunden, Ms. Dawn. Eine solche Übereinstimmung zwischen Stab und Zauberer oder Hexe geschieht eben nur, wenn der Zauberstab die richtige Zauberhand findet", erläuterte Mr. Ollivander. Aurora Dawn zahlte die sieben Galleonen und zwei Sickel für den Stab und verließ den Laden. Draußen erzählte sie ihren Eltern, welchen Stab sie bekommen hatte. Dann ging es zurück zum tropfenden Kessel, wo sie die Fieldings wieder trafen.
"Na, haben Sie alles bekommen?" Fragte Mrs. Dawn Mr. Fielding. Dieser sah sie verdutzt an und meinte:
"Die Hexe in dem Zauberstabladen meinte, unser Sohn hätte eine besondere Übereinstimmung mit Phönixfedern, was immer das auch sein soll."
"Dad, du weißt doch, was ein Phönix ist", wandte Erica Fielding ein. Aurora fragte, ob die Kinder von nichtmagischen Eltern nicht alle bei Ollivander einkauften. Mr. Fielding sagte:
"Dieser Mr. Watergate hat uns erzählt, daß Ollivander zwar ein breites Sortiment habe, aber sehr teuer sein könne. Ich war mit Roy bei Madame Silvartis, welche auch sehr brauchbare Zauberstäbe haben soll. Erica hat ihren ja auch da bekommen."
"Der Laden von Ollivander ist was für Leute, die viel Geld ausgeben können", sagte Erica und fragte Aurora, wo sie ihren Zauberstab denn herhabe. Aurora erklärte, daß sie ihn bei Ollivander bekommen habe. Erica meinte:
"Ich habe für meinen nur vier Galleonen hingelegt. Roy hat nur drei Galleonen und neun Sickel bezahlt. Ich kann mit meinem auch sehr gut zaubern."
"Bei Ollivander besteht jedoch die Möglichkeit, eine besonders gute Abstimmung zwischen Stab und Zauberer zu finden", wandte Mr. Dawn ein, der sich mit Regulus Swift an einem Tisch zusammengesetzt hatte.
"Mag sein, Sir. Aber dieser ganze Zauberkram ist uns sowieso schon teuer genug", warf Mr. Fielding ein.
"Wir müssen", trieb Auroras Mutter ihren Mann und ihre Tochter an. Diese verabschiedeten sich von den jeweiligen Gesprächspartnern.
"Man sieht sich dann in Hogwarts oder schon im Zug dahin!" Sagte Aurora zu Roy. Dieser zuckte die Achseln und nickte gezwungen, sagte jedoch kein Wort. Seine Schwester Erica sagte nur:
"Für Roy ist das alles noch zu neu, Mädchen. Aber ich denke, der kommt schon klar. Bis zum ersten September!"
Mit dem magischen Pulver und dem Kaminfeuer im Schankraum des tropfenden Kessels reisten die Dawns zu ihrem Landhaus zurück, wo Aurora ihre neuen Schulsachen in ihr Zimmer brachte.
"Hoffentlich kriegen die das mit den dunklen Magiern in den Griff", hörte Aurora ihren Vater aus dem Wohnzimmer sagen. "Das ist ja schon demütigend, wie ungehemmt die herumlaufen können."
"Hugo, solange er sie führt und schützt können wir nicht viel tun", sagte Mrs. Dawn. "Keiner weiß genau, wie er es angestellt hat, so schnell und heimlich so mächtig zu werden. Ich hoffe nur, Hogwarts bleibt sicher."
"Du sagst, Dumbledore könne ihm die Stirn bieten, Regina. Dann sollte Hogwarts weiterhin sicher bleiben. Immerhin haben die damals bei der Gründung ja auch Salazar Slytherin in seine Schranken gewiesen."
"Ja, das stimmt, Hugo", sagte Auroras Mutter. Dann wurden beide so leise, daß Aurora selbst nichts mehr hören konnte.
Der erste September kam mit Donnerschlag und Wolkenbruch. Aurora konnte sich nicht erinnern, wann es das letztemal so heftig geregnet und gestürmt hatte. Die Dawns hatten Auroras Sachen in einen geräumigen Koffer gepackt und diesen vor den großen Kamin im Wohnzimmer gestellt. Als die große Standuhr im Wohnzimmer mit melodischem Glockenschlag zehn Uhr morgens verkündete, wandte sich Mrs. Dawn, gekleidet in einen erdbeerroten Umhang, an ihre Tochter.
"Die Lehrer in Hogwarts treffen sich immer um halb elf beim Direktor zur Vorbereitung der Ankunft der Schüler. Ich disappariere nach Hogsmeade, um rechtzeitig dort anzukommen. Dad und du werdet um halb elf zum tropfenden Kessel floh-pulvern, um rechtzeitig den Bahnhof Kings Cross zu erreichen, wo der Hogwarts-Express abfährt. Ich wünsche dir eine schöne Fahrt und hoffentlich gute Gesellschaft unterwegs. Nur noch einige wichtige Dinge, die zu tun ich dich bitten möchte:
Du bist Aurora Dawn. Vielleicht wissen einige, daß ich deine Mutter bin. Aber das ist kein Grund, anzugeben oder zu glauben, daß du oder echte oder falsche Freunde Vorteile daraus ziehen. Ich möchte, daß du dich wie jede andere Schülerin dort benimmst, deine Arbeit tust und ein ganz gewöhnliches Leben dort führst. Ich bitte dich auch, daß du, egal in welches Schulhaus du kommst, dich anstrengst, deinem Haus Ehre zu machen. Damit würdest du mir einen sehr großen Gefallen tun und mir viel Freude machen. Versuche also, ohne ständig zu mir zu laufen, deine Angelegenheiten zu klären! Nicht mehr und nicht weniger möchte ich von dir, Kind."
"Und wenn ich nach Slytherin komme?" Fragte Aurora Dawn frech, weil sie wußte, daß ihre Eltern über dieses Schulhaus und alle die, die mal darin gewohnt hatten mit Verachtung sprachen.
"Ich hätte was falsch gemacht, wenn du in Slytherin landen solltest, Kind. Aber falls du wirklich da reinkommen solltest, lasse dich von den Leuten, die du da triffst, nicht zu üblen Dingen verleiten, nur um mit denen gut auszukommen!"
"Okay, Mum! Wir sehen uns dann vielleicht mal außerhalb des Unterrichts."
"Gute Fahrt, Aurora!" Sagte Mrs. Dawn und küßte ihre Tochter zum Abschied. Dann verschwand sie einfach. Sie war auf magische Weise aus dem Landhaus abgereist und wohl im selben Augenblick schon in Hogsmeade, einem Dorf wohl nahe bei Hogwarts, angekommen, wußte Aurora und bereitete sich mit ihrem Vater auf die Abreise vor.
Sie zogen wind- und regenundurchlässige Umhänge an und reisten mit Hilfe des Flohpulvers mit dem großen Koffer in einem höllischen Flug durch ein Labyrinth aus stürmischen Böen nach London, zum tropfenden Kessel, wo sie aufpassen mußten, das sie nicht mit bereits angekommenen Zaubererfamilien zusammenstießen. Sie mußten sich beeilen, um nicht von kurz nach ihnen eintreffenden Hexen und Zauberern umgeworfen zu werden. Der Wirt im tropfenden Kessel schenkte den neuen Schülern ganz umsonst noch eine Tasse Tee ein und sprach mit den Eltern oder Verwandten, die alle in Regenkleidung unterwegs waren. Eine ältliche Hexe mit silberweißem Haar, offenbar eine Großmutter von vier Kindern, zwei älteren Jungen und zwei Mädchen, die wohl in Auroras Alter waren, hielt ein Monstrum von Regenschirm zusammengeklappt unter einem Arm und paffte süßlich herbe Rauchkringel aus einer Porzellanpfeife. Doch schon kurz nach ihrer Ankunft verließen Vater und Tochter Dawn den Pub und liefen. Sie marschierten durch den Regen und suchten ein großes Gebäude, wo auf einem Schild "Bahnhof Kings Cross" zu lesen stand. Durch eine weitläufige Halle voller Menschen, die meisten wohl keine Hexen und Zauberer, gingen die Dawns zu einer Stelle, wo große Gepäckwagen standen. Zusammen mit den Swifts, die auch gerade angekommen waren, benutzten die Dawns einen Wagen und rollten ihn mit den großen Koffern durch die Halle auf eine Plattform hinaus, die rechts von zwei durch Querholme miteinander verbundene Eisenschienen und links von einer halbhohen Mauer begrenzt wurde, durch die man auf eine andere Plattform hinübersehen konnte, die links von einem aus weiter Ferne kommenden und in weiter ferne verschwindenden Schienenpaar begrenzt wurde. Aurora hatte nur wenige Male Eisenbahnzüge gesehen und kannte die Schinen, auf denen diese Wagenketten, welche von großen selbstangetriebenen Fahrzeugen gezogen fuhren. Offenbar war es für Hogwarts günstig, mit sowas die Schüler zu fahren, die dort lernen sollten.
"Wie ging das noch mal, Erica?" Hörte Aurora eine Frauenstimme fragen, die sie zuletzt in der Winkelgasse gehört hatte. Sie sah sich um, woher die Stimme gekommen war und entdeckte die Fieldings, die Eltern in Hemden und Hosen, sowie das ältere Mädchen, Erica, wie auch ihren Bruder Roy, der wohl auch nach Hogwarts sollte.
Erica schien ihrer Mutter etwas zu erklären. Dann nahm sie ihren Bruder bei Seite und wartete, bis keine Leute zusahen, die wohl keine Zauberer waren. Dann stieß sie Roy einfach vorwärts, bis kurz vor die Mauer. Er stockte. Dann ging er alleine weiter und verschwand einfach in der Mauer, als sei sie nicht aus Stein, sondern nur eine Luftspiegelung. Dann holte Erica den Gepäckwagen mit zwei großen Koffern, die ähnlich denen aussahen, den Aurora und der drahtige Mortimer Swift auf ihrem Gepäckwagen herumfuhren.
"Ihr müßt nur durch die Wand gehen. Sie ist eigentlich ein Tor, das Bahnsteig 9 mit Bahnsteig 9 3/4 verbindet. Keine Sorge! Ich habe das vierzehnmal ohne Probleme hinbekommen", erklärte Mr. Dawn den beiden Kindern. Aurora nickte. Mortimer auch. Dann schoben sie zusammen den Gepäckwagen auf die Trennwand zwischen Bahnsteig 9 und 10 zu - und schlüpften ungehindert hindurch.
Auf der anderen Seite war alles anders. Anstatt eine Wand hinter sich zu haben, war da ein schmiedeeisernes Tor, an dem ein Mann im langen Zaubererumhang stand. Er sah durch das Tor und ließ immer wieder Leute hindurchtreten, erst die Swifts, dann Mr. Dawn. Da, wo auf der anderen Seite der Bahnsteig 10 zu sehen gewesen war, stand nun ein abfahrbereiter Eisenbahnzug mit vielen aneinandergekoppelten und durch schmale, mit Holzwänden verschalte Übergangsstege verbundenen Wagen. An der Spitze des Zuges stand, dicke weiße Dampfwolken mit lautem Schnauben und Zischen in die Luft blasend, eine scharlachrote Lokomotive, über deren Dach das Schild "Hogwarts-Express" prangte.
"Huh, fünf Minuten vor elf", stellte Mr. Swift fest, nachdem er einen Blick auf eine große Taschenuhr an einer Silberkette geworfen hatte. "Ihr habt nicht mehr viel Zeit, Kinder. Hilfst du Bruster, wenn er durch das Tor kommt, Mortimer?"
"Yep, Daddy", gab Mortimer locker zur Antwort. Er wußte, daß sein Vetter Bruster wohl nur mit seiner Mutter, wenn nicht sogar allein auf diesen, für Muggelaugen unsichtbaren und unbetretbaren Bahnsteig kommen würde. In der Winkelgasse hatte er mit ihm ausgemacht, ihm zu helfen, bis sie in Hogwarts waren. Erst da, so hatte Mortimer seinem Cousin klargemacht, sollte dieser alleine über die Runden kommen.
Mortimer pfiff auf den Fingern, als sein Vetter mit verdutztem Gesichtsausdruck durch das bezauberte Eisentor kam, den schweren Koffer mit beiden Händen balancierend. Dann winkte er ihm zu und half ihm und Aurora, die bereits eine offene Wagontür angesteuert hatte, die Koffer in den Zug zu bringen.
"Mum meint, ich sollte alleine durch, weil Dad sonst auf dumme Gedanken käme", keuchte Bruster.
"Deine Mum war doch in Hogwarts. Hat die dir nicht erzählt, daß Gepäckwagen durch die Absperrung können?" Fragte Mortimer gehässig, weil Bruster offenbar den großen Koffer über mehrere Meter hatte schleppen müssen.
"Sie meinte, wir dürften nicht auffallen, weil ich ja nicht die Erfahrung mit dem Hogwarts-Express habe und so", gab Bruster verärgert zur Antwort. Dann lehnte sich Mortimer aus dem Fenster, wo sein Vater stand.
"Sage Tante Norma, daß Brusi Baby sicher in den Zug gekommen ist, Daddy! Es läuft dann so, wie abgesprochen."
"Gut, Mortimer. Ich wünsche euch allen eine angenehme Fahrt", sagte Mr. Swift und wandte sich dem Eisentor zu, wo schon weitere Familien oder einzelne Schüler durchkamen.
"Wer von uns hier 'n Baby ist, wird noch rauskommen", knurrte Bruster, bevor sein Cousin ihn weiter durch den Wagon schob. Aurora Dawn wußte nicht, ob sie sich mit den beiden Jungen ein Abteil teilen sollte. Jungs waren manchmal merkwürdig gelaunt, wenn Mädchen in ihrer Nähe waren, wußte sie. So stand sie unschlüssig herum, bis sie wer von hinten ansprach:
"Eh, du verstellst den Weg! Platz da!"
Etwas irritiert wandte sich Aurora um und sah sich einer ziemlich gut gelungenen Verschmelzung zwischen einem Kleiderschrank und einem wohl vierzehnjährigem Mädchen mit prallen Brüsten, weizenblondem Haar, das ihr seidigweich über den Rücken fiel und auf Nackenhöhe von einer Goldspange zusammengehalten wurde gegenüber. Hellblaue Augen starrten ungehalten auf Aurora herab. Diese sagte nur:
"'tschuldigung!" und nahm den schweren Koffer wieder auf und ging vor dem groß und breit gebauten Mädchen her, bis diese stehenblieb. Aurora ging weiter. Sie mußte der Älteren ja nicht noch mehr auf die Pelle rücken, als nötig war.
"Toni, hierher!" Hörte sie das klobige Mädchen in Richtung hinter ihr liegender Wagontür rufen. So konnte Aurora ein etwas kleineres, jedoch irgendwie quadratisch gebautes Mädchen sehen, das die selben Gesichtszüge, sogar dieselbe Haar- und Augenfarbe besaß, wie das, welches gerufen hatte. Offenbar waren es Schwestern, vermutete Aurora Dawn. Sie ging weiter, an einem Abteil voller älterer Jungen vorbei. Einer steckte gerade den Kopf durch die geöffnete Schiebetür hinaus und sah sie an.
"Wau, hast du tolle Haare. Erstklässlerin?"
"Meine Mutter sagte, daß man mit Jungs nicht reden soll, die unhöflich sind und sich einem Mädchen nicht vorstellen", gab Aurora mit entschlossenem Blick ihrer graugrünen Augen zurück. Die Abteilmitfahrer des älteren Jungen lachten. Dann hörte sie einen sagen:
"Alwin, du lernst es nicht, wie man junge Frauen begrüßt."
"Noch so'n Spruch, Kieferbruch, Mick", drohte der, welcher Aurora angesprochen hatte seinem Mitfahrer. Aurora nutzte dieses Geplänkel aus, um wortlos weiterzugehen, bis sie an ein Abteil kam, wo vier Mädchen drinsaßen. Eines davon war wohl vierzehn oder um den Dreh. Sie hatte hellblondes Haar, das lang und dicht wie eine Löwenmähne Gesicht und Schultern umrahmte und sah Aurora mit rehbraunen Augen an. Dann lächelte sie.
"Hallo, junge Miss! Ich bin Priscilla Woodlane. Suchst du noch ein Abteil?"
"Öhm, ja", sagte Aurora. Unverzüglich half das ältere Mädchen ihr bei dem Koffer und sagte dann:
"Petula, ich geh dann mal wieder zu Erica. Die müßte ihren Bruder wohl untergebracht haben. Wir sehen uns dann vielleicht in Ravenclaw. Wenn du aber anderswo unterkommst, solange nicht bei den Slytherins, kein Problem. Kannst jederzeit 'ne Eule aus der Schuleulerei schicken, wenn was ist."
"Danke, Priscilla", sagte ein Mädchen, so alt wie alle anderen in diesem Abteil. Das war für Priscilla Woodlane das Zeichen, um das Abteil zu verlassen.
"Setz dich! Wie heißt du eigentlich?" Sprach das Mädchen, das wohl Petula hieß und so aussah, wie eine drei Jahre jüngere Ausgabe von Priscilla Aurora Dawn an, die sich sofort höflich vorstellte und neben ihr platznahm.
"Auch Erstklässlerin, wie?" Fragte ein anderes Mädchen, das ein hellrotes Kleid trug und ihr dunkelblondes Haar hochgesteckt trug.
"Ja, bin ich. Wer seid ihr alle? Damit wir uns während der Fahrt mit Namen anreden können, wenn wir wollen."
"Meine Schwester hat dich reingeholt. Ich bin Petula Woodlane", sagte Petula. Das dunkelblonde Mädchen sagte:
"Cynthia Flowers."
"Isis Waverly", sagte das dritte Mädchen und strich sich verlegen durch ihr braunes Haar. Ihre grauen Augen blickten irgendwie scheu und leicht traurig, als sei sie nicht glücklich, nun nach Hogwarts zu fahren, weil sie Angst hatte, dachte Aurora für sich.
"Wollte deine Schwester nicht hierbleiben?" Fragte Aurora neugierig Petula. Diese grinste.
"Die hat sich mit ihrer Freundin Erica verabredet. Die sollte ihren Bruder in den Zug bringen, weil dessen Eltern dafür keine Zeit haben", sagte Petula. Aurora dachte, daß Petula log. Erica Fielding, um die es sich wohl handelte, hatte Muggeleltern. Ihr Vater hatte ihr erklärt, daß nur Hexen und Zauberer auf den Bahnsteig des Hogwarts-Expresses gehen könnten. Aber sie wußte auch, daß die in den Zeitungen beschriebenen Helfer des dunklen Lords Leute jagten, die keine Zauberereltern hatten. Das mußte also nicht jeder gleich wissen, wer welche Eltern hatte.
"Mein Dad hat mich in den Zug gesetzt", antwortete Aurora Dawn. "Mum ist arbeiten."
"Tante Dora hat mich vor die Wagontür gebracht, als Petula und ihre Schwester kamen", berichtete Isis seufzend, als sei das peinlich, daß einen eine Tante oder ein Onkel zum Zug brachte, der zum erstenmal in die neue Schule fuhr, wo man ja bis Weihnachten bleiben würde, ohne die Eltern vorher sehen zu können.
"Ein leicht untersetztes Mädchen kam begleitet von einer wohl sechzehnjährigen Schülerin an der noch geöffneten Abteiltür vorbei. Die ältere Schülerin steckte ihren rothaarigen Kopf zur Tür hinein und sah die Mädchen aus hellgrünen Augen an.
"Wollt und könnt ihr noch eine von euch in das Abteil nehmen?" Fragte sie. Alle Insassen nickten. Dann kam das untersetzte Mädchen herein und lächelte freundlich alle an. Sie wandte sich um und bedankte sich.
"Danke noch mal, Mis ..."
"Evans. Aber du kannst ruhig Lily zu mir sagen", erwiderte das ältere Mädchen.
"Danke noch mal!"
"Viel Spaß und Erfolg in Hogwarts", wünschte die Ältere. Jetzt erst sah Aurora das silberne Abzeichen, auf dem ein V zu sehen war, das für "Vertrauensschülerin" stand.
"Lil! Alles klar?" Hörten die Mädchen eine Frage aus einem anderen Abteil.
"Alles klar, James. Ich komme jetzt zu euch!" Rief die Rothaarige zurück. Dann ging sie fort.
"Das erlebt man wohl nicht alle Tage, daß einem eine unbekannte Vertrauensschülerin ein Abteil im Hogwarts-Express zeigt", sagte die neue Insassin. Dann stellte sie sich als Melinda Bunton vor.
Um Elf Uhr ruckelte der Zug an, Wagon für Wagon. Alle winkten aus den dem Bahnsteig zugewandten Fenstern und verabschiedeten sich von Eltern und Verwandten, die zurückwinkten und gute Ratschläge für die Schüler ausriefen. Aurora sah ihren Vater, der mit Mr. Swift und dessen Frau zusammen auf dem Bahnsteig stand und winkte. Dann ratterte der Zug um eine Kurve, und die Hexen und Zauberer auf dem Bahnsteig verschwanden aus dem Blickfeld.
Die lange Fahrt vertrieben sich die neuen Erstklässler mit Erzählungen über ihre Familien, wo sie wohnten und wo sie in Hogwarts gerne hinkämen. Einig waren sie sich dabei, daß sie allesamt nicht in Slytherin landen wollten, weil da die wohnten, die es mit dem dunklen Lord und seinen Anhängern hielten.
"meine Mutter hat erzählt, daß Slytherin das Schulhaus ist, aus dem die meisten bösen Hexen und Zauberer kamen", sagte Cynthia Flowers.
"Hab ich auch gehört", pflichtete Melinda Bunton bei. Dann fragte sie Aurora Dawn:
"Was arbeitet deine Mum denn? Du sagtest nur, daß sie heute nicht zum Zug mitkommen konnte."
"Sie arbeitet in Hogwarts. Aber sie meinte, daß ich ohne sie dort klarkommen soll, deshalb habe ich das nicht erzählt. Sie ist da Lehrerin für Arithmantik", sagte Aurora.
"Uh, das soll schwer sein", sagte Petula. "Meine Schwester hat das seit der dritten Klasse. Sie meinte, daß wäre was nettes für gute Noten. War aber leider nicht so. Dann ist das Professor Regina Dawn? Du siehst ja fast nicht so aus, wie Priscilla sie beschrieben hat."
"Mein Vater hat wohl tolle Erbanlagen, sagen Mum und Dad immer. Aber ihr müßt das keinem erzählen. Wenn ich wirklich nicht direkt aussehe, wie Mum, braucht das keiner zu wissen. Mum hat gesagt, daß es Leute gibt, die meinen könnten, über mich mit ihr besser klarzukommen."
"Wäre eigentlich interessant für Priscilla", grinste Petula. Dann sah sie Aurora beruhigend an. "Aber die hat ja dieses Fach genommen. Soll sie damit fertigwerden."
"Ich dachte, wir hätten alle schon alle Fächer von der ersten bis zur letzten Klasse", wunderte sich Cynthia Flowers.
"Nöh, Cynthia. In den ersten Klassen haben wir sieben Fächer, von denen zaubertränke und Verwandlung die schwierigsten sein sollen, sagt Priscilla", erklärte Petula Woodlane.
"Kann ich mir vorstellen. Zaubertränke sind mordsmäßig interessant und kompliziert. Verhaust du dich bei einer Zutat auch nur um ein Gramm oder beim Zeitpunkt des Reintuns, kann der Trank völlig anders wirken", gab Aurora kund.
"Interessieren dich Zaubertränke?" Fragte Cynthia.
"Ja, tun sie. 'ne Tante von mir hat mir schon einige gezeigt. Die ist Braumeisterin."
"Zaubertränke sind schon was tolles", sagte Melinda Bunton. "Aber ich finde Zaubern mit Zauberstab doch spannender. Ich freu mich schon richtig, selbst mit dem Zauberstab was machen zu können."
"Joh", pflichtete Cynthia ihr bei.
So ging das lockere Gespräch der fünf Mädchen weiter, bis eine kugelrunde Hexe mit einem Wagen voller Süßkram am Abteil vorbeikam. Die Mädchen kauften sich Schokofrösche, Berty Botts Bohnen in jeder Geschmacksrichtung und Lakritzzauberstäbe. Aurora öffnete einen Schokofrosch und fand eine kleine Karte mit einem Bild einer Hexe, die aus saphirblauen Augen ernst dreinblickte und glattes schwarzes Haar, hinter dem Nacken zum Knoten gewirkt, besaß. Petula, die das kleine Bild sah, sagte:
"Huch, ist das Professor McGonagall?"
Aurora las laut den Text auf der Karte:
"Professeur Blanche Faucon, Großmeisterin der Verwandlung und Expertin für die Abwehr der dunklen Künste. Als solche ist sie Lehrerin an der Beauxbatons-Akademie für französischsprachige Hexen und Zauberer. Sie wurde mehrfach mit dem Orden "Reine des Sorc´ières" ausgezeichnet und lebt mit ihrem Mann und einer Tochter im Süden Frankreichs, näheres nicht zu erwähnen. Sie spricht mehrere menschliche Verkehrssprachen fließend, darunter Englisch, Deutsch, Arabisch, Spanisch, Portugiesisch, Italienisch und Russisch, zudem noch Koboldisch und Meerisch.
Ihre größten Verdienste für die Zaubererschaft ist die Nutzbarmachung früherer Ritualzauber für moderne Zaubertechniken und die Abwehrfertigkeiten gegen asiatische Totsprecher, dunklen Magiern, die verbotene Worte zur Tötung ihrer Gegner verwenden."
"Du mußt den Vornamen auf "o" betonen", sagte Cynthia Flowers. "Die Franzosen haben's nicht gern, wie wir Engländer ihre Namen aussprechen."
"Dann müssen die erst unsere Vornamen korrekt aussprechen lernen", forderte Melinda Bunton. Darüber schien das Gesicht Professeur Faucons auf der Karte nicht begeistert zu sein und schoß bitterböse Blicke gegen Aurora und Petula ab, die sich die Karte gerade ansah. Dann verschwand das Gesicht einfach aus dem Bild.
"Ach, jetzt haben wir sie beleidigt", flötete Aurora belustigt. Dann fragte sie, ob jemand die Karten sammelte. Petula nahm die Karte. Sie selber sammele zwar nicht, aber Priscilla habe einen Schulfreund, der die Dinger sammeln würde, sagte sie.
Der Regen ließ etwas nach, während der Zug immer weiter nordwärts schnaufte und ratterte. Irgendwie verflog die Zeit, weil die Mädchen sich soviel von ihrer Grundschulzeit zu erzählen hatten. Petula war von einer Privatlehrerin unterrichtet worden, Cynthia und Isis waren in Schulen für magisch begabte Kinder gekommen, ebenso Aurora Dawn.
"Ich dachte, wir kämen alle nach Hogwarts", sagte sie. "Aber von denen, die mit mir in der Klasse waren, haben wohl nur drei den Brief bekommen. Die anderen sind wohl in den Schulen Ironpeak und Batwing gelandet. Vielleicht wollten ihre Eltern auch nicht haben, daß die in Hogwarts lernen."
"Bitte? Wieso das nicht?" Wollte Melinda entrüstet wissen.
"Wegen ihm wohl", sagte Isis, die sich bis dahin unnatürlich wortkarg gezeigt hatte.
Alle wußten sogleich, wer "er" war und verfielen in betrübtes Schweigen. Aurora fand zuerst die Sprache wieder.
"Dabei heißt es, daß Hogwarts der einzig wirklich sichere Ort vor ihm ist, weil er vor Dumbledore, dem Schulleiter, angst hat. Zumindest sagen das alle, die mit mir geredet haben."
"Na klar, weil keiner zugeben will, daß ihm oder ihr nicht gut ist, wenn ein Kind weit vom Elternhaus wegmuß. Wenn seine Leute was anstellen, können sie nicht schnell schreiben oder einen Brief kriegen", vermutete Isis.
"Haben deine Eltern das dir so erzählt?" Erkundigte sich Aurora, der nicht entging, daß Isis sehr ernst und sorgenvoll sprach.
"Das brauchten sie nicht. Ich weiß es, weil sie tot sind", sagte Isis Waverly und strich sich verunsichert durch das Haar. Sie schluckte und blinzelte wohl aufgestiegene Tränen weg und strengte sich an, das starke Mädchen zu spielen, meinte Aurora zu beobachten. Sie wollte jedoch nicht darauf eingehen. Verwandte von ihr, die Freunde wegen ihm, dem dunklen Lord Voldemort, verloren hatten, sprachen nie gerne darüber und wenn dann nur, um Leuten zu sagen, daß das kein Spaß war, über ihn zu reden.
"Oh", sagte Petula nur verlegen. Alle anderen verfielen wieder in tiefes betroffenes Schweigen. Isis raffte sich auf und erzählte den Mädchen nun, daß ihre Eltern vor zwei Jahren bei einem Ausflug, bei dem noch andere Hexen und Zauberer mitgekommen waren, von schwarzgekleideten, maskierten Leuten überfallen, gequält und dann mit schlimmen grünen Zauberblitzen einfach totgehext wurden. Sie selbst war nur deshalb am leben geblieben, weil ihr Vater sich schützend über sie geworfen und unter sich verborgen hatte, bevor einer dieser grünen Blitze ihn einfach umgebracht hatte. Andere zauberer hätten sie erst vier Stunden später gefunden, heulend und total verschreckt. Seitdem wohne sie bei ihrer Tante Dora.
"Jetzt könnt ihr sagen, daß es euch Leid tut. Aber davon kommen Mum und Dad nicht mehr wieder", schloß Isis ihre Geschichte. Keiner wagte, dazu was zu sagen. So verlief die restliche Fahrt schweigend, bis auf wenige einfache Sätze, die nur mit der draußen vorbeiziehenden Landschaft zu tun hatten.
"Achtung! Wir kommen gleich im Bahnhof an. Lassen Sie Ihr Gepäck im Zug zurück! Es wird für Sie in die Schule gebracht!" Kam irgendwie aus dem Nichts eine Durchsage, die wohl im ganzen Zug gehört werden konnte.
"Joh, Mädels, dann müssen wir wohl die Umhänge anziehen", sagte Petula. Aurora lachte.
Als der Hogwarts-Express in einen kleinen Bahnhof einfuhr, drängten sich die Schülerinnen und Schüler in den vorgeschriebenen schwarzen Umhängen und trugen ihre spitzen Hüte. Als der Zug dann endgültig stand, verließen die Schüler und Schülerinnen die Wagons und verteilten sich auf dem Bahnsteig. Schwatzend und lachend suchten sich Gruppen, fanden sich Freunde oder tauschten Schüler, die während der Fahrt nicht zusammengesessen hatten Neuigkeiten aus. Aurora fiel auf, daß einige der grobschlächtigeren Schülerinnen und Schüler verächtlich diejenigen anstarrten und mit gehässigen Grimassen bedachten, die wohl noch völlig verunsichert oder beeindruckt waren. Sie vermutete, daß dies wohl Leute aus Slytherin waren, die auskundschafteten, wer vielleicht Muggeleltern hatte, um die dann bei irgendeiner gelegenheit dumm anzupöbeln, wie es Petula während der Fahrt berichtet hatte.
"Alle Erstklässler hier herüber!" Rief eine dröhnende Stimme über alle schwatzenden und scherzenden Jungen und Mädchen hinweg. Aurora Dawn fuhr zusammen und drehte sich erschrocken um. Sie sah einen Koloß von Mann, doppelt so groß und fünfmal so breit wie ein gewöhnlicher Mann, mit zottigem Haar und Vollbart. Mit Händen, groß wie Topf- oder Pfannendeckel deutete er an, daß die Erstklässler zu ihm kommen und sich um ihn scharen sollten. Mit einer großen Laterne beleuchtete er die Gruppen der Schülerinnen und Schüler und beobachtete, wie sich die Neuen auf ihn zubewegten, darunter auch Aurora Dawn und ihre Abteilmitreisenden.
"Geh da jetzt hin, Roy! Der tut dir nichts", hörte Aurora die Stimme von Erica Fielding sagen. Dann kam Roy Fielding, wobei er an drei klobigen Halbwüchsigen vorbeirannte, die ihn hähmisch angrinsten.
Als der Riese, der einen weiten Mantel aus Maulwurfsfell trug, alle neuen Schüler beisammen hatte, führte er sie zu einem großen See, wo dutzende Boote bereitlagen. Aurora bestieg mit Roy, Petula und Cynthia ein Boot und sah, wie sich die übrigen Schulanfänger in die übrigen boote setzten.
"Wenn ihr nach oben seht, seht ihr alle zum ersten Mal Hogwarts", kündigte der Riese an, der mit zwei Erstklässlern ein Boot besetzt hatte. Alle warfen wie auf ein geheimes Kommando gleichzeitig ihre Köpfe in den Nacken und sahen staunend zum anderen Ufer des Sees hinüber, wo ein majestätisches Schloß mit vielen Türmen und Erkern, umgeben von Gärten und Parks thronte. Zahlreiche Fenster waren erleuchtet und blickten den Neuankömmlingen erwartungsvoll entgegen.
Durch einen schmalen Tunnel ging es in einen unterirdischen Hafen, von wo aus die Erstklässler unter der Führung des zottelhaarigen Riesen Treppen hinauf und vor ein Holzportal traten, an das der übergroße Mann klopfte.
Eine Frau, eine Hexe, die einen smaragdgrünen Umhang trug und durch viereckige Brillengläser sehr gebieterisch die neuen Schüler musterte, stand in der Toröffnung.
"Da sind die Erstklässler, Professor McGonagall!" Meldete der Riese unterwürfig.
"Sehr gut, Hagrid. Sie werden dann nicht mehr benötigt", sprach die Hexe mit untrüglich strenger Stimme. Der Riese verbeugte sich andeutungsweise und zog sich dann wortlos zurück.
"Treten Sie ein! Kein Gedrängel, kein unnötiger Lärm, wenn ich bitten darf!" Befahl die Hexe in Grün. Aurora wußte sofort, daß diese hexe bestimmt keinen Spaß verstehen und man mit ihr bestimmt manch schwere Zeiten erleben würde.
Leise und ohne unnötige Worte betraten die Erstklässler die weitläufige Eingangshalle, die hinter dem Tor lag und folgten Professor McGonagall, an einer geschwungenen Flügeltür vorbei zu einem kleineren Raum, wo sie alle hineinschlüpften und warteten, was nun geschehen würde.
Professor McGonagall begrüßte die neuen Schüler in Hogwarts und kündigte an, daß sie demnächst auf die vier Schulhäuser verteilt würden, von denen Aurora schon längst gehört hatte. Dann verließ sie mit kurzem Blick in die Runde den Raum. Nun waren sie angekommen!
Als die Strenge und Durchsetzungskraft ausstrahlende Hexe wiederkam, sah sie das klotzartige Mädchen mit den weizenblonden Haaren an, dessen überbreite Schwester Aurora im Zug angeredet hatte, weil sie ihr den Weg verstellt hatte.
"Ordnen Sie Ihr Haar!" Befahl Professor McGonagall. Das Mädchen sah sie überheblich an, wie eine Prinzessin, die eine Magd anguckt, die ihr gerade auftrug, ihre Kleidung zu säubern. Doch irgendwas im Blick der Lehrerin zeigte dem Mädchen, daß es wohl klüger sei, sich nicht mit ihr anzulegen. So zupfte und strich sie ihr Haar glatt, straffte den Umhang und schob den Hut in aufrechte Stellung. Dann gingen die Neuen aus dem Warteraum in den großen Saal, an dessen Flügeltüren sie beim Betreten des Schlosses kurz vorbeigegangen waren. Unter dem Befehl von Professor McGonagall mußten sich alle ordentlich in eine Reihe stellen, vor einem langen Tisch, an dem erwachsene Hexen und Zauberer saßen, von denen der, welcher in einem hochlehnigen goldenen Stuhl saß, Aurora faszinierte. Sie wußte, wer Albus Dumbledore war und brauchte nicht den hohen Stuhl zu sehen, um ihn als Direktor von Hogwarts zu erkennen. Sie sah auch ihre Mutter, die neben einer rundlichen Hexe mit grauem wuscheligen Haar saß. Sie vermied jedoch den Blickkontakt und sah stattdessen die vier langen Tische an, die sich von links nach rechts vor dem Lehrertisch aufreihten. An jedem Tisch saßen bereits ältere Jungen und Mädchen. Stille trat ein, als der letzte Erstklässler im Saal stand.
Professor McGonagall schaffte einen dreibeinigen Schemel herbei, auf dem ein ziemlich alter, mehrfach geflickter Spitzhut lag und stellte ihn vor die Erstklässler hin, als sei es an ihnen, damit etwas anzufangen. Gebannt schauten alle, Neue und langjährige Schüler, auf diesen uralten Hut. Aurora glaubte erst, ein schlecht vernähter Riss würde wieder aufreißen, als sich über der Krempe ein Schlitz wie ein Mund auftat und offen klaffte, als sei dies eben immer so gewesen. Dann bewegte sich der entstandene Riß, und mit hoher, saalfüllender Stimme, erklang aus dem Hut ein Lied:
"Vor fast tausend Jahren, in Zeiten so alt
nahm an diesem Ort etwas großes Gestalt.
Wo nur Berg und Felsen zu finden allein
dort sollte was ganz großes zu finden bald sein.
Ein Schloß sollte werden, mit Mauer und Turm.
Sehr fest auf der Erden, stets trotzend dem Sturm.
Weshalb so fragt ihr nun, hat man dies getan?
So lauschet mir weiterhin! Ich sag' es nun an.
Für Bildung und Wissen, für eure Zukunft
wart dieses gebaut hier, mit Kraft und Vernunft.
Die magische Jugend fand hier ein Zuhaus.
Dies dachten vier Zauberer und Hexen sich aus.
Die eine der Hexen, sehr fleißig und schön,
die treuste von einst, die hier jemals gesehen,
zog vor all die Kinder, die waren wie sie
Sie hieß Helga Hufflepuff, vergessen wart sie nie.
Die zweite der Mütter von Hogwarts war klug.
Nur Wissen zu spenden war ihr nicht genug
Für sie galten alle die Geistreichen viel,
für Rowena Ravenclaw, der zweiten im Spiel.
Der dritte im Bunde, voll Tatkraft und Mut,
Verehrer des Rechtes, der fand jene gut,
die Mädchen und Jungen die nach seiner Art.
Die hat Godric Gryffindor seit jeher bewahrt
Der vierte, der Schlaue, war Hemmungslos zwar,
Doch weil er so schlau gar, war ihm völlig klar,
wie wichtig dies hier für die seinen wohl sei.
Drum Salazar Slytherin war auch mit dabei.
Sie schufen vier Häuser und lehrten ihr Werk.
Vereinten die Jugend von Tal und auch Berg.
Doch wußten sie alle, daß nichts ewig hält
und sie dereinst müßten geh'n hinaus aus der Welt.
So seht ihr mich heute, den sprechenden Hut,
Der für diese Häuser soll's richten sehr gut.
Wem immer ihr nachschlagt, im Wesen und Tun,
Werd' ich euch gleich mitteilen in kurzer Zeit nun.
Von Hufflepuffs Treue, Geduld und auch Fleiß,
von Ravenclaws Klugheit, ich ebenso weiß,
wie Gryffindors Edelmut mir steht ungemein,
wie Erhgeiz von Slytherin, drum soll es nun sein.
Drum schreitet zur Tat nun! Setzt mich auf den Schopf!
Denn meine Erfahrung dringt durch jeden Kopf.
Ich lausche auf alles, was jedes Herz sagt
und schick' jeden gleich dorthin, wo wer nicht mehr klagt."
Der Hut verbeugte sich vor den Schülern und Lehrern. Beifall brandete durch die große Halle. Dann trat Professor McGonagall wieder vor die Erstklässler, in Händen eine Rolle Pergament.
"Ich verlese nun die Namen der Erstklässler in der Alphabetischen Reihe ihrer Nachnamen. Wessen Name erklingt, tritt vor, setzt den Hut auf den Kopf und nimmt auf dem Stuhl Platz. Wenn der Hut erkannt und verkündet hat, in Welches Schulhaus sie einziehen sollen, nehmen Sie den Hut wieder vom Kopf und reichen ihn an die Schülerin oder den Schüler weiter, dessen oder deren Namen ich als nächstes aufrufe.
Archstone, Herman!"
Ein Erstklässler mit dichtem schwarzen Haar und hellblauen Augen trat aus der Reihe, ging nach vorne und setzte den sprechenden Hut auf, der für seinen Kopf zu groß war und ihm bis zur Nasenspitze runterrutschte. Er tastete nach dem Stuhl ...
"Hufflepuff!" Schrillte des Hutes Stimme durch die Halle. Verdutzt nahm Herman Archstone den Hut wieder herunter, dann sah er, wie am zweiten Tisch von Rechts von den Neuen aus gesehen alle Klatschten und sich wohl sehr freuten, als erste einen Neuzugang zu kriegen.
"Armstrong, Eunice!" War der Nächste Name der Liste. Ein hübsches, hochgewachsenes Mädchen mit seidenglattem schwarzen Haar, fließender als das von Aurora, verließ die Reihe und trat vor, um den Hut aufzusetzen. Doch kaum war ihr der uralte Stoffhut über die Augen gerutscht, rief dieser auch schon "Gryffindor!" in die Halle. Eunice Armstrong hob den Hut vom Kopf und nickte den Beifall spendenden Schülern am ersten Tisch von Links zu.:
"Branigan Tara" war ein kleines, rotgelocktes Mädchen mit dunkelbraunen Augen, das von weit hinten aus der Reihe treten und nach vorne gehen mußte, um den Hut aufzusetzen. Diesmal ließ sich der verzauberte Hut Zeit. Tara saß auf dem Stuhl und wartete fast zwei Minuten, bis ein lautes "Hufflepuff!" die erwartungsvolle Spannung beendete. Wieder klatschte es am zweiten Tisch von rechts.
"Bunton, Melinda!" Wurde aufgerufen. Sie nickte Aurora zu, die keine zwei Schüler hinter ihr stand und ging nach vorne, um den Hut auszuprobieren. Sie setzte sich auf den Stuhl und wartete ungefähr eine halbe Minute.
"Hufflepuff!" Klang es schon wieder durch die Halle. Aurora sah aus den Augenwinkeln, wie die älteren Schüler am Tisch ganz rechts merkwürdig dreinschauten. Das waren vielleicht die Slytherins, dachte die Tochter von Professor Dawn bei sich.
Doch dann folgten immer abwechselnd Slytherins und Gryffindors, bis Aurora "Dawn, Aurora!" hörte und unvermittelt voll konzentriert war.
Sie trat vor, wobei die Reihe schon einigermaßen zusammengeschrumpft war und nahm von ihrem Vorgänger, "Calahan, Bazil" den Hut entgegen, bevor dieser zu den Slytherins hinüberging. Sie setzte den Hut auf, dachte daran, daß er ihr hoffentlich nicht ihr Haar zerzausen würde und setzte sich auf den Stuhl.
"Hups, wen haben wir denn hier?" Piepste ganz leise eine Stimme an Auroras rechtem Ohr. Diese dachte nur, daß der Hut das doch vielleicht gehört hatte, worauf ein amüsiertes Kichern zur Antwort kam.
"Mutter war Ravenclaw, Vater auch Ravenclaw, Vaters Mutter Gryffindor, Mutters Mutter Hufflepuff, Mutters Vater auch Gryffindor. Das ist ja herrlich vielseitig."
"Zumindest keine Slytherin", gab Aurora nur im Geiste zur Antwort, weil sie dachte, daß der Hut wohl ihre Gedanken lesen konnte.
"Aber überwiegendes ist doch da. Nun, so sei es ... Ravenclaw!"
Aurora freute sich. In das Haus zu kommen, wo ihre Mutter und deren Schwester, Tante June, gewohnt hatten, war für sie ein Sieg, wenngleich sie dafür nicht hatte kämpfen müssen. So gab sie den Hut an "Dirkson, Dorian" weiter, der nach Ausruf seines Namens übertrieben schnell angelaufen kam und den Hut aus Auroras Händen pflückte.
"Hoffentlich geht's schnell, ich muß mal", zischte der Junge Aurora zu und setzte den Hut auf.
"Dann sag ihm, du willst nach Slytherin", zischte Aurora zurück, die nun, wo mehrere Jungen und Mädchen zugeordnet waren, beurteilen konnte, wer für welches Haus wie geschaffen aussah und Dorian nicht gerade für einen selbstherrlichen oder grobschlächtigen Jungen hielt. Dann ging sie zum zweiten Tisch von links vor sich und wartete, suchte sich einen von mehreren freien Stühlen aus und setzte sich, nachdem sie durch eine kurze Verbeugung die neuen Hauskameraden begrüßt hatte.
Es dauerte eine geraume Weile. Dorian rutschte immer unruhiger auf dem Stuhl herum, kniff die Beine dabei zusammen und war immer drauf und dran, seine rechte Hand zum Schoß zu führen, verkniff es sich wohl im letzten Moment. Irgendwann war es ihm wohl zu viel, und er versuchte, den Hut vom Kopf zu nehmen, was jedoch nicht gelang, weil dieser sich unvermittelt zusammenzog und festhing.
"Verfluchter Eulenmist!" Tönte Dorians Stimme durch den Stoff des Hutes hindurch.
"Hufflepuff!" Klang leicht amüsiert die Stimme des Hutes durch die Halle. Dorian konnte den Hut nun abnehmen, und warf ihn einfach auf den Stuhl und rannte ungefragt und ungebeten aus der Halle.
"Mach dir nicht in die Hose, nur weil du bei den blöden Huffis landest!" Fühlte sich ein wohl fünfzehnjähriger Slytherin ermutigt, Dorian nachzurufen, der das wohl aber nicht mehr hörte. Professor McGonagall räusperte sich, wandte sich dann dem Slytherin-Tisch zu und rief:
"Zwanzig Punkte Abzug für Slytherin wegen ungebürlicher und unflätiger Störung der Auswahlzeremonie, Slyders!" Dann wandte sie sich mit verärgerter Miene an die verbliebene Reihe der Erstklässler, von denen einige kicherten, andere peinlich berührt dreinblickten.
"Fühlt von Ihnen noch jemand ein natürliches Bedürfnis, welches er oder sie schnell zu erleichtern hat?" Fragte sie mit schneidender Stimme. Alle in der Reihe schüttelten die Köpfe. Aurora fragte sich, ob Dorian überhaupt eine Toilette für Jungen finden würde, wo alle hier in der Halle waren und er sich bestimmt nicht auskannte. Doch das Problem wurde wohl berücksichtigt. Einer der Lehrer stand auf, nickte Professor McGonagall zu und eilte mit weit ausgreifenden Schritten aus der Halle.
"So eilig, wie das aussah, wird der Junge es nicht zum ersten Jungenklo schaffen", sagte ein Junge an Auroras Tisch leise. Erica Fielding, die bereits an diesem Tisch saß erwiderte:
"Das kommt davon, wenn die alle in diesem Warteraum bleiben müssen, bis sie einmarschieren. Das sollte vorher geklärt werden."
Aurora sah zum Lehrertisch. Professor Dumbledore grinste leicht, während eine Lehrerin, die einen feinen schwarzblauen Seidenumhang trug, schwarzes gelocktes Haar, braungetönte Haut und dunkelbraune Augen, groß wie die eines Kindes besaß, immer wieder zu Professor McGonagall hinüberblickte und nicht gerade freundlich dreinschaute. Erica, die wohl bemerkte, wo Aurora, die erste neue Ravenclaw, hinsah, verkündete leise:
"Das ist Professor Bitterling, Aurora. Die gibt hier Zaubertränke und Verteidigung gegen die dunklen Künste. Sie ist Hauslehrerin von Slytherin."
"Der muß, und ich hab Kohldampf", schnaubte ein breitschultriger Sechstklässler, weiter rechts am Ravenclaw-Tisch.
Als Dorian nach zwei Minuten noch nicht zurück war, führte Professor McGonagall die Auswahl der Erstklässler weiter. Irgendwann kam "Fielding, Roy!" an die Reihe, der den Hut aufsetzte und sich auf dem Stuhl niederließ. Er saß keine zehn Sekunden, da rief der Hut: "Ravenclaw!"
"Soll mir recht sein", zischte Erica Fielding und sah erleichtert aus. Offenbar, so dachte Aurora, hatte sie ihren Muggeleltern versprochen, auf Roy achtzugeben, wenn er in Hogwarts war. Nun, da er wie sie nach Ravenclaw kam, würde das leicht von der Hand gehen. Roy sah etwas bedröppelt aus, als seine Schwester ihm zuwinkte. Offenbar hatte er sich ausgerechnet, weit weg von ihr unterzukommen. Er schlug ihre wortlose Aufforderung aus, sich neben sie zu setzen und setzte sich schnell neben Aurora, ohne diese zu fragen, ob er durfte. Doch sie sagte nichts und verzog auch keine Miene.
"Flowers, Cynthia" landete nach wenigen Sekunden, die der Hut auf ihrem Kopf saß, in Hufflepuff, wo sie sich neben Melinda Bunton an den Tisch setzte.
Die Auswahl ging weiter. Die Geschwister "Hawkins, Bernhard" und "Hawkins, Rebecca" kamen beide nach Gryffindor. Aurora wunderte sich, daß bis dahin viel mehr Leute nach Gryffindor und Slytherin gekommen waren. Sie hörte zwischendurch zwar auch "Hufflepuff!" aber sonst nur "Gryffindor!" oder "Slytherin!".
"Da müssen die aber anbauen", stellte Roy locker fest, als gerade "Martins, Marissa" eine weitere Gryffindor geworden war.
"Kommt das häufig vor, daß so viele Schüler nur auf zwei Häuser verteilt werden?" Fragte Aurora Dawn ein Mädchen mit braunen Locken und grauen Augen, das auf ihrem Umhang ein silbernes Abzeichen mit dem V für "Vertrauensschülerin" trug. Dieses sagte nur:
"Ein Jahr vor meiner Einschulung hier gab es sechzehn Ravenclaws und nur vier Hufflepuffs von insgesamt dreißig Neuzugängen. Das kann schon vorkommen, weil der Hut nicht nach Auslastung eines Hauses geht, wie du ja hören konntest."
"Danke!" Erwiderte Aurora Dawn, der der etwas kühle Tonfall des Mädchens nicht besonders gefiel.
"Murphy, Dina!" Rief Professor McGonagall einen weiteren Namen auf. Aurora zählte die verbliebenen Erstklässler ohne Hauszuteilung und kam auf genau acht. Sie wandte sich an Roy und sagte:
"Wenn von denen keiner mehr nach Ravenclaw kommt müssen wir in Abstellkammern übernachten. Dann brauchen die keine Schlafsäle für uns." Roy lachte darüber so laut, daß Aurora ihm schnell den Mund zuhielt. Erica sah die Erstklässlerin etwas böse an, mußte dann aber wohl grinsen, ohne es zu wollen.
"Ravenclaw!" Rief der Hut. Die Ravenclaws applaudierten begeistert.
"Das mit der Abstellkammer ist für euch Mädels also vom Tisch", stellte Roy trocken fest.
Dina Murphy, ein schlachsiges Mädchen mit nicht ganz so glattem dunkelblondem Haar und dunkelblauen Augen, kam an den Ravenclaw-Tisch und setzte sich zwei Plätze weiter von Aurora und Roy entfernt.
"Rattler, Tonya!" Rief Professor McGonagall auf. Aurora erkannte das fast quadratisch gebaute Mädchen mit üppiger Oberweite und weizenblondem Haar als Trägerin dieses Namens. Stolz ging sie nach vorn, nahm den Hut und stülpte ihn über den Kopf. Keine Sekunde verging, da scholl es schon "Slytherin!" durch die Halle.
Aurora hörte und sah den Beifallssturm, der vom Slytherin-Tisch ausging, als Tonya Rattler mit breitem Grinsen den Hut an "Sharkey, Samiel" weitergab und wie auf Wolken schwebend zum ihr zugedachten Tisch hinüberging. Nun bestätigte sich, was Aurora schon vermutet hatte. Tonya steuerte die am heftigsten winkende Slytherin an, den weiblichen Kleiderschrank mit langem weizenblondem Haar, der sie im Zug wegen Herumstehens im Korridor angeblafft hatte.
"Wo Pack wohnt, da Pack hingeht!" Meinte ein Viertklässler der Ravenclaws verächtlich. Erica Fielding, wohl seine Klassenkameradin, sah ihn durchdringend an. Als dann auch Samiel Sharkey zum Slytherin ausgerufen wurde, bebte die Halle vor freudig aufstampfenden Füßen am Slytherin-Tisch und wild auf die Tischplatte eindreschenden Klopfern.
"Hoffentlich kommen jetzt nur noch Gryffindors, sonst heben die noch ab vor Überheblichkeit", sagte Aurora zu Roy. Dieser sank auf dem Stuhl zusammen. Offenbar steckte ihm noch die Begegnung mit den vier Wegelagerern in der Winkelgasse in den Knochen. Erica hatte ihm gewiß erzählt, wo die mal zur Schule gegangen waren.
"Swann, Miriam!" Rief die Lehrerin im smaragdgrünen Umhang aus. Ein zierliches Mädchen mit langem, rotblondem Zopf und blaßblauen Augen ging anmutig nach vorne und fing mit einer sportlich anmutenden Geschicklichkeit den Hut auf, den Samiel Scharkey ihr einfach zuwarf, bevor er sich mit weit ausgreifenden Schritten zum Slytherin-Tisch begab.
Es dauerte zwei Minuten, bis der Hut sich mal entschieden hatte und "Ravenclaw!" rief.
"Warum kommt es mir so vor, daß ich die vorher nicht gesehen habe?" Wunderte sich Roy Fielding und starrte das Mädchen an, als sei sie ein seltener Vogel oder das größte Weltwunder. Sie lächelte, als sie die auf sie blickenden Ravenclaws sah, sah dann Aurora Dawn an und fragte:
"Darf ich neben dich?"
"Klar doch!" Stimmte Aurora Dawn zu und grinste Roy an, weil der nun nicht direkt neben dem hübschen Mädchen sitzen konnte, ohne sich auffällig umzusetzen.
Swift, Mortimer!" Rief Professor McGonagall aus. Aurora drehte sich um und sah, wie der Sohn der Swifts den sprechenden Hut nahm und aufsetzte. Kaum berührte sein Po den Stuhl, war er auch schon ein "Ravenclaw!".
"Du schläfst also auch nicht alleine", tröstete Aurora Dawn Roy Fielding überflüssigerweise. Sie freute sich, daß Mortimer im selben haus mit ihr wohnen sollte. Dieser nickte ihr zufrieden zu und setzte sich direkt neben Roy hin. Er klopfte ihm locker auf die Schulter und sagte halblaut:
"Immerhin zwei, die keine Slytherins sind."
"Waverly, Isis!" Setzte Professor McGonagall die Auswahl fort. Isis trat vor, nahm den Hut und setzte ihn auf. Aurora entging nicht, daß einige Slytherins hähmisch zu ihr hingrinsten.
"Gryffindor!" Rief der Hut.
"Langsam wird's langweilig", stöhnte Mortimer swift. Er sah wie alle anderen, wie Isis erleichtert, keine Slytherin geworden zu sein, an den heftig applaudierenden Gryffindor-Tisch ging und man extra etwas zusammenrückte, um ihr noch einen Platz zu schaffen. Denn sowohl die Gryffindors, als auch die Slytherins hatten wohl mehr Neuzugänge bekommen, als die an sich geräumigen Tische verkraften konnten.
"Wiffle, Bruster!" War der vorletzte Name, den die Lehrerin aufrufen konnte. Denn außer Bruster, Roys Cousin, sowie Petula Woodlane, stand niemand mehr unzugeteilt da.
Spannende fünf Minuten vergingen. Die Gryffindors und Slytherins bauten die Spannung dadurch ab, daß sie leise, aber rhythmisch ihren Jeweiligen Hausnamen hersangen, wohl, um den Hut zu beschwören, ihnen noch einen Schüler mehr zuzuweisen. Professor Dumbledore räusperte sich irgendwann und schaffte damit eine totale Stille in der Halle.
"Ravenclaw!" Durchschnitt die hohe Stimme des Hutes nach einer unsäglich langen Zeit die Stille. Die Ravenclaws applaudierten heftig. Mortimer schaute zwar erst etwas verlegen, dann sprang er auf und ging seinem Cousin entgegen, um ihn rechts von sich an den Tisch zu setzen.
"Wenn ich das meinem Dad schreibe, lacht der nur noch", sagte Mortimer. Bruster meinte:
"Aber nicht, das du denkst, mich wie einen Bruder behandeln zu müssen."
"Fällt mir im Traum nicht ein", beruhigte Mortimer seinen Vetter.
"Woodlane, Petula!" Schloß Professor McGonagall die Erstklässlerliste ab und rollte die Pergamentrolle wieder zusammen.
Ruhig ging Petula Woodlane nach Vorne, nahm den Hut, zog ihn über ihren Kopf und ...
"Ravenclaw!" Rief der Hut, noch bevor er die Augen des Mädchens überdeckt hatte. Damit war die Auswahl endlich vorbei. Die Ravenclaws applaudierten noch mal sehr laut, auch mit Jubelrufen. Petula ging zum Ravenclaw-Tisch, während Professor McGonagall den Hut und den Auswahlstuhl forttrug. Neben Miriam Swann setzte sich Petula und sah kurz zu ihrer Schwester Priscilla, die ebenfalls am Ravenclaw-Tisch saß und sich sichtlich freute, daß ihre kleine Schwester auch in dieses Haus eingeteilt worden war.
Professor McGonagall verließ die Halle, und der Lehrer, der vorhin aufgestanden war, um hinter Dorian Dirkson herzugehen, kam mit dem überhastet aus der Halle verschwundenen Jungen zurück. Der sah zwar etwas verlegen drein, weil alle ihn nun ansahen, wohl wissend, daß er für eine ungewollt komische Situation gesorgt hatte. Er ging zum Hufflepuff-Tisch hinüber und setzte sich neben Cynthia Flowers. Aurora Dawn besah sich noch mal die Sitzverteilung an den Tischen und erkannte, daß Ravenclaw und Hufflepuff gut und gerne vier bis fünf Schüler mehr hätten aufnehmen können. Doch das war nun egal. Die Auswahl war vorbei, und damit waren die Erstklässler nun ordentliche Schüler von Hogwarts. Der Ernst Des Lebens, wie Auroras Vater gerne sagte, konnte nun beginnen.
Doch zunächst gab es ein reichhaltiges Abendessen, wobei für alle Geschmäcke und Vorlieben Speisen und Getränke auf den Tisch gezaubert wurden, woher, das konnte niemand sehen. Den meisten war es wohl auch egal, bis auf Roy Fielding, der einmal meinte:
"Ich weiß nicht, ob hergebeamtes Essen so toll schmeckt."
"Bitte was?" Fragte Aurora neugierig. Roy erzählte, während er sich ein abgeschnittenes Stück Bratwurst in den Mund schob, daß es eine Geschichtenserie in einem Bildgerät namens Fernsehen gab, wo sich Leute in einer fernen Zukunft von Maschinen in wirbelnde Lichtmuster auflösen und aus diesen anderswo wieder zusammensetzen lassen konnten. Das würde "beamen" genannt, wohl wegen des Lichtstrahls, in den hinein man verschwand.
"Interessant, daß die Muggel sich Sachen ausdenken, die bei uns schon lange gehen", sagte Mortimer Swift anerkennend.
Petula Woodlane unterhielt sich derweil mit Miriam Swann und fragte sie, woher sie kam. Diese erzählte, daß ihre Eltern in Hogsmeade, dem Zaubererdorf bei Hogwarts, wohnten und sie kurz vor der Ankunft des Zuges bei Hagrid, so hieß der Riese, der alle Erstklässler abgeholt hatte, abgeliefert hätten.
"Dann schläfst du nicht hier?" Fragte Petula.
"Doch, tu ich. Mummy und Daddy meinen, daß ich richtig mit euch zusammen leben soll, wenn ich schon einmal in Hogwarts bin. Aber es ist schön, daß sie nicht so weit weg sind."
Aurora grinste bei dem Gedanken, daß sie nur aufstehen und an den Lehrertisch gehen mußte, um ihrer Mutter die Hand zu geben. Doch sie hielt sich an das, was sie mit ihr vereinbart hatte. Sie war hier nur eine Schülerin von vielen anderen. Damit würde sie bestimmt besser leben, als immer die Tochter von Professor Dawn zu sein. Roy Fielding mampfte gerade:
"Mmm, schmmmeckft mdochf gutf."
"Weil's von der Erde ist und nicht aus dem Weltraum", bemerkte Mortimer Swift. Offenbar versuchte er auf lockere Art, sich mit Roy freundschaftlich zusammenzufinden. Dieser fand das wohl auch in Ordnung so und grinste, soweit seine prall gefüllten Backen dies zuließen.
Man schwatzte mit denen, die man nicht im Zug getroffen hatte. die sieben einzigen Neuzugänge für Ravenclaw erzählten, woher sie kamen, wo sie wohnten und was sie hier in Hogwarts am meisten interessierte. Aurora berichtete Roy, was ihre Mutter ihr schon erzählt hatte. Der sagte nur einmal:
"Diesen Krempel hat Erica mir schon aufgetischt. Bin ja mal gespannt, ob ich wirklich 'n Zauberer bin oder morgen nicht schon wieder nach Hause und gerade noch in die Schweiz kann."
"Das habe ich gehört", kam es von Erica zurück. Roy lachte nur verächtlich. Bruster, ja selbst aus einer Muggelfamilie, fragte Roy, warum es ihn nicht so interessieren würde, Zauberei zu lernen. Dieser sagte:
"Als Erica vor drei Jahren diesen merkwürdigen Brief kriegte, dachten Mum und Dad, in ihren Genen wäre was falsch gepolt. Als dann dieser bärtige Knilch Watergate von der Betreuungsabteilung für Neuzugänge aus sogenannten Muggelfamilien ihr dann zeigte, daß sie 'ne echte Hexe war, habe ich schon befürchtet, mit mir wäre auch was derartiges gelaufen. Aber die drei Jahre verliefen normal, fast. Doch irgendwie hat es meine liebwerte Schwester darauf angelegt ..." Erica Räusperte sich sehr ungehalten, was Roy jedoch nur lauter sprechen ließ. "... mir Fallen zu stellen, bis dann irgendwann 'ne Tür, die sie hinter mir zugesperrt hat, einfach verschwunden ist. Dieser Watergate hat dann erklärt, ich hätte das angestellt und ich bekam dann auch so'n Brief von diesem Laden hier. Damit kann ich meine Pilotenkarriere vergessen. Und der FC wird wohl auch keine Zauberer einstellen."
"Der was?" Fragte Aurora. Mortimer stöhnte zeitgleich mit Erica Fielding auf.
"der FC. FC Liverpool, die beste Fußballmannschaft der Welt. Aber ich hörte, daß ihr ja Fußball Langweilig findet, weil ihr ja Kriegen auf fliegenden Hexenbesen spielt."
"Liverpool?! Die Roten?! Die Beste Mannschaft der Welt ist immer noch ...", setzte Bruster Wiffle mit unerwarteter Erregung an.
"Die Wimbourne Wasps, Bruster. An deiner Stelle würde ich mir 'ne Quidditchmannschaft aussuchen, wenn du hier nicht Leute durch gezielte Langeweile umbringen willst", sagte Mortimer.
"Bist du bescheuert? Wo United im nächsten Jahr englischer Meister und UEFA-Pokalsieger wird? Das wäre ja Verrat, wenn ich die vergessen würde", erwiderte Bruster.
"Oh, Drachendung und Ghulschleim, das wird noch was!" Stöhnte Mortimer, der begriff, daß er nun sieben Jahre lang mit zwei Muggelabkömmlingen ein Zimmer teilen mußte, die sich für zwei rivalisierende Fußballvereine begeisterten.
"Tröste dich! United geht in der nächsten Saison sicher unter. Chelsea und Arsenal haben Topleute aus Bralisien eingekauft und ... Mmmmmpf." Mortimer hatte seinem linken Sitznachbarn einfach ein großes Stück Ingwerbrot in den Mund geschoben und damit die Fußballfan-Auseinandersetzung sprichwörtlich erstickt.
Roy kaute und schluckte schnell, dann stürzte er einen ganzen Trinkkelch voll Traubensaft hinterher und prustete. Danach sagte er:
"Ingwer! Sowas wächst im Garten von Teufels Großmutter. Hätte es nicht von dem Ananashuhn da was sein können?" Fragte er Mortimer. Dieser grinste gehässig und sagte:
"Wußte nicht, daß du das nicht magst. Dann hätte ich dir was gegeben, das du länger kaust."
"Welche Mannschaft heißt denn bei den Muggeln United?" Fragte Petula, die neugierig war, wieso die Jungs sich eigentlich gekabbelt hatten.
"Manchester natürlich. Ach ja, manche Mädels kennen ja keine Fußballmannschaften."
"Wie geht das Spiel, wenn das euch so aufwühlt?" Fragte Aurora. Roy erzählte, wie Fußball gespielt wurde und erntete nur gelangweiltes Stöhnen.
"Mit nur einem Ball spielen die? Die dürfen nicht fliegen? Das soll toll sein?" Fragte Aurora. Roy verzog das Gesicht. Offenbar dachte er, Aurora sei undankbar. Doch dann fing er sich wieder. Aurora sagte zur Beschwichtigung:
"Hier wird gutes Quidditch gespielt. Kuck dir ein paar Spiele an, dann willst du nichts anderes mehr."
"Erica erzählte davon. Ich werd's mir mal antun, um mitreden zu können."
"Du wirst sogar selber fliegen lernen", kündigte Mortimer an und strahlte dabei voller Vorfreude.
"Auf 'nem Besen? Aber das tut doch weh, wenn ich mir den zwischen die Beine klemme."
"Die sind gepolstert", lachte Miriam Swann. "Die können von Zauberern und Hexen in der allgemeinen Reitsitzposition geflogen werden, ohne daß ein Mann sich den kleinen Unterschied abklemmt."
"Wir werden sehen", wies Roy die Aussicht, ihn mal auf einem Besen zu sehen, einstweilig zurück.
"Wir werden es erleben", sagte Aurora, die nun auch vorfreudig strahlte. Sie konnte schon fliegen, und wie!
Nach dem Abendessen erzählte Dumbledore noch, daß der auf den Ländereien liegende Wald für alle Schüler verboten sei, da dort gefährliche Zaubertiere lebten. Dann wünschte er den Schülern und Schülerinnen eine gute und erholsame Nacht.
"Schlaft gut! Denn morgen geht es wieder richtig los!"
Die Vertrauensschülerin mit den braunen Locken erhob sich zuerst, dann stand noch ein Junge mit dem V-Abzeichen auf. Zusammen dirigierten sie die Ravenclaws, die Alteingesessenen und die Neuen, aus der Großen Halle, sortierten sich so, daß die verschiedenen Ströme in ihre Häuser ziehender Schüler sie nicht auseinandertreiben konnten und marschierten los, über Treppen, von denen einige die dumme Eigenschaft besaßen, sich nach Belieben anders auszurichten, sodaß sie einmal nach links oder rechts verliefen. Durch verborgene Türen, die an bestimmten stellen berührt werden mußten, ging es bis zu einem großen Gemälde, auf dem eine Wiese mit einer sich darauf bewegenden braun-weiß gescheckten Kuh zu sehen war. Ein ländlich gekleideter Bursche mit breitem Strohhut stand neben der Kuh und hielt sie an einem Führstrick fest.
"Einmal pünktlich und bereit", freute sich der Vertrauensschüler. "Bruce, laß uns bitte ein. Das Passwort lautet "Terra pulchra"."
"Seid ihr jetzt auch alle mit? Nicht das nachher wieder wer hinterherkeucht und meint, ich müßte immer da sein und ...", zeterte der Landmann. Doch dann schwang er einfach mit dem ganzen Bild beiseit und gab den Einstieg in einen gemütlichen, großen Raum frei, in dem ein prasselndes Kaminfeuer Licht und Wärme spendete. Tische und gemütliche Stühle und Sessel reihten sich um den Kamin. Die Ravenclaws stiegen durch den Einstieg und verteilten sich im Gemeinschaftsraum. hinter der Letzten, jener Vertrauensschülerin, deren kühle Art Aurora nicht behagt hatte, schwang das Bild wieder in seine gewöhnliche Lage zurück.
"Noch mal zur grundsätzlichen Information!" Forderte die Vertrauensschülerin Gehör und schuf eine aufmerksame Stille.
"Dies ist der Gemeinschaftsraum unseres Hauses. Hier werdet und könnt ihr eure Schularbeiten machen, euch mit euren Hauskameraden zu Spiel und Unterhaltung treffen oder einfach nur entspannen, ohne gleich mit anderen zu sprechen. Zu solchen Aktivitäten kann auch Musik gehören. Doch für alles gilt: Geht immer davon aus, daß andere in Ruhe arbeiten wollen und macht keinen Lärm! Musik ist hier immer gern gehört, doch sollten diejenigen, die ihre Instrumente oder Musikstücke noch üben müssen, dies tun, wenn sie sichergestellt haben, daß keiner dadurch belästigt wird. Jeder unnötige Krawall hat, von ganz seltenen Ausnahmen abgesehen, zu unterbleiben. Dem Hut nach gelten wir Ravenclaws als besonnen und Klug. Das muß nicht heißen, das wir immer so tun müssen, als wenn wir große Gelehrte wären, aber heißt auch, daß jeder Konflikt, der in einer solch engen Gemeinschaft nicht dauerhaft vermieden werden kann, friedlich und im ruhigen Ton beigelegt wird. Den neuen Mitbewohnern rufe ich noch mal ein herzliches Willkommen in Ravenclaw zu. Heute kamen ja doch etwas weniger erstklässler zu uns als üblicherweise. Aber das zeigt nur, daß der sprechende Hut genau abwägt, wer für welches Haus geeignet ist. Die Mädchen möchten mir bitte gleich zu ihrem Schlafsaal folgen! Die Jungen folgen bitte meinem Kameraden!Wenn ihr Fragen, Anliegen oder Vorschläge für bestimmte Aktivitäten habt, die im Rahmen der Schulordnung ablaufen können, wendet euch bitte an uns. Mein Name ist Amalia Hopfkirch, ich bin seit diesem Schuljahr Vertrauensschülerin. Mein Klassenkamerad Nathan Mentrey kann euch natürlich auch helfen, wenn was anliegt. - Ach ja! Wir haben einen Hauslehrer. Unser Hauslehrer ist Professor Flitwick. Das ist der kleine Zauberer mit dem weißen Haarschopf. Aber sonst wäre es das für heute. Gute Nacht zusammen!"
Aurora, Dina, Miriam und Petula folgten Amalia Hopfkirch durch einen Aufgang in einen Seitenflügel des Hauses Ravenclaw, von dem aus eine Treppe an mehreren Schlafräumen vorbeiführte. Aurora entging nicht, daß hier keine Ordnung eingehalten wurde. Der Schlafraum der viertklässler lag zu unterst, dann kam der der Sechstklässler, schließlich der der Drittklässler. Dann kam der Schlafsaal der Erstklässlerinnen.
Ein großer, wohl für mehr als nur vier Bewohner gedachter runder Saal mit hellem Teppichboden, großen Himmelbetten mit dunkelrotem Baldachin und rosaroten Vorhängen, bei jedem ein Nachtkonsölchen mit hochklappbarem Spiegel und einer kleinen Öllampe, sowie vier großen Fenstern, vor denen weiße Seidengardinen und helle Vorhänge befestigt waren. Amalia öffnete zwei der Fenster und ließ die kühle Spätsommernachtsluft ein, die den Schlafraum mit Frische erfüllte. Vor jedem Bett stand einer der wohl allgemein benutzten Schulkoffer. Da an jedem Koffer ein Namensvermerk angebracht war, konnte jede ihren Koffer finden und damit auch das von irgendwem vorbestimmte Bett.
"Ich wünsche euch eine geruhsame erste Nacht in Hogwarts, Mädchen! Frühstück ist morgen ab sieben Uhr bereit in der großen Halle. Schlaft gut!"
Amalia verließ den Schlafsaal. Die Mädchen gingen in den beim Aufstieg bezeichneten Wasch- und Baderaum, wo sie sich noch mal Gesicht und Hände wuschen, die Zähne putzten und ihr Nachtzeug anzogen. Bettfertig kehrten sie in ihren Schlafsaal zurück und schlüpften in die Betten, nachdem Petula die Fenster wieder geschlossen und die Vorhänge zugezogen hatte.
"Auf dann, ihr drei. Wehe, eine von euch schnarcht!" Sagte Petula und warf sich ins Bett, das hinter dem stand, in das Aurora Dawn geschlüpft war. Alle Lichter waren aus. Alles war ruhig.
Aurora hing noch einigen Gedanken nach, die sie über den Tag hinweg gehabt hatte. Wie würde es ihr hier ergehen? Würde man sie doch nicht nur als Tochter von Professor Regina Dawn ansehen? Wie waren ihre neuen Klassen- und Schlafsaalkameradinnen? Feststand nur, daß die sieben, die als Erstklässler in Ravenclaw gelandet waren, bestimmt mehr zu tun hatten, weil sich die Lehrer besser auf jeden einzelnen einstellen konnten. Mit diesen Gedanken schlief Aurora Dawn ein.
Am nächsten Morgen standen Aurora und Miriam Swann als erste auf. es war halb sechs. Sie schlüpften leise aus dem Schlafsaal ins Bad, verrichteten ihre Morgentoilette und stiegen die Treppe hinunter, bis sie den Gemeinschaftsraum erreicht hatten.
"Hallo, Mädels!" Grüßte Mortimer Petula und Aurora. Diese grüßten zurück. Petula fragte, wie er geschlafen habe, wo er doch einen so großen Schlafsaal mit nur zwei Bettnachbarn teilen müsse.
"Es ging. Das einzige Problem war, das Bruster ein völlig langweiliges, unbewegliches Poster mit dieser Fußballmannschaft aufgehangen hat und Roy darüber hergezogen hat und dann eine rote Fahne, einen Schal, wo FC Liverpool draufsteht und auch 'n Poster ohne bewegliche Typen drauf an die Wand gehängt hat. Ich habe denen beiden gesagt, daß das ja schon an den Bildern zu sehen sei, daß Fußball total unspannend sein muß. Da waren die sich plötzlich total einig."
"Meine Mum sagt bei sowas: "Pack schlägt sich. Pack Verträgt sich."", erwiderte Aurora lächelnd.
"Scheiß Kerl!" Fluchte ein sehr wütender Roy Fielding vom Eingang in die große Halle her. Sein Hut und sein Umhang waren total durchnäßt. Professor Dawn, die mit Professor Bitterling am Lehrertisch saß, rümpfte die Nase. Dann suchte ihr Blick den kleinen Zauberer Flitwick, dessen weißes Haar auf Höhe der Stuhllehnen sichtbar wurde.
"Da gab es wohl einen Zusammenstoß mit Peeves", sagte sie laut, sodaß die meisten Schüler es hören konnten. Die klobigen Rattler-Schwestern aus Slytherin kamen ebenfalls pudelnaß vom Haar bis hinunter zu den Schuhen in die Halle. Tonya starrte bitterböse durch die Gegend, als wolle sie den ersten, der über sie lachte erwürgen. Ihre Schwester, die nach Auroras Kenntnis Delila gerufen wurde, trat an den Lehrertisch vor und wechselte kurze Sätze und Gesten mit Professor Bitterling. Diese stand auf, zog ihren Zauberstab aus dem wallenden kirschroten Umhang, den sie gerade trug und wedelte damit über die beiden Schülerinnen. Sogleich trockneten Kleidung und Haare der Mädchen. Roy, der das sah, lief vor und wollte fragen, ob man ihm das auch machen könne. Doch Tonya schubste ihn grob zur Seite und glotzte ihn überheblich an. Irgendwas sagte sie wohl, und Roy machte nur eine verständnislose Miene, als habe sie ihn in einer fremden Sprache angesprochen. Professor Bitterling sah ihre Schülerin sehr ernst an und schüttelte mißbilligend den Kopf. Darauf zog sich Tonya mit ihrer Schwester zurück, irgendwie so, als wäre sie erneut begossen worden, fand Aurora.
"Was hat dieser Klotz mit Dutteln da gesagt?" Fragte Mortimer Petula. Diese machte ein leicht verbittertes Gesicht.
"Wahrscheinlich hat sie seine Muggelstämmigkeit verächtlich geredet", sagte Petula Woodlane.
Roy kam herüber, als Professor Bitterling auch ihm Haar und Kleidung getrocknet hatte. Er setzte sich zu Mortimer und warf den beiden Mädchen einen kurzen Blick zu. Dann kamen noch Miriam Swann und Dina Murphy.
"Huh, war das gruselig", sagte Miriam zu Aurora, als sie am Ravenclaw-Haustisch angekommen war. "Da war so'n fligender Kerl mit einem komischen Hut und einer sich drehenden Fliege, der versucht hat, mit 'ner Wasserspritze Leute naßzuspritzen. Dann kam dieser Geist, der die silbernen Blutflecken hat, der bei den Slytherins am Tisch saß und hat ihn ziemlich wild herumgescheucht und unheimlich tönende Verwünschungen ausgestoßen."
"Morgen, ihr sieben Wackeren!" Sagte Erica Fielding, die gerade etwas vor ihren Klassenkameradinnen an den Tisch kam. Sie ging zu Roy und fragte ihn, wie die erste Nacht hier gewesen sei. Roy fragte:
"Kannst du mir sagen, was ein Schlammblut sein soll, Erica? Dieser Klotz mit blondem Hohlkopf oben drauf hat mich so genannt."
"Slytherins nennen so alle Leute, die keine reinblütigen Zauberer sind. Das finden die toll, mit den schlimmsten Schimpfwörtern anzugeben", sagte Erica sehr verärgert.
"Schweinerei!" Stieß Mortimer aus, und Roy sah auch nicht gerade glücklich aus.
"Der Typ mit der Fliege heißt also Peeves", sagte Roy, nachdem die älteren Schüler ihm erklärt hatten, daß Hogwarts neben den echten Geistern einen böswilligen Poltergeist hatte, der immer was anstellte, um Unruhe und Durcheinander zu stiften. Dann wechselten die Ravenclaws das Thema, denn der kleine Lehrer Flitwick ging mit einem Stapel Pergamenten herum, den Stundenplänen. Er suchte zunächst die sieben Erstklässler auf, die für ihn günstig in einer Reihe zusammensaßen.
"Ich hoffe, der erste Tag wird für Sie noch nicht zu anstrengend, meine Herrschaften", sagte er mit einer für einen Mann komisch hohen Stimme. Dann ging er weiter und teilte die Stundenpläne aus, so wie er die Schüler den Klassen zuordnen konnte.
"Geschichte der Zauberei", las Roy mit tragender Betonung vor und mußte dann grinsen. "Das kriegen wir gleich in der ersten Stunde. Dann kommt 'ne Doppelstunde Verwandlung. Nachmittags Kräuterkunde. Hoffentlich kommen die fleischfressenden Pflanzen nicht schon heute dran."
"Oh, morgen Zauberkunst, Verteidigung gegen die dunklen Künste und dann Zaubertränke am Nachmittag", las Mortimer weiter. "Meine Mum hat mich schon vor der Bitterling gewarnt. Die soll ziemlich heftig sein."
"Haben wir die etwa in Zaubertränken und ...? Ich ziehe die Frage zurück", erwiderte Bruster Wiffle.
Nach dem Frühstück mit allem, was die englische Frühstücksküche bereithielt, ging es zum Unterricht. Amalia Hopfkirch führte die sieben Erstklässler zum Raum, wo Zaubereigeschichte gegeben wurde.
Aurora, die sich nie was aus reinen Lernfächern gemacht hatte, fand sich hier voll bestätigt. Das einzig spannende an dieser Unterrichtsstunde war, daß der Lehrer ein Geist war, der es schaffte die sieben Namen auf der Liste ordentlich aufzurufen. Dann schwand aber auch schon die Begeisterung für das Fach, als der Geist, Professor Binns, in einem einschläfernden Tonfall die Grundzüge der Zaubereigeschichte runterratterte, ohne die Schüler mal nach was zu fragen oder diese etwas fragen zu lassen.
Am Rande des Schlafes schlichen die Schüler beim Klang der Schulglocke aus dem Klassenraum und suchten durch das immer für Überraschungen gute Labyrinth des Schlosses den Weg zum Verwandlungsklassenraum. Dort erwartete sie bereits Professor McGonagall. Die war jedoch völlig anders geartet als der Geisterlehrer Binns.
"So, die Herrschaften! Die nächsten sieben Jahre werden Sie bei mir in die schwierige und auch gefährliche Kunst der Verwandlung eingewiesen. Ich verbitte mir jede Nachlässigkeit oder grobe Störung des Unterrichts. Seien Sie sich gewiß, daß ich keinen kindischen Unsinn dulden werde. Wer sich noch zu jung für ernsthafte Lehrstunden hält, wird womöglich aus dieser Klasse verwiesen und dann direkt auch von der Schule selbst. Das ist wohl bei Ihnen angekommen", begann sie. Dann rief sie die Namen der Schülerinnen und Schüler auf, bemerkte noch mal, daß es für sie wohl eine sehr lehrreiche Zeit sein würde, da intensiver auf die Bedürfnisse einzelner eingegangen werden könne und begann mit dem Unterricht, indem sie fragte, wer schon was von Verwandlung gehört oder gelesen hatte. Die Schüler aus reinen Zaubererfamilien konnten sagen, wie ihre Eltern manche Dinge verwandelt oder aus dem Nichts beschworen hatten, während es für die Muggelstämmigen Roy und Bruster völlig neu war.
"Im Ersten Jahr werden wir uns schwerpunktmäßig mit der Invivo-ad-Invivo-Verwandlung befassen, der Transformation toter Objekte in andere tote Objekte. Ich hoffe, Sie alle schaffen diese Grundlagen mit der gebotenen Leistung."
Professor McGonagall führte ihre überragenden Verwandlungskünste an ihrem Pult vor und besprach dann mit den Schülern die wichtigsten Zauberstabbewegungen und die ersten Zauberformeln, die sie hier in Hogwarts lernten. Zum Schluß mußten sie versuchen, ein Streichholz in eine Stecknadel zu verwandeln, was außer Miriam Swann keinem gelang. Dina Murphy schien wohl Probleme mit ihrem Zauberstab zu haben. Denn unvermittelt schoß ihr Streichholz als loderndes Feuerkügelchen durch den Raum und mußte von der Lehrerin mit einem anderen Zauber gebremst und gelöscht werden.
"Miss Murphy, was haben Sie denn angestellt?" Tadelte Professor McGonagall das schlachsige Mädchen, dessen Haar offenbar nicht gebändigt werden konnte, weil es ihr immer struwelig um den Kopf hing. Sie weinte unvermittelt los.
"Nehmen Sie sich gefälligst zusammen, junge Dame! Sie werden Ihre Leistungen steigern, wenn Sie sich nicht hängen lassen. Sie wollen doch einmal eine gute Hexe werden, oder?"
"Ja, natürlich. Entschuldigung, Professor McGonagall!" Schniefte Dina und wischte sich mit einem Taschentuch die Tränen fort.
Angestrengt vom Aufpassen und Mitschreiben, ausprobieren und nochmals Ausprobieren, gingen die sieben Ravenclaw-Erstklässler zum Mittagessen. Roy fragte Miriam, ob da ein besonderer Trick bei war, um dieses Verwandlungsstück doch zu schaffen. Sie lächelte ihn an und sagte:
"Bei dem Trick ist nicht viel dabei. Du mußt die Zauberstabbewegungen so machen, daß du die Kraft aufbringen kannst, aus Holz Metall zu machen. Die Form kommt dann mit den drei letzten Gesten und Worten ohne Probleme hin."
"Ich habe einmal zu schnell gekreiselt", sagte Dina. "Das Streichholz ist dabei wohl angezündet worden."
"Sowas kann bei Verwandlung schon mal vorkommen", sagte Aurora, die sich von ihrer Mutter und ihrem Vater schon früh hatte überzeugen lassen, daß diese Art der Zauberei nicht von einem Moment zum nächsten klappen konnte.
Am Nachmittag wurde es sowohl interessant, als auch lästig. Interessant wurde es, weil sie bei der kugelrunden Professor Sprout bereits merkwürdig gebildete Pflanzen gezeigt bekamen. Lästig war die aus dreizehn Leuten bestehende Klasse der Slytherins, mit denen sie zusammen Unterricht hatten. Tonya Rattler, die sich wohl das Einverständnis der übrigen Slytherin-Mädchen besorgt hatte, sich als ihre Wortführerin aufzuspielen, zog über Bruster Wiffle her, der mit einem Kartoffelpilz nicht so leicht fertig wurde.
"Ohne diesen Muggelschrott kannst du ja nichts machen, du Idiot. Deinetwegen kommen wir beim Lernen in Verzug."
"Du mich auch, Klotzweib", sagte Bruster wütend. Samiel Sharkey, ein Junge wie ein lebendes Knochengerüst, dunkelhaarig mit Brille, stellte sich vor Bruster hin und zischte:
"Eh, wenn du Tonya dumm anquatschst landest du im Krankenflügel, Schlamm... Nixkönner."
"Frühstück erst einmal regelmäßig, damit der Wind nicht so durch dein Gerippe zieht", gab Bruster unerschrocken wieder. Professor Sprout trat hinzu und beendete den aufkeimenden Streit mit einem kräftigen Räuspern.
"Ich verbitte mir jede Unflätigkeit untereinander, Leute. Zehn Punkte abzug für Slytherin wegen unqualifizierter Äußerungen ohne Grundlage und fünf Punkte Abzug für Ravenclaw wegen unnötiger Streiterei. Und jetzt arbeiten Sie gefälligst weiter!"
Aurora half Bruster, indem sie ihm Tricks zeigte, wie die an und für sich umgänglichen Kartoffelbauchpilze sauber bearbeitet werden konnten. Immer wieder gaben die Slytherins leise fiese Bemerkungen über die beiden muggelstämmigen Ravenclaws ab und brachten Roy und Bruster damit an den Rand eines Wutanfalls. Doch Petula und Aurora stellten sich wie zufällig so, daß die Jungen nicht einfach losstürzen und sich mit den Slytherin-Jungen anlegen konnten. Tonya Rattler bemerkte dazu nur:
"Die Mädels bei euch haben Angst, ihr könntet alle Punkte auf einmal versieben, wenn ihr so blöd seid, euch mit uns zu prügeln."
"Das muß ich mir nicht bieten lassen", knurrte Roy und drängte sich an Petula vorbei, um auf Kain Gallows, einem gedrungen wirkenden Slytherin mit braunem Scheitel, loszupreschen. Petula Woodlane sah perplex zu, wie Roy lief und fast in den aufschießenden Sporn einer Speerstecherbeere hineinlief, die Samiel Sharkey wie zufällig in seine Richtung hatte kullern lassen. Professor Sprout zog beiden Häusern daraufhin noch mal fünf Punkte ab.
"Die holen wir leicht wieder rein, Eierköpfe!" Rief Kain, als die Stunden vorbei waren. Alle Slytherins lachten gehässig. Aurora sagte nichts. Ihr war das zu albern, sich mit den Slytherins anzulegen, wo die nichts besseres zu tun hatten, als ihre Reinblütigkeit zu betonen.
Nach dem Unterricht gingen Miriam, Aurora und Petula in die Bibliothek, während Dina sich still absetzte, um, wie sie vorgab, Zauberstabbewegungen zu üben. Aurora Dawn dachte sich zwar, daß das Mädchen mit dem blonden Struwelhaar sich schämte, weil sie am Morgen so kläglich gezaubert hatte, aber wenn sie allein sein wollte, mußte sie das eben hinnehmen.
Nach einem reichhaltigen Abendessen, das, wie die älteren Schüler den Neuen berichteten, von mehreren Hauselfen in der Küche gekocht und dann per Zauber direkt auf die Tische geschafft wurde, saßen die Ravenclaws in ihrem Gemeinschaftsraum und lasen sich schon einmal etwas an, um am nächsten Morgen im Unterricht besser vorbereitet zu sein.
Am nächsten Tag hatten die neuen Ravenclaws ihre allererste Stunde bei ihrem Hauslehrer Flitwick. Dieser brachte ihnen einfache Zauber bei, wie zum Beispiel Licht mit dem Zauberstab gemacht wurde und dieses wieder gelöscht werden konnte. Doch für Dina Murphy schien selbst diese einfache Zauberei zu schwer zu sein. Als sie "Lumos" sagte, um die Zauberstabspitze zum leuchten zu bringen, blitzte diese nur grell auf und bog sich kurz nach hinten, um dann in die Normallage zurückzuspringen. Flitwick prüfte den Zauberstab kurz, seufzte, weil der wohl völlig in Ordnung war und ließ es Dina noch einmal versuchen. Diesmal klappte es zwar, Licht zu machen, doch der Umkehrzauber löste nur eine dunkle Rauchwolke aus, ohne das Licht zu löschen.
"Nicht jeder findet am Anfang die richtige Balance zwischen sich und dem Zauberstab, Miss Murphy", sagte er tröstend, als Dina sehr trübsinnig dreinschaute. "Aber vielleicht liegt auch nur ein winziger Fertigungsfehler vor. Wir klären das noch."
Dinas Zauberglück wollte sich auch in den anschließenden Stunden nicht einstellen. Die schwarzgelockte Professor Bitterling, die nicht nur Zaubertränke, sondern auch Verteidigung gegen die dunklen Künste gab, herrschte Dina an, ob sie sich nicht konzentrieren könne und zog Ravenclaw ihretwegen fünf Punkte ab. Da jedoch die übrigen sechs Erstklässler die einfachen Schutzzauber schafften, die ihnen beigebracht wurden, kam Ravenclaw mit sechzehn Punkten Überschuß aus den beiden Stunden.
"Wir sehen uns am Nachmittag wieder!" Sagte Professor Bitterling zu den Erstklässlern. "Hoffentlich sind Sie in Zaubertränken besser bei der Sache, Miss Murphy."
"Wie kann sowas gehen, daß beim Lichtzauber der Zauberstab so merkwürdig reagiert?" Fragte Roy Fielding Mortimer Swift, als die beiden Jungen und Aurora Dawn weiter hinter den anderen Mädchen hergingen.
"Wo hat die den denn her?" Fragte Mortimer zurück.
"Vielleicht ist sie ja 'n Squip", vermutete Mortimer und erzählte Roy, der mit dem Wort nichts anfangen konnte, daß das ein Zauberergeborener sei, der so gut wie gar nicht zaubern konnte. Aurora meinte dazu nur:
"Dieser Ollivander, bei dem ich den Zauberstab gekriegt habe, sagte doch daß Zauberstäbe sich ihre Besitzer aussuchen. Vielleicht hatten Dinas Eltern keine Zeit oder kein Geld, ihr so genau den richtigen Zauberstab auszusuchen. Ich glaube nicht, daß sie ein Squip ist, Mortimer."
"Na hoffentlich. Sonst zieht uns die Königin der Nacht noch hundert Punkte mehr ab, wenn es an die richtigen heftigen Abwehrzauber oder gar Flüche geht", sagte Mortimer leicht gehässig. Aurora bedachte diese Äußerung nur mit einem empörten Gesichtsausdruck, sagte jedoch kein Wort.
Zum Zaubertrankunterricht trafen sich die Ravenclaws und die Hufflepuffs vor einem der Kerker von Hogwarts. Aurora fragte Cynthia und Melinda, wie sie die ersten Stunden überstanden hatten. Melinda erzählte, daß sie gestern die erste Stunde bei Professor Bitterling gehabt hätten und nicht gerade begeistert waren, wieviel diese Hexe schon wissen wollte. Dorian, der unfreiwillig die Auswahl der neuen Schüler zu einer komischen Schau gemacht hatte, meinte nur:
"Dieser Flitwick ist schon toll drauf. Ich hoffe, bei dem wird es noch richtig interessant."
"Hoffentlich komme ich im Zaubertrankunterricht besser klar", sagte Dina zu Petula Woodlane. Diese nickte ihr beruhigend zu.
"In allem auf einmal kann keiner schlecht sein, Dina. Lasse dich nur nicht von der Bitterling einschüchtern!"
Tatsächlich zeigte sich, daß Dina zusammen mit Aurora in Zaubertränken doch besser zurechtkam als die restlichen Erstklässler. Sie schafften es sogar, daß Professor Bitterling, die pro Zaubertrank Punkte vergab oder abzog, Ravenclaw weitere 20 Punkte Überschuß einbrachte. Roy und Bruster, die entweder keinen oder nur einen Zauberer in der Familie hatten, sahen etwas betrübt drein, weil sie ihren Furunkelbeseitigungstrank absolut verpatzt hatten und dafür je zehn Punkte Abzug hinnehmen mußten.
"Glauben Sie nicht, meine Herrschaften, daß ich Ihnen Extrawürste brate, nur weil Sie keine reinblütigen Zauberer sind und sich auf Unkenntnis herauszureden versuchen", sagte Professor Bitterling sehr ernst. "Wer hier bei mir im Unterricht sitzt, hat das zu lernen und zu können, was ich verlange und ihm oder ihr weitergebe. Falls Sie nicht anderswo noch schlechter abschneiden, wissen Sie nun, wo Ihre Hauptschwächen liegen. In der nächsten Stunde will ich von Ihnen beiden bessere Tränke sehen. Klar?"
"Wie Sie meinen, Professor Bitterling", grummelte Bruster Wiffle. Dina Murphy wurde für ihre hervorragende Leistung gelobt.
"Auf jeden Fall liegen Ihnen die einfachen Zaubertränke. Ich hoffe, dieser Erfolg wird Ihnen treu bleiben, Miss Murphy."
Als die Schüler wieder in ihrem Gemeinschaftsräumen waren, unterhielten sie sich über Professor Bitterling. Roy vermutete, daß sie vielleicht was gegen sogenannte Muggelstämmige habe. Bruster stimmte dem zu und meinte:
"Muggelfreunde landen nicht in Slytherin oder leiten diesen Sauhaufen auch noch. Die ist bestimmt auf diesem Trip, sonst hätten die Mummies und Daddies der Slytherins die doch schon längst abserviert."
"Wenn die wirklich was gegen Muggelstämmige oder mischblütige Zauberer hätte, wäre ich im Zaubertrankunterricht bestimmt nicht klassenbeste von Ravenclaw geworden", fauchte Erica Fielding, die die Unterhaltung zwischen ihrem Bruder und dessen Klassenkameraden mitgehört hatte. Roy straffte sich angriffslustig und meinte:
"Erica, du mußt mir hier nicht die große Schwester rauskehren. Du hast das vielleicht nicht mitbekommen, wie die heute drauf war. Also häng dich da nicht rein. Das ist mir nämlich schnurzpiepegal, ob die mich abkann oder nicht. Ich stelle das nur fest. Wenn die mir am Jahresende 'ne schlechte Note reindrückt, geht's eben wieder nach Hause, und Mum und Dad können mir 'ne anständige Ausbildung zahlen."
"Roy, das haben wir schon längst geklärt, wo du lernst. Wenn du hier rausfliegst, ist es mit Eton oder einer anderen Schule auch nichts. Außerdem hast du heute mittag erzählt, daß du die einfachen Zauber bei Flitwick hinbekommen hast. Also gehörst du hierher. Und das mit der Bitterling kriegst du auch auf die Reihe, und wenn ich meine wertvolle Freizeit opfern muß, dir die wichtigsten Dinge einzubläuen, Bursche", sagte Erica sehr ungehalten. Bruster zog sich zurück. In einen Geschwisterzank wollte er sich nicht reinziehen lassen. Er ging zu Aurora Dawn, die sich mit Petula und Miriam über die Zauberkräuterstunde unterhielt, die sie gestern hatten. Er sah, daß die Mädchen offenbar im Moment nicht mit ihm reden konnten und ging an einen leeren Tisch. Dina Murphy, die die letzte Viertelstunde noch mal über Zauberkunst nachgelesen hatte, ging zu ihm, fragte, ob sie sich zu ihm setzen durfte und nahm Platz. So unterhielten sich die Erstklässler über ihre ersten Schulstunden, tauschten Ratschläge und Meinungen aus und bereiteten sich auf die nächsten Stunden vor.
Neben den Schulstunden war Peeves, der Poltergeist, das weitere Übel für die Schüler. Er lauerte ihnen auf, um ihnen den Teppich unter den Füßen fortzuziehen, bewarf sie mit verfaulten Früchten oder kniff sie von hinten in die Nasen. Einmal band er Dina die Schnürsenkel beider Schuhe zusammen, als sie nur einmal im Flur zum Zauberkunstraum stehen blieb, um sich mit Mortimer, der ihr noch mal Zauberstabhaltung erklären wollte, abzusprechen. Als sie dann weitergehen wollte, schlug sie der Länge nach hin und schlug sich die Nase blutig. Hämisch lachend schwirrte Peeves über sie hinweg und sang Spottlieder auf Dina. Als Mortimer und Roy versuchten, den Plagegeist zu fangen, was jedoch mißlang.
Es erwies sich im Laufe der ersten Wochen, daß Dina und Aurora in Zaubertränken und Kräuterkunde die besten neuen Schülerinnen waren, was von Professor Bitterling und Professor Sprout mit Lob bedacht wurde. Da Dina jedoch in den Fächern, wo sie ihren Zauberstab gebrauchen mußte in neun von zehn Fällen kläglich versagte, nützte ihr das nicht viel. Professor Flitwick sprach sogar davon, daß Dina offenbar über zu sehr verkümmerte Zauberkräfte verfügte, Professor McGonagall unterstellte ihr regelmäßig, nicht bei der Sache zu sein und zog ihr Punkte ab. Als Roy einmal einschritt und rief, sie solle gefälligst dafür sorgen, daß Dina einen besseren Zauberstab bekomme als sie anzuherrschen, verlor Ravenclaw glatt 50 Punkte, und Roy bekam eine Strafarbeit auf, die sich gewaschen hatte. Er mußte mit dem mürrischen, stets über die Schüler schimpfenden Hausmeister Filch das ganze Schloß putzen. Diese an sich schon schweißtreibende Arbeit wurde noch dadurch erschwert, daß Peeves Sand und Erde im Schloß verteilte, um die beiden zu ärgern.
Die erste Besenflugstunde war für Aurora Dawn das schönste Erlebnis in den ersten Wochen. Madame Hooch, die Fluglehrerin, stellte sehr schnell fest, daß Aurora sehr gut fliegen konnte und trieb sie an, vor der Klasse schwierige Figuren zu fliegen, die sie locker hinbekam und dafür 20 Punkte für Ravenclaw einfuhr.
"Ich würde mich sehr wundern, wenn du nicht ideal für den Nachwuchs eurer Hausmannschaft geeignet wärest, Aurora", sagte sie anerkennend. Miriam und Petula, die zwar nicht schlecht fliegen konnten, aber bei weitem nicht an die Künste Auroras heranreichten, sahen nur bewundert auf die Klassenkameradin. Diese sagte noch:
"Schade, daß die Schule nur über die alten Besen verfügt. Mit neuen Besen wären wir alle besser bedient."
"Das hat schon seine Gründe, warum ihr erst mit den langsamen Besen üben sollt", stellte Madame Hooch fest und schloß die Unterrichtsstunde ab.
Mortimer und Bruster, die beiden Vettern, versuchten sich immer weiter zu übertrumpfen, egal, worin. Roy Fielding, der Muggelstämmige, tat immer noch so, als sei Zauberei für ihn Unsinn, den er nur deshalb mitmachte, weil seine Eltern und seine Schwester nicht kapieren wollten, daß er damit nichts zu schaffen haben wollte. Ihm war es egal, ob er in Verwandlung, Zaubertränken oder Zauberkunst Punkte lassen mußte oder nicht. Irgendwann traf Aurora Dawn Erica Fielding und ihre Mutter in der Bibliothek. Erica unterhielt sich mit Professor Dawn über irgendwas aus Arithmantik, was Aurora unverständlich war. Als Erica besprochen hatte, was sie wollte, drehte sie sich um und wandte sich an Aurora.
"Hallo, Aurora. Kannst du mir erzählen, wieso Roy sich bei euch so hängen läßt? Auf mich hört er ja nicht."
"Dann bestimmt auch nicht auf mich, Erica", sagte Aurora Dawn mit gehässigem Grinsen, weil ihr die Besorgnis Ericas komisch erschien. Das lag wahrscheinlich daran, daß sie keine Geschwister hatte.
"Der verpulvert Punkte. Flitwick hat mich schon angesprochen, ob ich nicht förderlich auf ihn einwirken könne, weil ja klar ist, daß Roy ein Zauberer ist. Liegt es vielleicht an den anderen Leuten aus der Klasse?"
"Das bestimmt nicht, Erica. Seine Schlafsaalkameraden versuchen, ihm zu zeigen, wie toll Zaubern ist, Petula, Miriam und ich unterhalten uns ganz normal mit ihm, wenn er irgendwas wissen möchte, und Dina, die in den Zauberstunden nicht so toll ist, hilft ihm bei Zaubertränken und Kräuterkunde. Also an uns liegt's nicht, Erica."
"Dad hat mir geschrieben, ob ich Roy klargemacht hätte, daß er wie ich nur in Hogwarts die richtige Ausbildung kriegt, nachdem der in der Grundschule wen gewichtslos gemacht hat, nur weil der ihm erzählt hat, er sei ein Monster, wohl von einem Dämon gemacht."
"Hups! Wie haben die vom Unfallumkehrtrupp darauf reagiert?" Fragte Aurora.
"Die haben den Muggel wieder auf den Boden zurückgeholt und sein Gedächtnis verändert, daß er sich nicht mehr an diesen Vorfall erinnern konnte. Das ist so üblich, wenn Zauberunfälle mit Muggeln passieren."
"Ja, aber wieso haben die Roy denn gehänselt?" Fragte Aurora neugierig. "Die hätten dann ja nicht wissen dürfen, daß du eine Hexe bist."
"Weil der Idiot das jedem auf die Nase gebunden hat. Meine Eltern haben mehrere Eulen mit Warnungen bekommen, Roy einzuschärfen, daß er das nicht einfach so rumerzählen darf. Aber Roy hat nur gesagt, daß ihm egal sei, was die Leute über mich sagen, wenn ich meine, mich mit abergläubischem Unsinn zu beschäftigen."
"Wenn du meinst, Roy müsse das auf die Reihe kriegen, geh zu Amalia oder Nathan, damit die mit ihm reden!" Wies Aurora jede Verantwortung für Roy zurück. Erica nickte.
"War nur eine Frage, Mädchen. Ich wollte dir bestimmt nicht diesen ungehobelten Klotz ans Bein binden. Aber ich mußte mal mit wem reden, der oder die in seiner Klasse ist. Schönen Tag noch!"
"Dir auch, Erica!" Erwiderte Aurora freundlich. Erica verließ mit einigen dicken Büchern die Bibliothek. Auroras Mutter trat zu ihrer Tochter und fragte leise:
"Und, bekommt Ihnen Hogwarts, Miss Dawn?"
"Bis jetzt sehr gut, Professor Dawn", sagte Aurora kühl und sachlich. Ihre Mutter lachte.
"Ich höre nur gutes von dir. Professor Sprout freut sich, eine so begabte Schülerin zu haben, Professor Bitterling bezeichnet dich und das arme Mädchen Dina Murphy als die einzigen, die gefahrlos in ihrem Unterricht Zaubertränke brauen können, und Professor Flitwick hat wohl schon Kontakt mit eurem Hausmannschaftskapitän aufgenommen, ob der dich nicht demnächst ins Nachwuchstraining holt. Mach ruhig so weiter, Kind!"
"Ich werde mich ranhalten, Professor Dawn", erwiderte Aurora und lächelte.
Aurora kehrte mit Büchern über Hautverändernde Zaubertränke nach Ravenclaw zurück. Unterwegs wurde sie Zeugin, wie Tonya Rattler, Samiel Sharkey und Kain Gallows Roy Fielding in der Mangel hatten.
"Du bildest dir doch nicht ein, daß du hier alle blöd anmachen kannst, rausfliegst und dann bei deinen Muggeleltern die große Welle machen kannst, nur weil du zu blöd bist, den Zauberstab richtig zu halten", tönte Tonya. Roy stand aufrecht und bereit da, dem quadratisch gebauten Mädchen eine reinzuhauen. Samiel grinste nur gehässig, Kain stand mit verächtlichem Gesicht hinter Tonya.
"Mädel, du kannst mir den Buckel runterrutschen und mit der Zunge abbremsen. Euer Laden hier ist für mich eben nix. Ich frage mich nur, was euch das angeht. Ihr kriegt doch keine Punkte abgezogen."
"Aber unsere Zeit und das Geld unserer Eltern wird verplempert, um Schlammblütern wie euch, die hier absolut nichts zu suchen habt, irgendwie was beizubringen. Meine Eltern sagen, daß ihr alle eingesperrt gehört und verrotten solltet, damit ihr anständige Zauberer nicht mit eurem Dreck behelligt."
"Noch so'n Spruch, Kieferbruch, Klotzweib!" Drohte Roy und ballte die rechte Hand zur Faust.
"Ach, der droht 'nem Mädchen", flötete Samiel Sharkey. Kain lachte nur verächtlich.
"Mal abgesehen davon, daß du gegen mich wohl keine Chance hast, Schlammblut, wird das an meiner Meinung nichts ändern", zischte Tonya Rattler überheblich dreinschauend. Roy schlug zu und traf. Unerwartet kippte Tonya hinten über und fiel zu Boden. Offenbar hatte Roy mit aller ihm innewohnenden Wut zugelangt, dachte Aurora. Doch dafür gingen die beiden Jungs aus Slytherin auf ihn los. Einer fing sich eine blutige Nase, bevor er Roy zu fassen bekam, der andere schlug mit der Faust ein Loch in die Luft, weil Roy sehr gewandt den ihm geltenden Hieb austanzte.
"Du schlammblütiger Schwächling schlägst 'n Mädchen", schnaubte Kain und schlug noch mal zu. Roy fing den Schlag zwar mit der linken Faust ab, mußte jedoch dem Schwung nachgeben und zwei Schritt zurückspringen. Aurora Dawn stand starr in sicherer entfernung. Sie wußte nicht, was sie tun sollte. Unvermittelt tauchte eine klapperdürre Katze mit gelben Augen auf, die maunzend um die in wilder Keilerei befindlichen Jungen herumlief und durch eine nicht sichtbare Tür verschwand. Keine fünf Sekunden später tauchte Argus Filch, der Hausmeister mit einem Schrubber in der rechten Hand auf und ging sofort zwischen die sich prügelnden Jungen.
"Verdammt noch mal, ihr Banditen!" Schimpfte er und trennte Kain Gallows, der sich mit Roy verkeilt hatte von diesem. Dann schleifte er beide fort. Samiel Sharkey rannte zurück, warf dabei fast Aurora Dawn um und suchte das Weite. Aurora ging stumm an der sich gerade wieder aufrichtenden Tonya Rattler vorbei, die mit einer Mischung aus Schmerz, Wut und Verblüffung dem Hausmeister nachstarrte. Tonya sah Aurora an und rief:
"Wehe, du erzählst wem, daß wir uns mit diesem Schlammblut gekloppt haben, Dawn! Ich kann gute Flüche."
"Es gibt keine guten Flüche, Miss Rattler", erwiderte Aurora schnell und beherrschte ihr Gesicht, um dem Slytherin-Mädchen nicht zu zeigen, wieviel Abscheu sie vor ihm empfand. Sicher war das nicht gerade anständig, wenn ein Junge ein Mädchen mit der Faust ins Gesicht schlug. Aber die hatte es darauf angelegt, noch dazu mit den übelsten Beschimpfungen.
"Was glotzt du mich so an, eh?" Pöbelte Tonya und wischte sich mit dem Umhangärmel Blutstropfen von der Unterlippe.
"Du solltest zu Madame Pomfrey gehen und dich behandeln lassen. Wenn Roy dir einen Zahn angebrochen oder ausgeschlagen hat ..."
"Wer hat dich gefragt, Dawn? Sag dieser Schlampe Erica, daß sie und ihr Bruder sich sehr warm anziehen können! Delila und ich werden uns sowas nicht bieten lassen, klar?"
"Bin ich 'ne Posteule oder was? Haltet mich gefälligst aus eurem dummen Gezänk raus!" Fauchte Aurora sichtlich wütender als vorhin noch.
"Mädchen, paß auf, mit wem du redest! Du weißt ja, daß er keine Probleme hat, solchen Unrat wegzupusten."
"Er ist aber nicht hier", gab Aurora trotzig zur Antwort. Ob das nun Mut war oder eine Verzweiflungstat, wußte sie nicht. Tonya lachte nur schallend und lief davon.
Der Vorfall sprach sich in Ravenclaw herum, noch ehe Flitwick persönlich in den Gemeinschaftsraum kam, um Roy zur Rede zu stellen. Miriam sagte zu Aurora:
"Dann gehört Tonyas Familie wohl doch zu seinen Leuten, wenn sie meint, sich hinter ihm verstecken zu müssen."
"Dabei wissen es auch die Slytherins, daß der Unnennbare hier nicht hinkommt, weil er zu viel Angst vor Dumbledore hat. Warum sagt die dann sowas?" Fragte Aurora.
"Weil die es von ihren Verwandten so gelernt haben, Aurora", antwortete Miriam und erzählte ihrer Klassenkameradin, wie das in Hogsmeade zuging, wo die Anhänger des dunklen Lords hausten, wie sie wollten. Wer da was tat oder sagte, was denen nicht paßte, mußte darauf gefaßt sein, von ihnen bei Nacht besucht und gequält zu werden. Diese Eröffnung jagte Aurora eine Gänsehaut über den Rücken. Sie dankte der Vorsehung, weit genug von wichtigen Stätten der Zaubererwelt fort zu wohnen. Sie konnte sich auch vorstellen, daß viele Zauberer deshalb was gegen Muggelstämmige hatten, um mit denen keinen Kontakt haben zu müssen, um nicht von denen von Voldemort, dem dunklen Lord, bedroht oder gar getötet zu werden, wie die Eltern von Isis, die mit ihr im Zugabteil gesessen hatte und nun bei den Gryffindors war.
Aurora Dawn staunte, wie stark der kleine Professor Flitwick doch war. Denn Roy, der ihn schon überragte, sank mehr und mehr in sich zusammen, je länger der winzige Zauberer auf ihn einredete. Schlußendlich verkündete Flitwick:
"Mr. Fielding wird wegen einer Prügelei in den Schloßkorridoren zu einer Strafarbeit verurteilt, die ich noch mit den Kollegen abklären muß. Ravenclaw verliert wegen Ihrer Unbeherrschtheit 50 Punkte, Mr. Fielding. Ich kann nur hoffen, daß Sie sich anstrengen werden, diesen Verlust wieder wettzumachen. Einen angenehmen Abend noch!"
"Das alles nur, wegen dieser Großschnauze Rattler", fauchte Mortimer Swift, der in der Nähe von Aurora und Miriam saß. "Immerhin hat er ihr mal den gebührenden Schlag in die Fresse verpaßt", lachte Bruster. "Die Gewitterhexe bildet sich ein, die Königin von Hogwarts zu sein."
"Bruster, du hast zwar recht. Aber man sollte es nicht darauf anlegen, mit den Slytherin-Brütigen mehr Ärger zu suchen, als die schon machen", sagte Mortimer etwas beklommen. "Die haben Eltern und Verwandte, die mit dem dunklen Lord zusammenhängen."
"Das heißt aber nicht, daß wir uns vor denen ducken sollen, nur weil die sich was auf ihre Gangstereltern einbilden", erwiderte Roy Fielding, der zu seinen Schlafsaalgenossen gestoßen war und die letzten Sätze hatte mithören können. Wut stand ihm noch ins Gesicht geschrieben.
"Im Moment, so sieht es aus, können wir eh nichts daran ändern, wie die gelaunt sind", versuchte Petula, die Lage zu beschwichtigen, ohne gleich zu viel Unterwürfigkeit vor den Slytherins zu bekunden. Aurora Dawn sagte dazu:
"Meine Eltern haben mir von ihrer Schulzeit hier erzählt. Da gab es noch keinen dunklen Lord in der Zaubererwelt. Trotzdem haben die sich was auf ihre Herkunft und Vorrangstellung eingebildet. Wenn Vater oder Mutter schon Slytherin war, besser noch beide zusammen und deren Eltern auch schon da gewohnt haben, tun die gerne so, als seien sie die oberste Führungsklasse der Zaubererwelt. man muß denen nicht alles durchgehen lassen, Roy und Mortimer. Aber man sollte auch nicht darauf hoffen, die ändern zu können."
"Du meinst also, das ist in Ordnung so, wenn die mich "Schlammblut" nennen und tönen, daß ohne Leute wie mich die Schule hier besser läuft?" Fragte Roy sehr verärgert. Aurora sah ihn verdutzt an und sagte:
"Ich habe nicht gesagt, daß du hier nicht hingehörst oder Bruster oder wer auch immer. Ich werde mich nicht darauf einlassen, die Meinung dieser überdrehten und klobigen Krähe Tonya zu übernehmen. Ich habe nur gesagt, daß die so sind, wie sie sind. Mehr will ich dazu nicht sagen."
"Nur schön unauffällig bleiben, wie? Da du ja 'ne Reinblüterin bist, werden sie dir ja auch nichts böses tun, nicht wahr? Warum sich also ohne Grund in Gefahr bringen?" Gab Roy gehässig zurück. Erica, die das mithörte, sagte nur:
"Jetzt laß deine Wut nicht an deiner Klassenkameradin aus, nur weil die gesagt hat, daß man die Kronprinzen und -prinzessinnen aus Slytherin nicht ändern kann. Das heißt nicht, daß sie feige ist oder du besonders mutig, nur weil du einem Mädchen von denen eine reinhaust, was ziemlich dumm von dir war. Jetzt bilden die sich erst recht ein, du würdest hier nicht hinpassen."
"Ich habe dir schon mal gesagt, Erica, daß ich dein Große-Schwester-Getue nicht brauche", knurrte Roy Fielding seine ältere Schwester an. Mortimer sagte nur:
"Außerdem hat Aurora recht. Die ärgern uns zwar, aber wenn wir uns ärgern lassen, freut die das, egal, ob du denen eine reinhaust oder nicht. Wenn wir die Leutchen nicht zu ernst nehmen, ärgert die das mehr, als die uns ärgern, Roy."
"Mich ärgert nur, daß alle meinen, denen noch hinten reinkriechen zu müssen, weil ihre tollen Eltern mit dem Boss der magischen Verbrecherwelt zusammenhängen. Das macht mich krank vor Wut, Mortimer", sagte Roy jetzt etwas ruhiger klingend.
"Es war auf jeden Fall nicht gerade Werbung für Ravenclaw, daß du dieser Tonya Rattler fast den Unterkiefer gebrochen hast", mischte sich nun Nathan Mentry, der Vertrauensschüler ein, nachdem er im Gemeinschaftsraum eine Runde um die Tische gedreht hatte. Roy schnaubte nur, verzichtete jedoch auf eine Antwort darauf und zog sich trotzig an einen freien Tisch zurück. Seine Körperhaltung und sein Gesichtsausdruck verrieten deutlich, daß er nun allein sein wollte. Alle respektierten das.
Die Wochen verstrichen mit immer neuen schweren Aufgaben im Unterricht oder für die nächsten Unterrichtsstunden. Professor Bitterling hatte in Verteidigung gegen die dunklen Künste einfache Körperbeeinflussungsflüche begonnen, wie sie gewirkt aber vor allem, wie sie bekämpft werden konnten. Hinzu kam im Zaubertrankunterricht eine ständige Erschwerung der Rezepte, sodaß außer Aurora Dawn nur Dina Murphy damit fertig wurde, wodurch die in den direkten Zauberfertigkeiten sehr tolpatschig wirkende Dina Murphy einiges an Boden gut machte. Dann kam Halloween, das wichtigste Fest der Zaubererschaft im britischen Raum.
Als der letzte Tag im Oktober anbrach, erzählten Bruster und Roy während des Frühstücks, wie bei den Muggeln Halloween gefeiert wurde. Die Klassenkameraden hörten interessiert zu, mußten dann aber lachen.
"Ihr spielt denen einen Streich, die keine Süßigkeiten hergeben wollen?" Fragte Miriam Swann Roy Fielding. Dieser grinste spitzbübisch und sagte:
"Süßes oder Saures, Miriam. Wenn die nichts hergeben, kann es ihnen passieren, daß ihr Gartentürchen ausgehängt oder die Türklinken eingeseift werden. 'n Klassenkamerad von mir hat es sogar gebracht, in den Autoauspuff eines knauserigen Nachbarn Knallpulver zu tun. Als der dann mit dem Wagen losgefahren ist, gab's nach wenigen Sekunden einen mordsmäßigen Knall, und der Auspuff war weg."
"Das ist aber böse", sagte Petula Woodlane altklug. "Sowas tut man doch nicht."
"Richtig. Man knausert an Halloween nicht mit dem Süßkram", legte Roy Petulas Einwand anders aus, als die Junghexe es eigentlich gemeint hatte.
"Was passierte danach?" Fragte Bruster, der verhalten gegrinst hatte.
"Da keiner mitgekriegt hat, wer den Streich gespielt hat, blieb es nur dabei, daß der Nachbar die gesamte Wohngemeinde, wo der mögliche Übeltäter lebte, wegen Schadenersatzes verklagte und vor Gericht verlor, da nicht geklärt werden konnte, wer nun der Übeltäter war. Mum hat mir aber gesagt, daß man sowas nicht machen soll, seitdem Erica als Hexe in dieser Bude hier lernte, also mal wer aus Versehen an jemanden aus der Zaubererwelt geraten könne."
"Ja, das stimmt", sagte Bruster. "Meine Mum hat mal von einem Muggelnachbarn erzählt, der tatsächlich einen Halloween-Streich gespielt hat, weil ihm eine Hexe nichts von irgendwelchen Süßigkeiten rausrücken wollte. Die fand das wohl nicht sehr spaßig, das ein Totenkopf mit zwei gekreuzten Knochen mit grüner Sprühfarbe auf ihre weiße Haustür hingezaubert worden war. Irgendwie fand die raus, wo sie den Schuldigen finden konnte und behexte ihn mit was, daß Mum als "Permadulcis-Fluch" bezeichnete, wobei alles, was du ist oder trinkst nur noch süß für den schmeckt, der damit belegt wurde. Irgendwann mußte sie den Fluch wieder wegnehmen, weil Ärzte und Medizinforscher sich zu sehr für diese "Krankheit" interessierten und die vom Ministerium nicht nachkamen, denen allen das Gedächtnis zurechtzurücken. Aber der Missetäter behielt die schlechte Erinnerung an diesen Streich wohl als Traum und Warnung, daß er sowas nicht noch mal tun sollte."
"Ein grüner Totenkopf?" Fragte Miriam heftig erregt. Bruster nickte, als sei das völlig unwichtig.
"Oh, da kann der Muggel aber froh sein, daß diese Hexe ihn nicht gleich in eine Küchenschabe verwandelt hat. Das dunkle Mal von Du-weißt-schon-wem ist auch ein grüner Totenkopf, haben meine Eltern mir erzählt. Sie sahen dabei nicht gerade glücklich aus."
"Ist auch so nicht witzig", warf Roy ein. "Bei den normalen Leuten, wie meine Eltern es sind, gilt der Totenkopf mit gekreuzten Knochen als Zeichen für tödliche Gifte."
"Mum und Dad freuen sich, daß du sie für normaler hältst als uns", warf Erica Fielding verärgert ein. Roy lachte darüber nur, weil es ihm gelungen war, seine große Schwester richtig zu ärgern.
Nach einem anstrengenden Unterrichtstag trafen sich die Schüler zu einer Feier in der großen Halle. Aurora bewunderte den Halloweenschmuck von großen ausgehöhlten Kürbissen an den Wänden, in denen brennende Kerzen steckten und sah fasziniert zu den lebenden Fledermäusen hinauf, die unter der bezauberten Decke dahinflogen, die an diesem Abend den wolkenverhangenen Himmel draußen abbildete.
Die vier Geister, die jeder für ein Haus in Hogwarts zuständig waren, hatten ihre gruseligsten Kleidungen angezogen. Der blutige Baron trug ein graues Gewand, das kunstvoll zerfetzt war und zwar so, als habe jemand darin hunderte von Messerstichen abbekommen. Silbrige Blutstropfen hingen an dem Gewand. Die Graue Dame, der Ravenclaw-Hausgeist, trug ein wallendes Kleid, über das silbrige Spinnweben verteilt zu sein schienen. Der Gryffindor-Hausgeist, der Schulerzählungen nach nicht vollständig geköpft worden war, trug eine durchsichtige Axt bei sich und ließ seinen unvollständig abgetrennten Kopf immer hinten überhängen, wenn er sich amüsierte. Der Geist eines fetten Mönches, der in Hufflepuff zu Hause war, hatte sich selbst mit schweren Eisengewichten an Nase und Ohren behängt und trug eine dornige Geißel bei sich, mit der er sich zwischeendurch selbst prügelte.
Als das Üppige Festmahl vorbei war, bei dem einige Gerichte so zubereitet worden waren, als handele es sich um Würmer, gebackene Spinnen oder Fledermausflügel, trat Dumbledore auf eine kleine Bühne, die hinter dem Lehrertisch errichtet worden war und bat um Aufmerksamkeit. Als das vielstimmige Schwatzen der Schüler verstummte, sagte er mit die ganze Halle füllender Stimme:
"Sehr geehrte Kollegen, liebe Schüler und werte Hausgeister!
Heute ist wieder einmal Halloween, das Fest der Zauberer und Hexen Großbritanniens und Nordamerikas. Zwar ist es auch dieses Jahr wieder von Gräueltaten des dunklen Lords Voldemort überschattet worden, wie ihr wohl heute morgen in der Zeitung lesen konntet, aber wir alle, wir wollen nicht vergessen, daß jedes Halloween das dunkle mit dem hellen verbindet, was untrennbar zusammengehört. Um diese wichtige Beziehung zu verdeutlichen, ist es mir heute eine Freude, euch und Ihnen den Chor der Geisterstimmen aus dem schottischen Hochland zu präsentieren."
Auf diese Ankündigung flogen dreißig unheimlich aussehende Gespenster aus allen Richtungen in die große Halle hinein. Einige trugen ihren Kopf unter einem Arm, andere wirkten so, als müssen sie ihre in zwei Hälften gespaltene Körper ständig zusammenhalten. Einer trug noch einen Henkersstrick um den Hals. Einer war mit mehreren Pfeilen gespickt. Sie alle schwebten auf die Bühne und begannen, eine unirdische, durch Marg und Bein gehende Musik zu machen, teils singend, teils auf singenden Sägen oder quietschenden Metallplatten herumkratzend. Einer der Kopflosen warf zwischendurch seinen singenden Kopf ins Publikum, wo er sich überschlagend über die Haustische hinwegtrudelte, dabei aus dem nun nicht unten dranhängenden vollen Hals singend. Als der Kopf schließlich genau vor Roy Fielding auf dem Tisch landete, ohne darin einzusinken, sah Roy sehr verunsichert aus. Ein Stöhnen, als leide der Geist Höllenqualen, erklang aus dem körperlosen Kopf, während sich die Augäpfel aus den nicht greifbaren Höhlen hervorschoben und einfach herunterkullerten. Dann versank der Kopf im Holz des Tisches, wie in tiefen Morast. Roy sah sofort unter den Tisch, wo der Geisterkopf tatsächlich herausfiel und schüttelte sich.
"Das ist ja fies", sagte er und griff ohne groß hinzusehen nach dem abgetrennten kopf und langte voll durch diesen hindurch, was sich für ihn anfühlte, als greife er in eiskaltes Wasser hinein. Seine Finger erstarrten. Der Geisterkopf unterbrach sein klagendes Stöhnen und sagte:
"Würdest du bitte deine fleischigen Finger aus meiner Schädeldecke nehmen, Bursche!" Roy zog die Finger sofort zurück und atmete auf, als er nichts beunruhigendes an ihnen sehen konnte. Der Körper des Geisterkopfes schwebte heran und nahm sein fortgeworfenes Haupt wieder an sich.
"Wenn das jetzt jedes Halloween so geht, sehe ich zu, daß ich wieder hier wegkomme", sagte Roy. Als hätten sich die geladenen Geister auf ihn eingeschossen, schwebte eine ungefähr zwei Meter große Geisterfrau in einem mit silbernen Blutstropfen getränkten Gewand heran und breitete die Arme aus, während sie laut und eindringlich sang: "Schöner Jüngling, Tanz mit mir!"
"Ach du meine Güte, die untreue Gräfin", stöhnte Mortimer, der von dieser Geisterfrau schon gehört hatte. Roy wies sie schnell und unbeherrscht zurück, worauf sie laut jammernd und böse Blicke schleudernd davonschwebte. Die Graue Dame am Ravenclaw-Tisch sah nicht gerade erheitert drein. Sie sagte:
"Diese impertinente Person wurde tatsächlich noch nicht aus dem Chor der Geisterstimmen verwiesen. Sie erschreckt lebendige, vor allem unberührte Knaben stets mit ihren Heimsuchungen, da sie nicht verwinden kann, daß sie dereinst wegen Unzucht mit einem solchen von ihrem Gatten gefoltert und zu tode geschleift worden war."
"Warum kommt die ausgerechnet zu mir?" Fragte Roy Fielding total verängstigt. Erica grinste ihn böse an und meinte:
"Vielleicht strahlst du was aus, daß tote Frauen anzieht, Brüderchen."
"Zum Teufel mit diesem Geisterweib!" Schnaubte Roy und versuchte, sich durch die Vorführung der anderen Geister abzulenken.
Um Mitternacht stiegen die überirdischen Künstler mit wildem Geheul durch die verzauberte Decke hinauf und verschwanden. Dumbledore schickte alle Schüler zu Bett und wünschte ihnen eine ungruselige Nacht.
"Das war nicht schön, wie diese Geisterfrau Roy erschreckt hat", sagte Dina Murphy wenig später im Schlafsaal der Ravenclaw-Erstklässlerinnen. Miriam sagte darauf nur schnippisch:
"Der hat keine Nerven, der Muggelstämmige. Die Geister würden sich doch nie mit Lebendigen einlassen. Die leben doch in ihrer eigenen Welt."
"Trotzdem ist sowas doof", sagte Dina nur dazu. Petula Woodlane meinte dazu nur:
"Nachdem, was Roy uns erzählt hat, war das heute doch harmlos im Vergleich zu den Sachen, die in der Muggelwelt üblich sind."
"Mag sein. Aber das eine hat ja mit dem anderen nichts zu tun", sagte Dina. Dann legten sie alle sich in ihre großen Himmelbetten und schliefen.
Die großen Herbststürme kamen im November mit Heulen und wilden Regenschauern über Hogwarts. In dieser Zeit sollten, so der Spielplan, die ersten Quidditchspiele der Saison stattfinden. Als an einem trüben Samstag Mitte November das erste Spiel, Gryffindor gegen Slytherin, losgehen sollte, herrschte im ganzen Schloß eine erwartungsvolle Spannung. Die Rivalität der beiden Häuser, die schulweit bekannt war, wuchs zu offenen Feindseligkeiten zwischen den Schülern aus Slytherin und Gryffindor an. Aurora Dawn, die sich stets aus den Angelegenheiten anderer heraushielt, bekam am Morgen mit, wie Tonya Rattler und ihre neue Bande aus der ersten Klasse Isis Waverly umringten und auf sie einredeten, dann hämisch grinsend abzogen, während Isis in Tränen ausbrach. Aurora Dawn wartete, bis die Slytherins weit genug fort waren und ging dann zu Isis hinüber, zu der sich noch Rebecca Hawkins, die ebenfalls in Gryffindor wohnte, gesellte.
"Dieses Weib hat gesagt, Du-weißt-schon-wer läßt nach mir suchen und hätte meine Tante umgebracht", heulte Isis.
"Und das kaufst du denen ab?" Fragte Rebecca trotzig.
"Ich habe seit Wochen nichts mehr von ihr gehört", schniefte Isis und mußte sich mit einem weißen Taschentuch das Gesicht säubern.
"Ja, und Tonya hat es vom dunklen Lord persönlich, daß deine Tante tot ist, wie?" Fragte ihre Hauskameradin weiter. Aurora DAwn sah verlegen hin und her. Dann fragte sie:
"Hat diese Tonya Rattler nichts besseres zu tun, als andere Leute anzupöbeln?"
"Doch, hat sie. Wenn ich das in Zaubertränken und Besenflug mitbekommen habe, versucht sie, größere Jungs an Land zu ziehen", sagte Rebecca Hawkins. "Dana Cobb, die mit ihr zusammenhängt, tönt immer wieder, wieviele Chancen sie bei älteren Mitschülern hat. Ihr letzter Versuch soll Severus Snape gewesen sein, so'n Hakennasiger Schnösel mit schmierigem Haar, der ein As in Zaubertränken und Verteidigung gegen dunkle Künste sein soll."
"Mädel, die Töchter hoher Herrschaften geben immer an, was sie schon alles haben oder können", wußte Aurora aus eigener bitterer Erfahrung mit Tonya und ihrer Schwester. Immerhin mußte sie die jüngere der beiden Rattlers ja immer in Kräuterkunde erdulden, wo sie zwar nichts zu Stande brachte, das dann aber auf die "blöden Muggelstämmigen" schob, die ja den Unterricht bremsten.
"Aber wenn's stimmt, was die sagen?" Fragte Isis. Rebecca faßte ihre Klassenkameradin fest an der rechten Schulter.
"Dann könnte Dumbledore die rauswerfen, weil eindeutig klar ist, daß die für Du-weißt-schon-wen spionieren. Also reiß dich zusammen! Deine Tante ist viel unterwegs, hast du erzählt. Dann dauert das eben, bis eine Eule ankommt."
"Du hast recht, Becky. Was wollen diese Hyänen schon wissen?" Stimmte Isis zu und ging mit Rebecca zu den übrigen Gryffindors hinüber, die mit scharlachroten Fahnen, auf denen Löwen prangten oder in die Farbe wechselnden Schriftzügen die Großtaten Gryffindors besungen wurden.
Aurora setzte sich mit Miriam und Petula in eine Reihe, wo außer ihnen die Fünftklässler der Ravenclaws saßen, die wohl alle für Gryffindor waren, den Anfeuerungsrufen nach.
Das Spiel begann, nachdem Madame Hooch den Kapitänen von Gryffindor und Slytherin noch mal eingeschärft hatte, fair zu spielen. Rosina Oaktree, die Kapitänin der Gryffindors, sah auf ihren Gegenspieler, den bulligen Guy Crawley, der nur gehässig grinsen konnte, als die etwas kleinere Kapitänin der Gryffindors seinem Händedruck nicht standhielt.
Das Spiel war schnell, aber unsauber, konnte Aurora gleich sehen, weil sie ja seit frühesten Kindesbeinen an Quidditchspiele gesehen hatte. Immer wieder stießen sich die um den roten Spielball, den Quaffel, ringenden Jäger die Ellenbogen in die Rippen, hielten für winzige Augenblicke die gegnerischen Besenstiele fest oder blockierten die Gegner ansatzlos. Die Treiber, die die beiden gefährlich schnellen schwarzen Bälle, die Klatscher, von der eigenen Mannschaft fernzuhalten hatten, hieben mit ihren magisch verstärkten Holzschlägern auch mal nach Armen oder Köpfen gegnerischer Jäger oder versuchten, den Hüter im Torraum der jeweils anderen Seite mit gezielten Klatschertreffern vom Besen zu hauen. Aurora wollte bald nicht mehr hinsehen, wenn ein Foul vom nächsten Strafwurf abgelöst wurde. Sie konzentrierte sich auf die beiden Sucher, einzeln fliegende Spieler, die einen kleinen goldenen Ball mit Flügeln, den goldenen Schnatz, fangen sollten, was der Mannschaft, deren Sucher diesen winzigen und verflixt schnellen Ball zuerst fing, 150 Punkte einbrachte und das Spiel beendete. Irgendwann nach einer Stunde gelang es dem Sucher der Gryffindors bei einem Torvorsprung von zwanzig zu fünfzehn für Slytherin, den goldenen Schnatz zu erwischen, was jedoch nicht ohne Verletzungen abging, da der Slytherin-Sucher ihm mit der Faust im vollen Flug ins Gesicht traf, um doch noch vor dem Gryffindor an den Schnatz zu kommen. Madame Hooch pfiff das Spiel ab und verwarnte den Sucher der Slytherins sehr wütend dreinschauend, was diesen jedoch nicht beeindruckte. Schließlich verkündete sie für alle hörbar:
"Da sich Tallon bei seiner letzten Aktion grob unfair eingesetzt hat, bestimmen die internationalen Quidditchregeln, daß seine Mannschaft beim nächsten Spiel zehn Punkte Rückstand auferlegt bekommt, egal, wie das Spiel ausgeht. Quidditch ist schon gefärhlich genug. Solche Taten fördern keine Attraktivität dieses Sports."
Professor McGonagall stritt sich kurz mit Professor Bitterling über den Spielverlauf. Dann schienen sie sich irgendwie zu einigen, womöglich nicht zu beiderseitiger Zufriedenheit. Jedenfalls trollten sich die Slytherins, nachdem sie zuvor ihren Sucher feiern wollten und nun schon eins zu null zurücklagen, bevor das Spiel, wohl gegen Hufflepuff, angepfiffen worden war.
"Also wenn ich dafür hätte zahlen müssen", sagte Aurora Dawn beim Abendessen, "hätte ich mein Geld zurückverlangt. Das war das schmutzigste Spiel, daß ich jemals gesehen habe, Leute."
"Hört hört!" Erwiderte Bruster Wiffle. Dann meinte Miriam Swann:
"Die machen das schöne Spiel kaputt, wenn die sich andauernd prügeln. Nichts von Technik oder Schnelligkeit. Wer dem anderen zuerst die Knochen bricht, hat gewonnen."
"Ihr wißt das doch alle, wie die Slytherins spielen", sagte Amalia Hopfkirch, die selbst aber nicht begeistert dreinschaute. "Wunder mich nur, daß die Gryffindors auf diese Schweinerei eingegangen sind. Die können doch gut spielen. Die haben's nicht nötig, zu schubsen und dreinzuschlagen."
"Offenbar doch, Amalia. Immerhin haben die im letzten Jahr den Quidditchpokal knapp und den Hauspokal mit großem Rückstand an Slytherin verloren", wußte ein Junge aus Ericas Klasse zu antworten. Priscilla Woodlane, Petulas große Schwester, fügte dem noch hinzu:
"Wahrscheinlich hat Rosina Oaktree ihre Mannschaft so eingestimt, immer mit den Waffen des Gegners zu antworten. Wollen wir hoffen, daß die nächsten fünf Spiele schöner werden."
"Also, wenn wir gegen die Hufflepuffs ranmüssen", wandte Kelvin Hightowers, der Hauskapitän der Ravenclaws ein, "wird es wohl keine Unsportlichkeiten geben. Isadora und ich haben uns vor dem Spiel heute schon geeinigt, daß wir eher auf Punktgewinne verzichten, als unfair zu sein."
"Und damit vielleicht den Sieg zu verschenken?" Empörte sich ein Zweitklässler.
"Keine Sorge, Jungchen. Überlegenheit siegt immer, wenn sich alle an die Regeln halten", beruhigte ihn Hightowers.
So war es dann auch, als zwei wochen später das Spiel Ravenclaw gegen Hufflepuff ausgetragen wurde. Aurora freute sich, als am Ende einer halbstündigen Parade aus Technik und Gewandtheit der kleine pummelige Sucher der Ravenclaws den wichtigen kleinen Ball in der rechten Faust hielt. Sie freute sich überschwenglich, auch als sie in der nächsten Zaubertrankstunde mit Melinda und Cynthia in einen heftigen Streit geriet, was an einem geschenkten Sieg so toll sei, da ja ihre Kapitänin Isadora Meadows unübersehbar in kelvin Hightowers verliebt sei.
"Wundere mich, daß die Slytherins und Gryffindors nicht Einspruch gegen diese Partie einlegen", sagte Cynthia Flowers gereizt, als Professor Bitterling gerade bei Roy Fielding war und dessen Zaubertrank begutachtete. Aurora Dawn grinste nur.
"Die werden sich hüten, unser Spiel anzufechten, wo die selber nur dreinhauen konnten. Nimm's hin, Cynthia! Ravenclaw hat eben die besseren Spieler."
"Wenn ich das richtig mitbekommen habe, hat dich Kelvin Hightowers schon zum Nachwuchstraining eingeladen. Ich werde auch für meine Mannschaft ins Nachwuchstraining gehen. Vielleicht nimmst du das zurück, wenn wir uns im nächsten Schuljahr auf dem Feld wiedersehen."
"Ich freu mich drauf", sagte Aurora und mußte schnell eine Wolfsmilchwurzel in ihren Trank werfen, bevor dieser blubbernd über den Kesselrand zu quellen drohte. Professor Bitterling kam mit verärgerter Miene an den Tisch, wo Aurora mit Miriam zusammen an dem heutigen Zaubertrank braute, besah sich das beinahe verpatzte Gebräu und sagte mit sehr beängstigendem Tonfall:
"Wenn Sie jemals in die Engere Wahl ihrer Besentanztruppe gezogen werden wollen, müssen Sie sich immer konzentrieren, keinen Trank in ein tödliches Gemisch zu verwandeln und die erste Jahresendprüfung schaffen, die, soviel kann ich Ihnen schon sagen, nur für disziplinierte Schüler zu schaffen sein wird. Ich hoffe, sie haben mich verstanden, Miss Dawn."
"Vollkommen, Professor Bitterling", sagte Aurora beschämt, daß ihr fast ein schwerer Fehler passiert war. Cynthia grinste nur schadenfroh.
Am Ende der Stunde bekamen die Ravenclaws zehn Punkte gutgeschrieben, weil Aurora und Dina wieder einmal die besten Ergebnisse hinbekommen hatten. Hufflepuff verlor jedoch zehn Punkte, weil außer Melinda keiner einen anwendbaren Trank hinbekommen hatte. Cynthia wurde vor versammelter Klasse runtergeputzt.
"Zaubertränke ist eine umfangreiche und gefährliche Wissenschaft, die keinen Fehler duldet, Miss Flowers. Da ich mit Ihrem Herrn Vater ab und an Eulenpost austausche, weiß ich, daß er in der Abteilung für magische Gesundheitsüberwachung und Pflege stets mit Zaubertrankunfällen zu tun hat. Ich denke nicht, daß Sie ihm den Anlaß bieten, stolz zu sein, nur weil seine Tochter auch eines dieser Irrläufer ist. Also sollten Sie sich in meinem Unterricht doch vielleicht mehr auf Ihren Kessel als auf Ihre Mitschüler konzentrieren, bevor Ihnen einmal ein Gebräu um die Ohren fliegt. Ist das angekommen?"
"Jawohl, Professor Bitterling", sagte Cynthia kleinlaut.
Der Dezember kam und mit ihm der erste Schnee. Die weiße Pracht stimmte die Schülerinnen und Schüler auf Weihnachten ein. Von den Hänseleien der Slytherins in den Zauberkräuterstunden abgesehen empfand Aurora Dawn diese stille, vorweihnachtliche Atmosphäre in Hogwarts als wunderschön. In Ravenclaw war immer öfter leise Musik zu hören. Die, die ein Instrument spielen konnten, trugen gerne vor, was sie an Weihnachtsliedern spielen konnten. Aurora sang mit Miriam und Petula Duette oder Terzette, begleitete das Spiel von Petula und anderen, die auf Instrumenten spielen konnten und brachte Roy einige Weihnachtslieder der Zaubererwelt bei, die sich zwar auch mit der Ankunft des Christkindes befaßten, jedoch auch zum Flug ins neue Jahr einluden. Erica Fielding hatte von ihrer Klassenkameradin Grace Morehead eine Einladung für sich und ihren Bruder bekommen, sie und ihre Zaubererfamilie in Kent zu besuchen. Sie wandte sich an Roy, der gerade von Aurora das Lied der schneebedeckten Besen lernte:
"Grace hat uns beide eingeladen. Sie klärt das noch mit ihren Eltern, wann wir sie besuchen dürfen. Ich habe Mum und Dad schon eine Eule geschickt, daß wir vielleicht zwischen den Jahren eingeladen werden. Ich hoffe nur, daß du endlich begriffen hast, wo du hingehörst und bei Graces Familie nicht den Standpunkt vertrittst, die Muggel seien hundertmal besser als Zaubererfamilien."
"Erica, ich weiß nicht, ob ich das schon machen soll, zu anderen Hexen und Zauberern hingehen. In der Zeitung hier, diesem Tagespropheten, steht immer mal wieder drin, daß dieser Voldemort Leute umbringt, die sich mit unsereins abgegeben haben sollen. Ist deine Klassenkameradin sicher, daß der Kerl sie nicht auch heimsucht?"
"Und dich dabei mit um die Ecke bringt. Wie? Wenn das dein einziges Argument ist, jede Möglichkeit auszuschlagen, mit anständigen Hexen und Zauberern Kontakt zu kriegen, tut es mir Leid für dich."
Erica zog sich wieder zu ihren Klassenkameraden zurück und überließ Roy seinen Gedanken. Aurora meinte zu ihm:
"Dann hat das im Moment keinen Zweck, daß wir uns weiter mit den Liedern der Zaubererwelt befassen."
"Erica meint, mich mit aller Macht in diese eure Welt rüberholen zu müssen. Wer hat das eigentlich mit ihr gemacht?"
"Das ist wohl der Punkt. Weil sie dafür keinen hier hatte, ist sie sich sicher, daß es besser ist, wenn sie dir bei diesem Übergang hilft. Kuck dir Bruster an. Der hat seinen Cousin, und trotzdem kann der sich allein einleben."
"Bruster hat aber auch 'ne echte Hexe in der Familie. Da ist sowas ja auch vorprogrammiert. Ich hätte es am liebsten gehabt, wenn ich nicht hierher gekommen wäre. Jetzt, wo ich drei Monate hier bin, habe ich immer noch den Eindruck, daß das ganze ein hirnrissiges Zeug ist. Ich glaube nämlich nicht, daß man für diese Zauberei geboren sein muß, sondern das jeder das lernen kann."
"Echt? Dann müßten eure Eltern das doch auch lernen können", vermutete Aurora. Roy lachte.
"Warum sollten die? Die sind froh mit dem, was die machen. Mein Vater ist Ingenieur. Der braucht keine Zauberei zu können."
"Oh, dann sollte Erica ihm mal einen Flugbesen geben. Weil fliegen konntest du doch ohne das vorher lange gelernt zu haben, wenn ich das richtig mitbekommen habe."
"Guter Witz, Aurora! Wir dürfen doch keine eigenen Besen haben, auch Erica nicht."
"Stimmt, wer nicht schon zu Hause einen liegen hat, kauft sich keinen, weil in Muggelsiedlungen ja nicht geflogen werden darf. Aber soviel ich weiß, können nichtmagische Eltern doch in Hogwarts erfahren, was hier läuft."
"Ja und dabei einem dieser Voldemort-Anhänger vor den Zauberstab laufen", warf Roy ein. Aurora Dawn seufzte.
"Ich selber habe kein Problem damit, den beim Namen zu nennen. Aber hier laufen genug Leute rum, deren Verwandte unter dem dunklen Lord gelitten haben und die eine Heidenangst vor ihm haben. Besser, du redest von ihm nicht so beiläufig."
"Wenn das für dich beiläufig ist, daß ich den Saukerl beim Namen nenne, dann tut es mir Leid, Aurora. Aber ich sehe nicht ein, den Du-weißt-schon-wen zu nennen. So'n Schwächling bin ich nicht."
"Es geht nicht um Schwäche, sondern um Respekt, Roy. Es geht darum, daß hier Leute sind, die nicht darüber reden wollen, was ihnen passiert ist, die sich Sorgen machen, ob ihre Familien den nächsten Tag überleben oder nicht und hoffen, in Ruhe gelassen zu werden. Das wollte ich dir nur sagen."
"Ich werde mich dran halten, daß die Leute hier lieber in irgendwelche Löcher schlüpfen, als den Bastard endlich fertigzumachen. Wenn der die schlimmsten Zauber kann, warum nicht auch wer, der ihn jagt. Das sind nur ein paar hundert Männchen, die ihm helfen, und die können die ganze Welt einschüchtern, nur weil die drohen, wen anzugreifen oder das dann auch tun. Wenn das wirklich so schlimm mit denen ist, dann heißt das für mich, daß ich wohl keine Lust habe, da auch noch reingezogen zu werden."
"Gut, der Unnennbare ist nicht gerade hilfreich, um junge Hexen und Zauberer auszubilden. Aber wenn die dich auch als einen von uns eingeordnet haben, dann kommst du da nicht mit durch, daß du sagst, dich interessiert das nicht. Aber es ist nicht mein Problem, dir das beizubringen."
"Richtig, Mädchen. Das ist nicht dein Problem", bestätigte Roy genervt. Dann sagte er noch:
"Besser ist, wenn wir nicht mehr davon sprechen. Vielleicht stellt sich ja heraus, daß ich für die richtige Zaubereiausbildung doch zu schwach bin."
"Gut, da lassen wir's mal drauf ankommen", erwiderte Aurora und dachte für sich, daß Roy sich was vormachte.
So verbrachten sie die letzten Tage vor den Weihnachtsferien noch mit Unterricht und Musik. Zwischendurch kam Professor Flitwick mit einer Liste, wer alles über die Ferientage in Hogwarts bleiben wolle. Doch niemand in Ravenclaw wollte über die Feiertage in der Schule bleiben. So traf es sich, daß zu Beginn der Ferien der Hogwarts-Express ziemlich voll war. Aurora Dawn saß mit ihren Klassenkameradinnen Petula Woodlane und Dina Murphy, sowie den Jungen Mortimer Swift und Bruster Wiffle in einem Abteil des Zuges. Miriam, deren Eltern ja in Hogsmeade wohnten, war nach der letzten Unterrichtsstunde von einer Hexe im grünen Samtkleid abgeholt worden, die von Haarfarbe, Gesicht und Augenfarbe her ihre Mutter sein mußte.
"Was macht ihr so über Weihnachten?" Fragte Mortimer. Aurora meinte:
"Wir besuchen Verwandte, Onkel, Tante und Cousins. Sonst werden wir nichts tun."
"Wir werden wohl zu Verwandten nach Kalifornien reisen", sagte Petula. "Wird bestimmt schön da."
"Meine Eltern machen um Weihnachten immer so einen Wirbel", begann Bruster. "Weil die Verwandten meiner Mutter mit denen meines Vaters ja nicht zusammenkommen dürfen, müssen wir drei Tage hintereinander Gäste ertragen, weil Mum irgendwann mal die blödsinnige Idee hatte, daß sie jedes Weihnachten Leute einläd."
"Ich weiß. Dad und ich sind ja auch schon eingeladen", grinste Mortimer. "Ist schon 'ne merkwürdige Mischung, eine Hexe zur Mutter und einen Muggel zum Vater zu haben."
"Habe ich mir nicht ausgesucht", knurrte Bruster.
"Habe ich dir auch nicht vorgeworfen, Vetter", erwiderte Mortimer grinsend.
Sie redeten die restliche Fahrt über die Hausaufgaben, die ihnen die Lehrer über die Ferientage aufgegeben hatten. Besonders Professor Bitterling, die nie müde wurde, zu betonen, daß ihre beiden Fächer die wichtigsten der ganzen Zauberei seien, hatte ihnen viel zum lesen und zusammenfassen eingebrockt.
Als der Hogwarts-Express im Bahnhof Kings Cross einlief, sahen die Erstklässler aus Ravenclaw schon ihre Verwandten auf dem Bahnsteig stehen. Aurora erkannte ihre Mutter, die neben einer Frau stand, die genauso aussah, wie sie und ein kleines Mädchen mit rotbraunen Zöpfen und graublauen Augen an der rechten Hand hielt. Als mit quietschenden Rädern der Zug abbremste, winkten die auf ihn wartenden schon, wenn sie ihre Kinder oder sonstigen Verwandten sahen. Als der letzte Wagon stand, hatten es alle ziemlich eilig, den Zug zu verlassen. Es gab ein Schieben, stoßen, drängeln und Fluchen. Besonders die Slytherins gebrauchten ihre Ellenbogen, um sich schnell aus der Menge der Schüler freizuarbeiten.
"Die haben es aber eilig, rauszukommen", sagte Bruster Wiffle verächtlich. Petula erwiderte darauf nur:
"Die fühlen sich in Hogwarts nicht wohl. Die armen müssen sich ja so gut benehmen."
Ruhig verließen die Ravenclaws den Zug mit ihren Koffern. Petula winkte ihrer Schwester, die mit ihren Schulfreundinnen zusammengesessen hatte und zeigte dann auf eine Hexe, die ähnlich wie sie aussah und einen untersetzten Zauberer.
"Das sind Mum und Dad, Bruster. Bei Dad darfst du dich noch mal über die Tricktreppen und Scheintüren beschweren. Der hat bei der Instandhaltung von Hogwarts mitgeholfen."
"Ich dachte, die ganzen Tricks wären schon hunderte von Jahren alt", wunderte sich Aurora Dawn.
"Sind sie auch. Aber Abnutzung macht auch vor magischen Einbauten nicht halt", wußte Petula. Dann verabschiedete sie sich von ihren Klassenkameraden und ging hinüber zu ihrer Schwester und ihren Eltern. Aurora deutete auf ihre Mutter, die ihr zuwinkte. Bruster und Mortimer folgten ihr kurz.
"Hallo, Mum. Hallo, Tante June. Na, Agatha?" Begrüßte Aurora Dawn ihre Mutter und die ihr ähnelnde Frau mit dem kleinen Mädchen, das wohl um die sechs oder sieben Jahre alt war.
"Hallo, Mr. Swift", begrüßte Mrs. Dawn Mortimer, nachdem sie ihre Tochter in die Arme geschlossen hatte, als habe sie sie vor der Einschulung das letzte Mal gesehen.
"Hallo, Professor Dawn", erwiderte Mortimer schüchtern. Offenbar war es ihm peinlich, daß eine Hogwarts-Lehrerin ihn auf dem belebten Bahnsteig ansprach.
"Ich habe deinen Vater schon gesehen. Der wartet mit Sheeba auf ihr Töchterchen Isadora."
"Sheeba Meadows ist hier? Na klar. Sie muß ja ihre Tochter trösten, weil unser Sucher Hufflepuff um den Sieg gebracht hat", gab Mortimer eine Gehässigkeit von sich, als er die Kapitänin der Hufflepuffs mit ihrer Mutter sah. Bruster besah sich Auroras Mutter, dann Auroras Tante und dann Sheeba Meadows, eine schlanke Hexe mit rotbraunem Haar und tiefblauen Augen.
"Ist das 'ne Cousine von Ihnen, Professor Dawn?" Fragte er dann.
"Richtig, das ist eine Cousine von mir", sagte Mrs. Dawn. "Von mir auch", pflichtete Auroras Tante June bei.
"Morty, komm endlich. Deine Mum will noch in die Winkelgasse!" Rief Regulus Swift seinem Sohn zu. Dieser rief zurück, daß er nun kommen würde und verabschiedete sich mit Wünschen für ein fröhliches Weihnachtsfest von Aurora und ihren Verwandten. Er ging mit Bruster zu Mr. Swift hinüber, während Roy Fielding von seiner Schwester auf das magische Tor in die nichtmagische Welt zugeführt wurde.
"Herzlichen Glückwunsch, Aurora, daß du auch in Ravenclaw gelandet bist", sagte Tante June. Aurora wandte ein, daß sie sich das nicht ausgesucht habe, aber doch sehr froh sei. Agatha, Tante Junes Tochter und Auroras Cousine, fragte, ob die in Hogwarts wirklich so viele Gespenster hätten, wie ihr Vater immer erzählte. Aurora nickte und sagte:
"Die meisten von denen sind freundliche Geister. Nur Peeves und der blutige Baron sind fies drauf."
"Diese Kanallie haben die immer noch nicht rausgeworfen, Regina?" Fragte Tante June.
"Du weißt genau, June, daß man einen Poltergeist, der sich einmal in einem alten Haus eingenistet hat, nur durch einen großen Exorzismus austreiben kann, wenn man ihn nicht ständig mit Zauberflüchen belegen will. Solch ein Exorzismus würde alle dort wohnenden Geister betreffen, und du kennst doch die graue Dame und den dicken Mönch. Möchtest du haben, daß die heimatlos werden oder aus dieser Welt verstoßen werden, wo sie wohl nicht in die jenseitigen Sphären dürfen?"
"Ich weiß, Regina. Wenn Dumbledore meint, Peeves wäre das kleinere Übel, kann den keiner rauswerfen. - Aber sonst gefällt dir Hogwarts, Aurora?"
"Ja, Tante June. War schon was anderes. Allerdings haben die da veralterte und fast fluguntaugliche Besen für den Unterricht und für die Spiele. Ich frage mich echt, weshalb die keine neuen Besen anschaffen können. Dad sagte doch, daß die Unterbringung ziemlich ins Geld geht."
"Weil sie wohl nicht wollen, daß ihnen die Besen kaputt gemacht werden. Neue Besen verleiten zu wilden Manövern", sagte Mrs. Dawn.
"Wie dem auch sei, Regina. Ich freue mich, daß deine Tochter gut untergekommen ist. Lass uns nun machen, daß wir wegkommen. Ich weiß nicht, ob die Todesser nicht was vorhaben. Die Leute aus dem Slytherin-Haus wollten mir zu schnell vom Bahnsteig."
"Du hast recht, June. Komm, Aurora!"
Tatsächlich war von denen, die Aurora in Slytherin gesehen hatte, keiner mehr auf dem Bahnsteig, als Mrs. Dawn, ihre Schwester und die beiden Mädchen auf das bezauberte Tor zugingen. Die beiden Torhüter wollten gerade den Weg freigeben, als das Tor aufschwang und ein Dutzend vermummter Zauberer in schwarzen Umhängen auf den Bahnsteig drängte. Sofort warfen sich die Dawns und ihre Verwandten zu Boden. Laut und häßlich lachend stürmten die Eindringlinge den Bahnsteig und schleuderten verschiedenfarbige Zauber durch die Gegend. Einer rief:
"Schlammblüter vergeßt Hogwarts! Ihr habt da nichts verloren!"
"Verlassen Sie sofort den Bahnsteig!" Rief einer der Torhüter und zog einen Zauberstab. Einer der Vermummten wollte ihm gerade einen Fluch aufhalsen, als aus dem Stab ein grelles Licht austrat und den Eindringling einhüllte. Starr wie eine Statue aus Sonnenlicht verharrte der in gleißendes Licht eingefrorene Zauberer auf dem Bahnsteig. Dann erschienen mehrere Zauberer in blauen Umhängen ohne jede Maskierung und schickten gleichfalls gleißende Lichtstrahlen aus. Die Eindringlinge wehrten sich verbissen gegen die sie anfliegenden Zauber und trafen einige der Schüler, die auf dem Bahnsteig herumstanden, starr vor Entsetzen. Aurora sah, wie einer unvermittelt in die Knie ging. Ein Anderer bekam explosionsartig aufquellende Geschwüre im Gesicht. Ein dritter Schüler zuckte unter Schmerzen zusammen, die wohl so stark waren, das er nur noch schreien konnte."Stupor!" Rief einer der blau gekleideten Zauberer. Ein roter Blitz fauchte knapp über die am Boden liegenden Dawns weg und prallte mit voller Wucht gegen den Zauberer, unter dessen Fluch der dritte Schüler höllische Schmerzen litt. Die übrigen Eindringlinge verschwanden unvermittelt. Nur diejenigen, die in gleißendes Licht eingefroren dastanden und der Zauberer, den der rote Blitz getroffen und bewußtlos auf den Boden geworfen hatte, blieben auf dem Bahnsteig liegen.
"Ich sehe mir den mal an, den der Cruciatus-Fluch erwischt hat", sagte Tante June und stand auf. Sie sah einen der in Blau gewandeten Zauberer an und sprach mit ihm. Er ging mit ihr zu dem, der unter Tränen und Nachwirkungen des Schmerzes am Boden hockte und nicht wußte, was er tun sollte.
"June hat's wieder gewußt. Die Slytherins waren verdächtig in Eile", schnaubte Mrs. Dawn. Aurora, die sowas bis jetzt noch nie gesehen hatte, schwieg voller Entsetzen. Sie wußte zwar, daß die Diener des dunklen Lords, den Hexen und Zauberer nicht beim Namen zu nennen wagten, unschuldige Zauberer angriffen, aber daß die das auch auf Gleis 9 3/4 taten, hätte sie nie für möglich gehalten. Agatha, ihre Cousine, weinte laut und schrie ihre unbändige Angst heraus.
"Geht's dir wieder gut genug, Aurora?" Fragte ihre Mutter. Aurora nickte stumm.
"Ist der Kleinen was passiert?" Fragte ein in Blau gekleideter Zauberer besorgt. Mrs. Dawn schüttelte den Kopf.
"Es ist nur die Angst, Mike. June und sie kamen nur her, um meine Tochter mit mir abzuholen und mußte dann sowas mitkriegen."
"Gut, Regina. Ich kümmere mich dann um die, die diese Bande verflucht hat", sagte der Zauberer und teilte seine Kollegen oder Mitarbeiter ein, sich um die von Flüchen getroffenen Schüler und Erwachsenen zu kümmern. Auroras Tante kam wieder zurück und sagte:
"Machen wir, daß wir wegkommen. Ich habe dem Jungen einen beruhigungstrank gegeben. Gut, daß Mike den Verbrecher mit dem Schocker erwischen konnte. Der landet noch heute in Askaban."
"Was nützt das?" Fragte Regina. "Solange wir in Askaban keine wirklich sicheren Einkerkerungszauber haben, könnte der Unnennbare seine Getreuen jederzeit wieder rausholen. Du weißt doch, mit wem der alles paktiert."
"Ja, das ist mir bekannt, Regina. Aber was sollen wir denn sonst tun. Crouch hat doch angeregt, einige der Dementoren als Wächter anzuwerben, wenn ihnen garantiert wird, daß sie frei über die Gefangenen verfügen, solange sie diese unter Verschluß halten."
"Ja, und damit würden diese Monster von uns auch noch verhätschelt, June. Schlimm genug, daß die dem dunklen Lord schon wie Hunde nachlaufen und anständige Zauberer mit ihrer Kraft quälen. Da will Crouch die auch noch ... aber vielleicht ist das die einzige Möglichkeit, solche Verbrecher wie den da drüben zu bändigen."
"Was sind Dementoren?" Fragte Aurora Dawn neugierig.
"Wesen, denen du bestimmt nie begegnen willst, Kind", antwortete Tante June ungenau. Mrs. Dawn sagte nur:
"Dunkle Kreaturen, deren reine Anwesenheit dir alle Freude und Zuversicht raubt, Aurora. Bartemius Crouch drängt schon seit Jahren, sie an Stelle der Sphinxen und Lichtmauern in Askaban, dem Zauberergefängnis, anzustellen, um die Gefangenen zu bewachen. Doch weil die für den dunklen Lord sind, haben alle aus dem Ministerium Einspruch dagegen eingelegt."
"Dann sollten diese Dementoren besser selbst eingesperrt werden", wandte Aurora ein, der nun wieder Schauer von Angst über den Rücken liefen.
"Schön wäre es. Aber die kann man nicht einfach einsperren, Kind", sagte ihre Mutter mit sorgenvoller Stimme.
"Los, wir müssen!" Drängte Auroras Tante. So verließen die Dawns und ihre Verwandten den Bahnsteig und schafften es, unbehelligt in die Winkelgasse zu gelangen, von wo aus sie mit Flohpulver abreisten. Tante June und die kleine Agatha reisten in ihr Wohnhaus zurück, die Dawns in das elisabethanische Landgut, wo Mr. Dawn schon auf sie wartete.
"Wieso kommt ihr so spät?" Fragte er.
"Die Todesser haben Gleis 9 3/4 überfallen, Hugo. Der Unnennbare wird langsam größenwahnsinnig", sagte Mrs. Dawn.
"Wird langsam? Ist schon längst, Regina. - Hallo, Aurora. Schön, dich wiederzusehen. Deine Mutter schrieb mir, daß du schon gute Freunde in Ravenclaw gewonnen hast."
"Ja, habe ich. Hogwarts ist echt spannend, wenn auch anstrengend, was die Fächer angeht. Aber ich bin froh, in Ravenclaw gelandet zu sein."
"Ich habe mit deiner Oma Regan gesprochen. Die wollte wissen, ob Professor Sprout immer noch Kräuterkunde gibt und wie du mit Professor Bitterling zurechtkommst."
"Wann hast du sie denn getroffen?" Fragte Aurora. Ihre Großmutter Regan, die Mutter ihres Vaters, wohnte mit ihrem Mann in Südengland auf einem Bauernhof, wo sie Gemüsefelder und freilaufende Hühner, Kühe und Schweine hielt, von ein paar Gnomen und ab und an einem wildernden Ghul abgesehen.
"Vor zwei Tagen erst. Ich war in der Gegend, um zu prüfen, ob meine Versuche mit abgerichteten Zugvögeln gelungen wären. Dabei habe ich sie getroffen. Du kennst ja die Geschichte, daß sie Opa Arco ja nur deshalb kennengelernt hat, weil dieser ihr in Kräuterkunde beistehen mußte, weil sie eher für Zauberkunst zu haben war."
"Ja, die Geschichte ist mir bekannt", sagte Aurora gelangweilt, weil ihre Großeltern väterlicherseits das immer wieder erzählten. Dann fragte sie:
"Besuchen wir die auch über Weihnachten?"
"Nein, die kommen zu uns. Wenn wir zu June gehen, treffen wir deine anderen Großeltern dort", sagte Mr. Dawn. Mrs. Dawn rümpfte zwar die Nase, nickte dann aber.
"Hättest du mir das nicht schreiben können, Hugo, daß deine Eltern uns besuchen wollen? Als hätte ich nicht schon genug um die Ohren. Dumbledore hat angekündigt, im nächsten Schuljahr eine weitere Arithmantikprofessorin einzustellen, weil dieses Schuljahr überdurchschnittlich viele Drittklässler dieses Fach gewählt haben. Offenbar wächst jetzt die Generation heran, die mit Wahrsagen nicht viel am Hut hat und ein Fach braucht, das ihnen angeblich bessere Noten einbringt."
"Soso", lachte Auroras Vater. "Dann meint der alte Herr, daß du überfordert bist. Wen hat er denn im Auge, wenn du von einer Professorin sprichst? Eula Gaus oder die altehrwürdige Madame Vector?"
"Hat er noch nicht erzählt", antwortete seine Frau unwirsch. Aurora zog es vor, dazu nichts zu sagen.
Während des Abendessens unterhielten sie sich über Auroras erste Monate in Hogwarts, die Quidditchspiele und Auroras Klassenkameraden. Mrs. Dawn sagte einmal über Roy Fielding:
"Seine Schwester ist ja bei mir im Unterricht. Die hat sich aufgeladen, ihn davon zu überzeugen, ein guter Zauberer zu werden. Aber offenbar rennt sie gegen eine dicke Mauer an."
"Roy verabscheut die Zauberei. Daß er überhaupt besser im Unterricht zaubert als Dina Murphy liegt nur an den Punkten, die Professor McGonagall und Professor Bitterling ihm abgezogen haben, als er sich hat hängen lassen und seine Schlafsaalkameraden ihm dafür Prügel angedroht haben, wenn er nicht aufpaßt."
"prügel? Ich dachte, in Ravenclaw sei Gewalt was total dummes", wunderte sich Auroras Vater.
"Seine Eltern sind Muggel, Hugo. Der hat mitbekommen, daß er nicht beliebt bei den Slytherins ist und will nun aus Hogwarts raus. Aber bislang fehlt ihm wohl der Mut, was wirklich schlimmes anzustellen. Vielleicht will er auch nicht haben, daß Erica seinetwegen Schwierigkeiten kriegt. Was weiß ich, was in dem Jungen vorgeht", sagte Mrs. Dawn.
"Aber schön, daß du dich mit den Woodlanes angefreundet hast, Tochter", sagte Mr. Dawn. Aurora sagte:
"Petula ist immer so ruhig und gut gelaunt. Priscilla ist sehr hilfsbereit. Sie hat uns schon oft bei schwierigen Hausaufgaben geholfen. Ich bin froh, in Ravenclaw zu sein."
"Ich habe gehört, daß du mit Delila Rattlers Schwester in einer stillen Feindschaft liegst, Aurora. Als Lehrerin darf ich mich da nur einmischen, wenn es bösartige Auswüchse annimmt. Aber als Mutter möchte ich schon wissen, was da genau läuft."
"Diese Tonya ist kein Mädchen, Mum. Die meint, sich schlimmer benehmen zu müssen, als der schlimmste Lausbube. Außerdem bildet die sich was auf ihre Familie ein. Vielleicht kungeln die mit Du-weißt-schon-wem", gab Aurora gehässig zur Antwort.
"Ich hörte nur davon, daß sie wohl einigen älteren Schülern aus ihrem Haus, die in meinem Unterricht sind, schöne Augen gemacht hat. Offenbar legt sie es auf eine frühe Beziehung an."
"Dieses Mädchen kann mich mal", sagte Aurora. "Die macht immer nur dumme Bemerkungen über Roy oder Bruster, weil die mindestens einen Muggel als Elternteil haben und hält denen vor, daß sie in Hogwarts nichts verloren haben. Dann hetzt sie gegen Dina und Mortimer, weil die in Zaubertränken besser sind als sie und droht immer wieder damit, wen zu verfluchen. Das Biest gehört doch bestraft."
"Wenn die wirklich mit dem Unnennbaren zu schaffen hat, ist sie schon gestraft genug, Tochter", sprach Regina Dawn auf ihre erzürnte Tochter ein. "Der dunkle Lord achtet sehr streng darauf, daß seine Getreuen mehr Angst vor ihm haben, als die übrige Zaubererwelt. Der weiß genau, daß sie ihn stürzen werden, wenn er sich eine Blöße gibt. Vielleicht ist das, was Tonya Rattler tut, ja nur ein Ausdruck von Angst."
"Dann soll sie andere in Ruhe lassen, wenn sie selbst zu viel Angst hat", knurrte Aurora verbittert. Ihre Mutter nickte. Dann meinte sie:
"Aber jetzt haben wir beide Ferien, Aurora. Reden wir nicht mehr so viel von der Schule!" Dies fand Auroras sofortige Zustimmung.
Die Weihnachtstage verflogen wie ein einziger Tag. Aurora besuchte mit ihren Eltern die Priestleys, also Tante June, Onkel Anthony und deren Kinder Philipp, der nur zwei Jahre jünger als Aurora war, Agatha, die nach den nächsten Sommerferien in die Grundschule für magisch begabte Kinder in Cambridge, wo die Priestleys wohnten kommen würde und die nur zwei Jahre alte Arcadia, die gerade erst aus den Windeln herauswar. Dann kamen ja noch ihres Vaters Eltern zu besuch und ließen sich von Aurora erzählen, was es in Hogwarts neues gab. Sie bekam neue Kleider, Armbänder und Bücher über nichtmagische Zierpflanzen geschenkt. Von ihren Eltern bekam sie eine Waldohreule, die sie auf den Namen Ducky für Duchess taufte, weil sie so vornehm und erhaben flog, wie eine englische Herzogin.
Als dann an einem verschneiten Morgen die Schüler von Hogwarts wieder in den Zug stiegen, stellte Aurora fest, daß viele der neuen Schüler eigene Haustiere bekommen hatten. Sie sah Katzen in verschiedenen Farben, Eulen verschiedener Arten und sogar Frösche und Kröten. Petula Woodlane stellte Aurora ihre weiße Angorakatze Schneeflöckchen vor, ein wohl gerade sechs Monate altes Tier, das noch sehr verspielt sein mochte.
"Wenn man nicht aufpaßt, zieht sie einem die Senkel aus den Schuhen raus", warnte Petula mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht, während sie das kleine weiße Fellbündel auf ihrem Schoß streichelte, ihm dabei ein wohliges Schnurren entlockend.
"Ich wollte ja eine Eule haben", sagte Dina. "Aber Mum und Dad meinten, daß ich das nicht bräuchte, da sie selbst ja zwei Eulen haben."
"Soso", warf Aurora ein.
"Mein Vater ist froh, daß ich nun eine eigene Eule habe und nicht immer auf seine Postvögel zurückgreifen muß", sagte sie noch.
"Hoffentlich bekommt Schneeflöckchen keinen Krach mit Ericas Katze Spitzohr", wandte Dina Murphy ein. Sie erinnerte sich, daß Roys Schwester vor Weihnachten eine große grau-weiß getigerte Katze mit spitzen Ohren bekommen hatte, weil eine Klassenkameradin aus Hufflepuff dasselbe Tier bekommen hatte. Aurora vermutete, daß es Schwestern aus dem selben Wurf sein mußten und Erica und ihre Klassenkameradin aus Hufflepuff damit wohl ihre Freundschaft bekunden wollten. Roy hatte dazu nur gesagt, daß Muggelmädchen stolz wären, wenn sie echte Pferde aus derselben Familie zusammen reiten könnten, was Erica gegen ihn aufgebracht hatte.
In Hogwarts angekommen ging es nach dem Abendessen wieder in die Schlafsäle. Dort schwatzten die Mädchen der ersten Klasse noch miteinander, bis irgendwann um Mitternacht Amalia Hopfkirch in den Schlafraum kam und befahl:
"Schluß mit dem Getuschel, die Damen! Morgen ist wieder Unterricht. Ihr braucht euren Schlaf und ... Hallo, was soll das?"
Schneeflöckchen hatte sich heimlich am Saum des Morgenrocks von Amalia festgekrallt und zog nun daran. Sie bückte sich und wollte das noch nicht ganz ausgewachsene Kätzchen von ihrer Kleidung lösen. Doch Schneeflöckchen biß ihr kurz mit ihren spitzen Zähnchen in einen Finger, was Amalia aufschreien ließ.
"Petula, bring deiner Katze Manieren bei!" Schimpfte sie und warf das Tier verärgert von sich. Schneeflöckchen flüchtete sich zu ihrer Herrin und ließ sich von ihr trösten. Petula Woodlane sah Amalia erzürnt an und meinte:
"Man, die ist noch jung. Die wollte nur spielen, Amalia. Du kannst die doch nicht einfach so wegwerfen."
"Das hast du gesehen, wie ich das kann, Petula. Und jetzt ist Ruhe hier!" Schnarrte die Vertrauensschülerin und schlug die Schlafraumtür von außen zu.
"Die ist vielleicht drauf", bemerkte Miriam Swann, die sich das ganze von ihrem Bett aus angesehen hatte.
"Die hat Liebeskummer", flötete Dina Murphy. "Habt ihr nicht gesehen, wie sie Darius Cale angeglotzt hat, weil der sich mit Isadora Meadows so gut unterhalten hat."
"Ach, dann läuft da was?" Fragte Miriam Swann neugierig. Aurora sagte nur:
"Darius geht doch schon nicht mehr mit Isadora, sagt Cynthia. Die hat sich doch auf Erny Prang eingeschossen."
"Der ist doch in der siebten Klasse", wandte Petula flüsternd ein. Aurora grinste nur und flüsterte zurück:
"Das ist doch kein Hindernis."
Die Mädchen kicherten darüber. Doch dann fanden sie die Ruhe, die sie brauchten, um für den nächsten Tag genug Schlaf zu bekommen.
Nächste Story | Verzeichnis aller Stories | Zur Harry-Potter-Seite | Zu meinen Hobbies | Zurück zur Startseite
Seit ihrem Start am 1. Mai 2003 besuchten 7847 Internetnutzer diese Seite.