Das Hexenmädchen Aurora Dawn freut sich, als es den Brief erhält, der ihr verkündet, daß sie nun in Hogwarts, der englischen Zauberschule, angenommen wurde. Doch die Machenschaften des bösen Magiers Voldemort und seiner Leute werfen einen dunklen Schatten über die Welt der Zauberer und Hexen. Dies spürt Aurora Dawn, als sie mit ihren Eltern für die Schule einkauft, als eine Bande Voldemorts einen Jungen überfällt, der keine Zauberer als Eltern hat. Diesen Jungen sieht sie dann in Hogwarts wieder. Denn wie sie, Aurora, wird er, Roy Fielding, wie zuvor seine Schwester Erica, dem Schulhaus Ravenclaw zugeteilt. Außerdem kommen noch die Cousins Mortimer und Bruster, sowie die Mädchen Petula, Miriam und Dina als neue Schüler nach Ravenclaw.
Aurora versteht sich nicht gut mit der Jahrgangsgleichen Tonya Rattler, die in Slytherin, einem für böse Zauberer und Hexen berüchtigtem Schulhaus, unterkam. Überhaupt tyrannisieren die Slytherins alle Schüler, die wie Roy keine reinblütigen Zaubererkinder sind.
Aurora Dawn empfiehlt sich als Nachwuchsspielerin der Ravenclaw-Quidditch-Mannschaft und trainiert mit den Spielern der Stammauswahl. Derweil gibt es häufige Keilereien zwischen Roy, Bruster, dessen Vater selbst kein Zauberer ist und den Slytherins. Einmal gerät Aurora Dawn in eine solche Streiterei und muß lernen, daß ihr Wegschauen nichts bringt. Das sagen ihr auch einige Verwandte, daß man sich nicht alles gefallen lassen soll.
Dina Murphy, die Klassenkameradin Auroras, hat Probleme mit ihrem Zauberstab. Alles was sie damit anstellt, mißlingt fürchterlich. Ihr Hauslehrer weist sie an, sich für das nächste Schuljahr einen neuen, auf ihre Eigenarten abgestimmten Zauberstab zu beschaffen.
Auroras Lieblingsfächer sind Zauberkräuter und Zaubertränke, wo sie am Jahresende die Bestnoten ihrer Klasse und in Zauberkräuter sogar die Bestnote ihres Jahrgangs erreicht. Sie fährt erleichtert, das erste Jahr gut überstanden zu haben, in die Sommerferien. Doch die dunkle Drohung, vom machtbesessenen Voldemort und seinen Handlangern angegriffen zu werden, hängt über allen anständigen Zauberern und Hexen.
"Ah, Schottland hat mit 200 Punkten Vorsprung gewonnen!" Frohlockte Hugo Dawn, ein schwarzhaariger Mann mit graugrünen Augen. Er legte den Tagespropheten mit der Titelseite aufgeschlagen auf den Tisch. Eine schwarz-weiße Fotografie zeigte sieben Männer in gemusterten Röcken mit merkwürdigen Hüten auf den Köpfen, die über ihren Schultern schlanke Besenstiele trugen. Ein Mann hielt einen winzigen Ball mit Flügeln in der nervigen Faust und lächelte. Als die abgelichteten Männer bemerkten, daß man sie ansah, winkten sie und strahlten aus ihrem Foto heraus.
"Die waren aber schnell mit dem Endspielergebnis", staunte Aurora Dawn, Hugos zwölfjährige Tochter, die das Haar und die Augen von ihm geerbt hatte. Vater und Tochter unterhielten sich über den Ausgang der Quidditch-Weltmeisterschaft, die diesen Sommer im Hochland von Peru bei einem vergessenen Tempel der Inka stattgefunden hatte. Angus McFustys Truppe hatte die Ehre Großbritanniens gerade noch so gegen die deutschen Haudegen aus Schwarzwald und Harz verteidigt. Er war der Sucher und somit wichtigste Spieler der schottischen Quidditch-Nationalmannschaft.
Regina Dawn, Hugos Ehefrau, kam aus dem Badezimmr in die Küche und sah das Foto in der Zeitung, dem Tagespropheten.
"Oh! Keinen Tag nach dem Endspiel", bemerkte sie bewundernd. "Hat der Drachenhüter also doch noch den Schnatz gefangen."
"Die Deutschen waren ziemlich gut, Regie", wandte Hugo ein. Dann las er seiner Frau und seiner Tochter vor, wie genau das Spiel verlaufen war. Anschließend blätterte er auf Seite sieben. Dort stand in einem kleinen schwarzen Rahmen:
"Heute nacht wurde Egon Brocklehurst eine Meile vor seinem Haus tot aufgefunden. Muggelpolizisten fanden ihn auf einer der geteerten Straßen. Es sieht so aus, als sei er von einem dieser Muggelwagen, sogenannten Autos, überfahren und dabei getötet worden. Die Abteilung für muggeltaugliche Entschuldigungen und die Abteilung für magische Strafverfolgung untersuchen den Vorfall."
"Verdammt!" Knurrte Hugo Dawn, dessen erheiterte Miene einem Ausdruck tiefster Betroffenheit gewichen war. "Ist Egon doch noch von ihm erwischt worden."
"Du meinst - Du-weißt-schon-wer?" Fragte Aurora sehr verängstigt.
"Mädchen, diese Stinkewagen aus Blech, mit denen die Muggel rumfahren sind aus großer Entfernung zu hören. Kein vernünftiger Zauberer läßt sich von sowas überfahren", fuhr Hugo Dawn seine Tochter an, die zurückwich, als habe er ihr ins Gesicht geschlagen. Regina Dawn schüttelte den Kopf und meinte:
"Hugo, nicht in diesem Ton! Das Kind kann doch nichts für Egons Tod."
"Ja, Regie, ist schon klar", grummelte Hugo Dawn und sah seine Tochter abbittend an. Sie nickte ihm zu, schwieg jedoch.
"Egon hing doch mit den Leuten um Moody zusammen. Weißt du noch, wie er uns bei der Hochzeit von Horatio erzählt hat, er habe was, um die Handlanger von Du-weißt-schon-wem auszuheben? Offenbar haben die nicht lange gezögert, ihn umzubringen."
Regina Dawn erinnerte sich. Sie waren Ende Juli auf der Hochzeit von Horatio Brocklehurst mit Thalassa Carstairs gewesen. Horatios Onkel Egon, der mit den Dawns in Hogwarts zusammen im Haus Ravenclaw gewohnt hatte, arbeitete mit der Strafverfolgungsabteilung des Zaubereiministeriums zusammen. Tja, und nun war Egon offenbar bei einem Unfall mit einem Auto der Muggel umgekommen. Sie glaubte auch nicht, daß das ein schlichter Unfall war.
"Ich hoffe, Horatio und seine Frau sind schnell in Deckung gegangen", sprach Auroras Mutter eine Hoffnung aus. Aurora nickte nur. Sie wußte, daß Leute, die gegen den bösen Zauberer kämpften, den anständige Hexen und Zauberer nicht bei seinem Namen zu nennen wagten, nie alleine starben, wenn er beschlossen hatte, sie umzubringen. Meistens brachte der böse Hexenmeister gleich die ganze Familie mit um, um noch mehr Angst vor ihm zu schüren. Doch Aurora hatte im vergangenen Jahr gelernt, daß sich ducken nicht viel half. In Hogwarts, wo sie in zwei Wochen die zweite Klasse anfangen würde, liefen Kinder von Leuten rum, die mit dem Unnennbaren hielten. Sie hatte es deutlich erfahren, daß Mitschüler, die nicht aus reinblütigen Zaubererfamilien stammten, von diesen Typen gepiesackt, ja sogar brutal angegriffen wurden. Offenbar fühlten die sich als Herren von Hogwarts. Nur dem Schulleiter, Albus Dumbledore, sowie der Hausvorsteherin dieser Rüpel war es zu verdanken, daß die Übergriffe nicht noch blutigere Ausmaße angenommen hatten. Jedenfalls wußte Aurora, daß sie selbst auch von solchen gehässigen Schulkameraden bedroht wurde, ob sie sich nun vor ihnen duckte oder aufrecht zwischen ihnen herumging. Besonders Tonya Rattler, ein klobiges Mädchen, das in Slytherin untergekommen war, nutzte sich bietende Gelegenheiten, um auf Roy Fielding und Bruster Wiffle, zwei sogenannten Muggelstämmigen, herumzuhacken.
"Warum tut dieser Crouch nichts gegen diese Bande? Immerhin hat er das Aurorencorps um das dreifache erweitert", wandte Hugo Dawn ein.
"Sie können doch nicht einfach Leute verhaften, nur weil denen ihre Nase nicht paßt, Hugo. Es ist schon schlimm genug, daß Crouch die Gewaltbeschränkungen aufgehoben hat. Fehlt nur noch, daß er seinen Leuten den Einsatz der unverzeihlichen Flüche gestattet", erwiderte Regina Dawn. Aurora fragte, was damit gemeint sei. Doch ihre Eltern schüttelten die Köpfe und wiesen sie darauf hin, daß sie das noch früh genug lernen würde.
Durch den brennenden Kamin sprach Hugo Dawn mit Freunden und Kollegen über den angeblichen Unfall von Egon Brocklehurst. Er erfuhr, daß die Familie bereits vor einem Tag mit unbekanntem Ziel abgereist war. Im Moment hatten sie ja auch keine schulpflichtigen Kinder.
"Ich hoffe, der Tod von Egon reicht denen aus", sagte Auroras Vater noch zu einem Bekannten in Cardiff, bevor er seinen Kopf wieder aus den Flammen zog.
"Jedenfalls müssen wir weiter aufpassen", wandte Regina Dawn ein. "Die werden langsam übergrößenwahnsinnig."
"Hoffentlich passiert Bruster und Roy nichts, wenn die in die Winkelgasse gehen", seufzte Aurora. Ihre Mutter nickte nur, sagte jedoch nichts dazu.
"Wenn du wieder in Hogwarts bist, Kind, hast du erst einmal Ruhe vor denen", sagte Hugo Dawn. Seine Tochter war da wohl nicht so von überzeugt. Sie erwiderte:
"Ja, aber ihr und Tante June und Oma Regan und alle anderen habt dann immer noch Probleme."
"Kind, unser Leben muß weitergehen. Wir können uns nicht andauernd vor diesen Leuten verstecken und nichts mehr arbeiten oder nicht mehr feiern und uns treffen", belehrte Mrs. Dawn ihre Tochter. Aurora nickte schwerfällig und sah ihre Eltern besorgt an.
Die letzten Wochen der Sommerferien vergingen mit Ausflügen nach Wales und Schottland. Hugo Dawn trainierte mit seiner Tochter Quidditch, da diese im nächsten Schuljahr wohl als Stammspielerin in der Hausmannschaft der Ravenclaws mitspielen würde. Außerdem zeigte er seiner Familie, welche Fortschritte er mit wilden Greifvögeln gemacht hatte. Denn sein Beruf war die Erforschung und Ausbildung wilder Vögel zur besseren Beobachtung und Nachrichtenverbreitung. Aurora bekam auch viele Briefe ihrer Schulfreundinnen Petula Woodlane und Miriam Swann. Da Petula im August Geburtstag hatte, jedoch mit ihrer Familie auf einer Urlaubsreise war, schickte Aurora Dawn ihr ein Päckchen mit einem Musikbuch aus der Muggelwelt "Die größten Rockklassiker für akustische Gitarre". Sie hoffte, daß die Eule Petula finden würde. Jedenfalls dachte sie, daß sie vor der Abfahrt nach Hogwarts noch was von Petula hören würde.
Am vorletzten Ferientag reisten die Dawns in die Winkelgasse, eine Straße, die nur von Hexen und Zauberern gefunden werden konnte. Als sie im tropfenden Kessel, einem heruntergekommen wirkenden Pub eintrafen, herrschte dort eine sehr düstere Stimmung. Zum einen saßen dort mindestens zwanzig ernst dreinblickende Zauberer mit griffbereiten Zauberstäben, als warteten sie auf einen Angriff. Zum Anderen lag ein bleischweres Schweigen über dem Schankraum. Das Knistern des Kaminfeuers und das Klappern des Geschirrs in der Küche war wie ohrenbetäubender Lärm. Irgendwie hatten die Dawns den Eindruck, hier würde gleich etwas schlimmes passieren. Hugo Dawn sah sich um, ob er einen der hier wartenden Zauberer erkannte, den er ansprechen konnte. Als er dann auf einen hochgewachsenen Herrn mit fuchsrotem Haarschopf und Kinnbart zuging, entspannte sich Regina Dawns Miene merklich. Aurora, die noch vor dem Kamin stand, durch den sie eben noch hereingekommen war, starrte bang auf die Versammlung. Sie sah weder Frauen noch Kinder im Schankraum. Tom, der glatzköpfige Wirt, schlurfte gerade aus der Küche heran. Vor ihm her schwebte ein Tablett mit großen Gläsern mit rauchendem Inhalt. Er sah die Neuankömmlinge und nickte ihnen zu, wobei er seinen Zauberstab jedoch gerade hielt, mit dem er das Tablett in der Schwebe hielt.
"Hallo, Pat, was macht denn das Elitekorps hier?" Fragte Hugo Dawn locker klingend. Der angesprochene Zauberer konnte ein Lächeln nicht ganz unterdrücken. Dann stand er auf, wobei er seinen Zauberstab vom Tisch nahm und griffbereit in seinen Drachenhautgürtel schob, der seinen Umhang um der Hüfte zusammenhielt.
"Die Leute von ihm haben vor zwei Stunden den tropfenden Kessel überfallen und wollten sich hier breitmachen. Weil wir in der Winkelgasse mehrere Posten haben, wollten die alle hier abfangen, die ihrer Meinung nach nicht hergehörten. Crouch hat uns dann herbeordert. Offenbar haben die doch noch Gamaschen. Als wir hier einrückten haben die sich kampflos zurückgezogen."
"Nun, Pat, du weißt ja, daß seine schmutzigen Gesellen den Laden hier nicht niederbrennen können, weil dann auch ihre Kinder nicht mehr in die Winkelgasse können", knurrte ein anderer Zauberer, ein Mann mit grauem Haar und kleinen dunklen Augen.
"Wollt ihr einkaufen?" Fragte der fuchsrote Zauberer. Hugo Dawn nickte. Der alte Tom stellte die Gläser vom Tablett auf die Tische vor die wartenden. Regina Dawn rümpfte die Nase. Einer der Anwesenden, ein kleiner quirliger Zauberer mit schwarzer Igelfrisur grinste sie an.
"Das brauchen wir, um warm zu bleiben, Mrs. Dawn."
Durch die Tür kamen sieben weitere Leute herein, zwei Zauberer in Umhängen, eine Frau in gewöhnlicher Straßenkleidung, ein blondes Mädchen mit einem Jungen, der eindeutig ihr Bruder war, ein weizenblonder Junge von zwölf Jahren und ein Mädchen, das gerade ein Jahr jünger als er sein mochte, aber dieselbe weizenblonde Haarfarbe und dieselbe Himmelfahrtsnase besaß wie der Junge. Dieser sah Aurora Dawn und lief auf sie zu.
"Hi, Aurora! Ich dachte, ihr wäret schon gestern hier durchgerauscht", begrüßte er sie. Diese strahlte ihn an.
"Hallo, Bruster. Wir sind heute gekommen, weil wir erst gestern von einem längeren Ausflug zurückkamen. Das da ist deine Schwester Doris?" Erwiderte Aurora und deutete kurz auf das jüngere Mädchen, das vom Gesicht und Haar so ähnlich wie Bruster aussah. Bruster Wiffle, Auroras Klassenkamerad und Sohn einer Hexe und eines Muggels, nickte und sagte:
"Yep! Das ist Doris. Sie hat vor zwei Wochen den Brief gekriegt. Mum ist hin und weg. Wir wollten ja vorgestern schon herkommen, aber Mum hat gemeint, daß wir uns besser voranmelden sollten, wenn der, den man nicht beim Namen nennen darf, wieder was ausgeheckt hätte. Deshalb sind die Beiden da auch mit." Er deutete auf die beiden Zauberer, die die hier wartenden Zauberer ansahen und ihnen kurz zunickten. Dann wandte sich Aurora dem anderen Jungen zu, Roy Fielding, einem reinrassig muggelstämmigen Klassenkameraden. Aurora ging auf ihn zu und begrüßte ihn.
"Was machen die denn hier? Warten die auf diesen Gangster?" Flüsterte Roy Fielding unbehagt. Aurora Dawn nickte.
"Das ist wohl die Elitetruppe der Auroren, Roy. Die Leute von Du-weißt-schon-wem sind hier wohl vor einiger Zeit reingestürmt und wollten wohl alle rauswerfen, die ihnen nicht paßten. Deshalb sind die jetzt hier."
"Mistbande!" Knurrte Roy. Aurora hatte ihn im letzten Schuljahr als leicht reizbar und schnell zu Raufereien bereiten Jungen kennengelernt. Er hatte sich jedoch nicht von den Slytherins einschüchtern lassen, ebenso wie Bruster. Man hätte sogar annehmen können, daß Roy und Bruster dicke Freunde seien. Doch etwas stand dem im Weg.
"Na was sagst du denn zu dem Match letzte Woche, Roy. Glaubst du, das die roten Trantüten dieses Jahr Meister werden?" Fragte Bruster. Die Hexe in normaler Straßenkleidung herrschte ihn an, damit aufzuhören. Roy nahm jedoch die Herausforderung an und erwiderte:
"Du glaubst doch wohl nicht, daß deine blauen Mülltüten dieses Jahr das Rennen machen, Bruster. Aber klar, das mußt du ja glauben. Ihr atmet diesen Irrsinn ja mit der Luft ein."
"Roy, lass es!" Zischte das ältere Mädchen, seine Schwester Erica. Die Frau bei Bruster wandte sich Roy zu und sagte:
"Junge, Roy heißt du doch, das wüßte ich, daß ich meinem Sohn beibrächte, sich für diesen langweiligen Laufsport zu begeistern. Das haben sein Vater und seine Brüder ihm eingetrichtert."
"Kommen noch welche von den anderen Muggelstämmigen?" Fragte Hugo Dawn. Der Zauberer namens Pat schüttelte den Kopf.
"Zum Glück sind die meisten von denen schon vor drei Tagen in der Winkelgasse gewesen. Ich fürchte, wir müssen einen Einkaufsdienst einrichten, wenn die Bande weiter so dreinschlägt."
"Die werden es nicht noch einmal so schnell wagen, hier reinzukommen, Pat", knurrte der grauhaarige Zauberer.
"Joh, dann machen wir mal, daß wir unsere Sachen erledigt kriegen", schlug Mrs. Dawn vor. Der Vorschlag wurde von allen begeistert angenommen.
Wie der tropfende Kessel war auch die Winkelgasse von einer bleischweren Stille erfüllt. Zwar liefen und saßen hier viele Hexen und Zauberer herum. Doch jeder schien zu lauschen, ob nicht von irgendwoher Gefahr drohte. Der Zauberer, der von Mr. Dawn Pat genannt wurde, begleitete die Familien und seine beiden Kollegen, die als Sonderleibwache für die Fielding-Geschwister eingesetzt waren. Aurora erfuhr, daß der Zauberer zwei Jahre über ihrem Vater in Hogwarts war und Jäger bei den Gryffindors gewesen war. Sein Voller Name war Patrokles George Balder. Dessen Schwägerin Liberty arbeitete in der Liga gegen die dunklen Künste in der Erforschung düsterer Kreaturen.
Nach dem Einkauf bei Flourish & Blotts und in der Apotheke kehrten sie in den tropfenden Kessel zurück, wo sie noch einen Nachmittagstee tranken, bevor die Dawns mit Flohpulver wieder abreisten. Aurora wünschte ihren Klassenkameraden noch ein schönes Ferienende, bevor sie in einer smaragdgrünen Feuerwand stand und den Namen ihres Elternhauses ausrief.
"Ist schon schlimm, daß die Auroren jetzt auch schon im tropfenden Kessel sitzen müssen", sagte Hugo Dawn nach der Ankunft. "Wo soll das noch hinführen. Ich dachte, die ließen die Winkelgasse in Ruhe, seitdem die letztes Jahr da erwischt wurden."
"Du-weißt-schon-wer will das nicht hinnehmen, daß schon wieder Muggelstämmige nach Hogwarts kommen. Er will die doch davon fernhalten, Hugo. Wenn er es schafft, daß kein Muggelstämmiger mehr nach Hogwarts kommt, ist er erst befriedigt", bemerkte Mrs. Dawn verbittert. Ihr Mann nickte schwerfällig.
"Ja, aber wie sollen die neuen Schüler denn bitte schön lernen, wie sie in der Winkelgasse einkaufen können, wenn die von Pat und Alastor bei der Hand genommen werden müssen? Das sieht ja dann so aus, als wären die die Verbrecher und nicht die Todesser", widersprach Hugo Dawn. Seine Frau nickte zwar, wandte jedoch ein:
"Darauf läuft das doch hinaus, daß der Unnennbare will, daß alle Muggelstämmigen wie Käfigtiere herumgeführt werden müssen. Wenn es nicht anders geht, muß das eben so gehen, Hugo."
"Leider", fügte Mr. Dawn noch hinzu.
Auf dem Bahnhof Kings' Cross herrschte dasselbe Gewusel wie vor einem Jahr. Die meisten Leute hier waren eh Muggel und wußten nichts von dem, was in der Zaubererwelt passierte. Aurora, die in ungewohnter Muggelmädchenkleidung herumlief, sah immer wieder umher, ob nicht doch von irgendwoher ein vermummter Zauberer mit kampfbereitem Zauberstab hervorspringen mochte. Sie ärgerte sich, daß sie diese Angst hatte. Sie fuhr nach Hogwarts, wollte dort ein weiteres Schuljahr verbringen, neue Zauber lernen und Quidditch spielen. Diese Todesser sollten ihr das nicht kaputtmachen!
Bis jetzt alles so wie immer", raunte Hugo Dawn, der den Gepäckwagen mit dem großen Schrankkoffer schob. Seine Frau Regina lief mit an den Körper gedrückter Handtasche voran. Denn neben den bösen Zauberern konnten ja auch Taschendiebe aus der Muggelwelt zuschlagen. Auroras Oma Regan war tatsächlich einmal die Handtasche gestohlen worden, als sie vor fünf Jahren eine Freundin mit ihren Enkelkindern zum Zug begleiten wollte. Zum Glück war in der Tasche nichts aus der Zaubererwelt dringewesen. Das Papiergeld, was sie mitgehabt hatte, war ihr vollkommen egal gewesen. Regina Dawn jedoch wollte sich nicht von irgendwelchen Muggeln bestehlen lassen.
Auf dem Bahnsteig 9 drängten sich die Leute. Wer davon Muggel und wer davon Zauberer war, konnte man nicht sofort erkennen. Aurora sah sich um, ob sie bekannte Gesichter ausmachen konnte. Tatsächlich konnte sie ein Mädchen in rosarotem Kleid sehen, das etwas angespannt auf den Strom der vorbeihastenden Leute starrte. Sie besaß blondes Haar und rehbraune Augen. Als sich ihr Blick mit dem Auroras traf lächelte sie.
"So, du kannst, Kind", sagte Regina Dawn zu ihrer Tochter. Aurora blickte kurz nach links und rechts und lief dann im leichten Trab los, genau auf die Barriere zwischen den Gleisen neun und zehn zu. Sie schloß die Augen, bevor sie gegen die Barriere prallen konnte ... und verschwand vom Bahnsteig neun. Als sie die Augen wieder öffnete, ragte vor ihr eine scharlachrote Dampflokomotive empor, aus deren Schornstein bereits weiße Wölkchen quollen. Keinen Moment später hörte sie ihren Namen rufen. Sie wandte sich um und sah das Mädchen im rosaroten Kleid wieder, diesmal sichtlich erfreut winkend. Sie ging hinüber und rief:
"Hi, Petula! Da haben wir uns ja schnell gefunden. Wo ist Priscilla?"
"Die ist schon mit Erica und Bruster durch und sucht für Bruster einen Platz. Danke noch mal für dein Geburtstagsgeschenk!"
"Aber gerne doch, Petula. Ich hoffe, das Buch gefällt dir."
"Aber sicher, Aurora. Ich wußte gar nicht, daß die Rockmusik der Muggel auch auf normalen Gitarren gut nachgespielt werden kann", sagte Petula.
"Petula, wollt ihr rüberkommen?!" Fragte ein Mädchen, das sich aus dem Fenster eines Wagons lehnte. Petula rief zurück:
"Joh, Priscilla!"
Aurora wartete, bis ihre Eltern ihren Koffer herübergebracht hatten. Dann gingen sie und Petula Woodlane hinüber zu Priscilla, die ihnen beim Gepäck half. Erica Fielding stand noch im Abteil und sagte:
"Ich habe Roy zu Bruster, Mortimer und Bernhard gesetzt. Doris Wiffle ist hier. Am besten bleibt ihr hier."
"Okay, Erica", sagte Aurora. Priscilla ging mit ihrer Klassenkameradin hinaus. Cynthia Flowers und Melinda Bunton, Jahrgangskameradinnen aus Hufflepuff, sowie Isis Waverly aus Gryffindor kamen noch zu Aurora, Petula und Doris. Dann war das Abteil voll.
Die Fahrt mit dem Hogwarts-Express verlief nach den Unruhen in der letzten Zeit sehr ruhig. Zwischendurch hörten sie zwar Gelächter aus Abteilen herüberschallen, das gehässig klang und todsicher von Slytherins stammte. Doch sie selbst konnten unbehelligt miteinander sprechen. Isis erzählte wie sie mit ihrer Tante, bei der sie seit dem gewaltsamen Tod ihrer Eltern lebte, zu Verwandten nach Texas gereist war. Drüben in den Staaten wunderte man sich darüber, daß das englische Zaubereiministerium noch keine drastischen Maßnahmen gegen den dunklen Magier ergriffen hatte, dessen Namen niemand zu nennen wagte. Petula lachte verächtlich.
"Nur weil der drüben noch keine Spießgesellen hat bilden die sich ein, unsere Probleme lösen zu können", sagte sie. "Fehlt nur noch, daß die Hilfstruppen rüberschicken, die uns mit Hurrageschrei helfen."
"Petula, ich denke, wenn die Todesser so weitermachen passiert das irgendwann", sprach Aurora Dawn mit verhaltener Stimme.
"Die wissen doch überhaupt nicht wie stark Du-weißt-schon-wer ist", unkte Isis Waverly.
"Das denke ich aber schon", sagte Melinda Bunton. Sie war rundlich und strahlte irgendwie Frohsinn und Gemütlichkeit aus. Sie konnte so leicht nichts erschüttern. Ihre Freundin und Klassenkameradin Cynthia nickte. Sie sagte dann noch, daß es in den Staaten bereits Gruppen gebe, die sehr gründlich gegen schwarze Magier kämpften. Aurora Dawn hatte auch schon davon gehört und nickte nur.
Die Gespräche drehten sich bald um angenehmere Dinge wie die Quidditchliga, die Musik der Zaubererwelt und die Arbeit, die Auroras Vater ausübte. Doris Wiffle fragte die ein jahr älteren Mädchen, was sie in Hogwarts so zu beachten hätte. Als sie gefragt wurde, wo sie am liebsten hinkommen würde sagte sie:
"Ich möchte entweder nach Hufflepuff oder Gryffindor. In Ravenclaw wohnen ja nur die Oberklugen, hat Bruster erzählt." Die übrigen Mädchen lachten darüber. Dann sagte Petula ihr, daß Aurora und sie in Ravenclaw wohnten und gerade Bruster wohl nicht wegen übermäßiger Überklugheit dort hingekommen sein konnte.
Die kugelrunde Hexe mit dem Imbißwagen kam um die Mittagszeit an den Abteilen vorbei und verkaufte Süßigkeiten und Kürbissaft. Das Wetter draußen wurde trübe und regnerisch. Die Landschaft verwilderte von Kilometer zu Kilometer. Stampfend und schnaubend zog die rote Lok den Zug hinauf nach Norden. Schwatzende, lachende und tuschelnde Schüler aus sieben Klassen lärmten in den Wagons. Als dann der Abend hereinbrach, verzögerte der Express seine Fahrt und ratterte in einen kleinen Bahnhof hinein.
"Bitte Lassen Sie ihr Gepäck im Zug! Es wird für Sie zur Schule gebracht", klang eine Ansage wie aus unsichtbaren Lautsprechern durch den Zug.
In ihren schwarzen Hogwarts-Umhängen standen die Jungen und Mädchen von elf bis siebzehn Jahren auf dem Gang. Aurora Dawn sah mit gewissem Unwillen zwei breite und kantige Rücken, über denen blondes Haar wehte. Das waren Delila Rattler und ihre jüngere Schwester Tonya, zwei Mädchen aus Slytherin. Tonya schwatzte gerade mit einem knochendürren Jungen, der ihr förmlich an den Lippen hing.
"Das Skelett ist ja um zwei Zoll gewachsen", kam von hinten ein gehässiger Kommentar. Aurora drehte sich um und sah Roy Fielding zusammen mit Bruster Wiffle und dessen Cousin Mortimer, einem reinblütigen Zauberer. Aurora verstand. Er meinte den Jungen neben Tonya, Samiel Sharkey. Zum Glück für Roy hörte außer Aurora keiner das. Bruster sah nach seiner jüngeren Schwester.
"Haben die Mädels dich gut unterhalten, Doris?" Fragte er. Sie grinste und meinte:
"Die haben mir erzählt, daß in Ravenclaw nicht nur Oberkluge wohnen, weil du sonst nicht dahin gekommen wärest. Bruster blickte verstimmt Aurora und Petula an. Dann sah er wieder nach vorne, die Rattlers belauernd.
"Macht Platz da!" Zischte jemand von hinten. Aurora warf sich herum, daß ihr langes Haar hochgewirbelt wurde. Ein hakennasiger Junge so um die Siebzehn kam durch den Gang und drängelte ungestüm alles zur seite.
"Eh, Schniefelus, du mußt nicht als erster raus. Die fahren nicht ab, solange du im Zug bist!" Rief ein schwarzhaariger Bursche, der neben einem anderen schwarzhaarigen Jungen stand, dessen Haar noch länger war.
"Schnauze, Potter!" Fauchte der Hakennasige und drängte Bruster beiseite. Zumindest wollte er das. Doch Bruster blieb wie ein Baum fest an seinem Platz.
"Mr. Snape, sagen Sie bitte bitte, wenn Sie durchmöchten", sagte Bruster mit falscher Höflichkeit.
"Verdrecktes ...", setzte der Hakennasige an, verkniff es sich jedoch, als der Junge, der ihn "Schniefelus" gerufen hatte herankam.
"Willst du gleich fünf Punkte Abzug für Slytherin mitbringen wegen böser Wörter?" Fragte der Junge und deutete auf ein silbernes Abzeichen am Brustteil seines Umhangs.
"Friß es, Potter", schnaubte Snape und schlüpfte schnell an Bruster vorbei, der keinen Millimeter gewichen war. Aurora und Petula ließen den Burschen anstandslos vorbei.
"Soll er doch seiner neuen Flamme seine Aufwartung machen", knurrte Petula, als Schniefelus Snape zu Tonya Rattler hinüberging.
Der Zug hielt an. Die Türen klappten auf, und alle Schüler sprangen munter auf den Bahnsteig hinunter. Draußen regnete es leicht.
"Wie läuft das jetzt ab?" Fragte Doris, die sich umsah, wer wohl noch alles zur ersten Klasse gehörte.
"Da kommt gleich ein böser Riese, packt dich beim Kragen und wirft dich mit den anderen Erstklässlern in einen großen Sack, den er zur Schule hochträgt", gab Bruster eine gehässige Bemerkung von sich. Doris erbleichte. Als dann wirklich eine donnernde Stimme "Erstklässler hier herüber!" rief, sah sie total verängstigt drein.
"Ich will ja nicht in deine Familienangelegenheiten reinquatschen, Bruster. Aber das war jetzt bescheuert von dir", zischte Petula Woodlane. Bruster kicherte nur abfällig darüber.
"Ja, stimmt, war nicht doll", fügte Mortimer Swift hinzu, der sich zu Roy, Bruster und den Mädchen aus seiner Klasse hinzugesellte. Bruster schluckte wohl eine Bemerkung hinunter und schwieg. Sie sahen noch zu, wie Hagrid, eben ein riesenhafter Mann mit struppigem Haar und Bart, die Erstklässler im Schein seiner Laterne versammelte und dann fortführte. Doris Wiffle wurde von einem für elf Jahre ziemlich aufgeschossenen Mädchen am Arm genommen und mitgeführt.
"Da siehst du, was du Dummschwätzer angestellt hast", fauchte Petula Bruster an.
"Wahrscheinlich hat dieser Manchesteraner der auch noch erzählt, die Auswahl würde heftig weh tun."
"Natürlich. Ich habe ihr erzählt, daß eine griesgrämige Hexe alle einmal in die Luft wirft und sie in einem vierfarbigen Kreis landen würden."
"Du magst es nicht, daß deine Schwester hier ist, oder?" Fragte Aurora Dawn. Bruster schüttelte den Kopf.
"Doch sicher, Aurora. Ich wollte ihr nur Enttäuschungen ersparen, weil Mum immer von geheimnisvollen Auswahlsachen redet.
"Ihr da vorne, es wird Zeit!" Sagte der Junge mit dem silbernen Abzeichen. Ein Mädchen mit roten Haaren und hellgrünen Augen kam noch hinzu. Sie trug auch ein silbernes Abzeichen auf dem Brustteil ihres Umhangs, in das ein stilisiertes S eingeprägt war.
"Wir bringen euch zu den Wagen", sagte sie mit fester Stimme.
"Joh, Lil, wir sehen uns dann am Tisch", sagte der Junge mit dem schwarzen Struwelhaar, der auch das S-Abzeichen trug. Er zog mit seinen Freunden, dem Langhaarigen, einem Jungen mit braunem Haar und einem dicklichen Jungen mit hellen Haaren ab.Vom Bahnhof aus ging es zu einem großen Platz, auf dem große Fuhrwerke mit Deichseln standen, in die die Schüler ab der zweiten Klasse einstiegen. Vor einem der Wagen stand ein Mädchen mit rotblonden Haaren, die zu einem langen Zopf zusammengebunden waren. Sie winkte Aurora und Petula zu.
"Ach, da seid ihr ja!" Rief sie. "Mum und Dad haben mich hier abgeliefert. Sie sind aber schon wieder zurück nach Hause."
"Hallo, Miriam!" Grüßte Aurora zurück. "Sollen wir mit den Dingern da fahren?"
"Genau, Aurora. Sehen irgendwie merkwürdig aus. Die haben keine Pferde davor und fahren trotzdem."
"Wieso, die haben doch Pferde davor", sagte Isis mit sichtlichem Unbehagen in der Stimme und deutete auf die am nächsten zu sehende Deichsel. Aurora sah noch einmal genau hin, konnte aber kein Pferd, nicht einmal ein Pony sehen.
"Isis, da sind keine Pferde vor", sagte sie entschieden.
"Doch, da sind ganz merkwürdige Pferde vor, ganz schwarz mit Flügeln, klapperdürr", bestand Isis auf dem, was sie gesagt hatte.
"Leute, da ist kein Pferd vor", sagte Petula. Das Mädchen mit dem Abzeichen sagte nur:
"Ihr habt beide recht. Aber das euch jetzt zu erklären wäre zu heftig für einen Augenblick. Ihr könnt ruhig mitfahren. Die Wagen bringen euch nach Hogwarts."
"Dann siehst du die Pferde auch, Lily?" Fragte Isis mit einem Ausdruck größter Erleichterung.
"Ich sehe sie nicht, Isis. Aber ich muß sie auch nicht sehen", erwiderte Lily und klang dabei irgendwie so, als wenn ihr das ganz recht wäre. Sie trieb Aurora, Petula, Isis, Cynthia und Melinda in einen Wagen und besetzte mit Bruster, Mortimer und Roy einen anderen Wagen, in den noch Erica Fielding zusammen mit Priscilla Woodlane einstieg.
"Komisch", bemerkte Aurora, als die Kutsche in der sie saßen losfuhr und sie genau hinhörte. "Ich höre da echt Hufe klappern."
"Sage ich doch, daß da Pferde vorgespannt sind", beharrte Isis auf ihrer Behauptung. "Die sind nur für euch unsichtbar."
"Ach, und für dich sind die nicht unsichtbar, Miss Allsichtig?" Fragte Cynthia Flowers leicht gehässig.
"Eh, Cyn, lass sie in Ruhe. Lily Evans hat ja gesagt, daß Pferde vor der Kutsche sind. Oder möchtest du der Schulsprecherin widersprechen?"
"Mel, wieso soll Isis Pferde sehen, die wir nicht sehen können?" Fragte Cynthia vorwitzig.
"Das sind ja auch keine normalen Pferde", wandte Isis Waverly ein. In ihrer Stimme schwang überdeutliche Beklemmung mit. "Das sind klapperdürre, schwarze Biester mit Flügeln wie von Drachen oder Fledermäusen mit ganz bleichen Augen."
"Oh, dann sind es wohl die Pferde der Totenkutsche, die in Irland herumfährt, wenn die Banshy heulend umherstreicht", spottete Cynthia Flowers. Melinda kniff ihr in die Nase. Aurora Dawn legte ihre Stirn in Falten, während Isis kurz vor einem Weinkrampf stand.
"Was immer das ist. Es zieht uns in die richtige Richtung", sagte Aurora mit beruhigender Stimme. Dann meinte sie noch: "Vielleicht kann die nur wer sehen, der was bestimmtes erlebt hat. Hat diese Lily Evans nicht gesagt, daß sie die auch nicht sehen muß?"
"Hat sie", sagte Petula. Dann wandte Miriam ein:
"Hmm, klang auch so, als wäre sie froh, die nicht sehen zu können. O Mist. Dann sind die wohl nur für Leute zu sehen, die wen haben sterben sehen müssen."
"Jetzt mach aber halt", warf Melinda ein, während Isis offen losweinte. Aurora holte ein Taschentuch hervor und gab es ihr. Dann sagte sie mit ruhiger Stimme:
"Das ist wohl so, Isis. Du kannst die Pferde sehen, oder wie die Biester richtig heißen, weil du das mit deinen Eltern ... Ja, weil du das mitbekommen hast."
Isis Waverly, so wußten die Zweitklässler, wäre fast von Leuten des dunklen Lords Voldemort ermordet worden. Sie hatte mit ansehen müssen, wie ihre Eltern umgebracht wurden. Sie selbst war nur entkommen, weil man sie schon für tot gehalten hatte. Deshalb lebte sie bei ihrer Tante Dora.
"O.K., dann gibt es diese Tiere doch", stimmte Cynthia nun zu und entschuldigte sich bei Isis. Diese schniefte nur, daß das wohl so sein mußte. Aurora Dawn war jedoch neugierig. Sie würde sich wohl demnächst erkundigen, ob es wirklich diese Tiere gab und wie sie hießen.
Die für wohl die meisten unsichtbaren Zugtiere brachten die vielen Kutschen durch ein von geflügelten Ebern aus Stein bewachtes Tor auf das Gelände von Hogwarts hinauf zum Schloßtor. Dort stiegen alle aus und gingen hinein in die riesige Eingangshalle. Bruster hatte seinen Zauberstab bereit. Denn mehr als einmal im letzten Jahr war er ein Opfer von Peeves geworden, dem bösartigen Poltergeist von Hogwarts. Doch das immer auf Missetaten ausgehende Gespenst hielt keine böse Überraschung bereit, als die Schüler ab der zweiten Klasse das Schloß betraten. Schwatzend und Kichernd gingen sie in die große Halle, wo fünf riesige Tische standen, von denen einer quer zu den vier anderen Tischen stand. Dies waren die Haustische, an denen die Bewohner jedes Schulhauses zusammen aßen und tranken. Aurora Dawn genoß das Bad im Licht tausender frei schwebender Kerzen und den Blick in den freien Himmel, an dem gerade die letzte Regenwolke abzog. Natürlich war dies nicht der freie Himmel, sondern eine so verzauberte Decke, die den erst mehrere Stockwerke über ihnen sichtbaren Himmel abbildete. Doch der Eindruck war so echt, daß niemand gezweifelt hätte, wenn ihm oder ihr gesagt worden wäre, der Saal habe keine Decke.
Aurora Dawn verabschiedete sich von Cynthia, Isis und Melinda und ging mit Petula und Miriam zum Tisch der Ravenclaws, wo die drei Jungen aus ihrer Klasse schon warteten. Dann sah sie noch Dina Murphy, ein schlachsiges Mädchen mit dunkelblondem Struwelhaar und dunkelblauen Augen. Sie begrüßte sie und fragte, ob sie sich zu ihr setzen durfte. Dina erlaubte es. Auch Petula und Miriam setzten sich so, daß alle Mädchen aus der zweiten Klasse von Ravenclaw zusammensaßen.
"Ich habe jetzt zwei neue Zauberstäbe, Aurora", erzählte Dina, nachdem sie eine halbe Minute ruhig gesessen hatten. "Der erste war heftig teuer. Pfirsichbaumholz und Drachenherz. Ollivander hat gesagt, das Material mußte aus China rübergeholt werden. Der zweite ist dann genauso zusammengebaut."
"Ja, hoffentlich gehen die auch. Ich möchte nämlich nicht, daß die Bitterling und McGonagall dich wieder so runtermachen", wandte Aurora ein.
"Ja, hoffe ich auch", erwiderte Dina. Ihre Zauberkräfte waren wohl nicht sonderlich hoch entwickelt. Hinzukam, daß sie wohl Krach mit ihrem Zauberstab gehabt hatte. Denn im letzten Schuljahr war ihr von zehn Zaubern gerade einer gelungen. In den Prüfungen der praktischen Zauberei hatte sie nur durch überragende Theorie bestanden.
Aurora sah hinüber an den Gryffindor-Tisch, wo sich James Potter, der wohl in diesem Jahr Schulsprecher war, niedergelassen hatte. Neben ihm saß Remus Lupin, der das Gryffindor-Vertrauensschülerabzeichen trug.
"Wieso ist der nicht Schulsprecher geworden?" fragte sie sich. Dann sah sie zum Lehrertisch hinüber, wo bereits drei Lehrerinnen beisammensaßen, die rundliche Professor Sprout, die schwarzhaarige, dunkelbraunhäutige Professor Bitterling und ihre eigene Mutter, Regina Dawn, die sich leicht merkwürdig dreinschauend umblickte. Als sich die Blicke von Mutter und Tochter trafen, schenkte Professor Dawn Aurora ein flüchtiges Lächeln.
"Und Manchester wird dieses jahr doch englischer Fußballmeister", begann Bruster wieder mit jenem Reizthema, das ihn und Roy immer zum Zanken brachte. Mortimer, der sich in weiser Voraussicht zwischen seinen Cousin und dem reinmuggelstämmigen Klassenkameraden gesetzt hatte, trug eine gelangweilte Miene zur Schau.
"Eh, wo bleiben die Knirpse! Ich schiebe Kohldampf!" Protestierte ein Viertklässler der Slytherins lautstark. Professor Sprout warf ihm einen warnenden Blick zu. Darauf verstummte der Aufruhr am Slytherin-Tisch. Keiner an diesem Tisch hatte es vergessen, daß Professor Sprout im letzten Jahr einen Mitschüler richtig fertiggemacht und anschließend sogar aus dem Unterricht geworfen hatte. Kain Gallows, der mit Aurora Dawn zusammen eingeschult worden war, war danach sogar von der Schule geflogen.
Alle warteten nun auf die neuen, die Erstklässler, die, wie es Brauch in Hogwarts war, den vier Häusern zugeteilt werden sollten. Als dann eine in Smaragdgrün gekleidete Hexe, die eine Brille mit quadratischen Gläsern trug, die Schar der Neuen hereinführte und sie in einer langen Reihe Aufstellung nehmen ließ, schritt ein würdiger alter Zauberer, hochgewachsen und mit silberweißem Haar in den Saal. Alle verstummten. Der Zauberer trug einen mitternachtsblauen Umhang und bedachte durch seine halbmondförmigen Brillengläser erst die bereits an den Tischen sitzenden Schüler, um dann die aufgereihten Erstklässler anzulächeln. Er sagte jedoch erst dann etwas, als er an dem goldenen Stuhl des Schulleiters am Lehrertisch angekommen war und die dort versammelten Lehrer begrüßte. Dann eilte noch ein winziger Zauberer mit weißen Haaren in den Saal. Er war ziemlich außer Puste. Gerade so vor dem Zusammenbrechen fand er einen Stuhl am Lehrertisch und erklomm ihn. Alle Schüler schmunzelten. Sie wagten jedoch nicht, laut zu lachen.
"Was ist denn mit Flitwick los?" Fragte Petula Aurora flüsternd.
"Weiß ich nicht, Petula", wisperte Aurora zurück. Der würdige Zauberer mit dem silberweißen Haar nickte dem Spätankömmling aufmunternd zu, nahm eine erhabene Haltung an und räusperte sich. Schlagartig verstummte jeder Laut im großen Sall.
"Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Liebe Schülerinnen und Schüler", begann er zu sprechen. "Ich bin hocherfreut, Sie und euch alle bei guter Verfassung in den Mauern von Hogwarts wiederzusehen. Sicherlich mag mancher sich in den Ferien die bange Frage gestellt haben, ob er oder sie diesen wunderschönen Tag erleben kann, wo wir ein neues Schuljahr beginnen. Doch alle Ängste und Sorgen vermögen es nicht zu verhindern, uns hier zu versammeln und ein weiteres Schuljahr anzugehen, in dem wir wieder viel neues lernen werden."
Einer der Slytherins kicherte laut: "Das glauben Sie wohl."
"Oja, das tu ich, Roderic", erwiderte der Schulleiter amüsiert. "Das heißt, ich weiß es sicher. Aber weiter. Da wir nun alle hier sind, sollten wir nicht länger zögern, die neuen Mitschüler in unserer altehrwürdigen Bildungseinrichtung richtig willkommen zu heißen. Ich werde nach der Auswahl, die nun erfolgen wird, noch ein paar Worte an Sie und euch richten. Doch nun möchte ich die Erstklässler nicht länger bange herumstehen lassen." Er setzte sich wie beiläufig auf seinen Stuhl, während die Hexe in Smaragdgrün einen dreibeinigen Stuhl herbeitrug, auf dem ein ziemlich ramponierter Zaubererhut lag. Wieder legte sich totale Stille über den Saal, absolut gespannte Erwartung erfüllte Schüler wie Lehrer.
Der Hut lag einige Sekunden ruhig da. Aurora sah in allen Gesichtern der Neuen eine gewisse Verwirrung. Brusters Schwester Doris, die neben dem hoch aufgeschossenen Mädchen stand, blickte gar verängstigt auf den zerschlissenen Spitzhut. Dieser bewegte sich etwas. Über seinem Rand klaffte ein Riss auf, der sich zu einem Mund formte. Dann begann der Hut zu singen.
"In Zeiten alt und grau,
dies weiß ich ganz genau,
da war die Kunst der Zauberei,
ein Ding von Glück und Klauberei.
Denn Schulen dafür gab's hier keine.
Drum jeder lernte wohl alleine.
Doch vier der größten der Magie
behagte dieser Zustand nie.
Sie trafen sich bei Tag
und auch in tiefer Nacht.
Berieten sich mit Fleiß.
Wovon ich euch zu künden weiß.
"an diesem Orte woll'n wir lehren,
des Zaubers Macht und wissen mehren."
So sprachen eben diese Gründer,
der Schule Hogwarts Urerfinder.
Als dann fertig der Plan,
so fingen sie es an,
an diesen wohl gewählten Orten
ein Schloß zu bauen, dessen Pforten
für alle die weit offen standen,
die Zauberkräftig in den Landen.
Jedoch nicht wußten wie
sie lernen sollten die Magie.
Als alles war so weit
und für die Schülerschar bereit,
Da teilten die vier Gründer ein,
wer unterwiesen sollte sein.
Denn jeder tat in Tun und Denken
sich auf die eig'nen Wert' beschränken.
Um alle recht zu unterweisen,
in Hexenkunst und Zauberweisen.
"Für mich sind Recht und Mut
als einziges nur gut.
Drum solche will ich unterweisen,
die diese Tugenden aufweisen."
So sagte Godric Gryffindor
dereinst vor diesem Schlosse Tor.
Er selber hielt sehr viel vom Recht
und kannte auch die Angst sehr schlecht.
Rowena Ravenclaw,
die zweite vor dem Tor,
verkündete darauf: "die Jugend,
die Klugheit pflegt als höchste Tugend,
der möcht' ich allzu gerne geben
von meiner Weisheit für ihr Leben.
Damit sie selbst sie weiterpflegt
und meines Wissens Schätze hegt."
Die Dritte in der Rund'
tat danach auf den Mund:
"Ich Helga Hufflepuff will lehren,
die Fleiß und treue wohl verehren.
So solche Knab' und Mägdelein
bei mir im Haus willkommen sei'n.
Weil Treue und die Emsigkeit
die Säulen sind der Lebenszeit."
Salazar Slytherin,
der vierte bei Zeitbeginn,
stand stolz und mächtig vor dem Tor,
als er dies laut und klar beschwor:
"Für mich nur kommt dem stolzen Blute
der Macht bewußt mein Werk zu gute.
Wer rein und nicht gehemmt im Willen,
des Wissensdurst möcht ich gern stillen."
So wurden Häuser vier
darauf begründet hier.
In denen alle Schüler wohnten,
die jedes Gründers Werk belohnten.
Nun gab es eine Schule hier.
Gedankt sei es der Gründer Vier.
Ihr Name Hogwarts wart gerühmt,
wie es sich wohl für sie geziemt.
Nach langer langer Zeit
da waren sie bereit
in jüng're Hände wohl zu legen
ihr Lebenswerk auf allen Wegen.
So schufen sie was stets bestimmt,
wer hier wohl welchen Wohnsitz nimmt.
Was stets die rechte Wahl ergreift
der Gründe Erbe weiterreift.
Es nahm mich Gryffindor
behände schnell hervor.
Auf daß die vier mich lehrten,
jeden Schüler zu bewerten.
So bin ich hier, der Sprechende Hut,
der diese schweren Werke tut.
Denn die für Häuser müssen leben,
Nach gutem Rufe weiterstreben.
Gerechtigkeit und Mut
so sage ich der Hut,
Mach dich für Gryffindor bereit!
Denn dort verbringst du deine Zeit.
Solange du hier lernst,
des Lebens Freude und auch Ernst.
Der hier wohnt wer nicht zagt und bangt,
viel Anerkennung wohl erlangt.
Wenn Klugheit ruht in dir
so deine Zeit sei hier
in Ravenclaw wohl zu verbringen,
wo du dein Wissen magst erringen.
Dorthin schick' ich dich gern hinein.
Es wird dann nicht dein Schaden Sein.
Denn deine Wißbegier ist hier
sehr gern gesehen, das sag' ich dir.
Von Arbeit hältst du viel
und auch von Mitgefühl,
wird Hufflepuff dich reich belohnen,
weil hier solch' tugenden stets wohnen.
Dies ist für wahr dein rechtes Haus,
bis du hier wieder gehst hinaus.
Hier lernst du nie zu zagen,
was auch die And'ren mögen sagen.
Denkst du bei Tag und Nacht
ganz stolz an Ruhm und Macht,
so wird dir Slytherin behagen.
Dort kannst du deine Wünsche jagen
und deinen großen Hunger stillen,
ganz recht nach Slytherins Willen.
Auch wenn dein Weg verdunkelt ist,
du dies in Slytherin vergißt.
So kommt zu mir herbei.
Ich bin jetzt für euch frei,
euch alle richtig zuzuteilen,
darauf an eurenPlatz mögt eilen.
Als Schüler seid ihr dann willkommen,
habt ihr mich erst vom Kopf genommen.
Ich wünsch' euch hier die beste Zeit
im Schlosse der Gelehrsamkeit.
Die Slytherins mußten doch grinsen, als von den achso klugen Ravenclaws gesungen wurde, zogen jedoch betroffene Grimassen, weil der Hut ihre Wege selbst auch für dunkel ansah.
"Jeder von Ihnen wird nun nach Aufruf seines oder Ihres Namens an diesen Stuhl herantreten, den Hut aufsetzen und sich auf den Stuhl setzen. Wenn der Hut das Haus ausgerufen hat, dem er Sie zuordnen kann, geben Sie den Hut an den Mitschüler weiter, den ich danach aufrufe! Ich bitte mir aus, daß Sie bei dieser Auswahl zügig voranschreiten!" Sagte Professor McGonagall. Sie entrollte eine lange Liste aus Pergament und rief den ersten Namen auf: "Ashfort, Jonathan!"
Jonathan Ashfort war ein athletischer Junge mit walnußbrauner Stoppelhaarfrisur und grauen Augen. Er trat aus der Reihe, sehr selbstbewußt, offenbar schon wissend, wo er hingeschickt würde. Er nahm den Hut, setzte ihn auf und setzte sich auf den Stuhl. Sein Gesicht war unter dem Hut nicht zu sehen. Es dauerte ungefähr eine Minute, bis der Junge unter dem Hut "Wag dich ja nicht!" Rief, bevor der Hut selbst laut und deutlich "Hufflepuff!" in die Halle rief.
Vom Slytherin-Tisch starrten alle herüber. Einige sahen sehr verdutzt aus. Einer rief:
"Eh, das gibt's doch nicht!" Ein Raunen hkam am Tisch der achso auf Größe und Macht bedachten Schüler auf. Tonya Rattler wandte sich an Delila, ihre große Schwester und flüsterte ihr was zu. Irgendwas amüsierte die beiden Mädchen.
"Das gilt nicht. Der Hut ist nicht richtig in Form", protestierte Jonathan Ashfort und wollte den Hut noch einmal aufsetzen. Dies gelang ihm zwar, doch kaum saß der Hut, rief dieser: "Huf-fle-puff!!" Dann sprang er dem Schüler förmlich vom Kopf und fiel zur Seite weg nach unten. Professor McGonagall fing den Hut auf und zog Jonathan am Kragen vom Stuhl hoch.
"Sie gehen jetzt dahin, wo der Hut Sie hingeschickt hat!" Zischte sie. Weil es wieder still war, hatte das jeder hören können. Jonathan nickte wie mit einem bleigefüllten Kopf und trottete an den Tisch, von dem aus ihm alle zuwinkten.
"Wollte der etwa nach Slytherin?" Fragte Petula Woodlane.
"Hmm, das wird es wohl sein", erwiderte Aurora Dawn. Sie wußte nicht, was sie von diesem Vorfall halten sollte.
"Austin, Joan!" Rief Professor McGonagall den nächsten Namen auf. Aurora sah das Mädchen neben Brusters Schwester nicken und dann schnell und sicher zu dem Stuhl gehen. Sie setzte den Hut auf und setzte sich hin. Es vergingen nur fünf Sekunden, bis der Hut laut "Gryffindor!" in die Halle rief. Die nun zugeteilte Junghexe stand auf, nahm den Hut ab und gab ihn an "Beaufort, Simon" weiter, bevor sie an den Gryffindor-Tisch hinüberging, von wo aus ihr eifrig applaudiert wurde. Der Schüler setzte den Hut auf und wurde eine Minute danach nach Ravenclaw geschickt. Die Schüler am Ravenclaw-Haustisch klatschten. Er setzte sich auf den mittleren der freigehaltenen Plätze. Die Reihe wurde weiter abgearbeitet. Außer Jonathan Ashfort war wohl jeder mit dem Haus einverstanden, in das der Hut ihn oder sie schickte. Aurora hörte die Namen und sah, wo die Schüler hinkamen. "Hoskins, Felicity", war das erste neue Mädchen in Ravenclaw, alle davor waren für die anderen Häuser bestimmt. Doch als die Liste beim Buchstaben Q ankam und "Quinn, Carmella" ankam, dauerte es eine Viertelstunde, bis der Hut "Ravenclaw!" rief. Es folgten dann noch fünf weitere Mädchen und drei Jungen für Ravenclaw, diesmal weniger Schüler für Gryffindor, sechs für Slytherin und sieben für Hufflepuff, bis Professor McGonagall als vorletzten Namen "Wiffle, Doris" aufrief.
Brusters Schwester hatte sich offenbar von den Schauergeschichten erholt, die ihr Bruder ihr über Hogwarts aufgetischt hatte. Sie ging schnell und selbstsicher zu der Lehrerin, nahm den Hut, setzte ihn sich auf den Kopf und ... "Gryffindor!"
"Ups! Das war aber heftig schnell!" Staunte Bruster. "Ich habe ja noch ihre Nase sehen können, als der Hut das gerufen hat."
"Kannst du mal sehen, Brusi. Der Hut hat aus dem Ding mit dir seine Lehre gezogen", sagte Mortimer Swift.
"Eh, Streit?" Fragte Bruster drohend.
"Nur mit Gryffindors oder Slytherins", konterte Mortimer schlagfertig.
"Stimmt, Manu-Fans gehören doch nicht nach Ravenclaw. Wer zu dieser Mannschaft hält erfüllt nicht die Bedingungen."
"Friß es selbst, Roy!" Knurrte Bruster zurück. Roy grinste nur überlegen.
"Ziegler, Archibald!" Rief Professor McGonagall den letzten Namen von der Liste. Der letzte aus der langen Reihe der Erstklässler kam herüber, nahm den Hut, setzte ihn auf und nahm Platz. Eine Minute später wurde er nach Hufflepuff geschickt, was dem Jungen wohl zusagte.
Professor McGonagall nahm den Hut zurück, legte ihn auf den Stuhl und trug ihn davon.
"Zumindest mußt du nicht den großen Bruder raushängen lassen, Bruster", sagte Mortimer, als er seine Cousine Doris am Gryffindor-Tisch neben Joan Austin sitzen sah, die ihr wohl schon bekannte Leute vorstellte.
"Hmm, die Austins waren alle in Gryffindor, soviel ich weiß. Pech nur, daß von denen auch einige von Du-weißt-schon-wem umgemäht worden sind", sagte Mortimer verhalten. Bruster meinte dazu nur:
"Ach, ist der Irre also schon auf Leute aus, die einen bestimmten Namen haben?"
"Nicht unbedingt. Aber die Familie von der Klassenkameradin deiner Schwester hat schon heftig gegen ihn gekämpft und tut das wohl immer noch."
"Wollte schon sagen", erwiderte Bruster.
Als Professor McGonagall wieder zurückkehrte, standen bereits Schüsseln und terinen auf dem Tisch, und die ersten Schüler nahmen sich davon was für ihre Teller. Dumbledore, der Schulleiter, stand noch einmal auf. Die, die schon mit dem Essen anfangen wollten, warfen schnell noch ihr Besteck auf den Teller und lauschten, was er noch zu sagen hatte.
"Also, liebe Schüler von Hogwarts", begann er. Doch Jonathan Ashfort sprang auf und rief:
"Das war fies! Die Auswahl war geschoben!"
Ein teils amüsiertes, teils entrüstetes Gemurmel kam auf. Dumbledore lachte schallend darüber, während ein Vertrauensschüler der Hufflepuffs den Neuling rasch auf den Sitz zurückdrückte.
"Nun, ich weiß, der Hut kann merkwürdige Entscheidungen treffen. Nicht immer erscheint es einem neuen Schüler plausibel, ausgerechnet in ein Haus geschickt zu werden, das er nicht erwartet hat. Das ging mir nicht anders, als ich herkam und selbst auf dem Stuhl saß und bange Minuten unter dem Hut zugebracht habe. Der tat sich damals ziemlich schwer mit mir, für wahr. Aber dann hat er seine Entscheidung getroffen. Ich dachte auch erst, ich sei falsch zugeteilt worden. Aber heute, nachdem so viele Jahre vergangen sind, weiß ich, daß er mich richtig zugeteilt hat. Mr. Ashfort, ich weiß, daß viele Ihrer Familienangehörigen in Slytherin gewohnt haben, als sie hier Schüler waren. Die meisten davon habe ich selbst hier kennenlernen dürfen. Ich kann es fast verstehen, daß Sie enttäuscht sind, nicht in Slytherin untergekommen zu sein", sagte Dumbledore ruhig. Die am Slytherin-Tisch lachten. Dumbledore warf ihnen einen Blick zu, den Aurora nicht deuten konnte. Jedenfalls verging denen das Lachen sehr schnell wieder. So fuhr der Schulleiter fort: "Nun, aber Sie werden es bald wissen, daß Sie in Hufflepuff besser aufgehoben sind. - Wo war ich? - Ach ja, ich wollte noch eine Sache sagen. Esst und trinkt euch satt!" Dumbledore setzte sich hin. Die Schülerinnen und Schüler folgten seiner Anweisung nur zu gerne.
Während des Essens lernten sich die alten und neuen Ravenclaws näher kennen. Dabei kam heraus, das Simon Beaufort ein Muggelstämmiger war wie Roy Fielding und Felicity Hoskins' Eltern in der Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe arbeiteten. Sophia Perkins interessierte sich für Quidditch, während Guido Thornhill eher für Zaubererschach schwärmte.
Nach dem Essen erhob sich Dumbledore noch einmal und bat um Ruhe.
"Liebe Schülerinnen und Schüler. Jetzt, wo wir alle gut gefüttert und gewässert sind, möchte ich euch noch einige Dinge sagen. Ich möchte euch alle daran erinnern, daß der Wald auf dem Gelände von Hogwarts für alle Schüler verboten ist, sofern sie nicht im Rahmen des Unterrichts Pflege magischer Geschöpfe von ihrem Lehrer beaufsichtigt dort zu tun haben. Dann hat Hausmeister Filch mich gebeten, anzukündigen, das die Liste verbotener Zaubergegenstände um einige Produkte erweitert wurde. Lachkrampflollys, Schlüpfrigkeitstropfen und Schleimteufel wurden als neuste Gegenstände auf dieser Liste aufgeführt. Die ganze Liste kann wie üblich an der Tür zu Mr. Filches Büro eingesehen werden.
Des weiteren möchte ich alle Schülerinnen und Schüler darauf hinweisen, daß wir nun wieder unsere altbewährten Punktegläser mit den bezauberten Edelsteinen haben. Die Flüssigkeitsbehälter haben sich doch als leicht unzuverlässig bei hohen Temperaturen erwiesen, und die Restauration der alten Punktegläser konnte nun nach drei Jahren vollständig beendet werden. Ich denke, wir können sie nun wieder fünfzig Jahre lang benutzen, bis wir gleichwertige Punktegläser nachgeliefert bekommen.
Ich frage mich zwar, wo sie steckt, doch ich möchte nicht versäumen, Ihnen und euch ..."
Eine Hexe im Reiseumhang und mit Kopftuch eilte in die große Halle und verbeugte sich tief vor Dumbledore. Aurora sah, wie ihre Mutter leicht mißgestimmt die Nase rümpfte, dann aber eine gefühlsneutrale Miene machte.
"Ah, da ist sie ja", grüßte Dumbledore. "Ich möchte Ihnen und euch professor Sina Vector vorstellen, die in Ergänzung zu unserer werten Professor Dawn das Schulfach Arithmantik unterrichten wird. Willkommen in Hogwarts!"
Die Schüler und Lehrer klatschten Beifall. Die Lehrerin nahm ihr Kopftuch ab und begrüßte die neuen Kollegen.
"Bringt's deine Mum nicht mehr?" Fragte Roy Fielding Aurora. Diese lief kurz wutrot an, atmete einmal tief durch und antwortete dann:
"Das ist eine Zusatzlehrerin, weil die im letzten Jahr so viele Schüler für das Fach hatten, Roy. Meine Mum bringt es noch."
"Unverschämtheit, so zu fragen", knurrte Miriam Swann.
"Nun wollen wir noch das Schullied singen. Ich schreibe den Text in die Luft, und jeder singt auf einer Melodie ihrer oder seiner Wahl", sagte Professor Dumbledore noch. Aus seinem Zauberstab stieg eine silberne Schnur, die sich in der Luft zu Buchstaben und Wörtern verknäuelte. Alle sangen, wobei Aurora und Petula sich die Ohren zuhielten, weil ein total mißtönendes Gegröhle von allen Tischen herüberkam. Nach dem Lied sagte Dumbledore noch:
"Nun, irgendein deutscher Dichter schrieb einmal in humorvoller Weise: "Musik wird oft nicht schön empfunden, weil stets sie mit Geräusch verbunden." Andererseits ist sie immer noch die stärkste Magie, die der Mensch kennt, ja die kein Zauberer wirklich durchdringen mag. Ich wünsche euch jetzt allen eine gute Nacht. Schlaft euch gut aus! Denn morgen fängt das Schuljahr wieder an."
Die Vertrauensschüler Nathan Mentry und Amalia Hopfkirch führten die Ravenclaws zum westlichen Turm. Jonathan Ashfort wollte sich zwar davonmachen und zu den Slytherins hinüberlaufen, wobei er Aurora Dawn fast umrannte. Doch Darius Cale, der Vertrauensschüler der Hufflepuffs, fing ihn sich wieder ein.
"'tschuldigung, Aurora", flüsterte er noch, während er Jonathan mitnahm. Sie hörte noch Tonya Rattler rufen:
"War deine Oma doch so'n Schlammblut, was Ashie. Jetzt wissen wir's!"
"Zehn Punkte Abzug für Slytherin!" Kam es von Darius Cale zurück. Doch Tonya schien diese Strafe wohl eher zu erfreuen als zu beunruhigen.
"Ist der schon wieder nicht da!" Fluchte Amalia, als alle Ravenclaws vor einem großen Gemälde mit einer Wiesenlandschaft standen. "Ich geh morgen zu Professor Flitwick und beantrage ein neues Türgemälde. Aber den kriege ich jetzt."
Amalia zog vier Linien die sich in der Bildmitte trafen, wobei sie ein Zauberwort in vier Abwandlungen sprach. Sie tippte auf den Kreuzungspunkt aller Linien, sagte dann noch "Reinitimagine" und entfachte damit einen wild rotierenden Lichtkreis und Sturmgeheul im Bild. Es wurde schlagartig dunkelgrau, dann wieder völlig klar. Laut muhend stand eine braun-weiß gescheckte Kuh da, die von einem Burschen in ländlicher Kleidung am Führstrick gehalten wurde.
"Ars longa!" Rief Amalia, das alle Ravenclaws es hören konnten. Der Bauernbursche zeterte, was ihr denn eingefallen sei, ihn so brutal herzuholen. Doch dann klappte er mit dem Bild komplett zur Seite. Aurora konnte noch eine Hexe im dunkelroten Kleid erkennen, die von rechts in das Bild hineinsprang und loszeterte, weil Maggy, die Kuh, wohl wieder einmal in ihrem Garten herumgetrampelt war.
Alle Ravenclaws eilten in den Gemeinschaftsraum. Dort erklärte Amalia ihnen noch einmal die Hausregeln, bevor sie sie alle in die Schlafsäle schickte. Die Mädchen der ersten Klasse mußten die Treppe hinuntergehen, während Aurora und ihre Klassenkameradinnen nach oben stiegen, bis sie an ihrer Schlafsaaltür ankamen, wo jetzt "für die Zweitklässlerinnen" auf dem Türschild stand. Recht müde machten sich die vier Mädchen bettfertig und legten sich schlafen.
Die ersten Tage des neuen Schuljahres waren von einer merkwürdig drückenden Stimmung geprägt. Das lag zum einen am Wetter, das die letzten Sommertage eintrübte. Selten lugte die Sonne zwischen den grauen Wolken hervor. Morgen- und Abenddämmerung waren fast nicht auszumachen, weil bei einer bestimmten Menge Tageslicht helles Grau und darunter tiefe Schwärze vorherrschte. Zu dem äußeren Umstand kam noch, daß viele Lehrer meinten, die Schüler besonders heftig drangsalieren zu müssen, ob alt oder jung. So tat sich Dina Murphy trotz neuem Zauberstab in den Stunden von Professor McGonagall schwer, die aufgetragenen Verwandlungen auszuführen. Mindestens verursachte sie keine Katastrophen mehr wie im letzten Jahr. Auch Professor Bitterling, die neben Zaubertränke auch Verteidigung gegen die dunklen Künste gab, schüttelte ab und an den Kopf und fragte Dina, ob sie wirklich einen auf sie abgestimmten Zauberstab bekommen hätte. Die Slytherins, mit denen sie in Kräuterkunde bei Sprout zusammen unterrichtet wurden, gönnten sich zwischendurch gehässige Bemerkungen gegen Roy und Bruster. Doch wenn die rundliche Lehrerin auch nur den Kopf drehte, waren sie still. Tonya Rattler meinte nur einmal zu Roy:
"Zähl deine Tage gut durch. Nur er weiß, wieviele er dir noch läßt, Muggelbrütiger."
"Wieviele Tage ich habe soll dir doch schnurzegal sein, Klotzweib", hatte Roy zurückgezischt und das klobige Mädchen trotzig angegrinst.
Der Tagesprophet brachte immer wieder Nachrichten über Angriffe des dunklen Magiers Voldemort und seiner Leute. Meistens ließ der böse Hexenmeister Handlanger in friedliche Zauberersiedlungen einfallen, terrorisierte Familien oder sprach in an den Tagespropheten gesandten Briefen öffentliche Todesurteile über Leute, die ihm nicht paßten. Das schuf eine ständige Angst unter den Schülern. Einer fragte mal laut:
"Wieso können die den nicht einfach umlegen. Der kann doch nicht so tun als wenn er der Richter in der Zaubererwelt sei. Was bildet der sich ein?"
"Hältst du wohl den Mund", hatte ihm ein Schulkamerad zugezischt. "Legst du es darauf an, daß er dich auch noch zum Abschlachten freigibt?"
Aurora Dawn wußte nicht, was sie davon halten sollte. Einerseits wollte sie sich nicht einschüchtern lassen. Andererseits war sie auch immer froh, wenn sie hörte, daß an diesem oder jenen Tage nichts in der Zaubererwelt passiert war. Ein Reporter, der mal gemeint hatte, den Unnennbaren durchschaut zu haben, was dieser wollte und plante, wurde kurz nach Oktoberbeginn tot und mit grausamen Verstümmelungen in der Winkelgasse gefunden. Sein Kollege schrieb dazu nur, daß der Reporter wohl mehr gewußt habe als es gewissen Herrschaften lieb gewesen sei.
"Er will haben, daß wir alle nicht mehr wagen, aus dem Haus zu gehen", sagte Kelvin Hightowers, der Ravenclaw-Quidditchkapitän nach diesem Artikel. "Dann hat er leichteres Spiel. Ich denke, der Tagesprophet bringt längst nicht alles, was Du-weißt-schon-wer treibt."
"Natürlich nicht", hatte Alessandro Boulder, einer der Treiber, darauf geantwortet. Dumbledore schien als einziger ruhig und unerschütterlich zu bleiben. Wenn er morgens die Schüler begrüßte, strahlte er eine sehr große Zuversicht aus. Wenn er sie nach dem Abendessen verabschiedete, gab er seinen Schülern die Sicherheit, eine gute Nacht zu verbringen.
Neben Dumbledore waren da noch drei, denen die beinahe täglichen Schreckensmeldungen nicht viel anhaben konnten, James Potter und seine Freunde Remus Lupin und Sirius Black. Aurora hatte einmal mitbekommen, wie sie einer Gruppe von Slytherins zugerufen hatten, die Hoffnung nicht aufzugeben, daß "er" sie irgendwann mal reich belohnen würde. Snape, den ein gegenseitiger Haß mit Potter verband, hatte wiederholt versucht, die Jungen um Potter bei sich bietenden Gelegenheiten anzuschwärzen. Doch wie Unschuldslämmer waren James und seine Freunde aus allen Vorwürfen herausgekommen, ob auf echte Missetaten gründend oder von Snape erfunden.
"Morgen ist Quidditchtraining!" Verkündete Kelvin in der Woche vor Halloween. "Aurora, wie ist es? Willst du Erins Position einnehmen?"
"Na klar, Kelvin", erwiderte Aurora Dawn. Sie freute sich, daß endlich das training losgehen würde. Dies gab ihr neuen Antrieb. Sie würde als Jägerin auf der Position spielen, die Erin Runfield im letzten Jahr noch eingenommen hatte. Erin war sehr gut gewesen, obwohl Ravenclaw am Ende hatte zusehen müssen, wie Gryffindor sich den Pokal sicherte. Da tröstete es nur wenig, daß die Slytherins bereits nach dem zweiten Spiel so weit abgeschlagen gewesen waren, daß diese nicht einmal mehr vom Pokal hatten träumen dürfen. Doch vor der ersten Trainingseinheit lag noch ein Freitag.
Laut Stundenplan hatten sie morgens Zauberkunst, Kräuterkunde und Verwandlung, um nachmittags noch eine Doppelstunde Zaubertränke abzusitzen. In Zauberkunst verlangte Professor Flitwick von allen, die Erhitzungs und Abkühlungszauber so stark wie möglich vorzuführen. Aurora Dawn schaffte es soeben, ein Glas mit Wasser so abzukühlen, daß eine dünne Eisschicht an der Oberfläche auftauchte. Bei der Erhitzung verdampfte das Wasser aus ihrem Messingbecher mit einem lauten Knall, nachdem erst gar keine Erwärmung eingesetzt hatte. Dina schaffte es irgendwie, das Wasser in ihren Testgefäßen heftig hin- und herschwappen zu lassen. Als ihr ein kleines Eisstück aus dem abzukühlenden Behälter entgegenfiel, sah sie das schon als riesigen Erfolg an. Petula und Miriam schafften es ordentlich, Wasser zu Eis zu machen oder es schnell aber überschaubar zum kochen zu bringen. Roy und Bruster verwechselten bei den Zauberstabbewegungen etwas, sodaß Roys einzufrierendes Wasser sich in ein Gas verwandelte, das zischend aus dem Becher aufstieg und dann mit ohrenbetäubendem Knall und einer Stichflamme explodierte. Flitwick fiel von seinem Bücherstapel, auf dem er immer stand, um hoch genug zu stehen.
"Mr. Fielding, was war denn das?" Quiekte er erschrocken. Mortimer, der neben Roy gesessen hatte, rieb sich die Ohren.
"Ou, weiß ich nicht genau, Professor. Irgendwie ist mir der Zauber wohl abgerutscht", wimmerte Roy.
"Haben auch Andere von Ihnen Ohrenschmerzen?" Fragte der Lehrer besorgt. Außer Mortimer und Miriam hatten alle den Donnerschlag ohne Beschwerden überstanden. Mortimer und Miriam wurden in den Krankenflügel geschickt, um sich behandeln zu lassen.
Sie waren in der Kräuterkundestunde noch nicht wieder zurück. Tonya, die vermutete, daß es im Unterricht einen Unfall gegeben hatte, stichelte, was für Idioten doch heutzutage mit einfachen Zaubern zu kämpfen hatten und nahm mit Genugtuung zur Kenntnis, daß Roy Fielding für den Ausfall von Miriam und Mortimer verantwortlich war.
"Am besten fährst du nach Halloween wieder nach Hause, Nixkönner", meinte sie mit herablässiger Betonung. "Nachher sprengst du noch die ganze Schule in die Luft."
"Ach, hat die Lady Angst, ihr Luxuskörper könnte von mir zu Staub zerbröselt werden?" Entgegnete Roy Fielding. Darauf versetzte Tonya:
"Bevor du mich oder meine Schwester mit deiner sogenannten Zauberei auch nur kitzelst, machen wir dich fertig. Sieh zu, daß du deine muggelbrütigen Fähigkeiten nicht überstrapazierst!"
"Tonya, es war ein Unfall", zischte Aurora Dawn, während sie eine beißende Geranie zu fassen bekommen wollte.
"Mit dir hat doch jetzt überhaupt keiner geredet, Dawn", knurrte Tonya. "Du weißt doch, daß nur redet, wer auch gefragt ist."
"Dann frage ich mich, warum du hier gerade so große Töne spuckst, Rattler?" Erwiderte Aurora unverzüglich. Tonya lachte dümmlich und zog sich zu ihren Kameraden zurück.
"Die bilden sich was auf ihren bösen Meister ein", knurrte Roy und schrak zurück, weil Auroras Geranie gerade ihre holzigen Zähnchen in seinen linken Zeigefinger grub. Professor Sprout kam sofort herüber und bestrich die Wunde mit einer Heilsalbe. Dann sprach sie noch "Injuriclausa" und sah zu, wie Roys Verletzung sofort und rückstandslos verheilte.
"Sie müssen diese Pflanzen in einen bestimmten Rhythmus zwingen, Miss Dawn. Dann können Sie sie austricksen und unterhalb des Kelches fassen", riet die Lehrerin der Tochter ihrer Kollegin. Sie führte es vor. Die Geranie, die jedes tierische Wesen beißen wollte, das ihrem Topf zu nahe kam, schwenkte ihren Kelch wie eine angriffslustige Kobra. Als sie Sprouts Hand in immer ausschweifenderen Pendelbewegungen folgte, wartete die Lehrerin eine Sekunde, machte eine Rasche Gegenbewegung, fing die gerade nach rechts pendelnde Zauberblume ab und hielt sie fest. Im nächsten Moment durchtrennte sie mit der scharfen Heckenschere den Stiel am untersten Ende.
"Wir haben es hier mit einer Pflanze zu tun. Pflanzen haben kein schnelles Reaktionsvermögen, sobald es um einen Ablauf von mehreren Bewegungen geht. Das ist ihr Schwachpunkt", erklärte Professor Sprout. Aurora Dawn ahmte ihre Reizbewegungen nach, bis sie auch eine Geranie so zu fassen bekam, daß sie deren Stiel durchschneiden konnte.
Im Verwandlungsunterricht schaffte es Dina, anstatt der in Untertassen zu verwandelnden Regenwürmer, Porzellanklumpen zu zaubern, die vom Tisch rollten und zerbrachen. Professor McGonagall zog Ravenclaw zwar zwei Punkte ab, meinte aber noch, daß Dina zumindest keinen schlimmeren Fehlschlag verursacht hätte.
Erst nach dem Mittagessen kamen Miriam und Mortimer zurück. Miriam berichtete, daß Roy wohl eine Grundstoffzerfallsreaktion bewirkt hatte.
"Das Element Wasser besteht aus zwei Grundstoffen, hat Madame Pomfrey gesagt. Du hast es wohl in diese Grundstoffe zerlegt, die aber nicht weit genug voneinander getrennt waren und sich wohl durch eine große Hitze im Becher wieder zusammengefügt haben, Roy."
"Häh? Wasser ist doch kein Element", meinte Roy Fielding. "Es besteht wohl aus zwei Elementen. - Ups! Da habe ich wohl aus Versehen eine Spaltung hingekriegt. Interessant."
"Ja, aber bitte nicht noch mal ausprobieren, Roy", meinte Mortimer. "In meinen Ohren hat es gepfiffen wie in einem Teekessel, und ich habe euch alle wie durch Watte gehört. Wenn Madame Pomfrey mir nicht die Ohrentrosttropfen und die Ohrenschützer verpaßt hätte, wäre ich wohl ganz taub geworden."
"Ist gut, ich habe es begriffen. Der Gefrier- und der Kochzauber sind irgendwie verheddert worden", sagte Roy dann noch. "Flitwick sagte das nach der Stunde."
"Aha", meinte Miriam. "Aber noch einmal zum Wasser. Ihr in der Muggelwelt hattet wohl irgendwann die Idee, irgendwelche Stoffe, die nicht weiter zerlegt werden können als Elemente zu bezeichnen. Das ist aber falsch. Elemente sind die Formen, mit denen sich in der Natur verändernde Kräfte äußern, also Wind, Wasser, Feuer und Erde."
"Häh? Das klingt aber irgendwie total überholt", meinte Bruster.
"Nein, ist es nicht", widersprach Aurora. "In der Alchemie und der Zauberkunst wird zwischen vier Hauptzuständen der Materie und der damit verbundenen Einwirkungen unterschieden. Allerdings wurde Metall mittlerweile als fünftes Element festgelegt, weil es zu den anderen Erscheinungsformen der Erde noch klar unterschieden werden kann."
"Na logisch", machten Roy und Bruster. "Warum nicht an alten Zöpfen festhalten", sagte Roy dann noch.
"Wie gesagt, die Leute aus der Muggelwelt haben sich das Leben kompliziert gemacht, weil sie die einfachen Elementarformen nicht mehr anerkennen und meinen, alles noch weiter zerlegen zu müssen. Deshalb läuft es bei ihnen ja auch nicht mehr so ohne komplizierte Maschinen und Gerätschaften", sagte Miriam entschlossen.
"Du hast doch keinen Dunst, was in der Welt meiner Eltern alles schon klappt", knurrte Roy. Aurora Dawn sah Miriam und Roy an und bemerkte dazu:
"Leute, das ist doch jetzt doof. Ihr könnt euch doch jetzt nicht über das Zeug aus der Muggelwelt zanken, nur weil Roy heute diesen Knallzauber gemacht hat. Ich denke, wir lernen das, was die uns hier beibringen wollen und lassen den übrigen Krempel erst einmal weg."
"Wie du meinst, Aurora", sagte Roy. Irgendwie imponierte ihm der Gesichtsausdruck, den die schwarzhaarige Klassenkameradin machte.
Am Nachmittag mußten sie bei Professor Bitterling, jener strengen Lehrerin mit dem schwarzen Haar und der dunkelbraunen Haut eine Schwellösung brauen. Dies endete fast in einer Katastrophe, weil Bruster Wiffle einen zerriebenen Regenwurm zu viel in das Gebräu einrührte und es ihm wie ein von innen aufgeblasener Breiklumpen über den Kesselrand quoll. Bitterling ließ die Schüler sofort in Deckung gehen, während sie mit einem Zauberspruch den Inhalt des Kessels verschwinden lassen wollte. Doch das vermurkste Gebräu wand sich aus dem Kessel und ergoß sich über den Tisch. Krachend schossen meterlange Stalakmiten aus dem Tisch. Das Gebräu spritzte herum und traf die übrigen Tische. Professor Bitterling wirkte einen anderen Zauber. Erst dieser brachte das Gebräu zur Ruhe. Es gefror. Erst dann konnte die Lehrerin es restlos verschwinden lassen.
"Das sind fünfzig Punkte Abzug für Ravenclaw, Mr. Wiffle", keuchte Professor Bitterling. "Sie hätten sich wirklich einmal genau durchlesen sollen, was alles in die Schwellösung gehört. Wieviele Regenwürmer haben Sie eingerührt?"
"Öhm, vier, Professor", erwiderte Bruster, der kreidebleich das Chaos beäugte, das sein Trank angerichtet hatte. Aus allen getroffenen Tischen waren kleine Steinzapfen aufgewachsen.
"Drei, Mr. Wiffle. Bunsen schreibt, daß bei einem Kessel der Normgröße drei vier Regenwürmer hineingehören, weil diese Lösung oft in großen Mengen benötigt wird, um verkümmerte Pflanzen zu düngen. Er schreibt aber deutlich, daß für unsere Normkessel drei zerriebene Regenwürmer zu verwenden sind. Hinzu haben Sie mal wieder bei der Löffelabmessung geaast, habe ich gesehen. Wenn da steht, ein gestrichener Zinnlöffel pulverisierte Drachenschuppen, dann haben die Löffel keine großen Haufen oben drauf zu tragen. Wissen Sie eigentlich, was Drachenschuppenpulver kostet?"
"Öhm, Geld wahrscheinlich", erwiderte Bruster und löste eine kurze Lachsalve aus. Doch Professor Bitterling räusperte sich nur einmal, und Totenstille kehrte in der Klasse ein. Fünf Sekunden ließ sie dieses Schweigen wirken. Dann sagte sie ganz leise:
"Zwanzig Punkte Abzug für Ravenclaw, wegen frecher Antworten und mangelnder Sorgfaltspflicht, Mr. Wiffle. Übermorgen treten Sie bei mir zur Strafarbeit an! Nebenbei, nur falls es überhaupt wen interessiert: Eine Unze Drachenschuppenpulver kostet eine Galleone. Ich denke nicht, daß Ihre Eltern den Überverbrauch dieses kostbaren Materials gerne bezahlen möchten, Mr. Wiffle. Also merken Sie sich endlich einmal Rezepturen und trainieren Sie Einfüllpraktiken! Übermorgen haben Sie ja Gelegenheit dazu."
"Wie sie meinen", sagte Bruster Wiffle kleinlaut.
"Da die Tische heute nicht mehr benutzt werden können muß ich Sie heute alle früher aus dem Unterricht entlassen. Die angesetzten Lösungen werde ich heute nicht bewerten. Wir werden das Gebräu nächsten Freitag noch einmal ansetzen. Ich hoffe nur, wir kommen nicht in Verzug mit dem Lehrplan", sagte Professor Bitterling. Aurora Dawn und Dina Murphy verzogen die Gesichter. Ihre Lösungen hätten ihnen mindestens eine gute Note, ja vielleicht sogar die Bestnote eingebracht. Das wußten sie.
"Der hat's immer noch nicht kapiert", maulte Dina, als sie mit Aurora auf ein freies Mädchenklo zusteuerte. "Wieso kann der nicht einmal richtig lesen."
"Dir würde er vorhalten, daß du ja mal richtige Zauberstabbewegungen machen könntest", erwiderte Aurora voreilig. Doch als Dina sie erschüttert ansah, entschuldigte sie sich rasch bei ihr und meinte: "Immerhin wissen wir ja jetzt, daß es wirklich am Zauberstab gehangen hat. Ich muß dir auch zustimmen. Warum kann Bruster nicht richtig nachdenken, wie Bunsen oder Botulinus das gemeint haben, wenn sie ihre Rezepte als besonders peinlich zu beachten angeben?"
"Was wird die Bitterling mit Bruster machen?" Wollte Dina wissen, als sie im Toilettenraum ankamen.
"Sie wird ihn wohl Zaubertrankzutaten fertigmachen lassen, Froschinnereien pürieren und Schnecken pökeln lassen", vermutete Aurora Dawn kaltschnäuzig.
"Geschieht ihm recht", sagte Dina und schlüpfte in die hinterste Kabine. Aurora wusch sich nur die Hände und prüfte ihr Haar. Sie schnitt ihrem Spiegelbild wilde Grimassen und dachte daran, daß sie noch eine ganze Stunde Unterricht gehabt hätten. Auf einmal tat Dina einen lauten Schreckensschrei.
"O nein! Was ist denn das?!" Kam es aus der hinteren Kabine, zeitgleich mit dem Gejammer eines anderen Mädchens. Aurora verzog das Gesicht. Wieso hatten sie ausgerechnet im Klo der maulenden Myrte Zwischenstop gemacht?
"Man, kannst du nicht aufpassen, wo du dich hinsetzt?" Quängelte eine hohl klingende Stimme, als käme sie aus einer der Toilettenschüsseln. Dann rauschte die Wasserspülung, und das Gequängel verschwand hörbar in den Abwasserleitungen.
"Verdammt, wieso sind wir auch hier gelandet?" Empörte sich Dina, die wohl jedes drängende Bedürfnis unterdrückte und aus der Kabine kam.
"Tja, kann passieren, Dina", sagte Aurora aufmunternd. "Hast du Myrte etwa weggespült?"
"Hmm, ich hatte schon .. Das mußte doch weg", sagte Dina und lief rot an.
"Dann flutscht die jetzt wohl gerade durch die Kanäle unter Hogwarts, wo immer die rausgehen", stellte Aurora fest und mußte grinsen.
"Komm, wir nehmen das Klo einen Stock höher!"
"Im Moment muß ich nicht mehr", wandte Dina verlegen ein und wusch sich die Hände.
Abends unterhielten sich Aurora, Petula, Mortimer und Roy noch einmal über das Ding mit dem Knall vom Morgen. Roy versprach feierlich, beim nächsten Mal besser aufzupassen.
Kelvin Hightowers pfiff auf seiner Trillerpfeife. Aurora Dawn war nicht so ganz wohl zu Mute. Der alte Besen, den sie zum Training benutzen sollte, ruckelte beim Probefliegen so heftig, daß sie schon fürchtete, mitten in einer gefährlichen Flugfigur runtergeworfen zu werden.
"Also, Leute! Dieses Jahr wollen wir den Pokal", sprach der Kapitän der Hausmannschaft. "Die Hufflepuffs hätten den im letzten Jahr fast gekriegt, und die sind auch unsere ersten Gegner. Also heißt es, uns voll reinzuhängen. Aurora, ich hoffe, wir kriegen zum Spiel einen besseren Besen für dich. Ich hätte dich nämlich gerne als Vorstoßjägerin, wie Erin das gemacht hat. Traust du dir das zu?"
"Mit der Krücke hier nicht, Kelvin", gestand die Zweitklässlerin ein. Alle lachten.
"Ja, ist schon fies", pflichtete Marion Witt ihrer Kameradin bei, eine bereits erfahrene Jägerin. Ken Dasher, einer der Treiber, lachte nur und meinte:
"Im Zweifelsfall verheizen wir den Besen heute. Dann kann Aurora einen neuen Besen benutzen."
"Ja, aber wenn der mich vorher runterwirft könnt ihr euch nach 'ner neuen Jägerin umsehen, weil ich dann wohl platt bin", entgegnete Aurora vor Anspannung gereizt. Keiner lachte darüber.
"Dann wollen wir mal", sagte Kelvin. Alle bestiegen die Besen und warteten, bis ihr Kapitän die vier Spielbälle freigelassen hatte.
Die böigen Herbstwinde und die Altersgebrechen ihres Besens ließen Aurora Dawn in den ersten Minuten heftig schlingern und ruckeln. Beinahe wäre sie in einen der schwarzen Bälle, den Klatschern, reingerast, der wild im Zickzack über das Quidditchfeld herumfegte und drohte, die Spieler vom Besen zu werfen. Eine Quaffelannahme mißlang ihr gerade da, wo es darum ging, einen Angriff aufs Tor zu proben. Marion Witt meinte dazu nur:
"So schlecht bist du im letzten Jahr nicht unterwegs gewesen, Aurora." Diese grummelte nur was von "Mistbesen" und kämpfte mehr mit ihrem Fluggerät als um den Quaffel. Erst nach fünf Minuten hatte sie es raus, wie sie ihren Besen einigermaßen ruckelfrei in der Luft halten konnte und schaffte es, schnelle Annahmen und Pässe zu spielen, den Klatschern auszuweichen und auch einmal auf einen der drei Torringe zu schießen, die auf langen goldenen Stangen zwanzig Meter über dem Boden angebracht waren. Norman Wayne, der dritte Jäger der Mannschaft, wäre fast mit Karin Meridies zusammengeprallt, die sich als neue Sucherin empfehlen wollte. Irgendwann hatte Aurora den Quaffel sicher zu fassen bekommen und flog auf das von Kelvin gehütete Tor zu, als mit lautem Knacklaut ein Großteil der Reisigzweige aus ihrem Besen brach. Aurora ließ den Quaffel fallen und klammerte sich am Besenstiel fest. Mit rasender Fahrt ging es nach unten, über zwanzig Meter in die Tiefe. Der Wind heulte Aurora in den Ohren, biss ihr Kalt in Wangen und Hände. Sie schrie, weil sie den Besen nicht mehr unter Kontrolle bekam. Vor ihrem Geistigen Auge sah sie ihre Eltern und Verwandten. Dann tauchte der matschige Boden auf, stürzte auf sie zu ...
"Cadelento!" Rief jemand. Aurora hörte es nicht. Plötzlich wurde sie von einer Kraft gepackt, die sie aus dem tödlichen Sturz herausriss, sie abbremste, sodaß sie nicht all zu hart auf dem Quidditchfeld aufschlug. Dabei zerbrach der Besen, und die Wucht des Aufpralls raubte ihr die Sinne.
Als Aurora Dawn wieder zu sich kam lag sie im Krankenflügel. Madame Pomfrey beugte sich über sie, blickte sie besorgt an. Dann, als habe die Schulkrankenschwester endlich etwas gefunden, was sie beruhigte, atmete sie auf.
"Keine inneren Verletzungen. Der Fallbremsezauber kam noch rechtzeitig", sagte sie erleichtert. Aurora Dawn versuchte, die schmerzenden Glieder zu bewegen.
"Bleib liegen, Kind! Der Sturz hat deinen Kreislauf durcheinandergebracht und dir eine leichte Gehirnerschütterung zugefügt. Das muß mindestens einen Tag auskuriert werden. Solange bleibst du hier!" Bestimmte die Krankenschwester.
"Was ist passiert?" Fragte Aurora.
"Du bist mit dem Besen abgestürzt, Aurora. Offenbar hast du ihn überlastet, und Reisigbündel sind herausgebrochen. Du konntest den Sturz nicht mehr abfangen und wärest fast mit voller Wucht auf dem Quidditchfeld aufgeschlagen. Mindestens zehn Meter bist du im freien Fall gewesen, bevor ein Fallbremsezauber dich abgefangen hat."
"Was?" Fragte Aurora Dawn irritiert.
"Du bist abgestürzt. Zum Glück hat jemand euch zugesehen und deinen Fall abgebremst", wiederholte Madame Pomfrey.
"Wer war denn das?" Wollte die Patientin wissen.
"Ich war das", sagte eine Mädchenstimme. In den Behandlungsraum trat eine Siebtklässlerin mit roten Haaren. Aurora konnte das S-Abzeichen sehen, das das Mädchen trug. Es war Lily Evans, die Schulsprecherin.
"Du hast uns zugesehen?" Fragte Aurora und spürte eine leichte Übelkeit in sich aufsteigen.
"Ja, James und ich haben zugesehen. Er hat sich auf die beiden anderen Jäger konzentriert, weil die gerade eine neue Formation proben wollten. Da bist du abgestürzt. Ich habe dich dann abgebremst. Leider war das nicht früh genug, um dich noch ganz abfangen zu können", sagte Lily Evans.
"Das wird Kelvin aber gar nicht mögen, daß ihr uns ausspio... Uuuürg!" Madame Pomfrey hielt Aurora eine Porzellanschüssel vor Mund und Nase, in die das Mädchen sein ganzes Frühstück ausspie. Hustend und prustend gab sie die letzten Krümel her, die auf dem ungesunden Weg ihres Frühstücks im Rachen hängen geblieben waren. Die Schulkrankenschwester wartete einige Sekunden, dann beseitigte sie das Erbrochene und gab Aurora einen mit einer zitronenartigen Flüssigkeit getränkten Waschlappen, um sich Mund und Nase sauberzuputzen. Der ekelhaft bittere Nachgeschmack ließ Aurora mehrmals schlucken. Der gewaltsam leergeräumte Magen fühlte sich nun schlaff und träge an.
"Na so heftig brauchtest du das nicht zu bekunden, daß dir keine Zuschauer passen, Aurora", lachte Lily Evans.
"Außerdem sind wir keine Spione gewesen. James und ich wollten nur ein wenig spazierengehen", beteuerte Lily.
"Glaubt die dir eh nicht, Lily", feixte jemand, der gerade angekommen war. Es war Sirius Black.
"Aber von meinen Kameraden hat das keiner mitgekriegt?" Wunderte sich Aurora Dawn.
"Natürlich haben die es mitgekriegt. Die kommen gleich her", sagte Madame Pomfrey. "Die konnten dir nur nicht helfen, weil sie alle keine Zauberstäbe mithatten."
"Wir wollten nach euch trainieren. McGonagall hat das Feld für zehn Uhr gebucht", sagte Sirius Black.
"Als wenn du spielst, Black", gab Kelvin Hightowers einen bissigen Kommentar zum Besten und kam zusammen mit der restlichen Mannschaft herein. Madame Pomfrey schickte nun Lily und Sirius wieder hinaus.
"Sieht Potter ähnlich. Erst kuckt der zu, wie du fast runterkrachst und steigt dann ganz cool auf den Besen und trainiert selbst", grummelte Kelvin. "Aber immerhin hat Lily dich noch weit genug abgebremst."
"Mist, daß ich euch das Training versaut habe", maulte Aurora Dawn.
"Wir hätten das mit dem Verheizen nicht so laut sagen sollen", meinte Marion Witt. Ken Dasher nickte schwerfällig.
"Warum kriegen wir auch keine gescheiten Besen zum richtigen trainieren? Wenn wir auf den alten Krücken reiten krachen wir ja schon vor Spielbeginn runter."
"Sag das Dumbledore und Hooch!" Warf Alessandro Boulder ein. "Wer auch immer das beschlossen hat, daß Schüler keine eigenen Besen haben dürfen ..."
"Spätestens jetzt sollten die das kapieren", meinte Norman Wayne, der sichtlich mitgenommen wirkte, weil er knapp hinter Aurora geflogen war, als ihr Besen ausfiel.
Sie unterhielten sich noch über die Gryffindors, die nun mehr Trainingszeit hatten und das sie wohl erst in zwei Wochen wieder trainieren würden. Dann gingen die Kameraden der Hausmannschaft wieder. Aurora drehte sich in ihrem Bett um. Der Absturz hatte sie so geschlaucht, daß sie augenblicklich einschlief.
Als die Jungen und Mädchen aus der Quidditchmannschaft den Krankenflügel verlassen hatten, trat Professor Dawn leise ein. Als sie sah, daß ihre Tochter schlief, wandte sie sich an Madame Pomfrey.
"Das mußte irgendwann passieren, daß diese überalterten Übungsbesen nicht mehr mitmachen, Poppy. Aber daß es ausgerechnet Aurora erwischt macht mich wütend", flüsterte die Arithmantiklehrerin. Madame Pomfrey zog sie in ihr Sprechzimmer hinüber und schloß die Tür.
"Was glauben Sie, Regina. Könnte das Aurora traumatisieren?"
"Sie hat sich immer für unverwundbar gehalten, wenn sie auf einem Besen saß, Poppy", flüsterte Professor Dawn. "Es hat nie einen derartigen Unfall gegeben. Das könnte sie jetzt aus der Bahn werfen."
"Ich hatte schon einige Fälle von Schülern, die vom fliegenden Besen gestürzt sind. Zum Glück hatten wir 1675 den letzten Todesfall dabei. Ich selbst habe die Schüler, die in meiner bisherigen Zeit hier abstürzten oder vom Besen fielen körperlich immer wieder herstellen können. Manchmal kam es zu Höhenangst oder Flugpanik. Aber wenn jemand immer gerne geflogen ist, ränkt sich das wieder ein, Regina."
"Ich hoffe es. Fliegen und Quidditch waren für das Kind die wichtigsten Gründe, hierher zu kommen", sagte Professor Dawn besorgt. "Allerdings werde ich mit Professor Dumbledore reden müssen, ob wir für die Spiele nicht neuere Besen anschaffen sollen."
"Hmm, er wird schon daran gedacht haben, die Besenbesitzbeschränkung aufzuheben, Regina. Doch ich denke, dieser alte Streit mit dem Ministerium hält ihn noch davon ab. Sie wissen ja, daß Ministerin Bagnold verfügt hat, daß alle Schüler unter gleichen Bedingungen lernen und spielen sollen, um Hogwarts nicht in einen Konflikt zwischen den Kindern armer und reicher Zauberer zu stürzen. Außerdem wollten Sie doch möglichst wenig in die Ausbildung Ihrer Tochter reinreden", erwiderte Madame Pomfrey, jedoch sehr verärgert, keine andere Ansicht äußern zu dürfen.
"Sicher wird man denken, ich würde meine Stellung zu Aurora einwerfen. Doch im Wesentlichen geht es doch darum, daß die Schüler hier auf überalterten Geräten trainieren. Nirgendwo sollte das ignoriert werden. Ich spreche das heute am besten beim Abendessen an. Denn sehen Sie, Poppy. Wenn es nicht Aurora gewesen wäre, hätte es auch Norman Wayne oder Marion Witt treffen können. Fakt ist, daß ein schadhafter Besen beinahe zum Tod eines Schülers geführt hat. In der Hinsicht lehne ich mich da also nicht zu weit aus dem Fenster", sagte Regina Dawn. Madame Pomfrey nickte zustimmend. Dann kündigte sie noch an: "Ich behalte das Mädchen noch bis Sonntag abend hier. Falls Sie sie besuchen möchten, können Sie gerne vorbeikommen."
"Danke, Poppy", sagte Professor Dawn erleichtert und verabschiedete sich von der Schulkrankenschwester.
Aurora blieb wirklich bis Sonntag abend im Krankenflügel. Ihre Klassenkameradinnen und -kameraden besuchten sie. Auch ihre Mutter kam für wenige Minuten vorbei und erkundigte sich, wie es ihr ging. Aurora fragte sie einmal, ob man immer noch auf den alten Besen trainierte. Denn immerhin würde nach Halloween ja das große Spiel Slytherin gegen Gryffindor steigen.
"Madame Hooch hat die Besen geprüft. Außer dem, mit dem du verunglückt bist ist keiner akut gefährlich. Allerdings hat Professor Dumbledore schon seine Fühler ausgestreckt, vierzig neuere Besen anzuschaffen. Wenn ich mir überlege, daß hier Besen von vor zwanzig Jahren lagerten ..."
"Wieso kann nicht jeder seinen eigenen Besen fliegen?" Fragte Aurora verbittert. "Mit meinem Himmelsstürmer wäre mir das nie passiert."
"Ich weiß, Kind", sagte Professor Dawn beruhigend. "Aber Dumbledore und Bagnold halten sich an eine Regel, die Training und Spiel unter gleichen Bedingungen vorschreibt, also daß alle die gleiche Besensorte fliegen. Wenn jeder seinen eigenen Besen hätte, hätten wir hier doch bald sehr viel Streit, weil die Kinder reicher Eltern die topmodernen Besen fliegen und die anderen ihren aus dem Gebrauchthandel haben. Außerdem ist ja nicht sicher, daß ein neuer Besen unfallfreier fliegt."
"Na klar, Professor Dawn. Das müssen Sie ja sagen, weil ja sonst jemand sagen könnte, daß man ja Ausnahmen macht, weil die eigene Tochter mit so'ner Krücke abgestürzt ist", stieß Aurora verärgert aus. Ihre Mutter lief für eine Sekunde wutrot an. Doch dann fing sie sich wieder.
"Ich darf und kann nicht mehr machen als bei jedem anderen Schüler hier, Kind. Das haben wir vor deiner Einschulung hier klar ausgemacht", wies sie ihre Tochter noch einmal auf die gemeinsame Vereinbarung hin. Aurora fuhr von ihrem Bett auf und sah ihre Mutter sehr energisch an.
"Es geht mir nicht drum, daß ich die Tochter von 'ner Lehrerin hier bin, sondern daß diese alten Besen Müll sind, der weggeworfen gehört. Zu sagen "Ja, aber auch die neuen Besen können runterkrachen" ist doch nur 'ne dumme Ausrede, weil die nicht kapieren wollen, daß es nicht darum geht, wer 'nen Nimbus 1000 oder einen Sauberwisch 3 hat, sondern daß überhaupt jemand so sicher wie möglich fliegen kann. Aber sicher meinen Professor Dumbledore und Professor McGonagall, daß Gryffindor nicht mehr gewinnen kann, weil die ganzen Bonzenkinder aus Slytherin kommen. Ist logisch."
"Aurora Dawn. Ich habe mir vieles von dir gefallen lassen, schon vor deiner Geburt. Aber das hier habe ich nicht verdient", erzürnte sich Professor Dawn nun richtig. "Ich bin hergekommen, um zu sehen, daß es dir wieder besser geht. Aber ich muß mich jetzt nicht dumm anblaffen lassen. Ich hoffe, das sind nur die Nachwirkungen von der leichten Gehirnerschütterung. Vielleicht hat der Unfall was bewirkt, und wir kriegen neue Besen. Aber vielleicht interessiert dich das dann nicht mehr. Oder wirst du wieder fliegen?"
"Ich will erst sehen, ob die übrigen Besen noch gut gehen. Wenn nicht, weiß ich das nicht", erwiderte Aurora sehr aggressiv. Dann entschuldigte sie sich bei ihrer Mutter. "Sicher kann ich dich nicht so heftig dafür anmachen, Mum. Die da oben entscheiden ja eh, was sie wollen. Danke daß du mich besucht hast!"
"Gern geschehen", sagte Professor Dawn, die sich nun wieder beruhigte. Sie umarmte ihre Tochter kurz und verließ den Krankenflügel.
"So, heute darfst du noch bei mir schlafen, Kind. Aber morgen heißt es wieder Unterricht", verkündete Madame Pomfrey. Aurora erinnerte sich, daß Bruster eine Strafarbeit bei Professor Bitterling abzubüßen hatte. Sie fragte, ob die Schulkrankenschwester darüber etwas wisse. Madame Pomfrey schüttelte jedoch den Kopf.
"Mir ist nichts darüber bekannt, wer welche Strafarbeiten macht, solange niemand mir zugeteilt wird, um Bettpfannen zu putzen oder die gewaschenen Laken zu mangeln."
"War ja nur 'ne Frage", erwiderte Aurora verlegen.
Der Halloweentag näherte sich mit Sturm und Regen. Die Schülerinnen und Schüler liefen, wenn sie zu den Stunden außerhalb des Schlosses mußten, nie ohne Regenumhang. Aurora Dawn, die sich nach dem Besenunfall rasch erholt hatte, hatte sich von Erica und Priscilla einen wirksamen Wasserabweisezauber zeigen lassen, um die herunterströmenden Regenfluten besser zu überstehen. Auch Petula und Miriam schützten ihre Haare durch den Impervius-Zauber gegen das Unwetter.
Am 31. Oktober selbst rüttelte ein ausgewachsener Herbststurm am alten Schloß, pfiff um die Türme und heulte durch alle Ritzen. In einigen Gängen, die nicht sonderlich gegen Durchzug gefeit waren, mußten die Bewohner ihre Hüte festhalten und ihre Umhänge mit Extrabändern zusammenschnüren, um sie nicht vom Leib gerissen zu bekommen. Aurora Dawn lief nur mit dem Zauberstablicht herum. Denn Fackeln und Kerzen waren hier völlig nutzlos.
"Mistwetter!" Brüllte Bruster Wiffle, als er mit zerzaustem Haar und verknittertem Umhang zur Zaubertrankstunde kam. Professor Bitterling stand bereits hinter ihrem Pult und sah aus wie aus dem Ei gepellt. Ihr nachtschwarzes Haar umfloß ihre Schultern weich und glatt wie Seide, und ihr limonengrüner Umhang zeigte überhaupt keine Knitterfalte.
"Wenn Sie keine Stürme aushalten können, Mr. Wiffle, sollten Sie auf den Mond umziehen. Das ist eben die Jahreszeit dafür", maßregelte die Zaubertranklehrerin den Halbmuggelstämmigen. Cynthia Flowers und Melinda Bunton, die an einem Tisch zusammenstanden, grinsten nur schadenfroh. Offenbar hatte Bruster seine Lektion bei der orientalisch aussehenden Braumeisterin nicht gelernt.
"Heute ist Halloween, Ladies and Gentlemen. Wir werden also heute mal was machen, was dem Tag angemessen ist", verkündete Professor Bitterling. "Hat wer außer Ms. Dawn schon von Geisterampfer gehört, oder auch Teufelsblüte?" Fragte sie. Außer Aurora zeigte niemand auf. "Dann müssen Sie wohl, Ms. Dawn", erteilte Professor Bitterling ihr das Wort.
"Geisterampfer wächst immer an Stellen, wo zehn Jahre zuvor Leute gewaltsam zu Tode kamen, also an alten Richtplätzen oder Schlachtfeldern. Die Pflanze gehört zu den Tachitropen, kann also in wenigen Minuten aufkeimen, wachsen, blühen und verwelken. Sie wird etwa einen halben Meter hoch und besitzt an sich dreifach gabelnden Zweigen stehende silberne Blüten, die hauchzart sind und selbstschwingende Staubgefäße besitzen, die den Pollen ohne Wind oder Insekten weitergeben können. Wer an solchen Plätzen ist kann das Singen der Geisterampferblüten als sogenannten Chor ferner Geister hören, weil es klingt wie leises Singen. Manche sagen dann auch, daß die Seelen der an diesen Plätzen gestorbenen Menschen klagen. Wer es schaft, diese Pflanzen zu finden und die Blüten erntet, solange ihre Staubgefäße "singen", kann aus dem Saft, den getrockneten Blütenblättern und dem Blütenstaub diverse Essenzen für Zaubertränke gewinnen. Einige davon sind jedoch höchst verrucht, weil sie als Basis für dunkle Zauber mißbraucht werden können."
"Hast du dich nicht im Unterricht geirrt?" Fragte Roy Fielding, als Aurora noch den wissenschaftlichen Namen der Pflanze verraten hatte.
"Das sind mal eben fünf Punkte Abzug für Ravenclaw, Mr. Fielding und fünf Punkte plus für Ravenclaw für Ms. Dawns Vortrag. Da ich nicht Professor Sprout bin interessiert mich ja nur, wozu man die Geisterampferblüten braucht. Meine Kollegin hätte Ihnen für diesen umfassenden Vortrag wohl zwanzig Punkte zuerkannt. Aber wissen Sie vielleicht auch, welcher der berühmteste Zaubertrank aus diesem Rohstoff ist? Die Frage gilt für alle hier." Dina Murphy war neben Aurora die einzige, die sich meldete. Sie durfte sprechen.
"Hmm, der berühmteste Trank mit getrockneten Geisterampferblüten ist der Tranzluzenztrank. Er verleiht jedem Magiefähigen für vier Stunden einen durchschimmernden Körper, ähnlich dem eines Geistes. Allerdings erscheint jemand dann nicht perlweiß, sondern hellrot und kann auch nicht schweben oder durch Wände gehen wie ein Geist. Hinzu kommt, daß die Stimme sich ändert. Sie klingt dann irgendwie unortbar, wie aus dem Nichts anschwebend. Braucht man für den Trank nicht aber auch Stücke vom eigenen Körper und Drachenblut?"
"Korrekt, Ms. Murphy. Er kann in zwei Stunden angesetzt werden. Professor Sprout und ich haben beim letzten Neumond solche Blüten finden können. Sie vergaßen zu erwähnen, daß man mit abgerichteten Fledermäusen leichter zu den Pflanzen findet, Ms. Dawn. Aber wie gesagt haben wir jetzt Zaubertränke." Sagte Professor Bitterling und gab Dina noch zehn Punkte für Ravenclaw. Wahrscheinlich würde sie sie ihr bei Verteidigung gegen die dunklen Künste wieder wegnehmen, wenn Dina mit ihrem Zauberstab wieder keine gescheite Fluchabwehr hinbekam. Aber im Moment war Dina froh, wieder Punkte geholt zu haben.
Die zwei Stunden dauerte es wirklich, um den aus dreißig Zutaten mühsam und peinlich genau zu brauenden Zaubertrank hinzubekommen. Das silbergraue Blütenblattpulver kam dabei in drei Phasen in den Trank, bevor Aurora ein Haar von sich und ein winziges Glas voll Drachenblut in das Gebräu einrührte. Professor Bitterling besah sich die Ergebnisse, notierte sich was, sagte jedoch nichts dazu. Bei einigen, so konnte Aurora sehen, grinste sie irgendwie fies, als bekäme sie noch einen Mordsspaß geboten. Sie sagte:
"Da der Trank harmlos ist, egal ob Sie ihn gut oder schlecht hinbekommen haben, dürfen Sie alle eine Flasche mit ihrer Lösung abfüllen und vor Beginn des Festmals trinken. Ich wünsche Ihnen interessante Eindrücke dabei."
Die Schüler nahmen ihre Tränke in kleinen Flaschen mit. Als sie den Kerker verlassen hatten, in dem Zaubertränke gegeben wurde, tuschelten sie miteinander.
"sollen wir das wirklich ausprobieren?" Fragte Roy. "Die hat mich so blöd angesehen, als sei mein Trank voll danebengegangen."
"Du mußt ihn ja nicht trinken, wenn du zu feige bist", meinte Bruster Wiffle. Dorian Dirkson, einer der Hufflepuffs, betrachtete seine Flasche sehr argwöhnisch. Neben ihm ging die rotgelockte Tara Branigan, die sehr zufrieden mit sich aussah. Sie lächelte Dorian zuversichtlich zu und blieb auf seiner Höhe, während die Hufflepuffs zu den Steintreppen nach oben eilten.
"Also vielleicht schütte ich das Zeug besser weg", sagte Roy Fielding. "Die Blubberhexe hat mich schon wieder so angeglotzt, als sei mein Gebräu total verhunzt. Nachher explodiere ich noch oder laufe rot-gelb kariert an, wie der Druide Amnesix."
"Wer?" Fragte Aurora Dawn. Petula meinte nur verächtlich:
"So'n erfundener Zauberer in einem Muggelcomic aus Frankreich, Aurora. Meine Mutter liest den Krempel, weil sie sich gerne über Muggelgeschichten über Zauberer beeumelt."
"Krempel? Asterix ist voll genial!" Protestierte Roy sichtlich aufgebracht. "Wenn du Aurora schon was drüber erzählst, dann richtig, Petty - Autsch!!"
"Noch mal sowas, und du darfst heute auch von meinem Zaubertrank was abhaben", zischte Petula drohend.
"Neh, Petula, der wirkt doch nur bei dir, weil du deine Haare da reingemischt hast", belehrte sie Dina Murphy, die jedoch auch nicht so aussah, als habe sie heute einen passablen Zaubertrank gebraut. Professor Bitterling kam hinter ihnen aus dem Kerker und rief noch:
"Hausaufgabe: Jeder von Ihnen trinkt das, was er oder sie gebraut hat und notiert sich nach dem Fest die Wirkung an sich und an den Kameraden! Ich werde dann verkünden, wer richtig oder unzureichend gearbeitet hat!"
"Jetzt kommt die erst damit rüber", stöhnte Bruster Wiffle. "Warum hat die uns das nicht schon im Kerker aufgebrummt?"
"Weil sie die Show mag, Brusi-Baby", flachste Roy. "Vielleicht läufst du ja heute abend blau an wie die Gurkentruppe aus deiner Heimatstadt."
"Vielleicht polt das Zeug aber auch den Fußballgeschmack um, damit du endlich zu den richtigen Jungs hältst", wechselte Bruster den Groschen, den Roy ihm hingeworfen hatte. Petula Woodlane lachte nur und sagte erfreut, daß sie ja dann keine Sorgen haben müsse, weil sie ja nicht zu einer "todlangweiligen Fußballmannschaft" halten würde.
Vor dem Abendessen saß Aurora zusammen mit Miriam, Cynthia und Melinda in der Bibliothek und wälzte ein Kräuterkundebuch. Dabei tauschten sie üblichen Schulklatsch aus. So erfuhr Aurora, daß Dorian wohl fest mit Tara gehen würde, was man in dem Alter schon gehen nennen mochte und Isadora Meadows wohl schon Hochzeitsmoden für Hexen durchstöbern würde. Zwischendurch kam Eunice Armstrong, eine hochgewachsene Gryffindor mit seidigglattem schwarzen Haar, das noch fließender als das von Aurora wirkte, zusammen mit Isis Waverly und Doris Wiffle herüber. Isis winkte mit einem Buch, auf dem Aurora ein weißes Pferd mit einem silbernen Horn auf der Stirn und einen rotgoldenen Drachen erkennen konnte.
"Ich habe was über diese Gruselpferde gefunden, Aurora", flüsterte Isis erregt. Aurora erinnerte sich, daß sie es eigentlich nachlesen wollte, ob es diese Pferde gab, die Isis vor den Kutschen nach Hogwarts gesehen haben wollte. Doch die Schule und ihre eigentlichen Interessen hatten sie davon abgebracht. Sie nickte Isis zu, während Miriam und Cynthia Stühle holten, um die drei Gryffindor-Mädchen an ihrem Tisch unterzubringen. Sie setzten sich.
"Hier, kuck!" Forderte Isis Aurora auf und schlug in dem Buch eine Seite auf. Aurora las kurz den Titel "Mächtig magische Geschöpfe" und dann das, was auf der Seite war. Sie sah das Bild eines abgemagert wirkenden Pferdes mit schwarzem Fell und lederartigen Flügeln, bleichen Rundaugen und einem Maul, dessen Zähne wie die eines Wolfes angeordnet waren.
"Thestrale", so las Aurora "gehören zu den Pterohippoiden. Sie zeichnen sich durch vier Grundeigenschaften aus:
1. Sie besitzen mächtige Schwingen, mit denen sie über Strecken von mehr als 2000 Meilen mit einer dreifachen Geschwindigkeit galoppierender Ordinärpferde dahinfliegen können.
2. Sie sind im Gegensatz zu ihren nichtmagischen Verwandten und den meisten Gattungsverwandten Fleischfresser, wobei sie kleine Vögel fangen können, aber auch frisches Aas großer Tiere verzehren. Dabei werden sie vom Geruch frischen Blutes angelockt.
3. Sind sie mit einem unfehlbaren Orientierungsgespür ausgestattet, das es ihnen erlaubt, ihnen zugerufene Orte anzufliegen, auch wenn sie diese zuvor noch nie aufgesucht haben, weshalb sie neben der unter 1. erwähnten Langstreckenflugfähigkeit als hervorragende Transporttiere dienen, die von fachkundigen Hexen und Zauberern gut zum Reiten oder Ziehen von Fuhrwerken ausgebildet werden können.
4. Ihre Hervorstechendste Eigenschaft ist die, daß sie nur für Augen sichtbar sind, die bereits das Sterben in einer Ausprägung haben mit ansehen müssen. Für alle anderen, ob für Muggel oder Magier, bleiben sie unsichtbar, wenn besagte Ansicht des Todes nicht erfolgt. Daraus resultiert leider auch ihr unverdient schlechter Ruf, daß sie dem, der sie sehen kann, unglück bringen mögen. Dies stimmt jedoch nicht!
Thestrale sind wie ihren andersrassigen Verwandten nur von geübten Zauberern und Hexen auszubilden, die jedoch bereits die Fähigkeit erworben haben müssen, die Tiere zu sehen."
Aurora las noch, wie sich Thestrale vermehrten und wann sie erstmalig aufgetaucht waren. Dann gab sie Isis das Buch zurück und nickte ihr wortlos zu. Dann hatte Isis diese Tiere wirklich gesehen, ja sehen müssen. Dann war Lilys Bemerkung dazu auch klar. Wer diese Tiere sehen konnte, mußte schlimmes mit angesehen haben. Isis war seit ihrem sechsten Lebensjahr Waise, weil Handlanger des bösen Hexenmeisters Voldemort ihre Eltern ermordet hatten. Deshalb konnte sie diese Thestrale sehen.
"Auf jeden Fall gut zu wissen, daß Isis nicht verrückt ist", meinte Eunice und sah Isis aufmunternd an. Dann fragte sie, ob sie für Halloween auch diesen Durchscheinbarkeitstrank hatten brauen müssen. Aurora und Cynthia nickten.
"Tonya hat gemeint, daß wir uns dabei bestimmt total auflösen, weil dieser Trank nur was für echte Könner sei und wohl auch nur von denen beherrscht würde, die sich ihrer eigenen Macht bewußt seien. Die meinte sich damit wohl selbst."
"Also wenn dieser Knochenmann neben ihr das Zeug schluckt, wird der bestimmt ganz unsichtbar", uzte Melinda Bunton. "Der braucht sich doch nur mit dem Rücken zur Sonne zu stellen, damit man durch den durchgucken kann."
"Eh, nicht so laut!" Zischte Cynthia ihrer Hauskameradin zu. "Nachher hört das wer von denen, und dieser Geripperich meint, sich dafür rächen zu müssen. Ich bin nicht wild danach, mich von diesen Kerlen dumm anpöbeln zu lassen."
"Nicht so feige, Cyn", erwiderte Melinda. "Der weiß doch eh, daß den keiner für voll nimmt. Selbst diese Tonya braucht nur einmal mit dem Finger zu schnippen, damit er für sie tanzt."
"Ja, klar, Mel", sagte Cynthia Flowers nur dazu und nahm ein anderes Buch, um das leidige Thema ohne weitere Worte zu beenden.
Am Abend war es Aurora und Petula nicht so ganz geheuer zu Mute, als sie die im Unterricht gebrauten Tränke schluckten. Würde es so wirken wie Professor Bitterling es ihnen zugesichert hatte? Wieso hatte die einige von den Mitschülern so schadenfroh angegrinst? Aurora Dawn ging jedoch davon aus, daß Bitterling bestimmt niemandem wirklichen Schaden zufügen wollte. Sie nippte erst an ihrem Trank, der merkwürdig prickelte. Dann nahm sie einen großen Schluck. Nichts passierte. Sie leerte die kleine Flasche ganz und verkorkte sie wieder. Sie meinte wohl eine heftige Wirkung verspüren zu müssen. Doch nichts dergleichen passierte.
Alle ihre Klassenkameraden trafen um sieben Uhr ein. Professor Bitterling sah alle an, als würde sie darauf lauern, daß irgendwer ein schlechtes Gewissen hätte oder sie ihn oder sie ansprechen müsse, ob der angerührte Trank auch genommen worden wäre. Die Ravenclaws der zweiten Klasse setzten sich zusammen an den Tisch. Wie im letzten Jahr flogen lebendige Fledermäuse unter der verzauberten Decke, und riesige, ausgehöhlte Kürbisse, in denen orange Kerzen steckten, schmückten die große Halle.
"Hoffentlich kommen nicht wieder diese Geister, wie letztes Jahr", meinte Roy Fielding. Ihm steckte das Erlebnis mit einer aufdringlichen Geisterfrau noch in den Knochen, die ihn aus Spaß an der Show zum Tanz auffordern wollte.
"Also offenbar war das mit dem Trank Mumpitz", meinte Bruster Wiffle, weil niemand von den Kameraden irgendwie durchscheinend wurde. Womöglich wirkte der Trank auch gar nicht, vermutete Aurora Dawn. Sie sah zu den anderen Tischen hinüber. Sie wußte ja, daß auch die Gryffindors und Slytherins diesen Trank hatten anrühren müssen. Doch auch bei denen tat sich nichts.
Eine halbe Stunde verging. Das Essen wurde serviert, wieder auf Gruselwirkung ausgelegte Speisen, die passend zum Feiertag zubereitet worden waren. Beim Nachtisch dann passierte es.
Aurora fühlte sich plötzlich irgendwie leichter und irgendwie frösteln. Sie sah an sich herunter und bemerkte, daß ihre Hände tatsächlich immer durchscheinender wurden. Sie blickte sich um. Roy wurde zwar auch durchscheinend. Doch irgendwie waberte seine Erscheinung wie menschenförmiger Nebel. Dina hatte sich von allen wohl am durchscheinendsten hinbekommen, weil sie wie rötliches Glas wirkte, kaum mehr als normales Wesen zu erkennen. Bruster hatte wohl einen Trank erwischt, der ihn nicht durchscheinend machte, sondern orangerot leuchten ließ, als brenne unter seiner Haut ein Feuer ohne Flammen. Petula Woodlane und Miriam hatten sich zwar auch verändert, aber nicht so heftig wie die anderen. Sie wirkten irgendwie hell schimmernd, wenn die Kerzen von hinten ihre Körper durchschienen. An den Nachbartischen hatten sich die Schüler von Professor Bitterling auch verändert. Dabei war Dorian Dirkson wohl was total danebengelaufen. Denn er leuchtete von innen heraus giftgrün und schien bei jedem Atemzug anzuschwellen und beim Ausatmen unter seine übliche Größe zusammenzuschrumpeln wie ein Blasebalg. Melinda hatte wie Aurora und Dina wohl die ordentliche Rezeptur hinbekommen und die angekündigte Wirkung erzielt. Mit gewisser Genugtuung sah Aurora, daß Samiel Sharkey am Slytherin-Tisch nicht mehr als Junge zu erkennen war. Er wirkte wie ein rosaroter hauchdünner Nebelstreifen ohne Arme und Beine. Tonya Rattler dagegen hatte auch die korrekte Mischung hinbekommen. Nur wirkte das durchscheinende Aussehen von ihr nicht gerade verschönernd, meinte Aurora.
Alle Mitschüler sahen die Zweitklässler an und grinsten. Dann fragten sie, was sie da angestellt hätten. Professor Dumbledore schmunzelte auch, als er sah, was sich die jüngeren Schüler da angetan hatten. Dann sagte er laut:
"Offenbar hat meine Kollegin, Professor Bitterling, sich an ihre Schulmädchenzeit erinnert, wo der Transluzenztrank als neuester Gag auf dem Markt für Halloween-Zaubereien war. Das er im freien Handel nicht zu bekommen ist, liegt an der speziellen Art, ihn zu brauen und daran, daß einige Ingredientien sehr kostspielig sind. Aber irgendwie haben wohl einige von euch bei der Rezeptur nicht so genau abgewogen oder zu viel des guten eingerührt. Jedenfalls mal wieder schön, diesen Gruselscherz zu erleben."
Alle Schüler lachten. Dann trat das Klipp-Klapp-Quintett auf, fünf Skelette, die tanzten, sangen und Musikinstrumente spielten. Manchmal verlor eines der lebenden Knochengerüste einen Arm oder Fuß beim heftigen Schwung. Doch das abhandengekommene Knochenstück wurde sofort wieder von seinen Mitgerippen angefügt. Klappernd und Klackernd schlugen die magischen Wesen ihre Knochen zusammen. Aurora Dawn wußte nicht, ob es sich um echte Tote oder um irgendwie künstlich geschaffene magicomechanische Puppen handelte. Jedenfalls boten die fünf Knochengerüste eine herrlich gruselige Halloween-Show.
"Auf jeden Fall besser als dieser Gespensterchor letztes Jahr", klang Roys durch den Zaubertrank merkwürdig sphärische Stimme, als die fünf fleischlosen Darsteller eine kleine Pause einlegten. Ihre Show endete damit, daß sie mit hohen Sprüngen zu fünf weißen, von der Decke herabschwebenden Särgen hinaufsprangen, darauf zu Boden ritten und dann, nachdem sich die Deckel von selbst öffneten, hineinlegten. Krachend klappten die Sargdeckel wieder zu, und die Totenkisten stiegen federleicht aufwärts, segelten über die vier Haustische hinweg und hinaus aus der großen Halle.
Die Schüler klatschten noch Beifall, als ein Orchester aus Geistern mit singenden Sägen und blechernen Schlaginstrumenten aus dem Fußboden herausploppte. Es waren jedoch nicht die Geister, die im letzten Schuljahr aufgetreten waren. Sie nahmen ihren Platz auf der Bühne ein und wimmerten eine durch Marg und Bein gehende Musik, die irgendwie auf die vom Tranzluzenztrank veränderten Schüler wirkte. Sie hoben förmlich von ihren Stühlen ab und wurden von den Tönen der Musik hoch in die Luft gehoben. Dann galoppierte noch eine Reiterei aus Geistern herein, die mit wildem Jagdhorngetute ihren Einmarsch begleiteten. Einer der Geister warf einfach seinen Kopf in die Luft, fing ihn wieder auf und setzte ihn verkehrt herum auf den perlweißen Hals. Die Geister mit den Musiksägen brachen ihre Musik abrupt ab. Die schwebenden Schüler sanken sofort wieder auf ihre Stühle zurück. Aurora Dawn fühlte sich leicht benommen, als sie wieder saß. Roy kämpfte offenbar mit einer aufsteigenden Übelkeit. Er wand sich, schluckte und presste die Lippen aufeinander.
"Ihr habt uns beim Feiern gestört", meinte der Geist mit einem Bart, während sein Kopf sich wild hin- und herdrehte, bis er herunterkullerte. "Wir haben das Orchester für heute zum Aufspielen bestellt", sagte der herabgefallene Kopf noch. Dumbledore lachte nur, während viele Schüler, die offenbar die eingerittenen Geister kannten, ihren Klassenkameraden erzählten, wer das war.
"Ach, die kopflose Jagd hat hier in Hogwarts gefeiert?" Fragte Aurora, als Miriam ihr von diesen altehrwürdigen Gespenstern erzählte, einem besonders exklusiven Club vollständig enthaupteter Edelmänner.
"Offenbar hat Dumbledore sich gedacht, die Geistermusiker für einige Zeit zu uns rufen zu können", meinte Miriam, deren Stimme wie die Auroras irgendwie klang, wie aus einem feinen Glas klingend.
"Blöder Trank", schimpfte Roy und wollte schon aufstehen, um sich bei Professor Bitterling zu beschweren, als einer aus der Schar der berittenen Gespenster seinen Kopf abnahm, hochwarf, sich von seinen Kameraden deren Köpfe zuwerfen ließ, bis er mit insgesamt dreizehn Geisterköpfen jonglierte, mal so nebenher, während der Anführer der Kopflosen sich lautstark bei Dumbledore beschwerte. Dieser beruhigte den Geisterreiter und entließ das Geisterorchester wider. Als die Geister mit den Sägen durch den Fußboden verschwunden waren, warf der Kopfjongleur jedem Kameraden den richtigen Kopf zu, setzte zum Schluß seinen eigenen wieder auf, um dann mit der Reiterei unter lautem Fanfarenstoß aus der großen Halle davonzugaloppieren.
"Nun, wir brauchen die Geistermusik auch nicht unbedingt", sagte Professor Dumbledore. "Wir können auch so den Rest des Abends umbringen." Daraufhin ließ er das Licht in der Halle verlöschen und zauberte mit seinen Kollegen schaurige Irrlichter in die Halle, die golden, rot, grün, hellblau, silbern und violett erstrahlten und dazu merkwürdige Klänge von sich gaben, die wie Klagen und Jammern klangen.
Als das Fest vorbei war, kam Professor Bitterling zu den Zweitklässlern herüber und gab jedem einen Trank, der die Wirkung des durchscheinend machenden Gebräus aufhob. Roy trank das Zeug mit großem Mißtrauen. Doch als er wieder normal aussah und seine Stimme sich auch wieder fest und nicht aus anderen Sphären herüberschwebend anhörte, atmete er auf.
Im Schlafzimmer der Zweitklässlerinnen aus Ravenclaw tuschelten die vier Mädchen noch über die Sache mit dem Trank und daß die Geistermusik sie zum Schweben gebracht hatte. Sie schrieben sich alles auf, was sie beobachtet hatten. Danach legten sie sich zum schlafen hin.
In der nächsten Zaubertrankstunde erzählte Professor Bitterling, woran es gelegen hatte, daß einigen die Wirkung des Zaubertrankes nicht so gelungen war.
"Sie, Mr. Fielding, haben von der Silberdistelwurzel eine Prise zu wenig eingefüllt. Sie Ms. Murphy, haben das Gebräu wohl eine Minute zu früh vom Feuer genommen, aber ansonsten richtig zusammengemischt", sagte sie. "Sie, Mr. Dirkson", fuhr sie Dorian anblickend fort, "hätten bei der Dosierung des Eibenholzmehls besser einen halben Teelöffel weniger nehmen sollen. Ich kann mir denken, daß sie sich als lebender Blasebalg nicht sonderlich wohlgefühlt haben dürften."
"Mir war auch speiübel, Professor", gestand Dorian ein. Alle grinsten, lachten jedoch nicht laut. Aurora Dawn fragte, was denn mit Samiel Sharkey losgewesen sei.
"Der wollte es ganz schlau anstellen und hat den Trank von Ms. Rattler in seinen dazugemischt. Pech für ihn war, daß seine Gestalt etwas bescheidener ausgeprägt ist als die von Ms. Rattler. Wird ihm wohl nicht wieder unterkommen", grummelte Professor Bitterling, die wohl nicht gerne auf diese Frage geantwortet hätte, es jedoch wohl mußte, weil sie ja aufgegeben hatte, alle zu beobachten, die von dem Trank getrunken hatten.
"Ja, aber ich dachte doch, der Trank wirkt nur bei denen, die auch Stücke ihres Körpers eingerührt haben", wunderte sich Dina Murphy.
"Ja, wenn man ihn pur und unvermischt mit gleichartigen Tränken einnimmt. Da Mr. Sharkey wohl etwas von seinem eigenen Trank einnahm, wird das zusätzliche Gebräu ihn wohl noch betroffen haben. Er kann von Glück reden, daß ich ihm das Gegenmittel gab, sonst hätte es beim Abklingen der Wirkung einen für ihn unerwünschten Nebeneffekt gegeben. Seine Stimme wäre dann nämlich die von Ms. Rattler geworden und geblieben", antwortete die Lehrerin verbittert. Dann ließ sie an der Tafel das neue Rezept erscheinen, das in dieser Stunde drankam. Alle waren erleichtert, daß sie für den Tranzluzenztrank keine Punkte oder Punktabzüge vergab.
Aurora Dawn hatte es sich sehr genau überlegt, ob sie noch mal auf einen Besen steigen wollte, den sie nicht kannte. Doch als nach Halloween wieder regelmäßig für Quidditch trainiert werden sollte, mußte sie sich entscheiden. Sie trat am Samstag morgen eine Woche vor dem Spiel Gryffindor gegen Slytherin an und nahm den Schulbesen, einen Sauberwisch 3, der beim Aufrichten leicht zitterte.
"Ich denke, du kannst damit fligen", sagte Kelvin Hightowers zu Aurora, während Marion Witt und Norman Wayne bereits flogen.
"Kelvin, dieser Besen zittert", stellte Aurora voller Unbehagen fest. "Ich denke nicht, daß der mich aushält."
"Der hat vor zwei Jahren den dicken Daniel ausgehalten, als der als Reservespieler trainiert hat. Du bist nur halb so schwer wie er", stellte Kelvin unbeeindruckt fest. Aurora nahm den Besen zwischen ihre Beine, stieß sich damit ab und flog auf.
Das Zittern ging nicht ganz weg. Der Besen schüttelte sich wie ein Ast im Sturmwind und schlingerte durch die Luft. Jeden Moment erwartete das Hexenmädchen, wieder abzustürzen. Ihre Beklemmung schien den Besen anzustecken. Denn er wurde immer unbeherrschbarer. So prallte Aurora fast gegen einen Klatscher, den Alessandro Boulder quer übers Feld drosch, kam nicht mit Marions schnellem Spurt mit, als diese mit dem roten Spielball, dem Quaffel, einen Angriff auf das von Kelvin gehütete Tor startete und sackte tatsächlich einmal ganze zehn Meter durch, als sie nur eine Wende machen wollte. Dabei schrie sie laut: "Hilfe, ich stürze ab!"
Kelvin unterbrach das Training und winkte Aurora zu sich an den Spielfeldrand.
"Wenn du's nicht machen kannst, lassen wir's", sagte er. "Wenn du wegen des Absturzes noch zu viel Angst hast, dann werde ich dich nicht zwingen, zu fliegen", sagte der Kapitän der Hausmannschaft von Ravenclaw. Aurora Dawn mußte einen aufkommenden Weinkrampf unterdrücken. Sie wollte nicht schwach und zerbrechlich aussehen. Sie sagte nur leise:
"Ich kann mit diesem Besen nicht fliegen, Kelvin. Der ist mir zu alt."
"Wegen Mademoiselle Dawn schaffen die sich auch neue Besen an", gab Tonya Rattler einen höchst unwillkommenen Kommentar ab. Sie kam gerade mit Severus Snape aus der siebten und ihrer Schwester Delila des Weges.
"Wer hat dich gefragt, Rattler?" Fragte Kelvin sehr ungehalten. "Ihr habt hier jetzt nichts zu suchen. Oder meint ihr, Spionage würde euch dieses Jahr mehr bringen als letztes Jahr?"
"Pass auf, wie du mit meiner Schwester redest, Hightowers!" Drohte Delila. Doch Kelvin grinste nur überlegen. Dann sah er Severus Snape an.
"Na, Kesselplanscher, treibt dich die Not so heftig, daß du schon mit kleinen Mädchen anbandeln mußt?"
Halt's Maul, Eierkopf!" Zischte Severus Snape und funkelte den Quidditchkapitän an. In diesem Moment trat James Potter in Begleitung seines besten Feundes Sirius Black und eines dicklichen Jungen mit wässerigen Augen und Stubsnase aufs Feld.
"Das ihr beiden euch nicht schämt, Mr. Hightowers und Mr. Schniefelus", sagte der Schulsprecher. "Da zankt ihr euch rum wie Zweitklässler. Was soll denn Aurora Dawn von euch denken?"
"Was willst du hier, Potter?" Fauchte Snape, während Tonya und Delila sich leise zurückzogen.
"Das wozu ich Schulsprecher bin, Schniefelus. Ordnung halten", erwiderte James ganz lässig. Snape schien zu überlegen, was er darauf antworten konnte, erinnerte sich wohl aber daran, daß Schulsprecher oder Vertrauensschüler Häusern Punkte wegnehmen konnten, wenn deren Bewohner sich ihnen gegenüber respektlos verhielten. Da Snape kein Vertrauensschüler war, war er nicht gegen diese Maßnahme gefeit und schwieg wohl deshalb. Er zog es vor, das Feld zu räumen. James fragte Aurora, was mit ihr los sei und erzählte ihr dann:
"Oh, ja, das kenne ich. Ich habe auch schon mal einen Besen im Flug zerlegt und bin erst im Krankenflügel wieder wach geworden. Danach hat es einen ganzen Monat gedauert, bis ich es schaffte, auf einem Besen richtige Manöver zu fliegen. Einen weiteren Monat später konnte ich erst wider Quidditch spielen. Das ist also nichts böses, sondern nur normal. Andererseits mußt du dich jetzt entscheiden, ob du jemals wieder fliegst oder es gleich aufgibst."
"Dann nie wieder fliegen können, weil ich denke, der Besen zerfällt unter mir? Neh, das wäre mir doch zu schwach", sagte Aurora, die James' kurzer Bericht irgendwie beruhigt, ja aufgemuntert hatte. James war ein Ass im Quidditch. Wenn er wirklich mal vom Besen geflogen war - und warum sollte er sie anflunkern? - dann hatte er es geschafft, damit klarzukommen. Also konnte sie das auch.
"Ich probiere es aus", sagte Aurora. "Ich will ja Weihnachten wieder fliegen können."
"In Ordnung", sagte James Potter lächelnd und verabschiedete sich von Kelvin Hightowers. Dieser nickte ihm hinterher und gab Aurora seinen Trainingsbesen, der etwas besser in Form war.
Aurora kämpfte mit sich und dem Besen, bis sie zwei Stunden später die ersten schnelleren Manöver wagte. Einmal sackte sie wieder durch. Doch als sie daran dachte, daß Tonya Rattler ihr wieder zusehen würde, fing sie sich und den Besen gut ab und gewann etwas von ihrer alten Sicherheit zurück. So schafften sie es, eine doch noch brauchbare Dreierformation aus Jägern zu bilden, die Kelvin im Torraum auf Trab hielten und auch den gezielt geschlagenen Klatschern ausweichen konnten. Am Ende dachte Aurora daran, daß sie wohl für das Spiel gegen Hufflepuff einigermaßen gut gerüstet sei.
Der erste Spieltag der Schulsaison war kalt und naß. Riesige, aufgequollene, bleigraue Wolkenungetüme jagten am Himmel entlang und vergossen Regen wie an Schnüren. Böiger Wind fegte über das Quidditchfeld und zerzauste Haar und Kleidung. Heute spielten Gryffindor gegen Slytherin, das erste Spiel, zugleich das wohl härteste. Aurora konnte sich noch zu gut an das letzte Jahr erinnern. Gryffindor und Slytherin hatten sich sehr unfair beharkt und sich statt sportlicher Kunst eine wilde Prügelei auf fliegenden Besen geliefert. Ob das in diesem Jahr auch so sein würde?
Die Stimmung trotzte dem ungemütlichen Wetter. Alle saßen unter großen Regenschirmen. Dabei fiel auf, daß die Gryffindors auf ihre scharlachroten Schirme den goldenen Gryffindor-Löwen trugen, der gierig den Rachen aufriss und brüllte, während die Slytherins eine Art tragbares grünes Zeltdach mit einer sich darauf ringelnden Schlange aus Silber benutzten, mindestens zwanzig Stück davon. Aurora Dawn saß zusammen mit Petula und Miriam in einer Reihe recht weit oben unter einem an den Stühlen befestigten Schirm in sattem Blau aber ohne den Ravenclaw-Adler darauf. Roy, Bruster und Mortimer saßen zusammen mit Dina Murphy eine Reihe weiter unten unter drei großen Schirmen und warteten darauf, wer gewinnen würde. Roy und Bruster maßen Quidditch immer noch nicht so viel Interesse bei wie Fußball, wußte Aurora. Vielleicht wollten sie deshalb nicht mit den drei Mädchen zusammensitzen, die sehr heftig bei der Sache waren, wenn der Quaffel ins Spiel gebracht wurde.
Madame Hooch, die grauhaarige Fluglehrerin, forderte die Kapitäne Rosina Oaktree und Nero Roots zur gegenseitigen Begrüßung auf. Dann kommandierte sie alle Spieler auf die Besen, ließ erst den kleinen goldenen Schnatz auffliegen, dann die Klatscher, die sofort wild herumsausten, um den ersten, der ihnen zu nahe kam vom Besen zu hauen, zählte dann wohl bis drei und pfiff, während sie den roten Spielball hochwarf.
Wie im letzten Jahr gingen die in scharlachroten Umhängen spielenden Gryffindors und die in Grün spielenden Slytherins ziemlich handgreiflich ins Spiel. Doch anders als im Jahr davor beruhigte sich die Lage nach einer halben Minute, als Roots Abwehr eines Torwurfes auf seinen Mitspieler Ray Tallion im Tor der Gryffindors landete. Offenbar wollten die Slytherins nur die schnelle Führung haben. Doch das nützte ihnen nichts. Die Spieler um James Potter legten sofort nach und zwangen den Hüter der Slytherins dreimal in zwei Minuten, den Quaffel hinter sich aus dem Torraum zu holen. Als dann wieder mehr Unfairness ins Spiel kam, verhängte Madame Hooch gleich zwei Strafwürfe gegen Slytherin, die James Potter mit überaus sichtbarer Genugtuung verwandelte. Aurora Dawn sah nicht mehr hin. Sie hörte nur noch dem Stadionsprecher zu, der beschrieb, was gerade mal wieder an Fouls zu erwähnen war, bis der Sucher der Slytherins den Schnatz fing, was die Bewohner des Hauses mit der Schlange als Wappentier in einen lange anhaltenden Jubelsturm ausbrechen ließ. Offenbar hatten sie das gebraucht, den verhaßten Gegner im ersten Spiel zu schlagen. Aurora nahm noch zur Kenntnis, daß Slytherin mit genau einhundert Punkten Vorsprung gewonnen hatte. Ravenclaw würde im vierten Spiel der Schulsaison gegen die Slytherins antreten müssen, nachdem Hufflepuff gegen diese Mannschaft gespielt haben würde. Bis dahin mußte sie wieder vollkommen auf der Höhe sein.
Aurora traf sich in der Bibliothek mit einigen von den Gryffindors aus ihrer Klasse und besprach mit ihnen das Spiel. Bernahrd Hawkins, der Zwillingsbruder von Rebecca Hawkins, erklärte ihr, wie heftig seine Mannschaft hatte trainieren müssen, um die Slytherins auf Abstand zu halten.
"Na ja, Aurora, gegen die Schiebung dieser Banditen konnten wir ja gut mithalten. Aber warum hat Larry den Schnatz nicht gefangen? Der war doch ganz dicht davor."
"Hat der andere ihn geschupst?" Fragte Aurora.
"Neh, der hat sich einfach nur mit einer Seitwärtsrolle so gedreht, daß er den Schnatz förmlich in die Hand fallen lassen konnte. Als Manöver war das schon cool. Aber warum haben unsere Leute nicht noch zehn Tore mehr gemacht?"
"Tja, man kann nicht alles haben", erwiederte Aurora Dawn. Bernahrd sah sie verstört an, mußte jedoch grinsen.
"Wenn die jetzt meinen, den Pokal im Sack zu haben, dann werden die sich noch sehr heftig umsehen", sagte er leise. Aurora Dawn lächelte. Bernahrd war offenbar keiner, der sich wegen eines einzigen Spiels aus der Bahn werfen ließ.
"Ihr mögt die Slytherins noch weniger als der Rest hier, wie?" Fragte sie. Bernhard nickte. Dann sagte er:
"Die wollen nicht gemocht werden. Die gehen daher und schleimen sich ein, ganz genau wissend, daß sie keine richtigen Freundschaften haben wollen. Man könnte ja irgendwann mal wegen eines Typen oder einer Frau wichtige Sachen nicht kriegen oder muß sich mit irgendwem gutstellen, von dem oder der man was kriegt. Unser Dad hat Becky und mir geraten, uns bloß nicht von denen einlullen zu lassen, nur weil die im letzten Jahr so viel Punktabzüge aufgeladen bekamen."
"Na klar", erwiderte Aurora Dawn. Petula Woodlane kam herüber, zusammen mit Eunice.
"Bernahrd, die warten im Gryffindor-Turm auf uns. Offenbar will James doch die Party feiern, die er bestellt hat", lächelte Eunice.
"Pech nur für dich, daß der mit der Evans ausgeht, Eunice", feixte Bernahrd. Eunice verzog das Gesicht und winkte ihrem Klassenkameraden, ihr zu folgen.
"Ach, steht die auf James Potter?" Fragte Aurora Petula. Diese grinste.
"Nicht nur die, Aurora. Ich habe vorhin Melinda Bunton erwischt, wie sie einen Brief an den Schulsprecher losgeschickt hat, zusammen mit einem kleinen Paket."
"Ihr fangt aber alle früh an, euch mit irgendwelchen Jungs abzugebn", erwiderte Aurora Dawn.
"Was heißt denn hier "ihr"? Ich hab's noch nicht nötig", erwiderte Petula kalt. Roy und Mortimer kamen in diesem Moment in Hörweite.
"Wen oder was hast du nicht nötig, Petula?" Fragte Mortimer.
"Sowas wie dich", konterte Petula noch kälter klingend. Roy grinste nur und meinte:
"Den mußt du ja auch nicht nötig haben, Petula. Hat ja nicht mal Ahnung vom Fußball."
"Ach, wenn das ein Grund ist, mit 'nem Jungen rumzuziehen sterben wir Hexen alle mal als alte Jungfrauen", lachte Petula und strich sich wie beiläufig durch ihr blondes Haar. Aurora Dawn sagte dazu nichts. Wie Bernhard eben aufgestanden war und ganz lässig hinter Eunice hergegangen war, das hatte schon was, fand sie. Aber auch sie dachte noch längst nicht daran, sich irgendwen zu suchen, um auszugehen. Es gab erst einmal wichtigeres hier.
"Wie bist du eigentlich jetzt drauf, Aurora? Packst du es im Spiel gegen Hufflepuff?" Fragte Mortimer. Aurora nickte verhalten. In einigen Wochen würde sie es wissen.
Tonya Rattler hatte das mit dem Absturz vom Besen nicht vergessen. In jeder Kräuterkundestunde wies sie leise darauf hin, daß Aurora Dawn besser nicht am Spiel gegen Hufflepuff teilnehmen sollte, es sei denn, sie wollte haben, daß Hufflepuff gewinne und sie dazu noch für den Rest des Schuljahres ausfiel.
"Deine Mama dürfte das nicht freuen, wenn du wegen irrer Selbstüberschätzung vom Besen kullerst, Dawn", sagte sie in der vorletzten Stunde vor dem Spiel. Aurora, die sich geschworen hatte, Tonyas Sticheleien nicht zu würdigen, verzog zwar das Gesicht, gab jedoch keine Antwort. Nach der Stunde regte sie sich jedoch über dieses Mädchen aus Slytherin auf. Als sie mit Petula und Miriam im Schlafsall der Zweitklässlerinnen war, sagte sie sehr wütend:
"Wer ist dieses klobige Geschöpf, daß die ihr Maul so ungeniert aufreißen darf? Die ist nicht von diesem klapprigen Besen gefallen! Die trainiert ja nicht einmal Quidditch! Was fällt der ein, so über mich herzuziehen?"
"Die will haben, daß Slytherin den Pokal kriegt. Wenn wir mit dir auf dem Besen mehr Punkte holen, käme die in die Bredullie", sagte Miriam Swann. "Außerdem findet sie es schön, was zu haben, womit sie dich aufziehen kann, weil sie es in Kräuterkunde nicht bringt."
"Ja, und ihre Schwester ist beim Auswahltraining für Slytherin formvollendet abgeblitzt. Roots hat der sogar unter die Nase gerieben, daß die auf 'nem Besen wie ein Sack Kartoffeln am Spies aussehe. Wahrscheinlich ärgert sich Tonya in sippentreuer Gleichmütigkeit mit Delila und hat sich auf dich eingeschossen, weil du nun auch mit 'nem veralteten Besen abgeschmiert bist."
"Aber das kann sie vergessen", sagte Aurora entschlossen. "Ich werde mitspielen. Die letzten Trainingsstunden liefen schon besser ab. Hooch und Dumbledore haben es ja auch so gesehen, daß mein erster Besen hier zu alt war, um den noch gescheit auszufliegen. Vielleicht kriegen wir nach dem Spiel doch mal gescheitere Besen ab."
"Ich wüßte nicht, ob ich die Sprüche von der Rattler so wegstecken könnte", bemerkte Miriam anerkennend. "Also bei mir hätte die schon eine gefangen."
"Das hätte die doch nur noch fieser gemacht, Miriam", wußte Petula. "Kuck dir das doch an, wie Roy mit mir umspringt oder Bruster. Die lachen doch darüber, wenn ich denen zeige, daß mir das nicht gefällt."
"Die beiden sind doch eh hohl in der Birne", sagte Miriam. "Ich frage mich echt, wieso der Hut die bei uns reingesteckt hat, Aurora und Petula. Die müßten es doch langsam drauf haben, in Zaubertränken oder Zauberkunst besser klarzukommen. Selbst Dina, die immer noch Probleme hat, zeigt, daß sie vom Kopf her was drauf hat."
"Du hast es doch gesehen, Miriam, daß die in Slytherin und Gryffindor keinen freien Platz mehr hatten", legte Petula Woodlane nach.
"Petula, Miriam, die Jungs sind aber nun einmal bei uns. Vielleicht hat der Hut überlegt, sie anderswo hinzuschicken. Aber die sind bei uns. Was den Unterricht bei Bitterling angeht, haben die beiden wohl immer noch kein Gefühl für Zaubertränke. Was will Roy mit dem Fach? Bruster denkt wohl auch nicht laut über eine Zukunft in Zauberkunst nach. Nur weil sie leichter explodieren, wenn die Brut aus Slytherin die wieder dumm anlabert, macht die nicht beschränkter als andere Jungs", warf Aurora ein.
Dina Murphy trat ein. Sie wirkte verlegen. Als sie jedoch mitbekam, daß man sich über Roy und Bruster unterhielt, sah sie sehr angespannt aus, als müsse sie sich überlegen, ob sie was dazu sagte oder es besser lassen sollte.
"Hi, Dina", grüßte Aurora die dritte Schlafsaalmitbewohnerin, die ihr dunkelblondes Haar nie so recht glatt kriegen konnte.
"Wieso meint ihr beiden, Roy und Bruster für bescheuert halten zu müssen, nur weil sie teilweise muggelstämmig sind?" Wollte Dina wissen, und ihre Stimme klang so, als müsse sie sich arg beherrschen.
"Dina, es ist doch wohl klar, wenn die beiden sich ständig so reinrasseln lassen oder leicht ausrasten, daß ich mich fragen muß, ob die die Ravenclaw-Sachen wirklich im Kopf haben, die der Hut meint, für Ravenclaw finden zu können", sagte Petula. Miriam fügte noch hinzu:
"Ja, außerdem hat Bruster eine total verkorkste Einstellung zu Hexenmädchen. Der sollte es doch wissen, daß Zauberer alleine nicht die Welt bedeuten."
"Ach, bist du nachtragend", warf Dina ein, nachdem sie einige Sekunden überlegt hatte, worauf Miriam anspielte. Natürlich ging es um ihre Streitigkeiten mit Bruster Wiffle, der sich mehrmals herablassend über Hexen geäußert hatte.
"Ich bin nicht nachtragend, Dina. Ich vergesse nur nichts", sagte Miriam. Darüber mußten Petula und Aurora lauthals lachen.
"Wenn ich das richtig mitgekriegt habe kann das auf's selbe rauskommen", meinte Dina Murphy dazu. Dann fügte sie schnell noch hinzu: "Jedenfalls solltet ihr es langsam lassen, euch darüber das Maul zu zerreißen, wer nach wo hingehört. Oder wollt ihr mir noch unterjubeln, ich sei zu bekloppt für Ravenclaw? Dann seid mal so mutig und sagt das! Wenn nicht, laßt es!"
"Dina, das konnte jeder sehen, auch die Bitterling, daß du Krach mit deinem Zauberstab hattest", beschwichtigte Petula die Klassenkameradin. "Jetzt kriegst du zumindest die einfacheren Sachen hin. In der Zweiten sind ja noch viele andere, die schlechter zaubern können als du."
"Schön gesagt", gab Dina verächtlich zurück. Aurora fand irgendwie, daß sie was sagen sollte, daß nicht als Beschwichtigung oder Gehässigkeit rüberkam. Sie sah Dina an und meinte:
"Ich denke, was wir hier alle können und sollen, kriegen wir wohl erst später mit, vielleicht sogar erst vor der UTZ-Prüfung. Dann brauchen wir uns nicht drum zu zanken, wer warum wohingeschickt wurde."
"Man merkt doch, daß du das Blut einer Lehrerin in dir drin hast", lachte Petula und lächelte Aurora mit einem Kleines-liebes-Mädchen-Lächeln an, um sie nicht wütend zu machen. Aurora nickte nur.
"Habe ich mir nicht ausgesucht, Petula. Aber sogesehen ist das wohl nicht so verkehrt wie ich vorher gedacht habe."
"Was die Rattler angeht, weshalb wir uns ja jetzt an und für sich so aufgeregt haben", griff Miriam den eigentlichen Gesprächsfaden noch mal auf, "wirst du beim Spiel gegen Hufflepuff zeigen, daß du aus einer Familie mit guten Spielern kommst, Aurora."
"Meine Mum hat mal gesagt, daß man sofort wieder aufs Pferd steigen soll, wenn man einmal abgeworfen wurde", sagte Dina. Ihre Eltern kannten Leute, die auf gewöhnlichen Pferden ritten, wußten die Mädchen.
"Nur daß ein Pferd nicht aus mehreren Metern Höhe runterfällt, wenn ihm die Beine wegbrechen", sagte Petula und biss sich verärgert auf die Zunge, weil sie wohl was für Aurora schmerzhaftes gesagt hatte. Diese nickte jedoch und wandte ein:
"Quidditch an sich ist schon gefährlich. Wenn ich das mit dem Absturz nicht weggesteckt habe, muß ich nach dem Spiel halt aufhören. Wenn ich aber doch gut damit klargekommen bin, mache ich weiter, bis ich für uns diesen Pokal geholt habe."
"Das wünschen wir dir", sprach Petula ihrer Schulfreundin Mut zu und erntete ein zustimmendes Nicken von den beiden anderen Mädchen.
Anders als beim Spiel Gryffindor gegen Slytherin lachte die Sonne von einem blitzblankblauen Himmel, als die Zuschauerränge um das ovale Quidditchfeld sich füllten. Diesmal zeigten die Ravenclaws und Hufflepuffs Flagge. Die Ravenclaws trugen große blaue Banner mit dem bronzenen Adler ins Stadion, während die Hufflepuffs kanariengelbe Spruchbänder "Hufflepuff Hurra" und "Isadora hol den Pott!" neben den üblichen Fähnchen und Schals ausrollten. Aurora hatte sich geschworen, nicht auf die Zuschauer zu achten. Falls sie doch nicht so sicher war, ob ihr Training sie auch seelisch wieder aufgerichtet hatte, wollte sie nicht mitkriegen, wie die anderen das hinnahmen.
Kelvin Hightowers versammelte seine Leute noch einmal in der Kabine. Er ließ sie einige Minuten lang meditieren, um sich von allen störenden Gedanken zu befreien, eine Technik, die ihm seine Großtante beigebracht haben wollte. Dann sagte er:
"Leute, gleich gehen wir ins erste Spiel rein. Wir können uns heute viele Punkte sichern, um in der Pokalfrage laut mitreden zu dürfen. Unterschätzt aber nicht die Hufflepuffs. Isadora Meadows hat schnelle Spieler aufgeboten, und der Hüter von denen ist auch besser als im letzten Jahr. Aber wir haben die Technik, das Wissen und vor allem den Willen, heute zu siegen. Also raus und ran, Leute!"
"Begrüßt euch, Kapitäne!" Kommandierte Madame Hooch, die wieder als Schiedsrichterin fungierte. Isadora Meadows lächelte, als Kelvin Hightowers erhaben in seinem blauen Spielerumhang zu ihr hinging. Zärtlich reichten sie sich die Hände, was von den Gryffindors und Slytherins im Publikum mit belustigten Bemerkungen bedacht wurde.
"Auf die Besen!" Befahl Madame Hooch. Aurora prüfte, ob ihr Besen übermäßig zitterte. Doch ihr Fluggerät war ruhig, als sie aufsaß.
"Drei!" Rief Madame Hooch und ließ den goldenen Schnatz mit seinen vier silbernen Flügeln losschwirren. "Zwei!" Rief sie und gab die schwarzen Klatscher frei, die wild auffuhren und über dem Feld herumsausten. "eins! Los!" Beim Letzten Wort warf sie den scharlachroten Spielball nach oben und stieß in ihre Trillerpfeife. Vierzehn Spielerinnen und Spieler schnellten nach oben, um sich den Quaffel zu holen. Aurora Dawn flog zunächst mit Marion Witt zusammen, während Norman Wayne sich im Torraum aufhielt.
"DA sind die Ravenclaws auch schon im Quaffelbesitz. Schön hat Marion das gemacht", kommentierte einer der Gryffindors den Spielverlauf. Aurora hörte nicht hin. Sie konzentrierte sich auf den Flug und den Quaffel. Der Flugwind sauste an ihren ohren vorbei. Sie hatte ihr langes Haar in ein blaues Kopftuch gezwungen, um keine störenden Strähnen vor ihrem Gesicht herumfliegen zu haben. Den Trick hatte sie von Erin Runfield abgeschaut, die im letzten Jahr noch gespielt hatte.
Nach einer Minute konnte Norman das erste Tor für die Ravenclaws machen. Aurora Dawn hatte das mit dem Besenunfall vollkommen verdrängt oder auch vergessen. Denn sie raste über dem Feld herum wie eine wilde Hummel.
"Dawn im Quaffelbesitz! Greift jetzt den neuen Hüter der Hufflepuffs direkt an!" Rief der Stadionsprecher. Aurora tanzte vor dem Tor nach oben und unten. Endlich schaffte sie es, den Ball durch den mittleren Ring zu bringen.
Die Hufflepuffs waren jedoch nicht schwach oder langsam. Sie formierten sich schnell und wirkungsvoll. Hightowers mußte wilde Verränkungen machen, ja mehrmals mit dem Kopf nach unten vor den Torringen fliegen, um wuchtige Würfe zu parieren. Irgendwann konnte Isadora Meadows ihn überwinden und die ersten zehn Punkte für Hufflepuff einfahren. Von da an wurde das Spiel noch schneller. Aurora Dawn spürte, wie ihr Unbehagen über schnelle Sturzflüge wiederkam und drohte, zu langsam zu werden. Die Hufflepuffs meinten, das ausnutzen zu können. Doch unvermittelt waren sie von Marion und Norman innerhalb einer halben Minute um weitere zwanzig Punkte in den Rückstand gedrängt worden.
"Die Dawn fällt gleich!" Flötete eine überlaute Stimme aus den Reihen der Slytherins, weil Aurora Dawn beinahe wie ein Stein an einem Seil in der Luft baumelte. Doch als sie den Quaffel hatte, fiel das Unbehagen von ihr ab. Mit einem mörderischen Ansturm jagte sie auf den Torraum zu, duckte beide Klatscher über sich weg und feuerte den Quaffel in einem schnellen Vorstoß durch den rechten Torring.
"Hufflepuff liegt nun vierzig Punkte zurück und muß neu aufbauen", scholl der Kommentar des Sprechers durchs Stadion. Doch Aurora durchbrach die Formation, wobei das Reisigwerk ihres Besens gefährlich laut raschelte, pickte sich den Quaffel von Isadora Meadows weg und griff an.
Dschumm! Einer der Klatscher sauste knapp an ihrem linken Ohr vorbei. Da sah sie auch den zweiten schwarzen Ball anfliegen, direkt auf sie zu. Sie erschrak und wußte nicht, was sie tun sollte. Sie sackte mit dem Besen durch und fiel beinahe unkontrolliert nach unten. Der Klatscher fegte über sie hinweg. Sie spürte, wie der Schreck sie lähmte und sie den rasenden Sinkflug nicht rechtzeitig abfangen würde.
"Und tschüs!" Riefen die Slytherins. Da sprang Auroras Besen wieder nach oben, beinahe im Senkrechtflug wie eine Rakete nach oben schießend. Sie warf den Quaffel mit solcher Wut von sich, daß er wie ein Klatscher einen Gegenspieler traf und aus der Bahn warf.
"Eh, was soll'n das?!" Rief Isadora Meadows entrüstet. Da erscholl die Trillerpfeife der Schiedsrichterin. Aurora Sah nach oben und entdeckte Karin Meridies, die kleine, pummelige Sucherin mit den feuerroten Locken. Sie reckte die linke Faust nach oben.
"Ravenclaw gewinnt mit zweihundertfünfzig Punkten!" Rief der Stadionsprecher, als Madame Hooch das Spiel offiziell beendete. Aurora Dawn kehrte aus ihrer Höhe von fünfunddreißig Metern in einer sanften Abwärtsspirale wieder auf das Spielfeld zurück. Sie hatte es geschafft! Das Spiel war nach einer Stunde vorbei, und sie hatte gut mitgehalten.
Professor Flitwick freute sich sichtlich. Professor Sprout, die Leiterin von Hufflepuff, gratulierte fair. Aurora DAwn wurde von ihren Mitspielern umringt und beglückwünscht, als habe sie allein das ganze Spiel gemacht.
"Du hast es weggesteckt", sagte Ken Dasher, einer der Treiber, der seine Gegenspieler aus Hufflepuff heftig zurücktreiben mußte.
"So ganz kann man sowas nicht wegstecken, Ken", wandte Marion ein und fügte hinzu: "Aber gerade dann wird man immer besser, weil man weiß, daß was passieren kann."
"Wir haben die ersten zweihundertfünfzig Punkte sicher, Leute! Danke euch allen dafür!" Freute sich Kapitän Hightowers. Isadora Meadows kam herüber, um fair zu gratulieren. Sie wirkte leicht angespannt, als hinge sie zwischen zwei Gefühlen fest. In Hogwarts flog ja seit je her das Gerücht herum, daß sie und Kelvin miteinander gingen, auch wenn das bis dahin niemand richtig hatte sehen können.
Das Spiel hatte Aurora sichtlich ermüdet. Offenbar hatte sie sich doch heftiger angestrengt als sie es gewollt hatte. Doch als sie im Ravenclaw-Gemeinschaftsraum saß, freute sie sich, daß alle feierten. Nur Roy und Bruster saßen gleichgültig in einer Ecke und besprachen einen Artikel aus einer Zeitung mit langweilig bewegungslosen Fotos. Dina ging zu ihnen hinüber und sprach kurz mit ihnen. Dann kehrte sie mit einer enttäuschten Miene zurück. Aurora fragte sie, was sie habe.
"Ach die haben's immer noch von diesem blöden Fußball. Das du heute deine Knochen hingehalten hast haben die nur am Rande mitgekriegt", sagte Dina. "Wie kann man nur einen Sport so toll finden, wo nur ein Ball verwendet wird und die überhaupt nicht fliegen können?"
"Kapiere ich auch nicht, Dina. Vielleicht sind wir beide zu blöd dafür", sagte Aurora mit einem hintergründigen Lächeln.
"Könnte es sein, daß Roy immer noch glaubt, er gehöre hier nicht hin, nach Hogwarts?" Fragte Dina.
"Hmm, das weiß ich nicht, Dina", gestand Aurora Dawn. "Wenn das so ist, dann kriegen wir das so schnell nicht aus denen raus. Was hast du die denn gefragt?"
"Ich habe die gefragt, ob sie nicht einmal mit uns zusammen feiern wollen, wo du mit den anderen heute die zweihundertfünfzig Punkte geholt hast. Aber nein, dieses Spiel zwischen Liverpool und irgendeiner Londoner Mannschaft ist denen wichtiger. Weißt du, was Arsenal ist?"
"Hmm, heißt wohl Waffenkammer, wenn ich das mal richtig gelesen habe. Kann auch gerade mitgenommene Bewaffnung heißen."
"Wie, die spielen mit Waffen?" Fragte Dina. Offenbar hatten Roy und Bruster das gehört. Sie tuschelten. Dann stand Roy auf und kam mit in die Seite gestämmten Händen herüber.
"Mädels, wenn ihr euch schon dumm über Fußball auslaßt, dann solltet ihr euch bei den Experten erkundigen! Arsenal ist eine Londoner Traditionsmannschaft. Man spielt unbewaffnet Fußball, weil es anders ja auch zu langweilig wäre, wenn die da mit MGs oder Panzerfäusten aufeinander einballern würden." Dann blickte er Aurora an und fügte hinzu: "Schön, daß du heute gewonnen hast, Aurora. Aber du mußt es uns überlassen, ob wir diesem brutalen Flugspiel was abgewinnen wollen oder nicht!"
"Wenn man es richtig spielt ist es nur gefährlich aber nicht brutal", widersprach Aurora Dawn heftig. "Ihr müßt euch von dem Gerangel der Slytherins nicht beeindrucken lassen!"
"Wie du meinst", sagte Roy nur und kehrte an seinen Platz zurück. Dina folgte ihm. Zuerst sahen die beiden Jungen sie argwöhnisch an. Doch weil sie kein Wort sagte, steckten sie die Köpfe wieder zusammen und sprachen weiter über Fußball. Dina saß dabei. Aurora entging nicht, daß die beiden Jungen nicht mehr so locker miteinander reden konnten, wenn Dina dabei war. Petula und Miriam fiel das auch auf.
"Sieh mal an. Dina probiert was aus", flötete Miriam leise. Aurora nickte. Offenbar versuchte Dina, die Jungen durch ihre Anwesenheit davon abzubringen, über Fußball zu reden. Oder ging es vielleicht auch um andere Sachen, die ausschließlich für Jungen wichtig zu sein hatten?
"Tja, wenn Hufflepuff gegen die Slytherins ranmuß, freuen die sich bestimmt, die richtig abzufertigen", meinte Petula.
"Hauptsache, wir holen danach wieder viele Punkte", wandte Miriam zuversichtlich klingend ein.
Die Wochen bis zu den Weihnachtsferien vergingen mit Schule und Hausaufgaben, übungsstunden und Geplauder. Mortimer Swift legte sich einmal mit Nathan Mentry, einem der Vertrauensschüler an, weil er mal wieder eine Nacht im Gemeinschaftsraum verbracht hatte, was nach den Schulregeln nicht erlaubt war.
"Man, wenn diese beiden, mit denen ich zusammen im Zimmer hänge, von denen einer auch noch mein Cousin ist, nur über Fußball quatschen und sich dabei immer wieder in die Wolle kriegen, muß ich anderswo pennen", rief er einmal. Nathan zog Ravenclaw dafür zehn Punkte ab. Dann drohte er noch:
"Wenn du das noch einmal machst, hier im Gemeinschaftsraum zu schlafen, melde ich das Professor Flitwick. Wenn ich dem noch berichte, daß du das schon fünfmal gemacht hast, fährst du an Weihnachten für Immer von hier weg."
"Ach, denke ich nicht. Dann müßtest du ja zugeben, daß du mich viermal hier hast pennen lassen, Nathan", konterte Mortimer überlegen grinsend. "Dann würden wir beide zusammen den großen Abflug machen. Willst du das, wo du dieses Jahr den unheimlich tollen Zauberer machen möchtest? - Habe ich mir gedacht." Nathan war kreidebleich geworden. Offenbar hatte seine Drohung ihn selbst wie ein Bumerang getroffen.
Aurora war froh, daß Tonyas Sticheleien fürs erste nachgelassen hatten. Da sie im Kräuterkundeunterricht gerade mit schwierigen Pflanzen zu tun hatten mußte sich das klobige Mädchen zu oft auf ihre eigenen Sachen konzentrieren. Doch Aurora war sich sicher, spätestens vor dem Spiel Ravenclaw gegen Slytherin wieder dumme Sprüche von ihr hören zu müssen. Doch erst einmal kamen die Weihnachtsferien. Petula hatte Aurora und Miriam eingeladen, sie zu besuchen. Aurora mußte das noch mit ihren Eltern klären, während Miriam schon zugesagt hatte. Dina Murphy hatte gleich abgesagt. Ihre Eltern wollten mit ihr in die Staaten, Verwandte dort besuchen.
Als der Hogwarts-Express dann vom verschneiten Bahnhof abfuhr, blickte Aurora zurück und fragte sich, was das bald anbrechende Jahr bringen würde. Sie hatte nun ihren Einstand in der Quidditch-Hausmannschaft gegeben. Wie weit mochte sie da noch kommen?
Offenbar hatten alle die Ereignisse der letzten Weihnachtsferien noch nicht vergessen, wo Handlanger des Unnennbaren Gleis 9 3/4 überfallen hatten. Jedenfalls hatten die Wächter am Eisentor alle Hände voll zu tun, die anstürmenden Schüler zurückzuhalten, nicht in riesigen Mengen auf das auch für Muggel begehbare Gleis 9 hinüberzurennen, sondern in überschaubaren Gruppen. Aurora Dawn blickte sich immer wieder um. Ihre Eltern gingen links und rechts von ihr, die Zauberstäbe griffbereit.
Auf der anderen Seite der Barriere konnte Aurora vier Gestalten erblicken, die sie im tropfenden Kessel gesehen hatte, Auroren, Elitezauberer, die schwarze Magier jagten. Also hatte das Ministerium den Angriff dessen, dessen Name in der Zaubererwelt nicht genannt wurde, auch noch nicht vergessen.
Im Pub zum tropfenden Kessel stauten sich die Familien, die mit Flohpulver rasch nach Hause reisen wollten. Aurora Dawn setzte sich mit ihren Eltern an einen Tisch in einer unbeobachtbaren Ecke. Jemand hatte auf dem Tisch eine Ausgabe der Hexenwoche liegen gelassen. Auf der Titelseite blickte eine Hexe mit einer südländisch wirkenden braunen Haut und schwarzem, leicht gewelltem Haar lächelnd die Betrachter an. Ihre dunkelbraunen Augen strahlten Freude aus. Die Schrift darunter verkündete:
"Camille Dusoleil, die weltberühmte Kräuterkundeexpertin zu Frankreich, kehrt nach der einjährigen Babypause wieder zurück in die Gesellschaft der Kräuterhexen!" Aurora Dawn las den Artikel und erfuhr, daß die dargestellte Hexe nun, wo ihre Tochter Jeanne das erste Jahr gesund und glücklich überstanden hatte, neben ihrem Hauptberuf, die Grünanlagen in ihrer Heimat Millemerveilles zu pflegen, wieder an internationalen Tagungen teilnehmen würde. Aurora hatte den Artikel gerade mit Interesse durchgelesen, als ihr Vater sagte: "Wir können, Kind. Lass die Zeitung aber bitte hier! Könnte sein, daß diejenige, die die hier hingelegt hat, noch mal zurückkommt, um sie abzuholen."
"Ist Du-weißt-schon-wer auch in Frankreich unterwegs?" Fragte Aurora, die von der beruhigenden Miene Madame Dusoleils ermutigt worden war.
"Ich denke, der hat überall seine Leute herumlaufen", erwiderte ihr Vater mißmutig. "Aber die in diesem Millmervell haben wohl einen guten Abwehrzauber. Ich habe mal wen von denen da besucht. Die haben sich wohl wegen früherer Dunkelmagier gut abzuschirmen gelernt. Da habe ich Madame Dusoleil sogar einmal getroffen, wo sie noch in Umständen war. Sie ist sehr lebenslustig und neugierig. Aber mein Französisch ist zu schlecht, um mich mit ihr oder anderen da zu unterhalten. Es ging dann nur um "Guten Tag" und "Auf Wiedersehen."
"Vielleicht fahren wir da mal hin, wenn hier etwas mehr Ruhe eingekehrt ist", schlug Mrs. Dawn vor. "Tante June kommt bestimmt mal mit."
"Regina, im Moment möchte ich besser nicht zu weit rausfahren, wo er gerade wieder durch die Lande zieht, um ihm nicht passende Leute umzubringen", wandte Hugo Dawn ein. Dann trat er an den Kamin und warf seine Prise Flohpulver hinein.
Ohne weiteres Wort reisten die Dawns in ihr Landhaus zurück, um das herum viel Schnee lag. Aurora eilte hinaus und staunte. Das große Haus ihrer Eltern war wie mit Puderzucker bedeckt. Es strahlte im Wintermondlicht silbernweiß gegen den Nachthimmel, wie der Palast eines Schneekönigs. So ähnlich mochte das Haus vom Weihnachtsmann am Nordpol aussehen, dachte sie. Dann schmunzelte sie. An Santa Claus auf seinem Rentierschlitten hatte sie seit sechs Jahren nicht mehr so recht geglaubt. Egal, was die Erwachsenen erzählten, hatte sie ihn bisher noch nie über das winterliche Großbritannien fliegen sehen können. Aber wer wußte es schon genau!
Als sie mit rotem Gesicht und steifgefrorenen Fingern ins Haus zurückkehrte, hatte ihre Mutter bereits eine große Kanne Tee mit Zimt aufgeschüttet und alle Kerzen angezündet, die dem Wohnzimmer einen erhabenen Glanz verliehen. Sie unterhielten sich dann noch über das vergangene Schuljahresdrittel. Hugo freute sich, daß Aurora nach dem Besenunfall doch noch zu ihrem Spiel gefunden hatte und lachte, weil seine Frau protestierte, daß ihre Tochter sich nach dem Unfall so verbiestert gegeben hatte.
"Ja, Regie, das kommt davon, wenn man meint, zwischendurch die Mutter rauskehren zu müssen", sagte Mr. Dawn. Seine Frau fand das wohl nicht lustig und verzog ihr Gesicht. Sie sagte jedoch nichts
Kurz vor Mitternacht zogen sich die Dawns dann in ihre Schlafzimmer zurück. Aurora Dawn dachte an die vergangenen Monate. Sie kam dabei zu dem Schluß, daß sie von Tonya Rattler noch einiges böse zu hören bekommen würde und daß Dina wohl irgendwie auf Roy Fielding flog, der das aber wohl nicht blickte. Na ja, so waren Jungs halt, fand sie, bevor sie sich hinlegte und einschlief.
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