DAS VERMÄCHTNIS DER ZWEI SCHWESTERN

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Die Schulzeit ist für Julius Latierre vorbei. Mit seiner Frau Mildrid und der gemeinsamen Tochter Aurore beginnt er jetzt das Leben als erwachsener Zauberer. Hierfür will er möglichst bald einen einträglichen Beruf ergreifen. Zwar versucht die Heilzunftsprecherin Antoinette Eauvive, ihn zu einer Ausbildung zum Medimagier zu überreden, scheitert jedoch daran, daß Heiler nach der Ausbildung an einem von der Zunft festgelegtem Ort praktizieren müssen und Julius nicht für vier Jahre so gut wie ohne seine kleine Familie leben möchte. Während der Verlobungsfeier von Julius' Mutter mit dem amerikanischen Zauberer Lucky Merryweather rät ihm seine künftige Stiefgroßmutter, die selbst als Schulheilerin in Thorntails arbeitet, nur die Arbeit zu machen, in die er nicht nur seinen Verstand, sondern auch sein Herz einbringen kann.

Julius wird einen Tag nach seinem achtzehnten Geburtstag von Tiberius Odin gerufen. Denn ein würfelförmiger Zeittresor ist erschienen, der letzte Erbstücke der körperlich verstorbenen Aurélie Odin enthält: Ein magischer Pokal, ein altes Buch und eine große Flasche ausgelagerter Erinnerungen. Julius weiß, daß er sich damit endgültig auf das schwere Erbe aus dem alten Reich einläßt. Doch er nimmt die drei Gegenstände entgegen. Die Erinnerungen, die er in sein Denkarium umfüllt, lassen ihn und Millie fünf Generationen von Aurélies weiblichen Vorfahren erleben. Dabei erfahren sie von noch bestehenden Gegnern, sowie einem zweiten Lotsenstein, der in den Besitz einer Zaubererweltfamilie namens Steinbeißer gelangt ist.

Mit überragenden UTZ-Ergebnissen spricht er bei verschiedenen Stellen im Zaubereiministerium vor. Vertreter der Abteilung für magische Geschöpfe zeigen sich sehr interessiert, der Leiter der Truppe zur Behebung von Zaubereiunglücken reagiert überheblich und abweisend, weil Julius keinen offiziellen Unterricht in Muggelkunde hatte, was Monsieur Lesfeux für eine nicht auszuschließende Arbeitsbedingung hält. Am Ende unterschreibt Julius einen Arbeitsvertrag bei der Zauberwesenfachhexe Ornelle Ventvit.

Minister Grandchapeau lädt alle die Hexen und Zauberer zu einer geheimen Unterredung ein, die die vier Schutzzauber aus dem alten Reich erlernt haben und erläutert diesen, daß er eine geheime Truppe ins Leben rufen möchte, die als Service Silent, der stille Dienst, nur ihm persönlich zu berichten hat. Neben Julius sind Catherine Brickston, ihre Mutter, ihre Tante, die Hebamme Hera Matine und Belle Grandchapeau sowie Julius Frau Millie, Sicherheitszauberer Pierre und Professeur Delamontagne in die alten Zauber eingeweiht. Auftrag des geheimen Kommandos ist das Aufspüren, Sicherstellen oder Beseitigen von Hinterlassenschaften aus dem alten Reich, die nicht in unbefugte Hände fallen dürfen.

Die erste Bewährungsprobe läßt auch nicht mehr lange auf sich warten. Als der norwegische Archäologe Arne Björnson in einer freigelegten Gletscherhöhle einen gigantischen Metallhammer mit einer jede Elektronik störenden Aura entdeckt und dieser vom norwegischen Militär aus dem Versteck entfernt wird, droht ein uraltes Ungeheuer aus jahrtausendelangem Tiefschlaf zu erwachen. Julius erfährt davon, weil seine frühere Schulkameradin Moira Stuard ihren Vater vermißt, der Björnsons Fund überprüfen wollte. Von ihm fehlt seit dem 10. August jeder Hinweis. Julius und Catherine reisen mit der geflügelten Kuh Artemis, in der der Geist der altaxarroischen Lichtzauberin Darxandria wiederverkörpert ist, nach Nordostland, einer Insel im Svalbart-Archipel. Dort finden sie die gewaltige Schlange, die Temmie für einen alten Wächter hält, von denen vier von den Altaxarroin getötet worden sein sollen. Catherine und Julius fliegen in den erstarrten Leib der mehrere Dutzend Meter langen Schlange und entdecken dort die gleichsam erstarrten und am Untergrund festgewachsenen Körper norwegischer Soldaten, Ministeriumszauberer und auch den von Moiras Vater. Solange die gigantische schlange nicht erwacht ist hoffen Catherine und Julius darauf, die von ihr einverleibten lebend und unversehrt zu befreien. Doch bevor sie näher darüber nachsinnen können, wie dies gelingen soll, werden sie von schwarzen Schattensphären angegriffen. Catherine wendet den von Julius erlernten Todeswehrzauber an. Dadurch werden einige der Schattenkugeln vorübergehend vernichtet. Dabei kommt es zur sehr kurzfristigen Befreiung mehrerer der Versteingerten. Doch die Zeit reicht nicht, um sie nach draußen zu bringen. Denn sie dürfen ja nicht den Boden oder die Wände berühren. Von mehr als fünfzig Schattenkugeln gejagt fliehen Catherine und Julius aus dem starren Schlangenleib. Draußen ist Julius so erschöpft, daß er nur durch direkte Milchgabe von Temmie wach genug gehalten werden kann.

Um mehr über jenes unheimliche Wesen zu erfahren, daß Temmie/Darxandria einen der großen Wächter Skyllians genannt hat, reisen Temmie, Catherine und Julius mit Julius' Lotsenstein nach Khalakatan zu den konservierten Geistern alter Magier. Julius erfährt von dem Ereignisbeobachter Kantoran, wie fünf dieser Riesenschlangen entstanden, daß diese sich gegen die Absicht ihres Erschaffers Skyllian eigenständig fortpflanzen konnten, wie eine Zusammenkunft aus Erd- und Feuermagiern darüber sprach, wie diese Wesen zu bekämpfen waren und auch, wie vier der fünf Schlangen mit Hilfe vorzeitlicher Heißluftballons vom sie stärkenden Erdboden gelöst und im freien Flug vernichtet wurden. Jetzt weiß Julius, daß er einen der Erdmagier aufsuchen muß, die in der Halle der Altmeister überdauern. Da er die Feuermagierin Kailishaia bei der Zusammenkunft gesehen hat, will er diese nach einem ihr hier bekannten Altmeister fragen. Doch zuvor muß er sich von Darxandrias Cousine Ianshira anhören, was die von ihr unterrichteten Zauber bereits angerichtet haben. Sie tadelt ihn, weil er angeblich zu freigiebig bei der Weitergabe seines Wissens war. Weil er jedoch nichts mehr daran ändern kann sucht Julius Kailishaia auf. Diese bietet Julius' Frau an, ihr altes Feuerkleid zu tragen, mit dem alle Feuer- und Hitzewirkungen für die Trägerin des Kleides unschädlich werden und auch die Kraft von Yanxotahrs Schwert aufgehoben werden kann. Danach verweist sie ihn an Altmeister Agolar. Diesen hat Julius auch bei der Zusammenkunft in der Zeitrückschau gesehen.

Julius erkennt, daß Agolar der Vater Ailanorars und Naaneavargias ist. Der Meister der Erdelementarzauber schlägt Julius vor, daß dieser sich seiner immer noch lebenden Tochter anvertraut. Doch Julius lehnt dies ab, auch wenn er jetzt weiß, daß die mit Anthelia verschmolzene Naaneavargia ihm mehrfachen Dank schulden mag. Er lernt die Zauber der Erde, um Skyllians Schlangenungeheuer zu schwächen, darunter die große Gnade der großen Mutter Erde, die jedes Lebewesen aus dem Bann es fesselnder Erdmagie befreit.

Catherine indes erfährt nicht, was sie wissen will, nämlich was genau mit ihrer Urgroßmutter Claudine Rocher passiert ist. Statt dessen darf sie von der Windmagierin Ailansiria für sie nützliche Zauber erlernen. Dabei erfährt sie jedoch irgendwas, was sie stark erschüttert. Denn als sie wieder mit Julius zusammentrifft, wirkt sie bleich und bestürzt. Warum sie so aussieht will sie Julius nicht verraten.

Als Julius mit Temmie und Catherine wieder auf Nordostland ist gelingt es ihm, sechs Gefangene freizusprechen. Dadurch aber lockt er Anthelia/Naaneavargia an, die offenbar für alte Erdzauber empfänglich ist. Diese hilft Julius bei der Befreiung aller bis auf zweier, die durch die Ritualhandlung der großen Gnade nicht erreicht werden können. Bevor sie jedoch versuchen, sie durch das zeitweilige Niederwerfen der Schattenkugeln zu befreien, taucht ein übergroßer Nachtschatten im Leib der Schlange auf. Dieser entstand, weil Norwegens Zaubereiminister Sigurson bei seiner Anreise zur Höhle einen seiner Leibwächter töten wollte, um zu verhindern, wie dieser schlafwandelnd in den Bann der unheimlichen Macht gerät. Julius verwendet, von Millie und Camille Dusoleil aus der Ferne unterstützt, Ashtarias Lebensschutzformel an. Dadurch verschwindet der Nachtschatten. Ob er vernichtet wurde oder nur zeitlos an einen für ihn sicheren Ort geflüchtet ist weiß Julius aber nicht. Catherine und ihm bleibt aber nun Zeit, die beiden letzten Gefangenen zu befreien, indem sie die von ihrer Lebenskraft zehrenden Schattenkugeln aus dem Weg räumen. Anschließend prüft Anthelia, ob auch magische Feuer im Schlangenleib bestehen bleiben. Als sich das bestätigt zündet die neue Anthelia das dunkle Feuer, das alles aus Metall, lebender Substanz und Magie bestehende gnadenlos vernichtet. Das ist das Ende der schlafenden Schlange. Ihre Vernichtung setzt jedoch gewaltige Erdmagie frei, die sich in Form eines überheftigen, wenn auch örtlich begrenzten Bebens entlädt. Dabei kommen fünf der befreiten Gefangenen um, die Catherine nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte. Mit dem flauen Gefühl, Ohne Anthelia am Ende nicht so erfolgreich gewesen zu sein, kehren Temmie, Catherine und Julius in ihre Heimat zurück.

Julius fängt in der Abteilung für eigenständige Zauberwesen an und arbeitet zunächst als Übersetzer für bereits angelegte Akten. Als jedoch Großalarm im Ministerium gegeben wird, weil ein aus Algerien ins Land gebrachter Luftdschinn außer Kontrolle gerät, wird auch Julius zum Außeneinsatz beordert. Zusammen mit Ornelles in der Geisterbehörde arbeitenden Nichte Adrasthée schafft er es mit Hilfe des Mondfeuerzaubers, den Luftgeist zur Landung zu zwingen. Um ihn schnellstmöglich abzufangen disapparieren die beiden nach dem Absprung aus großer Höhe und erscheinen in dem Haus, wo der Luftdschinn im Kamin gelandet ist. Mit Julius' Runenkenntnissen und Adrasthées Geisterbannzaubern können sie den gefährlichen Luftgeist im Ofen der Zentralheizung einkerkern und diesen ins Zaubereiministerium versetzen.

Der zweite Außeneinsatz führt Julius mit seiner direkten Vorgesetzten nach Martinique, wo ein gewaltsamer Konflikt zwischen Land- und Wassermenschen verhindert werden soll. Mit Hilfe der von Florymont Dusoleil erfundenen Duotectus-Anzüge und den ebenfalls von diesem entwickelten Glättefolien und Blitzerwalzen können sie der Gefangennahme durch die Meermenschen entgehen und treffen nicht nur auf deren Königin Méribelle, sondern auch auf eine seltsame Meerfrau namens Meridana. Diese soll früher eine Landmenschenfrau und Hexe gewesen sein. Mit einem psychologischen Trick, nämlich daß die von Martinique ausgeschickten Zauberer nach ihrem Tod als unruhige Seelen herumgeistern können, wenn sie nicht nach den Landmenschenriten verabschiedet werden, können sie die fünf im Auftrag des Ministeriumsresidenten Louvois zu den Meerleuten getauchten und bei diesen ertrunkenen zurückbringen. Auch Meridana wird unter dem Vorwand, daß die in ihr heranwachsenden Kinder von den Seelen der Verstorbenen besetzt werden könnten, aus dem Reich Méribelles mitgenommen und per Portschlüssel in die Meerleutekolonie im Mittelmeer verfrachtet. Die Existenz Meridanas wird auf der zweithöchsten Geheimhaltungsstufe festgelegt.

Beinahe wäre es zu einer Katastrophe gekommen. Denn die lange geplante Zusammenführung der beiden heimatlosen Riesen Meglamora und Grawp hätte zum Tode von Grawp geführt, weil dessen Vater Meglamoras Verwandten umgebracht hat. Julius reist nach England, um die vereinbarte Zusammenbringung der Riesen in vorletzter Minute abzusagen. Dies gelingt ihm.

Julius reist mit seiner Frau noch einmal über die alten Straßen, um das magische Kleid der Feuermagierin Kailishaia zu erwerben. Dabei müssen sie noch einmal nach Khalakatan, weil Millie von Kailishaia die Antwort auf eine Frage erfahren muß, die die goldene Dienerin, die das Kleid hütet, informiert, daß sie das Kleid übergeben darf. Bei der Gelegenheit tritt Millie dem altaxarroi'schen Orden der Feuermagier bei und Julius lernt von dem durch einen Fluch jahrhundertelang ungeboren gebliebenen Madrashtargayan zwei weitere Schutzzauber. Er erfährt dabei auch, daß er deshalb im Traum die Entwicklung ungeborener Kinder von Verwandten und den vier alten Zaubern verbundenen mitbekommen kann, weil er aus dem aus reiner Magie bestehenden Astralleib Ashtarias heraus wiedergeboren wurde. Er wird als Daisirian, als Zwiegeborener Bezeichnet und erkennt, daß es mindestens noch sechs solcher Zwiegeborenen gibt. Camille Dusoleil lernt in Khalakatan näheres über ihre weit zurückreichende Ahnenreihe und vertraut sich einem Magier des Elements Wasser an.

Wieder in der modernen Zivilisation zurück wird Julius darüber informiert, daß in Deutschland ein unheimlicher Fremder, von dem die Zeugen nur berichten, daß er sehr gut aussieht und gut tanzen kann, unberührte Mädchen entführt. Schnell wird ermittelt, daß es sich um einen Halb-Veela handelt, den Sohn der Veela Sarja, der Schwester der in Frankreich lebenden Veela Léto. Der Entführer heißt Diosan. Er arbeitet sich von Dresden aus nach Westen. Dabei wählt er die Städte seiner Entführungen so, daß deren Anfangsbuchstaben in zeitlicher Reihenfolge seinen Vornamen ergeben. Julius erfährt von Léto, daß ihr Neffe auf Rache ausgeht, an seinen Verwandten, die ihn nicht ernstgenommen haben, an seinem Vater, der ihn verstoßen und mit einem Fluch an seinen Geburtsort gebannt hat und an allen gewöhnlichen Menschen. Diosans Ziel ist es, mit den entführten Mädchen Nachwuchs zu zeugen, um seinen mittlerweile toten Vater doch noch zu übertrumpfen. Diosan ist nämlich der Sohn des machtgierigen und grausamen Zauberers Gellert Grindelwald. Doch er ist nicht in Liebe entstanden. Seine Mutter Sarja hatte Grindelwald mit ihren Veelakräften dazu verführt, sie zur Mutter zu machen. Julius kann mit Létos Hilfe zu Diosan hin, der gerade in Nizza seine letzten Opfer gefunden hat. In einem kurzen aber heftigen Kampf kann Julius Diosan überwältigen. Töten darf er ihn nicht, weil ihm und seinen Angehörigen sonst eine gnadenlose Blutrache der Veelas bevorsteht. Er schafft es noch, den Halb-Veela zu seiner Mutter zurückzubringen, die gelobt, ihn nicht mehr unbeaufsichtigt zu lassen. Julius läßt es sich nicht nehmen, Sarja seine Meinung zu sagen, daß er es für verkehrt hält, Menschen dazu zu zwingen, gegen ihren Willen Kinder zu zeugen. Sarja behauptet, Grindelwald auf diese Weise von seinem brutalen Weg der unumschränkten Macht über die Muggel abbringen gewollt zu haben. Doch Julius nimmt diese Beteuerung als hilflose Ausrede und gewisse Überheblichkeit zur Kenntnis.

Julius hofft nun, weniger aufwühlende Fälle mitzubekommen und hauptsächlich für seine Familie dasein zu können. Er freut sich auch auf die Hochzeit seiner Mutter, auch wenn es sich schon merkwürdig anfühlt, die eigene Mutter mit einem anderen Mann zusammenleben zu sehen. Doch dies, so soll Julius bald erfahren, ist wahrlich sein geringstes Problem.

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"Können wir froh sein, daß wir durch das Flohnetz nie in das Schmuddelwetter rausmüssen", meinte Laurentine Hellersdorf zu Julius, als sie sich zur Mittagspause am zwanzigsten November vor der Kantine des Zaubereiministeriums trafen. "Wennich bedenke, daß ich heute Nachmittag noch Fahrstunde habe und in dieses Gepladder raus und dann womöglich noch die Champs Élysées langfahren muß bin ich echt versucht, zu apparieren."

"Ach, hat das jetzt mit den Fahrstunden geklappt?" wollte Julius wissen. Der Gedanke, ganz normal Autofahren zu lernen war ihm auch schon das eine und andere Mal gekommen. Doch irgendwie reizte es ihn im Moment nicht, zumal er ja nicht in einer der raus in die Muggelwelt gehenden Truppe arbeitete. Aber für Besenflieger war so ein Wetter auch kein Vergnügen.

"Ja, ich nehme schon seit zwei Wochen Fahrunterricht. Ich habe den Auftrag, bis zum fünften Dezember genug Fahrstunden zu schaffen, um die Führerscheinprüfung zu bestehen. Madame Grandchapeau, Nathalie hat mich dafür sogar von einigen Sachen freigestellt, auch wenn meine Kollegin Martha Eauvive sich jetzt immer mehr aus ihren hiesigen Aufgaben herausarbeitet."

"Apropos, demnächst werdet ihr wohl noch Einladungen kriegen, darf ich dir und Céline sagen."

"Macht dich das nicht traurig, daß deine Mutter noch mal heiratet?" wollte Laurentine wissen.

"Ich habe mich an den Gedanken gewöhnt, zumal ich der letzte bin, der dagegen was sagen darf", sagte Julius. Am 30. Dezember würde seine Mutter den US-amerikanischen Zauberer Lucullus Enceladus Merryweather heiraten. Die Hinreise war aber schon am 29. Dezember. Millie und Sandrine würden dann zusammen mit Julius' Mutter zwei Drittel der UTZ-Prüfungen hinter sich haben. Die letzten standen dann noch zwischen dem zweiten und sechsten Januar an. Dann hörten die Schulferien in Beauxbatons auf, und die regulären Schüler würden wieder zurückkehren.

"Ich wünsche meiner Mutter auf jeden Fall alles Glück, was sie bekommen kann", bekräftigte Julius, daß er der zweiten Ehe seiner Mutter zustimmte.

Der Nachmittag war reines Aktenwälzen und Übersetzen wie die Tage nach dem Zusammenstoß mit Diosan Sarjawitsch. Ornelle Ventvit hatte ihm jedoch in Aussicht gestellt, daß er demnächst noch einmal in die Meermenschenkolonie hinuntertauchen sollte, um die mittlerweile geschlüpften Meerlinge für den Transport nach Martinique vorzubereiten. Außerdem sollte er als Verbindungsbeamter zwischen dem britischen und französischenZaubereiministerium einspringen, um näheres über das Sonderkommando Remus Lupin zu erlernen, jene Einsatzgruppe, die ausschließlich aus Trägern der Werwoolfkrankheit bestand, um verbrecherische Lykanthropen zu jagen. Mademoiselle Ventvit hatte in Übereinstimmung mit Minister Grandchapeau erwogen, eine ähnliche Truppe in Frankreich aufzustellen. Doch dieses Vorhaben sollte erst am achten Dezember anlaufen. Bis dahin galt es noch, alle möglichen alten Vorgänge zu übersetzen und für das Archiv zu ordnen.

Als Julius wieder im Apfelhaus war genoß er die Sonne. Ein Wind aus der Sahara trug feinen Staub über das Mittelmeer, blies aber auch warme Luft über die Provence. Millie war gerade mit Aurore im Château Florissant, wo sie sich auf die Mitte Dezember beginnende UTZ-Nachholprüfungen vorbereitete. So war er erst einmal alleine für sich. Er nutzte die freie Zeit, um nach elektronischer Post zu sehen und sich eine schriftliche Zusammenfassung der tagesaktuellen Nachrichten anzusehen. Bei der Wahl des neuen US-Präsidenten war immer noch keine Entscheidung gefallen. Sollte es wahrhaftig an wenigen tausend Stimmen liegen, ob der Sohn von George Bush der neue Präsident wurde, oder Clintons bisheriger Vice Al Gore den Parteikameraden im Amt beerbte? Julius hatte sich nur am Rande für Politik interessiert. Doch wenn er jetzt las, daß womöglich wenige Stimmen über einen Regierungschef entschieden, nur weil diese Stimmen in einem der bevölkerungsreicheren Bundesstaaten gezählt wurden, fragte er sich schon, wo da noch echte Demokratie betrieben wurde. Er dachte nur daran, daß er, wo die Präsidentschaftswahl gelaufen war, im magischen Tiefschlaf gelegen hatte, damit er sich bei Léto nicht langweilte, die ihn solange bei sich untergebracht hatte, bis ihr Neffe Diosan aufgespürt werden konnte. Dann dachte er an das, was er bereits aus den Gesetzen des Zaubereiministeriums gelernt hatte: Wenn bei den Menschen ohne Magie ein neuer Staats- und/oder Regierungschef oder eine Chefin vereidigt wurde, mußte der amtierende Zaubereiminister diesem frischgebackenen Regenten seine Aufwartung machen und ihm oder ihr kurz erklären, daß es die Zaubererwelt gab, diese sich aber selbstverwaltete und sich nach Möglichkeit aus allen Belangen der nichtmagischen Welt heraushielt. Somit würde der amtierende US-Zaubereiminister Cartridge wohl gerade auch sehr genau verfolgen, zu wem er demnächst hingehen und "Herzlichen Glückwunsch, Herr Präsident! Ich bin übrigens der amtierende Zaubereiminister", sagen sollte. Dann, so dachte Julius, würde es von dem Charakter des neuen Präsidenten abhängen, wie der mit dieser Mitteilung klarkam. Irgendwo im Internet hatte mal wer behauptet, daß es im weißen Haus ein Buch gebe, das nur für den amtierenden US-Präsidenten erlaubt war und in dem die strengsten Geheimnisse der USA verzeichnet waren. Das mochte eines der vielen ins Kraut schießenden Spekulationen des Internets sein. Doch sollte es dieses Geheimbuch echt geben, so dachte Julius, so stand da womöglich auch drin, daß die rein naturwissenschaftlich erklärbare Welt nicht die ganze Wirklichkeit darstellte und womöglich auch eine Liste der bereits bekannten Zaubereiminister enthalten. Am Ende war dieser Exklusivschmöker für amtierende Präsidenten mit einem Zauber belegt, der das Buch eben nur für einen ordentlich vereidigten Präsidenten berühr- und/oder lesbar machte. Aber das war jetzt vielleicht doch zu viel der ins Kraut schießenden Spekulationen. Julius wußte jedoch, daß der amtierende Zaubereiminister Frankreichs eine nur für ihn und seine Amtsnachfolger zugängliche Geheimbibliothek besaß. Insofern war das Vorhandensein eines Geheimnisverzeichnisses für US-Präsidenten nicht so abwegig.

Brittany hatte ihm geschrieben, daß Myrna es geschafft hatte, bei den Dexter-Geschwistern als Auszubildene angenommen zu werden. Damit war sie in Zukunft eine Konkurrentin von Arcadia Priestley oder Florymont Dusoleil. Brittany erwähnte auch, daß Sharon Cotton den muggelstämmigen Zauberer John Clarkson geheiratet habe. Sie war mit ihm nach Las Vegas gereist und hatte da in einer dieser Hochzeitskapellen geheiratet, weil ihr "das Getue mit der buckligen Verwandtschaft" zu spießig war. Brittany vermutete jedoch, daß Sharons Wahl ihren Eltern nicht sonderlich gefallen habe. Julius nickte. Sharon Cotton hatte mal ausgetestet, wie empfänglich er für sie war, was jedoch nicht zu dem von ihr gewünschten Ergebnis geführt hatte, weil er da zum einen noch über den Verlust von Claire hinwegkommen mußte und später mit Millie zusammen war.

Aurora Dawn hatte aus Sydney geschrieben, daß sie von den Halligans eingeladen worden war, um Bills Familie kennenzulernen. Zwar sei sie von Bills Frau sehr argwöhnisch betrachtet worden. Doch immerhin hatten sie und Bill noch mal die Gelegenheit, die bestehenden Unwägbarkeiten auszuräumen.

Gegen sieben Uhr empfing er Millies Gedankenanruf: "Antoinette läßt durch mich anfragen, ob du zu uns zum Abendessen rüberkommen möchtest, Monju." Julius bestätigte es und beendete die Sitzung am Computer.

Nach dem mehrgängigen Abendessen, bei dem er auch Sandrine Dumas wiedersah, ging es zurück ins Apfelhaus. Da heute kein weltbewegendes Geheimnis behandelt wurde, konnte Julius seiner Frau erzählen, womit er so seinen Tag verbracht hatte.

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Die kleine Aurore Béatrice fand immer mehr Gefallen daran, auf dem Boden im Apfelhaus herumzukrabbeln und konnte sogar schon die enge, von einer unzerbrechlichen Glaswand umschlossene Wendeltreppe rauf und runterrobben. Nur wenn ihr Vater nach Hause kam wollte sie getragen werden. Das zeigte sie durch Winken beider Arme. Außerdem kaute sie jetzt intensiver an ihren Nuckelspielsachen herum und quetschte beim Saugen Millies Brustwarzen zusammen, was diese immer wieder schmerzhaft zusammenfahren ließ. Für die jungen Eltern stand fest, daß ihre Tochter bald die ersten Zähne bekommen würde. Das würde für Aurore ziemlich schmerzhaft und für ihre Eltern sehr anstrengend sein.

"Jetzt können wir doch langsam mal was anderes als Mamans Milch füttern", meinte Julius am ersten Dezember, als Aurore unter Millies Stillschürze lag.

"Ich mach das wie Camille. Tante Trice hat bestätigt, daß ich solange nicht neu empfange, wie ich Aurore mehr als zweimal am Tag anlege. Aber wenn die UTZe durchsind, süßer, wärme ich den kleinen Backofen für Aurores Geschwisterchen vor, damit du es nur weißt."

"Ach, dann möchtest du nicht warten, bis unsere Tochter selbst am Tisch sitzen kann?"

"Wenn ich was draus gelernt habe, daß ich 'ne große Schwester und 'ne ziemlich kleine Schwester habe, dann, daß es fies ist, wenn die eine schon Sachen kann oder darf, die ich nicht kann und die andere verhätschelt und betüddelt wird und sich alles erlauben kann, was ich nicht mehr tun darf. Deshalb möchte ich gerne mit dir hinkriegen, daß Aurores Geschwister nicht zu spät nach ihr ankommen. Oder hast du Angst, mit zwei quirligen Bündeln Leben zugleich überfordert zu sein?"

"Es gibt in der Muggelwelt einen Spruch, daß es leichter sei, einen Sack voller Flöhe zu hüten als ein kleines Kind", warf Julius ein, mußte jedoch lächeln, was Millie zeigte, daß er es nicht als Ablehnung oder Vorwurf an sie meinte. So fragte sie:

"Wer will schon einen Sack Flöhe haben?"

"Die, die auf einen Flohmarkt einkaufen gehen", erwiderte Julius spontan. Millie mußte lachen, was Aurore aus ihrem Saugrhythmus brachte. Die Kleine quängelte verstimmt. Millie tätschelte sie. Aurore streckte sich und versuchte, sich unter der Stillschürze herauszuwinden. "Ich weiß, kleine, du magst es nicht, beim Nuckeln durchgeschüttelt zu werden. Aber dein Pa ist ein echter Witzbold. Da muß Ma zwischendurch mal lachen. Satt?! Aurore quängelte. Da holte Millie sie unter der Schürze hervor. Julius schnitt Grimassen und hielt sich die Hände wie Hasenohren über den Kopf. Aurore glubschte ihn an und begann zu grinsen. Dann stieß sie laut auf.

"Schade, daß ich das Moira nicht erzählen kann, daß ich schon wen kleines hinbekommen habe. Wäre doch zu interessant, wie die in ihrer Höhere-Tochter-Art drauf anspringt", sagte Julius. Millie erwiderte darauf nur, daß er ja genug andere Freunde und Bekannte hatte, denen er erzählen konnte, was er mit seiner Tochter erlebte. Da konnte Julius nur bestätigend nicken.

Am Abend steckte Martha Eauvive ihren Kopf durch den Kamin in die Wohnküche der Latierres. "So, die Einladungsmaschine läuft. Wußte nicht, daß das auch in der Zaubererwelt so teuer ist, zweihundert Einladungen zu verschicken. Gut, bei Familien reicht dann eine Eule, die alle Einladungen hinbringt. Aber trotzdem ist das schon heftig, vor allem bei den Transkontinentalzustellungen."

"Kriegen wir auch eine?" fragte Julius. Der Kopf seiner Mutter ruckte einmal vor und zurück. "Aber sicher. Die vom Gemeindehaus von VDS wollen es ganz genau wissen, wie viele Leute hinkommen. Da zählt dann eine schriftliche Einladung als eine Art Eintrittskarte. Könnte sein, daß ihr die morgen schon habt. Ich habe denen vom Postamt in der Rue de Camouflage gesagt, die Eulen für Familien zu den Briefkästen fliegen zu lassen und die nicht persönlich anzufliegen."

"Eleonore hat gemeint, wenn du halb Millemerveilles einladen würdest, könnten wir gleich die Neujahresfeier im Wechsel hier und dann in Kalifornien feiern", sagte Julius. Millie nickte.

"Neujahr möchte ich mit Lucky gerne in New York feiern, auch wenn da nicht die Riesenfeier stattfindet wie zum Jahr 2000 hin. Aber Silvester am Times-Platz ist schon was, was ich gerne mal machen wollte, seitdem Claude und Alison die Ankunft von neunzehnhundertneunzig gefeiert haben."

"Apropos, die rein muggelweltlichen Verwandten, kommen von denen auch welche, wie Onkel Charlie und Tante Monica?" fragte Julius.

"Nein, Julius. Ich habe echt lange drüber nachgedacht, ob ich das so wie Brittany machen soll. Aber eben die hat mir davon abgeraten. Das würde sie jetzt, wo sie weiß, wie konfliktreich das nach der Hochzeit ausgeartet ist, nicht noch mal machen. Sie hat dir sicher auch geschrieben, daß Sharon Cotton mit ihrem Auserwählten mal eben nach Vegas geflogen ist, richtig?" Julius bestätigte das. "Brittany meinte, daß das zwar sehr unfair den ganzen Freunden aus Thorntails gegenüber gewesen sei. Aber sie würde das akzeptieren, zumal Sharon womöglich schon schwanger sei und da kein großes Gerede vom Zaun brechen wollte, zumindest keines, dem sie zuhören müsse." Julius und Millie bejahten das.

"Also, die Einladungen gehen ab morgen an alle, die Lucky und ich dabeihaben wollen. Ihr könnt es mir über Viviane mitteilen, ob ihr zusagt oder nicht."

"Warum sollten sie nicht zusagen", erwähnte die gemalte Ausgabe von Viviane Eauvive leicht ungehalten. Julius tat so, als habe er das überhört und antwortete: "Also, wenn uns das ganze zu stressig wird wegen Millies UTZs, meiner Arbeit und Aurores ersten Zähnen schicken wir Viviane, daß sie uns bei dir entschuldigt oder schicken dir Francis."

"Kein Problem", grinste Martha Eauvive. Dann wünschte sie Millie, Julius und Aurore noch eine erholsame Nacht.

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Sieben Klopfer auf einmal. So viel hat mir bisher keiner in den Bauch gelegt. Aarrrg! Das tut mehr weh als beim ersten Mal. Warum will das erste nicht raus. Die anderen gehen doch tot, wenn sie nicht schnell genug aus mir ... Aaarrrg! Jetzt ist es draußen. Julius hat mich gehört. Er hat sich weit genug vor meiner Wohnhöhle hingesetzt. Dusty ist wohl in seinem Holznest da oben auf dem Baum und ... Jaaaaauuuuuuaaaaa! Oh, ging doch schneller beim zweiten. Das wird mir immer schwerer. Die müssen jetzt raus. Ich kann fast keine Luft mehr holen, so weh tut das. Sieben Klopfer, von denen jetzt zwei meine neuen Jungen sind. Aaaauuuuuaaaaaiiii!

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Julius saß mit Millie in der vierfachen Sprungweite von Goldschweifs Höhle entfernt und notierte sich, wenn Goldschweif wieder ein junges mehr auf die Welt gedrückt hatte. Seine Schwiegertante Barbara hatte ihn außerdienstlich gefragt, ob er für sie eine vollständige Dokumentation des ersten Wurfes von Dusty und Goldschweif anfertigen wolle. Er hatte zugesagt. So diktierte er seiner Flotte-Schreibe-Feder um kurz vor Mitternacht: "Vollendung von Geburt Nummer sieben um dreiundzwanzig Uhr siebenundfünfzig am dreißigsten November zweitausend. Mutter Goldschweif entsprechend erschöpft und wie zu erwarten argwöhnisch gegenüber Fremdannäherungen."

Hoffentlich ist der Rundbau groß genug für alle sieben", meinte Millie, die von Goldschweif nur die Schmerzenslaute mitgehört und ihr nachgefühlt hatte, wie anstrengend das sein mochte. Julius sah Dusty, der aus seinem Baumhaus heraus Goldschweifs Rundbau mit Augen und Ohren überwacht hielt. Er war jetzt für's erste abgemeldet.

"Ich reiche das besser noch nicht rum, daß Goldie ihre Jungen hat", sagte Millie. Julius nickte zustimmend. Er wußte nicht, wann er die sieben kleinen Maunzebällchen, wie Denise kleine Kniesel mal genannt hatte, näher begutachten durfte.

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Natürlich sagten Julius und Millie zu, als sie offizielle Einladungen zur Hochzeit seiner Mutter erhalten hatten. Überhaupt war die halbe Latierre-Sippe eingeladen. Auch Antoinette Eauvive würde mit ihrem Mann und ihren Töchtern Chloé und Callisto dabei sein. Clementine sollte die Stallwache in der Delourdesklinik übernehmen. Aurora Dawn und ihre Eltern, sowie die Priestleys würden auch kommen, erfuhr Julius unabhängig voneinander von Aurora Dawn und seiner zeitweiligen magischen Fürsorgebeauftragten June Priestley. Natürlich kamen auch die Dusoleils, Brickstons und Madeleine L'eauvite mit ihrer Familie hin. Darüber hinaus waren die Dumas, Porters und Watermelons ebenso eingeladen wie die Hollingsworths, Malones und Dorniers. Allerdings, so teilte Patrice Malone, die bis Kevins endgültigem Abschluß in Hogwarts noch bei ihren Eltern wohnte mit, daß Kevins Vater wohl nicht kommen würde und seine Frau ihn nicht alleine zu Hause lassen wolle. Dafür würde Kevins Cousine Gwyneth kommen, die sich sehr freute, auch eingeladen worden zu sein. Von den in den Staaten lebenden Bekannten von Martha und Julius kamen die Ross' aus Denver, die Redliefs, die Foresters und Brocklehursts, die Cottons und Partridges. Ja, so kam man locker auf an die zweihundert Gäste, wenn die Verwandten von Lucky Merryweather auch noch dazukamen.

Am fünften Dezember hatte Julius den Bericht über die zwei ungewollten Kinder der neuen Meerjungfrau Meridana fertig. Wie die Existenz Meridanas selbst fiel auch der Geburtsvorgang der beiden wie längliche Fische mit silbergrauen Schuppen aussehenden Nachkömmlinge unter die Geheimhaltungsstufe S9. Die beiden Meerlinge würden demnächst in die Unterwassersiedlung vor Martinique zurückgebracht, allerdings nicht mehr in diesem Jahr. Julius schloß den Bericht damit, daß die Frage, wie genau der Umwandlungstrank gebraut wurde, um aus einem Landmenschen einen körperlich und wohl auch geistig vollwertigen Wassermenschen zu machen, nur die Person beantworten könne, die Meridanas frühere Existenz dazu verleitet hatte, diesen Trank einzunehmen.

Am Nachmittag desselben Tages erfuhr Julius, daß Laurentine die Fahrprüfung für gewöhnliche Autos bestanden hatte. "Paris ist und bleibt ein Alptraum", sagte sie, als sie eine Kontaktfeuerverbindung zu den Latierres hergestellt hatte. "Hätte fast einen dicken Benz gerammt, dessen Fahrer meinte, ohne in den Rückspiegel gucken zu müssen aus einer Parkbucht herausfahren zu müssen. Jedenfalls habe ich jetzt eine muggeltaugliche Kraftfahrzeugsfahrerlaubnis und kann damit auch für ministerielle Autofahrten eingeteilt werden. Ich kriege wie Madame Belle Grandchapeau einen eigenen Dienstwagen, Julius. Mal sehen, was ich mir zulege. Meine Eltern haben ja noch ihren DS. Einen Käfer muß ich nicht haben, aber auch keine Angeberkarre. Werdet ihr ja mitkriegen, wenn Martha mir offiziell die Wohnung übergibt."

"Da bringst du mich auf was", sagte Julius. "Ich sollte vielleicht doch noch mal in die Rue de Liberation, um zu gucken, was ich noch an für mich wichtigen Sachen rausholen muß, bevor meine Mutter über den großen Teich hüpft."

"Die hat gesagt, ihr Verlobter hätte was in der Nähe von Santa Barbara in Kalifornien aufgetan. Verdient der so viel?"

"Wieso?" wollte Julius wissen.

"Weil mein Opa da wen aus der Musikbranche wohnen hat. Arm ist der nicht, und die Nachbarn auch nicht. Okay, ist nicht Beverly Hills, aber auch nicht gerade ein einfaches Arbeiterdorf da."

"Meine Mutter hat was von einem Haus bei gleich zwei Windmühlen geschrieben. Mit einer kann sie ihren eigenen Strom machen, um einen privaten Rechner mit Internetzugang am laufen zu halten, falls sie da keinen üblichen Stromanschluß kriegt. Das Haus soll wohl zwanzig Kilometer weiter außerhalb der Stadt liegen, nicht gerade an alle möglichen Straßen angebunden. Da könnte es ein wenig günstiger zu wohnen sein."

"Kriegen wir dann ja mit, wenn wir vielleicht mal dort eingeladen werden", sagte Laurentine. Julius grinste. Sicher würde es eine Einweihungsparty geben. Er konnte sich das nicht vorstellen, daß Lucky Merryweather auf sowas verzichtete. Laurentine war gespannt, den Bräutigam kennenzulernen.

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Dusty hat versucht, mit Julius zusammen an meine und seine sieben Jungen ranzukommen. Aber den habe ich ganz laut weggeschickt. Der soll mich mit denen in Ruhe lassen. Julius soll die nur sehen, damit der weiß, warum das mit denen so anstrengend war. Er sagt, daß die beiden Weibchen ja ganz goldenes Fell haben, so wie mein Schwanz aussieht. Die fünf Männchen sind hell, aber nicht wie Schnee, aber wie der Mond, wenn der ganz rund über uns allen ist. Zwei von denen haben dunklere runde Tupfen auf dem Rücken und am Bauch. Einer hat ganz helle Flecken an den Seiten. Dann habe ich noch zwei rausgedrückt, die keine Tupfer haben und dieses Mondfell haben. Julius macht das mit einer ausgerupften Feder, was er schreiben nennt und das hilft, Sachen, die wer weiß für andere zurückzulegen. "Die zwei goldenen sind ja wie kleine Schnatze ohne Flügel", freut sich Julius über die beiden kleinen Weibchen. Noch haben die alle ihre Augen zu. Er sagt dann noch, daß er sich Namen für die kleinen aussuchen will, damit er und die anderen Zweifußläufer wissen, wie sie meine neuen Jungen ansprechen sollen. Ich sage ihm, daß ich noch kein Junges gekriegt habe, daß nur eine Farbe hat. Julius sagt dazu, daß er auch gedacht hat, daß ich nur solche Jungen hätte kriegen können, die wie Dusty aussehen, weil sein Fell und meins ja ähnlich aussehen. Er sagt dann noch, daß er sich freut, daß ich ihm die Kleinen gezeigt habe und läßt mich mit denen wieder allein. Dusty ist in sein Holznest auf dem Baum zurückgeklettert. Der weiß, daß er mir bloß nicht zu nahe kommen soll.

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Julius wartete nach der ersten Besichtigung von Goldschweifs neuen Kindern noch zwei Wochen ab. Denn er wollte gerne noch die Augen der sieben Neuen sehen, um seine Namenswahl zu treffen. Als er sah, daß die Jungen alle die smaragdgrünen Augen ihrer Mutter geerbt hatten schrieb er einen Brief an Monsieur Lamarck vom Tierwesenbüro.

Sehr geehrter Monsieur Lamarck,

hiermit möchte ich, nachdem ich Ihnen über den ersten Wurf von Queue Dorée und Stardust Kenntnis gab, sehr gerne mitteilen, daß ich nun auch passende Namen für die sieben Jungkniesel gefunden habe.

Die beiden Weibchen aus dem Wurf nenne ich Chrysaora und Aurigena, weil die beiden ein ungetupftes, goldenes Fell von den Pfoten bis zur Schwanzquaste aufweisen. Wer da genau die ältere oder die jüngere ist kann ich nicht sagen, da ich bei dem Wurf selbst ja nicht zusehen konnte, ohne den Verteidigungsinstinkt der Mutter auszulösen. Die Namen habe ich von den beiden goldenen Metallfrauen, die ein gemalter Schmied in der Gemäldesammlung von Hogwarts zur Seite hat. Durch Nachschlagen in elektronischen Lexika im weltweiten Datennetz weiß ich, daß die beiden Namen jeweils "die aus Gold gemachte" bedeuten. Die fünf männlichen Jungtiere habe ich wegen des mondlichtfarbenen Grundtons ihrer Felle nach alten Astronomen und Naturforschern benannt: :

  1. Gallileo (vollmondfarbenes Grundfell mit dunkelgrauen Tupfen auf Rücken und Bauch)
  2. Copernicus (Mondlichtfarbenes Fell mit mittelgrauen Tupfen an der Bauchseite)
  3. Archimedes (Mondlichtfarbenes Fell mit schneeweißen Tupfen an den Seiten)
  4. Tycho (Mondlichtfarbenes Fell ohne Flecken)
  5. Ptolomaeus (Mondlichtfarbenes Fell, weiße Pfoten

Ich bitte Sie darum, die von mir vorgeschlagenen Namen in das internationale Zuchtregister für Kniesel einzutragen.

Mit freundlichen Grüßen

Julius Latierre

Zwei Tage später flatterte Julius ein Formular ins Apfelhaus, in das er zusammen mit Millie, die die sieben Namen mitbefürwortete, die entsprechenden Angaben eintrug. So nahm alles seinen korrekten amtlichen Gang.

Einen Tag, bevor Millie wegen ihrer Nachholprüfungen nach Beauxbatons abreisen sollte landete Monsieur Lamarck am Nachmittag um fünf Uhr auf einem Besen, um ausgerüstet mit Schutzkleidung aus Drachenhaut und Acromantulafäden die sieben neuen Kniesel in Augenschein zu nehmen, um die erfolgreiche Nachzucht amtlich zu bestätigen. Julius begleitete den Kollegen aus der Tierwesenbehörde und beruhigte Goldschweif, daß der fremde Mann ihren Jungen nichts tun würde. Als er die sieben Jungkniesel betrachtete wollte er wissen, wie Julius die beiden goldfarbenen Schwestern unterscheiden könne. Julius deutete auf die Ohren der beiden. "Chrysaora hat ein wenig breitere Ohren als Aurigena", sagte er. Monsieur Lamarck notierte es sich für die genaue Beschreibung jedes Jungtieres. Dann bedankte er sich und kündigte an, daß die Registrierung der Namen bis zum 31. Dezember erfolgen würde und die Latierres die schriftliche Bestätigung zusammen mit einem Auszug des internationalen Zuchtregisters erhalten würden. Dann saß er wieder auf seinem Besen auf und flog davon.

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Millie ließ es sich nicht nach außen anmerken, daß sie doch etwas nervös war, als sie am Vorabend ihrer Nachholprüfungen von ihrem Mann Abschied nahm. "Kannst du zumindest wieder ruhig schlafen, Monju. Die Kleine geht ja mit mir."

"Vielleicht kann ich überhaupt nicht schlafen, weil mir dein warmer Körper neben mir und Aurores Stimme fehlen", widersprach Julius. Seine Frau küßte ihn dafür auf den Mund. "Okay, wenn die Schüler, die hier in Millemerveilles wohnen aus Beaux angekommen sind geht's für Sandrine, deine Mutter und mich nach Beaux. Sandrine und ich dürfen wieder in den Zimmern schlafen, in denen wir das letzte Schuljahr gewohnt haben. Hat auch was für sich, weil Madame Rossignol dann auch auf die Kleinen aufpassen kann."

"Und den Anhänger darfst du solange nicht tragen, wie die Prüfungen laufen", seufzte Julius. Millie nickte betrübt. "Na ja, den Weihnachtstag und die drei Tage um Marthas Hochzeit herum kriege ich ja frei. Also, Monju, pass gut auf dich auf und laß dich nicht auf merkwürdige Sachen aus dem alten Reich ein, solange ich nicht auf dich aufpassen kann."

"Ja, Maman Mildrid", erwiderte Julius grinsend.

"Du bist bisher immer sehr sehr gut damit gereist, daß ich wußte, was mit dir gerade los ist, Süßer. Ich denke schon, daß das so bleiben sollte." Julius pflichtete dem vorbehaltlos bei. Dann aapparierte er mit seiner Frau zum Ausgangskreis, wo sie die gerade für die Ferien nach Hause kommenden Beauxbatons-Schüler begrüßen durften. Madame Faucon hatte sie selbst mit der Reisesphäre übergesetzt. Julius umarmte seine Frau noch einmal und sagte: "Auch wenn es ein alter Aberglaube ist, Millie: Viel glück!"

"Wünsche ich dir auch", sagte sie und betrat den Ausgangskreis. Julius winkte der dort schon wartenden Sandrine und der heute in ein langes rosafarbenes Rüschenkleid gehüllten Schulleiterin zu. Dann rief Madame Faucon eine neue sonnenuntergangsrote Reisesphäre auf.

"Tja, Strohwitwer, was machst du jetzt mit der vielen Freizeit?" wollte Gérard Dumas wissen, der jetzt auch mehrere Tage ohne seine Frau und die beiden Kinder auskommen mußte.

"Was Strohwitwer so machen: Einen Riesenstapel Schmutzwäsche anhäufen, vier Gläser beim Spülen runterfallen lassen und die Möbel einstauben lassen", sagte Julius darauf. "Aber besser Strohwitwer als ganz ein Witwer."

"Hat was für sich", meinte Gérard. "Nur, wenn ich Sandrine einen Riesenschmutzwäschestapel hinterlasse, wo wir einen Waschtrockenschrank haben, würde die mich glatt mit Roger verwechseln und meinen, ich dürfte nur in einer Wiege oder einem Gitterbett schlafen. Danke, lasse ich besser nicht drauf ankommen." Julius nickte ihm beipflichtend zu. Die beiden lachten.

Julius hatte schon befürchtet, daß das leere Apfelhaus ihn von der Stimmung her runterziehen mochte. So für ihn alleine war es wirklich zu groß. er war froh, daß er bis zu den Weihnachtstagen noch genug Büroarbeit erledigen durfte.

Als er am nächsten Morgen wach wurde schickte ihm Millie über den Herzanhänger zu, daß sie diesen jetzt für die nächsten Tage ablegen würde. Er bestätigte das und wünschte ihr noch einmal viel Glück. Dann erstarb das sanfte warme Pulsieren, daß die von ihm getragene Hälfte des rubinroten Zuneigungsherzens verursachte. Der Anhänger erstarrte wie versteinert. Julius nahm ihn ab und legte ihn in seinen Nachtschrank. Dann reiste er per Flohpulver ins Zaubereiministerium, um seinen Arbeitstag anzugehen.

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Julius hörte einen Chor aus Stimmen. Eine tiefe, sanftmütige Frauenstimme sang vor, und mindestens vier Männerstimmen und zwei Frauenstimmen sangen nach, wie bei einem klassischen Rufe-und-Antworte-Gesang ehemaliger Sklaven in Amerika. Ein rotgoldenes Licht leuchtete ihm den Weg durch einen dunklen Gang. Ein raumfüllendes, regelmäßiges Pochen wie von einem hausgroßen Herzen begleitete den Gesang und brachte Julius dazu, in diesem Rhythmus zu schreiten. Dann umflutete ihn das warme Licht. Er Fühlte, wie er schwebte, nicht in die Tiefe fiel wie am Ende eines Alptraums. Als er dann festen Boden unter den Füßen fühlte, sah er einen von vielen goldenen Lampen erhellten Saal, einem alten Tempel würdig. Auf einem Bett aus mit Federn gefüllten weißen Leinensäcken lag eine Frau mit schneeweißem Haar und einem vom Alter modelliertem Gesicht. Dunkelbraune Augen blickten ihn an und zogen ihn sanft aber unausweichlich näher heran. Um das Bett saßen sieben Personen in sonnengelben Gewändern, zwei Frauen und fünf Männer. Julius erkannte, daß sie wohl alle Geschwister waren. Sie besaßen schwarzes Haar und eine goldbraune Hautfarbe. Ihre Augen waren dunkelbraun. Die Frau auf dem Bett setzte sich auf und sang erneut vor. Jetzt erkannte Julius ihre Stimme. Es war die Stimme Ashtarias. Sie sah ihn und winkte mit schwerfälligen Bewegungen der von vielen Runzeln überzogenen Rechten. Julius konnte jedoch sehen, daß sie in ihren jungen Jahren sehr schön gewesen sein mußte. Doch wie hieß es in einem bösen Zauberspruch der Welt aus Kerker und Drachen? "Schönheit muß dem Alter weichen ..." Wobei der, der den Fluch wirkte, so viele Jahre nennen durfte, wie er noch an Zauberpunkten zur Verfügung hatte und den Spruch mit "... Jahre müssen weichen!" beendete. Ja, vor dem Alter schützte nichts und niemand, wenn man sich keine fragwürdige Unsterblichkeit erkämpfte, die aber immer auf Kosten von unschuldigem Leben erhalten werden mußte. Waren das Julius' Gedanken, oder vernahm er die Gedanken Ashtarias? Jedenfalls setzte er sich unaufgefordert, ja unbeachtet so, daß Ashtaria ihn ebenso ansehen konnte wie die sie umringenden Nachkommen. Sie sang weiter ihr Lied vor und nahm die Erwiderung der sieben erwachsenen Kinder wahr. Dann sagte sie: "So bin ich froh, daß ich diese Welt hinter mir lassen und von unserer gemeinsamen Liebe und Kraft getragen über die goldene Brücke zu den Hütern hinübergehen kann. Ich freue mich, daß wir alle es erreichen, daß niemand betrauern muß, daß ich diesen von langem Leben ermüdeten Körper freigebe und ihn in seinen verdienten, unweckbaren Schlaf sinken lassen kann. Doch bevor ich gehe möchte ich euch allen noch einmal als Mutter und Freundin, Lebensgeberin und Wegführerin, ein paar wichtige Dinge sagen: Das es euch gibt ist ein großer Segen. Als meine Eltern Darkalia und Ailnurian ins Land nach dem Leben übergingen, waren sie besorgt, daß meine ungeduldige und übermäßiger Gier verfallene Schwester Lahilliota mit ihren neun Töchtern ohne Vater die Welt der Menschen verheeren und zerstören würde. Doch sie schöpften Zuversicht, daß Maradokan und ich in euch unsere ganze Stärke und Güte vereinen würden. Ich mußte euch, nachdem ihr aus meinem schützenden Schoß in diese Welt eintratet, mit einem Segen der Unauffindbarkeit besprechen, weil Lahilliotas Töchter euch als ihre Erbfeinde erkannt hätten. Die Teile des inneren Selbst von Lahilliota, die sie eines nach dem anderen in ihre neun vaterlosen Töchter übergeben hat, trachten danach, die Menschen zu ihren willigen Haus- und Nutztieren zu machen, wie Ziegen und Rinder, die man melken oder schlachten kann. Sie hätten euch sofort nach eurer Ankunft getötet, ohne daß euer Leben sich richtig hätte entfalten können. Solange ich, eure Mutter, am leben war, schützte euch der Segen der Unauffindbarkeit. Doch wenn ich diesen meinen Körper heute freigebe, so werdet ihr den neun Vaterlosen offenbar. Sie wissen und kennen alles, was ihre von Dunkkelheit erfüllte Mutter, die in neun Teilen in ihnen fortlebt, gekonnt und getan hat. Ihr müßt euch diesen neun Vaterlosen stellen, sie zurückhalten, um nicht die Welt zu zerstören. Dazu müßt ihr euch aber trennen und mit euren Auserwählten, den Müttern und Vätern eurer Kinder, in verschiedenen Ländern dieser Weltenkugel ansiedeln und über deren Völker wachen. Sharvas, du wirst mit den deinen im Land der zwei Flüsse bleiben, in dem du von mir in diese Welt hineingegeben wurdest. bringe deinem Sohn Marduk bei, daß er nicht nur befehlen, sondern auch beschützen muß, will er als göttlicher Herrscher mehr Ehre als Furcht erlangen." Einer der fünf Männer nickte seiner Mutter zu. "Isa, meine älteste Tochter, dich bitte ich, mit den deinen in das sandige Land am großen Strom zu gehen und dem erwachenden Volk dort eine gütige Mutter zu sein und ihm zu helfen, Wissen und Größe zu erringen." Eine der beiden Töchter nickte ergeben. "Sovan, mein zweitgeborener Sohn, dich bitte ich nach Mitternacht zu ziehen und mit den deinen den Wandervölkern zwischen Bergen und Steppe beizustehen. Mögen deine drei Töchter gute Gefährten finden, auf daß sie dir starke und unbeugsame, aber lichterfüllte Tochtersöhne schenken mögen!" Ein weiterer der fünf Söhne nickte. "Sorakan, bitte nimm für mich und das Erbe deines Blutes die weite Reise gen Abendsonne auf dich und überquere mit den deinen jenes Meer, in dem unsere Urheimat im ewigen Schlaf ruht! Besiedle mit den deinen das große Land in Mittagsrichtung, das du findest und helfe denen, die dort seit vielen tausend Sonnen wohnen, zu Wissen und Größe zu gelangen! Wenn es sein muß, so gebe dich denen, die an die Beseeltheit aller Dinge glauben, als Götter aus dem Land der aufgehenden Sonne aus und lasse deine Söhne zu den Söhnen der Sonne werden!" Der dritte der fünf Söhne nickte ergeben. "Ariman, mein vierter Sohn, wandere mit den Deinen in das Land östlich von hier und helfe den dort lebenden, sich gegen Lahilliotas Töchter zu wappnen!" Der vierte Sohn bekundete, diese letzte Bitte, diesen letzten Befehl, befolgen zu wollen. "Ashgarat, dich bitte ich, in die kalten Gefilde des großen Erdteils zu ziehen, wo die Felle tragenden Völker wohnen!" Der fünfte Sohn bekundete seine Folgsamkeit. "Ja, und Daramiria, meine jüngste, im Schein der Mittagssonne geborene Tochter, dich bitte ich, mit den deinen in das Land mit den vielen Inseln zu ziehen und mit ihnen dort das Wissen und Können unserer Ahnen zu lehren, aber auch die Macht der Güte und Lebensbewahrung zu erhalten und weiterzugeben. Dein Name ist Licht des Lebens. Lehre die Frauen die Kunst, den Müttern zu helfen, neues Leben hervorzubringen und lehre deine Töchter das Wissen um alles was lebt und gedeiht, auf daß sie helfen, wenn die neun vaterlosen Schwestern danach trachten, das innere Selbst der kurzlebigen Männer zu knechten und zu verschlingen. Ihre Mutter lebt in ihnen und durch sie. Ihr lebt durch mich für das Leben. Ich war mit meiner Mitgeborenen Schwester nie wirklich freund, aber auch nie wirklich Feind. Doch weiß ich, daß ihre Töchter sich zu Herrinnen der Welt aufschwingen wollen, weil sie über die Lust und den Trieb, neues Leben zu erzeugen, ihre besondere Kraft aus den Kurzlebigen Menschen saugen können. Sie sind das Vermächtnis Lahilliotas. Seid ihr mein Vermächtnis, mein atmendes Erbe!" Sie nickten alle.

"So laßt uns nun meinen Abschied aus der Welt der Körperlichkeit feiern und meinen müden Leib in den wohlverdienten Schlaf singen!" befahl die auf dem Bett sitzende. "Holt die von euch für euch gefertigten Zeichen Eurer Verbundenheit hervor, auf daß ich sie mit meinen Augen sehen und mit meinem inneren Selbst erspüren kann! So will ich mich mit euch verbinden und über die große Brücke in die Welt der Hüter eintreten, aus der heraus ich jeder und jedem von euch und jeder und jedem eurer Nachgeborenen beistehen kann!" Die sieben Kinder Ashtarias holten unter ihren Gewändern je einen silbernen Stern mit fünf Strahlen an silbernen Ketten hervor. "So soll mein Vermächtnis dem meiner Schwester entgegenstehen. Doch wisset, daß ihr die neun Vaterlosen nicht töten dürft und auch nicht für alle Zeit töten könnt. Denn in ihnen wirkt die Gesamtheit ihrer Mutter, verteilt auf die neun vaterlos erschaffenen Leben!" Die sieben Kinder Ashtarias nickten. Dann begann Ashtaria mit der mächtigen Formel, die Julius seit dem Tag kannte, als er mit Darxandrias in ihm schlummernden Bewußtsein in die Festung der Morgensternbrüder eingedrungen war, um Aurélie Odin und ihre Blutsverwandten zu retten. Jetzt verstand er auch, was die Worte bedeuteten, die von der Mutter begonnen und von den Kindern nachgesprochen wurden:

"Aus der Liebe bist geboren,
dem Leben und dem Heil verschworen.
Wenn du aus Liebe wirst gegeben,
erhalte kraftvoll Schutz und Leben!"

Als diese mächtigen Worte gesprochen waren, glühten die silbernen Sterne in einem sonnenhellen, goldenen Licht, das zu einer einzigen hellen Flut wurde. Julius meinte schon, geblendet zu werden. Doch das Licht schmerzte nicht in den Augen. Es wurde zu einem einzigen goldenen Körper, in dem die sieben Körper der Kinder Ashtarias wie rote Schatten wurden, durch die er ihre bleichen Knochen erkennen konnte. Die Kraft des Lichtes durchdrang alles und jeden, erfüllte jeden mit der Kraft. Als es sich dann wieder zurückzog konnte Julius erkennen, daß aus ihm heraus eine große, goldene Frauengestalt aus reinem Licht entstieg, die über dem nun reglos auf dem Bett liegenden Körper aufstieg, getragen von sieben goldenen Lichtstrahlen. Sie verschwamm immer mehr, bis nur noch die sich treffenden sieben Strahlen klar zu erkennen waren. Dann erlosch das Licht der silbernen Sterne. Dunkelheit und Stille umgab Julius. Er hörte nur seinen Atem und seinen Herzschlag. Er lag in seinem bett,

Minuten lang dachte Julius über das im Traum erlebte nach. Hatte ihm Temmie, Ammayamiria oder Ashtaria selbst diesen Traum geschenkt? Vor allem, warum hatte er diese Szene geträumt? Dann fiel ihm ein, was der zum Dasein als Ungeborener verfluchte Madrashtargayan ihm gesagt hatte, daß er, Julius Latierre geborener Andrews, auch zu einem Sohn Ashtarias geworden war. Denn die transvitale Entität, die engelgleiche Nachtodexistenz der Urmutter Camille Dusoleils, hatte ihn ja getragen. Deshalb war er ja ein Zwiegeborener, ein Daisirian. Diese große Ehre, so erkannte er nun, hatte er deshalb verdient, weil er die Linie Daramirias gerettet hatte. Denn durch den aus blanker Angst ausgeführten Blutrachefluch Yassin iben Sinas wäre eine der sieben Linien unwiederbringlich ausgelöscht worden. Weil er das verhindert hatte, war er nun auch ein Sohn Ashtarias, allerdings einer ohne silbernen Fünfzackstern. Ja, und er hatte auch ohne es zu wollen gegen die Gier Hallittis gekämpft und damit seinen Beitrag zum Widerstreit der beiden Schwestern geleistet. Jetzt war er sich sicher, daß nur Ashtaria ihm diesen Traum geschickt haben konnte. Doch warum jetzt erst? Was trieb die offenbar in einer jenseitigen Welt weiterlebende Nachfahrin Darxandrias dazu, ihn in diese Zusammenhänge einzuweihen? Dann erkannte er, daß es wohl daran lag, daß er gerade nicht das rote Herz trug, das ihn mit Millie verband. Damals, als Aurore geboren wurde, hatte er Prüfungen vor sich gehabt. Mochte es sein, daß Ashtaria ihn jetzt, wo er ohne die Verbindung zu seiner Frau auskommen mußte und gerade keinen Prüfungsstress vor sich hatte, ihr letztes wichtiges Vermächtnis übergeben hatte, damit er wußte, was er als Sohn Ashtarias war und zu tun hatte? Jedenfalls mußte er diesen Traum sofort im Denkarium speichern, damit er immer dann, wenn er sich daran erinnern wollte, diese Vision nacherleben konnte. Er stand auf und ging in das Zimmer, in dem das Denkarium im gesicherten Schrank stand, direkt unter dem Kleid Kailishaias. Er brauchte eine halbe Stunde, um den Traum vollständig in das große Granitbecken zu kopieren. Das letzte, was er sah, als er alle Erinnerungen daran verdoppelt und übertragen hatte, war jenes goldene Licht, daß Ashtarias Kinder mit der gemeinsamen Anrufung der mächtigen weißmagischen Formel entzündet hatten, das Licht, aus dem sich Ashtarias transvitale Existenzform gebildet hatte.

Als er diese so wichtige Arbeit beendet hatte, fühlte er, wie neue Müdigkeit von ihm Besitz ergriff. Schnell legte er sich wieder hin und fiel fast übergangslos in den Schlaf zurück, jedoch ohne einen in Erinnerung bleibenden Traum zu erleben.

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Von einem ruhigen Strohwitwerleben bekam Julius nicht viel mit. Sicher, er konnte sich mehr Zeit für elektronische Briefe oder Muggelweltnachrichten nehmen. Jetzt sollte das oberste Bundesgericht in den USA entscheiden, wer nun zum Präsidenten gewählt war. Seiner Meinung nach sollten die das ganze Wahlmännerverfahren über Bord werfen und wie in allen anderen Ländern mit demokratischer Staatsführung auch den Präsidenten durch die Mehrheit der Wählerstimmen bestimmen. Aber da war Julius nicht der erste, der das andachte.

Wenn er nicht in seinem Gerätepilz vor Rechner, Radio oder Fernseher saß war er bei Camille und Florymont Dusoleil und übte an Chloé und Philemon, wie es für Millie und ihn in zwei Jahren sein würde, wenn Aurore ganz ohne sich festzuhalten herumlaufen und mit anderen Kindern toben konnte. Außerdem wurde er von Jeanne einmal zu einem Quidditchspiel gestandener Eltern eingeladen. Er konnte es immer noch. Vor allem die von Aurora Dawn erlernte Doppelachsentechnik machte immer noch Eindruck.

Am 24. Dezember brachte Camille einen frischen Weihnachtsbaum ins Apfelhaus. Schmücken konnte Julius den alleine. Millie reiste am Abend mit ihrer Schwiegermutter und Sandrine an, gerade rechtzeitig, um an der allgemeinen Weihnachtsfeier der Dorfgemeinschaft teilzunehmen. Bei dieser wurde auch die Geburt von Aurore Latierre noch einmal erwähnt. Wenn Julius daran dachte, wie schnell sieben Monate und zweiundzwanzig Tage vergangen waren. Bald würde Aurore so lange auf der Welt sein, wie Millie sie getragen hatte. Wie vor zwei Jahren bekam jeder Dorfbewohner eine Kerze in die Hand gedrückt, die von Roseanne Lumière an der ersten nach der Feier entzündeten Kerze entzündet wurde. Da Millie und Julius immer noch die jüngsten Neubürger von Millemerveilles waren bekamen sie die ersten Lichter, die sie in die Nacht hinaustragen und damit Licht und Wärme in der Welt erhalten sollten. Wie vor zwei Jahren auch kam Barbara van Heldern zusammen mit ihrer Mutter als Letzte aus dem Gemeindehaus. Sie trug die bereits merklich niedergebrannte Kerze, an der alle anderen entzündet worden waren, da sie erneut ein Kind erwartete.

"Und, wie waren die ersten UTZ-Prüfungen?" wollte Julius von Millie wissen, als sie am vom Licht der mitgenommenen Kerze entzündeten Herdfeuer saßen.

"Zauberkunst ging mir gut von der Hand. Ich muß echt froh sein, daß Blanches Tante deine Mutter und mich so heftig angetrieben hat, auch viel über die Theorie zu lesen. Mit den Tierwesen ging es auch ganz gut. Ich sollte eine Herde Stelzhornrinder zusammentreiben. Dank dir und Martha war Muggelkunde schon eine Art Spaziergang, wenngleich ich fürchte, daß die mir wegen mehr als benötigt nicht alle Punkte geben, weil die selbst ja nachlesen müßten, ob das alles stimmt. Kräuterkunde war ein wenig haarig. Da hätte Camille mich besser noch häufiger in die grüne Gasse mitnehmen sollen, und ich hätte vielleicht besser eine andere Prüferin als Eleonores Mutter haben sollen. Na ja, aber das A für das Fach dürfte drin sein. Trifolio hat mich während der Prüfung zu mindest in Ruhe gelassen, weil Professeur Champverd klar angesagt hat, daß zwei Prüfer zugleich den Prüfling irritieren könnten. Bei der gelegenheit habe ich übrigens erfahren, daß er wohl nach diesem Schuljahr aufhört. Liegt wohl daran, daß im Rat der französischen Herbologen ein Platz freigeworden ist und er den vielleicht gerne besetzen möchte."

"Dann fehlen jetzt bei dir noch Verwandlung, Zaubertränke und Verteidigung gegen dunkle Künste", sagte Julius. Seine Frau nickte. Das würde sie dann am zweiten, dritten, vierten und fünften Januar erledigen, wobei sie die Verwandlungsprüfung nicht mehr machen würde, da diese ja schon in ihrem sechsten Schuljahr als bestandene UTZ-Prüfung gewertet wurde. Dann wollte Millie von Julius wissen, was er in der einen halben Woche erlebt hatte.

"Dann hattest du zumindest immer wen, der aufgepaßt hat, daß du genug zu essen bekommen hast", stellte Millie fest. Julius konnte das nur bestätigen.

Am Weihnachtstag fanden sich wieder mehrere Pakete vor der Haustür. Millie bekam von ihrem Mann mehrere Bücher über Vulkane und vulkanische Vorgänge, da sie ja den altaxarroi'schen Feuermagiern beigetreten war. Er bekam von seiner Frau ein Buch mit Gedichten und Liedern aus Spanien und Südamerika, um seine Spanischkenntnisse auszufeilen. Außerdem hatte sie für ihn noch einen handlichen blauen Aktenkoffer mit Körperspeicherschlössern besorgt, die nur er aufmachen konnte, sobald er die Drachenhautversiegelungen entfernt hatte und mit jeder Hand eines der beiden silbernen Schlösser berührte. Darin konnte er Pergamentrollen, -bögen oder mindestens zwanzig ungeschrumpfte Aktenordner hineinlegen. "Sieht für einen amtlichen Zauberer eleganter aus, wenn er sowas hat", sagte Millie und verwies auf ihren Onkel Charles, der auch mit so einem Koffer herumlief, nur daß er einen walnußbraunen Koffer mit goldenen Schlössern benutzte. Von Brittany Brocklehurst und ihrer Familie bekamen Millie und Julius eine im Maßstab 1:50 gefertigte Nachbildung des Mittagsturms von Viento del Sol, der Blickfang und allgemeiner Zeitanzeiger in einem war. Da der Turm auf der Spitze eine Sonnenuhr enthielt und laut beiliegender Gebrauchsanleitung gegen alle Wetterwirkungen beständig war bauten Julius und Millie ihn so neben dem Apfelhaus auf, daß er mit dem Haus und dem Geräteschuppen ein gleichwinkliges Dreieck bildete. Die eingebaute Uhr klang genauso wie das Original, nur nicht so weit hallend und mußte nur einmal aufgezogen werden, sobald sie auf die gültige Ortszeit eingestellt war. Danach wurde sie von der Erdbewegung und den Gezeitenkräften des Mondes in Gang gehalten. Da im Fuß des Turmes eine kleine Magnetdrehvorrichtung wie bei einem Kompaß eingebaut war, brauchte er den Turm nur einmal fest in freien Erdboden einzugraben, so daß er sich dann eigenständig ausrichtete und dann mit einem leisen Klick einrastete, so daß er nun von den Himmelsrichtungen her dauerhaft eingerichtet blieb. Julius las auch, daß er den Turm durch eine Zauberstabberührung unter dem westlichen der vier Zifferblätter einstellen konnte, daß die Uhr nur bei Tageslicht schlug, so daß sie einerseits selbst ungestört schlafen konnten wie auch das Nachtruhegebot in Millemerveilles befolgen konnten. Punkt neun Uhr ließ Julius die neue Gartendekoration erstmalig Ton geben. Camille betrachtete das neue Schmuckstück der Latierres. "Da setze ich euch im Frühling ein paar Blumen drum herum, die zu unterschiedlichen Tageszeiten aufgehen, Millie und Julius", sagte sie. Ihr Mann Florymont kam eine stunde Später vorbei, um sich den Turm im verkleinerten Maßstab anzusehen. "Ich hörte, daß Eleonore einen zehn Meter hohen Nachbau davon auf das Gemeindehaus neben den Festglockenturm pflanzen lassen wird. Der wird wahrscheinlich heute noch mit dem Luftschiff rübergebracht, mit dem wir dann am neunundzwanzigsten zur Hochzeitsfeier übersetzen dürfen", sagte der Zauberschmied von Millemerveilles. Dann grinste er breit: "Ich habe übrigens heute morgen eine Eule mit einem großen Paket bekommen. Die Internationale Zauberkunstvereinigung hat mir für die Rückschaubrille, den Duotectus-Anzug und die Nautilus den goldenen Hammer der Zauberkunst zugesprochen. Den darf ich mir am 27. Dezember in Paris überreichen lassen. Die Begründung dafür ist, daß durch diese Erfindungen möglich ist, sowohl bis dahin schwer zugängliche bis gefährliche Orte zu betreten und dort ablaufende Vorgänge gründlich zu betrachten, als auch die Ermittlung von Straftaten innerhalb der Zaubererwelt erheblich verbessert werden konnte, wodurch es nun besser möglich ist, die Schuld eines Täters durch Nachbetrachtung des Tatherganges quasi als Augenzeuge mitzuverfolgen."

"Na ja, die Unortbarkeitszauber kannst du damit nicht austricksen", meinte Julius und dachte an den Fall des Halb-Veelas Diosan.

"Den individuellen Unortbarkeitszauber kann längst nicht jeder. Der oder die muß schon über eine sehr starke eigene magische Ausstrahlung verfügen", sagte Florymont dazu. Dem konnte Julius nur zustimmen.

Mittags kamen Martha und Millies Eltern mit Martine und der kleinen Miriam herüber. Martines Verlobter Alon Gautier hatte den Tag leider nicht freibekommen. Aber auch so war das Apfelhaus gut besucht.

"Und die Porters, Watermelons und Malones kommen am neunundzwanzigsten zu euch?" wollte Hippolyte Latierre wissen. Julius bestätigte das. Immerhin hatten sie sich noch gut mit Vorräten eingedeckt, wofür sie fast noch einen zweiten Conservatempus-Schrank hätten anschaffen müssen.

Zum Abendessen waren Millie, Julius und Aurore bei den Brickstons eingeladen, obwohl Joes Eltern auch da waren. Doch da die seit dem Fall Rumpelstilzchen und der Bedrohung durch Voldemort ja darüber bescheid wußten, daß Catherine und ihre Töchter Hexen waren machte es nichts aus, daß die Latierres durch den Kamin in das Haus Rue de Liberation 13 überwechselten. James Brickston verkündete dankbar, daß seine Frau ihm eine Sammlung bisher unveröffentlichter Beatles-Titel zu Weihnachten geschenkt hatte. Babette hatte von ihren Großeltern väterlicherseits ein schickes taubenblaues Ballkleid und ein Paar weiße Tanzschuhe geschenkt bekommen. Sie hatte dazu gesagt, daß sie es ja in fünf Tagen schon ausführen konnte. James Brickston unterhielt sich mit Julius darüber, was er jetzt so beruflich machte, wobei Julius ja nur die Dinge erzählte, die er auch einem Zeitungsreporter hätte erzählen dürfen.

"Ach, dann verwaltet euer Laden die ganzen Zwerge, Elfen, Riesen und Nixen?" fragte Mr. Brickston.

"Ja, und auch die Vampire, Werwölfe und Geister", sagte Julius.

"Nicht so toll, sich vorzustellen, daß diese Gruselmonster auch existieren sollen", meinte James. "Was würdet ihr denn machen, wenn wer von einem Werwolf gebissen oder von einem Vampir ausgesaugt und zu dessen Artgenossen gemacht wird. Habt ihr da so Geisterjäger mit Silberkugeln und Eichenpflöcken. Das mit den Silberkreuzen ist ja wohl nur eine Erfindung, wie meine Frau ja ausprobieren durfte."

"Das mit demSilberkreuz lag daran, daß Madame L'eauvite keine böse, vom Teufel geknutschte und geliebte Hexe ist. Aber so ist das schon wahr, daß ein Symbol allein noch keine Abschreckung bietet. Das mit den Silberkugeln geht auch nur, wenn die in einem besonderen Ofen, der mit sogenanntem Mondstein verbaut ist, gegossen werden. Aber auf die Frage zurückzukommen, die Sie gestellt haben, Sir, ja es gibt in der Abteilung, in der ich jetzt arbeite Einsatzgruppen, die gegen Vampire und unkontrollierte Werwölfe kämpfen. Das Werwolfdasein ist bei uns als Krankheit verzeichnet, verhält sich im Umgang mit den Betroffenen und der Betroffenen mit den Gesunden also ähnlich wie mit den HIV-Infizierten oder den Trägern anderer ansteckender Krankheiten. Bei Werwölfen ist nur das Problem, daß sie eben bei Vollmond die Kontrolle über ihr Verhalten verlieren. Deshalb wird den Betroffenen, auch denen, die sonst nichts mit Magie am Hut hatten, von Kollegen von mir gesagt, wie sie damit leben können. In der Zaubererwelt besteht leider noch eine große Abneigung gegen Werwölfe, weil die gesunden Leute Angst haben, sie oder ein Verwandter könnten gebissen oder getötet werden. Man fängt jetzt erst langsam an, die Betroffenen nicht als Aussätzige zu betrachten. Denn außerhalb der Vollmondnächte können sie ein ganz normales und harmloses Leben führen. Einer meiner ersten Lehrer in der Zauberschule war auch ein Werwolf. Daß wußten aber nur die Lehrer, weil die Eltern sonst sofort dagegen vorgegangen wären, eben wegen der Angst, ihre Kinder zu verlieren. Der bekam jeden Vollmond einen besonderen Zaubertrank, der ihm ermöglichte, seinen freien Willen zu behalten, trotz der körperlichen Verwandlung. Wie genau das außerhalb von begrenzten Einrichtungen geregelt wird muß ich mir noch genauer durchlesen."

"Und was ist mit den Vampiren?" fragte James Brickston.

"Da gibt's solche, die sich sehr gut beherrschen können und sich nur an die Menschen ranmachen, die dem auch zustimmen, Blut zu geben als auch solche, die jeden Menschen wie Futter ansehen. Letztere werden dann von Vampirjägern erledigt, wie es in den Kinofilmen gezeigt wird, eben nur nicht mit silbernen, goldenen oder hölzernen Kreuzen. Aber das mit dem Knoblauch und den Eichenpflöcken stimmt."

"Ja, aber weil ihr so ein Geheimnis um eure Welt macht habt ihr keine Sondernummer, um so einen Vampir- oder Geisterjäger anzurufen oder?"

"Da kann ich Ihnen jetzt keine Antwort drauf geben, weil ich das zum einen nicht weiß und zum anderen weiß ich nicht, ob ich das dann weitererzählen darf, wenn ich es wüßte", erwiderte Julius. "Ich kann mir aber vorstellen, daß in den größeren Polizeiorganisationen wie der Pariser Sûrté und dem Yard in London eine geheime Spezialabteilung eingerichtet ist, die auf solche Vorfälle reagiert."

"Im Zweifelsfall kann ich meine Schwiegertochter anrufen. Die hat mir das angeboten, wenn was sein sollte, daß mit eurer Welt zu tun hat", sagte James Brickston. Julius nickte. Bei Catherine waren die Brickstons aus Birmingham auf jeden Fall gut aufgehoben.

Babette durfte ihr neues Tanzkleid schon an diesem Abend vorführen, als sie mit Julius, ihrem Vater und ihrem Großvater tanzte. Die Weihnachtsfeier endete erst um Mitternacht. Jennifer Brickston verabschiedete sich höflich von den angereisten Gästen und zog sich in das Zimmer zurück, daß sie mit ihrem Mann bewohnen durfte. Julius sagte seiner Mutter, daß er im Verlauf des neuen Tages noch mal zu ihr hinwollte, um letzte Habseligkeiten zu sortieren, die er in das Apfelhaus mitnehmen wollte, darunter einen Stapel alter Akten aus seiner Kindergarten- und Schulzeit.

"Ich konnte es der Oma von Babette und Claudine ansehen, daß die immer noch nicht damit klarkommt, daß ihre Enkel Hexen werden sollen", sagte Millie, als sie im Bett lagen. Die kleine Aurore schlief tief. Julius hatte ihr behutsam ein speichelfestes Schmerzmittel auf die gerade von ersten Zähnen durchbrochenen Kiefer geschmiert, damit sie zumindest die Nacht durchschlief.

"Sie wird sich auch nicht damit abfinden, Millie. Ihre Religion verbietet das, mit Hexen und Zauberern gut auszukommen. Sie akzeptiert es nur, weil Babette und Claudine Joes Kinder und damit auch ihre Erben sind und weil sie wohl noch meint, bei derenErziehung mitreden zu können und deshalb fast allem zustimmt, was mit der Familie ist", erwiderte Julius.

""Bedauerlich, aber wohl auch nicht wirklich was, womit wir uns rumschlagen müssen", meinte Millie noch. Julius hätte ihr fast gesagt, daß sie das Thema angeschnitten habe. Doch er verzichtete auf diese Bemerkung.

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Laurentine hatte sich vom Ministerium einen seegrünen Renault zuteilen lassen, dem man von außen nicht ansah, daß in seinem Kofferraum eine ganze Wohnungseinrichtung verstaut werden konnte und in seinem Fahrgastraum bis zu zwölf Personen bequem sitzen konnten. Martha Eauvive fragte Laurentine, ob sie auch mit einem Transitionsturbo fahren konnte.

"Da kriege ich im Januar noch einen Extrafahrkurs vom Ministerium, Martha", sagte sie, als sie den Wagen auf den Parkplatz für Gäste gestellt hatte. Julius konnte jetzt noch einmal den Apfelbaum sehen, den er nach der Beerdigung von Claires Körper hier gepflanzt hatte. Vier jahre war das jetzt schon her, und der Baum hatte sich gut entwickelt. Wer ihm auf zehn Schritte nahe kam fühlte auch, daß in ihm eine gute Kraft mitschwang, die je größer er wurde immer stärker wurde. Daß der Baum starke eingewirkte Kräfte besaß hatte er schon gezeigt, als er einen von Skyllians Schlangenmenschen vom Grundstück vertrieben hatte, der trotz des Sanctuafugium-Zaubers um das Haus der Brickstons fast bis an das Haus herangekommen wäre.

Julius durfte sich für das Apfelhaus noch die Ordner mit den ihn betreffenden Urkunden und einen Kartoon mit verschiedenen Gesellschaftsspielen mitnehmen. Von den Möbeln, die seine Mutter mit in das Haus gebracht hatte, wollte er nichts haben. Laurentine legte fest, daß sie das Dachzimmer, wo Millie und Julius ihr Ehebett gehabt hatten, als Gästeschlafzimmer einrichten würde. Das Schlaf- und Arbeitszimmer Marthas würde sie zum reinen Arbeitszimmer umfunktionieren und dort schlafen, wo Julius früher alleine geschlafen hatte. Für Martha Eauvives Sohn war es schon eine merkwürdige Sache, sich vorzustellen, daß Claires ehemalige beste Schulfreundin in dem Zimmer schlafen würde, in dem er manche Nacht von Claire geträumt hatte, sowohl im schönen wie im traurigen.

"Wenn es mit den neuen Möbeln klappt, wie Célines Eltern sich das vorgestellt haben, kannst du alle Möbel mit in die Staaten nehmen, Martha", sagte Laurentine.

"Bis auf den Rechner und das Kombigerät zum Faxen, scannen und drucken gehen alle Möbel an einen Gebrauchtmöbelladen. Das wird erledigt, während ich mich in den Staaten einrichte", sagte Martha. Laurentine und sie klärten dann noch ab, wann die Wohnungsübergabe vollzogen werden würde. Julius stand dabei und hörte nur zu.

Gegen Mittag reiste er ins Château Tournesol, wo er mit dem Rest der großen Latierre-Familie feierte. Während die Verwandten mit Millie über die ersten UTZs sprachen nahm Barbara Julius bei Seite und fragte ihn: "Darrfst du mir erzählen, von wem du einen Pokal der Verbundenheit bekommen hast, Julius?"

"Leider nicht, Tante Babs. Es ist ein Eauvive-Geheimnis. Daß ich ihn gekriegt habe sollte eigentlich auch keiner wissen."

"Nur mit dem kleinen Unterschied, daß mir das schon auffällt, wenn jemand so gut mit einer Latierre-Kuh sprechen kann wie meine Mutter oder ich. Aber ich muß es wohl hinnehmen, daß du zu den wenigen gehörst, die auch sowas praktisches bekommen haben. Sieh bitte zu, daß du mit diesem Vorrecht nichts anstellst, was dich oder Millie in Schwierigkeiten bringt!"

"Welche Schwierigkeiten?" wollte Julius wissen.

"Vor zweihundert Jahren hat jemand mit Hilfe dieses Pokals mit einer Riesin Verbindung aufgenommen und hatte dadurch auch Verbindung zu deren zwei Söhnen. Diese hat er dann dazu angestiftet, die Leute zu töten, über die er sich ärgerte. Als man ihm endlich beikam und wissen wollte, wo er den Pokal versteckt hatte, verbrannte er aus sich selbst heraus im Schmelzfeuer, das du ja wohl auch schon gesehen hast. Er hat dabei fünf Angehörige des Zaubereiministeriums mit in den Tod gerissen. Es hat ihm aber nichts eingebracht, weil seine Frau den Pokal gefunden hat und als neue Nutzerin von ihm akzeptiert wurde. Sie hat sich dann als versierte Einhornzüchterin hervorgetan, weil sie von drei verschiedenen Stuten die Milch getrunken hat und dadurch alle deren Blutsverwandten verstehen konnte. Also nutze den Pokal bitte so, daß dabei keiner Schaden nimmt!" Julius versprach es.

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Am 29. Dezember trafen aus Großbritannien die Familien Dawn, Priestley, Porter, Watermelon, Prudence und Michael Whitesand mit ihrem Sohn Perseus, Melissa Whitesand, sowie die Eheleute Fielding mit ihrem Sohn Tom und die Familie Abrahams mit dem schon einjährigen Sohn Garwin ein. Tim Abrahams Frau Galatea trug gut sichtbar ein weiteres Kind. Von den Malones kamen Kevin und Patrice, sowie Kevins Cousine Gwyneth.

Es ging bei der Unterhaltung vor der Abreise um das Quidditchturnier sowohl in Hogwarts, wo Gryffindor Slytherin und Hufflepuff haushoch besiegt hatte und Ravenclaw die Hufflepuffs ohne Gegentor in Grund und Boden gestampft hatte, sowie das Quidditchturnier in Beauxbatons. Seitdem Babette und Gabrielle in der Mannschaft der Grünen waren lagen diese fünfzig Punkte vor den Roten, die ja dadurch, daß Calypso und Penthisilea Latierre nicht im selben Spiel zusammen mitspielen durften ein wenig schlechter dastanden, nachdem sie von den Gelben mit 170:40 Punkten blamiert worden waren. Deshalb waren die vier noch in Beauxbatons lernenden Latierres auch so schweigsam gewesen, wußte Julius.

Als sich dann die Gäste aus Europa zwei Stunden später am Startplatz der magischen Überseeluftschiffe trafen fragte sich Julius schon, ob die überschallschnelle Himmelswurst überhaupt auf Höhe und Geschwindigkeit kommen würde. Als er Céline Dornier sah hätte er fast gegrinst. Céline war nicht mehr so dünn, wie er sie früher in Erinnerung hatte. Das lag daran, daß sie bereits im vierten Monat schwanger war. Daß sie Zwillinge trug hatte sie Julius erst vor einer Woche geschrieben. Ihre große Schwester Constance sah gegen sie jetzt richtig schlank aus. Deren schon fünf Jahre alte Tochter Cythera trug ein farbenfrohes Kleid und in ihrem schwarzen langen Haar ein goldenes vierblättriges Kleeblatt.

"Na, fühlen wir uns jetzt besser als vor einem Jahr noch", mußte Gérard unbedingt bei Robert anbringen, als dieser Céline sah.

"Komm hör auf, Gérard. Nicht bevor wir zu einer Party müssen noch so'n Krempel ausbuddeln", schnaubte Robert. Dann sagte er: "Jetzt weiß ich zumindest, daß Céline und ich das damals richtig gemacht haben, nicht im Jahr vor den UTZs zu heiraten."

"Aber Céline ist glücklich", feixte Gérard.

"Klar, weil die Connie jetzt rechts überholen kann", grummelte Robert. Julius fragte ihn, ob das mit der Anstellung bei Mansio Magica nicht so doll lief.

"Mit dem Chef komme ich klar. Aber mit den Schnepfen aus der Sachbuch-Abteilung für geschichtliches Zeug ist's ein Tanz mit einem Trollweibchen. Du weißt nie, ob sie dich nicht im nächsten Moment umwerfen, dir auf die Füße treten oder dich mit ihren Armen zerquetschen will. Na ja, aber immerhin darf ich demnächst mit einer gewissen Catherine Brickston über ihr Buch über die Magie der Megalithen sprechen, daß sie im März von uns rausbringen lassen will. Die hat extra um einen männlichen Mitarbeiter als Lektoren und Rezensenten gebeten. Na klar, wo die alten Sabberhexen schon da waren, wo sie das Buch über Sardonia rausgebracht hat, kein Wunder."

"Wird sicher noch", sagte Julius.

"Habt ihr es wieder davon, daß Robert mit seiner Anstellung Krach hat und er Angst hat, die zwei Neuen nicht satt zu kriegen?" wollte Céline wissen, die ihren leicht gewölbten Bauch wie eine Trophäe vorantrug. "Gérard meinte nur, mir die Kiste von vor einem Jahr zurückgeben zu müssen", knurrte Robert. "Und daß ich Angst wegen dieser alten Schachteln habe habe ich so nie gesagt, Céline", fühgte er mißmutig dreinschauend hinzu. Céline grinste dazu nur. Julius hätte fast den alten Spruch gebracht, wie gut einer Frau die Schwangerschaft stünde. Doch zum einen mußte Céline ja noch fünf Monate tragen und zum anderen wollte er sich nicht auch noch mit Robert herumzanken, daß der lieber auch nur ein Kind auf den Weg gebracht hätte wie Millie und Julius.

Das Luftschiff füllte sich mit den Gästen. Die beiden Piloten blickten etwas befremdlich auf die Passagiere, die über die Leiter an Bord kletterten. Doch dann nickten sie einander zu und besetzten ihre Plätze in der gläsernen Steuerkabine.

Die Reisenden verteilten sich nach Familien oder Bekanntenkreisen in den großen Kabinen, die in Himmelblau, Wolkenweiß und Sonnengelb gehalten waren. Das Luftschiff sank tatsächlich um einige Meter ab, bevor die letzten Passagiere an Bord waren. Endlich konnte die Leiter eingeholt werden. Die Vertäuung löste sich durch entsprechende Zauber, und das Luftschiff stieg erst leicht schwankend in die Luft. Doch dann gewann es Tempo und Höhe. Laurentine saß zusammen mit Denise und Babette bei Martha. Die drei würden die Brautjungfern sein. von Lucky Merryweather her würden noch dessen Cousine Fiona, seine Nichte Mandy und Brittanys Cousine Luella das halbe Dutzend vervollständigen. Julius war gespannt auf Luckys Trauzeugen. Martha hatte ihm nicht verraten, wer es sein würde, weil ihr Verlobter das gerne bis zum Tag der Hochzeit für sich behalten wollte. In den Staaten spekulierten sie deshalb schon, welche Berühmtheit er sich ausgesucht haben mußte. Vielleicht war es Old Firehat Felix, der Leiter des Westernquintetts, daß bei der Verlobungsfeier aufgespielt hatte. Doch wer es genau war wußte eben keiner.

Julius unterhielt sich mit Antoinette Eauvive, die mit ihrem Ehemann Albert und den Töchtern Chloé und Callisto mitreiste. Es ging darum, ob Julius sich in seinem Beruf wohlfühlte und ob er da, wo er eingesetzt wurde, wirklich gut ausgelastet werde. Natürlich wußte sie über ihre eigenen Verbindungen von der Sache mit Diosan Sarjawitsch. Doch weil sie hier nicht unter sich waren konnten sie natürlich nicht darüber sprechen. So ging es nur um die bisherigen Erfahrrungen, die nicht unter eine der Vertraulichkeits- oder gar Geheimhaltungseinstufungen fielen. Antoinette mußte nur lachen, als Julius ihr erzählte, daß er sich jedesmal, wenn er ins Büro kam, seinen Arbeitsstuhl einfangen müsse. "Ja, diese Marotte von Ornelles Vorgänger kenne ich auch schon. War damals eine Adeptin im zweiten Ausbildungsjahr, als ich wegen einer Begebenheit mit einem Patienten und einer Dryade bei ihm vorstellig wurde, um eine Zeugenaussage zu machen. Daß das mit denStühlen aber immer noch so ist erstaunt mich jetzt. Na ja, ersetzt den Frühsport." Dem pflichtete Julius bei.

"Und jetzt doch ein wenig betrübt, die eigene Mutter einem anderen Mann überlassen zu müssen?" fragte Antoinette. Julius überlegte kurz, ob das zutraf. Dann sagte er: "Ist für mich natürlich ein ganz neuer Lebensabschnitt. Vielleicht komme ich damit nur deshalb klar, weil ich auch schon verheiratet bin und meine eigene Familie habe. Hätte sie vor vier oder fünf Jahren wen neues gesucht und gefunden, hätte ich da vielleicht doch mehr Probleme gemacht. Aber so hoffe ich jetzt, daß sie genauso glücklich wird wie ich es mit Millie immer noch bin."

"Das kann nur beurteilen, der nach vielen Jahren, die längst nicht nur Freude und Vergnügen sein können, zurückblickt und feststellt, daß es sich gelohnt hat, mit dieser Frau respektive diesem Mann alt geworden zu sein. Wenn Mildrid und dir das gelingt und Martha und Lucullus ebenfalls, dann dürft ihr mit Fug und Recht sagen, daß ihr glücklich seid. Ich kann dies zumindest tun", erwiderte Antoinette.

Julius konnte sich auch mit Aurora Dawn und ihrer Tante June Priestley unterhalten, den beiden Hexen, die ihm auf den Weg in die Zaubererwelt geholfen hatten und somit auch dafür gesorgt hatten, daß seine Mutter einen Zauberer zum zweiten Mann nehmen würde. Aurora ließ sich von ihm erzählen, wie er mit seiner Tochter zurechtkam und daß er in seinem Beruf interessante, aber auch schwerwiegende Sachen erlebte.

"Könntest du dir vorstellen, irgendwann noch ein Geschwisterchen zu haben?" wollte Aurora wissen.

"Sagen wir es so, ich wohne dann ja weit genug weg und muß dann nicht den großen Bruder herauskehren. Ein wenig komisch wäre es schon. Aber ich will auch, daß meine Mutter so glücklich ist wie es geht. Wenn dazu ein Kind oder zwei mit Lucullus gehören, dann soll das eben so sein."

"Na ja, weil ich mir auch immer wieder die Frage stelle, wie ich darauf reagiere, sollten meine Eltern noch ein Kind zeugen. Unmöglich ist das ja nicht, wie wir ja wissen. Aber so wie du das gesagt hast kann ich dann auch für mich geltend machen, daß ich ja dann weit genug weg bin, um nicht die große Schwester raushängen zu lassen. Ich habe das Thema ja auch nur deshalb angeschnitten, weil ich wollte, daß du dir wirklich in allen Folgen bewußt wirst, was dieser Schritt deiner Mutter für dich bedeutet, so daß du damit so ruhig wie möglich zurechtkommst."

"Ich finde es schön, daß ich so viele Leute um mich habe, die mir helfen möchten, mit allem klarzukommen, nicht nur mit dem, daß meine Mutter noch mal heiraten will. Auf jeden Fall besser, als wenn meine Mutter sich jeden Monat wen anderen sucht, um sich nicht zu langweilen."

"Das ist doch mal eine Feststellung", lachte Aurora Dawn. Doch ein wenig wehmütig sah sie schon aus. Julius fragte sie nun, ob sie sich damit arrangiert habe, daß sie bisher keinen festen Partner gefunden habe.

"Sagen wir es so, wenn ich mir Millie und dich, Sandrine und Gérard und dann Céline und Galatea ansehe, dann denke ich eher, daß mir ein Kind wichtiger wäre als ein Ehemann, wenngleich ich dann natürlich auch wert drauf legen würde, daß das Kind seinen Vater kennt und ihn zum männlichen Vorbild hat. Cythera hat ja im Grunde ihren Großvater oder Robert oder eben auch dich. Aber das sind alles Leute, die nicht unmittelbar mit ihrem Vorhandensein zu tun haben. Aber wenn ich mir Constance ansehe, daß sie wohl ohne den Vater der Kleinen gut klarkommt und ich ja leider weiß, wie unrühmlich sich Cytheras Vater über sie geäußert hat, kann ich mir auch vorstellen, daß ich einmal so wie Leda Greensporn als alleinerziehende Hexenmutter zurechtkommen werde, wenn es eben so sein soll. Wie erwähnt wäre mir eine Partnerschaft schon lieber, wenn es um die Erziehung eines Kindes geht. Aber im Zweifelsfall hätte ich auch keine große Sorge, es alleine großzukriegen. Außerdem ist das in der Zaubererwelt ja eh so, daß die meisten Kinder ab dem elften Lebensjahr in einem Internat lernen und dadurch ja noch ganz andere Verhaltensvorgaben kennenlernen. Das stimmt mich dann sogar zuversichtlich, daß jedes Kind, ob es nur von der Mutter oder nur vom Vater großgezogen wird, seinen oder ihren Weg findet und genug Vorbilder bekommt, um sich auszurichten." Julius stimmte dem zu. Dann sprachen sie noch über australische Zauber- und Geisterwesen, was einen Gutteil der Überfahrtzeit beanspruchte.

Die Kinder, die schon selbst laufen und sprechen konnten empfanden die Überfahrt als großes Abenteuer. Cythera war bisher nicht aus Frankreich ausgereist. Daß sie gleich über den Atlantik und dann noch bis zur amerikanischen Westküste flog war ganz schön spannend. Zwischendurch quängelten und schrien Estelle, Aurore und Roger, weil sie wieder Schmerzen hatten. Die anderen Mitreisenden sangen für die Kleinen. Patrice Malone meinte dann: "Da müssen wir auch durch, Kevin." Kevin erwiderte: "Ja, aber erst, wenn bei dir wer durch mußte." Die Latierres und Madeleine L'eauvite lachten, Antoinette räusperte sich, und Madame Faucon, die die Aufsicht in Beauxbatons an die Kollegin Fixus übergeben hatte, wollte schon ansetzen, Kevin zu tadeln. Da sagte ihre Schwester: "Blanche, schimpf den Jungen nicht dafür aus, daß er die Wahrheit sagt. Dann wärest du kein gutes Vorbild für ihn und die anderen jungen Leute hier." Da konnte Blanche Faucon nichts sagen. Nur der Blick, mit dem sie ihre große Schwester bedachte war deutlich.

Den Rest der Überfahrt verbrachten alle an den Fenstern, um den Anflug zu verfolgen. Aus der Steuerkabine kam nur die Durchsage, daß bitte alle Passagiere sich gleichmäßig in der Kabine aufstellten, da das Luftschiff sonst Schlagseite bekäme und statt in Viento del Sol am Ende noch irgendwo in Mexiko landen könnte. Das brachte Millies Cousinen Callie und Pennie dazu, das mexikanische Lied von der Küchenschabe nachzusingen.

Die Landung verlief ein wenig ruckeliger als sonst. Doch schließlich konnten die Haltetaue des Luftschiffes an ihren richtigen Ankermasten festgemacht werden. Am Boden wurden die europäischen Gäste bereits von den US-amerikanischen Gästen begrüßt. Martha traf hier nach mehreren Wochen Pause wieder auf ihren Verlobten, dessen Verwandtschaft auch schon eingetroffen war, inklusive jener, die selbst nicht hexen oder zaubern konnten. Julius begrüßte Brittany und ihren Mann Linus. "So, jetzt nur noch ein Tag, dann sind wir zwei Cousin und Cousine", sagte sie strahlend. Julius umarmte sie und knuddelte sie. Mit gewisser Verwegenheit fragte er, ob er nicht aus Versehen wen plattdrücken würde. Brittany meinte dazu: "Wenn ich irgendwann in einem oder zwei Jahren einen zusammengefalteten Pergamentbogen auf die Welt bringe wissen wir es, Julius. Aber solange dieser Vertrag mit den Windriders gilt bleibt es nur bei den Vorübungen. Die gute Madam Palmer meinte aber, daß der blaue Sündentilger am Ende teurer sei als zwanzig Reisewindeln. Apropos, eure Kleine ist ja schon wieder gewachsen."

"Schon wieder? Immer noch", bemerkte Julius und winkte seiner Frau zu, die sich gerade mit der Familie Ross aus Denver unterhielt, mit denen sie und somit auch Julius über verschiedene Ecken verwandt waren. John Ross trug die Kluft eines texanischen Cowboys von den hohen Stiefeln über die derbe Arbeitshose, Hemd, Lederweste bis rauf zum weißen Stetson-Hut. Seine Frau Alexis trug einen mintfarbenen Umhang.

Als sich alle soweit begrüßt hatten zogen sie zum Gasthaus zu ihren Quartieren. Brittany und Linus hatten für Millie, Julius und Aurore, sowie Mandy Brocklehurst Gästezimmer vorbereitet. Die Porters und Watermelons würden bei den Redliefs im Glashutturm wohnen, während die Dusoleils bei Tilia Verdant unterkamen, auch wenn die Heilerin selbst nicht auf der Gästeliste stand. Die Dawns kamen zusammen mit den Priestleys bei einem hier lebenden Verwandten von Pamela Lighthouse unter, Während Kevin, Patrice, Shana und Gwyneth Malone zu ihren in den Staaten lebenden Verwandten flohpulvern wollten. Martha Eauvive würde mit den Eauvives im Gasthaus zum sonnigen Gemüt wohnen. Die Fieldings kamen bei Peggy Swann unter, die eine entsprechende Bitte ihrer Nichte Miriam aus Hogsmeade erfüllte, dafür aber auch von Martha Eauvive auf die Gästeliste gesetzt worden war. So würde Julius nicht darum herumkommen, die "kleine" Larissa wiederzusehen. Immerhin war die jetzt auch schon mehr als drei Jahre auf der Welt, zum zweiten mal. Er mußte an den Ausflug nach Khalakatan denken, wo er den zur bis zum Lebensende seiner Mutter dauernden Ruhe in ihrem Leib verurteilten Madrashtargayan getroffen hatte. Der hatte ihn als Daisirian, als Zwiegeborenen bezeichnet, weil er unter Beibehaltung seiner ganzen Erinnerungen von zwei Müttern getragen und geboren worden war. Gleiches galt auch für Larissa Swann und Ledas Kind Lysithea, wo wohl irgendwann ein heimlicher Tausch mit einem anderen Kind passiert sein mußte, weil aus der kleinen Lysithea irgendwie ganz schnell die große Theia geworden war. Als hätte er sie mit seinen Gedanken herbeigezaubert sah er Theia Hemlock, die gerade mit einem kleinen Mädchen an der rechten Hand durch das Dorf ging. Er versuchte, zu erkennen, ob er im Gesicht der Kleinen irgendwas wiedererkennen würde. Tatsächlich waren es die Augen, die ihn daran erinnerten, wer die Kleine, Selene Hemlock, früher mal gewesen war. Doch genau das durfte ja nicht jeder wissen. Daß er es wußte lag daran, daß sie indirekt ihm ihr Leben zu verdanken hatte. Wußte Theia Hemlock das? Eigentlich nicht, weil er es zum Latierre-Geheimnis gemacht hatte, daß er die vier alten Zauber gelernt und weiterunterrichtet hatte. Aber Selene mochte es wissen, und wenn sie wirklich alles mit in ihr zweites Leben hinübergerettet hatte, was sie vorher erlebt hatte, so wußte sie das auch. Sein Blick traf den von Theia Hemlock. Sie lächelte ihn an. Wüßte sie, daß sie seinetwegen mal Baby und jetzt Mutter geworden war, hätte sie ihn sicher nicht angelächelt. Er occlumentierte jedoch vorsorglich.

"Ach, du hast Madam Hemlocks Tochter und deren Tochter gesehen?" fragte Brittany. "Die bleiben hier bis zum Jahreswechsel. Die kleine Selene hat sich schnell entwickelt. Sieht mir so aus, als studiere sie immer ihre Umgebung und müsse sich davor hüten, irgendwas darüber zu sagen." Julius hätte fast gesagt, daß Brittany da vollkommen richtig lag. Selene Hemlock durfte nicht sagen, daß sie eigentlich kein gerade mal ein Jahr und fünf Monate altes Mädchen war. Sie hatte am gleichen Tag wie er Geburtstag. Das verband ihn auch mit ihr. Das zumindest wußte Brittany über die beiden.

Das Bucheckernhaus hatte sich nicht verändert. Brittanys und Linus' trautes Heim strahlte vor Sauberkeit. Auf dem Dach hatte bis gestern noch ein Frosty gestanden. Doch jetzt zierte ein metergroßes, vierblättriges Kleeblatt und ein goldenes Hufeisen das Dach, Symbole des Glücks, das im nächsten Jahr in dieses Haus einkehren sollte.

Da Brittany vegan lebte gab es zum Essen nur etwas aus Gemüse und Getreide. Immerhin hatte sie ein geniales, fleischloses Curry hinbekommen, mußte Julius zugestehen.

"Und ihr habt auch keinen Dunst, wer der Trauzeuge von eurem Onkel Lucky ist?" wollte Julius von Brittany wissen.

"Solange es nicht Arbolus Gildfork ist komme ich mit jedem klar", sagte Brittany, nachdem sie Julius zum dritten mal von dem rein pflanzlichen Currygericht vorgelegt hatte. Millie hatte sich eher in die mexikanischen Tortillas mit Paprika, Karotten, Chillis und Jalapeños verliebt.

"Den läßt seine überfressene Frau doch nur von der langen Leine, wenn sie dabei einen Vorteil hat oder gerade wen interessanteres in der Nähe hat", grummelte Linus. Brittany verzog das Gesicht und bat darum, vielleicht doch besser über was anderes zu sprechen. So ging es um die ersten Berufserfahrungen von Julius, das Wachstum von Aurore und Quodpot. Am Nachmittag läutete es an der Tür. Ein untersetzter Mann mit schwarzem Bart und kurzem Haar bat um Einlaß. Seine Heldentenorstimme füllte auch dann den Wohnraum, als er leise sprach. "Mrs. Brocklehurst, ich erfuhr, daß der Sohn der Braut bei Ihnen zu Gast ist. Darf ich ihn fragen, ob er ein paar Minuten Zeit hat?"

"Natürlich dürfen Sie das, Mr. Bell", sagte Brittany und deutete auf Julius. Der erkannte den Zauberer wieder, auch wenn es jetzt schon fast zwei Jahre her war, und der Zauberer gerade in einem veilchenblauen Umhang gekleidet war und einen dito Zaubererhut trug. Er entschuldigte sich bei seinen Gesprächspartnern und begrüßte den würdigen Herren. "Sie erkennen mich sicher wieder, Monsieur Latierre. Mein Name ist Pericles Bell und ich übe im Staate Kalifornien seit nun sechzig Jahren das würdige, wenn auch nicht immer nur erfreuliche Amt des Zeremonienmagiers aus. Ich durfte Ihre Gastgeber vor zwei Jahren in den erhabenen Stand der Ehe führen und wurde von Mr. Merryweather und seiner Braut damit beauftragt, sie morgen im Gemeindehaus von Viento del Sol einander anzutrauen. Darf ich sie in diesem Zusammenhang um einige Minuten ihrer wertvollen Lebenszeit bitten?" Julius hätte fast gegrinst. Doch er beherrschte sich und antwortete ebenso erhaben:

"Ich freue mich, wenn diese Minuten meiner Lebenszeit dazu beitragen, den Tag morgen zu einem unvergesslichen, würdigen und erfreulichen Ereignis werden zu lassen. Daher darf ich Sie bitten, über mich zu verfügen." Millie blieb das Gesicht stehen, Brittany grinste, und Linus blickte verdutzt drein. Julius kümmerte es nicht. Er folgte dem Zeremonienmagier in das für ihn und Millie reservierte Gästezimmer. Dort sprach Mr. Bell mit ihm darüber, daß er es normalerweise so hielt, daß der andersgeschlechtliche Elternteil der Braut und des Bräutigams das jeweilige Kind vor ihn hinführten. Nun sei es leider so, daß der Brautvater bereits vor Jahren verstorben war und ob Julius diese würdige Aufgabe als Sohn der Braut übernehmen könne, zumal dies auch schon vorkam, daß die erwachsene Tochter eines Witwers ihren Vater vor ihn geführt habe, um mitzuverfolgen, wie er eine neue Frau an seine Seite gestellt bekam. Julius hatte da überhaupt kein Problem und fragte in dem Zusammenhang, welche Kleidung er zu diesem Anlaß tragen sollte. Als der Zeremonienmagier sagte, daß Julius den für das ganze Fest ausgewählten Umhang tragen könne und lediglich noch einen dazu passenden Hut aufsetzen möge, nickte Julius und erklärte sich bereit, diesen wichtigen Teil zur Hochzeit seiner Mutter beizutragen. Dann sprachen beide darüber, wie der Auftritt morgen stattfinden würde. Hier mußte Julius doch ein wenig vom Ernst abrücken, als ihm gesagt wurde, daß er bestätigen solle, daß die Braut seine Mutter war.

"Also, an meinen Zeugungsakt kann ich mich naturgemäß nicht erinnern. Aber ich kann auf Grund von Erinnerungsnachbetrachtungsübungen, die ich in Beauxbatons mal machen konnte mit absoluter Sicherheit sagen, daß Martha Eauvive, geborene Holder mich in Hoffnung getragen und unter Schmerzen geboren hat. Ebenso hat sie mich großgezogen."

"Okay, ich verstehe, daß wir hier doch vom üblichen Wortlaut abrücken müssen", erwiderte Mr. Bell lächelnd. "Gut, ich habe da immer gefragt, ob der zur Trauung gewillte der Vater oder die Mutter sei. Dann geraten wir beide morgen nicht in merkwürdige Gedankengänge. In Ordnung, dann bedanke ich mich für's erste und sehe Sie dann morgen früh im Gemeindehaus von Viento del Sol." Julius bestätigte das und geleitete den Zeremonienmagier zurück in den Wohnraum. Als Brittany und Millie erfuhren, daß er seine Mutter vor den Zeremonienmagier führen durfte meinte Millie: "Hat Onkel Charles mit Oma Line auch gemacht, als sie Opa Ferdinand geheiratet hat. Insofern nichts wirklich unübliches."

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Wie mit Mr. Bell abgesprochen traf Julius am nächsten Morgen, nachdem Millie sich vergewissert hatte, daß sein jadegrüner Festumhang noch immer sicher und faltenfrei saß beim Gasthaus zum Sonnigen Gemüt ein, wo er fast in Melanie Redlief hineinlief, die die letzten kosmetischen Vorbereitungen an seiner Mutter ausgeführt hatte. Sie packte gerade ihre Utensilien in die weiße Tragetasche und lächelte Julius an. "Sitzt immer noch gut, der Grünstaudenumhang. Du gehst bitte zu deiner Mutter ins Ankleidezimmer, aber erst, wenn du hörst, daß da keine bloßen Stellen mehr zu sehen sind. Die Brautjungfern ziehen sich noch an. Hat etwas gedauert, bis Madam Bluebutton die Kleider an die Formen angepaßt hat."

"Kein Problem, ich bin Gentleman", sagte Julius. Melanie grinste darüber nur und verließ den Flur vor dem Ankleidezimmer. Er konnte sich vorstellen, daß jene besagte Madam Bluebutton wohl nicht damit gerechnet hatte, verschiedene Kleidergrößen bedenken zu müssen. Er trat vor die Tür des Zimmers, daß zur Komfortklasse Gold gehörte und lauschte erst. Als er nur ein belustigtes Lachen und Kichern hörte mußte er doch grinsen. Dann klopfte er an: "Achtung, ein Mann betritt das Deck!" rief er aus. Tim Abrahams hatte ihm erzählt, daß auf Kriegsschiffen mit gemischter Besatzung die Männer ankündigen mußten, wenn sie ein von Frauen bewohntes Deck betreten wollten.

"Der Mann kann reinkommen, alle Damenzüchtig verhüllt", erwiderte Julius' Mutter amüsiert.

"Jau, alles mal in Silber", stellte Julius fest, als er erst die sechs Brautjungfern ansah, bei denen die Kleider weit und figurverhüllend waren. Dann sah er noch eine ältere Hexe, die Gerade Nadeln, Scheren, silberne Garnrollen und ihren Zauberstab fortpackte. "Sie sind der Brautsohn?" fragte sie und blickte dann auf Julius' Kleidung. Der Blick, mit dem sie ihn abtastete verriet ihm, daß sie vom Fach war und sofort sah, wie der Umhang verarbeitet war und was er wohl neu gekostet hatte. "Grünstaude! Seit der Ausstattung von Mrs. Brocklehurst habe ich damit nicht mehr arbeiten dürfen", sagte sie. Dann nickte sie der Braut zu, die wegen der zweiten Hochzeit nicht im Unschuldsweiß, sondern einem hellen Hoffnungsgrün vor den Zeremonienmagier treten würde. Babette und Denise postierten sich gerade so, daß sie die wohl fünf Meter lange Schleppe faltenfrei hielten. Im hochgesteckten Haar der Braut steckte das goldene Kleeblatt, daß gestern noch Cythera getragen hatte. Um den Hals trug sie eine silberne Kette mit einem silbernen M daran. Julius kannte diese Kette. Seine Mutter hatte sie zur Einschulung in die Oberschule geschenkt bekommen. Das war also das alte. Fehlte nach dem Kleid und dem Kleeblatt nur noch was blaues. Als er danach fragte sagte seine Mutter: "Ich habe mir ein himmelblaues Mieder angezogen. Außerdem trage ich an jedem Schuh ein Knutstück." Sie deutete auf ihre silbernen Brautschuhe, an denen vorne oben je ein Bronzeknut befestigt worden war.

"Ich darf mich dann empfehlen und wünsche Ihnen ein glückliches und langes Leben, Martha", sagte die Schneiderin und nickte den Anwesenden zu. Julius gab ihr den Weg nach draußen frei. Dann sagte er: "So bitte ich um euer Gehör, Myladies. Draußen vor dem Gasthaus harret Eurer eine weiße Karosse mit fröhlichem Blumenschmuck und Glockenspiel, um euch zum Platz der feierlichen zeremonie zu tragen." Die Mädchen mußten grinsen, als Julius diese Ansprache hielt. Dann meinte er noch: "Öhm, Mum, tu das Kleid nach der Trauung gut aufbewahren. Denises Mutter könnte vielleicht dran interessiert sein, es zur goldenen Hochzeit zu tragen, wenn sie nicht selbst sowas schneidern läßt."

"Hab ich ihr auch schon gesagt", giggelte Denise und löste damit eine kurze Kichersalve aus. Dann kehrte wieder die Disziplin des Anlasses ein. Julius führte seine Mutter am Arm hinaus, um schon mal die passende Schrittweite einzuüben. Die Brautjungfern folgten.

Vor dem Gasthaus bestiegen sie die weiße Hochzeitskutsche, vor die eine Lipizanerstute und ein -hengst gespannt waren. Die Geschirre der Pferde und der Rand des weißen Daches waren mit silbernen und goldenen Glöckchen geschmückt. Um die Fenster und über dem hinteren Teil der Kutsche hingen bunte Blumenkränze. Als alle acht in der Kutsche auf schneeweißen Kissen saßen enterte der Kutscher den Bock. Er trug eine Uniform aus weißem Hemd und goldener Hose. Die beiden Pferde ruckten an und trotteten den mit Kopfsteinen gepflasterten Weg entlang in Richtung Gemeindehaus. Unterwegs mentiloquierte Julius mit seiner Frau, daß sie unterwegs waren.

"Die hätten Temmie vor die Kutsche hängen können", empfing er Millies Antwort. "Hier ist aber jetzt alles klar. Der Bräutigam wartet. Krieg keinen Lachanfall, wenn du den siehst, Monju."

"Ich bin bei dem auf alles gefaßt", schickte Julius zurück, während die Brautjungfern noch mal ihr Lied zum Lob der Braut durchsangen, wobei es für Denise schwer war, den englischen Text auszusprechen.

"Der Trauzeuge ist auch da", mentiloquierte Millie. "Aber ich sage dir nicht, wer es ist. Kennen tun wir den auf jeden Fall beide."

"Dauert nicht mehr lange. Wir sind ja schon am Markt", gedankenantwortete Julius.

Die Fahrt führte um den Markt herum, passierte in zweihundert Metern Abstand den Uhrenturm und endete auf dem Gemeindehausvorplatz, über dem hunderte von frei schwebenden goldenen, rosaroten und blauen Luftschlangen und goldenen Leuchtballons hingen. Wie es abgesprochen war entstieg der männliche Anverwandte der Braut als erster und half der hellgrünen Braut aus dem Coupé. Hinter dieser glitten die in Silber gehüllten Brautjungfern aus der Kutsche heraus und entfalteten dabei die hellgrüne Schleppe.

Unter lautem Applaus und dem Spiel von mehreren Blechbläsern und den Schlägen von mindestens zwölf mittelgroßen Glocken, die alle irgendwie nicht in Moll- sondern Durobertönen hallten, betrat die Braut und ihre Begleitung das Gemeindehaus. Wie es mit dem Zeremonienmagier abgesprochen war, schwenkte der Brautgeleitzug in den rechtsgelegenen Teil der hinteren Sitzreihe ein. Der Gang zwischen den Reihen war mit einem goldenen Läufer bedeckt. Die Stühle selbst waren golden lackiert. Julius konnte nun nach links blicken, wo das Gefolge des Bräutigams saß. Madam Merryweather trug ein himmelblaues Rüschenkleid mit weißen Spitzen und einen kleinen, weißen Hexenhut mit einem silbernen Blütenkelch auf der Spitze. Neben ihr saß Lucullus Merryweather. Julius war gewarnt worden. Deshalb gehörte er zu den wenigen, die nicht belustigt grinsten oder frei lachten, als sie in den Festsaal eintraten. Lucullus Merryweather trug einen jägergrünen Schlapphut, an dem eine rotgoldene lange Feder steckte, wohl die Schwanzfeder eines Phönixes. Sein Anzug bestand aus einer sonnengelben Jacke mit goldenen Sternchen, einem himmelblauen Hemd mit weißen und grauen Wolkenmustern, einer kleegrünen Hose mit kastanienbraunem Gürtel, dessen Schließe ein goldenes Hufeisen war und ferkelrosa Schuhen, auf deren Spitzen kleine pausbäckige Schweinchen saßen. Schrill bunt halt, dachte Julius. Dagegen sah Luckys Trauzeuge geradezu unauffällig aus. Er trug einen weinroten Festumhang mit goldenen Halbmonden und einen metfarbenen Bowler, auf dem ein nach oben offenes goldenes Trinkhorn befestigt war. Julius kannte den Zauberer. Es war Bachus Vineyard, der Wirt vom betrunkenen Drachen in New Orleans. Den kannte Lucky also auch persönlich, erkannte Julius.

Die restlichen Gäste trugen einfarbige Umhänge, aber allesamt in hellen Tönen. Seine Schwiegeroma Line trug jedoch eine weiße Bluse und einen sonnengelben Rock, der zu den Knien reichte. Millie hatte wie Julius den Festumhang angezogen, mit dem sie schon bei Marthas Adoption in die Eauvive-Familie und dem Weihnachtsball des trimagischen Turniers eine gute Figur gemacht hatte. Die kleine Aurore saß bei ihr auf dem Schoß und sah sich um. So viele andere Leute. Camille Dusoleil trug ein langes, blattgrünes Kleid, das auf Tallienhöhe von einem grünen Schmuckgürtel zusammengehalten wurde. Madame Faucon führte jenen hellblauen Umhang aus, in dem sie mit ihm damals zu seinem ersten Sommerball in Millemerveilles geflogen war. Ihr schwarzes Haar wurde von einer Silberspange zusammengehalten. Aurora Dawn trug ihrem Namen gerecht einen morgenrotfarbenen Festumhang mit feinen Goldfäden darin. Alle anderen präsentierten sich in hellen Blau- oder Grautönen. In einer Ecke des Saales stand ein weißes Zelt, in dem alle gerade anwesenden Säuglinge in ihren mitgebrachten Wiegen schliefen. Die Klein- und Vorschulkinder saßen auf den Schößen ihrer Mütter oder Väter. So konnte Julius auch Larissa Swann sehen, die in einem sonnengelben Kleidchen mit bunten Schmetterlingen mit ihrer Mutter zusammensaß.

Als alle Hochzeitsgäste eingetreten waren trat Mr. Bell hinter einem cremefarbenen Vorhang hervor auf das goldene Podest. Er trug jene weiße Kleidung, in der er auch schon Brittany getraut hatte. Er überblickte die Festgesellschaft nur kurz. Julius war darauf gefaßt, oberflächlich legilimentiert zu werden. Doch das entsprechende Gefühl blieb aus. Dann hob er die weißbehandschuhten Hände. Das letzte Tuscheln und Raunen erstarb. Hier und da mußte ein Elternteil seinem schwatzenden Kind noch ein leises "Schsch" ins Ohr zischen. Dann lag feierliche Stille über allemund jedem.

"Liebe Festgemeinde", brach der Zeremonienmagier das Schweigen. "Wir sind heute, kurz vor dem Ende des so langerwarteten und dann doch wie fast jedes andere verstrichenen Jahres zweitausend zusammengekommen, um zwei Liebenden vor Zeugen die Frage zu stellen, ob sie gewillt sind, den Rest ihres Lebens miteinander zu teilen, im Guten wie im Schlechten. Allerdings ist es nicht so, daß wir hier zwei Liebende vor uns haben, die gerade erst am Beginn ihres eigenständigen Lebens stehen, die noch Ausblicke haben, Vorhaben planen müssen oder davor bangen müssen, die nicht wissen, welche der vielen Träume sich erfüllen werden oder doch nur träume bleiben. Wir sehen hier zwei sich liebende Menschen, die bereits im Leben stehen, die einen festen Halt gefunden haben und wissen, was sie können, was sie wollen und wie sie ihre Ziele erreichen können. So unterschiedlich Herkunft und Lebensweise der beiden auch sind, so vereint sie doch das Ziel, ein gemeinsames Leben zu beginnen, sich auf neues einzulassen, ohne das altvertraute zu verwerfen, mit den Erfahrungen des bisherigen Lebens den Boden für neue Erfahrungen zu bereiten. Ich sehe eine Frau, die vor acht Jahren noch nicht einmal wußte, das es neben der ihr vertrauten Welt noch eine weitere, von Menschen mit Glück und Sorgen bevölkerte Welt gibt, die nicht wußte, daß sie selbst auch zu einem Teil dieser Welt werden würde. Sie hat bereits einem Sohn das Leben gegeben, ist mit ihm zusammen gewachsen und hat miterlebt, wie er seinen Weg in die Eigenständigkeit fand, ja daß er selbst bereits mit einer liebenden Frau verbunden ist, mit der er selbst schon ein Kind hat. ich sehe einen Mann, der wie auch jetzt zu sehen, keine Angst vor der Freiheit kennt, der sein Leben unter das Motto gestellt hat, daß alles, was er tut, ein Vergnügen bringen muß, auch wenn er dabei gelernt hat, daß auch der Ernst und die Besorgnis Teile des Lebens sind. Doch genau diese Erfahrung hat ihn dazu bewogen, hier und heute die lange gepflegte Eigenständigkeit zu beenden, ohne seinen Charakter aufgeben zu müssen.

Ich sehe viele Menschen, Hexen, Zauberer und solche, die genauso glücklich damit leben können, nicht mit den Gaben der Magie ausgestattet worden zu sein. Ich sehe die Verwandten, Freunde, Bekannten, Arbeitskollegen und andere Wegbegleiter. Ihre hohe Zahl zeigt auch, daß wir hier mit zwei einander versprochenen Menschen zusammen sind, die bereits wissen, was das eigenständige Leben an Freude und Leid bereithält, und die sich trotz allem dazu entschlossen haben, mit einem letzten Schritt aufeinander zu, ein neues, langes Kapitel ihres Lebens aufzuschlagen. Die Mitte des Lebens ist und bleibt die Mitte. Sie ist zwar kein hoffnungsvoller Anfang mehr, aber das alles beschließende Ende ist auch noch sehr weit entfernt. Jeder Tag kann etwas neues bringen und das alte ehren. Liebe und Verbundenheit sind das einzig wahre Lebenselixier, daß Menschen überleben läßt, das einem Menschen die Kraft gibt, Jeden Tag zu begrüßen, sich ihm anzuvertrauen und aus ihm weitere wichtige und erfreuliche Dinge zu schöpfen. So sind wir alle heute hier versammelt, um einen der erhabensten Akte menschlichen Lebens zu feiern, das große Versprechen zweier einander liebender vor allen, die ihnen wichtig und wertvoll sind. So möchte ich nun dich, Julius, darum bitten, deine Mutter Martha vor mich hinzuführen, auf das wir alle die Braut preisen können." Julius bot seiner Mutter den Arm zum Unterhaken und stand mit ihr zusammen auf. Die Brautjungfern erhoben sich zeitversetzt und nahmen Aufstellung, die Schleppe zu ergreifen und hinter der Braut herzuschreiten. Unter den Klängen des Orchesters führte Julius seine Mutter über den goldenen Läufer in Richtung des goldenen Podestes. Er blickte zu seiner Frau hinüber und vor allem zu Aurore, die ihrem Vater und ihrer Großmutter gerade zusah. Wann würde er sie, dann als Vater der Braut, vor einen Zeremonienmagier führen? Würde er mit ihrer Wahl einverstanden sein oder einfach nur dulden, daß sie mit dem Erwählten glücklich werden wollte? Wie schnell die Zeit verfliegen konnte wußten Julius und seine Mutter zu gut, und für Julius hätte auch schon längst das Ende seines Lebens eintreten können. Hier und jetzt aber galt es, seiner Mutter auf den letzten Metern zu ihrem neuen Glück beizustehen. Im Rhythmus der langsamen Musik schritten Braut und Brautsohn mit Gefolge die Reihen nach vorne und erklommen die drei Stufen des zehn Meter durchmessenden Podestes. Als sie zwei Armlängen vor dem Zeremonienmagier anlangten endete die Musik. Die acht Personen blieben stehen. "So bitte ich nun dich, Hygia, deinen Sohn Lucullus vor mein Angesicht zu führen, auf daß wir den Bräutigam sehenund preisen können", sprach Mr. Bell. Die Musik begann erneut. Julius wollte sich nicht umdrehen. So nutzte er das glänzende Zifferblatt seiner Armbanduhr als behelfsmäßigen Spiegel um zu sehen, wie die Schulheilerin von Thorntails ihren Sohn an der rechten Seite untergehakt zwischen den Reihen hindurchführte. Auch sie bestiegen das Podest. Mr. Vineyard bildete die Nachhut. Erst oben auf dem Podest flankierte er seinen Freund oder Bekannten. Hygia Merryweather postierte sich links von Julius auf gleicher höhe. Dann erfolgten die Fragen, ob die vor den Zeremonienmagier geführten wahrlich die Mutter, beziehungsweise der Sohn waren. Als beide vor dem Zeremonienmagier und allen Anwesenden bestätigt hatten, daß es wirklich die waren, die heute heiraten wollten, begann die kurze Darbietung der Brautjungfern. Sie sangen ein Lied zu Ehren der Braut und der Liebe. Julius hatte den Text mal durchgelesen. Da war noch eine Strophe, wo von Unberührtheit und eine wo von Kindersegen die Rede war. Beide Strophen wurden weggelassen. Dann umtanzten die Brautjungfern das Paar und die Anverwandten und wünschten in einem dreistimmigen Kanon, daß der Segen von Himmel, Meer und Erde, niemals je erlahmen werde. Als dieser Kanon viermal durchgesungen war nahmen die Brautjungfern wieder Aufstellung hinter der Braut und hielten die Schleppe hoch. Nur Luella Wintergate, Brittanys Cousine, stellte sich rechts von ihr hin. Sie wirkte sehr aufgeregt, als müsse sie gleich die Frage des Zeremonienmagiers beantworten. Julius trat zusammen mit seiner künftigen Stiefgroßmutter zurück und überließ so dem Brautpaar und dem Zeremonienmagier die Szene.

Der Zeremonienmagier hob seinen Zauberstab und fragte Martha, ob sie den hier anwesenden Lucullus Enceladus zum Mann nehmen und ihn ehren und ihm beistehen würde, in guten wie in schlechten Tagen. Sie antwortete mit einem vernehmlichen "Ich will!" um sie und Lucky Merryweather herum stiegen goldene Funken auf und bildeten einen Kreis. Dann wurde Lucullus Enceladus gefragt, ob er die hier anwesende Martha zu seiner geliebten Frau nehmen und sie ehren und ihr beistehen würde, in guten wie in schlechten Zeiten. Auch er sagte "Ich will!" Aus den einzelnen Funken wurde nun ein Lichtvorhang. Für Luella Wintergate, die rechts von Julius' Mutter stand und Bachus Vineyard, der links von Lucky Merryweather stand, war dies nun das Zeichen, die goldenen Trauringe hervorzuholen und den beiden Brautleuten zu geben. Der Zeremonienmagier sprach vor, daß die beiden mit den Ringen ihren Bund besiegelten und für alle sichtbar kenntlich machten. Dann sagte er den entscheidenden Satz: "So erkläre ich euch Kraft meines Amtes als Zeremonienmagier des Staates Kalifornien zu Mann und Frau. Du darfst die Braut jetzt küssen." Kameras blitzten zusammen mit den goldenen Funken auf, die Mr. Bell aus seinem Zauberstab über die soeben angetrauten versprühte. Der Sprecher des Dorfrates von Viento del Sol fragte, welchen gemeinsamen Namen die beiden Eheleute führen wollten. Sie bekräftigten, Merryweather heißen zu wollen. Damit war nun endgültig das Kapitel Richard Andrews beendet, dachte Julius. Er hatte seinen Geburtsnamen abgelegt. Seine Mutter hatte den Namen ihres ersten Mannes gegen den Namen ihrer Adoptiveltern Antoinette und Albert Eauvive eingetauscht und hatte nun erneut einen gemeinsamen Namen mit einem Ehemann angenommen. "Wo immer du jetzt bist, und was immer du gerade so machst, Paps, werde glücklicher als vor Hallitti", dachte Julius. Er konnte nicht wissen, daß sein Wunsch beinahe zu spät erfolgt wäre. Denn er wußte nicht, wo und unter welchem Namen sein von der Hexe Patricia Straton auf Säuglingsgröße verjüngter Vater nun aufwuchs. Er wußte auch nicht, daß sein Gedanke, daß Kapitel Richard Andrews sei erledigt, ein wenig voreilig war. Doch im Moment zählte auch nur seine Mutter, die im Gewitter von vielen Kameras Lucky Merryweather küßte. Die Kapelle spielte einen Tusch. Dann noch einen und noch einen. Hygia Merryweather legte einen Arm um Julius und wisperte ihm ins Ohr: "Jetzt hast du noch eine Oma, mein Junge."

"Ich freu mich drauf, Gran", wisperte Julius, während das Orchester eine kraftvolle Fanfare spielte und die versammelten Gäste laut applaudierten. Die Glocken fielen in das fröhliche Trara des Orchesters ein, und Julius ging zusammen mit seiner neuen Stiefgroßmutter, als wären auch sie miteinander verheiratet worden, hinter dem gerade eine Minute bestehenden Ehepaar her zu den Sitzreihen. Dort erhob sich Millie und führte ihre Eltern und Schwestern heraus. Sie hakte sich rechts bei Julius unter. Hygia Merryweather lächelte Millie an und sagte ihr, daß sie nun eine dritte Großmutter in der Familie hatte. Sie sagte, daß sie sich auch darauf freue.

Die Festgemeinde versammelte sich vor dem zweiflügeligen Portal des Gemeindehauses. Reis und Confetti flog aus Dutzenden von Händen und deckte die frisch angetrauten ein. Auch Julius warf eine Hand voll Reis, die Millie und Brittany ihm gestern abend noch aufgedrängt hatten. "Gönn ihr alles Glück, daß zu einer richtigen Ehe dazugehörte, hatte Millie gesagt. Und Brittany hatte gesagt, daß das Reiswerfen harmlos war. Dann erfolgte der letzte Akt der Zeremonie, der Wurf des Brautstraußes. Julius dachte daran, daß wegen solch eines Brautstraußes diese Feier heute überhaupt zu Stande gekommen war. Alle nahmen Aufstellung. Martha nahm ihren Blumenstrauß und schleuderte ihn aus einer vollendeten Bewegung von Arm, Körper und Beinen heraus nach oben. Der bunte Blumenstrauß stieg erst wie eine Rakete nach oben, drehte sich dann und trudelte abwärts, bis er in die Menge der umstehenden hineinfiel. Laurentine Hellersdorf hielt mit beiden Händen die Schleppe. Sie wollte den Strauß garantiert nicht auffangen. Da erwischte es jemanden. Ein junges Mädchen schrie erfreut auf und hielt den Strauß nach oben. Erst dachte Julius, es sei Pina. Doch die in vielen langen Zöpfen geflochtenen Haare verrieten ihm, daß es ihre Schwester Olivia war. Pina, die neben ihr stand, glubschte sie kurz an, mußte dann aber lächeln.

"Es ist nicht so, daß wer beide Sträuße fängt auch das nächste Paar bildet", rief Lucky Merryweather. "Aber einen von euch Burschen werde ich hier und jetzt vorbuchen, daß der auch bald unter die goldene Funken tritt!"

"Maulheld!" rief einer der Gäste, die Julius noch nicht mit Namen kannte, alles wohl aus dem Freundeskreis des Bräutigams. Dieser warf den Strauß hoch in die Luft und wartete, bis er sein Ziel, sein Opfer oder seinen glücklichen Fänger fand. Es erwischte Steve Cotton, der zwischen seinen beiden Schwestern und deren Ehemännern stand und wohl meinte, der Bräutigamstrauß würde deshalb einen großen Bogen um ihn machen. Sharon und Ginger lachten, als Steve das Blumengewinde auf einmal in den Armen hielt. "Hochhalten! Hochhalten!" forderten die männlichen Gäste. Steve Cotton hielt den Strauß hoch und sagte: "Okay, Leute, noch mal Las Vegas!" Dafür trat ihm seine ältere Schwester Ginger auf den rechten großen Zeh und Sharon lachte: "Ich denke, die dich kriegt will da nicht hin. Zu viel Lärm da." Marilyn Cotton befand, da auch noch was zu zu sagen: "Und da heiraten auch nur die, die keinen Wert darauf legen, eine sie unterstützende Familie zu haben." Sharon sah ihre Mutter verbiestert an. Doch dann grinste sie:

"Sei froh, daß du nichts dafür bezahlen mußtest als Brautmutter."

"Außerdem müßte Steve Cotton ja dann Pinas kleine Schwester heiraten, so wie die Sträuße geflogen sind", mußte nun auch Kevin seinen Senf dazugeben. Olivia funkelte ihn dafür mit ihren wasserblauen Augen an. Dann blickte sie sich um und sah Tom Fielding, der sich kerzengerade aufrichtete und sie anstrahlte. Damit war nun für jeden klar, wer da wen heiraten wollte.

Nach diesem beinahe in ernsthafte Diskussionen ausgearteten Abschluß kehrten die Festgäste wieder ins Gemeindehaus zurück. In dem großen Saal war inzwischen umgeräumt worden. Es waren nun zwanzig große Tische dazugekommen. Die Stühle waren alle um die Tische gruppiert. In der Mitte war eine dreißig mal zwanzig Meter große goldene Tanzfläche entstanden. Das Podest war nun eine Bühne, auf der gerade noch eine Westernkulisse zurechtgerückt wurde. Also würde es wieder Westernmusik geben.

"Habt ihr Tischkarten gemacht, Mum?" fragte Julius. Seine Mutter nickte und deutete auf den Tisch in der Nähe der Bühne. "Verwandtschaft beider Lager an die vier nächsten Tische zur Bühne", sagte Martha Merryweather. So fanden sich Millie und Julius zusammen mit den Brocklehursts, Foresters und Wintergates am gleichen Tisch wie Lucky und Martha. Julius Freunde aus Hogwarts und Beauxbatons bekamen einen gemeinsamen Tisch, wobei Olivia schon klarstellte, daß Tom Fielding derjenige war, wegen dem sie den Brautstrauß aufgefangen hatte. Dessen Eltern Roy und Dina setzten sich zu den Eheleuten Porter hin. Die Latierres bildeten mit einem Großteil von Luckys Cousins und Cousinen und den Eauvives eine Tischgemeinschaft.

"Oha, Pina guckt nicht gut aus der Wäsche", stellte Millie fest, die Pinas mißmutiges Gesicht bemerkt hatte. Julius dachte sich auch seinen Teil. Pina hätte es wohl sehr gerne gehabt, an seiner Seite zu leben. Jetzt mochte es ihr passieren, daß ihre kleine Schwester vor ihr heiratete. Aber bis dahin mochte noch viel Wasser Themse, Seine und Mississippi runterfließen.

Da der Brautvater nicht mehr persönlich sprechen konnte, fiel dieser traditionelle Teil flach. Brittany, die links von Julius saß, freute sich, als sie die beiden Buffets sah. Man hatte doch an sie, ihren Vater und ihre Großeltern väterlicherseits gedacht und rein pflanzliche Speisen aufgefahren. Babette und die anderen Brautjungfern saßen zusammen mit anderen Kindern aus der Verwandtschaft des Bräutigams zusammen an einem Tisch. Laurentine machte sozusagen die Tischaufsicht, wie es beim Sommerball in Millemerveilles üblich war. Darin hatte sie übung, wo sie ja im letzten Jahr stellvertretende Saalsprecherin ihres Wohnsaales gewesen war.

Nach dem üppigen Essen - Julius hatte erst ein Steak und dann fleischloses Curry vertilgt - traten die ersten Künstler der Feier auf. Es waren die lauten Lassospringer. Old Firehat Felix wollte zunächst mal wissen, wo das neue Ehepaar saß. Als dieses aufstand sagte der Mann mit dem feuerroten Cowboyhut: "Tja, Lucky, jetzt hat das wilde Leben ein Ende. deshalb werden wir dir gleich gnadenlos alles vorsingen, was du so alles ... Autsch!" Ben, der Banjo-Mann hatte seinem Kameraden einen Schlag mit seinem Musikinstrument verpasst. "Erst der Hochzeitswalzer, damit Lucky noch ein wenig träumen kann, Felix."

"Hatten wir doch bei der Verlobung von den zweien erst und ... Ja, is' gut, Ben", gab Felix ein gekünsteltes Wutschnauben zum besten, weil er noch einmal eins mit dem Banjo auf den Hut bekam. So fingen sie langsam an, weil man ja gerade erst gegessen hatte. Die frisch angetrauten betraten mit wiegenden Schritten die Tanzfläche und gingen in Walzerstellung. Dann begannen sie sich zu drehen und sich in den gemütlichen Rhythmus einzufinden. Nach einer Minute gingen weitere Paare auf die Tanzfläche, darunter natürlich auch Millie und Julius Latierre. Kaum standen die beiden auf dem goldenen Tanzboden, gesellte sich auch Olivia mit Tom Fielding dazu. Pina blieb am Tisch sitzen, bis Ihr Cousin Mike sie aufforderte. Prudence Whitesand hatte ihm durch ein kurzes Nicken die Erlaubnis gegeben.

Der Walzer dauerte fünf Minuten und setzte sich aus mehreren ineinander übergehenden Klassikern aus Wien zusammen. Dann begannen die fünf Musiker, ihre Drohung wahr zu machen und spielten Lieder, in denen das vorkam, was Lucky ab heute nicht mehr ohne Erlaubnis einzuholen tun durfte, ob Kartenspielen, wilde Zechgelage, das angaffen von spärlich bekleideten Strandfräuleins so wie das Kaffeetrinken bei anderen Frauen und Mädchen. Julius mußte grinsen. Hatte wer diesen Westernmusikern aus der Zaubererwelt doch erzählt, was die Muggel so für Umgangsformen hatten. Als sie alle nicht mehr erlaubten Schandtaten einmal durchgezählt hatten spielten sie drei Wiegenlieder aus Amerika, die irgendwie in wildem Chaos endeten und dann in parodierte Kinderlieder ausarteten: "Im Haus der kleinen Hexe
da brennt ein Feuerlein
und füllt die kleine Stube
mit Wärme und mit Schein." oder auch: "Kleine Eule schu-hu-huh
fliege munter immer zu!"

"Felix, ich kenne die Dinger alle", stieß Lucky lachend aus. Doch die fünf Musiker jauchzten, während sie nun das Lied von Billy, dem blubbernden Kochkessel sangen.

"Die Französischen Kinderlieder habe ich ja drauf, aber die englischen fehlen mir, merke ich gerade", sagte Julius zu seiner Frau.

"Die stehen aber im Buch von Hecate Leviata alle drin, Chérie", lachte Millie. Dann sah sie, daß Bruno Dusoleil mit ihr tanzen wollte. Jeanne hatte sich den miesepetrigen Großvater Brittanys auf die Tanzfläche geholt. So tanzte Julius mit Brittany.

"Öhm, ist was mit Mr. Dawn. Der ist eben ganz schnell rausgelaufen, als wäre ein hungriger Drache hinter dem her."

"Vielleicht mußte er ganz schnell wohin, Brittany. Falls was anderes ist, weiß ich nicht, ob ich das wissen darf. Im Zweifelsfall hat er ja eine Heilerin mitgebracht", sagte Julius. Dann warf er seine Tanzpartnerin wie einen Sack Federn herum, als gelte es, einen Rock-'n-Roll-Wettkampf zu gewinnen, weil die Westernmusiker gerade das immer wildere Wallen des besungenen Kessels durch schnellere Musik anheizten.

Nach zehn überstandenen Kinderliedern kam wieder ein Stück für Erwachsene, ein Lied über die Weite der Prärie und ein schönes Lagerfeuer, um das sich Zauberer versammelt hatten. Bei diesem Lied bat ihn Julius Stiefgroßmutter zum Tanz.

"Es mach mich froh, daß Lucky nun nicht mehr nur auf seine Mutter angewiesen ist, wenn er Beistand braucht", sagte sie. Dann fragte sie Julius, ob er nun traurig oder froh sei. Er erwiderte, daß er sich freue, daß es so viele Leute hier gab, die sich für seine Mutter freuten. Deshalb könne er das auch tun.

"Du wirst mit meinem Lucky keinen ernsthaften Krach kriegen, weil er weiß, daß du deinen Weg schon gefunden hast und ja auch schon gut untergebracht bist. Aber sollte er doch meinen, dir noch irgendwas beibringen zu müssen, was dir nicht gefällt, schreib mir das ruhig, damit ich ihn daran erinnere, wie wichtig es ihm war, sich von keinem mehr dreinreden zu lassen!"

"Ich glaube, um richtig Streit mit deinem Sohn zu kriegen müßte wohl schon was ganz schlimmes passieren", sagte Julius.

"Du weißt, ich bin Heilerin. Eine gute Prophylaxe erspart eine langwierige Therapie." Sie lächelte dabei.

"Meine Mutter würde das ihm nicht durchgehen lassen, wenn dein Sohn mir noch was beizubringen oder mich zurechtzuweisen meint", sagte Julius zuversichtlich. Das nahm die Heilerin von Thorntails hin. Dann meinte sie: "Jetzt hast du zwei Heilerinnen in der Familie. Kann euch also nicht mehr viel vom Besen hauen."

"Antoinette ist auch über mehrere Ecken mit mir Verwandt und Jeanne ist über Millie und Bruno auch mit mir verwandt, wenngleich sie Apothekerin ist."

"Wie gesagt, da kann dann nicht mehr viel schlimmes passieren", sagte Hygia Merryweather. Julius wollte ihr da nicht widersprechen, obwohl ihm dutzende von Sachen einfielen, die passieren konnten, allen voran, daß die beiden wachen Abgrundstöchter sich für ihn interessieren mochten oder daß er mit den Wergestaltigen aneinandergeriet und gebissen wurde. Bei seinem Beruf war das leider nicht mehr unwahrscheinlich. Dann waren da noch die Hinterlassenschaften aus dem alten Reich, von denen wohl noch längst nicht alle wieder aufgetaucht waren.

"Ich weiß, ich habe jetzt gerade bei dir eine Menge dunkler Gedanken aufgescheucht, Julius. Tut mir leid", sagte die Heilerin. Julius hatte offenbar nicht daran gedacht, seine Gesichtszüge zu beherrschen. So sagte er:

"Du weißt ja noch, was damals passiert ist, warum ich in der Wüste gestanden habe. DA wo die herkam sind noch mindestens zwei. Dann weiß ich nicht, ob das mit Nocturnia endgültig erledigt ist. Außerdem soll es eine Bruderschaft von Werwölfen geben, die meinen, alle Menschen in ihre Artgenossen verwandeln zu müssen. Mit denen könnte ich zum Beispiel mal zu tun kriegen. Riesen gibt's auch noch und auf Männerjagd befindliche Waldfrauen."

"Aus deren Beuteschema bist du auf jeden Fall raus, Julius. Ja, was die beiden noch aktiven Unheilstöchter angeht, da hast du leider recht, daß die immer noch sehr gefährlich werden können. Aber die sind im Moment von zu vielen Feinden umgeben, als nach dir zu suchen", meinte die Heilerin von Thorntails. Julius hörte es aber so, daß diese beiden nur deshalb noch nicht hinter ihm herjagten, weil sie eben noch zu viele andere Dinge zu bewältigen hatten. In den Staaten war das Laveau-Institut auf dem Posten. Im mittleren Osten bis hinüber nach Indien gab es diese Morgensternbruderschaft. Aber er dachte auch an Kanoras, den schlafenden Schattenträumer. Wenn den jemand weckte ...

"Die Welt ist groß genug, um sich jeden Tag Sorgen machen zu müssen", rüttelte Julius sich selber aus der Trübsal, die ihn zu überwältigen drohte. Immerhin hatte er schon mithelfen können, daß sieben unschuldige Mädchen keine ungewollten Kinder von einem Wesen halb Mensch halb Veela austragen mußten.

Um wieder auf fröhliche Gedanken zu kommen sprachen die beiden noch über ihre Hobbys, jetzt wo sie ja miteinander verwandt geworden waren. Julius hörte, daß Madam Merryweather auch gerne Strickte wie ihre französische Kollegin Rossignol, aber auch gerne Musik machte. Sie spielte Klarinette und Harfe. So meinte Julius einmal, daß er ja in den Schulferien herüberkommen könne,um mit ihr Musik zu machen.

Als der Tanz vorbei war nutzte Julius die Gelegenheit, sich von überschüssigem Wasser zu erleichtern. Dabei kam ihm Hugo Dawn entgegen, der wohl ziemlich traurig aussah. Seine Tochter Aurora fing ihn am Zugang zu den Toilettenräumen ab und ging mit ihm in einen der kleinen Ruheräume, die für die Gäste angelegt worden waren, wenn sie mal nicht laute Musik hören oder tanzen wollten. Julius fragte sich zwar, was los war, mußte aber wieder erkennen, daß es ihn nicht betreffen sollte.

Nachdem er wieder in den Festsaal zurückgekehrt war winkte ihm Pina Watermelon zu. Er ging zu ihr. Auf der Bühne wurde gerade umgebaut. Die Lassospringer verabschiedeten sich für's erste und kündigten ihre Kollegen aus New York, die Mittagströter an. Steve Cotton rief laut: "Mittag is' doch schon rum!" Darüber lachten alle.

"Nich' in Hawaii", lachte Lucky Merryweather. Dann kamen zwanzig Musiker mit verschiedenen Instrumenten. Dazu gesellten sich noch zwei vierbeinige Begleiterinnen, eine kakaobraune und eine schneeweiße Langhornkuh. Die beiden Tiere trugen weitere Instrumente herbei.

"O schön, die können südamerikanische Tänze wie Salsa, Mambo und Merengue spielen", sagte Pina. Sie fragte Julius, ob er den nächsten Tanz mit ihr tanzen wollte. er war einverstanden. Die in bunte Kostüme gekleidete Combo, die aus afrikanischstämmigen Amerikanern, Mexikanern, Gemischtrassigen und einem reinrassig indianischen Musiker bestand, wurde von einer quirligen dunkelhäutigen Frau angeführt, die ein grün-golden-rotes Kostüm trug. Sie stellte sich als "Adda Applebee vor und verkündete, daß nun die Musik aus den beiden Amerikas das Sagen hatte und dabei auch eine tierische Party angesagt sei. Dann stellte sie ihre Vortänzerinnen vor, "Dotty Chocolate", das war die kakaobraune Kuh "und Bläänch Buttermilk", womit die schneeweiße Kuh gemeint war. Die Lassospringer, die bisher Musik gemacht hatten, feuerten ihre Kollegen an, die bereits große Stimmung weiter anzuheizen. Das ließen sich Madam Applebee und ihre Band nicht zweimal sagen. So begann zunächst ein flotter Foxtrott, den die beiden Kühe tatsächlich auch tanzten. Brittany, die sonst nichts für Auftritte von Tieren hielt, hielt sich hier und jetzt doch erstaunlich zurück. Dafür verließen ihr Vater und dessen Eltern den Saal, angeblich, um weit ab vom magischen Gefeiere über Familienangelegenheiten zu sprechen. Pina genoß es derweil, wie Julius mit ihr tanzte. Dabei zwinkerte sie einmal zu Olivia herüber, die einen sichtlich geschafft aussehenden Tom Fielding mehr oder weniger über den Tanzboden schob und zerrte. "Die wird mich ab heute jeden Tag damit nerven, daß sie die erste ist, die wen heiraten wird", meinte Pina. "Daß die mit Tom zusammen ist habe ich dir ja mal geschrieben. Nachdem die mit dem sogenannten Mr. Moonriver nichts mehr anfangen kann, weil der ja eh zu alt für sie ist, hat sie ja Tom Fielding besäuselt, und der hat sich drauf eingelassen, wohl auch, weil er nix von Rosanna Vane wissen will. Das Rommy Vane wen neues von Beaux mit nach England gebracht hat weißt du schon?" fragte Pina. Julius machte "Häh?!" Pina nickte und meinte, Auroras Bild hätte ihm das vielleicht erzählt, weil Rosanna das in Hogwarts rumgehen ließ, daß sie im Februar Tante würde. "Am Ende muß ich mich noch geschmeichelt fühlen, weil die zwei es wohl nach meiner Geburtstagsfeier getrieben haben. Wenn du die zu eurer Heilerin geschleppt hättest, wäre das wohl aufgefallen. Jedenfalls hat sie im August verkündet, mit den ZAGs zufrieden zu sein. Im Oktober hat ihre Schwester, die bei uns gerade die ZAGs machen will, rumgehen lassen, daß Romilda deshalb nicht mehr nach Hogwarts zurückgekommen ist, weil sie sonst noch mal ein Jahr hätte wiederholen müssen, weil sie da schon wen kleines unter dem Umhang hatte. Offenbar hat sie mit dem Gedanken gespielt, das Kind vorzeitig loszuwerden. Aber jetzt will sie es wohl haben, auch wenn der, der es ihr zugesteckt hat nichts davon wissen will."

"Oha, neh, da hat mir Auroras Bild-Ich nichts von erzählt. Betrifft mich jetzt auch nicht mehr. Aber Tom wurde von Rommys kleiner Schwester verfolgt?"

"Hat wohl gedacht, über ihn gut mit Professor Fielding klarzukommen, weil sie ja auch Muggelkunde bei ihm hat. Aber Tom hat sich von meiner Schwester besingen lassen, und jetzt hängt er am Haken und fragt sich sicher, ob er genau wie du im letzten Schuljahr schon auf Säuglingspflege hinarbeiten muß. Rosanna ist jetzt übrigens hinter Addy Moonriver her. Die meint wohl, daß er so knurrig ist liegt daran, daß er nicht zeigen will, daß ihn Mädels wie sie doch beeindrucken. Gut, Tom, Olivia und ich dürfen ja nicht rumgehen lassen, was mit Addy los ist. Dann soll die kleine Vane sich mal an dem Knurrwolf die letzten Milchzähnchen ausbeißen."

"Okay, kann die machen", meinte Julius. Er kannte Romilda Vanes kleine Schwester nicht. Er konnte sich aber vorstellen, daß Romildas Vater nicht begeistert von einem unehelichen Enkel war, dessen Vater sich vor der Verantwortung drückte. Dann meinte er zu Pina: "Ich habe keine kleine Schwester. Aber wenn du wissen möchtest, wie du mit einer friedlich auskommen willst, frage Jeanne oder Martine."

"Soll ich jetzt laut lachen oder was? Jeannes kleinere Schwester hätte dich gerne geheiratet. Martines kleinere Schwester hat dich geheiratet. DA kann ich auch nur zugucken, wie Olivia vor mir heiratet."

"Okay, waren vielleicht die falschen Empfehlungen", stellte Julius fest. Pina grinste.

"Vielleicht kommst du schneller zu einer kleinen Schwester als du Quidditch sagen kannst, Julius. Jetzt ist ja wieder alles möglich."

"Wenn die aber dann vor mir heiraten wollte müßte die aber weit in die Vergangenheit zurückreisen", erwiderte Julius darauf. Pina grummelte. Er lachte. Dann meinte er: "Du überstehst das, Pina. Ich bin auf jeden Fall froh, daß du immer noch eine gute Freundin für mich bist und daß du mir und Millie alles Glück gönnst." Dagegen konnte Pina nichts mehr einwänden, vor allem wo sie eine der ersten außer den Eltern und den Geburtshelfern war, die die kleine Aurore Béatrice hatten sehen dürfen.

"Kann auch sein, daß Olivia Tom wieder in den Wind schießt, wenn dessen Eltern zu viele Bedingungen an eine Heirat knüpfen. Professor Fielding hat ja auch schwere Zeiten hinter sich, und seine Frau hat ja nur deshalb alle UTZs in dem Jahr machen dürfen, wo sie Tom trug, weil sie ja nicht viele Zauberstabbasierten Fächer hatte, wenn ich das richtig mitbekommen habe." Pina stimmte zu. Dann gab sie noch eine Vermutung zum besten:

"Kann auch sein, daß Tom heute merkt, wie besitzergreifend meine Schwester sein kann und sich das überlegt. Das würde dann zwar ziemlich laut scheppern, und ich darf die ganzen Rotz- und Wasserspuren hinter meiner Schwester aufwischen. Aber Vielleicht braucht sie das jetzt wirklich, diese Erfahrung, nicht alles kriegen zu können. Sie denkt halt nur, wenn sie sich einen festen Freund krallt und möglichst schnell heiratet käme sie über den Verlust von Dad hinweg. Na ja, soll sie es rauskriegen, ob es geht oder nicht!" Julius schwieg dazu. Denn da wollte er besser nichts zu sagen. Wenn Olivia ihn und Millie als Vorbild sah, dann war er indirekt schuld, daß sie sich so früh wie möglich festlegen wollte.

Nach dem Tanz mit Pina ging Julius ans kleinere Buffet, wo es Getränke gab. Dabei traf er Aurora Dawn. Sie bat ihn um den nächsten Tanz. Als beide ihren Fruchtsaftcocktail leergetrunken hatten ging es zu einem Bossa Nova auf die Tanzfläche. Gloria sah Julius zwar, erkannte aber, daß er mal wieder mit Beschlag belegt war und ließ sich von Philipp Priestley auf die Tanzfläche führen.

"Du hast meinen Vater vorhin getroffen. Er läßt dir ausrichten, daß du das bitte nicht rumgehen läßt. Es war ihm schon peinlich genug, so schnell aus dem Saal zu flüchten. Aber er hat nun einmal gelernt, daß erwachsene Männer ihre Trauer nicht offen zeigen dürfen."

"Ich habe mir sowas gedacht. Aber warum? Irgendwelche Erinnerungen, die bei der Musik über ihm zusammengebrochen sind?" wollte Julius jetzt doch wissen.

"Volltreffer, Julius. Die Kinderlieder haben ihn dran erinnert, daß seine Mutter zu früh gestorben ist. Die hat sie ihm immer gerne vorgesungen. Aber mach darum bitte kein Gerede! Ich habe schon mitbekommen, daß deine neue Cousine ihm interessiert nachgeschaut hat."

"Ich sage nichts drüber, Aurora. Ich weiß zu gut, wie peinlich das einem werden kann, von den eigenen Gefühlen aus dem Tritt gehauen zu werden."

"Danke, Julius!" erwiderte Aurora darauf. Dann sprachen sie noch über die Trauung und daß er ja jetzt noch eine Heilerin in der Verwandtschaft habe. Julius grinste und erwähnte, daß Hygia Merryweather das auch schon gesagt hätte. "Meine Chefin, Madam Morehead, weiß übrigens, daß du diese Halb-Veela-Sache am Hals hattest", mentiloquierte sie ihm unvermittelt. Er zwang sich, keine Regung zu zeigen und schickte zurück: "Das ist fast oberste Geheimhaltungsstufe."

"Weiß sie, und ich sowieso", gedankensprach Aurora zurück. "Ich wollte nur, daß du weißt, daß sie dich immer noch nicht aufgegeben hat." Julius mußte jetzt doch grinsen.

"Hauptsache, du kommst gut mit deinem Beruf klar", sagte sie nun mit hörbarer Stimme. Julius bestätigte das. Sie sprachen noch über die australische Quidditchliga und daß Aurora im letzten halben Jahr fünf kleine Zaubererweltbürger auf die Welt geholt hatte. "Du siehst, ich bleibe in Übung, sollten Millie und du mal irgendwann in meiner Gegend sein und Millie kurz vor einer Niederkunft stehen." Julius bedankte sich für das Angebot. Doch da würde seine Frau wohl was gegenhaben, außerhalb des Apfelhauses ein Kind zu bekommen. Doch das sagte er seiner großen Brieffreundin und ersten Weghelferin in die Zaubererwelt nicht.

Der nächste Tanz gehörte Julius und Babette. Die strahlende Brautjungfer meinte: "Papa ist mit Britts Papa irgendwo da hinten, weit genug weg von Blääänch."

"Welcher, die mit den Hörnern oder die im blauen Kleid?" Fragte Julius. Babette grinste und deutete auf die weiße Langhornkuh. Unvermittelt wechselten die Musiker von einem Slow Fox zum Salsa-Rhythmus. Julius erinnerte sich an die Salsa-Lektion der südamerikanischen Eheleute Suárez während der Quidditch-Weltmeisterschaft. Babette kannte den Tanz auch. So fanden die beiden tatsächlich in einen gewissen Gleichklang, wobei Babette ungeniert ihre Hüften kreisen ließ. Julius rechnete damit, daß ihre Großmutter wohl nicht so begeistert davon sein würde, wie lebhaft und freizügig ihre Enkeltochter war, doch genoß er es, mit dem nicht mehr ganz kleinen Mädchen zu tanzen. Als er aus Versehen mit ihr frontal zusammenstieß fühlte er, wie viel Frau bereits in Babette erblüht war. "Ui, gut gepolstert. Wie viele Taschentücher hast du dafür genommen, Babette?"

"Hat mich Luella Wintergate auch gefragt, bis die gesehen hat, wie ich ohne Silberkleid aussehe. Diese silbergraue Modetante hat auch gut gebraucht, bis sie mein Kleid so hatte, daß nicht zu viel zu sehen war."

"Willst du Belisama Konkurrenz machen. Die war mit dreizehn auch schon sehr weit", meinte Julius.

"Vielleicht holt mein Körper nur jetzt ein, was im Kopf schon drin ist", erwiderte Babette schnippisch.

"Aber zu zweit läufst du noch nicht rum, oder?" fragte Julius.

"Wenn du meinst, daß Oma Bläänch bald Uroma werden könnte, nöh, sehe ich nicht ein, ein Jahr länger als nötig bei der in Beaux abzuhängen." Julius konnte dazu nur nicken. Irgendwie empfand er diesen Tanz jetzt als sehr erfrischend. Daß zwischen ihm und Babette fünf Jahre lagen und daß er sie früher, wo sie beide noch Kinder waren nervig gefunden hatte, hatte er vergessen. Er sah vor sich eine gerade erblühende, sehr quirlige junge Hexe mit schönem, schwarzem Haar und saphirblauen Augen, wie sie ihre Mutter und ihre Großmutter mütterlicherseits hatten. Als habe er gerade einen Zeitsprung beobachtet sah er eine ältere Version von Babette von links. Es war aber nicht Madame Faucon, sondern Madeleine L'eauvite in ihrem schillernden Regenbogenkleid. Sie klatschte Julius ganz keck ab, obwohl Babette noch gerne mit Julius weitergeschwoft hätte. Ohne ein Wort zu verlieren umklammerte sie Julius und glitt mit ihm in den temperamentvollen Rhythmus aus Südamerika.

"Das du nicht glaubst, das meine Großnichte mir was vormachen könnte", meinte sie, während sie Julius ungeniert führte und er höllisch aufpassen mußte, nicht bei jeder ihrer ausladenden Hüftschwünge mit ihr frontal zusammenzustoßen.

"Oha, wenn deine Schwester uns so sieht könte sie denken, sie bekäme demnächst noch einen Neffen."

"Mein Mann wird dich nicht zum Duell fordern, wenn du mit mir Salsa tanzt, Julius", lachte Madeleine L'eauvite, ohne aus dem Takt zu geraten. Eins, zwei, drei, Pause. Immer drei Schritte abwechselnd und einen Taktschlag aussetzen, dabei in eine gute kreiselnde Bewegung hineinfindend.

"Sowieso komisch, einen Tanz "Soße" zu nennen. Aber schon richtig herausfordernd", stellte Julius klar.

"Will ich wohl meinen", erwiderte Madeleine.

Nach dem feurigen Tanz mit einer offenbar nicht alternden Hexe, die genausogut mit Lucky Merryweather hätte zusammenkommen können, war Julius mit Venus Partridge auf der Tanzfläche. "Gut das Britts Gran väterlicherseits wegen Bläänch und Dotty nicht im Saal war. Wie die Regenbogenhexe mit dir auf der Tanzfläche gekreiselt ist hätte die echt gedacht, die wollte sich dir für einen ganz privaten Tanz anbieten", sagte Venus, während sie mit Julius einen Rumba tanzte. Dann wechselten die Musiker die Instrumente, während zwei Flötenspieler auf den Rücken der beiden Kühe kletterten zogen die anderen Ponchos an. Die ganz dunkelhäutigen Musiker zogen sich zurück, während nun eine Runde Inkarhythmen und Klänge den Saal erfüllten, wobei die beiden Kühe sachte Tanzschritte vollführten. Dann kamen sogar die fünf Cowboys von den Lassospringern und begleiteten die Darbietung mit hohen Sprüngen und schnellen Drehungen. Julius erkannte das gerade laufende Stück "El Condor pasa!" Der Kondor zieht vorbei. Das hatte er auch schon auf seinen verschiedenen Flöten nachgespielt. Auf einer Panflöte klang das aber am besten. Gordy, der Gitarrenspieler der Lassospringer, begleitete die Saiteninstrumentalisten auf seinem Instrument.

Während des Stücks übernahmen immer mehr der Lassospringer Begleitstimmen. Adda Applebee winkte noch einmal ins Publikum und rief "Hasta pronto amigos!" Dann zogen sich immer mehr der sogenannten Mittagströter zurück und überließen nun den fünf Westernmusikern die Bühne. Einer wäre dabei fast in einen Kuhfladen getappt. Doch der verschwand im selben Moment im Nichts. "Ups, da hätte ich fast Dottys letztes Abendessen unterm Schuh gehabt", meinte Gordy, der Gitarrenspieler.

"Das war Bläänchs letztes Frühstück, du Hutständer", bemerkte der Fidelspieler, bevor er ein wildes Clissando von oben nach unten spielte und ein lautes "Jiiiiiiiiihaaaaaaaa!" in den Saal brüllte. Das war für die vier anderen das Signal, ein sehr schnelles Stück zu spielen. Da Julius immer noch mit Venus Partridge zusammenstand nutzten die beiden die Gelegenheit, ihre Kondition miteinander zu vergleichen.

"Euch müde zu kriegen ist wohl nicht einfach. Könnte es sein, daß Luckys Mom euch alle mit Wachhaltetrank abgefüllt hat?" fragte Old Firehat Felix. Tom Fielding gehörte aber nicht zu denen, die noch gut auf ihren Beinen standen. Während die anderen über den Scherz lachten schwankte er wie nach zehn Gläsern Met zum Buffet, um was zu trinken. Aurora Dawn ging zu ihm, schob ihm einen Stuhl hin und drückte ihn sanft aber bestimmt auf die Sitzfläche.

"Heh, Lucky, deine Angetraute hält aber auch gut durch. Das kann für dich noch anstrengend werden", lachte Felix. Lucullus Merryweather grinste und erwiderte: "Das haben wir gerne, andere zum Tanzen treiben und selbst schön weit wegstehen." Alle anderen lachten. Dann spielten die fünf ein langsameres Lied.

Julius pausierte. Er setzte sich zu den Latierres und sprach mit ihnen über den bisherigen Verlauf des Festes. Dann tanzte er mit Gloria.

"Du bist ein Armer Junge. Alles was auf eigenen Beinen steht will mit dir tanzen", sagte sie. Julius lachte darüber. Gloria sagte dann noch: "Jedenfalls wieder ein netter Tag."

Als ein ganz gemächliches Stück gespielt wurde bat Galatea Abrahams Julius um einen Tanz. Offenbar hatte es sich zu ihr herumgesprochen, daß er auch gut mit werdenden Müttern tanzen konnte.

"Wissen Sie schon, wer da demnächst zu Ihnen hinkommt?" fragte Julius nach einigen Sekunden, wo er sich auf die hoffnungsvoll gerundete Tanzpartnerin eingestimmt hatte.

"Mein Bauch ist eine Ballettbühne, auf der eine kleine Ballerina für ihren großen Auftritt probt. Das stimmt mich hoffnungsvoll, daß sie dann nicht so eine lautstarke Sängerin sein wird."

""Und wenn es eine vielseitige Künstlerin ist wie Ginger Rogers oder Barbra Streisand?" fragte Julius.

"Barbra Streisand? Bitte nicht. Nachher bleibt die mit der Nase im Durchgang hängen und ich kriege Ärger mit meiner Schwester Brigid, daß ich ihre Nichte nicht rausrücken will." Wie zu zeigen, daß das Ungeborene hörte, daß über es gesprochen wurde beulte es Bauchdecke und Festkleid seiner Mutter aus.

"Ui, wenn Sie was kennen, was so starke Kinder macht, meine Frau könnte das interessieren, wenn wir unsere Nummer zwei mal irgendwann auf den Weg brringen möchten."

"Alles außer Hühnereier und Hühnerfleisch", sagte Galatea Abrahams. "Aber kann sein, daß sie die Ballerinagene von Tims Mutter abbekommen hat, die Garwin natürlich nicht haben wollte. Na ja, Im März wissen wir's", erwiderte die werdende Mutter. Dann mentiloquierte sie Julius: "Meine Mutter erinnert euch dran, daß ihr den Felix Felicis von ihr bekommen habt. Dein Job könnte den nötig machen." Julius schickte zurück, daß er hoffte, früh genug zu wissen, wann er den Trank benutzen mußte und bat Galatea, ihre Mutter zu grüßen.

"Weiß Ihr Mann schon, daß eine Tochter unterwegs ist?" fragte Julius.

"Er hat sie sogar schon durch den Einblickspiegel turnen gesehen. Er meinte, sie hätte ihm sogar die Zunge rausgestreckt. Aber das kommt wohl eher daher, daß ich da gerade leckeren Honigkuchen mit Oliven drauf gegessen habe und sie mitnaschen wollte."

"Kuriose Mischung. Aber ich habe ja auch schon komisches Zeug gegessen, als unsere Tochter unterwegs war." Galatea grinste über ihr gerundetes Gesicht. Dann sagte sie:

"Wenn ihr beide euch weiter so gut ergänzt, habt ihr bald noch so ein süßes Bündel Leben und ... Ja, es geht um dich, Kleines." Julius schmunzelte. Er sagte aber nichts dazu, sondern tanzte in Ruhe weiter mit Tims erwartungsvoller Ehefrau. Das ermunterte Céline, auch einmal mit ihm zu tanzen.

"Robert hat Angst, er könne zweien auf einmal nichts bieten. Aber das ist unbegründet, weil meine Eltern eine große Truhe voller Galleonen sicher eingestellt haben, wenn der oder die ersten Enkel auf der Welt ist oder sind. Aber sag ihm das bitte nicht. Er meint, sich beweisen zu müssen, daß er eine Familie alleine ernähren kann", sagte Céline und wiegte sich sanft mit Julius im Rhythmus eines gefühlvollen Liedes von einem einsamen Zauberer, der in der weite der Prärie die Hexe seines Herzens sucht und nur Kakteenund von Fliegen umtoste Kühe zu sehen bekommt.

So ging die Feier noch, bis eine längere Tanzpause gemacht wurde. Es gab Abendessen. Danach traten Artisten auf, die mit die Farbe wechselnden Bällen jonglierten, lebende Schweine aus rosaroten Taschentüchern herausspringen ließen oder so taten, als hantierten sie mit unsichtbaren Gegenständen wie Tellern, Besteckteilen oder Stühlen. Dabei klangen aber die Originalgeräusche, so daß viele dachten, die sechs Pantomimen hätten wahrhaftig unsichtbare Gegenstände auf die Bühne geschafft, bis einem ein Teller runterfiel und statt eines Klirrens ein lauter Glockenschlag erklang.

Gegen neun Uhr traten noch einmal die Mittagströter auf. Steve meinte wieder, es sei auch in Hawaii schon Abend. Da meinte einer der Musiker, daß dann eben in China Mittag sei. Das führte dazu, daß die Gruppe asiatische Folklorestücke aus Indien, China, Thailand und Japan spielte, bis sie wieder tanzbares aufspielten. Adda Applebee bewies, daß sie auch mit Soulgrößen wie Aretha Franklin oder Tina Turner mithalten konnte, und einer ihrer Kollegen gab einen brauchbaren Louis Armstrong mit rauher Stimme und Trompete. Damit glitten sie dann in die Welt des Jazz über. Julius mußte wieder an seinen Vater denken, der ihm früher zum Einschlafen Benny Goodman oder Glenn Miller vorgespielt hatte. Ob das jetzt so gut war, seine Mutter daran zu erinnern, welche Musik ihr früherer Mann gerne gehört hatte? Doch Julius wollte es nicht laut aussprechen. Er genoß den Abend weiter. Nach dem Jazzteil folgte noch einmal eine Runde südamerikanischer Tänze, wobei die beiden Kühe nur mit den Hinterteilen wackelten, daß ihre Euter weit auslenkend hinund herschwangen. Brittany beäugte diese Tierdressur mit gewissem Unmut. Doch sie sagte nichts. Vielleicht würde sie ihrem Onkel Lucky demnächst einen Vortrag halten, wie Tiere solche Kunststücke erlernten. Wenn Julius die beiden gewöhnlichen Rinder sah fühlte er auch ein wenig ein schlechtes Gewissen, weil er vorhin ein großes Steak gegessen hatte. Am Ende hatte er ein Stück von einem Kind von Dotty oder Blanche verputzt. Wahrscheinlich hatte sich Brittany deshalb nicht wie ihre veganen Anverwandten aus dem Festsaal verzogen, um zu sehen, ob es den einen oder anderen gab, der nun eine gewisse Reue zeigte.

Gegen Mitternacht wurde das Brautpaar verabschiedet. Ob es zu einer temperamentvollen Hochzeitsnacht kommen würde wollte Julius nicht ausschließen, hielt es aber im Moment für sehr unwahrscheinlich. Mit einer Polonese ließen die Musiker den langen Abend ausklingen. Brittany sammelte ihre Hausgäste ein. Joe Brickston hatte sich mit Bruno auf ein Wettrinken eingelassenund mußte von seiner Frau und seiner älteren Tochter gestützt werden.

"Dann gehen wir auch mal Heia machen", meinte Millie zu Brittany, als sie Aurore in ihre Wiege gelegt hatten.

"Morgen in Millemerveilles die Jahreswendfeier. Dann muß ich wieder nach Beaux, die restlichen Prüfungen machen. Wenn Martha noch was von ihrem Leben hält wird sie die Nacht nicht ungenutzt lassen", säuselte Millie. Julius grinste und fragte, ob sie das denn tun würde. Die Antwort war eine innige Umarmung, der eine Stunde herrlich ermüdendes Tun folgte. Danach waren aber beide müde genug. Julius meinte nur zu ihr, daß Babette sie oder Belisama aber schon gut eingeholt habe. Millie sagte darauf: "Mit der hättest du durchaus auch was anfangen können. Aber den Motzkopf von Schwiegervater hättest du wohl nicht haben wollen."

"Ach, und die gestrenge Oma hätte ich besser ausgehalten?"

"Wenn du dabei eine lebensfrohe Großtante mitgeheiratet hättest auf jeden Fall", erwiderte Millie. Dann mußte sie gähnen. "Bis morgen, mein Tanzbodenkaiser!"

"Bis morgen, meine Königin der Nacht", erwiderte Julius.

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Die Rückreise verlief ohne Probleme. Wieder zurück in Millemerveilles bereiteten sie sich schon auf das nächste Fest vor, die Neujahrsfeier.

Wie so oft zuvor genossen die Bewohner von Millemerveilles das Feuerwerk und die gute Stimmung. Barbara van Heldern sagte, daß sie deshalb gerne noch zu ihren Eltern zurückkommen würde, um Weihnachten und Neujahr zu erleben. Ihr Bruder Jacques hatte es nicht so empfunden. Der war mit seiner Angetrauten Mésange auf einer Kreuzfahrt mit einem Segelschiff, irgendwo in der Karibik. Ob und wenn ja wann sich auch bei Jacques und Mésange Nachwuchs einstellen würde wußte Julius nicht. Er ahnte nur, daß dieses Jahr nicht ganz so unbeschwert vergehen würde. woher diese Stimmung kam wußte er nicht. Aber irgendwie hatte er das Gefühl, daß entweder mit ihm oder irgendwo in der Welt etwas schreckliches passieren würde. Der Frieden nach dem Ende Voldemorts erschien ihm auf einmal sehr trügerisch. Er wußte es wirklich nicht. Vielleicht war es auch wieder was, daß Temmie spürte. Seitdem er mit ihr eine engere geistige Verbindung geschlossen hatte, ja beim Kampf gegen die schlafende Schlange sogar direkt von ihrer Milch getrunken hatte, um wach zu bleiben, konnte er vielleicht wie sie düstere Vorboten fühlen. Immerhin hatte sie damals das Erwachen der Schlangenkrieger wahrgenommen und auch die Schwingungen, als Anthelia und Naaneavargia zu einer Person verschmolzen waren. Ebenso hatte sie die gewaltige Welle aus Sonnenmagie verspürt, in der alle Vampire Nocturnias vernichtet worden waren. Ja, irgendwas schien sich wieder anzubahnen, mit ihm oder fern von ihm. Er hoffte nur, daß er sich irrte und es nur seinen alptraumhaften Erlebnissen geschuldet war, daß er keinem Frieden wirklich trauen konnte.

Als Millie neben ihm im Bett lag wußte er zumindest, wofür er leben wollte. Er hoffte, daß es auch allen anderen Menschen der Erde, die nun das erste wirkliche Jahr des 21. Jahrhunderts miterlebten, so empfanden.

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Die Tage, an denen Millie wieder in Beauxbatons war, um die letzten UTZ-Prüfungen hinter sich zu bringen, waren angefüllt mit Büroarbeit, Lernen der Vorschriften, Übung der ministerialen Sonderzauber wie dem Gedächtniszauber und Verfolgung der Nachrichten in der nichtmagischen Welt. Wenn es Abendessenszeit war, wurde er entweder von Jeanne, Camille oder auch seiner Schwiegertante Béatrice gebeten, mit ihren Familien zusammen zu essen. So konnte er zumindest nicht vor lauter Zeit am Rechner oder am Radio verhungern, dachte er einmal. Dennoch vermißte er die Nähe seiner Familie, Aurores Quängeln oder lautes Schreien, daß er seiner Frau erzählen konnte, was er so erlebt hatte und neben ihr einzuschlafen und wieder aufzuwachen. Für ihn allein war das runde Haus in Form eines großen Apfels zu groß, erkannte er. Deshalb war er heilfroh, als der siebte Januar da war. Mit ihm kamen auch Millie und Aurore zurück. Hatte seine kleine Tochter in den wenigen Tagen echt schon wieder einen Zentimeter Größe zugelegt? Nein, das war wohl nur Einbildung. Aber die ersten kleinen Zähnchen hatten sich schon ihren Weg gebahnt. Millie sagte dazu: "Sie legt's förmlich drauf an, daß ich sie abstille. Nachher knabbert die mir noch die Dutteln ab."

"Das wollen wir dann doch nicht", hatte Julius dazu gesagt. Dann wollte er wissen, ob Millie bei den letzten UTZs irgendwelche Schwierigkeiten hatte. Sie sagte, daß die Prüfungen wohl alle geschafft waren, und darüber sei sie froh. Ihr Entschluß, als Korrespondentin für die Temps de Liberté von Gilbert Latierre zu arbeiten, stand immer noch. Zwar habe sie während der Tage in Beauxbatons auch Eulen von Quidditchvereinen aus Frankreich und Belgien erhalten, und Madame Rossignol hatte ihr noch mal versichert, daß sie mit ihren Leistungen und Kenntnissen auch bei den Heilern unterkäme. Doch was für Julius galt nahm auch Mildrid Ursuline Latierre in Anspruch, nämlich zum einen Zeit für ein gutes Familienleben zu haben, sowie dort, wo sie nun ein warmes Nest und feste Wurzeln hatte bleiben zu können.

Zwei Wochen nachdem die regulären Schülerinnen und Schüler wieder nach Beauxbatons zurückgekehrt waren bekam Millie eine hochoffizielle Eulenpost von der Prüfungskommission. Sie gab ihrem Mann ihre Prüfungsergebnisse zu lesen. Er sah sofort, daß Millie in den Zauberstabfächern ein O für Ohne gleichen geschafft hatte. Muggelkunde war mit einem E für Erwartungen übertroffen ausgefallen. Bei Praktische Magizoologie stand sogar ein unterstrichenes O. Das gleiche war auch für Zaubertränke herausgekommen. Kräuterkunde war das einzige Fach, daß mit einem A für akzeptabel bewertet worden war. Julius konnte es sich nicht verkneifen zu sagen, daß Trifolio ihr dafür keine Weihnachtskarte mehr schreiben würde. Millie grinste und meinte, daß sie mit dem Ergebnis leben könne. Julius bemerkte dazu aber, daß sie dann aber auch keine Heilerin hätte werden können. "Dann läßt die mich zumindest in Ruhe", erwiderte Millie. Sie war froh, nun endlich ihren Abschluß geschafft zu haben. Es ging also doch, Familie und Ausbildung in Beauxbatons miteinander zu verbinden. Wenn sie mal als Beispiel für andere Schülerinnen herhalten sollte, dann war sie zumindest ein gutes Beispiel, bekräftigte Millie. Julius konnte und wollte ihr da nur zustimmen.

Julius kontaktfeuerte seine Mutter, die noch in Paris war, um die Ergebnisse abzuwarten und dann Laurentine die Wohnung zu übergeben. "Die gute Geneviève hat auch schon bei mir durchgerufen und wollte wissen, wie es ausgegangen ist", begann die frischgebackene Mrs. Merryweather. "Also das Trietzen von Madeleine und Antoinette hat sich ausgezahlt. In deren Lieblingsfächern habe ich unterstrichene Os, bei Camilles Fach kam zumindest ein E heraus. Ich hatte dieselbe Prüferin wie Millie. Eleonores Mutter meinte nach dem Durchgang, ich hätte wohl mehr für theoretische Angelegenheiten übrig als für praktische Kräuterkunde. Aber sie erkenne zumindest an, daß ich bereit war, einen vollwertigen Abschluß in Kräuterkunde zu erwerben. Für mich heißt das wohl so viel wie "Danke, daß ich meine Zeit nicht mit Ihnen vergeudet habe". Dieser Professeur Énas bat mich, dich zu grüßen, und er wisse jetzt, woher du das große Talent zur raschen Auffassungsgabe und zur konsequenten Umsetzung des gelernten hättest. Aber diese Selbstvernebelungsnummer werde ich wohl nie wieder bringen. Ich hätte mich fast nicht mehr wiederverstofflicht. Na ja, jetzt kann ich erhobenen Hauptes in mein neues Zuhause wechseln. Nathalie meinte, ich möge gut aufpassen, daß mich die Kollegen in den Staaten nicht shanghaien, wenn sie mitkriegen, daß ich brauchbare UTZs erworben habe. Mal sehen, was sich findet. Wie geht es Millie und Aurore?"

"Die haben den Stress wohl gut überstanden", erwiderte Julius. Dann fragte er, ob er noch einmal zu ihr rüberkommen solle, wenn die Wohnungsübergabe anstehe. Sie hatte nichts dagegen.

Wie Sandrine ihre UTZs geschafft hatte bekam Julius einen Tag später von ihr per Eule. Auch sie hatte alle für Heiler wichtigen Fächer mit einem O bestanden und in Alte Runen ein E erzielt. Damit wolle sie sich nun umschauen, wo sie unterkommen könne. Vielleicht ginge ja was in der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit, dann würden sie und Julius sich wohl ab und an im Ministeriumsgebäude treffen können.

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Ornelle Ventvit hielt Julius trotz der Lernanforderungen für Anwärter nicht im Büro zurück. So schickte sie ihn einmal zu Léto, um ausstehende Fragen im Bezug auf ihren Neffen Diosan zu klären. Julius konnte bei dieser Gelegenheit den rein geistigen Zauber "Lied des inneren Friedens" üben, um sich gegen Létos Veela-Ausstrahlung abzuschirmen, was die überirdisch schöne Großmutter Fleurs und Gabrielles animierte, ihn mit ihrer vollen Kraft zu überfluten, um zu sehen, wie lange er ihr ohne verspannt zu wirken widerstehen konnte oder wann er förmlich in ihre Arme springen oder sich ihr sonst wie anbiedern mochte. Fast wäre es passiert, daß er die Veela wie ein ausgehungertes Raubtier angefallen hätte, um ihr die Kleider vom Leib zu reißen. Sie konnte es gerade noch dadurch verhindern, daß sie ihre Ausstrahlung verringerte und ihm die Gelegenheit gab, sich wieder in seinen inneren Geistespanzer einzuhüllen. Er meinte dazu nur: "Klar daß der sonst so übermächtige Gellert Grindelwald Ihrer Schwester verfallen mußte, wenn die ihn genauso heftig berieselt hat."

"Sie denkt noch an das, was du ihr nach der Sache an den schönen Sturkopf geworfen hast. Immerhin hat sie noch vier Töchter, die sie mit dem Willen ihrer Väter bekommen hat. Sie denkt sogar daran, ihren Sohn mit einer reinrassigen jungen Veela zusammenzubringen, um ihm zu zeigen, daß eine Partnerschaft mehr Freude bringt als erzwungene Fortpflanzung erbringen kann. Aber das wäre dann eine Angelegenheit für das russische Zaubereiministerium."

"Also, ob er mich immer noch haßt und auf eine Racheaktion ausgeht sollte mich schon interessieren", sagte Julius, nachdem er sich von der beinahen Unterwerfung unter Létos Einfluß erholt hatte.

"Du darfst nicht vergessen, daß er durch alles, was ihm passiert ist ein sehr kranker Junge geworden ist, Julius. Sarja, die anderen Veelas und ich werden ihm beistehen und helfen, einen Sinn in seinem Leben zu finden. Wir sind dir im Grunde alle dankbar, daß du ihn uns zurückgebracht hast. Insofern passen wir schon auf, daß er dir nicht mehr gefährlich wird."

"Dafür wäre ich Ihnen auch echt dankbar. Ich denke schon, daß ich genug Gegner in der Welt habe."

"Das ist wohl leider wahr", sagte Léto.

Nachdem sie alle formalen Angelegenheiten erledigt hatten, nahm Léto die Gelegenheit wahr, sich von Julius noch etwas über die moderne Muggelwelt erzählen zu lassen. Zwar hielt sie sich zwischendurch mal die Ohren und mal die Nase zu, wenn Julius über den immer stärker werdenden Autoverkehr, Flugzeuglärm oder die Luft in den Großstädten sprach, wollte aber über die Gedichte und Geschichten, Lieder und Mode der Muggelwelt etwas wissen. Julius meinte dazu einmal, daß er ihr das alles damals hätte sagen können, wo er vier Tage bei ihr zugebracht hatte. Sie erwiderte darauf: "Ich mußte dich in tiefen Schlaf singen, weil du sonst von mir ganz und gar abhängig geworden wärest und ich zu dir eine auch körperliche Mutter-Kind-Beziehung entwickelt hätte. Somit habe ich uns beide beschützen müssen, daß wir noch unsere eigenständigen Leben führen können." Julius erkannte, daß das wohl nicht so abwegig war, wo sie ihn vorübergehend den Status eines von ihr hervorgebrachten Kindes verliehen hatte.

Wieder zurück in Paris teilte er seiner direkten Vorgesetzten alle erhaltenen Kenntnisse und Ankündigungen mit. Am Abend dieses Tages flohpulverte er nicht in das Apfelhaus, sondern in die Wohnung seiner Mutter. denn heute wollte sie Laurentine die Wohnung übergeben. Hierzu waren auch zwei Ministeriumszauberer in der Wohnung über der der Brickstons, unter anderem auch Florian Flaubert vom Flohregulierungsrat. Laurentine Hellersdorf hatte einen magischen Umzugshilfsdienst beauftragt, die von ihr gekauften Möbel am nächsten Morgen einzustellen. Hierfür hatte sie von Madame Grandchapeau einen freien Tag genehmigt bekommen.

Julius half seiner Mutter, die Umzugskartons zu packen. Was nicht elektronisch war konnte sogar eingeschrumpft werden. Die Möbel wurden auf jeden Fall verkleinert, um sie in einem Gebrauchtmöbelladen verkaufen zu können. Als die Wohnung nun von fast allen Einrichtungsgegenständen außer der Küche entblößt war, klingelte Catherine an der Wohnungstür.

"Habt ihr eigentlich keinen Hunger?" fragte sie mit einer Mischung aus Tadel und Belustigung. Florian Flaubert erwiderte darauf, daß er gerne noch die Kaminanschlußummeldeurkunde verfertigen wollte, um dem Flohregulierungsrat morgen früh eine einwandfreie Übergabe melden zu können. So füllten Martha Merryweather und Laurentine Hellersdorf die entsprechenden Formulare aus und unterschrieben, daß Martha Merryweather wegen Umzugs den bewilligten Kaminanschluß kündigen müsse und Laurentine, daß sie den vorhandenen Kamin als Flohnetzanschluß unter dem bisherigen Namen "Pont des Mondes" übernehmen und weiternutzen wolle. Damit war auch dieser bürokratische Akt vollzogen, und der lange auf seinen Auftritt wartende Ministeriumsbeamte durfte nach Hause. Zum Abschied sagte er noch: "Debbie hat angeregt, daß sich die Pflegehelfer, die zwischen 1990 und 2000 in Beauxbatons gearbeitet haben, mal zu einer Zusammenkunft treffen, um zu sehen, wer alles wegen der Pflegehelferarbeit wo untergekommen sei. Aber bisher hat sie nicht viel Rückmeldung erhalten. Aber sie wird wohl noch entsprechende Anfragen rumschicken. Ich wurde nur gebeten, Ihnen das schon mal informell anzukündigen. Bis dann demnächst irgendwann mal wieder, Monsieur Latierre!"

"Bestellen Sie Debbie schöne Grüße auch von meiner Frau!" erwiderte Julius. Dann flohpulverte Monsieur Flaubert direkt in sein eigenes Haus. Der zweite Ministerialbeamte war ein Quintannier im letzten Jahr vor der langfristigen vereidigung, die ihm dann auch Aufstiegsmöglichkeiten bot. Er arbeitete für die Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit. Dieser ging es darum, den Wohnsitzwechsel und die Weiterbeschäftigung im Büro für die friedliche Koexistenz von Menschen mit und ohne magische Kräfte formal zu beurkunden. Julius mußte da nicht bei sein. Laurentine hatte es schon hinter sich, im Haus der Brickstons gemeldet zu sein, sowohl was die muggelweltliche- auch was die Zaubererweltliche Registrierung anging. So konnten sie und Julius zu den Brickstons hinunter, wo auch Millie und Aurore waren. Claudine schnitt Grimassen, um das rotblonde Baby zum Lachen zu kriegen. Doch Aurore hatte wegen der wachsenden Zähne wenig Grund zu lachen.

"Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Monsieur Brickston. Ich habe es mit Madame Grandchapeau hinbekommen, daß der Anteil von meinem Lohn, der als Miete für die Wohnung bezahlt wird, in Franc und ab 2002 in Euro auf meinem Girokonto angelegt wird. War zwar eine schöne lange Diskussion mit den Spitzohren von Gringotts. Aber jetzt ist es in trockenen Tüchern."

"Daß sie nicht ganz hinterm Mond leben wollen sehe ich ein, junge Dame. Insofern ist ja Marthas Heirat und der Wohnungswechsel eine seltene Gelegenheit gewesen, die sie natürlich nicht ungenutzt lassen durften", sagte Joe Brickston. "Mir ging und geht es nur darum, daß nicht der Eindruck entsteht, daß wir, womit auch meine Frau und meine Töchter einbezogen sind, uns von Ihrem Arbeitgeber nach belieben herumschupsen lassen wollen. Insofern wäre es mir egal gewesen, ob Sie mir die Miete in einer Tüte gegeben hätten oder Catherine diese Gold- und Silbermünzen aus Ihrer Welt in Franc umgetauscht hätte." Catherine fühlte sich berufen, dazu was zu sagen:

"Ich stimme meinem Mann zu, daß es schon richtig war, uns als Hauseigentümer zu fragen, ob wir die Wohnung nach Marthas Auszug leerstehen lassen, sie als Erweiterung unserer eigenen Wohnung nutzen, beziehungsweise bei Babettes Volljährigkeit als ihre Wohnung einrichten oder eben an wen anderen weitergeben. Deshalb war es schon sehr anständig von Nathalie Grandchapeau, mit uns darüber zu sprechen. Da nun auch die Höhe der monatlichen Miete geklärt ist steht Ihrem Einzug ja nichts mehr im Weg, Laurentine."

"Das freut mich. Danke dafür, daß Sie mir diesen Wohnraum zur Verfügung stellen", sagte Laurentine. Daß sie ja deshalb in die vom Sanctuafugium-Zauber beschützte Wohnung einziehen sollte, weil sie vielleicht in Gefahr war, von den Spinnenschwestern beansprucht zu werden, wußte Laurentine bisher nicht und sollte es auch nicht erfahren, solange keine eindeutigen Annäherungsversuche dieser zweifelhaften Hexenschwesternschaft stattfanden. Doch sicher wußten die schon längst, daß Laurentine in einen geschützten Bereich zog, wo die sonst so mächtige Anführerin nicht an sie herankam.

Nachdem die Angelegenheit mit der Mietzahlung abgehandelt war sprachen sie noch über die UTZs und warum es den Leuten vom Ministerium so wichtig war, daß Martha Merryweather diese Prüfungen bestand. Dazu, so sagte Julius, könnte nur seine Mutter was genaues sagen, weil er nur aus zweiter Hand beschreiben könne, warum das für seine Mutter so wichtig war.

Als Julius' Mutter dann auch noch zum letzten Abendessen vor dem Auszug herunterkam ging es auch noch um das neue Haus in den Staaten und warum Julius' Mutter nicht direkt in Viento del Sol oder einer nicht zur Zaubererwelt allein gehörenden Ansiedlung leben wollte. Bei der Gelegenheit lud sie die Anwesenden schon mal ein, in zwei Wochen zu ihrer Einweihungsfeier zu kommen, wenn der Flohnetzanschluß eingerichtet worden sei.

Gegen elf Uhr verabschiedeten sich die Latierres von den Brickstons, Laurentine und Julius' Mutter. Er sagte ihr noch zum Schluß:

"Wenn du Internetanschluß hast schicke mir bitte eine E-Mail, weil Telefonieren wohl zu teuer wird." Sie versprach ihm das. Dann umarmten sich Mutter und Sohn. Julius fühlte sich ein wenig traurig. Jetzt erst wurde ihm klar, daß seine Mutter noch weiter von ihm weg sein würde als je zuvor. Auch sie empfand wohl so, denn kleine Tränen glänzten in ihren Augen. Doch dann fingen sich beide wieder. Die räumliche Entfernung wurde zwar größer, aber durch die technischen und magischen Errungenschaften war das kein unüberbrückbarer Abgrund.

Laurentine blieb schon bei den Brickstons. Sie hatte von den Dorniers in der Rue de Camouflage ihren Schulkoffer herübergeholt, in dem jetzt auch ein Schlafsack und ein Kopfkissen war. Damit würde sie jetzt schon mal sehen, wie es in Julius ehemaligem Zimmer war, wo kein Bett und kein Schrank mehr dort standen.

Wieder zurück im Apfelhaus sagte Millie zu Julius: "Da denken wir alle, wenn wir groß sind wollen wir möglichst weit von den Eltern weg und alleine klarkommen, und wenn es dann wirklich passiert merken wir doch, wie wichtig sie uns immer noch sind." Julius konnte dem nur beipflichten. Weil Millie ja seit den UTZ-Prüfungen wieder den roten Herzanhänger trug bekam sie eben auch wieder mit, wie er sich fühlte, genauso wie er ihre Stimmungen mitbekam. Dazu kam noch, daß sie durch die Verbundenheit mit Temmie noch stärker aufeinander eingestimmt waren.

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Die zwei Wochen bis zur angekündigten Einweihungsfeier von Marthas und Luckys neuem Haus vergingen mit Stehgreifzitaten der gültigen Dienstvorschriften und mit unangekündigten Befragungsrunden zur Geschichte der Zauberwesenbehörde in Frankreich. Ebenso durfteJulius ohne Zuhilfenahme der ihm bereitgestellten Unterlagen über Präzedenzfälle sprechen, die die Weiterentwicklung der für intelligente Zauberwesen gültigen Gesetze und Umgangsformen gefördert hatten.

Am dritten Samstag im Januar reisten die Latierres aus dem Apfelhaus, jene aus dem Château Tournesol, Antoinette und Albert Eauvive, die beiden Familien Dusoleil, die Brickstons, das Ehepaar L'eauvite und Laurentine Hellersdorf mit dem magischen Luftschiff nach Viento del Sol. Dort trafen sie sich mit Brittanys Vater und den Brocklehursts. Da Brittanys Vater nicht durch das Flohnetz reisen durfte und das magische Luftschiff vertraglich festgelegt nur zwischen VDS und Millemerveilles pendeln durfte hatte Antoinette Eauvive das Eauvive-Netzwerk bemüht, daß ihre Verwandten aus den Staaten mit ihrem privaten, wenn auch nicht so rasant vorankommenden Luftschiff warteten. Mit diesem ging es für Muggel unsichtbar in Richtung kalifornische Küste. Dann fuhren sie so lange, bis sie voraus eine große, gelbliche Dunstglocke sehen konnten. Camille wollte wissen, was das war. Julius nahm sein Superomniglas und peilte nach vorne. Dann sagte er, daß sie gerade auf Los Angeles zufuhren. Im gleichen Moment fauchte eine vierstrahlige Passagiermaschine keine hundert Meter über den magischen Zeppelin hinweg. Dann näherte sich von links noch ein viermotoriges Propellerflugzeug im Steigflug.

"Oha, wir sind zu nahe an den Einflugschneisen. Entweder weiter runter oder so weit hoch wie kein Passagierflugzeug kommt", meinte Julius. Antoinette gab die Empfehlung weiter. Doch der Pilot sagte, daß er schon häufig um den LAX herumgegondelt sei, um die Ausweichzauber seines Luftschiffes zu kitzeln. "Die können uns weder sehen noch rammen, Leute. Ist wie beim blauen Vogel, eben nur ganz um mein Wolkenmädchen herumgezogen." Wieder heulte es laut, und in dichter Staffelung fegten drei Jagdflugzeuge an dem getarnten Fluggerät vorbei.

"Eh, echt, die F-16 hätte uns eben eigentlich voll aufs Horn nehmen müssen. Aber irgendwie ist die zur Seite gesprungen oder wir sind aus der Bahn geschupst worden", stellte Julius fest. Dann sahen sie unter sich die Megastadt der Westküste, deren unzählige Auspuffrohre und Schornsteine jene gelbliche Dunstglocke aufrechterhielten. Julius nutzte die Gelegenheit, sich Los Angeles von oben anzusehen. Millie war ebenfalls begeistert und zückte ihre Kamera, die sie von Madeleine L'eauvite zum achtzehnten Geburtstag bekommen hatte. Darauf schraubte sie das Teleobjektiv, daß durch Augenbewegung das gewünschte Motiv heranholte wie bei einer Videonahaufnahme. Sie suchte und fand die verschiedenen Bauwerke, von denen Julius ihr schon erzählt hatte, machte Fotos vom Straßennetz und fing verschiedene Hochhäuser ein. Der Pilot brachte das Luftschiff in eine weite Kurve, so daß alle auch das Hollywood-Zeichen zu sehen bekamen. Trotz der großen Fahrtgeschwindigkeit dauerte es knapp zehn Minuten, bis sie über die nördlichen Außenbezirke von Los Angeles hinwegglitten. Von da an blieb der Pilot auf Höhe des Küstenverlaufes. Dann sahen sie in der Ferne den leichten Dunst einer kleineren Stadt. Das war Santa Barbara. Doch das Luftschiff mußte nicht näher heran. Julius sah ein weißes Licht, das zu einem engen Strahl gebündelt wurde. Der Pilot steuerte genau auf das Licht zu und ging dabei in den Sinkflug. Dann konnten sie ihr Ziel erkennen: Das Haus Zwei Mühlen. Das Luftschiff stoppte seine Vorwärtsfahrt vollständig und sank wie ein Aufzug in die Tiefe. Dann wurden magisch gesteuerte Haltetaue ausgeworfen, die sich wie lebende Schlangen um zwei Baumwipfel wickelten und von unsichtbarer Hand verknotet wurden. Sie waren angekommen. Über eine Strickleiter verließen die Passagiere das Luftschiff. Antoinette und der Pilot waren die letzten, die ausstiegen.

Martha Merryweather begrüßte sie an der Grundstücksgrenze. Sie freute sich, daß alles soweit geklappt hatte.

Das Haus besaß zwei Etagen und trug ein rotes Ziegeldach mit zwei Erkern und zwei Schornsteinen. Es stand in einem weitläufigen Garten, dessen Beete schachbrettartig angeordnet waren. Den Flonetznamen "Zwei Mühlen" trug es auf grund der zwei versetzt zueinander aufgestellten Windmühlen aus weißem Fachwerk. Bei der einen Mühle waren die vier langen Flügel kirschrot. Bei der zweiten blattgrün. Die Flügel kreisten im frühlingshaft warmen Wind. Dann sah Julius noch einen acht Meter hohen Turm, auf dem wie eine in den Himmel stechende Nadel eine schwarze Metallstange aufgepflanzt war. Der Turm besaß eine Uhr, die mit vier Zifferblättern die Zeit anzeigte.

"Das konntet ihr euch nicht nehmen lassen, denen auch so einen Mini-Mittagsturm hinzubauen, wie?" fragte Daniel Forester seine Tochter. Diese tat ganz unschuldig und verwies auf die Eheleute Hammersmith.

Julius roch die neuen Möbel und Teppiche, sah die Tapeten, die wie bei Camille und Florymont gleichzeitig auch magisch belebte Bilder waren. Er sah eine Stadtansicht von London aus der Besenflugperspektive genauso wie eine Überflugansicht von Paris. Aber er sah auch eine Unterwasserlandschaft mit Delphinen, Kraken, Haien und bunten Fischen und einen Zauberwald mit Einhörnern, Feen, Zentauren und einem grünbärtigen Waldgeist, der in ein Gewand aus großen Blättern gehüllt war. Das war nur der große Festraum mit den langen gepolsterten Bänken, den Tischen, dem Parkettboden und einer mindestens zehn Meter langen Bar. Die anderen sechs Räume im Eerdgeschoß waren eine Mischung aus Zaubererwelt- und Muggelweltzimmer. im Wohnzimmer war der Kamin mit dem Flohnetzanschluß. Hier gab es eine Sitzgruppe und einen Esstisch mit bis zu zwölf Stühlen. Vom Wohnzimmer aus führte eine Tür in die Küche, die mit elektrischen Geräten ausgestattet war, wohl weil Julius Mutter doch Wert auf die ihr bekannten Sachen legte. Madeleine L'eauvite meinte dazu: "Du hast die UTZs aber nicht dafür gekriegt, daß du jetzt mit den Haushaltszaubern aufhörst, die Blanche, Antoinette und ich dir beigebracht haben, Martha."

"Suum cuique hat deine Schwester bei so einer Gelegenheit gesagt, Madeleine." Durch eine andere Tür ging es in ein rein muggelweltmäßiges Wohnzimmer mit Fernseher, Wohnzimmerschrank und Stereoanlage. Dann gab es noch ein Arbeitszimmer, ein Elternschlafzimmer und, was Millie und Ursuline Latierre schmunzeln machte, zwei Zimmer, die wahlweise Gäste- oder Kinderzimmer sein konnten. Martha Merryweather meinte dazu: "Ich hatte erst von zwei Gästezimmern gesprochen. Aber die uns das Haus hier hingesetzt haben meinten, wir sollten es zumindest nicht kategorisch ausschließen, daß hier auch mal das eine oder andere Kind aufwächst, und sei es, daß ich meine Enkeltochter für zwei Wochen zu Besuch habe."

"Das wird sich alles finden", meinte Ursuline dazu. Millie nickte ihrer Großmutter zu.

Auf der zweiten Etage des Hauses befanden sich noch eine Küche ohne elektrische Geräte, weil Luckys Mutter darauf bestanden hatte, in einer ihr vertrauten Umgebung zu kochen, wenn sie mal zu besuch kam, Vorratsräume und drei weitere Gästezimmer mit eigenem Badezimmer. Alles in allem ein Haus, in dem viele Leute miteinander wohnen konnten.

Zurück im Partyraum begann dann die Feier mit einer kurzen Ansprache der Hausherren und einem Begrüßungstrunk. Dann erklang Musik aus einem Musikfaß, zu der getanzt oder nicht getanzt werden konnte. Die Gäste unterhielten sich über das neue Haus und ob sie sich hier schon gut eingelebt hatten. Martha erwähnte, daß Brittanys Familie gute Kontakte ermöglicht habe. In der Stadt selbst wohnten drei Zaubererfamilien, die auch mit den Redliefs bekannt waren. Zum Einkaufen konnte Martha mit dem Ford Sedan fahren, der hinter dem Haus geparkt war. Die Arbeit konnte sie von ihrem hauseigenen Büro aus machen. Sie hatte aber auch schon Eulen vom US-Zaubereiministerium erhalten, ob sie nicht bei diesem anfangen wolle, natürlich gegen bessere Bezahlung. Mitarbeiter des Laveau-Institutes hatten angeboten, das Haus mit Schutzzaubern zu umspannen, wenn sie wußten, wie sie die elektronischen Geräte gegen Zauberkrafteinflüsse abschirmen konnten. Außerdem hatten sie ihr mehrere stille Alarmvorrichtungen installiert, die sofort im Institut meldeten, wenn feindlich gestimmte Zauberwesen oder böswillige Menschen mit magischer Ausstrahlung das Grundstück betraten. Allerdings hatte Lucky von seinen Verwandten im Zaubereiministerium erfahren, daß die Leute dort nicht so gut darauf zu sprechen waren, daß sie sich vom Laveau-Institut unterstützen ließ, was die Schutzzauber anging. Darauf hatte Martha geschrieben, daß sie ja erst gehofft hatte, daß das französische Zaubereiministerium, bei dem sie ja trotz der Heirat und des Umzuges immer noch arbeite, die Schutzmaßnahmen einrichteten. Doch das sei für Wohnortsfragen außerhalb des französischen Hoheitsgebietes leider nicht zuständig, was Julius bedauernd bestätigen mußte.

"Spätestens, wenn Lucky und du wen Kleines kriegt müssen die vom Ministerium euch unterstützen", sagte Madeleine. "Denn hier gilt ja Bodenrecht." Martha Merryweather nickte, wobei sie leicht errötete. Julius fragte sich selbst, warum man seiner Mutter unbedingt aufschwatzen wollte, noch ein Kind zu bekommen. Wenn sie wollte, dann ja, wenn nicht, dann nicht.

Während der Feier konnte Julius wieder mit verschiedenen Damen tanzen, hielt sich aber auch gut am Buffet, daß sowohl Sachen mit und ohne Fleisch bot.

Gegen Mitternacht Ortszeit legten sich alle Gäste schlafen. Der Pilot prüfte noch einmal, ob sein Luftschiff nicht davontreiben konnte. Dann kehrte Ruhe ein. Die verkleinerte Ausgabe des Mittagsturms war auf Nachtruhe eingestimmt. Erst bei Sonnenaufgang, spätestens aber um acht Uhr morgens, würde die kleine Turmuhr wieder jede Viertelstunde ausläuten.

Nach einem umfangreichen amerikanischen Frühstück, bei dem Madeleine und Camille der Hausherrin in der Küche halfen, ging es mit dem Luftschiff zurück nach Viento del Sol, wo sie in das wesentlich schnellere Luftschiff richtung Europa umstiegen.

"Und ich sag's dir, auch wenn du es nicht gerne hörst, Monju, in spätestens zwei Jahren habe ich einen Schwager oder eine Schwägerin mehr."

"Klar, wo Martine demnächst auch heiratet auf jeden Fall", konterte Julius lächelnd. Millie stutzte und mußte dann lachen.

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Der Februar war für Julius der arbeitsintensivste Monat seiner bisherigen Dienstzeit. Nicht nur daß er alte Akten übersetzen durfte und die vielfältigen Vorgänge auswendig lernte, die mit seiner Abteilung zu tun hatten. Ornelle schickte ihn auch wieder zu den Meerleuten vor der Mittelmeerküste. Zwar war die weit nach der Geburt zur Meerfrau gewordene Meridana nun ordentlich eingebürgert. Doch es galt, die Verträge zwischen den Meerleuten und den Landbewohnern wasserdicht und bruchsicher festzulegen. Darüber hinaus mußte er auch immer wieder zu Mademoiselle Maxime und ihrer Tante Meglamora, um den Kontakt zu der Riesin und ihrem Sohn Ragnar aufrechtzuerhalten. Ornelle hatte die Idee gehabt, die Geschichte der Riesin und ihrer Vorfahren aufzuschreiben. Olympe Maxime beaufsichtigte und moderierte diese Zusammenkünfte. Julius fühlte sich angesichts der acht Meter großen, unförmig aussehenden Meglamora immer sehr angespannt. Doch er überstand die Ausflüge immer recht gut.

Am 23. Februar erfuhr Julius über das Bild von Aurora Dawn, daß Pina ihr in Hogwarts ausgerichtet habe, daß Romilda Vane einem gewissen Orlando Vane das Leben geschenkt habe. Außerdem, so die gemalte Aurora, daß Tom und Olivia zur Zeit getrennte Wege gingen. Offenbar, so vermute Pina, sei es Tom doch sichtlich auf die Nerven gegangen, wie Olivia ihn nach dem Fang des Brautstraußes vereinnahmt habe.

"Und was macht Adrian Moonriver?" fragte Julius.

"Der spielt immer noch knurrigen Dobermann, vor allem wenn Sanna Vane in seine Nähe kommt. Er sei meistens in der Bibliothek und lese da in Büchern, wo fraglich ist, ob die Lehrer ihm die zu lesen erlaubt hätten."

"Da gibt's doch einen Petzzauber, hat Gloria mir mal erzählt. Wenn wer anderes als Madam Pince ein Buch aus einem Regal der verbotenen Abteilung zieht, fängt es zu schreien an."

"Vielleicht kann Addy einen Schweigezauber für petzende Bücher", vermutete Aurora. Das wollte Julius nicht ganz ausschließen. Adrian Moonriver hatte eine Menge Sachen drauf, wwenn es um Angriffs-, Verteidigungs- und Meldezauber ging. Vielleicht brauchte er auch nur seinen kraftvollen Talisman gegen das betreffende Regal zu drücken, um den Alarm zu unterbrechen. Allerdings würde ihm das wohl irgendwann von Ashtaria und ihren sieben Kindern, die in gewisser Weise in dem Heilsstern weiterwirkten, übel vergellt, wenn er sein Erbstück zum Verstoß gegen vernünftige Beschränkungen benutzte.

"Jedenfalls ist das erst mal das neueste aus Hogwarts, öhm, außer das Slytherin gegen Ravenclaw verloren hat und damit wohl die Sache zwischen uns und den Gryffindors ausgemacht wird." Julius nahm es wohl zur Kenntnis, daß Aurora "uns" gesagt hatte. Die Verbundenheit mit dem Haus Ravenclaw war bei ihr immer noch vorhanden, wie auch bei ihm.

"Du darfst den Anhänger auch nicht tragen, wenn die Prüfungen sind?" wollte Millie am letzten Februartag wissen.

"Ich soll alles außer einer Uhr und meinem Zauberstab hierlassen, hat Mademoiselle Ventvit gesagt. Kriegen wir hin", antwortete Julius.

"Jedes halbe Jahr eine Prüfung?" wollte Millie wissen.

"Nein, daß ist jetzt, weil die ersten sechs Monate um sind. Danach nur jährlich ein Auffrischungstest, ob ich mich für die von mir gewählte Abteilung noch eigne. Simon Beaubois hat Ornelle Ventvit schon genervt, er sehe nicht ein, daß ich in Zitat "Ihrer kleinen Abteilung" Zitat ende unterfordert herumsitzen solle, wo ich bei ihm in der Gespensterbehörde sicher ansprechendere Aufgaben hätte."

"Und was hat deine Chefin geantwortet?"

"Das ich wegen meiner Sprachkenntnisse gut als Außendienstmitarbeiter und Verbindungszauberer zwischen dem französischen und englischen Sprachraum eingesetzt werden könne und bei den Meerleuten ja schon als deren Ansprechpartner geführt würde, ebenso wie bei Mademoiselle Maxime und Meglamora."

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Die fünf angesetzten Prüfungstage waren zwar anstrengend, aber zumindest nicht gefährlich, auch wenn Monsieur Vendredi einmal meinte, daß ein Quintannier nach Ende der ersten sechs Monate durchaus auch in einen Außeneinsatz geschickt werden könne, den er unter Aufsicht dreier Prüfer eigenständig durchzuführen habe. Die vielen Vorschriften, Gesetze, Gerichtsakten, Erörterungen, Gesprächsprotokolle und Einstufungen waren für Julius so heftig, daß er in den Nächten von Gerichtsprozessen träumte, bei denen diese Fälle verhandelt wurden. Dann waren die Prüfungen endlich überstanden. Auch Laurentine hatte Prüfungen bestehen müssen, wobei es bei ihr um die Geschichte der Zauberer- und der Muggelwelt gegangen war und die Vereinbarkeit magischer Eingriffe in den Alltag von einzelnen Muggeln oder einer gesamten Gruppe mit den Gesetzen der Geheimhaltung und dem Schutz vor magischer Beeinträchtigung von Menschen ohne Magie.

Eine Woche später bekam Julius das offizielle Ergebnis präsentiert: Er durfte weiter im Ministerium arbeiten und auch in seiner bisherigen Anstellung verbleiben.

Bei Aurore waren mittlerweile die meisten Milchzähne gewachsen. Ihre Schmerzenslaute ließen nach. Doch jetzt war sie ganz im Krabbelfieber. Wenn sie nicht gerade in ihrer Wiege lag oder von ihrer Mutter im Tragetuch herumgetragen wurde, robbte sie flink durch das Haus. Julius hatte ihr einmal einen großen bunten Ball mitgebracht. Den spielte sie gerne mit dem Kopf oder warf sich Darauf. Wo Julius und Millie auf der Hut sein mußten war, wenn Aurore im Garten herumkrabbelte und versuchte, Goldschweifs Kinder aus dem runden Bau herauszuholen. Julius bangte schon, daß Goldschweif das kleine Mädchen anspringen und verletzen würde, wenn es ihren Kindern zu nahe kam. Er mußte sie immer wieder zurückholen, was sie mit wütendem Geplärre beantwortete. Er sagte dann zu ihr: "Das sind Goldschweifs kleine. Maman Goldschweif hat Angst, daß denen was passiert und wird böse, wenn du zu denen hin willst."

"Sie ist stark und schnell", sagte Goldschweif nur für Julius verständlich, als Millie mit der wütend brüllenden Aurore ins Haus zurückging. "Sie darf meine Kinder nicht anfassen, bis sie schnell genug vor ihr weglaufen können", schnarrte sie dann noch. Julius sagte ihr, daß Aurore nicht böse zu den Kindern sein wollte. Sie wollte halt nur spielen.

"Will sie jagen lernen?" fragte Goldschweif. Julius überlegte kurz. Natürlich mußte Goldschweif davon ausgehen, daß jedes Junge nur deshalb spielte, um zu lernen, wie man kämpft, jagt oder weglaufen kann. Warum nicht auch Menschenjunge. So sagte er: "Sie will lernen, wie sich andere als sie bewegen und lernen, was bei ihr anders ist als bei anderen Tieren. Das ist wichtig, damit sie weiß, wer sie ist."

"Wenn sie doch jagen lernen will zeige ich der das, wenn meine sieben neuen es lernen."

"Ich kann mir zwar vorstellen, daß Aurore Mäuse essen würde, wenn die nicht schnell genug weglaufen. Aber eigentlich muß sie das nicht", sagte Julius mit einem gewissen grinsen.

"Sie soll nicht zu meiner Wohnhöhle rein, Julius. Wenn sie mit ihren kleinen Pfoten einem meiner Kleinen weh tut muß ich ihr weh tun, daß sie das weiß."

"Ich weiß. Millie und ich passen auf, daß du ihr nicht weh tun mußt", sagte Julius. "Wo ist denn eigentlich Dusty?"

"Auf der Suche nach einer, die in Stimmung ist", knurrte Goldschweif. Julius verstand. Doch er wußte, daß es im Moment in Millemerveilles keine rolligen Katzen gab und daß Dusty nie weiter als fünf Kilometer von seinem Revier fortlief.

"Das wird echt gefährlich für die Kleine, wenn sie andauernd zu Goldschweifs Jungen will", seufzte Millie.

"Ich glaube, wir sollten an einen Laufstall denken."

"Ein Kinderkäfig. Vergiss es, Monju!" entrüstete sich Millie. "Das kriegen wir bitte schön anders geregelt. Abgesehen davon ist gleich Fütterung angezeigt. Ich habe noch mal was ausgelagert, damit sie bei dem Zeug noch was vertrautes rausschmeckt. Aber langsam will ich sie davon loskriegen, damit wir zwei bald noch wen neues dazukriegen können."

"Lass Aurore doch erst mal aus den Windeln rauswachsen", widersprach Julius seiner Frau. "Niemand rennt hinter uns her und sagt uns, daß wir in zehn Jahren acht Kinder haben müssen. Wir haben doch Zeit. Oder macht es bei deinem dreißigsten Geburtstag Peng und du wirst als Latierre-Kalb wiedergeboren, wenn du bis dahin nicht mindestens drei Kinder bekommst?"

"Dann hätte es vor einem Jahr Tante Trice erwischen müssen", grinste Millie. "Aber du kannst dich beruhigen, die Latierre-Kühe sind keine Nachwuchs verweigernden Vorfahren von mir, abgesehen davon, daß ich mir manchmal gewünscht hätte, so viel Milch zu haben wie eine Latierre-Kuh. Aber dann ist mir klargeworden, daß ich ja dann mit vierzig Kilo übergepäck vor dem Brustkorb hätte herumlaufen müssen. Muß auch nicht sein. Aber so'n kleiner knuffiger Bursche, der meine Haare und deine Augen hat würde sicher gut in Beauxbatons zurechtkommen."

"Wir lassen es einfach drauf ankommen, jetzt wo wir unsere Prüfungen hinter uns haben", sagte Julius. Millie lächelte. "Das ist ein Wort, Süßer." Dann deutete sie auf die Standuhr. Im gleichen Moment läutete der Miniatur-uhrenturm im Garten, daß es jetzt halb sechs abends war. "Dann mach mal unserer Kleinen das Abendessen und sieh zu, daß das meiste davon in sie hineingeht und nicht auf die Schürze!"

"Das gefällt dir echt, Mamille", vermutete Julius. "Und wie", kam die zu erwartende Antwort. Darauf sagte er: "Bringt ja eh nichts, weil das sowieso alles wieder unten aus ihr rausfällt."

"So, dann brauchst du heute wohl auch nichts zu essen", grinste Millie. Er erkannte, daß sie ihn gerade gut ausgetrickst hatte. So schmunzelte er und ging in die Wohnküche, wo er den Mix aus Karottenbrei und Millies ausgelagerter Milch verrührte und gerade so auf Körpertemperatur erhitzte. Wie das ohne Thermometer ging stand in dem Buch von Eileithyia Greensporn. Sie hatte einen Zauber entwickelt, der Badezuber oder Kochtöpfe so bezauberte, daß sie ein leises Singen von sich gaben, wenn sie sich der für das Baden oder für aufgewärmte Muttermilch erträglichen Temperatur näherten. Die Karotten hatte er am Mittag schon vorgekocht und weit genug zerkleinert, daß Aurore sie gefahrlos essen konnte.

Eine Stunde später hatte seine Tochter ihr Abendessen im Bauch und schlief in ihrer Wiege. Er hatte es wirklich hinbekommen, daß sie ihn nicht zu heftig bekleckerte. Klar, daß Millie schon Kind Nummer zwei auf ihre Liste gesetzt hatte. Wie er gesagt hatte, wollte er es darauf ankommen lassen, ob ihr Körper auch ihrer Meinung war.

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Am 20. März bekam Julius eine Eule von Galatea Abrahams. Sie schrieb ihm, dass am 18. März um sechs Minuten nach Sechs uhr morgens die kleine Kathleen Ceridwen auf die Welt gekommen sei. Sie erwähnte auch, daß Julius' Befürchtung, das kleine Hexenmädchen könne eine geborene Musicalsängerin sein, voll und ganz zutreffen mochte.

Am 21. März feierten die Latierres mit den Dusoleils zusammen Camilles dreiundvierzigsten Geburtstag. Sie bedankte sich für die Geschenke, vor allem für das komplette Bachwerkeverzeichnis, um die darin enthaltenen Stücke auf ihrem Spinett nachzuspielen, sofern dies ging. Sie besprach mit Julius, wie der große Garten weitergestaltet werden konnte. Die von ihr zur Verfügung gestellten Regenbogenstrauchsamen gingen bereits auf.

Die Feier endete um elf Uhr abends. Als Millie und Julius wieder in ihrem eigenen Haus waren meinte Millie: "Heute Nacht könnte es klappen, Monju.Gilt dein Wort noch?" "Es gilt, Mamille", erwiderte Julius in lustvoller Erwartung. So wurde es zwei Uhr, bis beide so müde waren, daß sie doch noch ein paar Stunden Schlaf haben wollten, bevor es für sie beide am nächsten Tag wieder an die Arbeit ging.

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Der April des Jahres 2001 bot alles an Wetter auf, was es so gab. In Paris setzte es Schneeschauer, in Millemerveilles blies ein heftiger Frühlingssturm. Dann kam immer wieder die Sonne und trieb in Millemerveilles die Temperaturen über 20 °. Das erste Osterfest, daß Aurore außerhalb des schützenden Mutterschoßes mitbekam war sehr lustig. Julius hatte Goldschweif und ihre sieben neuen Kinder sicherheitshalber mit einem befristeten Bannzauber umgeben, der alle mittlerweile krabbelnden oder tapsenden Kinder zurückhielt. Und wenn doch eines der vielen bunten Ostereier über die goldene Linie kullerte, holte Julius es zurück. Goldschweif sah ihm dabei sowohl neugierig als auch zur Vorsicht anhaltend zu. Dusty suchte ebenfalls Ostereier. So passierte es, daß er der kleinen Estelle Dumas ein grasgrünes Ei vor der kleinen Nase wegkrallte und verschleppte. Estelle quängelte und mußte von ihrer Mutter beruhigt werden. Barbara van Heldern, die mittlerweile ihren zweiten Sohn Maurice auf die Welt gebracht hatte, beobachtete das Tummeln der krabbelnden Babys und der schon laufenden Kinder wie Chloé, Philemon oder Claudine. Die stolzen Eltern saßen vor dem Apfelhaus und feuerten ihre Kleinen an. Am Ende des Tages wußte Julius nicht zu sagen, wer anstrengender gewesen war, die Kinder oder deren Eltern.

"Ob wir jetzt die für alle Ewigkeit im Dorfregister festgezimmerte Ostereier-Suchzone sind?" fragte Julius. Seine Frau meinte dazu nur: "Zumindest ist unser Garten groß genug, um tausend Ostereier zu verstecken. Schon ein lustiger Brauch, den die Muggel sich ausgedacht haben."

"Der abernicht überall betrieben wird", meinte Julius dazu. Dann legten sie sich hin, kuschelten sich aneinander und glitten zufrieden aus dem Ostersonntag hinüber in den nächsten Tag.

Als Millies neunzehnter Geburtstag da war überraschte Julius seine Frau mit einer Laienspielgruppe aus ehemaligen Beauxbatons-Schülern, die die neunzehn Jahre, die Millie an diesem Tag vollendete, in kurzen Szenen nachspielten. Er selbst hatte für sie noch eine Schallansaugvorrichtung mit Schallspeicherkugel besorgt, damit sie bei ihrer Arbeit für die Temps Originaltöne einfangen konnte und zu Hause in Ruhe abschreiben konnte, was wer wie zu ihr gesagt hatte. "Ich bin mit Florymont auch dran, daß diese Dinger mit Flotte-Schreibe-Federn zusammenwirken. Aber im Moment kann eine Feder nur direkt gesprochene Worte der Sprachen, die der, der sie kurz annuckelt, sprechen und schreiben kann."

"Schön, dann kann ich zumindest nachhören, ob Leute wie Bruno oder Monsieur Dupont etwas so oder anders gesagt haben. Demnächst ist ja die Partie der Mercurios gegen die Lyoner Löwen." Julius nickte. Für das Spiel hatte er eine Eintrittskarte. Es sollte am zweiten Maiwochenende stattfinden. Am Abend fragte Millie, ob sie es noch einmal drauf ankommen lassen wollten. Denn der Versuch im März hatte nicht das von Millie erwünschte Ergebnis gebracht. Julius überlegte kurz, ob er sich das leisten konnte, wo er am nächsten Tag für Ornelle Ventvit bei einer Konferenz über eurasische Zauberwesen dabeizusein hatte. Doch dann befand er, daß die von Ursuline Latierre und Olympe Maxime zugeführte Ausdauer das durchaus hergaben. "Okay, Mamille, lassen wir es noch einmal drauf ankommen", sagte er.

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Es war die erste Walpurgisnacht, die Julius außerhalb von Beauxbatons erlebte. Anders als dort durften sich hier nur die unverheirateten Hexen an Zauberer ihrer Wahl wenden, um sie einzuladen. Da aber die meisten Bürger Millemerveilles verheiratet waren und die wenigen unverheirateten Hexen wie Madame Matine und Madame Faucon ihren Pflichten nachzukommen hatten, oblag es Madame Delamontagne lediglich, die Besenpaare mit den magischen Verbindungsringen zu versehen, damit sie bis Mitternacht nicht weiter als die Schrittweite des größeren Partners voneinander fortkonnten. Geflogen wurde hier über das ganze Dorf hinweg, wobei die ältesten Hexen nicht nur spektakuläre Leuchteffekte verbreiteten, sondern auch lautstarke Glöckchen und Klappern am Körper trugen. Der wilde Flug der Hexen mit ihren Besenpartnern dauerte mehr als zwei Stunden. Camille und Jeanne freuten sich, daß Millie und Julius mit ihnen und ihren Ehemännern über dem Dorf herumwirbeln konnten. Die üblichen Spiele forderten schon mehr Mut und Einsatzbereitschaft. Denn hier ging es nicht nur um Geschicklichkeit oder Gewandtheit, sondern auch, ob sich Leute trauten, sich ekligen oder angstauslösenden Situationen zu stellen. So mußten Millie und Julius in einen von großen Fröschen vollen Riesenkessel tauchen, um sieben bestimmte Galleonen zu finden, die eine Reihe laufender Prägenummern bildeten. Julius widerte es auch an, als er in eine laut brummende Kiste hineingreifen sollte, um nach einer Glaskugel zu suchen und dabei das wilde Wuseln und Kribbeln unzähliger Insekten auf dem Arm fühlte. Hatten Hera und Begonie das mit Absicht gemacht, ihn ausgerechnet mit summenden Insekten zu konfrontieren? Immerhin schwirrten ihm diese Biester nicht um den Kopf oder versuchten, ihn zu stechen. Doch war das so sicher? Er brauchte fast zwei Minuten, um die gesuchte Glaskugel zu finden und so behutsam er konnte wieder herauszuziehen. War er zu schnell, würde er wohl gestochen, hatte Madame Delamontagne erwähnt. Die hatte echt gut reden, dachte Julius. Aber schließlich hatte er die gesuchte Trophäe erbeutet. Dann ruckelte die Kiste, und ein leises Quieken, Rascheln und Kratzen erklang von innen, als Adeles Mann in die Kiste langen sollte.

"Neh, Leute, ihr habt da keine Ratten reingetan, oder?" schnarrte er. Julius dachte sich aber seinen Teil, als er sich mit der erbeuteten Kugel zurückzog.

Am Ende der Spielrunden wurde getanzt. Anders als in Beauxbatons legten die Hexen um fünf vor zwölf noch einmal eine Flugrunde mit ihren Besenpartnern ein, um in den neuen Monat hinüberzufliegen.

Als dann die Verbindungsringe aufgingen und die von diesen zusammengehaltenen Besenpartner sich wieder voneinander fortbewegen konnten, wurde noch einmal ausgiebig getanzt. Das ganze ging bis ein Uhr morgens. Dann zogen sich die Feiernden in ihre Häuser zurück.

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Julius und seine Frau hatten für den ersten Jahrestag von Aurores Ankunft in der Welt Garten und Haus von innen und außen mit bunten Ballons, Luftschlangen und tellergroßen rosaroten, sonnengelben, violetten und himmelblauen Blüten aus Papier dekoriert. Pünktlich auf die Minute ihrer Geburt genau erwachte das nun einjährige Hexenmädchen und schrie. Doch da erklang Musik aus unsichtbarer Quelle, schöne, fröhliche, aber auch sanft die Ohren streichelnde Musik. Millie und Julius standen an der weißen Wiege und sangen ihrer Tochter jenes Geburtstagslied, mit dem Julius in Millemerveilles schon häufiger an seinem Geburtstag geweckt und begrüßt wurde. Aurore streckte ihre kleinen Arme nach oben und winkte langsam aber gezielt ihren Eltern zu, den zwei wichtigsten Menschen ihres noch sehr jungen Lebens. Ihre Maman und ihr Papa sahen sie an und machten die Gesichter, die ihr zeigten, daß sie sich freuten. Sie lächelte ebenfalls. Die Welt um sie herum war doch schön. Die Angst, die sie vor einem Jahr noch hatte, weil sie den warmen, schützenden Ort so schmerzhaft verlassen mußte, an dem sie herangewachsen war, war verflogen. Das hier alles war aufregend, lustig, schön, und sie hatte ihre Maman und ihren Papa, die für sie da waren. Daß sie heute ein Jahr alt wurde war ihr wohl nicht bewußt. Doch das es irgendwas besonderes war, warum ihre beiden Eltern diese beruhigenden Töne machten, fühlte sie. Das sanfte Schaukeln ihres kleinen Bettes, das ihr immer Ruhe und Sorglosigkeit bot, trug sie zurück in den Schlaf. Die schönen Töne verfolgten sie in angenehme Träume, die voller Bilder und Lachen waren, doch die sie keinem erzählen konnte, noch nicht.

Als Aurore wieder schlief hörte die ruhige, aber fröhliche Musik auf. Millie und Julius zogen sich in ihr großes Bett zurück. "Als hätte die Kleine eine innere Uhr, die sie genau dann aufgeweckt hat, als sie genau ein Jahr alt wurde", grinste Millie.

"Wissen wir das, ob in unserer Tochter nicht sowas wie ein kleiner Zeitgeber drinsteckt, der jeden Tag, den sie wächst abhakt?"

"Ich wüßte nicht, daß Ma mir oder Tine was erzählt hätte, daß wir so kleine Uhren im Körper hatten, außer die, die Knurrt, wenn sie neu gefüllt werden wollte." Julius grinste. Diesen kleinen Taktgeber hatte er auch und trug ihn immer noch in sich. Doch er hatte ihn dem Takt des allgemeinen Tagesablaufs unterworfen. Das stand seiner Tochter erst in einigen Jahren bevor.

Als die Sonne das Magierdorf und das Apfelhaus mit ihrem Licht übergoß, trafen Eulen mit kleinen Paketen ein. Babette hatte für Aurore ein Bild mit sich um einen bunten Ball rangelnden rosaroten Schweinchen gemalt, die beim Freilegen des Bildes munter quiekten und den bunten Ball mit ihren Rüsselnasen hin- und herstupsten. Es waren genau zwölf Schweinchen. Julius konnte auf einem den violetten Namenszug für den Monat Mai in runden, miteinander verschnörkelten Buchstaben lesen. Ein Brief, den sie dem Bild beigelegt hatte teilte Millie und Julius mit, daß das ein Schweinchenkalender war, den sie zusammen mit Jacqueline Richelieu gemalt und bezaubert hatte. Jacqueline hatte für ihre Tante einen gleichen Kalender, eben nur mit schon erwachsenen Schweinen, die einen kleineren Ball spielten, aber mit unterschiedlichen Mitteln, Fußballschuhen, Handschuhen, Golf-, Hockey- und Tennisschlägern. Julius las Millie vor: "Jacquie und ich haben dafür je einen goldenen Pinsel für das anspruchsvollste Zauberbild des Jahres bekommen. Den will Madame Faucon uns am Schuljahresende vor allen anderen umhängen. Die Schweinchen für Aurore wachsen mit. Der Ball, den sie spielen wechselt mit den Jahreszeiten die Farbe. Im Frühling ist er sechsfarbig, im Sommer grün mit wasserblauen Tupfen, im Herbst orangegold, gelb und rot und im Winter schneeweiß. Madame Faucon hat sich sehr gefreut, als ihr Professeur Bellart unsere Bilder gezeigt hat. Ich hoffe, der kleinen Aurore gefällt das Bild. Öhm, um Weihnachten herum steht sogar ein grüner Weihnachtsbaum zwischen den Kalenderschweinchen. Der wird dann in der Silvesternacht zu einer bunten Rakete, die genau um zwölf nach oben aus dem Bild fliegt. Viel Spaß mit dem Bild und hoffentlich mehr Spaß als Frust mit eurem kleinen rotblonden Krähbündel!"

"Ist das nicht ein herrlicher Anlaß, Aurores eigenes Zimmer einzuweihen?" fragte Julius seine Frau. Diese überlegte, ob sie die Kleine jetzt schon aus dem gemeinsamen Schlafzimmer in ihr eigenes Zimmer umquartieren wollte, zumal sie ja hoffte, daß Aurores Geschwisterchen gerade in ihrem warmen Leib eingezogen war. So nickte sie. Damit wurde das Schlafzimmer gleich neben dem Elternschlafzimmer zu Aurores neuem Reich. Die sonstigen kleinen Päckchen, alles flauschige, bunte Kuscheltiere und -kissen, wurden um die Wiege herum verteilt. Das Bild mit den Kalenderschweinchen wurde so aufgehängt, daß Aurore es beim aufwachen oder beim Einschlafen sehen konnte. Die munter quiekenden Ferkel kullerten mit dem bunten Ball um die Wette, als sie ihren Platz an der Wand gefunden hatten. Babette hatte nicht geschrieben, ob das Bild für andere gemalte Wesen offen war. Daß sie das nicht mußte sah Julius, als in das einen mal anderthalb Meter große Bild eine Hexe mit schwarzem Haar und graugrünen Augen eintrat. Sie wurde von den munter quiekenden Schweinchen umtanzt und angestupst. "Oh, schönes Bild. Ein Kalender?" fragte die gemalte Aurora Dawn. Julius und Millie bejahten es und sagten ihr auch, daß es eine Gemeinschaftsarbeit von Babette Brickston und ihrer Freundin Jacqueline Richelieu war. Die gemalte Aurora Dawn nickte und kehrte in ihr eigenes Gemälde zurück.

Von den Dorniers hatte Aurore einen kleinen, gerade einmal einen Meter hoch fliegenden Besen bekommen. Es war ein rosaroter, mit feenhaarartigen Goldglanzreisern bestückter Besen namens Ganymed Primula, der in einer Version für Jungen und für Mädchen erhältlich war und für Kinder vom ersten bis dritten Lebensjahr geeignet war. Immerhin konnte der Winzling bis zu zehn Stundenkilometer schnell fliegen und verfügte über einen Aufprallpolsterungszauber. Julius meinte dazu, daß sie nun wohl alle Geschirr- und Glasteile bruchsicher zaubern oder immer mehr als zwei Meter über dem Boden verstauen mußten.

Am Nachmittag trafen die von den jungen Eltern eingeladenen Geburtstagsgäste mit ihren Kindern oder ohne solche ein: Aurores Großeltern, wobei Martha Merryweather extra einen Tag freigenommen hatte, die Brickstons, Constance Dornier, die Dusoleils, Sandrine und Gérard Dumas mit ihren Zwillingen, Jeanne und Bruno mit ihren drei Kindern und die Eheleute Delamontagne mit ihrer kleinen Tochter Giselle, die einen Monat älter als Aurore war. Während die schon laufenden und krabbelnden Kinder mit den jetzt doch schon gut laufenden Kindern Goldschweifs um die Wette tollten und Goldschweif aufpaßte, daß keines der Kinder ihren Jungen weh tat, unterhielten sich die Eltern über ihre Erfahrungen mit ihren kleinen Kindern. Das Millie hoffte, daß sie bereits das zweite Kind im Leib hatte, sagte sie keinem. Aurore durfte eine kleine weiße Kerze auf einer großen Geburtstagstorte ausblasen. Ihr Vater hielt sie dabei sicher, daß sie sich nicht an der Kerzenflamme verbrannte. Alle applaudierten, als das Baby es schaffte, die Kerzenflamme ausgehen zu lassen. Ob sie sich dabei was wünschte konnte ja keiner sagen.

Die Feier ging bis sieben Uhr. Dann kehrten die Gäste nach Hause zurück. Joe und Catherine wurden um halb acht von Laurentine Hellersdorf vor der Ortsgrenze von Millemerveilles abgeholt. Den restlichen Abend nahm Julius Geburtstagsgrüße per E-Mail entgegen. Brittany, Aurrora Dawn und June Priestley gratulierten.

"Und du weißt nicht, ob Aurores Geschwisterchen schon bei dir unten drinsitzt?" wollte Julius von seiner Frau wissen.

"Im Moment geht es mir noch gut. In zwei Wochen werde ich es wohl sicher wissen, wenn der rote Segen fällig wäre", sagte Millie. Sie hoffte, daß sie wahrhaftig die zweite Mutterschaft angetreten hatte.

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Die ersten Maiwochen waren erfüllt mit Korrespondenz mit anderen Abteilungen. Denn in Deutschland und Spanien sollten Werwölfe aufgetaucht sein, die bei Tageslicht ihre Wolfsgestalt annehmen konnten. Daraus entspann sich ein umfangreicher Schriftwechsel, wer für diese Mondbrüder, um die es sich wohl handelte, denn nun rein amtlich gesehen zuständig war. Die Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe hielt am zehnten Mai eine Vollversammlung ab, um die drei Unterbehörden Werwolfregistrierungsbüro, Werwolfunterstützungsamt und Werwolffangkommando neu auszurichten. Julius durfte ein Schreiben der britischen Ministerialbeamtin Tessa Highdale verlesen, die den europäischen Kollegen einen umfassenden Bericht über das Sonderkommando Remus Lupin hatte zukommen lassen. Der Bericht endete damit, daß sie bisher nur gute Erfahrungen mit dieser neuen Sondergruppe gemacht habe und die Wertschätzung zwischen Lykanthropen und unbetroffenen Zauberern und Hexen erheblich verbessert habe, seitdem es für von der Lykanthropie betroffene Hexen und Zauberer möglich sei, innerhalb dieser Gruppe zu arbeiten. Allerdings, so schrieb Tessa Highdale weiter, sei es durch die Aktivitäten der sogenannten Mondbruderschaft zu Nachahmern gekommen, die meinten, nun die Eigenschaften gefährlicher Tiere mit menschlichen Eigenschaften kreuzen zu müssen. Dies sei ein Fall, der auch die Tierwesenbehörde beträfe, da diese das internationale Verbot für Neuzüchtungen magischer Tiere mit gefährlichen Eigenschaften überwache. Julius mußte sich sehr beherrschen, als er las, daß es noch flüchtige Todesser geben müsse, die bis dahin unerkannt an eigenen Vorhaben arbeiteten, den verstorbenen Schwarzmagier Tom Riddle alias Lord Voldemort zu beerben. Er dachte an die Spinnenschwestern, die diese Vorhaben sicher nicht teilnahmslos hinnehmen würden.

"Es ist zu prüfen, ob wir eine ähnliche Sondertruppe zusammenstellen können", sagte Monsieur Vendredi, nachdem Julius den von ihm übersetzten Bericht vollständig vorgelesen hatte. "Nach dem Einsatz der Garouts unter der Führung Didiers und Pétains ist das Ansehen der Lykanthropen in Frankreich eher niedrig, um es mal vorsichtig zu formulieren. Allerdings erkenne ich die dafür sprechenden Argumente an, die die Einrichtung einer solchen Sondereinsatzgruppe betreffen. Wenn diese Mondbrüder und -schwestern nun offen auf Rekrutierung bislang argloser Menschen setzen, so können wir diesem kriminellen Treiben wohl nur mit Mitarbeitern entgegentreten, die keine Angst mehr vor der Ansteckung mit dem Werwuterreger haben müssen. Allerdings würden wir gerne auch auf diesen sogenannten Lykonemesis-Trank zugreifen, der die willentliche Transformation ermöglicht. Die Kollegin Highdale hat gut reden, wenn sie anführt, daß sie durch die Erbeutung und Entschlüsselung dieses Gebräus eine bessere Verhandlungsgrundlage für frustrierte Lykanthropen erworben hat. Wir haben diese Verhandlungsgrundlage nicht, und die Kollegen in Spanien und Deutschland leider auch nicht. Ich würde daher bitten, daß unsere Mitarbeiter mit guten bis hervorragenden Englischkenntnissen bei den Kollegen auf den britischen Inseln anfragen, ob es nicht im Sinne einer friedlichen Koexistenz der Menschen mit und ohne den Werwuterreger im Körper besser sei, den Trank für die Braumeister des französischen Zaubereiministeriums zugänglich zu machen. Bitte drücken Sie dabei in meinem Namen auch die Verwunderung aus, daß es bisher keine internationale Konferenz gab, auf der der Trank und seine Zubereitung thematisiert wurden. Wenn wir darauf zufriedenstellende Antworten haben berufe ich eine weiterführende Konferenz zur Organisation einer französischen Entsprechung zum Kommando Remus Lupin ein. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!" Damit waren die Mitarbeiter der verschiedenen Unterbüros aus der Konferenz entlassen.

Julius setzte sich sofort an seinen Schreibtisch, um die Bitte Monsieur Vendredis zu erfüllen. Ornelle wies ihn darauf hin, daß er in das Anschreiben einfügen möge, daß er im Auftrag der Behörde für intelligente Zauberwesen über Kobold- und Zwergengröße schreibe und diese Behörde prüfen müsse, ob willentlich wandlungsfähige Wergestaltige nicht unter die amtliche Aufsicht dieser Behörde zu stellen seien. Julius notierte sich Ornelles Formulierung und arbeitete zwei Stunden lang an einem mehrseitigen Anschreiben, in das er auch als Zaubertrankkundiger einbaute, daß es nicht nur sehr förderlich sei, den erwähnten Trank zu kennen, sondern gegebenenfalls seine Wirkung aufzuheben, sollte ein damit ausgestatteter Lykanthrop versuchen, seine Fähigkeiten gegen die magielose Zivilbevölkerung einzusetzen. Er dachte an Verabreichungsarten wie Pfeile oder Spritzen. Nachdem er das Anschreiben mit den nötigen Verweisen auf die bisherigen Zuständigkeiten und Paragraphen in eine Versandfertige Form gebracht hatte, lies er es von seiner Vorgesetzten noch einmal lesen, um sicherzustellen, daß er weder einen Formfehler begangen, noch etwas für sie entscheidendes außer Acht gelassen hatte. Sie las das Schreiben zweimal durch und meinte dann:

"Sie dürfen die Kollegen nicht mit zu viel muggelweltwissenschaftlichen oder alltagstechnischen Begriffen überfordern, Monsieur Latierre. Am besten, Sie reduzieren Ihren Vorschlag zur Aufhebung des Trankes darauf, ihn mittels Blasrohrpfeilen aufzuheben. Blasrohre sind der internationalen Tierwesenkontrolle bekannt." Julius willigte ein, die entsprechenden Passagen zu ändern. Als dann eine für Ornelle Ventvit annehmbare Version vorlag, unterschrieb sie diese zusammen mit Julius und schickte ihren Mitarbeiter in die Eulerei des Ministeriums, um den Brief nach Großbritannien abzuschicken.

Am fünfzehnten Mai erhielt Julius wie viele auf mehrere Fachgebiete gut vorbereitete Hexen und Zauberer eine Einladung zu einer Zusammenkunft, um die Gefahr magischer Neuzüchtungen unter Benutzung hochpotenter Zaubertränke zu erörtern. Diese Einladung sei auf Grund verschiedener Anfragen aus den Zaubereiministerien und der Heilerzunft erwachsen, um allen interessierten und Kundigen die Möglichkeit einzuräumen, aus allererster Hand informiert zu werden, was im Bereich verbotener Neukreuzungen und Züchtungen in den letzten zehn Jahren entstanden sei und wie mit diesen dabei entstandenen Geschöpfen zu verfahren sei, falls sie nicht längst vernichtet worden seien. Die Einladung erwähnte in diesem Zusammenhang auch die Entomanthropen und die Züchtungen Bokanowskis. Julius wurde richtig hibbelig, als er las, daß zum einen das Rezept des Lykonemesis-Trankes freigegeben werden sollte, als auch, daß es womöglich Hinweise auf Hinterlassenschaften des russischen Kriminellen Igor Bokanowski gebe. Verfertigt und unterschrieben war diese Einladung von Semiramis Bitterling, einer Julius namentlich bekannten Zaubertrank- und Fluchbekämpfungsexpertin, die damals eine von Aurora Dawns Lehrerinnen in Hogwarts gewesen war. Irgendwie klingelte da in seinem Kopf eine sehr leise Alarmglocke. Irgendwas war, was er über diese Hexe gehört hatte, was ihm nicht so gefiel. Andererseits bestand die große Möglichkeit, an das Rezept des Trankes für kontrollierte Werwolfverwandlungen heranzukommen. Was die Hinweise auf Hinterlassenschaften Bokanowskis anging, so fühlte er sich persönlich angesprochen. Denn er hatte die Züchtungen des Monstermachers mit eigenen Sinnen wahrnehmen müssen und auch dessen Vernichtung miterlebt. Wenn der magische Sänger Colonades ihn nicht aus der Monsterburg hinausgeführt hätte, wäre er wohl von den grausamen Mischformen aus Insekt und Mensch oder von Bokanowskis Klonen seiner Selbst überwältigt und getötet worden. Gut, letzthin hatte Anthelia diesen Horrorzüchter erledigt, indem sie ihn und seine Monsterbrutanstalt in die Luft gesprengt hatte. Doch was, wenn die vorher Unterlagen oder Gewebeproben eingesammelt hatte, um im Bedarfsfall selbst irgendwelche Ungeheuer auf die Menschheit loszulassen? Das mußte er klären, wenn er die Gelegenheit bekam. Er legte Mademoiselle Ventvit das Schreiben vor und ließ sie lesen. Als sie fertig war holte sie ein Formular aus ihrem Schreibtisch und füllte es mit einer Routine aus, die Julius noch immer erstaunen konnte. Sie gab es ihm zu lesen. Das Formular war eine schriftliche Anweisung, daß er im Namen der Zauberwesenbehörde an dieser Zusammenkunft teilnehmen solle, um zum einen die Rezeptur des Trankes entgegenzunehmen, sich des weiteren über entdeckte Neuschöpfungen zu informieren und auf eine konkrete Nachfrage seitens der britischen Kollegen noch einmal über seine Erlebnisse in der Burg Bokanowskis zu referieren. "Wohl gemerkt, nur, wenn die Kollegen Sie dazu auffordern, Monsieur Latierre. Sollten diese befinden, keine näheren Auskünfte von Ihnen einholen zu müssen, bieten Sie diese auch nicht von Sich aus an!" Julius verstand, daß es nicht darum ging, einen großen Auftritt hinzulegen, sondern um wie alle anderen Geladenen auch einander mitzuteilen, welche Erfahrungen sie gemacht hatten und den Zaubertrank der Mondbruderschaft zu studieren. Vielleicht konnte er eine Probe davon mitbringen, um sie hier von den fest angestellten Zaubertrankbraumeistern analysieren und nachbrauen zu lassen. Daß er dabei gerne zusehen oder wortwörtlich mitmischen würde verschwieg er klugerweise. Außerdem konnte Ornelle sich das auch so denken. Genau deshalb hatte sie auch nicht gezögert, ihn loszuschicken. Julius fiel nur ein, daß Semiramis Bitterling vielleicht keine Ministerialbeamtin war und folglich nicht vom Ministerium Shacklebolt abgesichert wurde. Das konnte Ornelle Ventvit klären, indem sie eine Anfrage in das Archiv schickte, was über die Verfasserin und designierte Hauptreferentin der Zusammenkunft bekannt war. Julius konnte so nachlesen, welchen Werdegang Semiramis Bitterling vorzuweisen hatte. Er pfiff durch die Zähne, als er las, daß sie von 1940 bis 1981 durchgehend das Fach Verteidigung gegen dunkle Künste und nach Slughorns erster Dienstzeit bis zu Snapes Einstellung Zaubertränke unterrichtet hatte. Er mußte an die Vermutungen denken, daß das Fach Verteidigung gegen die dunklen Künste verflucht gewesen sein sollte. Nach Bitterling hatte es keiner länger als ein Jahr durchgehalten. Als ihm einfiel, daß Adamas Silverbolt trotz seines Heilssterns auch nur ein Jahr durchgehalten hatte, weil er in der Zeit wohl mit einem alten Feind aneinandergeraten war und deshalb unter einer rapiden Verjüngung litt, fragte er sich schon, wie Semiramis Bitterling es geschafft hatte, solange durchzuhalten? Dann dachte er daran, daß der Fluch womöglich nur Zauberer betraf. Doch dann fiel ihm ein, daß Dolores Umbridge auch nur ein Jahr durchgestanden hatte, was aber durchaus an den Umständen ihrer Amtszeit gelegen hatte als an einem Fluch. Überhaupt war die Frage nach einem Fluch wohl überzogen. Sicher konnte man Leuten wie Voldemort vieles unterstellen. Aber Bitterlings lange Dienstzeit sprach eher gegen einen solchen Fluch. Dann fiel ihm ein, was Professeur Delamontagne erwähnt hatte, als herauskam, daß Cyril Southerland gegen nieder- und mittelstufige Flüche immun geworden war: Wer schon heftig verflucht war, konnte von anderen Flüchen nicht mehr berührt werden. Und er hatte auch durchblicken lassen, daß er irgendwas vermutete, warum Semiramis Bitterling solange durchgehalten haben mochte, wo nach ihr keiner bis zu Voldemorts Ende mehr als ein Jahr geschafft hatte. Sollte er ihn fragen, welchen Verdacht er hegte, um nicht völlig ahnungslos in eine üble Falle zu rennen? Dann fragte er sich, was für eine Falle das sein sollte? Die Frage würde ihm Delamontagne sicher auch stellen. Wenn er wußte, wer alles eingeladen worden war, konnte er sich immer noch Gedanken machen. Aber die Aussicht, an den Lykonemesis-Trank heranzukommen war zu verlockend, um sie wegen irgendwelchen Mißtrauens auszuschlagen. Das britische Zaubereiministerium zumindest hatte keinen Grund, Semiramis Bitterling zu mißtrauen. Das sollte ihm Zuversicht geben.

Nachdem Monsieur Vendredi die Auslandsmission von Julius Latierre genehmigt hatte erwähnte er noch: "Wie ich das hier lese müssen wir die Angelegenheit zumindest als Vorgang der Mitteilungsbeschränkung S1 oder S2 einteilen. Bitte bedenken Sie das, bevor Sie Freunden oder Verwandten davon berichten. Ich denke nämlich, daß es gewisse Subjekte gibt, die diese Zusammenkunft liebendgerne sabotieren möchten, um nicht zu sagen, sie wortwörtlich sprengen wollen."

"Sie denken an die Spinnenschwestern?" fragte Julius.

"Diese, oder eine andere obskure Gruppierung, wenn nicht sogar Einzeltäter. Sollte an dem Hinweis auf mögliche Hinterlassenschaften Bokanowskis etwas dran sein, so könnte der oder die, welcher auf diese Hinterlassenschaften zugreift, sehr daran interessiert sein, jeden Mitwisser aus dem Weg zu räumen. Also bewahren Sie bitte über diese Zusammenkunft Stillschweigen, bis wir wissen, was sie erbracht hat. Zumindest wurde damit unserer Anfrage entsprochen, über die Rezeptur des Trankes was zu erfahren." Julius nickte dem Vorgesetzten zu. Dann brachte er das Formular seiner Bürovorsteherin zur Eulerei.

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Antoinette Eauvive hatte ebenfalls die Einladung erhalten und beschlossen, als Sprecherin der französischen Heiler nach Upper Flagley zu reisen. In diesem von Muggeln und Magiern bewohnten Dorf in Yorkshire sollte die Zusammenkunft stattfinden. Semiramis Bitterling wohnte dort sogar.

Antoinette erwartete Julius am Abreisetag in ihrem Büro in der Delourdesklinik. Julius hatte seiner Frau noch zwei ruhige Wochen gewünscht und gesagt, sie möge ihm schreiben, wenn Béatrice bei ihr eine neue Schwangerschaft festgestellt habe. Millie hatte ihm darauf geantwortet: "Ich will das erst wissen, wenn du wieder da bist. Als Aurore sich angekündigt hat hast du's ja auch mit mir zusammen erfahren. Also sieh bitte zu, daß du nicht von diser Semiramis Bitterling dabehalten wirst, weil sie findet, du könntest ihr Nachfolger werden!"

"Dieser Weltenbummlerrucksack ist wahrhaftig eine sehr nützliche Erfindung", lobte Antoinette Julius einziges Gepäckstück, daß er mal von Aurora Dawn zum Geburtstag bekommen hatte. In diesen flachen, bequemen Rucksack konnten ganze Schränke voller Kleidung, Schuhe und andere wichtige Reiseartikel gepackt werden, ohne daß er schwer auf den Rücken drückte oder zu einem klobigen Anhängsel aufgebläht wurde.

Mit Flohpulver auf Ministeriumskosten ging es zuerst zur Grenzstation in Frankreich. Danach ging es zur Grenzstation Großbritannien. Von dieser aus ging es zum Kaminanschluß "Zum grünen Kobold!" Als die wilde Wirbelei endlich überstanden war fanden sich erst Julius und dann Antoinette in einem ländlichen Schankraum wieder. An den Wänden hingen Bilder von Wäldern, Weizenfeldern und einer Weide mit Pferden und Rindern. Im Schankraum standen mehrere lange Tische, an denen die Gäste auf rustikalen Eichenstühlen oder langen Bänken beisammensaßen. Tische konnten auch zu einem ganz großen tisch zusammengestellt werden. Darüber hinaus gab es Zugänge zu einem kleineren Raum für geschlossene Gesellschaften und ein Treppenhaus, über das die zwanzig Gästezimmer zu erreichen waren. Somit war der grüne Kobold das, was der tropfende Kessel in London, der Eberkopf in Hogsmeade, der betrunkene Drache in New Orleans und das Haus zum sonnigen Gemüt in Viento del Sol darstellten.

An einem der Tische saßen fünf Zauberer aus Irland, die miteinander gälisch sprachen. Dann konnte er noch drei Hexen an einem Tisch sehen, die Simultanschach auf zwei Brettern spielten. Er kannte die Hexen nicht, wenngleich eine so aussah wie eine Großmutter oder Großtante von Lea Drake. Doch das mußte er jetzt nicht hier und jetzt herausfinden. Die rothaarige Hexe, die an einem der kleineren Tische an der Ostseite saß kannte er dafür um so besser. Es war Ceridwen Barley. Natürlich hatte die auch von der Konferenz gehört, war garantiert auch gesondert dazu eingeladen worden. Einen winzigen Moment lang dachte Julius daran, daß gleich die Tür aufgehen und die zu einer einzigen Hexe vereinte Verschmelzung von Anthelia und Naaneavargia hereinstolzieren würde. Wenn eine sich zu Entomanthropen äußern konnte, dann mit absoluter Sicherheit diese. Dann fiel Julius ein, daß Semiramis Bitterling garantiert keine Einladung an Anthelia geschickt hatte. So gut trug das Stillhalteabkommen zwischen ihrer Schwesternschaft und dem Rest der Zaubererwelt wohl nicht, wenn es überhaupt noch was galt.

Er sah dann noch jene Ministeriumshexe, die er wegen der Absage der Riesenzusammenführung schon flüchtig kennengelernt hatte, Tessa Highdale. Auch jetzt lächelte sie jeden gewinnend an, als sie den Schankraum betrat. Ceridwen Barley winkte Antoinette und Julius und dann auch Tessa Highdale zu. Dann sah sie noch auf einen älteren Herren, der würdevoll in den Schankraum eintrat und von einer sehr fülligen Frau im weiten mintgrünen Umhang begleitet wurde. Die Frau trug eine silbergeränderte Brille mit dicken Gläsern und hatte ihr graublondes Haar hochgesteckt.

"Ich freue mich, Sie beide auch hier anzutreffen", sagte Ceridwen Barley und lud die beiden Ankömmlinge aus Frankreich ein, an ihrem Tisch Platz zu nehmen. Antoinette willigte ein und nickte Julius zu. Dieser bedankte sich für die Einladung und stellte seinen Rucksack so, daß diser nicht im Weg stand. Als Ceridwen das ältere Paar einladen wollte, winkte der Zauberer ab. Seine Frau wirkte nicht gerade begeistert, zu Ceridwen, Tessa Highdale und den beiden Franzosen zu gehen.

"Der gute alte Professor Bonham würde sicher gerne mit Ihnen sprechen, Madame Eauvive. Aber seine Angetraute hegt eine mir nicht nachvollziehbare Abneigung gegen mich und lehnt die Nähe von Ms. Highdale ab", rechtfertigte Ceridwen Barley das Verhalten der beiden älteren Eheleute. Tessa Highdale meinte dazu:

"Die werte Mrs. Bonham hat ja auch ihre Gründe, wo ihr Neffe Norman von Greyback gebissen wurde. Sie trägt mir das nach, daß ich ihn aus der von seinen Eltern aufgezwungenen Abgesondertheit herausgeholt habe." Julius nickte. Daß Tessa eine Lykanthropin war wußte er auch erst seit dem Schreiben an die europäischen Zaubereiminister. So entspann sich nach einer förmlichen Begrüßungsrunde eine informelle Unterredung über das Kommando Remus Lupin und inwieweit das britische Zaubereiministerium den Lykonemesis-Trank für Heiler und Ministeriumsbrauer freigeben wolle. Ceridwen Barley bemerkte dazu, daß sie nur einen Tag nach Semiramis Bitterling die Zusammensetzung und den Brauvorgang entschlüsselt habe und sie durchaus bereit war, ihrer Tochter Brigid und damit den Heilern die Rezeptur zu verraten, wenn Minister Shacklebolt das nicht zur Verschlußsache erklärt hätte.

Eine Stunde unterhielten sie sich. Julius erfuhr dabei, daß Ceridwen seit etwas mehr als einem halben Jahr eine Ziehtochter versorgte, die zugleich ihre Urgroßnichte war. Die kleine Arianrhod Deardre war aber jetzt bei ihrer Ziehschwester Galatea und ihrem Mann Tim und der kleinen Kathleen Ceridwen. Julius hatte, ganz der stolze Vater, ein Foto von Aurore an ihrem ersten Geburtstag präsentiert. Tessa hatte dazu nur geseufzt, daß sie wohl auf das Vergnügen, ein eigenes Kind zu haben, verzichten müsse. Zwar sei es durch Ted Remus Lupin gesichert, daß Lykanthropie nicht vom Vater auf ein Kind übertragen wurde, aber ebenso sei auch gesichert, daß eine mit dem Werwuterreger lebende Frau ihre Kinder damit anstecken konnte, entweder schon über das Blut oder über die Muttermilch. Julius erwähnte betrübt, daß das mit Geschlechtskrankheiten ja leider auch so sei und vor allem in Afrika viele mit dem tückischen HI-Virus infizierte Kinder aufwuchsen, die den Erreger von ihren Müttern abbekommen hatten. Man sei aber dabei, sagte er noch, das Ansteckungsrisiko durch Medikamente zu senken und setzte zuversichtlich hinzu, daß was den magielosen Pharmakologen gelingen mochte, auch in der magischen Heilkunst möglich sein könne, auch wenn der Lykanthropieerreger selbst ein magischer Keim und kein gewöhnlicher Giftstoff sei.

Als dann die Gastgeber der Konferenz eintraten um zu sehen, wer von den Eingeladenen schon da war, sah Julius Semiramis Bitterling zum ersten Mal. Aurora Dawn hatte sie ihm als Orientalischstämmige beschrieben. Das traf voll und ganz zu. Die nachtschwarzen Locken, die braungetönte Haut und die dunkelbraunen, großen Augen mochten von arabischen oder indischen Vorfahren stammen. Madam Bitterling ging um die Tische herum und begrüßte die Geladenen einzeln. Sie freute sich vor allem, Antoinette und Julius zu sehen. Zu ihm sagte sie: "Wenn ich darf, möchte ich Sie nachher gerne vor den Anwesenden befragen, was sie genau von Bokanowskis Brut mitbekommen haben, Monsieur Latierre. Darf ich?"

"Wenn das vom Zeitplan her geht sehr gerne", willigte Julius ein. Irgendwie fühlte er, daß diese Hexe etwas befremdliches ausstrahlte. Er konnte nicht genau sagen, ob es etwas abstoßendes, unangenehmes oder bedrohliches war. Von den Bewegungen her wirkte sie zumindest friedlich, wenn auch sehr selbstbeherrscht. Als sie dann die Bonhams begrüßte konnte Julius sehen, daß Mrs. Bonham sich fast vor ihr duckte. Sicher, die konnte Semiramis Bitterling noch als Lehrerin mitbekommen haben, vielleicht auch noch als Schülerin. Überhaupt hatte sich Madam Bitterling besser gehalten als Mrs. Bonham, dachte Julius, obwohl er nicht wußte, wie die Frau des leitenden Direktors vom St.-Mungo-Krankenhaus vor vierzig Jahren ausgesehen haben mochte.

Nach einem vom britischen Zaubereiministerium bezahlten Mittagessen ging es in den Gemeindesaal von Upper Flagley. Dort sah Julius auch Maurice Pivert, der mal einige Wochen in Beauxbatons unterrichtet hatte.

Mr. Amos Diggory eröffnete die Diskussion. Er erwähnte, daß man nicht mehr darüber schweigen könne, daß es Zaubertränke gebe, die einfache Menschen permanent in magisch begabte Halbgeschöpfe verwandeln konnten. Er erwähnte den Lykonemesis-Trank, der die Werwolfsverwandlung steuerbar und willentlich beherrschbar machte, aber auch den Unfall, aus dem heraus die erste Wollmilchfrau Australiens entstanden war. Semiramis nickte. Pivert bat ums Wort und erhielt es. Er wandte ein, daß zu diesem Thema auch eine der beiden Heilerinnen hätte gehört werden sollen, die damals den Unglücksfall bearbeitet hatten. Doch er akzeptierte, daß im Moment erst einmal die europäer besprechen sollten, was in nächster Zeit zu tun war. Diese kurzfristige Zusammenkunft sollte als Vorbereitung für gesonderte Konferenzen dienen, wo die einzelfachlichen Gegebenheiten erörtert werden sollten, so Semiramis Bitterling. Das eröffnete ihr die Möglichkeit, über ihre neuen Erkenntnisse zu referieren. Sie hob hervor, daß die Zusammenkunft als S2-Ereignisse der magischen Verwaltungsvorschriften gewertet wurde, es aber durchaus auch um Sachen gehen mochte, die einen höheren Geheimhaltungsstatus erforderten. Sie sprach über Tränke, die bestimmte Eigenschaften wie Gewandtheit, Sehvermögen, Gehör oder Unverwüstlichkeit permanent erweitern konnten, aber auch, daß es katalytische Tränke gebe, die mit den Körperteilen bekannter Zauberwesen postnatale Mutationen ergeben könne, die nicht mehr umzukehren waren. Der Fall Luella Fairsky in Australien habe ja bewiesen, wie schnell eine permanente Körperveränderung durch Zusammenwirken von Zauberstabzaubern und Zaubertränken passieren könne. Dann warf sie nicht ganz zufällig ein, daß der offenbar getötete Zauberer Igor Bokanowski ja solche Versuche gemacht habe und die Nachzucht der Entomanthropen Sardonias ja beweise, wie neuartige Zauberwesen oder -tiere gezüchtet werden konnten. Sie blickte mit ihren dunkelbraunen Augen auf Julius Latierre und fragte ihn, ob er der interessierten Zuhörerschaft seine Erlebnisse in Bokanowskis Burg schildern mochte. Der Zauberer nickte arglos und kam auf die kleine Bühne. Amos Diggory nahm im Publikum Platz. Julius setzte gerade an, über seine Entführung in die Monsterburg zu sprechen und erwähnte dabei, daß eine Kopie von Belle Grandchapeau ihn überrumpelt hatte, als ihm die Besinnung schwand. Das letzte, was er noch mitbekam war ein lautes Rauschenund ein schwarzes Loch, in das er übergangslos hineinfiel.

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Millie lächelte Camille Dusoleil an, die auf ihrem Besen angeritten kam. Aurore sauste auf ihrem neuen Kleinkinderbesen über der großen Wiese herum.

"Julius ist heute Morgen zu einer irgendwie geheimen Konferenz ins Ausland, Camille. Er hat mich aber gebeten, dir die Pflanzen zu zeigen, und wie er sie gerne haben möchte", grüßte Millie ihre verschwägerte Tante, als sie am Nachmittag ihre Gartenbeetpatrouille machte, wie sie es nannte.

"Wenn es der Rhododendron ist, den er auf der dem Gerätepilz gegenüberliegenden Seite von eurem Lebensapfel gesetzt hat, hat er mir schon gesagt, wie er den haben will, Millie. Aber die Regenbogensträucher sind bei euch ja richtig üppig geworden."

"Ja, wenn Dusty die nicht als Jagdrevier für Spatzen und Blaumeisen entdeckt hätte. Öhm, will Jeanne wirklich beide Krawallschwestern haben?" Fragte Millie und deutete auf Goldschweifs rundes Wohnhaus, wo sie ihre sieben Jungen versorgte.

"Jeanne hat gesagt, sie nimmt auch beide Schwestern", sagte Camille. "Ist zwar ein wenig stressiger, als nur ein Knieselmädchen in der Wohnung zu haben. Aber wenn die beiden wirklich so aneinander hängen wollen Jeanne und Bruno sie beide haben."

"Dann bleiben die zumindest in der Gegend. Wir müssen dann nur aufpassen, daß Dusty nicht meint, seine eigenen Töchter bespringen zu wollen", erwiderte Millie.

"Eindeutig", grinste Camille. "Und, ich hörte sowas, du wolltest demnächst noch mal mit deiner Tante reden, ob Aurores Geschwisterchen schon auf dem Weg ist oder nicht."

"Im Moment geht's mir wieder besser als damals mit Aurore unter dem Umhang. Aber wenn Julius wiederkommt lasse ich Tante Trice mal in millies kleine Backstube reingucken und ..." Millie sprach nicht weiter. Ihr vorfreudiges Gesicht wurde zu einer Miene der Bestürzung. Denn sie hatte soeben eine höchst alarmierende Wahrnehmung empfunden. Von einer Sekunde zur Anderen waren die warmen Impulse ihres Herzanhängers verlangsamt worden, nicht völlig erstorben, aber deutlich schwächer und langsamer. In der ersten Sekunde hatte sie sogar höchste Verunsicherung und Beklemmung verspürt. Doch diese von Julius zu ihr überfließenden Eindrücke verflogen so plötzlich, wie sie sie verspürt hatte. Zwanzig Sekunden später erstarrte der Herzanhänger. Das hieß, daß irgendwer die Verbindung getrennt hatte. Sie wiegte den Kopf. Schließlich verzog sie das Gesicht zu einer wütenden Grimasse.

"Tante Camille, Julius ist wohl betäubt worden. Wer auch immer hat ihm den Anhänger abgenommen. Auf einmal war alles weg, was ich von ihm gespürt habe", sagte sie. "Jetzt ist mein Anhänger starr und hart. Das heißt, Julius trägt seinen nicht mehr."

"Nein, daß darf doch nicht sein", knurrte Camille, der der Schrecken über diese Mitteilung die Blässe ins Gesicht trieb, was bei ihrer hellbraunen Haut schon was heißen wollte. Millie prüfte ihren roten Herzanhänger. Dann verfiel sie in konzentrierte Haltung.

"Temmie, Julius ist nicht mehr da. Wo ist er?" schickte sie der vierbeinigen Vertrauten zu. Diese erwiderte nach nur einer Sekunde mit Angstvollen Schwingungen:

"Er wurde ohnmächtig. Das ging zu schnell für mich. Ich habe versucht, mich auf ihn zu konzentrieren. Aber er ist irgendwo, wo die schwachen Regungen seines inneren Selbst nicht zu mir durchdringen. Er ist in großer Gefahr!"

Millie fühlte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht schwand. Sie mußte jetzt wohl noch bleicher aussehen als Camille. Deshalb sagte sie dieser: "Julius ist wo, wo kein Gedanke zu ihm hinkommt. Irgendwer hat den mal eben irgendwo hingeschleppt."

"Verdammt", ließ sich Camille zu einer nicht damenhaften Äußerung verleiten. Dann deutete sie auf das Apfelhaus. "Komm, wir haben was wichtiges zu besprechen." Millie sah ihre verschwägerte Tante an und wußte nicht, was sie sagen sollte. Camille ergriff Millie etwas ruppiger als einer zartfühlenden Hexe eigen war am Arm und trieb sie vor sich her.

Im Apfelhaus baute sie in der Wohnküche einen Klangkerker auf und erklärte Millie, was sie seit Januar befürchten mußte, das Catherine sie vor einem Angriff der Abgrundstöchter gewarnt habe. Millie entrüstete sich, daß Julius das ruhig auch schon früher hätte wissen können. Camille verteidigte Catherine und sich, daß ja niemand gewußt habe, wann und wo und wie und Julius ja nicht die ganze Zeit im geschützten Haus absitzen konnte, nur weil es irgendwann mal passieren mochte. Millie knurrte sie dann an, daß man aber zumindest besser darauf hätte vorbereitet sein können. Dann sagte sie: "Gut, wir müssen wissen wo er genau war. Viviane, weißt du, wo Julius hinwollte?" Das lebendige Bildnis von Viviane Eauvive erklärte Millie, wo Julius hinwollte und bot an, die Meldung sofort an alle ihre Portraitmehrlinge weiterzugeben. Millie tat dasselbe mit dem Pappostillon, der alle ihre Familienangehörigen erreichte. Ebenso eilte die gemalte Aurora Dawn los, um ihre Ableger zu unterrichten. Sie war auch die erste, die zurückkam und mitteilte: "Upper Flagley, eine Zusammenkunft zu den Themen Zaubertränke und neugezüchtete Zauberwesen und -tiere. Alle Teilnehmer sind umgefallen. Shacklebolts Truppe untersucht das schon. Außer Julius keiner verschwunden. Also zielte das tatsächlich auf ihn."

"Drachenmist", stieß Millie aus. Dann überlegte sie, wie sie weiter vorgehen sollte. Nachdem, was Camille ihr gerade eingeschenkt hatte wäre es wohl günstiger, alle möglichen Ashtaria-Kinder zusammenzutrommeln. Als wäre dies ein Stichwort gewesen trat Antoinette Eauvive zusammen mit Viviane in den Bilderrahmen ein. Keine drei Sekunden später verließ sie leibhaftig eine Leuchtspirale, die aus dem Bild kam. "Millie, ich weiß, du möchtest helfen. Ich weiß aber auch, daß du denkst, gerade wieder schwanger zu sein. Außerdem kannst du nicht viel machen", sagte Antoinette, nachdem sie ordentlich gegrüßt hatte. Millie bestand jedoch darauf, Julius zu helfen, wenn sie wußte, wie. Antoinette sah Camille an. Diese sagte: "Die wird jetzt nicht hierbleiben, Antoinette. Wenn ich mit ihr mitgehen kann kann ich auf uns beide aufpassen. Außerdem können wir Dusty mitnehmen."

"Dusty? Wieso ... Na klar. Ich dachte schon, ihr wolltet Artemis mitnehmen." Millie schüttelte den Kopf. "Wäre vielleicht zu groß."

Viviane vermeldete, daß alle, die es betraf bescheid wüßten, auch ein gewisser Junge aus Hogwarts. Millie grinste. Sie wußte, wer gemeint war. Auch Camille verstand. Immerhin hatte Julius es ihnen nach seiner Rückkehr von der Party derSterlings erzählt.

"Okay, dann wohin?" wollte Millie wissen.

"Zu mir ins Château. Das kriegt niemand mit!" sagte Antoinette Eauvive, die selbst verärgert war, daß Julius in ihrer Anwesenheit verschleppt worden war.

So flohpulverten Millie und Camille mit dem Knieselkater Dusty in seinem Körbchen ins Château Florissant. Antoinette indes benutzte ihr eigenes Intrakulum, um sich mit Hilfe ihrer Urahnin an einen anderen Ort bringen zu lassen.

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Es war wie Apparieren, dachte Julius, als er so unvermittelt aus der tiefen Dunkelheit erwachte, wie er hineingestürzt war. Er schlug die Augen auf ... und meinte, einem Déjà Vu zu erliegen. Er befand sich in einer großen, kuppelartigen Höhle. Vor ihm erstrahlte etwas im goldenen Licht, ein Krug mit zwei geschwungenen Henkeln, so groß, daß ein erwachsener Mensch darin verschwinden konnte. Davor lag eine Strohmatte. Auf dieser hockte eine völlig unbekleidete Frau. Julius brauchte nur eine Sekunde, die Gefahr zu erkennen. Er wandte seinen Kopf ab, bevor die Fremde ihn ansehen konnte. Er dachte schnell an das Lied des inneren Friedens, fühlte seine magischen Töne durch seine Gedanken gleiten, seinen Geist beschützen und nach außen verschließen. Er hoffte, daß dieser Zauber überhaupt hier funktionierte. Doch was blieb ihm anderes übrig? Jetzt prüfte er sich selbst. Irgendwer hatte ihm alles ausgezogen. Was ihn jedoch mehr irritierte war, daß seine Uhr, sein Brustbeutel und der Gürtel mit dem Zauberstabfutteral fehlten. Dabei hatte er diese Dinge diebstahlsicher bezaubert. Eigentlich konnte, ja durfte niemand ihm diese Sachen wegnehmen. Doch die wortwörtlich nackte Tatsache war, daß wer auch immer es geschafft hatte. Wirkte zumindest sein innerer Schutzzauber? Er mußte es riskieren, die Unheimliche ansehen, die vor ihm in der Höhle lauerte.

Er sah eine voll erblühte, rein äußerlich junge Frau mit tiefbrauner Haut, rückenlangem schwarzen Haar, das jeden kleinsten Funken Licht zu verschlucken schien und einem Gesicht, das irgendwie nicht zu dem Körper passen mochte. Denn es war das weiche Gesicht eines vielleicht gerade neunjährigen Mädchens mit großen, dunkelgrünen Kinderaugen. Julius gab sich jedoch keiner Täuschung hin. Neben der makellosen Figur waren die Augen das Gefährlichste, was dieses Wesen aufzubieten hatte. Er wagte es, in diese dunkelgrünen Augen hineinzusehen, darauf gefaßt, seine Augen sofort schließen zu müssen, wenn etwas fremdes in seinen Geist zu dringen versuchte. Doch er fühlte weder ein inneres Abtasten noch einen fremden Willen, der seinen eigenen zu verdrängen versuchte. Überhaupt wirkte dieses Wesen da vor ihm ganz ruhig. Kunststück, dachte Julius. Sie hatte ihn und er wußte das. Er straffte sich. Zumindest mochte das von Madrashtargayan erlernte Lied des inneren Friedens wirken. Er straffte sich, um die überirdisch schöne Gegnerin anzusprechen. Er benutzte dafür seine Muttersprache.

"Okay, Mädel. Irgendwie hast du mich zu dir hingeschafft. Glückwunsch! Ich dachte schon, daß ginge nicht so einfach. Hattest wohl einen Helfer bei den Leuten. Aber wenn du glaubst, du könntest bei mir landen, wo deine feuerrote Schwester das schon nicht konnte, dann hast du dich geschnitten."

"Was ist denn das für eine Begrüßung, säuselte die Andere in einem lupenreinen britischen Englisch. "Ich habe dich nur zu mir holen müssen, weil meine Schwester Ilithula meint, einer aus deiner Familie hätte etwas, was ihr mehr Macht geben würde als mir."

"Ach neh! Und du bist?" fragte Julius trotzig. "Ich bin die Tochter des schwarzen Wassers. Wie ich wahrhaftig heiße muß dich nicht kümmern", erwiderte die Frau mit den dunkelgrünen Kinderaugen. Julius dachte an die Bilder, die er in einem Buch im Laveau-Institut gesehen hatte. Konnte das hinkommen, daß er hier Itoluhila vor sich hatte, von der er gehört hatte, daß sie zusammen mit Anthelia den Atomvampir Volakin erledigt hatte?

"Erst das Feuer und dann das Wasser", stieß Julius verdrossen aus. "Was immer du vorhast, vergiss es. Wenn du nicht alle aus dem Versammlungsraum entführt hast suchen die anderen jetzt nach mir." Die Andere lächelte amüsiert und erwiderte:

"Hast du gedacht, mir ginge es darum, ein Fest zu feiern? Sicher, es gefällt mir sehr, mit starken Männern und klugen Frauen zu feiern. Aber mir ist im Moment nicht nach Feierstimmung. Dafür ist die Lage zu ernst."

"Klar, weil du gerade mal nur einen Zauberer pro Zeit vernaschen kannst und die anderen dir da locker hätten querkommen können, nicht wahr?" gab Julius aufsässig zurück.

"Wo hast du denn solche Wörter her?" schnarrte die Abgrundstochter scheinbar entrüstet. "Sicher, ich lebe damit und davon, mich mit gesunden Männern und Frauen in körperlicher Wonne zu vereinigen und empfange von ihnen neue Kraft und Ausdauer. Aber sie wurden alle bei mir glücklich, und im Gegensatz zu meiner entkörperten Schwester Hallitti bringe ich nicht gleich jeden um, mit dem ich die herrliche Zweisamkeit auslebe. Also vernasche ich niemanden, sondern wenn überhaupt, genieße ich das Beisammensein mit ihm oder ihr. Aber ich habe dich nicht zu mir geholt, um deine Wortwahl zu bemängeln oder zu berichtigen, sondern weil ich fürchte, daß meine Schwester Ilithula unsere Welt kaputtmachen will."

"So, und du nicht? Achso, du melkst die Menschen nur, du schlachtest sie nicht", entgegnete Julius mit unüberhörbarem Sarkasmus.

"Ein wenig abschätzig aber in der Sache wohl richtig", erwiderte die braunhäutige Unheilsbraut grinsend. "Meine Schwester ist die Tochter des düsteren Windes. Sie sucht nach dem, welcher diese grauen Riesenvögel gerufen hat, die gegen die Schlangenmenschen gekämpft haben. Sie hat mir erzählt, das wäre nur mit einem Werkzeug oder einem Musikinstrument möglich gewesen, daß mit starken Windelementarzaubern verbunden ist. Sie meint, wenn sie dieses Werkzeug oder Musikinstrument hat, und den, der es benutzt hat, würde sie ihre Fähigkeiten verzigfachen. Ich traue ihr das durchaus zu, daß sie herausbekommt, wer der Rufer oder die Ruferin war. Außerdem will sie bei der Gelegenheit auch noch das dunkle Feuer beherrschen." Julius hoffte nun ganz inständig, daß sein innerer Schutz noch hielt. Doch er hoffte auch, daß das Latierre-Familiengeheimnis ihn vor ungewolltem Verrat schützte. Wenn dieses hüllenlose Höllenmädchen mitbekam, daß er dieser Vogelrufer war, dann gnade ihm jeder gute Gott der Erde. Um sich nicht anmerken zu lassen, wie heftig dieses Frauenzimmer da vor ihm ihn gerade erschreckt hatte blieb er nach außen so ruhig er konnte.

"Soso. Das, was deine in die Luft gesprengte Schwester Hallitti gekonnt hat, Abgrundstochter?" fragte Julius immer noch sehr aufsässig.

"Richtig. Sie weiß, wo Hallittis Geist abgeblieben ist und hat ihn zu sich geholt, um ihn in einem uns bekannten Ritual als ihre Tochter zu empfangen. Sie hat getönt, daß das gelungen sei und sie jetzt in Ruhe nach dem suchen kann, der oder die dieses Windmagieding benutzt hat. Da meine Diener, von denen einer dich zu mir gebracht hat, während du schliefst, mir berichtet hat, daß nur wer aus einer alten Zaubererfamilie das gewesen sein kann, die ihre Geheimnisse zu wahren erlernt haben, bist du in Gefahr. Ja, und weil sie jetzt mit Hallitti wieder schwanger ist bist du erst recht in Gefahr, weil Hallitti ihre Mithilfe an die Bedingung geknüpft hat, daß Ilithula deine ganze Lebenskraft und Magie in sich und damit sie einverleibt oder dich zu ihrem Sohn, dem Zwillingsbruder Hallittis macht." Julius nahm all diese Worte in sich auf. War sowas denn echt möglich? War am Ende alles umsonst gewesen, was sein Vater und er durchgemacht hatten?

"Neh, is' klar. Wie soll das denn gehen?" fragte Julius. Er fühlte, wie aus den grünen Augen eine suchende Kraft in ihn einströmte und dachte sofort wieder das Lied des inneren Friedens. Das tastende Gefühl im Kopf verklang. Also wirkte sein innerer Schutz auch ohne Zauberstab. Das erleichterte ihn sichtlich und gab ihm Zuversicht, zumindest nicht von ihr so unterworfen zu werden wie damals von Hallitti. Die Andere lachte über seine letzte Frage und erwiderte:

"Ihr alle habt gedacht, wir Töchter der großen Mutter würden so einfach sterben, wenn jemand meint, unseren Körper zu zerstören. Da habt ihr euch alle getäuscht. Wenn eine von uns aus ihrem Körper getrieben wird, reist ihr Geist um die Welt und kehrt in den Körper derjenigen wachen Schwester ein, der ihr am nächsten ist. Dann begehen beide ein Ritual, wodurch in der wachen Schwester ein neuer Lebenskeim entfaltet wird. In diesen fließt der Geist der Entkörperten ein und wächst als Tochter der Trägerin heran, wird geboren und wächst bei ihr auf, bis sie groß genug ist, wieder eigenständig weiterzuleben. Hat dir das keiner gesagt?"

Julius fühlte sich an so viele Sachen zugleich erinnert. Er dachte an das, was Professeur Delamontagne in einer Unterrichtsstunde gesagt hatte, daß es nicht sicher war, das eine getötete Abgrundstochter wirklich restlos aus der Welt verschwand. Ja, er hatte sogar anklingen lassen, daß Hallitti nur deshalb wohl nicht unverzüglich in irgendeiner Form wieder aufgetaucht war, weil es womöglich etwas gab, was sie von sich zurückgelassen hatte und das sie hindern mochte, so einfach wiederzukommen. Dann dachte er an seinen Vater. Der wuchs irgendwo unter anderem Namen auf. Er hatte nie wissen wollen, wo und als wer sein Vater neu aufwuchs. Lebte der jetzt vielleicht nicht mehr, weil die Schwester dieser Abgrundstochter da vor ihm ihn getötet hatte? Gehörte das vielleicht zu diesem Ritual, was die Windsbraut mit Hallittis körperlosem Ich angestellt hatte, um es wieder als lebendes Wesen auf die Welt zurückzubringen? Dann dachte er an seinen Traum von Ashtaria und ihren Kindern. Die mächtige Lichtmagierin hatte ihren sieben Kindern eindringlich geraten, die neun Töchter Lahilliotas nicht zu töten, wobei dies auch nicht lange vorhalten würde. Also war es möglich, daß Hallitti von einer ihrer Schwestern gesucht und in sich aufgenommen wurde, sozusagen als schwesterliche Pflichtübung. Auch erinnerte sich Julius daran, daß in jeder der neun Töchter des Abgrundes ein Teil Lahilliotas weiterexistierte. Sie waren sozusagen lebende Horkruxe, jedoch ohne nur zu denken und zu sagen, was ihre Mutter gedacht und getan hatte. Das sowas ging, einen Splitter der eigenen Seele in einem Lebewesen zu verstauen, hatte Harry Potter vor dem Gamot erwähnt, nämlich daß Voldemort beim Versuch, ihn zu töten, einen Bruchteil seiner da schon stark zersplitterten Seele in ihm zurückgelassen hatte. Auch erinnerte sich Julius an die Szene, die Lea Drake ihnen gezeigt hatte. Neville Longbottom hatte Voldemorts widerliche Schlange mit dem silbernen Schwert geköpft, daß er aus dem sprechenden Hut gezogen hatte. Sicher hatte er das getan, weil er ahnte oder wußte, daß in diesem Kriechtier auch ein Stück von Voldemorts Seele gesteckt hatte. Ja, es war also möglich, daß eine körperlich erledigte Abgrundstochter wiederkam, wenn jemand nach ihr suchte und wußte, wie sie wiederzubeleben war. Einen letzten Moment dachte er an Dracula-Filme, wo der berühmte Vampir zurückgeholt werden konnte, wenn man in die nach dem Pfählen entstandene Asche frisches Blut mischte. So ging es also auch mit den Abgrundsschwestern. Das dämpfte seine Zuversicht nun doch erheblich. Die neun Töchter des Abgrundes waren wie die Köpfe einer Hydra. Brachte man die nicht alle auf einmal um, wuchsen sie immer wieder nach. So sagte er, jetzt weniger widerborstig:

"Angedeutet, aber nicht gesagt, weil das wohl bisher noch nicht passiert sein soll. Aber wenn Hallitti echt nicht richtig aus der Welt geblasen wurde, warum ist sie dann nicht sofort zu dir oder Ilithula hingeflogen, um neu ausgebrütet zu werden?"

"Tja, weil diejenigen, die Hallitti entkörpert haben ihren stärksten und letzten Abhängigen nicht getötet, sondern verjüngt haben. Zumindest hat Ilithula mir das geistig mitgeteilt, daß Hallitti deshalb nicht von dort wegkam, wo sie über Jahre gefangen war."

"Achso, und Ilithula ist mal eben zu ihr hin, um ihr sozusagen entgegenzukommen?" fragte Julius nun wieder etwas abfälliger.

"Als Tochter des düsteren Windes kann sie höher und weiter fliegen als unsere anderen Schwestern und ich", behauptete die grünäugige Abgrundstochter. "Und weil deine Schwester meint, ich wüßte was von dieser ... ähm, diesem Werkzeug oder was es ist, will die mich jetzt haben und weil Hallitti jetzt in der neu anwächst will die für die den Racheengel machen?" Julius mußte sich arg beherrschen. Fast hätte er sich verplappert. Wenn er der da vorne was von einer Flöte gesagt hätte, wäre der garantiert klargeworden, daß er wußte, nach wem ihre Schwester suchen mußte. Ging die schwesterliche Eintracht bei diesen Biestern so weit, daß Itoluhila ihrer Schwester steckte, daß sie den Gesuchten hatte?Auch dachte Julius daran, ob die da vorne wirklich Itoluhila war. Irgendwas schien da nicht so ganz zu passen.

"So ist das, Julius. Da du, wie du gemerkt hast, nirgendwo anders auf der Welt sicher bist als bei ihr oder mir, habe ich beschlossen, dich zu mir zu holen, bevor sie dich findet", sagte die Abgrundstochter mit dem Kindergesicht.

"Ach, damit ich dein Abhängiger werde oder was?" fragte Julius. "Vergiß es." Er hoffte, daß er jetzt nicht doch den Mund zu weit aufmachte.

"Willst du lieber von meiner Schwester ausgeforscht und dann - wie sagtest du es so abfällig? - vernascht werden, falls sie dich nicht dazu zwingt, Hallittis Zwillingsbruder zu werden?"

"Wenn ich eins von euch weiß, Tochter des schwarzen Wassers, dann ist es, daß ihr allesamt für Menschen tödlich gefährlich seid. Abgesehen davon, daß ich nicht glaube, daß du so menschenfreundlich bist. Nur weil du diesen blauen Wertiger in Sibirien plattgemacht hast bist du noch keine Freundin der Menschen." Julius hatte in voller Absicht von einem Wertiger gesprochen. Bestätigte die Andere das, dann war sie nicht Itoluhila.

"Es war kein Wertiger, sondern ein Vampir", erwiderte die Andere. "Volakin hieß der und war abartig und wesentlich gefährlicher als wir Töchter Lahilliotas zusammen. Ich habe fast meinen Körper dafür verloren und wäre dann auf Ilithulas Gnade angewiesen gewesen, also darf ich von dir ein wenig mehr Respekt erwarten." Julius dachte, daß sie entweder doch die war, als die sie sich ausgab oder es eben von ihrer Schwester erzählt bekommen hatte oder von wo auch immer her wußte. Der Test war also ein Schlag ins Wasser.

"Es ist wohl warh, daß ich gerade in deiner Gewalt bin und dich nicht übermäßig reizen darf", sagte Julius mit abbittendem Tonfall. Die Andere nickte und lächelte wohlwollend. Sie sagte mit ruhigem Ton:

"Ich habe dich nicht zu mir bringen lassen, damit du das bist, was dein Vater für Hallitti war. Ich habe das nicht nötig, jemanden für mich auf die Suche nach freiwillig gegebener Lebenskraft zu schicken. Wenn ich das will kann ich in einer Nacht zwanzig Liebhaber zu mir lassen und mir von jedem genug geben lassen, um ihn nicht in Wahnsinn oder Tod enden zu lassen, aber auch, um die nächsten Tage unbesorgt zu überstehen."

"Also doch eine Hure, nur daß du kein Geld dafür nimmst", grummelte Julius.

"Ihr wertet das Zusammensein von Mann und Frau als eine heilige, nach strengen Regeln zu pflegende Angelegenheit. Und doch gibt es heute noch genug Männer, die nicht in der vorgeschriebenen Partnerschaft glückliche Stunden erleben möchten und Frauen, die diesen Bedarf befriedigen, wie der Bäcker oder Fleischer den Hunger stillt. Ich hörte, du hättest dich auch sehr sehr früh auf eine von einem sogenannten Zeremonienmeister festgelegte Partnerschaft eingelassen, nur um schon mit jungen Jahren die Früchte der Lust zu genießen, die eure längst verwitterten Gemeinschaftsregeln verbieten, solange Mann und Frau nicht ordentlich zusammengesprochen wurden, am Besten noch im Namen irgendeiner Gottheit. Die einzige Gottheit, die es gibt, ist das Leben selbst in seinen verschiedenen Formen. Und allen Lebewesen ist gemeinsam, daß sie vom Tod anderer Lebewesen zehren, ja auch die Pflanzen, deren Nahrung die Überreste toter Tiere im nährenden Erdreich oder andere tote Pflanzen sind. Meine Schwester Hallitti hat dir Angst gemacht, das erkenne ich wohl. Aber sie war auch zu ausgehungert und übereifrig, weil sie so lange hat schlafen müssen. Ilithula und ich sind seit unserer Geburt immer wach gewesen, von freiwilligen Schlafpausen abgesehen. Wir haben gelernt, nicht nur von euch Kurzlebigen, sondern auch mit euch zu leben. Insofern paßt dein gehässiger Vergleich mit dem Vieh, daß gemolken und nicht geschlachtet wird, am Ende doch. Aber ich weiß nicht, ob wir genug Zeit haben. Ich wollte dir eigentlich was zu essen beschafft haben. Doch mein Diener mahnte zur Eile. Und wenn ich meine Höhle öffne könntest du versucht sein, um Hilfe zu rufen, weil die Angst vor meiner Schwester Hallitti dich in den Haß auf uns getrieben hat. Außerdem muß ich davon ausgehen, daß Ilithula schon nach deinen Angehörigen sucht, um sie gegen dich auszuspielen, solltest du mein Angebot zurückweisen."

"Welches Angebot eigentlich?" fragte Julius jetzt doch mit einer Spur Neugier in der Stimme.

"Im Grunde dasselbe, was Ilithula dir abgezwungen hätte. Sicher, ich könte dir von meiner unerschöpflichen Lebenskraft etwas einflößen und dich damit für sie unantastbar machen", raunte die grünäugige Abgrundstochter. "Aber um ganz sicher zu sein, daß Ilithula dich nicht für sich gewinnen kann biete ich dir meinen Leib als Quelle eines neuen Lebens an. Wenn du zu mir in meinen Lebenskrug steigst und dir wünschst, mein Sohn zu werden, wird dein Geist in meinen Schoß überfließen und mit deiner und meiner Lebenskraft einen neuen, wesentlich stärkeren Körper entstehen lassen. Du magst jetzt denken, daß du dich mir nicht so mir nichts dir nichts ausliefern willst. Doch bedenke dabei bitte, daß ich auch ein Opfer bringen muß."

"Ach neh, welches denn?" versetzte Julius.

"Zum einen die Unannehmlichkeiten einer Schwangerschaft zu bewältigen bis hin zur Niederkunft und Stillzeit. Zum anderen müßte ich, während ich an dir tragen würde, auf das Zusammensein mit meinen hingebungsvollen Verehrern verzichten, was mich wiederum einschränkt, meine ganze Kraft einzusetzen, um mein Revier zu verteidigen."

"Will sagen, wenn ich so blöd sein sollte, dein Sohn zu werden, damit deine Schwester nicht an mich rankommt, könntest du andere Männer nicht totlieben?" wollte Julius wissen.

"Ja, und ich könnte nicht gegen übergierige und verseuchte Vampire oder Wertiger kämpfen. Ich müßte ständig im Verborgenen bleiben und müßte es zulassen, daß mein Revier von diesen Geschöpfen heimgesucht und geplündert oder unhaltbar gemacht wird. Aber ich will und werde es auf mich nehmen, weil ich nicht will, daß Ilithula für Hallitti Vergeltung übt."

"Klingt alles schön süß wie Honig, aber auch so klebrig, und mit dem Beigeschmack, daß in dem Honig noch vereinzelt ausgerissene Bienenstachel herumschwimmen", erwiderte Julius verstimmt. "Und wenn ich dein Angebot ablehne, was dann?"

"Bleibt mir nichts anderes übrig, als dich solange hier bei mir zu behalten, bis Ilithula Hallitti neu geboren und großgezogen hat. Ich müßte dich immer bewußtlos schlagen, wenn ich aus meiner Höhle hinauswolte, nur um dir was zu essen und zu trinken zu beschaffen."

"Wie, kannst du mich nicht mit deinem magischen Blick niederhalten. Hallitti konnte das", wagte Julius eine dreiste Provokation. Das verärgerte die Abgrundstochter sichtlich. Offenbar hatte Julius da etwas für sie sehr unangenehmes angetippt. Das konnte ihm gefährlich werden. Doch jetzt war es gesagt und konnte nicht mehr zurückgenommen werden.

"Ich darf dich nicht unter meinen Willen zwingen, Julius. Wenn du mein Sohn sein willst, dann, weil du es von dir aus willst. Auch wir Töchter Lahilliotas sind an gewisse Regeln gebunden, allein schon, um sicherzustellen, nicht jedesmal schwanger zu werden, wenn ein Widersacher von uns in unseren Lebenskraftkrügen sein unwürdiges Dasein aushaucht. Aber wenn ich dich hier bei mir festhalten muß, bis Hallitti wieder eigenständig handeln kann, wird sie sich grausam rächen, erst an denen, an die sie rankommt, deine Freunde, Bekannten, deine Mutter, die Frau, mit der du dich hast zusammensprechen lassen und dein Fleisch und Blut, bis niemand mehr übrig ist. Wenn du dann in die Welt der Kurzlebigen zurückkehrst wirst du niemanden mehr finden, der dir was bedeutet hat." Da mochte dieses Frauenzimmer wohl leider recht haben.

"Was ist dir denn so wichtig daran, daß deine Schwester mich nicht kriegt, Tochter des schwarzen Wassers?" wollte Julius wissen.

"Das ich nicht die Unterworfene meiner eigenen Schwester sein will, das einzige denkende Wesen auf dieser Welt, wenn alle Menschen tot oder zu entseelten wandelnden Hüllen gemacht sein werden. Denn genau das würde passieren, wenn Ilithula dich und dann noch das Machtmittel in ihre Gewalt bekommt, um alle Winde der Welt und alle Feuer innerhalb und außerhalb der Erdkugel zu lenken."

"Meine Verwandten können sich wehren, meine Bekannten auch", erwiderte Julius. "Außerdem können sie sich an einen unüberwindlich geschützten Ort zurückziehen."

"Glaubst du. Aber essen und trinken müssen sie doch, und jemanden, der für sie Nahrung erzeugt muß es auch geben", erwiderte die Abgrundstochter. "Ich will nicht, daß Ilithula so stark wird, daß sie mit einem Gedanken oder einer Handlung die ganze Welt entvölkern kann. Denn sie weiß nicht, wie dieses Werkzeug zu benutzen ist."

"Wer sagt euch, daß es auf der Erde ist?" fragte Julius nach zwei Sekunden. "Es könnte doch genauso mit den grauen Vögeln zusammen verschwunden sein." Diese Antwort schien der sonst so ruhigen, ja freundlich tuenden Abgrundstochter doch zuzusetzen. Julius dachte kurz, daß die Flöte Ailanorars ja auch noch immer in der Himmelsburg geblieben wäre, wenn Ailanorars darin gebettetes Ich nicht verlangt hätte, daß er sie wieder an sich nahm. Einige Sekunden lang schwieg die Abgrundstochter. Julius hatte sogar den nicht ganz so ungefähren Eindruck, als müsse sie in sich hineinlauschen, was sie nun machen sollte. So ähnlich konnten Hexen und Zauberer aussehen, die mentiloquierten. Als sie offenbar eine Antwort gefunden hatte sagte die Herrin dieser Höhle:

"Wenn dem so wäre, so wird sie es nur dann glauben, wenn sie weiß, daß der, der die Vögel rief, nicht mehr auf der Erde lebt. Auf jeden Fall will sie dich haben, um dich mit Hallitti zusammen neu zur Welt zu bringen. Willst du das, eine Zwillingsschwester haben, die euer ganzes, dann ewiges Leben lang mit Verachtung und Überlegenheit auf dich herabblickt? Oder willlst du lieber in Ilithulas Lebenskrug zerfließen und im Fleisch Hallittis aufgehen?"

"Dein Angebot ist nicht wirklich besser, Abgrundstochter. Allein schon, daß dein Diener oder deine Dienerin mir alles hat abnehmen können, was an und für sich diebstahlsicher war, zeigt mir, daß ich dir nicht trauen darf."

"Mein Diener hatte die Anweisung, dafür zu sorgen, daß niemand deinen Weg zu mir verfolgen kann. Deshalb mußte er dir alles abnehmen. Ich zog dir die Kleidung aus, damit ich sicherstellen konnte, daß du unverletzt bist. Mein Diener deutete an, daß es bei der Reise vielleicht ein wenig holperig geworden sein kann." Holperig? Das konnte also nur ein Portschlüssel gewesen sein. Julius hatte erst gedacht, der Diener oder die Dienerin Itoluhilas hätte ihn sich über die Schulter geworfen und sei appariert. Andererseits war ein Portschlüssel für größere und präzisere Reisen besser, wenn mehr als zwei Personen transportiert werden sollten. Also war es ein Portschlüssel, mit dem er hergeschafft worden war, wo immer er jetzt war.

"Achso, und deshalb hat dieser Leibsklave mir sogar die Uhr abgenommen. Wo hat er oder sie meine Sachen hingetan?"

"Soweit ich weiß in einen gesicherten Schrank, wo sonst niemand herankommt. Daß die unstehlbaren Sachen doch genommen werden konnten liegt einfach daran, daß mein Diener einen Teil meiner eigenen Kraft übertragen bekommen hat." Die Erklärung mußte Julius erst einmal abkaufen.

"Achso, und mit mir kannst, willst oder darfst du das nicht so machen?" stieß Julius aus.

"Aus dem einfachen Grund, daß ich zwölf Jahre nach Wahl eines mit meiner Kraft gesegneten Dieners einen weiteren erwählen und mit meiner Kraft stärken kann und der letzte von mir so erwählte vor elf Jahren in meine Dienste trat. Ich muß also noch ein Jahr verstreichen lassen, was für mich nur ein kurzer Augenblick ist, aber unbedingt eingehalten werden muß. Wenn du dich aber freiwillig dazu bereitfindest, dich in meinen schützenden Schoß zu legen und dort neu heranzuwachsen, würdest du nicht nur einen Teil meiner Kraft erhalten, sondern auch deine eigenen Zauberkräfte dazugewinnen und somit mächtig genug sein, um dich gegen Ilithula und Hallitti zusammen zur Wehr setzen zu können. Aber ich erkenne, daß das alles zu viel auf einmal für dich ist und ..." Julius sah, wie die Abgrundstochter zusammenfuhr, erst erschrocken und dann wütend dreinschaute. Dann sah es so aus, als kämpfe sie gegen einen unsichtbaren Gegner. Vielleicht war das auch so. Doch wer griff sie an? War es jemand, der Julius suchen und retten wollte? War es vielleicht Temmie zusammen mit Camille, die ja einen Heilsstern trug? Oder war es nur die andere Abgrundsschwester, die der hier vor Julius zusetzte? Eine Minute dauerte dieser Kampf. Dann stieß die Abgrundstochter aus: "Sie versucht, mich anzugreifen, weil sie ahnt, daß ich weiß, wo du bist, Julius. Ich muß mich gegen sie wehren. Das kann dauern. Solange hast du Bedenkzeit." Sprach's und sprang in den gewaltigen Krug hinein. Einen Moment konnte Julius es orangerot aufleuchten sehen. Dann landete der große Deckel mit lautem Klong auf dem Krug. Das goldene Leuchten wurde ein wenig schwächer. Julius fragte sich, ob das jetzt eine Hinhaltetaktik war. Die konnte ihn hier und jetzt doch glatt verhungern lassen. Und wenn es stimmte, daß sie gegen ihre Schwester ein magisches Fernduell kämpfte, dann konnte das tagelang dauern, bis die eine oder die andere gewonnen hatte. Jetzt wurde es ihm doch ganz anders. Er war gefangen und allein. Was hätte es gebracht, an den Krug zu klopfen? Womöglich befand sich dieses Abgrundsweib gerade in einem Zwischenstadium zwischen Körper und Energie und hörte nichts von der stofflichen Außenwelt. Dann mußte er daran denken, was dieses Biest ihm mal soeben unter das gerade nicht vorhandene Hemd gejubelt hatte. Die Abgrundstöchter jagten seine Verwandten. Egal, wie lange er alleine durchhielt, seine Mutter, seine Frau, die kleine Aurore und alle anderen, die er liebte, konnten in dieser Zeit locker getötet werden, wenn nicht daran gedacht wurde, sie vor ihn hinzubringen und unter seinen Augen zu foltern oder umzubringen. Die Aussicht, am Ende so oder so verloren zu haben nagte an ihm. Er vergaß dabei fast, sein Lied des inneren Friedens zu denken, um zumindest keine von außen erfaßbaren Gedanken abzustrahlen.

Julius sah sich um. Das war im Moment das einzige, was er machen konnte. Da entdeckte er hinter dem Lebenskrug der Abgrundstochter seine Kleidung. Er nahm sie und untersuchte sie. Er hoffte, daß wer immer ihn hergeschafft hatte die Kleidung nicht mit Gift oder einem Fluch wie Schmelzfeuer verdorben hatte. Doch ganz nackt wollte er nicht hier herumstehen oder sitzen. Auch wenn seine gefährliche Gefängniswärterin gerade in ihrem magischen Schlummerkrug steckte, wollte er nicht völlig blank und wehrlos herumstehen. Wenn sie sich doch überlegte, ihrer verfluchten Natur zu folgen und ihn sich nehmen wollte, dann sollte sie zumindest kein leichtes Spiel haben.

Das Ankleiden hatte Julius' trübe Gedanken für wenige Minuten vertrieben. Doch nun kehrten sie um so deutlicher zurück. Er war gefangener einer der Abgrundstöchter. Ob es wirklich Itoluhila, die Schwester des schwarzen Wassers, war oder die, von der sie behauptete, es sei ihre Schwester, war eigentlich unwichtig. Julius glaubte auf jeden Fall, daß die Windsbraut Ilithula hinter dem Rufer der Wolkenhüter her war. Damit hätte er doch eigentlich rechnen müssen. Dann war er zumindest schon einmal sichergestellt, von welcher auch immer. Seinen Zauberstab hatte der Mensch, der dieser Höllenbraut in dem Krug da vor ihm diente ihm weggenommen. Doch selbst mit dem Zauberstab hätte er in der geschlossenen Höhle nichts ausrichten können. Das hatte das ungewollte Rendezvous mit Hallitti ihm überdeutlich vorgeführt. Sollte er jetzt hoffen, daß wieder die Spinnenschwestern ihn suchten, ja ihn mal wieder an einer langen, unsichtbaren Angelschnur hielten, weil Anthelia/Naaneavargia damit rechnete, daß jene, die Hallitti neu zur Welt bringen wollte, ihn sich holen kommen würde, unabhängig davon, ob sie wußte, daß er die Wolkenhüter gerufen hatte? Er hoffte aber eher, daß der oder die, welcher oder welche ihn hierher geschafft hatte, mit dem Wegnehmen des Herzanhängers den entscheidenden Fehler begangen hatte. Denn Millie wußte jetzt auf jeden Fall, daß ihm was passiert war. Sie würde alle Wichtel aufs Dach jagen, um ihm zu helfen. Das war seine Hoffnung. Doch wenn sie dazu gezwungen war, im Apfelhaus oder dem Château Tournesol zu bleiben konnte sie ihm nicht wirklich helfen. Sie konnte aber denen bescheidgeben, die ihm helfen konnten. Darauf setzte Julius nun all seine Hoffnung.

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Der Wirt des grünen Kobolds sah die rotblonde junge Frau, die fast zwei Köpfe größer als er selbst war. Sie trug einen himmelblauen Umhang und strahlte Selbstsicherheit und Stärke aus. Mr. Bitterling, der Urgroßneffe der berühmten Zaubertrank- und Fluchexpertin, trocknete rasch noch ein gerade gespültes Glas ab und stellte es zu den anderen sauberen Gläsern. Da stand sie vor ihm. Sie trug nur den Umhang, aus dem das hintere Ende eines Zauberstabs herauslugte. Sie sah den Wirt mit ihren rehbraunen Augen an und sagte in bestem Englisch:

"Entschuldigung, Sir. Mein Name ist Millie Latierre, ich bin hier mit meinem Mann Julius verabredet. Er hat mich gebeten, hier auf ihn zu warten. Haben Sie ihn schon gesehen, einen großen, hellblonden Zauberer im dunkelblauen Ausgehumhang?"

"Julius Latierre? Natürlich habe ich den gesehen. Der ist ja vor ein paar Stunden hergekommen", sagte der Wirt. Ihm war nicht so wohl. Sollte er diesem halben Mädchen da jetzt auf die Nase binden, daß ihr früh angetrauter aus dem Gemeindehaus verschwunden war, nachdem da alle einem tückischen Betäubungsgas zum Opfer gefallen waren? Er dachte aber, daß er das gerne den Ministerialzauberern überlassen durfte, wenn die von sich aus zu ihm kamen. So sagte er: "Er hat aber nicht gesagt, wie lange es dauert. Eine nicht ganz offizielle Unterredung. Wundert mich, daß er Ihnen davon erzählt hat."

"Der hat mir nicht erzählt, was er hier will. Der hat mir nur gesagt, daß er mich hier gerne treffen möchte", sagte die junge Hexe ganz ruhig. Doch irgendwie sah Mr. Bitterling es an ihren Augen, daß sie doch etwas angespannt wirkte, als fühle sie sich von irgendwelchen Gegnern bedroht, die sie im Moment nicht sehen konnte. Doch weil sie das wohl merkte lächelte sie ihn nun sehr frei heraus an und sagte: "Er hat mir auch nur gesagt, daß es für seinen Beruf wichtig sei, aber er mir gerne diesen Ort zeigen wolle, wenn er mit seinen Angelegenheiten fertig ist. Er meinte auch, ich könnte hier vielleicht die berühmte Zaubertrankexpertin Semiramis Bitterling treffen. Das wäre für mich auch eine sehr interessante Sache, wo ich ja auch Pflegehelferin in Beauxbatons war." Mr. Bitterling ergriff diesen Satz wie einen Strohhalm und fragte Millie, was diese Pflegehelfer denn so tun mußten. Er erwähnte dann auch, daß es sowas in Hogwarts nicht gab, worauf sie antwortete, daß ihr Mann ihr das auch erzählt habe. Dann wollte sie von ihm wissen, was sie bis zu Julius' oder Madam Bitterlings Ankunft essen und trinken könne. Der Wirt empfahl ihr Butterbier und sein hausgemachtes Hühnerfrikassee. Die Besucherin willigte ein und nahm an einem der freien Tische Platz. Einer der Gäste ging wie um sein leeres Glas abzuliefern an die Theke und raunte fast unhörbar:

"Zu feige, der Latierre zu stecken, daß ihr Süßer abhandengekommen ist, Woody?"

"Das sollen Shacklebolts Leute der sagen, Al. Halt dich da besser raus!"

"Das eh, Woody. Mach mir da noch mal deinen Supermet rein!" Den letzten Satz hatte er so laut gesprochen, daß jeder im Gasthaus es hören konnte. Der Wirt kam dieser Aufforderung all zu bereitwillig nach.

Millie Latierre bekam zwar mit, daß der Gast am Tresen noch mehr zu dem Wirt gesagt hatte. Doch was es war sollte sie nicht interessieren. Sie hatte sich vorgestellt und hier ganz offen hingesetzt. Wenn stimmte, was ihr der zurückverjüngte Knurrwichtel aufgetischt hatte, dann mußte die Entführerin ihres Mannes reagieren. Sie war froh, sich für den Glückstrank statt für Dusty entschieden zu haben. Sie aß das Frikassee und stellte fest, daß es tatsächlich zu empfehlen war. Das Butterbier trank sie sehr behutsam, fast wie teuren Champagner. Wenn sie wirklich wieder ein Kind trug mußte sie mit dem Alkohol, auch wenn es im Butterbier wenig war, sehr behutsam sein, am besten gar keinen mehr trinken, bis sie wußte, daß sie doch nicht schwanger war. Aber jetzt keinen Alkohol zu trinken wäre auch verdächtig gewesen.

Sie vertrieb sich die Zeit damit, die anderen Gäste genauso zu studieren wie diese sie ansahen. Zwischendurch mentiloquierte sie mit Camille, die zusammen mit diesem Adrian Moonriver auch im Gasthaus Aufstellung genommen hatte. Ihr konnte also gar nichts passieren, ob mit oder ohne den Trank, der ihr einen halben Tag Erfolg und Rettung aus Gefahrensituationen bot.

Als dann endlich die Tür aufging und eine schwarzgelockte Frau im langen, fließenden Umhang eintrat, mußte sie Julius' Selbstbeherrschungsformel denken, um sich ihre Anspannung nicht anmerken zu lassen. Eine starke Intuition trieb sie dazu, so freundlich wie möglich aufzutreten. Zur Sicherheit verhüllte sie Ihre Gedanken noch. Als Semiramis Bitterling auf zwei Meter nahe kam fühlte Millie einen kurzen Stoß aus ihrer rechten Umhangtasche. Sie wußte, daß sie die Entführerin vor sich hatte. Ab jetzt mußte sie sehr aufmerksam sein.

"Oh, sind sie nicht Madame Latierre, Mildrid?" begrüßte die Zaubertrankexpertin die französische Hexe freundlich klingend. Doch Millie vermeinte, eine gewisse Belauerung herauszuhören. Das konnte eine Wirkung des von ihr geschluckten Trankes sein, der ihr zur Vorsicht riet. Millie begrüßte sie mit der Höflichkeit, die einer älteren Hexe von einer jüngeren zusteht. sie verwickelte die Zaubertrankexpertin in eine Unterhaltung, in der sie einflocht, wie groß ihre Bewunderung für diese ehemalige Lehrerin war. Denn sie merkte, daß es Bitterling sicher gefiel, gelobt oder gar verehrt zu werden. Als sie hörte, daß ihr Mann spurlos verschwunden sei und die Teilnehmer der nichtöffentlichen Unterredung in Sorge waren, daß jemand die Veranstaltung sabotieren wollte, tat sie so, als habe sie jetzt erst davon gehört. Doch ihre Intuition verriet ihr, daß Semiramis Bitterling ihr das nicht abkaufte. Warum wohl? Millie dachte an den Herzanhänger. Wenn Bitterling nicht glaubte, daß sie jetzt erst von dem Verschwinden hörte, dann doch nur, weil sie wußte, daß es zwischen Millie und Julius eine Verbindung gab. Doch Millie blieb in der geplanten Rolle und gab die erschütterte Ehefrau. Sie wollte nun wissen, was Madam Bitterling mitbekommen hatte. So unterhielten sie sich einige Minuten. Millie wollte dann den Ort sehen, wo Julius verschwunden war. Scheinheilig, wie Millie fand, willigte Semiramis ein. Sie konnte ja nicht wissen, daß in Millies Körper der hilfreiche Zaubertrank Felix Felicis wirkte. Der würde ihr hoffentlich früh genug verraten, ob es ratsam war, das Gemeindehaus zu betreten.

"Was ist denn jetzt mit der schwarzen Spinne. Konnten Sie sie verjagen?" wollte der Wirt des Pubs noch von Semiramis wissen. Diese erwiderte, daß ihr Haus sie ohne Schwierigkeiten abgewehrt habe und daß Minister Shacklebolt von ihr noch einen genauen Bericht zuzüglich einer offiziellen Anzeige wegen Hausfriedensbruches in Tatmehrheit mit versuchter Körperverletzung oder versuchten Mordes erhalten würde. "Damit kann sich diese Heuchlerin ihre dürftige Übereinkunft mit den Yankees in ihre Spinnenbeinhaare schmieren", mußte sie noch anbringen." dann meinte sie noch zu Millie, daß es dieser Verruchten zuzutrauen war, Julius entführt zu haben. Millie überhörte es. Nur daß Anthelia/Naaneavargia Bitterling angegriffen hatte glaubte sie. Also hatte die Spinnenhexe längst Wind davon bekommen, daß etwas in Upper Flagley abgehen sollte und wohl versucht, Bitterling zu überwältigen. Das hatte wohl nicht geklappt. Millie hoffte, daß sie nicht gleich auch eine herbe Niederlage einstecken mußte.

Der Weg zum Gemeindehaus verlief ohne viele Worte. Millie sah, daß niemand in der Halle war und im Umkreis von hundrt Schritten auch niemand zu sehen war. Madam Bitterling lächelte. Sie öffnete die Tür. Millie stand einen Moment ganz ruhig da. Als die Tür jedoch offenstand hatte sie die untrügliche Empfindung, die andere Hexe jetzt überwältigen zu können, da diese selbst hoffte, Millie würde ihr in die Falle gehen. So glitt sie sachte zur Seite, sodaß Semiramis Bitterling zwischen sie und die Hauswand geriet. Dann prallte Milie ansatzlos gegen die Zaubertrankbrauerin. Diese reagierte zwar, aber eine Zehntelsekunde zu spät. Denn als wäre es Millie in die Hand gesprungen, zog sie in dieser Zeit ein silbernes Kreuz aus ihrer Umhangtasche hervor, von dem aus goldene Funken sprühten, ähnlich wie bei Felix Felicis. Das Kreuz verströmte Schauer von Kälte und Hitze. Es reagierte auf etwas, daß schlummernde Kräfte kitzelte. Semiramis versuchte, Millie von sich zu stoßen. Doch mit einer Anmut, die einer Hochgeschwindigkeitsballerina Ehre gemacht hätte, gab Millie gerade mal so weit nach und drehte sich dabei so schnell aus der Stoßrichtung, daß Bitterlings Arme mit voller Wucht ins Leere stießen. Millie schwang ihre rechte Faust, aber nicht zum zuschlagen, sondern nur, um die dünne Kette, an der das magisch aufgeladene Kreuz befestigt war, wie ein Lasso ausspannen zu lassen. Ihre Gegnerin versuchte, sich vor ihr wegzuducken. Doch mit der linken Faust drückte Millie ihr den Kopf gerade soweit hoch, daß die Kette darüberglitt und sich um ihren Nacken legte. Da traf das silberne Kleinod die Brust Madam Bitterlings. Die goldenen Funken wurden auf einmal zu violetten und dann zu blau-goldenen Blitzen, die um Semiramis Bitterling herumzuckten. Diese schrie laut auf und versuchte, sich das ihr umgehängte Kreuz abzureißen. Millie wich indes mit einem geschmeidigen Rückwärtssprung zwei Meter zurück. Dann verdichtete sich das blaue und goldene Blitzgewitter noch mehr. Dann passierte es. Semiramis Bitterling wurde auf einmal immer durchsichtiger. Ihre Konturen verschwammen im violetten, blauen und goldenen Licht. Dann löste sie sich in einer nervenaufreibenden Langsamkeit auf, bis am Ende nur noch eine Wolke aus goldenen Funken verblieb. In diesen Prozeß hinein riß Camille ihren Heilsstern hervor, rief Adrian, er solle sie irgendwo zu fassen kriegen und rief "Daramatani Darvasanori!" Die gerade noch tanzenden Funken flogen zu Camilles Heilsstern, der nun selbst in blauen und goldenen Blitzen erstrahlte und die Unsichtbarkeit aufhob. Auch Adrian Moonriver wurde sichtbar und hielt seinen Heilsstern, der sein Licht mit dem Camilles vereinte. Keine Sekunde später waren beide in einem goldenen Blitz verschwunden. Millie stand alleine vor der Halle. Sie fühlte unbändige Zuversicht. Sie hatte das richtige getan. Sie beschloß, hier zu warten, egal was in den nächsten Minuten oder Stunden geschah. Sie zeichnete sich einen Stuhl und setzte sich. Da tauchte aus dem Nichts eine rothaarige Hexe auf. Millie erkannte sie sofort. Es war Ceridwen Barley.

"Ich habe es mir doch glatt gedacht, daß dieses Biest mit irgendeiner bösartigen Magie aufgeladen war. Oh, Entschuldigung, ich war unhöflich! Freut mich, Sie wiederzusehen, Madame Latierre", sagte Ceridwen auf Französisch. Millie fühlte, daß es besser war, ihr nicht auf die Nase zu binden, was hier gerade genau ablief. Alles mußte Ceridwen auch nicht wissen. So sagte sie nur: "Es war nur ein Versuch. Ich habe gehofft, daß wir uns irren. Ob es was gebracht hat weiß ich leider nicht."

"Ich habe zumindest gesehen, daß mein Geschenk an Sie richtig platziert war. Ich hoffe auch, daß Sie Ihren Mann unversehrt an Geist und Körper wiederbekommen", sagte die Expertin für verschiedene Felder der Magie. Dann sagte sie noch: "Wenn es klappt, und Ihr Mann wieder bei Ihnen und der kleinen Aurore ist, kann er mir gerne schreiben, falls er das möchte." Dann verschwand Ceridwen wieder mit leisem Plopp. Millie blieb allein zurück. Was wußte Ceridwen? Besser, was hatte sie gewußt?

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Julius hatte die Zeit genutzt, sich ein wenig auszuruhen. Doch er vergaß dabei nicht, das Lied des inneren Friedens zu denken. Dabei fiel ihm auch immer wieder die Mahnung ein, die der zur Ewigen Säuglingszeit verurteilte Madrashtargayan ihm mitgegeben hatte: "laß dich auf nichts ein, was dich wieder klein macht, das jemand meint, dich erst in sich rumkullern zu können und dann in irgendwelches enge Zeug reinstopfen und wohin tragen kann, wo du nicht hinwillst!" Wußte der als körperlich drei Monate alt gebliebene, geistig aber tausend Jahre alt gewordene Altmeister damals schon, daß Julius in diese Lage geraten würde? Sicher wußten die Altmeister alles, was in der Welt geschah. Sie durften nur nicht alles verraten. Also konnte das der einzige zulässige Hinweis auf die drohende Gefahr gewesen sein. Julius keuchte. Ja, so mußte es sein. Die Altmeister hatten mitbekommen, was geschah und wußten auch, wie eine Abgrundstochter ins Leben zurückkehren konnte. Julius sollte sich entscheiden, ob er der Sohn einer Abgrundstochter werden wollte. Angeblich konnte dieses Weib da vor ihm in ihrem Krug ihn nicht dazu zwingen, nicht mit ihrer Magie und nicht mit körperlicher Gewalt. Doch wenn sie ihn mit dem Leben seiner Liebsten erpreßte? "laß dich auf nichts ein, was dich wieder klein macht, das jemand meint, dich erst in sich rumkullern zu können und dann in irgendwelches enge Zeug reinstopfen und wohin tragen kann, wo du nicht hinwillst!" Diese Mahnung Madrashtargayans hämmerte in seinem Kopf. Von dem hatte er das Lied des inneren Friedens gelernt. Was brachte es Millie und seiner Mutter, wenn er sich darauf einließ, sich kleinmachen und von seiner Gefängniswärterin herumkullern zu lassen? Am Ende wollte er noch selbst, daß seine leibliche Mutter starb. Nachher wollte er Millie und Aurore eigenhändig umbringen. Menschen, die zu Vampiren wurden, empfanden ihr menschliches Vorleben als unwichtige oder belastende Zeit. Wenn dieses Weib da ... Der Deckel löste sich vom Krug. Der Krug selbst leuchtete wieder heller. Wie aus flammenloser Glut entstieg die nackte Abgrundstochter ihrem Ruhe- und Überdauerungsbehälter.

"Hast du dir in der Zeit, die ich mit meiner Schwester gestritten habe überlegt, ob du mein Angebot annehmen möchtest? Hier herauslassen kann und will ich dich jedenfalls nicht." Das war eindeutig, fand Julius. Sie wußte, daß er ihr nichts anhaben und ihr auch nicht entwischen konnte. Sie bot ihm also an, entweder sich ihr vollständig auszuliefern oder unter ihren Augen zu verhungern. Er sah sie trotzig an und dachte noch einmal das Lied des inneren Friedens, um vor ihrem magischen Blick sicher zu sein. Er hielt sie nun förmlich hin, wie sie ihn hingehalten hatte. Dabei dachte er daran, ob er wirklich eine andere Wahl hatte. Was brachte es Millie und Aurore, wenn er verhungerte? Was brachte es den beiden, wenn die andere wache Abgrundsschwester nach ihnen suchte, um sie als Druckmittel einzusetzen, womöglich zusammen mit Hallitti? Konnte er der da vor ihm jetzt das Versprechen abtrotzen, daß sie nicht von sich aus gegen seine Familie vorging oder ihn dazu anhielt, seine Angehörigen umzubringen oder zu unterwerfen? Doch er erkannte, daß er überhaupt kein Druckmittel oder Angebot in der Hand hatte, um dieses grünäugige Wesen da zu irgendwas zu bringen, was es nicht wollte. Wo er die grünen Augen der Anderen sah fiel ihm mit der Wucht eines einschlagenden Blitzes ein, was er an ihr nicht so recht passend empfunden hatte. Itoluhila, die Tochter des schwarzen Wassers, sollte laut Zeugenaussagen blaue Augen gehabt haben. Zwar waren die Abgrundstöchter Meisterinnen der Verwandlung und Illusion. Doch warum sollte Itoluhila beim Kampf gegen Volakin maskiert auftreten. Dieses Wesen da besaß grüne Augen. Also war es nicht Itoluhila! Als er das sonnenklar erkannte, wußte er, was er zu tun hatte. Er straffte sich und öffnete den Mund zu einer entschlossenen, unumstößlichen Entscheidung:

"Ich will lieber hier verhungern, als mich von dir oder Ilithula kleinmachen zu lassen, wenn du nicht diese Ilithula bist. Denn Itoluhila hat meiner Erinnerung nach blaue Augen und kein Kleinmädchengesicht." Die Abgrundstochter erschrak regelrecht. Julius vermutete, daß ihr nun aufging, daß er wußte, wie die einzelnen Abgrundstöchter aussahen. Er sah regelrechte Panik in dem Kindergesicht der braunhäutigen Schönen. Na klar! Die wußte nun, daß er sich niemals auf sie einlassen würde, wo er wußte, wer sie war. "Ah, habe ich dich erwischt, was, Windsbraut?" triumphierte Julius.

Die Abgrundstochter keuchte und wand sich. Sie schien erneut gegen irgendwen oder irgendwas anzukämpfen, daß ihr diesmal wesentlich mehr zusetzte als vorhin, wo sie behauptet hatte, ihre Schwester habe sie angegriffen. Dann hörte Julius wie aus dem Nichts eingeblendet einen gellenden Schmerzensschrei. Als er sich schnell umdrehte sah er eine menschliche Gestalt, die von blauen und goldenen Blitzen umtost wurde und sich wie unter dem Cruciatus-Fluch wand und zuckte. Als er durch die Blitze das Gesicht und die Kleidung der mal eben in die Höhle hineingezauberten erkannte, mußte er verärgert schnauben. Doch dieses Wutschnauben ging unter dem schrillen Schrei unter. Er sah nun auch, woher die quälenden Entladungen kamen. Zwischen Brust- und Bauch lag ein blau und gold flackerndes Kreuz, aus dem die hellen Blitze abstrahlten und um die Herbeigezauberte und in sie hineinfuhren. Der Schrei wurde zu einem gequälten Wimmern und schluchzen. Die Blitze ließen deutlich nach. Nun konnte Julius erkennen, daß das an einer Kette hängende Kreuz aus Silber gemacht zu sein schien. Er mußte innerlich grinsen. Hatte da tatsächlich wer gedacht, das typische Abwehrzeichen gegen den Teufel und seine Dämonen mit starken weißmagischen Kräften aufzuladen? Julius rief: "Verdammt, dieses hinterhältige Weib!"

Die Abgrundstochter starrte auf das nun sehr schwach flackernde Ding auf dem Körper der Herbeigeholten. In ihrem Gesicht sah Julius Wut und verachtung. "Wer ist denn auf die Idee gekommen, das Symbol dieser Heuchlersekte mit einem Feindesbekämpfungszauber zu belegen?" lachte sie. Dann sprang sie vor und griff nach dem flackernden Kreuz. "Würde ich besser nicht anfassen, Irrlauftrulla", mußte Julius einen unpassenden Kommentar ablassen. Da zuckte ein Blitz aus dem Talisman und hüllte die Abgrundstochter vollständig ein. Einen Moment lang sah Julius wie in eine gläserne Statue hinein und erkannte ein verunsichertes Gesicht, von feuerroten Haaren umflossen. Goldene Augen blickten ihn irritiert an. Da war ihm endgültig klar, in was für eine perfide Falle er gelockt werden sollte. In dem Moment wurde die hier hausende Abgrundstochter wieder undurchsichtig. Daß Julius ihr förmlich in den Bauch gesehen hatte interessierte sie offenbar nicht. Denn sie hielt das in ihrer Hand zuckende Kreuz hoch und schnaubte: "Hier drinnen nicht!" Dann schleuderte sie das Kreuz gegen die Höhlenwand. Es klirrte nun völlig ohne irgendwelche Lichtentladungen auf den Boden.

"Offenbar meinte wer, die alten Zauber meiner in alle Winde verblasenen Mutterschwester imitieren zu können und diese auf dieses lächerliche Stück Silber zu legen. Aber offenbar hat es gereicht, um ..." stieß die Abgrundstochter aus. Doch mitten im Satz verstummte sie und starrte mit Entsetzen auf den Körper von Semiramis Bitterling. Auch Julius sah es und war nicht minder entsetzt. Zehn Sekunden lang schien die Tochter des düsteren Windes nicht zu wissen, wie sie handeln mußte. Sie sah die nun für Julius enttarnte Dienerin. Deren Haar wurde immer Grauer. Falten gruben sich wie von einem unsichtbaren Meißel ins Gesicht der am Boden liegenden. Sie wimmerte und keuchte. Julius konnte nur zusehen, wie die achso respektable und langlebige Zaubertrank- und Fluchexpertin immer älter wurde, ja regelrecht dahinwelkte. Schon nahm ihr Haar einen immer helleren Ton an. Einzelne Zähne fielen ihr aus dem Mund und zersprangen auf dem Höhlenboden zu Staub. Offenbar hatte das Kreuz eine zerstörerische Magie entwickelt, wie es in achso vielen Gruselgeschichten immer gerne erzählt wurde. Oder war es so, daß eine bösartige, ihren Körper konservierende Magie zerstört worden war und nun alle aufgehaltenen Alterungsvorgänge mit einem Schlag einsetzten, um die erkaufte Zeit wieder einzuholen? Die Grünäugige blickte immer wieder auf ihre blitzalternde Dienerin und auf Julius. Offenbar wußte sie nicht, was sie tun sollte. Sie warf dem auf dem Boden liegenden Kreuz einen verächtlichen Blick zu. Dann packte sie die in Sekunden alternde Semiramis Bitterling und riß ihr die Kleidung vom Leib. Julius wollte nicht sehen, wie diese Hexe, die mit dunklen Mächten ihr Spiel getrieben hatte, ohne ihre Kleidung aussah. Erst als er hörte, wie die Abgrundstochter sie über den Rand des Kruges wuchtete wagte er es, wieder hinzusehen. Er konnte noch den freien, nun lederartig trockenen Oberkörper der dahinwelkenden Hexe sehen, bevor diese im Inneren des Krugs verschwand. Doch dabei geschah etwas, womit die Abgrundstochter sicher nicht gerechnet hatte. Goldene Funken flogen aus dem Krug heraus und schwirrten durch die Höhle. Sie bildeten eine flirrende Spirale, die ein Zentrum hatte, das auf dem Boden liegende Silberkreuz. Julius sah, daß die Funken aus dem Krug der Tochter Lahilliotas sichtlich zusetzten. Das silberne Kreuz saugte die Funken auf. Sie blieben an ihm kleben wie leuchtender Sternenstaub. Da kam Julius eine Idee. Er sprang vor, hoffte, daß seine Reaktion die Andere überraschte und tauchte nach dem die Funken aufsaugendem Kreuz. Er stieß seine rechte Hand vor. "Laß es liegen!" bellte die gequälte Abgrundstochter. Da hatte Julius aber schon die Hand an dem Kleinod und riß es an sich. Er fühlte einen Wärmestoß in sich hineinjagen und sah, daß um seinen Arm ein Goldener Schimmer entstand. Er hängte sich das nun wieder golden glimmende Kreuz um und erkannte, daß er von Kopf bis Fuß in eine wenige Zentimeter in den Raum hinausragende goldene Aura eingehüllt war. "Laß das verdammte ..." stieß die Abgrundstochter noch aus. Doch da wandte sich Julius ihr zu. Er fühlte sich auf einmal nicht mehr hilflos und allein. Eine ähnliche Empfindung hatte er immer dann, wenn er in den Wirkungsbereich eines von Ashtarias Heilssternen geriet, ob bei Camille oder damals bei Adrian Moonriver. Sollte er es mal versuchen, die Schutzformel zu rufen? Doch auch so wurde die Abgrundstochter sichtlich davon gepeinigt. Sie schrak zurück. Sie brüllte ihn an, sie würde jeden töten, den er liebte, egal wann, egal wie. Er blieb ruhig. Die Siegelaura Darxandrias schützte ihn, und das nun auf seiner Brust leuchtende Kreuz glomm im Licht der goldenen Funken. Der Lebenskrug Ilithulas flackerte. Auch von außen flogen goldene Funken von ihm fort. Julius rang darum, seine Überlegenheit nicht zu zeigen. Doch es freute ihn, daß dieses Höllenweib sich offenbar das Eigentor des Jahrhunderts geschossen hatte. Da fühlte er eine starke Erschütterung.

Es war, als habe jemand mit einem großen Rammbock die Höhle getroffen. Gleichzeitig schrie die gepeinigte Abgrundstochter: "Das ist nicht wahr! Das kann nicht wahr sein!" Doch es war wahr. Eine fremde Kraft drang von außen in die sonst so absolut sichere Höhle ein, breitete sich immer mehr aus und brach die Höhle gänzlich auf. Julius sah, daß nun auch durch die Höhlenwand goldene Blitze schlugen, die zu zwei dauerhaft leuchtenden, immer breiter werdenden Strahlen wurden.

"Wie kann das sein", lamentierte Ilithula und machte Armbewegungen. Julius hörte ein wütendes Windgeheul und sah den Staub an Wänden und Boden zu immer mehr aufgewühltem Sand werden. Das gerade von ihm getragene Kreuz erzitterte, verlor jedoch nicht an Leuchtkraft. Auch die Julius umfließende Lichtaura blieb stabil. Von draußen erklang die Stimme eines Halbwüchsigen, vom Akzent her Engländer:

"Xarisobrin ashranin,
laishadri aigin, Arixi Naanaigin!"

Julius erkannte die Stimme des Rufers. Es war Adrian Moonriver, eben ein Träger des Erbes Ashtarias. Seine Anrufung löste ein Gewitter aus blauen und goldenen Blitzen aus, die durch die immer breiter gewordene Höhlenöffnung hereinschossen. Sie schwirrten lautlos durch die gesamte Höhle, trafen die Abgrundstochter und umzuckten Julius, der dabei fühlte, wie das strahlende Kreuz sich erwärmte. Die goldene Lichtaura um Julius Körper erweiterte sich. Die blauen und goldenen Blitze fingen sich in diesem goldenen Schein wie Fliegen im Spinnennetz. Sie verdichteten den goldenen Strahlenkranz und ließen das Kreuz immer heller aufglühen. Ilithula stieß unartikulierte Laute aus. Dunkler Nebel entstand vor ihrem Körper und wurde zu einer Säule aus wirbelnder Luft. Julius witterte eine Chance, sich aus der Gefahr zu befreien. Wenn er jetzt die Formel rief, die die volle Kraft eines Heilssterns entfaltete? "Jetzt noch nicht, Julius. Treib sie erst in ihren Krug!" dröhnte eine weibliche Stimme unter Julius Schädeldecke. Es war Temmies Gedankenstimme. Durch das Öffnen der Höhle war er nun für sie wieder erreichbar. So rief er: "Zurück in deinen Schlummerkrug, du Monster!" Dann fiel ihm ein, warum er von Ashtarias Kindern geträumt hatte. Er sollte ihre Namen kennen. Jetzt wußte er auch wozu. ""Im Namen Ashtarias und ihrer Kinder Sharvas, Isa, Mosan, Sorakan, Ariman, Ashgarat und Daramiria, geht beide schlafen, ihr Töchter Lahilliotas!" Bei den Namen Ariman, Isa und Daramiria vermeinte Julius, daß die von draußen hereindringenden Strahlen noch heller und auch das Kreuz immer gleißender wurde. Die blauen und goldenen Blitze erloschen zwar, doch war das nur, weil Julius offenbar eine stärkere Bündelung der ihm zur Verfügung gestellten Zauberkraft beschworen hatte. Ilithula brüllte wütend und versuchte, gegen die Kraft anzukämpfen, die sie zurücktrieb. Jetzt rief eine Frau vor der Höhle auf Französisch: "Im Namen Ashtarias, meiner Urmutter und meiner Stammmutter Daramiria, schlaft ein!" Jetzt kam auch noch ein zusätzlicher Kraftstrom dazu, der den ersten erheblich ergänzte. Ilithula schrie wütend und schlug wohl um sich. "Wir zertreten euch, ihr Kakerlakenbrut!" brüllte sie Julius an, der ihr offenbar am meisten zusetzte. Er rief:

""Was dein Angebot angeht, Ilithula, die Antwort ist nein. Ich habe schon zwei Mütter, meine leibliche und Ashtaria." Diese Offenbarung erschütterte Ilithula und die irgendwie in ihr geborgene Hallitti heftiger als die beschwörenden Worte von gerade eben. Noch einmal versuchte sie wohl, eine dunkle Windelementarmagie zu entfesseln. Doch auch diese verebbte, als sie mit der Aura von Julius und den beiden goldenen Strahlen von draußen zusammenprallte. Julius hatte die Frauenstimme erkannt. Das war Camille Dusoleil. Also hatte seine Hoffnung ihn nicht getrogen. Millie hatte die richtigen Leute auf die Suche nach ihm geschickt.

Die Abgrundstochter sprang förmlich in den großen Krug hinein. Julius hatte erst befürchtet, daß sie sich in ein Monster verwandeln würde, wie es Hallitti konnte. Doch vielleicht ging das gerade deshalb nicht, weil Ilithula ihre entkörperte Schwester mit sich herumtragen mußte. "Ihr werdet hnicht siegen! Wir werden nicht sterben!" rief Ilithula noch. Dann schloß sich mit einem lauten Klong der Deckel des Lebenskruges.

"Jetzt, Julius! Jetzt darfst du es rufen!" drang Temmies Gedankenstimme in Julius' Geist ein. Er ergriff das vor seiner Brust strahlende Kreuz, daß sich warm anfühlte. Er ging damit zu dem geschlossenen Lebenskrug. Einen Moment kam er sich albern vor. Sollte es jetzt wirklich wie in Gruselgeschichten laufen, wo ein Geisterjäger oder Exorzist den bösen Dämon mit einer Bannformel austrieb? Doch im Grunde war das hier genau die Situation, und der Augenblick war der richtige.

"Alaishadui Siri,
Alaishaduan a sogaharan Iri.
U Alaishaduim Godiri,
san Arwoxaran Laishandan Miri!" Schon nach dem ersten Wort fielen zwei weitere Stimmen in diese Anrufung ein, holten Julius Vorsprung ein und sangen mit ihm die zwei letzten Teile der Anrufung im Terzett. Als er mit seiner Anrufung durch war strahlte das Kreuz noch heller auf. Also war es wirklich ein Artefakt Ashtarias. Da flutete von beiden Heilssternen ein breiter goldener Lichtstrahl in die Höhle, verstärkte das goldene Glühen um Julius und teilte es in zwei immer konturgenauer gestaltete Erscheinungen, eine rotgoldene hinter Julius und eine weißgoldene vor ihm, die von den Energien aus drei Artefakten Ashtarias gespeist immer größer und gestaltlicher wurde. Julius sah alles um sich immer größer werden, den Krug, die Höhle und die beiden Lichtgestalten. Er schrumpfte zusammen, während das von ihm zur vollen Stärke aktivierte Kreuz aus seinen Händen glitt und dabei zu jenem weißgoldenen Schein wurde, aus dem heraus eine über vier Meter große Frauengestalt aus purem Licht entstand. Die rotgoldene Erscheinung barg Julius wie einen gerade wenige Stunden oder Tage alten Sohn in den Armen, während die gleißend goldene mit der Macht einer weithallenden Glocke Befehle gab, die Julius nur deshalb verstand, weil die rotgoldene Erscheinung ihn sicher in den Armen hielt.

"Vaterlose Kinder meiner Schwester, Ilithula und Hallitti, schlaft beide tief im Schoß der großen Mutter, bis erneut sie eins mit dem großen Vater Himmelsfeuer endet. Schlafet beide im Schoß der großen Mutter, bis erneut sie eins mit dem großen Vater Himmelsfeuer endet!" Da erschien über dem Lebenskrug eine zweite Gestalt, jedoch undeutlich und nur mit Kopf und Oberkörper. Julius sah, trotz der nebelhaften Erscheinung, daß diese Erscheinung eine große Ähnlichkeit mit der leuchtenden Gestalt Ashtarias besaß.

"Nein, Ashtaria", erscholl die Stimme der zweiten Frauengestalt, leiser aber dennoch entschlossen. "Du hast kein Recht, meine Kinder zu befehligen. Sie sollen leben. Verschwinde mit deiner Brut und lass meine Kinder leben!" Doch diese Aufforderung verklang immer mehr. Die Erscheinung über dem Krug verblaßte und wich durch den geschlossenen Deckel in den Krug zurück. Jetzt begann Ashtaria zu singen. Der Gesang enthielt ihre letzten Anweisungen an die beiden Schwestern. Dabei legte sie die Hände auf den Krug, um den herum auf einmal goldene Lichtspiralen kreisten, den Krug umwickelten und dann schlagartig wie einen schweren Steinbrocken durch reine Luft in die Tiefe stürzen ließen. Der mannshohe Krug der Abgrundstochter Ilithula raste in einem immer tiefer verlaufenden Schacht und wurde immer schneller. Die feste Materie der Erde wirkte nicht, nur die Schwerkraft und womöglich noch eine magische Abstoßung, die den Krug weiter und weiter, tiefer und tiefer von der Höhle entfernte. Dann erlosch der goldene Spiraltunnel. Die Höhle erbebte. Camille rief Julius von draußen zu, herauszukommen. Doch er hing immer noch eingeschrumpft in den Armen der rotgoldenen Gestalt: Ammayamiria. Die goldene, zweifelsohne Ashtaria selbst, wandte sich Julius zu und sagte mit einer Stimme, die selbst die anderen Heilssternträger verstanden: "Du hast dich standhaft, mutig und entschlossen gezeigt und damit bewiesen, daß du es wert bist, mein Sohn zu sein. Und du hast es erreicht, daß drei meiner Kinder dir beistanden. Dies ist die Grundlage meines Vermächtnisses. Auch wenn das Vermächtnis Lahilliotas ebenso unauslöschlich ist, so ist das meine dank euch stark genug, ihm entgegenzuwirken und damit die Welt vor der Gier und Gnadenlosigkeit der neun Töchter Lahilliotas zu schützen. Gehet nun in Frieden und lebt euer gesegnetes Leben weiter!" Ihre letzten Worte hallten noch lange von den Felsen der Umgebung wider, als Ashtaria schon zusammenschrumpfte und zu einem goldenen Stern wurde, erst so groß wie ein Wagenrad, dann wie ein Suppenteller, bis er die gewohnte Ausgangsgröße erreicht hatte. Dann erlosch sein Licht. Julius wurde von der ihn sicher haltenden Erscheinung auf den Boden gesetzt, die dann übergangslos verschwand. Vor dem wieder zur gewohnten Körpergröße angewachsenen Zauberer lag ein silbernes Pentagramm an einer Kette. Wo war das Kreuz?

"Er hat sich wieder in die Ausgangsform zurückverwandelt!" bellte Adrian. "Und jetzt komm raus da, bevor die restliche Magie aus der Höhle ist und die zusammenstürzt!" Julius packte den silbernen Stern und kletterte aus der Höhle heraus.

"Gut, schnell weg hier, bevor alles zusammenbricht!" zischte Julius. Offenbar hatte er das Erlebnis besser überstanden, als zu erwarten war. Camille deutete von Julius' gerade getragenen Stern zu ihrem und dem Adrians und rief: "Darvanori Darrokori!" Unvermittelt entstand ein goldener Lichttunnel um die drei Träger mächtiger Artefakte und trug sie davon. Julius fragte sich, woher Camille einen so mächtigen Transportzauber kannte. Doch dann wurde ihm klar, daß sie den und wohl noch ein paar Tricks mehr von Ianshira gelernt haben mußte.

Als sie wieder aus dem Tunnel herausfielen, standen sie vor jenem Haus, in dem die Zusammenkunft gewesen war. Julius sah als erstes seine Frau, die auf einem Stuhl vor dem Haus saß und bei seinem Erscheinen hocherfreut aufsprang und auf ihn zurannte.

"Eine Minute später hätten wir den Rückkehrzauber nicht machen dürfen", sagte Camille zu Adrian, während Millie und Julius einander umarmten und ungeniert auf den Mund küßten. Zehn Beamte des Zaubereiministeriums standen um sie herum und beobachteten das Spektakel. Dann trat ein Zauberer mit rotem Haarkranz und Brille an die Latierres heran und räusperte sich.

"Nichts für ungut, Madame und Monsieur Latierre", setzte er in seiner Heimatsprache an. "Aber wir möchten doch gerne noch die Angelegenheit zum Abschluß bringen. Dazu sollten wir allerdings nicht hier in der Öffentlichkeit miteinander reden. Ich denke, das ist ganz in Ihrem Sinne."

Julius löste sich aus der Umarmung mit seiner Frau und sah den Zauberer an. "Natürlich, Mr. Weasley. Mir und meinen Begleitern liegt eine Menge daran, daß die Angelegenheit möglichst diskret abgeschlossen wird." Der Leiter der Strafverfolgungsbehörde des britischen Zaubereiministeriums nickte und winkte dann mit seinem grün leuchtenden Zauberstab. Daraufhin erschien eine dunkelgrüne Limousine, in der fünf Ministeriumszauberer und Mr. Weasley, sowie Millie und Julius, Camille und Adrian bequem Platz fanden.

Eine halbe Stunde später trafen sie sich im Büro von Mr. Weasley. Dort machten die vier ihre Aussagen, wobei Millie so tat, als habe sie da erst von den Erben Ashtarias gehört. Das hatten sie und Camille so vereinbart, bevor sie nach Upper Flagley gereist waren. Adrian Moonriver wurde dazu befragt, seit wann er wisse, welche Bewandnis es mit seinem Talisman habe. Der äußerlich gerade erst siebzehn Jahre alt aussehende Zauberer sagte, daß er über die Herkunft seines Erbstückes von seinem Vater unterrichtet worden sei, aber nicht befugt sei, es allen zu verraten, was er darüber wisse. Ähnliches sagte Camille Dusoleil. Sie fügte nur hinzu, daß ihre Mutter, von der sie den silbernen Stern geerbt hatte, ihr was von mächtigen Feinden und Feindinnen erzählt habe. Daß damit die Abgrundstöchter gemeint waren erfuhr sie erst, nachdem die Begegnung zwischen Julius und Hallitti überstanden war. Julius erwähnte, daß er gehofft hatte, daß seine Frau nach der Trennung der gemeinsamen Herzanhängerverbindung die richtigen Schritte unternehmen würde und betonte, daß diese Hoffnung ihn nicht getrogen habe. Mr. Weasley erkannte, daß wohl nicht viel mehr über Ashtarias Kinder und deren Auftrag aus den vieren herauszuholen war, zumal sowohl Camille als auch Adrian bekundeten, daß sie den Auftrag hatten, Menschenleben zu schützen und keinem Menschen Schaden zuzufügen. Hier hakte Mr. Weasley jedoch ein und bezog sich auf Julius' Aussage, was mit Madam Bitterling passiert war. Julius betonte noch einmal, daß Madam Bitterling erst dann körperlich zu verfallen begonnen habe, als ihre unheimliche Gebieterin das Artefakt von ihr weggenommen habe, mit dem er am Ende aus Ilithulas Gewalt freigekommen war. Mr. Weasley notierte sich das alles und sagte: "Nun, außer uns hat niemand die magischen Ereignisse vor dem Gemeindehaus mitbekommen. Wir können diesen Vorfall also unter der Geheimhaltungsstufe S7 verzeichnen. Das heißt, daß außer meiner Abteilung und dem Zaubereiminister niemand davon Kenntnis erhält, wer die Erben Ashtarias sind. Den Tod von Madam Bitterling können und werden wir gemäß Ihrer Aussage, Monsieur Latierre, als von ihrer nichtmenschlichen Herrin herbeigeführt notieren, womit von einer möglichen Anklage wegen Entführung in Tatmehrheit mit Mord gegen Madame Dusoleil, Madame Latierre und dem werten Jüngling hier abgesehen werden kann." Er deutete auf Adrian Moonriver, der jedoch ganz gelassen dasaß. Julius bat dann noch darum, die ihm entwendeten Gegenstände zurückzuerhalten.

"Na ja, das ist nicht so leicht, weil Madam Bitterlings Haus mit mehreren verschiedenen Flüchen und Fallenzaubern umgeben ist. Ich habe aber die fünf in Upper Flagley verbliebenen Mitarbeiter darauf angesetzt, diese Hindernisse auszuräumen."

"Nichts für ungut. Aber in dem Haus könnte eine Art Selbstvernichtungszauber schlummern, der bei erfolgreicher Beseitigung der Außenabwehr in Kraft tritt", knurrte Adrian Moonriver. Mr. Weasley konnte das nicht ganz ausschließen. "Dann sollten da leute direkt ins Haus rein. ich mach das zusammen mit dem Burschen hier. Der hat ja noch den geborgten Stern um. Der dürfte ihn genauso beschützen wie meiner mich beschützt." Mr. Weasley sah Adrian verdrossen an. Doch dann nickte er. Julius stand auf und hielt sich bei Adrian Moonriver fest. Dieser reckte den Zauberstab nach oben und löste eine silberne Leuchtspirale aus. Diese ergriff auch Julius, und beide verschwanden.

Sie apparierten genau vor dem Haus. Um sie herum tobten gerade mächtige Entladungsblitze. Die Ministeriumsbeamten kämpften gegen die ortsgebundenen Fallen- und Abwehrzauber. Adrian hielt seinen Heilsstern gegen die Tür. Unvermittelt zischte es, und ein blauer Funkenvorhang leuchtete auf, wurde zu einer weißblauen Lichtwand und zerstob dann mit lautem Plopp. "Hat die echt einen Bakunin'schen Vorhang vor ihre Tür gehängt. Alle Achtung", knurrte Adrian. Julius wußte nicht, was ein Bakunin'scher Vorhang war. Doch er ging davon aus, daß dieser Zauber alle üblichen Öffnungs- und Sprengzauber abwehrte. Durch das Haus kamen sie ohne Probleme. Denn wenn doch irgendwo eine magische Falle lauerte, zerstob ihre Kraft an den unsichtbaren Auren der Heilssterne, von denen einer vorher noch ein silbernes Kreuz gewesen war und Julius offenbar genauso als einen erlaubten Nutzer anerkannte wie seinen rechtmäßigen Erben.

"Ah, das Studierzimmer", schnarrte Adrian, der sich wie ein Junge auf Schatzsuche fühlte. Als er die Tür mit dem Zauberstab untersucht hatte und dann mit Hilfe des Heilssterns eine unsichtbare Barriere durchbrochen hatte, folgte Julius. Auch ihn ließ die Barriere unter leisem Knistern und Knacken passieren. "Die hat sicher einen Unpassierbarkeitsfluch auf etwas abgestimmt, was nur sie am oder im Körper hat", schnaubte Adrian Moonriver. Dann deutete er auf einen Schrank. Adrian hob seinen Zauberstab und prüfte. Dann grummelte er: "Diesmal kein Fluch, sondern der Divitiae-Sanguinis-Zauber, ein reiner Schutzzauber für wichtige oder wertvolle Gegenstände." Julius nickte. Den kannte und konnte er auch. Adrian grummelte, daß er dagegen mit dem Heilsstern nichts machen konnte. Außerdem könnte es sein, daß der Schrank durch den Tod seiner Besitzerin bereits in Selbstvernichtungslaune sei. Julius nickte. Möglich war es. Da kam ihm die Idee, mit Temmie zu mentiloquieren. Die ferne und doch so gut erreichbare Gefährtin auf vier Beinen reagierte sofort. "Einen Schutzzauber kannst du nicht mit Ashtarias Magie brechen. Aber du kannst dein Eigentum herauszaubern, Julius. Du mußt dazu nur was von deinem Blut opfern und es um den Schrank verteilen und darin deine mit Diebstahlschutz versehenen Sachen hineinapportieren." Julius sagte Adrian, daß er seine eigenen Sachen wohl aus dem Schrank herauszaubern könne, weil er sie mit Diebstahlschutzzauber gesichert oder auf sich abgestimmt habe wie die Uhr und den Herzanhänger. Adrian überlegte und fragte, woher er das wisse. Julius sagte, er habe einiges gelernt, als er die alten Zauber gelernt habe. Adrian Moonriver grummelte, daß er diese Zauber auch lernen wolle. Dann meinte er: "Pech für dich, daß du im Moment keinen Zauberstab hast und ich meinen nicht aus der Hand gebe, wenn ich dafür nicht gewisse Zugeständnisse bekomme und ..." In dem Augenblick schwang der von Julius offen getragene Heilsstern vor und klirrte wie ein Eisenstück an einen Magneten gegen den Schrank. Dieser erglühte im blutroten Licht. Dann klickte es, und die Tür stand offen. Julius fühlte den Talisman wieder gegen seine Brust klatschen. Wie eingeschaltet umglühte ihn eine mehr als zwanzig Zentimeter in den Raum reichende Aura, die von Farbe und Helligkeit her absolut deckungsgleich mit dem roten Schimmer war, der den Schrank umgab. "So geht's auch", hörte Julius Temmies Gedankenstimme in sich. Er fragte erst gar nicht, warum sich der Heilsstern selbständig gemacht hatte. Adrian ging vor und wollte in den Schrank hineingreifen, als ein blutroter Blitz aus diesem herausschlug und ihn mal eben vier Schritte zurücktrug. Sein eigener Heilsstern glomm dabei nur kurz auf. Schimpfend kam Adrian wieder auf die Füße. Julius indes trat vor, sich absolut sicher, daß ihm nicht dasselbe blühen würde und griff mit der blutrot umleuchteten rechten nach dem Brustbeutel, der neben einem Gürtelfutteral, einem rubinroten Herz an einer Kette und der silbernen Armbanduhr lag. Er nahm den Brustbeutel heraus, in dem sehr wichtige und schwer zu ersetzende Sachen verstaut waren, falls Bitterling den Brustbeutel nicht leergeräumt hatte. Er hängte ihn sich um. Sofort fühlte er, wie eine Verbindung hergestellt wurde. Der Diebstahlschutz griff offenbar wieder. Julius griff dann nach dem Futteral mit seinem Zauberstab, und dann nach dem Herzanhänger. Als er diesen umhängte, fühlte er sofort das beruhigende Pulsieren und die warmen Ströme durch seinen Körper fließen. Dann erst nahm er die Uhr aus dem Schrank und band das Armband um. Dieses schloß sich sofort wieder wie sonst. Als Julius nichts mehr in dem Schrank sah, was eindeutig ihm gehörte, trat er zurück. Die rote Aura um seinen Körper erlosch wie ausgeschaltet. Gleichzeitig erlosch der blutrote Schimmer, der den Schrank umgeben hatte. Die Tür fiel lautstark zu. Julius probierte erneut den Heilsstern aus. Doch diesmal kam er gerade so nahe an den Schrank heran, wie die merkwürdige Aura vorhin in den Raum gestrahlt hatte. Weder der Talisman noch ein Körperteil von Julius kam durch die unsichtbare Barriere hindurch, die den Schrank nun umgab.

"Das ist soooo unfair!" schimpfte Adrian, der wohl versucht hatte, sich Julius zu nähern und doch nie näher als doppelte Armlänge an den Schrank herangekommen war. "Wieso hat das ausgeliehene Kreuz dir den Schrank zugänglich gemacht und mein Heilstern nicht?"

"Oh, das weiß der ehemalige Professor für die Verteidigung gegen dunkle Künste nicht?" stellte Julius eine Gegenfrage. Dann sagte er ganz ruhig: "Du wolltest an Sachen, die dir nicht gehörten, während ich nur mein gestohlenes Eigentum wiederhaben wollte. Das hat Ashtaria wohl mitbekommen und deshalb den gerade ausgeliehenen Heilsstern zum Schlüssel und deinen Zur Abwehrmauer gemacht. Außerdem hat dieser hier mit Madam Bitterlings Körper wechselgewirkt. Er hatte also sozusagen einen Lebens- oder Blutabdruck von ihr gespeichert, wie auch immer das genau gegangen ist. Aber eine andere logische Erklärung fällt mir nicht ein. Aber laut Sherlock Holmes muß nach dem Ausschluß alles unmöglichen ja alles was übrigbleibt die Wahrheit sein, auch wenn es noch so unwahrscheinlich ist."

"Hast du jetzt deinen ganzen Kram?" schnarrte Adrian, dem die Verärgerung offen ins Gesicht geschrieben stand. Julius machte kurze Bestandsaufnahme, während draußen lautes Pfeifen, Krachen, Zischen und Wummern erklang. Sein Brustbeutel enthielt noch alles, von den beiden Zaubertrankflaschen, über die drei Zweiwegspiegel, den Gringotts-Schlüssel bishin zu den Centinimus-Bibliotheken. Ob die Tränke noch soweit vollständig waren wollte er zu Hause prüfen. Immerhin hätte die werte Madam Bitterling genug Zeit gehabt, Proben davon zu ziehen, wobei sie Felix Felicis sicher auswendig kannte. Als es bedrohlich im Mauerwerk knirschte befand Adrian, sich nicht weiter ärgern zu dürfen und brachte sich und Julius wieder zurück ins Büro von Mr. Weasley.

Als sie dort aus einer silbernen Lichtspirale herausfielen wurde Julius gefragt, ob er auch alles wiederbekommen hatte. Er nickte den Anwesenden zu und zeigte seinen Zauberstab, die Weltzeituhr und den Practicus-Brustbeutel vor. Auch das rote Herz hing um seinen Hals und pulsierte, was vor allem seine Frau sichtlich erfreute.

"Ist dann noch irgendwas zu klären, Mr. Weasley?" fragte Adrian keck. Der Leiter der Strafverfolgungsbehörde wiegte den Kopf. Dann schüttelte er ihn. "Was Sie, Mr. Moonriver, noch zu klären haben betrifft dann wohl eher Professor McGonagall und Professor Barley. Aber das dürfen Sie dann alleine durchstehen", sagte Mr. Weasley.

"Mist, in Hogwarts ist gerade Abendessenszeit. Na ja, dann komme ich eben erst später wieder hin", grummelte Adrian Moonriver. Mr. Weasley wollte den vieren einen weiteren Ministeriumswagen vor die Tür beordern. Doch Adrian, Millie und Julius erwähnten, daß sie damit wohl kaum nach Frankreich fahren konnten. Sie verabschiedeten sich von Mr. Weasley. Dann verschwanden alle sich an den Händen haltenden Besucher in einer weit ausladenden Lichtspirale und mit scharfem Knall.

Durch die Appariersicherungen des Ministeriums hinaus und durch die des Château Florissants hindurch ging es zurück in Antoinettes Kaminzimmer, wo Julius die beiden verbliebenen Mitglieder des für ihn zusammengetrommelten Rettungstrupps kennenlernte. Es waren Antoinette Eauvive und eine Frau, von Haar und Hautfarbe her halbindianisch oder halbarabisch. Antoinette lächelte Julius sehr erfreut an und begrüßte ihn in ihrem Stammschloß. Dann stellte sie ihn und die Besucherin einander vor:

"Julius Latierre, dies ist die mexikanische Nachfahrin Ashtarias, Maria Valdez. Sie hat sich sehr freundlicherweise bereiterklärt, ihr schutzmächtiges Erbstück für deine Rettung zur Verfügung zu stellen, obwohl niemand wußte, ob es in der Hand eines anderen überhaupt seine Magie offenbaren würde. Señora Valdez, dies ist der junge Mann, dessenwegen wir Sie aus der sicheren Obhut meiner Verwandten haben holen müssen und hinter dem die Schwester jener Abgrundstochter her war, mit der Sie es auch schon zu tun hatten."

Als Julius erfuhr, daß das Kreuz Maria Valdez gehörte entschuldigte er sich erst, daß es wohl nicht mehr so war, wie sie es aus den Händen gegeben hatte. Dann gab er ihr den Heilsstern. Maria Valdez betrachtete ihn. Dann hängte sie ihn sich um. Da glühte der Stern auf, blähte sich auf Suppentellergröße auf, leuchtete als goldene Sonne und fiel wieder in sich zusammen. Zurück blieb das silberne Kreuz.

"Gut, dann habe ich ja doch keinen so großen Mist verzapft", scherzte Julius.

Nachdem nun alle froh und glücklich waren, daß Julius dem zweiten Angriff einer Abgrundstochter entronnen war, ohne daß diesmal die Spinnenschwestern ihm beistehen mußten, setzten sie sich zusammen, um die Erlebnisse zu besprechen.

"Hätte mir einer gerne schon wesentlich früher sagen dürfen, daß Hallitti wiedergeboren werden könnte", grummelte Julius, als Camille ihm eingestand, daß Catherine sie bereits im Januar gewarnt hatte. Sie sah ihn abbittend an und sagte: "Wir wußten es ja selbst nicht, was genau passieren würde. Catherine hat nur erwähnt, daß sie Hallittis geisterhafte Erscheinung über der Erde hat schweben sehen können."

"Ob die Liga weiß, was die Brut Lahilliotas drauf hat weiß ich nicht", knurrte Adrian Moonriver. "Aber ich wußte es von meinem Vater, daß diese Frauenzimmer nicht mal soeben getötet werden können. Die sind miteinander verbunden. Das schlimmste ist, da acht von denen ihre jüngste Schwester in den tiefen Schlaf getrieben haben, weil die denen zu gefährlich wurde, und diese Biester sichergestellt haben, daß diese Schwester nicht mal soeben gefunden wird, können also auch nicht alle neun komplett ausgelöscht werden."

"Ja, aber ich stimme Julius zu, daß man ihm das gerne schon hätte sagen dürfen, wo viele ihn dazu angehalten haben, sich die schlimmsten Sachen aufladen zu lassen", pflichtete Millie ihrem Mann bei. "Abgesehen davon hätte man ihm auch so sagen können, daß es mit Hallittis Vernichtung nicht getan war."

"Nichts für ungut, junge Dame, aber damals wußte wirklich niemand, in welche haarsträubenden Sachen Julius hineingeraten würde", widersprach Antoinette Mildrid und Julius. "Sollte er sein ganzes Leben Angst haben, daß diese Abgrundstöchter sich an ihm rächen und ihn zwingen könnten, ihr Sohn respektive Bruder zu werden?"

"Das das überhaupt gehen soll finde ich heftig", sagte Julius."

"Zumindest wird das von den Abgrundstöchtern behauptet", sagte Adrian. "Aber wenn ich dich richtig verstanden habe, Julius, dann war Hallitti noch kein Ungeborenes Kind, sondern eine Art gebündelter Geist. Dann wollte die wohl sicherstellen, daß sie überhaupt wieder einen Körper bekam."

"Ich dachte, sie hätten meinen Vater umgebracht, also den, der er jetzt ist", seufzte Julius.

"Das haben die versucht", erwiderte Maria Valdez in ihrem halbmexikanisch-US-amerikanischen Englisch. "Ich weiß auf jeden Fall, daß Itoluhila einen Verwandten von Richard Andrews unterworfen hat und ..." Julius erschauerte und nickte dann. Er seufzte: "Also doch. Eines dieser Biester hat meinen Onkel Claude an sich gebunden. Das wollte mir die gute Señorita Fuentes Celestes nicht um die Ohren hauen. Wußte meine Mutter zumindest davon?" Er sah Maria Valdez an. Sie atmete einmal ein und wieder aus. Dann sagte sie: "Ich wurde gebeten, es niemandem gegenüber zu erwähnen. Aber da es offenbar jetzt nicht mehr zu verschweigen ist: Ja, Ihre Mutter hat uns sogar auf die Spur gebracht, Almadora, ihren Bruder und mich." Julius nickte. Als er antwortete, klang kein Vorwurf in seiner Stimme:

"Können wir jetzt auch nicht mehr ändern. Aber warum ist Hallitti dann nicht bei Itoluhila gelandet, wo sie meinen Onkel sicher an sich gebunden hat?"

"Kannst du dir das nicht denken?" wollte Adrian wissen und blickte Julius sehr überlegen an. Doch er konnte es sich denken und wußte auch, warum das so und nicht anders gelaufen sein mußte. Doch statt es laut auszusprechen nickte er nur.

"Jedenfalls schlafen zwei von denen jetzt und hoffentlich für immer", stellte Millie fest. "Ob die wache Abgrundstante sich damit abfindet?"

"Da rufst du aber gerade einen großen Drachen", seufzte Camille. Adrian schüttelte aber den Kopf und sagte im Brustton der Überzeugung:

"Zum einen könnte ich mir vorstellen, daß dieses Biest es geahnt hat, daß sie sich mit Julius einen ziemlich üblen Gifttrank einhandelt. Zum anderen könnte Ilithula noch kurz bevor sie mit ihrem Schlummerkrug in die Tiefe gerast ist einen geistigen Ruf an ihre Schwester abgeschickt haben, daß du mit uns Kindern Ashtarias verbunden bist. Warum eigentlich?" Julius atmete durch und sah Camille an. Denn was er dazu sagen konnte ging diese unmittelbar was an. Sie sah ihn an und schüttelte den Kopf. So sagte er: "Das darf ich wiederum nicht sagen, weil da so viel dranhängt, was andere Leute betrifft, die gerne weiter ruhig schlafen möchten."

"Eines Tages, Bürschchen, wirst du mir dankbar sein, wenn du mir das alles erzählen darfst und ..." schnarrte Adrian. Doch Antoinette, Millie und Camille funkelten den körperlich gerade siebzehn Jahre alten Zauberer so unheilvoll an, daß er umgehend schwieg.

"Die falsche Knutmünze Bitterling hat behauptet, daß die schwarze Spinne sie angegriffen haben soll. Hat die das jetzt nur gemacht, weil sie von ihrem eigenen Drachenmist ablenken mußte?" wollte Millie wissen. Adrian schüttelte den Kopf und sah gleichzeitig Julius an.

"Dir ist der verkohlte Baumstumpf aufgefallen, Julius?" Der gefragte nickte. "Sicher hatte die nach Unsterblichkeit gierende Semiramis Bitterling einen kleinen Anhänger oder einen Ring oder was immer, daß die Verbindung mit Ilithula verstärkt hat. Ich habe mich schon gewundert, daß es zwischen ihr, dem Kreuz und unseren Sternen keine stärkere Wechselwirkung gab. Dann fiel mir ein, daß ihr die schwarze Spinne wohl das kleine Verbindungsschmuckstück weggenommen hat." Julius nickte darauf ganz heftig und erwähnte, daß seine Gegnerin einmal sehr heftig mit irgendwas gerungen hatte. Sie hatte behauptet, von ihrer Schwester angegriffen zu werden. Da mußte es zu diesem Angriff Anthelias gekommen sein.

"Ja, und die hat, mit Absicht oder ganz unbeabsichtigt, den entscheidenden Treffer gelandet, um diese alte Sabberhexe zu schwächen und ihre Lebenskraftspenderin am Ende von den schönen Beinen zu hauen", gab Adrian triumphierend zurück. Maria Valdez nickte und erwähnte, daß Claude Andrews einen mit dunkler Magie aufgeladenen Trauring getragen habe, der sogar ihrem Kreuz entgegengehalten habe. Julius verstand. Also hatte er es doch wieder irgendwie Anthelia zu verdanken, daß er körperlich und geistig unversehrt geblieben war. Na gut, ändern ließ sich daran auch nichts mehr. Zumindest wußte er jetzt, warum im Garten der Zaubertrankbraumeisterin ein verkohlter Baumstumpf gestanden hatte. Anthelia mußte das Verbindungsschmuckstück vernichtet haben.

"Somit kann diese unkaputtbare Hexenlady sich am Ende noch freuen, gleich zwei Abgrundsschwestern auf einmal besiegt zu haben", knurrte Adrian Moonriver.

"Wortwörtlich in der Versenkung verschwinden lassen", fügte Julius dem hinzu.

"Vorausgesetzt, sie bekommt Wind davon", erwiderte Antoinette Eauvive. Camille sagte dazu:

"Abgesehen von uns Kindern Ashtarias und das Julius selbst dazugehört sollte es doch erwähnt werden, was ihm fast wieder passiert wäre. Am Ende können wir die eine wache und die schlafenden Abgrundstöchter auch besiegen und in ewigen Schlaf versenken."

"Zumindest sollte es Professeur Delamontagne wissen. Der hat mich ja damals sogar gewarnt, daß Hallitti womöglich nicht vernichtet ist", erwiderte Julius. Die Anwesenden nickten. Dann sah Adrian auf seine Uhr und grinste: "Heftiger als das, was ich heute gelernt und mitbekommen habe kann die gute Megan Barley mir das nicht im Unterricht beibringen. Aber bevor die mein Abendessen mitessen sehe ich mal lieber zu, wieder nach Hogwarts ..." Eine Glocke ertönte. Das war die Türglocke vom Château Florissant.

"Entschuldigen Sie die Störung, Madame. Mein Name ist Patience Moonriver", sprach eine Frau mit ungehaltener aber noch beherrschter Stimme von der Tür her. Daß Patience Französisch konnte nahmen Camille, Millie und Julius einfach so hin. Antoinette erwiderte, daß sie die Kollegin aus England erkannte und bat sie herein. Als beide Heilerinnen im Kaminzimmer ankamen blickte Patience in die Runde und fixierte dann Adrian, der ihr aufrecht entgegenblickte, als habe er nichts verbotenes getan.

"Ich erfuhr, daß Sie in Ihren ehrbaren Räumen meinen Zögling Master Adrian Moonriver beherbergen. Sicher hat er Ihnen nicht erzählt, daß er heute Nachmittag ohne Abmeldung bei seiner Hauslehrerin und demzufolge auch ohne deren Erlaubnis das Schulgelände von Hogwarts verlassen hat. Da er dabei eine Unterrichtsstunde versäumt hat und seinetwegen eine Suche anlief, wurde ich von Professor McGonagall mit gewisser Besorgnis gefragt, ob mein Zögling den ihm angebotenen Unterricht nicht weiter zu besuchen wünsche und daß er, sollte dem nicht so sein, unverzüglich nach Hogwarts zurückkehren solle, um erstens drei Stunden bei Professor Barley nachzusitzen, zweitens dem Hausmeister bei der Reinigung der Flure und Klassenzimmerböden zu assistieren, wobei ihm der Gebrauch von Zauberkraft untersagt sei und drittens damit zu leben habe, daß Gryffindor seinetwegen von Platz eins der Punktewertung um zweihundert Punkte hinter das Haus Hufflepuff zurückgefallen sei. Sollte er sich jedoch wahrhaftig dazu entschlossen haben, auf den weiteren Unterricht zu verzichten und damit auch auf die UTZs, solle er das schriftlich angeben, um seine Habe zurückzuerhalten, wobei er für den Transport aufzukommen habe."

"Und die Punkte bleiben trotzdem im Keller, Patience?" fragte Adrian nun doch ziemlich erschüttert.

"Das verhandelst du am besten mit den Damen McGonagall und Barley persönlich, zumal die beiden brennend daran interessiert sind, wie du es geschafft hast, ohne die Schloßtore zu öffnen und ohne einen der geheimen Ausgänge zu benutzen vom Gelände herunterzukommen, Bübchen!"

"Zweihundert Punkte hinter den Hufflepuffs. Die erwürgen mich, wenn ich da wieder auftauche", lamentierte Adrian Moonriver. Millie und Julius mußten jedoch schadenfroh grinsen. Maria Valdez bekam davon eh nichts mit, weil sie alle Französisch sprachen. Das merkte Millie nun und ging zum Spanischen über, das Julius gerade so verstand und einige gute Sätze zu Stande brachte. Immerhin wurde er dafür von Maria Valdez sehr wohlwollend angesehen.

Nachdem Patience Moonriver mit ihremZögling unter vier Augen gesprochen hatte kehrten die beiden per Flohnetz nach Großbritannien zurück. Millie und Julius reisten ebenso per Flohpulver ins Apfelhaus, wo Béatrice Latierre sie sehnsüchtig erwartete.

"Der kleinen geht es gut, Millie. ich bin auch froh, daß du Aurores Vater wiedergefunden und mit nach Hause gebracht hast", sagte sie. Dann sah sie Julius an und lächelte:

"Ich wollte eigentlich eine Konferenz über neugezüchtete Zauberwesen besuchen und nicht die Fähigkeiten oder Unfähigkeiten von alten Zauberwesen studieren", sagte Julius. Seine Schwiegertante grinste. Dann fragte sie Millie, ob sie das heute schon erledigen wollte, was sie mit ihr ausgehandelt hatten. Millie sah Julius an. Der dachte kurz nach. Dann nickte er. Wenn er bedachte, daß er gerade so noch darum herumgekommen war, selbst zum Wickelkind zu werden und noch dazu von einer Mutter abhängig zu sein, deren Leben daraus bestand, fremde Männer rumzukriegen, war er doch froh, wenn er demnächst noch wen neues von sich und Millie in der Welt begrüßen durfte. Béatrice bat Millie dann, sich für die Untersuchung bereit zu machen.

Julius kannte die Prozedur ja schon von damals, wo sie festgestellt hatten, daß Aurore unterwegs war. Er half seiner Schwiegertante beim Ansetzen der verschiedenen Tests, während sie selbst Millies Unterleib mit Einblickspiegel und Vergrößerungsglas untersuchte. Nach nur zwanzig Minuten stand das Ergebnis fest. um den 2. bis zum 16 Februar sollten die beiden sich auf einen neuen Mitbewohner einrichten. Millie freute sich, Julius fühlte die Wellen ihrer großen Euphorie über den nun wieder an seinem Körper getragenen Herzanhänger. Er freute sich ebenfalls. Auch wenn ein neuer Mitbewohner oder eine neue Mitbewohnerin mehr Zeit und Geld kosten mochte, der Einsatz von beidem lohnte sich, wie er an Aurore sehen konnte. Außerdem fiel ihm ein, daß er mit der Würde, Ashtarias sechster Sohn zu sein, ja auch die Verpflichtung übernommen hatte, mindestens einen männlichen Nachkommen hinzubekommen, um seine Linie nicht aussterben zu lassen.

Nachdem die große Euphorie erst einmal verklungen war mußten Millie und Julius Béatrice Latierre erzählen, was genau passiert war. Béatrice hörte aufmerksam zu, während Aurore in ihrer langsam etwas zu klein werdenden Wiege schlief.

"Wer die lebenden Nachfahren der Kinder Ashtarias sind werden wir auf jeden Fall zum Geheimnis erklären", sagte Julius. "Allein schon, um Camille und die anderen vor Nachstellungen der Spinnenschwestern zu schützen." Millie nickte.

Als Millie und Julius nach dem langen und aufregenden Tag wieder im Bett lagen sagte Millie: "Ich wollte dich wiederhaben. Das war und ist der Grund, für den ich dieses Weib wohl auch getötet hätte, wenn das dich zurückgebracht hätte."

"Béatrice hat nichts gesagt, daß du den Felix Felicis getrunken hast?" fragte Julius.

"Du hast unser neues Kleines doch gesehen, gerade mal eine größere Kugel. Da ist noch kein Gehirn und keine Arme oder Beine. Und wenn es doch durch den halben Tag als Glückskind geboren werden sollte, dann sollte uns das doch freuen."

"Ich dachte nur an Simon Newton."

"Der ist jetzt auch in Thorntails. Aber solange unsere neue Oma Hygia nichts sagt, wie es ihm da geht, betrifft es uns auch nicht", sagte Millie. Dem konnte Julius nur zustimmen.

__________

Am nächsten Tag durfte Julius noch einmal vor den höchsten Vertretern des französischen Zaubereiministeriums erzählen, was ihm widerfahren war. Minister Grandchapeau hatte die Identität der Erben Ashtarias sofort zu einer Sache der Stufe S8 erklärt, allein schon, um die Einbeziehung Madame Eauvives und Madame Dusoleils möglichst unter Verschluß zu halten. Julius konnte ihn jedoch beruhigen, daß außer denen, die er persönlich einweihte und denen, die unmittelbar beteiligt waren, niemand was davon erfahren konnte, weil es bereits ein Latierre-Geheimnis war. Das beruhigte den Zaubereiminister sichtlich.

Abends dachte Julius noch einmal an diesen 19. Mai zurück. Beinahe hätte er sich doch darauf eingelassen, Ilithulas Aufforderung zu folgen. Nur Madrashtargayans eindringliche Ermahnung hatte ihn gerettet. Die hätte er nicht gehört, wenn er Millie nicht versprochen hätte, ihr Kailishaias Kleid zu besorgen. Vor seinem geistigen Auge sah er auf einmal die vier Bilder aus der magischen Zukunftsschau von Marie Laveaus Geist. Als Schlangenmensch würde er nicht weiterleben. Was es mit den Zwillingen auf sich hatte, die von einer schwarzhaarigen Mutter gesäugt wurden, wußte er jetzt auch. Denn nun konnte er die nährende Mutter mit Ilithulas grünäugigem Kindergesicht sehen. War diese Möglichkeit nun auch verworfen? Oder mochte Itoluhila, die echte Tochter des schwarzen Wassers, irgendwann befinden, ihn als ihren Sohn zusammen mit einer entkörperten Schwester wiederzugebären? Dann blieb noch die Vision, wie er als seine eigene Schwester aussah. Er wußte, daß diese Möglichkeit jederzeit gegeben war, wenn er Kailishaias Kleid des gezähmten Feuers anzog. Denn es duldete nicht, von Männern getragen zu werden. Tat es doch einer, dann wurde er in seine eigene Schwester verwandelt. Hieß das für Julius, daß er eines Tages eine Entscheidung treffen mußte, lieber zeitweilig oder für immer eine Hexe zu sein? Noch wußte er es nicht, und er fühlte sich etwas beklommen, weil er es nicht kategorisch ausschließen konnte. Doch für's erste war er froh, ein erwachsener Mann zu sein und wollte es auch bleiben, allein schon wegen der Hexe, die da neben ihm im Bett lag und wohl schon davon träumte, dem gerade neu in ihr aufgekeimten Kind zum ersten Mal in die Augen sehen zu können.

__________

Das von Semiramis Bitterling gesprengte Treffen der Zauberwesenexperten wurde auf den fünften Juni verschoben, wenn sichergestellt werden konnte, daß keinem der Teilnehmer etwas passierte. Diesmal sollte und wollte nur das Zaubereiministerium die Federführung übernehmen.

Julius hatte sich dazu entschlossen, zumindest in Frankreich vor interessiertem Publikum über sein zweites Erlebnis mit den Abgrundstöchtern zu referieren. So sprach er am 24. Mai zunächst vor den Beamten der Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe, zu denen auch seine Schwiegertante Barbara und Madame Adrastée Ventvit gehörten. Da Julius es so drehte, daß er erst von Ashtarias Kindern gehört hatte, als diese ihm geholfen hatten und sich als Gegenkraft zu den neun Abgrundstöchtern verstanden, hatte er auch keine Scheu, am Dienstag darauf einer Einladung Professeur Delamontagnes zu folgen.

Etwas merkwürdig fühlte er sich schon, als er eine halbe Stunde vor dem Zauberwesenseminar mit Catherine Brickston zusammen von Millemerveilles nach Beauxbatons wechselte. Als er dann die Gruppe der Seminarteilnehmer überblickte fragte er sich, ob die sieben drittklässler, zu denen auch das Trio Armgard Munster, Babette Brickston und Jacqueline Richelieu gehörten, wirklich schon alles wissen durften. Doch dann gab er sich einen Ruck.

"So dürfen wir heute einen ehemaligen, den Meisten von Ihnen noch als Mitschüler bekannten Gastreferenten begrüßen, der uns über die Natur und die Gefahr der sogenanten Töchter des Abgrundes berichten wird", kündigte Professeur Delamontagne den Gastredner an. "Bitte begrüßen Sie mit mir zusammen Monsieur Julius Latierre!" Applaus brandete durch den kleinen Illusionsraum, der auf Wunsch verschiedene Umgebungen nachbilden konnte. Diesmal war es jene kuppelförmige Höhle, in der Hallitti und ihre Schwester Ilithula sich vor ihren Feinden sicher gewähnt hatten. Julius trat hinter der mannshohen Tafel hervor und stellte sich in Positur. Babettes saphirblaue Augen fixierten ihn. Julius begannzu erzählen. Er berichtete davon, wie er zuerst von den Abgrundstöchtern gehört hatte, die wegen ihrer Art, Menschen durch körperliche Liebe ihrer Lebenskraft zu berauben, auch als Buhldämonen oder Succubi bezeichnet worden waren. Er schilderte den Zusammenstoß mit Hallitti, wie die Spinnenschwestern ihn ohne seine Aufforderung gerettet hatten und er dabei zwei Jahre Wachstum übersprungen hatte. Dann erwähnte er, daß Professeur Delamontagne befürchtet hatte, Hallitti könne womöglich noch in einer körperlosen Form vorhanden sein. Dies, so setzte er zur Beschreibung seines gerade überstandenen Erlebnisses an, habe sich als leider zutreffend erwiesen. Dann erwähnte er, was ihm passiert war und beschrieb die Hilfe durch die Kinder Ashtarias so, daß diese mit seiner Frau Kontakt aufgenommen hatten, als diese über die Schnellverbindungen der Latierres Alarm geschlagen habe. Ein Nachfahre Ashtarias habe ihr dann sein Schutzartefakt ausgeliehen, womit sie dann die verdächtige Semiramis Bitterling als Dienerin Ilithulas entlarvt und in die Flucht getrieben habe. Julius erwähnte, wie Bitterling von Ilithula in ihren Überdauerungskrug geworfen wurde und wohl dadurch die ganze Kraft aus dem Artefakt Ashtarias aus ihrem Körper in die orangerote Essenz aus Lebenskraft übergeflossen sei. Seine Errettung schilderte er so, daß die beiden draußen stehenden Erben Ashtarias zwei Formeln gerufen hatten, die bewirkten, daß Ilithula in ihren Krug sprang und mit diesem in der erde versank. Babette konnte nicht anders als in den Saal zu rufen: "Jau, dann ist die garantiert zur Hölle gefahren!" Die anderen lachten, erheitert oder hilflos. Julius berichtigte, daß der Krug sicher so tief im Erdboden stecke, daß niemand in seine Nähe kommen würde. Die Hölle sei aber den alten Legenden nach ganz in der Nähe vom Erdmittelpunkt, wenn nicht sogar in einer Welt neben der wirklichen Welt, und ob der Krug dorthingerutscht sei könne er nicht so sicher behaupten. Professeur Delamontagne ergriff das Wort und fügte ein: "die alten Griechen haben ihre Hölle, die sie Tartaros nannten, so tief unter die Erde verlegt, daß jemand neun Tage in die Tiefe fallen müsse, um auf den Grund dieser ungemütlichen Gegend zu gelangen. Demnach müßte Ilithulas Krug jetzt noch in die Tiefe stürzen, um dort anzukommen." Die anderen lachten, Julius eingeschlossen. Patricia Latierre, die ebenfalls das Seminar besuchte fragte Julius, ob er nicht einen Moment überlegt habe, ob er nicht doch Ilithulas Baby werden wolle, wo er noch hätte denken müssen, daß sie es nur gut mit ihm meine. Immerhin hätte Julius dann ja unsterblich sein können.

"Also, zum einen bin ich froh, daß ich als erwachsener Mann leben darf und lieber zusehen möchte, wie meine kleine Tochter groß wird und wie irgendwann demnächst noch ein Kind von mir geboren wird. Zum anderen wußte ich nicht, was für eine Mutter das sein soll, die immer mit fremden Männern wilde Zweierspiele treibt. Zum dritten liegt mir nichts an einer Unsterblichkeit, die mich zum Sklaven einer gnadenlosen Kreatur macht. Sicher, viele Menschen wollen gerne unsterblich sein. Aber mir liegt nichts daran, zuzusehen, wie meine Urenkel neben mir uralt werden und sterben. Ich erwarte auch nichts großes und schönes von der Unsterblichkeit, daß ich bereit wäre, jeden Preis daafür zu bezahlen und sei es, Sie vollkommen ihrer Lebenskraft zu berauben, Mademoiselle Latierre." Julius sah, daß sein verbaler Boxhieb punktgenau gelandet war. Patricia wurde von ihrem immer-noch-Freund Marc Armand verstört angesehen. Professeur Delamontagne erwähnte dazu noch:

"Wir hatten das Thema Vampire und die Gefahr, die von Nocturnia ausging, Monsieur Latierre. Da waren wir uns hier auch alle einig, daß die Unverwüstlichkeit und Langlebigkeit eines Vampirs kein wirklich erstrebenswertes Ziel ist, wenn dafür Angst der Mitmenschen und Verzicht auf helle Sonnentage in Kauf genommen werden müssen. Insofern bestätigen Sie uns nur allen, was wir hier in dieser Gruppe bereits erkannt haben." Die anderen nickten. Julius konnte nun noch zu Ende berichten, daß das ihm helfende Artefakt sich von einem silbernen Kreuz in einen silbernen Stern und wieder zurückverwandelt habe, was zeigte, daß diese Gegenstände sich dem Besitzer und dem Entleiher anpassen konnten. Damit sei also nicht zu erkennen, ob jemand zu den Kindern Ashtarias gehöre oder nicht. Das saß auch, erkannte Julius.

Nach dem Vortrag beglückwünschte Professeur Delamontagne den Gastredner zu seiner Standhaftigkeit und seiner Errettung und bedankte sich für seinen erhellenden Vortrag. Dann sagte er: "Somit steht fest, werte Damen und Herren, daß es sowohl im Bereich der protektiven wie der destruktiven Formen der Magie sehr alte und uns heute nicht mehr nachvollziehbare Dinge gibt, die die Barriere zwischen Leben und Tod überwinden können. Doch es zeigt auch, daß es nicht allein damit getan ist, gut in Zauberstabführung zu sein, sondern auch eine große Selbstbeherrschung und klare Lebensziele zu besitzen, um jeder Versuchung, egal von welcher Seite, widerstehen zu können. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!" Die Gruppe verabschiedete sich von Professeur Delamontagne und Julius. Als die beiden alleine im Illusionsraum waren schälte sich aus der von einem imaginären goldenen Lebenskrug erhellten Nische der Höhle Madame Faucon hervor. Sie war die ganze Zeit anwesend gewesen. Sie wollte nur nicht offen zuhören, weil sie die Gruppe nicht als Überwacherin hemmen wollte. Sie lud Julius und ihren Kollegen Delamontagne ein, noch in ihr Sprechzimmer mitzukommen, um dort die Dinge zu besprechen, die nicht für die Ohren der Schüler bestimmt gewesen waren.

Im Büro Madame Faucons trafen sie auch auf Catherine Brickston, die etwas geknickt wirkte, als sei sie gerade sehr heftig gemaßregelt worden. Julius durfte hier noch einmal erzählen, wie seine Entführung, die Gespräche mit Ilithula und seine Errettung abgelaufen waren. Dann sagte Madame Faucon:

"Ich erkenne, daß Sie das schon selbst erkannt haben, daß Sie dadurch, daß Sie wohl selbst ein Sohn Ashtarias geworden sind, eine große Bürde tragen. Besteht ihrerseits die Möglichkeit, noch mehr über diese alte Familie zu erlernen?" Julius nickte. "Dann bitte ich Sie im Namen Ihrer eigenen Familie, diese Möglichkeiten immer gründlich auszuschöpfen, auch wenn es große Teile ihrer freien Zeit fordern mag! Immerhin wissen wir von der Liga gegen dunkle Künste nun, daß die alten Gerüchte auf wahre Begebenheiten basieren und es nicht hilft, eine der Abgrundstöchter zu entkörpern. Wir können im Grunde nur froh sein, daß diese fragwürdige Hexenschwesternschaft Ihrem Vater damals nicht den Todes-, sondern den Infanticorpore-Fluch auferlegt hat. Ansonsten wäre Hallittis entkörpertes Sein wohl unverzüglich in einer der beiden wachen Schwestern neu aufgekeimt. Mehr möchte ich dazu jetzt nicht mehr sagen." Die Gäste der Schulleiterin verabschiedeten sich und flohpulverten zunächst in die Rue de Liberation 13, wo Catherine Julius nur noch sagte, daß ihre Mutter sie heftig zusammengestaucht habe, weil sie ihre Informationen aus Khalakatan nicht gleich an die Liga weitergegeben hätte. Dann wäre diese Falle vielleicht gar nicht erst gestellt worden. "Ich habe ihr dann vorgehalten, daß man hinterher immer klüger sei. Diesen Vorwurf wollte sie nicht gelten lassen. Sie meinte, wenn ich durch dich, Julius, schon den Schlüssel zum alten Reich hätte, dann möge ich doch bitte auch berichten, was mir von dort zu berichten gestattet sei." Da konnte Julius im Moment nichts gegen sagen. Madame Blanche Faucon wußte ja, daß es an ihm lag, wer wie viel von wem in Khalakatan erfuhr.

Wieder zu Hause fand Julius an der Schlafzimmertür eine lange Liste mit Mädchennamen und die Bemerkung: "Hausaufgabe bis zum ersten Juni: genauso viele Jungennamen danebenschreiben!" Julius mußte lachen. Er war froh, sich mit so einfachen wie schönen Sachen herumschlagen zu dürfen.

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Zwei Tage später, Julius hatte sich wieder in seinem Büro eingearbeitet und den Fall auch als Ministerialbeamter ordentlich erfaßt und abgelegt, fand er bei der Rückkehr in das Apfelhaus einen Briefumschlag im Eulenpostbriefkasten vor. Er betrachtete den Umshlag, der keinen Absender zu tragen schien. Nur an der rechten unteren Ecke erkannte er ein Symbol, eine schwarze Spinne in einem silbernen Radnetz. Etwas beklommen öffnete er den Umschlag, nachdem er festgestellt hatte, daß er keinen Fluch oder einen Portschlüsselauslöser enthielt. Dann las er leise für sich den Brief:

Ich grüße dich, Julius Latierre,

ich bin hocherfreut, daß du der schwelenden Rache der Abgrundstöchter entrinnen konntest. Ebenso bin ich hocherfreut, daß du davor bewahrt wurdest, im dunklen Leib Ilithulas neu heranwachsen zu müssen, womöglich noch durch ihr vergiftetes Blut dazu gebracht zu werden, mit Hallitti zusammen auf Beute auszugehen und damit am Ende doch noch mein Feind zu werden. Mir lag und liegt nichts daran, daß wir uns befehden, auch wenn die, die meinen, dir raten und vorschreiben zu dürfen, was du tun und lassen sollst, dir beigebracht haben, mich zu verachten und dein Erlebnis in der Höhle von Ailanorars Stimme dich vor mir ekelt. Ich kann und will dir versprechen, daß ich nun mehr Frau als Ungeheuer bin, etwas, daß die, deren fragwürdiger Mutterfreude du entrissen wurdest, nicht für sich beanspruchen kann.

Auch wenn du es einmal mehr weit weit von dir weisen möchtest, auch und gerade nach deinem neuerlichen Zusammentreffen mit einer der Abgrundstöchter, so beharre ich darauf, daß unsere Wege sich weiterhin immer wieder kreuzen mögen. Gerade durch deine Errettung bist du mehr verpflichtet, das Erbe der wahrhaft zerstörerischen Bewohner des alten Reiches einzudämmen. Gut, du magst mich auch dazu rechnen, das kann ich dir offenbar nicht ohne magischen Zwang austreiben. Doch solltest du dir immer darüber im klaren sein, daß Licht ohne Schatten keine Konturen besitzt und die angeblich bösen Taten, die ich bisher begangen habe und wohl auch weiterhin begehen muß, am Ende die Welt vor dem endgültigen Chaos und der Zerstörung bewahren. Deshalb empfinde keine Scheu, in einer Lage, wo die reine Lebensschonung Darxandrias und Ashtarias alleine nicht hilft, an mich zu denken und dich mir anzuvertrauen, um das Ungemach einzudämmen, dem du dich zu stellen hast!

Ich freue mich, daß du dein Leben fortsetzen darfst und daß wir alle zwei Feindinnen weniger zu fürchten haben.

Ich weiß jetzt, daß du selbst ein Sohn Ashtarias geworden bist. Denn sonst könntest du dich ihrer Fürsorge und ihrer Kraft nicht bedienen. Sonst hätten dir die anderen lebenden Abkömmlinge von ihr nicht helfen können. Damit gehörst du wie ich zu denen, die zweimal geboren wurden, ohne das Wissen aus dem ersten Leben zu vergessen. Das ist eine Gemeinsamkeit, die mich sehr zuversichtlich stimmt, daß wir uns, wenn wir uns schon nicht in Freundschaft oder Partnerschaft zusammentun können, zumindest keine ewigen Feinde sind, die einander das Leben zum immerwährenden Alptraum gestalten wollen. beschreite mit den deinen die Pfade, die du beschreiten kannst, während ich mit den Meinen die Pfade beschreite, die nur ich beschreiten kann. Sie werden sich immer wieder kreuzen. Und das stimmt mich sehr glücklich.

Mit wohlwollenden Grüßen

Die führerin der Schwarzen Spinne

Julius drehte den Brief in den Händen. Er hatte damit gerechnet, daß trotz der Vertraulichkeiten und Geheimhaltung doch was darüber bei Anthelia angekommen war, wie er gerettet worden war. Es jetzt Tinte auf Pergament zu lesen machte diese Vorstellung zur Tatsache. Sie überwachte ihn immer noch. Sie scheute sich nicht, ihm und damit indirekt auch allen, die für ihn zuständig waren, klarzumachen, daß sie auch weiterhin ungefragt an allem teilhaben würde, was ihm passierte. Ja, er war ein Zwiegeborener, wie Temmie, wie Larissa Swann, wie Theia und Selene Hemlock und eben auch, weil es ja eine Neuverkörperung war, Anthelia. Er fragte sich, ob dies von einem nicht greifbaren Schicksal so verfügt worden war, daß es in diesem Jahrhundert so viele davon gab? Dann dachte er daran, daß Anthelia ihm mal wieder nahelegte, sich mit ihr zusammen zu tun. Er mußte zu seinem Unmut feststellen, daß er dieses Ansinnen verstehen konnte und daß er es nicht grundweg ablehnen konnte. Millie hatte ja auch schon erwähnt, daß es Sachen geben konnte, wo reine Schutzzauber nicht ausreichten. Im Grunde hatte Anthelia es ihm ja auch schon wieder bewiesen, wenn sie wirklich Semiramis' Verbindungsartefakt zu Ilithula zerstört hatte, bevor Camille und Adrian ihm Marias Kreuz gebracht hatten. Er ging davon aus, daß sie das auch so sah und davon ausging, daß ihm das klar war. Anders konnte er diesen Brief nicht verstehen, der für die einen eine Drohung, für andere eine glatte Frechheit sein mochte. Was war der Brief für ihn? Beunruhigenderweise konnte er diese Frage im Moment nhicht beantworten. Erst die Zukunft würde es zeigen. Doch er hatte den Eindruck, daß er nun in einen neuen Lebensabschnitt eintrat, nicht weil er verheiratet war, nicht weil er im nächsten Jahr zum zweiten mal Vater würde, sondern weil er daran erinnert worden war, wie groß die Last war, die ihm die hohen Zauberkräfte aufgeladen hatten und daß er damit verantwortlich umgehen mußte. Was er ab heute tat mußte er auch alleine verantworten. Mit dieser harten aber auch irgendwie beruhigenden Gewißheit beschloß er den langen Arbeitstag.

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Daß Millie wieder ein Kind trug sprach sich bald in Millemerveilles herum. Julius genoß die Aufmerksamkeit, die auch ihm dadurch entgegengebracht wurde. Seine Mutter und sein Stiefvater wünschten Millie und ihm das nötige Durchhaltevermögen und die Gelassenheit, mit zwei Kindern zurechtzukommen, ohne sich zu überfordern oder ohne bei jeder Kleinigkeit in Wut zu geraten. Martha Merryweather schrieb, daß er ihr dann um eine Erfahrung voraussein würde, wenn alles klappte und Millie das zweite Baby ohne Komplikationen zur Welt brachte. Millie meinte dazu, daß es ja klar sei, daß es mal wieder an ihr hängen würde. Doch weil sie dabei lächelte konnte Julius das nicht als Vorwurf werten.

Die Wiederholung der von Semiramis Bitterling gesprengten Konferenz dauerte drei Tage. Diesmal hatten Ministerialzauberer vorher alle Behälter im Versammlungsraum mit bläulich flirrenden Gaseinschlußzaubern überzogen. Das sah bei den Blumendekorationen zwar zu weilen sehr irritierend bis gespenstisch aus. Doch es beruhigte jene, die schon gefürchtet hatten, nur noch mit Kopfblasenzauber an einer Besprechung teilnehmen zu können. Julius durfte sowohl seine Erlebnisse bei Bokanowski schildern, als auch seine Begegnung im Mai. Ceridwen Barley bat ums Wort und sagte:

"Vielleicht sollten wir die Thematik dieser Zusammenkunft nicht nur darauf festlegen, was es an Neuheiten geben kann und wozu sie gezüchtet werden, sondern auch, was wir von älteren Kreaturen wissen oder nicht wissen. So wissen wir nicht, warum beispielsweise Wertiger bei ihrem Auftritt in Tiergestalt eine Magie absorbierende Aura erzeugen. Ich finde, daß es überlebenswichtig ist, auch diese Vorkommnisse zu untersuchen." Dem mußten sich viele anschließen. Mr. Diggory, der die Besprechung als einziger Moderator betreute, erteilte Maurice Pivert das Wort:

"Ich denke, werte, ähm, Kollegin Barley, nur zu reden bringt nicht viele Erkenntnisse ein. Vielleicht sollte ein internationales Abkommen zur eingeschränkten Forschung an magischen Neuzüchtungen getroffen werden. Dies bietet auch die Möglichkeit, potenziell gefährliche Kreuzungen vor potenziell gefährlichen Zeitgenossen zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken."

"Das meinen Sie jetzt doch nicht wirklich ernst, Monsieur Pivert", setzte Antoinette zu einer entrüsteten Antwort an. "Sie meinen doch nicht im Ernst, daß wir hier und wer noch alles geheime Labore einrichten solle, um beliebig an menschlichen und tierischen Ausgangsformen herumzukreuzen, um zu wissen, daß etwas mit der Gewandtheit einer Libelle und dem Hunger einer Wanderheuschrecke potenziell gefährlich ist, von Versuchen an Menschen ganz zu schweigen. Dann hätten wir den unserer Zunft abtrünnig gewordenen Igor Bokanowski nicht ächten, sondern sogar beschützen müssen. Nein, ich als Heilerin lehne diesen Vorschlag kategorisch ab. Er verstößt gegen die Heilerdirektiven."

"Ich stimme Madame Eauvive zu", sagte Julius, als er das Wort erhielt. "Zum einen habe ich die Ungeheuer gesehen, die Bokanowski gezüchtet hat und weiß deshalb, daß dieses Wissen locker zur Versuchung werden kann. Zum anderen kenne ich aus der Welt meiner Eltern Berichte von geheimen Laboren, in denen tödliche Krankheitserreger erforscht oder sogar neu erschaffen werden, angeblich, um feindliche Angriffe mit diesen Erregern zu stoppen. Das führt dazu, daß in diesen Geheimlaboren höchst gefährliche Erreger gehalten werden. Wollen Sie, Monsieur Pivert, verantworten, daß einzig zum Töten gezüchtete Mischwesen freikommen und die Erde heimsuchen? Da könnten Sie ja gleich Anthelia bitten, uns die Rezeptur der Entomanthropen zu liefern, damit wir selbst welche züchten können, um für den Fall, daß sie neue macht, gerüstet zu sein. Wir müssen echt nicht denselben Mumpitz machen wie die anderen städtischen Minderheiten. Ich danke Ihnen." Monsieur Pivert verzog das Gesicht und sagte nur: "Habe ja nur gemeint ..."

Am Ende der Tagung stand ein Abkommen, daß jeden Zaubertrank, der Körper oder Geist des Trinkenden nachhaltig, also ohne in der Wirkung nachzulassen veränderte, auf die Liste der nicht zu handelnden Güter der Klasse A brachte. Was magische Neukreuzungen anging, so bestätigten sie, daß unerlaubte Neukreuzungen an Menschen wie schwere Körperverletzung unter Zuhilfenahme der Magie zu werten seien, da der in den Vorgang hineingezwungene Mensch nicht mehr in sein altes Leben zurückfinden würde. Wohlgemerkt ging es hier um körperliche Eigenschaften. Als das alles erledigt und formal protokolliert worden war - jeder Teilnehmer würde eine Kopie des Protokolls erhalten -, kehrten die Teilnehmer in ihre Heimatorte und -länder zurück. Julius war froh, doch noch einige interessante Sachen mitbekommen zu haben. Ceridwen hatte ihn und Millie eingeladen, sie mal auf dem Hof Hühnergrund zu besuchen.

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Am 24. Juni, dem Geburtstag von Été und Lunette Lumière, trafen sich die jungen Eltern von Millemerveilles bei den Lumières. Auch Barbara van Heldern kam mit Charles, Berenice und dem kleinen Maurice zu Besuch. Jacques Lumière hatte sich mal wieder entschuldigt. Er und Mésange waren jetzt auf Martinique. Barbara meinte dazu, daß er wohl hoffte, da diesen Fruchtbarkeitscocktail zu erwischen, damit Mésange endlich auch ein Kind bekam. Millie mußte darüber lachen, ebenso Céline Dornier, die seit dem dritten Juni Mutter der beiden Töchter Mara Claire und Thetys Margot war. Robert fühlte sich in seiner neuen Rolle doch nicht so wohl, wie er anfangs gedacht hatte. Das mochte auch daran liegen, daß sich alle Welt um die beiden kleinen Mädchen versammelte und die durch die Schwangerschaft doppelt so breit gewordene Céline wie eine stolze Königin auf ihrem Stuhl saß. Julius vermied es, Robert schon zu erzählen, daß Latierre-Baby Nummer zwei unterwegs war. Das würde er ihm bei seinem Geburtstag verkünden, wenn auch die neue Verwandtschaft aus den Staaten zu Besuch war.

Am 27. Juni besuchte Julius die geflügelte Kuh Artemis. Ihr erster Sohn Orion war mittlerweile höher als Julius und konnte sehr gut herumlaufen. Nur mit dem Fliegen hatte er es noch nicht.

"Du hast eine schwere Lage überstanden. Das wird dir helfen, auch auf das vorbereitet zu sein, was kommt", sagte Temmie mit körperlicher Stimme. Da Julius über den Pokal der Verbundenheit Kontakt mit ihr aufgenommen hatte verstand er es. So fragte er, was Temmie genau meine: "Der vom bösen Wirken der schlafenden Schlange zum körperlosen Schatten aus reiner Dunkelheit sucht für den dunklen König nach einem lebendigen Knecht. Ich weiß nicht, wo er ist. Ich sehe nur in meinem Schlafleben, wie dieser Schatten wächst. Er kann jetzt schon über gewisse Strecken den kurzen Weg gehen. Doch das Land, in dem er sich herumtreibt, ist auf ihn vorbereitet und wehrt ihn meistens ab, wo es geht. Er sucht einen von Dunkelheit erfüllten, Julius. Findet er einen, kann der dunkle König erneut die Welt heimsuchen. Es war richtig, sich der Obhut der vaterlosen Tochter Ilithula zu verweigern. Aber es wäre vielleicht nicht verkehrt, eine vorsichtige, auf ausreichendem Abstand laufende Verbindung zu Itoluhila aufzunehmen. Denn wenn erst einmal der Knecht des finsteren Königs gefunden und in seine Pflichten eingeführt ist, wird auch sie seine Feindin sein. Außerdem könnte die, welche das Nachtkinderreich Nocturnia gegründet hat, einen anderen Weg finden, wieder auf die Welt einzuwirken. Seid also auf der Hut!"

"Ich hoffe, du kannst uns weiterhin helfen", sagte Julius zu Temmie und spielte darauf an, daß sie ihm bei seinem letzten gefährlichen Abenteuer geraten hatte, wann er was tun sollte, um erfolgreich zu sein.

"Wenn du meinst, daß ich demnächst wieder in die Stimmung für ein Kalb kommen werde und es wie ihr beide darauf ankommen lasse, dann kann ich euch jetzt wenigstens aus der Ferne helfen. Aber noch fühle ich nicht das Bedürfnis, mich von einem der Männchen nehmen und mit seinem Kind beladen zu lassen. Wenn du mich also brauchst und nach mir rufst, dann komme ich!" Dieses klare Angebot beruhigte Julius ungemein. Nur daß er sich mit Itoluhila in Verbindung setzen sollte behagte ihm nicht. Er beschloß, es nur als Vorschlag zu nehmen, der nur dann umgesetzt werden sollte, wenn wirklich ein für alle bisherigen Gegner gemeinsamer Widersacher aufgetaucht war.

E P I L O G

Millie und Julius standen am Ausgangskreis in Millemerveilles. Sie warteten nicht auf ein Familienmitglied. Doch zu sehen, wie alle Schüler, die das Jahr überstanden hatten, wieder nach Hause kamen, war für sie irgendwie heute sehr wichtig. Denn nur so konnten sie das Jahr als ihr erstes Jahr als eigenständige Mitglieder der Zauberergemeinschaft abhaken. Daß Millie das zweite Kind trug sah ihr noch niemand an. Julius hatte sich entschieden, den Herzanhänger trotz der Erfahrungen während Millies erster Schwangerschaft umzubehalten.

Die jüngeren Geschwister der hier lebenden Hexen und Zauberer traten mit Professeur Fourmier aus dem Ausgangskreis heraus. Julius begrüßte Sandrines kleine Schwester und auch Valerie Charpentier, die fast ein Jahr lang von seiner Mutter unterrichtet worden war. Als auch Denise und Melanie aus dem Ausgangskreis getreten waren, lud Camille die Latierres zur Wiedersehensfeier zu sich ein.

"Babette hat drei Verehrer aus dem roten, dem grünenund dem violetten Saal", tratschte Denise. Melanie sagte dazu noch: "Ja, nur das Armgard den von den Grünen auch gerne knuddeln würde. Dafür ist das jetzt sicher, daß Sylvie und euer Louis im nächsten Jahr heiraten, nachdem er ihr mal unter den Umhang geguckt hat. Nicht angefaßt. Aber er hat gesehen, wie sie unterm Umhang aussieht. Dumm nur, daß Professeur Bellart das mitbekommen hat. Die hat die beiden dann zu Madame Faucon geschleppt und das erzählt. Tja, die hat Sylvie dann erst mal zu Madame Rossignol geschickt. Aber die hatte noch nichts wirklich heftiges mit Louis angefangen. Endora ist jetzt nur sauer, weil sie jetzt ganz aus dem Spiel ist. Aber ihre Maman hat ihr klargemacht, daß das jetzt nicht mehr zu ändern sei."

"Ist ja doch einiges passiert", meinte Camille lächelnd. Julius wollte dann wissen, ob das zwischen Gabrielle Delacour und Pierre Marceau immer noch hielte. Denise sagte dazu:

"Nachdem sich das mit Sylvie und Louis bei den Mädels rumgesprochen hat plant Gabrielle wohl auch so was in der Richtung. Jedenfalls hat Pierre echt gute Zauber gelernt, mit denen er die anderen auf Abstand hält. Irgendwas mit Devoutus, oder so."

"Devoluptus?" fragte Julius. "Der ist heftig und darf eigentlich nur benutzt werden, wenn jemand sehr triebhaft und unbeherrscht ist."

"Bei uns sind das ein paar", knurrte Melanie. Sie hatte "uns" gesagt. Also hatte sie sich zumindest damit abgefunden, zu den Bewohnern des roten Saales zu gehören. "Hat Madame Rossignol auch gesagt", erwähnte Denise. "Der kann dazu führen, daß jemand nicht mal hunger hat oder nicht merkt, wenn er muß und dann einfach in die Hose macht. Ist zwar noch nicht passiert, hätte aber, sagt Madame Rossignol."

"Wie, warst du dabei, wo Pierre deshalb getadelt wurde?" wollte Jeanne wissen.

"Nö, Mel war dabei, die will ja auch zu den Silberarmbändern hin."

"Eh, Denise, das ist jetzt aber doof", knurrte Melanie Odin. Ihre Patin und derzeitige Fürsorgerin fragte lachend, warum das doof sei, daß Denise das ausgeplaudert hatte. "Weil ich erst mit Jeanne, Millie und Julius drüber reden wollte, was die alles so nicht dürfen, bevor ich dich frage, ob ich das darf", sagte Melanie. "Und du wußtest das auch genau, Denise, daß ich das erst ohne Tante Camille und Onkel Florymont herausfinden wollte."

"Hera Matine hat diesen Sommer noch keine Auszubildende. Wenn Jeanne, Millie und Julius dir alle Horrorgeschichten aus ihrer Pflegehelferzeit erzählt haben und du trotzdem noch immer bei denen mitmachen willst, habe ich absolut nichts dagegen", sagte Camille. Ihr Mann überlegte und fragte dann, ob da nicht zumindest die leiblichen Eltern gefragt werden sollten. Darauf sagte Jeanne:

"Tante Cassiopeia hat mit ihren zwei neuen genug an Hals und Brust hängen, Papa. Wenn sie hört, daß Melanie bei den streng geregelten Pflegehelfern mitmachen will, wird sie womöglich schon deshalb ja sagen, weil sie weiß, daß Melanie dann nicht vor dem Ende des sechsten Schuljahres heiratet und nicht vor Ende des siebten Schuljahres Maman wird." Millie und Julius mußten lachen. Melanie verzog das Gesicht. Denise kicherte. Camille grinste und sagte: "Ich habe dich gewarnt, Mel, daß die drei dir schreckliche Sachen über die Pflegehelfertruppe erzählen."

"Hast du das mit Maman klar, daß ich mir die Kleinen mal ansehen darf. Sind doch immerhin irgendwo Schwestern von mir", wandte sich Melanie an ihre Tante.

"Wir kriegen das hin, daß Onkel Florymont mit dir zu ihr hinfliegt. Wenn ich mit der zusammenkomme brodelt gleich immer ein Riesenkessel", sagte Camille. Florymont sah die bittenden Augen seiner Nichte und nickte ihr beruhigend zu.

Als nach der langen Feier, bei der Denise und Melanie die kleine Aurore noch einmal bewundern durften, alle in ihren Betten lagen, sagte Julius: "Kannst du sehen, Millie. Alles geht irgendwie weiter. Am Ende kriegt Mel Odin noch das Armband von dir oder mir umgelegt."

"Ja, und wir wissen jetzt, daß Louis Krach mit seinen Eltern kriegt, weil die nicht wollen, daß er 'ne Hexe heiratet", grinste Millie.

"Das ist der beste Grund, mich zu freuen, daß ich kein Saalsprecher mehr bin", lachte Julius. Sie kuschelten sich trotz der Sommerhitze aneinander. Julius strich seiner Frau über den Bauch. Bald würden sie wissen, auf wen sie im Februar warten sollten. Julius hatte im Scherz gemeint, wenn es ein Junge würde und genau am zweiten Februar zur Welt käme, würde er ihn Phil nennen, nach dem berühmten Murmeltier. Millie hatte darauf geantwortet, daß wenn der zweite Februar feststehe, es dann wohl eine Hexe sei, weil der Tag früher auch ein wichtiger Hexenfeiertag war. Dann hieße sie Chrysope Hippolyte, Chrysope nach ihrer Ururgroßmutter mütterlicherseits, die auch an einem zweiten Februar geboren worden war. "Ja, und weil sie da ihren Schatten gesehen hat hat sie laut geschrien "Mist, kaum auf der Welt gleich sechs Wochen Winter!" scherzte Julius.

"Das komische Nagetier ist doch eine rein amerikanische Kiste. Du bist in London geboren, ich in Paris. Da können wir unseren Kindern doch keine Namen von nordamerikanischen Eichhörnchen geben."

"Es ist ein Murmeltier ... Aber lassen wir das! Sogesehen müßte ich als Londoner eine Tochter ja glatt Nebula nennen und einen Sohn Nelson und du deine Tochter Élysée oder deinen Sohn Louis."

"Louis, neh, der darf bei Sylvie toben und nuckeln und wonach dem und der im nächsten Jahr ist. Madame Rossignol wird den schon in dieser Spur halten, bis er auf Sylvies Besen sitzt. Vielleicht ziehen die dann sogar hierher."

"Das wird interessant", erwiderte Julius und fügte in Gedanken hinzu, daß er froh war, das überhaupt mitbekommen zu können. Er wünschte seiner Frau noch eine gute Nacht.

ENDE

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