eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie
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© 2000, 2001, 2002 by Thorsten Oberbossel
Der Junge Julius Andrews wuchs bisher relativ normal als Sohn eines Chemikers und einer Computerprogrammiererin auf und glaubte, daß Zauberei und magische Dinge nur in Märchen und Phantasieerzählungen vorkommen können. Doch als er einen merkwürdigen Brief erhält, in dem er als Zauberer bezeichnet wird, der fortan eine Zauberschule namens Hogwarts besuchen soll, gerät die bis dahin klare Welt des Elfjährigen ins Rutschen. Sein Vater will nicht, daß Julius diese Schule besucht und flüchtet mit seiner Familie nach Australien. Doch dort treffen sie geradewegs auf die pflanzenkundige Hexe Aurora Dawn, die Julius überzeugen und seinen Eltern begreiflich machen kann, daß Julius besser in Hogwarts aufgehoben ist als unter den Muggeln, den Nichtzauberern.
Mit Mulmigem Gefühl begibt sich die Familie Andrews zum Kings Cross, dem londoner Bahnhof, von dem aus es nach Hogwarts gehen soll.
Julius Andrews sah hinter sich, als er die magische Sperre durchschritt, die die normalen Bahnsteige 9 und 10 des Bahnhofs Kings Cross zu trennen schien. Tatsächlich konnte der angehende Zauberschüler die Barriere mit seinem Gepäckwagen wie Nebel durchschreiten und landete auf einem Gleis, das als "Gleis 9 3/4" auf einem Schild angegeben wurde. Er sah einen Zug vor sich, der von einer richtigen, scharlachroten Dampflokomotive gezogen wurde. Mehrere Kinder und Jugendliche wurden von Eltern oder sonstigen Anverwandten in den Zug geleitet. Julius sah sich verloren um. Eine Frau in hellblauem Umhang, höchstwahrscheinlich eine Hexe, winkte aus einem der vorderen Fenster.
"Heh, Junge! Hier vorne sind noch Abteile frei. Bring deine Sachen hier herüber!"
Julius tat, wie es ihm geraten worden war und bugsierte den Gepäckwagen nach vorne, richtung Lok. Als er vor einer offenen Tür ankam, trat die Hexe im blauen Umhang heran, deutete hinter sich und rief damit einen stämmigen jungen Mann heran, der Julius half, seine Sachen hineinzuhieven. Julius bedankte sich und kletterte ebenfalls in den Zug, der als Hogwarts-Express bezeichnet wurde.
"Paralleldimensionen. Paps würde ausflippen, wenn ich ihm das erzähle. Na ja, er wird mich ja beim verschwinden gesehen haben", dachte Julius.
"Du bist Erstklässler, richtig?" Wollte die hilfsbereite Fremde wissen. Julius nickte bestätigend und meinte:
"Bis vor einigen Wochen wußte ich noch nicht einmal, daß es Hogwarts gibt."
"Deshalb guckst du so komisch", meinte der Zauberer, der Julius beim Gepäck geholfen hatte. "Daß das Ministerium nie daran denkt, Muggelgeborene ein halbes Jahr vorher informieren zu lassen. Das ist ein Skandal." Er sah Julius aus grünen Augen an und zupfte seinen strohblonden Zopf zurecht, der unter einem mitternachtsblauen Spitzhut herunterhing.
"Wir müssen gleich raus, Vick. Zeige dem jungen Herren noch, wo ein freies Abteil ist!" Bestimmte die Hexe im blauen Umhang und sah den Zauberer streng an.
"Joh, mach ich, Greta", sagte der Angewiesene und deutete nach hinten. Julius ging ihm nach, wobei er einen breitschultrigen Jungen seines Alters sah, der ihn merkwürdig herablassend ansah. Julius ignorierte den Blick des Jungen und folgte dem Zauberer zu einem Abteil, wo bereits vier Mädchen und ein Junge saßen.
"Gloria, habt ihr was dagegen, daß ich den jungen Herren hier bei euch Abliefere?" Fragte der blondgezopfte Zauberer. Ein hochgewachsenes Mädchen mit hellblonden Locken und graugrünen Augen drehte sich zu Julius um, sah ihn prüfend an und schüttelte den Kopf.
"Ich habe nichts dagegen, Onkel Vick. Ich denke auch, daß die anderen nichts dagegen haben."
Die vier anderen Kinder im Abteil machten bestätigende Gesten und winkten Julius.
"Dann ist gut, Gloria. Ich wünsche euch eine schöne Zeit in Hogwarts. Und laßt euch nicht ärgern!"
Der Zauberer mit dem mitternachtsblauen Hut zog die Abteiltür von außen zu und ging davon. Julius wuchtete seinen Koffer in das Gepäcknetz. Dann sah er sich seine Mitreisenden genauso prüfend an, wie diese ihn.
Neben der blondgelockten Schülerin, die wohl die Nichte des hilfsbereiten Zauberers war, fiel Julius das Paar braungezopfter Zwillingsschwestern mit den strahlendblauen Augen auf, das sich direkt gegenübersaß. Links neben einer der beiden Mädchen saß eine Schülerin mit einem langen strohblonden Zopf, die zwar auch blaue Augen besaß, Aber eher von der Farbe tiefen Wassers. Dann war da noch ein spindeldürrer Junge mit einer graubraunen Igelfrisur und walnusbraunen Augen. Julius stellte erleichtert fest, daß sie alle in Jeans und Pullovern herumliefen, wie er auch. Lediglich das blondgelockte Mädchen trug einen königsblauen Rock und eine blaßblaue Bluse. Sie sah Julius noch mal prüfend an, als wolle sie ihn durchleuchten. Julius fühlte, daß er leicht errötete. Dann sagte das Mädchen:
"Setz dich doch neben mich hin, Junge! Wie heißt du eigentlich?"
"Julius Andrews", stellte sich der Sohn eines Chemikers vor und ließ sich neben dem Mädchen niedersinken.
"Gloria Porter", stellte sich das blondgelockte Mädchen vor und lächelte.
"Ich bin Betty Hollingsworth, und die da mir gegenüber heißt Jenna Hollingsworth", stellte das Julius schräg gegenüber sitzende Mädchen sich und ihre Zwillingsschwester vor.
"Pina Watermelon", gab das Mädchen mit dem blonden Zopf ihren Namen preis. Der Junge links neben Julius Andrews sagte noch:
"Und ich bin Leon, Leon Turner."
"Wieso guckst du so drein, als wüßtest du nicht, was um dich herum passiert?" Fragte Pina Watermelon und sah Julius direkt in die Augen, daß er einen Moment lang nicht wußte, was er sagen sollte. Dann brachte er schüchtern heraus:
"Nun, bis vor knapp zwei Monaten hätte ich nie geglaubt, das es echte Zauberer und Hexen gibt und daß ich einer von ihnen sein soll. Deshalb kommt mir alles so vor, als sei ich mal eben in eine andere Welt transportiert worden."
"Achso! Du bist doch nicht der erste, der erst durch einen Brief von Hogwarts erfährt, daß er zu uns gehört", meinte Gloria und zeigte ein warmes Lächeln.
"Du kommst also aus einer Muggelfamilie?" Wollte Jenna wissen und prüfte mit ihren hellblauen Augen den Jungen von oben bis unten.
"Das nennt man so, denke ich. Weil eine Urahnin eine Hexe war, habe ich das Pech, daß man mir Zauberkräfte nachweisen konnte. Mein Vater steht kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Aber ihr seid aus einem echten Zaubererstall?"
"Ja, sind wir. Unser Vater ist Zauberschmied und unsere Mutter Schreibt für den Tagespropheten", antwortete Betty.
"Mein Vater dirigiert die Forschungen in einem Chemiewerk, und meine Mutter programmiert Informationssysteme für große Firmen", erwiderte Julius und wunderte sich nicht, daß sie alle verdutzt dreinschauten.
Der Zug fuhr pünktlich vom Bahnhof ab. Julius, der nicht wußte, ob und worüber er sich mit den anderen Kindern unterhalten sollte, holte aus seinem Koffer das Buch über Zaubertränke heraus und las darin.
"Willst du dich auf etwas besonderes vorbereiten, oder warum liest du jetzt schon ein Buch?" Fragte Gloria Porter, nachdem sie einige Minuten zugesehen hatte, wie Julius die Abbildungen verschiedener Zutaten und Rezepturen studierte.
"Weil mich Zaubertränke interessieren. Aber auch Zauberkräuter. Seitdem ich welche gesehen habe, möchte ich mehr darüber wissen, wann sie entdeckt wurden und wie sie wirken."
"Soso. Nun gut, daß müssen wir wohl verstehen", erwiderte Gloria etwas herablassend. Julius antwortete nicht.
Betty zog eine Zeitung hervor und las laut vor, daß ein Gefangener namens Sirius Black immer noch auf freiem Fuß war und von Wächtern aus Askaban gesucht wurde. Julius fragte, was Askaban sei, was der Typ verbrochen habe und welche Wächter das seien.
Die Mädchen erklärten es ihm und schlossen damit, daß der Mann mit einem einzigen Fluch eine ganze Straße in Schutt und Asche gelegt und dabei 13 Leute ermordet hatte. Julius war es ein wenig mulmig. Da kam er auf eine Zaubererschule, und die Probleme der Zaubererwelt waren ähnlich wie die in der Nichtzaubererwelt.
Das weitere Gespräch drehte sich bald um Schach, diverse Muggelsportarten und die Vermutungen, in welches Haus jeder kommen würde.
Während der Fahrt huschten einmal zwei große Gestalten am Abteil vorbei, die einen Abschätzigen Blick hineinwarfen. Ein Junge mit blassem Gesicht stolzierte zwischen ihnen entlang. Julius drängte sich der Verdacht auf, daß da ein Königssohn mit seiner Leibgarde auf einem Spaziergang war.
Als dann nach einigen Stunden Fahrt die Abteiltür aufgezogen wurde, dachte Julius erst, daß nun die Fahrkarten kontrolliert würden und machte eine hektische Handbewegung in Richtung seiner Jackentasche. Doch die kleine rundliche Frau, die nun in der offenen Abteiltüre stand, war wohl eher für das leibliche Wohl zuständig. Denn sie bugsierte einen Imbißwagen mit allerlei Süßkram und Getränken vor die Abteiltür.
"Wollt ihr was vom Wagen haben?" Fragte sie lächelnd. Gloria nickte und suchte sich Schokofrösche, Lakritzzauberstäbe und eine Tüte Berty Botts Bohnen in jeder Geschmacksrichtung aus. Julius sah betrübt drein, weil er außer ein paar goldenen Münzen, die Cynthia Flowers ihm gelassen hatte, kein Zauberergeld besaß. Er fragte, wieviel von dem Kesselkuchen, den die Hexe anbot, er für eine Münze kriegen konnte. Sie grinste und meinte:
"Ein Stück kostet acht Knuts, für eine Galleone kriegst du dann sechzig Stücke. Hast du soviel Hunger?"
Die Mädchen lachten, und Julius lachte mit. Er hatte überhaupt keine Vorstellung davon, was das Zauberergeld wert war. Dann meinte er noch grinsend:
"Ich nehme zwölf Stücke und von diesem Kaugummi noch was."
"In Ordnung", strahlte ihn die Hexe an und gab die gewünschten Sachen heraus und zählte ihm Wechselgeld in Silber- und Bronzemünzen hin. Dann verabschiedete sie sich und zog ihren Wagen weiter.
"Hat man dir nichts über unser Geld erzählt?" Wollte Gloria Porter wissen. Julius mußte zugeben, daß ihm darüber nichts genaues erzählt wurde, außer daß es drei Sorten Münzen gab. Gloria erklärte ihm das Verhältnis von Galleonen, Sickeln und Knuts zueinander. Julius versuchte sich vorzustellen, wieviele Galleonen auf ein englisches Pfund gehen mußten, hatte Aber außer dem Kaugummi und den zwölf Stücken Kuchen, die er zwischen sich und den Mitreisenden aufteilte, keinen Vergleichswert.
"Wie machen denn das die anderen Muggeleltern, wenn sie geld in Zauberergeld umtauschen wollen?"
"Das machen die Kobolde in Gringotts. Die haben da irgendeine Umrechnungsliste, wieviel Muggelgeld für einen Diamanten oder Rubin bezahlt werden muß, der ein bestimmtes Gewicht hat. Mein Vater arbeitet als Außendienstmitarbeiter für Gringotts und hilft den Kobolden bei der Umrechnung, indem er ihnen Berichte von Edelmetallen und Edelsteinen zuschickt, die gefördert werden. Er ist jetzt in Südafrika unterwegs", erklärte Gloria, warum sie sich mit den Währungsproblemen auskannte. Betty Hollingsworth meinte nur:
"Zahlt ihr überhaupt noch mit Geld? Ich habe mal was gelesen, daß die Muggel etwas erfunden haben, das Kreditkarte heißt und Geld ersetzen soll."
"Das ist richtig", erklärte Julius und beschrieb, was eine Kreditkarte war und wie man damit bezahlen konnte.
Zum Ende der Reise wurde es noch richtig unheimlich. Der Zug stoppte auf freier Strecke. Alle Lichter gingen aus. Regen und Sturmgeheul drangen durch die Scheiben zu den Insassen herein. Gloria verzog das Gesicht zu einer beklommenen Grimasse, als wisse sie, daß etwas schlimmes passieren würde. Julius fragte nicht, was sie so verängstigte. Das schien ihm im Moment nicht angebracht zu sein.
Die Abteiltür ging auf, und ein großes vermummtes Wesen trat in den Türrahmen. Augenblicklich hatte Julius das Gefühl, eisige Kälte würde ihn treffen und alle Freude des Lebens wäre verflogen. Julius fiel ein, was die Mädchen über die Wächter von Askaban erzählt hatten, daß sie Dementoren hießen und Leuten jeden Antrieb nehmen konnten, irgendwas zu unternehmen. Dann mußte das wohl einer sein, dachte Julius und versuchte, die in ihm aufsteigende Angst und Verzweiflung niederzuringen.
Als das unheimliche Wesen weiterging, verflog das Gefühl der Kälte und der Verzweiflung. Gloria richtete sich wieder auf und starrte in den Durchgang hinaus. In ihren Augen schimmerten Tränen. Auch Julius mußte wohl kurz vor einem Weinkrampf gestanden haben, denn gerade rollte eine Träne an seiner Nase hinunter und fiel ihm auf den grünen Pullover, den er trug. Betty und Jenna hockten total verschreckt auf ihren Sitzen. Auch sie hatten Tränen in den Augen.
Endlich fuhr der Zug wieder an und rumpelte durch die verwilderte Landschaft, die nicht das mindeste einer Zivilisation erkennen ließ. Julius fand als erster seine Sprache wieder und meinte vorsichtig:
"Ich hätte nie geglaubt, daß mich etwas so fertig machen kann."
"Deshalb galt Askaban auch als das sicherste Gefängnis der Zaubererwelt, bis Sirius Black entkommen konnte. Diese Wesen, die Dementoren, ziehen einem alle Lebensfreude ab, wenn sie nur in der Nähe sind", erläuterte Gloria, die wohl auch ihre Fassung wiedergefunden hatte und wischte sich die restlichen Tränen aus dem Gesicht.
"Ich frage mich, ob ich wirklich in so einer Welt leben will", grummelte Julius. Er hatte bis vor kurzem Horrorgeschichten von Dämonen und mörderischen Ungeheuern für blanken Unsinn gehalten. Und nun hatte er ein unheimliches Wesen hautnah erlebt.
"Das wirst du wohl müssen", erwiderte Gloria ungefragt. "Du bist als Zauberer erkannt worden und mußt deinen Weg gehen. Du kannst nicht mehr zurück."
"Haha", machte Julius trotzig.
Ein Fremder in zerschlissenem Umhang und mit braunem Haar, das bereits graue Stränen aufwies, öffnete die Abteiltür und sagte:
"Sie sind wieder ausgestiegen. Ich habe hier Schokolade für euch, um die Nachwirkungen der Dementoren zu beheben."
"Rauschgift?" Fragte Julius Andrews mit Mißtrauen in der Stimme.
"Nein, kein Rauschgift. Nur Körper und Seele belebende Zutaten", erklärte der Fremde. Gloria griff sofort nach der ihnen angebotenen Schokolade und brach sich ein Stück ab. Betty und Jenna taten es ihr gleich. Da gab auch Julius Andrews sein Zögern auf und brach sich ein Stück ab. Pina und Leon nahmen ebenfalls von der Schokolade. Dann bedankten sich die sechs Schulanfänger höflich. Der Fremde verabschiedete sich und verließ das Abteil wieder.
Der Genuß der Schokolade brachte in Julius ein Gefühl von Wärme und Behagen zurück, daß er vor dem Dementorenbesuch nicht gefühlt hatte. Er fragte:
"Wer war das denn?"
"Das muß der neue Professor für Verteidigung gegen die dunklen Künste gewesen sein. Onkel Vick hat mir erzählt, daß er in unserem Zug mitfährt", wußte Gloria zu berichten.
"Der neue? Wo ist denn der alte geblieben? Hat den ein Monster gefressen?" Spottete Julius, jetzt wieder völlig frei von Angst und Verzweiflung.
"Ich weiß es nicht genau", erwiderte Gloria Porter und strich sich durch ihre blonden Locken. "Es soll wohl Gilderoy Lockhart gewesen sein. Er hat angeblich beim Kampf gegen ein Ungeheuer sein Gedächtnis verloren und mußte den Schuldienst aufgeben."
"Achso. Ich wollte nicht respektlos erscheinen", sagte Julius und lief rosa an. Das war bestimmt nicht lustig, sein Gedächtnis zu verlieren. Eine Großtante von ihm hatte im Alter ihr Gedächtnis verloren und fragte jedesmal, wenn Julius und seine Eltern sie besuchten, wann Julius denn in die Schule komme.
Kurz vor dem Halt am Zielbahnhof zogen sich die sechs noch um. Sie packten ihre normale Straßenkleidung fort und hüllten sich in ihre Umhänge und setzten ihre Zaubererhüte auf.
Der Hogwarts-Express hielt im Bahnhof von Hogsmeade an, und sämtliche Insassen kletterten aus den Wagons. Als das Gepäck entladen war sah Julius, wie ein schwarzhaariger Junge von wohl dreizehn Jahren von einem Gleichaltrigenmit flammenroten Haaren und einem Mädchen mit braunen Haaren umsorgt begleitet wurde. Dann dröhnte eine gewaltige Stimme:
"Erstklässler hier entlang!" Julius fuhr zusammen und drehte sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Er sah einen waren Koloß von Mann, doppelt so groß wie ein normaler Mann und fünfmal so breit. Er besaß einen struppigen Haarschopf und ebensolchen Bart und war in einen Umhang aus Fell gehüllt.
Er ließ alle Erstklässler in einem großen Trupp zusammentreten und führte sie zu einem See, an dessen Ufer Boote festgemacht waren. Alle mußten sich in Vierergruppen auf die Boote verteilen.
Die Überfahrt war stürmisch. Julius, der mit den Hollingsworth-Schwestern und Gloria ein Boot besetzte, schöpfte immer wieder Wasser aus, um das Boot nicht zum Kentern zu bringen. Für das Schloß mit seinen Türmen und Erkern hatten sie nicht allzuvile Aufmerksamkeit. Sie bekamen nur mit, daß sie in einen schmalen Tunnel hineinfuhren, in dem sie nur mit eingezogenen Köpfen sitzen konnten. Dann kamen sie in einem unterirdischen Hafen an, wo der Riese im Fellumhang die prustenden und durchnäßten Erstklässler einsammelte. Einen steinigen Pfad hinauf zu einer Wiese im Schatten des großen Schlosses führte sie der übergroße Mann und klopfte dreimal an ein Eichentor.
Julius fuhr fast zusammen als er die Hexe im smaragdgrünen Umhang mit den viereckigen Brillengläsern wiedererkannte. Es war ja erst wenige wochen her, daß sie seinem Vater mit einem Entwaffnungszauber einen Revolver aus der Hand gehext und diesen dann in ein buntes Sofakissen verwandelt hatte.
Professor McGonagall führte die Erstklässler durch eine große Eingangshalle in eine Kammer, in der sie ihnen einen Vortrag darüber hielt, daß sie nun auf die vier Häuser Gryffindor, Hufflepuff, Ravenclaw und Slytherin verteilt würden, daß sie mit ihren Hauskameraden auch gemeinsam Unterricht hatten und für hervorragende Leistungen Punkte für ihr Haus und bei Regelverletzungen oder schlechter Arbeit Punktabzüge für das Haus hinnehmen müßten. Zudem konnte eine Regelverletzung mit Strafarbeit, schlimmstenfalls mit dem Verweis von der Schule geahndet werden. Dann gab sie den Erstklässlern einige Minuten Zeit, während der sie sich noch mal zurechtmachen konnten. Angesichts dessen, daß sie alle von der Überfahrt durchnäßt waren, erschien diese Anweisung undurchführbar. Doch einige hatten Möglichkeiten, sich zumindest die Haare zu richten. Gloria zum Beispiel nahm ihren Zauberstab und murmelte eine kurze Formel, nach der sich ihre Lockenpracht wie von selbst trocknete und ordnete. Sie wandte sich den Hollingsworth-Schwestern zu und fragte sie, ob sie ihnen auch die Haare richten könne. Sie nickten und erhielten in wenigen Sekunden trockenes und glattes Haar. Dann wandte sie sich an Julius und fragte:
"Soll ich dir auch die Haare machen, Julius?"
"Das ist doch ein Mädchenzauber", warf Julius frech ein. Sie grinste:
"Kann sein, Aber genau weiß ich das nicht. Vielleicht geht der auch bei Jungen."
Julius riskierte es, sich für dieses Experiment zur Verfügung zu stellen. Er hatte immer von seinem Vater gehört, daß Wissenschaftler nie einen Fehlschlag, sondern nur unerwartete Ergebnisse erzielten, wenn ein Versuch nicht so lief, wie geplant. Gloria winkte kurz mit dem Zauberstab über Julius' nasse Kurzhaarfrisur, murmelte ihre kurze Formel, und Julius fühlte ein sanftes Vibrieren in der Kopfhaut und ein Gefühl spontaner Erwärmung. Dann war der Zauber auch schon vorbei. Ein Junge hinter ihm meinte:
"Eh, das will ich auch haben!"
"Dann sag erstmal ein anderes Zauberwort", wandte sich Gloria Porter an den hageren Jungen mit der schulterlangen rotbraunen Mähne, die von der Bootsfahrt richtig zerwühlt und durchnäßt war.
"Bitte, ich möchte auch diesen Schnelltrockenzauber für meine Haare haben", sagte er etwas kleinlaut. Gloria vollzog schnell ihren praktischen Zauber, und die rotbraune Struwelmähne wurde zu einem korrekt sitzenden Schopf, ohne Anzeichen von Nässe.
"Ich fürchte, Miss Porter, Sie dürfen das bei allen machen", flachste Julius Andrews. Sie meinte darauf nur:
"Nicht nötig. Ich bin nicht die einzige hier, die das gelernt hat."
Tatsächlich halfen sich mehrere Mädchen gegenseitig bei der Haartrocknung und halfen auch den Jungen in der Nähe, ihre Frisuren wieder zu ordnen.
Dennoch waren nicht alle fertig, als sich die Tür wieder öffnete. Doch es war nicht mehr Professor McGonagall, sondern ein kleiner zerbrechlich wirkender Zauberer mit leicht weißem Haar. Mit einer piepsigen Stimme verkündete er:
"Professor McGonagall wurde leider aufgehalten. Ich darf Sie alle bitten, mir in den großen Saal des Schlosses zu folgen. Mein Name ist Professor Flitwick."
Flitwick, so klein wie er auch war, strahlte eine nicht zu übersehende Autorität aus, der sich die Erstklässler fügten. Auf seinen Befehl ordneten sich die Schüler in einer Reihe ein. Dann ging es im Gänsemarsch durch die Eingangshalle zurück in den großen Saal von Hogwarts.
Kerzenleuchter und Fackeln erhellten den großen Raum, dessen Decke wie der bewölkte Abendhimmel aussah. Julius vermutete eine Zauberei, die die Decke dazu brachte, den gerade sichtbaren Himmel darzustellen. Vier lange Tische standen in der Halle, an denen Jungen und Mädchen von 11 bis 17 Jahren saßen. Julius erkannte, daß an jedem Tisch mehrere freie Plätze vorhanden waren. Er verstand das System. Jedes Jahr gingen Leute von dieser Schule ab. Andere rückten nach. Einfach und genial.
Professor Flitwick brachte einen dreibeinigen Stuhl herein, auf dem ein alter zerschlissener Spitzhut lag. Er stellte den Stuhl vor die aufgereihte Kolonne der Erstklässler ab und trat Bei Seite. Dann fing der Hut an zu singen.
"Ich bin so alt wie dieses Haus
und sehe nicht mehr taufrisch aus,
jedoch bin ich viel heller als die Kerzen
und schaue tief in Köpfe und auch herzen.
Als man die Schule Hogwarts baute
und nach dem Wert der schüler schaute,
schuf man auch mich als einzigem dem jeder traute.
Die vier die mich gesegnet haben, mit allen ihren Kenntnisgaben
beschlossen daß in jeden Jahren, wenn neue Schüler hierher fahren,
ich forschen soll, für wen es lohnt,
daß er oder sie ein Haus bewohnt.
Übst du die Treu und Redlichkeit,
und bist zu viel Geduld bereit,
so wähle ich dir als dein Haus,
dann Hufflepuff zum leben aus.
Erquickt es dich, viel Mut zu wagen
lebst du nach Recht in allen Tagen,
sei's Gryffindor, dein neues Ziel,
denn solches Wesen gilt hier viel.
Ist dein Verstand schnell und nimmt viel,
auf deinem weiten Weg zum ziel,
erfaßt du jede Kleinigkeit,
halt dich für Ravenclaw bereit!
Steht dir nach Rang und Ruhm der Sinn,
gibst du dich deinen Wünschen hin
und bist dabei ganz Hemmungslos,
so fällt auf Slytherin dein Los.
So kommt und setzt mich auf geschwind,
damit das rechte Haus ich find,
in welchem ihr fortan sollt wohnen,
auf das die Zeit hier soll für euch sich lohnen."
Julius Andrews grinste, als der Hut mit seinem Lied fertig war. Er konnte sich nicht vorstellen, wie ein alter Hut entscheiden sollte, wer wirklich für jedes Haus geeignet war. Denn kam es nicht darauf an, wie sich jeder benahm, als darauf, wie jeder beschaffen war?
Als Professor Flitwick eine lange Liste auf Pergament entrollte und die Reihe der Erstklässler ansah, verflog das Grinsen des Sohnes eines Chemiedirektors schlagartig, sobald der erste Name fiel.
"Andrews, Julius!"
"Na toll. Der Erste Idiot in der Reihe", dachte Julius und trat aus der langen Schlange von Erstklässlern heraus. Er ging nach vorne, ganz gelassen wirkend, obwohl es in ihm regelrecht aufgewühlt zuging.Professor Flitwick hielt ihm den singenden Hut entgegen, und er nahm ihm die verzauberte Kopfbedeckung aus den Händen. Als er ihn sich aufgesetzt hatte, fiel der Hut sofort über seine Augen, so das er nur tiefe Schwärze sehen konnte. Er setzte sich auf den Stuhl und fragte sich, was dieses Ding nun machen würde.
"Hmm, ein interessanter Kopf, für wahr", flüsterte eine piepsige Stimme an Julius rechtem Ohr. "Da ist so vieles drin, da fällt mir die Wahl nicht leicht. Mutig ist er ja, Aber Gefahren würde er meiden, die er nicht eingehen muß, dafür ist er wieder zu schlau. Vom Arbeiten hält er zwar nur dann was, wenn es ihn interessiert und amüsiert, doch ist er gerne bereit, anderen zu helfen. Wissen ist ihm wichtig, und er ist sehr kreativ, gewitzt und auch mal zu einer Gemeinheit aufgelegt."
"Du altes Stoffding, kannst du etwa in meinem Hirn lesen, oder was?"
"Natürlich", piepste die Flüsterstimme als antwort auf Julius gedachte Frage. Dann dachte Julius:
"Mach schon! Ich will heute noch mal fertig werden!"
"Nur keine Eile. Kluge Dinge brauchen Weile", antwortete die Stimme und fuhr fort:
"Nun, da du dich so für Wissen und Kreativität geeignet zeigst, Aber auch Mut und Loyalität zeigst, ist es nicht einfach, dich genau zuzuordnen."
"Dachte ich's mir doch. Ihr könnt mit mir nichts anfangen. Dann sage doch, daß ich hier nicht hingehöre!" Dachte Julius zurück. Daraufhin kam ein unterdrücktes Kichern als Antwort.
"Wenn du schon soweit bist, auf diesem Stuhl zu sitzen, gehörst du auf jeden Fall hierher. Nun, einfach ist es nicht."
"Solange du mich nicht in dieses Haus Slytherin steckst, soll es mir gleich sein. Hauptsache, ich kann hier was lernen, womit ich was anfangen kann", dachte Julius leicht angespannt.
"Interessant, daß du an Slytherin denkst. Sicher, deine Findigkeit und deine Bereitschaft, deine eigenen Ziele zu verfolgen, sind gute Charakterzüge für Slytherin. Aber dir fehlen andere Attribute dafür. So was wie du, der wissbegierig, lernfähig und kreativ ist, gehört doch, so stelle ich wohl fest nach: Ravenclaw!" Beendete der sprechende Hut den Satz mit dem laut in den Saal hallenden Ausruf des Hauses, für das Julius dem Hut nach geeignet erschien. Julius nahm den Hut wieder vom Kopf und sah sich um. Am zweiten Tisch von Links klatschten die Jungen und Mädchen Beifall und winkten ihm zu. Julius hielt Professor Flitwick den Hut entgegen und wartete, bis er den nächsten Namen von der Liste aufgerufen hatte:
"Ashton, Melissa!"
Julius ging an den Tisch der Ravenclaws hinüber und nahm rechts neben einem hochgewachsenen Jungen mit strohblondem Scheitel Platz.
"Das war wohl nicht einfach für den alten Lumpen", bemerkte der Junge, der wohl 16 Jahre alt sein mußte.
Julius sah auf seine Uhr und stellte fest, daß er zwischen seinem Aufruf und dem Gang zum Tisch zwei Minuten gebraucht hatte.
"Ich muß mich da erst dran gewöhnen, daß hier so merkwürdige Sachen möglich sind", meinte Julius Andrews und stellte sich noch mal vor.
"McMillan, Dustin McMillan", erwiderte der Ravenclaw-Junge neben Julius.
Die Namen der Erstklässler wurden weiter in alphabetischer Reihenfolge aufgerufen.
Es folgten zwei Zuteilungen zum Haus Slytherin, eine nach Hufflepuff und drei nach Gryffindor. Dann rief Professor Flitwick "Hollingsworth, Betty" auf. Sie nahm den Hut, setzte ihn auf und nahm auf dem Stuhl Platz. Es vergingen zehn Sekunden, nach Julius Uhr zu schließen, bis der Hut "Hufflepuff!" ausrief. Julius dachte, daß als Bettys Zwillingsschwester Jenna dran war, der Hut keinen Augenblick brauchte, um sie auch nach Hufflepuff zu schicken. Doch hier ließ sich der Hut eine ganze Minute Zeit, bis er verkündete, daß auch Jenna ins Haus Hufflepuff einziehen solle.
"Versteht das wer, wie dieser Hut funktioniert?" Fragte Julius Dustin.
"Oha! Sag bloß nicht "funktionieren". Dieser Hut hat eine eigene Persönlichkeit und verfügt über eine sehr große Erfahrung. Angeblich ist er schon bei der Gründung von Hogwarts entstanden und von den Gründern mit deren Wissen und Entscheidungsfähigkeiten ausgestattet worden. So gesehen ist er ein eigenständiges denkendes Wesen."
"Das nehme ich mal als glaubwürdige Aussage hin", erwiderte Julius. Die nächsten drei kamen alle nach Slytherin, dann kam ein Junge nach Gryffindor, anschließend folgte ein Junge, der vom Hut nach Hufflepuff zugeteilt wurde. Als der Name "Porter, Gloria" aufgerufen wurde, sah Julius besonders aufmerksam hin. Wie lange würde der Hut bei ihr brauchen?
Gloria nahm gerade auf dem Stuhl platz, als der Hut "Ravenclaw" rief.
Wieder klatschten die Jungen und Mädchen am Ravenclaw-Tisch. Julius klatschte mit und sah, wie Gloria den Hut an "Purkes, Rachel" weiterrreichte. Dann sah er das blonde Mädchen an den Ravenclaw-Tisch kommen und lächelte ihr zu. Sie setzte sich ohne Zögern rechts neben ihm hin.
Gloria deutete auf den rotbraunhaarigen Jungen, dem sie nach Julius die Haare gerichtet hatte. "Redwood, Chuck" wartete eine viertelminute auf dem Stuhl, bis der Hut ihn mit dem Ausruf "Slytherin!" entließ.
"Huch! Das muß Aber ein ganz interessanter Typ sein", kommentierte Dustin die Entscheidung des Hutes. Julius, der sich die Slytherins genau angesehen hatte, wenn einer von den Neuen ihnen zugeteilt worden war, mußte seinem Sitznachbarn rechtgeben. Chuck Redwood paßte nicht in das Erscheinungsbild der Slytherins und bewegte sich auch nicht so stolz, mehr überheblich, wie die Schüler, die vor ihm dorthin geschickt wurden. Julius vermeinte auch einen kurzen enttäuschten Blick erkannt zu haben, als der Junge mit den rotbraunen Haaren aufgestanden war und den Hut weitergereicht hatte.
"Ich fürchte, der wird in dem Haus nicht viel zu lachen kriegen", meinte Gloria, die wohl ähnliche Gedanken wie Julius gehegt hatte. Sie begründete ihren Kommentar:
"Die Redwoods sind in der Abteilung für die Erforschung von Möglichkeiten zur Verständigung zwischen Muggeln und Zauberern tätig. Normalerweise mögen Abkömmlinge, die in Slytherin waren, und deren Kinder in vielen Fällen auch dort landen, solche Typen nicht, weil sie keine Muggel mögen."
"Das habe ich schon gemerkt", meinte Julius bestätigend und zeigte so unauffällig wie möglich auf die beiden übergroßen Jungen, die einen blonden Jungen mit blassem Gesicht flankierten, der irgendwie so wirkte, als sei er ihr Herr und Meister.
"Turner, Leon!" Rief Professor Flitwick einen der letzten Namen auf der Liste auf. Der spindeldürre Junge mit der Igelfrisur trat vor, nahm den Hut und setzte ihn sich auf den Kopf. Er nahm gerade auf dem Stuhl platz, als der Hut schon "Hufflepuff!" in den Saal rief. Leon nahm den Hut ab und sah äußerst zufrieden drein.
"Der wollte dahin", meinte Dustin ohne Zögern. "Seht ihn euch an. Der hat es darauf angelegt, ins Haus Hufflepuff zu kommen."
"Diesem Hut nach sollen dort doch alle viel arbeiten wollen", erinnerte sich Julius.
"Ja, Aber nur insofern, daß sie nicht dazu angehalten werden, Superintelligenzleistungen zu bringen", bemerkte Dustin McMillan. Julius überhörte das. Auch Gloria Porter schien nicht zu glauben, daß nur Idioten nach Hufflepuff kamen. Vielleicht, so dachte Julius, sagte der Hut auch nicht alles, was wen für welches Haus auszeichnete.
"Watermelon, Pina!" Erfolgte der letzte Aufruf von der Liste. Julius sah dem Mädchen, daß ebenfalls mit ihm im Zugabteil gesessen hatte, dabei zu, wie es den Hut aufsetzte und sich auf dem Stuhl niederließ. Es verging ungefähr eine Minute, bis der Hut "Ravenclaw!" rief. Wieder klatschten die Ravenclaws Beifall, als Pina herüberkam und sich zwei Stühle schräg rechts gegenüber von Julius niederließ.
Julius stellte fest, daß ein Stuhl am Ravenclaw-Tisch freigeblieben war. Er sah sich um, ob vielleicht noch wer hierher kommen würde. Doch die Reihe der Erstklässler war endgültig abgearbeitet. Der kleine Lehrer Flitwick schickte sich an, den Stuhl und den alten Hut fortzuschaffen.
Unvermittelt ploppte es, und eine Gespensterfrau in grauer Kleidung glitt aus dem Boden heraus und ließ sich auf dem freien Stuhl nieder. Julius konnte durch ihre Pperlweiße Gestalt die brennnenden Kerzen sehen. Die Geisterfrau sah ihn und die anderen neuen Ravenclaw-Bewohner prüfend an und nickte schweigsam.
"Das ist die graue Dame, unser Hausgeist", flüsterte Dustin McMillan. Julius traute seinen Augen nicht. Er sah schnell hinüber zu den anderen Tischen, wo ebenfalls echte Geister saßen. Besonders unheimlich kam ihm dabei der Geist der Slytherins vor, dessen ausgemergelte Gestalt mit silbrigen Blutflecken übersät war.
Als die Erstklässler alle saßen, kamen noch zwei Schüler in den Raum, von Professor McGonagall geführt. Sie versuchten, sich so unauffällig wie möglich zum Tisch der Gryffindors zu schleichen. Julius sah den schwarzhaarigen Jungen mit den hellgrünen Augen, der etwas betreten dreinschaute, offenbar, weil ihm seine Situation peinlich war und ein braunhaariges Mädchen, das darum bemüht war, Haltung zu bewahren. Alle, die am Tisch der Slytherins saßen, machten höhnische Gesichter und tuschelten unverholen. Offenbar amüsierte sie es, daß dieser Junge derartiges Aufsehen erregte.
Julius blickte zum hohen Tisch hinüber, an dem die Lehrer saßen. Er erkannte Professor McGonagall, sowie den kleinen Professor Flitwick. Der Junge links neben ihm mußte den Blick des Neuen bemerkt haben und erklärte:
"Der kleine Herr ist unser Hauslehrer, Professor Flitwick, Lehrer für Zauberkunst."
Außerdem erkannte Julius die untersetzte Hexe wieder, die er vor wenigen Wochen erst in der Apotheke in der Winkelgasse getroffen hatte.Professor Sprout, Lehrerin für Kräuterkunde, trug zum feierlichen Anlaß einen schicken Umhang aus lindgrünem Samt und einen tadellosen Zaubererhut gleicher Farbe.
Ein krasses Gegenstück zu Flitwick bot der Riese, der die Erstklässler über den See gefahren hatte. Er saß auf zwei Stühlen gleichzeitig und unterhielt sich mit den übrigen Lehrern.
Der neue Lehrer trug immer noch seinen zerschlissenen Umhang. Offenbar hatte er nur den einen, dachte Julius etwas mitleidsvoll. Unheimlich war ihm der Mann mit dem bleichen Gesicht und der Hakennase, der ebenfalls am Lehrertisch saß. Dustin stellte ihn als Professor Snape vor, den Lehrer für Zaubertränke und Hauslehrer der Slytherins. Und schließlich saß da noch ein älterer Herr mit langem Silberhaar und ebensolchem Bart, der durch halbmondförmige Brillengläser blickte und trotz seines Alters einen Eindruck der Stärke und Erhabenheit bot.
"Das ist Dumbledore", erklärte ein älteres Mädchen mit langen Locken, daß drei Stühle rechts Julius gegenüber saß und eine Medaille mit einem V-Symbol trug. Er kannte dieses Zeichen von einem Foto, daß ihm sein Vater von einer Eton-Jahrgangsfeier gezeigt hatte. Es stand für Vertrauensschüler oder -schülerin.
Dumbledore, der Schulleiter, bat um Aufmerksamkeit und erklärte, daß die Dementoren von Askaban die Ländereien von Hogwarts umstellt hätten, um nach dem flüchtigen Sirius Black zu fahnden. Dann stellte er zwei neue Lehrer vor. Lupin, der Mann im alten Umhang, sollte tatsächlich Verteidigung gegen die dunklen Künste unterrichten, während der Riese, Rubeus Hagrid, als neuer Lehrer für die Pflege magischer Geschöpfe beginnen sollte. Danach eröffnete Dumbledore das Festmahl, das anläßlich des Schuljahresbeginns gehalten wurde.
Wie im Märchen vom Tischlein Deck-Dich füllten sich die Schüsseln und Becher auf dem Tisch auf wundersame Weise mit den erlesensten Speisen und Getränken.
Penelope Clearwater, die Vertrauensschülerin mit den langen Locken, sagte bei der offiziellen Aufhebung der Tafel:
"Folgt mir einfach alle. Ich kenne das Passwort für unser Haus.
Der Ravenclaw-Tisch erhob sich, nachdem die Slytherins an ihnen vorbeistolziert waren. Julius behielt einen ruhigen Gesichtsausdruck, als er die beiden Dinosaurier Crabbe und Goyle an sich vorbeitrampeln sah. Er grinste nicht und sah auch nicht so aus, als würde er sie fürchten. Dann gingen auch sie aus dem großen Saal und folgten Penelope zu einem Gemälde, das eine Blumenwiese darstellte, auf der zur Zeit niemand zu sehen war. Penelope sah etwas verärgert drein, als habe sie gerade festgestellt, daß etwas nicht nach ihrem Wunsch funktionierte. Sie tippte das Gemälde an und sah, wie vom linken Bilderrahmen her ein ländlich gekleideter Mann ins Bild trat, der eine große braun-weiß gescheckte Kuh an einer langen Leine führte, die aufgeregt muhte.
"Entschuldigung, die Maggy ist mal wieder weggelaufen. Hast du das Passwort?"
"Mare Tranquillitatis!" Antwortete Penelope etwas genervt darüber, daß der offensichtliche Bewohner des Gemäldes nicht auf sie gewartet hatte. Der Mann im Gemälde nickte und schwang mit dem Gemälde zur Seite, worauf ein Durchgang freigegeben wurde. Die Ravenclaws stiegen hindurch und betraten einen großen gemütlichen Raum mit vielen Tischen und Sitzgruppen. In einem geräumigen Kamin prasselte ein helles Feuer, und auf einem der Tische stand eine Vase mit Blumen.
"Das ist der Gemeinschaftsraum. Wenn ihr Hausaufgaben machen wollt oder Spiele spielen, haltet ihr euch hier auf", erklärte Penelope. Dann wandte sie sich um und sah einen großen Jungen mit schwarzem Haarschopf, der ihr zunickte und vortrat.
"Ich bin Terrence Crossley, auch Vertrauensschüler von Ravenclaw. Ich zeige den Erstklässlern ihren Schlafsaal. Folgt mir, bitte."
Gloria folgte Penelope und den übrigen Erstklässlerinnen, während Julius mit vier anderen Jungen eine Treppe hinaufstieg und zu einer Tür ging, auf der "Erstklässler" zu lesen stand. Hier ließ sie Terrence Crossley allein.
Im Schlafsaal standen alle Gepäckstücke der fünf Jungen. Julius, der sich mit Kevin Malone, Fredo Gillers, Marvin Sallers und Eric Bosetzky den Erstklässlerschlafsaal teilte, sah sofort, daß die altmodisch wirkenden Himmelbetten mit entsprechenden Namensschildern versehen waren. Offenbar legte man es nicht darauf an, daß sich die Jungen um die Betten stritten. Über dem Bett, das für den rotblonden Kevin Malone reserviert war, hing zudem ein großer Käfig, in dem eine Waldohreule saß und aufgeregt flatterte, als Kevin sich ihr näherte. Julius hatte zwar mal gälisch gehört, doch erschien es ihm immer fremd. So verstand er nicht, was Kevin dem Tier sagte, als er es aus dem Käfig befreite. Er holte einen Zettel aus seiner linken oberen Umhangtasche und schrieb etwas mit einer Feder darauf. Dann band er den Zettel dem Tier um das linke Bein und öffnete eines der großen Fenster. Sogleich hob die Eule von Kevins Schulter ab und strich lautlos in die Nacht hinaus. Kevin sagte noch etwas, wo das Wort Boann drin vorkam, von dem Julius meinte, daß es der Name der Eule sei.
"An und für sich, hat Terrence mir beim Essen erzählt, dürfen Eulen nur Post Abliefern und dann nur in der Schuleulerei bleiben. Aber wir armen Erstklässler sollen schließlich sofort, wenn wir unseren Schlafsaal erreicht haben, nach Hause schreiben, daß wir gut angekommen sind", erklärte Fredo Gillers.
"e.T. nach Hause telefonieren", gab Julius ein Filmzitat zum besten und wunderte sich nicht, daß die anderen dumm dreinschauten.
"Was war denn das?" Fragte Marvin Sallers und kratzte sich am Kopf.
"Das war die Bitte eines Kobolds von den Sternen, daß er mit seinen Kameraden sprechen könnte. Das kommt in einem Film vor, das sind aufgezeichnete Bilder, die sich bewegen, so wie sich die Leute bewegen, die auf diese Weise aufgenommen wurden."
"Ja, ich habe davon gehört. Die Muggel haben es irgendwie auf die Reihe gekriegt, sich bewegende Bilder aufzuzeichnen. Allerdings können die sich nur so bewegen, wie die Leute sich bewegt haben, als sie aufgezeichnet wurden", sagte Kevin und sah ein kurzes Nasenzucken bei Julius, als er "die Muggel" gesagt hatte. Deshalb warf er schnell ein:
"Das zeigt nur, daß sie es prima verstehen, sich auch ohne Zauberei ein interessantes Leben zu schaffen."
"Ich habe mich langsam daran gewöhnt, meine Eltern als Muggel bezeichnen zu lassen. Die waren voll verwirrt, als ich den Brief aus Hogwarts bekam. Aber das interessiert euch warhscheinlich nicht", erzählte Julius. Wie zu erwarten war wollten die vier Jungen eben doch wissen, wie genau die Kontaktaufnahme zu den Muggeln abgelaufen war, und Julius erzählte, wie kurz vor der Einschulung im Eton-Internat eine Hexe von Hogwarts bei seinen Eltern vorbeigeschaut und ihnen begreiflich gemacht hatte, daß Julius ein Zauberer sei und hierher solle, um seine Kräfte richtig auszubilden. Er erzählte auch, daß sein Vater ihn und seine Mutter für viel Geld nach Australien mitgenommen hatten, um seine Verabredung mit Hogwarts-Mitarbeitern zu vereiteln und er ihnen voll in die Arme gelaufen sei. Wer die Hexe war, die seine Eltern aufgesucht hatte, verschwieg er. Er wollte nicht damit prahlen, daß erProfessor McGonagall bereits kennengelernt hatte. Und Professor Sprout erwähnte er genauso wenig, wie Aurora Dawn, die ihm die ersten Besenflugstunden gegeben hatte. Es reichte den vieren schon aus, daß sie es amüsierte, wie ignorant doch Muggeleltern sein konnten. Dann unterhielten sie sich noch über die Dementoren und tauschten ihre Erfahrungen im Zug aus. Dann meinte Kevin:
"Ich habe gehört, der Harry Potter ist glatt in Ohnmacht gefallen, als ein Dementor sein Abteil kontrolliert hat. Dabei habe ich von meiner Cousine Gwyneth gehört, daß der sehr mutig ist."
Da Julius davon ausging, daß er diesen Jungen wohl heute gesehen hatte fragte er:
"War das der schwarzhaarige Bursche, der so erschöpft aussah, als er aus dem Zug stieg?"
"Schwarze Haare? Das war er dann wohl. Hat mit Lupin in einem Abteil gesessen", wußte Eric Bosetzky zu ergänzen. Dann legten sich die fünf Jungen in die großen Himmelbetten und zogen die Vorhänge zu.
Am nächsten Morgen, als die Ravenclaws in die große Halle zum Frühstück kamen, lagen schon die neuen Stundenpläne bereit. Die Erstklässler hatten in der ersten Stunde Verwandlung bei Professor McGonagall, danach mit den Slytherins zusammen Kräuterkunde. Am Nachmittag würden sie bei ihrem Hauslehrer die ersten Zauberkunststunden haben. Julius war es ein wenig unwohl im Magen. Erst Professor McGonagall, die seinen Eltern den Aufklärungsbesuch abgestattet hatte. Mal abgesehen davon, daß sie behauptet hatte, sich in eine Katze verwandeln zu können und dabei mitbekommen hatte, wie Lester sie treten und dann mit einem Knaller verscheuchen wollte.
Dann kam Professor Sprout, der er zwei Aspirintabletten geschenkt hatte, damit sie einen Heiltrank für eine Pflanze brauen konnte, die von einem Feuerstachelkäfer befreit werden mußte.
Schließlich wartete der Hauslehrer der Ravenclaws. Julius erinnerte sich noch gut daran, daß sein Vater immer von der besonderen Strenge der Hauslehrer berichtet hatte, als er in Eton war. Hauslehrer wollten nichts auf ihre Schüler kommen lassen, Aber auch keine schlechten Zensuren sehen.
"Die Slytherins?" Fragte Julius, als er auf dem Stundenplan die Kräuterkundestunde angetippt hatte. "Die halten sich doch für was besonderes."
"So kann man das sagen", wandte Penelope Clearwater ein, die das Gespräch belauscht hatte. "Sie halten nichts von Muggelgeborenen und finden, daß ihre Familien die besseren Zauberer sind. Dabei ist es ein offenes Geheimnis, daß viele schwarze Magier in Slytherin ihre Schulausbildung abgeschlossen haben und einige davon heute noch herumlaufen und auf die Stunde warten, um wieder an die Macht zu kommen."
"Huaar, es gruselt mich", spottete Julius und spielte ein kurzes Espenlaubzittern vor, was die jüngeren Ravenclaws belustigte.
"Na klar, du kannst das ja nicht wissen", meinte Dustin McMillan, der links neben Julius saß. "es ist noch keine zwölf Jahre her, daß Du-weißt-schon-wer an der Macht war und alle Zauberer und Hexen, die sich nicht offen zu ihm bekannten, Angst vor seiner Bosheit haben mußten."
"Sowas ähnliches hatten wir in der Muggelwelt auch. Da hießen diese Bösen Diktatoren und haben ihre Völker mit Folter und Massenmord verängstigt. Erst vor kurzem ist in Deutschland eine dieser Diktaturen, die einen Teil des Landes betraf, abgeschafft worden, so daß das ganze Volk sich wiedervereinigen konnte, in Frieden und Freiheit", warf Julius ein. Gloria hörte aufmerksam zu. Dann meinte sie:
"Ich habe davon gelesen. In Deutschland gab es einmal ein Schreckensreich, wo eine Muggelbande regierte, die "die Nazis" hieß. Die haben Leute, die nicht in ihre Vorstellung von Reinrassigkeit passten millionenfach ermordet. Sie haben einen Weltkrieg angefangen und ihr Volk fast in den Untergang getrieben. Danach wurde das Land aufgeteilt, in einem Teil galt die freie Meinung und das Recht, sich alles zu erlauben, was keinem anderen schadete, während im anderen Teil Leute an der Macht waren, die eine Gleichmachung aller Menschen wollten, mit geheimer und offener Überwachung und schweren Strafen. Das ist ähnlich gewesen wie die Herrschaft von Lord .." Sie beugte sich zu Julius hinüber und flüsterte ihm den Namen Voldemort ins Ohr. Julius wußte nicht, warum sie flüsterte. Doch er dachte daran, daß seine Oma Gladys einmal ganz ängstlich geguckt hatte, als er "Zum Teufel noch mal" geflucht hatte. Ähnlich mußten die hier wohl auf den Namen Voldemort reagieren. Julius nickte verständnisvoll und setzte sein Frühstück fort.
Ein riesiger Schwarm von Eulen flog in den Saal hinein und verteilte sich über die vier Tische. Einzelne Eulen zogen Kreise, bis sie über Schülern herunterschwebten, zu denen sie gehörten oder für die sie etwas hatten. Julius erinnerte sich noch an den Waldkauz, der ihm und seinen Eltern die Verabredung mit Cynthia Flowers überbracht hatte. Tatsächlich kam derselbe Waldkauz über den Ravenclaw-Tisch geflogen und ließ sich mit einem kurzen Ruf auf Julius linker Schulter nieder. Julius sah sich um. Irgendwie war ihm das peinlich, daß ihn eine fremde Eule besuchte. Er sah, wie Kevins Waldohreule neben Kevins Teller landete und ungeniert ein Stück Toast stiebitzte.
"Du hast post bekommen, Julius. Einen Tag hier und schon einen Brief. Ich dachte, deine Eltern seien Muggel", meinte Dustin McMillan. Julius lief leicht rosa an und besah sich die Beine des Kauzes. Am Linken Fuß baumelte ein angebundener Umschlag aus blaugefärbtem Pergament. Julius löste den Umschlag vom Bein des Eulenvogels, der daraufhin sofort wieder losschwirrte, als habe er es höllisch eilig.
"Ach der Vogel war das", viel es Dustin plötzlich ein, wo er den Kauz schon einmal gesehen hatte. Julius hoffte, daß Dustin sich irrte und eine falsche Antwort aussprach.
"Das war Gulliver, der Bürowaldkauz von Cynthia Flowers, der Verantwortlichen für muggelgeborene Neuzugänge."
Boing! Genau das wollte Julius nicht öffentlich machen. Doch Gloria, die seine Verlegenheit sah, sagte nur:
"Wieso schämst du dich dafür, von der Abteilung für Neuzugänge Post zu kriegen? Ein Heuler ist es ja nicht."
"Ein was? - Jetzt nicht, später."
Julius öffnete den Umschlag und fand einen zusammengefalteten Pergamentbogen darin, den er aufklappte. Er enthielt ein Bild seiner Eltern, die ihm seltsamerweise verdutzt entgegenblickten und wirkten, als sei ihnen das ganze völlig verdächtig. Auf dem Pergamentbogen stand:
Sehr geehrter Mr. Andrews,da wir erkannt haben, daß es für Sie und Ihre Eltern wichtig ist, in ständiger Verbindung zu stehen, jedoch nicht die Ihnen vertrauten Möglichkeiten anbieten können, haben wir für Sie photographische Abbildungen Ihrer Eltern erstellt, die Sie, zusammen mit einer Nachricht an Ihre Eltern, einer unserer allgemeinen Posteulen anvertrauen können. Sie zeigen der Eule die Abbildungen und geben zudem noch die Anschrift an. Unsere Eulen sind, wie in der Zaubererwelt üblich, für das Auffinden einer adressierten Person ausgebildet, egal an welchem Ort sie sich gerade aufhält. Wir hoffen, Sie werden sich schnell und gut bei uns einleben und verbleiben
mit freundlichen Grüßen
Lorna Oaktree und Cynthia Flowers, Abteilung für muggelgeborene Neuzugänge in Hogwarts
"Und, was welterschütterndes?" Fragte Dustin McMillan.
"Nur daß ich die Schuleulen benutzen darf, um meinen Eltern was zu schreiben. Was soll ich denen schreiben? "Bin gut angekommen. Ein zerlumpter Hut hat mich in ein Haus namens Ravenclaw eingeteilt. Wir haben an großen Tischen gesessen, die sich immer wieder neu gedeckt haben. Dabei leisteten uns mehrere echte Schloßgespenster Gesellschaft. Dann gingen wir in unser Haus, dessen Eingang von einem Bauern auf einem Ölgemälde bewacht wird, der nach dem richtigen Passwort den Durchgang freimacht. Wir schlafen alle in Himmelbetten, und Eulen stellen die Post zu."
Soll ich das wirklich so schreiben?"
"Das kannst du allein beurteilen", meinte Gloria. "Meine Eltern hat es ziemlich erregt, als ich mir von einem Muggel ein Mobiltelefon besorgt und damit gespielt habe."
"So ähnlich dürften meine Eltern reagieren. Da könnte ich ja gleich einen Feuer speienden Drachen schicken."
"Die werden das lernen, daß wir andere Postwege kennen. Und wo es Hexen gibt, da gibt's auch Gespenster", sprach Dustin McMillan so, als würde er lediglich eine Randnotiz aus einer Zeitung vorlesen.
"Am besten unterhältst du dich nachher mal mit Justin Finch-Fletchley oder Hermine Granger. Die haben auch beide Muggeleltern. Die sind schon zwei Jahre hier und sollten wissen, wie man mit der Familie Kontakt hält", riet Gloria etwas schulmeisterisch, Aber wohl in bester Absicht.
"Das fehlte mir noch, mich mit älteren Schülern zu unterhalten, die denken, ich wäre zu blöd, mit meiner Situation fertig zu werden", stöhnte Julius.
"Na, Aber irgendwas mußt du tun", warf Kevin Malone ein, der nur einen Sitz neben Dustin saß. "Sonst schicken die dir noch einen Heuler, wie meiner Cousine Gwyneth."
"Wo ist die eigentlich jetzt?" Wollte Fredo Gillers wissen, der Kevin gegenüber saß.
"Die hat letztes Jahr den Abschluß geschafft und tourt jetzt mit ihrem Verlobten durch die Welt. Die war übrigens in Hufflepuff", wußte Kevin zu erzählen.
"Was sind diese Heuler?" mußte sich Julius doch dazu aufraffen, eine muggeltypische Frage zu stellen.
"Das schrecklichste, was dir jemand per Post schicken kann. Wenn du jemanden siehst, der einen scharlachroten Umschlag kriegt, halte dir die Ohren zu, wenn der Bedauernswerte in deiner Nähe ist."
"Das war jetzt eindeutig", kicherte Gloria. Dann erklärte sie Julius, daß Heuler Schimpfbriefe seien, die Zauberer Absenden konnten. Der Absender tat seinen Unmut über das Verhalten des Empfängers kund, daß dann, wenn der Brief an den Empfänger gelangt war, hundertfach lauter als normal alles widergab, was der Absender an Tadeln und Drohungen eingeschrieben hatte."
"Gut, das können meine Eltern nicht. Die scheitern doch schon daran, daß Hogwarts keinen E-Mail-Anschluß hat", erwiderte Julius und freute sich, mal die anderen dumm gucken zu sehen. Penelope Meinte nur:
"Das hat doch was mit Ekelzitronik zu tun, oder wie das heißt."
"Ja, Elektronik", korrigierte Julius die Vertrauensschülerin und zwang sein Gesicht dazu, nicht zu einer hämisch grinsenden Maske zu werden. Während des Frühstücks wurden sie unfreiwillig Zeuge, wie ein Drittklässler von den Slytherins den schwarzhaarigen Jungen vom Zug gestern Abend verspottete.
"Potter, die Dementoren kommen!!" Tönte er. Dustin sah zum Tisch der Slytherins und nickte erkennend.
"Mr. Malfoy, Papas liebster Sohn. Er hat's mal wieder auf Harry Potter abgesehen. Die beiden konnten sich von Anfang an nicht leiden."
"Kannten die sich vorher schon?" Fragte Julius und tat damit wieder seine Unkenntnis kund.
"Potter kannte Malfoy nicht, Aber umgekehrt wissen wir Kinder aus Zaubererfamilien, daß Harry Potter zum Sturz von Du-weißt-schon-wem geführt hat, weil er den Todesfluch überlebt hat, mit dem Du-weißt-schon-wer ihn töten wollte. Der Fluch ist zurückgeprallt und hat dem dunklen Lord den Gar ausgemacht", erläuterte Dustin.
"Wahrscheinlich hat ihn jemand in einen Schutzschirm gehüllt, wenn der Todesfluch wie ein Energiestrahl auf ihn geschleudert wurde", vermutete Julius.
"Ja, genau. Irgendwie, so geht das Gerücht, soll seine Mutter ihn vor oder bei ihrem Tod durch die Hand von Du-weißt-schon-wem geschützt haben. Könnte man als Schutzschirm bezeichnen", gab Penelope Clearwater anerkennend zurück. Julius nahm diese Antwort wie ein Kompliment. Vielleicht hatte er jetzt was gescheites gesagt, ausnahmsweise.
Da sie während des Frühstücks viel geschwatzt hatten, war es nicht verwunderlich, daß sie die letzten Bissen in großer Hast hinunterwürgten und dann in den Unterricht gingen. Gloria ließ sich von Penelope sagen, wo der Verwandlungsraum war und führte Julius dort hin, der mehr aus Verlegenheit als aus zur Schau gestelltem Lerneifer das Buch über Verwandlungen in der Hand hielt und darin las.
Sie waren die ersten Ravenclaws, die den Klassenraum vonProfessor McGonagall betraten, weil die anderen noch vor der Tür schwatzten. Es waren noch zwei Minuten bis neun Uhr. Warum sollten sie sich jetzt schon setzen?
"Ich möchte möglichst hinten sitzen", wünschte Julius, als Gloria mit weit ausgreifenden Schritten nach vorne marschierte.
"Hast du Angst vor ihr. Sicher, sie ist Großmeisterin der Verwandlung und ein registrierter Animagus. Aber Verwandlungen von Schülern dürfen nicht vorgenommen werden, schreibt eine Schulregel vor."
"Angst ist es nicht gerade. Doch wenn ich mich hier so dumm anstelle, wie eben beim Früstück ..." Druckste Julius Andrews. Gloria nahm seine rechte Hand und zog ihn entschlossen nach vorne.
"Nichts für ungut, Aber McGonagall möchte die Muggelgeborenen besonders fördern, eben weil diese nicht an sich glauben. Das hat mir meine Mutter erzählt, die vor fünfzehn Jahren hier war. Da hat Professor McGonagall schon Verwandlungen unterrichtet. Und das waren damals harte Zeiten, wegen Voldemort."
"Gloria, bist du verrückt!" Kreischte Kevin Malone, der gerade mit Fredo Gillers und Gilda Fletcher, einer dunkelhaarigen Erstklässlerin, den Klassenraum betrat.
"Ihr Iren denkt immer, wenn man die Bösen beim Namen nennt, schießen sie in Schwefelwolken aus dem Boden", entgegnete Gloria lässig. Julius zeigte sein breites Grinsen, weil Gloria nur ausgesprochen hatte, was er selbst gedacht hatte.
"Ja, Aber seine Anhänger sind noch da und warten nur darauf, daß ..."
"Hoffentlich bleibt es nur beim warten", fuhr Gilda Fletcher dazwischen und bugsierte Kevin in eine Sitzreihe. Julius mußte sich zusammennehmen, nicht einen bedauernden Gesichtsausdruck zu präsentieren. Außerdem, so stellte er mit einem Anflug von Unbehagen fest, saß er in einem Glashaus, aus dem er besser keine Steine werfen sollte.
"Aber man hat doch immer mehr Angst vor dem Typen, wenn man ihn Du-weißt-schon-wer nennt", traute sich Julius, auf Grund seiner Muggelabstammung mit der Freiheit eines Hofnarren versehen zu sein, Kevin noch mal zu erschrecken. "Außerdem klingt Voldemort richtig erhaben, mit dem Lord vorne dran noch mehr."
"Spotten Sie bitte nicht über etwas, von dem Sie nichts wissen!" Kam eine sehr strenge Stimme durch die Tür. Und ein Schwung hastig eintretender Erstklässler ergoß sich in den Raum, getrieben vonProfessor McGonagall. Kevin war genauso zusammengefahren wie Julius, dem der Tadel gegolten hatte. Doch nun grinste der rotblonde Bettnachbar des Sohnes eines Forschungsdirektors überlegen, und das, so sah Julius ein, nicht unverdient.
Professor McGonagall schritt an Julius und Gloria vorbei, würdigte den jungen Andrews mit einem kurzen Blick und nahm hinter ihrem Pult Platz. Dann begann sie, von einer Pergamentrolle Namen Abzulesen, und Julius war wieder der erste, der aufgerufen wurde. Er meldete sich mit einem zaghaften "Jawohl!" Dann setzte er sich etwas zurück, weil er der Strenge dieser Hexe nicht allzu nahe sein wollte.
Eric Bosetzky war der zweite Name auf der Liste. Eric antwortete mit einem trockenen "Am Platz!" Es folgten weitere Namen von Erstklässlern, über Fletcher, Gillers und McLughlin. Dann kam Malone an die Reihe, und Kevin sagte auf Gälisch, daß er anwesend sei, wasProfessor McGonagall einen amüsierten, dann tadelnden Gesichtsausdruck annehmen ließ.
"Sie sprechen englisch, Mr. Malone?" Fragte sie. Kevin bejahte. Dann meinte Professor McGonagall:
"Das ist wichtig für unsere gemeinsame Verständigung. Aber ich registriere, daß Sie da sind."
Dann kam Gloria, die laut und deutlich "Jawohl, ich bin hier!" antwortete. Die restlichen Namen, zu denen auch Marvin Sallers gehörte, wurden wie von einer Garnspule abgewickelt. Dann erklärte die Lehrerin, daß Verwandlungen eine der schwersten Zaubereien darstellten und sehr gefährlich verlaufen könnten wenn man nicht richtig aufpasste. Sie schloß ihre kurze Einführungsrede mit der Warnung davor, daß jeder, der Unsinn machen würde, auf Nimmerwiedersehen die Klasse verlassen würde. Das machte Eindruck. Schlagartig war das unaufmerksame Getuschel verstummt und einer gespannten Stille gewichen.
Mit einer Bewegung ihres Zauberstabes verwandelte die Lehrerin ihr Pult in eine Standuhr, dann in ein Schaf, dann wieder zurück in ihr Pult. Jedesmal wurde sie mit Beifall und anerkennendem Raunen bedacht.
".. Aber das werden Sie noch lernen, und zwar bei mir." Hörte Julius die Stimme Professor McGonagalls in seinem Bewußtsein widerhallen, als sie seines Vaters Revolver in ein geblümtes Sofakissen verwandelt hatte. Er hatte sie gefragt, weshalb sie die Waffe erst aus der Hand seines Vaters zaubern mußte, worauf er eben jenen Satz zur Antwort bekommen hatte, der ihm seit diesem Tag immer durch den Kopf ging, wenn er an ihren Besuch dachte. Mit dem vom Revolver zum Sofakissen gewordenen Objekt hatte sich Julius' Weltbild total verschoben. Und jetzt saß er in einem Klassenraum und hörte der Frau zu, deren und seine Vorfahrin ihn hierher gebracht hatte.
Die Stunde war interessant, wenngleich auch anstrengend. Im wesentlichen ging es um Grundgesten der Verwandlungszauber und die Standardsprüche zur Einleitung einer Verwandlung toter Gegenstände. Zum Abschluß sollten alle ein Streichholz in eine Stecknadel verwandeln. Gloria führte die entsprechenden Gesten mit dem Zauberstab und murmelte die Zauberformel, mit der sie den Umwandlungszauber auslösen sollte. Tatsächlich wurde aus dem Streichholz ein länglicher, glänzender Gegenstand, allerdings eher ein Metallsplitter mit vier Kanten, als eine Stecknadel. Julius nahm den Zauberstab, vollführte exakt die gleichen Bewegungen und wollte gerade den Zauberspruch aussprechen, als es laut knackte und eine 6 cm lange Nadel über den Tisch rollte.
"Huch, ich habe den Zauberspruch doch noch gar nicht ..."
"Außerordentlich!" Bemerkte Professor McGonagall. Dann fragte sie:
"Ms. Porter, haben Sie von Mr. Andrews einen Zauberspruch gehört?"
"Nicht eine Silbe, bevor ..."
"Faszinierend!" Bemerkte Professor McGonagall und nahm die Nadel.
"Wofür halten Sie das, was Sie da gemacht haben, Mr. Andrews?" Wollte sie wissen. Julius vermeinte, einen drohenden Unterton zu hören, daß ihm eine heftige Strafe bevorstand, wenn er was falsches antwortete. Er sagte:
"Anfängerglück, Professor McGonagall." Insgeheim dachte er jedoch, daß die Hexe ihm vielleicht geholfen hatte. Daß sie ohne Zauberspruch etwas verwandeln konnte, hatte sie ja schon gezeigt. Aber er hatte ihren Zauberstab nicht auf das vor ihm liegende Streichholz gerichtet gefunden.
Die Hexe im smaragdgrünen Umhang ging durch die Klasse und sammelte die Produkte der ersten Versuche ein. Außer Gloria und Julius war es keinem gelungen, ein Streichholz komplett zu verwandeln. Bei einigen waren die Schwefelköpfe zu roten Spitzen geworden. Bei anderen waren die Kanten der Zündhölzer verschwunden. Als die Glocke das Ende der Stunde verkündete, sagte Professor McGonagall:
"Für die beste Erstlingsverwandlung bei einem Muggelgeborenen vergebe ich 20 Punkte an Ravenclaw. Ms. Porter erhält noch einmal 5 Punkte, weil die Materialumwandlung funktioniert hat. Lernen Sie bis zur nächsten Stunde die Sprüche für die Verwandlung von kleinen in große Objekte auswendig!"
Die Erstklässler verließen den Raum in geordneter Eile. Als Julius ebenfalls schnell zum Ausgang wollte, hielt ihn Professor McGonagall mit einem kurzen "Moment!" zurück. Gloria blieb an der Tür stehen, während Julius sich nocheinmal umdrehte.
"Was haben Sie heute Nachmittag, Mr. Andrews?"
"Zauberkunst bei Professor Flitwick", gab Julius verschüchtert Auskunft.
"Gut, dann erwarte ich Sie anschließend in meinem Büro."
"In Ordnung", gab Julius zurück und lief mit Gloria aus der Klasse.
"Oha! Das ist mir Aber jetzt peinlich", meinte der Sohn eines Chemikers in leitender Position. Gloria guckte ihn verdutzt an und fragte:
"Machst du Witze. Du hast gerade die ersten 20 Punkte für Ravenclaw geholt, zumindest, was die erste Klasse angeht. Wenn das peinlich ist, möchte ich nicht wissen, womit du zufrieden wärest."
"Das wollte ich nicht so haben. Ich wollte es so machen, wie du und die anderen. Und was passiert? Knack und pling, da lag das Ding. Ich hätte nie für möglich gehalten ..."
"Jetzt mach deinen Kopf besser frei für Kräuterkunde. Da brauchst du deinen Zauberstab nicht zu schwingen."
"Du hast recht", meinte Julius Andrews und rief sich die Namen aller Pflanzen ins Gedächtnis zurück, die Aurora Dawn ihm gezeigt hatte und verknüpfte sie mit den entsprechenden Bildern. Wie Zauberformeln sprach er die Namen der Pflanzen leise vor sich hin. Dann hatten sie die anderen eingeholt.
Kräuterkunde hatten sie zusammen mit den Slytherins. Julius hoffte, daß ihm hier nicht so ein Superding passierte, wie mit dem Streichholz. Er hoffte auch, daß man die Sache nicht allzu breittreten würde, sonst kamen wohl noch Reporter dieses Tagespropheten und wollten ihn interviewen. Auf dem Weg zu den Gewächshäusern sah er flüchtig Harry Potter, der mit seiner Klasse von einer Unterrichtsstunde kam und auf dem Weg zur Verwandlungsstunde war. Ihm fiel ein, daß der Junge, dessen Blitznarbe er nun deutlich erkennen konnte, in der Zaubererwelt eine Berühmtheit war, weil er den Todesfluch dieses Lord Voldemort überlebt hatte. Julius konnte sich vorstellen, daß der Junge damit eine schwere Last trug und hoffte, ihn darin nicht zu übertreffen.
Die erste Stunde Kräuterkunde begann ebenfalls mit der Verlesung einer Namensliste. Wieder war Julius der erste, der aufgerufen wurde. Julius meldete sich korrekt und war froh, daß Professor Sprout nur nickte und seine Anwesenheit registrierte. So verfuhr sie mit allen, bis alle Namen verlesen waren und ihre Besitzer sich gemeldet hatten.
Dann ging es im Eiltempo in das erste Gewächshaus, wo es galt die Früchte eines merkwürdigen Busches zu pflücken und zu notieren, welche Eigenschaften sie hatten. Julius erinnerte sich an die Passage aus dem Kräuterkundebuch, daß er kurz vor seiner Abfahrt noch gelesen hatte und war schon drauf und dran, die Eigenschaften der Pflanze exakt zu beschreiben, als Carol Ridges, ein skelettdürres Slytherin-Mädchen mit langen schwarzen Haren auf die Idee kam, dem Muggelgeborenen eine Frucht dieser Pflanze vor die Füße zu werfen. Julius hatte nichts gegen Scherze und lächelte die Slytherin an. Sie guckte verdutzt. Julius, der wußte, daß er nur noch eine Sekunde Zeit hatte, bevor die Frucht auf dem gedüngten Boden aufgehen und einen langen Sporn austreiben würde, konzentrierte sich, und im gleichen Moment, als der Trieb der Speerstecherbeere aufschoß, hechtete Julius geschmeidig zurück und landete leise zwei Meter von dem immer länger werdenden Sporn entfernt.
"Können Sie mir sagen, was Sie da gerade getan haben?" Wandte sich Professor Sprout an Julius und Carol. Julius antwortete nur:
"Ich bin dem Trieb der Speerstecherbeere ausgewichen, Professor. Mehr war nicht."
"Ich meinte auch nicht Sie, Mr. Andrews, sondern Miss Ridges. Ich habe Ihnen doch gerade erklärt, daß man die Früchte dieser Pflanze niemals auf Drachendung fallen lassen darf, weil sonst ein sofortiger Ausschlag des Speeres erfolgt. Oder haben Sie das etwa nicht gehört?"
"Ungefähr. Aber ich wußte nicht, daß hier Drachendung überall ausgelegt ist. Es stinkt zwar heftig, Aber das konnte ich ja nicht ahnen", gab die Slytherin zurück und lachte dabei, als sei ihr gerade ein guter Witz erzählt worden.
"Sie halten das wohl für einen Scherz. Nun gut, dann halten Sie wohl 5 Punkte Abzug für Slytherin auch für einen Scherz."
Offensichtlich tat Carol dies nicht. Denn sie hörte sofort zu lachen auf und sah Professor Sprout mit verachtendem Blick an. Julius kannte diesen Blick von einem Mädchen, dem er im Kindergarten ihre Lieblingspuppe weggenommen hatte. Vielleicht fühlte die spindeldürre Junghexe sich jetzt auch genau so.
"Sie meinen das wirklich nicht ernst", mischte sich Gerry Barkers ein.
"Oh doch, mein Herr. Die Pflege und Nutzung magischer Pflanzen ist eine höchst anspruchsvolle Wissenschaft, die auch große Gefahren in sich birgt. Von einem Speertrieb einer Speerstecherbeere aufgespießt zu werden, ist da noch das kleinere Übel, was Ihnen widerfahren kann. Fünf Punkte Abzug sind dafür nicht zu viel, wenn Sie das begreifen."
"Ihr ist die Frucht aus den Fingern geflutscht. Der Muggelbalg stand eben nur zu nah dabei", meinte noch ein Slytherin. Professor Sprout warf dem Jungen aus dem Slytherin-Haus einen sehr ernsten Blick zu und sagte:
"Wenn sich noch jemand beschweren möchte, obwohl dafür kein Grund vorhanden ist, ziehe ich noch mal zehn Punkte ab. Ihre Hausmitbewohner dürften das nicht zu schätzen wissen."
Murrend gingen die Slytherins wieder an ihre Arbeit, während Julius mit Gloria einen anderen Speerstecherbusch Abpflückte und die Früchte in einen großen Eimer fallen ließ.
"Woher wußtest du, wann du wegspringen mußtest? Das war ja prima abgestimmt."
"Ich habe das Buch vorher gelesen, flüchtig. Aber die Pflanze hat mich interessiert, weil ich sie noch nie gesehen habe, Gloria", antwortete Julius.
Professor Sprout sammelte die vollen Eimer ein und trug sie zu einem Karren, auf dem sie nachher Abtransportiert werden sollten. Julius dachte, daß sie im Krankenflügel verwendet wurden.
Am Ende der Stunde sah Julius, wie Chuck Redwood, der rotbraunhaarige Slytherin-Junge, eine ernsthafte Diskussion mit Carol Ridges führte. Offenbar tadelte er sie dafür, so kindisch fünf Punkte verschenkt zu haben.
Professor Sprout wartete, bis die Slytherins zu ihrer Zaubertrankstunde mit den Gryffindors aufgebrochen waren, dann trat sie neben Julius, der bereits rot anlief, ohne daß ihm irgendwas geschehen war, für das er sich hätte schämen müssen. Gloria war bereits mit Kevin Malone aus dem Gewächshaus verschwunden.
"Ich wollte nicht, daß Sie dem Mädchen Punkte wegnehmen. Ich hätte es dabei belassen, daß ich dem Sporn ..."
"Wem ich Punkte gebe, wegnehme oder verweigere liegt in meiner Verantwortung, Mr. Andrews. Ihnen wollte ich lediglich zu ihrer beachtlichen Kenntnis und schnellen Reaktion gratulieren und mich bei dieser Gelegenheit auch für Ihre Hilfe bedanken. Die Chrysanda erecta ist wieder völlig genesen, Dank Ihrer Tabletten."
"Das war ms. Dawns Rezept. Sie hätten die Tabletten gleich außerhalb des Tropfenden Kessels in einer Nichtzaubererapotheke kriegen können", meinte Julius, froh darüber, daß Professor Sprout ihn zumindest nicht vor der Klasse lobte.
"Aber dort hätte mir keiner die genaue Dosierung verraten können. Ms. Dawn hatte das Wissen, Sie die Mittel. Beides ist wichtig, wenn schnell gehandelt werden muß. Welchen Unterricht haben Sie jetzt?"
"Vor dem Essen ist noch Einführung in die Astronomie. Das kann ich einigermaßen. Ich bin Aber schon auf dem Weg", erwiderte Julius Andrews und rannte aus dem Gewächshaus.
Wie er Professor Sprout gesagt hatte, war die Einführung in die Techniken der Astronomie kein Problem für Julius. Hier kamen ihm seine naturwissenschaftlichen Grundkenntnisse zu gute. Er hätte Professor Sinistra auch etwas über Sternenentwicklungen und galaktische Eigenumdrehungen, die Hubble-Konstante zur Bestimmung der Abstände sich entfernender Galaxien und die Daten sämtlicher Planeten herunterbeten können, doch er beließ es dabei, 10 Punkte für Ravenclaw dafür einzufahren, daß er schnell und präzise beschrieb, wie man mit einem Teleskop und einem Stück weißen Stoffs die Sonnenflecken ohne Gefahr für die Augen sichtbar machen konnte.
"Ich glaube, das schreibe ich meinem Vater", meinte Julius, als er mit Gloria und Kevin zum großen Saal des Schlosses hinunterstieg.
"Was?" Wollte Gloria wissen.
"Hallo, Paps! Wir haben heute eine Stunde Botanik und Einführung in die Astronomie gehabt. In beiden Fächern habe ich zufriedenstellende Grundkenntnisse gezeigt und für das Haus, in dem ich wohne die ersten Pluspunkte gesammelt. Viele Grüße auch an Mum, euer euch immer noch schätzender und liebender Sohn Julius."
"Dein Vater nimmt wohl nichts ernst, was nicht mit einem Rechenschieber nachgeprüft oder mit einem Maßband ausgemessen werden kann, wie?" Wollte Kevin wissen.
"Was glaubst du denn? Er ist 'n Muggel."
Alle drei lachten darüber, daß sich Julius selbst auf den Arm nehmen konnte. Als dann noch Gilda Fletscher hinzukam, ging es zum Mittagessen.
"Was wollte die kleine Runde Sprout denn noch von dir?" Fragte Kevin, bevor er sich auf seinen Platz setzte, im flüsterton sprechend.
"Sie hat mich lediglich gefragt, ob ich das Kräuterkundebuch gefressen und verdaut hätte", erwiderte Julius und hatte damit nicht einmal so sehr gelogen.
Nach dem reichhaltigen Mittagessen ging es zur Zauberkunststunde. Davor hatte Julius am meisten Angst. Denn zum einen traf er hier zum erstenmal auf den Hauslehrer. Zum anderen wußte er nicht, ob ihm nicht wieder seine Magie ausrutschen würde. Und dann stand da noch die Unterredung mit Professor McGonagall ins Haus. Wahrscheinlich würde sie ihm zu verstehen geben, daß er unkontrollierbar sei und daher hier nichts zu suchen hätte. Doch der sprechende Hut hatte behauptet, daß jeder, der auf dem Auswahlstuhl platznahm, nach Hogwarts gehörte. Dennoch war er sich nicht sicher.
Gloria zog ihn wieder nach Vorne. Auch Kevin Malone mußte sich in die vorderen Reihen setzen. Gilda Fletcher wollte es so. Eric Bosetzky platzierte sich hinter Julius, ebenso tat es Marvin Sallers. Fredo Gillers hatte sich mit einem anderen Ravenclaw-Jungen zusammen in eine Reihe weiter hinten gesetzt. Offenbar lag ihm daran, nicht sofort zu sehen zu sein.
Professor Flitwick, der kleinste Lehrer der Schule begrüßte die neuen und praktizierte das heute bereits mehrfach durchgeführte Ritual mit der Namensliste. Da sie jetzt alle Routine darin hatten, sich zu melden, war Flitwick in weniger als einer Minute durch. Dann erklärte er, daß die Zauberkunst die variantenreichste Form der Magie sei und viel Feingefühl und Konzentration beanspruche. Objektbewegungen, Gemütsveränderungen und Verfluchungen von Gegenständen oder die Aufhebung eben solcher Flüche, gehörten ebenso zur Zauberkunst, wie die Beschwörung elementarer Kräfte wie Feuer, Wind oder Wasserstrahlen. Ebenso konnten die Zauberstäbe dazu gebracht werden, als Lichtquellen zu fungieren oder Objekte zu produzieren, wie fliegende Vögel oder Blumen. Zum Beweis ließProfessor Flitwick mit dem Zauber "avis!" einen Schwarm bunter Vögel aus dem Zauberstab herausflattern und ließ eine Zigarrenschachtel durch die Klasse fliegen.
"Ist merkwürdig, daß die alle sagen, daß ihre Magie zu den schwierigsten gehört", murmelte Kevin Malone.
"Machen doch alle Lehrer", erwiderte Marvin Sallers leise, als Flitwick, der auf einem Bücherstapel stand, um über sein Pult hinwegsehen zu können, etwas über die Grundkräfte der Magie erzählte.
Julius Andrews horchte auf, als von physikalischen Schlupflöchern die Rede war, durch die Energien der magischen Art Zugriff auf gebräuchliche Ereignisse fänden. So gesehen fehlte der Muggelphysik wohl der Zugang zu diesen Schlupflöchern, um die Magie als berechtigte Kraft im Sinne der modernen Wissenschaften zu akzeptieren. Er entschloß sich dazu, irgendwann ein Buch dazu zu lesen. Jetzt schrieb er erst einmal alles auf, was Flitwick erzählte. Dann wurde es wieder praktisch.
"Sagen Sie Lumos, wenn Sie im Dunkeln Ihren Zauberstab als Lichtquelle nutzen möchten. Dies ist der einfachste Zauber, den Sie anwenden können. Sagen Sie Nox, wenn Sie die Lichtquelle nicht mehr benötigen."
Er führte vor, wie einfach es war, die Spitze des Stabes zum leuchten zu bringen. Die übrige Klasse tat es ihm nach und schaffte es, alle Zauberstäbe zum leuchten zu bringen. Julius, dessen Zauberstab sofort aufflammte, als er die Letzte Silbe gerade sagte, dachte zunächst, der Stab würde verbrennen. Doch die Spitze glühte nur wie die Birne einer großen Taschenlampe. Flitwick bemerkte es und kam hinter dem Pult hervor.
"Nox!" Befahl Julius seinem Zauberstab. Sofort wurde er wieder normal. Flitwick stand neben ihm.
"Sie haben Ihren Stab bei Ollivander gekauft?" Wollte der kleine Zauberer wissen. Julius antwortete:
"Genau."
"Ja, manche haben eben eine besondere Kompatibilität mit ihren Trägern. Geben Sie ihn mir bitte noch mal!" Verlangte Flitwick höflich und ließ sich den Eichenholzzauberstab aushändigen.
"Lumos!" Befahl Flitwick dem Zauberstab. Er gehorchte und produzierte ein Licht an seiner Spitze, daß Aber nur so stark war, um einen schmalen Weg zu erleuchten.
"Wie gesagt", bemerkte Flitwick, nachdem er das Zauberstablicht wieder gelöscht hatte, "manche Zauberstäbe sind besonders kompatibel zu ihren Trägern. Es kann Aber auch das Grundpotential des Trägers sein, das durch den Zauberstab entsprechend stark ausgerichtet wird."
"Und falls dem so sein sollte, bleibt das so?"
"Nein, natürlich nicht. Denn je weiter Sie Ihre fähigkeiten entwickeln, desto stärker trainieren Sie das Grundpotential. Wir Professoren können schon Dinge durch Konzentration bewirken, ohne eine Formel zu sprechen. Das heißt Aber, daß wir die Zauber alle auswendig kennen und konzentriert an sie denken müssen. - Schreiben Sie sich das bitte auf! Sie brauchen es vielleicht heute noch nicht zu wissen, Aber schlecht ist es nicht, diese Grundlage zu kennen." Meinte Flitwick, an den Rest der Klasse gerichtet. Federn schabten über Pergament.
"Kann ich die Lichtstärke irgendwie beeinflussen, oder ist das nur ein Schalter?" Fragte Julius.
"Ein was? Achso ja. In der Muggelwelt wird Licht ja durch ein- und ausschaltbare Kräfte erzeugt. In diesem Fall wäre die Antwort: Ja, nicht ganz. Sie können die Lichtstärke beim Sprechen des Zauberwortes und dem Zusatz "Amplifico" oder "Fortissimo" um zwei Helligkeitsstufen anheben, wobei "Fortissimo" viermal so stark wie die reine Auslösung ist. Wie stark der Lichtstrom wird, den Ihr Zauberstab bei einfacher Anwendung erzeugt, hängt von der von mir beschriebenen Vereinbarkeit zwischen Zauberer und Zauberstab ab."
"Das gilt dann für alle Zaubersprüche?" Wollte Gloria Porter wissen, die Julius' besorgtes Gesicht gesehen hatte.
"Ich meine, das ist zwar Stoff der höheren Klassen. Aber warum sollte ich Ihnen das nicht heute zumindest einmal andeuten. Es hängt auch von emotionalen Zuständen ab, ob ein Zauber gelingt. Davon Abhängig wirken manche Zauber stärker oder schwächer. Aber die Grundverbindung und -energie ist dabei immer maßgeblich."
Die restliche Doppelstunde verlief damit, daß die Schüler und Schülerinnen Übungen mit kleinen Objekten anstellten, die auf dem Tisch herumgeschoben werden sollten, ohne sie zu berühren. Schwebezauber oder Fernlenkungszauber sollten erst viel später drankommen.
Offenbar hatten Flitwick und McGonagall sich abgesprochen. Denn kaum war die Glocke zum Ende der Stunde verklungen, stand Professor McGonagall auch schon vor der Klassenzimmertür.
"Auffälliger ging's wohl nicht", stöhnte Julius leise. Gloria zwickte ihm in den Arm und sagte:
"Was immer die jetzt von dir wollen, daß du hier bist, ist kein Fehler. Versuche es denen nicht einzureden, und vor allem versuche nicht, es dir einzureden!"
Dann verschwand sie und kehrte mit den übrigen Ravenclaws in ihren Gemeinschaftsraum zurück.
Flitwick begleitete Julius Andrews, der sich zwang, mit erhobenem Kopf seinen Weg zu gehen. Wahrscheinlich würden sie ihn zum unbezähmbaren Wilden erklären und, da man ihn ja nicht in die Muggelwelt zurücklassen konnte, irgendwo einsperren. Womöglich in das Gefängnis von Askaban.
"Setzen Sie sich!" Befahl Professor McGonagall dem Erstklässler. Dieser hatte beschlossen, nur etwas zu sagen, wenn er gefragt wurde.
Professor Flitwick nahm ebenfalls Platz. er mußte zwei zusätzliche Sitzkissen unterlegen, um hoch genug zu sitzen, um auf gleicher Augenhöhe mit Professor McGonagall und Julius Andrews sprechen zu können.
Als sich die Tür zum Büro von Professor McGonagall noch mal öffnete und Albus Dumbledore eintrat, dachte Julius:
"Das hohe Gericht ist vollzählig erschienen."
"Sie haben mich gebeten, einer, wie Sie sagten, hochinteressanten Unterredung beizuwohnen, Minerva?" Fragte der Schulleiter.
"So ist es, Herr Direktor", erwiderte die Verwandlungslehrerin. Dann gab sie kurz einen Bericht über das ab, was am Morgen in ihrer Verwandlungsstunde abgelaufen war. Sie holte die lange Nadel hervor, die Julius mehr oder weniger freiwillig aus dem Streichholz gezaubert hatte und zeigte sie dem Schulleiter. Dieser besah sich die Nadel, holte dann einen kleinen Magneten aus einer Tasche seines Umhangs und zog damit die Nadel an.
"Ohne Zweifel. Das Holz wurde korrekt umgewandelt, und die Form passt auch. Allerdings ist die Nadel ein wenig länger als üblich", sagte er. Dann fragte er Julius, ob er eine Stecknadel in ein Streichholz umwandeln könne. Julius zögerte, doch der zur Antwort gemahnende Blick von Professor McGonagall brachte ihn dazu, mit Ja zu antworten. Dumbledore ließ sich von Minerva McGonagall eine andere Stecknadel geben und legte sie vor Julius hin. Dieser zog seinen Zauberstab, bewegte ihn, wie gelernt und wollte gerade die Zauberformel sprechen, als es kurz knackte, und dort, wo eben noch die Nadel gelegen hatte, lag nun ein Streichholz, wie es anders nicht hätte aussehen können.
"Haben Sie ihn eine Formel sagen hören?" Fragte Professor McGonagall ihre Kollegen. Diese schüttelten die Köpfe und sahen Julius an.
"Wer im Ministerium kam auf die Idee, daß dieser Junge nur einen magischen Vorfahren hatte?" Wunderte sich Dumbledore.
"Es ist genialogisch nachgeprüft worden, und nur meine Urahnin war in seiner Ahnenreihe. Über die mütterliche Seite konnte nichts ermittelt werden, was älter als 280 Jahre ist."
"Manchmal ist es ein Skandal, daß Daten über Magier und ihre Familien nicht besser geordnet werden", warf Professor Flitwick ein. Dann meinte er noch:
"Der Umstand, daß Mr. Andrews durch reine Gedankenkraft den Zauberstab ausgelöst hat und eine vollständige Umwandlung bewirken konnte, deutet auf das Ruster-Simonowsky-Phänomen hin. Es ist Ihnen bekannt?"
"Die Potenzierung zweier über Jahre verschütteter Magiequellen, wenn sie sich treffen", erläuterte Professor McGonagall.
"Genau. Damit haben wir es zu tun. Nichts bedrohliches oder gar Abnormes, nur selten."
"Dann bleibt zu klären, von welchem Vorfahren er die zweite Hälfte seiner magischen Kraft erhalten hat", meinte Albus Dumbledore und sah Julius an. Dieser sagte nichts.
"Das ist auf jeden Fall hochinteressant", schloß Dumbledore. "Verfolgen Sie diese Angelegenheit weiter, Minerva. Ich muß mich um etwas anderes kümmern. Bei Hagrids erster Stunde gab es einen unangenehmen Zwischenfall mit einem Hippogreifen und Draco Malfoy."
"In Ordnung, Herr Direktor", willigte Professor McGonagall ein.
Dumbledore verließ das Büro und kehrte in seine eigenen Räumlichkeiten zurück.
"Und was passiert jetzt?" Fragte Julius, doch von seinem Prinzip der Schweigsamkeit Abweichend. Und gegen Glorias Rat fragte er:
"Werden Sie mich jetzt von der Schule weisen, oder gar irgendwo einsperren lassen, weil ich viel zu stark bin?"
"Wer hat Ihnen denn so einen Unsinn erzählt? Warum sollten wir Sie einsperren, nur weil Sie stärker sind als Erstklässler normalerweise sind?" Wollte Minerva McGonagall wissen. Julius erzählte dann, daß in seiner Welt Menschen, die als Gefahr für ihre Umwelt eingestuft wurden, in psychiatrische Anstalten gesperrt würden.
"Ich entsinne mich. Mancher Zauberer, der aus einer Muggelfamilie stammte, wurde noch vor dem zehnten Lebensjahr eingesperrt, weil er Dinge tun konnte, für die keine Erklärung gefunden werden konnte. - Aber das ist rückständiger, als ich fürchtete. Wir sperren nur ausgewiesene Kriminelle ein, egal wie stark sie zaubern können. Und Sie von dieser Schule zu verweisen, ohne daß Sie eine Regel empfindlich verletzt hätten, wäre das dümmste, was uns einfallen könnte. Wenn Sie wirklich so stark sind, daß Sie bei Kenntnis eines Zauberspruches nur an diesen zu denken brauchen, wären Sie anderswo als hier in größerer Gefahr, als Ihnen bislang bewußt war. Keiner würde Sie korrekt behandeln. Entweder hätten alle Angst vor Ihnen oder würden Sie als Kuriosität verstehen. Es gilt, und ich frage mich, wieso Sie das auch nicht begreifen wollen, was ich Ihrem Vater bereits sagte: Untrainierte Zauberkräfte wirken sich irgendwann gegen den Zauberkundigen aus, so oder so. Entweder zerstört er sich damit selbst oder die Welt um sich herum. Daß Ihr Vater dies nicht begreifen wollte, muß ich wohl auf den kulturellen Unterschied und die Abneigung gegen alle Mysterien zurückführen. Aber Sie haben heute morgen bewiesen, daß es Sie allein sind, der die Kräfte lenkt. Und Sie müssen lernen, Sie so zu lenken, daß sie ihnen nicht entgleiten. Das können Sie nur hier. Ich darf Ihnen ein Schreiben vom Ministerium für Zauberei vorlesen. Darin steht", sie holte einen Umschlag aus der linken Tasche ihres Umhangs, "daß wir im Kollegium von Hogwarts gehalten sind, jeden Muggelgeborenen, der starke Zauberkräfte zeigt, mit allen Mitteln zu fördern, ohne ihm eine Sonderbehandlung zukommen zu lassen."
"Und wieso haben Sie mir dann die 20 Punkte zuerkannt?" Fragte Julius.
"Weil Sie die Bestleistung in der ersten Stunde erbracht haben, die jemals jemand erbringen konnte. Betrachten Sie diese Punkte als Ansporn, sich auf alles zu konzentrieren, was sie lernen können, wenn es für Ihren Werdegang wichtig sein wird. Weitere Punkte, die Sie verdienen können, werden eher auf Wissensbasis und Reaktionsfähigkeit ausgerichtet sein, jetzt, wo wir Ihre Grundstärke kennen."
"Ich dachte schon, es sei ein Mißverständnis, daß ich hier bin."
"Der sprechende Hut hat mit Ihnen lange zu tun ggehabt. Hat er Ihnen gesagt, daß Sie nicht hierher gehören?" Fragte Professor Flitwick.
"Nein, hat er nicht. Er hat gesagt, daß jeder, der auf dem Stuhl platznehmen würde, auch nach Hogwarts gehöre."
"Und dann hat er Sie Ravenclaw zugeteilt, weil er festgestellt hat, daß Ravenclaw-Eigenschaften bei Ihnen überwiegen. Dieser Hut hat sich in all den Jahrhunderten nicht einmal getäuscht. Und mit jedem Jahr, das er existiert, steigt seine Erfahrung. Also nehmen Sie es endlich hin und werfen Sie das über Bord, was in Ihrer Welt eine schwere Neurose genannt wird. Befreien Sie sich von dem Zwang, Ihre Natur zu bekämpfen, je offenkundiger sie auftritt. Vielleicht pegeln sich die überhohen Zauberkräfte dann auch auf ein für Ihre Ansichten verträgliches Maß ein", sprach Professor McGonagall ein eindringliches Schlußwort.
"Sie meinen, ich hätte Angst vor mir selbst?" Wollte Julius wissen.
"Das ließe sich überprüfen", meinte Professor Flitwick und sahProfessor McGonagall an. Diese nickte, weil sie offenbar etwas verstanden hatte, was Julius nicht mitbekommen konnte.
"Folgen Sie uns!" Ordnete Professor McGonagall an und ging mitProfessor Flitwick voraus. Julius lief hinterher, immer noch nicht so recht wissend, was er zu erwarten hatte. Es ging durch mehrere Gänge, vorbei an alten Ritterrüstungen und Gemälden, in denen altertümliche Personen sich bewegten, als seien die Bilder Fenster und keine Malereien. Schließlich gelangten sie vor eine Tür, die offenbar in ein früheres Klassenzimmer führte. Professor McGonagall nahm ihren Zauberstab und tippte gegen das Türschloß. Es klickte, und die Tür schwang geräuschlos nach innen.
Im Raum hinter der Tür sah Julius mehrere verstaubte Schränke, Stühle und zwei übereinandergestapelte Tische. Julius Andrews wunderte sich, wie klein das Zimmer wirkte, und welchen Zweck es früher mal erfüllt hatte. Dann hörte er das leise Poltern aus einem kleinen Schrank.
"Gibt es hier Ratten?" Fragte er vorsichtig. Flitwick sah McGonagall an und grinste.
"Wo es Erdgnome, Gargoylen und andere Erdbewohner gibt, sind gewöhnliche Ratten seltener als in Muggelansiedlungen. Haben Sie Angst vor Ratten?"
"Nein, habe ich nicht. Ich habe sogar mal eine eingefangen und wollte sie als Haustier behalten", erwiderte Julius.
"Ja, dann können Sie ja gucken, was da solch einen Lärm macht."
Julius schluckte. Offenbar wollte man ihn einer Mutprobe unterziehen. Wenn er sich traute, den Schrank zu öffnen, aus dem das merkwürdige Poltern kam, hatte er wohl bestanden. Oder ging es darum, intelligenten Ungehorsam zu zeigen? Er hatte von seinem Vater etwas von Fragen und Anweisungen bei der Aufnahme von neuen Mitarbeitern gehört, wo getestet wurde, was man den Leuten alles Abverlangen konnte. Doch er dachte daran, daß die beiden Lehrer ihn nicht in eine Gefahr bringen würden, aus der sie ihm nicht heraushelfen konnten. Er ging also zu dem Schrank. Die Verwandlungslehrerin und Flitwick traten etwas zurück. Julius gab nichts darauf und zog die Schranktür mit einem Ruck auf, bereit, im nächsten Moment zurückzuspringen.
Das erste, was Julius sah, war ein Paar armlanger, haariger Insektenfühler, die aus dem Schrank herauslugten. Dann entstieg ein Ungetüm dem Schrank, mit großen Facettenaugen, einem langen Rüssel und mörderischen Beißzangen. Dann erschien der beinahe menschengroße Körper, eingehüllt in einen schwarz-gelb geringelten Panzer. Die mit klauen bewehrten ersten zwei Beinpaare trafen auf den Boden. Mit einem Getöse wie von anlaufenden Flugzeugpropellern zitterten zwei Flügelpaare auf dem Rücken des Monsters aus dem Schrank. Julius Andrews stand wie angewurzelt da, die Augen weit aufgerissen und starrte auf das Unwesen, das er da soeben aus dem Schrank gelassen hatte. Sein Mund öffnete sich zu einem Schrei, während das Monsterinsekt einen degengroßen Giftstachel aus seinem Hinterleib ausfuhr und Julius so nahe kam, daß seine beiden Fühler ihn fast berührten. Julius schrie und sprang zurück. Dabei riß er fast den kleinen Professor Flitwick zu Boden, der ebenfalls einen erschreckten Aufschrei tat.
Julius riß mehr aus Verzweiflung als aus Mut seinen Zauberstab heraus und hielt ihn dem Monster entgegen. Er dachte daran, daß es vom Kopf bis zum Giftstachel in eine Schnur gewickelt werden sollte. Tatsächlich schossen knisternde Funken aus rotem und goldenen Lichtblitzen aus seinem Zauberstab, die das Monster trafen und unvermittelt in eine rote Schnur einzuwickeln begannen. McGonagall trat neben Julius, den Zauberstab in der rechten Hand.
Als das Monsterinsekt die Verwandlungslehrerin sah, gab es einen lauten Knall, und an Stelle des Schreckenstieres stand ein hagerer Mann im schwarzen Umhang da. Sein Gesicht war schrecklicher, als Julius je eines gesehen hatte. Bleich, mit glutroten Augen und einer flachen Nase, wie die einer Schlange. Mit kalter hoher Stimme lachte der fremde Mann und griff in seinen Umhang.
"Riddiculus!" Schrie Professor McGonagall. Unvermittelt stand der Fremde nicht mehr im Umhang, sondern in einem Strampelanzug da, eine rote Pappnase im Gesicht und auf dem Kopf eine rote Zipfelmütze. Das kalte böse Lachen des Fremden erstarb zu einem schmerzgepeinigten Wimmern. Wie ein getretener Hund winselnd stahl sich der fremde Zauberer, oder was er war, in den Schrank zurück. Mit einem Wink des Zauberstabes ließProfessor McGonagall die Schranktür wieder zufallen.
Julius schnaufte, immer noch von der Angst erschüttert, die ihm die monsterhafte Riesenwespe aus dem Schrank eingejagt hatte. Doch dann kam er wieder zur Besinnung. Als Professor McGonagall sich vor ihm hingestellt hatte, hatte das Monster die Gestalt dieses bösartig aussehenden Zauberers angenommen. Also war es kein Monsterinsekt gewesen, sondern ein Wesen, daß Leuten ihre schlimmste Angst einjagen sollte, eine Art Dämon.
Von innen war wieder ein leises Poltern zu hören. Das Ding, was immer es gewesen war, saß nun wieder im Schrank, womöglich auf den nächsten lauernd, dem es Angst machen konnte.
"Ich konnte nicht zulassen, daß Sie eines unserer Versuchsobjekte für die Verteidigung gegen die dunklen Künste vernichten, Mr. Andrews. Aber Sie haben gesehen, wovor Sie angst haben. Vielleicht hilft Ihnen das jetzt weiter."
"Was war das für ein Vieh? War das ein Dämon, der weiß, was er machen muß, um Leute zu ängstigen?" Wollte Julius wissen.
"Dämon ist vielleicht übertrieben. Es war nur ein Irrwicht. Ein magisches Wesen, daß die größte Furcht eines Opfers erspüren und sich entsprechend verwandeln kann, um sie auszulösen", erklärteProfessor McGonagall. Dann sagte sie:
"Sie haben gerade wieder intuitiv gezaubert, Mr. Andrews. Wollten Sie das Abbild dieses Rieseninsektes fesseln oder lächerlich erscheinen lassen?"
"Wohl erstes", brachte Julius heraus.
"Auf jeden Fall sind Sie ein Mentalinitiator. So heißen die Zauberer, die bereits im Kindesalter nicht mit Sprüchen zaubern müssen und auch bei reiner Kenntnis dessen, was sie bewirken können, eine magische Reaktion auslösen. Weglaufen ist also der falsche Weg. Vor sich kann man nicht weglaufen. Aber das ist eine uralte Binsenweisheit."
"Das heißt, Sie werfen mich nicht raus?" Wollte Julius schon wieder wissen.
"Wie gesagt. Das wäre das dümmste, was wir im Moment mit Ihnen machen könnten. Allerdings sollten Sie um ihretwillen nicht darauf spekulieren, sich hier alles erlauben zu können. Die Regeln gelten für alle hier, auch für Sie. Sie werden nicht als Ausnahme behandelt und auch nicht benachteiligt, sofern es mit meinem und Professor Flitwicks Unterricht zu tun hat. Die anderen Lehrer werden ähnlich darüber denken. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie jemand nur auf Grund eines vorhandenen Grundtalentes benachteiligen wird. Allerdings sollten Sie mit dieser Gabe vorsichtig umgehen und immer die Kontrolle über sich behalten. Auch das ist ein Ziel, für das Sie und die anderen hier in Hogwarts sind. Unfälle in der Zauberei sind manchmal schwerwiegender, als Unfälle beim Sport oder auf Reisen. Ich habe Sie schon richtig eingeschätzt, als ich Sie das erstemal gesehen habe. Sie sind sich wohl nun im klaren darüber, was Sie sind?"
"Jawohl", erwiderte Julius Andrews. Dann entließen ihn die beiden Professoren wieder.
Als Julius Andrews durch das Schloß ging, um in das Ravenclaw-Haus zu kommen, schoß plötzlich ein kleiner Mann mit sich drehender Fliege aus einem Schrank und sauste laut heulend über ihn hinweg, wobei er eine Ladung Staub über ihm Abwarf.
"Wo haben sie dich denn rausgelassen! Wohl auf Streitsuche, was?" Brüllte Julius dem schwebenden Untäter nach. Dieser schlug einen Salto in der Luft und fuhr wieder auf ihn los, wie eine streitlustige Krähe.
"Ganz allein läuft er herum. Ist das nicht ein wenig dumm?"
"Ich habe heute schon genug Spukgestalten gesehen. Scher dich zum Abfall!" Meinte Julius leicht genervt. Dann hörte er eine unheimliche Stimme aus einem Korridor.
"Da ist er ja schon wieder. Mach, daß du wegkommst, Peeves!"
"Oha, der Hausmeister, der Schrecken aller Geister!" Spottete das Gespenst mit der Fliege und tanzte in der Luft eine Tarantella.
Eine Katze kam um die Ecke, sah nach oben und entdeckte die Spukgestalt. Julius schüttelte den Staub von seinen Haaren und lief schnell weiter. Er hatte von Dustin gehört, daß der Hausmeister Filch nicht besonders gut auf Schüler zu sprechen war. Er hatte eine dressierte Katze, Mrs. Norris, die herumlief und nach Untätern Ausschau hielt. Julius war nicht scharf darauf, sich von Filch beschimpfen zu lassen. Deshalb eilte er, das Spottgeheul von Peeves hinter sich lassend, bis vor das Gemälde mit der Blumenwiese. Maggy, die gemalte Kuh, graste. Der Hirte lag fast außerhalb des rechten Rahmens. Julius tippte mit dem Zeigefinger gegen das Bild und fühlte nur die Leinwand.
"Der adler ist gelandet!" Rief er einen der ersten Sätze nach der Mondlandung von Neil Armstrong.
"Mmmuuuuuh!" Machte Maggy und drehte sich mit gesenktem Kopf zu Julius um. Der Hirte fuhr zusammen und sprang auf.
"Was?!" Stieß er erschrocken aus.
"Mare Tranquillitatis", gab Julius das korrekte Passwort an.
"Achso", gähnte der aus dem Schlaf geweckte Hirte und schwang mit dem Bild zur Seite. Julius kletterte durch die Einstiegsöffnung und landete im Gemeinschaftsraum der Ravenclaws. Dort schien gerade eine wilde Jagd stattzufinden, wobei Julius nicht erkennen konnte, wer wen oder was jagte.
Er sah ein großes Buch mit goldenen Lettern auf dem Rücken, das herumflog und zwischendurch versuchte, den Schülerinnen und Schülern die Ohren, Nasen oder Hände zwischen seine Deckel zu klemmen und dabei laut knurrte.
"Ach du meine Güte!" Stieß Julius aus, als ihm das verhexte Buch entgegenflatterte. Was sollte das bedeuten? Er sprang mit einem Satz zur Seite, und das verfluchte Buch schnappte mit seinen Deckeln ins Leere, daß es nur so klatschte.
"Achtung, mein Monsterbuch ist los!" Rief ein Drittklässler aus der Menge heraus eine Warnung, die, wie Julius fand, reichlich spät kam.
"Na toll!" Rief Julius zurück, als ihn das offenbar tobsüchtige Buch ins Ohr zu kriegen versuchte. Mit einem Handkantenschlag gegen den linken Deckel trieb Julius das Buch aus seiner Nähe. Es jaulte wie ein getretener Hund und griff nun wütender an.
"Mach's nicht kaputt!" Rief der Drittklässler, der wohl mehr Angst um sein Buch als um Julius' Nase oder sonstige Körperteile hatte. Julius Andrews tauchte unter dem angreifenden Buch hindurch und sprang in die Menge der Schüler hinein, die durcheinanderliefen.
"Wau!" Rief eines der Mädchen aus der ersten Klasse. Dann kam Terrence Crossley durch den Einstieg in den Gemeinschaftsraum. Sofort ging das wilde Buch auf ihn los. Er zog seinen Zauberstab und stieß eine kurze Formel aus, die wie "Petrificus totalus" klang. Das Buch fiel kurz zu boden, schüttelte sich und stieß dann wieder nach oben vor, auf Terrence los.
"Verdammt noch mal!" Brüllte der Vertrauensschüler, jede Würde mißachtend.
"Welcher Idiot hat dieses Monsterbuch freigelassen?"
"Monster, wo?" Kam eine Frage von der Treppe zu den Jungenschlafsälen her. Kevin Malone strich sich noch das zerzauste Haar glatt. Er hatte wohl ein kurzes Mittagsschläfchen gehalten und den Lärm von unten gehört.
"Mein Monsterbuch hat sich aus dem Strick gewunden und rastet völlig aus", plärrte der Drittklässler.
"Ein Buch über Monster, oder ein Buch, das ein Monster ist?" Fragte Julius den betreten dreinblickenden Schüler.
"Beides", gab dieser peinlich berührt zur Antwort. Dann sahen sie, wie Kevin sich durch die Menge bahnte und gerade zurecht kam, als das wilde Buch Terrence in die linke Hand biß. "Autsch!" Schrie der Vertrauensschüler und sah seine Hand an, als das Buch sie wieder freigegeben hatte. Kevin griff blitzschnell nach dem Buchrücken und drückte mit der anderen Hand die Deckel zusammen. Er mühte sich ab, das Buch unter Kontrolle zu bringen und sprach dabei beruhigende Worte, als wolle er einen wütenden Hund beruhigen. Dann setzte er sich an einem Tisch nieder und legte das Buch ab, wobei er immer noch damit rang, es geschlossen zu halten. Schließlich tätschelte er den Buchrücken und streichelte ihn sanft. Und das merkwürdige Buch gab ruhe. Ja, es zitterte kurz, dann klappte es auf, wie ein ganz normales Buch und zeigte harmlose Text- und Bildseiten.
"Sag mal, wo hast du denn das gelernt?" Fragte der Junge, dem das Buch entkommen war und trat neben Kevin. Jetzt erst konnte Julius sehen, daß es sich um einen durchtrainierten Jungen mit schulterlangem braunem Haar handelte.
"Ich kann gut mit manchen Tieren. Ich dachte, dieses Buch ist so verzaubert, daß es wie ein wildes Tier ist, das immer frei sein will", sagte Kevin, der vorsichtig in dem nun völlig ruhigen Monsterbuch blätterte und über die Abbildungen von Drachen, Riesenspinnen, Gargoylen, Gorgonen und anderen Fabelwesen staunte. Julius trat näher heran. Das Monsterbuch schien ihn wohl zu wittern und zitterte erregt. Julius trat wieder zurück.
"Du hast es geschlagen. Vielleicht mag es dich deswegen nicht leiden", sagte der Besitzer des Buches und nahm es Kevin vorsichtig aus den Händen. Er klappte es zu und streichelte es sanft. Dann entschuldigte er sich bei den anderen, dasß das Buch sie so erschreckt hatte.
"Fünf Punkte Abzug für Ravenclaw, wegen unsachgemäßer Aufbewahrung eines magischen Objektes", wimmerte Terrence, dessen vom Buch gebissene Hand anschwoll.
"Heh, Terrence, das kannst du nicht bringen", protestierte der Junge, dem das Buch gehörte.
"Natürlich kann und muß ich das bringen, Gilbert. Oder denkst du, daß wäre richtig, wenn hier jeder mit seinen Zaubersachen fahrlässig herumhantieren würde?"
"Mann, das Biest ist mir aus den Haltestricken entwischt. Ich weiß nicht, was sich Hagrid dabei gedacht hat, uns dieses Monsterbuch aufzuschwatzen. Die Dinger sind doch lebensgefährlich."
"Eben!" Bestätigte Terrence. "Und wenn du noch weiter lamentierst, ziehe ich dir wegen Respektlosigkeit einem Vertrauensschüler gegenübernoch mal fünf Punkte ab."
"Dem eigenen Haus Punkte Abziehen. Der tickt doch wohl nicht richtig", zischte irgendwo eine Stimme, die Julius nicht zuordnen konnte. Auch Terrence konnte nicht hören, wer das gesagt hatte. Er sah drohend in die Runde der Anwesenden, dann fiel ihm ein, daß er seine Hand besser behandeln lassen sollte und kletterte durch das Einstiegsloch zurück auf den Flur. Maggy, die gemalte Kuh, muhte erregt, weil sie mit ihrem Hirten schon wieder herumgeschwenkt wurde.
"Wie hast du das eben mit dem Buch gemacht, Julius?" Wollte Pina Watermelon, eine Klassenkameradin von Julius, wissen. Der Junge, der vor einigen Wochen noch nicht wußte, daß er ein echter Zauberer war, sah sie an und sagte lächelnd:
"Ich habe zu Hause Karate trainiert. Das ist eine Muggelkampfart, bei der du ohne Waffen kämpfst. Ein Sport, wie Boxen, nur mit Händen und Füßen, und dabei noch so schnell, daß du mächtig aufpassen mußt, wenn du nicht getroffen werden willst."
"Hast du das aus Spaß gelernt, oder sind alle Muggel so kampflustig?" Wollte Pina wissen.
"Ich mache das als Sport, um meine Bewegungen zu verbessern. Aber einmal mußte ich doch gegen einen großen Jungen kämpfen, der eine Klassenkameradin von mir belästigt hat. Glaub mir, das macht keinen Spaß, wenn du dich tatsächlich mit jemanden prügeln mußt. Vielleicht habe ich das auch nur gelernt, um keine Angst zu haben, mich auch ohne Prügelei aus einer Situation herauszuziehen, weil ich weiß, daß ich das kann, wenn ich muß. Aber nur dann, wenn ich es machen muß kämpfe."
"Achso. Ich dachte schon, daß ihr alle so gemein seid."
"Bei uns gelten Hexen auch alle als böse und vor allem häßlich", grinste Julius und sah Pinas langen blonden Zopf und die wasserblauen Augen, die Stubsnase und die zierliche Gestalt. Pina verzog den Mund zu einem Schmollen und zog sich zurück.
"Achso, Julius! Gloria läßt dich grüßen und ausrichten, daß sie in der Bibliothek auf dich wartet", sagte Eric Bosetzky, der sich an die kleine Gruppe herangetraut hatte, als das beißende Buch aus dem Gemeinschaftsraum fortgebracht worden war.
"Da bin ich jetzt nicht für zu haben, zu lesen. Ich muß über einiges nachdenken", meinte Julius und zog sich in eine ruhige Ecke des Raumes zurück.
Es waren wohl zwanzig Minuten vergangen, als Terrence von seinem Ausflug in die Krankenabteilung zurückkehrte. Seine Hände waren beide wieder in Ordnung, und er grinste breit.
"Ich habe den arroganten Schnösel Malfoy da gesehen. Der wimmert sich was zurecht, weil ihn ein Hippogreif bald den Arm abgefressen hat. Selbst schuld, der Idiot. Was vergreift er sich auch an so sensiblen Tieren", sagte er. Hinter Terrence turnte Gloria Porter wie eine Ballettänzerin durch den Einstieg und sah sich um. Als sie fand, was sie suchte, ging sie mit schnellen Schritten auf Julius Andrews zu, der versuchte, sich so unauffällig wie möglich zu verhalten.
"Heh, du! Ich habe fast eine halbe Stunde auf dich gewartet. Ich wollte dich mit Hermine Granger bekannt machen, damit sie dir erzählt, wie sie zu ihren Eltern Kontakt hält."
"Die nimmt mich doch nicht ernst", erwiderte Julius muffelig.
"Wieso sollte sie nicht? Sie liest noch in der Bibliothek. Ich weiß nicht, wie die sich das alles merken kann. Faszinierend."
"Sprach Mr. Spock und zog die Augenbrauen hoch", kommentierte Julius den letzten Teil von Glorias Bemerkung.
"O.K., Mylady. Damit Sie ruhig schlafen können und ich meinen Frieden habe, sei es drum", sagte Julius, nachdem die blondgelockte Klassenkameradin ihn minutenlang angestarrt hatte. Julius wußte, daß er diese Runde im Ringkampf um den stärkeren Willen verloren hatte. Aber er sah auch nicht ein, weshalb er sich von nun an jeden Tag aufs neue anhören sollte, daß er viel zu stolz sei, mal jemanden um etwas zu bitten.
Zusammen mit Kevin Malone, der durch das Monsterbuch auf den Geschmack gekommen war, noch mehr über die Fabeltiere zu erfahren, verließen sie den Gemeinschaftsraum der Ravenclaws.
"Könnt ihr euch mal entscheiden, wo ihr hinwollt?!" Rief ihnen der Kuhhirte aus dem Gemälde hinterher. Sie beachteten ihn nicht. Julius überlegte nur, ob er nicht mit Chemikalien aus seinem Chemiebaukasten einige kreative Korrekturen an diesem Gemälde durchführen sollte. Aber das kam wohl einer Sabotage gleich. Und wegen eines merkwürdigen Bauern auf einem Bild wollte er nicht den Schulverweis riskieren.
In der Bibliothek schubste Gloria Julius voran zu einem riesigen Bücherstapel, hinter dem sich das braunhaarige Mädchen mit den vorstehenden Zähnen versteckte, daß Julius bei der Einschulung gesehen hatte. Er räusperte sich leise und sagte:
"Entschuldigung! Ich will dich nicht stören. Aber meine Klassenkameradin Gloria ist der Meinung, ich sollte dich fragen, wie du mit deinen Eltern Kontakt hältst, während du hier in Hogwarts bist."
"Du bist Julius Andrews. Ich habe von dir gehört. Um es kurz zu machen:
Als wir von Hogwarts Bescheid bekamen, informierten wir uns über alle Möglichkeiten, Kontakt zu halten. Ich habe es mir angewöhnt, jeden Monat eine Schuleule loszuschicken, um meine Eltern auf dem Laufenden zu halten."
"Joh, danke!" Antwortete Julius Andrews und verabschiedete sich höflich von Hermine Granger.
"Jetzt hast du sie nicht gefragt, wie sie das macht", zischte Gloria, als Julius sie wieder erreicht hatte.
"Die ist beschäftigt. Ich kenne das. Hast du gesehen, was für Bücher sie sich da zurechtgelegt hat? Das ist Lehrstoff für mindestens zehn Fächer."
"Interessant", bemerkte Gloria, die offenbar von Hermines Lerneifer begeistert war. Julius lag nichts an Strebern. Er zog es vor, nur das zu bringen, was von ihm verlangt wurde, nicht mehr. Ihm war es immer noch peinlich, daß er dieses Streichholz so perfekt verwandelt hatte.
Auf eigenen Wunsch gingen Gloria und er in die Eulerei, wo sie sich eine Waldohreule aussuchten, die so ähnlich aussah wie Boann, Kevins eigenes Tier. Julius schrieb einen kurzen Brief an seine Eltern, der lautete:
Hallo, Mum und Paps!Ich bin gut in Hogwarts angekommen und habe meinen ersten Schultag erfolgreich bestanden. Ich lebe in einem Haus namens Ravenclaw und teile mir mit vier Klassenkameraden einen Schlafsaal. Wir aus unserem Haus haben auch zusammen Unterricht und können die Bibliothek besuchen, sowie die schuleigenen Posteulen benutzen, um Kontakt zu halten.
Also, wenn diese Eule bei euch eintrifft, schreibt ruhig eine Antwort auf die Rückseite des Briefes und schickt sie zu mir zurück!
Sowohl der Schulleiter als auch mein Hauslehrer sind vollkommen davon überzeugt, daß ich hier hingehöre. Ich fange auch schon an, mich hier wohlzufühlen. Ihr hört in zwei Wochen wieder von mir. Telefon und E-Mail gehen hier nicht. Aber wenn ihr diese Eule zurückschickt, wird sie mich finden.
Alles liebe
Euer Sohn Julius
Julius zeigte der Eule einige Sekunden lang die magischen Fotos seiner Eltern, die sich aufgeregt miteinander unterhielten. Dann band er dem Tier den Brief an das rechte Bein, sagte ihm zweimal die Adresse vor und entließ es durch eines der glaslosen Fenster.
"Mal sehen, ob da was zurückkommt", sagte Julius Abschließend.
"Was meinst du, wo Eulen überall die finden, für die sie was befördern. Die Zaubereulen sind darauf trainiert, Zauberer und Hexen in allen Winkeln der Welt zu finden."
"Ja, Aber ein Flug nach London dauert lange. Vor sechs Tagen kommt da sowieso keine Antwort", erwiderte Julius skeptisch.
"Du wirst sehen. So, und was machen wir mit dem restlichen Tag?" Wollte sie wissen.
"Gucken, was wir morgen haben und hoffen, daß der morgige Tag nicht so aufregend wird", sagte Julius auf diese Frage.
Den Rest des Abends verbrachte Julius mit Kevin zusammen im Gemeinschaftsraum der Ravenclaws und unterhielt sich über die ganzen Fabelwesen, die er in Gilberts Monsterbuch gesehen hatte. Kevin ließ sich von Julius noch mal die Eigenschaften der Speerstecherbeeren erklären und erklärte dem Muggelgeborenen die Spielregeln von Quidditch. Hier erfuhr Julius auch, worüber sich die drei Hexen im Flugzeug nach Sydney unterhalten hatten, was sein Vater aufgeschnappt hatte. Gut, daß der nicht wußte, worum es ging. Julius freute sich schon darauf, ein richtiges Spiel zu sehen.
Die nächsten Tage verliefen etwas ruhiger. Julius schaffte es, in den verschiedenen Fächern nicht allzu heftig aufzufallen und kassierte einmal 10 Punkte für die exakte Bestimmung der Bahn des Jupitermondes Ganymed. Gloria und Kevin erwiesen sich als wahre Bücherwürmer. Sie lasen sich fast jeden Nachmittag durch einen winzigen Teil der Bibliothek und brachten Abends etwas Lektüre mit in den Gemeinschaftsraum. Julius legte sich dagegen immer nur auf Zaubertränke, Kräuterkunde und Zauberkunst fest, wobei er sich zum Erstaunen der Bibliothekarin einen Wälzer mit dem Titel: "Interaktionen der magischen Energie" von Clyde Partridge auslieh. Gloria, die ihn fragte, was er mit Stoff aus der sechsten Klasse wollte, erfuhr, daß er über sein Grundpotential und dessen Beherrschbarkeit doch mehr erfahren wolle, bevor er die Praxis erlernte.
Die neue Woche begann mit der ersten Stunde Zaubertränke beiProfessor Snape. Zusammen mit den Hufflepuffs trafen sie in einem der unterirdischen Kerker ein und bekamen das übliche Ritual, erst die Namensliste, dann die Beschreibung des Faches. Als Snape sagte, daß es bei seinem Unterricht keine Zauberstabhantiererei gebe, atmete Julius auf. Beim zusammenbrauen von Tränken konte ihm das magische Grundpotential nicht überschießen. So brauten sie die ersten Probetränke, wobei Snape sich nicht gerade darum bemühte, aufmunternde Worte zu finden. Die Hufflepuffs bedachte er mit künstlichen Mitleidsbekundungen, während er bei Gloria meinte, sie bliebe hinter den Anforderungen für Ravenclaws zurück, obwohl sie vollkommen nach Vorgabe arbeitete. Julius, der schon gehört hatte, daß Snape keine Muggel mochte, rechnete sich aus, daß der Lehrer ihn wohl häufig erniedrigen würde, wenn er sich dies gefallen ließ. Als Snape vor seinem Kessel stand und den köchelnden Trank begutachtete, dachte Julius schon, daß er gleich etwas hören würde, wie idiotisch er sich doch anstellte. Snape schien nicht zu wissen, was er sagen sollte. Dann meinte er:
"Wieviele Bücher über Zaubertränke mußten Sie lesen, um diesen einfachen Trank hinbekommen zu können, Andrews?"
"Nur das, was von Ihnen empfohlen wurde, Professor Snape", entgegnete Julius ruhig auf diese herablassende Frage.
"Aber lesen ist nicht gleich können", versuchte Snape, ihn noch aus der Reserve zu locken.
"Da haben Sie recht, Professor Snape", erwiderte Julius wieder ganz ruhig. Offenbar reichte das Snape, um zu erkennen, daß er den Muggel so nicht aus der Fassung bringen konnte. Snape konnte nicht wissen, daß Julius in seiner Grundschulzeit von vielen Lehrern drangsaliert worden war, die ihn immer wieder damit aufzuziehen versucht hatten, daß er wohl kein Direktorensohn sein konnte, wenn er sich so idiotisch verhielt. Insofern war Julius gewappnet.
Am ende der Zaubertrankstunde kam es fast zu einer Katastrophe, als die beiden Hollingsworth-Schwestern, die einen Tisch vor Julius und Gloria saßen, einen Zusatz zu hoch dosierten. Das Gebräu fing an, grünen Dampf zu entwickeln und bedrohlich zu blubbern. Julius versicherte sich, daß seine Mischung optimal nach Vorgabe angerührt war und trat schnell an den Tisch der beiden Mädchen heran, wobei er darauf achtete, daß Snape ihn nicht sah. Er flüsterte den beiden zu, schnell einen kurzen Halm Petersilie einzufüllen, was die Dampfentwicklung sofort beendete und den Trank zum erwarteten Ergebnis brachte. Dann schlüpfte er schnell hinter seinen Kessel zurück und stellte fest, daß seine Mischung nun blau wurde, obwohl sie durchsichtig bleiben sollte. Er überlegte schnell, was das sollte, denn er hatte genau abgewogen und gemischt, was im Buch verlangt wurde.
"... Lesen ist nicht können. ..." Hörte Julius Snapes herablassende Bemerkung in seinem Bewußtsein. Er dachte kurz nach, dann nahm er einen abgeschnittenen Zitronenfalterflügel und zerbröselte ihn über dem Kessel, danach rührte er kurz um, und die Flüssigkeit verfärbte sich wieder durchsichtig.
"Snape hat als du weggegangen warst einen Klumpen von irgendwas in deinen Kessel geworfen", zischte Gloria, die ihre Mixtur genau überwachte.
"Kakerlakenkot", vermutete Julius flüsternd. Gloria guckte erstaunt.
"Wie glauben Sie, Andrews, soll dieses Gebräu schmecken, was Sie da angerührt haben?" Kam Snapes verächtlich klingende Stimme von einem Tisch hinter Julius.
"Es kommt nur auf die Wirkung an, Professor Snape", erwiderte Julius ganz beherrscht.
"Dann werden Sie diese nachher an sich selbst ausprobieren", gab Snape zur Antwort. Julius überlegte kurz, was er dazu sagen sollte und meinte dann:
"Wie Sie wünschen, Professor Snape." Wenn Snape dachte, ihm Angst einjagen zu können, war er auf dem Holzweg. Zwar hatte er nur gesagt, daß der Trank ein harmloser Entspannungszauber sei, doch Julius wußte, daß dieser Trank eher ein Aufputschmittel darstellte. Seinetwegen. Wenn er die nächste Stunde Geschichte der Zauberei hätte, konnte er nicht wach genug sein.
Als die Stunde vorbei war, kam es zu dem Selbstversuch. Gloria sah Julius ängstlich an, doch der nickte nur zustimmend, als Snape ihm einen kleinen Schöpflöffel seines Gebräus hinhielt. Sich die Nase zuhaltend, schluckte er den Inhalt des Löffels in einem Zug hinunter und unterdrückte den Drang zum aufstoßen. Alle sahen ihn an. Snape mit lauerndem Blick, die anderen mit Angst oder Neugier in den Augen. Als zehn Sekunden vergangen waren, fühlte Julius die erwartete Wirkung. Ihm wurde so, als würde sein ganzer Körper mit Energie geflutet. Seine Sinne wurden schärfer, und in seinem Gehirn machten sich Entspannung und Gelassenheit breit.
"Ist zwar nicht der beste Jahrgang, Aber durchaus bekömmlich", meinte Julius, nachdem er die volle Wirkung des Gebräus verspürte. Snape sah ihn an, als habe er gerade eine Wette verloren und müßte sich überlegen, wie er sich um die Einlösung der Schulden drücken konnte. Dann fand er ein neues Objekt seiner Hinterhältigkeit. Er begutachtete den Trank der Hollingsworth-Schwestern und meinte laut, so daß es alle hören konnten:
"10 Punkte Abzug für jeden von ihnen beiden für Hufflepuff. Weil sie es zuließen, daß ihr Trank verpanscht wurde. Petersilie gehört nicht in diesen Trank. Also haben Sie vorhin irgendwas vermurkst."
Dann wandte er sich an Julius und sagte:
"Ich ziehe Ihnen heute nur einen Punkt ab. Aber beim nächstenmal werden es gleich fünfzig, wenn Sie sich als Problemlöser aufzuspielen fortsetzen, Andrews."
"Hilfsbereitschaft ist eine Hufflepuff-Eigenschaft", meinte Gloria, als sie aus dem Kerker kamen. "Snape hätte es wohl lieber gesehen, wenn den beiden ihre Kessel um die Ohren geflogen wären."
"Der grüne Dunst war giftig, Gloria. Wenn wir den alle eingeatmet hätten, wären wir alle von innen her ausgedörrt worden. Wenn Snape ein Selbstmörder ist, soll mir das gleich sein. Aber ich sehe nicht zu, wie jemand mich und den Rest der Klasse umbringt. Ich mache meine chemischen Versuche auch lieber alleine, für den Fall, daß ich was verbockt habe und ich statt einer harmlosen Flüssigkeit eine ätzende Säure kriege."
"Snape lebt in einer anderen Welt. Slytherin kann alles. Und wer versucht, das nachzumachen, erntet nur Hohn, Spott und Störungen von Snape. Du hast ihn mit deiner Gehorsamstour ganz schön aus dem Konzept gebracht. Er hätte dich lieber vor der Klasse unterdrückt", sagte Betty Hollingsworth, die sich bei Julius für seine Hilfe bedankte. Julius verstand nicht, wie sich jemand bedanken konnte, daß er für einen PunkteAbzug gesorgt hatte.
"Ihr habt 20 Punkte verloren", meinte der Sohn eines Chemikers.
"Na und. Besser ein paar Punkte, als gleich das Leben", erwiderte Jenna Hollingsworth. "Ich hätte nämlich eher Baumwanzensaft nachgefüllt, um die Überdosis Schneckenschleim auszugleichen."
"Oha! Dann hätten die Muggel auf ihren Satellitenbildern sehen können, wo Hogwarts stand. Das hätte nämlich einen heftigen Sprengzauber bewirkt und einen rotglühenden Krater hinterlassen", warf Julius ein und ärgerte sich, daß er so direkt reagiert hatte. Die beiden Mädchen aus Hufflepuff sahen ihn an, als habe er sie gerade schlimmer gedemütigt als Snape. Doch er entschuldigte sich und sagte:
"Das hätte Snape wohl nicht zugelassen. Oder glaubt ihr, er hätte es gewollt, daß seine Slytherins seiner Unfairness wegen draufgehen?"
"Nein, das nicht", grinste Jenna. Auch Betty konnte danach wieder lachen.
"Was sind Sattelnietenbilder", fragte Kevin Malone, der hinter den vieren herging. Gloria und Julius sahen sich an und mußten sich schwer zusammennehmen, um nicht loszulachen.
"Fotos, die von Maschinen gemacht werden, die wir Muggel mit großen Raketen in eine Umlaufbahn um die Erde geschossen haben", erklärte Julius und erntete einen tadelnden Blick von Gloria, den er mit einem ebenso vorwurfsvollen Blick erwiderte.
"Du bist kein Muggel", zischte sie ihn an.
"Solange ich nicht das Abschlußzeugnis in der Hand habe, wo drinsteht, daß ich ein ordentlicher Zauberer bin, gilt für mich, daß das Wissen aus der Muggelwelt immer noch gültig ist und ich nichts wegwerfe, was ich dort gelernt habe und noch lernen werde."
"Stolz der Minderheiten", grinste Kevin. Julius hatte dafür nur ein "Genau!" übrig.
Die erste Flugstunde war der letzte interessante Einstieg für Julius in sein neues Leben. Zusammen mit den Hufflepuffs ging es hinaus auf ein freies Feld vor dem Schloß wo so viele Besen gestapelt lagen, wie Schüler in der Klasse waren. Julius sah, wie Betty Hollingsworth sich einen Besen holte, dann ihre Schwester. Er erkannte, daß es Besen der Marke Wolkenreiter 6 waren, also die dritte Verbesserung nach Aurora Dawn's Einkaufsbesen. Julius fischte sich ebenfalls einen Flugbesen heraus und stellte sich neben die Hollingsworth-Schwestern. Gloria und Kevin griffen sich je einen Besen und gesellten sich zu ihren Klassenkameraden. Als Pina Watermelon ihren Besen geholt hatte, schaffte sie es noch, sich hinter Julius aufzustellen. Julius kam sich irgendwie beobachtet vor. Er hatte noch keinem in seinem Haus erzählt, daß er schon geflogen war. Er meinte, daß diese Information nicht gerade angebracht war. Womöglich wurde Aurora Dawn dann noch die Hölle heißgemacht, weil sie einem Muggelgeborenen vor seiner Einschulung Flugunterricht erteilt hatte.
"Hallo, miteinander!" Begrüßte Madame Hooch, die Fluglehrerin, die Klasse.
"Erst einmal müssen wir, was ihr wohl schon kennt, die Anwesenheitsliste durchgehen. - Andrews, Julius?"
"Bin da", sagte Julius laut. Dann ging die Verlesung der Anwesenheitsliste weiter, bis alle Namen verlesen waren. Danach erklärte Madame Hooch, daß fliegen eine der anspruchsvollsten Fortbewegungsarten sei, die Zauberer und Hexen praktizieren könnten. Es sei gefährlich, wenn man nicht die völlige Beherrschung über das eigene Gleichgewicht, den Besen und die schnelle Koordination von Bewegungen erringe. Daher sollten die Schulanfänger zunächst nur die einfachen Flugtechniken erlernen, um das Gefühl für ihre Fluggeräte zu bekommen. Anspruchsvollere Manöver kämen erst in den nächsten Stunden dran. Dann erklärte sie den Schülern, daß sie sich neben die Besen stellen und "Hoch!" befehlen sollten, um sie in die Aufstiegsposition zu bringen. Julius ließ sich einige Sekunden Zeit, bis so viele ihre Besen aufgerichtet hatten, daß er nicht auffiel. Er sagte leise: "Besen hoch!" und hielt den Stiel so, daß er sich nur noch aufzuschwingen brauchte. Dabei hatte er die Hände erst einmal anders aufliegen, als Aurora es ihm gezeigt hatte. Deshalb korrigierte ihn Madame Hooch und wies ihn an, wie er seinen Besen am besten zu halten hatte. Als sie alle Schüler überprüft hatte, schwang sie sich auf ihren Besen. Das war das Zeichen für alle, sich ebenfalls aufzuschwingen. Julius saß mühelos auf, während die beiden Hollingsworth-Schwestern sich beim Aufsteigen verhedderten. Auf ein Signal von Madame Hooch hin stießen sie sich sanft ab und zogen ihre Besen in einen leichten Steigungswinkel.
Julius fühlte sich wieder erhaben. Fliegen war das gewesen, was ihn davon überzeugt hatte, zu den Zauberern zu gehören. Vor allem dann, wenn er sich vor Augen hielt, wie sein Vater versucht hatte, Auroras Himmelsstürmer 8 zu fliegen und dabei voll auf die Nase gefallen war.
Es ging einige Meter nach oben, bis zu den Baumwipfeln. Dann kommandierte Madame Hooch einfache Flugrichtungsänderungen, ließ sich selbst zurückfallen, um die Übungen zu beaufsichtigen. Sie gab Anweisungen, wie sie die Flughöhe und -geschwindigkeit ändern konnten und prüfte die Haltung der Flugschüler. Die Hollingsworth-Schwestern schienen sich schon häufiger auf Flugbesen ausgetobt zu haben, denn sie spielten miteinander Fangen, allerdings nicht zu auffällig. Irgendwie juckte es Julius in den Gliedern, seinen Besen mal so richtig auszutesten, ihn an die Grenzen zu führen, wo er ihn noch gerade soeben unter Kontrolle halten konnte. Doch er wollte nicht zu früh auffallen. So flog er erst einige ruhige Manöver, wie die anderen auch. Erst als Kevin Malone anfing, kuriose Bahnen zu fliegen und dabei immer wieder an ihm vorbeikam, fragte er sich, ob er wirklich nach Lehrplan weitermachen sollte. Als der rotblonde Junge wieder an ihm vorbeiflog, fragte er ihn:
"Ist dir langweilig, Kevin?"
"Ein bißchen. Mann, ich würde gerne mal so richtig ausgreifen."
"Dann mach doch", erwiderte Julius herausfordernd.
"Neh, nachher fällst du noch gedemütigt vom Besen, meinte Kevin. "Ich will dich ja nicht entmutigen."
"Großzügig", grinste Julius. Unvermittelt tauchten die beiden Hollingsworths neben Julius auf. Betty fragte:
"Zuviel Energie, was, Kevin?"
"Aber hallo!" Entgegnete Kevin und zog seinen Besen etwas höher.
"Lust auf ein Jagdspiel?" Wollte Jenna wissen. Kevin sagte zu und wartete, bis Madame Hooch den langsamer fliegenden Mitschülern entgegenflog. Gloria Porter hatte sich zurückfallen lassen, weil sie sehen wollte, wie Fredo Gillers versuchte, einen Slalom zwischen den Bäumen zu fliegen. Madame Hooch war davon wohl nicht so begeistert und pfiff immer wieder auf einer Trillerpfeife. Doch Gillers ließ sich nicht beirren. Offenbar hatte er sich oder andern etwas zu beweisen.
"O.K., wir spielen Hufflepuff gegen Ravenclaw", schlug Kevin vor. Betty wandte sich Julius zu:
"Ich glaube nicht, daß du da mitmachen kannst. Kevin hat in der Grundschulmannschaft als Sucher gespielt, und wir haben von unserer Mutter diverse Flugmanöver gelernt. Das könnte schwierig werden."
"Ich werde schon rechtzeitig aussteigen, wenn es zu gefährlich wird."
Jenna flog voran, Betty spielte Blocker. Kevin und Julius sahen sich kurz an, dann stürmte Kevin auf Betty los, um sie aus der Bahn zu werfen, während Julius seinen Besen senkrecht nach oben riß und sich mit hohem Tempo in die Luft schwang, über die Flughöhe der drei anderen hinweg, um dann mit voller wucht den Besen in die Waagerechte zu drücken, um ihn mit einer schnellen Bewegung der Arme und beine anzutreiben. Der Wolkenreiter 6 preschte voran und überflog Kevin, der gerade versuchte, sich um Betty herumzuschwingen, was diese damit beantwortete, daß sie sich querstellte. Julius zielte mit der Stielspitze auf Jenna, die schon mehrere Meter Vorsprung hatte. Doch Julius holte sie ein, bevor sie bemerkte, daß sie einen der beiden im Nacken hatte. Julius wollte gerade an sie heran und sie kurz mit der Hand berühren, um sie Abzuklatschen, als er ein Schwirren hinter sich hörte und gerade noch in eine steile aufwärtskurve ziehen konnte, bevor Betty ihn zu fassen kriegen konnte. Der Jäger war zum Gejagten geworden. Julius Andrews warf sich flach auf seinen Besen und trieb ihn noch schneller an. Er sah, wie Betty ihre linke Hand vom Stiel löste, um ihn zu berühren und wartete darauf, das sie die Hand auf ihn niedersinken lassen würde. Als sie sich zu ihm hinüberwarf, drückte er seinen Besen in einen sehr steilen Neigungswinkel und ging in den Sturzflug über. Doch er blieb nur zwei Sekunden so. Dann warf er sich um die Längsachse des Besens, so daß er mit dem Rücken zum Boden wies. Dann warf er sein Fluggerät mit einer heftigen Arm- und Beinbewegung wieder in die Waagerechte, dann in die Senkrechte. Sein Manöver gelang. Betty war nun vor ihm. Sie schien nicht so schnell reagieren zu können und schaffte es nicht mehr, sich aus dem Weg zu bringen. Als Jenna hinter Julius auftauchte, klatschte seine Hand bereits auf Bettys Schulter. Dann konnte er gerade noch eine Vierteldrehung machen, um Jennas Zugriff zu entkommen. Wieder ließ er den Besen wie eine Rakete nach oben schießen, indem er sich nach hinten fallen ließ. Der Wolkenreiter 6 reagierte fast ohne Verzögerung und stieg senkrecht nach oben, Jenna in einer wilden Spirale unter sich folgend. Als Julius sich umsah, schoß gerade Kevin von unten nach oben, passierte Jenna, wobei er sie mit einer Hand kurz berührte und schloß dann zu Julius auf.
"Sieg!" Rief er, als er Julius eingeholt hatte, der seinen Besen in die normale Fluglage zurückdrückte.
"Das ist ja der helle Wahnsinn, Julius. Ich dachte, deine Eltern sind Muggel."
"Jawohl. Ich weiß auch nicht, warum das so gut klappte."
Ein schriller Pfiff rief sie zurück. Madame Hooch hatte bemerkt das vier Schüler die Gruppe hinter sich gelassen hatten. Wie der geölte Blitz kam sie auf ihrem Besen herangeprescht wie eine Furie. Julius und die drei anderen drehten auf dem Punkt genau um und eilten ihr entgegen. Sie sah nicht so aus, als würde sie sie gleich anbrüllen wollen, Aber zufrieden sah sie auch nicht aus, fand Julius. Sie lotste die vier Ausreißer zum Sportfeld zurück, wo die anderen gerade gelandet waren. Dann dirigierte sie Betty, Jenna, Julius und Kevin zu einem Landeplatz und ließ sie von den Besen Absteigen.
"Julius Andrews, wie kommt es, daß du gelandet bist, ohne daß ich dir das erklärt hätte?" Wandte sie sich an den Sohn eines Forschungsdirektors.
"Weil mir die drei andren gezeigt haben, wie es geht, Madame", erwiderte Julius kühl.
"Das glaube ich nicht. Zu sehen, wie jemand landet ist was völlig anderes, als es gezeigt zu bekommen." Julius war ihr in die Falle gegangen. Sie wußte nun, daß er schon mal geflogen sein mußte und genug Zeit für die Landeübungen gehabt hatte. Außerdem mußte sie den Anderen ja die Landetechnik noch gezeigt haben, bevor sie ihm und den anderen dreien nachgejagt war, was bedeutete, daß sie gesehen hatte, daß er sich sicher auf dem Besen bewegen konnte.
"Ich fürchte, meine Unterlagen sind verbesserungsbedürftig", sagte Madame Hooch. "In deinen Unterlagen steht, daß deine Eltern Muggel sind und bis 250 Jahre zurück keine Hexe oder ein Zauberer in deiner Ahnenreihe auftauchte. Das heißt wiederum, daß du nie vorher auf einem Besen gesessen haben kannst. Ist das richtig?"
"Ja, diese Schlußfolgerung ist logisch", erwiderte Julius.
"Aha, ein Logiker. Dann erkläre mir bitte, wie es logisch sein kann, daß jemand, der noch nie auf einem Besen gesessen hat, derartig gewagte Manöver fliegt, ohne auch nur einen Fehler bei der Umsetzung zu begehen und dann noch eine sanfte Landung hinlegt, wie ein geübter Flieger!"
"Ich machte viel Sport für Schnelligkeit und Reaktion. Ich denke, daß ich eben schnell genug reagieren konnte", erwiderte Julius.
"In der Welt deiner Eltern gibt es Geräte, die viel Gleichgewichtssinn und Koordination verlangen. Ihr nennt sie Fahrräder, Schlittschuhe und Rollschuhe. Würde ich mich auf ein solches Gerät begeben, würde mir meine Flugbefähigung nur soweit helfen, daß ich nicht sofort umfiele. Das gleiche gilt für Besen. Der Rosselini-Raketen-Aufstieg, den du und Kevin gezeigt haben ist nicht nur gefährlich, sondern sehr schwierig umzusetzen. Die logische Erklärung, daß ein Muggelgeborener, der nie einen Besen hätte fliegen können, es dennoch tut und heil wieder landen kann, ohne dafür die nötigen Anweisungen bekommen zu haben lautet: Jemand aus der Zaubererwelt hat es dir gezeigt. Hat es dir jemand vor deiner Einschulung gezeigt?"
Julius zögerte. Dann hörte er Kevin sagen:
"Ich habe ihm die Grundregeln von Quidditch erklärt und .."
"Davon lernt man das nicht, Kevin", schnitt ihm Madame Hooch das Wort Ab und warf ihm einen warnenden Blick zu. Sie wandte sich noch mal an Julius und sagte:
"Ich werde dir keine Strafe erteilen, wenn du tatsächlich schon vorher geflogen bist, ohne es mir zu sagen. Aber für eine Lüge werde ich dir und deinem Haus 150 Punkte Abziehen."
"Sie haben recht, ich bin schon einmal für mehrere Stunden geflogen, bevor ich hierher kam", antwortete Julius ohne Zögern. Er fühlte sich immer noch Aurora Dawn verpflichtet. Sie hatte ihm zwar nicht gesagt, ihre Flugstunden in Hogwarts zu verschweigen, doch glaubte er, daß es nicht im Sinne der Zauberergesetze war, einem Muggelgeborenen vor seiner Einschulung in einer Zaubereischule Flugstunden zu erteilen. Aber die Anderen hatten es nicht verdient, daß er Ravenclaw einen derartig hohen Punktabzug einbrachte. Er war zwar kein Musterschüler, Aber Kameradschaft galt für ihn schon immer was. Das hatte ja auch dieser alte Hut erkannt.
"In Ordnung", sagte Madame Hooch nur. "Details klären wir unter vier Augen. Bleibt nur noch zu klären, wer von euch die Idee hatte, sich auf ein Jagdspiel einzulassen. Ich gehe davon aus, daß Julius Andrews nicht auf den Gedanken kam, die anderen zu überreden. Also, wer von euch beiden und dir, Kevin Malone, kam auf diesen Leichtsinn?"
"Wir verweigern die Antwort", sagten die Hollingsworth-Schwestern und Kevin fast gleichzeitig. Julius schwieg. Er war ja noch nicht gefragt worden.
"Hmm, Räuberehre. Keiner will den anderen ans Messer liefern. Oder möchtest du mir etwa sagen, wer auf die Idee kam, dich zum Jagdspiel zu überreden, Julius?"
"Nein, das möchte ich nicht, Madame Hooch", erwiderte Julius unverzüglich. Gloria sah ihn mit großen Augen an, offenbar erwartete sie, daß dafür ein Punktabzug fällig würde.
"Kameradschaft zwischen zwei Häusern? Selten Aber gerne gesehen. Also gut. Ich gebe jedem von euch 10 Punkte für das eigene Haus für hervorragende Flugleistungen, ziehe jedem von euch 5 Punkte ab, wegen unnötigen Leichtsinns und gebe jedem von euch noch mal 10 Punkte für erwiesene Kameradschaft. Und du, Julius Andrews, erhältst einen Punkt Abzug wegen Tiefstapelei und einen Punkt Zugewinn wegen Ehrlichkeit auf Anfrage. Fredo Gillers erhält 20 Punkte Abzug wegen übertriebener Flugmanöver. Damit bekommt Ravenclaw 10 und Hufflepuff 30 Punkte gutgeschrieben. Ich werde anregen, daß sie vier für den Nachwuchs im Quidditch ins Gespräch gebracht werden. Die derzeitigen Mannschaften sind zwar die besten, die jedes Haus aufbieten kann, Aber Nachwuchs ist immer willkommen. Und das war's dann für heute. Das nächstemal üben wir Figurenfliegen. Das wird die vier Abenteurer von heute nicht so langweilen und denen, die sich heute gut eingeflogen haben, die Möglichkeit geben, sich zu steigern."
Betty und Jenna, sowie Kevin hatten gestrahlt, als Madame Hooch erwähnt hatte, sie könnten demnächst am Nachwuchstraining der Hausmannschaften teilnehmen. Sicher, am richtigen Training würden sie noch nicht teilnehmen können, doch der Anfang war vielversprechend. Julius hatte nichts gesagt. Ihm gefiel es nicht, sofort so gewürdigt zu werden. Immerhin hing von den Quidditchmannschaften die Mögliche Hausmeisterschaft ab. Außerdem, wie sollte er seinem Vater erklären, daß er Mitglied einer Sportmannschaft werden konnte, deren Sport nach rein physikalischen Gesichtspunkten nicht existieren durfte?
Als die Klasse die Besen zurückgelegt hatte, zerstreute sich die Gruppe. Die Hufflepuffs kehrten in ihr Haus zurück, während die Ravenclaws sich noch einmal zerstreuten. Einige wollten in die Bibliothek, wie Gloria und Fredo, andere kehrten in ihr Haus zurück. Als Julius sah, wie alle fort waren, wartete er darauf, daß Madame Hooch ihn irgendwo hinführen wollte. Sie ging ins Schloß, Julius gehorsam hinter ihr her. In ihrem Büro, das mit lebenden Bildern von Hexen und Zauberern auf fliegenden Besen verziert wurde, ließ sie Julius auf einem Stuhl platznehmen und beschwor mit ihrem Zauberstab ein kleines Feuer in den Kamin hinein. Dann setzte sie sich und sah den Muggelgeborenen so an, als erwarte sie von ihm den ersten Zug. Er sagte jedoch nichts. Also fragte sie:
"Wann hast du deinen ersten Flugunterricht gehabt?"
"Am 25. Juli 1993", kam Julius' sachliche Antwort. Dann wartete er auf die nächste Frage, die wohl wer oder wo lauten würde.
"Wo war das?"
"In Australien. Meine Eltern hatten mich dorthin mitgenommen, um noch einen Kurzurlaub zu machen. Dort traf ich auf jemanden, der von meiner Zauberernatur erfahren hat und mir sozusagen Vorabflugstunden anbot", gab Julius zurück.
"Australien ist groß. Aber ich kann mir schon denken, wer es war. Diese Hexe war und ist immer schon enthusiastische Fliegerin gewesen, obwohl sie an und für sich ein Pflanzenkind ist. War es die da?" Wollte Madame Hooch wissen und deutete auf das Poster einer Quidditchmannschaft, wie es ihm Kevin gezeigt hatte. Darauf flogen vier Zauberer und drei Hexen in blauen Umhängen herum, von denen eine Hexe gerade einen großen roten Ball vor sich hertrieb. Julius erkannte sie sofort, und sie schien ihn zu erkennen. Denn sie winkte ihm zu und verlor dabei den Ball.
"Das ist die Ravenclaw-Hausmannschaft von 1982. Die Jägerin dort ist Aurora Dawn. Da ich alle Mannschaftsmitglieder seit Beginn meiner Lehrzeit registriert habe, kenne ich sie natürlich sehr ggut. Ihre Eltern haben ihr früh das fliegen beigebracht. Sie wurde im zweiten Jahr ihrer Zeit hier zur Jägerin in der Ravenclaw-Hausmannschaft und holte mit ihrem Team dreimal den Quidditch-Pokal. Eine bessere Lehrerin für den Einstieg hättest du in Australien nicht finden können. Hat außer dir und deinen unmittelbaren Verwandten jemand von deinem Flugunterricht etwas mitbekommen?"
"Nein, Madame. Sie hat sichergestellt, daß wir zunächst ungestört und unbeobachtet fliegen konnten. Ich durfte ihren Himmelsstürmer 8 benutzen. Das ist doch kein Rennbesen."
"In der Muggelwelt haben sie Fahrzeuge, die Autos heißen. Ich habe solch ein Ding schon einmal gesehen. Es kann langsam fahren oder sehr schnell. Sicher hängt es von der Auslegung ab, ob ein Besen ein Langstreckenbesen oder Rennbesen ist. Aber schnell fliegen kann man auch mit einem Himmelsstürmer 8. Aber es spricht für dich, daß sie dir einen ihrer Besen zur Verfügung gestellt hat. Wie kam sie darauf, dir Flugstunden zu geben?"
"Weil sie es interessant fand, zu sehen, ob ich auf einem Besen fliegen konnte", erwiderte Julius, wobei er verschwieg, daß er in Auroras Geräteschuppen eingebrochen war, nur um zu sehen, ob er es konnte.
"Und deine Eltern? Wie haben sie es aufgenommen, daß du doch zaubern kannst? Nichts für ungut. Aber im Kollegium war deine Einschulungsvorbereitung ein interessantes Gesprächsthema, da deine Eltern sich wohl nicht gerade kooperativ gezeigt haben sollen."
"Das lasse ich mal dahinstehen", erwiderte Julius. Er hatte keine Lust, sich für seine Eltern zu schämen oder sie zu rechtfertigen. Er sagte dann noch:
"Sie mußten einsehen, daß ich wohl besser hierher kommen sollte, als im Nobelinternat Eton vor den Prinzen der königlichen Familie unerwartete Dinge zu tun."
Madame Hooch lachte. Dann wollte sie noch etwas wissen.
"Die anderen drei eurer Abenteurerbande haben gestrahlt, als ich sie für den Nachwuchs ins Gespräch bringen wollte. Du scheinst nicht viel von Quidditch zu halten. Kennst du das Spiel überhaupt?"
"Es ist mir von Kevin Malone erklärt worden. Scheint Aber irgendwie langweilig zu sein, im Vergleich zu Fußball, Karate oder Eishockey."
Die fliegenden Hexen und Zauberer auf den verschiedenen Bildern verhielten bei ihrem ewigen Spiel und wandten sich Julius zu. Ein Zauberer, bullig und hochgewachsen, der einen grünen Umhang trug, sagte laut:
"So kann doch nur ein Schlammblut reden. Ignorant, Muggelbrut!"
"Ist ja lustig. Da spielen wir jedesmal um Kopf und Kragen, und der Junge sagt, das sei langweilig", tönte eine Hexe in einem roten Umhang von einem anderen Poster und zeigte einen kleinen goldenen Ball in ihrer rechten Hand.
"Was will der? Ich hör wohl nicht richtig!" Rief ein Zauberer in gelber Tracht, der gerade einen schwarzen Ball mit einem Schläger fortschlug, so daß der Ball aus dem Bild hinausflog, verschwand, und mit einem lauten Knall einen Spieler im Bild rechts daneben vom Besen haute.
"Ich glaube, du darfst hier nicht mehr hinein. Meine Stars werden sonst unaufmerksam und beleidigend. Das erste Spiel findet im November statt. Für alle potentiellen Nachwuchsspieler besteht Anwesenheitspflicht."
"Schlammblut", tönten alle in grün spielenden Quidditchspieler von allen Bildern gleichzeitig.
"Jetzt ist Ruhe hier!" Bellte Madame Hooch überlaut. Die in Grün spielenden stürzten fast mit ihren Besen ab und fielen halb aus dem Bild. Julius lachte.
"Ich muß mich für diese Unverschämtheit entschuldigen. Die Slytherin-Spieler fühlen sich gleich immer beleidigt, wenn ein Muggelgeborener ihre Spielbereitschaft anzweifelt. Aber ich wollte nur wissen, wo du das Fliegen gelernt hast. Jetzt weiß ich es."
Mit diesen Worten entließ Madame Hooch den Jungen aus ihrem Büro. Die Aurora Dawn auf dem Ravenclaw-Bild von 1982 winkte Julius noch einmal zu und flog aus dem Bild, hinüber in eines, wo eine Mannschaft in roten Umhängen gerade zwei schwarze Bälle aus ihrer Nähe vertreiben mußte.
Julius grinste über das erlebte. Das war besser als Fernsehen. Er hätte ja fast gerufen:
"Wer Streit sucht, kann ja gerne rauskommen." Doch er hatte es sich verkniffen, weil er nicht wußte, ob die Bildergestalten nicht doch ihre gemalte Welt verlassen konnten.
Auf dem Weg durch das Schloß begegnete er wieder Peeves, dem Unruhegeist. Julius zog seinen Zauberstab und dachte daran, Peeves in einen Hampelmann zu verwandeln. Doch der Poltergeist blieb nicht stehen, sondern wollte Julius den Stab wegnehmen. Der Junge schaffte es noch, einen Funkenregen über Peeves zu versprühen, so daß der Poltergeist jaulend davonstürmte. Vom Geheul aufmerksam gemacht öffnete jemand eine Tür. Julius erschrak und hätte fast den Zauberstab aus der hand fallen lassen. Er sah auf den Mann im zerschlissenen Umhang mit den braunen Haaren.
"Was war denn hier los?" Wollte der Lehrer wissen.
"Nichts, Professor Lupin. Der Poltergeist wollte mir nur meinen Zauberstab wegnehmen. Da habe ich ihm einen Regen aus grünen und roten Funken übergebraten. Hat funktioniert", antwortete Julius, bei den letzten Worten hämisch grinsend.
"Hmm, funktioniert tatsächlich. Allerdings solltest du dies nicht tun, wenn du in einem Raum mit brennbaren Wandbehängen oder Teppichen bist", antwortete Lupin.
"Wissen Sie ein besseres Mittel gegen Poltergeister?"
"Das kommt auf die Situation an. Normalerweise reicht es schon aus, sie auf ihre eigenen Streiche hereinfallen zu lassen. Ansonsten hilft nur ein großer Exorzismus. Und der geht in Hogwarts nicht, weil dann alle magischen Schutzmaßnahmen gegen Flüche von außen und Entdeckung durch Muggelaugen beschädigt werden könnten. Außerdem würde das sämtliche Geister mit vertreiben. Und diese haben schon stark genug unter Peeves zu leiden."
"Das sehe ich ein. Ich habe den dicken Mönch vor einem Tag gesehen. Er ist wohl sehr lustig. Das sagen auch die Hufflepuffs. Dort soll er ja spuken."
"Hmm, genau. Leider kann ich mich nicht länger mit dir unterhalten. Ich muß noch die nächsten Unterrichtsstunden vorbereiten."
"Alles klar", sagte Julius und verabschiedete sich von Lupin. Irgendwie fand Julius diesen Professor sehr cool. Er war nicht so übermäßig erhaben, wie die anderen Professoren.
Als Julius vor der gemalten Wiese stand, sah er, wie der Kuhhirte gerade dabei war, Maggy zu melken. Julius sagte nur:
"Mare Tranquillitatis"
"Moment, das geht jetzt nicht, Mann!" Antwortete der Landbursche.
"Mit welchem Öl bist du eigentlich gemalt worden. Soll ich mal prüfen, ob du brennst?"
"Keine Drohungen, bitte. Okay!" Gab der Bauernbursche genervt zurück, ließ von Maggy ab und schwang mit dem Bild zur Seite.
"Sag den Anderen, daß sie vor der nächsten Stunde nicht mehr rauskommen sollen, ja?"
"Du mich auch", dachte Julius. Wo kam er denn dahin. Er war doch kein Vertrauensschüler.
Im Gemeinschaftsraum wurde er schon mit Jubelgeschrei begrüßt. Die Erst- und Zweitklässler stürmten auf ihn los und begruben ihn fast unter sich. Die höheren Klassen klatschten Beifall.
"Ist was besonderes vorgefallen?" Fragte Julius. Marilyn Chambers, eine Drittklässlerin der Ravenclaws, bahnte sich ihren Weg durch die Jubelnden und drückte Julius einen bläulichen Umschlag in die Hand. Der Junge nahm ihn, öffnete ihn und förderte zwei Dinge daraus: Eine Pergamentrolle und ein kleines Portraitgemälde einer Hexe in blauer Festrobe, die einen würdevollen Eindruck machte.
"Du hast ja die Gründerin von Ravenclaw noch gar nicht gesehen. Sie hängt als großes Wandgemälde im Hauszimmer von Professor Flitwick.
"Rowena Ravenclaw", las Julius den Namen der Hexe unter dem kleinen Gemälde. Dann entrollte er die Pergamentrolle. Beinahe hätte er sie wieder fallen lassen, als eine kräftige Fanfare ertönte und die Buchstaben auf dem Pergament golden aufstrahlten:
Herzlichen Glückwunsch, Julius Andrews.
Nach eingehender Beratung aller Ravenclaws wurden Sie als der Erstklässler seit 5 Jahren identifiziert, der in der ersten Woche mit 54 die meisten Punkte für unser Haus erringen konnte. Wir wissen zwar alle um ihre Bescheidenheit und Schüchternheit, erkennen doch gerade wegen dieser Eigenschaften an, daß Sie es verdient haben, diese Ehrenurkunde zu erhalten, der ein Kleinportrait unserer Hausgründerin beigefügt ist. Ihnen steht es frei, diese Urkunde über Ihrem Bett anzubringen oder sonst wie zu ehren. Seien Sie sich unseres Glückwunsches immer bewußt und halten Sie unser Haus auch weiter in Ehren!
Penelope Clearwater, Vertrauensschülerin Terrence Crossley, Vertrauensschüler Unterschriften aller Ravenclaws
"Vielen Dank!" Sagte Julius. Es wirkte wie eine Zauberformel. Denn alle standen aufmerksam da und lauschten, inklusive der höheren Klassen.
"Wenn ich bedenke, daß ich vor zwei Monaten noch glaubte, ein ganz gewöhnlicher Nichtmagier in einer völlig durchdachten und berechenbaren welt zu sein, so weiß ich doch jetzt, wo ich hingehöre. Ich hoffe, euch alle nicht doch noch zu enttäuschen und bedanke mich noch mal für diese Anerkennung, wenngleich ich Angst habe, mit der schweren Last, die ihr mir auf die Schultern gelegt habt, irgendwann zusammenzubrechen. Aber bis das passiert, werde ich sie tragen, das sei euch allen versprochen."
Als ihn alle beglückwünscht hatten, wandte er sich an Terrence Crossley und Dustin McMillan, die zusammenstanden.
"Sagt mal, war das nicht ein wenig zuviel der Ehre? Ich bin doch wohl nicht der erste Ravenclaw, der in einer Woche 54 Punkte eingesackt hat, oder?"
"Doch. Seit fünf Jahren liegen die durchschnittlichen Punktegewinne pro Schüler bei 30 in der ersten Woche", wußte Terrence zu berichten. Mehr als 54 Punkte hat vor fünf Jahren nur einer kassiert, und das ist der Herr hier neben mir", offenbarte Terrence und deutete auf Dustin McMillan. Der große Ravenclaw-Schüler nickte bestätigend.
"Damals waren es 67 Punkte. Wenn ich bedenke, daß ich 70 Punkte gewonnen und 3 verloren habe, ist das heftig."
"Du hast die drei doch nicht etwa in Snapes Kerker gelassen?" Fragte Julius direkt heraus.
"Genau da. Der Meister der Zaubertränke sah meinen Einstiegstrank als farblich nicht ordentlich nach dem Buch angesetzt, obwohl er gewirkt hat. Es war ein Belustigungstrank. Ich mußte eine Viertelstunde lachen, ohne einen Grund. Snape gab mir dann erst das Gegenmittel und zog mir drei Punkte ab. Da verging mir das Lachen", grinste Dustin. Dann fiel ihm noch ein:
"Du hast bei Snape nur einen Punkt gelassen? Guter Junge."
"Er hat sich wohl doch gefreut, daß ich zwei Hufflepuffs noch rechtzeitig beim Korrigieren eines Zaubertranks geholfen habe. Aber lassen wir das!" Gab Julius zurück.
Gloria Porter, die in der ersten Schulwoche 32 Punkte für Ravenclaw errungen hatte, beglückwünschte Julius und nahm ihn kurz in die Arme. Dann sagte sie:
"Das hättest du in diesem Muggelinternat nicht gehabt, nicht wahr?"
"Das wahrscheinlich nicht", schmunzelte Julius.
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