DER GEGENMINISTER

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

E-Mail: hpfan@thorsten-oberbossel.de
http://www.thorsten-oberbossel.de

Copyright © 2009 by Thorsten Oberbossel

__________

Was bisher geschah | Vorige Story

P R O L O G

Das neue Schuljahr in Beauxbatons des in jeder Hinsicht jungen Ehepaares Latierre droht zu einem düsteren Jahr in Abgeschlossenheit zu werden. Julius muß sich mit seiner neuen Rolle als stellvertretender Saalsprecher zurechtfinden. Sein ehemaliger Schulfreund Hercules Moulin verändert sich geistig und Körperlich. Es kommt heraus, daß in seiner Ahnenlinie eine Sabberhexe enthalten ist und deren Eigenarten nun stärker durchbrechen. Deshalb wird Hercules zur gemäßigt lebenden Sabberhexe Aubartia nach Amerika transportiert. Ein neuer Lehrer für den Umgang mit Zaubertieren wird eingestellt, nach zwei beinahe tödlich wirkenden Fehlern jedoch wieder entlassen. Voldemorts Marionette Pius Thicknesse und die offenbar begeistert gegen Muggelstämmige hetzende Dolores Umbridge setzen britischen Muggelstämmigen zu. Julius wird wie seine Frau, seine Mutter und Catherine Brickston zum Mitglied der neu aufgelegten Sub-Rosa-Gruppe, die sich vor allem auf die Rettung muggelstämmiger Hexen und Zauberer konzentriert. Dementoren überfallen in großer Zahl die Städte Frankreichs und angrenzender Länder, angeblich auf der Suche nach geflüchteten Verbrechern, also Muggelstämmigen, die sich nicht Umbridges fragwürdiger Registrierungskommission stellen wollten. Um den Ruster-Simonowsky-Zauberer Julius Latierre zur Rückkehr nach England zu zwingen droht Umbridge damit, seine vier in Hogwarts weiterlernendenFreunde einzusperren oder von Dementoren küssen, also entseelen zu lassen. Mit Hilfe des Intrakulums und einiger Unwetterzauber dringt Julius in Hogwarts ein und holt seine Freunde heraus, die einige Tage später in die vereinigten Staaten überwechseln, um in Thorntails weiterlernen zu können. Zaubereiminister Grandchapeau verschwindet mit seiner Frau und wird vom neuen Minister Didier für tot erklärt, ohne einen Leichnam vorweisen zu können. Ab da beginnt auch in Frankreich ein Regime von Unterdrückung, Nachstellungen und Verleumdungen. Denn der wohl unter starkem Verfolgungswahn leidende Didier verfügt, daß jeder und jede, der und die was gegen die einschneidenden Maßnahmen zur Dementorenabwehr einwendet in sogenannten Friedenslagern interniert werden soll. Julius' Mutter, der man illegale Methoden zur Einbürgerung ihres Sohnes unterstellen will, trickst den sie verhörenden Leiter der neuen Inlandssicherheitstruppe Sébastian Pétain aus und entlockt diesem unter Einfluß seines eigenen Veritaserums die brisanten Vorhaben Didiers. Deshalb müssen sie, Catherine und deren Familie unverzüglich flüchten und retten sich in Professeur Faucons Haus in Millemerveilles. Mehrere Hexen und Zauberer können noch rechtzeitig gewarnt werden und ebenfalls in Millemerveilles untertauchen, wo sie sicher sind. Denn offenbar wollte Didier kein Risiko eingehen und hat seine Leute mit dem Imperius-Fluch fügsam gemacht. Doch dadurch können diese nicht nach Millemerveilles vordringen. Weil Professeur Faucon verdächtigt wird, ihre offen gegen Didier aufbegehrende Tochter zu unterstützen, soll sie vor ein neues Sondergericht gestellt werden. Madame Maxime lehnt es jedoch ab, ihre Stellvertreterin fortzuschicken, weshalb sie selbst für ihrer Ämter enthoben erklärt wird. Sie wird sogar mit dem Ausschuß zur Beseitigung gefährlicher Geschöpfe bedroht. Dies jedoch ermöglicht ihr, einen von den Gründern selbst errichteten Schutzzauber wiederzubeleben, um die Schule vor Angriffen zu schützen und trotz der Blockade der für die Küche zuständigen Hauselfen genug Lebensmittel für alle zu beschaffen. Sie sammelt zwölf Schüler um sich, jeweils zwei aus der langen Linie einer der sechs Gründerfamilien. Für die Gründungsmutter Eauvive stehen Argon Odin und Julius Latierre. Für die von Gründungsvater Orion Lesauvage Millie und ihre einige Jahre jüngere Tante Patricia. In einem gemeinschaftlichen Beschwörungsritual rufen sie den Zauber der Säulen auf, in die jeder der Schüler hineinversetzt wird. Julius muß in einer Abfolge von Erlebnisillusionen, bei denen er auch in die Körper seiner Vorfahren schlüpft, die Eigenschaften seines Saales und seiner Urfamilie unter Beweis stellen. Als er sogar zeigt, daß er keine Angst vor einer großen Familie hat und unverzüglich sein Leben für das eines ungeborenen Kindes geben würde, findet er sich im Fuß einer tief im Mauerwerk verborgenen Säule, die er durch eine magische Tür verlassen kann. Gleich darauf erscheint eine goldene Plattform, auf der aus dem Nichts heraus frische Lebensmittel erscheinen, die von Hauselfen in die Küche gebracht werden können. Doch auch wenn die Gefahr einer Hungersnot abgewendet ist, ist die Lage für die in Beauxbatons festsitzenden Lehrer und Schüler schwer genug geblieben. Außerdem sind die ersten erwachten Skyllianri aufgetaucht, jene unheimlichen, gegen die meisten Zauber gefeiten Schlangenmenschen aus dem alten Reich, die Voldemort erweckt hat, um die Welt richtig zu terrorisieren. Um sie abzuwehren muß Julius lernen, wie er die magische Flöte mit dem Namen Ailanorars Stimme richtig spielen muß. Unterricht darin erhält er von Darxandrias Geist, der ihm im Traum erscheint. Doch nur wenn auch Didiers Politik der Angst und Unterdrückung abgewendet wird, kann die Zaubererwelt sich von diesem Alpdruck freimachen, weiß nicht nur Julius.

__________

"Verdammt!" Zischte Haschlalian, was in der Sprache seines erhabenen Schöpfungslandes Schreckensschleicher hieß. Der gerade in menschlicher Gestalt auftretende Krieger Skyllians drückte mit seiner ganzen Macht gegen dieses unsichtbare, widerwärtig in seinen Eingeweiden knetende Etwas, das diese Ansiedlung umfing wie eine himmelhohe Kuppel. Warum kam er nicht durch. Die Kraft aus der Erde sollte ihm doch helfen, alle Wälle und Sperren aus anderer Kraft zu durchbrechen. Doch es war ihm so, als entstehe dieser Widerstand in ihm selbst, als drücke die ihm innewohnende Kraft ihn zurück. Schreckensschleicher verwandelte sich grimmig in das grün-schwarz geschuppte Ungeheuer auf zwei Beinen, das eine aus der Kraft der Dunkelheit geborene Verschmelzung zwischen Schlange und Mensch war. Noch einmal rannte er gegen die widerwärtige Barriere an. Keine Macht der Welt konnte ihn ... "Haaarrrrrg!" Als wollten ihm die Schuppen vom Leib platzen und seine Gedärme nach außen drängen prallte er von der unsichtbaren Grenze zurück, flog dabei sogar zwei Schritte und fühlte, wie ihm die Kraft aus der Erde schwand. Doch dann stand er wieder sicher auf dem belebenden Grund und fühlte die Erschöpfung schwinden.

"Ich kann alleine nicht hinein, Herr!" Dachte er in der Sprache der Schlangen. Aus weiter Ferne kam eine zischend und fauchend klingende Antwort: "Nimm mehr mit dir! Nicht alleine hineingehen!" Haschlalian verstand.

"Avada Kedavra!" Rief eine menschliche Stimme. Der Skyllianri warf sich herum und blickte bleichäugig in den Himmel, aus dem gerade ein grüner Blitz auf ihn niedersauste und ihn traf. Für einen Moment wurde es dunkel um ihn, und er fühlte seinen Leib nicht mehr. Doch dann, mit einem Ruck, kehrte die Welt zu ihm zurück. Er lag auf der ihn schützenden und nährenden Erde. Er freute sich. Das war wohl ein neuartiger Streich des Todes gewesen, Kraft, die Leben mit einem Schlag auslöschen konnte. Doch nicht seines. Solange er Berührung mit der Erde hielt und die Kraft aus ihrem finsteren Leib empfing, konnte ihn kein Streich des Todes vernichten. Er sprang auf. Über ihm sah er einen Menschen auf einem am Ende zerfasert wirkenden Holzstiel, der verdutzt nach unten blickte. Die Nacht war für das Wesen aus dunkler Magie so hell wie jeder Tag, und seine bleichen Augen konnten die Körperwärme von Warmblütern wahrnehmen. Da er die Sprache nicht kannte, die hier gesprochen wurde, konnte er diesem Wicht kein Wort der Verachtung zurufen. Wieder sendete dieser verflucht weit über ihm fliegende Menschling aus seinem offenbar die Kraft ausrichtenden Holzstab den grünen Blitz. Wieder umfing ihn totale Finsternis. Wieder sprang die Welt mit einem Ruck in seine Sinne zurück. Wieder fand er sich auf dem Boden liegen. Haschlalian versuchte seinen fliegenden Gegner mit dem Blick der Beherrschung seinen Willen aufzuzwingen. Doch der Angreifer schwirrte davon. Diese verfluchten Menschlinge hatten wendige Flugdinger gebaut. Es widerte ihn an, nur daran zu denken, von so einem Flugding fortgetragen zu werden. Er sah sich um. Weitere Flugmenschlinge waren in weiter Ferne zu sehen, doch zu weit fort für den Blick der Beherrschung.

"Nimm mehr Gefährten von dir mit! Du mußt da hinein!" Zischte die Stimme seines Meisters in seinem Kopf. Haschlalian verstand. Hier gab es im Moment nichts mehr zu tun. Er mußte seine vier Urgefährten suchen, die im Auftrag des Meisters die herrliche Saat ihres Seins weitergaben, um Gefährten aus der heutigen Zeit zu zeugen. Bestimmt war es einfacher, wenn er selbst weitere Gefährten schuf. Doch in dieser Gegend waren diese Menschlinge dünn angesiedelt, und da, wo viele von ihnen wohnen sollten, versperrte ihm diese undurchdringliche Barriere den Weg. Er schlich in seiner erhabenen Gestalt davon, um den Auftrag des Meisters zu befolgen.

__________

Florymont Dusoleil erbleichte, als er durch die wie eine Brille beschaffene Vorrichtung sah, die er erfunden hatte, um eine Batterie hundert Meter hinter der Innengrenze Millemerveilles aufgepflanzter Fernbildverpflanzungsfernrohre zu sehen. Er sah trotz der Dunkelheit die fliegenden Patrouillen Didiers oder Pétains, die seit nun bald zwei Wochen um Millemerveilles kreisten, aber nicht hineinkamen. Doch dieser Fremde, der unbewaffnet und ohne Besen versuchte, einzudringen, war was völlig anderes gewesen. Er prallte von der Barriere ab. Also war er ein bösartiger Zauberer oder ein Geschöpf ... ja, eine Kreatur der schwarzen Magie. Das erkannte Florymont, als sich der Fremde in ein schuppiges Scheusal von mehr als zwei Metern Körperlänge verwandelte, ein geschmeidiges, muskulöses Ungeheuer, das eine erzwungene Kreuzung aus Schlange und Mensch war. In dieser erschreckenden Erscheinungsform rannte der Eindringling noch einmal gegen die Barriere an, wurde jedoch noch heftiger von ihr zurückgeprellt als vorher. Dann war einer der Patrouillenzauberer auf diesen neuen Eindringling aufmerksam geworden und hatte zweimal versucht, ihn mit dem tödlichen Fluch zu erledigen. Es hatte nicht nur den fliegenden Zauberer erschreckt, wie diese halbmenschliche Bestie sofort nach dem Sturz wieder auf den Beinen war. Auch Florymont war sämtliches Blut aus dem Gesicht gewichen. Diese Monstren waren immun gegen Avada Kedavra. Und offenbar war das kein Grund, sie dafür zu beglückwünschen, sondern eher, sich vor ihnen zu fürchten.

"Rohr zwei nordwest, Höhe null!" Kommandierte Florymont mit belegter Stimme. Sofort wechselte die Ansicht in seiner aufgesetzten Sehvorrichtung. Ein anderes Fernrohr zeigte ihm nun seinen Erfassungsbereich, eines von insgesamt einhundert. Die Idee hatte ihm Julius eingegeben, der ihm bei seinen Besuchen was von Bildüberwachung und dem Muggelfernsehen erzählt hatte. So konnte er im Namen des Dorfrates im Gemeindehaus bleiben und die Welt außerhalb der schützenden Barriere unter Beobachtung halten, auch bei Nacht. Denn diese fest installierten, waagerecht ganz herum schwenkbaren und senkrecht eine halbe Drehung machenden Gerätschaften konnten mit dem winzigsten Rest von Licht und auch mit dem, was Julius Infrarot genannt hatte Bilder an ihn zurückschicken. Er mußte nur sein Polyteleoptron, wie er es nannte, mit seiner Stimme auf ein Rohr einstellen und dann mit gesprochenen Kommandos die Ausrichtung des abgerufenen Fernrohrs steuern. Schnell ließ er sich von allen hundert Rohren einen Rundblick geben. Langsam kehrte seine Gesichtsfarbe zurück. Doch außer den fliegenden Leuten Pétains entdeckte er nichts mehr. Die Rohre reichten einen Kilometer weit und konnten sich ohne Zuruf auf annähernde Lebewesen einstellen. Er hatte sogar einen Meldezauber eingerichtet, daß eines der Rohre ihm sofort zeigte, was es auffing, wenn Bilder eines sich schnell oder am Boden bewegenden Objektes erfaßt wurden. Seine Frau mochte es nicht, daß er jeden zweiten Abend im Gemeindehaus hockte und den Nachtwächter gab. Er fühlte mit ihr, denn die sich entwickelnde Schwangerschaft schwächte ihre Gefühlsbalance. Mal weinte sie Wasserfälle, mal griff sie nach leichten Sachen und warf sie durch die Gegend, weil sie sich über irgendwen oder irgendwas ärgerte, und mal lachte sie über etwas, was sie selbst nicht so recht erklären konnte. Meistens fühlte sie sich doch sehr fröhlich und tatendurstig, weil sie noch einmal Mutter werden durfte. Das würde Julius ganz sicher auch mal erleben, mit einer solchen Frau zusammenzuleben, dachte Florymont. Leichte Wehmut überkam ihn, wenn er daran dachte, daß er diesen jungen Zauberer, der früher eher zurückhaltend aufgetreten war, fast zum Schwiegersohn hätte kriegen sollen. Doch andererseits hatte es Claire wohl so haben wollen, daß er mit Millie Latierre weiterlebte. Vivianes Bild-Ich hatte ihm, seiner Frau und seiner Schwester vor zwei Wochen erzählt, daß Millie und Julius einen alten Zauber der Gründer aufgerufen hatten, um die von Didiers Bande geschaffene Lebensmittelblockade zu durchbrechen. Uranie, die im Gegensatz zu Camille nicht so begeistert von ihrem werdenden Kind war, hatte dazu nur gesagt, daß Beauxbatons jetzt genauso eine abgeschlossene Insel sei wie Millemerveilles. Florymont wußte, was sie meinte. Auch wenn sie hier alle sich gut verstanden und bei Bedarf auch aus dem Weg gehen konnten, drückte die Isolation doch langsam auf sie alle ein. Sie hatten sich eine Festung geschaffen, die auch wie ein Gefängnis war. Keiner hier wußte, wielange sie derartig abgeschnitten bleiben mußten. Denn nur wenn Didier und Pétain ihre Meinung änderten oder nichts mehr zu sagen hatten konnten die hierher geflüchteten Hexen und Zauberer in ihre eigenen Häuser zurückkehren. Immerhin hatten es außer Professeur Tourrecandide auch Eleonores Schwiegereltern geschafft, unter den fliegenden Patrouillen hindurch in das Dorf einzurücken. Der alte Phoebus hatte einen großartigen Ablenkungszauber gewirkt, um die Besenreiter abzuwimmeln. Auch andere, durch irgendwas vom Unmut des neuen Ministers bedrohte Hexen und Zauberer ohne schwarzmagische Natur hatten hier Asyl erhalten.

Es klopfte an die Tür. Florymont fuhr erschrocken zusammen, weil er zu sehr in Gedanken und auch auf die Bilder aus der Ferne konzentriert war. Es dauerte eine Sekunde, bis er reagierte. "Herein bitte!" Die Tür zum kleinen Arbeitszimmer, daß Florymont als Überwachungszentrale bezogen hatte, schwang auf. Sein Schwiegersohn Bruno trat ein.

"Florymont, ich möchte dich ablösen. Camille hat bestimmt Sorgen, wenn sie die ganze Nacht allein mit dem ungeborenen Baby im Bett liegt. Ich kenne das von Jeanne, daß sie unheimlich viel Kuscheln brauchte."

"Bruno, du siehst nicht gerade wach genug aus, den Rest der Nacht durchzuhalten", sagte Florymont. "Und Madame Graminis hat gesagt, daß durch unsere Haltung gegen Didiers Bande keine Zaubertierbestandteile nach Millemerveilles kommen und sie deshalb nur die für Heiltränke nötigen Sachen rausrücken könne."

"Ich weiß, Florymont, Jeanne hat's mir erzählt. Könnte auch passieren, daß das Drachenblut für den Muggelabwehrbannunterdrückungstrank bald ausgeht. Nur Madame Delamontagnes und Monsieur Pierres direkte Anweisungen lassen den alten Graminis noch was für Martha und Joe rausrücken. Jeanne hat die hier nicht zu kriegenden Bestandteile mal überprüft. spätestens in zwei Wochen gibt's keinen Trank mehr, wenn beide davon trinken. Catherine hat gesagt, sie würde Joe in Zauberschlaf versenken, falls der Trank nicht mehr reicht. Dann wäre Martha spätestens Weihnachten ohne den Trank und könnte hier nicht bleiben."

"Dann wird sie wohl zu den Latierres umsiedeln. Soweit ich weiß haben die es ihr schon angeboten, als die Schweinerei mit den Friedenslagern rauskam."

"Hör mir bloß mit diesen Friedenslagern auf. Michel und Raphaelle Montferre sind drauf und dran, eine Truppe gegen Didier zusammenzutrommeln, um ihn im Zweifelsfall mit dem Todesfluch wegzuputzen, um diese Lager zu befreien."

"Kann ich denen nicht verdenken. Wenn Jeanne in so einem Lager gelandet wäre hätte ich auch Mordphantasien. Aber du weißt auch, was Martha vor zwei Tagen im Dorfrat gesagt hat, als Eleonore und Edmond sie eingeladen haben. Sie glaubt nicht mehr, daß Didier der eigentliche Kopf dieser ganzen Aktionen ist. Zwar hat sich Pétain nicht gerade schlau verhalten, als er Martha verhören wollte, aber sie ist sich jetzt sicher, daß Didier sich eher auf seinen Mitarbeiterstab verläßt. Außerdem sind die Ministeriumsräume seit Catherines und Marthas überstürzter Abreise extragesichert. Jeder eindeutige Feind würde unvermittelt mit einem Vitricorpus-Zauber immobilisiert. Abgesehen davon, daß er einen Schwarm willfähriger Wächter um sich rum hat, die das Ministerium gegen eine ganze Legion von Zauberern verteidigen können. Die einzige Chance besteht darin, die magische Gemeinschaft von ihm abzubringen, ihn zu zwingen, sich wie wir es tun von der Außenwelt abzuschirmen und jede Nachrichtenverbindung zu ihm zu verlieren. Offene Angriffe sind unsinnig."

"Und du glaubst ihr das?" Fragte Bruno herausfordernd. "Sie kennt sich im Ministerium doch gar nicht aus. Abgesehen davon hat niemand behauptet, Didier und Pétain im Ministerium anzugreifen."

"Pech nur, daß die das vermuten und deshalb nicht mehr ohne Begleitung ausgehen oder anderswo als da übernachten. Aber ich fürchte, wir haben gerade ein größeres Problem vor uns als Didiers Friedenslager."

"Oh, sag das bloß nicht, wenn Raphaelle dich hören kann", grummelte Bruno. "Die würde dir mit einer Ohrfeige den Kopf von den Schultern hauen."

"Bruno, du weißt, was uns Catherine, Madeleine und Martha erzählt haben, daß sie vor diesem Verhörrtag fast einen unliebsamen Besucher hatten. Ich habe gerade vor zehn Minuten so ein Biest gesehen, wie sie es beschrieben haben, als Mensch und als Monstrum. Es hat versucht, durch die Barriere zu brechen. Offenbar hält die es aber wirkungsvoll von uns ab. Diese Ungeheuer sind immun gegen Avada Kedavra, Bruno. Ich habe es gesehen, wie einer unserer ministeriellen Aufpasser es zweimal damit niederstrecken wollte. Das Biest fiel zwar um, stand aber keine Sekunde später schon wieder putzmunter auf seinen Beinen. Außerdem hat es komische Augen, die im dunkeln merkwürdig flimmern. Könnte sein, daß es damit Menschen und Tiere bezaubern kann, so ähnlich wie diese Hallitti, der Julius' Vater in die Fänge geraten ist. Es war nur eins. Aber ich bin mir sicher, daß es noch ein paar Geschwister hat."

"Echt, Florymont? Aber die Barriere hat das Biest doch abgewehrt, oder?" Erschrak Bruno. Sein Schwiegervater nickte. "Könnte an den Apfelbäumen liegen. Ich meine, Jeanne hat mir erzählt, daß Martha ihr erzählt hat, daß der Baum aus dem Apfelkern, den Camille Julius mitgab, dieses eine Ungeheuer regelrecht fortgeschleudert hat. Könnte das nicht auch hier gehen?"

"Die Kuppel über uns und ihre Ausstrahlung ist schwarzmagisch, Bruno. Sardonia hat diese Barriere erschaffen, nicht Camille. Was immer dieses Scheusal zurückgedrängt hat wechselwirkte direkt mit dunkler Magie wie ein Magnet, der einen anderen abstößt. Die Grenze liegt weit genug von den Apfelbäumen weg, daß die davon nicht beeinflußt werden."

"Dachte nur", erwiderte Bruno. "Dann sind wir doch sicher vor denen", fügte er noch hinzu.

"Da war nur einer, Bruno. Wenn so ein Monstrum es schafft, in einen Sanctuafugium-Zauber einzudringen, ist es ziemlich mächtig. Wenn dieses Biest mehrere Geschwister hat und mit denen zurückkommt könnte das sehr brenzlig werden."

"Vor allem, wenn die nicht totzukriegen sind", erwiderte Bruno. "Aber danke für den Hinweis! Ich passe dann auf, ob wieder so ein Viech nach Millemerveilles rein will."

"Wie erwähnt siehst du nicht so aus, als könntest du länger durchhalten als ich. Die kleine Vivi hält euch beide wohl gut wach, wie?"

"Geht so. Jeanne meinte, wenn sie zahnt würde das heftiger. Aber ich kann das hier durchstehen, besser als drauf zu warten, wann sie wieder losplärrt. Da ist eures ja noch richtig ruhig."

"Bruno, willst du mich jetzt auf den Arm nehmen?" Schnarrte Florymont. "Ich habe zwei Hexen mit Umstandslaunen im Haus, die von einer Gefühlsschwankung zum nächsten Heißhungeranfall schwingen. Ich meine, du hast es bei Jeanne ja mitbekommen können. Und ich muß jetzt mit zwei von dieser Sorte zurechtkommen und ab April wohl auch mit zwei Babys. Was die jetzt noch an Stille aufbieten ist dann eh weg. Abgesehen davon kann ich die Herztöne meines Kindes schon hören, wenn Camille mich läßt. Also ganz still ist das auch nicht."

"Ich wollte nur sagen, daß du besser bei Camille sein möchtest, weil sie bestimmt Angst alleine hat", versuchte Bruno, seinen Schwiegervater zu beruhigen.

"Camille schläft bestimmt, auch wenn sie sich erst einmal in eine bequeme Lage drehen mußte. Wenn ich jetzt nach Hause gehe wird sie sich Sorgen machen. Außerdem muß ich die Liste der netten Leute vervollständigen, die uns jede Nacht umschwirren wie Wespen den Honigkrug." Bruno nickte. Sein Schwiegervater wollte wohl nicht abgelöst werden. So entschuldigte er sich noch einmal für die Störung und wünschte ihm eine ruhige Nachtwache, bevor er zu seiner Familie zurückkehrte.

__________

"Wir wissen jetzt also, daß das Gespann Didier und Pétain dreißig Leute abgestellt hat, die uns bewachen", sagte Martha Andrews am nächsten Nachmittag bei einer Besprechung des Dorfrates. Auch die gestreng wirkende Austère Tourrecandide und der altehrwürdige Zauberer Phoebus Delamontagne waren anwesend. "Sie, Monsieur Delamontagne, haben uns ja mitgeteilt, daß um Millemerveilles herum Ortungszauber wirken, die Annäherungen zu Lande und zur Luft weitermelden. Dadurch sparen sie zweihundert weitere Patrouillenflieger. Zwanzig von denen sind im Einsatz, zehn von denen schlafen sich aus. Sie wechseln sich in drei Acht-Stunden-Schichten ab, um die Bewachung aufrechtzuhalten. Wir haben also zwanzig ständige Außenwächter. Selbst mit diesen Meldezaubern sind das meiner Meinung nach zu wenig. Denn wir haben hier mindestens dreihundert flugerfahrene Hexen und Zauberer, noch einmal so viele, wenn die, die arbeiten für einen Sondereinsatz freinehmen. Stimmt meine Einschätzung, Eleonore?""

"Im Grunde können wir von eintausend erwachsenen Fliegern ausgehen, Martha, wenn jeder über siebzehn auf den Besen steigt. Aber ich schätze, daß Sie nicht an einen Ausbruch denken", erwiderte die füllige Dorfrätin für gesellschaftliche Angelegenheiten.

"Zumindest nicht an einen Exodus aller Bewohner von Millemerveilles", erwiderte Martha und bat darum, den Versammlungsraum des Rates abzudunkeln. Dann entzündete sie eine Laterne. Unvermittelt erschien ein aus sich selbst leuchtendes Quadrat vor ihnen. Florymont Dusoleil und Jeanne hatten es geschafft, Marthas auf Papier geschriebene Entwürfe eines Aktionsplanes auf bezaubertes Glas zu übertragen, so daß wie bei einem Diavortrag alle mitlesen konnten, was die von Julius für Claire gebaute Zauberlaterne aufleuchten ließ. Professeur Tourrecandide blickte auf die klar lesbaren Buchstaben und die blau umrahmten Hervorhebungsfelder. der projizierte Plan war mit "AKTION WEIßE ROSE" betitelt. Sie erläuterte kurz, was jener von Jugendlichen während der Nazi-Herrschaft in Deutschland begründete Geheimbund war, aber auch, wie die Anführer, die Geschwister Scholl, aufgespürt und als Verräter am Volk zum Tode verurteilt wurden. "Den letzten Punkt möchten wir nach Möglichkeit vermeiden", sagte sie dazu nur. "Abgesehen davon habe ich die Bezeichnung gewählt, weil weiß für das unberührte steht und die Rose als Symbol für Liebe, Freundschaft und Schönheit, aber auch Frieden und Gemeinschaft steht. Damit möchte ich, Ihre Zustimmung vorausgesetzt, darauf hinweisen, daß alles was zur Beendigung der derzeitigen Krise unterrnommen wird, so gewaltlos und unschädlich wie möglich durchgeführt wird. Didier setzt auf Angst und Unterdrückung, wendet sogar eigentlich geächtete Zauber an, um seine Maßnahmen durchzusetzen. Wenn wir besser als er und seine Leute sein wollen - Dies merke ich in der Hoffnung an, daß wir Erfolg haben werden -, dann müssen wir unseren Mitmenschen zeigen, daß wir Vernunft über Angst, Besonnenheit über Aktionismus und Intelligenz über Gewalt setzen. Nur Überzeugung ist nachhaltig, habe ich im Politikunterricht meiner Schule gelernt. Ich war froh, zu erkennen, daß diese Einstellung auch von einer Mehrheit der magischen Menschen getragen wird. Alle Gewaltregime, das von dieser Hexenkönigin Sardonia, diesen Grindelwald bishin zu jenem Zauberer, der sich in Größenwahn als dunkler Lord Voldemort bezeichnet, brachen in dem Moment zusammen, wo ihre Gewaltmaßnahmen nicht mehr griffen und sie entmachtet waren. Gut, was letzteren angeht, so ist fraglich, auf welche Weise seine Vorherrschaft gebrochen werden kann, solange es in diesem Land nur einen Zauberer gibt, der ohne Gefahr für sein Leben britischen Boden betreten kann, wo andere sofort sterben müssen. Allerdings weiß ich mich mit Ihnen darin einig, daß dieser Zauberer, mein Sohn Julius, nicht zu derartigen Einsätzen herangezogen werden soll." Alle nickten ihr zu. "So bleibt uns hier nur, die Bedrohung von außen abzuwenden, ohne uns selbst zu Gefängnisinsassen zu machen und ohne einander zu drangsalieren. Als ich mit dem deutschen Zaubereiminister Güldenberg sprechen durfte erfuhr ich, daß jeder magische Mensch Anrecht auf freie Meinungsäußerung habe und Lichtrufer ausgehändigt bekäme, die ähnlich wie jene Armbänder sein sollen, die die Pflegehelfer von Beauxbatons tragen, um im Falle eines Angriffs auf sie unverzüglich um Hilfe rufen zu können. Ich habe Madame Nathalie Grandchapeau gebeten, ihren Mann zu bitten, einen Import dieser Hilfsmittel zu ermöglichen. Allerdings wußte ich da noch nicht, daß zur umfassenden Verwendung eine Menge von besonderen Kristallen gebraucht wird, die ihr fünffaches Gewicht in Gold wert sind. Abgesehen von den Zaubern, um sie als Notrufsammelstellen zu benutzen, hätte es jeden einzelnen hier viel Geld gekostet, jedes Familienmitglied damit auszustatten. Bevor es richtig in Erwägung gezogen werden konnte, verschwanden die Grandchapeaus. Wo sie sind, weiß niemand, und ob sie weiterhin am Leben bleiben weiß auch niemand. Im Moment befinden sie sich wohl in Gefangenschaft. Wer sie entführt hat wissen wir auch nicht. Kann sein, daß der derzeitige Machthaber Didier dieses Verbrechen befohlen hat, um seine Vorstellungen von einer wehrhaften Zaubererwelt durchzusetzen. Dann hätte er jedoch ein Problem: Soweit mir Madame Tourrecandide erklärt hat, prüft der Stuhl im Büro des Ministers, ob der, der auf ihm platznimmt, die Hand gegen seinen Vorgänger erhoben hat und läßt ihn erstarren falls ja. Da dies bei Monsieur Didier nicht geschehen ist - sonst hätten wir nämlich einen anderen Minister als ihn - hat er mit der Entführung und Freiheitsberaubung des vorherigen Ministers nichts zu tun. Es sei denn, dieser Stuhl wurde mittlerweile ausgetauscht."

"Nein, wurde er nicht", erwiderte Monsieur Charpentier, der derzeitige Sprecher des Dorfrates. "Ich gehörte zu den amtlichen Zeugen der Vereidigung und durfte den betreffenden Bürostuhl untersuchen, um festzustellen, ob alles in Ordnung ist."

"Gut, den Feuerkelch muß damals auch wer verhext haben, daß vier Teilnehmer beim trimagischen Turnier mitmachen konnten", wandte Madame Dumas ein, die im Dorf die Schuldirektorin war. Martha nickte. Julius hatte ihr die Sache erzählt. Eleonore Delamontagne bat Martha zu erläutern, wie sie die einzelnen Schritte, die auf dem Plan erläutert wurden, ausgearbeitet hatte und ob Sie hierfür noch bestimmte Hintergrundinformationen benötigte. Dies ließ sich Julius' Mutter nicht zweimal sagen. So handelte sie Punkt für Punkt die aufgeführten Einzelheiten des Planes ab, der damit begann, erst einmal die neue Hierarchie im Ministerium zu ergründen, die im Lande lebenden Hexen und Zauberer nach ihrer Wichtigkeit zu sortieren und einen sicheren Stützpunkt zu errichten, von dem aus eine Gegenpropaganda in Form einer unabhängigen Zeitung und sogar eines oder mehrerer Piratensender anlaufen konnte, wobei hier mit Propaganda die Verbreitung wahrheitsgemäßer Meldungen gemeint war. Um dies alles zu koordinieren sei es unabdingbar, daß dem korrumpierten Ministerium ein Gegenministerium entgegengehalten würde. Sie verwies darauf, daß in der europäischen Geschichte magieloser Menschen diverse Könige mit Gegenkönigen oder -kaisern konfrontiert waren, es sogar mehrmals zu rivalisierenden Papstwahlen gekommen war, also mehr als der obligatorische eine Führer der römisch-katholischen Kirche zur selben Zeit amtierte. Sie erwähnte in dem Zusammenhang auch, das der Amtssitz eines Papstes mehr als ein Jahrhundert Lang in Avignon lag und untermalte diese Aussage mit einem dreidimensional wirkenden Illusionsbild des ehemaligen Papstpalastes. "Wenn wir überzeugt sind, daß das, was wir wollen und tun zum Wohle aller Menschen mit und ohne Magie geschieht, brauchen wir kein schlechtes Gewissen zu haben, dem pervertierten Ministerium Didier ein auf die vor seiner Amtszeit bestehenden Werte ausgerichtetes Ministerium entgegenzusetzen. Sollten Didier und Pétain und wer immer noch für die derzeitige Politik eintritt entmachtet werden, können die Wahlberechtigten befinden, ob sie eine neue Zaubereiverwaltung benennen wollen oder unseren Personalvorschlag zur offiziellen Führung erklären möchten. Ich hatte bereits vor meiner etwas eiligen Umsiedelung nach Millemerveilles in Betracht gezogen, daß dieses Gegenministerium in Millemerveilles seinen Amtssitz nimmt. Da ich, wie Sie alle wissen, mit einem Zeitungsreporter des Miroir Magique verwandt geworden bin, der sich derzeit wie wir alle im Schutz besonderer Abwehrzauber aufhält, würde ich, vorausgesetzt Sie erlauben es mir, vorschlagen, ihn von seinem Wohnsitz aus die schriftliche Nachrichtenverbreitung koordinieren zu lassen, auch wenn ich natürlich weiß, daß sein Wohnsitz ebenfalls von Gehilfen Pétains überwacht wird, wenn sie auch nicht von sich aus dort eindringen können. Aber dies sollten wir dann endgültig klären, wenn über den Vorschlag eines Gegenministeriums befunden wird. So unangenehm es ist, ohne die magischen Menschen außerhalb fragen zu können, wir hier in Millemerveilles müssen uns anmaßen, für diese Menschen einzutreten, um das, was Didiers Leute an Schaden angerichtet haben und immer noch anrichten zu beheben, falls dies möglich ist. Denn eins ist klar: Durch die neue Doktrin aus Paris ist unser Leben noch unsicherer geworden als ohnehin schon. Junge Hexen und zauberer sollen als Frontsoldaten gegen die Dementoren eingesetzt werden. Unabhängig davon, daß dies schon gefährlich genug für unerfahrene Hexen und Zauberer ist, halte ich mit meiner Muggelerfahrung die Dementoren nur für ein großes Ablenkungsmanöver, einen über mehrere Wochen immer wieder vorgetragenen Scheinangriff, um die wahre Bedrohung ungestört an Kraft gewinnen zu lassen. Und diese Bedrohung äußert sich nicht in Leuten aus Frankreich, die aus purer Sympathie für diesen Lord Voldemort eintreten." Wieder zuckten einige zusammen, außer Professeur Tourrecandide und Phoebus Delamontagne. Doch Martha beachtete das nicht. Sie wiederholte nur, daß geklärt werden müsse, wer von den freiheitsorientierten Hexen und Zauberern noch in Freiheit war und ob zu klären war, wer in den Friedenslagern verschwunden war.

"Des weiteren sollten wir, um Ihre Analogie zu jenem Geheimbund der weißen Rose zu rechtfertigen, auch die Muggelstämmigen aus Großbritannien unterstützen, die noch in Freiheit sind", wandte Eleonore Delamontagne ein. Catherine nickte und bat den Ratsvorsitzenden ums Wort.

"Dies ist und bleibt ja das Motiv Didiers, warum er wollte, daß Madame Andrews aus dem Verkehr zu ziehen war. Sie sollte befragt werden, ob sie Kenntnis über eine Verschwörung habe, die angeblichen Verbrechern von den britischen Inseln zur Flucht verhilft. Warum sollten wir Didiers Paranoia nicht in der Hinsicht bestätigen, daß wir uns weiterhin auch um die Muggelstämmigen aus Großbritannien und Irland kümmern?" Alle nickten ihr zu. "Aber das geht nur, wenn wir so viele wie möglich auf unsere Seite holen, die uns helfen können. Abgesehen davon gilt es, die Wächter von den großen Verkehrszentren der Muggelwelt abzuziehen oder deren Methoden unwirksam zu machen, Menschen mit magischer Ausstrahlung oder bezauberten Gegenständen aufzuspüren. Dann hätten wir zumindest Möglichkeiten, zu uns herüberkommende Muggelstämmige weiterreisen zu lassen, wenn wir Ihnen bei uns keine sichere Unterbringung verschaffen können." Martha nickte. Phoebus Delamontagne bat ums Wort, um es an Martha zu richten. Er sagte wohlwollend lächelnd:

"Irre ich mich, oder hätten Sie im Fall, daß wir diese Überwacher wertlos machen können bereits genug Reisemöglichkeiten zur Auswahl, um den Flüchtenden weiterzuhelfen?" Martha schüttelte den Kopf. Phoebus Delamontagne blickte sie verdutzt an. Da sagte Martha: "Nein, Sie irren sich nicht, Monsieur Delamontagne." Ein erheitertes Grinsen legte sich auf die Gesichter der Anwesenden. "Allerdings", setzte Martha an, "kann ich diese Reisemöglichkeiten nur herausfinden und gegebenenfalls umsetzen, wenn ich einen Computer mit Anschluß an das weltweite Informationsnetz benutzen kann. Da es in Millemerveilles jedoch keinen Anschluß für die nötige Stromversorgung gibt, und die meisten Bürger Millemerveilles deutliche Einwände gegen einen elektrischen Generator erhoben haben, bin ich in dieser Hinsicht im Moment handlungsunfähig."

"Aber an dem Problem wird gearbeitet", schob Catherine ein. "Florymont Dusoleil befaßt sich mit einer Methode, die Elektrizität aus dem Sonnenlicht zu gewinnen, ohne die solche Geräte sonst störende Magie fortwirken lassen zu müssen. Allerdings besteht die Gefahr, daß wir bis in zwei Wochen keinen Willkommenstrank für Besucher aus der nichtmagischen Welt mehr herstellen können und sowohl Martha Andrews als auch mein Ehemann Joe Brickston von der hier wirksamen Abschreckungsmagie vertrieben werden, falls sie nicht auf unbestimmte Zeit im Zauberschlaf verbleiben sollen."

"Dazu kann ich einen Vorschlag machen", sagte Eleonore Delamontagne. "Wenn wir ungefähr wissen, wie wir die uns bewachenden Leute Didiers wirksam ablenken können, schlage ich vor, daß Martha Andrews ins Château Tournesol umzieht. Soweit ich orientiert bin wirkt sich der dortige Schutzzauber nicht auf Elektrogerätschaften zur Informationsverarbeitung aus."

"Ja, aber dort herrscht nicht nur ein Schutzbann vor", sagte Catherine. "Die Dichte der dort wirkenden Zauber ist so hoch, daß kein elektrisches Gerät über dem einfachen Niveau einer Elektroglühlampe störungsfrei arbeitet. Mein Mann mußte diese Erfahrung machen, als er versuchte, von dort aus mit einem tragbaren Fernsprechgerät seine Eltern zu erreichen. Auch konnte meine Tochter dort keine konservierte Musik abhören, was ihr den Spaß an dem Aufenthalt jedoch nicht verderben konnte, weil sie zu der Zeit genug andere Beschäftigungsmöglichkeiten fand."

"Stimmt, die Streudichte nach Priestley und Frederikson", wandte Monsieur Charpentier ein. "Hier in Millemerveilles verteilt sich die Magie gleichmäßig über eine Kuppel von zehn Kilometern Durchmesser und dreihundert Meter Scheitelhöhe. Daher können wohl diese Elektrosachen arbeiten. In eng begrenzten Bereichen wie um Beauxbatons, dem Château Tournesol und Florissant ist die Streudichte zu stark. Das hieße im Zweifelsfall, daß Madame Andrews nur noch zwei oder vier Wochen mit ihren Gerätschaften muggelstämmige Flüchtlinge unterstützen könnte."

"Nun, wenn ich eine Stromquelle in einem magielosen Haus zur Verfügung hätte, könnte ich auch von Australien oder Amerika aus helfen. Ich besitze ein Zauberergemälde von Viviane Eauvive, das mit Mehrlingen hier in Millemerveilles und anderswo Kontakt aufnehmen kann. Und das Internet ist weltweit abrufbar, also Ortsungebunden, sobald ich einen Zugang zum nächsten Knotenpunkt bekommen kann. Daher würde ich vorschlagen, daß wenn die Verfügbarkeit des Trankes nachläßt, einen Weg aus Frankreich finde, unter falschem Namen natürlich, da in Frankreich vielleicht nach mir gefahndet wird."

Sie möchten die Kinder im Stich lassen, Martha?" Fragte Madame Dumas verwundert. "Wo Sie sich jetzt richtig mit ihnen zurechtfinden? Ich denke nicht, daß ich Sie ohne lebensnotwendigen Grund entlassen möchte." Sie lächelte freundlich.

"Das ist noch zu klären", sagte Catherine und schnitt Martha damit das Wort ab. "Was meinen Mann angeht, so werde ich ihn nicht in die Muggelwelt zurücklassen und vor Versiegen des Trankes in Zauberschlaf versenken. Er ist diesem Vorschlag zwar nicht so zugeneigt, weiß aber auch, daß es keine sicherere Alternative für ihn gibt und er wegen Babette und Claudine schon am Leben bleiben sollte."

"Gut, der Plan", sagte Charpentier. "Als immer noch amtierender Dorfratssprecher bitte ich Sie alle darum, darüber abzustimmen, ob wir die Vorschläge von Madame Andrews umsetzen möchten oder nicht. Einfache Mehrheit entscheidet. Niemand muß sich für die Zustimmung oder Ablehnung rechtfertigen. So stellen wir von vorne herein klar, daß wir nicht der autoritären Linie Didiers folgen möchten. Wer stimmt diesem Aktionsplan mit den besprochenen und noch durch Nachforschungen zu erörternden Abschnitten zu?" Alle außer Martha Andrews, die sich nicht für Stimmberechtigt hielt, hoben ihre rechte Hand, auch Charpentier. "Gut, der demokratischen rechtmäßigkeit wegen muß ich auch fragen, wer dagegenstimmt", fuhr Charpentier fort. Keiner hob die Hand. "Möchte sich jemand enthalten?" Fragte er noch. Keiner hob die Hand. "Oh, Martha, Sie haben von Ihrem Stimmrecht keinen Gebrauch gemacht", stellte der Ratssprecher leicht verlegen fest. "Fühlten Sie sich nicht stimmberechtigt?" Martha bestätigte das. "Verstehe, dieses Mißverständnis hätten wir vorher beheben sollen. Wer auf ausdrückliche Einladung des Dorfrates in diesen Raum tritt und einer Versammlung beiwohnt oder sich durch eigene Beiträge einbringt genießt auch als Gast Stimmrecht, da es durchaus vorkommen kann, daß Personen, die sich an für Millemerveilles entscheidenden Prozessen beteiligen, Einwände erheben können und Vorschläge annehmen oder ablehnen können, auch wenn sie noch nicht die Bürgerrechte genießen und daher nicht in den Dorfrat hineingewählt werden können. Nur wenn wir vom Dorfrat sie ausdrücklich ausladen oder Ihre Anwesenheit ablehnen verfällt Ihr Gaststimmrecht. Das ist völlig unabhängig von Ihrem magischen Status. Denn immerhin sind sie durch Ihren Sohn Julius und dessen ehelicher Verbindung Mitglied einer magischen Familie, und auch mit der Familie Chevallier und Dusoleil verwandt. Deshalb frage ich Sie besser noch einmal, ob Sie den auf diesem Plan bereits erörterten oder noch zu erörternden Einzelheiten zustimmen möchten, ja oder nein?" Martha stimmte mit leicht geröteten Ohren zu. "Gut, damit bitte ich im Sitzungsprotokoll festzuhalten, daß sämtliche Anwesenden den hier besprochenen Entwürfen zur Wiederherstellung einer freiheitlichen Zauberergemeinschaft einstimmig zugestimmt haben. Gegenstimmen und Enthaltungen gab es keine. Damit möchte ich nun vorschlagen, daß wir über die Zusammensetzung des von Madame Martha Andrews vorgeschlagenen Gegenministeriums sprechen, da ich hier Eile geboten sehe und wir nicht darauf ausgehen sollten, irgendwelche Hexen und Zauberer außerhalb Millemerveilles zu kontaktieren, um sie als mögliche Kandidaten zu benennen und sie zu fragen, ob sie einverstanden sind oder nicht. Das heißt, wir können meiner Meinung nach nur auf bereits hier in Millemerveilles untergebrachte Personen zurückgreifen. Ich selber schicke voraus, daß ich mich nicht um das Amt des vorübergehenden Gegenministers bewerben möchte, da ich keine Personalunion zwischen Sprecher des Dorfrates und Zaubereiminister anstrebe. Also bitte, wen würde Sie alle für dieses wohl sehr wichtige wenn auch gefährliche Amt vorschlagen."

"Es müßte jemand sein, der Erfahrung in der Zauberei hat, aber auch gute Freunde und Verbindungen besitzt, um möglichst umfassenden Informationsaustausch und bbreite Zustimmung zu erringen", sagte Catherine. Martha nickte. Sie sah Professeur Tourrecandide an. Diese schüttelte jedoch den Kopf und deutete auf Monsieur Delamontagne. "Ich würde mich zwar geehrt fühlen, das Ministeramt anzutreten, zumindest bis zur Beendigung des Didier-Regimes, möchte jedoch jeden von diesem ausgestreuten Verdachtsmoment entkräften, Frankreichs Zaubererwelt würde sardonianischen Getreuen ausgeliefert. Daher kann ich als Hexe dieses Amt nicht übernehmen. Ich halte zwar nichts von Geschlechterbevorzugung, muß jedoch im Sinne einer noch zu schaffenden Vertrauensbasis darum bitten, einen Zauberer mit diesem Amt zu betrauen. Daher schlage ich als Kandidaten mit den erwähnten Qualifikationen Monsieur Phoebus Delamontagne vor, da er in der Liga zur Abwehr dunkler Kräfte gleichberechtigt neben mir rangiert und sich zudem eines internationalen Freundeskreises erfreuen kann, der unsere Interessen im Ausland positiv darstellen kann." Phoebus Delamontagne verzog zwar das Gesicht und deutete ein Kopfschütteln an. Dann atmete er jedoch tief durch und sagte, als ihn alle ansahen:

"Ich muß meiner Kollegin, die wie ich unverzeihlich verunglimpft wurde, in der Hinsicht zustimmen, daß es im Moment nicht ratsam ist, eine Hexe zur obersten Sprecherin dieser unserer Bewegung zu bestimmen. Da ich jedoch eher an eine Aktivität als Leiter für internationale magische Zusammenarbeit gedacht habe - sofern mich jemand mit diesem Amt hätte betrauen mögen - möchte ich meinerseits vorschlagen, daß Monsieur Charpentier sich doch für das Amt des Zaubereiministers pro tempore bewirbt, sofern er jemanden benennt, der den Vorsitz des Dorfrates von Millemerveilles führt."

"Ihre Bescheidenheit ehrt Sie, Phoebus", setzte Charpentier an und blickte sich um. "Aber es sähe wirklich merkwürdig aus, wenn ich meine gegenwärtige Vorrangstellung hier ausnutzen würde, um als Zaubereiminister einer freiheitlichen Zaubereiverwaltung zu amtieren. Sicher könnten Monsieur Pierre, Monsieur Delourdes oder Monsieur Renard meinen schnuckeligen Sessel hier besetzen, falls Madame Delamontagne, Madame Dusoleil, Madame Lumière oder Madame Dumas sich nicht jetzt schon zur Sprecherin des Dorfrates wählen lassen möchten. Aber ich bleibe dabei, daß ich nicht für den Posten des gegen das Didier-Pétain-Regime gerichteten Ministeriums kandidieren werde. Dixi!"

"Ich halte den Vorschlag, Monsieur Delamontagne zum Gegenminister zu wählen für sehr gut", sagte Camille Dusoleil, die als Chefin der grünen Gasse und aller Gärtnereimagier automatisch Mitglied des Dorfrates war. "Es kommt ja wohl in erster Linie darauf an, daß wir durch einen bekannten wie weithin anerkannten Zauberer vertreten werden. Wenn ich das so richtig sehe, könnte Professeur Tourrecandide dann die Abteilung für Einhaltung der magischen Gesetze übernehmen. Daß die untergeordneten Ämter nur von Zauberern besetzt werden sollten mag ich nicht einsehen." Professeur Tourrecandide verzog zwar das Gesicht, mußte dann aber nicken. Madame Delamontagne schlug Monsieur Pierre für das Amt des Zaubereiministers vor, um zu zeigen, daß sie nicht aus verwandtschaftlichen Gründen zu einer bestimmten Person tendieren wollte. Dieser nahm den Vorschlag an, zumindest zu kandidieren, um mindestens zwei Auswahlkandidaten zu haben. So wurde in geheimer Wahl abgestimmt. Außer Madame Delamontagne stimmten alle, also auch Martha Andrews, für Monsieur Phoebus Delamontagne als ausführenden Zaubereiminister. Belle Grandchapeau, die der Besprechung mit ihrem Mann schweigend beiwohnte, nickte ihm aufmunternd zu, als Monsieur Charpentier das Wahlergebnis für alle und das Protokoll verkündete. Dann wurde Monsieur Pierre zum Leiter für magischen Personenverkehr, schwerpunktmäßig damit beauftragt, magische und nichtmagische Verkehrsmittel zu koordinieren, die nicht von Didiers Leuten überwacht werden konnten. Professeur Tourrecandide nahm es hin, daß ihr Ligakamerad Delamontagne sie zur neuen Strafverfolgungsleiterin machte, die neben der üblichen Tätigkeit vor allem die Loslösung der imperisierten Hexen und Zauberer und eine demnächst anstehende Befreiung der Friedenslager koordinieren sollte. Belle Grandchapeau ließ es sich gefallen, die Leiterin des Muggelverbindungsbüros zu werden. Sie wollte sich zwar Catherine Brickston als Stellvertreterin sichern, mußte jedoch zugeben, daß sie bei Professeur Tourrecandide besser aufgehoben war. Ihr Mann Adrian wurde das Pendent seines Vaters, obwohl Adrian meinte, daß dieser es ihm wohl nie verzeihen würde, mit oder ohne Imperius-Fluch. Außerdem wurde er zum Kontakt zu den hiesigen Gringottskobolden, um die Blockade von Gringotts Paris zu unterlaufen. Martha Andrews wurde, solange sie in Millemerveilles bleiben konnte, Belle Grandchapeau unterstellt, was den beiden, der Hexe und der Muggelfrau, keine Schwierigkeiten bereitete, weil sie eh schon auf einer ähnlichen Weise zusammengearbeitet hatten. Madame Dumas wurde zur Leiterin der Abteilung für magische Ausbildung und Studien erklärt, wobei sie natürlich ihren Posten als Leiterin der ortsansässigen Grundschule nicht aufgeben wollte. Ihr vordringliches Betätigungsfeld sollte die Beziehung zu Beauxbatons sein. Eine Abteilung für Spiele und Sport wurde im Moment nicht benötigt. Die Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe wurde in Abwesenheit Brunos Vater zugeschanzt. Falls er innerhalb eines Tages nicht ablehnte, würde er das wohl machen. Diese Abteilung sollte sich vor allem mit der Erforschung von Dementorenabwehrmitteln und Überwachungszaubern gegen bösartige Zauberwesen befassen und mit Adrian einen stillen Widerstand der Kobolde anleiern, die mit der Aussicht geködert werden sollten, nach der Entmachtung Didiers eine Hausfriedenszone um Gringotts zu schaffen, die nur von Kobolden überwacht werden durfte. Womöglich würden die verschlagenen Wichte darauf ausgehen, Zauberstabnutzungsrechte zu erringen, um ihre auch so schon gut ausgeprägten Fähigkeiten besser fokussieren zu können. Martha fragte: "Apropos Zauberstäbe, falls die den in den sogenannten Friedenslagern internierten Hexen und Zauberern abgenommenen Stäbe zerstört wurden, wie werden sie dafür entschädigt, sobald sie befreit wurden?"

"Ich bin mit Frankreichs führendem Zauberstabmacher verwandt", sagte Monsieur Charpentier."Ich könnte veranlassen, daß er den Geschädigten kostenlos neue Zauberstäbe überläßt, sofern der Herr Zaubereiminister und der neue Leiter für magischen Handel und Finanzwesen mir das erlauben."

"Hui, ich fürchte, dann müssen wir doch die Kobolde mit eigenen Zauberstäben ködern, um die möglichen Schulden zu verringern. Es sei denn, wir schaffen es, den Didier-Clan zur vollen Rückzahlung für die Zauberstabwiederbeschaffung zur Kasse zu bitten", wandte Adrian Grandchapeau ein.

"Den ganzen Clan, Adrian?" Fragte Belle. "Komm, mit Suzanne haben wir doch keinen Streit und auch nicht mit Onkel Erasmus und Tante Parthenope."

"Hups, da hätte ich mir mit dem Zauberstab wohl fast das eigene Knie weggeflucht", grinste Adrian, nachdem ihm die Verlegenheitsröte ins Gesicht gestiegen war. "Irgendwie muß das auf eine vollständige Entschädigung hinauslaufen. Aber die werden natürlich auch Schmerzensgeld wegen der Freiheitsberaubung und Verdienstausfälle geltend machen", warf Adrian ein und erkannte wohl, welcher riesige Ballast ihm da mal eben aufgeladen worden war. "Kann nur hoffen, daß mein Vater nicht zu den Jasagern ohne Imperius gehört."

"Der hat bei der Einsetzung Didiers für ihn gestimmt", knurrte Belle. "Als noch Briefe durchkamen hat Suzanne das erwähnt. Habe ich dir aber erzählt, Adrian."

"Ich hatte die Namen der Zustimmenden nicht mehr im Kopf."

"Außer Hippolyte Latierre und Cicero Descartes haben dem alle zugejubelt", knurrte Belle noch einmal. Madame Dumas fragte darauf, ob jemand wisse, was mit Monsieur Descartes geschehen sei, nachdem es herum war, daß dieser aus dem Amt gelogen wurde. Doch womöglich saß der in Tourresulatant oder einem der acht Friedenslager.

"Dann darf ich die erste Vollversammlung des freiheitlichen Zaubereiministeriums von Frankreich für beendet erklären. Vielen Dank für Ihre Einsatzbereitschaft und Mithilfe", sagte Monsieur Delamontagne, als sie alle heute erörterbaren Dinge durchgesprochen hatten.

"Das war klar, daß die werte Madame Tourrecandide mich in ihrer Abteilung haben wollte", bemerkte Catherine, als Martha und sie zu Fuß zum Haus Professeur Faucons zurückkehrten. "Bin mal gespannt, was meine Mutter sagt, wenn ich ihr das mitteile."

"Im Grunde machst du ja nichts anderes als vorher", stellte Martha kühl fest. "Genau wie ich", schickte sie noch hinterdrein. "Sorgen macht mir das mit dem Abwehrtrank. Wenn der zu Ende ist, ohne daß die von außen benötigten Zutaten nachgekauft werden können, kann ich hier nicht bleiben, auch wenn Belle mich jetzt wieder in ihre Arbeit eingespannt hat und Sandrines Mutter mich nicht aus dem Schuldienst entlassen will, wenn es keine lebensnotwendigen Gründe gebe. Wenn mich dieser Abwehrzauber aber hier heraustreibt ist das ein lebensnotwendiger Grund."

"Nicht ganz. Wer hier oder anderswo in der Zaubererwelt vorübergehend und ehrenvoll entlassen wird muß entweder eine langfristig zu behandelnde Erkrankung haben, auf Grund eines traumatischen Erlebnisses ohne Behandlung nicht im Stande sein, den Beruf auszuüben oder, wenn weiblich, im achten Schwangerschaftsmonat sein. Und das gilt nur für die Arbeiten in Ämtern oder unter körperlich anstrengenden Bedingungen. Quidditchspielerinnen dürfen bei Eintritt in eine Schwangerschaft gar nicht mehr spielen, bis sie den angekündigten Nachwuchs abgestillt haben. Aber das mit dem Trank ist schon ein Problem. Aber hast du nicht mal gesagt, daß es bei euch Computerleuten keine Probleme sondern nur Lösungen gibt?"

"Lösungsansetze, Catherine, und oft beläuft sich die Arbeit darin, alle möglichen Fehlerquellen zu erkennen und auszuschließen. Und da ich, wie deine Mutter mal so nett war mir entgegenzuhalten, von eurer Welt und den Fähigkeiten einer Hexe oder eines Zauberers keine zureichende Ahnung habe, kann ich im Fall dieses Trankes nicht sagen, wie dieses Problem gelöst werden kann. Die mir bekannten Alternativen wären eben Zauberschlaf oder aus Millemerveilles raus, womöglich ins Ausland."

"Wenn ich dich auch in Zauberschlaf versenken würde, hättest du keine Möglichkeit mehr, auf Julius' Entwicklung einzuwirken, Martha. Sicher weiß ich, daß Ursuline dich jederzeit bei sich im Château einziehen lassen würde. Das wäre mir sogar sehr recht, wenn ich weiß, daß du in einem Sanctuafugium-Bereich bist. Aber den hat Antoinette Eauvive auch. Unter Umständen solltest du es mit ihr erörtern. Die Schwierigkeit ist eh, dich aus Millemerveilles rauszukriegen, ohne daß die netten Leute über uns das mitkriegen, weil man nicht hinausapparieren kann, die Kamine versperrt sind und alles was fliegt überwacht wird."

martha sah nach oben, weit über sich machte sie einen winzigen Punkt aus, der langsam über dem Dorf kreiste. So schluckte sie hinunter, was sie sagen wollte. Erst als sie im Haus Professeur Faucons waren, wo Madeleine L'eauvite gerade das Abendessen zubereitete, zog Catherine Martha mit in das Arbeitszimmer ihrer Mutter und schloß die Tür.

"Du wolltest mir einen Vorschlag machen, hast dich aber wegen dieses Beobachters über uns nicht getraut", setzte Catherine an. "War auch nicht verkehrt. Wenn diese Spione magische Fernrohre und Schallansaugtrichter benutzen können sie im Umkreis von zwei Kilometern mithören, was geschieht. War schon gut, daß der Ratssaal ein dauerhafter Klangkerker ist wie dieser Raum hier. So werden es die Kundschafter nicht vor übermorgen mitkriegen, daß jemand eine Gegenregierung gegründet hat. Aber du wolltest mir was im Bezug auf das Problem mit dem Abwehrunterbindungstrank vorschlagen."

"Mir fiel ein, daß diese Kundschafter dort draußen wohl nur nach sichtbaren Flugkörpern suchen, weil auf dem Landweg Bewegungsmeldezauber und Apparitionsspürer eingerichtet wurden. Also auf dem Boden kann niemand unsichtbares hereinkommen, und die Glocke über Millemerveilles verhindert, daß sie fliegende Leute mit diesen Zaubern erfassen können, sofern sie auf Höhe des Scheitelpunktes fliegen, nicht wahr?"

"Ja, aber wir haben keinen Besen, der unsichtbar macht oder ... Ups! Darauf wolltest du hinaus. Dann müßtest du Millie und Julius fragen, ob du sie dir ausleihen darfst und dich bei Barbara Latierre erkundigen, ob sie die Wunderkuh noch für größere Strecken fliegen lassen möchte, wo sie offenbar trächtig geworden ist, die Kuh, nicht Barbara Latierre."

"Dann wohl eher zuerst Babs Latierre, die ich ja auch beim Vornamen nennen darf, seitdem ihre Schwester die Schwiegermutter meines Sohnes ist", erwiderte Martha. "Daran hatte ich eh gedacht, falls ein Umzug ins Sonnenblumenschloß ansteht. Antoinette Eauvive hat mir damals dieses klapperdürre Flugtier gegeben, daß für die meisten Leute unsichtbar ist aber nicht unsichtbar macht, wenn man draufsitzt. Temmie kann, so hat's Julius erzählt, sich und alles in einer Kugelzone, die so groß ist wie sie selbst lang ist unsichtbar machen wie eine romulanische Tarnvorrichtung."

"Wohl nicht ganz, Martha. Jene fiktive Tarnvorrichtung schirmt nur gegen die von außen kommenden Ortungsstrahlen ab und lenkt das Licht um das Raumfahrzeug herum, so das die Insassen selbst sich und die Einrichtung noch sehen können. Bei der magischen Unsichtbarkeit wird alles unsichtbar. Eleonore hat mir ja erzählt, daß sie dich unter einem Tarnumhang hatte, als du als Überraschungsgast zu Julius' dreizehntem Geburtstag da warst. Dann kennst du diese Empfindung ja."

"Sei es drum, Catherine. Das wäre zumindest eine brauchbare Mitfluggelegenheit, die sich und alles auf ihr unsichtbar machen kann. Und außerdem hat Vivianes Bild mir von Julius ausgerichtet, daß diese Kuh auch zauber in unmittelbarer Nähe überdecken kann."

"Es ist wahrlich sehr unheimlich aber auch faszinierend, was mit dieser Kuh Artemis passiert ist und das in ihr jetzt Darxandrias Seele erwacht ist. Aber auch wenn du auf einer unsichtbaren Kuh reitest besteht die Gefahr, daß die Patrouillen dich durch puren Zufall aufspüren, solange sie sich gleichmäßig über dem Dorf verteilen."

"Ja, und das wollte ich dir auch nicht draußen unter freiem Himmel sagen. Dann müssen wir das Asterix-Ausbruchsmanöver durchführen. In dem Band "Tour de France" werden die unbesiegbaren Gallier von den Römern mit einem Palisadenzaun um ihr Dorf eingeschlossen, damit sie keinen mehr verhauen. Der pfiffige Held und sein gefräßiger Kumpel wetteten dann mit dem römischen Heerführer, trotz der Mauer überall hingehen zu können und als Beweis in jeder Stadt die dortigen Spezialitäten einzukaufen. Natürlich mußten die Römer abgelenkt werden, um den beiden überhaupt eine Chance zu lassen, die Absperrung zu durchbrechen. Was haben die Kameraden der beiden da wohl gemacht?"

"Wahrscheinlich haben sie auf der dem eigentlichen Fluchtweg abgewandten Seite randaliert, um die Belagerer auf ihrer Seite zu beschäftigen", vollendete Catherine die Schlußfolgerung Marthas. Diese nickte. "Deshalb hast du das mit der Überzahl so hervorgehoben, Martha. Offenbar warst du dir schon sicher, daß du hier bald weg müßtest", sagte sie dann noch.

"Vielleicht besteht auch die Möglichkeit, die Zutaten für den Trank mit Artemis einzuschmuggeln, daß wir, also Joe und ich, noch ein paar Monate durchhalten können", erwiderte Martha. Catherine schüttelte den Kopf.

"Das würde die Heiler von Millemerveilles dazu nötigen, außenstehenden zu verraten, was in den Trank hineinkommt. Da sie dies wohl nicht wegen zwei gästen machen werden, die entweder in Zauberschlaf überdauern oder anderswo weiterleben können, fällt dieser Weg aus. Abgesehen davon, daß Barbara Latierre dem nicht zustimmen wird, solange sie die Pflegschaft über Artemis hat."

"Ähm, wenn Julius mir erlaubt, sie zu nutzen dürfte Babs keine Möglichkeit haben, was dagegen zu sagen. Ich könnte ja auch mit Julius abklären, daß sie hier in Millemerveilles unterkommt."

"Willst du gleich vier Hexen gegen dich aufbringen, Martha? Camille könnte das nicht mögen, wenn sie Futterpflanzen für eine Latierre-Kuh in der Anfangsphase einer bald zwei Jahre dauernden Trächtigkeit bereitstellen muß. Hera Matine könnte es dir übelnehmen, wenn du Camille dafür einspannst, die auch gerade neues Leben trägt. Ursuline und Barbara Latierre würden dir ihre Zuneigung aufkündigen, wenn du eine Latierre-Kuh mit Kalb im Bauch für riskante Schmuggelunternehmen beanspruchst. Ich würde mir das doch besser gut überlegen. Aber nett, daß du hier bei uns bleiben möchtest."

"Abgesehen von den Reibereien, die Joe mit den Leuten hier hat und manchmal an mir ausläßt komme ich mit den Leuten hier gut zurecht und bin dankbar, daß ich von ihnen für voll genommen und geachtet werde."

"Du kannst ihren Kindern was nützliches beibringen und uns anderen viel über dein Leben vor Julius' Einschulung nach Hogwarts erklären. Du hast dadurch die früher hier geltende Reserviertheit gegenüber nichtmagischen Eltern erheblich abgebaut. Fast hätten die verstockten Eltern dieses langsam vernünftig gewordenen Mädchens Laurentine das wieder zerstört."

"Na ja, wenn der Trank aus ist bleiben mir nur der Schlaf oder Umzug, Catherine. Da nützt es nichts, daß deine Nachbarn mich hier gut aufgenommen haben."

"Noch ist der Trank da, und im Zweifelsfall wird Joe zuerst in den Überdauerungsschlaf versenkt. Dem hat er zumindest zugestimmt, solange er noch irgendwie mitbekommen kann, daß Claudine noch unverheiratet ist."

"Ich weiß, das hat er so gesagt", grinste Martha.

"Kinder, Essen ist fertig!" Trällerte Madeleines Stimme durch das Haus.

"Auch wenn meine Tante nicht so streng ist wie meine Mutter sollten wir uns besser noch einmal kämmen und die Hände waschen", meinte Catherine. "Mit Zaubertinte an den Fingern ist nicht so gut essen."

Nach dem umfangreichen Abendessen fühlte sich Martha so träge, daß sie nur noch im Wohnzimmer sitzen und lesen wollte. Morgen würde sie gegen Eleonore Delamontagne Schach spielen. Babette las ihrer Tante aus einem der Bücher vor, die sie aus der Rue de Liberation herübergerettet hatte. Joe starrte immer wieder seinen derzeit saftlosen Laptop an und langweilte sich offenbar. Da er auch keine Lust hatte, andauernd gegen Martha oder die vollschlanke Dorfrätin Delamontagne zu verlieren, kam er nie von sich aus auf die Idee, gegen eine der beiden Schach zu spielen. Catherine wiegte Claudine, nach dem auch diese ihre Abendmahlzeit bekommen hatte. Gegen zehn Uhr zog sich Joe zurück. Er meinte: "Wieder ein ungenutzter Tag rum. Macht auch müde."

"Du Sturkopf könntest jeden Tag sinnvoll verbringen, wenn du das wolltest", schickte Catherine ihrem Mann hinterher. Babette wurde von Madeleine zu Bett gebracht, die die Erlaubnis hatte, im Zimmer ihrer Schwester zu schlafen. So blieben Catherine und Martha alleine im Wohnzimmer, wo Viviane Eauvives Bild hing. Sie hatten während des Abendessens über das baldige Versiegen des Muggelabwehrbannhemmtrankes gesprochen, und Vivianes gemaltes Sein hatte es wohl mitbekommen können. So verwunderte es Catherine und Martha nicht, als Vivianes gemalte Version in dieses Bild zurückkehrte und leise fragte, ob außer ihnen noch wer in Hörweite war. Martha und Catherine wisperten, daß das Wohnzimmer kein Klangkerker sei. Dann sagte Vivianes Bild-Ich: "Ich soll euch schöne Grüße von Julius bestellen. In Beauxbatons sind sie endlich wieder zur Vernunft gekommen."

"Will sagen, der Bunkerkoller ist jetzt erst einmal behoben?" Fragte Martha.

"Bis zum nächsten mal, wenn die Leute da finden, sie bekämen nichts neues mit."

"Immerhin bekommen sie auch keine Lügen mit", erwiderte Catherine barsch. "War ja klar, daß sie die Akademie jetzt endgültig von der Außenwelt abschneiden wollen."

"Was wegen Madame Maximes Zauber ja nicht so einfach ging, wie sie wohl planten", wisperte Viviane Eauvives Bild-Ich. Dann richtete es die Augen auf Martha und breitete einladend die Arme aus. Martha wußte, daß die gemalte Viviane ihr noch was zu erzählen hatte, was nicht von einem möglichen Mithörer aufgefangen werden sollte. Sie ging hinüber und legte das Ohr an die Leinwand. "Habe es weitergegeben, daß ihr bald keinen Trank mehr habt, Martha. Antoinette möchte das mit dir allein besprechen." Martha nickte dem Bild zu und kehrte zu Catherine zurück, der sie es ins Ohr flüsterte, daß wegen des Tranks auch im Château Florissant nachgedacht würde. Catherine nickte und verließ das Wohnzimmer mit der gerade wie ein kleiner Engel schlummernden Claudine. Sie schloß die Tür. Martha ging wieder zum Bild der Gründungsmutter von Beauxbatons. Diese nickte ihr zu und verschwand für einige Sekunden. Als sie zurückkehrte, bekam Martha Mund und Augen nicht mehr zu.

__________

Bunkerkoller. So hatte es Julius in einer Saalsprecher und der einen Tag später folgenden Pflegehelferkonferenz genannt, was in den ersten anderthalb Wochen nach der Aktivierung der Säulen der Gründer in Beauxbatons los war. Erst kamen keine privaten Postsendungen mehr an. Um Beauxbatons herum flogen zu viele Zauberer, die anfliegende Posteulen im Flug betäubten und die Briefe beschlagnahmten. Dann war auch die Zeitung nicht mehr durchgelassen worden. Julius hatte Millie gesagt, daß es um dieses Klopapier nicht schade sei. Doch sie hatte darauf nur geantwortet, daß keine Nachrichten von draußen immer noch schlimmer waren als verdrehte. Und damit behielt sie recht. Denn alle die, welche keine Bilder mit Verbindungen zu ihren Familien besaßen, wurden immer nervöser. Am ersten Dienstag nach dem Stop der Zeitungslieferungen begannen die ersten von den Roten und Blauen, ihre Kameraden anzupöbeln. Am Mittwoch mußte Giscard auch zwei Jungen aus dem grünen Saal auseinandertreiben, die sich mit Faustschlägen traktierten, weil der eine zum anderen gesagt hatte, es könne ja sein, daß dessen Eltern schon tot oder in einem Friedenslager seien. Am Donnerstag war die erste richtige Zauberschlacht zwischen Leuten aus dem roten und dem blauen Saal ausgebrochen. Alle zwanzig Betten im Krankenflügel wurden gebraucht, weil durch die Kaminblockade eine Überweisung in die Delourdesklinik nicht mehr ging. Madame Rossignol hatte wiederholt betont, wie empörend das war, die Gesundheit der Schüler derartig zu gefährden. Allerdings gab sie nicht der Schulleiterin und Professeur Faucon die Schuld daran. Julius hatte vorsorglich einen Imperturbatio-Zauber über Auroras Gemälde gelegt, um zu verhindern, daß seine auch nicht so ruhig bleibenden Schlafsaalkameraden es herunterrissen, aus purem Neid, weil er noch eine Verbindung nach draußen hatte. Weil er aber auch verstand, was sie umtrieb gbat er Aurora, allen Bild-Ichs im Palast zu erlauben, Botschaften für die Eltern der Jungen mitzunehmen und in groben Zügen die Zeitungsmeldungen wiederzugeben, die von anderen Familien vorgelesen wurden. Damit hatte er mehr oder weniger unbewußt die angespannte Stimmung im grünen Saal verringert. Einen Tag später war es im Palast herum, daß die Bild-Ichs mit Gegenstücken in der Außenwelt die neuesten Nachrichten austauschten. Als Julius am Samstag morgen nach der Saalsprecherkonferenz dazwischengehen mußte, weil ältere Jungen aus dem blauen Saal Pierre Marceau angriffen und der dem einen den Zauberstab aus der Hand und dem anderen überaus schmerzhaft zwischen die Beine trat griff sich Julius den entwaffneten Burschen und fragte ihn, was das sollte.

"Wegen euch Muggelbrütigen hängen wir hier blöd rum."

"Achso, dann vermöbelt ihr auch die Muggelstämmigen aus eurem Chaotenbunker, wie?!" Raunzte Julius den Jungen an, während der andere sich wimmernd die malträtierte Körperstelle hielt. "Wir hängen hier nicht dumm oder blöd herum. Wir lernen hier für den Tag nach Didier und Pétain. Und wenn du nicht heute abend noch ohne Zauberstab zu den freundlichen Onkeln da draußen hingetrieben werden willst solltest du dir das endlich mal merken, daß nicht wir Muggelstämmigen Schuld an dem Drachenmist sind, klar?"

"Der Pimpf hat Argo die Murmeln zertreten", schnarrte der Blaue.

"Kümmer mich gleich drum, Cygnus", knurrte Julius. "Für grobe Feigheit und tätlichen Angriff auf einen Mitschüler kriegst du fünfzig Strafpunkte. Im Krankenflügel sind im Moment genug Nachttöpfe und Bettpfannen zu schrubben. Kannst gerne nachher schon vorbeigehen und anfangen. Deinen Kumpel nehme ich gleich mit, um dessen Murmeln wieder geraderücken zu lassen."

"Und dieser Knilch da?" Fragte der immer noch von Julius gehaltene Grobian.

"Notwehr. Ihr zwei seit mit Zauberstäben auf den losgegangen, wo der erst in der ersten Klasse ist und sich nicht wehren konnte."

"So, konnte der nicht. Diese Delacourschnepfe hat ihm geholfen, bevor sie los ist um eure ehemalige Saalkönigin zu holen."

"Weil sie gelernt hat, daß anständige Mädchen sich nicht mit Straßenjungs wie euch prügeln", feuerte Julius ab. "So, und jetzt schieb ab. Ä-ä! Der Zauberstab bleibt liegen. Den beschlagnahme ich und werde ihn Madame Rossignol geben. Falls die findet, daß du weiterhin von unserem guten Essen abhaben sollst kriegst du den nach der Putzparty zurück. Wenn nicht, dann nicht."

"Ich trete dir gleich auch in die ..."

"Drohung macht noch mal zwanzig Strafpunkte", schnarrte Julius sichtlich wütend und ging in Kampfstellung. Cygnus warf sich herum und trottete davon, während Argo immer noch mit seinen wertvollsten Anhängseln beschäftigt war.

"Also, Pierre, ich kann's mir vorstellen, wo du solche Kampftechniken mal gesehen hast. Aber denke bitte dran, daß das einem Mann oder Jungen tierrisch weh tut und deshalb nur im äußersten Notfall gemacht werden sollte. Wegen Notwehr kann ich dir nur zehn Strafpunkte wegen übergebührlicher Abwehrmaßnahmen geben. Lern besser richtig duellieren!"

"Oder Karate", meinte Pierre. "Aber wenn dir zwei mit Zauberstäben kommen und "Mach dich hier weg, Schlammblut!" brüllen ging's nicht anders", knurrte Pierre wütend. Julius brachte beide darauf in den Krankenflügel, erst den getretenen Argo und dann Pierre. Die Heilerin vollführte einige Zauber gegen Argos intime Körperteile und gab ihm dann noch einen Trank gegen Prellungen und Quetschungen. "Falls er irgendwann an Nachwuchs denken sollte, kann er das ruhig angehen", schnarrte die Heilerin. "Aber vorher hilft der mir mit seinem Raufkameraden beim Schrubben. Und du Pierre solltest dich nicht mit größeren Jungs anlegen."

Beim Mittagessen hing eine lange Liste mit gelb markierten Namen aus. Madame Maxime deutete darauf und sagte: "Die habe ich nach den Berichten der Saalvorsteher angefertigt und bezaubert. Wessen Name rot markiert anläuft ist mit der Akademie fertig, und zwar unwiderruflich. Meutereien und andere Tätlichkeiten werden von mir nicht mehr geduldet, damit das klar ist, die Damen- und Herrschaften. Sie sollten froh sein, daß durch die Initiative von Monsieur Latierre wieder ein gewisser Nachrichtenaustausch möglich wurde. Also reißen Sie sich gefälligst zusammen! Oder wollen Sie als Versager vor die draußen lauernden Didier-Marionetten treten wie die hungernden Mäuse vor die Katze? Dem kann ich schnell abhelfen. Ich kann eine Liste auslegen, in die sich jeder einträgt, der uns jetzt schon verlassen will. Da durch Didier alle Gesetze offenbar aufgehoben sind, gilt hier in diesen Mauern nur noch das Gesetz von Beauxbatons, wie es die Schulregeln festlegen. Und eine Regel heißt, daß wer dem Schulleiter wiederholt mißfällt, von diesem entlassen werden kann. Ich denke, dies haben auch nun alle verstanden."

Ja, sie hatten es verstanden, daß die lange Liste sie zwar schnell vor die Tür setzen konnte, aber in eine Welt ohne Zauberstab. Das brachten die Saalsprecher ihren Mitbewohnern auch noch einmal bei. Madame Rossignol schlug vor, daß an Stelle der Abendfreizeitkurse allgemeine Informationssammelsitzungen in den Sälen stattfinden sollten, wo die Bild-Ichs der Saalgründer die am Tag zusammengetragenen Meldungen und Familienberichte weitergaben. Dieser Vorschlag wurde von Madame Maxime umgesetzt, in dem sie die Anwesenheitspflicht bei den Freizeitkursen aufhob. Jetzt waren es wirklich unverbindliche Kurse, sofern die, die noch hingehen wollten, dort eingetragen waren. Das entschärfte die Bunkerstimmung noch weiter, und die Schüler fanden in den ohnehin schon üblichen Lernstreß zurück.

"Hätte nicht mehr viel gefehlt, und uns wären hier alle durchgedreht", sagte Julius seiner Frau am zweiten Samstag nach der Öffnung der Gründersäulen. Sie, er und die anderen zehn wurden zwar manchmal noch komisch angesehen, weil einige glaubten, ihretwegen sei Beauxbatons jetzt so gut wie von allem abgeschnitten. Andererseits erkannten gerade die jüngeren, daß sie es hier besser antrafen als in der Welt da draußen.

"Pat hat uns als Säulenheilige bezeichnet, Julius. Sind das nicht die Figuren von Leuten, die was für ihre Religion gemacht und sich dafür ein Standbild verdient haben?"

"Wo hat Tante Patricia denn den Begriff her? Von Marc?" Erwiderte Julius amüsiert. Millie nickte. "Stimmt, das sind Leute, die im Namen der katholischen Kirche ihr Leben gelassen haben und vom Anführer dieser Glaubensgemeinschaft, dem Papst, erst selig und dann heilig gesprochen wurden. Die Nachbildungen oder Bilder von denen werden häufig in großen Kirchen zur Verehrung ausgestellt. Mum hat uns beiden doch in die Kathedrale Notre Dame mitgenommen."

"O ja, das war doch, wo ich vor diesen drei Nonnen eigentlich nur für deine Ohren gesagt habe, wie viele Bauern dafür gestorben sind, um diesen Steinpalast eines unsichtbaren Gottes hinzubauen und wie viele Frauen zu Hexen erklärt wurden, um deren Geld zu kriegen, wenn die verbrannt wurden, um die ganzen Sachen da drin zu bezahlen", grinste Millie. Julius erinnerte sich auch noch gut. Das war zwei Tage vor der Geburtstagsfeier von Callie und Pennie, und besagte drei Ordensschwestern, eine dem Alter nach deren Hausmutter oder wie immer das hieß, hatten sie und ihn sehr verdrossen angestarrt und wohl auch überlegt, ob die beiden nicht zu vertraut miteinander waren. War schon eine gute Idee gewesen, beim Ausflug in die Muggelwelt die Eheringe wegzulassen. Das hätte den drei Klosterdamen bestimmt noch mehr Munition für irgendwelche verächtlichen Gedanken gegeben, wenngleich Millie auch schon für neunzehn durchgehen konnte, wenn sie sich entsprechend zurechtmachte. Zumindest hatte das Catherine behauptet, als Millie für diesen und andere Ausflüge ins Paris der Muggel entsprechende Kleidung angeschafft hatte.

"Immerhin leben wir noch, was denen, die als Säulenheilige verehrt werden, nicht vergönnt ist", sagte Julius lächelnd. Mildrid nickte.

Als Julius wieder im grünen Saal war, wo alle, die Neuigkeiten von ihren Familien erfahren wollten um Viviane Eauvives Bild im Saal versammelt waren trat Robert zu ihm hin.

"Na, Spaziergang wieder beendet?" Fragte er lässig. Julius nickte. "Denkst du, daß das so bleibt, wie es jetzt ist? Ich meine, kriegen wir das irgendwann wieder, daß wir ganz für uns alleine Posteulen verschicken und kriegen können?"

"Da müßtest du Didier und die Leute auf den Besen fragen, Robert. Andererseits können wir froh sein, wenn es nicht noch schlimmer wird als es ist."

"Noch schlimmer? Ich meine, hier kommt doch keiner rein, den Madame Maxime nicht hier haben will. Oder meinst du, daß Didier unsere Eltern verhaften läßt?"

"Robert, ich weiß nicht, ob Didier wirklich jede Zaubererfamilie einsperren kann. Dann würde die ganze Zaubererwelt ja komplett zusammenbrechen. Aber was ich fürchte ist, daß es irgendwann einen offenen Kampf zwischen seinen Leuten und anderen Hexen und Zauberern gibt, die sich das nicht mehr gefallen lassen. Sowas nennt sich dann Bürgerkrieg. Oder Kreaturen von diesem Lord Unnennbar greifen an, um uns endgültig niederzumachen. Die Dementoren haben bestimmt keinen solchen Auftrag erhalten. Die suchen wohl nach Muggelstämmigen wie mir, die sie entweder gleich vor Ort küssen oder ihrem Herrn und Meister zurückbringen, wie das brave Jagdhunde mit den erlegten Beutetieren machen. Meine Mutter hat mich über Viviane wissen lassen, daß vor dem Haus, indem wir bisher gewohnt haben, eine fremde Kreatur aufgetaucht ist, die von einem Leuchten umgeben war, daß so aussah wie das, was dieser angebliche Trunkenbold in Paris gesehen haben will. Falls es wirklich diese Geschöpfe sind, Robert, dann steht uns was wirklich fieses ins Haus. Ich habe mich nämlich mal in der Bibliothek wegen Kreuzungen zwischen Tieren und Menschen schlaugelesen, seitdem Sardonias Entomanthropen wieder unterwegs sind. Falls der große, böse Zauberer von meinen Geburtsinseln solche Biester an der Hand hat, die aus Menschen und Schlangen zusammengekreuzt wurden, könnte er die aus sicherer Entfernung lenken. Er kann die Schlangensprache und bestimmt auch in Gedanken zu anderen sprechen. Beides zusammen würde bei solchen Wesen wohl verstärkt. Wenn er dann noch einen Gegenstand hat, der auf diese Wesen abgestimmt ist, geht das bestimmt hundertmal besser."

"Ach, diese Kiste mit der Werschlange oder wie das sich nennt?" Fragte Robert. "Célines Eltern meinen, Didier hätte das mit diesem Tibor oder wie der Hieß wohl deshalb so hingestellt, weil Pétain nicht zugeben will, daß es da Biester gibt, die wie Werwölfe unerkannt zwischen gewöhnlichen Leuten rumlaufen können, und seine Abteilung das jetzt wohl ganz dringend rauskriegen muß, wer und was das ist. Aber bisher sind wohl keine mehr aufgetaucht."

"Außer in der Rue de Liberation", erwiderte Julius. "Meine Mutter und alle, die das Monster gesehen haben vermuten, es wollte mal testen, ob es in einen starken Schutzbann eindringen kann. Es soll ziemlich nah an das Haus rangekommen sein und eindeutig schwarzmagisch sein, weil es sonst nicht doch irgendwann zurückgeworfen worden wäre", entgegnete Julius. Er wollte Robert nicht die volle Wahrheit erzählen. Aber ihn im Ungewissen zu lassen war auch nicht so ganz richtig. Er brauchte ja nicht zu verraten, daß er bereits wesentlich früher wesentlich mehr über diese Kreaturen erfahren hatte. Robert kaufte ihm das problemlos ab, daß er sich auf die Zeitungsmeldung bezog, über die sie alle zwischendurch gesprochen hatten.

"Moment, wenn so'n Biest in einen Schutzzauber reinlaufen kann ... Au weia! Jetzt kapiere ich, was du meinst", seufzte Robert. "Wenn ein solches Monstrum alleine nicht in unsere Schutzzauber reinlaufen kann, könnten es zwei, drei oder ganz viele vielleicht. Das meinst du doch, Julius?"

"Sagen wir mal so: Es sind immer einige hundert Dementoren um unser Haus geschlichen und haben versucht, hinzukommen. Die wurden immer gleich weit zurückgehalten, so an die hundert Meter. Wenn ein solches Schlangenmonster mehr als die Hälfte der Entfernung bis zum Haus zurücklegen konnte, dann ist das in der Hinsicht schon stärker als hundert Dementoren zusammen." Robert erbleichte bei dem Gedanken, wie gefährlich eine solche Kreatur dann werden konnte. Womöglich vermutete der sogar, daß diese Wesen ihre Natur wie Werwölfe oder Vampire weitergeben konnten wie eine ansteckende Krankheit.

"Ich gehe davon aus, daß Didiers Leute sich zu sehr auf die Dementoren eingeschossen haben", stieß Julius nach. "Womöglich will unser unnennbarer Feind erst einmal sehen, ob das schon ausreicht, um uns plattzumachen. Falls nicht, hat er dann diese Geschöpfe im Land."

"Ähm, Julius, woher hat er diese Biester dann? Wenn die wirklich in starke Schutzzauber reinlaufen können muß in denen ja eine Unmenge von Magie drinstecken. Abgesehen davon hätte er diese Viecher ja dann schon auf uns loslassen können, bevor er sich mit Harry Potter angelegt hat."

"Wird wohl so sein, daß er nachgeforscht hat, wie er an echt starke Kämpfer oder Spione drankommen kann und das gemacht haben, als ihm klar war, daß er die Welt nicht allein mit seinen Zaubersprüchen unterwerfen kann. Die Hexe, die die Entomanthropen wiedergefunden hat griff wohl auf eine im magischen Tiefschlaf liegende Gruppe aus Sardonias Zeiten zurück. Könnte Lord Unnennbar auch eingefallen sein", rückte Julius mit einem weiteren Fitzel seiner Informationen heraus. Robert nickte.

"Dann muß Didier oder Pétain dieses Gekröse doch auch jagen. Und diese Idioten haben gute Hexen und Zauberer eingesperrt oder weggejagt."

"Kapierst du das endlich, was für einen Schaden Didiers Leute da angerichtet haben?" Schnarrte Julius. "Anstatt eine Zusammenarbeit mit allen in- und ausländischen Gruppen gegen die dunklen Künste hinzukriegen und den Leuten hier zu helfen, sich auf wirklich schlimme Angreifer vorzubereiten, hat der diesen gefährlichen Kram mit den Friedenslagern und den angeblich sicherheitsgefährdenden Hexen und Zauberern abgezogen. Nur gut, daß Professeur Tourrecandide und Virginies Opa Phoebus sich noch rechtzeitig absetzen konnten. Die sind jetzt da, wo meine Mutter auch ist. Könnte sein, daß die Schlangenmonster da nicht hinkönnen, weil die Barriere mit dunklen Kräften und Vorlieben wechselwirkt, und die dagegen aufgewandten Kräfte zurückdrängt, egal wie stark sie sind.Zumindest hoffe ich das."

"Mann, jetzt fühle ich mich noch mieser als vor zwei Wochen noch", knurrte Robert. Julius sah ihn abbittend an und meinte, daß er dann besser nicht davon gesprochen hätte. "Neh, ist schon besser, sich auf sowas vorzubereiten", wehrte Robert Julius' Entschuldigungsversuch ab. "Jetzt kapiere ich zumindest, warum Madame Maxime und Königin Blanche so sauer auf Didier sind. Unsere Saalvorsteherin hat von diesen Ungeheuern bestimmt schon was gehört und kennt die wohl besser als wir beide zusammen." Julius erwiderte darauf, daß er sich da ganz sicher sei. Und das war weder gelogen noch untertrieben. von wem sie es gehört und gelernt hatte mußte er Robert allerdings nicht auf die Nase binden. Vor allem mußte er ihm nicht erzählen, daß er in den letzten Wochen von nichts anderem träumte als von einer nackten, goldbraun getönten Frau, die ihm auf einer silbernen Flöte eine magische Melodie beibrachte, die helfen sollte, die einzig wirksamen Gegner dieser Schlangenwesen anzulocken.

"Robert, kommst du bitte!" Rief Céline, die gerade mit Jasmine Jollis und Laurentine Hellersdorf vom großen Bilderrahmen wegging, in dem gerade das portraitierte Ich Serenas Delourdes stand. Robert nickte Julius zu und ging mit sorgenvollem Gesicht zu seiner Freundin hinüber. Julius nutzte die Gunst der Stunde, seine private Bilder-Verbindung zu benutzen. Im Schlafsaal der Fünftklässler war im Moment niemand. And´ré und Robert waren ja im Aufenthaltsraum. Gérard flanierte wohl noch mit Sandrine durch die Parks, wie Julius es vorhin noch mit seiner Frau getan hatte. Aurora Dawns Bild war gerade von Viviane Eauvive besetzt.

"Ich soll dir von Antoinette bestellen, daß sie sich gedanken um diesen Abwehrtrank macht, den deine Mutter jeden Tag einnehmen muß, um in Millemerveilles zu bleiben. Sie hat da einen Ansatz gefunden, der helfen könnte, daß sie nicht von dort weg muß."

"Sie wird dann entweder zu Antoinette oder meiner angeheirateten Verwandtschaft hinziehen", entgegnete Julius darauf. "Catherine meinte ja, daß sie Joe in Zaubertiefschlaf versenken würde, wenn der Trank alle ist."

"Antoinette möchte nicht haben, daß deine Mutter sich in der magielosen Zivilisation - sofern die sich so nennen lassen darf - verstecken soll. Und offenbar hegt sie auch nicht das Bedürfnis, deine Mutter im Château Tournesol untergebracht zu sehen, selbst wenn das Verhältnis zu ihrer Nachbarin Ursuline nicht so schlecht ist. Aber deine Mutter Martha sei dann doch eher mit uns verwandt als mit den Latierres, meint Antoinette", erwiderte Viviane Eauvive. Julius nickte verhalten. Dann fragte er, was Antoinette nun mache, wo Didier sie auf die Liste der flüchtigen Verbrecher gesetzt habe. "Sie vertreibt sich die Zeit mit Zaubertrankforschung und Nachforschungen auf dem Gebiet alter Zauberwesenkunde und hat diesbezüglich auch spärliche Unterlagen über die Entomanthropen und diese Schlangenwesen studiert, von denen eines euer Haus heimsuchen wollte. Die Heilerzunft hält noch Kontakt mit ihr, aber im Verborgenen, weil sie nicht mehr öffentlich auftreten darf, seitdem sie sich gerade so noch mit ihren Helfern absetzen konnte, als sie Didier und Pétain festnehmen wollte."

"Hoffentlich kriegt die nicht auch den Bunkerkoller wie die Leute hier den hatten", seufzte Julius. "Zumindest ist der bei uns jetzt angenehm zurückgegangen. Die meisten haben's kapiert, daß sie besser hier weiterlernen und weiterleben, anstatt da draußen Didiers Gnade ausgeliefert zu sein."

"Dies habe ich zur Kenntnis genommen. Werde gleich auch noch einigen Leuten im weißen Saal bescheidgeben, was ihre Familien angeht, die mit meinem Bild-Ich in anderen Einrichtungen Kontakt halten. Zumindest haben sich nach den ersten großen Verhaftungswellen die Wogen etwas beruhigt. Dies liegt jedoch wohl eher daran, daß die meisten eingeschüchtert sind und aus Angst um ihre Angehörigen keinen Widerstand mehr leisten. Das ist eine sehr unerwünschte Lage, die so bald es geht beseitigt werden sollte."

"Fürchte nur, daß einige das mit Gewalt hinbiegen wollen", seufzte Julius. "Das könnte genau das sein, was Voldemort will, daß wir uns gegenseitig fertigmachen."

"An einem offenen Angriff ist Antoinette doch gescheitert. Insofern dürfte es jedem mit Vernunft klar sein, daß solch ein Weg in eine Sackgasse ist", entgegnete Viviane. "Ich vermute jedoch, daß schon daran gedacht wird, die Lage auf eine Weise zu ändern, die nicht in ein hoffnungsloses Zauberergefecht führt. Dann werde ich jetzt mal weiterziehen, um die mir zugegangenen Neuigkeiten an die richtigen Empfänger zu bringen." Viviane verließ Aurora Dawns Gemälde und hinterließ einen leeren Hintergrund. Julius saß einige Minuten auf seinem Bett und dachte über das alles nach, was er in den letzten Minuten gehört und besprochen hatte. Vielleicht dachte Antoinette Eauvive an eine Möglichkeit, die Schlangenkrieger aus Altaxarroi zu bekämpfen, ohne Ailanorars Stimme benutzen zu müssen. Als er sicher war, im moment keine neuen Ideen zu finden, kehrte er in den Aufenthaltsraum der Grünen zurück, wo er sich mit Laurentine und Céline darüber unterhielt, daß durch die Postblockade auch keine neuen Nachrichten aus der magielosen Welt durchkamen und Laurentine deshalb wohl meinte, total abgeschnitten zu sein. Dagegen konnten Céline und Julius nichts machen. Doch was für Laurentine galt betraf ja auch die anderen Muggelstämmigen wie Marie van Bergen, Louis Vignier oder Pierre Marceau. Er verstand auch, daß Laurentine davon ausging, ihre Eltern könnten jetzt endgültig mit der Zaubererwelt verkracht sein, weil sie absolut nichts mehr von ihrer Tochter hörten.

Als die Bettkontrollen vorüberwaren sprachen die Saalsprecher und die verbliebenen Sechst- und Siebtklässler noch über die Zukunftsaussichten. Zumindest waren die meisten jetzt davon überzeugt, daß Didiers Vorgehen falsch war und es besser wäre, wenn er oder ein anderer Zaubereiminister die Friedenslager auflösen sollte. Giscard hatte über Umwege aus dem Violetten Saal erfahren, daß Suzannes Eltern bei ihrem Verwandten, dem sogenannten Zaubereiminister, angefragt hatten, wo ihre Tochter gelandet sei. Denn diese war seit nun bald zwei Wochen verschwunden. Julius meinte dazu nur: "Würde mich absolut nicht überraschen, wenn die versucht hat, ihrem Onkel die Meinung zu sagen oder ihn wie auch immer von seinem Kurs abzubringen versucht hat und dafür auch in einem Friedenslager verschwunden ist. Es gab schon immer Herrscher, die keine Rücksicht auf verwandte nahmen, wenn diese ihre Macht bedroht haben. Meine Mutter hat ein Buch über Kaiser und Könige, wo das drinsteht. Hat sie mich mal drin lesen lassen, als ich ihr erzählt habe, daß wir keinen Geschichtsunterricht haben, wo auch magielose Herrscher abgehandelt werden."

"Aber dann sollte der den Eltern von Suzanne doch zumindest sagen, daß ihre Tochter in Sicherheit ist, so blöd das auch klingt. Immerhin hat er durch die Zeitung doch behauptet, diese Friedenslager könnten auch von Leuten bewohnt werden, die Angst vor Übergriffen haben. Wenn es stimmt, daß das meiste in der Zeitung erlogen ist, könnte der denen doch schlicht auftischen, sie habe darum gebeten, weil sie sich wegen ihrer Verwandtschaft mit ihm bedroht fühle."

"Vielleicht hat er denen das auch so erzählt, und sie wissen nicht, ob sie ihm das glauben sollen", vermutete Julius. Céline meinte dazu nur: "Oder sie wagen es nicht, das zuzugeben, weil sie dann ja auch zugeben müßten, daß sie ihrem netten Anverwandten mißtrauen. Dann könnten sie selbst ja ganz freiwillig in einem Friedenslager verschwinden."

"Na klar, ganz freiwillig", knurrte Yvonne Pivert.

"Wie denn sonst?" Fragte Giscard gehässig grinsend. "Wenn du ganz freiwillig was machst, was dich da hinbringt, dann wolltest du auch dahin, Yvonne."

"Dieser Logik kann ich mich wohl nicht entziehen", schnarrte Yvonne. Julius nickte bestätigend. Dann fragte er sie noch, was sie von ihrem Vater neues gehört hatte. "Der ist jetzt wieder in Australien. Meine Mutter meinte, dem sei es nicht so schwer gefallen, Beauxbatons abzuhaken. Didier habe ihm zwar einen Posten bei der Tierwesenbehörde angeboten, aber er wolle lieber in der freien Forschung bleiben, da verdiene er mehr Geld und Anerkennung. Abgesehen davon hat er es nicht so gut mit Leuten aus der Tierwesenbehörde. Die sind alle zu sehr auf Madame Latierres Linie, auch wenn die seit der öffentlichen Ungnade der Latierres nicht mehr im Ministerium sein mag."

"Dann kann er diese Schafsmenschen weiterbetreuen", sagte Julius dazu. Yvonne bedachte diese Bemerkung nur mit einem Nicken.

Gegen viertel vor zwölf lag Julius in seinem Bett. Millie schlief wohl schon, wie er am etwas langsameren Pulsieren seines Zuneigungsherzens fühlen konnte. Also überließ er sich auch dem Schlaf und der Fortführung von Darxandrias Unterricht, nicht ahnend, welche Überraschung ihm bevorstehen sollte.

__________

Martha Andrews dachte erst, eine gemalte Version zu sehen, wie sie sie ja auch von Aurora Dawn kannte. Doch als diese von einem Lichtwirbel umfangen wurde, der aus Vivianes Bild in das Wohnzimmer Professeur Faucons hineinwuchs und zu einer dreidimensionalen Lichtspirale wurde, konnte sie nur noch stumm staunend dastehen und zusehen. So etwas hatte sie bisher nur einmal sehen dürfen, im Konferenzzimmer Madame Maximes. Als die Lichtspirale sich langsam auflöste und dabei erst eine durchsichtige Leuchterscheinung in Gestalt einer Menschenfrau freigab und diese dann Fleisch und Blut wurde, war ihr klar, daß auch Antoinette diesen Zauber benutzen konnte, den ihr Sohn und Glorias Großmutter Jane benutzen konnten. Als Antoinette Eauvive völlig unerwartet im Wohnzimmer Professeur Faucons erschienen war, legte diese ihre Finger auf die Lippen und blickte Martha Andrews sehr entschlossen an. Diese gewannjetzt auch wieder ihre Fassung zurück. Das Intrakulum, jener scheibenförmige Gegenstand, den Antoinette an einer Silberkette um den Hals trug, war doch nichts geheimes. Sie und Julius hatten es ihr doch erklärt, daß es lediglich der entsprechenden Edelmetalle, Edelsteine und zehn Wochen intensiver Zauberarbeit bedurfte, ein solches Artefakt herzustellen. Dann genügte ein naturgetreues Abbild des dafür vorgesehenen Benutzers, um es auf diesen abzustimmen. Warum sollte Antoinette also nicht auch so einen mächtigen Gegenstand herstellen, wo sie doch schon länger wußte, was Julius vor etwas mehr als zwei Jahren unternommen hatte? Antoinette Eauvive horchte wohl in sich hinein. Danach ließ sie ein Stück Pergament aus ihrer weiten Umhangstasche auf den Boden fallen. Dann winkte sie Martha zu sich hin.

Martha wollte schon fragen, seit wann Antoinette ein Intrakulum besaß, als Antoinette ihren Zauberstab auf sie richtete und mit einer lässigen Abwärtsbewegung gegen sie schwang. Sie hätte fast geschrien, als die Welt um sie herum anschwoll. Der Raum dehnte sich rasant aus. Antoinette wuchs innerhalb weniger Sekunden zu einer turmhohen Titanin an, deren Gesicht mindestens hundert Meter über Marthas Kopf mit metergroßen Augen auf sie herabblickte. Sie wollte gerade noch was sagen, da hob sie ab und flog durch die zu sirupdickem Zeug gewordene Luft in Richtung des nun baumlangen und dicken Zauberstabs. Antoinette fing sie schnell aber gerade noch behutsam genug mit der übermäßig überdimensionierten Hand auf, in deren Haut Martha nun die einzelnen Poren wie kleine Krater sehen konnte. Keine Sekunde später landete sie in einem netzartigen Etwas. Das Atmen fiel ihr langsam schwer. Es war so, als müsse sie die Luft in sich hineinsaugen wie ein schwer arbeitender Blasebalg. Dann hörte sie ein lautes Zischen und Fauchen ohne einen Hauch von Betonung. "Per Intraculum transcedo!" Julius' Mutter sah durch die fliegengitterartigen Maschen jenes gewaltigen Netzes, in dem sie hing, wie ein helles Licht aufleuchtete. Dann fühlte sie einen Sog auf sich einwirken. Das Licht wurde blendendhell. Sie schloß die Augen und meinte, im Inneren eines Tornados davongerissen zu werden. Beinahe verlor sie die Besinnung. Dann ließ der mörderische Sog auf einen Schlag von ihr ab. Sie zögerte, die Augen zu öffnen. Sie fühlte ein wildes Schaukeln wie auf einem Schiff im Sturm. Dann empfand sie es so, als würde der mörderische Sog sie wieder erfassen. Sie fühlte einen Ruck, der sie in die sirupartige Luft warf, aber innerhalb des engmaschigen Netzes zurückhielt. Unvermittelt wurde sie von zwei übergroßen, warmen Etwassen ergriffen, daß sie meinte, gleich zerquetscht zu werden. Sie riß die Augen auf und sah, daß sie zwischen Daumen und Zeigefinger der zur Überriesin angewachsenen Antoinette hing. Dann landete sie auf einem bizarren Boden, der wie eine Steppe aus rotem, braunem und beigem Gras aussah und meinte, auf einem nachgiebigem Stamm zu balancieren. Dann fühlte sie einen gewaltigen Druck, der sie von innen her zu sprengen schien. Die Welt um sie herum stürzte in sich zusammen. Die Steppe aus totem Gras wurde innerhalb von Sekunden zu einem rot-grün-beige gemusterten Wollteppich. Antoinette schrumpfte vom wandelnden Wolkenkratzer zur Menschenfrau zurück, die einen halben Kopf kleiner als Martha war. "Ah, wie ich sehe hast du den ruppigen Transport wohlbehalten überstanden, Martha", sagte Antoinette, als Martha gerade fragen wollte, wo sie waren. "Ich bitte erst einmal um Entschuldigung dafür, dich so unvorangekündigt aus Professeur Faucons Haus entführt zu haben. Außerdem wird es dich vielleicht erschreckt haben, daß auch ich ein Intrakulum besitze. Sogesehen ist das der einzige schnelle Weg nach Millemerveilles hinein. Ich habe Catherine aufgeschrieben, sie möge sich keine Sorgen um dich machen und schweigend dort warten, wo ich dich abgeholt habe. Daran hat die gute Blanche Faucon nicht gedacht, daß man auf diese Weise ihr Haus betreten kann. Dieses kleine aber nicht zu mißachtende Loch sollte Catherine dann besser stopfen, sobald du wieder im Haus bist."

"Die Patrouille über Millemerveilles könnte deinen Zauberspruch mitgehört haben. Der Raum ist kein Klangkerker", sagte Martha.

"Dafür war ich hoffentlich zu leise. Aber das ist dann ein Grund mehr, diesen Zugang auch noch zu verschließen, wenn du wieder bei euch bist", entgegnete Antoinette ruhig. "Dieser Raum ist im übrigen ein dauerhafter Klangkerker, mein privater Arbeitsraum. Denn auch über meinem altehrwürdigen Familienstammsitz kreisen die Geier Didiers und warten darauf, mich tot oder lebendig in ihre korrupten Krallen zu bekommen. Der weit über alle verständlichen Ziele hinausgeschossene Janus Didier wird es immer noch nicht verwinden können, daß ich mich und meine Freunde mit einem Notfluchtzauber versehen habe, ähnlich wie Catherine ihn mit dir angestellt hat. Mein geschätzter Nachfolger Moureau hat Befehl, mich nicht mehr in den Räumen der Delourdesklinik zu dulden und mich den Landfriedenswächtern auszuliefern. Allerdings ist er an die Heilergesetze gebunden, die über alle Zaubereiministerialgewalt erhaben sind. Er hält mit mir über Serena Delourdes' und Vivianes Gemälde Kontakt zu mir. Rausgehen kann ich im Moment nicht, obwohl ich immer noch aprobierte Heilerin bin und daher die Pflicht hätte, mein Wissen und Können zum Wohl der magischen Mitmenschen anzuwenden. Mein derzeitiger Nachfolger in der Klinik hat mich jedoch zur Nachforschung abgestellt, will sagen, ich möge bis auf weiteres nur nach neuen oder fast vergessenen Heilverfahren suchen. Und das mache ich halt." Martha sah Antoinette fragend an. "Natürlich möchtest du jetzt wissen, weshalb ich dich auf diese abrupte Weise zu mir holte. Mir ist dein Dilemma mit dem Muggelabwehrunterdrückungstrank bekannt. Wenn Joseph Brickston und du euch den noch verfügbaren Trank teilt, reicht er wohl gerade noch zwei weitere Wochen. Wird einer von euch beiden in Zauberschlaf versetzt, daß ihn der Abwehrzauber nicht aus Millemerveilles hinaustreiben kann, würde der Trank gerade so noch an die Weihnachtswoche heranreichen. Allerspätestens dann müßtet ihr beide entweder im magischen Tiefschlaf überdauern oder an einen nicht so drastisch gegen Menschen ohne aktive Magie abgesicherten Ort wechseln. Catherine hat bekundet, ihren Ehemann so oder so nicht aus Millemerveilles hinauszuschicken, solange die Gefahr durch Didier und diese Brut aus der alten Zeit, deretwegen Julius im Sommer diese Alpträume hatte, nicht ausgeräumt ist. Du hättest drei Möglichkeiten zur Auswahl: Dich irgendwo in der nichtmagischen Welt verstecken und zu hoffen, daß Didiers Rufmordkampagne keine Verfolgung durch Muggelweltordnungshüter beinhaltet, dich im Château Tournesol bei deinen neuen Verwandten aufzuhalten oder deinem Recht als anerkanntes Mitglied der Eauvive-Familie gemäß hier im Château Florissant Schutz zu suchen. Nun erfuhr ich von Viviane, daß geplant sei, künstliche Elektrizität zu erzeugen, um Joseph und dir die Möglichkeit zu geben, eure mitgenommenen Rechenapparate zur Informationsbeschaffung und -auswertung weiterverwenden zu können. Florymont erklärte es Viviane in einem provisorischen Klangkerker, daß er an der Herstellung sogenannter Solarzellen arbeite, die dem Sonnenlicht genug Kraft entnehmen, um sie euch als Elektrizität zur Verfügung zu stellen. Jetzt ist es so, daß durch die hier und bei Ursuline gebündelte Magie zusätzlich zum Sanctuafugium-Schutz solche Apparaturen unbrauchbar sind, solange sie in der Wirkungssphäre dieses Zaubers aufbewahrt werden. Du könntest dann nicht weiterhin für uns zwischen deiner Lebenswelt und unserer kommunizieren. Daher ist es mir sehr wichtig, zu klären, ob du auch ohne den bisherigen Morgentrunk in Millemerveilles bleiben kannst."

"Soweit ich erfahren durfte wehrt dieser Zauber, gegen den ich den Trank nehmen muß alle Menschen ab, die magisch inaktiv sind, also keine nach außen wirksame Zauberkraft entfalten können", erinnerte sich Martha Andrews. Antoinette nickte zwar bestätigend, wandte dann aber ein:

"Sofern Menschen nicht von einer gutartigen bis neutralen Zauberkraft durchdrungen sind, Martha. Ich habe meiner werten Kollegin Hera Matine früher sehr ausgiebig zugehört, wenn es darum ging, warum Menschen ohne wirksame Magie im Körper so rigoros abgewehrt werden. Es geht tatsächlich um eine Wechselwirkung, beziehungsweise um das Ausbleiben einer solchen. Wer ein gewisses, medimagisch meßbares Zauberkraftpotential aufweist, interagiert mit dem Verdrängungszauber. Stell dir einen Ruderbootfahrer auf einem reißenden Strom vor. Wenn er die Ruder aus dem Wasser hebt und nicht versucht, gegen den Strom anzukämpfen, wird er abgetrieben. Hält er die Ruder einfach nur ins Wasser und stemmt sich nur dagegen, wird er langsamer abgetrieben. Wenn er gegen den Strom anrudert und stärker ist als die Strömung, kann er sogar, wenn vielleicht auch mit großer Mühe, flußaufwärts fahren. Wir, die wir aktive, also nach außen wirksame Zauberkräfte besitzen, sind die Ruderer, die ohne es körperlich zu fühlen gegen den abtreibenden Druck von Millemerveilles anrudern und dort ob schlafend oder wachend, problemlos so lange wir wollen verweilen können, solange unsere Magie nicht zu oft zu schädlichen Zwecken benutzt wurde. Wer mit Magie Mitmenschen unterwirft, foltert oder tötet, und dies aus purer Machtgier und ohne Gewissen und Reue, verdirbt es sich mit Millemerveilles. Um das simple Bild vom Ruderer auf dem Fluß zu bemühen: Ein Magier, der willentlich Schadenszauber gegen seine Mitmenschen anwendet rudert mit Leibeskräften stromabwärts. Aber pssst, muß Hera nicht wissen, daß ich das klar erkannt habe, weil sie und ihre Kollegen dort nicht möchten, daß man was gegen diese Schutzvorrichtung unternimmt."

"Dann wäre dieser Zauber doch eher eine massive Kugelzone und keine Blase, geschweige eine Kuppel", dachte Martha an.

"Soweit ich das erfaßt habe ist er an der außengrenze eben maximal verdichtet. nach innen wirkt er anziehend, nach außen abstoßend. Dies führt zu einer verdichteten Grenzzone. Auf tote Gegenstände und elektrische Vorgänge wirkt sich das nicht aus, zudem der Zauber wohl weiträumig genug wirkt. Bei mir hier im Château Florissant oder bei Ursuline ist der Schutzbann ja nicht der einzige Zauber. Er greift mit vielen anderen Magien ineinander, die im Laufe der Jahrhunderte aufgebaut wurden, teilweise im Mauerwerk selbst konzentriert sind."

"professeur Faucon hat aber auch starke Schutzzauber um ihr Haus gelegt. Warum stören die nicht den Computer?" Fragte Martha.

"Hängt wohl von der Menge und Form der Schutzzauber ab. Womöglich hat sich Blanche nur mit zwei Zaubern begnügt, dem starken Abwehrzauber gegen geistige Zugriffe wie Exosenso und Gedankensprechen und einem Schutz gegen Apparitionen. Was sonst noch an Schutzzaubern existiert könnte sich auf einen kleinen Bereich im Haus selbst beschränken. Aber wir werden zu akademisch, Martha. Was ich eigentlich mit dir vorhabe ist, dir zu helfen, auch ohne nach außen wirksame Zauberkraft in Millemerveilles zu bleiben. Auch wenn ich die Zusammensetzung und Brauphasen des Abwehrbannhemmtrankes nicht kenne muß ich davon ausgehen, daß er den Körper mit einer trägen Magie anreichert, um die Metapher von eben noch einmal zu bemühen, keine Ruder, sondern ein schwerer Anker an einer festen Kette, der sich tief in den Flußgrund senkt und das Boot vollständig an seinem Standort auf dem reißenden Strom festhält. Und jetzt kommen wir nach dem ganzen theoretischen Vorgeplänkel zum Sinn meiner exotischen Einladung hierher. Ich bin der festen Überzeugung, daß ich dich mit einer sich durch dich und mich selbst immer wieder aufrecht haltenden Grundkraft versehen kann, die dir im Bezug zur Muggelabwehr jenen Anker gibt, um in Millemerveilles zu bleiben. Allerdings kann ich den Erfolg nicht garantieren, jedoch zumindest versichern, daß es dir keinen Schaden zufügen wird. Dies wäre sonst ein grober Verstoß gegen die wichtigsten Heilerdirektiven. Im Gegenteil, du würdest dadurch körperlich belastbarer und widerstandsfähiger werden. Ich sehe, du ahnst, worauf ich hinaus will." martha hatte bei der Andeutung, was Antoinette ihr zudachte ein erkennendes Leuchten in den Augen. Dann jedoch schüttelte sie vorsichtig den Kopf.

"Du sprichst von diesem Vita-mea-Vita-tua-Ritual, Antoinette. Aber das soll doch nur bei magisch begabten Personen funktionieren, von denen die Quelle eine mindestens vierfache Hexenmutter ist. Ich weiß zwar, daß du vier Kinder geboren hast. Aber ich bin doch keine Hexe. Insofern würde es wohl bei mir nicht anschlagen. Außerdem hat diejenige, die ich es einmal ausführen sah, Vorbereitungen getroffen, um sich dabei nicht zu verausgaben und traf auf besondere Umstände, weil der Empfänger bereits etwas seiner Lebenskraft in sie und ihre ungeborenen Kinder übertragen hat." Antoinette nickte zwar, und sie wirkte auch nicht besonders begeistert als sie antwortete, doch was sie sagte erschien Martha verständlich und annehmbar.

"Die illustre Hexe, die weder Aufwand noch Mühen scheute, zwölf Kindern das Leben zu schenken, war nicht mit dem Empfänger ihrer Gabe verwandt, und sie hat ihre erst kürzlich geborenen Kinder als Erleichterung in seine Arme gelegt. Ich habe das mit ihr selbst ausgiebig diskutiert, als ich meine gewisse Verärgerung über diesen dreisten Eingriff in das Leben eines meiner Familienmitglieder überwandt. Sie hatte das Recht, sich für ihr Leben und das ihrer Kinder angemessen zu revanchieren, und so wie wir es sehen dürfen, hatte der Empfänger, dein Sohn Julius, diese Gabe auch nötig. Und was dich und mich angeht, Martha, wir beide sind miteinander verwandt, und falls du mir vertraust und dich mir für dieses Ritual öffnest, werden meine drei Töchter Callisto, Chloé und Clementine Körperkontakt mit dir halten, um die Kraft aus mir in dich einfließen zu lassen, auch wenn du selbst keine eigene Zauberkraft besitzt. Falls das gelingt, wirst du körperlich widerstandsfähiger werden, in jeder Faser von lebensspendender Zauberkraft angereichert. Das sollte reichen, um den Verdrängungszauber von deinem Geist fernzuhalten, der bei Abklingen des Trankes gegen dich wirken wird. apropos Trank, da dieser wohl noch bis morgen früh in dir wirkt, kann er auch als Erleichterung für das Ritual dienen, weil er deinen Körper eben mit einem gewissen magischen Potential anreichert, das nur nicht nach außen wirkt. Die Frage ist nur, ob du genug Vertrauen in mich und dieses Ritual hast, um es mich mit dir durchführen zu lassen." Martha überlegte kurz, wog die dafür und dagegen sprechenden Gründe ab. Dagegen sprach nur, daß sie keine Hexe war und daß Antoinette damit eine große, körperliche Anstrengung auf sich nahm, ohne wirklich zu wissen, ob es so funktionierte. Falls die Möglichkeit bestand, daß sie diesem sogenannten Muggelabwehrzauber in Millemerveilles ohne weiteres Zutun widerstehen konnte, und das jeden Tag, eröffnete sich eine Möglichkeit, ihre Arbeit für den Gegenminister Delamontagne und dessen Muggelverbindungsbeauftragte Belle Grandchapeau optimal ausführen zu können. Nur für Joe tat es ihr leid, daß er wohl bei Versiegen des Trankes im Zauberschlaf überdauern mußte. Andererseits würde er zumindest noch mit seinen Kindern Weihnachten feiern können. Sie fragte Antoinette, was schlimmstenfalls passieren würde, wenn sie das Ritual durchführte.

"Schlimmstenfalls fließt von mir ein erheblicher Teil Ausdauer ab, ohne dir die gewünschte Anreicherung zu geben, Martha. Dieses Ritual hat, soweit ich als langjährige Heilerin weiß, keine eindeutig schädlichen Auswirkungen auf den Empfänger. Sonst hätte ich es niemals als Alternative zum Trank angedacht."

"Kannst du daran sterben, wenn du Kraft verlierst?" Fragte Martha.

"In dem Moment, wo ich zu viel Ausdauer verbrauche und bewußtlos werde, versiegt der Kraftfluß. Es kann sein, daß ich dann ohnmächtig werde und mehr als einen Tag nicht erwachen kann. Aber zum einen wird meine Tochter Clementine anwesend sein, um mich unverzüglich zu behandeln. Zum Anderen besteht die Möglichkeit, daß sie von meinen beiden anderen Töchtern Lebenskraft auf mich zurückübertragen kann, um eine lebensgefährliche Erschöpfung abzuwenden. Ich habe es mir gut überlegt, sehe jedoch ein, daß du dich natürlich über alle Eventualitäten informieren möchtest."

"Berufskrankheit, Antoinette. Ich verbringe einen Großteil meiner Arbeit damit, Fehlerquellen zu suchen und zu verstopfen, damit das, was ich am Ende abliefere, möglichst fehlerlos ablaufen kann. Und weil das nicht immer zu garantieren ist, sichere ich mich in der Hinsicht immer ab."

"Wenn du das als Berufskrankheit ansiehst haben wir beide die gleiche, Martha. Auch eine Heilerin muß genau abwägen, wie eine Therapie wirkt und welche Nebenwirkungen sie hervorrufen kann, ob diese im zulässigen Rahmen auftreten oder besser durch Begleitmaßnahmen abgefangen werden sollen. Gerade bei magischen Erkrankungen oder verpatzten Zaubertrankrezepturen ist der Ausgang einer Behandlung nie hundertprozentig vorherzusagen." Martha nickte. Unbekannte Faktoren waren immer das Problem bei solchen komplizierten Arbeiten. Dann befand sie, daß Antoinette offenbar das Risiko auf ein vertretbares Maß reduziert hatte. Eine unbekannte Variable, die ihr jedoch Sorgen bereitete war die Zusammensetzung des Trankes und wieso er so wirkte wie er wirkte. Das sagte sie auch Antoinette.

"Fühlst du körperliche Auswirkungen des Trankes oder empfindest du deine Umwelt anders, wenn du ihn trinkst?" Fragte Antoinette Eauvive. Martha verneinte beides. "Nun, dann wird er lediglich jenes Ankerpotential ausbilden, ohne deinen Körper oder sonstigen Geisteszustand zu beeinflussen. Er schirmt dich halt nur von dem Drang ab, Millemerveilles so schnell wie möglich zu verlassen oder gar nicht erst dort sein zu wollen." Martha nickte. Dann sagte sie zu. Falls das Experiment nicht klappte, hatten sie es zumindest versucht. Und falls es klappte, konnte sie unbeeindruckt von diesem Abwehrbann in Millemerveilles bleiben. Ein schlechtes Gewissen wegen Joe verging sofort wieder. Denn Joe wußte, daß er im Moment nirgendwo auf der Welt herumlaufen konnte, solange die Dementoren im Land herumstrolchten. So sagte sie zu. Antoinette verharrte für eine halbe Minute in konzentrierter Haltung und sagte dann: "Callisto, Chloé und Clementine kommen gleich. Ich habe ihnen geraten, sich bis auf weiteres hier aufzuhalten. Du hast ja mit Chloé gesprochen, als wir unsere Familienbegrüßungsfeier hatten. Sie arbeitet sonst mit afrikanischen Zauberpflanzen, kam aber sofort zu mir, als dieser leider fehlgeschlagene Versuch ruchbar wurde, Didier noch rechtzeitig zu stoppen. Callisto und ihre Familie sind daraufhin gleich in das Schloß umgezogen, um diesem überängstlichen Aktionisten nicht als Faustpfand gegen mich in die Hände zu fallen. Tja, und Clementine hat sich erboten, mir bei meiner Forschungsarbeit für die Heilerzunft zu assistieren", erläuterte Antoinette. Da klopfte es auch schon an der Tür zum Arbeitszimmer. Herein traten die drei Töchter Antoinettes. Martha wußte aus der Familienchronik, daß Sébastian, der einzige Sohn, als Empfangschef des Zaubererhotels Sternenhaus bei einem Überfall jenes achso unnennbaren Hexenmeisters getötet wurde, wie auch Catherines Vater. Clementine sah Martha schelmisch an und meinte: "Hast du Maman zugestimmt, daß du unsere Schwester werden möchtest."

"Nun, wohl eher im übertragenen Sinne gesprochen", erwiderte Martha, bevor ihr aufging, daß die Formulierung "im übertragenen Sinn" in diesem Zusammenhang scherzhaft herüberkommen mochte, wo es um ein Übertragungsritual ging. Deshalb wunderte sie sich auch nicht, als die drei gestandenen Hexen lachten. Antoinette fragte sie dann noch, ob Didiers Späher, die sie als Geier bezeichnete, immer noch über dem Schloß herumflogen.

"Es sind diesmal die vier von der gestrigen Tagesschicht, Maman", sagte Chloé. Die haben keinen Dunst, daß wir Besuch haben."

"So soll das auch bleiben. Ich weiß nämlich nicht, ob Didier an die geheimen Informationen im Zaubereiministerium herankommen kann, die nur einem amtierenden Zaubereiminister oder einer Zaubereiministerin zugänglich sind und daher mitbekommen hat, daß es vielleicht noch einen Weg gibt, um schnell zwischen zwei weit entfernten Standorten zu wechseln. Nicht jeder informiert sich über die magische Malerei und ihre besonderen Möglichkeiten", erwiderte Antoinette. Dann bat sie ihre drei Töchter, sich hinter Martha hinzustellen, die in einen gemütlichen Sessel hineinbugsiert wurde. Sie wußte, wie das Ritual ablaufen würde. Zwei der drei jüngeren Hexen ergriffen sie mit beiden Händen an den Armen, sachte zwar aber fest genug, um guten Halt zu haben. Die dritte, Clementine, legte ihre Hände flach an Marthas Wangen, während Antoinette der Besucherin die Schuhe und Nylonstrümpfe auszog. Martha schloß ihre Augen, als die amtierende Familienmutter der Eauvives ihren Unterleib entblößte und sich behutsam auf Marthas nackte Füße hockte. Sie entspannte sich, um was auch immer gleich geschehen würde so unverkrampft wie es ging entgegenzunehmen. Da hörte sie jene rituellen Worte, die sie letztes Jahr nach Weihnachten von Ursuline Latierre gehört hatte: "Vita mea Vita tua! Vita mea Vita tua!" Schon bei der ersten Wiederholung fühlte sie, wie etwas merkwürdig kribbelndes in ihre Beine kroch und sich dabei erwärmte. Sie fühlte Antoinettes warmen Unterleib auf ihren Füßen ruhen und meinte, seltsam pulsierende Wellen daraus zu empfangen. Bei der zweiten Wiederholung der rituellen Worte krochen diese Wellen etwas höher in ihren Körper hinauf. Dann erreichten sie ihren eigenen Unterleib. Dann griffen sie auf den Bereich zwischen Brust und Bauchnabel über. Bei der vierten Wiederholung meinte sie, etwas von innen gegen ihre Lungenflügel drücken zu fühlen und gleichzeitig einen gewissen Druck im Kopf zu spüren. War das wirklich das, wie es sein sollte. Antoinette deklamierte ihre Zauberformel erneut. Da meinte sie, der in ihr aufgebaute Druck würde durch ihre Arme und Fingerspitzen abfließen, um gleich darauf als Strom aus wohliger Wärme in sie zurückzukehren. Wärme, die in ihr wallte und sie mehr und mehr ausfüllte. Sie fühlte, wie diese Kraft mit immer neuem Druck in sie hineingepumpt wurde, über die Hände von Antoinettes Töchtern abfloß und aus diesen in sie zurückströmte, bis etwas in ihrem ganzen Körper aufbrach. Anders konnte sie das Gefühl nicht erklären. Es war, als ergieße sich heißes Wasser mit hohem Druck zwischen ihrem Bauchraum und dränge nach außen. Gleichzeitig pulsierte etwas durch ihren Kopf und jagte knapp an der Schmerzgrenze durch alle Nervenbahnen ihres Körpers. Das war doch nie im Leben die Empfindung, die Julius beschrieben hatte. Martha wollte schon ansetzen, zu sagen, daß sie besser aufhören sollten. Da ergriff sie etwas wie ein unbändiges Glücksgefühl, etwas, das ihren Kopf von allen störenden Gedanken freispülte, sie nur in diesem Gefühl von Wärme und Energie baden ließ. Die vier Hexen, die Körperkontakt mit ihr hielten fühlte sie unvermittelt wie ihren eigenen Körper, empfand jedoch keine Angst dabei. Sie hörte einen fünffachen Herzschlag, der einen gemeinsamen Takt fand, während Antoinette Eauvive die Formeln weitersprach, die jetzt nicht nur über die Ohren in Marthas Bewußtsein drangen, sondern in ihr selbst zu entstehen schienen, ihren Körper und Geist zum mitschwingen anregten. Jede Wiederholung war so, als entlade sich eine ungeahnte Energie in ihren Körper hinein, pulsierte im Takt der fünf Herzen. Dann hörte Antoinette mit dem rituellen Sprechen auf. Doch in Martha wogte nun etwas unbändiges, das sie glücklich und sorglos stimmte, sie kräftigte und erwärmte, als habe jemand einen Staudamm gesprengt, und warmes Wasser ergieße sich nun ungehindert ins versperrte Tal. Doch es war keine vernichtende Flut, sondern ein mitreißender Strom der Geborgenheit. Martha vermeinte, trotz geschlossener Augen eine Flut von Lichtern vor sich zu sehen und gab sich diesem pulsierenden Gefühl in ihrem Körper hin, bis es Takt für Takt verebbte. Als die Herztöne leiser wurden und Martha nur noch ihr eigenes Herz schlagen hören konnte, kehrten auch ihre Bedenken zurück. Das konnte unmöglich das gleiche Ergebnis wie bei Julius gewesen sein.

__________

Catherine Brickston hatte fünf Minuten vor der Wohnzimmertür gewartet. Aus diesen wurden dann zehn. Dann hörte sie Vivianes Stimme: "Catherine, komm bitte ins Wohnzimmer!" Catherine Brickston gehorchte.

Im Wohnzimmer lag ein Pergamentblatt auf dem Boden. Martha selbst war nicht da. Aber sie konnte unmöglich aus dem Raum hinausgetreten sein. Und selbst wenn sie hätte disapparieren können, wäre sie von dem hier wirkenden Schutzzauber zurückgehalten worden. Und wo kam das Blatt her? Catherine bückte sich und hob das Pergament mit der Hand auf. Sie las mit zusehens steinerner Mine:

Hallo Catherine!

Wenn Sie diesen Zettel lesen, werden Sie sich fragen, wo Ihre derzeitige Mitbewohnerin Martha Andrews abgeblieben ist. Ich habe mir erlaubt, wie Julius Latierre ein Intrakulum anzufertigen und Martha zu mir ins Château Florissant mitzunehmen, indem ich sie einschrumpfte und so am Körper verstecken und mitnehmen konnte. Ich bat Viviane Eauvive, so lange bei mir zu bleiben, bis geklärt ist, ob Martha einem Experiment zustimmt, um das Problem mit dem Abwehrbannhemmtrank zu lösen. Ich beabsichtige nämlich, sie diesem Ritual zu unterziehen, dem Ursuline Latierre Julius unterzogen hat, um sich für seine Hilfe zu revanchieren. Falls Martha zustimmt, kann sie wahrscheinlich ohne den Trank in Millemerveilles bleiben. Wenn Sie diesen Zettel lesen, hat martha zugestimmt. Andernfalls hätte ich sie längst schon zurückgebracht. Wenn Viviane Sie in Ihr Wohnzimmer ruft, sind wir wohl wieder da, beziehungsweise, dann habe ich Martha wieder bei Ihnen abgeliefert, wohlbehalten versteht sich.

In der Hoffnung, Sie nicht zu sehr erschreckt und enttäuscht zu haben verbleibe ich

Hochachtungsvoll

Antoinette Eauvive

"Das Ritual. Sie geht davon aus, daß die Verwandtschaft Martha mit einer zusätzlichen Kraft auflädt, um dem Abwehrzauber widerstehen zu können", dachte Catherine. "Aber Martha ist noch nicht wieder da!" Sie trat an Vivianes Bild heran und fragte im Flüsterton, was geschehen sei. Vivianes Bild-Ich sagte nur: "Sie schläft diese Nacht in meinem Stammschloß. Morgen früh mehr."

"Haben sie es getan?" Flüsterte Catherine so leise es für Vivianes gemaltes Ich noch ging. Dieses nickte nur. Catherine verstand. Irgendwas mußte wohl nicht so gelaufen sein wie geplant. Sie hoffte nur, daß Antoinette die Situation im Griff behielt. Dann fiel ihr ein, daß wenn Antoinette mit einem Intrakulum zu ihnen vordringen konnte das jeder andere Zauberer oder eine Hexe auch tun konnte. Gegen dieses Artefakt gab es keinen wirksamen Zauber außer alle magischen Gemälde abzuhängen. Andererseits konnte ein Fremder ja nur dann auf diese Weise zu ihr gelangen, wenn er ein Portrait Viviane Eauvives besaß und dieses ihn oder sie durch die Bilder herübertrug. Doch im Moment bereitete es ihr eher Sorgen, was aus Martha geworden war. Wenn sie vor morgen Mittag um halb zwölf nicht wieder da war, mußte jemand ihr den Trank bringen, wenn sie wieder nach Millemerveilles zurückkehren sollte. Es sei denn, das Ritual war erfolgreich und hatte Martha mit einer magischen Essenz angereichert, die ausreichen mochte, sie als eine Art Postnatalsquib zu markieren. Schon überhaupt eine außergewöhnliche Idee, dieses Ritual als Magieauflader zu sehen. Doch im Moment konnte sie nichts anderes tun. Sie wollte kein lautes Wort sprechen, um mögliche Mithörer nicht mit den Nasen daraufzustoßen, daß hier etwas nicht stimmte. Schon gar nicht durften die wissen, daß es noch einen Weg aus Millemerveilles gab, den sie nicht so einfach kontrollieren konnten. So blieb Catherine nur der lautlose Rückzug in das Schlafzimmer. Joe war bereits tief eingeschlafen. Claudine in ihrem Kinderbett erwachte auch nicht. Sie würde wohl gegen fünf Uhr was wollen. Langsam schaffte sie es, durchzuschlafen, was Catherine sehr behagte.

__________

"Ihr dürft sie jetzt loslassen", sagte Antoinette sichtlich angestrengt klingend. "Ich fürchte, ich habe womöglich doch etwas wichtiges übersehen oder falsch eingeschätzt. Diese Entladungen und Verstärkungen waren nicht das, was ich von diesem Ritual kenne."

"Kann sein, daß es verkehrt war, uns drei als Verstärker zu nutzen, Maman", sagte Clementine. "Womöglich haben wir es zu gut gemeint." Martha riß die Augen auf und sah gerade noch, wie Antoinette ihre Blößen bedekte.

"Habe ich mich verändert?" Fragte sie und erkannte teilweise beruhigt, daß sie noch ihre gewohnte Stimme besaß. Dann schaute sie an sich herunter. Nein, ihr Aussehen hatte sich nicht geändert.

"Nein, du bist noch so wie vorher, zumindest körperlich, Martha", sagte Clementine. Callisto und Chloé halfen ihrer Mutter, sich bequem zu betten, um sich von dem anstrengenden Ritual zu erholen.

"Clementine, untersuche sie bitte, ob ihre Körperwerte sich verändert haben und wie ihre Ausstrahlung ist", keuchte Antoinette. Clementine machte sich ohne eine Antwort zu geben ans Werk. Sie führte ihren Zauberstab über Martha und hielt einige Meßgeräte an ihren Körper und Kopf. Irgendwie schien sie dabei über irgendwas verunsichert zu sein.

"Wir hätten vorher eine Aurometrische Bestimmung machen sollen", sagte Clementine. "Dann könnte ich das klar abgrenzen, was passiert ist. Aber wie es aussieht strahlst du ein magisches Potential aus, daß dem von unserer Mutter ähnelt. sogesehen war das Experiment im Bezug auf die Anreicherung wohl erfolgreich. Allerdings wirkt dieser Wert so, als wäre das keine in sich ruhende Magie, sondern was lebendiges, wie das Potential einer geübten Hexe, etwas, daß Didiers Leuten hilft, Muggel von Magiern zu unterscheiden, wenn sie diese an den Muggelweltverkehrsknotenpunkten überprüfen. Du hattest keine magischen Gegenstände dabei, nicht wahr?"

"Könnte der Zaubertrank sein, den ich gegen die Verdrängungsmagie geschluckt habe", sagte Martha. Clementine sah ihre auf weichen Kissen liegende Mutter an, die langsam wieder zu Atem kam. "Ähm, Maman, das hättest du mir aber gerne sagen dürfen, daß in Marthas Körper noch ein Trank wirkt. Ich dachte, wir führen das Ritual durch, nachdem die wirkungsdauer verstrichen war."

"Wie sollte das gehen, Clementine? Sie mußte wenigstens die Nacht durchstehen können, ohne in Panik aus Millemerveilles hinauszulaufen."

"Oh, das könnte das Ergebnis des Rituals beeinflußt haben, maman. Martha, beschreibe bitte, was du empfunden hast, während das Ritual vollzogen wurde!" Bat Clementine die Besucherin. Diese erläuterte alle von ihr wahrgenommenen Empfindungen. Chloé übertrug ein wenig von Callistos Ausdauer auf ihre Mutter, die sich nun mit verlegenem Blick anhörte, was Martha empfundenhatte. Als sie beschrieb, daß es sich einmal so angefühlt habe, als sei etwas in ihr aufgebrochen und habe sich ergossen, bemerkte Clementine, daß sie keine inneren Verletzungen hingenommen habe aber ebenfalls ein Gefühl verspürt habe, als sei etwas in sie hinübergesprungen und dann wieder in Marthas Körper zurückgeflossen. Antoinette nickte nur und winkte mit dem Zauberstab, worauf das Buch mit der bisherigen Familiengeschichte der Eauvives aus der Luft herausfiel. Schnell blätterte sie darin herum, las einzelne Passagen, wiegte den Kopf und kam dann wohl zu einem Abschnitt, der ihr die fehlende Erkenntnis brachte. Sie sah ihre drei Töchter an und dann Martha:

"Ich habe, vom Trank abgesehen, etwas wesentliches außer Acht gelassen, Martha. Ich hätte meine drei Töchter nicht als Verstärkerinnen dazubitten müssen, weil wir beide schon nahe genug verwandt sind, daß ich ohne die bisher fehlende magische Potenz in deinem Körper-Geist-Gefüge das Ritual mit dir hätte vollziehen können. Denn du und ich stammen von den beiden selben Kindern Viviane Eauvives ab. Ihre Urenkel verbanden sich wieder und schufen eine Linie, die trotz der Einfügungen anderer Blutlinien ununterbrochen bis zu dir und mir verfolgt werden kann. Wir sind zwar von verschiedenen Zweigen dieser Hauptlinie, aber doch noch nahe genug miteinander verwandt, ähnlich wie es bei Julius und Claire der Fall war, von denen Goldschweif annahm, sie seien Geschwister. Somit wird durch die Zuhilfenahme meiner Töchter das Ritual nicht nur auf den dreifachen Wert gestiegen sein, sondern unter Umständen auf den neunfachen. Wir können froh sein, daß es bei dir keine körperlichen Auswirkungen wie eine Umwandlung in eine andere Frau oder eine ungewollte Verjüngung bis zurück zur Zeugung gab. Dieser magische Fluß hat die in dir scheinbar unweckbare Zauberkraft verstärkt und über die Schwelle treten lassen, die zwischen einer magielosen Frau und einer Hexe liegt. Das müssen wir eindeutig klären, ob du nun ein aktives Magiepotential in dir trägst und ob dieses durch das Ritual dauerhaft vorhanden bleibt oder nur ein Überschuß der aufgewandten Kraft ist."

"Moment mal, soll das heißen, ihr habt mich ohne es zu wollen zur Hexe gemacht?" Fragte Martha verstört dreinschauend. Sie dachte daran, was das für sie bedeuten mochte, plötzlich mit einer Fähigkeit versehen zu sein, die sie nie zuvor hatte und die es zu kontrollieren galt.

"Wie gesagt, daß müssen wir klären, ob es eine reine Verstärkung der durch das Ritual übertragenen Kraft ist oder tatsächlich die Aktivierung deiner unweckbaren Zauberkraft bedeutet", antwortete Antoinette verhalten. "Unsere Blutsbande und der Trank haben es vielleicht ermöglicht, das in dir knapp unter der Schwelle zur Nutzbarkeit liegende Magiepotential zu erhöhen und es über die besagte Schwelle zu heben, wie weit, kann ich nicht abschätzen, weil es für diesen Fall keinen Präzedenzfall gibt."

"Will sagen, das wäre dann der Präzedenzfall", erwiderte Martha. Indes vollführte Clementine weitere Untersuchungen mit einer goldenen Vorrichtung, die wie ein dreieckiger Insektenkopf mit vibrierenden Antennen aussah.

"Ruhepotential bei 1,31. will sagen, Martha steht 0,91 über der Schwelle. Wäre vielleicht nicht so unpraktisch gewesen, den Wert vor dem Ritual gekannt zu haben, Maman", knurrte Clementine. Ihre Mutter nickte abbittend. Wie hatte ihr so ein Versäumnis unterlaufen können? Offenbar rostete ihr Verstand bei diesem Zwangsurlaub ein.

"Moment, Ruhepotential. Wie hoch liegt das für geborene Magier und wie hoch bei sogenannten Muggeln?" Fragte Martha, die sich langsam mit der Vorstellung vertraut machte, womöglich unkontrollierte Zauberkräfte zu besitzen.

"Bei eindeutigen Muggeln bei null. bei Squibs beträgt dieser Wert 0,4 bis 0,75. Alles darüber gilt als vollwertiges Potential zur nach außen bewirkbaren Magie. Wie dieses Meßinstrument den Wert ermittelt ist kompliziert zu erklären. Es vergleicht die ihm eigene Zauberkraft mit den Ausstrahlungen des Körpers, Geistes und der Zwischenwirkung von beidem. Jedenfalls liegt dein Wert jetzt im Bereich der nutzbaren Zauberkräfte, Martha."

"Wäre nicht so unpraktisch gewesen, den Wert vor dem Ritual bestimmt zu haben", wiederholte Clementine. Ihre Mutter sah sie nun tadelnd an und sagte: "Nun, das kann sich noch nach unten korrigieren. Wir behalten dich am besten über Nacht hier und messen jede Stunde, ob dieses Ruhepotential sich verändert. Falls es bleibt wie es ist oder sogar ansteigt sollten wir uns damit anfreunden, deinen zaubererweltlichen Status neu bestimmen zu müssen, will sagen, dann müssen wir daran denken, wie wir dich an deine erworbene, wohl eher freigesetzte Befähigung heranführen, damit du sie kontrollieren kannst. Näheres morgen früh!"

"Unter den Umständen hätte ich das besser doch ablehnen sollen, dieses Ritual mitzumachen", schnarrte Martha, der eine Flut von Gedanken durch den Kopf ging. Doch Antoinette sagte dazu nur: "Wir haben ein Sprichwort, Martha: Verschütteten Zaubertrank kann man nicht mehr in den Kessel zurückfüllen. Warten wir die Nacht ab und sehen dann weiter!" Martha blieb nichts anderes übrig als einzuwilligen. Da der Arbeitsraum ein Klangkerker war sollte sie hier übernachten. Clementine und Antoinette würden bei ihr wachen, um mögliche Veränderungen des gemessenen Ruhepotentials zu registrieren. So wurden zwei Feldbetten hineingestellt. Clementine übernahm die erste Wache.

Am nächsten Morgen mußte Martha sich erst einmal orientieren, wo sie war. Als ihr dann einfiel, worauf sie sich da eingelassen hatte, erschrak sie erst einmal. War das wirklich passiert? Da sie hier in diesem Arbeitszimmer aufgewacht war, mußte sie wohl davon ausgehen, daß es passiert war.

"Das Ruhepotential hat sich nicht verändert", sagte Antoinette, als sie einen Frühstückstisch und eine Waschschüssel hergezaubert hatte. Martha hatte bei jeder Zauberstabbewegung daran denken müssen, daß Antoinette diese Fähigkeiten schon in die Wiege gelegt bekommen hatte. Sie, Martha, war womöglich jetzt im Stande, das alles auch zu lernen. Aber sie wollte bestimmt nicht als erwachsene Frau in eine Schule voller quirliger Teenager gehen.

Nachdem Martha und Antoinette gefrühstückt hatten und das magische Ruhepotential immer noch dasselbe blieb, hörte Martha Antoinettes Stimme in ihrem Kopf hallen. So hatte Julius ihr das Gefühl beim Mentiloquieren beschrieben. "Gut, da ich dich offenbar besser ansprechen kann als bei einer nichtmagischen person üblich machen wir eine kurze Testreihe, um zu dokumentieren, daß du auf Mentiloquismus ansprichst", waren Antoinettes Worte. Sie winkte Clementine, der sie wohl auch eine Gedankenbotschaft übermittelte. Die jüngere Heilerin holte einen Notizblock und eine gewöhnliche Schreibfeder. Dann notierte sie sich etwas, das Martha nicht lesen konnte. Dann erklang Antoinettes Gedankenstimme in ihr: "In Ordnung. Bitte erhebe nur den rechten Zeigefinger!" Martha erkannte, daß ihr Verständnis geprüft wurde. Sie hob den rechten Zeigefinger an. Dann sollte sie den linken Arm anwinkeln. Danach sollte sie weitere Finger heben, bis wohl zwanzig Versuche durch waren. Clementine notierte mit kurzen Strichen die Beobachtungen. Dann hörte Martha auch ihre Gedankenstimme in sich:

"Meine Mutter hat sich kaum angestrengt. Das heißt, du stehst mit ihr und mit uns wohl jetzt in einer sehr guten Verbindung. Gehen wir also daran, zu prüfen, ob nur deine Empfänglichkeit für Gedankenbotschaften geweckt wurde. Folge uns bitte wortlos in die große Halle, wo wir das Familienfest hatten!" Martha folgte, sich langsam mit einer völlig neuen Zukunftsaussicht anfreundend, in die große Halle, in der im Moment weder Tisch noch Stuhl stand. Dort wartete Chloé mit zwei Flugbesen. Als Antoinette, Clementine und Martha eingetreten waren verschloß Antoinette die Tür und wirkte unter Aufbietung einiger Mühe einen die ganze Halle auskleidenden, ockergelben Schimmer an Boden, Wänden und Decke. Das war ein provisorischer Klangkerker. Martha wußte nicht, ob die Abmessungen eines Raumes ausschlaggebend für das Gelingen dieses Zaubers waren oder nicht. Falls ja, dann gehörte da schon eine Menge Kraft und Übung zu, um diesen Trick zu bringen. Was die Besen sollten dämmerte Martha augenblicklich, als Antoinette auf einem davon aufsaß und abhob, um im langsamen Tempo durch die riesige Halle zu fliegen.

"Wenn du es schaffst, auf den zweiten Besen aufzusitzen und abzuheben dürfen wir wohl konstatieren, daß du bis zu deinem Tod magisch aktiv bleiben wirst", sagte Antoinette, die jetzt neben Martha landete. Diese erinnerte sich noch daran, wie sie und Richard in Australien ihren Sohn und Aurora Dawn hatten fliegen sehen können und daß weder Richard noch sie selbst auf diesem Hexenbesen fliegen konnten. Falls sie das jetzt konnte, hatte sie die Hexenprobe wohl bestanden. Sie hoffte nur, daß sie das irgendwie beherrschen lernen würde, ohne den ganzen Streß einer neuen Schulausbildung auf sich nehmen zu müssen. Sie trat neben den zweiten Besen und hielt die Hand über den Stiel. "Besen hoch!" Rief sie. Wie von einem Sprungfedermechanismus geschnellt sprang ihr der Besenstiel in die Hand. Sie hoffte nur, daß Antoinette und Clementine sie nicht hier und jetzt gründlich veralberten und den Besen fernsteuerten. Doch keine der anwesenden Hexen hier hatte den Zauberstab in der Hand. Antoinette hatte beide Hände an ihrem Besenstiel. Clementine und Chloé hielten ihre Hände mit den Handflächen voran nach vorne. Aber der von Martha ermunterte Besen blieb sacht vibrierend in ihrer nicht geschlossenen Hand aufgerichtet. Sie schwang ein Bein über den Stiel und saß auf. Es fühlte sich weich an wie in einem gefütterten Sattel. Dann ergriff sie mit beiden Händen den Stiel und drückte sacht ihre Beine durch, bis sie mit einem ungewohnten Hopfser vom Boden abhob. Sofort konzentrierte sie sich auf ihr Gleichgewicht. Beim Fahrradfahren war das unbedingt wichtig. Doch sie bekam keine Schlagseite. Sie stieg mehrere Meter nach oben. Antoinette folgte ihr, bereit, ihr beizustehen, falls sie abstürzte. Doch Martha konzentrierte sich nur auf sachte Bewegungen. Sie hatte Julius und anderen schon häufig zugesehen, und offenbar setzte sie es um.

"Wer dich so fliegen sieht würde meinen, du hättest das schon eine Stunde lang getan", lobte Antoinette Martha Andrews. "Die Halle ist für Hochgeschwindigkeitsübungen nicht geeignet. Daher habe ich dir den Ganimed 3 gegeben, auf dem Callisto das Fliegen gelernt hat, bevor sie nach Beauxbatons kam. Versuch mal eine sanfte Wende nach rechts! Ganz sachte!" Martha reagierte nun wie eine Ballerina, die exakt den Ansagen des Ballettmeisters folgt. Was blieb ihr auch anderes übrig, wo sie bereits über fünf Meter über dem Boden dahinglitten. Sie flog dieses Hexending. Das hatte Julius, ihr und Richard überhaupt verraten, daß er dieses Zauberpotential hatte, um nach Hogwarts zu gehen. Zauberpotential, daß offenbar nun auch in ihr erwacht war. Sie flog die Wende nach rechts, hielt sich so gerade sie konnte und beschrieb einen weiten Kreis. Langsam gewöhnte sie sich an diese bisher so ungewohnte Fortbewegungsweise. Dann sollte sie landen, um es nicht gleich zu sehr herauszufordern.

"Wenn eine Frau auf einem Besen dahinfliegt ist sie eine Hexe. Quod erat demonstrandum!" Erklärte Antoinette, als Martha nach einer holperigen Landung wieder vom Besen gestiegen war.

"Heißt das, ihr müßt mich nach Beauxbatons schicken, damit ich da mit den ganzen Knirpsen der ersten Klasse neu anfange, womöglich mit Babette zusammen?"

"Hmm, wie du gestern schon gesagt hast haben wir hier einen Präzedenzfall, Martha. Bis heute ist es keinem gelungen, ein bis dahin nicht vorhandenes Zauberkraftpotential so stark zu aktivieren, daß damit nach außen wirksame Effekte erzielt werden können. Den Regeln der magischen Ausbildung nach müssen alle Kinder mit magischer Begabung in Beauxbatons aufgenommen werden. Da du aber kein Kind mehr bist, ist diese Bestimmung für dich nicht verbindlich. Außerdem kann ich dich mir auch nicht in einer Klasse voller Elf- und Zwölfjähriger vorstellen. Deshalb werde ich deine Ausbilderin sein. Immerhin habe ich ja unbegrenzten Urlaub, und deine unverhofft aktivierten Fähigkeiten zu beobachten und auszubilden ist für eine Heilerin ebenso informativ wie das Rühren in Zaubertrankkesseln."

"Hinzu kommt die Wiedergenesungsklausel in der Ordnung der Delourdesklinik", wandte Clementine ein. Ihre Mutter nickte und erklärte dann, daß damit gemeint sei, daß jemand aus der magischen Welt, der nach einem schweren Unfall oder einem vorübergehenden Gedächtnisverlust neu in der Handhabung der Magie ausgebildet werden solle, unabhängig davon, ob die seine erlernten Kenntnisse zerstörende Erkrankung von ihm selbst oder anderen verursacht wurde. "Insofern habe ich auch die Möglichkeit, erwachsene Hexen und Zauberer im Gebrauch ihrer Zauberkräfte auszubilden."

"Könnte es nicht auch sofort vorbeigehen, wenn der Trank nachläßt. Vielleicht katalysiert der diese Fähigkeiten", wandte Martha ein.

"Wenn der Trank was katalysiert hat dann die zwischen uns beiden mögliche Übertragung von Zauberkraft", erwiderte Antoinette. "Wann soll denn die Wirkung nachlassen?" Martha erzählte es ihr. "Gut, dann bleibst du bis dahin bei uns, damit wir dein Ruhepotential noch einmal messen können. Falls es sich nicht drastisch nach unten verändert solltest du dich damit abfinden, die Nachmittage bei mir zuzubringen oder an einem verborgenen Ort, wo keiner von Didiers Geiern dich beobachten kann. Denn einstweilen möchte ich den Ausgang dieses Experimentes so wenigen Leuten wie möglich erläutern. Da ich davon ausgehe, daß du Catherine einweihen möchtest, werde ich sie nach Ablauf der Wirkungszeit herüberholen. Falls das Potential sich wahrhaftig auf einen submagischen Wert absenkt, prüfe ich, ob das Restpotential reicht, um das primäre Ziel erreicht zu haben, dich in Millemerveilles unangefochten weiterleben zu lassen. Falls es nicht ausreicht, trinkst du den Trank, und wir messen noch einmal nach. Dann haben wir es amtlich, daß er das bewirkt hat. Falls sich das Potential, wie ich längst vermute nicht weiter absenkt sollten wir für dich einen Zauberstab beschaffen, der auf dich persönlich abgestimmt ist. Dann werden wir sehen, wie weit wir dich in magischen Grundlagen ausbilden können. Falls du dabei auf den Geschmack kommen solltest, so viel wie möglich zu lernen, werden wir für dich ein detailliertes Ausbildungsprofil erstellen."

"Falls dieses Potential nicht sinkt und ich ... eine postnatal aktivierte Hexe sein soll ... ändert sich dadurch was in meinen gesellschaftlichen Beziehungen?"

"Unter Umständen schon. Du hättest Mitspracherecht in der Zaubererwelt, könntest dich an irgendwann vielleicht wieder freien Ministerwahlen beteiligen und hättest das Recht auf eine magische Ausbildung wie dein Sohn. Nur die Fürsorge in magischen Angelegenheiten würde ich vorerst bei denen belassen, die sie gerade haben, weil die umfassend ausgebildet und mit ihren Zauberkräften erfahren sind. Allerdings könntest du dieses Fürsorgerecht auch wieder beanspruchen, solange Julius minderjährig ist. Aber dies entscheiden wir besser, wenn eindeutig ist, ob du permanente Zauberkräfte besitzt oder nicht", erwiderte Antoinette. "Wie gesagt, durch das Ritual und den Körperkontakt zwischen mir, dir und meinen Töchtern, bist du so oder so zu einer vierten Tochter von mir geworden. Sollte es sich erweisen, daß du nach zwölf Uhr immer noch auf dem Besen fliegen kannst, gilt die von mir erwähnte Definiition wohl bis zu deinem Tode. Denn wenn ein Potential bewußt genutzt wird, wird es sich eher verstärken als abschwächen."

"Das muß ich erst alles einordnen", seufzte Martha. "Das ist so wie damals, wo Julius diese Mitteilung bekommen hat oder wie damals, wo mir bescheinigt wurde, schwanger zu sein. Neue Situationen lassen sich nicht in einer Minute abwägen."

"Das verlangt jetzt auch niemand von dir. Warten wir also ab!" Martha wiegte den Kopf, als Antoinette das sagte. Ihr fiel ein, daß in England gerade alle sogenannten Muggelstämmigen deshalb belangt wurden, weil sie angeblich Zauberkraft von geborenen Hexen und Zauberern gestohlen haben sollten. Das erwähnte sie auch gegenüber den drei Hexen.

"Ja, ich habe dieses rosarote Hetzblatt gelesen", schnarrte Antoinette Eauvive. "Bis gestern abend habe ich nicht gedacht, daß so etwas wirrklich möglich ist. Und wenn du alle Koinzidenzen zusammennimmst, die wir gestern hatten, die Verwandtschaft zwischen uns, der Abwehrtrank, meine drei Töchter als Hilfen und der Umstand, daß ich dir freiwillig von meiner Lebensessenz abgeben wollte, sprechen diese für ein bislang einmaliges Phänomen, daß diese Mysteriumsleute in England unmöglich als Vorwand sehen konnten. Die haben behauptet, wer einen Zauberstab erbeutet könne sich damit selbst magisch aktivieren, natürlich ohne zu verraten, wie das gehen soll, weil das ja sonst leicht nachgeprüft werden könnte und als falsch entlarvt würde. Was wir gestern durchgeführt haben steht nicht auf der Ursachenliste für angeblichen Magieraub. Abgesehen davon hätten die bestohlenen Magier ja dann entweder schlechter oder gar nicht mehr zaubern können. Und das wäre irgendwann doch ruchbar geworden. Was mit dir passiert ist war eine unvorhergesehene Erweckung deiner eigenen, scheinbar unaufweckbaren Zauberkräfte. Ich muß wohl einräumen, daß es wirklich sinnvoll gewesen wäre, dein magisches Ruhepotential vorher zu messen. Könnte sein, daß sich im Laufe der Generationen immer ein klein wenig mehr davon angehäuft hat, allerdings ohne die Schwelle zu überschreiten." Martha nickte. Wie Julius ihr den Inhalt jener Broschüre beschrieben hatte war es bei ihr nicht abgelaufen, falls es nicht doch ein durch den Trank bewirkter, zeitweiliger Effekt war, der nachließ, wenn der Trank nicht mehr wirkte.

__________

Julius Latierre genoß es, an diesem Sonntag nicht wecken gehen zu müssen. Er machte Frühsport und genoß den herrlichen Herbstmorgen. Hier in Beauxbatons wurde es nie so recht kalt, selbst um sechs Uhr morgens konnte er im Trainingsanzug ohne zu frieren herumlaufen. Bei den Schwermacherübungen erreichte er auch eine angenehme Betriebstemperatur. Millie spornte ihn an, mit ihren Cousinen Calypso und Penthisilea zwei Runden um das Quidditchstadion zu laufen. Dann befand Julius, es für diesen Morgen genug sein zu lassen. Nach dem Bunkerkoller der letzten zwei Wochen empfand er die Ruhe im Palast als sehr angenehm. Bei der Pflegehelferkonferenz ging es zwar noch einmal um die Raufereien der letzten Tage und um die Nachstellungen von muggelstämmigen Mitschülern, die nicht nur im grünen Saal, sondern auch bei den Violetten, Blauen und Roten passiert waren. Julius wandte ein, daß nach der Postblockade diese Schüler überhaupt keine Nachrichten aus der nichtmagischen Welt mehr bekamen und wies darauf hin, daß das nicht zu unterschätzen sei und Laurentine früher ja befürchtet hatte, nichts mehr mitzubekommen und das jetzt wieder durchdrang.

"Will sagen, diese Mädchen und Jungen werden auf kurz oder lang wieder unruhig werden", faßte Madame Rossignol das zusammen. Julius nickte behutsam.

"Marc Armand aus dem roten Saal hätte gerne ein Radio, mit dem er die mit Elektrowellen verschickten Nachrichten und Musiksendungen kriegen kann. Aber sowas geht hier ja nicht", ergänzte Millie. Und Sandrine wandte ein, daß durch Didiers Vorgehensweise auch niemand mehr an Zeitungen aus der magielosen Welt gelangen konnte. Immerhin hätten die Brickstons in Millemerveilles versucht, Zeitungen aus Marseille zu kriegen, was aber deshalb nicht geklappt habe, weil über dem Magierdorf in Südfrankreich andauernd Eulenjäger patrouillierten, und die Posteulen nicht durchließen, weshalb schon zwei von Professeur Faucons Posteulen auf Nimmerwiedersehen verschwunden seien.

"Kein Wunder, daß die in Millemerveilles langsam sauer werden", meinte Sixtus Darodi. "Wundere mich nur, daß die nicht mit Didiers Leuten kungeln, um wieder frei atmen zu können."

"Lies mal die Zaubereigeschichte, Sixtus. Da steht drin, daß nach Sardonias Zeit in Millemerveilles eine klare Haltung gegen jede Form von Unterdrückung bezogen wurde", bemerkte Josephine Marat dazu. Sie fühlte sich in letzter Zeit sichtlich genervt, weil sie offenbar nicht wußte, wie sie selbst sich verhalten sollte, wo ihr Großvater Pétains Stellvertreter war und damit voll in diesem neuen Zaubereiministerium mitmischte.

"Feststeht, daß es im Moment keine Nachrichtenverbindungen in die nichtmagische Welt gibt und die Schüler aus Muggelfamilien daher leicht anfällig für dieses Phänomen sind, daß du als Bunkerkoller bezeichnet und beschrieben hast, Julius", faßte Madame Rossignol das noch einmal zusammen, was sie besprochen hatten. "Irgendwann wird es ihnen egal sein, ob sie hier bestraft werden oder nicht. Oder sie werden einfach von hier fortlaufen. Diese Leute in Didiers Ministerium brauchen im Grunde nur zu warten, bis ihnen die ersten freiwillig entgegenlaufen."

"Bisher kriegen wir das noch hin, denen klarzumachen, daß sie hier sicherer sind als anderswo, von Millemerveilles abgesehen", sagte Julius. "Außerdem haben viele der muggelstämmigen Jungen und Mädchen schon Freunde hier. Ich hoffe, wir kriegen das mit denen zusammen hin, daß hier niemand laut schreiend rausrennt, weil ihm oder ihr die Decke auf den Kopf fällt oder die Wände immer enger zusammenrücken."

"Vielleicht sollten wir Muggelweltsportarten einführen, wenn wir schon kein Quidditch spielen", wandte Patrice Duisenberg ein. Julius grinste verhalten. Wenn er jetzt damit anfing, Fußballmannschaften aufzustellen wäre das hier wohl der Lacher des Jahres. Patrice sah ihn vergnügt an und fragte ihn sofort: "Was könnte man da so machen?"

"Ich finde es wichtiger, daß wir die Mitschüler aus magielosen Familien besser in unsere Gemeinschaft einbeziehen, als ihnen eine Beschäftigungsmaßnahme anzubieten, die sie noch mehr vom Rest der Schülerschaft isoliert", würgte Madame Rossignol jede weitere Ausführung dieser Idee ab. Julius schlug statt dessen vor, die muggelstämmigen Schülerinnen und Schüler für eigene Schulprojekte zu begeistern und zusätzliche Möglichkeiten einzurichten, daß die Musik- und Theatergruppen Aufführungen vor allen Schülern machen konnten. Immerhin wären die meisten Schüler aus nichtmagischen Familien Mitglieder in den künstlerischen Freizeitgruppen. Sandrine nickte. Immerhin war Nadine Albert aus ihrem Saal im Ballettkurs für Mittelstufler, weil sie wohl schon vor Beauxbatons das Kunsttanzen erlernt hatte. Madame Rossignol notierte es sich, daß sie das mit Madame Maxime und den Saalvorstehern besprechen wolle. Damit wären nicht nur die Muggelstämmigen, sondern alle in Musik-, Tanz- und Theatergruppen eingetragenen Schüler beschäftigt. Das Problem bestand nur darin, daß durch Madame Maximes Aufhebung der Anwesenheitspflicht bei außerschulischen Arbeitsgruppen und Kursen eine geordnete Probe nicht so leicht war. Doch das sollten dann die AGs unter sich regeln, falls Madame Maxime dem zustimmte.

Julius entging nicht, daß Viviane Eauvives Bild-Ich während der Konferenz in Serena Delourdes hier aushängendem Bild erschien und darauf wartete, daß die Besprechung der Pflegehelfer ordentlich beendet war. Da Julius heute keinen Formhaltungskurs hatte, konnte er gleich in den grünen Saal zurück und sich dort mit den jüngeren Schülern über Kniffe bei den Hausaufgaben unterhalten, was für ihn eine angenehme Nebentätigkeit als stellvertretender Saalsprecher geworden war und die Mitschüler auch gut mit ihm klarkommen ließ. Er und die übrigen heute nicht weiter benötigten Pflegehelfer verabschiedeten sich gerade, als Vivianes gemaltes Ich Julius zuwinkte und ihm sagte, er möge sich bitte bei Professeur Faucon einstellen. Er bestätigte das. Da er hier der einzige aus der Saalsprecherriege der Grünen war fanden die anderen nichts besonderes daran, daß er zu seiner Saalvorsteherin zitiert wurde. Julius dachte auch nur daran, daß es wohl um die Stimmung im grünen Saal und seine Meinung zur Lage der Muggelstämmigen gehen würde. So verließ er mit Madame Rossignols Genehmigung das Büro durch die Wand und landete in der Nähe von Professeur Faucons Sprechzimmer. Wenn es nach Didier und Pétain gegangen wäre, hätte die schon seit Wochen hier nicht mehr zu arbeiten, dachte Julius, als er die letzten Meter zur Tür ging. Auf dem Flur standen Pierre Marceau und Giscard Moureau.

"Ach, ist das wegen Pierres Schuß gegen zwei Bälle gleichzeitig?" Fragte Julius locker heraus.

"Neh, weil er was mit Gabrielle Delacour angefangen hat", knurrte Giscard. "Bißchen Frühreif die beiden."

"Könnte man von mir auch behaupten", erwiderte Julius, um Pierres verdrossene Miene aufzuhellen. "Immerhin bin ich mit gerade fünfzehn schon verheiratet."

"Eben, und die beiden sind's nicht. Und auch für dich gelten hier bestimmte Verhaltensregeln", knurrte Giscard.

"Ich habe die nur umarmt, Giscard", schnarrte Pierre.

"Habe ich gesehen, und Céline auch. Sei froh, daß ich das mit dir und Professeur Faucon kläre und nicht Céline. Die ist eh schon genervt genug von den hibbeligen Mädels."

"Als wenn die so anständig wäre", brummelte Pierre. Da ging die Tür auf. Schlagartig stand Pierre stocksteif da wie ein einfacher Soldat vor einem Offizier. Giscard wollte schon ansetzen, ihr Meldung zu machen. Doch sie schüttelte den Kopf und deutete auf Julius. "Monsieur Latierre bitte zuerst. Die Verfehlung von Monsieur Marceau kläre ich später. Sorgen Sie bitte dafür, daß Mademoiselle Pivert und Mademoiselle Delacour dann auch anwesend sind!"

"Ähm, warum nicht Cé..., ähm Mademoiselle Dornier?" Fragte Giscard. "Immerhin hat sie den Vorfall beobachtet."

"Dann hätte ich um Mademoiselle Dornier gebeten, wenn ich sie zu diesem Vorfall befragen wollte, Monsieur Moureau. Also führen Sie bitte meine Anweisung aus!"

"Also kommen Sie, Monsieur Marceau", knurrte Giscard Moureau und zog den für seine elfeinhalb Jahre wohl ziemlich neugierigen Erstklässler mit sich.

"Bitte treten Sie ein, Monsieur Latierre!" Julius befolgte die ruhig gesprochene Anweisung. Als er im Sprechzimmer der Verwandlungslehrerin auf einem der Besucherstühle saß baute diese einen Klangkerker auf. Es war also was, daß keiner außerhalb mitkriegen sollte.

"Meine Tochter und deine Mutter werden uns um halb zwölf im Château Florissant erwarten. Um dort hinzugelangen wirst du das auf dich abgestimmte Intrakulum benutzen. Ich werde mir für den Transfer eine kleinere Erscheinungsform geben, damit du mich mitnehmen kannst, ohne daß ich gesehen werde. Denn sonst funktioniert es ja nicht. Das Intrakulum ist wieder vollständig aufgeladen, und für die vier damit zu vollziehenden Aktionen reicht seine Kraft allemal."

"Ähm, was sollen wir im Château Florissant?" Fragte Julius, bevor ihm einfiel, daß seine Mutter und Catherine auch irgendwie dort hinkommen wollten, was bei der Kaminblockade und den Portschlüsseljägern wohl ziemlich schwierig war.

"Madame Eauvive, Antoinette, empfand die freie Zeit, die ihr Didier wohl oder übel verschafft hat als Belastung oder konnte dort über diverse Dinge nachdenken. Unter anderem wollte sie das Problem lösen, daß in zwei Wochen der Muggelabwehrbannhemmtrank versiegt, falls nicht einer der beiden nichtmagischen Bewohner Millemerveilles in Zauberschlaf versenkt wird. Aber selbst dann wäre mit dem Weihnachtstag die Verfügbarkeit erschöpft. Offenbar hat sie sich an deiner Schwiegergroßmutter ein Beispiel nehmen wollen und deine Mutter auf Grund der verwandtschaftlichen Beziehung zur Eauvive-Familie als gute Empfängerin für das Vita-mea-Vita-tua-Ritual gesehen. Sie hoffte darauf, daß dadurch ein magisches, nicht außerhalb ihres Körpers wirksames Potential in ihr erzeugt würde, daß die Muggelabwehr neutralisiert. Ich weiß nicht, wieso sie darauf kam, das so hinbekommen zu können. Allerdings ist dabei etwas eingetreten, mit dem selbst sie nicht gerechnet hat, offenbar, weil sie nicht alle zusammenwirkenden Faktoren bedenken konnte. Das ist für eine Heilerin eigentlich ein schwerer Fehler und für eine, die es bis zur Leiterin des magischen Heilzentrums in Frankreich brachte, ein Skandal."

"Öhm, was ist mit meiner Mutter, und wie ist sie überhaupt ins Château Florissant gekommen, wo alle Kamine überwacht oder blockiert sind?"

"Zur Frage zwei, auf dem selben Wege, wie du mich dorthin bringen wirst und wie Madame Eauvive Catherine dort hinüberholen wird. Sie hat sich ein Intrakulum erschaffen und auf ihr äußeres Erscheinungsbild abgestimmt. Zur ersten Frage: Deiner Mutter geht es gut. Das Ritual hat offenbar bei ihr funktioniert, wenngleich es ein unerwartetes Ergebnis erzielt hat. Näheres dazu möchte Madame Eauvive mit uns vor Ort besprechen. Viviane hat mir die näheren Umstände auch nur andeutungsweise erläutert."

"Und ich dachte schon, meine Mutter wäre dabei verwandelt worden oder sowas."

"Oder sowas, Julius. Jedenfalls geht es ihr körperlich und geistig gut. Magistra Eauvive erwähnte nur, daß wir trotzdem mit einschneidenden Veränderungen rechnen müßten. Näher wollte sie sich nicht äußern."

"Klingt nicht gerade beruhigend", seufzte Julius, dem hunderte von magischen Unfällen und Fehlversuchen durch den Kopf gingen. Bei einigen waren nützliche Heil- und Rettungszauber entdeckt worden, wie der Iterapartio oder Conservacorpus.

"Diesen Eindruck teile ich mit dir. Es ist bedauerlich, daß ich selbst um mein Haus eine Mentiloquismusbarriere errichtet habe und diese auch in Beauxbatons wirkt. jetzt erweist es sich als nachteilig, nur über vielfach vorhandene Portraits zu kommunizieren. Ich erwarte dich also um halb zwölf in meinem Sprechzimmer. Stell bitte sicher, daß keiner dich beobachtet, wenn du zu mir kommst. Bis dahin hoffe ich diese leidige Angelegenheit mit Monsieur Marceau geklärt zu haben. Ich hoffe doch sehr, daß du und Mildrid Latierre euch angemessen und unauffällig betragt." Julius nickte. Außer wenigen heimlichen Küssen und Umarmungen passierte im Moment nichts zwischen ihm und seiner Frau. Professeur Faucon hob den Klangkerker auf und schickte Julius wieder hinaus. Er blickte auf seine Uhr. Es waren noch anderthalb Stunden bis zum heimlichen Ausflug. Er fragte sich nicht, ob Madame Maxime das genehmigen würde oder nicht, ob diese unterrichtet war oder nicht. Nur Madame Rossignol könnte Probleme machen, weil sie ihn über das Armband überwachte. Das Armband, auch ein Grund, warum Julius und Millie sich in der Akademie nie mehr herausnahmen als kurze Berührungen. Er dachte daran, daß er in Pierres Alter noch nichts von Mädchen gewollt hatte und bei Mitschülerinnen wie Gloria eher gute Freunde oder Nervensägen in ihnen gesehen hatte. Oder war das von Gabrielle ausgegangen, was immer die beiden angestellt hatten? Julius konnte sich nicht vorstellen, daß die beiden körperlich schon zu mehr im Stande waren als zu innigen Küssen. Aber im Moment hatte er ein anderes Problem. Irgendwas war mit seiner Mutter. Denn sonst hätte Professeur Faucon nur gesagt, daß das Ritual geklappt oder nicht geklappt hatte. Womöglich hing sie jetzt irgendwie mit Madame Eauvive zusammen, wie er damals mit Belle Grandchapeau oder wurde durch die magische Lebensessenz langsam aber sicher verjüngt und irgendwann zum Baby zurückverwandelt, um dann entweder zu sterben oder auf irgendeine Weise wiedergeboren zu werden, um neu anzufangen. So lenkte er seine Schritte in die Bibliothek, weil Millie gerade bei Madame Rossignol war. Vielleicht fand er etwas mehr über das Ritual heraus, dem er selbst eine verbesserte Kondition verdankte.

In der Schulbücherei war zur Zeit niemand. Jeder wollte den herllichen Sonntag, an dem die fahle Herbstsonne noch warme Strahlen auf Beauxbatons fallen ließ nutzen, um in den schuleigenen Parks spazierenzugehen oder am inneren Rand des grünen Forstes die letzten Schulaufgaben für die kommende Woche erledigen. Eigentlich sollte er, Julius, auch diese Zeit draußen genießen. Er fühlte, daß trotz der trüben Novemberstimmung und des Gefühls, hier von allem dort draußen abgeschnitten zu sein, das Leben irgendwie weiterging. Und er machte wieder auf Bücherwurm. Er suchte in den frei zugänglichen Abteilungen nach Büchern über Hexenrituale und exotische Heilzauber. Madame D'argent, die Bibliothekarin, beobachtete ihn teils neugierig und teils argwöhnisch, wenn er der durch ein Seil markierten Grenze zwischen frei zugänglicher und verbotener Abteilung zu nahe kam. Als sie nahe genug war, daß er sie ohne laut zu werden ansprechen konnte fragte er sie ganz dreist, ob sie was von dem Vita-mea-Ritual wisse und wo er in der freien Sektion was dazu fände.

"Warum wollen Sie das wissen?" Entgegnete Madame D'argent argwöhnisch. Julius schluckte eine Bemerkung hinunter, daß sie das doch nicht zu interessieren habe und erwiderte: "Ich hörte, damit könne eine Hexe Muggeln Magie einhauchen." Da blieb der Bibliothekarin doch glatt das Gesicht stehen. Offenbar sah sie fehlerhafte Informationen als schlimmer an als unliebsame aber dafür richtige Informationen.

"Es gibt nur vier Werke, in denen dieses Ritual erwähnt wird. Aber nur zwei davon sind allgemein zugänglich. Für welches Fach benötigen Sie die Informationen?"

"Wenn es ein Heilzauber ist für die Pflegehelfergruppe, ansonsten für Zauberkunst", antwortete Julius. Warum sagte er eigentlich nicht, daß er stellvertretender Saalsprecher war und sich über Sachen zu informieren hatte, mit denen seine Mitschüler herumexperimentieren könnten? Die Bibliothekarin von Beauxbatons führte ihn jedoch auch so in die Abteilung für altertümliche Zaubereien, die hier in Beauxbatons zwar erwähnt und als Theorieeinheiten besprochen, jedoch ziemlich selten ausprobiert wurden, weil eben viele davon Rituale waren, die entweder bestimmte Tageszeiten, Lebenszustände oder Orte voraussetzten. Hier Hatte Julius zwar nach Hexenritualen gesucht, das kleine Buch "Das Leben des Druiden Hannigan" nicht als Buch über Hexenrituale eingestuft. "Hannigan berichtet, wie seine Schwester, die der volksnahen Hexenkunst verbunden war, seinen besten Freund vor dem Gifttod bewahrte und ihn selbst verjüngte. Er hat dieses Ritual als "die römische Rettungsmaßnahme" bezeichnet und nicht besonders huldvoll darüber gesprochen." Dann haben wir noch "Magisches Wissen des römischen Reiches". Darin wird eine Hexe namens Larentia Silvestra erwähnt, die einem römischen Soldaten so um 120 vor Christlicher Zeitrechnung mit diesem Ritual einen altphönizischen Fluch ausgetrieben hat, der ihn doppelt so schnell alt werden ließ. Angeblich habe die fünffache Mutter dieses Ritual erfunden. Die beiden anderen Bücher können Sie nur einsehen, wenn Sie von einem Fachlehrer für Zauberkunst oder Protektion gegen destruktive Formen der Magie oder Madame Rossignol die schriftliche Ausleihanordnung vorweisen können. Deshalb erwähnte ich diese Werke auch nicht. Die betreffenden Personen sind meistens über die Titel informiert und fügen diese von sich aus in die Ausleihanweisung ein. Ich hoffe, Ihr Interesse damit zu befriedigen." Julius nickte und lieh sich die beiden bezeichneten Bücher aus. Da er sie nicht mit in den grünen Saal nehmen wollte, setzte er sich an einen freien Lesetisch und suchte im Inhaltsverzeichnisnach dem entsprechenden Eintrag. Als er las, daß Hannigan von seiner Schwester, die selbst fünf Kinder geboren hatte, auf ein Achtel seines Lebensalters verjüngt worden war, weil die Blutsbande offenbar zu stark waren, fragte er sich schon, ob das wirklich so geschickt von Antoinette Eauvive gewesen war, dieses Ritual mit seiner Mutter durchzuzihen. Im Buch über die Zaubereien des römischen Imperiums fand er neben dem erwähnten Ritual auch einen Bericht über die Auswirkungen des Auraveneris-Fluches, von dem er vor drei Jahren schon was gehört hatte. Bei dem Abschnitt über Larentia Melissa Silvestra, die in einem Wald in Mittelitalien gelebt haben sollte las er, daß der von ihr mit dem Ritual geheilte Soldat der Vater eines ihrer Kinder gewesen war und beim Plündern der letzten karthagischen Schätze ein verfluchtes Schwert aus Silber an sich gebracht hatte, mit dem er ohne den Fluch zu kennen einen Beutekonkurrenten erschlagen hatte. Das habe den Fluch ausgelöst und die Alterungsgeschwindigkeit verdoppelt und den Römer auch da schon sichtlich geschwächt. Nach dem Ritual war dieser zwar immer noch verflucht, blieb aber von den körperlichen Auswirkungen verschont und konnte für seine Feldherren weitere Schlachten schlagen. Das heimtückische Schwert wurde später unter seinen Erben aufgeteilt, das heißt, komplett eingeschmolzen und zu gleichgroßen Silberbarren verarbeitet. Damit war der Fluch ausgelöscht. Was Julius wissen wollte wußte er jetzt auch. Es war durchaus möglich, Leute ohne erkennbare Magie mit diesem Ritual zu mehr Lebenskraft zu verhelfen. Und die einzige Nebenwirkung war eben die, daß eine Schwester ihrem Bruder nicht nur damit zu mehr Lebenskraft sondern auch zu einer starken Verjüngung verhelfen konnte. Hannigan war zur Zeit des Rituals bereits 44 Jahre alt und fand sich danach im Körper eines fünfjährigen Jungen wieder, hatte seine Lebenserfahrungen jedoch nicht vergessen.

"Also wenn meiner Mutter sowas passiert wäre hätte mir Professeur Faucon das gesagt", dachte er, bevor er die Bücher wieder an Madame D'argent zurückreichte, damit diese wußte, daß er sie nicht mehr brauchte. Natürlich hätte er gerne auch die beiden ihm verbotenen Bücher gelesen. Doch die Meldezauber der Bibliothek waren regelrechte Spaßbremsen. Und solange ihm Professeur Faucon keine korrekte Ausleihanordnung ausstellte, erfuhr er nicht einmal, wie die Bände hießen. So verließ er um viertel nach elf die Bibliothek. seine Frau würde noch eine Viertelstunde bei Madame Rossignol sein. Womöglich wollte die dann wissen, wo er war. Allerdings würde sie es sofort bemerken, wenn das unter ihnen beiden aufgeteilte Zuneigungsherz bei ihr nicht mehr pulsierte. Das passierte immer, wenn er aus der natürlichen Welt austrat oder in einen Bereich besonders starker Unauffindbarkeitszauber wechselte. Er suchte sich einen wenig begangenen Korridor mit einem Teilstück des Wandschlüpfsystems aus und lauschte, ob jemand in der Nähe war. Er sah noch einmal auf seine Uhr und zählte die letzte Minute vor dem vereinbarten Termin herunter. Dann wandschlüpfte er zum Korridor von Professeur Faucons Sprechzimmer. Er horchte, ob jemand auf dem Flur war und ging leise zur Tür. Das veränderliche Türschild verriet ihm, daß das Eintreten nach dem Anklopfen gestattet war. Er klopfte an. Professeur Faucon bat ihn herein. Sie wirkte verdrossen. Offenbar war die Aussprache mit Gabrielle, Pierre und den beiden Hauptsaalsprechern nicht so amüsant verlaufen. Doch als Julius im Sprechzimmer stand wich die Verdrossenheit einer gespannten Erwartungshaltung. Professeur Faucon winkte mit dem Zauberstab, worauf die Tür fest verriegelt wurde. Dann baute sie einen Klangkerker auf, der durch das Intrakulum nicht zerstört werden würde, solange der Raum an sich verschlossen blieb. Danach gab sie Julius das Intrakulum, jene kleine Metallscheibe mit einer Spirale auf der einen und seinem eingeprägten Bild auf der anderen Seite. Als Julius sich dem Weizenfeldbild näherte, durch das er schon mehrfach in die magische Parallelwelt umgestiegen war, hörte er ein leises Rauschen. Als er sich umschaute lag da, wo Professeur Faucon eben noch gestanden hatte ein Fingerhut auf dem Boden. Diesen hob Julius behutsam auf und verbarg ihn in einer kleinen verschließbaren Innentasche seines Sonntagsumhanges. Dann rief er mit auf das Bild gepreßtem Intrakulum und daran gehaltenem Zauberstab: "Per Intraculum transcedo!"

Als er erfolgreich von Professeur Faucons Sprechzimmer auf ein stoppeliges Weizenfeld im rauhen Herbstwind gewechselt war, flimmerte die Luft neben ihm. Viviane Eauvive enttarnte sich. Sie führte Julius durch die Bilder zu ihrem wahren Stammbild im Palast. Dort sagte sie: "Mein natürliches Ich hat einiges Erlebt, und ich durfte weitere Erfahrungen sammeln. Doch was letzte Nacht geschah ist neu für mich. Gut festhalten, junger Mann!" Julius ergriff Vivianes Hand und fühlte, wie sie ihn mit sich aus dem Gemälde zog und durch einen Lichttunnel trieb, der in einer gemalten Stube endete, die wahrlich aus dem frühen Mittelalter zu stammen schien. Von hier aus konnte er durch den im Süden gelegenen Ausblick in die natürliche Welt hinüberblicken. Ohne ein Wort zu verlieren trat er mit dem Intrakulum aus dem Gemälde Vivianes heraus in ein gemütliches Arbeitszimmer mit großem Schreibtisch und einem Wollteppich. Hier war er schon einmal gewesen. Das war das kleine arbeitszimmer Antoinette Eauvives. Die Hausherrin saß bereits mit Catherine und seiner Mutter um den Schreibtisch herum. Julius holte schnell den Fingerhut aus der Tasche und legte ihn so ab, wie er ihn eben aufgehoben hatte. Da löste sich der kleine Gegenstand in einen Farbenwirbel auf und wurde zu Professeur Faucon.

"Setzen Sie sich bitte", sagte Madame Eauvive. Julius horchte, ob sein Pflegehelferarmband zitterte. Aber nichts dergleichen geschah. Womöglich dachte Madame Rossignol sich schon, wie Julius aus Beauxbatons herausgekommen war und daß es im Moment besser war, ihn nicht über das Armband zu sprechen.

"Hallo Julius. Gut, daß du herüberkommen konntest. Das glaubst du nicht, was Madame Eauvive und ich da angerichtet haben."

"Moment, das prüfen wir besser noch einmal nach, ob es so bleibt wie eben noch", sagte Antoinette und winkte der Tür, die von selbst aufschwang. "Clementine, komm bitte rein!" Rief die derzeit suspendierte Direktrice der Delourdesklinik. Clementine Eauvive trat ein und schloß die Tür wieder. Sie trug ein kleines goldenes Gerät wie einen abgetrennten Insektenkopf in der linken Hand und nickte erst ihrer Mutter zu, die zurücknickte, um dann Julius' Mutter fragend anzusehen. Diese nickte.

"Immer noch 1,31. Sind Sie sicher, daß die Wirkung des Trankes jetzt eindeutig abgeklungen sein muß?"

"Eindeutig", erwiderte Julius' Mutter nach einem Blick auf ihre mechanische Armbanduhr. Catherine nickte auch. Professeur Faucon sah Clementine an und fragte, ob sie sich da verhört habe, oder ob sie mit diesem Gerät einen anderen Wert maß als das magische Ruhepotential eines reinrassigen Menschen. Bei Julius rotierten bei dieser Erwähnung die Gedanken und Erinnerungen. Das magische Ruhepotential besagte, ob ein Mensch Muggel, Squib, Hexe oder Zauberer war. Alles was unter 0,5 lag galt als magisch inaktiv, wobei die meisten Muggel knapp oder genau auf null eingependelt waren. Was zwischen 0,5 und 0,7 lag galt als Squib, wenn sporadische oder sehr schwache Zauberkräfte ermittelbar waren, alles über 0,7 galt als magisch begabt und trainierbar. Wer in Beauxbatons anfing hatte meistens einen Wert um 1,0 herum. Jeder Fünferschritt direkt hinter dem Komma bedeutete einen Anstieg der eigenen Zauberkraft auf den doppelten Wert. Das hieß, wer fleißig trainierte, konnte am Anfang schnell an Ruehwert dazugewinnen, mußte sich aber immer mehr anstrengen, bis es schwierig wurde, den nächsten Fünferschritt zu vollenden. Madame Rossignol hatte sie das in einer Pflegehelferübungseinheit magische Heilkunst und Meßverfahren durchgehen lassen. Sein Ruhepotential lag wegen seiner besonders hohen Grundkraft und der damit schon gewirkten Zauber innerhalb von fast fünf Jahren bei 4,78, Millies Wert lag bei 1,96, Sandrines bei 1,95. Madame Rossignol wartete natürlich mit dem höchsten Wert auf, der bei 10,23 gelegen hatte. Manche Hexen und Zauberer kamen in einem mehr als hundert Jahre langem Leben auf glatte 15,0, wobei das eben nur das Ruhepotential war und nicht die Kraft wirkbarer Zauber bezeichnete. Die konnte nach Übung ungleich höher sein. Was da gerade verkündet worden war, war eher das Brummen eines Transformators ohne Stromverbrauch. Und der seiner Mutter lag über dem Squib-Faktor. Das hieß dann ja ...

"Sie wollen mir jetzt wirklich erzählen, ein einfaches, wenngleich kraftzehrendes Ritual in Kombination mit einem Ihnen nicht näher bekannten Zaubertrank konnte aus einer bisher magisch inaktiven Frau eine Hexe machen?" Fragte Professeur Faucon ziemlich aufgeregt. Catherine nickte ihrer Mutter zu. Julius sah seine Mutter an.

"Professeur Faucon, wir haben insgesamt vier dieser Instrumente und mit allen in regelmäßigen Zeitabständen den Wert geprüft. Er blieb über Nacht stabil und ist offensichtlich auch nach Abklingen des Trankes nicht gesunken. Außerdem bitte ich Sie darum, neben dem Ritual und dem Trank die verwandtschaftliche Beziehung zwischen Madame Andrews und mir, sowie die Unterstützung meiner drei Töchter durch aufrechterhaltenen Körperkontakt in Ihre Bewertung einzufügen. Ich ging davon aus, daß meine drei Töchter als Zufuhrunterstützung herhalten sollten, weil ich die Verwandtschaft nicht für besonders ausschlaggebend hielt. Hier muß ich einräumen, dieses Verhältnis gründlich unterschätzt zu haben."

"Ich erwähnte es Monsieur Latierre gegenüber schon, daß dies für eine hochrangige Heilerin ein unverzeihlicher Skandal sei, derartig unabgesichert zu wirken", entrüstete sich Professeur Faucon. Julius' Mutter sah sie schuldbewußt an.

"Und Sie sind sich sicher, daß dieses Ruhepotential nicht mehr sinkt?" Fragte Catherine. "Es könnte immerhin sein, daß erst vierundzwanzig Stunden ohne Zaubertrank verstreichen müssen, um eine endgültige Aussage zu treffen. Immerhin wäre das ein Präzedenzfall in der Einteilung zwischen magischen und nichtmagischen Menschen."

"Das würde diesen Marionetten des Psychopathen am Ende noch rechtgeben, daß vorher magielose Menschen Zauberpotential erwerben können", schnarrte Professeur Faucon. Julius und seine Mutter starrten sie verunsichert an. Wollte sie damit sagen, daß das absolut verkehrt war, daß Martha Andrews jetzt das magische Ruhepotential einer Hexe besaß? Offenbar deutete Professeur Faucon die auf sie gerichteten Blicke richtig und fügte schnell hinzu: "Wobei ich sehr davon überzeugt bin, daß diese Verbrecher nur eine blanke Behauptung in die Welt gesetzt haben, ohne sie beweisen zu können, weil sie es auch nicht müssen, solange sie es als Geheimnis verkaufen. Abgesehen davon wage ich die Behauptung, daß dem Massenmörder und seiner Gefolgschaft das Vita-mea-Ritual entweder unbekannt oder höchst widerwärtig erscheint, weil es ihre Werte von Macht durch Rücksichtslosigkeit erheblich in Frage stellt. Der gescheiterte Meuchelmord an Harry Potter belegt eindeutig, daß er sich mit wirkungsvollen, aus reiner Menschlichkeit und Liebe erwachsenden Zaubern nicht auskannte. Daher bitte ich Sie, Madame Andrews und Sie, Monsieur Latierre um Verzeihung, falls Sie sich durch meine Entrüstung unrechtmäßig beschuldigt gefühlt haben sollten. Aber zumindest der Umstand, daß es tatsächlich gelingen kann, durch irgendetwas Zauberkräfte zu erlangen ... Wurde bereits geprüft, ob Madame Andrews nach außen wirksame Zauberkräfte äußert?"

"Ich habe ein detailliertes Untersuchungsprotokoll erstellt", sagte Antoinette Eauvive und legte Professeur Faucon, Catherine und Julius zwei Pergamentblätter hin. Julius las nach, daß zunächst mit zwanzig mentiloquistischen Anweisungen die Empfänglichkeit für Gedankenbotschaften geprüft wurde und Antoinette Eauvive dabei keine besonders große Mühe aufwenden mußte. Anschließend durfte seine Mutter ausprobieren, ob sie auf einem Besen fliegen konnte, was ja damals nicht geklappt hatte. Tatsächlich bekam sie den ihr geliehenen Besen in die Luft und konnte einfache Manöver nachfliegen. Catherine sah Julius an und sagte:

"Gib deiner Mutter mal deinen Zauberstab!" Julius stand auf und holte seinen Zauberstab hervor. Seine Mutter erhob sich auch von ihrem Stuhl und streckte ihre rechte Hand aus. Julius legte ihr den Zauberstab hinein und trat zur Seite.

__________

Millie wollte gerade aus dem Krankenflügel wandschlüpfen, als sie fühlte, wie ihre Hälfte des Zuneigungsherzens erstarrte. Das sonst so vertraute Pulsieren war erstorben. Sie wandte sich um und sah Madame Rossignol an, die zur gleichen Zeit auf ein leises Klingeln lauschte und mit dem Zauberstab gegen eine Apparatur tippte, die sogleich rasselnd ein Pergament von einer Rolle hervorschob, auf dem etwas notiert war. Dann baute sie rasch einen Klangkerker auf und verriegelte die Zugangstüren.

"Er ist doch verflixt noch mal wieder mit diesem Intrakulum unterwegs", knurrte sie und gebot Millie, sich wieder hinzusetzen. Dann sagte sie: "Château Florissant! Da kommt er gerade an. Also ist doch was mehr passiert als was Magistra Eauvive mir zu sagen wagte."

"Was soll bitte los sein?" Fragte Millie.

"Magistra Eauvive ließ anklingen, daß meine Kollegin Eauvive offenbar die Zeit ihres unfreiwilligen Urlaubs dazu benutzt hat, sich eine Lösung für das Millemerveilles-Problem auszudenken, damit deine Schwiegermutter auch ohne Trank und Zauberschlaf dort bleiben kann. Offenbar hat sie ihre Überlegung diese Nacht in die Tat umgesetzt. Will hoffen, daß das Ergebnis kein Grund zur großen Besorgnis ist." Millie nickte. Sie bat darum, hier zu warten, bis Julius hoffentlich wieder zurückkam. Immerhin pulsierte das Zuneigungsherz wieder. Sie unterdrückte den Wunsch, zu mentiloquieren, weil sie nicht wußte, mit wem Julius gerade zusammen war. Das mußte ja wirklich nicht jeder sehen, daß sie beide miteinander in Gedankenkontakt treten konnten. So sah sie Madame Rossignol zu, die ihr Strickzeug nahm und anfing, an einer Weste weiterzustricken. Es dauerte knapp fünfundvierzig Minuten, bis der Herzanhänger wieder erstarrte und das Meldegerät für die Armbänder klingelte. Eine Minute später regte sich das rote Schmuckstück unter Millies Sonntagsbluse wieder, und Madame Rossignol las ab, daß Julius Latierre wieder in Beauxbatons war. Sie wandte sich Serena Delourdes' Bild zu und bat die gemalte Gründungsmutter darum, Professeur Faucon und Julius zu ihr zu schicken. Dannhob sie für eine Minute den Klangkerker auf und wartete.

__________

Martha Andrews hielt Julius' Zauberstab. Sie fühlte, wie eine gewisse Wärme daraus in ihre Hand strömte, hob ihn vorsichtig an. Die Wärme veränderte sich nicht. Sie erinnerte sich daran, daß Richard damals Professor McGonagalls Zauberstab ausprobieren wollte und dabei nichts hervorgebracht hatte. Als sie den Stab nun mit einer schnellen Bewegung herumschwang, fauchte es laut wie ein Windstoß durch Türritzen, und eine Wolke blauer Funken flog heraus, segelte durch die Luft und zerstob knisternd an der Decke. Schnell gab sie ihrem Sohn den Zauberstab wieder.

"Eindeutig", stellte Professeur Faucon fest und erhielt zustimmendes Nicken. "Allerdings nur auf Grund der Verwandtschaft wohl so ausgeprägt. Sollte sich das in vierundzwanzig Stunden wiederholen lassen, dann empfehle ich Madame Eauvive, Sie mit einen Ihnen gehörigen Zauberstab zu versehen und die erweckten Kräfte in kontrollierte Bahnen zu lenken. Es besteht zwar die Möglichkeit der Magieermüdung, wie sie aus der magischen Welt verbannte Hexen und Zauberer erfahren, wenn sie mehr als zehn Jahre keine Zauber gewirkt haben. Aber bis dahin könnten Sie bei nicht ausgebildeter Beherrschung dieser Kräfte unbeabsichtigte Effekte auslösen, die Sie oder Menschen in Ihrer Umgebung gefährden."

"Und ich dachte schon, Sie würden mir empfehlen, mich mit Ihrer Enkeltochter bei Ihnen auf die Schulbank zu setzen, Professeur Faucon", erwiderte Martha. Catherine sah sie leicht verstört an.

"Ich fürchte, Sie würden die Schüler davon abhalten, sich auf den Unterricht zu konzentrieren, weil alle nur Sie beobachten. Nein, ich denke, Sie sind bei Madame Eauvive und meiner Tochter Catherine in besseren Händen, zumal Ihre Wandlung vorerst nicht öffentlich gemacht werden sollte. Didier könnte sich berufen fühlen, die Kampagne gegen muggelstämmige Hexen und Zauberer zu kopieren, wie sie gerade in Großbritannien betrieben wird. Was er jetzt schon tut ist schlimm genug und wird sich noch zu einem großen Schaden auswachsen. Aber um Sie zu beruhigen: Falls in vierundzwanzig Stunden keine abrupte Absenkung des gemessenen Ruhepotentials und damit Ihrer gerade bestehenden Befähigung zur Magie stattfindet, sind Sie uns als Hexe nicht weniger willkommen als als Mutter eines jungen Zauberers ohne eigene Magie." Catherine nickte.

"Schade, daß ich das mit Joe nicht auch so machen kann. Aber dieses Ritual gelingt nur bei Hexen, die mindestens vier Kinder erfolgreich zur Welt brachten."

"Ich glaube auch nicht, daß Joe darüber glücklich wäre. Ich weiß auch nicht, ob Glück das Gefühl ist, was ich bei der Aussicht empfinde", erwiderte Martha Andrews. Sie sah sofort ihren Sohn an und sagte: "Ich meine das so, daß es ein Unterschied ist, ob ich mit einer Begabung geboren werde und hineinwachse oder plötzlich damit befähigt bin und bereits mehr als dreißig Jahre gelebt habe. Stelle dir mal einen blinden Menschen vor, der nichts anderes kannte als das Leben ohne Augenlicht und dann mitte Dreißig bionische oder auch magische Augen bekommt. Das kann zwischen Euphorie, totaler Verunsicherung oder Wahnsinn enden. Das meine ich damit, Julius."

"Ich habe das auch nicht so verstanden, daß du was gegen meine Natur hast, Mum", erwiderte Julius. "Es ist eben ein Unterschied, ob du mit was groß wirst oder dich von einem zum anderen Augenblick auf was völlig neues umstellen mußt. Außerdem wärest du dann ganz bestimmt nie nach Millemerveilles hingekommen, um mir zum dreizehnten Geburtstag zu gratulieren. Und dann säßest du jetzt auch nicht hier." Martha nickte und lächelte. Alles hatte sich offenbar so gefügt. Sie dachte an Richard. Was hätte der gesagt, wenn sie vor ihn getreten wäre und ihm gesagt hätte, daß sie jetzt auch hexen und zaubern könne? Womöglich hätte er sie oder sich für total verrückt erklärt, zumindest aber Probleme damit bekommen, weiter mit ihr zusammenzuleben. Sie dachte komischerweise an eine amerikanische Fernsehserie, wo ein normaler Mensch mit einer echten Hexe verheiratet war und andauernd deswegen in irgendwelche verrückten Situationen hineingeriet. Sie hatte es schon mehrmals auf der Zunge gehabt, Joe zu fragen, ob er sich nicht wie dieser unmagische Durchschnittsmensch fühlte, der immer Krach mit seiner magischen Schwiegermutter hatte. Doch seitdem sie wußte, daß es in der Zaubererwelt Gesetze gab und nicht jeder Magier mit jedem Muggel einfach herumzaubern durfte, hatte sie ihm diese Frage nicht gestellt. Apropos Gesetze!

"Da kommt mir gerade eine sehr unangenehme Frage in den Sinn, Madame Eauvive: Ist das, was Sie mit mir angestellt haben eigentlich von den Zauberergesetzen her erlaubt?" Alle zuckten zusammen. Auf Grund der unerwarteten Entwicklung hatte keiner diese Frage zu stellen gewagt. Auch Professeur Faucon, ihr als sehr streng auf die Einhaltung der Zaubererordnung bekannt, schien diesen Punkt nicht bedacht zu haben. Doch Antoinette Eauvive nickte beruhigend.

"Da ich Sie in meiner Familie willkommengeheißen habe und Heilerin bin hatte ich das Recht, Ihren Geist durch einen Zauber vor magischen Ein- beziehungsweise Auswirkungen zu schützen. Genauso wie es ja bisher keiner abgestritten hat, Ihnen den Trank zu verabreichen. Insofern war das erlaubt. Also sind Sie, Martha Andrews, auch als adult aktivierte Hexe legal, zumindest nach den unter Grandchapeau und seinen Vorgängern gültigen Gesetzen. Laut Didier dürfte ich nicht einmal mehr Zauberstablicht entzünden. Insofern bestehe ich darauf, daß nur die unmittelbar Betroffenen davon wissen. Martha dachte jedoch daran, daß es im Dorf herumgehen würde, wenn sie den Trank nicht mehr trinken müsse. Und dann fiel ihr noch ein, daß sie gestern erst das Gegenministerium mitgegründet hatte. Was würde Belle Grandchapeau denken, wenn sie ungerichtete Zauberkrafteffekte bewirkte, zum Beispiel ohne es zu wollen eine Teetasse über den Tisch wandern ließ oder vor lauter Freude über irgendwas wortwörtlich vom Boden abhob oder mit einem Blick ein Feuer entfachte? Sie beschloß, die Katze aus dem Sack zu lassen, solange sie hier im Klangkerker waren. Catherine war eh schon eingeweiht, und Professeur Faucon konnte es auch jetzt schon erfahren. Ihr Sohn Julius lebte eh schon mit einer Menge vertraulichem oder geheimem Wissen und wußte wohl, wem er was erzählen durfte oder nicht, wenngleich es eh in einigen Tagen im Land herumging, wenn der Aktionsplan griff. Sie sah Catherine an und fragte, ob das die Beteiligten an der Sitzung gestern irgendwie erfahren dürften. Catherine überlegte kurz und kam wohl darauf, daß Martha eigentlich was anderes wollte. So sagte sie: "Dann müßten wir den Anwesenden hier erzählen, wer bei der Sitzung dabei war und vielleicht auch, was da beredet und beschlossen wurde." Julius sah seine Mutter aufmerksam an. Offenbar, so dachte sie, mußte er jetzt genauso mit dem Umstand fertig werden, daß seine Mutter eine Hexe geworden war wie sie mit dem Umstand, daß er als Zauberer geboren worden war. Doch für ihn kam das nicht aus heiterem Himmel wie für sie damals. Professeur Faucon blickte ihre Tochter an, schien wohl mit ihr ein paar unhörbare Sätze auszutauschen. Dann nickte Catherine und nahm Martha die Erläuterung aus der Hand, wohl um die Verantwortung dafür zu schultern, was jetzt alle erfuhren. Martha blickte ihren Sohn an, um weiterzubeobachten, wie dieser mit der unerwarteten Situation zurechtkam. Doch er lauschte nur auf Catherines kurzen Bericht, der damit endete, daß Monsieur Phoebus Delamontagne als Alternativ-Zaubereiminister beauftragt worden war.

"Mum, hast du daran mitgestrickt?" Fragte Julius, bevor Professeur Faucon oder Antoinette Eauvive was sagen konnten. Sie nickte verhalten und verwies darauf, daß der Zeitpunkt für eine Befreiungsbewegung gekommen sei. "Dadurch könnten wir in einen Bürgerkrieg zwischen Zauberern reinrutschen", sagte Julius dann noch. Professeur Faucon räusperte sich leicht verärgert und sah Catherine an:

"Das wäre nicht ganz unpraktisch gewesen, wenn Madame Maxime und ich gestern irgendwie darüber informiert worden wären, Madame Brickston. Ich pflichte sowohl Ihnen bei, Martha und auch dir, Julius, was Grund und Auswirkungen angeht. Allerdings hätte ich zu einer endgültigen Bewertung sehr gerne das Sitzungsprotokoll vorliegen, um die geplanten Vorhaben auf ihre Konsequenzen zu prüfen. Es ist insofern richtig, daß eine organisierte Gegenbewegung existieren muß, um uns aus diesem unzumutbaren Zustand zu lösen, in den Didier und Pétain uns hineingetrieben haben. Natürlich müssen alle Vorhaben daraufhin überprüft werden, ob es hierbei zu Gewalthandlungen kommen kann und ob diese nötig oder vermeidbar sind. Ich kenne Phoebus Delamontagne gut genug, daß er als Gegenminister nicht darauf hinarbeiten möchte, uns noch mehr zu schwächen, indem er einen offenen Krieg zwischen französischen Hexen und Zauberern entfachen will. Allerdings kann jedes Vorhaben zu einer gewaltsamen Reaktion führen, die wiederum eine gewaltsame Gegenreaktion bewirkt. Dies kann ich nicht genau einschätzen, solange ich nicht weiß, was genau besprochen und beschlossen wurde. Da jedoch wohl zwei Mitglieder der Liga gegen dunkle Kräfte die wichtigsten Positionen besetzen, bin ich zunächst einmal optimistisch, was die Ausrichtung angeht. Oder hat Monsieur Delamontagne beschlossen, Didiers Regime gewaltsam zu entmachten?" Catherine und Martha Andrews schüttelten die Köpfe. "Hätte ich auch wirklich nicht erwartet." Martha Andrews sah Catherine fragend an. Unvermittelt hörte sie deren Stimme in ihrem Kopf: "Möchtest du das näher ausführen, wie der von dir und mir entworfene Aktionsplan aussieht?" Martha wußte nicht, wie sie telepathische Botschaften beantworten konnte, falls sie die Kraft dazu hatte. So nickte sie Catherine zu. Professeur Faucon warf ihrer Tochter einen ungehaltenen Blick zu und sah dann Martha an. "Gehe ich recht in der Annahme, daß Sie auf der Basis dessen, was Sie mit Minister Grandchapeau schon erörtert haben einen großen Anteil an der Planung tragen, Madame Andrews?" Fragte die Lehrerin. Julius' Mutter bestätigte das und sah es als Aufforderung, die von ihr für durchführbar erachteten Punkte zu erwähnen. Danach ging es darum, daß für den Fall, daß das französische Zaubereiministerium bereits unterwandert war, zunächst wichtige Personen der Zaubererwelt in Sicherheit gebracht werden müßten, die dann versuchten, durch eine Gegenpropaganda und Aufrufe zu gewaltlosem Widerstand wie Arbeitsniederlegungen oder Verweigerung von Befehlen aus dem Ministerium die korrumpierte Verwaltung lahmlegten, gleichzeitig jedoch, um keine Anarchie aufkommen zu lassen, eine Alternativregierung zu bilden, die mit überzeugenden Argumenten die Mehrheit der magischen Gemeinschaft erringen und diese geordnet weiterführen sollte. Ziel war, die unterwanderte Zaubereiverwaltung handlungsunfähig zu machen und gegen die Bedrohung von außen vorzugehen, ohne die bisher geltenden Menschenrechte zu mißachten. Natürlich mußten sie mit Gegenmaßnahmen rechnen und diese voraussehen, um sofort dagegenhalten zu können. Das ganze war wie ein Computerprogramm für Schach, bei dem nicht nur die erfolgreichen Züge errechnet wurden, sondern immer abgewogen wurde, welche Gegenzüge dem eigenen Zug folgen konnten. Allerdings hatte sie dabei nicht außer Acht gelassen, daß es keine strengen Spielregeln gab und somit viele unbekannte Faktoren in der Vorausberechnung lauerten. Hinzukam dann natürlich noch, daß die Züge und Gegenzüge keine logischen Handlungen bleiben mußten und auch auf gefühlsmäßige Auswirkungen geachtet werden mußte. Deshalb war ein Vorhaben, die Selbstsicherheit des unterwanderten Ministeriums zu erschüttern. Durch die Einrichtung der Friedenslager und die Einberufung aller volljährigen Hexen und Zauberer zur Dementorenabwehr wähnte sich Didier gut genug gegen Übergriffe von innen und außen gewappnet. Falls jedoch jemand eines oder mehrere Friedenslager von außen öffnete und die Insassen befreite, würde diese Selbstsicherheit arg erschüttert. Hinzukam dann noch, daß die befreiten Gefangenen sich ganz sicher nicht mehr für Didier einsetzen würden. Da lag aber auch die Gefahr. Wenn Didier sich angegriffen fühlte, mochte er wie eine in die Enge gedrängte Ratte um sich beißen und kratzen. Das würde dann nicht ohne Verwundete auf beiden Seiten abgehen. Andererseits bereitete Didier im Moment den Boden für eine unangefochtene Invasion Voldemorts, indem er die Zauberergemeinschaft nicht einte, sondern einschüchterte und die wirklich mächtigen Zauberkämpfer mundtot und handlungsunfähig machte. So stellte sich tatsächlich die Frage, wann Gewalthandlungen unumgänglich waren. Sie hatte Julius zur besonnenen, jede unnötige Gewalt vermeidenden Haltung erzogen, auch und vor allem als er bei Tanaka Karate erlernt hatte, um sich gegen neidische und brutale Mitschüler wehren zu können.

"Nicht gerade sicheres Gelände, auf das Sie sich da bewegen, Martha. Aber besser sich bewegen als eingeschüchtert dazusitzen und zu hoffen, daß das Unheil von selbst endet. Aber ich betone noch einmal, daß eine derart umwälzende Entscheidung mit den verfügbaren Mitteln allen für ihre Umsetzung wichtigen Personen unverzüglich hätte mitgeteilt werden sollen. Oder sind Madame Maxime und ich die einzigen, die bisher nicht davon erfahren haben? Beinhaltet Ihr Aktionsplan auch eine Liste der für die Umsetzung entscheidenden Personen? Falls nicht, sollten wir diese Liste schnellstmöglich erstellen und die darauf aufgeführten Damen und Herren informieren, soweit sie mit den eingeschränkten Mitteln erreichbar sind."

"Die Liste existiert bereits, und die Möglichkeiten, Didiers Blockaden zu unterlaufen werden bereits ausgelotet", erwiderte Martha Andrews ruhig. "Das war uns ja bewußt, daß wir nicht mit einer kleinen Gruppe in Millemerveilles auskommen, wenn wir wirklich etwas bewirken wollen. Allerdings können keine schriftlichen Einzelheiten übermittelt werden. Das Postamt von Millemerveilles läßt keine Posteulen mehr fliegen, seitdem fünf Eulen kurz nach dem Abflug mit zerzaustem Gefieder und ohne Postsendungen zurückkehrten und ziemlich verstört waren. Didier will Millemerveilles komplett von der Außenwelt abschotten."

"So wie Beauxbatons", schnarrte Professeur Faucon. Dann sagte sie noch: "Bleibt also nur die Portraitverbindung. Ist nicht gerade geeignet, ausführliche Nachrichten wortwörtlich weiterzuleiten."

Julius hob die Hand wie im Schulunterricht. Antoinette sah ihn und Professeur Faucon an und nickte ihm zu. "Beim Militär machen die sowas mit Kurieren oder Meldern. Die leben aber ziemlich gefährlich, weil die Gegenseite entweder die ganzen Nachrichten selbst lesen will oder eben verhindern will, daß der feindliche Empfänger die Nachrichten erhält. Mentiloquieren geht aber doch noch, oder?"

"Ist auf größere Entfernung auch nicht zu empfehlen, wenn Sender und Empfänger nicht gut aufeinander abgestimmt sind", erwiderte Antoinette Eauvive. "Ich habe jetzt zwar auf Grund des Rituals eine vorzügliche Verbindung mit deiner Mutter etabliert, aber Beauxbatons ist gegen diese Verständigungsart versperrt. Immerhin ist die Sperre in Millemerveilles nicht mehr wirksam. Ich könnte halt nur mit meinem Intrakulum zwischen Portraits von Viviane Eauvive wechseln."

"Wer sagt das?" Fragte Professeur Faucon. Julius sah Antoinette selbstsicher an, während seine Lehrerin weitersprach: "Es ist durchaus erwiesen, daß Intrakulisten nicht nur durch zwei Portraits einer magischen Person über weite Entfernungen reisen können, sondern auch aus jedem beliebigen Zaubergemälde heraustreten können. Es wäre zum Beispiel möglich, daß Sie, Madame Eauvive, hier in das uns allen sichtbare Gemälde Magistra Eauvives eintreten und sich von dem animierten Motiv zu seinem Gegenstück in Beauxbatons bringen lassen, wo da selbst Sie von einem der fünf übrigen Gründer aus dessen Stammportrait heraus zu einem andernorts aushängenden Gemälde des Gründers mitgenommen werden können, um daselbst in das natürliche Raum-Zeit-Gefüge zurückzukehren. Dies unterläuft die bisherigen Kaminverbindungen und bedarf keiner Apparition oder eines riskanten Fluges aus einer belagerten Zone heraus oder in eine belagerte Zone hinein. Wie Sie selbst wissen, können Sie dabei Kleidung und Ausrüstung mitführen. Solange die Zielportraits nicht in feindlicher Hand sind oder die Gegner diese Methode für sich selbst entdecken verringert sich die Gefahr für den Kurier, in diesem Falle also Sie, auf ein sehr gut vertretbares Minimum, solange sie das Intrakulum nicht zu häufig in kurzer Zeit bemühen. Sollte dieser Weg von unseren offenkundigen Gegnern entdeckt und selbst beschritten werden, ist es angeraten, die Gemälde entweder gegen die Wand zu wenden oder abzuhängen. Das würde den Austritt eines Intrakulisten wirkungsvoll und von diesem nicht aufzuheben blockieren." Julius nickte bestätigend. Auch er hatte seit seiner ersten Expedition in die Bilderwelt nachgelesen, was gegen solche Eindringlinge getan werden konnte und war froh, problemlos nach Hogwarts gelangt zu sein. Antoinette Eauvive nickte. Professeur Faucon fiel wohl ein, daß Didier vielleicht schon auf die Methode gestoßen war, falls er an die Geheimunterlagen des Ministeriums herankam. Doch Martha beruhigte sie, daß das wohl nicht möglich war, weil Belle Grandchapeau ihr versichert habe, daß ihre Eltern beide noch lebten, wenn sie auch nicht sagen konnte wo. Professeur Faucon reagierte mit Erleichterung auf diese Mitteilung. Sie vermutete, daß Belles Eltern mit ihr einen nicht so häufig bemühten Zauber gewirkt hatten, der Viviparentes genannt wurde und unter der Geburt des ersten Kindes gewirkt werden mußte, um dem Kind jederzeit und an jedem Ort zu vermitteln, ob seine Eltern noch lebten oder starben. AntoinetteEauvive nickte. Den Zauber hatte sie auch mit ihrer Tochter Callisto vollzogen, was unter heftigen Wehen nicht so einfach gewesen war, die aber eine wichtige Komponente des Zaubers darstellten. Catherine fragte ihre Mutter, warum sie mit ihr nicht auch diesen Zauber vollzogen hatte. Professeur Faucon grummelte nur, daß Hera Matine das vereitelt habe, weil bei diesem Zauber beide Elternteile in Hörweite zu sein hatten und Catherines Vater damals aus dem Haus verbannt worden war, um nicht bei der Geburt zusehen zu können.

"Ach, dann hat die gute Hera in den letzten Jahren wohl einen starken Meinungswechsel vollzogen", erwiderte Catherine darauf. Martha erkannte, daß sie wohl auf Claudines Geburt anspielte.

"Dann sollte die von Ihnen eingeteilte Gegenregierung auch herausfinden, wo Minister Grandchapeau sich befindet und wer ihn entführt hat", wandte Antoinette Eauvive ein. "Dann wäre die Bezeichnung Grandchapeaus Stellvertreter propagandistisch besser geeignet als die Bezeichnung Gegenminister." Martha schlug sich vor den Kopf und nickte. Sie wußte doch schon seit ihrer strategischen Absetzbewegung nach Millemerveilles, daß die Grandchapeaus noch lebten. Dennoch war sie nicht auf diese Bezeichnung gekommen. So schlug sie vor, Monsieur Delamontagne als Grandchapeaus Interessenvertreter zu bezeichnen und die Sache mit dem Viviparentes-Zauber zumindest anzudeuten, wenn der eh kein Geheimnis war. Da bereits erwähnt worden war, Gilbert Latierre als einzig unabhängigen Reporter mit der Herausgabe einer freien Zeitung zu beauftragen, würde sie diese Umbenennung wohl empfehlen.

"Wie sieht das mit den Solarzellen aus, Mum?" Fragte Julius. "Bei uns gehen die Leute aus nichtmagischen Familien bald die Wände hoch, weil sie keine Sachen mehr von ihren Eltern kriegen. Könnte nicht nur für Beauxbatons wichtig sein, eine Leitung nach draußen zu haben."

"Florymont Dusoleil tüftelt das noch aus, wie hoch er den Wirkungsgrad bekommen kann, Julius. Außerdem soll er demnächst was erfinden, um die Ausstrahlung magisch begabter Menschen zu überlagern oder die dafür gebauten Meßgeräte auszutricksen. Er nannte das Antisonden. Jetzt, wo ich das mit diesem Ruhepotential kenne, begreife ich, wie er das anstellen will."

"Wozu soll das gut sein?" Fragte Antoinette Eauvive. Professeur Faucon und Julius sahen sie verwundert an. Die Lehrerin stupste Marthas Sohn an, wohl damit er die Frage beantwortete.

"Wenn sowas geht können Hexen und Zauberer über Bahnhöfe und Flughäfen der Muggelwelt ins Ausland abreisen. Da stehen im Moment einige zu viele Magiesucher herum, zumindest auf den internationalen." Martha nickte ihrem Sohn zu und ergänzte: "Wenn ich einen tragbaren Computer mit einer Funkverbindung zum weltweiten Informationsnetz benutzen kann, kann ich Flug- und Eisenbahnfahrpläne überprüfen und den Leuten, die mit nichtmagischen Verkehrsmitteln umgehen können mitteiln, wie sie schnell genug außer Landes kommen." Jetzt war es Antoinette, die sich die Hand vor den Kopf schlug. "Hätte ich wirklich erkennen müssen", schnaubte sie über sich selbst verärgert.

"Könnte dauern, bis so ein Gerät oder Gegenstand funktioniert", seufzte Julius.

"Er meinte, vom Prinzip her wisse er schon, wie er es machen müsse. Er müsse halt nur Material und Bezauberung herausfinden, womöglich auch die Form. Weil es soll ja tragbar und gut zu verbergen sein und nebenbei noch für die üblichen Sicherheitsvorrichtungen der magielosen Welt unverdächtig aussehen." Alle Anwesenden nickten.

"Dann hätten wir hier wohl jetzt alles besprochen, was im Moment wichtig ist", sagte Professeur Faucon nach einem Blick auf eine kleine Wanduhr. Diese zeigte viertel nach zwölf. "Was Sie angeht, Madame Andrews, können Sie im Moment wohl nach Millemerveilles zurückkehren, da das bei Ihnen gefundene Ruhepotential sie als magisch aktiv genug gegen den Muggelabwehrzauber ausweist. Ich stimme jedoch meiner Tochter zu, daß dieses Potential die nächsten knapp dreiundzwanzig Stunden lang beobachtet werden sollte. Andererseits steht zu befürchten, daß die Bewohner Millemerveilles sich laut fragen, wo Sie geblieben sind und wie sie den Ort verlassen haben. Unter freiem Himmel könnte das in die falschen Ohren geraten. Daher empfehle ich Ihnen, nach Millemerveilles zurückzukehren. Sollte das neue Ruhepotential und die damit einhergegangenen Beobachtungen und Versuche nicht ausgereicht haben, sie ohne den Trank dort weiterleben zu lassen, muß Catherine so tun, als seien sie noch im Ort, bis eindeutig geklärt ist, ob Sie mit oder ohne den Trank dort verweilen können. Falls das Potential nachläßt und unter den für magisch aktive Menschen üblichen Schwellenwert fällt, gilt eben das, was Sie mit meiner Tochter und ihrem Mann abgestimmt haben."

"Blanche, ich mag zwar bei der Durchführung des Rituals etwas übersehen haben, aber ich bin mir sicher, daß Martha Andrews' neues Zauberkraftpotential sich nicht mehr abschwächen wird. Das macht allein schon die von vier Hexen in sie und durch sie geflossene Kraft und die Verwandtschaft zu diesen vier Hexen", erwiderte Antoinette Eauvive verdrossen. Doch offenbar traute Professeur Faucon dieser Feststellung nicht über den Weg.

"Sie können genauso wenig annehmen, daß es so bleibt wie ich, Antoinette. Immerhin ist das der erste Fall dieser Art", schnaubte sie. Dann bat sie darum, mit Julius nach Beauxbatons zurückkehren zu dürfen. Julius verabschiedete sich von seiner Mutter und sagte, daß er sie weiterhin lieben würde, egal, ob mit oder ohne Zauberkraft. Martha bekam vor Rührung feuchte Augen und umarmte ihren Sohn. Dann sahen Catherine und sie zu, wie sich Professeur Faucon wieder in einen Fingerhut verwandelte. Julius verbarg diesen in einer Umhangtasche und trat an Vivianes kleineres Bild heran und legte jenes mysteriöse Metallding darauf, bevor er "Per Intraculum transcedo!" rief und von einer Lichtspirale eingefangen wurde, die in das Bild hineingesaugt wurde, wo sie zu einem leuchtenden Kreis wurde, aus dem ihr Sohn nun wie gemalt im Vordergrund des Bildes erschien. Viviane nahm ihn beim Arm und zog ihn mit sich durch den Bilderrahmen fort.

"Unheimlich, das mal mitzuverfolgen, wie es aussieht", sagte Martha.

"Genauso unheimlich wie die Vorstellung von überschallschnellen Flugzeugen oder Mondraketen", erwiderte Catherine. Dann bat sie Antoinette Eauvive, ihr das goldene Ding mitzugeben, mit dem man das Ruhepotential messen konnte. Zur Probe, ob es wirklich funktionierte, maß sie ihr eigenes nach: 6,89. Dann half Sie Martha, eine durchsichtige Blase um ihren Kopf zu legen und vollführte an ihr den Einschrumpfungszauber von letzter Nacht, bevor sie sich wie ihre Mutter in einen Fingerhut verwandelte. Wieder glaubte Martha, von einem wilden Tornado gepackt und davongerissen zu werden, der schnell verebbte, um eine Minute später in Gegenrichtung zu wüten. Sie wurde aus Antoinettes Umhangtasche geholt und vorsichtig auf die Füße gestellt. Die magische Blase erleichterte ihr das Atmen dieser merkwürdig dicken Luft, die Martha wohl als Nebenwirkung einer radikalen Schrumpfung ansah. Dann bekam sie ihre übliche Körpergröße zurück, während Catherine sich aus eigener Zauberkraft in ihre angeborene Gestalt zurückverwandelte. Ohne weiteres Wort intrakulierte Antoinette Eauvive zurück in Vivianes hier hängendes Bild und wurde wie vorhin Julius vom lebendigen Motiv mitgenommen. Eine Minute später fing Martha eine Gedankenbotschaft von Anntoinette auf: "Wenn du das hier auch hörst, geh davon aus, das irgendwann auch beantworten zu können." Die Stimme in ihrem Kopf klang laut und deutlich, als wenn Antoinette direkt daringesessen hätte. Ohne weiteres Wort ging Catherine mit Martha in das kleine Arbeitszimmer, das als Klangkerker bezaubert war. Dort löste sie die magische Luftblase um Marthas Kopf wieder auf.

"Falls du den Trank nicht mehr brauchst kann Joe bis Weihnachten wach bleiben. Ich habe ihm heute morgen erzählt, daß du zu Hera Matine gegangen wärest, um zu prüfen, ob du auch mit einer geringeren Dosis auskommst. Da wußte ich noch nicht, daß du womöglich überhaupt keinen Trank mehr einnehmen mußt. Das mit der Atemblase war praktisch, damit du die nicht mitgeschrumpfte Luft besser veratmen konntest, Martha. Sie zeigt mir aber auch, daß du im Moment magisch aktiv genug bist, um sie aufrechtzuerhalten. Allerdings hast du im Moment wohl auch eine gute PTR. War nämlich nicht so einfach, dich zusammenzuschieben."

"Kann man die auch mit einem Gerät messen? Julius und Eleonore sagten was, daß sie eher durch Versuch und Irrtum ermittelt wird."

"Und in Abhängigkeit von der auf einen einwirkenden Verwandlungskraft. Meine Mutter hat mir das natürlich erzählt, daß du das auch schon mitbekommen hast. Der Abwehrzauber wirkt nicht auf dich. Sonst wärest du bereits nach dem Austritt aus dem Bild in Panik davongelaufen. Wenn du das Bedürfnis verspüren solltest, hier nicht mehr sein zu wollen, sage mir das bitte früh genug, damit ich dir eine Dosis des Trankes geben kann, weil dann ist auch ohne Potentialmessung klar, daß das zurückgefallen ist. Sei froh, daß du dich nicht in Antoinettes eigenes Kind zurückverwandelt hast. Ich las in einem Buch über das Ritual, daß bei einem ähnlichen Experiment, wo ein Zauberer von seiner Mutter und seiner Schwester zugleich dem Ritual unterzogen wurde, in den Schoß seiner Mutter zurückgeschrumpft ist und ohne Erinnerungen an sein bisheriges Leben neu ausgetragen und geboren werden mußte. Die Dosis macht das Gift, auch bei anscheinend so hilfreichen Zaubern. Meine Mutter hat recht, daß eine renommierte Heilerin das unbedingt hätte bedenken müssen."

"Das wäre für Julius womöglich ein größerer Schreck gewesen als die Enthüllung, daß ich im Moment auch auf einem Hexenbesen reiten kann."

"Ja, und es wäre der guten Antoinette Eauvive bestimmt nicht leichtgefallen, ihrem Mann zu verkaufen, er sei der Kindsvater, wo sie beide getrennte Schlafzimmer haben."

"Das hat mir Madame Eauvive nicht erzählt. Woher weißt du das denn?" Wunderte sich Martha Andrews.

"Von Ursuline. Die meinte mal, daß Madame Eauvive wohl ganz klar entschieden habe, kein weiteres Kind haben zu wollen, nachdem sie vier bekommen habe und ihr einziger Sohn Sébastian mit meinem Vater im Sternenhaus ermordet worden ist. Könnte sein, daß Madame Eauvive und ihr Mann denken, ein fünftes Kind könne unbewußt als Ersatz für den toten Sohn herhalten, wenn es ein Junge sei."

"Deshalb wundere und freue ich mich ja über Camille, daß sie noch einmal ein Kind erwartet", sagte Martha. "Sie hat mir sogar schon verraten, was es wird."

"Rat mal wem noch!" Erwiderte Catherine. "Aber ich denke nicht, daß Camille und Florymont das Kind als Ersatz für Claire ansehen. Es sei denn, sie glauben an eine göttliche Gnade und eine Wiedergeburt ihrer Tochter. Aber das denke ich nicht. Sonst müßte ich ja Claudine als Reinkarnation meiner verstorbenen Urgroßmutter halten, die noch aufwachen muß. Apropos. Ich sollte besser nachsehen, ob Claudine was braucht."

"Also ich war über Nacht bei Madame Matine. Weiß Madame Matine das auch?" Fragte Martha Andrews.

"Ja, sie weiß das. Ich habe es ihr heute morgen per Mentiloquismus zugeschickt. Meine Mutter hat übrigens geschimpft, weil ich das mit dir gemacht habe, ohne daß du anständig darauf antworten konntest. Wer es kann darf es an und für sich nur mit denen machen, die es auch können. Das ist eine Manier des Mentiloquismus. Weil einer, der diese zauberstablose Zauberkunst beherrscht, darf nicht nicken oder andere äußere Anzeichen zeigen, daß er oder sie eine Gedankenbotschaft erhalten hat. Aber du bist gut ansprechbar. Falls das nicht wieder nachläßt, lernst du das entweder von Antoinette oder von mir, das auch zu machen. Von der Konzentration her bist du durchaus dazu fähig, das zu lernen und zu nutzen."

"Ich möchte mir das lieber nicht vorstellen, wie Julius oder Babette im Zaubereiunterricht zu sitzen. Aber ich sehe ein, daß ich wohl damit umzugehen lernen muß, wie ich es einsah, daß Julius es lernt."

"Du bleibst trotzdem immer noch ein Mensch und mußt nicht fürchten, daß es dich überwältigen und verändern wird, wenn du früh genug lernst, damit umzugehen."

"Wie verkaufen wir es Joe, falls ich jetz ... so bleibe."

"Erst einmal gar nicht. Madame Eauvive hat recht, daß davon erst einmal nur die wenigsten wissen sollten. Und falls es wieder verschwindet, muß es keiner gewußt haben, daß es da war."

"Wie kann ich das vermeiden, daß mir irgendwas ausrutscht?" Fragte Martha beklommen, weil sie an Babette dachte, die mit ihren Zauberfähigkeiten ja schon sehr früh herumgespielt hatte.

"Vorerst indem du dich so gut es geht beherrschst und dich nicht zu starken Gefühlen hinreißen läßt. Will sagen, keine Angst kriegen, nicht wütend werden und bloß nicht mit jemandem Liebe machen, bevor du lernst, die Kraft zu kontrollieren." Martha wurde rot, während Catherine wie ein vergnügtes Schulmädchen grinste. "Oh, besteht die Möglichkeit, daß du diesbezüglich was unternehmen wolltest?" Fragte sie noch.

"Hier zumindest im Moment nicht, Catherine", knurrte Martha.

__________

"Hups!" War Millies erste Äußerung, als Professeur Faucon und Julius Madame Rossignol und ihr berichteten, was sie mal eben aus Beauxbatons getrieben hatte. "Oma Line sagt, daß Ritual sollte nur die Hexe und vielleicht ein von ihr geborenes Kind mit dem Empfänger ausführen, weil sonst ganz komische Sachen passieren können."

"Ja, das der Bruder der Hexe vom Fünfundvierzigjährigen zum Fünfjährigen zurückschrumpft", warf Julius ein. "Ich habe mir Hannigans Erlebnisbericht dazu durchgelesen."

"Weil der in der erlaubten Abteilung ausliegt", schnarrte Professeur Faucon und erwähnte, welche Auswirkung eine Überdosis an Vita-mea-Vita-Tua-Bezauberung einmal gehabt hatte.

"Da sollte meine etwas zu kurzsichtig gewordene Kollegin sich aber eigentlich schämen, das nicht bedacht zu haben", knurrte Heilerin Rossignol. "Immerhin könnte dein Potential, Julius, auch durch das Ritual erhöht worden sein, wo es eh schon sehr hoch ist."

"Madame Eauvive und meine Mutter möchten das erst einmal nicht zu weit rumgehen lassen", sagte Julius seiner Frau zugewandt. "Also erzähl das bitte erst einmal keinem aus der Verwandtschaft!"

"Schade, dabei hätte sich meine Mutter bestimmt gefreut, deiner Mutter einen anständigen Besen zu Weihnachten schenken zu können", grummelte Millie. Madame Rossignol sagte dazu nur:

"Vielleicht verschwindet dieses Potential auch wieder. Allerdings war es vielleicht schon an der Grenze zwischen Muggel und Squib. Immerhin haben sie und dein Vater deine Zauberkraft ja durch die Verbindung ihrer unweckbaren Zauberkräfte so stark gemacht."

"Stimmt", erwiderte Julius. "Deshalb hat dieses Biest Hallitti sich ja an meinem Vater vergriffen, weil er offenbar genug ruhende Magie in sich hatte, um für sie interessant zu sein."

"Ja, und gemäß den Vorgaben Rusters und Simonowskys ist das Quadrat der doppelten Summe beider elterlichen Potentiale das Ruhepotential des Nachkommens, der nach mehreren Generationen wieder Zauberkräfte entwickelt."

"Wie kommen dann wirkliche Muggelgeborenen zu Stande?" Fragte Millie, die mit diesem Theoriekram nicht viel anfangen konnte.

"Das ist noch nicht genau erforscht", sagte Madame Rossignol. Professeur Faucon nickte. "Deshalb kann auch niemand vorhersagen, welche Elternteile zusammenkommen müssen, um einen Zauberer beziehungsweise eine Hexe zu zeugen. Es ist nur sicher, daß bei einer Muggel-Magier-Verbindung die magische Begabung weitervererbt wird. Aber auch da kann es zu Fällen kommen, wo ausschließlich zu niedrige Potentiale vererbt werden, weil nicht vom erreichten Ruhepotential auszugehen ist, sondern von dem angeborenen, also vor der Zaubereiausbildung. Das kann die Erklärung dafür sein, daß in Julius' gerader Ahnenlinie zwischen Megan Bakersfield und Julius keine Hexen und Zauberer geboren wurden. Aber wodurch genau Kinder von magielosen Eltern Zauberkräfte erhalten ist wie erwähnt noch nicht erforscht. Und vielleicht ist das auch gut so. Weil die Kampagne gegen Muggelstämmige in Großbritannien zeigt deutlich, welcher Mißbrauch mit derartigen Behauptungen getrieben werden kann. Nachher hätten diese Verbrecher noch nach unschuldigen Muggeln gesucht, die magisch begabte Kinder zeugen könnten und diese ohne ihnen zu sagen warum gleich getötet."

"Schon schlimm genug, welchen Wahnsinn diese Kriminellen auch so schon inszeniert haben", grummelte Professeur Faucon. Millie jedoch lächelte selbstsicher und blickte Julius an. Professeur Faucon blaffte sie an, was sie da so amüsierte.

"An dem was Sie und Madame Rossignol sagten amüsiert mich nichts, Professeur Faucon. Ich habe nur gerade festgestellt, daß Julius und ich wohl keine Muggelkinder haben werden."

"Das dürfte vorher schon erwiesen gewesen sein", schnarrte Professeur Faucon. Dabei beließ sie es jedoch. Als sie dann über den Gegenminister sprachen, weil Professeur Faucon fand, daß das jetzt auch Madame Rossignol und Millie wissen durften, sagte die Heilerin:

"Es gibt wohl genug Leute in der Delourdesklinik, die Didiers Vorgehen rundheraus ablehnen. Die Gefahr eines gewaltsamen Konfliktes ist zwar vorhanden, wird jedoch durch die Gefahr, uns weiter schwächen und einschüchtern zu lassen überwogen. Besser es gibt zwei rivalisierende Gruppen als eine einzige, die nichts besseres zu tun hat, als unsere magische Gemeinschaft immer mehr zu schwächen und angreifbar zu machen."

"Ja, und vor allem mit unzulässigen Methoden", warf Professeur Faucon ein.

"Es wird wohl nicht ganz ohne Kampf laufen", erwiderte Julius leicht betrübt. "Allein schon wenn Leute aus Millemerveilles raus müssen, um Monsieur Delamontagnes Anweisungen auszuführen kriegen die Ärger mit den Patrouillenfliegern. Wenn ich jetzt auf meinen Besen steigen würde und wollte rausfliegen, wären gleich zwei oder drei von denen über Beauxbatons hinter mir her. Dann hätte ich nur die Wahl zwischen schneller fliegen, kämpfen oder aufgeben."

"Dann laß das besser Leute machen, die kein Problem damit haben, sich mit anderen anzulegen", wandte Millie ein.

"Um das ganz klar festzuhalten", schaltete sich Madame Rossignol ein. "Hier fliegt niemand auf einem Besen ab, um außerhalb von Beauxbatons irgendwas zu machen. Das verbiete ich euch beiden, Mildrid und Julius, jedem Pflegehelfer und auch sonst jedem Schüler hier. Falls Professeur Faucon befindet, sie möge einen Ausbruchsversuch überstehen, kann ich sie nicht davon abhalten. Aber ihr Schülerinnen und Schüler bleibt gefälligst im Schutzbereich von Beauxbatons, bis geklärt ist, ob die Umgebung wieder sicher ist oder nicht!" Professeur Faucon nickte sehr entschieden.

"Florence, ich sehe auch noch keinen Grund, Selbstmord zu begehen, indem ich offen auf einem Besen über die Begrenzung des Geländes hinwegfliege", entgegnete die Lehrerin. "Zumindest sehe ich bis jetzt auch keinen Grund, einen gewaltsamen Ausbruch unternehmen zu müssen. Und wir wollen hoffen, daß wir keinen solchen Grund bekommen werden."

"Aber das mit dem Intrakulum ist eine gute Idee. Könnte meine Mutter, Onkel Charles oder Tante Béatrice bestimmt gut nutzen", sagte Mildrid.

"Nur daß hierfür gewisse Edelsteine gebraucht werden", wandte Julius ein.

"Ja, und im Moment ist so schwer an das Zeug heranzukommen, wenn die jetzt auch Leute vor Gringotts rumstehen haben", knurrte Millie. Julius nickte. Andererseits würde das wohl auch heißen, daß Didiers Leute nicht auf eine derartige Idee kommen könnten. Immerhin hatten sie die Portraits von wichtigen Leuten aus Beauxbatons extra abgehängt, um keine Spionage der Bilder zuzulassen.

"Sagen wir es mal so, Madame Latierre: Auch wenn Ihre Familie gewiß niemandem im Dunstkreis Didiers auftischen würde, daß sie die Magie des Intrakulums kennt, sollte diese Methode vorerst nicht weiter erwähnt werden, weil sonst die Gefahr besteht, daß irgendwann doch jemand unbefugtes darüber informiert wird. Sollte es sich als nötig erweisen, daß außer Madame Eauvive und Ihr Ehemann noch jemand auf diese Methode zurückgreifen muß, werden die vertrauenswürdigen Personen dies wohl früh genug erfahren. Bei der Herstellung von Intrakula kann nämlich auch einiges schiefgehen."

"Minister Grandchapeau erwähnte mal, daß es wohl einige Intrakula im Ministerium gibt", erwähnte Julius unvermittelt unbehagt. "Was wäre, wenn Didiers Leute schon einige auf sich abgestimmte davon hätten?"

"Was die bereits bestehenden Intrakula angeht kann ich sie alle beruhigen, Monsieur Latierre. Minister Grandchapeau hat nach der Sache mit Slytherins Galerie alle hergestellten Artefakte in seinen nur dem lebenden, amtierenden Minister zugänglichen Geheimraum gelegt. Didiers Leute müßten also selbst neue Intrakula herstellen. Und da sie erst seit knapp sieben Wochen an der Macht sind hätten wir mindestens noch drei Wochen Zeit, uns auf derartige Besucher vorzubereiten. Für Beauxbatons gilt eh, daß die Gründer in einem geschlossenen Bereich des Palastes ihre Stammbilder aushängen haben und nur zwischen den andren Bildern der Galerie herumlaufen können. Wer versucht, ein gemaltes Ich mit dem Imperius-Fluch zu unterwerfen, kann zwar von diesem in ein anderes Portrait hinübergebracht werden. Dort verfliegt der Imperius sofort, weil das dortige Bild-Ich die dominante Präsenz bekommt und sofort alles weiß, was dem Ebenbild widerfahren ist. Und wie Sie selbst erleben durften kann das Bild-Ich im Zielgemälde sehr schnell den Austritt aus dem Gemälde vereiteln, beziehungsweise den Eindringling abwehren. In anderen Gebäuden sieht es vielleicht schlimmer aus. In meinem Haus besteht wohl keine Gefahr, weil die Zauber von Millemerveilles wie die um mein eigenes Haus unerwünschte Eindringlinge abwehren. Ähnliches gilt wohl für das Château Florissant und das Château Tournesol. Und das sind Didier zum Verdruß genau die Orte, wo sich der Widerstand gegen ihn konzentriert. Er wird also darauf hoffen müssen, daß alle Eingeschlossenen und Belagerten entweder keine Nahrungsvorräte mehr haben, die Abgeschnittenheit von der Außenwelt oder die räumliche Beschränktheit das auslösen, was Sie als Bunkerkoller bezeichnet haben, Monsieur Latierre. Wer nicht in eine Festung hineingelangt kann zumindest dafür sorgen, das niemand herauskommt. Zumindest sind Didier und Pétain sich darin so sicher."

"Trotzdem werden wohl Leute aus den überwachten Bereichen herausfliegen müssen, wenn die gesamte Zaubererwelt gegen Didiers Pläne mobilisiert werden soll", räumte Madame Rossignol ein. "Das wird dann schwierig, ohne unsichtbar machenden Besen und mit Apparierspürern über das ganze Land verteilt."

"Vielleicht könnten diese Antisonden, die Monsieur Dusoleil bauen will auch gegen Apparitionsspürer eingesetzt werden", sagte Julius. "Immerhin können die vom Ministerium immer noch nicht genau bestimmen, wer appariert. Und ich war mit Mrs. Porter auf der Suche nach meinem Vater an einem Punkt appariert, wo kein Spürzauber hinkommt. Wer da ankommt und dann mit einem Besen weiterfliegt ist nicht zu orten."

"Ja, ich habe von diesen Orten gehört", grummelte Professeur Faucon. "Dem werde ich dann wohl nachgehen, auch auf die Gefahr hin, auf Widerstand zu stoßen. Mehr müssen Sie alle hier nicht erfahren." Was Julius anging mußte er dazu auch nicht mehr erfahren, weil er ja wußte, wer diese unortbaren Ankunftspunkte betrieb, wo selbst ein Portschlüssel nicht geortet werden konnte. Portschlüsselunortbarkeit! Warum war er nicht schon viel früher darauf gekommen. Er wandte sich an Professeur Faucon:

"Ähm, vielleicht stoßen Sie auf weniger Widerstand, wenn sie einem Ehepaar bei Denver in Colorado die Frage stellen, wie die es hinbekommen haben, daß keine in ihrem Haus auftauchenden Portschlüssel geortet werden können."

"Natürlich", stieß Professeur Faucon aus und schlug sich an den Kopf. "Wir haben uns durch die Abschottung der Staaten und jetzt auch Frankreichs davon abbringen lassen, dort nach Möglichkeiten zu fragen, wie Portschlüssel unortbar eintreffen und wieder verschwinden können. Offenbar hat mich der Lernbetrieb hier zu sehr davon abgehalten, auf diese Idee zu kommen. Recht herzlichen Dank für diesen überaus wichtigen Anreiz, Monsieur Latierre. Dies werde ich sofort ergründen. Sie entschuldigen mich bitte!" Madame Rossignol öffnete den Klangkerker. Julius übergab der Lehrerin wortlos das Intrakulum. Bei ihr im Schrank war es wohl besser aufgehoben, weil es aus Metall war und deshalb nicht problemlos in seinem Practicus-Brustbeutel aufbewahrt werden konnte, ohne dessen Diebstahlschutz zu schwächen. Als die Lehrerin durch die Tür hinaus war baute Madame Rossignol den Klangkerker wieder auf und befragte Julius, welches Ehepaar er meinte. Julius erzählte schnell noch einmal die Geschichte von der wilden Jagd nach seinem Vater, die ihm fast zum Verhängnis geworden wäre. Madame Rossignol erinnerte sich, den Pflegehelferschlüssel nicht überall orten zu können, als Julius in Amerika war. Die Entfernung hatte das schon sehr schwer gemacht.

"Ach das sind die beiden aus der Liga, die den Crup haben, Julius?" Fragte Millie. Julius nickte. "Genau, Murphy", sagte er dann noch.

"Moment mal, Julius. Ross, geborene Southerland. Och Mensch, das kriege ich auch raus. Die Southerlands sind ja nicht so ganz zufällig mit den Latierres verwandt. Ähm, Magistra Delourdes, falls ich darf möchte ich Sie bitten, Magister Lesauvage zu bitten, mit dem Portrait Kontakt aufzunehmen, daß Verbindung zu den Southerlands hat und zu prüfen, ob das auch mit einer Familie Ross bei Denver in Kontakt treten kann. Falls ja, möge es bitte schöne Grüße von dem Jungen ausrichten, der damals mit einem alten Sofa bei ihnen reingepurzelt ist. Der und ich möchten nur wissen, wie man das hinkriegt, daß solche Sofas nicht verfolgt werden können. Danke!" Madame Rossignol nickte dem Bildnis Serena Delourdes' zu, das die Unterhaltung mitgehört hatte, weil das Bild trotz Klangkerker ja noch innerhalb des bezauberten Raumes hing. Die Gründerin des gelben Saales machte sich wortlos auf die Suche nach Orions gemaltem Selbst.

"Nun, ob Professeur Faucon das gutgeheißen hätte, daß du ebenfalls nach diesem Geheimnis fragst weiß ich nicht. Aber ich denke, besser einmal zu viel gefragt als einmal zu wenig", sagte die Heilerin.

"Wenn das klappt können wir Didier ein großes Ei legen", wandte Julius ein, der so aussah, als denke er über was nach. "Und wenn bei der Gelegenheit noch ein tragbarer Antiapparitionsorter bei herausspringt hat Didier keine Kontrolle mehr über magische Reisen außerhalb des Flohnetzes."

"Dazu müßte man wissen, wie die Dinger arbeiten", sagte Millie.

"Dazu müßte ich wissen, ob es beim Apparieren außer dem Knall des plötzlichen Vakuums und der Luftverdrängung noch andere Begleiterscheinungen gibt, immerhin tritt ja jemand aus dem Raum-Zeit-Gefüge aus und taucht anderswo wieder darin ein oder schafft sowas wie ein kurzfristiges Wurmloch zwischen zwei entfernten Punkten im Raum. Könnte beides irgendwelche Spuren hinterlassen, die gemessen werden können."

"Bevor ihr beiden knapp vor dem Mittagessen in die Bibliothek rennt, um das nachzuschlagen: Beim Apparieren entsteht eine magische Verbindung zwischen Ausgangs- und Zielort, die für einen Moment die Entfernung dazwischen aufhebt. Daher fühlt es sich für einen magisch aktiven Apparator auch so an, als werde er zusammengestaucht, weil er sich durch diese Verbindung zwengen muß. Wenn sie wieder gelöst wird entsteht am Ausgangs- und Zielort eine mit natürlichen Sinnen nicht wahrnehmbare Restkraftentladung, je weiter einer appariert, desto stärker. Daher ist es ja auch sehr schwer, eine bestimmte Entfernung zu überschreiten. Nur wirklich sichere und zaubermächtige Hexen und Zauberer wagen eine Interkontinentalapparition und müssen dabei auf festem Boden herauskommen, während sie aus einem schwimmenden oder fliegenden Gefährt beliebig disapparieren können. Zumindest habe ich das so in der Heilerausbildung gelernt, als es um Grundlagen magischer Verkehrsmittel und die dabei möglichen Unfälle ging", erläuterte die Heilerin.

"Dann müßte doch nur diese Restkraftentladung neutralisiert werden, und schon könnte jemand unbemerkt irgendwo hinapparieren", wandte Julius zufrieden ein. Er hatte genau diese Erklärung erhofft. Doch er war sich auch sicher, daß Zauberkunstexperten wie Florymont Dusoleil dieses Problem schon längst erkannt hatten. Wenn es bisher keine Lösung dafür gab, lag es entweder daran, daß das Verfahren nicht in ein tragbares Gerät gesteckt werden konnte oder der Apparator dabei Probleme mit dem Apparieren kriegen konnte. Dann war das, was die schweigsamen Schwestern in den Staaten und wohl auch in Frankreich gemacht hatten wohl die einzig mögliche Lösung, um unortbar abzuspringen oder anzukommen. Aber jetzt, wo er ungefähr wußte, wieso man das überhaupt orten konnte, wenn eben nicht so sicher, um sagen zu können, wer das war, wollte er das Problem zumindest einmal näher überdenken.

"So, als Heilerin von Beauxbatons weise ich euch beide jetzt an, zum Mittagessen zu gehen, um die notwendige Menge Nährstoffe in eure Körper aufzunehmen", sagte die Schulheilerin eine halbe Minute später. "Hast du auf dem Weg von der Bibliothek zu Professeur Faucon mit irgendwem laut gesprochen, Julius?" Fragte sie noch. Er schüttelte den Kopf. Und auf dem Rückweg hatte er die Lehrerin per Wandschlüpfsystem mitgenommen. "Gut, dann werden diese Schallansauger da draußen nicht mitbekommen haben, daß du anderswo warst als in der Bibliothek und einem ruhigen Raum ohne Gesprächspartner."

"Nur daß die dann womöglich mitgehört haben, welche Bücher ich mir angesehen habe."

"Was hast du der guten Madame D'argent denn als Begründung aufgetischt?" Wollte die Heilerin wissen. Julius führte an, sich auf sie berufen zu haben. "Na, das ist aber nicht gerade vorbildlich, Jungchen", schnarrte sie. "Eigentlich müßte ich dir dafür Strafpunkte geben wegen falscher Angabe unter Berufung auf eine Schulbedienstete. Aber erstens muß keiner wissen, daß ich dir diese Anweisung nicht erteilt habe und zweitens hätte ich das wohl nicht verhindern können, daß du dich über dieses Ritual schlauliest. Also macht jetzt, daß ihr zum Essen kommt!" Julius wandschlüpfte zuerst in den grünen Saal, um von dort aus zu Fuß mit einigen anderen in den Speisesaal zu gehen. Er behauptete einfach, er habe den Morgen genutzt, um erst innerhalb und dann außerhalb der Bibliothek was nachzulesen, weil Millie in der Pflegehelferkonferenz war.

"Professeur Faucon ist wohl immer noch sauer", meinte Pierre Marceau. "Dabei ist nicht viel passiert, außer daß Gabrielle und ich uns in einer Ecke lange umarmt und geschmust haben."

"Die sind hier ziemlich empfindlich, was sowas angeht, glaub's mir", erwiderte Julius.

"Vor allem, Monsieur Marceau, wenn zum Schmusen auch das gegenseitige Betasten privater Körperstellen gehört", schnarrte Céline. "So fing das damals mit meiner Schwester an, bevor sie Cythera ausgebrütet hat."

"Habe ich mit dir geredet, alte Kratzbürste?" Schnarrte Pierre. "Als wenn du und dein Freund euch noch nie angefaßt hättet. Erzähl mir doch sowas nicht, wo der dich immer so anschmachtet."

"Paß bloß auf, Kleiner, daß ich dir zu den hundert Strafpunkten und dem Gartendienst nicht noch mal hundert Strafpunkte draufpacke", schnarrte Céline. Julius schwieg dazu besser. Er mußte ja wirklich nicht raushängen lassen, daß Millie und er in manchen Minuten schön nahe zusammenstanden, jedoch darauf achteten, die Kleider am Leib zu behalten und nicht in irgendwelche von Madame Rossignol meßbaren Hochgefühle abzugleiten. Außerdem hatte Pierre recht, wenn er anführte, daß Céline sich nicht als Anstandshexe aufspielen sollte, wo Robert ihm im Schlafsaal schon mal erzählt hatte, wie er auch im Dunkeln mehr über den Körper seiner Freundin herausgefunden hatte, allerdings bevor ihre Schwester schwanger geworden war.

"Nur weil du vier Jahre länger auf der Welt rumläufst als ich mußt du Kleiderhaken mich nicht Kleiner nennen, auch wenn du 'ne Silberbrosche anhast. Yvonne war da wesentlich lockerer drauf als du", konterte Pierre trotzig.

"Pierre, komm lass sie. Als ihre Schwester ihr Kind bekam wurde sie von vielen hier übel angemacht, unter anderem auch von Mildrid. Ich kann zumindest verstehen, daß sie nicht möchte, daß das im grünen Saal noch mal passiert, daß ein Mädel vor den ZAGs rund wird", schaltete sich Julius ein und fügte hinzu: "Außerdem mußt du diese Silberbrosche respektieren. Deshalb muß ich dir leider zwanzig Strafpunkte geben, wegen Respektlosigkeit gegenüber einem Saalsprecher."

"Die ist für die Mädels zuständig und da nur als Yvonnes Vertretung", protestierte Pierre. Julius hielt ihm den Mund zu und flüsterte: "Deshalb sind es auch nur zwanzig und nicht fünfzig. Krieg dich wieder ein und laß dich nicht noch mal bei sowas erwischen!" Pierre wollte zwar nun protestieren, weil Julius ihm den Mund zugehalten hatte. Doch dann klickte es bei ihm, wie Julius das gemeint hatte. Er sollte sich nicht noch einmal erwischen lassen. Das hieß nicht, daß er und Gabrielle nicht weiterhin miteinander schmusen durften. Céline funkelte Julius mit ihren smaragdgrünen Augen an, hielt sich aber jetzt zurück.

Beim Mittagessen sprachen er und Robert über das, was Pierre angestellt hatte. Robert meinte nur: "Ups, im Saal, nachdem wie Mogel-Eddie Claire und dich abservieren wollte und Connie mit Cythera unterm Umhang rumlief? Ist klar, daß Céline da genervt reagiert, wenn die dabei zusehen mußte. Soll ich dem Kleinen ein paar verschwiegene Ecken verraten?"

"Sei froh, daß mir heute nicht danach ist, weitere Strafpunkte zu verteilen, Robert", grinste Julius. "Neh, laß den Kleinen das besser selbst rausfinden. Der ist hoffentlich noch lange genug hier. Außerdem kann das ja sein, daß das zwischen ihm und der kleinen Veela-Enkelin nur ein kurzes Ausprobieren bleibt. Er ist aufgeklärt und weiß, was er besser nicht tun sollte, wenn er nicht weit vor den ZAGs rausfliegen will. Abgesehen davon sieht er an Millie und mir, wie schnell wer verheiratet sein kann. Die Delacours könnten darauf bestehen, daß er mit Gabrielle zusammengesprochen wird, bevor der die richtig kennengelernt hat."

"Vor allem wenn die erst richtig loslegt mit diesem Veela-Zauber. Dann kann der Kleine sich schon mal auf die großen Jungs einstellen, die hinter der herjachern. Die wollte wohl nur sehen, wieviel der sich schon traut oder ob bei dem schon mehr dran ist."

"Robert, das weiß ich nicht. Über Millie hat man ja ähnliches abgelassen, als die anfing, hinter mir herzulaufen. Deshalb bin ich der Letzte, der darüber ablästern kann."

"Ich meine nur, daß wo Fleur hier war hunderte von Jungs über dreizehn meinten, der nachlaufen zu müssen. Ich habe die zwar nur ein Jahr richtig miterlebt. Aber ich hab' das schon gemerkt, wie die auf Jungs wirkt. Wundere mich nicht, daß die kleine Gabrielle Pierre schon entsprechend benebeln kann", meinte Robert.

"Ich verstehe, daß Céline nicht will, daß einem der Mädels von uns dasselbe passiert wie Constance. Ansonsten muß ich nur darauf achten, daß zu ahnden, wenn ich es sehe."

"Und darauf, nicht bei sowas gesehen zu werden, nicht wahr?" Raunte Robert so leise, daß es in der üblichen Geräuschkulisse des Speisesaals nicht weiter zu hören war.

"Das sowieso", erwiderte Julius hintergründig lächelnd. Robert grinste breit, bevor er sich darauf besann, daß er immer noch Hunger hatte.

Gabrielle mußte den Nachmittag unter Yvonnes Aufsicht im grünen Saal verbringen und tausendmal den Satz schreiben: "Ich darf mich nicht von Jungen an privaten Körperstellen anfassen lassen." Julius hatte nur ein paar Momente zugesehen, bis Yvonne ihm mit einer dezenten Geste bedeutete, sich besser anderswo hinzubegeben. Julius ging zu Laurentine, die seit Gastons Rückstufung und Rauswurf häufiger allein an einem Tisch saß und da irgendwas las oder schrieb. Er fragte, ob er sich zu ihr setzen durfte und unterhielt sich bis zum Abendessen mit ihr über die letzten noch ergatterten Muggelweltneuigkeiten. Weil sie gerne mal wieder was aus der nichtmagischen Welt lesen wollte, lieh er ihr ein paar seiner Bücher, die seine Eltern ihm im ersten Hogwarts-Jahr zum Büffeln geschickt hatten.

Nach dem Abendessen ging er noch einmal in die Bibliothek, um über die bekannten Wirkungsweisen des Apparierens nachzuforschen. Da er Jeanne damals bei der Vorbereitung ihrer theoretischen Prüfung geholfen hatte, kannte er die entsprechenden Bücher, nur eben nicht auswendig. Vielleicht sollte er die sich selbst besorgen, wenn er, sofern das noch möglich war, im nächsten Jahr das Apparieren lernen würde. Er nutzte den Umstand aus, daß Bernadette Lavalette gerade wieder einmal mit Madame D'argent über weiterführende Fachliteratur diskutierte, um weit über den verlangten Stoff hinaus vorarbeiten zu können. Julius hielt zwar auch was von mehr Wissen als nötig, lernte aber nur das, was ihn wirklich interessierte mehr als sonst und ließ alles andere auf dem gerade von ihm verlangten Niveau. So konnte er sich mit den drei Büchern "Erscheinungsformen des Apparierens" "Zeitlose Reisen" und "Gesetze und Verhaltensrichtlinien für Apparatoren" eindecken. Eigentlich brauchte er das reine Gesetzbuch nicht um rauszufinden, wie ein zeitloser Ortswechsel ablief. Doch vielleicht wurde in den beiden anderen Büchern darauf verwiesen. Dann sollte er es besser gleich schon vorliegen haben. Im Kapitel "Begleiterscheinungen der Apparition" las er das nach, was Madame Rossignol Millie und ihm schon verraten hatte, aber auch, daß diese Restkraft gerade einmal fünfzig Kilometer weit angepeilt werden konnte. Wer innerhalb eines Spürerbereiches weniger als zwei Kilometer apparierte, konnte nicht genau geortet werden, weil Disapparition und Reaparition zu nahe beieinanderlagen. Das hatte Madame Rossignol nicht verraten. Womöglich verschwammen dann die beiden Entladungen zu einer oder löschten sich aus, wie es die Muggelphysik als Interferenz bezeichnete. Julius überlegte, was wäre, wenn zwei Leute zur selben Zeit innerhalb von zwei Kilometern disapparierten und reapparierten. Aber das ging ja nicht, weil da immer noch ein bißchen Zeit zwischen beiden Personen war. Sonst wäre es kein Thema, das gerade dann einer verschwand, wenn jemand anderes auftauchte. Julius dachte an alles, was er über Wellen und Empfänger von solchen gelesen hatte. Das Aufspüren klappte nur in fünfzig Kilometern Umkreis des Apparators. Warum? Lag es daran, daß die Restentladung zu schwach war? Das würde auch erklären warum alles unter zwei Kilometern Sprungdistanz nicht mehr klar geortet wurde. Oder lag es daran, daß das Spürgerät nicht empfindlicher war? Falls das der Fall war, dann konnte man die Sache von zwei Enden angehen. Entweder wurde die Entladung, die er der alten Gewohnheiten wegen Signal nannte, weiter abgeschwächt wurde oder umgekehrt, daß das Signal um ein vielfaches verstärkt wurde, um die Verwischung hinzukriegen. Sättigung nannten die Techniker das, wenn ein Signal die Grenze des Meßbaren erreichte. Alles was darüber lag konnte nicht mehr unterschieden werden.

"Kriegen wir dummen Muggelstämmigen euch doch noch mit unserer Wissenschaft am Arsch", dachte Julius nur für sich. "steht hier nichts von drin, warum ihr nur fünfzig Kilometer weit orten könnt. Entweder wollt ihr das bloß schön geheimhalten oder wißt es eben nicht. Im ersten Fall hieße das, daß ihr Angst habt, jemand könnte das ausnutzen, um das Aufspüren zu vermurksen. Im zweiten Fall würden wir euch kalt erwischen, wenn wir eine Methode fänden, um das Signal zu manipulieren, weil ihr dann nicht so schnell draufkämt, wie. Die Schweigsamen und deren Nachtfraktion wissen das wohl. Aber die werden das nicht verraten. Was sagt Sherlock Holmes: "Was ein Mensch erfinden kann, das kann ein anderer herausfinden."

"Ach du hast die Bücher", schreckte ihn Constances Stimme aus den Überlegungen. Er hatte sich wohl zu sehr darauf konzentriert, über Antiapparitionsorter nachzudenken, daß er Cytheras Mutter nicht hatte herankommenhören.

"Hallo Constance. Die Bücher kannst du gerne haben, wo die eher was für die Leute aus der Sechsten sind", sagte Julius und hoffte, daß Constance nicht laut erwähnte, welche Bücher das waren, wo er sie still und heimlich gefunden hatte.

"Debbie meinte, weil das im Moment nicht danach aussehe, daß wir das dieses Jahr von wem beigebracht bekämen sollte ich das zumindest schon mal nachschlagen", erwiderte Constance. Julius nickte und übergab ihr die Bücher. Weiterdenken konnte er jetzt auch ohne die.

"Mich fasziniert das Thema. Machen wir da keine große Sache draus", wisperte er nur. Constance grinste ihn an. "Hat Céline mir schon erzählt."

"Ist Cythera schon im Bett?" Fragte Julius.

"War nicht so einfach. Jetzt wo sie was quängeln kann, quängelt sie viel. Madame Rossignol meinte sogar, ich sollte Professeur Trifolio fragen, ob ich mit ihr nicht ein kleineres Zimmer für sie und mich kriegen könne, weil die Kleine sie schon Oma Flo nennt."

"Das hast du ihr aber bestimmt nicht beigebracht", erwiderte Julius belustigt. Connie Dornier nickte. "Neh, das ist ganz bestimmt auf ihrem eigenen Drachendung gewachsen. Aber offenbar kam Madame Rossignol mit ihr auf der Oma-Enkelinnen-Ebene besser klar. Wo ist denn deine junge Lebensgestalterin?"

"Singt im Chor wie jeden Sonntag", sagte Julius. Er flüsterte noch: "Seitdem Bernie da rausgegangen ist ist sie wieder drin."

"Kapiere ich", erwiderte Constance. "Bestell meiner Schwester bitte schöne Grüße!"

"Jo, mach ich", bestätigte Julius. Constance zog mit den drei Büchern ab. Sie sah jetzt wieder rank und schlank aus, fand Julius. Wenn ein Zauberer sie mit der kleinen Cythera zusammen nehmen mochte, würde sie bestimmt gut unterkommen. Aber was kümmerte ihn das. Er war bereits ausgebucht.

"Dämpfung oder Sättigung? Das ist hier die Frage. Ob's leichter im Geschick, Peil- und Spürgeräte des wütenden Didier zu blenden oder unbemerkbar sich davonzumachen", verballhornte Julius einen der berühmtesten Monologe der englischen Literatur. Physikalisch war es sowohl möglich, ein Signal zu schwächen wie auch es zu vervielfachen. Bei einer Schwächung galt es, mit einem gleichstarken Signal in umgekehrter Phase gegenzuhalten, daß beide sich gegenseitig auslöschten. Umgekehrt brauchte man etwas, das die ausgestreuten Schwingungen oder was es war aufnahm und davon angeregt wurde, diese Schwingung verstärkt zu erzeugen, Resonanz oder Relais. Aber erstens wußte er nicht, wie diese Restkraft sich fortpflanzte, und zweitens waren die Gesetze der magischen Kräfte nicht deckungsgleich mit denen der physikalischen. Aber der Umstand, daß innerhalb einer Apparitionsdistanz von zwei Kilometern keine Ortung des Apparators möglich war sprach für einen Phasenunterschied der Entladungen. Womöglich war es auch so, daß der Apparierende eine magische Ladung erzeugte, die ihm den Weg durch das Nichts öffnete und er sie mitnahm, wobei sie quasi umgepolt wurde, um ihn wieder ins Raum-Zeit-Gefüge zurückkehren zu lassen. Dabei ging es laut dem Apparierpapst Kasimir Rosebridge nicht ausdrücklich darum, eine Bestimmte Entfernung überschreiten zu wollen, sondern sich auf ein Ziel zu konzentrieren. Also lud nicht der Apparator sich selbst auf, sondern die von ihm geschaffene Verbindung tat dies. Dann war das wie ein langgezogenes Gummiband, daß beim Apparieren zurückflitschte. Sein Pflegehelferarmband zitterte. Er verließ die Bibliothek. Denn die Pflegehelferverbindung durfte außer in dringenden Fällen weder in Klassenräumen noch in der Bibliothek benutzt werden. Vor der dicken, schallschluckenden Tür gewährte er die Sprechverbindung.

"Julius, ich möchte, daß du zu mir kommst", sagte die Heilerin. Julius bestätigte das und wandschlüpfte in das Sprechzimmer. Madame Rossignol erwartete ihn aber nicht dort, sondern im Schlafsaal.

"Gib Professeur Faucon bitte diese Krankmeldung für die drei Herren dort mit, damit sie sie zu den Akten nehmen kann. Ich werde die wohl noch drei Tage hier beobachten müssen, bis ich sicher bin, daß die vermischten Flüche alle ohne Folgeschäden ausgelöscht sind. In der Klinik wären sie bestimmt schneller genesen."

Julius nahm die vier Pergamente. Vier? Er wollte schon fragen, warum vier für drei. Doch Madame Rossignol wies ihn darauf hin, daß er sämtliche Unterlagen hätte. Da klickte es bei ihm. Offenbar fühlte sich die Heilerin nach allen Tiraden und Protesten als Mitverschwörerin sehr wohl, solange sie ihn oder einen anderen Schüler nicht in unabsehbare Situationen schicken mußte. So bestätigte er, die Anweisung auszuführen und wandschlüpfte zum Korridor von Professeur Faucons Sprechzimmer.

"Ah, die Krankmeldungen", grüßte ihn die Saalvorsteherin der Grünen und pflückte ihm die vier Bögen aus der Hand. Dann sagte sie ganz unbefangen: "Hätte ich ihr gleich sagen können, daß sie L'arian und Ronchamp nicht vor übermorgen entlassen kann. Refluxus und Singultus gemischt richten ein großes Chaos im Verdauungssystem eines Menschen an. Bis Speiseröhre und Magen sich davon erholen und die zugeführte Nahrung ordentlich aufnehmen und verarbeiten kann es dauern." Dann las sie die weiteren Pergamente und gab Julius eines davon, wohl das überschüssige. Er las still:

"der Überbringer wie die Empfängerin dieses Pergamentes werden hiermit über folgende Entwicklungen unterrichtet:

Die Anfrage von Madame Mildrid Latierre zur Kontaktaufnahme mit den Eheleuten Alexis und John Ross im US-Bundesstaat Colorado wurde positiv beschieden. Die erwähnten Eheleute erklären sich bereit, durch die entstandene Verbindung Kontakt mit Professeur Faucon aufzunehmen, um zu erwähnen, wie bewegliche Schlüssel in einem Gebäude unauffindbar verlegt werden können.

Außerdem möge der Überbringer seiner Mutter bestellen, die schnelle Post sei angekommen, sei jedoch von ihrem Empfänger wegen gewisser Unüberbrückbarkeiten nicht an höhere Stellen weitergeleitet worden. Der Empfänger der Postsendung läßt anfragen, ob die Absenderin gut untergebracht sei oder vielleicht auf handelsüblichen Wegen zu ihm hinreisen möchte.

Gez.

F. R.

"Teilen Sie Madame Rossignol mit, ich habe die Krankmeldungen erhalten und werde meine Kollegen darüber informieren. Immerhin sind ja von den Schülern aus den Sälen blau und rot ja auch welche betroffen", erwiderte die Lehrerin und raschelte mit den Pergamenten, wobei sie Julius ihrerseits einen Zettel in die Hand drückte.

Treffen morgen 16.00 Uhr Büro Madame Maxime für sichere Rücksprache!
Ehefrau bitte mitbringen!
Zettel nach Lesen verschwinden lassen!

Julius nickte und warf den Zettel in die Luft, wo er ihn erst mit einem ungesagten Vanesco Solidus verschwinden ließ. "Madame Rossignol bemerkt, daß es wohl besser gewesen wäre, die schwereren Fälle in die Delourdesklinik zu schicken."

"Ja, aber Sie wissen ja genausogut wie Madame Rossignol, daß durch Didiers Maßnahmen kein Kamin mehr freigehalten werden kann. Madame Maxime wünscht keinen Eindringling durch das Flohnetz."

"Wahrscheinlich warten die da draußen nur darauf, daß wir um Gnade bitten um unnsere Verletzten in die Klinik zu bringen", ging Julius auf das für jeden Mithörer gedachte Schauspiel ein.

"Dann können sie lange warten", schnarrte Professeur Faucon. "Im Zweifelsfall können Professeur Fixus und ich ebenso gewisse Heilzauber und -tränke verabreichen, sollte Madame Rossignol ausfallen. Ich hoffe zuversichtlich, daß Sie und die anderen Pflegehelfer uns dann auch zur Verfügung stehen."

"Da hoffen Sie richtig", erwiderte Julius nicht nur gespielt. "Schließlich wollen Didiers Leute vordringlich alle Muggelstämmigen einkassieren, weil ihr Chef Angst hat, Lord Unnennbar könnte ihn sonst mit allem angreifen was er hat."

"Das steht zu befürchten, auch wenn Sie und die anderen Muggelstämmigen von uns ausgeliefert würden und Madame Maxime und ich uns Didiers Gnade überantworten würden."

"Auch wenn der Typ sich Minister nennen läßt ist er doch ein Feigling. Kein Wunder, daß er sich mit allen anlegt, die mehr draufhaben als er." Professeur Faucon sah ihn leicht verdutzt an, begriff jedoch, daß er das wohl sagte, um die Patrouillenflieger dort draußen aus dem Konzept zu bringen. Auch wenn sie beide damit rechnen mußten, daß die Überwacher unter dem Imperius-Fluch standen mochte das helfen.

"Stimmt, nur ein Feigling setzt auf Imperius und andere Gewaltmaßnahmen statt auf Argumente und Überzeugungsarbeit", ging sie darauf ein. Dann schickte sie Julius fort.

Im grünen Saal gab Julius den von Constance aufgetragenen Gruß an Céline weiter und erwähnte auch, daß die drei aus dem grünen Saal, die bei der letzten Zauberschlacht ein paar miese Fluchvermischungen eingefangen hatten wohl erst übermorgen wieder aus dem Krankenflügel rauskämen.

"Hoffentlich ist dann auch erst einmal Ruhe. Waren schon heftige Wochen, seitdem ihr diese sechs Säulen geöffnet habt", flüsterte Céline. Denn sie wußte wohl auch, daß da draußen jemand mit Schallansaugtrichtern lange Ohren machen konnte. Laut sagte sie: "Na ja, wenn das geholfen hat, daß die Leute hier nicht mehr so leicht durchdrehen."

"Ich denke mal, wenn genug zu Essen da ist und die Leute hier was zu tun haben kommen wir gut bis zu den UTZs zurecht", erwiderte Julius in gewohnter Lautstärke. Mit nichts konnte man Belagerer besser verunsichern als mit der Zuversicht, nichts von der Belagerung zu spüren.

__________

Haschlalian stand wieder vor jener Barriere, die ihn alleine mühelos zurückgedrängt hatte. Doch diesmal war er nicht alleine. Er hatte innerhalb von zwei Tagen so heimlich er konnte drei Jetztzeitgefährten hinzugewonnen. Einer hatte einen großen, mit irgendwelchem Zeug beladenen Wagen mit röhrendem Antrieb ohne Magie gefahren und Schreckensschleicher für einen jungen Anhalter gehalten. Dann hatte er sich in einer Stadt mit einem Hafen zwei ohne Haus lebende Männer erwählt, die stark alkoholisierte Getränke zu sich genommen hatten. Doch die Saat der Gefährtenschaft hatte dieses Rauschmittel überwunden und die beiden zu seinen weiteren Gefährten gemacht. mit einem entwendeten kleineren Fuhrwerk, daß sein erster neuer Gefährte steuerte, waren sie dann in die Nähe dieser Barriere zurückgekehrt. Die Stimme des Meisters hatten sie zwar nicht mehr gehört. Nur den üblichen Ruf: "Sei mir verbunden!" hatten alle drei Gefährten vernommen. Jetzt standen sie im Abstand von zwanzig Schritt voneinander entfernt, als mickrige Menschlinge wirkend, vor der Barriere. Auf ein "Los jetzt!" Haschlalians stürmten sie vor und wurden mit derselben unwiderstehlichen Macht zurückgeworfen, wie sie der Schreckensschleicher schon alleine kennengelernt hatte. Sie verwandelten sich, indem sie nahe zueinandertraten und stürmten erneut die Barriere. Doch diese hielt sie weiter ab.

"Noch mehr von uns müssen her", schnaubte Haschlalian, als von oben vier Feuerbälle auf sie niederstürzten. Doch die Glut war aus der Kraft entfacht und floß von ihnen ab wie leuchtendes Wasser. Sie gaben amüsierte Geräusche von sich. Der aus dem selbstfahrenden Fuhrwerk bückte sich und hob einen Metallgegenstand vom Boden auf, der wie ein Rohr mit einem gebogenen Griff und einem starren und einem beweglichen Bügel aussah. Er zielte mit der Rohröffnung auf einen der auf am Ende zerfasernden Holzstangen fliegenden Wichte und zog den beweglichen Bügel nach hinten. Ein lauter Knall und ein Blitz aus dem Rohr taten Schreckensschleicher in Augen und Ohren weh. Auch hörte er unter dem Knall ein feines Pfeifen, das nach oben ging. Doch weiter geschah nichts.

"Dämlack kannst den nicht treffen. Der Hexenbursche fliegt zu hoch", fauchte einer der früheren Trinker in der erhabenen Sprache. Doch der Wagenlenker machte noch zweimal, dann dreimal diesen Knall mit dem pfeifenden Geräusch. Als Antwort regneten Feuerbälle nieder und schlugen grelle grüne Blitze um sie und auf sie ein. Jeder grüne Blitz ließ Haschlalian oder seine Gefährten niederstürzen. Doch einen Moment später standen sie wieder auf. Der Wagenlenker fluchte, weil sein Knallrohr in einem Feuerball zerschmolzen und dabei mit einem letzten Knall zerstoben war.

"Die da oben sind unwichtig", zischte Haschlalian. "Das da vor uns ist der Feind. Auf und drauf!" Fauchte er und trieb seine drei Gefährten zum Vorstoß. Doch wieder wies sie die Barriere ab. Sie ermüdete nicht, und sie bezog eine Kraft, die ihrer wohl ähnelte. Anders konnte der Skyllianri es nicht deuten, weshalb sie zu viert nicht durchkommen konnten. Sie mußten mehr werden. Sie verteilten sich wieder und wurden zu gewöhnlichen, wenn auch jetzt nackten Menschen. Ihr Ziel war das vierräderige Gefährt, mit dem sie hergekommen waren. Doch als sie dort ankamen, wo es gestanden hatte, waren da nur noch glühende Trümmer. Weit über ihnen zogen drei Flieger ihre Bahn und tauschten unhörbare Botschaften mit einem Anführer aus, der nur fünfzehn Kilometer entfernt saß und per Kurier mit Didier in Verbindung stand, der sichtlich irritiert war, daß vier dieser Schlangenmonster auf einmal vor Millemerveilles aufgetaucht waren, die alle gegen den Todesfluch und die Feuerbälle immun zu sein schienen.

__________

"Du fühlst dich wohl?" Fragte die gemalte Viviane Eauvive Martha Andrews. Diese nickte. Kein Schwindelgefühl, keine Nervosität oder ungewöhnliches Temperaturempfinden hatten sie überkommen, seitdem sie in Millemerveilles war. Sie dachte daran, daß morgen um die Mittagszeit wohl klar sei, ob sie hier weiterhin ohne den Trank leben konnte. Sie fragte sich, ob dieses Potential sich nicht auch dadurch erhielt, daß sie in einer Zone magischer Einflüsse war. Dann wäre die ganze Warterei unsinnig. Doch Catherine hatte ihr in Professeur Faucons privatem Arbeitszimmer verraten, daß die Magie von Millemerveilles kein Ruhepotential veränderte, wenn es schon vorhanden war. Zum Beweis maß sie jede Stunde das Potential Marthas und ihr eigenes und fand keine Veränderung. "Am besten findest du dich damit ab, daß du von einer Hexe schmerzlos und ohne Umweg über Säuglings- und Kinderzeit als Hexe wiedergeboren wurdest, Martha. Wenn die vierundzwanzig Stunden vorübersind legen wir fest, wie es mit dir weitergeht. Solange machst du nichts was du nicht auch so gemacht hättest."

"Bis auf das ich heute abend fast einen Pfannkuchen zwei Sekunden länger in der Luft gehalten hätte als die Physik das vorschreibt", sagte Martha. Als sie mit Catherine in der Küche gestanden und Pfannkuchen gebacken hatte, war ihr einer fast auf den Boden gefallen. Das hatte Martha leicht erschreckt, und die fliegende Teigscheibe, die noch an einer Seite ausgebacken werden mußte, hatte sich flatternd umgedreht und war in die Pfanne gesegelt.

"Daran siehst du, wie anstrengend das ist, nicht hexen oder zaubern zu wollen, wenn das eigene Grundpotential schon so hoch ist. Wundere mich echt, daß Julius das solange so glimpflich überstanden hat."

"Wahrscheinlich, weil er es nicht wußte, daß das Zauberei war", erwiderte Martha.

"Stimmt, Babette hat schon früh damit herumexperimentiert, weil sie wußte, daß sie eine Hexe sein wird", erwiderte Catherine mit mütterlichem Lächeln. Vivianes Bild hing nun in diesem Zimmer.

"Antoinette wünscht dir eine gute Nacht, Martha und läßt dir ausrichten, daß du morgen nach dem Unterricht der Kinder in Millemerveilles von ihr hier in diesem Haus abgeholt wirst, unabhängig davon, ob das Potential sich verändert hat oder nicht. Ach ja, und Monsieur Delamontagne bittet euch beide morgen Abend in das Haus seines Sohnes und seiner Schwiegertochter. Er ist gerade bei Florymont gewesen, um sich nach den sogenannten Antisonden zu erkundigen. Serena hat mir verraten, daß Julius auch angeregt hat, nach Möglichkeiten zur Apparitionsverhüllung zu suchen. Florymont habe bereits daran gedacht, aber bisher keine Lösung gefunden, die Streumagie einer Apparition zu maskieren, weil das für die Geheimtruppen des Zaubereiministeriums ja genial wäre."

"Phasenumkehr", sagte Martha. "Wenn die Streuung ein bestimmtes Muster erzeugt, könnte ein dem entgegenstehendes Muster zur gleichen Zeit eine Auslöschung der überschüssigen Energie bewirken."

"Hmm, sagt mir nichts. Und ich habe hundert Jahre Zauberkunsterfahrung."

"Das ist wie zwei gleichhohe und gleichschnele Wellen, die übereinanderlaufen. Wenn der Wellenberg der einen genau über dem Wellental der anderen steht heben sie sich gegenseitig auf. Das heißt Interferenz."

"Offenkundig stünde uns Magiern eine ausführlichere Erforschung der nichtmagischen Naturerscheinungen an als wir glaubten", raunte Viviane. "Gut, ich gebe diesen Ansatz weiter. Vielleicht bringt es ja was."

"Das wäre es, die Apparatorortung zu überlisten", sagte Catherine. "Moment mal, meine Mutter hat in ihrer Bibliothek alles über die Vorgänge beim Apparieren. Ich apportiere das mal eben, weil ich das geheime Überwindungswort kenne." Catherine zückte ihren Zauberstab und konzentrierte sich, wobei sie eine leichte Schwenkbewegung machte. Plopp! Aus der Luft heraus sank ein dickes Buch herab, das Catherine mit der Freien Hand auffing.

"Interessant. Hätte ich schon längst einmal lesen sollen. Hier steht, daß sich die Restkraftentladung nur bis fünfzig Kilometer weit orten läßt und bei Apparierdistanzen unter zwei Kilometern weder Ausgangs- noch Zielpunkt bestimmen lassen."

"Nur fünfzig Kilometer weit? Ich dachte, sowas hinge von der zu überwindenden Entfernung ab, wie stark die aufzuwendende Kraft sei, so wie beim Laufen oder Rudern ja auch die Kraft mit dem Weg malgenommen wird", wandte Martha verwundert ein.

"Schon richtig. Aber offenbar umfassen diese Spürer nur einen Bereich von fünfzig Kilometern, so wie der Sende- und Empfangsmast eines Mobiltelefonnetzes."

"Will sagen: Die anpeilbare Streuung ist entweder zu schwach um weiterverfolgt zu werden, oder die Spürer sind zu unempfindlich, um weiter fort auftretende Signale zu erfassen", erwiderte Martha. "Wieso kam bisher keiner darauf, das mal genauer zu durchdenken?"

"Offenbar, weil vieles in der Zauberei einfach auf Überlieferungen beruht und die Erfinder unter den Zauberern entweder rar sind oder selten ihre Ergebnisse veröffentlichen, bevor sie nicht wissen, ob sie sie zu Gold machen oder besser für sich behalten. Was dann noch an Neuheiten übrigbleibt wird dann nur veröffentlicht, wenn es für alle und ohne Gefährdung der Geheimhaltung anwendbar ist, so wie der Zwiebelschälzauber", entgegnete Catherine. "Im Grunde kann jeder Zauberer, der mit alten Worten und bestimmten Gedankenkombinationen zurechtkommt was neues erfinden. Die das machen riskieren dabei aber nicht selten Sach- und Personenschäden, schlimmstenfalls das eigene Leben. Je mächtiger ein Zauber ausfallen soll, desto größer ist die Gefahr bei fehlerhafter Ausführung oder unzureichender Absicherung. Kuck dir Florymont an. Der arbeitet an neuen Zauberkunststücken oder Verbesserung von bereits bekannten Zaubern. Aber immer wieder kommt es in seiner Werkstatt zu unerwünschten Effekten, auch wenn er sich und seine Umgebung durch sogenannte Kraftkerker abschirmt. Stell dir jetzt mal einen Zauberer oder eine Hexe vor, der/die ohne gewisse Vorsorge einfach drauf loshokuspokust!"

"Will ich mir besser nicht vorstellen, weil ich dann darauf kommen würde, daß ich so einen Zauberer zur Welt gebracht habe", seufzte Martha.

"Du hast natürlich insofern recht, daß Julius gerne mit fortgeschrittenen Zaubern experimentiert. Aber bisher hat er sich dabei immer genau an die Vorgaben gehalten, die als sicher gelten. Aber immerhin hast du ihm ein Lateinbuch gegeben. Latein war und ist neben Altgriechisch eine der beliebtesten Zaubersprachen, weil allein die Vorstellung von etwas altem und erhabenen den Geist in die nötige Stimmung versetzt. Sollte Julius also neue Zauber erfinden, hätte er zumindest die Sicherheit, daß er weiß, was er sagt oder denkt."

"Ich hoffe das sehr, Catherine. Aber falls mein Potential nicht wieder weggeht, muß ich mich ja auch damit auseinandersetzen, immer richtig zu überlegen und zu hantieren. Wenn ich mir das so ansehe, wie locker du oder deine Tante Madeleine mit wortlosen Zaubern hantiert, die bestimmt auch aussprechbare Formeln haben ..."

"Konntest du gleich nach der Geburt aufstehen und laufen?" Fragte Catherine lächelnd. Martha schüttelte verneinend den Kopf. "Siehst du, und sprechen wohl auch nicht. So ist das auch mit der Magie. Sie wächst erst einmal heran oder muß erwachen. Dann kannst du sie mit ganz kleinen Schritten ergründen und immer sicherer werden. Alles eine Frage der Übung. Und du brauchst keine Angst zu haben. Wir helfen dir, damit zu arbeiten und zu leben." Martha nickte verhalten.

"Noch eine Nachricht von Florymont, Catherine und Martha. Er hat es rausgefunden, wie er Elektrizität aus Licht gewinnen kann, nicht nur aus Sonnenlicht", schaltete sich Vivianes Bild-Ich in die Diskussion ein. "Falls Ihre Mutter das erlaubt, Catherine, kann er morgen schon die ersten Lichtwandler - so nennt er sie - installieren."

"Kuck mal da, wenn man ihn läßt, kann er schnell lernen", bemerkte Catherine. Martha fragte Viviane, wie hoch der Wirkungsgrad denn sei.

"Er mußte erst ein Ding zusammenbauen, das Strommesser genannt wird. Offenbar hat er damit ausprobiert, wie stark der Lichtwandler Licht in Elektrizität umwandelt. Das kann er dir wohl besser selber sagen, Martha", erwiderte Vivianes Bild-Ich.

"Verstehe", bestätigte Martha.

_________

Gilbert Latierre mit seiner fast bis zur Kopfhaut heruntergestutzten Frisur hatte von Orion dem Wilden erfahren, was in Millemerveilles beschlossen worden war. Seine Tante Ursuline hatte ihm und den anderen Familienangehörigen sofort verraten, daß eine Gegenregierung eingerichtet werden sollte, um Janus Didier zu entmachten. Ihm war dabei die Aufgabe zugefallen, die schriftlichen Botschaften dieser Gegenregierung zu verfassen, eine vom Miroir unabhängige Zeitung sozusagen. Seitdem er sich erfolgreich geweigert hatte, im Ministerium Didiers Ansichten und Parolen unters Volk zu bringen, bekam er keinen müden Knut mehr. Doch das war ihm egal, solange sein Onkel Ferdinand und seine Tante Line ihn verköstigte. Doch er lebte nun nicht einmal nur vom Essen. Früher war er für die Zeitung der Zaubererwelt im ganzen Land herumgereist, hatte aus gesellschaftlichen Kreisen und neuem aus der Zauberkunstforschung berichtet, war auch als Korrespondent bei der letzten Quidditch-Weltmeisterschaft dabei gewesen. Jetzt konnte er nur in unmittelbarer Nähe des Familienstammsitzes zubringen und über Wachstum und Aufstellung der Riesensonnenblumen nachforschen. Ab und zu traf er sich mit seiner Cousine Barbara bei den zwei Latierre-Kühen, die sie herbeigeschafft hatte. Die eine, die so hieß wie seine Cousine Artemis, wirkte so auf ihn, als warte sie auf etwas oder jemanden. Babs hatte ihm verraten, daß dieses Riesenrind mit Flügeln wohl zum ersten Mal trächtig war. Faszinierend fand er es, mit Hilfe des Dexter-Cogisons ein paar Worte mit diesem Ungetüm zu wechseln. Zum heimlichen Spott seiner übrigen Familienangehörigen war er mit Latierre-Kühen und Abraxas-Pferden nie so richtig zurechtgekommen. Aber diese junge Kuh Artemis oder Temmie vermochte es, zumindest seine Meinung von der Intelligenz dieser Tierwesen zu verbessern. Ja, er fühlte mit dem bei einem Reporter ausgefeiltem Instinkt, daß diese Kuh ihn genauso studierte wie er sie, ja sich irgendwie sogar über ihn lustig zu machen schien. Dieses Gedankenvertonungsding um Temmies Hals ließ ihn zwar nur einfachste Antworten hören. Doch er wurde das Gefühl nicht los, daß dieses "Mädchen" nicht nur verstand, was er sagte, sondern auch, was um es herum passierte. Außer den im rauhen Herbstwind rauschenden Riesensonnenblumen waren die ständig herumsuchenden Besenflieger das einzige, was hier passierte. Sie suchten das Château, dessen genauen Standort Tante Line für Nicht-Latierres unauffindbar gemacht hatte. Aber allein die Tatsache, daß im Umkreis von fünf Kilometern mindestens drei bis fünf von Didiers Leuten herumschwirrten reichte aus, einstweilen nicht an Ausritte auf Besen oder Latierre-Kühen zu denken. Er hatte es einmal versucht, in die Nähe Millemerveilles zu apparieren und wäre da fast von einem Pulk Besenfliegern erwischt worden. Nur der rettende Rücksprung hatte ihn davor bewahrt, unter den Imperius-Fluch genommen zu werden. Eine Apparition in die Nähe von Lyon hatte ihm zwar für eine halbe Minute das Gefühl von Luftveränderung gebracht. Doch dann hatte es um ihn herum geknallt und geploppt, und er mußte schnell wieder disapparieren. Daher wußte er auch, daß es kein leichtes Unterfangen sein würde, eine Gegenzeitung herauszubringen und zu verteilen, selbst wenn sie hier im Schloß locker zwei Druckerpressen und Riesenstapel Papier zusammentragen könnten. Wenn einer von ihnen sich auf einen Besen hinauswagte, wären ihm bestimmt schon in einer Minute fünf oder sechs Verfolger am Besenschweif dran. Apparieren war auch nicht einfach, es sei denn, er nutzte die kurze Zeit, bis sie ihn mit ihren Spürern gefunden hatten, um die neuen Zeitungen abzuliefern. Aber damit würde er die in Gefahr bringen, die er belieferte. Blieb also nur, zu apparieren, auf einen Besen zu hüpfen und ganz schnell weit genug wegzufliegen, bevor die Apparatorjäger nachgerückt kamen. Doch das würde auch nur einmal gelingen. Dann würden die Jäger selbst mit Besen ankommen, und das Problem wäre das gleiche wie beim reinen losfliegen von hier. Alle hier wußten, daß sie in einem selbstgebauten Käfig saßen. Hätten sie sich alle gleichmäßig über das Land verteilt würde es schwer fallen, jeden einzelnen zu erwischen. Doch der Vorfall mit seinem Onkel Ferdinand hatte gezeigt, daß sie nur einen erwischen mußten, um die ganze Familie bedrohen zu können. Gilbert freute sich jedoch, daß er die neue Stimme der freien Zaubererwelt sein sollte. Am Sonntag Abend saß er mit seinen erwachsenen Verwandten in einem kleinen Arbeitszimmer, wo Onkel Ferdinand einen Klankerker errichtet hatte und diskutierten die neue Situation.

"Das könnte in Gewalt und gegenseitiger Verfolgung ausufern", warnte Cynthia Latierre. "Phoebus Delamontagne wird wohl kaum was durchsetzen können, wenn er nicht bereit ist, notfalls gegen magischen Widerstand der Didier treuen Leute anzugehen. Das wird der alte Fuchs auch genau wissen. Die Frage ist nur, wie er was dagegen machen will, ohne Anschläge auszuüben."

"Es geht wohl vor allem um die Meinungsvielfalt", wandte Hippolyte Latierre ein. "Die Leute kriegen im Moment nur die Meinung aus dem Miroir und das, was Didier ihnen als Wahrheit anbietet. Wer versucht was anderes dort hineinzubringen macht sich verdächtig."

"Und landet in einem Friedenslager", schnarrte Raphaelle Montferre, die nach der Inhaftierung ihrer Töchter schleunigst mit ihrem Mann und den zwei Babys ins Château geflüchtet war, um von hier aus eine mögliche Befreiung von Sabine und Sandra einzuleiten. "Und da geht's doch auch drum, diesen Wahnsinn aufzuhalten, alle wegzusperren, die eine andere Meinung haben. Wenn ich wüßte, wo meine Töchter jetzt sind, würde ich mit dreißig entschlossenen Hexen und Zauberern da hingehen und den Laden ausheben."

"Ich weiß, Raphaelle", seufzte Ursuline Latierre. "Aber es gibt acht von den Lagern. Wir haben zwar die ziemlich sicheren Standorte, doch müßten zu lange herumsuchen, bis wir was finden, daß wie magische Verhüllung aussieht. Bis dahin hätten die Leute dort Verstärkung angefordert. Da würden dir deine dreißig Entschlossenen nicht helfen, wenn sie nicht Zeit genug haben, um den Eingang zu finden."

"Martha hat doch alle Einzelheiten aus diesem Pétain rausgekitzelt", wandte Béatrice Latierre ein. "Hat sie da nicht auch erfahren, wie die Lager verschlossen sind?"

"Sie hat nicht viel Zeit gehabt, nach einzelnen Zaubern zu fragen, weil sie nicht wußte, wie lange Pétain dem Veritaserum unterworfen bleibt", wandte ihre Mutter ein. "Sie hat jedoch erfahren, daß es wohl eine Kombination aus Schutz- und Unortbarkeitszaubern ist. Will sagen, wenn eine Komponente davon aufgehoben werden kann, besteht die Möglichkeit, auch die andere Komponente zu unterdrücken. Jedenfalls ist mit Mentiloquismus nichts zu machen."

"Ja, und reinapparieren geht auch nicht", schnarrte Michel Montferre. "Wi ich die kenne haben die den Apparitionswall viermal so weit ausgedehnt wie diese Lager groß sind, um mögliche Befreiungsaktionen früh genug abfangen zu können. Mir wäre kein Mittel bekannt, in einen bestehenden Wall hineinzuapparieren."

"Außer Incantivacuum-Kristallen", sagte Otto Latierre. "Aber die reichen nur zwölf Meter weit. Muß also anders ablaufen."

"Das überlassen wir besser Phoebus Delamontagne und Professeur Tourrecandide", sagte Ursuline. "Für uns ist zunächst wichtig, den Leuten zu zeigen, daß sie sich nicht von Didier einschüchtern lassen dürfen. Womöglich sind bereits so viele Familien von den Friedenslagern betroffen, daß die nur warten, bis einer ihnen zuruft, diese Unverschämtheit zurückzunehmen. Es ist klar, daß wir Gilbert helfen müssen, die neue Zeitung zu verteilen."

"Dazu müssen wir sie erst einmal machen", sagte Gilbert nun. "Ich brauche mindestens eine magische Druckerpresse und mindestens drei Tonnen Zeitungspapier und Zauberfarbe zum drucken. Dann kann ich euch gerne schon morgen mit der ersten Ausgabe der Zeitung beglücken. Ähm, wie soll die eigentlich heißen?"

"Das sollst du entscheiden, Gilbert, weil du das Blatt ja rausbringen darfst", gab Ursuline weiter.

"Die Zeit der Freiheit", entschloß sich Gilbert. Auf Französisch hieß das dann "Le Temps de Liberté".

"Wunderbar", lobte seine Tante Ursuline, ebenso seine Mutter Cynthia Latierre.

"Wie lange brauchen die, um jemandem beim Apparieren zu verfolgen?" Fragte Charles Latierre seine Nichte Martine und Michel Montferre.

"Wenn die Spürer gut verteilt und besetzt sind kann es zwischen vier und fünf Sekunden aber auch bis zu dreißig Sekunden dauern, bis eine Abfangtruppe an den Ort gelangt", sagte Michel. Martine wandte dann ein, daß es aber eine Methode gebe, sie abzuhängen, die aber nicht unbedingt außerhalb des Ministeriums herumgereicht werden sollte. "Wenn du irgendwo ankommst und apparierst an einen Ort, der weniger als zwei Kilometer weiter weg ist, kriegen die Probleme. Den ersten Ankunftsort können sie zwar bestimmen. Aber den zweiten dann nicht mehr."

"Das war doch ein Dienstgeheimnis, Martine", zischte Michel."

"Und ich konnte es ausplaudern, ohne einer Eidessteinmagie zu unterliegen, Monsieur Montferre. Woran wird das wohl liegen?" Knurrte Martine.

"Sanctuafugium", schnaubte Michel. Offenbar war er nicht besonders begeistert, daß seine junge Mitarbeiterin und entfernte Verwante mal eben eines der heikelsten Dinge seiner Abteilung ausgeplaudert hatte. Ursuline sah ihn sehr entschlossen an und meinte:

"Michel, bei aller Loyalität, die du der Institution Zaubereiministerium gegenüber beweisen möchtest: Wenn wir deine Töchter aus diesem Friedenslager rausholen wollen, dürfen wir keine Rücksicht auf Betriebsgeheimnisse und Dienstanweisungen nehmen. Denn das Zaubereiministerium als solches existiert derzeit nicht. Was wir gerade haben ist eine Gruppe von übereifrigen, vielleicht auch machtgierigen Hexen und Zauberern und eine nicht bekannte Zahl ihnen unterworfener Helfer und Helfershelfer. Tine, das ist eine hervorragende Neuigkeit. Dann können wir die Bande austricksen. Gilbert, weißt du, wo eine nicht mit Elektrostrom betriebene Druckerpresse steht, die Otto für unsere Zwecke umfunktionieren kann?"

"Es gibt bei den Muggeln ein paar Museen, wo sowas ausgestellt wird. Aber wenn wir eine davon an uns bringen wäre das Diebstahl, Tante Line", wandte Gilbert ein.

"Du hast recht, daß wir aufpassen müssen, nicht jedes Mittel zuzulassen, um einen Zweck zu erfüllen", knurrte Ursuline, die gerade noch einwenden wollte, daß es ein Notfall sei. "Wenn sie nicht magisch ist kann sie doch einfach geminisiert werden."

"Einfach ist gut, Tante Line. Das sind riesenapparate", versetzte Gilbert höchst irritiert. "Aber wenn wir mindestens zwanzig Sekunden Zeit haben geht's, wenn Otto mir hilft."

"Davon darfst du ausgehen", bestätigte Otto Latierre. "Wenn du mir zeigst, wo So'n Ding rumsteht ziehen wir uns die heute Nacht noch an Land."

"Geht klar, Otto", erwiderte Gilbert, der jetzt richtig auflebte, weil er endlich mehr machen durfte, als nur im Schloß herumzusitzen. "Ich hatte in meinem kleinen Reisekoffer irgendwo ein Buch über Muggelzeitungen und was dazu nötig war. Vielleicht steht da was, wo das nächste Museum liegt. Wenn wir die Presse kriegen müssen wir die eh einschrumpfen, um damit zu disapparieren."

"Das ist völlig klar, Gilbert. Also machen wir das heute noch. Papier ist kein Thema, das kriegen wir aus Millemerveilles."

"Und wie bitte?" Fragte Gilbert. "Die sind doch da richtig eingeschlossen."

"Tja, aber Bruno wird mir über den Pappostillon mitteilen, wo genau ich einen riesenstapel wegholen kann, um den hier zu apportieren", sagte Ursuline. "Dagegen ist der Schutzdom nämlich nicht abgesichert. Und ich denke nicht, daß Didiers Leute da noch was gegen machen können."

"Gut, dann kannst du gleich von Gegenminister Delamontagne die ersten Aufrufe oder Verlautbarungen herholen, Tante Line."

"Was du nicht sagst", erwiderte Ursuline Latierre.

Gegen Abend krachte es kurz im Schloß. Da niemand unbefugtes dort apparieren konnte war niemand besonders besorgt. Als in der großen Eingangshalle zwanzig mächtige Walzen aus zusammengerolltem Papier lagen grinste Line Latierre. Gilbert blickte sie bewundernd an. "Apportationsamplifikatorkreis, Gilbert. Florymont hat den gemacht", mentiloquierte ihm seine Tante, als sie ihm in die Augen sah. Gilbert verstand. Irgendwo in Millemerveilles, wohl geschützt vor Beobachtern aus der Luft und wohl auch mit Fernbeobachtungsabwehrzaubern gesichert, hatte Florymont Dusoleil einen vierfachen Kreis mit goldener Zaubertinte gezogen und in diesen die Runen für Ferne, Menge und Bewegung in einer sich wiederholenden und überkreuzenden Anordnung hingeschrieben und dann die nötigen Zauberworte gesprochen, um die Magie wirksam zu machen. Was dann in diesem Kreis lag, wurde durch einen einfachen Apportzauber zu einem anderen Ort versetzt, wo derjenige Saß, der die den Kreis ansprechenden Losungswörter kannte. Allerdings mußte für diesen Kreis eine Stunde Zeit aufgewandt werden. Sonst hätten Otto und Gilbert die Druckerpresse einfach nur damit umzeichnen müssen, um sie dann vom Schloß aus zu sich hinzuversetzen. Nach dem Abendessen besprachen sich Martine, Michel und die beiden Zauberer Otto und Gilbert, wie sie die Apparatorjäger austricksen wollten.

"Wenn wir innerhalb von dzwei Sekunden zweimal Apparieren kommen die richtig in Schwung", grinste Otto. "Am Besten starten wir von hier aus so, daß wir zwei Kilometer Nördlich der Stadt rauskommen, wo dein Museum liegt. Dann nimmst du mich Seit an Seit mit da rein. Oder soll ich die Zielausrichtung machen?"

"Ich war da auch noch nie, um mir ein Bild vom Ziel zu machen", sagte Gilbert. "Ich schlage vor, wir apparieren in die Nähe des Museums und dann durch die geschlossene Tür. Das wären zwei Sprünge innerhalb der Unbestimmbarkeitsdistanz. Dann kriegen die echt ein Problem. Im Museum drin suchen wir die Pressen, suchen uns die brauchbarste aus und verzwillingen die. Dann machen wir die Originalpresse handlich klein und disapparieren unverzüglich vor den Eingang des Schlosses. Ich gebe uns mal zwei Minuten für die Aktion, weil ich nicht weiß, ob die in ihrem Museum nicht irgendwelche Wachen oder Wachgeräte haben."

"Ja, hat Julius mal erwähnt, daß die Muggel elektrische Dinger haben, die wie Meldezauber arbeiten und deren Ordnungshüter rufen können, wenn jemand einbricht oder in deren Nähe herumläuft. Dann also zwei Minuten. Gehen unsere Uhren gleich?" Gilbert zeigte seinem Cousin seine Weltzeituhr. Weil dieser auch so ein praktisches Zeiteisen am Arm trug mußte er nur grinsen. "Okay, Mitternacht?"

"Besser sibzehn Minuten davor. Genaue Viertelstundenzeiten sind oft besonders weit verbreitete Kontrollzeiten", sagte Gilbert.

"Auch wieder richtig", wandte Otto ein.

"Kommt bloß beide gesund wieder!" Gab Ursuline ihrem Sohn und ihrem Neffen noch mit auf den Weg, bevor sie aus dem provisorischen Klangkerker gingen.

Siebzehn Minuten vor Mitternacht gab Martine ihren Verwandten noch zwei Nachtsichtbrillen, die Bruno seinem Schwiegervater kurz vor Didiers Machtergreifung abgeschwatzt hatte. So würden sie in völliger Dunkelheit klarkommen. Sie verließen leise das Schloßund liefen in die für sie nun taghelle Nacht hinaus. Über sich am dämmerig erscheinenden Himmel mit den fast sonnenhellen Sternen konnte Gilbert einen kurzen, sich bewegenden Strich entdecken. Er bewegte sich über das Schloß hinweg und verschwand im Süden. Otto ergriff Gilberts Hand. Drei Sekunden später knallte es vernehmlich, und die beiden Zauberer waren fort.

__________

"Es traut sich keiner mehr zu apparieren", grummelte der junge Zauberer, der hinter einem würfelartigen Kristall saß, der zum Aufspüren von Apparitionen geeignet war. Diese Würfel waren schwer herzustellen. Es war noch längst nicht möglich, das ganze Land damit zu überwachen. Seine diensthabende Kollegin, eine Hexe namens Louisette Richelieu, nickte ihm zu.

"Meinst du nicht, der Minister übertreibt, Germain?" Fragte sie. "Jeden Apparator überwachen und sofort umstellen ist ein zu großer Aufwand. Da könnten Leute von Sie-wissen-schon-wem locker durch die so entstehenden Lücken schlüpfen."

"Der Minister hat es befohlen", knurrte Germain Barnard. Wieso sah seine Kollegin das nicht auch so? Doch sie nickte und warf einen Blick auf den Würfel, der für die Umgebung von fünfzig Kilometern Umkreis stand. Daneben stand ein Gong mit einem Hammer. Wenn sie den anschlug, würden auf den Gong abgestimmte Klingeln an den Diensthüten der Kollegen ertönen, um sie hierherzubefehlen. Das ging wesentlich schneller als andere Rufzauber. Als es nur noch zwei Minuten vor viertel vor zwölf waren, vibrierte der Würfel und leuchtete auf. In seinem Inneren erschien eine Höhenlagen zeigende Landkarte der zu kontrollierenden Umgebung. Ein Blauer Punkt stand genau zwei Kilometer nördlich von Paris. Barnard fixierte den Punkt. Da es keinen roten Ausgangsortmarkierungspunkt gab, mochte wer immer von außerhalb des Erfassungsbereiches disappariert sein. Da blitzte es zweimal in sehr kurzem Abstand violett auf. Der blaue Punkt war verschwunden.

"Vermaledeit, der oder die ist jetzt irgendwo in der Stadt. Diese verdammte Verwischung! Wer hat dem das verraten?"

"Oh, keine Zielangabe? Wie kommt das?" Fragte Louisette, die eigentlich gerade den magischen Gong anschlagen wollte.

"Muß sie jetzt im Moment nicht interessieren. Los, die Leute her!" Schnarrte Barnard.

"Die Leute her, BITTE, Germain. Wir sind gleichrangig", grummelte Louisette, die jedoch innerlich grinsen mußte. Irgendwer hatte es herausgefunden, wie man die Jäger schnell abschütteln konnte.

"Machen Sie jetzt bloß keine Zicken, Louisette! Den Gong, los!" Polterte Barnard. Louisette nahm den Hammer und schlug zweimal den Gong an. Keine zwei Sekunden später tauchten zehn Bereitschaftszauberer aus Pétains Abteilung auf. Doch wenn sie nicht wußten, wo sie suchen sollten ...

"Paris, im Norden kam wer an und machte dann zwei schnelle Apparitionen hintereinander, um uns abzuhängen. Hier suchen!" Donnerte Barnard und deutete auf die noch immer leuchtende Karte, die in diesem Moment verschwand. Er holte aus und setzte an, die Faust in den Würfel hineinzurammen. Doch im allerletzten Augenblick besann er sich, daß das keinen Sinn hatte. Die zehn Sekunden zwischen der letzten Apparition ohne hier erfaßbaren Zielpunkt waren um.

"Paris", schnarrte Barnard und tippte den Würfel an. Damit holte er die erleuchtete Karte zurück und vergrößerte einen Abschnitt. Normalerweise würde genau da, wo der Ankunftsort aufgespürt war eine genauere Einkreisung möglich sein. Doch einen Ankunftsort hatten sie nicht. Die Bereitschaftszauberer verschwanden, was im Würfel durch drei rote Punkte in einem als Zentrumsfeld bezeichneten grünen Kreis angezeigt wurde, um keine Zehntelsekunde später als drei blaue Punkte in der Nähe des ersten Zielpunktes aufzutauchen. Dann wurden die Punkte grün, weil die Bereitschaftszauberer an ihren Hüten Markierungszauber hatten, die der Spürer erfassen konnte. "Dann sucht mal", dachte Louisette Richelieu amüsiert. Zwar war sie sich sicher, daß es niemand war, den sie kannte, aber die Tatsache, daß jemand das Netz von Spürern mal eben lächerlich gemacht hatte gefiel ihr. Das hatte sie bisher nicht gewußt, daß man die Apparierspürer mit Sprüngen unter zwei Kilometern auskontern konnte, wenn man schnell zwei Apparitionen hintereinander durchführte.

__________

Die Zeit läuft, netter Vetter", grinste Gilbert, als sie nach dem Annäherungssprung mitten in das Museum hineinappariert waren. Otto nickte. Gilbert suchte die Treppe und das Schild, daß verriet, wo die alten Druckerpressen standen. "zwei Stockwerke tiefer, da wo auch die alten Fotografiergeräte rumstehen", zischte er. Das Museum wurde von schwachen Elektrolichtern ausgeleuchtet, daß von den Nachtsichtbrillen auf die Helligkeit eines Mittsommermittags verstärkt wurde. Zu Fuß, um die möglichen Verfolger nicht noch weiter zu ärgern, liefen sie hinunter. Die verschlossene Tür war für Zauberer kein Thema. Sie betraten die Ausstellungshalle, wo alte Zeugnisse der frühen Massenmedien der Muggel standen. Drei monströse Apparaturen beherrschten eine Seite. Zwei besaßen diese langen Anhängsel, die Stromkabel genannt wurden. Eines sah wie eine mit Muskelkraft zu bedienende Maschine aus.

"Damit haben sie einhundert Jahre nach dem Deutschen Gutenberg die ersten wirklich wichtigen Zeitungen zusammengeschmiedet", dozierte Gilbert. Da horchte er auf. Von irgendwo aus dem Gebäude klangen hektische Schritte.

"Wir hätten doch den richtigen Schlüssel ausleihen sollen", meinte Otto, als er die Schritte auch gehört hatte. "Okay, die alte?" Fragte er noch. Gilbert nickte. Dann winkte er der Tür. "Colloportus!" Wisperte er. Knirschend verband sich die Tür mit dem Rahmen. Otto war bereits dabei, die gesuchte Maschine mit zwei Zauberstabbewegungen abzuzirkeln, bevor er "Geminio" Murmelte. Mit einem lauten Fauchen verdrängte ein unförmiger Nebel aus der Maschine die Luft, bevor der Nebel sich mit lautem Plopp zu einem Doppelgänger der altertümlichen Druckerpresse verfestigte.

"Metall von der Masse zu verdoppeln macht dir wohl keiner mehr vor", lobte Gilbert seinen Vetter.

"Offenbar ist das in der Milch, was die Mädels stark macht bei den Jungs für die Zauberkraft gut, Gilbert", grinste Otto seinen Cousin an. Da bollerte es an der verrammelten Tür.

"Hallo! Ist da wer?!" Bellte eine ziemlich ungehaltene Männerstimme.

"Gut zu Fuß, der Nachtwächter", wisperte Gilbert. Otto nickte und deutete auf die verdoppelte Maschine. "Centinimus", zischte er mit schnell von oben nach unten schwingendem Zauberstab. Zischend schrumpfte die gezauberte Kopie auf ein Hundertstel zusammen. Otto hob sie locker an und ergriff Gilbert beim Arm. "Mach die Tür wieder frei und bring uns hier raus. Drei Spprünge, bis nach Hause!"

"Geht klar", erwiderte Gilbert, während der Nachtwächter erst mit dem passenden Schlüssel an der Tür hantierte und dann, weil sie nicht aufgehen wollte, mit kräftigen Fußtritten dagegen antrat. "Reverto Colloportus", murmelte Gilbert mit auf die schwere Tür gerichtetem Zauberstab. Es knirschte, dann flog die Tür auf. Im Selben Moment warfen sich die zwei aneinandergeklammerten Zauberer in die Disapparition. Der Nachtwächter, ein gut durchtrainierter Muggel in einem grauen Anzug, stand starr vor Staunen da und starrte noch vier Sekunden lang auf den Fleck, wo er gerade eben noch zwei Männer in grünen Umhängen gesehen hatte, einer mit einer schulterlangen Struwelmähne und der andere mit einem fast kahlgeschorenen Schädel, beide rotblond. Dann sah er auf die hier ausgestellten Exponate. Sie waren noch alle vollzählig und scheinbar unberührt. Was war das bloß? Er war von zwei merkwürdigen Geräuschen aufgeschreckt worden. Dann hatten die Lichter des stillen Alarms aufgeleuchtet, auch das einer schweren Eisentür, die zu den alten Druckerpressen führte, und die der Wächter selbst bei Dienstantritt sorgfältig verschlossen hatte. Und jetzt stand er hier in einem scheinbar unversehrten Raum und meinte, zwei Einbrecher in Umhängen gesehen zu haben. Auch war das komisch, daß er die Tür nicht aufbekommen hatte. Als hätte jemand sie von innen mit einem Tisch oder sonst einem schweren Gegenstand verrammelt. Er hatte doch nichts getrunken. Mochte die Einsamkeit hier sein, vielleicht sogar Müdigkeit. Aber der Alarm war doch losgegangen. Oha, der würde auch die Polizei herbeirufen. Was sollte er denen erzählen, daß er eine verkeilte Tür nicht aufbekommen hatte und dann zwei rotblonde Burschen wie weggebeamt verschwinden gesehen hatte. Er würde es wohl auf die Alarmanlage schieben müssen, daß die wegen was auch immer losgegangen sei, Überspannung oder elektrostatische Aufladung. Denn was er erlebt hatte würde ihm kein Mensch glauben, ihn wohl für verrückt halten. Nein, sein Job war zu wertvoll, um sich das nachsagen zu lassen. Schnell schloß er die Tür wieder und eilte in sein Büro, wo er die Polizei anrief und beteuerte, daß der Alarm wohl von selbst losgegangen sei, und er niemanden im Museum hatte antreffen können. Der diensthabende Beamte am anderen Ende der Telefonleitung war zwar nicht sonderlich begeistert, einen Streifenwagen für einen blinden Alarm losgeschickt zu haben. Aber die Gefahr bestand nun mal bei der hochempfindlichen Elektronik. Dem Wächter wurde empfohlen, seinen Vorgesetzten nahezulegen, die Alarmanlage so schnell wie möglich überprüfen und gegebenenfalls nachkalibrieren zu lassen. Damit war für den Nachtwächter und den Polizisten der Fall erledigt. Der Museumswächter ahnte nicht, daß er Zeuge eines magiehistorischen Momentes geworden war. Und er hätte es auch nicht verstanden, wenn ihm das irgendjemand erzählt hätte.

__________

Beauxbatons erwachte am kommenden Montag wie sonst auch. Nur Julius hatte ein merkwürdiges Gefühl, weil er an seine Mutter denken mußte. Wenn um zwölf Uhr mittags immer noch ein magisches Potential bei ihr gemessen wurde, ohne daß sie den Trank eingenommen hatte, würde sich sein Status genauso ändern wie ihrer. Dann war er nicht mehr vollkommen Muggelstämmig. Obwohl, vor diesem Geschenk Antoinettes hatte sie nicht zaubern können. Und muggelstämmig hieß ja, als Kind von Muggeleltern geboren worden zu sein. Das änderte aber nichts daran, daß er sich vielleicht damit anfreunden mußte, daß seine Mutter jetzt als erwachsene Frau Hexenkünste erlernen mußte, wenn ihr die in sie hineingepflanzten Zauberkräfte nicht ausrutschen sollten. Konnte es dann passieren, daß sie im nächsten Schuljahr, falls es eins gab, mit Babette und Mayette zusammen hier eingeschult wurde? Unfug! 'ne Erwachsene zwischen den Kleinen? Das konnte er sich nicht vorstellen.

Beim Frühstück herrschte das übliche Getuschel. Auch wenn es keine Zeitungen oder Eulenpost mehr gab redeten die Schüler über etwas, um ja nicht in eine dumpfe Stimmung zu verfallen. Wie merkwürdig erschien es Julius dann, als die früher so pünktlichen Eulengeschwader durch die offene Tür hereinflogen. Hatte Didier die Briefsperre aufgehoben? Doch als ihn gleich drei Eulen aufsuchten und er drei amtliche Briefumschläge vor sich sah, ahnte er, daß die Post nicht aus purer Achtung des Nachrichtenbedarfs durchgelassen worden, sondern vielmehr vom Didier-Zentrum an alle Schüler verschickt worden war. Er sah sich um. Die meisten anderen bekamen nur einen Brief. Die meisten anderen, das waren ausnahmslos alle Schülerinnen und Schüler. Mochte es sein, daß Didier die Briefe alle verflucht hatte.

"Sehr geehrte Schülerinnen und Schüler, berühren Sie die Ihnen zugestellten Umschläge nicht, bevor meine Kollegen sie nicht mit Flucherkennungsmitteln geprüft haben!" Rief Madame Maxime, als die ersten Anstalten machten, nach den hingeworfenen Briefen zu grabschen. Professeur Faucon und die anderen Saalvorsteher hoben ihre Zauberstäbe und riefen "Accio Briefe!" Vom Grünen Tisch flogen alle Umschläge zu Professeur Faucon, vom roten alle zu Professeur Fixus und so weiter. Die Schüler machten Anstalten, zu protestieren. Der Nachrichtenentzug machte sie aufsässig. Doch die Saalvorsteher ließen sich nicht aus der Ruhe bringen. Es dauerte zehn Minuten, bis alle Briefe mit Flucherkennungszaubern geprüft waren. Die Posteulen waren inzwischen längst schon wieder hinausgeflogen. Sie sollten keine Antworten mitnehmen.

"Keine Verfluchung. Jeder verbleibt an seinem/ihren Platz, bis die Saalvorsteher die zugestellte Post verteilt haben!" Befahl Madame Maxime. Die Lehrer vollführten einen Sortierzauber, den Julius in der Zauberkunst-AG einmal ausprobiert hatte. Damit konnten Bücher oder Zettel nach Alphabet oder Nummerierung zusammengestapelt werden. So brauchten die Lehrer nur noch um die Tische zu gehen und die dem Alphabet gemäße Abfolge einzuhalten. Da Julius nun nicht mehr Andrews hieß dauerte es diesmal etwas länger. Robert und André bekamen ihre Briefe zuerst, die alle gleich aussahen. "Geklonte Post. Was soll das sein?" Fragte Julius.

"Wenn du mir sagst was geklont heißt", erwiderte Robert nicht sonderlich beruhigt. "X-mal kopiert", übersetzte Julius es einfach.

"Stimmt, ist wohl der selbe Brief, den du auch hast, Robert", wandte André ein. Wieder machte Professeur Faucon die Runde. Die, welche schon ihre Briefe lesen konnten, verzogen die Gesichter und blickten sich ratlos um, einige sogar verärgert. Dann bekamen "Laplace, Gérard" und "Latierre, Julius" ihre Post. Auf dieser Seite des grasgrünen Tisches war Julius der einzige, der drei Briefe bekommen hatte. Er nahm den Mehrling des Briefes, den auch Robert und die anderen bekommen hatten zuerst und öffnete ihn. Er las:

Sehr geehrte Schülerin, sehr geehrter Schüler der Beauxbatons-Akademie,

Hiermit werden Sie auf amtliche Anweisung von Zaubereiminister Janus Didier sowie dem Leiter der Abteilung für Familien und magische Ausbildung, Monsieur Lucian Lagrange, über folgenden Sachverhalt informiert:

Das Ministerium für Zauberei zu Frankreich sah sich auf Grund unhaltbarer Zustände innerhalb der Beauxbatons-Akademie veranlaßt, die pädagogischen und magierelevanten Kompetenzen der dort bis zum Datum dieses Schreibens tätigen Hexen und Zauberer anzuzweifeln und diese gemäß Anhang der Familienstandsgesetze für minderjährige Hexen und Zauberer sowie der Übereinkunft über den Ausbildungsauftrag französischsprachiger Hexen und Zauberer sämtliches Personal aus seinen Diensten zu entlassen. Sie werden hiermit aufgefordert, die Teilnahme an weiteren Lehrveranstaltungen ab Zeitpunkt der Zustellung dieses Schreibens aufzukündigen und darauf zu warten, daß die bisherigen Bediensteten von Beauxbatons mit Ihnen zusammen die Akademie verlassen. Sämtliche Lehrer und andere Schulbedienstete wurden auf höchstministerielle Anordnung ihrer Ämter enthoben sowie aus der magischen Gemeinschaft ausgeschlossen. Dies bedeutet, daß jene Personen weder eigenständige Magie wirken, noch minderjährige Hexen und Zauberer im Umgang damit unterweisen dürfen. Somit entfällt für jeden von Ihnen von der Schülerschaft die bei Antritt Ihrer Ausbildung eingegangene Verpflichtung zur Teilnahme am Unterricht, solange kein Personalwechsel stattgefunden hat. Da noch geprüft werden muß, wer die freiwerdenden Stellen kompetent und integer besetzen wird, gilt für Sie alle, daß Sie bis zur nötigen Personalumbildung zu ihren Eltern und/oder Erziehungsberechtigten zurückkehren mögen. Wann Sie Ihre Ausbildung fortsetzen dürfen wird Ihnen dann frühzeitig mitgeteilt.

Sollten Sie befinden, daß die bisherigen Damen und Herren, die bis vor wenigen Wochen noch das unverbrüchliche Vertrauen des Zaubereiministeriums genossen, Sie weiterhin unterrichten mögen und nicht darauf bestehen, sofort zu Ihren Eltern zurückzukehren, werden Sie hiermit darauf hingewiesen, daß sich diese Kolaboration mit erwiesenen Straftätern als Mitschuld für Sie auswirken kann und auch auf Ihre Eltern/Erziehungsberechtigten zurückfallen mag, sowie alle bisher errungenen so wie noch ausstehenden Prüfgungsergebnisse annulliert werden und Sie spätestens ab dem ersten Dezember jeden Anspruch auf Rechte eines magischen Bürger verwirkt haben. Dies wird sich darin äußern, daß Ihnen der Besitz und/oder die Benutzung von Zauberstäben untersagt wird, ebenso wie der Erwerb, Besitz und Gebrauch magischer Gegenstände, Tiere, Pflanzen oder Gebräue. In der festen Überzeugung, in Ihnen ein vernünftiges Mitglied der magischen Gesellschaft angesprochen zu haben, hoffen wir auf Ihre konstruktive Mitarbeit, damit Sie baldmöglichst Ihre Ausbildung in der Beauxbatons-Akademie fortsetzen können.

Mit freundlichen Grüßen

Lucian Lagrange

Leiter der Abteilung für Familien und magische Ausbildung und Studien

Ein aufgeregtes Raunen erfüllte den Speisesaal. Julius atmete mehrmals ein und aus, um den in ihm hochkochenden Ärger niederzuhalten. Robert stupste ihn an und fragte ihn verbittert: "Hast du den gleichen Brief gekriegt?" Julius nickte und legte das Rundschreiben, daß nicht nur ihm zugedacht war, auf den Tisch. Dann nahm er den zweiten Brief, der ähnlich amtlich aussah und öffnete ihn.

Sehr geehrter Monsieur Andrews,

falls Sie jetzt denken, sich verlesen zu haben, dem ist nicht so. Und wenn Sie dieses Schreiben zu Ende gelesen haben werden Sie uns beipflichten, daß dies auch seine Richtigkeit hat.

Wie wir bedauerlicherweise erfahren mußten, fühlten sich verschiedene Zaubereifamilien Frankreichs von der Vorstellung beeindruckt, einen echten Ruster-Simonowsky-Zauberer in die eigene Blutlinie einfügen zu können. So wurde unserer Abteilung vor drei Tagen mitgeteilt, daß sowohl die Familie Eauvive in Personen durch die allter Ämter und Rechte verlustige Antoinette Eauvive, sowie den Eheleuten Florymont und Camille Dusoleil versucht haben, sie durch die Anbahnung einer Beziehung mit ihrer mittlerweile verstorbenen Tochter Claire zusammenzubringen, als auch die Familie Latierre darauf ausging, Sie zur Ehe mit einer der ledigen weiblichen Anverwandten wie Mademoiselle Béatrice, Martine oder Mildrid zu verlocken. Leider war es dem früheren und leider zu früh aus der Welt geschiedenen Zaubereiminister Grandchapeau nicht möglich, die nötigen Beweise zu erheben, zumal er wohl aus übermäßiger Furcht vor der Macht beider Familien nicht wagte, diesen unlautere Absichten zu unterstellen. Wir wissennicht genau, durch was Madame Hippolyte Latierre es letzthin erreicht hat, Sie zu einer Ehe mit ihrer jüngeren Tochter zu zwingen, können jedoch nicht ausschließen, daß sie sich hierbei unverzeihlicher Zauber und geächteter Mixturen bedient hat, um Sie und den ehrenwerten Monsieur Laroche zum Vollzug der magischen Trauung zu bringen, um sowohl gesellschaftlich auf Sie einfluß zu nehmen, als auch in der Hoffnung, Ihr magisches Erbgut innerhalb ihrer Familie zu neuer Blüte bringen zu können. Wir gehen davon aus, daß Sie, Monsieur Andrews, derartigen Manipulationen genauso ablehnend gegenüberstehen wie wir und diesen Ihnen aufgezwungenen Schritt schnellstmöglich rückgängig machen wollen. Ihr Einverständnis vorausgesetzt, zumal Sie derzeit keinen legitimen magischen Fürsorger innerhalb Frankreichs besitzen, haben wir diese Entscheidung zu Ihren Gunsten bereits getroffen. Auch wenn eine magisch geschlossene Ehe nur durch magische Entbindung von den ehelichen Pflichten aufgehoben werden kann möchten Wir Ihnen hiermit bereits jetzt schon mitteilen, daß Sie gegenüber Mademoiselle Mildrid Ursuline Latierre und Ihrer offenkundig sehr kriminellen Anverwandtschaft keinerlei Verpflichtungen mehr haben und jede Zusage Ihrerseits keine Gültigkeit mehr besitzt.

Sofern wir es einrichten können, werden wir Monsieur Laroche darum bitten, den offenbar unter äußeren Zwang bewirkten Zeremonienzauber aufzuheben, so daß die Familie Latierre Ihnen keine in die Ferne wirkenden Vergeltungszauber zufügen kann. Bei der Gelegenheit werden wir auch ergründen, ob die bezeichnete Mademoiselle bereits ein ilegitimes Kind unter dem Herzen trägt. Sollte es sich so verhalten, wird sie dieses Kind in ministerieller Obhut auszutragen und zu gebären haben, wonach es ihr entzogen wird, womit Ihnen gegenüber auch keine Unterhaltsverpflichtungen entstehen. Schwangerschaft und Geburt dieses Kindes werden dann aus dem Gedächtnis Mademoiselle Latierres getilgt.

Bedauerlicherweise ergibt sich aus der Annulierung Ihrer aufgezwungenen Ehe der Umstand, daß Sie auf Grund des Dahinscheidens Ihrer Mutter keine für Ihre Fürsorge zuständige Person innerhalb unseres Landes mehr angeben können. Doch wir sind zuversichtlich, auch diese Unannehmlichkeit ausräumen zu können.

In der Hoffnung, dies bereits bei Eingang dieses Schreibens bewerkstelligen zu können, verbleiben wir

mit freundlichen Grüßen

Lucian Lagrange und Véronique Ronchamp
Abteilung für Familien und magische Ausbildung und Studien

Julius fühlte, wie nicht nur bei ihm Wut aufloderte. Offenbar hatte Millie ein ähnliches Schreiben erhalten. Die Wogen ihres Zorns mischten sich mit seiner Angewidertheit über diesen Ausbund von Heuchelei, Anmaßung und auch Dummheit. Er wußte, daß der dritte Brief bestimmt nicht helfen würde, die immer heißer brennende Wut abzukühlen. Doch er mußte wissen, welchen hinterhältigen Streich dieser Diktator und seine mit Imperius gezähmten Handlanger noch auf der Pfanne hatten, um ihn aus der Spur zu werfen. Das Zuneigungsherz unter seinem Umhang pochte wild und jagte Wellen lodernder Wut wie heißes Wasser in seinen Körper hinein. Wenn er nicht gleich aufspringen und wie ein Berserker auf alles einbrüllen und draufhauen wollte mußte er sich jetzt zusammennehmen. "Was - mich - stört - ... verschwinde!" Preßte er jedes Wort seiner oft schon erfolgreich bemühten Selbstbeherrschungsformel in sein Bewußtsein hinein. Da hörte er von irgendwo her ein lautes, schrilles: "Neeeeiiiin!!!". Das wirkte besser als die Formel, obwohl Millies auf ihn überschwappende Wut immer noch in ihm brannte wie aufsteigende Lava in einem Vulkanschlot. Wie alle anderen hier riß er seinen Kopf herum und sah dorthin, von wo der Schrei hergekommen war. Es war der gelbe Tisch, wo gerade Nadine Albert völlig in Tränen ausbrach und von ihrem Stuhl sackte. Sofort eilten Sandrine und Arnica zu ihr hin. Keiner sagte einen Ton. Auch Millies heiße Wut kühlte ab, fühlte Julius. Er sah schnell zu ihr, die jedoch besorgt auf die soeben von Sandrine aufgefangene und in eine zärtliche Umarmung geschlossene Nadine blickte. Offenbar hatte man dem Mädchen einen sehr üblen Schock versetzt. Julius fühlte, daß Mitleid und Wut in ihm aufkamen. Was hatte man diesem Mädchen geschrieben, daß es so reagiert hatte?

Als Julius kurz zu den anderen sah, um zu sehen, was diese taten, erkannte er, daß die meisten Muggelstämmigen sichtlich durcheinander waren und noch immer Zettel in ihren zitternden Händen hielten. Er sah schnell zu Laurentine hinüber, die mit einer Mischung von Ratlosigkeit und Verdruß im Gesicht dasaß und ein Pergamentstück in ihren Händen drehte. Offenbar hatte die Bande um Didier die Psychologische Kriegführung entdeckt. Ja, das mußte es sein, erkannte Julius. Die da draußen mithörten wußten, daß die Muggelstämmigen hier sehr angespannt waren, weil sie nichts mehr von ihren Familien erfuhren, keine Nachrichten mehr hörten und auch sonst nichts.

"Was hat die?" Fragte Robert Julius auf Nadine deutend. Dieser deutete jedoch auf Laurentine und antwortete sichtlich verbittert: "Wohl wie alle Muggelstämmigen hier was sehr übles mit der Post bekommen. Könnte sein, daß man Nadine die achso bedauerliche Mitteilung gemacht hat, daß ihre Eltern tot sind."

"Das meinst du nicht ernst", erschrak Robert. Doch Julius deutete auf Nadine, die in einer Tränenflug zu ertrinken drohte. Sandrine hielt sie immer noch im Arm. Dann sah sie ihren Hauslehrer an und deutete auf ihr Pflegehelferarmband. Professeur Paximus nickte betroffen dreinschauend. Sandrine berührte das Armband und rief damit Schwester Florences Abbild hervor. Sofort schwiegen alle. So konnte jeder hören, was Sandrine sagte:

"Schwester Florence, die Erstklässlerin Nadine Albert hat einen schweren Schock erlitten, womöglich durch einen Brief, den sie erhalten hat. Soll ich Sie zu Ihnen bringen?"

"Brief? Ja, bring sie umgehend zu mir und dieses Schreiben gleich auch", schnarrte Madame Rossignols Stimme leicht verwaschen klingend aus Sandrines Armband. Sandrine bestätigte es, sah Madame Maxime fragend an, die ihr zunickte. Dann schob sie die immer noch ungehemmt weinende und wimmernde Nadine Albert aus dem Speisesaal.

"Mesdames, Mesdemoiselles et Messieurs, ich weiß nicht genau, was Sie alle für Post erhalten haben. Ich erkenne jedoch eindeutig, daß diese Ihre Verfassung für den Unterricht sichtlich beeinträchtigt hat", sprach Madame Maxime ungewohnt behutsam. "Da ich erstens näheres darüber wissen möchte, Was Ihnen allen zugegangen ist und zweitens ergründen möchte, ob und wie darauf angemessen zu reagieren ist, verkünde ich hiermit, daß der Unterricht der ersten Doppelstunde für heute entfällt. Sie dürfen sich in den Ihnen zugeteilten Sälen oder der Bibliothek aufhalten. Hinausgehen dürfen Sie nicht, da ich befürchten muß, daß es bei Ihnen zu ungewollten Ausuferungen kommen kann. Die hauptamtlichen Saalsprecherinnen und -sprecher bitte ich darum, in Ihren Sälen darauf zu achten, daß keine unbedachten Handlungen stattfinden. Die Saalvorsteher und die stellvertretenden Saalsprecher bitte ich zu einer außerordentlichen Zusammenkunft um acht Uhr in mein Konferenzzimmer. Schuldiener Bertillon und Madame D'argent möchten Sorge dafür tragen, daß die äußeren Türen verschlossen gehalten werden."

"Sie wollen uns hier drinnen einsperren? Schweinerei! Sie wissen genau, daß sie alle hier geschasst sind", stieß ein muggelstämmiger Schüler aus dem blauen Saal aus. "Leute, die wollen uns hier als Geiseln halten, damit die vom Ministerium hier nicht reinstürmen. Los, wir machen uns fort hier!" Einige Schüler sprangen auf. Julius fürchtete schon, gleich das Phänomen des Herdentriebes in seiner unangenehmen Ausprägung mitzuerleben. Vor allem die muggelstämmigen Jungen waren drauf und dran, aus dem Saal zu rennen. Die Mädchen schienen noch mit irgendwas heftigem beschäftigt zu sein. Würde Didiers Saat doch aufgehen? Der Jungzauberer, der im Moment entweder Latierre oder Andrews hieß griff die drei Briefe, von denen noch einer ungeöffnet war. Wenn hier gleich eine Stampede losbrechen würde wollte er die Dinger, so abartig er sie fand, zumindest mitnehmen, um später mit wem darüber reden zu können. Doch da kam die aufgewühlte Schülermasse auch schon wieder zur Ruhe, und zwar ohne daß Madame Maxime oder ein anderes Mitglied des Lehrkörpers den Zauberstab gezogen hatte. Es war Laurentine Hellersdorf, die mitten in die Schülermenge hineingetreten war und einen Heulton um die Köpfe der sich zum Ausfall anschickenden Jungen schrillen ließ. Unerwartet entschlossen stand sie jetzt da, wie Julius es gerade jetzt am wenigsten von ihr erwartet hätte. "Leute, macht was Madame Maxime sagt. Didier will uns manipulieren, wieder mal. Der jagt uns Angst ein oder schockt uns mit Todesmeldungen oder sowas. Psychologische Kriegsführung heißt das, den Gegner durch falsche Nachrichten zu entmutigen oder zu unbedachten Handlungen zwingen, bestenfalls zur Panik. Laßt euch nicht darauf ein! Ich habe selbst so'n Dreckbrief gekriegt, der mich erst aus den Schuhen gehauen hat. Aber jetzt kapiere ich das, weil das bei Nadine und euch anderen auch so reingehauen hat. Der will uns fertigmachen, Leute. Der Schrieb über Madame Maxime und die Anderen gehört auch zu dieser linken Nummer. Wenn wir jetzt alle in Wut oder Panik rausrennen und zusehen, von Beauxbatons wegzukommen, haben diese Schweinehunde gewonnen. Dann haben sie alle Muggelstämmigen hier raus und den Rest entweder eingeschüchtert oder gegen die Lehrer hier aufgebracht. Dann ist hier Schicht im Schacht, wie es bei den Muggelbergleuten heißt. Genau das wollen die. Und genau deshalb bitte ich euch, obwohl ich hier nix wirklich zu sagen habe, daß wir nicht auf diesen Mist reinfallen. Denn der nette Onkel, der uns allen hier einreden will, daß wir unsere ganzen Prüfungen nicht mehr anerkannt kriegen, hat einen ganz blöden Fehler gemacht. Anstatt über mehrere Tage einzelne Leute anzutexten, hat er uns sogenannten Muggelstämmigen auf einen Schlag mit irgendwas bedacht, was uns aus dem Tritt bringen soll. Das war saudumm. Und das letzte, was ich mir hier oder anderswo nachsagen lassen will ist, mich von einem saublöden Typen verarschen zu lassen. Also bleibt bitte hier, falls ihr nicht meint, der hätte das recht dazu, euch Angst einzujagen oder sonst was vom grünen Pferd zu erzählen. Ich bitte Madame Maxime für meine unerlaubte Einmischung um Entschuldigung und nehme sehr gerne alle Strafpunkte für die Art, wie ich gesprochen habe hin. Besser als mich draußen von Didiers Hutzelhexen und Besenzombies einkassieren zu lassen. Danke für eure Aufmerksamkeit!"

Julius saß da wie alle anderen, total baff und beeindruckt. Über eine halbe Minute lang saßen oder standen alle da wie vom Donner gerührt. Sandrine kam gerade ohne Nadine zurück und blieb wie vor eine Glaswand geprallt stehen, weil die unerwartete Regungslosigkeit der anderen sie verwirrte. Das wiederum löste Julius aus seiner Erstarrtheit. Er stand auf und sah Madame Maxime an, die unerwartet ruhig und abwartend die stehenden und sitzenden Schüler im Blick behielt. Julius las schnell die Zeit ab, sie hatten noch zehn Minuten bis zur Sondersitzung der Saalsprecher. Er hob die Hand und erhielt ein Nicken.

"Auch wenn ich genauso verwundert bin wie ihr alle, daß Mademoiselle Hellersdorf so viel Mut hat, sich gegen eine verstörte Herde von Schülern zu stellen, möchte ich gerne noch was dazu beitragen, weil ihr mich hier alle doch als einen kennt, der viel aufgeladen bekommen hat und dafür nicht von jedem bewundert wird. Und das will ich auch nicht, von wirklich jedem bewundert werden, schon gar nicht von jemandem wie Didier. Um allen hier, nicht nur uns Muggelstämmigen zu zeigen, wie dieser Mistkerl arbeitet möchte ich Ihnen und euch den Brief vorlesen, den ich noch nicht gelesen habe." Millie sah ihn leicht verstimmt an, begriff dann doch, daß er was anderes meinte. Er öffnete inbrünstig laut den dritten Umschlag, hoffte, keine Bubo-Tubler-Falle auszulösen und entfaltete einen Pergamentzettel, immer mit einem Blick auf Madame Maxime, ob sie einschreiten würde. Doch sie blieb ruhig. Sandrine stand immer noch in der offenen Tür. Julius winkte ihr zu und deutete auf den gelben Tisch. Sie verstand und kehrte stumm an ihren Platz zurück, blieb jedoch stehen. Dann las Julius: "Sehr geehrter Monsieur Andrews

wie Sie einem zeitgleich zugestellten Schreiben entnehmen konnten, sahen wir uns veranlaßt, Ihre widerrechtlich geschlossene Ehe mit Mademoiselle Mildrid Latierre für ungültig zu erklären. Daraus ergab sich bedauerlicherweise, daß Sie dadurch keinen lebenden oder dazu berechtigten Fürsorger in diesem unserem Lande besitzen, was eine unbedingte Voraussetzung für den weiteren Besuch der Beauxbatons-Akademie darstellt. Wie Ihnen vor geraumer Zeit bereits angekündigt, hat sich die Abteilung für magische Familien und Ausbildung Ihres Falles angenommen und erörtert, welchen Status Sie haben und wie wir Ihnen helfen können, eine sichere Zukunft zu gestalten. Wie uns zur Kenntnis gelangte, verfügen Sie nach dem bedauerlichen Tod ihrer Eltern nur noch über einen Onkel und eine Tante als direkte Verwandte. Da Catherine Brickston bereits in Abwesenheit aus der Zaubererwelt ausgeschlossen wurde, darf diese nicht mehr für Sie in erzieherischer Weise tätig sein. Somit haben wir in Ihrem besten Interesse zu Ihrem Onkel Claude Andrews in London, Großbritannien, Kontakt aufgenommen, um ihn und seine Gattin Alison Andrews geb. Whitfield zu informieren, daß Sie nunmehr Vollwaise sind und ob er Sie freundlicherweise in seine Obhut nehmen und Ihr körperlich-geistiges Wohlergehen fördern möchte. Leider ist uns bisher keine Antwort von ihm zugegangen. Um Ihre magische Fortbildung sicherzustellen haben wir daher auch Kontakt mit dem britischen Zaubereiministerium aufgenommen, daß uns unverzüglich antwortete, daß Sie sicher in Ihre Heimat zurückkehren können und nach eingehender Prüfung Ihre magische Fortbildung in der Schule Hogwarts fortsetzen können." Julius rang darum, seine wiederaufflammende Wut zu unterdrücken. So las er schnell weiter. "Wenn Sie es einrichten können, Beauxbatons noch vor dem ersten Dezember zu verlassen, werden wir Ihnen eine sichere und schnelle Rückreise nach London ermöglichen, wo sie zusammen mit ihren Verwandten eine Unterredung mit der Ministerialbeamtin Dolores Jane Umbridge erwartet, um die letzten Formalitäten für Ihre weitere Unterbringung und Ausbildung zu klären. Wir bedauern, Sie auf Grund der gegebenen Rechtslage nicht weiter in Frankreich beherbergen zu dürfen und wünschen Ihnen für Ihre Zukunft alles gute. Mit freundlichen Grüßen ... ein gewisser uns hier allen wohl schon vertrauter Monsieur Lucian Lagrange." Er ließ seine köchelnde Wut und die Verblüffung der anderen eine Minute lang schweigend wirken. Dann sagte er: "Eigentlich habe ich diesen und keinen anderen Brief schon seit Wochen erwartet, um nicht zu sagen seit dem Halloweentag. Didier hat sich mit diesem Brief und den mir damit angedrohten Konsequenzen viel Zeit gelassen", stieß Julius voller Sarkasmus heraus. "Oder der Imperius-Fluch, mit dem er Monsieur Lagrange dazu gezwungen hat, dieses Geschreibsel hier abzusondern hat nicht sofort gewirkt. Ich glaube nämlich ehrlicherweise nicht, daß Monsieur Lagrange, der Großvater von Mademoiselle Belisama Lagrange, freiwillig so einen geistigen Absturz baut, nicht nur weiterhin zu behaupten, meine Mutter sei tot, sie lebt immer noch, wie wohl auch die Eltern derjenigen hier, die geschrieben bekamen, es sei anders. Nein, er tut auch noch so, als sei alles, was Minister Grandchapeau längst allen mitgeteilt hat nicht passiert, als würden keine Muggelstämmigen aus Großbritannien flüchten, weil jemand mit dem achso unnennbaren Namen Lord Voldemort hinter ihnen her ist." Alle außer den Muggelstämmigen zuckten zusammen. "Leute, der mag zwar in England mit einem Petzzauber jeden drankriegen, der diesen Namen laut ausspricht. Aber der Petzzauber wirkt nicht hier. Und falls doch, dann wohl, weil Didier sich darauf einläßt, ihn hier wirken zu lassen und endgültig beweist, wem er jetzt auf die eine oder andere Weise in die Hände spielt. Und eben jener Lord Voldemort", wieder zuckten einige zusammen. Doch passierte auch jetzt nichts weiteres. "Also dieser Massenmörder hat einen vielleicht vorher unbescholtenen Zauberer dazu gezwungen, seine Marionette zu werden und als Zaubereiminister aufzutreten und Gesetze zu erlassen, die Muggel und Muggelstämmige verfolgen. Die in diesem netten Brief hier erwähnte Dolores Jane Umbridge leitet im britischen Marionettentheater namens Zaubereiministerium eine Kommission zur Registrierung von Muggelstämmigen. Registrierung heißt, Vorladung und Beschuldigung, diese Leute hätten ihre Magie gestohlen und damit ein Verbrechen begangen, für das sie dann natürlich ins Gefängnis gehören. Diese Hexe hat sogar eine Broschüre in die Welt geworfen, die "Schlammblüter und die Gefahren, die sie für die Zaubererwelt darstellen" heißt. Ja, jetzt dürft ihr zusammenfahren und bedröppelt gucken", bemerkte Julius zu der schlagartig entrüsteten Haltung aller Lehrer und Schüler. "Professeur Faucon hat diese Broschüre gelesen wie auch eine Anklageerhebung dieses britischen Anhängsels Voldemorts ... Seht ihr, der kommt trotzdem nicht ... gegen Schulfreunde von mir. Darin wurde mir offen gedroht, daß diesen Schulfreunden von mir, unter anderem die euch oberhalb der ersten Klasse im letzten Jahr bekannt gewordene gloria Porter, wegen Unterstützung eines Kriminellen vor Gericht gestellt oder besser gleich von Dementoren geküßt und damit entseelt werden sollten. Ziel war es, mich aus der Sicherheit von Beauxbatons herauszulocken, um mich in Großbritannien gefangennehmen zu können, weil ich ja auch Magie geklaut haben muß, um so gut zaubern zu können, wie die meisten Lehrer hier das von mir behaupten. Und eben diese Dolores Jane Umbridge soll mich mit meinem Onkel treffen, einem Onkel übrigens, der mich niemals weiter auf eine Zaubererschule gehen lassen würde. Darin wäre der sich sogar mit der aufopferungsvollen Dolores Jane Umbridge einig. Didier legt es also jetzt trotz aller in diesem und anderen Briefen abgesonderten Heuchelei darauf an, mich diesem Massenmörder und seiner Bluthündin zum Fraß vorzuwerfen, damit er sich hier zurücklehnen kann, weil dann ja angeblich keine Dementoren und was auch immer hier herumläuft. Jemand, der Zaubereiminister sein will, solte vielleicht anfangen, andere Menschen nicht dümmer einzuschätzen, als er sich selber fühlt. Und wie bescheuert muß jemand sein, der jemand andren für so dumm hält, daß er trotz aller ihm bekannten und selbsterlebten Tatsachen darauf eingehen und einwilligen wird, in das Land seiner Herkunft zurückzukehren und dann noch zu glauben, die Zukunft wäre da gesichert. Obwohl, damit hätte diese heuchlerische, feige Sau sogar recht." Madame Maxime räusperte sich, unterbrach ihn jedoch nicht ernsthaft. "Meine Zukunft wäre gesichert: Askaban oder Friedhof. Sicherer kann doch keine Zukunft sein, falls ich wirklich so seltendämlich wäre, und mich freiwillig auf diesen Handel einließe. Ich habe im noch so langen und hoffentlich noch zehnmal länger möglichem Leben von meinem leider verstorbenen Vater und meiner zum Glück noch lebenden Mutter gelernt, daß ich selbst nie die Intelligenz meiner Mitmenschen unterschätzen möge, weil ich dann leicht von meinem Gegenüber ausgetrickst werden kann. Und einen Satz noch für meine Mitmuggelstämmigen: Der euch vielleicht bekannte Detektiv Sherlock Holmes hat zu seinem Freund Doktor Watson mal gesagt, daß eine Kette nur so stark ist wie ihr schwächstes Glied. Immerhin das hat Didier offenbar kapiert und es versucht, uns wegen der fehlenden Nachrichten von unseren Eltern in Angst, Schrecken und Trauer stürzen zu können. Laurentine hat es beim Namen genannt. Es ist Psychologische Kriegsfühhrung. Und sie hat auch gesagt, daß Didiers Handlanger den absoluten Drachenmist gebaut haben, uns alle zur gleichen Zeit derartige Horrorbriefe zu schicken. Daran, meine lieben Mitmuggelstämmigen, seht ihr, wie wichtig wir für die Zaubererwelt sind. Denn die Muggel haben wesentlich mehr Erfahrung in psychologischer Kriegsführung, und ein Muggel hätte sich ganz bestimmt nicht den Schnitzer erlaubt, möglichst viele zur gleichen Zeit mit schlimmen Nachrichten zu beballern. Deshalb, bevor es acht Uhr ist, nur die Frage an euch: Wollt ihr als die schwächsten Glieder hier herumlaufen? Ich persönlich will das nicht, und Laurentine hat gezeigt, daß ihr da auch nicht nach ist. Ich kann's verstehen, daß ihr alle unsicher seid, weil wochenlang keine Briefe von euren Eltern kamen. Aber gerade deshalb möchte ich mir von so einem Hirnamputierten Heuchler keine Angst machen lassen. Sicher, ich kann euch auch nicht verraten, was mit euren Eltern ist. Aber ich darf euch ankündigen, daß das Problem nicht mehr lange besteht. In Millemerveilles, wo sich meine Mutter aufhält, wird daran gearbeitet, eine Verbindung mit der Muggelwelt herzustellen. Wie genau das geht, möchte ich wegen der Anhängsel der feigen Sau Didier nicht verraten, weil ja sonst die Überraschung weg wäre. Aber es kann nur noch Tage dauern, bis das Thema Unsicherheit erledigt ist."

"Keine Tage, nur noch Minuten", schaltete sich Professeur Faucon ein. "Ich habe gestern abend noch erfahren, daß benanntes Verbindungsproblem heute noch gelöst wird. Und kein Janus Didier, dessen Intelligenz offenbar der großen Furcht zum Opfer gefallen ist, kann und wird das verhindern. Ich danke Ihnen, Mademoiselle Hellersdorf und Monsieur Latierre, daß Sie beiden genug Mut und entschlossenheit bewiesen haben, Ihre Mitschüler auf die Notwendigkeit hinzuweisen, besser hier bei uns zu bleiben. Und ich hörte sowas, daß wir Lehrer hier de Jure Didieri abgesetzt sind. Madame Maxime wird dies wohl gleich näher von den stellvertretenden Saalsprechern erfahren."

"So verhält es sich. Danke, Proofesseur Faucon", übernahm Madame Maxime wieder das Wort und deutete auf die Uhr. "Gut, wir treffen uns dann gleich, die Damen und Herren stellvertretenden Saalsprecher. Bringen Sie bitte jene Schreiben mit, die angeblich uns alle vom Lehrkörper der Ämter enthoben haben. Und was die Strafpunkte für Mademoiselle Hellersdorf angeht, so sehe ich in dieser Sondersituation von der Zuteilung ab, weil es hierbei um Verständnis und Überzeugung geht. Derbe Worte gehören zwar nicht zu den hier erwünschten Ausdrucksweisen, sind jedoch leider dadurch, daß jeder sie versteht, in dieser Situation die alle erreichende Verständigungsgrundlage gewesen. Aber in Ihrem Interesse, zu einer kultivierten Hexe heranzureifen, sollten Sie bei zukünftigen Auftritten in der Öffentlichkeit eine gepflegtere Ausdrucksweise wählen, Mademoiselle Hellersdorf. Ähm, das gilt natürlich auch für Sie, Monsieur Latierre." Julius nickte zustimmend.

Belisama, Sandrine und Julius waren die schnellsten, weil sie das Wandschlüpfsystem benutzen konnten. Sandrine erzählte den beiden Pflegehelferkollegen, daß Nadine einen Brief erhalten habe, daß ihre Eltern gestern bei einem sogenannten Autounfall gestorben wären.

"Neh ist klar, die einfachste Möglichkeit, weil die Muggel ja so viele Autos haben", warf Julius bissig ein. "Bin mal gespannt, was die anderen für Horrormeldungen schlucken mußten. Öhm, Sandrine, was ist jetzt mit Nadine?"

"Unterhält sich mit Schwester Rossignol. Die kann sie vielleicht mit einem Beruhigungstrank behandeln. Aber solange die Unsicherheit bleibt wird das nicht lange helfen", erwiderte Sandrine. Julius fragte sich, wieso die von Didiers Bande so scharf darauf waren, die Muggelstämmigen aufzuscheuchen. War der wirklich so dumm, daß er meinte, das mit einem einzigen Schlag hinzukriegen? Oder hatte da wer anderes die Finger im Spiel? Belisama sah Julius an und sagte mit gewissem Unbehagen:

"Mein Großvater würde doch nicht wollen, daß hier alle Angst kriegen oder traurig werden. Vielleicht weiß er auch nicht, daß diese Dolores Umbridge für Ihr-wißt-schon-wem arbeitet."

"Ich fürchte, dein Großvater steht unter dem Imperius-Fluch", sagte Julius. "Ich will dich nicht in Angst versetzen. Aber ich kann mir das leider nicht anders vorstellen, daß jemand wirklich alle Schüler gegen die Lehrer hier aufstochen will, dich eingeschlossen."

"Der Brief hat mich nicht mit Namen erwähnt", sagte Belisama. "Aber die Unterschrift ist von meinem Großvater."

"Dann hat er es vielleicht nicht einmal gelesen, weil ihm befohlen wurde, alles ungelesen zu unterschreiben", ging Sandrine auf Julius' Vermutung ein.

"Dann könnte der ja auch Todesurteile unterschreiben", verfiel Belisama in eine sehr betrübte Stimmung. Julius konnte es ganz knapp noch hinunterschlucken, daß er das mit dem von ihm laut vorgelesenen Brief ja auch getan hatte. Ja, Lucian Lagranges Unterschrift stand unter seinem Todesurteil. Denn ihm war klar, daß er bestimmt nicht nach Askaban kam. Entweder würden ihn die Dementoren gleich mit einem Begrüßungskuß empfangen - was schlimmer als der Tod sein sollte - oder würden ihn zum peinlichen Verhör vor diese Giftkröte Umbridge schleppen, weil die ganz sicher noch von ihm wissen wollte, wie das mit Gloria, Betty, Jenna und Kevin durchgezogen worden war. Immerhin schien diese Kanallie noch zu leben. Konnte jedoch auch sein, daß der große, böse Zauberer ihr einen langsam tötenden Fluch übergezogen hatte, ähnlich wie es Dumbledore passiert sein sollte. Avada Kedavra war ja für eine wirklich grausame Bestrafung zu schnell und schmerzlos. Julius verzog das Gesicht, weil er schon anfing, in Kategorien dieses Massenmörders zu denken. Ein anderer perfider Gedanke kam ihm dann noch. Vielleicht hatte seine Unnennbarkeit, der dunkle Imperator von Magisch-Britannien beschlossen, Umbridge als Brutmutter für seine Nachkommenschaft zu benutzen. Aber dafür hatte er wohl die dicke Carrow, die er selbst mit einem Schocker umgeworfen hatte oder diese Höllenhexe Lestrange.

"Warum sind nur wir Stellvertreter hier?" Fragte Bernadette Lavalette, als Madame Maxime sie alle begrüßt hatte.

"Aus zwei Gründen. Erstens können die hauptamtlichen Saalsprecher doch ein wenig besser zaubern und zweitens wissen sie, wie wertvoll es ist, hier in Beauxbatons zu sein", sagte Madame Maxime. "Es sei denn, sie würden wirklich glauben, daß ihre Prüfungen nicht gelten. falls jemand den Brief mit hat, der dies androht, bitte ich darum, ihn lesen zu dürfen. Unsere Post hat uns Lehrer nämlich schmählich im Unklaren gelassen." Julius übergab ihr den Rundbrief, ebenso Bernadette, Sandrine und Céline. Sie hielt jeden Zettel eine Sekunde lang vor ihre großen, schwarzen Augen. Dann sagte sie: "Alle identisch, also tatsächlich eine Kopie, inklusive der Unterschrift, die tatsächlich von Lucian Lagrange stammt, den ich nicht für so fanatisch und auch einfältig halte, derartiges mit seiner unterschrift zu versehen."

"Öhm, so schnell können Sie lesen?" Staunte Julius. Die Schulleiterin nickte. "Erspart mir viel Zeit bei der Korrespondenz." Julius sah sie ehrfürchtig an. Sowas konnte er echt nicht. Das wäre ja ein photographisches Gedächtnis. Er kannte zwar einen Zaubertrank, der sowas für eine gewisse Zeit verlieh. Aber der unterdrückte die Gefühle. Und das kam bei Madame Maxime ganz sicher nicht in Frage.

"Sie und Professeur Faucon sind ja schon von Didier geächtet worden", sagte Bernadette Lavalette. "Aber wie steht das mit den anderen Lehrern?"

"Dies werde ich dann mit diesen intern besprechen. Sollte Didiers Kalkül wirklich fruchten, daß er Sie von der Schülerschaft gegen uns vom Lehrkörper aufbringt, und einige Lehrer der Meinung sind, lieber die Akademie verlassen wollen als weiter durchzuhalten, kann ich sie nicht aufhalten. Ich habe es Ihnen zugesagt, sie nicht gegen ihren Willen hier zu halten und an ihre Vernunft und ihr Pflichtgefühl Ihnen gegenüber appelliert. Womöglich muß ich den Unterricht für diesen Tag aussetzen, um das eindeutig zu klären. Ich kann Ihnen nur versichern, daß ich jedenfalls hierbleibe. Ob ich dann alleine bin und Ihnen Unterricht erteilen kann, der diese Bezeichnung verdient, weiß ich noch nicht. Didier spekuliert darauf, daß die Gründer uns nur solange durch ihr Vermächtnis beschützen, wie diese Akademie noch eine Schule ist. Er kann nicht körperlich an uns heran. Der Ausgangskreis ist versperrt, die Kamine ebenso. Apparieren geht auch nicht. Und durch den Schutz der Gründer ist es feindlichen Hexen und Zauberern auch nicht mehr möglich, zu uns hereinzufliegen oder Portschlüssel zu benutzen. Also muß er uns geistig angreifen, in dem Fall per Post. Immerhin haben die Gründer in weiser Voraussicht mentalmagische Sperren errichtet, die das freie mentiloquieren, also das Übermitteln von worthaften Gedanken und das Ergreifen von Gefühlen und Erinnerungen unterbindet, sobald kein Sichtkontakt besteht. Es wäre ungleich grauenvoller, wenn unsere Gegner - ich fürchte diese Bezeichnung vorerst nicht zurücknehmen zu können - mentalmagische Angriffe starten könnten, Alpträume und schreckliche Erinnerungen wieder und wieder in uns aufkommen lassen könnten. Einer derartigen Angriffsmacht würde wohl niemand lange genug widerstehen, um etwas dagegen zu finden." Julius nickte. Also nicht nur wegen des Vorsagens per Melo war dieser Blockadezauber eingerichtet worden, den Millie und er nur mit ihren Zuneigungsherzen überwinden konnten. Da fiel ihm ein, daß Millemerveilles jetzt für Melo durchlässig war und seine Mutter jetzt selbst für derartige Botschaften empfänglich war. Aber nicht in Professeur Faucons Haus. Offenbar hatte die deshalb einen Schutzwall dagegen errichtet. Aber warum nicht Catherine oder die Latierres? Die Frage stellte er Professeur Faucon.

"Ich habe eine Mentalmagiesperre um mein Haus in Millemerveilles gelegt, weil es außer Mentiloquismus eben auch andere Arten der Fernbeeinflussung gibt. Und ich bin mir sicher, daß Ihre Schwiegergroßeltern in ihrem Schloß auch Räumlichkeiten haben, wo sie gegen derartige Zu- und Eingriffe abgesichert sind, wenngleich Sanctuafugium bereits Fernflüche vereitelt", antwortete Professeur Faucon. "Außerdem muß ein Angreifer zielen können, sei es auf einen Ort, ein Bewußtsein oder eine Erscheinung."

"Sie sagten, daß die Nachrichtenverbindung zu den Muggeln jetzt möglich ist. Dürfen wir das hier in diesem Raum erfahren?" Fragte Sandrine.

"Dazu kann Ihnen Monsieur Latierre genaueres sagen", gab Professeur Faucon die Frage weiter. Julius erläuterte nun so einfach er ohne in Kindergartensätzen reden zu müssen beschreiben konnte, was Solarzellen waren und das damit eigentlich ewig lange Strom gewonnen werden konnte, wenn die Zellen genug Strom aus dem auf die Erde fallenden Sonnenlicht machten. Bislang kämen von zehn Zehnteln Sonnenlicht nur drei Zehntel als Strom heraus. Sandrine sah ihn begreifend an.

"Das hat meine Mutter also gemeint, daß deine Mutter und Monsieur Brickston ihren Elektrostrom aus Sonnenfeuer machen wollen. Hoffentlich hat deine Mutter dann noch genug Zeit zum unterrichten. Der Trank geht ja langsam aus."

"Sie ist Lehrerin?" Fragte Madame Maxime und blickte Professeur Faucon und Julius an. "Ich dachte sie arbeite mit diesen elektrischen Rechenmaschinen, die auch Bilder und Texte in sich aufnehmen oder bei Bedarf freigeben können."

"Sie hat einen akademischen Grad in Mathematik und hat das Programmieren von diesen Rechnern gelernt. Jetzt möchte sie ihre Zeit in Millemerveilles damit ausfüllen, daß sie den Kindern da brauchbare Rechentricks beibringt und vielleicht auch was über die Muggelwelt erzählt", sagte Julius. Sandrine meinte lächelnd:

"Dann wird mir meine kleine Schwester, die in zwei Jahren nach Beauxbatons gehen möchte wohl was vorrechnen."

"Also mit diesem Informationsgerät kann Ihre Mutter Neuigkeiten aus der Muggelwelt entgegennehmen, obwohl sie in Millemerveilles ist, Monsieur Latierre. Dies würde uns hier in Beauxbatons nur helfen, wenn es eine Möglichkeit gibt, diese Nachrichten auch möglichst an alle weiterzugeben, und zwar uninterpretiert und für jeden identisch wie dieser aufwiegelnde Schrieb, der Sie alle zur Meuterei gegen uns anstacheln sollte." Alle nickten. Dann ließ Professeur Faucon die Katze aus dem Sack.

"Nun, da die Vorbereitungen abgeschlossen sind, möchte ich die Diskretion dieses Raumes dazu nutzen, Ihnen mitzuteilen, daß Didier nicht mehr lange das Monopol auf wie auch immer entstehende Nachrichten besitzt, wie er wohl auch auf viele andere Sachen kein Alleinerhebungsrecht mehr hat." Madame Maxime nickte Professeur Faucon zu, und diese berichtete von Grandchapeaus neuem Stellvertreter, Phoebus Delamontagne, den Gegenminister, erwähnte auch, daß die Eheleute Grandchapeau beide noch am Leben seien. Die Schlangenmenschen Voldemorts erwähnte sie jedoch mit keinem Wort. Dann sagte sie noch: "Es wird auch an einer Zeitung gearbeitet, die in der Sicherheit des Châteaus Tournesol gedruckt werden soll. Wie sie ausgeliefert wird ist jedoch noch zu klären, da Posteulen an bestimmten Orten abgefangen werden können, wie wir es ja derzeit erleben, sofern man uns keine erschütternden Botschaften zuspielen möchte."

"Ich habe mal nachgelesen, was beim Apparieren überhaupt aufgespürt werden kann", setzte Julius an und erklärte seine These.

"Neh, ist klar. Nur die Restkraftentladung verändern", grummelte Bernadette. "Als wenn auf den schlauen Trick noch niemand gekommen wäre."

"So, dann offenbaren Sie uns doch bitte, wer diese Möglichkeit der Apparitionsunortbarkeit bereits erforscht und was dazu herausgefunden hat!" Schnarrte Madame Maxime. Bernadette lief rot an. Dann stammelte sie, daß das dann bestimmt geheime Verschlußsache sei.

"Und im diesenMinisterium irgendwo in einer sehr alten und tiefen Schublade liegt", erwiderte Julius darauf. "Also ist es egal, wer das bisher gemacht hat, solange es Grandchapeaus Stellvertreter Delamontagne und seine Mitarbeiter nicht kennen. Also müssen sie es neu entdecken."

"So einfach wird es wohl nicht sein", sagte Professeur Faucon. "Aber so wie es im Buch steht, daß Sie angeführt haben gibt es einen Trick, die Ortung zumindest zu erschweren, indem ein Apparator kurz nach dem Eintreffen eine weitere Strecke von nur zwei Kilometern zurücklegt. Sollten dann zufällig mehrere Apparatoren im Umkreis zeitgleich den Standort wechseln, wäre ein einzelner nicht mehr klar auszumachen. Dann ginge es sogar, daß einer mit einem unortbaren Kurzdistanzortswechsel die Disapparition eines anderen maskieren kann und jemand im Umkreis des tatsächlichen Zielortes schnell herumappariert, besser noch, wenn es mehrere gleichzeitig sind, um den Ankömmling unerkannt auftauchen zu lassen. Dies setzt natürlich voraus, daß Abreise und Ankunft ganz präzise mit den Maskierern abgestimmt sind." Julius sog tief Luft zwischen den Zähnen hindurch. Das ging natürlich auch. Allerdings war eben das Abpassen das Problem. Einen Sekundenbruchteil zu früh oder zu spät würde den Langstreckenapparator doch noch anzeigen.

"Aber wir haben was anderes in Planung", sagte die Lehrerin dann noch. "Ich habe die Zusage der US-amerikanischen Liga gegen dunkle Künste, Portschlüsselunauffindbarkeitszauber zu erhalten, um über das Land verteilte Gebäude damit zu präparieren. Falls dies gelingt, besteht eine größere Mobilität als auf Besen oder dem Apparieren. Wir hätten die Möglichkeit, Zweigstellen für die Nachrichtenverteilung zu nutzen."

"Immerhin etwas. Denn diese Abhängigkeit von einem einzigen Medium ist, wie wir jetzt alle wohl wissen, verhängnisvoll", erwiderte Madame Maxime. Dann bestellte sie den stellvertretenden saalsprechern, daß sie nun zu ihren Mitschülern gehen sollten, um mit ihnen offen über die Briefe und die dahinterstehende Absicht zu diskutieren. Nur so bekämen sie alle heraus, wo wer stehe und könnten die abzugleiten drohenden doch noch vom bleiben überzeugen.

__________

"Ich hatte diese Dinger seit bald zwei Jahren da, Martha", sagte Florymont Dusoleil im Klangkerker des Faucon-Hauses. "Julius wollte Claire ein sehr großzügiges Geburtstagsgeschenk machen und hat Feuerperlen an einer Kette bestellt. Ein bißchen überteuert. Aber in letzter Konsequenz nun mehr wert als sie damals gekostet haben." Martha Erinnerte sich. Obwohl sie gerade nur mit einem Ohr zuhörte konnte sie Florymonts Ausführung verstehen. "Dieses Prinzip der Feuerperlen ist nichts anderes als was wir haben wollen. Hitze und Licht laden sie auf und lassen sie im dunkeln leuchten. Jetzt habe ich aus dem Buch über die magielosen Sonnenlichtumwandler erfahren, daß das Licht aus kleinsten Teilchen besteht, die energiewirksame Teilchen aus der Materie anstoßen können. Da ein Blitz genauso der Elementarkraft Feuer angehört und ein Blitz nur eine schnell entstehende Form von Elektrizität ist, mußte ich den Prozeß nur dahin verändern, daß aus Wärme und Licht dosierte Blitze werden, die dann durch diese Dinger namens Transformator zu brauchbarer Elektrizität werden. Ich habe die Feuerperlen so angeordnet, daß sie das Sonnenlicht gebündelt einfangen und auf einen engen Bereich konzentrieren. Dabei wird nur dort Magie benötigt, wo der Umwandlungsprozeß beginnt. Gut verteilt können diese Anordnungen neun Zehntel des ankommenden Sonnenlichtes in elektrische Entladungen oder Strom umwandeln. Reicht das?"

"Wirkungsgrad neunzig Prozent? Wie groß sind die Zellen?"

Florymont zeigte Martha eine mit Porzellan isolierte Metallplatte von zwanzig Zentimetern durchmesser, auf die eine große Linse gesetzt wurde. Im Brennpunkt der Linse lagen sieben rote Perlen. Darunter klebte ein Stück Kupfer. In das Kupferstück waren ein paar Runen eingeschrieben, die wohl die Kraft des Himmelsfeuers in gerichtete Elektrizität verwandeln sollten. "Und das tolle daran ist, wenn hier Elektrizität erzeugt wird, kühlt dieser Vorgang die Perlen ab, saugt ihnen sofort alle Hitze aus. Das ist gut, weil das gebündelte Sonnenlicht die Anordnung sonst wohl langsam zerkochen würde", erwiderte Florymont. Dann montierte er alle gebauten Vorrichtungen und betätigte sich dann noch als ein guter Elektrikerlehrling, indem er die Kollektoren, die wie Augen geschlossen werden konnten, mit einem Transformator verband, den er anständig erdete. Zur Probe erzeugte er einen laut knatternden Lichtbogen mit über zwei Metern Spannweite. Er regelte die Trafoleistung herunter, bis der Lichtbogen in krachende Einzelblitze zerfiel und dann keine Überschläge mehr produzierte.

"Sag mal, wie hast du das so schnell nachbauen können?" Staunte Martha.

"Ich habe die Bücher und Bauanleitungen auswendig gelernt. Dafür habe ich jetzt krach mit meiner Frau, mit Hera und mit Jeanne. Aber wenn die wissen, daß du und Joe damit eure Informationssammler wieder benutzen könnt ..."

"Ob denen das so gefällt", seufzte Martha. Florymont lächelte jedoch zuversichtlich und schloß ein wohl auch aus den Physikbüchern stammendes Meßgerät für die Spannung an und verkabelte es mit einer Vorrichtung, die laut surrend den in Mitteleuropa gebräuchlichen Wechselstromtakt einhielt. Martha meinte, daß das Brummen des Transformators jetzt genau so klänge wie bei von E-Werken geliefertem Strom. Dann schloß sie ihr Mobiltelefon mit Ladegerät daran an.

"Ich kann das leider nicht ohne Magie hinkriegen, daß genau soviel Strom fließt wie gebraucht wird. Ihr müßt die Kollektoren einzeln einregeln", sagte Florymont. Dann wißt ihr, wie viel ihr für alle damit zu benutzenden Geräte abnehmen müßt. Den Rest überlasse ich euch."

"Danke Florymont", sagte Martha. "Ist was mit dir, Martha. Du siehst so nachdenklich drein?"

"Ich muß nur daran denken, wie schnell sich ein Leben ändern kann. Du hattest bis vor zwei Wochen noch keine Ahnung von Solarzellen oder elektrischen Geräten, und ich muß mich wohl damit abfinden, demnächst mehr über Haushaltszauber oder das Besenfliegen zu lernen, sollte ich nicht in die magielose Welt zurückkehren und da hoffen, daß in zehn Jahren das Potential weit genug ermüdet ist."

"Das meinten Camille und Hera also, daß du wohl ohne den Trank ... Ups, wie geht denn sowas?" Florymont war ganz erstaunt. Als Martha ihm das erklärte meinte er nur: "Dann kann Camille das wohl auch, wenn das Kleine sicher angekommen ist."

"Würde ich aber nicht unbedingt empfehlen, Florymont. Martha hatte glück, daß sie mit den vieren gerade soweit verwandt war, daß nur was von deren gebündelter Magie in ihr eingelagert wurde", sagte Catherine. "Aber wir können ihr helfen, mit der neuen Lage zu leben. Das ist ja nichts, was sie umbringt."

"Frag da besser meine Frau, wie nah ich schon dran war, mich komplett aus der Welt zu verabschieden", meinte Florymont Dusoleil. "Aber mit deinem neuen Potential kannst du mir vielleicht helfen, die Antisonden einzustellen. Mir fehlt leider noch ein unterer Grenzbereich, wo diese ansetzen sollen. Dann können wir die mal testen, wenn wir hier irgendwie wegkommen, ob die Wächter an den Flughäfen noch Magie von jemandem empfangen können."

"Kannst du auch Restkraftentladungsveränderungszauber für Apparatoren schaffen?" Fragte Martha und beschrieb Florymont was sie überlegt hatte.

"Schwächen kann ich die bestimmt nicht, weil dann der transitive Widerstand, also die Hürde zu groß wäre, um den Raum zu überwinden. Und verstärken ist so eine Frage, ob dabei nicht ungewollte Begleiteffekte auftreten", erwiderte Florymont.

"Muß ja nicht an einem selbst dran sein", wandte Martha ein. Könnte ja sowas wie ein Relais oder ein Reflektor sein, etwas, was die Ladung auffängt und verstärkt weiterschickt oder zum Ausgangspunkt zurückwirf, wo der Apparator nicht mehr ist. Diese Relais oder Echomacher könnten heimlich verteilt werden und so das ganze Land überdecken. Wer dann disappariert erzeugt ein Echo, womöglich ein überlagerndes, das den Ausgangsort übertönt, ja sogar einen weiten Umkreis überdeckt, so daß jemand nicht auf den Meter genau geortet werden kann."

"Interessant. Relais und Verstärker kenne ich ja jetzt. Die Restladung beim Apparieren wird mit besonders angeordneten Kristallen und einer magisch eingeblendeten Karte angezeigt. Beim Relais verstehe ich das doch richtig, daß ein schwächeres Signal aufgefangen und zehnmal oder hundertmal verstärkt weitergeleitet wird. Aber wie das magicomechanisch umgesetzt werden kann weiß ich noch nicht. Aber danke für die Anregung. Wenn ich sowas bauen kann kucken die von Didier ziemlich blöd aus der Wäsche, weil unter Umständen dann ein riesiger Kleks statt eines bestimmten Ausgangs- oder Zielortes angezeigt wird. Darf ich dann leider keinem erklären, wie das geht, weil ja dann sofort die Gegenmaßnahme erfunden wird."

"Versteht sich von selbst", sagte Martha, und Catherine nickte. Florymont wünschte Martha noch viel Glück auf ihrem neuen Weg und bot ihr an, für sie bei Hera und Camille ein gutes Wort einzulegen. Dann verließ er das Faucon-Haus und disapparierte außerhalb der abgegrenzten Zone.

Wenn er das hinbekommt ist die ganze magicomechanische Aufspürtechnik erledigt", schrieb Catherine auf einen Zettel, damit Martha antworten konnte. Sie schrieb zurück, daß da wohl noch niemand drauf gekommen sei, weil dazu ja bekannt sein mußte, was ein Relais oder Transistor sei.

"Und, haben die Kinder dich immer noch lieb?" Fragte Catherine laut.

"Na ja, lieben müssen sie mich nicht. Aber ich bin froh, daß ich mehr über ihre Neugier hinbekomme als über ihren Gehorsam", erwiderte Martha belustigt. Während sie Catherine beim Essenmachen zusah und sich fragte, wann sie selbst diese hilfreichen Zauber können mochte, dachte sie daran, daß morgen die ersten Zeitungen ausgeliefert werden sollten. Temps de Liberté hatte Gilbert das Kampfblatt gegen Didier genannt. Ja, für die Freiheit wurde es auch längst wieder Zeit.

__________

"Welcher Vollidiot hat die ganzen Muggelstämmigen auf einmal angeschrieben?!" Polterte Sébastian Pétain wütend durch sein Büro. "Es war eindeutig geplant, daß diese weinerliche Göre Nadine Albert als erste ihren Brief bekommt. Das hätte Unsicherheit geschürt, weil jeder überlegt hätte, ob die eigenen Eltern nicht auch ..."

"Monsieur Pétain, die Anweisungen haben Sie uns nicht gegeben", sagte einer von Pétains Landfriedenswächtern, der die Posteulen losgeschickt hatte. "Es hieß, alle Briefe raus!"

"Bin ich hier denn wirklich nur von Vollidioten umgeben?!" Brach es aus Pétain heraus. Da erschien der Zaubereiminister durch den gesicherten Kamin.

"Was die Vollidioten angeht, Sébastian, denke immer daran, daß wenn du mit dem Finger auf andere zeigst, drei Finger deiner Hand auf dich selbst zurückdeuten. Wer hat denn die Aktion Pax Patriae verraten? Warum können die in Millemerveilles jetzt sogar darüber nachdenken, ob sie Muggelnachrichtengeräte benutzen können?"

"Du bist doch besser ganz still, Janus. Aber ganz ganz still", schnarrte Pétain den Minister an. Dieser wies auf die drei Befehlsempfänger Pétains. Diese verließen das Büro des Landfriedenswächters Nummer eins. "Soso, mich vor meinen Leuten selbst als Idioten bezeichnen und nebenbei diesem Latierre-Jungen ganz nett eine Reise zu seinem herzallerliebsten Onkel und noch allerliebsten Dolores Umbridge anzubieten. Dieser Mumpitz ist doch auf deinem Mist gewachsen oder?"

"Den Mumpitz nimmst du zurück und den Mist auch, Sébastian. Ich habe eine Übereinkunft mit Zaubereiminister Thicknesse, daß dem Jungen nichts zustößt, wenn er sich freiwillig stellt."

"Deine Frau ist ja schon seit Monaten in der Schweiz und Hippolyte hat gegen dich gestimmt. Also mit welcher Hexe oder Muggelfrau hast du geschlafen, um dich zum Minister machen zu lassen?" Schnarrte Pétain.

"Das ist mal wieder typisch für dich, Sébastian. Wenn dir die Argumente ausgehen zielst du unter die Gürtellinie wie ein pubertärer Schulbengel", ereiferte sich Didier, dem jedoch Pétains Sarkasmus über den Brief nicht ganz leicht aus dem Kopf gehen wollte. Und der schlug dann noch tiefer in die geistige Kerbe.

"Abgesehen davon, daß du vom geistigen Entwicklungsstand her nicht viel weiter gediehen bist könnte dir vielleicht entgangen sein, daß der Bursche, den du gerne als unverheiratet und unbeaufsichtigt abschieben möchtest, vor der Eulenblockade Post aus der alten Heimat bekommen hat. Hinzu kommt, daß er womöglich Bild-Kontakte in andere Gebäude hat. Denkst du, diese schnuckelige rosarote Broschüre hätte der nicht gekriegt, wo da drinsteht, daß Leute wie er eine Gefahr sind. Und ausgerechnet diese Dolores Umbridge, die für diese Kampagne verantwortlich ist, soll ihn abholen, wenn er wieder in England ist. Das wäre genauso, wenn ich dir eine Dementoreneskorte anböte, wo du ja vor positiven Erinnerungen strotzt."

"Fangen wir wieder die Tour an, Sébastian. Paß bloß auf, daß ich dich nicht ganz schnell verschwinden lasse, ins Zentaurenverbindungsbüro, wenn nicht sogar in Lager vier, wo bestimmt genug Leute darauf warten, den Kerl, der sie dort hingeschickt hat mit ihren Fäusten traktieren zu dürfen."

"Ich weiß, daß du Pax Patriae im Bezug auf die Schutzzauber besser kennst als ich. Aber glaube es mir. Sobald ich von dir in so ein Lager geschickt werde, wäre das in einer Stunde leer und alle Insassen wären hinter dir her."

"Ist gut, daß ich die einzelnen Zauber besser kenne als du, weil du die sonst auch noch ausgeplaudert hättest, als du mit dieser Muggelfrau ein Glas Wasser zu viel getrunken hast, du Trollhirnie."

"Wie gesagt, gegen deinen Mumpitz mit der fürsorglichen Dolores Umbridge ist das schon wieder vernachlässigbar. Der Junge kennt die Situation in England besser als wir beide zusammen. Langsam glaube ich nämlich, daß Professeur Tourrecandide und Professeur Faucon recht haben, daß wir beide uns zu sehr auf die Dementoren versteift haben und der wahre Angriff durch die Hintertür hereinkommt. Meine Späher über Millemerveilles haben jetzt schon vier dieser Schlangenmonster gesichtet. Alle unbesiegbar. Fragt sich jetzt, woher diese Bestien kommen und von wem sie geschickt wurden. Na, von wem wohl?"

"Deine arrogante Besserwisserei geht mir langsam auf die Nerven, Sébastian. Der einzige Grund, warum ich dich noch nicht nach FL 4 schicke ist der, daß ich mir in dieser Situation keinen Personalwechsel leisten kann und daß du mit drinhängst, egal was ich mache."

"Auch in dem Todesurteil gegen Julius Latierre! Was sollte das überhaupt. Willst du ihn dazu zwingen, Beauxbatons heimlich zu verlassen und irgendwo hinzufliegen? Ich dachte, du wolltest mit ihm den Anihilus-Inimicum-Zauber vollziehen. Der bringt aber nichts, wenn er in Großbritannien gleich kassiert wird. Immerhin besteht der Verdacht, daß Latierre dieser Umbridge ein Rochei gelegt hat, unter dem ihre Karriere fast zusammengebrochen wäre. Immerhin hat er diese uns unbekannten Ritter des Sonnenlichtes dazu gebracht, seine Schulfreunde aus Hogwarts rauszuhauen und verschwinden zu lassen, so daß sie jetzt kein Druckmittel mehr gegenihn in der Hand hat."

"Er hat noch Freunde und verwandte in der Muggelwelt", knurrte Didier.

"Vor allem sein herzensguter Onkel", erwiderte Pétain abfällig. "Ich habe mich mal umgehört. Der wollte den Jungen schon in den Staaten abholen, als das mit diesem Succubus passiert ist. Und so wie du drauf bist hättest du diese Hallitti auch rumachen lassen, damit keiner mitkriegt, wie hilflos du gegen dieses Monster wärest. Jedenfalls kam dabei herum, daß dieser Onkel wohl ein ziemlich autoritärer Knochen ist, genau wie dein Vater. Ich denke nicht, daß Julius Latierre zu dem hinziehen will, abgesehen davon, daß er dort eh nicht ankommt."

"Er heißt Julius Andrews, Sébastian. Diese Ehe ist eine glatte Unverschämtheit, und Laroche sollte sich schämen, dieser Verbindung die magische Bestätigung gegeben zu haben. Schon schlimm genug, daß mein Bruder dieser dicken Schlampe acht Bälber gemacht hat. Da müssen die nicht noch superstarke Nachwuchszauberer in ihre Kaninchenfamilie einkreuzen."

"Na, nicht so häßlich von deinem Bruder reden, Janus. De Mortuis nil nisi bene."

"Auch nur ein Grund, warum du mieser kleiner Erpresser noch am leben bist", schnaubte Didier wie ein wütender Drache. "Sonst müßte ich ja über dich schweigen."

"Ach, wo du so gut daran bist, einem die häßlichsten Sachen mit achso aufrichtigem Bedauern zu servieren", spöttelte Pétain. Er hatte es langsam satt, sich mit diesem unterintelligenten Paranoiker herumzuschlagen. Sicher, seit Martha Andrews ihm das eigene Veritaserum untergejubelt hatte war sein Stand nicht besonders gut, obwohl ihn die Zeitung zu einem Helden gemacht hatte. Aber so fand Didier immer wieder diesen unverzeihlichen Fehler und rieb ihn ihm unter die Nase.

"Was hat deine Stümpertruppe über diese Schlangenwesen herausgefunden, Sébastian?" Fragte Didier.

"Genug um dir auch die letzte Nachtruhe zu rauben, Janus", erwiderte Sébastian Pétain. "Wenn ich das richtig mitbekommen habe, so gibt es eine alte Legende, dernach im untergegangenen Reich einmal große Luftwesen gegen diese Schlangenwesen gekämpft haben. Die Schlangenwesen sollen von einem Skyllian erschaffen und gegen alle Formen der Magie immun gemacht worden sein. Am Ende soll dieser Skyllian, der für einen schwarzen Kaiser namens Iaxathan gekämpft haben soll, hundert dieser Wesen in Tiefschlaf irgendwo auf der Erde versteckt haben. Wer ein bestimmtes Zepter findet und die Schlangensprache kann, vermag diese Bestien aufzuwecken und zu führen. Unser gemeinsamer Feind in England ist ein Parselmund, Janus. Und diese Schlangenkrieger existieren. Ja, und sie sind auch gegen die mächtigsten Todeszauber immun. Und ich fürchte ganz ehrlich, daß die vier, die am Wochenende an Millemerveilles Barriere abgeprallt sind, nicht nur vier der verbliebenen hundert waren. Wenn die sich ähnlich wie Vampire und Werwölfe vermehren dürfen wir beide uns in diesem Winter ganz ganz warm anziehen."

"Wohl eher im Sommer, weil Schlangen bekanntnlich die Wärme suchen", schnarrte Didier.

"Diese Schlangen nicht, Janus. Sie sind teilweise Menschen. Außerdem können sie sich zwischendurch in normale Menschen verwandeln, eben wie Werwölfe. Die machen ganz bestimmt keine Winterpause. Im Gegenteil, ich fürchte, die werden uns bald sehr auf Trab halten. Ich kann meine Leute über Millemerveilles oder Beauxbatons und das Sonnenblumenschloß lassen. Aber die fehlen dann vielleicht genau da, wo sie am meisten gebraucht werden. Das ist nur ein Hinweis von meiner Abteilung", malte Pétain aus. Didier erwiderte dann:

"Der Rückhalt in der Bevölkerung ist nicht sicher, Sébastian. Pax Patriae kommt nicht so gut an, seitdem wir die Pelikane dort eingesperrt haben. Die anderen Mannschaften haben ihre Tätigkeit eingestellt."

"Ach, und jetzt hast du Angst, daß die Menge nachdenkt, ob du wirklich ein starker Führer bist oder nur was davon verstehst, dir nicht nach dem Mund redende Hexen und Zauberer zu ächten und einzusperren - falls sie dich lassen."

"Du, falls sie dich lassen, Sébastian. Immerhin bist du der oberste Hüter für Landfrieden. Du betreust die Friedenslager. Du rekrutierst die Abwehrzauberer gegen die Dementoren. Immerhin haben die uns in den letzten zwei Wochen in Ruhe gelassen." Pétain wollte schon wieder ansetzen, auf die Einfalt Didiers zu schimpfen. Doch er sagte nur:

"Dann muß der Bursche doch noch nicht zu Dolores Umbridge nach England, Janus. Dann ging es gar nicht um den und andere Muggelstämmige. Dann frag dich besser mal, worum es dannn ging!"

"Das überlasse ich dir, o Experte für den Schutz unserer Zaubererwelt", schnarrte Didier.

"Ja, und weil ich wußte, daß du genau das von mir verlangst sage ich dir hiermit, daß die Dementoren nur über uns hergefallen sind, um den Schlangenkriegern den heimlichen Einmarsch zu verschaffen. Während wir uns auf die Meeresküsten konzentriert haben, mögen die durchaus über Spanien oder Osteuropa zu uns hineingeschlüpft sein. Womöglich sind es jetzt genug von denen. Da kann der Unnennbare und sein handzahmer Minister Thicknesse die Dementoren wieder im eigenen Land wüten lassen."

"Du gehst nach wie vor davon aus, daß Thicknesse von ihm beeinflußt ist. Der ist ein langjähriger Strafverfolgungszauberer gewesen. Der muß dem Imperius-Fluch doch gut widerstehen können", wandte Didier ein. Pétain konte dazu nur verächtlich grinsen.

"Genau wie Lucian Lagrange oder seine Schwiegertochter Annemarie? Wenn Thicknesse wirklich von ihm beeinflußt wird, dann konnte er dem nicht widerstehen. Und viele von denen, die uns keinen Rückhalt geben, glauben, daß du ja auch für den Unnennbaren arbeitest, Janus."

"Klar, die Faucon und Tourrecandide meinten, unsere Maßnahmen würden ihm helfen. Aber wenn wir die Schlangenkrieger selbst in unsere Friedenslager schaffen können werden wir die dort verrotten lassen", erwiderte Janus Didier.

"Na klar, wo die gegen alles Immun sind", erwiderte Sébastian Pétain.

"Anstatt mich andauernd zu bemängeln und an den Maßnahmen herumzunörgeln und zu spotten sieh zu, daß du diese Schlangenmonster besiegen kannst, bevor die außer diesem Tibaud noch wer sieht!""

!"Ach, dachte ich's mir doch, daß du genauso viel Angst hast wie damals Jasper Pole in den Staaten. Wenn du weißt, daß du der Bestie nicht beikommen kannst, tu so, als wüßtest du nichts von ihr!"

"Wie gesagt, Monsieur Pétain. Sie sind der oberste Landfriedenshüter. Sie müssen diese Monstren bekämpfen."

"Natürlich, Janus. Damit du deine Ruhe zum Nachdenken hast. Hättest besser nicht so auf den Tisch hauen und "Alle Mann mir nach!" brüllen sollen. Auch wenn noch nicht alle Mann dir nachlaufen hast du jetzt das Problem, daß du denen zeigen mußt, wo es lang geht. Aber ich helfe dir. Das mache ich nicht für dich oder unsere langjährige Freundschaft, sondern für die freie, unverdorbene Zaubererwelt, die längst schon wieder stark hätte sein müssen", erwiderte Pétain vergrätzt und verließ Didiers Büro.

"Ich drehe es so, daß dir dieser Unfug mit den Schlangenbestien in die Schuhe geschoben wird", schnarrte Didier sehr leise.

__________

Es ratterte laut und metallisch. Dieses Geräusch war sehr ungewohnt in Château Tournesol. Otto Latierre hatte es hinbekommen, die aus dem Museum herausgeholte Druckerpresse mit einem Selbstlaufzauber und einem Textwechselzauber zu belegen. Jetzt brauchte Gilbert nur noch die zu druckenden Seiten als Textvorlage auf das Gerät legen. Natürlich mußten die Texte mit einer besonderen magischen Tinte geschrieben werden. Gilbert hatte die phosphoreszenzgrüne Zaubertinte immer im großen Vorrat. Abgesehen davon konnte er seine Flotte-Schreibefeder mitbenutzen. Am Abend sollte die erste Ausgabe der Temps de Liberté in Druck gehen. Gilbert hatte den Aufmacher fertig, "Offizieller Stellvertreter des zur Zeit nicht auffindbaren Ministers Grandchapeau" war die Schlagzeile, unter der er ein Foto von Phoebus Delamontagne präsentieren wollte, das ihm Antoinette Eauvive mit dem restlichen Futter für die Zeitung besorgen wollte. Er wußte nicht, wie die Nachbarin das anstellen wollte. Seine Tante Ursuline hatte geheimnisvoll getan und sich in der Wickelstube eingeschlossen. So wurde der kleine Raum mit den drei ständig sauber gehaltenen Tischen genannt, wo die hier gerade vielen Babys aus dem eigenen Unrat befreit wurden. Gilbert war nicht so für Kinder. Als er selbst eines war, hatte er sich dauernd mit den dümmeren Bengeln rumprügeln müssen, weil die ihn für einen klugscheißenden Eierkopf hielten. Die meisten hatten zumindest gelernt, daß er trotzdem das Durchhaltevermögen eines Latierres hatte. Dann hatte er unverbindliche Erfahrungen in Liebesdingen gesammelt, wobei er da tunlichst im Ausland verweilt hatte. Doch seine eigentliche Leidenschaft war das schreiben von Zeitungsartikeln und führen von Interviews. Das wirklich fruchtbare an ihm war sein Verstand, der immer wieder die schwersten Sachverhalte auf vier Zeilen zusammenfalten konnte.

"Hallo Gilbert. Bist du mit den Texten schon fertig?" Fragte Béatrice Latierre, die sich gerade als hauseigene Heilerin um die Mutter-Kind-Gruppen kümmerte.

"Deine Kollegin Antoinette Eauvive will irgendwie aus Millemerveilles weitere Artikel rüberholen. Dabei sollen über dem Dorf noch mehr von diesen Geiern rumkreisen", sagte Gilbert.

"Maman meint, daß du das besser nicht erfährst, weil du unter Umständen zu denen gehörst, die die Zeitung austragen müssen."

"Oh, und das ist nicht ungefährlich", grummelte Gilbert. Andererseits war es besser von Didiers Leuten verfolgt zu werden als vor Langeweile einzugehen. "Abgesehen davon könnte Tante Line das doch zum Familiengeheimnis erklären."

"Das wäre das Problem, weil es ja dann auch Antoinette Eauvive beträfe, die selbst eine große Familie repräsentiert", entgegnete Béatrice. "Jedenfalls kommt Madame Eauvive um sieben uhr vorbei und läßt die in Millemerveilles entstehenden Texte hier."

"Praktisch wäre es, ein Proteus-Blatt zu benutzen, wo immer der Text für ein anderes Blatt draufsteht", sagte Gilbert.

"So was ähnliches kriegen wir auch. Florymont Dusoleil hat ein dafür sehr praktisches Gerät gebaut, das ein beschriebenes Blattwortgetreu kopiert, obwohl das Original weit vom Standort entfernt ist."

"Wie ein Telefax? Habe ich mal gesehen, als ich im Rom der Muggel unterwegs war. Giovanna, meine Reiseführerin, hat mir das mal gezeigt. Sie meinte, ich könnte meine Artikel auch faxen. Ich habe ihr ja nicht erzählt, daß ich Zauberer bin. Da hat sie mir so'n Gerät gezeigt. Und das hat Florymont Dusoleil nachgebaut? Hängt sowas nicht an einer Leitung?"

"Nicht genau sowas. Das wäre ja dann auf jeden bestehenden Empfänger ausrichtbar. Sein Kopiergerät kann nur eine Gegenstelle beschicken. Aber genau diese Gegenstelle kriegen wir."

"Schon praktisch", meinte Gilbert. "Spart zumindest einen Weg nach Millemerveilles."

"Unverschämtheit!" Hörten sie Hippolytes wütende Stimme. "Jetzt ist er wirklich übergeschnappt, dieser Drecksack. Und sowas sollte ich Onkel nennen."

"Was is', Hipp?!" Rief Gilbert.

"Komm zu mir rein. Könnte was für die Temps sein!" Rief Hippolyte. Gilbert und Béatrice gingen in das blaue Zimmer, den Wohnraum, den Hippolyte und Albericus benutzen konnten, wenn sie sich vom restlichen Trubel absetzen wollten. Jede Familie hier hatte so einen Raum zur Verfügung. Im Moment saß Hippolyte in einem bequemen Sessel und blickte auf das gemalte Ich von Orion dem wilden.

"Hast du Miriam in eurem Schlafzimmer gelassen?" Fragte Béatrice. Dann sah sie die Wiege in der Ecke. Ein dunkelblauer Baldachin schirmte die kleine Benutzerin des Schlafmöbels vom Tageslicht ab.

"Orion, erzähl uns das bitte noch mal. Was hat Didier Millie geschrieben?"

"Er hat ihr geschrieben, daß die Ehe mit dem langsam zum richtigen Mann werdenden Julius eine miese Erpressung gewesen sei und sobald alle Beauxbatons verließen jemand von Lucian Lagranges Zuträgern klären soll, ob sie von dem gerade was kleines im Ranzen hat. Falls ja, soll sie das Balg anständig ausbrüten, schlüpfen lassen und dann abgeben, damit die Gedächtnisputzer vom Ministerium ihr die Erinnerung dran aus dem Hirn fegen können."

"Will sagen, die halten Millies und Julius' Ehe für unrechtmäßig", erwiderte Hippolyte. "Die meinen, ich hätte sie und Julius zusammengestellt wie welche von Babs' Kühen, wenn die Paarungszeit sei."

"Hast du doch auch", wandte Béatrice schnippisch ein. "Ich durfte das Ergebnis ja prüfen."

"Ich habe sowohl Tine als auch Millie mit ihm zusammen losgeschickt, um zu prüfen, ob sie beide füreinander empfinden und da sein wollen", sagte Hippolyte. "Das ist ein kleiner aber feiner Unterschied, liebe Schwester. Immerhin ging es mir darum, Millie davon abzubringen, sich weiter mit Belisama zu zanken, nachdem Madame Rossignol gedroht hat, drastische Maßnahmen zu ergreifen. Der Junge wußte bis dahin ja nicht mehr, wofür er lebte und wurde von ihr und Belisama bedrängt. Und Tine hat sich auch gut an ihm festgeguckt, seit dem er diesen verhängnisvollen Ausflug in die Staaten überstanden hat."

"Ich habe den Artikel noch", sagte Gilbert. "Will Didiers Untermarionette Lagrange die Ehe für ungültig erklären?"

"Wollen ist gut. Wenn wir annehmen, daß Didiers und Lagranges Wille verbindliche Gesetze sind, sind Millie und Julius nie verheiratet gewesen."

"Da muß der guten Blanche Faucon doch einer abgehen", wandte Gilbert ein. Béatrice räusperte sich sehr mißbilligend. Orion lachte laut. Dann meinte er jedoch:

"Seitdem der Bengel Line und sie zusammengebracht hat, weil die den unbedingt drüben bei den Engländern haben wollte findet die das toll, daß Millie mit ihm verbandelt ist. Im Gegenteil, die ist total knurrig, weil Janus Didier damit wohl nur hinbiegen will, daß der Junge nicht mehr in Beaux bleiben darf. Weil ihr seid ja alle unerwünschte Leute."

"Mit anderen Worten, mein angeheirateter ... Ähm, was ist das jetzt noch mal? Jedenfalls Millies Ehemann soll seinen Geburtsnamen zurückkriegen und dann ins Todesserterritorium abgeschoben werden?" Fragte Gilbert.

"So ist das wohl gemeint", knurrte Béatrice, bevor ihre ältere Schwester dies tun konnte. "Aber ab morgen weht ein neuer Wind durch das Land. Bin mal gespannt, ob Didier sich dann noch solche Sachen erlauben kann, wenn anderntags gleich ein Artikel drüber erscheint."

"Trice, da hängt nur ein Problem dran, daß irgendwer die ganzen Hexen und Zauberer aufsuchen muß, um denen die Zeitung zu geben. Zumindest habe ich draufgeschrieben, daß sie die besser gleich bei Pétains Primaten abgeben sollen, ohne sie zu lesen. Dennn falls sie sie lesen, wollen sie das bestimmt nicht mehr tun."

"Einer der ältesten Tricks. Ich male einen Strich auf den Boden und schreibe daneben: DRÜBERSPRINGEN VERBOTEN! und zähle dann, wie viele Leute statt drüberzulaufen drüberspringen", grinste Béatrice.

"Zumindest können die dann reinsten Gewissens sagen, daß sie gewarnt worden sind", erwiderte Gilbert.

"Ich such dann mal die anderen auf", knurrte Orion."

"Mach das", erwiderte Hippolyte.

"Das Schreiben, wo Lagrange dem Mädchen das verkündet hätte ich gerne", raunte Gilbert.

"Konnte ich mir denken. Deshalb besorgt Antoinette Eauvive die Briefe auch. Ebenso wie einen Brief, den Julius bekommen hat, daß er zu seinem Onkel nach London zurückkehren soll und sich von einer gewissen Dolores Jane Umbridge in England abholen lassen soll."

"Moment mal, die Giftkröte? Hast du nicht erzählt, das wäre genau die, die Julius' Freunde an die Dementoren verfüttern wollte?" Fragte Gilbert. Béatrice erbleichte erst und sah Hippolyte ungläubig an. "Hipp, das ist doch wohl nicht Didiers Ernst."

"Millie hat dem Pappostillon den Text vorgelesen. Didier will den Jungen tatsächlich abschieben, obwohl er genau weiß, daß er in England sofort eingesperrt, entseelt oder getötet wird, wenn Thicknesse und sein Herr und Meister ihn erwischen. Den Brief kriegen wir wie gesagt auch, sowie die Hetzrundschrift, daß alle Schüler Beauxbatons zu verlassen haben, bis neue Lehrer eingestellt wurden."

"Er kommt also nicht an sie dran. Hat Millie noch was geschickt?" Fragte Béatrice.

"Ja, daß eine muggelstämmige Erstklässlerin aus dem gelben Saal wohl einen Brief bekommen hat, daß ihre Eltern tot seien. Dummerweise haben alle Muggelstämmigen Briefe mit ähnlich erschreckenden Mitteilungen erhalten. Laurentine - das ist die, die bei Julius im Saal wohnt, Trice - hat vor der gesamten Schülerschaft verkündet, daß das nur psychologische Kriegsführung sei."

"Ich hörte schon davon", erwiderte Béatrice. "Tricks, um jemanden in eine bestimmte Stimmung zu versetzen, um ihn entweder zu demoralisieren oder vor lauter Angst dumme Sachen tun zu lassen." Hippolyte nickte.

Gegen Sieben Uhr verließen Ursuline Latierre und Antoinette Eauvive die Wickelstube. Keiner hatte mitbekommen, wo sie herkam. Sie trug eine flache Kiste unter einem Arm.

"Monsieur Dusoleil hat dir diesen Distantigeminus-Kasten überlassen, Gilbert", sagte Ursuline Latierre. "Da kannst du gleich alle in Millemerveilles geschriebenen Pergamentblätter kopieren. Dann hat sie dir noch drei Negative von Phoebus Delamontagne und Belle Grandchapeau mitgegeben, die du einsetzen kannst. Läuft die Presse?"

"Wir haben die Aufmachergeschichte schon im Druck. Otto ist und bleibt ein genialer Zauberkünstler", sagte Gilbert. "Bin mal gespannt, was wir noch kriegen."

"In Ordnung, Monsieur Latierre", begann Antoinette Eauvive. Hier ist die Anleitung für den Fernkopierkasten. Wenn Sie was durch ihn vervielfältigen lassen wollen, legen Sie die Vorlage in das rote Fach. Wenn Sie was zu kopierendes angemeldet bekamen legen Sie so viele Seiten Pergament wie auf diesem Zifferblatt angezeigt werden in das grüne Fach!" Sie öffnete mit zwei Zauberstabstupsern die flache Kiste, die damit in zwei Fächer unterteilt wurde. Sie führte ihm vor, wie sie ein Schriftstück kopierte. Sie legte das Original in das rote Fach, stupste mit dem Stab einen nach vorne weisenden Pfeil am Rand an, worauf die Kiste zu vibrieren begann. Dann schien das Pergamentblatt sich aufzulösen, kehrte jedoch nach nur einer Sekunde in seine feste Form zurück. Ein leises Ping erklang. Gilbert übernahm die drei Seiten starke Bedienungsanleitung und bedankte sich bei Antoinette Eauvive, die ihm auch die Briefe von Millie und Julius überließ, woher sie die auch immer bekommen hatte. Dann ging sie mit Ursuline in die Wickelstube zurück und schloß die Tür. Offenbar baute sie einen Klangkerker auf. Denn Gilbert konnte keinen Laut von innen vernehmen. Dann schloß er die Kiste. Da läutete eine tiefer klingende Glocke zweimal. Gilbert sah auf das kleine Zifferblatt mit der Einteilung eins bis zwölf. Anders als bei einer Uhr gab es hier nur einen großen Zeiger, der gerade auf die Fünf wies. Dies bedeutete, daß er fünf Pergamentbögen in das grüne Fach legen sollte. Er tat es. Dann tippte er den auf ihn hinweisenden Pfeil an der Seite des grünen Faches an. Leise säuselnd wurden diese verschwommen und durchsichtig, um dann mit leisem Knacklaut feste Form anzunehmen. Otto Latierre betrachtete diesen Vorgang.

"Sieht einfach aus. Verwundert dann nur, daß das bisher keiner ausprobiert hat", sagte Gilberts Cousin und prüfte die Blätter. Sie waren alle beschrieben. Die drei obersten waren ein Interview mit dem neuen Zaubereiminister. Die beiden anderen ein Interview mit Belle Grandchapeau. Diesen Texten fügte Gilbert noch die Briefe von Millie und Julius bei und schrieb in einer Spalte daneben, daß Leute, die solche Maßnahmen ergreifen, den Feinden eher helfen als sie zurückzudrängen. Spät abends fütterte er die neue Druckerpresse mit den Texten und ließ wie vom Aufmacher einhundert Kopien davon anfertigen. Das Verteilen würde das schwierige Ding sein.

__________

Zwei Drittel der magischen Melodie konnte er jetzt wohl. Als Julius am Dienstagmorgen aus einem weiteren Traum von Darxandria, Louis Anore und dem ihm immer noch unbekannten Aborigine erwachte, fühlte er sich gut ausgeschlafen. Er wußte nicht, ob diese Träume viel Kraft kosteten oder nicht. Immerhin mochte es sein, daß die von Ursuline Latierre auf ihn übertragene zusätzliche Lebenskraft ihm half, diesen merkwürdigen Musikunterricht besser durchzustehen oder nicht.

Nach dem Tumult von gestern herrschte im Speisesaal eine halbwegs entspannte Stimmung. Auch Nadine Albert, die nach der angeblichen Todesmeldung zusammengebrochen war, saß nun wieder am zitronengelb gedeckten Tisch. Als Julius den Lehrertisch ansah erkannte er jedoch, daß einer fehlte. Cyrus Moulin, der für Pivert eingesprungene Lehrer für magische Geschöpfe, war nicht da. Viele Schüler stellten das wohl fest. Madame Maxime wandte sich kurz nach Frühstücksbeginn an ihre Kollegen und die Schüler.

"Mesdames, Mesdemoiselles et Messieurs, wie Sie sicherlich bemerkt haben weilt Professeur Moulin nicht mehr in Beauxbatons. Im Zuge der gestern über uns alle hereingebrochenen Briefkampagne bat er mich darum, ihn freizustellen, da er sich um seine Frau sorgt, die, wie er überzeugt ist, unter den von Didier betriebenen Anfeindungen gegen Beauxbatons-Lehrer leiden könne. Da ich ja allen anbot, Beauxbatons zu verlassen, wenn sie der Meinung seien, ihre weitere Zukunft zu gefährden, entsprach ich dieser Bitte und ließ ihn ziehen. Es ist zwar bedauerlich, daß dadurch der Unterricht praktischer Magizoologie erneut einen anderen Lehrer erhalten muß. Andererseits bin ich froh, daß außer Professeur Moulin niemand anderes vom Lehrkörper derartig starke Bedenken an einem Verbleib in der Akademie besitzt, und der Unterricht in den Hauptfächern weitergehen kann. Was praktische Magizoologie angeht, so werde ich wohl oder übel dieses Fach übernehmen, zumal ich durch die von außen aufgezwungene Isolation der Akademie ein wenig mehr Zeit zur Verfügung habe und daher dem Unterricht meine volle Aufmerksamkeit widmen kann." Viele Schüler verzogen ihre Gesichter. Madame Maxime galt als strenge Lehrerin. Und bei Professeur Moulin hatten sie doch zwischendurch auch mal lachen dürfen. "Ich hoffe, Monsieur Moulin und seine Familie finden die Ruhe, die sie sich erhoffen. Was den Lehrstoff angeht, so mögen sich jene, die praktische Magizoologie besuchen keine Sorgen machen. Monsieur Moulin überließ mir einen ausführlichen Bericht über die von ihm bisher vermittelten Themen und Lernziele. All diejenigen, die bereits im letzten Jahr von mir in der Kunde von magischen Tierwesen unterwiesen wurden mögen sich daran erinnern, daß die meisten von ihnen dabei sehr umfassend unterwiesen und praktisch gefördert wurden. Jene, die im letzten Jahr die allgemeinen Zauberergrade erwarben werden keinen Grund anführen können, der gegen meinen Unterricht spricht. Dies nur für die Damen und Herren unter Ihnen, die derzeit in der dritten Klasse sind und dieses Fach als eines der neuen Fächer ausgewählt haben. Natürlich bedauere ich es, daß sich ein Lehrer weniger in der Akademie aufhält. Ich wiederhole jedoch sehr gerne, daß wir, die Lehrer und Schüler der Beauxbatons-Akademie, uns nicht von unserer Arbeit abbringen lassen, auch wenn ein Gespinnst aus Lügen und Nachstellungen uns von außen einzuschnüren trachtet. Mehr ist in diesem Zusammenhang nicht zu ergänzen."

Da die ZAG-Klasse gleich in der ersten Stunde bei der alten und neuen Lehrerin Unterricht hatte, sahen diese Schüler die Schulleiterin bestätigend an und nickten ihr verhalten zu.

Tatsächlich machte Madame Maxime dort weiter, wo Moulin in der letzten Woche aufgehört hatte. Es ging immer noch um außereuropäische Kleingeschöpfe. Heute war der Demiguise an der Reihe, ein affenartiges Wesen mit silbernem Fell, das neben seinem Glanz vor allem wegen der langen, feinen Haare auffiel. Die eigentliche Besonderheit dieses Tierwesens war jedoch, daß es sich bei Gefahr oder Nähe von Muggeln unsichtbar machen konnte. Deshalb mußten alle Schüler ganz ruhig sein, als sie in der unterirdischen Menagerie im Saal mit den drei Paaren standen und die gerade neunzig Zentimeter langen Kerlchen beobachten konnten, die auf den dort gepflanzten und von einer sonnenhellen Kristallsphäre beleuchteten Bäumen herumturnten. Vor den zwei knapp fünf Meter hohen bäumen war eine doppelte Bannlinie gezeichnet, die die Tiere an der Flucht hinderte.

"Diese Wesen sind in ihrer afrikanischen Heimat stark gefährdet, da ihr Fell nach Verarbeitung eine langanhaltende Unsichtbarkeit ermöglicht", flüsterte Madame Maxime, während eines der älteren Männchen versuchte, einen jüngeren Artgenossen von einem gemütlichen Sitzplatz auf einem dicken Ast zu verscheuchen. "Es gibt eindeutige Schutzzonen, die von den örtlichen Tierwesenbehörden überwacht werden, um den Bestand zu erhalten. Dennoch kommt es immer wieder zu wildereien, um diese Tiere zu erlegen." Dann klatschte sie laut in die Hände. Sofort schien es, als seien die geschickten Kletterer verschwunden. Doch das Rauschen in den Zweigen und das Wackeln der Äste verriet, daß darin noch etwas herumhüpfte, möglichst weit nach oben, um dem Störenfried zu entgehen. "Wie Sie sehen können diese Tiere in der offenen Jagd nicht gestellt werden. Daher stellen Wilderer Fallen mit den von ihnen bevorzugten Früchten als Köder auf", wisperte die Lehrerin, als sich das Spektakel in den zwei Bäumen gelegt hatte. "Wer von Ihnen weiß, was Demiguisen gerne fressen?" Belisama, Julius, Leonie und Millie hoben die Hand. Leonie zählte dann die Lieblingsfrüchte der Demiguisen auf. Dann ging es nur um das Leben der Tiere, die als Einzelgänger oder in kleineren Gruppen zurechtkamen und während der Regenzeit fruchtbar waren. Dann überließen sie die langsam wieder sichtbar werdenden Kletter- und Verschwindekünstler ihrer Ruhe. Madame Maxime erläuterte im Klassenraum, daß viele Tarnumhänge aus gewobenem Demiguisenhaar gefertigt wurden, aber auch Tarndecken. Der deutsche Zaubertierwildhüter Friedebold Eschenwurz besitze sogar ein kleines Zelt aus Demiguisenhaar, um die magischen Geschöpfe seiner Umgebung ohne deren Arg zu erwecken beobachten zu können. Belisama fragte, ob es nicht für die sechs Demiguisen hier in Beauxbatons eine große Qual sei, auf so kleinem Raum zusammengepfercht zu sein, weil sie davon gelesen habe, daß jeder einzelne von ihnen am Tag dreißig Kilometer weit laufen könne.

"Diese Enge bedrückt die sechs Demiguisen nur während der Paarungszeit. Dann können ein schier unstillbarer Bewegungsdrang und hektisches Herumlaufen beobachtet werden. Sind die Weibchen trächtig beruhigen sie sich schnell wieder. Die Männchen nehmen die Beschützerrolle ein. Die Weibchen fressen sich einen gewissen Speckvorrat an, um daraus genug Milch für die eins bis zwei Jungen zu bilden, die sie werfen und auch um genug Kraftreserven für längere Klettertouren mit dem an ihnen festgeklammerten Nachwuchs zu überstehen", sagte Madame Maxime dazu nur.

Der restliche Unterricht verlief als wenn derzeit kein durchgedrehter Zaubereiminister in Frankreich amtierte und auch keine zwanzig Patrouillenzauberer versuchten, die magische Schutzglocke um Beauxbatons zu durchdringen, die zwar jemanden hinausließ, aber keinen erklärten Feind der Schulleiterin einließ. Die Säulen der Gründer lieferten genug Fleisch, ja auch Fisch und Gemüse nach, um die Schüler mit der erforderlichen Menge Nahrung zu versorgen.

Das Thema des Zauberwesenseminars am Abend waren erneut die Werwölfe, da zu befürchten stand, daß diese von der magischen Krankheit Lykantrhopie befallenen Menschen unter Umständen für Verlockungen Didiers oder des Schwarzmagiers Voldemort empfänglich waren. Zwar lehnte Madame Maxime eine prophylaktische Internierung aller Werwölfe ab, sprach sich aber für verordnete Wohngemeinschaften von registrierten Werwölfen aus, auch um die Ausbreitung der Werwut zu begrenzen. Belisama Lagrange, die wohl daran zu knabbern hatte, daß ihr eigener Großvater entweder unter dem Imperius-Fluch Didiers stand oder schlicht den Verstand verloren hatte, wandte ein, daß männliche und weibliche Lykanthropen den Fluch an ihre Kinder weitergaben. Zumindest sei die Wahrscheinlichkeit dafür fünfundsiebzig Prozent, während sie bei einer Verbindung zwischen gesundem Menschen und Lykanthrop gerade einmal fünfundzwanzig Prozent betrage, daß höchstens jedes vierte Kind die Werwut bereits bei der Geburt im Körper trug, ja wie ein Hundewelpe aussehend geboren wurde.

"Das ist der bis jetzt wesentliche Grund gegen eine Zusammenlegung von Werwölfen", wandte Millie ein, als sie das Wort erhielt. "Die Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe kennt drei Werwolfpaare, die Kinder mit angeborener Werwut bekamen. Diese Kinder sind wesentlich tierhafter in ihrer Art und können nicht nur unter dem Einfluß des Vollmondes, sondern bei Wut und Angst zu Wölfen werden. Daher wurde 1934 das Anti-Lykantrhopenehegesetz erlassen. Kinder aus reinen Werwolfbeziehungen werden sogar als Tierwesen eingestuft, was es erleichtert, sie einzusperren und/oder bei erwiesener Gefährlichkeit ohne großen Aufwand zu töten."

"Wären Sie, Madame Latierre, grundsätzlich dagegen, daß erwiesene Lykanthropen Nachwuchs zeugen dürfen?" Fragte Madame Maxime herausfordernd. Millie überlegte einige Sekunden und sagte dann:

"Wie erwähnt liegt die Vererbungswahrscheinlichkeit bei einer Mensch-Werwolf-Beziehung bei fünfundzwanzig Prozent, vielleicht sogar geringer, falls die Mutter keine Werwölfin ist und das Kind daher mit unverseuchtem Blut versorgt, bis es geboren wird. Insofern habe ich nichts dagegen, daß Lykanthropen Kinder haben. Das Problem entsteht ja nur, wenn zwei Lykanthropen ein Baby kriegen. Das ist dann eben mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit schon im Mutterleib mit dem Fluch befallen. Dann ist es wie bei Vampiren, wann die Kinder zur Welt kommen. Bei Vollmond geborene Kinder werden von der zur Wölfin gewordenen Mutter als Welpen geboren und sind leichter reizbar und Aggressiver als gewöhnliche Kinder. Bei Neumond geborene Werwolfkinder kommen als gewöhnliche Babys zur Welt, entwickeln dann aber eine unmenschliche Grausamkeit und Mordlust, auch außerhalb der Werwandlung. Falls der dunkle zauberer in Großbritannien findet, ein Rudel Werwölfe auf uns alle loslassen zu müssen, könnte ihm einfallen, Werwolfpaare zur Fortpflanzung anzutreiben wie ein Tierzüchter fortpflanzungsfähige Tiere zusammentreibt."

"Gut, ich betrachte meine Frage nach Ihrem persönlichen Eindruck für beantwortet", sagte Madame Maxime.

Als das Seminar vorbei war, meinte Corinne zu Mildrid, daß sie da wohl einen ziemlich großen Drachen gerufen habe, weil sie sich vorstellen könne, daß der Unnennbare nicht nur um sich beißende Werwölfe kultiviere, sondern auch geborene Werwölfe heranzüchten könne. Millie meinte dazu nur:

"Auch eine Werwölfin muß ihr Baby neun Monate im Bauch tragen, Corinne. Falls der Unnennbare echt sowas vorhat, können diese neuen Werwölfe erst dieses Jahr zur Welt kommen und müssen trotz ihrer angeborenen Natur genauso lange aufwachsen wie wir Menschenkinder. Bleibt also genug zeit, uns drauf einzustellen."

"Na, wenn ich an die drei Garout-Brüder denke. Deren Mutter ist eine geborene Werwölfin", sagte Corinne. "Es heißt, die drei Jungen von ihr seien sehr Brutal."

"Wem sagst du das, Corinne. Meine Schwester mußte damals all ihre mit Latierre-Kuhmilch gestählten Muskeln einsetzen, um die Annäherungsversuche von Faunus Garout abzuwehren, den jüngsten von denen. Der hat sich wohl später mit dieser Tisiphone Lesauvage zusammengetan, die im Roten Saal zwei ZAG-Versuche in Folge vergurkt hat und ihre Blödheit durch Gewalt ausgleichen wollte, bis Tine und ein paar aus ihrer Klasse die richtig heftig vermöbelt und dann mit einem Muratractus-Fluch im roten Saal an die Wand geklebt haben. Hätte Tine fast von der Akademie gekegelt, wenn die nicht hätte nachweisen können, daß der nicht anders beizukommen war."

"Ich erinnere mich", erwiderte Corinne. "Da war ich gerade in der ersten Klasse hier. In dem Jahr ist die dann ja auch ohne ZAGs hier rausgesegelt. Konnte sich wohl keinen Zauberspruch merken."

"Stimmt", erwiderte Millie. "Meine Schwester war froh, daß die weg war, als ich hier eingeschult wurde. Die Roten haben eine Fete gefeiert, als dieser Irrläufer aus dem Lesauvage-Clan endlich raus war. Kaum vorzustellen, daß wir mit der über einige Ecken verwandt sein sollen."

"Dann weißt du vielleicht, was die jetzt macht?" Fragte Corinne. "Victor hat damals behauptet, ihre Eltern hätten der 'ne Anstellung besorgt, aber nicht rausgelassen, wo."

"Anders als gewisse andere Zaubererfamilien halten die Lesauvages es nicht mit großen Familientreffen. Die meisten, die sich auf Orion dem Wilden zurückrechnen können, legen's auch nicht darauf an, die anderen Familien zu treffen", entgegnete Millie. Julius hatte dem ganzen ruhig zugehört. Was passierte mit Leuten, die zweimal die ZAGs vermasselten? Er dachte an vergleichbare Sachen in der Muggelwelt. Wenn jemand die einfache Schulausbildung nicht packte, blieb der oder dem dann nur ein billiger Aushilfsjob oder der anstrengende Versuch, durch Einzelunterricht und Fernkurse das nötige Wissen reinzukriegen. Ging das in der Zaubererwelt vielleicht auch? Die Frage stellte er den beiden Mitschülerinnen laut.

"Du meinst, daß wenn hier wer zweimal die ZAGs verhaut rausfliegt draußen noch mal nachlegen kann, Julius?" Fragte Millie. "Nicht das ich wüßte. Die dürfen dann zwar wenn sie Volljährig sind zaubern, um nicht zu verhungern, kriegen aber natürlich nicht die Spitzenarbeitsplätze."

"Ich mußte nur dran denken, daß Leute in der Muggelwelt, die ihre einfache Ausbildung nicht hinkriegen entweder in ganz mies bezahlten Jobs landen oder kriminell werden, um sich was vom großen Kuchen abzuschneiden. Mädchen wird gerne damit gedroht, daß sie entweder als Kellnerin oder Prostituierte enden, wenn sie nicht fleißig lernen."

"Prostituierte? Du meinst eine, die für Geld mit anderen Liebe macht?" Fragte Corinne.

"Mit Liebe hat das dann wohl weniger zu tun", wandte Julius ein. Millie grinste darüber nur und meinte: "Klar, Tisiphone als Wonnefee. Höchstens für Leute, die darauf stehen, verprügelt zu werden. Abgesehen davon müssen Wonnefeen nicht nur gut mit dem Zauberstab umgehen sondern richtig hell im Kopf sein und sehr gutes Einfühlungsvermögen haben." Dabei zwinkerte sie wohl nicht von ungefähr Corinne zu. Diese blickte sie finster an und meinte dann:

"Wenn du damit sagen möchtest, daß ich sowas gut machen könnte, werte Madame Latierre, laß dir gefälligst gesagt sein, daß ich mir was angenehmeres vorstellen kann, als die abgedrehten Wünsche bedürftiger Zauberer zu befriedigen. Oder hast du dir mal sowas überlegt, bevor du meintest, schon mit fünfzehn Madame genannt zu werden?"

"Nöh, eindeutig nicht, Corinne", erwiderte Millie gelassen. "Die dürfen nämlich keine Kinder kriegen. Und da habe ich was gegen." Madame Maxime tauchte hinter den zwei Mädchen und Julius auf. Dieser sah sie vorsorglich beschwichtigend an. Doch sie wirkte nicht verärgert. Im Gegenteil. Sie lächelte und sagte unerwartet:

"Freut mich zu hören, Madame Latierre, daß Sie trotz der Ihrer Familie nachgesagten Vorlieben nicht dem horizontalen Gewerbe zuneigen, wenngleich eingeräumt werden muß, daß die dieses betreibenden Hexen zu den zauberfertigsten und weltgewandtesten der Welt gehören. Aber ich denke, ein Flur im Palast von Beauxbatons ist kein geeigneter Ort, um berufliche Vorlieben zu erörtern. Mademoiselle Duisenberg durfte das wohl schon nutzen, was Sie, Madame und Monsieur Latierre, in diesem Jahr angeboten bekommen werden, die kostenlose Berufsberatung, um ihre weitere Ausbildung hier genauer festzulegen."

"Hat uns Professeur Fixus schon angekündigt", sagte Millie ruhig. "Wir hatten es auch eher von einer Schülerin, die die ZAGs in zwei Anläufen verpaßt hat."

"Sie meinen Tisiphone Lesauvage? O ja, an diese unbelehrbare person kann ich mich auch noch zu gut erinnern. Ihre Schwester hatte damals Glück, daß die von ihr mitbetriebene Züchtigung nicht zu ihrem Verweis von der Akademie führte, Madame Latierre. Ich bezweifel nämlich, daß diese Person dies wert gewesen wäre. Immerhin wurde Ihre Schwester danach ja Pflegehelferin."

"Ja, stimmt, danach wollte sie Pflegehelferin werden", erinnerte sich Millie. "Die müssen die rabiate Tisiphone damals auch ziemlich heftig beharkt haben, ihr die Haare bis auf einen Millimeter runtergeschnitten und der zwei blaue Augen verpaßt haben."

"Das war es in der Tat", erwiderte Madame Maxime.Dann trieb sie die drei weiter voran. Immerhin ging es schon auf Saalschluß zu. So verabschiedete sich Millie per Händedruck von Corinne und ihrem Mann.

Im Grünen Saal hingen die, die noch nicht im Bett sein mußten mit den Gesichtern an die Fensterscheiben gedrückt. Draußen schien ein Gewitter zu toben. Allerdings eines mit bunten Blitzen und hellen Polarlichtern. Oder war es ein lautloses Feuerwerk?

"Die versuchen, den Schirm um die Akademie zu durchschlagen", sagte Yvonne Pivert, als Julius im Aufenthaltsraum war. "Sie wollen offenbar nicht kapieren, daß die nicht durchkommen, solange die Akademie noch als solche besteht und mindestens zwanzig Schüler in jedem Saal beherbergt."

"Hoffentlich stimmt das auch", sagte Julius, der das Wechselspiel aus magischen Blitzen und Flammenexplosionen einen Moment lang betrachtete. ""Falls die da draußen wirklich mit Brachialgewalt durchbrechen können, sind wir alle geliefert. Kuckt euch das an, wie wütend die mit den zaubern draufhalten!"

"Sardonia kam hier nicht rein, nachdem sie ihr Hexenimperium gegründet hat. Und die Typen da draußen knacken den Schirm auch nicht", knurrte Giscard. Laurentine wandte ein, daß es wohl nicht mehr lange dauern würde, bis sie eine Atombombe über Beauxbatons abwerfen würden, wenn das so weiterginge. Julius nahm sie bei Seite und wisperte ihr zu:

"Die Chance haben die schon seit drei Jahren nicht mehr, Laurentine. Professeur Fixus hat was gemacht, daß radioaktive Stoffe ab einer bestimmten Höhe einfach verschwinden, weil ihr und dem einzig echten Zaubereiminister Grandchapeau wer erzählt hat, wie gefährlich diese Atomwaffen der Muggelwelt sind. Will nur hoffen, daß die Säulen den Schutzschirm wirklich gut genug aufladen."

"Ups, ein Feuerball!" Rief Antoine Lasalle erschrocken, als eine blaugrüne Glutkugel von oben auf ein unsichtbares Hindernis krachte und zu einer Spirale aus rotgoldenen Flammen auseinanderplatzte. Doch mehr passierte nicht.

"Diese Idioten. Je mehr sie auf uns eindreschen, desto mehr drängen die Schutzzauber sie zurück", knurrte Giscard. "Die können nur unter dem Imperius-Fluch stehen. Oder Didier hat denen einen Trank verpaßt, der wahnsinnig macht."

"Das Gift des arboreanischen Waldmolochs", raunte Laurentine. Julius mußte grinsen. Den kannte Laurentine also auch. Giscard, der die UTZ-Klasse praktische Magizoologie besuchte, wußte jedoch nichts von einem solchen Wesen. Laurentine sah Julius an, der jedoch den Kopf schüttelte.

"Ein erfundener Urwaldplanet, wo die volljährigen Jungen sich einer besonderen Mutprobe unterziehen müssen. Die müssen ihre Hand in einen ausgehöhlten Baumstumpf stecken. Da sitzt so'n grüner Riesenskorpion oder sowas drin. Wenn der Junge von dem Biest gebissen wird, wird der arme Bursche erst wahnsinnig und stirbt dann. meistens erspart ihm der Herrscher diese Qualen und bringt ihn vorher um. Falls er nicht gebissen wird, darf er als vollwertiger Mann im Stamm weiterleben."

"Was die Muggel sich so einfallen lassen", knurrte Giscard.

"Ist so ähnlich wie das Gift der polynesischen Feuerspinne Megaranea pelae", wandte Yvonne ein. "Wenn du von diesem in halbaktiven Vulkanen lebendem Biest gebissen wirst, meinst du, bei lebendigem Leib zu verbrennen und wirst total tobsüchtig."

"Huch, das Vieh hatten wir aber nicht im Unterricht, und du machst doch bei uns gar nicht mit", wunderte sich Giscard.

"Tja, aber ich habe einen Vater, der mir dieses possierliche Tierchen mal in einer Menagerie auf Hawaii vorgestellt hat. Die tun so, als seien sie erkaltete Lavabrocken, bis sie plötzlich losspringen und ihre vergifteten Beißwerkzeuge in einen reinjagen. Das gemeine ist, daß das Opfer nicht nur denkt, lichterloh zu brennen, sondern tatsächlich langsam immer stärker erhitzt wird, bis das Blut zu kochen anfängt. Meistens ist es dann aber auch schon vor Panik und Anstrengung ohnmächtig. Wenn das Opfer von innen her gegart wird, holt sich die Spinne die Beute. Deshalb werden die in Gefangenschaft immer mit halbrohen Steaks gefüttert."

"Ich glaube nicht, daß Madame Maxime uns dieses Kuscheltierchen im Unterricht zeigen wird", wandte sich Julius an Céline.

"Neh, da kriegen wir nur diesen Riesenfrosch, von dem Connie mir schon erzählt hat. Nicht viel angenehmer."

"Die haben genug", sagte Antoine und deutete aus dem Fenster. "Einen hat's fast vom Besen gehauen, als er mehrere Aufhebungszauber probiert hat."

"Bis denen was neues einfällt", unkte Yvonne. Julius hoffte, daß die Schutzzauber auch dagegen immun waren.

__________

Zieht das mal bitte an!" Sagte Florymont Dusoleil und gab Catherine und Martha zwei hautenge Kleidungsstücke, die wie einteilige Badeanzüge aus einem merkwürdigen, bläulichgrünen Stoff aussahen und sich anfühlten wie eine Art mit Flaum überzogenes Gummi.

"Huch, machst du Madame Arachne jetzt Konkurrenz, Florymont?" Fragte Catherine belustigt, als sie ihr Kleidungsstück in der Hand hielt. Sie standen alle in Professeur Faucons privatem Arbeitszimmer.

"Hör auf, Catherine. Camille hat die Dinger geschneidert. Hat das wohl von ihrer Mutter gelernt. Der Trumpf ist jedoch der Stoff. zieht das mal bitte an!" Entgegnete Florymont. Catherine zwengte sich in ihr Kleidungsstück, das sich unvermittelt ihren Körperformen anpaßte. Martha traute der Sache nicht sonderlich. Zwar hatte Florymont über Vivianes Bild ankündigen lassen, daß es sicher sei. Aber sie war nicht so ganz entspannt, als sie ihre Arme und Beine durch die entsprechenden Löcher schob und das Kleidungsstück am Hals zuzog, bis es unvermittelt vibrierte und dann wie eine zweite Haut anlag, obwohl sie darunter noch ihre Alltagskleidung trug.

"Darf ich vorstellen, die Antisonden", sagte Florymont. "Martha, du hast ja erwähnt, daß auf diesen Düsenflughäfen der Muggel Kabinen mit Durchleuchtungsmaschinen benutzt werden, um am Körper getragenes Metall anzuzeigen. Deshalb war das schon ein Problem, etwas metalloses zu machen, was unauffällig am Körper getragen werden kann. Du hast den Potentialprüfer da?" Fragte er Catherine. Diese nickte und deutete auf jenes Meßgerät, mit dem das magische Ruhepotential eines zauberkräftigen Menschen gemessen werden konnte. Bei Martha war es immer noch bei 1,31, auch wenn seit dem Ritual schon 48 Stunden vergangen waren. Florymont nahm das Meßgerät und hielt es an Catherines Körper, berührte ihren Kopf, ihre freien Arme und ihr linkes Bein. "Das lasse ich mir patentieren, falls wir einen gescheiten Zaubereiminister zurückkriegen", grinste er. "Catherine liegt bei 0,02 und du Martha bei 0,00. Schon praktisch, daß du jetzt auch ein meßbares Zauberkraftruhepotential hast", sagte Florymont zu Martha. Die nickte verhalten, während Florymont das Meßgerät noch einmal auf sich selbst richtete. "6,26, wie heute Morgen auch schon. Als ich diesen schnuckeligen Badeanzug anhatte bin ich auf 0,01 runtergefallen. Das Problem bei den Antisonden ist, daß sie eben antimagisch sind, solange sie von einer Magieraura durchdrungen werden. Das heißt, der Träger kann dann nicht mehr zaubern, bis er oder sie das Kleidungsstück wieder ablegt. Dies nur zur Information. Für Zauberstäbe habe ich sowas ähnliches gebaut. Wenn ihr es auszieht könnt ihr wieder mit Magie hantieren. Ich habe das alles im Selbstversuch getestet."

"Wie lange kann jemand dieses Ding tragen?" Fragte Catherine argwöhnisch.

"Hmm, ich würde höchstens drei Stunden empfehlen, weil ich nicht weiß, ob das nicht auch Körperkräfte zieht. Wer das also trägt sollte es nur tragen, bis er oder sie an magischen Kontrollposten vorbei ist und dann die nächste Gelegenheit nutzen, es auszuziehen."

"Also in einer Flugzeug- oder Eisenbahntoilette", führte Martha an und schälte sich aus ihrem Monokini heraus. Florymont maß dann noch mal. "1,31, die gute Antoinette hat dich regelrecht aufgeladen", grinste Florymont. Martha wußte nicht, ob es wirklich so günstig gewesen war, Camille und Florymont zu verraten, was mit ihr passiert war. Aber irgendwie war sie auch froh, außer Antoinette und ihren Töchtern auch den Dusoleils ihr kleines Geheimnis verraten zu haben. Zwar galt Camille als sehr freigiebig, was Neuigkeiten anging. Aber sie konnte schon zwischen einer allgemeinen Neuigkeit und einer höchstvertraulichen Mitteilung unterscheiden.

"Wie viele außer den zweien hast du fertig?" Fragte Catherine.

"Camille ist noch an einer dran. Ich arbeite an einem Verfahren, bereits fertige Kleidung mit dem Potentialverhüllungsstoff zu versehen, dann kann ein Unterhemd oder ein Korsett damit zur Antisonde werden. Sie muß auf jeden Fall Brust- und Bauchraum überdecken, um den Fluß der verhüllenden Kraft auf den ganzen Körper zu verteilen. Darin liegt das ganze Geheimnis."

"Was ist das für ein Material?" Fragte Martha.

"Das möchte ich besser für mich behalten, bis du occlumentieren kannst, Martha", erwiderte Florymont. "Camille wollte das auch wissen. Aber ich habe ihr nur verraten, daß es kein Metall enthält."

"Dann könnten wir jedem Muggelstämmigen, der mit dem Flugzeug ausreisen will so ein Ding zuspielen", meinte Martha. "Damit könnten sie aus England und Frankreich verschwinden. Sie bräuchten noch nicht einmal hier in Frankreich zwischenzulanden."

"Wenn das klappt, was meine Mutter ausgehandelt hat, Martha", sagte Catherine und meinte damit eine Botschaft ihrer Mutter in der Nacht vom Mittwoch auf den Donnerstag. Die erste Temps de Liberté war in insgesamt einhundert Exemplaren gedruckt worden. Am Freitag wollten sie eine Möglichkeit finden, die Exemplare über das ganze Land zu verteilen, ohne die herumschwirrenden Belagerungszauberer darauf zu stoßen. Florymont meinte, daß der Trick, den Gilbert und Otto angewendet hatten, um die Apparierjäger abzuschütteln, wohl nicht mehr als zweimal gebracht werden dürfe, schon gar nicht, wenn es darum ging, die Zeitung zu verteilen. Andererseits wußten alle, die im Gegenministerium arbeiteten, daß es so schnell wie möglich sein sollte, daß die Zaubererwelt wußte, daß da noch jemand war, der andere Ansichten und Einfälle hatte als Didier.

"Wie sieht das mit der Störung der Apparitionsspürer aus?" Fragte Martha Florymont, nachdem er die beiden Vorführ-Antisonden wieder fortgepackt hatte.

"Die Versuche laufen. Monsieur Pierre meinte zu mir, wenn ich das wirklich hinbekäme, wären Apparitionsspürer völlig wertlos. Aber die Idee mit den Relais war schon richtig, Martha. Mir ist auch durch das Lesen des Physikbuchs von Julius eingefallen, daß ich auch mit Resonanz arbeite. Das heißt, ich bringe die Restkraftentladungen in eine bestimmte, sich verstärkende Nachschwingung und lasse die über verschiedene Gegenstellen verstärken. Ich denke mal, die an den Spürern sitzen kriegen dann arge Probleme."

"Na, mach das aber dann nicht so, daß die ihnen gleich um die Ohren fliegen", wandte Catherine ein. Florymont verzog das Gesicht, als habe sie ihn an etwas unangenehmes erinnert oder ihm den Spaß verdorben. Dann sagte er:

"Übermorgen starten Otto Latierre und ich den Feldversuch. Deine Tante hat mich bereits mit dem Translokationszauber belegt, für den Fall, daß ich schnell wieder zurückkehren muß."

"Hoffentlich kein Babyschnuller", grummelte Martha. Catherine sah sie tadelnd an. Florymont verzog wieder das Gesicht und meinte dann: "Neh, ich habe mich mit einem großen Kieselstein verbinden lassen, Martha. Aber mal sehen, ob ich den Brauche."

"Wie willst du an den Überwachungszauberern vorbeikommen?" Fragte Catherine.

"Das dürft ihr euch morgen Abend ansehen. Ich verspreche, das wird eine geniale Aufführung. Die werden sich noch wünschen, sich nicht mit einem Zauberkunsthandwerker angelegt zu haben."

Vivianes Bild-Ich sah Catherine und Martha an und meinte: "Ähm, es hat funktioniert. 0,41 nach einem Ausgangswert von 0,01. Das sollte reichen. Sie will ihn gleich wiederbringen. Ich geh los und hol sie ab." Dann verschwand sie aus ihrem Bild.

"Moment mal, Catherine, hast du mit Antoinette ausgehandelt, daß du Joe auch diesem Ritual unterwerfen willst?" Fragte Florymont erstaunt, während Martha wissend lächelte.

"Joe meinte, es wäre kein Problem, wenn er im Zauberschlaf überdauert. Ich habe mit Antoinette gesprochen, ob sie mit nur einer Ihrer Töchter dieses Experiment wiederholen könne. Martha ist mit ihr zu nahe verwandt und hatte neben ihr noch ihre drei Töchter. Joe ist nicht mit ihr verwandt. Da könnte, falls eine Potentialverstärkung auftritt, eine knappe Annäherung an die von Squibs reichen. Ich habe es ihm nicht gesagt, daß ich das mit ihm vorhabe. Er könnte entsprechend sauer werden, wenn er gleich hier ankommt. Besser ist es, wenn ich erst einmal mit ihm alleine spreche", sagte Catherine. Florymont nickte.

"Camille fragt, ob du morgen Mittag nach dem Unterricht zu uns zum Essen kommen möchtest, Martha. Immerhin hättet ihr zwei "Mädels" ja seit deiner Ankunft hier nur über Didier und was gegen seinen Unfug zu machen sei geredet. Sie vermißt das Geplauder über einfache Themen und deine Erfahrungen in der Zaubererwelt."

"Sage ihr bitte, ich käme gerne, wenn Geneviève nicht meint, ich sollte morgen Nachmittag wieder Förderunterricht für die Siebenjährigen geben, die mit dem Rechnen noch im Boxring stehen", erwiderte Martha. Florymont nickte und verließ den Klangkerker.

"Hast du keine Angst, Joe könnte uns beiden das übelnehmen, daß du Antoinettes Geschenk für ihn erbeten hast?" Fragte Martha.

"Bei 0,41 ändert sich für ihn nichts, außer daß er dann wohl gegen den Abwehrzauber immun ist", sagte Catherine. "Das einzig Unangenehme wird für ihn sein, daß er eine ältere Hexe etwas mehr als eine Minute auf seinen Füßen hocken lassen mußte. Aber wie gesagt möchte ich das mit ihm alleine klären."

"Sie wird ihn wieder in Zauberschlaf versenken?" Fragte Martha. "Ja, wird sie und wieder verschwinden, bevor ich ihn aufwecke", sagte Catherine. Also geh besser raus, damit er nicht meint, wir beide hätten das abgekartet. Dann nehme ich das auf meine Kappe."

"Wie du meinst, Catherine. Ich wäre da vielleicht nicht so glücklich drüber gewesen, wenn ich das vorher gewußt hätte", sagte Martha und verließ das abhörsichere Zimmer.

"Was habt ihr da drin immer zu quatschen?" Fragte Babette, die ihre kleine Schwester auf dem Schoß hatte.

"Babette, wenn ich dir das erzählen würde wäre es ja nicht mehr geheim, schon gar nicht, wenn da draußen Leute mit Fernhörsachen rumfliegen", erwiderte Martha lächelnd. Babette streckte ihr dafür die Zunge heraus. Martha lachte und meinte, daß sie sich das ja nicht in der Schule trauen solle, weil sie dann wohl Strafarbeiten aufgeben würde. Babette grinste nur. Sie wußte ja nicht, daß Martha wohl demnächst einen eigenen Zauberstab bekommen würde.

Wie Catherine vorhergesagt hatte war Joe etwas mißmutig, als er auf geheimnisvolle Weise vom Schloß Florissant zurück nach Millemerveilles kam. Das erste was er tat war, daß er sich die Füße wusch und abschrubbte. Doch davon, so wußte Catherine und Martha, würde Antoinettes Geschenk an ihn nicht weggehen. Er wechselte mit keinem ein Wort, nicht einmal mit Babette, die schon meinte, sie hätte wieder was angestellt. Statt dessen klemmte er sich hinter den nun betriebsfähigen Laptop-Computer und stellte über sein Mobilfunkmodem Kontakt mit dem Internet her. Das würde ihm im Monat viel Geld kosten, wußte Martha. Eigentlich wollte er nur eine Viertelstunde täglich mit dem kleinen Rechner hantieren. Martha bat ihn darum, die Nachrichten der letzten vier tage abzurufen. Sie schrieb sie sich dann auf. Joe gab kein Wort von sich, machte aber, worum Martha ihn gebeten hatte.

"Hat er jetzt Angst, daß ein Wort von ihm irgendwas auslöst?" Fragte Martha Catherine nach dem Abendessen. Joe hatte sich im Gästezimmer eingeschlossen. Offenbar legte er keinen Wert darauf, neben seiner Frau im Bett zu schlafen.

"Das ist schlicht die Sturheit dessen, der was bekommen hat, was er nicht wollte und nichts machen kann, um es wieder loszuwerden außer zu sterben. Zumindest hat er noch was gegessen", antwortete Catherine ruhig. "Ich habe das schon ein paar mal mit ihm erlebt. Das erste mal, als ich ihm gestand, eine Hexe zu sein. Dann fiel ihm aber ein, daß das eigentlich nichts an unserer Beziehung änderte. Der fängt sich spätestens dann, wenn er wirklich länger als Weihnachten ohne Trank hierbleiben kann, ohne in Zauberschlaf versenkt zu werden. Wird denen da draußen eh merkwürdig vorkommen, daß wir von dem Trank noch so viel vorrätig gehabt haben sollen. Aber wir haben es ja mit Hera abgeklärt, daß du eine geringere Dosis nötig hättest und er jetzt wohl auch. Muß keiner wissen, daß ihr ohne Trank klarkommt." Martha nickte.

__________

Martha blieb bis zum Abend bei den Dusoleils. Sie hatte keinen Nachmittagsunterricht erteilen müssen. Sie war neugierig, wie Florymont seinen Ausbruch aus dem Dorf inszenierte, um die Versuche mit dem Anti-Apparitionsspürer hinzubekommen. Als er dann verschmitzt grinsend mehrere große Kisten und drei Fässer aus seinem Werkstattschuppen hervorholte warf er Martha einen Pergamentzettel hin. Sie las:

Das ist das Feuerwerk, daß Julius' Freund Kevin abgebrannt hat. Ich habe es besorgt, um zu ergründen, wie die Scherzbolde, die es erfunden haben das mit der ständigen Verstärkung und Vervielfachung hinbekommen. Schon sehr geschickte Jungs, diese Weasleys. Ich habe mir erlaubt, eine Nachfolgeversion für den eigenen Gebrauch zu bauen, die mit ein paar besonderheiten aufwartet. Sieh es dir einfach an! Ich werde die Gunst der Stunde nutzen, um mich abzusetzen. Catherines Tante ist in bereitschaft bei Uranie. Hoffentlich muß die mich nicht holen.

Martha wollte Florymont schon sagen, daß er die Erfindung von anderen doch nicht einfach ohne deren Erlaubnis kopieren durfte. Doch da hatte Camilles Mann bereits mit breitem, jungenhaftem Grinsen alle Fässer und Kisten aufspringen lassen und winkte einmal mit dem Zauberstab. "Incendio!" Rief er. Funken stoben. Dann brach die Hölle los.

Zischend, fauchend, knisternd, Knatternd und jaulend rasten mehrere Dutzend Raketen, Leuchtkugeln, Luftheuler und Feuerräder nach oben. Gebilde wie Drachen, Riesengreifvögel und fliegende Fische stießen golden, rot, grün, blau, silbern, rosarot, türkis und orange in den Abendhimmel empor. Camille kam aus dem Haus und beobachtete, wie die Armada magischer Feuerwerkskörper in den Himmel schnellte und weit oberhalb des Dorfes dahinzischte, bis sie offenbar fand, was sie suchte, zwanzig auf Besen fliegende Pétain-Helfer und auf diese losging.

"Florymont, du bringst die um", schnarrte Camille.

"Nur wenn sie langsamer fliegen als die Feuerwerkskörper", erwiderte Florymont vergnügt grinsend. Muß jetzt los."

"Flo, wenn auch nur einer von denen da oben verletzt wird kriegst du gehörigen Ärger mit mir", schimpfte Camille. Doch ihr Mann wedelte mit dem Zauberstab, worauf ein schnittiger Rennbesen zu ihm hinflog. Er saß wortlos auf und brauste davon.

"Er bleibt gerade auf Höhe der Dächer", flüsterte Martha, als sie sah, wie Florymont in östlicher Richtung davonflog.

"Wenn dieses Teufelszeug da oben wen verletzt kriegen sie ihn dran", seufzte Camille und deutete nach oben, wo die Luftschlacht zwischen Pétains Patrouille und Florymonts Feuerwerk gerade erst richtig in Schwung kam. Die Magier auf den Besen wichen aus, schleuderten Lösch- und Wasserzauber oder versuchten, die sie anfliegenden Gebilde aus magischen Zutaten und Feuer verschwinden zu lassen. Doch statt weniger wurden es immer mehr. Einer entging einer sich gerade verzehnfachenden roten Leuchtkugel gerade so eben. Landen konnten sie nicht, weil der Abwehrdom von Millemerveilles das vereitelte. Um sie herum schwirrten und funkelten die Drachen, Vögel und Fische, stürmten auf sie zu oder umkreisten sie. Dabei erkannte Martha, daß das losgelassene Inferno die Patrouille mehr und mehr nach Westen abdrängte. Die die meinten, mit senkrecht aufgerichteten Besen schnell nach oben vorstoßen zu können, stellten schnell fest, daß die offenbar langlebig brennenden Raketen das um einiges besser konnten und weit über ihnen explodierten, wobei sie zehn feurige Töchter gebaren. Diese brausten heulend nach unten, um dann mit lautem Fauchen und langen Flammenschweifen auf knapp vierhundert Metern höhe nach oben durchzustarten. Jeder Patrouillenzauberer wurde oben, unten und von allen Seiten von wildem Feuerwerk umzingelt. Offenbar griffen die üblichen Zauber nicht. Martha erinnerte Camille im Flüsterton daran, daß damals mit inverser Logik diese Feuerwerkskörper gebändigt werden konnten. Camille grummelte so leise sie konnte:

"Hat Florymont wohl in seine Verbesserung einbezogen." Da kollidierte eine grüne Leuchtkugel mit einer roten Rakete, verschmolz ganz mit ihr zu einem sonnenuntergangsrotem Feuerball, der auf den Boden zustürzte und knapp vierhundert Meter über dem Grund zerplatzte, wobei grün-rote Schmetterlinge entstanden, die sich gleichmäßig über dem Dorf verteilten.

"Ich höre es schon, wie die anderen schimpfen werden", jammerte Camille. Doch ihren Mund umspielte ein vergnügtes Grinsen. "Zumindest haben diese Dinger nur am Anfang Krach gemacht", sagte sie noch. "Florymont hat dran gedacht, daß Uranie und ich gerade keinen überlauten Krach gebrauchen können."

"Am besten gehen wir wieder rein", sagte Martha. Sie hakte sich bei Camille unter und führte sie in das Wohnhaus zurück, wo Denise am Fenster stand und giggelte.

"Der Papa hat das echt toll gemacht", freute sich die jüngste Tochter der Dusoleils.

"Damit haben die über uns nicht gerechnet, daß wir damit aufhören könnten, sie einfach so weiterfliegen zu lassen. Ist Tante Uranie in ihrem Zimmer, Denise?"

"Zusammen mit Babettes Großtante Madeleine, auf das Baby aufpassen, daß es nicht rausfällt", erwiderte Denise.

"Muß ich auch drauf aufpassen, Denise. Oder willst du ein unfertiges Geschwisterchen?"

"Will ich überhaupt eins?" Fragte Denise.

"Dafür hast du doch mit Vivi geübt", erwiderte Camille schlagfertig. Denise verzog zwar einen Moment lang das Gesicht, nickte dann aber. Nicht mehr die kleinste hier zu sein war ihr wichtiger als der Gedanke, dann nicht mehr besonders beachtet zu werden. Vor allem wenn sie in der Schule erzählte, daß ihre Maman für die kleine Vivi noch einen Onkel oder noch eine Tante kriegen würde, hatten ihr die Mädchen immer zwischen Bewunderung und Neid zugehört. Camille setzte sich mit Martha ins gemütliche Esszimmer. Vom draußen tobenden Feuerwerk war nur ein leises Zischen und Schwirren zu hören. Nur vereinzelte Knälle verrieten, daß Leuchtkugeln oder Raketen explodierten, wobei wohl weitere Abkömmlinge entstanden. Camille wollte mit Martha gerade über irgendwelche belanglosen Sachen weiterreden, als es an der Tür klingelte. Denise lief hin und fragte, wer da sei.

"Madame Matine ist hier, Denise. Frage deinen Vater, ob er noch ganz bei Trost ist, so einen Unfug zu machen, wo deine Mutter und deine Tante gerade auf ein Baby warten!"

"Geht nicht, Papa ist nicht da!" Rief Denise. Martha eilte schnell zur Tür und öffnete sie. Die Heilerin und Hebamme stürmte grußlos herein und rief nach Florymont Dusoleil. Dann suchte sie Camille auf.

"Das müssen die da draußen nicht wissen, daß dein Papa weg ist", flüsterte Martha Denise ins Ohr. Diese lief rot an und nickte.

Hera Matine holte auch Uranie Dusoleil ins Wohnzimmer, um die beiden werdenden Mütter zu beaufsichtigen. Madeleine L'eauvite grinste die Heilerin immer wieder an. Dieser war jedoch nicht nach Humor. Offenbar tauschten die beiden älteren Hexen Gedankenbotschaften aus. Dann meinte Hera Matine: "Ich bleibe solange hier, bis der Verrückte, der der Vater deiner Kinder ist wieder im Haus ist."

Das dauerte jedoch ganze drei Stunden. Martha blieb auch hier und wartete. Als Florymont dann leise ins Haus zurückkehrte sprang Hera Matine auf und wollte ihn schon anfahren, was ihm eingefallen sei. Er sah die resolute Heilhexe jedoch so zuversichtlich und entspannt an, daß sie erst einmal kein Wort herausbrachte. "Ah, Hera, danke, daß du auf Camille und Uranie aufgepaßt hast! Im Moment ist keiner von der Patrouille mehr draußen."

"Wo warst du, und was sollte das?" Schnarrte die Geburtshelferhexe.

"Habe ein paar Restkraftresonatoren verteilt, Hera. War schon lustig, wie Otto Latierre und ich das hingebogen haben. Wie gesagt, im Moment ist keine Patrouille da. Weil sonst wären mindestens noch zwei Raketen zu sehen."

"Soll das heißen, daß du dieses Feuerwerk abgebrannt hast, um dich davonzusteheln", zischte Hera und bestand auf einen Klangkerker. Als dieser aufgebaut war berichtete Florymont, daß er mit Otto Latierre hundert kleine Kugeln mit einer nur ihm vertrauten Füllung im Land verbuddelt hatte, überall da, wo rein geographisch die Kreuzungspunkte der Apparitionsspürer sein mußten.

"Zweimal war es ziemlich knapp, weil Didiers Apparatorenjäger gut auf Draht sind, seitdem Gilbert und Otto die ausgetrickst haben. Aber jetzt nützt es denen nix mehr. Wer jetzt appariert, löst eine über das ganze Land einmal hin und zurücklaufende Folge von Restkraftentladungsimmitationen aus, die jede für sich mindestens vier Spürer zugleich kitzeln, ohne daß die Quelle gefunden werden kann. Ätsch!"

"Und wozu das bitte?" Fragte Hera Matine. "Du kannst nicht aus Millemerveilles disapparieren."

"Ich nicht, aber die Latierres, Eauvives und andere können disapparieren. und weil Otto die Punkte ausgesucht hat, wo die Restkraftresonatoren eingebuddelt wurden, hat seine Mutter das zur Familiengeheimsache erklärt. Will sagen, ich kann es keinem erzählen, egal ob mit oder ohne Veritaserum. Ab morgen gilt wieder die Presse- und Meinungsfreiheit."

"Soso", schnarrte Madame Matine. "Und daß du mit diesem Feuerwerk deine Frau und deine Schwester gefährden könntest ist dir nicht eingefallen?"

"Doch. Deshalb habe ich den beiden ja geraten, im Haus zu bleiben und alle Türen und Fenster zuzulassen, bis der größte Lärm vorbei ist", sagte Florymont völlig unbekümmert. "Und da ich damit rechnen mußte, daß du sofort auftauchen wirst, um die beiden zu untersuchen war mir auch nicht bange, daß den beiden oder den Babys irgendwas zustoßen könnte, ohne daß ein Heiler in der Nähe wäre."

"Und jetzt ist es egal, wer von wo disappariert?" Fragte Martha.

"Vollkommen. Die Restkraftspürer werden sofort in der ersten Hundertstelsekunde mit Folgeentladungen beballert. Könnte sein, daß die ersten schon zerbröselt sind."

"Florymont, wenn dabei wer verletzt wird oder stirbt ..." Fauchte Hera Matine.

"Das würde eher noch passieren, wenn Otto und ich die Resonatoren nicht gebaut und verbuddelt hätten, Hera. Didiers Paranoia verbietet das Apparieren. Wenn jemand in Gefahr gerät und muß nach der nötigen Disapparition erst einmal erklären, wovor er verschwinden mußte, oder wenn wer einen Heiler ruft. Didier verdächtigt doch alles, was nur zwei Meter zurücklegt, ohne einen Schritt zu gehen. Das hört jetzt auf, und ich bin verdammt stolz, dabei mitgeholfen zu haben, daß wir ab morgen wieder freier atmen können. Denn ab morgen kriegen die Hexen und Zauberer außerhalb Millemerveilles Gilberts Tageblatt mit den neuesten, nicht erfundenen Nachrichten. Und das geht nur, solange kein verrückter Apparatorenjäger sofort eine Bande Bluthunde loshetzt, um einen nicht angemeldeten Apparator einzufangen. Noch mal vielen Dank für die Idee, Martha. Bis die dahintersteigen, wie das gehen könnte ist Didiers Amtszeit vorbei."

"Okay, dann können wir jetzt nach Hause Martha. Catherine wird schon warten", sagte Madeleine. Draußen vor dem Haus fragte sie Martha: "Fliegen oder apparieren?" Martha entschied sich für das fliegen, weil sie jetzt, wo sie eigenes Grundpotential hatte fürchtete, dieses Gefühl des Zerquetschtwerdens zu erleben, von dem Julius ihr erzählt hatte. Doch das wäre schnell vorübergegangen, mußte Martha feststellen, als sie hinter Madeleine auf einem Besen saß und sich in halber Todesangst an ihr festklammerte, weil die Schwester Blanche Faucons meinte, mit ihr wilde Manöver auszufliegen und dabei lachte wie eine böse Hexe aus dem Märchenbuch.

"Ich hätte doch das Apparieren nehmen sollen", keuchte Martha, als sie mit Catherine und ihrer Tante im Arbeitszimmer saß.

"Das war doch noch harmlos. Wir haben keine Rollen und Loopings gemacht", wandte Madeleine L'eauvite ein. "Ist halt noch neu für Sie, Martha. Aber das kriegen wir beide noch in Sie rein, wie schön das ist."

"Das muß ich mir aber sehr lange und gründlich überlegen", erwiderte Martha.

"Ja, aber bitte nicht solange, bis meine Urgroßneffen und -nichten geboren sind", lachte Madeleine. Martha fragte sich, ob diese Hexe da wirklich demselben Mutterschoß entschlüpft war wie die gestrenge Professeur Faucon.

__________

"Und platsch!" Rief Florymont, als er den immer wilder qualmenden roten Umschlag mit Schwung in den See der Farben beförderte. Der Brief landete zischend auf der Wasseroberfläche und wurde in Dampfwolken gehüllt. Florymont verschwand, bevor der Heuler mit Getöse explodierte und eine lauthalse Beschwerde über den See dröhnte, daß es noch Folgen haben würde, zehn Besen in Flammen aufgehen gelassen zu haben und mehrere Zauberer zu Fällen für die Delourdesklinik gemacht zu haben.

__________

Keiner wußte, woher Professeur Faucon den Stapel Papier hatte, mit dem sie am Freitagmorgen im Speisesaal von Beauxbatons eintraf. Sie zählte je drei Exemplare ab und gab sie an ihre Saalvorsteherkolleginnen weiter, bevor sie an den grünen Tisch kam.

"Die Morgenpresse", verkündete sie. "Le Temps de Liberté. Wir haben leider nur zwanzig Ausgaben zugebilligt bekommen. Falls ein Dauerbezug gewünscht wird kann dieser über mich angemeldet werden." Sie ging zu den Mädchen und gab Céline ein Exemplar. Dann suchte sie die Reihe der UTZ-Schüler auf und gab Giscard ein Exemplar. Bei den Jungen unterhalb der UTZ-Stufen war Julius der Glückliche, der die merkwürdige Zeitung als erster aufschlagen durfte. Er sah sich um. An jedem Tisch wurden je drei Ausgaben ausgeteilt. Madame Maxime hatte ebenfalls ein Exemplar. Julius sah das Titelblatt und grinste.

LE TEMPS DE LIBERTÉ

DIE FREIE ZEITUNG FÜR DIE FREIE ZAUBERERWELT

WARNUNG AN ALLE DIDIER TREU ERGEBENEN EMPFÄNGER!

Diese Zeitung enthält Artikel und gedruckte Befragungen, die geeignet sind, Ihre bisherige Einstellung zu Vorgehen und Nachrichtenweitergabe des in Paris ansässigen Zaubererweltapparates unter Janus Didier nachhaltig zu erschüttern oder zu verändern. Der Inhalt wird Didier nicht gefallen. Daher sollten Sie diese Zeitung unverzüglich an die Truppe für magischen Landfrieden übergeben, ohne ein weiteres Wort hieraus gelesen zu haben. Denn wenn Sie den Inhalt dieser Zeitung lesen, werden Sie womöglich diese Ihnen aufgetragene Pflicht vergessen.

Gilbert Ignatius Latierre, Chefredakteur und Herausgeber

Julius sah die Fotos von Phoebus Delamontagne und Belle, die mit den Schlagzeilen übertitelt waren: "Grandchapeaus neuer Stellvertreter" und "Tochter des verschollenen Zaubereiministers Grandchapeau versichert: "Mein Vater lebt noch."

Er las laut genug, daß er die je links und rechts von sich sitzenden Jungen mit den Neuigkeiten versorgen konnte, zu denen auch Kurzmitteilungen aus der Muggelwelt gehörten, für die Martha Andrews, Belle Grandchapeau und Joseph Brickston verantwortlich zeichneten. Als er ansetzen wollte, das Interview mit dem Stellvertreter Grandchapeaus vorzulesen, gebot Madame Maxime Ruhe. Sie wirkte sehr zufrieden. Dann sagte sie:

"Für alle, die im Moment nicht in den Genuß dieser unverhofften Post aus verschwiegener Quelle kommen und es nicht erwarten können, daraus zu erfahren und auch für die Damen und Herren, die seit Wochen bemüht sind, gegen ihren und unseren Willen gewaltsam nach Beauxbatons vorzudringen möchte ich den Leitartikel dieser Erstausgabe einer neuen Zeitung für die Zaubererwelt laut verlesen." Alle blickten sie gespannt an.

"Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß wir in der friedlichen und freien Zaubererwelt Frankreichs seit den ersten Oktobertagen immer wieder von bösartigen Kreaturen heimgesucht werden, die als Dementoren bezeichnet werden und deren Abstammung aus den düsteren Gefilden der Magie unverkennbar ist. Auf Grund dieser ständigen Heimsuchungen verlangten die unbescholtenen Hexen und Zauberer Frankreichs nach klaren Gegenmaßnahmen. Der bis Ende Oktober frei amtierende Zaubereiminister Armand Grandchapeau wies dabei jede Zwangsmaßnahme zurück, Hexen und Zauberer abzustellen, die diese ungebetenen Besucher zurückschlagen und konnte mit den ihm zustehenden Mitarbeitern und mehreren magischen Hilfsmitteln das ärgste von uns abhalten. Doch irgendwer, wir wissen nicht wer, befand, daß Minister Grandchapeau nicht die richtige Politik betreibe und ließ ihn und seine Ehefrau über den Pyrenäen verschwinden. Die betrübliche Vorstellung, er sei dabei getötet worden, trieb einige von uns dazu, schnellstmöglich einen Nachfolger zu bestimmen. Hierbei schaffte es der bisher in der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit tätige Janus Didier, sich mit Vorschlägen zur rigorosen Abwehr der Dementoren als neuer Leiter des Zaubereiministeriums durchzusetzen. Doch damit, liebe Freundinnen und Freunde von Freiheit und Menschlichkeit, haben wir uns einen Drachen zum Hüter des Strohlagers gemacht. Denn die ersten Amtshandlungen von Janus Didier in der Position des Zaubereiministers war es, junge Hexen und Zauberer ohne große Erfahrung zum Dienst gegen die Dementoren zu verpflichten. Er scheute nicht davor zurück, gerade in der Ausbildung in der Beauxbatons-Akademie stehende Jungen und Mädchen mit Gold und Ruhm zu ködern. Doch dies war nur die erste Veränderung. Die zweite war, daß er anfing, seinen Ansichten wiedersprechende Hexen und Zauberer zu Kolaborateuren des in Britannien wohnhaften Dunkelmagiers Voldemort zu erklären und ihre Verfolgung und Inhaftierung zu ermöglichen. Dabei ging es nicht, wie er gerne unsere Kollegen vom Miroir Magique verkünden ließ, um offene Ablehnung der bisherigen Zaubererwelt, sondern um konstruktive Vorschläge zu einer menschenwürdigen Abwehr der Dementorengefahr, sowie Warnungen vor mit diesen Unholden ins Land eindringenden Gehilfen des Zauberers, den viele ungern beim Namen nennen. Didier richtete Inhaftierungslager ein, die er die dort hin zu verbringenden und ihre Angehörigen verspottend als Friedenslager bezeichnet. Frieden vor wem und für wen, Monsieur Didier? Die Dementoren marodieren weiterhin im Lande. Und nur dem Mut, und der geistigen Überlegenheit einer Frau aus der Muggelwelt, Madame Martha Andrews, gelang es, diesen einschneidenden Plan früh genug zu enthüllen, um die wichtigsten Mitglieder unserer Gesellschaft zu warnen und ihre Freiheit und Zauberfertigkeit zu bewahren. Der Miroir Magique hat Didiers Gehilfen für sogenannten Landfrieden, Sébastian Pétain, als Held bezeichnet, der sich mutig in einem Duell gegen eine Doppelgängerin Martha Andrews' wehren mußte, bis sie ein betäubendes Gas freisetzte. Das mit dem Gas ist der einzig wahre Punkt in diesem Bericht des Miroirs. Tatsächlich trifft zu, daß Pétain versuchte, Martha Andrews mit einem hochpotenten Wahrheitstrank zur Preisgabe angeblicher Informationen über eine Verschwörung gegen Didiers Ministerium zu zwingen. Sie erkannte früh genug, was ihr bevorstand und schuf eine Situation, in der Pétain die eigene Wahrheitsmixtur trank, worauf sie ihn nur noch zu fragen brauchte, was er eigentlich wollte und was Didier und er vorhatten. Ausgestattet mit schriftlichen Aufzeichnungen dieser umgedrehten Befragung gelang ihr die Flucht. Jetzt befindet sie sich für Didiers Leute, die offenkundig unter dem unverzeihlichen Imperius-Fluch stehen, im Schutz von Millemerveilles, wo sie ihr Wissen an die Dorfbewohner weitergibt und mithilft, unsere Zaubererwelt wieder frei und menschenwürdig zu machen, damit der in dieser lebende Sohn Julius eine hellere Zukunft erwarten kann. Doch offenbar ist dies genau das, was Didier und seinen Leuten große Angst bereitet, daß hier in diesem Land ein muggelstämmiger Zauberer lebt, der in seiner Heimat Großbritannien mit offener Verfolgung, ja sogar mit seinem Tode rechnen muß, weil dort Zauberer ohne magische Eltern als Zauberkraftdiebe und gefährliche Verbrecher verunglimpft werden. Didier weiß das wohl und hat offenbar vor, den Frieden unseres Landes mit dem Leben dieses jungen Zauberers und aller entkommenen Muggelstämmigen zu erkaufen. Eine Abmachung unter Dieben, Monsieur Didier, wird immer gebrochen. Dies sollte Ihnen bewußt sein, wenn Sie weiterhin der Überzeugung anhängen, die Handlanger Voldemorts beschwichtigen zu können. Denn wenn sie einen Muggelstämmigen ausliefern, wird er sie zwingen, ihm alle Muggelstämmigen auszuliefern. Da wird es Ihnen auch nicht verziehen, daß sie seit Mitte November die Beauxbatons-Akademie von der Außenwelt verschlossen zu halten versuchen, um die dortigen Lehrer und Schüler auszuhungern oder aus Angst vor der Ungewißheit in Panik geraten zu lassen. Dies, Monsieur Didier, war und ist die letzte Schandtat, die Sie sich unbeantwortet leisten durften. Denn wir wissen, daß Sie das Amt, das Sie sich anmaßen, zu voreilig an sich zogen. Minister Grandchapeau lebt noch. Ihr Versäumnis, ihn zu finden, ist eine Schande. Minister Grandchapeaus Tochter Belle versicherte immer wieder, daß ihre Eltern noch am Leben seien, auch wenn sie nicht wisse, wo sie sich befänden. Dieser klaren Aussage hätten Sie nachgehen müssen, MOnsieur Didier. Da sie dies nicht taten, ja unsere Zaubererwelt in einem immer engeren Würgegriff aus Mißtrauen, Angst und Verfolgungswahn einschnüren, sahen sich Mitglieder des Dorfrates von Millemerveilles, sowie in den Schutz des Magierdorfes geflüchtete Mitglieder der magischen Gesellschaft gezwungen, ihrerseits zu handeln. Um der Politik von Zaubereiminister Grandchapeau wieder Geltung zu verschaffen und um Ihre unmenschlichen Maßnahmen zu beenden, Monsieur Didier, wurde vergangenen Samstag ein ordentlicher Stellvertreter des immer noch lebenden, wenn auch verschollenen Ministers Grandchapeau erwählt. Es ist der ehrenwerte Monsieur Phoebus Delamontagne, Mitglied der Liga gegen dunkle Künste, Träger der goldenen Sichel des Belenus, der internationalen Zaubererwelt wohl bekannt und vertraut. Nach seiner durch namentliche Wahl erfolgten Ernennung zu Minister Grandchapeaus Stellvertreter gab er dieser Zeitung ein ausführliches Interview, um alle Welt wissen zu lassen, daß es noch Hoffnung auf eine humane Zaubererweltordnung gibt."

Madame Maxime las das Interview vor, in dem Monsieur Delamontagne bekundete, daß er zunächst die Erlasse zur Errichtung und den Betrieb der Friedenslager außer Kraft setzen wolle. Parallel dazu wolle er weiter gegen Dementoren kämpfen, wobei er jedoch auf bereits erfahrene Hexen und Zauberer zurückzugreifen beabsichtigte, die freiwillig dafür eintraten. Des weiteren hatte Delamontagne vor, nach Zaubereiminister Grandchapeau zu suchen, die Blockadepolitik von Millemerveilles, Beauxbatons und anderen Zentren der Zaubererwelt aufzulösen und sämtliche Verkehrswege wieder freizumachen. Didier forderte er auf, das ihm nicht liegende Amt des Zaubereiministers aufzugeben und sich wegen des Verdachtes, Mitarbeiter durch Imperius gefügig zu halten, vor einem ordentlichen Zaubergamot zu verantworten. Er dürfe dabei auf zehnmal mehr Gerechtigkeit hoffen als er selbst den Verdächtigen gewähre, die er für diese unsäglichen Friedenslager bestimmt habe. Den Insassen der Inhaftierungslager seien angemessene Entschädigungen für die zu Unrecht erlittene Haft zuzüglich Entschädigungen für mögliche Mißhandlungen und Verdienstausfälle zu zahlen. Delamontagne kündigte an, nur solange als Stellvertreter Grandchapeaus zu arbeiten, bis dieser und seine Frau wohlbehalten zurückgekehrt seien und er ihnen das Ministeramt zurückgeben dürfe. Sollten die Grandchapeaus vielleicht doch zu Tode kommen, werde er darauf drängen, daß Didiers Amtszeit auch so zu Ende gehe.

""Seit Sardonias Herrschaft treibt uns französische Hexen und Zauberer nur ein Gedanke an: Diese Tyrannei darf sich nicht wiederholen", verweist der stellvertretende Zaubereiminister Delamontagne auf die Lehren aus unserer Geschichte. "Wir dürfen nicht noch einmal zulassen, daß Unterdrückung, Willkür und jede Form der Gewalt die Politik der magischen Gemeinschaft bestimmt, aus welchem Grund auch immer. Benjamin Franklin, ein weiser Mann der Muggelwelt prägte einen mahnenden Ausspruch, der sich hier und heute leider bewahrheitet. "Wer die Freiheit opfert, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren." Dieser Mann hat völlig recht. Wir können nicht nach immer mehr Überwachung und Bewegungseinschränkungen rufen, weil wir uns damit selbst in Käfige einsperren", sagte Grandchapeaus Stellvertreter noch. "Also helfen Sie uns bitte dabei, daß unsere magische Welt wieder frei atmen kann, daß ein Wort, so unangenehm es auch klingen mag, nicht zum Fallstrick für den wird, der es ausspricht. Angst ist ein schlechter Ratgeber, wenn es darum geht, das Übel zu beenden und kein Weg bleibt, alle davor in Sicherheit zu bringen. Voldemort - und damit sollten wir anfangen, das Übel auch beim Namen zu nennen - darf nicht dadurch triumphieren, daß allein die Angst vor ihm und seinem Namen Menschen zu anderer Menschen Wölfen werden läßt. Denn noch etwas müssen wir alle erkennen: Wenn uns die Angst nicht gegen die Bedrohung hilft, wird sie zu Haß. Und der Haß ist die Keimzelle aller Zerstörung. Lassen Sie es bitte nicht zu, daß dieser Keim in unseren Herzen Wurzeln schlägt und Blüten treibt. Wir würden dies nicht überleben. Und die Nachwelt würde uns auf ewig dafür verachten. Wachsamkeit ist wichtig, solange sie das Übel erkennt und zurücktreibt und nicht, um uns gegenseitig zu verdächtigen und einzuschnüren. In der Hoffnung, daß meine Worte nicht auf taube Ohren trafen, grüße ich Sie, meine verehrten magischen Mitbürger.""

Schweigen breitete sich aus. Keiner wußte etwas zu sagen oder wagte es, dies laut auszusprechen. Eine Minute verging. Dann sagte Madame Maxime: "Ich möchte Ihnen hier nicht verhehlen, daß dies der Auftakt zu einer harten Konfrontation zwischen Didier und Grandchapeaus Stellvertreter ist. Wir können nicht davon ausgehen, daß Monsieur Delamontagne innerhalb von einem Tag alles umkehren kann, was Didier in einem Monat angerichtet hat. Aber ich bin zuversichtlich, daß sich die Idee des Miteinanders immer gegen die Idee der Angst und der Verdächtigungen durchsetzen wird. In diesem Geist sprach auch der für seine Überzeugungen gestorbene Professor Albüs Dumblydor, als am Ende des letzten trimagischen Turnieres der dunkle Schatten der möglichen Wiederkehr jenes sogenannten dunklen Lords auf uns alle fiel. Freundschaften, Vertrauen, Kameradschaft, Hilfsbereitschaft und nicht zu letzt bedingungslose Liebe, daß sind die Waffen, die wir alle haben, um die Feinde im Ausland zu bekämpfen und uns vor den Unterdrückungen im eigenen Land zu schützen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Frühstücken Sie nun bitte zu Ende, um körperlich wie seelisch gestärkt in diesen letzten Schultag der Woche hineinzugehen!"

"Hey, darf ich die Zeitung auch mal lesen?" Fragte Nicolas Brassu, als Julius Robert, Gérard und André gezeigt hatte, daß sogar die drei an ihn gerichteten Briefe abgedruckt waren. Julius gab seine Ausgabe des neuen Nachrichtenblattes weiter.

Nach dem Frühstück waren einige bekümmert, weil jetzt vielleicht ein gnadenloser Kampf in der Zaubererwelt entbrannte. Die meisten anderen jedoch freuten sich, daß es doch eine andere Möglichkeit gab, mit der Situation fertig zu werden. Julius freute sich vor allem für seine Mitmuggelstämmigen, daß in der Temps de Liberté auch Nachrichten aus der nichtmagischen Welt abgedruckt waren. Sollte er seine Mutter bitten, am Sonntag auch die Fußballergebnisse aus Frankreich und England hineinsetzen zu lassen?

Vor der Stunde alte Runen nach der großen Pause fragte ihn Sandrine Dumas, ob er seine Mutter bitten könne, für Nadine und einige andere aus ihrem Saal nach ihren Eltern zu fragen und nach Möglichkeit persönliche Nachrichten einzuholen. Julius erwähnte, daß er das über Serenas und Vivianes Bild machen könne, da seine Mutter eine Kopie von Vivianes Gemälde bei sich hätte.

Die Folge war, daß Julius am Abend vor dem Dueliertraining eine Liste mit Telefonnummern in der Hand hielt. Das würde schwierig werden, die alle anzurufen, wo das Mobiltelefon seiner Mutter sicher abgehört würde. Falls Didier wirklich Polizei und Geheimdienste auf sie angesetzt hatte, würde sie jeden mit hineinziehen, den sie anzurufen versuchte. Doch da hatte er seine Mutter gründlich unterschätzt. Denn als er Professeur Faucon heimlich die Liste mit dem handnotierten Vermerk "Falls möglich bitte von den Kindern grüßen" zugespielt hatte, sagte diese nur: "Da Ihre Mutter sowie mein Schwiegersohn Joseph Brickston davon ausgehen müssen, daß die Funkzeichen ihrer tragbaren Fernsprecher von Unbefugten abgefangen werden könnten, haben sie beide mit dem Kleinrechner von Joseph ein Programm erstellt, daß die Geräte immer unter einer anderen Kennung identifiziert, so daß keine einheitlich nachvollziehbare Nachrichtenquelle aufgespürt werden kann. Jetzt, wo es in Millemerveilles möglich ist, mit der rein technologischen Zivilisation Kontakt aufzunehmen, möchten die beiden möglichst frei von Verfolgung arbeiten, und das kommt auch der Dorfgemeinschaft entgegen, weil so niemand gezielt auf Millemerveilles stoßen wird."

Julius atmete auf. Das war schon fast wie Weihnachten. Doch bis dahin würden noch einige Wochen vergehen. Drei Wochen, die ziemlich lang werden konnten.

ENDE

Nächste Story | Verzeichnis aller Stories | Zur Harry-Potter-Seite | Zu meinen Hobbies | Zurück zur Startseite

Seit ihrem Start am 1. Mai 2009 besuchten 6545 Internetnutzer diese Seite.