"Wieder die Beatles", dachte Julius, als ihn ein weltbekannter Oldie aus der unteren Wohnung aus dem Schlaf weckte. Die Eltern von Joe Brickston, die gerade bei ihrem Sohn und seiner Familie zu Besuch waren, führten ihr allmorgentliches Wecktheater auf. james Brickston, ein bodenständiger und umgänglicher Busfahrer, der in Liverpool geboren war, verehrte die berühmtesten Musiker seiner Heimatstadt und ließ sich jeden Morgen von ihnen wachsingen. Seine Frau Jennifer, wohl auf Grund ihrer wohlhabenden Familie unangenehm hochnäsig und pickiert, zeterte darauf mal wieder, wie unkultiviert der Musikgeschmack ihres Gatten doch sei. Offenbar war das eine der festen Größen ihrer Ehe, neben Joe, ihrem gemeinsamen Sohn.
"Jeden Morgen das selbe blöde Getue", knurrte Julius noch halb im Schlaf. "Aber auch 'ne Art zu kucken, ob einer von den beiden noch gesund ist", dachte er. Er rekelte sich genüßlich unter der dünnen Decke und überlegte, ob seine Freundin Mildrid schon wach sein mochte. Er fühlte den rubinroten Herzanhänger warm und ruhig auf seiner Brust pulsieren. Womöglich schlief Millie noch tief und fest. Doch der nächste Gedanke bewies ihm das Gegenteil:
"Ah, ich merk's, du bist auch wachgeworden, Monju", hörte er ihre Stimme fröhlich in seinem Kopf trällern. "Hast du gut geschlafen?"
"Jau, hab' ich", dachte Julius konzentriert zurück. Er wußte, daß die Gedankenverbindung durch ihre beiden Anhänger die üblichen Mentiloquismus-Stufen überflüssig machte, ja sogar innerhalb eines dafür an sich undurchlässigen Bereiches funktionierte. Er mußte halt nur denken, daß er ihr was sagen wollte und dies dann entsprechend klar denken. Dies ging aber nur, weil sie beide sich schon körperlich geliebt hatten, wußte er.
"Miriam hat uns um halb fünf geweckt, wie Callies und Pennies Mexikaner. Nur daß sie noch nicht so schön singen kann wie die", fuhr Millie fort.
"So'n Baby ist schon praktisch, wenn man vor der Sonne aus dem Bett will", feixte Julius nur für ihn und seine keine vier Kilometer weit entfernte Freundin.
"Tja, für irgendwas muß so'ne kleine Schwester ja gut sein", knurrte es in Julius Kopf zurück. "Aber sie sieht jetzt wenigstens niedlicher aus als bei ihrer Ankunft. Was machst du heute?"
"Ich wurde gerade mit den Beatles, das sind ehemalige Unterhaltungsmusiker aus England, geweckt. Joe Brickstons alte Herrschaften sind zu Besuch und wollen in zwei Tagen wieder abfliegen, wenn sie ihre ganz kleine Enkeltochter lange genug ertragen und betüddelt haben."
"Gugu gaga, duzidu", erwiderte Mildrid darauf. Julius mußte grinsen. Er war ja alleine und mußte daher nicht die Manieren des Mentiloquismus befolgen. "Gut, daß weder meine Eltern noch meine übrigen Verwandten so gestrickt sind, der Kleinen diesen Babyblubberkram vorzuquatschen. Kannst ja zu uns rüberkommen, oder hat deine Maman den Kamin bei euch oben auch zumachen müssen?"
"Habe ich nicht ausprobiert. Könnte es mir aber denken, solange James und Jennifer Brickston im Haus sind", erwiderte Julius darauf nur.
"Wenn du Lust hast kannst du nachher ja mal rüberkommen, wenn's geht. Wenn nicht, was dann?"
"Ich denke, ich bleibe heute mal bei meiner Mutter und unterhalte mich mit der über die letzten Monate seit den Osterferien", entgegnete Julius. "Ist ja doch einiges passiert, was sie auch was angehen dürfte."
"Wegen Dumbledore und ihm, der nicht beim Namen genannt werden darf?" Erklang Millies Stimme nun längst nicht mehr so fröhlich wie gerade eben noch in seinem Kopf.
"Ohne dir jetzt schon den Tag zu verderben könnte es ja durchaus passieren, daß dieser Schweinehund jetzt richtig loslegt. Beim letzten Gastspiel seiner Unnennbarkeit sind auch viele Muggel getötet worden. Die wurden von Lord Psychos Wasserträgern wie altrömische Gladiatoren aufeinander gehetzt oder wie Tontauben einfach so niedergeflucht. Wenn diese Bande keiner stoppt kommt das irgendwann wieder. Letztes Jahr im Sommer haben die eine Kleinstadt zerlegt und eine Brücke mit vielen Menschen drauf in einen Fluß stürzen lassen, nur um dem Zaubereiminister von Großbritannien zu zeigen, wie brutal sie sein können. Da Meine Mutter ja wie du weißt im Muggelkontaktbüro arbeitet hängt sie ja voll zwischen unseren Welten und muß daher natürlich mit diesen Sachen fertigwerden." Unten in der Wohnung der Brickstons ebbte der allmorgentliche Zank ab.
"Papa sagte, daß wir uns hier im Moment nichts von diesem Massenmörder zu befürchten haben, weil unser Zaubereiministerium die Anhänger von dem aus dem Verkehr gezogen hat."
"Die sich auffällig benommen haben, Millie. Ob die wirklich alle von denen gekriegt haben will ich besser nicht annehmen. Und gerade die Sache mit Bokanowski hat gezeigt, daß das Ministerium heimlich ausgehebelt und umgekrempelt werden kann. Wenn ich bei und von euch anderen Hexen und Zauberern eins gelernt habe, dann, das alles möglich ist, das gute wie das Böse", widersprach Julius seiner Freundin. Diese schwieg einige Sekunden. Dann antwortete sie:
"Ist schon richtig, nicht zu gutgläubig zu sein, Monju. Doch hier bei uns in Frankreich bist du jedenfalls besser aufgehoben als drüben in England. Ich kapiere das nicht, daß Gloria da wieder hin will, wo sie doch so klug ist."
"Heimweh, Verbundenheit mit den alten Freundinnen und Freunden in Hogwarts, Trotz, sich von diesem Bastard nicht verjagen lassen zu wollen und so weiter, Mamille. Das klinkt sich aus jeder Vernunft aus und sollte gerade dir doch gut gefallen."
"Wie meinst du das?" Erwiderte Millie leicht verärgert.
"Waren es nicht deine Verwandten und du selbst, die immer gesagt haben, daß nur vernünftig zu sein es nicht bringt, wenn das Leben was wert sein soll?" Entgegnete Julius mit einer Gegenfrage.
"Ach, so meinst du das. Vernunft ist nur dann gut, wenn sie einen voranbringt, aber auch lästig, wenn sie einem vom freien Leben abhält. Dann verstehe ich deine frühere Mitschülerin. Sie will sich nicht vorschreiben lassen, vor wem sie Angst zu haben hat und sich nicht kleinkriegen lassen. Kuck mal, da hätte die ja dann doch auch zu uns kommen können."
"Das ganz bestimmt nicht", widersprach Julius sehr entschlossen. Dann meinte er, er wolle sich jetzt langsam aus dem Bett heben und den Tag beginnen.
"Schade nur, daß durch den ganzen Muggeldreck kein schöner Sonnenaufgang zu sehen ist", hörte er Millies Gedankenstimme noch erwidern, bevor seine Freundin sich von ihm verabschiedete. Julius stand auf und lauschte. Seine Mutter schlief noch. Sie war nie die rechte Frühaufsteherin gewesen, wußte er. Diese Eigenschaft hatte er von seinem Vater geerbt. Der Gedanke an ihn trübte seine Stimmung leicht ein. Hätte er vielleicht doch darauf bestehen sollen, zu wissen, wo und als wer sein Vater jetzt lebte, obwohl er für die restliche Welt für tot und begraben gehalten wurde? Nein! Es war schon richtig so, nicht zu wissen, in wessen Obhut sein um sein ganzes Leben gebrachter Vater nun gekommen war. Womöglich würde er gerade glucksend und brabbelnd herumkrabbeln, sich vielleicht schon an Möbeln hochzuziehen versuchen, um seine kleinen Beine an das Laufen zu gewöhnen und bald "Zum Geburtstag viel Glück" gesungen bekommen, von Leuten, die davon überzeugt waren, er sei erst ein Jahr alt. Nein, er wollte und durfte es nicht wissen, wo sein Vater jetzt war. Er war tot und als unschuldiger Mann von seinem Bruder Claude in der Familiengruft der Andrews' beerdigt worden. Das war die einzige Beziehung, die er noch zu ihm haben durfte.
"Julius, bist du im Bad?" Hörte er nun Catherines Gedankenstimme in seinem Kopf. Auf sie mußte er sich auf die übliche Weise einstimmen. So dauerte es ein paar Sekunden, bis er ihr zumentiloquieren konnte:
"Ich habe erst gewartet, bis der übliche Beatles-Mumpitz da unten vorbei ist. Wie geht's?"
"Hast du Claudine diese Nacht nicht gehört?" Fragte Catherine amüsiert zurück."So um drei? Ja, aber konnte danach weiterschlafen", erwiderte Julius darauf. Dann war er mit sich und seinen Gedanken wieder ganz allein.
Offenbar fand seine Mutter es schön, daß jemand vor ihr aufstand, den Frühstückstisch deckte, während der große Teekessel auf dem Elektroherd zu brodeln ansetzte, während zwei große Scheiben Toastbrot zwischen den Heizspiralen des Toasters von weiß und lapperig nach knusprig und braun umgewandelt wurden. Ein Toaströstezauber, das wär's doch. Ein Wink mit dem Zauberstab, und aus Weißbrot wurde innerhalb einer Sekunde Toast. Vielleicht sollte er das mal in der Zauberkunst-AG in Beauxbatons austesten, dachte er, während der Teekessel immer lauter brodelte. Gleich würde er lospfeifen und der immer noch schlafenden Wohnungsherrin verkünden, daß das Teewasser fertig war. Das ein Teekessel innerhalb einer Sekunde zum Kochen gebracht werden konnte kannte Julius schon. Von unten erklang Claudines laute Stimme. Offenbar hatte sie auch Hunger oder fühlte sich anderweitig unwohl. Vielleicht, so dachte Julius verschmitzt, sollten die da unten sich morgens mit einem flotten Kinderlied wecken lassen. Er überlegte, ob er noch die alten Musikcassetten hatte, wo die beliebtesten englischen Kinderlieder drauf waren. Uiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii!! Das Teewasser kochte. Ein weißer Dampfstrahl entströmte dem siebartigen Aufsatz auf dem Ausguß.
Julius nahm den Kessel vom Herd und stellte ihn auf ein Stövchen aus Porzellan, das die Andrews vor zehn Jahren aus dem Nachlaß seiner Uroma Mütterlicherseits bekommen hatten. Dann ging er leise an die Tür, hinter der das Arbeits- und Schlafzimmer seiner Mutter lag und klopfte vorsichtig an. Von dahinter kam ein verschlafenes "Hmmm?"
"Guten Morgen! Das Frühstück ist vorbereitet, Mylady", sprach Julius im Stil eines dienstbeflissenen Butlers.
"Hast recht, ich bin schon zu lange im Bett", grummelte seine Mutter hinter der verschlossenen Tür. "Fang schon mal an! In einer Viertelstunde bin ich dann bei dir."
"Geht klar, Mum", erwiderte Julius und kehrte in die Küche zurück.
Das Küchenradio spielte ihm etwas flotte Popmusik vor und die zweiköpfige Morgenmannschaft sprach mal ernst und mal scherzhaft über die in den letzten Nachrichten gemeldeten Sachen. Julius horchte auf, daß am vierten Juli zum ersten Mal seit einundzwanzig Jahren eine Raumsonde auf dem Mars landen sollte. Pathfinder, der Pfadfinder, sollte dieses unbemannte Raumfahrzeug heißen. Offenbar hatte der sonst so für alle Neuheiten in der Raumfahrt begeisterte Junge etwas interessantes verpaßt oder nicht richtig mitbekommen.
"Hoffentlich fällt dieses amerikanische Roboterding nicht irgendwem da auf den kleinen grünen Kopf", witzelte der Mann in der morgentlichen Radiobesatzung. Seine Kollegin setzte dem einen drauf und meinte:
"Nicht, daß die das als Invasionsversuch sehen. Wollen nur hoffen, daß der Pathfinder nicht im Parkverbot landet. Wenn die da oben genauso strenge Politessen haben wie wir hier in Paris wird's teuer, weil der Roboter nicht mehr weggefahren werden kann."
"Ich denke, daß ist schon in den Ausgaben für diesen schnuckeligen Ausflug eingeplant worden, so teuer der ist, Janine", erwiderte ihr Kollege darauf. Julius mußte grinsen. Da machten zwei relativ junge Radioleute aus einer an und für sich technischen Sache einen lustigen Witz, noch dazu auch auf Kosten der örtlichen Politessen. Er dachte dabei an einige Hexen, die das von Muggelautos erreichbare Museum für französische Zaubereigeschichte überwachten und wie ortsübliche Politessen angezogen waren, um vorwitzige Muggel am Parken dort zu hindern. Er hoffte, daß seine Mutter ihm wie letztes Jahr eine Zusammenstellung der wichtigsten Nachrichten gemacht hatte. Aber zu diesem Marslanderoboter und dessen Untermieter, einem kleinen Elektroauto, daß sich einige Meter von der Landestelle entfernen konnte, würde er gleich noch im Internet mehr nachlesen.
Als seine Mutter nach etwa zwanzig Minuten in die Küche kam sprachen sie über die Familienangelegenheiten der letzten drei Monate, die Nachrichten und daß Julius sich Sorgen machte, was nun in England passieren würde. Einerseits hoffte er, daß jetzt der Widerstand gegen Voldemort richtig loslegen würde, weil der große Anführer ermordet worden war. Andererseits konnte es jetzt auch erst so richtig schlimm werden, weil viele eingeschüchtert waren und der sogenannte Unnennbare seinen Gefolgsleuten nun als unbesiegbarer Führer erschien, hinter dem sie unverdrossen hermarschieren konnten. Beides war möglich.
"Also wenn das jetzt in unserer alten Heimat so läuft wie hier in Frankreich, wo Sardonia ihr Hexenreich geführt hat wird es sehr grausam, Julius. Ich habe mit Nathalie oft über nichtmagische Gewaltherrscher und brutale Regime diskutiert. Im Grunde haben wir was die Erfahrung mit Diktaturen angeht einen Vorsprung, trotz Sardonia", sagte seine Mutter. "Andererseits waren die Despoten keine Zauberer und Hexen und deren Anhänger auch nicht. Im Grunde hat Diktatur erst ein unbeschreibliches Ausmaß angenommen, als wir technisch soweit entwickelt waren, daß Propaganda und Hetzparolen an Millionen Leute gleichzeitig gehen konnte und die Überwachungsmethoden immer perfider wurden wie in der DDR oder der Sowjetunion. In Jugoslawien ist ja heute noch eine Diktatur etabliert, von der keiner weiß, wie viele Menschen ihr noch zum Opfer fallen, trotz Friedensverträgen und ähnlichem. Ich habe Nathalie angeboten, eine umfangreiche Datensammlung über Muggeldiktaturen und Staatsstreiche zusammenzustellen. Sie meinte, daß sei bestimmt ein interessantes Projekt, falls sich die Dinge in Großbritannien wirklich so schlimm entwickeln."
"Du meinst, Voldemort und seine Leute könnten eine Art Putsch machen, eine Gewaltsame Übernahme des Ministeriums?" Fragte Julius sehr besorgt.
"Ist das nicht sein Ziel?" Fragte seine Mutter unbeeindruckt. Er nickte zustimmend. "Womöglich wird er nicht in eigener Person die Herrschaft antreten, sondern seine Gehilfen in wichtige Ämter einschleusen und möglicherweise ihm bisher feindlich gesinnte Mitarbeiter mit diesem furchtbaren Imperius-Fluch unterjochen. Insofern müssen wir hier in Frankreich auch aufpassen, ob nicht einer von denen die Zaubererwelt hier an sich reißt."
"Woher wissen wir, ob er nicht schon wen hier eingeschmuggelt hat, der sich als Rekrutierer betätigt, Mum. Solche Sachen laufen doch nicht ohne geheimdienstliche Aufklärung ab."
"Jaja, sagt deines Vaters alter Freund Rodney Underhill", seufzte Martha Andrews. "Aber stimmen tut's wohl. Wenn ich in eine schwerbewachte Festung eindringen will, brauche ich entweder einen Schlüssel oder jemanden, der mir im geeigneten Moment eine Tür aufmacht, wie das ja wohl in Hogwarts passiert ist."
"Da hat ein Bengel, der noch arroganter ist als deine beinahe Schwiegermutter da unten einen magischen Materietransmitter ausbaldowert, durch den er einige Dutzend Todesser geholt hat", knurrte Julius. "Dann wird's schwierig, wenn Voldemort wen irgendwie unter Kontrolle kriegt. Sei es der Imperius-Fluch oder die auch bei den Nichtmagiern üblichen Methoden wie Bedrohung und Erpressung."
"Deshalb pass bitte gut auf dich auf, wenn du irgendwo hinfährst, wo du nicht überblicken kannst, was alles passieren kann!"
"Mum, ich habe das damals schon nach dem Trimagischen klargemacht, daß ich mir nicht von diesem Obergangster vorschreiben lasse, wie ich zu leben und wo ich dazu hinzufahren habe oder nicht."
"Tja, aber wir beide sind jetzt schon das zweite Jahr hier", stellte seine Mutter glasklar fest. "Das liegt doch daran, daß wir ihm ausweichen wollten und uns in eine Umgebung gerettet haben, die so sicher wie möglich gemacht wurde."
"Das stimmt wohl, Mum", pflichtete Julius ihr bei. "Es wäre ja auch etwas dämlich, wenn wir uns nicht so gut es geht vor diesem Drecksack schützen, wenn uns jemand die Möglichkeit dazu bietet." Er überlegte, ob er seiner Mutter von dem morgentlichen Melo-Gespräch mit seiner Freundin berichten sollte, verwarf das aber sofort wieder. Nachher meinte seine Mutter noch, er betreibe mit Millie eine magische Form von Telefonsex. Immerhin hatte er selbst ja schon mit dem Gedanken daran gespielt.
"Ich grübel hier auch sehr viel, Julius. Seitdem das mit deinem Paps auseinandergebrochen ist denke ich immer wieder daran, was gewesen wäre, wenn er deine Ausbildung in Hogwarts uneingeschränkt befürwortet hätte. Dann sagt mir meine Vernunft, daß ich mich mit nicht mehr umzukehrenden Gegebenheiten nicht herumquälen soll, hätte, würde, wäre. Aber eines weiß ich jetzt: Je besser wir vorbereitet sind, desto besser können wir uns auf neue Situationen einstellen."
"Das sagt Prof..., Madame Faucon auch. Aber auf alles kannst du dich nicht vorbereiten. Oder hättest du gedacht, daß du einmal auf fliegenden Kühen und Pferden reiten würdest?"
"Oder es voll bewußt erleben, was ein Kind im Mutterleib wahrnimmt?" Fragte seine Mutter weiter. Dann schüttelte sie den Kopf und sagte: "Auf all das war ich nicht gefaßt. Aber es hat mir gezeigt, daß Planung alleine nicht das Leben bestimmt. Ich finde, das ist auch gut so."
"Stimmt, Mum. Wir sollten uns besser auf die für uns glücklichen Sachen im Leben besinnen. Es gibt einen Zauber, bei dem das sehr wichtig ist, sich an glückliche Erlebnisse erinnern zu können", erwiderte Julius.
"Der Patronus-Zauber, ich weiß. Hera Matine hat es mir erklärt, daß du und die anderen damit diese Dämonen verjagt habt, die in Millemerveilles eingedrungen sind. Jemand muß ein sehr glückliches Erlebnis fokussieren und dann in diesen magischen Schutzgeist einfließen lassen."
"Stimmt", bestätigte Julius mit einem Nicken.
"Hast du schon gehört, daß Ursuline und ihre Tochter Barbara uns für den vierundzwanzigsten Juni eingeladen haben? Barbara feiert da Geburtstag."
"Die hat am fünfundzwanzigsten, Mum", berichtigte Julius seine Mutter ohne groß zu überlegen.
"Ja, aber wir möchten, falls wir nicht anderweitig verplant wären schon am vierundzwanzigsten auf den Hof der Latierres kommen", sagte seine Mutter unverdrossen. Julius nickte. Offenbar nwollte Ursuline die Gelegenheit nutzen, die Willkommensparty für alle neugeborenen Enkel und entfernten Großneffen stattfinden zu lassen, womöglich noch in Barbaras Geburtstag hineinfeiern. Seine Mutter fragte ihn, woher er denn die ganzen einzelnen Geburtstage kenne. Er erklärte ihr, daß er und Millie sich mal damit befaßt hatten, alle wichtigen Familiendaten auswendig zu lernen.
"Ach, daher wußte Hippolyte, daß ich am vierten April geburtstag hatte. Ich dachte schon, Catherine hätte ihr das erzählt", entgegnete seine Mutter amüsiert lächelnd.
"Und, was hat sie dir gesagt oder geschenkt?" Fragte Julius neugierig.
"Das Küchenmesser da drüben im Messerblock", sagte Julius' Mutter und deutete auf einen edlen Messergriff. Julius stand auf und zog das Messer aus dem Block. Seine Mutter sagte, er solle vorsichtig mit der Klinge sein, die sei scharf wie ein Skalpell. Er betrachtete die silberne Klinge. Ein ähnliches Messer hatte ihnen Lutetia Arno vorgeführt, um ihre zwergische Magie zu demonstrieren, die durch Anbringen von Körperflüssigkeiten und sehr stark gewünschter Wirkung jede vorstellbare Zauberwirkung auf einen Gegenstand übertrug. Wollte er seiner Mutter verraten, daß dieses Messer womöglich von einer frei heraus redenden Zwergin verzaubert worden war, so daß sie einen magischen Gegenstand besaß, den sie den Gesetzen nach nicht besitzen durfte? Er probierte das Messer an einer Mohrrübe aus, die er ohne Sägebewegungen machen zu müssen innerhalb von nur einer Zehntelsekunde glatt durchschneiden konnte.
"Damit kannst du vielleicht sogar Metall durchschneiden, Mum. Hat dir meine zukünftige Schwiegermutter auch verraten, daß das hier vielleicht bezaubert wurde und die Zaubereigesetze keine verhexten Muggelsachen bei Muggeln erlauben?"
"Sie hat mir erzählt, daß das Messer aus einem besonders vorbehandelten Material gefertigt sei und keine Hexe und kein Zauberer was damit angestellt hat", erwiderte sie. "Also dürfte ich sowas haben. Seltsam ist schon, daß die Klinge nur Gemüse, Fleisch und Knochen durchtrennt, aber nicht durch Holz schneidet. Also kann sie auch nicht durch Metall schneiden."
"Klingt logisch, muß aber nicht stimmen", erwiderte Julius amüsiert und nahm einen billigen Kuchenteller aus dem Schrank, setzte das Messer an und säbelte laut knirschend den Teller innerhalb von vier Sekunden in zwei Hälften durch.
"Öhm, aber dann ist das Ding doch verhext", erwiderte seine Mutter leicht verunsichert.
"Wenn Hippolyte Latierre dir gesagt hat, daß kein Zauberer oder eine Hexe was damit angestellt hat darfst du ihr das glauben, Mum. Es gibt Materialien, die nur einmal magisch vorbehandelt werden. Mag sein, daß sie auf bestimmte Sachen wie Bretter oder Messerblöcke eingestimmt werden müssen, damit sie nicht im Laufe der Zeit darin verschwinden. Ist nur lustig, daß das Messerchen hier wohl von einem Schrank abprallen würde, aber in einer massiven Betonwand steckenbleiben könnte. Ich gehe mal davon aus, daß die Klinge unzerstörbar ist. Kobolde und Zwerge können sowas schmieden."
"Zwerge? Ach, dann war's wohl einer von Hippolytes Schwägern, der das Messer gemacht hat." Julius mußte sich beherrschen, nicht feist zu grinsen. Hippolytes Schwäger, sofern es welche gab, würden den Teufel tun, ihrer davongelaufenen Schwester irgendwas für Hexen, Zauberer oder Muggel herzustellen, die mit dieser familienmäßig verbandelt waren. Er sagte deshalb nur, daß es ein sehr wertvolles und nützliches Geschenk sei und Hippolyte sich offenbar sehr gut mit ihr vertragen wolle.
"Schon richtig, Julius. Sie will wohl keinen Zank, wer die bessere Oma sei, wenn du und Millie irgendwann nach Beauxbatons mal eigene Kinder haben wollt."
"Zumindest anständig von ihr, daß sie dich als gleichwertige Oma ihrer Enkel akzeptieren möchte, Mum."
"Na, da lassen wir es mal besser drauf ankommen, wenn ihr beide nicht mehr nur miteinander übt", erwiderte Martha leicht grinsend, was bei ihrer früher so gefühlsfrei wie möglich wirkenden Mimik etwas hieß. Immerhin wußte sie ja, daß Julius und Mildrid nicht mehr nur das berühmte erste Mal miteinander erlebt hatten.
Von unten erscholl lautes Lachen von Babette und ihrem Großvater. Dann zeterte Jennifer Brickston laut genug, daß die Andrews' eine Etage über ihr jedes Wort verstehen konnten:
"Ich weiß nicht, was es da zu lachen gibt, James. Das ist kein Scherz gewesen, was ich gesagt habe!"
Die Antwort erfolgte leise genug, daß Decke und Boden zwischen den Brickstons und Andrews' sie fast verschluckten.
"Mich erinnert Mrs. Brickston, Jennifer an Oma Gladys, Julius", seufzte martha Andrews. Julius nickte. Seine Großmutter väterlicherseits, die vor fünf Jahren im Alter von gerade einmal sechsundsechzig Jahren an einem Gehirnschlag gestorben war, war ähnlich überernst gewesen wie Jennifer Brickston. Womöglich hatte ihr diese Mentalität den Garaus gemacht, vermutete Julius immer dann, wenn er an sie dachte. Was hätte sie wohl gedacht, wenn sie das mit Julius' Zaubereiausbildung mitbekommen hätte? Das hätte ihr womöglich nicht so schlimm zugesetzt wie das, was mit ihrem Sohn Richard passiert war.
"Die ist so drauf, Mum. Ich habe die ja Weihnachten besser kennenlernen dürfen als ich eigentlich wollte. Wunder mich sowieso, daß Catherine und Joe sie noch mal hergelassen haben."
"Ich denke, weil die beiden wollen, daß Claudine mit allen Großeltern was zu tun hat, Julius", vermutete seine Mutter. "Dann müssen sich die beiden so früh wie möglich mit ihr befassen und nicht nur Bilder von ihr sehen."
"Ich hoffe nur, da knallt es nicht wieder wie im letzten Jahr, wo Claudine noch unterwegs war."
"Dann ginge das uns nichts an, Julius", stellte seine Mutter unerbittlich klar. "Wir leben unser Leben, und Catherine und Joe leben ihr Leben. Wo sich beide Leben berühren sollte es so angenehm wie möglich sein. Da sollten wir uns nicht in Sachen einmischen, die für uns nicht wichtig sind."
"Solange Joes Mum sich nicht wieder bei unseren Sachen reinhängt wie Weihnachten, wo sie Madame Faucon für eine überhebliche Person hielt und sie für inkompetent ansah und damit auch irgendwie für eine Lusche ansah."
"Ja, ich weiß, und du hast dann in deiner jugendlichen Direktheit gefragt, ob sie einen eigenen Beruf ausübe oder nur als Vaters Tochter lebe. Catherine hat's mir mal erzählt, als sie und ich alleine waren und sie mit Claudine im Bauch nicht wie bestellt und nicht abgeholt in der Wohnung sitzen wollte."
"Dann hat sie dir auch erzählt, wie die Kiste ausgegangen ist", erwiderte Julius unbekümmert, daß er gerade sachte gerügt worden war.
"Das läßt du ihr immer noch durchgehen, diese liederlichen Frauenzimmer zu verehren?!" Tönte Jennifer Brickstons Stimme von unten.
"Besser ich weiß das, als wenn sie's tut, ohne daß ich's weiß", entgegnete Joe laut genug, um auch in der Wohnung über ihm verstanden zu werden.
"Oh, mag die gute Mrs. Korrekt-und-Damenhaft die Spice Girls nicht", feixte Julius mit beinahe zusammengebissenen Zähnen.
"Sogesehen schlagen die ja auch allem ins Gesicht, was an Anstandsregeln für Frauen auf dem Markt ist", erwiderte Martha Andrews. "Ähnlich wie diese Madonna, nur das die jetzt wohl mit ihrer auf merkwürdige Weise entstandenen Tochter die Zügel etwas anziehen wird."
"Wihihihihihiürm", imitierte Julius das Wiehern eines Pferdes. Seine Mutter sagte nichts dazu. Um sich von den Brickstons abzulenken sprachen sie über das, was sie heute unternehmen könnten. Immerhin hatte Martha ihr eigenes Auto unterstellen können. Julius schlug vor, mal in das Euro Disneyland zu fahren. Immerhin hatte er diesen umfangreichen Freizeitpark bisher nicht besucht, obwohl der nun schon bald sechs Jahre existierte. Die Frage, ob er für sowas nicht schon zu alt sei beantwortete er damit, daß da bestimmt auch rasante Karussells fahren würden und er für sowas ganz bestimmt nicht zu alt sei. Außerdem interessiere ihn die Technik, mit der Märchenschlösser und magielose Zauberei vorgeführt wurden. Martha meinte dazu, daß sie da eigentlich auch mal mit Babette hingewollt habe, aber wegen der magischen Experimentierlaune der nicht mehr ganz so kleinen Hexe besser darauf verzichtet habe.
So prüften die beiden Andrews' nach, wo sie genau hinfahren mußten. Julius bot an, die ihn betreffenden Kosten selbst zu übernehmen, was seine Mutter ablehnte. Allerdings sei der Park so groß, daß sie mit einem Tag nicht hinkamen. So würden sie zwei Zweitageskarten kaufen, wo der Eintrittspreis wohl bestimmt nicht von Pappe war. Um neun Uhr brachen die beiden auf und überließen die Brickstons sich selbst.
Julius faszinierte es trotz aller bereits erlebten Zauberei, wie mit elektronischer Technik und Phantasie ein buntes Märchenreich auf Erden am Leben gehalten wurde. Das einzige was ihn wirklich störte waren die allüberall herumlaufenden Mickey-Mäuse, Goofys und Donald Ducks. Aber das war ja eben Disney, und diese Figuren waren die Flaggschiffe des Film- und Comic-Imperiums. Vor allem faszinierten ihn die verschiedenen Themenparks, wo er einmal auch als Westernschütze seine Treffsicherheit an einem Schießstand austestete. Julius hatte die bereits umfangreich kalkulierte Reisekasse in seinem magischen Brustbeutel untergebracht. Doch von dem, was sie mitgebracht hatten, war bis zum Abend schon über die Hälfte weg.
"Da sparen manche Familien ein ganzes Jahr lang, um mit mehreren Kindern hierher zu kommen", meinte seine Mutter einmal, als sie auf einem künstlichen See in einem Boot herumfuhren. Immerhin hatten sie zum Abend in einem der richtigen Restaurants gegessen und nicht einfach ein paar Hamburger verdrückt, wenngleich Julius danach der Sinn gestanden hatte. Aber das würde er sich dann für den zweiten Tag vornehmen. Sie beobachteten abends das Einschalten der Lichter am und im Dornröschenschloß. Am nächsten Abend würde es sogar ein Feuerwerk geben. Früher war das an jedem Abend abgebrannt worden, hatten die Andrews' erfahren. Aber weil der Betrieb nicht so gestartet war wie die Planer und Geschäftsführer es erhofft hatten, wurden diverse Sachen zurückgeschraubt, um die hohen Baukosten doch noch irgendwann wieder hereinzuholen.
Zurück im heimischen Bett melote Julius millie, die gerade ihrer Mutter half, Miriam für die Nacht trockenzulegen, was er erlebt hatte.
"Du hast dich echt nicht gelangweilt, Monju? Onkel Otto war da mal mit Tante Josianne. Nicht nur, daß die Muggel einen Haufen Geld für billige Tricks und schlichtes Essen haben wollten liefen da nur verkleidete Leute rum, die mit schwarzen Mauseohren und Entenköpfen mit blauen Hüten drauf wunders wie wichtig taten."
"Vielleicht hätte ich dir das heute morgen schon meloen sollen. Vielleicht hättest du dann mitkommen können. Aber ich dachte irgendwie nicht dran."
"Monju, du bist im Moment bei deiner Mutter. Die hat dich seit Ostern nicht mehr gesehen, wie meine Maman auch nicht. Ist doch voll in Ordnung, daß wir uns erst mal mit ihnen befassen. Maman meinte, ob wir beide schon jetzt den Regenbogenvogel rufen wollten, weil ich Miriam besser umpacken kann als sie. Ich habe sie beruhigt, daß wir noch Zeit haben, aber dann richtig loslegen würden."
"Regenbogenvogel?" Wunderte sich Julius konzentriert genug, daß Millie es mitbekam. Diesmal hatte er sich seine Hälfte des teilbaren Herzens auf die Stirn gelegt, um die einfache Melo-Verbindung herzustellen.
"Ach, den kennst du nicht? Das erzählen andere Zaubererfamilien ihren kleinen Kindern, wenn die fragen, wo sie hergekommen seien. Wenn zwei die sich lieben ihn rufen, und er hat gerade neue Kinder vorrätig, besucht er die Frau, die ihn gerufen hat im Traum und erzählt ihr, wenn sie ab heute sehr viel ist, würde sie von ihm ein neues Kind in den Arm gelegt kriegen. Dann heißt es, er sieht zwischendurch mal nach, ob die Frau auch gut genug ißt, bevor er dann mit dem neuen Kind angeflogen kommt. Natürlich dürfen das die bereits gebrachten Kinder nicht mitbekommen und werden dann zu Oma oder Opa gebracht, bis der Regenbogenvogel das neue Kind gebracht hat", erwiderte Millie. "Allerdings geht das nur bei Kindern die jünger als fünf sind und deren Eltern sich beim Liebemachen im Schlafzimmer einschließen. Denn sonst löst sich der Regenbogenvogel in einen reinen Witz auf."
"Interessant, bei den Muggeln soll ein Storch die Kinder bringen", erwiderte Julius. "Aber was ist, wenn zwei Liebende keine Kinder wollen und trotzdem diesen Vogel rufen?"
"Das ist für'n Vier- oder fünfjährigen Dreikäsehoch zu kompliziert, Monju", versetzte Millie schlagfertig.
"Was heißt, der Regenbogenvogel sieht zwischendurch mal nach, ob die Mutter gut ißt?" Fragte Julius.
"Der kann sich ganz klein machen und im Bauch anderer Leute nachgucken, was da so reinkommt. Dabei kann der dann mit dem Schnabel anstoßen."
"Hätte ich drauf kommen sollen", meinte Julius. So konnte eine Mutter einem Kind, dem sie noch nicht alles über den Ursprung aller Babys erzählen wollte erklären, warum da etwas in ihr herumturnte, wo das neue Kind doch erst noch gebracht werden mußte. Süß aber auch irgendwie feige, fand Julius. Auf eine ernste Frage sollten Eltern ihren Kindern doch auch ernste Antworten geben.
"Hat deine Mutter dir auch was vom Regenbogenvogel erzählt?" Fragte Julius frech.
"Nöh!" Kam Millies Antwort. "Als ich wissen wollte, wie die mich bekommen haben hat sie mir ihre Körpermitte gezeigt und gesagt: "Da kommst du her" und dann erklärt, wie ich da schon vierjähriges Mädchen durch sowas schmales durchgepaßt haben soll."
"Na gut, wir können ja den Vogel rufen. Aber danach sollten wir alle Türen und Fenster so fest zumachen, daß er nirgendwo durchschlüpfen kann", erwiderte Julius.
"Es reicht schon ein Schild an der Tür, wo der Vogel mit einem Pfeil durch die Brust drauf ist. Dann kriegt er Angst und bleibt draußen."
Julius lachte darüber. Als ihm klar wurde, daß er nicht hinter einem schallschluckenden Vorhang lag würgte er sich selbst ab. Seine Mutter lag ja im Zimmer nebenan. Er lauschte, während er Millie zumentiloquierte, daß sie besser jetzt aufhören sollten.
"Besser ist das, bevor meine Mutter mir die Kleine noch anlegt um zu sehen, ob ich das auch schon kann", erwiderte Mildrid Latierre. Julius verabschiedete sich zu Nacht und steckte den roten Anhänger wieder unter seine Schlafanzugjacke.
"Worüber mußtest du gestern denn noch lachen?" Fragte Martha Andrews ihren Sohn am nächsten Morgen. Julius erzählte ihr, daß er am Abend noch über Kopfhörer Radio gehört und dabei einen Witz gehört hatte, den er seiner Mutter erzählte. Sie mußte zwar auch lachen, aber etwas verhaltener.
Nach dem Frühstück ging es zur zweiten Erkundung des Euro Disneylandes. Als sie nach einem langen Tag mit Feuerwerk am Abend wieder zurückkehrten, wunderte sich Julius, daß da, wo das Gästezimmer der Brickstons war noch Licht brannte. Doch er sagte nichts dazu. Konnte sein, daß James und Jennifer Brickston diese Nacht noch hierblieben und am frühen Morgen abreisten. Denn sie wollten ja nur noch zwei Tage bleiben, als Julius von Beauxbatons herübergekommen war. Um sich von Joes Eltern abzulenken melote er noch einmal mit Mildrid. Irgendwie gefiel ihm das, mit seiner Freundin kostenlos und unabhörbar schwatzen zu können. Leute mit Mobiltelefonen konnten das nicht von sich behaupten. Er wurde gefragt, ob er und seine Mutter denn kämen, wenn die große Willkommensfeier für die ganzen neuen Kinder steigen würde. Er sagte unter Vorbehalt, daß seine Mutter immer noch nein sagen könne zu. Dann wünschten sich beide eine gute Nacht und schliefen.
"Ich fahre gleich einkaufen. Ich wollte für heute Mittag mal wieder was aus der alten Heimat machen", sagte Martha Andrews am nächsten Morgen, der erst mit Claudines Weckruf und dann "Baby, du kannst meinen Wagen fahren" von den vier fabelhaften Jungs aus Liverpool eingeleitet worden war. Julius hatte sich also nicht verguckt, als er am Abend vorher noch Licht im Gästezimmer gesehen hatte. Er widerstand der Versuchung, die Spice Girls dagegen anträllern zu lassen. Seine Mutter hatte recht. Sie mußten sich nicht unnötig mit den Brickstons anlegen. Er fragte sie, ob er sie beim Einkaufen begleiten sollte. Sie schüttelte den Kopf und meinte, daß ja dann die Überraschung für ihn weg sei. Er nickte dazu nur. So sah er ihr nach, wie sie durch die Hintertür das Haus Rue de Liberation Nummer dreizehn verließ und davonfuhr. Er wollte die Zeit für sich nutzen, um sich über die Nachrichten der vergangenen Wochen schlauzumachen. Seine Mutter hatte ihm keine Videoaufnahmen davon gemacht. So blieb ihm nur das Internet, wo er sich bei den französischen und englischen Presseagenturen die kostenlosen Artikel der vergangenen Wochen und Monate ansah und ausdruckte. Nichts nennenswertes, wenn mal davon abgesehen wurde, daß Prinzessin Diana einen neuen Freund gefunden hatte und das der königlichen Familie und ihren Anhängern nicht sonderlich schmeckte. Ja, und über die Pathfinder-Mission holte er sich auch alles bisher verfügbare. Er freute sich schon, weil die auf dem Mars aufgenommenen Farbfotos sehr rasch im Internet bereitgestellt werden sollten. Darunter sollten auch Panoramafotos sein, die einen kompletten Rundumblick über die Landestelle bieten sollten. Lustig fand er, daß die NASA ihrer Raumsonde jeden Morgen eine Weckmusik zuschickte, als säßen lebendige Astronauten in dem Raumfahrzeug. Offenbar probten sie schon den Fall, wenn sie lebende Menschen zum roten Planeten schicken wollten. Dann fauchte es im Kamin, und eine irritierte, tiefe Männerstimme erklang: "Öhm, bin ich hier in der Rue de Liberation dreizehn!"
Julius ließ seinen noch im Internetzugriffsprogramm arbeitenden Rechner allein und eilte ins Wohnzimmer. Im Kamin, in dem im Moment kein Feuer brannte, hockte ein Männerkopf mit schwarzem Haar und Spitzbart, dessen Besitzer Julius irgendwo schon mal gesehen hatte. Aber wo?
"Oh, verzeihen Sie, Monsieur. Das Haus stimmt, aber das hier ist der Kamin im obergeschoß, Pond des Mondes. Öhm, wer sind Sie bitte?"
"Oh, der junge Monsieur Andrüs. Ich kenne Sie aus der Zeitung vom letzten Sommer. Öhm, Delacour der Name, Pygmalion Delacour."
"Ah, dann weiß ich, wo ich Sie schon mal gesehen habe, beim trimagischen Turnier in Hogwarts", erwiderte Julius leise genug, daß ihn unten keiner verstehen konnte, auch wenn er französisch sprach.
"Ja, das stimmt, da sind meine Gattin und ich ja gewesen, als ... Na ja, das ist ja nun leider nicht mehr zu ändern. Eigentlich wollten wir vorsprechen, um zu fragen, ob es gelegen kommt, daß unsere Tochter Gabrielle mit der jungen Mademoiselle Babette Brickston darüber spricht, wie sie damals als Brautjungfer von Madame Jeanne Dusoleil dabeiwar."
"Hups, und da sind Sie in unserem Kamin gelandet? Öhm, Madame Brickston hat ihren Anschluß wohl gesperrt, und weil unser im Moment nicht gesperrt ist wurden Sie nicht abgewiesen, sondern einfach umgeleitet. Gut zu wissen." Julius prüfte schnell, ob der Kamin nur für Kontaktfeuer geöffnet war oder ganz. In der dafür vorgesehenen Aussparung fehlten beide bezauberten Steine. Also war der Kamin voll einsetzbar. Er wollte Monsieur Delacour nicht zeigen, daß er mentiloquieren konnte. So bat er ihn, in einer Minute noch einmal anzufragen und gab ihm den Namen des Anschlusses. Monsieur Delacour bedankte sich und zog seinen Kopf aus dem Pond-des-Mondes-Kamin zurück.
"Mum hat ein Gottvertrauen, den Kamin offen zu lassen, wo die bleichhäutige Sabberhexe da unten rumzetern kann. Er mentiloquierte Catherine, die wohl mitbekommen hatte, daß oben jemand gewesen sein könnte.
"Hmm, an und für sich ungünstig. Aber wenn ich das so mitkriege wird uns meine Schwiegermutter heute auch nicht verlassen. Irgendwas reitet die gerade, mit uns über Claudine und ob sie jetzt christlich getauft werden soll oder nicht solange zu debattieren ... Ich schicke Babette zu euch rauf, dann können die Delacours bei euch reinkommen. Wo ist denn deine Mutter?"
"Einkaufen. Kommt wohl gleich wieder, ist vor einer halben Stunde weggefahren."
"Oh, dann wäre es deiner Mutter gegenüber höflicher, wenn die Delacours nicht ohne ihr Wissen bei euch reinfauchen. Sage ihnen bitte, sie möchten am Kamin im Geschichtsmuseum ankommen. Du holst sie dann dort ab und bringst sie durch den Metroschacht zu uns!"
"Meinst du echt?" Mentiloquierte Julius die Frage zurück.
"Wäre günstiger", sagte Catherine.
"Nun, wenn Fleurs Eltern bei uns reinkommen können, ohne vom Safu-Zauber zerbröselt zu werden kann ich die wohl problemlos bei uns reinlassen. Ich bringe die dann heimlich durchs Hinterhaus raus, dann klingeln die vorne bei euch. Geht schneller und unkomplizierter. Die können ja zu Fuß gekommen sein."
"Nun, wenn du die so leise bei euch oben durchkriegst ..."
"Das kriege ich hin, Catherine", versicherte Julius. Dann bekam er den Auftrag, die Besucher durchzulotsen. Von unten erklang Jennifers harsche Stimme, ob Catherine ihr überhaupt zuhören würde. Julius fragte sich, ob das der Tag war, an dem der nächste große Knall zwischen Catherines Familie und Joes Eltern passieren würde. Würde er dabei wieder in den Ausläufer der Schockwelle hineingeraten oder nur einen Bericht bekommen, was passiert war?
Knapp eine Minute später erschien Monsieur Delacours Kopf erneut im Kamin. Julius erklärte ihm so leise es ging, warum der Kamin unten zu sei, aber daß sie gerne vorbeikommen könnten und er sie, wenn sie leise genug seien, durch das Hinterhaus hinaus und zur Vordertür führen würde. Monsieur Delacour fragte:
"Oh, sind Monsieur Brickstons Eltern nicht darüber orientiert, daß ihre Schwiegertochter eine Hexe ist?" Julius schüttelte sachte den Kopf. "Das verkompliziert doch alles. Aber die Gesetze ... kann man nichts ändern. Und Sie richtete Ihnen aus, uns zu ihr zu geleiten?" Julius nickte bestätigend. "Gut, dann dürfen Sie uns behilflich sein." Der Kopf Monsieur Delacours verschwand mit leisem Plopp. Es vergingen ungefähr anderthalb Minuten, bis ein lautes Wusch im Kamin ertönte und aus einer smaragdgrünen Flammenwolke heraus der langsamer wirbelnde Körper des ersten Besuchers ankam. Julius stand auffangbereit am Kamin, als ihm der untersetzte, schon etwas kleiner als er selbst geratene Besitzer des Spitzbärtigen Kopfes in die Arme fiel, und er selbst fast nach hinten umfiel.
"Sie haben gute Reflexe, junger Mann", lachte Monsieur Delacour leise genug und schüttelte Julius die Hand. Dann baute er sich selbst vor dem Kamin auf, um ein aus einem grünen Funkenwirbel herauspurzelndes Mädchen aufzufangen, das vergnügt quiekte und dann sofort still war. Gabrielle Delacour wirkte bereits wie eine verkleinerte Version ihrer großen Schwester, die bald den ältesten Sohn der Weasley-Familie heiraten würde. Dann erschien hochgewachsen, mit luftig und lang ihren Körper umfließendem blonden Haar, Madame Delacour Persönlich. Julius kannte sie von seinem Besuch bei den Delamontagnes, als er Eleonore Delamontagne seine Erlebnisse vom letzten Sommer berichtet hatte. Heute trug sie ein langes, veilchenblaues Kleid. Sie begrüßte Julius mit der landesüblichen Umarmung und den zwei Wangenküssen, die er erwiderte. Dann führte er die drei Besucher so leise es ging durch das Hintere Treppenhaus hinunter, wobei er Catherine zumentiloquierte, ihre Schwiegereltern abzulenken. Als er die Besucher zur Hintertür hinaus und zur Vordertür hingeführt und ihnen die Klingelgezeigt hatte, zog er sich rasch zurück und schlüpfte durch die Hintertür ins Haus zurück. Als es an der Vordertür klingelte war er bereits oben und betrat die eigene Wohnung.
"Sollen die da unten jetzt miteinander klarkommen", dachte er. Catherine hatte ihm ja erlaubt, die drei besucher einzulassen. Um die Aschenreste im Wohnzimmer zu beseitigen holte Julius den Staubsauger aus einer Ecke des geräumigen Wohnzimmerschrankes. So hörte er nicht, was unten jetzt gesprochen wurde. Womöglich kamen die Delacours Catherine gerade recht, um ihrer Schwiegermutter die Tour zu vermasseln.
Nachdem keine Aschenreste mehr auf dem Boden lagen kehrte Julius an seinen Computer zurück und beendete das Internetprogramm. Es wurde ihm auch angezeigt, daß das installierte Antivirus-Programm sich bei der Gelegenheit auf den neusten Stand gebracht hatte. Er las nun die ausgedruckten Texte und betrachtete die mitgelieferten Bilder, bis es wieder im Kamin fauchte, aber diesmal gleich so, als würde jemand hereinkommen.
"Hups?! Hier wollte ich doch gar nicht hin!" Rief eine ältere Frauenstimme, die Julius kannte. Es war Babettes Großtante Madeleine.
"Hat heute schon mal wer gesagt", grummelte Julius und eilte ins Wohnzimmer. Immerhin würde seiner Mutter Telefonrechnung nun nicht noch mehr strapatziert.
"Ah, bei euch bin ich gelandet. Schon unangenehm, wenn zwei Kamine so dicht beieinander angeschlossen sind", sagte die Hexe, die ein buntes Kleid wie einen in Seide gebannten Regenbogen mit bunten Federn trug, das Julius an Millies Geschichte vom Regenbogenvogel denken machte. Weil die Hexe allen Humor abgekriegt hatte den ihre gestrenge Schwester Blanche Faucon vermissen ließ gönnte er sich den Jux und sagte:
"Huch, der Regenbogenvogel? Ich habe aber kein neues Kind bestellt, und die unten haben gerade erst eins geliefert bekommen."
"Soso, hat dir also doch mal jemand die Geschichte vom Regenbogenvogel erzählt", lachte Catherines Tante. "Aber wo wir's schon von haben. Warum haben die da unten den Kamin noch nicht wieder entsperrt, Julius?" Fragte sie noch, bevor sie sich entsann, daß sie einander erst einmal begrüßen sollten. Julius erklärte ihr leise, was gerade unten los war, und das er die Delacours nach unten geschmuggelt hatte.
"Ich werde dem Jungspund Flaubert raten, die Abstimmung zwischen eurem und Catherines Kamin gründlicher zu unterscheiden, damit ihr nicht Catherines Gäste durchwinken müßt, wenn sie ihre Muggel-Schwiegereltern zu Besuch hat", sagte Tante Madeleine, deren Nachnamen Julius bisher nie mitbekommen hatte, als sie sich auf Julius Bitte hin auf einen der vielen freien Stühle gesetzt hatte.
"Ist vielleicht besser", sagte Julius dazu nur.
"Wieso sind die eigentlich noch da. Konnten die nicht mit ihrer Gebuchten Flugmaschine nach England zurück oder hat Du-weißt-schon-Wer alle dortigen Flughäfen bedroht?"
"Ich hörte mal einen Spruch: Rufe keinen Drachen, wenn du nicht willst, daß er kommt", seufzte Julius über diesen nicht so angenehmen Scherz. "Abgesehen davon wollen Joes Eltern wohl erst weg, wenn sie irgendwas für sie wichtiges geklärt haben, über das ich nicht informiert wurde."
"Oh, du fängst an, wie Blanche zu reden, Julius. Du solltest besser keine Ferien mehr bei ihr machen", erwiderte Tante Madeleine leicht verächtlich.
"Sage meiner Tante, sie soll bitte leiser sein, Julius, auf mich hört sie nicht", wisperte Catherines Gedankenstimme in seinem Kopf.
"Öhm, Madame, ich wurde gerade gebeten, Ihnen von Catherine auszurichten ..."
"Ich solle nicht so laut sein, Julius", schnitt die Hexe ihm das Wort ab. "Dann sei mal für'n paar Sekunden ruhig!" Julius gehorchte, und so konnte Babettes Großtante einen Klangkerker aufbauen. Als das ockergelbe durchsichtige Schimmern über allen Wänden, Boden und Decke lag sagte sie in ihrer üblichen Lautstärke: "Du hast eben so geklungen, als wüßtest du schon, warum die selbstherrliche Dame und ihr eigentlich nicht zu ihr passender Gatte sich hier festgesetzt haben. Du willst dich nur nicht da reinziehen lassen, nicht wahr?" Julius war sich sicher, gut genug occlumentiert zu haben. Doch die Erklärung für diese Vermutung folgte prompt. "Ich sagte ja, du übernimmst langsam Blanches überkorrektes Auftreten, wenn du mit anderen Erwachsenen zusammentriffst. Daher konnte ich es dir anhören und ansehen, daß du mit dir zugetragenen Sachen nicht hausieren wolltest. Aber da das vielleicht meine beiden Patenkinder Babette und Claudine betrifft werde ich mir das bei der nächsten Gelegenheit von Catherine berichten lassen. Hat dir Blanche das Mentiloquieren beigebracht, daß Catherine dich heimlich ansprechen konnte?" Julius schüttelte den Kopf. "Dann war's ihre selige Brieffreundin aus Amerika, nicht war."
"Öhm, Sie kannten Mrs. Porter?" Fragte Julius verdutzt.
"Ich habe sie einmal getroffen. Sie sprach ein sehr gutes Französisch für eine Amerikanerin. Mit ihrer Enkeltochter bist du ja nach Hogwarts eingeschult worden."
"Ja, sie war das letzte Jahr auch bei uns in Beauxbatons", vervollständigte Julius die Information.
"Ich weiß das. Zwischendurch erzählt mir die gute Blanche dieses und jenes", erwiderte Madame Faucons Schwester. Dann fragte sie, wo Julius' Mutter sei. Er erzählte ihr, daß sie kurz einkaufen gefahren sei und wohl jeden Moment zurückkäme.
"Wie, und du hast sie nicht begleitet?" Fragte Tante Madeleine.
"War vielleicht gut so, weil Sie sonst in einer zugeschlossenen Wohnung angekommen wären und dann nicht einmal disapparieren können. Die Tür ist mit einem unaufzauberbaren Schloß gesichert."
"Aber die Fenster nicht, oder? Dann wäre ich halt rausgeklettert und hätte mich absinken lassen. Aber ich werde euch beiden hier oben nicht länger lästig fallen. Ich gehe jetzt durch die Hintere Tür raus und vorne rein. Die bezaubernd schöne Apolline und der zuvorkommende Pygmalion sind ja jetzt auch da unten, und ich als Patentante von Babette und Claudine habe ja wohl genug recht, mich zu erkundigen, was du mir nicht erzählen darfst."
"Okay, ich bringe sie da runter, Madame ...", bot Julius an.
"L'eauvite, aber du kannst mich auch ruhig beim Vornamen nennen! Immerhin bist du ja doch mit Catherine per du, wie ich weiß."
"Huch, sind Sie mit einer Nicole L'eauvite verwandt?" Fragte Julius.
"Die darf auch Tante zu mir sagen, weil mein Schwager ihr leiblicher Großonkel ist. Unsere Welt ist ziemlich klein. Deshalb ist das ja so schön, wenn nette Jungzauberer wie du uns bereichern."
"Das finden einige in meinem Geburtsland nicht unbedingt", grummelte Julius.
"Und was die finden ist für dich entscheidend?" Fragte Madeleine L'eauvite dieses mal sehr ernst, ja verdrossen klingend.
"Das nicht, aber wissen muß ich das schon, daß nicht jeder mich mag und warum", sagte Julius.
"Wenn dich alle mögen würden wärest du ja kein Mensch mehr", sagte Madame L'eauvite entschlossen klingend und breit grinsend. Julius nickte. Dann führte er Babettes Tante hinaus. Catherine kam ihr schon entgegen.
"Meine Schwiegermutter versucht gerade, meinen Schwiegervater von Madame Delacours Seite wegzukriegen. Da diese gut englisch sprechen kann haben die beiden sich im Moment von guten Umgangsformen und daß Apolline Delacour ihr nicht den Mann ausspannen wolle", wisperte Catherine, bevor sie ihre Tante begrüßte und leise aus dem Haus führte. Sie kehrte alleine zurück, stieg mit Julius die Treppe hinauf und betrat die Wohnung der Andrews'.
"Wir klären das mit Monsieur Flaubert, wie euer Kamin besser von unserem abgegrenzt wird, damit ihr euren nicht zumachen müßt, wenn ich unseren sperren muß", mentiloquierte Catherine, bevor sie mit ihrem Zauberstab eine provisorische Sperre in den Kamin der Andrews' beschwor.
"Hast du hier oben noch was zu erledigen?" Fragte sie mentiloquistisch.
"Ich habe mir heute morgen diverse Nachrichten der letzten Wochen gezogen", melote Julius zurück, damit unten keiner mitbekam, daß Catherine gerade bei ihm oben war. "Ich könnte jetzt die ersten Hausaufgaben erledigen. Die haben uns ja mehr aufgeladen, für jedes Fach welche."
"Typisch meine Mutter und ihre Chefin", knurrte Catherines Gedankenstimme.
"Sonst hätten sich die Schulräte wohl nicht drauf eingelassen, uns früher in die Ferien zu schicken", versuchte Julius, das Vorgehen in Beauxbatons zu rechtfertigen. Catherine bewegte nicht den Kopf, zuckte nicht einmal mit einer Wimper. Sie mentiloquierte nur:
"Dann überlasse ich dich deinen Hausaufgaben und kümmere mich um meine Tante."
Julius wartete, bis Catherine leise aus der Wohnung verschwunden war, drückte die Tür hinter ihr zu und kehrte in sein Zimmer zurück, wo er tatsächlich die Liste der zu erledigenden Hausaufgaben hervorholte. Er beglückwünschte Virginie, die Montferre-Schwestern und alle anderen ehemaligen Mitschüler, die keine Schulaufgaben mehr aufbekamen. Er beschloß, erst die Zaubertrank-Hausaufgabe zu machen, die Professeur Fixus für die angehenden Fünftklässler ausgeheckt hatte. Nachdem Waltraud Eschenwurz nicht mehr in Beauxbatons war würde nur noch Bernadette Lavalette Sonderaufgaben kriegen, die sie haben wollte. Er, Julius, wurde ja nicht gefragt. Das sah er auch an der Verwandlungs-Hausaufgabe: "Beschreiben und begründen Sie die erste grundsätzliche Ausnahme der elementaren Transfiguration. Das war Stoff der sechsten Klasse, wußte er. Dabei ging es darum, daß Nahrungsmittel nicht aus dem Nichts heraufbeschworen werden konnten. Was Énas, der Prüfer ihm vorgeführt hatte, war ein Materieaustausch mit etwas, das er irgendwo in der Nähe versteckt hatte. Als Verwandlungsgroßmeister konnte er sowas in einem einzigen Augenblick vorführen, um ein schweres Gesetzbuch, daß er von irgendwo apportiert hatte, mit einem bezauberten Marzipanbrot auszutauschen, das wohl sofort restlos verschwinden sollte, wenn es mehr als einmal angebrochen wurde. Womöglich hatte der humorvolle Prüfer ihn testen wollen, ob Lebensmittel beliebig aus dem Nichts erschaffen werden konnten. Aber warum das nicht ging mußte er genau den Materialisationsgesetzmäßigkeiten nach begründen. Doch zunächst eben die Zaubertrankhausaufgabe: "Beschreiben Sie Bicranius Beaumonts Mixtur der mannigfaltigen Merkfähigkeit! Beschreiben Sie die Rezeptur, die Zubereitung, die Fehlermöglichkeiten und alle Ihnen verfügbaren Nebenwirkungen! Außerdem führen Sie bitte an, für welche anderen Tränke und Lotionen Beaumonts Mixtur der Basistrank oder eine verstärkende Beimischung ist und begründen Sie die Stufen 2, 6 und 9 der Zubereitung!"
"Die fühlt sich herausgefordert", grummelte Julius. "die will den anderen zeigen, daß sie mir auch überheftiges Zeug aufladen kann. Von dem Trank habe ich ja noch gar nichts gehört." Und das wollte bei Julius, der im Ruf stand, Zaubertrankbücher zum Frühstück zu verschlingen, eine ganze Menge heißen.
"Julius, ich bin wieder da!" Rief seine Mutter fröhlich aber vollbepackt klingend. Julius beendete den Absatz, markierte die Stelle in seinen Notizen, wo er gerade steckte und begrüßte seine Mutter.
"Eine ganze verdammte Stunde bin ich in diesem Stau hängengeblieben", machte sie einem aufgestauten Ärger Luft, den sie sich wohl im berüchtigten Verkehrschaos von Paris eingehandelt hatte. "Hoffentlich kriege ich das noch vor ein Uhr Mittags hin, was ich machen wollte. Hups, hattest du Besuch?"
"Nicht ich, Catherine. Monsieur Flaubert hat wohl bei der Freischaltung der Kamine die Kanäle nicht gründlich genug voneinander getrennt, so daß die Leute, die zu Catherine wollten von ihrem gesperrten Kamin zu uns umgeleitet wurden. Aber woran siehst du das?"
"Die zwei Fußabdrücke da, die zur Wohnungstür führen weisen nach draußen, nicht nach drinnen. Folglich muß jemand von uns aus mit leicht verrußten Schuhen aus dem Wohnzimmer gekommen sein, ohne durch die Wohnungstür hereinzukommen. Wußte ich nicht, daß unser Kamin dann angesteuert wird. Dann hätte ich ihn gesperrt wie bei unserem Besuch bei Mickey Maus und Compagnons. Wer wollte denn zu Catherine?"
"Erst die Familie Delacour, allerdings ohne Fleur. Die kennst du ja noch vom trimagischen Turnier her." Seine Mutter nickte. "Tja und vor ungefähr einer halben Stunde ist Catherines Tante Madeleine hier hereingerauscht. Jetzt sitzen da unten vier Hexen, ein zauberer und drei Muggel."
"Hat dir Catherine gesagt, ob ihre Schwiegereltern heute noch abreisen?"
"Nicht die Bohne", antwortete Julius etwas verächtlich. "Aber uns kann das doch auch egal sein, oder?"
"Siehst du das so? Ich habe den nicht ganz von der Hand zu weisenden Eindruck, daß Joes Eltern mit Catherine auf Kollissionskurs liegen und sich immer lauter antuten, ohne daß einer ausweicht. Du selbst hast das doch erlebt." Julius nickte heftig. "Aber natürlich geht uns das nichts an, wie ich dir ja vorgestern gesagt habe."
"Was hast du denn jetzt eigentlich vor zu kochen?" Fragte Julius neugierig.
"Nicht so neugierig, mein Sohn. Das wirst du erst erfahren, wenn's fertig ist", wehrte seine Mutter die Frage ab. Julius nickte und kehrte in sein Zimmer zurück. Von unten drangen immer wieder laute Worte nach oben, die aufgebracht aber noch nicht entrüstet klangen. Etwas wie "die Verwandtschaft zu Hause" von Jennifer Brickston und "Wir sind für Babette und Claudine verantwortlich, Jennifer" von Catherine. Einmal hörte er auch Joe "Mum, mach doch da keinen großen Akt draus!" Ging es wirklich um dieses eher für die Verwandtschaft so wichtige Thema, ob Claudine von irgendeinem Priester eingesegnet wurde oder nicht? Das ging ihn eben nichts an, solange er nicht zum Familienmitglied der Brickstons erklärt wurde. Er feilte weiter an der Zaubertrankhausaufgabe, wobei er seine ganze Zaubertrankbibliothek zu Rate zog, bis er alle zwanzig Nebenformen von Beaumonts Mixtur der mannigfaltigen Merkfähigkeit zusammengeschrieben und die zehn Stufen des Brauvorgangs auseinandersortiert hatte. Er war froh, daß er von keinem anmentiloquiert wurde. Er überlegte sich, ob es ein Besetzt-Zeichen gab, daß im Falle anderer Beschäftigung dem Mentiloquisten verriet, daß im Moment kein Kontakt möglich war. Mochte es an dem Lernstoff liegen, daß er zwischendurch würzigen Kräuterduft in die Nase bekam? Er machte weiter und hatte nach drei Arbeitsstunden alles über diesen umfangreichen Zaubertrank in Reinform auf fünf Pergamentrollen.
"Wehe die wischt sich damit den Hintern ab!" Knurrte er, als er die fünf Rollen sorgfältig fortpackte und sich den brummenden Kopf hielt. Ja, sie wollte es wissen und hatte es ihm abverlangt. Das hätte durchaus eine ZAG-Theorie-Aufgabe sein können. Im wesentlichen jedoch war der Trank schon genial. Denn er bescherte dem Anwender für eine Minute pro Tropfen ein wahrlich photographisches Gedächtnis, in das jede winzige Einzelheit aufgenommen wurde, aber auch alles je erlebte ohne groß nachdenken zu müssen abgerufen werden konnte. Allerdings hatte es die Nebenwirkung, die sozialen Fähigkeiten abzuschwächen, so daß der Anwender nicht erfaßte, ob er jetzt etwas angebrachtes oder unangebrachtes tat oder sagte, blockierte alle Emotionen und führte bei Abklingen je nach vorhergewählter Wirkungsdauer zu einem leichten oder schweren Kater wie nach zwanzig Gläsern Met. Außerdem konnte der Trank von böswilligen Braumeistern dazu verändert werden, den Willen zu schwächen und alle Anweisungen wie unter dem Imperius-Fluch zu verinnerlichen, denen der zum trinken gezwungene auch nach Abklingen der Wirkung nicht widerstehen konnte, ja nicht einmal mehr wußte, warum er dieses oder jenes tat. Allerdings war der Trank so kompliziert und bedurfte höchst wertvoller Zutaten, daß es mühsam war eine Dosis für eine Stunde zu erzeugen. Jedenfalls brauchte man für diesen Trank fünf verschiedene Kessel zeitgleich, und so war nicht zu erwarten, daß er jemals im Unterricht nachgebraut würde. Natürlich gab es auch Mittel, ihn auf seine Zusammensetzung zu prüfen und ihn vor dem natürlichen Abklingen zu neutralisieren, weil ein solches Supergedächtnis ohne Ahnung, wie es korrekt benutzt wurde auch ein Fluch sein konnte.
Er hörte ein lautes Klopfen an der Wohnungstür. Wer wollte denn jetzt was von seiner Mutter und ihm?
"Julius, da ist wer an der Tür!" Rief Martha Andrews, die wohl in der Küche werkelte, aus der es nun ganz eindeutig nach Uroma Hillarys Gemüse-Fleisch-Eintopf roch, den diese vor zehn Jahren zu ihrem neunzigsten Geburtstag gemacht hatte und den ihre Tochter und dann bis hin zu seiner Mutter als Rezept im handgeschriebenen Kochbuch der Familie seiner Mutter nachlesen konnte. Offenbar hatte seine Mutter das Buch noch. Mochte es sein, daß sie heute noch etwas anderes daraus zubereitete? Doch im Moment war da jemand an der Wohnungstür.
"Ich seh nach, Mum!" Rief er und eilte zur Wohnungstür.
"Wer begehrt einlaß in die Burg der Andrews'!" Fragte Julius im Stil eines Torwächters, wobei er seine Muttersprache benutzte.
"James aus dem Clan der Brickstons bittet demütig um Asyl in dero ehrwürdigen Räumlichkeiten. Die noblen Herrschaften Delacour, sowie die Tochter meines Sohnes Babette begleiten mich."
"Wenn ich die jetzt reinlasse, ziehen die mich in die Kiste da unten rein", dachte Julius und bat um eine halbe Minute Bedenkzeit. Er lief in die Küche, wo sich seine Vermutung bestätigte. Seine Mutter werkelte mit fettigen Händen an Fleisch und Gemüsestücken, von denen einiges schon im größten Kochtopf dahinbrodelten, den sie aus London mitbringen konnte.
"James Brickston und die Delacours und Babette wollen zu uns. Offenbar wurden sie da unten als zeitweilig unerwünschte personen bezeichnet oder haben sich abgesetzt. Wenn ich die jetzt reinlasse, Mum, hängen wir voll mit drin, was immer da unten läuft."
"Hat Mr. Brickston das gesagt?" Fragte seine Mutter leise genug, daß es gerade noch über das Blubbern und brodeln im Topf und dem Summen und Rauschen der Dunstabzugshaube hinweg zu verstehen war.
"Das nicht, aber dann hängen da unten nur noch Catherine, Joe, Joes Mutter und Catherines Tante, die sich was erzählen können."
"Gut, lass die Besucher rein. Aber sorge bitte dafür, daß die Delacours sich nicht zu sehr über die Größe unseres Wohnzimmers ereifern!" Julius verstand. Wenn Gabrielle und Madame Delacour rausließen, daß man im Wohnzimmer tanzen könnte, wo für James Brickston nur ein eben etwas größeres Wohnzimmer zu erkennen war, würde das merkwürdig rüberkommen. Wie gut James Brickston Französisch konnte, wo seine Frau es nun offenbar lernte, wußte Julius nicht. Aber jetzt ging er erst einmal zur Wohnungstür zurück, öffnete sie und ließ die Einlass begehrende Schar hinein.
"Danke, Julius. Deine Mutter ist am kochen?" Begrüßte Mr. Brickston den jungen Bewohner dieser Wohnung.
"Yo", erwiderte Julius. "Ein Fleisch-Gemüse-Eintopf wird das. Ich denke, Catherine macht unten auch was feines."
"Das stimmt. Aber im Moment hat sie sich eher mit meiner Frau über Kulturunterschiede und Ansichten und Verantwortungen für Kinder noch und noch und nöcher. Ich bin der Meinung, daß Joe und seine Frau schon wissen, wie sie die Kleine großziehen. Bei der hier hat's ja auch geklappt." Er deutete auf seine zehn Jahre alte Enkeltochter. Babette grinste zufrieden, wenngleich sie vorher noch sehr mißmutig dreingeschaut hatte. Gabrielle Delacour wußte offenbar nicht, wie sie dreinschauen sollte, und ihre Eltern wirkten ruhig und unauffällig, zumindest solange niemand die überragende Schönheit Madame Delacours hervorhob.
"Ich möchte nicht an Sachen rühren, die mich nichts angehen, Sir", warf Julius ein.
"Wenn ich Catherine und Joe richtig verstanden habe, hat sie dir die Tür zu dieser Eliteschule aufgemacht, wo ihre Mutter lehrt, die selbst meiner Frau turmhoch über ist. Diese Tante Madlyn, die nach den Herrschaften hier eingetrudelt ist scheint da eher die Frohnatur der Familie zu sein, wie?"
"Solange man sie nicht ärgert, Sir. Das gilt übrigens auch für Catherine", erwiderte Julius, während er die unerwarteten Gäste ins Wohnzimmer geleitete. Monsieur Delacour blickte sich nun besonders interessiert um. Zwar hatte er unten wohl schon die technischen Geräte gesehen. Aber wofür was gut war hatte ihm dort wohl keiner erklärt. Babette ging an die Stereoanlage und warf Julius einen fragenden Blick zu. Dieser nickte verhalten und sagte, daß sie die Musik nicht zu laut drehen möge. Babette stellte die Anlage auf Radioempfang und drehte den Lautstärkeknopf so, daß sich alle in manierlicher Lautstärke unterhalten konnten. Dann zog sie sich mit Gabrielle auf eines der Sofas zurück und verwickelte sie in eine aufgeregte Unterhaltung über ihre Zeit als Jeannes Brautjungfer. Madame Delacour wandte sich ihrem Mann zu, der gerade den Fernseher musterte und ihn ängstlich anblickte, als könne der Apparat jeden Moment implodieren. James Brickston sah sie fasziniert an, wandte sich dann entschlossen wieder ab und Julius zu, den er leise ansprach.
"Die beiden machen mir den Eindruck, noch nie im Leben einen Fernseher gesehen zu haben. Die Dame da hat eben mitleidig gekuckt, als Catherine Kaffee aufgeschüttet hat, als sei ihr das zu umständlich. Wo kommen die denn weg?"
"Öhm, das weiß ich nicht. Aber sie sind keine Außerirdischen", flüsterte Julius James Brickston zu.
"Ich dachte eher, die würden sich bedienen lassen oder sowas. Die Madame sieht super aus, findest du nicht?"
"Ich weiß", erwiderte Julius überlegen lächelnd.
"Wie die an den Mann gekommen ist ... Muß ich ja gerade sagen", erwiderte James. "Schon stark, daß noch andere so heftig unterschiedliche Ehepaare in der Welt rumlaufen."
"Nach dem Krach um Weihnachten dachte ich eigentlich, daß Sie hier nicht mehr herkommen wollten", brachte Julius das Gespräch auf einen Punkt, den er hier und jetzt gerne klären wollte. Madame Delacour wandte sich ihm zu. Erst jetzt schnupperte er das frühlingsfrische Parfüm, das sie aufgelegt hatte und ihre Halb-Veela-Ausstrahlung merklich verstärkte.
"Mein Mann wird Sie übrigens nischt zum Düell fordern, weil Sie misch so intensiv betrachtet 'aben, Monsieur Brikestön. Es 'aben schon wiele 'inter mir 'ergeschaut, altes Erbe meiner Maman. Aber isch würde sehr gern mit Monsieur Andrüs spreschen, S'il vous Plaît, öhm, Bittä schön!"
"Kein Problem, Madame", sagte James Brickston kurz und mied einen längeren Blickkontakt mit der überragenden Apolline Delacour.
"Stehe zur Verfügung, Madame", sagte Julius und geleitete Madame Delacour hinüber zum Esstisch, während James sich mit Monsieur Delacour auf das zweite Sofa niederließ und mit ihm über England sprach.
"Ich las von meiner Fleur, daß du auch in 'ogwarts bei der Beerdigungsfeier warst. Hast du den Jungen Mann gesehen, BillWeasley?"
"Nur aus der Ferne. Er saß neben Ihrer Tochter, Madame", sagte Julius.
"Ein Werwolf hat ihn gebissen, hat sie geschrieben. Aber der sei nicht als Wolf herumgelaufen", flüsterte Madame Delacour. Julius nickte. "Wie sieht er aus, bevor ich vielleicht etwas überheftig darauf reagiere?"
"Wie gesagt, ich habe ihn nicht aus der Nähe gesehen. Er muß wohl einige Narben im Gesicht haben, weil dieser kranke Typ ihn da erwischt hat. Aber ich habe von verschiedenen Seiten die gute Neuigkeit bekommen, daß er sich dabei nicht mit der Krankheit von diesem Mistkerl angesteckt hat, beziehungsweise sie nicht weitergeben kann."
"Nun, du wirst verstehen, daß ich das gerne von jemanden hören wollte, der ihn gesehen hat. Fleur und ich leben mit unserem Aussehen, und sie ist stolz darauf. Deshalb habe ich erst gestutzt, als sie schrieb, daß ihr Verlobter von einem Werwolf gebissen wurde und dabei im Gesicht verletzt wurde. Ich fragte sie, ob sie dann nicht besser die Hochzeit absagen sollte. Aber sie meinte, sie sähe gut genug für sie beide zusammen aus, und sie liebe ihn wegen seiner Art zu leben und nicht für sein Aussehen. Kennst du die Familie des jungen Mannes?"
"Nein, tut mir leid", erwiderte Julius. "Ich weiß nur, daß einer der jüngeren Brüder, Ron, mit Harry Potter gut befreundet ist, der Ihre Tochter Gabrielle damals aus dem See gezogen hat, als das Turnier war."
"Fleur bekommt heute noch Ohrenschmerzen, wenn sie an den Heuler denkt, den ihr Professeur Faucon zugeschickt hat, weil sie gegen ein paar Grindelohs versagt hat", wisperte Madame Delacour.
"Oha, gut zu wissen, was mir blühen könnte, wenn ich gegen einen Hinkepank verliere", erwiderte Julius, dem Hinkepanks und Grindelohs als lästige, aber harmlose Plagegeister im Vergleich zu wirklich gefährlichen Wesen wie Dementoren, Vampiren oder Succubi vorkamen. Er meinte dann noch beschwichtigend: "Es waren zu viele auf einmal, schätze ich."
"Glaubst du, daß dieser Potter-Junge der Auserwählte ist, der ihn, den Unnennbaren, besiegen wird?"
"Immerhin hat Potter den Todesfluch überlebt. Kann sein, daß er davor oder danach was mitbekommen hat, was der Irre, der jetzt alle in England terrorisiert nicht packen kann, eine Art Schutzschild oder Umpoler, also etwas, was eine Wirkung auf den Urheber zurückschleudert wie ein Spiegel einen Lichtstrahl. Ob er oder sonst wer diesen Massenmörder erledigen kann hängt wohl auch davon ab, ob jemand genug Mut hat, sich mit ihm anzulegen und stark genug ist, sich nicht im ersten Ansatz von ihm erledigen zu lassen."
"Du hast recht", sagte Madame Delacour. "Gabrielle, nicht so laut!" Rief sie noch, weil Babette und Gabrielle gerade sehr laut lachten. Sie bedankte sich noch einmal bei Julius für die kurze Unterhaltung und gesellte sich zu den beiden Mädchen. Julius kehrte zu Monsieur Delacour zurück und vervollständigte damit die Männerrunde.
"Julius, nichts für ungut, aber kennen die bei euch keine Busse?" Fragte James Brickston leicht irritiert, während Monsieur Delacour den Eindruck machte, irgendwie nicht zu wissen, was er sagen sollte.
"Oh, kam das so rüber?" Fragte Julius unschuldsvoll. "Wird wohl ein Wortmißverständnis gewesen sein. Wenn Sie möchten, kläre ich das eben, bevor Sie noch voneinander meinen, hinterm Mond zu leben." Julius wandte sich an Monsieur Delacour und sprach mit ihm so schnell und gewandt, daß James absolut nicht mitkam, egal was er schon verstehen konnte oder nicht. Fleurs und Gabrielles Vater lachte einmal wohl um die Verlegenheit zu überspielen, die ihn befiel. "Monsieur Brickston fährt einen Motorwagen, in dem mehrere Dutzend Fahrgäste mitfahren durch die Stadt, um die, die keine eigenen Motorwagen haben schnell durch die Stadt zu bringen oder die, die sich nicht mit den eigenen Wagen durch die Stadt wühlen wollen zum Einkaufen oder Arbeiten zu bringen. So ein Wagen ist ein Bus", erklärte Julius erst. Dann fügte er rasch hinzu, daß James Brickston nicht wisse, daß Catherine und ihre Tochter Hexen seien und das wohl auch nicht wissen dürften.
"Oh, da muß ich ja jetzt für ihn wie ein völlig ungebildeter Fremder erscheinen", erwiderte Monsieur Delacour, wobei er eben lachte, um seine Verlegenheit zu übertünchen.
"Deshalb sagte ich das gerade von wegen, daß Sie sich nicht hinterm Mond fühlen", erwiderte Julius und erklärte, um mögliche Folgemißverständnisse auszuräumen, was Fußball sei, und was ein Fernseher, eine Waschmaschine und eine Kaffeemaschine seien und warum Catherine Kaffee nicht mit Zauberkraft kochen konnte, wenn ihre Schwiegereltern zusehen konnten. Wieder einmal kam er sich als Vermittler zwischen den Welten vor, eine Rolle, die seine Mutter in den letzten zwei Jahren offenbar sehr gerne übernommen und zu ihrem Beruf gemacht hatte.
"Und, kennen die bei sich keine Busse, Julius?" Fragte Mr. Brickston immer noch etwas verunsichert.
"Es ist wie ich befürchtet habe, Sir. Da gab es ein Wortmißverständnis. Monsieur Delacour wollte Ihnen nur sagen, daß da, wo er herkommt keine Busse fahren, weil er und seine Familie in einem Dorf leben. Da gibt es nur einen kleinen Bummelbahnhof, wo alle drei Stunden mal ein Zug anhält."
"Oha, dann muß das ja für Sie jetzt ein total lautes Gewusel sein hier in Paris", erwiderte James Brickston Monsieur Delacour mitleidsvoll anblickend. Dieser nickte. Offenbar stimmte das tatsächlich. Immerhin hatte er ja von dem Lärm der Metropole etwas mitkriegen können, als Julius ihn und seine Familie um das Haus geführt hatte.
"Dann bleib am besten hier und übersetze bitte!" Sagte James Brickston. "Ich kriege diese Sprache nicht richtig rein. Habe ja leider auch keine Zeit dafür. Jenn kann zu Hause sitzen und sich die Sprachkasetten anhören und sich auf die Sprachschulstunden bis zum Abwinken vorbereiten. Ich habe immer Wechselschichten und bin froh, wenn ich von der ganzen Rumkutschiererei geplättet das Bett finden kann oder mein Gehirn beim Fernsehen ausschütteln kann. Außerdem hatte meine Frau Latein, und das steckt ja auch in der französischen Sprache irgendwo noch drin, oder?"
"Stimmt", bestätigte Julius, der ja auch etwas Latein lernte, nachdem ihm seine Mutter ein umfangreiches Schulbuch dieser alten Sprache geschenkt hatte, um ihm zu zeigen, wo die ganzen Zauberwörter herkommen mochten, die er lernte.
So entspann sich eine Unterhaltung über die verschiedenen Begrüßungsformen in Frankreich und England, welche verschiedenen Sportarten verehrt wurden und Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen London und Paris. Julius schaffte es oft genug, ohne den einen oder anderen beschwindeln zu müssen zu übersetzen. Monsieur Delacour spielte mit. Offenbar fand er es sehr praktisch, einen Übersetzer nicht nur im sprachlichen Sinn bei sich zu haben. Zwischendurch fielen Julius auch Gesprächsfetzen von dem anderen Sofa her ins Ohr. Babette grummelte einmal, daß ihre Muggelgroßmutter meinte, sie solle sich von irgendeinem "Pfaffen" Wasser über den Kopf spritzen lassen, nur damit die Muggelverwandten sie lieben konnten, und Claudine sollte sowas auch abkriegen. Auf Madame Delacours Frage, ob es nicht günstiger sei, auf diese Wünsche einzugehen, hörte Julius nur heraus, daß Babette gelernt habe, daß die meisten Kirchen keine Hexen und zauberer mochten und ihre Maman und sie nunmal Hexen seien. Das Wort "Sorcière" für Hexe fing Mr. Brickston dabei mehrmals auf. Offenbar kannte er es. Denn er wandte sich kurz an seine Enkeltochter und die beiden anderen auf dem anderen Sofa:
"Ich weiß, Babette, du ziehst jetzt über deine Oma Jenn her, und den Eindruck, daß sie eine böse Hexe ist könnte man echt kriegen, wie sie im Moment mit deiner Mum umspringt. Aber sie meint es doch nur gut mit dir und Claudine."
"Jetzt bin ich in der Kiste mit drin", dachte Julius. Es ging also darum, ob Babette, die seines Wissens nach noch nicht christlich getauft war, sowie Claudine irgendeiner Glaubensgemeinschaft eingegliedert werden sollten, was Mrs. Jennifer Brickstons Ansicht nach unbedingt passieren sollte. Die Reaktion auf Mr. Brickstons Einwand war nicht ein beschämtes Zustimmen oder betroffenes Schweigen, sondern lauthalses Lachen. Julius fragte dann Mr. Brickston offen, worum es ging.
"Meine Frau hat sich von ihrem Cousin, der ein anglikanischer Seelenhirte ist, immer wieder fragen lassen müssen, ob Babette jetzt wisse, ob sie der hier mehrheitlich wirkenden römisch-katholischen Kirche beigetreten sei, weil die ja mit neun kommuniert werden oder sich doch wie unser Joseph für die anglikanische Kirche begeistere und er sie und ihre Schwester dann gemeinsam taufen könne. Catherine und Joe sind der Ansicht, daß beide Mädels das für sich und ohne Stress von der Verwandtschaft klarkriegen müßten, ob sie offiziell irgendeiner Religion schriftlich beitreten oder die auch ohne Ja und Amen ausleben sollten. Wir waren schon so gut wie von hier weg, als Jennifer Babette zufällig gefragt hat, ob ihre Eltern ihr die Bibel zum Lesen geben würden und die nicht mehr ganz so kleine glatt drauf geantwortet hat, daß sie dieses Buch für Unsinn hält. Da ging meiner Frau der Hut hoch, und jetzt will sie die beiden wie eine Inquisitorin aushorchen, ob sie Babette und Claudine womöglich zur Gottlosigkeit erziehen wollen."
"Das ist doch auch Unsinn, Opa James", knurrte Babette, die befunden hatte, sich nicht einfach anzuhören, was ältere über sie zu reden hatten wo sie dabeistand. Sie kam herüber. Monsieur Delacour sah seine Frau an und gesellte sich zu ihr und Gabrielle auf das Sofa. Babette warf sich wuchtig neben Julius auf die Sitzfläche, worauf die Sprungfedern protestierend quietschten. Mr. Brickston sah seine Enkelin tadelnd an, weil sie sich herausgenommen hatte, sich in ein Gespräch von älteren Leuten einzumischen. doch Babette sah ihn sehr entschlossen an und sagte zu Julius auf Französisch:
"Ich geh doch nicht in einen Verein rein, der Hexen und Zauberer umbringt und Magie für Dreck hält."
"Junge Dame, du weißt genau, daß ich eure Sprache hier noch nicht kann und ich weiß, daß du sehr gut Englisch kannst. Also sprich gefälligst so, daß ich dich verstehen kann!" Knurrte Mr. Brickston wie ein angriffslustiger Dobermann. "Deine Oma Jennifer ist keine Hexe, oder was heißt Sorcière noch?"
"Sag's ihm nicht, Babette!" Mentiloquierte Julius Babette rasch, bevor die etwas dazu sagen konnte. Babette sah ihn leicht irritiert an, schwieg jedoch.
"Sie meinte es so, daß die meisten Kirchen, die sich auf die Bibel beriefen, was gegen andre Glaubensansetze haben und diese als Hexerei und Teufelswerk verdammen und sie und ihre Mutter gelernt hätten, daß das allermeiste, was an altem Wissen aus der Zeit vor den Christen rübergerettet worden wäre gut und nicht böse sei und sie keiner Kirche angehören wolle, die das nicht so sieht."
"Das hätte Catherine doch gleich so sagen können", widersprach James Brickston, während Babette Julius immer noch ansah, als müsse sie ihn um Erlaubnis bitten, dazu was zu sagen.
"Nun, ohne jetzt auf Hellseher oder Gedankenleser machen zu müssen vermute ich mal, daß Catherine ihr das schon gesagt hat, weshalb sie sich ja jetzt so da reinhängt", erwiderte Julius ruhig. "Nur um der lieben Verwandtschaft willen von einem Vertreter einer engstirnigen Glaubensgemeinschaft als eine der ihren angekündigt zu werden, obwohl sie das nicht für richtig halten, was diese Gemeinschaft für richtig hält wäre ja eine glatte Lüge. Ich glaube nicht, daß Sie oder ihr angeheirateter Cousin eine Heuchlerin und Lügnerin haben wollen."
"Interessant, so ähnlich hat Joseph auch argumentiert", stellte Mr. Brickston fest. Babette sah Julius nun zufrieden an. Offenbar hatte er was gesagt, was sie mit ganzem Herzen empfand. "Öhm, gehörst du denn irgendeiner Kirche an?"
"Auf irgendeinem Papier über mich steht was, daß ich anglikanisch getauft wurde wie mein Vater. Aber von dem weiß ich, daß er das nur blieb, um es sich nicht mit der restlichen Verwandtschaft zu verderben. Und von der anglikanischen Kirche, der ja ihre Majestät, Königin Elisabeth II. gerade vorsteht, weiß ich, daß Heinrich VIII. sie erfunden hat, weil er sich von einer seiner verschiedenen Ehefrauen trennen wollte und der Papst in Rom ihm das nicht erlauben wollte. So steht's zumindest im Geschichtsbuch. Also was soll ich, der gelernt hat, nüchtern und tatsachenorientiert zu denken von einer Kirche halten, die neu erschaffen wurde, um die Launen eines einzelnen Königs zu bedienen? Ja, ist denn dann nicht alles, was eine Kirche ausmacht nur erfunden, um bestimmte Leute voranzubringen, also auch der eine oder wievielte Gott auch immer? Ich persönlich glaube daran, daß wir Menschen alle gleich sind und nur wenn wir friedlich miteinander leben eine Zukunft haben. Deshalb spricht mich Jesus als Mensch mit großen Ideen eher an als jeder, der eine Gewalt- und unterdrückungsreligion predigen will. Aber ich komme wunderbar damit klar, daß er auch nur ein Mensch war, wenn er denn wirklich gelebt hat. Ob er von einer Jungfrau vom heiligen Geist empfangen wurde, wie die meisten Kirchen es erzählen oder ob er nach seiner Hinrichtung am Kreuz nach drei Tagen wieder auferstanden ist ist für mich völlig unwichtig. Heute, Dank der Wissenschaften, kann jeder Mensch von einer Jungfrau empfangen werden, und die Medizin kann Leute, die früher todsicher sterben mußten am Leben halten und wieder heilen. Also ist es nicht wichtig, ob jemand von Gott oder einem Wunderdoktor abstammt oder am Leben gehalten wird, sondern was dieser Mensch macht, ob er freundlich ist, irgendwelche guten Ideen hat oder ein größenwahnsinniger Irrer ist, der die Welt nach seinen Vorstellungen umbauen will und jeden anderen dabei umbringt."
"Ich glaube, dich nehme ich gleich mit runter, damit du das Jenn so erzählst wie gerade mir", erwiderte James Brickston beeindruckt. Dann meinte er jedoch: "Ja, nur wenn du sagst, weil ein Mensch diese und jenen Ideen hatte sind sie von allen zu verstehen, gebe es nur Ärger. Wenn aber wer hergeht und einen vom großen Boss im Himmel erzählt und von der schlimmen Hölle, in die alle reingeworfen werden, die nicht tun, was der große Boss will, dann zieht das, weil fast jeder Angst vor dem hat, was nach dem Tod ist."
"Eben, und was mit Angst und Versprechen, bei bestimmten Sachen keine Angst mehr haben zu müssen gemacht wird ist doch unmenschlich. Dann könnte Gott ja wie ein Mafia-Don rumlaufen, der sagt, ich beschütze euch alle, wenn ihr schön brav alles tut und für mich hergebt, oder ich zünde euch den Boden unter den Füßen an. Ich denke, so hat Jesus seinen Gott nicht sehen wollen, oder? Nur schade, daß die Leute, die in seinem Namen in die Welt gingen das irgendwann vergessen haben und so nette Dinge wie die Kreuzzüge, die Inquisition, die Einteilung in fromme Menschen und heidnische Wilde und eben auch die Hexenverfolgung erfunden haben. Sie haben mich nach meiner Religion oder Überzeugung gefragt, Sir. Im Moment würde ich mich keiner Religion als zugehörig fühlen." Er dachte dabei jedoch kurz an den Mondkult der großen Himmelsschwester, dem er seine neue Partnerin Mildrid verdankte. Der war ja auch eine Art Religion, wenngleich eine, die nicht auf Ausbreitung wertlegte. So sagte er noch: "Ich wollte mich auch nicht in Ihre Familienangelegenheiten einmischen, und die Delacours ganz bestimmt auch nicht, Sir, bei allem Respekt für Sie und den klitzekleinen Rest von Respekt für Ihre Frau."
"Schon überlegt, in die Politik zu gehen?" Fragte James Brickston.
"So politisch war das nicht. Ich habe nur gelernt, meine Meinung sachlich rüberzubringen, Sir", sagte Julius. Babette sah ihn nun verschmitzt grinsend an. Er flüsterte ihr zu: "War besser so als wenn du ihm alles erzählt hättest."
"Pardon, Messieurs, isch denke, es ist rischtieg, Ihre familiäären Ongelegen'eiten nischt sü berühren", sagte Monsieur Delacour. "Da'er möschte isch wenn es gestattet ist fragen, ob wir üns an einen onderen Ort surücksie'en können."
"Wir sind ja mit dem Thema durch, Monsieur", sagte James Brickston und begann mit Julius' Unterstützung ein Gespräch über allgemeinere Themen. Doch Julius war sich sicher, daß das Thema Babette und Claudine damit nur von ihm abgewälzt worden war, es aber immer noch wild brodelte.
Babette beteiligte sich nun rege an der Unterhaltung über das Leben in einer großen Stadt und einem Dorf, da sie zum einen beide Arten kannte und zum anderen dabei nicht darauf achten mußte, ob sie einem Muggel Zauberersachen erzählte oder nicht. Dann, als sich das Gespräch um Politik drehte, wo sich Julius erst am Morgen eine gehörige Nachrichtenauffrischung verschafft hatte, zog sich Babette wieder zu Gabrielle und deren Mutter zurück und besprach, wobei sie nun wieder schnell und gewandt Französisch sprechen konnte, was sie als Jeannes Brautjungfer alles gemacht hatte.
"Dieses Gerät, daß auf dem Mars landen soll, Julius, wie wichtig ist das, was es dort machen kann und wie kann es darüber berichten?" Wollte Monsieur Delacour wissen, als sie es von dem bevorstehenden Raumfahrtereignis des Jahres hatten. Julius übersetzte schnell für Mr. Brickston die Frage und erklärte Gabrielles Vater dann, was der Landeroboter auf dem Mars untersuchen sollte, daß sich die Weltraumforscher und Erforscher lebender Wesen erhofften, mehr über die Entstehung des Lebens auf der Erde zu erfahren und das unsichtbare Wellen die dabei gefundenen Ergebnisse zur Erde übermittelten. Auf die Frage, wozu überhaupt mit leblosen Maschinen der Weltraum erforscht wurde erläuterte Julius, daß die Geräte der heutigen Zeit noch nicht in der Lage wären, einen Menschen für mehr als einige Wochen ohne Nachschub von der Erde im Weltraum überleben zu lassen, aber auch schon daran gedacht würde, daß Menschen auf andere Planeten reisten.
"Nun, für mich hört sich das irgendwie sehr ehrgeizig an, einfach so auf einen anderen Planeten zu reisen. Unsere Flugzauberexperten sehen keinen Sinn darin, Sachen zu bauen, die weiter als bis über die Wolken steigen." Julius wandte daraufhin ein, daß in Amerika schon Flugbesen gebaut würden, die mehr als zwanzig Kilometer über der Erdoberfläche fliegen sollten und die darauf sitzenden in besonderer Schutzkleidung vor der Kälte und dem Luftmangel geschützt würden. Wenn das so weiterginge, könnten auch die Zauberer bald auf dem Mond landen, prophezeite Julius.
"O, dann haben Sie mich vielleicht falsch verstanden, Monsieur Andrews. Ich meinte es so, daß wir dazu nicht fähig wären, in den Weltenraum zu fliegen, sondern daß wir bis jetzt keinen Grund dafür hätten, auch wenn ich weiß, daß Erfinder wie die Dexters in Amerika oder Monsieur Dusoleil in Millemerveilles beharrlich an entsprechenden Verfahren forschen. Zunächst müßte ja dann geklärt werden, ob alle uns bisher vertrauten Bedingungen auf anderen Planeten gelten oder nicht."
"Verstehe", sagte Julius.
"Außerdem gibt es auf der Erde immer noch genug, was sich zu erforschen lohnt, daß wir die anderen Planeten in ihrem natürlichen Frieden belassen können", fügte Monsieur Delacour noch hinzu. Danach ging es über die Alltagsgeräte der Muggelwelt. Das führte nach ungefähr zehn Minuten dazu, daß Julius anbot, Monsieur Delacour seinen Computer vorzuführen. Mr. Brickston sagte er, daß Monsieur Delacour keinen eigenen Computer habe und gerne sehen wolle, was ein moderner PC konnte und wozu er gut war. So verlagerte sich die Männerrunde in Julius' Zimmer, während die Hexenrunde weiter über die Möglichkeiten und Pflichten einer Brautjungfer diskutierte.
"Jennifer löchert mich damit, mir auch so'n Ding hinzustellen. Joe hat uns auch angeboten, den dann richtig einzustellen und ihr und mir Einstiegshilfe zu geben", sagte James Brickston, als Julius den Stadtplan von Paris und die Daten über die wichtigsten Ereignisse in der Geschichte dieser Stadt aus dem Internet abgerufen hatte. Wie bei Computerarbeit und -spielereien üblich flog nun die Zeit dahin. Erst als das Telefon klingelte erkannte Julius, daß es schon kurz vor zwölf Uhr Mittags war. Seine Mutter ging an den Apparat, sprach kurz mit dem Anrufer und klopfte dann an Julius' Zimmertür.
"Mrs. Jennifer Brickston möchte Mitteilen, daß sie bald zu Mittag essen würde und es sehr nett wäre, wenn ihr Gatte ihr dabei wieder gesellschaft leisten würde", sagte Martha Andrews, ohne die Tür zu öffnen.
"Natürlich, Mrs. Andrews", erwiderte James Brickston. Er bedankte sich bei Julius für die Computervorführung und verabschiedete sich höflich von Monsieur Delacour.
"Babette will da unten keiner haben?" Fragte Julius seine Mutter, als Mr. Brickston das Zimmer verlassen hatte.
"Hmm, hat Mrs. Jennifer Brickston nichts von gesagt", erwiderte Martha Andrews kühl. Julius wartete, bis James Brickston durch die Wohnungstür war, bevor er Catherine anmentiloquierte.
"Hat meine Schwiegermutter nur ihren Mann runterrufen wollen? Natürlich ißt Babette auch bei uns, wenn Claudine satt ist und ich uns anderen das Essen fertigmachen kann", mentiloquierte Catherine zurück. "Nachher denkt sie wirklich noch, wir wollten sie nicht mehr bei uns haben, wo Claudine da ist", fügte sie noch hinzu. Julius sagte es Babette mit körperlicher Stimme, daß sie wohl auch runtergehen sollte, weil ihre Mutter das Mittagessen fertig hätte. Sie nickte und verabschiedete sich von den Delacours, die sie jedoch kurz nach unten begleiten wollten, um sich, wie es sich gehörte, von Catherines Familie zu verabschieden.
"Wollen Sie nicht wieder durch den Kamin?" Fragte Julius Monsieur Delacour.
"Diesmal nicht. Wir verlassen das Haus durch die Tür, lassen uns von einem Taxiwagen abholen und in die Nähe des Museums bringen. Dort können wir dann den Kamin benutzen", sagte Fleurs und Gabrielles Vater. Dann gingen die drei Besucher ebenfalls.
Beim Mittagessen erzählte Julius, was er von dem Unwetter in der unteren Nachbarwohnung mitbekommen hatte. Seine Mutter meinte dazu:
"Als wenn man ein Kind nur dann lieben dürfte, wenn ein Priester das Amen drüber gesagt hat", seufzte sie. "Hoffentlich beruhigen sich die Gemüter unten wieder. Nicht, daß das noch Ärger mit Nathalies Behörde gibt, falls irgendwem rausrutscht, daß die Zaubererwelt mit den Mitgliedern der katholischen Kirche nicht gut auskommt."
"Geht ja wohl auch eher um Mrs. Jennifer Brickstons Vetter, der ein Schäfchen mehr in seine Gemeinde holen möchte", warf Julius verächtlich ein. Seine Mutter nickte.
"Die tut wunders wie vornehm sie ist, wenn sie telefoniert. Könnte ich auch tun, wenn ich nicht wüßte, daß ich damit kein besserer Mensch wäre", sagte Martha Andrews noch. Aber nach dem, was du mir an Weihnachten erzählt hast steht sie wohl nicht sonderlich günstig da."
"Hups, wann habe ich dir denn sowas erzählt?" Wunderte sich Julius.
"Als du mir bestätigt hast, was Joe mir auch schon einmal erzählt hat, nämlich daß sie ihren heutigen Mann wohl eher deshalb geheiratet hat, damit Joe noch als eheliches Kind geboren wird, Julius. Dann hat sie auch noch einen redlichen, aber einfachen Stadtangestellten als Vater ihres Sohnes ausgesucht. Dann hat sie sich ja sehr erbost, als du sie gefragt hast, ob sie nur Vaters Tochter sei, womit du ihr ganz bestimmt gut zugesetzt hast. Also wird's ja wohl stimmen. Und die Aussage, sie habe ja wegen der verfrühten Mutterschaft keine qualifizierte Berufsausbildung machen können klingt für mich auch eher wie eine Ausrede. Ich habe als Studentin genug Kommilitoninnen getroffen, die weiterstudiert haben, als sie schwanger wurden und trotz Kind noch ihren Abschluß gemacht haben. Aber das sage ihr bitte nicht! Wir müssen uns nicht mit ihr anlegen."
"Ich denke mal, Joe hat seiner Mutter das längst unter die Nase gerieben, daß auch Frauen mit Kindern studieren und forschen können, solange sie nichts machen, was ein werdendes Kind gefährdet wie bestimmte Chemikalien oder die Forschung mit irgendwelchen Krankheitserregern, die gesunden Erwachsenen nicht viel anhaben aber ungeborene Kinder schädigen können."
"Glaube ich nicht, Julius. Dafür hält er sich viel zu sehr zurück. Ich habe auch eher den Eindruck, daß er doch eher mit seinem Vater gut auskam, wenn ich seine Eltern mal auf dem Campus getroffen habe."
"Wie du sagst ist das nicht unsere Sache, wie Mrs. Jennifer Brickston gestrickt ist", wandte Julius ein.
"Wolltest du heute noch Hausaufgaben machen oder den Nachmittag freihalten?" Fragte Julius' Mutter.
"Ich habe den dicksten Brocken schon gemacht, eine umfangreiche Zaubertrankbeschreibung für Professeur Fixus. Ich habe also Zeit. Warum?"
"Ich darf mal wieder einen Vortrag halten und brauche dafür deine Übersetzungshilfe, was ich denen erklären muß oder als bekannt annehmen kann", sagte Martha Andrews etwas verhalten. Immerhin bat sie ja darum, daß ihr Sohn seine Freizeit für ihre Arbeit opferte.
"Wieder die NATO oder worum geht's diesmal?" Fragte Julius.
"Handel und Zahlungsarten der nichtmagischen Welt. Das soll keine Volkswirtschaftsvorlesung werden. Aber offenbar hat sich ein gewisser Monsieur Colbert aus dem Zaubereiministerium dafür stark gemacht, anstatt der Zahlungsanweisungen soetwas wie Banknoten einzuführen. Ich vermute, er will den Kobolden in Gringotts langsam das Bankmonopol abspenstig machen, indem er eine Geldbewegungsüberwachung des Zaubereiministeriums errichtet, langsam aber sicher."
"Oh, da werden die Kobolde aber bald sauer sein, falls ein Zauberer ihnen die Geldgeschäfte aus den Händen ziehen will. Und jetzt will Belles Schwiegervater wissen, wie er es anstellen muß, weil die Muggelwelt Staatsbanken und Aktienmärkte kennt. Oh, da bin ich aber nicht gerade der Experte für, Mum. Vielleicht sollten wir uns da wen holen, der sich am besten auskennt."
"Was ich berichten will habe ich schon seit einigen Tagen fertig. Ich brauche lediglich wen, der das so übersetzen kann, daß es nicht wie eine Geschichte aus der Sesamstraße rüberkommt, aber auch nicht zu viel Sachkenntnis bei den Zuhörern voraussetzt."
"Welchen Zuhörern, Mum?"
"Besagter Monsieur Colbert, Nathalie und Belle Grandchapeau und ein Herr aus dem sogenannten Koboldverbindungsbüro."
"Ei kuck mal, damit der dann früh genug Einspruch einlegen kann, bevor die Kobolde das rauskriegen, daß ihnen wer heimlich den Goldtopf aus der hand nehmen will. Oder was?"
"Könnte sein", erwiderte Martha Andrews.
"Mum, im Gringottskeller in Paris liegt das ganze Zauberergold, daß Mr. Porter und du damals für mich zusammenbekommen habt. Soweit ich weiß sind die Kobolde nicht nur schlau, sondern nachtragend. Wenn die rauskriegen, daß ihnen wer das Monopol streitig macht, könnten die alle Türen abschließen und die ganze Zaubererwelt am langen Arm verhungern lassen. Wir hatten im Zauberwesenseminar mal einen Kobold, der mit dem hiesigen Koboldverbindungsbüro Kontakt hält. Das war schon eine kitzlige Sache, nicht zu heftig mit dem zu diskutieren, wer wie recht oder unrecht hat. Wir haben's schon vermieden, dem zu erzählen, daß wir vor den Kobolden die Zwerge besprochen haben, um ihn nicht zu ärgern, weil die Kobolde mit den Zwergen Megastress haben, Mum. Wenn ich eins bei dieser Stunde gelernt habe: Kobolde haben ein anderes Eigentumsverständnis als Zauberer und Hexen. Wenn du einem Zauberer was abkaufst oder von ihm erbst, gehört es dir. Wenn das aber ein von Kobolden gemachtes Ding ist, und die können geniale Metallgegenstände machen, und ein Kobold sieht das Ding bei dir, könnte er finden, daß du dem Hersteller seinen Lohn vorenthältst. Gloria, die einen Vortrag über Kobolde gehalten hat, beschrieb das so, daß ein Koboldschmied seine Erzeugnisse nicht an einen Zauberer verkauft, sondern denkt, er vermiete sie, bekäme also eine Leihgebühr dafür. Dann müßte der nächste Besitzer dem Schmied noch einmal eine Leihgebühr bezahlen und so weiter, wenn der Gegenstand nicht zum Hersteller zurückgebracht wird. Da Kobolde steinalt werden können, könnte einer, der einen silbernen Kelch oder eine unzerstörbare Waffe erbt Ärger mit dem Hersteller selbst oder seinen Nachkommen kriegen. Deshalb sollten zauberer nicht zu offen mit Kobolderzeugnissen herumlaufen, wenn andere Kobolde das mitkriegen können."
"Und was hat der Kobold vom Verbindungsbüro erzählt, um das zu bestätigen oder zu widerlegen?" Wollte Julius' Mutter wissen.
"Hmm, daß Zauberstabträger oft keinen Respekt vor dem Hersteller eines koboldischen Gegenstandes hätten."
"Moment, ich fasse das mal zusammen. Kobolde verkaufen Zauberern und Hexen nicht, was sie herstellen, sie verleihen, beziehungsweise vermieten es. Will sagen, obwohl Zauberer dafür bezahlt haben und es damit käuflich erworben haben, gehört für die Kobolde der Gegenstand immer noch dem Hersteller oder seinen Erben und müßte bei Weitergabe noch einmal bezahlt werden", sagte Martha Andrews und fischte nach einem leeren Zettel. "Auf unsere Lebensweise angewendet wäre es so wie ein Mietvertrag, der beim Tod des Mieters von dessen Erben entweder übernommen oder gekündigt werden müßte, der Erbe des Mieters aber nicht einfach in die Wohnung oder das Haus einziehen kann, als gehöre es ihm. Richtig?"
"Hmm, das passt, Mum."
"Das schreibe ich mir mal auf, um eventuell eine Pro- und Contradarlegung hinzubekommen", sagte Martha Andrews und notierte sich etwas mit einem blauen Kugelschreiber, von denen es insgesamt drei Stück strategisch in der Wohnung verteilt gab. Sie lächelte Julius an und fragte, ob er vielleicht schriftliche Aufzeichnungen über diese Lerneinheit Kobolde besitze. Er nickte.
"Okay, mein Sohn, dann brauche ich dich im Moment noch nicht für die Unterschiede im Handelssystem. Ich möchte mich schlaumachen, wer bisher unser Zauberergeld verwaltet und wo es wie du sagst Probleme geben könnte, wenn diese Leute denken, sie würden noch mehr betrogen."
"Kein Problem, dann mache ich die Verwandlungshausaufgabe."
"Schon unheimlich, wie weit du jetzt bist. Catherine kriegt ja noch regelmäßige Rückmeldungen von ihrer Mutter. Du mußt dafür aber nicht zaubern, oder?"
"Abgesehen davon, daß ich in den Ferien nur im Notfall oder auf ausdrückliche Anweisung eines dazu berechtigten Mitgliedes der Zaubererwelt zaubern darf ist die Aufgabe reiner Theoriekram. Ich soll erläutern, warum es nicht möglich ist, X-beliebige Lebensmittel aus dem Nichts zu erschaffen."
"Und warum geht das nicht?" Fragte seine Mutter. Julius erwähnte kurz wie kompliziert die meisten Lebensmittel waren, weil die meisten ja tierische oder Pflanzliche Bestandteile enthielten. Ein bereits totes Tier konnte hingegen in irgendwelche Fleischgerichte umgewandelt und der Fleischvorrat vermehrt werden, aber eine komplette Neuschöpfung sei nicht möglich und daher die erste grundsätzliche Ausnahme bei Elementaren Verwandlungen. Ihm fiel die Replikatortechnik in den Star-Trek-Geschichten ein. die Maschinen brauchten eine gewisse Menge Eiweiß-Grundbausteine, um fertige Speisen zusammenzubeamen, konnten aber längst nicht alle Nahrungsmittel auf diese Weise künstlich herstellen und auch keine lebenden Wesen erschaffen. Aber die Replikatortechnik konnte er nur bei seiner Mutter erwähnen, nicht in der von Professeur Faucon verlangten Hausarbeit.
"Gut, dann überlasse ich dich nach Oma Gladyses Eintopf der Unmöglichkeit, ihn einfach so in den Raum zu zaubern", sagte Martha Andrews überlegen lächelnd. Julius nickte ihr zu und verließ die Küche, wo sie beide aßen, wenn sie keinen Besuch hatten.
Nachdem er seiner Mutter erklärt hatte, warum Lebensmittel nicht aus purem Nichts erschaffen werden konnten flossen ihm die Begründungen dafür förmlich aus der Feder, als habe er seine Flotte-Schreibe-Feder damit aufgeladen und ließe diese jetzt frei auf dem Pergament herumflitzen. Da Professeur Faucon aber eindeutig handgeschriebene Arbeiten haben wollte, durfte er die nützliche Notierhilfe nicht benutzen, die ihm Betty und Jennas Mutter zum dreizehnten Geburtstag geschenkt hatte. Immerhin hatte sie Cytheras Geburt begleitet und die dabei angefallenen Informationen aufgeschrieben.
Das Telefon ließ sein elektronisches Geträller hören, als Julius beim letzten Absatz war. Seine Mutter, die wohl im Arbeitszimmer saß, nahm das Gespräch an und stieß erst einen kurzen Aufschrei aus:
"Nicht so laut, Mildrid!" Rief sie. "In ein Telefon kannst du so reinsprechen wie du zu einem dir gegenübersitzenden Menschen sprichst. ... Nein, ich möchte dich nicht schulmeistern. War nur ... Dann ist ja gut. Unser Kamin ist offen, du kannst auch ... So, wolltest mal ein Telefon ausprobieren. Wo bist du denn dafür hingegangen? ... Dann sollten wir nicht über deine Schule und was ihr da so lernt reden ... Hmm, muß ich ihn fragen, oder soll ich ihn an den Apparat holen? ... Dann warte bitte einen Moment! Du darfst den Hörer aber nicht auf den Apparat ... Ja, entschuldige, ich wußte nicht, was du darüber schon weißt oder nicht. - Julius! Mademoiselle Mildrid Latierre ist am Telefon!"
"Bin sofort da!" Erwiderte Julius und legte die letzte zu beschreibende Pergamentrolle auf den Schreibtisch.
"Hallo, Mademoiselle Mildrid Latierre", grüßte er seine Freundin. "Wolltest du mal ein Telefon in Aktion ausprobieren."
"Ja, wollte ich mal", erwiderte Millie. "War das zu leise?"
"Neh, war schon richtig", erwiderte Julius. Er hörte leicht hohl klingenden Straßenlärm. "Bist du in einer Telefonzelle?"
"So heißt das hier. Da steht was draußen drauf, von wegen "Fasse dich kurz". Aber das Zahelnfenster in dem Kasten sagt mir, ich hätte noch dreißig Centimes übrig zum verquatschen. Nur soviel, hast du morgen Vormittags Zeit, mit Tine und mir nach Versailles zu fahren? Papa kann uns hinbringen und wieder abholen."
"Warum nicht. Da fährt aber auch ein üblicher Stadtbus oder die Stadtbahn hin. Ich habe hier genug Feriengeld, um das für uns alle drei zu zahlen und den Eintritt für Versailles."
"Tine würde dich auf links drehen, wenn du ihr Geld gibst. Sie hat sich von den Kobolden ein wenig geben lassen, acht Papierstücke mit Bildern und 'ner Fünfzig drauf. ist das zu wenig?"
"Kommt drauf an, ob wir danach im teuersten Restaurant von Paris essen wollen. Dann wäre das zu wenig. So ist das eher zu viel für einen Ausflug nach Versailles."
"Essen ist 'ne gute Idee. Tine wollte diese Burger ausprobieren, von denen wir's gestern hatten, Monju."
"Das geht klar mit dem Geld", erwiderte Julius beruhigend. Dann empfahl er Martine, die acht Papierstücke gut fortzupacken, damit kein Taschendieb sie ihr heimlich wegnehmen konnte.
"Sie hat was, um das gut wegzutun, Monju. Dann bis morgen!"
"Dann bis morgen", erwiderte Julius.
"Wollt ihr morgen Paris unsicher machen?" Fragte seine Mutter verhalten lächelnd.
"Wir krempeln nur das olle Schloß vom Sonnenkönig um, Mum und testen die amerikanische Schnellküche, die Martine und Millie noch nicht kennen."
"Ist schon ein beeindruckendes Schloß mit dem Spiegelsaal und vor allem den Parkanlagen drum herum", meinte Martha Andrews. "Aber jetzt wo ich es quasi um die nächste Straßenecke finden kann war ich da schon oft genug. Das Schloß kenne ich ja schon bald besser als den Buckingham-Palast oder den Tower."
"Könnten wir auch mal wieder hinfahren, Mum. Dann dürfen wir den britischen Zauberern nur nicht ankündigen, daß wir kommen, weil ich denke, daß wir in der Muggelwelt noch gut untertauchen können, wenn der Irre und seine Bande sich in der Zaubererwelt immer breiter machen könnten."
"Im Moment würde Catherine uns beide wohl nicht dahin lassen, Julius", sagte seine Mutter wehmütig. Sie vermißte London, überhaupt das gute alte England. Daß sie dort wohl nicht mehr hinreisen könnte, weil ein größenwahnsinniger Hexenmeister alle magischen Menschen tyrannisierte tat ihr schon ziemlich weh, wußte Julius. Er nickte deshalb beipflichtend und erzählte dann, daß er morgen früh um acht Uhr abgeholt würde, weil sie sich für das Barockschloß aus der Zeit Ludwig XIV. die nötige Zeit nehmen wollten. Deshalb ging Julius auch noch daran, die Zauberkunsthausarbeit für Professeur Bellart zu schreiben. Zwischendurch hörte er Madame L'eauvite und Mrs. Jennifer Brickston lauter als angemessen war miteinander reden. Babettes Großtante ließ sich wohl von Catherine übersetzen, was ihre Schwiegermutter sagte und übersetzte dann ihre Antworten. Offenbar hatten sie sich an einem strittigen Thema festgebissen, vielleicht immer noch die Frage, ob Babette und Claudine einer Kirche beitreten oder beigetreten werden sollten oder nicht. Doch das ging ihn nichts an, rief er sich mal erneut ins Bewußtsein und konzentrierte sich auf die Wirkungsweise sowohl des Aufweichungszaubers als auch des Verhärtungszaubers. Ihn juckte es in den Fingern, ein Pergamentstück in einen steinharten Block zu verwandeln oder den Fenstergriff in eine wachsweiche Form zu bringen. Dann sollte er noch über den Spreng- und den Unzerbrechlichkeitszauber schreiben, wo ihre Anwendungsgrenzen lagen. Offenbar würden sie in der fünften Klasse höherstufige Materiebeeinflussungszauber lernen, die nicht Gestalt und Form eines Objektes veränderten. Dazu passte auch, daß er die Pinkenbach'schen Gesetze zur Bezauberung von toten Objekten wiedergeben und eine Einteilung nach Größe und Masse eines Objektes und der Stärke oder Wirkungsdauer einer darauf angewandten Zauberei ausformulieren mußte.
"Soll das heißen, du hältst Hexen für ganz normale Frauen, die mehr gutes als böses tun?" Hörte er kurz nach dem letzten Federstrich Jennifer Brickstons sehr entrüstet klingende Stimme von unten. Sie sprach offenbar wieder Englisch. Babettes Antwort war auf französisch, und Julius konnte Madame L'eauvite darauf etwas antworten hören, das jedoch zu leise war, um hier oben verstanden zu werden. James Brickston blaffte seine Enkeltochter an, ihrer Oma auf Englisch zu antworten. Julius war nun doch sehr neugierig. Er fischte nach seinem Practicus-Brustbeutel, praktizierte etwas wie ein Knäuel aus dünnem Garn heraus, warf das eine lose Ende des fleischfarbenen Strangs aus und steckte sich das andere ins rechte Ohr. Unvermittelt wurde der Wortwechsel von unten lauter. Doch das Langziehohr wand und tastete sich, um näher an die Geräuschquelle zu gelangen.
"Okay, so geht's", dachte Julius, öffnete das Fenster, zog das auf dem Boden liegende Langziehohr wieder ein, warf das lose Ende aus dem Fenster und wisperte "Runter!" Als würde er einen Ohrhörer tragen und den daran hängenden Abspielapparat lauter drehen erklang Babettes Stimme nun klar verständlich und trotzig zu ihm durch.
"Ich habe gesagt, daß Hexen nicht alle böse Frauen sind und keinen Teufel anbeten, um hexen zu können. Also brauch ich auch keinen lieben Gott oder sowas anzubeten, um echt was hexen zu können."
"Catherine, wo bist du?" Mentiloquierte Julius. Denn er konnte sie nicht hören. Nur Joe und seine Eltern waren da.
"Bei Nathalie Grandchapeau, Julius", kam die Antwort. "Warum, ist was mit meinen Schwiegereltern oder Babette?"
"Noch nicht, könnte aber passieren. Babette und deine Tante stehen kurz davor, den letzten Rest Selbstbeherrschung zu verlieren."
"Ist gut, ich bin in einer Minute da", erwiderte Catherines Gedankenstimme. In diesem Moment hörte Julius Jennifer fragen:
"Hör ich das richtig. willst du dich vielleicht der Magie ergeben?" Joe Brickston seufzte, während Babette es ihrer Großtante übersetzte. Diese erwiderte entschlossen klingend:
"Will ich doch schwer hoffen, daß du eine vollwertige Hexe wirst. Sonst kriegen wir ja Ärger mit deiner Oma Blanche."
"Oha, das hätte die besser nicht sagen sollen", grummelte Julius.
"Häh, was ist mit deiner Oma Blanche?" Fragte Jennifer Brickston.
"Mutter, lass Babette! Sie ist noch ein Kind. Kinder haben viel Phantasie, vor allem, wenn Erwachsene an ihnen rumerziehen wollen", seufzte Joe.
"Nein, das will ich jetzt wissen, was die alte ... da gesagt hat. Die will doch nicht etwa behaupten, daß deine Tochter zur Hexerei bekehrt werden soll."
"Jetzt dampft der Drachenmist", dachte Julius. Andererseits amüsierte es ihn auch. Was würde Jennifer tun, wenn Babette und ihre Großtante jetzt die Katze aus dem Sack ließen, was er ja am Morgen noch verhindern konnte. Das Langziehohr schien sich jetzt den idealen Lauschposten ausgesucht zu haben, denn er verstand alles glasklar. Joe Brickston schien sich andauernd nur umzusehen. Vielleicht hoffte er darauf, daß Catherine wiederkommen würde.
"Joseph, bei sowas verstehe ich keinen Spaß, und genau deshalb, um die Kinder von schädlichen Ausuferungen ihrer Phantasie fernzuhalten, ist geistliche Führung von vorne herein notwendig."
"Halleluja", kommentierte Julius diese Vorhaltung im Geiste.
"Babette, am besten läßt du Oma Jennifer, Opa James und mich mal alleine, bevor deine Oma noch meint, ich würde dir irgendwas merkwürdiges beibringen!"
"Non Papa", knurrte Babette und übersetzte schnell für ihre Großtante, was da gerade gesagt worden war. Das Resultat war, daß Madeleine L'eauvite schallend loslachte, daß es in Julius rechtem Ohr schon klirrte und er das Ende des Langziehohres fast herausgezogen hätte. Dann sagte Madame L'eauvite auf Französisch, Babette möge auf ihr Zimmer gehen. Diesmal klang sie genauso streng wie ihre Schwester Blanche Faucon. Das beeindruckte Babette wohl sehr heftig. Denn sie sprang auf und lief aus dem Wohnzimmer.
"Joseph, offenbar verfügst du nicht über die notwendige Kontrolle über deine Tochter", knurrte Jennifer Brickston. Ihr Mann meinte dazu:
"Die wohnt in Frankreich, Jenn, die pariert nur bei französischen Kommandos oder wenn sie von den hier lebenden Verwandten kommen, mit denen sie besser klarkommen muß als mit uns."
"Möchtest du mir jetzt in den Rücken fallen, James?" Erboste sich Jennifer Brickston.
"Ich sag nur, wie ich das g'rade mitgekriegt habe. Als Busfahrer kriegst du irgendwann den Plan, welche Menschen wie spuren oder ticken, vor allem wenn du täglich zig Familien mit Kindern durch die Stadt kutschierst", erwiderte James Brickston gelassen.
"Was meine Autorität angeht, Mum, so weißt du ganz genau, daß du diesen Zank angefangen hast und Babette sich schon für groß genug hält, ihn mit dir auszufechten. Meine Schwiegertante hat sie nur darauf hingewiesen, daß du dich nicht beruhigen kannst, während Babette im Raum ist und ihr das in einem ernsten Ton gesagt", interpretierte Joe was seine Schwiegertante gesagt hatte. Dann fuhr er beinahe ohne Pause fort: "Was die geistliche Führung angeht, Mum, so kann die auch zu schädlichen Ausuferungen führen, wie du ganz bestimmt weißt, wo du deine Hochschulreife in Geschichte und Politik gemacht hast."
"Meinst du jetzt, deine mangelnde Autorität deiner Tochter gegenüber durch Aufsässigkeit mir gegenüber kompensieren zu können?" Fragte Jennifer. James grinste, offenbar zu leise für die anderen, aber für Julius langezogenes Ohr eindeutig wahrnehmbar. Vielleicht entsprach es aber auch nur dem, was er selbst gerade empfand.
"Joseph, ich möchte nicht in die Beziehung zu deiner Mutter hineinfuhrwerken", setzte Madeleine L'eauvite auf Französisch an. "Aber wenn es um Babettes Zukunft geht, sofern sie abgesteckt werden kann, gibt es da keine Diskussion. Die junge Dame geht nach Beaux. Zumindest sind Blanche und ich uns in der Hinsicht mal völlig einig. Wenn deine Eltern also meinen, sie müßten um irgendeiner Glaubensrichtung Willen dagegen angehen wollen, könnte ich sehr ungehalten werden. Und das kommt wie du weißt sehr sehr selten bei mir vor."
"Was sagen Sie, Madame?" Fragte Jennifer Brickston nun auch Französisch sprechend. "Was ist mit ihrer Schwester Blanche?"
"Ihr geht es soweit gut", erwiderte Madeleine L'eauvite nun eher wieder die zu Scherzen aufgelegte Hexe als eine Nachahmung ihrer Schwester. James lachte laut. Offenbar reichte sein Französisch aus, um den Scherz zu verstehen oder er konnte es an Madame L'eauvites Gesicht ablesen.
"Das meinte ich nicht", schnarrte Mrs. Brickston. "Irgendwas haben Sie gesagt, daß Sie und Ihre Schwester was vereinbart hätten. Wenn es um Babette und Claudine geht, geht mich das etwas an. Immerhin bin ich auch eine Großmutter der beiden, oder bilden Sie sich ein, wir überließen unseren Sohn und seine Familie einem ungewissen Schicksal?"
"Jenn, lass es!" Zischte James Brickston. Julius wunderte sich etwas. Doch als James weitersprach wurde ihm klar, was Joes Vater so antrieb: "Die leben hier, Jennifer. Wir haben es damals abgesegnet, daß sie hier wohnen und der üblichen Kultur nach leben. Du kannst nicht einfach nach all den flüchtigen Besuchen oder Gesprächen am Telefon ankommen und "alles hört auf mein Kommando!" Rufen. Damit fällst du nur auf die Nase, und du würdest Joe vor allen Leuten hier blamieren. Aber klar, 'ne Mutter will ja nicht wahrhaben, daß ihr Kind eigene Wege geht, wenn sie's neun Monate mit sich rumgetragen hat."
"Was soll das jetzt, James?!" Brauste Mrs. Brickston nun auf. "Es geht nicht um Joseph, sondern um seine Töchter. Merkst du nicht, daß die Kinder hier geistig-moralisch verwahrlosen und Joe nichts dagegen tut?"
"Mum, das verbitte ich mir jetzt", schnaubte Joe nun gerechtfertigt verärgert. "Unsere Töchter verwahrlosen nicht, weder körperlich noch geistig. Meine Frau und ich haben uns sehr gründlich darüber unterhalten, wie Babette ausgebildet werden soll und welche Möglichkeiten sie in diesem Land hat. Daß sie eure und meine Muttersprache gelernt hat sollte dir zeigen, daß es uns schon wichtig ist, ihr den Kontakt mit euch zu erhalten. Ich weiß echt nicht, wer oder was dich gerade reitet, daß du uns jetzt, nachdem du Catherine und mir neun Jahre lang uneingeschränkt vertraut hast, derartig feindselig begegnest. Ich vermute, dein netter Vetter Theodor hat dir eine Gehirnwäsche verpaßt oder soetwas, daß du jetzt hier wie eine Missionarin im Urwald herumzeterst. Wir halten uns an das auch in Frankreich zugestandene Grundrecht auf Religionsfreiheit, was für Babette und Claudine heißt, daß sie sich entweder die ihrer Ansicht nach annehmbare Religion aussuchen, wenn sie alt genug dafür sind oder gänzlich ohne Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft zu leben. Und was das Kompensieren von Schwächen angeht, Mum, so praktizierst du hier gerade nichts anderes, weil du merkst, daß deine oder besser Theodors Ansichten bei uns nicht nur nicht verfangen, sondern auch auf Ablehnung stoßen könnten und du meinst, mir und Catherine gegenüber so autoritär auftreten zu müssen, wie es nur der Mutter eines Kleinkindes ansteht und nicht der eines erwachsenen Mannes, der genug Dreck gefressen und Schweiß vergossen hat, um das hinzukriegen, eine ganze Familie zu ernähren. Also nimm diesen gemeinen Spruch bitte wieder zurück, daß du mir unterstellst, ich würde meine Töchter verwahrlosen lassen!"
"Kuck mal, Jenn, er hat noch "Bitte" gesagt", feixte James, wobei Julius nicht wußte, ob das gegen Joe oder seine eigene Ehefrau gerichtet war. Jennifer schnaubte wütend und fauchte dann Madeleine auf Französisch an:
"Ich weiß nicht, welchen Einfluß Sie und ihre überhebliche Schwester auf meinen Sohn und meine Enkeltochter ausüben, Madame, aber eins will ich Ihnen sagen: Babette wird keine Hexe, nur weil Sie und andere Ihr Märchen erzählen, daß es auch gute von denen geben soll."
"Oh, Sie glauben, ich würde meiner Großnichte Märchen erzählen, daß es auch gute oder besser gutartige Hexen gibt", erwiderte Madame L'eauvite, und in Julius Kopf ertönte eine Sirene: Alarmstufe Rot! "Wenn Babette das Talent zur Magie hat muß sie damit umzugehen lernen, und ich will doch schwer hoffen, daß Babette und Claudine vollwertige Hexen werden."
"Moment mal! Sie wollen haben, daß Babette ... und Claudine ... wollen haben, daß sie ... Hexen werden? Ich hoffe, Sie gerade falsch verstanden zu haben. Joseph, was hat sie genau gesagt?" Sagte Jennifer sehr laut. Julius fragte sich, wo Catherine bliebe. Er wollte sein Langziehohr sofort zurückholen, wenn er sie hören konnte. Joe schien nun zwischen zwei Stühlen festzuhängen. Einerseits hatte seine Mutter offenbar alles verstanden, was Madeleine L'eauvite langsam genug gesagt hatte. Andererseits konnte er jetzt nicht einfach bestätigen, was sie gesagt hatte. Oder doch?
"Sind Sie eine Hexe?" Fragte Jennifer Brickston nun auf Französisch, jedes Wort wie eine Pistolenkugel abfeuernd.
"Ja, bin ich", erwiderte Madame L'eauvite sehr unbekümmert. "Meine Schwester und ich verfügen über magische Kräfte und eine umfassende Ausbildung und Erfahrung damit."
"Boing!" Ertönte es in Julius Kopf. Er mentiloquierte Catherine an und erfuhr, daß sie gerade den Apparitionsabwehrbereich des Hauses erreicht hatte.
"Deine Schwiegermutter ist so laut, daß ich es hier oben hören kann. Ich fürchte, deine Tante packt gerade aus, was mit euch ist."
"War zu befürchten", erwiderte Catherines Gedankenstimme. "Ist Babette bei ihr?"
"Ich höre von ihr nichts. Könnte in ihrem Zimmer sein", erwiderte Julius, zwischen Lüge und Wahrheit balancierend. Denn er wußte ganz genau, daß sie in ihrem Zimmer war. Aber das zu verraten hätte ja geheißen, Catherine seinen Langziehohren-Lauschangriff zu beichten.
"Gut, bin gleich zu Hause", melote Catherine erleichtert. Julius holte das magische Horchgarn wieder ein und verstaute es an seinem Aufbewahrungsort. Sollte sich Catherine jetzt damit rumplackern.
Es fauchte im Wohnzimmer. Jemand war durch den Kamin gekommen. Hatte seine Mutter den nicht gesperrt, nachdem Catherines vorübergehende Sperre verflogen war?
"Juhu, Julius, seid ihr da?" Rief Mayette Latierre. Er legte das bisher beschriebene Pergament für Zauberkunst weg. Die Pinkenbach-Gesetze wollte er besser übermorgen erläutern, wenn er den Versailles-Ausflug hinter sich hatte. Er verließ sein Zimmer. Seine Mutter saß im Arbeitszimmer und klackerte mit der Computertastatur. Offenbar war sie gerade dabei, das Eigentumsempfinden der Kobolde in passende Sätze zu fassen. Sie unterbrach ihre Arbeit und öffnete die Tür.
"Ursuline wollte heute mit Mayette und Babette in die Rue de Camouflage, zusammen mit Catherine. Wir wußten ja nicht, daß Joes Eltern länger blieben. Catherine und ich konnten ihr keine Botschaft schicken."
"Das hätte ich doch machen können, Mum, mit Melo."
"Schön, daß mir das jetzt schon einfällt", knurrte Martha Andrews verärgert. "Aber dann hätte Catherine das auch machen können, oder?"
"Nicht unbedingt, weil für sowas bestimmte beziehungen nicht unwichtig sind und sowas über große Entfernungen immer schwerer bis unmöglich wird. Zwischen ihr und mir geht's deshalb, weil sie dieses Vita-Mea-Ritual gemacht hat."
"Ey, ist keiner zu Hause?!" Rief Mayette. Unten wurde es still. Die Andrews' beeilten sich, ins Wohnzimmer zu gelangen, gerade zurecht, um Ursuline im Kamin landen zu sehen.
"Ich kann es nicht oft genug sagen, daß euer Kamin schön geräumig ist für gut genährte Hexen", grüßte Ursuline Latierre, eine vollschlanke, über einen Meter neunzig große Hexe mit rotblondem Haar und rehbraunen Augen, der ihre drittjüngste Tochter Mayette wie ein fünf Jahrzehnte jüngeres Abbild glich. Ursuline trug ein sonnengelbes Sommerkleid, das ihre üppige Figur nicht einengte, sondern umschmeichelte. Mayette trug eine weiße Bluse und einen himmelblauen Rock dazu. Ohne weiteres schlüpfte Mayettes Mutter aus dem Kamin und ging mit ausgebreiteten Armen auf Julius zu, der sich vor sie hinstellte und sich landesüblich begrüßen ließ. Dann begrüßte Ursuline Martha Andrews mit einer kurzen Umarmung, ließ die zwei Wangenküsse jedoch weg. Mayette begrüßte erst Martha Andrews und dann Julius.
"Wolltet ihr ursprünglich zu Catherine?" Fragte Julius.
"Dann wären wir wohl nicht bei euch im Kamin gelandet", meinte die Mutter von zwölf Kindern. Julius erwiderte, daß die Delacours und Catherines Tante mütterlicherseits am Morgen aus Versehen bei ihnen gelandet seien, weil der untere Kamin gerade vollständig gesperrt sei.
"Hmm, da hat der gute Florian wohl bei der Abstimmung mit dem Flohnetz nicht richtig aufgepaßt, wie?" lachte Ursuline. Mayette war bereits auf dem Weg zur Wohnungstür. "Wir wollten so schnell wie möglich zu euch kommen, und Catherines Kamin ist ein wenig schmal für mich, habe ich festgestellt. Deshalb haben wir euren genommen."
"Ohne vorher zu fragen -?" Erwiderte Julius.
"Das war schon mit deiner Mutter abgesprochen", erwiderte Ursuline. Dann rief sie Mayette zurück. "Babettes Muggelgroßeltern sind da unten, Maymay. Die könnten dumm kucken, wenn ihnen von oben her wer in die Wohnung rennt, den sie nicht vor der Haustür haben stehen sehen."
"Die haben Sie gerade gehört. Abgesehen davon ist da unten gerade eh Gefechtsstimmung", seufzte Julius. Martha nickte beipflichtend.
"Was heißt Gefechtsstimmung. Die wollen sich doch nicht etwa duellieren. Das wäre den Muggeln gegenüber ziemlich feige", erwiderte Ursuline leicht verunsichert.
"Worte können genauso reinhauen wie Flüche", wisperte Julius. In diesem Moment schrie Jennifer Brickston wie am Spieß:
"Das ist Teufelswerk. Ihr gottlose Hexenbrut ..." Dann riss der Schrei ab, und Madame L'eauvite rief sehr erbost:
"Was bilden Sie sich ein, herzukommen und ohne zu wissen woran Sie sind vorbestimmen zu wollen, was meine Patenkinder zu lernen und zu sein haben?" Mrs. Brickston hatte Englisch gesprochen, Madame L'eauvite Französisch.
"Maymay, ich fürchte, wir müssen wieder nach Hause. Da unten ist jetzt ein großer Haufen Drachenmist am qualmen", sprach Mayettes mutter auf sie ein. Denn Mayette hatte den Aufschrei nicht verstehen können, wohl nur, daß eine Frau große Angst oder Wut hatte.
"Warum mußte Catherine gerade jetzt zu Madame Grandchapeau", dachte Julius. Martha wollte gerade vorschlagen, daß die Latierres später noch einmal kommen oder sich per Kontaktfeuer melden sollten, als Catherines Gedankenstimme in Julius' Kopf erklang:
"Ich fürchte, der Fall Rumpelstilzchen ist eingetreten."
"Der was?" Fragte Julius auf gedanklichem Wege zurück.
"Rumpelstilzchen, Julius. Wenn jemand aus der nicht unmittelbaren Verwandtschaft eines muggelstämmigen Zauberers oder dessen Familie herausfindet, was mit dem magischen Familienmitglied los ist. Ich bin gerade vor der Tür. Bleibe solange oben, bis ich dir mentiloquiere, daß du oder deine Mutter wieder runterkommen könnt."
"Mayette ist mit ihrer Mutter da. Die wollten wohl heute mit Babette und dir einkaufen gehen", schickte Julius zurück.
"Oha, ist wohl nicht gerade günstig. Sage Ursuline bitte, ich würde Kontaktfeuern, wenn meine Schwiegereltern wieder fort sind!"
"Roger", entgegnete Julius.
"Wer ist Roger?" Fragte Catherine argwöhnisch klingend.
"Heißt so, wenn ein Flugzeugpilot oder Amateurfunker was bestätigt", erwiderte Julius darauf.
"Lümmel!" Kam dafür tadelnd zurück. Dann war die unhörbare Unterhaltung auch schon beendet.
"Öhm, Catherine wird ihren Kopf in deinen Kamin schicken, wenn ihrer wieder normal benutzt werden darf", gab Julius weiter. "Mum und ich sollen erst einmal nur in unserer Wohnung herumlaufen, wenn wir nicht draußen was erledigen müssen."
"Gut, dann nehme ich mein drittkleinstes Mädchen wieder mit. Trice wird sich freuen, nicht länger auf ihre kleinsten Schwestern aufpassen zu müssen. Komm, Maymay!"
"Mach's gut, Julius!" Rief Mayette.
"Was immer sie mit deiner Mutter gemacht hat, Joe, sag ihr sofort, sie soll das wieder wegmachen!" Polterte James Brickston.
"Sag du's ihr!" Begehrte Joe nicht ganz so entschlossen auf.
"Oha, offenbar hat jemand es geschafft, der guten Madeleine die gute Laune zu vermiesen", feixte Madame Latierre, als sie ihre Tochter zum Kamin winkte. "Rumpelstilzchen läßt grüßen, oder?"
"Jaja, heute back' ich, morgen Brau' ich ..."
"Genau dieser kleine Hutzelzwerg", lachte Ursuline Latierre. "Dann bis dann. Du gehst ja morgen mit Tine und Millie auf Entdeckungsreise durch Versailles, habe ich erfahren. Schön, daß wieder ein paar Latierres durch das alte Schloß promenieren. Macht's gut!" Sie zündete ein Feuer im Kamin an, warf Flohpulver hinein und schickte Mayette ins "Château Tournesol!", bevor sie selbst in den Kamin kletterte und dasselbe Ziel ausrief.
"Das können die da unten nicht überhört haben", grummelte Martha.
"Die Katze ist jetzt eh aus dem Sack, Mum", raunte Julius, während Catherine zu Joe und ihren Schwiegereltern sprach und sich von ihrer Tante anhörte, daß ihr nun nach sehr langer Zeit der Geduldsfaden gerissen sei. Mehr hörten sie dann erst einmal nicht, weil Martha Andrews den Fernseher lauter als gewöhnlich angestellt hatte, um so zu tun, als seien die fremden Stimmen in der Wohnung aus dem Apparat gekommen.
"Das ist genau das, was ich bis heute befürchte, daß dein Onkel Claude und seine Frau uns draufkommen könnten. Ich verstehe ja die Geheimhaltung, und die Reaktion von Mrs. Brickston rechtfertigt sie ja auch. Aber irgendwie muß es doch möglich sein, daß eine Familie über magische Mitglieder unterrichtet ist."
"Mum, das hängt davon ab, wie nahe die Mitglieder stehen, will sagen, ob sie mit dem magischen Mitglied zusammenleben oder nur alle Jubeljahre mal vorbeikommen", erwiderte Julius.
"Ja, aber Großeltern sollten wie Eltern schon eingeweiht werden dürfen, finde ich", erwiderte Martha Andrews.
"Wie gesagt, wenn sie im selben Umkreis leben wie das Enkelkind oder die Enkelkinder, Mum. Oder hättest du deiner Mutter was erzählt, daß ich nach Hogwarts gehen und da Zaubern lernen sollte?"
"Gut, die frage ist zwar rein akademisch, weil ich mir das wirklich schon vorgestellt habe, meinen Eltern zu erzählen, was mit dir los ist. Aber ich konnte es ja nicht, und Onkel Claude und Tante Alison wollte ich es auch nicht erzählen."
"Warum nicht?" Fragte Julius nun sehr ernst.
"Gut, du hast mich, Julius. Ich wollte es Ihnen nicht erzählen, weil dein Vater und ich befunden haben, daß wir schon genug damit zu tragen haben und uns nicht noch zu Sonderlingen innerhalb der Familie machen wollten und Claude noch heftiger auf die sogenannte normale Weltordnung besteht, in der keine Magie vorkommt. Er wollte seinem Bruder nichts erzählen, und ich habe es respektiert und auch verstanden, warum er es nicht tun wollte. Nachdem er das Opfer einer übernatürlichen Kreatur geworden ist wollte ich Claude erst recht nicht auf die Nase binden, daß wir, also dein Vater, du und ich schon mehr als zwei Jahre wissen, daß es Zauberei und Hexerei gibt und du in eine Schule für magisch begabte Kinder gehst." Unten schrie Claudine. Offenbar bekam die gerade erst viereinhalb wochen alte Tochter Joes und Catherines angst, weil dort unten eine für sie spürbare Spannung entstanden war.
"Bring diesen Wechselbalg zum schweigen!" Schrie Jennifer Brickston. "Sonst werde ich ihn eigenhändig ..." Was Jennifer Brickston mit Claudine anstellen wollte konnte sie nicht aussprechen. Womöglich hatte ihr jemand einen Schweigezauber auferlegt.
"Was meinte Ursuline mit Rumpelstilzchen?"
"Hmm, ich hörte, daß das die Codebezeichnung für die Enthüllung eines nicht ganz nahen, mit magie begabten Verwandten, ob leiblich oder angeheiratet sein soll", informierte Julius seine Mutter. "Was dann passiert weiß ich nicht genau. Ich habe leider kein Zaubereigesetzbuch hier, wo ich mal nachlesen könnte, was dann ansteht."
"Nur zwei Möglichkeiten, Julius. Es wird bestätigt und die entsprechenden Familienmitglieder werden angehalten, darüber zu schweigen oder es wird abgestritten, beziehungsweise alle Erinnerung daran verändert. Das erscheint mir zumindest logisch."
"Binäre Logik, Mum", präzisierte Julius es. "Ja oder nein."
"Immer noch die eindeutigste Grundlage, wenn auch im Leben längst nicht immer anwendbar", erwiderte seine Mutter kühl.
Der Fernseher übertönte die nun lautstark geführte Unterhaltung. Julius kribbelte es in den Fingern, noch einmal das Langziehohr auszuwerfen, um wie die Reporterhexe Linda Knowles magisch zu lauschen.
"Jenn, die werden uns nicht mehr hier weglassen, wenn du so rumtobst", hörten sie einmal James Brickstons Stimme. Sie klang sehr eindringlich, vielleicht ängstlich, vielleicht aber auch nur gebieterisch, als wolle er als Busfahrer eine Horde rauflustiger Fahrgäste zur Ordnung rufen. Dann hörte Julius erst einmal keine Worte mehr. So nach zwei Minuten schrillte Jennifers Stimme noch einmal:
"Im Namen des allmächtigen Gottes, hebet euch hinweg, ihr Huren des Satans!"
"Oha", grummelte Julius. Seine Mutter legte ihren rechten Zeigefinger auf den Mund, was für ihn hieß, daß er sich dazu jetzt nicht zu äußern hatte. Er hörte nur Madame L'eauvite lachen und sie "Welch ein Unsinn" antworten. Als dann fünf Sekunden vergangen waren, hörten sie nur noch Mrs. Brickstons lautes Jammern. Offenbar war sie nun in einem Schockzustand.
"Julius, kontaktfeuere bitte Madame Nathalie Grandchapeau und sage ihr einen schönen Gruß von mir und daß wir wohl doch die große Lösung nehmen müssen!" Mentiloquierte Catherine.
"Gedächtniszauber, Catherine?"
"Kein Kommentar zum jetzigen Zeitpunkt", war die auf Wellen der Verärgerung getragene Antwort. Julius bestätigte den Erhalt der unhörbaren Anweisung und ging an den Kamin. Er sagte seiner Mutter nur, daß Catherine ihn dringend gebeten hatte, Madame Grandchapeau zu kontaktfeuern. Dann zündete er ein Holzscheit mit Streichhölzern und einem Fetzen Papier an, wartete, bis es richtig brannte und warf das Flohpulver ins kleine Feuer, das sofort zu einer smaragdgrünen Flammenwand aufloderte. Er kniete sich hin, legte den Kopf völlig arglos in die grünen Flammen und rief: "Büro Nathalie Grandchapeau!" Als er meinte, jemand schraube ihn in Windeseile den Kopf ab, schloß er die Augen, bis der wilde Wirbel, in dem sein Kopf nun herumpurzelte abebbte und er das Prasseln eines munteren Feuers um sich herum hörte. Er blickte in das Büro von Madame Nathalie Grandchapeau. Dessen Inhaberin war jedoch nicht alleine. Madame Faucon saß bei ihr. Er hörte noch, wie sie sagte:
"... britische Muggelkontaktbüroleiter muß Minister Scrimgeour empfehlen, die Muggelverkehrswege besser zu sichern, Nathalie. Der Massenmörder und seine Spießgesellen werden es nicht bei wenigen Angriffen auf die Muggel bewenden lassen. ...""
"Öhm, Blanche, das besprechen wir gleich", erwiderte Madame Grandchapeau darauf. "Was möchten Sie, Monsieur Andrews?"
"Ich habe von Madame Catherine Brickston aufgetragen bekommen, Sie zu grüßen und das es offenbar zum Fall Rumpelstilzchen gekommen ist und eine mit Ihnen wohl schon abgesprochene große Lösung genutzt werden soll. Mehr kann ich Ihnen nicht dazu sagen."
"Rumpelstilzchen. Ich dachte, Babette hätte ihre Kräfte nun gut genug unter Kontrolle", erschrak Madame Faucon. Julius sagte dazu nur, daß er nicht genau mitbekommen habe, wie der Fall Rumpelstilzchen eingetreten sei. Er wollte nicht damit herausrücken, daß er Catherines Tante für die Urheberin hielt, zumal Babette zu dem Zeitpunkt schon auf ihrem Zimmer war.
"Nun, Catherine war vor nicht einmal einer Viertelstunde bei mir, weil ihre Schwiegereltern insistieren, daß sowohl Babette als auch Claudine offiziell einer kirchlichen Gemeinschaft eingegliedert werden sollten und sowohl Catherine als auch Joe dies nicht für geboten halten, wenn die meisten christlichen Kirchen die Magie als grundweg bösartiges Tun ablehnen und Hexen und Zauberer verdammen. Hat Madame Brickston Ihren Kamin wieder geöffnet?" Fragte Madame Grandchapeau. Julius fragte sich, warum er dann seinen Kopf hatte losschicken müssen. Er antwortete, daß er das nicht wisse.
"Nun, ich werde dann gleich mit einigen Mitarbeitern bei ihr eintreffen", sagte Madame Grandchapeau.
"Okay, dann habe ich meine Mission erfüllt", sagte Julius und verabschiedete sich.
"Falls der untere Kamin immer noch versperrt ist komme ich bei euch vorbei", sagte Madame Faucon noch, bevor Julius' Kopf von seinem Besitzer zurückgezogen wurde und nach einem wilden Wirbel durch das Flohnetz wieder ordentlich auf dem Hals seines Besitzers saß.
"Das gibt noch einen Heidenspaß. Madame Faucon war bei Madame Grandchapeau, Mum."
"Und?" Wollte Martha Andrews wissen.
"Ich habe nur den Spruch aufgesagt, den Catherine mir zwischen die Ohren gebeamt hat, Mum. Madame Faucon denkt wohl, Babette seien die Zauberkräfte ausgerutscht."
"Und jetzt?" Wollte seine Mutter immer noch wissen.
"Weiß ich nicht, Mum", antwortete Julius. Da polterte etwas unten. Sie hörten James Brickstons erschreckte Stimme "Jennifer!" und Joes Stimme "Mum!" Rufen. Dann erfolgte von zwei Hexen zugleich das Zauberwort: "Maneto!" Keine Sekunde danach erscholl Catherines Stimme in Julius Kopf:
"Meine Schwiegermutter hat die Wahrheit nicht vertragen. Sie ist ohnmächtig geworden. Komm runter und prüfe nach, ob es ein Schlag oder nur der Schock ist!" Julius sagte zu seiner Mutter, daß Catherine nach ihm gerufen habe und wetzte los, durch die Wohnungstür, drei Stufen auf einmal die Treppe hinunterspringend, an die untere Wohnungstür. Er klopfte. Catherine öffnete zwei Sekunden später. Julius stürmte förmlich hinein und fand die bewußtlose Jennifer Brickston. Ihr Mann und ihr Sohn standen so da, als wollten sie auf sie zuspringen, in einen Bewegungsbann eingefroren.
"So richtig kenne ich mich nicht damit aus, Catherine. Mach den Kamin auf und lass Madame Matine oder Madame Rossignol herkommen!" keuchte Julius, bevor er sich hinkniete und aus dem von außen kaum zu sehenden Futteral im Hosenbein seinen eigenen Zauberstab befreite.
"Madame Rossignol hat mir geschrieben, daß du einen Körperfunktionsüberprüfungszauber kannst", sagte Catherine. Julius nickte. Den hatte er auf der Flucht vor Bokanowskis Monstern und den Entomanthropen der Wiedergekehrten gelernt, um den bewußtlosen Zauberer Colonades zu untersuchen. Prophylaktisch wirkte er mit "Libersanguis" einen Gerinnungshemmzauber, wie es ihm Madame Rossignol im Auffrischungskurs für Pflegehelfer beigebracht hatte, für den Fall, daß Leute mit Herzinfarkten oder Schlaganfällen zu behandeln seien. Dann prüfte er die Gehirnfunktion und stellte fest, daß es wohl doch nur Schock war. Wie ein gewöhnlicher Arzt testete er mit dem Zauberstablicht, ob sich die Pupillen Mrs. Brickstons schnell genug schlossen, befand nach seiner nicht vollprofessionellen Erfahrung, daß das Gehirn und das restliche Nervensystem nicht geschädigt waren und versuchte, mit "Corpostimulus" die Bewußtlosigkeit zu beseitigen. Tatsächlich gelang es ihm nach nur einer Minute, Jennifer Brickston wieder zur Besinnung zu bringen. Sie schrak auf und sah Julius mit einem Zauberstab in der Hand über sich. Sie öffnete den Mund zum Schrei. Doch Julius lächelte sie an, während er hastig sein Zauberhandwerkszeug diebstahl- und zerstörungssicher verstaute.
"Du bist auch einer von denen", winselte Jennifer Brickston. Julius nickte mechanisch. Catherine schob ihn rasch beiseite, während Jennifer Brickston aufsprang. Keinen Moment später erstarrte auch sie unter einem Bewegungsbann, allerdings ohne daß das Zauberwort zu hören gewesen war.
"James, du hast gesehen, daß Julius von meiner Mutter und ihren Kollegen sehr nützliche Zauber gelernt hat,um einer bewußtlosen Frau wieder auf die Beine zu helfen", wandte sich Catherine an James Brickston. Unvermittelt quakte etwas von unterhalb des Tisches, und ein Laubfrosch hüpfte am linken Tischbein vorbei in das Wohnzimmer. Babette kam aus ihrem Zimmer gelaufen und sah das hier nicht hingehörende Tier, das mit kurzen Sätzen den Flur entlanghüpfte.
"Huch, wo kommt der denn her? Wieso ist meine Tür eigentlich jetzt erst wieder aufgegangen, ey?" Fragte Babette und versuchte, den Frosch einzufangen.
"Ich habe deine Zimmertür verriegelt, damit ich mich mit deiner abergläubischen Oma in Ruhe unterhalten konnte, Kind", sagte Tante Madeleine. "Tja, und der Frosch war vorher noch deiner Oma Blanches weiß-blaue Kaffeetasse."
"Tante Madeleine, was sollte das?" Fauchte Catherine. Madame L'eauvite sah ihre Nichte sehr ungehalten an. Julius vermeinte, es doch mit ihrer Schwester Blanche zu tun zu haben, bevor sie wieder ihr schulmädchenhaft grinsendes Gesicht aufsetzte und sagte:
"Ich habe es versucht, deine Schwiegereltern ohne mich zu offenbaren von ihrem Irrsinn abzubringen, Babette und Claudine würden zu gottlosen Mädchen erzogen, Catherine. Dann sagte deine Schwiegermutter doch glatt, sie befürworte heute noch die Hexenverbrennung, auch wenn ihre achso aufgeklärte Welt keine echten Hexen mehr zuließe und sie Babette und Claudine vor diesem "Verderblichen Treiben" bewahren wolle. Sie fragte mich auch noch, ob ich eine echte Hexe sei. Das habe ich dann bejaht, worauf sie mich erst verächtlich angesehen hat. Ihr Mann hat gelacht und gemeint, daß von dummen Fragen dumme Antworten herrührten. Doch sie meinte, daß ich sie belügen würde und ihre Angst vor dunklen Magiern ausnutzen wolle. Da habe ich befunden, daß ich der Dame zeige, daß ich nicht gelogen habe und ihre volle Tasse in einen quakenden Frosch verwandelt. Ich hätte ja auch sie verhexen können, zumindest kam mir im ersten Moment die Idee."
"Oha", meinte Julius ungefragt, und Babette grinste ihre Großtante an und sah dann ihren Vater.
"Warum steht Papa so still da?" Fragte sie nun etwas besorgt.
"Achso", meinte Madeleine L'eauvite und hob mit einem kurzen Zauberstabwink den Bewegungsbann wieder auf. Als Joe ansetzte ihr an den Kragen zu gehen oder ihr etwas böses zuzurufen sagte sie sehr entschlossen:
"Joe, wir mußten deinen Vater und dich stillhalten, damit wir deine Mutter behandeln konnten."Dann griff sie in eine Tasche ihres Regenbogenvogelkostüms und holte einen glitzernden Gegenstand an einer dünnen Kette hervor. Julius konnte nicht anders als Grinsen. Das was Babettes Großtante da in der Hand hielt war ein silbernes Kreuz, dessen Balken ungefähr drei Zentimeter lang waren.
"Das hat die mir an den Kopf geworfen, als sie uns eine "gottlose Hexenbrut" nannte. Für so alt habe ich deine Schwiegermutter aber doch noch nicht eingeschätzt, Catherine, daß sie sich solcher Muggelidiotien bedient."
"Haben Sie ihr nicht den Gefallen getan, laut aufschreiend unter einem grellen Blitz zu Asche zu verbrennen, Madame?" Fragte Julius frech. Catherine sah ihn sehr ungehalten an. Ihre Tante und Babette lachten, während Claudine in ihrem Kinderbett im Schlafzimmer schrie.
"Wenn dir Blanche diesen Unfug beigebracht hat solltest du das Geld für ihre Stunden zurückverlangen, junger Mann. Nein, ich habe nicht so auf dieses Schmuckstück angesprochen wie es die Muggelpropaganda von einer Abgesandten der Hölle erwartet. Das heißt entweder, daß ich stärker bin als dieses Dingelchen hier", wobei sie das christliche Symbol an seiner Kette baumeln ließ, "Oder daß ich keine "Hure Satans" bin. Schon überhaupt eine Unverschämtheit, mich eine Hure zu nennen. Das sind Muggelmädchen, die sich selbst wie Frischfleisch verkaufen, Babette."
"Ich weiß was das ist, Tante Madeleine", erwiderte Babette trotzig.
"Ein Silberkreuz ist auch das verkehrte Mittel. Jedes Kind weiß, daß Hexen sich auflösen, wenn sie mit klarem Wasser übergossen werden", legte Julius nach.
"Also ehrlich", erwiderte Madame L'eauvite, mußte jedoch grinsen. "Soweit ich dieses Märchen kenne muß diejenige Nichthexe dabei rote Zauberschuhe anhaben und die böse Hexe grün sein. Könnte eine Anspielung auf die lästigen grünen Waldfrauen sein."
"Wenn Sie stärker als das Kreuz gewesen wären und es wirklich mit einer dunklen Zauber abwehrenden Magie aufgeladen beziehungsweise geweiht gewesen wäre, hätte es dann ja zerschmelzen müssen oder zumindest aufblitzen müssen. Also ist das hier nur ein kleines Schmuckstück ohne magische Extras", stellte Julius fest und ergriff das silberne Kreuz, wobei er so tat, als versetze es ihm einen elektrischen Schlag und dann lausbübisch grinste, weil ihn alle so erschrocken ansahen.
"Mein alter Schulfreund Lester hat mal einen Vampir gespielt und es hingekriegt, wie einer zusammenzufahren, wenn er mit dem Kreuz Christi konfrontiert wird."
"Unfug sowas. Echte Vampire lassen sich von sowas doch nicht abschrecken", protestierte Madame L'eauvite und schaute dann mitleidsvoll Jennifer Brickston an, der sie dann halbfeierlich ihr silbernes Kreuz wieder umhängte, ohne daß Joes Mutter etwas dagegen tun oder dazu sagen konnte.
"Aber das mit dem Zu Asche zerfallen, wenn einen sowas trifft ist ein interessanter Materietranslokationstrick, Julius. Könnte ich mir für die nächste Familienfeier zurechtbiegen", sagte Madeleine L'eauvite. "Aber ich denke mal nicht, daß meine verantwortungsvolle Schwester euch diesen Muggelmumpitz beibringt, daß nur die Symbole alleine magische Wirkung auf dunkle Kreaturen haben. - Wie auf Stichwort, Blanche!" Sagte sie dann noch und lächelte ihre Schwester an, die von allen die frei sprechen konnten unbemerkt hereingetreten war.
"Dann habe ich Babette zu unrecht unterstellt, sie könnte hier ein unverantwortliches Chaos angerichtet haben", knurrte Madame Faucon. "Denn es wäre typisch für dich, arglose Muggel zu foppen, Madeleine."
"Sie haben's drauf angelegt, Blanche", erwiderte Madame L'eauvite beschwichtigend.
"Rumpelstilzchen, Madeleine, weißt du, was du jetzt angerichtet hast?!" Bellte Madame Faucon. Quoak-quoak", tönte es vor Babettes Zimmertür.
"Hach, den Unfug mit dem Frosch hast du wieder angestellt, Madeleine", knurrte Madame Faucon. "Accio Frosch!" Mit einem merkwürdig kehligen Laut flog der Laubfrosch ins Wohnzimmer zurück und landete in Madame Faucons freier Hand. Sie setzte ihn auf den Tisch und vollführte eine sehr rasche Zauberstabbewegung. Mit einem lauten Plopp wurde der Frosch zu einer weiß-blauen Tasse, die mit dampfendem Kaffee gefüllt war.
"Meine Kaffeetassen, die ich Catherine zur Hochzeit geschenkt habe, Madeleine? Oma Claudines Kaffeeservice? Du schreckst auch wirklich vor nichts zurück. Du hast den Fall Rumpelstilzchen ausgelöst, Madeleine. Was ist mit den Eltern von Joseph?""
"Wir mußten sie bewegungsbannen", sagte Catherine. "Jennifer wurde ohnmächtig, als sie herausfand, daß deine Schwester gegen die Berührung mit einem silbernen Kreuz immun ist. Da stand sie erst eine Weile starr da und fiel dann um. Julius hier hat auf meine Anweisung hin die notwendigen Heilzauber durchgeführt."
"Und als diese wohl erfolgreich wie ich hoffe gewirkt waren wollte sie dich oder Madeleine wieder angreifen?" Fragte Madame Faucon, die kurz einen mitleidsvollen Blick auf Mrs. Brickston geworfen hatte.
"Sie wollte Julius angreifen", antwortete Catherine. Da habe ich ihm geholfen. Da der Fall Rumpelstilzchen eh schon gegeben ist ..."
"Wohl wahr", knurrte Catherines Mutter. "Gut. Du hast den jungen Mann hier dazu angewiesen, Madame Grandchapeau zu benachrichtigen. Gehst du wirklich davon aus, daß es keine andere Lösung gibt?"
"Ich fürchte, bei Jennifer bin ich mir da absolut sicher", sagte Catherine leicht betrübt. Joe sah sie grimmig an und meinte:
"Catherine, wenn deine Leute meine Eltern mit irgendwelchen Gehirnverdrehungszaubern bearbeiten kannst du Babette und Claudine alleine großziehen. Dann ist endgültig Schluß mit meiner Geduld." Er blickte sehr vorwurfsvoll Blanche und ihre Schwester an. Babette schrak zusammen und blickte von unten her sehr erschrocken zu ihrem Vater auf. Die älteste Tochter der Brickstons hatte die gleichen Augen wie ihre Mutter und ihre Großmutter mütterlicherseits.
"Ist das dein letztes Wort?" Fragte Madame Faucon.
"Mein Allerletztes", stieß Joe mit wütendem Gesicht aus. "Ich habe vieles geschluckt, mich bei vielem herausgehalten und bei einigem schnell vergessen, was ich mitbekommen habe, weil ich meine Familie nicht verlieren wollte. Aber wenn ihr euch jetzt an meinen Eltern vergreift, nur weil dieser alten Schachtel da der Zauberstab ausgerutscht ist, war es das!"
"Das müssen wir bei der Erörterung und Prüfung der Situation in Erwägung ziehen", sagte Blanche Faucon und sah ihre Schwester vorwurfsvoll an, die bei der Bezeichnung "Alte Schachtel" sehr verdrossen dreingeschaut hatte.
"Die Damen und der Herr, ich denke, ich werde hier nicht mehr benötigt", sagte Julius leise und machte Anstalten, sich abzusetzen.
"Doch, das wirst du", hielt ihn Catherine zurück, und ihre Mutter nickte bekräftigend. "Immerhin werden die Beamten des Ministeriums fragen, was passiert ist und du wirst bezeugen müssen, daß wir keinen körperversehrenden Zauber auf Mrs. Brickston angewendet haben."
"Ist'n Kunststück, wo er bei deiner Mutter und dir unter der Fuchtel steht", grummelte Joe.
"Verscherz es dir nicht noch im letzten Moment mit mir, Joseph Brickston", warnte Madame Faucon ihren noch-Schwiegersohn.
"Als wenn mir deine Drohungen jetzt noch Angst einjagen könnten, Blanche Faucon. Denn wenn ich gehe, habt ihr keine Rechte mehr, mich mit irgendwas auch immer zu behexen, ohne euch dafür selbst ins Gefängnis zu bringen."
"Papa, du kannst doch nicht weggehen", quängelte Babette. In den Augen der angehenden Junghexe glitzerten erste Tränen und ihr Gesicht war kreideweiß.
"Geh auf dein Zimmer!" schnaubte Joe Brickston unerbittlich. Babette stampfte mit dem Fuß auf, wirbelte herum und lief den Flur entlang. Julius folgte ihr, ohne die Anweisung dazu bekommen zu haben. Das war auch gut so. Denn anstatt in ihr Zimmer lief Babette in das Elternschlafzimmer, wo das Gitterbettchen mit der immer noch quängelnden Claudine stand. Babette machte Anstalten, über die Gitter zu langen und ...
"Sie kann am wenigsten für den ganzen Mist, Babette", stieß Julius aus, als Babette mit wild entschlossener Miene ihre kleine Schwester zu packen versuchte und trat hinter sie, wobei er sachte eine Hand auf ihre Schulter legte. "Babette, sie kann wirklich am wenigsten dafür, was jetzt los ist", versuchte Julius, so ruhig wie möglich sprechend auf Babette einzuwirken. Diese zog zitternd ihre Arme über das Bettgitter zurück und wich einen kleinen Schritt zurück.
"Wegen der ist Oma Jennifer so böse geworden. Wegen der will Papa weg von uns", quängelte Babette. Julius nahm sie aus einer ihm selbst unergründlichen Regung heraus in die Arme, hob sie sacht vom Boden auf und trug sie aus dem Schlafzimmer. Catherine lugte aus dem Wohnzimmer, sah, wo Julius hinging und nickte ihm zu. In seinem Kopf hörte er sie sagen:
"Bleib bitte bei ihr! Wir kriegen das hin." Nie zuvor hatte Julius es so klar verstanden, warum beim Mentiloquismus keine körperlichen Regungen auf erhaltene Botschaften geäußert werden durften.
Er trug Babette in ihr Zimmer und stellte sie auf ihre Füße. Bis hierhin hatte sie es sich gefallen lassen. Sie drehte sich rasch um und warf sich aufs Bett, wo sie hemmungslos in das Kissen weinte. Julius schloß die Zimmertür. Offenbar hörte nur er das leise Klicken im Türschloß.
"So haltet ihr mich aber nicht zurück", mentiloquierte Julius an Catherine.
"Das wissen wir", kam Catherines Antwort zurück.
"Hallo, Monju, haben sich Catherine Brickstons Muggel-Schwiegereltern wieder beruhigt?" Vernahm er unerwartet Millies Gedankenstimme.
"Neh, leider nicht, Millie. Aber da möchte ich im Moment nichts zu sagen oder denken."
"Oma Line tut auch so geheimnisvoll. Mayette hat Callie was von einem Rumpelstilzchen erzählt. Was soll das sein?"
"Eigentlich ein böser Zwerg aus einem Märchen der Muggel, der einer armen Müllerstochter geholfen hat, aus Stroh Gold zu spinnen, dafür aber immer mehr von ihr haben wollte, am Ende, als der König sie wegen ihrer angeblichen Kunst geheiratet hat das erste Kind, was sie bekommen würde. Als es dann soweit war hat dieser Hutzelzwerg ihr noch eine Chance gegeben, ihr das Kind zu lassen, wenn sie seinen Namen erraten könnte. Beinahe hätte das nicht geklappt. Nur weil sich der Idiot immer unbeobachtet gefühlt hat und seinen Namen laut gesungen hat, konnte ein Kundschafter des Königs ihn hörenund weitermelden."
"Ach, und weil diese Goldspinnerin und Königin den Namen echt gewußt hat ist der Zwerg fluchend davongerannt und hat ihr das Kind gelassen."
"Neh, der hat sich selbst in der Mitte zerrissen, so das Märchen", erklärte Julius auf gedanklichem Weg, während Babette weiterhin ihr Kissen mit Tränen tränkte.
"Ou, wohl ein schlechter Verlierer, häh? Aber wie kommt Mayette auf diesen Geschichtenzwerg?"
"Soll wohl in den Zaubereivorschriften sowas geben, daß mit diesem Kinderklauer was zu tun hat. Überleg mal, es geht darum, was rauszukriegen, was sonst keiner wissen soll und mit Familien und Kindern zu tun hat."
"Hmm, muß ich erst mal drüber nachdenken. Aber das mit morgen bleibt so?"
"Im Moment ja, Millie", erwiderte Julius für Babette unhörbar.
"Ich denke mal über diesen Zwerg nach. Vielleicht kennt Oma Teti den sogar. Die ist gerade bei uns und untersucht Maman und Miriam. Die versteht sich ja auf's Kinderholen."
"Lass das besser, Millie. Das muß nicht jeder wissen!"
"Was muß nicht jeder wissen, Julius. Ich kenne im Moment nur diese Geschichte", widersprach Mildrid.
"Das reicht auch schon", erwiderte Julius.
"Blöde Claudine!" Quängelte Babette in ihr Kissen. "Warum mußten Maman und Papa sie kriegen?"
"Mädchen, wenn ich dir das erzähle fällst du von jedem Glauben ab", dachte Julius. Er vergaß dabei, daß Millie wohl noch ihren Herzanhänger an die Stirn gedrückt hielt und so jeder stark konzentrierter Gedanke zu ihr wanderte.
"Ich glaube nicht, daß ich vom Glauben abfalle, wenn du mir die Geschichte erzählst, Monju", wisperte ihre Stimme keck in seinem Kopf.
"Oh, Mist, diese Dinger sind ja megaempfindlich", grummelte Julius in Gedanken. Dann erklärte er seiner Freundin, daß er eigentlich Babette gemeint habe, mit der er gerade im Zimmer war. Millie tat dann entrüstet und meinte, daß er sie jetzt mit Catherines Tochter betrügen wolle, schickte dann aber ein aufmunterndes "Das traue ich dir dann doch nicht zu" zurück.Er erklärte ihr dann, daß Babette gefragt habe, warum ihre Eltern Claudine bekommen mußten, weil sie sie im Moment an allem Schuld fand.
"Oh, dann stimmt das mit dem Glauben", pflichtete Millie ihm bei. Dann mentiloquierte sie ihm:
"Ich habe das jetzt auch mit dem Rumpelstilzchen raus. Offenbar haben die vom Ministerium das so genannt, wenn jemand aus einer Muggelfamilie rauskriegt, daß jemand anderes aus der Familie Zaubern kann und dann gekuckt werden muß, wie man damit klarkommt. Nicht wahr, Monju?"
"Kein weiterer Kommentar", schickte Julius zurück.
"Will sagen: Die Mutter deiner Kinder ist doch ein schlaues Mädchen, Monju. Ich lass dich jetzt wieder alleine. Denkst du heute beim Schlafengehen noch mal an mich?"
"Neh, an deine kleine Schwester", schickte Julius zurück.
"Häh?!" Tönte es unter seiner Schädeldecke.
"die darf jetzt bei deiner Mutter sein und braucht nur laut zu schreien ..."
"Soso, Bürschchen, als wenn du bei mir noch nicht auf deine Kosten gekommen wärest. Bis heute Abend, Monju!"
Julius überlegte, ob er den wohlig warm pulsierenden Anhänger abnehmen sollte, um sicherzusein, daß Millie nicht doch weiter mithörte, was er konzentriert dachte. Vielleicht sollte er sie aus seinem Geist hinausokklumentieren. Babette schien ihren Weinkrampf vorerst überstanden zu haben und sah Julius an, der immer noch neben der magisch verschlossenen Tür stand.
"Das alles wäre nicht passiert, wenn Claudine nicht angekommen wäre", schniefte sie.
"Claudine hat sich deine Eltern nicht ausgesucht, Babette, genausowenig wie du dir deine Eltern ausgesucht hast oder ich mir meine. Sie kann da echt nichts für, daß das zwischen deiner Oma Jennifer und deiner Großtante Madeleine so heftig gekracht hat."
"Doch, weil Oma Jennifer wegen ihr rübergekommen ist. Sonst wäre die zu Hause geblieben, nachdem Papa und Maman sie Weihnachten runtergemacht haben."
"Wenn ich das richtig mitgekriegt habe kamen deine Großeltern rüber, weil Claudine da schon unterwegs war. Aber wie gesagt, die kann wirklich und absolut überhaupt nix dafür, was jetzt läuft. Die hat genausoviel Angst wie du, daß dein Papa weggeht. Die merkt das, daß alle um sie rum wütend sind und weiß überhaupt nicht was los ist. Und ich glaube auch nicht, daß dein Papa einfach weggeht. Der mag euch zu sehr", sagte Julius. "Er meint jetzt nur, was machen zu müssen, damit seine Eltern, deine Oma Jennifer und dein Opa James nicht von Ministeriumszauberern mit irgendwelchen Zaubern beharkt werden. Vielleicht denkt er, daß das Familienschutzgesetz wichtiger ist als die Geheimhaltung der Magie. Wenn er merkt, daß das nicht stimmt, wird er es sich überlegen, ob er wirklich weggehen soll."
"Der geht weg, wenn die was machen", plärrte Babette und fing wieder an zu weinen. "Der geht einfach weg."
"Das weißt du nicht, Babette", versuchte Julius, das gerade mal zehn Jahre alte Hexenmädchen zu beruhigen.
"Ich hab's in seinen Augen gesehen. Er ist sehr böse und will weggehen", heulte Babette. Julius überlegte, was er jetzt sagen konnte oder durfte. Babette hatte gerade eine Höllenangst und war wütend auf ihre kleine Schwester, weil die angeblich daran Schuld war, daß ihr Vater nicht mehr bei ihr bleiben wollte. Dann meinte er, die richtige Antwort zu wissen und sagte laut genug, daß sie es über ihr eigenes Geheul hinweg hören konnte:
"Dein Vater liebt dich, deine Maman und deine kleine Schwester. Der möchte nicht weggehen, Babette. Er weiß, daß ihr nicht daran schuld seid, was mit deiner Oma Jennifer los ist."
"Dann würde er nicht sowas sagen", flennte Babette. "Der mag uns nicht mehr."
"Der hat auch seine Eltern sehr lieb und möchte nicht, daß ihnen wegen ihm wehgetan oder sonst was gemacht wird, Babette. Deshalb ist dder im Moment so böse. Der hat zu viel ausgehalten, damit er bei euch bleiben konnte, seine Firma, seine Eltern, deine Oma Blanche. Kein Mann macht das freiwillig, wenn da nicht etwas oder jemand ist, daß den ganzen Ärger wert ist."
"Dein Vater ist doch auch weggegangen, weil du ein Zauberer bist. Und jetzt ist er tot", jammerte Babette. Julius fühlte diese Worte wie einen Dolchstoß mitten ins Herz. Das seine Erlebnisse mit dazu beigetragen hatten, daß Babette jetzt diese Riesenangst hatte, das hatte er nicht überlegt. Sekunden lang stand er da, sagte kein Wort. Die kleine, hemmungslos weinende Hexe da vor ihm hatte ihn mit einem einzigen Satz ausgehebelt und in die Ecke gepfeffert. Er hatte selbst immer wieder daran denken müssen, was gewesen wäre, wenn sein Vater sich damit abgefunden hätte, das er, Julius, zaubern konnte. Warum hing er jetzt voll in dieser Kiste mit drin. Seine Mutter und er konnten doch eine Wohnungstür zwischen sich und den Flur zuschließen, und die Brickstons hatten auch eine eigene Wohnungstür. Wieso hing er jetzt hier unten und mußte sich damit abquälen, einer Zehnjährigen irgendwas beruhigendes und aufmunterndes zu sagen, die eigentlich nur die Tochter der Nachbarn war. Aber er mußte doch nicht hierbleiben. Er konnte doch mit seinem Zauberstab die Tür aufsperren und einfach weggehen. Einfach weggehen! Genau das war es doch, was sein Vater gemacht hatte. Er hatte nicht versucht, zu bleiben, sondern sich einen tollen Trick ausgesucht, um einfach so weggehen zu können. Sicher, was ihm dann passiert war war grausam gewesen. Aber er war zunächst einfach so weggegangen, hatte sich von ihm und seiner Mutter einfach so abgewendet und war davonmarschiert. Wenn er jetzt einfach den Zauberstab nahm und die Tür aufspringen ließ wäre er ein Feigling, ähnlich wie sein Vater trotz allem, was er immer noch für ihn empfand in einem wichtigen Moment ein Feigling gewesen war, nicht weil er versucht hatte, gegen die Zauberer und Hexen zu kämpfen, nicht weil er versucht hatte, die eigene Ehefrau in eine Irrenanstalt einweisen zu lassen, sondern weil er es für zu schwer gehalten hatte, seinen einzigen Sohn als das zu lieben was er war. Joe Brickston hatte vieles mitmachen müssen, war sogar einmal dem Infanticorpore-Fluch unterworfen gewesen. Julius wußte nicht, für wie lange Joe ein hilfloses Baby gewesen war, was ihm seine Schwiegermutter in diesem Zustand gesagt oder getan hatte. Aber er war nicht weggelaufen, als er die Möglichkeit gehabt hätte. Denn er mußte ja zur Arbeit gehen und blieb nicht im magisch gesicherten Haus. Er hatte es hingenommen, daß Julius und seine Mutter über den Brickstons einzogen und nicht nur seine frühere Wunschgeliebte wieder nahe war und doch unerreichbar blieb, sondern daß über ihn, Julius, die Zaubererwelt noch näher an ihn herangerückt war, weil seine Schwiegermutter sich nun erst recht in seinem Haus herumtreiben konnte, weil andere Hexen und Zauberer, wie heute zuletzt die Delacours und seine Schwiegertante mal eben hereinschneien konnten und weil er, Julius, der Sohn des Mannes war, der ihm, Joe, die erhoffte Liebe streitiggemacht hatte. Wußte Julius, wie Joe ihn ansah, wenn er ihm nicht in die Augen sah? Wußte er, was er von ihm hielt, wenn er über ihm Musik hörte oder mit seiner Mutter fernsah? Trotz allem war Joe immer noch da. Daß er jetzt in diesem Zwiespalt festklemmte, sich für die geistige Unversehrtheit seiner Eltern oder für seine Familie entscheiden zu müssen mußte ihn ja wütend machen. Julius wußte es trotz seiner erst knapp fünfzehn Lebensjahre, wie wütend er war, wenn er etwas machen wollte, aber nicht wußte wie, obwohl es ihm so wichtig war.
"Du sagst nichts mehr, Julius. Dann stimmt das ja, was ich sage", quängelte Babette.
"Das mein Vater einfach so weggegangen ist und dabei allen wehgetan hat, die er mal geliebt hat, ja das stimmt, Babette. Aber dein Vater hat viel einstecken müssen, von deinen Verwandten aus der zaubererwelt, denen aus der Muggelwelt, seinen Vorgesetzten in der Firma hier und daß meine Mum und ich jetzt bei euch wohnen und deine Oma Blanche deshalb noch genauer hinkuckt, was hier so abgeht. Ja, das ist alles richtig, Babette. Aber mein Vater hat nicht zugeguckt, als meine Mutter mich bekommen hat. Ich weiß bis heute nicht, was er so alles gemacht hat, als ich bei meiner Mutter im Bauch gelegen habe. Aber er wollte es nicht sehen, wie ich ankomme. Dein Vater hat zugesehen, wie ihr, du und Claudine, auf die Welt kamt. Der hat bestimmt tierische Angst gehabt, daß euch dabei was passiert, vor allem jetzt bei Claudine, weil sie nicht da geboren wurde, wo Ärzte rumlaufen mit deren Ausbildung er was anfangen kann."
"Er hat gekübelt und sich aufs Bett gelegt", knurrte Babette. In dem Moment erkannte Julius, daß er die Trauerbarriere angeknackst hatte.
"Warum wohl, Babette? Der hatte eine Scheißangst, als er sah, wie weh das deiner Maman tat, als Claudine rauskommen wollte und hat ihr zugesehen, bis seine Angst zu groß wurde und ihm deshalb schlecht wurde. Warum hatte er diese Angst, wenn er euch mal soeben allein lassen kann, deine Maman, deine Schwester Claudine und dich?"
"Der hatte keine Angst, Julius. Dem war nur kotzübel, weil Maman geblutet hat und sie unten immer weiter aufgegangen ist."
"Nein, der hatte ganz bestimmt tierisches Muffensausen, Babette. Ich kann dir auch sagen, woher ich das weiß. Aber du meinst ja, deine Schwester wäre schuld, daß dein Vater im Moment so wütend ist."
"Die sagen zwar alle, daß du 'ne Menge weißt, aber das weißt du nicht", protestierte Babette verdrossen dreinschauend.
"So, und warum hat dein Vater keinen Moment gewartet, zu euch zurückzukommen, als Claudine endlich draußen war und ihren ersten Schrei getan hat und hat sich dann sooo sehr gefreut?"
"Weil er es mußte. Oma Blanche und Tante Madeleine waren ja da und Madame Hera. Der wollte ja nicht als Weichei rumlaufen."
"Der war überglücklich, daß alles geklappt hat und saumäßig stolz, daß er wieder Papa geworden ist, Babette. Du hast doch selbst gesagt, du hättest Angst, sie könnten dich nicht mehr liebhaben, weil du jetzt eine kleine Schwester hast. Hast du doch gesagt, oder?"
"Ja und?" Versetzte Babette.
"Dann müßte er ja deine kleine Schwester so sehr lieben, daß es ihm wehtut, wenn er sie einfach hierlassen muß. Und mitnehmen kann er sie nicht. Das hat er selbst gerade gesagt."
"Wer sagt dir das?"
"Der hat gerade gesagt, daß deine Maman euch dann alleine großziehen könnte, wenn irgendwer an seinen Eltern herumhokuspokussen will. Also weiß er, daß er sie nicht mitnehmen kann. Wenn er sie also weniger liebt als dich oder euch beide weniger liebt als deine Maman oder euch noch weniger lieben würde als seine Eltern, dann gäbe es weder dich noch Claudine. Das habe ich doch mitgekriegt, wie sehr er sich gefreut hat, als wir ein paar Tage bei Mayettes Eltern im Sonnenblumenschloß waren."
"Das war so'n Ding, weshalb alle da Kinder gemacht haben", knurrte Babette.
"Ja, aber das hat nur bei den Leuten geklappt, die sich wirklich richtig doll liebhaben, Babette. Sonst hätte deine Maman ja noch von Denises Vater ein Kind bekommen oder Mayettes Tante hätte eins von mir kriegen können." Babette mußte auf einmal grinsen, wenn sie sich das vorstellte. "Ja, oder Claire hätte einen kleinen Bruder gekriegt, der zu mir hätte Papa sagen dürfen", trieb Julius die Phantasie weiter, ohne in schlüpfrige Einzelheiten zu verfallen. Allerdings dachte er mit einem gewissen Unbehagen daran, daß es fast soweit gekommen wäre, wenn er und Béatrice Orions Liebestollheitsfluch nicht total dreist ausgetrieben hätten. Babette mußte jetzt lachen.
"Oder Papa hätte es mit der langen Montferre getrieben, wenn der ihr schon immer auf die Dutteln geglotzt hat."
"Ey, das Wort habe ich dir aber nicht beigebracht, Babette", erwiderte Julius schmunzelnd. Er wußte nicht, ob er das Eis jetzt wirklich gebrochen oder nur eine etwas wärmere Stelle geschaffen hatte.
"So hat Callie das genannt", sagte Babette. Julius befand, daß er noch nachhaken mußte.
"Weil eben nur die neue Kinder bekommen haben, die sich schon immer gern hatten und keine Probleme damit kriegen würden, neue Kinder zu haben, ist das klar, daß dein Papa deine Maman immer noch sehr lieb hat und damit auch dich, weil du von ihr und ihm bist und Claudine. Aber er liebt euch alle gleich gut, deine Maman, deine Oma Jennifer, deinen Opa James, deine Schwester Claudine und dich. Und wenn er einfach so wegläuft wäre er nicht nur feige sondern strohdumm. Denn zum einen würde er damit zeigen, daß er kein echter Mann ist, weil er einfach wegläuft und zum anderen ein total langweiliges Leben führen, das millionen andere alleinstehende Männer leben. Ich würde mir das hundertmal überlegen, ob ich so'ne gottlose Hexenbrut wie euch loswerden wollte, wenn ich dafür entweder nur verqualmte Pubs oder andauernde Wiederholungen im Fernsehen kriegen könnte." Er mußte wohl sehr breit gegrinst haben, denn es steckte Babette an, ob sie wollte oder nicht. Doch als sie nicht nur grinste, sondern lachte, konnte er aufatmen. Zumindest hatte er sie für's erste wieder aufgerichtet, ohne jahrelang Psychologie oder dergleichen studiert zu haben. Es lag wohl daran, daß er Babette doch schon etwas besser kannte und sie was von ihm kannte. Er sagte noch zu Babette: "Ich weiß nicht, wie das mit deiner Oma Jennifer und deinem Opa James abläuft. Aber deine Maman und deine Oma Blanche passen schon auf, daß nichts passiert, was ihnen wehtut oder deinem Vater noch mehr Angst macht, da bin ich mir sicher."
"Oma Blanche ist das doch scheißegal, was mit mir ist. Die sagt, Muggel hätten sich nicht in Zauberersachen reinzuhängen und wenn sie das doch machen, kriegen sie was übergebraten."
"Das hat deine Oma bestimmt nie gesagt. Hört sich zumindest nicht so an, wie sie was sagt", entgegnete Julius entschieden.
"Klar hat die sich so überdreht vornehm ausgedrückt, wie Oma Jennifer oder deine Mutter das gelernt haben. Aber so meint die es. Muggel haben sich bei Zauberersachen nicht reinzuhängen und wenn doch kriegen sie was übergezogen. Basta!"
"Aber du bist keine Muggel, und weil dein Papa mit deiner Maman verheiratet ist und dich und Claudine beim Regenbogenvogel bestellt hat ist er auch kein echter Muggel mehr. Der kann zwar nicht zaubern, aber darf trotzdem wissen, was wir so machen und können." Babette lachte wieder los. Julius dachte in dem Moment nicht daran, daß da draußen Leute waren, von denen zwei oder drei gerade mordsmäßige Probleme hatten. Er stand da im Zimmer und versuchte, eine gerade eben noch total verheulte Zehnjährige bei guter Laune zu halten.
"Regenbogenvogel? Hat dir Millie das erzählt oder Claire?"
"Millie hat mir das erzählt", sagte Julius. Ihre Oma Ursuline hat schon einen eigenen Briefkasten bei denen, wo die immer wieder reingucken und sich freuen, wenn keine Post für sie drin ist."
"Mayette hat mir aber gesagt, daß ihre Maman, also die Oma von deiner Millie, ihr schon wo sie vier war genau erzählt hat, wie sie gemacht worden ist. Die hat zwar nicht genau erklärt, was genau dabei gemacht wurde, aber daß sie in zwei winzige Tropfen zerlegt war, von denen einer von ihrem Vater in ihre Mutter reingespritzt wurde und da mit dem zweiten Tropfen zusammengeflossen ist, bis es anfing, größer und fester zu werden und sie dann lange in ihrer Mutter rumgelegen hat und die für sie alle mitessen und loswerden mußte. Ja, hat Mayette mir erzählt", entgegnete Babette.
"Und du kennst das wohl aus dem Fernsehen, wie Mann und Frau den Regenbogenvogel rufen", erwiderte Julius unbeeindruckt.
"papa hat das zwar nicht so gefallen, als ich bei so'ner Serie für Erwachsene gesehen habe, wie das dann echt sein muß, aber dann hat er es mir richtig erzählt, damit ich nicht dumm sterbe."
"Siehst du, dein Vater liebt dich. Sonst würde er dich doch einfach dumm sterben lassen", griff Julius den Faden der bisherigen Plauderei wieder auf. Babette sah ihn an und mußte dann lachen.
"Das hätte ich doch irgendwann auch so rausgekriegt", sagte sie. Dann wurde sie auf einmal ganz still, aber nicht aus Schrecken sondern vor Neugier. Sie lauschte in den Flur hinaus. Warum war es da draußen so ruhig? Die Frage stellte sich zumindest Julius. Er sah Babette an und mentiloquierte dann Catherine an.
"Ihr könnt wieder rauskommen, die Leute vom Ministerium sind mit Babettes Oma Jennifer und Opa James im wohnzimmer. Sie haben ihnen nichts getan und werden das auch nicht tun."
"Was sollte die große Lösung dann sein, wenn nicht Gedächtnislöschung oder dergleichen?" Fragte Julius gedanklich.
"Stimmt schon, daß die große Lösung eine vollständige Gedächtniskorrektur gewesen wäre. Aber wir haben dafür was anderes gemacht, will sagen, Babettes Oma Blanche, die mir gesagt hat, daß sie das, was Babette vorhin über sie rausgebrüllt hat heute mal nicht gehört hat."
"Heh, jetzt bin ich aber gespannt wie ein Flitzebogen", mentiloquierte Julius und wandte sich dann an Babette.
"Also, Babette, wir können wieder raus hier. Die haben irgendwas gemacht, was deinen Papa nicht noch mehr Angst gemacht hat, hat mir deine Maman gerade zugemelot."
"Glaube ich nicht", versetzte Babette und sprang zur Tür, die sich widerstandslos öffnen ließ.
Julius lief ihr nach und erreichte das Wohnzimmer, als Babette ihrem Vater um den Hals fiel, der im Moment noch verunsichert war. Catherine und ihre Mutter lächelten Julius an, als habe er gerade den Orden "bester Schüler des Jahres" gewonnen. James Brickston saß locker auf dem Sofa. Seine Frau saß neben Madame Nathalie und Madame Belle Grandchapeau. Sonst waren keine Ministeriumszauberer oder -hexen anwesend.
"Huch, Eitelsonnenschein? Das träume ich doch jetzt", sagte er, als er mitbekam, wie sich die Grandchapeaus mit den Brickstons unterhielten. Dann mentiloquierte er an Catherines Adresse: "Oder habt ihr da was gedreht?"
"Monsieur Andrews, schön daß Sie jetzt auch die Zeit gefunden haben, sich zu uns zu gesellen", begrüßte ihn Madame Nathalie Grandchapeau.
"Guten Tag, Madame Grandchapeau", erwiderte Julius den Gruß. Dann sah er Jennifer Brickston an, die irgendwie entspannt und völlig ruhig dasaß. Julius fürchtete schon, man habe sie unter Drogen gesetzt oder mit einem entsprechenden Zauber behandelt. Auch James Brickston saß ganz entspannt da, als träume er mit offenen Augen von einer autofreien Innenstadt, durch die er einen Bus voller fröhlicher Menschen chauffieren konnte. Er sah Joe an, der seine große Tochter fest in die Arme geschlossen hatte. Dann fiel sein Blick auf Blanche Faucon.
"Dürfen Sie mir verraten, was Sie mit den beiden angestellt haben?"
"In Catherines Arbeitszimmer", mentiloquierte Madame Faucon zurück und nickte ihrer Tochter zu, die bestätigend zurücknickte. Madeleine L'eauvite hantierte gerade mit dem gebrauchten Kaffeegeschirr, wedelte dann mit dem Zauberstab und ließ es mit einem leisen Plopp verschwinden. Julius vermeinte ein sehr lautes Echo dieses Geräusches aus der Küche zu hören. Da winkte Madame Faucon ihm und führte ihn in das schalldichte Arbeitszimmer ihrer Tochter. Als die Tür zu und damit der dauerhafte Klankerker hermetisch verschlossen war sagte Madame Faucon:
"Zunächst einmal möchten Catherine und ich uns bei dir bedanken, daß du Babette so gut beschäftigt hast und sie offenbar auch wieder ins Lot gebracht hast. Catherine hat schon befürchtet, daß sie sich im Vorbeigehen an ihrer kleinen Schwester vergreifen könnte. Aber da warst du ja schon hinter ihr her. Natürlich haben wir mitbekommen, was du ihr erst im Schlafzimmer und dann in ihrem eigenen Kinderzimmer erzählt hast. Denn alle waren ganz still, auch die, die sich frei bewegen konnten. Sicher war das für dich eine sehr unangenehme Situation, und du hättest dich ja nicht darauf einlassen müssen, mit Babette zu sprechen. Aber du hast es getan."
"Womöglich weil ich nicht wollte, daß sie anfängt, Claudine zu hassen. Sie kennen ja die Lehren der Jedi", erwiderte Julius lässiger tuend als er sich fühlte.
"An die du selbst in diesem Moment wohl nicht gedacht hast. Sicher, du wolltest, daß Babette ihre Wut nicht an Claudine ausläßt. Aber dann hättest du sie doch einfach sich selbst überlassen können", entgegnete Madame Faucon.
"Vielleicht kann ich keine Mädchen weinen sehen", versuchte Julius sich in einer anderen Begründung dafür, daß er sich nicht einfach abgewendet oder das Zimmer wieder verlassen hatte.
"Das ehrt dich, weil du dann von dir aus darauf achten wirst, sie nicht zum weinen zu veranlassen. Aber wie vieles andere kann diese Tugend auch zur Schwäche geraten, wenn du jemandem begegnest, der dich damit auszunutzen trachtet. Aber dies gehört zu den Lektionen, die ich dir nicht beibringen kann, weil sie zu schwierig zu unterrichten sind und sie daher dem Leben selbst vorbehalten bleiben. Immerhin hast du es geschafft, ein weinendes in ein lachendes Mädchen zu verwandeln, und das völlig ohne Magie. Ich wüßte nämlich nicht, daß du den Aufmunterungszauber bemüht hättest. Catherine hat einen Magieentfaltungsmeldezauber in Babettes Zimmer etabliert, der jede Form aufkommender Zauberei ortet und bestimmt, für den Fall, daß Babette vor der Einschulung in Beauxbatons noch gezielter mit ihrer unausgebildeten Zauberkraft experimentiert. Aber zum wesentlichen Punkt! Du hast natürlich sehr besorgt auf Josephs Eltern geblickt, weil sie im Moment einen glückselig weltentrückten Eindruck machen, als hätten wir ihnen mit Tränken oder Geistbeeinflussungszaubern zugesetzt. Ja, in gewisser weise haben wir das sogar. Die große Lösung bei einem akuten Rumpelstilzchen-Vorfall besteht nämlich nicht unmittelbar darin, die betroffenen Muggel vollständig gedächtnismodifizieren zu müssen, sondern kann auch eine vollständige und allumfassenden Offenbarung der bisherigen Erlebnisse des betreffenden Familienmitgliedes oder der Familienmitglieder sein. In diesem Fall sind dies meine Tochter Catherine, Babette und Claudine. Um diese allumfassende Offenbarung zu bewirken mußten zwei ausgebildete Hexen oder Zauberer pro Person zur Verfügung stehen. Keine halbe Minute nachdem du mit Babette in ihrem Zimmer verschwunden bist, kam Madame Grandchapeau mit ihrer Tochter und zwei weiteren Ministeriumsmitarbeitern. Mit Catherine, Madeleine und mir waren es dann sogar sieben magisch begabte Menschen. Sicher haben sich Josephs Eltern zunächst sehr verängstigt, ja am Rande der Panik gebärdet, und Joseph drohte erneut mit seiner Flucht auf Lebenszeit. Aber als wir das Wohnzimmer in die Magie des Totum-Revelius-Zauber eingehüllt haben wurden sie ruhig. Dieser Zauber läßt in einer Art Wachtraum alle emotionalen Erlebnisse der ihn fokussierenden magischen Personen nacherleben, wobei Joseph Babettes Erinnerungen wohl mehr nachempfunden hat als sein Vater. Hinzu kam noch ein Faktor, den wir sieben erwachsenen Hexen und Zauberer nicht einkalkuliert haben und der das ganze Verfahren erheblich vorangebracht hat. Jemand aus dem Kreis der zu offenbarenden wurde an die wichtigsten Schlüsselerlebnisse ihres bisherigen Lebens erinnert, ohne dabei auf Zauber wie Legilimentie oder Gedächtnistränke zurückzugreifen. Unbewußtes Erinnern kann unter Umständen einen Totum-Revelius-Zauber auf die dreifache Macht anschwellen lassen. Da ich zu einer der Verlaufsüberwacherinnen gehört habe konnte ich mitbekommen, wie sich Jennifer gefühlt hat, als sie beinahe körperlich die erste sexuelle Begegnung Catherines mit Joseph Brickston erlebt hat, wie beide sich auf das Kind freuten, das Catherine als erstes unter ihrem Herzen trug und beinahe geschrien hätte, als sie Catherines erste Niederkunft miterlebte. Auch Ausschnitte aus Babettes ungeborenem Zustand tauchten auf, daß sie sich immer dann wohlfühlte, wenn jemand ihr gut zuredete und über sie strich. Ja, und so ging es weiter, wobei Babettes überragende Liebe zu ihrem Vater, sowie Catherines Treue und Aufopferungsbereitschaft zu Joseph Brickston unverfälscht und immer wiederkehrend aufkamen, Babettes Angst, ihren Vater zu verlieren ein Teil ihrer Angst wurde und dann in Freude umschlug, weil sie aus der tiefen Liebe Babettes und Catherines eine große Vereinigung mit Joseph Brickstons Seele erfahren konnten. Auch diese Themen, warum sie Babette nicht in eine Religionsgemeinschaft einfach so eingliedern wollen, rührt daher, Babette und jetzt auch Claudine keinen Zwang anzutun, der ihr Leben als solches erschwert. Offenbar hat diese Dame, die meinte, sich unwissend in die Angelegenheiten meiner Tochter und ihrer Familie hineindrängen zu können ein schlechtes Gewissen, weil sie sich selbst in dreifacher Gefühlsdarstellung miterlebt hat, als Unwohlsein Claudines, weil ihre Mutter während der Schwangerschaft gestresst war, als nur für Joseph hingenommenes Übel, dem Catherine eigentlich schon längst hätte entgehen wollen und als Babettes Gefühl der Überlegenheit, aber auch der Akzeptanz wegen ihres von ihr so sehr geliebten Vaters. Ich bin mir nicht sicher, ob diese dreifache Gefühlsabbildung von Jennifer Brickston allein eine innere Umkehr bewirkt hat oder ob das Erleben der familiären Einheit bei Claudines Geburt dem nicht die Krone aufgesetzt hat. Daß Babette und Catherine sich nicht dem biblischen Satanas hingegeben haben, ja daß Hexen wider die kirchliche Propaganda auch zur ehrlichen, nur aus der Seele selbst erwachsenden Liebe fähig sind und ihr vieles unterordnen, wo sie mit ihrer Magie doch genug Macht hätten, sich die unerwünschten Gegebenheiten vom Hals zu schaffen, dürfte Jennifer Brickston und ihren Mann immer noch am tiefsten berühren. Der Zauber als solches ist zwar schon vor zwei Minuten abgeklungen. Doch der emotionale Klang der davon heraufbeschworenen Ereignisse hallt noch nach. Nun werden Madame Grandchapeau und ihre Tochter die beiden mit den allgemeinen gesellschaftlichen Gegebenheiten der magischen Welt vertraut machen, bevor wir sie in Frieden ziehen lassen werden. Allerdings kommt noch etwas hinzu, daß wir heute abend noch vollbringen müssen. Im Grunde ist es trotz der zunächst aufgekommenen Verärgerung gut so, daß wir darüber nachzudenken gezwungen wurden, was mit Josephs Eltern geschieht. Denn da sie im immer größer werdenden Einflußbereich des sogenannten dunklen Lords und seiner Handlanger leben, sind sie von dessen Terror bedroht. wären sie nicht erneut hergekommen, um diese rein auf verwandtschaftlichen Druck hin entstandene Frage nach der Religionszugehörigkeit von Babette und Claudine zu klären, hätte womöglich nicht einmal Catherine daran gedacht, sie vor Nachstellungen des Psychopathen zu schützen. Dann hätte es zu spät sein können."
"Oh, dann wollen Sie das Haus der Brikcstons in Birmingham mit dem Sanctuafugium-Zauber umgeben?" Fragte Julius, dessen Elternhaus vor zwei Jahren, als keiner damit gerechnet hatte, daß er nicht in England bleiben würde, in diesen mächtigen Schutzzauber eingehüllt wurde.
"Nein, diesen Weg werden wir nicht gehen. Erstens sind die des Sanctuafugium-Zaubers kundigen Hexen und Zauberer in England Mitglieder des Ministeriums, und ob dieses nicht schon längst von Widersachern unterminiert ist will ich nicht ganz ausschließen. Zweitens geht es nicht mehr nur darum, einen sicheren Zufluchtsort zu schaffen, sondern Personen wirksam zu verbergen. Der neben dem Sanctuafugium-Zauber einzige Schutzzauber, den der psychopathische Massenmörder bisher nicht zu brechen vermag ist der Fidelius-Zauber. Ich gehe sehr stark davon aus, daß er dir bereits bekannt ist."
"Der steht in "Schutz und Trutz" als einer der mächtigsten Verbergezauber der hermetischen Magie", erwiderte Julius. "Jemand wird von einem sehr guten Vertrauten oder Verwandten mit diesem Zauber belegt, womit eine geheimzuhaltende Information, die als ein einziger Satz aufgeschrieben oder ausgesprochen werden kann, im Geist des bezauberten verschlossen wird, womit das damit verbundene Geheimnis unenthüllbar wird, also ein Haus oder Gegenstand unauffindbar gemacht werden kann oder der Aufenthaltsort einer Person oder Personengruppe wirksam verheimlicht werden kann. Nur wenn der Bezauberte, der zum Geheimniswahrer wird das zu hütende Geheimnis freiwillig verrät, es einer Person oder Personengruppe gegenüber ausspricht oder aufschreibt, wird es der person oder Personengruppe möglich, das damit verbundene Ding, den Aufenthaltsort oder eine Eigenschaft mit den eigenen Sinnen wahrzunehmen", zitierte Julius. Madame Faucon lächelte.
"Es freut mich immer wieder, wenn Bücher die ich schreibe auch gelesen werden, wenngleich Fidelius schon recht alt ist und nicht nur in meinem Sammelband zu Schutz- und Meldezaubern zu finden ist. Mit jenem Zauber werden wir Babettes väterliche Großeltern wirkungsvoll schützen."
"Moment, kann denn wirklich nichts das Geheimnis lüften, auch nicht Legilimentie?" Fragte Julius.
"Du hast es erwähnt, daß der Geheimniswahrer oder die Geheimniswahrerin freiwillig, also ohne zwang von außen, das Geheimnis preisgeben muß. Legilimentie ist ein Angriff auf den Geist. Das habe ich offenbar immer noch nicht oft genug wiederholt. Zum zweiten kann der Geheimnissucher das Geheimnis nur mit den eigenen Sinnen erkennen, wenn der Geheimniswahrer es ihm verraten hat. Wer legilimentiert hat das Gefühl, durch die sinnhaften und emotionellen Erinnerungen seines Opfers zu streifen. Sinnhaft heißt, was er mit den eigenen vorhandenen Körpersinnen nachempfinden kann. Daher ist die Legilimentie bei niederen Tieren eine weitaus schwierigere Angelegenheit, weil die Sinneswelt eines Tieres stark von der eines Menschen abweichen kann. Insofern kann ein Legiliment keine innerlich seine Sinneswahrnehmung anregenden Spuren des Geheimnisses im Gedächtnis des Geheimniswahrers oder der von ihm ins Vertrauen gezogenen Mitwisser ergreifen. Wie gesagt, der Fidelius ist einer der sehr wenigen Zauber, die jener dunkle Magier, der sich Lord Voldemort nennt, nicht zu brechen vermag. Jetzt wirst du selbstverständlich einwenden, daß er dann ja höchst passabel für alle vitalen Angelegenheiten sei. Aber du hast sehr korrekt zitiert, daß der Geheimniswahrer nur eine geheime Information in sich aufnehmen kann, die in einem einzigen Satz zusammengefaßt werden kann. Dadurch sind logischerweise keine unbegrenzt vielen Geheimnisse verschließbar, sondern nur eines pro Geheimniswahrer. Der Zauber verfliegt, wenn das zu schützende Geheimnis seinen Bezug zur materiellen Welt verloren hat. Klingt jetzt akademisch. Aber ich weiß, daß du mit dieser Aussage was anfangen kannst."
"Das heißt wohl, daß wenn das geheime Haus von irgendwas zerstört wird oder der zu verbergende Mensch stirbt hat das Geheimnis seinen Sinn verloren und ist wieder für alle frei verfügbar", sagte Julius vorsichtig.
"Wir hatten in den letzten Zwanzig Jahren wohl nur zwei Fälle, wo dieser Umstand eingetreten ist. Der erste war, daß jemand seine eigenen Freunde verraten hat, freiwillig, deren Aufenthaltsort er schützen sollte. Diese Freunde waren die Eheleute Lily und James Potter und ihr damals einjähriger Sohn Harry." Julius fuhr zusammen. Dann hatte jemand diese Familie an den irren Voldemort ausgeliefert, der dann die Eltern des berühmten Hogwarts-Schülers Harry Potter umgebracht hatte und dann irgendwie durch den eigenen Todesfluch aus seinem Körper geschleudert worden war. Viele hatten damals, wo er in Hogwarts angekommen war gedacht, Sirius Black habe die Potters verraten. Doch das hatte sich später wohl als schrecklicher Irrtum herausgestellt.
"Der zweite Fall liegt nicht solange zurück und ereignete sich im Februar diesen Jahres. Wir beide wurden sehr intensiv mit dem damit verbundenen Vorfall betraut", sprach Professeur Blanche Faucon weiter. Julius nickte. Jane Porters angeblicher Tod hatte ein geheimes Zufluchtshaus des Laveau-Institutes vernichtet. Dieses war wohl nur einem Geheimniswahrer und den von ihm eingeweihten Leuten bekannt gewesen, so Jane Porter. Außerdem hätte die als Spionin enttarnte Ardentia Truelane ihn eigentlich dort in absolute Sicherheit bringen sollen, weil er damit nicht nur unauffindbar sondern noch dazu gegen Flüche jeder Art von außen abgeschirmt gewesen wäre, ein doppelter Schutz, den er nicht hatte genießen dürfen und deshalb das Lebensende seines Vaters hatte mit ansehen müssen. "So werden wir die Eltern von Joe Brickston mit diesem Fidelius-Zauber schützen. Und diesmal wird der Geheimniswahrer kein Mitglied jener Mörderbande sein, die nach dem gewaltsamen Tod Dumbledores mehr Auftrieb erfährt als wir beide es bisher befürchtet haben."
"Was kriegen Sie aus England mit?" Fragte Julius. Er dachte an Gloria Porter, die Watermelons, die Hollingsworths und vor allem Kevin Malone, die nicht mal eben nach Beauxbatons gewechselt waren, als der sogenannte dunkle Lord gerade erst aus der Versenkung aufgetaucht war.
"Meine Spitzenschülerin der vierten Jahrgangsstufe neunzehnhundertsechsundneunzig und siebenundneunzig erstattet mir jeden Abend einen kurzen Bericht, was sie selbst mitbekommt. Darüber hinaus nutze ich wie du mehrere weit herumkommende Bild-Ichs, um auch die Dinge zu erfahren, die nicht im Tagespropheten veröffentlicht werden. Im Moment scheint jener Verbrecher seine Truppen zu sammeln, um ihnen detaillierte Einsatzbefehle zu erteilen. Da wir jedoch nicht wissen, wo dieser Treffpunkt oder die Treffpunkte liegt, beziehungsweise liegen erfahre ich leider erst etwas davon, wenn Mitglieder der Mörderbande erneut Terror und Tod über das Land bringen. Allerdings sieht es danach aus, als wolle er sich zunächst auf die britischen Inseln beschränken. Da er im Ausland keinen Boden gewonnen hat, ja dort wertvolle Helfer und Helfershelfer verloren hat, wird er zunächst danach trachten, ausreichende Macht über seine Heimat zu erringen, um dann, wenn er dort keinen Gegner mehr zu fürchten hat, die Expansion seiner Wahnvorstellungen von einer reinblütigen Zaubererweltregierung mit Muggeln als tierhafte Kreaturen voranzutreiben. Alle Imperien der Zauberer- und der Muggelwelt scheiterten im wesentlichen an der viel zu schnellen Ausdehnung ihrer Interessenssphäre. Auch Sardonia übernahm sich schließlich, obwohl sie anders als der sogenannte dunkle Lord darauf geachtet hat, mehr überzeugte Anhänger als verängstigte Gehilfen zu gewinnen. Im Moment müssen wir diese Strategie bei der Wiedergekehrten voraussetzen. Allerdings hat sie in ihrem eigenen Machtstreben etwas für den Rest der Menschheit positives bewirkt. Durch die Aktionen gegen die Todesser sind diese selbst auf ihre Heimat beschränkt. Die Frage ist nur, wird dies vorhalten, bis es gelingt, ihren Anführer zu entmachten?"
"Sie gehen davon aus, daß wir es hier mit einem Wespenschwarm zu tun haben?" Fragte Julius, wobei er bei dem Gedanken an angriffslustige Wespen einen gewissen Angstschauer verspürte.
"Darauf beruhen unsere Hoffnungen. Der zauberer, der sich Lord Voldemort nennt ist wie die Königin des Schwarms. Seine Grausamkeit und Skrupellosigkeit unterjocht alle, die sonst einen eigenen Weg einschlagen würden und zieht jene an, die sich alleine nicht trauen, ähnlich gelagerte Vorstellungen in Taten umzusetzen. Fällt er, dürfte sich aller von ihm ausgehender Schrecken in nichts als grausame Alpträume auflösen. Jedoch sehe ich persönlich noch kein Mittel, ihn zu entmachten."
"Er ist doch hinter Harry Potter her. Ist das nur, weil der ihn zweimal überlebt hat oder hängt da noch mehr dran? Da war doch irgendwas, daß zwischen den Beiden vor dem Angriff auf Harrys Eltern schon eine Verbindung bestanden haben sollte."
"Über die ich nur wenig weiß, und was ich weiß darf ich nicht an uneingeweihte weitergeben. Versteh dies bitte so, daß ich Dinge weiß, die dich in größere Gefahr brächten, wenn du sie wüßtest", sagte Professeur Faucon. Dann befand sie, daß sie lange genug miteinander diskutiert hatten, wobei sie im wesentlichen eine Einzelstunde mit dem talentierten Jungzauberer abgehalten hatte, über dessen Wechsel nach Beauxbatons sie immer noch sehr sehr froh war. Sie verließen den nach außen schalldichten Arbeitsraum und kehrten ins Wohnzimmer zurück, wo mittlerweile auch Julius' Mutter angekommen war.
"Catherine hat mich angerufen und uns beide zum Essen eingeladen, Julius. Offenbar konnte sich das Mißverständnis mit Joes Eltern klären", grüßte ihn seine Mutter.
"Sagen wir es so, Mum, das Zaubereiministerium hat befunden, daß um des Familienzusammenhaltes wegen Joes Eltern in alles eingeweiht werden sollen, was Joes Familie betrifft."
So trafen sich fast alle um sieben Uhr Abends im Esszimmer der Brickstons. Nur Jennifer und James Brickston fehlten. Julius hatte auch Professeur Faucon eine Weile nicht mehr gesehen. Joe verkündete, daß sie diesen Abend noch zwei Gäste aus der alten Heimat zu Besuch hätten. Madame Faucon hatte es irgendwie geheimnisvoll gemacht. Die beiden sollten Muggel sein, hatte Catherine erwähnt. Aber sie dürften in alles eingeweiht werden, hatte zumindest ihre Mutter gesagt, die die beiden gleich mitbringen würde. Dann läutete es an der Haustür, und Madame Faucon kam in Begleitung eines Ehepaares herein. Die Frau war mittelgroß, untersetzt und besaß blondes Haar, in dem bereits eine Spur Silber zu sehen war. Ihre Augen ähnelten merkwürdigerweise denen von Joe Brickston. Sie trug ein elegantes Abendkleid aus blauem Tuch. Neben ihr schritt stolz ein Mann einher, hochgewachsen, untersetzt und dunkelhaarig, der im Gegensatz zu seiner Frau in schlichten Jeans und einem weißen T-Shirt daherkam. Sein Gesicht kam Julius irgendwie bekannt vor, wenn er auch nicht wußte, wo er es schon gesehen hatte. Madame Faucon führte die beiden Gäste an die Ehrenplätze des Tisches und bat dann alle, sich noch einmal zu erheben. Sie schloß die Tür und wirkte einen provisorischen Klangkerker. Julius sah Claudine, die in ihrem Kinderbettchen in einer Ecke des Raumes schlief. Warum hatte Catherine sie aus dem Elternschlafzimmer herübergeholt?
"Die Herrschaften", begann Madame Faucon feierlich. "Ich möchte euch allen Mr. und Mrs. Brickston aus Birmingham in England vorstellen. Wer sich jetzt fragt, wer die beiden Gäste sind und was sie hier her geführt hat: Jennifer und James Brickston aus Birmingham in Großbritannien sind die leiblichen Eltern von Joseph Brickston, die Schwiegereltern seiner Frau Catherine und damit die Großeltern der bisherigen und künftigen Kinder von Joseph und Catherine Brickston.
Als wäre in Julius Kopf ein großes Ventil geöffnet worden strömten unvermittelt Erinnerungen in sein Bewußtsein ein. Er sah die beiden Eltern Joes in den Weihnachtsferien, erinnerte sich an einen heftigen Streit mit Jennifer Brickston und entsann sich, als ob es erst gestern geschehen war, wie Catherine mit gerundetem Unterleib zu ihnen hinaufgestiegen war und verkündet hatte, erst wieder in die eigene Wohnung zu gehen, wenn Joe mit seinen Eltern geklärt habe, wer in diesem Haus das Sagen hatte. Er erinnerte sich daran, daß James Brickston morgens immer von den Beatles geweckt zu werden pflegte, was seiner Frau immer wieder verärgerte Tiraden entlockte, wie ein eheliches Ritual, ohne das beide nicht mehr sein konnten. Dann fiel ihm ein, daß die Eltern Joes ja hier waren, weil sie ihre nun geborene zweite Enkeltochter Claudine besuchen und klären wollten, ob sie bald deren Taufe feiern konnten oder nicht. Deshalb waren Joes Eltern hier. Deshalb hatte es gerade heute Nachmittag zwischen ihnen und Babettes und Claudines Patentante so heftig geknallt, und die Zaubererweltzugehörigkeit von Catherine und ihren leiblichen Verwandten war enthüllt worden. Dann viel Julius ein, daß die beiden durch den Fidelius-Zauber geschützt werden sollten, der ein Geheimnis unenthüllbar im Geist des Geheimniswahrers einschloß, das alles greifbare, was mit diesem Geheimnis verbunden war, unangreifbar wurde, ja schlichtweg vergessen wurde. Tja, und genau das hatte er soeben miterleben dürfen, wie es war, nicht zu wissen, daß Jennifer und James Brickston Joes Eltern waren. Deshalb war Claudine auch im Esszimmer, damit sie, obwohl erst etwas mehr als einen Monat auf der Welt, erfuhr, daß sie nicht nur eine Großmutter mütterlicherseits besaß. Schon heftig, so ein Fidelius-Zauber, dachte Julius. Nur schade, daß er nicht beliebig oft auf einen einzelnen Geheimniswahrer angewandt werden konnte.
Da nun alle voneinander wieder alles wußten, obwohl alle vorher dieses Gefühl, wen unbekanntes zu treffen verspürt hatten, gestaltete sich das Abendessen sehr friedlich und abwechslungsreich. Denn Jennifer Brickston schien durch den Lebensoffenbarungszauber am Nachmittag lockerer über ihre Familie zu denken. James Brickston machte einen Witz, daß sein angeheirateter Cousin sie nicht mehr behelligen würde, ob Claudine ein Schäfchen seiner Kirche würde oder nicht. Madame Faucon klärte Jennifer mit Catherines und Julius' Übersetzungshilfe darüber auf, daß die Abwehrmethoden der nichtmagischen Welt, um dämonische Kreaturen zu vertreiben, an einem Ort zu bannen oder zu vernichten zum Teil auf Erfahrungen der magischen Welt zurückgingen, jedoch dabei immer mehr die Verwendung heiliger Symbole als bereits magisch angesehen wurde, was bereits zu fatalen Konfrontationen mit Vampiren und Werwölfen geführt habe. Am Schluß des Abendessens bedankten sich Jennifer und James trotz der Unstimmigkeiten der letzten beiden Tage für die tolerante Beherbergung durch Catherine und Joe. Jennifer betonte, daß sie jetzt, wo sie wisse, wie sehr es Babette zusetze, ihre Natur schlecht zu reden, darauf verzichten wolle, sie für eine hexen- und zaubererfeindliche Religion begeistern zu wollen. Da sie wegen dieses "dummen Mißverständnisses" zwei Tage länger als geplant geblieben waren und James morgen den letzten offiziellen Urlaubstag hatte, verabschiedeten sich Joes Eltern bereits von den Andrews und Madame L'eauvite. Sie würden morgen ganz früh nach Birmingham zurückfliegen.
Abends in der Wohnung der Andrews' meinte Martha zu ihrem Sohn:
"Und du hast Babette davon abgehalten, ihre kleine Schwester zu hassen, Julius?"
"Zumindest wollte ich nicht, daß sie ihr was tut. Die konnte doch am wenigsten für den Trara, Mum", antwortete Julius. "Aber wie ich das hingekriegt habe ist mir selbst immer noch ziemlich schleierhaft."
"Intuition, Julius. Manchmal hilft Intuition mehr als zwölf Semester Psychologiestudium", fand seine Mutter eine mögliche Erklärung. "Hinzu kommt ja noch, daß Babette und du euch ja doch schon einigermaßen kennt und du wußtest, was du ihr sagen kannst, um sie wieder aufzurichten."
"Na ja, ich habe ihr nur erzählt, daß ihr Vater sich vieles hat gefallen lassen, wobei ich ihr nicht alles erzählt habe, was ich so mitgekriegt habe."
"Jedenfalls hast du irgendwas gesagt, was ihr geholfen hat und damit, soweit ich das mitbekommen habe, auch Jennifer Brickstons Aversion kuriert", sagte Martha Andrews noch.
"Na ja, Anfängerglück, Mum. Ich denke, falls ich echt als richtiger Heiler arbeiten will, wird das, was die Muggel in der Psychologie erforschen und machen für mich nicht das überragende Gebiet sein."
"Immerhin weißt du jetzt schon, wie wichtig es sein kann, jemandem nicht nur körperlich, sondern auch seelisch zu helfen.
"Gut, das wußte ich schon vorher, Mum. Ich habe ja selbst gemerkt, wie das reinhaut, wenn einem was übles passiert, wie es dir und mir ja passiert ist. Wie gesagt denke ich, daß das mehr Glück als können war, Mum."
"Das meine ich ja mit Intuition. Sie hilft einem, mehr richtige als falsche Entscheidungen zu treffen, warnt einen ohne erkennbare Anzeichen oder stimmt einen beruhigt, daß etwas bisher unbekanntes gutartig ist. Im Grunde hat sie jeder Mensch in sich. Doch die meisten, so wie ich ja auch, verlassen sich lieber auf das, was sie sicher kennen und können als auf dieses sogenannte Bauchgefühl oder Prickeln unter den Haaren oder wie immer sich das äußert. Hast du nicht erzählt, daß es sogar einen Zaubertrank gibt, der die intuitiven Fähigkeiten eines Menschen vervielfacht, daß er bei allem was er tut die maximalen Erfolgsaussichten hat?"
"Der Glückstrank, Felix Felicis, Mum. Das war ja das Ding, was damals beim Spiel zwischen Millies Mannschaft und der von Argon Odin war. Das war an dem Tag, als wir gesagt bekamen, daß Glorias Oma Jane gestorben ist, Mum", erwiderte Julius leicht betrübt. "Hercules aus meinem Haus hat sich mit Professeur Fixus angelegt, weil ich blöderweise auf die Frage, was Millie zu essen bekäme, um so top zu spielen "Felix Felicis" geantwortet habe. Als Waltraud und ich dann erklärt haben, daß dieser Trank alle wichtigen Reflexe und Intuitionen eines Menschen so sehr verstärkt, daß er einen Tag lang bei allem was er tut und macht glück hat, haben meine Kameraden echt gedacht, die Roten würden den Trank schlucken. Dabei ist der gerade bei offiziellen Spielen und wichtigen Prüfungen streng verboten. Würde mich nicht wundern, wenn Professeur Fixus vor den ZAG-Prüfungen immer einen Gegentrank zum Felix Felicis rumgehen läßt oder es einen Zauber gibt, der dessen Wirkung erkennt und verpetzt wie die Antischummelschreibsachen."
"Möglich, Julius", erwiderte seine Mutter lächelnd. Dann wechselte sie erneut das Thema. Sie sagte: "Dieser Zauber, den Blanche da gemacht hat. Können wir den wirklich nicht ausplaudern?"
"Wir nicht, Mum. Nur weil Madame Faucon es uns verraten hat, wissen wir das jetzt. Aber wir können weder den Namen des Geheimniswahrers noch dessen Geheimnis weitergeben oder beim darüber sprechen abgehört werden. Das ist der mit Abstand heftigste Schutzzauber, der mir bisher untergekommen ist." Dabei dachte er jedoch an Ashtaria, die transvitale Entität, die einer Göttermutter gleichkommende Daseinsform einer der mächtigsten Weißmagierinnen zwischen dem alten Atlantis und der modernen Zaubererwelt. Er dachte an Ammayamiria. Doch er empfand schon längst kein schlechtes gewissen mehr, wenn er daran dachte, wie schnell er sich über Claires Weggang in die übergeordnete Daseinsform hinweggetröstet hatte. So melote er am Abend noch eine Weile mit Millie, wobei er Joes Eltern mit keinem worthaften Gedanken erwähnte. Denn für Millie waren Joes Eltern jetzt genauso vergessen wie sie vor Madame Faucons eindeutiger Erwähnung für Julius und seine Mutter vergessen gewesen waren.
Der Ausflug nach Versailles verlief für Martine, Mildrid und Julius sehr kurzweilig. Martines und Mildrids Vater holte sie mit dem VW-Bus ab, obwohl seit acht Uhr morgens auch Catherines Kamin wieder frei zugänglich war. Sie schlenderten durch die Parkanlagen des einstigen Regierungssitzes von Frankreich, bewunderten im weltberühmten Spiegelsaal die optische Beschwörung des vor dem Schloß gelegenen Parks und hörten sich belustigt an, was ihr Führer darüber erzählte, daß der Saal so groß gebaut worden war, damit die Bittsteller in gebührendem Abstand von seiner Majestät entlangpromenieren konnten. Wer des Königs Huld erworben hatte, wurde von diesem aufgesucht. Wer dem König nicht lästig fiel, dem konnte der absolutistische Monarch in dieser Galerie weit genug aus dem Wege bleiben. Julius wußte das zwar alles schon, weil er schon bei seinem ersten Parisbesuch vor drei Jahren das altehrwürdige Barockschloß Ludwigs XIV. besucht hatte. Aber es war schon was ganz anderes, wenn Millie und Martine mit ihm zusammen auf Besichtigungstour in der Muggelwelt waren. Sie lachten leise und amüsierten sich über die unbeweglichen Gemälde oder die nur aus Stein oder Metall bestehenden Skulpturen. Wer sie aus der Ferne beobachtete, mochte glauben, daß ein Liebespaar dazu verdonnert worden war, die jüngere Schwester des verliebten Mädchens mitzuschleppen. Das es sich hierbei darum handelte, daß der junge Mann und das jüngere Mädchen zusammen waren und die große Schwester quasi als Anstandsdame ohne gestrenges Auftreten fungierte mußte ja auch keiner wissen, den es nichts anging.
"mmpf, saut gut ein, dieses Ketchup-Zeug", mampfte Millie, als sie einen viertelpfündigen Hamburger aß. Ihre schöne weiße Bluse war schon mit roten Sprenkeln verunziert, als Grüße von der Schnellimbiß-Gesellschaft junger Muggel. Martine konnte ihren Burger etwas manierlicher in die hochgewachsene und gut trainierte Figur schieben. Julius erwies sich als am besten in der Kunst des Hamburger-Essens ausgebildet. Er kleckerte nicht und schaffte es, seine Finger sauber genug zu halten, um ohne großes Problem nach mehreren Erfrischungstüchern und Servietten zu greifen, und seiner Freundin und seiner Schwägerin in Wartestellung beim Säubern der besudelten Hände zu helfen.
"Also Königin Blanche würde uns alle drei jetzt so heftig ausschimpfen, was uns eingefallen ist, diese amerikanischen Fleischklopse in weichen Brötchen zu essen", meinte Millie. "Andererseits sagt Väterchen Paximus, daß wir nicht nur aus Büchern lernen sollen sondern wo es geht was vom Alltag mitkriegen sollen."
"Naja, jeden Tag könnte ich das nicht verdrücken, Millie. Dann müßte ich zwei Stunden Schwermachertraining runterkurbeln, um nicht aufzuquellen oder dann zumindest noch gelenkig genug zu bleiben."
"Oma Line hat das hingekriegt, mit viel Gewicht noch gelenkig und beweglich zu bleiben", meinte Millie. "Vielleicht solltest du dir von ihr mal Nachhilfestunden in wirklich nützlichen Sportübungen geben lassen, Julius."
"Ich fürchte, die wirksamsten Übungen dürfte sie deinem Freund nicht beibringen, ohne Opa Ferdinand oder dich eifersüchtig zu machen, Mildrid", meinte Martine verschlagen grinsend.
"Hahaha, Tine", knurrte Mildrid. Doch dann mußte sie wirklich lachen. Julius wußte nicht, ob er darüber lachen sollte. Doch weil besagte Madame damit keine Probleme hatte, über ihr Intimleben zu sprechen und zu scherzen gelang ihm zumindest ein jungenhaftes Grinsen.
"Tja, wenn sie nicht wüßte, daß ihr beiden keine umständliche Einweisung mehr braucht", flüsterte Martine. Dann meinte sie: "Aber ich falle aus meiner Rolle. Papa wollte doch, daß ich euch gut beaufsichtige und aufpasse, daß ihr in der weiten Welt keine Dummheiten macht. Deshalb schlage ich vor, wir sehen uns die Stadt Versailles als solche an. Papa wird uns in drei Stunden hier wieder abholen."
"Wir hätten echt mit der Bahn fahren sollen", meinte Julius. "Dann hätten wir noch was erleben können, von wegen wie gewöhnliche Eisenbahnen fahren."
"Das müssen wir ja nicht alles an einem Tag runterreißen, Monju", meinte Millie. "Ich hörte davon, daß es bei den Eisenbahnen eine geben soll, die schneller fährt als der Zehner fliegt."
"Hmm, könnte sein. Weiß ich aber nicht so genau. Wolltest du den Zug testen, Mamille?" Erkundigte sich Julius.
"Zumindest mal sehen, wie einer vorbeifährt", stellte Millie klar. Martine bemerkte dazu nur:
"Dieser Zug verbraucht viel Elektrostrom, der in großen Öfen hergestellt wird. Ich denke, das bläst sehr viel Dreck in die Luft."
"Wie sollen die denn sonst so schnell fahren oder gar fliegen, Tine?" Fragte Millie.
"Vielleicht nicht so schnell, Millie. Es gibt für alles seine Grenzen. Aber sei es drum! Sehen wir uns die Stadt zum Schloß an!"
Drei Stunden später holte sie Monsieur Latierre wieder ab. Hippolyte Latierre saß mit ihrer jüngsten Tochter auf einer der Rückbänke. Sie unterhielten sich über den Ausflug nach Versailles und darüber, daß sie alle zusammen und viele andere Latierres und die Montferres bei Barbara Latierres Geburtstagsfeier zusammenkommen würden.
"Dann bis dann!" Wünschte Julius seiner Freundin.
"Jau, dann bis dann. papa holt euch beide wieder ab. Dieses Motorgefährt ist ja doch schon was ziemlich praktisches", erwiderte Millie und umarmte Julius kräftig. Dann schlüpfte sie wieder in den VW-Bus und winkte, als dieser aus der Einfahrt zur Rue de Liberation 13 zurücksettzte und davonknatterte. Julius winkte Millie nach. Dann betrat er das Brickston-Haus, in dem echt keine Langeweile aufkommen konnte. Er freute sich jetzt schon auf das nächste Treffen mit den Latierres. Doch er dachte auch an Jeanne Dusoleil. Innerhalb der nächsten Woche erwartete sie ihr erstes Kind. Würde er davon erfahren oder es erst beim Sommerball von Millemerveilles mitbekommen?
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