SPIELE DES LEBENS

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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© 2004 by Thorsten Oberbossel

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Was bisher geschah | Vorige Story

P R O L O G

Julius Andrews verbringt schon das zweite Halbjahr in Beauxbatons, der französischen Zaubererschule, weil seine Mutter mit ihm nach der unschönen Trennung von seinem Vater in Paris lebt. Aufregend war das erste Halbjahr. Ob es die strengen Regeln in der Schule sind, Claires Eifersucht auf ihre Mitschülerin Millie, die ihr den Platz an Julius' Seite streitig machen will, der neue Besen, den er bekommt, um in der Mannschaft seines Saales, dem grünen Saal, mitspielen zu können, die vier Tage an Belle Grandchapeaus Seite, die ihm ein übler Streich eines Mitschülers einbrachte, die ganz geheime Sub-Rosa-Gruppe, die von Schulleiterin Maxime und Professeur Faucon gegründet wurde, um über die beunruhigenden Entwicklungen in Hogwarts im Bilde zu bleiben, die Weihnachtsferien bei seiner Mutter in der magisch vergrößerten Wohnung in Catherine Brickstons Haus, sowie seine Aufgaben in der Pflegehelfertruppe, in die er eingezogen wurde, weil er im Sommer einen Kurs in magischer Erstversorgung gemacht hat. Zwar kann er nun wie die übrigen neun Pflegehelfer das magische Abkürzungssystem der Schule benutzen, ist jedoch auch zu Sonderaufgaben verpflichtet, wie die Betreuung der unerlaubt schwanger gewordenen Schwester seiner Mitschülerin Céline.

Im zweiten Halbjahr ist er mit seiner Quidditchmannschaft auf dem besten Weg, den Schulpokal zu gewinnen. Doch als er nach dem Valentinstag, den er mit Claire im magischen Tiergarten der Schule verbracht hat, von der edlen Knieselin Goldschweif als ihr persönlicher Vertrauter ausgesucht wird, weiß er bald nicht, was er noch alles anstellen muß.

Über die Ereignisse in Hogwarts erfährt Julius auf geheimen Wegen. Die Massenflucht magischer Schwerverbrecher aus dem lange für sehr sicher gehaltenen Gefängnis Askaban schlägt hohe Wellen der Angst und Hilflosigkeit. Dumbledores Flucht aus Hogwarts macht Julius nachdenklich, was in seiner früheren Heimat noch passieren mag.

Der Elternsprechtag in Beauxbatons ist wie eine große Zeremonie. Julius' Mutter und Catherine Brickston reisen an und unterhalten sich mit allen Lehrern und der Schulheilerin über ihn. Nach einem Konzert in einer mit Illusionszaubern ausgestatteten Aula und einem üppigen Abendessen reist Julius mit seiner Mutter zurück nach Paris in die Osterferien.

Diese verlaufen aufregend, weil er sich für die bald anstehende Walpurgisnacht ein angemessenes Kostüm einkauft, wobei er ein Topmodell der magischen Modewelt trifft, seine neue Schulkameraden trifft und weil Goldschweif, die eigentlich in Beauxbatons hätte bleiben sollen, hinter ihm herläuft. Um zu klären, was dieses Tier so zu ihm hinzieht, muß er kurz noch einmal in die Schule zurück und sich einer Reihe von Tests unterziehen. Diese zeigen zwar nicht, was genau Goldschweif für ihn empfänglich macht, führen jedoch zu einem Mittel, zumindest für die Ferienzeit zu vermeiden, daß das Zaubertier hinter ihm herläuft. Als er ordentlich aus den Ferien zurückkehrt, ist er aufgeregt. Denn Mehrere schöne, aber auch anstrengende Ereignisse stehen bevor.

Das erste davon ist die Walpurgisnachtfeier, zu der Claire ihn als Begleiter erwählt und ihn im wilden Flug mit den anderen Hexen auf dem Besen transportiert. Für den Verlauf des Abends magisch verbunden, müssen sie verschiedene nicht all zu schwere aber auch nicht so einfach lösbare Aufgaben erfüllen. Er erfährt, daß viele ihn und Claire für ein Vorzeigepaar des grünen Saales halten. Doch heftigere Dinge stehen noch bevor.

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Julius hat mir wieder den weichen Schlafstein vor seine Schlafhöhle gelegt. Aber ich möchte gerne wieder zu ihm, mich von ihm streicheln lassen, ihm zeigen, daß ich immer noch für ihn da bin. Ich weiß nicht, warum er nicht begreift, daß er mit seiner Schwester Claire nicht so gut zusammenpasst. Er ist immer wieder mit ihr unterwegs. Ich kann sie beide aus der Ferne diese Fröhlichkeitslaute machen hören und weiß, daß sie ihn immer noch für sich will.

die Dunkelheit macht, daß alle rauskommen, die sich unter der hellen Sonne nicht gerne zeigen. Ich höre das ganz leise Schlagen der Flügel der Jägervögel, die für die Menschen hier auch Sachen dabei haben, die ihnen sagen, was anderswo gerade los ist. Doch ich liege hier auf dem weichen Schlafstein und lausche. Ja. Ich höre ihn zu mir kommen. Julius macht die durchsichtige harte Fläche vor der Schlafhöhle weg und lässt mich zu sich. Er setzt sich auf einen der vierbeinigen Sitzsteine und lässt mich auf seinen Hinterbeinen liegen. Ja! Ich liege auf dem Rücken und lasse mich am Bauch streicheln. Ich fühle, daß Julius irgendwie aufgeregt ist. Doch jetzt geht das langsam wieder weg. Ich weiß, daß er es braucht, mich so bei sich zu haben. Warum darf ich nicht bei ihm bleiben? Er will nicht, daß ich in seinem Nest schlafe. Gut, das kann ich noch vertragen. Doch warum muß ich immer auf diesem Schlafstein draußen liegen? Aber er braucht ja Schlaf, wenn es dunkel ist. Die Menschen jagen ja nur im Licht der Sonne. Irgendwann fühlt sich Julius wieder wohl und müde. Ich gehe von selbst wieder raus und springe an den Vorsprüngen vor den Schlafhöhlen entlang auf den Boden zurück. Ich höre noch, wie Julius die versperrende Fläche vor die Schlafhöhle drückt. Jetzt fühlt er sich wieder besser.

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Julius wußte, daß Goldschweif, die Knieselin, die ihn als neuen Vertrauten ausgesucht hatte, vor seinem Fenster auf dem Kissen lag, daß er ihr dorthin gelegt hatte, damit sie Ruhe gab. Doch die Aufregung war heftig. Er konnte nicht schlafen. Morgen würde er Quidditch spielen, das Spiel seines bisherigen Lebens. Denn wenn sie mehr als 160 Punkte holten, würden sie vom grünen Saal den Pokal gewinnen. Doch gegen die Blauen war nicht einfach was zu machen, weil diese nach dem Holzhackerprinzip spielten, ohne sich groß an die Regeln zu halten. Er wußte, daß Jeanne Dusoleil, die große Schwester seiner Freundin, auf ihn baute und ihn bei den Trainingsstunden immer wieder ermutigt hatte, sich nicht für schwach zu halten. Sicher, sie wußte, wie seine Freundin Claire und einige andere in Beauxbatons, daß er einen Ganymed 10 hatte, den im Moment besten französischen Rennbesen, der im Sturzflug sogar die Schallmauer durchbrechen konnte und auch sonst ein Wunderwerk magischer Technik war. Doch er hatte versprechen müssen, diesen Besen nicht so gut zu fliegen wie es möglich war, sondern ihn wie das Vorgängermodell zu benutzen. Zwar war der Ganymed 9 auch ein sehr schneller und wendiger Besen, doch irgendwie war es schon merkwürdig, einen Rennwagen mit angezogener Handbremse zu fahren oder ein Rennpferd mit einer schweren Eisenkugel an jedem Bein zu reiten. Er wußte, wenn er durfte, konnte er einfach losjagen und innerhalb von zwei Sekunden über das ganze Quidditchfeld hinwegpreschen. Doch noch durfte er nicht. Noch mußte er sich zurücknehmen. Das wiederum war seine große Stärke. Aber was brachte sie, wenn seinetwegen der Pokal an die Mannschaft des roten Saales ging? Eigentlich hatte er auch damit kein Problem, Jungs wie dem dicken César oder dem starken Bruno und Mädchen, wie den rothaarigen Montferre-Schwestern den Pokal zu überlassen. Doch dummerweise bohrte sich bei diesem Gedanken immer die Vorstellung in sein Bewußtsein, daß man ihn für eine Niederlage verantwortlich machen mochte, ihn, den Neuen, der vor nun bald einem Jahr in dieses sehr stramm geregelte Internat für junge Hexen und Zauberer übergewechselt war.

Julius stand auf. Er ging zum Fenster, vor dem Goldschweif lag und holte sie herein. Sie strahlte eine Wärme und Ruhe aus, die ihm Half, sich selbst wieder auszubalancieren. Ihr leises Schnurren, ihr warmer, weicher Körper auf seinem Schoß gab ihm das Gefühl, jemand helfe ihm, sich selbst zu beruhigen. Zwar verströmte die vierbeinige Mademoiselle, die er an Valentin kennengelernt hatte, einen scharfen Wildkatzengeruch. Doch merkwürdigerweise hatte er sich nach anfänglicher Angewidertheit daran gewöhnt, ja diesen Wildgeruch als Goldschweifs bestes Parfüm hingenommen, das zu ihr gehörte und mittlerweile so wichtig für ihn war, wie das erfrischende Wiesenkräuterparfüm, das seine menschliche Freundin Claire gerne auflegte. Wie bei Claire genoss Julius bei Goldschweif das warme, zärtliche Ankuscheln. Wie Goldschweif genoss es Claire, sich von Julius streicheln zu lassen. Doch anders als bei Goldschweif empfand Julius noch andere Gefühle bei Claire. Nicht nur die Nähe und Zuneigung war es, sondern auch etwas, das zwischen ihnen glühte, sich langsam wie mit kleinen Flämmchen immer heißer in seiner seele brennend ausbreitete, was ihm das Gefühl wohligen Rausches einbrachte. Goldschweif gab ihm Ruhe und Nähe, nahm seine Zärtlichkeit in sich auf und strahlte sie als warme Verbundenheit zu ihm zurück. Claire hatte ihn wie Goldschweif irgendwie ausgesucht. Er hatte sich eigentlich noch kein Mädchen als Freundin, nicht nur Kameradin, aussuchen wollen. Doch die kleine Hexe Claire hatte ohne große Worte deutlich gemacht, daß er nicht mehr ein kleiner Junge war, den man nur mit Bonbons oder tollen Abenteuergeschichten bei Laune halten mußte. Mochte er dieses Gefühl jetzt schon Liebe nennen? Irgendwie traute er sich nicht, dieses Wort für das zu benutzen, was Claire und er immer mehr füreinander empfanden. Vielleicht war es ja doch nur der Wunsch nach körperlicher Nähe, der Schritt vom Jungen, der auf dem Warmen Schoß der Mutter sitzen wollte, aus dem er mal geboren wurde hin zum Mann, für den die Umarmung einer Geliebten, einer Frau an seiner Seite, genauso wichtig war wie das Brot zum Frühstück und die Luft zum atmen.

Wohlige Müdigkeit breitete sich in ihm aus. Goldschweifs warmer Körper und ihr beruhigendes Schnurren hatten die unruhigen Geister der Angespanntheit und der Angst vor einer Blamage verscheucht. Er konnte sich nun hinlegen und schlafen. Goldschweif wußte auch, daß sie nicht bei ihm bleiben konnte. Sie glitt von seinem Schoß herunter und kehrte in die Nacht zurück, deren Kind sie eigentlich war. Er schloß das Fenster hinter ihr, zog die Schlafanzugbeine wieder über seine Nackten Oberschenkel runter. Daß er Goldschweifs Geruch noch an seinen Händen und Beinen trug, kümmerte ihn nicht. Er legte sich ins Bett, zog die Vorhänge richtig zu und drehte sich in seine Lieblingsschlafstellung.

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Am Morgen der Entscheidung war er wesentlich ausgeruhter als einen Morgen davor. Er genoss das Frühstück und hörte sich an, was die anderen so umtrieb. Sicher, das Quidditchspiel heizte alle an. Sie wollten den Pokal wieder bei den Grünen sehen, wie vor zwei Jahren. Dann wäre er zum siebenundzwanzigsten Mal bei den Grünen, zum zweiten Mal hintereinander, weil ja im letzten Jahr kein Quidditch gespielt worden war. Klappte dies heute, so wäre damit die zehnte Serie eingeleitet und die dreizehnte Titelverteidigung in der Geschichte des grünen Saales. Julius verdrängte den Gedanken, heute ein weiteres Kapitelchen in dieser langen Geschichte mitschreiben zu dürfen. Es war nur ein Spiel. Er würde es im nächsten Jahr noch einmal spielen, wenn es in diesem Jahr nicht gelang.

"Irgendwie bin ich heute total hibbelig", stellte Hercules Moulin fest. "Ich habe letzte Nacht geträumt, die Montferres hätten mit mir die Hexenwerbung durchgezogen, weil Bernadette eine Wette mit denen verloren hat. Ihre Mutter kam dann hierher und hat mich aufgefordert, mir eine von denen auszusuchen. Doch weil ich keine nehmen wollte, haben die mir andauernd Klatscher um die Ohren gehauen. Man kann echt schon einen Blödsinn daherträumen."

"Ach, und ich dachte gerade, du hättest geträumt, die Montis hätten dich wirklich gekriegt und du hättest beide zugleich nicht schaffen können", feixte Robert Deloire.

"Dabei spielt ihr heute gegen deren chaotische Anhängsel", stellte Gaston Perignon unumstößlich fest.

"Warum darf man beim Quidditch keine Zauberstäbe mitnehmen? Die könnte ich dann gut verfluchen", sagte Hercules nicht so ernst gemeint. Robert grinste nur.

"Dann hätten die ja auch schon alles und jeden verflucht."

"Dann hätten wir ja gleich ein Mehrfachduell fahren können", sagte Julius. "Wäre ja dann langweilig gelaufen."

"Nun, so müssen wir die eben auf die übliche Tour verfrühstücken", seufzte Hercules. Julius meinte, er könne sich doch für dieses Spiel beurlauben lassen. Hercules lachte nur laut und deutete auf Jeanne und dann auf Julius.

"Die will, daß du und ich in der Mannschaft sind. Du hast es ja selbst mitgekriegt, daß die sagt, wen die in der Mannschaft haben will. Dann macht sie heute noch ihr letztes Spiel, falls sie nicht durch die UTZs plumpst. Dasselbe gilt ja für Barbara. Außerdem haben wir ja dieses Saison doch einiges geschafft. Wir haben die Roten gut zurückgedrängt, die Gelben schnell abgefertigt, die Violetten am langen Arm verhungern lassen und den Weißen zumindest gezeigt, daß wir Tore schießen können. Das die den Schnatz geholt haben war denen ja peinlicher als uns."

"Überstehen werden wir's schon. Wenn die Blauen ohne Sucher spielen, haben wir den Schnatz und damit schonmal 150 Punkte klar", sagte Julius aufmunternd. Hercules grinste wieder.

"Die haben einen Sucher, Julius. Der ist aber nicht so gut wie Lesauvage. Da wirst du wohl noch ein paar Tore schießen dürfen, falls Jeanne dich nach vorne lässt."

"Ich bleibe lieber hinten", sagte Julius halblaut, als würde er einen geheimen Wunsch nicht so hinausposaunen wollen.

Nach dem Frühstück kam Jeanne zu Hercules und Julius herüber und nahm sie bei Seite.

"Wir gehen nachher da raus und machen das beste Spiel dieser Saison. Ich habe euch beide in die Aufstellung für dieses Spiel genommen, weil ich von euch beiden weiß, daß ihr den Platz wert seid, auf dem ihr spielt. Wir müssen nicht einmal voll nach vorne durchbrechen, um Punkte zu holen. Agnes wird den Schnatz zu fangen versuchen, wenn wir zwanzig Punkte gemacht haben. Wenn wir dann den Schnatz haben ist die Sache gelaufen. Aber wir sollten nicht auf mehr Punkte verzichten, wenn wir welche machen können. Ich weiß, Julius, daß du immer noch Angst davor hast, uns alle reinzureißen. Aber die Angst wirst du nicht los, wenn ich dich heute aus dem Spiel lasse. Falls Virginie nächstes Jahr Kapitänin wird, was ich hoffe, nützt es dir nichts, wenn ich dich heute nicht mitmachen lasse, weil du dich fragen wirst, was mit dir gelaufen wäre, wenn ich dich nicht aus dem Spiel gelassen hätte. Also machst du heute dein Spiel, wie gegen die Roten oder die Violetten.

Du Hercules möchtest wissen, mit welchem Recht du in der Stammauswahl bist. Heute wirst du es erfahren. Denn die Rossignols schlagen gnadenlose Klatscher. Aber wir haben das geübt, und heute werden wir die Wadenbeißer in die Ecke zurückschicken, in die sie sich selbst gestellt haben. Also los! Grün war der Pokal vor zwei Jahren. Grün ist der Pokal nach diesem Spiel!"

Julius und Hercules folgten Jeanne und Barbara zum grünen Saal, wo sie ihre Besen holten. Julius wußte, daß er trotz der Randale-Truppe aus dem blauen Saal nicht die wahren Eigenschaften seines Besens zeigen wollte. Er würde versuchen, ihn immer noch als Ganymed 9 zu fliegen. Für die Blauen sollte das ausreichen. Ja, für die Blauen würde das mehr als ausreichen. Immerhin hatte er eine persönliche Rechnung zu begleichen. Aus den Reihen der Blauen war dieser Jasper van Minglern gewesen, der ihn und Belle zu Halloween zu vorübergehenden Zwillingsschwestern gemacht hatte. Er hatte zwar interessante Tage erlebt und es auch teilweise faszinierend gefunden, doch irgendwo tief in ihm brodelte es. Sicher, Rache war Unsinn, da ja der Übeltäter keine zehn Stunden nach seinem Streich rausgeworfen worden war. Aber er wollte zeigen, daß beharrliches und gekonntes Spiel immer über rohe Gewalt zu stehen hatte. Ja, Jeanne hatte recht. Er mußte dieses Spiel machen, um für sich selbst die Sicherheit zu kriegen, daß er in dieser Mannschaft kein Besucher sondern ein festes Mitglied war.

Der Sechste Mai war hier in Beauxbatons ein schöner Tag. Leichte Federwolken trieben gemächlich an einem strahlendblauen Himmel dahin. Die Frühlingssonne wärmte Erde und Luft mit ihren Strahlen. Vögel sangen in den gepflegten Parks von Beauxbatons. Zwischendurch drangen die Laute der magischen Tiere herüber, die in der schuleigenen Menagerie gehalten wurden. Doch in Julius' Bauch prickelte die Aufregung, als wenn er von Célines Kribbelkrabbelkeksen mit dreifachem Brauseeffekt zu viele genascht hätte.

"Du bleibst erst einmal Abfangjäger, Julius. In der Rolle warst du bislang ein sehr sicherer Rückhalt", bestimmte Jeanne.

"In Ordnung", sagte dieser und versuchte, alle störenden Gedanken zu verdrängen. Er hörte zwar die Zuschauerchöre, die von den Tribünen her klangen. Die Roten sangen noch laut: "Rot ist der Pokal! Grün, das war einmal!" Die Anhänger der Blauen sangen: "Unsere Truppe wird heut siegen. Grün wird den Pokal nie kriegen!" Die Gelben und Violetten tuschelten nur laut, während die Weißen laut sangen: "Das Jahr war wild, das Jahr war schön. Wir woll'n rechte Sieger sehen." Am lautesten, als wüßten sie sehr gut, wie nötig ihre Mannschaft das brauchte, sangen die Grünen: "Jeanne, du spielst das letzte Mal. Holt euch noch mal den Pokal!"

"Sehr geehrte Madame Maxime, hochgeschätzte Lehrerinnen und Lehrer, hallo, ihr alle da auf den Zuschauerrängen!" Rief Ferdinand Brassu von der obersten Loge aus, wo er wie so viele Male in dieser Saison die Spiele kommentiert hatte. Alle johlten, auch die, für die es hier und heute um nichts mehr ging. "Heute erleben wir den wohl größten Tag dieser Quidditchsaison. Denn hier und heute entscheidet es sich, wer nach der trimagischen Quidditchpause den Pokal des schuleigenen Quidditchturniers am Ende der Saison überreicht bekommen wird. Wird es die Mannschaft des roten Saales sein, deren Kapitän Bruno Chevalllier und deren Hüter César Rocher ihr letztes Spiel in den Mauern dieser Akademie schon bestreiten durften? Oder wird es die Mannschaft aus dem grünen Saal schaffen, mit den altbewährten Kämpferinnen Jeanne Dusoleil und Barbara Lumière, sowie den Neuerwerbungen Hercules Moulin und Julius Andrews den Pokal im eigenen Saal zu behalten?" Die Roten skandierten:

"Rot ist der Pokal! Grün, das war einmal!" Darauf antworteten die Grünen:

"Den Pokal gewinnen wir. Rot und Blau verlachen wir!"

"Wir erleben heute das Aufeinandertreffen zweier Grundhaltungen, ja zweier Welten", übertönte Brassu mit Hilfe des Sonorus-Zaubers die anfeuernden Gesänge der Zuschauer. "Heute treten an: Blau gegen Grün, Aufruhr gegen Anstand, Krawall gegen Kreativität, Randale gegen Raffinesse." Die Blauen buhten ungehalten, weil Brassu so über ihre Spielweise herzog. Madame Maxime war versucht, den Sprecher zu maßregeln, ließ jedoch ihre Hand wieder sinken, ohne etwas einzuwänden. "Wieder erleben wir den Auftritt zweier Kapitäne in ihrem letzten Spiel zu Beauxbatons. Da kommen sie auch schon, Mademoiselle Jeanne Dusoleil und Monsieur Adrian Colbert."

"Kapitäne, begrüßt euch, aber anständig!" Kommandierte Professeur Dedalus. Jeanne ging mit erhobenem Haupt in die Mitte des Spielfeldes, wo Adrian und sie sich die Hände schüttelten. Die Blauen riefen den Namen ihres Kapitäns. Die Grünen riefen den Namen ihrer Kapitänin.

"Die Mannschaftsführerin vom grünen Saal hat für dieses entscheidende Spiel eine Auswahl der am besten aufgefallenen Spieler aufgestellt. Sie selbst, Monsieur Yves Lambert und Monsieur Julius Andrews werden als Jäger aufspielen. Monsieur Lambert bestreitet wie die Kapitänin das letzte Spiel seiner Schulzeit. Zumindest wollen wir das hoffen, daß er nicht durch die UTZ-Prüfungen fällt." Die blauen lachten und sangen:

"Wir machen den platt! Dann hat er's satt!"

Madame Maxime rügte leise aber für alle, die nach oben blickten gut zu sehen Ferdinand Brassu. Dieser fuhr dann etwas weniger schwungvoll fort:

"Moulin und Moureau werden wieder als Treiber spielen, und die drei Torringe auf der Seite der grünen Mannschaft werden von der vielfach bewährten Mademoiselle Barbara Lumière gehütet, für die es ja auch der letzte große Auftritt in Beauxbatons sein wird. Schließlich wird Agnes Collier heute über Sieg oder Niederlage der Grünen, über Pokal oder Pech, Sieg oder Platz entscheiden, indem sie den Schnatz zu ergattern trachtet. Auf der anderen Seite bleibt der Kapitän Colbert als führernder Jäger in Position, während die Gebrüder Mistral ihn bei der Jagd nach Toren unterstützen werden. Wie bislang sehr durchschlagend treten die Gebrüder Rossignol als Treiber an. Im Torraum wird heute Alain Collinebleu wachen. Als Sucherin haben sich die Spieler des blauen Saales nach Stomoxus Lesauvage Corinne Duisenberg als Sucherin erwählt, die hier und heute ihr erstes Spiel machen wird."

"Und verliert!" Riefen die Weißen laut dazwischen. Das die Bewohner des weißen Saales den Grünen den Pokal gönnten, war nach der Niederlage gegen die Mannschaft der Roten kein Geheimnis geblieben. Warum sollten sie sie nicht auch offen anfeuern.

"So fangen wir nun an", sagte der Stadionsprecher aufmunternd. Noch einmal johlten die Zuschauer. Professeur Dedalus kommandierte:

"Auf die besen!" Er ließ die zwei Klatscher aus einer Kiste frei, während alle die Besen bestiegen. "Drei!" Er ließ den goldenen Schnatz frei, der sofort wie eine aufgescheuchte Fliege davonschwirrte. "Zwei - eins - Los!" Beim Startkommando warf er mit großer Wucht den scharlachroten Spielball, den Quaffel, hoch in die Luft. Gleichzeitig stießen sich alle vierzehn Spielerinnen und Spieler vom Boden ab. Julius achtete darauf, nicht zu heftig abzuheben. Hier und heute, so wußte er, durfte er den Ganymed 10 noch nicht so gut aussehen lassen, wie es dieser Besen hinbekam. Er ließ Jeanne zuerst an den Quaffel.

"Dusoleil ist schneller als Colbertt. Kann den Quaffel erobern und spielt ab auf ... Klatscher von Serge Rossignol!" Rief Brassu nun voll im Fieber der Partie, als einer der beiden schwarzen Bälle Jeanne um haaresbreite in den Magen traf. Nur einer schnellen Seitwärtsrolle verdankte sie, nicht schon in den ersten Spielsekunden vom Besen gehauen zu werden. Der Quaffel flog ungelenkt durch die Luft, wo einer der Mistral-Zwillinge ihn aufschnappte und sofort zum Tor der Grünen vorstieß.

"Na, das wird ein rasanter Vorstoß, Mesdames, Mesdemoiselles et Messieurs!" Peitschte Brassu die Menge voran. Julius wartete gerade lange genug, um ohne überschnelles Manöver in die Bahn des Jägers zu fligen. Barbara postierte sich derweil so vor den Ringen, daß sie einen Wurf aus großer Entfernung noch gut einschätzen und parieren konnte. Doch Julius baute sich schon vor dem älteren der beiden Mistrals auf, der mit seinem Ganymed 8 einen wilden Tanz hinlegte, um an dem jüngeren Gegenspieler vorbeizukommen. Doch Julius hielt locker mit. Er hoffte, nicht doch zu gut auszusehen. Doch im Moment galt es, ein frühes Tor für die Blauen ...

Wusch! Wusch! Beide Klatscher zischten mit brutalem Tempo auf Julius Andrews zu. Dieser warf sich flach auf den Besenstiel. Er fühlte den Fahrtwind eines der beiden Eisenbälle voll am rechten Ohr, während der zweite Ball fünf Zentimeter über seinen Po hinwegraste.

"Und der Quaffel fliegt sofort zum Tor! - Lumière!" Rief Brassu. Julius blieb mehr aus Instinkt als aus Berechnung flach auf dem Besenstil liegen, wodurch der von Barbara wuchtig zurückgeprällte Quaffel schnurgerade über ihn hinwegflog. Doch keine Sekunde später setzte Julius dem roten Ball nach, während Hercules Moulin hinter ihm auftauchte und einen der nun von selbst zurückfliegenden Klatscher auf Colbert umleitete, der den Quaffel gerade noch zu packen versucht hatte.

"Andrews hat den Quaffel, darf offenbar auch nach vorne spielen. Er fliegt schnell - ja ein Ganymed 9 ist doch ein besserer Besen als der Achter - lässt den Quaffel vor sich hin und hertanzen. Soll wohl seine Gegner ablenken. Doch die nehmen ihn jetzt in die Zange - Jawoll!"

"Ich bin am Zug, Baby, und du selbst bist auf Tour", sang Julius auf englisch den Refrain des Muggelliedes, welches er am ersten Morgen der Osterferien gehört hatte. Gerade als die beiden Jäger ihn zwischen sich einzwengen wollten, reagierte er.

Julius war im Rosselini-Raketenaufstieg aus der sich schließenden Zange aus Adrian Colbert und dem jüngeren der beiden Mistrals entkommen, hatte dabei den Quaffel einmal weit nach oben geworfen und ihn schnell wieder angenommen, als er sich wieder im waagerechten Flug befand. Doch er wollte jetzt keinen Alleingang machen. Er suchte und fand Jeanne und passte ihr den Quaffel zu, nachdem Giscard Moureau einen ihr gefährlichen Klatscher aus ihrer Bahn gedroschen hatte. Julius machte eine schnelle Wende und sauste an Marc Rossignol vorbei, der gerade versuchte, den zweiten Klatscher zu spielen.

"Wenn wir das erste Tor schießen ist wohl die Hölle los", dachte Julius als er dem Schläger von Marc noch entkommen konnte.

"Freiwurf! Freiwurf!" Skandierten die Grünen, weil Marc seinen Schläger nun gezielt gegen Julius führte. Dieser tauchte reflexartig unter dem Hieb weg und rief zurück:

"Pass ja auf, Marc, daß du nicht gleich vom Besen kullerst!" Er ging vor dem eigenen Tor in Stellung, während Jeanne den Quaffel mit einer geschickten Bewegung so anschnitt, daß er bei seinem rasanten Flug eine schwer einschätzbare Kurve beschrieb. Collinebleu sprang auf seinem Besen nach rechts. Doch der Quaffel hüpfte durch den mittleren Ring.

"Zehn zu null für die Mannschaft Grün!" Rief Brassu über den Jubel der Zuschauermenge hinweg, von denen mehr grüne Schals und Fahnen schwenkten als Leute im grünen Saal wohnten.

Julius mußte sofort feststellen, daß seine Befürchtung zutraf. Denn der frühe Rückstand der Blauen schien diesen ein Startzeichen zu unfairen Aktionen zu sein. Die Treiber hieben mit den Schlägern nach Köpfen oder Klatschern. Die Jäger flogen sehr brutale Kollisionsmanöver, die von Yves und Jeanne nur durch waghalsige Ausweichmanöver gekontert werden konnten. Julius bekam den Quaffel einmal von Jeanne zugespielt und wurde sofort von beiden Treibern bedrängt, die nicht etwa die Klatscher spielten, sondern ihn direkt angriffen. Weil dieser von Jeanne den Quaffel bekommen hatte, sollte er wohl nach vorne.

"Andrews wird unfair bedrängt. Heh, die beiden Treiber der Blauen wollen ihn ernsthaft schlagen. Haha, jetzt hat Serge seinem Bruder selbst eins draufgegeben. Gut weggetaucht, Andrews!"

Julius preschte vor, gerade so noch im Grenzbereich eines Ganymed 9, tauchte vor dem Tor auf. Colbert flog ihn an wie ein wütender Vogel, der sein Nest beschützen will. Er passierte Julius und rammte ihm dabei ansatzlos den Ellenbogen in die Seite. Doch Julius steckte den Schmerz sofort weg.

"Was mich stört verschwinde! Mein Geist herrscht über meinen Körper!" Dachte er, obwohl der dumpfe Schmerz in seinen Rippen pochte. Er legte den Quaffel zurecht, fegte auf Collinebleu zu ... Wusch!

"Andrews in Bedrängnis! Zwei Klatscher gleichzeitig! Ja, wunderbar herumgewirbelt! Ist jetzt mit dem Rücken zum gegnerischen Tor. - Andrews wirft! - Gehalten!"

Collinebleu hatte den schnellen Direktwurf mit den Fingerspitzen pariert. Doch der Quaffel flog nicht weit genug ins Feld zurück. Jeanne war zur Stelle, einen der Mistrals auf den Fersen. Sie passte zurück an Julius, der schon wieder im Rückwärtsgang zum eigenen Tor war. Dieser zögerte nicht und warf noch einmal den Quaffel zum Tor. Collinebleu warf sich herum, wollte den roten Ball noch packen. Doch da flutschte dieser durch den von ihm aus rechten Ring.

"Tooooooooooor!!!!!!! Zwanzig zu null für die Mannschaft Grün."

Da auch die Blauen wußten, daß nur der Schnatzfang das Spiel schnell beenden würde, schossen sich die Treiber zwischendurch auf Agnes Collier ein, die fast vom Besen flog, während Corinne Duisenberg, eine kleine rundliche Viertklässlerin mit schwarzer Lockenfrisur seelenruhig ihre Kreise zog.

"Auszeit!" Rief Jeanne Dedalus zu, als ein erneuter Angriff der Blauen auf Barbaras Tor gerade so vereitelt worden war. Julius schwankte leicht auf dem Besen. Zwar unterdrückte er die Schmerzempfindungen, die Colberts Rippenstoß mit sich brachte. Doch er mußte sich zu sehr darauf konzentrieren, sodaß er seinen eigenen Flug vernachlässigte. Dedalus pfiff eine Auszeit. Fast alle landeten. Nur Corinne Duisenberg wollte von einer Auszeit wohl nichts wissen. Dedalus mußte sie harsch anbrüllen, damit sie auch landete.

"Deine Kampfsportdisziplin in Ehren, Julius, aber dieser Treffer muß behandelt werden", sprach Jeanne auf Julius ein und winkte Schwester Rossignol. Diese kam sofort, besah sich, was passiert war und behob die Prällung an Julius rechter Seite mit Zauberstab und Zaubertränken. Dedalus sagte:

"Freiwurf für Saal grün! Wenn Sie es nicht lernen wollen, Monsieur Colbert, werden Sie eben bestraft."

Jeanne führte den Freiwurf aus und verlud Collinebleu mit einer schnellen Antäuschung.

Nach dem großen Rückstand rempelten und drängelten die Spieler des blauen Saales immer wieder, riskierten, selbst von den Besen zu fallen, nur um die Jäger der Grünen am Aufbau eines geordneten Angriffs zu hindern. Julius schaffte es knapp, vor einem Klatschertreffer den Quaffel aus einer torgefährlichen Flugbahn zu pflücken und diesen sofort in die gegnerische Hälfte zu dreschen.

"Neuer Freiwurf für die grüne Mannschaft, die sich durch das Brechstangenspiel der Blauen nicht aus dem Konzept bringen ließ", kommentierte Brassu. Julius durfte diesmal werfen. Er tanzte einen schwindelerregenden Twist auf seinem Besen, bis er aus einer nicht als solcher vorhersehbaren Wurfbewegung heraus den Quaffel durch den von sich aus rechten Torring pfefferte.

Im Gegenzug griffen die Blauen mit allen Spielern gleichzeitig an, die nicht nach dem Schnatz suchen mußten. Sogar ihr Hüter kam aus dem Torraum und wollte einen Punktegewinn für seine Mannschaft herauskämpfen. Dedalus fuhr ihn an, gefälligst im Torraum zu bleiben. Collinebleu hätte dieser Aufforderung nicht gehorcht, wenn Julius nicht gerade den roten Ball in die Finger bekommen und sich sofort zum nun unbewachten Tor auf und davongemacht hätte. Die beiden Klatscher, die ihm nachgefeuert wurden, wurden in einem grandiosen Doppelschlag von Hercules so abgefälscht, daß sie weit an Julius vorbeiflogen. Dieser fühlte wohl eher als er es sah, daß Collinebleu ihn einholte und warf den Quaffel mit aller Kraft von sich. Der Hüter der Blauen packte ihn von hinten am Spielerumhang und wollte ihn vom Besen reißen. Gerade fegte der Quaffel durch den angespielten Ring, als der ehemalige Hogwarts-Schüler eine schallende Ohrfeige bekam. Er reagierte aus antrainierten Reflexen und traf Collinebleu mit einem Karate-Ellenbogenstoß voll zwischen Brust und Bauch.

Freiwurf für die Blauen wegen regelwidrigen Revanchefouls durch Andrews. Freiwurf für Saal Grün wegen tätlichen Angriffs auf Andrews!" Rief Dedalus mit wutrotem Gesicht. Er pfiff eine neue Auszeit, damit Collinebleu und Julius sich behandeln lassen konnten. Dann führten Jeanne und Adrian die zuerkannten Strafwürfe aus. Dadurch bekamen die Blauen die ersten zehn Punkte in dieser Partie, weil Barbara nicht schnell genug vor den richtigen Ring gelangte. Doch damit schien sie wohl erst richtig warm geworden zu sein. Denn im weiteren Verlauf kam kein direktwurf mehr an ihr vorbei. Julius klärte auch sehr häufig vor dem eigenen Tor. Jeanne hatte verfügt, daß er nun als Abfangjäger vor dem Tor bleiben und bei Quaffelerhalt zu ihr oder Yves hinüberpassen sollte.

Jeanne wurde einmal so brutal vom Quaffel getrennt, daß sie mit herabhängendem Arm auf den Boden zutrudelte. Der eingearbeiteten Notlandefähigkeit des Ganymed 9 verdankte sie, daß sie nicht hart auf dem Boden aufschlug. Dedalus pfiff die X-te Auszeit, und Schwester Florence behandelte den Arm, der an der Elle gebrochen war. Doch die Hitze wollte nicht aus dem Spiel weichen. Agnes, der Jeanne die beiden Treiber als Leibwache zugeteilt hatte, wurde von ihrer direkten Gegenspielerin fast vom Besen gepflückt. Die Verbiestertheit der Blauen erlosch nicht, als sie deshalb noch einen Strafwurf kassierten, den Jeanne knapp verwandelte.

"Julius vorwärts!" Rief Barbara, als sie den Quaffel von Adrian Colbert mit einer schnellen Straffung ihres Oberkörpers vor dem mittleren Ring herunterpflückte und ihn ihrem Vorstopper oder Abfangjäger zuwarf, der sofort lospreschte, weil Jeanne und Yves gerade von wie irrsinnig auf sie losstürmenden Mistral-Brüdern attackiert wurden. Da die eigenen Treiber auf Agnes aufpassten, um sie zu schützen oder ihre direkte Gegnerin am Schnatzfang zu hindern, mußte Julius auf der Hut der beiden Rossignol-Brüder sein, die sofort versuchten, ihm mit einer Klatscher-Doppelsalve den Vorstoß gründlich zu verderben. Adrian, der fast zu spät merkte, daß der von Jeanne eigentlich vor dem Tor belassene Jäger den Quaffel hatte und damit zum Tor brauste, setzte Julius nach. Dieser wußte, daß er ihn locker abhängen könnte, wenn er den Ganymed als Zehner fliegen dürfte. Er warf sich auf den Besenstiel, bremste fast zu scharf für einen Neuner, ließ Adrian dadurch voll ins Leere stoßen und sah schnell nach den Klatschern, die gerade vom Torraum her auf ihn zuflogen. Einer streifte Adrian an der linken Schulter. Der Kapitän der Blauen wurde dadurch um die Senkrechtachse herumgewirbelt. Julius zielte, täuschte an, wartete die Hundertstelsekunde, bis Collinebleu auf den angeblich ausgesuchten Ring zuflog und drosch den Quaffel aus zehn Metern durch den mittleren Ring. Dann machte er eine schnelle Wende, tauchte im Sturzflug hinunter bis fast auf das Spielfeld, weil ihn beide Mistrals zugleich angriffen, rollte sich einmal zur Seite herum und stieg dann steil nach oben.

Von hinten traf ihn ein Schläger voll in den Rücken. Er fühlte seine Arme nicht mehr. Tränen schossen ihm in die Augen, die vom Flugwind schmerzhaft heruntergekühlt wurden. Er hörte durch einen dichter werdenden Nebel das Buhen fast aller Zuschauer. Dedalus pfiff eine Auszeit. Weil der Zehner ebenfalls eine Notlandefunktion besaß, ließ Julius ihn sicher zur Erde gleiten. Denn im Moment konnte er seine Arme nicht mehr voll gebrauchen.

"So, die Herrschaften!" Rief Madame Maxime von der Loge her. "Dieses feige Foul an Monsieur Andrews kostet die Mannschaft Blau alle bisher erspielten Punkte in dieser Partie."

Alle applaudierten, von den Blauen natürlich abgesehen. Schwester Florence mußte erneut an Julius ran, um den Treffer am Rücken zu untersuchen. Sie wiegte den Kopf so, als sei die Verletzung sehr schwerwiegend. Dann sagte sie:

"Monsieur Andrews hat eine Quetschung des zweiten Rückenwirbels abgekriegt. Aber ich kann das noch heilen." Sie gab Julius erst einen Zaubertrank, der das Gefühl der Taubheit noch verstärkte. Sie fixierte seinen Nacken, daß er seinen Kopf nicht unwillkürlich bewegen konnte und hantierte mit ihrem Zauberstab herum, bis Julius meinte, ein heftiger Stromstoß würde durch Kopf und Arme gejagt. Die Heilerin nickte nach einer Minute und gab Julius einen zweiten Zaubertrank. Sie löste den Nackenfixierzauber wieder und wartete, bis ihr Patient den Trank bis zum letzten Tropfen geschluckt hatte.

Julius glaubte, Eiswasser würde durch alle Fasern seines Körpers pulsieren. Doch nach zehn Sekunden verflog die Wirkung und er fühlte sich wieder völlig fit.

"Monsieur Andrews kann weiterspielen", sagte die Heilerin zu Dedalus und Jeanne. Diese atmete erleichtert auf.

"Strafwurf für Grün!" Verkündete der Fluglehrer und Schiedsrichter sehr ungehalten. Julius hätte es gerne mal erlebt, daß ein grob foulender Quidditchspiler aus dem Spiel genommen wurde. Doch anders als bei vielen Muggelsportarten wurde hier kein Platzverweis ausgesprochen. Warum das so war, verstand er nicht.

Julius durfte werfen, als sie wieder in der Luft waren. Er unterdrückte die Wut, die er auf die Rohlinge der Blauen verspürte, sah mit sich verengenden Augen auf das Tor, raste darauf zu, zielte scheinbar auf den mittleren Ring und warf. Der Quaffel hüpfte beim Abwurf nach oben. Collinebleu witterte leichte Beute und schoss auf seinem Ganymed 8 waagerecht aufwärts. Doch da kullerte der Quaffel wieder nach unten und durchflog den Ring auf der von Julius aus linken seite, wobei er unter dem Rand des goldenen Rings streifte.

Sofort stürzten sich die Blauen wieder auf Julius. Zwar unterließen es die Treiber, ihn direkt mit den Schlägern zu bedrängen, doch das Rämpelspiel der Jäger war nicht ungefährlicher. Julius sah schon den auf ihn gerichteten Besenstiel wie eine Lanze beim Ritterturnier auf ihn zurasen und überlegte, ob er nicht doch die überragenden Eigenschaften des Ganymed 10 ....

"Aus! Aus!! Das Spiel ist aus!!!!" Rief Brassu über eine Explosion von Lärm hinweg, die von den Zuschauerrängen losbrach. Julius sah, wie der ihn fast aufspießende Mistral-Zwilling irritiert den Besen verriss und mit nach unten zeigender Spitze zur Erde hinabsackte. Er sprang schnell noch über den zweiten Angreifer hinweg und sah dann, wie Agnes Collier mit überglücklichem Gesicht an ihm vorbeiflog und mit der linken Faust winkte, in der vier silberne Flügel zappelten. Durch das brutale Spiel der blauen Jäger hatte er keinen Blick für die Sucherinnen gehabt. Barbara und Jeanne fegten heran und winkten Julius laut lachend zu. Er fühlte sich wie in einem Kinofilm, nicht in die eigentliche Handlung einbezogen, sondern nur als Zuschauer. So heftig hatte ihn die Bedrängnis seiner Gegner gefordert. Als Jeanne dann aber mit einem geschmeidigen Wendemanöver längseits ging und ihren rechten Arm um Julius Taille schlang, kehrte er wieder in die Wirklichkeit zurück. Ja, sie hatten es geschafft. Mit 210 Punkten, von denen sie nur 170 gebraucht hätten, hatten sie den Quidditchpokal geholt.

Der Lärm der Zuschauer, die durch magisch verstärkte Tröten und Flöten, Trommeln und Rasseln ihre eigenen Stimmen noch übertönten, stach Julius wie mit Dolchen in die Ohren. Doch der Schmerz wurde von einer Woge der Freude überdeckt. Er hatte zum ersten Mal in seinem Leben ein Quidditchturnier gewonnen. Was ihm im Fußball nicht vergönnt gewesen war, hatte er nun hier erreicht.

"Du hättest mit dem Besen wegschießen können, Julius. War dir dein Leben nicht so wichtig wie dieses blöde Einschränkungsgebot?" Zischte Jeanne ihm ins Ohrr. Es mochte geflüstert oder aus Leibeskräften gebrüllt gewesen sein. Julius konnte unter dem Freudengeschrei, Gepfeife und Getrommel, Getröte und Gejohle nicht mehr abschätzen, was für eine Lautstärke nötig war, um ihm was mitzuteilen.

"Ich wollte nicht zu gut auffallen, Jeanne!" Rief Julius seiner Mannschaftskapitänin zu. Diese sah ihn jedoch mit einer Mischung aus überschwenglicher Freude und Tadel an, während sie landeten.

"Damit steht der Pokalgewinner dieser Saison endgültig fest, hochverehrte Zuschauerinnen und Zuschauer!" Rief Ferdinand Brassu. "Die Mannschaft des grünen Saales gewinnt nach dem Jahr Pause zum zweiten Mal in Folge den Quidditchpokal von Beauxbatons. Das ist das siebenundzwanzigste Mal, daß der Saal der Gründerin Eauvive nach der zusammenlegung von Jungen und Mädchen diesen Pokal erringen konnte! Herzlichen Glückwunsch!!!!"

Alle jubelten. Die Grünen und die Weißen sangen "Grün ist der Pokal! Grün ist der Pokal!" Die Roten klatschten heftigen Applaus, wenngleich Julius auch enttäuschte Gesichter sehen konnte. Aber diese Leute da wußten, daß die Grünen alles Recht hatten, diesen Sieg zu erringen, nachdem die Blauen erneut sehr unfair gespielt hatten.

Viele Zuschauer kamen auf den Platz. Zuerst jedoch Professeur Faucon und Professeur Fixus, gefolgt von Madame Maxime. Adrian Colbert gratulierte Jeanne zum zweiten Pokalerfolg und zum Gewinn der Partie und zog sich dann schnell zurück, um mit seinen Mannschaftskameraden vom Platz zu verschwinden. Doch da kamen auch schon Schwester Florence, die Montferre-Schwestern und Belle Grandchapeau, und diese wollten wohl nicht gratulieren, konnte Julius mit unverhohlener Genugtuung in den Gesichtern der Hexen ablesen.

"Ich gratuliere Ihnen, Mademoiselle Dusoleil, daß Sie den Pokal zum zweiten Mal in Ihrer Zeit als Kapitänin erringen konnten", sagte Professeur Fixus mit ihrer kalten Stimme. Dann überließ sie es ihrer Kollegin Faucon, die Mannschaft zu beglückwünschen. Zuerst ging sie zu Jeanne, nahm sie kurz in die Arme und drückte sie an sich. Dann ging sie zu Barbara und danach zu Yves. Julius hatte diese Hexe noch nie überglücklich gesehen. Er saugte sich mit seinem Blick am großmütterlich strahlenden Gesicht seiner Saalvorsteherin fest, nahm den Ausdruck großer Freude, den sie offen zur Schau trug, in sein Gedächtnis auf. Hercules und Giscard klopften Julius auf den Rücken.

"Das war ein geniales Ablenkungsmanöver, Julius. Wenn die dich nicht aufs Korn genommen hätten und die Rossignols dem nicht zugeschaut hätten, hätten wir nie beide Klatscher zugleich gegen die Duisenberg schlagen können. Die hätte sonst den Schnatz gekriegt", frohlockte Hercules.

"Ablenkungsmanöver?" Fragte Julius. Doch dann schaltete sein Verstand sehr schnell. Sicher mochte das wie ein Ablenkungsmanöver rüberkommen, daß er den ihn angreifenden Jägern nicht schon früher ausgewichen war.

"Habt ihr die Sucherin der Blauen getroffen?" Fragte er nach fünf Sekunden, in denen er sich vorgestellt hatte, wie Corinne Duisenberg voll getroffen vom Besen gefallen war und es seine überschwengliche Freude überlagerte, daran zu denken, daß die Sucherin nun wohl schwer verletzt am Boden lag. Doch halt! Schwester Florence stauchte gerade ihre beiden Enkelsöhne zusammen, wobei sie die Montferres energisch auf Abstand halten mußte, die wohl gleiches im Sinne hatten. Also konnte Corinne ...

"Mich gibt's noch, Julius!" Sagte eine ihm unvertraute Mädchenstimme von Hinten. Er drehte sich um und sah die kleine, kugelrunde Hexe, die irgendwie nicht so wendig erschien mit ihren kurzen Armen und Beinen. Sie lächelte ihn an und zwinkerte ihm aus graugrünen Augen zu. "Deine schadenfrohen Kameraden haben mich nicht abgeschossen. Herzlichen Glückwunsch zum Pokalgewinn", sagte sie noch und umarmte Julius. Er stand wie zur Salzsäule erstarrt da, als das Hexenmädchen im himmelblauen Spielerumhang davonging.

"Häh, woher hat die gewußt -? Kann die etwa wie die Fixus -?" Dachte Julius halb laut.

"ja, kann sie. Allerdings nur starke Gefühle, keine verbalisierten Gedanken", sagte Professeur Fixus' Stimme hinter ihm. Er fuhr wie vom Blitz getroffen zusammen und taumelte fast, als er sich umwandte und der etwas kleiner als er selbst gewachsenen Zaubertranklehrerin ins Gesicht sah. "Mademoiselle Duisenberg kann starke Gefühlsschwankungen wahrnehmen. Sie strahlten neben besorgten Gedanken wohl eine Menge Schuldgefühle aus, als Ihre Mannschaftskameraden siegestrunken von ihrem genialen Angriff erzählten. Dabei hätten Sie selbst fast zu Schaden kommen können, Monsieur Andrews", flüsterte Professeur Fixus und sah ihn mit demselben Ausdruck zwischen Tadel und Freude an, mit dem Jeanne ihn vor der Landung bedacht hatte. "Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer vortrefflichen Disziplin und Beharrlichkeit, der Ihre Mannschaft den Pokal verdankt. Ich hätte ihn gerne einmal mehr in meinem Büro aufgestellt, doch im nächsten Jahr ist ja ein neues Turnier."

"Ich denke, ich sollte doch die Occlumentie lernen", dachte Julius, bevor Professeur Faucon auf ihn zueilte und ihn ansatzlos in eine sehr feste Umarmung schloss. Er fühlte ihre Lippen auf jeder Wange schmatzen. Dann sagte sie:

"Ich bin sehr froh, daß Sie sich so gut beherrscht haben. Der Karate-Abwehrschlag, den Sie gegen Colbert anbrachten, war ein übungsbedingter Reflex, den Madame Maxime als solchen erkannt hat. Ansonsten haben Sie sich über die ganze Saison untadelig und des Besens würdig präsentiert, den Sie besitzen, Monsieur Andrews." Dann näherte sie ihren Mund seinem rechten Ohr. Weil der Lärm auf den Rängen gerade auf Drei Viertel seiner Ursprungsstärke abgesunken war, mußte sie zwar laut sprechen, wurde aber wohl von den meisten nicht verstanden. "Sie hätten sich nicht aufspießen lassen müssen, Monsieur Andrews. Ihr Leben, Ihre Gesundheit, sind immer mehr wert als Verordnungen. Niemand hat befohlen, sich sehenden Auges in den Tod zu stürzen." Julius erkannte Besorgnis und Vorwurf in der Stimme. Dann sagte die Lehrerin noch etwas leiser. "Ich werde es hinbekommen, daß Sie den Besen im nächsten Schuljahr als das nutzen dürfen, was er ist. Ich würde es mir nicht verzeihen, Sie auf Grund einer von mir erteilten Anweisung zu Schaden kommen zu sehen. Wir sind hier keine Armeekaserne, Monsieur Andrews, wo die Insassen aufs Töten oder Getötetwerden getrimmt werden. - Herzlichen Glückwunsch zum Gewinn des diesjährigen Quidditchpokals!"" Sie gab ihn aus der Umarmung frei und ging zu Hercules und Giscard, um ihnen auch zu gratulieren. Julius stellte fest, daß sie die beiden Treiber zwar umarmte und auch auf die Wangen küßte, aber nicht so heftig wie ihn.

Madame Maxime trat heran. Hinter ihr scharten sich die ersten Gratulanten. Julius erkannte unter ihnen Claire, Céline, Constance, Martine, Belisama und Millie, aber auch Bruno, César, Seraphine, Gustav und Francine. Doch als wäre der Schatten von Madame Maxime mit tödlicher Elektrizität aufgeladen wagten die Gratulationswilligen nicht, ihn zu berühren. Da Madame Maxime zu dieser Tagesstunde einen noch längeren Schatten warf als sonst üblich, verhielten die Schülerinnen und Schüler mindestens drei Meter hinter ihr. Die Schulleiterin beglückwünschte Jeanne Dusoleil. Sie schien die Mannschaft des Blauen Saales nicht zu beachten, die von Anhängern und mißgestimmten Leuten umringt war. Dann ging die Halbriesin zu Barbara und reichte ihr die mit Opalringen geschmückte rechte Hand. Julius hörte, daß sie sie dafür lobte, sich in den sechs Jahren, in denen sie in der Mannschaft gewesen war, so trefflich geschlagen hatte. Ähnliches sagte sie auch zu Yves. Dann suchte sie Julius Andrews auf. Dieser stand stramm wie ein Zinnsoldat, als die ranghöchste Hexe von Beauxbatons sich in ihrer übermenschlichen Größe vor ihm aufbaute.

"Stehen Sie bequem, Monsieur Andrews. Ihr Rücken dürfte eine Straffung noch nicht so unbekümmert hinnehmen", sagte sie und reichte ihm die rechte Hand. Julius, dessen Kopf gerade auf Bauchhöhe der Halbriesin war, küßte die große, weiche Hand seiner Schulleiterin und bedankte sich für den Glückwunsch, den sie ihm aussprach.

"Ich habe Ihren Revancheschlag gegen Monsieur Colbert verziehen, auch wenn Professeur Dedalus ihn natürlich ahnden mußte. Dies nur, damit Sie sich nicht angesprochen fühlen, wenn ich gleich eine wichtige Ankündigung mache. Sie haben über die ganze Saison Quidditch in seiner erhabenen, wenn auch rasanten Ausprägung gespielt und sich als Träger wahren Sportsgeistes präsentiert. Darauf dürfen Sie stolz sein. Für Ihre beherrschte und ausgefeilte Art, dieses Spiel zu spielen erhalten Sie, wie Ihre Kameradinnen Mademoiselle Jeanne Dusoleil und Barbara Lumière einhundert Bonuspunkte. Sie wissen ja auch, daß alle erzielten Punkte durch zehn geteilt in die Saalgesamtheitswertung einfließen, plus fünfzig Punkten, wenn das Turnier gewonnen wurde. Einen angenehmen Tag noch!"

Sie ging zu Hercules und Giscard und gratulierte auch diesen. Den Pokal, so wußte Julius es schon lange, würden sie erst nach dem letzten Spiel der Saison kriegen, der Partie Gelb gegen Violett.

Claire war etwas schneller als Belisama und Mildrid. Sie schloss Julius kurz in eine innige Umarmung und hauchte ihm zu, daß sie froh war, gegen diese Rüpel gut gespielt zu haben. Dann meinte sie auch:

"Hättest du kurz vor Agnes' Schnatzfang nicht ausweichen sollen? Warum hast du diesen Widerling Mistral so nahe an dich rankommen lassen?"

"Weil das zu unserer Taktik gehörte", sagte Julius schnell. Claire warf ihm einen bitterbösen Blick zu. Doch dann lächelte sie wieder.

"Nächstes Jahr mußt du dich wohl nicht mehr so einschränken."

"Wenn ich einen besseren Besen kriegen sollte", sagte Julius, weil er davon ausging, daß die Mädchen hinter Claire ihn hören konnten. Sie nickte nur und ging dann zu Jeanne, um ihr zu gratulieren. Damit machte sie Platz für Mildrid Latierre, die Julius zwar umarmte, aber wußte, daß ihre Schwester ihr genau zusah.

"Schön, daß die Chaoten zumindest noch baden gegangen sind. Ich kapiere das nicht, wie die Montferres sich mit diesen Feiglingen abgeben können. War wohl auch dein letztes Spiel auf dem Ganymed 9, nicht wahr? Ich denke, jetzt sollten sie dir einen Zehner gönnen." Sie lächelte verschlagen und gab Julius aus der Umarmung frei. Doch Julius hatte keine Sekunde Zeit, gut durchzuatmen, bevor Martine ihn in eine feste Umarmung schloss.

"Bevor ich zu Jeanne gehe, um ihr zu gratulieren, wollte ich dir sagen, daß du dafür, daß du mit diesem Besen sehr behutsam umgesprungen bist, immer noch bestes Quidditch gezeigt hast. Es war schön, sowas noch mal zu sehen, wenn ich auch etwas traurig bin, daß wir den Pokal nicht mehr gekriegt haben. Aber 160 Punkte waren ein zu schwaches Polster, um Konkurrenten wie euch noch zu überflügeln. Die Blauen hätten es ja auch noch in der Hand gehabt, euch den Schnatz und einige Punkte wegzuschnappen, wenn die mehr auf Technik als auf Gewalt gesetzt hätten. Wie kann man als Treiber so blöd sein, den Jägern beim Frontalangriff zuzusehen, obwohl kein einziger Klatscher in der Nähe ist. Weiß nicht, was die Montferres ihren Freunden eher vorwerfen, daß sie dich und andere so vertrimmt haben oder im entscheidenen Moment gepennt haben", sagte die Saalsprecherin der Roten. Dann ließ sie von Julius ab, der sich selbst wie ein Pokal vorkam, der von einem zum anderen gereicht wurde, besser von einer zur anderen. Belisama war die nächste, die ihn in ihre Arme schloss und ihm sogar die landesüblichen Begrüßungsküsse auf jede Wange gab. Sie weinte offenbar, denn Julius fühlte von ihrer Wange eine Träne auf seiner Wange.

"Ihr habt es geschafft, Julius. Du hast es überlebt. Ich dachte schon, die würden dich aufspießen und umbringen. Mach das nie wieder!" Schluchzte das Mädchen mit dem honigfarbenen Haar und den bergquellklaren Augen.

"Ich wollte das nicht, Belisama", sagte der Freund Claires total bestürzt, weil die Klassenkameradin aus dem weißen Saal heftiger an diesem Angriff vor dem Schnatzfang knabberte als Claire. Doch vielleicht würde er sich von Claire noch was anhören müssen, wenn sie ihn im grünen Saal hatte.

"Mach das nie wieder, Julius", sagte Belisama nun eher drohend als bestürzt klingend. Dann gratulierte sie ihm noch anständig zum Pokalgewinn, während Bruno Claire von Jeanne wegdrückte, um diese innig zu umarmen.

"Derselbe Herr, die nächste Dame", dachte Julius, als Sandrine ihn umarmte und ihm gratulierte.

"Was immer sich eure Kapitänin dabei gedacht hat, dich als Lockvogel für einen Angriff zu benutzen, Julius, ich hoffe, Virginie oder wer auch immer im nächsten Jahr Kapitän ist lässt sowas bleiben", sagte seine Pflegehelferkollegin. Dann zog sie sich zurück, um an Francine abzugeben. Die beließ es jedoch bei einer förmlichen Beglückwünschung und ging danach zu Jeanne und Barbara. Auch seraphine kam zu Julius, nachdem sie in ihrer Eigenschaft als nun bald auch verabschiedete Quidditchkapitänin und Saalsprecherin der Weißen, sowie als gute Freundin von Jeanne und Barbara diesen beiden zuerst gratuliert hatte.

"Du hättest meine kleine Cousine fast zu Tode erschreckt, Julius. Mit deinem Besen hättest du locker ausweichen können und müssen. Constance hätte sich das nicht bieten lassen", tadelte sie Julius und ging dann weiter, ohne sich eine Antwort von ihm anzuhören.

Céline kam zusammen mit Robert zu Julius und gratulierte ihm hocherfreut. Danach trat ihre Schwester Constance zu ihm hin. Ihr von der sehr bald bevorstehenden Mutterschaft geschwollener Bauch ließ sie leicht daherwatscheln. Doch Julius freute sich, die frühere Stammspielerin der Weißen zu sehen. Sie drückte ihn so weit an sich, wie sie nicht ihr ungeborenes Kind zu sehr einzwengte und sagte zu Julius:

"Ist dein Leben nicht teurer als so ein Besen. Gerade wenn du so einen Wunderbesen hast hättest du dich besser halten können. Aber zumindest hast du ein sehr schönes Endspiel geliefert. Papa wird stolz auf dich sein."

"Das wird er auch auf dich sein, Constance", erwiderte Julius. "Dann kriegst du auch ohne Quidditch einen guten Besen."

"Ja, einen Mutter-Kind-Besen für langsame Spazierflüge", entgegnete Constance. Doch es klang nicht so barsch und ablehnend wie üblich, wenn sie von ihrem auf dem Weg befindlichen Kind sprach. Ja, sie lächelte sogar. Julius fragte:

"Geht es dir denn jetzt sehr gut, Constance?"

"Mir geht es bestimmt erst gut, wenn ich weiß, daß Cythera wohlbehalten angekommen ist."

"Bitte, wer?" Fragte Julius total verdutzt auf Constance und dann auf ihren vorgetriebenen Unterleib blickend.

"Ja, Cythera", bestätigte Constance und tätschelte sich den runden Bauch. "Ich habe sie letzte Nacht im Traum gesehen, als Mädchen von fünf Jahren. Sie sah aus wie Céline, hatte nur Malthus' augen und dessen Nase. Das war schön, sie herumfliegen zu sehen, auf einem Ganymed 10. Irgendwie war das was tolles, mit ihr zusammen herumzufliegen."

"Öhm, ja, finde ich auch", erwiderte Julius, der mit dem unverhofften Stimmungsumschwung der schwangeren Mitschülerin nicht so recht was anfangen konnte. "Öhm, dann hätte die ja die gleichen Haare und Augen wie Claire."

"Das wieder nicht, Julius. In unserer Familie hatte niemand so schönes Haar wie die geborenen Odins und die Dusoleils, die davon abstammen. Aber ähnlich ist das schon gewesen."

"Joh, dann sehen wir uns morgen in der Pflegehelferstunde. Ist ja bald so weit", sagte Julius verhalten klingend.

"Ich hoffe es. Ich habe nämlich immer noch Angst davor. Im Moment würde ich sie lieber weitertragen und dafür gerne weiteressen, als sie zu kriegen. Aber ich weiß, daß das nicht geht", sagte die Schwester Célines, hauchte Julius noch einen Kuß auf die rechte Wange und ging dann zu Jeanne hinüber. Julius suchte mit seinem Blick Céline. Diese stand jedoch bei Robert und Hercules, der gerade von Bernadette Lavalette förmlich abgelutscht wurde. Martine, die das an und für sich ahnden sollte, daß jemand sich so innig betätigte, stand noch bei Bruno und César, die sich mit Barbara und Jeanne über das Spiel unterhielten. Belle Grandchapeau kam zu Julius herüber. Sie mußte wohl ihr Gesicht überreden, von mißgestimmt auf total erheitert umzuschalten. Immerhin schaffte sie es, bevor sie bei Julius ankam.

"Ich wollte dir noch einmal persönlich gratulieren, Julius. Ich gehe gleich noch zu Barbara und Jeanne. Aber Adrians Verhalten während des Spiels war unverzeihlich. Ich mußte ihn darauf hinweisen, daß das in seinem Abschlußzeugnis garantiert erwähnt wird. Wie dem auch sei, ich denke, daß dein neuer Besen nächstes Jahr im vollen Glanz erstrahlen wird. - Ja, ja, Julius, ich weiß, du hast eine geheime Anweisung, nicht zu verraten, was du für einen Besen fliegst. Außer meinen Eltern und mir weiß das aus dem violetten Saal auch niemand. Dann hätte ich mir das Gejammer meiner Base noch anhören müssen, daß du ein niederträchtiger Tiefstapler seist und du überhaupt nicht spielen dürftest und so weiter. Ich denke, die, die das befinden können, haben heute gesehen, daß sich diese Einschränkung nicht auszahlt. Alles gute noch für das restliche Schuljahr."

Julius bedankte sich artig und wünschte seinerseits eine erfolgreiche Abschlußprüfung. Belle bedankte sich und ging dann zu Barbara und Jeanne. Bruno nutzte das Auftauchen der Ministertochter, um schnell zu Julius hinüberzukommen. Er hieb ihm auf die Schultern und meinte:

"Schön wär's gewesen, den Pokal noch mal in die Hand zu nehmen. Aber zumindest weiß ich jetzt, daß du zurecht bei uns in der Sommertrainingsrunde drin warst. Schade, wärest du besser auch zu uns gekommen. Ich denke, dann hhätten wir den Pokal vor zwei Wochen schon klargemacht. Na ja, wird Jeanne sich freuen, daß sie den Pokal zweimal geholt hat. Aber im Sommer kommst du ja eh wieder zu uns. Wir Abschlußklässler wollen vor dem Sommerball noch mal zusammen spielen, bevor wir getrennte Wege gehen. Ich denke mal, daß die dicke Delamontagne dich schon für dieses Männchenverschiebespiel gebucht hat und Barbies Ma dich auch schon auf der Meldeliste für den Sommerball ganz oben draufstehen hat. Dazwischen steigt dieses Megaspiel."

"Wer wird denn bei euch der neue Kapitän?" Fragte Julius Bruno. Dieser grinste:

"Wenn zwei nicht wissen, wer's machen soll, Julius. An und für sich habe ich eine von den Montferres vorgeschlagen. Aber die wollten sich nicht einigen, wer das besser machen soll. Sei froh, daß du wie ich keine kleine oder große Schwester hast! Da haben Martine und ich ein Machtwort gesprochen, und nächstes Jahr macht's Brunhilde Heidenreich. Ist vielleicht auch besser. Die hat ja noch zwei Klassen vor sich. Und eine neue Sucherin haben wir auch schon. Ophelia Trifolio macht das."

"Moment mal, in welcher Klasse ist die?" Fragte Julius, dem bei ihrem Nachnamen ein merkwürdiges Grinsen übers Gesicht huschte.

"Die ist eine hinter euch. Ihr werter Großonkel war nicht so begeistert, als sie bei uns hinkam. Der hätte die lieber in seinem Stall von Fachidioten gehabt. Aber Weiß ist bei der gleich nach dem ersten Schritt vom Teppich gewesen."

"Ach, deshalb kam die mir so bekannt vor", erwiderte Julius, der sich nun an ein spindeldünnes Mädchen mit braunem Schopf erinnern konnte, daß im Block der Zweitklässlerinnen der Roten gesessen hatte. Aber er wußte auch, daß dieses Mädchen in Trifolios Unterricht gewiss nicht bevorzugt wurde. Trifolio drangsalierte eher Leute, von denen er sich was versprach als sie zu bevorzugen. Claire und er bekamen das häufig genug zu spüren, sodaß sie es gut im Gedächtnis behielten. Dann grinste er, weil der Name Ophelia ihn an ein geflügeltes Wort Shakespeares erinnerte:

"Sein oder nichtsein", deklamierte er auf Französisch. Bruno grinste.

"Damit kannst du sie wohl ärgern, weil ihre Maman aus England stammt und ihr wohl diesen Vornamen verpasst hat, der wohl da wegkommt, wo du diesen Spruch herhast. - Wer wird denn bei euch dann Kapitän und Hüter?"

"Kapitänin wird wohl Virginie, Bruno. Den Hüter müssen wir noch ausspielen. Die Übungen laufen ja noch bis zum Ende der Saison."

"Ja, ihr habt ja auch noch Reserveleute aus Klassen unter der ZAG-Klasse. Da werdet ihr schon wen finden", sagte Bruno. Dann ging er wieder zu Jeanne, die sich gerade von Belle verabschiedete, höflich, förmlich.

"So, ich hoffe mal, daß war jetzt die ganze Beglückwünschungsarie", dachte er - einige Sekunden zu früh. Denn just in dem Moment, wo er sich zum gehen wandte und zu Claire hinüberwollte, die mit Sandrine und Gérard zusammenstand. Unvermittelt eilten die Montferre-Schwestern ihm nach und holten ihn ein.

"Na, meinst du, alle Mädchen, die das wollten, hätten dich schon begrüßt? Das ist wohl nicht so ganz richtig", sagte Sabine und umarmte Julius. Dann kam Sandra dran.

"Wir mußten uns mit diesen Holzköpfen unterhalten, die euch fast alle zu Krüppeln geschlagen haben. Das ist voll unkorrekt gewesen, was Marc mit dir angestellt hat oder Serge mit Jeanne. Aber dafür habt ihr sie auch dumm aussehen lassen."

"Und, ich dachte, ihr wollt von Leuten, die euch den Pokal weggenommen haben nichts wissen", sagte Julius.

"Jungchen, haben wir dir nicht gesagt, daß wir wissen, daß 160 Punkte nicht so sicher sind, daß wir nicht wüßten, daß ihr den Pokal noch kriegen könntet?" Fragte Sabine. "Sicher tut das am Anfang weh. Aber jetzt, wo wir wissen, daß ihr euch den verdient habt, ist das nicht mehr so schlimm. Ich denke, keiner von uns Roten hätte einen Pokal haben wollen, an dem dein oder Jeannes Blut dran geklebt hat, nur weil gewisse Leute es nicht blicken, daß es nicht darum geht, auf Biegen und Brechen zu gewinnen. Du bist ja noch ein paaar Jahre hier, Julius. Wir machen ja auch noch ein Jahr. Vielleicht drehen sich die Farbenräder für uns ja so, daß wir im Endspiel um den Pokal spielen dürfen."

"Farbenräder? Davon habe ich mal am Anfang hier was gehört. Aber was das genau ist, weiß ich nicht", sagte Julius.

"Das kriegst du dann nächstes Jahr mit. Die Stammspieler dürfen da nämlich zusehen, wenn die Paarungen für die Saison ausgelost werden", sagte Sandra. Julius erinnerte sich, daß er ja erst bei Trainingsbeginn zur Mannschaft hinzugekommen war. Was in den Wochen davor gelaufen war, hatte er ja nicht mitbekommen.

Schließlich, nachdem die Montferres ihm noch einmal zum Pokalgewinn gratuliert hatten, durfte er zu Claire und den anderen Klassenkameraden.

In absoluter Feierstimmung zogen die Grünen in ihren Saal ein und sangen noch einige Lieder, bevor es zum Mittagessen gehen sollte. Zwischendrin fragte Julius Céline, was mit ihrer Schwester sei.

"Die ist ja wie ausgewechselt, Céline. Vor drei Wochen wollte die noch das Kind loswerden, und jetzt schwärmt sie davon, wie sie mal aussieht und wie sie heißen soll. Wie kommt das?"

"Ach, Julius. Ich denke, Connie hatte mehr Angst als sonstwas. Sicher, Angst wird sie immer noch haben, und peinlich ist ihr das wohl auch gewesen, daß sie mit dem dicken Bauch herumlief und sich von Leuten aus dem blauen und dem roten Saal dumm anmachen lassen mußte. Aber in den Osterferien hat das schon angefangen. Sie hat sich alte Fotoalben angesehen, vor allem aus der Linie unseres Vaters. Offenbar hat sie Hexen gesucht, die für das Kind den Vornamen hergeben können. Sie muß ja mindestens zwei Jahre ganz alleine für das Kind sorgen, was man so alleine nennen kann. Da hat sie wohl erkannt, daß es besser läuft, wenn sie sich mit der Kleinen anfreundet. Hat sie dir denn schon erzählt, wie sie heißen soll?" Entgegnete Céline.

"Hmm, Cythera, wie eine Insel Griechenlands, wenn ich das richtig in Erinnerung habe."

"Du meinst wie Urgroßmutter Cythera Beatrix Dornier, Julius. Die war mal eine großartige Quidditchspielerin und Zauberkunsthandwerkerin", berichtigte Céline den Kameraden. "Sie hat die Ganymed-Werke maßgeblich mit aufgebaut, sodaß die Dorniers dort quasi als Gründerfamilie und Mehrheitsanteilsinhaber groß geworden sind."

"Cythera war doch oder ist doch eine Insel", beharrte Julius auf dem, was er gesagt hatte.

"Ja, weil diese Uroma dort geboren wurde", sagte Céline lächelnd. Für Julius war damit das Thema, woher der Name kam erledigt. Allerdings wunderte er sich immer noch, warum Constance jetzt auf einmal so bereitwillig ihr Kind annahm. Mochte es vorher wirklich die Angst gewesen sein oder die Scham, was angestellt zu haben, wovon jeder was mitbekommen mußte? Er hoffte zumindest, daß sich diese Einstellung hielt, zumindest bis das Kind auf der Welt war.

"Wenn die Kleine ankommt, Julius, sagst du mir dann bescheid?" Wollte Céline wissen. Julius, dem immer noch nicht so wohl dabei war, bei der Geburt dabei zu sein, obwohl das eigentlich etwas außergewöhnliches sein mochte, sagte zu Céline:

"Professeur Faucon hat in den Ferien angedeutet, daß sie mich und Jeanne dann vom Unterricht freistellt, wenn Schwester Florence uns dazu ruft. Dann kriegst du das auch mit. Ich denke mal, die werden eure Eltern dann auch herholen wollen."

"Maman will sofort kommen, wenn es losgeht, Julius. Was mit Papa ist, weiß ich nicht", erwiderte Céline. "Maman ist eigentlich das Familientier bei uns. Könnte man meinen, so wie sich das gehört. Aber das wäre ja zu heftig, sowas zu behaupten. Papa ist sehr besorgt um Connie. Ja, und Connie war verbittert, weil sie meinte, mit dieser Angelegenheit alleine dastehen zu müssen. Aber wenn Schwester Florence dich ruft, sieh bitte zu, daß du mir das mitteilst. Vielleicht darf ich ja auch dabei sein oder zumindest sofort danach hinkommen!"

"Ich sage ihr das morgen noch mal", versprach Julius seiner Klassenkameradin.

Wie üblich saßen die Schülerinnen und Schüler der Beauxbatons-Akademie beim Mittagessen alle zusammen im Speisesaal. Die Blauen, die die fast zu plötzliche Niederlage gegen die Grünen immer noch nicht ganz verdaut hatten, machten abschätzige Gesten zum grasgrünen Tisch hinüber. Marie van Bergen, eine der beiden einzigen Erstklässlerinnen dieses Saales, lief rot an. Julius nahm die verächtlichen Äußerungen der Blauen nicht ernst. Sie hatten verloren und konnten das nicht ab. Das kannte er auch schon vom Fußball. Die Roten, denen der Pokal gerade so durch die Lappen gegangen war, klatschten fair Beifall, als die Quidditchmannschaft der grünen vollzählig war. Jeanne versammelte ihre Mannschaftskameraden in einer Reihe. Julius saß rechts von Yves, der den Vorschriftsmäßigen Jungenblock des ganzen Tisches begann, links von Hercules und Giscard. Daneben saßen Jeanne, Virginie, Barbara, Agnes, Monique und Yvonne, alle die, die +über die Saison hinweg den Pokalerfolg ermöglicht hatten. Julius sah von seinem Platz her Claire und Céline, konnte ihnen gut in die Augen sehen, ja regelrecht mit ihnen flirten, beziehungsweise nette Blicke austauschen. Er sah sich um und erkannte, daß auch an den anderen Tischen die Quidditchmannschaften in einer Reihe zusammensaßen, wobei Bruno den üblichen Jungenblock begrenzte, und Brunhilde den Mädchenblock anfing.

Sie freuten sich alle, daß sie an diesem Tag den Pokal geholt hatten. Alle Grünen strahlten Julius an. Wenn er vorher nicht gewußt hatte, ob er hier wirklich hingehörte, war er sich nun sicher, endlich angekommen zu sein. Der Neuling hatte ihnen den Pokal ermöglicht, den Titel zu verteidigen geholfen.

Nachdem sie alle ein reichhaltiges Mittagsmenü genossen hatten erhob sich Madame Maxime von ihrem Stuhl. Alle die sie sahen sprangen sofort auf und standen stramm. So pflanzte sich das Aufstehen in weniger als zwei Sekundn um alle Tische herum fort, bis keiner mehrr saß. Die Schulleiterin sah in die Runden der ihrer Fürsorge anempfohlenen kinder und Jugendlichen und wartete, bis keiner mehr etwas sagte. Dann sprach sie laut und vernehmlich:

"Mesdemoiselles et Messieurs, nachdem wir heute morgen ein spannendes, wenngleich auch streckenweise sehr unsportliches Spiel erlebt haben, möchte ich Ihnen gerne Gedanken und Beschlüsse dazu verkünden, die sich mir förmlich aufgedrängt haben." Die Blauen zuckten mit den Achseln und grinsten verhalten. "Zum einen", fuhr die Beauxbatons-Schulleiterin fort, wobei sie zunächst die Mannschaft des grünen Saales ansah, "möchte ich mich bei der Mannschaft des grünen Saales recht herzlich bedanken, daß Sie alle über die gesamte Saison hinweg im Rahmen der Regeln und mit sehr viel technischem Geschick gespielt haben." Suzanne vom violetten Tisch zog eine mißbilligende Grimasse. Sie glaubte ja immer noch, daß Julius' Mannschaft ihrer Mannschaft durch unfaires Spiel den Pokal vermasselt hatte. "Ich sagte im Rahmen der Regeln und mit technischem Geschick, Mademoiselle Didier", ging Madame Maxime auf das Mienenspiel Suzannes ein. "Daran werden Sie nichts auszusetzen haben, oder?" Suzanne schüttelte den Kopf.

"Zum zweiten mußte ich in dieser Saison, wie alle anderen auch, erkennen, daß es Spielerinnen und Spieler gibt, die dem Gewinn eines Spiels größeres Gewicht zugestehen als der Einhaltung gültiger Regeln, sodaß sie diese oftmals schlicht vergessen haben." Alle sahen die Blauen an, die verächtlich zurückblickten. "Ich war zu meinem Bedauern häufig gezwungen, derartige Spielweisen zu ahnden. Sehr betrübt bin ich, weil ich heute erkennen mußte, daß die gemaßregelten Spielerinnen und Spieler offenbar nicht willens oder fähig waren, aus den verhängten Strafen etwas zu lernen. Daher bin ich zu folgendem Entschluss gekommen:

Alle Spielerinnen und Spieler, die im verlauf einer Saison durch wiederholtes unsportliches Verhalten auffielen oder dies noch tun, werden für eine komplette Saison von allen flugsportlichen Veranstaltungen ausgeschlossen, inklusive der Walpurgisnachtfeierlichkeiten. Dieser Beschluß wurde in Absprache mit dem Lehrkörper ..."

"Mit zwei e!" Rief ein Blauer aus der fünften Klasse. Madame Maxime zog schneller als der beste Revolverheld ihren Zauberstab, richtete ihn auf den Zwischenrufer und rief "Taceto!" Keine Sekunde später fügte sie dem noch hinzu: "Der Sprechbann gilt für eine Woche, ausgenommen den eindeutigen Unterrichtszeiten. Zusätzlich verhänge ich an Monsieur Nenttier einhundert Strafpunkte und die Strafarbeit, mit Professeur Armadillus die Ställe der magischen Tierwesen zu reinigen, sowie die Reinigung unserer Reisekutsche auf Hochglanz, ohne Einsatz von Zauberkraft." Die anderen Blauen sahen den derartig heftig bestraften Schüler schadenfroh an. Wie konnte der auch so blöd sein, sowas dazwischenzurufen, wo die Maxime schon alle Blauen voll auf dem Kieker hatte.

"Wo war ich. Ach ja, ich habe in gemeinsamer Beratung mit dem Lehrerkollegium diesen eben geäußerten Beschluß als für alle Zeiten in das Regelbuch von Beauxbatons einzutragen verfügt. Er tritt mit dem heutigen Tag in Kraft. Zustimmung durch den Elternbeirat werde ich heute sehr wahrscheinlich auch noch erhalten. Also nicht, daß sich betroffene Mitglieder der Schülerschaft Hoffnungen machen, über ein Veto des Elternbeirates diese Bannverordnung zu negieren", fuhr die halbriesische Hexe im eleganten Satinumhang mit ihrer Ankündigung fort. Die Rossignols schraken zusammen. Sie sprangen förmlich in die Luft und starrten die Direktrice perplex an. Die Montferres am roten Tisch sahen leicht verdutzt zu ihren Freunden herüber, dann zu ihrer Schulleiterin. Diese nickte bekräftigend und sagte: "Damit steht fest, daß auch beim in einer Woche anstehenden Tandemrennen zur Eröffnung der Strandbesuchssaison diese Spielerinnen und Spieler nicht teilnehmen werden. Namentlich sind dies die Schüler Colbert, adrian, Lesauvage, Stomoxus, Mistral Florian, Mistral Hubert, Rossignol, Marc und Rossignol, Serge. Zusätzlich zum ab heute gültigen Saison-Bann, der bis zum Ende des nächsten Schuljahres gilt, erhalten die benannten Schüler je 100 Strafpunkte, Monsieur Colbert, weil er in seiner Funktion als Saalsprecher und Mannschaftskapitän seiner Verantwortung nicht nachkam, erhält noch einmal 100 Strafpunkte, um ein für alle Mal zu statuieren, daß derlei Verhalten und Disziplinlosigkeiten solcher Art hier nicht geduldet oder gar erwünscht sind." Am himmelblauen Tisch hob ein Raunen an. Madame Maxime ließ den Schülern dort eine Viertelminute, dann räusperte sie sich raumfüllend und verkündete noch: "Dieser Beschluß ist unabänderlich. In meiner schon lange währenden Amtszeit ist mir noch nie eine Mannschaft mit derartig konsequenter Unsportlichkeit während einer Saison aufgefallen wie Ihre Mannschaft, Monsieur Colbert." Adrian grinste verhalten. Immerhin konnte er sich was das Flugverbot anging zurücklehnen. Außer dem Tandemrennen war ja für ihn in diesem Schuljahr nichts mehr zu machen, wenn er die UTZs schaffte. Und selbst wenn er die UTZs nicht schaffen sollte, er war volljährig und konnte sogar nach Ende des Schuljahres von sich aus Beauxbatons verlassen, falls er das Jahr nicht wiederholen wollte. Für die Rossignols und Mistrals sah das dagegen schon finster aus. Zum einen würde diese gut eingespielte Quidditchmannschaft im nächsten Jahr nicht zugelassen sein, was die Blauen dazu zwang, eine fast komplett neue Mannschaft aufzustellen und zum anderen durften sie auch an Dingen wie der Walpurgisnacht nicht aktiv teilnehmen. Julius dachte daran, daß die kleine, runde Duisenberg und der Torhüter der Blauen, der sich nicht im wiederholungsfall unfair verhalten hatte, die einzigen Spieler waren. "Mehr wollte ich Ihnen nicht sagen. Ich wünsche Ihnen allen einen angenehmen Nachmittag!"

Alle Schüler erwiderten den Gruß, außer die Blauen, die einträchtig schwiegen.

"Nun, so ähnlich hat die Umbridge in Hogwarts auch hantiert", dachte Julius, wenn er Kevins und Glorias Bericht überdachte. "Allerdings hat die die Gryffindors voll auf dem Kieker gehabt."

Nach dem Mittagessen kehrten die Schülerinnen und Schüler erst in die zugewiesenen Säle zurück und berieten sich, was sie machen wollten. Céline und Robert, sowie Claire und Julius beschlossen in einen der schuleigenen Parks zu gehen. Sie wollten gerade los, als Barbara zu Julius herüberkam, Claire mit einer kurzen Geste bei Seite wies und ihn fragte:

"Hast du nächste Woche was besonderes vor am Sonntag?"

"Weiß ich noch nicht, Barbara. Erstens könnte Constances Kind jeden Tag zur Welt kommen wollen, zweitens weiß ich nicht, ob Claire nicht was unternehmen will. Geht's um dieses Rennen?"

"Wie immer schnell und präzise gedacht, Julius. Ja, es geht um das Tandemrennen. Gustav will selbst mit einem Sozius aus seinem Saal fliegen, Jeanne will mit Virginie fliegen und Bruno mit César. Ich würde auch gerne daran teilnehmen."

"Hmm, was ist mit Yves?" Fragte Julius.

"Der ist schon mit Nicole zusammen für dieses Rennen gebucht", sagte Barbara schnell, weil sie die Frage erwartet hatte. Julius entsann sich, Nicole Leauvite und Yves Lambert bei der Walpurgisnacht zusammen gesehen zu haben. Wenn die beiden miteinander gingen, so hatten sie das sehr gut verheimlichen können. Vielleicht fand Nicole es nur schön, einen gut auf sie abgestimmten Flugpartner zu haben.

"Ach, da möchtest du ihn jetzt fragen, ob er mit dir fliegt?" Wandte Claire ein. Barbara sah sie sehr gefährlich an. Doch dann nickte sie Julius zu.

"Julius, hättest du Zeit und Lust, mich zu diesem Rennen zu begleiten. Ich wüßte im Moment niemanden aus meiner Altersgruppe, der oder die mit mir fliegen würde, oder nicht schon längst in einem Duo gemeldet ist."

"Hmm, das würde ich sehr gerne machen. Aber ich weiß nicht, ob das mit Constances Niederkunft nicht zusammenfällt, Barbara."

"Will sagen, unter dem Vorbehalt, daß du an diesem Tag von Schwester Florence zur Geburtshilfe für Mademoiselle Dornier, Constance, gerufen werden könntest, möchtest du teilnehmen", formulierte Barbara das aus, was Julius angedeutet hatte. Dieser nickte. Claire sah ihren Freund erst vorwurfsvoll an, mußte dann aber auch zustimmend nicken. Warum sollte er nicht bei diesem Rennen mitmachen? Immerhin konnte er sehr gut im Soziusverbund fliegen, hatte heute ein wichtiges Quidditchspiel gewonnen und würde wohl in einem oder zwei Jahren selber fliegen. Doch da fiel ihr noch etwas ein:

"Barbara, du mußt aber Julius' Eltern fragen, beziehungsweise Professeur Faucon um die Genehmigung bitten, weil die Tandemrennen doch eher von volljährigen Schülern geflogen werden."

"Das ist so nicht richtig, Claire. Nur die Piloten, also die, die steuern, müssen eine Genehmigung beantragen, sofern sie noch nicht volljährig sind. Ich wollte deinen Freund nicht dazu anhalten, mich als Sozia mitzunehmen. Außerdem bedürfen solche Teilnahmen nicht der Zustimmung der Eltern, solange der Saalvorsteher befindet, daß die beantragenden Schülerinnen oder Schüler fliegerisch weit genug gereift sind, um an diesem Rennen teilzunehmen", berichtigte Barbara die jüngere Mitschülerin. Diese nickte dann wieder und trat zurück.

"Also, wenn ich nächste Woche nicht anderswo gebraucht werde, dann komme ich gerne mit dir mit, Barbara. Ich fühle mich geehrt, daß du mich gefragt hast und nicht jemanden aus den höheren Klassen."

"Wie gesagt, Julius, die fliegen alle schon in festen Verbünden. Eigentlich wollten die Rossignols ja auch fliegen. Aber das haben die sich ja wohl verscherzt, wie wir ja mitgekriegt haben. Die hätten lieber die Klatscher heftiger schlagen sollen als mit den Schlägern auf Gegenspieler direkt einzudreschen. Solche Dummheit gehört dann auch bestraft."

"Die Montferres machen da auch mit?" Fragte Julius.

"Ja, die fliegen sowieso als ein Gespann. Das haben die wohl letztes Jahr auch gemacht, hat Virginie mir erzählt."

"Es ist doch so, daß die Besen der steuernden benutzt werden, nicht wahr?" Fragte Julius noch etwas nach. Barbara nickte.

"Ich weiß ja nicht, was Madame Brickston oder sonstwer dir vielleicht schon erzählt hat. Es ist so, daß es keine direkten Wettrennen gegeneinander sind, sondern Durchgänge durch einen Parcours, ähnlich wie bei den Springreitwettbewerben der Muggelwelt, wo man nach Besentyp geordnet fliegt. Wenn ich das von Professeur Bellart und Professeur Dedalus richtig mitbekommen habe konnte sogar ein Ganymed-10-Parcours aufgebaut werden, falls es Leute gibt, die damit antreten, wie Mademoiselle Grandchapeau."

"Die wollte sicher mit Addrian Colbert antreten. Das kann die jetzt wohl voll in die Tonne klopfen", wandte Julius ein.

"Ich denke, die zwei streitbaren Cousinen werden zusammen fliegen, falls Suzanne nicht ihren Walpurgisnachtpartner herumgekriegt hat, sie auch zum Tandemrennen zu begleiten. Dann wäre Mademoiselle Grandchapeau auch alleine. Ich denke jedoch, du würdest mir keinen Korb geben, nur um auf einem Ganymed 10 fliegen zu dürfen."

"Öhm, interessante Idee das, Barbara", entgegnete Julius mit verschmitztem Grinsen. "Aber ich denke, ich muß das jetzt noch nicht ausprobieren. Abgesehen davon, daß Mademoiselle Grandchapeau sicher schon für Ersatz in ihrer Altersklasse gesorgt hat, werde ich es mir sicher nicht mit dir verscherzen wollen", sagte er noch mit beruhigendem Lächeln.

"Dachte ich mir", hauchte Barbara zufrieden dreinschauend zurück und zog sich an einen Tisch zurück, wo sie mit Eloise, Jeanne und Yves für die UTZ-Prüfung lernen wollte, bevor sie um drei Uhr Nachmittags mit Edmond, Virginie und Yves zur allwöchentlichen Saalsprecherkonferenz aufbrechen mußte. Julius suchte Claire und ging mit ihr aus dem grünen Saal hinaus.

"Was hätte ich jetzt dagegen sagen sollen, Juju", begann Claire, nachdem sie in einen der sonnendurchfluteten Parks von Beauxbatons eingetreten waren. "Du hast es schneller als ich an und für sich wollte gelernt, einer Hexe nichts abzuschlagen, die sehr hoch im Rang steht. Sicher ist das gefährlich, da mitzufliegen. Allerdings war das Spiel heute morgen auch sehr gemeingefährlich, wie Quidditch an sich schon gefährlich ist. Außerdem ist Barbara eine sehr gute Fliegerin, und du mußt ja nicht steuern."

"Walpurgis war auch keine gemütliche Spazierfliegerei", warf Julius ein. Claire rümpfte die Nase und entgegnete:

"Das mußte ja jetzt kommen, Juju. Das war mir klar, daß Barbara ein offenes Portal, das so groß wie das von Beauxbatons ist, einrennt, wenn sie dich fragt, ob du mitfliegen willst. In zwei Jahren fliege ich dann eben auch mit, wenn du nächstes Jahr mit Virginie oder einem anderen aus den höheren Klassen mitfliegst."

"Das wäre doch schön, Claire", erwiderte Julius begeistert. "Warum nicht?"

"Vielleicht will die kleine Cythera aber gerade an dem Tag raus und sehen, wie die Welt wirklich aussieht", wandte Claire gehässig ein. Julius lachte belustigt.

"Nachdem, wie ihre Maman immer getönt hat, wird sie vielleicht die Nase voll haben, sich herumtragen und von einer nöhlenden Stimme über sich die Ohren volltuten zu lassen. Ich denke, wenn sie mit allem fertig ist, wird sie den sicheren Hafen verlassen und mit vollen Segeln in die große, laute, helle Welt aufbrechen. Ich frage mich nur, was ich dabei zu suchen habe. Martine und Jeanne sind ausreichend genug, um das zu beaufsichtigen."

"Weil Madame Matine dich unterrichtet hat und natürlich auch über ihr Spezialgebiet mehr als ausreichend aufgeklärt hat, Julius Andrews. Das Thema hatten wir schon. Wenn Schwester Florence gesagt hat, daß du unbedingt mitgucken mußt, wie so'n rotes krakehlendes Würmchen aus Constances ganz privater Stube rausgezwengt wird, dann sieh es als einmalige Gelegenheit, das mal in Natur zu erleben und nicht in diesem flimmernden Bildgerät, dem Fernseher! Oder zeigt man da sowas nicht, aus Anstand und Respekt vor der werdenden Mutter?"

"Meistens nicht. Da wird nur angedeutet, was passiert. Aber aus vielen Gründen darf sowas nicht einfach im Fernsehen laufen, Claire. Einer ist in der Tat der Respekt vor dem eigenen Bild der werdenden Mutter. Aber die ungeborenen Kinder kann man dafür häufig sehen. Wie das geht haben meine Mutter und ich Aurora Dawn und Madame Matine in den Weihnachtsferien erzählt."

"Wo ich natürlich nicht dabei war", schmollte Claire. Dann fing sie sich und lächelte wieder.

"Aber ich konnte ja sehen, wie Denise vor und nach der Geburt war. Maman hat mich ja wie Jeanne zusehen lassen, damit wir wissen, wie das geht. Ich bin dabei nicht in Ohnmacht gefallen, wie Papa bei Jeannes Geburt."

"Meine Mutter sagte ja auch, daß Frauen mehr aus- und durchhalten als Männer. Wäre das nicht so, wäre die Menschheit schon längst ausgestorben."

"Ich bewundere deine Maman, weil sie so weise Ratschläge hat, Juju. Ich habe sie schon bewundert, weil sie sich getraut hat, zu deiner Geburtstagsfeier zu kommen und uns andere kennenzulernen und wie sie mit der Sache klargekommen ist, daß Madame Brickston und Professeur Faucon auch Hexen sind, obwohl Babettes maman ja in einem Muggelhaushalt wohnt."

"Ja, das lag aber auch daran, weil mein Vater ja für einige Tage unbedingt eine Konferenz besuchen mußte und sie Zeit zuviel hatte, Claire. Andererseits ist sie nun froh, daß sie weiß, bei wem ich lerne und warum und das sie mit denen, die für mich nun was zu regeln haben direkt sprechen kann, ohne auf eine Eule warten zu müssen."

"Stimmt, Juju. Außerdem ist es denke ich für dich besser, wenn du mit deiner Mutter und der Schule soweit klarkommst", stimmte Claire zu.

Sie gingen gemütlich durch den Park und unterhielten sich über alles, was in den nächsten Wochen noch so anstand, von der Geburt von Constances Baby bis zu den Jahresendprüfungen. Unterwegs trafen sie Belle Grandchapeau, die mißmutig daherlief, als sei ihr etwas ärgerliches passiert. Sie grüßte nur kurz und knapp und ging dann weiter.

"Krach mit Adrian, nehme ich an", flüsterte Claire, als Belle bereits außer Hörweite war. Julius sagte dazu nichts. Er dachte sich nur, daß Belle nicht begeistert war, daß ihr Freund, mit dem sie ja wohl gut aussehen wollte, derartig heftig vor der gesamten Schule abgestraft worden war. Die vier Tage an ihrer Seite hatten ihm einen gewissen Einblick in ihre Vorlieben eingebracht. Sie hatte ihn stets angehalten, sich ordentlich zu benehmen und herumzulaufen, wie sie selbst es tat, und er wußte, daß sie als Ministertochter sicher noch mehr Anerkennung erarbeiten mußte als andere, die stinknormale Eltern hatten. Er bedauerte diese junge adrette Frau - Mädchen wollte er sie nicht mehr nennen -, die zwar viele offene Türen vor sich hatte, aber auch genug Leute, die ihr noch ein Bein stellen wollten. Ihm fiel dabei ein, was ihm eigentlich entgangen war oder erspart blieb, weil er nicht das lernen und tun konnte, was sein Vater für ihn vorgeplant hatte. Teilweise, aber nur teilweise, bedauerte er sogar überhebliche Angebertypen wie den Slytherin Draco Malfoy. Wenn er doch daran dachte, welche Grausamkeiten dieser Bursche bereits als Schüler beging, ohne richtig kriminell geworden zu sein, verflog sein Bedauern aber sofort wieder.

"Ihr habt morgen wieder Übungsstunde, bei Schwester Florence?" Fragte Claire. Julius nickte.

"Dann wird Constance wohl auch wieder da sein, wie letzte Woche. Céline hat ja Jeanne gefragt, ob sie nicht einmal dabei sein kann, wenn ihr mit Connie die Vorgeburtsübungen macht."

"Ja, ich weiß davon, Claire. Schwester Florence hat uns aber gesagt, daß sie da keine Ausnahme machen möchte, weil die Pflegehelfertruppe für sie eine in sich geschlossene Gruppe sei. Daß Constance jetzt zu unseren Übungsstunden kommt sei die einzige und hoffentlich letzte Ausnahme."

"Ich glaube es dir ja, Juju. Sie meinte halt nur, daß sie als Connies Schwester ja irgendwie auch was von der Sache lernen müsse", wandte Claire ein. Julius nickte, konnte aber nicht mehr darüber sagen.

Als sie nach einigen Stunden wieder zurückkehrten, um im Palast noch etwas für die Jahresendprüfungen zu lernen, trafen sie die Montferres, die wild miteinander diskutierten. Als Sabine Claire und Julius sah, gebot sie ihrer Schwester, erst einmal eine Pause zu machen. Sie sah Julius an und wünschte ihm und seiner Freundin einen schönen Nachmittag. Julius grüßte zurück. Sandra sagte:

"Schon ein heftiges Stück, was Madame Maxime da losgelassen hat. Sicher, was Marc mit dir heute morgen gemacht hat war fies. Ich weiß nicht, was den da geritten hat. Aber über die Hälfte der Mannschaft von der nächsten Saison auszuschließen ist schon heftig."

"Sandra, im Fußball werden Spieler, die so grob foulen schon aus dem laufenden Spiel genommen und für das nächste Spiel gesperrt. Madame Maxime will nur haben, daß man die Regeln einhält, wie ihr, wie die Gelben oder wir das ja auch wollen. Außerdem hat sie ja was von Wiederholungsfouls erzählt", verteidigte Julius die Entscheidung der Schulleiterin. Sabine nickte.

"Die hätten die Klatscher schlagen sollen, San. Mehr hatten die nicht zu tun. Außerdem ging es für die um überhaupt nix mehr. Die hätten mal ein schönes Spiel abliefern können, um sich für die nächste Saison zu empfehlen. Das Mademoiselle Belles großer Freund sich auch noch auf diesen Blödsinn eingelassen hat ... Aber lassen wir das. Verschüttete Milch kann man nicht in den Krug zurückfüllen.""

"Ja, aber dann hätte Madame Maxime die doch nur vom Quidditch ausschließen sollen und nicht von anderen Flugsportarten."

"Selbst schuld, wenn die so brutal drauf sind", warf Claire gehässig ein. "Die haben dreingehauen wie die Holzhacker auf umgefallene Bäume. Das war nicht schön und auch nicht gerade geistreich. Sollen die ruhig sehen, daß die sich auf ihre UTZ-Prüfungen vorbereiten können."

"Da sagst du was, Claire", griff Sabine den Faden auf. "Die werden sich total langweilen. Ich glaube nicht, daß die damit so gut klar kommen."

"Sabine, wenn's danach geht, wie das jemand findet, bestraft zu werden, wäre das ja keine Strafe", mußte Julius dazu bemerken. "Die wurden oft genug gewarnt, auch von euch. Aber offenbar wollten die's so haben. Könnte ja sein, daß die 'ne Ausrede brauchten, um im nächsten Jahr besser für die UTZ-Prüfungen zu lernen."

"Ihr habt beide recht. Die haben es so gewollt", sagte Sandra Montferre. "Wir haben denen oft genug gesagt, daß sie gerne schnell und heftig die Klatscher hauen sollen, aber so, daß die Spielregeln eingehalten werden. Wenn sie das nicht wollten, selbst schuld."

"Also, wenn Julius so gespielt hätte, ihr beiden, dann hätte ich ihm bestimmt nicht gesagt, daß es verkehrt ist, ihn derartig zu bestrafen, wie Madame Maxime es getan hat", sagte Claire. Julius nickte. Die Montferres nickten auch.

"Nun, offenbar hat unsere Maman doch recht", sagte Sabine betrübt. Doch womit Madame Montferre recht hatte, erfuhren die beiden Drittklässler nicht. Die Rossignols kamen um die Ecke zwischen Pausenhof und Hauptportal. Claire zog Julius mit sich. Die Zwillingsbrüder aus dem blauen Saal schienen vor etwas oder jemandem wegzurennen. Julius sah ihnen nach, bis er die Schulheilerin erkannte, die mit wild entschlossener Miene aus dem Palast kam und mit für sie ungewohnter Geschwindigkeit hinter den beiden herlief.

"Ui, Oma ist böse", feixte Julius leise. "Ich denke, die beiden Haudegen haben von ihr einen Abriss gekriegt. Vielleicht hat sie die auch schon zu irgendwelchen Strafarbeiten eingeteilt, wie es bei Jacques der Fall ist."

"Ich weiß, was mit den Montferre-Mädels los ist, Julius. Die haben gedacht, sich die beiden noch in diesem Jahr auf die Besen ziehen zu können. Wenn das denen auch verboten ist, wird das nix."

"Nach den Regeln von Beauxbatons würde eine Hexenwerbung unterhalb der siebten Klasse sowieso nicht so gelten, wie danach. Selbst volljährige Zauberer und Hexen dürfen innerhalb des Palastes nicht zusammen in einem raum schlafen, wenn sie vielleicht auch schon heiraten dürfen", sagte Julius.

"Ach ja? Ich habe aber von einem Fall gelesen, wo es ein Ehepaar aus der siebten Klasse gab. Die haben dann aber nicht in einem der Schulsäle gewohnt, sondern in einem abgeschiedenen Seitentrakt des Palastes in einer kleinen Wohnung. Ich denke, wenn die Beziehungen das zulassen, geht sowas."

"Wohl dieses Jahr nicht mehr", erwiderte Julius.

Bis zum Abendessen gingen die Drittklässler leise alle wichtigen Zaubertränke durch, die wohl in der Endprüfung drankommen konnten. Nach dem Abendessen lernten sie Zauberkunst, wobei Claire und Julius die Übungen aus der Freizeitgruppe wiederholten.

__________

Der Sonntag war beinahe alltäglich verlaufen. Julius hatte in der Pflegehelferkursstunde mit Constance, die tatsächlich irgendwie eine bessere Einstellung zu ihrem Kind gefunden hatte, letzte Gymnastikübungen für die anstehende Niederkunft gemacht und mit Schwester Florences Einblickspiegel dem ungeborenen Mädchen dabei zugesehen, wie es, bereits mit dem Kopf nach unten schwimmend, leichte Ruderbewegungen in seiner bald zu engen Umgebung vollführte. Anschließend hatte er sich lange mit Céline darüber unterhalten, was er so gelernt hatte und es ihr unter den etwas argwöhnischen Blicken Edmonds, Barbaras, Claires und Roberts gezeigt. Danach war er mit Claire noch einmal ausgegangen, um den schönen Sonntag Morgen etwas zu genießen, bevor es Mittagessen gab und dabei auch zum Knieselgehege gegangen, um zu sehen, was Goldschweif tat. Diese hatte Claire leicht ungehalten angestarrt und verhalten geknurrt, als sei Claire ihr irgendwie widerwärtig. Julius' Freundin hatte darauf beschlossen, schnell weiterzugehen. Am Nachmittag saßen die meisten draußen im Park und lernten dort. Die Saalsprecher patrouillierten, um mögliche Unanständigkeiten zu unterbinden. Edmond tauchte dabei überaus häufig bei Claire und Julius, sowie Céline und Robert auf, konnte aber nichts finden, was er hätte bestrafen können. Einmal kam Martine Latierre im lockeren Trab angelaufen und hielt kurz bei dem sogenannten Vorzeigepaar des grünen Saales.

"Hallo, ihr beiden. War Edmond schon wieder bei euch. Irgendwie läuft der enge Umlaufbahnen, wie so'n Muggelsatellit. Ihr seid doch brav?"

"Aber nur, Mademoiselle", erwiderte Julius locker. Merkwürdigerweise konnte er mit dem großen rotblonden Hexenmädchen genauso flachsen wie mit Jeanne Dusoleil.

"Ihr wißt ja, daß euch böse Sachen passieren können, wenn ihr gegen die Anstandsregeln verstoßt", sagte sie nur, schaute dabei aber nicht sonderlich streng drein. Dann lief sie weiter.

"Wieso bist du der einzige, der mit diesem Mädchen so unkompliziert umspringen kann?" Fragte Claire. Julius grinste und fragte zurück, ob sie eifersüchtig sei. Claire verzog das gesicht und fauchte nur "Blödian!" zurück.

Den Abend vertrieben sich die Bewohner des grünen Saales mit Spielen, bei denen sie leise sein konnten, um die älteren Mitschüler nicht bei den Prüfungsvorbereitungen zu stören. Julius las noch einmal Aushänge, die am schwarzen Brett des Gemeinschaftsraumes hingen. Als er las, was die Leute der Delourdes-Klinik für UTZ-Fächer voraussetzten, grinste er. Er bemerkte nicht, daß Jeanne und Barbara neben ihm auftauchten, bis Barbara ihn ansprach.

"Sieht aus, als würden die extra auf dich warten, wie? Aber ich denke mal, daß ist ein Knochenjob bei denen, überhaupt die Lehrzeit und dann noch das einjährige Praktikum zu überstehen. Na ja, immerhin kriegt ihr Beiden im Zeugnis reingeschrieben, daß ihr bei außergewöhnlichen Sachen assistiert habt."

"Kommt eigentlich gut das. Aber das ist das volle Programm, und ich weiß nicht, ob ich mir wirklich Verteidigung gegen die dunklen Künste und Verwandlung geben soll. Da wäre der Apothekerberuf, der gleich da drunter angeboten wird, schon besser. Die wollen nur Zaubertränke, Kräuterkunde und Magizoologie haben."

"Mal abgesehen davon, daß es immer praktisch ist, sich verteidigen zu können, Julius, glaube ich nicht, daß Professeur Faucon das so unbeantwortet hinnehmen wird, wenn du ausgerechnet ihre Fächer so schnöde zurückweist", sagte Jeanne. "Außerdem solltest du mindestens Zauberkunst noch da mit einbeziehen, egal, was du machst."

"Das wäre ja nicht das Problem", sagte Julius.

"Außerdem kannst du mit Verwandlung ja auch Dinge beschwören. Aber wem erzähle ich das eigentlich?" Wandte Barbara noch ein.

"Bei Gringotts suchen die noch einen Fluchbrecher für Südamerika. Offenbar trauen sich die Kobolde nicht an die alten Schätze der Inka und Azteken ran", stellte Julius fest. "Hmm, dazu sollte aber neben der Muttersprache noch Englisch und Spanisch beherrscht werden, und neben Verteidigung gegen dunkle Künste noch Arithmantik belegt werden, warum auch immer", stellte Julius leise fest.

"Das könntest du doch von deiner Maman lernen", warf Jeanne ein. Barbara nickte. Julius erwiderte darauf nur:

"Da wäre mir der Job von Mr. Porter lieber. Der darf neue Fundstätten besichtigen."

"Oder du machst das, was Glorias Mutter macht, Julius. Dazu brauchst du Zauberkunst, Zaubertränke und Kräuterkunde, wie Magizoologie und Verwandlung", wandte Jeanne ein, die einen schrill rosa Aushang mit runden, in einem merkwürdigen Ballett tanzenden Buchstaben anblickte. Julius las, daß die pariser Schönheitszaubermittelfirma von Madame Aglaia Novalis talentierte Mädchen und Jungen suchte, die in Fertigung und / oder Vertrieb von kosmetischen Zaubermitteln arbeiten wollten. Allen Aushängen und Anzeigen war eines gemeinsam: Sie setzten eine zusätzliche Lernzeit von mindestens drei Jahren voraus, beim Heilerlehrgang, der jedem Medizinstudium locker das Wasser reichen konnte sogar drei Jahre und das praktische Jahr.

"Mein Vater hat gesagt, wenn du mit der Schule durch bist, fängst du erst das Lernen an. Leben kannst du erst, wenn du dafür auch Geld kriegst", bemerkte Julius. Jeanne grinste.

"Irgendwie merkwürdig, daß er dann nicht lernen wollte, daß du auch was anderes werden kannst als er selbst." Barbara sah Jeanne leicht mißgestimmt an und zog sie sanft mit sich. Sie sagte beim Weggehen noch:

"Um den ganzen Kram brauchst du dir in diesem Jahr noch keinen Kopf zu machen, Julius. Wer weiß schon, was dir in zwei Jahren besser liegt."

Nach einem langen Unterrichtstag und dem Zaubermalkurs war Julius fast erschöpft. Als er dann im Schachclub noch gegen Belle Grandchapeau um den Einzug ins Turnierhalbfinale spielen mußte, kämpfte er eher gegen die Müdigkeit als gegen seine Gegnerin. Dennoch wurde die Partie so aufwändig geführt, daß kurz vor der eisernen Zeitgrenze zehn Uhr der Ausgang der Partie schier unvorhersehbar war. Doch dann schnappte eine Falle zu, die Belle über zwölf Züge langsam aber sicher aufgebaut hatte, und Julius' König geriet ins Schachmatt. Damit hatte er die Chance auf das Halbfinale verspielt, denn dort kamen nur die mit den vier besten Punktzahlen hinein. Anders als beim Millemerveilles-Schachturnier glich das von Beauxbatons der Liga beim Fußball oder Eishockey. Die Halbfinalisten spielten Partien jeder gegen jeden. Wer dann punktemäßig die zwei besten Plätze belegte, spielte eine einzige Finalpartie, um den Schulmeister und Vicemeister zu ermitteln. Bronzemedaillen oder -hüte gab es hier nicht.

"Tja, meine Mutter hätte das wohl sofort geblickt, wo die Falle ansetzt", sagte Julius, der weder enttäuscht noch verärgert darüber war, in diesem Turnier nicht zu den besten zu gehören. Belle sagte nur:

"Du warst zu müde, Julius. Ich habe die Partien der beiden letzten Schachturniere in Millemerveilles analysiert. Du hast gegen Madame Simenon eine ähnliche Falle im Keim erstickt, wohl ohne es genau zu planen", sagte Belle, die sich sehr gefühlskarg gab. Ob sie froh war, im Turnier hier einen Favoriten geschlagen zu haben oder überhaupt froh war, so weit gekommen zu sein, konnte Julius nicht erkennen. Seine Schachmenschen waren jedenfalls enttäuscht. Mit hängenden Köpfen zogen sie sich in ihr Holzhäuschen zurück, in dem sie vor zwei Jahren von Madame Delamontagne an Julius verschenkt worden waren.

"Nun, alles kann man nicht haben", sagte der ehemalige Hogwarts-Schüler. "Immerhin haben wir ja den Quidditchpokal."

"Der für die meisten von hier wohl wichtiger ist", warf Belle ein. Dann verabschiedete sie sich von Julius, der jetzt erst bemerkte, daß sie die beiden einzigen verbliebenen Spieler waren. Professeur Paximus, der Leiter des Schachclubs, notierte etwas, schrieb Julius noch einen Zettel für den Saalsprecher und wünschte ihm eine gute und erholsame Nacht.

Durch die Wand schlüpfte Julius in den grünen Saal. Edmond, der ihn eigentlich an dem allgemeinen Eingang ankommen wähnte, eilte sofort auf ihn zu, als Jeanne ihn auf den Spätankömmling aufmerksam machte. Julius drückte ihm den Zettel von Professeur Paximus in die Hände. Edmond sah sichtlich ungehalten zu ihm und dann auf den Zettel, las und nickte mißmutig.

"Du hast Glück, daß Paximus ein Strafverbot wegen unaufschiebbarer Verpflichtungen verordnet hat. Aber mach dich sofort in deinen Schlafsaal!" Schnaubte er.

Julius eilte in den Schlafsaal, wo er sich schnell umzog und ins Bett warf.

__________

Die Woche verlief wie fast jede Woche des Schuljahres. Die Lehrerinnen und Lehrer wetteiferten nur darum, wer den Schülern die heftigsten Hausaufgaben aufhalsen konnte. Da Trifolio meinte, Julius' Interesse für Zauberpflanzen und Claires gute Beziehungen zu einer Expertin ausnutzen zu müssen, um ihnen Sonderaufgaben zu geben, war etwas ungehalten, als Céline und Claire ihm erklärten, daß sie für die Prüfungsvorbereitungen schon genug Sonderaufgaben von den anderen Lehrern bekommen hatten, und zwar in Fächern, die für das alltägliche Leben wichtiger waren, wie Zauberkunst oder Zaubertränke.

"Ich verzichte auf die Zumessung von Strafpunkten, Mademoiselle Dornier, weil ich von meinen Kollegen schon Rückmeldungen bekommen habe, nicht über Gebühr Sonderaufgaben zu verteilen. Allerdings wage ich doch anzuzweifeln, was Zaubertränke so wichtig macht, wenn niemand sich mit Zauberkräutern oder allgemeinen Kräutern auskennt. Schönen Tag noch!" Hatte der bohnenstangengleiche Lehrer darauf geantwortet.

Im Quidditchtraining probierten die Grünen durch, wer in der nächsten Saison als Hüter aufspielen sollte. Doch keiner, der es versuchte, schaffte mehr Paraden als Barbara Lumière, die als Jägerin auch nicht von Pappe war.

Am Mittwoch geschah etwas, was Julius zwar schon erzählt bekommen, aber nicht selbst mitbekommen hatte. Zwischen dem Nachmittagsunterricht und der Zaubertrank-AG ging er noch ein wenig in einem der Parks herum. Claire wollte für ihren Kurs magischer Handarbeiten noch einmal die Stickereien durchsehen, die sie gerade anfertigte. Er genoss die Frühlingsluft und überlegte schon, welchen Zaubertrank Professeur Fixus ihnen heute wohl aufgeben würde, als er mehrere Mädchenstimmen laut Namen von anderen Schülern rufen hörte.

"Bruno Chevallier!" Hörte er Jeannes Stimme von rechts. "Adrian Colbert!" Klang Belles Stimme von weit vorne. "Gustav van Heldern!" Tönte Barbaras Stimme kräftig durch den Park.

Julius konnte Francine Delourdes mit einem Cyrano-Besen über den Wipfeln der zurechtgeschnittenen Ulmen hinwegfliegen sehen. Sie saß etwas weiter zum Besenende hin als für den Alleinflug üblich war, fiel ihm auf. Da kapierte er es, daß die bald abgehenden Hexen ihre Zauberer fürs Leben riefen und auf ihre fliegenden Besen holen wollten.

"Na, ob die Jungs sich schon so einfach einfangen lassen?" Fragte sich der ehemalige Hogwarts-Schüler grinsend, wenn er daran dachte, daß wohl nicht jeder Jungzauberer sich so früh so festlegen würde. Er ging weiter durch den Park und hörte verschiedene Hexen nach ihren Auserwählten rufen. Einmal sah er Amélie Dujardin mit ihrem Freund Henri, der vor ihr auf dem Besen saß und sich von ihr herumfliegen ließ. Offenbar hatte die ihn nun klargemacht.

"Hallo, Julius!" Rief Millie Latierre von hinten. Der Angerufene wandte sich um. Millie ging zu Fuß. Sie würde also nicht die Hexenwerbung mit ihm durchziehen.

"Ist das hier immer im Mai?" Fragte Julius die Drittklässlerin aus dem roten Saal. Die Montferre-Schwestern flogen vorbei, wobei jede nach ihrem Freund rief.

"Immer mindestens zwei Wochen vor den UTZ-Prüfungen, Julius. Du kennst die Hexenwerbung?"

"Janine hat mich mal vom fliegenden Besen gefischt, und Jeanne hat mir dann erzählt, was das eigentlich sonst bedeutet, wenn man nicht gerade Quidditch spielt und den Schnatz verschluckt hat", erwiderte Julius, der davon ausging, daß Millie die Geschichte vom Quidditchspiel an seinem dreizehnten Geburtstag kannte. Sie nickte. Ja, sie kannte die kuriose Sache.

"Edmond Danton!" Rief Martines Stimme über den Park hinweg.

"Die hat aber nicht mehr viel Zeit, den zu finden. In einer Viertelstunde ist Fixies Arbeitsgruppe", stellte Mildrid fest.

"Ich verstehe das immer noch nicht, daß es so einfach laufen soll, daß sich eine Hexe so den Ehepartner angeln kann", wandte Julius ein. "Ich dachte immer, daß sei zu kompliziert, um von jetzt auf gleich entschieden zu werden."

"Habt ihr's nicht bei Professeur Lustig gehabt, wie hier in Frankreich die Hexen zur vorherrschenden Gruppe aufgestiegen sind?" Wunderte sich Millie. Julius nickte. Natürlich hatten sie bei Pallas, die von vielen "Professeur Lustig" oder "Professeur Halb-so-wild" genannt wurde über Sardonias Aufstieg und Niedergang gelernt. Er selbst hatte ja von Catherine ein ganzes Buch über die dunkle Matriarchin bekommen. So hatte Sardonia vom Bitterwald in ihrer hundertjährigen Vorherrschaft alle Hexen zur eigentlichen Herrscherklasse erhoben und drastische Aktionen gegen ihr mißfallende Zauberer durchgeführt. Nach ihrer selbstverschuldeten Niederlage gegen eine ganze Hundertschaft von Dementoren, die sie in Millemerveilles, ihrem Hauptsitz, angriffen, waren von den Benachteiligungen der Zauberer und nichtmagischen Menschen nur drei Dinge übriggeblieben: Das alleinige Namensvergaberecht bei eigenen Töchtern, Der Einspruch bei Dingen, die ihre Familie betrafen und eben die Hexenwerbung, die zur Auswahl der Lebens- und Ehepartner führte. Doch sonst hatten sich die französischen Hexen im Vergleich zu ihren ausländischen Vertreterinnen eine sehr hohe Stellung bewahrt, weshalb sie Frankreich vor gewissen Übergriffen von Hexen bewahrten, die Sardonias Platz einnehmen wollten. Er wußte auch aus dem Buch über die schweigsame Schwesternschaft, daß diese Hexenvereinigung in Frankreich viele gemäßigte Anhänger hatte. Was die sogenannte Nachtfraktion anging, die auch dunkle Kräfte benutzte, wußte er es nicht.

Sie standen so da und lauschten den rufenden Hexen, bis jemand in großer Eile heranlief. Es war Edmond Danton. Er wirkte gehetzt wie ein gejagtes Tier. Als Millie ihn erkannte rief sie keck:

"Wenn du meine Schwester suchst, die hat gerade vom Eingang zur Gewächshausgasse gerufen, Mogeleddie!"

"Verdammtes Luder!" Rief Edmond und bremste. Keuchend kam er bei Mildrid und Julius an und gestikulierte wild gegen die beiden.

"Ich wollte mit Martine nur kurz vor dieser Zaubertrankstunde was bereden. Ich dachte nicht im Traum dran, daß sie heute die Hexenwerbung ... Aber was geht das euch an?" Schnaufte er.

"Mich auf jeden Fall, wenn Martine dich haben will und ich dich als Schwager kriegen soll", versetzte Millie unbeeindruckt.

"Keine Sorge, Mademoiselle, dieses Ereignis wird nicht stattfinden", keuchte Edmond. Dann sagte er mit bedrohlichem Unterton: "Wenn Martine fragt, ob ihr mich gesehen habt, dann sagt ihr, ihr hättet mich nicht getroffen, klar! Ich verzichte auf Strafpunkte gegen Sie, Mademoiselle, obwohl Sie welche verdient haben. Aber wenn Sie ausplaudern, wo ich bin, und das gilt auch für dich, Julius, dann werde ich schon was finden, was zweihundert Strafpunkte rechtfertigt."

"Huhu, der Herr wird ösig", flötete Millie. Edmond sah sie an und setzte schon an, ihr Strafpunkte zu geben, als Julius den rechten Arm hochriss und das Pflegehelferarmband entblößte. Edmond sah es mit großen Augen an, als der Schüler aus seinem Saal den weißen Schmuckstein berührte. Zwischen Julius und Edmond entstand übergangslos das räumliche Abbild Martines, die auf ihrem Besen saß. Sie hatte ihren Rücken Edmond zugekehrt. So würde sie ihn nicht sehen, wußte Julius.

"Hallo, Julius. Weißt du, ob euer Saalsprecher irgendwo bei dir da unten rumläuft?"

"Hmm, ist der nicht bei dir?" Antwortete Julius mit einer Gegenfrage, obwohl es klüger gewesen wäre, entweder gleich ja oder nein zu sagen.

"Aha, das werte ich mal als ja", erkannte Martine mit sehr ernstem Gesicht. "Sag ihm, er sollte sich seiner Verantwortung stellen und zum Treffpunkt kommen! Ich habe keine Lust mehr, mir die Lungen aus dem Hals zu brüllen, um ihn zu finden. Barbara und Jeanne haben ihre Auserwählten schon gefunden, Belle auch. Ich will ihn in fünf Minuten da sehen, wo ich mit ihm zusammentreffen wollte! Klar?"

"Falls ich ihn noch einmal treffe, sage ich ihm nur, daß du auf ihn wartest. Ich darf und will ihm keine Anweisungen geben", erwiderte Julius.

"Ich finde ihn sowieso noch. Wenn er ein Mann ist, soll er sich an das halten, was er mir oft genug versprochen hat", sagte martine und trennte die magische Verbindung.

"Das ist Mißbrauch der Pflegehelferprivilegien", zeterte Edmond, als Martines Bild verschwunden war. "Das darf sie nicht!"

"Doch, sie darf fragen, wo jemand ist", stellte Julius fest. "Wenn ein Pflegehelfer einen Kameraden sucht, darf er oder sie einen Kollegen anrufen. Schwester Florence hat das erlaubt, solange daraus keine längeren Gespräche werden."

"In den tiefsten Sumpf damit", schnaubte Edmond und lief los. Gerade als er durchgestartet war, schwirrte Martine auf ihrem Besen heran. Sie rief noch einmal:

"Edmond Danton!"

"Deine Schwester kriegt doch nicht etwa auch ein Kind, oder?" Fragte Julius. Millie lachte nur.

"Das nicht, Julius. So blöd ist sie ja doch nicht. Aber offenbar gibt's Konkurrenz für sie, und sie hat Maman schon die Ohren vollgetutet, daß sie bald mit Edmond zusammen nach Bordeaux ziehen will, um da bei einer Tante von uns die weiterführende Ausbildung zu machen. Sie wollte ihn wohl heute klarmachen."

"Was in der Muggelwelt an und für sich für was anderes steht, Millie", wußte Julius. Dann sagte er. "Wir sehen uns bei Professeur Fixus. Ich möchte jetzt meine Sachen dafür holen."

"Ach, hast du etwa Angst, mit mir allein im Park zu sein, während Claire im Palast ist und Martine mich nicht kontrollieren kann?" Fragte Millie gehässig grinsend. Julius sagte nur:

"Kein Kommentar" und verfiel in einen leichten, nicht fluchtartigen Trab, um zum Palast zurückzulaufen. Unterwegs hörte er Barbara und Gustav über sich johlen und sah Jeanne mit Bruno vor dem großen weißen Bauwerk landen. Julius ging nun langsam auf das Hauptportal zu, als von hinten ein vertrautes Schwirren erklang und er von einer Sekunde zur anderen von einer Besenstielspitze aufgehoben und regelrecht aufgegabelt wurde. Zwei starke Arme umfingen ihn und zogen ihn ordentlich an den Brustkorb einer großen Hexe.

"Hallo, ich spiel nicht mit!" Rief Julius, als der Besen unverzüglich Fahrt und Höhe gewann und keine drei Sekunden später über die Wipfel der gepflegten Bäume hinwegstrich. Der Drittklässler wandte sich um und erkannte Martine Latierre, die ihn sicher hielt und dabei steuerte.

"Das ist auch kein Spiel, Julius. Aber keine Sorge, du bist nicht verpflichtet. Ich sah nur nicht ein, jetzt einfach alleine auf dem Vorplatz zu landen", sagte Martine und steuerte den Besen punktgenau auf den großen Vorplatz zu, der vor dem Hauptportal des Palastes von Beauxbatons lag. So gelangte Julius in weniger als einer halben Minute vor die mächtigen Torflügel.

"Dein Saalsprecher hat mich zum letzten Mal verladen, Julius. Ich gebe dir nach der Stunde bei Professeur Fixus 'ne Nachricht für ihn mit. Bis gleich!" Sagte Martine und ließ Julius von ihrem Besen absteigen. Dieser ging bedröppelt in den Palast und wandschlüpfte zum grünen Saal, wo er mechanisch wie ein Roboter seine Zaubertrankutensilien zusammenklaubte und dann zu den Kerkern zurückwandschlüpfte, wo er auf seine Kameraden aus der Arbeitsgruppe wartete. Dort stand bereits Professeur Fixus und sah ihn merkwürdig an. Er versuchte, sich durch überlagernde Gedanken gegen ihre angeborene Verbaltelepathie abzuschirmen, doch sie lächelte nur und erwiderte:

"Sie brauchen nicht erst zu versuchen, Ihre Gedanken zu verbergen, Monsieur Andrews. Ich habe es gesehen, daß Mademoiselle Latierre Sie vor dem Palast abgesetzt hat. Die Praxis der Hexenwerbung dürfte Ihnen noch nicht so vertraut sein. Aber seien Sie gewiss, daß Mademoiselle Latierre Sie nicht zu irgendwas verpflichten kann, solange Sie nicht volljährig sind. Ich werde mit ihr wohl nachher noch einmal gesonderte Rücksprache nehmen müssen."

"Mich geht das nichts an, was andere hier anstellen, Professeur", sagte Julius kleinlaut. "Also sollen die mich bloß da raushalten."

"Nun, ich werde das Mademoiselle Latierre noch einmal sagen, daß sie nicht einfach Leute auf ihren Besen ziehen darf und ..."

Wie aufs Stichwort kam Martine aus der Wand vor den Kerkern heraus und ging sofort auf Professeur Fixus zu. Julius ging auf Abstand und drehte sich eindeutig so, daß er die Unterhaltung nicht verfolgen konnte.

Während der Kursstunde bei Professeur Fixus sprach niemand von Martines mißglückter Hexenwerbung. Routinemäßig gingen die Mitglieder ihrer Arbeitsgruppe, zu der auch Julius gehörte, die Lösung gegen Schwermütigkeit an, die heute von ihnen gebraut werden sollte.

Nach der Kursstunde gab Martine Julius einen Briefumschlag für Edmond Danton mit. Dabei wirkte sie sehr ernst und ungehalten. Er nahm den Brief, verabschiedete sich von den übrigen Leuten aus der Gruppe und Professeur Fixus und kehrte zunächst in den grünen Saal zurück, wo er Edmond den Brief in die Hand drückte. Dieser sah ihn mit großen Augen an, sagte jedoch nichts weiteres.

Martine, so kam beim Abendessen heraus, war nicht die einzige Hexe gewesen, die ihren Auserwählten nicht auf den Besen bekommen hatte. Auch die Montferre-Zwillinge hatten es nicht hinbekommen, die Rossignol-Brüder auf ihre Besen zu holen. Doch anders als Martine schinen sie gefaßter mit dieser Sache umzugehen. Das mochte daran liegen, daß sie im nächsten Jahr noch hier waren und sich genug Gelegenheiten boten, die auserwählten durch die Hexenwerbung zu gewinnen.

Was aus der Angelegenheit Martine und Edmond geworden war, erfuhr Julius am nächsten Morgen von Hercules, der es von Bernadette hatte.

"Martine hat Eddies Flucht vor ihr als klares Nein aufgefaßt. Sie muß ihm wohl geschrieben haben, daß er ihr fortan so weit Beauxbatons das zuläßt aus dem Weg bleiben soll. Dann wird unser Mogeleddie wohl unverplant aus der Schule gehen. Aber wieso hat die große Latierre dich auf ihren Besen gezogen?"

"Weil sie wußte, daß ich das besser abkann als sonst wer aus unserer Klasse und ich auch weiß, daß ich sie deshalb nicht heiraten muß", versetzte Julius barsch. Er dachte daran, daß er demnächst mit Martine und Jeanne Geburtshilfe bei Constance leisten sollte und es sich nicht so leicht mit der Saalsprecherin der Roten verderben sollte.

"Verstehe einer die älteren Hexen", seufzte Robert. "Ich denke, die ist jetzt nur sauer, weil alle anderen, die diesen kurzen Ausflug gemacht haben, ihre Jungs aufgelesen haben und sie nicht, wo alle dachten, die und Eddie wären schon einander vergeben. Tja, vielleicht hat Eddie auch kalte Füße bekommen und sich gefragt, ob er wirklich diesen weiblichen Kleiderschrank Hippolyte zur Schwiegermutter haben will. Das konnte man ja schon bei der Walpurgisnacht sehen, daß die nicht mehr so gut klarkamen."

"Ach ja? Woran denn?" Fragte Hercules hinterhältig grinsend.

"Wenn du das nicht mitgekriegt hast kann ich dir auch nicht helfen", versetzte Robert.

Der restliche Donnerstag verlief wieder im Rahmen der in Beauxbatons geltenden Ordnung.

Im Duellierclub am Freitagabend mußte Julius einmal gegen Sabine Montferre ran, die versuchte, ihn mit einem Muskelzitterfluch aus der Balance zu bringen. Diesen wehrte er jedoch mit dem unsichtbaren Zauberschild ab. In Punkto Schnelligkeit konnte Julius der rothaarigen Hexe ebenbürtig entgegenwirken. Als er von Professeur Faucon erfuhr, daß es auch möglich sei, Zauber zu kombinieren oder in rascher Folge hintereinander zu wirken, prasselten bald Flüche auf unterschiedlichen Ebenen zwischen Sabine und Julius herum. Einmal durchbrach Sabine Julius' Deckung und hexte ihm einen Ganzkörperjuckreiz an, der ihn beinahe zum Wahnsinn trieb. Er konnte sich jedoch mit einem beim Sommerunterricht erlernten Körperentfluchungszauber davon befreien. Im Gegenzug halste er Sabine laut ausgesprochen den Kugelbauchfluch auf. Davon konnte sich seine Gegnerin erst befreien, als ihr Bauch beinahe ihren Umhang zum platzen brachte.

"Du hast mich wieder voll erwischt, Julius Andrews. Aber bei der Lehrerin kein Wunder", sagte Sabine nach der Drei-Minuten-Runde.

"Hätte ja auch nicht viel gefehlt, und du hättest mich erwischt", erwiderte Julius, den das schnelle Duellieren ziemlich an Körper und Geist gezehrt hatte.

__________

Nach der Tanz-AG am Samstagnachmittag wartete Barbara Lumière mit geschultertem Besen vor der Übungshalle. Claire warf der Saalsprecherin zwar einen merkwürdigen Blick zu, doch trollte sich wortlos, als Barbara Julius aufforderte, mit ihr zwei Trainingsstunden zu verbringen. Er verabschiedete sich von Claire und folgte der stämmigen Junghexe mit der braunen Kurzhaarfrisur zum Quidditchfeld, wo bereits mehrere Paare auf ihren Besen herumflogen. Sie brachte ihren Ganymed 9 in die Aufstiegshaltung, saß auf und wartete, bis Julius hinter ihr aufgestiegen war. Dann stießen sie beide sich mehrmals hintereinander vom Boden ab und landeten, um einen möglichst schnellen und sauberen Start und eine glatte Landung hinzukriegen. Dann erst startete das Tandem aus Barbara und Julius zum eigentlichen Trainingsflug.

Barbara machte Sturzflüge ohne große Ansage. Julius hielt sich fest an den Besen geklammert. Immer wieder setzte seine ältere Flugpartnerin neu an, um ein besseres Zusammenspiel reinzubekommen. Irgendwann waren die übergangslosen Sturz- und Steigflüge wohl gut genug eingeübt, fand Barbara und flog viele schnelle Kurven mit Steig- und Sinkkombinationen, zischte schnell durch die sechs Torringe des Quidditchfeldes und machte sogar überschläge, die wilder waren als das, was Claire mit ihm an Walpurgis gemacht hatte. Nach zehn Minuten fragte Barbara den jüngeren Sozius:

"Gehts dir noch gut genug, Julius? Das waren jetzt ziemlich schnelle Wenden und Rollen."

"Ui, war schon heftig", sagte Julius und freute sich, daß der Ganymed 9 so gut Beschleunigungen und Verzögerungen milderte. Die Montferres, die ebenfalls eine letzte Trainingseinheit vor dem großen Rennen einlegten, flogen einmal herüber und sahen zu, wie sich das angemeldete Gespann Lumière / Andrews hielt.

"Bei der Kondition kommt ihr beide morgen ziemlich gut durch den Parcours für die Neuner", sagte Sabine, die den Besen wohl steuerte.

"Das ist meine Absicht, Sabine", sagte Barbara dazu sehr entschlossen. Dann flogen sie und Julius weiter die schnellen Manöver, bis Barbara eine Pause einlegte. Julius kletterte ziemlich erschöpft vom Besen. Seine Flugpartnerin gab Acht, daß er nicht strauchelte. Alle anderen landeten ebenfalls. Julius konnte nun erkennen,daß außer den Montferres auch Jeanne und Virginie, sowie Bruno und César trainiert hatten.

"Ich hoffe mal, dieser wilde Tanz war wirklich wichtig", sagte Julius.

"Das ist wichtig. Es geht darum, unsere gemeinschaftlichen Reflexe abzustimmen. Eine Hundertstelsekunde Verzögerung kann ein Manöver aus der Bahn werfen oder Wertungspunkte kosten. Aber du hast eine geniale Abstimmung. Vor zwei Jahren, wo ich das mit einem anderen Schulkameraden gemacht habe, hat es wirklich zwei Stunden gedauert, uns aufeinander abzustimmen."

"Das macht der Bewegungsunterricht, Barbara. Wenn Julius nicht schon mit neun Jahren das Tanzen und diese andere Sportart gelernt hätte, wäre das wohl auch nicht so einfach gewesen", sagte Jeanne.

"Wird wohl so sein", sagte Julius.

Nach der zehnminütigen Pause stiegen die beiden noch einmal mit dem Besen auf und übten schnelle Manöver wie Wenden, Sturz- und Steigflug und Rollen um verschiedene Achsen, Beschleunigungen und Verzögerungen.

Claire fragte nach dem Abendessen, was Barbara mit ihm angestellt hatte, daß er so geschlaucht war. Er erzählte es ihr. Sie fragte einmal:

"Wie, du mußtest dich sogar einmal so über sie legen, daß ihr flach auf dem Besenstiel lagt?"

"Stimmt, Claire", antwortete Julius. "Aber sie hat sich nichts merkwürdiges dabei gedacht."

"Soso, sie nicht. Hast du dir denn was dabei gedacht?" Fragte Claire merkwürdig grinsend.

"Das ich das mit keinem Mädchen mit langen Haaren machen kann, Claire. Die wären mir dabei zu heftig in Mund und Nase geraten."

"Aha, das war's also. Dann ist ja gut, daß die Montferres oder Mademoiselle Grandchapeau dich nicht zu dieser Sache eingeladen haben."

"Ich bin auch froh, daß ich nicht mit César Rocher zusammen fliegen muß und dabei steuern müßte. Ich wundere mich doch etwas, wie der mit Bruno auf den Besen Paßt."

"Soso, Julius. Du bist doch mal mit Madame Delamontagne zusammen auf einem Ganymed 9 geflogen. Die ist doch um einiges - ähm - gewichtiger."

"Da hat sie aber von hinten gesteuert, Claire. Außerdem war ich da wohl noch einige Zentimeter kürzer als heute", erwiderte Julius. Seine Freundin nickte und lächelte ihn dann an.

"Barbara weiß, mit wem sie alles Ärger kriegt, wenn du ihr morgen vom Besen fällst. Also denke ich, sie wird schon auf dich aufpassen."

"Das tu ich auch", sagte Julius grinsend. "Denkst du, ich will vom Besen fallen, wenn der gerade mit mehr als 200 Stundenkilometern in eine Kurve geht? Nein, ich halte mich da schon dran fest."

"Am Besen oder an Barbara?" Wollte Claire wissen. Barbara hörte das wohl und kam herüber. Sie sah erst Claire an, dann Julius, dann wieder Claire und sagte dieser:

"Ich denke nicht, daß du auf mich eifersüchtig sein solltest, Claire. Falls es dazu einen Grund gäbe, wäre ich bestimmt nicht so dumm, das in aller Öffentlichkeit zu zeigen. Julius und ich fliegen morgen nur das Rennen. Mehr war nicht und ist auch nicht."

"Wieso meinst du, ich müßte auf dich eifersüchtig sein, Barbara?" Fragte Claire total verdutzt.

"Weil du jede junge Dame merkwürdig ansiehst, die mit Julius etwas unternimmt. So gesehen müßtest du dann auf Mademoiselle Grandchapeau am eifersüchtigsten sein. Aber da weißt du ja auch, daß es dazu keinen Grund gab. Den gibt es auch nicht bei mir. Julius weiß, daß ich mit Gustav gut auskomme und hat auch nie was angestellt, was mich auf irgendwelche Gedanken gebracht hätte."

"Ich bin nicht so benebelt, daß ich mir was rausnehmen würde, was nicht geht", sagte Julius zu Claire. Diese glubschte ihn kurz an. Doch dann lächelte sie.

"Ich denke, du weißt, an wem du was hast."

"Das ist mir bekannt, Claire. Sonst hätte ich deinen Freund sicher nicht eingeladen, mit mir zusammen an dem Rennen teilzunehmen. Jungs, die merkwürdige Ideen haben, wären mir dafür zu ungeeignet. So, und jetzt muß ich noch was für Verwandlung tun. Viel Spaß noch!" Sagte Barbara und winkte den beiden Drittklässlern. Claire blickte triumphierend auf Julius, der fragte:

"Hat dir das jetzt Spaß gemacht, Claire? Ich kam mir streckenweise wie ein Kleinkind vor, über das sich die Verwandten das Maul zerreißen, wo es dabeisitzt."

"Oh, war es wirklich so?" Wunderte sich Claire. Dann suchte ihre rechte Hand die von ihm und nahm sie behutsam. "Das wollte ich nicht, daß das so bei dir ankommt. Ich wollte nur wissen, was du so alles gemacht hast. Ich wußte nicht, daß Barbara meinte, ich könne auf sie eifersüchtig sein. Wenn du mit ihr was hättest, müßtest du ja mit ihr zurechtkommen und mit Gustav irgendwie ffertig werden. Das wäre ja mehr Aufwand als nötig."

"Ich habe ja über ein Jahr geglaubt, du hättest hier schon wen sicher. Aber komischerweise hat sich niemand hier sofort gemeldet, der meinte, ältere Rechte zu haben."

"Der Fluch des überragenden Aussehens, Julius. Du siehst es nicht nur an mir, sondern auch an Belisama oder meinetwegen auch Mildrid", erwiderte Claire, wobei sie Millies Namen merkwürdig verhalten aussprach. "Wer überragend schön oder häßlich aussieht, hat's schwerer, anzukommen."

"Ach, der Traumfraueneffekt", grinste Julius. "Manche Supermannequins haben Probleme, Partner zu kriegen, weil einige Männer denken, so schöne Frauen hätten sie nicht verdient oder wären schon längst gebunden." Dann lächelte er. Claire hatte ihn indirekt dazu getrieben, ihr ein unausgesprochenes Kompliment zu machen. Denn weil er sie weder häßlich noch durchschnittlich nannte, mußte sie also überragend schön sein. Sie umarmte ihn und hauchte ihm einen zärtlichen Kuß auf die linke Wange. Edmond, der gerade mit einem Klassenkameraden über Sinn und Unsinn bestimmter Prüfungsaufgaben diskutierte, bekam das nicht mit. Julius dachte einmal mehr, wie intelligent Claire war und das in dem Kopf mit dem leicht gewellten schwarzen Haar ein sehr heller Geist wohnte. War es wirklich ein Zufall, daß er mit ihr zusammengetroffen war? Doch er mußte sich selbst belächeln. Wieso bildete er sich ein, daß er so wichtig war, daß irgendein Schicksal über seinen Weg bestimmte, wo das ganze Universum aus mehr oder weniger zufälligen Abläufen bestand, die sich gegenseitig in der Waage hielten.

"Ja, aber irgendwen wird's doch gegeben haben, der zumindest mal versucht hat, mit dir gut klarzukommen", meinte der Drittklässler aus England. Claire nickte zwar, aber kurz und verhalten.

"Der lange Apollo Arbrenoir hat es wohl gedacht, mit mir gut auszukommen. Aber beim Tanzen war er zu hölzern. Der kann auf einem Besen besser manövrieren als auf den Füßen. Irgendwie lief das nicht so gut, und dann hat Edita ihn wohl für sich ergattert. Tja, das hält zumindest gut."

"Ja, das weiß ich", flüsterte Julius, dem es etwas peinlich war, über andere Mitschüler zu plaudern, wie über irgendein belangloses Ereignis in der Zeitung. "Aber interessant, daß du Millie Latierre für überragend aussehend hältst, Claire."

"Du meinst, sie hätte das von mir nicht verdient, Juju?" Fragte Claire amüsiert schmunzelnd.

"Sagen wir's so, Claire. Ich denke, sie würde das nicht von dir erwarten."

"Ach, dann meinst du, sie sähe nicht überragend aus?" fragte der Dusoleils mittlere Tochter. Julius witterte eine Falle. Wenn er jetzt zustimmte, würde sie meinen, er fände doch was interessantes an ihr. Wenn er verneinte, könnte sie ihn damit aufziehen, daß er es wohl noch nicht gemerkt habe. Er überlegte und sagte dann entschlossen:

"Sagen wir es so, Claire, wenn ich nicht mit dir zusammen wäre, könnte ich mir überlegen, ob ich mit ihr zusammen sein wollte. Hör bitte auf, dich mit mir über längst geklärte Sachen zu unterhalten! Ich dachte, wir hätten uns an Valentin richtig darüber ausgesprochen."

"Hmm, hast recht. Ich sollte nicht was fragen, was schon längst beantwortet ist", erwiderte Claire schnell. Sie unterhielten sich danach über Sachen für die Schule, die vor den Prüfungen noch drankommen würden.

__________

Ich liege wieder bei Julius auf den Hinterbeinen und lasse ihn meinen Körper streicheln. Irgendwie ist er wieder aufgeregt. Muß er was tun, was ihm nicht gefällt oder kommt er in Stimmung, sich ein Weibchen zu nehmen? Vielleicht hat er sich auch mit seiner Schwester um irgendwas gezankt. Das kenne ich ja von meinen Geschwistern. Aber er kommt immer so herrlich zur Ruhe, wenn ich bei ihm bin. Diesmal darf ich etwas länger bei ihm bleiben, bevor er mich wieder nach draußen schickt. Ich freue mich, weil er endlich gut mit mir klarkommt. Er ist wirklich das Menschenmännchen, bei dem ich gerne bleiben möchte. Doch warum stört seine Schwester ihn dadurch, daß sie ihn umwirbt, wenn sie in Stimmung kommt? Warum darf er nicht einfach ein anderes Weibchen zur Liebe auffordern? Das mit dem rotgoldenen Kopffell ist stark und ausdauernd. Sie würde ihm viele gesunde Würfe Junge bringen. Auch die Schwestern mit dem Feuerfarbenfell sind groß und stark. Sicher, sie sind vielleicht älter. Aber warum soll er denn mit ganz jungen Weibchen zusammenkommen, wenn er schon Junge machen kann?

Ich liege für eine kurze Zeit auf dem nach ihm und mir riechenden Schlafstein. Dann kehre ich auf den Boden zurück und suche mir was zu essen.

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Am nächsten Morgen lag knisternde Spannung in der Luft. Zum einen würde heute, am 14. Mai, das Teleportal zum schuleigenen Strandabschnitt wieder geöffnet, sodaß Baden und Schwimmen im Meer wieder auf die Tagesordnung für die Freizeit gesetzt werden konnte. Zum anderen würden heute vierzig Paare auf unterschiedlichen Besen am Tandemrennen teilnehmen. Weil Adrian Colbert von den Blauen, wie auch die Mistrals und Rossignols nicht mitfliegen durften, war vom himmelblau gedeckten Tisch immer mal wieder eine verächtliche Geste zu sehen, die Leute an allen übrigen Tischen erreichte. Merkwürdigerweise schien von den Blauen sonst niemand zu fliegen, außer Corinne Duisenberg, die wohl mit einem Mädchen zusammen teilnehmen würde, von dem Julius dachte, sie könnte ihre Cousine sein. Hercules bekam das mit, wie die beiden sich mit ihren Tischnachbarinnen unterhielten.

"Was denkst du, wer die kleine mit den blonden Locken und den graubraunen Augen ist, Julius?" Fragte der junge Treiber der grünen Erfolgsmannschaft.

"Für 'ne Schwester von Corinne sieht sie nicht ähnlich genug aus. Könnte 'ne Cousine von ihr sein", vermutete der befragte.

"Voll daneben, Julius", lachte Hercules. "Patrice Duisenberg ist ihre Tante."

"Hups! Willst du mich verarschen, Hercules." Gab Julius verdutzt wider.

"Höchstens verpodexen, Julius", lachte Robert. "Neh, die ist wirklich die Tante von der kleinen, runden Duisenberg. Ihre Oma aus Antwerpen hat mit fünfzig noch einmal den Quaffel durch den mittleren Ring bekommen und dieses nette Mädel da ausgebrütet. Die ist ein Jahr jünger als Corinne."

"Hmm, wenn du mich hier vergesäßt, Robert", erwiderte Julius mit gespielt drohend klingendem Ton.

"Die ist eifersüchtig auf Céline, wweil die demnächst auch 'n Neffen oder 'ne Nichte hier in Beauxbatons hat", gab Robert mit leicht gehässigem Unterton zurück.

"Ist bestimmt für die lustig, als Nesthäkchen verhätschelt zu werden", ffeixte Hercules.

"Oder umgekehrt, weil die Eltern keinen Bock mehr haben, sich mit einem Kind noch einmal alles aufzuhalsen", warf Julius Andrews ein. Er glaubte es nicht so richtig, daß dieses ebenfalls rundliche Mädchen neben Corinne Duisenberg dessen Tante sein sollte, und wenn dann wohl eher durch einen Verjüngungstrank oder eine bislang unbekannte Verschönerungscreme, wo jemand zum Scherz einen abgeschwächten Infanticorpore-Fluch reingemixt hatte. Er hatte in einer Kerker-und-Drachen-Spielrunde mal sowas mitbekommen, wo ein Mitspiler sich die Hautlotion einer gerade besiegten Hexe ins Gesicht schmierte und dann zum kleinen Jungen zurückgeschrumpft war, allerdings ganz und gar. Alle Erfahrungs-, Lebens-, Kampf- und Selbstbeherrschungspunkte waren auf zwei Fünftel zurückgesetzt worden, die Intelligenz gar auf die Hälfte. Tja, Kerkermeister zu sein konnte manchem gemeine ideen eingeben. In dem fall war es Julius' früherer Freund Malcolm gewesen, der sich den Streich für Lester ausgedacht hatte.

"Leute, ich habe ja schon vor Hogwarts viel von magischem Unsinn gehört und in Spielen verwendet. Soll ich euch das jetzt wirklich abkaufen, was ihr mir erzählt habt?" Fragte er dann ruhig.

"Mann, wir vernotdurften dich nicht", sagte Robert leicht beleidigt dreinschauend. Hercules warf ein:

"Wenn du schon nicht "verscheißern" sagen willst oder darfst, Robbie, sag besser "verulken"!"

"Ich rhinotrunkisiere gleich deine Nase, damit du dir besser dranfassen kannst, Culie", knurrte Robert Deloire, diesmal mit einem echt bedrohlichen Unterton.

"Ihr werdet wohl nicht wegen dummer Wortspielchen und wegen zwei blauer Mädels Strafpunkte kriegen wollen", sprang Gérard ein. Robert und Hercules waren sich da plötzlich wieder einig und erwiderten:

"Uh, Hilfe, Sandrines gelbe Eigenschaften sind ja doch ansteckend."

"Fresst es und sterbt dran!" Fauchte Gérard sichtlich verärgert. Julius lachte leise und verhalten mit Robert und Hercules mit. Dann sagte er:

"Na soll mir ja auch egal sein, wer mit wem verwandt ist, solange ich nicht auch 'ne Tante hier eingeschult sehe."

"Hat was für sich", stimmte Robert zu. "Hat voll was für sich."

Nach dem Frühstück bat Madame Maxime um ungeteilte Aufmerksamkeit. Als alle still vor ihren Stühlen standen und die Schulleiterin anblickten sagte diese:

"Heute, Messieurs et Mesdemoiselles ist jener Tag, an dem wir den Strandbereich wieder für alle die zugänglich machen, deren Disziplinarquotient sich im dafür vorgeschriebenen Rahmen bewegt. Wir feiern diesen Saisonstart wie üblich mit dem Besenflug-Tandemrennen durch für verschiedene Besentypen abgesteckte Kurse zu auf die jeweiligen Besentypen abgestimmten Bedingungen. Professeur Dedalus, der dieses Rennen zusammen mit Professeur Bellart ausgearbeitet hat und als Beobachter fungieren wird, wird den vierzig gemeldeten Paaren die Regeln erklären, sobald alle, die sich als Teilnehmer oder Zuschauer zum Strand begeben durch das Teleportal getreten sind. Die DQ-Regelung ist während des Rennens außer Kraft. Allerdings gilt, wer heute am Schulstrand gegen die allgemeinen Verhaltensregeln verstößt, erhält neben 200 Strafpunkten eine Woche Arbeitsdienst ersatzweise Verbleib in niederer Lebensform für diesen Zeitraum, je nach Art und umfang der Verfehlung." Sie sah dabei mehr als zufällig zum himmelblauen Tisch hinüber. "Ich gehe davon aus, daß diese Strafen heute nicht verhängt werden müssen. Schuldiener Bertillon und Professeur Fixus verbleiben als Aufsicht im Palast.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit."

An allen Tischen klang aufgeregtes Getuschel auf, das zu einem lauten Raunen anschwoll. Hercules und Robert sahen Julius an und klopften ihm auf die Schultern. Claire und Céline blickten aus der Reihe der Mädchen herüber und lächelten ihm aufmunternd zu.

"Hmm, was für Umhänge tragen wir dazu eigentlich? Barbara hat mir dazu nichts gesagt", überlegte Julius.

"Die Teilnehmer folgen mir nun", sagte Madame Maxime und deutete auf das vergoldete Glasportal zum Speisesaal. Erhaben wie eine Königin schritt die übermenschlich große Dame im fliederfarbenen Satinkleid durch das Eingangsportal und wartete, bis sich an allen Tischen die Tandemflugpaare erhoben und hinter ihr hergingen. Julius erhaschte ein aufmunterndes Lächeln von Belisama vom weißen Tisch und ein fröhliches Winken von Millie Latierre, deren Blick seinen traf. Er gesellte sich zu Barbara, die hinter Jeanne und Virginie in die Schlange der Teilnehmer eintrat. Geordnet verließen achtzig Schülerinnen und Schüler hinter der ranghöchsten Hexe von Beauxbatons den Speisesaal, folgten ihr durch die Zeitversetztgänge und Tricktreppenhäuser hinaus in den imposanten Hof, groß wie ein Marktplatz, hinüber zu dem Punkt, von wo das Teleportal, ein Tor aus Zauberkraft und Licht, zu öffnen war. Julius fragte im Flüsterton, ob sie so in den Sonntagsumhängen bleiben sollten. Barbara lächelte.

"Du hast mich gestern nicht gefragt, und ich habe extra nichts gesagt. Wir tragen natürlich keinen Sonntagsstaat, sondern flugtaugliche Umhänge, wobei wir nach Paaren abgestimmte Umhänge kriegen. Keine Bange, die haben nach meiner Anmeldung zwei passende Umhänge bereitgelegt. Umgezogen wird sich wie üblich in den Umkleidekammern am Strand."

"Habe ich mir irgendwie auch nicht denken können, daß wir im normalen Sonntagsumhang herumfliegen."

Als sich vor der Schulleiterin der hohe Torbogen wie aus Licht und Glas erhob, legten die Tandemflugpaare einen Schritt zu und folgten ihrer Schulleiterin hinüber zum Strand. Julius faszinierte das immer noch, daß er ohne etwas fremdartiges zu verspüren mit einem Schritt eine ungewisse Entfernung überwand, anders als in den Zukunftsdichtungen, wo eine zeitlose Ortsversetzung von Körpern für Lebewesen immer mit irgendwelchen Wahrnehmungen zusammenfielen. Von einem Moment zum Anderen standen sie auf einem kilometerlangen Sandstrand, an den lange Wellen mit weißen Schaumkronen anbrandeten. Das rhythmische Rauschen dieser Wellen, der Geruch von salziger Meeresluft und das Gefühl des weichen Sandes unter den Schuhsohlen wirkten selbst schon wie ein Zauber auf die achtzig Schülerinnen und Schüler. Julius fragte sich unvermittelt, wo denn die Besen für den Flug waren. Zum Frühstück waren keine mitgebracht worden. Er sah die Schulleiterin an. Diese deutete auf mehrere kleine Häuser die etwa fünfzig Meter von der Auslaufzone der Wellen entfernt standen. Julius kannte diese Umkleidehäuschen. Dort konnten sich bis zu hundert Jungen und Mädchen gleichzeitig umziehen, wenn sie ins Meer wollten.

"Ihre Flugbekleidung finden Sie dort vor, ebenso die Besen der eingetragenen Steuerer. Ich habe hier die Nummern der Kabinen, wer sich wo umkleiden möchte. Bitte treten Sie vor, wenn ich Ihre Namen aufrufe! Chevallier, Bruno und Rocher, César! ..."

Julius sah sich noch um, während die ersten fünf Paare ihre Kabinennummern abholten. Er konnte in einigen hundert Schritt entfernung hohe Gebilde sehen, die wie Baugerüste aussehen mochten. Links und Rechts davon waren provisorische Tribünen errichtet worden. Er fragte sich, wie sie sicherstellen wollten, daß jeder Besentyp in seinen Leistungsgrenzen gefordert wurde. Sicher, die Cyrano-Express-Besen waren nicht langsam. Doch ein Ganymed 9 oder 10 spielte in einer eigenen Liga.

"Lumière, Barbara und Andrews, Julius!" Rief Madame Maxime auf. Julius wirbelte herum. Sie waren das achte Paar auf der Liste, gleich nach Martine Latierre und Brunhilde Heidenreich. Er ging zu Barbara und holte sich mit ihr von Madame Maxime die Kabinennummern ab. Er sollte zur Jungenumkleide 17 gehen, wo er im Rauminhaltsvergrößerten Schrank seinen Teilnehmerumhang finden würde.

"Mach dir nichts draus, daß du hier der jüngste Teilnehmer bist. Viele von uns kennen dich ja aus den diversen Freizeitgruppen und der Quidditchsaison", sprach Barbara ihm Mut zu, während sie mit ihm zu den Umkleidekabinen ging.

Das überlebensgroße Bild eines Mädchens in rotem Rock und weißer Bluse winkte Barbara zu und sah Julius argwöhnisch an. Dieser wandte sich nach rechts, wo ein überlebensgroßes Bild eines Jungen in dunkelblauen Umhang und hohem Zaubererhut ihn anstrahlte. Er eilte zu der angegebenen Kabine und schloss sich dort ein, bevor er den kleinen Schrank mit dem zur Kabinennummer ausgehändigten Schlüssel aufsperrte. Er zog einen himbeerfarbenen Umhang mit einer silbernen Acht auf dem Rücken heraus. Schnell stieg er aus seinem Sonntagsumhang und zog den schuleigenen Umhang an, der mit vier extraschließen versehen war und nach dem Anziehen sehr genau passte. Er prüfte noch mal, ob sein Zauberstab ordentlich im umschnallbaren Futteral sicher verstaut war und sein Practicus-Brustbeutel sicher und Fest um seinen Hals und unter seinem Unterhemd saß. Dann verstaute er seinen Sonntagsumhang sicher im Schrank, schloss ihn ab und verstaute den Schlüssel in einer Innentasche des geliehenen Umhangs. Er eilte zum Treffpunkt zurück, wo inzwischen die vorletzten Paare ihre Kabinen zugewisen bekommen hatten. Barbara kam gerade mit Corinne Duisenberg und diesem Mädchen, das angeblich Corinnes Tante sein sollte vom Umziehen zurück. Julius erkannte, daß wohl alle Piloten der Tandemgruppen silberne Umhänge bekommen hatten, auf deren Rücken purpurn die Startnummern geschrieben standen. Barbara trat wieder neben ihn, ihren Ganymed 9 geschultert.

"Wenn alle Paare umgekleidet erscheinen, werden wir zum Startpunkt gehen, wo Professeur Dedalus die Durchgänge erläutern und die Regeln klarstellen wird", sagte Madame Maxime, die es wohl sehr genoss, am Strand zu sein. Denn ihre sonst so strenge Stimme klang merkwürdig erheitert.

Als schließlich alle Paare vom Umziehen zurückgekehrt waren folgten sie der Direktrice zum Startpunkt. Nun konnte Julius erkennen, daß es sich bei dem Parcours um eine sechsstöckige Konstruktion handelte, die beinahe frei in der Luft schwebend stand. Er konnte Spiralen und Kurven, Wellenkämme und scheinbare Sackgassen ausmachen, die sich bis zu zwei Kilometer lang erstreckten. Insgesamt standen fünf verschiedene Bahnen zur Verfügung.

Die Zuschauertribünen füllten sich langsam. Die Zuschauer kamen nicht aus der Richtung der Umkleiden, sondern wurden von den Lehrern über mehrere Zugänge geführt, um möglichst rasch Plätze in den langen Reihen zu besetzen. Julius hörte bereits anfeuerungsgesänge. Die Blauen, die im Quidditch verloren hatten, schöpften neuen Mut, doch noch etwas zu erreichen. Ähnlich ging es wohl den Weißen und Gelben, während die Violetten, die nur durch zwei Paare vertreten wurden, etwas zurückhaltender waren. Heftig feuerten die Roten und Grünen ihre Kandidaten an. der englischstämmige Zauberschüler suchte bekannte Gesichter in den Reihen der Zuschauer. Ja, da waren Claire und Céline, Hercules und Robert, sowie Edmond Danton, die ihre Plätze einnahmen.

"Achtung! An die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Tandemflugrennens", begann der Fluglehrer Dedalus, der wieder in seinem Umhang mit den vielen Quidditchabzeichen erschienen war. "Hier und heute findet das sechshundertste Sozius-Fluggeschicklichkeitsrennen in der Geschichte von Beauxbatons statt. Wieder einmal sind überholte Besentypen aus den Mauern unserer Akademie gewichen und haben neuen Modellen Platz gemacht. So haben wir heute keinen Ganymed-4-Kurs mehr, wie auch keinen Cyrano-Express 1. Dafür sind die beiden Typen Ganymed 9 und 10 in der Renndurchführung berücksichtigt worden."

"Von denen ja nur zwei mitmachen!" Rief einer aus dem Zuschauerraum. Dedalus warf einen wütenden Blick hinauf zu den Rängen und suchte den Rufer. Doch er fand ihn nicht. Auch Madame Maxime suchte mit funkelnden Augen die Zuschauerreihen ab. Julius wußte zumindest, daß kein Mädchen das gerufen hatte. Doch er war gespannt, ob sich jemand freiwillig melden würde. Doch niemand gab zu, dazwischengerufen zu haben. Dedalus sprach weiter:

"Wir haben hier fünf Kurse für die gängigen Besentypen errichtet. Bei diesem Wettbewerb handelt es sich nicht im eigentlichen Sinne um ein Rennen, sondern um einen Einzelwertungslauf, bei dem drei Faktoren zählen: Partnerschaftliche Abstimmung, Manövrieren und dabei möglichst wenig Zeit benötigen. Da die Kurse den Schwierigkeitsgraden der Besentypen angepasst sind, wurden Hürden und Schikanen so gewählt, daß sie die Schwierigkeitsgrade erfüllen, sobald der entsprechende Besen hindurchfliegt. Ein Gremium aus fünf Kollegen, bei dem ich den Vorsitz habe, wird die Wertungen in den benannten Kategorien vornehmen. Es gilt als korrekt, wenn jeder Besen mit Steuerndem und Sozius oder Sozia durch die halbröhrenförmigen Kursabschnitte fliegt und die anstehenden Hürden ohne Abkürzungen bewältigt. Jemand ist disqualifiziert, wenn er oder sie eine Hürde gezielt auslässt. Das ganze geht über drei Durchgänge. Das Endergebnis errechnet sich dann aus der Gesamtzahl aller Fehler- oder Erfolgspunkte und der gesamten Zeit. Das wäre soweit alles, Mesdemoiselles et Messieurs."

Die Paare gingen in Startaufstellung. Sie wurden nach den Startnummern, die sich aus der alphabetischen Reihenfolge ihrer Nachnamen ergaben, zum Abstoßpunkt geschickt, einem roten Kreis, aus dem erst senkrecht nach oben geflogen werden sollte, um die etwa einhundert Meter hohe Eingangspassage zu erreichen. Dann ging es durch die Schikanen und über Hindernisse hinweg Stockwerk für Stockwerk nach unten, bis sie dann aus dem Ausgangstor keine zehn Meter über dem Boden wieder herauskamen, um dann so schnell wie möglich in einem grünen Kreis punktgenau zu landen. Julius erinnerte sich an seine Sozius-Flugprüfungen, wo er mit Gloria Porter ähnliche Übungen hatte machen müssen. Nur hier mußte es so schnell und so genau wie möglich gehen.

Bruno und César stiegen zuerst auf, als Professeur Dedalus eine große Glocke anschlug. Julius versuchte, den Flug zu verfolgen. Doch von unten waren die Kurse auf einmal undurchsichtig, sobald die Startglocke angeschlagen worden war.

"Mist, wieso können wir dem nicht zusehen? Der fliegt doch auch einen Neuner", zischte Julius Barbara zu. Diese sagte:

"Das ist so üblich, damit sich niemand an den Erfolgen oder Fehlern der Vorgänger ausrichten kann. Du hast ja ungefähr gesehen, wie der Kurs abgesteckt ist. Wir starten ja durch die selbe Eingangspassage, die zweite von rechts", erwiderte Barbara seelenruhig.

Das Johlen von den Zuschauerreihen zeigte Julius, wo die ersten gerade entlangflogen. Er dachte an wilde Achterbahnen, wo er das Johlen der Fahrgäste und das Donnern der herabsausenden Wagen schon gehört hatte, ehe er sehen konnte, wie die Bahn verlief. Tja, ähnliches stand ihm nun hier bevor.

Nach ungefähr drei Minuten fegten Bruno und César merklich zerzaust aus dem untersten Tor heraus und bremsten so heftig ab, daß Julius schon glaubte, der Besen würde gegen eine unsichtbare Wand prallen. dann schoss er in waagerechter Fluglage nach unten wie ein Senkrechtstarter, den Julius mal in einer Fernsehdokumentation über die königliche Marine gesehen hatte. Punktgenau landete das Zweiergespann im grünen Landekreis. Dann starteten Corinne Duisenberg und ihre Partnerin, sobald das Glockenzeichen kam. Wider wurde der ganze Kurs von unten undurchsichtig, und es dauerte knapp drei Minuten, bis die beiden aus dem blauen Saal zurückkehrten. Sie landeten nicht ganz so halsbrecherisch wie Bruno und César, dafür aber ebenfalls punktgenau im grünen Landekreis.

Als Jeanne und Virginie durchstarteten wünschte Julius ihr in Gedanken alles Glück, daß sie gebrauchen konnte. Tatsächlich dauerte es genau zwei Minuten und zehn Sekunden, bis Jeanne und Virginie wieder herauskamen und ebenfalls halsbrecherisch abbremsten und landeten. Nun waren es noch drei Paare, die vor Barbara und Julius fliegen mußten. Vorher schoss Belle Grandchapeau mit Suzanne Didier auf dem Ganymed 10 los wie eine Rakete. Julius sah und staunte, wie das für einen unbeteiligten aussah, wenn dieser Besen richtig ausgeflogen wurde. Barbara sah, wo er hinblickte und tätschelte ihm unauffällig den rechten Arm.

"Wie Tag und nacht, Julius", sagte sie und deutete von der Einflugluke für den Neuner zur Luke für den Zehner, durch den Belle und Suzanne gerade hindurchgeschossen waren.

"Die Ganymed-10-Strecke ist doppelt so lang und enthält mehr Schikanen als die des Neuners", erinnerte Professeur Dedalus die Zuschauer daran, daß man dem besseren Besen mehr abverlangte. Julius blickte auf seine Weltzeituhr und nahm die Minuten und Sekunden, bis Belle fast mit Kanonenkugelschnelle aus der unteren Luke schoss, voll bremste und dann innerhalb von einer Sekunde die Landung hinbekam. Die Zuschauer klatschten Beifall für dieses haarsträubende Spektakel.

"Wir haben uns an die Leistungsangaben der Ganymed-Werke gehalten, um diesem neuen Besen das bestmögliche abzufordern", sagte Professeur Dedalus.

Seraphine Lagrange, die Vorletzte vor Barbara und Julius, startete mit ihrem Partner zügig durch, flog in den abgesteckten Kurs ein und kehrte nach zwei Minuten und fünfzehn Sekunden durch den unteren Auslaß zurück.

Martines Flug durch den Kurs verlief wieder etwas gemächlicher im Vergleich zum Ganymed 10. Als sie mit ihrer Partnerin wieder herauskam, waren zwei Minuten und vierzig Sekunden verstrichen. Sie waren also langsamer als die Tandemformation von Corinne gewesen.

"Nun gilt es", raunte Barbara Julius ins Ohr. "Hals- und Beinbruch!"

"Dir auch, Barbara", erwiderte Julius sofort. Dann gings zur Startzone.

"Achtung, fertig!" Rief Dedalus. Dann schlug die Startglocke an. Wie vom Katapult geschleudert sprang der Ganymed 9 in die Luft, stieg rasant zum hohen Einlasstor hinauf, das auf Julius den Eindruck einer gerade mal geöffneten Tür machte. Er hatte aber weder Zeit noch Augen für genaue Abmessungen. Mit wildem Rauschen durchflog Barbara die Eingangspassage und nahm den abgesteckten Kurs auf.

Zuerst ging es durch eine Reihe von unterschiedlichen Kurven, die sogar in Schrägauf- oder Abwärtsrichtung mit unterschiedlichen Neigungswinkeln verlegt waren. Danach mußten fünf schwebende Hindernisse präzise umflogen werden. Sie durften weder mit dem Hindernis noch mit der von hier oben aus durchsichtigen Wand zusammenstoßen, weil das massig Fehlerpunkte eintrug. Barbara gab fast keine Kommandos. Julius reagierte mit ihr zusammen, fast wie ein Geist in zwei Körpern. Es ging nach oben, durch eine sich verengende Spirale, dann steil nach unten, durch eine Dreifachkurve und dann hinunter zum zweithöchsten Kursteil. Wieder Kurven, schnelle Steigungen und Neigungen, die Barbara und Julius sehr sorgfältig durchfliegen mußten. Auf die Zeit achteten sie nicht dabei. Im Moment war der Kurs mit den rasendschnell wechselnden Kurven und Hindernissen wichtiger.

"Flach hinlegen!" Rief Barbara, als sie auf der dritthöchsten Ebene durch einen sehr niedrigen Tunnel mit mehreren Windungen fligen mußten. Julius warf sich nach vorne, drückte Barbara flach auf den Besen. Diese schien das weder hinderlich noch verwerflich zu finden. Sie steuerte den Besen immer noch sorgfältig durch den sich windenden Tunnel, bis sie wieder draußen waren. Dann hieß es, über ein Hindernis zu springen, weiter durch verwegene Kurven, bei denen man nicht vorher sehen konnte, ob nicht jemand entgegenkam oder mittendrin steckengeblieben war. Julius erholte sich ein wenig, als die Wahnsinnstour sich durch das vierte Stockwerk von Oben schlängelte. Langgezogene Geraden, einfachere Kurven und keine Steigungen luden zum Hochgeschwindigkeitsflug ein. Doch knapp vor dem Abzweig zur vorletzten Etage prallten sie fast gegen eine leuchtende Mauer und konnten nur mit einem verwegenen Manöver hart links den Zusammenstoß vermeiden und den handtuchschmalen Abstieg zum fünften Stock von oben benutzen. Wilde Spiralen um die Längs- und um die Senkrechtachse forderten noch einmal alles ab, was die beiden in der kurzen Zeit gelernt hatten. Dann ging es in drei scharfen Abzweigungen zum letzten Stock, den sie erst mit einem Sturzflug erreichten, um dann mit noch geflogener Geschwindigkeit in eine Doppelkurve hineinzurasen, die sie einmal schräg nach rechts kippen ließ, damit sie sie auch korrekt ausfliegen konnten. Dann kam nur noch die Zielgerade, die Barbara mit vollem Tempo entlangheizte, um dann durch die Auslassluke zu stieben, sofort danach eine Vollbremsung hinlegte, die Julius wieder einmal den Erfindern des Ganymeds danken ließ, daß sie eine geschwindigkeitslineare Innerttralisation eingearbeitet hatten und ließ den Besen mit maximalgeschwindigkeit durchsacken. Nur zwei Meter trennten noch Boden und Füße, als der Besen wie auf ein Federkissen gefallen gebremst wurde und den Rest für Julius und Barbara unschädlich verzögerte.

Lauter Applaus brandete auf. Julius fragte nach der Uhrzeit. Sie hatten die für den Neuner ausgelegte Strecke in zwei Minuten und vier Sekunden geschafft und kein vorgegebenes Hindernis ausgelassen.

Julius merkte, daß die volle Konzentration wie die Schnellkraftbewegungen seines Körpers ihn gut ausgepumpt hatten. Doch bis zum zweiten Durchgang würde er sich wieder erholen.

Als alle Teilnehmer die für ihre Besen ausgearbeiteten Kurse passiert hatten, kam der zweite Durchgang. Dieses Mal ging es in umgekehrter Startreihenfolge. Als Barbara und Julius erneut flogen, ging es schon besser von der Hand. Sie hatten sich zwar nicht alle Kurven merken können, aber mit den Steigungen und Neigungen kamen sie nun besser zurecht. Sie beendeten den irren Flug zwei Minuten und drei Sekunden nach dem Einfliegen.

Im dritten Durchgang Konnte Julius sich zwar die gemeinsten Kurven und Abzweigungenmerken, sodaß er sich auf die nötigen Bewegungen einstellte. Doch sie kamen diesmal erst nach zwei Minuten und achtzehn Sekunden wieder heraus.

Als alle Paare ihren letzten Entscheidungsdurchgang beendeten, verkündete Professeur Dedalus, welche Endnoten die einzelnen Paare hatten. Die drei besten sollten eine kleine Abbildung ihres Besens in Bronze, silbern und Gold erhalten. Der Fluglehrer verlas die Namen, die die unteren Plätze belegt hatten, dann kam er zu Bronce:

"Bronze gewinnen Mademoiselle Grandchapeau und Mademoiselle Didier. Silbern geht an - Barbara Lumière und Julius Andrews! - Gold geht an Sabine und Sandra Montferre!"

"Immerhin Silber", sagte Julius. Barbara war etwas enttäuscht. Doch als sie merkte, daß Julius das auf sich beziehen könnte, lächelte sie.

"An dir hing's nicht, Julius. Wir haben ein kontinuierlich gutes Duo repräsentiert. Daß die Montferres besser waren liegt einfach daran, daß Zwillinge an sich sehr intuitiv aufeinander eingespielte Charaktere sind. Jeanne hat ja nur den undankbaren vierten Platz gemacht. Insofern kann ich auch mit einem silbernen Besen von Beauxbatons abgehen, wenn die UTZs um sind."

"Das ist völlig in Ordnung, Barbara. Zumindest wurde hier niemand wegen Herkunft oder Besentyp bevorteilt", sagte Julius.

Professeur Dedalus winkte die drei Gewinnerpaare auf ein Podest, wo sie die Besentrophäen unter dem Klang einer Fanfare aus magischer Quelle und viel Beifall der versammelten Lehrer und Schüler überreicht bekamen. Als die Montferres auf der obersten Stufe standen, winkten sie den Zuschauern zu. Sie beglückwünschten Barbara und Julius zum zweiten Platz und dem Gespann Grandchapeau und Didier zum Dritten. Belle ließ es sich nicht nehmen, Julius persönlich zu gratulieren, ohne Ansehen ihrer sonst so hochgehaltenen Würde an dieser Schule.

"Wir haben nur deshalb nicht den dritten gemacht, weil wir im zweiten Durchgang für eine Sekunde zu langsam waren und die Kurve nicht mit der Mindestgeschwindigkeit durchflogen haben", erklärte Jeanne, nachdem die Siegerehrung vorbei war.

Claire kam zusammen mit Céline, Robert, Hercules und Gérard herunter, um Julius zu gratulieren. Ebenso eilten die Freunde und Verwandten der übrigen Trophäengewinner herbei, um persönlich zu gratulieren. Julius sah auch Constance Dornier, die mit Deborah Flaubert, Sixtus Darodi und Belisama Lagrange herüberkam.

"Herzlichen Glückwunsch, Julius!" Wünschte Constance, die den Eindruck machte, selbst ein anstrengendes Rennen hinter sich zu haben. Julius bedankte sich artig für alle Glückwünsche, verwies jedoch darauf, daß er ja "nur" den zweiten Platz gemacht habe. Constance Dornier sagte dazu:

"Immerhin zweiter von vierzig zu werden ist bei den Paarungen hier nicht so einfach gewesen. Außerdem hast du gestern erst richtig trainiert, um dich mit deiner Partnerin abzustimmen. Wenn das dann direkt auf einen zweiten Platz hinausläuft, ist das schon viel. Alle anderen hier sind ja schon länger dran. Da war das nicht so abwegig, daß sie gewinnen oder zumindest den Dritten holen."

"Ich habe mir den Jungen als Partner ausgesucht, weil ich davon ausging, mit ihm weit vorne zu liegen, Constance", wandte Barbara ein. "Ein zweiter oder dritter Platz lag voll im Bereich dessen, was ich sicher haben wollte. Noch mal vielen Dank für dieses große Finale hier, Julius!"

Julius Andrews errötete bei diesem Lob. Doch eigentlich freute er sich, überhaupt einen Platz auf dem Podest erwischt zu haben. Denn eigentlich war er der einzige aus einer Klasse unter der fünften, der an diesem Rennen teilgenommen hatte. Das war dann schon etwas, was mehr zählte als eine Trophäe.

Nach einer Ehrenrunde über den gesamten Strand, an der alle vierzig Paare teilnahmen, zogen sich die Teilnehmer wieder ihre Sonntagsumhänge an und kehrten zum Mittagessen in den Palast zurück. Claire und Julius verabredeten sich jedoch, den Nachmittag am Strand zu verbringen. Martine Latierre war zur ersten Strandaufsicht eingeteilt worden.

Nach dem Essen nahmen sich nicht wenige ihre Hausaufgaben mit an den Strand und ließen die Vorbereitung auf die nächsten Stunden durch angenehme Unterbrechungen angehen. Claire und Julius probierten sogar aus, wie kalt das Meerwasser noch war. Sie schwammen einige Runden, bevor sie leicht schlotternd ans Ufer zurückkehrten und sich gegenseitig mit schnelltrocknenden Badetüchern abrubbelten. Martine kam zwischendurch herüber und flüsterte Julius was zu:

"Constance war beim Mittagessen nicht da. Schwester Florence hat sie im Krankenflügel untersucht. Offenbar hatte sie schon Vorwehen. Alles deutet darauf hin, daß die Geburt in den nächsten zweiundsiebzig Stunden erfolgen wird. Nur für den Fall, daß du deinen Wochenplan sehr genau vorherbestimmen möchtest."

"Huch, das wäre ja mal was ganz neues, wenn sich Kinder an vorherberechnete Zeiten halten würden. Meiner Mutter haben sie gesagt, zwischen dem fünfzehnten und vierundzwanzigsten Juli sei ich fällig. Schwester Florence hat bei Connie Dornier den sechzehnten Mai bestimmt, ohne viel Spielraum."

"Das liegt daran, daß magische Heiler den Verlauf einer Schwangerschaft wesentlich besser überwachen und den Entwicklungsstand eines Ungeborenen genauer ermitteln können als Muggelärzte, trotz dieser Spielereien mit unhörbaren Schallwellen oder irgendwelchen Blutuntersuchungen", sagte Martine. "Als ich unterwegs war, hat man meiner Mutter gesagt, daß ich keinesfalls vor dem siebten Juni zu erwarten sei, und der achte war es dann schließlich. Vielleicht halten wir Hexen uns auch besser an die Vorgaben der Natur als die Muggelfrauen und können dadurch besser erkennen, was wann mit unseren Körpern ist."

"Das ist ja wohl nicht immer richtig", mischte sich Claire ein. "Erstens kann sich bei einer Hexe auch was verschieben, wenn was besonderes passiert oder bevorsteht, und Constance Dornier bekäme bestimmt kein Kind, wenn sie ihren eigenen Körper so gut überwacht hätte."

"Ach, dann meinst du, Constance hätte sich mit Absicht in andere Umstände versetzen lassen, Claire?" Bohrte Martine nach. Claire errötete sichtlich und schlug die Augen nieder.

"Das habe ich nicht behauptet", gab sie betreten zur Antwort.

"Außerdem sind Frauen keine Roboter, die nach festgelegten Programmen laufen", sagte Julius, um die Spannung zwischen Claire und Martine abzubauen. Beide nickten.

"Roboter ist doch so'n mechanischer Mensch in der Muggeltechnik, richtig?" Fragte Martine. Julius bejahte das. "Dann hast du völlig recht. Wäre ja noch schöner, wenn sich Körper und Seele von Frauen, ob Hexen oder Muggel, so genau abstimmen ließen. Dennoch stimmt es, daß die Untersuchungsmethoden der Heiler besser sind als die dieser Ärzte." Claire stimmte dem durch Nicken zu.

"Na, dann bist du ja für die nächsten drei Tage auf Abruf", seufzte Claire, als Martine eilig auf ihren Beobachtungsposten zurückkehrte. Julius mußte das wohl zugeben.

__________

Die bevorstehende Geburt warf ihre Schatten voraus. Das merkte Julius nicht nur daran, daß Jeanne Dusoleil ihn am Sonntag Abend bei Seite nahm und mit ihm noch mal die wichtigsten Verhaltensmaßnahmen durchsprach, sondern auch, daß Céline ziemlich unter Dampf stand. Zum einen ärgerte es sie, daß sie nicht bei der Geburt dabei sein durfte, zum anderen hänselten einige Mädchen aus den unteren Klassen sie, weil sie eine so umtriebige Schwester habe und bestimmt aus Beauxbatons raus müsse, wenn das Kind von ihr da sei.

Montags gingen die Schüler im Unterricht gegen die dunklen Künste noch einmal die Eigenschaften dunkler Kreaturen durch, von denen in den Jahresendprüfungen gewiss die Rede sein würde. Céline verpatzte dabei einen Freund-des-Mondes-Zauber und hüllte sich in einen dichten Mantel aus silbernem Flimmerlicht ein. Als sie um Hilfe bat, klang ihre Stimme wie durch Watte gefiltert und merkwürdig verzerrt.

"Ach, haben Sie den Kraftbündelungszauber nicht korrekt betont, Mademoiselle Dornier? Das haben wir gleich", bemerkte Professeur Faucon ungehalten und zog den Zauberstab. "Celestranquillitas!" Rief sie. Sirrend schoss ein himmelblauer Lichtstrahl aus dem Zauberstab und breitete sich über die mondlichtfarbene Leuchterscheinung um Céline aus, flackerte mit ihr um die Wette, eine Sekunde lang. Dann knackte es, und Célines unerwünschte Mondlichtaura war fort. Gleich darauf erlosch der blaue Flimmerlichtstrahl und verklang das Sirren aus Professeur Faucons Zauberstab.

"Wenn ich mich recht entsinne hatten wir vor Ostern in unserer Unterrichtseinheit Vampire diesen Zauber neben Segen der Sonne und dem Ungier-Zauber besonders intensiv besprochen. Ich muß Ihnen leider zehn Strafpunkte auferlegen, weil Sie offenbar sehr unaufmerksam bei dieser Zauberei gehandelt haben, Mademoiselle Dornier."

"Wie Sie meinen, Professeur Faucon", sagte Céline unterwürfig, nun wieder mit normal klingender Stimme.

"Könnte es sein, daß Sie momentan mit Ihren Gedanken bei einer anderen Sache sind?" Fragte die Lehrerin. Céline nickte. "Das dachte ich mir. Aber wie Ihre Schwester, mit der Sie sich wohl gerade gedanklich beschäftigen, unterliegen auch Sie den gültigen Leistungsnormen während des Unterrichts und sollten sich, sofern Sie keine körperlich-seelischen Unpässlichkeiten anführen können, diesen Normen gemäß verhalten."

"Jawohl, Professeur Faucon", sagte Céline betreten dreinschauend.

Im Kräuterkundeunterricht traten sie vor ein Gewächshaus der Kategorie 2. Anders als in Hogwarts entsprachen die niderigeren Klassenbezeichnungen einer jeweils höheren Gefährlichkeit oder schwierigeren Handhabbarkeit der dort gehaltenen Zauberpflanzen. So wuchsen Alraunen in solchen Gewächshäusern, wie Venomosa tentacula oder Bubotubler, die Julius am Tag nach Walpurgis gesehen hatte.

"Der wird uns doch nicht heute noch mit was ganz fiesem kommen", wandte sich Hercules an Julius. Dieser sah auf das Inventarschild über dem Eingang. "In dem Haus leben exotische Zauberpflanzen kaltgemäßigter Gewässer und Halbtundren", raunte Claires Freund beinahe tonlos.

"Ach, und ich dachte schon die hätten die Teratophyten da drin, von denen ich mal was gelesen habe", sagte Hercules.

"Die sind in den Einserhäusern oder im Gewächshaus null", berichtigte Claire ihn, die hinter Julius stand und ebenfalls las, was in dem Gewächshaus gehalten wurde.

"Ja, und in das Nullerhaus kommen wir ja nicht rein", atmete Hercules auf. Er kam mit tierischen Ungeheuern wesentlich besser aus als mit pflanzlichen. Seine Freundin Bernadette war da genau anders interessiert.

"Was glaubt ihr denn, was wir heute kriegen?" Fragte Belisama Lagrange Julius und Claire.

"Ich tippe auf norwegische Himmelslichtschwammsprosse", sagte Claire. Julius überlegte und nickte dann.

"Was sind denn das für Pflanzen?" Fragte Hercules. In diesem Moment kam der lange und schmächtige Professeur Trifolio an und begrüßte die Klasse mit fester Stimme. Alle erwiderten den Gruß und machten brav Platz, damit ihr Lehrer die drei großen Türschlösser aufsperren konnte. Trifolio zählte ab, ob alle da waren und ließ sie in den Vorraum eintreten.

Im Gewächshaus war es bitterkalt. Julius kannte das schon von Millemerveilles her, daß bestimmte Umweltbedingungen in Gewächshäusern vorherrschen konnten. Als sie alle eingetreten waren schloss Trifolio die Tür und bat um Ruhe.

"Wir werden heute eine für die Zaubertrankbraukunst wichtige Pflanze mit hohem Lokomotionsfaktor kennenlernen, die zwar nicht gefährlich im Sinne von lebensbedrohlich sind, aber sehr unangenehm werden können, wenn man sie nicht sorgfältig behandelt. Ich werde nun die Tür zur betreffenden Abteilung öffnen. Bitte erschrecken Sie nicht und versuchen Sie, sich zu beherrschen!"

Der Lehrer sperrte eine von vier Abteilungstüren auf, die wegen der vorherrschenden Kälte mit undurchsichtigem Reif überzogen war. Er öffnete vorsichtig die Tür. Sofort streckte sich ein schleimiger purpurroter Fühler wie ein besonders dicker Regenwurm ohne Borsten aus der Tür, pendelte eine Sekunde lang in der Luft und zog sich dann zurück.

"Wenn Luftbewegungen stattfinden, erkundet Vesperadora erythriza die gerade besetzte Umgebung", kommentierte der Kräuterkundelehrer das Vorkommnis und öffnete die Tür ganz weit. In dem Raum kräuselten sich armdicke purpur- bis rubinrote Strünke mit dickem Schleim überzogen. Wie Krakenarme ohne Saugnäpfe saßen alle zwei Meter an jedem Strunk jene Tastorgane, von denen eines gerade durch den Türspalt gelugt hatte.

"Ach du meine Güte, marsianisches Unkraut", seufzte Laurentine Hellersdorf. Alle lachten verhalten, bis Trifolio sich sehr ernst räusperte.

"Eine ähnliche Bemerkung hat vor vier Jahren schon jemand gemacht und mir auf Nachfrage gesagt, daß sich frühere Zukunftsdichter eine ähnliche Vegetation für unseren äußeren Nachbarplaneten vorgestellt hätten. Nun, wir sind hier immer noch auf der Erde. Diese Species stammt aus den Mooren Schwedens und nicht vom Mars, könnte aber dort auch für eine gewisse Zeit existieren, wenngleich sie alle vier Wochen neues flüssiges Wasser benötigt. Außerdem gehört diese Pflanzensorte zu nützlichen Wildkräutern, die schwer in geschlossenen Gewächshäusern zu halten sind und ..." Einer der Schleimfühler schlängelte sich Trifolio um den linken Fuß. Der Lehrer mußte eine schnelle Ausweichbewegung machen, um nicht eingeschnürt zu werden. Seine Schüler blieben auf Abstand.

"Wer außer den übers Jahr offenbarten Experten für Zauberpflanzen und Zaubertrankrezepturen möchte mir etwas über diese Pflanze hier erzählen?" Fragte Professeur Trifolio in die Runde. Belisama zeigte auf, dann noch Claire, Julius und Hercules. Belisama durfte antworten.

"Die Vesperadora erythriza gehört zu den nichtsessilen Zauberpflanzen der Kategorie zwei, also den besonders beweglichen Zauberpflanzen. Sie wird auch als roter Moorgeist bezeichnet und kommt wie schon erwähnt in Schweden und Norwegen vor."

"I, eklig!" Stieß Estelle Messier aus, weil ihr einer der Schleimarme in der Nähe um die Hüfte fassen wollte. Trifolio räusperte sich und nickte Belisama zu, sie solle weitersprechen. Céline derweil zog gerade ihren linken Arm aus der sich schließenden Umklammerung eines anderen Tastorgans.

"Die Vesperadora nutzt die Abendlichtstunden, um die für sie wertvollen Anteile des Sonnenlichts aufzusaugen. Zuviel Tageslicht stört sie ebenso wie ständiger Lärm oder Bodenerschütterungen. Sie ist im Stande, feuchte Erde wie ein Regenwurm durch Pumpbewegungen in einzelnen Portionen zu vereinnahmen, ebenso große Mengen Wasser. Die Pflanze besteht aus einem Zentralkörper und bis zu zehn Hauptarmen, an denen alle einhundertneunzig Zentimeter vier Tastarme sitzen, die bis zu zwei Metern weit ausgreifen können. Die Eigenbewegung findet in den Nachtstunden statt. Morgens zieht sich die Pflanze in tiefen Morast zurück, in dem sie den hellen Tag überdauert. Wahrscheinlich sind deshalb dort drüben die Schlammgruben", führte Belisama aus und deutete auf fünf große Steinbecken, die randvoll mit braunem Schlamm gefüllt waren. Professeur Trifolio nickte ihr zu.

"Das macht zwanzig Bonuspunkte für Sie, Mademoiselle Lagrange. Wer kann mir die Nutzanwendungen dieser Pflanze in der Zaubertrankbraukunst benennen?" Er blickte in die Runde. Julius hob als einziger die rechte Hand. In diesem Moment vibrierte sein Pflegehelferschlüssel.

"Ja, bitte, Monsieur Andrews!" erteilte der Kräuterkundelehrer Julius das Wort.

"Ähm, Moment bitte, Professeur Trifolio!" Sagte der ehemalige Hogwarts-Schüler verlegen und tippte sich an den weißen Schmuckstein seines Pflegehelferarmbandes. Céline und Claire sahen ihn höchst interessiert an. Vor Julius erschien übergangslos das räumliche Abbild von Schwester Florence. Aus seinem Armband erklang ihre Stimme:

"Ich weiß, Sie sind im Unterricht, Monsieur Andrews. Machen Sie sich auf den Weg zu mir! Mademoiselle Dornier wurde gerade von Monsieur Darodi zu mir gebracht. Bei ihr haben die Wehen eingesetzt."

"Oh, in Ordnung, Schwester Florence. Ich muß nur Professeur Trifolio fragen ..." Trifolio nickte schwerfällig und sah mit einem Ausdruck von Enttäuschung auf Schwester Florences Abbild. "Offenbar darf ich gehen", sagte Julius. Wieder nickte der Lehrer.

"In Ordnung, Monsieur Andrews. In zehn Minuten bei mir!" Bekräftigte die Schulkrankenschwester. Julius nickte ihr zu und verabschiedete sich.

"Nun, Monsieur Andrews, Professeur Faucon hat mich über diese Eventualität ja hinlänglich unterrichtet und verfügt, Sie für diesen Sonderauftrag vom Unterricht freizustellen. Bitte richten Sie Mademoiselle Dornier meine besten Wünsche für eine glückliche Niederkunft aus!" Sagte Trifolio sehr ernst klingend, als sei es ihm wichtig, das zu sagen. Céline sah Julius fragend an. Er machte ein bedauerndes Gesicht. Sie schlug enttäuscht die Augen nieder.

"Ich wollte nur kurz noch sagen, daß das rote Moorgeistgewächs in der Zaubertrankbraukunst im getrockneten Zustand als Pulverbeigabe zu Tee oder Quellwasser gegen Blasenschwäche hilft, sowie in Tränken zur Übergewichtsreduktion zum Einsatz kommt", sagte Julius schnell noch. Professeur Trifolio gab ihm dafür noch fünf Bonuspunkte mit auf den Weg. Er ließ die Schüler noch einmal aus dem Raum mit den roten Pflanzen treten und öffnete die Gewächshaustür, ließ den Pflegehelfer hinaus und schloss sie hinter ihm wieder.

Julius eilte zu einer Mauer hinter den Gewächshäusern, die mit dem Wandschlüpfsystem von Beauxbatons verbunden war und löste den schnellen Transport vom Zaubergarten zum Krankenflügel aus. Als er keine Sekunde später aus der Wand im Büro von Schwester Florence heraustrat, hörte er Constance Dornier vor Schmerz stöhnen.

"geh hinter den Wandschirm und zieh dir dort den keimfreien Umhang über!" Begrüßte ihn die Heilerin von Beauxbatons. Julius nickte und ging hinüber in den Schlafraum, in dem er einmal vier Nächte verbracht hatte. Ein Wandschirm war so aufgebaut worden, daß man sich dahinter vor fremden Blicken sicher umziehen konnte. Er fragte, ob jemand hinter dem Wandschirm sei. Martines Stimme kam zurück:

"Bin gleich fertig, Julius. Wo kommst du jetzt her?"

"Vom Mars, Martine. Wir hatten gerade den roten Moorgeist der nordischen Breiten bei Professeur Trifolio. Sah aus wie Unkraut vom Mars."

"Du kennst dieses Zeug doch", lachte Martine.

"Ja, aber nur aus dem Buch "Zauberpflanzen in Extremgebieten" und "Nonsessile Zauberpflanzen". In Echt sieht dieses Kraut wirklich außerirdisch aus", erwiderte Julius.

Martine erschien in einem weißen Kittel, wie eine Schwesterntracht mit einem Kopftuch um.

"Hinterm Wandschirm steht ein Kübel mit warmen Keimverdrängungswasser, Julius. Wasch dir besser Hände und Gesicht gründlich damit, bevor du in deinen Kittel schlüpfst!" Sagte Martine und zupfte etwas an dem weißen Kopftuch, unter dem sie ihr rotblondes Haar verborgen hatte. Julius nickte und verschwand hinter dem Sichtschutz, wo er zwei weiße Kittel fand, von denen einer eher wie ein Umhang aussah und noch eine Mütze dabei. Ein großer dampfender Kessel verströmte einen merkwürdigen Geruch wie Alkohol und Spülwasser. Julius sprang förmlich aus dem Arbeitsumhang und warf diesen in eine freie Ecke. Dann wusch er sich gründlich Gesicht und Hände mit einem von zwei trockenen Waschlappen und zog sich den Kittel an. Dabei fühlte er, wie es auf seiner Haut prickelte und dann wie kalte und warme Schauer darüber hinweglief. Er hatte es im Vorbereitungskurs mitbekommen, daß eine besondere Lösung alle Schmutz- und Keimspuren aus der Haut herausspülte und die Haut für mehr als zwölf Stunden gegen Neubefall von Krankheitskeimen aller Art absicherte. Er setzte sich ebenfalls eine Kopfbedeckung auf, die seine Haare verdeckte. Dann sah er auf seine Armbanduhr: Sie zeigte vier Minuten und siebzehn Sekunden vor zehn Uhr morgens.

"Julius, bist du fertig?" Fragte Jeanne Dusoleil. Julius trat vollständig angezogen hinter dem Sichtschutz hervor und ließ Jeanne an sich vorbei.

"Was hattet ihr denn, als Schwester Florence dich gerufen hat?" Fragte Julius Martine.

"Zaubertränke, Julius. Schwester Florence hat mich aus den Vorbereitungen für den Gedächtnisschlüsseltrank herausgeholt. Professeur Fixus hat mir unter dem Vorbehalt, daß ich bis nächste Woche die theoretische Rezeptur mit allen Arbeitsgängen, Maßen und korrekten Beobachtungen und Fehlererkennungsmethoden zu Pergament bringe fünfzig Bonuspunkte vergeben."

"Ich konnte mir noch fünf Bonuspunkte zwischen Tür und Angeln mitgeben lassen", sagte Julius nur.

"Kommt jetzt beide herüber, damit ich euch einteilen kann!" Forderte die Heilerin, die in einem Einzelbettraum bei der werdenden Mutter war. Martine nahm Julius beim Arm und flüsterte:

"Ich weiß, du fühlst dich hier irgendwie nicht so recht am Platz, weil dir deine Ferienlehrerin erzählt hat, daß bei sowas nur Frauen sein sollten. Aber wenn Schwester Florence dich hier haben will, dann weiß sie auch, warum. Mach genau, was sie von dir will. Denk nicht dran, ob es Constance peinlich oder zuwider sein kann! Hauptsache, die Kleine kommt gesund zur Welt und hat danach eine gesunde Mutter."

"Wie du meinst", sagte Julius leise und ging mit ihr hinüber in den improvisierten Kreißsaal.

Constance saß auf dem Einzelbett. Sie trug nur ein feines Nachthemd, das bis über ihre Oberschenkel herabreichte. Dem Bett gegenüber stand ein Stuhl, dessen Sitzfläche so ausgeschnitten war, daß der gebärende Leib frei zugänglich sein würde. Ein Eimer stand bereit, um beim Sprung der Fruchtblase das überschüssige Fruchtwasser und Blut aus dem Unterleib aufzufangen. Constance sah Julius mit leicht gequältem Gesichtsausdruck an und rang sich ein kurzes Lächeln ab.

"Hallo, Julius. Hat Professeur Trifolio dich freiwillig gehen lassen? - Haauu!" Begrüßte sie ihn und atmete schnell ein und aus, um eine gerade auftretende Wehe zu verkraften.

"Hallo, Constance. Ich darf dir von Professeur Trifolio viel Glück für die Geburt und von Céline ihre Vorfreude auf die kleine Nichte wünschen."

"Na toll", sagte Constance. "Was hast du mal erzählt, wie Muggelärzte Kinder aus dem Mutterleib holen können?" Fragte Célines Schwester. Madame Rossignol räusperte sich vernehmlich.

"Die Heilkunst der Muggel, sofern man diese so nennen darf, steht hier nicht zur Debatte oder gar zu Gebote, Constance. Wir haben das oft genug besprochen, daß die beste Beziehung zwischen Mutter und Kind etabliert wird, wenn der Vorgang der Geburt so bewußt wie möglich ausgekostet wird, so schmerzhaft er auch ist", sagte die Schulheilerin.

"Sie haben gut Reden", stöhnte Constance und hielt sich den Bauch.

"Junge Dame, ich habe selbst drei Kinder zur Welt gebracht. Ich darf mich so äußern. Und mein erstes Kind hat zweiundzwanzig Stunden benötigt, um zur Welt zu kommen", sprach Madame Rossignol mit strenger Betonung auf Constance ein.

"Zweiundzwanzig Stunden?" Fragte Constance erschüttert. "Ich will doch keine zweiundzwanzig Stunden hier sitzn und diese vermaledeiten Schmerzen haben."

"Es kann ja auch vierundzwanzig Stunden dauern wie bei Janine", feixte Martine. "Kann aber auch nach acht Stunden schon vorbei sein, wie bei mir."

"Wie dem auch sei. Wer jetzt hier ist, bleibt bis zum hoffentlich glücklichen Ende deiner Niederkunft hier", sagte die Heilerin.

"Ist denn soweit alles geklärt wegen Unterricht und Essen?" Fragte Julius.

"Eure Saalvorsteherinnen bekommen in der großen Pause bescheid, sofern sie es nicht schon wissen. Immerhin hätte Julius ja heute Pausenaufsicht. Die übernimmt heute Deborah Flaubert. Du bist dann an ihrem Tag dran", sagte die Heilhexe von Beauxbatons. "Was das Essen angeht, so bekommen wir alle von den übrigen Pflegehelfern was mitgebracht und in den Besprechungsraum gestellt, wie vereinbart."

"Verhungern wird hier also niemand, ob geboren oder ungeboren", seufzte Constance.

"Wann hat denn das richtig angefangen?" Fragte Jeanne, die gerade fertig angekleidet hereinkam.

"Die Wehen haben vor anderthalb Stunden eingesetzt. Der Sprung der Fruchtblase ist jedoch noch nicht erfolgt. Kann noch etwas dauern. Reguläre Körperausscheidungen können noch vorher abgesetzt werden", erläuterte die Heilerin von Beauxbatons.

"Und was tun wir jetzt hier, wenn es noch nicht richtig losgeht?" Fragte Jeanne vorsichtig.

"Bei den letzten Untersuchungen assistieren", sagte Madame Rossignol mit fester Stimme und holte ihre Instrumente heran.

Sie betrachtete noch einmal die Lage des ungeborenen Mädchens, hörte dessen Herztöne ab, ließ Jeanne kurz unter der Exosenso-Haube in die Empfindungswelt des Kindes eintauchen.

"Ui, schon ziemlich ungemütlich", sagte Jeanne. "Könnte bald losgehen. Aber irgendwie fühlt sich die Kleine wohl noch sehr angenehm", berichtete Jeanne.

"Ach ja?" Fragte Constance. "Warum macht sie dann schon diesen Aufstand?"

"Weil sie langsam neugierig ist und wissen will, wer hier so alles herumläuft", warf Martine gehässig ein. Schwester Florence sah sie warnend an und sagte nur was von fünf Strafpunkten. Martine verzog zwar das Gesicht, nickte dann aber.

"Genier dich nicht, Constance. Wenn du noch mal mußt, sag's mir rechtzeitig! Der Eimer fängt das alles auf", wies Schwester Florence die Gebärende noch einmal darauf hin, daß sie alle natürlichen Bedürfnisse erledigen konnte. Julius hatte zwar nicht vor, ein junges Mädchen beim Verrichten kleiner oder großer Geschäfte zu beobachten und würde sich wohl umdrehen, wenn Constance dazu ansetzte.

Es dauerte noch eine Stunde. Eine weitere Wehe brachte die baldige Mutter zum Aufstöhnen. Schwester Florence sagte ihr, daß dieser Schmerz wohl noch stärker würde. Sie trat kurz in die Empfindungswelt ihrer Patientin ein und sagte dann, daß dies noch erträglich sei und bestimmt noch einige Zeit vergehen würde, bis es zur eigentlichen Niederkunft kam.

"Und bei den Muggeln legen sich die Frauen auf ein Bett?" Fragte Martine Julius noch einmal, als Schwester Florence mit Jeannes Hilfe den Unterleib Constances untersuchte. Julius flüsterte ihr zu, daß das wohl eher aus praktischen Gründen als aus heilkundlichen getan würde.

"Das ist Unfug", sagte Schwester Florence dazu, die es wohl gehört hatte. "Kinder gegen die Schwerkraft auszutreiben ist riskanter und vor allem schmerzhafter, weil es länger dauert. Zum Glück werden die bei den Muggeln langsam wieder vernünftig und führen Geburten im Hocken oder sogar im Wasserbecken durch."

"Häh, dann ertrinkt das Kind doch", warf Constance ein.

"Warum?" Fragte Martine. "Im Moment liegt's doch auch vollständig im Wasser. Solange es nicht von dir abgenabelt ist, wird es keinen Unterschied zwischen deinem Bauch und einem entsprechend vorgeheizten Wasserbecken mitkriegen."

"Genau", sagte Julius.

"Stimmt", erkannte Constance, die nicht wußte, wieso sie das nicht überlegt hatte.

Um sich die Zeit zu vertreiben unterhielten sich Geburtshelfer und werdende Mutter über belanglose Dinge, die nicht irgendwie aufwühlend waren. Sie sprachen über den Unterricht, den sie versäumen würden, was wer gerade so zu tun hatte, daß drei Leute beim Schach fehlen würden, wenn es lange dauern würde und daß Constances Eltern benachrichtigt worden seien.

"Ich habe deine Mutter per Kontaktfeuer erreicht, Constance. Sie wird deinen Vater informieren. Sie wollen sofort herkommen, wenn alles vorüber ist. Dein Vater wollte zwar jetzt schon hier sein, doch ich konnte ihn davon überzeugen, daß es besser sei, wenn nicht zuviele Leute gleichzeitig um dich herumspringen", sagte die Heilerin.

"Mein Vater war bei meiner Geburt nicht dabei", erzählte Julius noch einmal, was er früher schon erzählt hatte. "Aber meine Oma väterlicherseits war dabei."

"Manche Männer halten das auch nicht durch", wußte Martine einzustreuen. "Mein Vater war auch froh, daß meine Ma und Oma Ursuline ihm freigegeben haben, als ich endlich auf die große Weltbühne krabbeln wollte."

"Nette Poesie", warf Jeanne lächelnd ein. Julius schwieg. Er wußte nicht, ob und wie er sich noch äußern sollte. Doch Constance fragte ihn, was diese Madame Matine ihm denn alles beigebracht hätte. Julius erzählte, was er so erlebt hatte, wie er auch einmal die Exosenso-Haube aufgesetzt hatte und wie er in der Ersthelferprüfung Barbaras kleine Schwestern hatte wickeln müssen.

"Die waren aber schon gebadet, oder?" Fragte Constance schnell.

"Neh, ich mußte das volle Programm durchziehen. Madame Matine wollte wissen, ob ich das auch unter echten Bedingungen könnte, wenn mir das jemand abverlangte."

"Na toll", meinte Constance, die sich wohl noch nicht an den Gedanken gewöhnt hatte, vollgemachte Windeln anzufassen. "Warum habe ich diesen Blödsinn mitgemacht? Malthus hängt jetzt irgendwo in der Muggelwelt herum und ärgert sich nur, daß ich ihn verpetzt habe."

"In Schottland sol's eine Methode geben, werdende Väter an den Geburtswehen teilhaben zu lassen", wandte Julius ein. "Die werdende Mutter legt ihm ein Stück ihrer häufig getragenen Kleidung auf den Bauch und überträgt ihm damit einen Teil ihrer Schmerzen."

"Was wieder beweist, daß zwischen Magie und Aberglauben doch eine ganze Welt liegt, zwischen Kunst und Wissenschaft auf der einen und Gefasel und Unsinn auf der anderen Seite", bemerkte Madame Rossignol barsch. "Von der unzureichenden Heilkunst der ernsthaften Mediziner ganz zu schweigen."

"Pille McKoy lässt grüßen", dachte Julius, der den vierten Star-Trek-Spielfilm noch gut in Erinnerung hatte, wo die Helden der Enterprise im 20. Jahrhundert waren.

"Ich kenne meine Kollegin Hera Matine gut von der Zeit bei Großheilerin Phoebe Curantout. Hera war immer schon eine Perfektionistin. Sie hat Paracelsus nachgeeifert, der ja auch bei den Muggeln bekannt ist."

"Ja, und genau das dürfte ich meinem Vater nicht auf die Nase binden, Schwester Florence. Abgesehen davon, daß der bestimmt was dagegen hätte, wenn ich von für ihn total fremden Hexen Heilzauber und Hebammenkünste beigebracht kriegte, hält der Theophrastus Bombastus von Hohenheim alias Paracelsus für den ersten rein wissenschaftlich arbeitenden Naturforscher, der den sogenannten Unsinn der Alchemie und Gesundbeterei abgeschafft hat", wußte Julius zu berichten.

"Weil er, also Paracelsus, damals schon erkannt hat, wie gefährlich es ist, Zauberanwendungen von nichtmagischen Menschen machen zu lassen und nichtmagische Heilverfahren ge- und erfunden hat. Ähnliches macht doch auch deine Bekannte Aurora Dawn", entgegnete Schwester Florence. Julius nickte.

Martine betrachtete durch den Einblickspiegel das ungeborene Mädchen.

"Ach, da fliegt aber merkwürdiges schwarzes Zeug um sie herum, wie ausgefallene Haare", sagte sie.

"Nichts anderes ist das", erläuterte Schwester Florence. "Jeder Mensch macht vor der Geburt ja eine Entwicklung vom primitiven Wassertier zum fertigen Säugetier durch, inklusive Haarbildung. Die Körperbehaarung verschwindet aber vor der Geburt und wird beim Trinken des Fruchtwassers in den Verdauungstrakt aufgenommen und als Kindspech ... aber das solltest du eigentlich schon gelernt haben, Mademoiselle Martine."

"Ja, sicher, aber wie das von außen aussieht war mir völlig neu", erwiderte Martine.

"Mit anderen worten, die Kleine trinkt dieses Zeug. Kommt das dann wieder aus ihr raus?" Fragte Constance.

"Auf dem üblichen Wege", erwiderte die Heilerin.

Eine weitere Stunde verstrich, in der Martine noch einmal mit der Exosensohaube in die Empfindungswelt der Ungeborenen hineinschlüpfte. Julius fragte sich derweil, warum er sich Gedanken darüber gemacht hatte, was er hier sollte. Jetzt hatte er Constance mehr als zwei Stunden betreut, sie sogar einmal mit nacktem Unterleib gesehen, als sie sich mal erleichtern mußte und dazu das Nachthemd gelupft und sich schnell auf den bereitgehaltenen Auffangeimer gehockt hatte und sich gefragt, ob er wirklich jemals Heiler werden wollte, wenn er sich um derartige Natürlichkeiten immer so einen Kopf machte.

Als um die Mittagszeit Deborah, Francine und Felicité das Mittagessen brachten, teilte Schwester Florence die Truppe so ein, daß jeder im Sprechzimmer essen konnte und einer bei der werdenden Mutter blieb. Julius ließ sich beim essen Zeit. Er wollte an und für sich nicht alleine mit Constance sein. Doch für zehn Minuten, wo die Mädchen gemeinschaftlich ihre natürlichen Bedürfnisse erleichterten, saß er neben Constance. diese trank einen großen Schluck kohlensäurelosen Mineralwassers und tätschelte sich den Unterleib.

"Und, immer noch Bammel, jetzt hier zu sitzen?" Fragte Constance keineswegs verächtlich oder belustigt klingend. Julius nickte verhalten.

"Nachdem, was ich so über Sitten und Verhaltensvorschriften gehört habe, wollte ich das eigentlich nicht mitmachen. Aber im Moment ist das nicht mehr so wichtig für mich, was mir andere gesagt haben."

"Weißt du, was ich heute morgen gemacht habe, als ich die erste echte Wehe hatte?" Flüsterte Constance. Julius schüttelte den Kopf. "Ich habe mich offen bei allen Entschuldigt, mit denen ich wegen Cythera Streit hatte, vor allem bei Debbie. Professeur Bellart hat mir dann noch alles gute gewünscht und gesagt, daß ich nicht nur die unangenehmen Sachen erleben würde, sondern auch schöne Tage. Ihre Tochter Endora kommt ja nächstes Jahr nach Beauxbato-hoons", sagte Constance und stöhnte unter der nächsten Wehe. Julius sah auf die Uhr und erkannte, daß die Schmerzwellen nun alle dreißig Minuten auftraten, langsam immer schneller aufeinander folgend.

"Ach, das wußte ich nicht, daß sie eine Tochter hat", sagte Julius.

"Sie hat zwei Töchter und zwei Söhne, Julius", hächelte Constance und streichelte ihren runden Bauch. "Also die weiß, was ich jetzt mitmache."

"Nun, ich habe sie ja letzten Sommer in Millemerveilles getroffen. Ich wußte, daß sie verheiratet ist. Natürlich können Lehrer hier ja Kinder haben. Professeur Faucon ist ja die erste gewesen, die ich kennengelernt habe, und zwar durch ihre Tochter."

"Sicher, wissen wir ja. Was ist eigentlich mit Mademoiselle Bin-keine-Hexe? Wollte eure Saalkönigin ihr nicht Sonderunterricht zum Flohpulvern geben?"

"Madame Maxime hatte doch entschieden, daß sie das besser in den Ferien lernen soll, weil Beauxbatons ja nur für bestimmte Besuche die eigenen Kamine freigibt. Ich denke, sie wird entweder von einer Hexe aus Straßburg oder Vorbach unterwiesen, auf Anweisung der Schulleitung."

"Wenn sie nicht zu uns kommt. Céline hat da sowas angedeutet, daß sie Maman noch mal dazu beknien will, sie einzuladen. Wenn's klappt wird sie wohl mit Céline zu Claires Geburtstag reisen. Dann wird sie sich entscheiden müssen, ob sie auf einem Besen fliegt oder Flohpulvert", sagte Constance abschätzig grinsend.

"Falls ihre Eltern nicht doch noch einen Anwalt dazwischenschalten, der jede unerwünschte Betätigung verbieten lässt", gab Julius spitzbübisch grinsend zurück. Constance mußte lachen.

"Ein Muggelanwalt soll Einspruch gegen das Flohpulvern geben? Oh, das wird deine beinahe- Maman, Madame Grandchapeau aber bestimmt nicht so durchgehen lassen."

"Andererseits haben Eltern gemäß Familienstandsrecht Einspruchsrecht, wenn ihre Kinder wen besuchen oder an bestimmten Sachen teilnehmen wollen. Wenn die Hellersdorfs nein sagen, dürfte das schwer sein, Bébé zu bisher unnötigen Sachen zu zwingen."

"Bébé ist gut. Meine Kleine da drinnen", wobei sie ihren Leib streichelte, "hat sich bisher vernünftiger benommen als dieses Mädchen bei euch. Wundere mich immer noch, daß Céline sich damit rumschlägt."

"Weil sie wohl denkt, daß es richtig ist, sich drum zu kümmern", vermutete Julius.

"Ich hätte mich doch nicht wegen einer Totalverweigerin so reinrasseln lassen, vonwegen Strafpunkten und dergleichen. Die hätte ich nur bedauernd angesehen und dann gesagt, daß sie ja sehen würde, was sie davon hat."

"Immerhin macht sie ja die Flugprüfung am Jahresende mit", wandte Julius ein.

"Ja, aber nur weil deine Tandempartnerin von gestern wollte, daß die das noch lernt, bevor sie mit dem Laden hier fertig ist, nicht weil die das so wollte oder weil Céline oder deine Gebieterin sie überzeugt hätten."

"Meine was?" Fragte Julius amüsiert.

"Ach, ich denke, Claire hätte dich sicher und würde dich schon ordentlich beaufsichtigen."

"Ach, und ich dachte schon, du meinst Professeur Faucon oder Goldschweif", erwiderte Julius belustigt.

"Apropos, hat Armadillus sie dir jetzt geschenkt, beziehungsweise erlaubt, daß du ihr gehörst?"

"Blieb ihm nichts anderes übrig, nachdem sie sehr klar gezeigt hat, daß sie für's erste nur bei mir sein will", grinste Julius. "Allerdings möchte er noch haben, daß sie selbst noch ein paar niedliche Knieselkinder kriegt, bevor ich mit Beauxbatons fertig bin und sie mir in die weite Welt hinterherläuft. Aber ich fürchte, dann ist das mit der Muggelwelt sowieso aus und vorbei. Dann muß ich wohl in einer Zauberersiedlung wohnen, weil Kniesel in Muggelsiedlungen nicht erlaubt sind und Goldschweif einen großen Haufen drauf lässt, ob sie bei mir erlaubt ist, wenn ich bei meiner Mutter oder Catherine Brickston bin."

"Wenn du mit Claire zusammenbleibst wird sie dich schon in Millemerveilles unterkriegen. Ihre Maman hätte dich ja wohl gerne adoptiert, sagt Belisama, die das von Seraphine hat."

"Ja, aber dann wären wir formell Geschwister gewesen und hätten uns jeder für sich neue Freunde suchen müssen", wandte Julius verhalten ein. Komisch! Es war ihm unangenehm, sich vorzustellen, daß Claire nicht mehr seine Freundin sein könnte. Dann war seine Empfindung für sie doch schon stärker als er sich es selber eingestehen wollte.

"Ich denke mal, in Millemerveilles laufen auch genug andere Mädchen herum, mit denen du es gut getroffen hättest. Sicher, so wie es bei Walpurgis ausgesehen hat, hat euch der Strom der Zeit zusammengeführt, weil ihr zusammenpasst. Cognito hat uns das als Lebenszeitliche Afinität erklärt, daß es Leute aus unterschiedlichen Orten gibt, die vorher nichts voneinander wußten, aber durch Bande, die aus der Vergangenheit in die Zukunft reichen, irgendwann zusammengeführt werden. Stoßen sie sich ab, so bleibt jeder für sich mit einer Spur aus des anderen Lebens zurück. Ziehen sie sich an, dann verknüpfen sich die zukünftigen Bande zur Wirklichkeit."

"Huch, das klingt aber jetzt eher nach Arithmantik als nach Wahrsagen", wunderte sich Julius.

"Das ist Arithmantik, Julius. Theresias Cognito gibt auch Arithmantik. Sicher, seine Kollegin ist da eher die Theoretikerin und gibt nichts anderes. Aber er kann beides, Wahrsagen und Arithmantik. Das hatten wir am Anfang des Schuljahres, wo ich noch dachte, im Juni die ZAGs zu machen. Hätte ich mal besser auf ihn gehört."

"Ich dachte, daß mit Malthus Lépin wäre wirklich was ernstes gewesen. - Aber es geht mich nichts an, Constance."

"Du sitzt hier bei mir und wartest drauf, daß mir unten ein Kind aus dem Bauch kriecht, das ich von Malthus da reingekriegt habe. Zumindest solltest du wissen, daß ich von dem so nichts wollte. Ich wollte nur einmal ausprobieren, wie sich das anfühlt, weil andere Mädchen das auch schon ausprobiert haben, natürlich nicht hier in dieser hochanständigen Schule. Irgendwie habe ich meinen Rhythmus falsch eingeschätzt."

"Knaus-Ogino ergo sum", hat mein Vater das mal genannt, wenn Frauen sich nur auf ihren Körper verlassen haben und meinten, ihnen könne nichts passieren."

"Weil diese Knaus-Ogino-Methode auch zu haarsträubend ungenau ist, Julius", sagte Madame Rossignol, die von hinten in den kleinen Geburtsraum getreten war.

"Ich sage das allen Mädchen, die hier herkommen und bei denen ich mitkriege, daß ihre Neugier größer als die Vernunft ist. Die meisten haben zwar von ihren Müttern alles erzählt bekommen, was sie tun oder besser lassen sollen. Aber wie es bei Söhnen mit den Vätern, so ist es bei Töchtern mit den Müttern, sogar noch heftiger, daß irgendwann das gesagte nicht mehr so wichtig aussieht oder zumindest für eine Weile vergessen werden kann, wenn es gilt was richtiges zu erleben."

"Ich wollte nicht anzüglich sein", warf Julius ein.

"Habe ich dir auch nicht unterstellt, Julius. Aber was heißt denn der Spruch, den du da deklamiert hast? Ich weiß, daß du die lateinische Sprache zumindest übersetzen lernst."

"Hmm, "sum" heißt "ich bin", den Rest habe ich noch nicht gelernt", sagte Julius peinlich berührt.

""Ergo" heißt "folglich" oder "also", Julius. Dann hast du den sarkastischen Sinn dieses von einem französischen Denker entlehnten und verfälschten Spruches erkannt."

"Wer oder was ist denn dieses Knaus-Ogino?" Fragte Jeanne, die wohl mit ihren eigenen Bedürfnissen fertig war. Julius erzählte was von Empfängnisverhütungsmethoden, unter anderem der, die davon ausging, daß Frauen bei Erreichen der fruchtbaren Phase im Monatszyklus eine geringfügig höhere Körpertemperatur hätten. Maß eine Frau ihre Körpertemperatur jeden Tag, so sollte sie an und für sich erkennen, wann sie sich auf Sex einlassen oder es besser bleiben lassen sollte, je nachdem, ob sie nun ein Kind bekommen oder nicht bekommen wollte.

"Achso", sagte Jeanne. "Das kann ja nicht gehen, wenn die Messmethode nicht korrekt angewendet wird oder durch irgendwelche Sachen der Körperrhythmus verändert wird oder dergleichen oder es wie bei Cleopatra zu Empfängnisverzögerungen kommen kann und so weiter."

"Es ging ja auch für die, die nicht mit Medikamenten oder sonstigen Hilfsmitteln arbeiten wollen oder dürfen, je nach Weltanschauung", sagte Schwester Florence.

So sprach man über Kulturen, wo wie geklärt sei, wie Jungen und Mädchen behandelt und erzogen würden. Julius fragte nach Sachen, die er aus Glorias Buch über Verhaltensregeln bei Hexen und Zauberern gelesen hatte und erzählte, was er aus der Muggelwelt in England so mitbekommen hatte. Zwischendurch überkamen Constance weitere Wehen. Schwester Florence prüfte die Temperatur im Geburtszimmer und schuf eine für Constance annehmbare Wärme. Immerhin hockte sie schon eine Weile so da.

Um fünf Uhr zwei und siebzehn Sekunden kam es dann zum Fruchtwasserabgang, der die endgültige Geburt einleitete. Constance wurde auf den Gebärhocker verfrachtet, Jeanne und Martine halfen ihr dabei, während Schwester Florence das abgegangene Fruchtwasser, das nicht im Auffangeimer angekommen war, mit Zauberkraft fortwischte. Julius hatte nun tatsächlich eine Aufgabe. Während seine Pflegehelferkolleginnen überwachten, wie sich der Leib der Gebärenden langsam öffnete, um das Kind herauszutreiben, hantierte er mit seinem Notizblock, der flotten Schreibefeder und seiner Weltzeituhr, um jede wichtige Angabe festzuhalten. Schwester Florence wollte ein vollständiges Protokoll der Geburt haben. So brauchte Julius nicht so genau hinzusehen, was Jeanne und Martine mit Constance anstellten. Er nam nur die Daten hin und sprach sie an seine Feder weiter. Die hätte zwar auch ohne ihn alles mitgeschrieben. Doch er hielt sie immer fest und diktierte dann korrekte Werte über Abstand der Wehen, Herzschlagfrequenzen oder wie weit sich der Geburtskanal schon geöffnet hatte. Irgendwann kam Sandrine ins Sprechzimmer und rief, daß sie und Francine Abendessen mitgebracht hätten. Julius erhielt den Auftrag, zuerst zu essen, weil er im Moment nicht mehr tun konnte. Jeanne übernahm die Eintragungen.

"Da sind wir wohl gerade in die heiße Phase reingekommen", sagte Francine Delourdes lächelnd, als sie Julius mehrere kleine Warmhaltetöpfe vorsetzte, aus denen er sich was auf die kleinen Teller tun konnte. Er wollte alles, ob Salat, Fleisch, Kartoffeln und Gemüse auf einen Teller tun. Doch Sandrine schüttelte den Kopf.

"Du wirst hier nicht anfangen, eure barbarischen Essgewohnheiten wieder einreißen zu lassen, Julius. Oder ist der Kopf des Babys schon zu sehen?"

"Lass mich doch schnell essen. Das geht alles besser, wenn ich das auf einen Teller ...", begehrte Julius auf. Doch Sandrine war merkwürdig unerbittlich. Francine saß dabei und hörte darauf, was nebenan passierte. Constance stieß schon erste Schmerzensschreie aus, wenn eine heftige Wehe sie überkam. Sandrine saß Julius gegenüber und aß ebenfalls. Offenbar hatten sie den Auftrag von Madame Maxime, den Pflegehelferkollegen beim Essen Gesellschaft zu leisten. Sie sah ihn sehr kritisch an, wenn er meinte, doch zwei Gänge auf einen Teller zu werfen.

"Das macht man hier nicht, Julius. In hogwarts war das wohl die Unsitte, sich von allem was auf einen Teller zu werfen. Aber du hast Zeit."

"Seid ihr euch immer so sicher, daß Sandrine eine von euch ist?" Fragte Julius Francine. Diese grinste.

"Offenbar kommen jetzt die roten Eigenschaften bei ihr durch, die der Teppich kurz vor der Entscheidung noch angezeigt hat. Aber du bist ja außer Gefahr."

"Außer Gefahr?" Fragte Julius. Sandrine sah ihre Kameradin und Saalsprecherin an. Wieder stieß Constance einen Schmerzensschrei aus und verfluchte "diesen Malthus Lépin".

"Hmm, ich sehe mir das mal an", sagte Francine und ging kurz hinüber, blieb aber, weil sie nicht den keimfreien Umhang trug, an der Tür stehen. Sie blickte kurz hinüber und kam dann zurück.

"Hui, sollte man nicht glauben, was ein Frauenleib aushalten muß", seufzte sie. "Na ja, aber wenn's passiert, werde ich's wohl überstehen müssen."

"Schwester Florence, können Sie mir nichts geben, - aaarg - damit das nicht so schlimm ist?!" Rief Constance.

"Kindchen, das hat noch nicht einmal richtig angefangen", warf Madame Rossignol sehr ungehalten ein. "Wir stehen das mit dir durch, bis du und die Kleine euch in die Augen sehen könnt."

"Ich treffe mich nachher noch mit Claire und Céline", sagte Sandrine und räumte Julius' Teller fort. "Was soll oder darf ich denen sagen?"

"Daß Cythera sich auf den Weg gemacht hat", sagte Julius leise.

"Schöner Name für'ne Hexe", bemerkte Francine warmherzig lächelnd.

"Vielleicht wird's ja keine", feixte Julius. Sandrine und Francine grinsten nur verächtlich.

"Die Wahrscheinlichkeit von Squibs aus reinrassigen Zaubererfamilien liegt bei eins zu tausend, von echten Muggeln sogar nur bei eins zu einhunderttausend. Bei mischblütigen Kindern kommen auf fünfhundert Zaubererkinder zwei Squibs und ein Muggel. Soviel zu deinen interessanten Ideen", entgegnete Francine.

Céline und Claire schlichen leise ins Sprechzimmer. Francine sah die beiden Nichtpfflegehelfer sehr durchdringend an. Céline flüsterte nur:

"Wie geht's Connie?"

Schwester Florence kam aus dem Geburtsraum und sah die beiden Mädchen sehr tadelnd an.

"Ihr wißt genau, daß ihr beide hier nichts zu suchen habt, wenn ihr nichts habt, weswegen ihr mich aufsuchen müßt. Also, raus mit euch! Ich verzichte auf Strafpunkte, sofern ihr in einer Minute wieder weg seid."

Claire und Céline gingen mit Sandrine zusammen raus. Francine lächelte.

"Tja, die guten Meldezauber haben sie verraten. Die unterscheiden zwischen Pflegehelfern und Patienten."

"Hätte Claire wissen müssen, daß es sowas gibt", flüsterte Julius und ging zum Waschkessel, um sich Mund und Hände sauber zu waschen. Dann ging er wieder hinein zu Constance, die gerade eine weitere Wehe erlitt. Er sah kurz hin, wie weit sich ihr Unterleib schon geöffnet hatte und schluckte hörbar. Francine hatte recht. Was mußte ein Frauenkörper aushalten können?

"Jeanne, du kannst jetzt was essen, wenn dir danach ist", sagte Julius. Martine war gerade mit einem Zentimetermaß beschäftigt.

"Gut, dein Protokoll ist schon weitergeschrieben. Wenn Schwester Florence dich nicht bei Constance einteilt, kannst du weiternotieren."

"Gute Idee, Jeanne. Julius, komm her und miss die Herzschläge von Mutter und Kind. Deine Armbanduhr ist ein besserer Zeitmesser als die von Jeanne oder Martine", sagte die Heilerin und winkte Julius zu sich. Dieser zögerte erst und sah Constance mit einem bedauernden Blick an. Sie nickte ihm zu. Er ging hinüber, hockte sich hin und hantierte mit einem Hörrohr und zählte eine Viertelminute lang die Herzschläge erst bei der Mutter und dann bei dem Kind.

Martine kniete sich neben ihn, lehnte sich an ihn und hantierte mit ihren messgerätschaften.

"Haben sich Claire und Céline erkundigt, wie es mir geht?" Fragte Constance Julius im Flüsterton. Er nickte. Dann blieb er mit dem Hörrohr über ihrem Bauch und lauschte auf die schnellen Herzschläge des kleinen Mädchens, das die letzte kurze aber langwierige Strecke ins Leben angetreten hatte.

"Also, wenn das mit der Erweiterung so schnell weitergeht kann die Kleine in zwei Stunden spätestens da sein", meinte Martine.

"Was, zwei Stunden?!" Schrie Constance. Julius schrak zurück, weil ihm das in den Ohren weh tat, und Cythera schien das auch zu laut zu finden, weil sie wohl als letzten Gruß ihres Vorlebens um sich schlug.

"Also wenn die noch austeilt, dann ist die noch nicht im Geburtskanal", bemerkte Martine kühl.

Julius mußte sich anstrengen, ein aufsteigendes Unwohlsein nicht zu heftig durchkommen zu lassen. Er dachte die Selbstbeherrschungsformel, die er von seinem Karatelehrer gelernt hatte.

Jeanne kam nach einer Stunde zurück, inzwischen hatte sich Julius wieder an seine Notizen gesetzt und die voranschreitende Geburt in nüchternen Zahlen erfasst.

"Martine, du kannst jetzt essen. Sandrine hat dir neues mitgebracht", sagte sie und übernahm Martines Überwachung von Constances Körper, während Schwester Florence zwischendurch vorsichtig in Constances Leib hineintastete, ob sie bereits was von Cythera fühlen konnte. Constances Schmerzen wurden wohl immer unerträglicher, von Viertelstunde zu Viertelstunde. Sie bettelte immer darum, ein Mittel dagegen zu bekommen. Das einzige, was Schwester Florence ihr gab, war ein Haut- und Muskelentspannendes Mittel, das die Dehnbarkeit der unteren Geschlechtsorgane steigerte. Tatsächlich ließen die Schmerzlaute von Constance nach. Julius schrieb die wichtigen Angaben weiter mit. Dann, so um zehn Uhr abends, zwölf Stunden nach dem Alarm Schwester Florences, begann die eigentliche Geburt, das Austreiben des Kindes.

"Ja, wunderbar, Constance. Nicht so krampfhaft! Du kannst das", hörte der Drittklässler die Heilerin rufen.

"Julius, Jeanne übernimmt jetzt das Mitschreiben. Komm zu uns und sieh dir das an!" Rief Schwester Florence. Er sah hinüber zu Constance, die nun in heftigen Presswehen lag, beziehungsweise auf dem Gebärstuhl hockte.

"Muß das sein?" Fragte er sich selbst. Doch dann siegte die Neugier. Im Fernsehen hatte er das doch schon gesehen, aber nie so richtig. Wenn er hier und jetzt so etwas miterleben konnte, wäre er schön blöd, sich den letzten Akt dieses Wunders der Natur entgehen zu lassen. So ging er hinüber und setzte sich neben die Heilerin auf einen niedrigen Hocker.

"Halt sie einfach warm, Julius. Ich werde das Kind schon holen, auch wenn ich das gerade zweimal im Leben gemacht habe", sagte die Heilhexe. Julius stützte Constance, die immer noch stöhnte und zwischendurch auch schrie, während Schwester Florence vor ihr und Martine auf der anderen Seite beruhigend und Auffordernd auf sie einsprachen.

"Ouuu, was macht die da drinnen?!" Rief Constance unter Tränen.

"Die überlegt sich, was sie anziehen soll. Ist ja schließlich 'n Mädchen", feixte Martine. Constance wollte ihr dafür wohl in die Nase oder sonstwo hin kneifen. Doch Martine hielt sie sicher am Arm.

"Mußte das jetzt sein, Martine?" Fragte Schwester Florence. Sie tastete gerade wieder nach dem bald erscheinenden Kopf des Babys. "Wenn ich sie bei der taktilen Untersuchung verletze, weil sie unkontrollierte Bewegungen macht ... Aber lassen wir das!"

"Wie weit ist sie denn?" Fragte Julius, der nun sehr genau sah, was sich unterhalb von Constances Bauchnabel abspielte. Er sah, wie die Vorwölbung langsam nach unten glitt, wie immer weitere Tropfen des Fruchtwassers ausflossen.

"Auf halbem Weg. Junge Erstgebärende haben eine sehr starre Gebärmutter. Das muß sich alles erst einspielen, Julius."

"Was sie nicht sagen", stöhnte Constance. Dann erfuhr sie die nächste Presswehe und wurde von Schwester florence angehalten, was sie zu tun hatte.

"Versuch mal zwischen den Pressungen folgendes", flüsterte Julius Constance ins Ohr und betete ihr seine Selbstbeherrschungstechnik runter, allerdings mit dem Zusatz:

"Wenn es mir weh tut, dann freue ich mich. Denn da kommt mein Kind."

Constance betete die Formel erst leise, dann unter weiteren Schmerzlauten immer lauter her. Zwischendurch mußte sie atmen, pressen und atmen, stück für Stück einer kleinen Hexe auf dem Weg in die Welt voranhelfen.

Die Heilerin holte mit dem Accio-Zauber den großen Waschkessel zu sich und befahl jeder und jedem in der Truppe, sich noch einmal die Hände zu waschen. Dann tunkte sie vier große Tücher in die keimfreie Flüssigkeit und legte sie zurecht.

"So, jede und jeder von euch fühlt sich das jetzt an, wie weit das Kind ist!" Befahl Schwester Florence und nahm Julius' freie Hand. Constance zuckte zwar erst zusammen, lächelte dann aber.

"Du mußt das lernen, wie das ist, Julius", flüsterte sie und betete leise seine Entspannungs- und Selbstbeherrschungsformeln herunter. Julius ließ sich gefallen, wie Schwester Florences vom Fruchtwasser benetzte Hand seine Hand vorsichtig in den Schoß der Gebärenden einführte und wie er bald auf einen relativ harten runden, pelzigen Widerstand traf. Er dachte erst an eine mit Honig oder anderem zähflüssigen Zeug überzogene Kiwi, bis er das sachte Pulsieren fühlte. Schwwester Florence ließ seine Hand los. Er ließ sie für zehn Sekunden im Unterleib Constances und fühlte, wie sich das runde Etwas, der Kopf des Kindes, immer weiter nach unten schob. Dann zog er vorsichtig die Hand zurück und betrachtete sie mit einem Ausdruck von Ekel und Faszination. Jeanne kam sofort mit einem großen nassen Tuch, mit dem er sich die Hand reinigte, während Jeanne vorsichtig den langsam herausgleitenden Kopf Cytheras ertastete.

"Das hat meine Mutter mich nicht machen lassen als Denise kam", sagte sie fasziniert und sah Julius mit einem War-doch-nicht-so-schlimm-Blick an. Sie holte sich ein eigenes feuchtes Waschtuch und reinigte ihre Hand.

"Wie spät ist es?" Fragte Schwester Florence. Julius sah auf seine Armbanduhr, die unbeschmutzt vom Schleim und Fruchtwasser geblieben war.

"Dreiundzwanzig Uhr, zwölf Minuten und jetzt zweiunddreißig Sekunden", sagte er. Seine Flotte-Schreibe-Feder kratzte eifrig auf einer weiteren Seite des Notizbuches.

"Dann wird das Kind um genau zwei Minuten nach Mitternacht vollständig den Mutterleib verlassen haben", legte sich die Heilerin fest.

"Plusminus?" Fragte Julius.

"Plusminus fünf Minuten", räumte Schwester Florence ein, während Constance unter der nächsten Presswehe aufschrie.

"Das Mittel lässt nach", jammerte sie. "Bitte tun Sie mir noch etwas davon rein, bitte!

"Das hältst du jetzt aus", stellte die schuleigene Heilerin von Beauxbatons klar. Julius schwante, daß die heilkundliche Hexe wollte, daß Constance durch die Geburtsschmerzen eine besonders innige Beziehung zu ihrem Kind bekam. Er hatte das von seiner Mutter schon zu hören gekriegt, daß Väter diese innige Verbindung nie so recht nachvollziehen könnten. Ja, es war ja erst in den Osterferien gewesen, wo sie ihm gesagt hatte, daß sie weiterhin an seinem Leben teilnehmen wollte, nach den Strapazen, die er und sie bei der Geburt geteilt hatten. Jetzt verstand er, was sie damit meinte. Zumindest verfluchte Constance das sich in die Welt zwengende Kind nicht mehr. Sie sang Julius' Beherrschungsformeln herunter, schaffte es sogar, damit eine heftige Wehe förmlich zu versingen. Schwester Florence sah Julius an, ohne ein Wort zu sagen. Er war nun hellwach, nahm mit allen Sinnen wahr, was geschah. Die Heilerin kniete sich vor Constance, die Julius' Formel sang:

"Wenn es mir weh tut, freue ich mich. Denn mein Kind ... mein Kind kommt zu mi-hir!"

"Ich wußte, daß diese Technik genial ist, Julius. Aber das sie universell einsetzbar ist ist faszinierend", lobte Jeanne Julius. Dieser errötete.

"So, die Herrschaften, die neue Erdenbürgerin präsentiert uns einen schönen schwarzen Schopf. Seht euch das an. Wem übel wird, der kann den Eimer benutzen", sagte Schwester Florence. Julius, diesmal nicht gehemmt oder angeekelt, hockte sich hin und sah konzentriert zwischen die gespreizten Beine der Junghexe. Er nahm einen völlig fremden Geruch war, etwas, das er nicht zuordnen konnte. Es war nicht so, wie er es in den vier Tagen als Mädchen gerochen hatte, wenn er sich leicht verschämt den ihm fremden Unterleib angefasst und berochen hatte. Er sah wirklich schwarze Locken, licht auf einem stark geröteten runden Oberkopf, dessen Gesicht noch im Schoß seiner Mutter verborgen war.

"Was mag sie jetzt mitkriegen?" Fragte Julius laut. "Ist ihr das unangenehm oder nur fremd?"

"Sag es uns", sagte Schwester Florence und zog ihm vorsichtig die Exosensohaube über den Kopf. Für wenige Sekunden trieb er im Dunkeln, um dann wie in einem mörderischen Klammergriff zu stecken. ER hörte Constances Herzschlag und den seinen, der wild wie eines der lauten Techno-Titel hämmerte, fühlte zwar starken Schmerz, aber auch etwas wie einen Rausch, wie er das einmal erlebt hatte, als er aus dem Fenster gefallen war und der Schmerz endlich nachgelassen hatte. Der Klammergriff wurde nicht weniger. Doch er fühlte keinen Drang, Luft zu holen. Nach einer Viertelminute kehrten seine Sinne in seinen eigenen Körper zurück.

"Ui, das ist ja heftig. Aber irgendwie hat das Kind wohl eine Art Glücksgefühl. Wie kommt sowas?" Fragte Julius.

"Das ist die Belohnung von Mutter Natur dafür, das du es ins Leben wagst", philosophierte Schwester Florence. "Der Körper hat eigene Mittel, um schwere Belastungen zu verarbeiten. Bei Mutter und Kind werden diese Mittel unter der Geburt besonders stark frei."

"Ach ja, und warum kriege ich davon nichts mit?" Fragte Constance.

"Sicher kriegst du davon was mit", stellte die Heilerin kategorisch fest. "Sonst wärest du jetzt nicht so entspannt, obwohl du große Schmerzen hast. Weiterpressen!"

Constance befolgte die Anweisungen ihrer Geburtshelferin, wobei sie zwischendurch Julius' zugeflüsterte Formeln sang. Sie achteten nicht auf die Zeit. Erst als der Kopf des Babys ganz zum Vorschein gekommen war, fragte Madame Rossignol nach der Uhrzeit. Julius las seine Armbanduhr ab und sagte:

"Der Kopf erschien um drei Minuten und sechzehn Sekunden nach Mitternacht.

Was nun folgte, dauerte keine zehn Minuten mehr. Denn nach dem Kopf, dem größten Körperteil des Babys, rutschte sein restlicher Körper in jeder Sekunde um einen halben Zentimeter heraus. Dann, nachdem Constance unter Aufbietung ihrer ganzen Kraft noch einmal gepresst hatte, kamen Beine und Füße frei. Julius sah etwas Blut und einen schmierigen Überzug auf der Haut des Kindes. Die Nabelschnur pulsierte im Takt des mütterlichen Herzschlags, der in den letzten Stunden stetig gestiegen war, um die Anstrengung zu verarbeiten. Nun klaffte der Schoß der vor wenigen Sekunden zur Mutter gewordenen Junghexe wie eine große runde Tür, durch die niemand mehr hinauswollte und keiner zumachen wollte. Martine und Jeanne banden die Nabelschnur ab, und Julius durfte sie mit einer silbernen Schere am Bauchdes Kindes und knapp vor der Geburtsöffnung durchtrennen, während Schwester Florence das Kind mit sicherem Griff an Körper und Kopf hielt.

"Vollendung der Geburt um genau null Uhr sechs Minuten und sieben Sekunden des sechzehnten Mai Neunzehnhundertsechsundneunzig!" Rief Julius, ohne das er darum gebeten worden wäre. Die Flotte-Schreibe-Feder schrieb dieses weltbewegende Datum nieder und hielt es fest. Gleichzeitig gab Madame Rossignol der gerade erst geborenen Erdenbürgerin einen kräftigen Klaps auf den Po. Diese schrak heftig zusammen, dann röchelte sie eine Zehntelsekunde, hustete kräftig und schrie dann lange und mit kräftiger hoher Stimme. Die flotte Schreibefeder kratzte auf dem Pergament. Julius wunderte sich, ob dieses praktische Mitschreibeinstrument tatsächlich den Urschrei Cytheras irgendwie als Wort oder erkennbaren Laut niederschreiben würde.

"Sollen wir noch hier warten, bis die Placenta austritt?" Fragte Julius, der von Madame Matine über die Theorie soviel erfahren hatte, daß er wußte, daß der nährende Mutterkuchen, der das Kind mit seiner Lebensspenderin verbunden hatte, noch aus dem Schoß herausgetrieben werden mußte.

"Natürlich, Julius. Das gehört dazu", sagte Schwester Florence. "Innerhalb der nächsten Halben Stunde dürfte es passieren, daß dem Körper signalisiert wird, daß das Hilfsorgan nicht mehr benötigt wird. Das kann wenige Minuten oder eben etwas über eine halbe Stunde dauern. Das hängt vom Körper der Mutter selbst ab. Wenn sich der Uterus wieder zusammenzieht, wird die Placenta auf jeden Fall ausgetrieben, wie ein X-beliebiger Fremdkörper."

Das kleine Mädchen, das nun jeder ohne Einblickspiegel als solches erkennen konnte, schrie und quängelte wie wild. Julius, der sich unvermittelt an das Infanticorpore-Experiment bei Professeur Faucon erinnerte, stellte sich nun vor, wie sie alles um sich herum wie durch dicken grauen Nebel sehen und alle Geräusche überlaut hören würde. Ihr würde natürlich auch jetzt sehr kalt sein, weil sie bislang in einer ständig auf 36,5 Grad warmen Flüssigkeit gelegen hatte und die Luft ihre feuchte Haut noch schneller abkühlte als wenn sie knochentrocken zur Welt gekommen wäre. Julius dachte an die jungen Väter, von denen viele dieses Erlebnis nicht ohne Übelkeit oder Ohnmachtsanfälle durchstanden. Vielleicht, so fiel es ihm jedoch ein, lag es aber auch nur daran, daß sie in allen Gefühlen herumgewirbelt wurden, zwischen Angst und Freude, Aufregung und Bedenken, Hektik und Verärgerung, wenn etwas nicht so lief, wie sie wollten. Hatte er hier und über die nun als zwei getrennte Tage verstrichene Zeit erlebt, wie es körperlich von Statten ging, ein Kind zur Welt zu bringen, würde er wohl noch Jahre warten müssen, bis er auch die Gefühle wahrnehmen durfte, die ein werdender Vater erlebte. Alles in allem war er, von Cythera abgesehen, der jüngste von allen hier im Raum. Wann bekam ein bald vierzehnjähriger Junge eine natürliche Geburt mit, ohne Fernseher oder Kino? Er hatte hier und jetzt was erlebt, was nicht jeder seines Alters miterleben konnte. Er wußte nun etwas, das andere Jungen nicht so schnell wissen würden oder vielleicht nie wissen wollten, wie der ganz große Junge, der sein Vater war.

Das ganz kleine Mädchen schrie sich allen Ärger, den es während der wenigen eigenen Atemzüge seines Lebens erfahren hatte hinaus in die Welt, die bisher nur aus einem Einzelbettzimmer in einem Trakt für kranke Schüler in einer in sich geschlossenen Akademie für eine für den Großteil der Welt verborgenen Gemeinschaft besonderer Menschen bestand. Doch diese Welt war kalt, hell, laut und hatte nicht diesen gewohnten Rhythmus eines großen Herzens, das wie eine beruhigende Trommel über ihm erklungen war, ihm Schlag für Schlag den Weg in dieses Leben vorgegeben hatte.

"Schreibt diese Feder noch mit?" Flüsterte Constance Julius zu. Er sah hinüber. Die Feder stand zitternd auf der Seite, beinahe am unteren Rand. Wohl vier Zeilen würde sie noch schaffen können, bevor jemand das Blatt wenden mußte.

"Sie ist in Bereitschaft", murmelte Julius.

"Schwester Florence, darf ich sie haben?" Fragte sie die Heilerin. Diese nickte kurz, sagte dann aber:

"Ich nehme erst alle Geburtsmaße, dann darfst du sie haben." Sie trug das winzige Bündel Leben hinüber zu einer Waage, legte es behutsam darauf und sprach laut: "Dreitausendachthundertundzweiundsechzig Gramm genau!" Die Flotte Feder von Julius schrieb das eifrig nieder. Zumindest war er sich sicher, daß sie das niederschrieb.

"Kopfdurchmesser: elfeinhalb Zentimeter", verkündete die Heilerin, nach dem sie mit einem Zentimetermaß den großen, weichen Lockenkopf vermessen hatte.

"Länge: fünfzig und ein halber Zentimeter! Geschlecht: Weiblich."

"Das wäre jetzt auch noch der Knaller des Jahrtausends geworden", dachte Julius. Dann sah er, wie die Feder am unteren Rand die letzte Zeile hinschrieb und sich am Ende still aber aufrecht hinstellte.

"Blätter um!" Bat Constance, während Madame Rossignol ihr keimfrei gehaltenes Nachthemd lüftete und ihre prallen Brüste freilegte. Julius sah schnell weg und hastete zum Notizblock. Er blätterte noch nicht um. Er sah erst, was die Feder nach seiner genauen Zeitangabe aufgeschrieben hatte und lachte. Weil alle wissen wollten, was es zu lachen gab las er laut vor:

"Vollendung der Geburt um genau null Uhr sechs Minuten und sieben Sekunden des sechzehnten Mai Neunzehnhundertsechsundneunzig! Langgezogener Schrei eines neugeborenen Mädchens mit kräftiger Stimme. Das Ding ist einfach genial!""

"Ach, dann hat diese Feder den Urschrei tatsächlich interpretiert, und zwar so, wie es stimmt?" Fragte Madame Rossignol.

"Öhm, aber voll, Schwester Florence. Hmm, wäre mal ein interessantes Experiment, ob diese Feder eventuell Babylaute gefühlsmäßig interpretiert."

"Du meinst, die Feder könnte schreiben: "Cythera schreit: "Maman, Hunger!" oder "Maman, bin nass!"?" Fragte Jeanne amüsiert, bevor ihr klar wurde, wie interessant das wäre.

"Das denke ich nicht", sagte Madame Rossignol. "Denn wenn das ginge, hätte sie sicher geschrieben: "Aua, wurde verhauen!""

Alle lachten darüber. Offenbar hatte diese sonst so strenge Heilhexe etwas wie Humor in ihrem Angebot.

"Ist ja auch fies. Kaum bist du aus diesem Schraubstock raus in einer total blöden, kalten und lauten Umgebung, da kommt schon wer und haut dir eins hinten drauf", setzte Julius noch einen drauf. "Das Leben ist wirklich zum schreien." Wieder lachten alle. Dann räusperte sich Constance, während ihr Töchterchen bereits mit dem kleinen Mund nach einer freien Brustwarze suchte und sich daran festsaugte.

"Bitte blättere jetzt um, Julius! Ich möchte für dieses Protokoll das Recht der Mutter auf die Namensgebung festhalten, wenn der Vater schon nicht dabei ist."

"Bei Mädchen ist das Namensrecht immer bei der Mutter", belehrte Martine die etwas jüngere Mitschülerin. Jeanne nickte.

Julius blätterte um und setzte die Feder neu an.

"Klar, Constance!" Meldete er, während er die Feder kurz festhielt.

"Ich, Constance Mylene Dornier, Tochter von Margot Adeline Dornier geborene Chevallier, nenne dich, meine tochter, Cythera, Florence, Camille, Hippolyte Martha Dornier und hoffe, daß du nun, wo ich dich in meinen Armen habe und nicht mehr im Bauch, besser mit dir leben werde und du mir alles verzeihst, was ich vor deiner Ankunft über dich gesagt oder gedacht habe."

Die Feder schrieb das wortwörtlich hin. Julius nickte der jungen Mutter zu. Sie lächelte.

"Moment mal, wieso hast du der Kleinen noch den Namen meiner Mutter mitgegeben?" Flüsterte er, als er wieder bei Célines Schwester war. Diese lächelte wieder.

"Ich habe es mir so ausgesucht, daß sie, wenn ich sie schon einmal hier in Beauxbatons kriegen soll, nach den Frauen benenne, die für ihre Ankunft verantwortlich sind. Sicher hätte ich sie auch Jeanne und Martine nennen können. Aber ich wollte eure Mütter ehren, von denen ich ja den Vornamen mitbekommen habe. Bei Schwester Florence wußte ich ja nicht, wer ihre Mutter war."

"Ich denke, Dolores wäre auch bei dieser Auswahl von Vornamen deplaciert gewesen", lächelte Schwester Florence. Julius schluckte. Dann mußte er über sich selbst schmunzeln. Sein Name war alles andere als einmalig. Warum sollte dann der Name Dolores so selten sein, nur weil Kevins und Glorias derzeitige Schulleiterin so hieß? Martine sah Constance an und sagte leise:

"Dir ist ja wohl klar, daß du mit deiner Namensauswahl einen Krieg zwischen Jeannes und meiner Mutter um die Patenschaft auslösen könntest, oder?"

"Denke ich nicht", sagte Jeanne. "Da der Vorname meiner Mutter ja zuerst genannt wurde, ist ja klar, daß sie die Patin wird. Außerdem wäre die kleine Cythera Florence Camille Hippolyte Martha Dornier in Millemerveilles besser dran als in Paris."

"Da geht's schon los", wandte Martine ein. "Da meine Eltern mit Cytheras Großeltern verwandt sind, müßten die eigentlich die Patenschaft zuerkannt kriegen. Oder was meinst du, Julius?"

"Eigentlich müßte ich sagen, daß ihr mich aus der Kiste rauslassen solltet. Aber da Constance meine Mutter auch noch erwähnt hat sage ich nur: Meine Mutter darf ja nicht die Patin einer Hexe sein, so zumindest das Familienstandsgesetz für Zauberer. Wir dürfen ja noch nicht einmal Goldschweif haben. Aber nur für den Fall, daß sich eure Mütter drum zanken sollten, wer jetzt die Patin ist, sollten sie sich erst mit den Großeltern auseinandersetzen."

"Im Patenschaftsstatut des Familienstandsgesetzes für die Zaubererwelt heißt es nicht, daß nur einer oder eine die Patenschaft über ein Kind übernehmen muß. Außerdem wird diese erst akut, wenn beide Eltern des Kindes sterben, und ich denke, an dem Punkt hört der Spaß sicher auf", sprach Schwester Florence ein Machtwort.

Julius wandte seinen Blick von Constance ab, um nicht auf ihren entblößten Körper zu starren. Nachher mußte er Mutter und Tochter noch heiraten, weil er sie nackt gesehen hatte, und zwar beide. Obwohl, bei Kindern unter fünf entfiel das ja.

"Da haben Sie recht, Schwester Florence", sagte Constance. "Ich habe zwar zwischendurch gedacht, ich müßte sterben. Aber jetzt geht's mir irgendwie merkwürdig gut .. Oh, ich glaube, da will noch was raus."

Schwester Florence war sofort zur Stelle und griff beherzt in den Unterleib der jungen Hexe, sie zog an etwas, das ekelhaft schmatzend und spritzend aus ihr herausglitt, ein roter flacher Klumpen Fleisch, gefolgt von etwas frischem Blut.

"Ich gebe dier sofort was blutstillendes, damit du die Nacht gut schlafen kannst", sagte die Heilerin, während sie allen die ausgetretene Nachgeburt, den vorher so wichtigen Gebärmutterkuchen noch einmal gezeigt hatte. Dann warf sie das blutige Stück wertlosen Fleischs in einen Müllschlucker, in dem allerlei Ausscheidungen von Patienten verschwanden, die nicht auf die Toilette gehen konnten.

"Muß sie noch etwas gegen Krankheiten oder sowas nehmen?" Fragte Julius vorsichtig.

"Also, die Keimfreispülung war erstklassig angesetzt. Die habe ich vorgestern noch mit heftigem Unrat getestet und unter dem Vergrößerungsglas keine Erreger mehr gefunden. Aber ich werde deinen Unterleib mit einer besonderen Spülung noch einmal säubern, um jede Gefahr von Blutungen oder Kindbettfiebrigkeit zu unterbinden, Constance. Bei dem Prozess brauche ich euch drei dann nicht mehr. Ich möchte euch allen dreien sehr herzlich danken, daß ihr das mit mir durch- und ausgestanden habt. Die Nacht bleibt ihr hier bei mir, weil ich möchte, daß eure Kameraden ruhig schlafen können. Ich kann mir das zwar vorstellen, daß Mademoiselle Céline Dornier nicht schlafen kann, aber darauf werde ich mich nicht verlassen." Nebenan im Hauptschlafsaal habe ich einen Wandschirm aufgestellt, der deine Seite von der der Damen Dusoleil und Latierre trennt. Ich habe Pyjamas rausgelegt, die euch passen. Immerhin war mir klar, daß ihr möglicherweise Nachtschicht einlegen müßt. Constance und Cythera bleiben hier. Ich habe mir von ihren Eltern eine Wiege und Erstlingskleidung schicken lassen."

"Ist das nicht gefährlich, einen fast ausgewachsenen jungen Mann und zwei junge Frauen in ein großes Zimmer zu legen?" Fragte Martine hintergründig lächelnd. Schwester Florence antwortete nicht. Sie stand auf, ging ganz ruhig hinüber in das Zimmer, wo sie immer die Pflegehelferkonferenzen abhielten und deutete auf ein großes Regal mit Nachtgeschirr. "Ich ziehe meine Frage zurück", sagte Martine. Alle sahen sich merkwürdig an. Nur Constance verstand die Geste nicht, und von den Pflegehelfern wollte es ihr bestimmt auch keiner erklären.

"Noch was: Professeur Faucon und Professeur Fixus haben euch für volle vierundzwanzig Stunden freigestellt. Da jedoch aber dann schon eine Stunde angefangen haben wird, müßt ihr erst zur dritten Doppelstunde in den Unterricht zurückkehren, aber dann pünktlich. Ihr könnt also zwei Stunden länger schlafen. Ich wecke euch um acht auf."

Die drei Pflegehelfer verabschiedeten sich von Constance, die sich noch einmal recht herzlich bedankte. Madame Rossignol führte die zwei Hexen und den Zauberer in den Hauptschlafsaal und wies ihnen die Betten an, wo Pyjamas in der richtigen Größe bereitlagen, zwei in Rosarot und einer in Himmelblau.

"Jungs und Mädchen", dachte Julius. Die Heilerin stellte jeder und jedem einen Nachttopf mit Deckel zurecht, wenn ein gewisses Drängen aufkam. Dann sagte sie noch:

"Das habe ich vergessen: jede und jeder von euch erhält für diese außergewöhnliche und bis auf vernachlässigbare sprachliche Entgleisungen ganze zweihundert Bonuspunkte. Mademoiselle Dornier bekommt dieselbe Punktzahl, weil sie sich der Aufgabe letztendlich mit der Vernunft einer bald erwachsenen Frau gestellt und sie bestanden hat. Also schlaft gut!"

Julius fiel sofort in tiefen Schlaf. Er hörte das Kichern und Tuscheln der beiden Junghexen jenseits des Wandschirms nur für eine Minute. Dann glitt er in den überfälligen Schlummer.

Er träumte von seinem Infanticorpore-Experiment, von der halbgelungenen Körpervertauschung zwischen ihm und Belle und von Goldschweif, die auf seinen Knien lag und schnurrte: "Schön machst du das mit mir. Ich mag dich."

__________

Zwar wollte Schwester Florence die drei erst um acht Uhr wecken, doch Julius war schon um sechs Uhr wach und merkwürdig gut ausgeruht. Lag das an dem Krankenbett? Er überlegte und stellte fest, daß er in diesem Bett vier volle Nächte geschlafen hatte. Das war aber anders gelaufen damals, wo im Bett nebenan Belle Grandchapeau gelegen hatte. Er sah auf den Wandschirm. Er dachte an Moody, den Lehrer mit dem absoluten Durchblickauge und ahmte dessen knurrige Stimme nach:

"Ihr könntet echt etwas abnehmen, Mädchen."

"Auch dir einen guten Morgen, Julius", lachte Jeanne. Dann sagte sie noch:

"Martine und ich sind schon seit halb sechs wach, wollten aber nicht aufstehen. Wir haben uns per Zauberfadenschrift verständigt, um dich nicht zu wecken."

"Wie kommst du eigentlich darauf, daß wir abnehmen müßten, Julius? Ich könnte mich nicht dran erinnern, daß ich mal zuviel gewogen hätte", sagte Martine.

"Hast du nicht seine Stimme gehört. Das war eine nicht schlechte Nachahmung dieses irren Moody. Der hatte oder hat ein magisches Kunstauge, mit dem er in totaler Dunkelheit und durch feste Hindernisse sehen und lesen kann. Es ist frei drehbar und kann daher einen vollständigen Rundblick durch Wände, Decken und Böden bringen. Sogar durch Tarnumhänge, wie ich mal gehört habe", sagte Jeanne.

"Ach, von dem hat César ja erzählt. Wenn ich mir vorstelle, daß der jungen Hexen durch die Kleidung sehen konnte, hätte der die erste, bei der er das gemacht hat sofort heiraten müssen, wenn wir uns an die Regeln halten."

"Ja, aber in England gilt das doch nicht, Martine", erwiderte Jeanne. Julius hörte, wie sie aufstand und wohl überschüssiges Wasser abließ, um dann damit zum Ausguss für unverdauuliches zu gehen.

"hast du wieder was interessantes geträumt, Julius?" Fragte Martine.

"Nur von dem Infanticorpore-Experiment und Goldschweif", sagte Julius schnell, der ahnte, worauf Martine anspielte.

"Schade, sonst hätte ich dir gesagt, daß es kein Traum war", hörte er Martine grinsen. Jeanne, die gerade wieder zurückkam sagte:

"Mutter und Tochter Dornier schlafen beide wie Babys. Schwester Florence fragt, ob unser Hahn im Korb auch wirklich wach genug ist."

"Kickeriki!" Kam es von Julius zurück. Irgendwie fand er das jetzt spannend. Er lag nur durch eine Trennwand aus Pappe von zwei nicht zu verachtenden Frauenzimmern getrennt, die eine groß, athletisch, mit rotblonder Mähne, die andere gut genährt, nicht zu dünn und nicht zu dick, vollbusig mit orientalischem Hautton und sanft gewelltem Haar, schwarz wie die Nacht. Doch beide hatten auch schon starke große Freunde, von denen er einen mittlerweile gerne weit weck wünschte und sich mit dem anderen bestimmt nicht anlegen wollte, zumal er es dann ja mit der Schwester der exotisch getönten Hexe zu tun bekäme, die sich zurecht betrogen fühlen würde. Sein jungenhafter Humor und seine Phantasie waren wieder da. Er freute sich, daß er trotz des so eindrucksvollen Erlebnisses von gestern noch derselbe war.

"Wenn du also wach genug bist, dann erledige deine morgentlichen Verrichtungen! Wir gehen dann nach dir ins Bad", sagte Jeanne. Er glaubte wieder, jenen Große-Schwester-Instinkt bei ihr zu erleben, mit dem sie ihn in Hogwarts und auch in Millemerveilles oft am zarten Gängelband geführt hatte. Er stand auf, gab ebenfalls eine Wasserspende für die Sickergrube ab und zog sich ins Bad zurück, wo er sich wusch und anzog. Als er sich im Spiegel betrachtete fielen ihm zwei Dinge auf:

An seinem Kinn blühte ein kleiner aber nicht zu unterschätzender Pickel auf. über seiner Oberlippe sprossen zwei hauchdünne blonde Haare. Tja, das mit dem fast ausgewachsenen Mann mußte wohl stimmen, nachdem er schon andere Zeichen seines Körpers bekommen hatte, daß er nicht mehr länger als Junge bezeichnet werden würde.

"Jeanne, ich fürchte, mein Körper hat das von gestern zu ernst genommen. Ich meine, es ist nichts passiert. Ich stelle nur gerade was fest", flüsterte Julius Jeanne zu. Diese nickte.

"Hat mir Claire schon erzählt, daß du bald die Kosmetik für junge Männer benutzen darfst", flüsterte sie und zupfte wie im Vorbeigehen eines der hauchzarten Pionierhaare aus Julius' Oberlippe. "Ihr Jungs guckt eben nicht so häufig in einen Spiegel. Ach, und gegen die anderen Sachen haben wir ja was hier, wenn es richtig losgeht", sagte sie und deutete auf den aufkeimenden Eiterpustel.

"Im Zweifelsfall zwei kräftige gelenkige Fingerspitzen", flüsterte Julius, während Martine singend unter der Dusche stand und Jeanne im Morgenrock ihren Körper züchtig verhüllt trug.

"Untersteh dich, diesen Muggelselbstverstümmelungskram zu übernehmen! So machst du dir nur die Haut kaputt oder sähst neue Unfeinheiten. Aber du hast ja bald Geburtstag."

"In zwei Monaten, Jeanne", lachte Julius. Sie lachte auch.

"Tja, bis dahin hast du es erst auch nötig."

Beim Frühstück in Schwester Florences Büro beschlossen die Pflegehelfer, eine schulweite Geburtenanzeige zu machen. Als Constance noch zu ihnen stieß, das Baby in rosarotem Strampler und mit gut gepolstertem Po, nickte sie, als sie davon hörte. So holten die Pflegehelfer ein großes Stück Pappe und schrieben mit von Jeanne organisierter Farbe darauf:

"Hallo, hochgeschätzte Lehrerinnen und Lehrer, geehrtes Personal von Beauxbatons und ihr Schülerinnen und Schüler!

Ich möchte euch mitteilen, daß ich, Cythera Florence Camille Hippolyte Martha Dornier, derzeitig 50,5 cm groß und 3862 g schwer, in dieser Nacht um 00.06.07 Uhr nach einer anstrengenden Reise von mehr als 14 Stunden angekommen bin. Die Zeit, die ich unterwegs war, konnte ich Sie und euch sprechen und lachen hören. Ich freue mich schon darauf, Sie und euch alle nun auch richtig sehen zu können und Sie und ihr mich auch endlich hören könnt. meine Maman, Constance Mylene Dornier, hat mir aber schon gesagt, daß ich nicht im Unterricht laut werden darf. Gut, das weiß ich ja schon, weil ich das ja lange genug vorher schon gelernt habe.

Ich hoffe, Sie mögen mich gerne und ihr seid alle nett zu mir und meiner Maman.

Ich bedanke mich bei allen, die mir geholfen haben, sicher anzukommen und bedanke mich bei meiner Maman, daß sie es nun, wo sie mich endlich in die Arme nehmen konnte, es noch viele schöne Jahre mit mir aushalten wird."

Schwester Florence betrachtete die in rosarot gehaltene große Schrift, nickte lächelnd und vervielfältigte mit dem Multiplicus-Zauber die Anzeige. Dann behexte sie die großen, runden Buchstaben so, daß sie fröhlich auf dem Pergament hin- und hertanzten. So entstanden zehn Kopien der Ankündigung.

"Ich denke, das können wir so stehen lassen. Immerhin sagt ihr hier ja, daß Cythera nicht im Unterricht schreien wird. Ich gehe sowieso davon aus, daß Constance eine volle Woche hier bei mir bleibt", sagte Schwester Florence.

"In Ordnung, wie verteilen wir das?" Fragte Julius.

"Eins für jeden Saal. Eins für den Speisesaal, wo sie's heute mittag lesen werden und die restlichen drei an den wichtigen Abzweigungen", legte Martine fest.

Als sie nach Unterrichtsbeginn die fröhliche Geburtsanzeige so verteilt hatten, wobei Schwester Florence in die vier Säle ging, die nicht von den drei Pflegehelfern bewohnt wurden, fragte Julius sie, ob sie erst in der dritten Stunde im Unterricht sein mußten oder sein durften.

"Also die Freistellung gilt bis zur dritten Stunde. Das heißt aber nicht, daß ihr sie voll ausnutzen müßt", sagte Schwester Florence. "Ihr dürft halt nur nicht in den laufenden Unterricht reinplatzen."

"Ach, dann kann ich noch zu Zaubertränke voll hingehen", sagte Julius. Die beiden Mädchen lachten.

"Doppelstunde, nicht wahr?" Fragte Martine. Julius nickte.

"Er will wohl bei meiner kleinen Schwester sein", sagte die Saalsprecherin der Roten.

"Das träumst du aber nur nachts. Der will gerne bei meiner kleinen Schwester sein", widersprach Jeanne amüsiert.

"Neh, ich will bei Professeur Fixus sein, die zeigt uns heute nämlich den Aufmunterungstrank Nummer neun, der besonders tolle Stimmung macht", sagte Julius. Die beiden Mädchen lachten. Sie sahen noch einmal nach Constance und Cythera. Das Hexenbaby lag in seiner Wiege direkt neben dem Wochenbett seiner Mutter und gluckste unverständlich.

"Also am Anfang sehen die alle komisch aus", flüsterte Martine, als sie wieder aus dem Ruhezimmer getreten waren. Julius mußte dem zustimmen. "Aber dann werden die richtig niedlich."

"Solange sie satt und sauber sind", wandte Jeanne ein. "Andererseits gebn die einem 'ne ganze Menge zurück. Ich habe zwei Schwestern in den Armen gewiegt, gewickelt und später auch gefüttert. Das ist schon was einzigartiges", fügte sie dann noch mit einem sehr erhabenen Tonfall hinzu. Julius konnte da nicht mitreden. Sich Claire als kleines Bündel Leben mit roter Haut und großem Kopf mit weichen runden Wangen vorzustellen schaffte er nicht. Er sah immer das junge Mädchen vor sich, das wie seine große Schwester aussah, halt nur an den bestimmten Stellen noch etwas zulegen würde.

"Nun dann. Bei mir ist es Professeur Faucon, Verwandlung", sagte Jeanne. Martine würde Zauberkunst haben.

Als Julius zur zweiten Doppelstunde vor den Zaubertrankkerker kam, alles dabei, was er dafür brauchte, sahen ihn alle Klassenkameraden aus dem grünen und roten Saal an. Dann kamen Céline und Claire zu ihm. Céline fragte ihn sofort alles, was mit dem Baby zu tun hatte. Claire sagte:

"Ich habe eure Anzeige schon gelesen. Wer kam denn auf die Idee, das so zu schreiben, als wenn die Kleine das selbst so gesagt hätte?"

"Das mit der Person war Jeanne, den Text habe ich aus dem Notizbuch zusammengestellt und das mit dem Unterricht hat Martine eingebaut, damit die Lehrer nicht sofort ein Hausverbot für Cythera aussprechen.

"Deiner Schwester ist ja wohl klar, daß sie damit meine und Claires Mutter aufeinander losgelassen hat, oder?" Fragte Millie Latierre, die zwar nicht so schnell aber nichts desto trotz interessiert herangetreten war mit Blick auf Céline.

"Wegen der Patenschaft, Mildrid Ursuline Latierre? Da werden sich deine Mutter und die von Claire schon was einfallen lassen. Außerdem denke ich nicht, daß Connie das Kind jetzt wieder loswerden will, wo sie es jetzt endlich haben will."

"Ach, das ist wie mit einer Puppe. Erst will man sie haben, quängelt und biedert sich an. Dann hat man sie eine Woche lang und lässt sie in einer Ecke liegen", tönte Millie Latierre. Claire und Céline sahen sie an.

"Du hast doch von sowas keinen Dunst. Ich habe das mit Denise noch mitgekriegt. Das war nicht immer lustig oder einfach. Aber ich freue mich, daß ich eine kleine Schwester habe", sagte Claire.

"Ach, Monsieur Andrews! Mit Ihnen habe ich zwar erst nach der Pause gerechnet. Aber es ehrt mich, daß Sie die Ihnen freigestellte Zeit nicht voll ausnutzen wollten", sagte Professeur Fixus und trieb die drei langsam in Streitlust gekommenen Mädchen auseinander.

Beim Mittagessen gab es nur das eine Gesprächsthema: Cythera Dornier. Céline wurde gefragt, ob sie ihre Nichte schon besucht hätte oder was ihre Eltern dazu gesagt haben und sofort. Julius wurde von den Jungen nur bewundert angekuckt. Aber keiner von denen fragte nach Einzelheiten, wie das denn ausgesehen hatte oder ob es anstrengend war oder ähnliches.

Beim Quidditchtraining am Nachmittag ging Julius mal wieder ins Tor und parierte einige Bälle. Doch Virginie, die wohl die neue Kapitänin werden würde, kam zu ihm und flüsterte ihm zu:

"Ich lasse dich bestimmt nicht im Tor herumhängen, wo du diese Saison geniale Tore geschossen hast. Wir klären das mit wem anderen."

Julius dachte sich seinen Teil.

Abends überlegte er, ob er seiner Mutter und Catherine über die miterlebte Geburt schreiben sollte. Immerhin war das eine sehr persönliche, ja heilige Sache für Constance gewesen. Durfte er da einfach was zu schreiben? Doch einerseits wußte seine Mutter das ja, daß er helfen würde, andererseits würde sie ja nichts irgendwem weitertratschen, außer seinem Vater. Doch von dem hatte er ja auch lange nichts mehr gehört. Er schrieb also vier lange Briefe, einen an seine Mutter, einen an Catherine, einen an Madame Dusoleil und einen an Madame und Monsieur Dornier, in denen er alles erwähnte, was ihm während der Geburt im Kopf herumgegangen war und was er mit eigenen Sinnen erlebt hatte. Den Brief an seine Mutter schloss er mit den Worten ab:

"... Mum, ich weiß nicht, ob dich das stolz macht, daß die kleine Tochter von Constance auch deinen Namen trägt. Ich weiß nur, daß ich dankbar bin, das jetzt schon erlebt zu haben,und ich bin auch stolz, daß ich dabei sein durfte und es wohl sehr ordentlich hinbekommen habe.

Ich liebe dich

                    Julius"

Als er alle Briefe mit verschiedenen Eulen losgeschickt hatte, wobei Francis zu Madame Dusoleil flog, dachte er an Cythera. Die Dorniers waren während des Quidditchtrainings da gewesen und hatten der jungen Mutter ihre Aufwartung gemacht. In welcher Welt würde sie aufwachsen? War die dunkle Bedrohung, die der wiedergekehrte Lord Voldemort darstellte so übermächtig, daß Cytheras Leben in einer dunklen Zeit verlaufen würde? Oder war ihre Ankunft eher das Zeichen der Hoffnung, daß nichts verloren war, solange es immer einen neuen Anfang geben konnte? Er dachte an Barbaras Schwesterchen, die genau an dem Abend zur Welt kamen, an dem Cedric Diggory im trimagischen Turnier starb und damit die Wiederkehr des bösen Zauberers begann.

"Alles neu macht der Mai", ging Julius ein altes Volkslied im Kopf herum. "Weihnachten war der Geburtstag des Christkindes, dem Erlöser der Welt", dachte er und mußte grinsen, weil er sich überlegte, was aus Weihnachten geworden war und wieviele Kriege es schon im Namen dieses Erlösers gegeben hatte und wohl noch geben konnte. Doch irgendwie stimmte das: Die Geburt eines Kindes schuf immer eine neue Welt, wie der Tod eines geliebten Menschen eine Welt beendete. So gesehen gab es nicht die eine Welt, sondern viele neue Welten jeden Tag, die sich trafen und auseinandergingen, sich hoben oder senkten. In jedem Fall war jeder Tag eines Kindes eine neue Welt für sich. Er fragte sich, wie abgedreht so ein Gedanke sein mußte. In Beauxbatons wohnte nun zumindest bis zum Schuljahresende noch ein neuer Mensch, der bestimmt einigen Wirbel machen würde. Würde dieser neue Mensch sich durch seine Namen auszeichnen oder durch das, was ihm passierte? Falls es die vielen Vornamen waren, dann war dieses kleine Mädchen, daß vor nicht einmal zwei Tagen noch nur ein dicker Bauch einer früher voll gegen es wetternden jungen Frau war, mit ihm verbunden, denn es teilte sich den Namen mit seiner Mutter.

ENDE

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