Was bisher geschah | Vorige Story
Weil sich der Vater von Julius Andrews nicht damit abfinden wollte, daß sein Sohn ein echter Zauberer ist und in eine Zauberschule gehen soll, ist Julius' Mutter nun aus dem früheren Haus ausgezogen und lebt bei ihrer Bekannten Catherine Brickston, einer echten Hexe, in Paris. Julius selbst wechselt von der englischen Zaubereischule Hogwarts auf die Beauxbatons-Akademie für französischsprachige Hexen und Zauberer.
Wegen guter Bekannte aus dem Magierdorf Millemerveilles, besonders den beiden Dusoleil-Schwestern Jeanne und vor allem Claire, findet Julius einen weichen Einstieg in die neue Umgebung. Er wird vom Teppich der Farben dem grünen Saal zugeteilt, wo schöpferische und neugierige Schüler unterkommen. Dort leben auch Jeanne und Claire.
Das Regelwerk in Beauxbatons ist strenger als das in Hogwarts. Das muß Julius Andrews gleich am ersten Schultag feststellen. Verspätungen, ungebürliches Verhalten und Arbeitsverweigerung werden mit Strafpunkten für einzelne Schüler geahndet. Eine strenge Disziplin schreibt den Unterrichtsablauf vor. Die Freizeit muß mit Kursen und Arbeitsgruppenteilnahme verplant werden, da Faulheit und Langeweile in Beauxbatons verboten sind. Julius hat schon am ersten Tag keine rechte Lust mehr auf Beauxbatons, weil ihn die unerbittliche Professeur Faucon im Verwandlungsunterricht zwingt, die wie er von nichtmagischen Eltern stammende Laurentine Hellersdorf einzuschrumpfen, da diese steif und fest alles verweigert, um ihre erkannten Zauberkräfte zu erlernen. Er wird von der schuleigenen Heilerin Florence Rossignol wegen seines Ferienkurses in magischer erster Hilfe als Pflegehelfer angestellt und erhält dazu ein magisches Armband, daß viele nützliche Eigenschaften hat, zum beispiel die Benutzung des magischen Abkürzungssystems innerhalb von Beauxbatons.
Der Sohn zweier nichtmagischer Eltern aus England wird von Jeanne Dusoleil, der Quidditchkapitänin seines Saales, in die Stammauswahl der Hausmannschaft geholt, muß jedoch seinen Sauberwisch-Besen fortlegen, weil er nur französische Rennbesen benutzen darf. Fliegt er zunächst auf einem gebrauchten Ganymed 8, erhält er von Monsieur Dornier, dem bei Ganymed beschäftigten Vater einer Klassenkameradin, nach dem ersten Spiel den gerade höchstentwickelten Besen, den Ganymed 10. Um jeden Neid der Mitschüler zu vermeiden ist dieser Besen als Vorläufermodell getarnt und soll von Julius auch nur wie der Vorläufer geflogen werden.
Was in Hogwarts geschieht beunruhigt den ehemaligen Schüler von dort sehr. Als er dann noch ein Gemälde von seiner australischen Briefbekannten Aurora Dawn bekommt, das sich später als gute Verbindung nach Hogwarts erweisen soll und einen Brief liest, in dem die in Hogwarts wirkende Dolores Umbridge ihn anhält, seine Freunde nicht mehr mit Geschichten über die Rückkehr des dunklen Magiers Voldemort zu behelligen, fühlt er sich schon etwas merkwürdig.
Als der Halloweentag heranrückt, befällt ihn Heimweh nach Hogwarts. Er meint, diesen in England gefeierten Tag ohne besondere Ereignisse zu überstehen. Doch da irrt er sich. Ein hinterhältiger Streich eines älteren Schülers aus dem blauen Saal verdammt Julius für vier Tage dazu, mit der Tochter von Zaubereiminister Grandchapeau, Belle Grandchapeau zusammenzuleben, ihren kompletten Alltag mitzumachen und immer näher als zehn Schritte bei ihr zu sein. Er bekommt dabei zwar viel interessantes und aufregendes mit, ist jedoch froh, als der heimtückische Fluch wieder von ihm weicht und er sein eigenes Leben weiterführen darf. Während der Zeit an Belles Seite wird er zusammen mit ihr und anderen Schülern, die Kontakte nach Hogwarts besitzen, von Madame Maxime und Professeur Faucon zu einer Geheimunterredung einbestellt und über die gegenwärtigen Zustände in England und Hogwarts aufgeklärt. Diese als Sub-Rosa-Zusammenkunft bezeichnete Besprechung soll bewirken, daß die daran teilnehmenden Schülerinnen und Schüler sich mit den Freunden und Bekannten in Hogwarts über Sinn und Unsinn der in England verbreiteten Ansichten austauschen, Lord Voldemort sei angeblich nicht zurückgekehrt.
Daß nicht nur Claire Dusoleil hinter ihm her ist, merkt Julius überdeutlich, als Mildrid Latierre, eine Klassenkameradin aus dem roten Saal, ihr Interesse für ihn völlig direkt und ohne Umweg bekundet und ihm vorhält, daß er doch in ihren Saal gehöre und nicht zu den Grünen. Als dann noch herauskommt, daß eine Fünftklässlerin des weißen Saales ein Kind erwartet, als auch daß Laurentine ihrer Eltern wegen nicht zu diesen in die Ferien fahren darf,ist die Vorweihnachtsstimmung sehr gespannt. Die Pflegehelfer sollen lernen, wie man eine werdende Mutter betreut.
Zu Weihnachten lernt Julius die Wohnung kennen, in der seine Mutter und er nun leben. Sie liegt im selben Haus, in dem Catherine und ihre Familie wohnen, weil dieses Haus von einem Schutzzauber gegen böse Magier umgeben ist. Joe Brickston, Mrs. Andrews nichtmagischer Studienkollege, ist alles andere als glücklich darüber, daß die Andrews' nun in seinem Haus leben. Aber er muß es akzeptieren.
Julius staunt über die Zauberei, mit der das neue Wohnzimmer zu einem großen Salon gemacht wurde und verbringt mit seiner Mutter teils schöne, teils nachdenkliche Tage vor Weihnachten.
Über die Feiertage kommen Julius' Freunde aus Hogwarts zusammen mit Gloria Porters Familie zu Besuch. Von Glorias Oma Jane bekommt er zwei Zweiwegspiegel, mit denen er Kontakt zu ihr und ihrer Enkelin halten kann. Eine Einladung nach Millemerveilles führt dazu, daß Julius mit seiner Mutter den Jahreswechsel im Zaubererdorf in Südfrankreich verbringt, wo sie auch wieder Aurora Dawn treffen.
Die letzten Wochen des ersten Schulhalbjahres sind geprägt von spannenden Quidditchspielen und Mildrids fortgesetzten Versuchen, Claire den ehemaligen Hogwarts-Schüler abspenstig zu machen. Julius weiß nicht, wie er mit dieser Situation fertig werden soll. Als er dann noch träumt, daß Mildrids Schwester, eine Kollegin aus der Pflegehelfertruppe und Saalsprecherin der Roten, ihn körperlich liebt, ist er sich nicht mehr so sicher, ob die Beziehung zwischen Claire und ihm wirklich von Dauer sein wird. Die Prüfungen des Halbjahresendes lenken ihn vorerst von tieferen Grübeleien ab. Doch dann kommt der vierzehnte Februar, der Valentinstag.
Julius war wie alle anderen heftigst erschrocken, als Seraphines superschneller Vorstoß zum gegnerischen Tor jäh vereitelt wurde. Einer der Rossignol-Brüder, die als Treiber der Mannschaft des blauen Saales spielten, hatte sie mit voller Wucht unterhalb der rechten Brust getroffen und ihr sämtliche Luft aus den Lungen getrieben. Wie ein Stein stürzte sie von ihrem Ganymed 8 herunter. Der Besen schwirrte reiterlos über das Tor hinweg, während Professeur Trifolio und Schwester Florence einen Fallbremszauber wirkten, der Seraphines Sturz aus fünfzehn Metern weit genug verzögerte, daß sie beim Aufschlag keine weiteren Verletzungen erlitt. Da Seraphine die Kapitänin der Mannschaft war, rief niemand von den Weißen nach Auszeit. Doch Dedalus, der Fluglehrer und Schiedsrichter, unterbrach die Partie und winkte die Heilerin von Beauxbatons aufs Spielfeld. Diese besah sich Seraphine, beschwor eine Trage herauf, bedeutete durch Handzeichen und Kopfschütteln, daß Seraphine fürs erste wohl nicht weiterspielen konnte und befahl Deborah Flaubert aus der Pflegehelfertruppe zu sich. Mit ihr zusammen brachte sie Seraphine schnell in den Palast. Das Spiel ging derweil weiter. Julius ärgerte sich zwar, daß hier einfach weitergespielt wurde, aber die Quidditchregeln schrieben vor, daß ein vor offiziellem Spielende ausfallender Spieler nicht ausgewechselt wurde und die Partie mit den verbliebenen Akteuren fortgesetzt wurde. Gustav van Heldern übernahm die Rolle des Kapitäns und dirigierte seine Mannschaft zu schnellen Vorstößen. Die Treiber der Weißen flogen als Geleitschutz bei Angriffen mit, entblößten dadurch aber den Torraum, was die Mistral-Brüder hemmungslos ausnutzten, um innerhalb von zwei Minuten sieben Tore zu schießen. Hüter Camus wäre dabei fast selbst einmal in einen anfliegenden Klatscher gerast.
"Oho, heute wollen beide Mannschaften es wissen", gab Ferdinand Brassu, der Stadionsprecher, mit unbehagen in der magisch verstärkten Stimme seinen Kommentar ab. Das die Weißen nicht hoffnungslos untergingen, konnte Sucher Miro Pierre in einem halsbrecherischen Flug verhindern, als er sich mit seinem Gegenspieler in der Feldmitte auf den goldenen Schnatz stürzte, dabei einen der Klatscher voll gegen die Schulter bekam und halb vom Besen hängend mit einem schlaffen linken Arm den Ball in seinen Umhangärmel rutschen ließ, bevor er einen wütenden Boxhieb voll auf die Nase bekam und ebenfalls schneller als gesund zur Erde fiel.
"Zweihundert Strafpunkte für Sucher Stomoxus Lesauvage und fünfzig Punkte Abzug vom Spielergebnis der Mannschaft Blau!" Rief Schuldirektrice Maxime vor Bekanntgabe des Spielergebnisses. dann durfte Ferdinand Brassu verkünden, daß Saal Weiß mit knapper not und nach dem erklärten Punktabzug mit einhundertsechzig zu vierzig Punkten gewonnen hatte. Mit dem Ergebnis konnten nach der Vorlage der Roten und Grünen weder die Weißen noch die Blauen zufrieden sein. Sicher, die Weißen hatten sich damit auf den dritten Tabellenplatz vorarbeiten können, waren aber punktemäßig weit hinter den Roten, ja und unerreichbar fern von den Grünen entfernt. Die Blauen waren gleich hinter den Weißen. Für die ging es ab nun auch um nichts mehr.
"Pflegehelfer aufs Feld!" Befahl Madame Maxime. Jeanne ergriff Julius' Arm und eilte mit ihm zum Spielfeld hinunter, wo Sixtus Darodi bereits ankam und sich um Miro Pierre kümmerte, der mit unnatürlich abgespreiztem Arm und blutigem Gesicht auf dem Feld lag. Seraphines Besen, den Dedalus bei der einzigen Auszeit heruntergeholt hatte, lehnte neben dem von Miro am rechten Torpfosten der Weißen. Jeanne und Martine übernahmen Miro und brachten ihn durch das Wandschlüpfsystem in den Krankenflügel. Julius sah die beiden Rossignols, die grinsend dastanden und sich wohl freuten, die Pokaljagd der Weißen schön vermasselt zu haben. Serge sagte noch zu Julius:
"Eh, Goldtänzer, beim letzten Spiel lernst du das Fürchten."
"Oder du", konterte Julius unbeeindruckt. Was wußte der Junge, der mit Sabine Montferre ging, schon von Julius' Fähigkeiten und vor allem von dessen Besen.
Madame Maxime kam persönlich auf das Feld. Sie trieb sämtliche Schüler, die gratulieren oder neugierig gucken wollten, mit energischen Handbewegungen auseinander und baute sich in ihrer alle überragenden Größe vor den beiden Mannschaftskapitänen auf.
"Ich sagte es Ihnen laut und einprägsam genug, Monsieur Colbert, daß Gewaltakte ohne direkten Bezug zum Spielgeschehen ihre Konsequenzen nach sich ziehen würden. Ich lege hiermit fest, daß Monsieur Lesauvage bei der Partie gegen die Mannschaft des gelben Saales nicht spielen darf. Tut er dies doch, wird Ihnen kein Punkt mehr im laufenden Turnier zuerkannt. Was bilden Sie sich ein, wo Sie hier sind?! In einem Kindergarten?!" Adrian Colbert, Kapitän und Saalsprecher der Blauen wurde regelrecht klein, was im Vergleich zu der Halbriesin Olympe Maxime noch unheimlicher wirkte. Er stammelte, daß er Stomoxus Lesauvage nicht dazu angehalten habe, Miro zu hauen, mußte dann jedoch kleinlaut gestehen, ja für ihn verantwortlich zu sein.
"Heh, wir werden hier nicht mehr gebraucht", sagte Gerlinde van Drakens, die zweite Pflegehelferin aus dem roten Saal und zog Julius sanft mit sich vom Feld.
"Was ist wohl mit Seraphine passiert? Ich habe bei einem Spiel zwischen den Millemerveilles Mercurios und den Sydney Sparks mal einen Klatschertreffer beobachtet, wo jemandem ein Lungenflügel eingedrückt wurde. Das konnte von den Heilmagiern da aber behoben werden", sagte Julius.
"Ja, wenn's ein Mann war, Julius. Seraphine hat den ja voll unter die rechte Brust gekriegt. Hoffentlich ist da nichts wichtiges verletzt worden. Außerdem war die sofort ohnmächtig. Wenn sie nicht weiteratmen konnte, kann das natürlich lebensgefährlich werden", wandte Gerlinde ein.
Constance Dornier kam auf das Feld. Von ihrem ungeborenen Kind konnte man unter dem weiten Rock noch nichts erkennen. Doch sie wirkte sichtlich geschlaucht. Sie ging an Julius vorbei, als sei der Luft und betrat das Spielfeld, um zu fragen, was genau mit Seraphine passiert war.
Claire und Céline eilten zu Julius herunter, als dieser mit Gerlinde auf den Palast zumarschierte. Claire hielt ihren Freund mit einer schnellen Handbewegung beim Umhang und zog kurz daran, daß er stehen blieb, während Gerlinde in das erhabene Schul- und Wohngebäude hineinging.
"Das war ja entsetzlich, was da mit Seraphine passiert ist. Ich will, daß du mir versprichst, daß du beim Spiel gegen die Blauen gut auf dich aufpasst. Versprich mir das!" Drängte Claire ihren Freund aus England. Dieser wandte sich um, sah sie ruhig an und antwortete:
"Ja, Claire, ich verspreche es dir, daß ich besser aufpasse als Seraphine. Der kam ja fast ansatzlos angeflogen. Ich hoffe, Hercules und Giscard passen da besser auf, wenn wir gegen die spielen."
"Du sollst auf dich selbst aufpassen", fauchte Claire. "Du kannst dich ja nicht auf Hercules oder Giscard allein verlassen."
"Mann, Claire! Quidditch ist eben so", gab Julius genervt zurück. "Ich habe auch nicht vor, mich von 'nem Klatscher zu Mus schlagen zu lassen."
"Ach, aber du fliegst oft genug so, als wäre dir das ganz egal", versetzte seine Freundin. Er schnaubte nur:
"Claire, jeder Sport ist gefährlich. Der englische Politiker Churchill soll sogar gesagt haben: "Sport ist Mord". Man kann sich auch beim Fußball den Hals brechen und ..."
"Aber du bist nicht "Man", Julius", schnitt Claire ihm das Wort ab. "Jeanne und du sollt euch vor diesen Idioten in Acht nehmen! Hast du mich verstanden?"
"Ja, Maman!" Stieß Julius übermäßig gereizt heraus und machte sich von Claires Griff frei. Marc Rossignol kam lachend mit den Mistral-Brüdern herangelaufen. Er hörte wohl noch, was Claire zuletzt gesagt hatte. Einer der Mistrals zeigte mit dem Finger auf Claire und rief mit bedrohlicher Stimme:
"Wen hast du hier Idioten genannt, Dusoleil? Wenn du uns gemeint hast, nimm das sofort zurück!"
"Wem der Schuh passt, der zieht ihn sich an", tönte Mildrid Latierre, die mit Bernadette und Caro des Weges kam.
"Schnauze, Luder Latierre!" Bellte der zweite Mistral-Zwilling. Dann lachten die beiden und forderten Claire erneut auf, die Idioten zurückzunehmen. Claire sah sie trotzig an. Julius, noch geladen von Claires Anfall von Überfürsorglichkeit, baute sich zur vollen Größe neben Claire auf.
"Eh, Goldtänzer, ich würde mich nicht mit den beiden anlegen. Die sind ganz schön stark", warnte Marc Rossignol Julius, der die beiden Jäger der Blauen musterte. Claire sagte derweil kein Wort. Einer der beiden langte nach ihrem Haarschopf. Julius ging dazwischen:
"Häh, du Schwächling! Wenn du dich an meiner Freundin vergreifst sieht jeder, was für'n feiges Aas du bist."
"Hui, der reißt sein Maul aber weit auf", sagte der zweite Mistral-Bruder, und ließ seine Muskeln spielen. Der erste hatte aber Claire nicht angefaßt. Diese wich vor ihm zurück, was der Grobian als Schwäche ansah und nachsetzte. Wie zufällig stolperte er dabei über ein Bein von Julius und schlug der Länge nach hin. Der andere sprang vor und voll ins Leere. Er wirbelte mit ausgestrecktem Arm herum, um Julius von hinten einen Schlag zu verpassen. Dieser duckte sich und rammte dem Angreifer ansatzlos den rechten Ellenbogen in die Flanke. Vom eigenen Schwung und von dem kraftvollen Stoß aus dem Gleichgewicht geworfen klatschte auch der zweite Junge hin. Bevor der erste sich aufrappelte und auf Julius losging, stand Martine Latierre wie aus dem Boden gewachsen vor ihm, ergriff ihn am Oberteil des Umhangs, plazierte ihr linkes Bein zwischen die Füße des Streitsüchtigen und warf ihn mit einem Hüftschwung im Hohen Bogen von sich.
"Ihr könnt es nicht lassen, euch an kleineren zu vergreifen, wie? Jeder von euch kriegt hundert Strafpunkte mit auf den Weg. So, und jetzt macht aber einen ganz flotten Abgang!" Herrschte sie die Mistrals an, die nicht wußten, ob sie nun auch auf die hochgewachsene Saalsprecherin losgehen sollten. Sie sahen Claire noch mal an, die mit steinerner Miene die beiden Rüpel anglotzte. Dann schoben sie ab. Marc Rossignol lief knallrot an. Dann beteuerte er, mit der Streiterei nichts zu tun zu haben. Claire habe nur gemeint, daß die Blauen Idioten seien, was die beiden nicht auf sich sitzen lassen wollten.
"Na, wie besonnene und gescheite Herren haben die sich bestimmt nicht benommen, Marc. Und jetzt mach dich auch vom Acker, bevor deine Freundin die nächste Woche ohne dich auskommen darf, weil du in der Putzbrigade schaffen wirst!"
"Ja klar, weil dein Süßer am Valentin keine Zeit für dich hat", spottete Marc und rannte schnell davon.
"Feg vor der eigenen Tür, Schwachkopf!" Schnaubte Martine, bevor sie merkte, daß Claire, ihre Schwester Mildrid, Bernadette und Julius in Hörweite standen.
"Seraphine ist gerade wieder wach geworden. Das war gerade noch mal gut gegangen", berichtete Martine den Umstehenden. Dann wandte sie sich an Julius:
"Ich wußte es, daß du dich wehren kannst. Aber das liegt unter deiner Würde, dich mit den Blauen zu prügeln."
"Der Typ wollte Claire an den Haaren reißen, nur weil sie mir geraten hat, mich vor denen zu hüten und sie dabei als Idioten bezeichnet hat. Ich kuck mir das nicht an, wenn ein großer Junge einfach ein Mädchen angrabscht, nur weil er die Wahrheit nicht vertragen kann."
"Lass ihn, Martine! Er hat ja recht. Außerdem hat er denen mehr Respekt eingejagt als wenn er den Zauberstab genommen hätte", sprang Millie ihrem Klassenkameraden aus dem grünen Saal bei. Ihre Schwester blickte sie warnend an. Dann wandte sie sich an Claire:
"Mut ist nur dann solcher, wenn er nicht aus Dummheit kommt, Claire. Du hast da nichts von, wenn du dich mit bösen Jungs anlegst. Ist auch nicht die Sache einer Dame. So, und jetzt geht bitte in den Palast zurück! Wenn ihr wollt könnt ihr Seraphine besuchen. Sie liegt zur Genesung im Krankentrakt."
"Machen wir", sagte Julius sofort und nahm Claire bei der Hand. Zusammen gingen sie durch die Korridore und Zeitversetztgänge zum Krankenflügel. Julius kribbelte es zwar im rechten Arm, mit Claire durch die Wand zu schlüpfen, doch das durfte er nur auf ausdrückliche Erlaubnis von Schwester Florence hin. Unterwegs sagte er Claire:
"Wußte nicht, daß Martine auch japanische Kampfkünste kann. Ich dachte, die wäre eine Reinblütige."
"Da dachtest du richtig. Wenn das was von diesem japanischen Kampfsportzeug ist, dann hat sie das wohl von ihrer Mutter. Die hat das nämlich gelernt, sagte Tante Uranie mir mal, als wir uns drüber unterhielten, wer von den Eltern unserer Klassenkameraden mit unseren Verwandten zusammen in Beauxbatons war."
"Oh, Mist, dann hat Martine gesehen, daß ich einen Karate-Ellenbogenstoß gebracht habe und weiß dann natürlich ..."
"Seit Monaten, daß du das wohl kannst, Julius. Du weißt doch, Beauxbatons ist ein Dorf", brach Claire den Redefluß ihres Freundes ab. Dieser nickte. Dann sagte er:
"Klar, Claire. Die hat ja auch gesagt: "Ich weiß, daß du dich wehren kannst." Das ist dann also schon rum. Klar, Barbara könnte es ihr mal gesagt haben und Aron Rochfort, Virginies Freund, weiß das ja von der ZAG-Party her."
"Nur die Blauen wissen das wohl nicht", sagte Claire.
Auf dem Weg zum Krankenflügel passierten sie eine Gemäldegruppe mit altehrwürdigen Hexen und Zauberern. Dabei fiel Julius auf, wie zwei gemalte Hexen Claire und ihn durch die Bilder wandernd begleiteten. Die eine Hexe war Viviane Eauvive, eine Gründerin von Beauxbatons, die andere eine Hexe, die Claire sehr entfernt ähnelte. Sie hatte dieselben braunen Augen und denselben mittelbraunen Hautton der Dusoleil-Tochter. Nur das Haar war anders, kurz, kastanienbraun und lockig.
Claire beachtete die mitgehenden Hexen in den Bildern nicht. Für sie waren sie wohl so belanglos wie Leuchtreklamen und Schaufenster für einen Großstädter, der jeden Tag an ihnen vorbeigehen muß.
Im Krankenflügel kamen sie noch an, als Madame Rossignol Seraphine gerade einschärfte: "Und du bleibst bis morgen hier. Die Blutungen in der Brust und die Rippenquetschungen waren nicht ohne. Da hättest du auch leicht dran sterben können, Mädchen. Dein Freund wird am Valentinstag eben herkommen müssen, wenn er dich sehen will."
"Aber Jeanne hat doch gesagt, daß das doch gut geheilt werden konnte und ich morgen wohl schon wieder ..." wagte Seraphine einen Protest. Die Heilerin schüttelte sehr entschlossen den Kopf und erwiderte:
"Deine Freundin Jeanne ist zwar sehr gut ausgebildet, aber nicht so umfangreich und erfahren wie ich, Mademoiselle. Wenn ich sage, du bleibst hier, bleibst du hier. - Ach, ihr zwei kommt auch schon?" Wandte sich Schwester Florence an Claire und Julius. Diese nickten schüchtern und warteten, bis sie die Erlaubnis bekamen, Seraphine zu besuchen.
"Und, wir haben gewonnen, sagt Schwester Florence?" Erkundigte sich die Kapitänin der Weißen bei Claire und Julius. Diese nickten und lächelten sie aufmunternd an.
"Miro hat sich den Schnatz und einen rechten Haken eingefangen. Der müßte jetzt auch hier liegen. Aha, da hinten", sagte Julius und wies mit dem linken Arm auf ein Bett, in dem der bandagierte Miro Pierre lag, offenbar mit einem Schlaftrank zur Ruhe gebracht, damit die angebrachten Heilzauber in Ruhe wirken konnten.
"Dieser Grobian hat ihm alle Schneidezähne fast ausgeschlagen", bemerkte Schwester Florence. Ich mußte den Dentregenerus-Zauber anwenden. Er darf aber dafür nicht vor vier Stunden aufwachen, damit die Zähne sich wieder richtig festigen können. War das wirklich nötig, ihm einen Boxhieb zu versetzen?"
"Das war Lesauvage von den Blauen, Schwester Florence", warf Claire ein. "Wir haben damit doch nichts zu tun."
"Die Frage war auch eher ein Gedanke, Kindchen. Ich weiß, wer das getan hat und daß der jetzt nicht hier ist, um die Frage zu beantworten. Wird aber sicher bald mit einigen Strafarbeitern hier antreten und hier putzen und scheuern. Madame Maxime ist da immer sehr zuverlässig in dieser Hinsicht."
"Das hat denen überhaupt nichts gebracht, Miro zu verprügeln", sagte Julius. Dann sah er den vom Klatscher getroffenen Arm des Suchers der Weißen. Schwester Florence nickte ihm zu und erklärte:
"Der war an drei Stellen gebrochen. War aber kein Problem. Hättet ihr auch problemlos hinbekommen. Du siehst aber jetzt, wozu ich euch in den Kursstunden so rannehme, Julius. Die Ersthilfe entscheidet oft genug über Wohl und Wehe."
"Wo ist eigentlich Jeanne hin?" Fragte Claire.
"Deine Schwester ist schon im grünen Saal. Ich brauchte sie nicht mehr hier, als ich Seraphine soweit behandelt hatte, daß sie sich nur noch erholen muß."
"Dann gehe ich jetzt auch in den grünen Saal", kündigte Claire an und winkte Julius. Dieser warf der Heilerin einen fragenden Blick zu. Sie nickte und deutete auf den Ausgang.
"Schön, daß ihr beide da wart", sagte Seraphine noch. Dann wandte sie sich um, um etwas zu schlafen.
Im grünen Saal saßen Claire und Julius noch eine Weile auf einem Sofa, während sich Jeanne, Barbara und Edmond über das Quidditchspiel unterhielten.
"Das war übrigens sehr nett, daß du mir helfen wolltest, die Mistrals von mir wegzuhalten", sagte das junge Mädchen mit dem schwarzen, sich leicht wellenden Haarschopf und kuschelte sich ungeniert an Julius an, der diese Nähe genoß und seinen linken Arm locker um Claires Taille legte. So verharrten sie minutenlang, ohne ein Wort zu sagen. Als Edmond aber wie von einer Feder geschnellt von seinem Stuhl auffuhr und auf sie zustürmte, rückten beide blitzartig auseinander. Doch Edmond hatte wohl gesehen, was er nicht sehen sollte.
"Wie oft soll ich euch beide daran erinnern, daß sowas hier nicht läuft? Zwanzig Strafpunkte für jeden von euch beiden, wegen unsittlichen Betragens!"
"Ach neh, Edmond! Es langweilt langsam", begehrte Claire auf. "Nur weil deine Freundin im roten Saal wohnt, bist du hinter jedem Paar her, daß friedlich zusammensitzt."
"Du möchtest mir doch wohl jetzt nicht impertinent kommen, Claire?" Fragte Edmond sichtlich ungehalten dreinschauend. Julius dachte daran, daß Marc Rossignol Martine an den Kopf geworfen hatte, ihr Freund Edmond hätte ja am Valentinstag keine Zeit für sie und grinste für eine Sekunde schadenfroh. Edmond sah ihn lauernd an. Julius sagte ruhig:
"Edmond, ich habe bestimmt nicht die Erfahrung, die du mit Mädchen hast. Aber ich bin gut vorgebildet, was gewisse Spielarten angeht. Glaub mir, daß wir uns hier ganz harmlos hingesetzt haben, wie Geschwister es ja auch tun. Außerdem wollte Claire dich bestimmt nicht dumm anmachen."
"Bitte was?" Entfuhr es Edmond, der entrüstet den ehemaligen Hogwarts-Schüler ansah. Dieser lächelte nun offen und ohne Scheu.
"Ich habe doch nur gesagt, daß Claire dir nichts böses will und dich bestimmt nicht respektlos behandelt. Ich tu das ja auch nicht."
"Du hast "anmachen" gesagt. Diese Art der Formulierung bin ich nicht gewohnt, und von dir bestimmt nicht, Julius. Das sind noch mal fünf Strafpunkte wegen ungebürlicher Rede vor einem Saalsprecher."
"Das ist angekommen", sagte Julius lässig klingend. Edmond zog sich danach perplex zurück. Barbara, die Julius bei Jeanne sitzen sah, grinste sich eins, solange sie sicher war, daß ihr männliches Gegenstück sie nicht sah.
"Den hätte van Minglern mit Belle verkoppeln sollen", warf Julius flüsternd ein. "Jetzt weiß ich, was Millie gemeint hat, daß Leute manchmal nicht in dem Saal wohnen, für den sie eigentlich besser geeignet sind. Der hätte sich mit Belle sicher noch besser verstanden."
"Ja, aber er hätte sich nicht so gut in die Mädchenrolle gefügt, Julius. Ich meine nicht, daß du eher ein Mädchen als ein Junge bist, sondern will nur sagen, daß du dich mit der unveränderlichen Lage besser abfinden konntest als er. Was sollte das eigentlich mit der Erfahrung? Wolltest du ihn ärgern, weil Sandra Montferres Freund rausgelassen hat, Martine müßte am Montag ohne ihren Freund auskommen?"
"Aber ja, Mademoiselle", erwiderte Julius schmunzelnd. "Mir geht dieses Moralgetue von dem langsam sowas von auf den Keks, daß ich mich frage, ob der nicht besser Mönch geworden wäre."
"Was ist denn ein Mönch?" Fragte Claire. Julius erklärte es ihr. Claire machte ein bedauerndes Gesicht. "Das ist ja eine Strafe, sich von allen angenehmen Sachen auszusperren, nur um angeblich mit sich und seinem Gott in Frieden zu leben", bemerkte sie dazu. "Und das gibt es auch bei Frauen?"
"Klar, Cherie. Die heißen dann Nonnen und leben wie die Mönche ohne einen lebenden Geliebten, nur für den Glauben und die Nächstenhilfe. Aber in einer Nonnentracht sähest du nicht so toll aus, Claire", meinte Julius noch und erntete ein belustigtes Grinsen seiner Freundin. Denn unterschwellig hatte er ihr damit bedeutet, daß er froh war, daß sie bei ihm war und nicht in einem Kloster. Zumindest kam das so bei Claire an. Dann erinnerte sie Julius noch mal daran, daß er doch auf jeden Fall beim Spiel gegen die Blauen aufpassen sollte. Julius nickte und versprach es Claire, damit sie nun endlich ihren Willen und ihre Ruhe hatte.
Wie die Jungen seiner Klasse hatte Julius bei einem Express-Bestelldienst noch ein kleines Geschenk für Claire geordert. Es war eine Pralinenschale mit Glasdeckel, die er mit Schokolade und Fruchtschaumnaschereien hatte füllen lassen. Das schöne an dieser Schale war zum einen, daß sie ein der Jahreszeit entsprechendes Blumenmuster an den Seiten zeigte und viermal so viel fassen konnte wie ihr äußerer Rauminhalt es vermuten ließ. Sechs Galleonen hatte er dafür überwiesen, zwei allein für den Expresszustelldienst. Als er mit Hercules, Gérard und Robert, die ja auch eine Freundin hatten, über die überteuerten Zustellgebüren sprach, sagte Robert:
"Hochzeitstage, Schwiegermutterbesuche und Valentin machen die Expresspost richtig reich. Da schreiben die "Zum Valentinstag" auf das Paket, und schon verdoppelt sich der Preis. Tja, und weil wir Hexen und Zauberer ja viele gute Cousins und Cousinen in verschiedenen Geschäftszweigen haben, kann man Verwandten ja auch noch was zuschustern, wenn sie Sachen für solche Anlässe herstellen. Aber diese Pralinenschüssel ist ja was fürs Leben." Dann zeigte er seinen Klassenkameraden noch die kleine Spieldose, die er Céline schenken wollte. Gérard hatte für seine Freundin Sandrine einen mit Freischwebezauber behexten Kerzenleuchter für acht daumendicke Kerzen bestellt und dabei noch vier Galleonen mehr bezahlt als Julius für sein Geschenk. Hercules hatte Bernadette aus den Staaten eine Centinimus-Bibliothek kommen lassen, wie Julius sie seit dem Sommer auch hatte.
"Das ist einfach genial, einen schrumpfbaren Bücherschrank mitzuhaben, wo wohl alle Bücher reingestellt werden können, die du hier so brauchst", sagte Hercules. Julius, der seinen Klassenkameraden seine verkleinerte Büchersammlung mal gezeigt hatte, nickte nur. Er konnte sich denken, daß Hercules stolz war, seiner Freundin auch sowas besorgen zu können, wo die doch sehr gerne las.
"Fehlt nur noch der verkleinerbare Koffer, dann könnten wir alle unseren ganzen Haushalt in der linken Umhangtasche mitnehmen", scherzte Robert Deloire.
"Tja, kommt dann die blöde Sache mit dem Einpacken. Irgendwie haben wir Jungs da was nicht mitbekommen, als diese Kunst verteilt wurde", sagte Gérard und knisterte mit sonnengelbem Seidenpapier herum.
"Ach, das ist doch wohl 'n Klacks. Pass mal auf, wie das geht!" Sagte Robert und holte seinen Zauberstab hervor. Mit einer schnellen Abfolge von Bewegungen ließ er das Papier sich knitterfrei und schnell um den Kerzenleuchter wickeln und zog dann noch eine große Schleife aus rosa Hochglanzpapier um das Päckchen. Er half Julius dabei, die korrekten Zauberstabbewegungen auszuführen, bis dessen Geschenk auch korrekt eingepackt war und sah zu, wie Hercules das kleine Schächtelchen mit der eingeschrumpften Bibliothek von Alexandria Agemo von Hand einpackte. Er klebte jedoch nur eine kleine rosa Schleife darauf. Dann verbargen sie die Geschenke fürs erste.
"Schon bedauerlich, daß Gaston und André noch keine gefunden haben, die zu ihnen passt", sagte Robert Deloire, nachdem alle Geschenke verstaut waren. "Ich könnte mir vorstellen, daß die morgen in den Freizeitkursen heftig langweiliges Zeug machen müssen, damit die anderen, die nicht mitmachen, nichts verpassen."
"Julius hätte ihnen ja Millie und Belisama abtreten können. Die hängen ja wohl auch alleine herum", spottete Hercules. Sein aus England stammender Klassenkamerad widersprach:
"Ich hatte nichts mit Millie oder Belisama. Wenn die meinten, was von mir zu wollen, dann hoffe ich, daß das sich erst einmal gelegt hat."
"Ach, Bernie hat gesagt, daß Martines kleine Schwester dich schon vor Claire gefragt hat. Offenbar hat die sowas gesagt", warf Hercules ein. Alle anderen grinsten Julius an. Dieser zwang sich zu einer ruhigen Haltung und erwiderte:
"Wenn es nach Millie ginge dürfte ich gar nicht hier bei euch im Schlafsaal sein. Dann wäre ich bei Apollo und den Ruiter-Brüdern gelandet, wäre von Bruno in die Mannschaft geholt worden und hätte im ersten Spiel haushoch gegen euch gewonnen, Hercules."
"Stimmt, sowas meint die kleine Latierre ja", bestätigte Hercules. Robert knirschte mit den Zähnen.
"Hör mir auf mit der! Die hat keinen Anstand im Leib und meint, weil sie Muskeln hat, jede andere mal eben drangsalieren zu müssen."
"Och, Robbie! Hat deine Süße das immer noch nicht verdaut, wie das rotblonde Kraftpaket sie umarmt hat?" Fragte Hercules gehässig grinsend. Julius hielt sich zurück. Außer ihm hatte ja von den Jungs hier keiner gesehen, wie Millie mal eben Céline umklammert hatte wie eine leblose Stoffpuppe.
"Auf jeden Fall bin ich morgen mit Claire verabredet", sagte der frühere Hogwarts-Schüler noch. Hercules nickte ihm zu.
"Bernie und ich sind morgen auch in der Menagerie. Königin Blanche hat mir erzählt, daß außer uns nur noch drei Paare sich da treffen wollen. Wo läufst du zuerst hin? Zu den großen Gehegen oder zu den kleinen Ställen?"
"Hmm, ich werde mir mit Claire wohl eher die größeren Tiere wie die Riesenpferde, die Hippogreife, Sphinxen und Stelzhörner ansehen. Danach werden wir uns wohl die Kleintiere, wie die Crups, Augureys, Schwatzfratze, Singschnauzen, Kniesel und Zweiglinge ansehen. Ich hörte sogar, daß Armadillus noch einige extra importierte Tierwesen hier hat."
"Hmm, ich werde mir die japanischen Zwergdrachen zuerst ansehen. Die Zauberer dort haben ja abgedrehte Typen gezüchtet mit Trompetennasen, Greifhänden am Schwanz oder goldenen Flügeln. Dann werde ich mir mit Bernie die Tiere ansehen, die zur Zaubertrankherstellung wichtig sind. Ich werde sehen, daß ich zuerst bei den Kleintieren vorbeigehe, damit Claire und du später für euch sein könnt", sagte Hercules Moulin dann noch. Julius nickte dankbar.
Am Sonntag fand für Julius wieder eine Kursstunde magischer erste Hilfe statt. Seraphine, die sich von dem Klatschertreffer wieder weit genug erholt hatte, daß sie sitzen durfte, beobachtete, wie Julius mit Deborah Flaubert Übungen zur Schwangerschaftsgymnastik machte. Schwester Florence hatte den beiden mit einigen Litern Wasser gefüllte Ledersäcke vor den Bauch gebunden, um ihnen das Gefühl zu vermitteln, wenn man eine zusätzliche Last vor sich hertrug. Ebenso übten Martine und Felicité mit solchen Wasserbeuteln. Seraphine sah ihnen dabei zu und nickte zwischendurch. Sie sagte kein Wort, bis die Kursstunde vorbei war.
"So, das wäre es dann für heute", schloß Madame Rossignol den Übungstag ab. "Nächstes Mal werde ich Constance Dornier hinzubitten, damit ihr euch mit ihr zusammen vorbereitet. Vielen Dank für eure Einsatzbereitschaft!"
"Ich fürchte, Constance weigert sich, an solchen Übungen teilzunehmen, Schwester Florence", warf Seraphine ein, als sie sicher war, daß die offizielle Stunde beendet war. "Sie lehnt jede Unterstützung ab, denkt sogar daran, das Kind irgendwie loszuwerden."
"Wie, loszuwerden? Das ist ihr nicht erlaubt. Außerdem wäre das Mord", empörte sich die Heilerin. "Wenn sie meint, aus Spaß mit einem Jungen Mann und Frau spielen zu müssen, muß sie zumindest die Folgen solange ausbaden, bis dieses Kind auf der Welt ist. Danach kann immer noch entschieden werden, was mit diesem passiert."
"Das erzählen Sie ihr besser selbst", warf Deborah Flaubert ein. Seraphine nickte.
"Nix da! Das erzählt ihr der jungen Dame hübsch auch!" Entgegnete Schwester Florence. "Seraphine ist Saalsprecherin und du, Deborah, bist Pflegehelferin. Das liegt auch in eurer Verantwortung."
"Wie Sie meinen, Schwester Florence", sagte Deborah kleinlaut.
Am Nachmittag machten alle noch Hausaufgaben für den Dienstag oder Mittwoch. Denn morgen wollten alle, die sich mit einem Freund oder einer Freundin verabredet hatten, frei von unnötiger Arbeit sein.
"Eben weil Claire und ich das im Sommer wohl reichlich getan haben, brauchen wir das hier nicht. Ist auch mal interessant, die ganzen Tiere noch mal zu sehen, die wir noch nicht im Unterricht hatten."
"Die Flugpferde sind gerade heftig unruhig. Die beiden Schwestern sind gerade rossig, und Pyrois, den du ja von der trimagischen Reisekutsche kennst, weiß nicht, auf welche er zuerst draufspringen soll. Die Saison geht dieses Jahr früh los."
"Ich habe von denen noch kein Fohlen gesehen, Barbara. Haben die im Moment welche da?" Fragte Julius neugierig.
"Ein Einjähriger müßte bei Monalisa sein. Die hat den im letzten Sommer bekommen. Der kann aber noch nicht fliegen. Die Schwingen sind noch nicht stark genug, eher schlabberig. Aber groß ist Tempête schon. Ganz dunkel noch. Die Fellaufhellung kommt ja erst im zweiten Jahr. Vorher müssen die Fohlen ja noch getarnt bleiben können."
"Habe ich gelesen, daß die verwilderten Formen in Russland und der Mongolei diese dunklen Fohlen haben."
"Ja, stimmt. Deshalb sind die alteingesessenen Stämme auch so begeistert von Pferden, weil die in deren Göttersagen schon mächtige Wesen waren", wußte Barbara. Dann wünschte sie Julius noch einen schönen und erinnerungswürdigen Tag. Er antwortete beinahe, daß es hier schon mehrere erinnerungswürdige Tage für ihn gegeben habe. Er bedankte sich dann aber nur und kehrte in den Palast zurück.
Bei der Morgenpost brachte ihm Claires Eule Viviane eine Grußkarte mit einem geflügelten Jungen mit einem goldenen Bogen und einem Köcher voll mit rosa Pfeilen. Julius wollte schon fragen, ob es noch kitschiger ginge, als er sah, daß auch Hercules, Robert und Gérard solche Karten bekamen. Er las:
Hallo, Julius!
Ich freue mich schon richtig doll auf den Nachmittag heute. Ich weiß natürlich, daß du heute den ersten Valentinstag mit einer Hexe verbringst und bin mir sicher, daß du da bestimmt noch sehr nervös bist. Tröste dich! Ich bin's ja auch.Bis also nach der Schule!
Claire
P.S. Ich finde, wir sollten in Sonntagskleidung ausgehen!
"Ach, jetzt habe ich den Sonntagskrempel schon den Waschelfen gegeben", knurrte Robert rechts von Julius. Dieser grinste nur. Hatten sich die Mädchen etwa abgesprochen, was sie auf die Grußkarten draufschreiben sollten.
"Was is'n das eigentlich für einer mit dem Bogen und den rosa Pfeilen?" Fragte Hercules.
"Eros oder Amor oder Cupidus heißt der Typ", wußte Julius. "Meine Mum hat mir im londoner Kunstmuseum mal eine Statue von dem gezeigt. Der soll Leute verliebt machen, wenn er sie mit den rosa Pfeilen trifft."
"Ups! Dann tu ich den bloß schnell weg, bevor der mich wirklich noch erwischt", erwiderte Robert und steckte die Grußkarte, die wohl von Céline kam, schleunigst in seinen Umhang.
"Da kriegt er dich aber ganz sicher, Robbie", stichelte Hercules, der sich seine Grußkarte noch genau ansah. Robert knurrte nur verächtlich. Dann trafen noch drei Briefe für Julius ein. Eine Eule Catherines brachte zwei zusammengebundene Umschläge an, Glorias Steinkäuzin Trixie trug ebenfalls zwei Umschläge und Kevins Eule Boann segelte hinter Trixie heran.
"O, dein restlicher Club der Verehrerinnen, Julius?" Fragte Hercules amüsiert. Der lächelte nur geheimnisvoll und öffnete den ersten Brief, den Catherines Eule angebracht hatte. Die Handschrift stammte eindeutig von seiner Mutter. Er las:
Hallo, mein Sohn,
ich denke, dieses Jahr wirst du für mich zu Valentin nichts basteln oder malen, da du ja endlich jemanden gefunden hast, der dir das noch besser dankt als ich es je getan habe. Catherine und ich möchten dir nur schreiben, daß wir an dich denken und uns freuen, daß es dir in Beauxbatons weiterhin gut geht.
Ich bekam gestern einen Anruf von Mrs. Porter, Glorias Mutter. Sie erzählte mir, daß in England immer noch erzählt würde, daß dieser Zaubererverbrecher bestimmt nicht wiedergekommen sein kann. Ich weiß ja nicht, was der alles angestellt hat oder noch tut. Aber irgendwie muß ich zugeben, daß ich froh bin, daß du nicht in Hogwarts bist, wo diese Hexe Umbridge derzeit das Sagen hat.
Einen schönen Valentinstag für Claire und dich!
Martha Andrews
Catherine schrieb Julius, daß sie von ihrer Mutter gehört habe, daß er mit Claire in die Menagerie von Beauxbatons gehen wolle und wünschte ihm viel Vergnügen dabei, verlangte jedoch, daß er und Claire nichts anstellen sollten, was die Schulregeln verletzen konnte.
Kevins Brief enthielt lediglich eine neidvolle Bemerkung, daß der irische Hogwarts-Schüler offenbar bei Gilda verspielt hatte, weil die sich zu Valentin mit Robin Hoskins aus Hufflepuff verabredet habe. Er schrieb zwar, daß er mit Gloria und Pina nach Hogsmeade gehen würde, aber das wäre wohl nicht dasselbe, wie ein Ausflug mit Gilda.
Gloria schickte Julius einen Brief, in dem sie schrieb, daß sie sich für ihn freue und hatte noch ein kleines Schächtelchen dabeigelegt, in dem ein Haarglättungselixier für junge Hexen enthalten war.
"Nur, damit du bloß nicht in die Verlegenheit kommst, Claire mit leeren Händen einen schönen Valentinstag zu wünschen", las er amüsiert. Dann öffnete er noch den Brief von Pina:
Hallo, Julius!
Ich möchte dir nur schreiben, daß ich an dich denke und es bedauere, daß Gloria, Kevin du und ich heute nicht nach Hogsmeade können. Sicher, der freie Vormittag, den wir des Tages wegen haben, wegen Valentin, ist schon was. Aber irgendwie fehlst du mir. Aber sag das nicht der temperamentvollen Hexe mit den schwarzen Haaren, die gerne in roten Sachen rumläuft!
Ich wünsche dir auf jeden Fall all das Gute, was wir hier im Moment nicht haben. Ich denke, mehr mußt du ja nicht wissen, wo wir uns ja Weihnachten noch gesehen haben.
Lass ruhig von dir lesen, wie es dir ergangen ist! Ich bin echt gespannt drauf.
Pina Watermelon
P.S. Die Hollingsworths gehen nun richtig mit den Timberland-Brüdern, und Olivia versucht Glenda Fredo auszuspannen.
Julius grinste darüber, wenn er sich vorstellte, daß die elfjährige Olivia Watermelon sich an Fredo Gillers, seinen früheren Klassenkameraden heranmachte. Er mochte sich nicht vorstellen, wie Glenda Honeydrop, dessen feste Freundin, das hinnehmen würde. Daß die beiden Hollingsworth-Mädchen sich letztendlich mit den Zwillingsbrüdern Timberland, die einige Klassen weiter über ihnen waren, zusammentaten, erstaunte ihn nicht sonderlich, wenn er auch jetzt noch nicht damit gerechnet hatte.
Nach der Post kamen die Zeitungen. Julius hörte schon lange, bevor die Ausgaben des Zauberspiegels bei den Grünen ankamen, wie getuschelt wurde. Offenbar mußte da was wichtiges drinstehen. Als dann die Exemplare der Tageszeitung bei den Leuten der dritten Klasse ankamen, rief einer:
"Verdammt, das ist doch nicht wahr!"
"Was ist passiert?" Fragte Marie van Bergen, die Erstklässlerin.
"Massenausbruch aus Askaban!" Rief ein Schüler aus der sechsten Klasse mit angstgeweiteten Augen und schwenkte die Zeitung, sodaß alle, die die erste Seite sahen, die übergroßen roten Schlagzeilen lesen konnten. Julius sah, was da stand, zuckte kurz zusammen und nickte dann so, als habe er gerade mit sowas gerechnet. Robert, der zu den Abonenten der Zeitung gehörte, schnappte förmlich nach dem Rauhfußkauz, der ihm die heutige Ausgabe zustellte und pflückte die Zeitung ungeduldig aus dem Schnabel des Postvogels. Dann wollte er halblaut vorlesen, was genau passiert war, als drei laute Klatschgeräusche alles Raunen und hektische Gemurmel übertönten und totale Ruhe herstellten. Alle sahen sich nach dem Lehrertisch um, wo Madame Maxime aufgestanden war und die Zeitung aufgeschlagen vor sich hochhielt. Die Schüler sprangen gut dressiert auf, weil ihre Direktrice sich erhoben hatte. Doch diese winkte allen Tischen zu, daß die Mädchen und Jungen sich wieder hinsetzten. Dann sagte sie laut und mit einer gewissen Erregung in der Stimme:
"Damit hier nicht ein heilloses Durcheinander aufkommt, werde ich Ihnen allen die erschreckende Nachricht und den sie betreffenden Artikel laut vorlesen. Ich bitte mir absolute Ruhe aus, bis ich die Verlesung beendet haben werde." Dann wartete sie, bis ihr die ungeteilte Aufmerksamkeit der über tausend Junghexen und -zauberer sicher war und las klar und unüberhörbar:
"Krimineller Alptraum grausame Gewissheit! Massenausbruch aus dem Zauberergefängnis Askaban! Zehn ehemalige Gefolgsleute des Unennbaren nun in Freiheit! Die Zaubererwelt in Schock!
Mit allergrößter Bestürzung erfuhren wir heute Morgen, nachdem unsere Auslandskorrespondentin Iris Poirot sich endlich wieder in Großbritannien umsehen konnte, daß es bereits zu Beginn des Januars zu einem überraschenden Massenausbruch aus der bislang für größtenteils sicher gehaltenen Zitadelle von Askaban gekommen ist. Zehn erwiesene Getreue des vor über dreizehn Jahren in grausamer Manier wütenden Hexenmeisters, den niemand unbescholtenes aus der Zaubererwelt beim Namen nennt erzwangen sich die Flucht aus dem Gewahrsam der Dementoren, welche Askaban seit vielen Jahren unter Oberaufsicht der britischen Abteilung für magische Strafverfolgung bewachen. Sie gelten als äußerst brutal und haben alle mindestens einen Mord auf ihrem Gewissen. Unter den flüchtigen Verbrechern befindet sich das Ehepaar Bellatrix und Rodolphus Lestrange, die zu ihrer Mordlust auch noch als besonders große Fanatiker im Dienste des Unnennbaren zählen.
In einer Stellungnahme zu diesem überaus verwerflichen Akt wider die Sicherheit unserer Welt erklärte der Minister für Magie, Monsieur Armand Grandchapeau:
"Ich wußte nicht, daß meine schlimmsten Alpträume so schnell so grausame Wirklichkeit werden würden. Hinzu kommt noch, daß uns europäische Zaubereiminister niemand rechtzeitig über diese Flucht unterrichtet hat. Dieser Vorfall muß noch geklärt werden. Dennoch möchte ich alle Hexen und Zauberer Frankreichs zur Besonnenheit aufrufen. Im Gegensatz zu meinem britischen Amtskollegen habe ich meine Beamten frühzeitig zur Ergreifung wirkungsvoller Abwehrmaßnahmen angehalten. Wie richtig dieser auch von Kollegen und Mitzauberern kritisierte Weg nun ist, müssen wir nach den Vorkommnissen in Askaban, deren Ursache noch nicht gänzlich geklärt ist, eingestehen. Wir vom Magieministerium, Messieusdames Mitzauberer und -hexn, werden alles erdenkliche unternehmen, um einen Übergriff eventueller Helfer und Helfershelfer des dunklen Magiers, dessen Namen niemand gerne nennt oder hört, von unserem Land und seinen Bewohnern, Zauberern oder Muggeln, wirkungsvoll zu schützen."
Eine weitere Stellungnahme aus der Abteilung für Strafverfolgung und dem französischen Hauptquartier der Liga zur Abwehr der dunklen Künste ist für den laufenden Vormittag geplant. Wir vom Miroir Magique werden in einer abendlichen Extraausgabe über diese Zusammenkünfte berichten. ..."
Dann folgten die Namen aller zehn Gefangenen. Erst als Madame Maxime die Zeitung zusammenfaltete, kam wieder etwas Gemurmel an den Tischen auf. Die Schulleiterin setzte sich auf ihren Platz und überließ ihre Schüler der Wirkung dieses Artikels, der nun an den Tischen noch mal in Einzelheiten besprochen wurde.
"Nachdem der dunkle Meister sich zurückgemeldet hat, war das doch klar, daß der seine eingesperrten Leute rausholt", sagte Julius beinahe unbeeindruckt von der schrecklichen Nachricht. Er sah in allen Gesichtern übermäßiges Unbehagen, ja Angst aufleuchten. Robert fragte ihn leicht gereizt:
"Für dich ist das wohl nur eine einfache Nachricht, wie? mann, wenn Du-weißt-schon-wer wirklich wieder da ist, dann sind wir alle in Lebensgefahr, Mensch."
"Robert, das waren Muggel und Zauberer seit der Erfindung der Atombombe schon immer", warf Julius fast schnippisch ein. "Wenn von den Muggelpolitikern mal einer was total wahnwitziges angestellt hätte, wären wir alle, ob Muggel oder Zauberer, heute nicht mehr hier. Außerdem war mir das klar, daß der die Dementoren auf seine Seite zieht. Minister Grandchapeau sagte ja auch, daß das französische Gefängnis Tourresulatant wieder verstärkt belegt würde, weil er dem Frieden in Askaban nicht mehr traut. Recht hatte der Mann. Nur eben daß wir jetzt erst was von dieser Flucht mitgekriegt haben, das wurmt mich doch. Warum hat Fudge nicht die anderen Zaubereiminister darüber informiert?"
"Weil dieser Minister von der Insel meinte, die würden nur in England rumlaufen", meinte Gaston Perignon gehässig. "Du weißt doch, daß Askaban zu neunzig Prozent von den Briten überwacht wird, weil die Insel von Askaban ja in ihrer Nachbarschaft liegt. Dem war das sicher überpeinlich, zugeben zu müssen, daß sowas passiert ist."
"Na toll, dann hätten die sich in aller Ruhe absetzen und uns massakrieren können", warf Robert Deloire sehr verunsichert ein.
"Stimmt, Robert, meinte Julius. "Aber ich bleibe dabei, daß sowas ja schon zu erwarten gewesen war." Er fragte sich, wieso Gloria und Aurora Dawn ihm kein Wort davon gegönnt hatten. Oder hatte Fudge das auch in England nicht sofort rauskommen lassen?
"Julius, klar, daß du natürlich wegen deiner Abstammung her nicht so viel Angst vor Du-weißt-schon-wem hast, wie alle anderen hier", setzte Hercules an, der die aus Angst entstammte Gereiztheit beruhigen wollte. "Wahrscheinlich stimmt das auch mit diesen Ata-Mom-Bomben, oder wie die Dinger hießen. Doch Robert hat recht. Wenn der Unnennbare wieder da ist, wenn er wirklich seine Leute sammelt, dann sind wir alle bald geliefert. Das wirst du ja wohl nicht blöd reden."
"Mit Sicherheit nicht, Hercules", bestätigte Julius. "Ich bin gerade wegen meiner Abstammung einer von denen, die der Irre als erste niedermachen will. Sicher habe ich auch Angst vorm sterben, und ich will bestimmt auch nicht unter den Versklavungsfluch genommen und zum Mord an euch oder anderen gezwungen werden. Ich wollte nur sagen, daß ich mit sowas wie dem hier gerechnet habe. Deshalb bin ich nicht so heftig geschockt wie ihr."
"... Die neuen Stundenpläne für das zweite Halbjahr", unterbrach Professeur Faucon mit lauter Stimme die hitzigen Debatten am grasgrünen Tisch und ging herum, um die Zettel mit den Stundenplänen auszuteilen.
"O Professeur Faucon", sagte Robert, der im Moment eher wutrot als kreidebleich aussah, weil Julius' nach außen wirkende Abgebrühtheit ihn mehr ärgerte als die Angst vor den Ausbrechern und ihrem Anführer ihn verunsicherte. Die Lehrerin sah sehr ernst aus und wirkte so, als müsse sie eine schwere Aufgabe erledigen. Dann erreichte sie die Jungen der dritten Klasse.
"Ich mußte gezwungenermaßen einen Teil Ihrer Diskussion mithören, Messieurs. Die größte Macht Voldemorts - Lassen Sie das doch endlich mal sein, sich andauernd zu Tode zu erschrecken, wenn dieser Name fällt! - besteht darin, daß er Leute, die an sich gut miteinander auskommen, gegeneinander aufbringen kann. Geben Sie ihm nicht ohne dessen aktives Zutun so viel neue Stärke, Messieurs! Da wir laut dem neuen Stundenplan des zweiten Halbjahres gleich die erste Stunde am Montag Protektion gegen die destruktiven Formen der Magie miteinander haben, lade ich Sie gerne ein, Ihre Meinungen in geordneten Bahnen zu diskutieren. immerhin ist dieser Vorfall, wenngleich zu erwarten, wie Monsieur Andrews bemerkt hat, außergewöhnlich genug, um heute eine Ausnahme vom üblichen Lehrplan zu machen. Wir sehen uns also gleich in der ersten Stunde, Messieurs."
Julius nutzte die Ausgabe der Stundenpläne, um sich selbst wieder zu beruhigen. Hatte er wieder was dummes gesagt, was blödes muggelmäßiges von sich gegeben? Darüber wollte er sich jetzt nicht aufregen. Die Flüchtlinge waren weit genug von Beauxbatons weg, und hier apparieren konnten sie genauso wenig wie in Millemerveilles oder bei Catherine Brickston. Höchstwahrscheinlich mußten sie sich erst einmal verstecken, bis ihr Herr und Meister sie brauchen konnte. Insofern war die Gefahr für die laufende Woche nicht akut, erkannte er und las sich den Stundenplan durch.
Montags würde er also bei Professeur Faucon die erste Stunde Verteidigung gegen die dunklen Künste haben, dann kam Kräuterkunde bei Trifolio, alte Runen bei Milet und am Nachmittag war Zauberkunst dran.
Am Dienstag fingen sie mit Arithmantik an, dann war eine doppelte Doppelstunde Zaubertränke bei Fixus fällig. Nachmittags ging es dann zu den magischen Tieren. Er würde also den ganzen Dienstag Unterricht zusammen mit Millie Latierre haben. Irgendwie amüsierte ihn das.
Am Mittwoch, so verhieß es der Stundenplan, gab es in der ersten Stunde Verwandlung, dann war Zaubereigeschichte fällig und danach noch mal Zauberkunst. Nachmittags standen die alten Runen auf dem Plan.
Donnerstags setzte es Zauberkunst, Verteidigung gegen die dunklen Künste und Magizoologie am Vormittag und Arithmantik am Nachmittag.
Freitag standen Kräuterkunde, Zaubereigeschichte, Zauberkunst und Verwandlung auf dem Plan. Und am Abend gab es dann noch Astronomie.
Unter dem stundenplan stand: "Die von Ihnen gewählten Freizeitkurse bleiben, sofern Sie sich nicht ausdrücklich umorientieren möchten, so besetzt, wie Sie sie gewählt haben."
"Na Dienstag ist ja voll was los, wenn wir da schon die Doppelte Doppelstunde Zaubertränke haben", bemerkte Julius zu dem neuen Stundenplan. Hercules nickte. Dann sagte er: "Oh, da wird Madame Denk-nicht-dran wohl wieder Pausenaufsichten verteilen, um die lange blubbernden Tränke nicht in der großen Pause alleine rumstehen zu lassen."
"Ach, macht die das dann? Ich dachte, die legt den Conservatempus-Zauber über die Kessel und hebt den erst wieder auf, wenn die Pause vorbei ist", wandte Julius ein. Dann grinste er. Natürlich ließen sich Tränke, die gebraut wurden, nicht einfach zwischendurch magisch einfrieren oder im Zeitlauf verlangsamen. Das ging immer auf deren Wirkung, wenn sie noch nicht fertig waren.
"Tja, dann stellt euch Fixus bestimmt als Pausenaufsicht neben die brodelnden Kessel", fühlte sich Robert zu einer spöttischen Bemerkung berufen. Hercules war zusammen mit seiner Freundin Bernadette und Julius Prüfungsbester im Zaubertrankkurs gewesen. "Wenn die Gebieterin der Roten gut drauf ist, läßt sie dich mit deiner Süßen zusammen am Kessel stehen, während wir anderen uns draußen die Beine in den Bauch stehen dürfen."
"Ach, du Gurkennase weißt doch ganz genau, daß Madame Denk-nicht-dran keine zweigeschlechtlichen Paare allein in einer Klasse läßt", grummelte Hercules Moulin. Julius grinste nur. Ihm konnte das im Moment egal sein, ob es eine Pausenaufsicht gab oder nicht. Vielleicht würden sie auch durcharbeiten und dafür früher zum Mittagessen können. Möglich war auch, daß sie in wechselnden Schichten Pause machten, wenn die Kessel einmal zum Kochen gebracht waren und vorerst keine weiteren Zutaten eingefüllt werden mußten. Das würde er ja morgen erleben. Doch heute war heute. Immerhin hatte sich die Schockstimmung nach dem Ausbruchsartikel etwas beruhigt. Womöglich dämmerte es den meisten, daß sowas passieren mußte, und einige, die vorhin vielleicht geglaubt hatten, Voldemort sei doch nicht wieder aufgetaucht, gaben nun dem Zaubereiminister recht. Katastrophen oder Kriege konnten ein Volk oder eine Völkergemeinschaft unwahrscheinlich gut zusammenschweißen, hatte sein Vater oft genug erzählt und es seinem Sohn auch an genügend Beispielen bewiesen. Nun galten die Franzosen ja seit je Her als stille Rivalen der Engländer. Zumindest galt das für die nichtmagische Welt. Ob das dann auch zur Zaubererwelt passen mochte, konnte Julius nicht genau sagen.
Die erste Stunde verlief, wie Professeur Faucon es angeboten hatte, mit einer von ihr in geordneten Bahnen gehaltenen Aussprache über die Ausbrecher und was nach dieser Flucht zu tun und zu lassen war. Julius, der "geborene England-Experte", erzählte, was er in Hogwarts über Askaban, die ehemaligen Todesser und die Dementoren gelernt hatte. Er erzählte von seiner Begegnung mit den unheimlichen Wesen, die vor zwei Jahren den geflüchteten Sirius Black gejagt hatten.
"Also diese Wesen sind gefährlich. Das war mir schon klar, als ich im Zug nach Hogwarts mit einem von denen zu tun bekam. Ich habe mich auch immer gefragt, wie man solche Ungeheuer als Wächter in einem Hochsicherheitsgefängnis beschäftigen konnte. Aber irgendwie muß es ja wem in den oberen Büros des Zaubereiministeriums logisch erschienen sein, böse Zauberer von dunklen Kreaturen bewachen zu lassen."
"Nicht immer entspringt Aktionismus und Pragmatismus, also das Beharren auf die rein machbaren und greifbaren Dinge, aus Logik, Monsieur Andrews. Es ist eher so, daß die Vorgängerin Fudges, Madame Millicent Bagnold, die sich sehr gut mit Minister Grandchapeau verstand, durch den Druck der Masse getrieben wurde, die gefangenen Handlanger Voldemorts schlimmstmöglich zu unterjochen, sie nicht auf Fluchtgedanken kommen zu lassen. Da boten sich die Dementoren an. Ein gewisser Bartemius Crouch Senior hat das damals durchgesetzt, diese Wesen als Wachen in Askaban zu postieren und bekam genug Rückendeckung von fanatischen Gegnern der dunklen Seite, abgesehen von Professor Dumbledore, der immer seine warnende Stimme gegen die Beschäftigung von Dementoren erhoben hat. Aber mit Logik, dem Folgern von Ursache, Wirkung und Folgen, Monsieur Andrews, haben, so bedauerlich das ist, nur wenige Menschen in hoher Stellung zu tun", sagte Professeur Faucon. Laurentine griff noch mal auf, was sie von der hitzigen Diskussion am Frühstückstisch verstanden zu haben glaubte:
"Julius hat was erzählt, daß die Zaubererwelt ja auch verschwunden wäre, wenn unsere Leute Atombomben und Wasserstoffbomben im Krieg eingesetzt hätten und wir daher nicht so in Panik vor diesem Voldemort zittern sollten. Kann man den denn nicht finden und dann entmachten, womöglich dabei vernichten?"
"Wie ich Ihnen schon oft genug erklärte, Mademoiselle Hellersdorf", setzte Professeur Faucon mit sich eng zusammenziehenden Augen an, "ist die Welt der Nichtmagier nicht "Ihre Welt". Sicher ist es Ihnen leichter, von Ihren Eltern und Anverwandten so zu sprechen, aber die Dinge der nichtmagischen Welt sind für Sie nicht mehr verbindlich.
"Sie sagten uns, Professeur", griff Claire das Thema Dementoren noch mal auf, "Das dieser Patronus-Zauber die Dementoren vertreiben kann. Müssen wir den jetzt alle lernen?"
"Wenn es nach mir geht auf jeden Fall, Mademoiselle Dusoleil. - Was grinsen Sie so kindisch, Mademoiselle Hellersdorf?" Laurentine zuckte zurück, als die Lehrerin sie gezielt anblickte.
"Wenn die wirklich so unheimlich sind, dann kann die doch keiner rechtzeitig zurücktreiben", sagte Bébé. Das veranlaßte die Lehrmeisterin, Claire und Julius nach vorne zu bitten und mit ihnen zu demonstrieren, wie gut sie den Patronus-Zauber gelernt hatten. Julius mußte sich zwar mächtig konzentrieren, als ein Verzweiflungsfluch ihn voll traf und er ein glückliches Ereignis in sein Bewußtsein rufen mußte, um den Patronus-Zauber aufrufen zu können, schaffte es aber nach nur zwei Fehlschlägen, seinen großen silberweiß leuchtenden Sternenkrieger mit dem Energieschwert, Megerythros vom Antares, zwischen sich und Professeur Faucon zu beschwören.
"Höhö, der hat ja in den Sommerferien ja auch nix anderes machen dürfen", grummelte Laurentine. Professeur Faucon hörte das aber zu gut, um es ihr ungestraft durchgehen zu lassen.
"Einhundert Strafpunkte für Mademoiselle Hellersdorf und die Strafarbeitsaufgabe, vier Rollen Pergament über die Dementoren und die Abwehrmöglichkeiten zu verfassen, und zwar ohne dabei die übrigen Schulaufgaben im Ansatz zu vernachlässigen."
"Vier Rollen Pergament?!" Erschrak Laurentine sichtlich.
"Sie haben recht, Mademoiselle. Vier sind nicht ausreichend. Fünf Rollen", entgegnete Professeur Faucon. Alle anderen seufzten zwar, wagten aber nicht, was dazu zu sagen.
"Moment", sagte Julius, als er sicher war, daß sein Wortbeitrag nicht als Widerspruch gegen Professeur Faucon mißverstanden wurde, "Ich habe vor zwei Jahren einen Stimmungsfarbring bekommen. Der reagiert auf die eigenen Gefühle und zeigt sogar schon eine Veränderung an, wenn man selbst das noch nicht richtig wahrnimmt. Meine Bekannte aus Hogwarts hat damit bei einem Quidditchspiel die Annäherung von Dementoren festgestellt, bevor die auf dem Feld aufkreuzten."
"Ja, diese unbeabsichtigte Nebenwirkung ist mir bekannt, und nicht nur, weil Sie mir davon erzählt haben, Monsieur Andrews. Ich könnte also jedem unverbindlich raten, sich mit solch einem Schmuckstück auszurüsten, bevor die Hersteller, die ja nur das äußerliche Ansehen bedacht haben, ihn als überaus wertvolles Frühwarnartefakt erkennen und für den zehnfachen Kaufpreis früherer Zeiten anbieten."
"Ach diese Leuchtedinger, die die Mädels vor zwei Jahren hier getragen haben?" Fragte Robert Deloire. Jasmine sah ihn verächtlich an. Claire schien sichtlich begeistert zu sein, denn sie hatte ja auch so einen Ring bekommen.
"Genau", erwiderte Professeur Faucon. Dann führte sie die Diskussion wieder zum Thema der dunklen Bedrohung durch die Todesser zurück und besprach Verhaltensregeln, die die eigene Sicherheit verstärken konnten, ohne ein überstarkes Mißtrauen gegen andere Hexen und Zauberer zu verlangen. Nach der Stunde wünschte sie allen Schülern noch einen angenehmeren Tagesausklang und entließ sie in die kleine Pause zwischen den Stunden.
Irgendwie war Professeur Trifolio anders eingestellt, was die Katastrophenmeldung in der Morgenzeitung anging. Statt sich mit den Schülern drüber zu unterhalten, hielt er sie noch heftiger zur Mitarbeit an, sodaß am Ende der Doppelstunde außer Claire und Julius alle ihre zehn Strafpunkte weghatten, weil sie sich nicht ranhielten.
Julius schlüpfte kurz vor dem Läuten der Pausenglocke in ein freies Jungenbad und wechselte den derben Arbeitsumhang gegen den eleganteren Innenumhang aus und eilte dann schnell zum pausenhof, weil er als Pflegehelfer diesen Montag mit dem Lehrer oder der Lehrerin vom Dienst die Pausenaufsicht hatte. Er schrak fast zurück, als Madame Maxime durch die kleine Seitenpforte den Palast verließ und auf den Pausenhof trat. Sie suchte und fand ihn und winkte ihn zu sich.
"Ich bin in Vertretung für Professeur Faucon an der Reihe, die heutige Pausenhofaufsicht zu führen. Da Sie laut Pflegehelferplan diesen Montag Aufsichtsbegleitung haben, werden Sie mit mir diese zwanzig Minuten den Hof überwachen", sagte sie zu Julius, der ihr mit dem Kopf knapp an ihre Taille stieß. Dieser nickte nur. So gingen sie einige Minuten schweigsam über den Pausenhof. Alle Schüler verhielten sich auffallend ruhig. Niemand lärmte oder scherzte mit seinen Klassenkameraden. Alle hüteten sich davor, die Halbriesin zu ärgern.
"Ich vernahm, daß Sie sich um den Massenausbruch nicht so vehement ängstigten, wie der Rest ihrer Klassenkameraden", begann Madame Maxime eine Unterhaltung mit Julius. Dieser erwiederte:
"Professeur Faucon gebrauchte mal einen lateinischen Spruch: "Quod erat expectandum", was zu erwarten war. Ohne jetzt superklug rüberzukommen, Madame Maxime, war mir das klar, daß sowas passieren würde. Ich habe nur nicht gedacht, daß es so früh passiert. Ich hörte doch eher, daß alle in England glauben, daß Lord Voldemort nicht wiedergekommen sei, weil ja nichts passiert ist, was dafür spricht."
"Ja, und Ihnen sind natürlich die Massenvernichtungsmittel der Welt Ihrer Eltern bekannt, vor denen diese wohl Jahrzehnte große Angst hatten. Aber wenn Sie sagen, daß der Unnennbare früher als von Ihnen erwartet einen Ausbruch seiner gefährlichsten Getreuen arrangiert hat, dann möchte ich gerne von Ihnen wissen, welchen Grund er dafür haben könnte, wo er sich doch still und heimlich auf seine erste große Aktion vorbereiten kann, ohne behelligt zu werden."
"Ist das jetzt eine Anweisung?" Fragte Julius vorsichtig.
"In der Tat", bestätigte Madame Maxime unmißverständlich.
"Wenn der Unnennbare eine derartig erschütternde Aktion durchzieht, dann doch bestimmt, weil er diese Leute braucht, die er da rausgeholt hat, wenn er es alleine war und nicht einige Dementoren meinen, ihm schon mal was gutes zu tun und ohne seinen Befehl ... Aber Sie wollten ja wissen, was ich denke. Also, wenn er seine Leute jetzt schon befreien muß, dann ist er entweder nicht stark genug ohne sie, hat schon alles arrangiert, was er machen will und kann nun tun, was er tun will oder braucht diese Gangster, ähm, Schwerverbrecher für das, was er noch tun muß. In den Weltkriegen wurden manchmal Kriegsgefangene gezielt befreit, die bestimmte Sachen machen konnten, Flugzeug Fliegen oder U-Boot fahren. Dieser Rookwood, der da in diesem Artikel erwähnt wurde, war doch beim Zaubereiministerium in London. Könnte sein, daß der was wichtiges weiß oder tun kann, ohne das der dunkle Magier nicht weitermachen kann?"
"Höchst interessant", bemerkte die Schulleiterin, die Julius um mehrere Köpfe überragte, ja ihn locker unter ihren Satinumhang hätte stecken können, wenn dies nicht massiv ihre Würde untergraben hätte. "Sie gehen also davon aus, daß der Unnennbare einen Plan verfolgt. Nun, dummm ist er ja nicht. Daß er nach seiner von hiesigen Stellen für gesichert angesehenen Rückkehr nicht gleich wütend drauf losgeschlagen hat, beweißt ja, daß er sich überlegt, was er tut, wenngleich er doch einem Größenwahn verfallen ist, wie ihn vorher nicht viele dunkle Magier so überdeutlich praktiziert haben. Nun, ich habe natürlich auch meine Gedanken dazu und kann Ihnen im großen und ganzen beipflichten. Der Herr der Todesser mußte auf seine inhaftierten Erfüllungsgehilfen zurückgreifen, weil er einen Plan exekutiert, der ursprünglich ohne diese Leute hätte durchgeführt werden sollen. Offenbar ging dies jedoch nicht, und er mußte die spektakuläre Variante der Gefangenenbefreiung praktizieren, sofern diese nicht genau zu diesem Zeitpunkt in seinem Plan vorgesehen war."
"Entschuldigung, Madame Maxime, Ihnen da vielleicht zu widersprechen", setzte Julius etwas selbstsicherer an, als er sich vor Antritt dieser Pause noch gefühlt hatte, "doch ich vermute, daß er wohl gerne noch etwas gewartet hätte, um diesen Schlag noch besser landen zu können, wenn er anderswo noch was angezettelt hätte. Diese Lestranges sind offenbar sehr treue Anhänger von ihm. Sowas kann man gut verheizen, also gegen Leute losschicken, die einem selbst zu gefährlich sind. Möglicherweise hat Professor Dumbledore da schon was angeschoben, was dem dunklen Meister lästig wurde."
"Ich sehe das nicht als direkten Widerspruch an, zu Ihrem Glück, da ja Ihre Vermutungen eben ja nur eine Vermutung und kein fester Entschluß sind, der sich gegen mich richtet. Belassen wir es also einstweilen dabei, daß der Unnennbare seine Leute vor Ablauf einer bestimmten Zeit aus Askaban befreit hat, ob durch direktes Handeln oder über Umwege ist hier vollkommen nebensächlich. Es steht jedoch fest, daß er diese Verbrecher in England einsetzen wird, wozu auch immer. Einen Angriff auf andere Länder würde er nur wagen, wenn die Lage dafür günstig genug wäre, um ohne Verluste zu siegen. Minister Fudge hat sich ängstlich verkrochen, Professeur Dumblydor als seinen Widersacher angesehen und Harry Potter als geistesgestörten Knaben aufgebaut. Das wird ihm nun zum Verhängnis."
"... Bellatrix! Ist das nicht auch'n Stern, wie die Cassiopeia?" Drang eine unerwartet laute Frage vom anderen Ende des Pausenhofes herüber. Julius Andrews stellte fest, daß er mit der Direktrice den ganzen Hof komplett abgelaufen war und nun mehrere Dutzend Meter vom Palast entfernt stand. Er sah drei Fünftklässler der Blauen, die um Argon Odin herumstanden, der sich mit einer Klassenkameradin unterhielt.
"Du Idiot solltest wissen", konnte Julius Jeannes und Claires Cousin antworten hören, "daß die Cassiopeia eine Konstellation, ein Sternbild ist und kein Einzelstern. Ich denk doch, daß hat unser Saalvorsteher euch noch beibringen können. Und was soll'n das? Wieso ist das für euch so wichtig?"
"Tja, weil diese Bellatrix mit Sirius Black, einem anderen Askaban-Ausbrecher, verwandt ist, 'ne Cousine von dem ist das, hat mir mein alter Herr mal erzählt, als die Engländer diesen Wirbel um Sirius Black gemacht haben. Sirius ist doch auch 'n astronomisches Dingsbums. Könnte es da nicht sein, ...?"
"Daß du meinst, meine Mutter könnte mit dieser durchgeknallten Kriminellen verwandt sein?" Vollendete Argon wutrot den Satz. Julius starrte auf die Blauen, die rasch Verstärkung bekamen.
"Das stinkt nach Ärger", sagte er und machte sich schon auf, zu Argon hinüberzugehen. Madame Maxime ergriff ihn sanft aber unabwendbar mit einer Hand um den Rücken und hielt ihn zurück.
"Der Aufruhr wird nicht erliegen, wenn Sie sich dazwischenwerfen. Wir gehen dort gemeinsam hin!" Bestimmte sie entschlossen und schob Julius langsam voran.
"Jetzt kapier ich es auch, was deine Mutter gegen Muggelstämmige hat. Deshalb ist die so wegen deiner ersten Flamme in die Luft gegangen. Ihr haltet es mit Du-weißt-schon-wem", tönte der Wortführer der kleinen Gruppe. Argon, erst wutrot, dann total angewidert, rang um Fassung. Dann sagte er:
"Meine Verwandten haben nix mit dem zu schaffen, nur weil Maman zufällig Cassiopeia heißt."
"Au, vorsicht, gleich flucht er uns alle nieder, weil wir sein Familiengeheimnis rausbekommen haben", zischte einer der Umstehenden mit übertriebener Furcht in der Stimme.
"Das muß er nicht besorgen, Messieurs, das zu tun ist mein alleiniges Vorrecht", fuhr Madame Maxime dazwischen und reckte ihre rechte kinderkopfgroße Faust mit dem Zauberstab vorwärts. Die jugendlichen Zauberer flüchteten sofort in alle Richtungen.
"Das wird Sie nicht vor den Strafen schützen, die ich noch verhängen werde, Messieurs!" Rief Madame Maxime noch. Dann zog sie Julius wieder mit sich fort, da ja nichts mehr zu tun war. Argon stand nur da und starrte total erschüttert ins Leere. Claire und Jeanne kamen zu ihm herüber und sprachen mit ihm. Einer der Blauen, wohl der Wortführer der Pöbelbande von eben, rief den Mädchen noch zu, daß sie ja Verrat am Meister begingen, weil sie ja mit Muggelstämmigen befreundet seien und lachte absolut blöde über diesen schlechten Scherz.
"Langsam reicht's. Wenn der Claire jetzt auch noch dem dunklen Lord zuordnet, werde ich bald sauer", schnaubte Julius. Claire und Jeanne blickten sich um, wer alles diesen derben Spruch gehört hatte. Laurentine stand bei Céline und wußte nicht, was sie davon halten sollte. Millie Latierre, die bei Caro und Leonnie aus ihrer Klasse stand, tuschelte mit den beiden Kameradinnen, während Adrian Colbert, der bei Belle Grandchapeau stand, gerade beschlossen hatte, seinem Saalmitbewohner eine fällige Strafpredigt zu halten.
Der Rest der Pause verlief nach einer erneuten Ermahnung Madame Maximes ereignislos, wie auch der Rest des Vormittags. Zwar sah Claire etwas bedrückt aus, weil ihr der Spruch aus der Pause nahe ging, aber nicht weil sie sich als Verräterin fühlte, sondern weil da jemand einfach so behaupten durfte, daß ihre Familie was mit diesem dunklen Zauberer zu schaffen hatte und nicht gleich von der Schule flog.
Nach dem Mittagessen traten die Drittklässler aus dem grünen Saal bei Professeur Bellart an und probierten den Aufmunterungszauber aus, der zu den gutartigen Gefühlsveränderungsstücken gehörte, die sie in diesem Jahr lernten. Nach der Nachmittagsstunde sagte die rundliche Lehrerin noch:
"Nun, ich freue mich, daß Sie alle sich gut rangehalten haben, ja auch Sie, Mademoiselle Hellersdorf. Zauberkunst ist immer wichtig, egal was Sie später im Leben einmal beruflich machen. Bis zur nächsten Stunde lesen Sie bitte das Kapitel über die Harmonie zwischen Zauberstabbewegung und der mentalen Komponente bei Beruhigungs- und Aufmunterungszaubern! Einen angenehmen Nachmittag noch!"
"Danke, Professeur Bellart und auch Ihnen einen angenehmen Tag noch", grüßte die Klasse im Chor zurück. Dann verließen die fünf Mädchen und sechs Jungen den Zauberkunstraum.
Julius war nicht der einzige, der sich sonntagsfein umzog, als sie alle im grünen Saal ankamen. Auch Hercules, Gérard und Robert schlüpften in die feineren Sonntagsumhänge, prüften ihr Haar und ihre Schuhe. Dann nahmen sie ihre Geschenkpakete auf und verließen den Jungenschlaftrakt.
Céline hatte sich ihre Sonntagsbluse aus blütenweißem Satin zu einem knielangen blaßblauen Tüllrock angezogen. Claire trug eine blaßblaue Bluse aus Seide und einen fließenden erdbeerroten Satinrock. Julius, der ja mal eine halbe Woche als Schulmädchen herumgelaufen war, beneidete die Hexenschülerinnen, daß sie am Sonntag oder zu feierlichen Anlässen nicht im Einheitsblaßblau herumlaufen mußten, wie es die Jungen tragen mußten.
"Sandrine wartet unten am Pausenhofausgang, Gérard", sagte Claire, als Julius zusammen mit Professeur Laplaces Sohn bei ihr ankam. Gérard nickte und verließ durch die sich auflösende und danach wieder verfestigende Wand den grünen Saal. Céline hakte sich bei Robert ein und zog sich an einen Tisch zurück, wo sie mit ihm warten wollte, bis die übrigen Valentinstagsausflügler den Saal verließen. Edmond Danton, der Saalsprecher, saß wie ein Wachmann auf Posten hinter einem großen Tisch, von dem er alles im Saal überblicken konnte. Offenbar hatte er sich wieder als Moralhüter verpflichtet, keine unschicklichen Sachen passieren zu lassen, vermutete Julius. Daß er selbst ja eine Freundin hatte, die wohl gerne mit ihm einen Valentinstagsspaziergang gemacht hätte, schien Edmond nicht so wichtig zu sein.
"Also, bis zum Abendessen dann!" Wünschte Claire Céline. Diese nickte und strahlte Julius an, der zusammen mit seiner Freundin den Saal verließ.
Durch die Korridore, Zeitversetztgänge und Treppenhäuser eilten die Schülerinnen und Schüler hinaus aus dem Palast. Schuldiener Bertillon stand am erhabenen Portal und nickte die vorbeigehenden Mädchen und Jungen ab, als müsse er eine Strichliste führen, wer gerade rausmarschierte. Vor dem Hauptportal verteilte sich der Strom der Jugendlichen auf die weitläufigen Ländereien von Beauxbatons. Ein Teil der Schülerinnen und Schüler ging in die Parks, die den Palast ringförmig umgaben, andere besuchten die Zaubergärten. Zu diesen gehörten auch Jeanne und ihr Freund Bruno. Claire und Julius schlugen einen Weg zur schuleigenen Menagerie ein, um die Zaubertiere zu besichtigen und dabei ruhig und geduldig voran zu schreiten. Vor dem Eingang zu den Ställen und Gehegen, Koppeln und Käfigen stand Professeur Armadillus und hielt eine Pergamentrolle und eine mit grüner Tinte getränkte Feder in Händen. Er nickte Claire und Julius zu und zog zwei Striche auf der Pergamentrolle, einer Liste von Schülern, die hierher kommen wollten. Er wartete, bis die beiden den Lehrer begrüßt hatten und wünschte ihnen noch einen angenehmen Nachmittag.
Ich wärme mich im großen warmen Licht, das nun wieder stärker auf den Boden fällt und fühle, daß ich immer besser gelaunt bin. Ich putze mich gründlich, weil ich vorhin beim Fang der Ratte viel Schmutz in mein Fell bekommen habe. Springfuß, mein von einem ganzen Warm-Kalt-Zeitraum später gekommener Bruder, singt für die kleine Schwarznase, die gerade in Stimmung kommt.
Ich fühle mich schön wohl hier. Zwar sind in diesem Durchlauf des großen Lichtes wo es noch kletterte Zweifußläufer mit Armadillus zu uns gekommen und haben uns angesehen und auch zu fangen versucht, aber das kenne ich schon seit ich klein war. Ich spüre, daß heute aber was besonderes passieren wird. Es macht mir keine Angst. Ich fühle mich eher neugierig, was das denn sein mag.
Amélie Dujardin, die ältere Schwester des Suchers der Gelben, stand mit ihrem Freund Henri bei der Koppel der Abraxarieten, jener gigantischen geflügelten Palominos, welche auch die Reisekutsche der trimagischen Abordnung aus Beauxbatons gezogen hatten. Pyrois, der größte der Hengste, tänzelte um eine von zwei Stuten herum, die abwechselnd mit den elefantenfußgroßen Hufen scharrten oder um sich schnappten, um sich voneinander fernzuhalten oder den sie umtänzelnden Hengst auf Abstand zu halten. Ihre Schweife schwangen auf und nieder, als wüßten die weiblichen Flügelpferde nicht, ob sie sie nun herabhängen oder auf ihrem Hinterteil liegen lassen sollten.
"Huch, haben die heute Brautschau und Hochzeit?" Fragte Julius, der vermutete, was dieses Spiel zu bedeuten hatte. Claire sah die drei Tiere an. Ein etwas kleinerer Hengst aus der insgesamt vierundzwanzig Tiere zählenden Herde trabte heran. Pyrois wieherte lautstark und verbiss den kleineren Artgenossen übergangslos. Dieser galoppierte ängstlich davon. Offenbar war der aber nicht der einzige Rivale des majestätischen Tieres. Ein anderer, wohl etwas älterer Hengst mit zerzaustem Schweif trabte heran und versuchte, sich auf die ihm am nächsten stehende Stute zuzubewegen. Diese trat aus und traf ihn beinahe an der Brust. Doch das machte ihm offenbar nichts. Er sprang hoch und um sie herum. Pyrois wieherte drohend. Ebenso wieherte der Nebenbuhler. Sie stampften mit den Hufen und spannten alle Muskeln an. Dann stieß Pyrois vor und versuchte, den Gegenspieler zu beißen. Dieser schlug mit dem rechten Vorderfuß aus und traf den großen Hengst an der linken Vorderflanke. Kurz zuckte Pyrois zurück, um dann wütend auf den anderen Hengst einzustürmen. Dieser zog sich nach einer nur fünf Sekunden dauernden Rangelei mit mehreren Bisswunden am Hals zurück. Pyrois versuchte danach total erregt, die ihm am nächsten stehende Stute zu besteigen. Diese wehrte ihn zwar ab, aber wohl nicht entschlossen genug. So beobachteten Claire, Julius, Amélie und Henri das Treiben der Riesenpferde, das darin gipfelte, daß Pyrois sich mit der stämmigeren der beiden Stuten paarte. Die andere versuchte zwar, ihre Artgenossin von dem Hengst abzudrängen, doch ließ dies bleiben, als Pyrois sie sehr eindeutig mit einem Fuß fortstieß, bevor er mit der Auserwählten zusammenkam.
"Das sind die beiden Leittiere, Julius. Pyrois, der stärkste der drei Hengste und Cleo, die schnellste und ausdauerndste Stute der einundzwanzig", sagte Amélie, wobei sie das Schnauben, Stöhnen und stoßweise Wiehern der sich fortpflanzenden Tiere übertönen mußte. Henri, den Julius bei Virginies ZAG-Feier schon einmal gesehen hatte, winkte dem jüngeren Schüler zu und meinte:
"Die sind hier so drauf wie wir, Goldtänzer. Die Stuten verbeißen sich und die stärksten Hengste tönen herum, wie toll sie doch sind. Irgendwie interessant, daß die ausgerechnet am Valentinstag Fohlen machen müssen."
"Kommt ja wohl darauf an, wie lange eine Stute ..."
Wiehiehiehüühühürm", schnitt ein überlautes Wiehern Julius' Antwort ab. Pyrois glitt schweißnass und mit leicht zerzaustem Fell von Cleos Rücken herunter. Julius staunte, daß die großen Schwingen der Stute bei dem heftigen Liebesspiel nicht gelitten hatten. Doch erschöpft war auch sie.
"Abraxarietenstuten tragen dreizehn Monate, Julius. Sie werfen danach nur ein, selten zwei Fohlen mit dunklem Fell und noch nicht ausgebildeten Flügeln, die sie ein halbes Jahr säugen", belehrte Amélie den Drittklässler. Dieser nickte.
"Laufen hier denn Fohlen rum?" Fragte Claire und deutete auf die übrigen Tiere der Koppel, die sich in respektvollem Abstand hielten. Offenbar, so erkannte Julius, hatten sie an diesem Tag lernen müssen, den stärksten Mitgliedern ihrer Herde aus dem Weg zu bleiben.
"Die wachsen recht schnell. Die sind nach nur fünf Jahren schon geschlechtsreif und nach sechs Jahren voll ausgewachsen", wußte Amélie noch.
"Na, Goldtänzer, jetzt in Stimmung gekommen?" Fragte Henri und zwinkerte Julius zu. Dieser tat so, als sei das für ihn nicht so wichtig und erwiderte nur:
"Nur wenn ich wweiß, was mit den Fohlen passiert und ob die hier überhaupt welche kriegen, Henri."
"Achso ja. Die Hitze bei Abraxarietenstuten, die nicht tragen, kommt nur alle zehn Monate wieder. Wenn eine Trächtigkeit eintritt, ist die Stute erst ein volles Jahr nach der Geburt wieder empfängnisbereit. Zurzeit laufen hier sieben Zweijährige herum, die gerade ihr Jugendfellkleid wechseln. Du kannst sie an den hellen Farbtupfern am Körper erkennen. Sie tollen wohl da hinten noch herum. Die Koppel ist ja fünfhundert Meter groß, um unnötige Platzstreitigkeiten zu verhindern. Und Henri, du möchtest doch nicht auch wie Malthus von Beauxbatons runterfliegen, nur weil du davon träumst, so'n Hengst zu sein."
"War doch nur'n Angebot, Amélie", erwiderte Henri und sah seine Freundin gehässig grinsend an. Sie zog ihn am Ärmel und sagte zu Julius:
"Ich hoffe, Pyrois hat dich nicht für's Leben verdorben. Aber ich denke, du hast in euren Fernguckkästen bei deinen Eltern bestimmt schon sowas gesehen. Angenehmen Valentinstag noch ihr zwei!" Sie zwinkerte Claire und Julius zu und zog ihren Freund sanft mit sich.
"Damit hat sie recht", dachte Julius für sich und grinste. Claire sagte leise:
"Du siehst, die Hexen hier geben vor, wo's lang geht, Julius. War aber mal interessant, wie diese Tiere sich fortpflanzen. Ziemlich laute Sache."
"Ach, dann sind andere Tiere leiser dabei?" Warf Julius frech grinsend ein.
"Kein Kommentar", erwiderte Claire und errötete unvermittelt. Julius, der einerseits nicht bedauern wollte, was er gesagt hatte, andererseits aber vermutete, etwas gesagt zu haben, daß Claire nicht so locker wegsteckte, schwieg eine Weile, bis Claire ihn wie vorhin Amélie am Ärmel ergriff und sacht weiter mit sich zog.
Bei der Koppel mit den Hippogreifen, den erhabenen Tieren mit dem Vorderkörper eines übergroßen Adlers und dem Hinterleib eines Pferdes, verharrte das Paar und unterhielt sich über die ersten Monate, die Julius in Beauxbatons zugebracht hatte. Claires Freund war versucht, ihr von seinem Besen zu erzählen, weil Jeanne und Barbara das ja auch schon wußten. Doch solange sie es nicht von anderen erfuhr, hatte er das keinem von sich aus zu erzählen. So gingen sie einmal um die große Koppel herum und unterhielten sich über das, was sie beide im ersten Halbjahr besonders berührt hatte. Julius erwähnte dabei wieder den allerersten Schultag hier und sprach frei seine Gedanken aus, die er in den Vier Tagen als Belles Zwillingsschwester gehabt hatte. Claire amüsierte das, obwohl sie es im Ansatz schon von ihm gehört hatte, wie er sich angestellt hatte, die körperlichen Angelegenheiten eines Mädchens zu erlernen und mit Schminke und Puder zu hantieren.
"Kann mir vorstellen, daß das nicht angenehm war, ausgerechnet mit Grandchapeaus Kronprinzessin zusammengeflucht zu werden. Sandrine hat mal gemeint, daß sie nicht gewußt hätte, was sie da gemacht hätte, wenn es sie und dich erwischt hätte. Immerhin kannst du jetzt einiges besser verstehen, was wir so jeden Tag erleben und durchmachen müssen", sagte Claire ruhig und entspannt.
"Na ja, was in der Zeit so zu verstehen war, Claire. Ich weiß nicht, ob das nun was besonders empfehlenswertes war oder nicht. Aber interessant war's schon."
"Wie hat deine Mutter das dann aufgenommen, als du's ihr gesagt hast?" Fragte Claire neugierig. Julius erzählte ihr, was seine Mutter dazu gesagt hatte. Er erwähnte auch, was Catherine ihm dazu gesagt hatte. Danach besprachen sie die Sache mit Millie, die sich an Julius heranzumachen versuchte. Claire hörte sich ruhig an, was er dazu sagte und nickte dann.
"Ich finde nichts an Millie, außer daß sie wohl meint, zu wissen, was sie will, Claire. Ich komme mit ihrer Schwester Martine im Pflegehelferkurs und bei Fixus' Alchemiegruppe gut klar. Mehr läuft da nicht von mir aus."
"Dennoch möchte ich doch gerne wissen, warum du gerne mit mir zusammen bist", wandte Claire ein. Julius, der gefürchtet hatte, diese Frage beantworten zu müssen, schluckte hörbar. Er sah sich suchend um, als hoffe er, durch einen ungebetenen Zuschauer davon abgebracht zu werden, darauf antworten zu müssen. Doch in Hörweite war niemand zu sehen.
"Öhm, ich habe es ja immer gesagt, daß ich nicht weiß, ob ..."
"O fang nicht so an!" Fuhr Claire leise aber unmißverständlich dazwischen. Julius verstand. Einem Mädchen, mit dem er zusammen war, zu sagen, daß er nicht davon überzeugt war, daß es was ernstes bleiben würde, war sicher total verkehrt. Deshalb räusperte er sich und setzte neu an."Also, du kannst dich besser benehmen als Millie. Du bist aber auch ehrlich zu mir gewesen, immer schon. Ich finde das schön, das ich mit dir zusammen bin, weil du mit meiner Art bisher gut klarkommst. Anders kann ich das im Moment nicht sagen. Ich habe mich richtig gefreut, daß wir beiden beim letzten Sommerball wieder gewonnen haben, eben weil das ja kein richtiger Wettkampf ist, für den man trainieren kann. Ja, und bevor ich irgendwelchen Blödsinn daherrede, möchte ich nur noch sagen, daß ich mich bei dir wohlfühle, weil du mir zeigst, daß Bücher und wissenschaftliche Versuche alleine nicht das Leben erklären. Was besseres fällt mir im Moment nicht ein. Bei Millie habe ich das Gefühl, sie will mich, weil ich nicht aus ihrem üblichen Umfeld komme, ein Sonderfall oder sowas bin. In der Muggelwelt gibt es viele Geschichten von Leuten, die nur was miteinander anfingen, weil sie nicht in die übliche Umgebung passen wollten oder konnten."
"So, davor hast du Angst, daß Millie dich als Sonderfall sieht, weil du keine reinblütigen Zauberereltern hast oder nicht aus Frankreich kommst oder so?" Fragte Claire.
"Angst als solches ist das eher nicht, Claire. Ich denke nur, daß sie oder Caro sich nicht mehr für mich interessieren würden, wenn sie kurz mit mir zusammen wären und dann alles wüßten, was von mir so rüberkommt."
"So, Millie Latierre findet dich also nur wegen der Abstammung her interessant, findest du. Ich fürchte, da irrst du dich heftig. Aber vielleicht liegt das daran, daß dich das mit dem Aussehen von jemanden nicht so heftig interessiert oder du das zumindest vorgibst. Das wirst du noch lernen, wo's 'nem Mädchen auch drauf ankommt. Fangen wir damit an, daß ich gerne von dir hören möchte, was dir an mir besser gefällt als an Millie, Caro, Belisama oder Belle, mit der du ja doch sehr nahe zusammen warst."
"Du meinst jetzt vom Aussehen her?"
"Genau, Cherie."
Ich wußte nicht, ob mich blonde Mädchen mehr interessieren als dunkelhaarige oder gar rothaarige. Aber irgendwie gefällt mir das schon, wie dein Haar aussieht und sich anfühlt. Auch wie dein Körper aussieht, soweit ich den bisher sehen darf, gefällt mir das schon. Sicher, Belisama sieht schon eher wie eine erwachsene Frau aus als Millie oder du, aber ich weiß nicht, ob ich wirklich nur eine schöne Frau haben möchte. Meine Eltern haben sich auch nicht nur wegen des Aussehens verstanden und ..."
"Nix da, Julius. Mehr wolllte ich im Moment nicht wissen. Du mußt jetzt nicht noch versuchen, das zu begründen. Das will ich nicht wissen, warum das so ist, wie du das findest. Ich denke mal, andere Mädchen wollen das auch nicht hören. Aber vielleicht bin ich dafür noch nicht weit genug herumgekommen. Also du sagst, wir beide passen äußerlich besser zusammen als du und Belisama oder du und Millie?"
"O das kann ich jetzt wirklich nicht beurteilen, Claire. Bitte krieg' das nicht in den falschen Hals! Ich wollte nur sagen, daß ich mit dir immer noch am liebsten zusammen bin", sagte Julius und zwang sich dazu, ruhig zu bleiben. Denn gerade in diesem Moment tauchten die Bilder und Gefühle aus dem Traum von ihm und Martine in seinem Bewußtsein auf. Er mußte sich zusammennehmen, nicht davon in Verlegenheit zu geraten. Denn er fragte sich, ob das, was er da gerade gesagt hatte, wirklich die Wahrheit war oder nicht mehr als eine unerkannte Lüge, mit der er Claire und sich selbst was vormachte. Doch dann fing er sich wieder. Träume konnten verrückt sein. Was er wirklich empfand, war dadurch doch nicht zu bestimmen. So sagte er noch: "Ich möchte, daß wir beide so lange zusammenbleiben, wie's geht, Claire. Dann kriegen wir auch raus, was dabei alles passieren kann."
"Schön gesagt, Julius. Im Augenblick fällt mir da nichts besseres zu ein. Danke für diese netten Sachen!"
Sie gingen weiter und besichtigten die Stelzhörner, Tiere, die wie langbeinige Rinder mit dichtem weißen Fell aussahen und aus den nördlichen Ländern Europas und Amerikas stammten, sowie ausgewachsene Einhörner, die in einem kleinen eingezäunten Waldstück gehalten wurden. Vor einer künstlichen Grotte saß ein Wesen, das den Kopf einer Frau mit braunen Haaren und den Körper eines Löwen besaß. Julius traute sich, vor die hohe Umzäunung zu treten und das Wesen genau anzusehen. Dieses wandte sich an ihn und sah ihn genau an, mit dem Blick eines intelligenten Wesens, daß genau erfassen konnte, was um ihm herum ablief.
"Eine Sphinx", stellte Claire fest, als das Zauberwesen auf den Zaun zutrottete. Sie sahen sich gegenseitig an. Dann zog sich das Wesen zurück in die Grotte.
"Es langweilt sich wohl", fand Julius. Claire fragte ihn, woher er das wissen wollte.
"Die sah so aus, als würde sie am liebsten hier aus dem Käfig herausgehen und frei herumlaufen, um anderen Zauberern und Hexen irgendwelche Rätsel zu geben", flüsterte er Claire zugewandt. Dann ging er mit ihr davon, weiter zu den Ställen und Freigehegen mit den kleinen Zaubertieren.
Julius stand mit Claire vor dem Gehege, in dem er vor drei Monaten den Kniesel gesehen hatte, als er Belles unfreiwillige Zwillingsschwester auf Zeit gewesen war. Im Moment schien der Bewohner dieser Einfriedung nicht auf Zuschauer auszusein, denn nichts und niemand rührte sich darin. Der Drittklässler trat näher und blickte über den etwa anderthalb Meter hohen Zaun. Er konnte einige kleine Rundbauten aus Ziegelsteinen erkennen, die durch große Löcher zu betreten waren.
"Was leben hier für Tiere, Julius?" Fragte Claire neugierig. Zur Antwort erschien ein Kopf wie von einer Katze aus dem vordersten der Rundbauten. Die Ohren waren wohl doppelt so breit und hoch, wenngleich immer noch katzenartig geformt. Das Tierwesen schob sich vorsichtig schnüffelnd und die Ohren bewegend aus dem Rundbau und näherte sich auf vier schlanken Beinen. sein Fell war silbriggrau, seidigglatt und über Rücken und Bauch mit dunkelbraunen runden Tupfern übersäht. Die smaragdgrünen Augen mit den senkrechten Pupillen blickten mit einer Mischung aus Neugier und Abschätzung auf die beiden Beauxbatons-Schüler. Nun sah Julius, daß dieses Tier einen langen schlanken Schwanz besaß, der nicht silbriggrau, sondern goldgelb glänzte, bis hin zur ockerfarbenen Quaste, an der feine lange Haare saßen.
"Sowas lebt hier, Claire. Das ist ein Kniesel, magizoologisch unter Mysteriofelis rictavia Knieseli bekannt."
"Ach, daß ist also ein Kniesel. Im Tierpark von Millemerveilles wollten sie mal welche haben, doch die sind ihnen abgehauen. Offenbar können die gut klettern und lassen sich durch einfache Bannlinien nicht zurückhalten", sagte Claire.
Sabine und Sandra kamen schwatzend um die Ecke. Claire rümpfte die Nase, weil sie an und für sich mit Julius alleine sein wollte, wenn schon Valentin war, was ja in England der Tag der liebenden war.
"Hallo, ihr beiden!" Rief Sandra Montferre. Julius grüßte zurück, Claires mißmutigen Blick nicht beachtend.
"oh, Königin Queue Doréeerweist uns die Ehre, sich dem einfachen Volk zu präsentieren", sagte die wenige Minuten als ihre Schwester jüngere Sandra Montferre.
"Queue Dorée? Goldener Schweif? Der Name paßt", fand Julius. Claire warf ihm einen Blick zu, daß ihr etwas nicht gefiel und deutete flüchtig auf die beiden Sechstklässlerinnen mit den roten Haaren.
"Genauer heißt sie Goldschweif die sechsundzwanzigste. Die feine Dame ist nämlich aus dem ellenlangen Stammbaum von Kniesels und Eauvives großen Zweigen entstanden."
"Und wen interessiert das?" Fragte Claire genervt klingend und sah bewußt von dem Kniesel weg, der offenbar eine Knieselin war.
"Ich dachte, deinen Begleiter interessiere das, Claire", warf Sabine ein und grinste. Julius nickte zwar, fing sich aber dafür von Claire einen bitterbösen Blick ein.
"Dann schätze ich, daß die erste Namensträgerin dieser Reihe die von Viviane Eauvive war?" Fragte der ehemalige Hogwarts-Schüler.
"Stimmt auffallend", bestätigte Sandra und grinste nun auch Claire an. Dann sagte sie: "Komm, Sabine! Wir müssen ja noch die Schwatzfratzenjungen abzählen. Die haben sich auch wieder heftig vermehrt."
"Hast recht, kleine Schwester", pflichtete Sabine ihrem jüngeren Zwilling bei und ging lachend mit Sandra davon.
"Warum hast du mich eben so angestarrt, als wolltest du mich mit deinem Blick durchbohren?" Fragte Julius unschuldsvoll klingend und sah gelassen seiner Freundin ins Gesicht. Diese fing seinen Blick mit ihren großen braunen Augen ein und knurrte leicht ungehalten:
"Die mußten uns hier nicht unbedingt anquatschen. Es hätte gereicht, sie zu grüßen und fertig." Ihr Freund wunderte sich, was wieder mal los war. Dabei hatte er sich doch extra für Valentin nichts anderes vorgenommen, als mit Claire lange Spaziergänge zu unternehmen und mit ihr über alles mögliche zu reden, was sie gerade beschäftigte. Bis jetzt war das ja auch gelungen. So nickte er zustimmend, um die gereizte Gefühlslage seiner Begleiterin nicht weiter zu strapazieren und wandte sich wieder der Knieselin zu, die nun direkt vor der Umzäunung stand und grazil ihren Schweif aufgerichtet in einer Art Erwartungshaltung verharrte.
"Was will sie denn von uns?" Fragte Julius.
"Das fragt die sich wohl auch. Immerhin haben wir ihr Gehege ja angeguckt", erwiderte Claire und streckte ganz vorsichtig die Hand durch den Zaun, bereit sie bei dem kleinsten Zeichen von Abwehrverhalten zurückzuziehen. Tatsächlich beugte sich der Rücken des Katzenwesens sacht nach oben, und die großen Ohren ruckten leicht vor und zurück, als gelte es, ein mögliches Ziel zu hören und zu orten, wo es war. Der Schweif wippte vorsichtig, dann immer weiter auspendelnd hin und her. Claire zog ihre Hand zurück.
"Die will nicht gestreichelt werden", sagte sie nur und ganz kühl klingend, als sei das sowieso bedeutungslos, ob sich ein Kniesel streicheln lassen wollte. Julius fragte, woran Claire das erkannt habe. Sie erklärte ihm, daß ihre Großmutter in Lyon mehrere gewöhnliche Katzen habe und wie diese Tiere zeigten, daß sie angreifen oder sich wehren wollten.
"Wenn der Schwanz einer Katze wippt, ist das ein Warnsignal. Anders als das bei einem Hund der Fall ist", beendete Julius' Freundin ihre Erklärung. "Ich denke, dieses Tier da macht ähnliches, wenn sie wen warnen will."
Goldschweif wedelte nun etwas wilder mit ihrem Namensgeber und krümmte den Rücken weiter zum Buckel. Die grünen Augen funkelten jetzt. Dann drehte sich das Tier um, stellte den Schwanz senkrecht, was Julius bewunderte, da die Quaste am Ende bestimmt nicht einfach zu balancieren war und schritt vornehm wirkend davon.
"Ja, soviel zu Mademoiselle Goldschweif", lachte Julius. Die Knieselin blieb stehen und reckte die Ohren in seine Richtung, bog ihren schlanken Körper etwas zur Seite und blickte den Drittklässler noch einmal genau an. Dann setzte sie ihren Wegfort und schlich zu ihrem Wohnbau zurück. Von einem anderen Rundbau kam der Kniesel, den Julius zusammen mit Belle gesehen hatte. Mochte er es sich einbilden oder ging das eindeutig männliche Tier auf respektvollen Abstand zu Goldschweif.
"Oh, die Chefin", flachste Julius, als er die beiden Tiere beobachtete. Claire griff ihn sanft am Arm und bedeutete ihm flüsternd, weiterzugehen.
So gingen Claire und Julius durch die zur Menagerie gehörenden Gärten, besuchten die gepflegten Parks, wo ein rotgoldener Vogel von der Größe eines Schwans aus einem noch kahlen Baum aufflog und mit einem sehr schönen Gesang, der tief in das Gemüt der beiden Spaziergänger hineinwirkte, majestätisch davonflog.
"Huch, hier fliegt'n Phönix herum", staunte Julius.
"Die Tiere in Beauxbatons genießen hier eine hohe Wertschätzung. Professeur Faucon hat uns das in der ersten Klasse gesagt, daß manche Zaubertiere in den Parks wohnen, aber nicht gefährlich seien. Komm, wir gehen etwas am Fluß entlang!"
Am munter plätschernden Fluß, der sich durch das sanfte Tal wand, in dem Beauxbatons errichtet war, liefen Claire und Julius entlang und unterhielten sich dabei - nicht über die Schule - über die Pläne für die Osterferien, den gemeinsamen Malkurs und davon, daß Claire und Céline in drei Wochen schon die Soziusflugprüfung ablegen würden.
"Nach den Osterferien schicken alle Hexen, die einen Besenpartner für die Walpurgisnacht mitnehmen wollen, ihre Einladungen raus. Ich hoffe doch sehr, daß du dich frei hältst."
"Wenn mich nicht wer anderes vorher ... Ja, ja, ich lasse mich nicht auf Mildrid oder Caro ein, auch wenn die schon gesagt haben, sie würden mich sofort mitnehmen, wenn sie die Prüfung geschafft hätten."
"ja, und gerade Millie Latierre ist sowas von hartnäckig, wenn sie meint, was kriegen zu müssen, was viele andere auch haben wollen, daß du bestimmt direkt nach unserer Soziusprüfung ihre Einladungskarte in der Post haben wirst und ..."
"Nur von ihr?" Fragte Julius mit lauerndem Blick. Claire sah ihn sehr entschlossen an und erwiderte:
"Bestimmt nicht, Julius. Ich denke jedoch nicht daran, sie nachzumachen und übereilte Einladungen zu verschicken, nur um jemandem zu beweisen, wie wild ich darauf ausbin, ihn zu mir zu holen. Aber ich weiß ja jetzt, daß du bestimmt nicht andere Einladungen annimmst, wenn das stimmt, was du selbst gesagt hast. Wenn nicht, dann wird es wohl in Beauxbatons herumgehen, wie verlogen du bist. Aber ich denke, das bist du nicht.""
"Reden wir nicht von Sachen, die noch nicht anstehen, Claire. Ich halte auch nichts davon, jemanden ohne Grund was vorzulügen. Deshalb geh' mal davon aus, daß das mit uns was wird, wenn du die Prüfung schaffst."
"Daran zweifelst du doch nicht etwa?" Fragte Claire. Julius grinste sie spitzbübisch an und erwiderte:
"Wäre ja schon 'ne Sensation, wenn du das nicht packst, wenn deine Mutter und Jeanne das schon seit Jahren können."
"Es gibt genug andere Sensationen hier", schnaubte Claire. "Aber schön, daß du auf mich warten willst."
Sie plauderten noch über ihre Familien, darüber daß Julius' Mutter wohl von den Hexen und Zauberern in Millemerveilles nicht als niedere Lebensform angesehen worden war und daß ein Onkel von Julius meinte, ihn von seiner Mutter wegholen zu müssen.
"Weiß Professeur Faucon das schon?" Fragte Claire besorgt klingend.
"Wenn Mum es Catherine gesagt hat, dann könnte die das auch schon wissen. Ich habe seit diesem Anruf bei uns keine Nachrichten mehr darüber gekriegt. Kann sein, daß Mum gerade damit zu tun hat, die Sache zu klären, ohne daß wir auffliegen."
"Auffliegen?" Fragte Claire verdutzt dreinschauend.
"So sagt man bei uns, wenn jemand bei was erwischt wird oder ein Geheimnis von jemandem rausgefunden wird, daß den oder die in Schwierigkeiten bringt", antwortete Julius schnell.
"Ach, du meinst, daß dein Onkel herauskriegen kann, daß du ein Zauberer bist? Ja, das wäre nicht so gut. Das würde viel Arbeit machen, dem das wieder auszureden."
"Im Moment habe ich damit nichts zu tun, Claire. Ich denke auch, daß ich da nicht viel dran machen kann. Mir ist nur klar, daß mein Onkel mich nicht zu sich holen darf, eben um das, was Mum nun auf sich genommen hat, nicht für nichts und wieder nichts passieren zu lassen."
"Ich fürchte, du wirst da sowieso nicht gefragt. Erwachsene haben da so merkwürdige Vorstellungen, immer zu wissen, was gut oder schlecht für uns Schüler ist. Ich denke, Madame Delamontagne hat dir das schon beigebracht, wie wenig deine Ansichten gefragt sind. Professeur Faucon hat da wohl auch schon was dran getan."
"Das hat die mir doch schon nach dem ersten Jahr in Hogwarts gezeigt, Claire. Deshalb weiß ich das ja, daß ich da gar nichts machen kann, Claire. Ich habe jetzt auch keine Lust mehr, mich noch mal herumschubsen zu lassen."
"Abgesehen davon, daß wir alle hier in Beauxbatons immer irgendwie herumgeschubst werden schubst dich draußen keiner mehr herum, Julius. Deine Mutter hätte ja einfach sagen können, daß du dich nicht zu entscheiden hättest und sagen können, daß du eben doch in Hogwarts weiterlernst oder eben ohne dich zu fragen festgelegt, daß du nach Beauxbatons kommst. Sie hat dich aber gefragt."
"Ja, und ich habe mich gegen meine Schlechte Stimmung für Beauxbatons entschieden. Das kommt wohl auch daher, daß ich wollte, daß Mum nicht frustriert in England herumsitzen muß, weil sie dort nicht mehr so schnell hätte arbeiten können und weil ich von euch nun doch mehr Leute kannte, um zu finden, daß ich hier nicht total allein herumlaufen muß."
"Nachdem, was du mir von Gloria und Kevin erzählt hast, war das wohl auch besser, daß du nicht mehr in Hogwarts bist. Da hätte dich Madame Delamontagne bestimmt nicht gelassen, wenn das hier angekommen wäre, wie da die Leute gerade drauf sind."
"Tja, aber mitten aus einem laufenden Schuljahr herausgeholt zu werden wäre bestimmt auch verkehrt gelaufen", sagte Julius.
"Und da sind wir wieder bei dem Punkt, daß das Erwachsene nicht interessiert, ob wir uns dabei gut oder schlecht fühlen, wenn sie meinen, das für uns beste zu machen. Ich freue mich jedoch immer noch, daß du bei uns bist und daß du nicht versucht hast, dich hier unbeliebt zu machen, wie Bébé das tut. Aber die ist ja 'ne andere Geschichte. Ich hoffe aber, daß die es irgendwann begreift, daß sie hier wirklich besser hinpaßt als in dieses Mädcheninternat, daß ihre Eltern für sie ausgesucht haben."
"Das wünsche ich ihr zumindest auch", sagte Julius. Dann sprach er wieder von etwas angenehmerem, wie den Besuch bei Claires Eltern zu Neujahr und wie die kleine Felice aussah, Madame Matines Großnichte. Auf einer Bank am Rande des südlichen Parks setzten sie sich hin. Claire holte ein kleines Paket aus ihrer Rocktasche, das für Julius sehr winzig aussah. Doch als Julius seine Geschenke für Claire aus dem Sonntagsumhang zog, stellte er fest, daß seine Pakete zwar größer waren, aber nicht unmittelbar weniger wertvoll waren.
"Ach, du hast die Pralinenschale besorgt, von der meine Oma Rosalinde einige hat? Schön, die wollte ich schon selber kaufen. Und das Haarwasser ist wohl von Glorias Mutter, wie? Danke, Julius."
Julius holte aus dem kleinen Paket eine kleine Trillerpfeife aus Gold. Er wunderte sich, was dieses Geschenk wohl bedeuten mochte. Claire strahlte ihn an und zog unter ihrer Bluse eine ähnliche Pfeife hervor.
"Die Pfeifen der Freundschaft, Julius. Sind ähnlich wie die Geschwisterketten, allerdings nicht nur für Blutsverwandte zu gebrauchen, sondern für Freunde und Partnerinnen und Partner. Wenn du da reinbläst, kommt ein leiser Ton heraus, den außer dir keiner hört. Aber ich höre diesen Ton dann als Summton bei mir ankommen, egal, wo ich gerade bin. Papa hat die für Freunde und Bekannte gebaut und verkauft die auch sehr oft. Wenn ich in meine Pfeife blase, hörst du das dann auch, aber nur du, solange du deine Trillerpfeife an der Kette um den Hals hängen hast."
"Und hier geht sowas?" Fragte Julius beeindruckt. Zaubersachen hatten ihn von Anfang an am heftigsten begeistert, seitdem er wußte, daß er Zauberei lernen würde.
"Klar geht das auch in Beauxbatons. Papa meinte sogar, man könne so hineinblasen, daß der Ton unterschiedlich laut oder hoch klinge, um sich geheime Nachrichten zu schicken. Die größte Entfernung, die Papa mit Maman getestet hat, liegt bei zwanzigtausend Kilometern. Er ist nach Polynesien geflogen, während sie in Millemerveilles geblieben ist. Sie konnte ihn trotzdem trillern hören."
"Das möchte ich gerne nachher ausprobieren", verriet Julius mit vor Aufregung roten Ohren. Claire lächelte höchstzufrieden und nickte.
Julius saß eine Weile neben seiner Freundin und überlegte sich, ob er ihr hier und jetzt sagen sollte, daß er gerne hätte, daß sie ihn nicht immer überängstlich oder leicht eifersüchtig behandeln sollte. Er suchte nach Worten, die nicht wehtaten. Claire, die bemerkte, daß Julius ihr wohl was wichtiges sagen wollte, probierte von dem Naschwerk aus der neuen Pralinenschale. Als Julius nickte, weil er was gefunden hatte, wandte sie ihm ihr Gesicht zu.
"Claire, wie ich's dir schon gesagt habe, bin ich sehr gerne mit dir zusammen. Deshalb freue ich mich, wenn wir so wie heute zusammen spazierengehen und uns unterhalten können. Ich verstehe auch, daß du mir gerne helfen möchtest, hier gut zurecht zu kommen. Du hast mir ja auch erzählt, daß die anderen Mädchen, über die wir geredet haben, dich ärgern, weil sie das wissen, daß wir beiden zusammen sind. Ich möchte, daß wir uns so gut vertrauen können, wie es geht. Doch ich weiß nicht, ob ich mich daran gewöhnen kann, wenn du mich manchmal vor den anderen wie einen kleinen Jungen behandeltst."
"Wie meinst du das?" Fragte Claire nach einer halben Minute Schweigen. Julius erklärte ihr dann mit für ihn vorsichtig wirkenden Worten, daß er oft den Eindruck bekomme, Claire behandele ihn wie seine Mutter oder eine große Schwester. Claire rümpfte die Nase. Offenbar mußte sie das doch heftiger treffen als Julius es wollte. Dann atmete sie tief durch, nahm ihn in eine halbe Umarmung und flüsterte lächelnd:
"O, natürlich habt ihr Jungen was dagegen, wenn euch jemand wie kleine Kinder behandelt, auch wenn das nicht so ist. Aber du hast ja verstanden, daß ich dir nichts böses will, sondern nur, daß du keine Schwierigkeiten kriegst. maman sagte mir mal, daß manche Jungs und Männer schnell in Schwierigkeiten kommen, nur weil sie sich für stärker oder besser halten als eine Sache aussieht. Wenn das dir wie Überangst vorkommt, was ich dir gesagt habe, dann tut mir das leid. Aber ich finde es nett, daß du mir das ins Gesicht gesagt hast und dabei aufgepaßt hast, mir nichts böses zu sagen. Du hast recht. Freunde und Liebende müssen sich vertrauen können. Ich werde also nicht mehr so schnell und vor allem vor den anderen auf dich einreden, wenn ich finde, daß du Probleme kriegen könntest. Aber ich kann ja nicht einfach aufhören, ich selbst zu sein."
"Bloß nicht. Das will ich ja auch nicht von dir. Ich wollte dir nur sagen, daß ich mich gerne mit dir über alles unterhalte, was dir Angst macht oder dich ärgert. Es müssen halt nur nicht alle dabei sein."
Claire lächelte. Offenbar fand sie das was Julius gesagt hatte sehr schön aber auch geschickt. Dann gab sie ihrem Freund einen Kuß auf die rechte Wange. Mehr nahm sie sich nicht heraus, da ja keiner von ihnen wußte, wo die Aufpasser saßen, die die Spaziergänger an Valentin beaufsichtigten, daß bloß nichts unschickliches in Beauxbatons passierte. Eine Minute schwiegen die beiden und kuschelten sich sanft aneinander. Dann standen sie auf und setzten ihren Spaziergang durch die Menagerie fort.
Rauhrücken ärgert mich. Er schleicht immer wieder um mich herum. Er riecht wohl, daß ich bald in Stimmung bin und meint wohl, als erster zu mir kommen zu dürfen. Ich sehe ihn an und zeige ihm, daß ich ihn nicht will. Er fragt mich durch Bewegungen, warum ich ihn zurückstoße. Ich sage ihm: "Ich bin nicht so weit. Ich will dich nicht jetzt."
"Warum riechst du dann schon so gut?" Fragt er nur und steht da, nicht darüber klar, ob er zu mir hingehen oder weglaufen soll.
"Das macht das Himmelslicht", sage ich verärgert. Rauhrücken läuft davon.
Ich höre die Jungen der Zweifußläufer, die aus dem großen Steinbau gekommen sind. Ich höre sie die Laute machen, die ihre Freude und Hochgefühle auslösen und die "Lachen" von ihnen genannt werden. Ich rieche ein gerade fertig ausgewachsenes Jungweibchen mit einem Männchen, offenbar ihrem Auserwählten. Sie kommen an denen vorbei, die wie Frettchen aussehen und wie die Zweifußläufer, die sich Menschen nennen sprechen können. Ich bleibe in meiner Wohnung sitzen und sehe ihnen zu, wie sie an dem Metallrand unseres Reiches vorbeigehen und diese Fröhlichkeitslaute machen. Das Weibchen ist gerade nicht Vermehrungsbereit. Es spielt wohl mit seinem Männchen, um den Zusammenhalt zu bewahren. Sie gehen vorbei, überlaut wie alle Menschen und besonders deren Jungen. Ich weiß es nicht, wieso die so erfolgreiche Jäger sind, wenn die so laut sind, daß sie alle Beutetiere schon aus über tausend Schritten Entfernung hören können.
Irgendwie fühle ich mich aufgeregter. Das kommt nicht von der aufwachenden Stimmung her, in die ich bald komme, sondern von woanders her. Ja, irgendwas steigt mir in die Nase und kitzelt meinen Sinn für Vertrautheit. Es ist ein angenehmes, irgendwie sehr bekanntes Gefühl, das ich gerade habe. Meine Ohren stellen sich ganz hoch auf. Ich höre zwei Junge, ein Männchen und ein Weibchen, die aber noch nicht ganz ausgewachsen sind. Doch beide sind schon weit genug. Ich gehe mal aus meiner Wohnung, um die beiden anzusehen.
Ich spüre, wie dieses wohlige Gefühl, das meinen Spürsinn für Vertrautheit anregt, immer deutlicher wird. Ich rieche, daß die beiden näherkommen, offenbar in wohliger Stimmung. Ja, ich wittere, daß das Weibchen wohl gerade in Stimmung ist. Da sind sie auch schon vor dem Metallrand um unser gemeinsames Reich. Ich gehe so kraftvoll wirkend wie es geht auf die beiden zu. Das schöne Gefühl verstärkt sich so sehr, daß ich fühle, wie es mir durch den ganzen Körper geht, fast wie die Freude der Liebe. Dann merke ich, daß die Erregung von dem Männchen ausgeht. Ich stelle mich für die beiden Menschenjungen hin und lasse sie mich ansehen. Ich erkenne, daß dieses junge Männchen mir sehr gefällt. Ich freue mich, es zu sehen. Das Weibchen, das bei ihm ist, strömt einen ähnlichen Geruch aus, wie das Männchen. Es müssen wohl Kinder derselben Mutter sein, nur aus unterschiedlichen Würfen. Das Weibchen hat langes dunkles Kopffell, das Männchen hat kurzes Kopffell das so ähnlich aussieht, wie mein Schweif. Sein Duft und seine Erscheinung, die meinen Vertrautheitssinn anregt, lassen mich sehr aufgeregt aber gutgelaunt vor ihm stehen.
Zwei fast ausgewachsene Weibchen der Menschen kommen herbei. Sie sind eindeutig Schwestern, sogar solche, die wohl ursprünglich ein Junges hätten geben sollen, wie die Brüder Schwarzbauch der Erste und Schwarzbauch der zweite, die meiner Mutter Schwester Graurock eine Warmzeit zurück geworfen hat. Die beiden Weibchen mit langem Himmelslichtuntergangfarbigem Haar sprechen mit den jüngeren Jungen. Ich höre, daß sie sich über mich unterhalten. In den zehn Warm- und Kaltzeiten, die ich schon da bin, habe ich vieles von ihrer Art der Sprache gelernt, die Laute, die sie machen und die Bewegungen ihrer Körper und Glieder. Deshalb kann ich auch hören, wie sie sich nennen. Das junge Männchen heißt also Julius, seine Verwandte heißt also Claire, was wohl nicht paßt, weil sie ja nicht hell sondern dunkel aussieht. Warum geben sich die Menschen Namen, die nicht zu ihrem Aussehen passen oder zu dem, wie sie riechen, sich anhören oder was sie machen? Denn Julius ist für mich kein Name, der zu irgendwas passen will, was das Männchen ist.
Das junge Weibchen Claire kommt an den Metallrand und streckt ihre haarlosen Vorderpfoten aus. Ich kenne das, wenn die Menschen uns damit greifen oder damit über unser Fell gleiten. Ich will das nicht und zeige ihr, daß ich das nicht mag. Sie versteht meine Körpersprache und zieht sich wieder zurück. Sie spricht mit ihrem wurfungleichen Bruder und geht. Warum wollte der mich nicht mit seinen Vorderpfoten, den Händen, greifen oder streicheln. Das finde ich nicht nett von ihm.
Rauhrücken kommt wieder. Er meint wohl, weil ich gerade gut gelaunt bin, daß er nun endlich zu mir darf. Ich sage ihm sehr verärgert: "Willst du meine Krallen im Gesicht spüren? Verzieh dich wieder!" Er erkennt es endlich, daß ich nichts von ihm will und verschwindet.
Julius lässt sich von Claire fortziehen. Er bleibt nicht bei mir. Aber ich möchte nicht, daß er einfach weitergeht. Ich trete auf den Metallrand zu und lege die rechte Vorderpfote darauf. Ich höre das Singen und Brausen der Kraft, die in diesem kalten harten Ding steckt. Sie treibt mich zurück. Die Kraft hält uns alle hier, solange die Sonne über dem Boden steht. Erst im dunklen, wenn das wechselnde Himmelslicht und die vielen ganz ganz kleinen Lichter kommen, können wir hier raus, um Ratten, Mäuse oder die lästigen Winzlinge zu jagen, die von den Menschen Gnome genannt werden.
Ich höre, daß Rauhrücken bei Weißohr ist. Sie spielen zusammen Fangen. Wahrscheinlich wird die älteste Tochter seines Vaters Schwester Silbertatze in Stimmung sein, wenn die Sonne noch einige Male unter den Boden sinkt und wieder daraus aufsteigt. Sollen sie doch. Ich will im Moment nichts davon wissen, daß ich bald selbst in der richtigen Stimmung bin. Ich will zu diesem Menschenjungen, Julius. Ich werde ihn wiederfinden, wenn er nicht wieder zu mir kommt. Ich weiß, das er mich um sich haben will und mich gerne bei sich wohnen lassen wird. Aber die Großen, die ihm und den anderen Jungen alles beibringen, werden das wohl nicht wollen. Doch das ist mir egal. Ich werde warten, bis er wiederkommt oder ihn selbst suchen. Er kann ja nur in dem Steinbau wohnen, in dem die alle wohnen.
Claire und Julius standen nun vor einem Teich, auf dem Seerosen schwammen. Eine schuppige Schnauze tauchte aus dem Wasser und schnappte mit nadelspitzen Zähnen nach den Wassergewächsen. Dann erhob sich aus dem Gebüsch am westlichen Rand des Teiches ein merkwürdiges Geschöpf.
Das Wesen besaß rotbraunes Fell wie das eines Fuchses, einen buschigen Schwanz, der wie der eines Eichhörnchens aussah und kraftvoll wirkende Flügel mit dunklen Federn, die wie Adler- oder Falkenflügel aussahen. Es lief auf zwei roten Entenbeinen mit Schwimmhäuten zwischen den Zehen auf den Teich zu. Es besaß kurze Ärmchen, die wie die Vorderpfoten eines Eichhörnchens wirkten und sah die beiden Spaziergänger aus bernsteinfarbenen Katzenaugen an. Seine breiten langen Ohren schienen von einer Fledermaus oder einem klein geratenen Hauselfen zu stammen. Das merkwürdigste an dem Geschöpf waren die weißen Hörner, die zwischen seinen Ohren aus dem Kopf wuchsen und sich in zwei Enden gabelten, wie das Geweih eines ganz jungen Hirsches. Es mochte wohl an die zwanzig Zentimeter hoch sein.
Das so merkwürdig aussehende Wesen stelzte auf das Wasser zu, glitt hinein und paddelte wie ein Wasservogel durch den Teich.
"Was soll denn das für ein Wesen sein?" Fragte Julius total irritiert, weil das Geschöpf so viele Körpermerkmale unterschiedlicher Tiere besaß.
"Kenne ich auch nicht", antwortete Claire. Dann tauchte noch ein solches Wesen auf, etwas kleiner und dunkler, das jedoch nur kurze Hornstummel zwischen den Ohren trug. Es zeigte die zwei Nagezähne und hob mit einer schnellen Bewegung vom Boden ab, um mit anmutigen Flügelschlägen aufzusteigen, höher und höher. Das im Wasser paddelnde Wesen schwamm schnell zum Ufer zurück und schüttelte die gefiederten Flügel. Dann flog es auch auf, völlig trocken am ganzen Körper.
"Also, ich frage Armadillus nachher noch, wie diese Tiere heißen", beschloß Julius Andrews, während die beiden wohl aus verschiedenen Tierarten zusammengekreuzten Zaubergeschöpfe - normale Tiere konnten das unmöglich sein - am Himmel herumkreisten, sich umflogen, offenbar miteinander spielten.
"Also bei denen frage ich mich, ob die lebende Junge gebären oder Eier legen", meinte Claires Freund noch, während diese selbst amüsiert dreinschaute.
"Wollen wir warten, bis die wieder runterkommen oder weitergehen?" Fragte Claire. Julius wollte nicht warten, bis die beiden Tiere wieder runterkamen. Er wandte sich zum gehen, als Hercules mit seiner Freundin Bernadette aus der anderen Richtung herüberkam.
"Hallo, ihr beiden. Habt ihr die ganze Runde nun erst geschafft?" Fragte Hercules. Bernadette sah Julius an und schenkte ihm ein Lächlen.
"Wir haben uns Zeit gelassen", sagte Claire. Julius fügte hinzu:
"Wir wollten nicht einfach so an allen Tieren vorbeigehen, ohne sie uns genau anzukucken, Hercules. Eben gerade sind hier zwei total merkwürdige Wesen aufgeflogen. Ich möchte gerne wissen, was das für welche sind.
"Ach diese Tierwesen mit dem Eichhörnchenschwanz und den Hörnern, die Flügel haben? Davon hat mein Vater mir mal erzählt. Mammalavis alpinensis Wolpertingeri, das Ergebnis eines Kreuzungsversuchs von vor achthundert Jahren. Ein Zauberer hat damals einem Muggelmädchen imponieren wollen und aus einem Eichhörnchen, einem Steinadler, einer Ente und einem Hirsch dieses Wesen gemacht. Dabei kamen gleich zehn Exemplare heraus, die sich vermehren können. Der Wolpertinger, wie dieses Wesen danach genannt wurde, entkam seinem Schöpfer Sylvester Wolpertinger und siedelte sich im nördlichen Alpengebiet an. Versuche, die Exemplare wieder einzufangen mißlangen, weil dieses Tierwesen durch eine Nebenwirkung der Kreuzung die Fähigkeit erlangt hatte, seine Körpergröße von ein Viertel bis doppelt so groß zu verändern und sich auch in Mäuselöchern zu verkriechen oder schneller als die damals gerade modernen Besen durch die Luft zu fliegen. Da es noch dazu nachtaktiv ist, war es schwer, überhaupt mal so ein Tier zu sehen."
"Das wandelnde Zaubertierlexikon", grinste Bernadette und tätschelte die rechte Wange ihres Freundes.
"Ach so sehen die aus", erwiderte Julius. "Die Muggel kennen die auch. In Bayern werden junge Mädchen von ihren Freunden gerne mit Geschichten über dieses Wesen belustigt und gehen auch mit ihnen in einsame Waldgebiete, wo man dieses Tier sehen kann."
"Ja, weil es wie das Einhorn gerne die Nähe von Jungfrauen sucht, ob Muggel oder Hexen. Allerdings haut es sofort wieder ab, wenn es auf Sichtweite herangekommen ist. Oft kann jemand dieses Wesen dann gar nicht als Wolpertinger erkennen. Hast du das von deinen Verwandten, was sich die Muggel über Wolpertinger erzählen?" Fragte Hercules.
"'ne Tante von mir war vor zehn Jahren in Bayern, zusammen mit einer amerikanischen Reisegruppe, die sich die Berge und die alten Schlösser angesehen hat. Die hat uns das mal erzählt", antwortete Julius bereitwillig.
"Die Tierwesenbehörde in Deutschland, Österreich und Lichtenstein hat ein eigenes Wolpertingerüberwachungsbüro, um die Sichtung durch Muggel zu verhindern oder zumindest dafür zu sorgen, daß sie nicht gefangen werden können", wußte Hercules noch. Dann sah er sich mit seinen Klassenkameraden an, wie die beiden Exemplare dieses alpinen Mischwesens landeten. Julius fragte Hercules noch:
"Wie vermehren die sich denn?"
"Kommt darauf an, wann das Weibchen befruchtet wird. Wenn es im Sommer empfängt, legt es bis zu fünf sperlingsei große braune Eier in ein Nest, das es aus Schweifhaaren und trockenem Gras zusammenbaut. Empfängt es im Winter, trägt es bis zum Frühling drei Junge aus, die es in Baumkronen zur Welt bringt und aus zwei Zitzen am Unterbauch säugt. Warum das so geht, weiß bis heute keiner, da ja auch Zauberer Probleme haben, einen Wolpertinger zu fangen. Und falls man eines der Eier findet, schlüpft kein Junges daraus. Offenbar brauchen die irgendwas von den Alttieren, um heranzuwachsen."
"Gut, das spart mir jetzt den Weg zu Armadillus", sagte Julius. Bernadette blickte sich um. Offenbar meinte sie, der Lehrer für Magizoologie wäre in der Nähe. Doch er war nicht zu sehen.
"Joh, man sieht sich dann beim Abendessen", sagte Hercules dann noch und winkte Bernadette, ihm zu folgen.
Claire und Julius gingen auch weiter und beendeten ihren Spaziergang durch die Menagerie. Sie setzten sich in einen der Parks auf eine Bank und aßen von den Süßigkeiten aus der Pralinenschale.
Sie vertrieben sich die Zeit mit weiteren Gesprächen über ihre Familien, so wie sie es in Millemerveilles auch schon getan hatten. Kurz vor der Abendessenszeit kehrten sie in den Palast zurück. Bertillon stand immer noch vor dem erhabenen Portal, auf dessen beiden Torflügeln je das Wappen von Beauxbatons prangte. Er zeichnete offenbar eine Liste ab, welche Schülerinnen und Schüler zurückkehrten. Als Claire und Julius an ihm vorbeikamen sah er sie mißtrauisch an, als warte er auf eine Ausrede von ihnen oder irgendwas, das irgendwelche Schuldgefühle verraten mochte. Claire schenkte dem Schuldiener ihr strahlendstes Lächeln, während Julius so lässig wie es eben ging an ihm vorbeistolzierte.
Nach dem Abendessen, während dem sich Mädchen wie Jungen wohl gegenseitig ihre Ausflugserlebnisse erzählten, spielte Julius im Schachclub gegen Amélie Dujardin Schach und gewann die Partie. Da diese für das laufende Turnier wichtig war, schrieb sich Professeur Paximus, der die Begegnungen überwachte, die Punkte auf, die für Sieg oder Niederlage anfielen. Da noch eine ganze Stunde Zeit bis zum Saalschluß war, unterhielten sich die dunkelhaarige Hexe aus dem gelben Saal und Julius über die Zaubertiere, die sie am Nachmittag besichtigt hatten. Amélie fragte dabei:
"Und welche Tiere haben dir am meisten gefallen?"
"Der Wolpertinger sieht schon sehr abenteuerlich aus. Aber mir haben die Kniesel am meisten gefallen. Ich hatte zwar nie so das Bedürfnis, eine Katze zu haben, aber irgendwie hatte diese Mademoiselle Goldschweif was faszinierendes an sich. Die sah aus wie eine regierende Königin."
"O Katzen sind unter der Würde von Knieseln, obwohl die sich locker mit denen fortpflanzen können. Ich dachte aber, Pyrois hätte dich mehr beeindruckt."
"Nur weil der gerade den Hengst rausgelassen hat, als wir den uns ansahen?" Fragte Julius im hier vorgeschriebenen Flüsterton. "Ich hatte es nicht mit Pferden oder ähnlichen Tieren. Meine ehemalige Schulkameradin Moira wäre da schon eher von begeistert. Die hatte es immer von Pferden und vom Reiten, schon seit sie sieben war."
"Ich hörte von Genoveva, die auch aus einer Muggelfamilie kommt, daß das wohl bei vielen Muggelmädchen so ist, daß die Pferde lieben. Ich hätte eher einen Phönix als Haustier. Aber die legen so selten Eier, weil sie sich ja selbst wiedergebären können", erzählte Amélie mit wehmütigem Ausdruck im Gesicht.
"Professor Dumbledore in Hogwarts hat so'n Tier, habe ich gehört", sagte Julius ganz leise.
"Ich weiß. Marlene aus der trimagischen Abordnung hat den sogar gesehen, als sie mal mit Madame Maxime in Dumbölidors Büro war."
"Ja, das ist schon ein interessanter Vogel", meinte Julius dazu nur.
Sie unterhielten sich noch über alle Zaubertiere, die Julius in Millemerveilles und im See der Farben gesehen hatte. Darüber verflog die Zeit, und als Paximus "Mesdemoiselles et Messieurs, in einer Viertelstunde ist Saalschluß!" rief, schien es Julius, er hätte in Amélie eine echte Expertin für Zaubertiere gefunden. Er bedankte sich für das Spiel und die interessante Unterhaltung und kehrte mit Bébé, Jeanne, Barbara und den übrigen Schachclubmitgliedern in den Grünen Saal zurück, wo er sich noch von Claire verabschiedete.
Mit dem Lateinbuch von seiner Mutter hielt er sich eine volle Stunde nach der vorgeschriebenen Bettgehzeit wach. Dann nahm er den Zweiwegspiegel mit dem Sonnensymbol aus seinem Practicus-Brustbeutel. Kaum hielt er das kleine glitzernde Zauberding vor sein Gesicht, vibrierte es sanft. Er sah in den Spiegel und erkannte Gloria Porters Gesicht. Er flüsterte in den Spiegel wie in ein Mikrofon:
"Moment, ich seh nur nach, ob uns keiner hören kann." Er stellte zufrieden fest, daß der Vorhang um das Himmelbett vollkommen mit den Wänden abschloß und damit jedes Geräusch, das hinter ihm erklang, zurückhielt. Dann sprach er mit halblauter Stimme: "Ich habe mir schon gedacht, daß du mich heute abend noch mal sprechen wolltest, Gloria. Erst aber mal eine Frage: ist das mit dieser Massenflucht aus Askaban auch erst heute bei euch in der Zeitung gewesen?" Er wußte von früheren heimlichen Gesprächen, die er seit Weihnachten mit Gloria geführt hatte, daß seine frühere Hogwarts-Kameradin wohl heimlich im Mädchenbadezimmer von Ravenclaw saß, weil sie Pina, Gilda und die anderen Schlafsaalmitbewohnerinnen nicht stören oder ihnen verraten wollte, daß sie so einen Spiegel hatte. In Hogwarts war ja im Moment große Vorsicht angeraten, wußte Julius gut genug.
"Häh? Ich dachte, ihr hättet das auch schon im Januar in der Zeitung gehabt. Ich ging davon aus, du wüßtest das schon längst. Bei uns hängen schon seit Wochen Steckbriefe mit denen herum. Ich wollte dich nicht mit sowas eigentlich schnell verbreitetem volltexten, weil ich davon ausging, daß eure Lehrerin euch das längst gesagt hat. Interessant", erwiderte Gloria errötend.
"Wir hatten das heute morgen erst in der Zeitung, Gloria. Die Auslandskorrespondentin hatte wohl wegen gewisser Unstimmigkeiten mit Fudge Einreiseverbot für England und durfte gestern erst wieder hin. Da haben sie ihr das erst gesteckt", erwiderte Julius leicht ungehalten.
"Na gut, Julius, dann weiß ich fürs nächste Mal bescheid, daß ich dir sowas sofort erzähle, wenn es bei uns rum ist", sagte Gloria etwas gereizt klingend und sah ihn vorwurfsvoll an, weil er sie wohl ungerechtfertigt angepampt hatte. Julius bekam doch glatt ein schlechtes Gewissen und sah Gloria abbittend an.
"Vielleicht hat es mich nur angenervt, daß wir hier das jetzt erst erfahren haben. Ich reite da nicht weiter drauf rum, Gloria. Du wolltest mich doch bestimmt fragen, was heute gelaufen ist, oder?"
"Sicher wollte ich dich noch heute sprechen. Also, wie war dein erster Valentinstag mit einer richtigen Freundin?"
"Schön, Gloria. Claire hat sich über das Haarwasser gefreut. Ich hatte ihr ja noch eine volle Pralinenschale besorgt, allerdings für einen unverschämt hohen Preis. ..."
Julius berichtete alles, was er Gloria über den Valentinstag erzählen wollte. Sicher verschwieg er, worüber er sich mit Claire unterhalten oder was er mit ihr abgemacht hatte. Aber von den Zaubertieren erzählte er. Gloria erzählte ihm auch nur, daß die Hollingsworth-Schwestern mit ihren neuen Freunden, den Timberland-Zwillingen, in Hogsmeade in einer Teestube gesessen hatten, nachdem sie Harry Potter und Cho Chang daraus hatten verschwinden sehen können. Gloria erzählte ihm auch, daß sie nicht wüßte, wieweit man Olivia Watermelon vertrauen konnte, weil sie oft davon sprach, daß Voldemort wohl doch nicht zurückgekehrt sei. Außerdem hätte Professor Umbridge damit angefangen, einen Spionagedienst in Hogwarts zu unterhalten. Offenbar jagte sie im Auftrag von Minister Fudge nach Leuten, die immer noch glaubten, daß der dunkle Lord wieder aufgetaucht sei und sich mit Dumbledore verschworen hätten.
"Betty und Jenna haben mich vor drei Tagen mal gefragt, ob Pina und ich ihnen nicht wirksame Abwehrflüche beibringen wollten. Offenbar haben die ein Gerücht gehört, daß Harry Potter einen Privatkurs in Zauberflüchen geben würde, natürlich ohne Wissen von Umbridge. Das die sich Professor nennen darf, ärgert mich total. Aber Oma Jane hat mir immer wieder eingeschärft, nicht aufzufallen und brav den "weltfremden Unsinn" zu lesen, den Slinkhart in dem Buch schreibt, welches wir im Unterricht durchkauen. Aber ich weiß nicht, ob ich da was machen kann. Mir geht das auch auf die Nerven, daß Umbridge uns total dumm hält. Aber ich will auch nicht von der Schule fliegen. Holly Lightfoot plappert ihr alles nach, was sie von sich gibt und betet uns ständig vor, daß die Erziehungserlasse von ihr schon richtig seien. Ich habe echt den Eindruck, daß ich hier keinem mehr über den Weg trauen kann. Das macht mir sowohl Angst als auch Wut", gestand Gloria. Sie sprach ganz normal laut. Julius fragte sie, ob sie dann nicht damit rechnen müsse, erwischt zu werden, wenn sie den Spiegel benutzte.
"Ich habe den zeitweiligen Klangkerker im Bad aufgerufen und sitze auf dem Klo. Wenn wer die Tür öffnet, kriege ich das mit und kann so tun, als hätte ich eine längere Sitzung. Ich gehe ja auch nicht jeden abend mit dem Spiegel aus dem Schlafsaal."
"Kluges Mädchen", lobte Julius seine frühere Schulkameradin. Dann sagte er: "Hmm, wenn Potter eine eigene Truppe zusammengetrommelt hat, werden die einen Raum benutzen, wo sie keiner so schnell vermutet oder findet. Kennst du so'n Raum in Hogwarts?"
"Ich kenne nicht alle Räume hier", erwiderte Gloria schnippisch. "Das muß schon wo sein, wo nicht alle von wissen, sonst hätte die Umbridge das schon längst unterbunden. Aber ich denke, da ist schon was dran."
"Wahrscheinlich haben die sich auch gut abgesichert, daß nicht jeder das mitbekommt. Könnte mir vorstellen, daß die alle unter einem Schweigsamkeitszwang stehen, einem Fluch, der sie trifft, wenn sie bei Umbridge singen", vermutete Julius.
"Die Granger ist wohl mit von der Partie. Die könnte sowas gemacht haben", sagte Gloria mit leichter Abschätzigkeit in der Stimme. Julius wußte noch zu gut, wie sich Gloria und die muggelstämmige Gryffindor, die als Vertrauensschülerin ihres Hauses benannt worden war, in die Wolle gekriegt hatten, weil Hermine Granger sich über die Befreiung der Hauselfen ausgelassen hatte und Hauselfenhalter für Sklavenhalter ansah. Da Glorias Eltern einen Hauselfen hielten, konnte sie sich angesprochen fühlen.
"Hmm, kennst du nicht sowas, was Leute dazu bringt, keinem anderen was zu erzählen?" Fragte Julius.
"Hör mal, das kann ich doch nicht machen. Da gibt es einige Flüche, die ich auch bringen könnte. Aber das würde ich keinem antun wollen. Aber du meinst, ich sollte den Hollingsworths was beibringen, wenn ich rauskriege, wo und wie wir uns treffen können?"
"Ich werde mich hüten, dir da was zu raten, Gloria. Nachher kommt das raus, und Umbridge schmeißt euch raus."
"Ich sehe das aber auch nicht ein, daß Oma uns so viele Sachen beigebracht hat, die wir hier nicht weiterlernen können. Du würdest doch auch nicht wollen, daß alles, was Omas Brieffreundin dir beigebracht hat, von so'ner Marionette eines Dummkopfs für unerwünscht erklärt wird."
"Stimmt zwar. Aber ich kann mir auch nicht denken, daß Professeur Faucon möchte, daß ich den Rauswurf aus Hogwarts riskiere, zumal sie ja nicht weiß, wie Umbridge drauf ist." Der letzte Teilsatz war eine glatte Lüge. Denn Professeur Faucon wußte nicht nur sehr gut, was Hogwarts' Großinquisitorin anstellte, sondern hatte ja auch durch die Sub-Rosa-Gruppe dafür gesorgt, daß Beauxbatons-Schüler mit Kontakten in Hogwarts dagegenhielten. Gloria lächelte verschmitzt.
"Mein lieber Freund, erzähl mir jetzt nicht, daß eure stellvertretende Schulleiterin nicht genau weiß, was hier passiert. Oma hat mal durchblicken lassen, daß es sie schon interessiert, was bei uns läuft. Aber mehr wolle oder dürfe sie nicht sagen. Aber das gilt dann ja auch für dich. Ich will dich also nicht zu verbotenen Sachen drängen. Was mich angeht, so werde ich mir was überlegen, um das Jahr nicht ganz vergebens umzubringen. Ich denke da an die Peeves-Patrouille. Wir treffen uns zwar nicht mehr offen, tauschen aber Briefe aus. Lea hat da einen nützlichen Zauber gelernt, um Briefe harmlos aussehen zu lassen. Ich kann den zwar auch, hab's ihr aber nicht verraten. Jeder von uns macht aber im Moment nichts gegen Peeves, solange wir nicht wissen, ob es was bringt. Immerhin arbeitet Peeves ja auch gegen die Umbridge."
"O genial, das könnte man ja ausnutzen, wenn Madame Marionette völlig austickt", griff Julius das Thema auf. Gloria stimmte dem zu. Dann fragte sie, was nun, wo die Hiobsbotschaft über den Massenausbruch aus Askaban in Beauxbatons angekommen war, darüber gedacht und gesagt wurde und hörte sich an, was Julius am Morgen gehört und besprochen hatte.
"Das trifft voll mit dem zusammen, was ich mir auch schon gedacht habe, Julius. Voldemort braucht diese Irren für irgendwas wichtiges. Oder er ist sich nun sicher genug, nicht beim Wiederaufstieg gestört zu werden. Ich schicke dir den Tagespropheten des betreffenden Tages noch zu. Da steht nämlich noch was von einem merkwürdigen Todesfall im St.-Mungo-Krankenhaus für magischen Verletzungen und Krankheiten drin."
"Hmm, die Umbridge könnte die Briefe kontrollieren, vor allem die, die ins Ausland gehen", unkte Julius. Gloria nickte wohl, weil ihr Gesicht im Spiegel kurz vor- und zurückwippte. Dann sagte sie:
"Dann schicke ich dir nur die beiden Artikel in einem Umschlag. Ich mache den Verkleidungszauber. Wenn du den Brief kriegst, wird er wie harmloses Geplauder aussehen. Nimm den Zauberstab, wenn du unbeobachtet bist und sage dann "Weißrosenweg". Dann kannst du ihn enttarnen."
"Hmm, interessant, Gloria. So könnte es gehen", sagte Julius. Er wollte und durfte Gloria nicht erzählen, daß er den Mimicrius-Zauber ja selbst konnte, mit dem geheime oder heimliche Mitteilungen wie belangloses oder unbedeutendes Zeug aussehend gemacht werden konnte. Denn das gehörte mit der Wahrheit über seinen Flugbesen zu den Dingen, die er niemandem erzählen durfte. Er verabschiedete sich noch von Gloria und legte den Spiegel fort, womit die magische Verbindung gelöst wurde. Dann steckte er den kleinen nützlichen Helfer zurück in den Brustbeutel. Dabei fühlte er, wie der zweite Zweiwegspiegel, den er besaß, vibrierte. Er zog ihn heraus und sah Jane Porters Gesicht im silbrigen Glas, beleuchtet von hellem Tageslicht.
"Hallo, Honey! Hat Glo dich lange am Sprechen gehalten. Ist ja sehr riskant, aber war wohl nötig. Hast du einen schönen Valentinstag gehabt?"
"Habe ich, Mrs. Porter", sagte Julius und berichtete schnell, was er erlebt hatte. Auch Glorias Oma unterhielt sich mit ihm über den Gefängnisausbruch und eine Möglichkeit, ob Gloria nicht heimlich Zauberflüche unterrichten solle.
"Also, Bläänch würde das natürlich strickt verbieten, ihr sowas zu raten. Aber Glo sollte schon mit Pina oder den beiden Mädchen aus Hufflepuff Übungen machen. Ich habe diese nette Madame Umbridge zwar noch nicht persönlich getroffen, aber die Art, wie sie vorgeht, erinnert mich doch stark an einen Geheimpolizisten. Ich fürchte sogar, die könnte einen Spitzeldienst in Hogwarts einrichten, um ungehorsame Schüler denunzieren zu lassen. Ich weiß nicht, was Fudge im Moment reitet, daß er sowas zulässt."
"Angst, Mrs. Porter. Der Typ hat mehr Angst um seinen Posten als vor Voldemort und seinen Todessern."
"Stimmt wohl, Honey. Aber gerade dann darf man doch nicht alles hinnehmen, was er verordnet. Könnte ja auch sein, daß er mit Todessern kungelt. Ich hörte, daß Malfoy Senior oft bei ihm zu Gast ist. Würde mich nicht wundern, wenn der Vater dieses überheblichen Slytherins, der dich wohl gerne verrotten sehen würde, schnell zu Voldemort zurückgelaufen wäre."
"Wie, der hat mal für den ...? klar, Mrs. Porter. Catherine hat mir ja von einem blaßgesichtigen Todesser mit silberblondem Haar erzählt, der ihren Vater mitermordet hat. Außerdem haben die Leute von dem ja dieses dunkle Symbol auf dem Arm. Da wird er wohl einen gehörigen Schrecken bekommen haben, als er das wieder gesehen hat und wußte, was die Stunde geschlagen hat. Dann habe ich den Schweinehund also doch richtig einsortiert", erwiderte Julius amüsiert grinsend. Mrs. Porter räusperte sich unüberhörbar und forderte mehr Ernst von Julius.
"Ich denke nicht, daß das lustig ist, einen Schwerverbrecher zu kennen, wenn das bedeutet, ein Opfer von ihm zu sein oder es irgendwann zu werden, junger Mann. Ich kann nur hoffen, daß der Spuk mit den Todessern von Dumbledore und denen, die ihm folgen, doch noch beendet werden kann, bevor es wieder hunderten von unschuldigen das Leben gekostet hat. Ich muß Bläänch und der gewichtigen Dame mit dem blonden Zopf voll beipflichten, daß es für dich besser ist, daß du nicht mehr in Hogwarts bist. Hätte ich das vorher gewußt, was in England läuft, hätte ich Di und Plinius überzeugt, daß Glo besser nach Thorntails wechselt. Nirvana Purplecloud ist zwar nicht gerade die angenehmste, und sie ist wohl auch nicht gerade vertrauenswürdiger als Snape, aber dafür sehr kompetent in Verteidigung gegen die dunklen Künste."
"Ach, Nirvana Purplecloud unterrichtet in Thorntails? Ich wußte nur, daß sie Zaubertrankbücher mitgeschrieben hat", staunte Julius.
"Nein, sie unterrichtet, sowohl Zaubertränke als auch Verteidigung gegen die dunklen Künste in Thorntails, neben Ares Bullhorn, einem ebenfalls kompetenten Kollegen."
"Na ja, muß ich ja nicht wissen", sagte Julius, der sich ja nach der Scheidung seiner Eltern gefragt hatte, ob er nicht doch mit seiner Mutter nach Amerika gezogen und nach Thorntails übergewechselt wäre. Aber im Moment bereute er nur den ersten Schultag in Beauxbatons. Sonst hatte er sich hier trotz der strengen Führung gut zurechtgefunden, vor allem wegen Claire und den anderen, die er in Millemerveilles kennengelernt hatte.
Ihm fiel noch was ein, was durch den ganzen Rummel in Beauxbatons in den Hintergrund gedrängt worden war. Er Fragte: "Wie ist das nun mit meinem Vater? Konnten Sie mittlerweile sein neues Haus mit dem Sanctuafugium-Zauber schützen?"
"Hmm, Honey", setzte Mrs. Porter an und wirkte dabei sehr verlegen, "dein Vater hat sich gegen ursprüngliche Absichten kein eigenes Haus besorgt, sondern sich auf Kosten seiner Firma eine Mietwohnung in einer Stadt namens Bay City in der Region Detroit geben lassen. In dem Haus wohnen hundert Mietparteien, von Sportlerfamilien bis zu Geschäftsleuten, die wegen ihrer Arbeit keinen ständigen festen Wohnsitz brauchen können. Da konnten wir unmöglich mit den notwendigen Leuten anrücken. Sanctuafugium wirkt, wie Bläänch dir vielleicht noch nicht erzählt hat, nur auf eine kleine Personenzahl, die man beschützen kann. Außerdem ist dieses Haus mit hohen Sicherheitsstandards ausgestattet, wie diese Laufbildübertragungsgeräte - Videokameras heißen die wohl - in den Treppenhäusern und an den Eingängen und wird von zwei Pförtnern betreut. An und für sich schon gut genug für deinen Vater, solange Voldemort nicht mächtig genug ist, um sich in den Staaten ein Massaker zu erlauben. Außerdem ist dein Vater ständig unterwegs. Ist er heute in New York, kann er morgen schon in San Francisco sein. Leider hat die Firma, für die er nun arbeitet, keine Niederlassungen in New Orleans. Sonst könnte ich ihn ohne großen Aufwand aufsuchen."
"Hmm, vielleicht ist das auch erst einmal besser so, daß Paps mit mehreren Leuten zusammen wohnt", sagte Julius entschuldigend. "Ein großes Haus für sich allein war ihm wohl zu viel. Aber danke, daß Sie sich weiterhin um ihn kümmern! Auch wenn er das nicht will."
"Honey, ich weiß, daß du immer noch große Stücke auf deinen Vater hältst. Das spricht ja auch für dich, ihm irgendwie noch loyal zu sein, obwohl er dich nicht so akzeptieren wollte, wie du nun einmal bist", sagte Mrs. Porter. Dabei wirkte sie etwas erleichterter, wenn auch, so dachte Julius, etwas angespannt, als gäbe es da was, was sie ihm verschweigen müsse. Sie bemerkte wohl, daß er sie genau betrachtete und lächelte frei und warmherzig aus dem Spiegel.
"Ich möchte dich nicht um deinen wohlverdienten Schlaf bringen, Honey. Ich wollte nur wissen, was du heute erlebt hast und was du über den Massenausbruch denkst. Gute Nacht, Honey!"
"Ihnen noch einen schönen Tag, Mrs. Porter", erwiderte Julius. Es war ja gerade halb sechs in New Orleans, wo Mrs. Porter wohnte.
Nachdem Julius den zweiten Zweiwegspiegel fortgesteckt hatte, drehte er sich in seine Lieblingsschlafstellung und versank in einen tiefen Schlaf, während dem er noch mal den Spaziergang mit Claire träumte und sich mit den Montferres über Kniesel unterhielt.
Ein sanftes Summen wie von einem fernen Waldhorn klang um halb sechs zu Julius herüber. Er konnte zwar nicht hören, wo es herkam, doch die dabei leicht an der Kette um seinem Hals vibrierende Freundschaftspfeife verriet ihm, daß es wohl Claires Signal an ihn war. So hörte es sich also an. Er nahm die Pfeife und blies sanft hinein. Er selbst hörte einen hohen, aber sehr leisen Pfeifton. Doch für Claire mochte es wohl ebenfalls wie ein sanft gespieltes Waldhorn klingen. Er machte eine kurze Pause und blies dann noch mal die Pfeife. Als Antwort kam das angenehme Summen zurück.
Er stand auf und ging zum allmorgentlichen Training mit Barbara Lumière. Danach frühstückte er mit allen anderen Schülern. In der Zeitung von heute brachten sie noch mal was über die Ausbrecher. Darin hieß es, daß die Leiter der Strafverfolgungsabteilungen aller europäischen Zaubereiministerien sich am zwanzigsten Februar in einem Schloß in den Bergen Transsylvaniens treffen wollten.
"Wetten, daß der Zauberer aus Fudges Stall abstreiten wird, daß es mit der Rückkehr dieses schwarzen Lords zusammenhängt?" Wandte sich Julius an Hercules und Robert.
"Wieso sollte der das abstreiten?" Fragte Robert. Julius dachte daran, daß ja nicht jeder hier wußte, was in England genau lief. Deshalb sagte er schnell:
"Um die Stimmung nicht in Panik umschlagen zu lassen, Robert. Außerdem ist ja bekannt, daß Fudge nicht allzu viel auf die Theorie gibt, daß Voldemort wieder da ist."
Robert verschluckte sich an einem Stück Marmeladenbrot und prustete. Er war wie alle anderen, die Julius zugehört hatten, über die Namensnennung erschrocken.
"Man, bist du denn immer noch nicht klar, daß man den nicht beim Namen nennt, wenn man nicht so stark ist wie Königin Blanche?" Maulte Hercules Moulin. Julius hatte dafür nur ein abfälliges Grinsen übrig.
"Hercules, der wird nicht harmloser, wenn ich den immer "Du-weißt-schon-wen" nenne. Du hast doch Professeur Faucon gehört, daß seine Stärke hauptsächlich durch Angst und Zwietracht möglich geworden ist."
"Ja, aber man nennt den nicht beim Namen", mußte Hercules dazu sagen, um nicht eingeschüchtert zu wirken.
"In welchem Zauberergesetz steht das drin?" Fragte Julius gehässig. Seine Mitschüler knurrten nur verärgert, konnten aber nichts darauf antworten.
Als Julius alleine zum arithmantikraum ging - Laurentine und Céline mußten wohl noch mal wohin - fand er dort Belisama und Mildrid vor, die ihn anstrahlten wie einen lang nicht mehr gesehenen guten Verwandten oder zurückgekehrten Geliebten. Millie blickte an Julius vorbei und fragte mit gehässigem Grinsen im Gesicht:
"Ach, du warst wieder der erste, der herkam. Muß die halbverhungerte Mademoiselle ihre trotzköpfige Freundin wieder dazu anhalten, zum Unterricht zu kommen, wo die in der Halbjahresprüfung fast durchgerasselt wäre?"
"Weiß ich das? Ich darf ja nicht mehr aufs Mädchenklo, seitdem ich aus Belles Klamotten rausgeschrumpft bin", entgegnete Julius so unbeschwert klingend wie möglich.
"Das hätte dir auch so passen können, die siebte Klasse jetzt schon fertig zu machen und bei den Grandchapeaus einzuziehen. Das wäre ja 'ne Beleidigung für uns alle gewesen", stichelte Millie. Belisama räusperte sich. Offenbar paßte ihr das nicht, wie die Kameradin aus dem roten Saal redete. Sie sagte schnell:
"Und, war es gestern schön?"
"O ja, war es, Belisama. Danke der Nachfrage. War doch richtig, den Tag so auszunutzen."
"Sieht Claire das auch so?" Fragte Mildrid Latierre leicht gehässig.
"Aber hallo", erwiderte Julius sofort. Er wußte, daß Millie es Claire gönnte, wenn etwas zwischen ihr und ihm nicht mehr im Lot wäre. Doch das sollte nicht heißen, daß sie dann einfach an Claires Stelle treten würde. Um Millie etwas zu irritieren fragte er: "Und du hast dir mit Martine den Nachmittag vertrieben, weil Edmond wohl keine Zeit für sie hatte?"
"Ja das wär's wohl gewesen", schnaubte Mildrid und kam langsam auf Julius zu. "Ich halte noch mit meiner Schwester Händchen. Da war ich doch lieber im Schulchor. Wir singen ja am Elternsprechtag, wie du vielleicht schon weißt. Immerhin spielt die Holzbläsergruppe ja auch mit."
"Huch, davon weiß ich wirklich noch nichts", sagte Julius. Er dachte sich aber, daß Mademoiselle Bernstein ihm das noch sagen würde, wenn er mit Claire und Jeanne zusammen am nächsten Abend wieder musizieren würde.
"Ihr wart bei den Tieren?" Fragte Belisama. Julius nickte. "Estelle war ja mit Jonas aus der vierten auch da."
"Ich habe nur Amélie und ihren Freund, sowie Hercules mit Bernadette getroffen", erzählte Julius. Dann sprachen sie kurz über die Zaubertiere. Millie grinste, als Julius von den geflügelten Pferden sprach, die sich ungeniert vor seinen und Claires augen gepaart hatten. Als er noch erzählte, daß ihm die Knieselin Queue Dorée, Goldschweif, am meisten imponiert hatte, flog ein freudiges Lächeln über Belisamas Gesicht.
"Kniesel sind schön, wenn auch sehr schwer an einen Zauberer zu gewöhnen. Muggel mögen sie gar nicht. Aber wenn du so ein Tier als Gefährten gewinnen kannst, ist es sehr nützlich, als Warner vor Gefahren und als Wegfinder. Meine Tante Adele hat eine Hausknieselin, Lauretta. Hast du die vielleicht in Millemerveilles getroffen?"
"Nein, bei Seraphines Eltern war ich ja nicht", sagte Julius schnell.
"Die hält das Tier ja auch im Haus, bis es Nacht wird. Am Abend mußtest du ja wohl früh im Haus sein."
"Ja, aber nicht wegen der Kniesel, sondern wegen der nachtschwärmenden Hexen", versetzte Julius frech. Belisama rümpfte zwar für eine Sekunde die Nase, mußte dann aber glockenhell lachen. Millie lachte auch.
"Ich hoffe, der junge Monsieur Andrews hat sie nicht allzu sehr amüsiert", klang Professeur Laplaces Stimme unerwartet von hinten. Julius schrak zusammen. Die Lehrerin ging aber lächelnd an ihm vorbei und öffnete die Klassentür. Als dann noch Edith und Estelle kamen, ließ sie die Schülerinnen und den Schüler ein. Julius ansehend fragte sie:
"Wissen Sie, weshalb Ihre Saalkameradinnen nicht pünktlich sein konnten?"
"Nein, weiß ich leider nicht, Professeur. Wahrscheinlich mußten sie noch mal ins Bad."
"Wie dem auch sei, Monsieur Andrews. Ich werde wohl wieder einmal nur Verspätungspunkte vergeben können. Lange Diskussionen, wie Professeur Faucon sie gerne führt, lehne ich ab", erwiderte die Lehrerin und zog die Türe hinter sich zu. Sie stellte die Sanduhr auf, vollzog die Begrüßung und befahl, daß sich alle hinsetzten.
Céline und Laurentine kamen eine Minute nach Unterrichtsbeginn herein. Warnend legte Professeur Laplace ihren Finger auf den Mund, bedeutete mit der anderen Hand, daß die beiden Nachzüglerinnen sich setzen mochten und fuhr einfach mit dem Unterricht fort, als sei die Verspätung völlig bedeutungslos. Am Ende der Stunde jedoch verteilte sie die anfallenden Verspätungsstrafpunkte und wandte sich an Céline:
"Richten Sie es demnächst bitte so ein, daß Sie zu Stundenbeginn anwesend sind und nicht erst, wenn ich schon die Einleitung gesprochen habe." Céline grummelte nur, wagte jedoch keinen Widerspruch.
"Jetzt geht es zu Zaubertränken", flötete Millie, als sie zusammen mit Julius und seinen Klassenkameradinnen den Weg zu den Kerkern einschlug.
Anders als sie es gestern noch vermutet hätten, teilte Professeur Fixus keine Pausenaufsicht ein, sondern setzte zwei verschiedene Zaubertränke in den beiden Doppelstunden an. Am Nachmittag bei Armadillus fragte der Lehrer Claire und Julius über die Tiere aus, die sie am Vortag besichtigt hatten. Er erklärte ihnen, daß sie die Schwatzfratze demnächst behandeln würden.
"Die Abraxarieten, also die geflügelten Riesenpferde, kommen bei mir erst in der fünften Klasse dran, sofern niemand vorher meint, dieses Fach nicht weiter durchzuhalten. Kniesel und der Wolpertinger sind Stoff der vierten Klasse, wie Knarls und Einhörner. Aber ich heiße es gut, daß Sie sich schon einmal die interessantesten Tiere angesehen haben", sagte der Lehrer und fuhr mit dem Thema fort, daß sie vor einer Woche noch behandelt hatten: den Feuersalamandern.
Nach der Doppelstunde war das Quidditchtraining. Die Grünen probten das Spiel gegen die Mannschaft des weißen Saales. Dabei ging Monique Lachaise als Hüterin ins Tor.
Der Rest der Woche verlief anstrengend aber im üblichen Rahmen. Mademoiselle Bernstein verkündete den Holzbläsern, daß sie tatsächlich am Nachmittag des Elternsprechtags ein kurzes Konzert geben würden, bevor die Heimreise der Schülerinnen anstand. Im Verwandlungsunterricht bekam Julius auf, kleine Wirbeltiere wie Mäuse und Goldfische verschwinden zu lassen, was ihm noch nicht ganz gelang. Einmal löste sich eine Maus zwar auf, fiel jedoch danach laut quiekend zehn Schritt entfernt von der Decke herunter.
Warum kommt Julius nicht wieder? Ich höre ihn einmal mit anderen Menschenjungen da, wo die Feuerwesen wohnen, an die ich nicht herangehen will. Doch er kommt nicht zu mir. Rauhrücken hat sich tatsächlich mit einer anderen von uns zusammengetan. Ich selber spüre, wie die Liebesstimmung in mir langsam steigt. Wen werde ich zu mir lassen? Das letzte Mal habe ich Junge von Rattenschreck bekommen, einem schönen schlanken aber sehr schnellen Männchen mit glattem schwarzem Fell mit dunkelbraunen Tupfern. Der läuft aber gerade meiner Cousine Weißohr nach, die wohl zwei Sonnen vor mir in der richtigen Stimmung ist. Soll ich Weißohr wegschieben, wenn ich mit Rattenschreck zusammen sein will? Wo wohnt dieser Julius? Soll ich ihn vorher suchen, bevor ich mir wen ausgucke, von dem ich Junge kriegen will?
Oft schon ist die Sonne auf- und wieder niedergestiegen. Julius und seine Verwandte Claire sind wohl nicht bereit, zu uns zu kommen. Die ausgewachsenen Menschen beschäftigen sie wohl mit anderen Dingen. Ich finde, ich suche ihn jetzt.
Die singende und zurückstoßende Kraft in unserer Reichsgrenze lässt nach. Das große warme Himmelslicht versinkt gerade in seinem großen Loch, das ich nicht finden kann. Das sich wechselnde kalte große Himmelslicht, daß die Menschen mit dem Laut "Mond" meinen, steigt gerade auf. Langsam kann ich nun besser sehen. Die kühlere, lichtlose Zeit zwischen dem Auf- und Untergang der Sonne fängt an. Ich schleiche wie meine Schwestern, Brüder, Tanten, Onkel und Eltern zur Grenze, spüre, daß die Kraft darin schweigt und überklettere sie einfach, wie so oft zuvor. Vier Sonnen habe ich nun gewartet. Die Zeit ist nun da, den zu finden, der mich so stark anregt, daß ich selbst den wohligen Brand der Liebesstimmung vergesse, der langsam in mir ist.
Ich sehe mich um, die Ohren aufgestellt, die Nase am Boden. Ich schnüffele seine Spuren, die noch nicht völlig verduftet sind und höre, wie es im großen Steinbau immer leiser wird. Die Menschen lieben die helle Zeit, wenn die Sonne über uns auf- und niedersteigt. Sie sind doch keine so guten Jäger, wenn sie nicht die dunklen Zeiten ausnutzen können. Ich suche den Weg. Ich komme nicht durch die großen Klappen, mit denen der Steinbau zugemacht wird. Aber ich kann ja draußen hochklettern. Diese glatten Steine sind zwar nicht so einfach zu erklettern wie Baumstämme, weil meine Krallen sich nicht darin eingraben können. Aber es gibt einige Ritzen, in die ich hineingreifen und mich festkrallen kann. Dann komme ich auch an den Vorsprüngen vorbei, über denen diese durchsichtigen Flächen sind, die mich zwar in den Bau hineinsehen lassen, aber durch die ich nicht durchkommen kann. Ich lausche, schnüffele und erspüre, wo ich wohl hingehen muß. Ich laufe schnell auf den Vorsprüngen entlang. Ich muß oft mit weiten Sprüngen über einen Abgrund hinweg, der zwischen einzelnen Vorsprüngen ist und schaffe es gerade so, nicht zu tief zu fallen. Ich kenne das, aus einem hohen Baum herunterzuspringen. Einmal habe ich das gemacht und mir fast die Pfoten gebrochen, als ich gerade zwei Warmzeiten da war.
Ja! Ich spüre ihn. Ich lausche auf einem dieser Vorsprünge sitzend und sehe genau herum, ob ich ihn nicht finden kann. Endlich kann ich erkennen, woher seine Wirkung auf mich kommt und klettere weiter am großen Steinbau entlang. Ich muß etwas höher klettern und dann mehrere große Vorsprünge entlang. Ja, endlich bin ich in der Nähe. Ich setze gerade mit einem weiten Sprung auf den letzten Vorsprung hinüber, da fliegt ein Nachtvogel, ein lautloser Mäusejäger heran und klopft mit seinem Schnabel an die durchsichtige Fläche, die merkwürdig hohl klingt, wie ein hohler Baum, aus dem ich mal junge Klopfvögel gezogen und gefressen habe.
Die Fläche wird sehr laut nach innen gekippt. ein Männchen der Menschenjungen lässt den Vogel herein, nimmt ihm schnell was von seinem rechten Bein. Ich hocke mich zum Sprung bereit. Jetzt springe ich einfach in die Höhle hinein, in der ich Julius finde. Ja, er liegt in einem langen breiten Nest und schläft tief. Das Männchen, daß den Nachtvogel und mich reingelassen hat, sieht mich an und macht einen aufgeregten Laut. Der Vogel heult los, fliegt einfach über mich weg und hinaus in die Dunkelheit.
Julius wacht auf. Ich merke es nur, weil sich dieser hängende Stoff bewegt. Hören kann ich von ihm nichts. Aber ich rieche, daß er hier wohnt. Dann geht das Stoffgehänge zur Seite, und Julius sitzt auf dem weichen Ruhelager und sieht sich um. Er holt den Ast hervor, den die Menschen hier benutzen, um die Kraft zu benutzen, die ich in den Schnurrhaaren spüren kann. Ein schmerzhaftes grelles Licht leuchtet an der Spitze des Astes.
"Ach, wer ist denn das? Was machst du denn hier?"
Julius hatte wohl schon geschlafen, als er durch das Heulen einer Eule und Hercules' aufgeregte Stimme geweckt wurde.
"Eh, das gibt's doch nicht. Da ist ja ein echter Kniesel reingekommen."
Julius setzte sich auf, zog den Vorhang bei Seite und nahm seinen Zauberstab vom Nachttisch. "Lumos", murmelte er und sah, wie ein helles Licht an der Zauberstabspitze aufglühte. Dieses Licht richtete er auf Hercules und das große Katzentier mit der Schwanzquaste und erkannte es sogleich.
"Ach, wer ist denn das? Was machst du denn hier?" Sprach er sichtlich erstaunt zu dem Tier, das mit hocherhobenem Schwanz auf ihn zulief und sich mit seiner Flanke an seinem linken Bein rieb.
"Das wollte ich nicht", sagte Hercules. "Ich wußte nicht, daß die nachts hier herumlaufen dürfen, sonst hätte ich Bernie nicht gesagt ..."
"Mann, was soll'n der Krach?" Grummelte Robert, der den Vorhang seines Bettes zur Seite zog und herausblickte. "O, Julius, ist die das, von der du am Valentinstag erzählt hast? Was macht die denn hier bei uns?"
"Frag mich doch sowas nicht", gab Julius perplex zurück, während sich Goldschweif immer noch an sein linkes Bein kuschelte.
"Oha, das gibt Ärger", unkte Hercules. "Die müssen wir wieder rauswerfen, damit die in die Einfriedung zurückgeht. Wenn Armadillus oder Königin Blanche das mitkriegen, daß gerade die Chefin der Kniesel zu uns reingekommen ist, kriegen wir was zu hören."
"Ach, weil du deine Herzallerliebste angehalten hast, ihre leidenschaftlichen Liebesbriefe nicht mit der Allerweltspost zu schicken", feixte Robert. André, Gaston und Gérard waren nun auch wach. Gaston stand auf und ging barfuß zu Julius hinüber. Er bückte sich und wollte Goldschweif streicheln. Hercules rief noch: "Lass das besser!" Goldschweif stieß ein schon in tiefes Knurren übergehendes Miauen aus und zeigte die rechte Vorderpfote mit fünf dolchartigen Krallen.
"Hab's begriffen", sagte Gaston und zog sich schnell zurück. Goldschweif beruhigte sich sofort wieder. Julius zog vorsichtig das Bein zur Seite, an das sich die Knieseldame ankuschelte. Dieser schien das jedoch keine Abweisung zu sein, eher eine Einladung. Denn aus dem Stehen sprang sie mit einem leichten Satz auf den Schoß des englischen Schülers und legte sich mit ihrem warmen Körper an seinen Bauch und schnurrte.
Julius stieg der scharfe Geruch von wilder Katze, wie er ihn aus dem londoner Zoo kannte, in die Nase. Das konnte es doch wohl nicht geben, daß dieses Tier da einfach wie eine gewöhnliche Schmusekatze aus Omas altem Haus auf den Knien lag und schnurrte. Er streckte vorsichtig seine rechte Hand nach dem Tier aus und berührte das glatte lange Fell. Anders als bei Claire und Gaston war Goldschweif darüber nicht so böse. Im Gegenteil. Sie kugelte sich ein und schnurrte noch heftiger.
"Soll ich jetzt herzlichen Glückwunsch oder herzliches Beileid wünschen", sagte Hercules, der respektvollen Abstand zu Julius und dem schnurrenden Pelzball auf dem Schoß hielt.
"Wieso, Hercules. Die suchte wohl wen zum ankuscheln. Vielleicht ist die gerade heiß oder wie das bei Knieseln heißt, wenn die sich fortpflanzen wollen. Eine Großtante von mir hatte 'ne Labradorhündin, die schmuste sich auch immer an einen, wenn sie gerade kleine Hunde haben wollte."
"Ich glaube, bei Katzen heißt das "rollig", wenn die in Liebesstimmung sind, Julius", sagte Gaston. "Bébé sagte das zumindest mal. Die hat ja selbst eine Katze."
"Einen Kater, Gaston", berichtigte Hercules den Mitschüler. "Aber die hier ist gerade nicht rollig. Sonst hättest du schon mehr Kniesel hier drinnen. Außerdem schmusen die sich nicht einfach an, Julius. Die hier, Goldschweif, ist wohl eine Freilandknieselin. Das heißt, die leben von Menschen unabhängig. Huijuijui! Wenn die sich so direkt nur bei dir anschmust, uns anderen aber die Krallen zeigt, dann hat die sich in dich verknallt."
"Haha, Hercules", bemerkte Robert mit Spott in der Stimme. "Das ist nur'n Tier. Die kann doch von Julius keine Jungen kriegen. Oder geht das etwa bei denen hier? Wahrscheinlich nur, wenn sich Julius in einen Knieselich verwandelt oder wie die Männchen von denen heißen."
"Das du nur an sowas denkst wissen wir ja schon, Robbie. Aber wenn ein Kniesel sich spontan an einen Zauberer ankuschelt, ja sich von dem sogar streicheln läßt, dann hat das nichts mit Paarung und Jungekriegen zu tun, sondern mit Verbundenheit. Und das tun die absolut nicht bei jedem. Hinzu kommt, daß diese Verbundenheit zwischen Zauberer und Knieselweibchen oder Hexe und Knieselmännchen am stärksten reinhaut. Wie heißt die noch mal, Julius?"
"Die Montferres nannten sie Goldschweif, was ja voll hinhaut", erwiderte Julius, faßte vorsichtig nach dem Schweif der eingerollten Knieselin und beleuchtete ihn mit dem Zauberstablicht.
"Queue Dorée? O das ist ja dann die Kronprinzessin aus der Linie von Viviane Eauvive. Dann ist die Armadillus sehr wichtig. Aber jetzt weiß ich immer noch nicht, ob ich dich jetzt beglückwünschen oder bemitleiden muß", sagte Hercules und näherte sich vorsichtig. Julius spürte, wie sich Goldschweif entrollte und sich auf seinen Knien zusammenkauerte, bereit zum Sprung. Sie stieß ein leises warnendes Fauchen aus, als Hercules auf Armlänge vor ihr stand. Bernadettes Freund verstand die Warnung und zog sich zurück.
"Ich fürchte, ich muß dich bemitleiden. Wenn die jeden so abweist wie Gaston oder mich, dann hast du mit Claire am Montag zum letzten Mal gekuschelt."
"Ach neh, wieso das?" Wollte Julius jetzt wissen, der es langsam nicht mehr witzig oder interessant fand, daß die Knieselin auf seinen Knien saß.
"Kniesel neigen dazu, einen von ihnen erwählten Zauberer für sich zu beanspruchen. Es gibt Berichte von Angriffen auf Zauberer, die einem Bezugsmenschen eines Kniesels nur die Hand schütteln wollten", erklärte Hercules.
"Ach, diese Sachen. Dann erzähle ihm aber auch, daß Kniesel spüren, wem zu trauen ist und wem nicht. Manchmal kommt sowas nämlich dann vor, wenn ein Zauberer mit einem anderen zusammenkommt, der ihm nichts gutes will. Aber die hier warnt euch ja noch, bevor sie die Krallen benutzt."
"Das hat Belisama ja auch erzählt", erinnerte sich Julius Andrews. "Sie erzählte, daß Kniesel vor Gefahren warnen und Wege finden könnten. Aber ich brauche kein Zaubertier. Ich habe ja Francis. Das ist schon das höchste, was Mum verträgt. Außerdem gehört mir Goldschweif nicht. Ich kann die nicht hierlassen. Die ist reingekommen, als Bernadettes Eule reinkam. Die können wohl gut klettern und springen."
"Worauf du einen lassen kannst, Julius. Wenn die wirklich alle guten Sachen als der Eauvive-Linie drin hat, kann die zehnmal so weit und viermal so hoch springen, wie sie lang beziehungsweise hoch ist, ohne Anlauf nehmen zu müssen. Mit Anlauf kommt die dann vielleicht sogar auf sechzehn Längen weite und sechs Eigenhöhen Höhe."
Julius besah sich Goldschweif und rief sich ihr erhabenes Erscheinen am Montag ins Bewußtsein zurück. Dann rechnete er sich aus, wieviele Meter weit und hoch Goldschweif springen konnte. Das war zwar ein überwältigender Wert, verriet aber auch, daß das Zaubertier nicht einfach zu ihnen hochgesprungen war, sondern wohl geklettert sein mußte. Dann überlegte er, was er machen sollte. Er konnte ja unmöglich ein fremdes, sicher auch nicht ungefährliches Tier in diesem Schlafsaal lassen. Außerdem wollte er kein weiteres Haustier, schon gar nicht eines, das auffällig war wie ein bunter Hund. So sah er Hercules an und fragte ihn:
"Was würde sie machen, wenn ich sie einfach wieder auf die Fensterbank setze und das Fenster hinter ihr zumache?"
"Das weiß ich doch nicht. Alles weiß ich über diese Tiere auch nicht. Vielleicht kannst du sie wieder raussetzen. Vielleicht krallt sie sich auch fest und will hierbleiben. Jedenfalls hat sie dich gerade als Bezugsperson ausgewählt. Geh also mal davon aus, daß die zurückkommt, wenn du sie rauswirfst. Aber ich hoffe, Armadillus kriegt das geregelt und hält sie besser drin in diesem Gehege. Wahrscheinlich hat er keinen richtigen Bann um das Gehege gelegt."
"Joh, das muß ich jetzt ausprobieren", sagte Julius und umfaßte Goldschweif vorsichtig, dann fest und entschlossen. Das Weibchen aus dem Stamm der Kniesel ließ es sich gefallen. Wie zu einem knurrenden Hund sprach Julius beruhigend auf das Tier ein, als er mit ihm im Arm zum Fenster ging, das noch offenstand. Er setzte Goldschweif schnell und sicher auf den Sims und schnellte zurück, um ansatzlos das Fenster zu schließen. Er sah, wie Goldschweif sich entkugelte, auf alle viere sprang und verdutzt den Kopf want. Doch als sie versuchte, wieder hereinzuspringen, war das Fenster bereits zu. Sie stieß mit den Vorderpfoten gegen die Scheibe, prallte zurück und schaffte es gerade noch, ihr gleichgewicht zu halten, um nicht vom Sims zu stürzen. Dann blickte sie noch mal Julius an, stellte ihren namensgebenden Schweif auf und lief übers Sims richtung Schloßtor, sprang geschmeidig davon und verschwand aus dem Sichtbereich von Julius und den anderen Jungen.
"Buä, diese Tiere stinken ja heftig", bemerkte Julius, als eine Minute vergangen war, ohne daß Goldschweif noch mal aufgetaucht wäre. Er wechselte schnell seinen Schlafanzug und entschuldigte sich bei den anderen Jungen für die ungewollte Störung.
"Der Eulenpostempfänger hier müßte sich entschuldigen", meinte Gaston spöttisch. Hercules seufzte verlegen. Dann zogen sich die Drittklässler in ihre Betten zurück und schlossen die Vorhänge.
Er will nicht, daß ich bei ihm wohne. Er setzt mich wieder auf den großen Vorsprung zurück und schlägt die durchsichtige Fläche zwischen sich und mich. Ich sehe ihn noch mal an. Es ärgert mich ein wenig. Warum will er nicht, daß ich bei ihm bleibe? Ich weiß das nicht. Weil ich Hunger bekommen habe und ich hier draußen wohl nicht bleiben will, springe ich wieder zu einem anderen Vorsprung in der Steinwand und klettere an guten Ritzen und Vorsprüngen gekrallt runter. Auf dem Boden laufe ich leise um den Steinbau herum. Ah, da raschelt es im Buschwerk. O es quiekt sehr verheißungsvoll. Ich lausche, schnüffele und sehe herum. Dann bin ich auch schon unterwegs, die Feldmaus zu erwischen, die da so einfach aus ihrem Loch kommt und über die Wiese läuft. Ich bin schneller und bekomme sie zu fassen. Doch das macht mich nicht satt. So laufe ich wie meine Verwandten durch die Dunkelheit und erjage mir kleine Nagetiere und zwischendurch ein paar Spinnen.
Meine Mutter hat mich schon oft mit halb ausgestreckten Krallen geschlagen, weil ich was böses gemacht habe. Julius ist nicht böse auf mich. Er hat wohl eher Angst, weil ich bei ihm bin. Aber ich habe es gespürt, daß ich bei ihm sein muß. Irgendwie muß ich ihn beruhigen.
Als die Dunkelheit langsam nachläßt, laufe ich zu unserem Wohnreich zurück, klettere über die Grenze und gehe in meine Wohnung zurück. Erst einmal schlafen.
... "o Julius, Hercules hat da recht. Kniesel sind sehr anhänglich, aber anderen gegenüber immer noch mißtrauisch. Ich kenne Lauretta. Seraphine hat ja schon oft mit uns gefeiert", sagte Barbara am nächsten Morgen, als Julius und sie sich mit Sport und Schwermacher abplackerten.
"Ich will so'n Tier doch nicht. Die dürfen in Muggelsiedlungen bestimmt nicht gehalten werden. Abgesehen davon, daß Goldschweif mir nicht gehört."
"Das ist für Goldschweif dann wohl auch unwichtig, solange du ihr gehörst", grinste Barbara. "Das ist wie bei einem Hund. Gustavs Eltern haben ja einen Riesenschnauzer. Die sind vom Charakter her ähnlich wie Kniesel. Stur, besitzergreifend aber dafür auch sehr treu. Ich schlage dir vor, du klärst mit Edmond, Professeur Armadillus und Professeur Faucon, wie du damit umgehen sollst, wenn die goldschwänzige Dame dich wieder beehrt. Oder möchtest du gleich nach dem Frühstück mit mir zu Armadillus und Faucon?"
"Du bist doch nicht für mich zuständig", sagte Julius dazu nur. Barbara lächelte.
"Auch wieder wahr. Aber ich könnte dir einen anderen Vorschlag machen. Wir treffen uns mit Seraphine und unterhalten uns mit ihr darüber. Vielleicht kennt sie ja Tricks, wie du das Problem lösen kannst, ohne es dir mit Goldschweif zu verderben."
"Dann soll Armadillus die in der Nacht nicht frei herumlaufen lassen", meinte Julius gereizt.
"Na klar und aus dem Jungenklo werden die Urinale ausgebaut. Kniesel sind überwiegend nachtaktive Tiere, soweit ich weiß. Die einzupferchen dürfte wie eine Folter sein."
"Na klar, dann kommt sie ausgerechnet zu mir in den Schlafsaal", knurrte Julius. Barbara wußte darauf keine Antwort.
Nach dem Frühstück suchte die Saalsprecherin der Grünen mit Julius Seraphine auf, die sich mit einer Klassenkameradin über Zaubertränke unterhielt. Seraphine strahlte Julius an, als er auf Hörweite herankam.
"Ah, hallo, Julius. Vielleicht kommst du gerade richtig. Samantha und ich diskutieren gerade das Seelenfesselelixier. Kennst du das schon?"
"Zum Glück nicht persönlich", sagte Julius. Barbara zog sich stillschweigend zurück, als der Drittklässler mit den Mädchen aus der siebten Klasse, mit denen er einmal zwei Zaubertrankstunden gehabt hatte, zur Bibliothek ging, um sich mit ihnen die Bücher anzusehen, wo das gefährliche Willensbrechergift erwähnt wurde. Da jedoch die besten Werke darüber in der verbotenen Sektion aufbewahrt wurden, verzichteten die beiden Mädchen darauf, Bücher über dieses Thema zu wälzen und bequatschten andere Tränke, die heftige Körper- und Geistesveränderungen bewirkten. Dann kam er endlich auf das Thema, was er besprechen wollte.
"Mir ist gestern abend ein Kniesel in den Schlafsaal gesprungen, weil wir kurz das Fenster aufgemacht haben. Das Tier hat sich an mich gekuschelt und dann noch auf den Schoß gesetzt. Was sollte das?"
"Häh? Die Kniesel leben doch in einem großen Freigehege und laufen doch nur auf dem Gelände rum, um Nagetiere oder Gnome zu fangen. Zwischendurch rupfen sie auch Vögel und fressen die auf. Aber daß ein Kniesel in einen Schlafsaal schleicht wußte ich noch nicht. Ist das wirklich passiert?"
"Ich kann dir den Schlafanzug unter die Nase halten, an dem die ihr Parfüm hinterlassen hat, Seraphine. Außerdem haben die anderen die ja auch gesehen."
"Lustig", kicherte Samantha, ein kleines schlankes Mädchen mit brünetten Locken.
"Bestimmt nicht, Sam. Wenn das stimmt haben wir ein gewisses, wenn auch nicht lebensbedrohliches Problem. Du sagtest, daß die anderen Jungen sie gesehen hätten. Das ist heftig. Du bist bestimmt zu mir gekommen, weil Belisama oder Barbara dir erzählt haben, daß meine Mutter eine Knieselin hält." Julius nickte. "Gut", fuhr Seraphine mit ernster Betonung fort, "Zwischen Kniesel und Zauberer kann eine ähnlich tiefe Beziehung entstehen, wie zwischen Männern und Frauen. Der kleine Unterschied ist nur, daß du dich nicht mit einer Knieselin um Nachwuchs kümmern kannst. Aber wenn sich eine Knieselin in dich, einen Zauberer verguckt hat, kann das schon eine tiefgehende Beziehung sein. Erzähl mir bitte alles! Am besten von vorne!"
Julius berichtete ruhig, sachlich und in der korrekten zeitlichen Abfolge, was er seit Montag erlebt hatte. Seraphine hörte zu, während Samantha ein Buch über Steinbrecherpilze aufschlug. Als Julius den Bericht beendet hatte nickte Seraphine und sagte:
"Also, Freilandkniesel prüfen mehrmals, ob ein Zauberer oder eine Hexe wirklich mit ihnen klarkommen können. Wenn du sie ignorierst, also nicht mehr besuchst oder zu dir in den Schlafsaal läßt, wird sie bald andere Sorgen haben. Wenn ich das richtig mitbekommen habe sind von den Weibchen bald wieder viele rollig, will heißen fortpflanzungswillig. Da wird sie genug Beschäftigung haben. Sollte sie trächtig werden, hast du eh ein Dreivierteljahr nichts mehr zu melden. Danach sehen wir weiter. Wenn sie jedoch hartnäckig bleibt, dann mußt du dich mit Professeur Faucon und Professeur Armadillus beraten, wie du mit ihr weiterleben kannst. Weil dann gehörst du definitiv ihr, besonders dann, wenn es Goldschweif ist."
"Na großartig", maulte Julius in der hier vorgeschriebenen Lautstärke. Samantah grinste ihn über ihr Buch hinweg an und feixte:
"Dein Pech." Seraphine räusperte sich vernehmlich und flüsterte Julius zu:
"Wenn das wirklich ansteht, kannst du ja wieder zu mir kommen. Ich frage dann Maman, wie wir das regeln können. Aber nur, wenn ihr uns beim Spiel in drei Wochengewinnen laßt."
"Das kann ich nicht entscheiden, Seraphine", erwiderte Julius belustigt. Seraphine lächelte ihn an und meinte:
"Das wäre auch gegen meine Ehre, mir einen Sieg schenken zu lassen, besonders jetzt, wo wir so heftig unten in der Tabelle hängen. Also warte erst einmal ab, wie das mit Goldschweif weitergeht!"
"Danke, Seraphine, und noch mal Entschuldigung, daß ich dich mit diesem Kram behelligt habe, wo du weiß der Himmel wichtigeres zu tun hast."
"Ach, das war mir eine Ehre. Außerdem weiß ich jetzt, wo ich über die geistesverändernden Gifte noch mal nachlesen muß. Hatte also was für sich. Es stimmt also doch, daß du Zaubertrankbücher zum Mittag ißt."
"Neh, zum Frühstück", erwiderte Julius scherzhaft und grinste Seraphine an. Dann verabschiedete er sich noch bei Samantha, die ihm belustigt nachblickte, als er die Bibliothek verließ und in den grünen Saal zurückkehrte.
Die nächste Woche war mit Arbeit so vollgestopft, daß Julius weder an Goldschweif, noch an die heimlichen Gespräche mit Gloria und ihrer Oma dachte. Insbesondere Professeur Trifolio und Professeur Fixus beanspruchten ihn heftig. in Arithmantik ging es nun wirklich ans Eingemachte. Logik und Logikwechsel forderten die Schülerinnen und den Schüler sehr heftig. Laurentine Hellersdorf sagte nach der Dienstagsstunde, daß sie mit Professeur Faucon sprechen würde, ob sie nicht nach diesem Jahr auf Pflege magischer Geschöpfe umsteigen oder das Fach Studium der nichtmagischen Welt als einziges neues Fach behalten solle. Mildrid Latierre hielt sich Julius und Claire gegenüber sehr zurück, was sowohl Claire als auch Julius stutzig machte, sie aber andererseits etwas beruhigte, weil dieser Konkurrenzkampf, wenn es denn einer war, erst einmal nicht weiterging.
Am Mittwoch im Alchemiekurs ging es um die nichtmagischen Grundeigenschaften reiner Metalle. In der nächsten Stunde sollte es dann um die magischen Eigenschaften gehen.
"In der nichtmagischen Welt stellen die Metalle die wesentlichen Grundbausteine der Maschinen dar", begann Professeur Fixus und schrieb an die Tafel, wie Metalle untergliedert wurden. Danach experimentierten sie mit Eisenspänen, Kupferstücken und Blei. Julius baute mit Magneten und Kupferdraht eine einfache Spule zusammen und schaffte es kurz vor Stundenende, einen einfachen Dynamo zu bauen.
"Mit sowas machen die Muggel ihren elektrischen Strom?" Fragte Millie Latierre und drehte die Spule zwischen den Magneten. Unvermittelt zuckte sie zusammen und gab einen Schmerzenslaut von sich. "Autsch, das zwickt ja ganz gemein, wenn man das ding hier richtig heftig dreht."
"Das war elektrischer Strom", meinte Martine dazu und nahm den Dynamo. Professeur Fixus kam herüber und begutachtete den einfachen Stromerzeuger. Dann sagte sie: "Das ist zu den Eigenschaften die wir besprochen haben eine weitere wichtige Eigenart. Metalle leiten den elektrischen Strom. Das macht Metallgerätschaften gut geeignet, um Blitze aus dem Himmel anzuziehen, die als Quelle für Feuer und mächtige Zauber benutzt werden können."
"Ja, aber wieso geht das mit dem Strom mit den Magneten. Ich las doch, daß der Magnetismus eine Eigenschaft der Erde ist und durch erhitztes Eisen, das langsam abgekühlt wird, auf Eisenstücke übertragen werden kann", wandte Bernadette ein. Professeur Fixus warf durch ihre goldene Brille einen ernsten Blick auf Julius und bedeutete ihm, er solle dazu was sagen.
"Elektrizität ist eine Auswirkung von sich bewegenden Magneten, Bernadette. Ich möchte hier jetzt nicht irgendwelches Muggelwissen loslassen. Nur so viel: Wo elektrischer Strom fließt, wirkt auch die magnetische Kraft. Das wird in der nichtmagischen Welt ja ausgenutzt, weil dann auch elektrische Kraft, die durch eine Spulenanordnung zwischen Magneten geschickt wird, in Bewegung verwandelt werden kann. Bewegung einer Spulenanordnung, wie wir sie hier haben, erzeugt andersherum Strom."
"Dann ist Elektrizität eine Schwester des Magnetismus?" Fragte Bernadette Professeur Fixus zugewandt. Diese nickte halbherzig und sagte:
"Eine Zwillingsschwester sogar. Wo das eine auftritt, kommt auch das andere vor. Für uns in der magischen Alchemie ist das nur von Bedeutung, wenn es darum geht, den Magnetismus künstlich zu erzeugen und anzuwenden. Der Ferrattractus-Zauber ist ja nichts anderes als die Magnetisierung eines eisernen Körpers."
"Geht das vielleicht auch, daß man ein negatives Magnetfeld schaffen kann, das in es eindringende Eisenkörper nicht anzieht sondern abstößt, ohne das die Eisenkörper selbst magnetisch sind?" Fragte Julius interessiert.
"Das ist der Gegenspieler des Ferrattractus-Zaubers, der Ferrepulsus-Zauber. Aber direkte Zauber fallen in die Bereiche meiner Kolleginnen Faucon und Bellart. Wichtig ist nur, daß Eisen als Vertreter der unedlen Schwermetalle diese besondere Eigenheit hat, magnetische Kräfte zu empfangen oder ihnen zu unterliegen. Das wird für manchen Zaubertrank sehr wichtig, wie den Wegfindetrank, der es möglich macht, die Himmelsrichtungen körperlich wahrzunehmen, wie es bei vielen Naturvölkern ohne maschinelle Unterstützung funktioniert und vielen Tieren angeboren ist, besonders magischen Tierwesen wie Knieseln, Krubbs und Angehörigen der Pterohipoidae-Familie, der geflügelten Pferdearten, die Sie wohl schon sehen konnten. Aber dieses gehört wiederum in die Zuständigkeit von Professeur Armadillus."
"Können wir diesen Wegfindetrank mal brauen?" Fragte Bernadette neugierig. Professeur Fixus nickte und schenkte allen ein Lächeln.
"Der kommt zwar in der vierten Schulklasse dran, kann aber nach meinem Gutheißen auch in der Freizeitgruppe angerührt werden, da er in einer vollen Stunde fertig ist. Ich schlage vor, Sie aus dieser Arbeitsgruppe bereiten sich darauf vor, ihn nächste Woche zu brauen. Die entsprechenden Bücherempfehlungen kennen Sie ja."
Am ende des Freizeitkurses teilte die Leiterin jeder Arbeitsgruppe eine Aufgabe für die nächste Woche zu.
Am nächsten Morgen landete Trixie, Glorias Steinkauzweibchen, mit einem dicken Umschlag neben Julius' Teetasse. Sie sah leicht abgehetzt aus. Julius erkannte, daß sie offenbar gejagt worden war und wohl soeben noch entkommen konnte.
"Ach, bist du aber abgekämpft", sagte Glorias früherer Klassenkamerad zu der Eule und nahm ihr den Umschlag vom rechten Bein. Er enthielt drei Blätter auf denen Gloria wohl irgendwelchen Klatsch aus Hogwarts untergebracht hatte, daneben auch, wohl um es nicht verdächtig aussehen zu lassen, lange Tiraden über den eintönigen Unterricht bei Professor Umbridge und einen kurzen Kommentar zum Massenausbruch aus Askaban. Julius wußte, daß er diesen Brief mit einem Schlüsselwort enttarnen und die in ihm enthaltenen Artikel aus dem Tagespropheten lesen konnte. Doch hier und jetzt durfte er das natürlich nicht machen.
Nach dem anstrengenden Schultag lag er in seinem Bett und tippte mit dem Zauberstab an die drei Blätter, die Gloria ihm geschickt hatte. "Weißrosenweg", flüsterte er. Wie von einem wilden Pinsel gezogen wirbelten Striche und Bögen auf den Seiten herum. Aus dem unbedeutenden Text tauchten zehn Fotos auf, die Julius im Miroir Magique schon gesehen hatte und er konnte die Meldung lesen, die im Tagespropheten gestanden hatte. Ihn interessierte jedoch der Artikel, von dem Gloria gesprochen hatte. Mit zunehmender Unruhe las er, daß ein Ministeriumszauberer namens Bode, der wegen irgendeiner schweren Geistesstörung ins St.-Mungo-Krankenhaus eingeliefert worden war offenbar durch einen Setzling der Teufelsschlinge Herbinfernalia strangulans erwürgt worden sei. Er runzelte die Stirn und überlegte, wie denn sowas passieren konnte. Dann blickte er zu dem großen Vollportrait Aurora Dawns hinauf. Seine Bewohnerin war gerade zu Hause.
"Entschuldigung, Aurora. Hier steht was von einem Unfall im Krankenhaus für magische Verletzungen und Krankheiten. Wie kann sowas passieren, daß jemand einen Teufelsschlingensetzling als Weihnachtsgeschenk kriegen kann?"
"An und für sich gar nicht, Julius", erwiderte die gemalte Aurora Dawn. "Kräuterkunde gehört zu den fundamentalen Kenntnissen der Heilkunde. Da bei St. Mungo an und für sich qualifizierte Heilerinnen und Heiler arbeiten, darf das nicht vorkommen. Aber da steht ja auch drin, daß es sehr hektisch zuging über Weihnachten."
"Ja, aber dieses nette Blümchen ist wohl anonym verschickt worden. Ich glaube nicht, daß sich da jemand vergriffen hat. Wo hat denn dieser Bode gearbeitet?" Wollte Julius wissen.
"Hmm, interessante Frage. Der war wohl einer von den Unsäglichen. So nennt man superspezialisierte Zauberer, die in der geheimen Abteilung für Mysterien arbeiten."
"O interessant. Dann war das mit Sicherheit kein Unfall. Pech für diese Miriam Strout, die wohl Stationschefin da war, wo dieser Bode gelegen hat, tut mir heftig leid. Sie hat ohne es zu wollen einem Mörder geholfen."
"Mord?! Wie kommst du auf diese heftige Vermutung?"
"Dieser Bode hat wegen einer schweren Geistesverwirrung da gelegen. Er gehörte wohl zu einer ganz geheimen Geheimabteilung im Zaubereiministerium. Hier steht, er war schon auf dem Wege der Besserung. Vielleicht hat er was angestellt, was keiner rauskommen lassen wollte. Vielleicht habe ich zu viele Krimis gesehen. Aber da kommt sowas dann vor. Wenn jemand zu gefährlich wird, wird er einfach umgebracht."
"Also mein natürliches Ich kennt Miriam Strout als eine sehr fürsorgliche, ja mütterliche Heilhexe, die da, wo sie gearbeitet hat, immer gute bis sehr gute Leistungen gebracht hat. Es ist aber auch bekannt, daß sie vor lauter Fürsorge nicht auf Einzelheiten achtet, gerade an Feiertagen. Einige Leute könnten das gezielt ausgenutzt haben. Ich hoffe, sie kann rehabilitiert werden."
"Du meinst von allen Vorwürfen freigesprochen werden? Wenn sie nicht wirklich an diesem Verbrechen beteiligt war."
"Von dem wir nicht wissen, ob es wirklich eines war, Julius", schränkte Aurora Dawn Julius' Gedanken ein. Er nickte zwar, änderte aber nicht seine Ansicht. Er tarnte die geschickten Seiten wieder und drehte sich in seine Lieblingsschlafstellung. Mit Gloria würde er wohl einen Abend später wieder sprechen.
Das Quidditchspiel zwischen Rot und Violett verlief stürmisch, da die Violetten es diesmal nicht darauf ankommen lassen wollten, wie gegen die Grünen viele Punkte zu lassen. So wurde die Partie dreimal unterbrochen, um verletzte Spiler zu behandeln. Schließlich holte Janine Dupont den Schnatz, während Golbasto Collis knapp einem Doppelangriff der Montferres entging. Insgesamt holten die Roten 300 Punkte, die Violetten 80. Damit waren sie endgültig aus dem Rennen um den Quidditchpokal.
Julius unterhielt sich nach der aufreibenden Partie mit den Montferres und Janine. Sie waren sich einig, daß Golbastos Truppe mehr riskiert hatte als nötig war. Suzanne Didier, die als Jägerin der Violetten spielte, kam zu Julius herüber und fragte ihn, wie er das Spiel gefunden hatte. Julius erwiderte:
"Irgendwie habt ihr auf Leben und Tod gekämpft, Suzanne. Ich frage mich, ob das wirklich noch ein Spiel war."
"Ihr habt das ja dann auf dem Gewissen", knurrte Suzanne. "Golbasto wollte diesmal den schnellen Torvorsprung und möglichst den Schnatzfang in den ersten fünf Minuten. Na ja, zum Glück sind wir alle ja einigermaßen gut weggekommen."
"Einigermaßen?" Fragte Sabine Montferre. "Argon Odin wird wohl bis übermorgen im Krankenflügel bleiben, Golbasto hat sich fast in unsere Klatscher reingeworfen und du selbst hättest deinen Ganni fast im freien Flug zerlegt. Auf jeden Fall ist die Reise zum Pokal für euch schon vorbei. Bleiben ja nur die Weißen, die Grünen und wir im Rennen."
"Steck es dir wohin, wo es paßt, Montferre!" Schnaubte Suzanne sichtlich wütend und feuerte giftige Blicke auf die Montferre-Schwestern und dann noch auf Julius ab.
"Was soll'n das jetzt?" Fragte Julius, als Suzanne mit wehendem Spielerumhang davoneilte.
"Hast du doch gehört, du böser Bube. Sie gibt dir die Mitschuld daran, daß sie heute so lebensmüde spielen mußten", erwiderte Janine Dupont mit frechem Grinsen. Dann lächelte sie jedoch. "Du hast ja mitgeholfen, daß Collis wie der letzte Idiot aussah, weil eure Agnes den Schnatz nicht fangen wollte und du und andere von euch ihn selbst am Fang gehindert haben. Aber da muß die Mademoiselle Didier nun mit leben, daß sie im letzten Schuljahr keinen Quidditchpokal anfassen darf."
César und Bruno kamen johlend herüber. Bruno grinste feist, und César sang: "Rot ist der Pokal!"
"Na, ob ihr gegen Seraphines Truppe auch so hoch gewinnen könnt wie gegen die Violetten ist ja mehr als fraglich", sagte der Kapitän der Roten zu Julius. Dieser grinste und sagte:
"Das läuft jetzt auf ein Fernduell raus. Wir spielen ja nicht mehr gegeneinander."
"Ach, das nennt man dann Fernduell?" Fragte Bruno. Sabine sah ihn irritiert an und meinte:
"Jetzt tu doch nicht so, als ob du das Wort nicht kennst. Immerhin haben die Pariser Pelikane ja mit den Millemerveilles Mercurios um die französische Meisterschaft gestritten, obwohl die nur zwei Spiele gegeneinander hatten. Das lief doch auch auf ein Fernduell hinaus."
"Ja, Binchen, ich weiß was'n Fernduell ist. Julius hat mich auch richtig verstanden."
"Auf jeden Fall war das ein Heidenspaß", sagte César noch. Dann winkte er den Mannschaftskameraden und Julius zu und verzog sich.
Am Abend unterhielt sich Julius mit Gloria über den Artikel über Bodes Tod im Krankenhaus. Gloria glaubte seiner Vermutung, daß der Ministerialzauberer ermordet worden sei. Allerdings konnten sie beide keinen Tatverdächtigen ausmachen. Sicher, Voldemorts Leute waren dazu fähig. Aber konnte es nicht auch aus dem Ministerium gekommen sein?
Als Julius ruhig lag, hörte er vor dem Fenster ein leises Maunzen und Scharren. Er zog leise den Vorhang bei Seite und stand noch mal auf. Barfuß schlich er zum Fenster und sah die beiden smaragdgrünen Augen eines Tieres, die erwartungsvoll zu ihm hereinblickten. Er erkannte die großen spitzen Ohren und das Katzengesicht mit dem feinen Schnurrbart. Die rechte Vorderpfote streckte sich zur Fensterscheibe und hieb mit halb ausgestreckten Krallen gegen die Scheibe. Julius wußte nicht, was er machen sollte. Wenn er das Fenster wieder aufmachte, würde die Knieselin Goldschweif zu ihm hereinkommen. Wenn er das Fenster zuließ würde sie vielleicht das Fenster einschlagen oder zumindest die Scheibe und den Rahmen zerkratzen. Doch ihm fiel Seraphines Rat ein. Er sollte Goldschweif ignorieren, damit sie ihn wieder in Ruhe ließ. So kehrte er ins Bett zurück. Eine halbe Stunde lang hörte er noch das leise Maunzen und Scharren vor dem Fenster. Dann wurde es ruhig. Entweder lag die Knieselin nun auf dem Gesims und wartete, bis doch mal wer aufmachte oder hatte sich wieder davongemacht um zu jagen. Jedenfalls wollte Julius nicht noch mal aufstehen, um zu sehen, was nun stimmte.
"Das kann ja noch was werden, dachte er nur und schlief ein.
Das herrliche Gefühl ist nun stark. Ich bin in Liebesstimmung. Rauhrücken und die anderen Männchen laufen um mich herum, kämpfen sogar mal gegeneinander. Wenn die Sonne das nächste Mal aufsteigt, werde ich mir einen von denen aussuchen. Doch diese Dunkelheit will ich noch mal zu Julius. Er wird mich zu sich lassen, bevor ich mit einem meiner Art Junge machen werde.
Ich schleiche wieder zu dem großen Steinbau und klettere daran hoch. Jetzt sitze ich auf dem großen Vorsprung vor der durchsichtigen harten Fläche, hinter der die Schlafhöhle von ihm liegt. Ich rufe leise: "Hallo, lass mich zu dir!" Ich schlage mit den Vorderpfoten gegen das Holz unter der durchsichtigen Fläche. Ich frage mich, ob ich diese Fläche nicht durchschlagen kann. Doch sie ist so hart wie Stein. Ich will mir die Pfoten nicht blutig machen. Nachher muß ich verhungern, weil ich keine Beute mehr fangen kann.
Ich sehe Julius kurz hinter dieser trennenden Fläche. Er sieht mich, steht da und dreht sich dann wieder weg. Er geht in sein Nest zurück. Ich rufe noch und kratze am Holz und streiche mit den Krallen über die Fläche. Doch er kommt nicht. Keiner kommt, um mich reinzulassen. Der Hunger und die aufkommende Lust auf Liebe werden stärker. Ich wähle mir einen schnellen Weg nach unten und klettere und springe zurück auf den Boden. Ich will Julius später wieder besuchen, wenn meine Jungen da sind.
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