HERBSTSTÜRME

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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Was bisher geschah | Vorige Story

P R O L O G

Das erste Schuljahr von Julius Latierre steht unter dem düsteren Eindruck der Machtergreifung Voldemorts in Großbritannien. Er wird offiziell aufgefordert, nach Hogwarts zurückzukehren, was er jedoch nicht tut. Postsendungen von Gloria Porters Eltern halten ihn auf dem laufenden, daß mit Hilfe des britischen Tagespropheten eine Hetzcampagne gegen Muggelstämmige und ihre Familien begonnen hat, sowie daß Dolores Umbridge eine sehr zweifelhafte Registrierungskommission für Muggelstämmige leitet, die den angeblichen Diebstahl von Zauberkraft verfolgt und Muggelstämmige wohl als Magieräuber aburteilen und verschwinden lassen soll. Seine Aufgaben als stellvertretender Saalsprecher gestalten sich nicht leicht. Das liegt vor allem an seinem Klassenkameraden Hercules Moulin, der ihm die Ehe mit Mildrid mißgönnt und immer aufsässiger wird. Um den britischen Muggelstämmigen zur Flucht vor den neuen Machthabern zu helfen, gründet Madame Maxime die geheime Sub-Rosa-Gruppe neu, der neben Julius und seiner Frau auch seine Mutter, Catherine Brickston und Fleur Delacours Schwester Gabrielle angehören. Sie planen, einen heimlichen Fluchthilfedienst für von der Umbridge-Kommission verfolgte Hexen und Zauberer und deren magische und nichtmagische Angehörige zu organisieren. Als von den britischen Inseln her Dementoren über das europäische Festland herfallen will Professeur Faucon den Patronus-Zauber im Unterricht durchnehmen und führt vor, wie sich die Nähe von Dementoren auswirkt. Dabei kommt heraus, daß Julius' Patronus nun die Gestalt der geflügelten Kuh Artemis angenommen hat, mit deren Gefühlen und Erinnerungen der Geist der alten Magierin Darxandria verschmolzen ist. Auch stellt sich heraus, daß Hercules übermenschlich gute Sinne besitzt. Er schlägt Julius fast nieder und kann nur mit Mühe zu Schulheilerin Rossignol gebracht werden, die herausfindet, daß er Erbanteile einer grünen Waldfrau, auch Sabberhexe genannt, in sich trägt. Seine Mutter wußte davon. Seine Großtante Agrippine will ihn zu sich holen. Doch Professeur Faucon und Madame Maxime befinden, daß Hercules nach Nordamerika zu der zivilisierter lebenden Waldfrau Aubartia geschickt werden soll, die mit Zauberern Kontakt hält und ihm das Leben mit seiner aufgewachten Natur beibringen soll. Das Ministerium ist durch den Dementorenangriff in akuter Erklärungs- und Handlungsnot, und alles deutet darauf hin, daß dies nur der Auftakt war.

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Julius und die anderen haben Angst und fühlen sich so, als müßten sie gegen jemanden kämpfen oder vor jemandem weglaufen. Ich frage ihn, als ich ihn mal wieder in seiner Schlafhöhle besuche, wer seine Feinde sind. Er erzählt mir was von großen, ohne Flügel fliegenden Feinden, die alles um sich rum dunkel und ganz kalt werden lassen und dann machen, daß Menschen Angst kriegen, nicht mehr weiterleben zu können und ganz schlimme Sachen wiedersehen, die denen passiert sind. Dementoren nennt er sie. Ich kenne diese Wesen nicht. Aber wenn die so sind wie die fliegenden Brummer, die wir in dem Land hinter dem wilden Lichtwirbel getroffen haben, dann weiß ich, warum er Angst hat. Er sagt, die seien schlimmer, weil sie etwas aus Menschen heraussaugen können, das macht, daß sie wissen, was sie wollen und etwas fühlen können. Das klingt sehr böse für mich und macht mir auch Angst. Julius streicht mir mit seinen Vorderpfoten über den Rücken und durchkämmt mein Bauchfell mit seinen viel zu kurzen Krallen. Ich merke, daß ihn das beruhigt und mir auch sehr gut tut. Ich frage ihn irgendwann, warum er und sein Weibchen Mildrid nicht zusammenwohnen dürfen. Er sagt mir dann noch mal, daß das in dem Haus Beauxbatons nicht erlaubt wird, weil die Kinder hier lernen sollen, mit der Kraft richtig umzugehen. Irgendwann ist er zu müde. Ich geh wieder raus und suche was zu fressen. Meine Jungen können langsam auch Ratten fangen. Vor allem die kleine Prinzessin kann das jetzt schon ganz gut. Julius sagt, irgendwann könnten Olympe und der Neue, der wie ein Vogel heißt, sagen, ich kann zu ihm und bei ihm wohnen. Doch ich merke langsam, daß ich wieder in die Stimmung komme. Ich werde mir wohl wen suchen, von dem ich noch mal Junge kriege. Aber wenn Julius Angst hat, diese Dementoren könnten ihm alles schöne aus dem Körper saugen, bleibe ich vielleicht besser ohne Junge. Aber das ist immer so anstrengend, die Stimmung auszuhalten, ohne ein Männchen an mich hinzulassen. Wie machen die Menschen das bloß, wenn sie die Stimmung fühlen und sie nicht ausleben?

Draußen riecht es so unangenehm. Wenn das so riecht wie jetzt, kommt viel Wasser von oben oder es kommt so starker Wind, daß wir besser in unseren kleinen Rundbauten bleiben. Dann kommen die Mäuse und Ratten auch nicht mehr raus, und die Vögel halten sich ganz oben in den Bäumen fest und fliegen nicht rum. Dann müssen wir auch noch ohne Essen sein.

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Martha Andrews empfand es irgendwie merkwürdig, hier im gemütlichen Esszimmer der Dusoleils zu sitzen, die genau heute vor einem Jahr Claire und Camilles Mutter Aurélie verloren hatten. Doch es herrschte keine Trauer, sondern nur erhabene Besinnlichkeit. Martha war dankbar, daß Camille und ihre Schwägerin heute nicht darum stritten, ob eine Schwangerschaft eine Last oder ein Geschenk war. Denn Julius' Mutter fühlte sich nicht berufen, sich einer Meinung anzuschließen. Im Moment saßen Uranie und Camille am Tisch und schwelgten in Erinnerungen an Claire und Camilles Mutter. Jeanne saß mit ihrem Mann Bruno in Marthas Nähe und sprach mit ihr über ihre Erlebnisse mit Claire, auch die Reise zu den Latierres im letzten Sommer.

"Und du möchtest uns echt nicht erzählen, wie Antoinette dir geholfen hat?" Fragte Jeanne neugierig. Martha schüttelte bedächtig den Kopf. Das wäre für Jeanne wohl unfaßbar, wenn sie ihr auftischte, wie Madame Eauvive ihre durch den amerikanischen Gangster Laroche widererweckte Platzangst ausgetrieben oder zumindest wieder in Schlummer versenkt hatte. Sie sprachen auch über die Ereignisse in Beauxbatons, und daß Hercules Moulin wohl nun weit entfernt in den Staaten ein ganz neues Leben anfangen mußte.

"Ich hätte nie gedacht, daß diese grünen Biester ihre Söhne leben lassen", meinte Bruno. "Die wollen nur Töchter haben. Männer sind nur gut, um ihnen welche zu machen. Hätte nie gedacht, daß Hercules von so was abstammt."

"Er wohl auch nicht", meinte Jeanne. Ihre Tochter Viviane Aurélie wachte auf und blickte mit verkrusteten, nun braunen Augen zu ihrer Mutter auf. Sie begann leise zu quängeln.

"Bruno, du bist dran!" Zischte Jeanne. Ihr Mann sah sie verstimmt an, nickte dann aber. Er nahm seine Tochter aus dem hohen Kindersitz, schnupperte, rümpfte die Nase und trollte sich mit ihr.

"Julius hat ihn einen Angsthasen genannt, weil er sich nicht traut, sie zu wickeln", grinste Jeanne. "Seitdem wechseln wir uns ab."

"mein Mann konnte sich immer gut davor drücken. Mit den körperlichen Sachen wollte er nichts zu tun haben", seufzte Martha. "Gut, daß seine Mutter mir da öfter beispringen konnte."

"Könnte meiner auch gefallen, die Kleine die ganze Zeit hier zu haben. Aber die kriegt ja demnächst wen neues", flüsterte Jeanne.

"Du mußt nicht flüstern, Jeanne. Oder hast du über dein Geschwisterchen abgelästert, ma Chere?" Erwiderte Camille leicht ungehalten.

"Ich meinte nur, daß du um ein Baby zu wickeln nicht meins nötig hast", sagte Jeanne. Ihr Vater verzog etwas das Gesicht, während Uranie ihre Nichte verdrossen anblickte. Martha fürchtete, daß es gleich wieder losgehen würde, dieses Gejammer über ihre unerwünschte Schwangerschaft und daß Camille sie nicht andauernd umzustimmen versuchen sollte. Doch Denise rettete die Stimmung und sagte:

"Ich muß noch lernen, wie Vivi gefüttert und gebadet wird, damit ich das mit dem Neuen auch gleich kann. Dann muß Maman das nicht immer machen."

"Dann üb mal schön, solange du deine Schularbeiten auch auf die Reihe kriegst, Denise", erwiderte Camille lächelnd und strich sich über ihren noch nicht sonderlich gewölbten Bauch. Uranie grummelte nur leise. Doch dann war das Thema Baby auch schon wieder erledigt. Denn die Odins kamen zu Besuch und plauderten mit Martha über Zauberer- und Muggelwelt. Nur Cassiopeia hielt sich zurück. Sie hockte in einer Ecke und wehrte alle Versuche, sie anzusprechen mit ungehaltenen Blicken ab. Besonders wenn sie Uranie ansah schnitt sie eine garstige Grimasse. Doch keiner wollte die Stimmung stören.

Nach dem Abendessen luden Florymont und Camille zur Hausmusik ein. Martha freute sich, dabei mitspielen zu können. Emil und seine Familie flohpulverten um neun Uhr in ihr Haus zurück.

"Cassiopeia sollte langsam lernen, daß die Welt wesentlich schöner ist, wenn man sich nicht so verkrampft an alte Ansichten klammert", knurrte Camille, als sie Martha nach der Musikstunde wieder zum Waldlandschaftszimmer geleitete.

"Das geht mich nichts an, Camille", versuchte Martha, sich rauszuhalten. Doch Camille schüttelte den Kopf und entgegnete:

"Du wurdest von Antoinette zu einem Mitglied unserer Stammfamilie erklärt und letztes Weihnachten offiziell willkommen geheißen. Alles was uns angeht geht auch Julius und dich etwas an. Und ich finde, Cassiopeia sollte das endlich kapieren, daß sie nicht nach starren Regeln funktioniert."

"Nun gut, wenn du meinst, ich hätte ein Recht, mich über deine Familie zu äußern, dann wage ich mal die Behauptung, daß ihr der Lebenswandel Uranies nicht paßt oder sie was gegen werdende Mütter hat, die den Vater ihrer Kinder nicht vorher geheiratet haben."

"Genau das habe ich auch so gesehen, Martha. Dabei darf sich dieses Frauenzimmer ruhig an die eigene Nase packen. Mit mir und meinem Vater darum zu zanken, wer was von meiner Mutter erbt, wo sie noch nicht einen Monat tot war und wir nur eine Gedenkstätte für sie haben ist auch nicht die feine Art. Vielleicht widert es sie nur an, daß jetzt überall um sie herum neue Babys zur Welt kommen und sie vielleicht nicht mehr weiß, wozu sie verheiratet ist. Sie weiß genau, daß sie es sich mit mir verscherzt hat und nur deshalb heute da war, weil sie meinen Bruder geheiratet hat und Argon und Melanie geboren hat, mit denen ich gut klarkomme. Aber ich wollte mich heute nicht mit ihr rumzanken."

"Das kann für eine Frau in mittleren Jahren schon nervig oder unheimlich sein, wenn in ihrer Verwandtschaft so viele neue Kinder ankommen oder gerade mal ein paar Monate auf der Welt sind. Ich habe da auch so gewisse Anpassungsschwierigkeiten, wenn ich zu meiner neuen Verwandtschaft reise."

"Ich weiß, Martha. Und ich gehe stark davon aus, daß Ursuline das längst mitgekriegt hat und mit dir drüber reden kann. Deshalb rede ich auch nicht lange auf dich ein, Martha. Ich wollte dir nur sagen, daß du das Recht hast, über unsere Familie mitzureden und nicht außen vor bleiben mußt."

"Das ehrt mich", antwortete Martha Andrews. "Ich hoffe, ich habe diese Ehre verdient."

"Das hast du längst, Martha. Du hast uns einen sehr lieben, aufgeweckten und begabten Jungen geschenkt, der Claire eine ganze Menge schönes gegeben hat, auch wenn es ihr und ihm nicht vergönnt war, ein langes Leben zusammen zu leben", sagte Camille. "Dafür danke ich dir immer wieder gerne."

"Hoffentlich ist Claire da wo sie jetzt ist glücklich", sprach Martha verhalten.

"Ist sie bestimmt. Sie ist mit meiner Mutter zusammen und freut sich mit ihr, daß unser Leben weitergeht und Julius auch wen gefunden hat, die mit ihm glücklich werden und seine Kinder bekommen möchte."

"Ich wundere mich immer wieder, wie locker du damit fertig geworden bist, daß Julius ausgerechnet mit Claires Schulrivalin Mildrid zusammengekommen ist", verriet Martha ihr Erstaunen.

"Er mußte jemanden finden, die ihn als ausgesuchten Lebensgefährten liebt und ihm damit hilft, sich nicht aufzugeben, ihm was gibt, das es wert ist, dafür zu leben, Martha. Es hätte weder mir geholfen, wenn er sich wegen Claire allen anderen Hexen der Welt versagt hätte, noch hätte es Claire gefallen, daß er nicht mehr glücklich werden wollte. Dafür ist sie nicht von uns weggegangen, martha. Daß es Millie wurde und nicht Belisama hat Claire wohl schon immer geahnt. Womöglich ist sie jetzt froh, daß er in Beauxbatons nicht alleine ist. Er kann jeden Abend mit ihr mentiloquieren. Mit Claire konnte er über die Freundschaftspfeife kurze Botschaften austauschen. Ich bin also sehr beruhigt, daß das Leben, daß er mit Claire verbracht hat, nicht umsonst gewesen ist. Und du darfst froh sein, daß dein Sohn wieder Halt im Leben gefunden hat. Nur zu lernen was zu lernen ist macht irgendwann keinen Sinn, wenn man die Welt um einen herum nicht mehr erleben kann. Dann wäre er nicht besser als diese Rechenmaschinen, mit denen du arbeitest, Martha. Und deshalb bin ich so gut damit klargekommen und habe mich für ihn gefreut, auch wenn es ziemlich schnell ging."

"Ich habe auch gelernt, Mildrid als meine Schwiegertochter zu mögen. Das ist ja nicht selbstverständlich."

"Richtig. Niemand zwingt ein Schwiegerelternpaar, den Ehepartner des eigenen Kindes zu lieben. Aber wenn es mehr als Anerkennung ist, daß das eigene Kind diesen Menschen liebt, nämlich auch eigene gute Beziehungen dazu, dann ist das was richtig schönes. Mit meiner Schwiegermutter habe ich manchmal starke Meinungsverschiedenheiten. Und ich fürchte, wo sie im nächsten Jahr zwei zeitnahh geborene Enkelkinder betüddeln kann, wird das für mich nicht leichter mit ihr. Aber ich denke, du bist müde vom langen Tag. Morgen früh bringt Eleonore dich wieder nach Paris."

"Falls bis dahin nicht wieder diese Dämonen über das Land herfallen", unkte Martha. Camille nickte.

"Vielleicht solltest du dich mit Catherine darauf verständigen, daß du besser bei uns wohnst, solange das Ministerium nicht weiß, wie es diese Kreaturen wirkungsvoll abwehren kann. Hier wärest du sicher."

"Ich habe Minister Grandchapeau versprochen, ihm zu helfen, die Nachrichtenverbindungen in die anderen Länder aufrecht zu erhalten. Das kann ich nur, wenn ich in meinem Büro oder zu Hause in meinem Arbeitszimmer sitze", sagte Martha.

"Dann hoffe ich, daß er gut für deine Sicherheit sorgt", sagte Camille. Dann verabschiedete sie sich von Martha und suchte das Elternschlafzimmer auf.

Martha öffnete noch einmal das Fenster. Draußen war es total still. In der Luft hing ein Geruch wie bevorstehender Regen. Joe hatte erwähnt, daß vom Atlantik her eine Sturmfront im Anzug war. Mochte es sein, daß diese über den Norden oder den Süden Frankreichs hinwegzog. Doch wenn sie daran dachte, welche anderen Stürme sie alle wohl noch zu überstehen hatten, empfand sie die Aussicht auf einen Herbstorkan als nicht so schlimm.

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Julius sah Goldschweif nach, wie sie geschmeidig durch das geöffnete Fenster hinaushuschte, den löwenartigen Schwanz, der ihr den Namen eingetragen hatte, kerzengerade aufgerichtet. Er hatte ihr wieder ein Kissen hingelegt, damit sie vor dem Schlafsaalfenster wachen konnte, wenn ihr danach war. Ganz leise hatten sie miteinander gesprochen. Der Interfidelis-Trank ließ das katzenartige Tierwesen für ihn wie eine erwachsene Frau klingen. Er sah der Knieselin nach, wie sie mit wieder gut eingeübter Gewandheit Von Sims zu Sims sprang wie ein Eichhörnchen von Baum zu Baum, und dadurch rasch und dennoch kontrolliert auf den Erdboden zurückkehrte. Er hatte ihr immer noch nicht erzählt, daß er noch eine tierische Gefährtin bekommen hatte. Das wollte er sich für irgendwann mal aufheben, wenn ein Treffen zwischen Temmie und Goldschweif wahrscheinlich wurde. Wie mochte es Temmie jetzt gehen? Würde sie es jetzt schon fühlen, ob ihr Zusammentreffen mit dem einfachen Latierre-Bullen Perseus sie mit Nachwuchs gesegnet hatte? Oder würde sie es erst merken, wenn ein zweites Herz in ihrem Körper zu schlagen begann? Vor allem dachte Julius daran, ob sie dann noch ihre wiederentdeckten Zauberfertigkeiten nutzen konnte oder wie Demie, die Mutter ihres Körpers, weiterleben mußte. Er hatte lange nicht mehr von ihr geträumt oder im Traum Khalakatan besucht, die geheime, ewige Stadt, wo die mächtigsten Magier Altaxarrois über den Lauf der Welt wachten, ohne ihn beeinflussen zu können.

"Mach das Fenster wieder zu, Julius! Es ist kalt draußen", murrte Gérard Laplace hinter dem halb geöffneten Bettvorhang. Julius entschuldigte sich und schloß das Fenster. Als er selbst im Bett lag prüfte er, ob der mit Gloria verbundene Zweiwegespiegel vielleicht vibrierte. Er machte sich langsam Sorgen um seine ehemalige Schulkameradin. Hatte sie keine Möglichkeit mehr, heimlich mit ihm zu reden? War ihr vielleicht was passiert?

"Monju, war Goldie wieder bei dir?" Vernahm er Millies Gedankenstimme.

"Woran merkst du das, mamille?" Schickte er zurück, als er sich seine Hälfte des gemeinsamen Zuneigungsherzens auf die Stirn legte, um die in Beauxbatons wirkende Mentiloquismussperre zu überwinden.

"Du hast dich wunderbar entspannt gefühlt, fast als würden wir zwei schön zusammen kuscheln. Kann also nur Goldie gewesen sein."

"Die merkt, daß wir hier alle angespannt und alarmiert sind, Mamille. Ich habe es ihr im Stil der Sesamstraße erklärt, was Dementoren sind und warum wir vor denen Angst haben."

"Soso, du konntest Goldschweif erklären, was Dementoren sind", schwang Millies amüsierte Gedankenstimme in seinem Bewußtsein. Er hatte ihr in den letzten Ferientagen einige der bekanntesten Sendungen im Fernsehen vorgeführt, darunter neben den Teletubbies auch die Sesamstraße oder manchmal alberne, manchmal aufwühlende Fernsehgesprächsrunden.

"Sie hat's verstanden, warum wir Angst vor diesen Monstern haben", mentiloquierte Julius. "Es ist ja wichtig, daß sie weiß, wovor sie uns eventuell beschützen muß."

"Ich fürchte, da könnte uns nur Temmie beschützen, weil die fliegen kann", schickte Millie zurück. "Diesen Ungetümen kann man ja sonst nur mit dem Patronus wirklich beikommen."

"Oder mit dieser Balder-Methode, von der ich bis jetzt nicht weiß, wie die geht. Vielleicht geht auch der Feindeswehrzauber, den ich gelernt habe gegen die."

"Dann bring den mir und allen bei, die dir wichtig sind, Monju!" Gedankenknurrte Millie.

"Der zieht Kraft, Mamille. Der Patronus geht im Verhältnis dazu leichter."

"Kriegen wir auch gerade im Unterricht bei eurer Saalkönigin. Die will uns morgen in Verwandlung zeigen, welche inneren Tiergestalten wir haben. Bin ja mal gespannt, was für eine Animaga ich werden könnte."

"Erzählst du mir das dann auch, bitte?"

"Sicher doch, Monju", erwiderte Millie auf die unabhörbare Art. Dann wünschte sie ihrem Mann noch eine gute Nacht.

Julius wartete einige Minuten, bevor er noch einmal den Spiegel überprüfte. Er wagte es nicht, hineinzusehen oder zu sprechen. Denn er wußte nicht, wo Gloria gerade war. Nach einigen weiteren Minuten legte er den Zweiwegespiegel wieder in seinen Brustbeutel und wartete auf den erholsamen Schlaf.

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Am Morgen wurde Julius schon um fünf Uhr wach, weil lautes Fauchen und klappern vom Fenster her klang. Er zog den Vorhang auf und schlüpfte leise aus dem Bett. Leise pfeifend drang Luft durch die Ritzen zwischen Fenster und Fensterrahmen, und draußen schüttelten die Bäume ihre vom Herbst gelb und rot gemalten Kronen, daß die Blätter im Hui davongeweht wurden. Julius hatte keinen Wetterbericht gehört oder gelesen. So war er nicht darauf gefaßt, daß ein Sturm im Anzug war. Offenbar hatte sich irgendwo über dem Meer wieder zu viel Warme mit kalter Luft getroffen, und die dabei aufgestaute Energie mußte jetzt abgebaut werden. Huiiiuuii, klang die mit großer Kraft durch die Ritzen geblasene Luft. Julius sah zum Himmel, der mit düsteren, dahinjagenden Wolkenungetümen bevölkert war, die jedoch keinen Tropfen Regen vergossen.

Robert war wohl auch aufgewacht. Er verließ sein Bett und trat zu Julius ans geschlossene Fenster. Gerade rüttelte eine neue Böe an diesem. "Ui, so'n Mördersturm hatten wir seit meiner Einschulung nicht mehr", flüsterte er. "Wir liegen hier eigentlich ziemlich windgeschützt."

"Nettes Lüftchen", flüsterte Julius zurück. Einer der Bäume verlor laut rauschend einige Zweige und sein halbes, bereits vertrocknetes Laub.

"Richtiges Quidditchwetter", feixte Gaston, der nun auch den Bettvorhang geöffnet hatte. Damit wurden auch alle anderen wach. Gérard knurrte, daß man ihn gefälligst schlafen lassen solle, und André maulte, daß man dem Blödmann da draußen den großen Blasebalg wegnehmen sollte. Doch den Sturm schien das nicht zu beeindrucken. Er legte sogar noch eine Windstärke zu und fegte das abgerissene Laub umher.

"Da wird sich Bertillon freuen, wenn der das alles wegmachen darf", feixte Robert. Julius erwiderte halblaut:

"Der wird sich von Madame Maxime ein paar Schüler krallen, die das für ihn wegfegen sollen", grummelte Gaston.

"Eh, Leute, laßt mich weiterpennen", maulte Gérard. "Der Miststurm ist schon laut genug. Da müßt ihr nicht noch rumtuscheln."

"Probieren wir's aus", erwiderte Robert und kehrte in sein Bett zurück. Julius stand noch eine Weile am geschlossenen Fenster. Das Kissen für Goldschweif war fort. Offenbar hatte der Sturm es schon längst vom Sims geweht. Hoffentlich hatte Goldschweif nicht darauf gelegen.

Nach etwa zehn Minuten, in denen er dem Treiben des Sturms weiter gelauscht und zugesehen hatte, beschloß Julius, im Gemeinschaftssaal zu warten. Frühsport war wohl heute nicht drin, wenn der Sturm sich bis sechs Uhr nicht legen wollte. Er zog sich also so leise es ging so weit an, daß er ins Badezimmer gehen konnte und verließ den Schlafsaal. Heute war Giscard mit Weckdienst dran.

Tagesfertig saß er nun im Aufenthaltsraum und lauschte dem Fauchen, Heulen und Brausen der losgelassenen Naturgewalt. Er dachte an höhere Elementarzauber, die bei Grad der Grundkraft und Übung ähnliche Sturmwinde beschwören konnten. Dann dachte er an Ailanorars Stimme, jenes mysteriöse Instrument, von dem er bis jetzt nicht wußte, wie es aussah und was er damit machen mußte, um die Hilfe gegen Voldemorts Schlangenkrieger zu rufen. Er wußte nur, daß es der materielle Fokus des wohl mächtigsten Windmagiers Altaxarrois war. Und mächtig hieß bei den Bewohnern des versunkenen Reiches, so stark wie ein Gott aus einer Sage zu sein.

"Kannst du auch nicht mehr schlafen, Julius?" Kdrang Gabrielles Stimme zu ihm durch. Er sah Fleurs kleine Schwester auch schon tagesfertig angezogen in den Aufenthaltsraum kommen. Hinter ihr kam noch Pierre Marceau herein.

"Mann, so'n heftigen Sturm habe ich mal oben an der kanalküste mitgekriegt", sagte der einzige Erstklässler des grünen Saales. "Da konnten wir Wellen sehen, die höher als zehn Meter gingen. Mann, war das ein Chaos. Strommasten sind da umgeknickt. Hat Stunden gedauert, bis die Leute wieder Licht hatten."

"Auf unseren Inseln kommt sowas auch schon häufiger vor", sagte Julius. "Nur regnet es dabei Katzen und Hunde."

"Häh?!" Entfuhr es Pierre und Gabrielle. Julius erwähnte, daß das wortgetreu die Übersetzung für wirklich heftigen Regen war. "Ich habe schon gedacht, da kommen echt Hunde und Katzen bei euch vom Himmel runter. Wäre was für Alf gewesen."

"Alf?" Fragte Gabrielle. Julius lachte und erklärte, daß das eine Figur aus einer Fernsehserie war, ein Außerirdischer mit Fell und langer Schnauze, auf dessen Heimatplaneten Katzen so häufig gegessen wurden wie Hühner auf der Erde. Pierre immitierte das Lachen dieses chaotischen, kleinen Weltraummonsters.

"Ihr seid echt komisch, ihr Muggelgeborenen", kicherte Gabrielle. Dann meinte sie: "Babette hat mir mal diesen flimmernden Kasten gezeigt. Daß ihr da so lange draufgucken könnt, ohne daß euch die Augen flimmern."

"Nur 'ne Frage der Übung", behauptete Pierre lässig. Da klatschten die ersten Regenfluten gegen die Fenster.

"Jetzt haben wir das volle Programm", kommentierte Julius diese Steigerung im Wetterspektakel.

"Gehst du bei so Wetter auch raus zum laufen, Julius?" Fragte Pierre.

"Heute nicht. Hier hatten wir selten mehr als Windstärke vier."

"Da ziehe ich mir aber nachher die Kapuze über, wenn wir zu Trifolio gehen", grummelte Gabrielle.

"Damit deine schöne Frisur nicht zerwühlt wird, Gabie?" Fragte Pierre und machte Anstalten, seiner Klassenkameradin durch das lange, silberblonde Haar zu fahren. "Eh, lass das!" Blaffte Gabrielle ihn an. "Oder ich zieh dir die Nase lang." Pierre grinste nur und wühlte in Gabrielles Haaren. "Mann, die hab' ich mir g'rade gekämmt, ey", schnaubte sie. Sie grabschte nach Pierres Nase und kniff sie zu.

"Ich nrotz dir gneich die Finnger vonn", näselte Pierre. Doch Gabrielle hielt ihm die Nase nur noch fester zu. "Wenn du meinst, meine Haare struwelig zu machen ziehe ich dir deinen Riechzinken lang." Pierre nahm seine Hand aus Gabrielles Haarpracht, die nun aussah wie vom Sturm da draußen zerwühlt.

"Mann, jetzt muß ich mich noch mal kämmen, du Flubberwurm."

"Julius, darf die das zu mir sagen oder ist das eine Beleidigung?" Fragte Pierre, dessen Nase nun leicht gerötet war.

"Für die Flubberwürmer?" Fragte Julius keck zurück. Gabrielle lachte glockenhell, während Pierre verdutzt dreinschaute und ihn dann verärgert anglubschte. "Keine Sorge, Flubberwürmer können nix anderes empfinden als Hunger und Paarungstrieb. Die können also nicht beleidigt werden."

"Ey, dann hat die mich beleidigt", knurrte Pierre. Doch als Gabrielle ihm ein unbezwingbares Lächeln schenkte, entspannte sich sein Gesicht. Offenbar hatte die Enkeltochter einer Veela ihre angeborenen Gaben schon gut im Griff, um empfängliche Jungen freundlich zu stimmen. Klatsch! Wieder wurden mehrere Liter Wasser auf einen Schlag gegen die Fenster geschleudert.

"Bei dem Wetter kannst du gleich nackt vor die Tür, weil dir die Klamotten entweder vom Leib geblasen oder in einem Moment klatschnaß angeklebt werden", meinte Pierre zu Gabrielle.

"Woran du so denkst", knurrte diese und errötete leicht. Julius überlegte, ob er Pierre wegen unanständiger Reden mit Strafpunkten bedenken sollte. Dann entschied er, daß der Beauxbatons-Tag erst um sechs losginge und deshalb keine Strafpunkte fällig seien. Außerdem hatte er das nicht ganz unbestimmte Gefühl, daß die beiden offenbar schon testeten, ob sie miteinander gehen konnten. Er fragte sich zwar, ob das gut gehen würde, wenn Gabrielle ihre Veela-Kräfte noch stärker entfaltete und ihr alle Jungs hinterherliefen, die nicht rechtzeitig eine Aufpasserin gefunden hatten, und ob Pierres Eltern das hinnahmen, wenn ihr Söhnchen derartig früh ins Leben startete und noch dazu mit einer Hexe, deren Großmutter Männer mit einem Wort und einem tiefen Blick umgarnen konnte. Er erinnerte sich noch daran, was Henry Hardbricks eltern über Fleur behauptet hatten. Das könnte was geben. Abgesehen davon könnten Gabrielles Eltern Bedenken anmelden, ob Muggel in der Verwandtschaft so günstig seien, unabhängig davon, was gerade in Großbritannien passierte. Er setzte sich ruhig an einen freien Tisch und holte sein Buch über die Latierre-Kühe hervor, um noch etwas über die Fortpflanzung dieser imposanten Tierwesen zu lesen. In dieser Zeit brauste der Sturm um den Palast. Pierre und Gabrielle plauderten über die nächste Stunde im Freien und über praktische Haarkämmzauber, die Gabrielle von ihrer Mutter gelernt hatte.

"Habt ihr heute wieder Fabelwesen in der ersten?" Fragte Pierre nach zwanzig Minuten. Julius nickte. Dann berichtigte er ihn, daß diese Wesen magische Geschöpfe genannt würden, weil sie ja echt existierten und keine reinen Märchentiere waren, was ja bei den Muggeln mit dem Begriff Fabelwesen bezeichnet wurde.

"Was will Yvonnes Papa euch den heute zeigen, Julius. Diese Riesenkühe, von denen du deinen Patronus-Zauber her hast?"

"Die gibt's hier nicht. Die müßte meine Schwiegertante erst anbringen. Und ich denke mal, die sind nicht so blöd, bei dem Wetter zu fliegen", erwiderte Julius locker. "Der könnte uns heute noch mal die Hippocampi vorführen. Nasser können wir dabei eh nicht werden als jetzt."

"Das sind diese Halbwesen, die vorne Pferd und hinten Fisch sind", erinnerte sich Pierre an das, was Julius ihm über diese Wesen erzählt hatte.

"genau die", erwiderte Julius.

"Falls Yvonnes alter Herr uns keine Hydra hinstellt", grummelte Céline Dornier. "Morgen zusammen!"

"Soll ich dir jetzt Strafpunkte geben, weil du abfällig über Professeur Pivert herziehst", fragte Julius scherzhaft.

"o das würde lustig", sagte Céline dazu nur. Dann begrüßte sie ihren Klassenkameraden. "Konntest nicht weiterschlafen? Die Mexikaner ziehen gerade durch die Bilder, und dieser blöde Sturm hat mich nicht mehr schlafen lassen."

"Bist du heute mit wecken dran?" Fragte Julius. Sie nickte. Dann unterhielten sie sich über Hydren, und daß selbst Pivert solche Monster nicht im Unterricht vorführen würde, weil die auf der höchsten Gefahrenstufe rangierten. Julius erinnerte sich noch zu gut, daß Bokanowski einige seiner Abbilder im Blut dieser Tiere hatte baden lassen, um sie die Gestalt anderer Menschen annehmen lassen zu können. Das erwähnte er noch einmal.

"Deine Lebensretterin von damals hat uns wohl einen großen Gefallen getan, den mit brennendem Besen wegzuputzen."

"Da will ich mich lieber nicht drauf verlassen, daß sie nicht vorher was von dem abgezogen hat, um stärker zu werden", seufzte Julius bedrückt. Céline fragte ihn, ob er denn mittlerweile wisse, wer diese Hexe sei. Er sagte dazu nur: "Jemand, die auch eine selbst gebaute Zaubererwelt haben will, ohne Rücksicht auf die Freiheiten anderer Menschen, denke ich."

"Oha, dann kann das noch was geben, wenn sich Du-weißt-schon-wer über deine Heimat weg ausbreiten will", sagte Céline.

"Dann könnten die Nachbarländer Englands die Front eines blutigen Krieges werden", unkte Julius. "Vielleicht läßt die den nur machen, solange er auf den beiden Inseln bleibt."

"Du weißt mehr von der, Julius. Die hat dir zweimal das Leben gerettet. Diesen Colonades hat sie wohl behandelt, als er einen Schock wegen einer Anti-Disapparier-Sperre hatte. Also ist sie Heilerin oder zumindest gut genug in magischer Heilkunst ausgebildet. Da kann's doch nicht so viele geben."

"Céline, die hat mich zweimal als Köder ausgeworfen, um Gegner plattzumachen, die meinten, mich fangen zu müssen. Ich leg's nicht auf eine dritte Begegnung mit der an", erwiderte Julius wahrheitsgemäß. Pierre und Gabrielle lauschten. Doch Céline und Julius beendeten sofort das Thema, als sie die jungen Zuhörer bemerkten.

"Gabrielle und Pierre, es gibt Sachen, die müssen nicht alle wissen", maßregelte Céline die Erstklässler, die daraufhin beschämt abschoben.

"So, auf zum Weckdienst", trieb Yvonne Céline an, als es kurz vor sechs war. "Heute wohl kein Frühsport", meinte sie dann noch schelmisch zu Julius und deutete auf die Fenster. Immer noch peitschte der Sturm Regenwasser gegen die Scheiben.

"Wäre 'ne tolle Gelegenheit, den Parapluvius-Zauber zu üben, von dem Professeur Bellart es in der Zauberkunst-AG hatte", warf Julius ein. "Ich könnte auch den Windabweisezauber vom Ganni ausprobieren."

"Das wäre doch mal ein Testfall", ging Yvonne darauf ein. Doch sie lächelte dabei nur. Julius nickte es nur lässig ab.

"Die Roten gehen bestimmt raus, wo die sich für so hart halten", meinte Yvonne noch. Julius grinste nur. Heute würde er da nicht vor der ersten Unterrichtsstunde rausgehen. Sein Pflegehelferarmband zitterte und er legte den Finger auf den Schmuckstein. Madame Rossignols räumliches Abbild erschien in der Luft. Ihre Stimme klang sehr bestimmend aus dem Armband: : "Von mir an alle Pflegehelfer. Ich untersage jede nicht zum Unterricht gehörende Außenaktivität bei diesem Wetter!"

"Verstanden!" Rief Julius. Auch die anderen Pflegehelfer bestätigten die Anweisung.

"Und was ist mit denen, die keine Pflegehelfer sind?" Fragte Yvonne. Julius wußte es nicht.

Als sie später im Speisesaal saßen erfuhren die Schüler, Das Schuldiener Bertillon das Portal verriegelt gelassen hatte, so daß niemand in den immer noch tobenden Sturm hinaustreten konnte.

"Na, ob Professeur Pivert uns gleich in diese Sommerbrise rausscheucht?" Fragte Gaston Julius.

"Wenn der uns letzten Mittwoch erzählt hätte, was nach den Hippocampi drankommen soll, könnte ich dir sagen, ob er das bringt", erwiderte Julius verhalten grinsend.

Trotz des Sturmes flogen die Posteulen herein. Doch die Vögel sahen wie gerupfte Hühner aus und hatten offenbar arg gegen Wind und Regen kämpfen müssen. Julius bangte, ob ein Brief oder Päckchen für ihn dabei war. Doch niemand hatte ihm was wichtiges mitzuteilen. Aus Hogwarts schrieb ihm keiner, weil Snape und die Carrows wohl alle Briefe ins Ausland abfangen würden. Auch Glorias Eltern schickten nichts neues von der Hetzerfront. Die Karten lagen ja jetzt auf dem Tisch. Nur die Morgenzeitung kam, wohl vorsorglich mit einem Impervius-Zauber regenfest gemacht, zu allen Abonenten hin. Julius las auf der Titelseite, daß in der verstrichenen Nacht erneut Dementoren über die Grenzen eingefallen seien. Doch die Desumbrateure seien diesmal auf die Invasoren vorbereitet gewesen und hatten sie mit Patronus-Zaubern und einem bis dahin nicht erwogenen Mittel zurückschlagen können.

"Die vom Ministerium haben von fligenden Besen aus merkwürdige Kristalle in die Meuten reingeworfen. Dann gab es silberne Lichtblitze, und dumpfe Explosionen. Dann hing dicker, rußiger Qualm in der Luft, und ich konnte die Bestien schreien hören", wurde ein Zauberer aus Lyon zitiert, der Augenzeuge der Gegenaktion geworden war. "Offenbar mußten die vom Ministerium erst prüfen, ob das Mittel für Muggel und Zauberer unschädlich ist", lautete ein anderer Kommentar zum offenbar vollen Erfolg der Dementorenjäger. "Jedenfalls sind diese Kreaturen regelrecht zerplatzt, als der eingelagerte Zauber freigesetzt wurde. mein Kollege verriet mir, daß die nicht sofort erfaßten Dementoren den Qualm einatmeten und dann wie verwundete Tiere schrien. Einige sind dabei regelrecht geschrumpft und verschwunden."

"Warum nicht gleich", grummelte Julius, dem sonnenhell aufging, was die Ministeriumsleute da benutzt hatten. Immerhin hatte er dieses Mittel selbst angewendet, um in Slytherins Galerie Golems und magische Fallen aus dem Weg zu sprengen. Kevin Malones Tante hatte dem damit auch geholfen, ihm angelegte Walpurgisnachtringe loszuwerden, weil er nicht vorhatte, die Parksäuberung nach der Sache mit dem dort hingeworfenen tragbaren Sumpf zu erledigen. Ja, und Anthelia und ihre Schwestern hatten mit diesem Mittel Hallittis magisch gepanzerte Höhle aufgesprengt, um sie mit wortwörtlich heruntergelassenem Höschen zu erwischen.

"Wau, die haben jetzt schon was gegen diese Monster gefunden", hörte Julius Hubert Dubois verächtlich schnarren. "Das hätten die letzte Woche schon auf die draufschmeißen sollen."

""Das wird sich bei denen rumsprechen, daß man sie killen kann", meinte Julius zu Robert. "Dann werden die sich nicht mehr in großen Pulks reinwagen."

"Na, ob das auch stimmt, was da steht, Julius. Nachher setzt das Ministerium sowas in die Zeitung, damit wir wieder Ruhe geben, nachdem dein beinahe-Adoptivvater Grandchapeau nach dem Überfall von letzter woche so dumm ausgesehen hat."

"Ich hörte mal was davon, daß man magische Wesen durch eine Art Antimagie lähmen oder töten können soll. Soll aber sehr aufwendig sein", sagte Gérard. "Deshalb würde das nur da gemacht, wo stationäre Flüche sind, die man nicht mit bekannten Fluchbrechzaubern loswerden kann."

"Ach nehh, wo hast du denn sowas her, Gérard?" Fragte Gaston ungläubig.

"Maman hat gute Kontakte in diverse Abteilungen", meinte Gérard dazu nur. Das nahmen sie ihm ab. Und Julius wußte es eh am besten von allen, die hier am Tisch saßen. Doch er sagte nichts dazu. Also konnten Dementoren mit Incantivakuum-Kristallen vernichtet werden. Mehr noch. Sie lösten sich in eine Substanz auf, die auf überlebende Dementoren ebenso tödlich wirkte. Hoffentlich hatte das französische Zaubereiministerium einen großen Vorrat davon. Dann könnten auch die Skyllianri auf diese Weise erledigt werden, hoffte Julius Latierre.

"Wie viele Dementoren gingen bei einer dieser Kristallbomben drauf?" Fragte Robert Julius. Doch dieser wandte ein, daß jede Zahl glattes Jägerlatein sein mochte und sie besser nicht zu große Hoffnungen darauf verwenden sollten.

"Jägerlatein?" Wunderte sich Robert. Julius erklärte ihm, daß Angler und Jäger die Zahl und Größe ihrer Jagdbeute gerne übertrieben, um vor Kameraden als große Könner und Helden dazustehen. Robert meinte dann auch, daß das für Hexenbezauberer gelten mochte, die damit angaben, welche tollen Hexen sie schon kennengelernt hatten oder was die Leistung ihres angewachsenen Zauberstabs anging. Julius bestätigte das grinsend.

"Madame, Mesdemoiselles et Messieurs, fertig machen zum Unterricht!" Gab Madame Maxime um viertel vor Acht das jeden Schultag übliche Kommando.

"Ob wir Pivert wegen der Dementoren fragen sollen?" Fragte Gaston. Julius grinste und sagte:

"Da kann ich dir ohne Kristallkugel und Handlesen sagen, was der uns antworten wird, nämlich daß Dementoren gemäß Scamander und anderen keine Tier- sondern Zauberwesen sind, und er deshalb nicht gehalten sei, seinen Unterricht mit fachfremden Diskussionen zu füllen und uns dann ganz sicher an Professeur Faucon verweisen wird."

"Die uns dann sicher einen großen Sack Strafpunkte auflädt, weil wir dann wohl alle in ihrem Unterricht gepennt hätten", fügte Gérard dem hinzu. Julius nickte.

Vor dem Vorbereitungsraum für Magizoologie trafen sie die Klassenkameraden aus den anderen Sälen. Millie wandte sich an Julius und fragte, ob das Problem mit den Dementoren damit erledigt sei.

"Nur wenn sie die alle totkriegen, Millie. Wenn noch genug übrig waren, die zur Heimatbasis zurückfliegen konnten, hat sich das schon bei denen rumgesprochen, daß sie nicht mehr in Gruppen angreifen dürfen. Ist wie mit Ratten. Die die Fallen oder Giftköder überleben bringen das den anderen bei, besser aufzupassen."

"Dann wollen wir mal hoffen, daß Grandchapeaus Leute genug von diesen Zerbröselkristallen haben, um möglichst viele Dementoren verdampfen zu lassen."

"Ich fürchte, die werden weitermachen, Millie. Die wollen ihrem Herren beweisen, daß ihnen keiner was kann", sagte Julius betrübt. "Die werden, wenn überhaupt, mehr Angst vor dem bgroßen bösen Zauberer haben, der jetzt das englische Zaubereiministerium an der Leine führt."

"Aber schon gut zu wissen, daß diese Monster nicht unzerstörbar sind", sagte Millie.

"Im Grunde gilt, wenn was entstehen kann, gibt es auch immer was, wodurch es wieder verschwinden kann", philosophierte Julius. "Im Grunde muß nur rausgefunden werden, was die Entstehung bewirkt hat und der Prozeß zurückgedreht werden."

"Ach, dann ist das vielleicht so eine Art Infanticorpore-Fluch für Dementoren, was die zerlegt, und dieser Fluch ist ansteckend?" Fragte Millie hoffnungsvoll.

"Hmm, da bin ich echt die falsche Adresse. Ich baue keine Dementoren. Deshalb weiß ich auch nicht, wie die zusammengesetzt werden und welchen Schraubenzieher man braucht, um die wieder auseinanderfallen zu lassen. Ich bin jedoch überzeugt, daß ihnen viel Kraft abgezogen wird und sie sich dann nicht mehr am Leben halten können. Was dann übrigbleibt wirkt auf die anderen so, als würdest du mit blutenden Händen eine verwesende Leiche anfassen."

"I, ist wohl tödlich, hat Tante Trice mich gewarnt", grummelte Millie.

"Absolut, wenn du kein Gegengift bei dir hast", erwiderte Julius.

Professeur Pivert kam angelaufen und strahlte alle an.

"Was für ein herrliches Wetter ist das doch draußen. So richtig, um die Thestrale kennenzulernen."

"Draußen?" Fragte Belisama irritiert.

"Natürlich, Mademoiselle Lagrange. Thestrale sind schwer in Häuser hineinzubekommen. Sie leben unter freiem Himmel in Herden oder kleinen Gruppen. Ich habe gestern eine ausreichende Anzahl aus dem Reservat bei Antibes herüberbringen lassen. Die sind großartige Transporttiere. Wir besprechen sie zuerst im Vorbereitungsraum, weil es bei diesen Tieren gewisse Details zu beachten gilt. Also bitte, die Herrschaften!" Er schloß die Tür auf und ließ alle eintreten. Die Mädchen außer Millie und Leonnie wirkten total erschüttert. Bei diesem Wetter sollten sie rausgehen? Julius dachte schon daran, wie blöd die alle dreinschauen würden, wenn sie die Thestrale nicht sehen konnten. Er wußte nicht, ob er hier nicht der einzige war, der die geheimnisvollen, geflügelten Pferdewesen mit eigenen Augen sehen konnte.

"Wer hat bereits von Thestralen gelesen, sprechen hören oder welche vorgeführt bekommen?" Fragte Pivert die Klasse. Außer Julius zeigte niemand auf. So wurde er gefragt, was ein Thestral sei und was das besondere an diesen Tieren sei.

"Thestrale sind pferdeähnliche Wesen mit lederartigen Flügeln, die von Vögeln, frischem Fleisch oder abgefallenem Obst leben. Ihre wohl hervorstechendste Eigenschaft ist, daß sie für alle, die das Glück hatten, noch niemandem beim sterben zusehen zu müssen, vollkommen unsichtbar sind. Hinzu kommt noch, daß sie mindestens dreimal schneller als ein auf dem boden galoppierendes Ordinärpferd fliegen und jeden ihnen angewiesenen Zielort anfliegen können, ohne jemals vorher dort gewesen zu sein."

"Wunderbar, zehn Bonuspunkte für Sie, Monsieur Latierre", erwiderte Pivert. Die anderen Schüler sahen Julius und den Lehrer an. Unsichtbare Pferde. Ob die beiden ihnen da nicht was vom Pferd erzählten? Diese Frage konnte Julius von fast allen Gesichtern ablesen. Nur Millie nickte ihm beipflichtend zu.

"Haben Sie dieses Wissen aus der Fachliteratur, oder von einem meiner Vorgänger, Monsieur Latierre?" Hakte Pivert nach.

"Ich habe schon einen Thestral gesehen. Ich kann die sehen, weil ich bei dem hier wohl allen bekannten Vorfall mit einer gefährlichen Zauberkreatur mehrere mir fremde Hexen habe sterben sehen müssen. Bei einem Fest letzten Weihnachten konnte ich Reiter auf Thestralen sehen."

"Verstehe", erwiderte Pivert leise. Dann fragte er in die Runde, wer alles durch ähnlich unglückliche Fügungen Thestrale sehen könnte. Tatsächlich zeigte niemand auf.

"Dann müssen Sie Monsieur Latierre und mir wohl vertrauen, wenn wir Ihnen sagen, daß welche da sind. Außerdem werden Sie die Gelegenheit erhalten, sie anzufassen und auf ihnen zu reiten, um ihre Existenz wortwörtlich zu erfassen. Sie werden dabei erleben, daß die wütende Witterung, die gerade vorherrscht, diese Wesen nicht sonderlich beeindruckt. Also folgen Sie mir bitte!"

"Moment, bevor wir da rausgehen, um uns unsichtbare Pferde vorführen zu lassen, möchten wir gerne wissen, ob Sie diese Tiere sehen können", wandte Céline ein. Professeur Pivert nickte ihr zu und antwortete:

"Ich habe schon nahestehende Mitmenschen sterben sehen müssen, Mademoiselle Dornier. Womöglich sagt Ihnen das Sternenhaus-Massaker von 1980 etwas, die Herrschaften." Alle nickten. "Ich gehörte zu den wenigen überlebenden, nachdem ich meinen älteren Bruder dort habe niederfallen sehen müssen. Insofern gehöre ich zu den traurig privilegierten, die Thestrale mit den Augen wahrnehmen können."

"Warum kann die nur sehen, wer jemanden hat sterben sehen müssen?" wollte Plateau Cousteau noch wissen.

"Wer kennt die derzeit gültige Erklärung dieses Phänomens?" Fragte Pivert. Niemand zeigte auf. "Steht auch nicht in den allgemeinen Fachbüchern über Tierwesen, sondern in "Kräfte aus Leben und Tod", einem Buch eher für den Fachunterricht meiner Kolleginnen Professeur Faucon und Professeur Bellart gedacht. Demnach birgt jedes Daseinsstadium eines beseelten Wesens einen eigenen Zugang zur Magie. Ein ungeborenes Kind kann Sinne für Zauber entwickeln, die geborene Menschen nicht mehr oder nicht im vollen Umfang besitzen. Ebenso kann der Eintritt des Todes eine magische Erschütterung freimachen, die unbewußt in die Seelen der Zeugen hineinwirkt. Die Tarnung der Thestrale kann nur von magischen Menschen durchschaut werden, die in den Wirkungsbereich einer solchen magischen Erschütterung geriten. Zumindest ist das die gegenwärtige Erklärung für die eingeschränkte Sichtbarkeit von Thestralen. So, und jetzt verlieren wir keine Zeit mehr und schreiten zum Studium am Objekt selbst!" Trieb Pivert seine Schüler an.

"Da draußen regnet es wie aus Kesseln", wandte Céline Dornier ein. "Sollten wir uns vorher nicht dagegen schützen? Madame Rossignol könnte uns und Ihnen böse werden, wenn wir ohne Regenschutz da rausgehen."

"Ist jemand von Ihnen bereits mit dem Parapluvius-Zauber vertraut?" Fragte der Lehrer unwirsch. Außer Mildrid und Julius zeigte niemand auf. Dann stellte er drei Gruppen zusammen. Die beiden Pflegehelfer sollten sich und ihre Kameraden behandeln, während Pivert die dritte Gruppe mit dem nützlichen Regenschutz versah. Als alle von einer unsichtbaren Aura eingehüllt waren, die Regenwasser von ihnen fernhielt, trieb er die Klasse hinaus.

Laut brauste der Sturm und drückte mit großer Macht gegen sie alle. Die Regenfluten perlten zwar silbern von ihnen ab. Doch der wütende Wind zerrte und drückte an ihnen, daß sie Mühe hatten, sich durch den Aufruhr der Luft zu kämpfen und vor herabregnenden Zweigen und Blättern auszuweichen. Julius dankte dem Schwermachertraining, daß er sich gegen die dahinjagenden Luftmassen stemmen konnte. Doch er merkte auch, daß der Sturm ihn ziemlich gut auszehrte. Als sie am Rand des ringförmig das Schulgelände umschließenden Waldes standen und das Brausen des Windes in den fast entlaubten Bäumen und das Rauschen des heruntergewethen Laubes die Schrittgeräusche übertönte, rief Pivert mit magisch verstärkter Stimme:

"Ich habe hier mehrere Futtergaben für die Thestrale. Sie werden sofort kommen, wenn ich das Futter bereitstelle. Bitte bleiben Sie alle so stehen wie Sie stehen und warten Sie!"

Das war leichter gesagt als getan, erkannten die Schüler, die Mühe hatten, den Sturmböen standzuhalten. Innerlich verwünschten sie Pivert, daß er sie bei diesem Wetter hier herausgetrieben hatte.

Pivert bangte schon, daß die rohen Schweinehälften, die er als Köder ausgelegt hatte, vom Wind fortgeblasen würden. Julius fragte sich, ob Pivert keinen begrenzten Windschutzzauber aufrufen konnte. Doch als eine besonders heftige Böe sie erwischte, die ihnen das abgerissene Herbstlaub um die Ohren blies, erkannte er, daß die schützenden Elementarzauber gegen diesen Aufruhr wohl nicht viel ausrichten konnten. Alle schlugen sie die auf sie einstürmenden Blätter fort, streiften sie von ihrer Kleidung ab und schüttelten sie aus den Haaren. Dann sah Julius die skelettartigen Wesen, die knapp über den Baumwipfeln auf sie zuhielten. Er deutete auf die anfliegenden Geschöpfe. Pivert nickte ihm zu. "Gleich werden Sie bei der Fütterung von Thestralen Zeugen!" Rief der Lehrer gegen das Fauchen des Sturmwindes an. Julius beobachtete, wie sechs geflügelte Pferdewesen mit den echsenartigen Köpfen und den bleichen Augen landeten, wobei sie den starken Wind mühelos ausglichen. Keine Minute später konnten auch die anderen Schüler beobachten, wie das hingehängte Futter sich Biß für Biß auflöste. Bis auf Millie und Leonnie erfaßte alle Mädchen ein gewisses Unbehagen. Julius, der ja sehen konnte, wie die magischen Tiere das bereitgestellte Futter fraßen, beobachtete die Jungen, die zwischen Staunen und Erschauern zusahen. Pivert apportierte Zaumzeug und führleinen und machte sich daran, die Thestrale, die sich offenbar sattgefressen hatten, einzufangen. Julius fragte sich, ob Pivert nicht leichtsinnig war, ohne Handschuhe an die Mäuler der Tiere zu greifen, wo deren Zähne scharf genug waren, um dicke Fleischbrocken zu zerkauen. Doch er bewies ein großes Geschick und verschenkte keine Sekunde, um den Tieren die Trensen einzusetzen und die Riemen fest genug zu zurren, daß die aufgezäumten Wesen noch frei genug atmen konnten. Eines der Wesen, den Merkmalen nach ein Hengst, gab ein merkwürdiges Brüllen von sich, daß kein normales Pferd ausstoßen würde. Zwei der noch fressenden Stuten warfen ihre schwarzen Köpfe in den Nacken und machten anstalten, davonzulaufen oder abzuheben. Doch Pivert reagierte schnell und verpaßte ihnen das Geschirr. Die wie lebendig wirkenden Halteleinen banden auch diese zwei Tiere fest an bedrohlich schwankende Bäume. Nach nur einer Minute hatte er sämtliche Thestrale festgebunden. Die Schüler sollten nun einzeln an die gefangenen Tiere herantreten und sie anfassen. Dabei durften sie jedoch nicht von hinten heran. Die Thestrale sollten schließlich sehen können, wer sie da betasten wollte. Als jeder sich davon überzeugt hatte, daß die Zügel und Halteleinen tatsächlich vierbeinige Tierwesen hielten, trieb Pivert sie an, zu je zwei Mann aufzusitzen. Millie fragte vorsichtig, warum die Tiere nicht mit Sätteln und Haltegurten versehen würden. Pivert sagte schroff, daß die Rücken der Tiere rutschfest genug seien und die Thestrale mit dem Zaumzeug schon genug Unanehmlichkeiten hätten. Millie wollte wohl noch was darauf erwidern, als Pivert alle sehr harsch anfuhr, zu tun, was er sagte und seine Vorkehrungen als hinreichend anzuerkennen. In seiner Stimme schwang mit, daß er jedem Strafpunkte verpassen würde, der das bezweifelte.

Belisama blickte sich verstohlen um, während Millie entschlossen an einen Thestral herantrat und sich von Pivert zeigen ließ, wie sie sich auf das für sie unsichtbare Wesen hinaufschwingen konnte, ohne diesem die lederartigen Flügel auszureißen oder zu brechen. Julius wollte schon zu ihr hin, um hinter ihr aufzusitzen. Doch Pivert teilte ihm Gaston Perignon zu und gebot Leonnie, hinter Mildrid aufzusitzen. "Dies ist keine Parrbildungsveranstaltung, Monsieur Latierre", knurrte er. Julius nickte leicht verdrossen, sagte aber kein Wort. Er benötigte keine Hilfe. Er saß selbst auf einer Thestralstute auf, nachdem er seinen Umhang mehrmals umgeschlagen hatte, um nicht davon behindert zu werden. Dann half er Gaston hinter sich auf den ungesattelten, mager wirkenden Rücken des Thestrals. Er dachte an seine Mutter, die Jeans angezogen hatte, um problemlos auf einem Thestral zu reiten. Die angelockten Tiere verströmten wegen des Regens einen llleichten Gestank von nassem Leder. Doch Pivert und seinen Schülern schien es nichts auszumachen. Er blickte auf seine Uhr. Auch Julius prüfte die Zeit. Ja, sie hatten jetzt noch eine ganze Zeitstunde.

"Um zu demonstrieren, wie schnell die Thestrale fliegen können, werden wir Beauxbatons verlassen und fünfzig Kilometer weit ins Hinterland fliegen. Ich übernehme die Führung", verkündete Professeur Pivert.

"Verzeihung, Professeur Pivert, aber ist dieser Ausflug mit Madame Maxime abgeklärt?" Wollte Belisama wissen, die mit Estelle Messier auf einm Thestralhengst saß.

"Das haben Sie letzte Woche bei den Hippocampi nicht gefragt", sagte Pivert dazu nur. "Aber zu Ihrer Beruhigung, ich bin ermächtigt, für Beweglichkeits- und Transportvorführungen im Rahmen der Unterrichtszeit das Schulgelände mit Ihnen zu verlassen, sofern wir dafür nicht ins Ausland müssen." Julius dachte nur, daß der Ausflug ins Meer ja schon sowas wie eine Ausreise aus Frankreich bedeutete. Doch wollte er es Pivert nicht gerade jetzt vorhalten. Der Lehrer hatte Mühe, seinen Zauberstab festzuhalten, als er die Halteleinen magisch losschnellen und sich blitzartig zu festen Rollen aufspulen ließ, die sich an einem Haltehaken rechts befestigten. Dann rief er dem Leithengst, auf dem er mit Gérard Laplace saß etwas zu. die anderen riefen nur "Folge Pivert!". Julius umfaßte die Zügel, während Gaston sich nicht ganz so selbstsicher an ihm festklammerte.

"Eure schnuckeligen Kühe sind doch etwas besser", meinte Gaston, als die Thestralstute mit ihnen durchstartete und scheinbar spielerisch im Sturm nach oben stieg.

"Vielleicht kriegen wir die noch, wenn wir diesen Ritt hier überleben", knurrte Julius, der sich selbst nicht so wohl fühlte, auf einer klapperdürren Kreatur zu hocken, Pivert hätte denen zumindest rutschsichere Decken aufbinden sollen. Seine bloßen Beine kühlten im Wind aus, und daß er sie fest um den Bauch des Flugtieres klemmte, wie er es von Moira und seiner Mutter gesehen hatte, ließ sie immer steifer werden, während die Thestralstute locker durch die Böen hinauf in den verhangenen Himmel stieg. Julius bemerkte, wie das Pferdewesen den Rhythmus und die Auslenkung der Flügelschläge immer abänderte, so daß es wie nach Vorankündigung die wilden Windstöße ausglich.

"Als würden die wissen, gegen welchen Wind die fliegen müssen", meinte Julius zu seinem Sozius.

"Auf Laurentines Besen habe ich mich nicht so kotzelend gefühlt wie auf diesem Kläpper", sagte er. Offenbar hörte ihr Reittier das und gab ein ungehaltenes Schnauben von sich.

"Ich weiß nicht, ob sie das merkt, daß du sie nicht magst und ihr nicht traust, Gaston. Kniesel und Latierre-Kühe kriegen das mit, und Hippogreife können das einem übelnehmen, wenn man sie nicht respektiert", erinnerte Julius seinen Mitreiter daran, was sie schon im Unterricht gelernt hatten.

"Julius, ich seh das Tier nicht unter mir. Ich fühle mich so, als hing ich frei in der Luft. Hätte ich den Bauch dieses Gespenstertieres nicht zwischen den Füßen, hätte ich keinen Schimmer, daß ich gerade auf ihm hänge", knurrte Gaston.

Beauxbatons und der es umschließende Wald fielen immer weiter zurück. Der Flugwind wurde rauher, was bei den Sturmböen und dem von diesen gepeitschten Regenfluten noch erschwerend dazukam. Julius hatte es aufgegeben, kerzengerade auf dem Thestral sitzen zu wollen und beugte sich über den Kopf des Flugtieres, um dem Wind weniger Angriffsfläche zu bieten. Gaston tat es ihm gleich, so daß die beiden Jungen fast übereinander lagen. Julius' Pflegehelferarmband zitterte. Das war jetzt nicht gerade der Augenblick, um mit Madame Rossignol zu reden. Denn von den beiden Pflegehelferkameradinnen auf den anderen Thestralen würde wohl keine die Hände von den Zügeln nehmen. Er ignorierte das Armband, bis es ruckelte und Madame Rossignols Abbild rechts von ihm mitten in der Luft erschien.

"Teilt eurem Lehrer bitte mit, er möge euch unverzüglich wieder zum Schulgelände zurückbringen. Ich hatte jede unnötige Außenaktivität bei diesem Wetter untersagt. Hast du ihm das nicht mitgeteilt?"

"Sie meinten doch die Sachen, die nicht zum Unterricht gehören", bemerkte Julius. "Das wäre Insubordination gewesen, Madame Rossignol. Er hat als Lehrer im Unterricht die Autorität."

"Langsam solltest du es wissen, daß ich diese Autorität aufheben kann, wenn ich erkenne, daß unnötigerweise gesundheitsgefährdendes Verhalten befohlen wurde. Also teilt ihm mit, er möge diese Exkursion abbrechen! Wenn er euch demonstrieren wollte, daß diese Wesen, auf denen ihr gerade mehr kauert als reitet, bei Sturm fliegen können, hat er das jetzt schon bestätigt."

"Wenn ich ihm das sage, könnte er finden, Sie würden sich in seinen Unterricht einmischen und bei Madame Maxime Beschwerde einreichen", sagte Julius darauf.

"Das soll er ruhig wagen", knurrte die Schulheilerin. "Los jetzt, gib meine Anweisung an ihn weiter!" Julius sah sich um. Nur er hatte Madame Rossignols dreidimensionales Abbild neben sich herfliegen. Wie gut es bei hohen Geschwindigkeiten beim angewählten Pflegehelfer bleiben konnte kannte er ja schon aus mehreren Erlebnissen, zu letzt, als Temmie ihre überragenden Flugeigenschaften vorgeführt hatte. Julius sprach auf die Thestralstute ein, sie solle ihn an Pivert heranbringen. Die Thestralin schnaubte kurz und preschte dann gegen den sie frontal anwehenden Sturm an zu Pivert, der seinem Reittier zurief, schneller zu fliegen, um die übrigen Tiere zur schnelleren Gangart zu bringen. So war es aussichtslos, daß Julius nahe genug für einen Anruf herankam. Auch sah er, daß die übrigen Tiere nun ihre Windschlüpfrigkeit einbüßten, weil sie nicht mehr auf bevorstehende Böen reagierten, sondern nur noch schnell hinter dem Hengst herjagen mußten.

"Wird das bald was?" Fragte Madame Rossignol, während Julius' Reittier immer mehr bockte und schlingerte, weil sie nicht mehr jeden Windstoß ausglich. Julius fühlte, wie Gaston zitterte. Julius rief laut, daß Madame Rossignol die Umkehr befohlen habe. Doch das brachte sein Reittier nur dazu, ungebärdig herumzuwackeln. Julius fühlte, wie Gaston noch mehr zitterte. Der Junge hatte Angst. Julius zog die Zügel fest an, wie er es von Moira gelernt hatte, damit der weibliche Thestral nicht noch durchging. Das brachte für das Einholmanöver natürlich überhaupt nichts. Piverts Thestral gewann wieder an Vorsprung. Millie und Leonnie zogen knapp zehn meter über Julius vorbei. Millie zerrte an den Zügeln und bremste damit ebenfalls.

"Bring euren Lehrer endlich dazu, die Exkursion abzubrechen!" Schnarrte Madame Rossignol. Die Thestralstute gab ein heiseres Brüllen von sich und schwenkte abrupt nach links weg, wohl um der lauten Stimme auszuweichen. Doch das Abbild blieb wie fest auf der relativen Position verankert neben dem Thestral, der nun einen weiten Kreis ausflog. Julius schaffte es nur, die Stute wieder auf Verfolgungskurs zu kriegen, weil er ihr beruhigend zuredete, hinter Pivert herzufliegen. Er hielt die Zügel fest in Händen. Da klatschte eine Ladung Regenwasser frontal gegen Flugross und Reiter. Der Parapluvius-Zauber parierte die Wassermassen zwar wie eine körperangepaßte Glasscheibe, doch das geflügelte Pferdewesen schüttelte sich heftig, so daß Julius schon fürchtete, gleich mit Gaston herunterzufallen. Das versetzte seinen Sozius erst recht in Angst. Er wimmerte und klammerte sich fest wie ein Ertrinkender an einem Rettungsring. Millie blieb auf Höhe ihres Mannes und rückte behutsam heran. Sie blickte sorgenvoll auf die beiden Jungen auf der bockenden Thestralstute.

"Ihr seid weit genug von Beauxbatons weg, Julius. Wenn du dein überängstliches Reittier nicht weiter scheu machen willst, dann gib mmeine Anweisung unhörbar weiter!" Forderte Madame Rossignol Julius gerade laut genug auf, daß sie den in Julius' Ohren brausenden Wind übertönte. Er nickte ihr zu. Das mochte gehen, wenn er sich gut konzentrieren konnte. Doch auf einem aufgeregten Zaubertier im Sturm war das nicht so einfach. Wenn er sich zu sehr konzentrierte könnte er den Halt verlieren. Gaston, der an ihn festgeklammert hing und ihm beinahe die Luft nahm, könnte dann mit ihm in die Tiefe stürzen. Doch wenn er den vor ihm immer noch dahinpreschenden Lehrer erreichen wollte, ohne sein Flugtier in Panik zu versetzen, mußte er es schaffen. Er drückte seine schmerzenden Beine noch fester um den Leib des Tieres und krallte seine Finger mit ganzer Kraft um die Zügel. Dann schloß er die Augen und nahm das Windgeheul als erste Stufe des Mentiloquismus, arbeitete schnell alle weiteren Stufen durch, bis er sich mit Piverts Stimme rufen hörte: "Anweisung von Madame Rossignol: Sofort nach Beauxbatons zurückkehren! Exkursion abbrechen!" Das Sturmgeheul in seinen Ohren klang zu stark, als daß er auf einen Nachhall in seinem Geist hätte achten mögen. So zwang er sich noch einmal, die Botschaft abzusetzen. Ja, jetzt meinte er, einen ganz kurzen Nachhall wie in einem kahlen Kellerraum vernommen zu haben. Das mußte reichen. Drei Sekunden später klang eine schwache aber ungehalten nachschwingende Antwort: "Was fällt Ihnen ein, Latierre?!" Julius dachte jedoch nicht daran, noch mal zu mentiloquieren. Er hatte die Nachricht erfolgreich abgesetzt. Das sagte er auch Madame Rossignol.

"Also dann, Julius. Umdrehen und zurückkommen!" Befahl sie ihm kurz und unmißverständlich.

Julius sprach seinem Thestral zu, umzudrehen. "Zurück nach Beauxbatons! Zurück nach Beauxbatons, feines Mädchen!" Das "feine Mädchen" gehorchte und wendete so abrupt, daß Gaston vor Schreck aufschrie. Julius sagte schnell: "Ruhig weiter! Ganz ruhig weiter!" Millie sah, daß ihr Mann wendete und kommandierte ebenfalls die Umkehr.

"Was maßen Sie sich an, Latierre?!" Mengte sich Piverts Gedankenstimme in seine eigenen Gedanken. Doch Julius legte keinen Wert darauf, mit dem Lehrer einen Gedankendialog zu führen. Er konzentrierte sich auf den Flug mit dem Thestral. Millie hatte offenbar keine Mühe, ihr Tier zu lenken und glitt an das Reittier ihres jungen Gatten heran. Sie sah Madame Rossignols Abbild, durch das der Regen wie durch Nebel hindurchging. Dann verschwand es übergangslos. Millie rückte näher. Doch sie wagte nicht, etwas zu rufen.

Pivert kam von hinten herangeprescht. Sein Thestral schlingerte im Sturm. Ihm folgte die übrige Klasse. Julius erkannte, daß alle kurz davorstanden, den Halt zu verlieren. Das hätte Pivert doch wissen müssen, wie gefährlich es war, bei Sturm auf für die meisten unsichtbaren Tieren zu reiten. Sie waren mindestens hundert Stundenkilometer schnell und über vierhundert Meter über Grund. Wer hier runterfiel war tot. Erst jetzt nahm Julius diese schreckliche Tatsache zur Kenntnis. Er und die anderen hatten sich zu folgsam hinter Pivert auf diese Tiere gesetzt, ohne geeignete Sicherungen. Wenn er auf Temmie oder einer anderen Latierre-Kuh gesessen hatte, war er immer mit dünnen aber festen Halteketten gesichert gewesen oder war in der Transportkabine gut geschützt untergebracht. Auf seinem Flugbesen hätte er den Windabweisezauber einsetzen können und obendrein immer die Richtung des Besens bestimmen können. Auf was für einen Wahnsinnsritt hatten sie sich denn da eingelassen?

"Das wird Sie Ihre Ausbildung kosten!" Rief Pivert Julius zu, als er ihn fast eingeholt hatte. Der Hengst unter ihm bockte und warf sich mit dem Vorderkörper nach oben, so daß seine scharfkantigen Hufe bleich gegen den bleigrauen Himmel glänzten. Gérard Laplace schrie erschrocken auf, was den Thestral dazu trieb, einen wahren Salto zu schlagen. Wenn die beiden jetzt abgeworfen wurden ...

"Julius, ich kann mich nicht mehr halten", stieß Gaston aus. Doch Julius merkte es auch so, daß der panische Klammergriff um seinen Leib nachließ. Gastons Arme zuckten nun mehr als sie sich hielten. Julius fragte sich, wie weit sie noch von Beauxbatons entfernt waren. Als Gaston immer mehr zitterte und sein Klammergriff für einen Moment nachließ befand er, daß sie sofort landen mußten. Da sah er den dunklen Ring aus Bäumen schemenhaft voraus. Das Pferdewesen war bereits im Sinkflug. Er blickte sich um. Außer Ihm und Gaston, Millie und Leonnie, Pivert und Gérard konnte er von den anderen keinen sehen. Das erschreckte ihn so sehr, daß er selbst beinahe jeden Halt verloren hätte. Die Stute trug sie mit nun mit weit ausgespannten Flügeln gleitend über die Baumwipfel zum inneren Rand des Baumrings. Dort fing sie den Schwung kurz vor der Landung ab und bekam ihre vier Beine ohne Holpern auf den Boden. Gaston hielt sich noch fest, als das Tierwesen sicher stand. Millie war auch schon gelandet und saß ab. Leonnie konnte ihre Beine nur schwer bewegen und rutschte eher von ihrem Reittier herunter als abzusteigen.

"Komm, Gaston, wir können runter", sagte Julius Gaston zugewandt. War es doch durchgedrungenes Regenwasser, was da auf Gastons Gesicht schimmerte. Offenbar nicht. Denn das total erschütterte Gesicht des Jungen zeigte, daß er Todesangst gehabt hatte. Ja, und dann lief es knallrot an. Julius fragte sich, was Gaston so beschämendes passiert war, bis er sah, daß der Klassenkamerad wohl vor lauter Panik in die Hose gemacht hatte. Jetzt verstand Julius, was Leute mit Scheißangst bezeichneten.

"Kann jedem in der Lage passieren", sagte er beruhigend, als Gaston total geknickt und noch mit Spuren der überstandenen Todesangst im Gesicht auf dem Thestral hockte, der Anstalten machte, wieder wegzufliegen. Julius bekam sein rechtes Bein über den leicht gesenkten Kopf der fliegenden Stute und stieß sich ab. Gaston ließ los und rutschte zur Seite weg. Julius Fing ihn auf, als er von seinem Reittier herabfiel. Pivert stand jetzt vor ihm. Dann sah er Gaston an und rümpfte die Nase. "Was für ein Mann wollen Sie mal werden, Perignon?" Fragte er harsch. Julius stellte sich dazwischen und bekam sofort den nächsten Anpfiff ab. "Und Sie, Monsieur Latierre, können gleich in den Palast zurück und Ihrer Saalvorsteherin mitteilen, daß ich Sie in meinem Unterricht nicht mehr sehen will. Unter Umständen wird man Sie auch der Akademie verweisen. Vierhundert Strafpunkte wegen Gehorsamsverweigerung, Respektlosigkeit einem Lehrer gegenüber, so wie einen unmittelbaren Eingriff in dessen Privatsphäre, so wie beispiellos unvorbildliches Verhalten im Range eines stellvertretenden Saalsprechers! Was fällt Ihnen ein, in meinen Geist hineinzusprechen? Wer immer vermeinte, Ihnen das beibringen zu müssen, hat wohl vergessen, Ihnen die Anstandsregeln beizubringen, wie?!" Julius stand einen Moment stocksteif und breitbeinig wie ein Westernheld nach einem Tagesritt da. Er atmete zweimal tief durch. Dann erwiderte er sehr entschlossen:

"Punkt eins, Professeur Pivert: Sie haben versäumt, uns korrekt abzusichern, als Sie die Thestrale hergerufen haben. Punkt zwei: Sie legten bei dem Sturm ein zu großes Tempo vor, um Sie manierlich aufzusuchen und über Madame Rossignols Anweisung zu informieren. Madame Rossignol hat uns Pflegehelfern heute morgen schon befohlen, bei diesem Wetter irgendwelche Außenaktivitäten außerhalb des Unterrichts zu unternehmen." Pivert öffnete den Mund, um einzuwenden, daß sie gerade Unterricht hatten. Doch Julius war noch nicht fertig. "Drittens und wichtigstens: In den Schulregeln von Beauxbatons steht eindeutig drin, daß kein Lehrer seine Schüler bewußt in von ihm nicht mehr zu kontrollierende Gefahrensituationen treiben oder zulassen darf, daß Schüler während des von ihm beaufsichtigten Unterrichts mutwillig in von ihm nicht zu kontrollierende Gefahren hineingeraten können. Außerdem steht da noch etwas von der gesundheitsfürsorglichen Sondervollmacht der amtierenden Schulheilerin, die bei Erkenntnis einer gesundheitsgefährdenden Situation für mindestens einen Schüler die Fortführung der laufenden Unterrichtsstunde untersagen oder abändern darf, sofern einer der Schüler zu ihrem Pflegehelferstab gehört. Außerdem, wo sind die anderen?"

Pivert wollte gerade auf Julius zustürzen, der reflexartig in Karate-Abwehrstellung ging. Dann fiel ihm wohl auch auf, daß drei Thestrale fehlten. Er blickte sich hektisch um. Julius atmete auf, als er drei Punkte über den Baumwipfeln sah, die zu drei Thestralen mit je zwei Reitern anwuchsen, die ruhig und die Sturmwinde gut ausbalancierend heranglitten.

"Der Unterricht dauert noch vierzig Minuten. Sie gehen auf der Stelle hinein und suchen den Kursraum Ihrer Saalvorsteherin auf. Dort warten sie ohne den Unterricht zu stören, bis die Stunde vorbei ist! Dann werde ich mich dort einfinden und mit ihr über Ihre grobe Mißachtung von Schulregeln sprechen. Wenn Sie noch eine Erwiderung wagen oder in einer Viertelminute noch in meiner Sichtweite sein sollten erhalten Sie noch einmal Strafpunkte. Das dürften dann die letzten gewesen sein, die Sie hier erhalten", sagte Pivert. Millie trat vor. Pivert versuchte, sie zurückzutreiben. Doch sie sah ihn sehr energisch an und sagte:

"Wenn Sie Professeur Faucon schon darauf hinweisen, daß Julius gegen Ihre Anordnungen verstoßen hat, dann sagen Sie ihr bitte auch, daß Sie ohne Flugsicherheitssättel, wie sie im Gesetz zur Benutzung flugfähiger Reittiere vorgeschrieben sind, mit uns durch einen Sturm fliegen wollten, Professeur Pivert! Ich werde es sowohl meiner Mutter als auch meiner Tante Barbara Latierre schreiben, was Sie uns da heute zugemutet haben. Ich habe Sie ja gefragt."

"Wollen Sie ebenfalls Strafpunkte, Madame Latierre?" Schnarrte Pivert laut genug, um den immer noch brausenden Sturm zu übertönen. Da blitzte es grell auf, und ein dumpfer Donnerschlag dröhnte vom Himmel her. Die Thestrale brüllten los, warfen sich herum und rannten los. Belisama stand genau in Laufrichtung eines der aufgescheuchten Tiere, hörte es wohl galoppieren und sprang zur Seite. Da hob es ab und schwirrte mit noch angelegtem Zaumzeug davon. Pivert starrte der gerade durchgestarteten Stampede verdutzt nach. Millie sagte dann noch:

"Zum einen haben Sie mir bereits Strafpunkte mitgegeben, Professeur Pivert, weil Sie meinem Ehemannn welche aufgeladen haben. Zweitens und drittens kriegen Sie noch viel mehr Ärger, weil Sie uns auf diesen leicht zu verstörenden Thestralen haben fliegen lassen. Wenn der Donner mitten im Flug gekommen wäre hätten wir uns alle nicht mehr halten können."

"Konnte ich wissen, daß es noch ein Gewitter gibt?" Schnaubte Pivert. Da blitzte es noch einmal, und ein weiterer Donnerschlag krachte über dem Gelände von Beauxbatons.

"Wollen Sie immer noch meine Entlassung erwirken, Monsieur le Professeur?" Fragte Julius nun sehr sicher. Da begann es auch noch zu hageln. Erst fielen gerstenkorngroße, dann Taubeneigroße Eisstücke vom Himmel, und der Sturm bekam noch einmal richtig Schwung.

"Sie zu Professeur Faucon vor die Klassentür und dort auf mich warten! Alle Andren mit mir in den Vorbereitungsraum!" Rief Pivert über das Wetter hinweg. Julius fühlte die auf ihn eintrommelnden Hagelkörner. Gaston sah sich an. "Sie machen sich erst einmal wieder sauber, Monsieur Perignon. Dreißig Strafpunkte für Unbeherrschtheit!"

"Ich begleite Monsieur Latierre", bestand Millie darauf, ihren Mann nicht alleine gehen zu lassen. Doch Pivert wollte sie nicht ziehen lassen. Julius sah sie beruhigend an, während der Hagel nun wie mit Fäusten auf sie eindrosch. Sie nickte ihm zu und eilte Pivert und den anderen hinterher in den Palast hinein. Julius wollte sich gerade in Richtung Verwandlungsklassenraum absetzen, als Madame Rossignol aus einem Wandstück heraustrat und sich Pivert in den Weg stellte. Schlagartig kam die Kolonne der Schüler auch zum stehen.

"Ich gehe davon aus, Monsieur Pivert, daß Sie jetzt eh nicht mehr draußen unterrichten werden. Dann darf ich Sie in meinem und Madame Maximes Namen ersuchen, sich mit mir zusammen bei ihr einzufinden. Ich habe ihr mitgeteilt, daß ich mit ansehen mußte, daß Sie Ihre Schüler ungesichert auf halbwilden Flugtieren im Sturm haben fliegen lassen. Eigentlich sollten Sie als Experte für Tierwesen die Richtlinien kennen, nach denen der Flug auf magischen Reittieren außerhalb des Schulgeländes oder bei unvorhersehbarer Witterung durch Sättel oder Transportvorrichtungen mit Haltegurten oder -ketten abzusichern ist. Außerdem haben Sie bei Sturm mit Ihren Schülern auf dem Gelände zu verbleiben, damit die amtierende Schulheilerin, gegenwärtig also ich, unverzüglich zu Hilfe kommen kann. Ich kann und möchte nicht behaupten, daß Madame Maxime über Ihren Ausflug erfreut ist. Ich bin es auch nicht."

"Sie waren schon damals anmaßend, als sie hier angefangen haben, Florence", knurrte Pivert. "Ich habe genug Erfahrung mit Thestralen, daß ich die Lage einordnen konnte. Sie haben Ihre Kompetenzen weit überschritten."

"Sie sind nicht der erste vom Lehrkörper, der mir das zu unterstellen wagt. Allerdings habe ich mich bisher an alle mir übergeordneten Regeln gehalten", erwiderte Madame Rossignol. Dann schnupperte sie und sah Gaston an, der versuchte, sich heimlich zu einem der Waschräume abzusetzen. Keiner der Jungen grinste ihm hinterher.

"Wie ist dir das denn passiert?" Fragte Madame Rossignol Gaston besorgt. Dieser lief tomatenrot an und sagte nur: "Das nennt man wohl Schiss, Madame Rossignol."

"Oder zur unwillentlichen Darmentleerung treibender Angstzustand", sagte sie und schwang ihren Zauberstab durch die Luft. "Excrementa dissolveto!" Rief sie. Damit nahm sie Gaston einen großen Teil der fälligen Säuberung ab. Den rest sollte er in einer der Jungentoiletten erledigen. Julius staunte. Ausscheidungen wegzumachen war schwieriger als das Verschwindenlassen von toten Gegenständen.

"Sie behaupten also, daß Madame Maxime mich unverzüglich sprechen will?" Fragte Pivert.

"Sie erwartet uns", sagte Madame Rossignol. "Belisama, Mildrid, Julius, ihr begleitet eure Kameraden bitte in den Krankenflügel, bis ich dort hinkomme!"

"Monsieur Latierre wurde von mir angewiesen, vor ihrem Klassenraum auf Professeur Faucon zu warten", sagte Pivert ungehalten.

"Damit diese ihn fragt, was er dort gemacht hat? Oder wollten Sie ihr berichten, was Sie gegen die Bestimmungen getan haben, Maurice?" Pivert starrte sie wütend an. Sie hielt dem Blick jedoch aufrecht stand und sagte: "In dem Fall ist Monsieur Latierre besser beraten, im Krankenflügel zu warten, da die fällige Unterredung Sie davon abhalten könnte, Professeur Faucons Kursraum aufzusuchen. Julius, du folgst bitte Gaston und bringst ihn dann zu mir, wo die anderen warten mögen!"

"Wie erwähnt, Sie überschreiten Ihre Kompetenzen, Florence. Monsieur Latierre, wenn Sie dieser Anweisung folgen erhalten Sie weitere dreihundert Strafpunkte!" Doch Julius tat diese Drohung mit einem Achselzucken ab und folgte Gaston.

"Hoffentlich zerreißen sich Gérard und die anderen nicht die Mäuler über mich, wenn Laurentine dabei ist", grummelte Gaston, nachdem er und Julius alle Kleidung wieder sauber bekommen hatten.

"Gérard wird wohl erst vor der eigenen Tür fegen müssen, so laut der geschrien hat, als Piverts Hengst gebockt hat", meinte Julius.

"Du hast dir zumindest nicht in die Hosen geschissen", knurrte Gaston.

"Weil ich zu beschäftigt war, die nervöse Dame zu beruhigen, die uns getragen hat. Wenn ich das richtig mitgekriegt habe ist Pivert jetzt fällig. Erst das Ding mit den Feuerlöwen und jetzt die Sturmreiternummer. Wahrscheinlich wird Madame Maxime uns morgen Nachmittag wieder unterrichten."

"Uns? Könnte sein, daß Pivert deinen Rausschmiß durchdrückt, wenn er das hinbiegt, daß Madame Rossignol nicht in seinen Unterricht reinzulabern hat", erwiderte Gaston.

"Zum einen hast du gehört, wie Millie ihn vor der Reitstunde gefragt hat, ob er wirklich alle auf ungesattelte Thestrale draufsetzen will. Dann hat Millie ihm nach der Landung die entsprechenden Bestimmungen um die Ohren gehauen. Die hatte wohl selbst zu viel Angst vor Strafpunkten, um den vorher darauf festzunageln. Ich denke nicht, daß Madame Maxime einen Lehrer hält, der seine Schüler mehr als einmal in Lebensgefahr gebracht hat. Selbst Dumbledore hätte Hagrid für sowas rausgeworfen, und die beiden haben viel voneinander gehalten", sagte Julius zuversichtlich.

"Das ist der andere Halbriese, der einen echten Riesen zu Dumblydores Beerdigung mitgebracht hat?" Fragte Gaston.

"Genau der", bestätigte Julius. Dann forderte er Gaston auf, ihn zum Krankenflügel zu begleiten.

Zur Zeit gab es hier keine Patienten. Nur Cythera Dornier lief in einem Laufstall so groß wie ein Ehebett herum und brabbelte zu einer fröhlich klingenden Spieluhr. Ihre Tante Céline lachte mit ihr, Belisama und Millie. Die anderen Jungen aus der Magizoologieklasse hockten bedröppelt auf einem der Betten.

"Glaubst du, daß Pivert noch einmal bleiben darf?" Fragte Millie ihren Mann.

"Falls ja, haben wir beide jetzt vierhundert Strafpunkte mehr auf dem Konto. Oder hat der noch die dreihundert draufgeladen?"

"Das hat ihm Madame Rossignol ausgetrieben, Julius. Und was die anderen vierhundert angeht, so kriegen wir das mit unseren Hausvorsteherinnen hin, daß die uns wieder vom Konto runtergenommen werden. Was du gemacht hast war richtig, und noch dazu in Befolgung eines Befehls von Madame Rossignol. Ich hätte dem Typen echt vor dem Flug damit kommen müssen, daß die Biester gefälligst mit Flugsätteln belegt gehören. Dafür werden Ma und Tante Babs mich wohl tierisch runtermachen."

"Du hast doch nur getan, was ein Lehrer dir befohlen hat, Millie", erwiderte Julius.

"Ja, und dabei mein Leben riskiert, obwohl ich wußte, daß es gegen das Gesetz ist. Die Gesetze stehen immer noch über den Schulregeln, Julius. Und das lernen wir hier auch von allen Lehrern, die genug Verantwortungsgefühl haben", schnarrte Millie, während Belisama und Céline Cythera was vorsangen. Leonnie saß nur da und starrte die beiden Jahrgangskameradinnen an, als wolle sie sagen, daß das Getue um die fast anderthalbjährige Tochter Constances übertrieben war. Caro Renard starrte Löcher in die Luft. Julius fragte Millie, was mit ihr sei.

"Der ist der Ausflug nicht sonderlich bekommen. Die hat das, was Gaston unten rausgelassen hat oben rausgeworfen, weil ihr Thestral nach dem Umdrehen dreimal Loopings gedreht hat. Deshalb sind Belisama, Estelle und Plato zurückgeblieben, um sicherzustellen, daß sie nicht runterfallen, hat Belisama mir erzählt, als du mit Gaston zum Klo unterwegs warst."

"Dabei kann die auf dem Besen doch tolle Flugmanöver", meinte Julius.

"Ich kläre das mit ihr, Julius", sagte Millie beruhigend.

Julius' Pflegehelferschlüssel zitterte. Er stellte Sprechverbindung her: "Madame Maxime wünscht, daß du ihr persönlich schilderst, was du wann wieso gemacht hast", sagte Madame Rossignol. Julius bestätigte es. Dann wandte er sich an seine Frau.

"Nimm einen alten Aberglauben zu Hilfe, Millie, daß ich uns beiden nicht gleich den Freiflug nach draußen beschere!"

"Häh? Was für'n alten Aberglauben? Soll ich für dich beten?"

"Neh, es reicht schon, wenn du mir Glück wünschst", erwiderte Julius verhalten grinsend. Millie lachte schallend. Dann zog sie Julius kurz an sich und drückte ihm einen Kuß auf den Mund. Belisama und Céline sahen sie verblüfft an. Doch sie sagten nichts. Julius grinste nur und wandschlüpfte aus dem Krankenflügel. Das könnte ihnen beiden zwar Ärger einbringen, wußte Millie. Doch der war ihr das wert.

Der streitlustige König war sehr nachtragend. Er wollte Julius nicht durch das Bildertor helfen, weil der ihm unterstellt hatte, er hätte sämtliche gemalten Hexen geschwängert. Die Königin lächelte ihn an und streckte ihm die Hand entgegen. Er ergriff sie und flog durch die Bilderverbindung hinüber in Madame Maximes Wohn- und Arbeitstrakt. Im großen Sprechzimmer traf er die Schulleiterin, Madame Rossignol und Professeur Pivert. Madame Maxime sah ihn sehr streng an und deutete auf einen freien Stuhl ihr gegenüber. Dann forderte sie ihn auf: "Nach Madame Rossignol und Proffesseur Pivert möchte ich jetzt von Ihnen persönlich hören, was sie getan haben und ob Sie finden, dabei gegen bestehende Schulregeln verstoßen zu haben, Monsieur Latierre. Ich höre."

Julius erzählte kurz, wie die Stunde begonnen hatte, erwähnte Millies Versuch, Professeur Pivert auf die Unsicherheit des Ausfluges hinzuweisen und gab in der korrekten Reihenfolge der Ereignisse wider, was auf dem Flug selbst passiert war und daß Madame Rossignol ihn aufgefordert habe, Professeur Pivert anzumentiloquieren und sich dann auf den Heimweg gemacht habe. Madame Maxime hörte schweigend zu. Professeur Pivert versuchte mehrmals, sich einzumischen. Doch die Schulleiterin würgte jeden Versuch mit einer bedrohlichen Geste ab. Als Julius dann alles erzählt hatte fragte Madame Maxime ihn, ob er auch ohne Madame Rossignols Anweisungen Professeur Pivert zur Umkehr aufgefordert hätte. Er schüttelte den Kopf, weil er dachte, daß das jetzt von ihm verlangt würde. Madame Maxime und die Schulheilerin sahen ihn jedoch sehr kritisch an. Madame Maxime fragte jedoch zuerst, wer ihm Mentiloquismus beigebracht habe.

"Zuerst Mrs. Porter aus New Orleans, weil sie wollte, daß wir meinen versklavten Vater fänden, um den an weiteren Morden zu hindern. Sie hat sich und mich unsichtbar machen wollen und mir deshalb diese Fertigkeit beigebracht. Geübt und verbessert habe ich sie dann mit Madame Catherine Brickston, weil diese darauf bestand, daß ich eine neue Fertigkeit nicht ohne die korrekten Anstandsregeln erlernen sollte. Außerdem wollte sie, daß ich darin geübt bleibe", informierte Julius Madame Maxime.

"Dann gehe ich sehr stark davon aus, daß Ihnen die Manieren des Mentiloquismus geläufig sind", sagte Madame Maxime. Julius bejahte das. "Wann ist der Regelverstoß des schweren Eingriffs in die Privatsphäre eines Lehrers begangen, Monsieur Latierre?" Fragte sie ihn dann noch.

"Die Schulordnung sowie die magischen Gesetze bezeichnen als Privatsphäre alles, was mit der Erledigung kkörperlicher Bedürfnisse, geschlechtlichen Zusammenseins, sowie ausdrücklich nicht für die Öffentlichkeit bestimmter Handlungen, Äußerungen und Gedanken zu tun hat. In die Privatsphäre eines Lehrers einzugreifen hieße, ihn in Situationen zu zwingen, wo er oder sie unzureichend bekleidet ist, mit jemandem geschlechtliche Handlungen austauscht oder zu zwingen, seine Gedanken und inneren Empfindungen zu äußern oder zu beeinträchtigen, beispielsweise durch Zaubertränke oder nicht im Rahmen des Unterrichts erwünschte Bezauberungen. Ebenso müssen Lehrer die Privatsphäre von Schülern achten, solange diese nicht in Handlungen ausufert, die zur massiven Störung der Schulordnung führen, gesundheitliche Gefahren verursachen oder von den Erziehungsberechtigten der betreffenden Schüler als unerwünscht erklärt werden."

"Das heißt, Sie haben durch die mentiloquierte Botschaft in die Gedankengänge Professeur Piverts, also sein privatestes Eigentum, eingewirkt", stellte Madame Maxime fest. Pivert nickte eifrig, während Madame Rossignol verdrossen dreinschaute. "Allerdings haben Sie gerade ausgesagt, daß Sie diesen Eingriff nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Anweisung Madame Rossignols begingen, und zwar deswegen, weil Sie bemerkten, daß Professeur Pivert zu schnell für den von Ihnen gerittenen Thestral flog und ihr Reittier sehr nervös auf lautes Rufen reagierte. Dadurch verstärkte sich die spezielle Gefahrensituation für Sie und die allgemeine Gefahrensituation für Ihre Mitschüler, weil ohne die Anweisung die Rückkehr wohl nicht unverzüglich erfolgt wäre. Somit handelten Sie gemäß Ihrer Befähigungen so, wie es die Notlagebestimmungen des Zaubereigesetzes erfordern: Sie benutzten eine die Gefahrensituation minimierende Verständigungsmethode. Das rechtfertigt im allgemeinen Gesetz wie in der Schulordnung den Eingriff in die Privatsphäre einer Person." Pivert starrte Madame Maxime verstört an. Diese blickte ihn nun sehr bedrohlich an. Er erbleichte. "Ich gab Ihnen die Erlaubnis, Thestrale vorzuführen und im Rahmen aller Sicherheitsbestimmungen einzelne Schüler darauf reiten zu lassen, wie es ja bei Hippogreifvorführungen auch möglich ist. Allerdings erlaubte ich Ihnen weder, alle Schüler zugleich fliegen zu lassen, noch dazu bei Sturm, und wie wir nun erleben, auch Blitz und Hagel. Thestrale können Windverläufe und -stärken intuitiv vorausempfinden und sich darauf einstellen. Das heißt jedoch nicht, daß sie es mögen, bei Sturm zu fliegen. Wie alle anderen tierischen Lebewesen auch besitzen sie einen Selbsterhaltungstrieb, sowie den Instinkt, möglichst energiesparende Handlungen zu vollführen, solange sie sich in keiner Ausnahmesituation wie Jagd, Flucht, Verteidigung, Paarung und Nachwuchsversorgung befinden. Das heißt, Sie haben diesen Thestralen einen Flug durch unangenehmes Wetter zugemutet und die Tiere dadurch nervös gemacht. Jetzt frage ich Sie doch einmal, wen Sie dafür angestiftet haben, ihnen zu bescheinigen, ein Experte für magische Tierwesen zu sein." Den letzten Satz hatte sie mit einer unverkennbaren Verärgerung gesprochen. Ihre Hände peitschten durch die Luft. Julius sah, wie die Arme und Beine der Halbriesin sich anspannten, als wolle sie gleich aufspringen und Pivert mit ihren kopfgroßen Händen erwürgen. Ihre Augenbrauen wölbten sich immer bedrohlicher über ihrer Nasenwurzel. Pivert stand auf und stellte sich vor sie hin, als lege er es darauf an, daß sie sich auf ihn warf.

"Sie haben alle meine Zeugnisse und Erfahrungsberichte gelesen und wissen daher, wer meine Empfehlungen ausgesprochen hat. Madame Barbara Latierre und Monsieur Bernard Moureau."

"Dann sollte ich Madame Barbara Latierre, die ja jetzt wieder ihre Arbeit ausübt fragen, ob Sie Ihnen eingeredet hat, Thestrale bei Sturm zu fliegen", schnarrte Madame Maxime. Julius fühlte sich nicht sonderlich doll. Wenn jetzt seine Schwiegertante auch noch ärger bekam konnte das noch was geben. Pivert erbleichte auch. Madame Rossignol bat ums Wort und sagte:

"Also, ich denke schon, daß Professeur Pivert gewisse Fachkenntnis erworben hat. Ich fürchte nur, er ist ein wenig übermütig geworden, als er hier angestellt wurde."

"Außerdem habe ich die Empfehlung, ihn anzustellen von Monsieur Moulin erhalten, der Madame Latierre während ihres Mutterschaftsurlaubs vertrat", sagte Madame Maxime. "Und ich gehe nicht davon aus, daß sie genehmigt hätte, daß an der Pflege magischer Geschöpfe interessierte Schüler durch unbeherrschte Gefahrensituationen an der Fortsetzung ihrer Ausbildung gehindert werden sollten. Ich werde sie kontaktieren und mir von ihr anhören, was sie dazu sagt."

"Sie ist derzeit nicht für mich zuständig", sagte Pivert trotzig. "Gemäß den Vereinbarungen zwischen dem Zaubereiministerium und der Beauxbatons-Akademie obliegt die Unterrichtsgestaltung und Ausübung dem Lehrkörper von Beauxbatons, sofern dabei die Erläuterung und Einhaltung der betreffenden Gesetzesabschnitte gewährleistet bleibt." Julius sog laut Luft zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen ein, und Madame Maxime sprach ungefähr aus, was er selbst dachte.

"Nun, Monsieur Pivert, Sie sind soeben aus dem Fenster hinausgestürzt, aus dem Sie sich hinausgelehnt haben. Zum einen kann, will und werde ich keinen Lehrer in der Akademie unterrichten lassen, der mutwillig das Leben der anvertrauten Schüler gefährdet, ohne rechtzeitig einschreiten zu können, wenn die Gefahr zu groß wird. Zweitens haben Sie gesagt, daß wir die Gesetze auch in Beauxbatons einhalten müssen, und eines davon haben Sie heute grob mißachtet, nämlich die Sicherung auf Flugtieren reisender bei schlechter Witterung ohne dazu zwingende Notlage. Zum dritten dulde ich von den mir unterstellten Fachlehrern genausowenig Insubordination wie von den Schülern. Und da ich Ihnen keine Strafpunkte geben kann, Sie bereits wegen der Feuerlöwen-Affäre abgemahnt und ihr Gehalt gekürzt habe, bleibt mir nur noch, Ihre Entlassung rückwirkend zum Zeitpunkt des Fehlverhaltens zu verfügen. Holen Sie also bitte Ihre persönliche Habe aus den Ihnen bereitgestellten Räumen und entfernen Sie diese und sich unverzüglich von den Ländereien der Beauxbatons-Akademie!"

"Halt, so nicht, werte Madame. Ich lasse mich nicht so einfach rauswerfen wie ein unbelehrbarer Schüler", begehrte Maurice Pivert auf. "Zum einen wäre die Situation niemals gefährlich geworden, wenn diese vermessene Person da nicht diesen Jungen angestiftet hätte, meinen Flug zu stören. Zum anderen fehlt es Ihnen an einer Fachkraft und damit an der Möglichkeit, den Unterricht weiter fortzusetzen, was eine Beeinträchtigung des Lehrbetriebes darstellt. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als mich zu behalten."

"Das kläre ich heute noch mit Monsieur Gautier von der Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe und Madame Latierre vom Büro für magische Tierwesen", schnarrte Madame Maxime. "Bis ich diese Angelegenheit zur vollsten Zufriedenheit der Akademie geklärt habe erteile ich eben selbst wieder Unterricht. Vielleicht hätte ich dies schon von Schuljahresbeginn an beibehalten sollen." Pivert blickte sie nun total geknickt an. Dann sah er Julius Latierre an. Doch dieser blickte ihn ganz entspannt an.

"Sie meinen wohl, weil dieser Bursche da unbedingt die Autorität Madame Rossignols meiner vorziehen mußte, ihn um alle Strafpunkte herumkommen zu lassen, die ich berechtigterweise ausgesprochen habe?" Fragte er Madame Maxime.

"Gut, daß Sie es erwähnen, Monsieur Pivert. Weil Monsieur Latierre in Befolgung der an ihn ergangenen Anweisungen gehandelt hat, ist er für die daraus resultierenden Folgen nicht zu bestrafen, sofern die Anweisung auch korrekt ausgeführt wurde. Also hätte die Bestrafung nur erfolgen dürfen, wenn er sich geweigert hätte, die Anweisung auszuführen oder auf die ihm gebotenen Mittel verzichtet hätte, die Anweisung weiterzugeben. Und das tat er nicht, wie Sie und er unabhängig voneinander bestätigt haben. Er hat, als Sie meinten, noch schneller zu fliegen, das Mittel des Mentiloquismus benutzt, um sein und Ihr Reittier nicht noch nervöser zu machen, als es auf Grund der Wetterlage eh schon war." Rums! Wieder rollte lauter Donner über Beauxbatons hinweg. Den dazugehörigen Blitz hatten sie nicht gesehen. Er war wohl auf der anderen Seite des Palastes niedergegangen. Laut klackernd flogen kleine Hagelkörner gegen die Fensterscheibe. Julius hörte sogar metallisches Plingen. Er vermutete, daß das von der silbernen Astronomiekuppel kam, die auf dem Dach des weißen Palastes stand. "Somit widerrufe ich in meiner Eigenschaft als oberste Autorität von Beauxbatons die Julius Latierre ausgesprochenen Strafpunkte und damit auch die für Madame Latierre. Und jetzt räumen Sie Ihr Zimmer und verlassen uns stehenden Fußes, Monsieur Pivert."

"Sie haben das Hausrecht, Madame. Aber glauben Sie nicht, daß ich mich derartig leicht vor die Tür setzen lasse. Sie hören von mir."

"Sprechen Sie keine Drohungen aus, deren Einlösung Ihnen mehr Ungemach bereiten dürfte als mir oder der Akademie!" Entgegnete Madame Maxime schroff und deutete auf die Tür. Pivert wandte sich um und ging hinaus. Julius sah Madame Maxime fragend an, weil er dachte, er solle jetzt auch den Raum verlassen. Doch sie machte eine zum warten auffordernde Geste. Als die Tür zugefallen war sagte sie zu ihm: "Wir drei sind noch nicht ganz fertig." Julius erstarrte fast unter der Betonung dieser Worte. "Sie sagten eben, daß Sie das, was Sie taten, von sich aus nicht getan hätten. Das sollte wohl Unterordnung ausdrücken. Sie sind jedoch durch den Status als Pflegehelfer und stellvertretender Saalsprecher gehalten, alle Regeln zu befolgen, darunter auch die, Lehrpersonen daran zu erinnern, keine unkontrollierbaren Gefahrensituationen im Unterricht zuzulassen. Sie hätten als Pflegehelfer sofort intervenieren müssen, als Sie sahen, daß die Thestrale ohne geeignetes Sattelzeug ausgestattet blieben, weil hier Ihre und die Gesundheit Ihrer Mitschüler gefährdet wurde. Sie hätten als stellvertretender Saalsprecher vor Ort auf die Einhaltung der Schulregel drängen müssen, dernach ein Lehrer seine Schüler nicht gefährden darf, sofern er Art und Auswirkungen der Gefahr nicht abschätzen kann und entsprechende Gegenmaßnahmen ergreift, wie Ihre Saalvorsteherin Faucon gehalten ist, wenn sie Verwandlungen veranlaßt oder Flüche und Gegenflüche erproben läßt. Insofern sollten Sie heilfroh sein, daß Madame Rossignol Ihnen durch ihre Anweisung Unterlassungsstrafpunkte erspart hat. Also merken Sie sich bitte für kommende Situationen, wo Sie nicht wissen, ob der Lehrer sie einschätzen kann: Fragen Sie ihn oder sie, welche Gesundheitsgefährdung auftreten kann, sofern die Lehrperson nicht von sich aus alle Maßnahmen ergreift, diese zu unterbinden. Insbesondere gilt das für Freiluftveranstaltungen bei an sich schon unbeherrschbarer Witterung."

"Ich möchte dem noch hinzufügen, daß ihr nur dann das Schulgelände verlassen dürft, wenn sichergestellt ist, daß ihr immer noch von mir aufgefunden und behandelt werden könnt. Das mit den Hippocampi letzte Woche war haarscharf an einem solchen Verstoß, und das habe ich Monsieur Pivert auch hinterher klargemacht. Daß er mich nicht für berechtigt hält, ihm Anweisungen zu erteilen, hat er ja heute sehr eindrucksvoll bewiesen. Den rest klären wir bei mir, falls Madame Maxime dich und mich jetzt nicht mehr benötigt."

"Sie beide dürfen jetzt gehen. Ich werde die dritte Klasse nach der Pause unterrichten, wenn ich weiß, daß Monsieur Pivert uns verlassen hat und Monsieur Gautier und Madame Latierre die Entlassung zur Kenntnis genommen haben. Sie haben in der nächsten Doppelstunde magische Alchemie. Dann teilen Sie bitte Professeur Fixus mit, daß es durchaus passieren könnte, daß ich Sie noch einmal als Zeugen des Vorfalls zu mir zitieren könnte!" Gab Madame Maxime ihm noch mit auf den Weg. Julius bestätigte das und folgte Madame Rossignol zum Transpictoralportal, dem Gemälde mit der großen Wiese, die im Moment auch unter dahinjagenden Sturmwolken und Regen lag.

"Und die Beleidigung verzeihen wir ihm trotzdem nicht!" Rief der gemalte König Julius hinterher, als er mit der Schulkrankenschwester schon zum nächsten Einstieg des Wandschlüpfsystems unterwegs war.

"Was hast du ihm an sein gekröntes Haupt geworfen?" Fragte Madame Rossignol leicht verstimmt.

"Er unterstellte, daß seine Frau, also die Königin, von irgendwem schwanger geworden sei. Da das bei gemalten Menschen jedoch nicht geht sagte ich, daß er ja sonst schon alle gemalten Hexen in andere Umstände versetzt haben müßte."

"Na, ob Viviane Eauvive oder Serena Delourdes das gerne gehört hätten, Julius", erwiderte Madame Rossignol lächelnd. "Oder hältst du die beiden für lose Damen?"

"Ganz bestimmt nicht", sagte Julius. "Und auch nicht Aurora Dawn."

"Nun dann, erst einmal zurück in meine Einsatzzentrale", sprach die Heilerin von Beauxbatons und löste die Wandschlüpfmagie aus. Julius hielt sich locker an ihr fest und wurde mitgezogen.

Madame Rossignol verkündete die Entscheidung Madame Maximes und auch den Widerruf der ausgesprochenen Strafpunkte gegen Julius und damit Millie. Sie wies diese und Belisama jedoch darauf hin, daß sie von ihr wohl zweihundert Strafpunkte bekommen hätten, wenn Julius nicht die Anweisung erhalten und ausgeführt hätte. "Vor allem von dir, Millie, hätte ich erwartet, daß du Professeur Pivert konsequent auf die anstehenden Verstöße hinweist und als Pflegehelferin auf die mutwillige Gesundheitsgefährdung hinweist, weil du von deinen Verwandten her besser mit den Gesetzen zur Verwendung magischer Nutztiere vorgebildet bist."

"Und jetzt muß Madame Maxime wieder unterrichten?" Fragte Gaston Perignon. Madame Rossignol bestätigte es. Alle seufzten leise. Das letzte Halbjahr war noch gut in Erinnerung.

Vor dem Zaubertrankkerker erzählten die Grünen und Roten ihren nicht bei Pivert gewesenen Kameraden, was passiert war. Robert ballte die Fäuste und meinte:

"Ich wäre da nicht mitgeflogen. Selbst wenn der mir tausend Strafpunkte aufgehalst hätte."

"Das wäre auch wohl was lustiges geworden, wenn der diese Sache nicht bei diesem Sturm angefangen hätte", fauchte Céline. "Ich hoffe mal, ich kann noch auf einem Besen fliegen, nachdem ich auf diesem unsichtbaren Gerippe gesessen habe.

"Dann stellt sich jetzt die Frage, ob die Thestrale als abgehakter Teil des Lehrstoffes gelten", meinte Irene Pontier. "Sonst kommt ihr noch mal auf die zu sprechen, egal ob Madame Maxime oder sonstwer unterrichtet."

"Du hast es jetzt nötig, uns derartig blöd zu kommen", knurrte Céline total verärgert. Bernadette hörte sich an, was den anderen passiert war und grinste. Dann jedoch schien etwas in ihr zu rotieren. Julius achtete nicht darauf. Denn in diesem Moment kam Professeur Fixus den Gang entlang. Sofort wurde es still. Die kleine Lehrerin mit den rotbraunen Locken und der goldenen Brille begrüßte alle und winkte sie hinein.

Die beiden Doppelstunden verliefen wie üblich. Nach dem Ritt durch den immer noch tobenden Sturm sahen die Schüler von Ex-Lehrer Pivert den komplizierten Zaubertrank als Erholung an. Die große Pause fand dieses Mal in der großen Halle hinter dem zweiflügeligen Hauptportal statt. Dabei wurden die Erlebnisse in leicht abgeänderter Form weitergegeben.

Nach dem Mittagessenging es für die ZAG-Schüler des grünen und weißen Saales noch einmal hinaus in den Sturm. Zumindest regnete und hagelte es nicht mehr. Sie sahen nur langgezogene, hellgraue Wolken unter einem dunstigen Himmel dahinfegen. Im Gewächshaus für Zauberpflanzen der Stufe eins, also der zweitschwierigsten und -gefährlichsten Pflanzen der Zaubererwelt, empfand Julius den Unterricht als reine Erholung. Als sie sich wieder in den sicheren Palast hinübergerettet hatten wurde er von Madame Rossignol aufgefordert, sich bei Madame Maxime zu melden, da Madame Barbara Latierre zu Besuch hatte, um mit ihr über den Vorfall vom Morgen zu sprechen. Julius wandschlüpfte in die Nähe des Portraits des streitbaren Königspaares. Als er davor anhielt rief ihm der gemalte König zu:

"Diesmal wird ihm jeder Zutritt verwährt, bis er seine Majestätsbeleidigung widerruft und reuevoll um unsere Gnade bittet, wie es ihm in seiner Rolle ansteht."

"Radices Mundi", sagte Julius nur und wollte der Königin wieder die Hand zum Durchlaß reichen. Doch der König warf sich zwischen sie und ihn, so das es für Julius aussah, als sei nur er im Vordergrund des Bildes. "ER soll widerrufen und demütig um unsere Gnade ersuchen!" Schnaubte der König und stemmte sich gegen die ihn von hinten bedrängenden Hände seiner Gemahlin, die ihn zur Seite schieben wollte, um wieder im Bildvordergrund aufzutauchen.

"Okay, Kronenknilch, als gebürtiger Londoner sollte ich an und für sich deinen monarchischen Popanz mitmachen. Aber ich hab' 'ne Verabredung mit Madame Maxime. Wenn ich da nicht hinkomme, setzt es strafpunkte. Oder die hängt dich und deine Frau in einen dunklen Keller um."

"Er wagt es, uns noch grimmiger zu erzürnen. So sei ihm bis auf ewig dieses Tor versperret!" Brüllte der König. Da tauchte Viviane Eauvive im Bild des Königs auf.

"Habt Ihr nicht damals feierlich gelobt, jeden, der das richtige Wort spricht in die Gemächer des amtierenden Schulleiters vorzulassen?" Fragte die Gründerin des grünen Saales. Die gemalte Ausgabe von Goldschweif I. knurrte verhalten. Der König sagte:

"Wir haben eine Würde, die nicht angetastet werden darf. Dieses Subjekt vermaß sich, mir Unzucht mit anderen Maiden und Damen zu unterstellen. Diese Schmach muß er bereuen."

"Wieder mal den harten Mann spielen, Majestät?" Fragte Viviane. "Ihr wißt doch noch genau, was ich damals tat, als Ihr euch weigertet, einen Lehrer nicht mehr vorzulassen, weil er Euch als aufsässigen Türsteher bezeichnete, was nebenbei gesagt die nackte Wahrheit ist."

"Ihr werdet es nicht noch einmal wagen, derartig rüde mit Unserer Person umzuspringen", schnaubte der König und wand sich, um seine von ihm verdeckte Frau im Hintergrund zu halten.

"Und ob ich das werde", knurrte Viviane und zielte mit dem Zauberstab. "Intercorpores permuto!" Julius grinste schadenfroh, als er sah, wie der König in einer Flut aus weißem Licht verschwand und dann mit lautem Knall wiederkam. Doch er lächelte jetzt auch schadenfroh und wand sich um.

"So hat Sie Euch die Gelegenheit gegeben, Eure schmachvolle Unterstellung, ich trüge die Frucht eines Ehebruches unter dem Herzen, am eigenen Leibe nachzuvollziehen. So horchet, ob Ihr ein ungeborenes Herz in Eurem Schoße schlagen hören könnt!" Lachte der König. Julius lachte auch. Denn was der Zauber Vivianes bewirkt hatte kannte er besser als so mancher andere hier in Beauxbatons. König und Königin hatten nun für einen Tag den Körper des jeweils anderen. So streckte er schadenfroh grinsend der umgewandelten Königin die Hand hin. Sie zog ihn durch in das Bild hinein, wobei er fast noch mit Viviane zusammenstieß, die gerade noch rechtzeitig aus dem Gemälde zurückspringen konnte.

Im Konferenzzimmer saßen Madame Maxime, seine Schwiegertante Barbara und Madame Rossignol. Er begrüßte sie alle höflich und förmlich. Babs Latierre grüßte ebenso förmlich zurück. Dann herrschte Madame Maxime Julius an, warum er so lange gebraucht habe. er erzählte es ihr und den anderen unschuldsvoll dreinschauend. Madame Rossignol lächelte leicht, während Babs Latierre amüsiert lachte. Madame Maxime knurrte einmal, räusperte sich laut und forderte den Schüler dann auf, sich hinzusetzen.

Julius schilderte nun seine Erlebnisse von der ersten Stunde dieses Schultages. Danach fragte ihn seine Schwiegertante:

"Und Ihre Frau und Sie haben nicht vorher Einspruch erhoben, daß Ihr Lehrer Sie ohne Haltevorrichtungen auf halbwilden Thestralen reiten lassen wollte?" Julius bejahte es. "Dabei ging ich davon aus, daß Madame Mildrid Latierre die gesetzlichen Bestimmungen zur Benutzung von magischen Tieren für den Fracht- und Personentransport von jemandem gut genug gelernt hat. Ich halte ihr und auch Ihnen zu Gute, daß Sie als Schüler der Beauxbatons-Akademie gehalten sind, den Weisungen der Lehrer ohne Widerrede zu folgen und darauf zu vertrauen, daß der Lehrer oder die Lehrerin die Lage immer überblicken kann und jede mögliche Gefahr frühzeitig einschätzen und abwenden kann." Julius nickte bestätigend. Madame Rossignol sah Madame Maxime fragend an und ergriff dann das Wort:

"Das haben Madame Maxime und ich heute schon mit ihm geklärt, und ich habe Ihre Nichte ebenso daran erinnert, daß sie als Pflegehelferin jede mögliche Gesundheitsgefährdung erwähnen soll, um dem Lehrer die Gelegenheit zu geben, den Unterricht ohne die erkannten Gefahren zu erteilen. Allerdings hoffe ich sehr darauf, daß die Lehrer von Beauxbatons ihre Pflichten ernst genug nehmen, ohne von meinen Pflegehelfern auf für Leib und Leben gefährliche Umstände hingewiesen werden zu müssen."

"Das will ich sehr stark hoffen. Denn immerhin besuchen gerade zwei Töchter von mir die Akademie, und ich möchte als Mutter doch noch mit der Beruhigung schlafen können, daß ihnen hier nichts schlimmes passieren kann."

"Nichts für ungut, Madame Latierre. Aber dann dürften sie kein Quidditch spielen", wagte Julius einen Einwand. Babs sah ihn leicht verdrossen an, mußte dann aber wieder grinsen.

"Da gehe ich mal von aus, daß genug Fachkräfte vor ort sind, um bei möglichen Unfällen einzuschreiten. Abgesehen davon bekam ich von meinen Töchtern einenBrief, daß das Quidditchturnier dieses Schuljahr ausgesetzt wurde, weil der Invasionsversuch vom Freitag auf Samstag einige Verwandte der Mannschaftsmitglieder das freie Leben gekostet hat." Julius nickte.

"Möchten Sie zu dem Vorfall noch mehr wissen, Madame Latierre?" Fragte Madame Maxime.

"Ich weiß jetzt genug, bedauerlicherweise. Ich werde noch einmal Rücksprache mit Monsieur Pivert halten, ob ich ihn wegen der Gesetzesmißachtung gerichtlich belangen oder ihn zum Innendienst verpflichten soll. Ich ging eigentlich davon aus, daß mein Stellvertreter, Monsieur Moulin, Monsieur Pivert bestmöglich auf die Anstellung in der Akademie vorbereitet hat. Offenbar taugt er doch nicht zum Lehrer, sondern eher zum Forscher und Pfleger."

"Sie können ihm ja die Leitung des Zentaurenverbindungsbüros antragen", warf Madame Rossignol ungewöhnlich verächtlich ein.

"Die Leitung?" Fragte Babs Latierre. "Bote wäre im Moment wohl angebracht. Aber das mache ich davon abhängig, wie Monsieur Pivert sich weiter verhält. Bis jetzt habe ich keine Rückmeldung von ihm erhalten."

"Dann gilt nur noch zu klären, ob Sie mir einen wirklich geeigneten Ersatz für Monsieur Pivert empfehlen können, der Zeitnah den Fachunterricht praktische Magizoologie und die Arbeitsgruppe magische Tierwesen übernehmen kann", sagte Madame Maxime.

"Dafür bin ich hier", sagte Babs Latierre und öffnete die rote Drachenhaut-Handtasche. Die Schulleiterin deutete auf Madame Rossignol und Julius und bbat sie, sie nun mit der Besucherin allein zu lassen. Die Heilerin und der Pflegehelfer verabschiedeten sich höflich und verließen den Besprechungsraum. Sie wollten gerade durch das Bild mit der Wiesenlandschaft verschwinden, als Bernadette Lavalette darauf erschien wie aus einem Farbkleks aufgeblasen und dann in ihrer natürlichen Erscheinung herausfiel.

"Oh, du hier, Julius. Ist Madame Maxime zu sprechen?"

"Sie hat im Moment Besuch und möchte nicht gestört werden", sagte Madame Rossignol. "Dann warte ich hier", erwiderte Bernadette.

"Ist was im roten Saal passiert?" Fragte Julius.

"Nichts, was dich betreffen würde, Julius", knurrte Bernadette. "Ich wollte nur wissen, ob das mit Professeur Pivert stimt, daß er entlassen wurde." Julius nickte. Bernadettes Miene hellte sich merklich auf. Madame Rossignol ahnte wohl, was die schwarzhaarige Saalsprecherin der Roten im Sinn hatte und sagte:

"Bernadette, du hast eine Entscheidung getroffen, und die ist jetzt nicht mehr umzuändern. Das solltest du den Schulregeln entnehmen können."

"Woher wollen Sie wissen, was ich will?" Schnaubte Bernadette die Heilerin an. Diese straffte sich und erwiderte bedrohlich klingend:

"Mädchen, vorsicht. Ich habe den gleichen Respekt verdient wie die Lehrer hier. Also fauch mich bloß nicht an! Fünf Strafpunkte für diese nötige Ermahnung." Bernadette glotzte sie verärgert an, wagte jedoch kein Widerwort. Sie atmete tief durch und fragte dann, was mit dem Königspaar passiert sei, weil die Königin so selbstmitleidig aussähe und der König schadenfroh dreingeschaut und ihr den Durchlass angeboten habe. Julius sagte nur: "Intercorpores permuto." Bernadette überlegte und verstand.

Madame Rossignol und Julius ließen die Saalsprecherin im Wohn- und Arbeitsbereich der Schulleiterin zurück. Vom gemalten Königspaar kam keine weitere Bemerkung.

"Meinen Sie, die möchte wieder in den Unterricht rein, wenn Madame Maxime einen Nachfolger für das Fach hat?" Fragte Julius.

"So sah sie aus, Julius. Aber du kennst die Schulregeln wohl auch gut genug. Wenn du ein Fach nicht mehr besuchen willst, gilt das für den Rest der Schulzeit, egal, wer es unterrichtet. Sonst käme ja der ganze ZAG- und UTZ-Lehrplan durcheinander." Julius verstand und bemerkte dazu:

"Tja, das mag Madame Maxime ihr noch mal erklären, wenn die das echt vorhat."

"Der Wind hat nachgelassen. Wollt ihr gleich Quidditch trainieren?" Fragte die Schulkrankenschwester. Julius nickte. Auch wenn das Turnier nicht stattfand wollten die Quidditchinteressierten in Übung bleiben.

Es war zwar immer noch sehr windig draußen. Aber dem Sturm ging wohl endlich die Puste aus. So konnten die beiden zusammengefundenen Mannschaften des grünen Saales trainieren.

Abends im Zauberwesenseminar sprach Madame Maxime von Zentauren. Bedauerlicherweise hatte sie keinen der in Frankreich lebenden Mischwesen zwischen Pferd und Mensch dazu bewegen können, sich für junge Menschen zur Anschauung vorzustellen. Sie erwähnte dann noch:

"Eigentlich legen wir Hexen und Zauberer großen Wert auf eine friedliche Beziehung mit intelligenten Zauberwesen. Wir haben den Zentauren daher ein Büro für ihre Angelegenheiten im Ministerium eingerichtet. Allerdings hat sich dort bis Dato kein Zentaure eingefunden, um mit den dortigen Beamten über seine Anliegen zu verhandeln. Daher gilt das Zentaurenverbindungsbüro als eine Art Wartesaal zur Pensionierung oder Kündigung, falls ein Beamter sich für andere Aufgaben nicht mehr eignet oder in Ungnade gefallen ist, laut Vertrag aber nicht fristlos gekündigt werden kann." Alle lachten, vor allem Julius, der jetzt den Gag verstand, den sich die sonst sehr auf Haltung und Strenge bedachte Madame Rossignol geleistet hatte, als sie Pivert für das Zentaurenverbindungsbüro empfahl. Offenbar dachten die anderen ähnlich. Denn Marie van Bergen, die dieses Jahr auch im Seminar saß sagte frei heraus: "Das bieten sie dann wohl Monsieur Pivert an." Wieder lachten alle, und Madame Maxime ließ ihnen das fünf Sekunden durchgehen. Dann rief sie: "Beherrschen Sie sich, die Herrschaften! Monsieur Pivert hat sich in Beauxbatons nicht gerade gut empfohlen und sich einige Sympathien mit Ihren Mitschülern verscherzt. Aber Schadenfreude über die notwendige Entlassung ist nicht angebracht."

"Ich hörte da mal was, daß es seit elf Jahren eine neue Zauberwesenrasse geben soll, die im Moment nur aus sieben Exemplaren bestehen soll", warf Belisama Lagrange ein. "Meine Großmutter war im Sommer, wo bei denen Winter ist, da unten und hat mit einigen Leuten gesprochen, die diese Wesen gesehen haben wollen. Wissen Sie was davon, Madame Maxime?"

"Ich hörte Gerüchte, daß durch einen Apparierunfall eine Hexe mit einem Schaf verschmolz und nicht mehr zurückverwandelt werden konnte. In wie weit das zu einer neuen Zauberwesenrasse geführt haben soll ist mir nicht bekannt", sagte Madame Maxime. Julius überlegte kurz und bat ums Wort.

"Ich kenne wen in Australien, die Heilerin ist. Wenn das echt passiert ist, weiß sie das wohl. Wenn es keine Geheimsache ist kann sie mir das vielleicht ausführlicher erzählen. Wäre ja interessant, wie heute intelligente Zauberwesen entstehen können."

"Falls sie wahrheitsgetreue Angaben erhalten, Monsieur Latierre, wären Sie bereit, uns in einer der folgenden Seminarstunden einen Vortrag darüber zu halten?" Julius deutete mit der Erfahrung des eingesessenen Beauxbatons-Schülers die Frage als Aufforderung und antwortete: "Wenn meine Bekannte was davon weiß und es mir verraten darf ja, Madame Maxime."

"Hoffentlich kommt das ohne die ganzen Heilerfachbegriffe rüber", murrte Edith Messier aus dem violetten Saal. Julius versprach, nur allgemein verständliche Begriffe zu benutzen, wenn er den Vortrag vorbereitete.

Nach dem Seminar suchte er den Schlafsaal der Fünftklässler auf und fragte die gemalte Aurora Dawn, ob ihre natürliche Vorlage etwas von einem Vorfall gehört habe, wo jemand in Australien durch einen Zaubereiunfall mit einem Schaf verschmolzen sei. Die gemalte Ausgabe seiner australischen Brieffreundin sah ihn leicht verlegen an.

"Ach, hat wer doch diese Sache nach Europa getragen?" Seufzte sie. "Das habe ich als Lernheilerin im zweiten Jahr mitbekommen, wie es passiert ist", begann sie und erzählte Julius, wie sie damals mit ihrer Mentorin Bethesda Herbregis die durch ein zu hektisches Disapparieren und einen überalterten Zauberstab mit einem Mutterschaf verschmolzene Luella Fairsky behandeln wollte. Die Patientin habe jedoch zu viele Lebensgemeinsamkeiten mit dem mit ihrem Körper vereinten Tier aufgewiesen. Auch der Einsatz von Vielsaft-Trank habe ihr nicht helfen können. Im Gegenteil. Dadurch sei die Fusion zu einer Veränderung in ein Mischwesen ähnlich eines Zentauren passiert. "Die hat sich danach so wohl gefühlt, daß sie nicht mehr zurückverwandelt werden wollte. Hinzu kam, daß sie gegen Zaubertränke und Verwandlungszauber immun geworden war. Dann ist sie geflüchtet und hat ihren Mann entführt, um mit ihm ihre magische Veränderung zu reproduzieren. Ich kann dir das erzählen, weil die werte Neuschöpfung ein Jahr später unserer Zeitung, dem Stern des Südens, ein ellenlanges Interview gab, in dem sie betonte, daß ihr Mann sich sehr gut fühle, nachdem er erst unter den eingekreuzten Eigenschaften gelitten hätte. Dann irgendwann hätten sie sich erfolgreich fortgepflanzt. Sie hat es durchbekommen, als neue Zauberwesenart registriert zu werden, als australischer Wollmilchmensch. Mittlerweile haben die beiden ersten Exemplare fünf gesunde Kinder. Allerdings besteht wohl die Gefahr der Inzucht, falls die beiden Elternwesen nicht auf die Idee kommen, nach Wandlungswilligen Hexen und Zauberern zu suchen, die sich dem Umwandlungsprozeß unterziehen. Es hat zu einer Gesetzesergänzung beim apparieren geführt. Jede apparierfähige, magische Person darf erst dann disapparieren, wenn sie mehr als zwanzig Zentimeter von einem nichtmagischen Tier größer als eine Ziege entfernt ist. Seit an Seit darf nur appariert werden, wenn der führende Apparator einen Zauberstab besitzt, der nicht aus Eberesche und Einhornschweifkern besteht. Möchtest du das für Madame Maxime noch mal schriftlich haben?" Julius nickte eifrig. "Okay, schickt dir meine natürliche Vorlage dann per Expresseule zu", bestätigte die gemalte Aurora. Dann verschwand sie aus ihrem Bild, um den Auftrag an die natürliche Aurora Dawn weiterzugeben. Robert hatte dem zugehört und meinte:

"Schon krass, wie aus einem Unfall ein neues Zauberwesen werden kann. Ähm, Julius, Céline hat sich gerade mit Yvonne über die Kiste von heute Morgen unterhalten. Vielleicht will Piverts Prinzessin von dir auch noch mal hören, wie das mit dem Sturmritt war."

"Hmm, hat sie mich bisher nicht zu befragt. Aber ich habe ja noch bis zwölf Uhr Zeit. Ich geh dann mal runter, Robert. Willst du dich schon hinlegen?"

"Nöh, wollte noch ein bißchen lesen. Hier geht das besser als unten im Aufenthaltsraum. Ich sage aber schon mal gute Nacht."

"Geht klar, Robert", erwiderte Julius und verließ den Schlafsaal.

Im Aufenthaltsraum redete er noch einmal mit Yvonne Pivert über den Rauswurf ihres Vaters. Anders als er gedacht hatte war sie nicht enttäuscht oder wütend, sondern meinte nur, daß er früher schon wenig von ausreichender Absicherung gehalten habe und das hier natürlich leicht danebengehen konnte. Sie meinte dann: "Könnte sein, daß deine Schwiegertante selbst hier unterrichtet. Die haben für junge Mütter auch Sonderrechte, sonst könnten die ja nur alte Jungfern einstellen." Julius erinnerte sich, daß Catherine mal erwähnt hatte, daß sie als Baby so lange in Beauxbatons gewohnt hatte, bis sie im Krabbelalter war. Dann sei sie tagsüber von ihrer Tante Madeleine betreut und abends von ihrer Mutter in Millemerveilles zur Nacht gebettet worden.

"Ich denke aber nicht, daß Madame Barbara Latierre sich hier hinstellt und junges Volk unterrichtet. Abgesehen davon hat sie ja den Hof mit den fliegenden Kühen, der versorgt sein will."

"Hast recht, Julius. Aber wer könnte mal so spontan hier als Lehrer anfangen, bevor Madame Maxime die Krise kriegt?"

"Ich kenn' mich da nicht aus, Yvonne", sagte Julius ruhig. Sie nickte.

Gegen elf Uhr legte er sich dann ins Bett. Millie mentiloquierte noch einmal mit ihm und verriet ihm, was sie in der Verwandlungsstunde herausgefunden hatten. "Monju, wenn das stimmt, was die mir alle gesagt haben, schlummert eine Braunbärin in meinem tiefsten Inneren. Das mußt du dir mal vorstellen!" Julius erwiderte darauf nur, daß er es auch keinem geglaubt hätte, wenn ihm wer erzählt hätte, daß er in sich die Natur eines weißen, afrikanischen Elefanten trüge. "Dann noch gute Nacht, Monju." Er erwiderte den Gruß und legte sich zurecht, um zu schlafen. Morgen mußte er wieder wecken gehen. Hoffentlich war morgen besseres Wetter. Und hoffentlich passierte diese Nacht nicht wider was, was die Welt erschütterte.

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"Wie viele von den Incantivakuum-Kristallen haben wir noch?" Fragte Minister Grandchapeau besorgt. Belenus Chevallier blickte seinen Vorgesetzten sorgenvoll an.

"Wir haben gestern zwanzig der fünfzig verbraucht, die wir hatten. Die Herstellung eines Kristalls dauert wie Sie wissen zwei Monate. Wenn die uns jetzt jede Nacht mit dieser Wucht angreifen, und wir weiterhin mit Incantivakuum-Kristallen gegen die kämpfen wollen, sind wir übernächste Nacht wieder da, wo wir am Freitag schon waren."

"Nur mit dem Unterschied, daß es dann mehr als hundert Dementoren weniger auf der Welt gibt und die anderen wohl zusehen, einzeln anzugreifen, um nicht von ihren in Rauch aufgehenden Kameraden mitgenommen zu werden."

"Ich habe mit unseren Geheimniskrämern aus der Mysteriumsabteilung schon gesprochen, ob man den Entstehungsprozeß von Dementoren nicht umkehren kann. Wir könnten dann eine Art Infanticorpore-Fluch gegen Dementoren erfinden oder auf Balders Methode aufbauend einen Zauber, der die Dementoren sofort erledigt, wenn sie in unser Gebiet eindringen. Dieser Hurensohn in England hat ja auch einen Fluch gewirkt, der im Ausland geborene Hexen und Zauberer umbringt. Muggel bleiben davon wohl unberührt."

"Magie gegen Magie, Belenus. Abgesehen davon hat dieser Verbrecher bestimmt mehrere Menschenleben dafür geopfert, um diesen Fluch auszubreiten. Ich werde nicht so skrupellos sein, wenn das die einzige Methode wäre, Dementoren von weiteren Überfällen abzuhalten."

"Es sei denn, dieser Vernichtungsfluch könnte durch die Vernichtung von Dementoren hervorgebracht werden, Herr Minister. Es würde vielleicht schon reichen, ihre dunkle Aura zu zerstreuen. Wie wir beide wissen kostet es sie Kraft, um sie auszudehnen. Nur wenn genug fühlende Wesen in der Nähe sind, lohnt sich das. Ist genauso wie beim jagen und Essen."

"Professeur Tourrecandide hat gesagt, daß wir beim nächsten Mal, wenn wir welche vernichten, den schwarzen Qualm sammeln sollen, in den die sich auflösen. Vielleicht reicht bereits eine kleine Menge, um einen Dementor damit zu vergiften", wandte der Minister ein.

"Die ist lustig. Wenn wir die Kristalle werfen, müssen wir selbst mehr als zwölf Meter weg sein. Jede Magie wird bei der Explosion zerstreut. Da können wir den rußigen Qualm von denen nicht einsaugen oder anders auffangen. Wenn sie wieder so feine Ideen hat, möchte sie zu mir kommen und mir eine Patentlösung anbieten, um sie auch umzusetzen", knurrte Chevallier.

"Hat sie schon: Muggelgeräte. Es soll welche geben, die Luft einsaugen und in Tanks zusammendrücken, bis sie flüssig wird."

"Klar, und wir sollten dazu ein paar Muggel anheuern, die diese Dinger auch bedienen können, wie?" Fragte Chevallier. "Wir haben schon genug damit zu tun, diese Biester zurückzuschlagen. Andauernd Muggel herumzuführen, die Dementorenrauch einsaugen sollen braucht mehr Leute. Abgesehen davon müßten Sie, Herr Minister, dann die Geheimhaltung auf den Müll werfen. Wir finden hoffentlich eine bessere Methode, oder kaufen Incantivakuum-Kristalle von anderen an."

"Da bleiben nicht viele, Belenus. "Außer in den Staaten und Deutschland gibt es die ja nur in Großbritannien."

"Dann fragen Sie bitte Ihren Kollegen Wishbone, ob er uns gegen eine entsprechende Entschädigung alle bei ihm herumliegenden Kristalle überläßt, weil ich denke, daß Zaubereiminister Güldenberg selbst genug mit Dementoren zu kämpfen hat", wandte Chevallier ein. Der Zaubereiminister grummelte nur und erwiderte dann:

"Ich habe Ihnen und allen anderen Abteilungsleitern den Brief meines neuen Amtskollegen in den Staaten zu lesen gegeben. Er bedauert uns mitzuteilen, daß er auf Grund in den Staaten und Südamerika auftretender Unruhen in der Zaubererwelt die mit seinem Vorgänger Cartridge vereinbarten Hilfsvereinigungen zurückstellen müsse, bis die Unruhen beseitigt seien. Die akute Gefahr aus Großbritannien habe sich bereits bis Kanada ausgebreitet, und daher gelte es, sämtliche Zuwege von dort und von Europa aus bis auf weiteres zu schließen und alle magischen Verkehrslinien zu unterbrechen."

"Rabenaas! Der macht alle Türen zu und hofft, von den Zauberern und Hexen aus seinem Land als großer Held verehrt zu werden, der die Gefahr aus dem alten Europa abgewehrt hat. Dabei haben die letztes mal, wo der Verbrecher sein Unwesen getrieben hat, so überheblich behauptet, ihre Leute könnten schnell mit diesem Mörder abrechnen. Ich habe den Westwind von vor zwei Wochen noch, Minister Grandchapeau. Darin spricht dieser Isolationist davon, daß wieder einmal versucht werde, die amerikanische Zauberergemeinschaft zu unterwerfen und zu Sachen zu zwingen, die sie nicht beträfen. Der verfolgt eine ganz andre Politik als Cartridge."

"Cartridge hätte sich der Wahl stellen müssen", knurrte Grandchapeau. "Womöglich könnten wir der Plage dann mit seiner Hilfe Herr werden."

"Sie wissen, warum er zurückgetreten ist, Minister Grandchapeau", grummelte Belenus Chevallier. Da klopfte es. Sofort rief der Minister ungesagt den neuen Schutzbann gegen feindliche Eindringlinge auf. Man konnte ja nie wissen. Dann rief er "Herein!"

Hereintrat ein hagerer Zauberer mit dunkelbraunem Haar und Schnurrbart. Er begrüßte den Minister und Monsieur Chevallier und blickte dann den Minister mit seinen smaragdgrünen Augen an.

"Minister Grandchapeau, wielange gedenken Sie noch, die magische Gemeinschaft im Glauben zu lassen, daß wir die nächtlichen Eindringlinge mit den bisherigen Methoden länger als einen Monat zurückdrängen können?" Fragte er mit sonorer Baritonstimme. Minister Grandchapeau sah ihn verwundert an. Er war es zwar gewohnt, daß sein Schwiegeronkel, Janus Didier, gerne an seiner Amtsführung herumkritisierte, aber das tat er nur schriftlich oder im Familienkreise. Ihm hier und jetzt Vorhaltungen zu machen hatte er sich bisher nicht gewagt, weil er das Amt des Ministers nicht beschädigen wollte und trotz des höheren Alters dem Minister als Leiter der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit untergeordnet war.

"Monsieur Didier, Sie möchten wissen, ob ich schon mit dem Gedanken gespielt habe, die Beschränkungen für die Strafverfolgung aufzuheben und bei Bedarf eine Wehrpflicht für alle Hexen und Zauberer zwischen siebzehn und neunzig Jahren ausrufe? Ja, mit dem Gedanken habe ich schon gespielt, ihn aber sehr schnell wieder fallen gelassen. Wenn wir alle Hexen und zauberer zu Kriegsdienern ausrufen, hat der Feind, dessen Namen wir alle kennen, bereits gewonnen. Denn wenn ich die magische Militarisierung anordne, müßte ich auch sämtliche Privatvermögen beschlagnahmen lassen, um die Verdienstausfälle für zur Abwehr einberufener Zauberer und Hexen zu decken. Das wiederum würde die Kobolde gegen uns aufbringen, und einen französischen Koboldaufstand können wir jetzt am wenigsten gebrauchen, zumal diese Kobolde dann leicht für die Verlockungen des britischen Erzfeindes empfänglich wären oder einen Nebenkriegsschauplatz eröffnen, wenn sie gleich noch gegen die Zwerge kämpfen."

"So, dann können diese Dementoren uns jetzt jede nacht heimsuchen und sich irgendwann festsetzen. Spätestens dann hat der Feind gewonnen, Herr Minister. Deshalb komme ich zu Ihnen, um Sie aufzufordern, alle nicht relevanten Abteilungen zu schließen und deren Außendienstmitarbeiter im Kampf gegen die Angreifer einzusetzen, oder die vollständige Mobilmachung zu befehlen, um alle verfügbaren Zauberer und Hexen gegen die Bedrohung einzusetzen. Ich bekomme es doch von anderen Ministerien mit, daß wir im Moment die einzigen sind, die von Dementorenangriffen drangsaliert werden, seitdem Deutschlands Minister Güldenberg alle seine Schutztruppen verdreifacht und mehrere hundert Dementoren erfolgreich zurückgeschlagen und dabei sogar vernichtet hat. Wir müssen das auch tun, Herr Minister."

"Wir arbeiten an wirksamen Fallen und Gegenzaubern gegen Dementoren, Janus. Wir halten uns noch gut, ohne die öffentliche Ordnung umzustoßen."

"Herr Minister, ich muß es leider sagen, daß Sie zu sehr darauf bauen, daß der Feind es nur bei Dementorenangriffen beläßt", knurrte Didier. Chevallier grinste verächtlich und warf ein: "Nur ist gut, Janus." Der Minister sah seinen Schwiegeronkel sehr eindringlich an und sagte:

"Janus, Sagen Sie es doch: Sie wollen die Generalbewaffnung, will sagen, daß alle die einen Zauberstab führen können und über siebzehn sind ab sofort gegen die Dementoren und was auch sonst noch kommt kämpfen."

"Vor allem, daß sie nach den ganzen Demütigungen einen Vergeltungsangriff auf Großbritannien führen, um den Herd der Bedrohung zu löschen", warf Didier ein. Sein Kollege Chevallier starrte ihn an und sagte:

"Das ist schon geklärt, daß wir keine Chance haben, den Drachenkötel auf eigenem Territorium anzugreifen, Janus. Der hat einen Fluch ausgerufen, der alle nicht dort selbst geborenen Hexen und Zauberer tötet, aber zumindest bis zur Handlungsunfähigkeit schwächt. Wie viele Hexen und Zauberer wollen Sie auf diese Weise umbringen, Janus?"

"Das mit dem Fluch ist reine Propaganda. Die fünf Leute von uns, die seit August verschwunden sind, werden wohl gefangen gehalten oder wurden durch Schlaf- oder Verwandlungszauber aktionsunfähig gemacht. Sie kennen wie ich die neueste Forderung von Thicknesse, dem "neuen Zaubereininister" Großbritanniens", erwiderte Didier.

"Ich kann mich erinnern, daß ich die am Montag nach dem ersten großen Angriff erhalten und vorgelesen habe", sagte der Minister kalt. "Er behauptet darin, daß wir in unser Land geflüchtete Kriminelle beherbergen und ihnen ministeriellen Schutz gewähren. Das sieht er als Einmischung in die inneren Angelegenheiten Großbritanniens und als kriegerischen Akt an. Er verlangt die Auslieferung der auf einer Liste aufgeführten Leute, von denen ich ganz genau weiß, daß die sich keine Verbrechen gegen welche magische Gemeinschaft auch immer haben zu Schulden kommen lassen. Dieser Wahnsinnige will Muggelstämmige und ihre Familien auslöschen, weil er der Ansicht anhängt, nur reinblütige Zauberer dürften Magie ausüben. Sie kennen die abstrusen Theorien, die im britischen Tagespropheten verbreitet werden."

"Vielleicht sollten sie die auf der Liste aufgeführten Personen aus Frankreich ausweisen und in ein sicheres Drittland schaffen, beispielsweise die vereinigten Staaten oder ein Land auf dem südamerikanischen Kontinent. Mittlerweile weiß ich, daß Dementoren jetzt schon in Algerien, Tunesien und Marokko angekommen sind. Die greifen jedoch nicht die Städte an, sondern sichern nur die Küsten ab, um ihre Truppen unangefochten über das Mittelmeer gelangen zu lassen."

"Ach, dann sind in Ägypten noch keine?" Fragte Chevallier verächtlich. Auch er hatte die Nachrichten aus Nordafrika erhalten.

"Offenbar können die Ägypter diese Plage wirkungsvoll zurücktreiben. Mein korrespondierender Kollege in Kairo schrieb mir was von alten Segenszaubern des Ra, wer immer das sein soll", sagte Didier.

"Hups, das wissen Sie nicht, Janus?" Staunte Belenus Chevallier. "so hieß ein früher von ihnen angebeteter Sonnengott. Und Sonne gibt's da unten ja reichlich. Wohl auch ein Grund, warum sich die Dementoren nicht weiter ins afrikanische Land reintrauen." Janus Didier nickte verhalten. Dann wiederholte er, daß man die von den Briten als Verbrecher bezeichneten Muggelstämmigen aus anderen Ländern ins unbedrohte Ausland schicken möge.

"Abgesehen davon, daß ich dann diesem Wahnsinnigen beipflichten würde, daß muggelstämmige Hexen und Zauberer Verbrecher seien wäre das sehr feige und würde innerhalb der Bevölkerung keinen Rückhalt finden, Janus. Und dann? Schicken wir die aus dem Ausland stammenden Muggelstämmigen und ihre Familien weg, kriegen wir keine Woche später die nächste Forderung, alle bei uns geborenen Muggelstämmigen einzusperren, auszuweisen oder diesen Reinblütigkeitsfanatikern auszuliefern. Ich habe den Schrieb dieser Dolores Umbridge noch in meinem Schreibtisch, die mir unterstellt, einen Jungen, der verpflichtet sei, nach Hogwarts zu gehen, widerrechtlich in Frankreich zurückzuhalten und ihn den Lehrern von Beauxbatons zur Bewachung gegeben hätte. Diese Dame ist entweder selbst größenwahnsinnig oder dem Imperius-Fluch unterworfen. Anders kann ich mir diese undiplomatische, ja beleidigende Forderung nicht erklären."

"Sie haben uns die Liste nicht gegeben, Minister Grandchapeau", grummelte Didier. "Vielleicht wäre es hilfreich, die darauf aufgeführten selbst zu befragen, ob Sie nicht in ein sicheres Drittland ausreisen möchten."

"Wußte gar nicht, daß Sie so ein Feigling sind, Janus", schnarrte Belenus Chevallier. Die Leute kamen freiwillig zu uns herüber und haben sich hier eingebürgert. Sie jetzt auszuweisen wäre ein unverantwortliches Zugeständnis an diese Bande auf den zwei Inseln."

"Dann nennen Sie mir bitte Ihr weiteres Vorgehen, um die Dementoren wirkungsvoll und nachhaltig von unserem Land fernzuhalten, Belenus!" Schnarrte Didier.

"Wir arbeiten an einer Vernichtungswaffe, die nicht nur ein paar Dementoren zerstören kann, sondern jeden, der es wagt, seinen kalten Schatten über unser Land zu legen", erwiderte Belenus Chevallier. Soviel dazu. Denn das wie geht nur meine Abteilung und die Mysteriumsabteilung etwas an. Sie kümmern sich bitte um die getroffenen Vereinbarungen mit den anderen Zaubereiministerien! Jetzt, wo in den Staaten ein Minister amtiert, der meint "Alle Türen und Tore zu und nichts mehr reinlassen" sei die ideale Politik, ist der Zusammenhalt der übrigen Zaubereiministerien um so wichtiger."

"Sie wagen es, mir Anweisungen zu erteilen, Belenus?" Fragte Janus Didier sehr verärgert. Der Minister sah Monsieur Chevallier an und dann seinen Schwiegeronkel:

"Ich bin geneigt, seinen Vorschlag als ministerielle Anweisung zu bestätigen, Monsieur Didier. Die Generaleinberufung findet bis auf weiteres nicht statt. Ein Gegenstoß auf die britischen Inseln wäre durch den Fluch, der existiert, zum scheitern verurteilt. Ich habe genug deutliche Hinweise für die Existenz dieses Fluches. Schon einmal was von Klingsor gehört?"

"Ein schwarzer Magier zur Zeit merlins", erwiderte Didier. "Er umgab seine Burg mit einem Fluch, der jeden Feind auf der Stelle tötete, um Merlin und den von ihm angeleiteten König zurückzuhalten. Er konnte erst besiegt werden, als seine einzige Tochter Adelaide von Merlins Schüler Kevin geschwängert wurde und er damit als Vater von Klingsors Enkel durch die Barriere gelangte und den alten Hexer im magischen Duell entmachtete. Klingsor starb, weil seine Magie sich nach der Niederlage gegen ihn selbst richtete", sagte Didier. "Ich habe Zaubereigeschichte als UTZ-Fach behalten, Herr Minister."

"Und diesen Fluch hat unser Feind jetzt wohl selbst wiederbelebt, und zwar so mächtig, daß er das ganze Gebiet der beiden Hauptinseln umfaßt. Die Hebriden und andere Inselgruppen scheinen davon unberührt zu sein."

"Sie scheinen, Herr Minister?" Hakte Didier nach.

"Sie liegen zu weit abseits und sind an und für sich nicht besonders wichtig, weil dort außer den McFustys und den Quintapeds keine magischen Personen oder Lebewesen leben", erwiderte der Minister. "Das müßten sie eigentlich wissen, Janus." Er vermied die persönliche Anrede "Onkel", solange sie in seinem offiziellen Büro saßen.

"Nun, dann müßten wir nur herausfinden, ob er, dessen Namen wir nicht nennen dürfen, Kinder hat, die ihm fortpflanzungsfähigen Alter sind", grummelte Janus Didier. "Also, was wissen wir über den, Belenus?"

"Die Frage reiche ich mal zurück, weil Sie dieselbe Antwort darauf geben, die ich geben würde", erwiderte Belenus Chevallier. Didier nickte verdrossen. Der Minister wandte ein, daß die Liga gegen die dunklen Künste mehr von ihm wissen könne. So beschloß er, die führenden Mitglieder der französischen Sektion am nächsten Tag zu befragen. Didier bemerkte dazu nur, daß bis daahin sämtliche Dementoren über Frankreich herfallen und es überrollen könnten.

"Wir wissen nicht, wie viele Dementoren es mittlerweile gibt. Die Todesser und das wohl mit sehr großer Wahrscheinlichkeit von ihnen kontrollierte Zaubereiministerium haben sie in den letzten zwei Jahren ja kultiviert."

"Und dann wagen Sie es noch, das wirklich einzige Mittel zu verweigern, diese Brut zu bekämpfen?!" Entrüstete sich Didier unangemessen lautstark.

"Hier, in meinem Büro, schreit mich niemand an", polterte der Minister zurück. "Glauben Sie, Monsieur Janus Henri Philippe Didier, daß unsere familiäre Beziehung oder der Altersunterschied von Ihnen zu mir Sie dazu berechtigt, Ihren Vorgesetzten derartig ungehörig anzubrüllen? Ich schreibe Ihnen diese ungeheuerliche Renitenz auf Grund der gegenwärtigen Ausnahmesituation und der späten Tageszeit zu. Ansonsten verlange ich jetzt von Ihnen, daß Sie auf der Stelle mein Büro verlassen und mich erst wieder zu kontaktieren wagen, wenn Sie Ihre Selbstbeherrschung und Disziplin wiedergefunden haben. Hinaus!"

Janus Didier blickte den Minister wütend an. "Soll ich die Wachen rufen oder Sie mit dem Zauber für unerwünschte Eindringlinge entfernen lassen?" Zischte Grandchapeau. Didier zischte darauf nur: "Das war nicht das letzte Wort in dieser Sache, Herr Minister Grandchapeau. Wenn Sie nicht entscheiden können, was für unser Land gut ist, dann wird es mit Ihnen wohl zu Grunde gehen. Doch die magische Bevölkerung wird Ihnen wohl bald schon die gebührende Antwort geben." Er machte auf den Absätzen seiner Drachenlederschuhe kehrt, daß sein Umhang wild wehte. Dann verschwand er durch die Tür.

"Armand, ich fürchte, Ihr Schwiegeronkel hat sich soeben zu einem ernsten Rivalen um Ihr Amt erklärt", sagte Chevallier betrübt.

"Er wollte mir den diesem Amt gebührenden Respekt nicht zollen, nur weil seine Nichte meine Frau ist, Belenus. Er hat genauso wie Sie oder ich einen Eid schwören müssen, der magischen Gemeinschaft zu dienen, das ihm gegebene Amt auszuüben, um jeden Schaden von der magischen Gemeinschaft abzuwenden. Er muß den amtierenden Minister respektieren. Daß ich es gerade bin darf ihn nicht davon abbringen. Was er mir in privater Runde sagt oder abverlangt kann in den entsprechenden vier Wänden bleiben. Aber hier gilt das Wort des Zaubereiministers. Und solange die magische Gemeinschaft noch Vertrauen in mich setzt bin ich das", sagte Grandchapeau.

"Er wird zum Zauberspiegel rennenund dort Krach schlagen, weil Ihr Ansehen durch die Attacken der Dementoren stark angekratzt ist", warnte Chevallier seinen Schulfreund und derzeitigen Vorgesetzten.

"Wenn er mir einen legitimen Grund liefern möchte, ihn als derzeitig unzumutbaren Unruhestifter oder Aufwiegler festnehmen zu lassen mag er das tun."

"Nur, wenn Sie seinem Wunsch nachkommen und den Ausnahmezustand ausrufen, Minister Grandchapeau. Denn solange das nicht passiert darf er seine Meinung äußern, wie alle anderen Hexen und Zauberer in Frankreich." Der Minister nickte verdrossen. Sein Mitarbeiter hatte leider recht. Andererseits würde er jedem Reporter, der eine Entgegnung von ihm haben wollte, die Folgen des Ausnahmezustandes aufzeigen. Dann sollte die magische Gemeinschaft befinden, wem sie lieber folgen würde, einem Kriegstreiber oder einem besonnenen Minister, der die Gefahr mit Ruhe und verhältnisgerechten Mitteln bekämpfen würde.

"Für heute reicht es wohl, Belenus. Ich geh in meine Privaträume."

"Sag Nathalie auch eine gute Nacht von mir!" Entgegnete Belenus Chevallier, das Protokoll einmal vergessend. Der Minister nickte und verschwand durch die nur ihm zugängliche Tür zu den Privaträumen. Belenus Chevallier verließ das Ministerbüro, das hinter ihm magisch verriegelt wurde. Er dachte an das, was Janus Didier gefordert hatte. Er selbst hatte auch schon gedacht, die Schutztruppen durch eingezogene Hexen und Zauberer zu verstärken. Doch die würden dann anderswo fehlen. Noch konnten sie so durchhalten. Die Frage war nur, wie lange noch.

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In der Nacht hatte es keinen neuerlichen Dementorenüberfall gegeben. Offenbar mußten die düsteren Helfer Voldemorts erst einmal mit der Situation fertig werden, daß man ein Vernichtungsmittel gegen sie gefunden hatte. Bis zur Nachmittagsstunde verlief der Unterricht wie üblich. Als Madame Maxime die ZAG-Klasse in Magizoologie im Vorbereitungsraum begrüßte, wollte sie von allen wissen, ob der Ritt durch den Sturm ihnen ziemlich zugesetzt hatte. Alle sagten, daß sie schon ziemliche Angst gehabt hätten. Als sie dann bekräftigte, daß sie heute noch einmal mit Thestralen zu tun bekämen, erfolgte ein leises Murren. Sie machte "Schsch" und sagte dann sehr entschlossen: "Messieursdames und Mesdemoiselles, wer sich mit magischen Tierwesen befassen will, muß lernen, seine Ängste zu überwinden und bittere Erfahrungen nicht als Hemmung, sondern als Motivation für den kontrollierten Umgang mit Zaubertieren zu empfinden. Daher werde ich Sie alle heute noch einmal mit diesen Tierwesen arbeiten lassen. Sollte jemand das ablehnen, so steht ihr oder ihm frei, den Unterricht hier und jetzt für den Rest der Schulzeit zu beenden. Ich werde mich, solange ich pro Tempore dieses Fach unterrichte, nicht mit Schülern befassen, die aus lauter Angst jede Motivation vermissen lassen, die vorgestellten Tierwesen zu erkunden und ihre Eigenschaften in der Praxis zu erleben. Was immer mein Vorgänger mit Ihnen gestern unternommen hat, in der Grundhaltung stimme ich mit ihm überein, daß Thestrale sehr nützliche Reittiere sind und sogar auf dem Boden gute Dienste leisten. Wo werden Thestrale hauptsächlich als Zugtiere eingesetzt?" Fragte sie. Erst zeigte keiner auf. Dann meldete sich Julius. Madame Maxime nickte.

"Soweit ich weiß, werden Schülerinnen und Schüler in Hogwarts, die mit der ersten Klasse durch sind, nach der Ankunft in Hogsmeade mit Kutschen abgeholt, die von Thestralen gezogen werden. Als ich das letzte Mal in Hogwarts als Schüler war, habe ich diese Tiere nicht sehen können. Aber ich erfuhr, daß es wohl Thestrale seien, die die Kutschen ziehen." Die anderen sahen ihn fragend an, schwiegen jedoch. Das hätte er doch gestern schon erzählen können. Gaston zeigte auf.

"Nichts für ungut, Madame Maxime. Aber ich habe gestern gedacht, nicht lebend von diesem Tier runterzukommen. Das können Sie nicht machen, uns so kurz danach wieder auf diese Gespenstertiere draufzusetzen."

"Das denke ich schon, daß ich das machen kann, Monsieur Perignon", erwiderte die provisorische Lehrerin. "Und falls Sie das nicht erleben möchten, wie gut ich das kann, und falls noch jemand diesen Einwand hat, die heutige Unterrichtsstunde wie angekündigt zu verbringen: Da ist die Tür. Auf nimmer Wiedersehen!" Sie deutete mit ihrer opalgeschmückten Rechten auf die Klassenzimmertür. Julius zeigte noch einmal auf. Die Lehrerin sah seine entschlossene Miene und nickte ihm zu.

"Leute, ich habe mal als kleiner Junge auf einem Pony, also einem kleinen Pferd gesessen. Eine Grundschulkameradin ist von einem richtig großen Pferd abgeworfen worden. Die hatte auch erst Angst. Aber dann ist sie wieder aufgestiegen, weil sie weiterreiten wollte. Ihre Mutter hat damals gesagt, daß man so schnell wie möglich wieder aufsteigen soll, wenn man abgeworfen wurde, weil sonst die Angst nicht weggeht. Ähnliche Erfahrungen habe ich beim Fahrradfahren gemacht, wo ich auch mehrmals runtergefallen bin. Ein Fahrrad ist ein Fahrzeug mit zwei Rädern, das mit den Füßen auf Pedalen angetrieben wird."

"Ja, und wenn sich jemand die Knochen bricht kann er oder sie natürlich schnell wieder aufsteigen", moserte Plato Cousteau. "Vor allem, wenn man dabei ziemlich weit hoch in der Luft mit Besenfluggeschwindigkeit geflogen ist. Dann ist das einzige, was dann noch aufsteigt die eigene Seele, wenn der Körper unten aufklatscht."

"Das Angebot mit der Tür gilt immer noch", wandte Madame Maxime ein. Außerdem gab sie Plato fünf Strafpunkte wegen unaufgeforderten Redens. Millie hob die Hand und wartete brav, bis ihr Madame Maxime zunickte.

"Julius hat recht, Leute. Wir haben schon einige Tiere hier zu sehen gekriegt, die nicht einfach sind. Kniesel können auch gefährlich werden, wenn man sie falsch anfaßt. Und bei den Hippocampi letzte Woche hätte wohl jemand, der Angst vor Wasser hat, noch größere Probleme gekriegt. Mit den Hippogreifen ging's doch auch, und die meisten hier fliegen auf Besen oder möchten bei Walpurgis wieder hinter einer Hexe ihres Vertrauens sitzen. Außerdem ist heute gutes Wetter."

"Ja, aber 'nen Besen kann ich steuern, auch wenn's stürmt. Aber diese unsichtbaren Flügelbiester sind ja total hibbelig gewesen", sagte Gaston, der auch ums Wort gebeten hatte. Madame Maxime räusperte sich vernehmlich und deutete noch einmal auf die Tür. Dann sagte sie unumstößlich:

"Sie haben jetzt die Wahl, alleine durch diese Tür da zu gehen und den Rest Ihres ZAG-Jahres ein Unterrichtsfach weniger zu haben, aber dafür auch ein höchstinteressantes Studienfeld aufzugeben. Oder Sie folgen mir gleich alle nach draußen und tun, was ich Ihnen sage. Wer mit mir hinausgeht und meine Anweisungen nicht befolgt, erhält zum Ausschluß aus dem weiteren Unterricht dreihundert Strafpunkte wegen Gehorsamsverweigerung. Also bitte!" Leises Murmeln erfüllte zwei Sekunden lang den Raum. Gaston stand auf, sagte: "Ich lasse mich nicht noch mal von diesen störrischen Kläppern fast runterschmeißen." Dann verließ er die Klasse durch die Tür. Die anderen überlegten wohl. Doch keiner folgte Gaston.

"Gut, damit wäre es in diesem Jahr schon der dritte Abgang aus diesem Fach", stellte Madame Maxime fest. Julius nickte. Bernadette hatte geschmissen. Hercules war rausgeflogen, und Gaston kniff jetzt. Die übrige Klasse hatte wohl seine und Millies Worte verstanden. Sie folgte Madame Maxime nach draußen und stellte sich auf. Sie rief nur zwei Thestrale herbei und verschaffte sich Zaumzeug und Sättel mit Ledergurten, die um Schulter und Taille gelegt werden konnten. Dann ließ sie jeweils zwei Schüler einige Runden fliegen, wobei sie selbst auf einem extralangen und stabilen Besen saß, den Julius vom trimagischen Turnier her kannte. ER schmunzelte, als er daran dachte, wie er die übergroße Dame einmal zum Sturzflug hinter sich her verführt und so in den schwarzen See hatte plumpsen lassen. Nachdem alle Schüler die geheimnisvollen Pferdewesen unter kontrollierten Bedingungen geflogen hatten, verkündete Madame Maxime, daß in der nächsten Stunde Niffler an die Reihe kämen. Bis dahin sollten die Schüler als Hausaufgabe alles über Thestrale zusammenschreiben. Ob sie dann diese Arbeit bewerten würde oder ihr Nachfolger sei noch zu klären.

"Ich glaube, Gaston wird wohl bei euch arge Schwierigkeiten kriegen, wenn Robert und die anderen Jungs aus deinem Saal das mitkriegen", sagte Millie während der Zaubertrank-AG. "Der saß doch bei dir hinten drauf."

""Das wird's wohl gewesen sein, Millie. Der mußte ja mitkriegen, wie Madame Rossignol und ich Pivert zurückrufen wollten. Ihr anderen konntet ja einigermaßen kontrolliert weiterfliegen."

"Ja, aber du hast gesagt, du wolltest wieder aufsteigen", sagte Millie. "Damit hast du klargemacht, daß du echt nicht in den grünen Saal reingehörst, sondern bei uns hättest hingesteckt werden müssen."

"Das hat mit Mut oder Leichtsinn nichts zu tun, sondern damit, daß ich mich von diesen Gespensterpferden nicht um das interessante Schulfach bringen lassen wollte. Außerdem weiß ich ja noch nicht, ob ich das nach Beauxbatons nicht brauche."

"Ach neh, hat Tante Babs das anklingen lassen, daß du mit mir auf ihrem Hof wohnen sollst?" Fragte Millie verwegen lächelnd.

"Das nicht. Aber ich möchte schon die Auswahl haben, welchen Weg ich in der Zaubererwelt machen will."

"Dann hättest du noch Muggelkunde nehmen sollen, Julius. Da hättest du eine Steile Karriere bei Belles Mutter im Büro machen können."

"Ich weiß nicht, ob ich im Ministerium anfange, Millie. Vielleicht mache ich das aber auch so, daß ich bei Madame Dusoleil in der grünen Gasse anfange", räumte Julius ein.

"Ich glaube nicht, daß du das ganze Leben lang nur in Millemerveilles rumhängen willst. Ferien sind schön da. Aber da leben könnte öde werden", wandte Millie ein. "Caro gefällt's zwar da. Aber ob die wen findet, der mit ihr da leben will weiß ich nicht."

"Hmm, nichts für ungut. Aber in dem Schloß von Oma Line zu leben wäre auf die Dauer auch langweilig."

"Zumindest hätten wir da genug Kinderzimmer", konterte Millie. Julius mußte schnell schalten, um nicht wieder auf Millies Lieblingsthema zu kommen.

"Die sind alle schon verplant, wenn die ganz jungen Tanten und Onkel mehr Platz brauchen."

"Gute Antwort, Julius", grinste Millie. Dann konzentrierte sie sich wieder auf den Zaubertrank, an dem sie gerade saßen.

Abends war noch die Holzbläsergruppe, wo Céline und Julius noch einmal das Duett probten, was sie einmal vorgespielt hatten.

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Donnerstags erschien ein Artikel in der Zeitung, der Julius an den Rand seiner Selbstbeherrschung trieb.

GEFAHR FÜR DIE FRANZÖSISCHE ZAUBERERGEMEINSCHAFT

DEMENTOREN JAGEN FLÜCHTLINGE AUS ENGLAND

Wie uns aus gut unterrichteten Kreisen des französischen Zaubereiministeriums mitgeteilt wurde, ist der Grund für die in den letzten Tagen häufig aufgetretenen Überfälle der Dementoren wohl darauf zurückzuführen, daß das britische Zaubereiministerium Grund zu der Annahme hat, Frankreich gewähre flüchtigen Verbrechern nicht nur Unterschlupf, sondern auch Unterstützung bei ihren Untaten, die die friedliche internationale Koexistenz der Zaubereigemeinschaften im allgemeinen und die öffentliche Ordnung Großbritanniens im besonderen gefährden wollten. Wie aus einem unserer Auslandsredaktion zugegangenen Protestschreiben des britischen Zaubereiministers Pius Thicknesse hervorgeht, klagt dieser unseren Zaubereiminister Grandchapeau an, Großbritannien angreifen zu wollen, um das Zaubereiministerium zu stürzen. Grandchapeau bediene sich, so die Protestnote weiter, aus Großbritannien geflüchteter Aufwiegler und Diebe, um wertvolle Informationen zu erhalten, die zum gewaltsamen Umsturz führen sollten. Anders könne es Thicknesse sich nicht erklären, daß Hexen und Zauberer aus dem Hoheitsgebiet des Ministeriums verschwänden oder Ministeriumsangehörige verletzten oder töteten. Sollten die namentlich bekannten Kriminellen sich weiterhin unter dem Schutz des französischen Zaubereiministeriums verbergen, sei dies eine offene Kriegserklärung. Da das Ministerium von Monsieur Grandchapeau bisher die Auslieferung der ihm namentlich erwähnten Personen verweigert habe, sähe sich Großbritanniens Zaubereiminister Thicknesse genötigt und berechtigt, gegen die internationalen Bestimmungen zur eigenständigen Strafverfolgung eines Landes zu verstoßen und seine Sicherheitstruppen auszuschicken, um die Flüchtigen zu jagen und zurückzuholen.

Minister Armand Grandchapeau, sowie der Leiter der Abteilung zur Durchsetzung magischer Gesetze und Sicherheit, Monsieur Belenus Chevallier, wiesen diese Anklage Großbritanniens entschieden zurück und erwähnten, daß jedes Land der Welt mittlerweile wisse, daß Thicknesse nur eine Marionette im Dienst dessen sei, dessen Name nicht genannt werden darf. Er erwähnte, daß die Verbrechen, die man den Geflüchteten vorwerfe, in ihrer puren Existenz begründet seien, da es ausnahmslos Sprösslinge nichtmagischer Eltern seien, denen in Großbritannien gerade mit großer Härte nachgestellt werde. Es sei also keine rechtswidrige Unterstützung umstürzlerischer Individuen, sondern die humanitäre Pflichtübung, derartig verfolgte und bedrohte Hexen und Zauberer vor ihren Heschern zu retten und sicher unterzubringen. Chevallier sagte wörtlich: "Die Bande um Sie-wissen-schon-wen leidet an der Wahnvorstellung, daß nur reinblütige Zauberer existieren dürfen. Da dies nicht den Tatsachen entspricht beschuldigen sie alle, die Magie äußern können, ohne magische Eltern zu haben, sie hätten wie Vampire Zauberkraft mit dem Blut reinblütiger Zauberer ausgesogen oder was ähnliches. Und ich sage es Ihnen und Ihren Leserinnen und Lesern sehr frei heraus: diese Fälle für die geschlossene Abteilung jeder Heilstätte hätten uns ihre Dunkelheit und Schrecken verbreitenden Bestien auch so auf den Hals geschickt, weil wir eine freie, tolerante Zauberergemeinschaft sind, die nur das Pech hat, zu nahe an den Landesgrenzen zu wohnen, über die uns diese Schreckensbrut nun heimsucht. Aber ich gebe Ihnen noch etwas für Ihre Zeitung mit: Wir werden uns nicht erpressen lassen. Wir werden niemanden ausliefern, der nichts anderes getan hat, als mit bestimmten Eigenschaften zur Welt zu kommen, solange er oder sie keine den redlichen Zaubereigesetzen entsprechenden Untaten begangen hat. Und selbst dann werden wir diese Untaten durch unsere Sicherheitsorgane und unsere Gerichtsbarkeit verfolgen und bestrafen. Die Marionette Thicknesse mag alle seelenhungrigen Dementoren ausschicken. Unser Land ist stark und frei. Und wir haben Erfahrungen mit menschenfeindlichen Tyranneien und wissen daher, was wir von seinen Worten zu halten haben. Muggelgeborene, die bei uns leben und arbeiten, genießen alle den Schutz des Zaubereiministeriums, solange sie sich an die hiesigen Gesetze halten."

Eine ähnliche Aussage machte Minister Grandchapeau, wobei er darauf hinwies, daß er sich in dieser Hinsicht mit seinen festlandseuropäischen Kollegen vollkommen einig sei, und er, dessen Name nicht genannt werden darf, bald erfahren wird, daß er nicht alle Länder der Welt mit Dementoren angreifen könne. Dem entgegen bemerkte Monsieur Janus Didier, Leiter der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit:

"Wieviele Opfer sollen wir noch hinnehmen, bevor Minister Grandchapeau zur Einsicht kommt, daß wir die Dementoren nur mit voller Härte zurückschlagen können? Es gibt Sonderbestimmungen, die erlauben, in der Abwehr dunkler Künste ausgebildete Hexen und Zauberer zu verpflichten, im Dienst des Ministeriums gegen Bedrohungen von innen oder außen zu kämpfen. Bisher weigert sich der Minister jedoch beharrlich, diese Regelung in Kraft zu setzen. Außerdem ist die Frage berechtigt, ob wir angegriffen worden wären, wenn wir uns wie der US-amerikanische Zaubereiminister Wishbone eindeutig neutral erklärt und unsere Grenzen für Einwanderer geschlossen hätten. Hinzu kommt, daß die Aussage, es ginge nur gegen Muggelstämmige, übereilt sei, da wir nicht wissen, was genau das britische Zaubereiministerium den Gesuchten vorwirft, und ob wir auf Grund dieser Klagen nicht selbst gehalten sind, sie als Kriminelle zu betrachten. Die Tatsache, daß die erwähnten Muggelstämmige sind, wird von Minister Grandchapeau nur als Vorwand benutzt, um nicht weiter nachzuforschen, welcher Delikte die Gesuchten beschuldigt werden. Ich als Leiter der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit habe da eine über die Landesgrenzen hinaus reichende Ansicht, daß wir die internationalen Verträge und Abkommen nicht mißachten dürfen, denen nach ein fremdes Zaubereiministerium die Auslieferung von straffällig gewordenen Hexen und Zauberern erbitten darf, wenn diese im Hoheitsgebiet unseres Zaubereiministeriums auftauchen. Deshalb sollten wir zumindest prüfen, was an den Vorwürfen mit unseren Gesetzen konform ist! Außerdem bin ich der Meinung, daß Minister Grandchapeau den Notstand ausrufen sollte, bevor noch mehr unschuldige Menschen diesen Monstren zum Opfer fallen."

Auf erneute Nachfrage unserer Reporterin Ossa Chermot, um wen es denn im besonderen ginge, erhielt sie keine Antwort von Minister Grandchapeau oder Monsieur Chevallier. Wir können nur mutmaßen, daß der Zorn des britischen Zaubereiministeriums sich vordringlich gegen den zur Zeit die fünfte Klasse der Beauxbatons-Akademie besuchenden Julius Latierre geb. Andrews richtet, da dieser bereits vor zwei Jahren seine Heimat verließ, muggelstämmig ist und zudem wohl über überdurchschnittlich große Zauberkräfte verfügt. Falls Minister Grandchapeau recht hat, dürfte dieser junge Zauberer den Verfechtern einer nur aus reinblütigen Hexen und Zauberern bestehenden Welt ein Greuel sein. Er könnte daher - und wir betonen es ganz intensiv -, ohne es auch nur im Traum zu wollen, der Auslöser für die Angriffe der letzten Tage sein. Da er in den letzten zwei Jahren jedoch überwiegend auf französischem Boden verweilte, ist nicht anzunehmen, daß er in Großbritannien Dinge getan hat, die auch hier in Frankreich strafbare Handlungen darstellen. Es sei denn, man betrachtet die passiv herbeigeführte Vernichtung eines Succubus und die ungewollte Mithilfe bei der Ausschaltung eines gefährlichen Schwarzmagiers als kriminell nach unseren Strafgesetzen. Doch in beiden Fällen steht fest, daß der junge Zauberer nicht wissen konnte, daß er verfolgt wurde und hat auch nicht eindeutig darum gebeten, eine Abgrundstochter oder den Dunkelmagier Igor Bokanowski umzubringen. Daher sind wir gespannt, ob das Zaubereiministerium mit weiteren Details herausrückt, die aufklären, ob die Dementorenattacken der letzten Tage auf das Konto eines bösartigen Magiers gehen, dessen Vorstellungen gegen die uns vertrauten Begriffe von Menschlichkeit und Achtung zielen. Was den Aufruf zur Einberufung wehrfähiger Hexen und Zauberer zur Verteidigung angeht, so kommen wir nicht umhin, uns diesem anzuschließen. Und falls der Minister es nicht offiziell tut, sollte sich jede Hexe und jeder Zauberer, der willens und fähig ist, dunkle Kräfte abzuwehren oder bösartige Kreaturen und Magier zu bekämpfen, zu einer Armee der Freiheit zusammenfinden, die das Land beschützt, wenn das Ministerium es schon nicht vermag.

"Super! Da hat jetzt einer das Maul aufgerissen, und indirekt behauptet, ich sei ein Gangster", knurrte Julius. Robert sah ihn an und meinte:

"Didier ist ein Sesselfurzer, Julius. Deshalb wurde der auch nicht Zaubereiminister, obwohl er älter als Grandchapeau ist und noch dazu der Onkel von Madame Grandchapeau. Der kam nie so ganz aus dem Schatten seines großen Bruders Roland raus, mit dem du jetzt in gewisser Weise verwandt bist." Julius stutzte. Dieser Janus Didier war der Bruder von Roland Didier, Millies leiblichem Großvater mütterlicherseits? Dann fragte er Robert, woher er das wisse.

"Du bist lustig, wo du vor fast zwei Jahren mit Suzanne Didier am selben Tisch gesessen hast. Die ist 'ne Großnichte von Janus Didier. Ihr Großvater Louis hat mit meiner Großmutter Renée mal was laufen gehabt. Die wollte den aber nicht auf den Besen heben und hat lieber François Deloire geheiratet, der wo mein Großvater geworden ist. Der ganz kleine Bruder vom alten Janus, Perigrin Didier, hat dann 'ne süße kleine Tochter auf den Weg gebracht, deren Zwillingsschwester du mal sein durftest. Seitdem Oma Renée mit den Didiers zu tun hatte hängt bei uns ein sich selbst erweiternder Stammbaum rum. Ich habe sie mal gefragt, warum die Louis nicht auf den Besen gehoben hat. Die meinte dann, der hätte sie mit 'ner anderen betrogen, die mehr Gold bei den Kobolden hat."

"Ähm, der hat deine Oma aber da noch nicht innig besucht?" Fragte Julius.

"Das hätte noch gefehlt, Julius. Dann hätte die den nicht auf den Besen genommen, sondern an 'ner Kette hinter sich her geschleppt. Oma Renée ist ziemlich streng erzogen worden. Die hätte sich den Kerl für's Leben festgebunden, wenn der mit der Betthüpfen gespielt hätte", lachte Robert. Julius mußte wider seine Stimmung auch grinsen. Dann war Rolands Brüderchen wohl genauso ein Schwerenöter wie er. Soweit er die Jugendsünden seines im Dienst für die Zaubererwelt gefallenen Schwiegergroßvaters kannte, konnte er sich das gut vorstellen, daß Roberts Oma seinen Bruder schnell abgelegt hatte. Und Janus war noch einer von den Brüdern. Er wunderte sich nur, daß er keinen von den anderen Didiers in den Erinnerungen der jungen Blanche Rocher gesehen hatte. Doch es stand ihm nicht zu, dem nachzugehen.

"Dann ist der Typ wohl sauer auf seinen ... ähm ... Schwiegerneffen ... daß der Zaubereiminister wurde und er "nur" Abteilungsleiter bei der internationalen magischen Zusammenarbeit", bemerkte Julius dazu. Dann kehrte sein Unmut zurück. Dieser Typ hatte Voldemorts Marionette zugestanden, doch recht zu haben. Außerdem, wenn die Zeitung ihm, Julius, nicht unterstellen wollte, daß er die Dementorenangriffe verschuldete, hätte sie das auch nicht andeuten müssen. Heuchlerisches Pack! Hauptsache die hatten den Knüller, und sie konnten dem Minister einen reinwürgen. Er sah sich nach allen um, die auch Zeitungen hatten und den Aufmacher gelesen haben mochten. Einige schüttelten die Köpfe. Andere wirkten nachdenklich. Doch keiner sah ihn vorwurfsvoll an. Doch das konnte noch kommen, wenn die Angriffe weitergingen und dieser Janus Didier, der ganz bestimmt diese Protestnote an die Zeitung weitergegeben hatte, noch so tolle Ideen abdrucken ließ. Ihm gefiel das nicht. Er beschloß, mit Millie darüber zu reden, wenn die große Pause kam. Immerhin war dieser Didier auch Millies Großonkel. Da fiel ihm ein, daß er wie der Minister zu dem Typen Schwiegeronkel sagen durfte. An und für sich sollte Janus Didier wissen, mit wem Julius jetzt verwandt war. Das stimmte ihn nachdenklich.

"Der spinnt doch der alte", stieß Gérard aus, als er sich von Robert die Zeitung ausgeborgt und den Artikel gelesen hatte. "Dann könnte man ja gleich alle Muggelstämmigen abschieben. Das wollen die in England doch. Ob die Faucon sowas nett stimmt?"

"Das kriegen wir wohl in ihren Stunden", erwiderte Robert. Jetzt setzte doch ein gewisses Murmeln ein. Am blauen und violetten Tisch murmelten sie am lautesten. Doch auch die Gelben steckten ihre Köpfe zusammen und tuschelten. Die Roten schienen alle auf die Latierres zu gucken. Und auch am Lehrertisch war eine hektische Betriebsamkeit zu erkennen. Hubert Dubois sah Julius immer wieder an. Doch dieser blieb ruhig. Er hatte nichts verbrochen und würde sich das auch nicht einreden lassen. Er sah Golbasto Collis am violetten Tisch, der wohl fühlte, daß er beobachtet wurde und sich umdrehte. Doch in seinem Gesicht konnte Julius keinen Vorwurf sehen. Mochte an der gewissen Entfernung zu dem Tisch liegen oder an der geringen Körpergröße des Starhüters und Saalsprecherkollegen.

"Messieursdames et Mesdemoiselles", schlug Madame Maximes Stimme in das allgemeine Gemurmel ein, das sofort verstummte. "Die Abonenten unserer Tageszeitung werden wohl jenen sehr unglücklichen Artikel gelesen haben, in dem angedeutet wird, die Angriffe der letzten Tage hätten etwas mit aus Großbritannien herübergekommenen Hexen, Zauberern und ihren Anverwandten zu tun. Ich weiß zwar nicht, was die Schreiber dieses Artikels umgetrieben hat, diese Andeutung zu verbreiten. Ich kann jedoch mit Sicherheit behaupten, daß es in Frankreich keine aus dem Ausland zu uns geflüchteten kriminellen Hexen oder Zauberer gibt, und schon gar nicht in Beauxbatons." Den letzten Satz betonte sie so inbrünstig, daß ihr Brustkorb sich straffte. Die Stille blieb. "Keiner hier hat dem krankhaft fehlgeleiteten Magier in Großbritannien erlaubt oder gar die Anweisung erteilt, uns mit seinen Dementoren in Angst und Schrecken zu versetzen. Nur, damit unnötige Streitigkeiten erst gar nicht aufkommen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit!"

Céline winkte Robert, der gerade wieder die Zeitung hatte. Offenbar wollte sie den Artikel auch lesen. Da der Tisch jedoch zu breit war, um die Zeitung mal eben hinüberzuwerfen, ohne eine Standpauke von Professeur Faucon heraufzubeschwören, gab Julius seine Zeitung herum, weil er doch näher an der Reihe der Mädchen saß.

"Danke, Julius", sagte Robert, als sein Kamerad den Miroir Magique mit der Aufforderung "An Céline Dornier weitergeben!" losgeschickt hatte. "Oh, hier steht noch ein Leserbrief von Professeur Tourrecandide." Julius bat darum, ihn zu lesen und nickte, als er las:

Sehr geehrte Leserinnen und Leser des Miroir Magique,

Gestern morgen wurde ich gefragt, ob mir einfallen möge, wie wir die Wellen der Dementoren, die uns jetzt schon seit letzten Freitag bedrohen, erfolgreich zurückdrängen oder vermeiden könnten. Ich erwähnte diesbezüglich, daß es gelingen müsse, eines dieser Ungeheuer einzufangen, um seine Natur genauer zu erforschen, um wirksame Vertreibungszauber außer dem einen, der bereits hundertfach bewährt ist, anwenden zu können. Dann wurde ich doch gefragt, ob wir nicht um unserer Sicherheit wegen mit denen verhandeln sollten, die uns diese Pest auf den Hals schicken. Ich vermeinte, meine doch schon langgedienten Ohren würden mir einen üblen Streich spielen oder mein seit vielen Dutzend Jahren ständig in Betrieb gehaltener Verstand würde jetzt erste Anzeichen baldigen Versagens äußern. So fragte ich erneut und hörte es nun genau, daß wenn uns die erfolgreiche Vertreibung und Fernhaltung dieser Ungeheuer versagt bleibt, wir an Unterhandlungen mit jener Macht denken sollten, um einen Koexistenzvertrag auszuhandeln. Als langjährige Angehörige der Liga wider die dunklen Künste erhebe ich entschieden Einspruch gegen die bloße Erwähnung einer solchen Idee. Dort, in Großbritannien, wo die Dementoren ihre Befehlszentrale haben, herrschen derzeit größenwahnsinnige Mörder und die von ihnen mit Imperius unterjochte oder in sonstiger Abhängigkeit und Angst gehaltene Hexen und Zauberer, deren erklärtes Ziel es ist, diese, unsere freiheitliche, humane Zauberergemeinschaft zu zerstören und nach ihrem finsteren Bild neu zu erschaffen, ohne Liebe, ohne Frieden und ohne Glück. Wenn wir ihnen auch nur den kleinen Finger zur Verhandlung reichen, werden sie uns den ganzen Arm ausreißen und sich orgiastisch amüsieren, daß wir so ängstlich und schwach sind, uns ihnen zu nähern, sie um Frieden oder Gnade anzuflehen und so naiv waren, zu glauben, ihr Wort sei Flubberwurm wert. Das Ziel unserer Gemeinschaft kann es nicht sein, uns einer brutalen Macht anzubiedern und zu glauben, weiterhin ruhig schlafen zu können. Selbst wenn wir es könnten, dürften wir es nicht, wenn der Preis dafür unschuldige Menschenleben aus unseren Reihen sind. Natürlich wird es mancher wagen, einzuwenden, daß wir ohne Unterhandlung so oder so unserer Freiheit beraubt würden. Doch wenn wir diese Leute zu beschwichtigen suchen, werfen wir alles fort, was wir nach der dunklen Ära Sardonias mit gemeinsamer Kraftanstrengung aufgerichtet und gepflegt haben. Soll alles, was wir in den Jahrhunderten aufgebaut haben, nicht mehr als eine Randnotiz der Zaubereigeschichte sein? Nein! Nein! und nochmals nein! Beschwichtigung bringt nichts ein. Sie wird uns nur in eine trügerische Illusion treiben, die Machthaber in Großbritannien würden sich mit einem kleinen Zugeständnis zufrieden geben. Eben das werden sie nicht tun! Sie werden weitermachen, weil im Moment nichts und niemand ihnen in ihrem eigenen Revier Einhalt gebieten will. Sie säen die Saat der Angst. Angst wird zu Haß, und wo der Haß ernte hält bleibt nur noch Ödnis und Leere. Darum habe ich jenem, der mich fragte, ob wir ein wirksames Mittel gegen die Dementoren finden ganz klar gesagt, daß uns nichts anderes bleibt. Niemand darf nur um des Friedens willen geopfert werden, jedes unschuldige Leben ist mit nichts aufzuwiegen. Opfern wir es dennoch, haben wir unser aller Seelenfrieden verwirkt. Ich hoffe sehr, daß Ihnen allen, die sie diese Zeitung lesen, damit bewußt wird, daß wir zum Durchhalten und Widerstand gegen die britischen Tyrannen keine Alternative haben. Auch der in den USA praktizierte Isolationismus wird jenen dort nur für kurze Zeit Ruhe geben. Der einzige Trost den sie noch haben ist, daß sie weit genug fort sind, um jeden Tag größere Streitkräfte dorthin zu schicken. Wir hier in der großen Nation Frankreich müssen die Fahne und Fackel der Freiheit hochhalten, um allen anderen zu zeigen, daß nur in Hoffnung und Menschlichkeit die Zukunft geborgen liegt.

Ich bedanke mich bei allen, die diesen Brief mit Interesse gelesen haben. Seien Sie mir alle gegrüßt!

Austère Tourrecandide

Hat die von Winston Churchill und George Bush gelernt?" Fragte Julius. Dann mußte er natürlich erklären, wen er meinte.

"Wahrscheinlich ist die nur sauer gewesen, weil jemand, den sie selbst mal unterrichtet hat, ihr diese Frage gestellt hat", vermutete Robert, der den Brief mitgelesen hatte. Julius gab die Zeitung wieder zurück und sah zu, den Rest seines Frühstücks noch in den Magen zu kriegen. Immerhin hatten sie einen anstrengenden Schultag vor sich.

Zuerst sah es so aus, daß Professeur Faucon, bei der sie die zweite Doppelstunde hatten, nicht weiter auf die Meldungen und Äußerungen in der Zeitung eingehen wollte. Sie ging den Patronus-Zauber weiter durch, wobei Julius dreimal in Folge auch ohne Herzanhänger die geflügelte Kuh Artemis als silberweißes Abbild hervorbrachte. Morgen, so wußte er, würde Millie versuchen müssen, zumindest ein schwaches Licht zu zaubern, wobei sie zunächst mit dem Herzanhänger als Verstärker arbeiten durfte, um dann, wenn sie einen Patronus erschaffen könnte, auch dessen Aufruf ohne den Anhänger üben sollte. Robert feuerte nur silberne Fünkchen durch den Raum, während Laurentine bereits einen für zwei Sekunden vor dem Zauberstab schwebenden Silberdunst hinbekam. Überall murmelten oder riefen die ZAG-Schüler "Expecto Patronum!"

"Sie haben, wie ich weiß, auch die Sonnenlichtmauer als wirksame Barriere gegen gefährliche Angreifer erlebt", flüsterte Professeur Faucon ihm zu, als er die Temmie-Patrona noch einmal in den Raum geschickt hatte. Er nickte.

"Dann gebe ich Ihnen, wo sie das Ziel der Stunde ja schon längst eingeübt haben, eine neue Aufgabe. Bitte studieren sie die manuelle, verbale und mentale Komponente der Sonnenlichtmauer." Damit reichte sie ihm ein in dunkelblaues Leder gebundenes Buch mit silbernen Sternen und Halbmonden auf den Klappen. Er erkannte es sofort wieder. Es war das Buch über Astralmagie, daß er in Whitesand Valley durchgeblättert und einige interessante Zauber darin gefunden hatte. Alle astrologischen Sternbilder, die vier alchemistischen Grundkräfte, sowie die Kräfte der Sonne, des Mondes und der großen Planeten wurden in diesem Buch erleutert. Jetzt wußte er ganz sicher, daß die Astronomiestunden was mit Magie zu tun hatten. Er suchte im Stichwortregister nach "Sonnenlichtmauer" und las nach, daß sie alle lichtempfindlichen Wesen, sowie alle, die ihre Seele mit Bluttaten belastet hatten wirkungsvoll abhielt. Auf einem Kreis aus goldener Tinte mit Runen der Sonne und des Lichtes gezogen konnte die Barriere sogar einen gewissen Bereich umschließen und einen vollen Tag vorhalten, wenn keine dunklen Brechungszauber dagegen gewirkt wurden. Daran erinnerte er sich auch im Zusammenhang mit dem Buch, das die Magie der Sonne allein behandelte. Eigentlich fragte er sich schon die ganze Zeit, wann er Professeur Faucon die altaxarroischen Zauber beibringen sollte, die er von Ianshira in der Kugelhalle der Altmeister erlernt hatte. Überhaupt dachte er daran, daß wohl bald wieder eine Sub-Rosa-Sitzung fällig sei. Denn die Überfälle konnten doch nur bedeuten, daß die Fluchthilfe für die Muggelstämmigen und ihre Familien besser lief, als dem Herrn der Todesser lieb sein mochte. Er studierte also die Sonnenlichtmauer, die am hellen Tag und bei klarem Himmel viermal so stark wirkte wie bei Nacht oder bewölktem Himmel. Als er die Zauberformel und die notwendige Gedankenkomponente mehrmals ohne Zauberstab ausprobiert hatte, führte er behutsam die vorgeschriebene Zauberstabbewegung aus, bis er sie so fließend hinbekam, das bereits gleißende, goldene Blitze aus dem Stab flogen. Beinahe schoss er damit Roberts Patronus-Wolke ab, die gerade zitternd durch den Raum wehte.

"Hallo, Julius, was wird das denn, wenn's fertig ist", knurrte Robert, den die goldenen Blitze fast geblendet hatten.

"Falls Sie sicher sind, führen Sie es Ihrem Klassenkameraden vor!" Unterstrich Professeur Faucon die Frage. Er konzentrierte sich also, dachte an helles Sonnenlicht, wie es einen dunklen Schatten zu Nichts schrumpfen ließ, schwang den Zauberstab in einem halben Bogen nach rechts und rief: "Murus Solis!" Es rauschte wie eine Meereswelle. Dann stand für ungefähr zwei Sekunden eine wabernde Lichtwand vor ihm, bis diese mit einem leisen hohen Piff zerfiel. Er versuchte es noch mal, und noch mal. Jedes Mal wurde die Lichtwand stabiler und blieb länger stehen. Erst nach dem sechsten Mal, wo er eine fließende Abfolge von Gedanken, Zauberstabbewegung und Zauberformel hinbekam, baute sich eine durchsichtige, sehr helle Lichtwand zwischen Julius und der Wand auf und stand ohne Flackern, Wabern oder Flimmern da. Zehn Sekunden vergingen, und die Lichtmauer blieb stehen. Erst nach einer Minute begann sie zu flimmern. Eine weitere Minute später verschwand sie mit einem vernehmlichen Paff.

"Ui, das zieht ja ziemlich gut runter", kommentierte Julius die Übung. Die anderen sahen dem Spektakel zu.

"Hier werden Sie Ihre Belastungsgrenze erkunden, Monsieur Latierre. Für weniger zauberkräftige Schüler würde die Wand nach zehn Versuchen noch nicht so stabil stehen. Aber um die Dauer zu erwirken, wie sie in dem Ihnen ausgehändigten Buch erwähnt wird, müssen Sie wohl mehrere Dutzend Versuche anstellen. Und wie im Sport wird der Erfolg in immer kleineren Schritten eintreten, je besser Sie damit gediehen sind", erläuterte Professeur Faucon. "Was Sie da gerade vorgeführt bekamen ist ein Zweig der Magie, der universelle Anwendungsmöglichkeiten in sich birgt, unter anderem auch passable Verteidigungszauber. Wir lernten bereits den Segen der Sonne, und den Mondfriedenszauber kennen, als wir wirksame Gegenzauber gegen Vampire einübten. Das war eben die Sonnenlichtmauer, eine Barriere aus magisch fokussiertem Sonnenlicht, das bösartige Kreaturen und vor allem nachtaktive Geschöpfe wirksam am Vordgingen hindert. Ich gab Monsieur Latierre diese Übung auf, um ihm eine sinnvolle Betätigung während dieser Stunden zu geben, nachdem er den Patronus ja in Vollendung aufrufen kann. Erst wenn Sie alle etwas annähernd patronusartiges hervorbringen können, werde ich sie dazu bringen, ihn auch unter Einwirkung des Depressissimus-Fluches zu wirken. Gelingt es Ihnen dann immer noch, einen silbernen Dunst oder Lichtstrahl zu erzeugen, werde ich die Unterweisung im Patronus-Zauber als erfolgreich abgeschlossen betrachten."

"Dieses Buch gibt eine Menge her", wisperte Julius seiner Lehrerin zu.

"Ich erfuhr, daß Sie es als Bettlektüre zur Verfügung hatten, als Sie nach ihrem Ausflug zu der verunglückten Festlichkeit Erholung brauchten", flüsterte sie ihm zurück, während um ihn herum wieder "Expecto Patronum!" gerufen wurde.

"Also, nachdem sie mir letzte Woche gezeigt haben, daß ich eine Kuh als innere Tiergestalt habe, kriege ich den wohl gar nicht hin", knurrte Irene Pontier. Professeur Faucon widersprach und sagte, daß der Patronus nicht zwangsläufig der inneren Tiergestalt entspräche, weil der von Julius ja eine geflügelte Kuh und kein afrikanischer Elefantenbulle sei. Robert dachte wohl auch daran, mit einem Frosch-Patronus auch keinen Dementor zum schlottern zu bringen.

In der Großen Pause merkte er erst, wie gut ihn die Übung ausgelaugt hatte. Seine Frau sah ihn besorgt an und fragte ihn, was er gemacht hatte. Er erklärte es ihr kurz. Sie erinnerte sich, daß er ihr davon erzählt hatte, daß die ältere Hexe bei den Sterlings diesen Zauber wohl aufgebaut hatte. Julius nickte. "Die hat den aber bestimmt hundertmal geübt", sagte er dann noch. "Die war danach nicht so ausgepumpt und konnte noch ein paar heftige Sachen bringen."

"Oma Line hat auch ein paar irre Astralsachen drauf. Aber die zehren wirklich gut aus und sind auch eher bei klarem Himmel richtig mächtig", sagte Mildrid. "Ich hoffe nur, daß ihr in Kräuterkunde nicht so drangsaliert werdet." Er nickte. Dann unterhielt er sich ein wenig über Janus Didier, der wohl auch Millies Großonkel war. Sie verzog das Gesicht.

"Der will mit uns nix zu tun haben, Julius. Der kam nie, wenn Oma Line und Opa Roland feiern wollten. Überhaupt ist das einer wie Cassiopeia Odin, überkorrekt und immer auf Nummer sicher gehend. Kein Wunder, daß der meint, der Minister müsse alle kampfkräftigen Hexen und Zauberer unter einen Hut bringen. Ich habe den nur zweimal im Leben gesehen. An das erste Mal kann ich mich nicht erinnern, weil ich da gerade wohl ein halbes Jahr alt war, und das zweite Mal hat er sich mit Onkel Otto gehabt, wegen irgendwelcher Vorschriften. Oma Line meint, der wisse nicht, was er schon alles verpaßt habe und guckt dabei immer so mitleidig."

"Zu dem Knilch muß ich ja dann auch Onkel sagen, wie zu Jean Latierre oder Otto."

"Das würde ich mir schwer überlegen, ob ich den irgendwie nett oder respektvoll anrede, Julius. Der hat doch echt gemeint, daß alle hier eingereisten Hexen und Zauberer auf ihre Vergangenheit abgeklopft werden sollen. Nachher baut der auch so'ne Kommission wie in England."

"Wie war das mit dem Drachen, den man nicht rufen soll?" Fragte Julius beklommen.

"Komm, du glaubst doch nicht echt, daß der vor lauter Frust, weil Minister Grandchapeau nicht alle Leute gegen die Dementoren hetzen will anfängt, denen in England alles nachzumachen, Julius", sagte Millie. Dann machte sie ein nachdenkliches Gesicht, wiegte den Kopf und schüttelte ihn, daß ihr rotblondes Haar wehte. "Dafür fehlt dem der Mut zum Risiko, Julius. Er könnte ja voll anecken."

"Zumindest hat er dem Zaubereiminister noch mehr Ärger gemacht als die Dementoren alleine. Denn jetzt werden hunderte von besorgten Zauberern fragen, ob ihr Minister noch weiß, was zu tun ist. Wahrscheinlich werden sich auch mehrere Hexen und Zauberer melden, die gegen die Dementoren kämpfen wollen."

"Das tun die doch jetzt schon. Monsieur Didier hat es nur nicht mitbekommen", erwiderte Millie. Sie nannte ihn nicht Onkel oder Großonkel. Julius erkannte daran, daß sie ihn wirklich nicht recht als Verwandten sah, wo die Latierres sonst so viel von ihrer Familie hielten.

"Nur treten die nicht auf einem Hof an und jubeln dem Minister zu, sondern wehren die Dementoren gleich ab, ohne großes Getöse." Millie nickte.

Die Pause verging, und auch die dritte Doppelstunde. Wenn Didier vorgehabt hatte, Julius bei seinen Mitschülern in Ungnade zu stürzen, hatte es bisher nicht geklappt. Auch als sie nachmittags in Verwandlung mit Verschwindeübungen weitermachten sah ihn keiner so an, als habe er die französische Zaubererwelt in Gefahr gebracht.

Im Kurs Verwandlung für Fortgeschrittene durfte Julius weiter eingeschränkte Selbstverwandlungen üben. Einmal stellte sich Professeur Faucon mit einer Stopuhr neben ihn hin und sagte:

"So, Monsieur Latierre, jetzt vollführen sie innerhalb von zwei Minuten möglichst rasche Verwandlungen von Gegenständen in kleine Tiere und umgekehrt. Ich möchte sehen, wie schnell Sie bereits zaubern können." Julius atmete tief ein und aus und waartete auf das Startzeichen. Als Professeur Faucon es gab ließ er den Zauberstab so schnell durch die Luft peitschen, daß die Spitze fast zu einem Schemen verschwamm. Er schaffte es in der angesetzten Zeit, zehn Verwandlungen in Folge zu vollbringen. Ein Hosenknopf wurde zum Käfer, zur Maus, zur Ratte, zur Zigarrenkiste ... Als er fertig war sagte Professeur Faucon:

"Mein Vorgänger Énas prüft gerne auf schnelle Ausführungen. Manchmal kann es nötig sein, durch rasche Verwandlungen eine Notsituation zu überstehen. Sie kennen ja Madame Unittamo. Sie ist in dieser Unterkategorie derzeit unerreicht." Julius nickte. Dann sollte er noch einmal eine zwei-Minuten-Runde durchführen, verpatzte dabei aber zwei Verwandlungszauber. "Sie merken daran, wie wichtig es ist, sich zu konzentrieren und hellwach zu sein, Monsieur Latierre. Aber jetzt erholen Sie sich zehn Minuten lang, bevor sie einen neuen Übungszettel von mir erhalten!" Julius nickte erneut.

Nach der Übungsstunde war er gut angestrengt und dankte seiner Schwiegeroma Ursuline, daß sie in dem Vita-Mea-Vita-Tua-Ritual unterzogen hatte. Als er nach einem kurzen Besuch in einem Waschraum für Jungen zum Speisesaal unterwegs war, sah er die Bäume wieder wanken und schwanken. Offenbar baute sich draußen schon wieder ein Sturm auf.

Die Arbeitsgruppe magische Tierwesen bekam bereits die ersten Ausläufer des neuen Unwetters ab, als sie unter Madame Maximes Anleitung die Ställe winterfest machten. Die meisten kleineren Zaubertiere waren bereits in ihren Bauten und Ställen, als der neue Herbststurm richtig an Fahrt gewann, daß die Umhänge der Schüler wie aufgeblähte Segel flatterten. Die Kniesel hatten sich in ihre runden Wohnbauten eingekuschelt. Goldschweif beschwerte sich bei Julius über dieses schlimme Wetter. Ihre vier jüngsten Kinder hatten sich ganz weit hinten in dem Rundbau zusammengekuschelt. Julius prüfte die Wetterschutztür des Baus, die nur aufging, wenn Goldschweif oder ihre Jungen hinaus und hinein wollten und beruhigte die Königin der Beauxbatons-Kniesel, daß sie in ihrem Bau vor dem Wetter sicher sei.

Die Schüler waren heilfroh, als sie in den windstillen Palast zurückkehren konnten. Für Julius war an dem Abend noch Astronomie, wo sie über das Ringsystem des Saturn sprechen wollten. Er freute sich schon darauf, daß Professeur Paralax sie wohl wie in Raumanzügen frei zwischen den aus Eis- und Gesteinstrümmern gebildeten Ringen herumfliegen lassen würde, über sich die gigantische Kugel des zweitgrößten Planeten des Sonnensystems. Diese Vorstellung verdrängte seine Müdigkeit. Doch als er auf dem Weg in den Gemeinschaftsraum der Grünen war, zitterte Madame Rossignol ihn per Pflegehelferarmband an. "Julius, sofort zu Professeur Faucon!" Befahl die Heilerin kurz und knapp, bevor ihr Abbild wieder verschwand. Julius Latierre erschrak. Das klang so dringend wie ein Hilferuf, nicht wie ein Befehl. Er wandschlüpfte unverzüglich in die Nähe des Büros seiner Saalvorsteherin.

__________

"... ist der Orkan Celeste der zweite innerhalb von zwei Tagen und wird nach Ansicht führender Meteorologen seinen Vorgänger Babette um fünfzig Stundenkilometer übertreffen. Für ganz Frankreich wurde Sturmwarnung der Stufe drei ausgerufen. In der Region Südfrankreich könnte heute abend sogar Stufe vier ausgerufen werden", sprach die adrett bekleidete Wetterfee auf Antenne 2, während auf dem eingeblendeten Hintergrund im Wind schwingende Bäume und davonfliegendes Herbstlaub zu sehen waren und technisch aufgearbeitetes Sturmgefauch erklang.Babette Brickston, die sich mit ihren Eltern und Martha die Nachrichten ansah knurrte. "Ist blöd von denen, so'n Sturm nach mir zu nennen, eh."

"Die kennen dich halt", lachte ihre Mutter. Joe Brickston seufzte nur.

"Irgendwo über dem Atlantik hat wer 'ne große Dose aufgemacht. Wenn die windige Celeste durchgezogen ist, kriegen wir in drei Tagen den nächsten Sturm, Danielle. Mit meiner Software wissen die jetzt schon, daß der Calais und die Kanalküste aufmischen wird. Wir kriegen dann hier die Ausläufer ab. Südfrankreich ist dafür aber dann windarm."

"Wie kommt sowas denn, daß drei heftige Stürme in so kurzer Zeit aufziehen?" Fragte Martha. "In diesen Wettern steckt doch mehr Energie drin als in mehreren Dutzend Hiroshima-Bomben. Die muß doch irgendwo aufgestaut worden sein."

"Nach meinem Begleitkurs meteorologische Grundlagen kann sowas kommen, wenn sich warme Wüstenluft mit kalter Polarluft trifft", erläuterte Joe. "Aber du hast schon recht, daß da 'ne Menge Energie zusammengekommen ist, um solche Monster auszubrüten."

"Du meinst Unwetter, Joe. Mit Monstern bezeichnen wir dann doch was anderes", korrigierte Catherine ihn. Joe grummelte. Dann sah er seine erstgeborene Tochter an und meinte: "Auch wenn Celeste da draußen viel Wind macht solltest du jetzt schlafen, meine Kleine. Oder denkst du, die lassen die Schule morgen für euch ausfallen?"

"Maman bringt mich durch den Kamin hin", erwiderte Babette und gähnte.

"Kann nur sein, daß die Flohregulierungsbehörde das Netz wieder zumacht, wie am Dienstag, wo jemand beim Überlandreisen zwanzig Kilometer weiter als geplant rauskam, weil eine Böe die Kamine überlagert hat. Im zweifelsfall muß ich mit dir apparieren", sagte Catherine. Babette strahlte sie an.

Gerade wollte der Nachrichtenhauptsprecher die Sendung absagen, da rauschte es kurz, und sein Gesicht, überhaupt das ganze Fernsehbild, verschwand in einem flimmernden Schneegestöber, das zu gleichbleibendem grauen Griesel wurde.

"Super, die Schüssel ist ausgefallen", knurrte Joe. "Hoffentlich kriegen wir die wieder hin."

"Ui, dann ist heute wohl nichts mehr mit Fernsehen", erkannte Martha.

"Wir könnten uns einen Videoabend machen", schlug Joe vor. Babette blickte ihn erfreut an. Er schüttelte den Kopf. "Das gilt nicht für dich, Babette. Für dich ist jetzt Matratzenhorchdienst."

"Papa, es ist erst zehn", maulte Babette.

"Andere zehnjährige sind um die Zeit schon im Bett, wenn sie schule haben", erwiderte Joe. Catherine meinte dazu: "In Beauxbatons mußten wir als Elfjährige um halb zehn im Bett sein. Also abmarsch, Mademoiselle!" Babette grummelte verbittert, fügte sich aber dann doch.

"Ich geh rauf und unterhalte mich mit Viviane, um meine Spanischkenntnisse warmzuhalten", sagte Martha. Joe grummelte leicht verstimmt. Catherine stand nicht auf Videofilme und würde dann wohl in der Küche oder dem Arbeitszimmer verschwinden. Da knisterte es, und der komplette Strom fiel aus.

"Juhu, das totale Blackout", kommentierte Joe es ironisch. "Mitten in Paris ein Stromausfall."

"Du hast mir doch mal erzählt, daß der Strom über mehrere Verteiler und Überlandleitungen geliefert wird. Da wird bestimmt eine von umgerissen worden sein", bemerkte Catherine nicht so verbittert wie ihr Mann.

"Wird zeit, daß die unterirdische Stromleitungen legen", schnaubte Joe.

"Maman, draußen ist es ganz dunkel!" Rief Babette.

"Ich weiß, ma Chere. Stromausfall!" Rief Catherine. Doch die Angst in der Stimme ihrer Tochter alarmierte sie. Sie zückte den Zauberstab und machte damit Licht. Dann lief sie hinüber ins Badezimmer, wo sich Babette gerade bettfertig machte.

"Toll, die zieht ihren Wunderstecken, und wir hängen im Dunkeln rum", knurrte Joe.

"Habt ihr keine Kerzen oder Taschenlampen?" Fragte Martha.

"Ich bin mit 'ner Hexe verheiratet. Die meint doch, sowas nicht vorrätig haben zu müssen", grummelte Joe. Martha sagte dann, daß sie oben noch eine Packung Kerzen hatte und tastete sich durch die Stockdunkle Wohnung. Dabei erhaschte sie durch eines der Fenster einen Blick nach draußen. Die Laternen waren aus. Sie sah jedoch auch keine Autoscheinwerfer. Um das Haus herum schien eine pechschwarze Wand zu stehen. Martha fröstelte. Es sah so aus, als habe jemand das Haus in einen tiefen Schacht abgesenkt. Dann hörte sie Catherines Stimme:

"Martha, bist du noch hier? Bleib bei uns!" Dann hörte sie noch, wie Catherine beruhigend auf Babette einsprach: "Ganz ruhig, Babette. Die können nicht zu uns hin. Siehst du. Die können nur bis auf hundert Meter ran."

"O Gott, sind diese Monster wieder da?" Fragte Martha mit einem Angstschauer. Catherine rief zurück, daß die wieder einmal das Haus umstellt hatten. Aber näher könnten sie nicht heran.

"Ich dachte eure Abwehr hat was gefunden, um die zu killen", blaffte Joe ungehalten. Babette wimmerte. "Na, Joe, du machst Babette unnötig Angst", schnarrte Catherine zurück.

"Die Sterne. Ich seh keine Sterne mehr. Alles total dunkel", stellte Martha fest, nachdem sie noch einmal aus dem Fenster hinausgesehen hatte.

"Ich hab's auch gesehen. Diesmal kreisen auch welche über uns. Die können bis zu zweihundert Meter hoch fliegen. Aber das kostet Kraft, und die können dann ihre Machtaura nicht weit ausbreiten", erwiderte Catherine.

Martha erreichte den Wohnraum wieder. Catherine war als Schatten im Dunkeln zu erkennen. Sie hielt wohl Babettes Hand.

"Willst du diese Mondlöwin wieder rausschicken?" Fragte Joe, der auch aus dem Fenster spähte.

"Werde ich wohl machen müssen", knurrte Catherine und schob ihren Mann bei Seite, um ihren Patronus diesmal auf der Gartenseite des Hauses hinauszuschicken. Erst kam nur ein silbernes Lichtbündel aus dem Stab. Dann sprang die wie aus hellem Silberlicht bestehende Löwin aus dem Zauberstab und jagte in den Garten hinaus.

"Kann die fliegen?" Fragte Martha.

"Gut springen, ja. Aber richtig fliegen geht nicht."

"Dann kann sie nur die auf dem Boden wegbeißen", unkte Catherine. Dann fiel ihr auf, daß das Sturmgeheul wie außerhalb eines weiten Gewölbes klang, während die Patrona wild in die dunkle Wand hineinstieß.

"maman", wimmerte Babette.

"Die kommen hier nicht rein, Kind", versuchte ihre Mutter, sie noch einmal zu beruhigen.

"Was Martha dir damit wohl sagen wollte, Catherine ist, daß diese Schreckgespenster oder was die immer sind von oben nachrücken können, wenn ihre Kumpels unten die Flatter machen", warf Joe ein. Catherine hielt den erleuchteten Zauberstab auf ihn, daß sein Gesicht fahl widerschien. "Denkst du, ich hätte das nicht erkannt, Joe", schnarrte sie. "Aber anders kann ich nicht gegen die kämpfen."

"Die wollen es offenbar wissen", bemerkte Martha. Denn auch wenn die silberne Löwin aus Licht unbändig durch die Wand aus Finsternis brach, konnten selbst die erwiesenen Muggel keine Lücke darin erkennen.

"Offenbar nutzen die den Sturm für ihren Generalangriff", seufzte Martha. Catherine wandte sich ihr zu und sagte sehr kalt: "Auch wenn du verdammt noch mal recht haben könntest behalte solche Gedanken bitte für dich!" Martha erkannte, daß Catherine sich trotz des sie immer noch umspannenden Sanctuafugium-Zaubers große Sorgen machte, vielleicht sogar eine Heidenangst hatte.

"Ich hol Claudine, falls wir schnell hier weg müssen", sagte Joe.

"Sie ist da, wo sie ist gut aufgehoben, Joe. Der Zauber läßt die nicht weiter zu uns vor."

"Die Dosis macht das Gift, Catherine. Wenn die sich zu hunderten gegen die Begrenzung ..." "Taceto!" Catherine hatte den Satz ihres Mannes unvollendet abgewürgt. Doch Martha verstand eh, was er sagen wollte.

"Der Zauber hält sie sicher ab, solange alle, die er beschützen soll im Haus bleiben", versetzte Catherine ungehalten.

"Wie lange kann dein Patronus bestehen?" Fragte Martha.

"Solange ich ihn brauche und Gegner da sind", erwiderte Catherine. Wie aus sehr weiter Ferne hörten sie Quietschende Bremsen und dann Scheppern und Klirren. Hilflos gedämpftes Hupen erklang. Irgendwo war ein Auto mit irgendwas zusammengestoßen.

"Das habe ich schon letzte Woche befürchtet", seufzte Catherine.Martha nickte. Sie saßen hier fest, und diese Dämonen verursachten Verkehrsunfälle, weil ihre Finsternis und Eiseskälte die Autofahrer überraschte, sofern die nicht auch die alptraumhaften Erinnerungen an ihre schlimmsten Erlebnisse vor sich sahen. Das konnte ein Chaos mit hunderten von Toten heraufbeschwören.

"maman, was machen die draußen?" Jammerte Babette. Zwar fühlten sie hier weder Kälte oder aufkommende Schreckenserinnerungen. Doch die Angst, von einer Übermacht dieser Ungeheuer umzingelt zu sein, die vor einem Jahr und zwei Monaten den Sommerball von Millemerveilles überfallenhatten reichte für die zehnjährige Hexe völlig aus. Der Sturm war nebensächlich geworden. Der Angriff der Dementoren war weitaus schlimmer. Auch wenn sie hier wie unter einer magischen Glocke wie aus meterdickem Panzerglas geschützt waren, fanden diese Ausgeburten der Dunkelheit Opfer. Selbst die Patrona Catherines konnte die nachrückende Streitmacht nicht auf einen Schlag zurücktreiben. Wieder hörten sie wie aus großer Ferne Reifen quietschen und einen scheppernden Knall. Wieder hatte ein argloser Autofahrer einen Unfall erlitten.

"Die bringen da draußen Leute um, Catherine", stieß Martha aus.

"Ich habe alles gemacht, was ich bei dieser Übermacht machen konnte, Martha", fauchte Catherine zurück.

"Wahrscheinlich brauchen wir mehrere von diesen Patroni", bemerkte Martha. Da fauchte es im Kamin. Alle erschraken. Joe starrte Catherine an. Diese eilte hinüber in den Partyraum, wo der ans Flohnetz angeschlossene Kamin lag. Martha und Babette folgten ihr.

"Maman, du kommst wie gerufen", freute sich Catherine.

"Das stimmt auch", sagte Madame Faucon sehr verbittert. "Und es ist mir rätselhaft, warum erst Viviane Eauvives Gemälde mich rufen mußte." Martha sah, daß Catherines Mutter nicht allein gekommen war. Sie war mit Julius wohl im Tandemsprung durch den Kamin gefaucht.

"Warum hast du ihn mitgebracht, maman?" Fragte Catherine, während Julius sich die Asche vom Umhang klopfte.

"Weil er einen fliegenden Patronus rufen kann, meine Tochter", erwiderte Madame Faucon. "Vivianes Kniesel hat ihr gesagt, daß ihr von fliegenden Ungeheuern geredet habt." Also schwirren diese Bestien jetzt auch über der Grenze herum?"

"Ja, Maman", grummelte Catherine. Julius begrüßte seine Mutter. Er war noch im Arbeitsumhang, der leicht zerzaust aussah, genau wie sein Haar.

"Ist das nicht gegen die Regeln, nachts aus der Schule rauszugehen?" Fragte Martha ihren Sohn. Dieser deutete jedoch nur auf die Wohnungstür und sagte: "Ich schicke meinen Patronus von oben aus raus." Madame Faucon nickte ihm zu. Martha sah ihren Sohn mit leuchtendem Zauberstab zur Tür gehen und folgte ihm. Er sprang mehrere Treppenstufen auf einmal nehmend nach oben. Seine Mutter keuchte ihm nach und schloß die Tür mit dem abgestimmten Schlüssel auf. Dann folgte sie ihren schon fast ausgewachsenen Sohn in das tanzsaalgroße Wohnzimmer, wo er ohne weitere Verzögerung eines der Fenster aufriss und in die Nacht hinausblickte.

"Die haben sich da oben auf die Absperrung geklebt wie Fliegen am Fenster", knurrte er. Dann hob er seinen Zauberstab und verfiel in eine konzentrierte Starre. Martha sah nach fünf Sekunden, wie sein Gesicht strahlte, als erlebe er gerade etwas sehr glückliches. Im selben Moment rief er "Expecto Patronum!" Er hielt seinen Zauberstab zum Fenster hinaus. Martha Andrews erstarrte in großer Ehrfurcht. Aus dem Stab quoll eine gigantische Kugel, die sich innerhalb von nur einer Sekunde zu einem mächtigen Rinderschädel auswuchs, dem mit einem Satz ein gigantisches, geflügeltes Geschöpf aus gleißendem, silbernem Licht folgte. Im Gleichen Moment ertönte von unten der Revierschrei eines Adlers, den Martha schon bei einer Wanderung im Hochgebirge hören durfte. Das riesige Rind aus silbernem Leuchten muhte raumfüllend und die Bauchdecke massierend zur Antwort und schwang die mächtigen Flügel durch. Martha konnte die über dem Schutzzauber lauernden Dementoren zwar nicht erkennen. Doch als die heraufbeschworene Flügelkuh und der von unten emporsteigende Adler in die Glocke aus Finsternis hineinstießen, vermeinte sie, ein hektisches Wogen wie aufgewühltes Wasser bei Nacht zu erkennen und fühlte undeutlich, wie eine Last von ihr wich. Sie vermeinte ein Loch in der Dunkelheit zu sehen. Dann noch eins und noch eins. Dann hörte sie das Fauchen des Sturmes wie durch eine auf und zu schwingende Tür an ihre Ohren dringen und hörte Menschen, die aufgeregt durcheinanderriefen, schrien und schimpften. Es brauchte ihr keiner zu verraten, daß die Belagerung der Dementoren gerade zusammenbrach. Professeur Faucon und Julius hatten die nötigen Entsatzkräfte aufgeboten. Sie sah, wie die von ihrem Sohn hervorgerufene Flügelkuh wie ein wütender Kampfstier vorstieß, nach links und rechts mit Füßen und Hörnern austeilte und dabei immer wieder kampfeslustig brüllte. Der im Verhältnis zu ihr winzige Adler zischte wie ein Düsenjäger im Luftkampf mit verwegenen Manövern durch die Dunkelheit und versetzte die Belagerer in Panik. Es dauerte nur zwanzig Sekunden, da fühlte Martha den Sturmwind, hörte das wilde Brausen, das den geflügelten Lichtwesen offenbar nichts ausmachte. Sie stießen gezielt nach unten und rieben den Rest des Belagerungsringes auf. Zusammen mit Catherines Löwin umkreisten sie noch einmal das Haus. Martha sah Autoscheinwerfer leuchten und dazwischen winzige Lichtpunkte wie weiße Glühwürmchen. Dann schwirrten Kuh und Adler wieder auf das Haus Rue de Liberation 13 zu. Martha fürchtete schon, daß die Latierre-Kuh aus Silberlicht, die so groß wie ihr Vorbild aus Fleisch und Blut war, gleich mit Brachialgewalt durch das Fenster krachen würde. Doch die mächtige Patrona neigte nur ihren gehörnten Schädel und löste sich einfach in leere Luft auf. Sie sah Julius an, der etwas matt die Hand mit dem immer noch leuchtenden Zauberstab zurückzog. Er atmete hörbar ein und aus.

"Schönes großes Mädchen, zieht aber gut Konzentration", sagte er leicht leiernd, als habe er Alkohol getrunken.

"Jedenfalls kommen die nicht mehr wieder", sagte Martha. "Die haben mindestens zwei Autounfälle auf dem Gewissen."

"Was haben die?! Mist!" Entgegnete Julius. Dann entspannte er sich und tippte sich an den weißen Stein des Armbands. "Madame Rossignol, ich rufe Sie!" Keinen Moment später erschien wie eingeschaltet Madame Rossignols dreidimensionales Abbild. "Professeur Faucon und ich haben eine ganze Armee Dementoren verjagen müssen, die am Boden und von oben versucht haben, in die geschützte Zone einzudringen. Bitte lassen Sie von der Delourdesklinik mehrere Heiler in die Rue de Liberation und die Umgebung kommen. Die Dementoren haben wohl mehrere Verkehrsunfälle ausgelöst, sagt meine Mutter."

"Das erfüllt die Sonderregel der magischen Heilgesetze, wo durch Magie entstandene Personenschäden von magischen Heilern behandelt werden dürfen", erkannte Madame Rossignol. "Die Nachricht ist schon unterwegs. Serenas Ausgabe dort wird die richtigen Stellen alarmieren. Wann kommst du zurück?"

"Wenn Professeur Faucon das mir sagt", sagte Julius darauf. Die Schulkrankenschwester von Beauxbatons nickte und verabschiedete sich.

"Die wollten es wohl jetzt wissen, Mum", wandte Julius sich an seine Mutter.

"Wenn das jetzt jeden Abend passiert bringen die hunderte Leute um, Julius. Diese magische Käseglocke hält die uns vielleicht vom Hals. Aber die unschuldigen Mugg..., ähm, Leute da draußen, die nichts von denen wissen, Julius."

"Ich habe heute Morgen schon in der Zeitung gelesen, daß die uns beiden zwischen den Zeilen vorhalten, daß die nur wegen uns hier sind, Mum. Das ist diese kleine, gemeine Kröte Umbridge, die dich und mich wieder nach England zurückrufen wollte. Die hat aus dem Marionettentheater Thicknesse ja alle Unterlagen und konnte denen sagen, wo sie hingehen müssen."

"Dann müssen hier Leute vom Ministerium hin, die auch so fliegende Patronus-Beschützer machen können oder auf Flugbesen in der Luft herumfliegen, um die wegzujagen oder zu vernichten", knurrte Martha Andrews. Julius nickte. Was nützte der beste Schutzzauber, wenn um den herum alle Menschen leichte Beute für Dementoren und andere Kreaturen waren. Martha winkte ihm zu, mit ihr wieder hinunterzugehen. Er schloß das Fenster und folgte ihr.

__________

Julius fühlte sich wieder besser, nachdem seine Patrona verschwunden war. Er hatte es erst gar nicht recht fassen können, als er in Professeur Faucons Büro ankam und sie ihm ohne große Erklärung gesagt hatte: "Wir müssen zu Catherine und deiner Mutter, fliegende Patroni aufrufen. Dementoren belagern von allen Seiten das Haus." Dann hatte sie ihn aufgefordert, mit ihr zusammen in den Kamin zu steigen und war mit ihm in einer festen Umarmung zu Catherine geflohpulvert, wobei sie immer wieder merkwürdig schlingerten und durch heißen Funkenregen trieben. Das mochte der Sturm sein. Einen winzigen Moment lang hatte Julius einen Hauch Eiseskälte verspüren können, bevor sie im Zielkamin landeten. Dann hatten sie nicht lange gefackelt und die Patroni gerufen, die in weniger als einer Minute die Belagerer vertrieben. Jetzt saßen sie im Partyraum. Immer noch war kein Strom da. Das lag wohl nur am Wetter.

"Catherine, ich fürchte, ihr werdet das Haus verlassen müssen", eröffnete Professeur Faucon nach einer Minute Schweigen, in das die Geräusche von draußen einsickerten. "Diese größenwahnsinnigen Verbrecher haben offenbar die richtige Taktik gewählt, um euch und Martha in Bedrängnis zu bringen."

"Ich dachte, dieser Schutzbann hält die draußen", knurrte Joe. "Oder glaubst du, daß die nur mit genug Ausgaben hier anrennen müssen, um die Blase platzen zu lassen, Blanche?"

"Das ist wohl bisher nicht möglich, weil Sanctuafugium nur zusammenbricht, wenn er mehr als ein Jahr niemanden beschützt hat oder von dreifach mit sich malgenommener Anzahl der Zauberer aufgehoben wird, die für seine Errichtung eintraten", belehrte Professeur Faucon ihren Schwiegersohn. Dieser nickte und grinste trotzig. "Aber ihr habt es selbst miterlebt, daß diese Kreaturen dann auf andere losgehen oder zumindest durch ihre geballte Anwesenheit Chaos und Verheerung auslösen können", fuhr Professeur Faucon fort. "Das habe ich schmählich unterschätzt, weil ich davon ausging, daß nur vereinzelte Angreifer das Haus bestürmen könnten und erfolgreich vertrieben werden. Von einer Zenturie oder gar Legion von Dementoren bin ich damals nicht ausgegangen."

"Achso, bist du nicht", knurrte Joe Brickston verärgert. "Hättest du dann diesen Schutzschirm so konfiguriert, daß alle bösen Wesen, die dagegenknallen explodieren oder aus dem Universum geschleudert werden?"

"Das ist mit dem Zauber leider nicht möglich, Joseph", seufzte Professeur Faucon. "Ansonsten hätten wir wohl heute einen Großteil der Streitmacht des Psychopathen vernichten können und seine Invasionsgelüste damit wohl empfindlich gedämpft. Da ich jetzt jedoch davon ausgehen muß, daß sich derlei Vorstöße solange wiederholen, bis sie endlich einsehen, daß sie nicht an euch herankommen, halte ich es für besser, ihr zieht an einen Ort, wo keine unschuldigen Menschen in Gefahr geraten, wenn diese Scheusale angreifen."

"Oh, Blanche, jetzt sollen wir hier raus aus dem Haus? Wohin denn, Millemerveilles?"

"Sehr guter Einfall", knurrte Professeur Faucon. "Dort hinein können sie nicht mehr gelangen, seitdem sie dort herausgeholt haben, was ihnen den Zugang gewährte, diese unwissenden Kreaturen."

"Ich hab'n Job, werte Schwiegermutter. Und auch wenn der mich manchmal ziemlich stresst, will ich den nicht aufgeben. Catherine hat gesagt, daß diese Monster nur bei Nacht angreifen. Dann braucht ihr nur ein paar von euren Dämonenjägern um unser Haus zu stellen und die diesen Patronus-Zauber machen lassen. Oder du klärst das mit dieser ominösen Madame Maxime, deiner Chefin, daß Julius Tagesschüler wird, also nach dem Unterricht zu seiner Mutter nach Hause darf, um seinen Patronus zu machen, wie immer der so'ne lebensechte Version dieser Flügelrinder hinbekommt."

"Erstens ist es richtig, daß Dementoren, die nicht zu einem bestimmten Auftrag abgestellt sind, lieber bei einbrechender Dunkelheit ins Land schwärmen, weil ihre Kräfte und ihre Beweglichkeit sich gegeneinander aufwiegen und ihre undurchdringliche Dunkelheit bei Tageslicht schwerer aufrecht zu erhalten ist. Das heißt jedoch nicht, daß sie nicht auch bei Tag auftreten können. Und ich denke nicht, daß Catherine das wirklich so definitiv behauptet hat." Catherine nickte bestätigend. "Zweitens, lieber Schwiegersohn, solltest du dir die Frage stellen, ob deine Familie wichtiger ist als deine Anstellung. Es ist korrekt, daß der Sanctuafugium-Schutz dich auch bei der Arbeit beschirmt. Doch würdest du um deiner Beschäftigung wegen die seelische Unversehrtheit deiner Kollegen riskieren, sofern du nicht darauf ausgehst, einen Sicherheitszauberer abgestellt zu bekommen, der diese Wesen zurücktreibt?" Joe stutzte und schüttelte den Kopf. Dann sagte er jedoch:

"Ich werde mich nicht nach Millemerveilles flüchten um da zu versauern und jeden Tag dieses Gebräu zu schlucken, daß mich da herumlaufen läßt."

"Versauern hieße, untätig und antriebslos die Tage zu verbringen, nicht wahr?" Erwiderte Blanche Faucon.

"Vor allem, ohne irgendeinen Nutzen für die Welt die Zeit zu verplempern", knurrte Joe.

"So, du möchtest der Welt nützen, Joseph", fauchte Professeur Faucon. "Dann bedenke erst recht, daß du im Moment mit Catherine und deiner Familie bedroht wirst."

"Weil wir auf deine Veranlassung hin Martha und Julius bei uns wohnen haben und diese Spinner in England meinen, die mit allen Mitteln auslöschen zu müssen", feuerte Joe eine unerwartete Breitseite ab, die Martha und Julius kalt erwischte.

"Aha, du kriechst diesem Psychopatehn also auf den Leim, Joseph", schnarrte Professeur Faucon. "Genau das wollen er und seine Handlanger erreichen, daß Martha Andrews und Julius nirgendwo mehr sicher sein können, weil keiner es wagt, ihnen ein sicheres Heim zu gewähren."

Julius Pflegehelferarmband zitterte wieder. Er entschuldigte sich und stellte die Sprechverbindung mit Madame Rossignol her.

"An dich und Professeur Faucon: Es gab vier Unfälle dieser Motorwagen in der Umgebung der Rue de Liberation 13. Zwei Personen starben dabei. Für sie kam jede Hilfe zu spät. Meine Kollegen von der Delourdesklinik und einige Angehörige des Zaubereiunfallumkehrkommandos konnten jedoch schwerverletzte Muggel heilen und die Erinnerungen der Umstehenden und Angehörigen ändern. Da immer noch Sturm herrscht, wurden die tödlichen Unfälle dem Unwetter zugeschrieben, herabgefallene Dachziegel oder umknickende Laternen. Die Beamten sind dabei, die Situation physisch den abgeänderten Erinnerungen anzugleichen. Des weiteren hat deine Frau angefragt, wo du seist, da sie mitbekommen habe, daß du erst aufgeregt, dann angespannt, dann für einen Moment sehr glücklich und dann erleichtert gewesen bist. Sie erwartet dich zurück. Außerdem hast du glaube ich gleich noch Unterricht. Soll ich dich davon entschuldigen, oder wird Professeur Faucon dies tun?"

"Ich sende ihn zurück, da ich hier noch einiges zu erörtern habe", sagte Professeur Faucon in Richtung von Madame Rossignols Abbild. Julius nickte. Dann sah er seine Mutter an. Diese sagte:

"Ich habe da eine Idee, um euch aus der Schußlinie rauszukriegen, Joe und Catherine. Ich reise bei gutem Wetter und hellem Tag mit einem Flugzeug in die Staaten aus. Julius kann weiter in Beauxbatons lernen. Die nichtmagischen Leute müssen ja nicht wissen, daß ich einen Sohn habe, und den Zauberern da werde ich mich nicht ankündigen. Sie können das dann breit in die Zeitung setzen, daß auch der Wahnsinnige in England davon erfährt, daß ich vor ihm davongelaufen bin und meinen Sohn bei starken Zauberern auf dem Land in Sicherheit gebracht habe."

"Mum, und dein Job?" Fragte Julius und korrigierte "deine Anstellung?", weil Professeur Faucon ihn tadelnd ansah.

"Da ergibt sich doch schon eine Gelegenheit, es möglichst gut zu verbreiten, wenn ich mit Nathalie kläre, daß ich hier nicht bleiben kann."

"Abgesehen davon, daß Madame Grandchapeau mir da beipflichten wird, daß Sie nicht gleich über den Atlantik müssen, sind Sie vertraglich gebunden, Martha. Josephs Arbeitgeber könnten wir glaubhaft machen, daß er mit seiner Familie ausgewandert ist, und zwar schon heute. Aber Sie sind vertraglich verpflichtet, dem Büro für Kontakte in die Nichtmagische Welt mit Ihrer Kompetenz und Erfahrung zur Verfügung zu stehen", sagte Professeur Faucon. Joe grinste verächtlich.

"Wer kriecht hier wem auf den Leim, Blanche. Dieser Knilch, der diesen ach so gefürchteten Namen hat, hält uns sogenannten Muggels doch für minderwertiges Menschenmaterial. Wenn ihr meinem Chef und meinen Kollegen, auch wenn da einige Schleimscheißer bei sind ins Hirn beamt, ich hätte mich mit Catherine und den Kindern auf unbestimmte Zeit nach sonstwo abgesetzt, aber die elegante Madame Grandchapeau nicht davon abbringen könnt, Martha im Vertrag zu halten, weil sie sonst tot umfallen könnte, wenn sie ihn bricht, macht ihr genau denselben Mist wie besagter Kinderschreck und Massenmörder."

"Monsieur Latierre, vielen Dank für die Unterstützung! Kehren Sie nun stante Pede nach Beauxbatons zurück und erörtern Sie mit Madame Rossignol, ob sie Sie für unterrichtstauglich befindet! Ihre Anwesenheit ist hier und jetzt nicht mehr von Nöten", sprach Professeur Faucon langsam aber mit einem unmißverständlichen Ernst, keine Widerrede hinzunehmen. Julius sah Joe an, der ihn verächtlich angrinste und blickte dann seine Mutter an. Doch Professeur Faucon deutete auf den Kamin und sagte leise aber kräftig: "Sofort!" Noch hing Madame Rossignols Abbild in der Luft. Die Heilerin nickte Julius auffordernd zu. Er sagte deshalb: "Mum, was immer ihr noch klärt, gib das über Viviane bitte an mich weiter. Gute Nacht zusammen!" Catherine und Babette wünschten ihm auch noch eine gute Nacht. dann flohpulverte Julius zurück nach Beauxbatons, wobei er wie angewiesen im Kamin des Krankenflügels herauspurzelte.

"Hui, das war wilder als ich das bisher erlebt habe", japste er. "War wohl der Sturm." Madame Rossignol trennte erst die immer noch bestehende Bild-Sprech-Verbindung. Dann befahl sie ihm, sich auf das Behandlungsbett zu legen, um sich gründlich untersuchen zu lassen. Sie fragte ihn dabei, was genau gewesen war. Dann sprach sie mit ihm über die entstandene Lage für seine Mutter und die Brickstons.

"Professeur Faucon sah so aus, als wolle Sie Joe heftig abstrafen, weil er ihr unterstellt hat, sie würde Muggel für minderwertig und daher ohne Skrupel zu bezaubern ansehen. Nachdem was ich von ihrem Verhältnis zu Joe schon gehört habe schwant mir übles."

"Nun, sie wird sich wohl nicht gegen bestehende Zaubereigesetze vergehen", sagte Madame Rossignol beruhigend. "Vor allem jetzt, wo er für seine Kinder sehr wichtig ist. Aber ich denke schon, daß sie ihm Dinge sagen wird, die du besser nicht mithören solltest. Womöglich hat sie Babette auch auf ihr Zimmer geschickt oder ihn und Madame Brickston in das Arbeitszimmer geschickt. Ach ja, außer einer leichten Schwankung in deiner Willenskraft, die wohl durch den Patronus entstand, bist du körperlich und geistig Unterrichtstauglich. Falls du jedoch findest, ich solle dich für heute abend krank schreiben, werde ich es guten Gewissens tun können, nach dem, was du erlebt hast."

"Ich werde hingehen. Allein schon, um nicht rumgehen zu lassen, daß ich außerhalb von Beauxbatons mal eben fliegende Dementoren mit meinem Patronus weggejagt habe, weil das Zaubereiministerium keinen hinschicken konnte, der Catherine half."

"Die waren alle an anderen Brandherden, wie der Rue de Camouflage und den Küsten, Julius. Diese Ungeheuer haben den Sturm ausgenutzt, um in dessen Schutz vorzurücken und einigenorts ungesehen einfallen zu können. Wahrscheinlich wird jetzt jeder nach der Generalbewaffnung rufen, der oder die die Verlautbarung von Janus Didier gelesen hat."

"Oh, dann dürften die aber nicht hören, was für einen tollen Patronus ich rufen kann", meinte Julius dazu.

"Da mach dir mal keine Sorgen, Julius! Du bist zwar verheiratet, aber in allen anderen Punkten gesetzlich immer noch nicht volljährig und daher von dieser Notstandsverfügung ausgeschlossen. Allerdings könnte Professeur Faucon verpflichtet werden, nach dem Unterrichtstag auszuhelfen. Ich bin laut Heilerstatut verpflichtet, an meinem Einsatzort zur Verfügung zu bleiben."

"Das brächte nur was, wenn die alle den Patronus können, und zwar gestaltlich und ausreichend lange vorhaltend", erwiderte Julius. Madame Rossignol stimmte ihm zu. Dann sagte sie noch: "Da Millie keine Saalsprecherin ist und du ja kein großes Aufheben darum machen möchtest, wo du warst teile ich ihr nur mit, daß du wieder da bist und sie dich morgen Früh wieder sehen wird." Julius nickte. Daß er mit seiner Frau in Beauxbatons mentiloquieren konnte wollte er der Heilerin nicht auf die Nase binden, falls die es noch nicht wußte.

Nach dem Einsatz gegen die Dementoren war für ihn um elf Uhr die Reise zwischen den Saturnringen wie ein Ferientag. Er heimste neben Laurentine Bonuspunkte ein, als er beschrieb, daß die Monde Prometeus und Pandora die Bestandteile des F-Rings des Saturns mit ihrer Eigenschwerkraft wie Schäferhunde zusammenhielten, so daß sie nicht auf den Saturn selbst abstürzen oder von diesem fortfliegen konnten. Er bereute es nicht, diese perfekte Illusion mitzuerleben. Die gelblich-braune Wolkendecke des Riesenplaneten glänzte im Schwarz des Weltraums. Als er mit Hilfe der Illusionsmagie auf einem Eisbrocken groß wie ein Haus stand, blickte er für einige Sekunden auf die Wölbung des gigantischen Wandelsterns.

"Welche Widerscheinstärke besitzt der Saturn?" Fragte Professeur Paralax seine Schüler. Laurentine und Julius meldeten sich.

"0,47, Professeur", durfte Laurentine antworten. "Also 0,08 über der Albedo der Erde."

"Der wäre also heller als die Erde zu sehen, wenn er auf Höhe der Erdbahn um die Sonne kreiste", ergänzte Professeur Paralax. Dann fragte er, welches Kuriosum der Saturn zu bieten habe. Keiner schien zu verstehen. Dann grinste Julius und meldete sich.

"Da Saturn zum überwiegenden Teil aus gasförmigem Wasserstoff besteht hat er eine mittlere Dichte von 0,6 Gramm pro Kubikzentimeter. Wasser hat eine mittlere Dichte von einem Gramm. Wenn also wer eine Badewanne bauen würde, in die der Saturn reinpaßt, und die voll Wasser gießen könnte, würde der Planet auf dem Wasser schwimmen wie eine Gummiente oder ein Stück Holz." Alle lachten. Paralax nickte. Er sagte, daß das auch die Astronomen der Zaubererwelt amüsiert habe, als sie die Werte aus der Muggelwelt nachprüfen und bestätigen konnten. Ich möchte jedoch nicht die weiterführenden Ausschmückungen dieses amüsanten Denkansatzes durchgehen und fragen, wie viel Wasser man denn dafür bräuchte und wie oft die Wassermenge der gesamten Erde dort hineingehen würde. Denn im wesentlichen geht es um die natürlichen eigenschaften des Planeten und nicht um die Phantasie von Rechenkünstlern." Wieder lachten alle. Julius tat es so gut, eine spannende, informative und auch lustige Unterrichtsstunde zu erleben. Als sie dann wieder unter der wirklichen Erscheinung der Astronomiekuppel standen wünschte der Lehrer seinen Schülern eine gute Nacht.

In seinem Bett mentiloquierte er noch einmal mit Mildrid und teilte ihr mit, was ihm am Abend passiert war.

"Dann soll deine Mutter zu Oma Line umziehen. Da ist ein Sanctuafugium-Zauber und keine Muggelabwehr", erhielt er zurück, als er weitergab, daß seine Mutter mit dem Gedanken an Auswanderung spielte.

"Und glaubst du, Joe Brickstons große Klappe könnte dem noch übel aufgestoßen sein?" Fragte Millie auf unabhörbarem Weg.

"Auch Professeur Faucon muß sich an gültige Gesetze halten. Kann mir aber Vorstellen, daß sie ihn noch einmal richtig heftig zusammenstaucht."

"Werden wir ja morgen mitbekommen", erwiderte Millie. "So, und jetzt wird geschlafen! Morgen früh haben wir bei Fixie Zaubertränke. Wenn du da einpennst freut sich Bernie, und wir beide kriegen unnötig Strafpunkte."

"Ich hab dich auch lieb", schickte Julius zurück.

"Ich freu mich schon auf die Ferien, das du mir das wieder zeigen darfst", gedankenschnurrte Millie zurück. Julius schmunzelte nur.

__________

"Guten Morgen, Julius!" Weckte Viviane Eauvives gemaltes Ich ihn um viertel nach fünf. "Deine Mutter bat mich, dich zu wecken und darüber zu informieren, daß Professeur Faucon und Madame Grandchapeau sie davon überzeugt haben, daß eine Flucht das falsche Signal sei. Daher wird sie in der Rue de Liberation 13 verbleiben und von dort aus für das Büro für Kontakte zur nichtmagischen Welt arbeiten. Um der Dementorenplage künftig zu begegnen werden zehn ausgesuchte Experten für Dementorenabwehr jeden Abend um das Haus Stellung beziehen, falls die Angriffe wirklich auf euch beide abzielen sollten. Professeur Tourrecandide hat sich auch zu diesem Einsatz gemeldet, da sie einen geflügelten Patronus aufbieten kann. Joe Brickston erklärte sich einverstanden, seine bisherige Betätigung aufzugeben und ebenfalls für das Büro für Kontakte in die Nichtmagische Welt zu arbeiten. Sein Arbeitsherr und die mit ihm werkenden Kollegen werden durch Gedächtnismodifikation mit der Erinnerung versehen, ihn bereits vor einer Woche in ein erfolgreiches Arbeitsleben im Land jenseits des Ozeans verabschiedet zu haben. Er erhielt keine körperliche Strafe von Professeur Faucon. Ob sie ihm anderweitig Achtung vor sich lehrte, erfuhren weder Martha noch ich." Julius machte nur "mhmm". "So erhebe dich, wenn du magst und genieße das Wetter. Der Sturm ist wohl verweht."

"Bis zum nächsten Sturm", grummelte Julius. Und das wohl in jeder Hinsicht.

Beim Frühstück suchte sie alle wieder diese Trübsal heim, die sie eine Woche zuvor schon erleben mußten. Denn die Zeitung machte groß mit dem neuen Angriff der Dementoren auf.

DÜSTERER STURM RÜTTELT AN FUNDAMENTEN VON ZAUBEREIMINISTERIUM

MAGISCHE GEMEINSCHAFT FORDERT VON ZAUBEREIMINISTER GRANDCHAPEAU: "GENERALBEWAFFNUNG ODER RÜCKTRITT!"

Wieder einmal fegte ein verheerender Orkan über unser großes Land hinweg. Es war jedoch nicht nur der wütende Wind, der Städte und Dörfer heimsuchte und an Häusern und Bäumen rüttelte. Im Schutze des unbändigen Unwetters stießen ganze Legionen von Dementoren vom Atlantik, der Nordsee und dem Mittelmeer her in unser Land vor und fielen wie gefräßige Schatten in Paris, Marseille, Toulouse, Avignon, Dijon, Straßburg und Bordeaux ein. Wieder einmal zeigten sich die hauptamtlichen Wächter der magischen Welt der hereinbrechenden Übermacht gegenüber so gut wie schutz- und ideenlos. Auch wenn bei diesem größten bisher auf unser Land stattgefundenen Angriff von auswärts jene mysteriösen Mittel wirkungsvoll eingesetzt wurden, die Dementoren zerstören können, hinterließen diese Schreckgestalten einen tiefen, schmerzenden Eindruck im Gemüt der magischen Bevölkerung und verheerten die Städte der Muggel. Diesmal raubten sie einhundert Muggeln das innere Selbst und warfen zehn beherzte Zauberer nieder, die unter ihrer Angriffswoge nicht vermochten, sie zurückzuschlagen. Beinahe wäre die weithin beliebte Wohn- und Einkaufsstraße Rue de Camouflage von den sich durch sie wälzenden Eindringlingen besetzt und verheert worden. Doch es gelang, sie noch einmal zurückzutreiben. Dabei verlor Belenus Chevallier, der eine Rotte fliegender Dementoren vom Besen aus bekämpfen wollte, die Balance und fiel herab. Zwei Dementoren fingen ihn ein und vollzogen an ihm jene grausame Tat, die als Kuß des Dementors weithin gefürchtet ist. Danach ließen sie seinen leeren, atmenden Leib aus fünfzig Metern Höhe fallen. Er gab sein Leben für die magische Welt. Doch muß der amtierende Zaubereiminister Grandchapeau sich auf Grund des tragischen Endes seines treuen Vasallen fragen lassen, ob es nicht klüger gewesen wäre, den Ratschlag eines erfahrenen Mitarbeiters anzunehmen und die Generalbewaffnung auszurufen, die alle volljährigen Mitglieder unserer magischen Gesellschaft dazu verpflichtet, ihre Einsatzkraft dem Kampf gegen die Eindringlinge zu widmen. Monsieur Janus Didier erneuerte seine Forderung nach diesem notwendigen Schritt. Ansonsten sei nur noch der Rücktritt des Ministers ein ehrenvoller Akt, darin wisse er sich mit der Mehrheit der magischen Gemeinschaft einig. Heute noch will der Minister eine öffentliche Stellungnahme abgeben, in der er uns endlich erklären will, wie wir uns dieser andauernd zuschlagenden Gefahr erwehren können, um unsere Freiheit zu bewahren. Die geraubten Seelen von mehreren hundert Muggeln, sowie die zehn durch die dunklen Kräfte der Dementoren zu Tode gekommenen Muggel, werden seine Schuld so laut hinausschreien, daß er nicht mehr umhin kommt, alles aufzubieten, was unsere Gesetze erlauben, um die Gefahr von den britischen Inseln zu bannen.

Der Miroir Magique fragt nach, wer denn im Falle von Minister Grandchapeaus Rücktritt sein Amtsnachfolger wird. Dort jedoch möchte man sich nicht zu Spekulationen hinreißen lassen. Auf die Frage, ob dann auch die von Minister Grandchapeau eingesetzten Abteilungs- und Büroleiter ihre Ämter aufgeben müßten, da viele von ihnen gute Schulfreunde oder Verwandte Armand Grandchapeaus seien, darunter seine eigene Frau und die einzige Tochter Belle, deren Schwiegervater Midas Colbert ebenfalls zu den guten Schulfreunden des Ministers gehört. Wir erinnern unsere Leser gerne daran, daß wir seinerzeit schon die Frage stellten, ob die Besetzung von Posten mit Freunden und Verwandten ein Akt der Korruption sei oder eine hinzunehmende Anleihe an einen auf einen loyalen Mitarbeiter Stab angewiesenen Minister, der uns, dies sei hier auf jeden Fall noch einmal hervorgehoben, mehr als zehn Jahre lang der französischen Zauberergemeinschaft exzellente Dienste geleistet hat. Somit dürfte es eigentlich keine Frage sein, daß wir heute noch werden vermelden dürfen, daß Zaubereiminister Grandchapeau zum Wohl unserer magischen Gemeinschaft handeln und dem ausländischen Feind die geballte Wehr unseres Landes entgegenstellen wird.

"Ihr heuchlerisches Pack", schnarrte Julius, als er den neuen Aufmacher des Miroirs gelesen hatte und darauf verzichtete, über Grandchapeaus Werdegang und Personalentscheidungen weiterzulesen. Robert fragte ihn, was er meine und so sagte er diesem: "Die wollen den eigentlich mit einem Tritt in den Hintern aus dem Amt schießen und schmieren ihm noch Honig um den Mund, weil er ja doch wohl das richtige tun wird. Die regen sich über die von ihm eingesetzten Abteilungsleiter auf, beschimpfen das als Vetternwirtschaft und sagen gleichzeitig, das sowas ja auch gut sei, damit es klappt."

"Die haben hier auch was über die Rue de Liberation stehen."

"Womöglich, daß mehrere unschuldige Muggel da mit ihren Autos in den Tod gerast sind", knurrte Julius. Robert tippte auf den betreffenden Artikel. Julius las, daß dieser Ort wohl besonders wichtig für die Feinde sei und auch, daß dort wohl zehn Desumbrateure aufgestellt werden sollten. Der provisorische Strafverfolgungsleiter Montpelier habe das noch unterschrieben, da es augenfällig geworden sei, daß die Angreifer die Bewohner eines bestimmten Hauses in ihre Gewalt bringen wollten. Dann stand da noch etwas über Catherine Brickston, ihren "Muggel-Ehemann" Joe und die beiden Kinder Babette und Claudine, und auch, daß auf Catherine Brickstons und Madame Delamontagnes Hinwirken Martha Andrews mit ihrem Sohn Julius dort eingezogen sei. Wieder wurde aufgeworfen, daß die Dementoren nur wegen ihm ins Land eingefallen seien. Doch einige Seiten weiter stand klein ein Leserbrief eines Muggelstämmigen, der es geschafft hatte, der Registrierungskommission des britischen Zaubereiministeriums zu entwischen. Der entschuldigte sich für die Unannehmlichkeiten, die das Zufluchtsland wegen ihm erdulden müsse und kündigte seine schnellstmögliche Weiterreise in ein Land an, dessen Namen er nicht nennen wollte.

"Wie viele, die den Patronus können gibt's in Frankreich?" Fragte Robert verdrossen. "Wenn da wirklich über tausend Dementoren durchs Land gezogen sind, kriegen die mit zwanzig Zauberern mehr auch keine gescheite Abwehr hin."

"Die müßten die Experten schon klonen, um den Dementoren was entgegenzusetzen", erwiderte Julius verbittert. Dann zuckte er zusammen, weil ihm an dieser Vermutung etwas sehr bekannt vorkam. Robert fragte, was das sein sollte, Klonen. Er erklärte es ihm und das der Schwarzmagier Bokanowski es meisterlich beherrscht habe.

"Ach deshalb hat dich das erschreckt, Julius, weil deine Lebensretterin ihn und sein geheimes Wissen plattgemacht hat, das wir jetzt brauchen könnten?"

"Komm, hör auf, Robert. Da hätten wir uns alle schämen müssen, das überhaupt zu überlegen. Neh, mir ist da nur was anderes eingefallen, was mich schon die ganzen Tage beschäftigt hat. Die Dementoren machen Chaos, küssen Leute und verbreiten Angst. Jetzt schreien Leute laut nach einer Zaubererarmee, die uns alle beschützen soll. Das kann sie aber nur, wenn sie Lord Unnennbar und dem Marionettentheater Thicknesse den Vergeltungskrieg erklärt. Das macht noch mehr Chaos, und was passiert dann? Nicht nur das die besten Kämpfer an vorderster Front ihre Köpfe hinhalten müssen und dabei leicht draufgehen können, sondern daß total verängstigte Leute dann auch nach einem superstarken Führer schreien, der sie alle beschützt. Dann kommt noch dazu, daß alle Angst haben, ihr Nachbar könnte mit dem Feind zusammenarbeiten, wie das in England ja jetzt durch dieses Geschmiere über die sogenannten Schlammblüter läuft. Und wo enden wir dann?"

"Ähm, Moment, ähm, wenn dann wer Minister wird, der zum Gegenkrieg aufruft, macht der wohl neue Gesetze, die ihm mehr Möglichkeiten geben. Der sagt dann erstmal, daß er bis auf unbestimmte Zeit Minister bleibt, macht dann klar, wer in der Armee aufgestellt wird und schreibt sich auf, wer vielleicht was dagegen haben könnte", sagte Robert. "Und läßt dann noch ab, daß es Helfer des Feindes im Land gibt, die alle aufgespürt werden müssen. Dann läuft der Krieg, und wer immer den gewinnt ist nicht besser als Du-weißt-schon-wer."

"Besser noch, der Krieg läuft, die besten von uns gehen drauf, die Dementoren umzingeln uns endgültig und der amtierende Minister erkennt, daß es sinnlos ist, gegen diesen Superfeind zu kämpfen. Was haben wir dann?" Bohrte Julius nach, dem seine eigenen Schlußfolgerungen nicht gefielen.

"'ne total kaputte Zauberergemeinschaft, die von diesem Arschloch beherrscht wird", stöhnte Robert.

"Also den Kraftausdruck verbitte ich mir, Monsieur Deloire", fauchte Professeur Faucon, die von hinten an die eifrig miteinander sprechenden Jungenherangetreten war. "Zwanzig Strafpunkte für Sie und zehn für Sie, Monsieur Latierre, weil Sie ihm das haben durchgehen lassen. Aber die von Ihnen angestellte Schlußfolgerung erscheint mir sehr unangenehm plausibel", sagte sie dann noch.

"Gab es da nicht so'n Spruch, Teile und herrsche?" Fragte Julius, nachdem er die zehn Strafpunkte verdaut hatte.

"Das ist eine Grundlage dieses Vorgangs, der sich nun vor unser aller Augen und Ohren vollzieht. Die anderen Begriffe lauten Prädestination und Konditionierung. Die Sturmläufe der Dementoren sollen uns durch Angst und Verlust in eine für laute Racherufer günstige Stimmung versetzen und uns darauf einstimmen, einem Vergeltungskrieg zuzustimmen. Mit anderen Worten, Messieurs, Sie und ich sind die bangenden Zeugen eines fundamentalen Angriffs auf unsere freie Zaubererwelt, nachdem jener wahnhafte Magier, der seinen Namen in seiner Heimat mit einem Fluch belegt hat, seine Machtposition gefestigt hat. Ich kann Ihnen in diesem Zusammenhang auch mitteilen, daß der deutsche Zaubereiminister Güldenberg bereits ähnliche Schwierigkeiten hat. Allerdings haben sie in Deutschland nach einem Durchmarsch von Dementoren im Februar wirksame Frühwarnzauber eingerichtet und haben eine Freiwilligenarmee, die sich aus Zauberern aller Schichten gebildet hat. Dies ist schon zum Einsatz gekommen. Güldenberg konnte als entschlossener und vorausschauender Zaubereiminister seine Macht behaupten. Wahrscheinlich wird Minister Grandchapeau die Forderung nach Generalbewaffnung umgehen, indem er die Nachbarländer zu Hilfe ruft und das deutsche Frühwarnsystem übernimmt."

"Ich fürchte, die Falken fliegen schon. Meine Mutter hat das zumindest mal so genannt, wenn jemand laut nach Krieg schreit", sagte Julius.

"Was hatte ich einmal gesagt? Hoffnung und Angst sind die stärksten Gemütsbewegungen, um viele Menschen in bestimmte Richtungen zu lenken", erwiderte Professeur Faucon. Dann zog sie sich wieder zurück.

"Mann, diese Strafpunkte hätte die uns echt ersparen können. Außerdem kommt mir das echt langsam nervig vor, daß die morgens andauernd zu uns rüberkommt. Die anderen Saalvorsteher machen das nicht", knurrte Robert und waartete förmlich darauf, daß Julius ihm dafür Strafpunkte gab. Doch der tat so, als habe er das jetzt nicht gehört. Ihn ärgerte viel mehr, daß Professeur Faucon seine Vermutungen teilte. Sie dachte also auch, daß sie gerade alle auf eine Katastrophe zusteuerten, und die meisten Leute dann noch Hurra rufen würden, wenn sie eintrat. Denn so hatten fast alle Kriege angefangen, über die sich Julius in den Sommerferien schlau gelesen hatte. Voldemort zog an strammen, dünnen Fäden, und wenn sie nicht aufpaßten, würde bald nicht nur Thicknesse daran zappeln, tanzen und springen.

Millie freute sich, Julius wieder sehen zu können. Zwar durften sie sich nicht innig umarmen oder küssen, solange wer das weiterpetzen würde. Aber sie schüttelten sich beide Hände.

"Oha, Brunos Opa war das, Julius. Wie konnte der so vernagelt sein, voll in eine Gruppe Dementoren reinzufliegen. Ich hörte von César, daß der wiederum bei euch damals in Hogwarts gehört hat, daß Harry Potter bei aufkreuzenden Dementoren vom fliegenden Besen gekippt ist. Das hätte Monsieur Chevallier wissen müssen."

"Montpelier heißt der neue. Callistos Vater?" Fragte Julius.

"Großvater, Julius", berichtigte ihn Millie. Sofort sah Julius einen Mann wie einen Kleiderschrank vor sich stehen, der vielleicht angegrautes Haar haben mochte. Bernadette fragte Julius herausfordernd:

"Na, was glaubst du, Julius. Wird Grandchapeau den totalen Krieg mit Du-weißt-schon-wem anfangen oder lieber den Hut nehmen?"

"Beides wäre verkehrt", sagte Julius.

"Ich frage mich, warum Leute wie die Chermot, die dich in den letzten Jahren immer so hofiert haben nicht schon längst ein Interview mit dir geführt haben, wie du zu den Vorwürfen stehst, diese Angriffe fänden wegen dir statt."

"Und du willst uns was vormachen, wie schlau du bist, Bernadette", knurrte Millie. Bernadette lächelte kalt. Doch Julius gab ihr eine Antwort, die sie nicht so kalt ließ:

"Wenn du damit meinst, ich sollte in der Zeitung auftreten, um mich bei allen zu entschuldigen, die meinetwegen Probleme bekommen haben, wie der Typ aus dem Leserbrief heute Morgen, dann könnte ich auch gleich rauslassen, das alle, die zu schlau für den Irren von meiner Heimatinsel sind mit ausgeliefert werden müssen, weil der ja sonst immer Angst haben müßte, jemand könnte hier gegen ihn aufstehen. Aber den Gefallen tue ich dem nicht."

"Also ich habe keine Probleme mit dir, solange klar ist, daß du nicht zu uns gekommen bist, weil du und deine Mutter drüben was angestellt habt", knurrte Bernadette.

"Klar haben meine Mutter und ich was angestellt. Ich habe die Frechheit besessen, in ihr zu entstehen, und sie hat die Dreistigkeit besessen, mich zur Weltzubringen und zum Zauberschüler großzuziehen, obwohl sie selbst nicht zaubern kann. Frag mal deine Mutter, ob sie den für einen Sohn bestimmten Ehrgeiz nicht mutwillig in eine Tochter reingepackt hat!"

"Ich kann dir leider für diese Respektlosigkeit keine Strafpunkte geben, Julius Latierre", schnaubte Bernadette. Julius erwiderte darauf nur "Dito, Bernadette." Darauf schob sie ab. Millie grinste ihren Mann an.

"Die wollte wissen, ob du dich schuldig fühlst, Julius."

"Klar, dann könnte ich ja gleich den Dementoren in die Arme springen. Nach dem Klops, den die sich mit Pivert geleistet hat hängt sie gut im gelben Bereich."

"Und so'n Pech, daß Pivert nur eine Woche später selbst rausgeflogen ist. Das wolltest du doch sagen, Julius", bemerkte Millie. Julius nickte. Dann erschien Professeur Fixus, und der Unterricht begann wieder.

Die Stimmung war nicht mehr so harmonisch wie früher, erkannte Julius, als er mittags am Tisch saß. Zwar machte ihm niemand ernste Vorwürfe, an den Dementorenüberfällen Schuld zu sein. Aber die bösen Unterstellungen in der Zeitung schinen langsam wie Weizenkörner in der Erde aufzukeimen. Julius fragte sich, wie oft das wiederholt werden mußte, daß nur wegen Voldemorts Wahn und dem Asyl für Julius und andere Muggelstämmigen hunderte von Leuten hatten sterben müssen, denn das war wohl so, wenn Dementoren einem die Seele aussaugten.

Abends kam dann tatsächlich eine Sonderausgabe mit Minister Grandchapeaus Entscheidung heraus. Madame Maxime las sie laut vor:

"Ich habe als Zaubereiminister in den letzten Tagen einiges erduldet, was ein anderer als Beleidigung oder tiefe Schmach hingenommen hätte. Ich habe als Zaubereiminister Dinge zu verantworten, die jeden anderen sofort in wilder Panik zur Flucht getrieben hätten. Ebenso stand ich alleine mit der Trauer um mehrere gute Freunde und wackere Hexen und Zauberer da. Niemand hat auch nur ein Wort darüber verlauten lassen, daß er oder sie mit mir fühlt und mir Mut wünscht, diese Krise mit der nötigen Besonnenheit und Übersicht durchzustehen. Es ist leider wahr, daß wir derzeit von einem übermächtigen Feind bestürmt werden, der uns alle Hoffnungen rauben will. Er will uns mit seiner wiederholten Machtdemonstration dazu drängen, einander zu mißtrauen und einander Vorzuwerfen, nicht stark und entschlossen genug zu sein. Auch wurde wiederholt geschrieben und von Leuten aus meiner Umgebung hinter meinem Rücken verbreitet, ich würde ausländische Kriminelle beschützen. Das mit dem beschützen gestehe ich ein und füge hinzu, daß ich und alle, die mich nach wie vor unterstützen, stolz darauf sind, diesen Mut gegen einen grausamen Feind zu offenbaren. Jetzt rufen viele nach einer Generalbewaffnung, nach einer starken Streitmacht, die dem Feind entschlossen entgegentritt. Sicher, andere Amtsträger würden wohl diesen Schritt tun, alle, die gut in Abwehrzaubern sind, dazu zu zwingen, sich für das Ministerium und die gesamte magische Gemeinschaft aufzuopfern. Ich jedoch sehe es so, daß wir dem Feind nur einen großen Gefallen tun, wenn wir uns auf einen verheerenden Krieg einlassen. Rufe ich jetzt zur Bildung einer Zaubererarmee auf, könnte ich gleich die Frage stellen: "Wollt ihr den totalen Krieg?" Das ist ein Zitat eines fanatischen Mannes, der für eine menschenverachtende Gruppe von Verbrechern die geknechtete Bevölkerung dazu antreiben wollte, den bereits verlorenen Krieg mit mehreren selbstverschuldeten Feinden weiterzuführen. Ich will gar nicht erst anfangen, einen totalen Krieg zu führen. Verteidigung mit allen Mitteln ja. Aber nicht auf Kosten unserer Freiheit und vor allem unserer Würde. Daher habe ich beschlossen, es jeder und jedem selbst zu überlassen, ob er oder Sie die eigene Familie durch Kampf verteidigt oder die weiteren Schutzmaßnahmen beansprucht, die das Ministerium anbietet. Angeblich soll ich nur die Möglichkeiten haben, die Generalbewaffnung oder den Rücktritt. Ich wähle den Mittelweg und sage, daß wir daran gehen sollen, die bekannten und selten bekannten Schutzzauber zu verbessern und um unsere Häuser zu legen. Hierzu werde ich mich zu einem hier nicht näher zu nennenden Zeitpunkt mit Experten treffen, die mir bereits ihre Unterstützung zugesagt haben. Des weiteren werden gerade in der Rue de Camouflage Schutzhäuser errichtet, in die magische Familien mit einem Notfallportschlüssel verschwinden können. Um die Muggel vor weiteren Übergriffen besser zu schützen werden auf Grund der Erfahrung entwickelte Frühwarnzauber installiert, die für die zehn größten Ortschaften unseres Landes genug Vorwarnzeit bedeuten, um dort und in der Umgebung ansessige Desumbrateure zu alarmieren. Allerdings weise ich niemanden zurück, der nachweislich gute Kenntnisse in der Abwehr dunkler Kräfte besitzt, uns zu unterstützen. Ich kündige hiermit auch an, daß die Dementoren uns unfreiwillig eine Schwäche offenbart haben, die wir bei den nächsten Angriffen nutzen werden. Es geht dabei um ihre Unfähigkeit, Menschen und andere wesen mit Augen zu sehen. Sie können sie nur an den ausgestrahlten Gefühlen erkennen und sie als lohnende Beute ausmachen. Eine Erfindung, die bis dahin nicht zum praktischen Versuch antreten konnte, hat sich bewährt und konnte entscheidend verbessert werden. Damit werden wir ab heute Abend die Muggelstädte sicherer machen. Wenn Sie glauben, daß ich hier etwas daherrede, weil ich an meinem Amt klebe und trotzdem keinen Sinn in einer unsinnigen Kraftdemonstration sehe, dann dürfen Sie mich gerne in einer Woche noch einmal um meinen Rücktritt ersuchen. Sollte jedoch bis dahin jede kommende Attacke ohne Schaden für alle Menschen in Frankreich verebben, werde ich mir gerne die Zeit nehmen, mir die Entschuldigungen derer anzuhören, die auf Grund ihres Alters oder erworbener Expertenfähigkeiten immer schon gewußt haben, daß ich ein verantwortungsloser, unentschlossener Minister sei und sie es jederzeit besser machen würden als ich. Und sollte die Lage sich verschlimmern anstatt zu verbessern, so werde ich mir mit dem gebotenen Respekt ansehen, welche Besserungen mein Nachfolger vorzuweisen haben mag. Ich bin und bleibe Ihr Zaubereiminister, Armand Grandchapeau."

Ein Tuscheln hob an, als Madame Maxime diese Meldung verlesen hatte. Natürlich wollten jetzt alle wissen, was das für eine großartige Erfindung sein sollte, die Dementoren überlisten konnte. Falls es sie gab, dann wollte natürlich jeder wissen, warum sie nicht schon längst im Gebrauch war.

Nach dem Duelliertraining, bei dem Professeur Faucon Julius unter dem Depressissimus-Fluch den Patronus-Zauber versuchen ließ, was erst im sechsten Ansatz ging, bat sie ihn zu Madame Maxime zu gehen. Dort traf er seine Mutter, Gabrielle, Millie und Catherine an.

"Ich frage mich, warum ich nur so rüberkommen kann", grummelte Martha Andrews und deutete auf Claudine Brickston, die in den Armen ihrer Mutter lag. "Eine ordinäre Mensch-zu-Ding-Verwandlung täte es doch auch."

"Wir haben das geklärt, Martha, warum so und nicht anders", erwiderte Catherine. Julius fragte, wer jetzt auf das Haus, Joe und Babette aufpaßte.

"Babette ist bei meiner Tante Madeleine und Joe in Millemerveilles im Zauberschlaf", sagte Catherine. Dann räusperte sich Madame Maxime und erklärte den Beginn einer neuen Sub-Rosa-Sitzung, wobei sie auf die am Kronleuchter baumelnde weiße Rose deutete.

"Ich habe Sie alle noch einmal zusammengerufen, weil ich drei Dinge mit Ihnen klären möchte. Erstens den Fortschritt der Fluchthilfeaktionen für bedrohte Muggelstämmige aus England. Zweitens möchte Professeur Faucon uns einen kurzen Bericht über Verbündete geben, die nicht namentlich genannt werden wollen und denen wir uns auch nicht selbst offenbaren. Drittens möchte ich von Monsieur Latierre wissen, wie die Lage in Hogwarts ist."

Julius errötete leicht an den Ohren. Von Gloria Porter hatte er in den letzten Tagen gar nichts gehört, außer daß sie noch lebte. Alles andere hatte er von Aurora Dawns Bild-Ich in Hogwarts. Doch zuerst erstattete Martha Andrews ihren Bericht und nannte die Namen der erfolgreich aus England herausgeschleusten Muggelstämmigen, mußte aber auch einräumen, daß jene, die in Zauberersiedlungen lebten, wohl schon verhaftet worden seien. Bei einem von ihnen, Tim Abrahams, wußte sie nicht, ob er von sich aus geflüchtet, gefangengenommen oder getötet worden war oder sich versteckt hielt. Dazu konnte Professeur Faucon was sagen:

"Wenn es Sie beruhigt, Martha, Tim Abrahams wurde gerade noch rechtzeitig in Sicherheit gebracht und befindet sich derzeit an einem Ort, über dessen Lage ich nicht informiert wurde. Ich kenne jedoch die Person, die ihn dort beherbergt, auch wenn ich mir über deren Motiv nicht so recht sicher bin. Es ist aber keine Person aus den Reihen der Todesser."

"Das ist doch der, der in der Desinformationsabteilung gearbeitet hat", sagte Julius. "Den hast du doch schon seit September gesucht, Mum."

"Ja, und jetzt erfahre ich erst, daß er untergetaucht ist oder Unterschlupf gefunden hat."

"Das gehört eigentlich schon zu zweitens, Martha. Deshalb fahren Sie bitte mit den bisher erzielten Ergebnissen fort!" Sagte Madame Maxime, die Moderatorin.

"Einige konnten wir nicht rechtzeitig finden. Da steht fest, daß sie wohl festgenommen und abgeurteilt wurden. Zumindest hat Catherine Brickston das herausgefunden." Catherine nickte. Als dann die Liste der Erfolge und Mißerfolge abgearbeitet war erklärte Professeur Faucon, daß sie nun festen Kontakt mit einer Gruppe von magischen Personen habe, die bereits frühzeitig gegen die Macht des Unnennbaren ankämpfe. Diese Gruppe habe sich sofort einverstanden erklärt, die britische Sektion der Fluchthilfeorganisation zu sein. In diesem Zusammenhang rückte Professeur Faucon damit heraus, daß die Liste der gefährdeten Hexen und Zauberer aus dieser Quelle stammte, von ihr jedoch auch anders bestätigt worden sei. Julius konnte sich denken, wen sie meinte, hatte er dieser Gruppe doch am ersten August ein kleines Paket zugespielt. So fragte er, ob sie diesen Kontakt seit August habe. Sie nickte nur. Das reichte Martha, Catherine, Millie und Julius. Dann durfte Julius noch berichten, was in Hogwarts seit der letzten Sitzung stattgefunden hatte, soweit er es von Aurora Dawn und Gloria Porter wußte. Die in einem Bilderrahmen erschinene Jane Porter flocht dann noch ein, daß es in Amerika gerade nicht zum guten Ton gehörte, Verteidigungsexperten und Verteidigungsartefakte außer Landes zu schaffen. Sie erwähnte in dem Zusammenhang auch, daß Hercules Moulin unter ständiger Aufsicht einiger Leute vom Zaubereiministerium bei Aubartia untergebracht worden sei.

"Wenn wir schon mal hier sind", setzte Julius an, "was ist das bitte für eine Erfindung, die der Minister heute so groß beworben hat?"

"Das ist eine Erfindung von Feensand", setzte Professeur Faucon an. "Der deutsche Zaubereiminister Güldenberg hat sie bereits gegen Dementoren eingesetzt, es aber geheimgehalten. Wir durften drei Exemplare dieses Artefaktes ausprobieren. Es ist ein Gefühlsstreuer, der die eigene Geistesausstrahlung verstärkt, jedoch dabei so breit und unstet ausrichtet, daß damit eine Aura von mehreren Dutzend Metern Umkreis erzeugt wird. Dementoren können einen Menschen nur dann klar ausmachen, wenn dessen Geistesausstrahlung knapp anderthalb seiner Körpergrößen nicht überschreitet und keine tierhaften Gedankenenergien enthält. Und damit haben wir die wohl patentreife Lösung. Diese Artefakte können in verschiedenen Größen angefertigt werden und leicht in Halsbändern für Hunde, Vogelkäfigen oder Katzentoiletten versteckt werden. Damit ausgestattete Tiere überlagern so die ausgestreuten Gefühlsschwingungen von Menschen. Dementoren werden also gemäß ihres reinen Sinnes für Gefühlsarten nur eine riesige, tierhafte Gefühlsmuster tragende Fläche erkennen. Das Problem ist nur, daß diese Artefakte nicht so schnell hergestellt werden konnten, aber mittlerweile kann jeder zehnte Hund oder jeder achte Vogel damit präpariert werden. Ab morgen werden aus Deutschland noch weitere dieser Artefakte zu uns kommen. Sollte es bis dahin keinen Dementorenangriff gegeben haben, dürften die nächsten Angriffe die Angreifer selbst verwirren."

"Toll. Und diese Gefühlsstreuer waren echt nicht eher fertig? Dann könnten wir die doch auch nach Großbritannien schaffen", meinte Julius.

"Besser nicht, weil sonst die Möglichkeit besteht, daß die Todesser Gegenzauber entwickeln, um ihre düsteren Diener wieder einsatzfähig zu machen. Deshalb wird über diese Erfindung auch nichts öffentlich verlautbart. Euch und Ihnen sage ich es nur, weil einige von Ihnen in den letzten Tagen unliebsame Kontakte mit Dementoren hatten", wandte Professeur Faucon ein. Martha, Catherine und Julius nickten. Dann brachte Julius noch die Zeitungsmeldung vom Morgen ins Gespräch. Seine Mutter bestätigte, daß sie ein derartiges Vorgehen auch schon vorhergesehen hatte. Der Feind führte mehr oder weniger starke Angriffe aus, um die Bevölkerung entweder in Angst erstarren oder in blindem Haß zur Vergeltung stürmen zu lassen. Sie meinte dann noch: "Es gibt nichts neues unter der Sonne. Wer genug Geschichtsdaten hat findet alles irgendwie wieder. Und offenbar weiß Zaubereiminister Grandchapeau das auch, sonst hätte er dem Aufschrei nach einem Gegenschlag und einer Armee wohl entsprochen, um sein Amt zu behalten."

"Dann stelle ich jetzt einmal die Bange Frage: Wie lange wird man es Minister Grandchapeau erlauben, Minister zu bleiben, wenn er sich nicht zum Erfüllungsgehilfen des britischen Marionettentheaters machen lassen will?" Gab Julius betrübt von sich.

"Hoffentlich lange genug, um darauf vorbereitet zu sein, wenn er wider aller Vorkehrungen und allem Rückhalt das Amt verlieren oder sterben sollte, was ihm hier niemand wünscht", sagte Professeur Faucon. Madame Maxime nickte. Martha erwähnte dann nach einem fragenden Blick zu Professeur Faucon und Catherine, daß an dieser Möglichkeit und wie damit umzugehen sei bereits gearbeitet werde. Aber davon dürfe im Moment niemand außerhalb der Gruppe etwas wissen, die daran saß. Sie sagte dann noch: "Sollte es zum Sturz von Minister Grandchapeau kommen und entweder ein blutiger Vergeltungskrieg entflammen oder ein Nachfolger auftauchen, der unseren Feind beschwichtigen will, gilt es, das gleiche zu tun, was hier in Frankreich vor siebenundfünfzig Jahren getan wurde, nämlich eine Gegenbewegung zu formieren, die aus dem Untergrund heraus und irgendwann als Alternative zur vorherrschenden Macht wirksam wird."

"Aha, eine Gegenregierung", vermutete Madame Maxime. Gabrielle verstand kein Wort. Professeur Faucon erklärte ihr dann, daß es zu allen Zeiten in von Gewaltherrschern regierten Ländern üblich gewesen war, Aufstände zu organisieren und sogar eine heimliche Gegenregierung zu bilden, die auf den Tag hinarbeitete, den Gewaltherrscher zu stürzen und dann, ohne ein gefährliches Chaos ausbrechen zu lassen, die Staatsgeschäfte übernahm. Das Problem dabei sei nur, daß durch die Geheimhaltung die Zuwachsrate der Gegenbewegung klein gehalten werden mußte, um nicht aufzufallen und vor allem den Schaden durch eingesickerte Verräter klein zu halten. Das verstand Gabrielle nun.

Sie beschlossen noch, weiter nach Wegen zu suchen, um Muggelstämmige zu befreien, wobei Professeur Faucon versuchen sollte, den untergetauchten Tim Abrahams als zusätzlichen Experten zu kontaktieren. Danach kehrte die Sub-Rosa-Gruppe wieder in ihre angestammten Wohnhäuser und -säle zurück.

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Am Samstag verkündete Madame Maxime, daß aus der Tierwesenbehörde Monsieur Moulin den Unterricht Magizoologie übernehmen würde. Alle die, die mit Hercules bekannt gewesen waren, fragten sich natürlich, ob dessen Vater irgendwas wegen seinem Sohn erzählen oder tun würde. Doch als die ZAG-Klasse am Dienstag die erste Stunde bei ihm hatte, zeigte sich, daß Professeur Moulin, wie er nun genannt zu werden hatte, sehr umgänglich und fachkundig war. Noch einmal sprachen sie über geflügelte Transporttiere, wobei Mildrid und Julius gerne über die Latierre-Kühe berichteten.

Weitere Tage vergingen. Zwar tauchten hier und da Pulks von Dementoren auf. Doch sie konnten sich nicht mehr so austoben. Die Stimmung schwang wieder in Richtung von Zaubereiminister Grandchapeau. Auch wenn mehrere kritische Stimmen fragten, warum diese offenbar wirkungsvolle Geheimwaffe gegen Dementoren erst so spät eingesetzt werden konnte. Hierzu äußerte sich Professeur Tourrecandide, ohne auf Beschaffenheit und Wirkungsweise der Erfindung einzugehen. Jedenfalls blieben nach dem dritten, doch sehr regional begrenztem Herbststurm die Dementoren aus den großen Städten fort. Sie versuchten, kleinere Dörfer zu überfallen. Doch dort warteten die Desumbrateure. In der Zeitung wurde überschwenglich verkündet, daß man zehn Dementoren mit einer anderen, geheimen Zauberei vernichtet habe. Julius atmete auf. Es wurde sogar überlegt, das Quidditchturnier jetzt doch stattfinden zu lassen. Da traf sie alle völlig unvorbereitet eine Nachricht, die Julius fast nicht mehr erwartet hatte.

Es war der vorletzte Montag im Oktober. alle waren guter Dinge. Die Dementoren hatten sich größtenteils zurückgehalten. Da las Julius am Morgen in der Zeitung:

VERRAT AN ZAUBEREIMINISTER GRANDCHAPEAU

MINISTER AUF REISE NACH SPANIEN ÜBER PYRENÄEN VERSCHOLLEN

VERBRANNTE BESEN ALS EIGENTUM DES MINISTEREHEPAARES IDENTIFIZIERT

Haben wir uns doch zu früh gefreut? Nachdem uns Zaubereiminister Grandchapeau wider aller Vorbehalte und Kritiken aus der schlimmen Zwangslage mit den von Großbritannien immer wider über uns herfallenden Dementoren führen konnte, ohne einen massiven Gegenschlag führen zu müssen, geht heute die blanke Angst um.

In den frühen Morgenstunden beobachtete ein Muggel über den Bergen, die die natürliche Grenze nach Spanien bilden, etwas wie ein Wetterleuchten und vermeinte sogar, Kugelblitze zu sehen. Er zeigte diese Beobachtung bei den Muggelordnungshütern an. Die konnten jedoch nicht erklären, ob es ein Naturphänomen oder etwas von Menschen gemachtes gewesen war. Erst als die Meldung über das donnerlose Gewitter in Bayonne und San Sebastián bei den Zentralen der regionalen Ordnungshüter einging, wurden die dort heimlich eingesetzten Überwachungszauberer aufmerksam und suchten per Apparition das fragliche Gebiet auf. Zunächst fanden sie jedoch nichts. Erst als sie die schroffen Berge erkletterten, fanden sie zwei Besen, deren Vorderenden bereits stark verkohlt gewesen waren. Sie wurden als Reisebesen des Zaubereiministers Grandchapeau und seiner Gattin Nathalie erkannt. Doch von den Besitzern und möglicherweise mitgeführter Habseligkeiten fehlte jede Spur. Dafür konnten die ausgesandten Zauberer deutliche Spuren verwendeter Feuerzauber und Flüche erkennen. Es deutet alles darauf hin, daß Minister Grandchapeau, der aus unerfindlichen Gründen den Besenflug unternommen hatte, bei einem magischen Angriff aus der Luft getötet wurde. Das gleiche Schicksal muß seine Frau ereilt haben. Warum und wohin die beiden unterwegs waren, und warum sie keine Sicherheitseskorte mit sich führten, weiß bis zur Stunde niemand. Allerdings machte das Wort Verrat schnell die Runde. Es kam am lautesten von Janus Didier, der sogleich sämtliche Unterlagen aus seiner Abteilung prüfte, ob der Zaubereiminister nicht vielleicht einen Staatsbesuch machen wollte. Es mochte auch darum gehen, daß in den Pyrenäen vier der neuen Schutzhäuser eingerichtet worden sind, die bei massiven Angriffen aufgesucht werden können. Jedoch bleiben die Fragen: sind Madame und Monsieur Grandchapeau tot? Was hatten sie über diesem Abschnitt der Pyrenäen zu suchen? Wo befindet sich Belle Grandchapeau? Wie soll es jetzt weitergehen. Vorübergehend führt Monsieur Montpelier das Ministerium, bis alle Ermittlungen beendet sind. Dann wird wohl in einer kurzen Wahl der neue Zaubereiminister oder die Zaubereiministerin bestimmt. Hoffen wir, daß diese Lösung doch nicht nötig ist, und Madame und Monsieur Grandchapeau doch noch am Leben sind!

Julius meinte, einen wie mit einem Dampfhammer in die Magengrube versetzt bekommen zu haben. Der Minister sollte so plötzlich gestorben sein? Nein! Das durfte doch nicht sein. Sicher, Julius kannte ihn nicht so gut, aber doch besser als die meisten Anderen hier. Dann stieg in ihm die betrübliche Erkenntnis ins Bewußtsein auf, daß jemand wirklich den Minister und seine Frau verraten haben mochte, um den viel zu friedliebenden Zaubereiminister loszuwerden. Damit hatten sie es dann amtlich, daß Voldemorts Vorgehen in Frankreich auf einen totalen Krieg abzielte. Jetzt, wo der Minister verschwunden war, befand sich die Zaubererwelt wieder auf dem Weg zur Katastrophe.

ENDE

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