TANZ AUF ZWEI HOCHZEITEN

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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Was bisher geschah | Vorige Story

P R O L O G

Nach dem teils anstrengenden, teils aufregenden, aber auch abwechslungsreichen ersten Jahr in Beauxbatons verbringt Julius einige Tage mit seiner Mutter in deren Wohnung in Paris. Die Brickstons, in deren Haus sie wohnen, planen, zu den olympischen Spielen nach Atlanta zu reisen. Doch als deren Tochter Babette die Einladung von Jeanne Dusoleil erhält, bei ihrer Hochzeit mit Bruno Brautjungfer zu sein, kommt es nach einer kurzen Meinungsverschiedenheit zu einem Beschluß: Die Eheleute Brickstons fliegen nach Atlanta, Babette, die unbedint Jeannes Brautjungfer werden will, reist nach Millemerveilles, wo sie bei ihrer Großmutter wohnen soll. Diese läd Julius und seine Mutter ein, mit Babette zusammen anzureisen und bis nach dem Sommerball in ihrem Haus zu wohnen.

So feiert Julius seinen vierzehnten Geburtstag im Hause von Professeur Faucon. Er hat alte und Neue Freunde eingeladen. Er muß jedoch betrübt feststellen, daß sich zwischen ihm und seinem früheren Schulfreund Kevin Malone doch wohl einiges verändert hat. Kevin ist überaus aufsässig und zu derben Scherzen aufgelegt, die den biederen Familien in Millemerveilles nicht schmecken. So rutscht ihm ein Tragbarer Sumpf aus Weasleys Scherzartikelladen genau über dem Musikpark aus, was ihm einen sehr berechtigten Ärger einträgt. Weil Kevin die ganze zu strenge Atmosphäre nicht gefällt, brennt er zum Abschied noch das wilde Zauberfeuerwerk der Weasleys ab. Er wird nicht mehr nach Millemerveilles zurückkehren, obwohl er eine Strafarbeit dort auszuführen hat. Doch ihm gelingt es, sich der Ausführung der auferlegten Strafe, der Reinigung eines Teils des versumpften Musikparks, zu entziehen.

Julius darf nun offiziell seinen modernen Rennbesen als das fliegen, was er ist. Außerdem wurde er von Mrs. Jane Porter eingeladen, sie in New Orleans zu besuchen.

Julius bekommt mit, wie die nächsten Hochzeitsgäste eintreffen, darunter Claires Großeltern mütterlicherseits, die auf einem orientalischen Flugteppich anreisen, sowie die Großfamilie Latierre, die auf einer imposanten, geflügelten Riesenkuh herbeifliegen. Julius verwirrt etwas, daß Ursuline Latierre, die Älteste der Sippe, zwillinge erwartet, obwohl sie schon viele erwachsene Kinder und mehrere Enkelkinder hat, wie Mildrid und ihre Schwester, sowie deren Cousinen Calie und Penthesilea, die von Brunos Seite her das Brautjungferngefolge abrunden.

Julius zeigt den Dusoleils sein Geschenk für Claire. Doch ihre Eltern raten ihm, es nicht zu verschenken, weil es ihrer Meinung nach zu teuer für einen Jungen ist. Monsieur Dusoleil gibt Julius als Ersatz einen Mondkraftgürtel, der die Schwerkraft des Mondes in einem gewissen Umfeld herstellt, sodaß alles auf ein Sechstel des üblichen Gewichtes verringert wird. Claire bekommt davon nichts mit und freut sich über die Geschenke zu ihrem Geburtstag.

Die Hochzeitsvorbereitungen laufen auf vollen Touren. Weitere Gäste treffen ein, die teilweise in den Häusern ihrer Verwandten oder in extra aufgestellten Reisehäusern aus Italien unterkommen.

Julius ist schon gespannt, wie die beiden Hochzeitsfeiern genau ablaufen. Doch vorher soll er ja noch am Schachturnier teilnehmen.

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Am Morgen des 24. Juli summte etwas merkwürdiges in Julius Reisetasche. Er erschrak heftig, weil er im ersten Moment glaubte, etwas verfluchtes sei ihm untergeschoben worden und würde nun in Aktion treten. Doch als er die Tasche öffnete, fand er schnell heraus, daß das Summen wie von einem kleinen Transformator von seinem goldenen Zauberhut herkam, den er im letzten Jahr gewonnen hatte. Die Trophäe vibrierte wie wild. Er wußte nicht, ob er sie anfassen durfte oder nicht. Wie das Kaninchen vor der Schlange starrte er fünf Sekunden auf den immer wilder surrenen kleinen Zaubererhut aus goldenem Metall. Schließlich siegte die Einsicht, daß man ihm bestimmt keinen verfluchten Zaubergegenstand unterschieben würde, und er griff nach dem Hut. Sofort hörte das wilde Summen auf. Stattdessen glomm es aus der Öffnung des kleinen, spitzen Gegenstandes grünlich-blau, wurde heller, bis ein Lichtstrahl herausfuhr, der sich in der Luft zu den Worten"Heute treten Sie an, den gewonnenen Titel zu verteidigen" formte und von bläulich-grün zu signalrot verfärbte. Julius grummelte nur was und legte den kleinen Zauberhut zurück. Die Zauberschrift hing noch zehn Sekunden frei im Raum, bevor sie übergangslos erlosch.

"Deshalb habe ich auch keine Einladung gekriegt", erkannte er. Denn sonst wurde ja jeder Schachspieler in Millemerveilles schriftlich zum Turnier eingeladen. Er wußte, daß die Gewinner der vier ausgesetzten Trophäen zumindest am nächsten Turnier teilzunehmen hatten. Doch der kleine Silberhut, den er ein Jahr davor gewonnnen hatte, hatte nicht so gebrummt und eine solche Schrift ausgespuckt.

Julius erzählte dies seiner Mutter und Babette am Frühstückstisch. Babette lauerte wohl auf eine Gelegenheit, sich wieder ein Croissant in den Mund fliegen zu lassen, sobald ihre Oma nicht zusah. Doch diese war darauf gefaßt und behielt Babette im Auge, während sie mit den Andrews' über das Turnier sprach. Bedauerlicherweise durfte Martha nicht mitspielen, weil sie eine Muggelfrau war. Um dies zu unterstreichen trank sie ihre tägliche Dosis des Widerstandstranks gegen die Muggelverdrängungszauber von Millemerveilles. Leider durfte sie auch nicht zusehen, da in den ersten Runden des Turniers ausschließlich die Teilnehmer am Austragungsort sein durften.

"Dann werde ich wohl heute und morgen die ersten langweiligen Tage verleben", sagte Martha Andrews mit einem Ist-nicht-so-gemeint-Lächeln. Babette grinste belustigt. Für sie waren die Tage ja verplant.

"Ich denke nicht, daß Sie sich langweilen werden, Madame Andrews", sagte Madame Faucon sehr überzeugt klingend und machte eine Geste, die alle vier Himmelsrichtungen überstrich. "Millemerveilles ist so vielfältig. Vielleicht möchten Sie sich die grüne Gasse ansehen, sofern die dortigen Pflanzen nicht über natürliche Tarnfähigkeiten für Nichtmagier verfügen. Vielleicht besichtigen Sie aber auch die Parks. Das Museum und die Schattenhäuser sind für Nichtmagier jedoch unbetretbar. Das sind unumstößliche Vorschriften. Ich denke aber, sie finden unter den Gästen einige, die gerne mit ihnen sprechen möchten, wie Madame Aurélie Odin oder Madame van Heldern. Wie ich erfuhr interessieren die sich für das alltägliche Leben in nichtmagischen Gemeinschaften."

"Ich weiß. Madame Montferre hat mich vorgestern ja schon gefragt, ob ich hier nur Schach spielen wolle oder falls ich mich nicht belästigt fühle auch mit den Leuten hier über meine Lebenswelt sprechen möchte, sofern es nicht zu privat gerät", bestätigte Martha Andrews leicht verlegen dreinschauend. Madame Faucon nickte. Julius blickte seine Mutter aufmunternd an und sagte:

"Ich habe heute morgen beim Training mit Madame Montferre und Madame Barbara Latierre gesprochen. Das wurde ziemlich voll um den Teich, weil der halbe Latierre-Clan da angerückt ist."

"Hmm, nun, ich entschuldige mich für meine Voreiligkeit", sagte Julius' Mutter Madame Faucon zugewandt. "Für mich wird es wohl nicht langweilig werden. Immerhin besuche ich eine andere Welt. Da kann ja keine Langeweile aufkommen." Die letzten Worte unterstrich sie mit einem breiten Lächen, das von Madame Faucon erwidert wurde.

Ein tiefer, aus weiter Ferne kommender Laut drang durch die halb geöffneten Fenster herein. Julius dachte zuerst an einen der Drachen beim trimagischen Turnier. Doch dann erkannte er, daß es das um mindestens eine Oktave abgesenkte Muhen einer Kuh war.

"Ah, Demie ist auch wach", kommentierte Julius das fremde Geräusch und zwinkerte in die Richtung, wo er die große Wiese wähnte, auf der die Latierres ihre geflügelte Kuh und die Transportkabine abgestellt hatten.

"Klingt ja gruselig", sagte Babette etwas blasser um die Nase als für ein gesundes neunjähriges Mädchen üblich war.

"Mag sein, daß es aus unmittelbarer Nähe noch bedrohlicher klingt", vermutete Madame Faucon naserümpfend. Ihr mißfiel das Getue, das die Latierres um ihr mehr als elefantengroßes Transporttier machten.

"Sollen wir zum Gemeindehaus fliegen?" Fragte Julius Madame Faucon.

"Du gehst zu Fuß dorthin, während ich Babette bei Camille und Claire abliefere. Ich appariere dann, wenn ihr alle eingelassen werdet", sagte Madame Faucon.

"Kannst du mich nicht zu Claire hinapparieren, Oma Blanche?" Fragte Babette mit vorsichtigem Blick zu ihrer Großmutter.

"Solange keine Notwendigkeit besteht, dich schnell von einem Ort zu einem anderen zu bringen oder unzumutbar weite Strecken zu überwinden sind apparierst du erst, wenn du es in Beauxbatons erlernst, ma Chere. Glaube mir, du kommst noch früh genug zu diesem Erlebnis", sagte Madame Faucon sehr entschlossen dreinschauend.

"Och, Männo!" Maulte Babette. "Denise wurde von ihrem Vater schon mal mitgenommen, als er nach Lyon war und sie bei seinen Eltern abgeliefert hat", sagte Babette leicht verdrossen.

"Mädchen, ich habe dir das einmal gesagt und wiederhole es nicht noch einmal, daß was andere mit ihren Kindern oder Enkeln machen nicht gleichbedeutend für dich gilt", maßregelte Madame Faucon ihre Enkelin. "Außerdem wird dir Denise bestimmt auch erzählt haben, wie unangenehm es sich für einen Mitgenommenen Zauberer anfühlt, der nicht selbst die Ortswechselmagie ausrichtet. Damit Ende der Debatte."

"Nachdem, was ich mit Jeanne im letzten Jahr gepaukt habe, könnte ich das im nächsten Schuljahr glatt ausprobieren, von wegen der 3-D-Regel und der Entfernungserweiterung", sagte Julius.

"3-D-Regel?" Fragte Martha Andrews. Julius erklärte ihr, daß mit D nicht jede Dimension des Raumes gemeint war, obwohl das auch passen mochte, sondern die drei Stufen für den zeitlosen Ortswechsel von Hexen und Zauberern. Er sagte ihr auch, daß man die Wucht, mit der man sich von hier entfernte und an einem anderem Ort wieder auftauchte durch eine Körperbewegung bestimmte, danach würde es entweder leise ploppen oder scharf knallen wie eine abgefeuerte Pistole.

"Komm nicht auf die Idee, daß bei Jeanne gelernte Theoriewissen ohne Ministeriellen Ausbilder in die Praxis umzusetzen, Julius! Du kennst die Gesetze und bestimmt auch die Gefahrenherde beim ungeübten Apparieren", sagte Madame Faucon. Dann mußte sie wieder lächeln. Natürlich wußte sie, daß Julius diese Art der magischen Fortbewegung schon immer fasziniert hatte, wohl seitdem er Professor McGonagall aus dem Wohnzimmer seiner Eltern hatte verschwinden sehen können. Julius nickte ihr nur zu. Das nahm sie als Einsicht hin.

Wie von der Gastgeberin verfügt ging Julius alleine los, als seine Armbanduhr halb neun zeigte. Im Moment war niemand auf den Straßen Millemerveilles unterwegs. Die Schachspieler würden wohl alle fliegen oder apparieren, auf jeden fall erst eine Minute vor dem Auslosungstermin für die erste Runde aufbrechen. Unterwegs hörte er noch ein paar mal das knapp am unteren Ende der hörbaren Töne klingende Muhen Demies und fragte sich, wer außer Madame Ursuline Latierre noch zum Schach kommen würde. Natürlich würde Lady Genevra eine Einladung von ihrer langjährigen Fernschachgegnerin bekommen haben. Doch wer sonst noch von den Gästen ...? Klar, Laurentine Hellersdorf!

Vor dem Gemeindehaus von Millemerveilles herrschte ein mittelgroßer Andrang. Julius sah außer den üblichen Mitspielern noch einige Hexen und Zauberer, die wohl teilnehmen wollten oder mußten. Als er Madame Latiere sah, die auf einem Ganimed 10 herankam, ihre Tochter und Geburtshilfeexpertin Béatrice hinter sich auf dem Besen. Die füllige, gerade in freudiger Erwartung befindliche Hexe trug heute ein langes, weizengelbes Rüschenkleid und eine haselnusfarbene Tasche aus Drachenhaut, die zwischen ihr und Béatrice vom Besen baumelte. Als die beiden Latierre-Hexen gelandet waren sah Julius Barbara und Gustav, die Hand in Hand aus einem Seitenweg auftauchten. Er winkte dem Brautpaar und wartete, bis die beiden auf Sprechweite herangekommen waren. Er deutete auf die Latierres und raunte:

"Hoffentlich übernimmt sich Madame Latierre nicht in dem Zustand."

"Die? Wohl nicht, Julius. Von der heißt es, daß sie gerade in den letzten Monaten einer Schwangerschaft die kreativste Schachspilerin war. Die hat in Paris und anderswo Turniere gewonnen, wo du mehr als einmal gegen den gleichen Gegner antreten mußt, immer dann, wenn wieder ein neuer Latierre unterwegs war."

"Ja, und einige behaupten, die würde mit dem Gehirn ihres ungeborenen Kindes denken, sich damit irgendwie verständigen", flüsterte Gustav und schaute sich rasch um, ob das wer mitgehört hatte. Dann wisperte er noch mit verschmitztem Grinsen: "Soetwas heißt dann wohl Bauchgefühl."

"Hallo, Gustav, das ist böse", tadelte Barbara ihren Verlobten, mußte aber grinsen. Julius ließ seine Miene so gefühlsneutral wie möglich aussehen.

"Es geht los", sagte Gustav leicht errötend. Er deutete auf Monsieur Pierre, dem Zauberer, der die Auslosung der ersten Turnierpaarungen vornehmen wollte. Sie betraten das kleine Rathaus, wo auch gemeindeweite Veranstaltungen drin stattzufinden pflegten, wie in drei Tagen halt Jeannes Hochzeit mit Bruno.

Wie üblich wurden die Gegner durch Ziehen von Karten aus vier Truhen mit den Buchstaben A bis D ermittelt. Die Gegner aus den Gruppen A und B wurden einander zugelost, die aus den Gruppen C und D fanden ihre ersten Opponenten durch den Griff in den tiefschwarzen Wandelraum jeder Truhe. Laurentine war der Gruppe B zugewiesen worden und spielte gegen Estelle, gegen die Julius auch schon einmal gespielt hatte. Lady Genevra, die heute wieder Zinoberrot trug, wie auf dem Fest der Sterlings, gehörte wie Madame Ursuline Latierre und Julius der D-Gruppe an und bekam einen Zauberer aus der C-Truhe zugeteilt, den Julius weder vom Namen noch vom Aussehen her kannte. Ihm war nur wichtig, daß auch er einen Gegner aus der C-Gruppe hatte. Sein erstes Spiel ging nach knapp 20 Zügen zu Ende. Julius hatte die letzten sieben Züge die Partie beherrscht und konnte unmöglich verlieren. Als der weiße König seines Gegners Krone und Zepter hinlegte und sich so tief wie möglich verbeugte, notierte der Beisitzer den letzten Zug, das Gesamtergebnis und die für das Spiel benötigte Zeit, bevor er zu Monsieur Pierre hinüberging, der wie die Jahre zuvor der oberste Schiedsrichter war.

Im zweiten Spiel bekam Julius es am Nachmittag mit einem pummeligen Mädchen zu tun, das gerade zehn Jahre alt war und blondes Lockenhaar besaß. Sie war eine Großcousine von Gustav aus Antwerpen und spielte nicht schlecht. Doch als nach fünfzehn Zügen eine klare Überlegenheit für Julius ersichtlich wurde, gab sie das Spiel auf.

"Ich wollte ja eigentlich nicht", sagte Lore, so hieß sie. "Mein Vater hat mich aber Madame Delamontagne als gute Spielerin angepriesen, und ich habe die Sachen für die Einstufung gut hingekriegt", flüsterte sie nach der Partie, als ihr Beisitzer mit dem Spielergebnis zum Turnierrichter ging.

"Du hättest nicht gleich aufgeben sollen. Da wäre noch eine Bauern-Läufer-Kombination möglich gewesen", flüsterte Julius.

"Die mich gerade vier Züge länger hätte durchhalten lassen", sagte Lore. "Nein, Julius. Ich weiß schon, wann ich nicht weiterkomme. Du bist echt gut. Eigentlich muß ich ja stolz sein, daß ich gegen dich habe spielen dürfen."

"Och, wenn du gegen Madame Delamontagne oder Madame Faucon hättest spielen dürfen wäre es bestimmt erhabener gewesen", sagte Julius.

"Ja, aber du hast dieses Turnier im letzten Jahr gewonnen. Gegen den Gewinner zu spielen ist doch was ganz besonderes", verteidigte Lore ihre Ansicht, sich geehrt fühlen zu müssen.

"Wie du meinst", sagte Julius, um nicht in eine völlig unnötige Zankerei abzurutschen.

Am Ende dieses Turniertages waren von den doch nur 32 Teilnehmern außer den klaren Favoriten Andrews, Delamontagne, Faucon und Simenon noch Lady Hidewoods, Madame Latierre und Madame L'ordoux unter den letzten sechzehn. Julius erfuhr, daß Madame Latierre mit ihren Gegnern kurzen Prozess gemacht hatte. Kaum hatte sie eröffnet, da hatte sie auch schon ihre Feldüberlegenheit erspielt. Daß sie in der D-Gruppe war, war vollkommen berechtigt.

"Heute abend gehst du früher zu Bett, um morgen besser ausgeschlafen zu sein", legte Madame Faucon fest. Julius wagte nicht, dem zu widersprechen. Er fühlte sich tatsächlich sehr müde.

Seine Mutter fragte ihn zwar im Faucon-Haus noch über den Verlauf seiner ersten beiden Partien aus, doch Madame Faucon bedeutete ihr, die Aufzeichnungen zu beschaffen, die von den Beisitzern angefertigt worden waren. Martha, die wußte, wie heftig ein wichtiges Spiel schlauchen konnte, stimmte der Gastgeberin zu, daß Julius besser vor zehn Uhr im Bett liegen sollte. Er nickte nur beipflichtend und zog sich in sein Zimmer zurück, wo er sein Nachtzeug hervorholte, um dann nach einem letzten Besuch im Gästebad auf der Etage sichtlich erleichtert ins Himmelbett zu sinken.

Am nächsten Morgen waren alle gespannt, wer mit wem im Viertelfinale zu tun bekommen würde. Julius hatte herausgehört, daß alle hofften, Madame Latierre würde vorzeitig aufgeben und auf den Rest des Turniers verzichten. Ihm entging nicht, daß Madame Delamontagne etwas angespannt war, als sie neben der ihr in der Leibesfülle überlegenen Hexe mit den langen, rotblonden Haaren stand, in deren angeschwollenem Bauch von Zeit Zu Zeit kleine Ausbeulungen entstanden und wieder verschwanden, als würden sich die beiden Ungeborenen darum zanken, wer von ihnen die bequemere Lage haben durfte.

"Aus der Gruppe D treten gegeneinander an: Monsieur Julius Andrews und Mademoiselle Berenice Dumont", verkündete der Turnierrichter. Berenice war eine Cousine Barbaras, die bereits vor drei Jahren mit Beauxbatons fertig geworden war und Haare von der selben braunen Farbe besaß wie Barbara, jedoch schulterlang und mit einer Silberspange zusammengehalten. Julius entspannte sich, um dann, als das Spiel losging, voll konzentriert bei der Sache zu sein. Eine Dreiviertelstunde dauerte es, da hatte er Barbaras Base ins Schachmatt gedrängt. Sie hatte versucht, durch schnelle Vorstöße ihrer Springer und Läufer schon aus der Eröffnung heraus eine gute Position zu erringen. Doch weil Julius die Eröffnung mit beiden Springern beherrschte, prallte ihr Vorstoß auf zu heftigen Widerstand. Beide Springer gingen in den ersten Zügen verloren, dann folgten noch die Dame und beide Läufer, womit Julius schalten und walten konnte wie er wollte, solange er keinen der verbliebenen schwarzen Bauern auf eines seiner Startfelder rücken ließ.

"Bei wem hast du so spielen gelernt. So jung wie du bist schon so erfahren zu sein ist ja heftig", bemerkte Berenice. Julius erzählte ihr, daß er Schach schon vor dem Lesen und Schreiben gelernt hatte und mindestens dreimal in der Woche gegen seine Mutter oder andere Schachfreunde hatte antreten müssen, um sich zu verbessern. Dann sah er, wie Madame Latierre, die gerade gegen Professeur Faucon spielte, mit einem beiläufig wirkenden Kopfnicken ihren Figuren was zuflüsterte, worauf einer ihrer Läufer, der nur schwarze Felder betreten durfte, so rasch über das Feld eilte, daß Julius erst begriff, daß er die Deckung von Madame Faucons König überwand, als der König seine Insignien hinlegte.

"Wieso ist mir dieser Fehler passiert", schnaubte Madame Faucon, als sie sah, wo sie die Lücke gelassen hatte, durch die ihr König im Schachmatt gelandet war. Julius erkannte einen Anflug von Zorn im Gesicht seiner derzeitigen Gastgeberin. Doch dann fing diese sich wieder. Ihr Beisitzer hatte das Notizbuch geschlossen und ging zum Tisch des Turnierrichters. Sie hatte die Partie verloren und damit jede Chance auf eine Trophäe verspielt. Wie oft mochte ihr das passiert sein? Julius wagte nicht, darüber nachzudenken. Denn in den beiden letzten Turnieren war sie immer unter den besten vieren gewesen. Beim ersten Mal hatte sie ihn im Finale besiegt.

"Nun, das wird eine interessante Halbfinalrunde", verkündete Monsieur Pierre und überblickte die vier verbliebenen Spielerinnen und Spieler: Madame Latierre, Madame Delamontagne, Madame Pierre und Julius Andrews. Lady Genevra war an Madame Pierre gescheitert.

Beim Mittagessen saßen die Halbfinalisten in einer Reihe zusammen. Julius saß zwischen den Hexen Delamontagne und Latierre, die rechts von ihrer Tochter Béatrice flankiert wurde. Ursuline Latierre langte ziemlich gut zu, auch wenn sie für drei essen mußte. Einmal rümpfte Julius die Nase, als Millies Großmutter ein Stück Bratfisch in Schokoladensoße eintunkte und genüßlich aß.

"Könnte ich nicht", sagte er unüberlegt.

"Könntest du schon, Julius. Aber du hast ja keine merkwürdigen Gelüste", lächelte Madame Latierre und zupfte zwei Gräten aus dem Stück Fisch, das sie gerade auf der Gabel hatte. Madame Delamontagne räusperte sich, als Madame Latierre die stecknadeldicken Fischgebeine lässig auf den kleinen Beistellteller schnippte und sich die Finger ableckte, an denen Schokoladensoße geklebt hatte.

"Können Sie das nicht etwas manierlicher erledigen, Madame", schnaubte Madame Delamontagne. "Man könnte ja meinen, Sie lebten im Urwald."

"Nicht ganz, weil die Muggel ja große Teile des ursprünglichen Waldes gerodet und zu Nutzwald umgestaltet haben", sagte Millies Großmutter und schloß schnell den Mund, um zumindest nicht unüberhörbar aufzustoßen.

"Fisch mit Schokoladensoße", grummelte Julius. "Connie Dornier hatte ja schon abgedrehte Sachen gegessen. Aber das ist schon krass."

"Och, vor einem Monat konnte ich mich in Weinbergschnecken in Kirschsoße und Röstzwiebel reinwerfen", meinte die werdende Mutter und grinste sehr mädchenhaft über ihr rundes Gesicht.

"Nun, jede Mutter hat diese merkwürdigen Irrungen erfahren", meinte Madame Delamontagne. "Vieles davon sollte privat bleiben."

"Warum, Eleonore? Kinder zu bekommen ist eines von Mutter Naturs größten Geschenken. Das sollte man genießen und auch mit denen drüber reden, die sich dafür interessieren und vor allem schon mit zu tun bekommen haben", widersprach Madame Latierre. ihre blutsverwandte Hebamme Béatrice sagte dazu nur:

"Das siehst du so, Maman. Aber für manche Frauen, gerade in höheren Stellungen, ist es eine intime Sache, wie sie ihre Kinder austragen und zur Welt bringen. Madame Delamontagne wollte dir nur zu verstehen geben, daß du die anderen hier nicht langweilen möchtest."

"Das habe ich so nicht gemeint", fuhr Madame Delamontagne entrüstet dazwischen. "Ich meinte es wirklich so, daß uns hier nicht angeht, wie Sie sich auf künftigen Nachwuchs einstellen und welche körperlichen Begleiterscheinungen dabei auftreten. Der junge Mann hier hat in der Tat gewisse Erfahrungen gemacht. Aber das rechtfertigt nicht, daß Sie ihn übermotiviert mit ihrem Umstandsalltag behelligen. Ich sehe zumindest keine Notwendigkeit, die Essenszeit damit zu verbringen, über Ihre unnatürlich späte gute Hoffnung zu diskutieren, wenn Sie verstehen wie ich das meine", schnaubte Madame Delamontagne.

"Eleonore, was regen Sie sich jetzt auf? Man könnte ja meinen, Sie seien auch gerade zu zweit unterwegs", konterte Madame Latierre feist grinsend. Ihre Tochter nahm eine starre Haltung ein, Julius sah perplex die rotblonde, nicht nur von Schwangerschaft rundliche Hexe an, sog rasch einige Züge Luft in seine Nasenflügel und staunte, daß Madame Latierre nach einer üppigen Blumenwiese roch und nicht Demies Landparfüm verströmte. Madame Delamontagne lief rot an, war wohl drauf und dran, von ihrem Stuhl aufzuspringen, doch verzichtete darauf. Sie sah an Julius Vorbei und zischte:

"Sie lernen es nie, Ursuline, wie sich eine anständige Dame benimmt."

"Weil es selten funktioniert, allein durch Anstand das Leben zu bestreiten, Eleonore. Das Sie das nicht lernen mußten ist Ihr Glück. Andere haben dieses Glück nicht und müssen sich anders helfen als nur die kultivierte Dame oder den wohlerzogenen Herren zu geben. Ich habe das so gelernt, daß längst nicht alles, was andere zivilisiert und anständig nennen, wirklich anständig oder gar zivilisiert ist und habe meine eigene Lebensweise daraus entwickelt. man merkt, daß Sie mit ihrer Familie nicht so ausgefüllt sind wie Raphaelle oder ich. Dann wüßten Sie nämlich, daß es wichtigere Sachen gibt, als gutes Benehmen und öffentlichkeitswirksames Auftreten. Dies bereits jetzt, wo wir beide so nahe zusammenhocken. Nicht daß Sie mir bei Brunos Hochzeit noch zu diktieren trachten, wie ich zu gehen, stehen oder sitzen, was ich zu sagen oder gar zu denken habe. Ich bin immer noch ein paar Jährchen älter als Sie und kenne mehr als Sie, vor allem im Bezug auf Familienpflichten. Nur, damit Sie das klar haben, Madame."

"Impertinente ...", schnaubte Eleonore Delamontagne. Doch Madame Latierre lächelte überlegen. Dann fiel Madame Delamontagne ein, daß man ihr zusah und verfiel in ihre würdige, alles überblickende Haltung zurück.

Nach dem Essen hatte es Madame Delamontagne eilig, den Tisch zu verlassen. Madame Latierre wechselte im Flüsterton einige Worte mit Béatrice, die sie kurz mit einer Mithörmuschel abhorchte und dann nickte. Dann sah die in guter Hoffnung befindliche Hexe Julius an und umfing ihn sacht mit dem linken, weichen Arm.

"Ich weiß, die wollen dich hier gut zivilisieren, und in Beaux war das ja auch nie anders, und ich habe da manches Jahr knapp an der zulässigen Strafpunkteuntergrenze entlanggeschrammt. Aber was ich gesagt habe stimmt, und ich lasse mir von einer, die wenn nicht gerade meine Tochter, dann aber bestimmt nur meine kleine Schwester sein würde nicht vorbeten, wie ich zu leben habe. Vielleicht diene ich dir und anderem jungen Volk ja als schlechtes Vorbild, an dem man sich bloß nicht ausrichten darf. Aber meine Kinder und Enkel gehen wesentlich lockerer durchs Leben, als wenn sie jeden Tag um Ruhm und Ehre kämpfen und unter Lebensgefahr auf gut sitzende Kleidung achten müßten. Ich habe meine bisherigen Kinder alle so gut erzogen, daß sie gut untergebracht sind. Ich denke, daß wird auch bei Patty, Mayette und den beiden in mir rumturnenden Mädels nicht anders laufen."

"Ich hatte vor ein paar Tagen den Eindruck, zwischen zwei Fronten geraten zu sein", grummelte Julius. Dann fiel ihm auf, daß das nicht unbedingt jeder wissen mußte und sagte schnell: "Wenn Leute drüber reden, was richtig und was nur anständig ist, kommt's immer wieder zum Gewitter."

"Das bekanntlich die Luft reinigt", meinte Madame Latierre. Julius sog wieder die Vielfalt von Wiesenblumen und -kräutern ein, die Madame Latierre umkleidete. Dann viel ihm ein, daß es ja einen Geruchstilger gab, der unangenehme Gerüche völlig vertreiben konnte.

"Du schnupperst, weil du denkst, Demies eigenes Parfüm müßte mir immer am Körper kleben", schnurrte Madame Latierre und verstärkte die halbe Umarmung, in der sie Julius hielt. Dieser wand sich ein wenig, wollte jedoch nicht mehr Gewalt anwenden, um sich aus dieser Lage zu befreien.

"Nun, ich kenne das, daß man Gerüche von einem Bauernhof nicht so einfach überdecken kann. Offenbar geht das bei Ihnen doch irgendwie."

"Denkst du, meine Familie und ich wollten wie Demie riechen? Nein, wir haben Elixiere dabei, die Demies persönliche Note verschwinden lassen. So einfach ist das."

"Öhm, Maman, du drückst den Jungen zu heftig gegen deinen Leib", flüsterte Mademoiselle Latierre. Julius merkte das auch, als etwas aus Ursuline Latierres Innnerem im in die Seite drückte.

"Du hast recht, Béatrice, ich muß den Jungen nicht so einklemmen", lachte Madame Latierre und gab Julius frei. Dieser atmete auf und stand schnell, wenn auch nicht überhastig vom Tisch auf.

"Vielleicht sehen wir uns gleich wieder", schickte ihm Millies Großmutter noch einen Gruß hinterher. Julius hoffte, daß sie gegen Madame Delamontagne würde spielen müssen.

Als dann die Auslosung für die vorletzten zwei Begegnungen per Kartenmischer stattfand, schluckte Julius.

"Monsieur Julius Andrews spielt gegen Madame Ursuline Latierre um den Einzug ins Finale morgen Nachmittag", sagte Monsieur Pierre. Julius erbleichte. Dann dachte er, daß es doch eine interessante Partie werden würde und lächelte.

Julius spielte wie nie zuvor im Leben. Selbst die Partie gegen Madame Delamontagne im letzten Sommer verblaßte dagegen. Denn schon in der Eröffnungsphase mußte er hart kämpfen, nicht ins Hintertreffen zu geraten. Wie immer Madame Latierre ihr Leben lebte, Schach war für sie eine todernste Sache, bei der sie keine Schwäche zeigen oder den geringsten Unterlassungsfehler machen wollte. So waren die beiden nach einer verstrichenen Stunde gerade bei Zug sieben, weil Julius sich immer wieder fragte, ob die Hexe mit den rotblonden Haaren noch mehr Züge vorherberechnen konnte als seine Mutter. Als er dann im zehnten Zug in ein beinahe auswegloses Schach geriet hatte er die Bestätigung. Diese Hexe da vor ihm, die trotz Schwangerschaft und üblicher Leibesfülle ruhig atmend dasaß, konnte den Ablauf vieler Partien im Voraus berechnen. Seine Mutter konnte das auch, und er hörte es immer wieder, wie sein Vater sagte, daß er seine Zeit nicht damit vertun wollte, gegen seine Frau zu verlieren, obwohl er die Schachregeln kannte und nicht auf den Kopf gefallen war.

"Springer von H2 nach F3!" Schickte Madame Latierre die nächste Figur los. Sie spielte Weiß. Manchmal war man dadurch schon im Vorteil. Oft konnte das aber auch zum nachteil werden, weil der Gegner reagieren und einen besseren Zug machen konnte. Julius sah, daß ihm eine Falle gestellt werden sollte und zog rasch mit einem Läufer so, daß der Springer nicht in drei Zügen in Schlagstellung für den König stand. Madame Latierre nickte anerkennend und setzte die Partie fort.

Zunächst sah es so aus, als würde keiner der beiden Gegner gewinnen oder verlieren. Julius freundete sich bereits mit einem Remis an, als er im dreißigsten Zug in eine Falle tappte, die er unmöglich vorhergesehen hatte. Von da ab war es nur noch ein Akt von zehn Zügen, bis Madame Latierres König frohlockte: "Schachmatt!"

Julius König, von Gewinnen seines Meisters verwöhnt, verzog das winzige schwarze Gesicht zu einer zornigen Fratze, während die schwarze Königin die kleinen Händchen vor ihr Gesicht schlug. Der einzige schwarze Läufer, der noch auf dem Feld stand nickte wild und grummelte mit seiner Winzstimme was, daß Julius als "die ist zu gut" verstand. Ja, er verstand es, weil er das selbst erkannte. Die Hexe mit dem Umstandsbauch war ihm überlegen gewesen, von Anfang an. Er hatte zwar dagegen gekämpft, sich sehr lange gehalten, aber dann doch den entscheidenden Fehler gemacht, der ihn aus dem Turnier warf, besser nicht ins Finale kommen ließ.

"Gratuliere, Madame Latierre", sagte Madame Descartes, die Beisitzerin für diese Partie und brachte die Mitschrift der gemachten Züge zum Turnierrichter. Béatrice untersuchte ihre Mutter und sagte dann zu Julius:

"Du hast wohl gut geübt. Aber Maman ist eine Göttin im Schach. Manche behaupten sogar, die Hormone während der Schwangerschaft würden ihren Verstand verstärken."

"Dann denkt sie mit gerade drei Gehirnen", gab Julius leicht verdrossen zurück, weil diese Frau da vor ihm die Ruhe in Person geblieben war. Er meinte schon, für sie wäre diese Partie ein zeitraubender Witz gewesen. Doch als hätte sie ihn legilimentisch ausgehorcht sagte sie ruhig:

"Jedes Spiel ist für mich Neuland. Du hast mir heute ganz viel neues gezeigt, womit ich erst einmal fertig werden mußte. Nur weil Madame Delamontagne meinte, dich für sich alleine haben zu dürfen bist du nicht schlechter geworden. Das läuft im Schach eben so. Tagesform, Können und Einschätzung des Gegners, das alles macht den Reiz des Spiels aus. Du hast dich ehr gut gehalten und mir wie gesagt ganz viel neues beigebracht. Danke für diese sehr interessante Partie!"

"Es ist keine Schande gegen einen Überlegenen Gegner zu verlieren", sagte Julius, nun völlig gelassen. Für ihn war das Turnier um. Er würde einen bronzenen Zaubererhut kriegen, was ja auch schon was bedeutete. Das Endspiel würde Madame Latierre gegen Madame Delamontagne bestreiten, die Madame Pierre in nur der Hälfte der Zeit besiegt hatte, die Madame Latierre und Julius benötigt hatten.

Abends im Haus von Madame Faucon - Babette war noch bei Claire und Jeanne - erzählte Julius, was er am Nachmittag alles ausprobiert hatte. Seine Mutter wollte alles wissen, was diese Frau gespielt hatte.

"Ich war heute Nachmittag auf der Wiese und habe die fliegende Kuh gesehen. Ich bin aber im sehr respektvollen Abstand davor stehengeblieben. Erst als mich diese Frau, diese Hexe, die in Ledersachen rumläuft angesprochen hat, bin ich etwas näher herangegangen", sagte Martha Andrews. "Ich habe mich dann mit denen länger unterhalten, auch mit Martine und Mildrid. Die jüngere scheint dich noch nicht ganz aufgegeben zu haben, Julius. Zumindest habe ich das untrügliche Gefühl, daß sie dich sehr gern hat."

"Was will die machen. Ich bin mit Claire gerade gut beieinander", sagte Julius. "Oder will die mir einen Liebestrank unterjubeln? Das kann die gleich vergessen. Ich habe mich schon in Hogwarts mit den heftigsten von denen befaßt, weil ich nie wissen konnte, ob Paps' spezieller Freund Snape nicht meint, uns mal sowas schlucken zu lassen. Nachher wäre ich noch in diesen fetthaarigen, Hakennasigen Schweinehund verknallt gewesen. Danke nein!"

"Julius, auch wenn ich was den Charakter von Severus Snape angeht im großen und ganzen deiner Meinung bin, möchte ich doch darum bitten, ihn mit dem Respekt zu bedenken, den er durch seine Anstellung erwarten kann", fuhr Madame Faucon dazwischen. Julius grummelte verstimmt, sagte jedoch nichts weiteres dazu.

Am Nachmittag des nächsten Tages spielten Madame Latierre und Madame Delamontagne zusammen den goldenen Zaubererhut aus. Es dauerte bis tief in die Nacht, und Madame Faucon war schon drauf und dran, Julius mit einer Decke und Kissen zu versorgen, als Madame Delamontagne von ihrem Stuhl hochfuhr, um dann wieder ganz gelassen Platzzunehmen. Madame Descartes trug das Notizbuch zum Turnierrichter, der wie alle anderen der Partie zugeschaut hatte. Dann verkündete er:

"Messieurdames et Mesdemoiselles, Siegerin des diesjährigen Schachturnieres ist Madame Ursuline Latierre nach insgesamt 48 Zügen. Herzlichen Glückwunsch!"

"Damit sind die nächsten Turniere voll verplant", dachte Julius. Wenn Madame Latierre immer so gut spielte, würde sie von nun an immer zum Turnier hinzukommen.

Mit der Gelassenheit der fairen Verliererin und der Gewißheit, an diesem Tag etwas wichtiges gelernt zu haben, nahm Madame Delamontagne die silberne Trophäe hin, während Julius und Madame Pierre ihre Bronzehüte hochreckten. Diesmal war keine Presse da. Nur der Dorffotograf schoss mit seiner klobigen, schwarzen Kamera eine Reihe von Bildern, bis der rötliche Dunst aus der Kamera die Sicht zu vernebeln drohte.

"Sie wissen, daß Sie im nächsten Sommer wieder antreten müssen?" Fragte Monsieur Pierre die glückliche Gewinnerin. Diese sah ihn schmunzelnd an und meinte:

"Dann sollten meine künftigen Töchter bereits feste Nahrung verdauen können. Noch einmal vielen Dank, daß ich mitspielen durfte!"

Sie wandte sich Julius zu und beglückwünschte ihn noch einmal.

"Dreimal in dieser Riege alter Herrschaften mitgespielt und immer unter den ersten Plätzen. Das kann nicht jeder", sagte sie großmütterlich lächelnd.

Lady Genevra trat in ihrem zinoberroten Umhang zu Madame Delamontagne und wechselte mit ihr ein paar leise Worte. Dann beglückwünschte sie Madame Latierre und Julius. Madame Pierre machte einige sehr eindeutig ablehnende Gesten in Richtung von Madame Latierre, die das grinsend zur Kenntnis nahm, sie aber nicht weiter behelligte. Dann zogen sich die Spieler zurück. Laurentine, die mit Virginie zusammen der Partie zugesehen hatte, grinste Julius an. Dieser sah zu Madame Faucon hinüber, die ihm zunickte und auf das leicht untersetzte Mädchen deutete. So ging er hinüber zu ihr.

"Gut, daß ich schon in der zweiten Runde rausgeflogen bin, Julius. Du mußt ja nächstes Jahr schon wieder herkommen, zusammen mit der dicken Trulla", zischte sie Julius zu und blickte flüchtig zu Madame Latierre hinüber, deren Tochter Béatrice wie ein Wachsoldat neben ihr stand.

"Vielleicht wäre es besser gewesen, ich wäre auch vorher schon rausgeflogen. Aber wie heißt es? Noch Bronze zu kriegen ist besser als nur Silber zu haben. Immerhin ist ja gerade Olympia. Dabei sein ist alles"

"Dann mach's mal gut, Julius. Wir sehen uns dann morgen. Hast du von Claires Eltern die Sitzverteilung für das Fest?"

"Muß wohl geschickt worden sein, als ich gerade gegen die Mutter der Nation verloren habe", grinste Julius. Denn er wunderte sich eh, daß er von Jeannes Hochzeit noch nicht mehr als den Zeitpunkt mitbekommen hatte. Claire war zu beschäftigt gewesen und die Dusoleils hatten ihre Verwandten, um die sie sich kümmern mußten.

"Der Beiname ist schön, Julius", strahlte Madame Latierre den Jungen an, als sie mit Béatrice herüberkam. Julius imponierte es immer noch, daß diese Frau nicht so watschelig daherging wie Constance in ihren letzten Schwangerschaftsmonaten. Übung machte da wohl die Meisterin. Er errötete. Wie konnte die das gehört haben, wo sie eben noch zehn Meter weiter weg gestanden hatte und das Raunen der Leute in der Halle alles überdeckte?

"Haben Sie das bionische Gehör, oder woher wissen Sie, was Julius gesagt hat?" Staunte Laurentine, die etwas verstört die rotblonde Hexenmatriarchin ansah.

"Wenn du meinst, ich hätte meine Ohren durch irgendwelche Ersatzteile mit besserer Wirkung getauscht irrst du dich, Laurentine. Ich habe nur Béatrices Mithörmuscheln benutzt, um zu hören, ob's meinen kleinen Passagieren gut geht. Dabei habe ich wohl die Bemerkung deines Freundes aufgeschnappt. Diese Prazap-Dinger sind ja genial."

"Die Langziehohren sind auch nicht schlecht", flüsterte Julius, der an Weasleys fleischfarbene Langziehohren dachte.

"Ja, aber etwas auffällig und leicht abzuwehren, selbst wenn sie mühelos in einen Klangkerker hineinlangen, sofern man die Türen dazu nicht impertubiert", sagte Millies Großmutter. Madame Faucon, die gerade unterwegs war, Julius für den Rückweg einzusammeln, stand wie vor eine Glaswand geprallt und sah erst Madame Latierre und dann Julius an. Dieser bemühte sich, ihr nicht in die Augen zu sehen. Ob es verboten oder nur unanständig war war ihm egal, wenn er damit rechnen mußte, daß die Lehrerin ihn legilimentisch ausforschte.

"Wir müssen jetzt los. Ich denke, deine Mutter möchte wissen, wie die Partie ausgegangen ist", sagte Madame Faucon nur. Julius atmete kurz durch und nickte dann.

"Gute Nacht, Julius! Man sieht sich dann morgen früh hier wieder, um neun Uhr!" Sagte Laurentine. Virginie nickte. Madame Delamontagne winkte Julius nur kurz zu und eilte dann mit den beiden Mädchen aus der großen Gemeindehalle.

"Babette schläft bei Denise, Melanie und Claire", sagte Madame Faucon zu Julius, als sie auf Madame Faucons Ganymed 4 zu ihrem Haus zurückflogen. Mehr sagte sie nicht. Offenbar war sie selbst enttäuscht, nicht unter die ersten vier gekommen zu sein. Somit hatte Julius recht, daß er mit seinem Bronzehut immer noch was gewonnen hatte. Jetzt hatte er einen ganzen Satz aus drei Jahren.

Nachdem Julius, dem bald schon die Augen zufielen, unter Gähnattacken berichtete, wie die Partie zwischen Madame Delamontagne und Madame Latierre gelaufen war, erzählte seine Mutter, daß sie sich mit Madame Montferre und ihren Töchtern unterhalten habe. Dann überreichte sie Julius ein Bündel Pergament. Er schaffte es noch, einen Zettel und eine selbst zusammengestellte Zeitung voneinander zu trennen, bevor er doch sichtlich erschöpft in sein Zimmer ging, wo ein ähnliches Pergamentbündel unter seinem Fenster lag, auf dem noch ein Briefumschlag thronte. Er nahm den Umschlag hoch und sah ein langes schwarzes Haar, das daran festgeklebt war. Es war eine seidige, leicht gewellte Strähne von Claire Dusoleil. Er öffnete den Umschlag und las, daß Claire mit Jeanne und den anderen Brautjungfern eine Pyjamaparty anlässlich der letzten Nacht vor der Hochzeit feierte. Einige Dorfbewohner seien zu einem kurzen Polterabend herübergekommen, wobei hier kein altes Geschirr zerschlagen wurde, sondern nur lautes Getröte und ausgestreutes Sägemehl benutzt wurden. César Rocher hatte vom fliegenden Besen aus mehrere Ladungen Konfetti abgeworfen, einmal vor Jeannes Haus, einmal vor Brunos Haus. Ansonsten war nichts weiteres Passiert.

Julius legte sich hin und schlief rasch ein.

__________

Demies Muhen klang Julius um sechs Uhr Morgens entgegen. Er wollte gerade aufstehen, als der von Claire gemalte Musikzwerg mit der Trompete losschmetterte.

"Ja, ich bin wach!" Rief Julius. Er nahm das Pergamentbündel von Gestern und las auf dem Zettel, daß er zusammen mit Laurentine, Sandrine, Gérard, Virginie und anderen an einem Tisch nichtverwandter Jugendlicher sitzen sollte, weit genug weg von den vier Tischen mit Verwandtschaft von Braut und Bräutigam. Seine Mutter sollte wohl mit Madame Faucon an einem Tisch für unverheiratete Männer und Frauen sitzen. Ob das so in Ordnung ging wußte er nicht so recht zu sagen. Andererseits war es bestimmt schön, wenn er nicht andauernd von Madame Faucon beobachtet wurde.

Die selbstgemachte Zeitung enthielt Farbfotos des Brautpaares, sogar aus Kindertagen. In lustig bunten Buchstaben verkündete "Das Jeanne-und Bruno-Dusoleil-Journal", wie sich die beiden kennengelernt hatten. Jemand mit viel Talent zum Malen - Julius vermutete Claire - hatte ein Zauberbild geschaffen, wo Jeanne Bruno mit einer zielsicheren Wippbewegung auf ihren fliegenden Besen holte.

"Am siebenundzwanzigsten Juli des Jahres 1996 werden die anständige Tochter Jeanne Dusoleil und der heißblütige Naturbursche Bruno Chevallier vor Freunden, Bekannten und Verwandten bekunden, daß sie sich so toll liebhaben, daß sie es ihr ganzes restliches Leben zusammen aushalten wollen und, das ist überhaupt das heftige, gemeinsame Kinder in diese Welt hineinsetzen und zu kurzweiligen Hexen und Zauberern erziehen wollen, sofern keine Squibs darunter sind. Doch die Wahrscheinlichkeit für Squib-Kinder ist soooo gering, daß ein anständiger Kaufmann sie beim Runden auf Null setzen muß."

"Schon lustig", grinste Julius als er die Hochzeitszeitung durchgelesen und wieder zusammengefaltet hatte.

Wie hier üblich ging er um halb sieben zum Morgentraining. Diesmal waren die Montferres und Latierres nicht dabei. Barbara apparierte mit lautem Knall vor dem nach westen zeigenden Einhornhorn und kam zu Julius herüber.

"Na, gut erholt vom Schach?"

"Ich habe gestern nicht mehr mitspielen müssen", sagte Julius. "Wieso kamst du nicht angelaufen?"

"Weil ich unsere Hochzeitszeitung selbst austragen wollte. Bin gerade durch das Dorf und habe die verteilt, als mir einfiel, daß du bestimmt noch einmal herkommst. Immerhin wäre das ja unser vorletzter Trainingstag in Millemerveilles", sagte Barbara lächelnd. Dann übte sie mit Julius unter dem Einfluß des Schwermacherkristalls, bis fünfundzwanzig Minuten um waren, und Barbara und Julius gut ins Schwitzen geraten waren.

"In Ordnung, länger solltest du wirklich nicht mit dem Schwermacher üben, Julius", sagte Barbara, als Julius sich kaum noch auf den Beinen halten konnte.

"Huh, ich wollte es wissen, wie lange ich das jetzt durchhalte", sagte Julius.

"Deine große Freundin Aurora würde mit mir schimpfen, weil sie mir ja letztes Jahr vorgehalten hat, mit Leuten im Wachstum nicht so ausgiebig zu üben. Aber die ist ja im Moment nicht da."

"Vielleicht ist sie ja doch eingeladen worden. Ich denke nicht, daß Madame Dusoleil sie nicht eingeladen hat."

"Wir haben auf jeden Fall alle eingeladen, die gerne gesehen sind", sagte Barbara.

Seraphine Lagrange flog zusammen mit Belisama über sie hinweg. Belisama hatte mühe, auf ihrem Ganymed 6 hinter der älteren Cousine zu bleiben. Barbara rief nach oben, wo es denn hingehe.

"Ihr macht euch die Knochen kaputt, wir üben morgens fliegen und Quidditch", rief Seraphine und wendete fast auf dem Punkt, unterquerte Belisamas Besen und landete neben Julius.

"Will Belisama Quidditch spielen?" Fragte Julius leicht verwundert.

"Neh, hatte ich nicht vor", sagte Belisama und landete. "Ich will nur meine Wendigkeit steigern. Und wenn du mit zwei Quidditch-Verrückten im selben Haus wohnst, kannst du das nur, wenn du deren Spiel mitspielst. Mir ist das doch etwas zu ruppig. Wenn ich nicht in die Pflegehelfertruppe reinkomme mache ich die Kunstflug-AG mit."

"Ich habe ihr gesagt, sie möchte doch unsere Familienehre im weißen Saal hochhalten", sagte Seraphine leicht verstimmt. "Aber die Mademoiselle steht nicht auf handfesten Sport, sondern nur auf kunstvolles und nützliches Zeug."

"Steck's dir, Seraphine", versetzte Belisama. Barbara grinste sie nur spitzbübisch an.

"Seid ihr schon fertig mit eurer Morgengymnastik?" Fragte Seraphine. Julius nickte.

"Ich habe deine Hochzeitszeitung gerade noch aus dem Briefkasten fischen können, bevor du dich abgesetzt hast, Barbara. Warum hast du keine Eule damit rumgeschickt?"

"Weil meine Eule gerade unterwegs nach Brüssel ist, die Einwanderungsdokumente abliefern, damit die wissen, daß ich bereits eine Anstellung habe."

"Entschuldigung, Barbara. Aber wenn du Gustav heiratest wirst du doch automatisch belgische Staatsangehörige", sagte Julius.

"Nicht in der Zaubererwelt. Da kriegst du die Staatsbürgerschaft des Landes, in dem du dich mit dem Ehegatten niederläßt, sobald du nachweisen kannst, daß du dort eine Ausbildung oder Anstellung antreten wirst, wenn der erste Ehemonat um ist. Flitterwochenvisum nennen die das sogar. Ich bin also immer noch französische Staatsbürgerin, solange ich mit Gustav nicht ordentlich in Belgien zu arbeiten angefangen habe oder Haushexe als Beruf eintrage. Die Kinder werden dann aber dem Bodenrecht nach Belgier, wenn wir nicht doch wieder in die Große Nation zurückkehren und hier unseren Stammbaum vergrößern."

"Aha, doch etwas anders als bei uns, ähm, den Muggeln", sagte Julius und dachte daran, daß dann sogenannte Trauscheinehen nicht funktionieren würden, wie sie in anderen Ländern vorkamen, wenn jemand sich das Aufenthaltsrecht zu erschleichen versuchte. Sein Vater hatte ihm und seiner Mutter oft genug vorgebetet, wie parasitisch manche Leute aus Asien oder Afrika die britischen Gesetze ausnutzten.

"Gustav hätte auch hierher ziehen können. Hier ist es bestimmt sicherer als sonstwo. Der Zauberspiegel schreibt, daß wegen dem Unnennbaren viele öffentlichen Veranstaltungen verschoben werden, bis sie gut genug abgesichert werden können, von den Aktionen gegen die Insulaner ganz zu schweigen", sagte Seraphine. Barbara warf ihr einen bitterbösen Blick zu. Dann sagte sie:

"Die legen es ja auch darauf an, mit diesem Pack um den Unnennbaren herum in Verbindung gebracht zu werden."

"Die Insulaner? Wen meinst du damit?" Fragte Julius, der den Begriff jetzt zum ersten Mal in einem wohl anderen Zusammenhang als üblich hörte.

"Die von der Île-D'Ivoir-Akademie, Julius." Das rastete bei Julius an den richtigen Stellen im Gedächtnis ein. Er hatte ja von dieser exklusiven Zaubererschule gehört, wo absolut nur reinblütige Hexen und Zauberer unterrichtet wurden, die mit der Muggelwelt und allem, was irgendwie damit Umgang pflegte entgültig nichts mehr zu tun haben wollten.

"Die haben doch auch nichts für Voldemort übrig, weil der ja auch die Macht in der Muggelwelt übernehmen will, wenn er nicht vorher gestoppt wird", sagte Julius. Die Mädchen erschraken bei dem Namen Voldemort. Barbara nickte.

"Ich möchte mir den Tag nicht verderben lassen, Mädels. In zwei Stunden geht's los. Ziehst du den roten Umhang an, Julius?"

"Nein, heute und morgen ziehe ich den himmelblauen mit dem sonnengelben Kragen an, den ich letztes Jahr gekriegt habe. Kommt bei hellen Festen etwas besser als der weinrote Umhang", sagte Julius. Belisama grinste ihn an.

"Dann ziehst du den morgen auch beim Sommerball an? Schön, ich werde da wohl den Tiefseeblauen anziehen, den Maman mir für die Hochzeit von Barbara und Gustav besorgt hat."

"Zieh an, was du willst, Belisama. Ich denke, du siehst in allem gut aus", streute Julius ein Kompliment ein, das Belisama sehr wohlwollend entgegennahm. Seraphine meinte dazu nur:

"Das hätte Claire jetzt nicht hören dürfen, Julius."

"Man darf doch wohl einer jungen Dame noch Komplimente machen", warf Julius unschuldsvoll ein. "Außerdem kommt's bei Claire und mir nicht nur auf's Aussehen an." Die jungen Hexen kicherten amüsiert bis albern.

"Sollen wir wen von euch nach Hause bringen?" Fragte Seraphine. Barbara schüttelte den Kopf und disapparierte wie aus einer schnellen Drehung heraus. Julius nickte jedoch und saß nach zehn Sekunden hinter Seraphine. Belisama hatte ihm zwar einen Platz hinter sich angeboten, doch ihre Cousine hatte gemeint, sie müsse es nicht auf die Spitze treiben.

"Dann bis nachher", sagte Seraphine. "Ihr kommt ja an denselben Tisch, wenn die Trauung um ist", grüßte Seraphine zum Abschied und winkte ihrer Cousine, ihr wieder hinterherzufliegen.

Beim Frühstück lasen sich Julius und Babette aus den beiden Hochzeitszeitungen vor. Barbara und Gustav hatten in ihr Exemplar hineingesetzt, daß sie sich im Kräuterkunde-Unterricht angefreundet hatten, als Gustav ihr wie beiläufig drei Springbohnen vor die Füße hatte kullern lassen und sich danach mit ihr in einem kurzen Ringkampf ausgetobt hatte. Madame Faucon verzog zwar das Gesicht, sagte jedoch nichts weiteres dazu.

"Polterabend und Hochzeitszeitungen gibt es also hier", sagte Martha Andrews. "Was passiert denn noch so bei einer Zaubererwelthochzeit?"

"Vieles ist ähnlich wie bei den Nichtmagiern. Es werden Ringe ausgetauscht, sich das Jawort gegeben und der Brautleutekuß gegeben. Allerdings gibt es da noch verschiedene Bräuche, wo die Kraft der Zuneigung gewogen wird oder daß sich die Brautleute Haare voneinander um den Ringfinger der anderen Hand knoten und so bezaubern, daß sie sich erst wieder lösen, wenn sie Vater und Mutter geworden sind. Camille hat das mit ihrem Mann gemacht, genau wie ich mit meinem Gatten", erzählte Madame Faucon, nicht ohne leicht wehmütigen Blick. Julius fürchtete schon, sie würde gleich wieder in diese stille Wut verfallen, die sie überkam, wenn sie an den Tod ihres Mannes erinnert wurde. Doch sie sprach ruhig weiter und erzählte, daß in manchen Zauberergemeinden der Bräutigam von guten Freunden entführt und mit verbundenen Augen an einen anderen Ort appariert wurde, wo seine Frau ihn finden mußte, bevor die Sonne aufging. Ansonsten müßte sie einen vollen Tag warten, bis ihr Mann zurückgebracht würde, um mit ihm die Hochzeitsnacht zu begehen. Letzten Punkt sprach sie mit einer Spur Verlegenheit an.

"Oh, dann könnte man Bruno oder Gustav irgendwo in Millemerveilles verstecken, und die Braut müßte sie suchen?"

"Bei uns wird das nicht mehr praktiziert, seitdem Sardonias magische Glocke über Millemerveilles errichtet wurde. Denn der Brauch verlangt, daß der entführte Bräutigam mindestens fünfzig Meilen von der Braut entfernt versteckt werden muß. In anderen Ländern entführen die Freunde des Bräutigams die Braut und lassen sie vom Bräutigam auslösen, indem sie in einem Wirtshaus feiern, bis der Bräutigam seine Angetraute findet und die Zeche der Entführer und der Braut bezahlt."

"Das hat Laurentine mal erwähnt, als Claire, sie und ich uns über ausländische Hochzeitsbräuche unterhalten haben", wußte Julius. Dann wollte er von Madame Faucon wissen, ob sie ungekochten Reis entbehren könne. Sie lächelte und meinte:

"Dieser Brauch ist mir auch geläufig, zumindest von Catherines und Joes Hochzeit her. Wenn Jeanne und Barbara dich nicht verfluchen, weil du ihnen Reis in Haar und Kleidung wirfst, kann ich dir gerne zwei Hände voll Reis zur Verfügung stellen."

"Falls es nicht zu aufdringlich ist, möchte ich diesen Brauch gerne auch pflegen", sagte Martha Andrews mit belustigtem Blick.

"Ach du meine Güte, dann kommt Jeanne aus dem Kinderkriegen nicht mehr raus, wenn gleich zwei Leute sie und Bruno mit Reis bombardieren", grinste Julius.

"Was Barbara angeht denke ich, daß sie durch ihre Schwestern auf den Geschmack gebracht wurde. Ob Jeanne ihrer Mutter Konkurrenz machen möchte weiß ich nicht", sagte Madame Faucon amüsiert lächelnd. Offenbar steckte in dieser gestrengen älteren Hexe doch noch etwas Humor. Das beruhigte Julius.

Um kurz nach acht war allgemeines Umkleiden angesagt. Julius probierte den magischen Rasierapparat aus, den er von den Dusoleils bekommen hatte und ließ damit die ersten sprießenden Hare zwischen Mund und Nase verschwinden, bevor er die Frisurhaltelösung in seinen Kamm rieb und sich einen glatten Scheitel kämmte, der nun einen vollen Tag lang unverwüstlich bleiben würde. Dann schlüpfte er in den himmelblauen Umhang, zog helle Schuhe dazu an und trat aus dem Gästebad.

"Bei mir dauert es etwas länger", sagte seine Mutter, die ihre Kosmetiktasche unter einem Arm geklemmt hatte. Als sie nach etwas über einer Viertelstunde später wieder herauskam, trug sie jenes blaue Kleid, daß sie an Julius' dreizehntem Geburtstag angehabt hatte.

"Voll die blaue Runde", lachte Julius, als er seine Mutter und sich begutachtete. Dann trat Madame Faucon im rosaroten Tüllkleid mit Rüschen und weißer Spitze an säumen und Kragen in den Flur. Ihr schwarzes Haar war etwas offener, wenngleich immer noch durch eine silberne Spange gebändigt.

"Schön, alles passabel hergerichtet", sagte sie, als sie Martha und Julius Andrews begutachtet hatte. Zusammen gingen sie zu Fuß zum Dorfteich, wo sich bereits die ersten Hochzeitsgäste eingefunden hatten, darunter auch die Delamontagnes, Lumières und Lagranges, sowie Laurentine Hellersdorf, die versuchte, ein vorzeigbares Lächeln zu präsentieren. Julius vermeinte jedoch, daß sich das muggelstämmige Mädchen nicht so wohl oder richtig aufgehoben fühlte oder schlicht alles ablehnte, was ihm hier Freude machen könnte. Laurentine hatte den Festumhang an, mit dem sie in Beauxbatons zu Walpurgis und dem Schuljahresabschlußfest aufgetreten war.

"Guten Morgen, Madame Andrews", sagte Laurentine, als die Bewohner des Faucon-Hauses in Hörweite waren. Madame Delamontagne funkelte Martha Andrews ziemlich ungehalten an. Julius fragte sich, was das sollte. Schüchtern wünschte er der Dorfrätin für gesellschaftliche Angelegenheiten einen guten Morgen. Ihr Mann sah Julius mit einem Ausdruck gewisser Hilflosigkeit an. Virginie trat vorsorglich drei Schritte zurück und winkte Julius zu sich hin. Madame Delamontagne schritt auf Martha zu wie eine Kriegerin auf dem Weg in die Schlacht.

"Ups, was ist denn mit deiner Mutter passiert?" Flüsterte Julius, als Eleonore Delamontagne Martha mit einer energischen Geste zur Seite dirigierte und dann ziemlich ungehalten dreinschauend auf sie einsprach.

"Deine Maman hat Bébé wohl mit ihren Eltern reden lassen, über so'n Mitnehmetelefondings, wie Nicki und die anderen aus Jeannes Klasse es beim Abschlußfest verulkt haben. Jedenfalls haben die Eltern von Bébé diese Faxmaschine in Paris benutzt, um ihr einen brief zuschicken zu können. Der ist heute morgen eingetrudelt, zusammen mit einer Anfrage des Ausbildungsbüros, ob Maman das erlaubt hätte, daß meine Gastschwester Post von ihren Muggeleltern kriegen soll. Ich fürchte, für Bébé brechen härtere Zeiten an, mal abgesehen davon, daß meine Maman deiner Maman ziemlich viel Feuer unterm Kessel machen wird, wie gerade wohl zu sehen ist."

"Ach, dann darf Bébé keine Post von ihren Eltern kriegen? Ich dachte, die dürften sie nur nicht bei sich zu Hause haben", sagte Julius unschuldsvoll.

"Nachdem die wohl einen Wirbel mit Rechtsanwälten und so Leuten veranstaltet haben ist denen wohl verboten worden, Post von ihrer Tochter zu kriegen. Zumindest hat Maman mir verboten, Bébé meine Eule zu leihen. Tja, und dann kommt heute morgen eben so'n Papierbrief von ihren Eltern an. Maman hat den kassiert und daraus gelesen, daß Bébé wohl mit Muggelfernsprechapparaten Kontakt zu ihren Eltern bekommen hat. Ja, und wer könnte sowas in Millemerveilles wohl dabei haben?" Bei den letzten Worten grinste Virginie gehässig.

"Du wirst es meiner Mutter nicht verübeln, daß sie mit Bébés Mutter mitfühlt. Ihr ist ja eine ähnliche Kiste passiert", sagte Julius sehr entschlossen.

"Das weiß ich, und Maman weiß das auch. Aber du kennst sie. An die Vorschriften, auch ihre Vorschriften, hat sich gefälligst jeder zu halten."

Julius sah seine Mutter an, ob die von der wütenden Madame Delamontagne irgendwie beeindruckt wurde. Sie beherrschte sich wohl sehr gut. Doch zwischendurch schüttelte sie den Kopf und erwiderte wohl was. Julius war schon drauf und dran, in seinen Brustbeutel zu langen und ein Langziehohr herauszuholen, das er immer dabei hatte. Er beobachtete, wie die beiden Schachpartnerinnen sich fünf Minuten lang miteinander beschäftigten. Dann zog Julius Mutter ihr Mobiltelefon aus der Handtasche und gab es Madame Delamontagne mit einem Ausdruck von tiefer Demütigung in die Hand. Die Dorfrätin prüfte es offenbar, steckte es dann fort und zog sich von Martha Andrews zurück. Martha Andrews winkte ihrem Sohn. Ihr Gesicht war nun eine Maske absoluter Gefühllosigkeit.

"Ob das so toll war?" Fragte Julius Virginie. Diese machte nur ein mitleidsvolles Gesicht und schob Julius sachte in die Richtung, wo seine Mutter auf ihn wartete.

"Jetzt habe ich echt geglaubt, diese Frau könne es nachempfinden, wie wichtig einer Mutter der Kontakt zu ihrem Kind ist. Offenbar habe ich mich in Madame geirrt", begrüßte Martha Andrews ihren Sohn. "Das ging schon damit los, daß sie mich mit "Madame Andrews" anredete und dann fragte, ob es stimme, daß ich ihrer Schutzbefohlenen Laurentine Hellersdorf Gelegenheit gegeben habe, über Muggelfernsprechapparaturen Kontakt zu ihren Eltern in Paris herzustellen. Da diese Frage implizierte, daß sie dies auf irgendeinem Weg schon erfahren haben mußte, hätte ein Nein als Antwort nicht funktioniert. Ich gab es also zu und versuchte gleich, das zu begründen, warum ich es getan habe. Aber diese Hexe kam mir mit Vorhaltungen, Vorschriften und sogenannten pädagogischen Richtlinien, an die sich das Mädchen zu halten habe und zu denen auch gehöre, daß sie erstmals nicht mit ihren Eltern reden dürfe. Offenbar waren diese Leute so dumm, ihr in dem Brief zu schreiben, daß sie sie persönlich gesprochen haben." Die letzten Worte sprach Martha mit schwer unterdrückter Wut aus, obwohl sich ihr Gesichtsausdruck nicht veränderte. Doch ihre Körperhaltung war etwas straffer als Julius es sonst von ihr kannte. Verbiestert fügte sie dann noch hinzu: "Was nützt einem die eigene Intelligenz, wenn man sich auf Leute mit weniger Grips verlassen muß. Ich habe es dem Mädchen gesagt, daß ihre Eltern nicht erzählen sollen, daß sie mit meinem Mobiltelefon telefoniert hat. Jetzt mußte ich mich wie ein zwölfjähriges Schulmädchen herunterputzen lassen, daß ich undankbar sei, andere Leute zu verbotenen Sachen angestiftet hätte und damit einen großen Schaden angerichtet haben soll. Dann hat diese Person mir auch noch gedroht."

"Lass mich raten. Sie hat gedroht, nie wieder mit dir Schach zu spielen", erwiderte Julius sarkastisch.

"Nicht wörtlich. Aber das was sie mir angedroht hat beinhaltet auch dies. Sie hat mir nämlich gedroht, falls ich mein Handy bis zu unserer Abreise nicht an sie aushändigen würde, sollte ich schnell in Madame Faucons Haus zurückkehren, meine Sachen packen und mich von einem ihrer treuen Mitarbeiter mit der Reisesphäre nach Paris zurückbringen lassen und ich für alle Zeiten Umgangsverbot mit den Leuten von hier und auch mit dir erhalten würde. Ja, sie hat auch gedroht, das Sorgerecht für dich neu festlegen zu lassen. Dann hättest du hierher umzuziehen und fortan in ihrer gnädigen Obhut zu leben. Unverschämtes Weib!" Martha rang um ihre Fassung. In jedem Auge glitzerten Tränen. Als sie jedoch bemerkte, daß Julius sie sorgenvoll musterte, wischte sie mit dem rechten Ärmel die Tränen fort und sagte entschlossen: "Ich habe ihr das Handy gegeben. Zwar widert es mich an, einer solchen Erpressung nachzugeben, aber es steht zu viel auf dem Spiel."

"Sprich mit Madame Faucon, ob die das genauso sieht wie Madame Delamontagne. Immerhin hat sie das mit Catherine und dir ja abgesegnet und nicht die dicke Königin von Millemerveilles", schnaubte Julius nun doch wütender. Der Tag schien für seine Mutter und ihn nun versaut zu sein. Was sollte da noch gutes passieren?

"Was meinst du, was ich gleich machen werde", sagte Martha und suchte Madame Faucon, die sich gerade mit Madame Lagrange unterhielt, die mit ihrem Mann, ihrer jüngeren Tochter Elisa, ihrer Nichte Belisama und ihrem Neffen Polonius neben der nach Norden weisenden Nixe stand.

César wankte, von Bruno gestützt, auf den Teich zu. Seine Augen blickten beinahe ziellos umher, als suchten sie einen festen Punkt, an dem sie sich ausrichten konnten.

"Hui, da hat aber wer mächtig einen sitzen", grinste Julius, dessen Wut auf Madame Delamontagne wie verraucht von ihm abfiel. Bruno winkte ihm und den anderen Gästen. Dann sah er Madame Delamontagne und führte César zu ihr hin.

"Sollte César nicht Brunos Trauzeuge sein?" Fragte Julius seine Mutter. Diese sagte nichts. Ihr schien im Moment alles um sie herum egal zu sein, solange sie nicht alleine mit Madame Faucon sprechen konnte. Doch gerade in diesem Augenblick schaffte diese es, sich von den Lagranges zu verabschieden und schritt herüber. Julius trat bei Seite, um dem Gespräch zwischen seiner Mutter und der Verwandlungslehrerin nicht zuhören zu müssen. Er beobachtete, wie Madame Delamontagne César sehr ungehalten beäugte. Dann blickte sie sich um und winkte einer anderen Hexe, die in einem rosaroten Kittel steckte, Madame Matine, die sich wohl gerade noch einmal mit ihrer jüngeren Kollegin Béatrice Latierre unterhalten haben mußte. Die Heilerin kam herüber, besah sich César, griff in ihre stets mitgeführte Tasche, holte nach einigem Suchen ein Fläschchen heraus, entkorkte es, füllte einige Tropfen davon in ein aus dem Nichts beschworenes Trinkglas, zauberte noch einen Schluck Wasser hinein und half César, das Glas leerzutrinken. Schlagartig gewann Césars Blick und Gleichgewicht wieder an Tritt, und der korpulente junge Zauberer wurde vollkommen nüchtern. Allerdings schien er etwas zu frösteln. Julius erkannte diese Therapie als Spirifugus, den Alkoholverdrängungstrank, der die Nebenwirkung hatte, den Körper des Behandelten um ein Zehntel abzukühlen, sodaß der Patient meinte, von jetzt auf gleich in einem eiskalten Windhauch zu stehen, obwohl um ihn herum mehr als zwanzig Grad waren.

"Da mußte die gute Madame Matine aber die doppelte Dosis geben, um den Moppel auszunüchtern", grinste Julius. Daß er eigentlich wütend auf Madame Delamontagne war hatte er beinahe vergessen. Doch als sie nun ihn zu sich winkte fiel es ihm schlagartig wieder ein, was diese übergewichtige Matrone da gerade seiner Mutter angetan hatte, ohne auch nur einen Zauber auf sie zu legen.

"Mylady wünschen?" Sagte er unwirsch, als er vor Madame Delamontagne stand, die Hände provozierend in den Taschen seines Umhangs.

"Erst einmal nimmst du bitte die Hände aus den Taschen, Julius", sagte sie und starrte ihn an. Er hielt diesem Blick nur fünf Sekunden stand. Dann nahm er seine Hände aus dem Umhang und ließ sie rechts und links herunterbaumeln. "Zweitens", fuhr Madame Delamontagne fort, "wollte ich von dir wissen, ob du davon wußtest, daß Laurentine mit ihren Eltern gesprochen hat."

"Ich war nicht dabei, wenn Sie das meinen", sagte Julius mißmutig.

"Das werte ich als ja und auch als Antwort auf meine nächste Frage, nämlich wann sie das getan hat. Da es also in deiner Abwesenheit geschehen ist, kann es nur unter meinem Dach passiert sein. Das hätte ich Blanche auch nicht zugetraut, daß sie eine derartige Konspiration gegen meinen auftrag duldet oder die Gelegenheit dazu einräumt."

"Moment, Madame", entfuhr es Julius, und er erkannte sich selbst nicht wieder als er weitersprach. "Zum einen hat jedes Kind der Welt das Recht, mit seinen Eltern zu reden oder zumindest Briefe zu tauschen. Außerdem schießen Sie hier mit Kanonen auf Spatzen, wenn Sie es eine Konspiration nennen, wenn Laurentine nur zu Hause anrufen will, um ihren Eltern zu sagen, daß es ihr gut geht und sie hier gut aufgehoben ist, bei Ihnen, Madame. Das ist schon eine Riesenwelle, die Sie hier machen, Madame, muß ich Ihnen sagen. Meine Mutter wie ein kleines Mädchen abzubürsten und jetzt noch mich in ein Blitzverhör reinzuziehen, als hätte ich Voldemort oder wem von seinen Leuten den Schlüssel von Millemerveilles in die Hand gedrückt oder gar meine Mutter."

"Wie kannst du es wagen -? Was fällt dir ein -?!" Brach es aus Madame Delamontagne heraus. "Du wagst es ..."

"Ich habe Ihnen nur gesagt, daß Sie einen mächtigen Wind um die Sache machen, Madame. Laurentine hat mit ihren Eltern geredet. Soviel weiß ich. Jetzt wissen die, daß sie hier gut untergebracht ist und wie sie sie anschreiben können. Nur weil es Muggel sind sind die keine Untermenschen oder sonst was niederes, das man einfach so herumschupsen kann!" Rief Julius dazwischen. Madame Delamontagne ließ ihre rechte Hand in ihr goldenes Kleid fahren. Doch Julius, geübt durch das Duelltraining und seine Karate- und Quidditchreflexe, hatte seinen Zauberstab schon in der Hand und war bereit, in Gedanken einen Schildzauber zu formulieren, falls sie ihm mit einem Fluch kommen sollte. Auch der Contramutatus-Zauber war ihm einsatzbereit im Bewußtsein, um einen ihm geltenden Verwandlungszauber abzuschmettern.

"Julius, komm, stekc den weg. Keiner tut dir hier was. Auch du nicht, Eleonore", herrschte Madame Faucon die Dorfrätin und den Zauberschüler an. Eleonore Delamontagne verzog das Gesicht und verriss den Zauberstab, mit dem sie wohl gerade was auslösen wollte. Ein Schauer giftgrüner Funken sprühte ungerichtet aus dem Zauberstab. Julius steppte zur Seite, um ihn nicht abzukriegen.

"Blanche, dieser Bursche hat ..."

"Dieser junge Mann hat aus einem Reflex, den unter anderem ich ihm in weiser Voraussicht anerzogen habe, auf eine unmittelbar bevorstehende magische Attacke reagiert, weil du deinen Zauberstab schon gezogen hast, ohne dir zu überlegen, was er mit seinen Worten gemeint hat. Mach dich nicht unglücklich, Eleonore!"

"Die haben mich und die Ausbildungsabteilung mit ihren Muggeltricks zum Narren gehalten, Blanche. Heißt du das etwa gut?"

"Ich heiße jede Form konstruktiver Kommunikation gut, wenn sie unnötige Streitigkeiten verhindert, Eleonore. Außerdem hast du genauso eine Tochter zur Welt gebracht wie ich und daher durchaus dieselben Muttergefühle wie Martha Andrews oder Madame Hellersdorf. Mir war nicht bekannt, daß es ein absolutes Kontaktverbot seitens der Ausbildungsabteilung gab, sonst hätte ich es Martha in aller ruhe erläutern können, in welcher Weise du oder Kollegen aus der Ausbildungsabteilung die Angelegenheit zum Wohl der jungen Dame regeln, die gerade unter deinem Dach wohnt. In fünf Minuten trifft Jeanne mit ihrem Brautjungfernstaat ein. Willst du die ganze Zeremonie in einer ungerechtfertigten Wut abhalten oder gar Leute strafen, die dir nichts getan haben? Der Junge kann nichts dafür, was passiert ist. Seine Mutter ist eine erwachsene Frau, die, wie er zurecht anmerkt, auf derselben Augenhöhe mit dir oder mir zu verkehren berechtigt ist. Wenn du sie oder ihn jetzt mit der Überlegenheit einer Hexe züchtigst, könnte man dir Machtmißbrauch vorwerfen. Willst du dich auf dasselbe Niveau herablassen wie die Handlanger dieses Voldemort?"

Madame Delamontagne schrak zusammen, wurde erst bleich und dann wieder zornesrot. "Blanche, das ist eine bodenlose Unverschämtheit von dir, mir jetzt derartig in den Rücken zu fallen und so zu tun, als seien dir auf einmal die Richtlinien der Ausbildungsabteilung unwichtig."

"Ich wußte nicht, daß du an Paranoia leidest, Eleonore. Bislang hatte ich diese Berufskrankheit mir und anderen Mitgliedern der Liga wider die dunklen Kräfte unterstellt", sagte die Lehrerin. Julius hielt derweil immer noch den Zauberstab in der Hand. "Julius, stecke deinen Zauberstab bitte weg, damit Madame Delamontagne sich nicht von dir bedroht fühlt und wieder ganz ruhig mit dir und mir sprechen möchte!" Ordnete Madame Faucon in ruhigem, aber unmißverständlich entschlossenem Ton an. Julius gehorchte unverzüglich und trat aus der direkten Ausrichtung von Madame Delamontagne. Diese beruhigte sich nun auch und steckte ihren Zauberstab fort. Madame Faucon fuhr fort: "Es geht mir nicht darum, deine Anordnungen auszuhebeln, Eleonore, überhaupt nicht, zumal ich ja zu jenen in der Lehrerkonferenz gehört habe, die die Unterbringung von Mademoiselle Hellersdorf bei uns angeregt haben. Ich habe mir dabei schon gedacht, daß es ihr und ihren Eltern eine heilsame Erfahrung sein wird, daß sie für diese nicht so einfach erreichbar sein wird. Gut, die Möglichkeit, das Muggel Post an uns Hexen und Zauberer schicken können, wurde von Madame Grandchapeau auch mit sehr großer Voraussicht geschaffen, nämlich um Schülern in Beauxbatons ohne Unterstützung durch Hexen oder Zauberer Nachrichten von Zuhause zukommen zu lassen. Ich habe nichts von einem absoluten Kontaktverbot gewußt oder dergleichen angeregt, weil Laurentine diese Fac-Simile-Anschrift nicht kannte, unter der Muggel Post in die Zaubererwelt versenden können. Gut, jetzt hat sie diese Möglichkeit gefunden und genutzt. Du wärest auch froh, wenn Virginie eine für Muggel unauffällige Möglichkeit nutzen könnte, mit dir in Verbindung zu bleiben, wenn sie in der nichtmagischen Welt zu tun hätte. Madame Andrews offerierte Laurentine diese Möglichkeit, ohne zu wissen, daß sie damit gegen ein auch mir unbekanntes Kontaktverbot verstieß. Ich habe mir zwar schon denken können, daß die größtmögliche Unerreichbarkeit einem Kontaktverbot gleichkommt und dies auch billigend in Betracht gezogen, als ich die Unterbringung der Schülerin hier in Millemerveilles anregte. Aber nun sind die Wichtel auf dem Dach und lassen sich nicht mehr herunterholen. Womöglich ist dadurch, daß die junge Dame direkt mit ihren Eltern sprechen konnte ein weiteres Vorgehen der Konfliktbereinigungsabteilung unnötig geworden, da die Familie Hellersdorf nun eine Möglichkeit besitzt, eine eingeschränkte, von dir und mir immer noch handhabbare Verbindung zu ihrer Tochter zu halten. Du hast Marthas Mobiltelefon eingezogen. Die Sanktionen, mit denen du sie bedroht hast, sollte sie dir ihr Fernsprechgerät nicht überlassen, waren überzogen, Eleonore. Das verstehe ich nicht, wieso du derartig weit gehen wolltest. Oder pflegst du neuerdings Drohungen auszusprechen, die du selbst nicht wahrmachen willst?" Madame Delamontagne errötete heftig. Julius grinste überlegen. Dann sah er, daß mehrere dutzend andere Hexen und Zauberer sich um die drei scharten und mit angestrengten Gesichtszügen und wohl so gut wie möglich gespitzten Ohren die Unterhaltung verfolgten. Darunter waren auch Millie Latierre und ihre große Schwester Martine. Das machte auch Julius erröten.

"Ich pflege grundsätzlich nur anzudrohen, was ich auch wahrzumachen bereit bin, Blanche. Dieselbe Einstellung beherzigst du ja auch. Doch ich erkenne, daß du wohl deine Gründe hast, deine Hausgäste derartig wirkungsvoll zu verteidigen. Du hast recht. Durch die Beschlagnahme des Muggelgerätes habe ich jede künftige Zuwiderhandlung gegen die mir bekannten Richtlinien vereitelt und werde es dabei bewenden lassen. Martha Andrews wird ihren Apparat bei der Abreise am dreißigsten zurückerhalten."

"Ich freue mich, daß du immer noch vernünftig bist, Eleonore", sagte Madame Faucon mit einem Ausdruck großer Erleichterung. Dann nahm sie Julius beim Arm und sagte zu Madame Delamontagne: "Ich denke, deine Pflicht ruft nun."

Respektvoll machten die umstehenden Zuhörer der Dorfrätin Platz, die in ihrem im Licht der Sonne glitzernden Goldkleid davonging, Bruno zuwinkte, der mit dem wiederernüchterten César, dessen mitternachtsblauer Samtumhang über dem Bauch spannte zu ihr hinüberging. Julius bestaunte Brunos weiten, fließend herabwallenden Umhang aus ins Schwarze übergehendem blauem Stoff, nicht so dick wie Samt, aber auch nicht so hauchzart wie Seide. Auf dem Kopf trug er einen glatt gebürsteten, nachtschwarzen Zylinder. Das fiel Julius jetzt erst auf, weil er jetzt erst die Augen für seine Umgebung zurückbekam, die ihm durch die Wut und die Auseinandersetzung mit Madame Delamontagne abhandengekommen waren.

"Das ist wohl das erste Mal im Leben, daß Bruno sich derartig toll herausgeputzt hat", flüsterte Julius seiner Mutter zu, als sie wieder zusammenstanden. Madame Faucon stellte sich links von Julius auf und bugsierte seinen Arm so, daß sie sich ohne Anstrengung bei ihm unterhaken konnte. So fand er sich unvermittelt in der Mitte zwischen seiner Mutter und seiner Saalvorsteherin von Beauxbatons und ließ sich in eine immer länger werdende Reihe eingliedern. Hinter ihm stand Martine, die ihm kurz die linke Hand auf die Schulter legte, sodaß er den Kopf wandte und sie ansah. Meinte er zunächst, Martine würde verdrossen dreinschauen, fand er nun, daß sie sehr würdevoll aussah in ihrem apfelgrünen Kleid, das ihr bis zu den Knöcheln hinabreichte. Millie, die links von ihrer Schwester stand, trug ein meergrünes Kleid mit glitzernden Kunstperlen an Kragen und Ärmelsäumen. Auch dieses Kleid reichte bis fast an die Fußknöchel. Hinter Millie stand Albericus Latierre, ihr Vater in einem mit silbernen Sternen geschmückten wasserblauen Umhang und trug einen weißen, sehr hohen und sehr spitz zulaufenden Zaubererhut. Seine Frau Hippolyte, rechts von ihm, trug ein blaßblaues Seidenkleid mit goldenen Verzierungen. Wo war Martines und Millies restliche Verwandtschaft?

"Wir gehen gleich zu unseren Verwandten hinüber. Wir wollten nur warten, daß der von Madame Delamontagne und dir verursachte Auflauf sich auflöst", sagte Martine. Millie nickte schwerfällig. Offenbar hätte es ihr gefallen, hinter Julius herzumarschieren. Doch ebenso offenbar stand fest, daß die Verwandten des Brautpaares ganz vorne in der langen Schlange von Hochzeitsgästen marschieren sollten. So warteten sie, bis sich eine lange Dreierreihe gebildet hatte, scherten aus und eilten nach vorne, wo Madame Ursuline Latierre, Flankiert von ihrem Mann Ferdinand und ihrer Tochter Béatrice wartete. Sie trug die weiße Wollbluse und den sonnengelben Seidenrock, den sie bei ihrer Ankunft schon getragen hatte. Julius sah, wie der Rock im Licht der Sommermorgensonne golden glitzerte. Fand er das jetzt dekadent und neureich oder originell? Damit mußte er sich nicht befassen, stellte er fest.

Musiker machten sich bereit, als am Himmel ein winziger Punkt zu sehen war, der zu einer blütenweißen, fliegenden Kutsche anwuchs, die von zwei weißfelligen Abraxarieten gezogen wurde. Von irgendwo her erklang Glockengeläut. Julius staunte. Sowas wie eine Kirche hatte Millemerveilles nicht zu bieten. Hinzu kam, daß die Glocken unterschiedlich groß oder klein sein mußten. Zwar hörte er nur helles Geläut, doch auch das Klingeln kleiner Glöckchen, wie am Schlitten des Weihnachtsmannes. Dann begannen die Musiker, auf ihren Blechblasinstrumenten, Flöten und Schellentrommeln einen fröhlichen Marsch zu spielen, während sich die fliegende Kutsche herabsenkte und auf dem freien Platz im Osten des Teiches landete. Madame Delamontagne winkte Bruno, seinem Trauzeugen César und seinen Eltern zu, die ihn begleiteten und auf der linken Seite eine kleine Treppe zum Verschlag der Kutsche hinaufturnten, um dann unter Applaus und immer lauterem Glockenklang einzusteigen. Die Treppe klappte sich ein, der Verschlag ging zu, und die zwei riesigen, geflügelten Pferde gingen im Schritt voran, während die Straßenkapelle unter Trommeln, Tröten und Pfeifen die lange Reihe der Hochzeitsgäste anführte. Jetzt konnte Julius auch Aurélie Odin sehen, die mit ihrem Mann und anderen Verwandten an der Spitze ging. Claires Großmutter trug ein silbergraues Kleid, eher eine Ballrobe und hatte sich glitzernde Bänder durch ihr schulterlanges, schwarzes, leicht gewelltes Haar geflochten. Überhaupt meinte Julius, noch nie in seinem Leben als Jungzauberer so viele erhabene Kostüme gesehen zu haben.

"Wo ist denn Seraphine?" Fragte Julius, als er die Lagranges etwa zwanzig Personen hinter der nächsten Verwandtschaft Jeannes und Brunos erblickte und Belisamas tiefseeblauen Festumhang bestaunte.

"Das hast du nicht mitbekommen. Sie ist auf der anderen Seite eingestiegen, wo die Braut und ihr Staat untergebracht sind", erläuterte Madame Faucon. Braut und Bräutigam können sich während der Fahrt nicht sehen oder sprechen, weil eine massive und bezauberte Wand zwischen den Abteilen steht.

"Ich habe mich schon gefragt, ob das Brautpaar in einzelnen Fahrzeugen oder auf Besen ankommt oder nicht", gestand Julius ein. Dann ließ er sich mit dem Strom der Hochzeitsgäste weitertreiben, bis sie unter Glockengeläut und Marschmusik vor dem Gemeindehaus ankamen, wo zunächst die Braut in einem Traum aus weißer Seide der Kutsche entstieg, geführt von ihrem stolzen Vater, der einen dunkelgrünen Umhang und einen passenden Spitzhut trug. Die Brautmutter, gekleidet in einem smaragdgrünen Seidenkleid, entstieg als dritte der magischen Hochzeitskutsche. Julius stimmte in den Beifall und die Glückwunschrufe mit ein, als Jeanne, ihr schwarzes Haar unter einem Kranz aus Sommerblumen und ihr Gesicht hinter einem federwolkengleichen Schleier verborgen auf den marmornen Vorplatz trat.

Dann sah Julius die acht Brautjungfern, alle in himmelblauen Kleidern. Claire führte den kleinen Tross an und entfaltete vorsichtig eine Schleppe an Jeannes Kleid, die immer länger wurde, bis jede der Brautjungfern ein Stück davon hochhalten konnte. Roter Qualm aus mehreren magischen Kameras wallte auf. Babette strahlte mit der Sonne um die Wette. Sie hatte sich ihr Har so frisieren lassen wie Claire, Melanie und Denise. Die vier Mädchen aus der Latierre-Familie hatten sich goldene Spangen ins Har gesteckt und glitzerten so im Sonnenlicht.

"Da ist Seraphine", sagte Madame Faucon gut gelaunt und deutete auf die Hexe im fliederfarbenen Kleid, die sich gerade neben César aufbaute, der nicht in der Kutsche mitgefahren war. Dann schwangen die großen, roten Eichenholztore des Gemeindehauses auf und gaben den Weg in die imposante Eingangshalle frei. Von innen her erscholl ein Chor, der ein Julius völlig unbekanntes Lied sang:

"Seit Kindertagen kennt ihr euch, wart lebhaft und vergnügt.
Wart unbekümmert, frei für das was vor euch liegt.
Doch aus den Kinderschuhen seid ihr beide nun heraus.
Tretet in ein neues Leben heut' hinaus.

Gold'ne Glocken klingen froh weit in die Welt hinein.
Sie rufen und verkünden uns, der Tag soll euer sein.
Mit Mut und Liebe schreitet in den Tag hinein!
Möge er der aller schönste eures Lebens sein.
Gold'ne Glocken läuten froh für euch den Tag nun ein.
Möge er der aller schönste eures Lebens sein!

Ihr habt einander gern und wollt gemeinsam vorwärts geh'n,
wollt Freud und Leid gemeinsam übersteh'n.
Drum reicht einander heut zum Lebensbund die Hände!
Möge euch Glück und Frieden treu sein bis zum Ende.

Gold'ne Glocken klingen froh weit in die Welt hinein.
Sie rufen und verkünden uns, der Tag soll euer sein.
Mit Mut und Liebe schreitet in den Tag hinein!
Möge er der aller schönste eures Lebens sein.
Gold'ne Glocken läuten froh für euch den Tag nun ein.
Möge er der aller schönste eures Lebens sein!"

Während dieses im Walzertakt gesungene Lied erklang, von den Musikanten der einrückenden Hochzeitsgesellschaft begleitet, verteilten sich die Gäste in der großen Haupthalle, die von Säulen gestützt und mit bunten Blumen, goldenen Girlanden und schwebenden Kerzen geschmückt war. In einer Nacht hatte man aus dem Ort des Schachturniers eine Hochzeitskapelle gemacht, staunte Julius. Allerdings sah er hier weder ein christliches Kreuz, noch andere religiöse Symbole, und auch keinen Kitsch, wie sein Onkel Claude es ihm vor vier Jahren über die Hochzeitskapellen von Las Vegas zu erzählen wußte. Der Schmuck hier war feierlich aber nicht überdreht. Die Sitzbänke waren mit weißen Kissen gepolstert und sehr bequem. Der Chor aus Männern und Frauen sang noch zweimal das Lied von den goldenen Glocken und dem schönsten Tag des Lebens. Dann saßen alle Gäste. Jeanne saß zusammen mit ihren Brautjungfern auf der ersten Bank. Julius suchte sowas wie einen Altar, was, das für ihn irgendwie zu einer feierlichen Trauung dazugehörte. Er fand jedoch keinen. Auch seine Mutter schien irritiert zu sein, keinen mit weißen Tüchern bedeckten, mit Blumen und Kerzen geschmückten Altar zu sehen. Doch wie hatten Jeanne und Bruno geschrieben? "Nach der Zeremonie der vereinten Gemeinschaften". Damit waren ja wohl nicht nur Christliche Riten und Gegenstände gemeint.

Als alle Gäste saßen und die Musik verklungen war trat ein würdig aussehender Zauberer mit grauem Haar und bis zur Brust herabfallendem grauen Bart aus der kleinen Seitentür, die in andere Räume des Gemeindehauses führte. Er trug einen schneeweißen Umhang mit Stehkragen und eine goldene Borte. Auf dem grauen Schopf ritt ein weißer Zaubererhut mit vergoldetem Rand und silberner Spitze. Alle blickten ihn an. Das war wohl Monsieur Laroche, der zusammen mit Madame Delamontagne die Zeremonie durchführen sollte, erkannte Julius. Irgendwie hatte er sich so immer einen Meister der weißen Magie vorgestellt, wie er in den Kerker-und-Drachen-Abenteuern seiner Muggelwelttage mitspielen konnte. Der Zeremonienzauberer trug silberne Schuhe mit schnabelartigen Spitzen und schien die hier vorherrschende Stimmung ein- und wieder auszuatmen, sodaß von ihm eine art sanftes Pulsieren von gespannter Erwartung und Vorfreude ausging. Er musterte jeden Gast und das Brautpaar mit warmem Blick. Als seine hellgrauen Augen Julius' Blick einfingen, ging diesem durch den Kopf, wie er mit seiner Mutter hierhergekommen war, weil Jeanne und Bruno ihn eingeladen hatten, aber auch die Wut auf Madame Delamontagne. Warum er das dachte fiel dem Jungen nicht sofort ein. Doch als der Zeremonienzauberer die übrigen Gäste anblickte ging ihm ein Licht auf, und ein heißer Schauer von Wut durchpulste ihn. Madame Faucon schien das mitbekommen zu haben. Sie beugte sich zu ihm und flüsterte ihm zu:

"Das ist schon in Ordnung, Julius. Der Zeremonienzauberer hat die Pflicht, mißliebige Stimmungen und die Freie Entscheidung der Verlobten zu prüfen, bevor er die Trauung vornimmt."

Aus unsichtbarer Quelle schwebten fröhliche Töne in den Raum hinein, breiteten sich aus, hallten von den Wänden wieder und entschwebten wieder. Madame Delamontagne erhob sich würdevoll und schritt bedächtig zu Monsieur Laroche hinüber. Die schwebenden Kerzen wechselten die Farbe von warmem gelb zu strahlendem Weiß. Ihre Flammen ragten beinahe fingerlang nach oben. Vier Glocken erschollen im Wechsel, eine halbe Tonleiter oder ähnliches von oben nach unten erklingend. Julius horchte auf. Er war zwar kein Musikexperte, doch den Unterschied zwischen Dur und Moll kannte er doch schon recht gut und hörte, daß die Glocken keine Mollakorde als Obertöne anschlugen sondern blitzsaubere Duraakkorde, in die sich das Spiel der vier Glocken harmonisch einfügte. Dann klangen die vier Hochzeitsglocken aus, und ihr Nachklang wich sachte aus dem Raum, bis ihn niemand mehr hören konnte. Dann sprach der weißgekleidete Zeremonienzauberer mit feierlicher Baritonstimme:

"Liebe Gemeinschaft, ich bin hocherfreut, Sie und euch hier und heute in dieser erhabenen Halle erblicken zu dürfen. Ich freue mich, mit Ihnen und euch den entscheidenden Schritt bezeugen zu dürfen, den zwei junge Mitglieder unserer magischen Gemeinschaft heute vollenden möchten. In meiner Eigenschaft als Bewahrer der feierlichsten Traditionen unserer Welt, als Vermittler zwischen den Hexen und Zauberern in Dingen des Lebens und des Todes, freue ich mich, hier und heute diesen zwei jungen Mitgliedern unserer magischen Gemeinschaft beistehen zu dürfen, wenn sie feierlich geloben, ihr weiteres Leben gemeinsam zu führen, ihr Schicksal zu teilen in guten und auch schlechten Tagen.

Es ist nun zwei Wochen her, daß Jeanne Dusoleil und Bruno Chevallier erklärten, sie wünschten sich die Hand zum Bund für's leben zu reichen und in ehelicher Gemeinschaft miteinander weiterzuleben, ja auch gemeinsame Nachkommen zu haben und eine Familie in Fleiß, Freude und Rechtschaffenheit zu begründen. In Zeiten wie diesen, liebe Anwesenden, ist es ein heller Moment, wenn die Macht der Liebe und der Wunsch nach partnerschaftlicher Gemeinschaft zwei junge Menschen an der Pforte zum selbständigen Leben einander finden läßt. Vieles traurige läßt sich ertragen, wenn es eine Schulter gibt, an die man sich lehnen kann. Vieles freudige erfährt im Gegensatz zu unbelebten Gegenständen eine Wertsteigerung in der Teilung mit anderen, weil es sich immer als ganzes in jedem, der Anteil daran erhält, wiederfindet. Tage der Plagen und Schmerzen werden erträglich, wenn jemand einem Beisteht.

Die Kraft die aus der Liebe erwächst durchströmt jeden von uns wie die belebende Luft um uns herum. Sie wärmt und erhellt unser Leben wie die ewige Sonne den Tag. Sie behütet uns in der Nacht wie der Mond und die Sterne. Sie trägt uns sicher wie die Erde und erfrischt uns wie klares Wasser. Diese Kraft ist größer als alle Magie, die wir erleben und erlernen können. Sie ist die Essenz unseres Seins und die Antwort auf alle Fragen nach dem Sinn jedes Lebens.

So lasset uns nun an diesem Orte die Kraft der Liebe feiern und die beiden Kinder unserer Gemeinschaft einander anvertrauen!"

Wieder erklang sphärische Musik aus unsichtbarer Quelle, erhaben und beschwingt zugleich. Julius dachte an angestrichene Weingläser oder eine sehr sanft angeblasene Flöte, als er die Melodie durch seine Ohren in sein Bewußtsein hineinfließen ließ. Er fragte sich nur, was jetzt wohl passierte. Monsieur Laroche erhob seinen Zauberstab und wedelte damit in Richtung der Wand, an der in goldener Leuchtschrift Zeilen eines Liedes entstanden. Jetzt begann auch die Zugkapelle, in das Spiel der magischen Melodie einzustimmen, während die Hochzeitsgäste sangen. Julius kannte das Lied nicht und hörte lieber nur zu, während Madame Faucon mit einer selten von ihr gehörten Begabung mitsang, rein und klar wie eine Altsängerin einer Oper. Als dann das Lied zu Ende war, sprach Madame Delamontagne zu der Festgemeinde.

"Liebe Gäste, Bürgerinnen und Bürger von Millemerveilles, sowie alle geladenen Gäste aus Nah und Fern. Als von den Bewohnern unseres schönen und friedlichen Heimatdorfes Millemerveilles zur Rätin für gesellschaftliche Angelegenheiten erwählt, freue ich mich, heute wieder einmal, zwei junge Mitglieder unserer Zauberergemeinschaft einander anzuvertrauen, auf daß ihr gemeinsames Leben fröhlich und fruchtbar verlaufen möge." Julius hörte es irgendwo kichern und sah sich um, wo das herkam. Gerade so eben meinte er noch, Jacques Lumière grinsen zu sehen, bevor seine Schwester, die rechts von ihm saß, ihm kurz aber schmerzvoll am rechten Ohr zog. Er blickte wieder auf die Dorfrätin, mit der er sich vor nicht einmal einer Stunde beinahe duelliert hätte. Sie sprach weiter. "So werde ich bezeugen und besiegeln, was Jeanne Dusoleil, eine Tochter aus unserer Mitte, sowie Bruno Chevallier, ein Sohn aus unseren Reihen, einander geloben und freue mich, an diesem Tag die Tür zu ihrem gemeinsamen Leben auftun zu dürfen.

Monsieur Laroche erwähnte, daß die Kraft der Liebe uns hilft, unser Leben zu führen, ja sogar die treibende Kraft unseres Lebens selbst ist. Gerade in Zeiten, wo die dunklen Wolken aus Haß, Bosheit und Schrecken über uns hängen, ist die Besinnung an die wohltuende Kraft der Liebe wichtiger als zu Zeiten, wo keine Bedrohung uns beschwert. Ich sehe jede Hoffnung berechtigt, im eigenen Leben Zeiten der Freude wiederzufinden, wenn es jemanden gibt, der diese Hoffnungen teilt und vor Zeugen bekundet, das Leben mit jemandem zu teilen.

Ich denke immer wieder daran, wie ich, gerade zur Rätin für gesellschaftliche Angelegenheiten berufen, dieses winzige Bündel Leben in die Arme nehmen durfte, das Camille und Florymont Dusoleil zu mir brachten, um es in unserer Gemeinschaft willkommen zu heißen. Leider war mir nicht vergönnt, auch den Jungen Bruno Chevallier im Leben begrüßen zu dürfen. Doch ich erinnere mich, wie aus dem einst so hilflos winzigen Mädchen ein lebhaftes, neugieriges Kind wurde, das dann zu einer lebensfrohen und kultivierten Jungfrau aufwuchs. Ich denke mit Groll aber auch Belustigung an die derben Streiche zurück, die Bruno Chevallier in seinen Kindertagen mir und anderen Bürgerinnen und Bürgern dieser Gemeinde spielte, und wie aus dem einstigen Wonneproppen ein kräftiger Jüngling erwuchs, bereit zum größten aller Abenteuer, dem Leben als Mann. Heute sitzt die lebensfrohe und kultivierte Jungfrau in einem makellosen Kleid vor mir, das verkündet, daß sie nun die Freuden und Pflichten einer erwachsenen Hexe und Mutter einer neuen Familie entgegennehmen möchte. Ich sehe Bruno vor mir, einen jungen Zauberer, an Körper und Geist wohlgenährt, bereit, die wichtigste Entscheidung zu besiegeln, die er bisher zu treffen hatte. Ich sehe acht junge Mädchen aus den Familien dieses jungen Paares, die dabei helfen wollen, Jeanne und Bruno glücklich über die Schwelle zum gemeinsamen Leben zu führen." Babette grinste verschlagen, weil sie weder zu Jeannes noch Brunos Verwandtschaft gehörte. Madame Faucon blickte sie durchdringend an. Sie schrak unhörbar zusammen, blieb dann aber ruhig stehen, ja gewann auch wieder ihr freudiges Lächeln zurück, mit dem sie Jeannes Schleppe in die Halle getragen hatte.

Als hätte Madame Delamontagne ein Stichwort gegeben, begann Claire ein Lied zu singen. Julius hatte es immer schon einen warmen Schauer über den Körper laufen lassen, wenn er Claire singen hörte. In diesem Mädchen wohnte das Talent zu einer großen Musikerin und Sängerin. Wie in einem Kanon begannen einige Takte später Babette und Melanie, dann Denise und Mayette und schließlich Callie, Pennie und Patricia den Text zu singen.

"Der Tag ist nun gekommen,
mit jenem den du freudig
in Liebe hast erwählt.
Wir Jungfern singen freudig
dir strahlendschönen Braut,
daß du an diesem Tage
nun glücklich wirst getraut.
So sei dir wie als Mädchen
das Glück als Frau auch hold!
Das glänzen deine Zukunft sei,
mit dem, den du gewollt."

Viermal sangen die acht Mädchen in Himmelblau diese Verse, bis Claire eine Flöte aus einer wohl bezauberten Tasche ihres Kleides zog und die Melodie darauf spielte, dann Babette und Melanie, die jedoch nicht die Singstimme spielten, sondern zwei passende begleitstimmen, dabei aber immer noch in der Abfolge des Kanons. Denise und ihre Singpartnerin spielten ebenfalss aus wie aus den Kleidern gezauberten Flöten andere, aber immer noch perfekt passende Begleitmelodien, bis der ganze Brautjungfernstaat das Lied spielte, bis Claire eine Handbewegung machte und alle nun zusammen die ganze Melodie spielten, um dann vom selben Takt an die Melodie mit Begleitung zu spielen.

"Wie lange das gedauert hat, das so einzuüben?" Staunte Julius leise. Madame Faucon nickte ihm zu und sah dann wieder, wie ihre sonst so hibbelige Enkeltochter eine vollkommen disziplinierte Darbietung durchhielt, die darin gipfelte, daß die Brautjungfern umeinander herumtanzten, immer vier zu vier, jedoch nicht nur nach Familien aufgeteilt, sondern Paare aus beiden Familien bildend, sich miteinander vereinigten und wieder zu zwei Vierergruppen in zwei Kreisen mit gemeinsamem Mittelpunkt zu tanzen, wobei sie ihre Melodie weiterspielten, die nun auch von der Zugkapelle übernommen wurde. Genau Vierundzwanzig Durchgänge später - zumindest behauptete das Madame Faucon danach - hörten Tanz und Flötenspiel auf. Monsieur Laroche nickte den Brautjungfern lächelnd zu und ergriff wieder das Wort.

"Nun, nachdem junge Hexenmädchen eine der ihren aus ihren Reihen verabschiedet haben, auf daß sie als Ehefrau das weitere Leben in Glück und Liebe verbringen mag, bitte ich nun Florymont Dusoleil um die Erfüllung der schweren Aufgabe, die dem Vater einer Tochter auferlegt werden muß, wenn ein Tag wie dieser gekommen ist: Führe die Braut in den Kreis der Verbundenheit!"

Julius sah sich um. Einige Kameraleute, auch aus den Familien des jungen Paares, hielten auf Florymont, der links von seiner Tochter saß. Dann sah er Madame Dusoleil, die sich zwei kleine Tränen verdrückte, ihn aber sofort freudig anstrahlte, als sich ihr und sein Blick trafen. Als habe man Monsieur Dusoleil einen Bleianzug angezogen oder ihm einen Schwermacher umgehängt, erhob er sich. Jeanne neben ihm stand ebenfalls auf, hakte sich bei ihm unter und ging langsam mit ihm nach vorne. Claire trat rasch aber nicht hastig hinter ihre Schwester, hob die säuberlich zusammengefaltete Schleppe vom Stuhl an, wartete, bis diese etwas auseinandergezogen war und folgte Jeanne. Dahinter kam Denise, die ihr Teilstück der Schleppe aufnahm und den beiden älteren Schwestern folgte. Dann kam Melanie, dann Babette und danach die Latierres, zweimal zwei Schwestern, zwei Tanten und zwei Nichten. Julius sah, wie die zwei Erwachsenen und die acht Kinder langsam durch die Halle schritten, bis vor ihnen, um Madame Delamontagne und Monsieur Laroche herum ein goldener Kreis auf dem Boden erstrahlte. Monsieur Dusoleil hob den rechten Fuß, überschritt die schimmernde Linie und trat in den Kreis. Erst dann folgte seine Tochter Jeanne. Danach gingen sie gemächlich zum Zentrum des Kreises und blieben stehen, während die Brautjungfern die Schleppe hochhielten, alle hintereinander im Kreis. Wieder blitzten Fotoapparate und ließen den roten Qualm im Raum aufquellen.

"Célestine Albertine Chevallier, ich bitte dich nun um die Erfüllung jener schweren Aufgabe, die der Mutter eines Sohnes auferlegt werden muß, wenn ein Tag wie dieser gekommen ist", Sprach Monsieur Laroche weiter. "Führe den Bräutigam in den Kreis der Verbundenheit!"

Brunos Mutter, die ein kirschrotes Kleid trug, führte ihren piekfein herausgeputzten Sohn langsam und bedächtig in den goldenen Kreis, der wohl der Ersatz für den Altar sein mußte. Als der Bräutigam nun neben seiner Braut stand, leuchtete der magische Kreis noch heller auf. Es schien, als tanzten über ihm kleine, fröhliche Funken, die nie weiter als einen halben Meter über dem Boden aufstiegen und nach fünf Sekunden wieder erloschen, weil neue Goldfunken aufstiegen, fröhlich wippten und kreiselten und dann ihren Nachfolgern platz machten. Wieder läuteten die vier fröhlichen Glocken. Doch sie klangen nur je zweimal, bevor sie verstummten. Dann trat Madame Delamontagne zur Bräutigammutter und fragte laut und deutlich:

"Celestine Albertine Chevallier, ist das dein Sohn Bruno, den du in Liebe empfangen, getragen, geboren und zusammen mit deinem Mann Arminius erzogen und genährt hast?"

"Ja, das ist er", antwortete Madame Chevallier laut und deutlich und kämpfte wohl um ihre Selbstbeherrschung, nicht losweinen zu müssen.

Danach hob Madame Delamontagne Jeannes Brautschleier, legte ihn sachte nach hinten über und fragte: "Florymont Dusoleil, ist dies deine Tochter, die du in Liebe gezeugt und mit deiner Frau Camille zusammen erzogen und genährt hast?"

"Ja, das ist sie", sagte Monsieur Dusoleil.

"Dann tretet bitte wieder aus dem Kreis und gesellt euch zu euren Familien!" Sagte Madame Delamontagne noch. Brunos Mutter und Jeannes Vater wandten sich um und schritten an den acht Brautjungfern entlang aus dem Kreis. Jede Brautjungfer, an der die beiden Elternteile vorbeigingen, ließ ihr Stück der Schleppe los, bis Mayette, die ganz hinten stand, ihr Stück weißen Stoffes mit Spitzenbesatz losließ. Ohne lautes Kommando scharten sich die acht Mädchen zusammen und warteten am Rand des Kreises still und völlig reglos stehend, die Gesichter eine Mischung aus gespannter Erwartung, Freude und Stolz.

Madame Delamontagne rief nun die beiden Trauzeugen in den Kreis. Seraphine und César gingen zügig in den goldenen Kreis hinüber. Dann sprach wieder Monsieur Laroche:

"Nun möchte ich vor Ihnen und euch, vor den vom jungen Paar bestellten Zeugen und den anwesenden Familienmitgliedern das Versprechen dieser beiden jungen Mitglieder unserer Gemeinschaft abnehmen. Doch vorher muß ich fragen, ob jemand unter den Anwesenden ist, der oder die einen triftigen Grund nennen kann, warum diese beiden einander nicht angetraut werden sollen, so möge er oder sie jetzt sprechen oder für alle zeiten schweigen."

Das kannte Julius auch aus der Muggelwelt. An und für sich überflüssig, wenn der Zeremonienzauberer ja jeden geistig geröngt hatte, als er sich umgesehen hatte, fand er zwar. Aber vielleicht lief ja irgendwo sowas wie eine magische Videokamera mit, die das ganze unpersönlich und wiederholbar aufzeichnete. Zehn Sekunden Schweigen waren die Antwort auf die Aufforderung des Zeremonienzauberers. Er nickte und wandte sich an Jeanne.

"Jeanne Dusoleil, möchtest du den hier anwesenden Bruno Chevallier als deinen Ehemann annehmen, ihn lieben und ehren, ihm die Treue halten in guten und in schlechten Tagen bis daß der Tod euch scheidet? So antworte bitte laut und deutlich mit "Ja, ich will"!"

Wieder blitzten Kameras auf, während Jeanne nach zwei Sekunden "Ja, ich will" sagte.

"Bruno Chevallier, möchtest du die hier anwesende Jeanne Dusoleil als deine Ehefrau annehmen, sie lieben und ehren, ihr die Treue halten in guten und in schlechten Zeiten, bis daß der Tod euch scheidet? So antworte bitte laut und deutlich mit "Ja, ich will"!"

"Ja, ich will!" Rief Bruno nach einer Sekunde gespannten Schweigens. Gleichzeitig schoss ein Vorhang aus goldenen Funken über dem Kreis in die Höhe und vereinigte sich zu einer hüfthohen Lichtwand. Wieder läuteten die vier Glocken, während der Zeremonienzauberer fortfuhr:

"Die Ringe bitte!"

César und Seraphine kramten in ihren Festgewändern und holten zwei goldene Ringe hervor, die sie kurz hochreckten, daß die anwesenden Fotografen sie auch ja gut aufnehmen konnten. Dann gaben sie die Ringe weiter, Seraphine an Jeanne und César an Bruno. Monsieur Laroche breitete die Arme aus, sodaß er das Brautpaar zu umarmen schien und sagte feierlich:

"Bruno Chevallier, gib mir den Ring." Bruno gab ihm den Ring. Dann gab Jeanne ihren Ring ab. Der Zeremonienzauberer tauschte sie rasch aus und streckte seine hände vor. er sprach: "Mit diesem Ring besiegele ich das gemeinsame Bündnis, fortan in ehelicher Gemeinschaft zu leben, immer zum gegenseitigen Wohl zu handeln und die Freuden und Pflichten der Ehe zu teilen." Dann steckte er Jeanne den von César ausgehändigten Ring an die linke Hand und Bruno den von Seraphine ausgehändigten Ring. Dann trat Madame Delamontagne vor, ergriff die Hände der beiden so gut wie verheirateten und fragte laut:

"Welchen Namen werdet ihr als euren Familiennamen führen?"

"Dusoleil", sagte Jeanne.

"Dusoleil", bestätigte Bruno, etwas schwerfälliger, weil er wohl seinen Geburtsnamen sehr gern behalten hätte.

"Dusoleil, dies sei von heute an euer gemeinsamer Familienname", bestätigte Madame Delamontagne und ließ die Hände der Brautleute los. Dann sprach wieder Monsieur Laroche.

"Nun, da ihr beiden euch in Anwesenheit von Freunden und Verwandten und vor Madame Delamontagne als Vertreterin gesellschaftlicher Belange und mir als Bewahrer der hohen Zeremonien und Vermittler der traditionellen Gepflogenheiten versprochen habt, füreinander da zu sein und euch zu ehren und zu unterstützen, erkläre ich euch beide nun zu Mann und Frau. Bruno, du darfst deine Braut nun küssen."

Ein Gewitter aus Blitzen und roten Wolken brach los, während Bruno sich seiner strahlenden Braut zuwandte, sie umarmte und langsam wie in Zeitlupe seinen Mund an ihren heranführte, bis sich ihre Lippen trafen und wie aneinander festklebend zusammenblieben, während die goldene Lichtwand um sie herum langsam wieder im Boden versank. Ungefähr eine Minute blieben Braut und Bräutigam so zusammen, genossen diesen Augenblick, den alle teilten und der doch ihnen ganz alleine gehörte. Dann, als sie sich wieder voneinander lösten, verschwand der leuchtende Kreis, als habe es ihn nie gegeben. Dann sangen die Brautjungfern wieder ihr Lied, während Jeanne bei Bruno eingehakt, einen bunten Sommerblumenstrauß in der rechten Hand hochreckend, eine Kehrtwende machte und langsam, die Gesichter freudestrahlend den Gästen zugewandt, voranschritten. Die Brautjungfern sangen dabei ihr Lied im Kanon, der, wie Julius mit dem Sinn für präzise Abfolgen erkannte, so eingeteilt war, daß die drankamen, die gerade ein Stück Schleppe vom Boden aufnahmen. Man konnte diesen Kanon also auch achtstimmig singen.

"Kein Wort von Gott oder irgendeinem anderen übergeordneten Wesen", bemerkte Julius, als Jeanne und Bruno mit dem Tross der Brautjungfern herankamen.

"Das ist eben nach den Riten der vereinten Gemeinschaften. Es wird kein Bezug auf irgendeine Religion genommen, zumal viele Zauberer unterschiedlichen Religionen zugehören mögen, Christen, Juden, Muslime, gallokeltische oder britanokeltische Anbeter der Naturgottheiten und Pfleger des Druidentums", flüsterte Madame Faucon. Julius' Mutter hörte ihr genauso gespannt zu wie der Zauberschüler selbst.

"Das vereinigt die standesamtliche und die kirchlich-rituelle Trauung?" Hakte Martha Andrews nach.

"Das haben Sie gerade miterlebt", bestätigte Madame Faucon. Dann erschien wieder der Text eines Liedes an der Wand, und die Festgemeinde sang es mit. Hier fühlten sich Julius und seine Mutter etwas ausgeschlossen, weil sie zwar den Text lesen konnten aber die Melodie nicht kannten. Julius machte zum besseren Aussehen Lippenbewegungen wie ein Sänger, der zum Playback eines Liedes auftrat, wenn er nicht selbst singen wollte oder konnte. Dann sagte Monsieur Laroche unter dem fröhlichen Geläute der vier Durglocken:

"Da wir nun alle Zeugen dieses so erhabenen wie wichtigen Ereignisses wurden, wie der Strom der Zeit eine Hexe und einen Zauberer im Bund von Leben und Liebe vereinte, möchte ich euch und Sie nun alle zum fröhlichen Feste dieses Tages entlassen."

Na dann", sagte Julius.

"Wir marschieren zuerst hinaus, vor den Familien", sagte Madame Faucon. Julius und seine Mutter folgten ihr rasch aus dem Gemeindehaus. Draußen stellten sich alle hin und bejubelten das traufrische Ehepaar, das an der Spitze der Anverwandten aus dem großen Haus trat. Einige Klassenkameraden von Jeanne und Bruno, darunter auch Barbara, Yves, Gustav und Janine, bildeten mit vorgestreckten Zauberstäben ein Spalier, durch das die beiden jungen Eheleute hindurchschlüpfen mußten, immer unter einem Strom von roten und blauen Lichtbändern hindurch. Jeannes Schleppe lag nun wieder zusammengefaltet und befestigt an ihrem Kleid an. Am Ende des Spaliers warteten Julius und seine Mutter und warfen je eine Hand Reis in die Luft, so das die Körner wie Regen auf das junge Paar herabfielen und einhüllten. Fotografen schossen diese Szene mehr aus der Hüfte als vorbereitet. Diese Tradition kannten sie wohl nicht.

"Das waren jetzt keine fünfzig Minuten", stellte Julius nach einem Blick auf seine Weltzeituhr fest. Also würde es noch eine Stunde und zehn Minuten bis zum Fest dauern. Was machte man in dieser Zeit?

"Sollen wir jetzt alle erst nach Hause gehen oder was?" Fragte Julius Madame Faucon leise.

"Müssen wir nicht. Wir gehen schon zum Musikpark. Jeanne und Bruno müssen mit ihren Eltern und Anverwandten noch zu Camilles und Florymonts Haus, um Jeannes Aussteuertruhe abzuholen. So verlangt es der Brauch."

"Julius, Claire fragt, ob du mit uns kommst, dir anzusehen, wie Jeanne ihre Aussteuertruhe holt", sprach Babette den Jungen an, als sie sich kurz vom Tross der Brautjungfern absetzen konnte.

"Könnte es sein, daß Claire erst ihre Eltern und Jeanne fragen müßte, bevor sie eine solche Frage stellt, ma Chere?" Fragte Babettes Großmutter streng. Die stolze Brautjungfer verzog zwar kurz das Gesicht, sah dann aber sehr ruhig zu ihrer Oma hoch.

"Madame und Monsieur Dusoleil haben ihr das gesagt, als wir uns hingesetzt haben, und Jeanne meint das auch, Oma Blanche."

"Ich alleine oder wer noch?" Fragte Julius keck.

"Das weiß ich nicht", sagte Babette nun etwas verunsichert und suchte mit ihrem Blick nach Jeanne oder Claire. Dann kam Madame Dusoleil herüber und sagte ruhig:

"Blanche, meine älteren Töchter möchten gerne, daß Julius dabei ist, wenn Jeanne ihre Truhe holt. Wenn Martha möchte darf sie auch mit."

"Und ich?" Fragte Madame Faucon leicht amüsiert.

"Was willst du alleine in deinem Haus herumsitzen. Wenn du möchtest darfst du auch mit. Eleonore kommt gleich auch noch."

"Nein danke, diese Dame werde ich heute nicht näher als fünf Meter an mich heranlassen", sagte Martha Andrews mit plötzlicher Mißgestimmtheit.

"Oh, Hat sie dich im Schach besiegt, Martha?" Fragte Camille Dusoleil amüsiert. Madame Faucon räusperte sich und sagte dann:

"Es gab gewisse Differenzen, schwerwiegend erscheinende Differenzen zwischen Madame Andrews und Madame Delamontagne. Wenn sie erst einmal keine Ambition hat, sich mit Eleonore in aller nächster Nähe aufzuhalten sollten wir das respektieren, auch wenn es vielleicht kindisch anmuten könnte."

"Oh, wegen Laurentine. Ich habe das im Gemeindehaus nicht so recht mitbekommen. Leute haben Flüsterkette gespielt und mir und Florymont zugetragen, da sei was passiert. Nun, Martha, wenn sie nicht möchten, kein Problem", sagte Madame Dusoleil ruhig. Julius Mutter bestätigte das. Julius überlegte, ob er dann auch besser bei seiner Mutter bleiben sollte. Doch Madame Faucon hatte behauptet, sie könnte sich kindisch benehmen. Außerdem kam jetzt auch noch Claire in ihrem himmelblauen Brautjungfernkleid herüber und sah ihn erwartungsvoll an. Er entschied, mitzukommen.

"Ich kehre mit deiner Mutter zu meinem Haus zurück und werde mich dann kurz vor zwölf im Musikpark einfinden. Ihr habt die Tischordnung für das Festessen?"

"Haben wir", sagte Claire. "Ich werde Julius bei Sandrine abliefern, wenn wir im Park sind. Sie möchte sich gerne einstimmen, wenn sie morgen abend Tischsprecherin beim Sommerball wird."

"In Ordnung, Mademoiselle. Dann darf der junge Mann Sie begleiten", sagte Madame Faucon. Claire verzog zwar ein wenig das Gesicht, nickte dann aber. Julius winkte seiner Mutter und folgte Claire und Babette zum Tross der übrigen Brautjungfern.

"Moment, da passe ich aber nicht hin", sagte Julius rasch, bevor Mayette Latierre ihn angrinste.

"Wo passt du nicht hin?" Fragte Claire herausfordernd.

"Zu den Brautjungfern. Bin weder Braut noch ... Öhm, na ja, ihr wißt schon", gab Julius verrucht klingend zurück.

"Du gehst auch mit meiner Mutter. Die ist auch weder Braut noch, ja du weißt schon was", konterte Claire mit feistem Grinsen. Die Mädchen über neun Jahren lachten, deshalb kicherten die Mädchen von neun Jahren und jünger albern.

"Bei so vielen Jungfrauen sollte ein aufstrebender Knabe wohl behütet sein", lachte Madame Dusoleil und nahm Julius in eine halbe Umarmung. Claire nickte ihrer Mutter zu. Dann scheuchte die Chefbrautjungfer ihre Kolleginnen zu Jeanne zurück.

"Erzählst du mir nachher mal, was da genau passiert ist, falls du möchtest?" Erkundigte sich Madame Dusoleil. Julius nickte. Bevor es irgendwie wilde Blüten treiben konnte, sollte die Kräuterhexe es von ihm direkt hören.

Zwar sahen Cassiopeia Odin und einige andere Verwandte Julius wie einen Tropfen Wasser auf einer blitzsauberen Fensterscheibe an, akzeptierten jedoch, daß er ihnen Gesellschaft leistete. So bekam er mit, wie Madame Jeanne Dusoleil eine große, weiße Truhe herausschweben ließ, die mit weißen und roten Rosen geschmückt war. Unter großem Beifall der Verwandten und Gäste balancierte Jeanne die Truhe durch Zauberstabbewegungen so aus, daß sie elegant in das Tragegeschirr zwischen zwei Besen hineinrutschte, die die Väter des jungen Paares hochhielten. Dann bestieg Jeanne ihren eigenen Ganymed 9 und flog voran, während Monsieur Dusoleil und Monsieur Chevallier die mächtige Truhe hinterherbrachten. Julius überlegte sich, was er nun hier machen sollte, als Madame Dusoleil ihn wieder ansprach.

"Was ist das mit dem Reis? Ich hörte mal von sowas in England."

"Der Reis steht für Glück und Kindersegen", sagte Julius nur. Dann fragte er, ob die große Truhe nun zu Jeannes und Brunos Haus gebracht würde. Madame Dusoleil sagte, daß dies so sei und das die Väter der frisch verheirateten sie im Wohnzimmer aufstellen würden. Das Paar selbst durfte nicht vor der Abenddämmerung in das Haus hinein, so verlange es die Tradition.

"Ich hörte davon, daß es außerhalb von Millemerveilles passieren könne, daß der Bräutigam von seinen Kumpels entführt und versteckt wird", grinste Julius.

"Tja, könnte Gustav glatt passieren, wenn er vor der Hochzeitsnacht aus Millemerveilles hinaus will. Aber Bruno passiert das nicht, und Florymont ist das damals auch nicht widerfahren", gab Madame Dusoleil lächelnd zurück. Dann sah sie, wie die Verwandten wie eine Salve Feuerwerk krachend disapparierten.

"Hups, was soll das denn jetzt. Öhm, und wo sind Babette und die anderen?" Fragte Julius.

"Die sind alle vor, um das junge Paar und die beiden stolzen Väter zu empfangen. Nachdem das Ministerium ja die Richtlinien für die Mitnahme von minderjährigen Zauberern und Hexen beim Apparieren gelockert hat, haben die sich wohl die acht Brautjungfern unter einen Arm geklemmt. Claire ist mit Aminette weg, Melanie mit Emil, und Babette hat sich wohl bei Maman festgehalten. Die anderen sind mit ihren Verwandten ... Oh, Ursuline ist noch hier."

"Nimmst du den Jungen mit, Camille?" Fragte Martines und Millies Großmutter.

"Appariert werden? Heiß!" Freute sich Julius wie ein Schneekönig.

"Darfst du denn noch? Öhm, nichts für ungut, Ursuline, ich habe mit Jeanne im Bauch auch noch ...", druckste Madame Dusoleil herum.

"Béatrice sagte, ich solle nur keine Strecken über fünf Kilometer apparieren. Da Jeannes und Brunos neues Haus nur drei Kilometer weg ist, könnte ich den Jungen noch mitnehmen."

"Öhm, ich gehe besser mit Madame Dusoleil. Nichts für ungut, Madame Latierre. Aber ich habe mit Jeanne im letzten Sommer ein paar Sachen für ihre Prüfung besprochen und weiß ungefähr, was so passieren kann."

"Soll das mich jetzt ehren oder beleidigen, Jungchen", erwiderte Madame Latierre. Dann lachte sie. "Keine Sorge. Ich habe bisher noch keines meiner Kinder beim Apparieren verlegt. Aber ich bin dir nicht böse, daß du lieber mit Camille an deiner Seite auftauchen möchtest als mit einer dicken Oma mit Umstandsbauch."

"Ähm, so habe ich das jetzt auch nicht ..." Knall! Madame Latierre war weg wie in Luft aufgelöst. Nur eine hauchdünne Staubspirale rotierte über dem Punkt, wo sie disappariert war.

"In Ordnung, Julius. Ich bin da zwar nicht so gut drin wie Florymont und Uranie. Aber zwischendurch übe ich doch regelmäßig mit Zusatzgewichten, falls ich selbst noch einmal Mutterfreuden entgegensehen sollte. Einfach gut festhalten. Ich muß eine Drehbewegung machen, wie du weißt."

"Das hineindrehen ins Nichts, den Transit zwischen Ausgangs- und Zielort", sagte Julius, der sich noch daran erinnerte, was er mit Jeanne gepaukt hatte. Daher war ihm die Theorie des Apparierens geläufig, aber genauso wie die Theorie des Autofahrens oder des Steuerns einer Raumfähre.

"Merke dir das gut, damit du die Prüfung im ersten Ansatz packst", lachte Madame Dusoleil und wartete, bis Julius sich an ihrem rechten Arm festgeklammert hatte. Dann machte sie eine blitzartige Drehbewegung. Julius meinte, mit Urgewalt in einen dunklen, ihn an allen Körperstellen zusammenquetschenden Schlund gestopft zu werden. Er bekam keine Luft. Seine Augen drohten, ihm ins Gehirn gedrückt zu werden, und seine Ohren schmerzten wie tief unter Wasser. Dann war es auch schon vorbei.

"Ui, das es heftig ist, habe ich ja gewußt. Aber wie mich das mitnimmt nicht", keuchte Julius, als er seinen Körper betastete und fand, daß er noch in einem Stück war und nicht fremde Körperteile angedreht bekommen hatte.

"Wau, Camille, du kannnst das ja doch", grüßte Uranie Dusoleil, Claires Tante und trat auf Julius zu.

"Unangenehm für einen Anhalter, wie?"

"Durch eine strohhhalmenge Gummikanone geschossen zu werden ist nicht gerade Werbung dafür", sagte Julius. Dann hellte sich sein Gesicht auf: "Aber beim Selbermachen wird es wohl nicht so heftig."

"Eine Frage der Übung", sagte Mademoiselle Dusoleil.

"Oh, du hast ja auf einmal dieselben Haare wie Camille", lachte Madame Ursuline Latierre Julius an. Der faßte sich erschrocken ins Haar und zog daran. Es war kurz und glatt wie immer. Doch erst als er eine hellblonde Strähne in der Hand hielt, wußte er, daß die gewichtige Hexe ihn veralbert hatte. Er lachte über diesen gelungenen Scherz.

"Hallo, Julius!" Rief Claire und kam herüber. "Wie war's?"

"Ich denke mal, da mußte ich durch", lachte Julius.

"Papa hat das mit mir dreimal gemacht. Mit der Zeit läßt das nach. Er sagte mal, echte Muggel würden dann einen Schauer von Farben und Geräuschen abkriegen und wie in einen tiefen Schacht zu stürzen glauben."

"Woher weiß man das, wenn Muggel nicht von Apparatoren mitgenommen werden dürfen?" Fragte Julius.

"Das hätte dir Aurora auch erzählen können. Die kommt nachher auch noch vorbei", sagte Madame Dusoleil. Julius strahlte nun. Claire meinte, das sei ihretwegen und umarmte ihn.

"Wer hat dir gesagt, welche Kleider wir Brautjungfern anziehen werden? Dein Umhang paßt ja genial zu meinem Kleid."

"Wußte ich nicht. Ich wollte nur einen helleren anziehen als den anderen Festumhang", sagte Julius.

"In Ordnung, Claire, du hast ihn begrüßt. Gehst du bitte wieder zu deinen Kolleginnen!" Sagte Madame Dusoleil mit einer wegscheuchenden Handbewegung. Claire funkelte ihre Mutter an, nickte dann jedoch und lief mit wehendem Kleid zu den sieben anderen Brautjungfern zurück.

"Heh, Julius, irres Gefühl, nicht wahr?" wandte sich Millie Latierre an den Jahrgangskameraden. Sie war wohl mit Martine appariert, weil ihre Eltern die jüngeren Cousins, Cousinen und anderen Verwandten mitgenommen hatten.

"Wenn ich das einmal selbst machen will muß ich das abkönnen", sagte Julius nur. Millie trat näher, bis Madame Dusoleil ihren Arm zwischen sie und Julius streckte und das rotblonde Mädchen einen halben Schritt zurückschob.

"Nimm dir nichts Raus, Mildrid Ursuline Latierre, nur weil du jetzt mit uns Verwandt bist!" Versetzte Claires Mutter leicht mißmutig klingend.

Mildrid verzog das Gesicht und bedachte Claires Mutter mit einem zornigen Blick.

"Hat Claire dich eingeladen, hier bei uns zu sein?" Fragte das Mädchen. Julius nickte und deutete dann noch auf Madame Dusoleil.

"War das heute die erste Hochzeit, die du besucht hast?" Fragte Millie.

"Nein, die zweite. Als kleiner Junge war ich bei der Hochzeit von einem Onkel und einer Tante dabei. Ist aber schon lange her", sagte Julius. Tatsächlich konnte er sich an die Hochzeit von Onkel Philipp und seiner danach Tante Sylvia nur schwach erinnern, weil er da gerade vier Jahre alt gewesen war.

"In unserer Familie passieren ja häufiger Hochzeiten. Das war heute die fünfte. Morgen noch Barbaras Hochzeit, mit der ich ja dann auch um zehn einhalb Ecken verwandt bin. Dann ist das halbe Dutzend voll. Dann kommt ja erst mal nichts mehr, weil euer Mogeleddie ja Verstecken gespielt hat als Martine ihn aufgabeln wollte."

"Millie, pass auf was du sagst!" Schnauzte Martine ihre Schwester an. "Dieser feige Kerl hat mich lächerlich gemacht. Maman meinte, wir sollten ihn fangen und nicht freilassen, bevor er mir erklärt hat, warum er seine Versprechen gebrochen hat. Ich hätte ihm vielleicht doch den unbrechbaren Schwur abverlangen sollen."

"Martine, sowas solltest du nicht einmal denken. Das ist das heftigste, was Zauberer und Hexen einem abverlangen können. Abgesehen davon hättest du jemanden als Verbinder gebraucht."

"Janine hätte das glatt gemacht, öhm, Tante Camille."

"Du kannst mich ruhig ohne Tante beim Vornamen nennen, Martine. So nahe sind wir ja dann doch nicht verwandt", erwiderte Madame Dusoleil wohlwollend lächelnd.

Hat jemand Aron Rochfort irgendwo gesehen?" Fragte Julius, der Virginies Freund vorhin doch noch im Gemeindehaus gesehen hatte.

"Nachdem was seine mögliche Schwiegermutter heute losgetreten hat hat er sich wohl für's erste verkrochen", warf Madame Dusoleil ein.

"Die ist halt so. Muggelsachen, mit denen man sie austricksen kann schmecken ihr nicht", erwiderte Martine. "Profilismus nennt das Heilerin Amygdala Rotstein in ihrem Buch "Geistes- und Gemütskrankheiten, magische und nichtmagische Ursachen sowie magische Therapiestudien"."

"Hups, Von der hat uns Madame Rossignol nichts erzählt", sagte Julius.

"Weil sie auch eher für Leute zu lesen ist, die wirklich Heiler werden wollen und sich mit derlei Krankheiten oder Schädigungen befassen müssen", sagte Martine.

"Wie äußert sich dieser Profilismus?" Fragte Julius.

"Das ist diesem Buch nach eine übersteigerte Geltungssucht, gekoppelt mit Verlustängsten, das erreichte zu verlieren, wenn man einen Fehler macht oder jemanden falsch einschätzt. Könnte sein, daß Madame Delamontagne in der Richtung gestimmt ist", flüsterte Martine. Julius grinste. Ähnliches wurde auch den Bossen in der Muggelwelt nachgesagt, wußte er nicht nur durch, sondern vor allem über seinen Vater. Im Grunde stand er deswegen hier und unterhielt sich mit Martine und den anderen, hatte gerade vor einer Minute erlebt, wie sich Apparieren anfühlte und davor eine schöne Trauung ansehen dürfen. Ja, und da kam auch schon das Brautpaar, deren Väter voran.

"Da sind sie ja", sagte Madame Dusoleil laut. Claire und die anderen Brautjungfern nahmen ihre Positionen ein und warteten, bis Jeanne gelandet war. Dann nahmen sie ihr den Besen ab und trugen ihn in das Haus. Doch nur die Eltern des jungen Paares und die Brautjungfern durften in das Haus. Die anderen mußten draußen bleiben. Julius nahm sich die Zeit, das Haus anzusehen.

Es war ein schönes, weißes Haus mit zwei Etagen und einem kirschrot gedecktem Ziegeldach mit zwei Schornsteinen. Rechteckige und quadratische Fenster mit abgerundeten Ecken blickten ihn wie Vierkantaugen eines großen, freundlichen Ungetüms an. Waldgrüne Läden konnten vor die Fenster gelegt werden. Eine Teilbare Tür, ähnlich wie die von Madame L'ordoux, bot Besuchern und Bewohnern einlaß. Sie war walnußbraun angestrichen. Um das Haus herum standen Obst- und Laubbäume zu einem dreifachen Ring, und hinter dem Haus selbst lag ein üppiger Garten, wo Blumen oder Gemüse angepflanzt werden mochte, wenn sich die jungen Eheleute einig waren, wie er bestellt werden sollte. Millie nutzte Claires und Madame Dusoleils Abwesenheit und lief Julius nach, als der mit den übrigen Verwandten, die das Haus noch nicht kannten herumging.

"Sieht noch ziemlich karg aus, der große Garten", meinte sie zu Julius. Dieser bemerkte erst jetzt die junge Hexe neben sich und wandte sich ihr zu.

"Ich denke, Madame Dusoleil hat da schon etliches vorrätig, um den morgen schon aufblühen zu lassen. Ich denke nicht, daß Jeanne ohne anständiges Grünzeug wohnen darf, wenn ihre Mutter in dem Fach tätig ist."

"Nun, man sollte ja auch erst mit dem kleinen Garten anfangen und dann mit dem großen", säuselte Millie verrucht klingend und zwinkerte Julius herausfordernd zu. Dieser stutzte, was Millie damit meinte. Als es ihm dann einfiel mußte er lachen, einfach lachen.

"Eh, Mädel, dich haben ganz bestimmt keine Nonnen großgezogen, ne?"

"Pinguinfrauen aus der Muggelwelt? Bestimmt nicht, Julius", lachte Mildrid, die sich freute, daß Julius ihre Anspielung verstanden hatte.

"Was gibt es zu lästern, Milliemäuschen?" Fragte Bruno, der gerade um die Ecke kam und sich das Haus, in das er jetzt noch nicht hineindurfte, besah.

"Wir hatten es nur von der Gartenpflege", sagte Julius verschmitzt grinsend.

"Soso", erwiderte Bruno und grinste nun auch feist. "Belle-Maman hat mir schon angedroht, daß hier morgen alle Beete bepflanzt sind, unabhängig davon, ob Jeanne und ich uns in die Gartenarbeit reinwerfen oder nicht, Mademoiselle Leichtfuß."

"Ist ja auch nicht mein Garten, um den es hier geht", konterte Millie hinterhältig grinsend. Dann kam Jeanne Dusoleil.

"Hallo, Julius. Ich habe die Mädels kurz abgehängt, indem ich meine Schleppe losgemacht habe. Die wissen nicht, wie sie die abgerissen haben sollen und diskutieren jetzt mit Maman, die gleich wieder dranzumachen. Claire hat den Braten zwar gerochen, spielt aber mit."

"Ihr dürft doch jetzt alleine sein und machen was euch gerade einfällt", meinte Julius.

"Ja, wenn die Sonne untergegangen ist, Julius Andrews. Hochzeitstag und Hochzeitsnacht gehören schön hintereinander. Aber ich wollte ja auch mit dir reden, Julius."

"Mit mir?" Wunderte sich Julius Andrews ernsthaft.

"Ja, mit dir. Wenn's geht alleine."

"Ich nehme Millie wieder mit nach vorne", sagte Bruno. Millie sah ihn zwar verdutzt an, nickte dann jedoch. Als der Bräutigam sich mit seiner entfernten Verwandten entfernt hatte nahm Jeanne Julius bei Seite. Er fand das lustig, neben einer Frau im Brautkleid zu stehen, ohne sie gleich heiraten zu müssen.

"Maman und ich haben im Gemeindehaus mitbekommen, daß es da wohl heute morgen was zwischen dir und Madame Delamontagne gegeben hat, weil was mit deiner Mutter war. Ist irgendwas passiert?"

"Meine Mutter hat Bébé über ihr Mobiltelefon mit deren Eltern in Vorbach reden lassen. Madame Delamontagne hat eine Riesenwelle gemacht und meiner Mutter das Telefon abgenommen und mich dann verhört, ob ich das mitgekriegt habe. Weil ich ihr sagte, daß ich das verstehen kann, was Mum gemacht hat, ist die pampig geworden und hat den Zauberstab gezogen. Da habe ich meinen auch rausgeholt, bevor Madame Faucon dazwischenging. Irgendwie scheint Madame Dorfrätin heute nicht so locker drauf zu sein. Meine Mutter will die auf jeden Fall nicht mehr aus der Nähe sehen. Mehr war nicht und ist nicht. Eure Hochzeitsfeier wird wohl ohne Ärger über die Bühne gehen."

"Da ging es mir nicht drum, Julius. Ich habe euch beide, deine Mutter und dich, eingeladen, weil ich annehme, ihr würdet euch gut amüsieren. Bruno meinte auch, deine Mutter wäre für eine Muggelfrau sehr gut auf uns eingestimmt und wollte bestimmt bei dir sein, wenn du bei uns bist und die Hochzeit eben der passende Anlaß war, sie auch herzuholen, weil ja alles sonstige ohne sie abgelaufen wäre."

"Von meinem Geburtstag mal abgesehen", sagte Julius.

"Gut, nehme ich hin. Ich hoffe, das Zerwürfnis zwischen deiner Mutter und Madame Delamontagne hat ihr nicht die Laune verdorben, und sie kommt nachher mit Madame Faucon zum Fest. Nach der Tischordnung sitzt sie dann ja nicht bei uns, sondern bei den nichtverwandten Erwachsenen."

"Am selben Tisch wie Madame Delamontagne?" fragte Julius, dem aber schon mulmig war, weil er sich die Antwort denken konnte.

"Weil sie gute Schachfreundinnen geworden sind haben Bruno und ich sie an denselben Tisch gesetzt. Das können wir jetzt auch nicht mehr umändern, weil die Tischkarten schon verteilt werden", seufzte Jeanne.

"Da konntet ihr nichts für, Jeanne. Besser als wenn Mum neben deiner Tante Cassiopeia sitzen müßte", sagte Julius schnell, weil er dachte, Jeanne aufmuntern zu müssen.

"Mit wem könnte denn deine Mutter besser, zumindest heute?" Fragte Jeanne.

"Mit Madame Matine hat sie sich mal lange unterhalten, hat sie mir gesagt", sagte Julius. "Ja, und mit Barbaras Mutter ist sie wohl auch gut warm geworden, wenn man das so nennen darf."

"Gut, wie gesagt, die Tischkarten sind wohl gerade verteilt, und bei mehr als zweihundert Gästen den Tisch zu finden und einen geeigneten Ersatztisch ist auch für Hexenund Zauberer nicht einfach."

Es knallte laut. Irgendwer war appariert oder disappariert. Julius wandte sich um und sah Madame Delamontagne in einem grasgrünen, wallenden Kleid. Das goldene Kleid mußte sie wohl ausgetauscht haben. Sie kam auf Julius zu. Jeanne legte ihm beruhigend die Hand auf die linke Schulter, als seine rechte Hand zuckte.

"Mir wurde gesagt, deine Mutter sei wohl bei Blanche und wolle im Moment nichts mit mir zu schaffen haben, Julius", begrüßte die Dorfrätin den Jungen, lächelte dabei jedoch aufmunternd.

"Können Sie ihr das verübeln?" Fragte Julius gereizt.

"Bedauern höchstens. Denn so Erhalte ich keine Gelegenheit, mich für meinen Ausfall von heute Morgen zu entschuldigen. Die Wegnahme des Mobilfernsprechgerätes war vielleicht ein zu drastischer Schritt."

"Sie haben meine Mutter, eine erwachsene Frau, wie ein dummes Mädchen behandelt, sagte sie mir", erwiderte Julius grummelig. "Welche erwachsene Frau würde sowas mit sich machen lassen. Dann sollen Sie ihr noch gedroht haben, sie und mich wieder voneinander zu trennen, diesmal für immer. Meine Mutter hat einiges durchgemacht, um bei mir bleiben zu können. Ihr das wegzunehmen wäre hundsgemein. Ich kann ja schon mit meinem Vater nicht mehr reden, weil der irgendwo in Amerika herumhängt und keinen mehr an sich ranläßt."

"Dies ist mir natürlich auch klar geworden. Ich hätte mich nicht so gehen lassen dürfen. Das ist meiner Stellung hier unwürdig. Insofern hat Blanche vollkommen recht. Ich war schon bei ihr. Aber deine Mutter hat sich geweigert, mich zu sprechen. Ich ging davon aus, daß sie doch sehr vernünftig ist und tue dies wieder ihrer Haltung immer noch."

"Ja, und was kann ich da machen?" Fragte Julius etwas unsicher, wie er damit umgehen sollte.

"Nun, die strahlende Braut hier", sagte Madame Delamontagne auf Jeanne deutend, " mag dir angeboten haben, die Tischordnung kurzfristig umzustellen. Doch ich möchte die Gelegenheit nicht verpassen, mit deiner Mutter von Frau zu Frau zu sprechen, vernünftig, ja und auf derselben Augenhöhe. Ich sehe dir das nach, daß du heute morgen wütend warst, weil es dir weh getan hat, daß deine Mutter derartig von mir gemaßregelt wurde. Kein Sohn und auch nicht jede Tochter nimmt das unbekümmert hin, wenn die Eltern von anderen zusammengestaucht werden. Ich wollte dich lediglich bitten, zu vermitteln, bevor die Tischordnung uns dazu keine Gelegenheit mehr gibt."

"Ich?" Entfuhr es Julius überrascht. "Was kann ich da machen? Soll ich meiner Mutter befehlen, mit Ihnen wieder gut auszukommen oder was?"

"Du kannst ihr keine Befehle erteilen, Julius. Das ich mir derlei angemaßt habe beschämt mich selbst. Sicher hätte ich das ganz gesittet erledigen können. Aber du weißt ja nicht, was in diesem Brief stand, den diese Hellersdorfs geschickt haben. Nun, ich werde mich auch nicht in Rechtfertigungsarien versteigen. Ich biete deiner Mutter die Beilegung unseres Konfliktes an und werde mich bei ihr für mein übertriebenes Vorgehen entschuldigen, wenn sie mir die Ehre erweist, noch vor dem Beginn des Festes mit ihr sprechen zu dürfen", sagte Madame Delamontagne sehr ruhig, und Julius kam trotz des inneren Grolls nicht umhin, ihr das abzukaufen. Dann holte sie etwas aus einer Außentasche ihres Kleides, das Handy seiner Mutter. "Gib ihr dies bitte zurück und frage sie, ob sie bereit sei, kurz noch einmal mit mir zu sprechen. Meinetwegen mag Blanche dabei sein, und du auch, wenn du möchtest. Mir liegt viel daran, mit deiner Mutter nicht im Unfrieden zu verbleiben." Jeanne grinste feist. "Das hat nichts mit unserer gemeinsamen Leidenschaft für das königliche Spiel zu tun, Madame Dusoleil", schickte sie noch eine Harsche Bemerkung an die Adresse der Hexe im Brautkleid hinterher.

"Nun, ich kann ihr das Ding wiedergeben. Ob sie dann aber mit Ihnen reden will kann ich nicht garantieren. Öhm, außerdem war ich bis vor wenigen Minuten noch nie hier. Wo muß ich denn überhaupt langlaufen, um zurückzukommen?"

"Hat dich jemand beim Apparieren mitgenommen?" Fragte Madame Delamontagne. Julius nickte. "Nun, dann appariere ich mit dir in die Nähe von Blanches Haus und warte da, bis entweder du alleine oder deine Mutter herauskommt. Halt dich bitte fest!"

"Was soll ich meinen Eltern sagen, Madame?" Fragte Jeanne.

"Das ich mich noch einmal mit Martha aussprechen möchte, von Frau zu Frau, von Mutter zu Mutter, nicht von Hexe zu Muggelfrau." Julius zuckte zwar etwas zusammen, weil Madame Delamontagne dies so betonte, hielt sich dann aber fest am linken Arm der Dorfrätin. Fast übergangslos hatte er wieder dieses Gefühl, durch ein viel zu enges Gummirohr gestoßen zu werden, das ihn zusammendrückte. Dann standen die korpulente Hexe und er etwa zwanzig Meter vom Haus Madame Faucons fort. Julius ließ den Arm seiner Mitnehmerin los und nickte ihr zu. Dann ging er los und zog am Klingelzug. Madame Faucon kam aus dem Garten und betrachtete ihn.

"Du hast es nicht versucht, alleine zu apparieren, nicht wahr? - Hätte ich dir zumindest zugetraut, daß du das vor der offizziellen Unterweisungseinheit hinbekommen könntest", sagte Julius' derzeitige Herbergsmutter. Dann sah sie das kleine quaderförmige Plastikding in Julius rechter Hand. "A ja, das Friedensangebot. Quod erat expectandum."

"Das haben Sie erwartet?" Fragte Julius erstaunt.

"Zumindest etwas in der Richtung. Eleonore liegt sehr viel daran, daß deine Mutter und du miteinander in Verbindung bleiben, nachdem wir nicht wissen, wo dein Vater gerade steckt und was er macht", sagte Madame Faucon. Dann führte sie Julius in den Garten, wo ein ihm wohl vertrautes quadratisches Brett mit schwarzen und weißen Quadraten lag.

"Wir spielen gerade eine Blitzpartie, Julius. Wie bist du wieder hergekommen?" Wunderte sich Martha Andrews, die auf die Aufstellung der weißen Figuren blickte, Zauberschachmenschen.

"Seit wann kannst du denn mit lebendigen Schachfiguren?" Wunderte sich Julius.

"Seit ich gegen die englische Lady gespielt habe. Der waren unbelebte Figuren zu sperrig und unkreativ. Als ich dann gemerkt habe, daß ich auch dann noch gut kombinieren kann, wenn die Figuren herumlaufen können und reden, habe ich befunden, daß es albern ist, bei Partien mit Zauberern und Hexen gewöhnliche Figuren zu benutzen. Aber du hast meine Frage nicht beantwortet." Dann sah sie das Handy in Julius rechter Hand. Sie verzog das Gesicht zu einer wütenden Grimasse. Doch dann nickte sie. "Will sie einen Waffenstillstand oder Frieden, Julius?" Fragte sie.

"Zumindest keinen Krieg", sagte Julius und legte das kleine Funktelefon neben das Schachbrett auf den Gartentisch.

"Hat sie dich auf dem Besen hier hingebracht? Ich dachte, du wärest bei Camille und den anderen das Haus von Jeanne und Bruno besichtigen."

"Sie ist mit mir appariert, Mum. Komisches Gefühl überhaupt. Wie ein altes Auto in der Schrottpresse", antwortete Julius.

"Madame Faucon, ich meine Blanche sagte, das fühle sich an, als ob du in einer Sekunde neu geboren werden würdest, zumindest für Zauberer und Hexen, die sich mitnehmen lassen."

"Kann auch passen", sagte Julius, der sich erinnerte, wie er für einige Sekunden in Cytheras Empfindungswelt gewesen war, als sie gerade zwischen Mutterschoß und frischer Luft unterwegs war. Ja, das Gefühl konnte passen, wenngleich das Appariertwerden doch noch einen Tick heftiger war, dafür aber auch ganz schnell vorbeiging.

"Wo ist denn die gewichtige Dame?" Fragte Martha Andrews.

"Die steht außerhalb der Apparitionsabwehrzone und wartet auf dich und / oder mich."

"Dann sage ihr bitte, sie möchte herkommen und sich setzen. Blanche, es ist wohl besser, wir brechen hier ab!" Rief sie noch. Seit wann nannte sie Madame Faucon beim Vornamen?

"Ist wohl besser", sagte die Hausherrin und kam herbei, um die Figuren einzusammeln.

"Eh, wir waren doch noch nicht fertig. Unsinn, jetzt einfach aufzuhören", quiekte der weiße König und versuchte, unter Madame Faucons Fingern hindurchzuschlüpfen. Doch sie bekam ihn am Kragen zu fassen und verfrachtete ihn mit seinen weißen Kameraden und schwarzen Gegenspielern in der kleinen Elfenbeinkiste, in der sie ihre Schachmenschen aufbewahrte.

"Fällt mir noch ein, mich von renitenten Schachmenschen belehren zu lassen, wann ich eine Partie abbrechen soll", grummelte die Hausherrin. Dann holte sie Eleonore Delamontagne herüber und brachte mit Zauberkraft vier Teegedecke nebst voller Kanne und einem Teller Honigkekse auf den Tisch. Dann hörten Madame Faucon und Julius zu, was die beiden anderen Frauen sich zu sagen hatten. Julius erfuhr dabei auch, daß im Brief der Hellersdorfs stand, daß diese Madame Delamontagne verhöhnten, sie sei ja inkompetent und strohdumm, daß sie das mit dem Telefonanruf nicht mitbekommen habe. Sie holte den Brief, den Stein des Anstoßes, hervor und gab ihn Martha zu lesen. Diese nickte nach einigen Sekunden.

"Gut, jeder würde wütend, wenn man ihm oder ihr Dummheit unterstellte. Dabei sind die selber nicht gerade mit Intelligenz gesegnet, wenn sie das auch noch erwähnen, wie sie Kontakt bekommen haben. Ich dachte, Laurentines Vater arbeitet als Raumfahrtingenieur, eine sehr vertrauliche, ja auch geheime Tätigkeit, wo man alles nur nicht dumm und zu mitteilsam sein darf."

"Nun, das habe ich Ihnen heute Morgen nicht erzählt. Ich war in einer sehr aufgewühlten Stimmung, zumal die Ehebegründungszeremonie doch einiges an Vorbereitung verlangte und ich nicht lange über Sinn und Unsinn nachdenken wollte", sagte Madame Delamontagne. Dann errötete sie ein wenig als sie leise sagte: "Außerdem habe ich in den letzten Wochen gerade Morgens die merkwürdigsten Gefühlswallungen. Ich möchte das zwar gerne noch prüfen lassen, aber meine Erfahrung gibt mir Anlaß zu denken, daß ich wieder in anderen Umständen bin. Jedoch möchte ich euch bitten, das keinem zu erzählen, zumal es ja noch von Madame Matine geprüft werden muß. Ich möchte nicht zum Mittelpunkt irgendwelchen Getuschels werden, auch und vor allem nicht während dieses und dem nächsten Tag. Ich bitte euch also, niemandem von dieser Vermutung zu erzählen", sagte die Dorfrätin. Julius meinte, in seinem Stuhl zu versinken. Falls das stimmte, wäre der Dorfklatsch ziemlich heftig. Er fragte leise, ob sie es darauf angelegt habe, noch ein Kind zu bekommen. Seine Mutter sah ihn zwar etwas vorwurfsvoll an, ebenso Madame Faucon. Doch Eleonore Delamontagne bedeutete den beiden, sich keine Gedanken zu machen.

"Nun, es ist nicht so, daß wir Jahre hätten vergehen lassen, in denen mein Gatte und ich uns nicht immer wieder gefunden haben. Ich wollte jedoch nicht eine zu große Familie haben und noch für Millemerveilles da sein. Jetzt ist Virginie volljährig und wird im nächsten Jahr - was ich sehr stark hoffe - Beauxbatons beenden und ein eigenes Leben führen. Vielleicht trete ich dann auch etwas kürzer, was die Ratspflichten angeht. Jedenfalls ist meine Einschätzung keine reine Spekulation ohne Grundlage. Mehr möchte ich dazu nicht äußern. Es soll dir nur als hinreichenden Grund genügen, meine Angelegenheit nicht zum allgemeinen Gesprächsthema zu machen, bevor ich nicht Gewißheit habe und dann meinerseits damit an die Öffentlichkeit trete."

"Kein Problem", sagte Julius nickend. Was ging es ihn auch an, ob Madame Delamontagne noch ein Kind haben wollte oder nicht. Jedenfalls waren die aufgeworfenen Wogen, die "Riesenwellen" wie Julius sie genannt hatte, geglättet. Denn seine Mutter und die Dorfrätin nannten sich wieder beim Vornamen.

Madame Delamontagne verabschiedete sich und verließ das Grundstück. Dann verschwand sie mit leisem Plopp.

"So, dann werden wir gleich zum Musikpark losmarschieren", sagte Madame Faucon und ließ das Teegeschirr verschwinden. Es war jetzt fünf Minuten vor zwölf Uhr mittags. Was für eine symbolische Zeit, dachte Julius, als er sie von seiner Uhr ablas.

Der Fußmarsch zum Musikpark dauerte eine Viertelstunde. Als sie ankamen hatten viele schon ihre Plätze eingenommen. Alle sahen auf Martha Andrews, die ja als arme Muggelfrau weder geflogen noch appariert werden durfte. Julius wurde von der Brautmutter an seinen Tisch geführt, wo er sich zu Laurentine, Virginie, Sandrine, Jacques und den Lagranges setzte. Dann kamen noch einige andere Jugendliche, die Julius von Beauxbatons her kannte.

"Claire hat gesagt, sie wollte dich mir übergeben", begann Sandrine ein Gespräch mit Julius. Sie lächelte. "Dann wäre aber Madame Delamontagne gekommen und habe dich einfach mitgenommen. Claire fand es übrigens nicht nett, daß Jeanne einen Ablösezauber auf ihre zehn Meter lange Schleppe gelegt hat. Hat gedauert, bis Millies Mutter die wieder ordentlich befestigt hat."

"Jeanne wollte mit mir reden, was mit Madame Delamontagne los gewesen sei. Julius sah Laurentine an und sagte:

"Für Leute, die mit geldträchtigen Geheimnissen rumwerkeln haben die sich ziemlich blöd verhalten. Madame Delamontagne hat uns den Brief von Bébés Eltern gezeigt. Echt, wundert mich jetzt nicht mehr, daß die Ariane fünf über dem Atlantik kawumm gegangen ist."

"Eh, Julius, muß das jetzt sein?!" Schnaubte Laurentine.

"Wenn jemand keine Rücksicht drauf nimmt, wenn ihm oder ihr gesagt wird, er solle was für sich behalten, und andere kriegen deswegen Ärger, dann wurmt mich das, besonders wenn's meine eigene Mutter ist, die den Ärger kriegt. Die hat dir zum Gefallen das Telefon gegeben, damit du sagen konntest, daß du nicht in einem Gefängnis steckst, und die machen dann sowas."

"Ja, Julius. Ich verstehe. Aber jetzt ist das vorbei, und wir sollten uns nicht zu lange über sowas aufregen", sagte Sandrine und schenkte Julius ein Glas Traubensaft voll, nahm es und drückte es ihm in die Hand. "Wenn Jeanne und Bruno erscheinen stoßen wir auf das junge Paar an. Dann wird der Brautvater noch eine Rede halten, dann wird gegessen und getrunken. Maman sagte, wir dürften sogar von dem Met trinken, den Madame L'ordoux gemacht hat, zum probieren", sagte Sandrine. Julius sah sich um und entdeckte Madame Faucon zusammen mit seiner Mutter und Madame Delamontagne weit entfernt. "Du bist vierzehn Jahre alt. Ein bißchen was wirst du wohl trinken dürfen", sagte Sandrine belustigt.

"Wenn ich mich nicht so zuschütte wie Brunos Trauzeuge. Wahrscheinlich ist von dem Met schon was vertilgt worden, als Bruno seinen Junggesellenabschied gefeiert hat."

"Irgendwas in der Richtung wird da wohl gelaufen sein", sagte Jacques amüsiert. "Jedenfalls war der Dicke breit wie eine Schrankwand."

"Achtung, da kommt die Braut!" Wisperte Sandrine und deutete auf einen weißen Punkt in der bunten Menge.

"Ja, und da kommt der glückliche Bräutigam", sagte Elisa Lagrange. Ein Tusch erklang, diesmal von greifbaren Musikern aus Fleisch und Blut intoniert.

"Auf das junge Eheglück!" Rief Roseanne Lumière, Barbaras Mutter. Alle Gäste wiederholten es und stießen an. Julius merkte, daß wohl ein Schlückchen Wein im Traubensaft vermischt war. "Auf Jeanne Dusoleil!" Auch das wiederholten die Gäste und tranken Jeanne zu. "Auf Bruno Dusoleil!" Rief Madame Lumière noch. Auch dies wiederholten die Gäste. Dann stießen sie miteinander an und tranken weiter, ohne weiter angehalten zu werden. Das junge Ehepaar ging zwischen den Tischen hindurch, mit Gläsern in der Hand, die wohl bezaubert waren, entweder viel des süßen Rotweins aufzunehmen oder nicht so schnell leer zu werden. Denn anders war es nicht zu verstehen, daß Jeanne und Bruno immer noch genug in den Gläsern hatten, als sie an den Tischen mit nichtverwandten Gästen vorbeikamen und Julius mit Jeanne und Bruno anstoßen konnte. Jeanne fragte, ob das zwischen seiner Mutter und der Dorfrätin wieder eingeränkt war, was er durch Kopfnicken bestätigte.

"Schön, dann amüsier dich gut", sagte sie und küßte ihm flüchtig auf die rechte Wange. Julius gab ihr ebenfalls einen flüchtigen Kuß auf die rechte Wange. Dann zogen die beiden frisch vermählten weiter. Bruno ließ sich von den weiblichen Gästen auf eine Wange küssen, Jeanne von den männlichen.

Es ertönte ein heller, schwebender Ton, der leise begann und immer lauter wurde. Alle sahen sich um, wo dieser klare, sphärenhafte Ton denn herkan und konnten Monsieur Florymont Dusoleil sehen, der seinen Zauberstab auf den mit goldenem Wein gefüllten Kristallkelch richtete. Von dem Kelch ging der schwebende Ton aus. Julius staunte nicht schlecht, daß der Kelch selbst im vollen Zustand so schön tönen konnte. Als Jeannes, Claires und Denises Vater sicher sein konnte, daß alle ihm zusahen und auch zuhören würden, senkte er seinen Zauberstab. Der helle, schwebende Ton ebbte innerhalb einer Sekunde ab. Stille trat ein. Dann hielt der Vater der Braut seinen Zauberstab kurz an den Kehlkopf, murmelte etwas und sprach mit magisch verstärkter Stimme, sodaß ihn alle hören konnten:

"Sehr geehrte Freunde, Verwandte und Bekannte, ich möchte, wie der Anlaß es fordert, einige Worte an euch alle richten und auch an dich, Jeanne, meine geliebte Tochter, die du heute einen sehr mutigen Schritt getan hast.

Für Eltern ist es immer ein sehr erhebendes, aber gleichzeitig auch sehr trauriges Ereignis, wenn eines ihrer Kinder das warme Nest verläßt und auf eigenen starken Flügeln hinaus in die Welt fliegt, um ein eigenes Nest zu bauen, eigene Wege zu gehen und neue, wichtige, fröhliche und traurige Erfahrungen zu machen. So sind meine geliebte Frau Camille und ich heute mit der großartigen Aufgabe betraut worden, unserer erstgeborenen Tochter Jeanne den Segen für das eigene Leben zu erteilen, sie mit unserer Liebe und all unseren besten Wünschen über die Schwelle von der Kindheit zum Erwachsenen zu geleiten und sie einem jungen Zauberer anzuvertrauen, dem ihr Beistand und ihre Liebe genauso gleichberechtigt gehören mag wie unser Beistand und unsere Liebe ihr als Mädchen sicher war und auch als erwachsene Hexe weiter gehören werden.

Mir als Vater ist es natürlich nicht leicht gefallen, anzuerkennen, daß da nun ein anderer Mann im Leben meiner Tochter wichtig geworden ist, ja wichtig genug, um das behütende Elternhaus zu verlassen und eigene Wege zu beschreiten. Es ist mir, daß hat unser hochverehrter Monsieur Laroche heute morgen ganz richtig erkannt, sehr schwer gefallen, Jeanne in den Kreis der Verbundenheit zu führen und dann, nachdem ich bezeugen konnte, daß sie wirklich meine Tochter, mein eigen Fleisch und Blut ist, zurückzutreten und wie ihr alle anderen nur noch zusehen zu dürfen, wie sie mit Bruno vermählt wurde. Ja, ich habe das Mädchen verloren, daß mich einmal als einzigen Mann der ganzen Welt mit seiner Liebe bedacht hat. Doch ich habe diesen Schritt getan, weil ich weiß, und das gilt auch für meine geliebte Frau Camille, daß ich nicht selbstsüchtig sein darf. Kein Vater hat das Recht, seine Tochter für alle Zeiten als nur ihm allein zugetan zu erklären und alle Männer zu verjagen, die sie darum bitten, mit ihnen das weitere Leben zu teilen.

Ich weiß, es war eine schwere Zeit, in der Camille und ich dich, Jeanne", er sah auf seine Tochter, die neben Bruno saß und wohl zwischen Freude und Ergriffenheit schwankte, "bekamen und großzogen. Wir lebten in Angst vor einer Bedrohung, die von England aus die ganze Welt erfassen wollte. Dann folgten die Jahre des Friedens, in denen wir dich und deine beiden Schwestern fütterten, anzogen, dir Geschichten erzählten oder Lieder beibrachten. Dann kam der erste große Einschnitt in deinem und unserem Leben, die Akademie von Beauxbatons erwies dir die Ehre, dich in den magischen Künsten und Gepflogenheiten unserer Welt zu unterrichten. Das war schon damals kein leichter Schritt, als du, ein elfjähriges Gör, das mehr für fröhliches rumtollen, Tanzen und Musizieren zu haben war, von uns fortmußtest. Beauxbatons ist eine sehr gestrenge Mutter, die kein verantwortungsloses Leben, keine Faulheit und keine Unarten duldet. Doch sie gibt auch viel dafür zurück. Das haben wir alle erfahren müssen, als wir selbst dort waren. Das war auch die einzige Sicherheit, die Camille und ich haben durften, daß du, Jeanne, dort die gleichen wichtigen Dinge lernen würdest, die deine Mutter und ich zu dem gemacht haben was wir sind.

Jahre vergingen wie im Fluge. Das kleine Mädchen begann, sich zur Frau zu wandeln. Die Bedürfnisse wurden anders, ebenso wie die Ansichten. Es war bestimmt nicht immer leicht, wenn du zu Hause warst und wir mit dir unsere Zeit verbringen konnten. Doch ich bereue keinen einzigen Moment davon, auch wenn ich nicht immer einer Meinung mit dir war. Doch der Weg zum Erwachsensein beginnt damit, sich eigene Gedanken auf Grund der eigenen Erfahrungen zu machen. Das haben deine Mutter und ich mit unseren Eltern erlebt, und ich hoffe, du wirst das mit den Kindern erleben, die Bruno und du haben werdet.

Camille und ich wünschen dir und Bruno alles gute, all die Freuden und die Liebe, die das Leben lebenswert machen, doch auch all die Herausforderungen, die euch weiterhin Ansporn sein sollen, zu wachsen, zu erstarken, ja auch euren Platz im Leben zu erkämpfen, auf daß ihr wißt, wer ihr seid und was ihr wollt und ihr dann, wenn wir, eure Eltern, nicht mehr da sein können, um euch zu helfen, nicht im großen Strom des Lebens untergehen müßt, sondern in ihm schwimmt wie die Forellen im Fluß, kraftvoll und farbig.

Ich wünsche euch beiden all das, was euch Freude macht, aber auch erstarken läßt, und wünsche euch auch, daß ihr trotz der Verantwortung, die das Leben der Erwachsenen euch aufläd, daß ihr von allen Träumen und Wünschen eures Lebens immer einen unerfüllten übrig haben werdet, damit ihr etwas habt, wovon es sich zu träumen und wofür es sich zu hoffen lohnt.

So, nachdem ich euch beiden, Jeanne und Bruno diese Worte auf den Weg gegeben habe, möchte ich mich für das aufregende, abwechslungsreiche Leben bedanken, daß du, Jeanne uns gegeben hast. Dir Bruno möchte ich noch sagen, daß du niemals als Fremdling, sondern als Sohn unserer Familie willkommen sein wirst, wenn du gegen allen männlichen Ehrgeiz und Stolz doch nach einer helfenden Hand suchst. Viel Glück und alles alles gute für euch und alle die lieben oder frechen Enkel, die ihr uns, euren Eltern, eines Tages schenken mögt!"

Unter dem Applaus der Gäste verbeugte sich Monsieur Dusoleil. Seine Frau mußte ein Taschentuch aus ihrem Festkleid holen, um die aufgekommenen Tränen zu trocknen. Jeanne nickte ihrem Vater, dann ihrer Mutter zu und machte eine Dankesgeste.

Das Essen wurde serviert, ein drei-Gänge-Menü aus Suppe, Hauptgang und Eis. Julius sah zu Babette, die mit Claire am Tisch der Brautjungfern saß. Madame Faucons Enkelin strahlte mit der Sommersonne um die Wette, die hoch über ihnen allen am wolkenlosen Himmel thronte. Das Eis war lecker und schmolz erst im Mund, wie Julius feststellte.

Nach dem Essen wurde zum Tanz aufgespielt. Julius ließ sich von Sandrine auffordern, tanzte danach mit Claire, die es sichtlich genoß, daß sie beide gleichfarbige Festkleidung trugen und nahm sogar eine Aufforderung von Madame Hippolyte Latierre an, als ein schnellerer Tanz angespielt wurde. Dann war wieder Herrenwahl. Julius ging an den Tisch hinüber, wo seine Mutter saß. Doch diese stand bereits auf und ging mit Polonius Lagrange auf die Tanzfläche. Julius blickte sich um und sah César und Yves an einem Tisch miteinander tuscheln. Sie wollten wohl im Moment nicht tanzen. Etwas merkwürdig gestimmt wollte er wieder zu Claire zurück, ehe ihm einfiel, daß es blöd aussehen mußte, wenn er Claire als Ersatz für eine andere Tanzpartnerin haben wollte. Außerdem, so konnte er aus der Ferne sehen, hatte Claires Vater seine Tochter schon aufgefordert. Das hieß aber, daß Madame Dusoleil frei war. Doch auch die war bereits vergeben, erkannte Julius, als er sie mit dem Zeremonienzauberer Laroche auf die Tanzfläche treten sah. Laroche hatte seine weiße Kleidung gegen einen lindgrünen Umhang getauscht. Was sollte er jetzt machen? Er sah sich um und entschied, dann doch lieber Madame Faucon aufzufordern.

"Darf ich bitten, Madame?" Fragte er seine Schullehrerin. Diese sah ihn an, lächelte und nickte. Sie stand auf und ließ sich von ihm auf die Tanzfläche führen.

"Deine Mutter amüsiert sich gut. Sie wartete zwar darauf, daß du sie auch einmal aufforderst. Aber als sie sah, daß du von vielen jungen Damen umschwärmt wurdest, hat sie es hingenommen, daß du nicht mit ihr tanzen würdest", sagte Madame Faucon und ließ sich sacht in die Bewegungen gleiten, die der Tanz vorschrieb.

"Immerhin wird sie hier nicht als Muggel angesehen. Tanzen kann sie ja. Deshalb wollte sie ja, daß ich das auch kann", erwiderte Julius.

"Wenn meine Enkeltochter doch auch diesen Antrieb hätte. In Paris kennt sie keine Zaubererfamilie, die sie mal zum Tanzen einladen würden. Die hüpft nur herum und ahmt diesen Disco-Unsinn nach, der in der Muggelwelt als Tanz bezeichnet wird", sagte die Lehrerin und sah bedauernd, wie Babette mit dem zehnjährigen Cousin Millies eine Mischung aus Mambo und Twist tanzte, wobei es dem rotblonden Jungen komplett egal war, daß Babette ihn führte.

"Sieht aber auch geübt aus", sagte Julius.

"Diese Beinscheren und die Hüftdrehungen könnten schon vulgär genannt werden", sagte Madame Faucon leicht ungehalten. Dann meinte sie:

"Ich habe Laurentine noch nicht tanzen gesehen. Bei den Schulbällen hat sie es immer vermieden, zu tanzen. Warum hast du sie nicht einmal aufgefordert?"

"Weil sie mir und jedem anderen Jungen deutlich gemacht hat, daß sie nicht tanzen wird, egal ob man hier Rumba oder Rock'n Roll spielt", erwiderte Julius.

"Nun", sagte Madame Faucon mit ernstem Blick, "morgen wird sie tanzen müssen. Da Barbaras Feier in den Sommerball übergeht, ist jeder, der dabei ist, gehalten, mindestens ein drittel des Abends auf der Tanzfläche zuzubringen. Aber das wird sich finden, da bin ich mir sicher."

Nach dem Tanz mit Madame Faucon bedankte sich Julius artig und kehrte an seinen Tisch zurück, wo gerade eine Hitzige Diskussion zwischen Belisama, Laurentine, Elisa und Jacques im Gange war. Sandrine war gerade unterwegs, vielleicht in eines der aufgebauten Toilettenhäuschen.

"Was geht denn hier ab?" Fragte Julius.

"diese beiden Ignoranten kapieren einfach nicht, wie schön es ist, mal zu tanzen", sagte Belisama. "Ich habe den beiden gesagt, sie sollten es doch mal ausprobieren. Jacques kam dann mit so'ner total blöden Bemerkung, Muggelstämmige könnten doch eh nicht tanzen, was wir, Elisa und ich, natürlich besser wußten. Immerhin hast du ja im letzten Sommer gezeigt, daß du sehr gut tanzen kannst."

"Weil der dressiert wurde, Mädel", sagte Jacques schnippisch. "Du kriegst das doch mit, wie die dicke Dorfrätin und Königin Blanche ihn beglucken und herumzerren, damit er in der richtigen Spur läuft."

"Eh, Jacques, du bist ganz sicher kein Mädel. Also überlege dir gut, was du sagst", drohte Julius. Jacques verzog das Gesicht und fragte, was dann passieren würde, wenn er sich nicht überlege, was er sagte. Doch in dem Moment kamen zwei der Latierre-Mädchen vorbei. Eine, Pennie Latierre, legte Jacques die Hand auf die Schulter und sagte:

"Zeig mir doch mal, wie gut du tanzen kannst. Deine Mutter meinte, du wärest gut drauf."

"Falsche Haustür, Mädel. Such dir wen anderen", sagte Jacques. Doch da hatte Pennie ihn mit einem Arm unter den Achseln ergriffen und wie beiläufig vom Stuhl gezogen.

"Ich habe schon an der richtigen Tür geklingelt, Jacques. Du bist rausgekommen und jetzt tanzen wir zusammen. So einfach ist das."

"Hallo, ich habe abgelehnt, Patty oder wer du bist. Keiner darf jemanden zwingen. So steht's in den Anstandsregeln", protestierte Jacques. Doch Pennie zog ihn einfach mit sich.

"Eh, Callie, hat Jacques Mutter deiner Schwester gesagt, den mal abzuschleppen oder was?" Staunte Julius.

"Ungefähr. Meine Maman unterhielt sich mit Jacques Mutter. Die findet das wohl lustig, daß Maman ja auch Barbara heißt. Dann hat sie gemeint, ihr Sohn wolle wohl auf seinem Stuhl festwachsen und wenn sie ihn nicht andauernd auffordern wolle müsse da wohl schon mal jemand her, die das ihm beibrächte. Bei der Gelegenheit, Julius -"

"'tschuldigung, Callie, aber den Tanz hat er mir schon versprochen", sagte Belisama und trat neben Julius. Dieser nickte und führte das Mädchen mit dem honigfarbenen Haar auf die Tanzfläche.

"Da kann einem ja Angst und bange werden, wie locker die Kleine unseren Tanzmuffel unter den Arm geklemmt hat. Haben die der irgendwas gegeben, daß die so stark ist?"

"Den Herakles-Trank vielleicht?" Fragte Belisama. "Kenne ich mich nicht so mit aus. Ich bin eher für Zauberkunst und Verwandlung zuständig", sagte Belisama lächelnd. Dann sahen sie beide, wie Penthesilea Latierre Jacques regelrecht anschob, drehte, verbog und zog. Er suchte mit seinem Blick seine Mutter, die sich immer noch mit der in ein geblümtes wollkleid gehüllten Barbara Latierre unterhielt.

"Na, schreit er gleich nach seiner Maman oder haut er der kleinen gleich eine rein?" Spottete Julius. Tatsächlich versuchte Jacques, Pennie eine runterzuhauen. Doch diese fing seine Hand ab, nahm sie in ihre etwas kleinere Hand und hielt sie Fest.

"So geht's auch. Jetzt hat sie ihn in der Damenstellung. Pech gehabt", grinste Julius gehässig. Belisama trat ihm kurz auf den linken großen Zeh. "du tanzt jetzt mit mir. Sieh mich also bitte auch an. Oder findest du mich abstoßend? - Sag jetzt bloß nicht Ja. Das hast du dir schon in Beauxbatons verbaut."

"'tschuldigung! Aber Jacques Gehässigkeiten haben mich drauf gebracht, mal über ihn abzulästern", sagte Julius und tanzte mit Belisama korrekt zu Ende. Danach kam Callie Latierre wieder und meinte:

"Jacques bringt es offenbar doch nicht. Entweder du tanzt jetzt mit mir oder mit Pennie", sagte sie. Julius sah sie verblüfft an und fragte, ob sie wisse, daß er drei Jahre älter sei.

"Das ist Jacques auch. Außerdem hält das nur noch zwanzig Tage vor. Am sechzehnten August werden Pennie und ich zwölf. Pennie kam zehn Minuten vor mir an."

"Interessant, die Montferres haben am gleichen Tag, nur ein paar Jahre früher. Aber ich lehne deine Aufforderung ab, Callie", sagte Julius.

"Ich bin genauso stark wie meine Schwester", sagte Callie. "Demies und Ostaras Milch machen Hexenmädchen richtig stark."

"Ich will nicht mit dir kämpfen, Callie. Du könntest den Kürzeren ziehen", sagte Julius.

"Ich weiß, du kannst Karate, sagt Cousine Martine. Sie sagt aber auch, daß du keine Frauen oder Mädchen schlagen würdest."

"Stimmt, Callie. Okay, kucken wir mal, was die Milch von eurer Demie macht!" Gab Julius klein bei und führte Callie zum Tanzen. Dabei zeigte sich, daß das Hexenmädchen wirklich überaus kräftig und beweglich war. Wenn die mal Kampfsport trainierte, dem gnade jeder Gott, wenn sie einen angreifen wollte. Nach dem Tanz führte sie Julius zu ihrer Mutter. Diese sah ihn an und meinte:

"Etwas überrascht, daß wir Landhexen mehr Mumm in den Knochen haben als ihr Stadtzauberer?"

"Das klären Sie bitte mit Jacques Lumière, wenn der Beschwerde einlegt wegen Nötigung, Freiheitsberaubung, vielleicht sogar Körperverletzung", sagte Julius grinsend.

"Vielleicht auch versuchte Vergewaltigung", lachte Madame Latierre.

"Öhm, kein Kommentar", sagte Julius an den Ohren errötend. Mochte es angehen, daß die Latierre-Mädchen sich einen Mann oder Jungen griffen, wenn sie es nötig hatten wie eine läufige Sabberhexe?

"War nur ein Scherz. Ich denke, Pennie hat von ihrer Mutter den Sinn für die richtige Auswahl geerbt", lachte Barbara Latierre und knuddelte Julius kurz.

"Madame, ich muß doch sehr bitten, mir den jungen Mann nicht zu verderben", schritt Madame Lumière ein.

"Ist nicht meine Aufgabe, Madame Lumière. Ich wollte ihm nur Mut machen, daß meine Töchter ihn nicht aufgefordert haben, weil er unattraktiv oder unsympathisch ist."

"Stimmt das mit der Milch, das die jemanden Stark macht?" Fragte Julius.

"Ja, das stimmt. Aber nur die Vollmilch und nur bei Hexen im Wachstum, die noch nicht die Bürde der Weiblichkeit aufgeladen bekommen haben", erwiderte Barbara Latierre. Julius beruhigte das. Millie konnte auch nur die Städtermischung der Latierre-Kuhmilch vertragen, hatte sie ihm erzählt. Andererseits sprach viel dafür, daß sie und auch Martine übergebühr stark sein mochten. Gut, als Millie Céline einmal stahlhart umklammert hatte, mochte das an Célines schmächtiger Statur gelegen haben. Jedenfalls nahm er sich vor, keine von den Latierre-Töchtern zu irgendwelchen Handgreiflichkeiten zu veranlassen, wenn er seine alten Prinzipien nicht vergessen und zurückhauen wollte. Er setzte an, sich von den Latierres zu verabschieden, als Sabine Montferre angeschlendert kam.

"Hast du schon von dem Met probiert, Julius. Ist echt nett", sagte sie. Julius schüttelte den Kopf. Bisher hatte er von den wirklich alkoholischen Getränken nichts angerührt, weil er nicht wollte, daß Madame Faucon ihm noch eine Standpauke hielt.

"Nein danke, Sabine. Ich möchte erst richtig zu Abend essen, bevor ich was trinke, was meinen Körper irgendwie aus dem Tritt bringt", sagte er. Sie nickte. Dann fragte sie, ob er gerade keine Partnerin habe, was er bestätigte. So tanzte er mit Sabine.

"Millie kriegt ernsthaft Konkrurrenz aus dem eigenen Lager. Die Kleine war ja richtig scharf darauf, mit dir zu tanzen."

"Sie wollte halt nicht blöd aussehen, wo ihre Schwester sich hat verdonnern lassen, Jacques aufzufordern. Der ärgert sich doch eh, daß der morgen wieder beim Sommerball mitmachen muß, weil seine Schwester das mit ihrem Hochzeitsfest verwurstelt hat", sagte Julius. Doch so ganz wurde er den Verdacht nicht los, die Latierre-Zwillinge wollten prüfen, ob an dem Jungen nicht doch was dran sei, daß ihre größere Cousine immer noch hinter ihm her war. Hoffentlich kam Claire damit zurecht, dann noch mehr wilde Mädels von ihm fernhalten zu müssen.

Um vier Uhr Nachmittags wurde der Tanz unterbrochen. Es gab Kaffee und Kuchen. Prunkstück war eine siebenstöckige Hochzeitstorte, so groß wie ein Waschbottich mit einer Aufschrift aus Zuckerguß: GLÜCK UND LANGES LEBEN FÜR JEANNE UND BRUNO. Obenauf thronte aus Marzipan ein Brautpaar, doppelt so groß wie Babettes Barbie-Puppen, allerdings ohne lebensecht nachgebildete Gesichtszüge, sondern nur Runde Köpfe, einer mit einem Schleier aus hauchzarter weißer Schokolade, der andere mit einem Zylinder aus Marzipan.

"Zumindest ist die Braut als Frau zu erkennen", sagte Jacques, der auf die wohl herausgearbeiteten Rundungen der Marzipanbraut deutete.

"Hat die der Bäcker hier gebacken oder wo kommt die her?" Wollte Julius wissen. Konnte man sowas mit einem Zauberspruch aus dem Nichts beschwören?

"Weiß ich sowas?" Fragte Jacques.

Nachdem das junge Paar die Torte offiziell angeschnitten hatte, bedankte sich Jeanne bei ihren Großmüttern Aurélie und Aminette für diese gelungene Torte. Dann durfte sich jeder ein Stückchen davon abschneiden. Julius wußte nicht zu sagen, was alles in der fest aussehenden, doch beim kauen cremig zergehenden Torte verbacken worden war. Vielleicht war es auch besser, wenn er das nicht wußte. Nachher waren irgendwelche Zaubertrankzutaten verrührt worden, die vorher irgendwo langgekrabbelt oder quakend um einen Teich herumgehüpft waren. Er verdrängte diesen selbstverursachten Anflug von Ekel sofort wieder. Immerhin konnten Hexen mit ganz unverfänglichen Zutaten die besten Kuchen backen, wie er von Madame Faucon und Madame Dusoleil wußte. Claire hatte es ihm ja auch angeboten, ihm einmal einen Geburtstagskuchen zu backen. Jedenfalls ging die siebenstöckige Wundertorte im Hunger der Gäste innerhalb von einer halben Stunde gnadenlos unter, verschwand in unzähligen Mündern und Mägen, löste sich in nichts als eine schöne Erinnerung an eine wunderbar dekorierte, leckere Torte auf. Die Form, in der das konditorische Meisterwerk gelegen hatte, wurde von Madame Aminette Dusoleil fortgeholt und wohl per Objektversetzungszauber zum Haus der Dusoleils zurückteleportiert. Als dann, nach einer zur Verdauung eingeräumten halben Stunde weiter zum Tanz aufgespielt wurde, konnte Julius auch seine Mutter auf die Tanzfläche führen. Danach verbrachte er drei Tänze in Folge mit Claire, die ihn fragte, ob er keine Angst vor Pennie oder Callie habe. Sie habe es selbst gesehen, wie die beiden einen ganzen Schrank mit bloßen Armen angehoben und getragen hatten.

"Stärke ist nicht alles, Claire. Ich Hoffe nur, die beiden lernen damit umzugehen wie mit ihrer Zauberkraft."

"Och, daß kriegen die schon hin. Was mich jedoch irritiert ist, daß der kaninchenstall sich sehr für dich interessiert, von der schwangeren Großmutter bis runter zu Mayette. Die alle haben meine Eltern, Jeanne und mich ausgefragt, wieso alle geglaubt hätten, du seist ein Muggel und warum dein Vater nicht auch hier sei. Madame Ursuline Latierre hat da sowas komisches gesagt. Sie meinte, es wäre vielleicht besser gewesen, wenn er sich nicht mit deiner Mutter verkracht hätte und bei ihr geblieben wäre. Das hätte ihm irgendwelchen Ärger erspart. Du weißt echt nicht, was mit deinem Vater gerade los ist?"

"Kein Stück, Claire. Du denn?"

"Schön wäre es, wenn ich's wüßte. Die Latierre, die ich jetzt auch noch verschwägerte Großtante nennen soll, rückt nicht damit raus, wie sie das meint, weil sie meint, das ginge ja dann nur deine Maman und dich etwas an."

"Also meine Mutter hat mir erzählt, Paps sei seit März umgezogen und seit Mai nicht mehr per üblicher Telefonnummer zu erreichen. Das heißt er hat sich ein anderes Telefon besorgt, das mit anderen Zahlen angewählt werden muß und wir nicht wissen, welche Zahlen das sind und wo er jetzt wohnt. Kommt mir irgendwie nicht ganz geheur vor. Aber ich wollte sie nicht zu heftig löchern, weil ich es schön finde, wenn wir beide, also meine Mum und ich, zusammen sein können."

"Vielleicht möchte deine Mutter dir das nicht erzählen, weil es nur Muggelkram ist, mit dem sie dir nicht auf die Nerven gehen will. Aber das passt dann nicht mit dem, was Schwiegergroßtante Ursuline Mein-Bauch-ist-noch-nicht-dick-genug Latierre erzählt hat."

"Ich fürchte, um das rauszukriegen muß ich mit Madame tanzen, weil die sonst immer von anderen Verwandten umschwirrt wird wie Jupiter von seinen Monden."

"Schön hast du das gesagt", meinte Claire und zwinkerte ihrem Freund zu. "Ich erlaube dir das, mit meiner Schwiegergroßtante zu tanzen", sagte sie noch und schenkte Julius ein verschmitztes Lächeln.

Die Gelegenheit, mit Ursuline Latierre zu tanzen, ergab sich für Julius erst nach dem siebengängigen Abendessen. Vorher hatte er mit Sandrine, Belisama, Caro und auch einmal mit Mildrid Latierre getanzt. Dann, nach dem Abendessen, eröffneten die jungen Eheleute Dusoleil den Fortgang des Balles mit einem Walzer. Julius trat an den Tisch der Latierres und forderte Madame Ursuline zum Tanz auf. Sie nickte und ließ sich von ihm auf die Tanzfläche führen.

"Das ist nett, daß du mich auch mal zum Tanzen aufgefordert hast, Julius", sagte die große, runde Hexe, als Julius es geschafft hatte, sie noch im Rahmen der Anstandsregeln zu umfassen und zu führen, während der Walzer erklang.

"Das ist das dritte Mal, daß du mit drei Damen gleichzeitig tanzt?" Fragte Madame Latierre.

"Das zweite Mal mit dreien. Ich habe mal mit einer Nichte Madame Matines getanzt, als sie mit einer Tochter schwanger ging", erwiderte Julius. Er wußte nicht, wie er seine Frage anbringen konnte, ohne im Ansatz abgeblockt oder für dumm verkauft zu werden. So machte er fast zwei Minuten mehr oder weniger belanglose Konversation, wie gut die Latierres den Kuhgeruch aus ihren Kleidern verdrängt hatten bis hin zum Untershied von Zauberer- und Muggelhochzeiten, bis er es endlich wagte zu fragen:

"Sie haben ja wie die Eauvives weitreichende Verbindungen. Wissen sie vielleicht, was mit meinem Vater los ist? Seit Mai hat meine Mutter nichts mehr von ihm gehört."

"So, hat deine Freundin dir also erzählt, daß ich erwähnt habe, es wäre besser gewesen, wenn dein Vater mit deiner Mutter zusammengeblieben wäre. Hmm, natürlich hast du mich deshalb aufgefordert. Das war mir klar, weil du so dringend mit mir alleine tanzen wolltest", sagte Madame Latierre. Doch dann gab sie sich einen Ruck. "Was mit deinem Vater ist, weiß ich nicht. Ich habe zwar Verbindungen in Amerika. Doch die haben natürlich nicht nach ihm gesucht. Was meine Besorgnis angeht, so meinte ich es so, daß ihm doch sehr viel entgeht, weil er dich abgelehnt hat. Der hätte jetzt hier bei uns allen sitzen können und sehen können, wie sich Hexen und Zauberer amüsieren können und daß wir auch heilige Bräuche wie Hochzeiten pflegen und nicht einfach durch Liebestrank oder anderen Hokuspokus Paare gebildet werden. Außerdem hättet ihr dann alle zusammen gewohnt. Nachdem was ich über dich gehört und ja selbst schon mitbekommen habe bist du für dein junges Alter in Zauberkraft und Grundwissen weit voraus. Das müßte einen Vater doch stolz machen, wenn der einzige Sohn sich so prächtig entwickelt. Aber er bekam Angst vor dir und ist deshalb nach Amerika geflüchtet. Jetzt ist er da irgendwo, man weiß nicht wo und kämpft vielleicht um sein weiteres Auskommen, und alles nur, weil er von seiner unzulänglichen Wissenschaft derartig überzeugt ist, daß Zauberei verboten gehört und er jeden, der damit was zu schaffen hat weit von sich fort wünscht. Das meinte ich damit. Er sieht dich nicht aufwachsen, kriegt wahrscheinlich nicht mit, was du in der Schule lernst und daß du eine süße Freundin hast, deren Familie mit dir sehr gut zurechtkommt, auch mit deiner Mutter. Camille hatte angedeutet, daß ihr ja doch mit ihnen verwandt seit und ihr deshalb eher zu uns an die Tische der Verwandten gehört hättet. Immerhin beschnuppern wir uns jetzt irgendwie alle, wer jetzt wessen Onkel, Tante oder Cousine ist. Ich hörte, deine Mutter habe dir das Schachspielen schon mit vier Jahren beigebracht. Martine erzählte mir sowas. Wenn der Schüler so gut ist, hätte ich bestimmt nichts dagegen, mit seiner Lehrerin zu reden und vielleicht, wenn sie das möchte, auch einmal mit ihr die Figuren gegeneinander zu führen. Aber die Tischordnung hat das nicht erlaubt, und ich kann sie ja unmöglich zum Tanzen auffordern."

"Was das mit Schach angeht kann ich Ihnen sofort helfen. Aber ich möchte wissen, ob sie mir nicht doch was verheimlicht haben, was meinen Vater angeht. Ich habe zwar selbst wen in den Staaten, um mich auf dem Laufenden zu halten. Aber ich komme mir echt blöd vor, daß meine Eltern sich wegen mir verkracht haben."

"Wie heißt dein Vater mit vollem Namen? Vielleicht kann ich doch was rausfinden", sagte Madame Latierre.

"Richard Andrews. Er hat keinen zweiten oder dritten Vornamen", seufzte Julius.

"Hat Madame Porter nichts herausfinden können?" Fragte Madame Latierre. Dann legte sie ihre runde Stirn in tiefe Falten. "Das wäre mir neu, daß Jane keinen findet, den sie sucht, ob Muggel oder Zauberer, sofern alles seinen normalen Gang geht. Aber ich werde meine eigenen Kontakte nach New Orleans bemühen."

"Mein Vater war in Detroit, als ich das letzte Mal von ihm erfuhr", sagte Julius.

"Noch besser, da wohnt eine ausgewanderte Cousine von mir. Die kriegt das raus, weil sie einen Muggelreporter geheiratet hat. Das wird aber mindestens eine Woche dauern, weil ich von hier aus weder floh-Pulver-Post verschicken noch meine Ahnengalerie bemühen kann." Julius nickte, bevor ihm einfiel, daß er dem nicht so unbeeindruckt zustimmen dürfte. "Aha, wie man Zauberergemälde als schnelle Kuriere benutzt weißt du schon. - Natürlich, die gemalte Aurora Dawn hängt ja bei dir. Dann hattest du natürlich zu deinen Freunden in Hogwarts Kontakt. Halt dir den gut warm! Denn in England ist im Moment sehr dicke Luft wegen ihm, der nicht beim Namen genannt werden darf. Aber ich kläre das mit meiner Cousine, wenn ich wieder im Chateau Tournesol bin."

Julius nickte wieder. Doch irgendwie war diese Hexe als Nachrichtenquelle wertlos geworden. Wenn sie eine Woche brauchte, um an die gewünschten Informationen dranzukommen, dann war er schon längst in den Staaten und konnte das selbst klären. Als der Tanz beendet war bedankte sich Julius bei Madame Latierre, die den Dank erwiderte und ihn kurz an sich drückte, gerade weit genug, um ihre ungeborenen Kinder nicht zu erdrücken. Dann kehrte sie an ihren Familientisch zurück.

"Hallo, Julius! darf ich bitten?" Rief eine ihm wohlbekannte Frauenstimme. Es war Aurora Dawn. Sie war also tatsächlich noch gekommen, spät aber immerhin noch nicht zu spät. Er begrüßte sie und tanzte mit ihr. Sie trug zum Fest ihren rosaroten Festumhang, der mit Goldfäden durchsetzt war. Sie unterhielten sich, was nach Julius Geburtstag noch alles passiert war. Er erzählte ihr, daß er heute zweimal von einer Hexe auf einen Apparitions-Sprung mitgenommen worden war und beschrieb das unerträglich zusammenstauchende Gefühl.

"Das war eigentlich der Grund, warum ich zuerst nichts mehr davon wissen wollte. Doch dann hat es mir richtigSpaß zu machen begonnen. Kaum hatte ich die Prüfung bestanden, bin ich zu Hause gerne von einer Etage zur anderen appariert. In der Heilerausbildung ist das natürlich ein Muß, weite Strecken überwinden zu können. Außerdem ist das Transitquetschen, wie Cynthia Flowers und ich das genannt haben nur bei den ersten zehn gelingenden Apparitionen so heftig. Danach denkst du, du würdest lediglich durch eine dick gepolsterte Röhre springen, insbesondere wenn du dich ja mit allen Fasern auf die Erscheinung deiner Selbst am Zielort konzentrieren mußt. Je weiter desto schwieriger."

"Die drei Ds, Aurora. Jeanne und ich hatten uns darüber schon mal unterhalten."

"Ganz genau. Wann willst du das selber können?" Erwiderte Aurora und grinste.

"Gestern", konterte Julius. Aurora Dawn lachte herzhaft auf. "Ja, ich wollte das schon in der ersten Klasse lernen, weil ich gesehen habe, wie jemand bei uns disappariert ist und ich doch da alles supertoll gefunden habe, was mit Teleportation, dem Beamen oder Materietransmittern zu tun hat. Aber ich will dich nicht mit Muggelkram zutexten."

"Warum nicht. Manchmal ist die Phantasie ein besserer Zugang zur wirklichkeit als die reinen Erlebnisse. Du siehst es doch an deinen Eltern. Dein Vater klammerte sich an seine Fakten und konnte dein neues Leben nicht verstehen. Deine Mutter erkannte, daß sie nicht alle Fakten kennen konnte und stellte sich vor, daß du in einem neuen Leben auch gut zurechtkommen würdest und sie dich trotzdem immer noch lieben könne und sitzt jetzt bei Madame Faucon und Madame Delamontagne wie mit älteren Bekannten aus der Muggelwelt. Insofern sind die Zukunfts- und Weltraumdichtungen vielleicht zu spekulativ, aber Ausdruck eines kreativen Geistes. Dumbledore würde das zumindest so formulieren. Er hält viel von Leuten, die nicht nur denken sondern auch träumen wollen."

"Auf jeden Fall schön, daß er in Hogwarts wieder alles in der Hand hat. Gerade jetzt, wo diese Mörderbande wieder herumwütet", knurrte Julius.

"Du kannst auf jeden Fall froh sein, daß hier in Frankreich keine aktiven oder schlummernden Anhänger von ihm hausen. Außerdem beschleicht mich der Verdacht, der Unnennbare traut sich nicht mehr von den Britischen Inseln herunter. Sei's, daß er dort irgendwas sehr wichtiges erledigen mus. Sei's, daß er anderswo kein Bein auf den Boden bekommen hat. Meine Eltern haben nur gesagt, daß sie einstweilen zu mir umziehen möchten. Nach Fudges sogenanntem freiwilligen Rücktritt kehrt da ein eiserner Besen alle überflüssigen Abteilungen durch. Tante June hat sich mit ihrer Familie abgesetzt. Keine Stunde zu früh. Als über ihrem Haus das dunkle Mal am Himmel stand, glaubten alle, sie wäre getötet worden. Tatsächlich aber hat es ein frustrierter Todesser in den Himmel beschworen, weil er das Nest Völlig lehr fand."

"o Mann, das wußte ich ja noch nicht", sagte Julius. "Was ist mit Arcadia?"

"Die muß wohl jetzt mit Tante June und Onkel Tony im Ausland sein. Wo genau, weiß ich noch nicht. Vielleicht ist es auch besser, wenn es nicht jeder rausfinden kann. Tante June hat doch sehr viel angesammelt, um Muggelwelt und Zaubererwelt einander näherzubringen. Das konnte dieser Wahnwitzige nicht vertragen."

"Dann sucht er deine Verwandten vielleicht. Hoffentlich kommt von seinen Marionetten keine zu dir", unkte Julius.

"Daran ist gedacht. Ministerin Rockridge hat mein Haus mit Sondersicherheitsvorkehrungen umgeben. Im Moment bin ich bei mir so sicher wie in Millemerveilles oder in Hogwarts."

"Nach der Umbridge denke ich, daß das mit dem sicheren Hogwarts auch nicht mehr so weit hin ist", seufzte Julius. "Außerdem konnte Black zweimal einbrechen. Wer gut ausbrechen konnte kann auch gut einbrechen, haben Schulkameraden mir da erzählt. Tja, aber er war ja kein Mörder."

"Stimmt. Aber das wollte ja keiner glauben. Aber wir ziehen uns gegenseitig runter, Julius. Wer glaubst du, fängt nachher den Brautstrauß?"

"Ich dachte schon, dieser Brauch sei hier nicht üblich", sagte Julius.

"O doch. Allerdings wirft die Braut den Strauß erst, bevor sie sich mit ihrem Angetrauten zurückzieht. Solange bleibe ich noch hier. Dann floh-Pulvere ich zur Grenze und sehe zu, daß ich wieder in meine kleine Festung komme, selbst wenn ich im Moment nicht davon ausgehe, daß seine Handlanger hinter mir herjagen."

"Das hoffe ich für dich", wünschte Julius, dem noch andere Gründe einfielen, warum Voldemort Aurora Dawn jagen mochte. Einer hing unmittelbar mit ihm selbst zusammen.

Nach dem Tanz mit Aurora arrangierte Julius eine Unterhaltung zwischen Madame Ursuline Latierre und seiner Mutter, während er mit Madame Delamontagne tanzte.

"Ich schätze, meine Selbsteinschätzung trifft zu. Ich hätte fast Zwiebelsoße über die Erdbeeren gegossen", sagte die Dorfrätin mit leicht verlegenem Gesicht. "Aber das wird sich noch erweisen. Es war sehr eindrucksvoll, wie behutsam und gekonnt du Madame Latierre geführt hast. Ich ging davon aus, sie sei kultivierteren Tänzen nicht so zugetan, weil sie nur wenig auf der Tanzfläche gewesen ist. Gut, ihre Schwangerschaft dürfte sie zum Maßhalten zwingen, die jüngste ist sie ja doch nicht mehr, um noch zwei Wonneproppen aufzuziehen."

"Man ist so jung wie man sich fühlt, hat ein Großvater von mir mal gesagt, als er mit siebzig noch Rollschuhlaufen geübt hat."

"Ja, und wenn alles so kommt wie ich vermute sollte ich die letzte sein, die sich über ältere Mütter pickiert", flüsterte Madame Delamontagne. Sie achtete darauf, nicht in der Nähe anderer Tanzpaare zu verweilen. Doch weil sie auch über andere Themen sprachen fiel das kleine Geheimnis, das Madame Delamontagne in sich zu tragen wähnte nicht weiter auf.

Nach einigen weiteren Tänzen mit Claire, Jeanne und Melanie Odin wurde noch einmal eine längere Pause gemacht, in der sich Leute zum Plaudern an den Tischen trafen. Barbara Latierre fragte Julius einmal, ob seine Mutter ihre Mutter über Nacht behalten wolle. Er meinte dazu nur, daß die beiden wohl gerade Kopfschach spielten, ohne greifbares Brett auf dem Tisch. Barbara lachte. Sie konnte sich das vorstellen, wenngleich Schach nicht mehr die Lieblingsbeschäftigung Nummer eins war. Ihre Kinder und Kindeskinder waren ihr größtes Hobby, ihr Lebenswerk.

"Was interessiert Sie eigentlich noch außer große, weiße Kühe mit flügeln?" Stieß Julius vor. Barbara Latierre lächelte ihn an.

"Geschichte der Zauberei, Schwimmen und Dudelsackmusik. Allerdings ist es schon meine größte Leidenschaft, die Latierre-Kühe zu betreuen. Sie sind zwar sehr monströs in der Größe, aber außerhalb der Brunft und Trächtigkeit sanft wie die Lämmer. Ich liebe es, Demie oder ihre Schwester Ostara zu versorgen und freue mich schon, wenn eine der beiden oder andere Muttertiere wieder ein Kalb haben werden. Meine Großmutter, von der ich den Vornamen habe, hat diese Tiere unter sehr vielen Rückschlägen gezüchtet und kultiviert. Es ist irgendwie wichtig für mich, diese Zaubertierart zu erhalten. Außerdem sind sie sehr intelligent."

"Echt. Wie messen Sie das?" Forschte Julius nach und erfuhr, daß sie sich selbst im Spiegel erkennen, an den Schatten die Tageszeit nicht nur abschätzten, sondern durch beigebrachte Verständigungsmöglichkeiten wie Klopfen mit den Hufen die genaue Stunde des Tages anzeigen konnten. Außerdem seien die Jungtiere sehr verspielt und würden dabei sogar Strategien ausprobieren, wie sie an Futter herankommen konnten, das sie so nicht erreichen könnten. So fügte es sich, daß sie auch über Julius magisches Haustier sprachen. Julius erzählte ihr, wie er die Knieselin Goldschweif kennengelernt hatte und wie sie ihm verdeutlicht hatte, daß sie ihm den rechten Weg weisen wolle und er so erfahren habe, daß Claire und er über eine breite Verzweigung hinweg dieselbe Ahnenlinie besaßen.

"Dann frage ich mich doch, was deine Mutter und du bei den Freunden, Bekannten und Honoratioren zu suchen hattet, wo ihr bei Jeannes Familie besser aufgehoben gewesen wäret. Immerhin war ja auch Antoinette Eauvive da, die sich mit dieser Hera Matine gegen meine Schwester Béatrice verbündet hat. Wie immer das auch beabsichtigt war. Ich wünsche dir auf jeden Fall viel Spaß und Freude mit Goldschweif. Ich denke, die wird dieses Jahr noch einmal werfen. Wenn dann die ersehnte Kronprinzessin bei herauskommt, darfst du sie wohl mitnehmen. Nachdem, was du gerade erzählt hast, würde sie sehr gerne bei dir bleiben."

"Stimmt", lachte Julius. "Die hätte ich glatt mitnehmen können." Er trank mit Barbara Latierre ein halbes Glas Met aus und kippte noch einen Schluck Latierre-Kuhmilch für Stadtbewohner hinterher, um den Alkohol etwas zu bremsen, daß er Julius nicht vor dem Ende der Feier aus den Socken kippte. Dann kam Hippolyte Latierre mit Martine herüber.

"Möchtest du vor dem Brautstraußwurf noch einmal mit mir tanzen, Julius?" Fragte Martine. Julius stimmte zu und tanzte den vorletzten Tanz mit Martine. Danach holte ihn Claire noch einmal auf die Tanzfläche.

"Ich finde es schön, daß du mit allen Mädchen auch denen, die noch geboren werden müssen, so gut tanzen kannst. Aber morgen ist der Sommerball. Ich wünsche uns beiden noch die goldenen Tanzschuhe als nachträgliche Geburtstagsgeschenke."

"Die Konkurrenz ist ziemlich heftig. Die Latierres können gut tanzen. Deine Schwester will wohl auch gerne als junge Ehefrau eine Trophäe gewinnen und deine Eltern möchten wohl auch wieder auf das Podest", sagte Julius.

"Ja, aber wenn wir das morgen gewinnen, Juju, dann stehen wir beide in der Chronik von Millemerveilles als das Paar, das drei goldene Tanzschuhe ohne Unterbrechung gewonnen hat. Fändest du das nicht schön, mit etwas eigenem von dir Geschichte zu schreiben, ohne dich dafür in Gefahr zu bringen?"

"Das sage ich dir, wenn wir morgen auf der Bühne stehen sollten", sagte Julius.Claire lächelte vergnügt.

Als kurz vor Zwölf uhr abends Jeanne alle Gäste um sich scharte, erklang noch einmal ein Tusch.

"Liebe Gäste, alte und neue Verwandte, Freunde und ehemalige Klassenkameraden. Mein Mann Bruno und ich möchten uns sehr herzlich bei euch für eure Freude und Anwesenheit bedanken. Natürlich gilt das auch für die Hochzeitsgeschenke, die wir erhalten haben. Vielen Dank auch dafür", sagte Jeanne gut gelaunt und wohl schon angeheitert vom Wein oder Met. "Jetzt kommt das, wovor viele von euch wohl große Angst haben oder sich sehr doll drauf freuen. Ich werfe gleich meinen Blumenstrauß, den ich heute morgen im Gemeindehaus dabei hatte so hoch es geht in die Luft. Der Strauß wird von dem, was Monsieur Laroche die Kraft der Liebe genannt hat, irgendwo hingetragen, wo jemand ist, der oder die als nächster heiraten wird. Allerdings denke ich, daß es wohl keine Kunst ist, wenn Barbara Lumière und Gustav den Strauß fangen, weil die ja morgen um diese Zeit hier stehen werden. Also möchte ich die beiden angehenden Brautleute bitten, zu mir und Bruno hinzukommen, damit sie den Strauß nicht mit längst bekannten Absichten auf sich ziehen." Barbara lachte und schlüpfte mit Gustav durch die konzentrisch um Jeanne und Bruno gereihten Gäste. Als sie dann bei Jeanne standen, winkte sie dem Orchester. Dieses spielte einen Trommelwirbel. Dann hob sie den bunten Blumenstrauß, der im Licht der Kerzen lebhaft flimmerte und schleuderte ihn mit einer fließenden Bewegung aus Arm, Rücken und Beinen heraus nach oben. Der Blumenstrauß begann, sich zu drehen, während er mindestens zwanzig Meter aufstieg. Also war da was dran herumgezaubert worden, erkannte Julius. Dann segelte der Blumenstrauß wieder zur Erde hinunter. Die, die wohl keine Lust aufs Heiraten hatten, duckten sich schnell, um bloß nicht mit dem geworfenen Blumengewinde in Berührung zu kommen, während andere, vordringlich junge Hexen, die Hände reckten, um den Strauß aus der Luft zu fangen.

"Hallo, nicht zu mir!" Rief Jacques, als der bunte Blumenstrauß salti schlagend auf ihn zustürzte. "Ich bin noch zu jung um verplant zu werden." Alle lachten, von Madame Lumière abgesehen. Dann trudelte der Strauß über Jacques hinweg und fiel mit den Stielen voran nach unten und landete auf dem Kopf von Polonius Lagrange. Der erschrak, war er doch auch in Deckung gegangen. Doch als der Strauß an seiner rechten Wange hinunterrutschte, riefen alle:

"Polonius, der Bräutigam."

"Ich bin schon verheiratet mit vier Bällen und einem Besen!" Lachte Polonius, als er den Blumenstrauß faßte und hochhielt, daß man ihn auch ja fotografieren konnte.

"Das zieht nicht, Polonius. Jeder Deckel gehört auf den passenden Topf", lachte Seraphine. Alle lachten darüber. Dann bat Jeanne um Ruhe.

"So wie sich das darstellt wird unser Quidditch-Profi Polonius Lagrange in absehbarer Zeit heiraten. Um Anfragen brauchst du dir ja meiner Kenntnis nach keine Gedanken zu machen. Eine der fünf Frauen an jeder Hand wird dich schon für sich begeistern."

"Eh Jeanne, du glaubst doch nicht etwa jede Zeitungsmeldung über mich. Wenn man die ganzen Enten essen könnte, die da so ausgebrütet werden, dann wären wir alle kugelrund", sagte Polonius.

"Wie dem auch sei, bald bist du fällig", sagte Seraphine lachend.

"Ja, aber nicht mit dir, Seraphine. Vetternheirat ist nicht nach meiner Mütze."

"Habe ich auch nicht behauptet", lachte Seraphine. Dann verkündete Jeanne:

"Liebe Gäste. Nun, da wir Polonius' Zukunft gesichert haben", wieder lachten alle, "möchten Bruno und ich uns von euch verabschieden. Ihr habt uns sehr gut durch diesen Tag gebracht und den Abend mit eurer Anwesenheit einmalig schön gestaltet. Doch der Tag ist nun um."

"Ja, also, Leute. Jeanne kann besser reden als ich. Deshalb sage ich nur: Gute Nacht, Freunde, alte und Nneue Verwandte und alle anderen, die uns heute gern unterhalten haben. Jeanne und ich ziehen uns jetzt zurück."

"Viel Vergnügen!" Rief César Rocher. Auch Yves wünschte das. Die jungen Frauen und Mädchen kicherten albern. Dann traten Braut und Bräutigam, jetzt Frau und Ehefrau aus der Mitte der Gäste, ließen sich von einzelnen noch eine gute Nacht wünschen. Julius stand so, daß Jeanne noch an ihm vorbeikam. Sie flüsterte ihm verschmitzt grinsend zu:

"Mit dem Reis, den ihr uns heute zugeworfen habt kriegen wir bestimmt bald einen großen Stall voller Kinder. Nacht, Julius!"

"Ich wünsche euch alles gute in der ersten Nacht als Ehepaar", sagte Julius. Dann entschwanden Jeanne und Bruno, bestiegen zwei Besen, an denen bunte Bänder und lärmende Rasseln und Schellen hingen und flogen damit fort.

"Joh, dann werden wir uns auch zurückziehen", sagte Madame Faucon als Julius sie und seine Mutter wieder erreicht hatte. Madame Ursuline Latierre verabschiedete sich von Martha Andrews und ging zu ihrer Familie zurück.

Martha war sichtlich angeheitert. Offenbar hatte der Met ihr gut zugesetz. Babette war so müde, daß ihre Oma ihr eine Trage zauberte, auf der das Mädchen bis zum Faucon-Haus schwebte. Julius stützte seine Mutter, die wie auf einem Schiff im hohen Seegang schwankte und zwischendurch leise kicherte und sich über jeden möglichen Witz amüsierte, den sie am Abend noch gehört hatte.

"Diese Ursuline Latierre genießt zwar nicht meine größte Achtung. Aber wenn sie nicht die letzte Stunde des Abends mit deiner Mutter geplaudert und dabei nur Traubensaft getrunken hätte, müßte ich deine Mutter auch auf eine schwebende Trage heben oder sie von einem Heiler ausnüchtern lassen", sagte Madame Faucon leicht ungehalten.

"Dieser Met hat's wohl in sich. Mir ist auch nicht mehr so, als hätte ich festen Boden unter den Füßen. Gut daß Madame Latierre, Barbara mir von Demies Milch nachgeschenkt hat. Dann kriege ich die ganze Wirkung nicht auf einen Schlag ab", sagte Julius.

"Mein seliger Gatte meinte einmal, ein Mann müsse einmal ganz betrunken gewesen sein und die Buße des Katers ertragen haben, um seine Grenzen zu respektieren. Mal sehen, ob du dich schon derartig übernommen hast. Und wage es nicht, dein Breitbandgegengift zu nehmen, um dich vor den Folgen zu drücken!"

"Wäre ich nicht drauf gekommen, Madame. Danke für den Tipp", sagte Julius frech.

"Ich denke, du wirst es nicht für Ausnüchterungsaktionen verschwenden. Mademoiselle Dawn hat es dir für gravierendere Fälle überlassen", erwiderte Madame Faucon. Dann schloß sie die Haustür auf.

"Ich bringe Babette zu Bett. Geleite du bitte deine Mutter in ihr Zimmer. Ob sie sich entkleidet oder so die Nacht zubringen wird bleibt dann ihr überlassen."

"Blanche ich ff-ff-finde sch-sch-on in mmm-mein Bb-bett! Hicks!" Lallte Martha Andrews.

"Den Abend wirst du morgen verfluchen, Mum", sagte Julius. "Deine Logikmaschine wird morgen brummen wie ein 10-Megavolt-Trafohäuschen."

"Ist nicht gesagt. Manche Frauen vertragen eine größere Menge Alkohol als mancher Mann selben Alters und Körpergewichtes. Das hat dir Hera bestimmt mal erzählt oder Florence", erklärte ihm Madame Faucon. Julius nickte. Er half seiner Mutter erst ins Gästebad, wo sie sich fünf Minuten aufhielt und dann mit großer Auslenkung heraustorkelte und sich von Julius in das Gästezimmer führen ließ. Madame Faucon tauchte noch einmal auf und brachte einen Eimer und einen Nachttopf mit Deckel.

"Für den unwahrscheinlichen Fall, daß Ihnen doch schlecht werden sollte", sagte die Hausherrin. Auch Julius bekam Nachtgeschirr für sein Zimmer. Doch er hoffte, das ordentliche Wasserklo benutzen zu können, wenn es ihn danach drängte. Dann legte er seinen blauen Umhang über den Stuhl in seinem Zimmer, schaffte es noch, sich nachtfertig umzuziehen und fiel aufs Bett, um sofort einzuschlafen.

__________

Julius erwachte bereits um fünf Uhr morgens. Er meinte, auf einem sich langsam drehenden Karussell zu liegen, obwohl sein Bett sich gar nicht bewegte. Er hob den Kopf und meinte, eine Bleikugel darin herumrollen zu fühlen. Vorsichtig streckte er ein Bein aus dem Bett und stellte den Fuß fest auf den Boden. Das Karussellgefühl ließ nach. Opa Wilburs Tip war also goldrichtig gewesen. Der hatte Julius' Vater mal erzählt, daß man dann, wenn man nach einer feuchtfröhlichen Feier morgens irgendwie in einem sich drehenden Bett zu liegen glaubte, dadurch den Körper wieder ins Lot bringen konnte. So brauchte der Junge nur eine halbe Minute, bis er sich ohne weiteres Schwindelgefühl aus dem Bett erheben konnte. Zwar war die große Bleikugel in seinem Kopf immer noch da und ruckelte an seiner Schädeldecke. Doch der oft angedrohte Kater hatte ihn nicht ereilt. Julius legte sich wieder hin. Dann fiel ihm ein, daß er bestimmt verschlafen würde, wenn er sich noch einmal umdrehte. Er mußte doch wach bleiben. Barbara könnte heute den letzten Tag in Millemerveilles um den Teich laufen, das letzte Mal für unbestimmte Zeit. So mußte er sich irgendwie wachhalten, ohne viel Licht machen zu müssen. Er stand auf und öffnete das Dachfenster. Kalt umstrich die hereindringende Morgenluft seine Wangen. Er blickte nach oben und suchte die Sterne, die bereits im Licht der Morgendämmerung zu verblassen begannen. Der tintenschwarze Himmel war bereits einem samtenen Blau gewichen, und im Osten schimmerte es rotgolden, wie Aurora Dawns Festumhang. Es würde nur Minuten Dauern, bis die ersten Sonnenstrahlen über den Horizont fingern und den neuen Tag beginnen würden. Er dachte an Jeanne und Bruno, die nun die erste Nacht als Mann und Frau verbracht hatten. In einem Anflug halbwüchsiger Schwärmerei meinte Julius, Jeannes rosigen, wohlgeformten Leib im Licht der Morgendämmerung zu sehen. In Gedanken hörte er sie angestrengt keuchen und lustvolle Laute ausstoßen, ihr schwarzes Haar wild zerzaust und vielleicht schweißnaß ihr Gesicht umwehend. Dann zwickte ihn das schlechte Gewissen. Was fiel ihm ein, sich Jeanne vorzustellen, wo er Claire zur Freundin hatte? Er mußte jedoch grinsen, als ihm klar wurde, daß Claire in vier Jahren ähnlich wie Jeanne aussehen mochte, also nichts verwerfliches dabei war. Er sog die Luft ein. um das Haus herum sangen Vögel ihre schnellen, lauten oder melodischen Strophen, freuten sich über den jungen Tag. Vielleicht saßen einige der vielen Singvögel auf Eiern, aus denen bald Junge schlüpfen würden. Vielleicht suchten aber auch einsame Vogelmännchen ihre Weibchen oder verkündeten nur, welcher Baum ihnen gehörte. Julius Genoss diese Licht- und Klangvorführung von Mutter Natur, freute sich selbst, ein Teil dieser schönen Welt zu sein, frei von bedrückenden Gedanken. Als er sich endlich davon lösen und in sein Zimmer zurückziehen konnte, funkelten die ersten Sonnenstrahlen im Osten und erhellten den Himmel.

"Was mach ich jetzt mit dem frühen Morgen?" Fragte Julius sich in Gedanken. Er sah auf seine Uhr und stellte fest, daß es jetzt halb sechs war. Irgendwie würde er die halbe stunde noch umkriegen bis ...

Tätärätätätätä! Der Trompetenzwerg hatte wohl erkannt, daß Julius schon auf war und das Sonnenlicht ausreichte, seinen Weckdienst zu versehen. "Sie sind ja schon auf, Monsieur", quäkte der Zwerg mit der Harfe, als sein Kollege den Morgengruß geschmettert hatte. Julius sah sich schreckensbleich um. Dann hörte er Schritte von unten. Madame Faucon war wohl aufgewacht.

"Julius, bist du wach?" Wisperte sie durch die geschlossene Tür.

"Ich bin schon wach", sagte Julius halblaut, zog sich einen Bademantel über und trat zur Tür, die er leise öffnete. Madame Faucon stand im lilafarbenen Morgenrock, der ihr von den Schultern zu den Knöcheln reichte da.

"Hat dich dieser gemalte Trompeter geweckt?" Fragte sie flüsternd. Julius schüttelte den Kopf. Dann meinte sie leise: "Glaubst du, daß Barbara heute zur Morgenübung antritt?"

"Ich gehe um sechs mal hin und sehe, ob sie da ist", wisperte Julius.

"In Ordnung, zieh dir dein Sportzeug an und komm noch einmal herunter. Wir wollen deine Mutter und Babette nicht zu früh wecken", flüsterte die Hausherrin.

Trainingsfertig angezogen saß Julius mit Madame Faucon in ihrem Arbeitszimmer und unterhielt sich über das, was ihn an der Feier gestern am meisten beeindruckt hatte. Der Met habe ihm wohl nicht so zugesetzt wie er befürchtet habe.

"Du hast die Latierre-Kuhmilch getrunken, habe ich mitbekommen. Sie enthält einige Wirkstoffe, pflanzliche Gifte und Gährungsprodukte zu unterdrücken. Damit schützt das Muttertier ein Kalb, wenn es selbst schwer verdauliche Pflanzen gefressen hat", hielt die Lehrerin ihm eine kurze Vorlesung. "Deshalb konnten die Mitglieder der Latierre-Sippe wohl so gut mithalten. Monsieur Castello dürfte wohl schwer aus dem Bett finden, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Na ja, aber dir geht es gut, und das beruhigt mich."

"César und Yves sahen gestern so aus, als gönnten die Bruno sein Glück nicht oder wollten sich ihren Jucks damit machen."

"Den Eindruck hattest du?" Fragte Madame Faucon.

"Irgendwie schon", erwiderte Julius und blickte seine Gastgeberin entschlossen an.

Als es sechs Uhr morgens war zog Julius los, trabte zum Dorfteich von Millemerveilles und lief einige Runden, bis Barbara Lumière in ihrer Sportkleidung angelaufen kam.

"Du bist aber gut aus dem Bett gekommen", begrüßte sie Julius leise. Dieser sagte, das er schon um fünf Uhr aufgewacht sei.

"Bei manchen wirkt ein wenig Alkohol so, daß sie erst tief schlafen und dann hellwach sind. Meine Schwestern sind auch schon auf. Die versuchen, alle aufzuwecken. Da bin ich schon etwas früher los", lachte Barbara. Dann begann sie die gewohnten Morgenübungen, diesmal ohne Schwermacher.

"Huh, ohne das Ding wird es nicht leichter", sagte Julius nach einer anstrengenden halben Stunde.

"War auf jeden Fall schön, nicht alleine hier zu sein", sagte Barbara. Julius mußte zweimal hinsehen, um die kleinen Tränen in Barbaras Augen wahrzunehmen. Sie bemerkte das und trat näher an Julius heran.

"Morgen früh um die Zeit, sollte ich da nicht rechtschaffend erschöpft sein und in den Tag reinschlafen, werde ich in einem kleinen Haus in einem versteckten Viertel von Brüssel sein und mich fragen, was ich zu allererst mache. Irgendwie ist mir das heute morgen erst klar geworden, daß das die letzte Nacht in meinem Elternhaus war, in einem Bett für mich alleine. Ich habe mich gefragt, wie Jeanne und Bruno das empfinden, jetzt zusammen in einem großen Bett zu liegen. Ich habe mich gefragt, ob Gustav schnarcht oder sich viel herumdreht oder sonst irgendwelchen Kram anstellt. Aber das interessiert dich bestimmt noch nicht."

"In der Muggelwelt passiert das oft, daß die Paare schon vor der Hochzeit zusammenliegen oder in derselben Wohnung wohnen oder so", sagte Julius.

"Ja, weil da alles erhabene verlorengeht. Viele halten das für überholt und spießig, wenn ein Paar sich vor der Hochzeitsnacht nicht zusammen in ein Bett legen will oder darf. Mag sein, daß manche Religion da auch reinfuhrwerkt und Leute meinen, dagegen ankämpfen zu müssen", erwiderte Barbara. Julius sah sie irritiert an. Sie fürchtete, er könne denken, sie habe ihm einen Vorwurf gemacht und lächelte beruhigend. "Das ist kein Vorwurf an dich, Julius. Ich finde nur, daß es Sachen geben sollte, die man nicht übereilen muß. Aber vielleicht denken manche Muggel, ihnen ginge was verloren, wenn sie die sich bietenden Gelegenheiten nicht nutzen oder haben Angst, sich zu früh zu binden und wollen lieber sicher sein, daß sie die richtige Wahl treffen."

"Jeden das seine, Barbara. Ich weiß nicht, ob ich nicht irgendwann mal gerne sehen wollte, was Claire unter ihrem Umhang versteckt oder sie mich mal ohne Umhang und allem sehen will oder sonst was", sagte Julius.

"Wenn ihr beiden euch einig seid, daß ihr euch ein ganzes Leben aushalten könnt", lachte Barbara. Dann umarmte sie Julius.

"Es war schön, daß du diesen Morgen noch einmal mit mir hier trainiert hast. Sicher, alleine hier zu stehen hätte es bestimmt auch gebracht. Aber so ..."

"Oh, das wußte ich nicht, daß du gerne noch ein paar Minuten für dich selbst haben wolltest", erwiderte Julius beschämt und bekam rote Ohren. Barbara knuddelte ihn.

"Ich hätte dich bestimmt nicht zu den Übungen angehalten, wenn ich gerade heute ganz allein sein wollte."

"Ich werde jetzt zurücklaufen. Dann kannst du dich von den ganzen Figuren hier verabschieden", schlug Julius vor und wand sich aus der nun lockeren Umarmung Barbaras. Die junge Hexe, die ab heute Madame van Heldern heißen würde lächelte und erwiderte seinen Abschiedsgruß.

Wieder zurück im Faucon-Haus fand Julius seine Mutter, die gerade mit bleichem Gesicht, leicht verquollenen Augen und hohlen Wangen am Tisch in der Wohnküche hing. Babette saß putzmunter am anderen Ende des Tisches und blickte mal verwundert zu Martha Andrews, dann wieder ängstlich zu ihrer Großmutter hinüber, die mit ihrem Zauberstab das Frühstück zusammenstellte. Julius begrüßte alle kurz und kehrte nach einer Viertelstunde geduscht und frühstücksfertig umgezogen zurück.

"Ich glaube, ich muß auch diesen Umkleidezauber lernen, von dem Jeanne und Aurora es an meinem Geburtstag hatten", sagte er grinsend. Dann fragte er seine Mutter:

"Ist dir nicht gut, Mum?"

"Als wenn ich einen Zentner Blei auf dem Hals hätte", sagte Martha Andrews. "Ja, und das Trafobrummen ist tatsächlich da. Vielleicht hätte ich mit Madame Latierre nicht Kopfschach spielen sollen."

Julius und Babette lachten herzlich. Madame Faucon meinte:

"Ich habe Ihnen ja schon oft gesagt, daß sie eine erwachsene Frau sind, Martha. Niemand hat Sie noch zu belehren, wo Ihre Grenzen sind. Die müssen Sie selber finden. Falls Sie möchten kann ich Ihnen Kräutertee mit Honig geben, ohne magische Wirkstoffe."

"Falls Ihnen das nichts ausmacht, Blanche", seufzte Martha Andrews. Doch Madame Faucon machte es nichts aus. Mit drei schnell abfolgenden Zauberstabbewegungen holte sie eine Teekanne aus dem Nichts, ließ heißes Wasser hineinschießen und Tassen auf dem Tisch auftauchen. Alle tranken von dem Tee und nahmen einige Löffel reinen Wildblumenhonig aus Madame L'ordouxes Produktion ein. Dann aßen sie von den Broten, Croissants und Orangen, die Madame Faucon hingezaubert hatte. Zwischendurch brülte Demie weit entfernt. Martha meinte, das Muhen würde irgendwas in ihrem Kopf zum nachschwingen bringen. Doch langsam, wohl durch das Frühstück und frischen Tee, kehrten ihre Lebensgeister zurück.

Als dann um zehn Uhr Morgens alle geladenen Hochzeitsgäste in ihren Festtagsumhängen, Kleidern und Kostümen am Dorfteich standen und zusahen, wie die weiße Hochzeitskutsche vor ihnen landete und die van Helderns einstiegen, läuteten wieder die Glocken wie am Tag zuvor. Langsam trotteten die beiden Abraxas-Pferde voran, während die jubelnde Menge Hexen und Zauberer hinterdreineilte. Einige ließen aus ihren Zauberstäben "Hoch lebe das junge Paar" erstehen, golden, rosarot oder himmelblau. Als die Festgäste unter dem Spiel des Musikzuges am Gemeindehaus eintrafen, fragte sich Julius, ob Barbara ein ähnliches Kleid wie Jeanne tragen würde. Als die heutige Braut der Kutsche entstieg, umfloss sie ein elfenbeinfarbenes Kleid mit Spitzenbesatz. Auf dem Kopf trug sie eine mit goldenen Bändern durchzogene Krone aus weißen, roten und himmelblauen Blumen. Darüber hinaus war der Brautschleier mit glitzernden Zierperlen besetzt. Hinter Barbara bauten sich Seraphine, ihre Schwester Elisa und ihre Cousine Belisama, sowie einige Mädchen auf, die Julius gestern als Nichten von Simon und Justine van Heldern flüchtig kennenlernen konnte. Sie trugen alle die gleichen blauen Kleider, von denen Belisama gestern eines getragen hatte, eine spur dunkler als die von Claire und den anderen Brautjungfern Jeannes. Jeanne und Bruno. Wo waren die eigentlich?

"Hmm, sind Jeanne und Bruno hier irgendwo?" Fragte Julius Madame Faucon, neben der er in den Gemeindesaal hineinschritt.

"Ich habe sie noch nicht erblicken können", sagte Madame Faucon mit einem leicht mißgestimmten Unterton. Sie blickte sich um, während Julius Gustav sah, der in einem nachtschwarzen Samtumhang und einem sehr hohen, dunkelblauen Zaubererhut mit weißer Krempe neben seinen Eltern stand und langsam auf die für Familienangehörige reservierten Sitzbänke zuging. Ein Chor sang einen flotten Marsch, nicht das Lied mit den goldenen Glocken, daß gestern für Jeanne und Bruno gesungen worden war, sondern ein Lied, in dem von zwei munteren Flüssen erzählt wurde, die zu einem kräftigen Strom zusammenfanden und links und rechts fruchtbares Land durchquerten und in der Sonne glitzerten. Dann wechselte der Chor die Sprache. Julius vermutete, daß es Flämisch war, das neben Französisch eine weitverbreitete Sprache in Belgien war. Damit stand fest, daß man die Familie des Bräutigams ehrte.

"Dürfen wir uns zu euch setzen?" Fragte Madame Dusoleil, die wohl auf ihre Tochter gewartet hatte. Madame Faucon erlaubte das. So setzten sich Camille, Florymont, Uranie, Claire und Denise Dusoleil rechts von Martha Andrews, die an Julius' rechter seite auf dem weißen Sitzkissen saß.

Julius beugte sich schnell nach rechts und fragte, ob Madame Dusoleil wisse, wo Jeanne und Bruno seien.

"Die sind gleich hier. die kamen heute morgen nicht so recht zu Rande", wisperte Madame Dusoleil zwischen Verlegenheit und Belustigung. Julius grinste sie an. Vielleicht hatten die frisch verheirateten Eheleute die Nacht durchgemacht und sich wie auch immer total verausgabt.

Tatsächlich trudelten Jeanne und Bruno fünf Minuten später ein. Jeanne hatte sich ein sonnengelbes Rüschenkleid angezogen, während Bruno den Umhang von Gestern noch einmal trug, allerdings keinen Zylinder. Madame Dusoleil winkte den Beiden, daß sie sich zu ihnen auf freigehaltene Plätze setzen sollten. Das taten sie dann auch.

Wie am Tag zuvor trat Monsieur Laroche, der Zeremonienmagier in die Mitte des Saales. Dieses Mal versuchte Julius, seinen in den Geist eindringenden Blick durch überlagerte Gedanken zu verdrängen. Doch das klappte nicht so recht. Immerhin dachte er nur daran, wie dankbar er war, daß Barbara ihn und seine Mutter eingeladen hatte. Als Jeanne den grauen Augen Monsieur Laroches ausgesetzt war, errötete sie heftig. Ebenso Bruno. Julius meinte, hinter dem wallenden grauen Bart ein verschmitztes Lächeln aufblitzen zu sehen, bevor der Zeremonienmagier seine würdevolle Miene wiederfand und sich mit der im goldenen Kleid gewandeten Madame Delamontagne zusammenstellte. Wieder wechselten die schwebenden Kerzen ihr Licht von Gelb zu Weiß, während Monsieur Laroche die Ansprache hielt, leicht abgeändert zu gestern aber doch mit der selben Botschaft, daß die Liebe der Antrieb des Lebens sei. Dann wurde wieder ein fröhliches Lied gesungen. Danach sprach Madame Delamontagne:

"Liebe Gemeinde, gestern habe ich zu Ihnen allen hier gesprochen als Vertreterin unserer geliebten Dorfgemeinschaft, um zwei Kinder aus unserer Mitte als vollwertige Eheleute in unserem Ort willkommen zu heißen. Heute, so traurig das für mich auch ist, werde ich bezeugen, wie eine hochverdiente Tochter unseres Ortes ihr Elternhaus verläßt, um in unserem befreundeten Nachbarland Belgien neue Wurzeln zu schlagen. Doch wenn ich auch einen Abschied bezeugen muß, so freue ich mich doch, daß Mademoiselle Lumière einen Zauberer gefunden hat, mit dem sie ihr nun in seiner ganzen Fülle für sie bereitliegendes Leben verbringen möchte. So möchte ich dann auch bekunden, daß wir hier in Millemerveilles sehr stolz sind, daß wir dich, Barbara, so gut haben aufwachsen sehen können. Du Hast Lebensfreude, aber auch Disziplin erlernt und konntest für jüngere Kinder unserer Gemeinde ein respektables Vorbild sein. Danke dafür! So wollen wir den Tag feiern, an dem du und Gustav euch hier das Jawort gebt, versprecht, euer Leben Lang einander beizustehen."

Die Brautjungfern standen auf und sangen ein Lied. Diesmal war es kein Kanon, sondern ein mehrstimmiges Lied, schnell und beschwingt. Doch auch die Brautjungfern Barbaras führten einen Tanz auf. Dann machten sie noch Kunststücke und lobten die Liebe und die Lebensfreude.

"An Fest- und Jubeltagen,
auch unter Müh'n und Plagen,
bei Sonne und bei Regen,
sei mit euch unser Segen.
Ob ihr nah seid oder fern,
wir haben euch immer gern.
So tretet in den Kreis!
Empfangt der Liebe Preis!
Wonach als Frau und Mann
lebt sehr lang' und glücklich dann."

Diese Zeilen sangen die Brautjungfern immer wieder, dazwischen Strophen, die das Leben von Braut und Bräutigam beschrieben. Dann war es so weit. Der Zeremonienmagier lächelte die Hochzeitsgemeinde an.

"Nun, nachdem die Brautjungfern so fleißig die Segnungen der Liebe und des Lebens besungen und einen erfreulichen Reigen dazu getanzt haben, bitte ich nun Charles-Jacques Lumière um die Erfüllung jener schweren Aufgabe, die dem Vater einer Tochter auferlegt werden muß, wenn ein Tag wie dieser gekommen ist. Führe die Braut in den Kreis der Verbundenheit!"

Barbaras Vater erhob sich schwerfällig. Auch er schien von einem Moment zum nächsten in einen bleiernen, unsichtbaren Anzug gehüllt worden zu sein. Barbara stand auf und hakte sich bei ihrem Vater unter. Braut und Brautvater schritten nun auf Monsieur Laroche zu. Wie gestern leuchtete nun der goldene Kreis im Boden auf. Die Brautjungfern gingen hinter Barbara her. Dann, als Barbara im Zentrum des Kreises stand, rief Monsieur Laroche Justine van Heldern auf, Gustav in den Kreis zu führen. Dann fragte Madame Delamontagne wie gestern schon die Elternteile von Jeanne und Bruno, ob das Brautpaar wirklich die beiden seien, die von den Lumières und van Helderns großgezogen worden wären. Das wurde bestätigt. Danach entließ der Zeremonienzauberer die Elternteile wieder und stellte die Frage, ob jemand im Raum etwas gegen die Trauung einzuwenden habe. Nach etwas mehr als zehn Sekunden Schweigen nickte er und fragte Barbara, ob sie Gustav zum Mann nehmen und mit ihm in guten und schlechten Tagen alles teilen würde.

"Ja, ich will", antwortete Barbara. Dann wurde die Frage an Gustav gerichtet. Auch er sagte: "Ja, ich will." Danach fragte Madame Delamontagne, welchen gemeinsamen Familiennamen sie fortan führen wollten. Beide erklärten, daß sie von nun an van Heldern heißen würden. Barbaras Vater sah zwar etwas bedröppelt aus, nickte aber. Seine Frau Roseanne schien zwischen Trauer und überschwenglicher Freude hin- und herzuschwanken. Denn einmal sah sie total betrübt hinüber, wie Barbara neben Gustav stand, eingehüllt in ihr elfenbeinfarbenes Brautkleid. Dann freute sie sich, daß ihre Tochter wohl jemanden gefunden hatte, mit dem sie das restliche Leben teilen würde, über den Tod ihrer Eltern hinaus, wie hier wohl alle hofften. Die in Dur klingenden Glocken läuteten, als Gustav seiner Barbara den entscheidenden Kuß gab, festgehalten von mehreren Kameras. Danach beschloß Monsieur Laroche die Zeremonie und wünschte dem jungen Ehepaar und seiner Festgemeinde alles gute im Leben.

Auch Barbara und Gustav mußten durch ein Spalier ausgestreckter und rote und blaue Lichtstrahlen aussendender Zauberstäbe. Julius' mutter und er warfen wieder mit Reis. Doch sie waren nicht die einzigen. Auch die Dusoleils hatten Reis mitgebracht, sodaß Barbara und Gustav in einen dichten Schauer niederfallender Reiskörner gerieten, der ihnen in Kleidung und Haaren hängenblieb. Barbara lachte lauthals, als sie endlich aus dem Reisregen herauskam und wandte sich Julius und seiner Mutter zu.

"Ich habe das gestern erfahren, wozu das gut sein soll. Danke für diese Art von Glück und Segen!"

Draußen vor dem Gemeindehaus fragte Madame Camille Dusoleil ihre Tochter, was passiert sei. Jeanne wies auf César und Yves, die sich schön weit von ihr unterhielten, offenbar belustigt. Jeanne errötete leicht, als sie ihrer Mutter was zuflüsterte. Diese verzog dann das Gesicht und schien zwischen irgendwas festzuhängen, das einerseits Empörung war, andererseits aber auch sehr amüsant sein mochte. Claire, die sich an ihre Mutter herangepirscht hatte, machte zwar lange Ohren, bekam jedoch nichts mit, um irgendwie anders gestimmt zu sein. Etwas mißmutig ließ sie sich von ihrer Mutter zurückscheuchen. Julius sah sie herüberkommen.

"Irgendwas haben César und Yves angestellt. So viel habe ich mitbekommen. Aber was genau kriegte ich nicht mit", knurrte Claire, als sie bei Julius ankam.

"Tja, was, das für kleine Mädchen nicht geeignet ist, Claire?" Fragte Julius gehässig.

"Hast du gerade kleines Mädchen zu mir gesagt, Juju?" Schnarrte Claire. Julius nickte flüchtig.

"Ich habe gesagt, daß es vielleicht für kleine Mädchen nicht geeignet ist", legte er noch einmal fest. Claire knuffte ihn in die Seite und meinte:

"Dann hat das was mit körperlichen Dingen zu tun", säuselte sie. "Wage dich ja nicht, mich noch einmal als kleines Mädchen zu bezeichnen, Juju!"

"Wenn du dich entsprechend benimmst", versetzte Julius keck. Beide schienen gerade nicht zu beachten, was um sie herum für ein Gewimmel an Hexen und Zauberern umherlief. Als Claire ihre Mutter nahen sah, funkelte sie diese trotzig an und meinte:

"Maman, was immer Jeanne so geheimnisvolles zu dir gesagt hat, Yves und César plaudern das eh aus."

"Die sollen sich wagen ..", schnaubte Madame Dusoleil. Sie suchte César und Yves. Doch die hatten sich still und heimlich davongestohlen, womöglich gerade weit genug entfernt, daß man den Knall des Disapparierens nicht so laut hören konnte.

"Na wartet!" Knurrte Madame Dusoleil. Jeanne kam herüber.

"Sind die beiden weg? Die wissen auch warum", sagte sie leicht verbittert. Doch dann mußte sie unvermittelt loslachen. Julius wagte nicht, sie danach zu fragen, was so lustiges und ärgerliches passiert war. Von irgendwo her erscholl weiteres Lachen. Claire und Julius wandten sich um und sahen, wie Bruno sich mit seinen Onkeln unterhielt. Er wirkte abgekämpft, aber irgendwie auch total zufrieden. Als er sich jedoch umwandte, um seinen Verwandten aus der Latierre-Sippe zuzuwinken, zuckte es in seinem Gesicht, als habe er eine schmerzhafte Bewegung gemacht.

"Oh, sieht so aus, als hätte Bruno sich heftigst überanstrengt", feixte Julius, bevor Madame Faucon ihm die Hand auf die Schulter legte und meinte:

"Julius, es gibt Dinge, die zu diskutieren oder lächerlich zu reden sich nicht schickt. Auch wenn deine Altersgenossen in der Muggelwelt meinen, sich dadurch erwachsener zu fühlen, wenn sie sich um die privatesten Dinge ihrer Mitmenschen reißen."

"Ja ja, Sport ist Mord, hat unter anderem Winston Churchill gesagt", grinste Julius. Claire lachte und sagte rasch:

"Dann wäre das aber eine schöne Art zu sterben, Julius."

"Mademoiselle Dusoleil, auch für Sie gilt, was ich eben zu Julius gesagt habe", schnaubte Madame Faucon. Doch Jeanne winkte ab.

"Ich habe das meiner Mutter eben nicht so laut erzählt, weil ich meine Schwester dafür zu klein oder unreif halte, Madame Faucon, sondern weil ich nicht möchte, daß alle das mitkriegen."

"Was Ihr gutes Recht ist, Madame", sagte Madame Faucon. Doch als wieder lautes Gelächter herüberklang und Jeanne sah, wie Bruno sich mit Otto Latierre unterhielt, einem der Onkel von Martine und Mildrid, flog ihr die Schamröte mit solcher Heftigkeit ins Gesicht, daß Julius meinte, Jeanne habe sich einen sehr heftigen Sonnenbrand zugezogen.

"Offenbar macht die Kiste schon die Runde", kommentierte Julius. Claire grinste feist, weil das für sie zu komisch aussah, wie ihre Schwester da mit einem total verlegenen Gesicht herumstand und offenbar um Fassung rang.

"Ich schlage vor, wir begeben uns nun schon zum Festplatz", sprach Madame Faucon.

"Allemal besser als hier herumzustehen", sagte Jeanne rasch. und wandte sich zum gehen.

In einem gemütlichen Tempo zogen die Hochzeitsgäste zum Musikpark, der bereits für den Sommerball hergerichtet worden war. Die Dusoleils gingen vor den Andrews, Madame Faucon und Babette her, während Barbaras und Gustavs Verwandtschaft zum Haus der Lumières wanderte, um Barbaras Aussteuertruhe herauszuholen, damit die Väter des jungen Paares sie in das Haus bringen konnten, in dem Barbara und Gustav leben würden.

"So, jetzt können wir noch den ganzen Tag durchhalten", sagte Madame Camille Dusoleil zu Julius. Als sie dann am vereinbarten Platz eintrafen, stellte Julius fest, daß er zusammen mit den Montferre-Zwillingen, Argon Odin, den älteren Kindern aus der Latierre-Sippe, Sandrine und Claire an einem Tisch sitzen würde.

Die Mittagsstunde kam und damit der Beginn des Festes. Julius unterhielt sich mit Claire, Sandrine und anderen Tischkameraden über die Hochzeitszeremonie und verglich sie mit Jeannes und Brunos Hochzeit am Vortag. Ein reichhaltiges Mittagessen wurde aufgefahren. Hauselfen bedienten die Gäste, darunter auch Gigie, die Hauselfe von Madame Delamontagne.

Nach dem Essen hielt Monsieur Lumière eine Rede, wie Monsieur Dusoleil am Tag davor.

"Sehr geehrte Festgäste, Freunde, Verwandte, Nachbarn und Gäste aus dem In- und Ausland", begann er mit gefaßter Stimme, nachdem alle ihm ihre volle Aufmerksamkeit widmeten. "Ich weiß wirklich nicht, wo die achtzehn Jahre geblieben sind, die vergangen sein sollen, seitdem ich dieses kleine Bündel Leben vom Hera Matine und meiner Frau in die Arme gelegt bekommen habe. Damals habe ich, wie viele andere Väter vor mir und natürlich auch nach mir, sehr viel neu lernen müssen. Ich fürchte, der Prozeß ist heute immer noch nicht vorbei. Denn wenn ich die junge Dame sehe, die da freudestrahlend in ihrem weißen Kleid neben ihrem frisch angetrauten Gatten sitzt, dann fürchte ich, irgendwas muß mir entgangen sein." Alle grinsten oder lachten. "Nun, wie gesagt muß der Lernprozeß wohl noch laufen. Damals war ich ein Mann, der zum Vater wurde. Heute bin ich ein Vater, der eine erwachsene Tochter hat. Jedenfalls, Barbara, haben wir mit dir zusammen viel erlebt, mal schönes, mal trauriges. Doch wenn ich den heutigen Tag doch irgendwie erwartet habe, so kam er doch sehr schnell. Ich sehe dich noch im blaßblauen Schulmädchenkleid, wie du nach Beauxbatons gingst und wie du da Leute kennengelernt hast, die aus ganz anderen Ecken des Landes kamen. Ich erinnere mich gerne daran, wie du in die Quidditch-Mannschaft genommen wurdest. Ich habe mich auch sehr über die elf ZAGs gefreut, die du nach Hause gebracht hast und wie du als Saalsprecherin ausgewählt worden bist, eine riesige Verantwortung, für wahr. So weit hatte ich es nie gebracht. Über meine ZAGs will ich besser nicht reden. Aber es war klar, daß ich damit wohl kaum Saalsprecher hätte werden können." Monsieur Lumière schmunzelte bei diesen Worten. Die Gäste lachten erheitert. "Ich möchte nicht zu lange reden, weil es nicht mein Talent ist, lange reden zu halten. Ich möchte nur noch einmal vor euch allen bekunden, was ich dir, Barbara, gestern noch gesagt habe: Ich freue mich sehr, daß du den Mut und die Liebe besitzt, dein Leben an der Seite eines Mannes zu verbringen, weit ab von deiner Heimat. Die Liebe deiner Mutter und mein aufrichtiger Respekt sollen dich begleiten, wo immer du bist. Ich hoffe, Gustav wird dich immer ehren, dich niemals im Stich lassen und lernen, mit dir alles schöne zu erleben, was ein Mann mit einer Frau erleben kann. Und solltet ihr Roseanne und mir einmal Enkelkinder schenken, so werde ich wieder etwas neues zu lernen haben. Schon mal im Voraus meinen Dank für diese Zeit, die da noch kommen mag!

Liebe Festgäste, ich möchte euch allen Danken, daß ihr mit Roseanne und mir diesen Tag feiert, der für Eltern immer Freude und Traurigkeit bringt. Wir freuen uns, daß unsere älteste Tochter ihr eigenes Leben ergreift und sich nicht scheut, dafür völlig neue Dinge hinzunehmen. Doch wir sind auch traurig, daß wir nun zurücktreten müssen, weil wir nicht mehr die einzigen sind, die deine Liebe genießen dürfen und daß nun, wo du dein eigenes Leben beginnst, einen Abschnitt unseres Lebens beendest, der sehr schön, sehr aufregend und fordernd war. Vielen Dank, daß du uns eine neue Welt gegeben hast!" Monsieur Lumière verneigte sich vor Barbara und den übrigen Anwesenden. Alle Applaudierten.

"Dein Vater hat gestern weniger gesagt", sagte Millie Latierre zu Claire. Diese nickte.

"Vielleicht war es für Barbaras Vater schwierig, gleich am nächsten Tag auch noch was sagen zu müssen. Er wollte es wohl besser als Papa machen", erwiderte Claire kühl.

"Ich denke mal, es ist ziemlich viel Mut nötig, zuzugeben, daß man als Vater zurücktreten muß, wenn die eigene Tochter einen anderen Mann zu lieben anfängt", vermutete Julius. "Irgendwie ist das ja wirklich was ganz neues."

"Na ja, aber sowas kann doch passieren", sagte Claire. "Kuck mal! Jeanne zieht in ein Haus hier in Millemerveilles um und kann jederzeit zu uns rüberkommen. Barbara zieht nach Brüssel um. Die hat uns zwar am Schuljahresende gesagt, sie könnte in einer Minute zurückkommen. Doch irgendwie wäre das dann ja blöd, überhaupt umzuziehen, wenn man dann doch immer bei den Eltern rumhängt."

"Darf ich das so sehen, daß du gerne hier weg willst?" Fragte Julius herausfordernd.

"Warum willst du das wissen?" Fragte Claire schlagfertig zurück.

"Weil das jetzt so rüberkam", erwiderte Julius. Claire lächelte tiefgründig. Dann sagte sie:

"Nun, sollten wir beide in vier oder fünf Jahren zusammen in den goldenen Kreis treten oder vor diesen Steintisch, von dem deine Maman meiner was erzählt hat, dann wirst du es wohl wissen, ob ich lieber hierbleibe oder anderswo hinwill."

"Wenn ich so sehe, daß Maman manche Krise kriegt, weil ich ihr zu wild geworden bin, würde ich am besten weit wegziehen", sagte Millie unaufgefordert. Ihre Schwester sah sie kritisch an. Claire wandte ihr so rasch das Gesicht zu, daß ihr seidenweiches, schwarzes Haar förmlich nach hinten flog.

"Klar, daß du möglichst schnell von zu Hause weg willst, Mildrid Latierre. Sonst würdest du ja nicht so heftig nach Anschluß suchen."

"Ich suche nicht heftig, Mademoiselle Dusoleil, sondern nur gezielter als andere", sagte Millie mit gehässigem Unterton. Julius, der vermutete, daß die beiden Mädchen sich irgendwie wieder um ihn zankten, preßte seine Lippen zusammen, damit ihm ja kein unbedachtes Wort entschlüpfte. Er sah Martine an, die ihm zulächelte. Als die Musik aufspielte, war sie schneller als Claire und Millie. Julius willigte ein, mit ihr zu tanzen, nachdem Barbara und Gustav die Eröffnungstakte alleine auf der Tanzfläche zugebracht hatten. Nach dem Tanz fragte Claire Julius:

"Was sollte das denn jetzt, Julius?"

"Wie was?" Fragte Julius zurück.

"Ja, du hast Martine förmlich darum angefleht, dich zum Tanzen aufzufordern. Sonst hättest du bestimmt noch gewartet, daß ich dich frage."

"Moment, Claire. Zum einen hattest du dich gerade mit Millie unterhalten und sahst nicht so aus, als wolltest du das abwürgen. Zum zweiten wollte ich keinen Grund liefern, daß du dich mit wem auch immer rumzankst, weil ich den Eindruck hatte, Millie und du hättet mal wieder Streit nötig. Drittens kann ich mir doch wohl noch aussuchen, mit wem ich tanze oder nicht. Oder sage ich dir, wen du aufzufordern hast und wen nicht?" Er wirkte leicht zornig, weil Claire ihn irgendwie zu vereinnahmen schien. Diese funkelte ihn an und meinte:

"Es hätte besser ausgesehen, wenn befreundete Paare zuerst miteinander getanzt hätten. Oder war dir das im Moment nicht so wichtig?"

"Häh? Davon hat mir keiner was gesagt", erwiderte Julius rasch.

"Weil ja alle glauben, du kriegtest das so mit", versetzte Claire eingeschnappt. Millie grinste feist. Ihre Schwester legte ihr die Hand auf die Schulter, als wolle sie verhindern, daß Millie eine falsche Bewegung machte oder irgendwas ungezogenes anstellte. Sandrine meinte:

"Claire, daß kannst du ihm jetzt nicht vorwerfen, daß er das so hätte sehen sollen. Außerdem haben andere Jungs auch nicht mit ihren Freundinnen getanzt, habe ich gesehen. Also fang bitte nicht so'n Zank darum an, nur weil du zu langsam warst."

"Ich zu langsam, Sandrine?" Empörte sich Claire. "Ich ging davon aus, daß Julius wartet, ob ich tanzen will, bevor er jemanden fragt oder sich auffordern läßt."

"Hallo, Claire, was geht denn jetzt bei dir ab?" Entgegnete Julius. "Ich habe mit Martine getanzt, weil du und Millie euch unterhalten habt und wohl keine von euch beiden den ersten Tanz tanzen wollte. Oder habe ich irgendwas mit dir ausgehandelt, daß du nur mit mir und ich nur mit dir zu tanzen habe? - Kann ich mich nicht dran erinnern."

"Wäre ja auch blödsinnig", warf Patricia Latierre ein, bevor ihre ältere Nichte Martine irgendwas hätte sagen oder tun können.

"Du hältst dich mal ganz schön raus, Mädel", fauchte Claire wie eine gereizte Katze.

"Recht hat sie aber", sprang Millie ihrer drei jahre jüngeren Tante bei. "Du führst dich hier auf, als dürfe kein Mädchen oder keine andere Frau Julius auch nur ansehen, geschweige denn anfassen, was bei manchen Tänzen ja nicht zu vermeiden ist. Ich dachte, du wärest dir so sicher mit ihm."

"Millie, ist gut jetzt", schnarrte Martine bedrohlich. Doch Millie schüttelte nur den Kopf und versetzte frech:

"Nein, Martine, ist nicht gut. Oder hast du so'n Theater um Eddie gemacht, als ihr beiden noch zusammen wart?"

"Eh, das reicht jetzt wirklich, Mildrid Ursuline Latierre!" Rief Martine und starrte ihre Schwester mit verengten Augen drohend an.

"Hat ja auch nicht gehalten, weil der sich ja nicht auf den Besen hat holen lassen", grinste Pennie Latierre. Martine sprang auf und wollte wohl nach ihrem Zauberstab greifen. Doch dann entspannte sie sich wieder. Claire rückte an Julius heran, als Millie sich mit ihrer Schwester richtig in die Wolle kriegte.

"Möchtest du trotz allem auch noch einmal mit mir tanzen, Julius?" Fragte sie. Julius nickte. Drei Tänze verbrachte er mit Claire auf dem Parkett. Dann fragte Julius' Mutter, ob sie mit ihm tanzen dürfe. Claire tanzte daraufhin mit ihrem Vater und mit verschiedenen männlichen Verwandten.

"Irgendwie ist Claire heute schlecht drauf, Mum", sagte Julius. "Die hat sich mit Millie Latierre wieder gehabt, weil Millie meinte, sich reinhängen zu müssen, als ich von Claire wissen wollte, ob sie lieber hierbleiben oder anderswo hinziehen würde, wenn sie mal heiratet."

"Ach, und du hast nicht so formuliert, daß du sie heiraten würdest?" Fragte Martha Andrews amüsiert. Julius bestätigte das. "Und Millie hat ihr unter die Nase gerieben, daß sie dich dann wohl noch nicht sicher genug habe, oder?"

"Neh, das nicht, Mum. Claire meinte nur zu Millie, daß die ja wohl nicht bei ihren Eltern bleiben wolle, weil die sich ja angeblich so heftig nach was umsieht. Dann hat mich Martine gefragt, ob ich mit ihr tanzen würde. Da ich den ersten Tanz gerne tanzen wollte habe ich die Aufforderung angenommen. Claire hat das dann in den falschen Hals bekommen und sich so merkwürdig aufgespult, als hätte ich erst sie zu fragen, mit wem ich tanzen dürfe und mit wem bestimmt nicht. Das ist mir irgendwie zu blöd, Mum."

"Konkurrenzangst, Julius. Du bist mit Claire befreundet. Aber die anderen Mädchen wollen davon wohl nichts wissen, und deshalb willsie zeigen, wie ernst ihr das mit dir ist. Dann kommt noch die Hormon-Achterbahn dazu, die bei Mädchen wohl wildere Loopings schlägt als bei euch Jungs."

"Hmm, kann sein, Mum. Ich fand das jetzt nur blöd, mich von ihr oder sonst wem so herumkommandieren lassen zu sollen."

"Dann hast du nicht mit ihr getanzt, weil du ihr zeigen wolltest, daß du sie irgendwie verstehst?" Wollte Martha Andrews wissen.

"Ich habe mit ihr getanzt, weil die Latierres sich zu zanken anfingen und ich keine Lust auf Familienstreitigkeiten hatte. Sicher ist mir das wichtig, daß ich mit Claire gut auskomme, Mum. Aber ich will auch nicht in irgendeinem Glashaus sitzen. Die doch auch nicht."

"Was für'n Glashaus?" Wollte Julius' Mutter wissen.

"Ja, eins, wo man zwar angegukct werden darf, aber aus dem ich nicht herausgehen darf, weil ja sonst jeder meint, mit mir reden oder tanzen oder sonstwas anstellen zu dürfen."

"Also, Julius, wenn dir das mit Claire wirklich so wichtig ist, dann klär das mit ihr am besten noch heute, bevor wir beide wieder abreisen!" Schlug Mrs. Andrews sehr nachdrücklich vor. Julius erzählte ihr dann, daß er mit Claire am Valentinstag doch über sowas gesprochen hatte und durch die Walpurgisnacht doch ziemlich klar rübergekommen sei, daß sie beide gut miteinander auskämen und wohl zusammenbleiben würden.

"Ja, aber du hast mit Martine getanzt, Millies älterer Schwester. War das nicht irgendwie eine Provokation?" Fragte Martha Andrews nach. Julius überlegte. Dann fragte er:

"Mit wem hätte ich dann deiner Meinung nach tanzen dürfen, ohne daß Claire so drauf angesprungen wäre?"

"Nachdem, was ich mitbekommen habe liegt Millie was an dir, und daß du ihre Schwester auf die Tanzfläche geführt hast sieht für Millie so aus, als läge dir auch was an ihr, und du würdest nur mit Martine tanzen, um keinen zu irgendwelchen dummen Gedanken zu veranlassen. Martine sieht Millie ja doch sehr ähnlich, oder?"

"Natürlich, Mum. Aber es ging mir nicht darum, jetzt auf Biegen und Brechen mit einer der Latierres zu tanzen, weil ich angeblichauf Millie oder Martine stehe", sagte Julius verhalten. Doch seine sich rötenden Ohren verrieten, daß er den Gedanken nicht ganz so einfach abstreiten konnte.

"Aha, also findest du die beiden Latierre-Mädchen schon attraktiv", bohrte seine Mutter nach. Julius fragte sie, was sie jetzt damit meine. Sie entgegnete, daß sie ihm helfen wolle, sich darüber klarzuwerden, was da eigentlich passiert war und ob er da was für konnte oder nicht. Dann sagte sie noch: "Ich weiß, daß die jüngere der beiden dir gerne mehr Zeit und Aufmerksamkeit schenken würde, wenn du sie machen ließest. Das habe ich gestern mitbekommen und mir schon gedacht, daß das bei euch in Beauxbatons schon allgemein bekannt ist, und Claire natürlich auch Angst hat, du könntest dich anders entscheiden. Das zeigt mir, die ich an und für sich mehr Logik als Gefühl für mein Denken voraussetze, daß Claire sehr viel an dir liegt. Eifersucht ist die Schwester der Liebe, Julius. So heißt es."

"Ja, Mum. Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft. Also soll deiner Meinung nach Claire eifersüchtig auf Millie sein, weil die meint, mich anbaggern zu müssen oder wie?"

"Sagen wir es so: Ich halte das für möglich. Damit komme ich auch schon zu der Antwort auf deine Frage von eben, mit wem du hättest tanzen können, ohne Claires Unmut zu kitzeln. Sandrine wäre in ihren Augen wohl harmlos genug gewesen oder Laurentine oder Belisama."

"Belisama nicht, Mum. Da hätte sie wohl wieder was gegengehabt, weil Belisama irgendwie gemeint hat, sie könne sich auch was mit mir vorstellen. Nicht so heftig wie Millie, aber doch in eine ähnliche Richtung gehend."

"Gut, dann irgendeine andere von den jüngeren Damen hier", sagte Martha Andrews. Julius grinste. Er sah sich um und entdeckte Claire zusammen mit ihrem Schwager Bruno. Jeanne unterhielt sich mit Barbara, deren Mann gerade mit Ursuline Latierre sprach.

"Darf ich bitten?" Fragte Jeanne Julius, als er sich von seiner Mutter verabschiedet hatte. Er nahm an. Er sprach kurz mit ihr, ob er Claire gegenüber wohl unfair aufgetreten sei. Jeanne meinte:

"Lass dir von Claire bloß nicht alles bieten, Julius! Sie ist jetzt in dem Alter, wo ich auch gedacht habe, ich müßte alles was ich hätte wegschließen, von Schmuck bis zum festen Freund. Der Freund, den ich damals noch hatte, hat sich das auch eine Zeit lang bieten lassen. Doch dann ist der richtig wütend geworden, und wir haben uns zerstritten. Also klär mit Claire immer sofort, wenn dir oder ihr was unangenehm aufstößt. Wenn ihr beide euch wirklich sehr gern habt, ja schon von Liebe reden könnt, dann muß das zwischendurch sein. Ich habe mich mit Bruno immer wieder gekäbbelt oder auch richtig in der Wolle gehabt. Tja, und jetzt trage ich seinen Ring und er trägt meinen. Also schädlich ist das nicht. Und Claire soll sich nicht so aufführen, daß du noch für sie da sein sollst. Sicher, Millie hat dich noch nicht aufgegeben. Aber das gibt Claire kein Recht, dich jetzt rumkommandieren zu müssen. Glaube es mir, ich weiß, wie heftig Claires Gefühle werden können. Vielleicht müßt ihr beide das eben lernen, euch auch mal nicht zu verstehen, ohne gleich wütend aufeinander zu werden. Claire ist meine Schwester. Sie ist mir oft genug auf die Nerven gegangen. Ich ihr bestimmt auch. Aber ich wollte das nicht mehr rückgängig machen."

"Dein Vater hat mir letztes Jahr geraten, ich solle aufpassen, ihr nicht wehzutun."

"Was väter so sagen, wenn sie zeigen wollen, daß sie immer noch die wichtigsten Männer im Leben ihrer Töchter sein wollen, wenn die anfangen, sich feste Freunde zu suchen. Ältere Brüder sind da ja noch schlimmer, weiß ich von Eloise", sagte Jeanne. "Wenn du mit Claire wirklich mehr als nur gute Schulkameradschaft haben willst, dann darfst du keine Angst davor haben, auch mal was zu sagen, was ihr weh tut, solange sie dir das sofort erzählt und ihr das abklären könnt, warum das jetzt sein mußte und warum nicht. Du weißt, ich freue mich, daß ihr beiden euch gefunden habt. Deshalb möchte ich ja auch haben, daß ihr beiden euch nicht gegenseitig rumschupst. Du hast am Tag nach Walpurgis den Rauswurf aus Beauxbatons riskiert, weil du Eddies Eingeschnapptheit nicht hinnehmen wolltest. Das hat doch jeder im grünen Saal mitgekriegt, ddaß Claire dir nicht gleichgültig ist und du ihr auch nicht gleichgültig bist."

"Na klar, deshalb hat sie mir ja auch das Ultimatum gestellt, als Goldschweif sie so heftig angefaucht hat", konterte Julius. Jeanne nickte. Dann meinte sie:

"Eben weil sie sehr wütend war, daß dieses Tier sich zwischen euch beide geschoben hat und sie da nichts gegen machen konnte. Gegen Millie kann sie angehen, ihr zeigen, daß sie im Moment keine Chance hat. Aber gegen Goldschweif war das nicht drin. Deshalb wollte sie haben, daß du das ein für allemal klärst und auch festlegst, ob der Kniesel oder Claire dir wichtiger ist. Du hast es geklärt, was dabei herauskam war sehr überraschend aber auch sehr nett, und jetzt könnt ihr beiden weiter zusammensein."

Die Musik hörte auf. Barbara van Heldern kam herüber und fragte Julius, ob er mit ihr tanzen wolle. Julius sah sich um. Claire war wohl mit ihrem Vater auf der Tanzfläche. So nahm er an. Da fiel es ihm auf, daß Gustav und Barbara nicht diesen Rummel darum machten, daß sie nur miteinander tanzen sollten oder auch mal mit anderen Partnern. Julius fühlte sich zwar etwas angespannt, als er den hauchzarten, glatten Stoff von Barbaras Brautkleid in den Händen hielt, hielt aber die Tanzfiguren des Foxtrott durch, wie er es schon dutzendmal gemacht hatte.

"Hat dir Jeanne erzählt, warum sie und Bruno heute morgen nicht pünktlich zu unserer Trauung gekommen sind?" Wollte Barbara wissen. Julius schüttelte den Kopf. Er vermutete zwar, daß César und Yves irgendwas gedreht hatten, aber was das war wußte er nicht.

"Gut, dann möchte ich dir das auch nicht sagen", erwiderte Barbara schmunzelnd. So sprachen sie über die Zeremonie und daß die van Helderns eine Hochzeitsreise durch Frankreich machen würden, sobald sie ihr gemeinsames Haus offiziell bezogen hatten.

Nach dem Tanz mit der glücklichen Braut ging Julius zum Getränkestand, wo er Madame Aurélie Odin mit Monsieur Laroche redend vorfand. Der Zeremonienmagier hatte seinen weißen Umhang gegen einen taubenblauen Umhang eingetauscht und sprach gerade mit Madame Odin über die Gepflogenheiten im nahen Osten. Als sie beide den Jungzauberer aus England sahen, lächelte Madame Odin ihn an und bestellte bei dem Hauselfen hinter der Bar ein großes Glas Kürbissaft.

"Amüsierst du dich noch, Julius? Zwei Hochzeiten hintereinander ist wohl nicht so einfach, wie?"

"Es ist aufregend", sagte Julius. "So viele Leute aus aller Welt sind hier, und ich habe viel neues gelernt", antwortete Julius. Dann sah er Monsieur Laroche an und sagte sehr ernst:

"Ich hörte, daß Legilimentie eine unfeine Sache sei und daher nur böse Zauberer und Hexen damit rumfuhrwerken. Ich wußte nicht, daß sowas bei wichtigen Zeremonien erlaubt sein soll."

"Oh, dann hast du es mitbekommen, daß ich euch alle kurz gemustert habe?" Entgegnete Monsieur Laroche amüsiert, daß Julius ihm nicht mit der aufgesetzten Ehrerbietung kam, die andere ihm wohl zollten. "Nun, es hat Hochzeiten gegeben, die durch magische Manipulationen und Intrigen angebahnt wurden. Tatsächlich habe ich in meinem Leben als Bewahrer und Durchführer lebensnotwendiger Rituale und Zeremonien einige Fälle gehabt, wo mindestens ein Partner unter dem Einfluß eines Liebestrankes gestanden hat oder", er verfiel in eine sehr düstere Haltung, "durch einen verwerflichen Fluch dazu gezwungen war, einer Eheschließung zuzustimmen. Damit dies nicht wieder vorkommt, prüfe ich seit zehn Jahren und mit ministerieller Genehmigung die Anwesenden bei Trauungen und ähnlichem, ob einer darunter ist, der einen Zwang auf jemanden anderen ausübt. Ich wundere mich allerdings, daß ein Schüler der dritten oder vierten Klasse schon mit der wahrlich nicht so allgemein erwünschten Zauberkunst der Legilimentie vertraut gemacht wurde. Mir fiel es gestern schon auf, daß du wohl erkannt hast, was vorgeht und du dich instinktiv dagegengestemmt hast, natürlich ohne großen Nutzwert."

"Ich habe von dieser Zauberei gehört und weiß seitdem, daß ich aufpassen muß, wem ich länger in die Augen sehen kann und wem nicht", sagte Julius kühl. Er wollte und durfte ja nicht verraten, daß er einige Tage Gastschülerin der siebten Klasse gewesen war, wo die Unterrichtseinheit Mentalmagie angefangen hatte.

"Außerdem kann man mit legilimentischen Techniken nicht immer ergründen, was jemanden umtreibt. Wahrscheinlich hast du auch erfahren, Julius, daß es eine Abwehr dagegen gibt, die zwar sehr schwer zu erlernen ist, aber dann doch die eigenen Gedanken und Gefühle vor ungewollter Preisgabe schützt", sagte Madame Odin.

"Das ist korrekt", sagte Julius nur. Monsieur Laroche meinte dazu:

"Deshalb muß ich immer fragen, ob jemand gegen die Eheschließung Einwände erhebt oder nicht. Denn nur das gesagte zählt in der Handhabung von Recht und Gesellschaft. So wäre ein Zeuge, der auf Grund ausgespähter Erinnerungen aussagt wertlos, wenn keine greifbaren Beweise und auf die fünf körpereigenen Sinne bezogene Erlebnisse dargelegt werden können. Was ich mache ist eine Absicherung für mich, nicht als Werkzeug finsterer Machenschaften mißbraucht zu werden. Denn was ich sage halte ich für verbindlich, daß die Gemeinschaften zwischen Hexen und Zauberern auf Liebe und nicht auf Zwang oder Vorteilsnahme beruhen darf. Liebestränke sind ein Rauschmittel. Sie gaukeln etwas vor, was nicht ist. Genau das muß ich vorher immer ergründen."

"Ja, und was hätten Sie getan, wenn jemand wirklich Jeanne und Bruno mit Liebeszaubern oder dem Imperius-Fluch behext hätte?" Wollte Julius wissen.

"Dann hätte ich Kraft meines Amtes verfügt, daß die Zeremonie nicht fortgesetzt werden darf. Als letzte Absicherung ist da noch der Kreis der Verbundenheit. Erlischt er, wenn beide Brautleute in ihm stehen, so ist dies ein Zeichen, daß sie einander nicht aus ehrlicher Zuneigung annehmen wollen", sagte Monsieur Laroche.

"Das klappt nicht immer", wandte Madame Odin ein. "Es hat auch schon Fälle gegeben, wo der Kreis so bezaubert worden ist, daß er trotzdem in voller Kraft erstrahlt, wenn eine Heirat erzwungen werden sollte. Unter Sardonias Herrschaft, wo viele Hexen durch den Imperius oder Tränke wie Amortentia oder Sagitamoris Zauberer und Muggelmänner unterworfen haben, waren manipulierte Hochzeiten leider häufiger als ehrliche Liebesheiraten. Abgesehen davon gab es damals schon viele sogenannte Vernunftehen, wo zwei Familien sich durch Zusammenführung gegenseitig stärken wollten, wie es im Hochadel der Muggelwelt ja bis in dieses Jahrhundert hinein zum guten Ton gehörte."

"Nun, Madame Odin, aber diese Zeiten sind doch wohl vorbei. Selbst wenn jener, dessen Name nicht genannt werden darf, in Großbritannien wieder Fuß gefaßt hat ist die Wahrscheinlichkeit doch sehr gering geworden, erzwungene Ehen zu schließen. Außerdem, wenn es einer machtsüchtigen Hexe nur um Nachwuchs von einem bestimmten Mann geht, so ist dazu doch keine Trauung nötig", sagte Monsieur Laroche. "Ich möchte halt lediglich ausschließen, daß jemand durch diese erhabene Zeremonie in eine endlose Abhängigkeit gerät."

"Der junge Mann hat insofern recht, wenn er wohl zu bedenken gibt, daß jeder Zweck auf seine Mittel geprüft werden sollte, Monsieur Laroche", sprang Madame Odin Julius bei, der sich immer noch nicht so wohl dabei fühlte, daß ein Zeremonienmeister die Teilnehmer erst geistig durchleuchtete, bevor er eine Zeremonie durchführte.

"Sie können mir glauben, Madame Odin, daß ich mir das nicht leicht mache, insbesondere dann, wenn ich bei meiner oberflächlichen Überprüfung bereits intime Gedankenbilder sehe, wie eben bei gerade zur Trauung bereiten Brautpaaren oder deren Verwandtschaft. Doch es hat sich bereits bewährt, diese Methode zu praktizieren und mehr Schaden zu verhindern als anzurichten", verteidigte der Zeremonienmagier sein Vorgehen bei den Trauungen. Julius nickte schwerfällig. So recht wollte er das nicht hinnehmen. Doch andererseits mochte da ja doch was wahres dran sein.

Um wieder auf fröhlichere Gedanken zu kommen unterhielt er sich mit Claires Großmutter über das Fest von gestern und ob sie auch beim Sommerball teilnehmen würde. Madame Odin lächelte.

"Selbstverständlich werden mein Mann und ich teilnehmen", sagte sie unbestreitbar. Julius nickte ihr zu. Dann sah er, wie Claire auf ihn zusteuerte, alleine und offenbar auf der Suche nach ihrem bevorzugten Tanzpartner. Sie lächelte, als sie Julius erreichte und fragte:

"Möchtest du mit mir den Wiener Walzer tanzen. Jeanne und Bruno tanzen links herum."

"Warum nicht", erwiderte Julius und verabschiedete sich von Madame Odin. Diese blickte ihrer Enkelin und deren Freund wohlwollend nach.

Um kurz nach vier Uhr gab es Kaffee und Kuchen. Wie gestern wurde eine große Hochzeitstorte herangeschafft, diesmal eine sechseckige, vierstöckige Torte mit einer Hochzeitskutsche auf der Oberfläche. Nach dem Kaffeetrinken und weiteren Lobesreden von Verwandten von Barbara und Gustav wurde weiter getanzt. Doch Julius hielt sich etwas zurück, weil er mit Claire darüber sprechen wollte, ob sie sich von ihm irgendwie im Stich gelassen gefühlt hatte. Sie meinte dazu:

"Nun, ich hätte es halt schöner gefunden, wenn wir beide zusammen den Eröffnungstanz getanzt hätten. Nachher geht das noch in Beauxbatons rum, du hättest dich in Martine Latierre verguckt. Gegen die hätte ich dann ja wohl keine Chance. Aber die ist doch etwas zu alt für dich, oder?"

"Kommt drauf an, was ich von einer Freundin erwarte und was die von mir erwartet, Claire. Aber ansonsten denke ich, daß das so schlimm nicht ausgesehen hat."

"Das ist es ja gerade. Ihr beiden habt gut getanzt, als hättet ihr euch darauf eingestimmt", erwiderte Claire leicht verdrossen. Julius grinste.

"Ich hatte nichts mit Martine und habe auch nichts mit ihr, Claire. Deshalb hatte mich das ja gewundert, wie du darauf angesprungen bist."

"So, du hast nicht damit gerechnet, daß mir das zusetzen könnte?" Wollte Claire wissen. Julius fragte zurück, ob ihr das denn zugesetzt habe. Sie meinte dazu: "Wenn es nur der Tanz wäre nicht. Aber Millie meint immer noch, sie könnte dich kriegen und ihre Schwester hätte dich nur zum Tanzen aufgefordert, um dich aus ihrer Reichweite zu holen. Das sah so blöd für mich aus, weil mancher hier denkt, wir hätten uns irgendwie nicht mehr gern, Juju."

"Das entzieht sich mir jetzt irgendwie", seufzte Julius. Denn er fand nichts dabei. Dann überlegte er, was gewesen wäre, wenn Claire einfach von jemandem auf die Tanzfläche geholt worden wäre, nur weil er nicht aufgepaßt hatte. Hätte er das so locker hingenommen? Vielleicht nicht. Aber so heftig hätte er wohl auch nicht reagiert. Doch ob das stimmte, wußte er nicht.

"Ist gut, Claire. Ich habe zumindest kapiert, daß du Angst hast, jemand könnte dumm daherreden. Aber ich wüßte jetzt auch nicht, warum ich mich dafür entschuldigen sollte."

"Das verlange ich auch nicht von dir, Juju", sagte Claire leise und rückte an ihn heran. "Ich möchte ja auch nicht, daß wir beide ausgerechnet heute Krach kriegen. Mir geht nur das Getue der Latierres auf die Nerven, und die blicken es nicht, daß sie in anderer Leute Sachen reinhauen. Kuck dir das an, diese Pennie rennt schon wieder hinter Jacques her. Warum kann die nicht einfach einsehen, wenn der Nein sagt?"

"Vielleicht weil er ja meint", vermutete Julius. Claire lachte.

"Du meinst, der will eine Freundin haben, die ihm zeigt, wo's langgeht?"

"Jetzt, wo seine große Schwester nicht mehr in Beauxbatons ist. Apropos, wann kriegen Jeanne und Barbara ihre UTZs?"

"Interessant, daß du das jetzt erst wissen willst. Die haben die vor drei Tagen gekriegt, wo du gegen Millies Oma Schach gespielt hast. Du kannst ja Jeanne fragen, wie gut sie abgeschnitten hat."

"Hmm, mindestens ist sie jetzt mit der Schule durch", meinte Julius. Claire grinste.

"Das ist klar. Sonst hätte die gestern wohl nicht verkündet, daß sie bei den Graminis' anfangen würde. Die entsprechenden UTZs hat sie erreicht. Aber du kannst sie ruhig selber fragen."

"Vielleicht", sagte Julius. Dann flüsterte Claire:

"Ich habe es übrigens rausgekriegt, was Yves und César angestellt haben. Das ist wirklich ziemlich heftig. Argon hat's mir erzählt."

"Oh, haben die das Haus verhext, daß die den Weg zum Bett nicht fanden?" Fragte Julius frech grinsend. Claire erwiderte mit verruchter Stimme:

"Nicht ganz, Juju. Die konnten ins Haus und auch in ihr großes Bett. Da müssen sie sich wohl endlich so richtig kennengelernt und zusammengefunden haben. Dann wären alle Fenster und Türen zugegangen und hätten sich nicht mehr öffnen lassen. Immer wenn Bruno eine Tür zu öffnen versucht hatte, habe eine magische Männerstimme ihn gefragt, ob er auch schon alle Pflichten erfüllt habe. Wenn Jeanne das versucht hatte, habe eine magische Frauenstimme gefragt, ob sie sich schon richtig als Frau gefühlt habe. Irgendwie lief es wohl darauf hinaus, daß die beiden mindestens achtmal miteinander Hochzeit machen mußten, bevor die Türen und Fenster sich wieder öffnen ließen."

Julius lachte los. Das war ein ziemlich derber aber auch gelungener Streich. Dann fragte er, ob die beiden nicht einfach disappariert wären. Claire grinste und meinte:

"Ja, haben die zwar versucht. Aber dann sind die immer vor ihrem Bett aufgetaucht. Offenbar hat Yves den Locatractus-Zauber gewirkt, der Apparatoren nur an einem bestimmten Ort auftauchen läßt. Tja, wahrscheinlich werden die beiden heute abend sehr große Mühe haben, zu tanzen."

"Finde ich nicht. Jeanne kann sich wieder sehr gut bewegen, habe ich festgestellt", sagte Julius feist grinsend.

"Dann hat sie wohl diesen Muskelkatervertreibungstrank geschluckt", sagte Claire leicht enttäuscht. Jeanne und Bruno waren die heftigsten Konkurrenten neben Claires eigenen Eltern, wenn es um die goldenen Tanzschuhe ging.

Am Ende der reinen Hochzeitsfeier, kurz vor sieben Uhr, warf Barbara den Brautstrauß in die Luft. Alle Gäste im heiratsfähigen Alter blickten gespannt nach oben, wie der bunte Blumenstrauß erst steil aufwärtsflog und dann in Schrauben und Salti herabsegelte. Julius fragte sich, ob der Strauß so bezaubert war, daß er nur ein Zehntel so leicht wie sonst war. Denn ein wohlig warmer Windhauch hob ihn noch einmal an und wehte ihn aus der Bahn. Dann trudelte er weiter nach unten, genau auf die Gruppe zu, in der Madame Faucon, Martha Andrews und Béatrice Latierre standen. Julius sah gebannt, wer den Strauß auffangen würde. Er sah, wie Béatrice Latierre sich reckte, um den herniedersegelnden Brautstrauß zu fassen. Offenbar legte sie es darauf an, ihn zu kriegen. Als sie sprang, um ihn zu fangen, prallte er von ihren ausgestreckten Fingern ab und plumpste an ihr vorbei, Martha Andrews genau auf die Schultern. Julius starrte wie versteinert auf das Bild, daß sich bot. Seine Mutter zuckte zusammen, griff wohl eher aus Reflex als aus Überzeugung nach dem Strauß, wollte ihn wohl ordentlich weitergeben, als Barbara rief:

"Nicht abgeben, Madame! Wenn ihn jemand zu fassen bekommt muß er oder sie ihn halten, weil er oder sie von ihm bestimmt wurde! Das würde Inen nichts bringen, dden weiterzugeben und den Zauber der Tradition nicht auf andere übertragen. Ich habe ihn geworfen, Sie haben ihn zu fassen bekommen. Damit ist sein Weg zu ende."

"Aber", erwiderte Martha Andrews mit einer Mischung aus Verunsicherung und Belustigung, "ich wollte ihn doch nur schnell weitergeben. Ich habe ihn nicht aufgefangen."

"Aber Sie haben ihn mit der ganzen Hand ergriffen, was genau dasselbe ist wie ihn aus dem Flug heraus zu fangen, Madame Andrews", erwiderte Madame Lumière, und Monsieur Laroche nickte, bevor ihm klar wurde, daß Julius' Mutter keine Hexe war. Deshalb zupfte er sich nervös am Bart, während er wohl über irgendwas nachdachte, während Martha Andrews versuchte, den Strauß abzugeben, bevor eine Salve Fotoblitze über sie hereinbrach. Béatrice Latierre, die vorhin noch alles gegeben hatte, um den Brautstrauß zu kriegen, schrak förmlich zurück, als Julius' Mutter ihn ihr in die Hand zu drücken versuchte. Madame Faucon zog sie sanft zurück und sprach auf sie ein. Julius, der zwischen Sandrine und Claire stand, schien im Boden zu versinken. Wie würden die Leute hier nun mit seiner Mutter umgehen, wo die ihnen den Brautstrauß weggeschnappt hatte? Nach dem Ding mit seinem Vater würde die sich bestimmt dreimal überlegen, noch einmal zu heiraten. Aber genau so wollte es die Tradition, nicht nur in der magischen Welt. Wer einen geworfenen Brautstrauß fing war dazu ausersehen, als einer oder eine der nächsten zu heiraten.

"Tja, deine Mutter ist doch wieder frei, Juju. Auch wenn wir in der Zaubererwelt das etwas traurig finden, daß man eine Ehe einfach für aufgehört erklärt, ist sie genauso frei wie Seraphine, Béatrice Latierre oder auch Madame Faucon."

"Meinetwegen kann sie den Strauß zwanzigmal fangen, Claire. Ich glaube nicht, daß sie sich so bald mit einem anderen Mann einläßt", sagte Julius. "Außerdem, wo soll sie den herkriegen, wo sie jetzt fast nur noch Zauberer kennt?"

"Warum keinen Zauberer, Juju? Wäre für sie keine große Umstellung."

"Das hört sich so einfach an, Claire. Aber ich fürchte, Mum könnte da echte Probleme mit kriegen. Hoffentlich sind diese Sträuße nicht verflucht, daß jemand, der sie fängt, innerhalb einer bestimmten Zeit wen zum Heiraten finden muß, um nicht irgendwelche Probleme zu kriegen."

"Manchmal hast du echt komische Einfälle", erwiderte Claire leicht ungehalten. "Das mit dem Strauß ist kein Zwang, so schnell wie möglich heiraten zu müssen. Das heißt nur, daß jemand auf jeden Fall wen findet, mit dem er oder sie zusammenleben will. Mehr ist das nicht. Da kommt jetzt keine Drohung, in einem Jahr haben die Glocken zu läuten oder so." Sie legte ihren rechten Arm um Julius und kuschelte sich sehr innig an ihn. Als er sich sicher wähnte, daß keiner ihnen zusah, der das nicht gut finden mochte, umarmte er seine Freundin. Ohne daß er sie dazu aufgefordert hätte suchte ihr Mund seinen und vereinigte sich mit ihm zu einem langen Kuß. Sandrine wandte sich diskret ab. Nur Callie Latierre sah der zärtlichen Handlung zu und grinste mädchenhaft. So nach zehn Sekunden fanden Claire und Julius, daß doch zu viel Publikum herumstehen mochte, um weiterhin so innig zusammenzubleiben. Sacht lösten sie sich voneinander und stellten sich wieder sittsam nebeneinander hin. Julius blickte auf das leicht spieglnde Glas seiner Armbanduhr und sah das durchsichtige Abbild seines Gesichtes. Er hatte schon gefürchtet, Claire habe ihren Lippenstift an ihm hinterlassen. Doch die Hexenkosmetik war auf diese Möglichkeiten vorbereitet. Weder Schminke noch Lippenstift hatten Spuren auf seinem Gesicht hinterlassen. Er ließ den linken Arm mit der Uhr sinken und meinte dann noch zu Claire:

"Bin gespannt, wie meine Mutter darauf reagiert."

"Monsieur Laroche ist gerade bei ihr", sagte Sandrine. "Sie hat ihm zugewunken und Madame Delamontagne ist auch bei deiner Mutter."

"Kann ich mal eben hin?" Fragte Julius, der nicht einfach losstürmen wollte. Claire ergriff seine Hand und zog ihn sanft in die Richtung davon, wo seine Mutter stand.

"... heißt nur, daß Sie irgendwann auf jeden Fall heiraten, Madame. Wen und wann liegt bei Ihnen", hörte Julius den Zeremonienzauberer sagen, als sie sich ihm näherten.

"Hmm, bei uns heißt es, der den Strauß fängt wird als Nächster oder Nächste heiraten", antwortete Martha Andrews, die den gefangenen Strauß immer noch in der rechten Hand hielt, übervorsichtig, als sei er ein schmerzempfindliches Tier.

"Nur die Frage, ob Sie wieder jemandem das Jawort geben ist damit entschieden. Wann und wen müssen Sie herausfinden. In der nichtmagischen Welt wird dieser Tradition diese hohe Wirkung zugeschrieben, weil viele, die eine Hochzeit besuchen Geschmack daran finden, selbst den Bund des Lebens einzugehen. Daher glauben wohl viele, sie wären die nächsten, die solch einen glücklichen Tag verleben werden, wenn sie den Strauß der Braut auffangen", erklärte Monsieur Laroche beruhigend. Martha Andrews nickte. Dann wartete sie, bis Barbara ihr den Blumenstrauß wieder abnahm. Béatrice Latierre kehrte aus den fünf Metern Entfernung zurück, in die sie sich zurückgezogen hatte, um die Tradition nicht zu verfälschen und den Strauß doch noch anzunehmen.

"Ich werde auch schon meinen Begleiter durch's Leben Finden, Madame. Eigentlich müßte ich sie zwar jetzt Mademoiselle nennen, aber ihr Sohn steht ja unbestreitbar vor uns. Eine Frau, die ein eheliches Kind bekommen hat bleibt ja dann noch eine Madame, wenn ihr der Mann weggelaufen ist."

"Mademoiselle Latierre, ich fürchte, derartig zu reden und zu urteilen steht Ihnen nicht zu", maßregelte Madame Delamontagne die junge Heilerin. Diese sah die beleibte Dorfrätin sehr gelassen an und meinte:

"Als aprobierte Heilerin bin ich auch gehalten, familiäre Verhältnisse zu bewerten. Wenn ein Vater seine Familie aufgibt, weil der Sohn sich nicht nach seinen Vorstellungen entwickelt, dann läuft er fort, Madame. von dieser Ansicht gehe ich nicht ab."

"Wenn dies wirklich Ihre Meinung ist, dann erweisen Sie denen, über die Sie sie sich gebildet haben wenigstens den Respekt, und werfen sie uns nicht wie eine gefühllose Abschätzung vor, als wollten Sie die Qualität einer Ware kommentieren!" Versuchte Madame Delamontagne, ihre Stellung hier in Millemerveilles ins Feld zu führen. Doch Béatrice wandte sich nur an Martha Andrews und sagte:

"Ich hoffe, für Sie kam meine Ansicht nicht zu schroff rüber, Madame Andrews. Doch Sie möchten bitte anerkennen, daß ich zumindest ehrlich zu Ihnen bin und Ihnen nichts vorheuchel."

"Das erkenne ich an, Mademoiselle", erwiderte Martha Andrews ruhig. Madame Delamontagne und Madame Faucon sahen sie zwar etwas verdutzt an, nickten dann aber. "Warum sollte man auch etwas schön zu reden versuchen, was nicht mehr zu ändern ist. Sicher wäre es nach den Gesetzen der Höflichkeit besser gelaufen, wenn Sie Ihre Meinung für sich behalten hätten. Aber ich weiß sehr gerne, woran ich bei anderen Leuten bin, auch und gerade nachdem mein Ex-Mann jeden Kontakt mit Julius und Mir abgelehnt hat." Julius meinte, seine Mutter doch etwas angeschlagen dreinschauen zu sehen. Vielleicht wollte sie nicht zugeben, wie heftig Mademoiselle Latierres Worte sie doch getroffen hatten. Vielleicht dachte sie aber auch daran, wie sie nun dastand, nachdem sie einen Brautstrauß aufgefangen hatte und damit irgendwann wieder heiraten sollte, so die Tradition. Er dachte daran, wie seine Mutter es wohl anstellen mochte, einen neuen Mann zu finden, Muggel oder Magier. Sowas ließ sich ja nicht vom Baum pflücken oder wurde mit Bedienungsanleitung geliefert wie ein Computer. Bei dem Gedanken wiederum mußte er grinsen, weil ihm der Witz einfiel, wo Männer und Frauen Computer mit dem jeweils anderen Geschlecht verglichen hatten.

"Jedenfalls haben unsere Berufsfotografen das Auffangen des Brautstraußes dokumentiert", stellte Madame Delamontagne nüchtern fest. Sie wollte wohl das Thema wieder beenden. Doch Béatrice sprach weiter mit Julius' Mutter und erklärte ihr, daß jeder Gast auf einer Hochzeitsfeier gleichberechtigt sei. Sonst hätte man sie ja wohl nicht eingeladen. Julius dachte schon, seine Mutter würde das in den falschen Hals bekommen. Doch sie lachte.

"Nun, Julius war letztes Jahr alleine hier. Das zeigt, daß ich nicht eingeladen wurde, weil er hier auf mich angewiesen wäre, sondern weil ich eben als Bekannte verschiedener Bürger hier eingeladen wurde. Es hat mich nur etwas irritiert, daß ich diesen Blumenstrauß gefangen haben soll. Sie haben den doch eher berührt."

"Ja, aber nicht mit einer Hand fest umschlossen wie Sie", bemerkte Béatrice dazu. Julius vermeinte eine gewisse Enttäuschung aus der Stimme der Heilerin herauszuhören.

"Ich hätte Ihnen den gerne überlassen", lächelte Martha Andrews. Béatrice schüttelte den Kopf.

"Ja, aber Madame van Heldern, Barbara, hat das schon richtig gesagt. Sie warf den hoch, Sie haben ihn gefangen. Damit ist die Sache erledigt und kann nicht weitergereicht werden wie ein Trinkkelch. Angenehmen Abend noch!"

"Ihnen auch, Mademoiselle", sagte Julius' Mutter. Claire zog Julius wieder fort, als seine Mutter ihm beruhigend zugelächelt hatte.

"Also, da du nun weißt, daß deine Maman nicht schon morgen heiraten muß, was machst du gleich, bevor der Ball offiziell losgeht?"

"Apparieren üben?" Erwiderte Julius. Was sollte er schon großartig machen?

"Könnte dir so passen", lachte Claire. "Ich dachte eigentlich daran, daß wir uns die Tischordnung schon einmal ansehen. papa hat ja die ganzen Girlanden schon aufgehangen."

"Bist du Tischsprecherin?" Fragte Julius, der sich immer schon gefragt hatte, wie alt ein jugendlicher Tischsprecher beim Sommerball zu sein hatte.

"Ja, bin ich", lächelte Claire, froh, daß er ihr endlich die Frage gestellt hatte, auf die sie ihm doch so gerne die Antwort geben wollte. "Maman und Madame Lumière haben mich einen Tag vor eurem Eintrudeln gefragt, ob mir das zu stressig sei mit der Brautjungfernvorstellung oder ob ich auch Tischsprecherin beim Sommerball sein wolle, wo Jeanne und Barbara an den Tischen für Ehepaare und Familieneltern sitzen werden."

"Du hast da natürlich kein Problem mit", sagte Julius belustigt. "Dann hast du mich auch schon an deinen Tisch gesetzt?"

"Eben das konnte ich mir noch nicht ausgucken. Madame Lumière macht die Tischordnungen nach ihrer Laune, damit es keine ausgewählten Gruppen an einem Tisch gibt. Will sagen, die hat uns beide todsicher nicht an denselben Tisch gesetzt."

"Na toll. Dann darfst du mit Jacques den Eröffnungstanz tanzen", feixte Julius, der wußte, wie überaus ungern Barbaras Bruder diesen Ball besuchte. Eigentlich dachte er, Jacques wäre nach dem Theater vom letzten Sommer nicht mehr dazu gedrängt worden. Doch offenbar hatte Barbara mit ihrer Hochzeit was gedreht, daß ihr kleiner Bruder doch mittanzen mußte.

"Meine Mutter darf auch hier sein?" Versicherte sich Julius.

"Nein, die wird gleich in einen Zauberschlaf versenkt, bis wir wieder nach Hause gehen", revanchierte sich Claire für das von eben.

"Alles Klar, Claire", erwiderte Julius etwas verdutzt.

"Aha, da ist die Sitzordnung", bemerkte Claire, als sie an einen großen Tisch traten, auf dem mehrere Pergamente lagen. Barbaras Mutter stand daneben und unterhielt sich mit Otto Latierre, einem Onkel Martines und Millies. Der hochgewachsene, rotblonde Zauberer wirkte wie ein Bewohner Schottlands in seinem grün-blau gemusterten Umhang, der unten eher wie ein Rock geschnitten war. Julius kannte einige der Familienmuster aus der Muggelschulzeit, doch der Umhang ähnelte keinem, das er kannte.

"Welchem Dudelsackspieler haben Sie den den abgekauft?" Fragte Julius frech. Madame Lumière räusperte sich zwar, mußte aber dann grinsen. Claire sah ihren Freund verdutzt an.

"Du bist doch Engländer, oder? Sonst kriege ich diese Frage von Schotten gestellt. Dieser Umhang ist der Zeremonienkleidung der La-Tierra-Garde der hispano-maurischen Zaubererbruderschaft nachempfunden, die vor der Reconquista, der Rückeroberung Spaniens durch die Christen das gute Verhältnis zwischen orientalischen und okzidentalischen Zauberern gepflegt haben. Das ist also eher eine Ehrenuniform, vergleichbar mit denen der britischen Garden vor dem Buckingham-Palast oder dem Tower. So'n deutscher Scherzbold, der sich selbst als "Jeck" bezeichnet hat, Verglich diesen Umhang mit den Uniformen der Kölner Funken, die beim dortigen Karneval auftreten. Dabei ist diese Tracht schon viel älter als der Rheinische Karneval."

"Aha", antwortete Julius sehr beeindruckt. Madame Lumière fragte:

"Ist dieser Umhang nicht eher für den erstgeborenen Latierre?

"Das stimmt zwar. Aber Charles, mein ältester Bruder, wollte wegen der partnerschaftlichen Harmonie in Jägergrün kommen, wie Josianne. Deshalb darf ich als unverheirateter Bursche damit heute brillieren", sagte Otto Latierre. Julius verstand. Die verheirateten Latierres hatten sich tatsächlich entsprechende Kleidung mitgenommen, um zusammen gut auszusehen.

"Du wolltest die Tischordnung prüfen?" Fragte Madame Lumière Claire zugewandt. Diese nickte. Dann fragte sie:

"kann ich mir nicht aussuchen, wer bei mir am Tisch sitzt?"

"Will sagen, ob Julius gleich bei dir am Tisch sitzt?" verdeutlichte Madame Lumière die Frage. Dann schüttelte sie den Kopf.

"Du weißt, daß ich das nicht gerne mache, befreundete Paare an einen Tisch zu setzen, solange sie nicht offiziell verlobt sind. Immerhin geht das ja bei dieser Veranstaltung auch um das Kennenlernen, und ich denke doch, du würdest deinen erwiesenen Traumpartner gerne den ganzen Abend mit beschlag belegen. Das möchte ich nicht."

"Ach mann", knurrte Claire. Barbaras Mutter warf ihr einen zur Vorsicht gemahnenden Blick zu. Dann gab sie Claire eine Tischordnung. Julius hörte bereits die Musiker die Instrumente stimmen.

"Wunderbar haben sie das angestellt, Madame", blaffte Claire. "Ich darf mit Gustavs holzbeinigen Cousins Bernard und Ralph, Jacques, Belisama und Elisa an einem Tisch sitzen. Oh, Julius benimm dich ja anständig. Du sitzt am Tisch mit Bébé, Millie und Vanessa. César ist der Tischsprecher und Argon sitzt auch noch bei dir. Gut gemacht haben Sie das, Madame!"

"Möchte die Mademoiselle mir jetzt Vorhaltungen über die Zuteilung machen?" Fragte Madame Lumière mit sehr bedrohlichem Gesichtsausdruck. Claire winkte ab. "Wollte ich Ihnen auch geraten haben, Mademoiselle", bekräftigte die Mutter von vier Kindern. Julius blieb ruhig. Claire war offenbar eifersüchtig. Wie er das abkühlen sollte wußte er nicht.

"Maman, muß ich wirklich hier mitmachen?" Fragte Jacques, noch im schnellen Lauf herankommend.

"Jacques, ich werde es dir nicht dreimal erklären. Barbara hat heute geheiratet und wird den ersten Sommerball als Madame van Heldern miterleben. Da haben alle Familienangehörigen im ballfähigen Alter dabei zu sein. Du sitzt bei Claire am Tisch, wo wir schon mal dabei sind. Claire, am besten nimmst du den ungehobelten Burschen zum ersten Tanz mit."

"Haha, wo die Kleinen bei dieser Kuhtreiberin in der Kinderverwahrgruppe sind, wie die jüngeren Latis und die anderen Bälger unter elf. Wieso sind eigentlich deren Krawallzwillinge eingeladen? Die sind gerade erst elf, haben gerade die Aufnahme für Beauxbatons geschafft und sollen mittanzen?"

"Ach, daher weht der Wind", lachte Madame Lumière. Wie zur Bestätigung einer Vermutung eilte Pennie oder Callie Latierre heran. Julius bewunderte es, wie sie in ihrem hellblauen Glitzerkleid und den goldenen Bändern im rotblonden Haar dem Bild einer höheren Stadttochter näherkam als einem Bauernmädchen. Aber die Latierres oder "Latis", wie Jacques sie nannte, hatten es ja.

"Kann man hier schon die Eröffnungstänze anmelden, Madame. Ich würde gerne Ihren Sohn zum Eröffnungstanz ausführen."

"Steck's dir wohin, blöde Gans!" Fauchte Jacques.

"Na, Jacques, nicht in dem Ton!" Mahnte seine Mutter. Dann fragte sie belustigt: "Wen müßte ich denn dann vermerken? Ich kann euch beide noch nicht unterscheiden."

"Ich bin Penthesilea Latierre, Madame Lumière", erwiderte das Mädchen. "meine Schwester Calypso ist noch dahinten. Sie trägt das rigelblaue Kostüm mit den weißen Rüschen."

"Rigelblau? Die Farbe kenne ich noch nicht", erwiderte Madame Lumière belustigt. Dann rümpfte sie die Nase und meinte: "Mein Gedächtnis. Sicher kenne ich die Farbe. Madame Esmeraldas neuer Modeschöpfer hat ja eine Kollektion mit neuen Farben kreiert. Barbara wollte ja das wegaweiße Brautkleid. Aber das war mir dann doch etwas zu gewagt für längere Tanzabende."

"Warum das immer so heißt, Maman, die Tussi braucht es nicht zu versuchen. Ich tanze nicht mit Küken, wenn überhaupt. Am besten verzieh ich mich nach Hause, egal was du und Papa davon halten. Fixie hat uns ja noch diesen Kombitrank als Hausaufgabe aufgeladen. Den Aufsatz mache ich dann eben heute."

"Eh, Küken hast du zu mir gesagt?" Fragte Penthesilea. Jacques nickte. Dann meinte Madame Lumière:

"Du tanzt den ersten Tanz mit Claire, damit Barbara und Gustav sehen, daß wir alle tanzen können. Pennie, ich würde dir nur so vorab empfehlen, weniger ungestüm vorzugehen, wenn du einen Tanzpartner suchst. Mein Sohn ist ein wenig schüchtern sehr bestimmenden Damen gegenüber."

"Geht klar, Madame", sagte Pennie locker und bließ Jacques einen Flüchtigen Kuß zu, worauf dieser wie vom Stromschlag getroffen zusammenzuckte. Sie lachte glockenhell und entfernte sich.

"Habe ich das eben richtig mitgekriegt, oder hat da wer von Madame Esmeralda eine Kleiderserie mit Sternennamen rausgebracht?" Amüsierte sich Julius.

"Ja, die ist vor sechs Monaten rausgekommen. Allerdings weiß ich nicht, welche Sterne alle da ihre Farbe haben hergeben müssen", sagte Claire. "Aber ich habe Jeannes Hexenwelt von damals noch. Die wollte wohl auch schon ein Brautkleid aussuchen."

"Wegaweiß. Klingt für einen Modefummel sehr spacig", sagte Julius.

"Wie bitte?" Fragte Madame Lumière.

Öhm, so heißt das, wenn was total abgehoben oder auf den Weltraum bezogen ist", erklärte Julius. Dann wünschte er Claire genügend Durchhaltevermögen. Sie sagte dazu nur:

"Wenn die beiden Mädels nach Beauxbatons kommen sollte Jacques sich was suchen, bevor die ihn buchen." Sie lächelte verschmitzt. Dann meinte sie noch: "Aber das hält ja eine Latierre nicht unbedingt ab, jemanden zu umschwärmen."

"Wir wissen es", sagte Julius leicht genervt, weil ihm Claires Abneigung gegen Millie langsam keinen Spaß mehr machte. Irgendwie fühlte er sich bevormundet, wenn Claire ihm Verhaltensvorschriften im Bezug auf die Latierres machte. Wenn da noch zwei Cousinen und eine Tante Millies neu nach Beauxbatons kommen würden, konnte das noch heftig werden. Nur gut, daß Jacques offenbar schon von dieser Pentheisilea vorbestellt war. Offenbar hatte die rausgekriegt, daß Jacques ein totaler Partymuffel war und fand es wohl lustig, ihn umzupolen oder zumindest bei Laune zu halten. Was würde er machen, wenn ihn jemand so offen und dreist für sich beanspruchte? Er wußte es nicht.

"Wann müssen wir Tischsprecher und -sprecherinnen hier sein?" Fragte Claire die Organisatorin des Sommerballes.

"In einer halben Stunde. Wir fangen heute etwas früher an", sagte Madame Lumière.

"In Ordnung", bestätigte Claire und zog Julius vom Tisch fort. Da kam auch schon César und wollte sich seinen Tischbelegungsplan holen. Er grinste Claire aus seinem rosigen Mondgesicht breit an.

"Na, ist deine Schwester wieder fit oder läuft das heute außer Konkurrenz für dich?"

"Ihr seid echt eine gemeine Gaunerbande. Warum Bruno dich als Trauzeugen mithaben wollte weiß keiner", erwiderte Claire, die leicht grinsen mußte.

"Du kommst zu uns an den Tisch, Julius, habe ich gehört?" Fragte César.

"Yep", sagte Julius locker.

"Dann bis in einer halben Stunde", sagte César.

Claire ging mit Julius noch ein wenig im Musikpark herum. Dabei trafen sie auch auf Madame Ursuline Latierre, die sich mit Madame Montferre unterhielt.

"Hallo, ihr beiden", grüßte Millies Großmutter. Julius erwiderte den Gruß höflich. Dann fragte er: "Wieviele Enkeltöchter haben Sie eigentlich?"

"Im Moment so um die zehn, davon aber vier noch nicht einmal acht Jahre alt. Warum fragst du?"

"Weil jemand die Krise kriegt, weil ihm gleich zwei auf einmal hinterherliefen", lachte Julius. Claire, die erst gemeint hatte, er spreche von sich selbst, verzog zwar das Gesicht, mußte dann aber grinsen. Natürlich sprach er von Jacques.

"Ich weiß", erwiderte Madame Latierre mit amüsiertem Schmunzeln. "Er sollte sich geehrt fühlen, wenn ihm zwei vielversprechende junge Damen bereits ihre Sympathie entgegenbringen. Mag sein, daß andere das für frühreif halten. Aber um gut zu werden muß man ja üben, solange es noch nicht gewertet wird. Natürlich gilt das für solche Sachen, die keine nachhaltigen Folgen haben."

"Wollte doch sagen", erwiderte Madame Montferre. Dann gingen die beiden Hexen weiter.

Nach einer Runde Geplauder mit anderen Ballbesuchern, die nicht noch einmal nach Hause gegangen oder geflogen waren traten die Tischsprecher an ihre Tische. Claire zog Julius kurz an sich:

"Lade dir nicht zu viele Tänze auf, Juju! Wäre doch schön, wenn wir den Tanzschuh heute noch einmal kriegen."

"Bis nachher", sagte Julius und sah, wie seine Freundin ihrem Tisch zustrebte. Sie wirkte mißmutig. Das mochte daran liegen, daß sie mit dem Partymuffel Jacques zuerst auf die Tanzfläche mußte. Julius kam sich etwas abgestellt und nicht weiter benötigt vor. Er blickte sich eher mechanisch als gezielt um. Seine Mutter nahm gerade an Madame Delamontagnes Tisch platz, an dem auch Madame Faucon saß, sowie das junge Paar Jeanne und Bruno Dusoleil. Das gerade heute erst einander angetraute Paar setzte sich zu den Montferres und Lagranges. Die Latierres bildeten zusammen mit der übrigen Verwandtschaft von Brunos Seite eine große Kolonie innerhalb der Tischgemeinschaften. Julius sah die Odins zusammen mit Camille und Florymont Dusoleil an einem Tisch sitzen.

"Heh du, du möchtest bitte zu dem rundlichen Herren rübergehen", sagte Yves, Julius Quidditch-Kamerad, der dieses Jahr mit Beauxbatons fertig geworden war. Julius nickte und ging hinüber zu einem Tisch, an dem Laurentine links von César Rocher saß und wohl Probleme mit ihrem himmelblauen Festumhang hatte.

"Hallo, Julius", grüßte César jovial. "Schön, daß du heute an meinem Tisch sitzen darfst.

"Wenn die kleine Schwester von Martine sich endlich von ihrer Mutter loseisen kann und Vannie ihre Malerarbeiten endlich beendet hat sind wir komplett."

"Einer fehlt noch", sagte Julius. Doch da kam Argon Odin schon herüber.

"Also diese weiße Flügelkuh ist schon ein Riesenbrüller. Ich habe Melanie gerade bei Madame Barbara Latierre abgegeben. Die hat da einen Spielplatz hingestellt mit Sandkisten, Rutschen und Schaukeln und diese Grasstreichelbesen hingelegt, diese Tu-dem-Kind-nicht-weh-Babybesen. Ich habe ihr drei Sicks in die Hand gedrückt, für jede halbe Stunde eine halbe. Babette ist ja schon eine Könnerin in Fernbewegung. Die hat meiner Schwester die Keksdose aus den Händen gezogen, wo die noch vier Schritte von der wegstand. Hoffentlich kriegt die Latierre den Sack Gnome ruhig durch den Abend. Aber diese Demie muß ja die Ruhe selbst sein. Die liegt im Gras und mampft an Grünzeug, das sie wohl vorher schon einmal runtergefuttert hat", sprudelte es aus Argon heraus. Dann kam Vanessa Brunner, eine Cousine von Gustav, die jetzt in der fünften Klasse von Beauxbatons war und da den Roten Saal bewohnte. Julius überlegte, daß Laurentine und er die einzigen Grünen hier am Tisch waren. Argon gehörte zu den Violetten, alle anderen waren Bewohner des roten Saales. Das galt insbesondere für Millie, die in ihrem meergrünen Kleid wie eine Film-Diva auf dem Weg zur Oscar-Verleihung heranschwebte. Als sie Julius und Bébé sah, strahlte sie die beiden an. Dann steuerte sie zielgenau auf den Platz links von Julius zu. Dieser überlegte schon, wie er den Abend ohne große Probleme über die Bühne bringen sollte. Doch dann entschied er sich, es locker laufen zu lassen. Claires Eifersüchteleien sollten ihm nicht den Spaß verderben.

"Hallo, zusammen", grüßte Mildrid und zupfte sich gekonnt am Kleid, daß sie ohne es zu knittern neben Julius auf dem gepolsterten Stuhl landete. Dann musterte sie ihn.

"Zu deinem blonden Schopf paßt der himmelblaue Umhang mit dem sonnengelben Kragen, Julius", hauchte sie ihm zu. Julius kämpfte verbissen darum, sich nicht verlegen zu fühlen. Es gelang ihm zwar, doch dafür fand er keine gebührende Antwort auf Millies Kompliment. Laurentine, die sich irgendwie unwohl fühlte, weil Vanessa sie kritisch anblickte, warf ein:

"Ich wollte diesen Umhang nicht anziehen. Ich habe so'n Kleid von Zuhause. Aber meine werte Gastmutter meinte, ich sollte bitte keine Muggelsachen anziehen. Da hat die mir von Virginie den Einstandsumhang geliehen, mit dem die zuerst hier mitgemacht hat. Ist mir zu eng."

"Oder du bist zu dick für das Kleid", lachte César und klopfte sich auf den runden Trommelbauch. Der klang hohl.

"Tja, bei einer Betazoidenhochzeit hättest du wohl keine Probleme mit der Klamottenauswahl gekriegt", scherzte Julius. Laurentine überlegte und sah ihn dann trotzig an.

"Das hätte ich meiner Herbergsmutter mal androhen sollen, in betazoidischer Hochzeitsbekleidung aufzulaufen. Aber ich fürchte, der Schuß wäre nach hinten losgegangen."

"Was ist bitte ein Betazroider?" Wollte Vanessa wissen, die ihr weizenblondes Haar mit einer eleganten Kopfbewegung hinter ihren Nacken warf.

"Betazoiden sind Leute von einem anderen Planeten", sagte Julius. Er mußte grinsen, wenn er daran dachte, was die hier sagen würden, wenn er oder Bébé erzählten, was diese Wesen bei Hochzeiten für eine Kleiderordnung hatten.

"Was ziehen die denn so an?" stellte Vanessa die erwartete Frage.

"Möchtest du das echt wissen?" Fragte Laurentine.

"Die hat dir die Frage gestellt, weil sie's wissen will, Mademoiselle Hellersdorf", mischte sich Millie ein. Dann wandte sie sich an Julius. "Aber du weißt das ja offenbar auch, was diese Weltraumleute bei ihren Hochzeiten anziehen."

"Klamotten sind ein Mädchenthema", sagte Julius vergnügt grinsend. Laurentine schien zu überlegen, ob sie jetzt die Katze aus dem Sack lassen sollte. Dann brach es aus ihr heraus:

"Die heiraten da ohne alles."

Die Mädchen sahen sie ungläubig an. Die Jungen grinsten feist, von Julius abgesehen, der das ja schon vorher gewußt hatte.

"Oh, und die Gäste sind auch nackig?" Fragte Millie, während Vanessa wohl noch überlegen mußte, wie sie das finden sollte. Julius nickte Millie zu. Argon meinte:

"Erspart einem das Klamottenkaufen. Außerdem können die Verheirateten dann gleich zur Sache kommen." Julius hätte jetzt zumindest von Vanessa eine gewisse Verlegenheit erwartet. Doch diese lachte lauthals, ebenso wie Millie. Wieder einmal erkannte er, daß die aus dem roten Saal vieles wesentlich unverklemmter sahen als es ihm anerzogen worden war.

"Das Ding ist ja saustark", lachte César. Argon setzte dem noch einen drauf und sagte:

"Da hätten Yves und du euch auch das Ding mit dem Haus ersparen können oder?"

"Klar, Argon. Hätte dann ja nix gebracht", erwiderte César.

Laurentine, die ohne das eigentlich zu wollen zur Stimmungsmacherin geworden war, sollte dann noch erzählen, was in erfundenen Welten der Muggel noch so abging. Julius überließ ihr das Reden und beobachtete die übrigen Gäste, die sich hinsetzten. Dann trat Madame Lumière auf die Bühne und begrüßte die Gäste zum Sommerball. Sie erwähnte die Buffets und Bedürfniskabinen und sprach zum Abschluß:

"Und ich freue mich sehr, heute abend sehr viele auswärtige Gäste begrüßen zu dürfen. Es ist wohl auch das erste Mal, daß dieses gesellschaftliche Ereignis von einer Dame aus der nichtmagischen Welt beehrt wird. Daß sie sehr gut tanzen kann durften wir gestern bereits wohlwollend feststellen. Daran erkennt man die vorzüglichen Anlagen, die ihr Sohn bereits zweimal an diesem Ort so erfolgreich umsetzen konnte. Ob es ein drittes Mal gibt wird sich nachher herausstellen. Somit bleibt mir nur, am Tage der Hochzeit meiner Tochter Barbara, die große Ehrenpflicht zu erfüllen und den Mittsommerball 1996 zu eröffnen. Ich bitte zum ersten Tanz, dem langsamen Walzer, unsere jungen Ehepaare, Madame und Monsieur Dusoleil und Madame und Monsieur van Heldern, den Abend zu eröffnen. Die Tischsprecherinnen und Tischsprecher mögen sich unter ihren Tischgenossen passende Partner suchen! Ansonsten gilt Damenwahl. Möge der Abend ein Riesenspaß und ein großes Ereignis werden!" Alle klatschten Applaus. Julius warf einen Blick zum Tisch seiner Mutter hinüber. Sie wirkte etwas verlegen, weil Madame Lumière sie so hervorgehoben hatte. Doch als die beiden jungen Paare auf die Tanzfläche traten und die Musik einsetzte, wirkte sie wie immer, ruhig und beherrscht. Tatsächlich stand sie auf und fragte einen ihr schräg gegenübersitzenden Zauberer, ob er mit ihr tanzen würde, da Madame Faucon, die Tischsprecherin, bereits einen verdienten Bürger Millemerveilles' aufforderte.

"Nein, César, vergiss das!" Knurrte Laurentine. Julius konzentrierte sich wieder auf seinen Tisch. Vanessa hatte gerade Argon aufgefordert und sich bei ihm untergehakt. César stand neben Laurentine. Dann fühlte er eine schmale, warme Hand um seine Schulter.

"Hat Claire dir verboten, mit mir zu tanzen oder darf ich bitten?"

"Sie hat es mir nicht verboten", sagte Julius. César zog Laurentine vom Stuhl und flüsterte ihr wohl was zu. Millie hakte sich bereits bei Julius unter, bevor dieser aufgestanden war. Jetzt konnte er nicht mehr zurücktreten.

Während erst die beiden jungen Ehepaare zur Musik ihre Figuren tanzten, gruppierten sich die gebildeten Tanzpaare um das Parkett. Eine halbe Minute lang gehörte die Tanzfläche Jeanne, Barbara, Bruno und Gustav. Barbara in ihrem weißen Brautkleid strahlte wie ein Tupfer frischen Schnees im Spiel der hellen Kerzen und Lampions. Dann traten die älteren Ehepaare auf die Tanzfläche und dann die mehr oder weniger tanzwillige Jugend. Julius suchte Claire und Jacques. Claire hatte Barbaras Bruder so zurechtgedreht, daß er einigermaßen ansehnlich dastand, bevor der Tanz losging.

"Nicht immer anderswo hingucken, Julius! Wenn du mit einem Mädchen, meinetwegen auch einer Dame tanzt, gehört der Tanz ihr und nicht anderen", sagte Millie und zupfte Julius keck am Kragen, daß er sie abrupt ansah. Dann lächelte sie. Er lächelte aus Reflex zurück. Oder war es kein Reflex? Er mußte zugeben, daß Millie in dem langen Kleid wirklich eine sehr anmutige Figur machte und ihr rotblondes Haar sehr glatt über ihre Schultern fiel. Doch es war nicht das leicht gewellte Schwarz von Claire, das er so gern in Bewegung sah. Doch sie hatte recht. Es war unhöflich, beim Tanzen ständig nur anderswo hinzusehen. So vollführten Millie und Julius eine halbe Minute lang die für den langsamen Walzer vorgesehenen Schritte, ohne einander etwas zu sagen. Dann fragte Julius Millie:

"Hat dir der Tag heute soweit gefallen?"

"Ja, hat er. Aber er ist ja noch nicht um", sagte Millie lächelnd. Dann zwinkerte sie Julius zu und meinte: "Interessant fand ich es, daß deine Mutter den Brautstrauß gefangen hat. Wieso ist ihr das peinlich?"

"Weil sie ja deshalb unverheiratet ist, weil mein Vater uns nicht mehr um sich haben wollte. Aber darüber möchte ich nicht sprechen. Ich hoffe, daß verstehst du."

"Sicher ist das peinlich, wenn ein Mann einfach sagt, jetzt will ich nicht mehr. Aber dann kann deine Mutter sich ruhig neu umsehen. Ich denke, sie fühlt sich bestimmt noch jung genug für was neues."

"Kommt drauf an, was du meinst, Millie. Vielleicht findet sie ja irgendwann mal wen. Aber ob das was festes gibt, dazu gebe ich auch keinen Kommentar ab."

"Du meinst, das hat keinen zu interessieren, was in deiner Familie abgeht, Julius. Wenn du mit mir redest brauchst du nicht so umständlich zu reden."

"Hallo, möchtest du mir jetzt etwa vorschreiben, wie ich zu sprechen habe?" Erboste sich Julius. Millie schüttelte den Kopf.

"Ich habe gesagt, du brauchst nicht so umständlich zu reden. Das heißt nicht, du hast nicht so zu reden. Die Schlange der Leute, die dir meinen was vorschreiben zu müssen, ist mir zu lang, um mich da anzustellen. Ich fände es nur lockerer, wenn wir oder du und Claire oder Belisama uns nicht wie fremde Leute bei einer wichtigen Zusammenkunft anreden würden." Sie lächelte Julius sehr warm am. Er fühlte, wie ihm das einen heißkalten Schauer über den Rücken jagte. Dieses Mädchen da versuchte schon wieder, ihn mit seinen Tricks einzuwickeln. Doch der Widerstand dagegen war heute nicht sonderlich stark, stellte er fest.

"kann sein, daß du zu viel mit anderen Leuten zusammen warst, die angst vor dem haben, was sie so sagen. Bei Königin Blanche und Madame Dorfrätin ist das bestimmt auch angezeigt, genau zu wissen was du sagen willst. Aber du hast ja mitgekriegt, daß Oma Line da anders gestrickt ist."

Julius mußte nicken. Dann sah er Madame Delamontagne, die mit ihrem Mann über die Tanzfläche schwebte wie eine Königin. Millie sah, wo Julius hinsah und grinste. >

"Die hat gegen Oma ganz schön alt ausgesehen. Im eigenen Revier geschlagen zu werden ist wohl was neues für die. Ach neh, du hast die ja letztes Jahr schon abgefertigt."

"Wollen wir jetzt über Schach reden?" Fragte Julius, der genau wußte, daß Millie diesem Spiel nichts abgewinnen konnte.

"Neh, da habe ich keinen Dunst von, weißt du doch. Ich meinte nur, daß Oma Line Madame Delamontagne sehr heftig fertig gemacht hat. Schon aufgeregt vor der Amerikareise?"

"Ein wenig, weil ich da das letzte Mal als vierjähriger Bengel war. Ist bestimmt was geniales, die Zaubererwelt von denen und die Muggelstädte zu besuchen. Aber das ist ja erst übermorgen."

"Wir fliegen morgen Nachmittag los, wenn wir alle ausgeschlafen haben. Ist also mein letzter Abend hier. Könnte aber wohl öfter mal herkommen. Maman hat sowas gesagt, daß sie wegen der Weltmeisterschaft eine Außenstelle hier einrichten will. Da kann ich in den Ferien mal rüberkommen."

"Ja, mit den Leuten hier kommst du ja wohl gut klar", sagte Julius, bevor ihm einfiel, was Millie damit eigentlich gemeint hatte. Denn wenn sie ferien hatte, hatte er ja auch welche. Es war kein Geheimnis, daß er hier mehr oder weniger sein zweites Zuhause hatte und nur geklärt werden mußte, bei wem er mal übernachten sollte. Ihn schauderte, weil er sich fragte was Millie damit bei ihm anregen wollte. Wollte sie ihn verunsichern? Wollte sie ihn locken oder was auch immer?

"Heh, träum nicht!" Rief Millie ihn amüsiert dreinschauend in die Gegenwart zurück. "Oder möchtest du mir erzählen, wovon du träumst?"

"Ich träume nicht. Ich muß nur über so vieles gleichzeitig nachdenken. Schachspielerkrankheit", erwiderte Julius.

"Oh, dann solltest du das Schachzeug mal weit von dir stellen und dich mal richtig ins Leben stürzen."

"Ich weiß nicht, was du als richtiges Leben ansiehst, Millie. Ich bin bisher damit gut zurechtgekommen, und Claire auch."

"Hat sie dir so gesagt", gab Millie zurück. Julius merkte, daß er sich selbst ein Bein gestellt hatte, und zwar nicht beim Tanzen. Er versuchte die schwierige Lage so zu überspielen, daß er sagte:

"Bisher kommen Claire und ich gut miteinander aus. Wenn da was sein sollte, sagt sie mir das ganz sicher früh genug."

"Wenn du dann auch damit klarkommst, was sie sagt", erwiderte Millie. Julius hatte seinen Ausbruch aus der unangenehmen Situation verpulvert und stand immer noch im Schach. Millie schien auf irgendwas hinzudeuten, von dem er nicht wußte, was es war und warum sie ihn darauf ansprach. Ihm fiel die alte Leier ein, daß Millie ihn früher in Beauxbatons geneckt hatte und er einmal aus Jux davon gesprochen hatte, sie würde eine ganze Quidditchmannschaft Kinder von ihm kriegen. Das war auch nach hinten losgegangen. Denn das hatte Mildrid Latierre nur noch neugieriger auf ihn gemacht. War das jetzt wieder ein Spiel von ihr oder wieder was ernsteres? Er erinnerte sich auch an den Kuß, den sie ihm nach einem Quidditchspiel gegeben hatte und später noch einmal, als Goldschweif sie beide zusammengeführt hatte. Wo war für dieses Mädchen Spiel und wo bitterer Ernst?

"Ich denke schon, daß Claire weiß, wie sie mir was zu sagen hat, damit ich es kapiere", brachte Julius heraus. Er hoffte, daß der Tanz zu Ende ging und er diesem Wortgeplänkel elegant entschlüpfen konnte. Doch Millie schien seine Gedanken erfaßt zu haben. Sie meinte:

"Du machst auf mich den Eindruck, als müßtest du überall und jederzeit einen Angriff abwehren, obwohl du selbst keine Feinde siehst, anders als einer, der unter Verfolgungswahn leidet. Was haben die Leute mit dir angestellt, die sich bisher um dich gekümmert haben?"

"Kein Kommentar weil unwichtig für dich", konterte Julius schwach aber wie er hoffte ausreichend, um dieses Verhör abzuwürgen.

"Gut, wie du meinst. Du mußt es mir nicht sagen. Ich wollte dir nur zeigen, daß du nicht überall auf Hochtouren zu laufen hast. Du tanzt hier, weil du das gut gelernt hast und dir das auch Spaß macht. Würde es dir vielleicht noch mehr Spaß machen, wenn es am Ende keine Trophäen geben würde? Wenn du, Claire und wir alle anderen einfach mal einen schönen Abend mit Tanz und Musik verbringt?"

"Auf die Trophäe vor zwei Jahren bin ich nicht scharf gewesen. Aber ich habe mich doch gefreut, sie zu kriegen", sagte Julius. Das Gefühl, dieses Mädchen da halte ihn nicht nur am Körper sondern auch an seinem Verstand fest gefiel ihm nicht. Andererseits waren ihre Fragen nicht so verkehrt. Auch das was Kevin angestellt und ihm gesagt hatte mischte sich in diese Überlegungen hinein. Was wäre, wenn nicht Kevin oder Jacques verkehrt wären, sondern er? War es nicht irgendwann mal Zeit, seinen eigenen Kopf zu gebrauchen, rauszukriegen, was er eigentlich wollte? Viele fingen mit vierzehn damit an. Warum sollte er das nicht?

"Es ist nichts, was ich bisher anders gemacht hätte als ich's gemacht habe", sagte Julius. Doch er wußte nicht, ob das wahr war. Er hatte das ganze Leben gelernt, vorgeführt, experimentiert und weitergelernt. Mit Malcolm und Lester hatte er zwar wie ein Junge unter anderen Jungen gespielt, gerauft und auch einiges an Streichen gespielt. Doch ab Hogwarts hatte er sich nur noch dafür interessiert, was er lernen konnte und wie weit er schon war, und in Beauxbatons hatten sie das noch stärker von ihm gefordert.

"Das ist schön, Julius", sagte Millie wohlwollend lächelnd. "Das gleiche kann ich bisher auch von mir sagen, auch wenn Martine das etwas anders sieht. Aber du hast ja keine älteren Geschwister, die dich da andauernd löchern."

"Genau deshalb kann ich wohl auch so stressfrei leben", sagte Julius schnell. Irgendwie fand er, daß er das jetzt sagen mußte. Millie grinste.

"Das freut mich", sagte sie und ließ kurz ihre rechten Finger durch das Haar gleiten. Sie atmete tief ein, als wolle sie alle Luft an diesem Ort in ihre Lungen saugen. Ihr meergrünes Kleid schmiegte sich sehr eng um ihre Rundungen, deren genaue Formen Julius für einen Sekundenbruchteil so klar vor Augen standen, als habe Millie weder Kleid noch Unterwäsche an. Wie ein kochendheißer Wasserschwall flutete ein Traumbild sein Bewußtsein, wie er in Martines Armen lag und sich ihr warmer, langsam pulsierender Leib an seinem rieb. Dieser Schauer raste wie ein Schluck heißen Tees durch seine Eingeweide und staute sich in seinem Unterleib. Gerade so eben merkte er noch, wie sein Körper auf den reinen Traumsplitter reagierte. Die Stille, die nach dem letzten Takt des Stückes über sie alle herabsank, holte ihn aus der inneren Aufwühlung zurück. Millie sah ihn an, als wolle sie ihn legilimentieren. Er versuchte, ihrem Blick auszuweichen. Doch sie zupfte ihm am Ärmel und meinte, sie wolle ihm nichts böses tun, daß er sie nicht ansehen dürfe. Dann sagte sie:

"Danke für den Tanz, Julius. Auch wenn du zwischendurch in Gedanken versinkst bist du ein sehr guter Tänzer. Man sieht sich ja doch wohl noch häufiger."

Julius nickte und kehrte mit Millie an den Tisch zurück.

Die nächsten zwei Tänze gehörten ihm und Claire. Claire fragte ihn, was millie ihm gesagt habe und er sagte nur, daß sie wohl fände, es müsse noch mehr geben außer Schach und Bücher und Zaubereien zu üben. Claire meinte:

"Das finde ich auch, Juju. Andererseits versuche ich nicht, dich umzukrempeln und was anderes zu sein als du bist. Denn dann würde ich dich ja kaputt machen, zumindest das, was ich so interessant an dir finde."

"Ach, dann würdest du nicht versuchen, mich irgendwie anders zu stricken?" Wollte Julius wissen und grinste spitzbübisch.

"Stricken sowieso nicht. Wenn dann würde ich an dir rumsticken, vielleicht die Haare mal anders machen oder mit den Händen aus dir was neues formen wie eine schöne Tonvase aus einem Klumpen Erde. Aber ich habe Zeit, Juju. Wir sind noch vier Jahre in Beauxbatons, sofern du nicht wagst, wieder nach Hogwarts zu gehen, nachdem diese Gewitterziege da nicht mehr unterrichtet."

"Neh, nachdem Gloria und Pina erzählt haben, daß England eine Hochsicherheitsanlage geworden ist zieht mich da nichts hin. Mum ist hier in Frankreich, und ich finde, die ist da wesentlich besser aufgehoben", erwiderte Julius. Sicher, an und für sich wäre er gerne in Hogwarts geblieben. Doch das Jahr in Beauxbatons, was er dort erlebt hatte und wie er die anfängliche Abscheu vor dem harten Reglement da verloren hatte zeigten ihm, daß er jetzt erst recht die kommenden vier Jahre dort zubringen und alles mögliche lernen konnte. Er fühlte sich wohl, weil Claires Art, mit ihm zu reden und zu flachsen seine eingekeilte Seele wieder befreiten. Warum sollte er sich Gedanken machen, ob er ein anderes Leben führen sollte? Er war nicht unglücklich mit dem was er tat und hatte.

"Millie meint wohl, dir würde jeder hier alles mögliche aufladen. Ich denke das zwar auch. Aber ich würde dir damit nicht helfen, wenn ich dich durcheinanderbringen würde."

"Du denkst, die würden mir zu viel aufladen?" Fragte Julius. Claire nickte und sah ihn sehr entschlossen an. Er fühlte den warmen Schauer wiederkommen, der ihn beim ersten Tanz durchpulst hatte, als er in diese dunkelbraunen Augen sah, die ihn sanft aber bestimmt musterten. Er konnte jedes Haar der mit Hexenkosmetik geschmeidigen Wimpern sehen, so nahe kam ihm Claires Gesicht als sie ihm mit warmem Atem zuhauchte:

"Jeder, der dich großmachen will, zieht an dir herum. Aber dabei wächst du auch selbst, genau wie ich. Ich war früher immer das brave Mädchen, braver als Denise und noch etwas braver als Jeanne. Aber irgendwann reicht das nicht mehr. Wann das ist, kann ich dir genauso wenig sagen wie du mir. Du kriegst das raus. Etwas in dir ist ja schon aufgewacht. Sonst könnte Millie dich nicht mit einer Handbewegung so durcheinanderbringen. Sollten wir es weiter miteinander aushalten und jeder sich selbst dabei so gut es geht kennenlernen, dann ist das bestimmt die Zeit wert, wenn wir uns dann mal richtig austoben, ohne daß jemand dir oder mir reinredet." Sie hielt ihn etwas fester als die Tanzvorschriften es verlangten, drückte sich aus einer geeigneten Bewegung heraus an ihn. Da fühlte er es, wie es sich in seinem Unterleib regte, mit Claires straffem Oberschenkel zusammenstieß, etwas ungewohnt für ihn. Dann atmete er zweimal durch und versuchte, den gebotenen Abstand zwischen sich und Claire wieder einzunehmen. Doch sie hielt ihn sehr entschlossen und drehte sich und ihn. Seine Beine wurden warm und weich wie Kerzenwachs. Aus seinem Kopf schien alles Blut zu schwinden. Claire wußte offenbar, wie weit sie ihn in dieser Öffentlichkeit an sich heranholen durfte, um nicht ein wildes Skandalgeschrei auszulösen, und das heizte seine wohlige, ungewohnte Stimmung noch mehr an. Er dachte daran, daß er froh war, einen Umhang zu tragen, der nicht so eng anlag wie eine Jeanshose. Dann fühlte er für einen Sekundenbruchteil Claires linke Brust an seinem Brustkorb entlanggleiten. Doch wie ein Blitz im Gewitter war diese Berührung auch schon vorbei, bevor Julius es richtig wahrgenommen hatte.

"Ich kriege es mit, daß dein Körper schon mehr will, Julius. Millie kann das vielleicht besser als ich, aber nur vielleicht", säuselte Claire und wich die Zentimeter zurück, die zwischen einer leidenschaftlich innigen Verbundenheit zu einem gesellschaftsfähigen Tanz nötig waren.

"Uff! Das schlaucht ja schon beim Anfahren", dachte Julius. Er mochte sich nicht vorstellen, wie das sein mußte, wenn er die volle Bandbreite erleben würde. Er dachte an Jeanne und Bruno, die von zwei eifersüchtigen Junggesellen dazu verdonnert worden waren, sehr häufig zusammenzufinden.

"Claire liebt dich, Julius. Daran besteht für mich kein Zweifel mehr", sagte Martha Andrews, als Julius einige Tänze später mit seiner Mutter auf der Tanzfläche stand.

"Sie wollte nur ausreizen, wie nahe sie mir kommen darf, ohne daß jemand losbrüllt wie Edmond", sagte Julius.

"Ich habe euch beobachtet. Sei froh, daß Madame Faucon gerade mit privaten Angelegenheiten zu tun hatte. Ich glaube nicht, daß ihr das schmecken würde, wenn du langsam anfängst, andere Seiten an dir zu entdecken, wo sie dich am liebsten nächstes Jahr schon durch diese ZAG-Prüfungen schicken will", sagte Martha Andrews, während Julius errötete. Dann erzählte er ihr so leise es die Musik zuließ, was er empfunden hatte. Seine Mutter nickte einmal. Dann meinte sie:

"Wie das bei einem Jungen losgeht weiß ich natürlich nicht. Ich kann mir nur vorstellen, daß die entsprechende Entwicklung bei dir schon eingesetzt hat und ich doch froh darüber sein kann, daß dein Körper deinem Geist nicht hinterherhinkt. Ich habe Martine Latierre mit Millie reden hören. Millie behauptete doch dreisterweise in meiner Hörweite, daß wir, also die, die sich um dich kümmern, dich so schnell wie möglich groß und verantwortungsbeladen machen wollten, solange dein Körper uns läßt. Ich war drauf und dran dieser frechen Göre zu sagen, sie solle sich tunlichst um ihre Angelegenheiten kümmern, da sie laut Martines Einwürfen ja wohl mehr als genug davon hätte. Aber ich wollte meine Zeit nicht mit einer hormonübersteuerten Junghexe vertun", versetzte Julius' Mutter. Ihr Tonfall machte ihm etwas Angst. So gefühlsbetont sprach sie selten. Mochte es sein, daß Millie sie tödlich beleidigt hatte? Wenn sie das nicht sagte oder selbst nicht klären wollte mußte er es klären. Doch das durfte er seiner Mutter nicht so sagen. Er wartete also auf die Gelegenheit.

Zwischendurch tanzte er mit Madame Camille und Madame Jeanne Dusoleil, mit denen er sich zwar auch über ihn und Claire unterhielt, aber nicht so ins Detail ging. Jeanne meinte nur einmal:

"Millie Latierre meint, du wolltest anders sein als du bist, Julius, und sie wollte rausfinden, wie du sein willst. Ich fürchte, Claire hat nächstes Jahr einen schweren Stand, selbst wenn sie dich mit einem Walpurgisnacht-Ring an sich binden würde. Falls da wirklich was ist, von dem du nicht weißt, was es ist, kläre das zuerst mit dir selbst ab! Claire hat dich zwar sehr sehr gern. Aber sie hat natürlich Angst, daß sie was verkehrtes macht und du ihr dadurch verlorengehst. Also finde raus, was du wirklich sein willst!"

"Nichts für Ungut, Jeanne. Ich bin dir für sehr viel dankbar. Deshalb sei mir bitte nicht böse. Aber wußtest du mit vierzehn echt schon, was du mit achtzehn machen und sein wolltest?"

"So direkt nicht, Julius. Aber Träume hatte ich schon und auch dieses oder jenes, was ich sehr gerne mal ausprobieren wollte. Gut, die beiden Rabauken haben Bruno und mich ja letzte Nacht dazu gedrängt, unsere Träume einmal vollständig auszuprobieren. Mehr muß ich dazu nicht verraten." Sie errötete an Hals und Ohren. Julius nickte.

Nach dem Tanz mit Jeanne bat er Laurentine um einen Tanz. Er genoß es, mit einem Mädchen zu tanzen, mit dem er sich über sehr belangloses zeug unterhalten konnte, wenngleich Laurentine versuchte, ihn wieder auf Millie anzusprechen. Doch weil Millies Cousinen in der Nähe waren und mit gerade zwei jahre älteren partnern tanzten, verzichtete sie darauf.

Zwar gehörten die meisten Tänze Claire Dusoleil, doch zwischendurch fand er auch eine andere Partnerin, meistens eine ältere, wie die Montferres, Madame Hippolyte Latierre, die sich von ihm den Rock'n Roll zeigen ließ, Barbara van Heldern, bei der Julius es genoss, den zarten Stoff ihres Brautkleides in Händen zu halten. Offenbar las sie das an seinem Gesicht ab. Denn sie fragte, ob er es schon jetzt gerne hätte, mit einer ihm angetrauten Frau zu tanzen.

"Die Verpackung ist genial. Aber am Ende ist es doch das, was drin ist", bemerkte Julius mit einem Anflug von Dreistigkeit.

"Lümmel! Das hätte meinen Bruder bestimmt sehr amüsiert. Aber wehe wenn er auch nur daran denkt, dann hat ihn Penthesilea am Haken und wird ihn kriegen."

"Wie kommst du darauf, daß dieses Mädchen ihn echt haben will. Ich meine, die muß doch erst mal was werden", wandte Julius ein.

"Eben, und vorher schon einmal die Grenzen abstecken. Ich weiß nicht, was diese Pennie an meinem Bruder so fasziniert. Du hast recht, bei der müssen erst noch bestimmte Sachen in Gang kommen. Aber wenn die als Elfjährige schon so drauf ist, dann wird sie mit dreizehn oder vierzehn Jahren unersättlich sein. Oha, hoffentlich haben wir dann keine zweite Connie Dornier in Beauxbatons."

"Das ist nicht meine Kiste, Barbara", sagte Julius. Dann war der Tanz vorbei. Er bedankte sich, ließ noch einmal seine Hand über den seidigen, glatten Stoff von Barbaras Ärmel gleiten und kehrte zu Claire zurück.

"Barbara hat das genossen, Juju. Du mußt dich sehr gut mit ihr unterhalten haben."

"Ich habe ihr nur gesagt, daß ihr Kleid sich sehr schön anfassen läßt."

"Jaja, Julius Andrews. Aber der Zweck eines Brautkleides ist vorbestimmt. Jeder der sowas in den Händen hält, sofern ein Junge von mindestens dreizehn, denkt sich was dabei wie das ist, wenn die darin steckende Frau langsam daraus herausgeschält wird." Julius bekam ein rotes Gesicht. Claire lachte. "Habe ich mir doch gedacht, daß du das auch mit Barbara zumindest ansatzweise bequatscht hast. Aber wenn du dir einbildest, ich hätte auf jede Hexe eifersüchtig zu sein, mit der du gut tanzen und plaudern kannst, dann müßte ich schon längst die Wände hochgegangen sein." Das machte Julius schmunzeln.

Einmal, Claire hatte gerade private Dinge zu erledigen, kamen die beiden Latierre-Zwillinge an. Julius war schon drauf und dran "ich tanze nicht mit Küken" zu sagen, als die, die ein Kleid trug, dessen Blauton blasser war als der andere ihn ansah und keck sagte:

"Das Küken will mit dem Hahn vom Revier tanzen."

"Mal 'ne Frage Mädels, habt ihr Angst, was zu verpassen oder wieso legt ihr so'n Tempo vor?"

"Oh, sind wir dir auch zu schnell?" Konterte die mit dem etwas dunkleren Blau im Kleid. Es war Pennie Latierre.

"Nun, das klärt dann besser mit eurer Cousine Millie oder mit Claire Dusoleil. Ach ja, mit der seid ihr ja jetzt auch verwandt."

"Willst du tanzen oder sind wir dir wirklich noch zu klein?" Fragte Callie Latierre. Julius nahm sie wortlos beim Arm und führte sie auf die Tanzfläche. Das hätte er sich besser überlegen sollen. Denn weil gerade ein Samba gespielt wurde, mußte er sich mit dem einen halben Kopf kleineren Mädchen in einen wilden Tanz werfen und feststellen, daß das quirlige Bündel Hexenfleisch im blaßblauen Kleid ihm kraftmäßig locker das Wasser reichen konnte. Ziemlich geschafft verließen sie dann die Tanzfläche. Madame Ursuline Latierre kam gemessenen Schritts des Weges. Julius bewunderte es immer wieder, wie die hochschwangere Hexe ohne weit ausladende Bewegungen vorankam.

"Na, Wieselchen! Hast du endlich einen gefunden, der deine Wildheit aushält?" Fragte sie Callie, die sehr zufrieden zu Julius hinaufsah.

"Der kann was, Oma Line. Den könntest du Tante Trice glatt geben, wenn er groß ist."

"Hallo, wo sind wir denn hier?" Entfuhr es Julius. Irgendwie meinte er, dieser rotzfrechen Göre eine runterhauen zu müssen. Doch Madame Latierre baute sich gerade in ihrer vollen Größe und Leibesfülle vor ihm auf und nahm seine halb erhobene Hand. "Ich werte das als Annahme meiner Aufforderung, Julius. Es ist zwar im Moment Herrenwahl, aber ich bitte dich, mir noch einmal das Vergnügen zu gönnen, drei Damen gleichzeitig aufs Parkett zu führen."

"Warum nicht", sagte Julius und führte die hoffnungsvolle Mutter und bereits mehrfache Großmutter auf die Tanzfläche, wo sie sich zu einer Rumba bewegten.

"Also meine Enkel haben mein Blut in den Adern, soviel ist klar. Aber mach dir keine Sorgen. Ich würde dich meiner Béatrice nur geben, wenn du sie auch willst. Aber du bist bereits verplant und wenn sie so gut in Form bleibt wie ihre Schwester hast du bestimmt keine aus meinem Kaninchenstall nötig", sagte sie lächelnd. "Callie geht nur gerne zu Hochzeiten hin. Jetzt haben wir gleich zwei hintereinander besucht. Ende August liefert Barbara sie an der Reisesphäre ab. Dann muß sie die wirklich heftigen Sachen lernen und kommt hoffentlich auf andere Gedanken."

"Haha", konnte Julius dazu nur bemerken.

"Ich meine was ich sage. Immerhin habe ich das selbst so erlebt. Wie dem auch sei, im Moment bist du in guten Händen, und wenn dein Mädchen gut auf dich aufpaßt, hast du ein sehr schönes Leben vor dir."

"Und wenn ich doch nicht bei Claire bleiben kann, aus welchem Grund auch immer?" Wagte Julius, eine Frage zu stellen, auf die er selbst keine Antwort geben wollte.

"Tja, dann würfel ich für dich aus, welche von meinen Töchtern oder Enkeltöchtern dich kriegt und kette dich mit einem Walpurgisnacht-Ring an sie fest. So einfach ist das", sagte Madame Latierre mit übertriebener Inbrunst. Julius erbleichte, bevor er merkte, daß sie ihn verladen hatte und erst verlegen und dann amüsiert dreinschaute, während sie bereits lachte.

"Ui, da haben sie mich jetzt aber erwischt", gestand Julius ein.

"Als wenn ich es nötig hätte, meinen Töchtern oder Enkeltöchtern die Ehemänner auszusuchen. Das hat bei Hippolyte nicht geklappt, bei Barbara war es nicht nötig und den Rest bedenken wir mal mit Schweigen. Im Moment bin ich froh, daß Béatrice die Zeit hat, sich um mich und ihre beiden neuen Schwestern zu kümmern." Sie ließ sacht die linke Hand über den angeschwollenen Unterleib gleiten.

"Bei denen hätten Sie noch einmal die Gelegenheit", scherzte Julius.

"Wollen hoffen, daß sie überhaupt so weit am Leben bleiben, wenn dieser Größenwahnsinnige sich wieder breitgemacht hat. meine Eulenschachfreundinnen schreiben ja nur noch Schauermeldungen. Béatrice meinte, ich solle erst einmal nichts mehr von ihnen lesen, bis meine Wonneproppen alleine atmen, trinken und sonst was machen können. Aber nichts zu wissen, wenn man weiß, daß etwas im Gang ist ist auch nicht gut. Irgendwann rächt sich sowas oder man läuft die Wände hoch, weil man die Ruhe nicht ertragen kann."

"Ihre Tochter hat bestimmt recht. Das sind jetzt die Kinder elf und zwölf, die Sie da erwarten. Die möchten Sie dann ja wohl auch gerne aufwachsen sehen", sagte Julius altklug.

"Das werde ich auch, Julius. Keine werdende Mutter hat die Übung und die Betreuung die ich habe. Ich habe junge Dinger gesehen, die starben ja schon, weil sich ihre ungeborenen Kinder bewegt haben."Oh Hilfe, das Kind tritt mich ja!" Ich finde es trotz der immer bestehenden Gefahren schön, immer noch neues Leben hervorbringen zu können, egal was Aurélie oder Blanche sagen. Wenn du auf dem Weg weitergehst, den diese überängstliche Hera Matine und Aurora Dawn für dich freihalten wollen, dann solltest du immer bedenken: Das Leben ist das größte aller Wunder und die, die es hervorbringen können, sollten geachtet werden. Ich will dir nicht einreden, vor allen Frauen zu kuschen, weil sie Kinder kriegen können und du nicht. Ich möchte dir nur den Rat einer Mutter der Nation mitgeben, daß jede Frau oder Hexe nicht verachtet werden darf, nur weil sie ihrer Natur folgt anstatt in künstlichen Strukturen eingekerkert zu bleiben."

"Das muß ich mal so hinnehmen", sagte Julius. Madame Latierre tätschelte ihm die Wange und meinte, daß sie ihn gut leiden könne, auch wenn er sich abstrampeln würde, möglichst gut oder möglichst unauffällig zu sein. Vielleicht kommst du morgen ja noch einmal, um uns zu verabschieden."

"Ganz bestimmt. Wenn ich nicht gesehen hätte, daß sie fliegt, hätte ich bestimmt nicht geglaubt, daß eine Riesenkuh vom Boden abheben kann."

"Ich würde dich ja gerne mal mit zu mir nach Chateau Tournesol mitnehmen. Aber Madame Porter hat dich vorher schon gebucht. Die hat ja auch ein paar hübsche Enkeltöchter." Bei den letzten Worten grinste sie spitzbübisch.

"Ich habe noch Zeit. Ich muß noch nicht heiraten."

"Das verlangt auch keiner von dir. Aber Entdeckungsreisen kannst du schon vorher machen, ohne die Sittlichkeitsregeln zu verletzen, wenngleich die ziemlich antiquiert sind. Ein Junge, der ein Mädchen nicht einmal nackt sehen darf, bevor er es heiratet oder umgekehrt ist widernatürlich. Aber die wollen ja so leben. Und wenn ich jeden, der mich schon nackt gesehen hat hätte heiraten wollen hätte ich einen Riesenstall von Männern, wie eine Bienenkönigin ihre Dronen. Ja, und eine Bienenkönigin hat ein todlangweiliges Leben."

"Sie läßt sich einmal von hundert vollgefressenen Dronen befliegen und legt dann nur noch eier", wußte Julius. Madame Latierre nickte und lächelte. Dann war das Tanzstück vorbei.

Julius war froh über die vorgeschriebenen Pausen, in denen er essen und die Bedürfniskabinen besuchen konnte. um vier Minuten vor Mitternacht war der Tanzabend dann auch vorbei.

Madame Lumière betrat die Bühne und sprach mit magisch verstärkter Stimme zu den Gästen:

"Sehr geehrte Gäste! Ich freue mich, daß wir wieder einen so herrlichen Ballabend erleben konnten, und das das Wetter uns auch dieses Jahr wieder hold war. Diesmal hatten wir ja reichlich Besucher aus dem Umland und sogar aus Belgien. Es war wieder einmal nicht einfach, ein Paar zu ermitteln, das für eine der drei Trophäen geeignet war. Doch wir haben drei Paare gefunden."

"Na, Julius", sagte Millie zu Julius, "angestrengt habt ihr euch ja wieder sehr doll. Aber ob's dieses Mal wieder was gibt?"

Julius blickte von seinem Tisch zu Claire hinüber, die sich wohl im selben Moment zu ihm umwandte und ihn anstrahlte, als hätten sie die Trophäe schon sicher. In der Ferne brüllte Demie. Julius wunderte sich, daß die Latierre-Kuh noch wach war. Millie wunderte sich offenbar auch, weil sie in die Richtung blickte, woher das kaum vernehmliche Brüllen kam.

"In Partnerschaftlicher Harmonie, Tanzkunst und gemeinschaftlichem Erscheinungsbild konnte das Gewinnerpaar der bronzenen Tanzschuhe200 Punkte erzielen. Es handelt sich dabei um ..." Knall! Irgendwer war urplötzlich disappariert oder Appariert. Julius sah sich um. Dann sah er, daß Madame Faucon verschwunden war.

"Irgendwas ist bei den Kindern", schoss es Julius durch den Kopf, während Madame Lumière sehr verwirrt umherblickte, weil sie das unvermittelte Verschwinden der Lehrerin nicht verstehen konnte.

"Wo ist die hin?!" Rief Martha Andrews. Als hätte sie damit ein zauberwort ausgerufen fiel urplötzlich tiefste Dunkelheit über alle. Die Finsternis war so vollkommen, das nicht nur alle Lichter, sondern auch die Sterne am Himmel erloschen. Außerdem waren alle Laute auf ein winziges Maß reduziert. Julius wußte zu gut, was das hieß. Mit der schlagartig in alle Glieder einschießenden, in sein Herz hineinkriechenden Eiseskälte war ihm klar, was da über sie alle hereinbrach.

"Julius, was ist das?!" Rief Laurentine. Doch ihre Stimme klang wie aus weiter Ferne, übertönt durch das rasselnde, keuchende Schnaufen mehrerer düsterer Schattenwesen, die von allen Seiten heranrückten. Die Eiseskälte wurde unerträglich, und ein dumpfes, immer stärkeres Gefühl, in einer aussichtslosen Lage zu sein machte sich Breit. Julius Hatte seinen Zauberstab in der Hand, bevor jemand anderes noch irgendwas sagen oder rufen konnte. Er mußte sich konzentrieren, diese immer stärkeren Wellen aus Verzweiflung niederhalten, das glücklichste in seinem Leben hervorzerren, festhalten, nicht loslassen. Er dachte an den letzten Sommerball, hier. Nein, das verflog sofort in dieser unerträglichen Düsternis und Kälte. Ein leises Summen drang ihm in die Ohren. Irgendwo war der wilde Wespenschwarm. Nein! Das durfte er nicht zulassen! Er durfte sich nicht darauf konzentrieren, wie die Insekten immer lauter wurden. Er dachte an den Kuß, den Claire ihm gegeben hatte, als er Goldschweif wiedergefunden hatte. Er konzentrierte sich. Dann kam die Erinnerung an den Tanzabend wieder. Ja, jetzt hatte er diese Erinnerung, die ihm so oft schon geholfen hatte. Gleichzeitig erscholl in seinem Kopf ein schrilles, bösartiges Lachen, und etwas grünes, nebelhaftes waberte vor ihm auf wie eine Rauchsäule eines fernen, grünen Feuers. Dann sah er unter einer weiteren Woge immer tieferer Verzweiflung Claires mit Freudentränen überströmtes Gesicht und hörte, wie er zum Gewinner des goldenen Tanzschuhs ausgerufen wurde. Dann, er wußte nicht wann, rief er und zwar nicht alleine:

"Expecto Patronum!!"

Zuerst zuckte nur ein silberner Blitz aus dem Zauberstab. Er rief noch mal diese befreienden Worte. Sie mußten doch wirken. Nein, sie wirkten nicht mehr! Er konnte es nicht mehr. Um ihn herum riefen andere die Zauberworte. Er kämpfte verbissen, sah Claires Gesicht vor sich und rief noch einmal:

"Expecto Patronum!!"

Wie ein Glutball aus Mondlicht entfuhr dem Zauberstab eine silbernweiße Masse aus nichtstofflicher Kraft, die mehr als mannshoch aufwuchs, dann Formen bekam. Unter den Wellen immer heftigerer Verzweiflung schimmerte der Hoffnungsfunke durch, daß er es doch noch geschafft hatte. Sir Megerythros, der Ritter von Antares, Julius' heimlicher Held aus den Kindertagen, war entstanden. Breitbeinig stand er da, das hell leuchtende Schwert aus gebündeltem Sternenlicht vorgestreckt. Jetzt sah Julius die Schemen im Dunkeln. Ein Monströser Schatten schwebte auf ihn zu. Er roch den fauligen Gestank, der von dem Ungeheuer ausging, hörte dessen laut röchelnden Atem und sah eine aufgequollene Hand, wie die Hand einer Wasserleiche. Dann hieb der silberweiße Lichtritter mit seinem intensiv leuchtenden Schwert zu.

Mit einem lauten Schrei sprang der getroffene Dementor zurück, raste davon und war fort. Dann ging es los. Überall um Julius herum waberte silbernes Licht. Er erkannte, daß er nicht der einzige war, der seinen Patronus hatte rufen können. Zwei Dementoren glitten gerade auf den Tisch zu, an dem Claire saß, als sich eine silberweiße Raubkatze, ein Löwe aus Zauberlicht, dazwischenwarf. Dann sah Julius einen auf den Hinterbeinen stehenden, silberweißen Hasen mit aufgerichteten Ohren, der mit den Vorderpfoten einen Dementor verdrosch und in die Flucht schlug. Ein Patronus in Gestalt eines Einhorns galoppierte gerade mit laut klappernden Hufen gegen drei Dementoren an, die den Tisch von Seraphine umringen wollten. Doch der größte Patronus war ein etwa vier Meter hoher Bär, der auf den mächtigen Hintertatzen balancierend mörderische Hiebe gegen die Dementoren austeilte, die auf einen Tisch zusteuerten, an dem Ursuline Latierre saß. Wieder knallte es. Ein weiterer Zauberer oder eine Hexe war disappariert.

Sir Megerytrhos hieb um sich. Kein Dementor, der auch nur von der blitzenden Lichtklinge am Umhang berührt wurde, überstand dies ohne Schmerzenslaut. Ähnlich erging es jenen Unheilsgeschöpfen, die von dem Bären niedergetatzt wurden. Sie flohen schneller als ein Lidschlag. Weitere Patroni fochten gegen die ungebetenen Eindringlinge an. Die Überzahl der Dementoren half diesen bald schon nicht mehr. Die herbeigerufenen Lichtgeschöpfe schlugen, stießen und warfen sie gnadenlos zurück. Der silberne Hase, den Julius als Virginies Patronus zu erkennen meinte, sprang mit mächtigen Sätzen hierhin und dahin und trommelte auf die noch nicht verscheuchten Dementoren ein. Andere Hexen und Zauberer, die den Zauber kannten und versuchten, schossen nur silbernen Rauch aus ihren Zauberstäben. Doch auch dies wirkte. Davon getroffene Dementoren schraken zurück und flüchteten. Dann krachte es rundherum. Offenbar waren andere Zauberer eingetroffen. Sie riefen ebenfalls nach ihren Patroni, schafften es sogar einige unförmige Nebelgestalten zu erzeugen, die jedoch schon reichten, die düsteren Geschöpfe zu verdrängen. Nun dauerte es nur noch eine halbe Minute, da waren alle Dementoren verschwunden. Schlagartig flammten alle Lichter wieder auf. Für zwei Sekunden standen die mächtigsten Patroni, der Bär, der Hase, der Löwe, das Einhorn und der Ritter mit dem Lichtschwert in einem großen Kreis um die Tanzfläche herum. Dann lösten sie sich auf.

"Die Gefahr ist vorbei!" Verkündete eine sichtlich erschöpfte Madame Faucon. "Diese Kreaturen haben die Kinder überfallen. Hätte die Kuh nicht gebrüllt, wären sie alle im Schlaf von diesen Monstern geküßt worden. Ich kam rechtzeitig hin, um meinen Patronus zu rufen. Wie ich mitbekommen konnte haben die Schülerinnen und Schüler, die ihn letztes Jahr im Intensivkurs bei mir gelernt haben, den Wert dieser Lehrstunde erkannt und sich bewährt."

"Wie konnten die hier reinkommen?" Rief Laurentine Hellersdorf in Tränen aufgelöst. "Ich dachte, in dieses Kuhkaff würde kein schwarzes Geschöpf reinkommen."

"Bébé, ist gut jetzt! Die sind alle weg", flüsterte Julius, der selbst noch vor Kälte und überstandener Angst zitterte.

"Dementoren können eindringen, wenngleich sie geschwächt sind und nur in den Nachtstunden hereinkommen", sagte Monsieur Pierre, der gerade seinen Zauberstab fortsteckte. Madame Faucon kam zu Julius und Laurentine herüber, ebenso Madame Delamontagne. Martha Andrews hockte am Boden, bibbernd und mit tränennassem Gesicht. Hera Matine kümmerte sich um sie, während Béatrice Latierre ihre Nichten und jüngeren Geschwister betreute. Millie Latierre saß wieder neben Julius und wischte sich gerade die letzten Tränenspuren fort.

"Das war die Hölle", sagte sie, während Laurentine immer noch weinte.

"Ist gut, Mädchen. Die sind weg", sagte Madame Faucon ganz ruhig, nicht wie eine Lehrerin klingend. "Monsieur Graminis holt die Ambrosianus-Schokolade. Gut, daß Monsieur Pierre und ich darauf bestanden haben, daß er einen großen Vorrat davon anlegt."

"Wieso konnten die hier rein", heulte Laurentine.

"Eh, die sind doch weg oder?" Fragte Millie. Julius nickte.

"Ichmuß zu meiner Mum. Die konnte das unmöglich mitgekriegt haben, was hier ablief", sagte er und stand auf. Da merkte er, daß er etwas wackelig auf den Beinen war. Es flimmerte vor seinen Augen. Doch er kämpfte dagegen an und ging los. Unterwegs sah er, wie Jeanne, Bruno und Claire herüberkamen. Er winkte ihnen zu. Claire eilte los und kam zu ihm.

"Wußte nicht, wie fies das ist. Als Madame Faucon uns das erzählt hat und ihr den Patronus-Zauber geübt habt dachte ich, die wären zu packen. Was ist mit denen von deinem Tisch, Juju", flüsterte Claire.

"César, Millie und Vanessa haben es wohl gut weggesteckt. Argon starrte ins Leere, als der Spuk vorbei war und Bébé hat einen Heulkrampf und wahrscheinlich einen Schock. Wer weiß schon, was die ihr für Sachen gezeigt haben."

"Dein Lichtritter war genial, Juju! Als der auftauchte wußte ich, daß du den gerufen hast", sagte Claire.

"Ich werde diesen Zauber jetzt intensiver üben", sagte Bruno. "Mistviecher! Ich dachte schon, ich sterbe."

"Der Bär war das größte Ding", sagte Julius. "Der war mindestens vier Meter groß, größer als ein Dementor."

"Wer den gerufen hat hat den Zauber verinnerlicht", sagte Jeanne anerkennend.

Zusammen gingen sie hinüber zu Martha Andrews, die weinend am Boden hockte.

"Deine Mutter hat es wohl heftiger erwischt als uns andere", sagte Madame Matine. "Ich fürchte, ich muß sie in mein haus bringen, um sie dort ordentlich zu behandeln."

"Mum erzählte mal was von einem Erdbeben, daß sie mit ihren Eltern in Griechenland miterlebt hat. Sie war unter Trümmern eingeschlossen", flüsterte Julius der Heilerin zu. "Ich denke, das war die Urangst, die ihr diese Monster ins Hirn gesetzt haben."

"Ich fürchte, an ihrem Tisch waren sieben stück auf einmal. Dieser Schock kann einen Muggel sehr heftig um den Verstand bringen. Ich bringe sie in mein Haus", sagte die Heilerin, ergriff Martha Andrews Arm und disapparierte aus einer blitzartigen Drehung heraus.

"Wenn diese Monster meine Mutter wahnsinnig gemacht haben suche ich diesen Mistkerl, der die hierher geschickt hat und mach den mit bloßen Schlammbluthänden alle!" Rief Julius, den eine unbändige Wut ergriffen hatte.

"Na, Julius", zischte Jeanne. Wieder krachte es. Madame Matine war wieder da.

"Ist von deinem Tisch jemand heftig betroffen, Julius?" Fragte sie. Julius nickte und deutete auf Laurentine. Doch diese bekriegte sich wohl wieder. Béatrice Latierre stand neben ihr und fütterte sie vorsichtig mit einem großen Schokoladenriegel.

"Unverschämtheit, mir die Patienten abspenstig zu machen", sagte die Heilerin von Millemerveilles. Doch dann mußte sie schmunzeln. Laurentine erholte sich. Millie kaute an einem Stück der Wunderschokolade herum, bevor sie Julius sah und anstrahlte.

"Hier, du auch, du Held!" Sagte Madame Matine und drückte Julius einen Riegel Schokolade in die Hand. Er biss ein großes Stück ab und kaute die weiche, süße Masse, die leicht nach Honig schmeckte. Wohltuende Wärme und ein Gefühl der Erleichterung durchpulsten ihn mit jedem Bissen, den er hinunterschluckte. Er kannte das schon und hätte vor diesem Abend hier alles gegeben, um dieses Kapitel seines Lebens zu vergessen, als er als neuer Hogwarts-Schüler gleich bei der Hinfahrt mit diesen dämonischen Kreaturen zu tun bekommen hatte.

"Wer um alles Gold in Gringotts hat diesen Superbären beschworen?" Fragte Julius Madame Matine.

"Kannst du's dir nicht denken?" Fragte die Heilerin verschmitzt grinsend. Dann deutete sie auf Madame Ursuline Latierre, die reihum ging und ihren Angehörigen die wohltuende Ambrosianus-Schokolade zu essen gab. Woher die Schokolade so schnell gekommen war hatte Julius nicht mitbekommen. Doch es war gut, daß sie da war.

"Was ist mit den Kindern?" Fragte Julius Madame Faucon, die Laurentine in einem Arm hielt und tröstend auf sie einsprach, während Madame Delamontagne danebenstand.

"Wie gesagt, die Kuh wurde wohl wach, brüllte alle anderen aus dem Schlaf. Dadurch bekam ich mit, wie Babette von einer unbändigen Angst und Verzweiflung übermannt wurde und es stockdunkel war. Ich konnte meinen Patronus aus fünfzehn Schritt Entfernung beschwören und sah noch, daß wohl Madame Latierre auch ihren Patronus beschworen hat, einen ziemlich imposanten Stier."

"Dann geht es Babette gut?" Fragte Julius.

"Sie kriegen die Schokolade und den Träumgut-Tee", sagte Madame Faucon leise.

"Blanche, Danke, daß Sie so schnell zur Hilfe geeilt sind. Babs kann zwar auch einen guten Patronus, weil ich ihr das wieder und wieder eingebläut habe, aber gegen so viele dieser Bestien war einer zu wenig", sagte Madame Ursuline Latierre leicht außer Atem. Ihre Tochter Béatrice sprang ihr bei und horchte sie ab. Dann meinte sie:

"Das hat sie ziemlich gut ausgezehrt. Am besten bringe ich Sie in unser Lager."

"nein, Trice, ich setze mich hin und warte. Ich will wissen, ob Madame Lumière noch was sagen möchte oder ob wir besser alle schlafen gehen sollen. Dann gehe ich."

"Maman, jetzt wirst du unvernünftig", sagte Mademoiselle Latierre. "Ich konnte eine erste Senkwehe abwehren. Wenn du dich nicht sofort hinlegst könnte es zum Verlust deiner Kinder kommen. Willst du das?"

"Nein, will ich nicht. Ich bin halt sehr erschöpft von der Patronus-Beschwörung."

"Tante Trice, ziehe etwas von meiner Ausdauer ab!" Sagte Millie Latierre.

"Wollen jetzt alle den Helden spielen?" Empörte sich Mademoiselle Latierre. "Soll ich dich etwa auch nach Hause tragen, Mildrid?"

"Transfusio Validitatis!" Rief Julius auf einmal. Ehe Madame Faucon oder sonst jemand ihn hätte hindern können hatte er seinen Zauberstab auf sich selbst und dann auf Madame Ursuline Latierre gerichtet. Ein roter Lichtbogen spannte sich nun zwischen dem Jungzauberer und der hochschwangeren Hexe. Madame Faucon stand dabei und sah, wie Julius für fünf Sekunden den Stab hochhielt, bis er den Arm schlaff herabhängen ließ und total ausgelaugt vom Stuhl kippte.

"Ist er denn lebensmüde!" Rief Madame Delamontagne. Madame Faucon wiegte den Kopf. Dann sagte sie:

"Nein, er hat nur den Ersthelferkodex befolgt."

"Korrekt", sagte Madame Matine und untersuchte Julius. "Wußte nicht, daß er diesen vermaledeiten Kraftübertragungszauber konnte. Aber immerhin hat er Ihrer Patientin und deren Nachwuchs wohl das Leben gerettet, Mademoiselle Latierre."

"Wau, zehn Stunden Ausdauer hatte der noch drin", sagte Mildrid. Madame Matine sah Millie an und fragte, woher sie das wußte.

"Tante Trice hat ihn mir erklärt. Sie meint, ich dürfe ihn nie selbst anwenden, um meine Kraft auf jemanden zu übertragen. Aber wenn ein ausgeruhter Spender da ist sollte ich ihn können."

"Wollen Sie auf Biegen und Brechen Ihre Ausbildungserlaubnis verlieren, Mademoiselle!" Herrschte Madame Matine Béatrice Latierre an.

"Liegt mir fern, Madame. Aber wenn ich schon jemanden ausbilde dann gründlich mit allen Kenntnissen und dem Wissen um die Risiken. Wundere mich, daß Julius diesen Zauber konnte, wo Sie gerade so heftig bestreiten, ihn ihm beigebracht zu haben. Ersthelferkodex Abschnitt zehn, der Ultima-ratio-Abschnitt, fordert jedes vertretbare Eigenrisiko, wenn das Leben mindestens einer magischen Person, Geboren oder ungeboren in akuter Lebensgefahr schwebt. Sie werden mich jetzt nicht über die praktische Umsetzung dieser Regelung schulmeistern wollen, Madame", erging sich Béatrice in einer heftigen Reaktion. Ihr Gesicht war puterrot. Dagegen wirkte Madame Ursuline Latierre wie das blühende Leben. Sie keuchte nicht mehr und offenbar war auch in ihrem Bauch wieder alles in Ordnung.

"Schade, daß eine Patenschaft erst bei Erreichen der Volljährigkeit übernommen werden kann, sonst hätte ich den Jungen zum Paten des ersten Kindes gemacht, das ich bekommen werde."

"Was nützt ihm das, wenn er sich ins Koma gezaubert hat", keifte Claire, die Julius am Boden sah.

"Das ist kein Koma", sagte Madame Matine beruhigend. "Er hat sich nur total erschöpft. Er muß jetzt mindestens acht Stunden durchschlafen, am besten ohne ihn groß zu bewegen."

"Würde Apparieren ihn zu sehr durcheinanderbringen?" Fragte Madame Faucon.

"Wenn wir ihn auf eine Trage betten können wir ihn apparieren, Blanche. Sie müssen aber die Determination vollführen, weil ich nicht weiß, ab wo Ihre Absperrung wirkt."

"Aber was ist mit der Verkündung. Findet die noch statt?" Wollte Madame Latierre wissen. Madame Lumière kam herüber und hielt sechs glitzernde Trophäen in den Händen. Zusammen mit Camille und Florymont Dusoleil kam sie herüber.

"Das machen wir heute einfacher, weil viele schon weggegangen sind und lieber in ihren sicheren Häusern sein wollen", sagte Barbaras Mutter. "Die Trophäen bleiben alle in einer Familie, sofern der Junge Mann, der sich der Verleihung durch einen sehr waghalsigen Zaubertrick entzogen hat schon zu eurer Familie gezählt werden darf, Camille, Florymont und Jeanne", sagte Madame Lumière. Dann beugte sie sich vor, holte einen der zwei größten Tanzschuhe aus der klimpernden Kollektion und hängte ihn Julius um. Claire sah das goldene Glitzern im Licht. Dann legte Madame Lumière auch ihr eine Kette mit goldenem Tanzschuh um den Hals. "Ihr habt es darauf angelegt und verdient. Allerdings meinte eine Preisrichterin, es hätten zwanzig Punkte abgezogen werden müssen, weil du einmal sehr körperbetont, um nicht zu sagen aufreizend getanzt hast, Claire. Aber selbst das hätte eurem Erfolg nicht schaden können", sagte Barbaras Mutter schmunzelnd. Dann hängte sie Jeanne und Bruno die silbernen Trophäen und Camille und Florymont die bronzenen um. "Schade, heute werden wir zum ersten Mal seit Bestehen des Balles keine Siegerpolonese erleben. Aber diese Dementoren haben uns allen die Lust auf einen gesitteten Abschluß vergellt. Wieso konnte gegen diese Monster kein wirksamer Abwehrschild errichtet werden. Jetzt kommen die womöglich jede Nacht, und vielleicht verstecken sich hier noch welche."

"Das haben wir ausgeschlossen", sagte Monsieur Pierre. "Unsere Suchtrupps haben die Dementorenmelder abgefragt und bis auf zwei Pulks zu zweihundert und zwanzig keine gefunden. Die haben sich wirklich auf die Stellen konzentriert, wo alle Leute auf einem Haufen waren. Wer immer die geschickt hat hat sich den richtigen Zeitpunkt ausgesucht."

"Ab übermorgen werden wir die Balder-Varianten üben", sagte Madame Faucon. "Jetzt kann ja wohl keine Rede mehr davon sein, diese Monster nur abzuwehren, wenn es effektive Wege gibt, sie einzeln zu vernichten. Wir müssen sogar davon ausgehen, daß sie sich bereits vermehren und bald weitere Invasionen anstehen."

"In Ordnung, Blanche", sagte Monsieur Pierre. Dann brachten die Verwandlungslehrerin und die Heilerin Julius auf einer magischen Trage zum Haus der Lehrerin, wo sie ihn in die Dachkammer trugen, vorsichtig von der Trage aufs Bett hinübergleiten ließen und Madame Matine mit "Nudato" alle Kleidung vom Körper abgleiten ließ. Julius wurde in seine Decken eingerollt und so schlafen gelassen. Madame Matine verabschiedete sich und nahm ihre gezauberte Trage mit, bis sie in fünfzig Metern Entfernung disapparierte. Madame Faucon schloß ihr Haus ab und schenkte sich aus einem Geheimschrank eine Dosis Wachhaltetrank für soviele Stunden ein, daß sie bis zur nächsten Nacht nicht würde schlafen müssen.

__________

Als Julius aufwachte trug er außer seinen ohnehin diebstahlsicheren Gegenständen nur eine Kette und den goldenen Tanzschuh um seinen Hals. Als ihm klar wurde, daß er nichts anhatte, blickte er verlegen um sich. Madame Faucon saß, ein großes Buch in den Händen neben seinem Bett. Er blickte verstohlen auf seine Weltzeituhr. Sie zeigte ein Uhr. da von draußen helles Sonnenlicht hereinfiel, mußte es die Eins vom Nachmittag sein.

"Ach du meine Güte, wußte nicht, daß ich diesen Zauber nicht abstellen konnte, wenn ich den auf mich selbst anwende", grummelte er. Offenbar war ihm alles wieder eingefallen. Dann meinte er, wieso man ihn ausgezogen habe.

"Madame Matine sprach von Keimen und Straßenstaub, der nicht im Bett verteilt werden sollte. Aber mach dir keine Gedanken um die Sittlichkeitsregeln. Du mußt mich genauso wenig heiraten wie Constance Dornier. Und da du noch alle Körperteile hast, gab es nichts, was ich nicht aus mangelnder Kenntnis zur weiteren Untersuchung abgetrennt habe."

"Offenbar haben Sie doch sowas wie Humor, Madame Faucon. - Oh, Mum! Wo ist sie?"

"Deine Mutter hat sich wieder erholt. Madame Matine hat sie kurz in die Delourdes-Klinik gebracht. Madame Eauvive hat sie behandelt. Sie ist bei Madame Latierre. Sie sagt, du hättest ihre ungeborenen Töchter ganz schön quirlig gemacht. Andererseits kann sie die nun bis zum vorherberechneten Termin austragen."

"Ich weiß echt nicht, was mich da geritten hat. Ich denke, den Stunt bringe ich nicht so schnell noch einmal", seufzte Julius.

"Wäre mir auch sehr recht, weil Hera sich sehr aufregt, woher du diesen Zauber kanntest. Wir beide wissen, wer ihn dir in einem Schnellverfahren beigebracht hat. Aber das unterliegt ja alles der höchsten Geheimstufe."

"Ich habe den Tanzschuh. Hat Claire den anderen von den beiden?" Wollte Julius wissen.

"So ist es. Ihr beide habt es mal wieder geschafft. Ach ja, wenn du wieder ausgeruht bist möchtest du noch einmal in den Musikpark kommen. Alle Trophäengewinner werden dort fotografiert. Claire und du besonders, weil ihr es geschafft habt, ihn dreimal in ununterbrochener Folge zu ertanzen."

"Ist auch diese Chermot da?" Fragte Julius.

"Die hat den Artikel über den Dementorenüberfall verfaßt. Ja, die ist auch da", sagte Madame Faucon. "Erzähle bitte nicht, daß deine Mutter hier ist."

"Kein Problem", sagte Julius leise und bat Madame Faucon, sich umzudrehen, wenn sie ihn nicht doch noch heiraten wollte. Sie meinte in einem erneuten Anflug ihres seltenen Humors:

"Dann müßte ich meine Lehranstellung in Beauxbatons kündigen, weil ein Ehepaar aus Lehrer und Schüler dort nicht zulässig ist. Allerdings wäre das erst in drei Jahren fällig, wenn du volljährig wirst. Aber vielleicht trinke ich auch den Fortuna-Matris-Trank, um Madame Latierre nachzueifern."

"Öhm, soweit möchte ich dann doch nicht gehen", erwiderte Julius, der einen Moment daran dachte, mit dieser Hexe da völlig unbekleidet in einem Bett zu liegen und mit ihr irgendwie zusammenzufinden. Irgendwie löste das bei ihm Angewidertheit aber auch einen Schauer verbotener Neugier aus. Um sich schnell wieder abzulenken fragte er noch, ob Barbara und Gustav noch in der Nacht nach Brüssel abgereist waren und was mit Babette sei. Auf die erste Frage antwortete die Lehrerin, daß die van Helderns erst am nächsten Morgen, nach Sonnenaufgang nach Brüssel abgereist seien. Offenbar würden Barbara und Gustav ihre Hochzeitsnacht erst diese Nacht begehen. Babette war bei den Latierres, wo Julius um vier Uhr zum Abschiedstee erwartet würde. Als sie das berichtet hatte verließ sie das Zimmer, damit Julius seine Alltagssachen zusammenräumen konnte. Er fand seinen Zauberstab neben dem Besenfutteral. Er aß, weil seine Gastgeberin darauf bestand und ließ sich einen Glückwunsch für Claire mitgeben. Dann flog er mit dem Ganymed zum Musikpark, wo er die Dusoleils und die Fotografen traf. Mademoiselle Chermot interviewte ihn zum Dementorenangriff. Er sagte dazu nur:

"Seitdem ich in Beauxbatons bin lerne ich sehr interessante und wichtige Zauber. Der Patronus, mit dem Dementoren abgewehrt werden, faszinierte mich schon seit meiner Einschulung in Hogwarts. Denn damals war ja die Suche nach Sirius Black, und die Askaban-Dementoren haben Hogwarts umstellt."

"Würdest du dich als Held sehen, weil du deinen Patronus gerufen hast, Julius?"

"Nöh, nur wie jemand, der in Notwehr was greift und damit zuschlägt, weil es gerade greifbar ist."

"Julius mag nicht als Held bezeichnet werden, Ossa", sagte Madame Camille Dusoleil. "Er war nicht der einzige, der vollgestaltliche Patroni beschwören konnte. Meine Tochter Jeanne hat eine große Wolke geschaffen, Virginie hat einen vollgestaltlichen Patronus gerufen, ebenso meine Mutter und Madame Delamontagne. Insofern hat der Junge recht, daß es eine reine Notwehrsituation ist."

"Dann hast du zumindest wieder was aufregendes erlebt", lachte die Reporterin.

"Da hätte ich auch glatt drauf verzichten können", knurrte Julius. Dann flog er mit Claire zusammen zur Landewiese der Latierres. Von weitem hörten sie Klaviermusik. Julius staunte nicht schlecht, als er auf der Wiese einen schneeweißen Konzertflügel sah, auf dem Madame Hippolyte Latierre mit ihrer Schwester Barbara spielte. Zusammen mit seiner Mutter, die Mademoiselle Chermots Untersuchung unter einer Tarndecke entronnen war, Claire und Babette unterhielt er sich noch etwas mit den Latierres. Madame Ursuline Latierre kam noch einmal zu ihm und bedankte sich für sein Opfer.

"Dir ist klar, daß in meinen ungeborenen Kindern jetzt ein Funke deiner Lebenskraft mitschwingt. Das verpflichtet dich, sie dir bei der ersten sich bietenden Gelegenheit mal ausgepackt anzusehen. Das möchte ich dir nur sagen, damit du weißt, daß ich bestimmt nicht undankbar bin."

"Das hätte ich für jeden gemacht, Madame."

"Ja, aber für mich hättest du nicht, sondern du hast es gemacht."

"Julius ist eben immer noch sehr bescheiden", lachte Millie Latierre und pflückte Julius aus der Umarmung ihrer Großmutter. Doch als sie schon ansetzte, Julius zu küssen, läutete Barbara Latierre zum kaffeetisch. Danach beobachteten Martha und Julius Andrews, Claire Dusoleil und Babette Brickston, wie zuerst der imposante Flügel auf ein Hundertstel eingeschrumpt und in einer mit Watte ausgepolsterten Schachtel verstaut wurde. Dann kamen die Zelte dran. Zum Schluß dauerte es keine zehn Minuten, bis alle Zelte am Heck der aufsetzbaren Personenkabine festgemacht worden waren. Alle Latierres verabschiedeten sich von Julius. Millie war schon wieder daran, sich was herauszunehmen. Doch Martine und Claire paßten auf.

Als die große Kabine, die wie eine Kutsche ohne Pferd aussah auf dem schneeweißen Rücken der geflügelten Riesenkuh verzurrt war, brüllte Demie noch einmal kurz. Dann bestiegen die Passagiere die Kabine. Demie trottete vorwärts. Dann lief sie an, direkt auf die nächstliegende Einfriedungshecke zu und startete dann durch. Julius, seine Mutter, Babette und Claire sahen solange hinterher, bis die majestätische Kuh immer kleiner geworden war. Die Latierres hatten Millemerveilles verlassen.

Den restlichen Nachmittag saßen Julius und Babette bei Claire, die den beiden neue Musikstücke beibrachte. Seine Mutter unterhielt sich mit den Dusoleils über den Dementorenüberfall.

"Morgen fährst du also wieder, Juju", sagte Claire, als Babette von Madame Dusoleil zum Bäumekucken abgeholt worden war.

"Ja, morgen geht es nach Amerika. Mum hat das mit den Dementoren wohl doch besser überstanden als ich dachte. Ich bin froh, daß diese Leute vom Miroir sie nicht interviewt haben. Das wäre ein gefundenes Fressen für die gewesen, eine Muggelfrau als Opfer dieser Monster befragen zu können."

Julius wollte sich gerade von Claire verabschieden, als er fühlte, wie einer der Zweiwegspiegel in seinem Practicus-Brustbeutel vibrierte. Er tastete danach und erkannte, daß es der war, welcher ihn mit Jane Porter verband. Er entschuldigte sich bei Claire und holte ihn heraus.

"Hallo, Honey. Ich habe das mitbekommen, was bei euch gestern abend los war. Das war bestimmt nicht angenehm für euch. Ich wollte mich erkundigen, wie es euch geht", sagte Jane Porter. Julius erzählte es ihr. Dann meinte die Hexe, die ihn und seine Mutter ab morgen beherbergen wollte:

"In Europa kann man wohl nachts nirgendwo mehr sicher sein. Ich ging davon aus, diese Monster würden nur da herumspuken, wo der wahnwitzige Zauberer ist. Offenbar war das ein Trugschluß."

"Wenn die selbst hier nach Millemerveilles reinkönnen, dann gibt es keinen sicheren Ort mehr, Mrs. Porter", unkte Julius. Claire nickte.

"Ich denke aber, daß man die jetzt nicht mehr mit Samthandschuhen anfassen wird. Ihr habt es vielleicht auch schon mitgekriegt, daß eine internationale Kampftruppe gegen bösartige Werwölfe gegründet wurde. Ich hoffe, das artet nicht in dem aus, was in der Muggelwelt als Hexenjagd bezeichnet wird."

"Wie? Haben sich alle Werwölfe auf die Seite von Voldemort gestellt?" Fragte Julius ungläubig. Bisher hatte er immer gedacht, diese bedauernswerten Mitgeschöpfe wären mit ihrem Fluch schon heftig genug gestraft. Doch dann fiel es ihm ein, daß Werwölfe keinen guten Ruf in der Zaubererwelt genossen. Was lag da näher als sich gegen die anständigen Zauberer und Hexen zu verbünden und mit Voldemort zusammenzugehen, wenn der denen alles mögliche versprach?

"Es gibt einige, die einen regelrechten Haß auf unbefallene Zauberer entwickelt haben und nicht nur bei Vollmond bösartige Bestien sind, Julius. Wir vom Laveau-Institut wurden angewiesen, die registrierten Werwölfe gesondert zu beobachten, ob sie sich zu konspirativen Gruppen zusammenschließen, was immer Minister Pole darunter versteht. Aber in den Staaten ist der Terror dieses Voldemort noch nicht eingekehrt. Aber näheres erzähle ich dir besser dann, wenn deine Mom und du bei mir seid. Da kommen zumindest keine Dementoren hin", sagte Mrs. Porter mit warmem Lächeln. Dann bestellte sie noch einen schönen Gruß an Claire und deren Verwandtschaft, den Julius sofort weiterreichte. Danach beendete er die magische Fernverbindung und steckte den Spiegel wieder ein.

"So, nachdem deine Gesprächspartnerin nun nicht mehr zusehen und uns belauschen kann, Juju", sagte Claire. Unvermittelt Hing Julius in einer sehr innigen Umarmung. Dabei lagen sie beide fast auf Claires Bettt. Julius küßte Claire. Claire küßte Julius. Beide fühlten durch allen Stoff, der sie bekleidete, wie ihre Herzen schlugen. Bumm für Bumm ein Lebenszeichen, aber auch ein Trommelschlag näher an den Tod heran. Doch davon wollten Julius und Claire nichts wissen. Sie steigerten sich mit ihren Liebkosungen, die sie im angezogenen Zustand einander geben Konnten. Doch Julius fiel ein, was Madame Latierre gesagt hatte. Man könne ja auf Entdeckungsreisen gehen. Doch das wollte er sich hier und jetzt nicht herausnehmen, zumal er fürchtete, Claire könne dann mehr von ihm haben wollen. Auf Einladung Madame Dusoleils blieben Madame Faucon, Martha und Julius Andrews und Babette zum Abendessen. Sie unterhielten sich über die anderthalb Wochen in Millemerveilles, die doch wieder sehr aufregend verlaufen waren.

Madame Delamontagne kam mit Laurentine ebenfalls herüber. Sie hatte eine Ankündigung zu machen.

"Also, nachdem nun alle größeren Festlichkeiten vorbei sind wollte ich euch und Ihnen offiziell verkünden, daß ich im März nächsten Jahres ein Kind bekommen werde. Ich habe es am Anfang nicht wahrhaben wollen. Aber offenbar ist mein Körper für eine derartige Überraschung noch immer gut."

"Im März, wenn das große Jubiläum ist?" Wollte Monsieur Dusoleil wissen.

"Hoffentlich nicht genau zu der Zeit", meinte Madame Delamontagne, während Laurentine sie mißtrauisch ansah.

"Nichts für ungut, aber wäre es nicht besser gewesen, auf weitere Kinder zu verzichten, Madame?"

"Nicht unbedingt. Virginie wird im kommenden Schuljar Beauxbatons verlassen. Wie ich sie einschätze wird sie mit oder ohne Aron anderswo wohnen. Insofern kommt mir ein neuer Erdenbürger oder eine Junghexe sehr gelegen, um neben meinen Aufgaben noch etwas Abwechslung zu haben", sagte Madame Delamontagne. Dann tranken sie auf das Wohl des kommenden Delamontagne-Kindes und seiner Eltern.

Abends um zehn sammelte Madame Faucon ihre Hausgäste ein und ging mit ihnen zurück zum Faucon-Haus, wo sie sich rasch umzogen und schlafen legten. Denn am nächsten Tag würde es in die Staaten gehen, per Reisesphäre über Paris nach New Orleans. Julius spürte, daß diese Reise für ihn mehr als nur ein Besichtigungsmarathon sein würde. Doch er konnte nicht genau sagen, was dieses Gefühl auslöste. So lag er in seinem Bett, wieder einmal die letzte Nacht in Millemerveilles, einem sonst sehr friedlichen Zaubererdorf, wo jedoch der Schrecken des Schrecklichen nicht halt machte. Doch Julius wollte weder an Dementoren, Wespen noch einen sich in grünes Feuer auflösenden Slytherin denken. Dieses Dorf im Süden Frankreichs war trotz der ungebetenen Besucher von gestern immer noch einer der sichersten Orte der Welt, und als den wollte Julius ihn in Erinnerung behalten. Trotz der Aufregung, was gewesen war und der Aufregung über das, was er bald wohl erleben würde fand er rasch in einen tiefen Schlaf.

ENDE

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