VALERYS VOLK

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

E-Mail: hpfan@thorsten-oberbossel.de
http://www.thorsten-oberbossel.de

Copyright © 2009 by Thorsten Oberbossel

__________

Vorige Story

P R O L O G

Die Lage in der Welt erscheint sehr düster. Voldemort, der gefährlichste Zauberer der Gegenwart, übernimmt mit unter Imperius stehenden Beamten und teuen Todessern das Zaubereiministerium und läßt nach Hexen und Zauberern Jagen, die nicht seinen Ansichten von Reinblütigkeit entsprechen. Eine von Dolores Umbridge geleitete Kommission läd Muggelstämmige zu fragwürdigen Anhörungen vor oder stellt sie vor ein im Sinne der Todesser handelndes Gericht, um sie nach Askaban zu schicken. Muggelstämmige wie der junge Ministerialbeamte Tim Abrahams können gerade noch rechtzeitig flüchten. Tim wird von der Familie seiner heimlich angebeteten Galatea Barley in Sicherheit gebracht. Er findet heraus, daß Galatea auch für ihn immer noch gewisse Sympathien empfindet, die sich im Laufe der Monate zu einer innigen Verbundenheit verstärken, so daß die beiden an Halloween heiraten. Er hilft mit, Muggelstämmigen die Flucht ins Ausland zu ermöglichen, wobei er mit Martha Andrews in Paris und später Millemerveilles zusammenarbeitet.

Lea Drake, die Tochter einer Anhängerin der sogenannten entschlossenen Hexenschwestern, reist auf eigenen Wunsch und mit einem potenten Unsichtbarkeitstrank ausgestattet heimlich nach Hogwarts, wo sie das Treiben der Todesser Snape und der Geschwister Carrow beobachtet, jedoch nichts dagegen tun darf. Sie erlebt mit, wie vier ihrer Mitschüler aus der Schule gerettet werden, als sie vor Umbridges Kommission zitiert werden sollen.

Voldemort schickt die von ihm erweckten Schlangenkrieger aus dem alten Reich in die Welt. Diese werden jedoch von ihren Feinden, den Wertigern, gejagt, die es schaffen, in England eine Basis zu gründen.

In den vereinigten Staaten tritt nach dem Auftreten der übermächtig gewordenen Vampirin Nyx Lucas Wishbone das Amt des Zaubereiministers an. Seine Politik lautet Abschottung der Staaten gegen das Ausland, um keine Todesser hineinzulassen. Außerdem verdrängt er sämtliche Hexen aus Ämtern und Würden, weil er fürchtet, daß welche davon für jene Hexe arbeiten, die sich Sardonias Erbin nennt und den Tod Patricia Stratons auf dem Gewissen haben soll. Wishbone hegt jedoch ein pikantes Geheimnis. Er hat eine Liebesaffäre mit seiner eigenen Tante Tracy, die er als Minister so gut es geht verheimlichen muß.

Um gegen die Gefahr der Schlangenmenschen vorzugehen züchtet Sardonias wiedergekehrte Nichte die Insektenmonster ihrer Tante nach. Das bringt sie in Konflikt mit der Sprecherin der entschlossenen Schwestern Nordamerikas, Daianira Hemlock. Diese versucht erst durch gezielte Meinungsmache in den Zeitungen, Anthelia aus der Reserve zu locken. Ein Mordanschlag auf Anthelias Anhängerin Donata Archstone mißlingt. Die Fronten verhärten sich. Schließlich entführt Daianira Tyche Lennox, eine muggelstämmige Angehörige Anthelias und fordert diese auf, den zwischen ihnen gährenden Machtkampf durch ein offenes Duell zu entscheiden. Anthelia, die sich Daianira überlegen fühlt, geht darauf ein. Allerdings arrangiert sie es, daß Patricia Straton, die Daianira ein mächtiges Medaillon zur Bündelung der Sonnenkräfte gestohlen hat, unter Fideliius-Zauber geschützt bleibt. Am fünfzehnten November 1997 erscheint Anthelia in der Versammlungshöhle der Entschlossenen und fordert Daianira zum Kampf auf Leben und Tod heraus. Das Duell verläuft lange und heftig. Beide Opponentinnen sind schnell, stark und kundig. Doch dann droht Daianira zu unterliegen. Sie verliert ihren Zauberstab. Anstatt daß Anthelia diesen telekinetisch aus dem abgesperrten Kampfkreis befördert versucht sie, die Gegnerin mit dem Infanticorpore-Fluch zu belegen. Daianira ruft in allerletzter Sekunde einen konservierten schwarzen Spiegel aus einem Artefakt auf, der Anthelias Fluch fünffach verstärkt auf die Urheberin zurückprällt. Anthelia verschwindet. Nur ihre Kleidung bleibt zurück. Daianira merkt jedoch bald, daß sie die Gegnerin nicht aus der Welt geschafft hat. Der Fluch hat diese nämlich zur Ungeborenen zurückverjüngt und durch die magische Abgrenzung in ihren Schoß eingebettet. Daianira erfährt das erst, als sie die entsprechenden Symptome bemerkt. Sie entschließt sich, Anthelias Körper neu heranreifen zu lassen und sie zurück auf die Welt zu bringen. Über Anthelias Medaillon kann sie sogar mit ihrer unterlegenen Gegnerin Kontakt aufnehmen. Sie beschließen, die Entomanthropen solange leben zu lassen, bis keine Schlangenmenschen mehr existieren. Um das zu überwachen reist Daianira nach Frankreich. Sie ahnen beide nicht, daß Anthelias Nachzuchten üble Auswirkungen haben.

__________

Es war dunkel, eng und kalt. Wo war sie hier? Was war das für ein merkwürdiger Traum, den sie gehabt hatte? Sie war doch eben noch auf dem Weg nach Barstow gewesen, um ihrem verlogenen Ex die Hölle heißzumachen. Denn sie beschubste man nicht ungestraft. Sie war als Tramperin von Chicago aus quer durch die Staaten gerollt, hatte einmal einem Typen, der sich was rausnehmen wollte ziemlich klar gezeigt, daß sie kein wehrloses Mädchen war und war fast auf der Zielgeraden gewesen. Irgendwo mußte sie dann eingeschlafen sein. Denn diese Kiste, daß eine blonde Frau mit einem Zauberstab und vielen Bienen einen Hexenfluch auf sie gelegt hatte, der sie in ein ziemlich abgedrehtes Monster verwandelt hatte, konnte doch nur ein Traum gewesen sein. Sie hatte mitbekommen, wie sie unter einem Zauberbann dieser Hexe mehrere Leute auf fliegenden Besen gejagt hatte. Dabei hatte sie die Lust empfunden, einen von denen zu fressen. Dann hatte sie nur noch gehört, daß sie sich einbuddeln und schlafen sollte, bis die Meisterin sie wieder wachmachte. Aber sie mußte immer noch träumen. Denn sie meinte, fest irgendwo eingegraben zu liegen. Langsam merkte sie, daß ihre Luft knapp wurde. Dann erkannte sie, daß es kein Traum gewesen war. Sie fühlte sechs zusätzliche Glieder und merkwürdige, aber sehr brauchbare Dinger an ihrem Kopf. Außerdem war da ein großer Druck in ihrem Unterleib, als müsse sie ganz dringend aufs Klo. Und da war noch was, der drängende Wunsch, eigene Kinder zu haben. Sie wußte, daß sie hierfür mit keinem Mann mehr ins Bett oder sonst wo hinmußte. Dann erkannte sie, daß sie bisher wie eine Sklavin gehalten worden war. Sie war nach dieser Verwandlung ferngesteuert worden. Das machte sie wütend. Die Wut trieb sie an, sich zu bewegen. Dabei merkte sie, wie leicht sie die um sie geschlossene Erde wegschieben konnte. Sie wälzte sich herum und warf die sie einengende Masse von sich ab, als streife sie nur eine leichte Wolldecke von ihrem Körper. Dann tauchte ihr Kopf aus dem Boden auf. Die langen, mit Sinneshaaren besetzten Antennen streckten sich und fingen Unmengen von Gerüchen und Schwingungen auf. Diese Unmenge von Sinneseindrücken ließ sie erzittern. Ihr Kopf schmerzte. Doch nach nur einer Minute hatte sich ihr Gehirn auf die Wahrnehmungsflut eingestellt, als habe es immer schon hunderttausendmal mehr riechen können oder sanfte Luftbewegungen in der Ferne vorbeifliegender Etwasse, den Luftdruck und die Luftfeuchtigkeit wahrgenommen. Daneben besaß sie noch ihre Augen und Ohren. Doch was sie sah war irgendwie in Puzzles zerlegt. Dabei konnte sie jetzt, wo es wohl Nacht war, den Mond und die Sterne als merkwürdige Leuchterscheinungen sehen. Sie befreite sich ganz aus der Erdgrube und stemmte sich hoch, wobei sie fühlte, daß ihr Unterer Körper wesentlich schwerer war. Doch das balancierte sie sofort aus. Sie erkannte, daß sie nicht geträumt hatte. Sie war irgendwie in ein Zwischending zwischen Biene und Mensch verwandelt worden. Wut über diese Verwandlung und Wut über die Fernsteuerung ihres Geistes kochten in ihr hoch. Laut brummend setzten die zwei Flügelpaare auf ihrem Rücken ein und hoben sie einige Meter nach oben, bevor sie ihre ungewollten Bewegungen unterdrücken konnte.

"Du verfluchtes Weib. Was sollte das?" Schnarrte sie mit einer sehr tiefen Stimme, die fast einem Kontrabaß ähnelte. Dann verrauchte die Wut jedoch. Sie fühlte sich irgendwie besser als vorher. War sie vorher ein pickelgesichtiges, hageres Mädchen gewesen hatte sie jetzt einen absoluten Superkörper. Ja, das war doch irgendwie herrlich, so zu sein. Dann erkannte sie, daß sie wohl eine Königin dieser Monsterbienen geworden war. Denn der Drang, irgendwo in einer Höhle Eier abzulegen, die ihren Hinterleib immer stärker bedrückten, floß in ihre menschlichen Persönlichkeitsanteile ein. Dann dachte sie daran, was Milton sagen würde, wenn sie so zu ihm käme und ihn mal eben mit ihren neuen vier Händen zusammenfaltete, bis kein heiler Knochen mehr in ihm war. Eigentlich hatte sie nur mit einem Rasiermesser seine privaten Teile absäbeln wollen ... Dieser Druck! Sie mußte diesen Druck loswerden. So überlegte sie, ob sie hier, wo es ihr nicht besonders angenehm erschien, die ersten Eier hinlegen sollte. Nein, hier wurde es ihr zu kalt. Sie mußte nach Süden. Von irgendwoher wußte sie, wo das lag. Nach nur zehn Sekunden hatte sie ihre Flügel und Flugbewegungen voll im Griff.

"Erst werfe ich ein paar Babys ab, dann hol ich mir Milton und die Schlampe", dachte sie.

__________

Daianira Hemlock fühlte sich leicht ausgelaugt. Es gehörte offenbar mehr dazu, ein Kind auszutragen, als sie es sich je gedacht hatte. Außerdem war es wohl was anderes, wenn es ein ganz normal empfangenes Kind war als das, was sie da jetzt unter ihrem Herzen trug. Sie und Anthelia waren nun schon seit zwei Wochen zusammen. Ihre Cousine Leda untersuchte sie jeden Tag und führte mit ihr bereits Gymnastikübungen durch, um die Unterleibsknochen und -muskeln für die restliche Schwangerschaft und die Geburt zu stärken. Leda Greensporn war zwar nicht sonderlich begeistert gewesen, ihre Cousine nach Frankreich zu begleiten, um dort das fortzuführen, was Anthelia vor dem schicksalhaften Duell angeschoben hatte. Doch damit Daianira nicht doch auf die Idee kam, die vorher so hartnäckig bekämpfte Feindin wie wertlosen Ballast aus dem Körper zu treiben, war sie murrend mit auf die beschwerliche Reise gegangen.

"Irgendwie fühle und höre ich mein Herz schlagen", hörte Daianira Anthelias Gedanken. Im Moment trug sie wieder das Medaillon. Außerdem hatte sie, nachdem sie aus Anthelias Versteck diesen gelben Zauberstein geborgen hatte, festgestellt, daß sie den fremdartigen Gürtel anlegen konnte. Anthelia brauchte ihr nicht zu erklären, was es damit auf sich hatte. Denn sie kannte die Geschichten von Dairons Gürtel der Unverwüstlichkeit. Daß er Daianira genauso schützen konnte lag daran, daß Anthelias langsam heranwachsender Körper darin geborgen lag und Anthelia sich den Gürtel bereits unterworfen hatte.

"Ja, irgendwas in der Richtung ist da schon bei dir", dachte Daianira, während sie neben Leda herflog. Sie hatten sich beide Broncos Parsecbesen besorgt, weil Daianira einen gewissen Draht in die berühmte Flugbesenfabrik besaß. So konnten sie um Wishbones Grenzsperren herum und unbemerkt über den Atlantik. Sie erinnerte sich daran, wie sie zusammen mit Pandora Straton die Vampirin Nyx in einem Metalltank über den Ozean geflogen hatte. Das bereute sie heute. Denn Nyx hatte den Mitternachtsdiamanten erbeutet und war nun übermächtig.

"Wirst du erst nach Spanien oder direkt nach Frankreich fliegen?" Wollte Anthelia wissen.

"Erst Spanien, um deine Bestien dort auf mich einzuschwören. Wehe du hast mich belogen!"

"Was könntest du mir im Moment noch schlimmeres antun?" Schnarrte Anthelias Gedankenstimme verächtlich.

"Das Medaillon gleich hier in den Teich plumpsen lassen", konterte Daianira. "Falls dein Geist darin gefangenbleibt bist du dann ganz fort, und ich kann deine auf Anfang gezauberte Hülle problemlos neu großfüttern."

"Daianira, schläfst du?" Fragte Leda Greensporn besorgt und rückte näher. Die bei den Besen mitgelieferten Spezialanzüge für längere Flüge in großer Höhe umgaben ihre Köpfe mit schützenden Kopfblasen. Daher klang Ledas Stimme für Daianira wie durch eine dicke, weiche Wand. Einen Moment stellte sie sich Anthelias Stimme vvor, wenn die in einigen Monaten fertig ausgebildet war und meinen mochte, aus ihrer Gebärmutter heraus zu sprechen. Doch das war nur Einbildung.

"Ich konzentriere mich auf das, was ich über diesen Stein gelernt habe!" Mentiloquierte Daianira, um nicht zu laut rufen zu müssen. "Wenn wir da sind, wo die eine Königin ruht, muß ich gleich alles richtig machen."

"Dann bring sie besser um, Daianira. Jetzt, wo du Anthelias Erbschaft übernommen hast, solltest du die Fehler beheben, die sie gemacht hat. Das wolltest du doch immer."

"Ja, Leda, das wollte ich. Aber da wußte ich nicht, wie gefährlich diese Schlangenungeheuer sind", erwiderte Daianira. Anthelias im Medaillon verankertes Bewußtsein erwiderte:

"Dann hättest du auch nicht verlangt, daß wir uns duellieren, Daianira."

"Du hättest mich und die anderen ins Vertrauen ziehen und einen besseren Weg finden müssen als deiner Ex-Tante alles nachzumachen", tadelte Daianira ihre ungewollte Körperuntermieterin.

"Ex-Tante?" Hörte sie Anthelias Gedankenfrage.

"Seitdem du in mir drinsteckst und ich deine Mutter werde ist Nigrastra nicht mehr deine Mutter. Und Sardonia ist zum Glück weit vor meiner Geburt gestorben, so daß ich die ganz bestimmt nicht als große Schwester ansehe. Also ist sie deine Ex-Tante. Finde dich langsam damit ab, daß du meine Tochter wirst!"

"Das werde ich wohl nie, auch wenn ich mich doch erfolgreich aus deinem Leib herauszwengen sollte", schnarrte Anthelias Antwort.

"Da unten wogt der Ozean. Wenn du lieber in seiner ewigen Tiefe ruhen möchtest. Das Angebot gilt immer noch."

"Ich werde dort nicht ruhen", versetzte Anthelia. Sie ärgerte sich, daß sie Daianira nicht mit Schmerzen traktieren oder ihren Willen unterwerfen konnte. "Wenn ich fühlen kann, daß mein Herz schlägt, dann fürchte ich, werden auch alle anderen Empfindungen meines Körpers von mir wahrgenommen."

"Noch besser. Dann wirst du merken, wie eingeschränkt du im Moment lebst und hoffen, daß du mir nicht vor deiner Ausreifung herausfällst."

"Das befriedigt dich offenbar, mich als deine Tochter auszubrüten", schickte Anthelia zurück.

"Da ich dich nicht auf üblichem Weg empfangen habe, muß ich die entsprechende Befriedigung in anderen Dingen suchen", konterte Daianira. "Aber keine Sorge. Ich habe mich entschlossen, dir eine gute, fürsorgliche Mutter zu werden, auch wenn du nicht meine Tochter sein willst. Aber das gibt sich auch. Wir haben ja noch dreißig Wochen, um uns aneinander zu gewöhnen."

"Sollte ich rauskriegen, daß ich mich selbst wieder bewegen kann ..."

"Wirst du dich ganz brav verhalten und nur die Bewegungen ausführen, die mir nicht zu unangenehm werden, kleines. Ich kenne Zauber, die die Empfindungen des einen auf einen anderen übertragen können oder könnte befinden, einen Vergessenszauber auf dich zu sprechen, damit du ein anständiges Baby wirst. Aber jetzt noch einmal zu diesen Formeln, mit denen du diesen gelben Stein dazu kriegst, die Königin zu unterwerfen ..."

Leda Greensporn flog neben ihrer Cousine her. Noch konnte man von der exotischen Schwangerschaft nichts sehen. doch ihr war klar, daß da gerade zwei eigentlich verfeindete Hexen in einer einzigen Person unterwegs waren und sie als Heilerin gezwungen war, jedes menschliche Leben zu schützen, von der Zeugung bis zum unweigerlichen Ende im Alter. Der Gedanke, Anthelias Hebamme zu werden behagte ihr nicht. Und daß ausgerechnet ihre skrupellose Cousine ihre Mutter werden würde behagte ihr auch nicht. Vielleicht sollte sie den Transgestatio-Zauber benutzen, um Daianira von der Bürde zu befreien und Anthelia selbst neu austragen. Doch was würde das ändern? Falls Anthelias Geist nur in diesem von ihr nicht berührbaren Medaillon wohnte, würde ein pränataler Muttertausch nichts ändern, und Anthelia würde auf Daianira Einfluß nehmen, um in deren Körper weiterzuwirken. Falls Anthelias Geist jedoch in den gerade neu heranreifenden Körper zurückkehrte, hatte sie diese Sardonianierin im Leib und mußte sie selbst gebären, anstatt nur zu helfen, sie sicher auf die Welt zurückzubringen. Auch mochte ihr Daianira unabhängig von Anthelias Einfluß übelnehmen, wenn sie sie um ihre Genugtuung betrog, die sie offenkundig empfand, daß Anthelia sich ausgerechnet im Bauch der Feindin neu entwickeln mußte. Der Beruf des Heilers barg jede Menge Gewissensfragen. Doch die zehn Heilerrichtlinien waren eindeutig. Jedes menschliche Leben hatte geschützt zu werden. Vielleicht, so kam ihr ein sehr verwegener Gedanke, klärte sich dieses Dilemma von selbst, weil Daianira unbedingt selbst den Abwehrkampf gegen diese Schlangenwesen organisieren mußte, obwohl Anthelia wohl schon alle ihre Züchtungen auf diese obskuren Kreaturen angesetzt hatte. Dabei konnte sie leicht in tödliche Gefahr geraten. Und sie, Leda, würde nicht überall dabei sein können, um ihrer Cousine beizustehen.

__________

Sie war die einzige, die nach dem Duell nicht durch ein Blutopfer Daianiras Wohlwollen zurückerlangen mußte. Verborgen im Haus von Virginia Hencock, wußte Patricia Straton, daß sie nun alleine dastand. Zwar war Anthelia nun fort. Aber dafür würde Daianira gnadenlose Vergeltung an allen Verräterinnen üben. Dazu kam noch, daß sie, Patricia, ihrer damaligen Anführerin das mächtige Amulett des Inti fortgenommen hatte, was Daianira in der Position zu Vampiren und anderen lichtscheuen Wesen sichtlich geschwächt hatte. Auch das würde ihr die nette, haselnußhaarige Lady nicht vergessen, falls sie nicht bereit war, ihr eigenes Leben zu opfern. Doch was sollte sie jetzt machen? Anthelias letzte Anweisung war, auf den jungen Cecil Wellington aufzupassen. Falls es sich anbot oder erforderlich war, sollte sie ihn sogar heiraten, hatte Anthelia erwähnt. Doch Patricia wußte, daß Cecil sich immer mehr mit diesem Einwanderermädchen Laura Carlotti annäherte. Sie hatte die letzten zwei Wochen nach dem Duell damit zugebracht, das Überwachungsvermögen genauer auszuloten und konnte nicht nur unbemerkt von Cecil dessen Wahrnehmungen mitverfolgen, sondern auch dessen Gedanken erfassen, sowie in alle im Wach- und Traumleben angesammelten Erinnerungen eindringen, als benutze sie ein Denkarium oder einen ähnlichen Gedächtnisnacherlebniszauber. Dabei hatte sie mit einer Mischung jugendlicher Erheiterung und Faszination herausgefunden, wie gerne Cecil mit Laura Carlotti intim werden würde und sich in den nur im Traum oder der Magie möglichen Weisen mit ihr vereinigt. Zwischendurch drängte es ihn, sich der angestauten Triebe zu erleichtern. Vielleicht dachte er zwischenzeitlich sogar daran, daß sie, Patricia, mithören mochte. Vielleicht sollte sie das forcieren, jetzt wo Cecil volljährig geworden war. Seinem Vater paßte es zwar nicht, daß der junge Mann sich häufiger mit dieser Italoamerikanerin traf. Doch Cecil hatte bereits seine Fühler nach einer eigenen Wohnung ausgestreckt. Sein Vater hatte darauf nur geantwortet, daß Cecil nur eine eigene Wohnung bekommen würde, wenn er diese auch selbst finanzieren oder ein dem Senator genehmes Studium in einer Elite-Universität beginnen würde. Patricia befand, da Anthelia nicht mehr da war, ihrem Kundschafter in der Muggelwelt ein möglichst angenehmes, eigenständiges Leben zu ermöglichen. Ursprünglich war Cecil ja deshalb ausgewählt worden, weil die höchste Schwester einen wichtigen Muggel auskundschaften und gegebenenfalls beeinflussen wollte. Da Daianira nichts von diesem Kundschafter wußte, war dieser nun in gewisser Weise wertlos geworden. Doch irgendwie fühlte Patricia sich für ihn verantwortlich. Waren das vielleicht sowas wie Mutterinstinkte? Nein! Das lag schlicht daran, daß sie diesen Kundschafter, der einmal Benjamin Calder geheißen hatte, zu Anthelia hingelotst hatte. Sie hatte ihn auf seiner Flucht aus Seattle aufgegabelt und mit ihm mehrere Tage auf den Straßen der USA zugebracht, wobei sie erkannt hatte, daß das nicht einfach nur ein nützlicher Idiot für die höchste Schwester war. Sie hatte Anthelia geholfen, Benjamin in Cecil Wellington zu verwandeln und hatte ihn zusammen mit ihrer nun toten Mutter lange Monate betreut. Sie war einfach für diesen jungen Burschen verantwortlich. Und nachdem Anthelia durch das Duell aus der Welt verschwunden war war sie die einzige, die sich um ihn kümmern konnte. Sicher, sie hätte ihn einfach in Ruhe lassen und wie auch immer weiterleben lassen können. Aber sie wußte, daß Cecil niemals ein wirklich eigenes Leben führen konnte, selbst wenn ihm alle Erinnerungen aus seiner Zeit als Benjamin Calder und dessen, dessen Platz er nun einnahm, zur Verfügung standen. Und die Vorstellung, daß er mit Laura mehr als das von Anthelia vorhergesagte eine Kind haben konnte, schien sie irgendwie zu belustigen. Außerdem war ihr dieser Reginald Wellington sowas von unsympathisch, daß sie diesem Kerl gerne eine gehörige Lektion erteilen wollte. Sie wußte, daß er keine Skrupel hatte, andere Leute zu erpressen oder durch bestimmte Zuwendungen zu beeinflussen. Das konnte sie und jede Hexe der Schwesternschaft besser. Anthelia hatte erwähnt, daß ein Pressefotograf namens Bouvier hinter den Wellingtons hergeschnüffelt hatte, als diese vor über einem Jahr in Frankreich Urlaub gemacht hatten. Sie selbst war in ihrer Muggelidentität als Liberty Grover auch schon häufig genug hinter den Wellingtons hergelaufen und hatte einiges dabei erfahren. Aber womit sie Reginald Wellington am besten zu packen wußte, war seine erzkonservative Gesinnung und seine Vorstellung von Familienwerten. Ihr kam die Idee, Cecil aus dem haus zu helfen, damit er auf eigenen Füßen stehen konnte. Dann wollte sie Reginald Wellington davon abbringen, den Jungen, den er für seinen Sohn hielt, weiter am Gängelband zu führen.

__________

"... werden wir in knapp einer Stunde bei Ihnen landen, Olivier. ... Ja, ich freue mich auch darauf, mal wieder mit Ihnen in den heiligen Weinkeller Ihres Vaters hrunterzugehen und ... Ich glaube, wenn ich das so höre, sollte ich doch eine Concorde anschaffen, um noch schneller bei Ihnen zu landen, Olivier. ... Ach, Ihre Frau ist auch gerade zu Hause? ... Das finde ich auch. Dann wird sich meine Frau nicht langweilen, wenn wir Ihre önologische Schatzkammer plündern. ... Dann bis gleich, Olivier!" Der Dynamische, junge Mann mit dem rostroten Schopf und Vollbart drückte die Auflegentaste seines Satellitentelefons, mit dem er von fast jedem Ort der Welt mit jedem seiner vielen Partner und Freunde sprechen konnte. Er rühmte sich, von einem Franzosen nicht als Engländer erkannt zu werden, wenn er wie jetzt im südwestlichen Nachbarland auf dem Kontinent unterwegs war. Die zweistrahlige Privatmaschine eilte bereits im französischen Luftraum dahin. Im Moment brauchte Ian Wellingford keine Kurskorrekturen vorzunehmen. Wie meistens führte er seine Gulfstream alleine. Im Moment jedoch wurde sie von ihrem Autopiloten auf Kurs und Flughöhe gehalten.

"Die Sprache war für mich immer ein komplettreinfall", knurrte der stämmige Blonde, der rechts neben Ian Wellingford im Sitz des Copiloten saß.

"Meine Eltern haben ein Heidengeld ausgegeben, daß ich von einer Privatlehrerin neun Jahre Intensivtraining hatte. Spanisch und deutsch geht zwar auch, aber das mußte ich mir anders erarbeiten", erwiderte Wellingford. Dann mußte er eine Anfrage über Funk beantworten und den Kurs korrigieren, um nicht mit einem Jumbojet aus Kanada zusammenzustoßen.

"Erzähl mir noch mal was über diese Monsterfliegen oder was das für abgedrehte Biester sind, Rupert", sagte Ian. Er hatte vorsorglich den Stimmenrekorder umgeschaltet, daß eine Endlosschleife mit reinen Cockpitgeräuschen aufgenommen wurde, solange keine neue Funkanweisung kam. Damit stellte er sicher, daß er sich auf dem Flug über ganz vertrauliche Sachen unterhalten konnte, ohne daß die Flugverkehrsaufsicht was davon mitbekam, sollte sein kleiner Eisen- und Carbonvogel unerwünscht vom Himmel fallen. Feuerkrieger, der gerade in seiner menschlichen Gestalt auftrat, gab wieder, was er über diese sagenhaften Insektenwesen erfahren hatte, daß die von einer alten Hexe vor 400 Jahren gemacht worden waren und wohl in diesen Tagen von einer, die sich als deren Erbin verstand, nachgezogen werden konnten. Ian Wellingford nickte. Mit diesen Insektenmonstern wollten sie zusammenarbeiten, um die Diener Nagabapus zu jagen. Denn er hatte nicht vergessen, wie schwer es war, diese Schlangenmenschen zu töten, solange sie auf festem Boden standen oder mit einem Körperteil Kontakt mit dem Erdboden hielten. Wenn sie in die Luft gehoben oder in tiefes Wasser getrieben wurden, waren die nicht mehr so stark. Und diese von besagter Hexe nachgezogenen Biester konnten fliegen, eine optimale Voraussetzung für den Kampf gegen die Schlangenmenschen und ihren neuen Herren, diesen Lord Voldemort, dessen Name in England wie ein Rufsignal wirkte.

"Willst du Olivier zu einem von uns machen?" Fragte Ian, der sich Feuerkrieger zu fügen hatte, weil dieser ihm den Keim der erhabenen Bruderschaft der Tigermenschen in den Körper getrieben hatte.

"Nur, wenn er nicht spurt, Himmelsreiter." Himmelsreiter war Ians Name der Bruderschaft, weil er einen Privatjet besaß.

"Wie geht's euch da hinten?" Dachte Ian alias Himmelsreiter seiner Frau und den Kindern zu.

"Wir liegen auf dem Boden. Sonnenglanz hat gemeint, dieses komische Gefühl dahinjagender Linien im liegen besser vertragen zu können", erwiderte Jaruni, die als Tigerfrau den Namen Nachttänzerin erhalten hatte.

"Okay, wir gehen in zwanzig Minuten in den Landeanflug über. Da solltet ihr wieder sitzen", schickte Ian seiner Frau zurück.

"Sag uns bescheid, wann wir landen", erwiderte Jaruni.

Dreißig Minuten später berührte das Fahrwerk der Gulfstream die Landebahn für Privatmaschinen auf dem Flughafen von Marseille. Wellingford folgte dem Leitwagen, der den Privatjet über das Rollfeld zum angemieteten Hangar lotste. Dort stellte Ian die beiden Triebwerke aus. Das war eine Wohltat. Er zog die dicken Stöpsel aus den Ohren, die er gegen den Lärm getragen hatte und schluckte, um den Druck am Boden in seinen Gehörgängen herzustellen. Dann fuhr er die Leiter aus und bat seine Begleiter von Bord.

Olivier Lemont war ein kleiner, ziemlich runder Mann mit schwarzem Kraushaar und dito Schnauzbart, der in einem dunkelgrünen Maßanzug vor dem Hangar erschien und Ian, der ihn um mindestens zwei Köpfe überragte, freundschaftlich umarmte. Jaruni, die rank und schlank gebaut war, verschwand in einer innigen Umarmung. Sie mochte das nicht sonderlich. Das führte dazu, daß Olivier unvermittelt einige Meter nach hinten stolperte, weil Jaruni sich kurz aber wirksam aus seiner Umklammerung freiwand. Feuerkrieger stand hinter Ian. Er galt als Leibwächter, während Sonnenglanz, die ihre für Inderinnen untypisch blonden Haare dunkel gefärbt hatte, die Kinder der Wellingfords betreute. Ian mußte für sie alle übersetzen. Olivier nickte dann und führte sie zu seinem Wagen, einer metallikblauen Peugeot-Limousine, für die sich der Elektronikbauteilehändler und Weinliebhaber sogar einen Chauffeur hielt. Damit ging es schnell vom Flughafen fort zum mitten in der Provence gelegenen Weingut, daß Olivier mit seinen Eltern bewohnte. Dort trafen sie Oliviers Frau Pauline, die den Haushalt beaufsichtigte und nebenbei sehr gut Englisch sprach, daß man ihr die Französin nicht anhörte. Gegenüber ihrem Mann wirkte sie fadendünn und lang wie ein I ohne Punkt. Auch sie trug ein maßgefertigtes Kleid. Feuerkrieger fragte seine Gefährtin unhörbar, wie zwei so unterschiedliche Typen Kinder in die Welt setzen konnten.

"Die größeren Weibchen können kleinere Männchen besser an sich ranlassen als umgekehrt", schickte Sonnenglanz zurück. Ihr lief das Wasser im Munde zusammen, weil sie sich ausmalte, diese mindestens zwei Meter lange Frau zu einer Tigerschwester zu machen. Doch sie wollten hier keine zweite Basis aufbauen, solange es nicht nötig war.

Pauline ging mit Jaruni aus und nutzte den ihr zur Verfügung stehenden Zweitwagen. Sonnenglanz sorgte indes dafür, daß die beiden Männer von den Kindern nicht belästigt wurden. Feuerkrieger murrte zwar, weil Ian ihm die Anweisung gab, ihn und Olivier alleinzulassen. Doch dann sah er ein, daß die Tarnung aufrechterhalten werden sollte.

Ian wunderte sich, wie viel er jetzt, wo er zum Clan der Tigermenschen gehörte, schlucken konnte. Olivier war zwar als Sohn eines Winzers sehr trinkfest. Doch als sie nach den vielen Proben an die Menge von vier Flaschen Wein in sich hineingeschüttet hatten, war Ian noch stocknüchtern. Der Alkohol wurde offenbar von seinem Körper unverzüglich abgebaut. Sogesehen konnte Jaruni dann auch trinken, dachte er, während er seinen schon leicht neben der Spur redenden Partner befragte, ob in Frankreich irgendwas passiert sei, weshalb er vielleicht noch einmal mit der Gulfstream nach Paris hinüberspringen müsse.

"Außer, daß irgendwer die Clochards verschwinden läßt und ein paar leere Autos auf der Landstraße gefunden wurden ist nix neues passiert, seitdem du hier warst. 'n Nachbar von mir, der auch ein paar Hektar Weinland hat, behauptete mal, ganz gruselige Biester gesehen zu haben, die wie ganz riesige Insekten aussahen. Aber papa und ich denken, daß der alte Jacques nix mehr verträgt und er wohl meinte, seine besten weine aus dem letzten Jahr vor dem Massenverkauf testen zu müssen. Dann konnte der 'ne Stubenfliege mit einer Monsterbiene aus dem Weltraum verwechseln."

"Der alte Jacques Christian?" Wollte Ian wissen. "Ist wohl immer noch nicht drüber weg, daß seine Tochter einen Stadtburschen geheiratet hat, der weder Ahnung von Wein hat noch auf dem Land versauern will."

"Immerhin hat der 'ne Tochter, Ian. Ich weiß echt nicht was ich verkehrt mache. Aber meine Pauline will nix kleines in den Bauch kriegen. Und Langsam wird's ziemlich spät für wen neues.""

"Schon mal über IVF nachgedacht?" Fragte Ian.

"Was soll'n dassein", lallte Olivier.

"Künstliche Befruchtung, Olivier."

"Neh, dafür ist die zu katholisch erzogen. Kinder haben nur in Mamans Bauch zu entstehen und nirgendwo da draußen", gab Olivier leicht melancholisch von sich. Offenbar hatte er das Thema schon häufiger durchdacht. Obwohl die beiden die förmliche Anrede gebrauchten waren sie beide doch so gute Freunde, daß sie sich derartig private Dinge anvertrauten, vor allem in den klimatisierten Gewölben von Lemonts weitläufigem Weinkeller. Ian meinte dann nur, daß man da eben nichts machen könne. Sie sprachen dann noch über die anderen Nachbarn und obnoch wer diese Insektenmonster gesehen hatte. Doch diese waren nicht wieder aufgetaucht.

Abends beschlossen die Wellingfords, am nächsten Tag eine Rundreise durch die Provence zu machen, scheinbar um die Landschaft und die alten Städte und beschaulichen Dörfer zu besichtigen. In Wirklichkeit wollten sie die Augen offenhalten, ob sie Schlangenmenschenfanden.

"pauline ist jetzt übrigens eine von uns", gestand ihm Jaruni am nächsten Morgen, als sie mit einer angemieteten Limousine das Weingut verließn. Olivier hatte doch einen gewissen Brummschädel zurückbehalten. Feuerkrieger meinte zu ihr, daß sie das hätten absprechen sollen. Doch Jaruni sagte sehr beharrlich:

"Wir brauchen hier unten wen, der mitkriegt, was passiert. Sonnenglanz war einverstanden."

"Ohne mich zu fragen", schnarrte Feuerkrieger. Doch seine Gefährtin lächelte ihn nur an und meinte, daß es doch besser sei, wenn auch in Frankreich jemand sei, der ihnen helfen könne. Die Sache mit den Schlangenmenschen zeigte ja, wie wichtig es war, möglichst viele Verbündete zu haben.

__________

Peter Grinder hatte wieder zur wöchentlichen Versammlung gerufen. Seine geheime Sondertruppe, die nur dem Zaubereiminister unterstand, jagte nach Entomanthropen oder der Hexe, die sie gemacht hatte. Doch merkwürdigerweise waren keine mehr aufgetaucht. Und auch die Hexe, die am Tod der Stratons schuldig sein sollte, hatte sich sehr still verhalten. Grinder ging sogar davon aus, daß sie sich vielleicht nicht in den Staaten befand. Ob ihm das recht sein sollte? Das hieße aber auch, daß sie kommen und gehen konnte wie sie wollte. Das jedoch war nicht im Sinne von Minister Wishbone.

"Es könnte sein, daß diese Blutsaugerin wieder aufgetaucht ist, diese Nyx, Sir", sagte Terry O'Sullivan, ein eifriger Mitarbeiter der My-Truppe. "Wir haben gestern Vampiralarm aus San Antonio gekriegt. Könnte sein, daß diese Blutlady sich neue Gefährten heranzieht."

"Wishbone hat die bedingungslose Vampirtötung untersagt, weil das letzte Mal mehr Schaden als sonst was rumkam", erwiderte grinder verdrossen. "Allerdings wissen wir auch nicht, wie wir dieser Bestie beikommen sollen, selbst wenn wir dazu verpflichtet sind, sie einzufangen oder zu töten. Aber mir machen im moment diese Bienenmenschen mehr Sorgen. Wir müssen die Brutköniginnen finden, die diese Kriminelle erschaffen hat. Sonst erleben wir demnächst eine Invasion von diesen fliegenden Mordmonstern."

"Womöglich versucht die sogenannte Erbin Sardonias, diese Untiere zum Kampf gegen Sie-wissen-schon-wen einzusetzen. Offenbar reichen ihr Hexen nicht mehr aus, um das hinzukriegen", wandte Justin Spikes ein, der Einheit eins der Sondertruppe My befehligte. "Unser Köder wurde leider nicht angenommen. Entweder hat die gute Lino den Braten gerochen und wollte sich nicht von uns zur Tanzpuppe machen lassen, oder sie hat bei der Suche nach den Hintergründen lernen müssen, daß es bestimmte Sachen gibt, die besser nicht jeder weiß."

"Sie lebt aber noch", erwiderte Grinder. Gestern erst kam ein Artikel über die Vingate-Bande raus, weil es in Cloudy Canyon wieder eine Party gegeben haben soll. Wieso, so frage ich euch mal, lassen wir das zu, daß diese Clique weiterhin unschuldige Leute aufeinandertreiben kann wie ein Bauer seine Zuchttiere. Der Minister hat mir aufgetragen, daß wir diese Schweinebande ausheben sollen, bevor die noch das Weihnachtsfest im Ministerium in eine Paarungsorgie verwandeln."

"Das war eine seriöse Party", meinte Raymond Mase, der Verwandte in der Gegend wohnen hatte, wo die Bande wieder zugeschlagen hatte. "Womöglich ist ihnen die Sache in VDS nicht mehr sicher genug."

"Absoluter Unfug", bellte Grinder. "Die denken, ihnen könne keiner was und meinen, die Zahl von Hexen und Zauberern auf dieser Welt künstlich nach oben zu treiben. Acht Paare haben sich da gefunden, Sie Halbtroll. Davon wurde eines von der verwitweten Mutter von Conners aus der Spiele-und-Sportabteilung mit einem gerade erst siebzehnjahre alten Burschen gebildet, Rivus Gildfork, dem Neffen von Arbolus Gildfork. Natürlich war das für Lino ein gefundenes Fressen!" Blaffte Grinder.

"Sie haben uns angewiesen, die Entomanthropen und die Sardonianerin zu suchen, Sir", verteidigte sich Wilson Dodge. "Ich bin gerade dabei, Zugang zu diesen Schwestern zu erlangen."

"Wie denn das?" Fragte O'Sullivan spöttisch. "Fehlt Ihnen dafür nicht die richtige Statur?"

"Meine Sache", knurrte Dodge verdrossen. Grinder nickte ihm zu. Immerhin hatte er Dodges Vorstoß abgesegnet.

"Achso, der alte Charmebolzen", scherzte Terry O'Sullivan. Doch Dodge verriet nicht, wie er das anstellen wollte.

"In Ordnung, ich erteile euch vieren auch den Auftrag, die Mora-Vingate-Bande auszuheben. Wenn Mrs. Conners durch diesen Verkupplungstrank genau wie Kore Silverbell was kleines ausbrüten muß kriegen wir mächtigen Ärger."

"Die ist über achtzig", warf O'Sullivan ein. "Da ist das ziemlich unwahrscheinlich."

"Jedenfalls sollten wir uns auch auf diese Leute konzentrieren", schnarrte Grinder. "Könnte nämlich sein, daß die finden, Zauberer und Hexen könnten durch die Entomanthropen und den Irren aus England ausgelöscht werden, und man müsse bei Zeiten welche nachwachsen lassen. Ich habe Weihnachten ein Familienfest. Nicht, daß ich da aus Versehen mit meiner Schwiegertante zusammengerate."

"Wir finden die", erwiderte Raymond Mase.

"Dann sehen wir zu, daß wir ..." Setzte Grinder an, als ein schrilles Glockenläuten über sie alle hereinbrach. Das war der Alarm einer der zwanzig My-Wachen, heimlichen Beobachtungsstationen. Grinder zückte blitzartig den Zauberstab und rief: "Meldung aussprechen!"

"Insektenartiges Ungetüm in Texas gesichtet. Nähert sich Dallas von südost her", schnarrte Grinders eigene, aber sehr kühl klingende Stimme mitten aus der Luft.

"Terry, nehmen Sie Ihre Leute und fangen Sie das Biest ab! Wenn es ein Schwarmmitglied ist markieren, um es zur Königin verfolgen zu können. Wenn es eine Königin ist unverzüglich erlegen!"

"Jawohl, Mr. Grinder", bestätigte Terry O'Sullivan und befahl über eine spezielle Vorrichtung die Mitglieder seiner Einheit zur appariersicheren Außengrenze von Dallas.

"Hoffentlich ist es die Brutkönigin", bemerkte Wilson Dodge.

"Ja, und wir wollen hoffen, daß die Sardonianerin nicht wieder darauf reitet und Terrys Truppe in eine Falle reinfliegen läßt", schnaubte Grinder und befahl seinen Leuten, sich wieder auf ihre Bereitschaftsposten zurückzuziehen. Er selbst begab sich in den Wachposten, der das Ungeheuer gemeldet hatte, um dort für O'Sullivan erreichbar zu bleiben.

__________

Der Unterschlupf war sehr gut und leicht zu verteidigen, hatte Valery Saunders befunden, als sie sich endlich mit ihrer neuen Daseinsform angefreundet hatte. Sie war nach Mexiko hineingeflogen und hatte sich in einer der südlichen Provinzen eine Höhle in der Wüste gegraben, wo sie sofort angefangen hatte, mit eigenem, weißen Wachs die ersten größeren Brutzellen zu bauen und mehrere Dutzend gurkenförmige, milchig weiße Eier aus ihrem Hinterleib herauskullern zu lassen. Das war anstrengender als der Flug über mehrere tausend Kilometer. Doch als sie die ersten sechzig Eier abgesetzt hatte konnte sie durchatmen. Sie wollte möglichst viele Kinder haben, die sie beschützen und füttern konnten. Die Legerei hatte sie aber auch sichtlich ausgepumpt. Da fiel ihr ein, daß alleinstehende Ameisenköniginnen die ersten Eier fraßen, um genug Energie zurückzugewinnen. Damit konnten sie erst einmal einige Tage überdauern, bis ihre Larven sich zur Endgestalt entwickelt hatten. Wenn sie nicht unter der eierkullerei zusammenbrechen wollte mußte sie wohl oder übel aussondern, welche davon zu ihren Kindern werden durften. Sie betastete ihr Gelege und fühlte instinktiv, welche Eier männliche Abkömmlinge hervorbringen konnten. Für das zur Entomanthropenkönigin gewordene junge Mädchen war es keine Frage, daß sie erst einmal nur starke Jungs haben wollte. So pflückte sie die Eier mit möglichen Weibchen aus den Brutzellen und schlang sie am Stück hinunter. Sie würgte und wand sich. Doch nach dem vierten in sie zurückgewanderten Ei hatte sie keine Probleme mehr damit. Neun ihrer Eier vertilgte sie, bis sie sich prall und satt fühlte. Dabei stieg der Druck in ihrem Hinterleib erneut. So drückte sie neun weitere Eier in die Brutzellen, wobei sie fünf mit männlichen und vier mit weiblichen Keimen absetzte. Sie ließ die weiblichen Eier nun unangetastet und schloß die Brutzellen. Sie wußte nicht, wie schnell sich die Jungen entwickelten und als was sie zuerst schlüpfen würden. Somit galt es, ihren Kindern eine warme Unterkunft zu bereiten. Schwerfällig flog sie in den Morgenstunden aus und suchte nach Brennmaterial für die Nächte. Dabei wurde sie immer wieder von Durst geplagt. Um diesen zu stillen pflückte sie mit ihren mit einem harten Außenskelett gepanzerten Fingern Kaktusblätter ab und sog den darin gespeicherten Saft gierig in sich hinein. Die Stämme der angefressenen Kakteen buddelte sie aus und trug sie zur Höhle zurück, wo sie sie mit ihren neuen Kräften Feuergerecht zerbrach. Dabei kullerten weitere Eier aus ihr heraus, alles mögliche Weibchen. Sie schlang ihre ungeborenen Nachkommen hinunter, um genug Kraft für die zu haben, die erst einmal schlüpfen durften. Womöglich mußte sie bald bessere Nahrung finden und vor allem Futter für die Kleinen heranschaffen, bis genug erwachsene Abkömmlinge da waren, um sie und die Brut satt zu halten. Dabei dachte sie daran, wie sie vor einem halben Jahr mit ihren Freundinnen Jill und Kathy einen fahrenden Hotdogverkäufer überfallen hatten, um seinen Wagen und die Fressalien zu kriegen. Der Typ hatte wohl gedacht, mit drei Mädchen locker fertig werden zu können und ziemlich gut um sich gehauen. Aber als Valery ihm mit einem Schraubenschlüssel eins über den Schädel gezogen hatte war der Möchtegernheld umgekippt. Sie hatten den Wagen geklemmt und waren zum Revier ihrer Bande gefahren, wo sie die Würstchen in Brötchen gegen gutes Geld an die Tiburones vertickt hatten. Renato, der Boss von denen, hatte zum Nachtisch noch versucht, Jill flachzulegen, ohne daß die das wollte. Da hatte Valery dem Mistkerl ihr Schmetterlingsmesser vom linken bis zum rechten Ohr über den Hals gezogen. Sie hatten die Leiche im Wagen deponiert und den dann mit Benzin angezündet. Ab da hatten sie sich im Revier der Tiburones nicht mehr sehen lassen. Die meinten, daß die im Nachbarviertel wohnenden Las Zorras den Imbißwagen geklaut hatten, weil Jill und Kathy so schön schwarze Latina-Schöpfe hatten. Das hatte dann einen Bandenkrieg ausgelöst, bei dem die dreißig Schlampen die fünfzehn Haie mit Spiritus gegrillt hatten. Allerdings war Valery und ihrer Gang danach von Lolita, der Chefin der Zorras ziemlich eindeutig klargemacht worden, daß die drei entweder bei ihr in die Gang einzutreten hatten oder sich ein Revier im nächsten Bundesstaat suchen sollten. Dummerweise war das auch der Zeitpunkt, wo sich Valerys Freund, Milton Fleet, in Marisa, Lolitas Nichte verguckt haben mußte. Anders konnte sie sich das nicht vorstellen, daß die beiden eines Tages verschwunden waren. Lolita hatte Valery angekeift, was "ihr Typ" mit ihrer Nichte vorhätte, wo die erst siebzehn sei. Valery hatte sich fast mit der zehn Jahre älteren Puertorikanerin angelegt, daß die wohl ihre Nichte auf ihren Typen angesetzt habe. am Ende war es darauf hinausgelaufen, daß Valery, die seit ihrem dreizehnten Lebensjahr auf der Straße unterwegs war, die Stadt, in der sie zwei wilde Jahre verlebt hatte, verließ, um Milton zu finden. Dabei hatte sie mehr als einmal ihren Körper verkauft, um genug Geld und ein paar Informationen zu kriegen, hatte in Männerkleidung Tankstellen überfallen oder ziemlich reich aussehende Jüngelchen bezirzt, mit ihr mitzugehen, um sie nach dem gegönnten Liebesspiel abzuziehen. Auf diese Weise erfuhr sie davon, daß Milton und Marisa zusammen in der Nähe von Barstow gesichtet worden waren. Da zu vermuten war, daß Lolita auch hinter denen her war, mußte Valery schneller sein. Doch fast wäre sie von den Cops kassiert worden, als sie versucht hatte, mit der geklauten Kreditkarte des reichen Typen einen Flug nach Kalifornien zu bezahlen. Nur ihrem in ihrer Bande erworbenen Instinkt verdankte sie es, daß sie noch rechtzeitig abtauchen konnte. Ihr war wieder eingefallen, daß Kreditkartenkäufe zurückverfolgt werden konnten. Deshalb hatte sie dieses blöde Plastikding in den nächsten Gully geworfen und sich als Anhalterin nach Südwesten an die Highways gestellt. Dabei hatte sie jedoch drauf geachtet, daß die sie mitnehmenden Fahrer nicht meinten, alles mit ihr machen zu können. Ja, und kurz bevor sie in Barstow aufschlagen und Milton seine Familienjuwelen absäbeln konnte, hatte diese Hexe sie erwischt und in dieses große Ungetüm verwandelt, um für sie willige Kampfdronen auszubrüten. Sie sollte schlafen, bis sie geweckt würde. Aber sie war wieder wach geworden und jetzt entschlossen, ihre Kinder nur für sich zu haben, wenn sie schon als Legebatterie herhalten mußte. Ihr war nie so recht nach Babys gewesen. Sie hatte auch immer sehr peinlich darauf geachtet, daß die Jungs, mit denen sie rumgemacht hatte, ordentlich verhütet hatten. Aber jetzt amüsierte sie die Vorstellung, bald hunderte von starken Kindern zu haben, die sich über die ganze Welt ausbreiten mochten. Dieser Drang, ihre Nachkommenschaft möglichst groß zu machen, hielt sich die Waage mit der Wut auf die Hexe, die sie in diese Gurkenei-Bomberin verwandelt hatte. Ihr fielen alle Fernsehfilme ein, die sie über Bienen oder Wespen gesehen hatte. Sie konnte eigentlich nicht mit einer Biene zusammengebacken worden sein, weil diese Tierchen nur für's Sammeln lebten. Aber sie hatte immer noch Hunger auf Fleisch und fühlte immer wieder einen großen Drang, jemanden umzubringen oder zu fressen. Doch das einzige Fleisch, was sie fand, waren Schlangen und Kojoten. Das würde ganz sicher ein ziemlich langweiliges Leben werden, nur in ihrer Höhle zu hocken und diese weißen Gurkeneier rauszudrücken. Spätestens wenn ihre ersten Kinder fertig ausgewachsen waren, brauchte sie nicht mehr alleine herumzufliegen. Doch sie war ein Straßenkind, gewohnt, frei und ungebunden herumzustromern. Unsinn, sie war eine Königin, und als solche würde sie ein eigenes Volk haben, ein Volk, daß im Moment noch dicht an dicht in ihrem langen Hinterleib zusammengepackt war wie Paletten voller Bierdosen in einem Laster. Wieviele Babys waren da schon in ihr drin? Hundert? Tausend? Zehntausend? Der Gedanke amüsierte sie, ein ganzes Land für sich zu haben. Nein, nicht ganz für sich. Sie würde ein paar Menschen leben lassen, die für sie und die Brut schafften, falls sie nicht von ihr oder den Kindern, die da noch ausschlüpfen würden, umgebracht werden sollten.

Während sie sich die ersten Tage von ihren eigenen Eiern und dem was die Wüste bot ernährte, änderte Valery, die als gewöhnliches Mädchen Saunders geheißen hatte ihre Ernährungsstrategie. Denn sie hatte rasch mehrere Autobahnen nach Norden entdeckt, die in das gelobte Land, die vereinigten Staaten hineinführten. Als sie die ersten Laster mit lebenden Rindern aufgespürt hatte, die die freie Autobahn nachts ausnutzten, ging sie über, diese Frachtwagen zu überfallen. Dabei entwickelte sie eine Technik, so von oben her anzufliegen, daß die Fahrer sie erst bemerkten, wenn sie sich wie ein zuschlagender Adler auf das Führerhaus stürzte und mit ihren neuen Kräften das Dach aufriß, um den hinter dem Steuer sitzenden Fahrer mit ihren dolchartigen Schneidezähnen den Kopf abzubeißen. Der Geruch und Geschmack des Blutes weckte in ihr eine Gier, den ganzen Menschen in sich hineinzuschlingen. So kam es, daß wenige Minuten später nichts fleischliches mehr in einem umgekippten Lastwagen zu finden war. Valery hatte wortwörtlich Blut geleckt, im wahrsten Wortsinn die ungeheure Macht geschmeckt, die sie nun besaß und hinterließ keine Zeugen. Die Fracht schleppte sie in ihre Bruthöhle, wo sie die Tiere lebendig in selbstgewachsten Waben einschloß, nur mit ein paar Luftlöchern zur Atmung. Ihrem Rest menschlichen Verstandes entging es natürlich nicht, daß jemand die Wagen und Fahrer vermissen würde. Doch sie schlug jede Nacht zu und erbeutete Rinder, die schwer zu tragen waren, Schweine, die sie locker mit den vier Armen durch die Luft tragen konnte und sogar Pferde, die offenbar zu Hundefutter verarbeitet werden sollten. Nach jedem Raubzug legte sie ein weiteres Dutzend Eier.

Am fünften Tag ihres neuen, freien Lebens schlüpften die ersten Töchter, die zunächst wie schlauchartige, weiße Würmer mit kurzen Gliedern aussahen und nach ihrer Geburt schrille Quieklaute wie terriergroße Meerschweinchen ausstießen. Sie half ihnen dabei, die erbeuteten Tiere zu er- und zerlegen und empfand nicht das leiseste Grauen dabei, als sie zusah, wie ihre madenhaften Sprößlinge sich wie Regenwürmer in die Rinder-, Schweine- und Pferdekadaver hineinfraßen, förmlich darin verschwanden, bis sie tonnenförmig und bluttriefend aus den Futtertieren herauskrochen. Die noch lebenden Nutztiere rochen und hörten das Sterben ihrer Artgenossen und versuchten, ihren wächsernen Gefängniszellen zu entwischen. Doch Valery hatte diese verstärkt und überhörte das panische Brüllen, Quieken und Wiehern. Ihre Ohren galten nur dem bettelnden Quieken ihrer wie unheimliche Wesen von einem anderen Stern aussehenden Kinder. Anders als die Dronen hundsgewöhnlicher Bienen sollten die männlichen Abkömmlinge aber für sie ackern, hatte sie beschlossen. Vielleicht machte sie die zu ihren Futterbeschaffern, während die Weibchen ihre Leibgarde werden konnten. Sie wußte noch nicht, wie lange ihre Kinder brauchten, um sich aus den weißen Würmlingen in flugfähige Endformen zu verwandeln. Sie bekam nur mit, wie die Madenbabys jeden Tag fast um das doppelte zulegten, sowohl in der Länge, aber auch in der Breite. Die Arme und Laufbeine formten sich nun mehr und mehr heraus. Valery hatte mühe, weitere Futtertiere heranzuschleppen. Denn der Bedarf stieg rasant an. Sie dachte daran, daß ihre eigenen Kinder darauf kommen könnten, sie zu fressen, wenn sie nicht genug heranschaffte. Dann fiel ihr auf, daß sie auch noch zuckerhaltiges Zeug anbringen sollte. Somit wurden auch Laster, aus denen sie den Duft von Früchten und Gemüse in ihre Fühler bekam zu ihrem Ziel. Ihr war es egal, ob die Wagen zu ein und derselben Firma gehörten.

Die Vitamingaben förderten die anschwellenden Sprößlinge. Sie wurden richtig quirlig und begannen schon bald, an den Höhlenwänden hinaufzuturnen und sich gegenseitig zu jagen. Valery stellte dabei fest, daß sie nicht anfingen, sich gegenseitig anzuknabbern. Aber ihr behagte das Gewusel nicht. Daher verstärkte sie die Brutzellen und ließ nur Löcher für Futter und Luft, um die nächsten Babys nicht unkontrolliert in der Höhle herumstromern zu lassen.

Vierzehn Tage nach der Eiablage hingen die nun sackartig angequollenen Larven in der Höhle an den Wänden. Valery hatte sie aus einer ihr bis dahin nicht bewußten Idee heraus mit Wachs an die Wände geklebt, als sie immer träger wurden. Dann, nach nur vier weiteren Tagen, rissen die weißlichen Ballonkörper auf und gaben Mischungen aus Bienen und Menschen frei, deren Außenhaut gelblich-rot schillerte, und die zunächst Probleme hatten, sich zu bewegen, bis die Außenhüllen starr genug wurden, daß die erste Generation der fertigen Kinder sich bewegen konnte. Valery fühlte, roch und hörte die sofort einsetzende Flut von Lebensäußerungen. Die neuen Entomanthropen teilten mit, daß sie die Königin beschützen würden. Diese strömte wohl aus dem Instinkt ihrer neuen Mutterrolle heraus einen Geruch aus, der die nun ausgebildeten Abkömmlinge bedingungslos an sie band. Doch es waren nicht nur körperliche Äußerungen, die sie von ihren erwachsenen Kindern empfing. Es war eine Flut von Geistesregungen, Gedankensplitter, die in sie einflossen und aus ihr selbst in die Brut zurückkehrten, von ihr veredelt und den Schwarm, der nun entstand, unlösbar zusammenfügte. Und mit jeder sackartigen Puppe, die aufriß und ihren fertig entwickelten Inhalt freigab wuchs der Verbund. So konnte Valery den Kindern und Untertanen ohne sprechen zu müssen mitteilen, daß sie mehr Futter heranschaffen sollten und schickte die ersten Dutzend fertigen Entomanthropen aus, um die Aufgabe zu erledigen, die sie bisher erledigen mußte. Dabei schärfte sie den Gruppen von bis zu vier Kindern ein, sich nicht zu lange im freien Flug sehen zu lassen und falls doch wer sie sah keinen am Leben zu lassen. Als die ersten Beutesuchrotten ausschwärmten dachte Valery daran, bald in die Staaten zurückzukehren oder ihre Kinder auszuschicken, um ihr diesen Milton und seine neue Flamme zu holen. Entweder würde sie damit ihre Brut füttern oder es genießen, sich Milton persönlich einzuverleiben. In der Menschenwelt schrieben sie an diesem Tag den achtzehnten November. Doch das war Valery nicht bewußt und obendrein egal. Für sie begann heute eine neue Zeitrechnung, die Ära von Valery I., Mutter einer neuen beherrschenden Lebensform auf dieser Welt.

Weitere Generationen von Bienenmenschen schlüpften als Würmlinge und überdauerten die Zeit in ihren Geburtszellen, bis sie fertig ausgebildet daraus hervorbrachen. So ging das weitere zwei Wochen, während Valery weitere Eier in die Zellen legte und die herangeschleppten Wild- und Nutztiere fraß und verfütterte. Sie fühlte, wie sie selbst träge zu werden begann. Bald würde sie wie eine x-beliebige Bienenkönigin in dieser Höhle feststecken und darauf angewiesen sein, sich von ihren Kindern füttern und säubern zu lassen. Doch das gefiel ihr nicht. Sicher, sie wollte diese herrlichen Babys, die erst ziemlich gewöhnungsbedürftig aussahen. Doch sie wollte auch herausfinden, wie groß ihre Macht wirklich war. Dabei wurde sie von zwei Zielen angetrieben: Die Rache an Milton Fleet und seiner Freundin Marisa Suárez war das eine Motiv. Die Hexe zu finden, die sie in dieses Überwesen verwandelt hatte und herauszufinden, warum sie das gemacht hatte war das andere Motiv, nach dreißig weiteren Eiern, um den Druck in ihrem Leib niedrig zu halten, aus der langsam voller werdenden Höhle herauszukriechen und von zwanzig weiblichen Entomanthropen begleitet loszufliegen, richtung Norden, Richtung USA.

Laut brummend wie ein Geschwader antiquierter Bombenflugzeuge aus dem zweiten Weltkrieg eilte Valery mit ihrer Leibgarde durch die Luft, mied die Nähe von Straßen und Ansiedlungen, bis sie am Abend des ersten Dezembers die Grenze überflog. Dabei fühlte sie, wie sie beobachtet wurde, sah jedoch niemanden. Auch ihre neuen Augen, die Licht außerhalb des üblichen Sichtbereiches erfassen konnten, vermochten den Beobachter nicht zu erkennen. Es war nicht nur einer. Etliche Kilometer weiter weg flog noch etwas herum, daß wohl dazu da war, sie und ihre Truppe zu beobachten. Sie überwand den Drang, gezielt auf den Beobachter loszugehen. Denn sie hatte ein Ziel, ein Einkaufszentrum in der Nähe von Dallas, in dem sie vor knapp zehn jahren schon einnmal gewesen war. Dort wollte sie Nahrung und Baumaterial erbeuten. Die Beobachter blieben zunächst zurück und schienen die entsetzlichen Eindringlinge nicht bemerkt zu haben.

Als Valery jedoch eine gewisse Zeit später mehrere fliegende Feinde vor ihr witterte, erkannte sie jedoch, daß ihre Ankunft weitergemeldet worden sein mußte. Man suchte also den Kampf. Ihr Vermehrungs- und Brutpflegeinstinkt gab ihr das unangenehme Gewissen ein, sich unnötig in Gefahr zu bringen und damit die Aussicht auf möglichst viele Abkömmlinge zu verspielen. Doch ihr Trotz und die in ihrer neuen Daseinsform gebündelte Aggression übertönten die zur Umkehr mahnenden Signale.

"Da vorne sind Feinde. Ich kenne die. Die können sich unsichtbar machen. Aber wir können die riechen", strahlte Valery einen alle erreichenden Gedanken aus. "Greift sie an und tötet sie. Das sind unsere Feinde, fiese Zauberer und Hexen auf zerbrechlichen Besen."

Laut dröhnend ging der kleine Entomanthropenverband in eine keilförmige Formation, die die sie alle überragende Königin umschloß. Denn sie zu schützen war der in die Brutzelle gelegte Urtrieb der Leibgardistinnen.

Knapp eine Minute später kam es zur Berührung mit dem Feind. Aus unsichtbarer Quelle schlugen grüne und rote blitze auf die Formation zu. In Valery sprangen unvermittelt mehrere Reflexe an, die sie intuitiv die genaue Richtung der ihnen geltenden angriffe erfassen und diesen mit einer übermenschlichen Reaktionsgeschwindigkeit und Gewandtheit ausweichen ließ. Dabei empfing sie einen Duft, den sie schon einmal wahrgenommen hatte. Das war, als diese Hexe sie noch in dieser fiesen Fernsteuerung hatte. Ja, dieser Bursche da vorne war ihr schon mal begegnet und hatte sie sehr wütend gemacht.

"Avada Kedavra!" Rief irgendwer. Was das hieß wußte Valery nicht. Als jedoch eine sie links flankierende Gardistin von einem durch die Luft heulenden Blitz aus gleißendem Grün getroffen wurde und innerhalb eines Lidschlags nicht mehr lebte, wußte die Königin einer neuen Überrasse, daß dieser Zauber brandgefährlich werden konnte. Sie bot sich zu gut als Ziel an. Doch sie tanzte einen weiteren grünen Blitz aus. Ein dritter erwischte eine Gardistin unter ihr. Dann waren die noch fliegenden achtzehn Gardisten an den Besenreitern heran, die sofort versuchten, die Insektenungetüme niederzukämpfen. Giftstachel schossen aus den Körpern der geflügelten Schreckgestalten und durchbohrten die Gegner wie heiße Nadeln ein Stück Butter. Das davon übertragene Gift kam gar nicht erst zur Wirkung. Dann hatte Valery den Kerl vor sich, dessen Duft sie an den letzten Kampf gegen diese Truppe da erinnerte. Damals hatte diese Hexe auf ihr gehockt und Feuer um sie herum gemacht. Da waren viele von denen drin verbrannt. Doch jetzt konnte sie nur schnell ausweichen oder die Gegner packen, erstechen oder mit Zähnen oder Klauen zerreißen. Weitere drei Gardistinnen erloschen im grünen Blitzgewitter. Doch die noch fliegenden brachen durch die immer wieder auseinandertreibende Formation und fanden Vergeltungsziele. Valery jedoch hatte nur Augen, Ohren und Antennen für den, der ihr schon einmal entwischt war. Dabei empfand sie neben der Lust auf Vergeltung auch einen rein körperlichen Hunger. Sie würde ihn gleich töten und dann verputzen wie einen Hotdog.

__________

Terry O'Sullivan hatte seine Einheit der My-Truppe auf Harvey-Besen so postiert, daß sie die anfliegende Gruppe der Entomanthropen weit genug vor Dallas abfangen konnten. Er hatte sämtliche Mitglieder seiner Einheit zusammengezogen, um die nun eindeutig hereinbrechende Gefahr zu beseitigen. Mit Nachtsichtbrillen ausgestattet, die sie selbst bei totaler Dunkelheit wie am hellen Tage sehen ließen und auf die Unsichtbarkeitsfelder der Harvey-Besen abgestimmt waren, konnten die My-Truppler den heransurrenden Pulk fliegender Ungeheuer ausmachen.

"Keilformation mit Flankenschutz", stellte O'Sullivan fest. "Da ist eine Königin bei. Konzentrierte Todesflüche auf das Mutterbiest!" Rief er mit Hilfe des Vocamicus-Zaubers. der nur für ihm vertraute personen in einer kugelförmigen Zone von einem Kilometer Durchmesser hörbar war. Unverzüglich riefen die Truppenkameraden die sonst so verpönten Auslöseworte: "Avada Kedavra!" Andere versuchten, die Insektenmonster durch Lähm- und Schockzauber aus der Formation zu treiben. Doch diese erfaßten trotz der Unsichtbarkeit genau, wo die Gegner waren und gingen zum Gegenangriff über. Terry konnte drei ihn bedrängenden Entomanthropen mit hellhaarigen Frauenköpfen um Haaresbreite ausweichen. Er selbst versuchte, die Brutkönigin zu erwischen. Doch diese rollte, sprang und wippte so schnell aus der Zielausrichtung, daß fünf Todesflüche in Folge ihr Ziel verfehlten. Dabei wäre O'Sullivan fast noch von einer heranbrummenden Bienenfrau mit dem langen, wie ein Speer auf ihn zielenden Stachel durchbohrt worden. Er konnte die Widerhaken am Ende des Waffenorgans erkennen, bevor er sich noch rechtzeitig aus der Reichweite rollte. Er fühlte, daß er wohl keine rechte Konzentration für einen weiteren Todesfluch mehr anbringen würde. Zwei Kameraden versuchten, die herandonnernde Riesenkreatur zu treffen und erwischten nur zwei sie abschirmende Abkömmlinge. Terry erkannte, daß es wesentlich schwerer und gefährlicher war, gegen diese Monster zu kämpfen, die so gewand manövrieren und offenbar intuiitiv wie unter Felix Felicis erspüren konnten, wohin sie auszuweichen hatten. Er hörte einen Aufschrei, als ein weiterer seiner Leute vom Besen geholt wurde. Der hatte nicht aufgepaßt und war von oben her von einem Giftstachel aufgespießt und hochgerissen worden. O'Sullivan fragte sich einen kurzen Moment, ob diese Kreaturen wie Bienen sterben mußten, wenn sie einmal zugestochen hatten. Doch als er einen getroffenen Kameraden ohne Besen abstürzen sah, verdrängte er diese Frage. Der Todesstachel hatte sich wohl locker aus dem Leib des gefallenen Kameraden zurückziehen können. Jedenfalls sah der niederfallende grauenhaft aus, als habe ihn jemand mit scharfen Kanthaken aufgerissen. Er durfte jedoch nicht an die Kameraden denken. Er schwebte selbst in tödlicher Gefahr. Zwar schaffte er es noch, einen ihn direkt anfliegenden Entomanthropen mit dem Todesfluch zu erwischen. Dann jedoch sah er sich dem geflügelten Entsetzen gegenüber, daß fünf Meter lang mit wild wirbelnden Flügelpaaren auf ihn zudröhnte und dabei die armlangen Fühler suchend auf ihn ausgerichtet hielt. Er würde wohl nur drei Sekunden haben, um der Bestie auszuweichen oder ihr den grünen Blitz auf den geringelten Leib zu schleudern. Er wählte den Angriff und beging damit den letzten Fehler seines Lebens. "Avada Kedavra!" Scholl seine Stimme durch die Nacht. Doch er fühlte, daß er nicht die entschlossene Tötungswut in diesen Fluch hineinbekommen hatte. Zwar entlud sich etwas grünes aus dem Zauberstab. Doch es wirkte eher wie ein Strom von Glühwürmchen, die als wild pfeifendes Spektakel auf die Gegnerin zuschwirrten. Sie duckte sich unter dem ohnehin wirkungslosen Zauber durch und schnellte dann mit den vorderen Armen zuerst nach oben, wobei sie Terrys Besenstiel zu packen bekam. O'Sullivan wollte gerade einen Hilferuf aussenden, als er das furchtbare Knacken hörte, als sein Besen in der Mitte durchbrach. Diedadurch freigesetzte Magie entlud sich um ihn herum in wild prasselnden Ringen und Blitzen aus rotem, silbernem und blauem Licht. Gleichzeitig fühlte er, wie ihn die herausgesprengte Zauberkraft wie mit Eiskeulen traf. Einen Moment lang konnte er sich nicht bewegen. Dann umfingen ihn die monströsen Vorderarme der Brutkönigin. "Hab ich dich!" Donnerte eine Stimme wie eine Baßgeige in seine Ohren. Dann fühlte er, wie sie zwei grünen Blitzen auswich. Terry versuchte erneut, einen Hilferuf abzusetzen. Doch da fühlte er den feuchtheißen, nach verwesendem Fleisch und faulem Obst stinkenden Atem der Brutkönigin über sich und sah, wie sie gierig den Schlund aufriß. Er Hoffte, daß er noch einen tödlichen Zauber in das Maul des Monsters hineinschicken konnte und riß die Arme über den Kopf. "Avadaaaaaa!!" Sein Ruf wurde zum langen Schrei, als die Brutkönigin zuschnappte und mit einem Bissen beide Arme wie gekochte Spaghetti bis zu den Ellenbogen abtrennte. Offenbar hatte das Ungeheuer versucht, ihm den Kopf abzubeißen. Zwar fühlte er im Moment keinen Schmerz, weil der Schock der jähen Amputation die Wunden vorübergehend betäubte. Doch das blanke Entsetzen und die Gewißheit, gleich einen grauenvollen Tod zu erleiden, ließen O'Sullivan jede antrainierte Selbstbeherrschung vergessen. Er schrie, wie er wohl zum Zeitpunkt seiner Geburt geschrien hatte. Er schrie auch noch, als eine Energische Bewegung der beiden Monsterarme ihn mit Schwung in das wieder aufklappende Maul der Brutkönigin hineinbeförderte. Er fühlte, wie er über einen warmen, glitschigen Untergrund rutschte, der sich hinter ihm hob und ihn mit drei übermächtigen Bewegungen in einen schleimigen, sich um ihn zusammenziehenden und sich windenden Tunnel hineintrieb. Sein Schrei erstarb einen Moment. Er schnappte nach Luft. Doch hier gab es keine. Er wurde von lauten Geräuschen begleitet immer weiter in den Schlund des Verderbens hineingewürgt. Totale Dunkelheit umfing ihn. Er hörte das dumpfe Pochen zweier Herzen. Seine Panik und seine nun einsetzenden Schmerzen ließen ihn jedoch nicht mehr darüber nachdenken, warum er zwei Herzen schlagen hörte. Er wurde mit einer letzten pumpenden Bewegung aus dem schleimigen Schlauch herausgestoßen und landete in einer tiefen, mit Flüssigkeit gefüllten Grube. Hier holte er noch einmal Atem, auch wenn es keine saubere Luft war, die er in die Lungen bekam und stieß einen letzten, langen Schrei aus, während er meinte, in der um ihn gurgelnden Flüssigkeit wie in lodernden Flammen zu verbrennen. dann übermannte ihn die Bewußtlosigkeit und ersparte ihm, sein Ende noch weiter mitzuerleben.

__________

Armin Whistler, der Terry O'Sullivans rechte Flanke gesichert hatte, entkam nur mit Mühe einem geflügelten Geschöpf, daß ihn mit einem Stachel oder mit den gigantischen Insektenbeinen erwischen wollte. Dann sah er, wie Terrys Besen in einem Gewitter ungerichteter Magie zerbrach. Er konnte seinen Truppenführer sehen, wie dieser genau in die Arme der Alptraumartigen Kreatur fiel. Sofort versuchte er, zwei Todesflüche hintereinander anzubringen. Doch sie schlugen daneben. Er hörte Terry laut schreien, als er von dieser Horrorbiene verschlungen wurde, meinte sogar noch, das laute Schlucken der Brutkönigin und einen letzten, Todesqual verkündenden Schrei zu hören. Noch einmal versuchte er, die Bestie mit dem Todesfluch zu belegen, als er hinter sich wildes Gebrumm von oben hörte und schnell auswich. Für seinen Vorgesetzten kam jetzt eh jede Hilfe zu spät. Aber diese gefährliche Kreatur da mußte sterben. Sie durfte diese Brut nicht vermehren. Doch außer ihr flogen noch vierzehn Entomanthropen um sie herum, die sehr schnell dabei waren, die My-Truppler im Flug zu töten. Dann waren es noch dreizehn Entomanthropen, die ihre Königin und Mutter begleiteten. Dann waren es zwar nur noch zwölf. Doch von O'sullivans Truppe waren bereits mehr als zehn Mann ausgefallen, der Anführer mit eingerechnet. Whistler mußte wilde Manöver ausfliegen, um drei Insektenmonster auf einmal abschütteln zu können. Eines konnte sein Kollege mit dem Todesfluch abschießen. Die beiden anderen Bestien gaben die Verfolgung erst auf, als links und rechts von ihnen weitere My-Truppler anflogen. Whistler suchte die Königin, die gerade mit acht Abkömmlingen um sich herum in die letzte intakte Reihe der vierten Einheit hineinbrach. Zwar ließen sechs der acht Begleiterinnen ihr widernatürliches Leben und stürzten in die Tiefe. Doch auch fünf von der Geheimtruppe des Ministers würden die Sonne nicht mehr aufgehen sehen. Whistler rief mit Hilfe des Sonorus-zaubers: "Rückzug! Wir brauchen Verstärkung!" Das brachte die Insektenkreaturen für einen Moment außer Balance und verhalf den verbliebenen Kollegen, drei von ihnen mit dem Todesfluch zu erlegen. Weil es nur noch drei Stück mit der Königin waren, sahen es die vier überlebenden nicht ein, den Kampf jetzt abzubrechen. Jeder zielte auf einen Gegner und versuchte den Todesfluch anzubringen. Doch die Tücke dieses vernichtenden Zaubers vereitelte das. Whistler entsann sich, daß ein Todesfluch soviel Kraft zehrte wie fünf Schocker zugleich und es auf die Konzentration und den Willen zum Töten ankam, ob er seine volle Wirkung erzielte. Der Wille konnte im Kampf jedoch erlahmen. Dies passierte hier. Die Entladungen aus den Zauberstäben verpufften pfeifend in der Luft. Whistler griff noch einmal die Königin an. Diese flog gerade auf seine Kollegen zu, die neu ansetzen mußten und dabei den drei wütenden Entomanthropen auszuweichen versuchten. Gleich würde dieses menschenfressende Scheusal erledigt sein, dachte Whistler und zielte auf den Hinterleib. In diesem Augenblick begann der Körper der Brutkönigin, in einem roten Licht zu erstrahlen, als glühe etwas unter ihrem Panzer. Das hielt Whistler für einen Moment ab, den grünen Blitz zu schleudern. Welche höllische Besonderheit umgab dieses Ungeheuer nun, das gerade zwei seiner Artgenossen auf einen Besen zufliegen ließ, der aus der Zangenbewegung nicht mehr herauskam. Der My-Truppler wurde gepackt und vom Besen gerissen. Doch diesmal drangen keine Giftstacheln in ihn ein. Ihm widerfuhr ein schlimmeres Schicksal, nämlich dasselbe, daß wenige Minuten zuvor O'Sullivan ereilt hatte. Diesmal setzte die Riesenbiene jedoch nicht Zweimal an, sondern steckte sich den ihr zugeworfenen Zauberer wie einen großen Brocken Fleisch in ihr Maul. Whistler hörte noch den Entsetzensschrei des Kollegen. Dann mußte er sich auf ein Ausweichmanöver konzentrieren, weil die beiden freigewordenen Biester ihn nun als Ziel ausmachten. Doch ihre Mutter und Gebieterin schien zu ahnen, daß ihr noch drei Gegner im Weg waren und verteilte ihre Gardisten auf diese. Whistler sah die immer noch leuchtende Brutkönigin. Dann entschloß er sich, ihren Tod herbeizuführen und rief: "Avada Kedavra!" Der grüne Blitz verließ den Zauberstab und raste auf den Hinterleib der Königin zu. Mit lautem Knall wie eine Riesenpeitsche prallte er dagegen und zerstob in grünen Funken. Schlagartig wirbelte die Brutkönigin herum und fegte mit lärmenden Flügeln auf Whistler zu, der gerade noch eine Wende hinbekam und Reißaus nahm.

"Wolltest mich kaltmachen, alter, wie? Hat aber nicht geklappt", brüllte sie ihm mit tiefer Stimme nach. Immer noch leuchtete ihr Körper im blutigen Rotton. "Escappericolum!" Rief Whistler seinem Besen zu. Dieser machte einen jähen Satz und sauste schneller als ein Pfeil davon. Die Brutkönigin fiel augenblicklich zurück. Whistler wußte, das der Notfluchtzauber seinen Besen solange erfüllte, bis er wirklich außer Gefahr war. Dabei konnte die magische Ausdauer des Flugbesens in einem zehntel der Zeit verbraucht werden. Er hielt sich krampfhaft am sich langsam erwärmenden Stiel fest und fühlte den scharfen Flugwind um seinen Körper fegen. Eine Minute später fiel die Geschwindigkeit wieder ab. Er war bestimmt mehr als zehn Kilometer weiter fort. Jetzt erst fand er wieder zu seiner Besinnung. Er war einfach geflohen, anstatt wie O'Sullivan und McMillan sein Leben für die Vernichtung dieser Höllenbrut zu opfern. Was hatte ihn da geritten, einfach abzuhauen, seine Kollegen feige im Stich zu lassen? Er drehte um und beschleunigte den Besen erneut. Doch er fühlte am Vibrieren des Stiels, daß der Harvey 5 durch das Fluchtmanöver wirklich schon etwas seiner Reichweite und Flugsicherheit eingebüßt hatte. Es dauerte wesentlich länger, den Ort zu erreichen, wo die Schlacht getobt hatte. Doch hier war nichts mehr. Whistler versuchte, mentiloquistisch seine Kollegen zu erreichen. Doch niemand meldete sich. Er blickte sich um. Von den Entomanthropen und ihrer Brutkönigin war nichs zu sehen. Dann landete er und mußte sich arg beherrschen, sein Abendessen nicht wieder auszuwürgen. Weiträumig verteilt lagen die zerschmetterten und zerfetzten Leichen seiner Kollegen und der von ihnen getöteten Insektenmonster. Whistler erkannte, daß die My-Truppe diese Schlacht verloren hatte. Sie waren zu wenige gewesen. Sie hatten zwar weit über die Hälfte der geflügelten Biester ausgeschaltet. Doch die Brutkönigin hatten sie nicht erledigt. Er flog im Zickzack über das Leichenfeld und nahm in Gedanken auf, wer von seinen Kollegen gestorben war. Dann flog er weiter in Richtung norden, wobei er noch drei zerbrochene Besen und eine Entomanthropenleiche fand. Whistler flog weiter und nahm währenddessen Kontakt mit seinem Vorgesetzten auf. Über seine überhastete Flucht verlor er jedoch keinen Gedanken.

"Das ist unmöglich, daß die halbe Truppe ausgefallen ist", hörte er Grinders wütende Gedankenstimme. "Das kann es nicht geben."

"Nun, ich möchte Ihnen nicht vorschreiben, wie Sie damit umgehen möchten, Sir. Aber falls Sie mir nicht glauben, schlage ich vor, daß Sie herüberkommen und es sich selbst ansehen."

"Ich komme mit zwei ganzen Einheiten", gedankenknurrte Grinder. Whistler erbot sich, die Gegend abzusuchen, ob die geflügelte Gefahr noch in der Nähe war. Als Grinder dann mit zwei ganzen Einheiten eintraf und den makabren Schauplatz begutachtete, konnte ihm Whistler deutlich ansehen, wie sehr es den kampferfahrenen Truppenleiter mitnahm.

"Zwanzig ausgebildete Inobskuratoren und Drachenjäger werden nicht mit ebenso vielen Insektenbiestern und ihrer Brutmutter fertig", schnarrte er. "Wir haben diese Bestien offenbar unterschätzt."

"Immerhin sind von denen mindestens achtzehn draufgegangen", setzte Whistler an und wurde sofort abgewürgt.

"Genau wie von uns, Sie Trollhirn. Achtzehn von uns sind achtzehn zu viel. Oder denken Sie, unsere Truppe kann mal eben achtzehn neue Leute anwerben?!"

"natürlich nicht", seufzte Whistler.

"Ja, aber diese Bestie braucht nur achtzehn neue Eier zu legen, um ihre Truppe wieder aufzustocken. Selbst wenn das ein paar Tage dauert, bis neue Monster herangewachsen sind kann die uns locker überflügeln, im wahrsten Sinne des Wortes. Wir brauchen eine Strategie, um diese Unwesen wirkungsvoll bekämpfen zu können. Die Frontlinienformation war ganz offenkundig ein schwerer taktischer Fehler. Die brechen da einfach ein und wüten darin herum. Egal wie viele von denen dabei draufgehen, Whistler. Das sind Insektenwesen. Denen ist es egal, ob zehn oder zwanzig draufgehen, wo sie an einem Tag das doppelte an Neuzuwachs hinkriegen. Könnte auch sein, daß dieses Brutbiest hundert Eier am Tag legt und das vielleicht schon seit der Zeit tut, als wir von der Erzeugung dieser Wesen erfahren haben. Rechnen Sie mal aus, wie viele Ungeheuer dadurch schon entstanden sein können und stellen Sie unser verbliebenes Kontingent dagegen! Wer gab eigentlich den Befehl, ausschließlich den Todesfluch zu verwenden?"

"Mr. O'Sullivan, Sir. Ich dachte einmal daran, den Feuerballzauber zu wirken. Aber da waren unsere Kollegen zu nahe an den Biestern dran."

"Gut, dann wäre das eine Möglichkeit, in Zukunft unsere Mannstärke zu sichern, indem wir aus sicherer Entfernung voll mit Feuerzaubern auf diese Biester draufhalten, wie diese vermaledeite Hexe, die uns diese Monster eingebrockt hat. Wir suchen sie. Selbst mit zweihundert Stundenkilometern kann sie nicht zu weit fort sein. Villeicht gibt es doch noch Hoffnung, die Brut einzudämmen."

"Sterben dann auch die schon geschlüpften?" Fragte Whistler seinen Vorgesetzten.

"Das hoffe ich. Zumindest haben sie dann keinen Grund mehr, weiterzuleben", schnaubte Grinder und befahl die Suche nach der Brutkönigin und den vielleicht noch zwei Entomanthropen. Doch selbst nach zweistündiger Suche fanden sie nichts. Und das beunruhigte sie mehr als eine neuerliche Schlacht mit dieser Kreatur.

__________

Es war herrlich. Erst hatte sie diesen Kerl noch in sich schreien und sich winden fühlen können, als sie ihn mit großer Anstrengung lebendig hinuntergeschlungen hatte. Dann war etwas wie neue Kraft in sie eingeströmt und hatte sie von innen erwärmt. Es war ein Gefühl, das alles übertraf, was sie beim Sex mit irgendwelchen Männern empfunden hatte. Es war, als würde sie noch weiter wachsen. Sie hatte darauf befunden, noch so einen vorwitzigen Blitzeschleuderer einzuwerfen und hatte diesen Kerl ohne Verletzungen runtergeschluckt. Der hatte mindestens noch eine Minute in ihrem Magen herumgestrampelt, bis er laut gurgelnd sein mieses Leben ausgehaucht hatte. Danach hatte sie das noch stärker gefühlt, wie sie überglücklich und mächtig war. Einmal hatte ein Kerl auf dem Besen ihr diesen Blitz aufgebrannt, der ihre Kinder vom Himmel putzte. Doch der hatte sie nur wie mit eiskalten Fingern berührt, ohne mehr anzurichten. Ihre Leibgarde wurde weniger. Zwar konnten sie noch zwei Mann von ihren Besen herunterwerfen, verloren jedoch zwei weitere Gardisten. Valery erkannte, daß sie in dieser Nacht besser nicht mehr weiter nach Norden vorstoßen sollte. Diese Beobachtungsposten irritierten sie. Nachher kamen die mit hundert oder mehr Leuten an und nieteten ihre ganze Garde in einem Ansatz um. Dann war da noch was. Als auch der zweite Besenflieger sich in ihrem Magen auflöste, stieg in ihr der Drang, in ihre Höhle zurückzukehren, um weitere Eier abzulegen. Doch die Höhle war mehr als einen Tag entfernt, und diese Leute würden ihr hinterherfliegen. Es half nichts. Sie rief die verbliebene Gardistin zu sich und befahl ihr: "Setz dich hinten auf mich drauf und halte dich fest. Wir müssen ganz schnell fliegen. Ich muß wieder Eier abwerfen."

Sie war losgeflogen, immer schneller. Doch das erschien ihr irgendwann nicht mehr schnell genug. Der Drang zur Eiablage wurde immer stärker. Sie konnte aber nicht noch eine Höhle bauen. Die erste hatte schon viel Kraft gekostet. Sie mußte nach Mexiko zurück in ihre Höhle. Sie mußte jetzt da sein und ... Unvermittelt fühlte sie, wie der Wunsch förmlich aus ihr heraus explodierte und sie übergangslos in undurchdringliche Dunkelheit geriet. Ein Gefühl, von allen Seiten zerquetscht zu werden peinigte sie für einen Moment. Dann fand sie sich genau am Eingang der Höhle, in der sie ihre Brutzellen gebaut hatte. Sie hörte das Quieken bereits geschlüpfter Würmlinge und das Gebrumm sie umsorgender Geschwister. Sie landete. Wie hatte sie denn das hinbekommen? Egal! Sie mußte da rein und mindestens zehn Eier legen, wohl genauso viele, wie sie Gardistinnen eingebüßt hatte.

Als sie mit der Hilfe ihrer bereits fertigen Kinder weitere Brutzellen gebaut hatte setzte sie zwanzig dieser Gurkengebilde hinein und versiegelte sie bis auf die Futter- und Luftlöcher. Nahrungsbeschaffer kehrten gerade zurück. Sie machten sich keine Gedanken, warum die Königin wieder da war. Es war nur wichtig, daß sie wieder da war.

"Irgendwie muß ich mit den beiden Besenfliegern deren Zauberkraft gefressen und mich hier wieder hingezaubert haben", dachte Valery und ließ es geschehen, daß eifrige Abkömmlinge sie auf abgezogene Felle betteten, damit sie bequem lag. Offenbar hatten die Nahrungsbeschaffer irgendwoo eine Farm aufgestöbert. Denn es gab frische Früchte und Gemüse neben Kaninchen und geköpften Schlangen.

"Kann ich das jetzt immer oder ging das nur, weil ich zwei von denen eingeworfen habe?" Fragte sich Valery, während sie sich von den Anstrengungen der letzten Stunden erholte. Die Gardistin gab inzwischen einen Bericht über den Kampf ab. Das würde dem Schwarm helfen, sich noch besser auf die Gegner einzustellen. Wenn das aber stimmte, daß sie sich die magischen Kräfte der gefressenen Zauberer verschafft hatte, dann konnte sie mächtiger werden als die Hexe, die sie in dieses Wesen verwandelt hatte. Ihr kam der anregende Gedanke, dieses Weib selbst zu verschlingen. Sicher war das so voller Zauberkraft, daß sie, Valery, dadurch für jeden Zauberstabschwinger unbesiegbar würde. Aber dieses Ding mit dem plötzlich da ankommen, wo sie hinwollte würde sie demnächst noch einmal ausprobieren. Konnte es sein, daß es nur zweimal klappte und sie das eine Mal schon verbraucht hatte. "Ich muß diese Typen lebendig runterkriegen wie der Wolf im Märchenbuch", dachte sie. "Dann kann deren Zauberkraft wohl nicht einfach so ins Leere abgelassen werden. Werde ich mir wohl demnächst noch ein paar von denen genehmigen."

__________

Es war doch einfacher gewesen, als sie befürchtet hatte. Unter Anthelias Gedankeneinflüsterungen aktivierte Daianira den Entomolithen, der laut Anthelia mit allen erdenklichen Schutzzaubern gegen Zerstörung behandelt worden war. Es hätte also nichts gebracht, wenn die verjüngte Hexenlady Sardonias Machtmittel zu vernichten versucht hätte. Jetzt mußte sie es auch noch benutzen, was sie noch mehr anwiderte als die anderen Umstände, in die Anthelia sie mit sich versetzt hatte. Doch die aufgesuchten Brutköniginnen in Spanien und Frankreich gehorchten der durch die Magie des Bernsteinartefaktes klingenden Geistesstimme und die entsprechenden Losungswörter. Daianira konnte sich ausmalen, wie wütend Anthelia sein mochte, weil sie ihr diese Geheimnisse offenbaren mußte. Andererseits galt es auch in der erzwungenen Beziehung, das Ziel im Auge zu behalten und die Schlangenkrieger des Emporkömmlings zu vernichten.

"Lady Daianira, Ihr habt euch heute ziemlich gut angestrengt", begrüßte sie Leda Greensporn, als die Sprecherin der nordamerikanischen Nachtfraktionshexen nach einem langen Tag in den verschwiegenen Ferienbungalow an der Atlantikküste zurückkehrte. Die Cousine und persönliche Heilerin der Hexenlady blickte sehr ungehalten auf Daianira, die gut erschöpft aus den Kleidern schlüpfte.

"Dieser Entomolith hat ein Eigenleben. Wenn er in die Nähe von diesen Biestern kommt erwärmt er sich und strahlt ein Gefühl der Überlegenheit aus", schnaufte Daianira, als hätte sie einen Marathonlauf bestritten. "Ich brauchte echt Willensstärke, um ihm einzugeben, was ich diesen Brutköniginnen übermitteln wollte. Ich weiß nicht, was Anthelia da geritten hat, diese Ungetüme nachzuzüchten. Wenn du vor einer Königin stehst, fühlst du dich im ersten Moment ziemlich klein."

"Hast du dich erschreckt, Daianira?" Fragte Leda besorgt und fischte nach ihrer Hilfsmitteltasche.

"Neh, habe ich nicht, Leda. Meine Untermieterin hat mich ja dankenswerterweise vorgewarnt. Aber ich verstehe die trotzdem nicht, warum sie diese Brut nachgezüchtet hat und dafür unschuldige junge Mädchen geopfert hat."

"Weil es keine andere Wahl gab, um diesen Schlangenwesen was vergleichbares entgegenzustellen, Daianira", klang Anthelias Gedankenstimme in ihr nach. Noch trug sie Dairons Seelenmedaillon. "Nachher kommst du noch mit einem Insektenkopf zur Welt", schickte Daianira einen verächtlichen Gedanken an die Adresse ihrer früheren Rivalin.

"Nur wenn ich dir verrate, wie ich diese Brutköniginnen erschaffen habe und du meinen in dich zurückgetriebenen Leib dazu verwendest. Aber ich lege keinen Wert darauf, dir dann noch mehr ausgeliefert zu sein als eh schon."

"Und ich lege keinen Wert darauf, die Verbrechen Sardonias fortzusetzen. Schlimm genug, daß ich diese Ausgeburten jetzt einsetzen soll", dachte Daianira. Laut sprach sie zu Leda:

"Guck mal bitte nach ob Lia noch richtig liegt und nicht bei der ganzen Fliegerei in meinem Magen gelandet ist!"

"Dann hättest du aber ein arges Problem, Daianira", erwiderte Leda und begann ihre Untersuchung.

"Lia? Hast dich offenbar schon ganz darauf festgelegt, mich als hilfloses Wickelkind zu haben", gedankenschnarrte Anthelia zurück. Daianira befand, daß sie Anthelia heute genug Erlebnisse gegönnt hatte und nahm das Medaillon ab. Sie verbarg es in einer diebstahlsicheren Schatulle, die noch dazu mit einem tückischen Fluch belegt war, der jeden qualvoll tötete, in dem nicht Daianiras Blut floß. "Schlaf schön, Lia. In deinem jungen Alter mußt du noch viel Schlaf haben", dachte sie, obwohl sie wußte, daß Anthelia sie jetzt nicht mehr hören konnte.

"Sie entwickelt sich gut, Daianira. So gegen Weihnachten können wir wohl auch sehen, ob sie wirklich wieder ein Mädchen wird. Aber eigentlich kann es nicht anders sein, weil ihr Körper sich ja nur bis auf die achte Schwangerschaftswoche zurückverjüngt hat."

"So ganz abwegig ist es aber nicht, Leda. Immerhin hat sich die sich für überschlau haltende Anthelia ja Bartemius' Crouches von Dementoren geküßten Leib als Wiederverkörperungshülle ausgesucht. Könnte sein, daß die übersteigerte Infanticorporisierung den Contrarigenus-Fluch wieder aufhebt. Dann wäre das sogar noch herrlicher. Dann würde ich sie als Jungen zur Welt bringen und ihn gegebenenfalls mit dir verheiraten."

"Ich bin für einen, der noch geboren werden muß eindeutig zu alt, Daianira. Abgesehen davon ist Contrarigenus stärker als Infanticorpore, weil der Fluch nicht nur den Körper, sondern auch den Geist verwandelt. Also dürfte sie sich auch wieder als Mädchen entwickeln. Deine Untermieterin zu sein reicht ihr bestimmt aus, um das als gerechte Bestrafung zu empfinden, sich so überheblich aufgeführt zu haben."

"In den letzten Tagen habe ich mir vorgestellt, daß sie den schwarzen Spiegel gezaubert und ich den Infanticorpore-Fluch gewirkt hätte."

"Dann wäret ihr beide wohl ganz aus der Welt verschwunden, weil mit der Wiederempfängnis der Körper der Empfängerin um die Jahre verjüngt worden wäre, die der wiederempfangene Mensch körperlich erlebt hat. Da du älter warst als Anthelias zweite Hülle wäre sie ebenfalls unter den Zustand einer Neugeborenen zurückgeschrumpft. Ihr hättet das beide nicht überlebt ... es sei denn, der Kreis hätte sich dann geöffnet, und ihr wäret in einer von uns gelandet, als Zwillinge oder getrennt. Neh, da betreue ich dich lieber als nölende Momma als dich selbst austragen zu müssen, Daianira", erwiderte Leda, die körperlich älter aussah als Daianira, vom Geburtsjahr her jedoch fünf Jahre jünger war.

"Lia bat mich darum, mir Millemerveilles von oben anzusehen und eventuell welche von den Riesenbiestern dort zu stationieren. Rein werde ich wohl nicht kommen, weil Sardonias dunkler Dom alle mutwillig Mitmenschen schadenden die Einreise verweigert."

"Ich habe bisher niemanden mit bösen Zaubern traktiert, Daianira. Ich käme da bestimmt hinein", sagte Leda.

"Und müßtest denen erklären, wer du bist. Nein nein, Cousinchen. Das lassen wir besser bleiben. Abgesehen davon stimme ich Lia zu, daß außer dir und Großmutter Eileithyia keiner wissen muß, daß sie sich mit mir duelliert und anstatt im Grab im Mutterschoß gelandet ist und ich die fragwürdige Ehre habe, sie in die Welt zurückzudrücken."

"Deshalb hast du den rosaroten Umhang und das Futteral mit dem Harvey-Besen mitgenommen", sagte Leda.

"Lias Uniform", erwiderte Daianira. "Damit ist sie gegen Hallitti und Bokanowski angetreten."

"Natürlich", grummelte Leda. "Aber dieser Harvey-Besen. Gut, daß wir den in einem Geschirr weit genug hinter dem Bronco hergezogen haben."

"Die Besen sind manchmal sehr eigensinnig, wenn sie sich begegnen", entgegnete Daianira und streckte ihre Beine aus. Seitdem sie mit Anthelia unter ihrem Herzen herumlief meinte sie, daß ihre Beine von Tag zu tag schwerer würden. Dabei stand die Hauptlast noch bevor.

"Ich möchte dir nicht zu sehr dreinreden, Daianira. Aber als Heilerin empfehle ich dir dringend, morgen einen Ruhetag einzulegen, sonst wird die Schwangerschaft für dich am Ende noch unerträglicher als für Anthelia."

"Ich hänge gerade zwischen zwei Stühlen, Leda. Einerseits verachte ich dieses verräterische Stück Fleisch, das da in mir gährt. Andererseits bin ich auch irgendwie stolz, daß ich dieses überhebliche Frauenzimmer entmachtet habe und sie zu einer den erhabenen Zielen besser aufgeschlossenen Hexe erziehen kann, falls sie nicht wagt, vor ihrer Lebensfähigkeit herauszufallen."

"Und um genau das zu verhüten solltest du auf meine guten Ratschläge hören, Daianira. Ansonsten überlasse ich dich Oma Thyia. Und die wird dich ans Bett binden, bis sie Anthelia sicher aus dir rausziehen kann und dann deren Fürsorgerin werden."

"Das fehlte uns noch, diese Glucke als Fürsorgerin für Sardonias Ex-Nichte. Womöglich würde sie die dann noch nach Thorntails schicken oder was", fauchte Daianira.

"Ach, du hast das nicht vor?" Wollte Leda wissen.

"Solange wir das verheimlichen können bleibt das mit Lia und mir unter uns Schwestern. Diese Linda Knowles und ihre Kollegen könnten sonst fragen, wer denn die Ehre hatte, Vater meines Kindes geworden zu sein. Nicht, daß ich mit dieser Lauscherin nicht fertig würde. Aber bekanntermaßen kann sie mit dem wenigen Wasser, daß sie plätschern hört ganze Flüsse zum rauschen bringen, und das sehe ich nicht ein."

"Es ist dein Leben und was du damit anstellst, solange du nur für dich verantwortlich bist", erwiderte Leda. Daianira verstand. Falls Anthelia trotz Medaillon als komplett hilfloses Baby wiedergeboren würde, mußte Daianira für sie die Verantwortung einer Mutter tragen. Vielleicht schickte sie sie dann wirklich nach Thorntails. Sie würde dort dann wohl mit Larissa Swann zusammentreffen, falls Peggy sich wirklich von A bis Z an die neue Rolle Hielt. Aber erst einmal galt es, die Schlangenkreaturen aufzuspüren und zu vernichten. Doch sie würde jetzt, wo sie die Entomanthropen darauf angesetzt hatte, den von Leda empfohlenen Ruhetag einhalten.

__________

"Wie viele Lastwagen möchten Sie uns noch abjagen, Ernesto?" Fragte James Bedingfield, FBI-Agent in Phoenix, Arizona einen Kollegen der mexikanischen Staatspolizei.

"Wir wissen das bis heute nicht, wer die zwanzig LKWs überfallen hat, Compañero. Alles sieht nach einem Angriff aus der Luft aus. Jemand wirft was aus einem Hubschrauber oder Flugzeug ab, daß die Führerhäuser zerschlägt. Dann kommen von irgendwo die anderen und räumen die Wagen aus."

"Viehdiebstahl, Ernesto? Ist der wilde Westen wieder in Mode?" Wollte Bedingfield wissen.

"Wir suchen schon nach denen, Jim. Jeder Angriff hinterläßt Spuren."

"Das ist mir neu", erwiderte Bedingfield sarkastisch und fragte, welche Spuren sein mexikanischer Kollege genau meine. Da mußte Ernesto Morales einräumen, daß die gefundenen Spuren sehr verwirrend waren. Er sprach von Fußspuren, die von klauenartigen Füßen zu stammen schienen.

"Welche Füße?"Hakte Bedingfield nach und strich sich eines seiner leicht angegrauten Resthaare von der Stirn zurück.

"Irgendein Hijo de Puta will uns gründlich veralbern, Jim. Wenn wir das glauben müßten, hätten wir es mit einem Riesen zu tun, einem Riesen von mindestens drei Metern Größe. Ich konnte einige der Folien ergattern. Seltsamerweise sind die Originalabdrücke auf fragwürdige Weise verlorengegangen. Darüber hinaus haben wir Speichel sichergestellt, den unsere Biochemiker als weiblich entschlüsselt haben, allerdings mit der sehr merkwürdigen Behauptung, daß sie nicht sagen konnten, von was für einem Tier. Eure Regierung hat unserer Staatspolizei ja die netten Tíos von der DNA-Analyse vorbeigeschickt, die unsere Forensiker mit den entsprechenden Geräten und Fachkenntnissen versorgt haben. Morgen kriege ich wohl das Ergebnis."

"Was? Willst du sagen, daß unsere Laster von irgendwelchen Riesenwesen, womöglich Außerirdischen, überfallen und ausgeräumt wurden?" Bedingfield war drauf und dran, seine über zwei Jahrzehnte antrainierte Fassung zu verlieren. "Irgendwer nimmt euch und damit auch uns voll auf die Rolle. Schick Proben von dieser Alien-Spucke und die Fußabdrücke zu uns. Wir können vielleicht mehr damit anfangen." Ernesto blickte James sehr verbittert an. James wußte, daß die Mexikaner was dagegen hatten, sich von den Behörden aus den USA helfen zu lassen. Sie sahen das bereits als Bevormundung. So sagte der mexikanische Polizeioffizier:

"Die Wagen sind bei uns verlorengegangen, Jim. Ich empfinde es also als sehr wichtig, daß wir diese Taten aufklären können."

"Wenn du Angst hast, dein Gesicht zu verlieren, Ernesto, laß die ganze Sache über den inoffiziellen Weg laufen. Wir kriegen die DNA-Probe, klären, zu wem oder was sie gehört und fragen auch unsere Fingerabdruck-Datenbank ab. Im Zweifel kläre ich das mit Sandhurst von der Interpol, daß die diesen Fall mit euch und uns zusammen klären. Morgen wollen die geschädigten Spediteure sich in Washington mit dem Handels- und dem Außenminister treffen. Wenn bis dahin wieder ein Laster abgefangen und ausgeräumt wird würde es eindeutig zu Verwicklungen zwischen uns und euch führen. Das könnt ihr euch noch weniger leisten als von uns Hilfe anzunehmen." Ernesto Morales nickte sehr schwerfällig. Seitdem die nordamerikanische Freihandelszone zwischen Mexiko, den USA und Kanada eingerichtet war, hatte das nördlichste Land Hispanoamerikas von den neuen Möglichkeiten profitiert. Das konnte sehr schnell aufhören, wenn die Schnellstraßen zum Jagdrevier mysteriöser Wegelagerer wurden. James erkannte, daß er seinen Kollegen dort hatte, wo er ihn haben wollte und setzte nach: "Abgesehen davon könnten die Besitzer der LKWs durchdrücken, daß deine Regierung für die Verluste aufkommen muß, wenn ihr nicht bald einen Ermittlungserfolg vorweisen könnt. Ernesto nickte. Noch mehr Schulden bei den Staaten konnte sich sein Land am wenigsten Leisten. So sagte er zu, daß er den Justizminister dringend darum bitten würde, die Spärlichen Unterlagen an das FBI zu schicken. Dann verließ James Bedingfield das Büro des Staatspolizeioffiziers und tauchte in die erdrückende Masse aus Autos, Menschen und Abgasen ein, die die Hauptstadt des ehemaligen Aztekenreiches erfüllten. Das war ja schneller gegangen, als er gedacht hatte. Jetzt hatte er noch vier Stunden Zeit, bis er wieder am Flughafen sein mußte, um den Flieger nach Phoenix zu nehmen. Er hatte die Sache mit den LKWs von seinen obersten Vorgesetzten übernommen, weil er mit Señor Morales so blendend klar kam. Er ging im Kopf noch mal alle bekannten Fälle durch. Die Fernfahrer hatten keinen Hilferuf abgesetzt. Einige hatten Satelliten-Notfunksender an Bord. Doch die hatten nur gemeldet, daß die Wagen abrupt angehalten hatten. Das war immer an den direkten Schnellstraßen vom Norden her passiert und immer nachts. Die Vorgehensweise, kriminologisch Modus Operandi, war bei allen zwanzig Überfällen dieselbe gewesen. Das sprach überdeutlich für den oder die gleiche/gleichen Täter. James wurde auch das Gefühl nicht los, daß Ernesto Morales ihm längst nicht alles erzählt hatte. Aber das würde er erst seinem Vorgesetzten in Phoenix, wenn nicht sogar dem Direktor in Washington selbst erklären. Riesenfußabdrücke und Spucke, die angeblich von einem weiblichen Wesen stammte, sie aber nicht sagen konnten, welcher Gattung dieses Geschöpf angehörte. Das war doch mehr als hahnebüchen.

Irgendwer war hinter ihm her. Dieses leichte kribbeln in der Nackengegend, daß ihm einen Beobachter oder Verfolger verriet wurde immer stärker. Er beherrschte sich noch, sich nicht abrupt umzudrehen. Er mied die Nähe oder gar Zusammenstöße mit Passanten. Von Taschendieben wollte er nicht unbedingt heute beklaut werden. Und das war wohl auch kein Kleinkrimineller, der ihm da hinterherlief. Konnte es sein, daß Ernesto Morales ihm einen Beobachter hinterhergeschickt hatte? Doch das würde er gleich klären, wenn er seinen zerbeulten, neutralen Mietwagen bestiegen hatte. Falls der Verfolger nur zu Fuß unterwegs war konnte er diesen gleich abhängen. Er bog nach rechts ab und erreichte den blauen, gut eingedellten Ford, den er für seinen halboffiziellen Ausflug nach Mexiko-Stadt angemietet hatte. Das Kribbeln im Nacken wurde stärker. Offenbar merkte der oder die Unbekannte, daß sich seine Zielperson absetzen wollte. Er beherrschte sich nur schwer, nicht doch nach hinten zu sehen. Schließlich erreichte er den Wagen und schloß die Tür auf. Unvermittelt schaltete er zwei Gänge höher. Er riß die Tür auf, tauchte in den Wagen und warf die Tür zu. Fast gleichzeitig bohrte er den Zündschlüssel ins Schloß und drehte ihn. Mit einem entrüsteten Rrrumm! sprang der Motor an. Bedingfield schaltete die Automatik von Parken auf Fahren um und trat aufs Gas. Wie gut war es doch gewesen, auf einen Wagen mit Automatikgetriebe zu bestehen. Noch immer fühlte er das Kribbeln im Nacken. Er fädelte sich in den gigantischen Strom aus Blech und Auspuffgasen ein und verfluchte den Umstand, ggleich eine ziemlich sicher verstopfte Hauptverkehrsstraße zu erreichen. Wer immer ihm nachlief kam zu Fuß vielleicht schneller zurecht. Außerdem wollte er nicht wie ein ertappter Gangster davonbrausen. Es würde reichen, wenn er zügig zwischen den anderen Autos mitfuhr. Er dachte daran, daß eine von der Mafia angeheuerte Truppe letztes Jahr einen Kollegen in Detroit im fahrenden Auto erschossen hatte. Zwar waren die Täter selbst schnell gefaßt und ins Gefängnis geschickt worden. Doch die Auftraggeber hatten sich wie meistens gegen jeden Verdacht abgesichert. Jetzt ließ das Kribbeln auch nach. Offenbar hielt sich der Unbekannte zurück, oder er hatte sich an dieses ihm selbst nicht ganz verständliche Warnzeichen gewöhnt. Er gab Gas und glitt zwischen zwei noch stärker verbeulten Taxis dahin.

Als er jedoch nach einer längeren Fahrt vor dem Restaurant hielt, in dem er sich mit Ernesto häufiger traf, wenn er privat zu Besuch kam, setzte dieses kribbelnde Gefühl wieder ein. Hatten die ihn etwa hier erwartet? Er bog sofort auf eine andere Straße ab. Wieder ließ diese unerklärbare Warnung nach. Einerseits störte ihn das, weil er den oder die Verfolger gerne aus der Reserve gelockt hätte. Doch er hatte noch einen Anruf bei seinen Vorgesetzten zu machen. So fuhr er einige Straßen weiter und stellte fest, daß er ein Mobilfunknetz erreichen konnte.

"Hallo, Mr. Stiegler, bin gerade von meinem guten Freund weg. Die haben Spuren gesichert und werden die mir auf dem stillen Dienstweg zuschicken. Angeblich Fußabdrückevon Riesen und Speichelproben, wo sie aber nicht rauskriegen wollen, von welchem Wesen die stammen. Wir kriegen die Unterlagen per Fax oder Mail und wohl auch eine Probe der Spucke."

"Ich wußte, daß Sie die sturen Kerle aus Mexiko-Stadt schnell überzeugen können, Jim. Wann geht Ihr Heimflug?"

"In drei Stunden, Sir. Übrigens habe ich das Gefühl, daß mir jemand hinterherguckt oder mich abfangen will. Nach dem Treffen mit Señor Morales ist mir wer hinterhergelaufen. Jemand verdächtiges saß in einem Restaurant, daß mir unser hiesiger Kollege mal gezeigt hat, und ich würde mich nicht wundern, wenn mir in meiner kleinen Pension auch wer auflauert. Deshalb wollte ich Sie schnell informieren."

"Klingt alles nicht besonders nachvollziehbar, was Sie sagen, Jim. Ich fürchte, wir müssen abwarten, was Morales uns schickt", erwiderte Jims Vorgesetzter. Er wollte wohl noch was sagen, als mit lautem Knacken und Rauschen die Verbindung abriß. Gleichzeitig fühlte Jim sich von mehreren Seiten umzingelt. Der Motor gab den Geist auf.

"Was ist das denn?" Dachte Bedingfield und sah sich um. Keiner war zu sehen. Der Wagen wollte nicht mehr anspringen, und alle anderen elektrischen Vorrichtungen versagten. Er erkannte jedoch, daß es nur seinen Wagen getroffen hatte. Da ploppte es laut hinter ihm, und ein hagerer, kleiner Mann, der Hautfarbe nach der Sohn eines weißen und eines indianischen Elternteils, saß wie hingezaubert auf dem Rücksitz. Er trug einen knallgelben Anzug mit himmelblauer Krawatte, daß es Bedingfield in den Augen wehtat.

"Hola, Señor Bädingfild", grüßte der plötzlich aufgetauchte Fremde den FBI-Agenten. Dieser langte in seine rechte Jackentasche, wo er einen Revolver verstaut hatte. Doch der Fremde grinste ihn jungenhaft an und ließ einen dünnen Holzstab aus dem rechten Ärmel rutschen. "Accio Pistolo!" Hörte Bedingfield etwas wie einen merkwürdigen Befehl. Nein! Das war kein Befehl, sondern eine Zauberformel! Denn der Revolver sprang aus Jim Bedingfields Hand und landete in einem Satz in der linken Hand des fremden, der die Schußwaffe an der Mündung berührte und "Mechaneto", murmelte. Dann gab er dem FBI-Beamten die Feuerwaffe zurück, als gehe von dieser keinerlei Bedrohung mehr aus.

"Habla Español?" Wandte sich der knallgelb gewandete auf dem Rücksitz an Bedingfield, der sein Mobiltelefon ansah, als könne es ihn hier hinausversetzen. Das konnte es doch nicht wirklich geben!

"Häh?" Tat der Agent des Bundesermittlungsbüros der Staaten so, als sei er der hiesigen Landessprache nicht mächtig.

"Que Lastima! Das ihr Gringo-Muggel immer meint, mit eurer Sprache kämt ihr überall auf der Welt klar", gab der Fremde mit leichtem Akzent und starkem Bedauern einen Kommentar auf Englisch ab. Bedingfield tastete nach der Tür.

"Meine Compañeros haben dieses Motorgefährt hier mit einem Dom der unerreichbarkeit umgeben. Sie können nicht aussteigen, und keiner kann uns sehen oder hören. Perdone, ich bin Soleado Escobero Bocarána, Berzirksleiter Ciudad de México in der Abteilung für Verwicklungen zwischen magischer und nichtmagischer Gemeinschaft. Wir erhielten Kenntnis, daß Sie von der Gesetzesüberwachung der Gringos hergeschickt wurden, um zu ermitteln, was mit den Tiertransportwagen passiert ist", erläuterte der Fremde in einer gut gelaunten Art, während Bedingfield versuchte, die Fahrertür zu öffnen, was jedoch nicht gelang. Die anderen Autofahrer lenkten völlig unbekümmert ihre Vehikel an ihm vorbei.

"Wie nannten Sie sich gerade, Señor?" Wollte Bedingfield von seinem ungebetenen Mitfahrer wissen.

"soleado Escobero Bocarána, Señor Bädingfild. Mein Name irritiert Sie also mehr als mein Beruf."

"Ich weiß nicht, was Sie da gerade gemacht haben und wie Sie das anstellen. Aber ich lasse mich von irgendwelchen Illusionstricks nicht täuschen", knurrte Bedingfield und versuchte, das Fenster herunterzukurbeln. Doch die Kurbel saß bombenfest.

"Das ist also ein Trick, daß wir Ihren Selbstfahrwagen bewegungsunfähig machen und Sie hier drinnen einsperren können." Bedingfield zielte mit dem Revolver auf den Fremden, entsicherte ihn und drückte ab. Doch weder ein Klicken noch der erwartete Knall eines abgefeuerten Schusses ließen sich hören.

"Ich habe diesen Meuchelknaller unbrauchbar gemacht, um Ihnen zu zeigen, daß Sie sich nicht auf Ihre Waffe verlassen können. Auch dürfte Ihnen fraglos aufgefallen sein, daß dieses Tötungshilfsmittel Ihnen aus der Hand entschlüpft ist, ohne daß ich es angefaßt hätte. Kommen wir also zur Sache. Sie haben sich mit Señor Morales von den hiesigen Gesetzesüberwachern Ihrer Welt unterhalten, weil diese Tiertransportautomobilwagen überfallen wurden. Ich möchte jetzt wissen, was er Ihnen erzählt oder beschrieben hat."

"Vergessen Sie's. Ich bin FBI-Agent und als solcher auch in der Lage, mich ohne Waffe zu wehren." Er setzte an, dem Fremden seinen lächerlichen zauberstab aus der Hand zu schlagen. Doch da drückte ihm etwas die Arme an den Körper und schien sie festzuschweißen.

"Sie sind nicht gerade hilfsbereit", bemerkte der knallgelb gewandete Fremdling betrübt. "Wir können das ganz leicht haben, wenn Sie mit uns zusammenarbeiten. Anderenfalls müssen wir unbequeme Methoden anwenden."

"Folter oder was?" Schnarrte Bedingfield, der wieder versuchte, seine Arme freizubekommen, was jedoch nicht gelang.

"Das wohl eher nicht. Legilimens!" Mit dem letzten Wort deutete Bocarána auf Bedingfield und blickte ihm unvermittelt tief in die Augen. Schlagartig meinte der FBI-Agent, Bilder aus den letzten Tagen und Stunden zu sehen und erlebte im Schnelldurchlauf noch einmal das Gespräch zwischen ihm und Morales nach. Dann fand er sich mit schwirrendem Kopf auf dem Fahrersitz wieder. Er hatte jedoch keine Zeit, darüber nachzudenken. Da traf ihn etwas, daß seinen Geist vollkommen entrückte. Als Bocarána wieder von ihm abließ, winkte er dem Revolver in der Hand des FBI-Agenten und Warf sich auf dem Rücksitz herum, daß er mit leisem Plopp verschwand. Keine fünf Sekunden später sprang der Motor des Wagens wieder an. Das war der Zeitpunkt, wo Bedingfield aus einer Art Trance aufwachte und sich umsah.

"Könnte sein, daß Ernesto mich wirklich verschaukeln wollte. Wird sich zeigen, was er zu liefern hat", dachte er. Den unheimlichen Besuch und das blitzartige Verhör hatte er vergessen.

Bocarána stellte sich keine zwei Minuten nach seiner Abreise im Foyer des mexikanischen Zaubereiministers ein, von wo aus er mit einem ratternden Fahrstuhl zum Stockwerk für die magische Gesetzesüberwachung fuhr, wo auch die Behörden zur Wahrung der internationalen Geheimhaltungsstatuten untergebracht waren. Dort traf er sich mit seinen Mitarbeitern und verkündete:

"Ich mußte einen Teil des Gedächtnisses erhalten, damit der Muggel weiß, daß bestimmte Unterlagen zugeschickt werden. Sollten diese Gringos etwas dabei herausbekommen, was eindeutig mit unserer Welt zu tun hat, haben wir ein Problem."

"Das haben wir eh", wandte Sergio Pataratón ein, der in der Katastrophenbekämpfungsbrigade arbeitete. "Wir haben schließlich auch Speichelproben von den Orten, wo diese Wagen umgeworfen und leergeräumt wurden. Alles sieht danach aus, als hätte ein riesiges Ungeheuer mit Menschenhänden die Fahrer getötet und mitsamt der Kleidung aufgefressen. Denn in dem Speichel sind auch Knochensplitter und Kleidungsfaser drin. Das haben die Muggel ganz bestimmt auch rausgekriegt, sagen es nur keinem, weil das einfach zu schrecklich ist."

"Himmel, dann ist das vielleicht eines dieser Bienenungeheuer, die in den Staaten aufgetaucht sind", erschrak Bocarána und wurde bleicher als ein Vampir.

"Müssen meine Reststoffprüfer noch rausfinden, was für Spucke das ist", erwiderte Pataratón.

"Wo ist es dann hin, wenn es diese Wagen angefallen hat?" Wollte Bocarána wissen.

"Wissen wir nicht", schnarrte ein anderer Mitarbeiter. "Sieht nur so aus, daß dieses Untier einsame Transportwagen überfällt, wo Tiere drin sind."

"Sie sind da fürchte ich, nicht auf dem neuesten Stand, Rico", wandte Pataratón ein. "Vorgestern wurden Wagen mit gekühltem Gemüse und Früchten überfallen und leergeräumt. Offenbar benötigt dieses Geschöpf eine Menge zu Essen."

"Und dreimal dürfen Sie raten, für wen oder was", schnarrte Bocarána.

"Wie machen wir das mit den Muggeln. Die Gringos sind sehr reizbar, wenn jemand ihre Leute umbringt. Dann könnten die bei uns reinkommen und alle einsperren wollen, die angeblich mit den ganzen Wagen zu tun haben."

"Ich habe gerade unseren Kollegen in den Staaten unterrichtet. Er wird dafür sorgen, daß alle eintreffenden Unterlagen für gefälscht angesehen werden."

"Das wird Ihnen nicht bei allen Leuten da gelingen. Abgesehen davon hat dieser Wishbone die Grenzen zugemacht", warf Pataratón ein und zupfte sich an seinem mausgrauen Schnurrbart.

"Deshalb habe ich mit unserem Verbindungsmann ja auch telefoniert", erwiderte Bocarána. Die anderen sahen ihn mißtrauisch an. Er hatte Muggelgeräte benutzt?"Anders ging's nicht", schnarrte der in Gelb gekleidete Zauberer.

Weiter nördlich von Mexiko-Stadt legte ein muggeltypisch gekleideter Mann mit flachem Kopf und blonder Bürstenfrisur einen von drei Telefonhörern auf das daran hängende Gerät. Dann starrte er auf den Bildschirm, wo gerade eine geöffnete elektronische Nachricht zu lesen stand:

Ich bleibe jetzt doch über die Feiertage bei Catherine und Joe. Die Leute hier konnten mir helfen, daß ich nicht fluchtartig hier weg muß. Abgesehen davon haben die hier keinen gescheiten Mathematiklehrer, und ich habe, um meinen Dank zu bekunden, eine Stelle als Nachhilfelehrerin angenommen. Das wird also nichts mit dem Weihnachtsausflug zu dir. Sei bitte nicht all zu traurig!

Es umarmt und grüßt dich

Martha Andrews

Na, super. Darf ich wieder mit meinen Eltern und der restlichen Sippschaft feiern und denen einen vom grünen Pferd erzählen, was ich in meiner Freizeit so tu", dachte Zachary Marchand. Dann erinnerte er sich, daß er als Aufpasser des Zaubereiministeriums dafür zu sorgen hatte, daß die Muggel nichts herausbekamen, was eindeutig mit der Zaubererwelt zu tun hatte. Er rief noch einmal die Kartenansicht auf den Bildschirm, wo die ganzen Lastwagen überfallen worden waren. Der schreckliche Verdacht, den er bereits nach dem fünften verschwundenen und ausgeräumt und verlassen gefundenen Wagen hegte, bestätigte sich. Diese Hexe, die sich Sardonias Erbin nannte, hatte wirklich eines dieser Bienenmonster auf amerikanischem Boden zurückgelassen. Und jetzt bediente sich dieses Vieh in Mexiko. Die Laveau-Leute sollten sich dahinterklemmen, bevor es noch anfing, Menschen zu jagen wie Acromantulas oder Drachen das taten. Um sich abzulenken drückte er die Tastenkombination, um die gerade offene Postsendung zu beantworten.

Hallo Martha!

Das ist ziemlich schön für dich, daß du doch mit Catherine Brickston und den anderen ins neue Jahr feiern kannst. Aber ich darf mich jetzt wieder auf die bucklige Verwandtschaft freuen, vor allem eine Tante, die mich am liebsten gestern verkuppelt hätte. Die hat schon gefragt, ob ich zu Weihnachten nicht wen nettes mitbringe. Das hat sich jetzt natürlich erübrigt.

Was macht Julius eigentlich. Ist der immer noch mit der jüngeren Latierre zusammen oder hat er jetzt doch was besonneneres gefunden?

Auch dir freundliche Grüße und ein sehnsüchtig-trauriger Blick

Zachary Marchand

__________

Es war ein lautes Rumpeln und Grummeln, während die bereits ausgewachsenen Kinder mit ihren sechs Lauf- und Greifgliedern die Höhle erweiterten und tiefe Stollen hineingruben, ganz wie es tausendfach kleinere Ameisen taten, nur daß sie keinen Bau aus Zweigen oder Nadeln anlegten. Valery dirigierte ihr Volk von eigenen Kindern, von dem sie sich in den letzten Tagen immer wieder fragte, wann die ihr wer überhaupt in den Hinterleib gemacht hatte. Der einzige Schluß war, daß die Königin, mit der sie eins geworden war, eben schon eine Unmenge fertiger Eier drin hatte und die eben genauso nur noch legen mußte wie sie. Mit Metallstangen, die die Beschaffungstrupps, die jeden Tag um einige weitere Mitglieder verstärkt wurden, aus abgelegenen Gehöften mitbrachten, sowie eigener Wachsproduktion, wurden die Stollen stabilisiert, bevor Valery neue Brutzellen bauen konnte. Zellen bauen, Eier reinlegen, Zellen zumachen. Das sollte ihr ganzes Leben sein? Wie lange würde sie überhaupt leben? Bald hatte sie an die fünfhundert Gurkeneier aus sich ausgetrieben. Holzstöße brannten, um die Bälger in den Eiern warmzuhalten, ohne das Wachs zu schmelzen. Valery erinnerte sich an die Filme über das Leben der gemeinen Honigbienen und beorderte starke Männchen zu den Zellen, wo sie sich durch wild gegeneinanderreibende Flügel derartig aufheizten, daß die neuen Stollen behaglich warm waren. Das taten sie in Wechselschichten von je zwanzig Minuten. So legte Valery fest, daß die Männchen als Warmhalter hierzubleiben hatten, während die Weibchen von draußen Nahrung für die Geschwister und die durch die Legerei ziemlich hungrige Mutter anzuschleppen hatten. Diese fragte sich, ob sie nicht statt der Rinder und Schweine Menschen anbieten sollte. Doch dann kam ihr der fiese Gedanke, daß nur sie ihre früheren, ihr nun schwächlich und zerbrechlich vorkommenden Artgenossen in sich hineinschlingen wollte. Eine Königin hatte Anspruch auf edle Speisen und Vorrechte gegenüber den niederen Untertanen. Als sie daran dachte, sich bald wieder wen aus der Welt da draußen zu holen, fiel ihr nur Milton Fleet und seine Freundin ein. Ja, diese würden ihren Bedarf an Nahrung demnächst stillen dürfen. Hoffentlich lagen die ihr nicht zu schwer im Magen! Aber die Vorstellung, daß etwas von Milton in ihren ungelegten Eiern weiterbestehen konnte, ja er ihre ungeborenen Kinder am Leben hielt, bereitete ihr ein herrliches Vergnügen ohne Anflug eines Gewissens. Sie war eine Königin und hatte sich um ihr Volk und dessen Wohlergehen zu kümmern. Dafür wurde sie gefüttert und nun, wo es mehr als zwanzig erwachsene Abkömmlinge gab, alle anfallenden Umbauarbeiten erledigt. Die Aussicht, zwischendurch mehr zu sein als eine Bienenmonsterlegebatterie gefiel ihr sehr. Vielleicht würde sie sich irgendwann aus dieser Höhle hier herauswagen und stattdessen in New York, Chicago oder Washington weiterbrüten. Ja, das wäre es doch. Sie mitten im weißen Haus. Entweder ließ sie den Präsidenten als ihren Sprecher leben oder futterte den wie einen dieser Fernfahrer weg, um ihre Brut mit seinem Fleisch zu veredeln. Aber sie dachte auch an die ganzen fiesen Waffen, die die Regierung gegen sie einsetzen konnte, wenn sie sich zu offen zeigte. Nachher warfen die noch Atombomben über sie ab, um ganz sicher zu sein, daß sie kein einziges Ei mehr legen konnte. Nein, leider mußte sie sich erst einmal damit begnügen, eine eigene kleine Stadt zu bauen und zu betreiben.

Aus purer Neugier hatte sie am frühen Morgen eines Tages ausprobiert, ob sie dieses Wunschspringen noch konnte. Ja, sie bekam es hin, am Rande einer kleinen Stadt aufzutauchen. Es war gerade fünf Uhr und bitterkalt. Sie fühlte es, wie die Kälte ihren Körper träger machte. Doch sie stemmte sich dagegen und blickte den Zeitungsjungen an, der wegen ihres total plötzlichen Auftauchens wachsbleich und wild zitternd vor seinem Karren stand und mit weit geöffneten Augen auf die weibliche Bestie starrte, die ganz seelenruhig auf ihn zulief, ohne die zu laut brummenden Flügel zu bewegen, ihn mit den Vordergliedern packte, mit dem rechten Hinterarm den Zeitungskarren hochriß und dann wie gekommen mit dumpfem Knall im Nichts zu verschwinden. Fenster und Türen flogen auf. Doch was hier passiert war hatte niemand mitbekommen. So konnte auch niemand im beschaulichen Ort Pabblecreek, New Mexico ahnen, daß ihr Zeitungsjunge gerade das Opfer eines Entsetzens geworden war, und sie selbst gerade noch dem sicheren Tod entronnen waren.

Valery landete mit ihrer vor blankem Entsetzen Starren Beute in ihrer Bruthöhle. Dort sah der Junge die gerade aus dem Schlaf erwachenden Entomanthropen. Er betrachtete voller Furcht und Abscheu die schwarz-gelb geringelten Ungetüme, die sich laut raschelnd regten. Sie sahen aus wie hundertfach vergrößerte Bienen oder Wespen. Ihre Köpfe jedoch besaßen menschliche Züge. Er konnte männliche und weibliche Gesichter erkennen. Haarige Fühler entrollten sich zu größtes Unbehagen verbreitenden Antennen, mit denen die Geschöpfe ihre Umgebung prüften. Er glaubte, in einen Alptraum hineingeraten zu sein, als das größte dieser Monster, das ihn hierhin mitgenommen hatte, mit einer kontrabaßartigen Brummstimme auf ihn einsprach:

"Du, Bursche, was für'n Tag ist heute? Konnte leider keine Nachrichten mehr hören, seitdem ich das hier alles angeleiert habe."

"Häh?" Quälte der Junge sich eine Entgegnung heraus. Dann fiel die Angststarre ganz von ihm ab. Er versuchte, wegzurennen. Doch Valery hielt ihn mit ihrer enormen rechten Vorderhand fest und ließ ihre vier Flügel drohend losdröhnen.

"Vom welchem Planeten seid ihr denn. Oder bin ich jetzt tot und in der Hölle?" Fragte der Junge, der Jeff Bradley hieß. Eigentlich hatte der gerade vierzehn Jahre alte Zeitungsausträger keine Angst vor Insekten. Im Sommer machte er meistens Jagd auf sie, riß Fliegen die Flügel aus, brannte Ameisenhaufen nieder, um zu sehen, wie die kleinen Wesen in wilder Panik davonwuselten und aß Käfer. Einmal nur hatte er Pech gehabt, weil er in ein Nest wilder Bienen hineingeraten war. Dreißig Stiche hatte er von diesen Biestern abgekriegt. Nur weil er schnell noch ein wild qualmendes Feuer hinbekommen hatte, waren die Biester von ihm weggeflogen. Später hatte er gehört, daß er mehr Glück als Verstand gehabt hatte. Denn das waren die berüchtigten Mörderbienen, aus Versehen entstandene Kreuzungen zwischen afrikanischen Wild- und üblichen Honigbienen, die von Brasilien, wo sie zur Verbesserung der Honigproduktion gezüchtet worden waren, immer weiter nach Norden vorgerückt waren. Wenn er sich diese Biester hier ansah, auf deren Größe er offenbar geschrumpft war, dann fielen ihm die Merkmale auf, die er später, als das Gift der wilden Stecher aus ihm raus war, über die Mörderbienen nachgeschlagen hatte. Ja, diese Monster waren irgendwie mit Menschen zusammengebaute Mörderbienen und durch ihre Größe ganz sicher noch gefährlicher als die gewöhnlichen Exemplare.

"Du glaubst mir eh nicht, daß ich von demselben Planeten komme wie du. Hätte ich vor ein paar Wochen oder Monaten auch nich' geglaubt, daß sowas wie ich möglich ist. Ich habe dich aber nicht hergeholt, um dir zu verklickern, wer oder was ich bin, sondern weil ich von dir wissen will, was für'n Tag ist. Sieht wohl so aus, daß ich die ganzen Zeitungen da eh nicht lesen kann, weil die zu klein für mich geworden sind und ich nicht weiß, ob meine Bälger lesen können. Also rück schon raus, was heute ist!"

Jeff staunte. Diese Mutter aller Monsterbienen sprach einen Dialekt und in einem Tonfall wie ein Halbwüchsiger aus der Großstadt. Paßte sich das Vieh seiner Sprechweise an oder war das am Ende keine Stimme, sondern in ihn direkt reingestrahlte Gedanken, die er so verstand, wie er selbst sprach?

"Ähm, heute ist der siebte Dezember neunzehnhundertsiebenundneunzig", setzte Jeff an, der im Griff der Riesenhand keine Chance auf Flucht sah. Er erzählte der Monsterbiene dann noch, was gerade in den Zeitungen stand, die er ausliefern sollte, daß in Mexiko mehrere Viehtransporter verschwunden seien und weder FBI noch mexikanische Polizei rausgefunden hätten, was passiert war. Dann ging es ihm wie eine explodierende Sonne auf, daß vielleicht dieses Riesenbiest da für die zerlegten und leergeräumten Laster verantwortlich war. Das sagte sie ihm auch ohne Gnade oder Mitleid.

"Ich brauchte nun einmal was zu essen. Dieses Eierlegen schlaucht heftiger als 'ne Runde Sex. Tut zwar nicht so weh wie das Kinderkriegen wohl bei Normaloweibern, ist aber schon ziemlich anstrengend. Aber guck mal, das sind alles meine Kinder. Die habe ich im halben Monat alleine hingekriegt. Jetzt können die für die anderen und mich Futter ranholen."

"Du hast gesagt, du warst vorher nicht sowas. Wie kam das?" Fragte Jeff nun mit der Neugier des Jungen, der eh nicht weglaufen kann.

"Irgend so'ne Hexe hat echten zauber mit mir gemacht. Als ich daraus aufgewacht bin war ich so wie jetzt. Die hat versucht, mich als reine Brutmutter für willige Kampfdronen zu halten. Weiß auch nicht genau, warum ich dann doch ganz frei wach geworden bin. Aber jetzt finde ich mich richtig toll in diesem Paradekörper, sehr stark und beeindruckend."

"Hexen? Zauber? Erzähl mir doch sowas nicht. Du bist bestimmt von so'nem abgedrehten Außerirdischen mit einer Mörderbiene zusammen durch einen kaputten Transporter gebeamt worden und dabei zusammengebacken worden. Jetzt findest du das toll, weil dein Schädel die Gedanken einer Bienenkönigin denkt. Aber wenn dieser Typ, der dich vermurkst hat das wieder zurückdrehen kann, freust du dich bestimmt, wieder normal zu werden."

"Ich bin jetzt normal. Ich bin jetzt frei und kann machen, was ich will, wann und wo ich will, Typ", dröhnte die Brummstimme auf Jeff ein. "Wie heißt'n du überhaupt?" Wollte sie noch wissen.

"Jeff Bradley. Wozu willst du das wissen? Damit du weißt, wen du diesen Viechern da zu fressen hinwirfst?" Entglitt Jeff eine Bemerkung, die ihn augenblicklich fast zu tode erschreckte.

"Neh, für die gibt's da hinten noch genug Futter", erwiderte die Riesenbienenkönigin mit Menschenkopf und deutete mit dem rechten Hinterarm auf einen Stollen, aus dem Jeff jetzt gequältes Quieken und beklommenes Brüllen hören konnte. Tatsächlich, da waren geklaute Schweine und Kühe. Er sah nun im Licht eines Feuers die gelblich-weißen Kammern, die ihn wirklich an die sechseckigen Bienenwaben erinnerten, wie er sie im Biologieunterricht vorgeführt bekommen hatte. Da steckten diese armen Tiere also drin. Arme Tiere? Seit wann hatte er denn Mitleid mit Schweinen und Kühen, wo er sich jede Woche mindestens zehn Hamburger genehmigte und auch keine Probleme mit heißen Würstchen hatte. Die wären dann eben anderswo verspachtelt worden, dachte er.

"Aber wo du mich gerade erinnerst, daß ich ja gerade unterwegs war", hörte er die Riesenbiene noch sagen, bevor einer ihrer Riesenfinger sich um seinen Hals legte und ihm schlagartig die Luft wegblieb. Eine Flut roter Lichtkugeln explodierte vor seinen Augen. Dann sauste mit lautem Rauschen in seinen Ohren eine schwarze Wand herunter. Er hörte noch das wilde Wummern seines Herzens, bevor er in eine lautlose Dunkelheit hinabstürzte.

"Valery sah den nur bewußtlos gewürgten an und dachte, daß sie ihm für die Infos die Gnade gönnte, nicht mehr mitzukriegen, wie er sich auflöste. Aber umbringen wollte sie ihn auch nicht. Sie hatte Gefallen daran gefunden, menschliche Opfer lebend zu verschlingen, weil das ihr eine ungeahnte Kraft einflößte. Knapp eine Minute später war Jeff Bradley nicht mehr aufzufinden. Valery fühlte in den nächsten Minuten, wie sein Leben in ihr zerfloß und in ihren Körper überwechselte. So schmeckte Macht. Das war das wahre, das absolut freie Leben, das nun in ihren Körperzellen pulsierte. Das einzige Problem dabei war, daß die Klamotten, die die Leute trugen, nicht so leicht vergingen und sie Probleme hatte, die unverdaulichen Reste loszuwerden, ohne zu viel Druck aufzustauen und aus Versehen Eier zu legen. Eierlegen! Es war echt komisch, daß sie nach jedem Typen, den sie in ihre Figur hineingeschoben hatte mehrere Eier abwerfen mußte. Aber es waren schon genug neue Brutkammern da, und so verrichtete Valery die ihr auferlegte Pflicht.

"Siebter Dezember", dachte die Brutmutter der freien Entomanthropen. "Da hat doch die gute Marisa Geburtstag. Hoffentlich meint die nicht, mit Milton wohingehen zu müssen. Dann werde ich wohl besser gleich zu denen hin und denen eine besondere Überraschung bescheren."

__________

In Paris schrieben sie den fünften Dezember, als Daianira, eingehüllt in einen weiten Warmwolleumhang und dem rosaroten Umhang Anthelias, den magischen Gürtel um ihren immer straffer werdenden Leib, auf dem Harvey-Besen das erste Mal über die Stelle flog, wo Millemerveilles liegen mußte. Ihre Cousine und mitgereiste Hebamme Leda wartete in hundert Kilometern entfernung in einem sicheren Versteck. Daianira war nicht alleine. Sie flog mit mehreren Entomanthropen von zwei Brutköniginnen und hatte das Seelenmedaillon Dairons mit Anthelias eingelagertem Bewußtsein umgehängt. Sie fühlte ein wildes Vibrieren im Medaillon, das an seiner verfluchten Silberkette kerzengerade nach unten drängte, als würde es von einem mächtigen Magneten angezogen.

"Das ist die Macht meiner erhabenen Tante", hörte sie Anthelias gefangene Seele frohlocken.

"Soso, du willst da also runter, will sagen, das nette Medaillon, in das du deinen Geist eingelagert hast, um körperliche Tode zu überstehen? Kann sein", dachte Daianira zurück. "Aber vergiß es, Lia. Ich laß dich da bestimmt nicht runterfallen, damit du wen unschuldigen da unten übernehmen kannst. Nur in diesem Medaillon an meinem Hals und als aufgehende Brut in meinem Bauch bist du mir im Moment lieber. Abgesehen davon habe ich dir schon mehrmals erklärt, daß Sardonia nicht mehr deine Tante ist, weil sie weder die Schwester meiner Mutter noch die von mir selbst war. Ich krieg das noch in dich rein, und wenn nicht über diesen Plazentaschwamm und die Nabelschnur, dann quetsche ich es dir in den Schädel, wenn du durch meine Scham mußt, um an die Luft zu kommen. Und wenn das nicht hilft, kriegst du es mit meiner Milch eingeflößt. Sardonia war eine verachtenswürdige Sabberhexe in Frauengestalt, die die erhabenen Ziele unserer Schwesternschaft durch ihre Taten in den Schmutz der Verachtung zog." Daianira fühlte selbst den Haß, der in ihren Gedanken mitschwang. Was wäre gewesen, wenn etwas umsichtigere Schwestern sich der Muggelwelt angenommen hätten. Viele Kriege hätten verhindert werden können. Es war wohl auch die unbeabsichtigte Schwangerschaft mit Anthelia, die ihre Gefühle derartig aufwühlten. Dann fühlte sie, wie das Medaillon nach vorne ruckte und sah, wie die Entomanthropen ausschwärmten. Sie hatten Witterung von ihrer Beute aufgenommen. Die Jäger wurden nun gejagt.

"Bevor du dich weiter darin suhlst, daß ich irgendwann im Juni meinen Kopf durch deine schleimige Vorderpforte zwengen soll gib lieber Acht, weil dort vorne unsere Feinde sind!" Schnarrte Anthelias Gedankenstimme. Daianira dachte erst, daß Anthelia die Schlangenmenschen meinte und wollte schon antworten, daß diese ihr hier oben nichts anhaben mochten, als sie die Blitze sah und die Geräusche durch die Luft schlagender Zauber hörte.

__________

Anthelia war einerseits in einer merkwürdigen Euphorie, weil die dem dunklen zustrebende Kraft des medaillons sie durchströmte wie eine Folge höchster Liebeswonnen. Andererseits war sie wütend, weil sie dieser verstockten Schwester, die sie im Duell ausgetrickst hatte, in jeder Hinsicht ausgeliefert war. Natürlich hatte Anthelia nicht daran gedacht, sich mit dem Medaillon in die Tiefe fallen zu lassen. Es wäre niemals bis ganz unten gefallen, weil es auf Höhe des dunklen Domes verharrt hätte und sie damit auf ewig ohne körperlich wahrnehmbare Sinne geblieben wäre. Auch war sie wütend, weil dieses Weib, das ihren Körper in seinem Leib hatte, so genüßlich davon sprach, daß es sich freute, sie eines Junitages im nächsten Jahr zurück ans Licht pressen zu wollen, um ihr endgültig klarzumachen, daß sie nun alle Rechte für sich beanspruchte, die bis dahin nur Nigrastra gebührten. Andererseits hatte Anthelia auch etwas, was sie über diese Verdammnis hinwegtröstete: In der nähe dunkler Kräfte konnte sie wieder fremde Gedanken auffangen. So war ihr nicht entgangen, wie nicht nur die Schlangenwesen und die Entomanthropen aufeinander zustürmten, sondern daß knapp oberhalb des Kraftdomes auch Leute auf Besen saßen. In deren Schädeln dröhnte der eine Befehl: "Führt aus, was Minister Didier gesagt hat. Bewacht Millemerveilles!"

"Didier, ist der ein Nachkomme Pharonelle Didiers, die meiner Tante die Gefolgschaft verweigern wollte?" Fragte sich Anthelia. Wenn sie nicht zu stark dachte konnte sie ihre geistigen Regungen für sich alleine behalten. Dann sah sie durch Daianiras verjüngte Augen die magischen Lichtentladungen. Die Patrouille hatte die Entomanthropen entdeckt.

"Wenn Ihr sie laßt, Lady Daianira, werden die alle Entomanthropen töten, bevor sie die Schlangenkrieger des Waisenknaben erledigen durften", spie sie Daianira einen verächtlichen Gedanken in den Kopf.

"Da du ja immer durch meine Augen und Ohren mitkriegst, was ich mitbekomme weißt du, daß ich das durchaus mitbekomme, was da vorne ..."

"Von rechts", schnarrte Anthelias unhörbare Warnung in Daianira. Da kamen mehrere Flieger. Der Besen machte sich und sie zwar unsichtbar. Aber diese Unsichtbarkeit konnte gebrochen werden. Deshalb trug dieses Weib, daß sie nun tief im Unterleib gefangenhielt ja auch Anthelias erhabene Robe der höchsten Schwester.

"Sie wenden den Todesfluch an", dachte Anthelia Daianira zu, als sie durch deren Augen sah, wie zwei Entomanthropen von grünen Blitzen getroffen wurden und eine Sekunde später das unheilvolle Sirren hörte, das den Todesfluch begleitete. Die Insektenwesen hatten sich derweil in Dreiergruppen aufgeteilt, die auf die erklärten Ziele zustießen. Daianira trieb den Besen zur höchsten Geschwindigkeit unterhalb der Notfluchtmöglichkeit an. Da die Unsichtbarkeit des Besens viel seiner Flugausdauer kostete, begann der Harvey protestierend zu vibrieren, was Anthelias Ich über Daianiras Körper fühlte. Doch sie fühlte es noch intensiver, als rüttelte es nicht nur an Daianira. Es war Anthelia so, als erfülle sie diese Vibration komplett. Da wurde ihr wieder klar, daß der zur Ungeborenen verjüngte Körper langsam aber sicher wieder von ihr empfunden werden konnte. Ihr Geist war durch den verpatzten Infanticorpore nicht gänzlich in das Medaillon ausgelagert worden. Damit wußte Anthelia auch, daß sie in einigen Wochen wohl ohne Medaillon um Daianiras Hals mit ihrer schlimmsten Angst würde leben müssen: in einem dunklen, immer enger werdenden Raum eingesperrt zu sein. Vielleicht sollte sie darüber nachdenken, ihren Körper zu töten, indem sie ihn dazu brachte, die nährende Nabelschnur zu zerreißen oder den pulsierenden Mutterkuchen zu verletzen. Dann würde dieser Körper zwar sterben, aber sie hätte dann wieder volle Kontrolle über die Kräfte des Medaillons. Intrauterine Selbsttötung. gab es einen derartigen Straftatbestand überhaupt?

"Venite Volinguignes!" Hörte und fühlte Anthelia die Zauberformel, die Daianira murmelte. Sie dachte sie mit. Bei Pandora hatte sie durch simultanes Mitdenken der Zauber die ausgerichtete Magie verstärken können. Jedes Mal, wenn Daianira "Venite Volinguignes" Murmelte, schossen vier farbige Flammen aus dem Zauberstab und fauchten bis auf fünf Zauberstablängen voraus, wo sie anfingen, als körperlose Flammenzungen um ihre Beschwörerin herumzutanzen. Tatsächlich stoben größere Flammenzungen aus Daianiras Zauberstab hervor, als Sardonia es ihr selbst gezeigt hatte. Und diese war eine Großmeisterin der Elementaranimierenden Flüche und Beschwörungen gewesen. Rosarote, goldene, himmelblaue, apfelgrüne, sonnengelbe, rubinrote und silberne Feuerzungen schnellten aus dem Zauberstab Daianiras. Das Problem bestand darin, je mehr von ihnen erschaffen waren, desto schwerer wurde es, weitere zu rufen. Anthelia mußte trotz ihrer unerbetenen Mithilfe bei der mentalen Ausrichtung des Zaubers wieder einmal anerkennen, daß Daianira eine ebenbürtige Gegnerin war. Sie bedauerte es, mit ihr nicht Seite an Seite für die Befreiung von dem englischen Waisenknaben und seiner inzüchtigen Handlanger und für die erhabene Herrschaft der Hexenheit über die Welt kämpfen zu dürfen, wo sie noch einen eigenständig atmenden und wandelnden Körper besessen hatte. Laute Schreie waren zu hören. Anthelia fühlte fast körperlich, wie die Krieger des Waisenknabens von der sie schützenden Erdoberfläche hochgerissen wurden und ihnen die dunkle Kraft aus der Erde entwich, bis sie nur noch ein kümmerlicher Rest war. Dann erloschen sie unter den gezielten Stichen der Entomanthropen. Doch ein weiteres Insektenwesen wurde von einem Todesfluch aus seiner Formation ausgefällt. Daianira hatte nun dreißig farbige Flammenzungen, die kampflustig um sie herumschwirrten, sie und Anthelia abschirmten, aber jederzeit auf ein oder mehrere feindliche Lebewesen losgehen konnten. Je nach Farbe wirkten die Flammen wie besonders heißes Feuer, ätzende Säure, sprengender Frost, Leben saugende Vampirwesen oder mit Energiestößen wie die Kraft der Elektrizität dreinschlagende Phantome. Die Feindlichkeit in der Nähe nährte ihre Angriffslust. "Pugnate hostiles!" Zischte Daianira fast selbst wie eine lodernde Flamme und deutete auf die Patrouillenflieger, die die Entomanthropen bekämpften. Mit lautem Fauchen fuhren die beschworenen Feuerzungen durch die Luft und stürzten sich auf die Besenflieger, die sofort mit Elementarzaubern und Schilden gegenhielten. Doch die Flammenzungen waren schnell und konnten einem Angriff ausweichen, indem sie sich duckten. Nur flächenweite Elementarschilde oder der sie direkt betreffende Vertreibezauber halfen. Daianira und Anthelia sahen gemeinsam, daß viele der Patrouillenflieger diesen Vertreibezauber nicht kannten und getroffen oder verängstigt um den Halt auf ihren Besen kämpften. Die goldenen Flammen ließen Besenschweife wie in Öl getränkte Fackeln auflodern. Die roten Flammen sogen ihren Opfern Wärme und Kraft ab. Die blauen Flammen ließen ihre Gegner wie vom Blitz getroffen zusammenfahren. Die silbernen Flammen sprengten die Besen, die sie berührten. Viele Flieger mußten Kameraden retten, bevor sie so schnell sie konnten davonbrausten. Die Entomanthropen blieben nun unbehelligt und führten unbeirrt ihren Generalbefehl aus: Tötet die Schlangenmenschen!

"Soweit mir bekannt ist war Nigrastra in höheren Elementarzaubern längst nicht so bewandert wie ihre Schwester", dachte Daianira Anthelia zu, während die bunten Feuerzungen ihre ausgewiesenen Feinde jagten, quälten oder schwer verletzten.

"Sie hatte andere Qualitäten, die geerbt zu haben ich sehr stolz bin", schickte Anthelia zurück. Denn in der Tat verstand sich Nigrastra damals auf Verwandlung, Zauberkunst und Zaubertränke.

"Zaubertränke und Verwandlungen gehen mir ebensogut von der Hand, Lia", entgegnete Daianira auch prompt. "In meinem Leib zu wachsen wird dich also nicht unbegabter werden lassen."

"Wenn du schon nicht den Trank der folgenlosen Freuden schlucken wolltest, solltest du dich jetzt noch nicht freuen, mich als deine Tochter zu kriegen."

"Ich habe es mir nicht ausgesucht, dich auszutragen, Lia", gedankenschnarrte Daianira. "Aber ich empfinde dabei doch eine gewisse Genugtuung, Sardonias Irrweg von uns allen abgewendet zu haben."

"Warum bin ich dann in dir gelandet und nicht in deiner gluckenhaften Großmutter oder dieser ständig so warmherzigen Bobbie Sevenrock, Daianira? Weil du erkannt hast, daß der Weg der Tat der einzig richtige ist und nicht die Worte des wertlosen Wartens", schickte Anthelia zurück. Gerade die, die wir jetzt bekämpfen, beweisen, daß jeder Traum von der erhabenen Herrschaft der Hexen ein Traum bleibt, wenn wir nicht über die Grenzen der Zurückhaltung hinausgehen und mit den nötigen Maßnahmen einschreiten. Ich bin gewillt, anzuerkennen, daß meine erhabene Tante, die du mir nicht ausreden wirst, zu sehr auf die Angst an Stelle der Überzeugung gesetzt hat, sowie es ja jetzt dieser Waisenknabe tut. Aber von allen unseren Schwestern ist sie und bin ich im Gedächtnis der Welt verblieben."

"Na, Mädchen, daß du dich da mal nicht täuschst, und es genug andere Hexen der erhabenen Schwesternschaft gab und gibt, die ihren festen Platz im Gedächtnis der magischen Welt errungen haben", erwiderte Daianira, während sie zusahen, wie die Feuerzungen die Patrouille in die Flucht schlugen. Erst wenn die lodernden Lichter nicht mehr von ihrer Beschwörerin zu sehen waren, würden sie von selbst erlöschen. Darin unterschieden sie sich vom dunklen Feuer oder dem Dämonsfeuer, das auch aus lebendig gewordenen Flammen bestand und solange wütete, wie es Nahrung und Beute vorfand und dabei weite Strecken zurückzulegen vermochte.

"Es ist zumindest schön, daß du es erkennst, daß reine Gewaltherrschaft kein Mittel von Dauer ist. Lady Morgaine verstand das nicht, und ich mußte bisher davon ausgehen, daß du das auch nicht verstehst. Doch nun, wo ich die Entomanthropen als einzig wirksames Mittel gegen diese Kreaturen dort unten erkenne, erahne ich zumindest, warum du meintest, diese Kreaturen nachzüchten zu müssen. Es wäre nur anständiger gewesen, wenn du die dafür nötigen Menschen nicht in deinen Dienst gezwungen, sondern zur freiwilligen Annahme dieses daseins bewegt hättest. Ich bin mir sicher, daß Tyche oder Patricia sich nach eingehender Überlegung wohl dafür angeboten hätten. Gut, jetzt weiß ich nicht, ob es unbedingt jungfräuliche Mädchen sein mußten. Aber gewiß hätte es auch die Teilverschmelzung mit friedlicheren Flugwesen getan, die eigenständig handeln können."

"Du meinst die Vogelmenschen der alten Sagen, die wohl als Gegner unserer jetzigen Feinde entstanden sind", schickte Anthelia zurück. "Ich hätte sie zu gerne gefunden. Aber ich erfuhr ja erst, daß sie wohl keine Sagengestalten sind, als die Schlangenbestien geweckt wurden. Nur wer die Sprache des Windes kennt soll sie finden können, hieß es."

"So, die Legende kennst du also auch", amüsierte sich Daianira. "Die hat mir meine Großmutter Thyia, also deine zukünftige Urgroßmutter, öfter erzählt, um mich zu motivieren, nicht nur die mechanischen Gesetzmäßigkeiten der Magie zu erlernen, sondern mich mit der lebendigen Magie in allen und allem zu befassen."

"Animistischer Firlefanz, Daianira. Ich mußte einmal einer unausgegorenen, durch Selbststudium halbherzig geübten Hexe eine endgültige Bestrafung zukommen lassen, die es gewagt hat, die Macht gegen mich zu wenden, die das Haus durchdringt, in dem ich meinen Körper erhielt."

"Tja, und jetzt ruht dein Körper in einem lebenden Domizil, Anthelia", stellte Daianira fest, während weit voraus die ersten Flammenzungen erloschen. Hinter ihr hatten sich weitere Patrouillenflieger vor den sie bestürmenden Feuerzungen geflüchtet. Anthelia dämpfte die Kraft ihrer Gedanken, um sie nicht mit ihrer Trägerin zu teilen. Denn sie empfand Heimweh nach Millemerveilles, das nun unter ihnen lag, geschützt durch den Dom ihrer erhabenen Tante, den sie einmal nur durch eine List durchdrungen hatte, um die Truhe mit dem Vermächtnis Sardonias in ihre Gewalt zu bekommen. In letzter Konsequenz dieser List würde Daianira also ihre zweite, richtig tragende, gebärende und stillende Mutter, weil sie, Anthelia, Sardonias altes Wissen um die Entomanthropen verwendet und sich den Zorn dieser nicht dummen und auch nicht blutrünstigen Hexe zugezogen hatte. Was dachte sie denn da? Fing sie etwa an, Daianira zu verstehen? Ging es los, daß sie diese Hexe anerkannte? Hoffentlich bekam sie das wieder in den Griff. Sich auszumalen, nicht nur körperlich sondern auch seelisch zu dieser Person aufzublicken und sowas wie Hochachtung zu empfinden würde ihren Zielen schaden.

"Die Schlangenbestien sind tot oder geflüchtet", stellte Daianira nach einem längeren Flug über Millemerveilles fest. Keine Patrouille hatte sie weiter behelligt. "Fliegen wir nach Hause. Wir beide brauchen meinen Schlaf."

__________

Milton war ein Draufgängertyp. Sonst hätte er sich wohl niemals mit wilden Mädchen wie Valery Saunders oder der temperamentvollenMarisa Suárez eingelassen. Vor allem die Leichtigkeit, mit der Marisa ihre Reize einsetzte, um unter Druck stehenden Männern Geld aus dem Hemd zu leierkastern trieb ihn immer wieder zwischen Faszination und Eifersucht. Allerdings fing sie mit den Typen nichts an, die sie bezirzte. Ihr Körper gehörte ihm, oder wie sie sagte, was da hieneingeriet gehörte ihr, bis sie es loswerden oder es aus eigener Kraft wieder herausfinden konnte. Für eine Puertorikanerin sah Marisa mit ihren feuerroten Haaren eher irisch aus. Allerdings hatte sie die seit ihrem vierzehnten Lebensjahr so gefärbt, wie ihre Tante, die Anführerin der Las Zorras. Als sie sich damals von dieser Tante und Miltons langjähriger Partnerin Valery abgesetzt hatten, war er davon ausgegangen, daß Marisa ihre natürliche Haarfarbe wiederhaben wollte oder vielleicht blond herumlief wie Madonna oder Sharon Stone. Doch irgendwie gefiel ihr die feuerrote mähne. Zusammen mit den dunkelbraunen Augen war das schon eine anheizende Kombination.

"Cariño, sag mir mal 'ne Zahl zwischen eins und fünf!" Rief Milton, der gerade dabei war, seine tiefschwarze Lockenmähne zu trimmen. Früher hatten sie ihn deswegen aufgezogen, er würde wie ein Mädchen rumlaufen und so. Aber als er dann in irgendwelchen Museen mit alten Bildern gesehen hatte, daß die Helden- und Göttergestalten häufig mit Lockenhaar dargestellt wurden, hatte er seine halbe Naturkrause, die bestimmt vor mehr als hundert Jahren von einem entflohenen Plantagensklaven vererbt worden war, als seine Pracht empfunden.

"Drei, genau die Mitte, weil's da immer paßt, Corazon", trällerte Marisa, die wohl noch im Bett lag und vielleicht gerade in einer sehr hungrigen Haltung ... Nein, er hatte schon zwischen den Laken mit ihr in ihren Geburtstag hineingetanzt. Zu viel des guten war auch schlecht, wußte er aus leidvoller Erfahrung. An dieser Feierstunde lag es auch, daß sie beide erst gegen neun Uhr wieder aufgewacht und erst so um halb zehn herum aufgestanden waren.

"Okay, mi Bonita, dann sind wir heute Abend bei einer Privatvorführung von Titanic im Highlight-Kino. Da kommen sonst nur schwerreiche Leute rein, die keine Lust haben, sich mit dem üblichen Volk in einen Saal zu quetschen. Dann mach ich das klar, Cariño!" Rief Milton. Sie hatten sich diesen mit vielen Vorschußlorbeeren bedachten Mammutfilm zwar schon vor einer Woche angesehen. Aber seine Freundin war beim Anblick des Hauptdarstellers förmlich dahingeschmolzen. Er hielt es deshalb mit der Hauptdarstellerin und der Sängerin, die das Titellied sang. Zwar hatte eine Zeitung geschrieben: "Zwei Stunden Langeweile, und dann brachten sie gnädigerweise den Eisberg". Doch das hatte Milton kalt wie eben ein solcher Ozeanvagabund gelassen. Ihn interessierte auch nicht die schwülstige Romanze, sondern der Ablauf der ersten und letzten Fahrt dieses Luxuspottes mit den vielen reichen Leuten drauf. Einige überkandidelte Stadtmädels hatten Marisa immer wieder angeglotzt, weil sie in einem hautengen Kostüm hingegangen war. Vielleicht kam bei einer exklusiven Privatvorstellung wesentlich mehr zwischen ihnen beiden herum.

"Highlight-Kino. Wußte nicht, daß von den fünftausend Dollar dieses Jonathan Buckminster noch was übrig war, nachdem ich mit Kitty und Dorothy die halbe Stadt leergekauft habe", amüsierte sich Marisa.

"Du vergißt die Spendenaktion für den Regenwald, die ich über's Netz angeleiert habe. Kamen immerhin zwölf Riesen zusammen. Die Leute lassen sich auch echt mit jedem Samariterquatsch einfangen."

"Sag das mal nicht zu laut, Milton", seufzte Marisa, die nun in der Wohnzimmertüröffnung stand. Außer ihrem künstlich roten Haar hatte sie nichts unnatürliches am Leib. Milton fühlte wieder dieses kleine Männchen mit der Glühweinspritze, die es ihm unbemerkbar ins Blut reinjagte. Zumindest hatte er das mal so genannt, als er endlich seine Knabenzeit beenden und mit Valery die erste körperliche Liebe erleben durfte. Marisa war eindeutig besser gebaut als die dünne Valery, die nur an den Oberarmen und den Schenkeln richtig Muskelfleisch hatte.

"In dem hautengen fleischfarbenen Folienanzug lassen die dich da aber nicht rein, mi Bonita. Da sieht man ja alles durch", scherzte Milton. Um ihm zu bestätigen, daß sie nicht das trug, was er behauptete, warf sie sich in seine Arme. Offenbar wollte dieses heißblütige Mädel echt wieder was von ihm. Aber er war noch zu müde vom Reinfeiern. So sagte er nur: "Ich habe mich geirrt. Im eigenen Fell siehst du aber tausendmal besser aus als diese reichen Schlampen in ihren Pelzen." Sie schnurrte behaglich. Dann meinte sie:

"Hast du nicht mal gesagt, wenn's am nächsten Morgen wehtut sollte man damit weitermachen, wo man am Abend vorher aufgehört hat?"

"Wieso, tut dir was weh?" Fragte Milton.

"Mein Gewissen, weil ich dich nach der zweiten Runde habe pennen lassen", säuselte sie ihm verrucht ins Ohr.

"Marisa, ich fühle mich geehrt, daß du mich so doll lieb hast. Vielleicht machen wir den Tag damit zu, wie wir ihn aufgemacht haben."

"Au ja, dann schenkst du mir noch ein süßes Baby."

"Ähm, schon gehört, daß Frauen, die Babys kriegen erst nölen, weil das anstrengt, dann heulen, weil sie sich so elend fühlen, dann überängstlich sind, weil der kleine Wurm ja krank werden oder sterben kann und dann spießig sind, weil sie ihrem Balg ein sicheres Nest bauen und deshalb keinen Spaß mehr haben wollen", erwiderte Milton. Marisa war in der Tat unersättlich auf ihn fixiert. Er hatte aber echt Angst, daß sie sobald sie ein Kind hatte keine Lust mehr auf Spaß hatte, nach dem Motto: Der Auftrag der Gene ist erfüllt, alles runterfahren! Sie war jedoch mit ihm durchgebrannt, weil er das Leben auf der Straße satt hatte und sich schön weit von den alten Revieren was festes suchen wollte. Seine Ex Valery war wohl immer noch auf ihn sauer, weil sie meinte, er hätte sie wegen Marisa verlassen. Zum Teil stimmte das ja auch. Aber das allein war es nicht gewesen.

"Dann pack ich mich mal ein, damit ich gleich nicht die ganzen Typen da draußen hinter mir herlaufen habe wie 'ne läufige Hündin."

"Was für uns Anglos die Hündin ist für euch Hispanos die Füchsin", witzelte Milton. Mit Marisa konnte er sich diesen Scherz erlauben, solange sie nicht fand, er solle ihre Herkunft respektieren. So lachte sie und gab ihm zwei Wangenküsse, bevor sie das Badezimmer aufsuchte. Milton ging ans Fenster und dachte an die vier anderen Möglichkeiten, wie das Rockkonzert, die Tanzbar, das Fahren im geliehenen Ferrari zu einem hochanständigen Restaurant und der Einkaufsbummel in New York. Die nun nicht wahrzunehmenden Sachen mußte er gleich noch anständig absagen und die Sondervorstellung im Highlight-Kino klarmachen. Sein Blick schweifte aus dem Fenster hinab auf die Straßen von Barstow. achtzehn Stockwerke lagen zwischen ihm und dem Gewimmel in den Straßen. Der Spätherbst hatte den Himmel mal wieder mit dicken, grauweißen Wolken zugehängt. Er fragte sich angedenk Marisas Andeutungen über ein Baby, ob das Abzocken naiver Typen und Internetbenutzer wirklich was war, womit er einem Lehrer oder einem Schuldirektor imponieren könnte. Sicher, offiziell nannte er sich Medienarchitekt, spezialisiert auf interaktive Projekte. aber im Grunde lebte er seit seiner Flucht aus dem Gangstersumpf eher von der Dummheit der anderen als von seinen eigenen Leistungen. Und Marisa? Ein Baby zu kriegen und damit zu leben waren zwei paar Schuhe. So wie der Vatikan immer vom Schutz des ungeborenen Lebens faselte, um dann die vielen armen Kinder in der Welt unzureichend zu versorgen oder alleinerziehende und/oder minderjährige Mütter immer dumm anzumachen, sie hätten erst heiraten sollen, bevor sie schwanger wurden, so wechselseitig war das mit den eigenen Kindern. Angeblich würzten sie das Leben, kosteten aber auch viel Kraft, Zeit und Geld. Sie brachten einen dazu, bereits bekannte Sachen ganz neu zu erleben, schränkten aber auch die bis dahin bestehenden Freiheiten ein. Das konnte auch dazu führen, daß alte Freundschaften kaputtgingen, wenn ein Kind ankam und die jungen Eltern sich darauf einstellen mußten. Nein, im Moment lag ihm doch zu viel an den Freiheiten, die er trotz der gewissen Verpflichtungen zum Erhalt dieser Wohnung genießen durfte. Er dachte einen Moment an Valery. Lebte die immer noch als kratzbürstiges Mädchen in den Straßen? Womöglich würde sie sich bald mit ihren zwei Freundinnen ein Winterquartier besorgen oder in den sonnigen Süden trampen, wie sie es mit ihm auch schon mal gemacht hatte. Er hatte sie damals mit einem knappen Abschiedsbrief zurückgelassen, daß er die Straße satt hatte und ganz weit weg ein neues Leben anfangen würde. Irgendwann später hatte er erfahren, daß Marisas Tante hinter ihnen beiden her sei. Doch die war und blieb eine Gossenschlampe, während Milton sich doch einiges antrainiert und angelesen hatte. Doch er nahm es ziemlich ernst, daß man ihn finden und fertigmachen könnte. Er rechnete damit, daß irgendwann mal wer aus den alten Zeiten anrief und meinte, ihm was aus dem Ärmel jubeln oder ihn als dauerhafte Geldquelle anpumpen zu können. Marisa hatte schon recht. Die Kiste mit dem Regenwald hätte auch leicht nach hinten losgehen können. Denn Profi-Spendensammler forschten gerne nach, wer da für was Geld erbettelte. Auch das Schatzamt mochte gerne mal nachforschen, wer da eine Spendenquittung ausgestellt hatte und dadurch half, weniger Steuern zu bezahlen.

"Aber an und für sich leben wir doch alle nach dem Motto: Bescheißen und beschissen werden. Menschendschungelgesetz", dachte Milton halblaut. Marisa war unter der Dusche und sang den Hit von Ricky Martin, diesem Schönling und neuen Popidol der Latinos, obwohl der laut Marisa schon vor zwei Jahren angefangen hatte. Auf den konnte Milton echt eifersüchtig sein. Er hoffte allerdings, daß dieser Schnösel sich in echt nichts aus Frauen machte und die ganzen Groupies ihm am Paradehintern vorbeigingen. Er summte den Schlager aus Titanic. Sollte er jetzt, wo das Wasser rauschte und Marisa von einer Maria sang klären, wann sie in das Separatkino reingelassen würden. vierhundert Dollar würde ihn der Spaß kosten. Aber das bekam er durch die getürkte Sammelaktion für einen Fond minderjähriger Mütter locker wieder rein.

Er wollte gerade das Telefon nehmen, um anzurufen, da läutete es an der Wohnungstür. Er sah auf seine Cartier-Nachbildung, auch was, warum er sich wegen seiner Tricks keinen Kopf machen sollte. Es war jetzt genau halb elf. Die Nachbarn ignorierten einander. Leben und leben lassen galt hier. Keiner kannte den anderen von mehr als von Treffen im Aufzug. Milton blickte durch den Spion und erstarrte. Tiefbraune Augen von flammendrotem Haar umrahmt blickten lauernd. Sie sah ihn wohl. Denn sie grinste feist. Dann hielt sie ein Schild hoch: "Tür auf! Sonst Polizei wegen Abzockerei im Internet" Milton trat einige Schritte von der Tür zurück, als müsse er damit rechnen, daß die aufgekreuzte Tante gleich mit Brachialgewalt hereinstürmte. Sollte er Marisa vorwarnen. Da klingelte es noch mal. Gesang und Wasserrauschen brachen ab. Marisa rief durch die geshlossene Badezimmertür: "Wer ist das, Milton?!"

"Deine Tante Lolita", rief Milton ohne groß nach einer Ausrede zu suchen zurück. Da bollerte besagte Person auch schon an die Wohnungstür. Aus dem Badezimmer kam ein unterdrückter Schreckenslaut. Dann flog die Tür auf, und Marisa, nur eingehüllt in ein nasses Badetuch, stürmte heraus.

"Verarschst du mich, Milton, schneide ich dir gleich noch was ab", schnarrte sie.

"Milton, Marisa, Tür auf!" Klang eine nun sehr ungehaltene Frauenstimme mit spanischem Akzent durch die Wohnungstür.

"Ruf die Bullen, damit die die alte kassieren", schnarrte Marisa ihrem Freund zu. Sie war sehr blaß geworden und zitterte, wohl nicht nur, weil sie sich nach dem Duschen noch nicht ganz abgetrocknet hatte.

"Dann verpfeift die denen die Nummer mit dem Regenwald", zischte Milton.

"Mariiiiisa, tut tita Lolita esta aqui!!" Flötete Lolita.

"Zieh dich an, ich muß die reinlassen", knurrte Milton. "Nachher stehen hier die Nachbarn auf der Matte." Marisa nickte und griff schnell nach zurechtgelegten Sachen, um mit diesen ins Bad zu verschwinden, wo sie sich einschloß. Milton huschte leise zu seinem Schreibtisch und holte einen 44er Colt aus der untersten Schublade. Bei Lolita Alejandra Henares mußte diese Vorsichtsmaßnahme sein. Mit der entsicherten Waffe im Gürtel ging er zur Tür und öffnete sie. Er hatte mit einem raubtierhaften Sprung gerechnet, mit dem Lolita hereinbrechen würde. Doch die knapp 1,80 m große, für eine Bewohnerin der vorgelagerten Insel riesenhafte Frau trat ganz gesittet ein. Sie trug einen grünen Wintermantel, unter dem eine dito Daunenhose hervorlugte, die in schwarzen Glitzerstiefeln endete. Sie schloß die Tür und lächelte kalt.

"Einen wunderschönen guten Morgen, Milton. Schön habt ihr es hier", begrüßte sie den Bewohner dieser wahrlich nicht armselig eingerichteten Wohnung. Ihre Stimme klang tief und rauh. Das lag wohl an den vielen Zigaretten, die sie in ihrem jungen Leben schon verqualmt hatte. Milton schnüffelte und nahm eine feine Aura von Taback und aufdringlichem Parfüm in seine Nase auf. Sie sah ihn an und schnupperte ebenfalls. Da er auch schon geduscht und sich rasiert hatte umwehte ihn ein herber Duft gehobener Herrenkosmetik.

"ich gehe davon aus, daß du nur gekommen bist, weil du Marisa zum Geburtstag gratulieren willst. Immerhin ist sie jetzt volljährig", preschte Milton vor. Die Waffe in Griffweite flößte ihm Selbstsicherheit ein. Lolita sah die Schußwaffe an und grinste mädchenhaft.

"Oha, hat der kleine Milton sich 'ne Waffe zugesteckt, weil die nette Tante Lolita zu Besuch kommt?" Flötete sie verächtlich. "Dann will ich dir auch sagen, was ich will. Erstens habt ihr mich beide ziemlich blöd dastehen lassen, als du mit meiner Nichte abgezogen bist. Hat mich einiges an Arbeit gekostet, meinen Ruf wieder zu reparieren, Hijo de Puta."

"Ich ein Hurensohn, Lolita? Seit wann hast du mich denn adoptiert?"

"Bilde dir bloß nix auf deine Knarre ein. Ich habe in mehr Knarren geglotzt als du Mädchen flachgelegt hast. Abgesehen davon habe ich auch so'n Spielzeug mit", sagte sie und hielt unvermittelt eine Beretta in der rechten Hand. Die kleine Pistole besaß einen Schalldämpfer. Es würde also keiner hören, wenn sie damit feuerte. "No no, Muchachito! Die sperrige Knarre läßt du besser in Ruhe, oder besser, zieh sie mit zwei Fingern aus dem gürtel und lass sie einfach fallen!"

"Drecksweib", schnarrte Milton. Er hoffte, daß Marisa die Nerven behielt und im Badezimmer blieb, oder von dort aus über die Feuerleiter verschwand. Doch sie kam in dem Moment aus dem Badezimmer herausgestürmt und wollte ihrer genauso rotschopfigen Tante einen Holzhocker über den Kopf ziehen. Diese tauchte geschmeidig zur Seite weg, wobei sie die Waffe immer noch auf Milton gerichtet hielt und versetzte Marisa einen Kniestoß in den Bauch, daß diese laut keuchend den Hocker fallen ließ. "So, Mädchen, nach hinten auf die Couch und schön hinsetzen!" Zischte Lolita, die nun endgültig die Lage im Griff hatte. Milton versuchte zwar noch, seinen Colt freizuziehen oder zumindest aus der Hüfte zu schießen. Doch eine Kugel aus der Beretta fegte ihm die Waffe zielgenau aus der Hand, die in Richtung Fenster gewirbelt wurde. Marisa hielt sich den schmerzenden Bauch. Offenbar hatte ihre Tante sie gut erwischt. Diese sagte dann, als Marisa saß:

"Ich bin wegen zwei Sachen hier, Milton Fleet. Zum einen, volljährig oder nicht, nehme ich Marisa mit nach Hause. Ich habe mit den Chicas schon 'ne Fahrgelegenheit klargemacht. Ich habe, was du blöder Yankee ganz genau weißt, ihrer Mutter versprochen, auf sie aufzupassen, bis sie einen von uns geheiratet hat und mit dem auf die Insel zurückfährt. Ich habe sie bei mir in die Gang aufgenommen, weil sie da nicht von Zuhältern und Gigolos angebaggert werden kann. Und genau das ist passiert, als du mit dieser überdrehten Valery und ihren Mitläuferinnen meine Gang in Gefahr gebracht hast und wir den Fischgrillabend veranstalten mußten. Dann verdrehst du meiner kleinen Nichte die Birne, sie hätte was besseres als uns von der Insel verdient und ziehst mit der ab. Die kleine Nutte Valery meinte noch, ich hätte Marisa an dich rangeschoben, um dich ihr abspenstig zu machen, weil sie mit ihren Hühnern nicht bei uns einsteigen wollte."

"Da wußte die wohl auch warum", erwiderte Milton. Lolita fuchtelte mit der kleinen Pistole. Dann sagte sie:

"Wie gesagt, ich habe ihrer Mutter auf dem Sterbebett versprochen, auf sie aufzupassen und zuzusehen, daß die nicht bei euch Yankees und Gringos verheizt wird. Das zu Punkt eins, Mr. Fleet. Der zweite ist, daß ich seit fast drei Monaten keinen Kerl mehr hatte. Bevor ich also mit Marisa nach Hause fahre machst du mich erst mal satt. Oh, ich weiß, daß du das ganz sicher nicht freiwillig tust. Deshalb habe ich die hier mit." Mit der freien Hand zog sie mehrere Paar Handschellen aus einer Tasche ihres Mantels. "Ich will das wissen, was an dir dran ist, daß du mit meiner Nichte abrauschen konntest, bevor die andre Schlampe Valery hier noch aufkreuzen und dir was wichtiges abschneiden könnte."

"Du bist echt verrückt, todo loco", knurrte Milton.

"Toda loca, Milton. Und wenn schon. Du weißt doch, wofür der Name Lolita steht, oder?"

"Klar, kleine Lola", schnarrte Milton.

"Das auch. Und was Lola will kriegt Lola auch, heißt so'n alter Schlager aus den sechzigern. Kann sein, daß ich nach dem benannt wurde. Aber ist auch scheißegal. Marisa bleibt hier, während wir beide mal nachsehen, wie hoch du mit mir fliegen kannst."

"Du hast es voll nötig, was, Lolititita", schnarrte Milton. "Wenn du dir eingildest, ich ließe dich nahe genug an mich ran, um mich zu fesseln, damit du dir an mir deine ..."

"Genau daß wird passieren, Cariño", schnarrte die Frau in grüner Winteraufmachung.

"Weißt du was, ruf die Bullen. Wem werden die eher glauben, 'ner alt gewordenen Gangsterbraut oder einem ordentlich arbeitenden Medienfachmann? Ich werde dich nicht näher als bis Schlagweite an mich ranlassen, egal wofür."

"Eres loquisima, Tía Lolita!" schrillte Marisa von der Couch her. Die angeschriene hielt ihre Schußwaffe auf einen Punkt knapp neben dem linken Ohr ihrer Nichte gerichtet und feuerte. Marisa zuckte zur Seite, als die Kugel keinen Zentimeter an ihrem Ohr vorbeipfiff und sich tief in die Wand grub.

"Kommst dir echt super überlegen vor, was Lolita", schnarrte Milton. "Am besten schiebst du dir die Knarre dahin, wo es offenbar juckt und drückst ab. Dann hast du keine Probleme mehr ..." eine Kugel links und eine rechts an Miltons Ohr vorbei ließen ihn sichtlich zusammenfahren. Dann sagte Lolita Henares ganz ruhig:

"Ganz einfache Kiste, Milton. Du zeigst mir, was dich für meine kleine Marisa so anziehend gemacht hat. Dann hast du auch noch 'ne Chance, anderswo hinzukommen, bevor die Cops oder deine wütende Ex dich finden. Ich kann Natürlich meinen Chicas gleich verklickern, daß sie den Bullen das Beweismaterial geben, das wir über dich gesammelt haben. Das bringt dir gut und gerne zehn Jahre Staatspension ein. Und da wirst du dir wünschen, du hättest mir gegeben, was ich will."

"Du kannst mich nicht erpressen, Lolita. Erstens müßtest du ja für sowas eine Grundlage haben, und wenn du die hättest, hättest du schon früher die große Welle gemacht. Zweitens bleibe ich dabei, daß einer, die mit über fünfundzwanzig Jahren noch in einer Straßengang drin ist kein Polizist der Welt glaubt und ich locker beweisen kann, daß eure Beweise allesamt getürkt sind." Da zählte ihm Lolita Internetadressen, E-Mail-Auszüge und Bankverbindungen auf, die alle belegten, was er getan hatte. "In der Hinsicht hast du Marisa wirklich einen Riesenmist aufgetischt, wie anständig du doch arbeiten kannst. War nicht einfach, an ddeine versteckte Adresse ranzukommen. Aber wir können auch schon mit Computern umgehen, Und Internetcafés gibt's ja immer mehr in den achso glorreichen Staaten. Ich gehe mal davon aus, eine bis zwei Stunden könnten reichen, um mir zu zeigen, was du drauf hast. Und damit du mich nicht mitten drin umzubringen versuchst mach ich dich fest. So einfach ist das."

"Den kriegst du nicht", schnarrte Marisa nun auf Englisch und sprang so nach vorne von der Couch weg, daß sie möglichst wenig Angriffsfläche bot. Sie hatte sich nicht getäuscht. Ihre Tante würde nicht gezielt auf sie schießen. Lolita Henares ließ die Waffe sinken, ließ die Handschellen fallen und ließ dann die linke Hand zum Handkantenschlag vorschnellen, der Marisa an der Stirn erwischte. "Lo siento, Sobrinita", schnarrte sie und hob die Waffe wieder an, weil Milton Anstalten machte, seinen Colt wiederzuholen. "Ich sagte dir, daß du die Knarre läßt wo sie ist."

"Du wirst mich wohl abknallen müssen, du notgeiles Aas", schnarrte Milton und warf sich zu Boden, um seinen eigenen Colt zu ergattern. Lolita grinste verächtlich, ließ die Beretta fallen und zückte aus ihrer schier unergründlichen Winterjacke eine noch kleinere Pistole, die sie auf ihn richtete, gerade als er die Hand an den Revolver bekam. Leise zischte ein winziger Pfeil durch die Luft und erwischte ihn am Hals. Milton versuchte noch, die Waffe in Anschlag zu bringen. Doch da versagten ihm die Glieder, und er blieb schlaff am Boden. Ein weiterer Pfeil aus der Minipistole traf Marisa.

"Du bleibst erst mal da liegen, Marisa", sagte sie ihrer Nichte auf spanisch. Dann sammelte sie die hingeworfenen Handschellen auf, mit einem Paar band sie ihrer Nichte die Hände hinter einem Heizungsrohr zusammen. Dann schaute sie sich um. Die Narkose, die sie Milton verpaßt hatte würde noch eine Stunde vorhalten. Sie steckte die Waffen fort, auch den Colt Miltons. Dann zog sie ein Mobiltelefon aus einer Innentasche des Mantels, den sie nun langsam abstreifte und darunter eine hauchdünne, schwarze Bluse trug. Sie rief Magdalena an, die den organisierten VW-Bus einige Straßen weiter fort geparkt hatte. "Ich habe die beiden sicher. Habe noch was zu erledigen, was mindestens eine Stunde dauern kann", teilte sie in schnellem Spanisch ihrer Handlangerin mit. Dann besichtigte sie kurz die Fünf-Zimmer-Wohnung, bevor sie den betäubten Milton ins Schlafzimmer trug und mit schnellen Handgriffen aus seinen viel zu protzigen Sachen herausholte, bevor sie ihn an die Bettpfosten fesselte. Dann holte sie eine kleine Spritze aus der Manteltasche, zog die Sicherheitskappe von der Nadel und jagte Milton den Inhalt direkt in den Hals. Es dauerte eine halbe Minute, bis er aufwachte. Sie schloß die Tür von innen und verriegelte sie.

"War eine feine Idee, ein schalldichtes Schlafzimmer einzurichten, süßer. Was habe ich gesagt? Was Lola will kriegt Lola auch."

"Vergiß es, alte. Wenn ich nicht will, gehst du bei mir nicht ab."

"Ich habe Zeit. Marisa schläft nebenan und meine Chicas wissen, daß ich bei euch alles im Griff habe", erwiderte Lolita Henares, bevor sie daranging, sich für ihr Vergnügen zu entblättern.

__________

"Hat die nicht gesagt, die will den Typen von Marisa erst rannehmen, bevor sie mit der Kleinen zu uns kommt?" Wandte sich Isabel an Magdalena. Diese erwiderte nur, daß Doña Lolita immer bekam, was sie wollte. Dann strich sie sich eines ihrer nachtschwarzen Haare aus dem Gesicht und schaltete das Radio ein. Juanita, die dritte aus Lolitas Frauenbande, hielt mit dem Fernrohr das Haus im Blick, in das die rothaarige Chefin hineinstolziert war.

"Hat sie nicht gesagt, wenn der Typ es wert ist wollte die den auch mitnehmen?" Wollte Juanita wissen.

"Es gibt so viele Typen. Da muß sie sich keinen mitnehmen, der sie nicht leiden kann, auch wenn er richtig abgeht", bemerkte Isabel verächtlich. Dann steckte sie sich eine Zigarette an.

"Vielleicht schenkt die den uns", meinte Juanita.

"Nur, wenn sie ihn nicht für sich alleine will", erwiderte Magdalena und folgte Isabels Beispiel. Juanita brauchte nun keine Zigarette. Sie sog genüßlich den Qualm ein, den die beiden Compañeras in den VW-Bus bliesen. Zur Musik eines Latinosenders entspannten sich die drei jungen Frauen und malten sich aus, was nun mit diesem Schnösel Milton Fleet pasierte. Vielleicht fand er das sogar ganz in Ordnung, mit Doña Lolita zusammen zu sein. So verging die Zeit. Es war fünf vor zwölf, als Juanita die beiden auf etwas merkwürdiges aufmerksam machte. "Kuckt mal hoch. Da ist was ganz komisches. Sieht aus wie 'ne Honigbiene mit dickem Hintern."

"Häh?" Wunderte sich Magdalena und öffnete das Fenster auf der Fahrerseite. Der Zigarettenrauch entwich wie Nebel aus dem Fahrgastraum. Dann sahen die beiden, was ihre Kundschafterin meinte. Weit über ihnen, unter den dicken Wolken, schwirrte etwas herum, daß wie eine Biene aussah, allerdings merkwürdig gebaut. Magdalena meinte, daß wäre bestimmt ein Gag. Bienen flögen schon nicht mehr, und nach dem Verhältnis müßte dieses Etwas ja mindestens vier Meter oder so groß sein, weil sie sie ja hätten summen hören müssen, wo die Fenster offenstanden. Außerdem beschrieb das ungewöhnliche Flugobjekt eine Kreisbahn, die zu einer immer enger werdenden, trichterförmig nach unten weisenden Spirale wurde. Dann stieß Juanita aus:

"Das glaubt ihr nicht. Die hat ein Menschengesicht. Und das sieht aus wie das von dieser Valery Saunders, deren Typ jetzt von der Doña rangenommen wird. Ruf sie an und sag ihr das!"

"Blödsinn, Juanita. Gib mal den Ferngucker rüber!"

"Irgendwie gefällt mir die Kiste nicht, Mädels", äußerte Isabel ein immer stärker werdendes Unbehagen. "Dieses Etwas streckt die langen Fühler aus, als suchte die nach was."

"Das kann es nicht geben. Die hat echt ein menschliches Gesicht. Und die sieht wirklich aus wie die Zicke Valery Saunders. Das kann doch nur ein Gag sein, ein verkleideter Hubschrauber oder sowas." Nun blickte auch Isabel durch das Fernrohr und verfolgte einige Sekunden die absteigende und immer enger verlaufende Flugbahn. Dann mußte auch sie es einsehen, was die anderen sagten. Da flog etwas auf die Stadt nieder, daß wie eine Mischung aus einem gigantischen Insekt und einer Frau aussah. Der Oberkörper war menschlich, wenngleich um den Brustkorb ein schwarz-gelber Panzer gespannt war. Das Gesicht und die dunkelblonden Haare, die graubraunen Augen, die jetzt aber den Facettenaugen von Kerbtieren entsprachen und die spitze Nase waren unverkennbar. Wie konnte das gehen?

"Ruf Lolita an!" schnarrte Isabel. Magdalena zog das Mobiltelefon hervor und drückte auf Wahlwiederholung. Da passierte es. Das immer näherkommende Ungetüm verschwand einfach, um keine Sekunde später genau über dem Hochhaus aufzutauchen, in dem Lolita ihre Nichte abholen wollte. Dann sahen sie, wie das unheimliche Etwas sich fast senkrecht auf die Fenster des achtzehnten Stockwerks stürzte.

"Geht keiner ran", sagte Magdalena verdrossen. Dann hörte sie Juanita sagen: "Dieses Ding mit Valerys Kopf knallt voll in das Haus rein!"

__________

"Ich weiß, daß du da bist, Wertiger. Komm besser ganz ruhig raus, sonst stecke ich hier alles in Brand!" Rief Daianira mit dem Zeigefinger am Flammenwerfer. Sie hatte die mysteriöse Nachricht gestern erhalten, nachdem sie unter Protest ihrer Cousine weitere Angriffe gegen die Schlangenmenschen geleitet hatte. Offenbar machten ihr die anderen Umstände doch etwas mehrr zu schaffen, zumal Leda darauf bestand, daß Daianira jeden Morgen Gymnastikeinheiten machte, um ihren Körper auf die kommenden Strapazen vorzubereiten. An einem Ort, wo zwei Schlangenkrieger getötet worden waren, hinterlegte jemand einen Zettel mit der kurzen Mitteilung, daß der altehrwürdige Clan der Tiger mit der Herrin der fliegenden Jäger zusammenarbeiten wolle, wenn diese am nächsten Tag in Marseille an einem verlassenen Lagerhaus auftauchte. Daianira hatte sich mit allem bewaffnet, was ohne Magie Feuer auslösen konnte. Und jetzt stand sie an dem Lagerhaus. Doch statt eines Wertigers trat eine junge Inderin, fast noch Mädchen zu nennen, aus den Schatten des Hauses. Das Seelenmedaillon hüpfte leicht vor und fiel zurück. Die Inderin war sehr attraktiv in ihrer Landestracht. Besonders imponierten Lady Daianira die blonden Haare. Sie wirkten nicht gefärbt, sondern natürlich.

"Sie sprechen Englisch?" Fragte die Fremde. Daianira bejahte es und forderte sie auf, sich vorzustellen.

"Sonnenglanz", sagte die Fremde. "Ich wurde schon mit diesem Namen von der erhabenen Nachtwind geboren, der Mutter des Clans der Tiger."

"Dann können Sie die Gestalt wechseln?" Fragte Daianira argwöhnisch. Sonnenglanz nickte. Dann sagte sie: "Wir haben das mitbekommen, daß Ihre Jäger unsere Feinde jagen. Wir müssen Nagabapus Zepter wieder zu uns holen, um die Nagas in die Tiefe zurückzutreiben, aus der sie gekommen sind. Aber wie ich es höre tragen Sie gerade ein Kind. Sie haben sich noch nicht vorgestellt."

"Ich bin Sardonias Erbin. Mehr müssen Sie nicht wissen", erwiderte Daianira schroff. "Sardonia hat diese Wesen erschaffen, die ich befehligen kann. Nur wenn ich meine ganze Magie einsetzen kann gehorchen sie mir." Das war gut vorgebaut, damit die Wertigerin nicht auf die Idee kam, die Hexe in ihren Clan zu holen.

"Das wissen wir", erwiderte Sonnenglanz keinesfalls verärgert oder enttäuscht. "Deshalb möchten wir Sie ja nur bitten, daß Ihre Jäger ausschließlich die Nagas, also die Schlangenmenschen jagen. Wir können helfen, herauszufinden, wo welche sind und es Ihnen über Mobiltelefon mitteilen." Mit diesen Worten zückte sie ein kleines rechteckiges Ding mit vielen Knöpfen darauf. Daianira starrte das Gerät an. Da meldete sich Anthelias Gedankenstimme:

"Ich werde dir helfen, damit umzugehen." Daianira sah die Wertigerin in Menschengestalt an und meinte dann: "Neumodischer Kram der Nichtmagier. Aber ich werde dieses Ding benutzen, um uns gegenseitig auf dem Laufenden zu halten." Anthelia wies sie unhörbar für andere Ohren darauf hin, daß sie auch das Ladegerät dafür bräuchte. Sonnenglanz nickte und gab Lady Daianira das Ladegerät. Vorsichtig zog sich Daianira zurück. Draußen vor der Tür disapparierte sie schlagartig, daß Anthelia danach meinte: "Jezt könnten meine Füße gleich neben meinen Ohren wachsen." Daianira fühlte allerdings einen Schwindelanfall und übergab sich in den zum Zimmer gehörenden Nachttopf.

"Ich übergebe mich gerne für dich mit", schnarrte Daianira. Dann meinte sie zu ihrer unsichtbaren Körperpartnerin: "Offenbar sind wir diesen Wertigern gerade recht gekommen."

"Ja, um deren Drecksarbeit zu erledigen", schnarrte Anthelias Gedankenstimme. "Die hätten damals besser auf das Zepter aufpassen sollen."

"Wenn du wußtest, wo es lag, warum hast du es dann nicht geholt?" Fragte Daianira spöttisch zurück.

"Das sind zwei Punkte. Zum einen wußte ich davon bis zur Sache in Denver überhaupt nichts. Und außerdem hatte ich innerhalb des Landes zu tun, worüber ich mich jetzt nicht äußern werde", erwiderte Anthelia gereizt. Denn bisher hatte sie Daianira mit keinem Gedanken erzählt, daß sie einen jungen Muggel kontrolliert hatte, der genau in dieser Zeit von einem überneugierigen Geldprotz entführt worden war, weil dessen Schwager ein Zauberer war und Anthelia auf die Spur gekommen war. Dann müßte sie Daianira auch eingestehen, daß sie diesen Jungen nicht mehr kontrollierte, weil damals im Keller der Stratons das da noch von Daianira besessene Sonnenmedaillon die Verbindung unumkehrbar zerstört hatte.

"Jetzt liegt das Kind eh schon im Kessel", dachte Daianira darüber nur, bevor sie zu Leda zurückkehrte, mit der sie das derzeitige Quartier ansteuerte.

"Jedenfalls wirst du zugeben müssen, daß die Entomanthropen sehr wirkungsvoll gegen die sonst gegen Magie gefeiten Schlangenmonster einsetzbar sind", faßte Anthelias gefangenes Ich die letzten Tage zusammen.

"Das wird sich zeigen, ob die, die hier sind jetzt gegen diese Echsenbrut bestehen können. Die im Ministerium hier wissen ja jetzt auch, daß wir die Entomanthropen einsetzen und werden sie jagen. Wann soll das Treffen mit Louisette Richelieu sein?" Fragte Leda.

"Übermorgen. Vorher kann sie sich keine Zeit nehmen", antwortete Daianira.

"Wirst du ihr erzählen, daß du Anthelia in dir trägst, Daianira?"

"Lia hat mir gesagt, daß Louisette auch von ihr geködert wurde. Sie will ja die guten Verbindungen aufrechterhalten, die sie in die ganze Welt geknüpft hat, dieses fleißige Spinnchen."

"Ob sie dir glaubt. Ich meine, daß es Anthelia ist, die du jetzt austrägst?"

"Bleibt es dabei, daß du mir Stichwörter lieferst, die nur für euch beide relevant sind?" Fragte Daianira hörbar. Einige Sekunden später sagte sie zu ihrer Cousine: "Sie hat das noch mal bestätigt. Wird eine interessante Unterhaltung, denke ich. Dann werde ich der hiesigen Stuhlmeisterin meine Aufwartung machen."

"Sie wird wohl nicht begeistert sein, daß Anthelia nicht ganz aus der Welt ist", erwiderte Leda.

"Sie wird sich amüsieren, wenn sie erfährt, daß die achso voreilige Erbin Sardonias in meiner Obhut ist."

"Das Wort gilt für Fürsorge wie Gefangenschaft und paßt vollkommen", empfing Daianira Anthelias Gedanken.

"Das beruhigt mich, daß du meiner Wortwahl beipflichtest, Lia."

"Wenn ich lerne, mich selber zu bewegen, wirst du dir wieder angewöhnen, mich bei meinem vollen Namen zu nennen, drohte Anthelia hilflos. Daianira lachte und übersetzte, was ihre Körpermitbenutzerin gerade angekündigt hatte.

"Hört sie mich auch?" Fragte Leda Greensporn. Daianira nickte. "Okay, Anthelia. Wenn du versuchen solltest, meine Cousine zu verletzen oder dich selbst in ihr umzubringen versenke ich dich in Tiefschlaf bis zur Geburt."

"Soll sie machen, dann muß ich nicht dauernd daran denken, daß du mich als Tochter haben willst", antwortete Anthelia verdrossen, was von ihrer Trägerin übersetzt wurde. Diese meinte dann noch: "Das wäre keine Bestrafung für sie. Aber die Gefahr, sich umzubringen besteht schon. Ich möchte es mir nicht ausmalen, mit ihrem toten Körper unter dem Umhang herumzulaufen, bis mein Leib seiner überdrüssig wird. Aber ich möchte sie nicht in Zauberschlaf versetzen, Leda. Sie soll alles mitbekommen, was sie in diesem Zustand mitbekommen kann. Ich will haben, daß sie miterlebt, wie sie neu heranwächst. Sonst könnte ich dieses Medaillon gleich in den Atlantik werfen und ihr Gedächtnis auslöschen, um sie als gewöhnliches Kind zu bekommen. Aber ich will haben, daß sie alles miterlebt." Leda deutete auf das Medaillon, das gerade offen sichtbar auf Daianiras Brustkorb ruhte. Sie nickte und nahm es ab. Für Anthelia hörte die Welt beinahe auf. Dunkelheit umfing sie. Doch sie versank nicht in einem totalen Nichts wie nach ihrem ersten Tod, sondern fühlte die Pulsschläge ihres Herzens, hörte dumpf bereits Daianiras Herz und erahnte ihre Stimme, auch wenn ihre Ohren noch nicht ganz entwickelt waren.

"Ich geh mal davon aus, daß sie sich nicht von dir kriegen lassen will", schnarrte Leda. "Da ich gesagt habe, daß ich euch beide durch diese absonderlichen Umstände bringe, möchte ich vorsorgen, daß sie deinen Schoß nicht zu ihrem Grab macht."

"Wie willst du das anstellen. Imperius wirkt nicht auf engstem Raum", knurrte Daianira.

"Durch den Amorvitae-Trank. Er wird in der Heilzunft an hochgradig selbstmordgefährdete Patienten ausgegeben, um ihnen Zuversicht zu geben. Oma Thyia hat herausgefunden, daß er auch die Ängste während einer Schwangerschaft verringert und eine postnatale Depression beheben kann. Die einzige Nebenwirkung ist, daß er bei Überdosierung zur Abhängigkeit führen kann und das ungeborene durch ihn einen übersteigerten Bewegungsdrang entwickeln. Aber der wurde in der Honestus-Powell-Klinik schon oft genug angewendet, daß ich die Dosis auf Grund deines Körperfettgehaltes klar ausrechnen kann. Du müßtest dich dann nur damit abfinden, daß Anthelia ein sehr quirliger Fötus wird und während der Wachphasen unangenehm austeilen kann, falls sie nicht wirklich mit ihrem Geist in den heranreifenden Körper zurückkehrt und diesen Drang beherrscht. Jedenfalls wird sie dann nicht mehr auf die Idee kommen, sich umzubringen."

"Wie wirkt der Trank auf mich?" Fragte Daianira.

"Im Zustand der Schwangerschaft steigt dein Selbsterhaltungstrieb und das Schutzbedürfnis für dein Kind. Das kann leicht dazu führen, daß du jemanden angreifst, weil du denkst, er wolle der kleinen was. Der Trank hält bei verantwortlicher Dosierung eine Woche vor. Vielleicht brauchen wir ihn aber auch nicht, wenn wir einen psychologischen Trick anwenden."

"Welcher da wäre?" Fragte Daianira.

"Nun, das Medaillon enthält im Moment Anthelias Bewußtsein. Durch Körperkontakt zu anderen kann es Sinne wahrnehmen und sofern sie nicht selbst davon betroffen wird, Einfluß auf den Körper nehmen. Sollte sie also androhen, die nächsten zwölf Wochen nicht zu überleben, Pflanzen wir das Medaillon in ein niederes Tier ein, ein Schaf, eine Hündin oder eine Ziege. Wagt sie es wirklich, sich intrauterin zu töten, würde sie mit diesem niederen Tier verbunden bleiben, bis es stirbt. Ich denke, das wäre das größere Übel."

"Sie spekuliert darauf, daß sie durch den Tod ihres Körpers Gewalt über meinen Körper bekommt. Da ich es nicht sofort fühlen kann, wenn sie stirbt könnte ich unvermittelt von ihr überwältigt werden. Da würde die Drohung mit dem niederen Tier nichts bringen. Nein, wir müssen das von vorne herein ausschließen. Ich hörte mal von Oma Thyia, daß es einen Zauber geben soll, der ein Kind im Mutterleib und unter der Geburt dazu veranlaßt, nichts zu tun, was der Mutter wehtun oder ihr schaden kann. Diesen Zauber wollte ich eh anwenden, um sicherzustellen, daß Anthelia uns in den Staaten nicht mehr gefährlich werden kann. Ab der wievielten Woche kann ich ihn anwenden?"

"Das hat dir Oma Thyia bestimmt nur erzählt, als sie noch nicht wußte, daß du den entschlossenen Schwestern beitreten wolltest, wie?" Fragte Leda. "Der Sanctuamater-Zauber, der von keinem Heiler gelehrt wird, weil er die eigenständigkeit des menschlichen Geistes beschränkt, kann wohl in dem Moment initiiert werden, wenn die Sinnesorgane des Ungeborenen funktionieren und das Gehirn damit beginnt, die ersten Erlebnisse zu speichern. Er muß in jedem Trimenon einmal gewirkt werden, zum Schluß noch einmal, wenn die Eröffnungswehen einsetzen, weil durch die gemeinsamen Schmerzen die vollkommene Verbundenheit hergestellt wird. Wenn ich nicht wüßte, daß du ein wohl sehr undankbares Kind austrägst müßte ich dich allein für die Idee, diesen Zauber zu benutzen anzeigen. Allerdings verstehe ich, daß du Anthelia nicht mehr verlieren möchtest, um ihr klarzumachen, daß ihr bisheriges Handeln falsch war. Damit könnten wir viele Leben retten, was auch eine Pflicht der Heiler ist, Gefahren abzuwenden, bevor sie Verletzungen oder den Tod herbeiführen. Sobald wir sicher sein können, daß Anthelia beginnt, sich eigenständig zu bewegen, kannst du die Initiation des Zaubers anwenden. Aber psst, kein Wort zu Lady Roberta und Oma Thyia."

"Ich beherrsche die Okklumentik und habe schon vieles verschwiegen, was die beiden sehr ungern erführen", erwiderte Daianira. Dann hängte sie sich das Medaillon wieder um und sagte, daß es also dabei bliebe, daß sie, Daianira, sofort selbst in ein Baby verwandelt werden sollte, wenn Anthelias Herztöne aufhörten. Leda stutzte erst, sagte dann aber:

"Ich kann eine Mithörmuschel mit einem Infanticorpore-Fluch koppeln und anbringen, daß der Fluch sofort wirkt, wenn Anthelias Herz aussetzt, Daianira. Bei der Rückverwandlung würde ihr toter Körper wohl verschwinden, sie aber keine wirkliche Freude an der Gewalt über deinen Körper bekommen."

"Ihr seid verschlagene Biester", gedankenknurrte Anthelia nur für Daianira.

"Ja, und du befindest dich im Bauch der Bestie. Also füge dich besser", schickte Daianira zurück. So oder so, die nächsten Monate wirst du als Baby erleben, ob mit oder ohne Wiedergeburt."

"Ich bräuchte das Medaillon nur abzulegen. Dann würdest du selbst als Säugling weiterleben", schickte Anthelia zurück.

"Dann müßtest du erst einmal lernen, meine Arme und Beine zu bewegen. Und ich ziehe die vollständige Wiederverjüngung einem Dasein als deine Erfüllungshülle vor."

"Du hast dich darauf festgelegt, mich als dein erstes Kind zu haben", kam Anthelias von Wut getragene Gedankenantwort. "Du fängst an, mich Lia zu nennen. Wann fängst du an, mir Wiegenlieder vorzusingen oder mir vorzuschwärmen, was für eine schöne Welt mich erwartet?"

"Wenn ich sicher sein kann, daß du mich auch ohne das Medaillon hören kannst", erwiderte Daianira hörbar und gab an ihre Cousine weiter, was die gerade machtlose Nichte Sardonias gefragt hatte.

"Apropos Wiegenlieder, Daianira. Besser du gehst jetzt schlafen. Du merkst es nicht, wie es dich anstrengt, für zwei zu essen und zu atmen und dann noch die heftigsten Zauber auszuführen", kehrte Leda wieder die Heilerin und Hebamme heraus.

"Außerdem wirkt mein Gürtel der Lebenserhaltung nur, wenn der ihn tragende Körper acht Stunden durchschläft", fügte Anthelia mißmutig hinzu. Daianira wußte das zwar schon, konnte es aber ruhig noch einmal hören.

__________

"Ich wollte nur mit Euch sprechen, um Euch von Angesicht zu Angesicht mitzuteilen, daß ich Eure Bedingung erfüllt habe", sagte Proserpina Drake, als sie im Versammlungsraum der schweigsamen Schwestern auf einem Stuhl saß und die weißblonde Hexe mit der goldenen Halbmondbrille entschlossen anblickte. Diese nickte ihr zu.

"Ich hörte es. Gratulation! Du bist in der siebten Woche, nicht wahr?"

"Sogesehen in der vierzehnten", knurrte Proserpina leicht verdrossen. "Schwester Hebe hat festgestellt, daß es zwei werden. Ich habe ihr nicht erzählt, daß ich auf eine Tochter hinarbeiten sollte."

"Und jetzt werden es zwei", erwiderte Sophia Whitesand lächelnd. Proserpina nickte. Innerlich verwünschte sie diese uralte, herzensgute Hexe, daß sie ihr diese Bedingung abgenötigt hatte. Andererseits war es nach den anfänglichen Unstimmigkeiten mit ihrem Mann kein großes Problem gewesen, seine Langeweile durch abwechslungsreiche Liebesspiele zu verdrängen. Im Moment war er zwar wieder mißgestimmt, weil er sich als Zuchthengst vorkam. Doch auch das würde sich wieder geben, wenn die wohl zwei Mädchen gesund auf der Welt waren.

"Dann sehe ich das richtig, das Schwester Hebe dir beistehen wird?"

"Seitdem der Emporkömmling anfängt, auch die Heiler mit Muggel in der Ahnenlinie zu jagen ist sie genauso in Deckung gegangen wie meine Familie und ich."

"Gut, dann kann Patience sich weiter verborgen halten", stellte Lady Sophia fest. "Neues aus Hogwarts?"

"Die Carrows wüten weiter, und Snape hat nun endgültig jeden Hogsmeade-Ausflug verboten, seitdem jemand es geschafft hat, Alecto Carrow mit einem auf Filch abgestimmten Liebestrank zu behexen, der eindeutig von den Weasley-Zwillingen erfunden wurde. Nach dem, der das gemacht hat wird noch gesucht."

"Lea war das nicht?" Fragte Sophia leicht ungehalten klingend.

"Natürlich nicht, Lady Sophia", beteuerte Proserpina Drake gleich. "außer als sie Julius Andrews geholfen hat, seine Freunde aus der Schule zu holen, beteiligt sie sich nicht mehr an Aktionen gegen die Carrows, vor allem solchen, die albern sind und den Schülern nur noch mehr Ärger einbrocken."

"Nun, die beschleunigte Alterung könnte ihren Vorwitz verstärkt haben", entgegnete Lady Sophia. Dann holte sie ein kleines Päckchen hervor. "Übergib ihr diesen von zwei Zweiwegspiegeln zu Weihnachten, falls Lea von sich aus beabsichtigt, nach Hogwarts zurückzukehren. Falls sie jedoch findet, daß nichts weiteres mehr dort geschieht, was unsere Aufmerksamkeit verdient und den Einsatz ihres Lebens lohnt, gib mir den Spiegel nach Weihnachten zurück!"

"Mit wem steht Lea in Kontakt, wenn sie ihn nimmt, mit Euch?"

"Nein, nicht mit mir. Ich erhalte auch so genug Informationen aus England." Das Wort England ließ bei Proserpina die richtigen Saiten erklingen.

"Ah, Ihr möchtet, daß Lea und Julius miteinander reden können?"

"Es kann nicht schaden, wenn deine Tochter einen gleichaltrigen Gesprächspartner hat, solange sie ihr Gespensterdasein fristen muß. Außerdem haben die beiden sich gut ergänzt, als dieses unsägliche Erpressungsmanöver von Umbridge und Snape ausgeheckt wurde. Darauf möchte ich gerne aufbauen."

"Ich garantiere nicht, daß Lea nach Hogwarts zurückfährt oder den Spiegel haben will", sagte Proserpina. "Vielleicht möchte sie doch besser zu Hause bleiben."

"Das denke ich nicht", grinste Lady Sophia. "Ihrer Mutter beim Austragen von Zwillingen zuzusehen und sich von ihrem Vater anzuhören, daß er sich benutzt fühlt - womit er sogar in gewisserweise recht hat - wird ihr auf Dauer zu langweilig sein."

"In ein paar Tagen kommen die Schüler nach Hause. Hoffentlich kann Lea mitfahren."

"Sie kam hin. Dann kommt sie auch wieder zurück", erwiderte Sophia sehr zuversichtlich. Proserpina nickte verhalten und bat um die Erlaubnis, sich entfernen zu dürfen. Sophia nickte ihr zu. Als Proserpina disappariert war kehrte die Sprecherin der schweigsamen Schwestern Großbritanniens und nach Harry Potter am meisten gejagte Person in ihr gut geschütztes Heimattal zurück.

__________

Marisa erwachte mit brummendem Schädel und trockenem Mund. Damit hätte sie doch rechnen müssen, daß ihre hinterhältige Tante diese K.O.-Pistole immer noch hatte. Damit hatte die einmal einen ihr körperlich überlegenen Zuhältertypen für eine Stunde ausgeknipst. Eine Stunde? Sie war leichter als dieser Bullemann von damals. Das hieß dann doch ... O dieses Gebrumm in ihrem Kopf! Sie lauschte. Doch zu hören war nichts. Sie versuchte, aufzustehen. Da stellte sie fest, daß sie an die Heizung gekettet war. Wo war dieses Biest, zu dem sie Tante sagen mußte? Dann fiel ihr wieder ein, was sie vorgehabt hatte. "Milton!" Rief sie und zerrte an ihren Handfesseln. Dieses Dreckstück hatte doch nicht echt ... "Milton!" Rief sie erneut. Keine Antwort. Sie blickte sich um, soweit ihr angeketteter Körper das zuließ. Die Schlafzimmertür war verschlossen, und davor lagen Miltons Sachen achtlos auf den Boden geworfen. "Te voy a matar!" Schrie sie. Das hieß "Ich bring dich um!" Und um zu bestätigen, wen genau rief sie noch den vollständigen Namen ihrer Tante aus. Doch die gab keine Antwort. Konnte sie auch nicht, wenn sie im Schlafzimmer war, daß Milton bewußt schalldicht verkleidet hatte. Pure Wut stieg in der jungen Frau hoch. Sie dachte daran, daß Milton wohl weil er eh nicht weglaufen konnte alles mit sich machen ließ, das vielleicht sogar genoß. Ihre Tante Lolita würde diesen Tag nicht überleben, schwor sie sich. Sie hatte ihren Geliebten an sich gerissen und trieb es jetzt gegen dessen Willen mit ihm. Nachher fand der das noch anregend und wollte nur noch von dieser Furie vernascht werden.

"Bitte, genug jetzt", keuchte Milton und wand sich, um die neuerliche Annäherung der rothaarigen Hexe zu vereiteln. Sie hatte ihn in ihrer Gewalt. Früher hatte er immer darüber gelacht, wenn er sich vorstellte, wie das sein sollte, wenn eine Frau einen Mann vergewaltigte. Jetzt wußte er, daß das eigentlich nicht anders lief als wenn Männer sich Frauen krallten. Betäuben, fesseln, rannehmen. Die da über ihm liebte ihn nicht. Sie wollte nur zeigen, daß sie die stärkere war. Er hatte mehrmals versucht, ihr irgendwo hinzubeißen. Das hatte sie damit gekontert, daß sie ihm ihre Zähne tief ins Fleisch gegraben hatte und dann noch behauptet, daß sie ihn ganz verschlingen würde. Am niederschmetterndsten aber empfand er, daß er trotz allen aufgebotenen Widerwillen wieder und wieder selbst zum Höhepunkt kam. Dieses Weib war nicht nur irre, sondern begabt, seinen Körper für sich zu begeistern. Endlich ließ sie von ihm ab und legte sich neben ihn.

"Ja, zumindest in der Hinsicht hast du meine Nichte gut unterhalten können", säuselte sie, bevor sie nach einer Zigarettenschachtel und dem Feuerzeug auf dem Nachttisch langte. Auch das noch, dachte Milton. Marisa und er hatten sich das Rauchen abgewöhnt und dabei festgestellt, daß sie dadurch mehr Ausdauer und Luft hatten. Hoffentlich empfand sie es nicht als Krönung ihrer Folter, ihm so einen Glimmstengel in den Mund zu schieben. Doch dann konnte er sie fertigmachen, wenn er ihr das Ding an den Körper drückte. Als sie die Giftnudel zum brennen gebracht und sich wieder neben ihn gelegt hatte hauchte sie ihm Komplimente zu, wie sie es mit ihm empfunden hatte und daß er sich seine Freiheit redlich verdient habe. Er fühlte sich nur ausgelaugt, benutzt und schmutzig.

"Vielleicht sollte ich dich auch einpacken und mitnehmen, damit meine Mädels nicht jedem Männerhintern hinterherglotzen müssen. Die kleine Isa hätte es mal wieder nötig."

"Du bist 'ne Hure, aber ich nicht", schnarrte Milton.

"Dafür hast du mich aber ordentlich bedient, Cariño", schnurrte sie mit der Kippe zwischen den Zähnen. "Wäre bestimmt noch besser gelaufen, wenn ich nicht darauf hätte aufpassen müssen, daß du mir nichts böses tust."

"Du bist 'ne feige Sau. Mit Betäubungspfeilen schießen kann wirklich jeder Pimpf", knurrte Milton.

"Du hattest auch eine Knarre, Süßer", grinste sie. "Aber lassen wir das. Ich habe gekriegt was ich will. Gleich packe ich Marisa ein und nehme sie mit nach Hause. Du schläfst dich erst einmal aus, und kannst gerne zu den Cops und mich verpfeifen. Aber das wird nichts mehr daran ändern, daß ich dich hatte, und du ab heute keine andere mehr so nahe an dich ranlassen wirst, weil ich sofort bei dir bin."

"Darum ging's dir, du Aas. Du wolltest mir die Lust verderben, weil du Hexe es nicht kapieren wolltest, daß Marisa euch Schlampen satt hat und ..." Er stockte mitten im Satz, weil ein Schatten vor dem dreifach verglasten Fenster auftauchte. Zwar hatte Lolita den Rolladen heruntergelassen. Trotzdem wurde es für einen Moment noch dunkler im Zimmer. Dann krachte etwas mit der Urgewalt eines stählernen Rammbocks gegen die Außenwand. Die Fensterscheiben klirrten, hielten aber noch. Doch der Rahmen verzog sich leicht. Das Zimmer wackelte. Dann hörte er ein leises Brummen, das wie ein Sturzkampfbomber aus einem Kriegsfilm heranbrauste, bevor wieder etwas mit Getöse gegen die Außenwand krachte. Irgendwas wollte mit Brachialgewalt in diese Wohnung, etwas, daß fliegen konnte. Denn hier oben im achtzehnten Stockwerk konnte unmöglich wer eine schwere Ramme ansetzen. Es sei denn ... Rums! Der dritte Anprall ließ endlich die sonst so bruchsichere Dreifachverglasung zerspringen. Laut krachend zerbrach etwas die Jalousien und riß sie fort. Tageslicht sickerte herein. Ein Großteil davon wurde von etwas zurückgehalten, das nun vier gewaltige Hände in den Fensterrahmen stemmte und dann mit lautem Dröhnen wie von einem Propellerflugzeug zurücksprang, wobei der Metallrahmen knirschend und kreischend aus der Wand gerissen wurde. Lolita Henares, die bis zum ersten Anprall ihre Überlegenheit ausgekostet hatte saß kerzengerade auf dem französischen Bett. Wieder brummte das gigantische Etwas von außen heran und stemmte vier Arme ins Mauerwerk. Mit einem Ruck brachen große Brocken heraus und fielen nach außen fort. Und jetzt glaubte Milton, nach dem Alptraum seiner Vergewaltigung in die Hölle selbst zu blicken. Ein Kopf, bald so groß wie sein ganzer Körper, schob sich herein. Auf dem riesenhaften Gesicht konnte er ein triumphales Grinsen sehen. Das Gesicht kam ihm zu vertraut vor, als sich zu irren und war doch so entsetzlich anders.

"Ach, die gute Lolita ist auch da. Was hattest du denn mit meinem Süßen zu schaffen, Alte?" Donnerte eine Stimme wie ein Baß in das Schlafzimmer hinein. Lolita Henares erwachte aus ihrer Erstarrung und tauchte nach ihren Sachen. Doch eine mächtige Hand schnappte nach ihr und hob sie auf wie eine Strohpuppe. "Dich habe ich hier zwar nicht erwartet, kleine Lola. Aber du bist eine nette Dreingabe." Lolita pflückte die noch brennende Zigarette aus dem Mund und drückte sie auf dem harten Finger aus. "Neh, Zorra vieja, das macht mir nix mehr aus", dröhnte die Baßstimme durch das Zimmer. Milton vermeinte, ein erheitertes Lachen herauszuhören. Dann verschwand die Hand mit der nun heftige Tritte und Schläge austeilenden Lolita durch die aufgebrochene Wand. Milton hörte das Surren von etwas nach oben steigen. Er dachte an den Stillen Alarm, der bei einer geglückten Fensteröffnung durch unbefugte die Polizei auf den Plan rufen konnte. Doch was da gerade mit Lolita Henares verschwunden war war wohl zu viel für jede Polizei. Wie lange mochte es dauern, bis die Freunde und Helfer anrückten. Zu lange, erkannte er mit blankem Entsetzen, als er das Motorflugzeugartige Brummen wieder hörte, das sehr schnell sehr laut wurde. bis diese vier Riesenarme und der ungeheuerliche Kopf ins Schlafzimmer vorstießen. Jetzt gab es keinen zweifel mehr. Das dunkelblonde Haar, das nun wie eine dichte Löwenmähne beschaffen war, die Augen und die Nase, Das war der Kopf von Valery Saunders, seiner Ex-Freundin.

"Wußte gar nicht, daß du auf Fesselspielchen stehst, Milton. Aber wenn du denkst, ich würde dich mit dem ganzen Bett da rausholen täuschst du dich." Sie packte das Bett, zog es nahe genug heran und brach mit ihren vier Armen die Pfosten ab, an die Milton gefesselt gewesen war. Milton wollte gerade aufspringen, als ihn eine der Monsterhände um den Brustkorb ergriff und ihm die Luft aus den Lungen zu drücken drohte. "Ich bin so froh, dich endlich gefunden zu haben. Eigentlich wollte ich nur klarstellen, daß du mit keiner mehr rummachst. Aber ich habe jetzt was viel besseres auf Lager, für dich, dieses Flittchen Marisa und ihre nuttige Tante. Also hopp!" Mit diesen Worten griff ihn das Monstrum mit Valerys Kopf und Oberkörper und zog ihn in null komma nichs durch das Loch in der Außenwand. Sofort ging es steil nach oben, vorbei an den obersten drei Stockwerken. Milton fand weder Luft noch Gelegenheit zu schreien. Er konnte nur eine Frau sehen, die hinter einem der Fenster kreidebleich nach draußen schaute. Dann war auch schon das abgeschrägte Dach unter ihnen. auf einem Schornstein hockte nackt und bibbernd Lolita Henares. Wortlos pflanzte ihn das Ungetüm, von dem Milton bisher nur Kopf und Oberkörper gesehen hatte neben seine menschliche Peinigerin auf den Kaminrand, bevor es mit einer schnellen Wende zum Dachrand zurückpreschte und laut surrend in die Tiefe stürzte.

"Que pesadilla!" Rief Lolita.

"Das kann's nicht geben", rang sich Milton einen Satz ab. Dann sah er Lolita Henares an und meinte: "Na, auch eine Scheißangst, du Biest?"

"Es Brujería", stammelte sie.

"Daß du 'ne Hexe bist ist klar", knurrte Milton. "Aber was ist das für'n Biest, das mit Valerys Kopf rumläuft und ..." Von unten erklang ein schriller Schrei und das wilde Brummen. Milton sah sie nun genau. Es war ein mindestens fünf meter großes, geflügeltes Ungetüm, das aussah, als hätte jemand Valerys obere Hälfte mit dem Körper einer Wespe oder einer Honigbiene verschmolzen. Das durfte es nach wissenschaftlichen Kenntnissen nicht geben. Da flog die Kreatur auch schon heran. In einer Hand zappelte Marisa, deren Hände noch gefesselt waren. Ihre Sachen waren Nass. Milton konnte Brandverletzungen im Nacken und am Hinterkopf sehen. Dann warf das Insektenmonster aus der Hölle Marisa hoch, klemmte sie sich unter einen der hinteren Arme und stieß auf Lolita und Milton herab. Bevor sie sich versahen hatten die zwei Vorderarme sie umschlungen und an den wild vibrierenden Leib des Scheusals gerissen. "Da haben wir sie alle", hörten sie die Alptraumausgeburt frohlocken, bevor sie meinten, in einen wilden schwerelosen Farbenwirbel hineinzustürzen, aus dem sie nach einer unfaßbaren Zeitspanne wieder herausfielen und in eine Höhlenöffnung hineinbugsiert wurden. Lautes Brummen, Schaben, Zischen und Knirschen war zu hören. Dann konnte Milton noch das Muhen verzweifelter Kühe und Quieken panischer Schweine hören. Daneben drangen noch merkwürdige Quieklaute wie Rufe hohl und unheilvoll an seine Ohren. Wo waren sie denn hier? Langsam glaubte er auch, was Lolita gerade gemeint hatte. Das alles konnte nur durch bösen Zauber, schwarze Magie und Hexerei erklärt werden.

"Hört ihr die Rufe. Das sind meine neugeborenen Babys", brummte die unheilvolle Verschmelzung aus Mensch und Insekt. Dann schob sie die drei Entführten in eine große Halle, in der Dutzende von Abscheulichkeiten gruben, bauten und forttrugen. Sie ähnelten der Schreckenskreatur, die sie mit brutaler Gewalt aus dem Haus verschleppt und wohl wie hingebeamt an diesen Ort getragen hatte. Milton sah im schein eines Holzfeuers gelblichbleiche Gebilde, die metergroßen Zellen eines Bienenstocks glichen. Die Abscheulichkeit, die Valerys Oberkörper hatte trug die drei zu weit offenstehenden, sechseckigen Kammern. "Alle auf einmal schaffe ich wohl nicht, auch wenn es bestimmt spaß macht, euch in den letzten Minuten zu vereinen. Abgesehen davon stören die Handschellen. Deshalb kommt ihr zwei erst einmal da rein." Sie warf Marisa und Milton in offene Zellen. Sofort rückten die kleineren Ungeheuer heran und verschlossen die Zellen bis auf kleine Luftritzen. Milton rief laut, was das sollte. Doch er bekam keine antwort. Stattdessen hörte er Lolita vor Entsetzen schreien. Er versuchte, die Außenwand einzudrücken. Doch die war zu fest. Er spähte durch die Luftschlitze und sah gerade noch, wie Lolitas Füße im zum Maul gewachsenen Schlund Valerys verschwanden. Lolitas Schreie wurden leiser. Er sah, wie der riesige Schädel ruckte und zuckte. Die Schreie wurden leiser, bis sie dumpf und schmerzverkündend wie aus einem tiefen Schacht erklangen. Milton fühlte, wie ihm die Knie weich wurden. In seinen Ohren waren im Moment nur Lolitas Todesschreie. Wie schnell hatte seine Peinigerin eine üble Strafe ereilt. Auch wenn sie ihn in der letzten Stunde gedemütigt und zu unfreiwilligen Wallungen getrieben hatte mußte er sie jetzt doch bedauern. Dann gefror ihm das Blut in den Adern. Was Lolita passiert war würde auch Marisa und ihm blühen. Vielleicht nicht gleich, vielleicht nicht in einer Stunde. Aber daß er in dieser übergroßen Bienenwabe saß wie ein Mörder in der Todeszelle, das war ihm so klar wie lange nichts mehr.

"Was ist das hier. Was passiert hier?! Tía Lolita!" Hörte er Marisa aus einer anderen Zelle hohl und kläglich rufen. Immer noch konnten sie gequälte Laute hören, die eindeutig von Lolita Henares stammten. Milton erhob sich und spähte noch einmal durch die Luftschlitze. Er sah, wie das Ungeheuer zu einem Stollen kroch und dort verharrte.

"Marisa, hast du gesehen, was passiert ist?" Fragte Milton.

"Nein, habe ich nicht", rief Marisa. "Ich auch nicht!" Log Milton. Seiner Freundin zu erklären, was mit ihrer Tante passiert war überstieg selbst sein Fassungsvermögen.

"Die wird gerade von mir verdaut", gröhlte die Stimme dieser Mörderbiene. Marisa schrie laut auf und gab dann keinen Laut von sich. Offenbar hatte diese Höllenkreatur genau das bestätigt, was Marisa von den Geräuschen her schon befürchtet hatte.

"Verdammt, was bist du?" Fragte Milton. "Was für ein Geschöpf bist du?!"

"Ich bin's Valery, Milton. Die Valery, die du so fies abgefertigt hast. jetzt bin ich die Mutter und Königin dieser Wesen hier und kann mächtiger werden, wenn ich leute lebendig runterwürge", kam eine Antwort, die Milton bestimmt nicht hören wollte.

"Du bist nicht Valery!" Rief Milton. "Irgendwer hat Valerys Gene mit so einem Monster verklont. Das kann's doch nicht geben."

"Habe ich auch nicht glauben wollen, als mich diese blonde Hexe mit ihrem zauber erwischt und in das verwandelt hat, was ich jetzt bin. Macht aber auch Spaß, so zu leben."

"Das kann doch alles nicht wahr sein!" Schrie Milton.

"Gib ruhe, Milton. Das bringt dir eh nichts mehr", donnerte die Stimme seines sicheren Todes. "Du hast mich damals sehr fies verladen, ohne dir einen Kopf zu machen, wie ich mich dabei fühle. Jetzt ist Zahltag, Süßer. Diese Lolita Henares hat's auch nicht besser verdient. Und jetzt gib Ruhe, ich muß noch ein paar neue Babys in die Startlöcher setzen."

"Marisa, hörst du mich noch?!" Rief Milton. "Sei still, hat die große Mutter gesagt", zischte eine eiskalte Stimme. Durch den Luftschlitz konnte er eine Insektenfrau erkennen, die gerade dabei war, einen Stapel Felsen weiterzureichen. Milton trat gegen die Mauer aus Wachs. Doch es passierte nichts. Zwischendurch hörte er lautes Schnaufen und ein baucherschütterndes Rasseln und Glucksen und einen baßlastigen Unmutslaut hart an der unteren Hörbarkeitsgrenze. Da Lolita Henares ihm alles abgenommen hatte konnte er nicht auf die Uhr sehen, wie viel Zeit verging oder ihm noch verblieb. Er dachte an seine Eltern, mit denen er seit bald zwei Jahren kein Wort mehr gewechselt hatte. Würden sie erfahren, was passiert war? Würden sie das überhaupt glauben? Vielleicht war bereits die Polizei in seiner Wohnung und fand dort Spuren, die sie nicht erklären konnte. Wer würde denn auch glauben, daß ein außerirdisches Rieseninsekt, ein geklontes Monster oder ein Dämon aus der Hölle dort eingefallen war.

__________

Dieses rothaarige Weib hatte ihr zwar eine Menge neue Kraft gegeben. Aber irgendwas in der ließ sie andauernd aufstoßen und Magenkrämpfe kriegen. Dann fiel es Valery ein, daß sie beim Runterschlucken einen schalen Nachgeschmack von Nikotin auf der Zunge verspürt hatte. Diese... Rülps! ... Lolita mußte ja wie ein Schlot gequalmt haben. Wehe wenn Marisa und Milton auch mit diesem Zeug vergiftet waren! Keuchend setzte Valery zwölf weitere Eier ab. Lolitas Leben hatte ihr trotz der Nachwirkungen reichlich Legeleistung verschafft. Da konnte dieses Flittchen ... Brrb! ... drauf stolz sein. Dann endlich war ruhe, so nach drei Stunden. Milton und Marisa gaben keinen Ton von sich. Ihre Kinder hatten für einige Minuten die Luftschlitze zugeschmiert, um sie in Ohnmacht fallen zu lassen. Das hatte sie rausgefunden, daß man die Lebendbeute so einige Zeit ruhighalten konnte. Aber gleich ... noch zwei Eier raus ... würde sie die Nichte der Tante hinterherwerfen. Oder sollte sie noch einen Tag warten, bis sie beide hintereinander einwerfen konnte? Das würde bestimmt spaßig, die beiden zusammen in ihrem Leib schreien zu hören, bis sie langsam zersetzt wurden. Inzwischen trugen Weibchen vom Ammendienst die Tonnenpuppen in andere Zellen, um sie dort zur Endform wachsen zu lassen. Valery war klar, daß ihr Auftritt mitten in einer Stadt die Polizei und womöglich auch die Armee auf den Plan rief. Sie würde wohl vorerst nicht mehr in die großen Städte gehen.

__________

"Was?!" Rief Zachary Marchand, als er den Bericht von Unfallumkehrzauberern erhalten hatte. "Dieses Biest ist in ein Hochhaus reingekracht, hat eine halbe Wand eingerissen und die beiden Bewohner und eine Besucherin, die einige Nachbarn gesehen haben wollen entführt? Das heißt nichts gutes." Über Zaubereiminister Wishbone erbat er sich die Erlaubnis, selbst nach Barstow, Kalifornien zu reisen, um die Spuren zu sichten. Über seinen guten Kumpel Edwin Portland, der durch Wishbones Hexenaussortierungswut mehrere Stufen auf der Erfolgsleiter nach oben gefallen war, kam er sogar an die Nutzungserlaubnis für eine der wenigen Rückschaubrillen, die mittlerweile zum Standarduntersuchungswerkzeug des Ministeriums gehörten. Das hatte Cartridge noch hingekriegt, daß aus Frankreich mehrere dieser Brillen gelifert wurden, im Austausch gegen mehrere Harvey-Besen. So konnte er nicht nur die sichtbaren Spuren prüfen, sondern bis zu achtundvierzig Stunden in die Vergangenheit sehen, möglicherweise das Etwas verfolgen, das gewütet hatte. nach detaillierter Ortsbeschreibung schaffte es Zachary, genau hinter der Wohnungstür zu apparieren. Er wunderte sich nicht, daß sowohl die Eheleute Ross von der Liga zur Abwehr dunkler Künste wie auch Madam Evangeline Peppermill vom Marie-Laveau-Institut anwesend war. John Ross trug mal wieder seinen texanischen Cowboyhut, während seine Frau Alexis bereits mit Spürzaubern auslotete, ob hier Magie freigesetzt wurde und welche das dann war.

"Ach der Herr Bundesermittlungsagent ist auch da. Howdy, Zach", grüßte John den muggelstämmigen Zauberer, der als Geheimhaltungsfeuerwehrmann beim FBI angestellt war.

"Fast das ganze Prominentenalbum der Abwehrzauberer, wie?" Fragte Zachary Marchand. Madam Peppermill, eine zierliche, schwarzhaarige Hexe mit großen Brillengläsern nickte Zachary zu und meinte in ihrem Kalifornienakzent:

"Könnte sein, daß die hier in den Staaten gezüchteten Brutköniginnen ihre Brut reingeschickt haben. Lex prüft das gerade nach, ob hier entsprechende Nachschwingungen zu messen sind. Klar ist, daß etwas schweres, großes und starkes gegen die Außenwand des Schlafzimmers gekracht ist."

"Ich kann einen Hauch von Biofusionsmagie finden. Hier war wirklich was magisch belebtes", sagte Alexis Ross. Ein anderer Zauberer kam soeben aus dem Schlafzimmer und legte eine grüne Daunenhose, schwarze Glitzerstiefel, einen grünen Wintermantel, eine schwarze Bluse und dito Seidenunterwäsche hin.

"Schade, daß der Zauber noch nicht erfunden ist, mit dem man Leute herzaubern kann, von denen man ein Kleidungsstück hat", meinte Zachary Marchand. Vor Thorntails hatte er wie die meisten Kinder magieloser Eltern Geschichten über Zauberer und Hexen als Märchen angesehen. Da hatte er auch eine Gehört, wo ein Zauberer diesen Trick zwar konnte, jedoch einmal scheiterte, weil das Kleidungsstück den rechtmäßigen Besitzer herbeizitierte und nicht den, der es vor kurzem getragen hatte.

"Kannst du doch machen, Zach. Du hattest bei Bullhorn doch ein O, wenn ich mich nicht täusche", meinte Alexis Ross. Sie war ja mit ihm in Thorntails gewesen.

"Wohl eher was für Verwandlung", erwiderte Marchand. "Professor Unittamo hätte mich zwar gerne in den UTZ-Klassen gehabt, mußte aber wegen des großen Andrangs doch alle A-ZAGler abweisen."

"Wie dem auch sei, die Damen und Herren. Die Frage ist doch, warum nur diese Wohnung angegriffen wurde und zu wem die abgelegten Kleidungsstücke gehören."

"Das große Bett ist regelrecht zerlegt, und die Pfosten durchgebrochen. Ich konnte Spuren von Eisenschellen finden, als wenn jemand ans Bett gefesselt worden wäre", sagte einer der Unfallumkehrzauberer.

"Die Muggel kommen manchmal auf die perversesten Ideen für ihre Liebesspiele", naserümpfte Madam Peppermill.

"Könnte hinkommen. Wir haben entsprechende Anzeichen im Bett gefunden", knurrte der Unfallumkehrzauberer. Marchand wurde sofort aktiv. "Okay, dann zieht das Lotterbett mal ab und bringt die Wäsche in die HPK, abteilung Physiorekonstruktion. Dann kriegen die raus, wie die aussehen. Warum ist das eigentlich hier so naß?""

"Die Heizung war leck. Irgendwas hat ein Rohr durchgebrochen. Wir haben das Wasser mit Spurschwämmen eingesammelt, um zu klären, ob da noch was anderes außer Öl- und Lackspuren drin war."

"Leute wißt ihr was, ich guck mir das jetzt an, was passiert ist, wenn alles, was präsente Spuren trägt aus dem Weg ist."

"Ach, die Wunderbrille aus Millemerveilles?" Fragte Madam Peppermill belustigt. "Unser Boss bearbeitet immer noch die Liga dort. Aber im Moment mußten die ja alle die Köpfe einziehen, weil die so einen überängstlichen Aktionisten im Ministerium haben."

"Der alle, die nicht seiner Meinung sind in Strafkolonien verschwinden läßt, Madam Peppermill", seufzte Zachary Marchand. "aber ich kann in Ihrem Namen noch mal eine Anfrage für das LI stellen."

"Funktioniert das denn jetzt wieder mit dieser Elektropost?" Fragte Alexis, die die letzten Spurbestimmungszauber abgeschlossen und die Ergebnisse notiert hatte.

"Seit dem die da Solarstrom haben geht das ganz gut", erwiderte Zach stolz.

"Seitdem irgendwo in Jane Porters Haus ein gemaltes Selbst von ihr aufgetaucht ist haben wir auch wieder Kontakt in alle wichtigen Institutionen", sagte Evangeline Peppermill zufrieden lächelnd.

"Ich seh mir mal an, was hier passiert ist. Paßt auf die Muggel auf, die nachgucken wollen, was hier vorgefallen ist. Und denkt euch schon mal eine Tolle Geschichte aus, was hier passiert ist! Nachher müssen wir noch eine Gasexplosion fingieren mit Feuer und Ruß."

"Nur Pech, daß die hier mit Öl geheizt und mit Elektrostrom gekocht haben", grummelte John Ross. Währenddessen setzte Zachary Marchand die besondere Brille auf und begann im dreifachen Tempo die Zeit rückwärts laufen zu lassen. Er erschauerte, als er mitbekam, wie zuerst eine junge, rothaarige Frau von einer monströsen Insektenkreatur mit Frauenkopf von einer Heizung fortgerissen wurde und dann ein junger Mann, sowie eine nackte Rothaarige, die der anderen ähnelte, das es ihre Schwester, Cousine oder Tante sein konnte. Er erlebte in schneller Rückschau, wie die ältere der rothaarigen die beiden Wohnungsinhaber außer gefecht setzte, spulte kurz vor, um zu sehen, was im Schlafzimmer geschah und bekam dort auch mit, wie jenes Insektenwesen das an und für sich bruchsicher aussehende Fenster aus der Wand riß und dann die beiden entführte. Er trat an das Fenster und sah hinaus und zeitlich ungefähr eine halbe Stunde zurück. "Die können wir nicht verfolgen. Die kann apparieren", schnarrte er, als er seinen Kollegen berichtete, was er gesehen hatte. Dann ließ er den Rücklauf noch einmal anspringen und erwähnte, daß er nachprüfen wolle, woher die ältere Rothaarige gekommen war. Zwar dachte er, daß diese wahrscheinlich schon tot war. Aber womöglich hatte sie sich vorher noch mit wem getroffen. Er wollte unbedingt wissen, wer sie war. So verließ er die Wohnung und folgte der Nachbetrachtung der knapp dreißig Jahre alten Fremden in den Wintersachen zum Aufzug, hinunter aus dem Haus, wobei er aufpassen mußte, nicht die gegenwärtigen Hindernisse zu übersehen und fand eine Stelle, wo vor zwei Stunden noch ein Bus gestanden hatte, prägte sich die Gesichter von drei jungen Frauen puertorikanischer Abstammung ein und folgte zunächst zu Fuß dem Bus. Dann befand er, besser auf einem Harvey-Besen hinter dem Bus herzufliegen und lud Madam Peppermill ein, die den ihr bereitgestellten Besen aus dem Institut mitgebracht hatte. So gelang es ihm, den verbeulten VW-Bus zu verfolgen, der auf eine der Bundesfernstraßen abbog. Er ließ die betrachtete Zeit etwas schneller ablaufen, um die Geschehnisse schneller der Gegenwart anzunähern.

"Wie weit zurück liegen die Bilder, die Sie sehen, Zachary?" Fragte Madam Peppermill, die hinter ihm auf dem Besen saß.

"Jetzt sind es nur noch zwanzig Minuten. Bei unserer Geschwindigkeit holen wir sie jede Minute um zwei Minuten ein. Also in zehn Minuten müßten Sie den Bus auch sehen können, wenn er nicht irgendwo anhält."

"In welche Richtung geht es denn?"

"Chicago, würde ich sagen. Dann haben die aber heute noch ein ganzes Ende zu fahren."

"Und was machen wir, wenn wir sie erwischen?" Fragte Madam Peppermill.

"Die Vergissmichs anfordern und sehen, wer das war, die ich in der Wohnung gesehen habe."

Wenige Minuten später konnte die Laveau-Hexe ebenfalls einen verbeulten Kleinbus auf der Schnellstraße ausmachen. Als die betrachtete Zeit der Gegenwart entsprach legte sich bläulicher Dunst über das Sichtfeld. Zachary nahm die Brille von der Nase und folgte dem Bus, bis dieser an einem Rastplatz hielt. Zachary beobachtete, wie die drei jungen Frauen ausstiegen und im Hauptgebäude verschwanden. Er setzte einen unsichtbaren Rufzauber ab, um die Vergissmichtruppe gezielt an diesen Ort zu bringen. Da im Rasthaus zu viele Muggel waren, mußten sie warten, bis die drei wieder in den Bus einstiegen. Eine Wartezeit von einer Stunde verstrich, bis die drei wieder herauskamen und ihr Gefährt ansteuerten. Dort wurden sie von den Vergissmichs erwartet. Zachary fragte, wer die Rothaarige gewesen war. Die drei waren schlicht schockiert. Erst eine Minute später erzählte eine, die sich Juanita nannte, daß sie dieses Flugungetüm gesehen hatten, wie es in genau die Wohnung rein war, in der ihre Begleiterin verschwunden war. Da hätten sie schnell gemacht, daß sie wegkamen. Nach einer ausführlichen Beschreibung der Kreatur, die Zach eigentlich nicht brauchte, war es eindeutig eine der vermuteten Brutköniginnen, die Sardonias Erbin erschaffen hatte. Die Erkenntnis, daß diese Wesen auch apparieren konnten war erschütternd. Denn das hieß, daß sie an jedem Ort auftauchen und Schaden anrichten konnten, und jederzeit in einem Moment in ihr Versteck zurückgelangen konnten, ohne verfolgt zu werden. Wie er es nun selbst herausgefunden hatte, nützte da auch keine Rückschaubrille.

"Die Frage ist, wie können wir diese Wesen ausschalten, wenn sie auftauchen?" Wollte Madam Peppermill wissen. Denn der erfahrenen Laveau-Mitarbeiterin war sofort klar, welche Gefahr die fehlgeleitete Hexe heraufbeschworen hatte. Die Brutkönigin war gezielt auf ein Haus losgegangen, in dem hunderte von Leuten wohnten. Die drei jungen Frauen aus dem Bus hatten dieses Wesen sogar identifiziert. Sie behaupteten, eine Valery Saunders aus ihrer Gegend erkannt zu haben. Also war diese Valery Saunders ein Opfer dieser Sardonianerin. In welcher Beziehung standen die Leute aus der Wohnung, in die die Entomanthropenkönigin eingebrochen war? Da konnte eher Zachary Marchand tätig werden, weil er einer Ermittlungsbehörde angehörte, die nach Verbrechern, Spionen und vermißten Personen suchte. Sie würde gleich die Neuigkeit weitergeben. Vielleicht wußten sie da, wo die ersten Entomanthropen hergekommen waren, wie diese Wesen zu verfolgen und zu vernichten waren.

Nach der Gedächtniskorrektur der drei jungen Frauen kehrten Zach Marchand und Evangeline Peppermill nach Barstow zurück, wo bereits eine reihe fingierter Fährten für die Muggelpolizisten ausgelegt wurden. Da er gesehen hatte, daß die rothaarige Lolita, die angeblich ihre Nichte Marisa aus der Wohnung holen wollte, vier Schüsse aus der am Tatort gefundenen Beretta abgefeuert hatte, wurde eine Schießerei als Auslöser einer Explosion illegal deponierten Sprengstoffs angeführt. Das Gerücht wurde in Umlauf gebracht, daß es um einen Bandenkrieg ging. Das war wohl nicht einmal gelogen, stellte Marchand fest, als er unter dem Vorwand, die Eltern einer Valery Saunders hätten nach ihrer Tochter fahnden lassen, alle FBI-Niederlassungen angewiesen hatte, ihr Bild an den Autobahnen herumzuzeigen. Er wußte zwar, daß er dadurch nicht auf die direkte Spur des Mädchens geraten würde. Aber was dann doch noch unter dem aufgewühlten Sand der Zeit zum Vorschein kam las sich wie ein Drehbuch eines billigen Krimis, der das Thema Jugendbanden beinhaltete. den wie ein großes Puzzle Stück für Stück zusammengefügten Informationen nach hatten eine Valery Saunders, die für ihre fünfzehn Jahre ein beachtliches Strafkonto aufgehäuft hatte, mit ihrer Mädchenbande Streit mit einer Bande von Hispanos, die sich "Los Tiburones", die Haie genannt hatten. Er las über den kurzen, heftigen Krieg mit der rabiaten Mädchenbande "Las Zorras", was sowohl die Füchsinnen wie die leichten Mädchen, Schlampen oder Huren heißen konnte. Danach war Milton mit einer von den Zorras durchgebrannt, was wohl der überbehütsamen wie skrupellosen Anführerin und Miltons bisheriger Freundin Valery Saunders sauer aufgestoßen sein mußte.

"Und dieses kriminelle Mädchen mußte ausgerechnet dieser Sardonianerin in die Hände fallen und wurde zu einer Entomanthropenbrutkönigin. Das wäre, wenn man einen schwarzen Magier mit einem Drachen kreuzt", sagte Zach Marchand zu Madam Peppermill, die aus dem LI herübergekommen war, um ihn bei der Muggelfahndung zu beobachten.

"Ich wüßte gerne, welche Bienenarten die Sardonianerin verwendet hat", seufzte die Laveau-Hexe.

"Oha, das ist eine sehr wichtige Frage, Madam Peppermill", erwiderte Marchand darauf. Immerhin gab es in Amerika mehrere Arten, die aus künstlich eingekreuzten Tropenarten Afrikas stammten und die sich als wesentlich aggressiver als die aus Europa eingeführten Honigbienen erwiesen hatten. Sollte die Sardonianerin mit derartigen Bienen herumgehokuspokust haben, so mochten die Endprodukte unberechenbar bis unbeherrschbar ausfallen. Wurde dann noch eine zufällig auf der Straße abgefangene kriminelle Jugendliche in eine derartige Verschmelzung einbezogen, lautete die Frage: Absicht oder Fehler?

"Was ist eigentlich mit den Angriffen auf diese Frachtgefährte?" Fragte die Laveau-Mitarbeiterin. Zachary öffnete das E-Mail-Programm und demonstrierte ihr, wie schnell Aktenstapel um die halbe Welt geschickt werden konnten.

"Ich glaube, wir sollten das mal ausprobieren, ob meine Verbindung nach Millemerveilles schneller ist als Ihre, Zach", meinte die Expertin für Fluchbekämpfung, als sie auf der Liste der eingegangenen Nachrichten den Namen Martha Andrews las. Zachary ging nicht darauf ein. Er rief die Nachrichten ab, die aus Mexiko eingegangen waren, darunter auch der Satz Fußabdrücke, den er bereits der Zentrale in Washington zugeschickt hatte.

"Wie wird den Leuten dort die Sache erklärt?" Fragte Madam Peppermill.

"Indem die Übergröße der Fußabdrücke mit klobigen Schuhen mit Spezialsohlen erklärt wird. In einer englischen Kriminalerzählung hatte jemand Pferde mit Hufeisen beschlagen lassen, die die paarhufigen Abdrücke von Kühen vorgetäuscht haben. Der Ermittler konnte diesen Trick jedoch durchschauen, weil die die Spuren hinterlassenden Tiere Gangarten beherrschten, die Kühe nicht beherrschen."

"Damit wird dann argumentiert", erkannte Evangeline Peppermill. Zachary nickte und zeigte ihr einen der zugegangenen Fußabdrücke. Der sah wirklich wie ein menschlicher Fuß mit besonders tief in den Boden eindrückenden Zehenspitzen aus, ähnelte aber auch den winzigen Fußspuren laufender Ameisen. Zachary hatte für den Fall, optisch vergleichen zu müssen ein mit Vergrößerungsoptik gemachtes Foto einer Ameisenspur da. "Stellen wir uns vor, daß dieses Wesen sich auf die hintersten Gliedmaßen stellt, um genug Oberfläche zu haben, um den Laster umzuwerfen. Dann kommen solche Spuren heraus", erklärte er. Seine Besucherin nickte.

"Helfen wird uns diese Betrachtung nicht sonderlich, wenn wir jetzt davon ausgehen, daß dieses Monster apparieren kann", seufzte die Laveau-Hexe. Zachary nickte. Dann fragte er laut:

"Hmm, konnte dieses Wesen schon immer apparieren oder erst ab einem bestimmten Zeitpunkt?"

"Sie meinen, die Apparierfähigkeit ist nicht durch die Verschmelzung entstanden?"

"Wenn wir davon ausgehen, daß es diese Valery Saunders ist, dann ist sie eine Muggel, hat also keine nach außen wirksame Magie im Körper. Wäre die Biene mit einer Hexe verschmolzen worden, könnten wir davon ausgehen, daß sie magische Grundeigenschaften besitzt, vielleicht auch apparieren kann. Die Frage stellt sich, ob die Königinnen grundsätzlich apparieren konnten."

"Das könnte uns nur jemand erzählen, der oder die Sardonias Geheimnisse kennt", erwiderte Madam Peppermill. "Und die, die diese Geheimnisse kennt, wird es uns nicht erzählen."

"Ich frage mal nach", knurrte Zach und wählte die Funktion "Neue Nachricht" aus, suchte aus dem Adressbuch die Anschrift von Martha Andrews aus und tippte die Frage ein, ob es in Millemerveilles einen Experten oder eine Expertin für Sardonias Zauber gebe, der oder die nicht mit dieser alten Dunkelmagierin gemeinsame Sache machte. Er schickte die Frage ab. "So, die ist jetzt schon da", sagte er nach nur einer Sekunde. "Das einzige, was die Sache verzögern kann ist, daß Mrs. Andrews im Moment nicht an ihrem Rechner sitzt und erst in einigen Stunden aufsteht. Bei denen ist es ja schon mitten in der Nacht."

"Dann warten wir mal, ob meine Nachricht schneller beantwortet wird", erwiderte die Expertin vom Laveau-Institut und bedankte sich für die Vorführung. Sie verließ das FBI-Gebäude in New Orleans auf ganz gewöhnliche Weise. Ein als Taxifahrer getarnter Mitarbeiter des Institutes fuhr sie zur Stadt hinaus, wo er den Wagen per Transitionsturbo in das Sumpfland überwechseln ließ. Von dort aus disapparierte sie, um sich einen Besen aus der Lagerhalle zu holen. Zur gleichen Zeit nutzte Marchand die Internetverbindungen, um sich über die Entstehung der sogenannten Mörderbienen schlauzulesen. Was er dabei erfuhr machte die Angelegenheit Brutkönigin und Valery Saunders nicht erträglicher. Er verstand zumindest, weshalb es in der Zaubererwelt sehr stark eingeschränkt wurde, gewöhnliche Tiere zu magischen Geschöpfen zu kreuzen. Auch ohne Magie war das ein sehr riskantes Unternehmen. Dabei fragte er sich, ob die Sardonianerin bewußt oder ganz ohne Wissen eine solche aggressive Bienenart benutzt hatte. Falls es absicht war, dann wollte sie eine gefährliche Streitmacht ohne Hemmungen erschaffen. Falls es ein Fehler aus Unwissenheit war, so mochte sie damit eine auch von ihr nicht mehr zu bändigende Zauberwesenart erschaffen haben, die im schlimmsten Fall den Menschen von der Erde verdrängen konnte. Wenn er dann noch die Geschichten von den magieresistenten Schlangenwesen bedachte, fragte er sich: "Wielange sind wir Menschen noch erwünscht?"

_________

Einen Tag hatte Valery gebraucht, um sich von den Nachwirkungen ihres letzten Mittagessens zu erholen. Immerhin hatte sie hundert neue Eier gelegt, weitere zwanzig erwachsene Angehörige ihres Volkes begrüßen dürfen und ein neues Belüftungssystem für ihren Bruthort in Auftrag gegeben, das frische Luft ansaugte und dabei mit der abzuführenden Luft die Temperatur ausglich. Nein, dumm war sie wirklich nicht. Daran änderte auch die in ihren Geist eingenistete Persönlichkeit einer Bienenkönigin nichts, die nur das Volk vergrößern wollte. Zwischendurch prüfte sie mit dem Wärmesehsinn ihrer Facettenaugen, ob ihre beiden Gefangenen noch lebten. Zu essen wollte sie ihnen nicht geben. Doch wenn sie nicht bald was zu trinken bekamen würden sie ihr wertlos wegsterben. Sie fragte sich, ob sie nicht auch eigenen Honig herstellen konnten, wenn sie schon große Bienen waren. Denn die Lastwagen mit den lebenden Tieren wurden seltener, wilde Tiere waren nicht so leicht zu finden, und Menschen zu fressen wollte sie nur sich vorbehalten, weil sie fürchtete, daß ihre Kinder dann mächtiger werden könnten. Doch die beiden in den Gefangenenwaben wollte sie noch einwerfen, bevor sie ausging, nach der Hexe zu suchen, die sie zu Königin Valery I. gemacht hatte. Es ging ihr dabei keineswegs um die Rückverwandlung. Mit dem jungen Mädchen Valery Saunders war sie fertig. Es ging ihr darum, zu wissen, ob sie wirklich nur als Legebatterie für willige Sklaven und Wegwerfkrieger herhalten sollte oder ob ihr doch mehr Lebensfreiheiten eingeräumt werden sollten. Um Hexen zu finden, die sich einfach wegbeamen konnten, mußte sie wissen, wo echte Hexen und Zauberer wohnten, wenn sie nicht auf Straßen nach Opfern für ihre Versuche suchten. Sie sah Marisa Suárez durch die steinharte Wachswand. Sie würde den Streß nicht länger aushalten. Als Leiche war sie wertlos, wußte sie nun. Kurz und schmerzlos oder mit Ansage? Die Frage stellte sie sich nun. Sie hörte das Wimmern dieses Straßenmädchens, daß ihr ihren Freund weggeschnappt hatte. Aber ihre Tante hatte was drauf, sonst hätte die ihr wohl kaum dieses herrliche Gefühl der Stärke verschafft, bevor die in ihrem Fleisch abgelagerten Zigarettenschachteln nicht übles Bauchgrimmen verursacht hatten. Sie fragte sich, ob dieses Weib sich im Jenseits oder wo sie war nicht köstlich amüsierte. Doch was sollte es. Sie hatte wieder Hunger und wollte ihre fällige Rache durchziehen.

"Holt sie raus", schickte sie auf eine ihr nun so vertraute, mit Ohren nicht wahrnehmbare Weise an ihre Kinder und Untertanen. "Ihn dann auch", fügte sie noch an. Unverzüglich öffneten die Wabenhelfer die Gefangenenzellen.

"Na, du Biest. Hast du uns endlich lange genug leiden lassen?" Schnarrte Milton. Der war immer noch frech zu ihr, obwohl der wußte, daß es gleich mit ihm zu Ende ging.

"Ich weiß echt nicht, was du an der da findest, Milton", brummte ihre Stimme mit erträglicher Lautstärke. Dabei deutete Valerys vrechter Vorderarm auf Marisa, die noch in ihrer Hauskleidung steckte, während Milton so unbekleidet vor der Königin hockte, wie ihn diese andere Schlampe aufs Bett gebunden hatte. Ach ja, die Handschellen. Sie zeigte auf die Ketten und befahl zwei ihrer Söhne, die Eisenringe auseinanderzureißen.

"Sie kann mehr, sieht besser aus und liebt mich", stieß Milton hervor. "Deshalb konnte es ihre Tante, die du vor uns runtergewürgt hast nicht ab, daß wir zusammen sind. Und du kriegst das auch nicht klar, wohl auch, weil irgendwer mit dir was total verdrehtes angestellt hat. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Aber Marisa umzubringen ist sowas von billig, daß das nur einer Gossenschlampe wie der Valery Saunders einfallen kann, die in dir übergroßer Stubenfliege drinsteckt. Klar, als echtes Mädel könntest du versuchen, mich wieder rumzukriegen. Aber als Monster geht das nicht mehr. Und das kotzt dich an. Die einzige Art, meinen mit deinem Körper zusammenzutun ist, mich aufzufressen wie ein billiges Filmmonster. Ich habe keine Angst mehr vor dir. Nur, daß du Marisa umbringen willst ist schäbig."

"Schäbig?" Spie Valery ihm entgegen, daß die herumkriechenden Untertanen vor Schreck mit den Flügeln surrten. "Du hast mit mir 'ne tolle Nacht verbracht. Und als ich am nächsten Morgen aufgewacht bin lag statt dein Kopf nur so'n popeliger Abschiedsbrief auf dem Kissen. Dann kam mir Lolita quer, du hättest ihre süße Nichte mitgenommen. Wer ist hier also schäbig?"

"Du hast den Brief also nicht gelesen, Valery. Hätte ich wohl nicht voraussetzen dürfen", schnarrte Milton, der sich nun ganz straff vor ihr aufbaute, jeder Muskel angespannt. ja, er sah immer noch richtig knackig aus. Als Menschenmädchen hätte sie wohl überlegt, ob sie ihn nicht noch mal ranlassen konnte. Doch diese Schwäche hatte sie nicht mehr. Jetzt war er für sie nur noch eine ordentliche Portion für ihren vergrößerten Magen. Aber das er ihr unterstellte, nicht lesen zu können war typisch für ihn. Anstatt sich mit ihr auszusprechen war er abgehauen, und sie hatte ihn nicht verstanden.

"Was hätte ich denn da nicht verstehen sollen, Milton. Dir stank das alles, das Rumziehen mit mir, die Freiheit auf den Straßen, wo uns keiner reinzureden hatte. Ich weiß noch, wie Katy dich zu uns gebracht hat, weil du von deinen Eltern abgehauen bist, weil die dir zu spießig waren und dich bei allen Gelegenheiten runtergemacht haben wegen der Schule, dem Aussehen, deinen Freunden und so weiter. Ich wollte nur Mädels in der Gang haben. Ich weiß auch genau warum: Jungs bringen nur schlechte Stimmung rein. Aber ich habe es mit dir versucht, und wir hätten wunderbar zusammenbleiben können, wenn uns diese blöde Lolita und ihre Nuttenbande wegen der Imbiswagenkiste nicht abgeduscht hätten. Hast du da vielleicht Schiß gekriegt, daß das echte Leben gefährlich werden könnte? Daß du 'ne Kugel in die Birne kriegst, wenn du jemanden sagst, daß wir zwei zusammengehören? Oder tat dir dieser dicke Frittenbrummibändiger leid, weil ihn drei Mädchen vermöbelt haben, weil er sie immer so gierig angeglotzt hat?"

"Ihr habt den Wagen geknackt und leergeräumt, Valery. Dafür mußte der Typ lange schaffen, um das Zeug zu haben", erwiderte Milton.

"Ach, dann war das dein wiedergefundener Sinn für Anstand und Ehrlichkeit, wie? Kein Wunder, daß du keine Angst mehr vor mir hast, weil dir irgendwann bestimmt klargeworden ist, daß die ganze beschissene Menschheit unehrlich ist, vor allem die, die auf anderen herumhacken, sie wären arbeitsscheues Pack und machen jeden Tag mit 'ner oder 'nem anderen rum, saufen Alk und paffen eine Fluppe nach der andren weg, beschimpfen uns von der Straße aber als kriminelle Drogensüchtige, während die sich überlegen, wen sie demnächst über den Tisch ziehen können. Wie hast'n du gelebt, Alter. Ich konnte zwischendurch mal ins Internet. Tolle Idee, meinen Kosenamen für dich als Decknamen für ein paar linke Bettelnummern zu benutzen: ANGORA, Arbeitsgemeinschaft für Natur, globale Organisation, Rechte und Anerkennung. Hat ein wenig gedauert, bis ich dahinterkam, daß du das verzapft hast. Wußte gar nicht, daß du ein Bankkonto hast. Hat auf jeden Fall geklappt, ein paar Leute abzukochen, wie? Hättest dir sonst kaum die schnieke Wohnung leisten können. Hätte gerne mal in die ganzen Schränke reingeguckt, was du dieser Schlampe da zum Anziehen gekauft hast. Sieht die denn ausgepackt so schlecht aus? Wenn die so gebaut ist wie ihre Tante braucht die doch bei dir zu Hause nicht in Klamotten rumzulaufen." Sie deutete auf Marisa und schickte in der ihren Kindern verständlichen Sprache ihrer Antennen zu: "zieht ihr alles aus!" Marisa schrie, als drei Weibchen ihr mehr schnell als sacht die Kleidung und die Handfesseln vom Körper rissen. Dann glotzte sie mit ihren dunkelbraunen Facettenaugen auf den nackten Leib. "Ihr wolltet zusammensein. Dann seid es", grollte sie und stieß vor. Erst ergriff sie Marisa, die wild und schrill schrie. Milton versuchte, seine Freundin aus Valerys Händen zu reißen. Dabei konnte die ihn selbst gleich auch noch hochreißen.

Milton sah das Verhängnis auf sich zukommen. Er fühlte, wie die vier Monsterhände ihn mit Marisa zusammendrückten, die Arme und Beine um die Körper schlangen und sie beide so derartig zusammengefaltet im mörderischen Maul der Alptraumkreatur verschwanden. Er hielt die Luft an, während sie über die kräftig wirkende Zunge hinwegrutschten. "Erstick an uns, du Höllenbrut!" Rief er. Seine Stimme klang hohl und dumpf nach, während Marisa und er auseinandertrieben und nacheinander hinunterglitten, wo das endgültige Verhängnis wartete.

Valery wunderte sich selbst, wie sie die zwei auf einmal und an einem Stück hinunterschlingen konnte. Offenbar war ihr Wille größer als jede Angst, zu ersticken. Schließlich fühlte sie, wie die beiden immer weiter in ihren Leib hineinglitten, sich wanden und wehrten. Dann hörte sie die letzten Schreie und das Gurgeln, als die beiden ihre Verdauungssäfte in die eigenen Kehlen bekamen. Minuten lang ging das. Dann war ruhe. Doch sie wußte, daß die beiden noch nicht tot waren. Sie rief noch: "Ich denke, mir wird gleich einer abgehen, wie das zwischen uns beiden nie gewesen ist!" Dann schleppte sie sich mit einem Gefühl, voller kullernder Steine zu sein zu ihrem Legestollen. Zehn Minuten später überkam sie die Woge neuer Lebenskraft. Ja, es war wirklich nicht vergleichbar mit allem, was sie vorher empfunden hatte. Dann brach die neue Energie auch schon in fünf frischen Eiern aus ihrem Hinterleib heraus. Sie keuchte und schnaufte, ächzte und stöhnte, weil die Wallungen ihren ganzen Körper wie Sturmwellen durchrasten. Dazu kam noch dieses Gefühl der Genugtuung. Sie hatte die beiden abgefertigt. Milton würde nie wieder wen beschubsen, weder irgendein Mädchen, noch Internetbenutzer, denen er ein schlechtes Gewissen einreden konnte. Irgendwann meinte sie, daß sie gleich vor Erschöpfung zusammenbrechen würde. Doch dann ließ das aufwühlende Spektakel in ihr nach. Sie fühlte sich zwar immer noch randvoll. Doch die ihr zugeflossene Lebenskraft war ordentlich verteilt. Jetzt konnte sie mal ein paar Tage zu Hause bleiben und weitere Kinder und Untertanen in die Brutzellen packen.

_________

Die Nachricht von der apparierfähigen Brutkönigin hatte Peter Grinder und Lucas Wishbone zu tiefst erschüttert. Der Leiter der geheimen Sondertruppe hatte dem Minister ja vor Tagen schon gebeichtet, daß die Einheit von O'Sullivan beinahe vollständig von einer Brutkönigin und ihren Leibwächtern aufgerieben worden war.

"Wie verkaufen wir es der magischen Welt? Wenn wir es verschweigen, und das Biest taucht irgendwo über Viento del Sol oder Cloudy Canyon auf, und wir haben keinen gewarnt, bin ich die längste Zeit Zaubereiminister gewesen. Wenn ich es gleich in den Herold und den Westwind setzen lasse auch", schnarrte Lucas Wishbone.

"Ja, diese selbsternannte Erbin Sardonias hat uns da ein riesiges Basiliskenei ins Nest gelegt", wandte Grinder ein. "Ich erfuhr das mit der Sauerei in Barstow erst drei Stunden später, Sir. Das LI hängt drin, die Liga, die offizielle Katastropheneinsatzgruppe und die Vergissmichs. Und Lino hat ihre Ohren auch schon reingehängt und ein paar auskunftsfreudige Wortspender gefunden, unter anderem John Ross."

"Der Cowboy von der Liga, der diesen Crup hat, Murdoc oder Murry. Ich dachte, in der Liga sind die etwas zurückhaltender mit brisanten Informationen", schnaubte der Zaubereiminister. "Oder die wollen mich mit Brachialgewalt von meinem Stuhl schubsen. Aber das könnte dem Pfeifenqualmer übel bekommen."

"Ich fürchte, Sir, seitdem Ihr Vorvorvorgänger Pole die Sache mit der in den Staaten marodierenden Abgrundstochter so krampfhaft unter dem Teppich gehalten hat gilt für die Liga "Alles in die Zeitung, was keinem schadet und vielen nützt. Aber sie können das natürlich immer noch dementieren, Sir", wandte Grinder ein. Der Minister hob die Faust und drosch damit auf seinen Schreibtisch, das ein Fäßchen mit smaragdgrüner Tinte einen Hüpfer machte und ein wenig seines Inhalts verspritzte."Haben Sie Ihren Verstand auf Urlaubsreise geschickt oder komplett verloren?!" Polterte der ranghöchste Zauberer der Staaten. "Wenn ich das dementiere, wo die vielleicht hundert Zeugen anführen können, kann ich gleich anbieten, daß Sie-wissen-schon-wer auch dieses Ministerium kontrollieren darf. Schlimm genug, daß damit womöglich eine Panik ausgelöst wird. Haben diese Schwätzer von der Liga zumindest brauchbare Tipps, wie man sich vor dieser Ausgeburt schützen soll?"

"Da Sie es erwähnen, Sir, Mrs. Ross hat tatsächlich einen Vorschlag eingebracht, der bereits von den Gemeindesprechern von VDS, Cloudy Canyon, Misty Mountain und den anderen Zaubererortschaften umgesetzt wird. Fliegende Plattformen, sofern die Gemeinden keinen Aussichtsturm haben wie den in VDS. Dort stationierte Wächter sollen mit spezialfanfaren ausgestattet werden und bei Auftauchen der Kreatur Alarm blasen. Die Töne erzeugen einen Rufzauber, der das Unfallumkehrkommando, die Drachentöterbrigadeund die Liga zur Abwehr dunkler Künste informiert."

"Wieso haben Sie einen derartigen Einsatzplan nicht in die Wege geleitet, Mr. Grinder?" Fragte Lucas Wishbone.

"Das ist eine Abwandlung der Beobachtungsstationen, die ich eingerichtet habe. Wenn diese Brutkönigin im offenen Anflug angreift, werden wir diesmal härtere Maßnahmen ergreifen. Drachengallengas wurde bereits geordert. Ebenso werden meine Leute aus sicherer Entfernung mit Feuerbällen angreifen. Meine Abteilung forscht sogar schon danach, ob wir keine zielflugfähigen Besen mit aufgesetzten Erumpenthörnern einsetzen sollen. Wir müssen davon ausgehen, daß diese Kreaturen sich mittlerweile stark vermehrt haben."

"Nicht solange diese Königin herumfliegt und irgendwelche Häuser demoliert und Menschen entführt und womöglich tötet, wenn sie die nicht an ihre Jungen verfüttert. Immerhin gibt's von denen schließlich genug", versetzte der Minister. Er sah sich schon vor den Pressevertretern stehen und seine Rücktrittserklärung verlesen. Allerdings wußte er nicht, wer ihn dann noch im Amt beerben könnte.

"Ich muß das noch von meinen Verbindungsleuten in die Liga prüfen lassen, Sir, aber der Überfall auf das Haus scheint auf einer Muggelweltangelegenheit zu beruhen. Näheres muß ich noch erfahren."

"Aha, näheres müssen Sie noch erfahren. Damit erweisen Sie dem Andenken O'Sullivans aber keine große Ehre."

"Bei allem Respekt, Herr Minister, Sie sitzen hier in Ihrem Büro, während meine Leute und ich bei jedem Auftauchen einer Bedrohung unser Leben riskieren. Ich möchte in aller Bescheidenheit vorschlagen, daß Sie uns unterstellen, eine gewisse Kompetenz und Umgangsformen zu besitzen", erwiderte Grinder sichtlich darum bemüht, keine Wut zu zeigen.

"Zu dieser Kompetenz gehört auch das Recht, ausgemachte Gefahrenquellen zu beseitigen, im Zweifelsfall mit tödlicher Gewalt. Aber bisher haben Sie weder die Verbrecherin gestellt, die uns diese Monstren eingebrockt hat, noch haben Sie die Bruthöhlen oder wo sie sich immer aufhalten ausgeräuchert. Ich ging davon aus, daß Sie diese Ungetüme leicht aufspüren und markieren können."

"Das taten wir auch, bis uns diese eine Brutkönigin entgegenflog. Offenbar hat die Sardonianerin sie besonders gewandt gemacht. O'Sullivan ging wohl nur von wenigen Entomanthropen aus. Das hat sich jetzt eben als Fehler herausgestellt. Wir werden diese Biester nun aus sicherer Entfernung und möglichst aus allen Richtungen zugleich bekämpfen."

"Im Zweifelsfall müssen Sie diese Biester dazu bringen, wohinzufliegen, wo Sie im Vorteil sind", fühlte sich Wishbone berufen, noch einen Kommentar abwzugeben.

"Wenn Sie mir eine konkrete Möglichkeit anbieten möchten bin ich ganz Ohr", entgegnete Grinder verhalten. Natürlich hatte Wishbone zum jetzigen Zeitpunkt keinen geeigneten Vorschlag parat. So blieb Grinder nur, sich zu verabschieden, um auf seinem Posten zu sein. Wishbone sah die Tür an, durch die sein geheimer Sondertruppkommandant gerade verschwunden war.

"Herr Minister, hier sind gerade Mrs. Unittamo und Ms. Knowles vom Westwind und bitten um eine Aussprache mit Ihnen wegen der vier unangemeldet eingereisten Schüler von Thorntails", meldete sich Wishbones Juniorsekretär, der heute Stallwache hatte.

"Maya Unittamo? Die kann reinkommen. Mit Ms. Knowles rede ich gleich gesondert", entschied der Minister und blickte auf den Schreibtisch. Die Tintenflecken störten doch. "Ratzeputz amplifico!" Schnarrte er mit auf den Tisch weisendem Zauberstab. Doch die smaragdgrünen Flecken zitterten, ruckelten und spuckten grünen Dampf aus. "Antifälschungstinte", schnarrte er. Da brauche er eine Spezialreinigungslösung. Da klopfte es auch schon an der Tür. Er rief "Herein!"

Die kleine, zierliche Hexe mit dem weißen Haar mit leichtem Blondton grüßte höflich und wartete, bis der Minister ihr einen Stuhl mit angenehm weicher Sitzfläche anbot. Dann blickte sie ihn durch ihre Goldrandbrille mit zehneckigen Gläsern an und sagte weniger zurückhaltend:

"Mr. Wishbone, ich hoffe, ich habe das mißverstanden, daß Sie Prinzipalin Wright anweisen wollen, die aus Großbritannien zu uns geflüchteten Schüler und Schülerinnen, Gloria Porter, Betty und Jenna Hollingsworth sowie Kevin Malone zu Weihnachten außer Landes zu verweisen und gegen ihre hier lebenden Verwandten Klage wegen Beihilfe zur illegalen Einreise zu erheben. Falls ich mich wieder aller Hoffnung nicht verlesen habe, möchte ich gerne von Ihnen wissen, was Sie da umgetrieben hat, um mir ein möglichst gutes Bild davon zu machen."

"Erstens Madam Unittamo, wüßte ich nicht, daß Sie sich in den letzten Jahren groß für ministerielle Anliegen eingesetzt hätten und zweitens sind Sie schon seit über zehn Jahren nicht mehr in Thorntails angestellt. Daher betrifft es Sie nicht, was dort vor sich geht. Ansonsten darf ich Ihnen zuversichtlich versichern, daß Sie sich nicht verlesen haben. Ich sehe die Anwesenheit dieser vier Flüchtlinge als Akt unerlaubter Einreise in Erwartung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Ich lasse gerade erarbeiten, wer bei diesem Schmuggelakt mitgeholfen hat und die Bürger der Staaten dann auch vor Gericht stellen."

"Das sagen Sie so, als hätten die vier eine Kiste Dracheneier verkaufen wollen", erwiderte die ehemalige Verwandlungslehrerin. "Haben Sie die Aussagen der Verwandten der betreffenden Schüler und fanden Sie Zeit, die Situation zu bedenken?"

"Wir haben klare Regeln, wer in Thorntails unterrichtet oder unterrichtet werden darf, Madam Unittamo. Ebenso haben wir derzeit sämtliche Ein- und Ausreisen wegen der Gefahrenlage in Großbritannien untersagt. Insofern haben die vier Schüler und ihre mit eingeschmuggelten Verwandten gegen die Sicherheitsbeschränkungen verstoßen. Die Aussagen der Schüler hat mir Prinzipalin Wright auf dem Expresseulenweg zur Verfügung gestellt. Auch wenn ich mir vorstellen kann, daß Ihr und mein Feind eine aus der Luft gegriffene Anklage aussprechen kann, muß ich die Handlungsfähigkeit des Ministeriums und damit das Wohl der Staaten im Auge behalten. Abgesehen davon halten die vier den Schulbetrieb auf."

"Sagt wer?" Fragte Maya Unittamo.

"Ich sage das, Madam Unittamo", erwiderte der Minister barsch. "Es liegt in der Natur der Gruppen, das von außen hinzukommende Fremde erst einmal Zeit brauchen, um sich an die vorhandenen Strukturen zu gewöhnen und gegebenenfalls anzupassen. Wenn dazu noch Leute in dieses Gefüge eindringen, die sich über ein angeblich gefährliches Schicksal Aufmerksamkeit erwerben wollen, verzögert das den bereits begonnenen Ablauf. Abgesehen davon wurden die Übertragungen der Erziehungsvollmachten nicht angemeldet und nicht durch die üblichen Formulare beantragt oder zugelassen. Daher kann und muß ich die vier Schüler und ihre Verwandten als illegale Einwanderer einstufen und ihnen bis zur Klärung der Angelegenheit Schulverbot erteilen."

"Erstens müssen sie nicht, weil all diese Anschuldigungen unrichtig sind. Zweitens stimmt es auch nicht, daß die vier den Ablauf in Thorntails verzögern. Prinzipalin Wright informierte mich vielmehr darüber, daß sich die vier trotz der Ausnahmesituationen Bedrohung, Flucht und Verlassen der Heimat recht schnell in die Gruppen- und Schulstruktur eingefügt hätten. Offenbar sollte das Original dieses Briefes Ihnen zugehen. Ich bedauere es, daß Sie es nicht erhalten haben. Das hätte viel Ärger und Streß erspart. Darüber hinaus bin ich als Urgroßmutter von baldigen Thorntails-Schülern eindeutig daran interessiert, ob und wenn ja was sich am dortigen Schulsystem verändert hat. Meine Enkel kamen immer wieder zu mir, um Ratschläge für die Hausaufgaben zu erhalten. Wenn ich weiß, wie dort unterrichtet wird, kann ich auch meinen Urenkeln helfen. Das verstehen Sie doch, oder?"

"Mit anderen Worten, Sie maßen sich an, immer noch in die Belange zwischen Ministerium und Thorntails eingreifen zu dürfen. Aber ich muß mich wie alle anderen erwachsenen Mitglieder der magischen Gemeinschaft an die bestehenden Gesetze halten. Und eines davon sieht im Fall einer unmittelbaren Bedrohung aus dem Ausland vor, niemanden aus dem Land der Bedrohung einreisen zu lassen, ohne ihn/sie eingehend zu prüfen."

"Für Leute wie Sie, Mr. Wishbone haben die Muggel einen treffenden Begriff geprägt: Federfuchser oder auch Schreibtischtäter. Wollen Sie mir etwa erzählen, daß die Familie Porter in den Staaten unzureichend beleumundet ist, daß deren britische Verwandte sich wie Landstreicher einer langen Überprüfung stellen müssen? Abgesehen davon hätte diese Prüfung ja dann über Posteulen angemeldet werden müssen. Da Sie jedoch den sicherheitsrelevanten Einfall umgesetzt haben, die Grenzstation zu schließen und zu vermuten ist, daß die britischen Kamine allesamt überwacht werden, wie lange hätte da eine arme Posteule fliegen müssen, um alleine den Antrag auf ein Einwanderungsantragsformular zu überbringen? Die vier Schüler waren in unmittelbarer Gefahr, vor einem willkürlichen Schaugericht zu langjährigen oder lebenslänglichen Haftstrafen oder gar den Kuß des Dementors verurteilt zu werden oder auf der Flucht ohne Hilfe von diesen Monstern entseelt zu werden, weil sie mit einem bereits rechtzeitig ins Ausland ausgewanderten Muggelstämmigen bekannt sind, dessen große Begabung nicht in das Konzept dieser Verbrecherbande passen mag, daß nur Reinblüter Anspruch auf Zaubererstatus haben dürfen. Entspricht es unseren Werten von Freiheit, wenn jemand zum Kriminellen abgestempelt wird, nur weil er oder sie jemanden gut kennt?"

"Woher wollen Sie wissen, mit welcher Erklärung die drei Familien eingereist sind?" Grummelte der Minister. Denn jetzt zuzugeben, daß die altehrwürdige Verwandlungsgroßmeisterin ihn an einem schwachen Punkt erwischt hatte erschien ihm unter seiner Würde.

"Denken Sie, seitdem meine Nachbarin Jane Porter in Erfüllung ihrer Pflicht starb bekäme ich nicht mehr mit, was in meinem Nachbarhaus passiert?" Erwiderte Maya Unittamo verdrossen. "Sie wollen also um Ihren Ruf als unerbittlicher Wächter über die Gesetze gerecht zu werden vier junge Hexen und Zauberer in die Hände des Massenmörders in Großbritannien zurückschicken. Macht sich bestimmt gut in den Zeitungen. Der Wächter der Gesetze hilft dem, gegen dessen Einfluß er Handel und Reisefreiheiten eingeschränkt hat."

"Zwei Gründe, warum ich Sie nicht umgehend hier herauswerfe: Erstens verdanke ich Ihnen ein sehr nützliches Wissen um Verwandlungszauber. Zweitens habe ich gelernt, älteren Mitbürgern Respekt zu zollen, solange sie nicht unverschämt werden. Und Sie sind ganz knapp davor, unverschämt zu sein, Madam", bemerkte der Zaubereiminister.

Es klopfte an die Tür. Der Minister fragte, wer draußen sei. Linda Knowles war es. Doch die wollte er jetzt nicht hierhaben, wo er sich mit Madam Unittamo unterhielt. Diese sagte ganz ruhig:

"Ich fürchte, wenn Sie sich weiterhin stur stellen wird der Westwind Ihnen morgen eiskalt ins Gesicht blasen. Sie hat nämlich läuten hören, daß Sie beabsichtigen, die Inobskuratoren auf die Familien der vier Schüler anzusetzen."

"Sie alte ... Sie versuchen mich nicht etwa zu erpressen?" Schnaubte der Minister. Da warf ihm Maya Unittamo mehrere Briefe auf den Tisch. Sie bemerkte die Tintenflecken und fischte die Pergamente schnell wieder von der Tischplatte. "Hups, da sind Tintenflecken auf Ihrem Schreibtisch, Sir", sagte die frühere Thorntails-Lehrerin. Dann fischte sie in ihre Handtasche und holte ein Fläschchen mit magischem Tintenkleksentferner hervor. "Kleckern kommt ja doch immer mal wieder vor." Wishbone nahm das Fläschchen mit dem Reinigungsmittel und behandelte damit die grünen Flecken, die kurz flimmerten und sich dann spurlos verflüchtigten. "Danke", sagte er höflich und reichte Madam Unittamo den kleinen Glasbehälter zurück. Dann rief er "Herein!"

"Endlich, Sir. Mein Zeitplan ist ein wenig gedrängt, wohl wie Ihrer auch", begrüßte die Reporterin mit den fast schwarzen Kulleraugen den höchsten Zaubereibeamten. Dann fragte sie, ob es stimme, daß Gloria Porter, die Hollingsworths und Kevin Malone nach Großbritannien abgeschoben werden sollten, nachdem sie hier einen Prozeß überstanden hätten. Der Minister führte noch einmal an, daß es Gesetze gäbe und er sie einzuhalten und durchzusetzen habe. Da meinte Linda mit ihrem waffenscheinpflichtigen Lächeln:

"Das möchten Sie mir doch nicht zumuten, den Leserinnen und Lesern des Westwinds erklären zu müssen, daß unschuldige Schüler in ein unsicheres Land ausgewiesen würden, wo ihnen mit Sicherheit der Kuß des Dementors droht, um einen anderen zu demütigen, der außerhalb der Reichweite von Sie-wissen-schon-wem lebt? Sie möchten ganz sicher nicht, daß jede Mutter Sie für einen gefühllosen Klotz hält, der das Gesetz über die Menschlichkeit stellt."

"Ich dachte, Sie wären hier, um mit mir über was anderes zu reden, Ms. Knowles", schnarrte Minister Wishbone. Linda nickte. Dann las er die Schreiben, die Maya ihm vorhin schon geben wollte. Dann meinte der Minister: "Warum bekommen Sie derartige Post und nicht unsere Postsammelstelle?"

"Darauf habe ich keinen Einfluß. Aber wie entscheiden Sie jetzt. Achten Sie die Freiheit oder schicken Sie die jungen Leute und ihre Familien dorthin zurück, von wo sie herkamen?" Wollte nun Maya Unittamo wissen.

"Ich kann das Gesetz nicht ignorieren, so lange wir den Notfallplan im Kraft belassen müssen. "Dann stellen Sie die vier unter Prinzipalin Wrights Obhut bis zu den Sommerferien", schlug Maya Unittamo vor. Wishbone grummelte und nickte dann. "Ich schreibe Prinzipalin Wright, daß die fraglichen Schüler in Thorntails bleiben dürfen, falls sie nicht zu ihren Eltern zurückkehren. Und sie sind kleine Erpresserinnen." Maya grinste.

Als Maya Unittamo wieder gegangen war, horchten sich Wishbone und Linda gegenseitig zu den Insektenmonstern und der apparierenden Königin aus. Linda meinte dann noch:

"Und Sie wissen nicht, wer die Erbin Sardonias ist?"

"Wenn ich das wüßte würde ich sie schon längst suchen und verhaften lassen", knurrte Wishbone. "Mord in mindestens einem Fall, unerlaubte Neukreuzung in mindestens sieben Fällen und böswillige magische Manipulation mit Menschen. Da wird sie wohl nicht mehr aus dem Gefängnis herauskommen."

"Zu wissen, wer es ist und ihn oder sie dann festnehmen zu lassen können unter Umständen zwei verschiedene paar Schuhe sein", erwiderte Linda. Wishbone dachte, daß die Reporterhexe mehr wußte als er und damit eindeutig zu viel. Doch jetzt davon anzufangen, ob sie mehr über die Erbin Sardonias wisse wagte er dann nicht. Er wollte jetzt den geben, der über alles erhaben war, und Linda notierte es sich sorgfältig. Dann verließ auch sie das Büro des Ministers, der erst einmal tief durchatmen mußte. Hatte er sich beschwatzen lassen. Das konnte noch was geben.

_________

"Ich habe davon gehört, daß Ihr euch mit der Erbin Sardonias duelliert habt, Lady Daianira", sagte Louisette Richelieu so gelassen sie konnte. Daianira hatte es sich überlegt. Anthelias Bezwingerin und zukünftige Mutter verheimlichte Louisette ihre anderen Umstände. Es reichte im Moment, daß die Mitschwestern in den Staaten davon wußten. Deshalb trug sie nicht Anthelias rosarote Robe, sondern ein wallendes, himmelblaues Wollkleid, um ihre Stellung zu bekunden und die langsam anschwellenden Brüste zu überdecken. Bald würde sie wohl auch den zu erwartenden Bauchansatz an sich feststellen, dachte Daianira, bevor sie zur Sache kam.

"Es ist also wahr, daß euer Zaubereiminister euch alle unter dem Joch der Angst hält?"

"Ich arbeite noch für ihn, Lady Daianira", sagte Louisette bedauernd. "Aber in Millemerveilles proben Sie schon den Widerstand. Delamontagne, Phoebus hat sich zum Gegenkandidaten von Didier ausrufen lassen. Irgendwer, ich vermute Florymont Dusoleil, hat eine Methode erfunden, daß die winzigen Ausschläge bei Apparitionen unabhängig vom Apparator so heftig verstärkt wurden, daß ein genauer Ausgangs- oder Zielort bis auf den Meter angepeilt werden kann", erwiderte Louisette. Jetzt können die keinen mehr aufspüren. Außerdem bringen sie eine eigene Zeitung heraus, weil der Zauberspiegel ganz und gar auf Didiers Linie schreibt", fügte Louisette hinzu. Er hat es zumindest nicht geschafft, seine Gegner in diesen Friedenslagern verschwinden zu lassen. Die Widerstandszeitung behauptet, die Mutter dieses Jungen, der bei Euch die Sache mit der Abgrundstochter überstehen mußte, hätte Pétain ausgetrickst und so wichtige Sachen erfahren, vor denen sie Leute wie Professeur Tourrecandide und Phoebus Delamontagne früh genug warnen konnte. Bin mal gespannt, was da wohl rumkommt", legte sie noch nach.

"Martha Andrews?" Fragte Daianira. Sie dachte zufrieden daran, daß sie einen feigen Anschlag auf sie vereitelt hatte, der eigentlich auf sie, Lady Daianira Hemlock, abgezielt hatte. Auch Anthelias Bewußtsein, daß durch das Medaillon wieder mit ihr verbunden war, konnte mit dem Namen etwas anfangen. Doch Anthelia verriet ihrer Trägerin nicht, was sie getan hatte, um Martha Andrews zu retten, und Daianira erwähnte keiner in diesem Raum, was sie angestellt hatte. Welche Ironie, daß beide in letzter Konsequenz dazu beigetragen hatten, daß Janus Didier um die totale Kontrolle gebracht worden war. Daianira hatte nach Ostern im diesem Jahr ergründet, was der offenbar sehr analytisch denkenden Frau widerfahren war und das sie dies schwer verarbeiten konnte. "Wo befindet sich diese Muggelfrau?" Fragte Daianira.

"Wenn ich das richtig deute wohnt sie jetzt in Millemerveilles", beantwortete Louisette die Frage. "Die schrieben was, daß sie dieses Computerrechnerding benutzen könne, um damit auch Kontakte zur Muggelwelt halten könne."

"Ich kenne mich damit nicht aus", grummelte Daianira. "Aber irre ich mich, daß jeder Muggel, der nach Millemerveilles will, vorher einen Anpassungstrank schlucken muß, um die magischen Muggelabwehrreaktionen zu überstehen?

"Sie werden ihn wohl verlängert haben, daß genug davon bis mindestens Ostern da ist", vermutete Luisette. Dann sprachen sie über das Gegenministerium, Beauxbatons und die Friedenslager. Anthelia fragte Daianira, ob es einen Versuch gegeben habe, Gegner des Ministers aus der Schule herauszuholen. Louisette mußte überlegen. Dann sagte sie, daß wohl versucht worden sei, die Schule auszuhungern und das nicht geklappt habe. Anthelia fühlte sich damit bestätigt und teilte Daianira mit:

"So wachen die Gründer also immer noch über die Schule. Meine - wie nennst du sie immer - Ex-Tante versuchte einst, den Schulleiter aus der Akademie zu locken, um ihn zu töten. Da griff ein Vermächtnis der Gründer ein, von dem ich nur weiß, daß es jeden Angriff eines unerwünschten vereitelte und durch eine wie auch immer errichtete Verbindung Lebensmittel hineinbeförderte und damit jede Belagerung wertlos machte.

"Was eindeutig beweist, daß es Zauber gibt, die selbst deine machtberauschte Ex-Tante auf Abstand halten konnten", bemerkte Daianira mit großer Genugtuung. Eigentlich würde sie jetzt gerne nach Millemerveilles reisen und sie beglückwünschen. Denn nachdem, was sie jetzt über Didier wußte, war der ihr genauso unsympathisch wie der Emporkömmling in England. Doch sie wollte sich bei Martha Andrews nicht zu sehr in Erinnerung rufen. In den nächsten Tagen würde sie noch mit der hiesigen Stuhlmeisterin unterhandeln, wie die Beziehungen zwischen den Zweigen der Schwesternschaft verbessert werden konnten, um Zwistigkeiten zu vermeiden. Denn nur so würde es niemand schaffen, die einzelnen Landesgruppen gegeneinander auszuspielen.

"Schade, daß mein Körper noch zu unterentwickelt ist, um dir für diese Gemeinheit in den Bauch zu treten", schnarrte Anthelias Gedankenstimme, als Daianira Louisette über ihre offiziellen Anliegen berichtet hatte.

"Vielleicht würde mich das aber eher motivieren, dich als unmündiges Kind zu akzeptieren, daß ich nicht verachten, sondern umsorgen will", erwiderte Daianira auf Anthelias hilflose Verärgerung. Darauf wußte Anthelia im Moment keine Antwort.

So hielt sie sich auch zurück, als Daianira am elften Dezember mit der neuen Sprecherin der Entschlossenen sprach, einer klein und zerbrechlich wirkenden Hexe namens Eurybia Montrouge. Sie gab vor, nach den Unruhen der letzten Monate in den Staaten wieder mehr auf internationale Gemeinschaft der Schwestern zu setzen. Daß sie das Duell gegen Anthelia gewonnen hatte wußte auch Eurybia. Daianira gab vor, nach den Entomanthropen zu suchen, die in Frankreich herumflögen, weil sie sie in dem Moment erledigen wollte, wo sie die Schlangenkrieger vernichtet hatten. Eurybia hoffte, daß Didier oder Delamontagne bald welche von diesen Wesen markieren konnten, um den Ort der Brutkönigin zu finden. Um nicht in die Bredullie zu kommen, ein Glas Wein oder Champagner ablehnen zu müssen, weil Leda ihr jeden Alkohol strickt untersagt hatte, verabschiedete sie sich nach dem Kaffee und kehrte zu Leda in die verschwiegene Pension zurück, die häufig von durchreisenden Zauberen und Hexen besucht wurde. Leda erwartete sie schon aufgeregt. Erst dachte Daianira, in den Staaten sei etwas passiert. Doch Leda berichtete ihr, daß über dem Mittelmeer fünf Meter lange Drachen aufgetaucht waren, die unverzüglich auf Schlangenmenschen wie Entomanthropen jagt machten. Daianira wollte so ein Ungetüm aus der Nähe sehen und apparierte ans Mittelmeer, wo sie auf ihrem Harvey-Besen sitzend eine Stunde über dem Wasser kreiste, bis sie zwei helle Punkte ausmachen konnte, die rasend schnell auf sie zuhielten. Gerade soeben gelang es ihr noch, auszuweichen. Die Drachen sahen nicht aus wie die großen Drachenarten der Kontinente. Sie wirkten eher wie groß geratene Libellen, allerdings mit zwei Flügeln und einem roten oder blauen Schuppenkleid. Sie verfolgte eine solche Kreatur und erlebte mit, wie drei ihrer Entomanthropen auf der Jagd nach den Schlangenwesen selbst getötet wurden. Die echsengleichen Monstren des Emporkömmlings frohlockten zu früh, da griff der Drache sie an und erledigte sie inerhalb von zwanzig Sekunden.

"Auch eine sehr effiziente Kreatur", dachte Daianira. "Aber daß ihr die Entomanthropen tötet, wo sie noch gebraucht werden kann ich euch nicht durchgehen lassen." Sie versuchte, den Drachen mit dem Todesfluch zu erwischen. Doch dieser war wendig und blies lange Flammenstöße gegen Daianira. Dieser blieb nur die schnelle Flucht. Mit diesen Gegnern mußte sie rasch aufräumen, wenn die nicht alle Insektenwesen erledigten, bevor die Schlangenkrieger nicht erledigt waren. So hatte sie nun ein zweites Ziel, daß sie in Frankreich halten mochte.

Den dreizehnten Dezember verbrachte sie damit, den noch frei herumfliegenden Entomanthropen über die Brutkönigin zu befehlen, den Drachen entweder auszuweichen oder sie zu Dritt oder viert anzugreifen und vor allem Augen und Nasenlöcher mit den Stacheln zu durchstoßen.

als sie wieder in der Pension war begrüßte sie Leda mit den Worten: "In den Staaten haust eine Entomanthropenkönigin, die apparieren kann und offenbar lebende Menschen verschlingt. Die Zeitungen machen immer wieder mit einem Bericht über die Entomanthropen auf. Ich fürchte, wir drei müssen nach Hause."

"Das kann nicht sein", gedankenlamentierte Anthelia. "Der Entomolith beherrscht jedes Insekt, das in den Wirkungsbereich gerät. Die Brutkönigin, die ich in den Staaten erschuf, muß den Befehlen gehorchen, die über den Stein erteilt wurden."

"Wir können das Biest ja fragen, warum es selbst herumfliegen kann", erwiderte Daianira und prüfte, ob der lebenserhaltende Gürtel wirklich gut anlag. Dann versetzte sie sich mit Anthelias Medaillon und ihren anderen Habseligkeiten zurück nach Nordamerika. Sie wußte nicht, was ihr bevorstand. Doch es würde in jedem Fall gefährlich werden.

__________

Was war ihm passiert? Etwas großes, grauenhaftes hatte ihn angegriffen. Dann hatte er nur noch Dunkelheit und etwas wie brennendes Feuer auf dem Körper in Erinnerung. Die nächsten Erinnerungen die er besaß waren geprägt von Hunger. Er merkte, daß er offenbar noch nicht gut genug laufen konnte und in einem engen Raum gefangenlag. Er stieß ein Geräusch wie ein Quieken aus. Sofort klangen auch von anderswo diese Quieklaute. Er hörte Hunger aus diesen Lauten. Tatsächlich reichte ihm etwas, das einen ihm vertrauten Geruch hatte ein großes Stück rohes Fleisch, das er mit seinem Raspelzahnmund ziemlich schnell in sich hineinbekam. Er merkte, wie er herrlich müde wurde und dann sogar ein wenig wuchs. Mit jedem Essen, das er bekam, fühlte er, daß er sich an mehr erinnerte. Hieß er nicht früher mal Terry. Wieso dachte er, Terry habe auf zwei langen Laufbeinen gestanden? Auf diese Fragen konnte er keine Antwort finden. Denn im Moment war Hunger das wichtigste, woran er dachte. Einmal konnte er durch die Luft- und Futterschlitze seines kleinen Hauses eine imposante Erscheinung sehen. Fast wie eine Prise Salz auf der Zunge schmeckte er ihren vertrauten, ihn durchdringenden Duft und fühlte sich wohl, weil sie da war. Er konnte sie mit den Fasern der besseren Sinnesorgane wittern und verstand aus unzähligen Teilchen, die ihn trafen die Worte: "Wir sind Mutter Valery verbunden. Schützt und füttert sie, die Königin!" Er durfte noch nicht füttern. Er war noch ein Kriechling, ein hungriges Quiekbaby. Das wollte er nicht mehr sein. Er fraß mehr von dem rohen Fleisch. Mit jedem Bißchen Wachstum kam ihm mehr seiner Erinnerung. Er war mal einer auf zwei Beinen gewesen. Ja, Terry O'sullivan hatte er geheißen, in einem anderen, wie Träume in seinem Gedächtnis vorkommenden Leben. Noch was. Er konnte da fliegen, auf einem Stab aus Holz. Mit einem dünneren Stab aus Holz und was anderem drin konnte er Sachen verändern, Blitze losschicken oder Sachen da sein lassen, die vorher noch nicht da waren. Einen Tag später wußte er wieder, wer er mal gewesen war. Doch immer wenn er sich vorstellte, dieses Leben weitergeführt zu haben, kam in ihm der Drang auf, es hinter sich zu lassen. Am Fünften Tag nach Erwachen seines Erinnerungsvermögens wußte er, was ihm passiert war. Er war hoch erfreut, daß sie ihn dadurch, daß sie ihn mit Leib und Seele hinuntergeschlungen hatte, in einem ihrer Eier neu in diese Welt gesetzt hatte. Sie hatte das armselige Etwas, das er früher war, in sich aufgenommen und ihm ein neues Leben geschenkt. Dannwar sein Gedächtnis komplett wiedererwacht. Er hatte für einen gewissen Wishbone gearbeitet und einen Peter Grinder. Ihm fiel ein, daß sie seine Mutter, seine neue, erhabene Mutter, töten wollten. Das durften die doch nicht machen! Euphorie durchbrauste ihn, wenn er daran dachte, daß er in einem besseren Körper wiedererwacht war. Er beschwerte sich nicht und träumte davon, was ihm für Sachen passiert waren oder noch passieren mochten. Dann war der Tag da, an dem Terry o'Sullivan in einen tiefen Schlaf verfiel und die endgültige Verwandlung ohne Bewußtsein über sich ergehen ließ. Er schlief dabei tief und fest, so daß er erst wieder wach wurde, um den Rest der ihm aufgezwungenen Verwandlung an sich bestaunen zu dürfen. Jetzt war er kein Kriechling mehr, kein wimmernder, quiekender Wurm mit kurzen Anhängseln. Er fühlte, wie die zwei in ihm klopfenden Herzen ihm frisches Blut durch den Leib trieben. Er sah sie, seine erhabene Mutter, die ihm dieses neue, wahrlich überragende Leben geschenkt hatte. Er witterte die Anwesenheit seiner Geschwister. Die meisten davon waren einfaches Volk, ohne alte Erinnerungen wohl. Doch bei einigen erkannte er Vertrautheit. Sie waren mal wie er gewesen und jetzt die Söhne Valerys, der großen Königin und Mutter.

"Oha, du weißt das, wer du mal warst?" nahm er über unzählige Duftstoffe eine Botschaft wahr, die von ihr kam, jener, die seinen alten Leib in sich aufgenommen und ihm diese Wiedergeburt ermöglicht hatte.

"Ja, Mutter und Königin", teilte er ohne den Mund bewegen zu müssen mit. während seiner Verwandlung in einen Geflügelten hatten sich alle Fähigkeiten, die in seinem Erbgut waren still und leise entfaltet und waren nun so alltäglich wie das Atmen und Essen.

"Das wußte ich ja gar nicht, daß ihr meine Kinder werdet. Das ist ja richtig herrlich", teilte Königin Valery mit. Die anderen, die wohl kein früheres Menschendasein gehabt hatten, umwanderten und umschlängelten ihn, teils interessiert, teils argwöhnisch. Sie merkten bestimmt, daß er mehr war als sie. Doch gegen sie, die Königin, waren alle nichts, fühlte er. Ja, er erkannte, daß er trotz des eigenen Körpers auf eine ihm nicht erkennbare Weise verbunden war, so sehr, daß ihr Leben seines und sein Leben ihres sein mochte.

"Das ist eine sehr interessante Kiste", entgegnete die Königin und Mutter auf die nur für ihre Kinder vernehmbare Weise. "Du bist mir nicht böse, daß du mein Kind bist?" Fragte sie. Er verneinte es. Da stimmten alle in einen stimmenlosen Chor ein:

"Wir sind froh, dankbar und zufrieden, deine Kinder zu sein, große Mutter und Königin. Wir sind froh, dankbar und zufrieden, deine Kinder zu sein, große Mutter und Königin." Dieses lautlose Bekenntnis war wie eine einzige, alles erreichende und alles durchdringende Stimme. Erst als Valery "Danke, genug jetzt" mitteilte, verstummte dieses bedingungslose Bekenntnis. Die Kriechlinge in den Schlüpfzellen begannen wieder, ihre großen Geschwister um Futter anzubetteln. Dreiunddreißig von Einhundertsiebzehn, wie Terry O'Sullivan innerhalb des Schwarmes hieß, verspürte den Drang, die Kleinen zu füttern. Doch die große Mutter und Königin winkte ihm mit ihrem Vorderarm zu und bedeutete auch seinem früheren Kollegen, der jetzt Vierundvierzig von Einhundertsiebzehn hieß, zu sich heran.

"Wenn ihr alles wißt, was ihr vorher gemacht habt, dann erzählt mir jetzt mal, wie das bei den Zauberern ist! Wo wohnen die? Woher wissen die, ob sie zaubern können? Von wem lernen die das?"

Schneller als mit gesprochenen worten gaben die beiden die gewünschten Antworten. Indem sie ihre Antennen an die der Königin legten war es, als kopierten sie ihr Wissen direkt in den Kopf der mächtigen Mutter. Schnell wurde aus dieser Verständigung ein Austausch von Informationen, wie Valery sie nicht zu erhoffen gewagt hatte. Sie erfuhr innerhalb weniger Minuten, wie die amerikanische Zaubererwelt beschaffen war, wo Zaubererortschaften lagen und daß die beiden fertig entwickelten Söhne und Untertanen für eine Truppe gearbeitet hatten, die gegen dunkle Kräfte und nichtmenschliche Wesen kämpfte. Valerys Gedächtnis war wie ein Schwamm, der die ganzen Neuigkeiten einsog und festhielt. Als Valery fand, alles wichtige zu wissen fragte sie nach der Hexe, die sie gemacht hatte.

"Sie hat mal einen Brief geschickt, in dem sie gesagt hat, daß sie die Erbin einer anderen dunklen Hexe sei, die Sardonia geheißen hat. Sie hat vor bald zwei Jahren wohl dieses Höllenweib erledigt, eine Tochter des Abgrundes. Wir wissen, wie sie ungefähr aussieht, aber nicht, wo sie wohnt oder wie sie wirklich heißt."

"Ich will sie treffen. Wie geht das?" Fragte Valery in weniger als einer Zehntelsekunde.

"Wissen wir nicht. Vielleicht weiß das Grinder, der früher unser Chef war", erfuhr sie in nur einer Viertelsekunde.

"Dann will ich den haben. Wie kriege ich den?"

"Der kommt wohl, wenn den anderen Zauberern was passiert oder die Wachen was merken", war die Antwort.

"Wo wohnt der denn?" Wollte sie wissen.

"In Cloudy Canyon", war die einhellige Antwort.

"Zeigt mir noch mal, wo das ganz genau ist!" Forderte Valery die beiden besonderen Söhne ihres Volkes auf. Keine Minute später wußte die freie Brutkönigin soviel über die Lage von Cloudy Canyon, daß sie meinte, da ihre Kindheit verbracht zu haben. Auch kannte sie nun das Bild eines Wasserfalls, der vor dem Eingang aus fünfzig Metern Höhe in einen wilden Fluß rauschte. Das genügte ihr, mit ihrer neuen Kraft, die sie wohl den beiden ehemaligen Zauberern verdankte, dort anzukommen. Sie wußte jetzt, daß diese Fähigkeit Apparieren genannt wurde und Cloudy Canyon problemlos damit erreicht werden konnte. Dann legte sie noch zehn Eier und wählte zwanzig männliche Untertanen aus, darunter Dreiunddreißig von Einhundertsiebzehn.

Draußen vor dem neuen Höhlensystem sollten dann alle, die mitwollten Halt an Valerys Armen finden, sich auf ihrem Rücken und gegenseitig tragend festhalten. Dann gab es einen lauten Knall, als alle zwanzig mit einem Schlag verschwanden. Eine gigantische Staubspirale wirbelte über der Stelle, an der die Brutkönigin disappariert war.

__________

"Nächsten Samstag seid ihr fällig", bemerkte Lucia Graperoot, eine kleine aber schrankgleich gebaute Hexe mit fuchsroten Haaren zu ihrer früheren Jahrgangskameradin und baldigen Gegenspielerin Brittany Forester. Die weizenblonde, Lucia um fast zwei Köpfe überragende Hexe grinste nur und fragte: "Wovon träumst du nachts, Lucia. Venus, die Drillinge und wir anderen haben vor zwei Wochen die Ravens mit fünfhundert Punkten - alle relevanten Rausknaller eingeschlossen - auf eigenem Platz verbuddelt. Ich bin nur hergekommen, weil mein Vater unbedingt mal Cloudy Canyon besuchen wollte."

"Und, wie findet er es?" Fragte Lucia, die sich noch dran erinnerte, wie die Foresters mit einem muggelmäßigen Motorwagen angeknattert kamen.

"Auf der Landkarte von Colorado", erwiderte Brittany. Lucia mußte lachen.

"Warst du noch mal bei Mel im Laden?"

"Die hatte erst Bammel, weil Old Luke ihren Eltern die Sache mit ihrer Cousine übelgenommen hat. Aber soweit ich's mitbekam hat Turners berühmte Vorgängerin mit Lino zusammen dazwischengestochert und den Ärger abgebogen."

"Ich wollte morgen noch mal hin wegen des Unbrechbarkeitsnagellacks, den ihre Tante aufgelegt hat. Angeblich kannst du dann mit deinen Fingernägeln in Stahl eingravieren, ohne dir die Nägel abzubrechen oder auszufransen. Dann kann ich dir am Samstag die Krallen zeigen."

"Miau", bemerkte Brittany dazu. "Ich bin aber in der zweiten Reihe von vorne. Und Venus hat sich diesen Wunderlack schon zugelegt. Da hat Mels Tantchen endlich mal was gescheites für arbeitende Hexen gemacht."

"Aber jetzt noch mal zu deinem Vater. Was hält der von Cloudy Canyon?"

"Das Tal ist ihm ein wenig zu eng. Er meint, die Wände müßten jeden Moment über ihm zusammenkrachen. Dann der graue Himmel mit der Sonne, die aussieht wie ein bleiches Auge. Da will er doch besser schnell wieder nach VDS zurück."

"Hat er unseren Wasserfall nicht gesehen?" Fragte Lucia. Zu überhören war der nicht. Überall in Cloudy Canyon war er als Hintergrundrauschen zu hören. Das machten die steilen Felswände, die nicht einmal einhundert Meter weit auseinanderstanden. Deshalb maß das magische Dorf fünf Kilometer Länge, beherbergte aber nur siebenhundert Einwohner. Um Quodpot zu spielen hatten sie ein Stadion in zweihundert Metern Tiefe unter die steile Felswand gebaut, die das Dorf zur südlichen Seite hin versperrte. Eine an der Decke hängende Sonnenlampe konnte Feld und Zuschauerränge wie natürliches Tageslicht erleuchten. Manchmal krachten die Spielbälle gegen die magisch nachgehärtete Decke und zerplatzten sofort. Deshalb galt hier die Ausnahmeregel, daß wer absichtlich einen Quod gegen die Decke spielte und damit zur Explosion brachte aus dem Spiel mußte, als wäre der Quod in den Händen des ihn gerade führenden Spilers explodiert. Doch zwischendurch passierte das doch einmal. Und Brittany hoffte, daß nicht ihr diese besondere Auszeichnung zu Teil wurde.

"Hast du das gelesen mit der apparierfähigen Monsterbiene. Müßte deine Mom doch hunderte von Anfragen bekommen haben."

"Lino hat in Thorny ein Exklusivinterview mit ihr gemacht, ob es wirksame Methoden gibt, ein derartiges Ungetüm sofort zu erledigen. Wenn das Biest wirklich apparieren ..." Rums! Irgendwas war mit solcher Wucht explodiert, daß die Wände wackelten. Mehr als zehn Sekunden hallte der Knall nach.

"Was war das?" Fragte Lucia Graperoot ziemlich erschrocken. Sie meinte, immer noch ein leise grummelndes Echo der dumpfen Detonation zu hören.

"Nichts gutes", erwiderte Brittany.

"Alarm, alle ins Stadion! Sofort!" Erscholl die Stimme von Trevor Kettlebottom, dem Dorfsprecher magisch verstärkt und durch Sonderzauber ohne verzerrendes Echo.

"Ich muß Dad holen", sagte Brittany.

"Ich komme mit und helf euch, ins Stadion reinzukommen und ..." Lucia lauschte und erbleichte. Auch Brittany stand einen Moment starr da und horchte. Ein vielstimmiges Brummen klang vom Wasserfall her und wurde lauter. Brittany löste sich schneller als Lucia aus der Schreckstarre und zog sie ohne weitere Ansage in die Disapparition.

"Brit, ah, gut, Lucia. Deine Eltern wissen, wo du bist?" Erkundigte sich Brittanys Vater. Lucia nickte und sagte schnell: "Ich bringe Sie und Britt ins Stadion rein, Sir."Daniel Forester fragte hektisch, was sei. "Erst dachte ich, die hätten eine Atombombe über diesem Schlauchdorf abgeworfen. Aber da war kein Blitz und keine Druckwelle. Und jetzt das Gebrumm!"

"Wir haben keine Zeit mehr, Dad", knurrte Brittany und ergriff ihren Vater beim Arm, sowie eine Freie Hand Lucias. Diese übernahm die Zielausrichtung und schaffte sie ins Zentrum eines Quodpotfeldes. Knapp einhundert Meter über ihnen lag die Felsendecke, unter der eine hellgelbe Lichtkugel leuchtete. Viele Bewohner waren schon da oder trafen ein, wobei einige auf dem Feld apparierten und andere am oberen Tribünenrand. Innerhalb von nur drei Sekunden waren wohl alle Bewohner und Gäste, darunter viele kleine Kinder und Säuglinge, im Stadion. Brittany sah den Dorfsprecher sorgenvoll auf eine knapp fünf meter hohe und vier Meter breite Eingangspforte blicken. Dann nickte er, als ein leiser Klingelton erscholl. Krachend fiel ein großes Felsentor zu. Knirschend schoben sich dicke Verriegelungen in entsprechende Halterungen.

"Wenn das Biest apparieren kann könnte die hier ankommen!" Rief Linus Brocklehurst, ein gerade zwanzig Jahre alter Zauberer mit nachtschwarzem Schopf, der für einen modernen Zauberer untypisch bis fast auf den Rücken fiel.

"Die Türen gingen zu, als kein Bewohner oder Gast mehr fehlte. Dann kann keiner mehr reinapparieren, du Trolldödel", versetzte Linus' früherer Klassenkamerad Balthasar Gooseneck.

"'n Trolldödel ist immer noch größer als deine Hohlbirne", konterte Linus. "Genug damit", polterte der Dorfsprecher, ein ziemlich beleibter Zauberer mit dunkelbraunem Schopf und Rauschebart, der die Jungen mit zornigen grünen Augen durch seine Goldrandbrille bedachte. "Alle von uns und die Gäste sind drin, bis auf die, die gerade nicht bei uns wohnen. Das Biest und seine Brut haben sich das falsche Dorf zum angreifen gesucht."

"Von was habt ihr's", zischte Daniel Forester, den das Appariererlebnis offenbar irritiert hatte. Seine Tochter erklärte ihm, daß sie wohl gerade soeben von jenen Insektenmonstern angegriffen würden, die in der Zeitung erwähnt worden waren und weswegen er ja immer in ihrer Nähe zu bleiben habe.

"Bestandsaufnahme! Ambermoon", begann der Dorfsprecher mit einer Anwesenheitsprüfung. Eine Familie winkte und bestätigte, daß alle da waren. So ging es weiter, wobei auch die Brocklehursts aufgerufen und als Anwesend vermerkt wurden. "Fenwick!" Rief Kettlebottom. Ein Ehepaar winkte und deutete auf die beiden Kleinkinder, die sich an ihre Beine klammerten. "Gooseneck!" Fuhr er fort. Balthasars Eltern, seine kleine Schwester Jenny und er meldeten sich durch Winken und Rufen. "Graperoot!" Hallte nun Lucias Name durch die weite, unterirdische Halle. Sie und ihre Eltern meldeten sich. "Grinder!" Rief Kettlebottom. Zwei Sekunden erwartungsvolles Schweigen wurden von zwei Sekunden verwunderter Stille und dann von zehn Sekunden stiller, immer stärker werdender Anspannung gefolgt. Dann sickerte erst ein verunsichertes Raunen in die Stille. Diese endete mit aufgeregtem Durcheinanderreden. "Ruhe, beim Barte des Merlin! Prunella, Sheila, Douglas Grinder! Seid ihr hier?" Wieder zehn Sekunden Stille. "Das kann nicht sein", schnarrte Kettlebottom. Andere warfen in die weite Höhle hinein, daß die Türen nur zugingen, wenn alle im Dorf gewesenen auch hier angekommen wären.

"Logische Schlußfolgerung, sie waren nicht mehr im Dorf, als der Alarm losging", grummelte Brittanys Vater.

"Wer hat die heute zuletzt gesehen?" Fragte Kettlebottom nun sichtlich verunsichert. Die Moonways, die direkten Nachbarn, hatten die Grinders noch eine halbe Stunde vor dem Angriff gesehen. Also durften sie nicht so einfach verschwunden sein. Schnell ging der Dorfsprecher die Liste weiter durch, fragte, ob Gäste im Dorf gewesen seien, registrierte die Foresters, wobei er Brittanys Vater so komisch anglotzte, als müsse er ihn gleich fragen, was der hier zu suchen hatte. Dann sagte er: "Ich habe bereits die Kampftruppen gegen Drachen und andere gefährliche Geschöpfe alarmiert. Die müßten schon da sein." Über ihnen hörten sie leises Zischen und Fauchen und, wenn sie ganz still waren, wildes Brummen wie aufgescheuchte Hornissen.

"Wenn die Grinders noch da oben sind hängen die jetzt voll im Schlamassel drin", unkte Mrs. Moonway. Ihr Mann stupste sie kräftig in die Seite, daß sie bloß schweigen solle. Fünf Minuten lang tobte die Schlacht. Dann rumste es wie eben, nur von hier unten aus leiser hörbar.

"Sie ist entwischt", bemerkte Mrs. Graperoot dazu. "Das hörte sich fast genauso an wie ihre Apparition."

"Wenn die der mit allen hundert Drachenjägern vom Ministerium zugesetzt haben konnte die unmöglich ...", schnarrte Brittany.

"Sie muß aber entwischt sein", schnarrte Lucias Mutter ihrerseits.

Sie warteten zehn Minuten, zwanzig Minuten. Nichts war mehr von draußen zu hören. Dann läutete die Signalglocke zweimal, und die Steinpforte tat sich auf.

"Wenn die weg ist, warum ist das Tor so spät aufgesprungen?" Fragte Linus Brocklehurst laut."

"Irgendwas gefährliches war noch da oben", blaffte Kettlebottom und gebot allen, noch im Stadion zu bleiben. Er und der Sicherheitsrat wollten nachsehen, was oben passiert war.

"Toller Luftschutzbunker, könnte man meinen, der hielte auch einen Volltreffer von einer H-Bombe aus", meinte Brittanys Vater. "Wo kriegt ihr hier unten die Luft her, wenn mal ein paar tausend Leute wegen dieses Knallballraufens hier sind?"

"Das dürften Betriebsgeheimnisse des Architekten sein", sagte Lucia zu Brittanys Vater, ohne ihn zu fragen, was ein Luftschutzbunker oder eine H-Bombe sein sollten. Nach zwei Minuten kam Kettlebottom mit seinem Sicherheitsrat zurück. Hinter ihnen marschierte ein ziemlich verbitterter Mann, den Lucia als Peter Grinder aus dem Inobskuratorentrupp bezeichnete.

"Leute, irgendwer hat befunden, Vielbrandelixier und Todesgase verwenden zu müssen", schnaubte der Dorfsprecher. "Zehn Häuser brennen, die sind komplett in Schutt und Asche gelegt, und an allen Wänden sind Spuren von Drachengallengas. Wird alles von den Spezialisten gerade begutachtet und beseitigt."

"Drachengallengas? Das zersetzt doch alles Fleisch und weiches Pflanzenmaterial. Wer kam denn auf diese Idee?" Ereiferte sich Linus Brocklehurst.

"Ich, du Angeber", schnarrte Peter Grinder durch die Höhle. Das brachte ihm jedoch kein Lob, sondern wilde Unmutsäußerungen. Lucia rief sogar, daß er dabei locker die eigene Familie hätte umbringen können, weil die nicht im Stadion waren.

"Mädchen, die haben meine Frau und meine Kinder überfallen und verschleppt, sobald der große Angriff losging. Dieses Biest hat sich das fein ausgedacht. Hat wohl einige ihrer Brut weit genug vor dem Dorf abgesetzt und gewartet, bis die ohne lautes Gebrummsel über meinem Haus waren. Dann kam sie mit dem Rest an und stürmte das Dorf. Einige haben sich dabei in den Häusern festgesetzt, wo ihr noch gewohnt habt. Meine Kameraden mußten mit Gas draufhalten, um sicherzustellen, daß nichts lebendiges zurückbleibt, was sie angreifen kann, wenn das Gas sich verflüchtigt hat."

"Sie sind wohl nicht ganz zu retten, Giftgas in einer Ansiedlung einzusetzen", Stieß nun Daniel Forester aus. "Abgesehen davon gibt's doch bestimmt genug Betäubungszauber, um diese Geschöpfe lebend zu überwältigen. Müssen Sie grundsätzlich alles umbringen, was nicht wie Sie aussieht?"

"Darf ich fragen, mit wem ich die Ehre habe?" Schnaubte Grinder nun sehr zornig.

"Daniel Forester", erwiderte Brittanys Vater.

"Dann muß ich Ihre Meinung nicht kommentieren, da Sie wohl von unserer Welt und ihren Gefahren keinen blassen Schimmer haben", meinte Grinder darauf verächtlich. Brittany Forester baute sich nun zwischen ihm und ihrem Vater auf und sagte sehr bedrohlich klingend:

"Zum einen hat mein Vater total recht, daß Drachengallengas in Ansiedlungen höchst unverantwortlich ist, da viele Familien hier auch Haustiere und Gärten haben, von denen jetzt wohl nichts mehr übrig ist. Zum zweiten haben meine Mom und ich meinem Vater so gründlich wie nötig erklärt, was in der magischen Welt wirklich gefährlich ist."

"Da wo ich herkomme kennt man auch ganz schlimme Waffen, Mister. Und keiner würde die im eigenen Land über Städten mit Landsleuten einsetzen. Und ich bleibe dabei, daß das was Sie getan haben einem Massenmord gleichkommt, weil Sie jedes Lebewesen da oben mit Ihrem Höllenzeug getötet haben. Die meisten von denen haben Ihnen bestimmt nichts getan", sprach Daniel Forester, der sich nicht dauernd von seiner Tochter verteidigen lassen wollte. "Wenn Sie hier wohnen frage ich Sie, wie skrupellos ein Mensch sein kann, die Grundstücke der eigenen Nachbarn zu verseuchen, nur um ein paar gefährliche Geschöpfe einfach so zu töten, ohne zu klären, ob es nicht auch anders gegangen wäre."

"Aus welcher Welt Sie kommen ist mir bekannt", erwiderte Grinder. "Wir mußten mit aller Härte zuschlagen. Immerhin haben wir dadurch bestimmt fünfzehn oder zwanzig dieser Biester für immer ausgelöscht. Die diskutieren nämlich nicht über Leben und leben lassen, Mister. Die machen nur, was ihre Königin ihnen befiehlt, was diese selbst von wem andren eingebläut bekommen hat. Ich möchte Sie erleben, wenn Ihre Frau und ihre Tochter von diesen Monstern angegriffen werden. meinen Sie, ein christliches Kreuz oder der Name irgendeines Gottes würden die aufhalten?"

"Dad, ich muß ihm zumindest zustimmen, daß du mit gefährlichen Wesen nicht immer friedlich verhandeln kannst", schritt nun Brittany ein. Sie verstand ihren Vater. Er und sie waren Veganer, Anhänger der Überzeugung, daß Tiere nicht für den Menschen zu leiden und zu sterben hatten.

"Könnte sein, daß Sie Ihre Familie beinahe umgebracht hätten", schnarrte nun Linus Brocklehurst.

"Jungchen, ich hab's gesehen, wie dieses Brutmutterbiest mit meiner Frau und meinen Kindern disappariert ist. Die hat sie einfach entführt und ihre Brut gegen uns geschickt, um nicht hinterherzukommen. Dabei sind fünf meiner Mitkämpfer umgebracht worden, bevor wir die Ausgeburten Sardonias in einer Position hatten, wo wir sie erledigen konnten. Dann kam dieses Brutbiest wieder und hat die verbliebenen Abkömmlinge zu sich hinfliegen lassen, um dann wieder zu verschwinden. Die ist immun gegen Feuerbälle. Jetzt erzähl mir Klugscheißer mal, wie wir diesem Ungetüm beikommen sollen."

"Todesfluch", schnarrte Linus.

"Würdest du nicht mehr sagen können, wenn du den an ihr ausprobiert hättest. Irgendwas hat die dagegen gepanzert wie einen großen Drachen. In ihrer dicken Ringelhaut steckt offenbar genug Magie, um den Fluch nicht an lebenswichtige Körperstellen durchschlagen zu lassen." Alle Anwesenden lauschten bange und wiegten die Köpfe. "Die Brut von der ist jedoch im freien Flug gut mit Feuerbällen und Todesflüchen abzutöten. Die Fahndung nach dieser Irren, die uns dieses Monster und seine Abkömmlinge eingebrockt hat läuft schon. Die wird bestimmt als eine der wenigen öffentlich gevierteilt", spie Grinder aus. "So, und jetzt sehe ich zu, daß ich rauskriege, wo dieses Ungetüm ist, bevor es noch weitere Dörfer überfällt."

"Woher wußte es, wo dieses Dorf hier liegt, daß es so genau hier ankommen konnte?" Fragte Daniel Forester.

"Dämliche Muggelfrage. Die wurde auf uns angesetzt", schnarrte Grinder. Brittany straffte sich.

"Und wer hat ihr gesteckt, wo Ihre Angehörigen wohnen, Sir?" Fragte Brittany. Grinder erstarrte. Offenbar erkannte er jetzt erst, daß er das eigentliche Ziel des Überfalls gewesen war. Um seine aufrechterhaltene Autorität zu bewahren sagte er: "Die Verbrecherin, die uns dieses Biest geschickt hat hat sich wohl erkundigt, wer wichtiges hier wohnt." Lautes Lachen erscholl. Es war nicht erheitert, sondern verächtlich. Denn hier lebten viele Familien mit hochrangigen Hexen und Zauberern. Grinder schüttelte diesen Spott mit einem lässigen Schulterzucken ab und ging wortlos zur Pforte hinaus.

"Wann können wir in unsere Häuser, wenn es die noch gibt?" Fragte Linus Brocklehurst.

"So in zwei Stunden vielleicht", sagte Kettlebottom. Ein ungehaltenes Murren brandete durch die gewaltige Höhle, in der ein ganzes Quodpotstadion Platz gefunden hatte. "Denkt ihr, mir paßt das!" Schnaubte der Dorfsprecher. Dann folgte er Grinder, der jedoch wohl schon hinter der Pforte disappariert war.

"Ungehobelter Klotz. War der in Durecore?" Schnarrte Mr. Forester.

"Neh, in Greenskale", erwiderte Mrs. Graperoot verdrossen. "Aber Überheblichkeit nichtmagischen Leuten gegenüber ist nicht auf Durecore beschränkt, nur weil sie da besonders kultiviert wird.

"Jedenfalls könnt ihr das Spiel wohl knicken, Brit. Wenn das halbe Dorf abgebrannt und die andere Hälfte kontaminiert ist", feixte Brittanys Vater. Die Quodpot-Spielerin nickte verhalten. Hier würde sie wohl dieses Wochenende nicht spielen können, falls Wishbones Leute nicht alle Spuren des Gases beseitigen konnten.

Drei Stunden später jedoch meldeten die vom Ministerium eingesetzten Sondertruppen, daß Cloudy Canyon wieder betreten werden konnte. Allerdings war die Stimmung völlig unterkühlt. Es gab keine Gärten mehr. Wo Vorher noch Katzen und Hunde herumgetollt hatten gähnten nun leere Häuser, sofern die Häuser noch standen. Brittany beging mit Lucia Graperoot das halb angekokelte Haus mit einer völlig verdorrten Gartenfläche. Zwar war Winter und nicht viel Grün zu sehen gewesen. Aber daß nun auch keine Bäume mehr dastanden brachte das Ausmaß der Verheerung zum Ausdruck. "Overkill", sagte Brittanys Vater, der seine Tochter zu dem Haus begleitet hatte. "Die haben x-mal mehr umgebracht als sie wollten."

"Ob das diesem Grinder echt was gebracht hat, sein eigenes Heimatdorf so kahl zu machen?" Fragte Brittany.

"Auf jeden Fall hätten wir ein Problem, wenn sich dieser Gasmann auch bei uns austobt", sagte Daniel Forester. "Was sind das für Barbaren, solche Mittel gegen zivile Ziele einzusetzen. In der magielosen Welt wird schon seit Jahrzehnten diskutiert, wie gefährlich solche Kampfmittel sind. Und hier ballern oder sprühen die einfach damit auf alles ein, was sich bewegt."

"Längst nicht alle, Dad. Ich denke, dieser Typ war einfach darauf aus, die Brutkönigin und ihre Abkömmlinge auszuradieren, nach dem Motto: Der Feind ist tot, aufräumen und alles neubauen."

"Das wird teuer", schnarrte Lucia. "Die haben meinen Regenbogenstrauch mit zerblasen. Nachbar oder nicht, Entomanthropen oder nicht, daß war eindeutig zu viel."

"Wie ich Old Luke einschätze wird der diesen Kahlschlag als Angriff der bösen Hexe ausgeben, die neben ihren Entomanthropen auch solche Gasladungen eingesetzt hat, paßt mal auf", sagte Brittany.

"Dann ist der morgen seinen warmen Sessel los und darf Weihnachten auf 'ner Parkbank schlafen", knurrte Lucias Vater, der ebenfalls hergekommen war, um das Ausmaß zu betrachten.

"Kettlebottom hat Grinder aufgefordert, das Dorf zu verlassen und nicht mehr wiederzukommen. Er hat eure Lino und die Jungs vom Herold schon per Kamin informiert, daß hier was zu holen ist. Euer Spiel fällt wohl aus, falls wir nicht bei euch in VDS spielen sollen", sagte er zu Brittany und wandte sich dann an Mr. Forester: "Hut ab für Ihr Rückgrat, Sir. Grinder durfte hier lange den großen Macher geben, weil er ziemlich weit nach oben gekommen ist. Jetzt hat er es sich mit Kettlebottom verscherzt. Könnte sogar sein, daß das vor den Zwölferrat geht. Ironside wird sich freuen. Seine Schwiegertochter kommt von hier."

"Es hat mir große Angst gemacht, daß es auch in der Welt meiner Frau und meiner Tochter Massenvernichtungswaffen gibt, die nicht zwischen Freund und Feind unterscheiden, Sir. Das hat mich wohl so wütend gemacht, daß ich diesem Kahlschläger und Tiervergifter die Meinung sagen konnte, ohne daran zu denken, daß der gleich seinen Zauberstab zieht. Ich meine, ich hatte ja noch mal großes Glück, wenn ich mir die ganze Sauerei hier so ansehe."

"Wir werden sehen, ob das ein Nachspiel hat oder nicht", grummelte Mr. Graperoot.

Einige Stunden später waren die Dinge im Fluß. Der Minister zitierte seinen Sondertruppführer zu einer dringenden Besprechung in sein Büro. Der Westwind und der Herold diskutierten die Maßnahmen gegen gefährliche Kreaturen und fragten nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Und immer wieder kam die Forderung auf, jene, die eigentlich das Chaos angerichtet hatte, solle sich stellen und dem Ministerium erklären, wie diese Gefahr ohne weitere Randbeeinträchtigungen beseitigt werden konnte, am besten gleich die von ihr erschaffene Monsterbrut ausradieren, bevor sie weitere Opfer forderte. Das Problem war nur, daß die Verursacherin nicht mehr eigenständig handeln konnte und von einer anderen abhängig war, die sich gerade in Übersee aufhielt.

_________

Es blieb nicht beim Überfall auf Cloudy Canyon. Einen Tag später versuchte die Brutmutter der Entomanthropen, Misty Mountain anzugreifen, das über kein unterirdisches Quodpotstadion verfügte. Doch die eingerichteten Wachposten zahlten sich aus. Zwar hatte Wishbone den Einsatz von Gaswaffen in der Nähe von Ansiedlungen verboten - viel zu spät wie die Kommentatoren der beiden Zeitungen fanden -, doch konnten innerhalb von Sekunden zweihundert erfahrene Besenflieger mit Kampfzaubergrundkenntnissen zusammengezogen werden, die die Pulks aus zwanzig bis dreißig Insektenmonstern schnell niederkämpften, ohne Häuser oder Gärten zu beschädigen. Am fünfzehnten Dezember tauchte ein vereinzelter Entomanthrop auf, der in der Nähe des Zaubereiministeriums herumschwirrte und ohne die Brutkönigin unterwegs war. Die wachen holten ihn mit zwei Todesflüchen vom Himmel. An seinem Bauch war eine Botschaft befestigt:

An den Obermacker der Zaubererwelt genannt Zaubereiminister

Auch wenn deine Leute so um die fünfzig meiner Kinder umgebracht haben kann ich immer noch hundertmal mehr in die Welt setzen. Deshalb solltet ihr besser friedlich mit mir klarkommen. Auch wenn die ganzen Hexendörfer doppelt und dreifach abgesichert sind gibt's immer noch genug Städte und Dörfer, wo ihr keinen postiert habt. Ich war schon lange nicht mehr in New York. Los Angeles habe ich bisher überhaupt noch nicht besucht. Ja, und die reichen Pinkel in Florida haben auch nette Häuser zum reinkrachen. Dann ist eure ganze schöne Geheimhaltung im Arsch, wenn ich da mal reinschwirre oder meinen Kindern einen schönen Tag im Zentralpark oder einen Ausflug an den Strand von Miami zu Weihnachten schenke.

Jetzt fragt sich jeder bei euch, du natürlich am meisten, was die alte Monsterbiene will, was sie sich nicht selbst holt. Drei Sachen. Jede Woche fünfzig Rinder in einem Pferch bei San Antonio, Texas. Dann will ich haben, daß ich ungehindert meine ganzen Kinder großziehen und mit ihnen als neue Geschöpfe in dieser Welt leben darf. Für jedes meiner Kinder, die ab morgen von euch getötet werden, kralle ich mir zwei von euren Kindern. Also laßt uns schön in Ruhe. Achso, das dritte, was ich von euch will, ist die nette, blonde Hexe, der ihr Danke sagen dürft, daß es mich gibt. Wenn die zu mir will, macht einen großen Zettel an eines der Rindviecher, die ich von euch haben will. Wenn ihr das alles gebacken kriegt kriegt ihr von mir und meinen Bälgern auch nichts schlimmes mehr mit. In so zehn Tagen ist weihnachten. Kriegt das hin, daß diese blonde Hexe, die mich zusammengezaubert hat an einen Treffpunkt kommt, den sie sich gerne aussuchen darf. Die kann auch gerne mit Freunden oder Freundinnen anrücken. Eure Killerblitze und Flammenbomben machen mir nichts mehr aus, wie euch Peter Grinder sicher schon gesteckt hat. Übrigens soll ich ihn von seiner Frau grüßen. Sie wird bald wieder zu ihm kommen. Seine beiden Kinder bleiben noch ein wenig bei mir, damit ihr noch einen Grund habt, mir meine drei Wünsche zu erfüllen wie der Geist aus Aladins Wunderlampe.

Man schreibt sich
Königin Valery von fremden Hexengnaden

"Was soll das denn sein?" maunzte die schwarz-goldene Katze auf Wishbones Schreibtisch. Er hatte es zwar immer wieder versucht, sie davon abzuhalten, sich wie ein lebendes Dekorationsstück darauf breitzumachen oder zusammenzurollen. Aber sie hielt sich wohl für die Königin des Ministeriums. Auch hatte sie ihm schon mal die Krallen über die Hand oder die Arme gezogen, wenn er meinte, sie mal eben greifen und in einen anderen Raum tragen zu müssen.

"Das ist auf jeden Fall eine Kriegserklärung, Reny", sagte Wishbone. Die lezten Tage waren für ihn die Hölle gewesen. Sein mühsam aufgebauter Ruf des Sicherheitsgaranten war unter den Angriffen dieser Brutmutter zusammengebrochen. Auch die nun immer hartnäckigeren Unterstellungen, er hätte ein Vollstreckerkommando gegründet, das außerhalb gesetzlicher Grenzen handeln durfte, waren trotz ausgefeilter Presseerklärungen nicht verstummt. Mit großem Unmut hatte er eine direkte Anklage Professor Foresters aus Thorntails gelesen, die ihn und seine Sondertruppe eine zügellose Zerstörungswut unterstellte. Die Geschichte der Entomanthropen biete genug Auswahlmöglichkeiten an, die Brutköniginnen aufzuspüren ohne Dörfer wie Cloudy Canyon zu vergiften. Sie zählte dann in der besserwisserischen Art einer renommierten Lehrerin auf, wie zu Sardonias Zeiten herumfliegende Entomanthropen mit sich selbst schließenden Markierungsringen gekennzeichnet wurden, um sie mühelos zu ihrer Königin zurückzuverfolgen. Diese hätte man dann ganz ohne weitere Personengefährdung mit konserviertem Drachenfeuer erledigen können.

"Wenn diese Pute das hier liest", dachte Wishbone und deutete auf den Brief.

"Was hast du jetzt damit vor", maunzte die Katze auf dem Schreibtisch leise.

"Könnte ich gleich an die Zeitung geben. Aber dann könnten die auf die Idee kommen, ich solle auf den Handel eingehen, um der lieben Geheimhaltung willen. Ich muß zugeben, daß ich im Moment mit dem Gedanken spiele. Allerdings würde ich den Brief dann ganz sicher nicht in die Zeitung setzen."

"Und wie willst du an die Sardonianerin drankommen? Geh mal davon aus, daß sie zumindest die Zeitungen liest! Vielleicht bietet sie dir freiwillig an, dieses Biest auszulöschen. Denn das ist dir bestimmt auch gleich klargeworden: Diese Brutkönigin macht ihr eigenes Ding."

"Oder wir sollen das glauben", schnarrte der Minister.

"Der Stil ist der Mensch, Süßer. Die Erbin Sardonias hat sich immer einer ordentlichen Schriftsprache bedient. Hier aber klingt eindeutig die Stimme eines Gossenmädchens aus der Muggelwelt durch. Und du kannst davon ausgehen, daß sich Sardonias Erbin nicht von ihrer Züchtung diktieren läßt, was sie zu schreiben hat. Abgesehen davon fehlt ihr Kennzeichen, um zu verschleiern, wie sie aussieht."

"Du meinst, ich kann sehen, wie der oder diejenige aussieht?" Fragte der Minister und prüfte den Zettel. Dann hielt er seinen Zauberstab daran und sagte "Scriptorvista!" Die Katze entrollte sich und sprang vom Schreibtisch, als sich genau darüber die Gestalt eines gerade zehn Jahre alten Mädchens formte, das nackt und ängstlich war.

"Sheila Grinder. Sie hat tatsächlich Grinders Familie in der Gewalt", seufzte der Minister und ließ das heraufbeschworene Bild der Schreiberin verschwinden.

"Wie gesagt, der Stil ist der Mensch, Luke", sprach nun eine Frau zu ihm. Er drehte sich um und sah eine schlanke Frau in einem mitternachtsblauen Festumhang, der mit dem Stahlblau ihrer Augen kontrastierte.

"Das ist riskant, Tracy", mentiloquierte der Minister. Die Frau nickte und schrumpfte, wobei ihr durch den Umhang schwarz-goldenes Fell wuchs. Als wieder eine Katze dort hockte, wo die Frau gestanden hatte, waren die Augen das einzige, was sich bei der Verwandlung nicht verfärbt hatte.

"Ich kann und werde unmöglich auf diese dreisten Forderungen eingehen. Wenn ich diese Hexe erwische, dann gehört die nur mir und dem Ministerium."

"Na, komm nicht auf komische Ideen mit der", knurrte die Katzenfrau und sprang auf Wishbones Schoß, wo sie sich einrollte und zu schnurren anfing.

"Ich will nur zwei Sachen von der, ihren Namen und ihre Leiche."

"Du willst so heißen wie die?" Klang nun eine Gedankenbotschaft unter seiner Schädeldecke.

"Du Flohfängerin weißt genau was ich meine", schnarrte der Minister, wofür er ein warnendes Fauchen zur Antwort erhielt.

"Ich denke, jetzt sollten sich die sogenannten Schweigsamen doch mal dazu bekennen, wem sie Unterstützung zollen. Ich habe es Davidson durchgehen lassen, daß der Kontakte zu denen hält, ohne mir zu sagen, über wen genau. Soll der das also regeln." Er nahm die eingerollte Katze und legte sie auf den Tisch. Dann konnte er ein Flohpulverfeuer im Kamin entfachen und kletterte selbst mit dem Zettel hinein. Er wollte gerade Davidsons Büro als Ziel ausrufen, als ein schwarz-goldener Schemen durch die Luft sauste und als warmes Fellbündel auf seiner linken Schulter landete. Der Minister sprang aus dem Kamin zurück und zischte die Katze an, daß Davidsons Büro Enthüllungszauber besäße, um verkleidete oder verwandelte Eindringlinge zu enttarnen.

"So ein Spielverderber aber auch", fauchte die Katze, sprang von Wishbones Schulter und landete auf dem Schreibtischstuhl. Wishbone kletterte wieder in den Kamin und rief das korrekte Ziel aus.

Elysius Davidson war nicht überrascht, als der Minister ihm im Schutze aller Unbeobachtbarkeits- und Unabhörbarkeitszauber den großen Zettel zeigte, den der Entomanthrop überbracht hatte.

"Wir wissen, daß Sardonias Erbin nicht mehr existiert", ließ Davidson eine Neuigkeit heraus, die den Minister sichtlich irritierte. Um zu rechtfertigen, warum er das jetzt erst erwähnte sagte der Leiter des Laveau-Institutes noch: "War nicht einfach, die Verbindung wiederzukriegen, die durch Ardentias und Janes Tod zerbrochen ist. Aber jemand ist an mich herangetreten und hat mir glaubhaft versichert, daß es zu unser beider Vorteil wäre, mit gewissen Leuten wieder in Kontakt zu stehen. Wegen der Vereinbarung zwischen dem LI und dem Ministerium muß ich Ihnen nicht sagen, wer es ist und welche Vorteile diese Person für sich und/oder andere einräumt. Nur so viel: Zwischen der legitimen Erbin Sardonias und der derzeitigen Führerin der sogenannten Nachtfraktion kam es Mitte November zu einem Entscheidungsduell auf Leben und tot. Dabei gelang es der erwähnten Anführerin kurz vor Vollendung eines ihr geltenden Infanticorpore-Fluches, einen alle Flüche zurückprällenden Fluch aufzurufen. Damit wurde Sardonias Erbin sprichwörtlich aus der Welt geschafft. Den Namen der Anführerin habe ich zwar nicht erfahren, dafür jedoch, daß diese nun in Europa unterwegs ist, um gegen dortige Kreaturen Voldemorts zu kämpfen, weil sie das der unterlegenen Feindin verbindlich zugesagt hat."

"Ich fürchte, über Ihre Privilegien müssen wir beide noch einmal sprechen, Elysius. Meine Vorgänger mögen Sie mit nützlichen Andeutungen und dezenten Hilfsmaßnahmen imponiert haben. Aber wenn ich befinde, daß diese Gruppierung zerschlagen und ihre Mitglieder eingesperrt gehören, dann finde ich es sehr unkooperativ, daß Sie mir die Namen vorenthalten. Also Besen und Reiter, wer hat Sie angesprochen? Welcher Gruppierung gehört diese Person an? Wer ist jene achso siegreiche Dame, die uns dieses Problem vom Hals geschafft haben soll, was ich erst einmal bewiesen haben möchte?"

"Das Privileg, wie Sie es nennen, ist magisch beurkundet. Sie dürfen mich nicht dazu zwingen oder mich durch andere Maßnahmen anhalten, mir anvertraute Geheimnisse preiszugeben. Als Sie den Eid als Zaubereiminister abgelegt haben, wurden Sie zum Partner dieses Vertrages, der auf zweihundert Jahre Laufzeit festgelegt ist. Also ersparen Sie sich jede Drohung oder Zusage, um das Vertrauen zu brechen, daß mir jene Person entgegenbringt."

"Den Namen, Davidson. Wer ist die Führerin der Nachtfraktion, verdammt noch mal?"

"Wenn ich auf diesen Befehl Ihrem Wunsch gemäß reagiere, werden Sie schlagartig alles vergessen, was sie in den letzten zehn Jahren erlebt haben, Herr Minister. So steht es im Vertrag. Der liegt bei Ihnen im Tresor für langfristige, magische Vereinbarungen. Lesen Sie den besser noch einmal gründlich durch. Deshalb werde ich diesen Namen nicht preisgeben."

"Ich werde mir den Vertrag durchlesen", knurrte Wishbone, der nicht mehr wußte, ob Davidson pokerte oder nicht. Die letzten Zehn Jahre waren die intensivsten seines Lebens gewesen. Das was in dieser Zeit passiert war zu vergessen war es nicht wert, auszuprobieren, ob das ein Bluff war oder nicht. Davidson hatte ihn genau erwischt. Er hatte diesen ominösen Vertrauensvertrag nie gelesen. "Nun gut, gehen wir mal davon aus, die Sardonianerin kann diese Brutkönigin nicht mehr kontrollieren. Wie sollen wir uns nach dieser Nachricht hier verhalten."

"Lassen Sie den Zettel hier. Ich gebe ihn weiter. Na, das würde ich aber gar nicht erst denken", sagte der Direktor des Laveau-Institutes, als Wishbone den Zauberstab ziehen wollte, um den Zettel mit einem Markierungsfluch zu versehen. Zumindest mußte Davidson davon ausgehen. "Die hier wirkenden Zauber vereiteln alles, was nicht von mir ausgeführt wird und/oder gegen mich gerichtet ist. Einen Markierungszauber oder ähnliches anzuwenden würde Ihnen auch als Vertragsbruch angerechnet." Dann nahm er den großen Zettel und steckte ihn in eine Schreibtischschublade, die er zuschloß. Wishbone sah ihn verärgert an.

"Sollte ich feststellen, daß dieser Vertrag weder magisch bindend noch mit dder von Ihnen erwähnten Konsequenz bei Vertragsbruch ausgestattet sein sitzt bald ein anderer auf Ihrem Stuhl, und Sie erhalten einen unbefristeten Aufenthalt in Doomcastle, weil Sie eine Verschwörung decken, die gegen unsere Weltordnung gerichtet ist. Ich empfehle mich." Mit diesen harschen Worten entzündete der Minister erneut das grüne Feuer und verschwand im Kamin.

Stimmt, Lucas. Sie werden feststellen, daß es nicht zehn, sondern zwanzig Lebensjahre sind, die aus Ihrem Gedächtnis verschwinden", grummelte Davidson, bevor er den Zettel wieder herausholte und ihn noch einmal betrachtete.

"Soll Madam Greensporn ihrer Enkelin Beine machen", dachte er, bevor er selbst eine Flohnetzverbindung aufbaute, um der Hexe, die ihn auf die Welt geholfen hatte, die Kriegserklärung Valerys zu übergeben.

__________

"Das kann nicht angehen", lamentierte Anthelias Gedankenstimme in Daianiras Kopf. "Meine ehrwürdige Tante hat diese Wesen stets kontrolliert. Keines davon kann aufwachen, wenn ihm schlaf befohlen wurde. Und was deine Großmutter noch behauptet, daß die Brutköniginnen eigenständig denken können, kann auch nicht sein."

""Hörst du mir zu, oder hörst du auf deinen Bauch und das, was darin ist, Daianira", schnarrte Eileithyia Greensporn, als Daianira am Morgen des sechzehnten Dezembers, nachdem sie den Verteidigungskampf gegen die Drachen der Unbekannten organisiert hatte, mit ihrer Cousine Leda wieder in den Staaten angekommen war.

Da ist nichts, worauf ich jetzt schon hören könnte, Oma Thyia", erwiderte Daianira. "Ich denke halt nur, daß diese Königinnen doch ständig kontrolliert wurden. Die können doch kein Eigenleben entwickeln wie sie wollen."

"So, können die nicht? Dann will ich dir und deiner Bauchstimme mal was sagen, was ihr beide nicht wissen konntet. Damals hat die unselige Sardonia ausschließlich europäische Honigbienen zur Erzeugung von Entomanthropen mißbrauchen können. Nun sind wir hier aber in Nordamerika, wo seit einigen Jahrzehnten Kreuzungen aus europäischen und afrikanischen Bienen existieren. Die Kreuzungen zeichnen sich durch eine höhere Stechlust und niedrige Reizschwelle aus. Wer mit ihnen Imkerei betreibt muß einen Ganzkörperschutz tragen, um nicht von ihnen getötet werden zu können. Wenn deine zukünftige Tochter, meine Urenkelin in Wartestellung, gezielt oder aus Versehen eine solche Königin erwischt hat könnte das die Beherrschbarkeit deutlich verändern, um nicht zu sagen verschlechtern. Diese von den Muggeln auch als Mörderbienen bezeichneten Hybriden existieren erst seit 1957, als wegen der Ergiebigkeit und Tropentauglichkeit mit diesen Kreuzungen angefangen wurde." Daianira verzog das Gesicht. Ihr Kreislauf geriet ins Wanken. Ihre Großmutter erkannte wohl, daß diese Vorstellung ihr in ihrem Zustand wohl nicht besonders guttat. Doch sie mußte ihr die Wahrheit sagen. "Es wurden Fotos gemacht, als dieses Scheusal Cloudy Canyon angegriffen hat. Immerhin hatte da einer eine wirklich intelligente Eingebung." Sie zeigte Daianira das magische Foto einer überdimensionalen Bienenkönigin, deren vordere Körperhälfte die einer Menschenfrau war. "Das Foto habe ich von Schwester Kira, die es wiederum von dem hat, der die Aufnahme gemacht hat. "Das Ministerium unterhält eine Verbindung in die Bundesermittlungsbehörde der Staaten. Der Kontakt konnte ermitteln, daß das Mädchen, daß deine derzeitige Leibesfrucht in die Verwandlung zur Entomanthropenkönigin gezwungen hat, bereits mehrere Diebstähle und bandenmäßige Untaten verübt hat und seit nun einigen Monaten unauffindbar ist. Der Name dieses Mädchens lautet Valery Saunders." Daianira fühlte einen Schwindelanfall. Anthelia hoffte, daß ihre Duellgegnerin womöglich auf Grund der auch für sie schockierenden Neuigkeit eine Fehlgeburt erleben würde und sie damit endlich wieder alle Macht des Medaillons ausschöpfen konnte. Doch Eileithyia ließ das nicht zu, daß ihr in ihrem Privathaus ein derartiger Unfall unterkam. Sie gab Daianira einen kleinen Silberkelch und wies sie an, diesen leerzutrinken. Daianira gehorchte ohne einzigen Widerspruch. Der Zaubertrank ränkte den Kreislauf wieder ein.

"Ich werde es nicht zulassen, daß eine Hexe in meinem Haus ein Kind verliert, Daianira. Da ich wußte, wie sehr dich eine derartige Offenbarung betreffen könnte, habe ich diesen Trank bereitgehalten."

"Du meinst also, daß Anthelia eine kriminelle Jugendliche mit einer aggressiven Neubiene verschmolzen hat? Dann könnte natürlich die Willensstärke dieses Wesens ungleich höher sein, zumindest aber der Charakterzug, sich nicht herumkommandieren zu lassen."

"Deine künftige Tochter hat in die Natur hineingepfuscht wie ihre Ex-Tante Sardonia", schnarrte Eileithyia sehr entrüstet. "Und wir alle müssen jetzt den Preis dafür bezahlen. Die Mugggel, die sie schon getötet hat, die Zauberer, die versucht haben, sie zu töten, alles Opfer dieses machtberauschten Schaffensdranges."

"Sage dieser übergescheiten Alten, sie hätte gerne versuchen können, gegen die Schlangenbiester des Waisenknaben zu kämpfen, Daianira!"

"Nun, wie du schon mehrmals bemerkt hast, Oma Thyia, bin ich mit Anthelia nun einige Wochen zusammen und habe mir immer wieder Gedanken gemacht, warum sie Sardonias Schreckgestalten nachgezüchtet hat. Als ich dann selbst solchen Schlangenwesen begegnet bin und erkannte, daß sie auf festem Boden unbesiegbar sind, verstand ich zum Teil ihre Beweggründe. Diese Wesen wurden vor meinem Duell mit ihr abgerichtet und werden nun nur noch diese Wesen angreifen."

"Hier aber nicht, Daianira. Hier führt diese Valery Saunders ihren ganz persönlichen Krieg um ihre Arterhaltung. Und wenn das so weitergeht wird sie ihn gewinnen."

"Eine Frage, werte Großmutter hast du nicht beantworten können: Wieso ist dieses Biest gegen Todesflüche immun und kann apparieren?"

"Weil sie auf irgendeine Weise mit Magie verbunden wurde, die ihre eh schon magische Physis entscheidend verstärkt hat", zischte Eileithyia ihrer Enkelin zu. Es war nichts davon zu bemerken, daß die nun einhundertsechzehn Jahre alte Hexe sonst immer sehr Freundlich und fröhlich auftrat und jedem, mit dem sie sprach, Zuversicht und Vertrauen einflößen konnte. Daianira erkannte, daß ihre Großmutter wirklich das Zeug zu einer Sprecherin hatte. Das sie es nicht war lag wohl nur daran, daß sie keine Anführerin sein wollte.

"Der Minister soll auf diesen Kuhandel eingehen und fünfzig Rinder zu diesem Pferch in San Antonio schaffen. Zum einen wird eines der Tiere einen Zettel tragen, daß sich ihre Schöpferin mit ihr treffen will, am besten gleich übermorgen."

"Du willst dich ihr stellen?" Fragte Eileithyia, die jetzt begriff, was sie da angerichtet hatte.

"Da Anthelia überall hingeht, wo ich hingehe, kann sie eben nur zu dieser Valery Saunders, wenn ich dorthin gehe."

"Dieses Monstrum wird dich töten", erwiderte Eileithyia besorgt.

"Das Risiko muß ich eingehen, will ich ergründen, wieso dieses Wesen magische Kräfte entwickelt hat", erwiderte Daianira. Sie verschwieg ihrer Großmutter, daß sie versuchen wollte, dieses Wesen unter die Gewalt des Entomolithen zu zwingen. Von dem durfte Eileithyia nichs wissen. "Es gibt einen Zauber, der auf Schmuckstücke gelegt werden kann wenn sie zu Portschlüsseln gemacht wurden. Sobald ein bestimmtes Gefühl wie Angst den Träger ergreift, soll er sich aktivieren. Damit kann ich rechtzeitig flüchten, ohne mich auf das Apparieren konzentrieren zu müssen."

"Das geht", sagte ihre Großmutter. "Wende diesen Zauber an!" Daianira atmete auf. Sie konnte nun also losziehen.

"Ich werde über Elysius Davidson dem Minister empfehlen, die fünfzig Rinder bereitzustellen. Wie wäre es, wenn wir in jedes eine Phiole mit hochtödlichem Gift einlagern, daß erst freigesetzt wird, wenn die Tiere den Standort verlassen?"

"Sage ihr, das geht nicht, weil Entomanthropen Gifte wittern können", sprach Anthelias Ich zu Daianira.

"Nach meinen Erkenntnissen sind Entomanthropen vorzüglich dafür geeignet, Giftstoffe zu wittern. Das können wir also vergessen. Gönnen wir ihr und ihren Kindern eine Henkersmahlzeit. Denn etwas sollten wir tun: Wir müssen jedes Rind mit einer Markierung versehen, um zu ergründen, wo die Brutstätte ist." Ihre Großmutter nickte rasch. Dann vereinbarten sie, daß sie empfehlen würde, eine Zweihundertschaft mit Vielbrandelixier aufzubieten, die die Brutstätte zerstören sollen." Daianira nickte.

So erhielt Minister Wishbone drei Stunden später einen mit einer Flotte-Schreibefeder verfaßten Zettel, auf dem die Erschafferin der Brutkönigin um ein Treffen im Tal des Todes in der kalifornischen Mojavewüste bat. Auf einem anderen Zettel stand, daß das Ministerium fünfzig Rinder an den vorbestimmten Ort verlegen solte, um die Nachricht weiterzugeben. Zehn Tiere sollten mit Markierungen versehen werden, um den Standort herauszufinden. Wishbone ging darauf ein.

__________

"Sie werden dir markierte Tiere anbringen, Mutter und Königin", teilte Terry O'Sullivans neues Ich seiner Mutter mit. "Wir hätten weiterhin die Ställe in den Dörfern heimsuchen sollen."

"Ich denke mir schon sowas, Dreiunddreißig von Achtundsiebzig. Die Viecher sind mir auch egal. Die werde ich anderswo hinschaffen, um die zu einer großen Dummheit zu veranlassen", schickte Valery zurück. "Mir geht es nur um diese Hexe."

"Wirst du sie zu unserer Schwester machen?" Fragte Terry O'Sullivan.

"Ganz genau", erwiderte Valery.

__________

Sie holt die alle ab", sagte Justin Spikes, der nach Grinders radikalem Schlag gegen das eigene Heimatdorf der neue Leiter der My-Truppe war. "Wie lange sollen wir mit dem Schlag warten?"

"Wenn es genau eine Stunde her ist und wir wissen, wo die markierten Tiere hingebracht wurden", erwiderte der Minister, der im Kommandostand der My-Truppe wartete. Er ärgerte sich, daß Davidson recht behalten hatte. Im Vertrag über das vertrauliche Miteinander zwischen Ministerium und Laveau-Institut hieß es, daß jeder, der den Vertrag brach, zwanzig Lebensjahre aus dem Gedächtnis verlor, zwanzig, nicht zehn.

"Die muß sich zwei auf einmal greifen können. Warum sollen wir nicht näher ran?" Fragte einer der Truppe über eine Schallverpflanzungsdose.

"Weil sie euch sofort wittern würde, Sie Armleuchter", erwiderte Spikes. Sein Angriffstrupp war bereit.

"So, alle Rinder am selben neuen Zielort", meldete der Überwacher des Markierungszaubers. Er las die geographischen Daten ab und prüfte sie in seinem Atlas.

"Die verläd uns. Die Tiere sind alle in Houston, Texas gelandet!" Rief Spikes.

"Wo da genau?" Wollte der Minister wissen, dem die Wut förmlich ins Gesicht gemeißelt wirkte.

"Innenstadt, womöglich unter den Straßen in den Abwasserkanälen. Wenn wir da sofort draufgehalten hätten .. ouououou", bemerkte Spikes.

"Hält die uns für bescheuert, daß wir nicht nachprüfen, ob eine Muggelsiedlung in der Nähe ist?" Schnarrte der Minister.

"Wahrscheinlich hat sie gemerkt, daß wir die Tiere magisch markiert haben. Die kann apparieren, widersteht Todesflüchen und Feuerbällen. Wissen wir, was die sonst noch alles kann?" Fragte Balton Clover, einer der My-Trupp-Leute, die beim radikalen Angriff auf Cloudy Canyon dabei gewesen waren und jetzt zum Wachdienst versetzt war.

"Mit anderen Worten, die Ausgaben in der Muggelwelt sind sprichwörtlich ins Wasser gefallen", zog Spikes Bilanz. "Aber woher kennt die das Abwassersystem von Houston so gut?"

"Weil Sie vielleicht schon mal da herumgelaufen ist, Mr. Spikes", schnaubte der Minister.

"Außerdem haben wir jetzt ein weiteres Problem. Diese Königin ist nun gewarnt und rechnet damit, in eine neue Falle zu gehen."

"Oder sie wollte einfach testen, was passiert, wenn sie die Rindviecher abholt", meinte Clover ungefragt.

"Dann wäre sie ja noch in Houston", vermutete der Minister. Er mußte sich arg anstrengen, nicht zum Angriff zu rufen. Viel zu viele Muggel auf engem Raum.

"Wo will sich die, die sich für die Erbin ausgibt mit dieser Valery treffen?" Fragte Spikes seine Leute.

"Im Tal des Todes", raunte Clover.

"Dann sichern wir das ab, wenn die beiden sich da treffen", sagte der Minister. Da würde er endlich die Anführerin der Nachtfraktionsschwestern zu sehen kriegen, ob sie das wollte oder nicht.

__________

"War klar, daß die meinen, das Tal abzusichern", sagte Daianira zu Leda. "Deshalb steht fest, daß du mich nicht begleiten kannst. Ich werde mein Gesicht und Haar verändern, um Anthelia so ähnlich wie möglich zu sehen. Das dürfte meinen Schoß nicht beeinträchtigen."

"Wirst du sie im Medaillon mitnehmen?" fragte Leda.

"Für diesen Ausflug unbedingt, Leda", erwiderte Daianira und zog sich in ihr Zimmer zurück, um den nötigen Acht-Stunden-Schlaf zu bekommen, um durch Anthelias Lebenserhaltungsgürtel morgen optimal beschützt zu werden.

_________

"Sie haben wohl vor, das Tal mit Antiapparitionswällen zu verstellen", vermutete Anthelia, als das Seelenmedaillon sacht vibrierte.

"Sie scheuen sich nicht mal vor dunkler Magie", erwiderte Daianira nur in Gedanken. Dann erreichten sie den Treffpunkt. Daianira landete mit dem Bronco Centennial am vereinbarten Treffpunkt. Sie war froh, daß Anthelias rosarote Aufmachung so bezaubert war, daß sie den Körper auf annehmbare Temperaturen hielt. Gleich war es Mittag. Die Talsohle, auf der sie nun stand, war über vierzig Meter unterhalb des Meeresspiegels. Sie blickte sich immer wieder um. Niemand, der sie jetzt sah, hätte in der strohblonden Hexe mit den Sommersprossen Daianira wiedererkannt. Sie fühlte die Spannung steigen. Entweder würde sie diese Königin richtig unterwerfen, sie töten oder getötet werden. "Ist fast wie mein erstes Mal mit dem Waisenknaben", strömte Anthelias Ich ihr aus dem Medaillon in den Kopf.

"So nennst du den Emporkömmling", dachte Daianira zurück. Wieder blickte sie auf die Uhr. Gleich war es so weit. Sie blickte in den Himmel hinauf. Doch von dort kam nichts. Sie dachte eh, daß ihre neue, womöglich sehr gefährliche Gegnerin, direkt vor ihr materialisieren würde. "Doch dazu müßte die erst einmal wissen, wo genau ich stehe."

"Sie wird es wohl wieder mit einer Annäherungsumlaufbahn versuchen, dachte Anthelia. Die Lady im rosaroten Umhang behielt die Ruhe selbst. Sie hatte schon öfter mit kriminellen und den Jahreszeitenwechsel zu tun gehabt.

"Die Wächter von Wishbone werden uns wohl festnehmen, wenn die Königin erst einmal erledigt ist. Willst du dich festnehmen lassen?"

"Ich werde die da am Rande des Tals mit ihren eigenen Waffenschlagen, sofern ich diese Königin erledigen kann und ..." Mit dumpfem Knall erschien sie. Daianira sah sie ruhig an. Immerhin hatte sie die noch zahmen Königinnen in Frankreich und Spanien gesehen und war den abscheulichen Anblick nun gewohnt. Das Mutterweibchen war nicht allein gekommen, sondern gleich mit sechs geflügelten Unwesen, die nun von ihrer Königin abließen und sich verteilten.

"Hallo", schnarrte eine baßartige Stimme durch das Tal. "Du bist tatsächlich gekommen. Mutig von dir. Wie darf ich dich nennen?"

"Anthelia", erwiderte Daianira schnell. "So, Anthelia", brummbasste die Stimme der Königin. "Ich bin Valery, Valery die erste. Ich wollte dich unbedingt wiedersehen, um mich bei dir zu bedanken."

"Wofür?" Fragte Daianira.

"Daß du mir diesen schnieken Körper gemacht hast. Jetzt komme ich mit diesem Körper sehr toll klar. Ich will nicht mehr so ein klapperdürres Straßenmädchen sein. Also versuch gar nicht erst, mich zurückzuverwandeln!"

"Du meinst, ich könnte das?" Fragte Daianira. Die Brutmutter Valery lachte laut und talfüllend.

"Du behauptest jetzt, du könntest das nicht. Klar, weil du mich als Sklavenlegerin haben wolltest."

"Nun, ich wäre taub und blind, wenn ich nicht zugeben könnte, daß ich diesen Umstand bedauere", erwiderte Daianira. "Du warst wirklich dafür gedacht, besser nur in der ausgesuchten Brutkammer zu liegen und mir schlagkräftige Krieger auszubrüten." Daianiras Ehrlichkeit - von der gerade begangenen Namenslüge abgesehen -, gaben ihr die Möglichkeit, zu fragen, was sie wissen wollte. Vordringlich war es die Frage: "Wie kommt es, daß du dich zeitlos anderswo hinwünschen kannst?"

"Ah, bin ich doch die einzige, die diese Macht bekommen hat", frohlockte die Entomanthropenkönigin. Daianira verbarg ihren Unmut über diese unfreiwillig erteilte Auskunft. Dieses Ungeheuer da vor ihr, daß von Anthelia erschaffen worden war, um hier in Amerika eine Armee williger Entomanthropen zu kultivieren, hatte sich aus irgendeinem Grund aus der Abhängigkeit vom Entomolithen gelöst und ihr eigenes, nicht weniger schauerliches Eigenleben zu entfalten.

"Ja, du bist die einzige. Ich habe es bis her nicht für nötig gehalten, Wesen wie dich mit dieser Gabe auszustatten. Wie hast du sie denn bekommen?"

"Das verrate ich dir nur, wenn du mir verrätst, wie viele es noch von meiner Art gibt und wo sie sind."

"Das wirst du nicht von mir zu hören kriegen, Valery Saunders", stieß Daianira entschlossen aus. Von Anthelias warmer Altstimme hatte sie nichts. Valery sah sie genauer an und sagte mit ihrer Baßstimme:

"Ich habe in den letzten Wochen viel gemacht und gelernt, Anthelia. Dabei habe ich auch gelernt, wieso ihr eure Welt so gegenüber allen anderen zumacht. Ihr wollt nicht, daß euch die anderen, Leute wie wir, die Muggel genannt werden, euch abverlangen, ihre Probleme zu lösen. Dann meint ihr noch, die alten Hexenprozesse liefen wohl noch. Zumindest hätten die Menschen Angst, ihr wäret denen zu mächtig. Und trotzdem hast du mich mit einer Bienenkönigin zusammengebacken, weil du irgendwen in der Welt bekämpfen willst und dir zu fein bist, die Muggels zu fragen, ob sie das nicht erledigen könnten. Dann müßtest du denen ja im Gegenzug was anbieten, nicht wahr?"

"Das du jetzt vor mir hockst, Valery, liegt schlicht daran, daß ich diese Geheimhaltung verachte, die uns dazu zwingt, nicht in die Welt einzugreifen. Ich führe einen Trupp anderer Hexen an, die so denken wie ich, die wollen, daß die Männergesellschaft zu einer Gesellschaft starker, weiser Frauen wird. Nur deshalb gibt es dich jetzt."

"Warum Bienen und keine Wespen oder Hornissen?" Erkundigte sich Valery.

"Weil sie leicht zu beauftragen sind", souflierte Anthelia. Diesmal gab Daianira diese Gedankenbotschaft der Wiederkehrerin weiter.

"Das wüßte ich aber, daß du mich beeinflussen könntest. Ich bin frei, ich habe genug Kraft in mir drin, dem Zauberstein zu wiederstehen, den du mithast."

"Welchen Zauberstein", tag Daianira überrascht.

"Jenen gelben Stein, der wohl einmal Baumharz war.

"Ja, ich habe ihn mit. Aber ich würde dich gerne als freies Wesen weiterleben sehen, um zu lernen, warum der Zauber meiner früheren Tante bei dir nicht so verlief wie bei ihren Königinnen."

"Neugier, wie. Du hast einen Wonneproppen von Göre in die Welt gesetzt, der dir bereits nach der Geburt fast schon auf den Kopf spucken konnte. Aber irgendwas sagt mir, daß du nicht die bist, die mich gemacht hat."

"So, was für ein Typ wäre ich denn dann?" Fauchte Daianira.

"Du hast die andere beklaut, damit du ein schönes Leben haben konntest", spie Valery Daianira entgegen. "Und dann hat sie dich hergeschickt, damit du einen Umkehrzauber machen kannst, wie? Aber ich will bleiben, was ich bin. Und wenn der Minister nicht aufhört, mir verwanzte Rinder hinzustellen, muß ich anderes Futter für mich und meine Kinder besorgen."

"Das wirst du nicht", schnarrte Daianira. "Ob du mich für die hältst oder eine andere Schwester, ich unterhandle mit dir. Willst du wirklich dein restliches freies Leben Eier legen.

"Die andere wollte das so. Du hast sie nicht beklaut, sondern abgemurkst. Dann bist du wohl die einzige, die alles über uns kennt, wie?" Röhrte die Entomanthropenkönigin.

Denkst du das ehrlich? Sardonia wollte haben, daß jemand rechtmäßiges ihre Geheimnisse kennt und sich nicht äußert, daß er echte Magier und Dämonen getroffen hat.

"Du weißt immer noch nicht, wie ich das gelernt habe, mich anderswo hinzuwünschen", schnarrte Valery. "Ich will mal nicht so sein und es dich wissen lassen, wenn du aus einem meiner nächsten Eier rauskommst." Mit diesen Worten lief sie auf Daianira zu, die mit schnellem Griff den Bernstein hervorholte und auf das Insektenwesen richtete. Bei den anderen Entomanthropen wurde der Stein leicht warm, und sie hatte immer sofort eine Verbindung gefühlt. Doch jetzt war es genau umgekehrt. Der Stein wurde kalt wie ein Eisklumpen und zu alle dem noch schwerer. "Bleib mir vom leib." Schickte sie über den Bernstein aus. Dann besann sie sich, doch besser Anthelias Zauberstab zu zücken. Doch da hatte eine Riesenpranke sie schon um die Hüfte ergriffen und hochgerissen, daß Daianira meinte, gleich bliebe ihr die Luft weg. Der Schock, daß der Entomolit gegen diese Königin unwirksam war und der Umstand, daß dieses Insektenbiest Muggel- von Zaubererwelt unterscheiden konnte. Auch glaubte sie, Anthelias Fötus könne verrutscht sein und ließe sich nicht länger tragen. Doch das wirklich grausige war, daß sie nun auf den breiten Mund der Königin zubugsiert wurde. Von oben sirrten Todesflüche heran und prallten ab. Offenbar wollte die Eingreiftruppe die Hexe lebendig haben. "Ich bin dein Tor in ein neues Leben. Vorne geht's rein, hinten wieder raus", lachte die Königin und blies Daianira einen sie anwidernden Gestank von verfaultem Fleisch und vergorenen Früchten entgegen. Weitere Todesflüche prallten ab. "Gute Reise und vielen Dank für dein leckeres Leben, Anthelia oder wie immer du heißt", hörte Daianira aus dem übermenschlich breiten Mund der Königin.

"Du frißt also deine Opfer auf, du Ungeh...", stieß Daianira aus, als ihre Beine, ihre Hüften bis zu ihrem Kopf im Schlund der Riesenbiene verschwanden. Daianira fürchtete schon, von den Zähnen der Veränderten durchgebissen zu werden. Doch sie rutschte mit den Füßen voran tiefer in den Schlund, der erstaunlich dehnbar war, wie der einer Würgeschlange. Daianira fühlte die mächtigen Schluckmuskeln pumpen. Sie versuchte sich gegen das Schicksal zu stemmen, was ihr hier und jetzt blühen sollte. Doch die Wände waren zu rutschig, und so landete sie, vom Pumpen der Muskeln vorangedrückt, in einer dunkeln, feuchten Grube ohne Licht. Sie hörte zwei wuchtige Herzen schlagen und verspürte ein heftiges Kribbeln an den Füßen. "Die hat mich in einem Stück runtergeschluckt. Das kann kein normaler Chitinpanzer sein, dachte Daianira. Sie fühlte, wie ihr die Haut brannte.

__________

Wishbone war dabei. Aus einem Kilometer Abstand belauschten sie die Wortschlacht.

"Soviel zu der Erbin Sardonias, ihr Stümper", schimpfte Lucas Wishbone. Dann konnte er nur noch zusehen, wie innerhalb von zehn Sekunden Daianiras ganzer Leib im Leib der Entomanthropenkönigin verschwand.

"Die sehen wir nie wieder", erwiderte Spikes, der seine Leute losschicken wollte, die Königin nun gezielt anzugreifen. Da krachte es, und das Riesengeschöpf war verschwunden.

"Verdammt, die Wälle halten die nicht zurück", schimpfte ein Zaubertechniker,als der die entsprechenden Meßergebnisse an einer Wand ablas.

"wir haben versagt. Ab jetzt wird dieses Biest uns mitteilen, wie wir zu leben haben", erwiderte der Leiter der My-Truppe und blickte sich um, wer ihm beipflichtete.

"Ich weiß zwar immer noch nicht, wer die Hexe war, die sich das Aussehen dieser Sardonianerin verpaßt hat. Aber eines weiß ich jetzt, wir haben ein kleineres Übel gegen ein großes ausgetauscht, meine Herren."

__________

So einfach war das gewesen. Die eingebildete Blondine hatte versucht, ihr mit diesem Sklavenstein zu kommen. Doch sie hatte seinen Bann abgeschüttelt wie lästige Spinnweben. Dann hatte sie sie in sich hineingeschoben. Sicher, die hatte sich gesperrt, versucht, sie zu ersticken. Doch das hatte auch nicht geklappt. Jetzt fühlte sie sie in ihrem Magen. Doch dieses Weib schrie nicht, weder vor Schmerz noch vor Angst. Weitere dieser grünen Blitze fegten auf sie zu. Sie schlugen schon etwas heftiger auf sie ein als vorher noch. Das hieß, sie mußte weg. So wünschte sie sich in die Nähe ihrer Bruthöhle. Wenn Anthelia starb und ihre Kraft an sie abgab, würde sie wieder Eier legen müssen. Warum schrie dieses blöde Weib nicht. Die mußte doch höllische Schmerzen haben. Es gluckerte in ihrem Leib.

"Hast du dir gedacht, mich lebendig fressen zu können", klang es stark gedämpft aus ihr heraus. Aber damit hast du deinen letzten Fehler gemacht, dummes Mädchen."

__________

Sie hörte die zwei Herzen der Entomanthropin und fühlte die heiße Magensäure um sich herumschwappen. Doch noch tat diese ihr nichts. Denn sie fühlte auch Anthelias Gürtel. Aus dem Medaillon klangen wimmernde Laute: "Nein, nicht das. Nicht das! Nein, mach was!"

"Also doch Platzangst", dachte Daianira. Sicher, die sie eng umschließende Wand des Magens, der versuchte, sie zu verdauen, lud schon zu Ängsten ein. Einen kurzen Moment dachte sie, daß es kein Magen, sondern ein schützender Mutterleib sein mochte, wie der, in dem sie gerade Anthelia aufbewahrte. Dann fühlte sie das vertraute Zusammenstauchen einer Apparition. Wo sie angekommen waren wußte sie nicht. Sie konnte nur ahnen, daß sie bei der Bruthöhle angelangt waren. "Lumos", dachte sie. Anthelias Zauberstab glühte auf. Ihm machte die Säure nichts aus, weil er mit unverwüstlichem Einhornblutlack imprägniert war. Daß sie ihn überhaupt benutzen konnte, nachdem er sich ihr zunächst verweigert hatte, lag an der immer länger andauernden Verbindung mit seiner eigentlichen und einzigen Herrin Anthelia. Daianira fühlte, wie sich ihre Schuhe, ihre Oberkleidung und die Unterwäsche langsam zersetzten. Anthelias schöne Robe würde bald nur noch in Fetzen hängen.

"Mach was, Daianira, sonst läßt der Gürtel nach", wimmerte Anthelia. Daianira fühlte es auch. Die Luft hier drinnen war eh schon sehr stickig. Außerdem walgten die Verdauungsorgane an ihr, um sie zu zerkleinern, wenn die Verdauung ihr Werk vollendet hatte. Die Säure wurde ebenso vom Gürtel pariert, doch daß ging nur für wenige Minuten. Ja, sie mußte jetzt was machen. Sollte sie dieser Bestie, in deren Bauch sie nun feststeckte ohne Vorwarnung den letzten Schlag versetzen? nein, sie wollte es dieser durch ihre Gestalt und Kraft größenwahnsinnig gewordenen Göre zeigen. Der Tod war für sie bestimmt eine Erlösung. "Mach was, Daianira!" Schrillte noch einma Anthelias verzweifeltes Flehen in ihre Gedanken hinein. Die Luft, die beim hinuntergeschlucktwerden mitgekommen war, wurde immer weniger. Ewig würde der Gürtel das nicht aushalten, drei oder vier tödliche Kräfte zugleich abzuhalten. Einen Moment empfand sie eine ähnliche Panik wie Anthelia. Wenn sie jetzt ihre Leibesfrucht verlor würde der Gürtel sie nicht mehr als rechtmäßige Benutzerin akzeptieren. Dann würde sie wohl innerhalb von Minuten qualvoll verenden. Also galt es jetzt.

"Hast du dir gedacht, mich lebendig fressen zu können", rief Daianira in die immer kleiner werdende Luftblase hinein. "Aber damit hast du deinen letzten Fehler gemacht, dummes Mädchen." Sie wartete einige Sekunden und fühlte, wie Valery sich bewegte, mit ihr durch die Gegend lief, aber nichts anderes tat. Dann berührte sie eine der Säure absondernden, rötlichen Magenwände und rief: "Avada Kedavra!" Zwischen Stab und Magenwand spannte sich für eine Sekunde ein gleißendgrüner Lichtbogen. Ein Beben ging durch Valerys ganzen Körper. Die beiden Herzen rumpelten einmal und verstummten. "Das war der Trick und deine Schwäche, blödes Biest!" Rief Daianira. Da polterte es, und die beiden Herzen setzten wieder ein. Lautes Fauchen wie ein schnell bedienter Blasebalg erklang. Der Todesfluch hatte keine volle Wirkung gezeigt. Woran das liegen konnte wollte Daianira nicht erörtern. Sie versuchte den Eingeweideausweidefluch. Doch dieser verwandelte sich nur in ein Inferno gluckernder und plätschernder Verdauungssäfte. "Ey, gib' endli.. dran. Du ..irb.. do.. ni... für immer. Im nä...en Ei wir..du wieder au'gebrütet", donnerte Valerys Stimme ohne hörbare S- und Zischlaute um sie herum. Das war also das Geheimnis. Sie konnte ihre Opfer in ihre eigenen Kinder verwandeln, sich dabei erst ihre Kraft und nach dem Neuschlüpfen auch ihr Wissen aneignen. Daher wußte sie ... Tat jetzt im Moment nichts zur Sache, weil dieses Biest meinte, ihr Mittagessen durch flach auf dem Bauch liegen in eine bekömmlichere Form plattzudrücken. Daianira hörte auch das Wimmern Anthelias. Doch dann kam eine klare, und entschlossene Antwort der selbst eingekerkerten Seele:

"Reverto Gastrophagus, Mutter!"

"Reverto Gastrophagus Maxima!" Rief Daianira auf Valerys Magenschleimhaut deutend. Sie hoffte, daß Anthelia ihr den richtigen Zauber verraten hatte. Aber sie hatte sie Mutter genannt. Wollte sie sie damit reizen oder motivieren.

__________

Diese verfluchte Hexe war zäh. Sie wollte nicht ... Ein Schlag wie mit einer Eiskeule von innen trieb Valery einen Vorhang aus Schwärze vor die Facettenaugen. Für fünf Sekunden konnte sie nicht mehr atmen, meinte, zu vergehen. Dann gab es einen Ruck, und sie konnte wieder atmen. Sie rief ihrer todgeweihten Gefangenen zu, sie solle es aufgeben, da sie eh neu ausschlüpfen würde. Dann hörte sie dumpf einen neuen Zauberspruch in sich erklingen. Mit einem Schlag zog sich ein Krampf von ihren Gedärmen bis durch ihren Magen in die Speiseröhre. Sie konnte nicht anders als ihr breites Maul aufsperren. Noch ein Krampf, erheblich schlimmer. Sie meinte, zerrissen zu werden. Sie schrie auf, was bei ihrer Größe und Stimmlage ein lautstarkes Röhren wie von zehn liebeshungrigen Hirschen auf einmal war. Sie bekam einen übermächtigen Würganfall und stieß alles aus, was sie in ihrem Magen hatte. Unter starken Husten- und Brechattacken spülte sie die bis auf einen Gürtel unbekleidete Hexe wieder aus, die einen silbergrauen Zauberstab, den gelben Stein und ein rundes Medaillon trug. Alles andere von ihr schwamm in dem was ihre Gefangene mit sich aus Valerys Leib getrieben hatte. Noch einmal krümmte ein Krampf vom Magen bis zur Speiseröhre sie zusammen. Dann war es vorbei.

"Wenn du kein Kind von mir sein willst wirst du eben an meine Kinder verfüttert", schnarrte Valery schmerzgepeinigt und wollte auf Daianira losspringen. Da verschwand sie mit leisem Knall, nur um ein Dutzend Meter näher am Ausgang wieder aufzutauchen. "Ignivivens Infernalium!" Rief sie wütend in die zur Massenbrutstätte ausgebauten Stollen hinein. Valery mußte trotz der Nachwirkung des Magenumdrehers grinsen, als sie nur ein kleines Flämmchen sah, daß aus dem silbergrauen Zauberstab hüpfte. Doch als es den Boden berührte, teilte es sich in zwei Flämmchen, die dann mit einem Ruck zu geflügelten Biestern aus purem Feuer anwuchsen und auf die Brutmutter zufauchten, wobei sie weitere Abkömmlinge abspalteten. "Wollen doch mal sehen, ob wir deine Brut nicht ausrotten können, Valery Saunders", schrillte die nackte Hexe, deren blondes Haar wirr über ihre Schultern herabhing. Mittlerweile griffen die herbeigezauberten Feuerdämonen auf das harte Wachs der Futter- und Brutwaben über. Valery blickte verstört in die heranpreschenden Flammengeschöpfe. Sie wuchsen sich nun zu einem lebenden Feuersturm mit meterlangen Fangarmen, glühenden Klauen und lodernden Leibern aus. Die nach vorne preschenden Verteidiger der Königin gerieten sofort in die wütenden Feuermassen und glühten auf. Doch die Königin der Entomanthropen war seit sie von Zauberei mehr wußte als sie früher ahnte auf eine ähnliche Gefahr vorbereitet. Sie teilte allen mit: "Rückzug durch hintere Türen. Alle Kriechlinge mitnehmen. Eier hierlassen!" Sofort kam organisierte Hektik auf. Die Entomanthropen rannten in die Stollen und brachen die Waben auf, in denen die weißen Würmer quiekten, die eines Tages die Welt beherrschen mochten. Daianira sah durch das nun auch in ihre Richtung wandernde Feuer, wie die Königin die Antennen vibrieren ließ und hörte das aufgeregte Trippeln der noch nicht brennenden Insektenwesen. Sie dachte, daß Valery entkommen wollte und versuchte, einen Antidisapparierfluch auf sie zu legen, der jedoch knisternd zerstob. Also konnte man ihr mit direkter Magie auch nicht mehr imponieren. Dann blieb noch eine Möglichkeit, sie loszuwerden. "Mollifico Solum!" Um Valery herum leuchtete der Boden auf und wurde unvermittelt weich wie Morast. Valery versuchte noch, davon runterzuspringen. Doch sie steckte schon zu tief in der immer weicher werdenden Substanz. Sie versuchte, sich fortzuwünschen. Doch die Menge Stein, die sie nun am Körper hatte, hinderte sie daran. "Mollifico Amplifico!" Rief Daianira und machte damit aus dem Stein eine sirrupartige graue Masse, in die Valery hineinsank. Doch das war zu viel des guten. Mit einem ruck befreite sich die Brutkönigin aus der grauen Masse und flog nach oben, durch einen Ausgang in eine andere Höhle hinüber. Ein Drache aus Feuer fauchte ihr zwar nach, fand aber in einer leeren Futterwabe leichtere Nahrung, um sich zu vermehren. "Wir haben uns nicht das letzte Mal gesehen, Anthelia!" Röhrte Valery wütend, bevor sie hinter Feuer und Rauch nicht mehr zu sehen war. Daianira mußte schnell zurück, weil die Feuer nun auch sie ergreifen wollten. Sie disapparierte aus der Höhle heraus, kam vor dem Eingang an und rief diesem zugewandt: "Porta Spilunculi per Petram clausa!" Mit lautem Getöse brachen Felsen aus der Höhlendecke und mauerten den Eingang schneller zu als eine Kompanie Bauarbeiter. Das würde zwar nichts gegen apparierende Brutmütter ausrichten. Aber diese Brutstätte sollte vergehen. Dann sah sie, wie mehrere Dutzend Entomanthropen schwer beladen mit weißen Würmern oder Maden davonflogen. Die hatten einen Hinterausgang? Sie zielte auf eines der geflügelten Wesen und rief: "Avada Kedavra!" Der grüne Blitz holte das mit Geschwistern im Larvenstadium verpackte Monster vom Himmel. Doch der rest entkam. Da Daianira keinen Besen mithatte mußte sie tatenlos zusehen, wie mehr als sechzig Entomanthropen, ihre Königin und eine Unzahl von erststadien entwischten. Das Duell zwischen ihr und Valery war unentschieden ausgegangen. Und damit sie dieses bis zur nächsten Begegnung erhalten konnte verschwand sie selbst.

In nur zwei Apparitionen schaffte es die nackte Hexenlady, ihr Geheimversteck zu erreichen. Von hier aus würde sie in den nächsten Tagen zusehen, wohin sich Valery Saunders flüchtete. Sie mußte unbedingt eine Methode finden, dieses größenwahnsinnige, unersättlich gefräßige Scheusal zu vernichten. Die Minuten in ihrem Magen hatten ihr vor Augen geführt, wie grausam dieses Halbinsekt nun war, ihr aber auch andeutungsweise verraten, wie es für ein mit entwickeltem Geist ausgestattetes Ungeborenes sein mochte. Doch um das durchzuphilosophieren wollte sie Ruhe haben. Die Schlangenmenschen wurden von den Entomanthropen angegriffen. - Doch da waren noch die Drachen. Die mußte sie unbedingt noch aus dem Verkehr ziehen.

__________

Lea hockte wieder auf einem Kutschentrittbrett, als es zum Banhof ging. Fast alle Schüler fuhren in die Weinachtsferien. "Und Noch mal für alle. Wer am ersten Januarsonntag den Zug zurück verpaßt wird auf Beschluß des Ministeriums als Unerwünschter eingestuft und verhaftet. Also sehen Sie zu, pünktlich wieder bei uns zu sein", hatte Snape am Morgen beim Frühstück getönt. Lea Drake, die nun schon seit bald drei Monaten als unsichtbare Beobachterin eingesetzt war, fragte sich, ob sie nicht doch besser zu Hause bleiben sollte. Im Grunde passierte in Hogwarts ja auch nichts neues mehr. Die Carrows liebten es, Schüler zu quälen, Filch hing zwischen den Stühlen, weil er ein Squib war, fast auf der Stufe mit Muggeln, und die Schüler durften sich nicht mehr in den Versammlungsräumen und Vertrauensschülerbädern aufhalten.

Durchgefroren vom Fahrtwind auf dem Trittbrett zog sich Lea in einen Gepäck wagen zurück. Als der Zug anruckte, atmete sie auf. Ihr Voldymeter, jene Stoffkugel an der Kette, die die Nähe und Himmelsrichtung von Todessern anzeigte, wies nur in Richtung Vertrauensschülerabteil, wo Draco Malfoy hockte, um die Fahrt im stilleren Wagen zu genießen.

"Für dich fängt der Alptraum an, den du und deine Leute nach Hogwarts geholt habt", dachte sie.

Zwei Stunden lang ratterte der Zug über die Schwellen. Dann quietschten auf einmal die Bremsen. Lea wußte, daß sie noch nicht in London angekommen sein konnten. Sie huschte zu einem Fenster und spähte hinaus. Zwanzig riesenhafte, schattengleiche Gestalten in langen Umhängen schwebten um den Zug herum. Dementoren! Was wollten die denn schon wieder? Sie dachte sich die Zauberformel immer wieder, mit der man diese Ungeheuer vertreiben konnte. Dann sah sie, wie ein Wagen von zehn maskierten Zauberern gestürmt und nur eine Minute später Luna Lovegood, eine etwas abgedrehte Ravenclaw, in Windeseile davongeschleppt wurde. Zwei Minuten später vuhr der Hogwarts-Express weiter, als wenn nichts außer einer auf den Schinenspilenen Entführung passiert wäre.

"War zu befürchten, Kind", sagte Leas Mutter, als diese nach allen anderen den Zug verlassen und sich hinter dem letzten Ferienheimkehrer durch das Eisentor drückte, das Zaubererwelt und Muggelwelt miteinander verband.

"Wie geht's euch drei denn?" Fragte Lea etwas verstimmt, als Ihre Mutter ihr berichtet hatte, daß sie offenbar Zwillinge erwartete.

"Frag mich das in drei bis vier Monaten noch mal. Mir zumindest geht es mal sehr gut, dann aber auch wieder nicht. Die Umstellung ist wohl noch nicht ganz erfolgt." So redeten sie über die begonnene Zwillingsschwangerschaft von Proserpina und die Abenteuer von Lea Drake. Noch mal auf Lunas Entführung zurückkommend trug Leas Mutter einen Stapel Klitterer heran. "Das ist der Stapel Gründe, Kind. Der alte Lovegood hat es sich mit den Todessern verdorben, weil er in seinem verqueren Magazin offen für ihn eintritt. Womöglich werden sie ihn mit dem Leben seiner Tochter erpressen."

"Ich kann diese Dementoren immer noch nicht in meiner Nähe haben, Mum."

"Das kann niemand. Genau das hat sie ja für den Emporkömmling damals wie heute so begehrenswert gemacht. Ich werde zumindest in Rainbowlawn bleiben. Den Ort finden die nicht."

"Na dann, auf ein fröhliches Weihnachtsfest", schnarrte Lea Drake ironisch. Ihre Mutter nickte beipflichtend.

ENDE

Nächste Story

Verzeichnis aller Stories | Zur Harry-Potter-Seite | Zu meinen Hobbies | Zurück zur Startseite

Seit ihrem Start am 1. August 2009 besuchten 5314 Internetnutzer diese Seite.