KONGRESS DER KRÄUTERKUNDLER

Eine Fan-Fiction-Story aus der Vergangenheit der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Aurora Dawn ist nun voll im Alltag einer magischen Heilerin angekommen. In ihrer neuen Niederlassung fühlt sie sich wesentlich wohler als im früheren Haus von Melissa Thornapple. In den ruhigen Phasen zwischen den Sprechzeiten und Hausbesuchen kümmert sie sich um ihren eigenen Zaubergarten und schafft es nach anfänglichen Schwierigkeiten, Sonnenkraut zu ziehen. Sie erfährt immer wieder die neuesten Sachen aus England, wo vier Portraits ihrer Selbst mit ihr in Kontakt stehen.

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31. Oktober 1991

Hallo Wendy!

Ui, das war wieder wild an Halloween. Diesmal hat ein gemeiner Scherzbold was angestellt, was ihm, wenn sie den kriegen, sicher ein paar Jahre Fort Ballibong eintragen wird. Jemand meinte wohl, Lippenstift mit Verwandlungseffekt und Schminke mit Behaarungseffekt unter die unmagischen Kosmetika der Muggel zu schmuggeln würde einen genialen Streich geben. In der Sano mußten sie Frauen mit blauen, grünen und violetten Bärten behandeln, Männer, die von ihren Freundinnen ganz ohne deren Absicht durch einen Kuß in Frösche verwandelt wurden wieder zurückverwandeln und kleine Kinder von vampirgleichen Zähnen erlösen, weil die mit verpanschter Zahncreme in Berührung kamen. Ich wurde nebenbei noch zu Partys gerufen, wo jemand Gährungsbeschleuniger in harmlose Fruchtsäfte gemischt hat und die Gäste, auch die Kinder, nachher am Rande einer tödlichen Alkoholvergiftung entlangbalancierten. Ich hasse es, wenn ich wegen solcher Idioten Meterweise Pergament an die Behörden mit Berichten füllen muß, ob ich in diesen Vorgängen strafbare Handlungen oder gefährlichen Unfug sehe. Zumindest konnte ich mit dem AD 999 alle Vergiftungen kurieren, weil außer der beschleunigten Alkoholbildung keine magische Beeinträchtigung stattfand. einer der Gäste fragte mich, ob nicht heute das zehnjährige Jubiläum der Entmachtung von Du-weißt-schon-wem sei. Stimmt! Ich kann mich noch erinnern, was in der Nacht los war, wie Dumbledore plötzlich Kopfschmerzen zu haben schien, seine schnelle Abreise und das, was Dina im Schlaf erwähnt hat. Ich möchte zwar, daß du das auch für dich behältst, Wendy, daß Dina in dieser Nacht gemurmelt hat, jemand würde durch die Macht der Liebe entmachtet und ein anderer dadurch geschützt, bevor wir von Harry Potters Überleben erfuhren. andererseits habe ich schon ein gewisses Unbehagen, daß Dinas Gabe, Sachen im Traum vorauszusehen, es aber nur durch Reden im Schlaf zu äußern, nicht von den Kollegen in England erforscht und für sie nutzbar gemacht wird, solange Petula, miriam und ich es nicht verraten wollen. Bin mal gespannt, was Harry Potter an seinem ersten Halloween in Hogwarts erlebt. Die haben da ja noch den Abend vor sich. Mein Bild-Ich wird mir das morgen sicher haarklein erzählen. jetzt bin ich müde. Bis morgen, Wendy!

Aurora Dawn war heilfroh, am Tag nach Halloween immer wieder von Hilfesuchenden aus ihrem Einsatzgebiet aufgesucht zu werden, um den bürokratischen Krempel wegen der Hyperalkoholisierung an Halloween nicht andauernd im Kopf zu haben. Einige wollten von ihr Zaubertrankprüfungen haben, ob sie die so benutzen konnten. Andere hatten die ersten Erkältungen, Magen-Darm-Beschwerden und ähnlich kleine Leiden, für die sie nicht gleich in die Sana-Novodies-Klinik mußten. Ein älteres Ehepaar verbrachte eine Stunde bei ihr um sich mit ihr darüber zu unterhalten, ob die Chance, in deren Alter noch ein gesundes Kind zu haben klein oder groß sei. Dabei war die Hexe schon sechzig und der Zauberer siebenundsechzig. Die beiden hatten schon zwei erwachsene Söhne. Offenbar wollten sie ihr Familienleben noch durch eine Tochter abrunden. Sie hatte ihnen geraten, nur mit Hilfe des Fortuna-Matris-Trankes auf Nachwuchs hinzuarbeiten. Der müßte aber bezahlt und regelmäßig eingenommen werden, sobald eine Schwangerschaft festgestellt würde. Als sie gefragt wurde, ob es möglich sei, das Geschlecht des Kindes bei der Zeugung festzulegen hatte sie nur gesagt, daß sie als Heilerin keine auf den Körper und die Entwicklung eines Kindes bezogenen Maßnahmen anwenden dürfe, die nicht der reinen Gesundheitsvorsorge dienten. Doch sie konnte den beiden Eheleuten praktische Tips geben, wie sie die Wahrscheinlichkeit für einen Jungen oder ein Mädchen erhöhen konnten. Sie wurde dann beauftragt, die nötige Menge Fortuna-Matris-Trank herzustellen. Natürlich mußte sie das bei der Heilerzunft anmelden.

Am Abend erfuhr Aurora von ihrem Hogwarts-Bild-Ich, daß in der Nacht zu Halloween ein Bergtroll in Hogwarts eingedrungen sei und von drei Gryffindors, zu denen auch der frisch eingeschulte Harry Potter gehörte, mit mehr Glück als Verstand besiegt werden konnte.

"Der Troll ist in eines der Mädchenklos rein und hat da einiges zerlegt", sagte die gemalte Aurora Dawn, die gerade alles wissenswerte aus Hogwarts übernommen hatte. "Bills und Charlies Bruder Ronald hat den mit der eigenen Keule niedergeschlagen."

"Einen Troll? Wie das denn?" Wollte die natürliche Aurora Dawn wissen.

"Der hat den Schwebezauber Wingardium leviosa benutzt. Die haben den Troll danach fortgebracht. Keiner weiß, wo der genau herkam und wie der in die unteren Kerker eindringen konnte."

"Hast du mir nicht erzählt, Hagrid hätte sich einen neuen Hadesianer zugelegt?" Fragte Aurora ihre gemalte Version.

"Stimmt, den hat der auch Fluffy genannt, weil ihm der griechische Name zu kompliziert war. Warum der im dritten Stock diesen Gang mit der Falltür bewacht weiß mein Hogwarts-Ich noch nicht."

"Vielleicht weiß das wer, der wußte, wie man mal eben einen Troll ins Schloß bringt", erwiderte Aurora Dawn darauf. "Wäre dann ein geniales Ablenkungsmanöver, um unbemerkt an dem Hund vorbeikommen zu können. Wenn dem Hogwarts-Ich was in der Angelegenheit auffällt soll sie mir das sagen!"

"Du meinst, es könnte wichtig sein?"

"Sehr wichtig vielleicht. Hat Dumbledore wirklich nicht verraten, warum die Schüler da nicht hindürfen und was unter der Falltür jetzt ist?"

"Kein Wort. Offenbar ist das eine Sache, die er nur mit den Hauslehrern ausgemacht hat. Soll ich mich umhören?"

"Machen kann ich daran ja eh nichts. Aber halte mich bitte auf dem Laufenden!"

"Geht klar", erwiderte Auroras magisches Portrait.

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Der Dezember kam. Es wurde bereits so heiß, daß für Sydney und Umgebung erhöhte Waldbrandgefahr ausgerufen wurde. Aurora Dawn hatte beschlossen, neben dem immer bekannter werdenden "kleinen Hexengarten" auch noch ein Buch über einfache Heilzauber zu schreiben, die bei kleineren Vorkommnissen den Besuch eines Heilers überflüssig machten. Ihr war zwar klar, daß sie damit wohl einige Patienten weniger zu betreuen hatte, aber weil sie ihr Heilerhonorar unabhängig von der Zahl der Patienten erhielt und nur bei Extraleistungen mehr Geld von den Patienten selbst bekam konnte sie sehr gut damit leben, wenn dadurch mehr Leute ihre eigene Gesundheit erhielten. Abgesehen davon gab es schon dutzende Nachschlagewerke mit einfachen Heilzaubern. Was ihr vorschwebte war ein Buch, in dem die Leser genug verständliches Wissen über die Körperfunktionen und eventuelle Maßnahmen bei Störungen derselben in einer übersichtlichen Weise finden konnten. Sie hatte sogar schon die ersten Ideen, wie sie das nicht zu umfangreiche Buch verfassen konnte. Spielerisch wie den "Kleinen Hexengarten" wollte sie es nicht schreiben, weil die Gesundheitsfürsorge doch etwas ernster war als nur Freude an der Arbeit. Aber sie wollte sich auch nicht in heilmagischen Fachbegriffen verlieren. Richtig stolz war sie derweil auf die ersten von ihr selbst gezogenen Alraunen. Allen Widerreden zum Trotz, Alraunen seien Geschöpfe der Nordhalbkugel und könnten südlich vom Äquator nicht gedeihen, hatten drei der fünf weiblichen Alraunen Keimlinge ausgereift und unter ähnlich starken Anstrengungen in ihren Aufbewahrungstöpfen ausgetrieben wie Menschenfrauen ihre Kinder gebaren. Aurora hatte höllisch aufpassen müssen, immer mit schallschluckenden Ohrenschützern in das Gewächshaus zu gehen, wo sie die wirkungskräftigen, beweglichen Zauberpflanzen hielt. Seitdem ihr ein besonders starkes Alraunenmännchen, daß sie aus Frankreich erhalten hatte, aus dem Topf gekrabbelt war und mit seinem für Menschen tödlichen Gebrüll fast bis draußen zu hören gewesen war, hatte Aurora die Festigkeit der mit Einhorndung angereicherten Erde und die Stabilität der Töpfe verbessert. Das Gewächshaus hatte sie zu einem Dauerklangkerker gemacht und einen Meldezauber eingerichtet, der im falle sich außerhalb ihrer Beete und Setzkästen bewegender Pflanzen ein rotes Schild mit einem durchgestrichenen Ohr vor der Tür herunterklappte. Die Sicherheitsmaßnahme hatte sie von Camille Dusoleil übernommen.

Besonders stolz war sie auf das Sonnenkraut. Es gedieh so üppig, daß sie ohne Angst vor dem Totalverlust haben zu müssen zwei Drittel der reifen Stauden ernten und zu Sonnenkrauttinktur verarbeiten konnte, die sie für einen geringen Aufpreis ihren Patienten für den Hochsommer anbot. Von denen hatten eh schon alle den kleinen Hexengarten. Kinder gingen damit im Schulgepäck nach Redrock. Erwachsene kamen dadurch auf die Idee, die weniger gefährlichen Zauberpflanzen selbst anzubauen. Das brachte Aurora einmal die Frage ihrer Kollegin Diana Silverlake ein, ob sie sich bewußt um Kundschaft bringen wollte. Doch Aurora hatte darauf geantwortet, daß sie erstens ja noch die ganz gefährlichen Pflanzen selber hielt und zweitens die Zaubertränke prüfte, die ihre Patienten aus den von ihnen selbst gehaltenen Pflanzen brauten. Denn sie hatte ja nur erwähnt, für welche Zaubertränke und -tinkturen die Pflanzen gut waren, nicht wie sie genau vorbehandelt und dosiert werden mussten. Allerdings dachte sie schon, daß sie wirklich wichtige Tränke und Zauber besser dann nicht in ihrem Buch über einfache Heilzauber unterbringen würde. Erstens waren die Bestandteile für die wirklich starken Tränke sehr schwer zu beschaffen und daher auch sehr teuer. Zweitens dauerte der Brauvorgang mehrere Wochen, wenn nicht sogar einen vollen Mondzyklus und duldete keine Unaufmerksamkeit. Drittens konnte bei der Zubereitung zu viel danebengehen, als sie unbeaufsichtigten Amateuren zu überlassen. So befand sie, daß sie sich auf die einfachen Zauberanwendungen und die nur aus drei oder vier Bestandteilen in relativ kurzer Zeit erstellbaren Heilgebräue beschränken wollte. An Alraunen kam so auch niemand dran, der oder die nicht als zertifizierter Heiler, Kräuterkundler oder Zaubertrankbrauer geführt wurde. Gleiches galt für die bissige Venomosa tentacula oder den roten Moorgeist, eine aus Feuchtgebieten kaltgemäßigter Breiten bekannte, ungewohnt rot getönte Kriechpflanze. Aurora hatte schon überlegt, dieses exotische Gewächs bei sich einzupflanzen. Doch als sie überlegte, daß sie dafür ein ständig auf knapp über null Grad gehaltenes Gewächshaus brauchte, und in denen, die sie schon betrieb bereits wichtige Pflanzen wuchsen, verzichtete sie doch darauf.

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Heather Springs war zu Besuch bei Aurora. Man schrieb den zweiundzwanzigsten Dezember. In drei Tagen war wieder Weihnachten. Aurora hatte sich immer noch nicht so recht daran gewöhnt, daß die Temperaturen an diesen Tagen über dreißig Grad Celsius steigen konnten, das Zauberer wie Muggel in kurzen Kleidern herumliefen und statt Geweih tragende Rentiere schneeweiße Känguruhs auf Postkarten den Weihnachtsmann begleiteten. Heather hatte eine neue Sonnenwendeule mitgebracht, den in der australischen Zaubererwelt üblichen Weihnachtsschmuck.

"Na, ist für dich schwierig, mit unserem Weihnachten klarzukommen, wie?" Fragte die brünette Hexe, die Aurora seit ihrer allerersten Reise nach Australien zur Freundin hatte. Die Heilerin nickte schwerfällig. Doch dann sagte sie ruhig:

"Ich verbinde Weihnachten immer noch mit Schnee und Eis, hellen Kerzen in dunklen Nächten und Klingelglöckchen an Schlitten oder Besen."

"Die Klingelglöckchen an den Besen haben wir hier doch auch, und die Muggel haben das Lied von den Schlittenglocken für Australien im Sommer umgedichtet", meinte Heather. "ich kann mir keine Kalten Weihnachten vorstellen, wo ich in dicken Fellumhängen und Wollstrumpfhosen herumlaufen müßte." Sie deutete auf ihren hellblauen Umhang, der federleicht bis über ihre Oberschenkel herabfiel und den Rest der Beine freiließ. "Ich hoffe, du hast um die Feiertage nicht zu viel um die Ohren."

"Das ist im Grunde die einzige Rechtfertigung, daß ich in diesem Backofen bleibe, obwohl meine Familie mich wieder eingeladen hat, über Weihnachten auf die gute alte Insel zurückzukommen", erwiderte Aurora Dawn. "Aber jetzt fangen die Buschwanderer wieder mit ihren Problemen an. Schlangenbisse, Billywichs und gestern wieder ein Nachtwandelstrunk. Seit meiner Zulassungsprüfung schon der dritte Fall. Den müssen dann die Kollegen in der Sano behandeln. Problem war, daß der Betroffene ein Muggel ist, der damit zu einem seiner Ärzte gegangen ist. Zum Glück haben wir bei denen einige Leute."

"Wollte mein Onkel dich nicht auch als Kundschafterin zwischen denen und der Sano verpflichten?" Fragte Heather. Ihr Onkel Vitus, der zur Zeit von Auroras Heilerausbildung Leiter der Sana-Novodies-Klinik für magische Erkrankungen gewesen war, arbeitete nun in der oberen Führungsriege der Heilerzunft, wenn er nicht zwischendurch ausrückte, um Patienten seiner Wohngegend zu behandeln, sofern es keine geburtshilflichen Begleitmaßnahmen waren.

"Ja, aber du weißt, was Madam Morehead gesagt hat. Ich sei da, wo ich sei immer noch am besten aufgehoben. Und auch mit Muggelkunde im Zeugnis müßte ich mir das unzureichende Bremborium der Muggelärzte anlernen, um die zu verstehen und deren Maßnahmen nachzuvollziehen. Das habe ich dann doch lieber den Muggelstämmigen überlassen, die von ihren Eltern her nach der Heilerausbildung noch die magielose Heilkunst studieren. Viele sind's ja dann auch nicht."

"Klar, weil du als Heiler immer versucht bist, den Zauberstab rauszuholen, um was zu kurieren, was für einen Muggelheilkundler schon sehr kompliziert zu behandeln ist", erwiderte Heather. Aurora nickte. "Da erzählst du mir nichts neues", bestätigte sie dann noch. "Die Versuchung ist zu groß. Unsere Statuten verbieten die Behandlung von Muggeln, die nicht durch Magie oder magische Tier- oder Pflanzenwesen zu Schaden kamen. Die Heilerin Shana Flanigan wurde aus der Zunft und der Zaubererwelt ausgeschlossen, als sie als sogenannte Krankenschwester der Muggel getarnt mehrere Kinder mit Magie von bösartigen Tumoren geheilt hat, die mit der üblichen Muggelheilkunde womöglich in wenigen Monaten gestorben wären. Das hat die große Diskussion aufgeworfen, ob unsere zehn Direktiven das Pergament wert sind, auf dem sie stehen, wenn eine ausgebildete Heilerin ihr Wissen nicht auf jeden kranken Menschen anwenden darf und ob unser Beruf nur dann ethisch untermauert ist, wenn er im Rahmen der Geheimhaltungsstatuten ausgeübt wird. Beth Herbregis hat mich das ganze erste Halbjahr des dritten Ausbildungsjahres damit traktiert, die Präzedenzfälle magischer Rechtsprechung im Zusammenhang mit Heilern auswendigzulernen, als wenn es nichts wichtigeres gäbe."

"Na ja, ist auch nicht gerade einfach, zu entscheiden, was gut gemeint und gut getan ist, Aurora. Stell dir mal vor, was so ein Kind durchmacht, dem erst gesagt wird, daß es ein weiteres Weihnachten nicht mehr erleben wird. Und dann, von einem auf den andren Tag, ist die tödliche Krankheit weg, eben weggezaubert. Was wird das für das Kind und für dessen Eltern ein Schock gewesen sein. Zumindest mußte die Heilerin ihre gute Tat wohl nicht mehr ungeschehen machen, oder?"

"Das verbieten die zehn Heilerdirektiven zum Glück", erwiderte Aurora. "Wir dürfen keine magische Schädigung ausüben oder durch Untätigkeit zulassen, was auch heißt, daß wir Fälle, die uns zur Kenntnis kommen, melden und behandeln müssen."

"Was hältst du dann von dieser überdrehten Bestrafung für Ersthelfer in Beauxbatons, falls du da schon von gehört hast?"

"Ähm, davon hat mir keiner was erzählt. Was und woher weißt du davon, Heather?" Wollte Aurora wissen. Doch Heather kam nicht mehr dazu, das auszuführen, weil Auroras Heilerarmband zitterte. Jemand hatte einen magischen Notruf abgesetzt.

"Ich fürchte, das ist zu wichtig, Heather", sagte Aurora mit einer kurzen Winkbewegung des geschmückten Armes. "Du kannst gerne hier warten. Ich melo dir, falls ich länger wegbleibe." Heather Springs bedankte sich für das Vertrauen. Aurora grinste nur. "Meine Gewächshäuser sind auf meine Körperpräsenz geprägt und Appariersicher. Ich setze niemanden der Gefahr aus, mit gefährlichen Pflanzen in Berührung zu kommen, wenn ich nicht dabei bin. Bis gleich!" Sie holte mit dem Aufrufezauber ihre Heilertasche, warf diese über ihre Schulter und disapparierte aus dem Wohnzimmer. Heather bewunderte, wie elegant und leise Aurora diese Kunst des magischen Ortswechsels ausführte.

Aurora hielt sich an das Gebot, nie näher als zwanzig Längen an den angepeilten Ausgangspunkt eines Notrufes heranzuapparieren. Das bewahrte sie davor, mitten in eine lodernde Feuerwand hineinzugeraten. Die wütenden Flammen hatten einen großen Bereich des zundertrockenen Buschlandes bereits ergriffen und fraßen gierig und laut krachend und knisternd die Pflanzen auf. Aurora wirkte schnell den Kopfblasen und den Flammengefrierzauber, bevor sie in die Feuerwand hineinlief und mit Homenum Revelio drei Menschen fand. Es handelte sich um einen Kollegen aus der Außeneinsatztruppe der Sana-Novodies-Klinik, sowie einen Zauberer, der ein kleines Kind hoch über sich hielt, dessen Arme und Beine bereits Verbrennungen dritten Grades aufwiesen.< Wie sie es verinnerlicht hatte begann sie ihren Einsatz damit, daß sie sich mit Namen vorstellte.

"Barney Windslow", erwiderte der Zauberer. "meine Tochter Lena hat meinen Zauberstab genommen und damit rumgefuchtelt. Dabei sind Funken rausgekommen", keuchte der zauberer, während das vor Schmerzen schreiende Mädchen nicht wußte, wohin mit seiner Agonie. Aurora sah den knapp dreißig Jahre alten Zauberer ruhig an. Sie wollte ihn jetzt nicht ausschimpfen, was dem eingefallen war, hier, im feuergefährlichen Buschland, seinen Zauberstab herumliegen zu lassen, daß ein knapp sechs Jahre altes Hexenmädchen damit unbeabsichtigt einen Buschbrand entfachte. Sie sah die tosenden Feuerzungen und fragte sich, ob hier ein Löschtrupp der Zaubererwelt eingreifen durfte. Denn das Feuer war ja nicht durch natürliche oder von Muggeln herbeigeführte Ursachen ausgebrochen und mußte nicht unbedingt mehr zerstören, als bereits passiert war. Doch die Behandlung des Mädchens hatte vorrang.

"Ihr Zauberstab hat keinen Schaden genommen, vermute ich stark", sagte Aurora. Der Vater der kleinen Brandstifterin bestätigte das. "Wie kam es dann zu dieser Brandausbreitung? Können Sie den Feuerlöschzauber nicht?"

"Habe ich versucht. Aber ich weiß nicht, was meine Tochter damit angestellt hat. Ich bekam diesen Zauber nicht klar hin. Und mit einem Wasserstrahl komme ich der Menge Feuer so auch nicht mehr bei", sagte Barney Windslow."Muß meine Tochter in die Sana-Novodies-Klinik?" Fragte er dann noch sehr besorgt.

"Bei der Fläche verbrannter Haut unbedingt. Die muß in ein Heilbad", stellte Auroras Kollege Edwin Blomfield unumstößlich fest. Aurora nahm Windslow beim Arm und zog ihn mit sich in die Disapparition. Als sie Vater und Tochter bei der Kollegin von der Aufnahme abgeliefert hatten nutzte sie die Direktverbindung der Klinik mit dem Zaubereiministerium, einen Trupp aus zwanzig Zauberern zum Brandherd zu beordern, die das Feuer eindämmen sollten. Es gab schon genug Brände im Buschland.

"Das wird den mindestens hundert Galleonen kosten", meinte Blomfield, als sie die kleine Lena in ein Becken mit kaltem Wasser, das mit Hautheilungsessenzen angereichert war gelegt hatten. Aurora hatte einen Atemschlauch in die Luftröhre des Mädchens eingeführt, so daß dieses, nun zitternd und bebend, vollständig in der heilenden Lösung schwimmen konnte.

"Fahrlässige Brandstiftung kostet ein Jahr in Ballibong", wußte Aurora.

"Wenn der einen guten Rechtsberater hat kommt er mit gefährlicher Vernachlässigung der Aufsichtspflicht in Tateinheit mit Überlassung seines Zauberstabs an ungeschulte Personen davon. Fahrlässige Brandstiftung wäre es ja gewesen, wenn er ein magisches Lagerfeuer gemacht hätte, wo es besser nicht sein sollte. Das seine Tochter schon Funken mit dem Stab machen kann hat der bestimmt nicht eingeplant."

"War auf jeden fall richtig, die Feuerwehrzauberer hinzuschicken", erwiderte Aurora. Dann meinte sie, daß sie schnell wieder in ihre Niederlassung müsse, um für die nächsten Fälle bereitzusein.

"Und meine Nichte hat sich festgelegt, ihr Baby in deinem Einsatzgebiet zu kriegen?" Fragte Edwin Blomfield. Aurora nickte. "Die ist in drei bis vier Wochen so weit, Ed. Sie will das Kind in ihrem Haus bekommen. Also keine Kundin für Amalthea."

"Die hat gerade Stress mit Norman Whitestone, weil der das nicht angemeldet hat, daß seine Muggelfrau ein Baby erwartet und das Kind in Canberra in einem Muggelkrankenhaus geboren hat", sagte Blomfield verschmitzt grinsend. "Die Registrierung im Ministerium und Redrock hat sie da kalt erwischt."

"Es ist nicht verboten, außerhalb der Sano ein Kind zu bekommen", erwiderte Aurora. Doch sie verstand, was die Leiterin der Entbindungsstation der Sano aufbrachte. "Allerdings sollte ein mit einer Muggelfrau verheirateter Zauberer das uns Heilern schon anmelden, daß seine Frau schwanger ist und sie nicht den magielosen Knochenflickern und Arzneimischern überlassen, wo die Familienstandsregeln unsere Betreuung nicht nur erlauben, sondern erfordern. Halt mich bitte auf dem Laufenden, was bei der Angelegenheit rauskam ... außer dem Baby. Ähm, Welches Geschlecht hat das Infans delicti?"

"Ist ein kleiner Zauberer, wenn ich Amalthea richtig verstanden habe. Und wenn du da auf dem Laufenden bleiben willst solltest du schon einen förmlichen Antrag auf Erteilung wichtiger Kenntnisse bei ihr selbst einreichen. Ich bin Außeneinsatztruppler und habe mit der Wickelkinderabteilung nichts zu tun."

"Verstehe", erwiderte Aurora. "Dann sollte jeder von uns jetzt auf den Warteposten zurück, bevor wir beide Krach mit Direktorin Herbregis bekommen", entgegnete Aurora. Sie blickte noch einmal auf das im kalten Wasser bibbernde Mädchen, dessen von den Verbrennungen schwarz gefärbte Haut sich langsam zu erholen begann. Dann disapparierte sie aus dem Foyer der Klinik, nachdem sie die Erlaubnis dazu erhalten hatte.

"Jemand ist mit seinem Kind in ein Feuer geraten. Ich schreibe heute abend den Bericht darüber", sagte Aurora zu Heather, als sie wieder in ihrem Haus war. Sie notierte sich nur rasch die wichtigsten Daten wie Zeitpunkt des Notrufes, Standort des Notrufers und Art des Notfalls, sowie die Anwesenheit des Kollegen Blomfield. Die Notizen wollte sie dann wie erwähnt ins Reine schreiben, um die ständig nach Akten gierende Bürokratie der Heilzunft in Schwung zu halten. Heather fragte Aurora, ob die auch von dem Fall gehört hatte, daß eine Muggelfrau, die mit einem Zauberer verheiratet war, das erste Kind von diesem nicht in der Zaubererwelt zur Welt bringen wollte.

"Ich hab's gerade wieder gehört, daß Großheilerin Honeydew sich mit dem auseinandersetzt, weil der das nicht den Heilern angegeben hat. In Canberra residiert ein männlicher Kollege von mir. Könnte sein, daß der betreffende Zauberer meinte, deshalb lieber Muggelärzte damit zu beauftragen. Das ist so ein Unfug. Die lassen die Gebärenden auf dem Rücken liegen ... Aber was rege ich mich auf? Der kleine Junge kam irgendwie auch zur Welt. Mich interessiert an der Sache das rechtliche Nachspiel, da ich ja hier auch als magische Hebamme arbeite."

"Dann könntest du auch Pams Babys holen, wenn die welche kriegt?" Fragte Heather Springs.

"Wie meinst du das?" Wollte Aurora wissen.

"Na so ganz ist das wohl noch nicht rum. Aber im Stern des Südens wird vermutet, daß Pam Witfield wohl bald heiratet. Allerdings halten deren Angehörige und die Sparks den Deckel so fest drauf, daß keiner was genaues weiß, schon gar nicht, wer der glückliche ist."

"Sagen wir es mal so, Heather. Wenn du ein Baby haben willst, mußt du dafür nicht unbedingt heiraten", erwiderte Aurora verschmitzt grinsend. "Zumindest nicht, solange du keine aprobierte Heilerin, Lehrerin von Redrock oder hochrangige Ministerialbeamte bist. Wir Heilerinnen müssen ein Vorbild für den verantwortungsvollen Umgang mit unseren Körpern und gesellschaftlichen Aktivitäten bieten, Lehrerinnen müssen ihren Schülern vorleben, daß ein gesichertes Familienumfeld für ein Kind besser ist als der reine Spaß am Liebesspiel, und Ministerialhexen müssen den von ihnen hervorgebrachten Kindern eine sichere Erziehungsgrundlage bieten. Wenn sie alleinerziehend sind können sie nicht mehr im Ministerium arbeiten."

"Aber du dürftest Pams Babys holen?" Wiederholte Heather die Frage. Aurora nickte. Sie wußte mehr, als der Stern des Südens, die australische Zaubererzeitung, gerade herausbekommen hatte. Sie wußte, daß Pamela Witfield im kommenden Februar den jungen Zauberschmied und Spezialisten für magische Bild- und Klangillusionen Laurin Lighthouse heiraten würde. Die beiden waren zu ihr gekommen, um sich auf irgendwelche körperlichen Hinderungsgründe untersuchen zu lassen. Aurora hatte ihnen erfreut verkündet, daß medimagisch keine Gründe bestanden, daß die beiden keine Gesunden kinder haben konnten. Denn das hatte Laurins Vater Optimus als verbindliche Bedingung festgelegt. Die Sparks würden das wohl nicht gerade freudestrahlend zur Kenntnis nehmen, weil die junge Sucherin ihnen in den letzten Spielzeiten so viele Punkte gesichert hatte. Doch zur Gleichbehandlung von Mannschaftsmitgliedern durfte es keiner Hexe verboten werden, zu heiraten und Kinder zu bekommen, solange sie in der Mannschaft spielte. Vor einigen Jahrzehnten war das noch eine klare Vertragsbedingung gewesen, daß Hexen kinderlos zu bleiben hatten, bis sie ihre aktive Spielerinnenkarriere beendeten. Ihre Großmutter Regan hatte ihr das erklärt. Die hatte damals als Jägerin für die Holyhead Harpies angefangen, bis sie sich in ihren späteren Mann, Auroras Großvater Arco, verliebte. Doch zwischendurch saß Regan Dawn auch noch einmal auf dem Besen, um für die Seniorinnenauswahl der reinen Hexenmannschaft auf Torjagd zu gehen.

"Du wolltest mir noch erzählen, was die in Beauxbatons für eine seltsame Bestrafung anwenden, Heather", erinnerte Aurora ihre Freundin daran, worüber sie unmittelbar vor dem Einsatz gesprochen hatten.

"Na ja, du hast da sicher bessere Quellen an der Hand als ich. Aber ich hörte mal, daß die Schulkrankenschwester von denen in Beauxbatons krass straffällig gewordene Schüler, die zu ihrer Ersthelfertruppe gehören, in Nachttöpfe oder Bettpfannen verwandeln darf oder muß", erwiderte Heather. Aurora wiegte den Kopf und dachte daran, daß Camille Dusoleil ihr mal erzählt hatte, daß ihre älteste Tochter Jeanne sich in dieser Truppe sehr davor hüten müsse, dumm aufzufallen. Aber Heilern war es an jedem Ort und zu jeder Zeit untersagt, anderen Menschen magisch dauerhaft zu schaden. Eine Verwandlung in tote Dinge stellte ja wohl eine sehr schwerwiegende Schädigung dar, wenn sie länger aufrechterhalten wurde als die zehn Minuten zu reinen Lehrzwecken.

"Hmm, beißt sich an und für sich mit den zehn Direktiven. Aber ich habe bisher nicht gehört, daß eine Schulheilerin deshalb zur Verantwortung gezogen werden mußte. Das wäre ja ein Präzedenzfall gewesen, Heather. Ich glaube eher, daß das behauptet wird, um die Schüler in der richtigen Spur zu halten, so wie sie mir und wohl auch dir früher schlimme Strafen angedroht haben, wenn wir unsere Teller nicht leeressen oder uns nicht anständig benehmen."

"Ja, aber wenn das auch nur eine Behauptung ist darf eine Heilerin bei sowas doch nicht mitmachen, oder?"

"Sie darf niemandem magischen körperlichen Schaden zufügen, Heather. Ob eine Strafandrohung ein seelischer Schaden ist wird immer wieder diskutiert. Feststeht nur, daß wiederholte, willkürlich beschlossene Strafen dauerhafte Schäden nach sich ziehen. Wenn aber wer mit Gefängnis bedroht wird, der einen Menschen umbringt oder bestiehlt, muß das seiner Seele keinen Schaden zufügen", erwiderte Aurora. "Es sei denn, derjenige bringt wirklich wen um und leidet dann im Gefängnis. Im Moment habe ich zu viel um die Ohren, um das nachzuprüfen. Andererseits geht mich das nichts an, was die Kollegen in Frankreich machen, sofern daraus kein Präzedenzfall für die gesamte Zunft erwächst. Mehr kann ich zu dem Thema dann wohl nicht sagen, zumal du ja selbst einräumst, das nicht genau zu wissen. Abgesehen von den zehn Statuten hat jede Landesvertretung der Heilerzunft ihre Angelegenheiten zu regeln. Die reden uns ja hier in Australien auch nicht drein." Heather nickte.

Wieder zitterte das Armband Auroras. Heather befand, besser doch nach Hause zurückzukehren. Sie verabschiedete sich rasch "bis Weihnachten, falls du frei kriegst!" und verließ Auroras Haus, bevor diese disapparierte. Diesmal galt es einen Zauberer vom Biß eines Inlandtaipans zu kurieren. Das Gift dieser Schlangenart galt als das tödlichste weltweit. Doch für das Antidot 999 war es kein Problem. Aurora ermahnte den Sammler von Insekten und Schnecken noch, bei seinen Ausflügen feste Schuhe und Handschuhe anzuziehen und kehrte zurück in ihr Haus. Am Abend setzte sie sich leicht mißgestimmt hin und schrieb die Berichte über ihre heutigen Einsätze. Da sie die Sache mit Lena Windslow mit der Sano zusammen erledigt hatte, mußte der Bericht sowohl für die Klinik, wie auch das Archiv der australischen Heilzunft kopiert werden. Außerdem schrieb sie einen formellen Antrag auf Informationserteilung an Amalthea Honeydew, weil sie wissen wollte, was bei der Angelegenheit mit dem Zauberer und der Muggelfrau herausgekommen war. Gegen elf Uhr Abends konnte sie dann ihrem Tagebuch Wendy die Gegebenheiten des Tages anvertrauen und zu Bett gehen.

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Am vierundzwanzigsten Dezember erhielt sie ein an alle niedergelassenen Heilerinnen gerichtetes Rundschreiben von Bethesda Herbregis und Amalthea Honeydew.

Sehr geehrte Kolleginnen,

Sie haben es sicherlich mitbekommen, daß am 13. Dezember 1991 im Universitätskrankenhaus von Canberra Mrs. Anne Whitestone einem gesunden Jungen namens Geoffrey das Leben schenkte. Bemerkenswert ist an diesem Vorgang, daß es sich hierbei um die einem Zauberer, Mr. Norman Whitestone, angetraute Ehefrau handelt und der gemeinsame Sohn daher zu einer hohen Wahrscheinlichkeit magische Begabung besitzt, weshalb er von der Neugeborenenregistratur sowohl in der Redrock-Akademie als auch des australischen Zaubereiministeriums vermerkt wurde. Allerdings, und das ist ein Grund zu gewissem Unmut, erfuhren wir von der magischen Heilzunft erst nach dieser Vormerkung für eine wahrscheinliche Laufbahn als Zauberer von dieser Geburt. Mrs. Whitestone geb. Anderson hatte offenbar kein Vertrauen in unsere Fähigkeiten und wollte sich lieber den sogenannten Frauenheilkundlern und Geburtshelfern der Muggelwelt anvertrauen, obwohl sie den Familienstandsgesetzen nach Anspruch auf magische Gesundheitsfürsorge für sich und das Kind beanspruchen darf, nach unserer Auffassung her sogar muß. Denn Sie alle kennen die Regelung, der nach eine nach Familienstandsgesetz oder magischer Begabung her als Angehörige der Zaubererwelt akzeptierte Schwangere vom Zeitpunkt der Zeugung bis zur erfolgreichen Entwöhnung des Kindes oder der Kinder das Recht auf eigenständigen Umgang mit ihrem Körper zurückstellen muß, um dem Nachwuchs zu ungestörtem Heranwachsen zu verhelfen. Ausgehend von dieser klaren Feststellung sah ich, Großheilerin Amalthea Honeydew, derzeitige Leiterin der Mutter-Kind-Betreuungsabteilung der Sana-Novodies-Klinik, einen Verstoß gegen die geltenden Heilervorschriften seitens der Eheleute Whitestone, da diese in voller Absicht auf die Hilfe von durch Fehlen von magischem Können und Wissen unzulänglichen Heilkundigen der Muggelwelt ausgingen, was die optimale Gesundheitsvorsorge für das Kind unterband. Ich, Bethesda Herbregis, derzeitige Direktorin der Sana-Novodies-Klinik, möchte Sie alle noch einmal darauf hinweisen, daß Sie verpflichtet sind, werdende Mütter auch gegen deren willen zu betreuen. Nach dem Präzedenzfall Catherine und Babette Brickston vom 10. Mai 1987, bei dem die Hexe Catherine Brickston aus Rücksichtnahme auf ihre muggelverwandtschaft darauf einging, ihrer Tochter Babette in einem Muggelkrankenhaus von Paris das Leben zu schenken, was auch und vor allem daran lag, daß in Paris und Umgebung keine Heilerin niedergelassen war und sie darauf bestand, dem Kind auch bei den Muggeln einen Existenznachweis in Form einer Geburtsurkunde zu verschaffen, müssen wir hier und heute erneut darauf hinweisen, daß ein derartiges Verhalten bei allem Fortschritt, den die Muggel in den letzten Jahrzehnten für sich verbuchen durften darauf bestehen müssen, daß derartige Vorkommnisse nicht zur Gewohnheit werden. Mr. Whitestone berief sich in seiner Erwiderung der Beschwerde von Großheilerin Honeydew auf erwähnten Fall Brickston, da Catherine Brickston sich demzufolge ja offenbar auch gegen die in Frankreich ebenso gültigen Heilergesetze vergangen haben müßte. Das konnten wir jedoch zurückweisen, weil Madame Brickston ihre Schwangerschaft anzeigte und bis zur Niederkunft von Heilerin Matine aus Millemerveilles betreut wurde. Diese ging auch nur darauf ein, daß Catherine in einem Muggelkrankenhaus gebar, weil Catherine sie mit einem Rufzauber in ihrem Ehering sofort hätte herbeizitieren können, wenn die Muggel mit der Geburt nicht zurechtgekommen wären. Allerdings hat Madame Brickston nach erfolgreicher Entbindung erkannt, daß sie für den Fall eines zweiten Kindes doch besser die optimale, magische Begleitung erbitten wird. Das Argument, Halbmuggelstämmige auch für ihre Muggelverwandtschaft als existent zu dokumentieren und daher nicht die magischen Heilerinnen zur Betreuung der werdenden Mutter heranziehen zu können ist seit dieser dokumentierten Ausnahme hinfällig. Denn im Falle von Halbmuggelstämmigen dürfen auch muggelwelttaugliche Nachweisdokumente von magischen Heilerinnen ausgestellt werden. So eine Vereinbarung der internationalen Heilzunft mit der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit vom 14. Juli 1987. Mrs. Whitestone hätte also nicht auf eine muggeltaugliche Geburtsurkunde für ihren Sohn Geoffrey verzichten müssen, nur weil sie sich der vernunftgemäßen Betreuung durch die in ihrem Einzugsbereich zuständige Kollegin Ananke Porrtsmouth anvertraut hätte. Daß sie jedoch sowohl die erfolgreich angetretene Schwangerschaft, wie auch die glücklicherweise ebenso erfolgreiche Niederkunft verheimlichte, stellt einen Verstoß gegen die Regeln der Heilzunft dar und wurde auf Drängen von uns im Ministerium geprüft, ob den Eheleuten Whitestone ein verantwortungsloses Verhalten zur Last gelegt werden kann. Mit Beschluß vom 22. Dezember 1991 erkennt das Zaubereiministerium das Recht der Mutter auf freie Wahl einer Hebamme als unverletzlich an, sofern die werdenden Eltern ihren angekündigten Nachwuchs mindestens zwanzig Wochen vor dem errechneten Geburtstermin einer in ihrer Nähe tätigen Heilerin zur Kenntnis bringen und zweitens wie im Fall Brickston eine Möglichkeit zur Verfügung haben, eine magische Heilerin unmittelbar herbeizurufen, wenn es während der Schwangerschaft und/oder Geburt zu das Wohlbefinden von Mutter und Kind gefährdenden Schwierigkeiten kommt. Für das Versäumnis der rechtzeitigen Anzeige baldigen Nachwuchses erhielten die Eheleute Whitestone eine Ordnungsstrafe von zweihundert Galleonen auferlegt, die jedoch zu Gunsten einer mündelsicheren Ausbildungsfinanzierung des Sohnes Geoffrey ausgesetzt wurde.

Ich, Großheilerin Amalthea Honeydew, möchte Sie und mich noch einmal daran erinnern, welch große Ehre es für uns darstellt, neuen magischen Mitmenschen auf die Welt helfen zu dürfen. Allerdings geht diese Ehre mit der Verpflichtung einher, deren wohlbehaltene Ankunft und gesundes Aufwachsen mit allen uns gebotenen Mitteln sicherzustellen. Wenn Sie in ihrer Umgebung Ehepaare kennen, deren einer Teil ohne Magie ist, teilen Sie ihnen mit, daß sie nichts zu befürchten haben, wenn sie ihren Nachwuchs durch uns sicher in der Welt begrüßen dürfen, jedoch mit ernsteren Folgen zu rechnen haben, sollten sie dem Kind oder den Kindern das Recht auf Betreuung verweigern.

Wir danken für Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit und wünschen an dieser Stelle noch ruhige und erfreuliche Weihnachtstage.

Mit freundlichen Grüßen

Bethesda Herbregis, amtierende Direktorin der Sana-Novodies-Klinik

Amalthea Honeydew, Leiterin der Mutter-Kind-Abteilung der Sana-Novodies-Klinik

Aurora kopierte dieses Rundschreiben und heftete ein Exemplar davon in einem Ordner mit der Aufschrift "Wichtige Mitteilungen" ab. Von den Brickstons hatte sie natürlich in Millemerveilles gehört. Catherine Brickston geborene Faucon war die Tochter einer versierten Lehrerin von Beauxbatons. Ihr Mann machte irgendwas mit Wettervorhersagen, wußte sie. Wie und was genau war ihr nicht bekannt, weil Camille von dieser Sache nicht viel verstand. Daß Madame Brickston ihre Tochter nicht in Millemerveilles geboren hatte wußte Aurora auch. Aber daß Catherine sich Muggelärzten anvertraut hatte war ihr neu. Sie fragte sich, was sie in dieser Angelegenheit getan hätte. Sie war noch jung und konnte wohl nicht so viel in die Waagschale werfen wie eine Hera Matine oder ihre Mentorin Bethesda Herbregis oder ihre Gönnerin Melissa Thornapple. Vielleicht sollte sie Madame Matine noch einmal diesbezüglich anschreiben und fragen, wie sie das damals aufgenommen hatte und wie sie genau damit umgegangen war. So setzte sie sich hin und verfaßte einen mehrseitigen Brief auf Französisch, den sie nach Weihnachten losschicken wollte, wenn das Postamt in der Sonnenstrahlstraße die ganzen über Weihnachten herumfliegenden Eulen zurückbekommen hatte.

Am Abend läutete jemand an ihrer Haustür. Es war der Geschäftsführer der Sydney Sparks, ein bulliger Zauberer mit schwarzer Borstenfrisur, der auf den Namen Clayton Oaklane hörte.

"Sie sind die niedergelassene Heilerin von Sydney?" Fragte er, als wenn er das nicht wisse. Aurora bestätigte es.

"Nun, Ihnen könnte bekannt sein, daß sich eine unserer Stammspielerinnen damit trägt, demnächst zu heiraten. Womöglich plant sie mindestens ein Kind oder mehrere ein. War sie in dieser Angelegenheit bei Ihnen?"

"Nichts für Ungut, Mr. Oaklane. Aber Besuche von Heilern bei Patienten und umgekehrt unterliegen großer Vertraulichkeit", erwiderte Aurora. "Falls jene Stammspielerin, deren Namen Sie offenbar deshalb nicht erwähnt haben, weil Sie mir unterstellen, ihn zu kennen, wirklich meinen Rat gesucht hat, so darf ich das Ihnen nicht erzählen, solange besagte Spielerin mir nicht die offizielle Erlaubnis dazu gibt. Da ich die weiblichen Mitglieder Ihrer Mannschaft kenne kann ich wohl ausschließen, daß Sie mit einem davon verwandt sind."

"Verstehe, Sie berufen sich auf Ihre Schweigepflicht", schnarrte Oaklane. "Aber Ihnen dürfte klar sein, daß es den Sparks um eine Menge Gold geht, wenn eine erfolgreiche Stammspielerin wegen einer Schwangerschaft oder der Stillzeit nicht aufgestellt werden darf. Und das muß ich jetzt schon wissen, um die Finanzplanung und Empfehlungen an den Trainer und den Kapitän bedenken zu können."

"Wie erwähnt, Sir, ist es mir laut den mich bindenden Vorschriften her untersagt, Nichtangehörige von Patienten über deren Befindlichkeiten zu unterrichten. Mir ist klar, daß es bei Ihnen um viel Gold geht. Aber Gold rechtfertigt auch in der Zaubererwelt nicht alles. Und das Heiler-Patienten-Verhältnis ist mehr wert als ein paar tausend Galleonen. Wenn Ihre Mitspielerin es für richtig Hält, Sie über ihre Zukunftspläne zu informieren, liegt das bei ihr allein und nicht bei mir. Insofern frage ich mich, was Sie jetzt hier bei mir möchten."

"Es geht mir darum, daß Sie ihr mitteilen, daß sie bis zum Ende der laufenden Saison zu spielen hat und bei selbstverschuldetem Ausfall für jedes so versäumte Spiel eine Konventionalstrafe von fünfhundert Galleonen zu zahlen hat. Nur für den Fall, daß die besagte Spielerin nur deshalb heiratet, weil sie bereits schwanger ist."

"Sie meinen sein könnte", berichtigte Aurora den Geschäftsführer. "Abgesehen davon weise ich Sie auf die Gleichbehandlungsrichtlinien der englischsprachigen Zaubererwelt hin, denen nach Hexen nicht wegen ihrer körperlichen Befindlichkeiten und Zustände von der freien Ausübung eines Berufes ausgeschlossen werden dürfen und auch nicht wegen dieser Eigenschaften benachteiligt werden dürfen. Oder spielen Ihre Stammspielerinnen etwa alle, wenn sie sich im Zustand der Menstruation befinden?" Oaklane verzog das Gesicht. Aurora hatte ihn kalt erwischt. Denn sie wußte von Pamela, daß die jede Woche trainierenden Spieler immer damit zu ringen hatten, wenn einige der Spielerinnen wegen besonders heftiger Regelbeschwerden nicht die gewünschte Form besaßen und daher nicht mittrainieren oder bei Spielen nur als Auswechselspielerinnen antraten. Oaklane stammelte nur, daß Menstruation kein gesetzliches Spielverbot nach sich ziehe und es ja kein selbstverschuldeter Ausfall sei.

"Ja, aber das wurde nur deshalb anerkannt, weil sich genug Hexen beschwert haben, denen wegen ihrer Regelblutung und der damit einhergehenden Unpäßlichkeiten Gehaltskürzungen auferlegt waren und erst die Gleichstellungsklauseln in jedem Arbeitsvertrag diesen Zustand beendeten. Sonst könnten Sie ja wohl heute noch darauf bestehen, Spielerinnen weniger zu zahlen, solange sie sich in der entsprechenden Phase ihres Zyklusses befinden."

"Das war mir klar, daß Sie als Hexe meinen, mir als Zauberer Ihre Besonderheiten um die Ohren hauen zu müssen. Aber ich bleibe dabei, daß jede Spielerin bei uns, die sich auf eine Schwangerschaft einläßt, absichtlich ihre Einsatzfähigkeit gefährdet und damit zur Zahlung von Konventionalstrafe verpflichtet ist." Aurora wußte, was dieser muskelbeladene Zauberer wollte. Der wollte nicht mehr aber auch nicht weniger als die Bestätigung, daß Pamela Witfield entweder bald Mutter würde oder kein Grund zur Besorgnis bestand, um die Mannschaftskasse für die nächsten Monate nicht anders verplanen zu müssen. Doch sie ließ sich auch weiterhin nicht in die Karten sehen und erwiderte ruhig:

"Da ich weiß, daß diese Strafe auch für die männlichen Mitglieder der Mannschaft gilt, da es ja doch das eine oder andere Mal vorkam, daß einige Jungs von Ihnen zu viel tranken und dadurch wichtige Trainingseinheiten versäumten, werfe ich Ihnen nicht vor, Konventionalstrafen zu verhängen. Doch Familienplanung ist ein gesellschaftlich wichtiger Akt, ohne den unsere magische Gemeinschaft nicht fortbestünde. Jemanden dafür zu bestrafen schadet diesem wichtigen Vorgang. Schlimmer noch, jemand könnte auf die Idee verfallen, ein eventuell empfangenes Kind verbotenerweise entfernen zu lassen. Wir Heiler dürfen das nicht durchführen. Aber es gibt genug skrupellose Hexen und Zauberer, die meinen könnten, damit gutes Geld zu verdienen, indem sie wehrloses Menschenleben wie ein unansehnliches Geschwür auslöschen. Deshalb würde ich an Ihrer Stelle jeder Spielerin einen Vertrag anbieten, in dem die Konventionalstrafe nur bei Schädigung des eigenen Körpers mit einhergehender Spieluntauglichkeit angelastet werden darf. Eine Mutterschaft ist keine Schädigung des Körpers, sondern nur eine vorübergehende Veränderung. Es ist richtig, daß eine schwangere Hexe keinerlei körperlich belastende oder sich und das Ungeborene gefährdende Tätigkeiten ausüben darf. Aber genau das würde ja jede schuldhafte Berufsunfähigkeit ausschließen. Wem was verboten ist, der oder die handelt nicht mutwillig, wenn er sich an das verbot hält, sondern gezwungenermaßen. Ich fürchte, Sie sollten als Geschäftsführer Ihrer Mannschaft ein paar wichtige Hausaufgaben in Arbeitsrecht nachholen. Wir Heilerinnen und Heiler müssen die wichtigsten Bestimmungen kennen, um befinden zu können, ob ein Patient einen Beruf ausüben darf oder nicht und welche Einschränkungen es bei bestimmten Erkrankungen gibt. Ich werde daher keine Schritte unternehmen, eine Mitspielerin aus Ihrer Mannschaft einzuschüchtern, sich bloß nicht ehelich zu binden und auf eine mögliche Mutterschaft hinzuarbeiten. Ich weiß nicht, wie viel Sie pro Stunde bezahlt bekommen. Aber ich fürchte, Daß diese Stunde bei mir für uns beide eine Verschwendung war. Es sei denn, Sie haben irgendwelche körperlich-seelischen Beschwerden, die über die Furcht vor finanziellen Einbußen hinausgehen, Mr. Oaklane." Der angesprochene zuckte mit den breiten Schultern und schüttelte den Kopf.

"Ich habe gedacht, Sie würden aus Fürsorge für die Patienten erkennen, was für diese gut und weniger gut ist. Wenn Sie meinen, ihr Vertrauensverhältnis zu Ihren Patienten damit erhalten zu können, beschweren Sie sich nicht bei mir, wenn jene Mitspielerin Ihnen vorwirft, sie nicht rechtzeitig gewarnt zu haben. Dann muß ich wohl davon ausgehen, jetzt schon über die Einforderung der Konventionalstrafen nachzudenken."

"Oh, Jungen, die nicht bekommen, was sie wollen drohen gerne", feixte Aurora und zwinkerte dem kleiderschrankbreiten Zauberer schelmisch zu. Sie wußte, daß der sie mit einem Faustschlag locker zu Boden strecken konnte. Doch sie wußte auch, welchen Ärger der dann kriegen würde. Da er das früh genug erkannte, schnaubte er nur. Aurora sagte: "Ich frage mich eh, warum Sie mich aufgesucht haben. Soweit ich weiß arbeiten die Kollegin Eldridge und der Kollege Bluewater doch immer noch als Vertragsheiler der Sparks. Wenn die Kollegen Tamy Eldridge welche Mitspielerin auch immer wegen Anzeichen einer Schwangerschaft von der weiteren Spielzeit ausschließt, werden Sie das rechtzeitig genug erfahren, denke ich."

"Tamy Eldridge behauptet, daß sie jemanden nur während eines Spiels zu betreuen hat und Privatangelegenheiten den niedergelassenen Kollegen obliegen. Aber ich werde die besagte Kollegin instruieren, Ms. Wavecrest zu untersuchen", sagte der Geschäftsführer. Aurora hätte darauf beinahe geantwortet, daß sie eher vermutet hatte, es ginge um Pamela Witfield. Doch knapp vor der entsprechenden Äußerung erkannte sie die Falle, in die sie Oaklane treiben wollte. So sagte sie:

"Wie erwähnt darf und werde ich Ihnen nicht mitteilen, ob eine der Spielerinnen bei mir vorstellig wurde und was ich befand. Guten Tag noch." Oaklane grummelte nur was von wegen "Tach noch!" und zog mißmutig dreinschauend von Dannen.

"Mich austricksen wollen, Muskelmann. Da mußt du aber früher aufstehen", dachte Aurora, als der schrankbreite Zauberer mit lautem Knall außerhalb der Grundstücksgrenze disapparierte.

"Was hätte Mel jetzt gesagt?" Fragte sich Aurora Dawn. Melissa Thornapple hätte diesem Wichtigtuer und Knutknauserich da wohl einen Vortrag gehalten, wie erhaben das war, ein Baby zu tragen und daß das mehr als nur fünfhundert Galleonen wert sei, sowas zu können, was er, dieser Muskelschrank, nicht konnte und trotz seiner zur Schau gestellten Kraft wohl auch nicht aushalten würde, wenn man es ihm anböte. Aber sie war Aurora Dawn, und sie war noch verhältnismäßig jung. Mit den Vorschriften und Vertrauensregeln hatte sie diesen breiten Kerl wesentlich besser auf Abstand gehalten und noch dazu nichts gesagt oder getan, was ihr vor einem Gericht vorgeworfen werden konnte.

__________

Am Weihnachtsmorgen erwartete Aurora eine Überraschung. Etwas klopfte an ihr Fenster. Sie dachte an eine Posteule und machte das Fenster auf. Doch es war ein braun-weißer Vogel, der überhaupt nichts eulenartiges an sich hatte. Er flog herein. Auf dem Rücken trug der gefiderte Bote eine kleine Tasche, wie ein angebundenes Etui. Aurora erkannte den Vogel als einen Cockaburra oder auch Jägerliest oder lachenden Tölpel, einen in Australien heimischen Vogel, der gerne im Gruppenverband lebte und vor allem morgens einen wie menschliches Gelächter klingenden Ruf ausstieß, kurz bevor die Sonne aufging. Tatsächlich gab der hereingeflogene Vogel jenen lauten, wie fröhliches Gelächter klingenden Revierruf von sich und erhielt Antwort von Artgenossen in einigen hundert Metern entfernung. Sie dachte daran, daß einige Hexen und Zauberer solche Vögel innerhalb von Australien auch als Postvögel züchteten. Dennoch fragte sie verwundert:

"Hallo, seit wann fliegen denn von euch welche bei Menschen durch die Fenster?" Dann nahm sie einen Briefumschlag aus der Rückentasche.

Hallo meine Tochter!

Wenn du das hier liest ist die Botin sicher bei dir eingetroffen. Zum einen möchte ich dir auch in Mums Namen ein recht fröhliches Weihnachtsfest wünschen und dir versichern, daß wir mit unseren Gedanken immer bei dir sind, auch wenn du wegen deines Berufes nicht persönlich zu uns kommen kannst. Zum anderen wollte ich dich als einer der ersten an meinem neuen, großen Erfolg teilhaben lassen. Mir ist es nämlich endlich auch gelungen, nicht nur die ohnehin schon lernfähigen Eulenvögel für magische Botendienste abzurichten, sondern auch kleinere Singvögel und einheimische Großvogelarten diverser Länder. Deine Mum war schon eifersüchtig auf Cecilia Caraluna aus San Pedro, mit der ich Paradiesvögel mit der gewaltlosen Methode zu verläßlichen Briefboten ausbilden konnte, die die Magizoologen an nicht-strigiformes zur Praxisreife entwickelt haben.. Immer auf entsprechende Arttypische Unterschiede eingehend, läßt sich dieses Verfahren auch auf Greifvögel wie Falken, Bussarde und Habichte anwenden. Adler, Geier und Kondore habe ich jedoch besser nur als fliegende Beobachter weiter ausgebildet. Aber als ich dann vor drei Wochen in Australien war, um mich mit hiesigen Eulenzüchtern über die Schwierigkeiten bei der Zucht und Pflege europäischer Eulenarten zu unterhalten, lernte ich, daß sie hier sogar die lachenden Cockaburras als Postvögel benutzen und lernte die auf diese Vogelart abgestimmte Abrichtungsmethode. Deine Mutter hat auf meine dringende Bitte hin verschwiegen, daß ich in deiner Nähe bin, weil ich ihr gesagt habe, daß ich bei erfolgreicher Arbeit mit australischen Vögeln auch dir einen neuen Postvogel verschaffen könne. Ich habe mich mit einem Haudegen namens Woody Robinson zusammengetan, der ein ähnliches Projekt nur mit einheimischen Insektenarten vorhatte. Insekten sind auf Grund ihrer kleineren Gehirnkapazität am schwierigsten für gezielte Botenflüge auszubilden. Aber dieser Mensch, dessen Frau Cassy in Redrock Pflege magischer Geschöpfe unterrichtet, steht so auf Schmetterlinge und Honigbienen und hat da was, mit dem sie mit diesen Wesen kommunizieren kann. Das Rezept dafür wollte mir Woody nicht rausrücken. Aber dafür habe ich mit seinen zwanzig zahmen Cockaburras arbeiten dürfen, die als natürliche Wecker bei ihm arbeiten. Dabei gelang es mir, ein gerade ein Jahr altes Weibchen zu finden, daß sehr gelehrig war. Mit besagter Methode, die dem Tier überhaupt kein Leid zufügt, gelang es mir, ihr das Anfliegen von Postempfängern und Zustellen von Nachrichten innerhalb von nur zwei Wochen beizubringen, während Woody einige große Schmetterlinge zum Überbringen von Winzbriefen veranlassen konnte, die man nur mit einem Vergrößerungsglas lesen kann. Insekten habt ihr ja weiß der Himmel genug bei euch im Land unten drunter. Auf jeden Fall schaffte ich es Chackie, so heißt die gefiderte Dame, zu einer posteulengleichen Briefbotin auszubilden. Als ich meinem Gastgeber sagte, ich würde dir gerne einen seiner ausbildbaren Lachvögel schenken, weil die ja bei Morgengrauen zu rufen anfangen, meinte er, daß du Chackie haben dürftest, weil seine Frau hin und weg von deinem Buch vom kleinen Hexengarten sei.

Wenn du Chackie und den Brief bekommen hast, lass sie ruhig aus dem Fenster fliegen. Sie wird in deiner Nähe bleiben und auf Zuruf zu dir kommen, um Briefe an jeden den du willst zu schicken. Da du als Heilerin ja nicht genug Postvögel halten kannst kannst du Ducky ohne Probleme weiterbehalten. Die beiden werden sich nicht in die Quere kommen, wenn Chackie draußen herumfliegen kann. Such nicht nach mir! Ich werde, wenn Chackie bei dir ankommt schon wieder in England sein. Du kannst ja über das Bild Grüße ausrichten, weil ich fürchten muß, daß Chackie ihre Heimat noch nicht so gerne für längere Flüge verläßt.

In allerherzlichster Liebe

dein Vater Hugo Dawn

"Soso, hat dich mein Vater mal eben zu einem Postvogel umerzogen, du lachendes Mädel", grinste Aurora, als Chackie eine Zeit Ruhe gab. "Ich habe hier noch ein paar Eulenkekse. Wenn du sowas magst." Chackie mochte. Dann ließ Aurora sie ohne die Posttasche auf dem Rücken zum Fenster hinaus. Entweder würde sie wirklich in der Nähe bleiben oder sich ein anderes Revier suchen, dachte Aurora. Da segelten mehrere Eulen und ein schneeweißer Kakadu heran. Eine der Eulen kannte sie. Das war die von Heather Springs. Von dieser erhielt sie ein Buch über die größten Wadditchmannschaften der australischen Geschichte und zwei Eintrittskarten für ein Spiel am siebenundzwanzigsten Dezember. Aurora überlegte, ob sie die Karten annehmen durfte oder sich auf ihre Einsatzbereitschaft berufen müsse. Das dem Quidditch abgeschaute Spiel, das auf bezauberten Brettern auf bewegtem Wasser gespielt wurde, hatte sie schon ein paar mal gesehen, aber eher die Amateurspiele. Das Spiel hier würde an der australischen Nordküste stattfinden. Als zusätzlicher Nervenkitzel kam zu dem Spiel mit den Platschern und den Wellen hinzu, daß dort Salzwasserkrokodile auftauchen konnten. An anderen Küsten konnten mal eben Haie zwischen den Spielern herumschwimmen. Aurora fragte sich, ob das Spiel nicht auch in die Amazonasregion exportiert werden sollte, wenn die meinten, mit gefährlichen Wasserbewohnern zusammen herumtoben zu müssen. Doch das würde sie besser nicht vorschlagen, weil sie sich da wohl gegen die Heilergesetze verging, wenn jemand diesen Vorschlag annahm und beim ersten Spiel von Piranhas angefressen oder gar skelettiert wurde. Nein, es war schon schlimm genug, wenn Krokodile oder Haie im Wasser herumschwammen. Die waren wegen ihrer Größe übersichtlicher und daher leichter abzuwehren. Sie hatte mal mit zwei Heilern gesprochen, die anstatt einer Festanstellung in der Sano oder einer Niederlassung Wadditchmannschaften betreuten. Die hatten sich nicht nur über Spiel und Sportgeräte informieren müssen, sondern auch über Meeresströmungen und dort vorkommende Raubtiere und deren Verhaltensmuster.

Von ihrer Mutter Regina Dawn erhielt sie zu Weihnachten die Genialogie der Greenwich-Familie mit allen Verzweigungen bis zurück ins fünfte Jahrhundert. Aurora las im Vorwort, daß die Greenwiches sich als verschwägerte Verwandte des großen Merlin sahen, die hofften, eines Tages wieder einen so überragenden Zauberer hervorzubringen. Das stimmte sie etwas mißmutig, weil ausdrücklich von einem Zauberer gesprochen wurde. Von Heilerin Newport erhielt sie ein Buch über die Anfänge und Zwischenstufen der magischen Heilkunst. Von Camille Dusoleil kamen zwanzig Himmelstrinkersamen, mit denen Aurora experimentieren sollte, um zu untersuchen, ob die auf Regen ansprechenden Blütengewächse auch auf der Südhalbkugel wuchsen. Denn das hatte bisher niemand erforscht. Aurora wußte, daß sie diese Pflanzen erst nur im Gewächshaus halten durfte, weil nicht gesichert war, ob die Himmelstrinker nicht auf die einheimische Pflanzenwelt einwirkten. Von ihrer Großmutter Regan erhielt sie ein Fotoalbum mit ihr und anderen ehemaligen Profi-Spielerinnen der Harpies, die aber nicht im dunkelgrünen Spielerumhang, sondern in strahlend goldenen Umhängen flogen und eine feuerrote Vogelkralle auf dem Brustteil trugen. Aurora hatte davon gehört, daß alle ehemaligen Harpies über sechzig diese Ehrenumhänge trugen und gegen die Veteranenmannschaften der anderen Ligamannschaften antraten, um Geld für hilfsbedürftige Hexen und Zauberer in fortgeschrittenem Alter zu sammeln. Hieß das also, daß ihre Großmutter wieder regelmäßig auf dem Besen saß? Körperlich und geistig war sie wohl noch fit genug dafür, dachte Aurora. Aber die Besen waren nicht gerade langsamer. Sie erkannte, daß die Spielerinnen auf Nimbus 1700er-Besen saßen. Aurora dachte daran, daß sie sich gerne mit ihr über Quidditch ab sechzig unterhalten würde. Sie war ja deshalb Heilerin geworden, weil sie lieber gleich was für den größten Teil ihres Lebens erlernen wollte. Sonst wäre sie einer Quidditchkarriere nicht abgeneigt gewesen.

Von Vivian und Tim Preston bekam sie neben Bildern des gemeinsamen Sohnes Alfred auch Bilder von Vivian, die offenbar wieder schwanger war. Die Zeit hatte Tim also doch noch, dachte sie grinsend. Sie wußte, daß ihr früherer Hogwarts-Hauskamerad im Sommer des kommenden Jahres das praktische Jahr beenden würde. Dann würde er wohl eine Niederlassung beantragen, falls er nicht doch im St.-Mungo-Krankenhaus eine Abteilung für Behandlungen von muggelmäßigen Vergiftungen und Radiointoxikation begründen würde. Sie hoffte, daß er das Jahr auch noch überstand und sie ihm dann gratulieren durfte.

Im Laufe des Tages trudelten noch weitere kleinere Geschenke ein, einige davon waren rein dekorativ. Andre waren indirekte Aufforderungen, sich mit Pflanzen oder Zaubertränken zu befassen, die scheinbar noch nicht ausgiebig genug erforscht waren. Sie traf sich mit Heather in der Sonnenstrahlstraße und tanzte im Willy-Willy. Viele junge Hexen und Zauberer dort erkannten sie. Zum einen waren es Anwohner in Sydney. Zum anderen hatte sich "Der kleine Hexengarten" zu einem Verkaufsschlager bei jungen leuten entwickelt, nicht nur bei Hexen. So konnte es auch mal passieren, daß eine junge Hexe, die Aurora auf das letzte Schuljahr in Redrock tippte, noch mal den Alraunen-Umtopfgriff gezeigt bekommen wollte und hierzu eine kleine Puppe aus dem Nichts heraufbeschwor. Heather meinte dazu, daß man an so einer Puppe auch Säuglingspflege üben könne. Aurora gönnte sich den Scherz und belegte die Puppe mit einem Zauber, der bei bestimmten Berührungen fröhliches Glucksen oder Geschrei von sich gab.

"Fangt ihr jetzt auch mit dem Kram an. Schlimm genug, daß die Muggelstämmigen bei uns in Redrock mit diesen Spielzeugbabys rumalbern", knurrte einer der jugendlichen Zauberer, der selbst wohl gerade fünfzehn Jahre alt war. Aurora meinte zu ihm, daß sie seiner älteren Schulkameradin nur zeigen wollte, daß mit solchen Puppen einige interessante Heilerübungen gemacht werden konnten. Dann nahm sie die Geräuschzauber wieder von der kleinen Puppe und ließ die am Alraunen-Umtopfgriff interessierte noch einmal die nötigen Handgriffe ausführen. "Den hat mir Camille Dusoleil in Millemerveilles beigebracht", erläuterte Aurora noch einmal, daß sie den Griff nicht erfunden hatte. Dann fragte sie die junge Hexe, ob sie auch Heilerin werden wolle.

"Das nicht. Aber mein Opa hat einen Zaubergarten mit Alraunen in Neuseeland. Da möchte ich die vielleicht auch mal umtopfen können. Ich will nach Redrock in die Firma von Optimus und Laurin Lighthouse." Beim Namen "Laurin Lighthouse" bekam sie einen seligen Gesichtsausdruck. Aurora ahnte, daß die junge Hexe wohl eher des Juniorchefs wegen dort anfangen wollte als wegen der hervorragenden Bild- und Klangillusionszauber. Sollte sie der jungen Hexe verraten, daß diese sich besser keine Hoffnungen mehr machen sollte? Doch das war nicht ihr Job. Solange Pamela Witfield und Laurin Lighthouse die Öffentlichkeit nicht darüber informieren wollten mußte sie das auch nicht tun.

"Entschuldigen Sie, Sie haben meiner Tante Amalia doch bei der Geburt von Elwood geholfen, oder?" Fragte ein gerade sechzehn Jahre altes Mädchen, das vom Aussehen her Randolph Portland ähnelte. Aurora nickte. "Dein Onkel war nicht so begeistert. Aber mittlerweile ist er froh, daß der kleine gesund auf der Welt ist", sagte Aurora dazu. "Wie heißt du?"

"Charleen Portland. Mein Dad ist bei den Cangaroos. Die müssen doch nächste Woche herkommen um die Sparks zu besiegen."

"Die uns?" Mischte sich der Junge von eben wieder ein. "Träum weiter, Charlie. Mit Pam Witfield und Wilma Wavecrest knallen eure Schwanzhüpfer voll auf die Nase und dürfen mit leerem Beutel nach Hause springen. Boing! Boing! Boing!"

"Nicht, wenn stimmt, was die im Südstern schreiben, daß eure Sucherin schon 'nen kleinen Quaffel unterm Umhang hat, Bruce. Dann darf die nämlich nicht spielen. Ätsch!"

"Der Südstern verzapft Drachenmist", knurrte Bruce und sah Aurora an. "Von wem soll die den Quaffel denn durch den Mittelring gefeuert bekommen haben, ey?"

"Das weiß keiner. Die hat sich halt nach Hochzeitsklamotten umgesehen. Kann sein, daß die schon für wen mitläuft und atmet", feixte Charleen Portland.

"Ey, pass auf, daß Dougy dich nicht für wen anderen mitlaufen läßt, Charlie. Der kriegt doch schon ein ..."

"Hämm-Ömm, die beiden Herrschaften, nicht so derb", schlug Aurora im Stiel einer jungen Lehrerin dazwischen. "Halten wir fest, daß wenn Pamela Witfield heiraten möchte, das früh genug rauskommt. Halten wir fest, daß sie davor nicht schon ein Kind tragen muß, sondern das auch ganz gutbürgerlich nach dem Spruch des Zeremonienmagiers empfangen kann, wenn sie das will und wenn sie klar hat, wie das dann mit ihrer Karriere weitergeht. Solange das nicht ganz klar bekannt gegeben wird, geht beide mal davon aus, daß Pam spielen wird."

"Tja, und dann machen wir die Cangaroos zu Bettvorlegern", schnarrte Bruce.

"Angeber, als wenn die dich aus Redrock rausließen, damit du bei denen mitspielst", mußte sich nun ein anderer Junge einmischen. "Die Thunderers kriegen diese Saison eh den Pokal, und damit ist jedes Gelaber um die Sparks oder Cangaroos nur heiße Luft."

"Ey, wer läßt hier Donnerschläger rein?!" Rief Bruce dem Wirt zugewandt. "Das sollten Sie auch auf das Hinweisschild an der Tür schreiben, daß Donnerschläger und andere Thunderer-Anhängsel hier nix verloren haben!"

"Als wenn du halbe Hose mir sagen könntest, wen ich hier reinlassen darf", schnarrte Rick Jarrel, der Wirt des Willy-Willy und warf Bruce einen bedrohlichen Blick aus seinen Mausgrauen Augen zu. "Paß mal lieber auf, daß Bobo dich nicht gleich am Hintern packt und vor die Tür trägt." Er deutete auf ein kleines, vierbeiniges Geschöpf mit weißem Fell, langen Beinen und einer gegabelten Rute. Vom Schwanz abgesehen ähnelte das Tierwesen einem Jack-Russell-Terrier.

"An dem seinem Hintern würde sich Ihr Crup glatt den Appetit verderben", stichelte der Anhänger der Thunderers. Aurora fühlte, daß die beiden gerade in Stimmung für eine Rauferei kamen und sagte ganz ruhig aber unmißverständlich:

"Jungs, ich wollte heute abend nur hier sein um zu feiern. Wer meint, sich prügeln zu müssen, wo ich dabeistehe und mir deshalb den Weihnachtsabend versaut kriegt mächtigen Ärger, weil ich dann Extrakosten berechne. Also wartet es ab, welche der Mannschaften gewinnt! Das ist billiger für euch zwei." Viele Insassen des Tanzlokals lachten lauthals. Die beiden Jungen mußten auch grinsen. Charleen sagte aber noch:

"Und die Cangaroos kriegen die Sparks doch, wenn die Witfield schon wen im Bauch hat."

"Sei du froh, daß ich keine kleinen Mädchen haue", knurrte Bruce Charleen an. Der Thunderer-Anhänger feixte:

"Klar, seitdem die letzte dir vor vier Jahren in die Finger gebissen hat und du Angst hattest, dir könnten auch so hübsche runde Dinger wachsen wie der."

"Ey, das reicht, Kerl", erboste sich Bruce. Da sah Aurora Rick Jarrel an. Dieser hob den Zauberstab und machte eine Bewegung gegen Bruce und den anderen. Beide verloren den Boden unter den Füßen und hingen auf einmal mit den Füßen nach oben unter der Decke.

"So, Jungs, damit ihr das klarhabt. Ich bin hier der Boss. Hier kloppt sich keiner mit keinem rum, auch wenn's um die Ehre der Sparks geht. Wenn ihr kein Butterbier vertragen könnt laßt die Pfoten davon und trinkt Milch! In einer Minute seid ihr hier raus und verzieht euch. Heute will ich mir von so halbausgegohrenen Bubis nicht den Abend vermiesen lassen. Klar?!"

"Is' Klar", keuchte Bruce, dem das Kopfüberhängen nicht sonderlich behagte. Da purzelten beide wieder nach unten und eilten aus dem Schankraum. "So, Jungs und Mädels, alles was unter siebzehn ist möchte in fünf Minuten gehen, bevor ich noch Krach mit der Schutztruppe kriege. Gleich ist zehn!"

"Ey, heute ist Weihnachten. Da wollen unsere Alten mal für sich sein", wagte ein gerade vierzehnjähriger Bursche mit rotem Haar einen Widerspruch.

"Ich dachte mit deinen drei Schwestern bist du ausreichend bedient, Billy", lachte ein anderer Junge mit hellblonden Locken. Der Rotschopf lachte nur verächtlich. Doch dann trollten sich alle Minderjährigen.

"Jetzt weiß ich, warum die mich von der Sano her um zehn immer zu Hause haben wollten", erwiderte Aurora Dawn Heather zugewandt. Diese lachte.

"Wie kann auch einer in einem Musikladen von Sydney offen die Meisterschaft der Thunderers herbeisehnen?" Grinste sie. "Abgesehen davon haben die Woollongong Warriors da noch was mitzureden."

"Nicht wenn die Sparks mit meiner Doppelachsentechnik gegen die antreten", erwiderte Aurora stolz.

"Jetzt willst du auch noch Krach?" Fragte Heather leise. Doch dann grinste sie. "Das ist unter meiner Würde als Hexe, mich wie ein kleiner Junge um Quidditch zu zanken. Übermorgen spielen die Tolura Tridentsgegen die Southbeach Stingreys um das Viertelfinale im Wadditch. Die müssen durch sein, bevor der Herbst kommt. Du kommst doch, oder?"

"Im Moment habe ich keine zu betreuenden Fälle. Aber ich muß auf Abruf sein. Ich habe mir im letzten Jahr viel Auszeit genommen. Da muß ich für Diana Silverlake mit einspringen."

"Und die hat im Moment wen zu betreuen?" Fragte Heather.

"Das betrifft ihre Kartei, Heather. Wen ich davon betreuen muß unterliegt damit ihrer Zuständigkeit und Vertraulichkeit."

"Aber das mit Pam Witfield stimmt doch, oder?" Fragte Heather noch.

"Das sie spielt? Ja, das stimmt", erwiderte Aurora. Heather sah sie leicht erzürnt an. Doch sie wußte von ihrem Onkel Vitus, wie peinlich ein Heiler die Anliegen seiner Patienten zu schützen hatte. Wenn schon jemand aus dem Bekleidungsladen rumposaunte, daß Pam sich ein Brautkleid hatte anmessen lassen war das schon mehr als genug Würze im brodelnden Kessel der Gerüchteküche.

Aurora tanzte im Verlauf des Abends noch mit einem siebtklässler aus Hogwarts, der ihr die Sache mit dem Troll an Halloween erzählt hatte und daß der neue Lehrer für Verteidigung gegen dunkle Künste ein ziemlicher Angsthase war. "Sie haben echt was verpaßt. Als die Weasley-Zwillinge zu uns kamen wurde das richtig lustig", sagte der Junge, der in Hufflepuff untergekommen war. "Gut, unter Harry Potter habe ich mir auch wen anderen vorgestellt, so'n richtig großen mit breiten Schultern und roten Haaren. Als der dann zu uns kam habe ich mich gefragt, ob dem seine mickerige Gestalt von dem Fluch kam, den ihm Sie-wissen-schon-Wer aufgebraten hat. Sie haben dem seine Eltern doch noch gesehen, oder?"

"Ja, die kannte ich noch von der Schule her", erwiderte Aurora leicht betrübt. "Das ist echt grausam, daß sie sterben mußten und daß an deren Sohn jetzt dieser Riesenanspruch klebt, weil er überlebt hat supermächtig oder sowas zu sein. Er hatte Glück, beziehungsweise, irgendwas hat ihn beschützt. Er war da gerade erst ein Jahr alt, als Du-weißt-schon-wer seine Eltern ermordet und ihn fast umgebracht hat. Und mit dieser Narbe, die er davon übrigbehalten hat, ist er für den Rest seines Lebens abgestempelt, egal was er schafft oder nicht."

"Stimmt, ist schon fies von mir gewesen, was ich gesagt habe. Aber ich dachte, weil Avada Kedavra einem die komplette Lebenskraft nimmt hätte der Fluch ihm zumindest die halbe Kraft weggebröselt."

"Soweit ich weiß ist der Fluch des Unnennbaren mit ganzer Wucht auf diesen zurückgeprallt. Deshalb hat Harry Potter ja nur eine Narbe, weil eine sonst nicht bekannte Wechselwirkung zwischen dem Fluch und seinem auserwählten Opfer passierte. Es gibt Heiler, die behaupten, genau zu wissen, warum Harry Potter überlebt hat. Andere rätsen darüber noch immer. Nachstellen dürfen wir das ja nicht, weil wir ja dann den Fluch benutzen müßten. Dabei würde im Zweifelsfall immer einer sterben, und das ist uns Heilern am strengsten verboten."

"Zu sterben?" Fragte Mycroft Carpenter. Aurora grinste. Dann sagte sie ernsthaft:

"Wir dürfen absolut und zu keiner Zeit einen Menschen töten, weder auf dessen Verlangen, noch aus eigener Absicht, noch durch Untätigkeit. Das heißt, wenn ich von einem geplanten Mord erfahre, muß ich den anzeigen, egal, ob die Mörder meine Angehörigen oder besten Freunde sind. Droht ein Mord oder auch nur ein Totschlag, muß ich notfalls dazwischengehen und die Zielperson schützen, auch wenn dabei mein eigenes Leben in Gefahr gerät. Allerdings ist es uns auch verboten, mutwillig in tödliche Gefahr zu gehen. Das höchste, was wir uns leisten dürfen ist Quidditch. Du spielst auch?"

"Joh, bin bei unserem Haus in der Stammauswahl. Aber wir sind von den Gryffindors und Ravenclaws voll versenkt worden. Damit können wird den Pokal vergessen. Aber das Spiel der Gryffindors gegen die Slytherins war stark. Da habe ich den Potter-Jungen echt richtig heftig liebgewonnen. Hätte sich nur fast an dem Schnatz verschluckt."

"Den hätte Madam Pomfrey sicher mit Dehnbarkeitslösung und einer Zangenschnur wieder rausgeholt", sagte Aurora.

"Jedenfalls bin ich gespannt, ob Slytherin dieses Jahr wieder den Pokal kriegt. Ich hoffe mal nicht. Wenn wir nicht drum mitspielen können. Allerdings sollte Dumbledore besser aufpassen, daß Harrys Besen nicht noch mal vermurkst wird. Den Drecksack, der das angestellt hat haben die noch nicht gefunden."

"Hoffentlich erwischen sie den noch. Ich weiß noch, wie fies das in meiner Schulzeit war, wo Slytherins ganz offen ihre Mitschüler angegriffen haben. Das darf nicht wieder einreißen."

"Das hoffe ich auch", erwiderte Mycroft. Dann war der Tanz zu Ende. "Okay, werde dann mal zu meinen Verwandten nach Hause gehen, bevor die einen Trupp Trolle losschicken, der mich hier rausschleppt. Danke für den Tanz und das Gespräch, Ms. Dawn!"

"Viel erfolg bei den UTZs!" Wünschte Aurora Dawn.

"Na, wollte dein Flirt nicht länger hierbleiben?" Fragte Heather leicht biestig, mußte aber grinsen. Aurora meinte nur, daß sie halt die Gelegenheit genutzt habe, mehr aus Hogwarts zu erfahren. Heather nickte.

Gegen eins setzte sich auch Aurora Dawn ab. Sie war eh schon länger auf, als sie es mit ihrem üblichen Tag-Nacht-Rhythmus vereinbaren konnte. Zurück in ihrer Niederlassung erhielt sie noch schöne Grüße von ihrer Oma Regan, die auch ein Gemälde von ihr bei sich hängen hatte. Aurora bedankte sich noch einmal für das Album mit den ehemaligen Harpies. Dann ging sie zu Bett. Wer wußte schon, wie anstrengend und lang der morgige Tag sein mochte?

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Aurora durfte am nächsten Tag feststellen, daß es vielleicht nicht so sinnvoll war, einem Vierjährigen gleich einen richtigen Flugbesen zu schenken, oder das Zauberstäbe doch besser von denen gekauft werden sollten, die auch damit zaubern sollten. Muriel Greystone, eine ältere Hexe westlich von Sydney hatte von ihrem Enkel einen brandneuen Eukalyptusbaumstab mit Drachenherzfaser erhalten. Als sie damit Gemüse schneiden wollte waren ihr die Zucchini zu monströsen Exemplaren angewachsen und gingen wie wütende Hunde auf sie los. Sie hatte wohl gerade noch einen Notrufzauber anbringen können, der dazu noch das Dach wie von einer kräftigen Sturmböe abgedeckt hatte. Abgesehen von den bissigen und unheimlich schnarrenden Monsterzucchini, die Aurora mit dem Herbaruptus-Zauber erledigte, hatte die Dame mehrere schwere Schnitt-, besser Bißverletzungen an Beinen und Armen abbekommen, und das Haus ächzte, als wolle es jeden Moment zusammenbrechen. Aurora hatte erst die Wunden von Mrs. Greystone gereinigt und verschlossen und dann einen Baumagier aus der Nachbarschaft herbeigerufen, der das Haus stabilisierte.

"Was ist denn mit ihrem alten Stab passiert, Muriel?" Fragte Aurora, als die nötigen Zauber ausgeführt waren. Mrs. Greystone antwortete, daß der frühere Stab nicht mehr so gut für die Hausarbeit sei und ihr Enkel Adrian ihr deshalb wohl einen kraftvolleren Stab besorgt hatte. "Na ja, ich kenne mich in Zauberstabkunde nicht so gut aus wie mein Kollege Egon Lightfoot von der Sana-Novodies-Klinik. Aber ich denke, die Kombination Eukalyptus und Drachenfaser für eine Hexe ist nicht so gut getroffen. Kann auch die Länge des Zauberstabes sein. Am Besten holen Sie selbst sich einen neuen Zauberstab in der Sonnenstrahlstraße oder lassen sich von unseren Zauberstabkundlern in der Sana-Novodies-Klinik eine Heilerexpertise geben, welche Materialkombination für Sie am besten geeignet ist. Gemüse, das beim Schnippeln zurückbeißt gehört eindeutig nicht auf die Liste erwünschter Zauber."

"Woran kann denn das liegen, Aurora?" Fragte Muriel Greystone.

"Der Zauberstab könnte Ihre Absicht, das Gemüse zu zerkleinern, umgedreht haben, daß das Gemüse Sie zerkleinert. Eine derartige Wunsch-Wirkungs-Verkehrung kommt bei unabgestimmten Zauberstäben vor, wenn die Abstimmungsabweichung zu groß ist."

"Heißt es nicht, daß jeder mit jedem Zauberstab zaubern kann?" Fragte Muriel. Archie Brickins, der Baumagier, schüttelte den Kopf und gab ein verstimmtes "Oh neh" von sich. Aurora erläuterte der älteren Dame dann, daß die Zauberstabkundler fest davon ausgingen, daß Zauberstäbe sich den Zauberer oder die Hexe aussuchten. Jungfräuliche Stäbe, die außer bei Testschwüngen noch nie benutzt worden wären, könnten daher dazu neigen, Fehlzauber zu produzieren, wenn sie von einem ihnen nicht genehmen Zauberer oder einer Hexe geführt würden. Erst eingezauberte Zauberstäbe wären für jeden handhabbar, sofern sie nicht zu alt seien. Allerdings würde die Abstimmung auch hier greifen, weil je schlechter sie passe je schwieriger ein Zauber ausgeführt würde. Sie erwähnte, ohne einen Namen zu nennen, daß eine Klassenkameradin von ihr in den ersten Schuljahren mit einem miserabel auf sie abgestimmten Zauberstab mehr schlecht als recht gezaubert habe.

"Gut gemeint ist eben nicht immer gut getan, Muriel", mischte sich Archie nun ein. "Ich konnte dein Häuschen wieder festmachen. Ich komm morgen wegen des Dachs vorbei. Heute muß ich noch im Umland Sachen machen, die vor Silvester erledigt sein müssen. Bestell deinem Enkel schöne Grüße, ob er dir statt dem Stab nicht die Dachreparatur bezahlen möchte!""

"Ich brauche aber einen Zauberstab, der taugt", schnarrte Muriel. Aurora empfahl ihr dringend, den Stab beim Erwerb auf sich abstimmen zu lassen, also so lange zu suchen, bis der passende sie fand.

"Aurora, da läuft mir zu viel komisches Volk rum in der Sonnenstrahlstraße. Abgesehen davon hat mir das keiner erzählt, daß die Stäbe auf die Benutzer abgestimmt werden müssen. Ich habe meinen von meiner Mutter gekriegt, die mit derselben Kombination gezaubert hat wie dem, den ich gestern noch hatte."

"Wo ist der denn jetzt?" Fragte Aurora Dawn.

"Auf dem Kompost. Adrian hat den sofort weggeworfen."

"Oha", schnarrte Archie. Aurora räusperte sich und deutete auf das Haus, was für Archie hieß, daß dieses seine einzige Obliegenheit sei. Dabei blickte sie ihn so streng an, wie sie es sich von Bethesda Herbregis abgeschaut und häufig vor dem Spiegel geübt hatte, um die nötige Unerbittlichkeit zu verdeutlichen. Archie nickte und winkte den beiden. "Bin dann morgen um zehn wieder hier mit meinen Lehrlingen, um das Dach wieder dicht zu kriegen. Sie können aber im Haus schlafen, Muriel. Der Rest von dem Verdrängungszauber, der bei der Notrufspirale aufgetreten ist, ist raus und die Fugen wieder fest. Bis dann, Ladies!" Sprachs und verschwand mit lautem Knall in leerer Luft.

"Autsch, dieser Rüpel!" Protestierte Muriel. Aurora drängte sie nun dazu, in die Sonnenstrahlstraße zu gehen und sich einen Zauberstabmacher zu suchen, der mehr Sorgfalt bei seinen Geschäften walten ließ. Weil Muriel nicht alleine in die Einkaufsstraße für Hexen und Zauberer wollte, ließ Aurora sie ihren Enkel Adrian herrufen, erklärte und zeigte ihm, was passiert war. Adrian Greystone errötete. "Ey, das hat mir kein Lurch erzählt, daß die Dinger 'ne eigene Seele oder sowas haben. Klar geh ich mit Oma Muriel 'nen neuen Stab kaufen. Ich hab's echt nur gut gemeint, Ms. Aurora."

"Das streite ich auch nicht ab", erwiderte Aurora. "Und was die Stäbe angeht, so wechselwirken sie mit den Hexen oder Zauberern, die sie in die Hand nehmen. Ob ich das als Seele bezeichnen möchte kann ich so nicht sagen. Mein Kollege Lightfoot bezeichnete das mal als Artefaktehe, also eine optimale Beziehung zwischen Gegenstand und Benutzer. Hinzu kommt ja, daß in Zauberstäben magisch wirksame Bestandteile von Zauberwesen oder Tierwesen eingearbeitet sind. Da ich Zauberstabkunde nicht als Schwerpunktthema belegen wollte weiß ich nur, daß es Verhaltensabstimmungen zwischen dem Holz und dem Kernmaterial gibt, die sich dann auf den sie nutzenden magischen Menschen auswirken können. Der Stab, den Sie ihrer Großmutter schenken wollten neigt wohl dazu, erwünschte Vorgänge in ihr Gegenteil umzukehren. Sein Sie daher froh, daß Ihre Großmutter keinen Frisierzauber oder andere direkt auf ihren Körper angewandte Zauber ausgeführt hat!"

"Öhm, muß ich wohl", erwiederte Adrian nun sichtlich erschrocken. "Okay, Oma Muriel, ich geh mit dir einkaufen. Vielleicht findest du ja noch was, was dir den kaputten Tag wieder ganz macht."

"Archie Brickins meinte, du könntest mir das Dach reparieren lassen", erwiderte Muriel Greystone. "Aber der ist ein Galleonensauger. Das Dach zahle ich", bestimmte Muriel Greystone. Aurora erkannte, daß sie hier nicht mehr gebraucht würde und verabschiedete sich.

Den kleinen Ken von den Winterfords aus dem Nordwesten von Sydney mußte sie schleunigst in die Notaufnahme der Sano bringen, weil der auf einem Rennbesen älterer Baureihe herumgeflogen und dabei fast tödlich abgestürzt war. Sein Vater hatte wohl gemeint, mit vier Jahren hätte der schon einen anständigen, wenn auch noch nicht zu überzogenen Besen zu haben.

"Es gibt Dinge, die brauchen ihre Zeit und Grundvoraussetzung, Bob", erwiderte Aurora, als der Junge mit seinen vielen Knochenbrüchen in der Klinik behandelt wurde. Mr. Winterford nickte wohl. Er hatte erst mit sieben einen sehr langsamen und nicht besonders hoch fliegenden Übungsbesen bekommen und erst mit zehn einen Sauberwisch 1 zum Trainieren erhalten. Vielleicht war das doch nicht so schlimm gewesen, so lange auf einen echten Sportbesen warten zu müssen. Aurora erwähnte auch, daß die Kraftfahrzeuge der Muggel ja auch erst von volljährigen benutzt werden dürften.

"Kriege ich dann noch Ärger?" Fragte Mr. Winterford besorgt.

"Sagen wir es so, Sie sind wohl durch den Unfall Ihres Sohnes genug bestraft und wissen jetzt, daß ein Sauberwisch 3 nicht für vierjährige geeignet ist. Immerhin konnten sie den Kleinen mit dem Fallbremsezauber noch vor schlimmerem bewahren. Ob Sie Ärger mit Ihrer Frau kriegen kann und will ich nicht voraussagen. Im Zweifelsfall komme ich dann zur Heilbehandlung noch mal vorbei." Bob Winterford sah sie etwas verbittert an.

"Könnte meiner Holden echt einfallen, mich auf der Gartenbank schlafen zu lassen und das mindestens sieben Wochen", knurrte er dann noch. Dann bedankte er sich bei Aurora für die schnelle Hilfe und ging in Richtung Stationsleiter, um mit ihm über die nötigen Angaben für die Behandlung zu sprechen. Aurora nutzte die Gelegenheit, mal wieder in ihrer Ausbildungsstätte zu sein, um sich ein paar neue Zaubertrankzutaten aus der Giftmolkerei der Klinik zu beschaffen. Denn die gefährlichen Schlangen, Spinnen und Skorpione wollte sie dann doch nicht bei sich selbst züchten.

Der Rest des Tages nach Weihnachten war reine Verschreibungspraxis. Leute hatten die Sonne unterschätzt oder brauchten Zaubertränke gegen Blasenleiden, Durchfall oder andere Körperverstimmungen. Am Abend erfuhr Aurora von ihrem Portrait, daß ihre Eltern bei ihren Großeltern väterlicherseits gewesen seien und sie schön grüßten.

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Aurora hatte bisher kein professionelles Wadditchspiel gesehen, obwohl sie schon mehr als fünf Jahre in Australien lebte. So nahm sie die Anordnung der Zuschauerboote, die knapp zwanzig Meter breit und vierzig Meter lang waren, die hellblauen Begrenzungsbojen und den unter Wellenkämmen immer wieder verschwindenden Küstenstreifen wie absolute Sensationen zur Kenntnis. Das Spielfeld selbst war ein abgegrenztes Stück offener Ozean von zweihundert Metern Länge und fünfzig Metern breite. Die zu je fünf Mann spielenden Mannschaften standen auf schmalen Holzbrettern, sogenannten Wellenläufern, die durch Körperverlagerungen gelenkt wurden. Drei Bälle, ein sonnengelber Spielball und zwei sogenannte Platscher, wurden benutzt. Auf jeder seite dümpelten drei große Tonnen auf dem graugrünen Ozean. Wer es schaffte, zehnmal in die selbe Tonne zu treffen, verdreifachte die Gesamtpunktzahl und beendete das laufende Spiel. Hinzu kamen die Wellen und die möglicherweise auftauchenden Raubtiere wie Haie, oder an diesem Abschnitt sogar Leistenkrokodile, die als besonders gefährlich galten. Das war schon genug Antrieb, so schnell wie möglich mit dem Spiel fertig zu werden und garantierte hohes Tempo und schnelle Spielzüge.

Aurora erkannte schnell, daß auch im Wadditch ein Unterschied zwischen Amateuren und Profis bestand. Denn die acht Feldspieler preschten wie auf knapp über den Wellen fliegenden Besen auf den Wogen dahin, konnten sogar über die Wellen hinwegspringen und den Fontänen der vor ihnen auftreffenden Platscher ausweichen. Aurora hatte ihr Omniglas mit. Doch für diese Sportart war die Kommentarfunktion wertlos. Doch sie hatte ja Heather Springs dabei, die ihr in den Torpausen kurz erklärte, warum die Tridents in den blauen Schwimmanzügen mit dem goldenen Dreizacksymbol gerade fast an einem Strafwurf vorbeigeschrammt waren oder warum die Stingreys, die in apfelgrünen Schwimmanzügen mit silbernem Stachelrochenaufdruck spielten aufpassen mußten, ihr linkes Faß besser abzusichern, weil die Tridents dort schon fünfmal getroffen hatten. Zwischendurch glitt ein baumstammartiges Etwas beinahe harmlos wirkend um eines der Zuschauerboote herum. Aurora erkannte jedoch an der kurz aus dem Wasser lugenden Schnauze, daß es eines jener in Australien lebenden Krokodile war, die in Küstennähe auf Beute ausgingen.

"Gehört sich das, die Leute zu warnen?" Fragte Aurora, als sie das Raubreptil ausmachte.

"Dafür haben die den Gardisten", sagte Heather und deutete auf einen Zauberer in korallenrotem Schwimmanzug, der gerade auf zwei schmale, Kanuhartige Boote deutete, in denen je drei Mann in weißen Schwimmanzügen saßen und ihre Zauberstäbe in die mit blauen Drachenhauthandschuhen geschützten Hände nahmen. Neben dem Gardisten gab es noch den Schiedsrichter, der einen grün-gelb geringelten Schwimmanzug mit einem wasserblauen S auf Brust- und Rückenteil trug und als einziger im Feld auf einem Flugbesen über den Wellen dahinsauste, um immer und ungestört auf Ballhöhe zu sein. Dieser wurde wohl gerade vom Gardisten über das herumschwimmende Krokodil informiert, unternahm jedoch nichts. Das Spiel lief weiter, bis die Panzerechse mitten im Spielfeld auftauchte und fast von einer jungen Spielerin der Tridents überfahren wurde. Diese schaffte es gerade noch, einen Haken nach rechts zu schlagen, was das Krokodil sichtlich erregte. Es peitschte mit seinem Schwanz übers Wasser. Dann schnellte es mit dem Vorderkörper hoch und verfehlte einen Spieler der Stingreys nur knapp mit den scharfen Zähnen. Sofort war es wieder unter Wasser.

"Wenn das von unten kommt wird's kritisch", meinte Heather. Ihre Wangen glühten vor Aufregung. Doch die Spieler schienen mit dem unerwünschten Mitspieler keine Probleme zu haben. Sie fegten weiter hinter dem sonnengelben Ball her. Aurora blieb immer wieder die Luft weg, wenn ein Spieler sich vorbeugte, um den Spielball mit den Händen aus dem Wasser zu pflücken. Tatsächlich schwappte es kurz, und der Spieler konnte sich gerade noch nach hinten werfen, als zwei kräftige Kiefer mit rasiermesserscharfen Zähnen vor ihm zuschnappten.

"Kein Wunder, daß die Kollegen sich drüber streiten, ob das gut ist, wenn sie mehr Honorar kriegen oder es verboten gehört, in unabgesicherten Zonen zu spielen", bemerkte Aurora Dawn. "Hätte dem fast die Hände abgebissen. Körperteilregenerationen sind nicht einfach."

"Dem Schiri reicht's wohl auch", meinte Heather, als der grün-gelb-geringelte Spielüberwacher mit dem Zauberstab auf die Wasseroberfläche zielte und da, wo der Stab hinzeigte, ein wildes Schäumen einsetzte. "Sirennitus, Aurora. Krokodile werden mit unerträglich hohen Tönen verjagt. Bei Haien reicht's schon, einen Elektrizitätsblitz ins Wasser zu jagen, wenn die aufdringlich werden. Die Tiere sollen ja nicht verletzt oder getötet werden."

"Ach ja, aber die Spieler dürfen schon angefressen werden?" Fragte Aurora ganz eine Heilerin.

"Siehst doch, die haben das Krok im Griff."

"Sehe ich", knurrte Aurora, als das vom schrillen Ton verstörte Krokodil wütend um eines der Zuschauerboote herumjagte und wild nach allem schnappte, was die großen bleichen Augen ausmachten. Dann tauchte es wieder ab.

"Das kann jetzt wieder von unten angreifen, Heather", knurrte Aurora.

"Ja, und genau weil das die perfekte Ablenkung ist haben die Tridents jetzt schon zum siebten Mal das linke Faß der Stingreys gefüllt", meinte Heather ganz ruhig. "Dreimal noch und dann haben die Tridents mehr als dreihundert Punkte."

"Die Stingreys könnten aber auch vorher das mittlere Faß zehnmal füllen. Die spielen es immer wieder an", stellte Aurora etwas beunruhigt fest. Doch der Hüter der Tridents war auf der Hut und sicherte das gefährdete Faß. Dann fiel einer der Stingreys vom Wellenläufer und mußte gegen eine hohe Woge ankämpfen, um zu seinem Brett zurückzukehren. Da zog ihn etwas mit Urgewalt unter Wasser. Auroras Herz übersprang mindestens einen Schlag. Genau das hatte sie befürchtet, wenngleich sie davon ausgehen mußte, daß es ein anderes Exemplar Salzwasserkrokodil war. Doch die Wächter der beiden Mannschaften reagierten ähnlich schnell wie das Raubtier. Mit vereinter Zauberkraft hoben sie Spieler und Angreifer aus dem Wasser. "Expelliarmus!" Rief einer dem Krokodil zu, das die Beine des Spielers zwischen den Zähnen hatte. Blut quoll hervor. Der scharlachrote Blitz traf das Maul der Echse und zwang es zum Öffnen. Der Spieler kam frei. Sein Schwimmanzug war an den Beinen aufgerissen, und Aurora konnte tiefe Fleischwunden sehen. Der Spieler schrie jedoch nicht. Den Grund dafür konnte Aurora sofort sehen, als sie einen der in den Wachbooten sitzenden Heiler beobachtete, der den Spieler mit sanften Zauberstabbewegungen bedachte. Der hatte ihm wohl den Schmerzstiller Analgesia über den ganzen Körper gewirkt. Doch jetzt mußten sie den Spieler behandeln. Die Partie wurde unterbrochen.

"Super, und das als Freizeitvergnügen", knurrte Aurora. Zwar hatte ihr das Spiel als solches schon gefallen, wenngleich es nicht so rasant verlief wie Quidditch. Doch der Krokodilangriff hatte ihr die Laune vergellt. Denn als Heilerin war sie dazu erzogen worden, nicht zuzulassen, daß jemand verletzt wurde. Doch genau das taten ihre Kollegen in den Booten. Verstießen die nicht gegen die zehn Heilerdirektiven? Das wollte sie nach dem Spiel klären.

"Spilunterbrechung bis zur vollständigen Verdünnung des im Meer gelandeten Blutes", verkündete der Schiedsrichter. "Watkins hatte Glück und kann weiterspielen. Die verbesserten Anzüge halten doch schon was ab."

"Also bei allem Respekt vor landestypischen Spielen, Heather. Aber Angriffe von Raubtieren zu provozieren gehört für mich nicht zum Verständnis von Spaß. Das Krokodil ist jetzt sicher ganz verstört, wenn nicht auch wütend. Der Spieler ist an den Beinen Verletzt. Nach meiner Betrachtung aus der Ferne müßte der erst einmal genau untersucht werden, bevor der wieder spielen darf. Aber der steht schon wieder auf den Beinen. Und was macht der jetzt? Der schmeißt seine angefressene Schwimmhose ins Publikum!" Vor freude kreischende Mädchen sprangen von ihren Sitzen auf. Wild johlende Jungen sprangen auf die Stühle, um die zerfledderte blaue Hose aufzufangen, während der Spieler selbst darunter wohl noch eine knappe, blaue Badehose trug, um sich nicht zu entblößen. Die Boote schaukelten gefährlich.

"Tja, das ist Wadditch", bemerkte Heather. Sie hatte sich jedoch nicht darum gerissen, die vom Krokodil angebissene Hose aus einer Gummi-Leinen-Mischung aufzufangen. Ein Bursche wohl Mitte zwanzig ergatterte das Beinkleid und jubelte siegreich. Währenddessen zog sich Watkins eine neue Hose über und sicherte diese mit Gummibändern an seinem Oberteil, damit sie ihm nicht rutschte. Dann band er sich wieder an seinen Wellenläufer fest und winkte dem Schiedsrichter. Doch der gab das Spiel erst wieder frei, als ein Heiler mit einem Meßbecher Wasser und einer Lösung, die Blut nachwies ermittelt hatte, daß die Blutkonzentration im Wasser nun gering genug war, um nicht auch noch Haiangriffe auszulösen. Das Spiel ging weiter. Aurora verstand nicht, wie die Spieler so unbekümmert aber eben schnell weiter auf Torejagd gehen konnten. Die Stingreys schafften es zudem, mehrmals das rechte Faß zu treffen, womit sie eine gleichwertige Gewinnchance hatten wie ihre Gegner. Zwischendurch tauchten die dreieckigen Rückenflossen von Haien auf, die die Abwesenheit der Krokodile nutzten, um nachzusehen, was hier so lecker nach Blut schmeckte. Doch mit Elektrozaubern waren die Raubfische schnell wieder vertrieben. Aurora wußte, daß Haie ein Gespür für elektrische Entladungen besaßen. Ihnen mit "Iovis" einen Stromstoßzauber direkt vor die empfindlichen Nasen zu setzen mochte so hart sein wie ein lauter Knall oder ein blendender Lichtblitz. dreißig Minuten dauerte die Partie dann noch, bis die Tridents, die mittlerweile zwei Fässer für den Sieg angezählt hatten, das linke Faß zum zehnten Mal trafen. Da sie insgesamt fünfundzwanzig Tore erziehlt hatten, für die wie beim Quidditch auch je zehn Punkte vergeben wurden, gingen sie mit siebenhundertfünfzig Gesamtpunkten aus dieser Partie heraus. Die Stingreys zogen mit gesenkten Köpfen ab. Für sie war die Saison damit erledigt.

"Also mein Sport wird das nicht, Heather", bemerkte Aurora ehrlich, als sie auf den Zuschauerbooten wieder in Richtung Küste trieben. Ein Vortriebszauber ersparte ihnen Ruder, Motor oder Segel.

"Beim Quidditch kannst du vom Besen gehauen werden und abstürzen", knurrte Heather. "Das ist mindestens genauso gefährlich wie einen Krokodilbiß oder Haiangriff abzukriegen."

"Ja, es macht aber einen Unterschied, ob ich mich unberechenbaren Tieren als Beute anbiete oder meinen Hals durch eigenes Vermögen oder Unvermögen riskiere. Die Haie und Krokodile gehen davon aus, hier leichte Beute zu machen und gefährden die Spieler. Werden sie früh genug entdeckt werden sie mit Sinnesüberlastungszaubern zurückgescheucht. Unter Umständen kommen sie an dem Tag dann nicht mehr dazu, natürliche Beutetiere zu jagen, weil ihre Sinne sich erst wieder erholen müssen. Die Tiere fragt keiner, ob sie das wollen."

"Ähm, für wen bist du eigentlich?" Fragte Heather.

"Ich habe nichts gegen das Spiel an sich. Aber man sollte es in einem abgesicherten Gebiet spielen, wo sich Menschen und Tiere nicht gegenseitig bedrängen. Früher haben sie beim Quidditch den goldenen Schnatzer als Spielgerät mißbraucht, was fast zur Ausrottung dieser magischen Vogelart führte. Wenn Haie oder Krokodile wegen des reinen Nervenkitzels verstört und damit zu unnatürlichem Verhalten getrieben werden könnten die entweder verhungern oder greifen alles an, was sich bewegt, was dann dazu führt, daß sie getötet werden müssen. Das kann nicht Sinn und Zweck von Sport und Spiel sein."

"Haha, wo die bei euch in England die Fuchsjagd erfunden haben, Windhunde zu Rennhunden ausbilden, wo die ältesten dann irgendwann umgebracht werden und auch beim Pferderennen die Tiere nicht geschont werden?" Fragte Heather. "Die Krokodile und Haie erholen sich irgendwie von den Abwehrzaubern. Meistens werden die auch nicht gebraucht, weil die meisten Tiere sich doch wieder zurückziehen, wenn sie merken, es nicht mit Fischen oder Robben zu tun zu haben. Außerdem wird das, was du heute alles gesehen und bemerkt hast schon seit der Erfindung des Spiels beredet. Es gibt zwei Mannschaften, die sich extra absichern. Die Dunlaru Dolphins und die Olarata Orcas. Die haben die Namensgeber ihrer Mannschaften als Unterwasserschutzmannschaft dabei. Die Orcas haben Oscar und Ophelia dabei, die absichern, und die Dolphins Freddy, Jumpy, Squeaky und Nosy, große Tümmler, die immer um das Feld herumschwimmen. Wenn die Partie vorbei ist dürfen die Maskottchen auch mal den Spielball führen. Ist immer spannend, wenn die beiden Mannschaften spielen. Dann kommen deren Begleiter richtig zur Schau."

"Ähm, dir ist vielleicht bekannt, daß die großen Schwertwale kleinere Gattungsgenossen wie Delphine jagen", erwiderte Aurora darauf.

"Ja, aber nicht, wenn sie genug anderes zum Fressen haben und ihre Jagdinstinkte durch gezielte Beschäftigungsprogramme abreagieren können. Ich dachte eigentlich, einen schönen Tag zu verbringen."

"Ich wollte weder dir noch mir die Laune vermiesen, Heather. Aber du möchtest sicher auch nicht, daß ich dir was vorheuchel, wie toll das Spiel ist und daß das richtig Spaß macht, zuzusehen, wie jemand mal eben von einem rein instinktgetriebenen Tier angefallen wird, weil der ganz mutwillig in seinem Revier herumplanscht", hielt Aurora Heathers Vorwurf entgegen. Diese verzog das Gesicht und schüttelte dann den Kopf.

"Okay, ich verstehe, daß dich das jetzt ziemlich angerührt hat, was Watkins passiert ist. Aber die passen echt schon auf, daß den Spielern nichts wirklich bleibendes passiert. Und was die Tiere angeht, so wird ja deshalb immer an einem anderen Abschnitt im Meer gespielt, um heimische Tiere nicht länger als nötig zu stören. Du merkst, daß es auch bei uns Aussis genug Leute gibt, die was an der Spielpraxis auszusetzen haben. Aber die Spieler wollen nicht auf einem abgesicherten See spielen. Sie wollen sich der Natur mit allem was sie hat aussetzen, wenn sie schon nicht fliegen. Wenn du vorschlägst, Wadditch nur noch auf nach unten zum Grund hin abgesicherten Feldern zu spielen, kannst du es auch gleich verbieten lassen, weil es keiner mehr spielen will. Oder würdest du als Quidditchspielerin noch auf den Besen steigen, wenn der nur noch zwanzig Stundenkilometer schnell fliegt und nicht höher als drei Meter über den Boden hochkommt?"

"Ich hab's gerade erwähnt, daß mir das einen Unterschied macht, ob ich ganz bewußt und freiwillig meine Gesundheit riskiere, ohne andere Lebewesen zu gefährden oder ob ich es darauf anlege, daß Raubtiere aus ihrem Jagdtrieb heraus oder weil sie die Geräusche nervös machen angreifen und womöglich nur durch einen tödlichen Abwehrschlag davon abgebracht werden können, mich umzubringen", stellte Aurora noch einmal klar, wo für sie der wesentliche Unterschied lag. "Und um deine Frage zu beantworten, Heather, Ich würde mich wohl damit anfreunden, gar kein Quidditch mehr zu spielen, wenn die Todesrate so groß wäre, daß nur noch mit langsamen und niedrig fliegenden Besen gespielt wird. Wie du von deinem Onkel sicher mal gehört hast dürfen Heiler in der Ausbildung oder im Dienst der Sano überhaupt nicht Quidditch spielen. Ich schließe Wadditch jetzt mal mit ein."

"Ja, weil einer von Laura Moreheads Söhnen dabei draufging. Hat mir Onkel Vitus erzählt, als ich ihn fragte, ob bei euch noch Quidditch gespielt wird."

"Genau deshalb würde Großheilerin Morehead Quidditch wohl lieber ganz verbieten. Da sie das aber nicht kann, tut sie es eben nur bei den Mitgliedern der Heilerzunft. Niedergelassene Heiler dürfen auch nur als Amateure spielen, wenn sie sicherstellen, daß ein Kollege in der Nähe ist, der ihnen helfen kann", ergänzte Aurora. Dann befand sie, daß sie sich nun genug über das Für und Wider der Wadditchspielpraxis gestritten hatten.

Nach diesem eher unliebsamen Zwischenspiel wurde es für die beiden Hexen doch noch ein erheiternder Tag. Die Sonnenwendeulen über den Türen der Geschäfte und Wohnhäuser gaben ein warmes Schuhuhen von sich. Aus den weit geöffneten Fenstern klangen bereits Neujahrslieder, nachdem Wochen lang australische Weihnachtslieder gesungen worden waren. Und trotz der sengenden Hitze trafen sie auf fröhliche Mitmenschen der magischen Welt. Abends saßen Heather und Aurora in der Niederlassung der Heilerin und plauderten über ihre Bekannten und verwandten. Gegen halb zwölf verabschiedete sich Heather und flohpulverte in ihr eigenes Haus. Aurora schrieb noch die Erlebnisse des Tages in ihr Tagebuch und legte sich dann schlafen.

__________

Wie häufig war auch der Jahreswechsel zu 1992 von Feuerunfällen und verpatzten Zauberscherzen begleitet. Einen Zauberer mußte Aurora in die Klinik transportieren, weil der bei der Mischung eines Seifenblasentrankes einen lebendigen Marienkäfer in den Kessel geworfen hatte und als erster meinte, die Lösung trinken zu müssen, die bei richtiger Herstellung eine Stunde lang bei jedem Wort eine anders gefärbte Seifenblase aus dem Mund fliegen ließ. Jetzt hatte der Zauberer Fühler und einen roten Panzer mit sieben schwarzen Punkten auf dem Rücken und drohte, sich noch weiter in einen Marienkäfer zu verwandeln.

"Tja, der Trank hat seine Tücken. Und lebende Tiere sollte man nirgendwo in einen Braukessel werfen, weil die dabei ihre Lebensessenz ins Gebräu übertragen", meinte Zaubertrankexperte Honeydew mit einem leicht schadenfrohen Grinsen dazu. "Du erinnerst dich an den Fall Mia Beechnut?" Aurora erinnerte sich sehr wohl an die alleinstehende Hexe, die vor hundert Jahren einen Verschönerungstrank mit lebenden Schildläusen angesetzt hatte, um deren Rotfärbung auf ihre Lippen zu übertragen. Tatsächlich aber übernahm sie deren Eigenschaft, ohne Paarung Nachwuchs zu bekommen. Das hatte die gute Mia Beechnut in jeder hinsicht schmerzhaft zu spüren bekommen, als sie in drei Jahren zwanzig Töchter zur Welt brachte, ohne auch nur mit einem Mann geschlafen zu haben. Diese körperliche Auszehrung überlebte sie jedoch genausowenig wie die viel zu klein geborenen Töchter. Seitdem wußte wohl jeder, daß ganze lebendige Insekten oder Amphibien nicht in Zaubertränke hineingehörten.

"Gleich ist es Mitternacht. Meine Schwester hat schon gewettet, ob ihr nicht wieder ein paar Muggelstämmige angebracht werden, die meinten, eine Kombination aus Alterungstrank und Infanticorpore-Fluch zum Jahreswechsel zu bringen."

"Dann gehe ich besser wieder auf meinen Posten", wandte Aurora dazu ein und holte sich die Erlaubnis, aus Honeydews Sprechzimmer disapparieren zu dürfen.

Doch dieses Mal gab es in Auroras Einsatzgebiet keinen Vorfall mit Zauberen und Hexen, die meinten, sich erst alt zu trinken und als vergehendes Jahr aufzutreten, um Schlag Mitternacht durch Infanticorpore-Fluch zu Neugeborenen zurückverwandelt das neue Jahr darzustellen. Statt dessen kam es zu Unfällen mit Feuerwerk, verschluckten Weintrauben, weil jemand die spanische Sitte, jeden Schlag um zwölf Uhr eine Weintraube zu essen ausprobieren wollte, sowie zu Behandlungen durch Alkoholrausch in Wut aufeinander einfluchender Zauberer. Gegen zwei mußte sie zum Willy-Willy, weil sich dort drei Anhänger der Thundalara Thunderers mit ihren Erzfeinden von den Woollongong Warriors magisch beharkt hatten. Der Alkohol machte zudem, daß die Zauber nicht korrekt formuliert oder konzentriert gewirkt wurden, so daß Aurora alle Streithähne in die Abteilung für Fluchschäden überweisen mußte. Rick Jarrel schimpfte herum, daß ihm die Bande die entstandenen Schäden zu zahlen hätte. Aurora meinte dazu nur, daß er vielleicht doch ein Schild anbringen sollte, daß Diskussionen über die Quidditchliga besser nicht in seinem Schankraum geführt werden sollten.

Als die junge Heilerin um fünf Uhr endlich Zeit für's Bett fand, erreichte sie noch eine Posteule, die wohl lange unterwegs gewesen war.

Hallo Aurora!

Ich hoffe, du kommst gut ins neue Jahr hinüber. Dein Buch vom kleinen Hexengarten geht hier bei uns noch sehr oft über die Ladentheke. Viele, die uns besuchen, lassen sich das Buch von mir signieren, weil ich von dir ja als Mitautorin und Übersetzerin erwähnt wurde. Das ist schon manchmal schwierig, die eigene Arbeit und drei Kinder in einem angenehmen Gleichgewicht zu halten. Dennoch beabsichtige ich, im Juli wieder einen Kongress magischer Kräuterkundler zu veranstalten, nachdem der Kongress vor zwei Jahren in Schweden noch einige Fragen offengelassen hat, vor allem was die Zulassung der Alraunenzucht angeht. Unsere gemeinsame Fachkollegin Oleande Champverd drängt auf ein internationales Register der Alraunenzüchter und eine eventuell wiederkehrende Überprüfung derer Bestände und Qualifikationen. Da ich von dir ja hörte, daß du erfolgreich fünf Zuchtpaare bei dir angesetzt hast und du den Umgang mit Alraunen ja in deinem Buch "Der kleine Hexengarten" beschrieben hast, denke ich, daß dich das bestimmt interessiert, deine Meinung dazu zu äußern. Außerdem wollte ich noch die russische Kräuterhexe Lara Michailewna Iwanova einladen, die sich mit Veränderungen von Zauberpflanzen nach der Radioaktivitätsstrahlung aus der Muggelwelt befaßt hat. Da du mit dieser Art von unheimlicher Vergiftung selbst zu tun hattest könnte es dich interessieren, ihre Beobachtungen zu erfahren und vielleicht mit ihr Erfahrungen auszutauschen, ohne hunderte von Eulen zwischen Rußland und Australien hin und herschicken zu müssen. Da ich aber weiß, daß du als Heilerin ziemlich gut eingespannt bist - fast wie eine Mutter mit drei Kindern - wollte ich dich jetzt schon einmal vorinformieren, bevor ich eine offizielle Einladung an dich herausschicke. Wie gesagt, die Veranstaltung ist im Juli, weil dann auch alle Schullehrer herüberkommen könnten. Falls du zu dem Zeitpunkt nicht kannst, schreibe mir das ruhig! Ich kann zumindest verstehen, daß eure Zunftsprecherin dich nach der langen Studienreise nicht so schnell wieder zu einem Auslandskongress schickt, der noch dazu nicht unmittelbar die Heilerzunft betrifft.

Allerdings würde ich mich natürlich sehr freuen, wenn du kommen könntest. Du kannst dann wieder bei uns schlafen. Mit den drei Mädchen bist du ja gut klargekommen. Claire kriegt in diesem Jahr ihren eigenen Zauberstab, wenn sie bei uns in die Eingangsklasse vor Beauxbatons geht. Jeanne und Barbara hoffen, dieses Jahr den Quidditchpokal für ihren Saal gewinnen zu können und haben die Soziusflugprüfung geschafft. Bin mal gespannt, wen Jeanne für ihren ersten Walpurgisnachtflug einläd. Tja, und Denise will wohl so schnell wie möglich alles können, was ihre großen Schwestern ihr vormachen. Ist auf jeden Fall immer was los bei mir im Haus. Florymont wetteifert mit einem gewissen Laurin Lighthouse um die internationale Auszeichnung "Silberner Hammer" für erfolgreiche Thaumaturgen. Die Entscheidung dazu fällt wohl im April.

Lass ruhig wieder von dir hören, was immer dir wichtig genug erscheint, es mir zu erzählen!

In der Hoffnung, daß eure Zunftsprecherin dich doch zu uns läßt verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen

Camille Dusoleil

Aurora Dawn überlegte, ob sie gleich jetzt die Einladung annehmen sollte oder besser gleich ablehnte. Es stimmte ja, daß sie für ihre Arbeit am "kleinen Hexengarten" lange aus Australien fort war und damit ihren hier eingegangenen Verpflichtungen als Heilerin nicht im erwarteten Umfang entsprochen hatte. Falls sie wirklich zu dieser Versammlung hinwollte, brauchte sie nicht nur eine Stellvertretung, sondern vor allem eine gute Begründung, warum sie und sonst keiner von hier und zu welchem Zweck überhaupt dort teilnehmen sollte. Laura Morehead würde es wohl nicht genehmigen. Doch sie dachte sich, daß es zumindest nichts schlimmes einbringen würde, die Sprecherin der Heiler Australiens zu fragen, wenn das mit dem Kongress amtlich war. So schrieb sie Camille Dusoleil in einer kurzen Antwort, daß sie sich da noch nicht festlegen wolle oder dürfe und sie besser im April noch einmal nachfragen möge.

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Der Januar war bereits wieder zur Hälfte um. Aurora versah ihre ambulanten Heileraufgaben mit der ihr nun eigenen Gemütsruhe. Die üblichen Sommerbeschwerden wie Sonnenallergie, Vergiftungen durch Schlangen und Spinnen und Brandverletzungen kurierte sie fast schon im Vorbeigehen. Sie half bei Notrufen ihren Kollegen aus der Sano, die Patienten vor Ort erstzuversorgen oder bestätigte, daß der Notfall durch eine ambulante Behandlung behoben werden konnte, wenn mal wieder wer schneller fliegen wollte als er oder sie denken mochte. Am siebzehnten Januar erhielt sie eine offizielle Einladung von Pamela Witfield und Laurin Lighthouse. Die beiden hatten sich nun dazu entschlossen, ihre Hochzeit im Februar zu feiern. Der Stern des Südens erfuhr davon erst einen Tag später und kam damit natürlich sehr groß heraus.

SUCHERSTERN DER SPARKS TRAUT SICH DOCH

PAMELA WITFIELD WILL KRONPRINZEN UND NEUE HOFFNUNG DER ZAUBERSCHMIEDEKUNST HEIRATEN

PAMELA WITFIELD UND LAURIN LIGHTHOUSE SAGEN: "JA, WIR SAGEN JA."

Was seit Monaten nur leises Rauschen von Reisern im Wind und hochfliegende Vermutungen waren wurde gestern Nachmittag bestätigt, als der Redaktion für Gesellschaft, sowie Sport unserer Zeitung im Abstand einer Stunde von der Familie Lighthouse, der Familie Witfield und der Führungsriege der Sydney Sparks verlautbarte, daß die junge Starsucherin der Sydney Sparks, Pamela Witfield (24) und der hoffnungsvolle, mit dem Talent seines berühmten Vaters ausgestattete Laurin Lighthouse (28) sich am Valentinstag dieses Jahres vor Zeremonienmagier Demosthenes Cherrywood das feierliche Jawort geben werden. Alle Gründe, die eine derartige Verbindung verhindern könnten, so Prunellus Witfield (43) seien ausgeräumt. "Ich freue mich, daß meine Tochter sich für eine Ehe entschieden hat und ich somit keine Sorgen haben muß, daß sie nach der aktiven Zeit als Quidditchspielerin unter Einsamkeit leiden könnte", so Prunellus Witfield. Seine Frau Anita erwähnte unserem Reporter für gesellschaftsangelegenheiten gegenüber, daß sie schon befürchtet habe, ihre Tochter könnte einem andren Profi-Quidditchspieler nachgelaufen sein, weil sie sich in den letzten Wochen nicht mehr so häufig bei ihr gemeldet habe. Gerüchte, denen nach Pamela Witfield zur Heirat gezwungen sei, weil sie bereits ein Kind trüge, wurden eindeutig verworfen. "Ich fühle mich gut und möchte noch einige Zeit spielen, mindestens noch diese und die nächste Saison", so die strahlende Braut. "Ich bin nicht schwanger und habe mich mit meinem Bräutigam darauf geeinigt, zumindest noch eine weitere Saison mit einem Kind zu warten", bekräftigte sie noch einmal. Der glückliche Bräutigam erwähnte dem Stern des Südens gegenüber, daß er sich schon beim ersten Spiel Pamelas im Umhang der Sparks in "dieses quirlige, wilde Hexenmädchen" verliebt habe, es ihr aber nie habe zeigen dürfen, da er als sicherer Nachfolger seines Vaters irgendwann die Firma übernehmen und daher vor all zu früh geäußerten Gefühlen auf der Hut sein sollte. Außerdem, so räumte Mr. Lighthouse ein, sei er von Natur aus schüchtern und habe es nie so recht darauf angelegt, mit Hexen mehr als nur gesellschaftlichen Umgang zu pflegen. Sein Vater Optimus Lighthouse (59) erwähnte auf seine gewohnt kontaktfreudige Art: "Mein Sohn wollte nicht warten, bis er im Chefsessel sitzt, um unseren Stammbaum zu verlängern. Meine Frau Dorothy und ich freuen uns mit ihm, daß er bald jemanden an seiner Seite hat, die ihm den Beruf für einige Stunden am Tag vergessen helfen möchte. Ich weiß wovon ich rede. Denn ich habe ja auch lange gebraucht, um mich für die nichtberuflichen Dinge des Lebens zu öffnen."

"Sie soll mir das schriftlich geben, daß sie den mit uns laufenden Vertrag verlängert und sich verpflichtet, ihre Spielfähigkeit sicherzustellen!" Beharrt der Geschäftsführer der Sydney Sparks darauf, seine Topsucherin nicht wegen eines Babys vorzeitig aus der Stammauswahl zu verlieren. Allerdings steht ein sportgerichtlicher Prozeß ins Haus, weil Familie Lighthouse die Unversehrtheitsgarantieklausel des laufenden Vertrages anfechten möchte. Dieser Klausel nach müßte Ms. Witfield bei einer selbstverschuldeten Einsatzunfähigkeit pro ausgefallenem Spiel 500 Galleonen Konventionalstrafe entrichten. Diese Klausel sei diskriminierend, weißt Wilhelmina Whitecastle hin, die als Sprecherin der australischen Sektion Matres Magicae die Interessen verheirateter oder alleinerziehender Hexen bewahrt. "Wenn eine Hexe sich für ein Kind entscheidet, leistet sie einen erheblichen Beitrag zum Fortbestand einer gesunden Zauberergemeinschaft. Jede vertragsrechtliche Einschränkung dieser Entscheidungsfreiheit ist unzulässig und von der internationalen Zaubererkonföderation 1820 im Zuge der Gleichstellung von Hexen und Zauberern in Bildung, Beruf und Sport als ungültig befunden worden. Insofern hat Ms. Witfield beste Chancen, auch als Mutter weiterhin Mitglied der Sydney Sparks zu bleiben, ohne die durch die gesetzlichen und körperlichen Beschränkungen einer Schwangerschaft auftretende Spielpause finanziell ruiniert zu werden. Die Einsatzfähigkeitsgarantie darf sich nur auf mutwilligen Mißbrauch von Rauschmitteln oder unnötiger Gefährdung der eigenen Gesundheit beziehen. Alle natürlichen Vorkommnisse sind davon ausgenommen. Sollte Ms. Witfield dennoch Ärger mit ihrem Boss Oaklane kriegen, kündige ich schon mal an, daß eine unserer Rechtsberaterinnen ihr unentgeltlich zur Seite stehen wird."

Wo genau die Hochzeit stattfinden und wer dieser als Gast beiwohnen wird halten die Familien des Brautpaares geheim. Bisher gelang es nicht, nähere Einzelheiten dazu zu erfahren.

Das ganze Interview mit Pamela Witfield und Laurin Lighthouse lesen Sie bitte auf den Seiten 4 und 5. Eine ausführliche Stellungnahme von Clayton Oaklane, dem Geschäftsführer der Sydney Sparks, finden Sie auf den Seiten 7 folgende.

"Na, ob die mich als residente Heilerin auch noch ..." Aurora konnte diesen Gedanken nicht ganz zu Ende denken, weil es bereits an ihrer Tür läutete.

"Cynthia Clearwater", stellte sich eine bereits über fünfzig Jahre alte Hexe mit langem, hellen Lockenhaar und hellblauen Augen vor und deutete auf einen hageren Zauberer, der eine klobige Kamera vor sich hertrug. "Und mein Fotoassistent Roger Bulleye. Wir sind vom Stern des Südens und würden Sie gerne zu der anstehenden Hochzeit des Jahres befragen."

"Ich habe Ihre neueste Ausgabe gerade durchgelesen", erwiderte Aurora Dawn. "Doch wenn Sie von mir Einzelheiten über Pamela Witfield erfahren möchten muß ich Sie leider abweisen, weil ich sonst das eherne Vertrauensverhältnis zwischen Heilern und den in ihrer Niederlassung wohnhaften Personen verletzen würde", baute Aurora sofort vor. Die Reporterin, die vom Dialekt her genau wie Aurora aus Großbritannien stammen mochte, verzog etwas das Gesicht. Doch dann nickte sie.

"Nun, aber als eine nun selbst zu gewisser Berühmtheit gelangter Hexe, die mit beiden Beinen im Berufsleben steht, dürfen Sie doch sicher sagen, ob Sie die Hochzeit von Pamela Witfield für eine förderliche Angelegenheit halten oder denken, der Beruf könnte durch die Ehe zu kurz kommen."

"Sind Sie verheiratet?" Fragte Aurora zurück und setzte ein erheitertes Gesicht auf, während Fotograf Bulleye ohne zu fragen seine Kamera auslöste.

"Ja, bin ich. Aber das tut doch hier nichts zur Sache."

"Natürlich tut es das", widersprach Aurora ganz ruhig und gewährte dem Kameramann noch ein Bild von ihr, bevor sie eine wegscheuchende Bewegung gegen den klobigen Apparat machte und den Kopf schüttelte. "Denn damit haben Sie mir gegenüber einen Erfahrungsvorsprung, da ich nicht verheiratet bin und Ihnen daher diese Frage nicht beantworten kann, ob eine Hexe durch eine Heirat beruflich eingeschränkt würde oder nicht. Da Sie Ihren Beruf ja wohl noch ausüben vermute ich jetzt mal, daß dies nicht so sein muß."

"Nun, Sie als Heilerin wissen doch genug über die körperlichen Gefahren beim Quidditch und kennen natürlich die heilmagischen Prozesse und Vorschriften bei werdenden Müttern. Wie vertragen sich die beiden Betätigungen?"

"Nun, Ihrer Ausgabe von heute nach hat Pamela Witfield Ihren Lesern gegenüber bekräftigt, mindestens noch eine Saison nach der gerade laufenden zu spielen, bevor sie ein Kind einplanen möchte. Das hat sie wohl getan, weil es sich nun einmal so verhält, daß Profi-Sport oder körperlich anstrengende oder lebensgefährliche Berufe für werdende Mütter zu anstrengend werden und eventuell das Leben des ungeborenen Kindes gefährden können. Daher gelten die Vorschriften zum Schutz werdender und junger Mütter im magischen Arbeitsrecht. Ich könnte Ihnen jetzt einen langen Vortrag über Entstehung, Verlauf und Nachwirkungen einer Schwangerschaft halten. Doch zum einen weiß ich nicht, was ich an Wissen voraussetzen muß und zum anderen nicht, was für Sie und Ihre Leser davon wichtig oder erwünschtes Wissen ist oder nicht. Also, als neutrale Heilerin und Hebamme pflichte ich jedem bei, der oder die anmerkt, daß eine werdende Mutter kein Profi-Quidditch spielen sollte, ob ein Gesetz dies ausdrücklich verbietet oder nicht. alles weitergehende ist die Angelegenheit der Hexe, die beabsichtigt, Mutter zu werden. Haben Sie Kinder?"

"Das ist eine sehr private Frage", erkannte die Reporterin. Da erkannte sie wohl, daß sie ja selbst gerade versuchte, ganz persönliche Einzelheiten zu erfahren. "Nun, ich selbst bin kinderlos. Daher kann ich nur theoretisch nachvollziehen, was da vorgeht. Soweit ich weiß gilt dieses Vertrauensverhältnis zwischen Heilern und Patienten doch nur solange, wie der Patient oder die Patientin keine Tätigkeit des öffentlichen Interesses ausübt."

"Interessant, über diese Neuerung der Heilerbestimmungen hat mich unsere Zunftsprecherin Laura Morehead bisher nicht informiert", erwiderte Aurora ganz gelassen. "Für mich ist weiterhin verbindlich, daß vor einem Heiler oder einer Heilerin alle magischen Mitmenschen oder durch magische Einwirkung zu Schaden gekommenen Muggel gleichzubehandeln sind, was die Therapie als auch den Umgang mit dabei erhaltenen Kenntnissen angeht. Deshalb müssen Sie wohl darauf verzichten, von mir nähere Auskünfte über die in meinem Wirkungsbereich wohnhaften Hexen und Zauberer zu erhalten, ob sie nun rein privatwirtschaftlich, im Rahmen öffentlicher Veranstaltungen oder gar zaubereiministerieller Amtsführung tätig sind." Die Reporterin verzog das Gesicht. Eine derart gekonnte Abschmetterung ihres Versuches, doch noch was über Pam Witfield zu erfahren hatte sie nicht erwartet. Doch dann lächelte sie und fragte Aurora Dawn: "Sie haben Hogwarts, die Schule für Hexerei und Zauberei besucht. Haben Sie dort in Ravenclaw gewohnt?"

"Nun, da dies ohnehin in der kurzen Beschreibung meines bisherigen Lebens in "Der kleine Hexengarten" erwähnt ist habe ich kein Problem, das zu bejahen", erwiderte Aurora amüsiert. Dann bot sie der Reporterin an, allgemeine heilmagische Fragen zu beantworten, die im Zusammenhang mit Quidditch aufkommen mochten. Doch Cynthia Clearwater verzichtete darauf, da sie doch nichts über Pamela Witfield erfahren würde. Sie winkte ihrem Bildermacher, der nickte und mit ihr das Grundstück der Heilerin verließ, um Seit an Seit zu disapparieren.

"Netter Versuch, Mädel. Aber mir mit angeblichen Sonderregeln zu kommen, wo Beth Herbregis mich alle Regeln und Sonderregeln zum Frühstück hat fressen lassen klappt bei mir nicht", dachte Aurora. Dann erinnerte sie sich, daß sie von ihrem Bild-Ich erfahren hatte, daß in Ravenclaw gerade eine Schülerin namens Penelope Clearwater wohnte, die vor den Ohren der gemalten Aurora erwähnt hatte, daß ihre Tante väterlicherseits in Australien lebe. Jetzt wußte Aurora auch, was die hier machte.

Am Nachmittag erhielt sie eine Einladung der Brautleute Witfield und Lighthouse, am Valentinstag um zehn Uhr morgens zum Anwesen der Lighthouse-Familie zu reisen, um dort der Trauung von Pamela und Laurin beizuwohnen.

Am nächsten Tag las sie in der Zeitung nach, daß sie, Aurora, nichts davon wisse, daß es eine Sonderregelung gebe, dernach Heiler über Patienten Auskunft erteilen dürften, die öffentliche Tätigkeiten ausführten. In derselben Ausgabe wurde Laura Morehead zitiert, die eine derartige Sonderregel als "unbrauchbaren Unfug" zurückwies. Alle Heiler hätten gelernt und bei ihrer Vereidigung gelobt, das Vertrauen ihrer patienten zu achten und sich an die Gebote der Heiler zu halten, und die sähen nun einmal eine Schweigepflicht Außenstehenden gegenüber vor, ob der Patient nun Besenputzer oder Zaubereiminister sei. Das einzige, was ein Heiler verraten dürfe wäre, wenn jemand mit einem Beruf des öffentlichen Interesses diesen nicht mehr ausüben könne und dazu nur eine oberflächliche Begründung zu verkünden habe. Sie wundere sich keinesfalls, daß Reporter immer noch versuchten, relativ jungen Heilern mit dieser Sonderregel Auskünfte über Personen des öffentlichen Interesses zu entlocken. Doch Aurora Dawn sei ja nun seit bald fünf Jahren aprobierte Heilerin. Seit ihrer erfolgreichen Zulassungsprüfung hätten sich die gültigen Vorschriften und Gesetze für Heiler und Heilerinnen nicht geändert. Insofern befinde sich Aurora Dawn keineswegs in einem Wissensrückstand. Als die junge Heilerin das las mußte sie grinsen. Doch um dem nächsten Reporter noch gescheiter antworten zu können holte sie das dicke Buch über die Entstehung und Begründung der Rechte im magischen Heilwesen und suchte nach Ausnahmen für prominente Hexen und Zauberer. Sie fand jedoch nur die von Laura erwähnte Passage, daß bei einem gesundheitlich gebotenen Rücktritt von einem öffentlichen Beruf eine oberflächliche Begründung wie "Hat Probleme mit dem Herzen", "darf sich nicht mehr überanstrengen" oder "möchte nach erfolgreicher Geburt eines Kindes nur noch für dessen Fürsorge leben" geäußert werden durfte. Falls sie näheres über den Gesundheitszustand eines öffentlich tätigen Mitgliedes der Zaubererwelt verlautbaren sollten, brauchten Heilerinnen und Heiler die schriftliche Einwilligung des Patienten oder der Patientin, sofern dieser oder diese bereits volljährig war. Und falls Pamela Witfield künftige Lighthouse den Reportern ihren körperlichen Zustand lang und breit erläutern wollte, mußte diese schon selbst was dazu sagen oder Aurora ausdrücklich erlauben, darüber fachkundige Auskunft zu erteilen.

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Die Tage bis Valentin waren geprägt von Routineuntersuchungen. Sie machte Hausbesuche bei Familien, um die Kinder zu untersuchen, ob sie gut wuchsen oder für ihr Alter richtig oder unzureichend entwickelt waren. In dieser Eigenschaft besuchte sie am zweiten Februar auch die Familie Portland, deren jüngstes Mitglied sie selbst in ihrem praktischen Jahr auf die Welt geholt hatte. Der kleine Elwood hatte sich dafür, daß er einige Wochen vor dem errechneten Termin geboren wurde sehr schnell und sehr gesund entwickelt. Er konnte gut sprechen und schon Fragen beantworten, die nicht durch reines Zeigen auf Gegenstände zu lösen waren. Seine große Schwester Jessica mochte die schwarzhaarige Heilerin gut leiden und zeigte ihr stolz, was sie für ihre Schulklasse aus Ton gebaut und auf Papier gemalt hatte.

"Das war genial, wie sie die Clearwater abgewimmelt haben", sagte Randolph Portland, der seinen damaligen Groll gegen Aurora längst verloren hatte. "Die versucht es immer wieder, Leute über andere Leute auszufragen. Kommt die nicht auch von Ihrer alten Heimatinsel?"

"Ich habe mich erkundigt. Sie hat einen Schwager dort, der wiederum gerade eine Tochter in Hogwarts hat", erwiderte Aurora Dawn. "Und was diese hahnebüchene Frage angeht, so war die bei mir gerade an der richtigen Adresse. Meine Lehrmeisterin hätte mich nicht in die Zulassungsprüfungen gehen lassen, wenn ich die Vorschriften nicht auswendig gekannt hätte."

"Haben Sie noch mal was von Madam Thornapple gehört, was sie so macht?" Fragte Mrs. Portland.

"Die ist gerade in Brasilien, sich den Amazonas-Regenwald ansehen", erwiderte Aurora. Mehr wollte sie dazu aber nicht sagen, weil Melissa Thornapple nur ausgerichtet hatte, ihren früheren Patienten auf Nachfrage schöne Grüße aus dem Dschungel Brasiliens auszurichten. Aurora erinnerte sich, daß Mel Thornapple immer mit der Hitze im Sommer zu kämpfen gehabt hatte, bis sie, Aurora, ihr einen gleichwarmen Umhang geschenkt hatte. Offenbar hielt der noch, oder Mel Thornapple benutzte eine andere Bekleidung mit Klimaisolation und atmete die feuchtheiße Luft durch eine Kopfblase, wodurch sie auf genehme Temperaturen gebracht und leicht zu inhalieren war. So erzählte Aurora, wie sie selbst auf ihrer Hexengartenreise die Regenwälder des Amazonas und Zentralafrikas bereist hatte und welchen Unterschied diese zum australischen Dschungel boten. Elwood hörte mit aufmerksam gespitzten Ohren zu. Geschichten von fernen Ländern und seltenen Tieren faszinierten ihn. Randolph Portland erwähnte, daß er einmal am Nordpol war, um die Auswirkungen verschiedener Elementarzauber bei Minustemperaturen zu erforschen und dabei mit einigen magiebegabten Schamanen aneinandergeraten sei, die das magische Gleichgewicht in ihrem Revier in Gefahr sahen. "Ich mußte da mal ziemlich schnell weg, weil so'n Trommelzauberer mir einen Eisbären auf den Hals gehetzt hat. Könnte sogar sein, daß der den großen Brummbären selbst körperlich übernommen hat oder ein Animagus war. Jedenfalls mußte ich schnell fliegen. Apparieren ging aus einem mir nicht bekannten Grund nicht."

"Mit den Ritualzaubern der Naturvölker kenne ich mich nur wenig aus. Aber wenn die Inuit ähnliche Kräfte beschwören können wie die hiesigen Naturstämme, könnten die einen Zwang zum Verweilen aufgerufen haben, etwas, das jede magische Flucht vereitelt, solange jemand nicht vom Boden wegkommt", wandte Aurora ein.

"Stimmt. Erst als ich meinen Besen zu mir hingerufen und mich draufgeschwungen habe kam ich gut weg. Sonst gäbe es Jess und Elwood wohl nicht."

"Indoit? Heißen die Eskimos so?" Fragte Jessica. Sie hatte in der Schule gehört, daß da, wo mittags die Sonne stünde, ganz weit oben kaltes Land sei und dort Leute in Fellen wohnten, die nicht mit Stäben, sondern mit Musik zaubern könnten. Aurora erwähnte, daß die Inuit sich selbst so nannten, weil das Wort "Inuk" in ihrer Sprache Mensch bedeute.

"Jedenfalls habe ich einen gewissen Respekt vor diesen Trommlern und Geistertänzern gekriegt, Ms. Dawn, das dürfen Sie mir glauben. Deshalb bin ich den Magiern der Aborigines gegenüber auch etwas vorsichtiger als die anderen Hexen und Zauberer aus dem alten Europa."

"Das ist auch sehr vernünftig, Mr. Portland", erwiderte Aurora. Sie hatte ja auch schon ihre Erfahrungen mit der Magie der Ureinwohner gemacht.

Nachdem sie den Portlands noch einige Ratschläge zur körperlichen und geistigen Förderung ihrer Kinder gegeben hatte, kehrte sie zu ihrer Niederlassung zurück, wo sie die Post nach Terminanfragen durchsuchte und die Ergebnisse der Untersuchung von Jessica und Elwood Portland ordentlich protokollierte.

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Das Anwesen der Lighthouses erstreckte sich über mindestens einen Quadratkilometer im australischen Buschland. Hier unterhielt Optimus Lighthouse seine dreißig Mann beschäftigende Manufaktur für ausgefallene Illusionszauber und handliche Zaubergegenstände wie mannsgroße Zweiwegespiegel zur Fernverständigung. Ein solches Spiegelpaar kostete allerdings schon 1000 Galleonen, womit sich nicht jeder eine derartige Dekoration leisten konnte. Optimus Lighthouse wirkte mit seiner kleinen Statur und dem goldenen Haar schon wie ein lebendiger Schnatz. Sein ältester Sohn Laurin, und dessen drei Jahre jüngerer Bruder Ulysses hatten beide in Redrock grandiose UTZs in Zauberkunst und Verteidigung gegen dunkle Künste belegt. Doch Ulysses war in die Abteilung für experimentelle Magie gegangen, während sein älterer Bruder der Kronprinz und hoffnungsvolle Firmenerbe des seit mehreren Generationen bestehenden Unternehmens war. Sein Großvater Deucalion war stolzer Bart- und Bauchträger. Er trug einen purpurroten Umhang über seinem gerundeten Leib und hatte den wie das Haar mit silbernen Strähnen durchsetzten blonden Bart auf Brusthöhe zu einem Knoten verschlungen, der so wirkte, als trüge der Zauberer eine natürlich gewachsene Krawatte. die Ehefrauen der Lighthouses saßen mit denen der Witfield-Familie zusammen, während Pamelas Vater mit seiner Tochter in einem Raum wartete, bis er seine Tochter vor den Zeremonienmagier führen durfte. Dieser, im Vergleich zu dem Aurora vertrauten Logophil Nodberry bohnenstangenlange Zauberer mit rostrotem Stoppelhaar, schritt in seiner blütenweißen Hochzeitsrobe herum und begrüßte die Ehrengäste. Als er Aurora Dawn sah, die von Pamela und Laurin eingeladen worden war, verneigte er sich vor ihr und bekundete: "Ich freue mich, eine für ihre jungen Jahre schon so erfolgreiche Heilerin begrüßen zu dürfen. Hoffentlich konnten Sie sich heute den Tag freinehmen. Nicht, daß Sie mitten in der Feier zu einem Einsatz gerufen werden."

"Ich bin ja niedergelassene Heilerin, Meister Cherrywood. Ich konnte meine Termine entsprechend legen. Wenn etwas akutes anliegt greifen die Kollegen aus der Sana-Novodies-Klinik ein."

"Ihr Beruf erlaubt Ihnen ja leider nicht derartige Festlichkeiten wie Hochzeiten oder Willkommensfeiern für Neugeborene", bemerkte Zeremonienmagier Cherrywood. Aurora nickte zwar, schränkte dann aber ein, daß sie durchaus einen Ehemann nehmen dürfe und wohl auch Mutter werden könne, wenn die Heilerzunft keine Einwände dagegen hätte. Der Zeremonienmagier nickte dann und setzte seine Begrüßungsrunde fort.

Aurora vermißte die Sparks. Hatte Pamela ihre Mannschaftskameraden nicht eingeladen? Sie erkannte nur Basen und Vettern, Onkel und Tanten von Braut und Bräutigam und einige Gäste aus dem Geschäftskundenkreis von Optimus Lighthouse. Irgendwie wußte sie nicht, ob sie sich jetzt stolz oder deplaciert vorkommen sollte, daß sie nicht mit irgendwem hier verwandt war und auch keine geschäftlichen Beziehungen zur Firma Lighthouse Bild- und Klangillusionen für gehobene Ansprüche pflegte. Sie dachte an ihre Cousine Arcadia, die im letzten Sommer ihre ZAGs gemacht hatte und davon träumte, freie Zauberkunsthandwerkerin zu werden. Dann dachte sie wieder an Florymont Dusoleil. Hieß es nicht, daß er und Laurin Lighthouse um eine Auszeichnung für Thaumaturgen konkurrierten? Sicher wußten die Lighthouses, daß sie mit den Dusoleils bekannt war. Immerhin hatte sie in ihrem Buch ja erwähnt, einige Zeit mit Camille Dusoleil zusammengearbeitet zu haben.

Aurora ging von der Begutachtung der Gäste zur Prüfung der Dekoration über. Der Boden war extra für diesen Anlaß mit einer goldenen Schicht bedeckt, die glitzerte. Aber nicht so glatt wie Metall war. Hier sollte nach der feierlichen Trauung getanzt werden. Goldene Ballons schwebten über ihnen allen, und ein himmelblauer Baldachin überwölbte die Reihen der schneeweißen Stühle. Aurora sah eine sieben Mann starke Musikkapelle, deren Mitglieder in Kombinationen aus goldenen Hemden und weißen Hosen hinter ihren Instrumenten saßen. Kleine Kinder spielten noch mit einem blauen Ball, der wie ein Quaffel durch die Luft flog. Erst als deren Eltern sie zu sich unter den Baldachin holten kehrte erwartungsvolle Ruhe ein.

Woher das leise, helle Glockengeläut kam konnte Aurora nicht sagen. Womöglich war das auch eine von Lighthouses Klangillusionen, die in Kraft trat, als die Tür des Herrenhauses aufging und Mr. Witfield in einem knöchellangen, königsblauen Umhang herauskam. Er trug einen mitternachtsblauen Spitzhut, auf dem ein silberner, fünfstrahliger Stern ritt. Zu seiner Rechten erstrahlte die glückliche Braut in einem weiten, schneeweißen Kleid mit einem hauchzarten Seidenschleier, der fast wie verdichtetes Spinngewebe so zart wirkte. Die Kapelle spielte einen Tusch und setzte zu einem langsamen Marsch an, der vom zauberischen Glockengeläut getragen wurde. Mr. Witfield führte seine Tochter über einen langen, schneeweißen Teppich mit rot-goldenen Phönixverzierungen zwischen den Sitzreihen hindurch. Hinter Pamela gingen vier gerade zwölf oder dreizehn Jahre alte Mädchen in langen, rosaroten Rüschenkleidern her, die die lange Schleppe des Brautkleides aufnahmen und im gebührenden Abstand hinter der Braut hertrugen. Aurora fühlte sich erhaben und zugleich irgendwie fremd hier. Ihr wurde unvermittelt bewußt, daß sie sich ihren Mann für's Leben wohl nur dann so präsentieren durfte, wenn Laura Morehead nichts an ihm auszusetzen hatte. Pamela Witfield schritt wie auf wolken daher, als ihr Vater sie in einen Kreis aus goldener Tinte führte, in dessen Zentrum Demosthenes Cherrywood wartete. Nun konnte aurora Dawn auch Laurin Lighthouse sehen, der mit einem seiner alten Schulfreunde aus Redrockzeiten auf den Zeremonienmagier zuschritt. Der Bräutigam trug einen nachtschwarzen Umhang mit weißem Stehkragen und einen gleichfalls schwarzen Zylinder mit weißem Rand. Sein Trauzeuge hatte sich einen marineblauen Festumhang und einen farblich passenden Zaubererhut gewählt. Jetzt standen Braut und Bräutigam nebeneinander vor dem Zeremonienmagier. Dieser gebot mit einer Handbewegung Ruhe. Die Musiker spielten nur noch einen Tusch. Das Glockenspiel wurde leiser und verklang restlos. Dann erwähnte der Zeremonienmagier, aus welchem Anlaß sie alle heute zusammengekommen waren. Dann lüftete er den Schleier der Braut. Pamela strahlte mit der australischen Sommersonne um die Wette.

"Ich frage dich, Laurin Deucalion Lighthouse, möchtest du die hier anwesende Pamela Vanessa Witfield zu deiner Ehefrau nehmen, sie lieben und ehren, in guten wie in schlechten Zeiten, solange euer beider gemeinsames Leben währt?" Richtete Cherrywood seine Worte an den Bräutigam zuerst. Dieser straffte sich und sagte laut und überall vernehmlich: "Ja, ich will!" Dann wandte sich Cherrywood an Pamela Witfield. "So frage ich dich, Pamela Vanessa Witfield, willst du den hier anwesenden Laurin Deucalion Lighthouse zu deinem ehemann nehmen, ihn lieben und ehren, in guten wie in schlechten Zeiten, solange euer gemeinsames Leben währet?" "Ja, ich will", erwiderte Pamela laut. "So erkläre ich euch hiermit einander angetraut zu Mann und Frau!" Erwiderte Cherrywood und ließ einen Regen silberner Funken aus seinem Zauberstab über die soeben verheirateten Brautleute niedergehen. Alle klatschten, als die beiden die Ringe tauschten und sich den Hochzeitskuß gaben. Ein dicker Kloß quoll in Auroras Hals, und sie fühlte kleine Tränen in die Augen steigen. Sie vergaß, daß nicht jede Ehe so glücklich blieb, wie sie mal begann und nicht jeder den Hochzeitstag als schönsten Tag des Lebens in Erinnerung behielt. Doch es war doch eine große, erhabene Angelegenheit, wenn sich zwei Menschen versprachen, füreinander da zusein und miteinander alle Widrigkeiten des Lebens zu bewältigen. Da hörte sie lautes Johlen und sah zwölf Hexen und Zauberer auf fliegenden Besen, die heransausten und über dem gerade vermählten Paar wilde Figuren ausflogen, wobei an den Besenenden hängende Schellen laut klingelten und aus kleinen Säcken Reis herabregnete und die beiden frischgebackenen Eheleute einhüllte. Die Flieger trugen ausnahmslos die Umhänge der Sydney Sparks. Dann zauberten sie auch noch einen Vorhang aus goldenen Funken an den Himmel, der sich zum Schriftzug formte: LANG LEBE PAMELA LIGHTHOUSE UND IHR ANGETRAUTER LAURIN!

Die haben also gewartet", dachte Aurora, während auch sie was von dem Reisregen ins Haar bekam. Hieß es nicht, daß der Reis für Kindersegen stand? Na hoffentlich mußte sie nicht nachher noch auf eine sichere Empfängnisverhütung achten.

Als die Quidditchspieler gelandet waren klatschten die Anwesenden Beifall. Also hatten sie das wohl mit den geladenen Gästen abgestimmt.

Aurora gehörte zu einer der ersten, die Pamela gratulieren durften. "Da werde ich dann wohl eine neue Karteikarte ausstellen dürfen, Mrs. Lighthouse", hauchte sie der wenige Minuten alten Ehefrau ins Ohr.

"Ich dachte, das hättest du schon, Aurora", erwiderte Pamela. Aurora gab scherzhaft zurück, daß sie das nur dürfe, wenn es amtlich sei, daß Patient oder Patientin verheiratet sei. Dann beglückwünschte sie Laurin, zu dem sie sich hinunterbeugen mußte, um ihm einen Wangenkuß zu geben.

"Tja, das hat man davon, wie ein Schnatz auszusehen", meinte dieser und fügte hinzu: "Dann strengst du dich an, immer herumzuflitzen und überall mal vorbeizuschwirren, und dann kriegt dich doch eine Sucherin und hält dich sicher fest."

"Dafür ist der Schnatz nun einmal gemacht", erwiderte Pamela Lighthouse. Eine ihrer Brautjungfern, eine Nichte von ihr grinste nur und deutete auf Pamela. "Tante Pamela läßt dich aber bestimmt nicht mehr wegfliegen, Onkel Laurin."

"Zumindest nicht, bevor er ihr einen hübschen quängelnden Quaffel zum tragen gegeben hat", meinte Laurins Trauzeuge etwas respektlos. Doch Laurin lachte.

"Ich lege lieber die fünfhundert Goldstücke für unsere Familie an als sie diesem Halsabschneider Oaklane zu lassen, wenn Pam was Kleines erwartet."

"Ich denke, wir klären eh erst einmal, wo wir wohnen können, ohne andauernd von deinen oder meinen Eltern behelligt zu werden", sagte Pamela zu ihrem Mann. Dann hörte Aurora nicht mehr, was gesagt wurde, weil weitere Gratulanten an ihr vorbeischlüpften und sie respektvoll Platz machte.

Nach der Trauung gab es das große Festessen und mehrere Stunden Tanz. Als es kurz vor Abend war, befand Aurora, doch besser wieder in ihre Niederlassung zurückzukehren, um die eingegangene Post zu sichten. Wenn sie im Juli zum Kongress der Kräuterkundler wollte, durfte sie sich nicht zu viel Freizeit nehmen. Sie verabschiedete sich von den neuen Eheleuten und ihren Verwandten und bat Pamela, in den nächsten Tagen noch einmal bei ihr vorbeizukommen. Laurin meinte dazu: "Um zu bestätigen, daß wir zwei die Ehe vollzogen haben?"

"Verpflichtend ist das nicht, Mr. Lighthouse. Aber für die Kartei ist das schon praktisch zu wissen, daß Sie beide in jeder Hinsicht zusammengefunden haben. Dann noch einen schönen abend", wünschte Aurora. Laurin lachte und winkte ihr nach, als sie sich bei den Eltern der Brautleute verabschiedete, das Anwesen verließ und disapparierte.

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Die Glut des Sommers erlosch mit den ersten größeren Herbststürmen im März. Mehrere Hexen und Zauberer, die auf Besen über Land unterwegs waren riefen um Hilfe, weil sie in die berüchtigten Sandstürme aus dem trockenen Herzen des Kontinents geraten waren. Aurora Dawn erfuhr von ihren Kolleginnen aus der Sana-Novodies-Klinik, das sie einige Patienten mit Sand in den Atemwegen zu behandeln hatten. Es zeigte sich wieder einmal, daß Zauberer in Panikstimmung nicht sonderlich gut apparieren konnten. Bei einigen mußten Zersplinterungen behandelt werden, die teilweise zu massiven Blutverlusten führten. Die niedergelassenen Heiler wurden von Laura Morehead gebeten, reichlich Bluterneuerungstrank auf Vorrat zu brauen. Dieser dringenden Bitte kam Aurora all zu gerne nach, weil sie die Ausläufer der Willy-Willy-Sandstürme auch in ihrem Einsatzgebiet beobachten konnte. Immer wieder deckte rötlicher Staub die Dächer und Straßen zu. Heißer Atem aus dem roten Herzen des Kontinentes wehte mit Urgewalt über freie Landstriche hinweg. Manche Stürme fachten die letzten größeren Buschbrände an, die dieser Sommer gesäht hatte. Nebenbei erfuhr Aurora, was sich in Hogwarts so tat. Neben dem Jungen, der Voldemorts Todesfluch überlebt hatte interessierte sie sich auch für den mit diesem zusammen eingeschulten Draco Malfoy. War diesem erzählt worden, daß er ja nur deshalb noch lebte, weil sie und Bernhard Hawkins ihm damals das Leben gerettet hatten? Mit einer Mischung aus Betretenheit und Verachtung nahm sie von ihrem in Hogwarts beobachtenden Bild-Ich zur Kenntnis, daß sich der junge Draco Malfoy ganz die Eltern aufspielte, die Rangstellung seiner Eltern immer wieder hochhielt und offen gegen muggelstämmige Zauberer hetzte, wenngleich er sich eher auf Harry Potter festgelegt hatte, wohl weil dieser sich nicht von Malfoys ach so großartigen Beziehungen hatte ködern lassen. Sie amüsierte sich über die Streiche der Weasley-Zwillinge und fragte sich, was die beiden nach der Schule mal machen wollten, wo sie die Magie offenbar als riesige Spielzeugkiste sahen. Entweder würden sie Zonko in Hogsmeade übernehmen oder wegen wiederholter Verstöße gegen die Zaubereigesetze eingesperrt oder aus der magischen Gemeinschaft ausgeschlossen.

Über die Kopien ihrer Gemälde stand sie weiterhin in Kontakt mit ihrer Schulfreundin Petula Woodlane und über Briefe auch mit Miriam Swann, die ihr nach Ostern schrieb, wie sie bei ihrer Großtante Larissa in den Staaten gewesen war, wo "der kleine Hexengarten" ein großer Erfolg geworden sei. Miriam fragte Aurora, ob sie auch zum Kongress der Kräuterkundler im Juli gehen würde. Das erinnerte die Heilerin daran, daß es doch bald mal Zeit sei, Laura Morehead zu fragen, ob sie an dieser Zusammenkunft teilnehmen dürfe.

Als der Mai kam und damit der Herbst den Kontinent fest im Griff hatte, schrieb Aurora Dawn einen Brief an die Sprecherin der Heiler Australiens.

Sehr geehrte Großmeisterin Morehead,

Vor einigen Wochen schon trug die in Millemerveilles, Südfrankreich, wohnhafte Herbologieexpertin Camille Dusoleil die Anfrage an mich heran, ob es mir zeitlich möglich und vom Interesse her recht sei, eine von ihr im Juli diesen Jahres auszurichtende Versammlung kräuterkundiger Hexen und Zauberer in Millemerveilles zu besuchen, da meine praktischen Erfahrungen und Studien sicherlich von einigen Teilnehmern mit großem Interesse aufgenommen würden. Ich wies Madame Dusoleil darauf hin, daß ich durch die mir zuerkannten Aufgaben und Verpflichtungen nicht so einfach über meine Zeit verfügen dürfe. Es sei, so teilte ich ihr mit, davon abhängig, wie sich die allgemeine Gesundheitslage in dem mir ehrenvoll zugesprochenen Einsatzgebiet entwickele, ob ich für Sondereinsätze bereitstehen oder, wie jetzt nach den ganzen aus Panik resultierenden Fehlapparitionen nötig, bei der Herstellung notwendiger Zaubertränke mithelfen müsse. Darüber hinaus, so erwähnte ich ihr gegenüber auch, habe ich ja bereits eine großzügige Auszeit von Ihnen, Meisterin Morehead, gewährt bekommen, um die Grundlagen für das Buch "der kleine Hexengarten" zu erarbeiten. Daher sei es wohl unwahrscheinlich, mich für einen Kongress, der überwiegend von reinen Zauberpflanzenexperten besucht würde, freistellen zu lassen.

Madame Dusoleil empfand diese meine Begründungen für eine unwahrscheinliche Teilnahme meinerseits offenbar als Bekräftigung, daß es mich durchaus interessiere, wer dort zu welchen Arbeiten und Vorhaben sprechen würde und ließ mir eine Liste von bereits feststehenden Teilnehmern, sowie eine Liste mit wahrscheinlich teilnehmenden Experten zukommen, die ich diesem Schreiben an Sie beifügen möchte, um Ihre Meinung zu erbitten.

Es hat sich in den letzten fünf Jahren auf dem Gebiet der magischen Kräuterkunde einiges getan. Auch wenn ich Sie mit Ihnen bereits geläufigen Tatsachen langweilen könnte erwähne ich hier vor allem die Studie über die Verwendbarkeit der Schamanenstaude, die Verbesserung in der Haltung von Alraunen, von der ja auch ich im Namen der Heilzunft profitiere, so wie die Diskussion um das Für und Wider von neueren Kreuzungen zwischen magischen und nichtmagischen Pflanzen zum Zwecke der Wirkstoffoptimierung, zu der Salvatore Prattelli aus Florenz im grünen Magier veröffentlicht hat. Außerdem möchten Professor Sprout, Professor Verdant, Magistra Rauhfels und Professeur Trifolio über Neuerungen der magischen Pflanzen und Pilze diskutieren, und wie sie im Schulunterricht bestmöglich vermittelt werden können, um dem hohen Anspruch international gleichwertiger Grundausbildung an den magischen Schulen gerecht zu werden.

Diese erwähnten Punkte und die mit diesen verbundenen Referentinnen und Referenten haben mich doch zu der Anfrage an Sie veranlaßt, ob es mir von Ihrer Seite her erlaubt sei, an diesem Kongress teilzunehmen und möglicherweise sehr brauchbare Ergebnisse von dort mit zurückzubringen, zumindest aber meine bescheidenen Erkenntnisse im Bezug auf die magische Heilkunde in die Betrachtung der fachbezogenen Diskussionen einbringe, da es einigen ausschließlichen Zauberpflanzenexperten nicht gleich ersichtlich ist, welche Auswirkungen ihre Versuche oder Züchtungen für die Heil- und Zaubertrankbraukunst bieten oder, was leider nicht ausgeschlossen werden darf, welche Gefahren und Mißbrauchsmöglichkeiten bestimmte Pflanzenwirkstoffe bieten, gegen die dann durch gezielte Herstellung von Abhilfe oder entsprechende Gesetze zur Züchtung und Verbreitung potentiell gefährlicher Pflanzen berührt werden oder neu geschaffen werden müssen. Wie Sie der Liste entnehmen dürfen, wird neben der umfangreich mit magischem Leben vertrauten Gudrun Rauhfels auch deren russische Kollegin Lara Andropova der Zusammenkunft beiwohnen, um über ihre Erfahrungen mit durch Radiointoxikation erkrankte und/oder veränderte Zauberpflanzen zu berichten. Da ich mit meiner verehrten Lehrmeisterin Herbregis im April 1986 erstmalig mit den Erscheinungsformen und Auswirkungen der von Muggeln gebrauchten Materialien mit radioaktiven Eigenschaften in Berührung kam, interessiert es mich natürlich auch persönlich, inwieweit die Katastrophe mit einem dieser Atombrennöfen in der Ukraine nachhaltige Auswirkungen auf magisches Pflanzenleben und damit auch auf anwendbare Verwendungsmöglichkeiten für Heiler und Braumeister hat. Sicher besteht die Möglichkeit, mit der berühmten Herbologin in Eulenpostkontakt zu treten und die von ihr gemachten Beobachtungen zu erfragen. Doch dieses, so fürchte ich, dürfte ein langwieriges Unterfangen sein. Einfacher wäre es, wenn ich mir die Erlaubnis Madam Andropovas einholen dürfte, die von ihr niedergeschriebenen Ergebnisse und eventuelle Proben ihrer Arbeit mitzubringen. Ich biete an, einem von Ihnen einberufenen Gremium, dem Sie selbstverständlich beiwohnen mögen, ausführlich über die dabei gewonnenen Ergebnisse zu berichten, falls Sie dies für eine gute Auswertung dieses Kongresses halten mögen.

Wie eingangs erwähnt überlasse ich es Ihrem Überblick und Ihrer Einschätzung, ob ich an dem beschriebenen Kongress teilnehmen darf oder nicht. Er wird nach gegenwärtigem Stand der Vorbereitungen zwischen dem 18. und 24. Juli 1992 stattfinden, weil zu dieser Zeit überall in der westlich geprägten Zaubererwelt auch Schulferien sind.

Ich versichere Ihnen, daß ich jede von Ihnen diesbezügliche Entscheidung ohne Widerruf akzeptieren werde und die von Ihnen ohne Nachfrage beschriebenen Gründe ohne weitere Nachfrage als verbindlich anerkennen werde.

Hochachtungsvoll

Aurora Dawn

Anlage: 1 Anschreiben von Madame Camille Dusoleil vom 28. Dezember 1991, 1 Erinnerung von Madame Camille Dusoleil vom 23. Februar 1992, 1 Teilnehmerliste der angesetzten Kräuterkundezusammenkunft vom 18. bis zum 24. Juli 1992

Als sie ihr Schreiben noch einmal überprüft und die erwähnten Anlagen beigefügt hatte, schickte sie das Cockaburraweibchen Chackie zu Madame Morehead nach Canberra. Der weibliche Lachvogel hatte sich in den letzten Monaten immer besser als Postvogel bewährt und benötigte auch nicht länger als manche Posteule.

Während sie auf die offizielle Antwort auf ihre Anfrage wartete ging sie den üblichen Pflichten einer niedergelassenen Heilerin nach. Die ersten Grippefälle des australischen Herbstes kamen auf. Aurora kam mit dem Brauen von Abwehrtränken nur schwer nach. Doch wenn sie wirklich im Juli zur Zusammenkunft wollte, mußte sie schon jetzt einen großen Vorrat zusammenbekommen, um einer eventuellen Vertretung die Arbeit zu ersparen und eigene Vorräte zu schonen. Darüber hinaus reiste sie durch das Land, um Zutaten für das Breitbandgegengift 999 zusammenzubekommen. Jetzt, wo sie dessen Wirksamkeit und Wichtigkeit in mehreren Fällen zu schätzen gelernt hatte, wollte sie als Schülerin von Bethesda Herbregis immer genug davon parat haben, um Bisse oder Stiche der giftigen Tiere Australiens unverzüglich kurieren zu können. So war sie froh, als sie am zweiten Maiwochenende genug von der Lösung vorrätig hatte. Ein Begleitheiler der Wadditchmannschaft Botany Blasters hatte den magischen Notruf losgelassen, weil nicht Haie, sondern ein Schwarm von Seewespen die Blasters mitten im Spiel mit dem tödlichen Gift der Nesselfäden erwischt hatte.

Aurora apparierte auf einem der Zuschauerboote in Spielfeldnähe und wurde sogleich von ihrem Kollegen Bruce Willcocks herangewunken. Vier der Blasters und drei ihrer heutigen Gegner von den Westcoast Wavecrackers hatten am letzten Saisontag die unangenehme Bekanntschaft mit den dahintreibenden Würfelquallen gemacht. Aurora nahm schnell eine Dosis des Antidots 999 ein und gab auch ihren Kollegen von der Breitbandgiftabwehr. Sie stürzten sich ins Meer und holten die im Gewimmel der haarfeinen Fangfäden treibenden Spieler aus der Begrenzung. Dabei fühlte sie, wie sie immer wieder leichte Stiche abbekam, die jedoch keine weiteren Auswirkungen hatten. Eines der Zuschauerboote wurde zum Lazaret umfunktioniert. Aus der Klinik war noch Jill Trylief dazugekommen, die mit der Kollegin Morrow die Betreuung der Wavecrackers übernahm.

"Die Begrenzung hat die Biester nicht zurückgehalten", fluchte Willcocks, als er von Auroras Mixtur genug verteilt hatte. Die ihm vertraglich zugewiesenen Spieler erholten sich von den Auswirkungen des Quallengiftes.

"Ich dachte, gegen sowas würdet ihr besonders gut absichern", wunderte sich Aurora. Sie hatte bisher nicht davon gehört, daß Wadditchmannschaften von Tieren angegriffen wurden, die sich nur treibend fortbewegten.

"Die Böen, Aurora. Das letzte Saisonspiel findet meistens bei aufgewühlter See statt. Das bringt ja noch mehr Spannung ins Spiel. Dabei muß die Begrenzung überspült worden sein."

"Solltet ihr für die nächste Saison besser genug Antidot 999 anfordern. Zumindest würde das gegen die nicht in vier Sekunden tödlichen Gifte schützen."

"Wir können froh sein, daß keine Kegelschnecken ins Spielfeld reingeraten. Sonst müßten wir entweder mit Todesfällen rechnen oder den Spielern vorher genug von eurem Elixier geben, damit die nicht sofort nach dem Stich dieser Tiere wegsterben."

"Da bringst du mich auf was, Bruce. Ich muß für das Gegengift noch das Gift dieser Kegelschnecken ernten. Da die nicht so leicht zu kultivieren sind werden die immer im offenen Meer gemolken", erwiderte Aurora. "Jedenfalls erleichtert ein Tropfen von deren Gift die Abstimmung des Breitbandantidots erheblich."

"Du brauchst aber auch Phönixtränen, habe ich erfahren", sagte Willcocks. Aurora nickte und erwähnte, daß das die neben dem Gift des Basilisken am schwersten zu bekommene Grundsubstanz sei. Doch mittlerweile sei ein reger Tauschhandel im Gange, weil es doch einige gäbe, die ihren Phönixen klarmachen konnten, einige Tränen zu opfern, um damit andere magische Menschen zu beschützen. Da Basilisken meistens nur von Parselmündern kontrolliert werden konnten, die nicht gerade lautere Motive hatten, war es schwer, das hochpotente Gift dieser Schlangenungeheuer zu ergattern, ohne dabei selbst getötet zu werden. In nicht zu tiefe Meeresregionen abzutauchen, um giftige Fische, Schnecken und Schlangen zum Zubeißen oder -stechen zu veranlassen war dagegen einfach. So erzielte die australische Abteilung für magischen Handel beachtenswerte Gewinnbeteiligungen beim lizenzierten Vertrieb von Tiergiften in alle Welt.

"Einige mit uns zusammenarbeitende Giftmelker sind gestern beim großen Barriere-Riff auf Schneckensuche gegangen. Das hat uns ja den letzten Rest vom AD 999 gekostet, um die trotz ihrer Seeschlangenhautschwimmanzüge nicht vollkommen unverwundbaren Leute zu schützen. Wir können dir und deiner Kollegin gerne einige Flüssigunzen Conotoxin überlassen."

"Das ist doch mal ein Handel", erwiderte Aurora Dawn. Sie hatte es bisher nur dreimal nötig gehabt, selbst nach marinen Giftspendern zu tauchen und dabei bis an die Tiefengrenze für den Kopfblasenzauber zu gehen. Dabei hatte sie sich immer mal wieder tief im Meer treiben lassen und die Ruhe und Schwerelosigkeit genossen. Nur ihr eigener Herzschlag war innerhalb der schützenden Kopfblase zu hören gewesen. Dennoch hatte Aurora dem magischen Tauchsport nicht so viel abgewinnen können. Rudolph Sandford aus ihrem Arbeitsrevier war begeisterter Taucher, der sogar schon die Unterwasseratmungsapparaturen der Muggel ausprobiert hatte, mit denen er bis über hundert Meter in die Tiefe vorgedrungen war. Wie alle, die in tieferen Gewässern tauchten hatte jedoch auch er die Auftauchzeiten einzuhalten, wenn er mit Kopfblasenzauber arbeitete. Besser dran waren da die, die mit Dianthuskraut arbeiteten, wie Aurora Dawn es bevorzugte, sofern sie welches ergattern konnte, weil sie hier keine Tiefenbegrenzung einzuhalten hatte und beim Auftauchen nicht von der Taucherkrankheit bedroht wurde. Die einzigen Grenzen hierbei waren die Dosierung und damit einhergehende Zeit unter Wasser. Abgesehen davon war nicht so leicht an die magisch wirksame Algenpflanze heranzukommen. Doch Aurora hatte da mittlerweile ihre Tricks gelernt, um Dianthuskraut in für sie ausreichender Menge zu ernten.

"So, die Leute sind alle wieder spieltauglich und die Glibberwürfel aus dem Feld raus", meinte Jill Trylief. "Ich habe die alle in ein Faß eingetunkt, um die unserer Molkerei zu liefern. Seewespentoxine kriegen die auch nicht jeden Tag rein. Eure Vereinskasse darf dann das AD 999 bezahlen", wandte sie sich noch an Willcocks, der grummelnd zustimmte.

"Wollt ihr euch das Spiel noch zu Ende ansehen?" Wollte Bruce Willcocks wissen. "Wellen der Höhe drei und mehr. Das gibt noch einen schönen langen tag."

"Ich muß noch einiges für meine Schutzbefohlenen zusammenbrauen", sagte Aurora. Jill meinte, daß sie jetzt auch wieder in ihre Abteilung zurückkehrte. Doch sie winkte Aurora noch mal zu sich. "Die gute Laura Morehead war gestern bei uns und hat mich gefragt, wie weit ich über die Alternativen zur aufwendigen Entgiftung bei Radiointoxikationen wäre. Dabei ließ sie anklingen, daß eine gewisse Lara Andropova mit dem Thema wohl im Juli einigen Kräuterhexen und -zauberern was drüber erzählen will. Hat die das von dir?"

"Ja, hat sie", erwiderte Aurora. "Ich habe sie schriftlich gefragt, ob ich dahingehen kann."

"Ich habe der erzählt, daß wir noch kein Wundermittel haben, um die radioaktiven Substanzen ohne die bisher erfolgreiche Blut- und Knochenerneuerung aus damit belasteten Körpern zu kriegen. Vielleicht hat diese Lara Andropova da was parat. Die ist zwar keine Heilerin, aber kennt sich mit magischen Tieren und Pflanzen gut aus. Die hätte bestimmt keine Skrupel, Versuche mit verseuchten Tieren zu machen, um ein Mittel hinzubekommen."

"Das weiß ich nicht, Jill. Abgesehen davon weiß ich nicht, ob die gute Laura Morehead mich für die eine Woche ziehen läßt. Ich darf nicht davon ausgehen, alles machen zu können, was mich interessiert."

"Das hat doch echt jeder bei uns mitbekommen, daß du dich auf Kräuterkunde festgelegt hast, auch wenn du als Residente ja im Grunde alles behandeln und anwenden mußt. Laura Morehead weiß das ganz sicher auch. Aber ich will dir keine falschen Hoffnungen machen. Ich wollte nur wissen, was du davon weißt, was diese Lara Andropova so macht."

"Tja, das bekomme ich wohl nur heraus, wenn ich sie anschreibe oder persönlich sprechen kann", erwiderte Aurora Dawn leicht verstimmt. Jill nickte. Dann nahm sie das Faß mit den gefangenen Würfelquallen und disapparierte von einem der Zuschauerboote aus. Aurora tat es ihr gleich.

Wieder in ihrem Haus schrieb sie einen Bericht für die Zunft und notierte die verbliebene Menge wirksamen Antidots 999 und die Menge des gerade in Vorbereitung befindlichen Breitbandgegengifts. Schreibkram und Buchhaltung waren nie so ihre Lieblingsbeschäftigungen gewesen. Doch sie hatte einsehen müssen, daß ein geordnetes Archiv und eine anständig geführte Liste vorhandener Wirkstoffe oder Zutaten sinnvoll war, um nicht den Überblick zu verlieren.

Am Tag vor ihrem sechsundzwanzigsten Geburtstag erhielt sie ein aus einem Pergamentblatt bestehenden Brief mit Siegel und Unterschrift der Sprecherin der magischen Heilzunft. Aurora verdrängte jedes Gefühl. Entweder war es eine Ablehnung ihres Ersuchens oder eine Zusage.

Sehr geehrte Ms. Dawn,

vielen Dank, daß Sie mich über die im Juli in Millemerveilles stattfindende Kräuterkundlerzusammenkunft informierten. Nun ist es also amtlich, was bislang im grünen Magier lediglich als möglich erachtet wurde. Ihre Spezialisation auf dem Gebiet der magischen Herbologie ist mir ja hinlänglich vertraut, und Ihre über die Grenzen der magischen Heilzunft hinausreichenden Erfolge auch im poopulärwissenschaftlichen, für vernünftig handelnde Gartenbaumagier nachvollziehbare Anregungen genießen ja seit einigen Monaten große Verbreitung. Daher kann ich natürlich sehr wohl nachempfinden, daß es Sie förmlich dazu treibt, auf die Einladung der magischen Herbologin Camille Dusoleil zu reagieren und ihr eine Teilnahmezusage zukommen zu lassen. Ich nehme auch wohlwollend zur Kenntnis, daß Sie sich Ihrer Verpflichtungen in Sydney im besondren und der magischen Heilerzunft Australiens im allgemeinen vollauf bewußt sind und daher mir als amtierender Sprecherin unserer Zunft die Entscheidung antragen, Sie für die Teilnahme an dieser Zusammenkunft freizustellen. Nun, ob ich den Überblick über die im Einzugsgebiet der Ihnen anvertrauten Niederlassung wohnhaften Hexen und Zauberer besitze, den Sie ihr eigen nennen dürfen, wage ich zu bezweifeln. Daher schränkt mich das in der von Ihnen vermuteten Souveränität doch sehr ein, eine verbindliche Entscheidung bezüglich Ihrer Freistellung treffen zu können. Ich gehe jedoch sehr davon aus, daß Sie durch den Kontakt mit ihren potentiellen und tatsächlichen Patienten gewußt haben, ob Sie überhaupt diese Anfrage an mich herantragen konnten oder nicht. Da Sie es taten, hege ich die Zuversicht, daß Sie einige Tage im Juli erübrigen könnten, sofern wir nicht, wie in jedem Winter üblich, mit grippalen Epidemien rechnen müssen. Hinzu kommt die mir von Ihnen vorgelegte Liste der Teilnehmer und Themen, die mir doch eine eindeutige Entscheidung ermöglicht hat.

Ihre Frage, ob ich Sie freistellen kann muß ich mit Nachdruck zurückweisen. Ich werde Sie nicht für die Teilnahme an der Zusammenkunft magischer herbologen freistellen. Denn eine Freistellung bedeutet ja nichts anderes als eine Beurlaubung oder zeitliche Abwesenheitserlaubnis ohne Festlegung der Aktivitäten. Vielmehr erteile ich Ihnen hiermit den eindeutigen Auftrag, im Namen der australischen Heilerzunft an der vom 18. bis 24. Juli stattfindenden Zusammenkunft der Kräuterkundler in Millemerveilles teilzunehmen um:

  1. Die Ergebnisse der Teilnehmer auf ihre heilkundliche Verwertbarkeit zu prüfen.
  2. mit den Teilnehmern alle heilkundliche relevanten Einzelheiten ihrer Arbeit zu erörtern.
  3. Ihre bisherigen Ergebnisse einem Fachpublikum vorzustellen, das im Sinne der magischen Heilkunst und Schulbildung wertvolle Anregungen übernehmen kann.
  4. Schließlich noch die von den Damen Andropova und Rauhfels in der Fachzeitschrift grüner Magier und dem magizoologischen Journal veröffentlichten Thesen zur magielosen Mutation von Tierwesen und Pflanzen systematisch korrekt zu ordnen und eine Veröffentlichung der Ergebnisse auch im Heilerherold und ähnlichen Fachpublikationen der magischen Heilerzunft zu erwirken.

Da dies eben ein klarer Auftrag ist, werde ich Ihnen die Einteilung möglicher Stellvertreter für den Zeitraum abnehmen, sofern Sie mir unverzüglich mitteilen, bei welchen Patienten in Ihrem Einzugsbereich eine Betreuung oder eine anstehende Therapie angezzeigt ist, um die dafür gut ausgebildeten Kollegen oder Kolleginnen einzuteilen.

Ich erwarte von Ihnen einen umfassenden, schriftlichen Bericht über Verlauf und Ergebnisse der Zusammenkunft in Millemerveilles und deren mündliche Erläuterung am 26. Juli in meinem Büro in Canberra um zehn Uhr morgens.

Viel erfolg!

Hochachtungsvoll

Laura Morehead

"So ging es also auch", erkannte Aurora, als sie nach der Ernüchterung, nicht freigestellt zu werden, die Euphorie ergriff, doch dorthin reisen zu dürfen. Ein offizieller Auftrag war zwar eine gewisse Belastung, weil sie sich an die im Auftrag formulierten Punkte zu halten hatte und daher nicht einfach so plaudern durfte. Andererseits, das mußte sie Laura Morehead anrechnen, hatte diese die Gunst der Stunde genutzt, um eigene Interessen und die der Heilerzunft in einen überschaubaren Rahmen zu fassen. Eine geordnete Vorgehensweise bei einem Überangebot von Fachleuten und interessanten Themen war wohl sehr wichtig, wenn die Zeit zu knapp bemessen war, um sich mit so vielen Sachen zu befassen, die dann naturgemäß nur oberflächlich behandelt werden konnten. So schrieb sich Aurora die von der Zunftsprecherin verlangten Punkte in Form von Fragen auf und verglich die Fragen mit der Teilnehmerliste, um genau zu klären, wem sie welche Fragen zu stellen hatte und wem sie über ihre Arbeit welche Anregungen für die weitere Arbeit mitzugeben hatte. Auch wenn das ganze jetzt nach einer umfangreichen Organisation aussah, hatte Aurora den Spaß an der Reise nicht verloren. So schrieb sie Camille Dusoleil auf Französisch:

Hallo Camille,

Ich habe unserer Zunftsprecherin deine Einladung und die Teilnehmerliste vorgelegt und gefragt, ob ich zu euch kommen darf. Ich darf nicht zu euch kommen. Vielmehr hat mir Laura Morehead den ausdrücklichen Auftrag erteilt, die Zusammenkunft als Abgesandte der magischen heiler Australiens zu besuchen, um die für uns Heiler relevanten Teilnehmer zu befragen, mit ihnen aus der Sichtweise der heilmagischen Verwertbarkeit wichtigen Themen zu erörtern und dabei eigene Arbeitsergebnisse als Anregung für kräuterkundliche Projekte darzustellen. Deshalb darfst du mich bitte am Morgen des 18. Juli um acht Uhr eurer Ortszeit in Millemerveilles erwarten. Bitte teile mir mit, ob ich über das internationale Flohnetzwerk direkt zu dir oder an den für die anderen gültigen Anreisepunkt hinkommen möge!

Bis dahin wünsche ich dir und deiner Familie die Ruhe und Kraft, die nötig ist, diese Zusammenkunft zu organisieren.

Herzliche und kollegiale Grüße

Aurora Dawn

__________

1. Juli 1992

Hallo Wendy!

Ich habe sehr erfreut von meinem Bild-Ich aus Hogwarts gehört, daß Gryffindor die viel zu lange Serie Slytherins im Hauspokal beendet hat, weil die drei Neuen, Harry Potter, Hermine Granger und Ronald Weasley sich durch besondere, wenn auch nicht unbedingt mit den Schulregeln vereinbarte Sachen ausgezeichnet haben. Jetzt weiß ich auch, was der Hadesianerhund von Hagrid zu bewachen hatte. Habe ich dir schon mal erzählt, daß ein Alchemist einen Stoff entdeckt hat, mit dem er ein lebensverlängerndes Elixier erstellen kann? Wohl eher nicht. Ich dachte auch, daß dies nur ein Gerücht der magischen Welt sei, da dieser "Stein der Weisen" neben Lebensverlängerung auch Gold hervorbringen sollte. Jedenfalls muß Dumbledore den einzig existierenden Stein zur Bewachung bekommen und mit den Hauslehrern zusammen versteckt und gesichert haben. Die Vermutung, jemand sei bereits hinter dem Stein hergewesen, als der Troll in Hogwarts war, stimmte leider. Es ist sehr erschreckend, aber ich muß es wohl zur Kenntnis nehmen, daß Professor Quirrel, der Lehrer für Verteidigung gegen dunkle Künste, mit dem von seinem eigenen Fluch entkörperten Unnennbaren zusammengetroffen ist und ihm ein Dasein in seinem Körper erlaubt hat. Somit hätte Du-weißt-schon-wer fast einen der größten magisch erschaffenen Schätze der Welt erbeutet. Harry Potter und die beiden anderen haben das wohl mitbekommen und ihn daran gehindert. Dafür haben sie eine große Menge Punkte abgeräumt und Slytherin im letzten Moment vor der sicheren Siegerehrung überholt.

Die Tatsache, daß er, der nicht mit Namen genannt werden darf, eine Möglichkeit gefunden hat, Einfluß in unserer Welt zu gewinnen, ist sehr beängstigend. Denn wenn seine entkörperte Daseinsform wie ein dämonischer Geist von anderen Menschen Besitz ergreifen oder sich in ihnen heimlich einnisten kann, so kann und wird er das irgendwann wieder tun, vielleicht auch, um neue Macht zu gewinnen. Wir dürfen also nicht beruhigt sein, daß er besiegt wurde. Er existiert noch, und wir müssen davon ausgehen, daß er einen neuen Helfer finden wird, um da weiterzumachen, wo der Angriff auf die Potters ihn vorerst gestoppt hat.

Meine Vorbereitungen auf den Kongress sind so gut wie erledigt. Ich werde morgen noch einen über drei Wochen ziehenden Keimbanntrank fertig haben. Dann habe ich genug AD 999 und andere Therapie- und Prophylaxis-Tränke vorrätig.

Bis morgen dann, Wendy!

__________

Der Juli begann mit Regenfällen und Winterstürmen. Aurora war froh, für ein paar Tage in sommerliche Gefilde reisen zu können. Das mit der Stellvertretung war kein Problem gewesen, weil viele ihrer Stammpatienten die Ferienwochen nutzten, um zu verreisen. Somit mußte Aurora selbst keinen Vertreter benennen und konnte am Morgen des 18. Juli mit Hilfe der internationalen Flohnetzverbindung aus ihrem Haus Morgendämmerung über die Grenzstationen Australien und Frankreich ins Haus der Dusoleil-Familie hinüberreisen, was mit allen Grenzüberquerungsformalitäten zusammen nur zwanzig Minuten dauerte. Da hier in Millemerveilles jedoch noch der frühe Abend des 17. Juli war, mußte sie bei ihrer Ankunft den Ortszeitanpassungstrank trinken, der Körper und Geist auf die vorherrschende Ortszeit einstellte.

"Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, einen Tag in die Vergangenheit zu springen", bemerkte Aurora, als sie Camille und Florymont Dusoleil durch die hier übliche Umarmung begrüßt hatte. "Bei uns in Sydney ist trotz Winter schon die Sonne aufgegangen. Und hier geht sie gerade erst unter."

"Stimmt", erwiderte Camille. Aurora lauschte auf das verärgert klingende Stimmengewirr aus dem Haus. Die schwarzhaarige Hausherrin mit der südländisch hellbraun getönten Hautfarbe schmunzelte. "Jeanne und Claire haben sich schon den ganzen Nachmittag davon, daß Jeanne mit Chevalliers Kronprinzen Bruno geht, nur deshalb, weil du das sicher mitbekommen wirst. Jeanne findet, daß Claire sich da rauszuhalten hat. Und Claire findet das einfach nur witzig, ihre große Schwester damit aufzuziehen."

"Wohl dem, der keine kleine Schwester hat", erwiderte Aurora Dawn vergnügt.

"Dafür habe ich einen großen Bruder. Ist auch nicht einfach gewesen", erwiderte Camille. Sie strich eine Strähne ihres leicht gewellten Haares aus dem Gesicht und zupfte ihren blattgrünen Gebrauchsumhang zurecht. "Durch den Trank hast du bestimmt wieder Hunger. Selbstverständlich ißt du mit uns zu Abend", legte Camille fest. "Jeanne, Claire, ist gut jetzt! Kommt essen!" Rief sie dann noch.

"Erst soll die Kleine zurücknehmen, was die da gerade abgelassen hat, Maman", hörte Aurora Jeannes Stimme. Sie dachte daran, wie sie sie mal als kleines Mädchen und dann als Beauxbatons-Schülerin gesehen und gehört hatte. Und Claire kannte sie schon als gerade erst geborenes Mädchen. Nächstes Jahr würde sie nach Beauxbatons gehen.

"Jeanne, ich glaube nicht, daß du auf das Abendessen verzichten möchtest, nur weil deine kleinere Schwester so stur ist wie du", erwiderte Camille laut. Ein verächtliches Grummeln erklang von weiter oben aus dem Haus. Claire lachte nur.

Bevor sie sich zum essen setzten mußten die drei Mädchen Jeanne, Claire und Denise die Besucherin begrüßen. Jeanne erwähnte, daß sie durch "den kleinen Hexengarten" einige Dutzend Bonuspunkte und wohl auch drei Notenpunkte mehr als sonst bei Professeur Trifolio abgeräumt habe.

"Und Bruno auch", feixte Claire. "Deshalb hängt der jetzt wohl mit dir zusammen."

"Ey, es reicht bald, Küken", schnarrte Jeanne. "Quatsch nicht über Sachen, von denen du keinen Dunst hast! Klar?"

"Du denn?" erwiderte Claire, die vom Aussehen her ihrer großen Schwester sehr ähnlich sah, eben nur fünf Jahre jünger. Denise plärrte nun auch was, weil sie sich durch die beiden größeren Mädchen benachteiligt fühlte. Florymont Dusoleil trat ein. Er hatte sich einen veilchenblauen Gebrauchsumhang angezogen, nachdem er wohl noch in seiner Zauberwerkstatt gearbeitet hatte. "Wieder mal Bruno?" Fragte er genervt auf Jeanne und Claire schauend. Jeanne verzog das Gesicht und nickte, während Claire einwarf, wegen wem Jeanne sonst so schnell wütend würde. Das trug ihr einen sehr warnenden Blick ihrer großen Schwester ein.

"Na, solange dieser Bursche sich anständiger benimmt als sein Vater in Beaux sage ich besser nix", erwiderte Florymont. Doch dann sah er Claire an und ermahnte sie sehr nachdrücklich, sich nicht in Jeannes Sachen einzumischen, weil sie ja auch nicht wollte, daß Jeanne alles ausplauderte und breittrat, was sie so anstellte. Das saß offenbar. Denn ab da war erst einmal Ruhe. Aurora kam sich so vor, als gehöre sie schon zur Familie, sei eine Art entfernter Cousine oder Tante, die mal wieder zu Besuch kam. Denn sonst hätte die halbwüchsige Jeanne wohl kaum zugelassen, daß Claire vor einer Besucherin so über ihr Privatleben ablästerte.

"Ist schon ein Ding, daß es schon wieder zehn Jahre her sind, wo ich die erste Zusammenkunft mitbekommen habe", brachte Aurora beim Abendessen das Gespräch auf die ab morgen stattfindende Kräuterkundlerversammlung.

Ja, stimmt. Da durfte ich Claire noch gut verpackt mit mir herumtragen. Heute muß ich aufpassen, daß sie sich nicht an Jeannes Besen vergreift."

"Da paß ich schon auf, Maman", knurrte Jeanne. Claire funkelte ihre große Schwester an und maulte, daß Jeanne und Barbara schon mit neun auf einem Besen fliegen durften und Sandrine auch schon mit zehn einen eigenen Besen bekommen habe.

"Zum einen, Claire, hat Jeanne den Besen nicht geschenkt bekommen, als sie neun war, sondern durfte den nur ausleihen", stellte Florymont klar. "Zum anderen reicht mir eine Tochter, die sich mit zehn schon beide Beine gebrochen hat, weil sie nicht schnell genug und hoch genug fliegen konnte. Hera meinte damals, es wäre knapp an einer Totalamputation entlanggeschrammt. Da guck ich mir das bei dir nicht an, Claire. Du lernst das Fliegen erst in Beauxbatons. Fertig aus!"

"Wenn sie mich nicht andauernd so blöd anquatschen würde könnte ich sie ja mit hinten drauf fliegen", bot Jeanne an. Claire verzog jedoch das Gesicht. Camille sah Aurora an, die scheinbar unbeteiligt zuhörte.

"Wann hast du deinen ersten Besen noch mal gekriegt?" Fragte die Hausherrin.

"Nun, ich habe gelernt, daß wenn einer was macht nicht heißt, daß alle das auch dürfen und wenn zwei das gleiche machen es nicht dasselbe ist", erwiderte Aurora. Sie hatte Camille bei ihrem letzten, längeren Besuch hier ja erzählt, daß sie schon mit zehn einen eigenen Besen bekommen hatte, aber wegen der Muggel in der Nachbarschaft nicht zu weit damit hatte fliegen dürfen. Sie wollte nicht der Grund für einen weiteren Zank zwischen Claire und ihren Eltern sein. Dazu hatte sie als Gast kein Recht.

"Ist auch völlig egal, Camille. Wir sind uns einig, daß Claire erst in Beauxbatons richtig fliegen lernt und vorher immer bei einem von uns mitfliegt", beharrte Florymont auf seiner Ansicht.

"Weil dich das mit Jeanne so runtergezogen hat. Mich ja auch", erwiderte Camille. "Aber das war zu beheben, und Jeanne ist dadurch vorsichtiger geworden."

"Sehe ich immer, wenn sie mit den anderen Mädchen hier Quidditch spielt", grummelte Florymont. Jeanne grinste nur und erwiderte, daß Quidditch eben kein Sandkastenspiel sei. Aurora erwähnte, daß ihr im siebten Jahr ein ähnlicher Besenunfall passiert sei und sie deshalb fast nicht mehr am Abschlußtanz der Hogwarts-Abgänger hätte teilnehmen können.

"Maman und Papa haben Claire mal fliegen gelassen, und die wäre fast vom fliegenden Besen runtergerutscht", stichelte Jeanne. Claire fauchte ihre große Schwester an, daß das vor einem Jahr gewesen wäre und sie jetzt sicher auf dem Besen bleiben würde. Jeanne kicherte darüber nur albern. Offenbar genoß die bald fünfzehnjährige Junghexe, Claire ihre Sticheleien und Bemerkungen über diesen Bruno Chevallier heimzahlen zu können. Aurora wiederholte in Gedanken, wie froh sie sein mußte, nicht mit einer kleinen Schwester aufgewachsen zu sein. Hatte ihre Mutter mit Tante June ähnlich unnötigen Krach gehabt? Vielleicht sollte sie das bei einem Familientreffen mal ansprechen. Besser aber nicht, weil vielleicht uralte und nicht ausgeräumte Streitpunkte neu angefacht werden mochten.

"Wie viele Leute sind denn jetzt sicher dabei?" Fragte Aurora schnell, um aus dem Schwesterngezänk ganz herauszukommen. Camille strahlte und antwortete stolz: "Sechzig Teilnehmer, zusätzlich noch dreißig Ehepartner. Monsieur Renard hat sich schon herzlich bei mir bedankt, weil er alle Zimmer im Chapeau du Magicien belegt hat. Andere wie du wohnen bei ihnen bekannten Nachbarn von mir. Ich wurde ja schon gefragt, ob du mit den anderen englischsprachigen Kollegen nicht gemeinsan im Gästehaus der Dorfgemeinde wohnen wolltest, wo zwanzig Betten bereitgestellt wurden. Da habe ich geantwortet, daß wir uns ja schon länger kennen und du deshalb eines der beiden Gästezimmer bekommen würdest. Abgesehen davon kriegen alle Teilnehmer, die gar nicht bis unzureichend Französisch können den Wechselzungentrank und lassen ihre Muttersprache damit für die Dauer des Kongresses bei Seite."

"Ich habe die alten Aufzeichnungen von vor zehn Jahren noch", erwiderte Aurora darauf. "Aber jetzt bin ich ja im offiziellen Auftrag hier."

"Hätte mich auch gewundert, wenn eure Zunftsprecherin das Einhorn nicht am Schweif gepackt hätte, wo du zum einen hauptsächlich mit Zauberpflanzen zu tun hast und zum anderen schon gut mit einigen von uns bekannt bist", erwiderte Camille. Aurora wiegte den Kopf und bemerkte dazu, daß es durchaus ja auch hätte abgesagt werden können. Allerdings sei im Sommer mehr für eine Heilerin zu tun als im Winter, wo die meisten die Erkältungsabwehrtränke früh genug von ihr bekämen, um Grippe und andere Ansteckungskrankheiten früh genug zu kurieren. So entspann sich eine angeregte, aber im Vergleich zu dem Schwesterngezänk von vorhin angenehme Unterhaltung über Auroras Alltag. Jeanne llupfte den unteren Saum ihres smaragdgrünen Glitzerumhangs kurz, um Aurora das silberne Band um ihrem Bein zu zeigen, das sie als Mitglied der Pflegehelfertruppe von Beauxbatons auswies. Aurora Fragte, warum Jeanne es nicht am Arm trug.

"Dann kann ich mir bei Feiern oder anderen Gelegenheiten zueinander passende Armbänder oder Ringe dranmachen", erwiderte Jeanne. Martine aus meiner Jahrgangsstufe hat's um den Arm und muß immer zusehen, andere Silbersachen anzuziehen, wenn Sachen wie der Abschlußball für die Siebtklässler sind."

"Möchtest du irgendwann selbst mal Heilerin werden?" Fragte Aurora Dawn die älteste Tochter der Dusoleils.

"Hmm, weiß ich noch nicht so genau. Erst mal muß ich ja die ZAGs kriegen. die sind ja erst in zwei Jahren fällig. Aber mich hat das schon gereizt, was zu machen, wo ich viel von allem zusammenbringen muß, wie Zaubertränke, Zauberkunst und Kräuterkunde. Da habe ich mir von Madame Matine die Sachen beibringen lassen, die dafür nötig sind und bin zusammen mit Martine Latierre als die zwei jüngsten Pflegehelferinnen im Moment da rein in die Truppe."

"Sag's gleich, daß Martine dich bequatscht hat", erwiderte Claire darauf. Jeanne warf ihr dafür einen tadelnden Blick zu.

"Deren Tante macht ja gerade die Heilerausbildung, die Sie schon hinter sich haben, Mademoiselle Dawn", meinte Jeanne. "Martine hat die ganzen Ersthelfersachen von einem Heiler namens Champverd gelernt, das ist der Vetter von Dorfrätin Delamontagne. Ich denke aber, daß Madame Matine mir mehr hat beibringen können."

"Klar, wegen ihrer sonstigen Sachen", mußte Claire dazu einwerfen. Diesmal nickte Jeanne und grinste. Dann sah sie erst ihre jüngere Schwester und dann ihre Mutter an und meinte, daß ohne Hera Matines Zusatzsachen Claire wohl kaum so gut zur Welt gekommen sei. Camille nickte. Dann meinte die Hausherrin Aurora zugewandt:

"meine Mutter war auch mal Pflegehelferin und hat sich danach doch für was anderes entschieden. Florymont und ich haben es Jeanne deshalb machen lassen, weil sie dadurch eben viele Sachen aus dem Unterricht vertiefen und sinnvoll umsetzen kann. Wenn ihr das gute ZAGs bringt ist es die Sache wert, egal ob sie danach voll ausgebildete Heilerin wird oder nicht."

"Du hast aber keine Pflegehelferzeit in Beauxbatons verbracht", stellte Aurora Camille zugewandt fest. Die Erwähnte bestätigte es durch Kopfschütteln.

"Ich war nicht sonderlich begeistert, wie überkorrekt die Pflegehelfer sein müssen und wollte damals auch nicht alles nachmachen, was meine Mutter gemacht hat, mit der ich immer und immer wieder verglichen wurde. Kann schon sehr nerven, eine so umfangreich talentierte Mutter zu haben, die in derselben Schule war und mit denen, die da heute Lehrerinnen und Lehrer sind, in derselben Klasse oder zumindest eine Zeit lang in der Schule zusammen war. Da wollte ich nicht alles machen, was sie gemacht hat."

"Nun, in Hogwarts haben wir diese Truppe nicht", erwähnte Aurora noch einmal, wie das bei ihr in der Schule ablief. Ihr lag es auf der Zunge, Jeanne wegen dieser merkwürdigen Höchststrafe für undisziplinierte Pflegehelfer zu fragen. Doch sie wollte ihr und damit nicht auch noch dem Rest der Familie den Abend verderben. So ging es noch um den Unterschied des Unterrichts.

"Blanche Faucon ist gerade in den Staaten bei einer Fachkollegin. Die hätte es sicher interessiert, wie die Wendeltechniken bei euch in Hogwarts gelehrt wurden, wo wir die Unittamo-Techniken benutzen", sagte Camille. "Aber ich soll dich schön grüßen. Sie hat deinen "Hexengarten" auch gekauft, obwohl ich dir bei der Übersetzung geholfen habe, was ihrem Kollegen Trifolio nicht so wunderbar gefallen hat, wenngleich er was den vermittelten Inhalt angeht nichts zu beanstanden hat."

"Trifolio macht ja auch seinen Unterricht so, daß nur die, die von wem anderem was interessant erklärt bekommen können da mitkommen", warf Jeanne ein. "Der wollte an und für sich hier bei uns wohnen. Aber Maman und Papa haben das hingebogen, daß er dann ja mit uns wilden Hexenmädels auszukommen hätte. Da hat der sich lieber im Gästehaus eingemietet, weil er bei den Renards nicht "absteigen" wollte, wie er sich ausgedrückt hat."

"Den sehe ich ja dann ab morgen wieder", erwiderte Aurora darauf. "Wird sicher interessant werden, verschiedene Meinungen zu hören, auch seine."

"Der gute Professeur Ranunculus Trifolio ist und bleibt ein absoluter Experte in seinem Fach, der alle anderen Betätigungen für zweitrangig oder unnötig hält, weil die meisten fest verwurzelten Zauberpflanzen und Kräuter keine Magie zur Betreuung brauchen."

"Außer schalldichte Ohrenschützer bei der Arbeit mit Alraunen und das Elixier gegen die Auswirkungen des Rauschnebels", erwiderte Aurora. Jeanne nickte.

"Wenn wir mit den sehr beweglichen Pflanzen zu tun kriegen kommen wir ohne Zauberstab eh nicht aus. Nächstes Jahr gehe ich bei dem in den Freizeitkurs rein. Da kriegen wir dann wohl auch etwas anspruchsvolleres Gemüse."

"Wenn du mit anspruchsvoller gefährlicher meinst, Jeanne bin ich zumindest froh, dir da schon genug Verhaltensrichtlinien erklärt zu haben", meinte Camille Dusoleil.

nach der doch eher auf Auroras Fächer abgestimmten Unterhaltung ging es um populäre Musik, um Hecate Leviata und die Schicksalsschwestern, kleinere Gruppen aus Frankreich und die Musikgruppen in Beauxbatons. Jeanne war Mitglied der Holzbläsergruppe ihres Wohnsaales. Zwar gab es auch einige Streicher in ihrem Saal. Doch die wirkten dann bei den größeren Streichergruppen aus anderen Sälen mit. Zudem erfuhr Aurora noch mehr über die Zauberkunst-AG, wo die Leiterin Bellart die unterschiedlichen Ausbildungsgrade durch allen verständliche und für die bereits fortgeschrittenen nicht weniger interessante Übungen bewältigte. Ähnliches hatte sie in Hogwarts ja auch mitbekommen. Allerdings waren es da Vertrauensschülerinnen, die diesen Kurs geleitet hatten. Sie erwähnte in dem Zusammenhang Priscilla, die damals noch Woodlane geheißen hatte und Sycorax Montague, von der sie seit Schulende nichts mehr gehört hatte. Jeanne sah sie sehr erregt an und fragte, ob diese Sycorax Montague eine Vorfahrin mit demselben Namen gehabt habe. Aurora bestätigte das. Ihr war klar, wieso Jeanne darauf kam. Denn Aurora hatte bereits gehört, daß jene Vorfahrin von einer aus Frankreich eingewanderten dunklen Hexe entmachtet und getötet worden war. Das bestätigte Jeanne durch Kopfnicken.

"Das war die Nichte der dunklen Matriarchin", seufzte Camille. "Kann man mal sehen, wie sich die Geschichte deiner Heimat mit der unserer Heimat verbindet."

"Na ja, ob die erwähnte Vertrauensschülerin ähnlich drauf ist wie die Vorfahrin weiß ich nicht. Die hat zwar in Slytherin gewohnt, aber deshalb muß die ja nicht gleich so gelagert gewesen sein", bemerkte Aurora dazu.

"Das glauben Sie aber, daß die genauso hingedreht wurde, wenn die schon nach dieser Vorfahrin benannt wurde", warf Jeanne ein. "Die Gruppe, wo die drin war gibt's heute ja immer noch, heißt's."

"Ja, aber es ist wohl besser, da nicht zu lange drüber zu reden", stellte Florymont Dusoleil klar. "Die sind nicht unbedingt Thema für kleine Kinder und junge Mädchen."

"Es sei denn, du hast eine von denen in der Verwandtschaft", mußte Jeanne dazu loswerden. Ihr Vater sah sie vorwurfsvoll an, beließ es aber nur bei diesem stummen Tadel. Camille nickte ihrer Tochter und ihrem Mann zu und meinte, dann doch besser wieder über die Unterschiede in Hogwarts und Beauxbatons zu reden. Jeanne meinte, als sie hörte, daß es keine so umfangreichen Freizeitkurse gab, daß das doch langweilig sein müsse. Aurora stritt das ab und erwähnte, daß dafür mehr Zeit für Hausaufgaben und Spaziergänge oder andere Freiluftsachen gewesen sei.

Der Rest des Abends klang mit einem improvisierten Hauskonzert aus. Um Mitternacht lag Aurora in ihrem Gästebett in jenem Gästezimmer, in dem sie schon häufiger übernachtet hatte. Morgen würde die eigentliche Zusammenkunft losgehen.

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Das zweite Mal, daß Aurora Dawn den Morgen des 18. Juli 1992 erlebte, war ein herrlicher Sommersonnenaufgang an wolkenlosem Himmel. Camilles Himmelstrinker hatten ihre Blütenkelche fest geschlossen. Das hieß, daß dieses Wetter mindestens noch einen oder zwei Tage so vorhalten mochte. Gegen neun uhr traf Florymonts Schwester Uranie von einem mehrtägigen Ausflug nach Chile ein, wo sie Beobachtungen des südlichen Sternenhimmels gemacht hatte. Auf eigenen Besen flogen Camille und Aurora wie wilde Schulhexen über das Dorf dahin zum Zentralteich, wo sich gerade mindestens fünfzig weitere Hexen und Zauberer von Mitte zwanzig bis über hundert eingefunden hatten. Aurora konnte sofort die kleine, kugelrunde Professor Sprout erkennen, die heute einen grasgrünen Gartenumhang ohne Erdverkrustungen trug und bemerkte den viele längenmäßig überragenden Professeur Ranunculus Trifolio, der einen haselnußbraunen Stehkragenumhang trug. Aurora erkannte in dem in einem feinen blauen Samtumhang steckenden, noch jungen Schwarzhaarigen Salvatore Prattelli. Sie wußte jedoch mittlerweile, daß der italienische Kräuterkundler glücklich verheiratet und Vater von drei Söhnen geworden war. Jene Ehegattin, eine wohlgenährte Hexe mit schwarzen Ringellocken, trug den jüngsten davon gerade in einem himmelblauen Tragetuch über der Schulter und hielt den zweitjüngsten an der rechten hand.

"Ah, Lara ist noch nicht da", erkannte Camille bei flüchtiger Betrachtung der bereits Anwesenden. Als dann nach zehn weiteren Minuten eine breitschultrige Hexe mit kirschrotem Haar apparierte zählte Camille noch mal alle Anwesenden durch. Dann winkte sie denen, die am Kongress teilnehmen wollten. Aurora entging nicht, wie Prattellis Frau sie sehr argwöhnisch anblickte. Offenbar hatte die es von ihm oder sonst wem mitbekommen, daß ihr Mann damals um die gerade erst sechzehn Jahre alte Junghexe herumgeschlichen war. Doch dann hätte die auch wissen müssen, daß Professor Sprout ihm die Aussichten verdorben hatte und Aurora keine Anstalten gemacht hatte, sich auf Salvatores Komplimente näher einzulassen.

"Wir haben wieder das große Haus, in dem du vor zehn Jahren schon mal bei uns warst", verkündete Camille Aurora, als die beiden den großen Tross der Kongressteilnehmer anführten. Einige der Kräuterkundler versuchten, sich weiter nach vorne zu drängen, um in der Nähe der Gastgeberin zu sein. Die ausgewiesenen Schullehrer und -lehrerinnen bildeten bereits eine kleine Gruppe, während andere nur zusahen, nicht den Anschluß zu verlieren. Die Ehepartner der Teilnehmer würden sich wohl mit den Sehenswürdigkeiten von Millemerveilles befassen. So ging es zu Fuß zur grünen Gasse, dem Zauberkräutergarten von Millemerveilles. Sie steuerten ein großes Gewächshaus am Hauptweg an und traten ein.

Wie vor zehn Jahren erkannte Aurora Dawn mehrere Tische mit auf ein Podest ausgerichteten Stühlen und Bänken. Camille zog ihre Vortragsliste hervor und blickte einmal kurz über die nun hereinströmenden Teilnehmer, ob die für heute angesetzten Redner auch schon da waren. Dann bat sie alle, sich hinzusetzen. Aurora begrüßte Professor Sprout, die mit ihrer US-amerikanischen Kollegin Verdant zusammenstand. Die beiden Lehrerinnen luden sie ein, sich mit ihnen an einen Tisch zu setzen. Professeur Trifolio schien gerade mit Salvatore Prattelli eine hitzig zu werdende Debatte zu führen und war wohl heilfroh, sich einstweilen von dem italienischen Kollegen absetzen zu können. Er gesellte sich zu einigen älteren Zauberern. Eine mittelgroße, graublonde Hexe im violetten Kleid nickte gerade noch einer Kollegin mit silbernem Haar zu und kam dann zu der Gruppe um Professor Sprout herüber.

"Ah, Gudrun, setzen Sie sich doch auch zu uns!" Grüßte die Hogwarts-Lehrerin die graublonde mit den veilchenblauen Augen. "Darf ich Ihnen Ms. Aurora Dawn vorstellen, eine ehemalige, sehr begabte Schülerin von mir. Ms. Dawn, das ist Magistra Gudrun Rauhfels von der Greifennest-Akademie für deutschsprachige Hexen und Zauberer, die neben Herbologie auch Pflege magischer Geschöpfe unterrichtet."

"Oh, Aurora Dawn", erwiderte die vorgestellte Lehrerin mit tiefer Stimme. "Wir kennen uns doch noch von Ihrer Studienreise zum "kleinen Hexengarten". Aurora nickte bestätigend. Professor Sprout nickte nun auch.

"als Lehrerin für Zaubertierkunde bin ich ja nicht die einzige, wo Gräfin Greifennest schon den jungen Hilmar Barbensee eingestellt hat. Aber ich gebe das Fach noch", sagte Gudrun Rauhfels. "Es freut mich, noch eine weitere interdisziplinäre Kollegin anzutreffen. Dann werden die hier erörterten Themen so umfassend behandelt, wie sie es verdient haben. Ich hatte auch vor, mit der russischen Kollegin Andropova über ihre Studien zur Mutationsrate bei radiointoxizierten Pflanzen zu sprechen. Wir hatten es ja bei Ihrem letzten Besuch in Deutschland davon, wie verheerend diese Atomstrahlenvergiftung sich auswirken kann." Aurora bestätigte es und wandte ein, daß sie genau aus dem Grund nicht nur die Genehmigung, sondern den ausdrücklichen Auftrag habe, diesem Kongress beizuwohnen. Gudrun Rauhfels nickte. Sie kannte Laura Morehead zwar nur von Erwähnungen, konnte sich aber denken, daß gerade die Tagesordnung dieser Zusammenkunft eine Heilerin schon sehr interessiert hatte.

Camille Dusoleil begrüßte die Anwesenden und bedankte sich für ihr zahlreiches Erscheinen. Vor allem bedankte sie sich bei den nicht nur kräuterkundigen Gästen Aurora Dawn, deren praktisches Buch "Der kleine Hexengarten" ja vielen kräuterkundlich interessierten Hexen und Zauberern neue Anregungen und Hilfen gegeben habe, Magistra Gudrun Rauhfels von der Greifennest-Akademie und Lara Michailewna Andropova, die sich außer mit Kräuterkunde auch mit Zaubertränken und magischen Tierwesen befaßte. Dann verlas sie die Tagesordnung für heute. Als Eröffnungsredner würde Professeur Trifolio antreten, der über das Problem der Ansiedlung magischer Kräuter in Muggelwohngebieten und die Gefahr von nicht magischem Unkraut für die Wirksamkeit magischer Wurzeln und Triebe referieren wollte. Der hochgewachsene Zauberer betrat das Rednerpodest und zog Notizen aus dem Umhang. Dann begann er.

"Wie Sie wohl alle zur Kenntnis genommen haben, durfte ich im April unter dem Titel "Wildwuchsbedingte Auswirkungen - Eine Studie zur Folge übermäßigen Wildkrautbewuchses in Zauberergärten und dessen einwirkung auf Wachstum und Verwendbarkeit von magischen Pflanzen und Pilzen" eine sehr wichtige Arbeit veröffentlichen, die klar und deutlich zeigt, daß die von vielen Freizeitgärtnern geäußerte Toleranz nicht benötigter Wildpflanzen schädliche Auswirkungen auf Ertrag und Qualität der Zauberpflanzen hat und daher tunlichst darauf zu achten ist, derartige Schadpflanzen frühzeitig zu eliminieren. Es gelang mir während meiner spährlichen Freizeit außerhalb des mir obliegenden Unterrichts in der Beauxbatons-Akademie, unmittelbare Auswirkungen von durch Wildkrautbewuchs verdorbener Wachstumsverläufe zu dokumentieren, wodurch sich nicht nur für mich persönlich, sondern auch und vor allem in Hinblick auf das bebauen von Gartenflächen zu beachtende Vorgehen unmißverständliche Erkenntnisse erschlossen, die ich ohne jede Übertreibung als wegweisend, ja zwingend einzuhaltend bezeichnen möchte. Im Verlauf der mir hier zugestandenen Redezeit möchte ich Ihnen, einem gut ausgebildeten Fachpublikum, alle durch meine Forschungen erhobenen Ergebnisse und die sich mir daraus erschließenden Gedankengänge erläutern, um vor allem jenen, die nach der Veröffentlichung meiner Versuche meinten, Kritik an meiner Arbeit und deren Ergebnissen üben zu müssen, Gelegenheit zu bieten, sich mit mir konkret und konstruktiv über meine Beobachtungen und Schlußfolgerungen auszutauschen." Aurora erkannte, daß Trifolio wohl gerne lange, ausholende Sätze schätzte, wenn er unter Fachleuten war. Jeanne hatte ihr gestern noch erklärt, daß Trifolio immer meinte, mit auferlegten Einschränkungen zu arbeiten, wenn er vor Schülern sprach oder diesen Pflanzen vorstellte und deren natürliches Verhalten erklärte. Aurora täuschte sich nicht. Fast zwei Stunden dozierte Trifolio über verschiedene Wildkräuter, die auf magische Pflanzen unterschiedliche Auswirkungen hatten. so sorgte der Löwenzahn in einem Beet Kartoffelbauchpilze dafür, daß diese zu schwammartigen Knollen verkamen, deren Konsistenz unzureichend war, um für ihre Anwendungen benutzt zu werden und ließ kein gutes Blatt an anderen echten Unkrautpflanzen. Er betonte immer wieder die Gefährlichkeit bei bestimmten Kombinationen, was ihm spöttische Blicke Prattellis eintrug. Gudrun Rauhfels fragte den Kollegen aus Frankreich einmal, ob die von ihm in der eingangs erwähnten Veröffentlichung als potentiell gefährlich angeführte Veränderung des Saftes von Blaustrünken nicht auch als vorteilhaft für manche Anwendungen zu sehen sei. So habe sie mit dem derartig veränderten Extrakt des Blaustrunkes Hufüberstände bei Einhörnern ohne mechanische Hilfsmittel beseitigen können, ohne dem Tier dabei Schaden zuzufügen. Außerdem habe sie die Wirkung des Blaustrunksaftes durch die Beimischung von Jarvey-Urin zu einem brauchbaren Katalysator für auf Zauberpflanzenteilen basierende Salben verändert. Die katalytische Wirkung sei bei den von Trifolio erwähnten Schadwirkungen sogar noch besser. Prattelli nickte wild und bat ums Wort. Er erwähnte, daß er bereits vor fünf Jahren Blaustrünke mit Löwenzahn und Brennnesseln gekräuzt habe und dadurch eine gegen Mehltau und Blattlausbefall Robuste Pflanze erschaffen habe, die als Blaumilchstaude gerade erst im Verzeichnis neuerer Zuchtpflanzen eingetragen worden sei. "Ich habe es geschafft, damit ein Äquivalent tierischer Fette zu generieren, ohne magische Tierwesen wie Flubberwürmer oder Horklumpe verwenden zu müssen."

"Horklumpe sind nonsessile Pilze, Herr Kollege", berichtigte ihn Magistra Rauhfels unverzüglich. Trifolio funkelte beide an und führte in seiner weitschweifigen und voller Fachbegriffe steckenden Art an, daß ein derartiger Glücksfall nicht verbergen könne, daß Zauberpflanzen bei Freilandanbau auch nur eine nichtmagische Schadpflanze neben sich duldeten. Schlimmer wäre es noch, wenn magische Wildkräuter wie der Wurzelwürger Radiccida strangulans mit ähnlich aggressiven Gewächsen ohne magische Eigenschaften zusammengebracht würde. "Jene beiden Arten neigen sehr gerne dazu, nach nur einem Tag gemeinsamer Bodennutzung eine für alle anderen Nutzpflanzen höchst negative Symbiose einzugehen, in deren Verlauf Radiccida strangulans das Rhizom holzhaltiger Großgewächse perforiert und dabei alle flüssigen Nährstoffe absorbiert, um sie durch Expansion seiner Tubulartriebe an die nichtmagische abzuführen, von der R. S. im Gegenzug durch Photosynthese generierten Zucker zugeführt bekommt. Wenn eine derartige Symbiose etabliert ist, induziert sie innerhalb einer Woche das Absterben ganzer Baum- und Buschbestände auf einer Fläche von fünfzehn Hektar. Das Geflecht aus Tubulartrieben reichert aus dem Wurzelwerk absorbiertes Lignin an und führt zur Verhärtung der Außenhaut, wodurch Wirt und Symbiont untrennbar miteinander verbunden bleiben. Selbst Feuer kann dieses Geflecht nicht mehr zerstören, weil innerhalb des Systems genug Feuchtigkeit zirkuliert, um Flammen im Entstehen zum Erlöschen zu zwingen. Hinzu kommt, wie meine Studie auch hinlänglich bewiesen hat, daß innerhalb des Geflechtes, das zu einer unansehnlichen Überwucherung einstmals nutzbringender Waldbestände führt, Antipyrogene Substanzen angelagert werden, die auch bei einem Mangel an Feuchtigkeit die Entzündung verhindern. Hier kann dann nur die Beseitigung durch mechanische Schneid- und Hackvorrichtungen oder Zauber wie Herbaruptus und Reducto Abhilfe schaffen. Ich bezweifle ernsthaft, daß Sie, werter Kollege Prattelli, eine derartige Zersetzung von Pflanzenbeständen in Kauf zu nehmen wagen, wenn diese einen unmittelbaren Konflikt mit magischen oder nichtmagischen Forstaufsehern oder Waldgrundstückseigentümern provozieren. Daher kann ich Ihrer Arbeit zur gezielten Züchtung von Pflanzen nur mit mahnendem Vorbehalt begegnen und mit allem kollegialen Respekt darum ersuchen, diese Arbeit nicht mit allen Ihnen zugänglichen Pflanzen fortzuführen. Im Gegensatz zu meiner Studie über die Schadwirkung nichtmagischer Wildkräuter auf magische Pflanzen und Pilze bleiben Sie in Ihrer Arbeit über Neohybride nämlich jede Umsicht schuldig, ja rufen zwischen den Zeilen Ihrer Veröffentlichung sogar dazu auf, es Ihnen gleichzutun und neuartige Zauberpflanzen durch fragwürdige Einkreuzungen zu kreieren. Ihnen sollte wie mir und dem Rest der ehrenwerten Zuhörerschaft bekannt sein, welche Auswirkungen das unbedachte Experimentieren mit Zauberpflanzen in den Jahrhunderten schon hatte. Von antropophagen Gurkengewächsen bis zu gigantischen, aggressiven Alraunen ist ja schon alles höchst bedenkliche vorgefallen. Was war die Folge? Es dauerte Jahre, bis die derartig entstandenen Teratophyten im ausreichenden Maße dezimiert werden konnten. Und wir alle hier wissen, daß es durchaus Zeitgenossen gibt, die derartige Teratophyten heimlich und gegen bestehende Gesetze kultivieren, ja hemmungslos an und mit ihnen weiterexperimentieren. Somit stelle ich klar und fordere Sie alle, wie Sie hier sind auf, die von mir dargelegten Auswirkungen immer zu bedenken und Ihre Pflanzungen vor dem Einfall schädlicher Wildkräuter zu schützen. Wie dies geht möchte ich nun, Ihre Geduld und Aufmerksamkeit vorausgesetzt, gerne erläutern. Ja, und der werte Kollege Prattelli möge das seinem alter unstatthafte Grinsen einstellen und mir dieselbe Aufmerksamkeit widmen, um nicht doch noch unter den Folgen seiner voreiligen Verlautbarungen leiden zu müssen. Danke!" Trifolio führte nun aus, wie man eigene Zaubergärten langfristig unkrautfrei halten konnte. Prattelli schmunzelte dabei nur immer wieder. Er hoffte wohl auf die Wirkung seines Auftrittes.

Nach Trifolios durch die Debatte doch noch etwas an Gefühlen tragenden Vortrag durfte Oleande Champverd über die Alraunenzucht und die notwendigen Gesetzesänderungen zur besseren Kontrolle der Bestände ausführen. Dabei sah sie einmal auf Aurora Dawn und sagte leicht ungehalten:

"Diese Beschränkungen sind dadurch, daß die hier anwesende junge Heilerin Aurora Dawn meinte, ihre Erfahrungen mit Alraunen zu scheinbar leicht nachzuvollziehenden Beschreibungen verarbeiten zu müssen unumgänglich geworden. Mein Vorredner hat wie ich in diesem Jahr eine steigende Anfrage zur Kenntnis nehmen müssen, Alraunen für magische Gärten außerhalb der dafür ausgelegten Herbarien freizugeben. Offenbar empfinden es mehrere Hexen und Zauberer als sinnvoll, diese unstreitbar hochpotente Pflanze im eigenen Garten ziehen zu können. Wie weit diese Damen und Herren das im Schulunterricht vermittelte Wissen beherzigen und die Alraunen nicht im Freien aufwachsen lassen kann so nicht mehr kontrolliert werden. Ich möchte der jungen Kollegin Dawn nicht vorwerfen, diesen Abschnitt über die Alraunenpflege besser nicht veröffentlicht zu haben. Doch ich möchte als weithin als erfahren geltende Expertin für diese Zauberpflanzen davor warnen, jungen Hexen und Zauberern einen Flüsterwicht ans Ohr zu hängen, der sie dazu treibt, selbst mitten in Muggelsiedlungen Alraunen anpflanzen zu müssen, weil die Apothekenpreise sehr hoch sind. Für den Schulunterricht und eventuell zu Fachkräften auszubildenden Nachwuchskollegen ist diese von Ihnen dargelegte Umgangsweise mit Alraunen, die Sie ja vom Kollegen Trifolio übernommen haben, sicher sehr hilfreich und motivierend. Aber Sie haben in Ihrer Eigenschaft als Heilerin sicher Verständnis, wenn nicht jeder meint, diese Pflanzen in seinem oder ihrem Garten anzusiedeln." Aurora erhob sich und sah die weißblonde, sehr füllige Hexe an, die Ähnlichkeit mit Dorfrätin Delamontagne hatte. Sie bat die Kongressleiterin Camille Dusoleil um Erwiderungserlaubnis und sprach ruhig:

"Ich habe die französische Ausgabe meines Buches genauso gründlich gelesen wie die vom Verlag gedruckte englische Fassung, Madame Champverd. Ich kann mich nicht erinnern, daß ich in beiden Ausgaben dazu geraten hätte, Alraunen als exotische Freiluftpflanzen zu behandeln oder daß diese Pflanzen für Jedermann geeignet sind. Da Sie meine berufliche Betätigung als Heilerin angeführt haben möchte ich gerne die Erfahrungen einbringen, die ich nach Erscheinen des Buches gemacht habe. Es ist zu weit weniger Unfällen mit unsachgemäß aus ihren Töpfen befreiten Alraunen in Privatzaubergärten gekommen als vorher. Meine Kollegen in der Sana-Novodies-Klinik unterstellten mir scherzhaft sogar, ich habe ihnen sichere Patienten abspenstig gemacht, weil es meistens dieselben waren, die regelmäßig wegen akustischer Traumata oder Verletzungen durch bissige Alraunenmännchen zu behandeln waren. Ich habe Alraunen genauso wie Bubotubler auch mit roter Gefahrenkennzeichnungsschrift dargestellt. Und wer zu den seltenen Hexen und Zauberern gehört, die farbfehlsichtig sind, die können an den hinter jeder Ermahnung zur Vorsicht gesetzten Ausrufezeichen erkennen, daß sie es hierbei nicht mit Gänseblümchen zu tun haben." Das Fachpublikum lachte leise über Auroras gekonnte Erwiderung. "Ich wurde von Hexen und Zauberern aus dem Einzugsgebiet meiner Niederlassung zu Rate gezogen, wenn sie mit Alraunensetzlingen zu tun hatten, die sie von wohlmeinenden Verwandten zugeschickt bekamen und konnte somit weitere unsachgemäße Behandlungen abwehren. Für mich als Heilerin zählt die Gesunderhaltung mehr als die Behandlung von Krankheiten und Unfallschäden. Da ich davon ausgehen darf, daß Sie mein Buch gelesen haben, Madame Champverd, setze ich sehr stark voraus, daß Sie diese meine Einstellung zwischen den Zeilen jedes Kapitels nachlesen konnten."

"Wie erwähnt, werte Kollegin, ging und geht es mir nicht darum, Ihnen vorzuwerfen, durch die einem breiteren Interessentenkreis ohne Fachausbildung zugänglich gemachten Handhabungsanleitungen einen unsachgemäßen Umgang mit Alraunen zu provozieren, sondern lediglich darum, daß durch Ihre Veröffentlichung der Anreiz gesteigert wurde, sich derartige Pflanzen zu beschaffen. Ich mache keinen Hehl daraus, daß Sie mir im Punkte Jugend weit überlegen sind, Mademoiselle Dawn. Deshalb setze ich bei Ihnen und andren Angehörigen Ihrer Generation voraus, daß Sie wissen, wie schnell etwas zum modischen Kultobjekt hochstilisiert werden kann, um das die Nachbarn einen beneiden, sei es, weil es teuer ist, weil es überragend schön ist oder tödlich gefährlich ist. Wir dürfen nicht den Fehler machen, den die der Natur immer weniger Ehrfurcht gebietenden Muggel begehen, lebende Wesen zu Statussymbolen zu degradieren und giftige Schlangen, Spinnen oder Raubkatzen wie Kaninchen oder andere Haustiere zu halten, um den Nachbarn gegenüber aufzutrumpfen. Und gerade hier in Frankreich und Deutschland sind es vor allem die Muggelstämmigen, die sich mit exotischen, ja gefährlichen Zauberpflanzen versorgen, um sich ihren Mitmenschen gegenüber hervorzutun. Sie mögen die Gesunderhaltung im Auge haben. Dann müssen Sie auch den gesellschaftlichen und erzieherischen Effekt als Förderer oder Gefahrenherd für die Unversehrtheit Ihrer Mitmenschen beachten."

"Das ist ja gerade auch der Grund, warum ich hier bin, um mit Ihnen allen über die heilmagischen und gesellschaftlichen Auswirkungen Ihrer und meiner Arbeiten zu diskutieren", rang sich Aurora eine diplomatische Antwort ab. Hatte diese dicke Hexe sie da gerade für einfältig gehalten, nicht zu überlegen, wie was bei den Leuten rüberkam? Vielleicht sollte sie später im kleineren Kreise mit ihr noch mal ausloten, wo da Mißverständnisse liegen mochten. Doch im wesentlichen erkannte Aurora die Besorgnis, vielleicht auch die Furcht, daß die sowieso schon seltenen Alraunen auf Massenfortpflanzung hin gezüchtet wurden, um eine am reinen Besitz solcher Pflanzen interessierten Zielgruppe Material zu verschaffen. So sagte sie noch schnell: "Ich habe auch angeführt, daß eine ungehemmte Fortpflanzung bei Alraunen deren Habitus und Wirkstoffertrag verringern würde. Insofern stimme ich Ihnen zu, daß bei der Anschaffung von Alraunen eine schriftliche Erklärung abgegeben werden möge, wofür diese erworben wurden und ob die Bedingungen für eine heilmagisch akzeptable Verwendung eingehalten werden. Eine Zuwiderhandlung kann dann mit den Gesetzen zur Beschränkung des Handels mit gefährlichen Lebendprodukten geahndet werden." Gudrun Rauhfels stimmte nickend zu und bat nun ihrerseits ums Wort.

"Ich möchte mich als aktive Fachlehrerin für magische Herbologie hierzu auch noch einmal äußern und bestätigen, was die junge Kollegin Aurora Dawn gerade angeführt hat, nämlich daß durch die klaren und für jedermann, also auch für Schüler der zweiten Zauberschulklassen verständlichen Ausführungen das Unfallrisiko erheblich verringert wurde und der Umgang mit Alraunen einen größeren Respekt erfährt, wenn die Schüler diese als empfindsame Lebensformen anerkennen. Das hat mir im letzten Jahr die üblichen Ermahnungen bei Gruppen erspart, die meinten, eine Alraune mal eben mit roher Gewalt aus den Kleinlingstöpfen zu wühlen und mit Schlägen vor den Mund oder den Kopf im ganzen ruhigzustellen. Wie wir hier alle wissen teilen Alraunen über ihren für Menschen körperlich schädigenden Schrei nicht nur mit, daß sie aus der Erde gelöst wurden, sondern auch, wenn sie danach mit Schlägen oder anderen Grobheiten traktiert wurden. Wie bei Menschenkindern auch prägen körperliche und sinnliche Erfahrungen für das ganze Leben. Hinzu kommt, daß noch eingetopfte Alraunen, die Schmerzens- und Wutschreie herausgelöster Artgenossen vernehmen, dieselbe Wut und Abwehr gegen die nötigen Hegemaßnahmen entwickeln, ohne auch nur berührt zu werden. Es ist dasselbe Phänomen, das gepflückte Früchte dazu veranlaßt, schneller zu faulen, wenn sie neben andere Früchte gelegt werden, eben hier hauptsächlich akustisch und nicht durch gasförmige Botenstoffe. Wenn der Beruhigungsgriff des Kollegen Trifolio einem breiten Publikum bekannt ist, so dürfen wir uns glücklich schätzen, wenn künftige Schülergenerationen pfleglicher mit Alraunen umgehen und diese dadurch bessere Wirkstoffspender werden und sich im Rahmen der gesunden Vermehrungsrate fortpflanzen können." Gudrun Rauhfels setzte sich wieder hin. Trifolio wandte dann ein, daß er in besagtem Buch nur als Randnotiz erwähnt würde, nämlich daß Camille Dusoleil bei ihm diese Technik erlernt habe, die er sich jedoch in zwanzig Jahren Forschung mühsam erarbeitet hatte, bevor er sie an seine Schüler weitervermitteln konnte. Camille erwiderte darauf, daß er immerhin als Entdecker dieser Technik erwähnt wurde und weder sie noch Aurora behauptet hatten, diese Technik selbst entwickelt zu haben. Dann durfte Madame Champverd ihre Erläuterungen zu Ende führen. Sie schloß damit, daß sie auf Auroras Vorschlag eingehen und die von ihr für nötig gehaltenen Gesetzesänderungen im Rahmen bestehender Handelsgesetze einbringen wolle. Sie bat jedoch um eine allgemeine Erklärung aller, diese Gesetzesänderung international verbindlich zu machen. Das stritt keiner ab.

So verlief dann der Nachmittag damit, daß Madame Champverds Vorschläge und Auroras Ergänzungen dazu diskutiert und in einen von allen akzeptierten Text umgesetzt wurden, der als Teil des Abschlußprotokolls und als von diesem Kongress ausgehende Erklärung an alle Zaubereiministerien geschickt werden sollte. Danach war kein Redner mehr auf der heutigen Tagesordnungsliste. So konnte Aurora sich schon einmal mit Lara Andropova unterhalten, die ihr von Camille Dusoleil vorgestellt wurde. Natürlich kannte die Kräuter- und Zaubertrankexpertin aus Rußland auch schon Aurora Dawns Verdienste um die Bekämpfung der von Muggeln ausgelösten Radiointoxikation. Aurora befolgte Laura Moreheads Anweisung und diskutierte mit der russischen Hexe, die sehr von sich überzeugt auftrat, über die heilmagischen Auswirkungen von Veränderungen, die durch die Strahlung unberechenbar abliefen. Sie erfuhr dabei, daß vor allem Silberhüte, Metall anziehende Pilze, deren Schirme in Blutauffrischenden Tränken verwendet wurden, besonders Anfällig für die Einlagerung radioaktiver Metallverbindungen waren, ebenso wie viele Speisepilze diese Strahlungsträger in sich eingelagert hatten.

"Die Silberhüte entwickelten eine Temperatur, die fünfzig Grad über der Umgebungstemperatur liegt und konnten bei Nacht in einem bläulichen Licht leuchten. Allerdings übertrugen sie die Strahlungskrankheit wohl noch schneller als die in ihnen eingelagerten Stoffe, erfuhr ich von Ihren Kollegen aus unseren Heilzentren bei St. Petersburg, Moskau und dem ukrainischen Kiew. Ein dem Sarkasmus erlegener Heiler nannte diese veränderten Pilze sogar Tschernopilze, nach diesem explodierten Atombrennofen in Tschernobyl. Ich selbst mußte mich mehrmals auf die an Ihnen selbst angewandte Art dekontaminieren lassen und habe jeden Kinderwunsch als unverantwortlich von mir gewiesen. Aber immerhin habe ich, wie Sie und Ihre Kollegen vielleicht wissen dürften, eine Pflanze gefunden, die durch die Radiointoxikation dazu angeregt wurde, strahlende Substanzen aus andren Geweben auszuwaschen. Allerdings muß ich diesen Extrakt noch von Ihren Kolegen aus der Heilzunft auf seine Unschädlichkeit für Menschen testen und gegebenenfalls modifizieren lassen."

"Nun, ich bin zwar sicher, daß die Kollegen aus Rußland und den daran angegliederten Staaten den Heilerkodex befolgen und alle von Ihnen erzielten Ergebnisse der weltweiten Heilmagiergemeinschaft zur Verfügung stellen. Doch ich möchte, wo wir beide schon mal hier zusammenkommen, anfragen, ob ich eine Probe dieser Pflanze und Kopien Ihrer Aufzeichnungen erhalten darf, um in Australien auf die Anwendbarkeit zu testen. Bei uns wird ja Uranium als Brennmaterial für diese Öfen gewonnen. Wenn es möglich ist, davon vergiftete Hexen und Zauberer ohne eine vollständige Knochenerneuerung und Blutaustauschbehandlung zu entseuchen und zu heilen, erwächst Ihnen daraus auch eine große Anerkennung."

"Schön haben Sie das jetzt gesagt, junge Dame", lachte Lara Andropova. "Natürlich liegt mir viel daran, daß magische Menschen ihr wertvolles Erbgut schützen und nicht dazu gezwungen werden, so wie ich auf Nachwuchs zu verzichten, weil dieser geschädigt zur Welt kommen kann. Dann müßten wir die weit zurückreichenden Zaubererfamilien wohl langsam aus der Geschichte verabschieden oder dazu übergehen, magielose Menschen oder zufällig mit Magie geborene Menschen in unsere Blutlinien einzukreuzen." Aurora mußte sich sehr stark beherrschen, um nicht sofort einzuwerfen, daß auch muggelstämmige Hexen und Zauberer gleichwertig waren. Doch dann dachte sie daran, was sie über Durmstrang gehört hatte, daß dort ausschließlich Kinder aus mehrere Generationen zurückreichenden Zaubererfamilien aufgenommen wurden und dort Ideale hochgehalten wurden, wie sie den Wahnsinn des Unnennbaren beflügelt hatten. Muggelstämmige, ausgebildete Zauberer gab es nur dort, wo in Durmstrang ausgebildete Hexen und Zauberer bereit waren, diesen außerhalb der Schulmauern nützliche Zauber beizubringen. Wenn sie ZAGs und UTZs haben wollten mußten sie ins Ausland reisen, was für viele schon eine unüberwindliche Hürde war. Deshalb gab es viele Zaubererfamilien in den osteuropäischen Staaten, die wegen muggelstämmiger Elternteile ihre Kinder nicht nach Durmstrang schicken konnten und diese zu Hause ausbildeten, allerdings unter strenger Aufsicht des Zaubereiministeriums. Der gerade amtierende Minister Arcadi hatte durchgesetzt, daß Magier ohne Lehrberuf an alle in die jeweilige Landessprache übersetzte Lehrbücher und Unterrichtsratgeber gelangen durften, wenn sie nachwiesen, daß Durmstrang den Sohn oder die Tochter abgelehnt hatte. Und Lara Andropova tickte wohl noch im Sinne der Durmstrang-Philosophie.

"Nun, wir dürfen bei dieser Diskussion nicht vergessen, daß die Magielosen bedenkenlos mit dieser Krafterzeugungstechnik herumhantieren und damit die Kinder aus solchen Familien naturgemäß mehr darüber erfahren und uns davon mitgeben können", sagte Aurora nach den still abgehandelten Gedanken über Durmstrang. "Da Hogwarts, Beauxbatons und andere europäische Schulen keine Probleme mit Schülern haben, die keine magischen Eltern haben, hege ich die Hoffnung, daß wir genug Nachwuchs sowohl in der Kräuterkunde als auch magischen Heilkunde erhalten werden, um mit dieser Gefahr umzugehen."

"Arcadi, unser Zaubereiminister, lehnt jede Initiative ab, den Magielosen bei uns den Umgang mit diesen gefährlichen Stoffen auszutreiben, um Vorkommnisse wie in Tschernobyl unwiederholbar zu machen. Er beruft sich auf die Geheimhaltung und merkt an, daß wir dann alles vorgeen und ausführen müßten, was die magielose Welt betrifft. Es gibt nicht wenige, die diesen Einwand als Grundlage nehmen, das Zaubereiministerium in seiner jetzigen Form abzuschaffen und ähnlich wie Grindelwald eine Herrschaft der Magier über die Magielosen zu erstreiten", erwiderte Lara Andropova verächtlich. "Ich ertappe mich selbst auch immer wieder dabei, daß ich mich frage, ob wir nicht hingehen und diesen Narren alles Wissen aus dem Gedächtnis streichen sollen, daß diese Gefahrenquellen hervorgebracht hat und noch bringt, auch und gerade gegen die Geheimhaltungsstatuten. Doch dann fallen mir immer wieder Grindelwalds Untaten ein, die er auch bei uns begangen hat, nicht nur bei Ihnen in England. Er wollte die Herrschaft der Zauberer über die Magielosen zum größeren Wohl und hat Angst, Elend und Mord über alle gebracht. Insofern wäre es wahrlich das kleinere Übel, wenn wir den Magielosen ihre Gerätschaften und Vorrichtungen belassen und lediglich zusehen, etwas gegen deren schädliche Auswirkungen tun zu können." Aurora atmete innerlich auf. Also war Lara keine Muggelhasserin im eigentlichen Sinne, sondern lehnte nur ab, daß diese den Alltag der Zaubererwelt nachhaltig stören konnten. Aurora sagte dazu nur:

"Ich bin keine Ministerialhexe und auch nicht befugt, In die Angelegenheiten eines Zaubereiministers oder einer Schule wie Durmstrang dreinzureden, Madame Andropova. Doch ich habe sowohl als Schülerin wie auch als praktizierende Heilerin die sehr positive Erfahrung gemacht, daß magisch begabte kinder magisch unbegabter Eltern die Zaubererwelt nicht schädigen, sondern bereichern. Da ich davon ausgehen muß, daß Sie ebensowenig wie ich auf die Aufnahme- und Beschulungspraxis in Durmstrang Einfluß nehmen können, möchte ich lediglich meine persönliche Erfahrung anführen und meine Hoffnung ausdrücken, daß Grindelwalds und Slytherins Erbe eines Tages restlos abgeschüttelt werden kann, ohne die Zaubererwelt zu schwächen."

"Ich weiß, daß Karkaroff sich den alten Zielen verbunden fühlt, nur alten Familien des magischen Blutes Zugang zu Durmstrang zu geben. Ich hatte, wenn Sie das so empfinden mögen Glück, daß ich Eltern mit weit zurückreichenden Ahnenreihen lauter Magier besitze und daher in Durmstrang lernen durfte und daß meine Nichte Ilona ebenso dort aufgenommen wurde. Eine Cousine von mir verliebte sich in einen vom Ministerium betreuten Jungen ohne magische Eltern, heiratete ihn und wurde damit seine magische Wegführerin, wie es bei uns in Rußland heißt. Deren drei Töchter durften aber nicht nach Durmstrang. Sie erlernten andere Sprachen, übersetzten ihre Namen in die jeweiligen Landessprachenfassungen und besuchten ausländische Schulen wie Hogwarts, Greifennest und Beauxbatons. Arcadi weiß, daß die reinblütige Zaubererwelt ausblutet, wenn es bald immer mehr Magiebegabte ohne magische Eltern gibt. Aber erzählen Sie das Karkaroff und den Schulräten von Durmstrang!"

"In meiner Klasse in Hogwarts waren mehrere Muggelstämmige. Die konnten nicht schlechter oder besser zaubern als ich. Die helfen uns heute, die Welt ihrer Eltern besser zu verstehen und damit unsere eigenen Gesetze zu wahren, weil wir lernen, wo wir unsere Existenz weiter geheimhalten müssen und welche Gefahren aus der anderen Welt zu uns kommen können. Ich hätte bestimmt nicht erkannt, was damals in Resting Rock passiert ist, wenn mir nicht ein Muggelstämmiger früher schon was von diesen Atomöfen und deren unsichtbaren Strahlen erzählt hätte. Insofern profitieren Sie wie ich von dem Wissen eines Muggelstämmigen, und ich denke, Ihr Zaubereiminister weiß das auch ganz genau. Aber wie erwähnt können wir beide nicht auf die Schulpolitik von Durmstrang einwirken. Ich wollte auch nicht Ihre persönlichen Ansichten in Frage stellen, sondern Ihnen nur meine aus eigenen Erfahrungen gewonnene Überzeugung vermitteln."

"Wenn ich der Meinung wäre, daß wir uns das Wissen der magielosen Welt nicht aneignen dürften, um zu wissen, was deren Verwandte so anstellen, hätte ich wohl kaum mit dieser Strahlung herumexperimentiert und mir jeden Wunsch nach Mutterschaft versagt", sagte Lara Andropova. "Aber ich fürchte, so tolerant sind längst nicht alle bei uns. Falls noch ein Tschernobyl oder etwas ähnliches passiert, könnte dies Grindelwalds Ideen wieder hoffähig machen. Das möchte ich Ihnen nur sagen, für den Fall, daß Sie Verbindungen haben, die das weitergeben können, um die zauberfähigen Kinder magieloser Eltern dazu anzuhalten, auf ihre Verwandtschaft einzuwirken, mehr Sorgfalt bei Neuerungen walten zu lassen, wie stark sie das Leben aller beeinflussen können. Das habe ich auch meiner Base empfohlen, ihren Töchtern beizubringen." Aurora nickte. "Aber zu Ihrer eigentlichen Bitte, Mademoiselle Dawn, ich möchte meine Ergebnisse zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht als für die gesamte Welt anwendbar veröffentlichen. Ich biete Ihnen jedoch an, meine Ergebnisse mit Ihnen zu teilen und darauf aufbauend eine anwendbare Lösung zu finden. Womöglich können Sie mit Ihrer umfassenderen Ausbildung erkennen, welche Lösungen noch anstehen." Aurora stimmte dem sehr erfreut zu.

Salvatore Pratelli, der sich langsam genug mit Professeur Trifolio herumgezankt hatte, steuerte Aurora an und lud sie zum Abendessen ein. Doch Aurora deutete auf Professor Sprout und Professor Verdant, mit denen sie sich zum Abendessen treffen wollte. Immerhin hatte Professor Verdant eine Schwester, die Heilerin war, und Professor Sprout interessierte sich sichtlich für Auroras Werdegang. Dem italienischen Zauberer war unschwer anzusehen, daß er enttäuscht war, die junge Kollegin nicht mit seinem florentiner Charme betören zu können.

"jetzt muß er doch zu Weib und Kindern zurück", feixte Lara Andropova. "Giorgiana hält ihn gut im Zaum. Deshalb versucht er es immer, bei Kongressen jüngere Kolleginnen für ein paar romantische Stunden auszuführen, um das dann als Fachgespräch zu verkaufen."

"Ja, aber liebt er diese Hexe nicht, mit der er die drei Söhne hat?" Fragte Aurora mädchenhaft.

"Als Leibköchin und Mutter seiner Kinder ganz sicher. Aber ob ihm das reicht weiß ich nicht. Ich bin froh, nicht mehr zu seiner Zielgruppe zu gehören. Ich wüßte nämlich nicht, ob ich ihm so dauerhaft widerstehen könnte."

"Ich habe einen Beruf, der mir Romanzen ohne Verbindlichkeiten verbietet. Das sollte der Signore eigentlich wissen", erwiderte Aurora leicht verdrossen. "Aber wissen und mißachten liegen ja so nah beieinander."

"Machen Sie sich um Salvatore keinen Kopf, Mademoiselle Dawn. Dafür hat er Giorgiana", erwiderte Lara Andropova mädchenhaft grinsend.

Aurora kehrte zu Professor Verdant und Professor Sprout zurück, bei denen nun auch wieder Gudrun Rauhfels stand, die sich mit dem Kollegen aus Durmstrang unterhalten hatte, einem gedrungenen, schwarzhaarigen Zauberer mit Bocksbart. Während des Abendessens im Gastraum des Chapeau du Magicien, bei dem auch Camille Dusoleil an einem Tisch saß, sprachen sie über die heilmagischen Auswirkungen bestimmter Pflanzen. Aurora schilderte Fälle aus der Ausbildung, die mit Zauberpflanzen zu tun hatten und unterhielt sich mit Magistra Rauhfels über europäische und australische Zauberwesen. Aurora erwähnte den grünen Wächter. Die Lighthouses hatten ein weibliches Exemplar davon. Doch bei der hochzeit mit Pamela war das ggrasgrüne Riesenkänguruh in einem hoch eingezäunten Gehege geblieben, weil es sonst immer in der Nähe von Laurin gewesen wäre.

"Wie Kniesel so anhänglich", bemerkte Gudrun Rauhfels. "Erinnert mich an meine Schulmädchenzeit, wo ich Graunase kennengelernt habe, einen bereits zwanzig Jahre alten Knieselkater. Eines Tages büchste der unserem damaligen Lehrer aus dem Gehege aus und kam zu mir. Anfangs mochte ich das nicht, daß der sich nie weiter als zehn Meter von mir entfernte und am liebsten auf meiner Schulter hockte. Knieselkater können schwer sein. Aber dann merkte ich, daß der doch ganz passabel war. Ich durfte ihn nach dem sechsten Schuljahr mit nach Hause nehmen. Aber der meinte, mir den Mann für's Leben aussuchen zu müssen. Dabei zielte der immer auf die reinen Muskelträger ab, die den Mädchen immer nur schöne Augen machen konnten, aber geistig etwas bescheidener eingerichtet waren. Hat lange gedauert, bis der mal einen Jungen akzeptiert hat, den ich mir ausgeguckt hatte. Offenbar ist dem klar geworden, daß körperlich ausgeprägte Stärke bei Menschen nicht so wichtig ist wie geistige Beweglichkeit. Abgesehen davon daß er im hohen Alter noch sieben Halbkniesel in der Nachbarschaft ins Leben gearbeitet hat durfte mein fester Freund, der dann auch mein Ehemann wurde, ihn auch häufiger streicheln."

"Ich habe einmal einer Hauskatze beim Wurf von fünf Halbknieseln geholfen", erwähnte Aurora und schilderte die Begebenheit mit Petulas Schneeflöckchen und Feuerball. Als sie dann erwähnte, daß das fünfte Junge seinen Haltern weggelaufen und wohl unauffindbar verschwunden sei sagte Professor Sprout:

"So ein oranger mit eingedelltem Gesicht und krummen beinen? Der ist jetzt wohl in der magischen Menagerie. Ein Muggel hat den wohl fast verhungert gefunden und in einem sogenannten Tierheim abgegeben." Aurora verzog das Gesicht. Sie fragte, wo das gewesen sei und erfuhr, daß es mindestens hundert Meilen vom Haus der Boots entfernt gewesen sei. Offenbar war der Halbkniesel so weit gelaufen, hatte muggelsiedlungen gemieden und Vögel oder Nagetiere gefressen, bis er sich doch nicht mehr so recht wohl gefühlt hatte.

"Und in diesem Tierheim haben sie einen Experten gerufen, der die Katzenart bestimmen sollte. Dadurch kam dann auch die Tierwesenbehörde auf den Plan und erkannte das erschöpfte Tier als besondere Kreuzung einer seltenen Katzenart an, deren Besitzer bereits Vermißtenanzeige erstattet habe. Tja, und so ist der Kater in der Menagerie gelandet und wartet dort auf jemanden, dem er verkauft werden kann", sagte Professor Sprout. Aurora überlegte, ob sie ihre Eltern nicht überreden sollte, Krummbein da rauszuholen oder Petula vorschlagen sollte, den Sohn Schneeflöckchens zu sich zu holen. Doch dann fielen ihr die ganzen Argumente wieder ein, warum Petula und Auroras Eltern den Halbkniesel nicht nehmen konnten. Sie verfiel in eine frustrierte Haltung. Professor Sprout setzte schon an, sich für diese voreilige Offenbarung zu entschuldigen. Doch dann sagte Aurora:

"Ich hätte ihn damals nehmen sollen und mir in Europa was zum Arbeiten suchen sollen. Ich kann das jetzt nicht mehr ungeschehen machen, und ich will das auch nicht. Im Grunde muß ich froh sein, wenn Krummbein erst einmal sicher untergebracht ist und hoffen, daß er mal bei jemandem landet, der oder die für ihn sorgen kann und dem oder der er mit seinen Fähigkeiten wertvoll genug wird, um ihn nicht mehr wegzugeben. Allerdings heißt das für mich, daß ich mich wohl so schnell nicht in dieser Menagerie in der Winkelgasse sehen lassen darf. Aber da muß ich ja auch im Moment nicht hin."

"Ich habe leider schon zwanzig Enkelkinder von Graunase bei mir wohnen. Mein Mann und meine Kinder klagen schon, daß ich mich immer absetze, wenn in Greifennest das Schuljahr anfängt", sagte Gudrun Rauhfels. "Aber sie lieben die zwanzig und passen nur auf, daß die sich nicht gegenseitig beglücken, obwohl es wegen der acht verschiedenen Omas keine direkte Inzucht mehr geben kann."

"Deshalb bleibe ich lieber bei den Pflanzen", erwiderte Professor Sprout darauf und brachte das Gespräch auf die peitschende Weide, die in Hogwarts stand. Aurora und die anderen erfuhren, warum sie einmal dort gepflanzt worden war. Das erhöhte Auroras Ansehen für Professor Dumbledore und staunte, daß Remus Lupin, der in James' und Lily Potters Klasse gewesen war, ein Werwolf gewesen sei. Das habe schließlich keiner ihrer Mitschüler bemerkt.

"Nun, ich hatte damals den Auftrag, eine peitschende Weide Agiliasalyx flagellanda zu pflanzen, um einen geheimen Tunnel zu bewachen, durch den Remus Lupin von Madam Pomfrey in das gesicherte Haus gebracht wurde. Das in seinen Werwutanfällen klingende Geheul führte dann dazu, daß dieses Haus selbst in den Ruf geriet, von übelgesinnten Geistern bewohnt zu sein, so daß sich auch von außen keiner mehr dorthin traute."

"Die heulende Hütte?" Fragte Aurora. "Daher kam also der Ruf, daß da wilde Gespenster spukten", erkannte Aurora. Gudrun Rauhfels erwähnte, daß sie einmal ein Mädchen mit Lykanthropie in Greifennest hatten. Die sei aber in jeder Vollmondnacht in einem extra für sie eingerichteten Kerker eingesperrt worden. Damals war sie, Gudrun, gerade zwei Jahre Lehrerin gewesen und hatte sich wie die Schulräte lange und breit mit Gräfin Greifennest gehabt, ob die Schülerin nicht doch eine zu große Bedrohung sei. Doch Adalberta Gräfin Greifennest habe angeführt, daß jedem mit Magie begabtem Kind aus Menschenschoß das Recht auf geordnete Ausbildung der magischen Begabung zustehe und das Mädchen schließlich nicht darum gebeten habe, von einem Werwolf gebissen zu werden. Tragischerweise stellte sich später heraus, daß der entsprechende Lykanthrop die eigene Großmutter gewesen war, als diese von Werwolfjägern in einer Muggelsiedlung gestellt und mit Silberbolzen erschossen wurde. Die Dame hatte das ihrer Familie und vor allem der Enkelin gegenüber geheimgehalten."

"Oha", erwiderte Aurora. Sie dachte an den Fall, wo sie einen Jungen gerade soeben noch vom Ausbruch der Lykanthropie bewahrt hatte. Was hatten Melissa Thornapple und Beth Herbregis erwähnt? Es sei selten möglich, einem Gebissenen noch zu helfen, weil dies nur in den ersten fünf Minuten nach der Attacke selbst geschehen müsse. So drehte sich die Unterhaltung nun um die Rechte von Werwölfen in England, Deutschland und Australien. Aurora erwähnte den Fall des Muggeljungen, dem sie in ihrem praktischen Jahr geholfen hatte und erwähnte die Unterhaltungen mit Bethesda Herbregis.

"Der Wolfsbanntrank ist schon praktisch, um die Symptome zu lindern", sagte Professor Verdant. "Den haben Sie bei sich in Australien sicher auch?"

"Ich habe einige Dosen davon vorrätig", sagte Aurora Dawn. "Zum Glück kamen in den letzten zwanzig Jahren nur vier Menschen in Berührung mit Werwölfen. Die meisten Lykanthropen wissen, wann sie sich von unbefallenen Menschen fernhalten müssen. Die beziehen den Trank dann auf Heileranweisung aus der Klinik."

"Bei einem so dünn besiedelten Land wie Australien geht das Fernbleiben von Menschen ja noch", warf Professor Sprout ein. "Aber bei uns in England ist das schwierig. Na ja, wir können nur hoffen, daß es eines Tages auch Heilmittel gegen die ausgebrochene Werwut gibt."

"Wir arbeiten alle daran. Aber es gibt leider magische Erkrankungen, die zu hartnäckig sind, um sich mit einem Trank oder einem Gegenfluch austreiben zu lassen. Hier gelten dann Schutz und Vorbeugung als oberstes Gebot", betonte Aurora Dawn.

So ging es um die bereits heilbaren Krankheiten, bei denen Zauberpflanzen wichtige Bestandteile lieferten. Aurora gestand ein, auf die Ergebnisse von Salvatore Prattelli gespannt zu sein, weil dieser womöglich noch wichtige Ergebnisse bereithielt.

"Ich habe seine Arbeit gelesen", sagte Gudrun Rauhfels. "Ein wenig konfus für meinen Geschmack. Aber gespannt darauf, wie er bestimmte Kreuzungen hinbekommen hat bin ich auch."

Als es elf Uhr war, verabschiedete sich Aurora Dawn von den drei anderen Kräuterhexen und kehrte in Camille Dusoleils Haus zurück. Die Gastgeberin hatte bis zehn Uhr ausgeharrt, war dann aber lieber in ihr eigenes Haus zurückgeflogen, um sicherzustellen, daß ihre Kinder ihr das Haus nicht umpflügten.

"Das könnte übermorgen heftig rumpeln, wenn Professeur Trifolio mit Salvatore Prattelli wieder so aneinandergerät wie heute", seufzte Camille. "Ich weiß, warum die beiden so gegeneinander sind. Prattelli spielt zu gerne. Er experimentiert, schreibt nur auf was dabei herumkommt und macht ein neues Experiment, ohne zu prüfen, warum er genau dieses und kein anderes Ergebnis erhalten hat. Trifolio ist in der Hinsicht übergründlich. Er macht lieber hundert Versuche, bevor er eine These als gesichert ansieht, als hundert verschiedene Experimente zu machen, um verschiedene Lösungen zu präsentieren. Aber morgen ist erst einmal die gute Lara Andropova dran. Mit der hast du dich ja doch schon gut unterhalten, konnte ich sehen."

"Ja, wir haben bereits Kontakt aufgenommen und eine gewisse Zusammenarbeit vereinbart. Aber natürlich möchte ich mir ihren Vortrag in voller Länge anhören und notieren, was ich vom reinen Hören davon verstehe", erwiderte Aurora Dawn. Dann wünschte sie ihrer Gastgeberin eine gute Nacht.

__________

Aurora sog fast jeden Satz Lara Andropovas mit ihrer Feder auf. Die Kräuterhexe aus Rußland unterfütterte ihren Vortrag nicht nur mit reinen Pflanzenbeobachtungen, sondern auch mit Abwandlungen von Zaubertrankrezepturen, die außer Aurora wohl nur noch Professor Verdant richtig erfassen konnte. Nach anderthalb Stunden erlaubte Camille eine offene Diskussion. Trifolio wollte von der russischen Kollegin wissen, aus welcher Quelle sie das Wissen um die Strahlenverseuchung bezog, wo in Rußland doch eine Abneigung gegen Muggelstämmige bestand. Lara klärte den Beauxbatons-Lehrer dahingehend auf, daß sie nun schon seit fünfundzwanzig Jahren aus Durmstrang heraus sei und das Zaubereiministerium von Maximilian Arcadi keine Bedenken hatte, Muggelwissen als Grundlage für Studien zu benutzen, die aus der Muggelwelt stammende Gefahrenquellen eindämmten, ohne den Muggeln in ihr Leben dreinreden zu müssen. Dann verwies sie auf die Arbeiten von Aurora Dawn und Bethesda Herbregis in Resting Rock, die ja ein zaubererweltliches Strahlungsmeßgerät hervorgebracht hatten. Aurora durfte dann kurz und knapp erläutern, wie dieses Gerät funktionierte und daß von der Strahlenseuche befallene Menschen entknocht und durch Skele-Wachs mit einem gesäuberten Skelett bestückt werden mußten und alle flüssigen Körperinhalte gegen gereinigte Körperflüssigkeiten ausgetauscht werden mußten. Lara Andropova räumte ein, noch kein wirksames Entstrahlungsmedikament gefunden zu haben, zumal sie eher die Wechselwirkung von Trankbestandteilen und Zauberpflanzen kannte und das von einem professionellen Heiler lieber fünfzigfach nachprüfen lassen wollte. Gudrun Rauhfels richtete eine Bitte an Aurora Dawn, ihr die Bau- und Funktionsweise des Strahlenerkennungsgerätes zukommen zu lassen, da die Erforschung magischer Tierwesen im Zusammenhang mit dieser Bedrohung noch nicht angefangen habe. Lara Andropova warnte eindringlich davor, länger mit der Strahlung in Berührung zu stehen, weil diese die Keimzellen schädlich beeinflussen konnte. Aurora bestätigte das und wies auf die Radiumversuche des Forscherehepaares Curie hin. Allerdings könne man mit dieser Strahlung arbeiten, wenn sie durch starke Bleiwände abgeschirmt würde. Es gelte dann, magische Vorrichtungen zu konstruieren, die aus sicherer Entfernung bedient werden könnten. Professor Verdant, die Laras komplette Arbeit gelesen hatte, räumte ein, daß eine Zaubertrankrezeptur auch ohne Bestrahlung abweichen könne, wenn eine Verunreinigung der Zutaten gegeben sei. Daher sei zu überprüfen, ob die Verstrahlung der Zauberpflanzen eine ähnliche Verunreinigung darstelle wie die durch Fäulnis oder mit bösartiger Magie bestrichener Zutaten. Sie wolle dieses Projekt angehen oder zumindest jemanden fragen, der sich damit auskannte. Sie bedauerte in dem Zusammenhang, daß ihre eigene Fachlehrerin Daianira Hemlock nicht gekommen sei. Für diese wäre es fraglos ein interessantes Projekt. Das wiederum brachte Trifolio auf.

"Sie wagen es immer noch, diese Person als honorige Kollegin anzusehen, Professeur Verdant? Auch wenn ich ausschließlich dem Spektrum der Arten und Lebensweisen magischer Kräuter und Pilze meine Zeit widme weiß ich doch sehr wohl, daß diese Hexe bei der Untersuchung von Zaubertränken fragwürdige Methoden benutzt hat, die sogar Versuche an arglosen Menschen beinhalten, die nicht vom Zaubereiministerium genehmigt waren. Ich würde Sie daher bei allem Respekt darum ersuchen, dieser Person nicht noch einen Anreiz zu liefern, absichtlich verunreinigte Zaubertränke an arglosen Menschen auszuprobieren. Denn darauf liefe es ja hinaus." Aurora fühlte sich als Heilerin berufen, auch etwas dazu zu sagen.

"Erstens ist es bereits gesetzlich verboten, Zaubertränke an Menschen gegen deren Willen anzuwenden, die noch nicht von Heilern oder Zaubertrankbraugroßmeistern als unbedenklich oder Gefährlich klassifiziert wurden. Das heißt, jemand muß sich freiwillig dafür bereiterklären.

Zweitens ist die internationale Heilerzunft gehalten, keine Forschungs- oder Meßergebnisse als praktikabel zu übernehmen, bei denen die Unversehrtheit mindestens eines Menschen beschädigt wurde, sofern der Mensch oder die Menschen nicht schriftlich und unter heileraufsicht dem Experiment zustimmen.

Drittens ist Professor Verdants Einwand berechtigt, ob die Veränderung der Tränke nur auf Grund der durch die Strahlung veränderten Pflanzen geschah. Daher sollte eine Annschließende Studie diese Ergebnisse mit unbestrahlten Zutaten prüfen und Gemeinsamkeiten oder Unterschiede systematisch dokumentieren. Ich bin gerne bereit, auf der Grundlage der von der Kollegin Andropova gemachten Beobachtungen Kollegen in Australien damit zu beauftragen, diese Prüfungen durchzuführen. Wenn wir wissen, wo die Strahlung welche Auswirkungen hat, können wir womöglich gezielt solche Mutationen züchten, die positive Auswirkungen auf Zaubertränke haben, und sei es, die Strahlenvergiftung als solche zu neutralisieren.""

Lara Andropova verzog zwar erst das Gesicht, mußte dann aber zustimmend nicken. Offenbar hatte ihr der Einwand nicht gefallen, Pflanzen gezielt zu verseuchen, um bestimmte Wirkstoffe zu erhalten. Doch Aurora hatte gelernt, daß es keine Fehlschläge gab und daß Gifte häufig auch Heilmittel sein konnten. Außerdem wußte sie aus Tim Prestons Berichten, daß Strahlung in geringer Dosis auch zur Abtötung bösartiger Geschwüre verwendet wurde. Hinzu kam, daß die Muggel mit unsichtbaren Strahlen in lebende Körper hineinleuchten und verborgene Krankheitsherde, Brüche oder Veränderungen erkennen konnten. Warum sollten sie die von den Muggeln aufgezwungene Erkenntnis nicht auch positiv auswerten? Sie mußten ja keine Atomöfen bauen oder diese Superzerstörungsbomben nachbauen, wie sie im zweiten Weltkrieg von den Amerikanern erfunden und benutzt worden waren. Trifolio erhob Einspruch, daß Muggelsachen mit eindeutig schädlicher Wirkung nicht das empfindliche Gefüge der Zauberpflanzen verderben dürfen. Lara Andropova hielt ihm entgegen, daß sie in der Ukraine ein riesiges Versuchsfeld besäße, um alle möglichen Pflanzen zu erforschen. Dann wies sie darauf hin, daß gemäß ihren Kenntnissen solche Atomfeueröfen auch in Frankreich herumstünden. Es sei daher wichtig, zu prüfen, was für Auswirkungen ihr Betrieb auf Zaubergärten habe. Aurora setzte dem noch drauf, daß sie in Australien seit Jahren mit einer Verstärkung der unsichtbaren Anteile des Sonnenlichtes zu leben hatten, wobei dieses ultraviolette Licht ähnliche Schäden verursachen konnte wie die Radioaktivität. Deshalb, so bemühte sie ihre Erinnerungen an Resting Rock, sei sie damals ja überhaupt darauf gekommen, daß in Resting Rock eine unsichtbare Strahlung der Grund für die sich austobende Krankheit der Bürger gewesen sei, weil sie die roten Hautausschläge mit Sonnenkrauttinktur behandelt und damit beseitigt habe. Also sei es schon wichtig, die Auswirkungen der unsichtbaren Strahlung zu erforschen, ob es ihnen paßte oder nicht. "Es sei denn, Professeur Trifolio, Sie führten die von der Schwarzmagierin Sardonia eingeführten Muggelunterjochungsgesetze wieder ein und zwängen Sie dazu, auf ihre Autowagen, Atombrennöfen und Giftsubstanzfabriken zu verzichten. Dann hätten wir es nämlich nicht mehr nötig, die schädlichen aber auch möglicherweise nützlichen Auswirkungen zu erforschen."

"Sie wagen es, mir zu empfehlen, Sardonias Wahnsinn zur Staatsform erheben zu lassen?" Schnarrte Trifolio mit wutrotem Gesicht. Aurora erinnerte ihn daran, daß sie eben das nicht tat, weil sie eben wußte, daß Muggel nur dadurch von ihren Magieersatzmaschinen abgebracht werden könnten. Da sie diese Unterwerfung jedoch nicht wolle, müssen sie wohl alle lernen, mit den möglichen Auswirkungen der Muggelwelt zu leben, was auch hieß, die Erforschung von Zauberpflanzen und -tränken entsprechend anzupassen. Camille Dusoleil sagte dann noch:

"Ich kenne Mademoiselle Dawn schon seit nun bald zehn Jahren, Professeur Trifolio. Sie wäre bestimmt keine Heilerin geworden, wenn sie Sardonias, Grindelwalds oder Sie-wissen-schon-wessen Ansichten hege. Allerdings weiß ich auch, daß Heiler keine gezielte Gefährdung von Menschenleben herbeiführen dürfen. Das schließt das eigene Leben mit ein, nicht wahr?"

"Das ist korrekt", sagte Aurora. "Allerdings könnten wir nicht forschen, wenn wir nicht die Möglichkeit hätten, gewisse Versuche zu machen, bei denen wir auch Schaden nehmen könnten. Es sollte halt erforscht werden, ob Strahlung dieselben oder andere Auswirkungen auf Trankrezepturen hat als gewöhnliche Verunreinigungen oder Wirkungen schädlicher Zauberkräfte. Mehr möchte ich dazu nicht sagen."

Am Nachmittag referierte nun Gudrun Rauhfels über ihre Arbeit mit Zauberpflanzen und magischen Tieren, die wechselseitige Verhältnisse entwickelt hatten. So sprach sie über die Flubberwurmfestung, einer Art blauer Kürbis, der Flubberwürmer einlud in ihn einzudringen, diese aber dann in sich einschloß und nur so viel Nahrung anbot, um sie nicht sterben zu lassen, ihnen im Gegenzug Luft zum Atmen ließ und ihren Kot wiederverwertete, Dafür panzerte sich das Gewächs gegen Horklumpe und versetzte diesen Spritzer mit tödlicher Säure, worauf die Pilzgewächse sich auflösten und vom Wurzelwerk der Festung aufgesogen wurden. Allerdings sei diese Pflanze sehr temperaturempfindlich und gedeihe nur in einer Spanne zwischen 10 und 25 ° Celsius.

"Abgesehen davon, daß Flubberwürmer, Mucolonginus magicophoros, anders als Regenwürmer, Lumbricus terrestris, keinen Nutzwert im Gartenbau aufweisen, sondern an der Erdoberfläche bleiben und Pflanzenreste fressen, die größtenteils verwertet werden und die Kothaufen nur für Kiselsäure empfängliche Pflanzen taugen", sagte Gudrun Rauhfels. "Außerdem ist dieser blaue Kürbis selbst als Zaubertrankzutat ungeeignet, weil seine Außenhülle beim Absterben der Pflanze rasch zersetzt wird. Da er aber auch keinen Schaden anrichtet, vielleicht sogar noch als Antihorklump-Sicherung benutzt werden kann, gilt er eher als neutrales Gewächs, das weder schadet noch nützt. Die Festung existiert einfach nur."

"Und sie kommt selten vor", wandte Camille ein. "Es ist mir bis heute nicht gelungen, mehr als eine Pflanze in der grünen Gasse nachzuziehen."

"Sie erwähnten in einer Veröffentlichung als Antwort auf die Arbeit von Lara Andropova, daß Sie gerne die Mutationen magischer Tiere erforschen würden und deshalb einen Aufruf im magizoologischen Journal gestartet haben, um Ergebnisse zu sammeln", sagte Aurora an Magistra Rauhfels gerichtet. Diese nickte.

"Das stimmt", erwiderte Gudrun Rauhfels. Aurora erbot sich, solche Veränderungen in Australien zu sammeln und die Ergebnisse zu übermitteln. Da sie hier die einzige über Kräuterkunde hinaus ausgebildete Hexe war blieb sie einstweilen die einzige. Doch Camille und Professeur Trifolio boten an, ihre Bekannten im Tierpark von Millemerveilles ebenfalls darauf anzusetzen. Gründlich erörtert hatte Aurora das Thema ja gestern abend schon.

Am Nachmittag referierte ein Kräuterkundler aus Persien über magische Wüstengewächse. Aurora schrieb es sich auf. Das war das erste mal, daß ein orientalischer Zauberer ihr freiwillig Informationen gab. Bei ihrer Studienreise für den "kleinen Hexengarten" hatte sie im arabischen und persischen Kulturkreis eher Ablehnung erfahren, weil sie, eine Hexe, kein Recht hatte, in die wahrhaft tiefen Mysterien der Magie einzudringen, weshalb sie in Ägypten sogar getarnt handeln mußte, um ihr wichtige Dinge zu erfahren.

Wieder am Abend unterhielt sich Aurora mit Kollegen aus Deutschland, den Niederlanden und Algerien. Doch mehr als einige weitere Details über Sonnenkraut, die sie zur besseren Zucht dieser nützlichen Pflanze einsetzen würde, kam dabei nicht herum.

__________

Prattelli hatte sich in Pose geworfen und alle mit weiten Armen begrüßt, bevor er seinen langen Vortrag über die Kreuzung zwischen Zauberpflanzen und unmagischen Gewächsen hielt. Trifolio hielt es offenbar für angebracht, erst einmal zu schweigen. Doch als dann die von der Moderatorin Camille Dusoleil genehmigte Diskussion und Fragestunde losging zog der Kräuterkundelehrer über Prattellis Ergebnisse her, zweifelte dessen Versuchsziele an und machte dessen Versuche selbst lächerlich, indem er behauptete, daß er mit einem Würfelbecher, drei Würfeln und zwanzigtausend Zauberpflanzen und gewöhnlichen Gewächsen wohl auch solche umfangreichen Ergebnisse erzielt hätte.

"Sie sagen, ich würfel meine Versuche aus, Kollege Trifolio?" Fragte Prattelli. "Haben Sie wirklich meine Arbeit gelesen? Ich frage mich, ob Sie mich nicht einfach nur so runterputzen wollen, weil ich das mache, wozu Sie sich nicht trauen."

"Da haben Sie verdammt noch mal recht, Signore Prattelli. Das was Sie sich da geleistet haben würde ich mich bei dem hart erarbeiteten Ruf, den ich genieße, niemals trauen. Es wundert hier doch niemanden, daß Sie bei Ihrer kurzen Erwähnung der Kreuzung zwischen Stechginster und Snargaluffs kein fortpflanzungsfähiges Exemplar hervorbringen konnten. Denn jeder hier weiß, daß die beiden Pflanzenarten zu viele Unterschiede haben und Sie noch von Glück sprechen dürfen, wenn Ihr Ginsterluff nicht zu einer unbeherrschbaren, schwer niederzuhaltenen Teratophyte wurde. Meine Beauxbatons-Kollegin Professeur Faucon erwähnte uns Lehrern gegenüber einmal die Muggelfiktion eines ruhmsüchtigen Forschers, der einen neuen Körper aus Gliedern und Organen toter Menschen zusammengesetzt und durch simple, absolut magiefreie Elektrizität zum Leben erweckt haben soll. So kommen Sie mir gerade vor, wie dieser fiktive Stümper, Frankenberg oder wie der hieß", konterte Trifolio.

"Franken-stein, Kollege Trifolio", korrigierte Gudrun Rauhfels den französischen Fachlehrer.

"Ist in der Hinsicht auch unerheblich, Kollegin Rauhfels. Es ist nur wichtig, daß Sie, Herr Noch-Kollege Prattelli, auf ähnlich abenteuerliche Weise versucht haben, Arten zu kreuzen, bei denen der gesunde Fachverstand schon erkennen muß, daß dabei nichts brauchbares herauskommen kann. Insofern muß sich nicht nur mir der Eindruck aufdrängen, daß Sie ein Würfelspieler sind, der wie ein kleiner Junge ausprobiert, was alles passiert, wenn man mal dieses oder jenes Ergebnis eines Würfelwurfes ausprobiert oder eben wie dieser Frankenstein aus Leichenteilen einen neuen Menschen bauen will. Sie haben Ihre Experimente nicht mit Verifikationen oder Variabilitätsprüfungen unterfüttert, sondern frisch drauflosgephytopokust."

"Ich lasse mich von Ihnen, auch wenn Sie mein Vater sein könnten, was der große Gott im Himmel verhütet hat, nicht beleidigen, Professore Trifolio", entrüstete sich Prattelli, der bis dahin erstaunlich ruhig geblieben war. "Ich würfel meine Ergebnisse nicht aus, sondern errechne, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, welche Pflanzen ich auf welche Weise miteinander kreuzen kann, ohne gefährliche Ergebnisse zu erzielen. Wie ich die Kreuzungen vornehme habe ich in meinem Vortrag erwähnt, und außer Ihnen ist hier keiner, der mir das als Pfuscherei oder Spielsucht oder was immer ankreidet. Allein schon, daß sie eine von den Muggeln selbst als reine Erfindung verstandene Geschichte als Vergleich heranziehen zeigt mir, daß nicht ich hier einfach drauf losmache. Wo wäre die Herbologie heute, wenn jeder hier tausend Versuche macht, wenn er oder sie nach zehn schon weiß, daß immer das gleiche herauskommt? Was wäre die magische Heilkunst, wenn immer nur überlegt und nie gehandelt würde. Oder wollen Sie etwa auch Gott als Würfelspieler bezeichnen, weil er so viele Lebewesen gemacht hat, die alle miteinander was neues ergeben?"

"Der von Ihnen offenbar verehrte, anthropomorphe Schöpfergeist, ohne den Ihrer und vieler anderer Meinungen nach dieses Universum nicht existieren würde, hat meines Wissens nach die Erde in nur sechs Tagen geschaffen, den Menschen so wie er heute herumläuft aus Lehm geformt und ihm Leben eingeblasen. Wir Magier stehen bei den Muggeln schon seit altersher im Verruf, diesen mythischen und durch moderne Forschungen längst als so nicht geschehen erkannten Schöpfungsakt immer wieder nachzuahmen, um eigene Kräfte zu steigern oder uns genehme Kreaturen zu erschaffen, nach unserem Bilde, wenn Sie es aus jenem Glaubensbuch zitieren möchten. Sie wagen es, sich auf dieses Schöpfungswesen Gott zu beziehen und erfüllen gleichermaßen alle Kriterien, um diesem Verruf gerecht zu werden, indem sie einfach drauf loskreuzen", hielt Trifolio entgegen. Madame Champverd bat um das Wort. Camille war drauf und dran, es selbst zu ergreifen und die Diskussion in gemäßigtere Bahnen zurückzulenken.

"Sie erwähnten in Ihrem Vortrag, daß Sie auch Alraunen und Lauerbüsche in Ihren Versuchen einbezogen. In der Hinsicht muß ich dem Kollegen Trifolio zustimmen, daß das schon an ein Glücksspiel grenzt. Alraunen nehmen jede mit ihnen vorgenommene Manipulation übel, wie der unrühmliche Versuch eines norwegischen Kräuterkundlers bewiesen hat. Tja, und Lauerbüsche sind schon in ihrer rezenten Daseinsform zu gefährlich, um noch mehr mit ihnen anzustellen, als sie irgendwo festzusetzen oder abzutöten. Sie haben Familie, Signore. Schämen Sie sich nicht, Ihr Leben und das Ihrer Familie so unbedacht zu riskieren?"

"Gerade weil ich Familie habe, Madame Champverd, muß ich alles mir mögliche tun, um ihnen ein gutes und sicheres Leben zu verschaffen. Es gibt noch zu viele Krankheiten, die nicht behandelt werden können." Er sah nicht zufällig Aurora Dawn an. "Werwölfe, die unsere Kinder oder uns bedrohen, Situationsflüche oder eben diese neuartige Radiovergiftung dürfen doch nicht als unausweichliches Übel hingenommen werden, wenn es genug menschenwürdige Methoden gibt, sie auszurotten oder zumindest zu mildern."

"Ja, aber das mit dem Lauerbusch, den sie mit einem Haselnußstrauch kreuzen wollten, um die Mobilität des Busches zu senken und dessen Wirkstoffe in festen Früchten zu konzentrieren ist zu gewagt. Was dabei herumkam haben Sie nur als "Nicht die beabsichtigte Endform" beschrieben. Halten Sie uns alle hier für so auf die eigenen Länder beschränkt, daß wir keine Kontakte in Ihr Land unterhielten. Ihr Assistent, ein gerade einmal achtzehnjähriger Absolvent der Gattiverdi-Schule, hat einer Kollegin von mir, die auch in der Alraunenforschung tätig ist beschrieben, daß Sie beide von einem zehn Meter großen Busch verfolgt wurden, der versucht hat, sie mit seinen Blättern zu erdrosseln. Schlimmer noch, Sie haben gleich vier Stück davon auf die Welt gebracht. Es blieb Ihnen nichts übrig, als mit Feuerballzaubern die existenten Kreaturen zu vernichten, weil die für den Herbaruptus-Zauber schon zu stark waren. Sie haben das Experiment als Fehlschlag verworfen und nicht darüber nachgedacht, warum Sie dieses Ergebnis erzielt haben. Auch in der Hinsicht muß ich wohl meinem Kollegen Trifolio zustimmen. Weiß Ihre Frau das, was Ihnen da beinahe passiert wäre?"

"Ich muß mich wohl bei Professore Trifolio entschuldigen", schnarrte Prattelli. "Er ist nicht der einzige Ignorant hier."

"Den Ignoranten lasse ich nicht auf mir sitzen", schnarrte Trifolio. Da griff Camille ein.

"Ist das wahr, daß Sie bei Ihren Versuchen Ergebnisse unterschlagen haben, Signore Prattelli?" Fragte sie mit einer für Aurora bisher unbekannten Strenge in der Stimme.

"Unterschlagen? Ich habe Ihnen allen beschrieben, wie ich gearbeitet habe und was dabei herumkam. Wenn Sie jetzt die Sache mit den Lauerbüschen meinen, so habe ich nichts unterschlagen, sondern ein bereits als gescheitert anzusehenes Experiment nicht weiter öffentlich erwähnt, um zu verhindern, daß bösartig gesinnte Hexen und Zauberer auf meinen Fehlversuchen neue Monsterpflanzen aufbauen können", verteidigte sich Prattelli entrüstet, gestenreich und laut.

"Doch Sie haben unterschlagen, was bei der Kreuzung herauskam, Signore", beharrte Camille auf ihrem Standpunkt und blickte auf einen Stapel Notizen. "Sie haben fünfmal erwähnt, was sie versucht haben, aber nicht wie, und auch nicht, was dabei herumkam. Sie haben es nur so in Ihrem Vortrag formuliert, daß man beim flüchtigen hinhören davon ausgehen mußte, daß die Methoden immer die gleichen gewesen seien. In Ihrer Arbeit haben Sie nur vier Methoden erwähnt, die aus Ihrer Sicht sichere Ergebnisse erzielen konnten. Hier haben sie aber mindestens zehn verschiedene Methoden beschrieben und womöglich genauso viele verschwiegen. Das nenne ich nicht gerade objektiv, Kollege Prattelli. Und was die Gefährlichkeit Ihrer Ergebnisse angeht, so hätten Sie die Pflicht gehabt, darüber zu informieren, wodurch diese überhaupt entstand, gerade um Nachahmer abzuschrecken und Gegenmaßnahmen zu ermöglichen. Durch die Auslassungen haben Sie erst recht bösartige Zeitgenossen darauf gebracht, solche Versuche nachzumachen. Und sollte das stimmen, was die Kollegin Champverd Ihnen gerade vorgehalten hat, dann haben Sie womöglich jemanden dazu ermutigt, eine derartige Kreuzung zu machen, um Menschen umzubringen. Denn dieser Junge, den Sie als Assistenten angeworben haben, wird wohl nicht nur Kollegin Champverds Korrespondenzpartnerin informiert haben. Wenn Sie dargelegt hätten, wie Ihnen das Mißgeschick mit dem Lauerbusch unterlaufen ist, bestünde zumindest die Möglichkeit, diese Kreaturen ohne riskante Feuerzauber zu bekämpfen." Madame Champverd nickte Camille zu.

"Ich habe die Unterlagen verbrannt", sagte Prattelli lautstark. "Keiner kann den Versuch wiederholen."

"Außer dem, der Ihnen geholfen hat", entfuhr es Aurora Dawn unvermittelt. Sie hatte nicht um das Wort gebeten und sah Camille abbittend an. Doch diese nickte und deutete auf Madame Champverd, die erbleichte. Diese sagte dann mit Unbehagen in der Stimme:

"Der Junge wollte nicht mehr für Sie arbeiten, richtig. Er ist sehr schnell sehr weit verreist, nicht wahr? Wissen sie, wissen wir, ob der nicht irgendwem haarklein erzählt, wie genau Sie diesen wahnwitzigen Versuch durchgeführt haben?"

"Der hatte zu viel Angst, um das noch mal zu machen", stieß Prattelli aus. Aurora sah Camille an und hob die Hand. Als die Gastgeberin ihr zunickte stand sie auf und sagte Prattelli zugewandt:

"Dann sollten Sie, wenn Sie nicht doch irgendwann ein Menschenleben auf dem Gewissen haben wollen, schleunigst losziehen und Ihren Assistenten suchen und in Erfahrung bringen, was er noch weiß. Am Besten tun Sie dies mit Hilfe Ihres Zaubereiministeriums, daß ihn notfalls verhaften und mit Gedächtniszauber belegen kann, falls sich herausstellt, daß er Ihnen gegenüber nur den entsetzten Assistenten vorgespielt hat. Wenn er Ihnen bei allem geholfen hat, und Sie haben alles Ihnen zu gefährliche geheimgehalten, trägt er jetzt was für dunkle Hexen und Zauberer sehr wertvolles mit sich herum. Entweder gibt er es freiwillig preis oder wird dazu gezwungen, wenn noch mehr Leute erfahren, was Ihnen und ihm zugestoßen ist."

"Tolles Mädchen, Aurora oder? Ist schon ein halbes Jahr her, daß Luciano gekündigt hat und weit wegverreist ist", erwiderte Prattelli. "Der hat nichts von meinen Unterlagen im Kopf. Ich habe die meisten Zauber ungesagt gemacht und ihn nur die Zutaten für die Biofusionskatalyse zusammenrühren lassen."

"Außer Ihnen, falls überhaupt, glaubt das hier jetzt wohl niemand so recht", erwiderte Trifolio, der sich als großer Sieger dieser Kompetenzenschlacht sah. "Notizen lassen sich sehr schnell kopieren, und als Lehrer kann ich Ihnen verbindlich verraten, wie schnell Schüler geheime Notizen verbergen und hervorholen, um bei Zwischentests wunderbar dazustehen. Wußte nicht, daß Gattiverdi eine so überanständige Schule ist, wo dergleichen Täuschungsmanöver nicht bekannt sind. Dann fahren Sie mal ganz schnell in Ihr Bella Italia zurück und suchen Sie den Burschen, notfalls mit ministerieller Hilfe! Erst wenn Sie wissen, was der nicht weiß und nie gewußt hat, können wir sicher sein, derartig gefährliche Kreaturen nicht mehr fürchten zu müssen."

"Signore Prattelli, ich bedanke mich für Ihr Hiersein und Ihre doch irgendwie aufschlußreiche Darlegung", sagte Camille Dusoleil und deutete von dem Redner auf den Ausgang des Gewächshauses. Das war eindeutig, fand Aurora Dawn.

"Sie schicken mich weg, Madame Dusoleil?" Fragte Prattelli verärgert.

"Nein, ich verweise Sie dieser Zusammenkunft", erwiderte Camille unvermittelt harsch und kalt wie Nordpolfirn. "Ich kann in Ihrer weiteren Anwesenheit hier keinen Nutzen mehr erkennen", legte sie in selber Weise nach.

"Sie können mich nicht einfach rauswerfen wie einen ungezogenen Schuljungen", erwiderte Prattelli und warf sich in eine überlegene Pose. "Ich bin der einzige Repräsentant der italienischen Kräutermagier."

"Es gibt über hundert Länder der Erde", setzte Camille an und überstrich die Gesamtheit der Anwesenden. "Aber hier ist kein Chinese, kein Japaner und aus dem afrikanischen Raum sind nur die Kollegen Mbutu und van Pieters hier. Außerdem ist Mademoiselle Dawn ohne den Sprecher der australischen Kräutermagier, Monsieur Nettles, angereist. Sie vertritt hier die australische Sektion der Heilerzunft. Also warum sollte ich das als tragischen Verlust werten, daß mit Ihnen der einzige Italiener vom weiteren Verlauf dieser Zusammenkunft ausgeschlossen wird?"

"Das hat ein Nachspiel", schnaubte Prattelli. Camille nickte und erwiderte unerschüttert:

"Das ist das einzige, worin wir alle Ihnen hier gerade zustimmen, Signore. In der Tat wird das ein Nachspiel haben. Für Sie günstigstenfalls, daß Sie Ihren Assistenten finden und mit ihm klären, daß außer Ihnen niemand mehr diesen speziellen Versuch und was weiß ich noch wie viele dieser art Versuche wiederholen kann, ohne Ihren Assistenten zu töten. Schlimmstenfalls kreuzt irgendwann irgendwo irgendwer diese Teratophyte, wo wir schon genug davon haben und terrorisiert damit die Welt. Die einzige Chance, dies zu verhindern haben Sie vergeben, als Sie uns vorenthielten, wie Sie vorgegangen sind und welches Ergebnis erzielt wurde. Und jetzt verlassen Sie umgehend diese Zusammenkunft, bevor ich das mir gewährte Hausrecht mit magischer Gewalt durchsetzen muß!" Aurora sah, wie Camilles dunkelbraune Augen immer enger zusammenrückten, so daß eine deutliche Falte über der Nasenwurzel entstand. So hatte sie die fröhliche, lebenslustige Familienhexe bisher noch nicht gesehen.

"Ich werde das weitermelden und veranlassen, daß Sie hier keinen Kongress mehr halten können, wenn Sie überhaupt noch irgendwas für die Kräuterkundler wichtiges tun dürfen", schnaubte Prattelli und fuchtelte vor Camille herum, als wolle er sie mit bloßen Händen erschlagen. Dann meinte er noch verächtlich: "Mit der Kleinen damals im Bauch waren Sie wesentlich angenehmer. Auf Nimmer Wiedersehen!" Dann wandte er sich der Tür zu und ging mit wutrotem Gesicht weit ausschreitend davon. Als die Tür hinter ihm zufiel verriegelte Madame Dusoleil sie so, daß sie sie nur von innen wieder öffnen konnte.

"Ich möchte um Entschuldigung bitten, wenn ich diese Zusammenkunft unterbrechen muß, um einige dringende Briefe abzuschicken", knurrte Camille Dusoleil, die jetzt gar nichts mehr von einer fröhlichen und warmherzigen Hexenmutter an sich hatte. Die blanke Enttäuschung und Verärgerung standen ihr wie eingemeißelt im Gesicht. Aurora sah, wie Camille durch einen anderen Ausgang das Gewächshaus verließ. Die Kongressteilnehmer blieben unter sich.

"Mann, da habe ich gedacht, diesen Vortrag noch heilkundlich auswerten zu können und darf den ganzen Kram wegwerfen", schnarrte Aurora, als Gudrun Rauhfels sich ihr näherte und sie bei Seite nahm.

"Sie erzählten gestern was, daß Sie über ein Portrait Ihrer Selbst in England und Australien Kontakt hielten. Können Sie die Gegenstelle in England fragen, ob diese eine Suche nach diesem Luciano herausgeben kann. Ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt könnte der Bursche zu einer Gefahr werden."

"Wenn Madame Dusoleil eine allgemeine Pause einberuft kann ich vom Gasthaus kurz über die Grenze zu meinen Eltern und da die Anfrage losschicken", sagte Aurora.

Doch erst zehn Minuten später konnten sie alle das Gewächshaus verlassen. Aurora brauchte aber nicht nach England. Camille schickte eine Blitzeule durch ihren Kamin zu Regina Dawn. Erst jetzt kam die altvertraute Hexe Camille Dusoleil wieder zum Vorschein. Als Aurora mit ihr alleine war sagte die Mutter Jeannes, Claires und Denises:

"Eine derartige Enttäuschung habe ich im ganzen Leben noch nicht erlebt. Ich ging davon aus, dieser Kerl ist zwar verspielt, aber zumindest gründlich und sichernd. Aber daß er derartig fahrlässig handelt. Es hätte doch gereicht, wenn er seine Arbeiten dem Ministerium vorgelegt hätte. Aber das hat er nicht. Ich habe mich erkundigt, bevor er heute Morgen auftrat. Deshalb ging ich davon aus, daß er keine wirklich gefährlichen Ergebnisse erzielt hat. Und die gute Oleande Champverd saugt sich sowas nicht aus den Fingern. Den Rest haben mir meine eigenen Notizen gegeben, wo nicht drinstand, was er genau angestellt hat und daß er auch mal einen Lauerbusch benutzt hat. jetzt läuft da draußen ein vielleicht verstörter junger Zauberer herum und bindet nicht nur Oleandes Kollegen auf die Nase, was ihm passiert ist, und wir haben nichts in der Hand, um einer Nachahmung einhalt zu gebieten. Das enttäuscht mich als seriöse Leiterin, als die mich Leute wie Trifolio so schon nicht recht ansehen wollten und entsetzt mich vor allem als Mutter, daß jemand das, was mir außer meiner Familie am liebsten ist, zur Gefahr für andere machen kann und damit auch meine Kinder bedroht", erklärte sie ihr Verhalten. Aurora nickte zustimmend.

"Zumindest bin ich mir bei den anderen sicher, daß sie anständig recherchiert haben. Dann werde ich wohl meinen Vortrag über die Himmelstrinker erst am Schluß halten können, wenn sich die Gemüter wieder beruhigt haben." Aurora fragte, wer noch alles referieren würde. Camille zählte es ihr auf. Dann meinte die Heilerin:

"Du könntest eine allgemeine Diskussion über das Für und Wieder der Kreuzungen ansetzen und herausfinden, ob jemand von uns ähnliche Kreuzungsversuche schon mal gemacht hat oder zumindest die Theorie kennt, um eine Möglichkeit zu erörtern, wie diese Riesenlauerbüsche verhindert oder ohne riskanten Feuerball erledigt werden können." Camille nickte.

So fand am Nachmittag eine eigentlich eh angesetzte Grundsatzdebatte über Kreuzungsversuche mit magischen Pflanzen statt. Dabei kam heraus, welche schon für illegal erklärten Methoden es gab. Auch Aurora hatte in ihrer Ausbildung von diversen Versuchen gehört und präsentierte sich als spontane Rednerin. So gereichte dieser Tag doch noch zu einem Erfolg für Camille, weil die anwesenden Kräuterkundler einhellig beschlossen, einen Status Quo der Zauberpflanzenarten zu empfehlen, also ein Kreuzungsverbot magischer und nichtmagischer Pflanzen durchzusetzen, ähnlich wie es für Tierwesen seit den Sechzigern galt. Gudrun formulierte daher ohne abzulesende Notizen den entsprechenden Gesetzestext, den alle durch Nicken befürworteten und durch eine Unterschriftenliste schriftlich fixierten. Der entsprechende Beschluß wurde mehrfach kopiert und den Anwesenden übergeben, damit sie damit zu ihren Zaubereiministerien gehen konnten. Durch die Unterschrift verpflichteten sie sich gleichzeitig, keine nichtgenehmigten Kreuzungen mehr durchzuführen. Aurora überlegte, ob Prattelli nicht zumindest damit recht hatte, daß für die Bekämpfung von bislang unheilbaren Krankheiten nicht doch Kreuzungen durchgeführt werden sollten und auch das mit der Züchtung positiv auf Strahlung ansprechender Gewächse hatte sie zusammen mit Lara Andropova aus dem Verbot herausgenommen. Es durften jedoch nur natürlich entstandene Exemplare zur Zucht verwendet werden.

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In den kommenden Tagen kehrte der Kongress zur trockenen, nüchternen Art zurück, wie sie Trifolio am ersten Tag vorgeführt hatte. Aurora beteiligte sich im Sinne ihres Auftrages an den Diskussionen und brachte heilmagische Sichtweisen in erwähnte Arbeiten ein.

Am Dreiundzwanzigsten fand dann die große Abschlußveranstaltung statt, eine freie Fragestunde, bei der die Anwesenden einander über ihre Fachgebiete befragen durften. Dafür wurde ein halber Tag angesetzt. Aurora erwähnte ihre Erfahrungen mit dem Nachtwandelstrunk, einer nur auf der Südhalbkugel vorkommenden Parasitenpflanze, die Menschen mit dornigen Ranken am Bein ergriff und ihnen ein körperumwandlndes Gift ins Blut spritzte. Jan van Pieters, der südafrikanische Kräutermagier der Anwesenden, notierte sich fleißig alle Angaben, die er noch nicht kannte, zum Beispiel, wie man den Verwandlungsprozeß umkehrte. Das gehörte eigentlich zur Heilerausbildung, sollte aber einem Kräuterkundler auch nicht unbekannt sein, wenn ihm dergleichen zustieß.

Gegen fünf Uhr Nachmittags feierten die Dusoleils und Aurora im Garten Claires zehnten Geburtstag. Die mittlere Tochter der Dusoleils war schon ganz grummelig durch den Tag gegangen, weil außer einem Ständchen nicht viel von ihrer Mutter zu hören und zu sehen gewesen war. Doch Camille beruhigte ihre Tochter:

"Glaubst du, ich würde dich vergessen, wo du genau vor zehn Jahren bei einer ähnlichen Veranstaltung schon mitkommen durftest und mir eine wunderschöne, schlaflose Nacht bereitet hast? Das glaubst du doch nicht im Ernst, Claire." Nein, das glaubte die Zehnjährige wahrlich nicht.

Gegen zehn Uhr brach Aurora Dawn zur Rückreise auf. Denn in Sydney war bereits der 24. Juli. Mit einer Menge Notizen im Gepäck kehrte Aurora in ihre Wahlheimat zurück.

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"Und dieser Irrwitzige hat euch nicht verraten wollen, wie der diesen Monsterbusch gezüchtet hat?" Fragte Laura Morehead, als Aurora am 26. Juli bei ihr zum Raport antrat. Aurora schüttelte den Kopf.

"Dann wundere ich mich nicht, warum eure Gastgeberin so rigoros war. Ein Heiler, der derartige Versuche macht, ohne jeden davon haarklein zu dokumentieren und nur einen Teil davon veröffentlicht, kann leicht aus der Zunft entlassen werden. Hier gilt nämlich die feste Regel: Alles oder gar nichts. Wenn ich eine Veröffentlichung mache, muß sie jede sich daraus ergebende Frage beantworten. Das habe ich Bethesda Herbregis eingeschärft, und die hat es dir eingeschärft, soweit ich weiß. Da kann ich dann nur hoffen, daß sie diesen Luciano erwischen und er wirklich niemandem davon berichtet hat, was er mit seinem verspielten Herrn und Meister gemacht hat."

"Signore Prattelli hat seiner Frau nicht erzählt, warum er geflogen ist", erwiderte Aurora. "Der hat erzählt, daß Trifolio ihn öffentlich zum Duell gefordert hat, weil er Prattelli als Dieb geistigen Eigentums bezeichnet hat."

"Woher weißt du das, Aurora?" Fragte Laura Morehead.

"Von Madame Champverds Kollegin. Camille hat ihren Namen herausgefunden. Die war deshalb nicht beim Koongress, weil sie da gerade mit ihrem fünften Kind kurz vor der Niederkunft stand und deren Hebamme sie mit einem sogenannten Rückhaltering in ihrem Haus festgehalten hat."

"Oha, hart an der Grenze des zulässigen", meinte Laura Morehead. "Und du hast Kontakt mit dieser Kollegin aufgenommen?"

"Camille hat das zusammen mit Madame Champverd getan, nachdem ich hier wieder angefangen habe. Meine Mutter hat mir nur das Ergebnis mitgeteilt, daß Camille direkt an sie weiterverschickt hat. Ich kriege aber wohl demnächst noch eine Eule mit dem ausführlichen Bericht. Sie sind diesem Luciano Castelletto nämlich schon auf der Spur, weil der seine Hochzeit mit einer ehemaligen Schulkameradin für den siebenundzwanzigsten in Venedig angemeldet hat, schön weit weg von Florenz."

"Aha, das nannte dieser Prattelli also spurlos verschwinden", schnaufte Laura Morehead. "Dann können sie ihm beim Jawort gleich befragen, was er über die Kreuzungsversuche mitbekommen hat. Du hast dich und damit auch uns wunderbar vertreten und damit viel brauchbares herausgeholt", lobte die Sprecherin der Heiler Australiens. "Du hast auch einiges an Sonne mitbekommen. Offenbar ist unser Sommer hier doch noch immer zum falschen Monat."

"Camille und ich haben uns gefragt, ob ich nicht einmal im Sommer zu ihr reisen kann, um unsere Erlebnisse auszutauschen. Aber das muß ich eben davon abhängig machen, wer von meinen Patienten dann im Land ist und wer nicht", erwiderte Aurora Dawn darauf.

"Dann wünsche ich dir auf jeden Fall noch ein paar ruhige Tage, um dich wieder an unser Klima zu gewöhnen", sagte die Zunftsprecherin. Aurora bedankte sich und verließ nach dem Abschiedsgruß das Büro in Canberra.

__________

5. August 1992

Hallo Wendy!

Ich habe heute eine Eule aus Rom bekommen, wo Donnatella Fiorini wohnt, die Camille und Oleande Champverd angeschrieben haben. Die haben Luciano Castelletto tatsächlich bei seiner Hochzeit gefunden. Sie waren so höflich, ihn "Si" sagen zu lassen. Aber die Hochzeitsnacht mußte er wohl nachholen. Zumindest wissen wir jetzt, daß er wirklich nichts vom genauen Aufbau des Versuches mitbekommen hat. Was er nicht weiß kann er also auch nicht verraten. Prattelli hat Camille im grünen Magier Inkompetenz und Bestechlichkeit vorgeworfen, daß sie für Trifolio eingesprungen sein soll. Dummerweise haben wir ja alle Protokolle gehabt, die bewiesen, daß er sich den dicken Trollfurz geleistet hat, weswegen er von Camille aus der Versammlung gefeuert wurde. jetzt ist er selbst dran wegen fahrlässigem Umgang mit gefährlichen Zauberpflanzen, Gefährdung von Menschenleben (Luciano Castelletto) und Verstoß gegen die internationale Verordnung zur Veröffentlichung kräuterkundlicher Arbeiten. Die Italiener haben seine Unterlagen beschlagnahmt. Sie vermuteten, daß er noch brisante Versuchsvorhaben notiert hat. Aber das betrifft uns hier unten drunter nicht. Camille wurde vom Vorwurf der Verfälschung von Dokumenten und Bestechlichkeit umgehend freigesprochen. Ich habe dir ja geschrieben, wie verwandelt die aussah, als sie diesen Charmebolzen gefeuert hat. Hoffentlich kann sie jetzt wieder ruhig schlafen und auf ihre drei Kinder aufpassen. Drei Kinder, ob ich echt mal welche haben will? Laras Bemerkung, sie habe es sich ein für allemal untersagt macht mir ein wenig Angst, weil ich ja aus der Resting-Rock-Sache leicht verstrahlt herausgekommen bin. Apropos strahlen: Vivian hat mir heute eine Eule geschickt, daß Tim das HIP-Jahr mit Auszeichnung geschafft hat und jetzt mit der Sonne um die Wette strahlt. Das häuschen, in dem sie wohnen, wird als neue Niederlassung geführt. Denn der einzige Heiler in der Gegend von St. Ottery and Catchpole ist auch für drei andere kleine Städte zuständig. Da in Tims Heimatdorf aber viele Zauberer und Hexen leben darf er dort als residenter Heiler arbeiten. Ich freue mich, daß er es geschafft hat und wir noch einen von uns mehr haben. Vor allem freue ich mich, daß ich ihm auf diesen Weg geholfen habe. Es beruhigt mich doch, daß jetzt wer bei uns mitmacht, der sich mit diesem Radioaktivitätsproblem auskennt.

Langsam trudeln die Urlauber wieder ein. Ich denke, morgen ist die Ruhe vorbei.

Das war es dann, Wendy! Bis morgen!

ENDE

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