EIN MUGGEL NAMENS BILL

Eine Fan-Fiction-Story aus der Vergangenheit der Harry-Potter-Serie

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Vorige Story

P R O L O G

Die magische Heilerin Aurora Dawn fragt sich seit dem tödlichen Quidditchunfall ihrer Großmutter Regan, wie ihr weiteres Leben verlaufen soll. Denn die Heilerzunft hat sie fest für die Arbeit auf dem australischen Kontinent verplant. Und was mögliche Beziehungen angeht, so ist sie da fast so heftig eingeschränkt wie eine katholische Ordensschwester. Sie sieht ihr Leben für die kommenden Jahrzehnte ohne Mann und Kinder. Einerseits stimmt es sie etwas traurig, auf unbestimmte Zeit keine eigene Familie zu gründen. Andererseits haben die Erbstreitigkeiten ihrer Verwandten sowie die Ermutigungen ihrer Ausbildungskameradin Ireen ihr verdeutlicht, daß sie auch so ein erfülltes Leben hat und bereits einiges erreicht hat, was ihr Leben überdauern mag.

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Heather hatte Aurora erzählt, daß Frauen in ihrem Alter auch lange Hosen trugen, wenn sie in die Stadt fuhren. Tatsächlich hatte sie bei ihrem Ausflug mit den Pinewoods genug Frauen ihres Alters gesehen, die solche blauen Segeltuchhosen anhatten. Jeans nannten sie das, hatte sie von Vivian Preston erfahren, mit der sie seit Oma Reagans Tod wieder häufiger Briefe austauschte. Somit führte Aurora der erste Weg nach dem Umtausch von Galleonen in Papiergeld der Muggel in ein Bekleidungsgeschäft. Natürlich merkten die Verkäuferinnen, daß sie nicht so genau wußte, was die Mode der Muggelwelt gerade vorgab. Doch Aurora überspielte ihre diesbezügliche Naivität gekonnt mit einer Behauptung, endlich aus dem beschützenden Elternhaus herauszusein und mal so rumlaufen zu dürfen wie die anderen Frauen. Eine Verkäuferin sah sie deswegen mitfühlend an. Auroras immer noch nicht ganz vergessener und für diesen Ausflug wieder aufgelegter britischer Akzent half mit, ihre Aussage zu untermauern. In England gab es bestimmt noch viele Elternpaare, die ihren Töchtern keine wilde Bekleidung durchgehen ließen. So lernte Aurora auch verwegene Sommerbekleidungen für junge Frauen kennen, bei denen die Partie um den Bauchnabel freigelassen wurde. Das widerstrebte ihrem Sittlichkeitsempfinden dann doch zu sehr, so daß sie sich mit leichten, kurzärmeligen Überziehhemden in bunter Aufmachung begnügte und eben die entsprechenden Hosen dazu kaufte. Unbeobachtet vom Rest der Muggelwelt kleidete sie sich neu ein und ließ ihre Zaubererweltkleidung in einer rauminhaltsvergrößerten Handtasche verschwinden, die einer Tasche aus der Muggelwelt ähnlich genug sah. Dann suchte Aurora eine Bushaltestelle. Sie lauschte ohne zu sehr aufzufallen dem Gespräch zweier älterer Damen, die über ihre Enkelkinder sprachen und daß eines von denen gerade die Masern habe. Aurora dachte daran, welche Krankheiten, die für geborene Menschen harmlos verliefen, für Ungeborene gefährlich werden konnten. Als die beiden älteren Muggelfrauen dann noch ihre eigenen dauerhaften Gebrechen erwähnten dachte Aurora mit einer gewissen Überheblichkeit daran, wie gut sie es doch hatte, eine Hexe zu sein und wie überlegen die magische Heilkunst der Giftmischerei der Muggelärzte doch war. Eine klagte über ihren Blutzucker und daß sie deshalb wohl bald auf eine dauerhafte Verabreichung eines Stoffes namens Insulin angewisen sein würde. Das war dem Namen nach sicher jener Stoff, der aus den Inselzellen der menschlichen Bauchspeicheldrüse stammte. Dagegen behandelten magische Heiler durch Regenerationstränke und Zauber, die die Bauchspeicheldrüse vollständig wiederherstellen konnten und den Blutzuckerspiegel auf verträglichem Niveau hielten. Die zweite Muggelfrau klagte über Rheumatismus. Diese Krankheit war auch in der magischen Heilkunde hinreichend bekannt. Sie konnte zwar nicht auskuriert werden, weil sie vom Körper des Patienten selbst erzeugt wurde, ohne daß wichtige Organe minder- oder überfunktionierten. Aber zumindest konnte sie durch vorsichtig dosierte Schmerzlinderungstränke erträglich gemacht werden. Sowas ähnliches erwähnte die zweite Dame aus der nichtmagischen Welt auch.

"Ist das die Linie zum Opernhaus?" Fragte Aurora, als einer jener großen Autowagen heranratterte, in dem Dutzende von Fahrgästen Platz fanden.

"neh, junge Dame, der fährt zum botanischen Garten", sagte die mit dem Masernkranken Enkelsohn. "Die Linie zur Oper kommt in zehn Minuten." Dann verabschiedete sie sich von ihrer bisherigen Gesprächspartnerin und wartete, bis der bus vollständig zum Stillstand gekommen war. Sie brauchte sich nicht in eine Warteschlange zu stellen, weil sie wohl die einzige war, die in diese Richtung wollte. Aurora überlegte, ob sie nicht auch zum botanischen Garten wollte. Doch dann beschloß sie, erst die berühmtesten Wahrzeichen Sydneys zu besuchen. Im Moment ging es ihr auch eher um die Erfahrungen, überhaupt mit so einem Bus zu reisen. Sie kannte zumindest schon die Untergrundbahn in London und hatte von Vivian gelernt, wie ein Fahrkartenautomat zu bedienen war. Doch hier hatte sie kein solches Gerät gesehen. Offenbar mußte man die Fahrscheine noch beim Lenker des Busses kaufen. Das beobachtete sie, als die eine Muggelfrau beim Fahrer kleine Münzen in eine Ausbuchtung eines Metallkastens legte, der sicher eine Kasse war. Dann falteten sich die beiden Türhälften des Busses wieder auseinander und trafen sich mit einem leisen, dumpfen Geräusch. Aurora tat einen Schritt nach hinten und sah zu, wie der Bus nach links davonratterte.

"Sie sind aus England, richtig?" Sprach sie die zweite Muggelfrau an der Haltestelle an. Aurora bejahte es und fügte noch den Begriff "Devonshire" an.

"Wollten wohl gucken, wie die alte Sträflingsabladestation sich gemacht hat, wie?" Fragte die Muggelfrau sie und grinste, daß Aurora die künstlichen Zähne sehen konnte, die sich die ältere Frau eingesetzt hatte.

"Wie?" Fragte Aurora, bevor ihr wieder einfiel, daß Australien früher als Strafkolonie des britischen imperiums hergehalten hatte. So fügte sie schnell hinzu, daß sie ein paar Wochen in Sydney und dem Umland herumreisen wollte, bevor sie nach dem anstrengenden Studium ins Berufsleben eintreten wolle. Als sie gefragt wurde, was sie denn studiert habe hütete sie sich davor, sich als Heilkundlerin auszugeben. So sagte sie, was ja auch nicht gelogen war, daß sie Botanik studiert habe und genau deshalb die Pflanzenwelt Australiens besuchen wolle, nachdem sie im letzten Jahr das südamerikanische Regenwaldgebiet durchstreift habe.

"Da war einer meiner Söhne auch schon. Allerdings ist der Journalist", erwähnte die ältere Dame. "Der hat über die Rodung der Regenwälder geschrieben, weil da auch viele Goldsucher unterwegs sind. Hat sogar mit einigen Schamanen gesprochen, die ein wenig Portugiesisch oder Englisch konnten. Ist schon unglaublich, was die da alles können, wo unsere Quacksalber keinen Dunst von haben. Er meint auch, daß wir zusehen sollen, daß wir die alten Völker da in Ruhe leben und deren Wald stehenlassen sollen, damit die möglichen Heilpflanzen auch für uns noch zu gebrauchen sind."

"Von den Schamanen habe ich auch unglaubliche Sachen gehört. Die kennen Kräuter, die ohne richtige Dosierung pures Gift sind, wenngleich alles ein Gift sein kann, wenn es zu heftig dosiert wird", erwiderte Aurora, die es nicht so schlimm fand, daß die ältere Frau sich mit ihr nun die Wartezeit vertreiben wollte. Für sie war das interessant, über die südamerikanischen Pflanzen und die magischen Heiler dort zu sprechen, ohne offenbaren zu müssen, daß viele Schamanen wirkliche Zauberkräfte besaßen, die sie in ihre Rituale mit einfließen lassen konnten. Allerdings gaben die von ihrem Wissen nur erwählten Nachfolgern weiter. Nur ein guter Kontakt, der in einer spanischsprachigen Zaubererschule auch die Magie der Zauberstabträger schätzen gelernt hatte, hatte ihr geholfen, einige unverfängliche Sachen über dieHeilpflanzen zu erfahren, die sie in ihr Buch "Der kleine Hexengarten" aufgenommen hatte.

So verflog die Zeit bis zur Ankunft des Busses Richtung Opernhaus. Die ältere Dame wollte in dieselbe Richtung. Als Aurora vom Lenker des Wagens den Fahrpreis angesagt bekam, prüfte sie schnell ihr Geld und stellte fest, daß sie nur Scheine mit dem Aufdruck 5 als kleinste Währungseinheit mithatte. Das war mehr als verlangt wurde. Als sie den Geldschein hinlegte grummelte der Busfahrer, daß er nur abgezähltes Geld nehmen wolle, und das an der Haltestelle auch deutlich genug angeschrieben stände. Aurora wollte schon erwiedern, daß er doch bitte wechseln möge, weil sie ja eine Touristin sei, als ihre Gesprächspartnerin, die sich als Mrs. Portland vorgestellt hatte, einsprang und dem Fahrer die geforderte Summe in Münzen hinlegte. "Sie ist gerade erst von der alten Insel rübergekommen, Sir. Ich strecke ihr den Preis vor", sagte sie ruhig. Aurora schluckte ihren Einwand hinunter, sich nicht von ihr fremden Personen Geld vorstrecken lassen zu müssen und bedankte sich sehr höflich bei ihr. Andererseits war ihr klar, daß Mrs. Portland sicher noch ein wenig mit ihr über Südamerika plaudern wollte und deshalb die Fahrkosten übernahm, um sie nicht unverrichtet wieder aussteigen lassen zu müssen. Der Fahrer grummelte was unverständliches, nahm das Geld aber an und gab Aurora den Fahrschein. "Wenn sie in 'nen Laden gehen kriegen Sie genuch Kleingeld, Miss. Abgezählt ist besser, weil die Firma nich' will, daß wir zu viel Geld mit rumfahren", erklärte er dann noch. Aurora verstand und nickte ihm lächelnd zu. Dann folgte sie Mrs. Portland zu zwei freien Plätzen, während der Bus bereits anfuhr. Aurora konnte gerade noch eine der senkrechten Haltestangen ergreifen, um nicht hinzuschlagen. "Ui, ich merk doch, daß ich ein Landmädel bin", tat sie den Beinaheunfall mit einem mädchenhaften Grinsen ab, bevor sie sich neben ihre edle Geldspenderin setzte. Dann sagte sie leise, daß sie ihr gerne den vorgelegten Fahrpreis zurückerstatten wolle. Mrs. Portland bemerkte dazu, daß ihr das die Unterhaltung von eben wert gewesen sei und knüpfte an das bisher verlaufene Gespräch an. Da Aurora ja im Grunde die halbe Welt bereist hatte, aber da immer von Privatfahrzeugen herumgefahren worden war, kannte sie die verstopften Straßen der Großstädte nicht so gut. Sie konnte ja auch schlecht zugeben, nur in Zauberersiedlungen oder magischen Einkaufsstraßen gewesen zu sein. Aber von ihrem Besuch bei Vivian und aus dem Muggelkundeunterricht kannte sie vieles, was sie nicht als Weltfremde Besucherin von hinterm Mond auffallen ließ. Wenn sie demnächst wieder Muggelgeld haben wollte würde sie es sich von den Muggelstämmigen aus ihrer Nachbarschaft geben lassen. Diese Kobolde wollten offenbar kein Münzgeld bei sich deponieren, wo das Papiergeld so praktisch war, wo man ja nur den Wert des Geldscheins draufschreiben mußte, um aus einem Dollar tausend zu machen.

Da Mrs. Portland in der Nähe des Opernhauses wohnte bot sie der jungen Besucherin an, ihr das berühmte Wahrzeichen Sydneys in allen wichtigen Einzelheiten zu zeigen. Aurora fragte, ob es auch eine Führung durch das Haus gäbe. Die gab es zwar, aber viele Räume konnte sie dabei nicht besuchen, ohne mehr zu erfahren, was sie ohne Stadtführer erfahren konnte. Auf jeden Fall sollte sie an einer Hafenrundfahrt teilnehmen, da der Hafen von Sydney genauso weltberühmt sei wie das Opernhaus. Mrs. Portland schwärmte von den Neujahrsfeuerwerken, die über der Hafenbrücke abgebrannt wurden und daß dieses Monumentalbauwerk abends besonders beeindruckend sei, wenn es von vielen Scheinwerfern erleuchtet werde. Aurora wollte nicht zugeben, daß sie das schon gesehen hatte, als sie einige Ausflüge ohne Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel unternommen hatte.

Aurora verbrachte noch ein paar informative Stunden mit der älteren Muggelfrau, bis sie verkündete, sich nun im Einkaufsviertel umzusehen. Im Schutz eines Hauseingangs ließ sie sich noch mehrere Australdollars in Kleingeld umwechseln, bevor sie sich von Mrs. Portland verabschiedete. Dann stürzte sie sich ins Gewühl der ausländischen Touristen und schwamm im Strom der Besucher mit, wobei sie ihre bisherigen Kenntnisse erweiterte. Mrs. Portland hatte sie vor bestimmten Stadtvierteln gewarnt, da dort viele Kleinkriminelle herumlungerten und ihr geraten, sich keinen pseudoaboriginal-Kitsch andrehen zu lassen, es sei denn, sie habe kleine Kinder in der Verwandtschaft, die unbedingt irgendwas angeblich von echten Eingeborenen gemachtes haben wollten. Aurora brauchte jedoch keine Sachen aus der Muggelwelt. Sie hatte schon einige Andenken aus Australien in die alte Heimat mitgenommen und ihre Verwandten damit beehrt. Außerdem konnte sie über ihren Kollegen Mel Vineyard jederzeit an echte Ureinwohnerschnitzwaren herankommen, wenn sie das wollte. Jedenfalls nahm sie an diesem Tag einiges mehr an neuen Kenntnissen auf, allein schon dadurch, daß sie die Fahrgäste in den Bussen belauschte und die erhaschten Satzfetzen mit ihrer Muggelkundeausbildung abglich. Sie erinnerte sich an einen Brief von Cynthia Flowers, daß Melinda Bunton sich mehr über die Muggelwelt erkundigen wolle, da sie eine Nichte habe, die ebenfalls auf dem australischen Kontinent lebe. Aurora hatte angeboten, Kontakt mit der Verwandtschaft aufzunehmen. Doch Melinda hatte zurückgeschrieben, daß die Verwandten nicht wissen müßten, daß eine Klassenkameradin der gemütlichen runden Tante aus England in ihrer Nähe Heilkunde praktiziere.

Am Abend schrieb sie alle gewonnenen Erkenntnisse auf mindestens zwei Pergamentrollen, bevor sie das wesentliche davon ihrem Tagebuch Wendy anvertraute, wobei sie noch einfließen ließ, daß sie sich besser demnächst mit einer großen Menge Münzgeld ausstatten sollte. Denn nur um Busfahrscheine zu kaufen andauernd Muggelsachen zu kaufen hatte sie auch nicht vor, wenngleich sie nun, wo sie die aktuelle Mode der Muggelwelt kannte, einige entsprechende Kleidungsstücke für Frauen ihres Alters anschaffen würde.

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Als sie einige Tage hatte verstreichen lassen, besuchte sie erneut das Sydney der Muggel. Nachdem sie nun näheres über das öffentliche Personenverkehrssystem erforscht hatte, ging es ihr um jenes Phänomen, daß ihr Roy und Vivian mal beschrieben hatten, den sogenannten bargeldlosen Zahlungsverkehr. Sie ging davon aus, daß dieser ähnlich verlief wie eine Zahlungsanweisung, die Verkäufer oder Versandhändler zugeschickt bekamen, um von den Gringotts-Kobolden die entsprechende Summe aus dem Verlies des Käufers zu erhalten. Als sie dann aber in einem mit Glas und Marmor ausgekleideten Bankhaus im Geschäftsviertel der weltoffenen Hafenstadt einem etwas stutzigen Angestellten gegenübersaß, um sich erklären zu lassen, wie man ohne Geld in der Tasche Sachen kaufen konnte, lernte sie, daß die elektrisch betriebenen Rechengeräte entsprechend eingestellt werden konnten, für bestimmte Leistungen Geldbeträge einfach von einer gespeicherten Adresse zu einer anderen zu verschicken, ohne echtes Geld oder echtes Papier benutzen zu müssen. Statt Verliesen hatten die Muggel Bankkonten. Das waren im Grunde in Büchern oder Elektrorechnern aufgeschriebene Registrierungsnummern, die sagten, daß dieser oder jener Geld abrufen oder einzahlen konnte. Als Aurora fragte, warum es keine verschließbaren Räume gab, in denen das Geld oder die Wertsachen gelagert wurden erhielt sie die Antwort, daß es das auch noch gab, aber nicht mehr fürGeld, weil das "in der heutigen Zeit" ja ständig abrufbar sein müsse und elektronisch geführte Konten dafür die beste Methode seien. Aber wer Schmuck oder Wertpapiere wie Aktien besaß, konnte das in Schließfächern im Tresorraum seiner Bank verstauen und war sogar gegen Diebstahl versichert.

"Nun, Ms. Dawn, ich weiß nicht, warum Sie das jetzt erst alles erfahren und nicht schon von Ihren Eltern oder in der Schule gelernt haben", sagte Mr. Wilson, der freundliche Bankangestellte und blickte auf seine silberne Armbanduhr, die keine Zeiger hatte sondern ein Fenster, in dem durch Doppelpunkte getrennte Zahlen zu sehen waren. "Ich könnte Ihnen noch eine ganze Menge über die Geschichte des bargeldlosen Bankwesens erzählen. Aber leider drängt die Zeit, und ich habe in nur zwei Minuten den nächsten Termin. Wenn es Ihnen nicht zu peinlich ist können sie sich von meiner Kollegin am Schalter die Broschüre "Mein erstes Sparbuch" geben lassen, wo für Schulkinder anschaulich beschrieben wird, wie das Geld heute verwahrt und bewegt wird", er errötete ein wenig an den Ohren, weil er Aurora unterstellt hatte, das Grundwissen einer Sechsjährigen zu haben. Um dann seine Zeit nicht ganz umsonst verplaudert zu haben bot er Aurora noch an, ein Konto bei seiner Bank einzurichten. Doch Aurora lehnte höflich ab. Ihr reiche das kleine Golddepot, daß sie von ihrer Oma geerbt habe und an das sie ginge, wenn sie Geld bräuche und sie ohne dies lieber Geld in der Hand habe, wenn sie es ausgeben wolle, um den Überblick über das was sie noch hatte und das, was sie noch ausgeben konnte zu behalten. Dann bedankte sie sich bei dem freundlichen Mr. Wilson in seinem faltenfreien Nadelstreifenanzug und verließ die Bank. Wilson fragte sich, wie eine junge Frau derartig naiv sein konnte. Doch da wurde ihm schon der nächste Kunde angekündigt, mit dem er dessen Kreditrahmen erörtern wollte.

Was Aurora im Sydney der Muggel nicht mochte war neben den giftigen Ausdünstungen der Kraftwagen und Busse der Lärm aus den offenen Türen von Gaststätten oder Geschäften, die aufgezeichnete Musik auf diesen Silberscheiben verkauften, die Vivian CD genannt hatte. Merkten die nicht, wie unerträglich dieser Lärm war? Wie konnten die Leute, die in solchen Läden oder Lokalen arbeiteten das aushalten, ohne daß denen nach einem Tag die Ohren weh taten? Sicher, die Musiker im Willy-Willy waren auch nicht leise. Aber sie spielten auf Instrumenten, deren Lautstärke nicht beliebig erhöht werden konnte, während sie diese Musikanlagen, mit denen die in die Silberscheiben gebannten Musikstücke abgespielt werden konnten, teilweise lauter als eine kräftig geblasene Trompete stellen konnten. Sie dachte an die sogenannten Heilkundler der Muggel, die sich dann mit Hörproblemen und anderen Ohrenleiden herumschlagen durften und war doch froh, dieser Welt immer wieder entfliehen zu können.

Als sie auf dem Rückweg eine schwangere Frau in der zwanzigsten bis dreißigsten Woche sah fragte sie sich, wie viel von den Giftstoffen in der Atemluft über das mütterliche Blut an das Ungeborene weitergegeben wurde. Leider hatte sie bis heute keine Rückmeldung erhalten, ob ihr eine Kollegin den Transgestatio-Zauber beibringen wollte. Dann hätte sie gerne ausprobiert, ob werdende Mütter wirklich anders behandelt wurden als Frauen ohne Kind. Doch davor sollte sie besser die Frage klären, wie viel von den Giften aus der Luft sie selbst in ihr Blut aufgenommen hatte, bevor sie irgendwann mal mit einem zu Übungszwecken ausgeborgtem Kind unter dem Herzen in die Muggelstadt gehen würde.

So zapfte sie sich nach der Heimkehr ein wenig von ihrem eigenen Blut ab und prüfte es auf Giftstoffe. Dabei fand sie eine sehr geringe Menge Kohlengas, das bei unvollständiger Verbrennung freigesetzt wurde. Dagegen gab es einige Tränke, um es aus dem Blut und dem Gewebe zu spülen. Sie dachte daran, sich beim nächsten Ausflug dagegen abzusichern und entschied sich für Kohlengasverschluckende Wattepfropfen, die nur die Bestandteile der Luft in ihren Körper ließen, die unbedenklich waren. Sie stellte solche Nasenpfropfen her und notierte sich dann die ganzen gesammelten Erfahrungen und Prüfungsergebnisse. Wieder einmal hatte sie den Eindruck, wichtige Sachen aus der Muggelwelt gelernt zu haben. Wie Muggel mit werdenden Müttern umgingen würde sie jedoch nur dann lernen können, wenn sie ein eigenes Kind trug oder von einer Kollegin in der Handhabung des Transgestatio-Zaubers unterwiesen wurde.

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Der Herbst kühlte das Land langsam ab. Aurora fragte sich immer noch, ob sie irgendwann demnächst den Transgestatio-Zauber lernen konnte, doch ihre Aufgaben und ihre Reisen in die Muggelwelt beanspruchten sie gut genug. Die Sorgen ihrer Patienten nahmen sie in Anspruch, und als die ersten größeren Erkältungswellen vorübergezogen waren hatte sie auch wieder ein wenig mehr Ruhe. Zwischendurch kam der junge Jimmy Garfield mit dem Westhighland-Terrier Terry zu Besuch, wenn sein großer Bruder Jake ihn nicht beaufsichtigen konnte oder wollte. Jake empfand offenbar die ersten Frühlingsgefühle und empfand den kleinen Bruder als Nervensäge, weil der ihn immer damit aufzog, daß er bei Annie, Jill oder Lara wohl nicht so gut ankam. "Der ist jetzt drauf, mit Jessie zu gehen. Mum hat dem geraten, bloß anständig mit der umzuspringen, und Dad hat dem 'ne Packung Gummitüten gegeben und gesagt, daß der ohne die Dinger nicht mehr aus dem Haus zu gehen und die gefälligst zu benutzen hätte, wenn er meint, mehr als nur schmusen zu wollen", kicherte der gerade neun Jahre alte Junge, der das wohl spaßig fand, daß der große Bruder die Liebe entdeckte. Aurora wollte dann wissen, was der Knirps mit "Gummitüten" meinte, worauf Jimmy leicht verlegen was von Kondomen oder Verhüterlis erzählte. Aurora lachte. "Ja, die sind schon sehr nützlich. Nicht jedes Mädchen möchte gleich ein Kind haben, wenn es mit einem Jungen zusammen ist. Außerdem gibt es ansteckende Krankheiten, die mit diesen Dingern verhütet werden können."

"Ich weiß, AIDS und anderes fieses Zeug. Haben die ja auch immer im Fernsehen von geredet, daß die größeren Jungs und Mädels sich damit andauernd anstecken, weil die meinen, es gleich beim ersten Treffen miteinander machen zu müssen. Aber Jake würde Jessie wohl nur dann schwängern, wenn deren Dad die Schrotflinte im Garten verbuddelt oder der Jessie heiratet. Aber der will nich' heiraten. Unsere Alten haben dem das wohl heftig mies gemacht. Außerdem kann der keine Pfaffen ab, also Kirchenleute. Aber ich quatsch wohl wieder zu viel", grummelte Jimmy. Aurora meinte dazu nur, daß sie wohl zu gut zuhöre. Dann schlug sie vor, daß er besser wieder nach Hause ginge, bevor seine Eltern noch meinten, er wolle seinem Bruder zuvorkommen und vor ihm heiraten. Er verzog das Gesicht vor Schreck, dann wurde er rot und dann kicherte er albern. "Neh, ich kann doch keine Hexe heiraten. Das würden meine Alten nich' überleben", sagte er, bevor ihm klar wurde, was er da gerade gesagt hatte und er noch röter anlief als gerade schon. Aurora lachte nur und meinte:

"Dann müßtest du auch lernen, auf einem richtigen Hexenbesen zu reiten, um mit mir nach Zauberkräutern zu suchen. Und ich denke, dann würden die anderen in deiner Schule dich andauernd blöd anquatschen, nicht wahr?"

"Die wissen das nicht, daß ich immer wieder zu Ihnen rüberlaufe. Aber seitdem Sie Terry gefunden haben habe ich keine Angst mehr vor Ihnen."

"Ich habe euren Hund nicht gefunden. Ich habe euch nur gesagt, wohin der gelaufen sein könnte", berichtigte Aurora den Jungen. Dieser nickte und deutete dann auf Terry. "Komm, Terry. Nach Hause!" Der kleine Hund machte noch einmal Männchen vor Aurora und blickte sie bettelnd an. Doch sie blieb eisern. Sie hatte dem kleinen Hund nichts zu Fressen gegeben und würde dies auch nicht tun, weil sie nicht wollte, daß der Hund dann immer zu ihr hinlief. Denn dann müßte Jimmy seinen Eltern und seinem großen Bruder beichten, daß er mit dem weißen Wollknäuel immer wieder bei ihr aufkreuzte. Wie die das dann hinnahmen wußte sie nicht. Es reichte schon aus, wenn die Garfields immer wieder zu ihr kamen, um die geniale Flohabwehrtinktur bei ihr zu kaufen, die besser wirkte als jede chemische Abwehrlösung und zudem noch ungiftig genug war, daß Terry beim Belecken seines Fells nicht daran einging.

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Es war Mitte April, als Aurora Dawn, nachdem sie sichergestellt hatte, daß im Moment niemand sie brauchte, in einen Stadtteil Sydneys reiste, in dem sie bisher noch nicht war. Es war das Universitätsviertel, wo die angehenden Rechtsanwälte, Ärzte, Biologenund Physiker sich herumtrieben, wenn sie genug studiert hatten und die Abende locker und fröhlich ausklingen lassen wollten. Von ihrem Alter her konnte sie als Studentin durchgehen. Und ihre Forschungen auf dem Gebiet der Muggelmode hatten ihr auch geholfen, sich unauffällig zu kleiden, um zwischen den anderen jungen Frauen nicht als Ausnahmeerscheinung aufzufallen. In einem Pub namens "Leonardo da Vinci" beobachtete sie mehrere junge Männer, wobei sie sowohl als neugierige Heilerin wie auch an den Vorzügen des anderen Geschlechts nicht ganz uninteressierte Frau abschätzte, wer ihr Typ wäre, selbst wenn sie sich sicher war, mit diesen jungen Burschen nichts anzufangen, die manchmal wie zu schnell gealterte Kindergartenknirpse herumalberten, wenn sie nicht gerade anderen Frauen und Mädchen nachblickten und um deren Gunst wetteiferten. Sie kam ins Gespräch mit einem knapp dreißig Jahre alten Mann, der sich hier offenbar ziemlich einsam fühlte, was daran lag, daß er Gaststudent aus Paris war und trotz leidlicher Englischkenntnisse mit dem australischen Akzent schwer zu kämpfen hatte. Aurora nutzte die sich bietende Gelegenheit, ihre eigenen Französischkenntnisse anzubringen, was dem Studenten sichtlich behagte und unterhielt sich mit ihm über Paris, daß sie nur aus Berichten französischer Hexen und Zauberer kannte. "Die fahren da nicht so diszipliniert wie die hier in Sydney, Madame", sagte Pierre.

"Mademoiselle", berichtigte Aurora ihn lächelnd. "Oder sehe ich so glücklich verheiratet aus?" Legte sie noch nach.

"Öhm, das nicht. Aber bei uns sind Frauen wie sie, wenn die nicht das unsichtbare Schild "Bloß nicht anquatschen" vor dem Körper tragen, alle schon ziemlich früh weg. Ist wie bei den Parkplätzen. Sie bleiben nie lange frei." Er mußte über diesen Spruch grinsen. Aurora kannte Parkplätze als Abstellflächen für gerade nicht zum Fahren benötigte Autowagen. Deshalb konnte sie diesen Scherz auch richtig verstehen. Dann ließ sie sich von Pierre, dem charmanten schwarzhaarigen Studenten, über die Sorbonne berichten, an der er eigentlich studierte und nur ein Auslandssemester in Australien machte, um sich über die hiesige Tierwelt zu erkundigen. Aurora erzählte ihm, daß sie bereits ausgebildete Botanikerin sei und schwälgte mit ihm in Beschreibungen des australischen Buschlandes.

"Im Mai gehe ich für vier Wochen zu einer Gastfamilie, die voll im Hinterland wohnt, Outback, wie Sie es hier nennen. Da kriege ich wohl den absoluten Eindruck, wie das ist, auf hundert Kilometern keinen anderen Menschen treffen zu können", sagte Pierre. "Hoffentlich brauche ich da keinen von den fliegenden Ärzten. Ein Kumpel von der Uni hat mir nämlich erzählt, daß die in ganz alten Flugzeugen rumflögen, wo es genauso gefährlich sei, von denen abgeholt zu werden wie an der Krankheit oder Verletzung zu sterben, wegen der man die ruft. Die müssen in allen Häusern Funkgeräte und Kisten mit Medikamenten aufbewahren, um sich versorgen zu können oder die Leute zu rufen. Ich hörte was, daß die die Funkgeräte mit Pedalen wie beim Fahrradfahren antreiben können, wenn sie mal keinen Strom haben und auch keinen Dieselgenerator im Haus haben, um eigenen Strom zu erzeugen."

"Ich bin froh, nahe genug an Sydney zu wohnen. Wenn ich mir vorstelle, über eine Stunde auf einen Arzt in einer Flugmaschine warten zu müssen", erwiderte Aurora. "Aber soweit ich weiß passen die schon auf, daß ihre Fluggeräte auch sicher sind. Es wäre ja totaler Unfug, wenn sie diesen Dienst anbieten und dann die Patienten zusätzlich gefährdeten."

"Wie gesagt hoffe ich, daß ich keinen von denen nötig habe", erwiderte Pierre.

"Ey, Froschfresser, lass unsere Mädels in Ruhe", blaffte ein ziemlich breit gebauter Bursche von gerade Anfang zwanzig, der hinter Pierre stand. Der Gaststudent warf sich herum und blickte den Störer mit wutrotem Gesicht an. "Pardon, Monsieur, isch 'abe das Wort "Froschfresser" verstanden. 'aben Sie das wirklich zü mir gessagt?" Fragte er noch ganz ruhig.

"Yep, Franzmann. Ihr freßt doch Frösche oder?"

"Isch 'abe gelernt, daß Menschen essen nischt fressen. Und oui, manchmal wir essen Schenkel von Frosch. Aber isch muß misch nischt des'alb von Ihnen beleidigen lassen, Monsieur. Bitte nehmen Sie ßürück, was Sie gesagt 'aben, auch was Sie über diese charmante Mademoiselle be'auptet 'aben, daß Sie Ihr Mädschen sei."

"Kleiner, hast wohl lange deinen eigenen Schrei nicht mehr gehört, wie?" Blaffte der breitgebaute Bursche angriffslustig und ließ seine übertrainierten Oberarmmuskeln anschwellen.

"Seit isch keine Windeln mehr brauche nischt mehr", konterte Pierre nach außen hin ruhig. Doch Aurora war sich sicher, daß es in dem Studenten brodelte, derartig rüde von einem gerade ausgewachsenen und nur viel zu heftig muskelbeladenen Rohling dumm angesprochen worden zu sein. Der Störenfried verzog das Gesicht, weil er offenbar mit der erhaltenen Antwort nicht zurechtkam. Dann fiel ihm wohl ein, daß er gerade veralbert worden war. Dieser Prozeß hatte ganze vier Sekunden gedauert, schätzte Aurora. Sie überlegte, ob sie einem drohenden Streit mit Handgreiflichkeiten vorbauen konnte, mußte oder durfte. Wenn Pierre meinte, sich ihretwegen auf eine für ihn aussichtslose Schlägerei einzulassen ... Der Muskelprotz holte kurz aus und schlug mit der rechten Faust zu. Doch Pierre hatte den Schlag exakt vorausberechnet und tauchte genau in dem Moment weg, wo ihn der Boxhieb am Kinn hätte treffen sollen. Der Schlag zischte ins Leere. Und bevor der Störenfried einen zweiten Schlag anbringen konnte traf Pierres durch die Luft wischende rechte Handkante ihn genau am Solaplexus. Mit einem lauten Stöhnen klappte der sich seiner überschüssigen Kraft sichere Bursche zusammen und wankte von der Wucht des Schlages einige Schritte zurück. Da preschte der hühnenhafte Wirt dieses Pubs hinter der Theke hervor und sprang zwischen die beiden Streitenden. "Phil, raus hier, aber ganz schnell. Ich hab's mitgekriegt, daß du die Lady da schon die ganze Zeit beglubschst, weil du nicht weißt, ob die dein Format hat. Die Antwort ist ganz klar nein, weil die weit über null rangiert. Mach dich jetzt ab hier, ganz flott. Ich will hier nur intelligente Kundschaft haben.""

"Ey, Jack, mein Dad hat die Hälfte von deinem Laden sicher. Also komm mir nicht blöd. Außerdem hat dieser verschnupfte Froschfresser da mir eine reingehauen. Das kriegt der wieder."

"Da ist die Tür, Phil. Raus!" Bestand der Wirt mit entsprechender Geste darauf, daß der Kraftprotz das Lokal verließ.

"Oder sonst, Jack?" Provozierte Phil den Wirt. Jack straffte sich und schnellte vor. Ehe Phil darauf gefaßt war, hatte Jack ihn an beiden überladenen Armen gepackt und diese nach hinten gedreht, dann schob er den breiten Burschen richtung Tür, die wie es die Brandschutzbestimmungen vorschrieben nach außen geöffnet wurde und so nur von Phils unfreiwillig vorangetriebenem Körper aufgestoßen werden mußte.

"Verschwinde, und lass dich hier nicht mehr blicken! Dein Daddy kriegt gleich noch Bescheid, daß sein übertrainierter Sohnemann sich bei mir schlecht benommen hat. Dann kannst du dem alles erzählen, was du willst, sofern dein verkümmerter Verstand was zurechtpuzzlen kann. Und jetzt ab durch die Mitte!" Blaffte Jack Phil draußen noch nach, bevor er in den Pub zurückkehrte.

"Eh, Jack, seit wann schmeißt du Leute raus, die noch nicht bezahlt haben?" Wurde der Wirt von einem anderen jungen Mann gefragt.

"Sein Vater blecht das, was der bei mir versäuft, junger Mann", knurrte Jack und ging zu Pierre und Aurora. "'tschuldigung, Miss, wenn dieser Klotz Sie dumm angemacht hat. Dem sein Vater hat mit meinem Vater diesen Pub aufgezogen und meint jetzt, hier den dicken Maxen zu markieren. Der hat zwar hundertausend Volt in den Armen, aber dafür brennt in dem seiner hohlen Rübe kein Birnchen. Will gerne wie dieser Ösi Schwarzenegger sein, den die Yankees zum Filmhelden hochgezüchtet haben."

"Nur daß Monsieur Schwarzeneggär wesentlisch intelligenter auftritt", erwiderte Pierre. Aurora bat um Entschuldigung, falls sie durch irgendwas Anlaß zu dieser unfeinen Auseinandersetzung geliefert haben mochte.

"Ohne jetzt auf Phils Niveau abzurutschen, Miss, um den von Ärger abzuhalten müßten Sie anders aussehen als sie's tun, sich ihre gute Oberweite weghexen oder die Beine etwas kürzer zaubern." Aurora grinste belustigt. Wenn sie dem Wirt da sagen würde, daß sie das durchaus könnte würde der vom Glauben abfallen. Andererseits mochte sie ihren Körper wie er war. Pierre meinte dann noch, daß er schon gedacht habe, er hätte sich mit diesem Burschen schlagen müssen.

"Sie können wohl Karate oder sowas, wie Junger Mann?" Fragte der Wirt. Pierre nickte. "Isch wurde in einer Gegend groß, wo ganz böse Leute 'erumstrolschen, Monsieur. Isch bin froh, endlisch aus dieser ungemütlichen Lage 'erausßüsein. Aber isch weiß naturellement, daß isch misch nischt nur auf meinen Kopf verlassen darf, sogern isch das auch tü. Des'alb 'abe isch Karate gelernt."

"Habe ich gesehen, bei dem genialen Reflex, den Schwinger erst auszutanzen, wenn der schon halb gelandet ist und dann diesen Schlag anzubringen, daß Phil fast umgekippt wäre. Ich denke, mehr als mein Rauswurf dürfte den jetzt umtreiben, daß der fast vor den Hänflingen da auf der Erde gelandet wäre. Das hätte seinem Kraftmeierimage ganz schön zugesetzt. Aber ich muß wieder an die Theke. Zeit ist Bier und ich muß dem Vater von diesem Rüpel noch bescheidgeben, bevor dem sein Rechtsanwalt mir morgen schon nahelegt, mir 'nen anderen Job zu suchen oder sowas. Bis dann zusammen!"

"Hallo Jack, habe gerade diesen Anabolikaschrank gesehen, der sah ziemlich angefressen aus", grüßte ein Mann von der Tür her. Er hatte dunkles Haar und wirkte so, als habe er sich die ganze Bräune des letzten Sommers bewahrt. Er blickte aus stahlblauen Augen auf Jack und dann auf Pierre und Aurora.

"Daddys großer Sohn wollte mal wieder den Platzhirschen geben. Dabei bin ich das hier. Das habe ich dem unmißverständlich klargemacht, als der dumm rumgeröhrt hat", erwiderte Jack.

"Wie, hast du dem gezeigtt, wer das längere Geweih hat oder was?" Fragte der Neuankömmling, dessen trotz australischer Sprachmelodie nicht ganz verschütteter britischer Akzent Aurora direkt in die Ohren stach.

"Yep, Billy Boy. Haben deine Untergebenen ihr Tagessoll erledigt, daß du dich wieder hier zeigen darfst?" Erwiderte der Wirt.

"Komm, nicht noch hier von der Arbeit reden!" Grummelte der Gast und kam näher. Dabei fiel sein Blick auf den Franzosen und die schwarzhaarige Frau mit den graugrünen Augen, die in hellblauer Hose und rotkarierter Bluse erschienen war.

"Seh's ein, wieder viel Streß um die Ohren", meinte Jack. "Kannst an die Theke kommen. Wir haben frisches Guinness reinbekommen."

"Jau! Bin gleich bei dir an der Tränke, Jack, will nur noch meinenAB abfragen, ob wer was von mir wollte. Dann habe ich Zeit."

"Joh, mach. Ich wärm das Bier schon mal vor."

"Banause, Guinness ist keine englische Plörre", schnarrte der Besucher. Aurora freute es, daß der bestimmt schon über dreißig Jahre alte Mann so locker drauf war und wollte zu gerne wissen, wie lange er schon in Australien war. Denn sie hatte ihren britischen Akzent noch nicht abgelegt, obwohl sie bald zehn Jahre auf dem fünften Kontinent wohnte und arbeitete.

"Dabei kommst du doch aus England, Bill", lachte Jack.

"Muß ich deshalb jeden Mumpitz mitmachen, den meine Vorfahren erfunden haben?" Fragte der Besucher und deutete dann auf seine Jackentasche. "Ich klär mal eben, was meine viereckige Sekretärin für mich hat. Dann ist Guinnesszeit", sagte er noch und zückte ein kleines, quaderförmiges Ding hervor, das kleine Knöpfe und sowas wie ein dunkles Sichtfenster besaß. Damit zog er sich in eine leisere Ecke zurück. Aurora wandte sich wieder an Pierre, dem durchaus aufgefallen war, daß sich seine Gesprächspartnerin im Moment eher für den Neuankömmling interessierte. Natürlich erkannte Aurora Dawn es und wollte nicht unhöflich oder gar unverschämt sein, wo der junge Franzose sich fast für sie mit einem übertrainierten Raufbold geschlagen hätte. So verwickelte sie ihn noch einmal in eine Unterhaltung über die Pflanzenwelt des Buschlandes und meinte auch, daß er da besser nicht ohne ein Breitbandgegengift gegen die dort lebenden Schlangen herumstromern sollte.

"Ich habe schon Schlangenserum gegen verschiedene Arten gekauft. Der Inlandstaipan ist ja doch zu gefährlich, um ihm ohne sowas zu begegnen", erwiderte Pierre in seiner Muttersprache. Dann ging die Tür auf, und eine kleine, zierliche Frau mit schwarzen Locken, die ihr sanft auf die Schultern fielen schwebte förmlich herein. Sie besaß dunkelbraune Augen und eine Stupsnase. Sofort drehten sich alle Männer um, als sie von ihren Kameraden auf die Neuerscheinung hingewiesen wurden. Pierre schnüffelte, weil mit der neuen Besucherin ein hauchzarter Parfümnebel hereinwehte, der für einen Lidschlag den Gestank von Zigarettenrauch, Bratenfleisch und Alkoholdunst überlagerte. Er wandte sich um, wo die junge Frau gerade auf ihn zukam.

"Ah, Ninette. Ich dachte, du wolltest heute mit den anderen Mädchen ausgehen", begrüßte er die junge Frau mit sichtlicher Freude. Da er dabei französisch sprach und der Name Ninette aus Frankreich stammte, schloß Aurora, daß es eine Landsmännin von ihm war.

"Daraus wurde nichs, weil Annie sich eine Grippe eingefangen hat und Lisa wegen des Babys kein Risiko eingehen wollte. Ich hörte, daß du hier öfter bist, weil hier viele andere Gaststudenten hinkommen", sagte Ninette, ebenfalls fließend Französisch sprechend. Pierre nickte und deutete auf Aurora Dawn. "Das ist Mademoiselle Aurora Dawn, Ninette. Sie ist hier Pflanzenkundlerin und Naturheilpraktikerin", stellte er Aurora vor. "Mademoiselle Dawn, das ist Ninette Valentin, eine Landsmännin aus Lyon", vollendete er die Vorstellungszeremonie. Aurora sagte "Enchantée", genau wie Ninette. Ihr fiel auf, daß Pierres Stimmung schlagartig an die Grenze der Euphorie stieg, als Ninette ihn anstrahlte und ihn fragte, ob sein Angebot noch gelte, mit ihr zum Tanzen zu gehen. Pierre errötete ein wenig und blickte Aurora an. "Verzeihen Sie, Mademoiselle, ich habe Ninette seit mehreren Tagen nicht mehr gesehen und möchte nicht unhöflich ihr oder Ihnen gegenüber sein. Erlauben Sie mir, daß ich mit ihr davongehe?"

"Sie gehören mir nicht, Pierre. Insofern kann ich Ihnen das nicht verbieten", erwiderte Aurora lächelnd. "Ich habe mich sehr gefreut, meine Sprachkenntnisse mit Ihnen wieder auffrischen zu dürfen. Einen angenehmen Abend Ihnen beiden!" Ninette sah Aurora etwas verdrossen an, als wolle sie gleich losbrüllen, daß ihr Freund was mit ihr angefangen hätte, was ihr nicht zustehe. Doch dann beruhigte sie sich auch schon wieder, weil Pierre sie anstrahlte und sich dem Wirt zuwandte.

"Joh, junger Monsieur, das sind dann heute vier Dollar", sagte Jack und präsentierte die Rechnung. Pierre deutete auf Auroras Mineralwasser und bat darum, dieses Getränk auch übernehmen zu dürfen. Sie nahm die Einladung höflich an, während Ninette sie fragend ansah. Aurora wisperte, während Pierre zahlte, daß sie sich mit ihrem Freund nur unterhalten habe, weil sie hier keinen kenne und er offenbar gerne mit jemanden sprechen wollte, weil sonst kein Franzose hier war. "Ich habe es nicht nötig, jemandem wen wegzunehmen, Mademoiselle Valentin", sagte sie dann noch. "Ich habe gelernt, daß flüchtige Beziehungen mehr Ärger als Freude bringen. Wir haben uns eben nur unterhalten."

"Ich hätte auch nicht gedacht, daß Pierre sich derartig benehmen würde. Noch einen schönen Abend, Mademoiselle Dawn", sagte Ninette und winkte ihrem Landsmann und Freund, der gerade seine Zeche beglichen hatte. Aurora wünschte den beiden in Gedanken noch einen vergnüglichen Abend und sah zu, wie sie den Pub verließen. Sie blickte sich um, was der dunkelhaarige Mann tat und sah ihn mit diesem quaderförmigen Apparat am rechten Ohr. Das mochte also eines von diesen neuartigen Mobilfunktelefonen sein, von denen Tim Preston und Vivian ihr erzählt hatten. Damit konnten die, die sich sowas leisten konnten, unabhängig von langen Drähten von eigentlich jedem Punkt der Welt aus mit anderen Menschen sprechen und sogar kurze Schriftnachrichten austauschen. Ihre Tante June hatte sogar schon erwähnt, daß es kleinere Elektrorechner gab, die über diese Geräte irgendwann mal jenes ominöse Informationsnetzwerk ausnutzen konnten, über das sie in den letzten fünf Jahren mehrere Veröffentlichungen geschrieben hatte, immer mit der mahnenden Anmerkung, daß dieses Netz eines Tages die Geheimhaltung der Zaubererwelt gefährden konnte, wenn man nicht früh genug lernte, verdächtige Nachrichten darin umzuleiten oder unschädlich zu verfremden, weil eine einzige Mitteilung innerhalb von Sekunden an Millionen Empfänger geraten konnte. Aurora wartete, bis der Fremde sein Fernsprechgerät wieder fortgesteckt hatte. Sie wollte mit ihm reden, ohne es wie eine billige Annäherung rüberkommen zu lassen. Andererseits, so erkannte sie, wäre sie auch nicht so ganz abgeneigt, mit diesem Gentleman näherzukommen. Aber was dachte sie denn da? Seit sich Bernard Hawkins von ihr getrennt hatte war ihr der Sinn nach männlicher Begleitung erst einmal abhandengekommen. Vielleicht lag es daran, daß sie an ihre Cousine Adda dachte, die ein Kind hatte und sie, Aurora, vorerst nicht in diesen Vorzug kommen mochte. Doch deshalb mußte sie nicht gleich mit dem erstbesten Muggelmann intim werden, nur weil der vielleicht aus ihrem Geburtsland kam. Aber im Moment wollte sie wissen, wie lange der schon in Australien war, daß er gerade so noch als Engländer zu erkennen war. So wartete sie, bis er an die Theke ging, wo Jack bereits an einem großen Faß hantierte. Im Geist zählte Aurora zwanzig Sekunden herunter. Dann stand sie langsam auf und ging ganz ruhig an die Theke.

"Verzeihung, Sir, da mein charmanter junger Gesprächspartner mir ja ein Wasser ausgegeben hat kann ich mir wohl noch ein Getränk erlauben. Ich hätte gerne von dieser braunen Limonade da, die die anderen so gerne tranken."

"Sie meinen Cola?" Fragte der Wirt ungläubig, weil er diese Umschreibung wohl noch nicht kannte. "Kein Thema, Miss. Aber ich warne Sie, das Zeug ist wie'n lieber Junge. Ziemlich süß, aber wenn man nicht aufpaßt macht's dick." Aurora mußte einen Moment überlegen und dann lachen. Dann sagte sie ruhig:

"Ich halte mich immer gut in Form, Sir. Eine Dosis davon wird mich nicht umbringen oder anschwellen lassen."

"Jack, du bist und bleibst ein Bauernlümmel", knurrte der dunkelhaarige Gast an der Theke. Dann fiel dem wohl auf, daß die schlanke schwarzhaarige Frau mit den graugrünen Augen britisches Englisch sprach. Er sah sie prüfend an.

"Vergiß nicht, wo dein Guinness herkommt, Herr Ingenieur", knurrte der Wirt, grinste dabei aber feist. Dann bediente er die Zapfvorrichtung, aus der das braune Erfrischungsmittel heraussprudelte und ließ ein kleines Glas davon vollaufen, daß sich eine dünne Schaumkrone darauf bildete.

"Nichts für ungut, Miss, ich will Sie nicht dumm anquatschen. Aber vom Akzent her kommen Sie wohl aus der Gegend von Devonshire, England, richtig?" Fragte der dunkelhaarige, braungebrannte Gast. Aurora lächelte und nickte.

"Ich höre, sie kommen ursprünglich auch von der guten alten Insel", erwiderte sie. "Stimmt, ich stamme aus der Gegend von Devon", bestätigte Aurora Dawn. "Aber ich wohne und arbeite schon seit neun Jahren hier in Australien.

"Echt, schon so lange. Da haben Sie sich aber gut gehalten, wenn sie dann immer noch gut britisch klingen", sagte der Gast. "Ich habe meinen Oxfordklang schnell abgelegt, weil ich mir von den Leuten hier nicht immer vorhalten lassen wollte, als steifär..., ähm, knochentrockener Engländer herumzulaufen. Offenbar habe ich meine Sprachanpassung zu gut betrieben. 'tschuldigung, habe mich nicht korrekt vorgestellt: Ich heiße Wiliam Huxley. Sie dürfen aber ruhig Bill zu mir sagen, kommt lockerer rüber."

"Angenehm, Dawn, Aurora Dawn", stellte sich Aurora vor. Bill Huxley stutzte, zwinkerte und grinste dann. Dann wollte er wissen, ob er ihren Namen korrekt verstanden hatte. Sie grinste zurück und bestätigte, daß sie wirklich Aurora Dawn heiße. Daraufhin lachte er kurz auf, während Jack, der Wirt, das Cola-Glas vor ihr und das große mit Henkel verzierte Guinness-Glas vor ihm hinstellte. "Ey, Jack, hast du mitgekriegt, wie die heißt. Ist ja witzig."

"Aurora klingt irgendwie altbacken", knurrte der Wirt. "Kenne ich eher von den Spaniern und Italienern, die den aber dann so betonen, als wenn ihnen gerade wer in den Arm kneift."

"Aurora ist die altrömische Göttin der Morgenröte gewesen, du Kulturbanause. Überleg mal, Morgenrot Morgenrot. Kommt irgendwie genial."

"Kulturbanause? Kannst ja nicht mal einen Furz aus einem Didgeridoo rauslassen und nennst mich'n Kulturbanausen, Billy Boy", grummelte der Wirt.

"meine Mutter hatte die Idee, weil ich genau mit dem Sonnenaufgang geboren wurde", erwiderte Aurora unverfänglich. Bill nickte anerkennend und wandte sich dann wieder an Jack.

"Will ja nicht abstreiten, daß die Eingeborenen alte Traditionen haben. Aber deshalb muß ich deren komplizierte Blasinstrumente nicht selbst spielen können."

"Abgesehen davon habe ich gelernt, daß ein Banause jemand ist, der am Heizofen steht, was die alten Eierköpfe in Griechenland dann auf alle Malocher übertragen haben, die ihre Hände schmutzig machen müssen, um ihr täglich Bier und Brot zu kriegen. Insofern kann ich mit dem Banausen als solchen gut leben, Herr Eierkopf", erwiderte Jack.

"Das kommt davon, wenn man im Suff sein ganzes Leben ausplaudert", grummelte Bill Huxley, mußte dabei aber grinsen, meinte es also nicht so bierernst. Dann wandte er sich wieder an Aurora und fragte sie, ob sie zu Besuch in Sydney sei. Aurora folgerte daraus, daß der Landsmann von ihr wohl häufiger in dieser Gegend war und sie noch nie gesehen hatte. So sagte sie schnell: "Ich bin vor einigen Monaten in diese Gegend gezogen, weil ich hier eine Praxis aufmachen konnte."

"Anwältin oder Ärztin?" Wollte Bill nun ganz frei von jeder Hemmung wissen.

"Keine konventionelle Ärztin, Sir. Naturheilpraktikerin", erwiderte Aurora. Denn das stand in den Muggelweltpapieren, die ihr erlaubten, auch magielose Patienten zu behandeln, solange sie dafür magielose Kräutermischungen und Therapien verwendete. Das sie schon seit mehr als vier Jahren in Sydney praktizierte wollte sie Bill nicht auf die Nase binden. Denn dann könnte sie ihm ja gleich erzählen, wie genau sie praktizierte und wo sie das alles gelernt hatte.

"Also so eine, die nur mit Tee und Kräuterpackungen oder Handauflegen behandelt", vermutete Bill. "Ist mir zwar nicht so ganz geheuer. Aber ich möchte Ihnen Ihren Beruf nicht schlechtreden. Die Pharmafabriken werfen ja doch mit zu viel schädlicher Chemie um sich." Hier stimmte Aurora voll und ganz zu und bekräftigte, daß sie deshalb von genug Leuten besucht wurde, die diesen Medikamenten nicht trauten und lieber zusehen und wissen wollten, was in ihre Medikamente hineingerührt wurde und warum es nötig war.

"meine Oma ist auch so'ne Kräuterhexe", meinte Jack dazu. "Die traut auch keinem Weißkittel. Die meinte, dieser ganze Krempel mit den nummerierten Pillen sei Quatsch, wenn außer den Quacksalbern keiner weiß, was da wirklich drin ist. Und selbst die wüßten das längst nicht immer, sagt meine Oma."

"Jack, Danke für das Guinness", meinte Bill und ergriff seinen gläsernen Bierkrug. Dann deutete er auf den Tisch, an dem Aurora noch eben gesessen hatte. "Saßen Sie da nicht eben noch?" Fragte er. Sie nickte. Dann fragte er höflich, ob sie was dagegen hätte, wenn er ihr Gesellschaft leiste, weil er sich freue, mal wieder wen aus der alten Heimat zu sehen. Sie tat nachdenklich, damit er nicht meinte, es bei ihr mit einer leicht zu beeindruckenden Frau zu tun zu haben und nickte dann. "Nachdem mein französischer Konversationspartner mit seiner Gefährtin anderswo hingegangen ist und es noch früh am Abend ist warum nicht", sagte Aurora dann. Sie ergriff ihr Cola-Glas und ging mit Bill hinüber an den Tisch. Jack, der natürlich erkannte, daß man nicht wollte, daß er sich in die Unterhaltung mit einklinkte nutzte den Freiraum, um einer Rotte ländlich wirkender Burschen einen strengen Blick zuzuwerfen, weil diese einer jungen Japanerin anzüglich nachstarrten.

"Jack ist ein echter Pub-Wirt", entschuldigte Bill den Wirt bei Aurora. "Der meint, mit allen und jeden gleich auf Du und du sein zu müssen. Und da das hier eine Studentenkneipe ist fährt er damit bei den meisten auch gut, außer bei den Schnöseln, die meinen, ihre Eltern hätten schon das Diplom gekauft, daß sie beim Abschluß ihres Studiums in die Hand gedrückt bekommen. Ich halte mich seit meinem eigenen Studium von diesen verzogenen Burschen fern."

"Sie leben schon länger in Australien?" stellte Aurora endlich die Frage, auf die sie die ganze Zeit eine Antwort suchte.

"Gerade mal zehn Jahre. Bin sofort von der Insel weg, als ich meinen Doktor der Ingenieurwissenschaften in der Tasche hatte. War froh, den in Rekordzeit machen zu können. Das ganze Umfeld war mir zu steif und spießig."

"Ingenieurwissenschaften, also was mit Maschinen oder so?" Fragte Aurora.

"Richtig, junge Lady. Genauer gesagt Starkstromgeneratoren, wie sie in Kraftwerken vorkommen. Da habe ich dann die Gunst der Stunde genutzt, als die hier im Land unten drunter wen gesucht haben, der ein paar neue Kraftwerke zusammenbaut und anfährt. Ist ja immer noch viel unbesiedeltes Land hier."

"Kraftwerke, achso, wo Elektrostrom gemacht wird", erwiderte Aurora und erkannte an Bills verdutztem Gesicht, daß sie wohl etwas einfältig gewirkt haben mochte. Er grinste und antwortete, daß er die großen Turbinen aufbaute, die die Spulen drehten, in denen der Strom entstand. Aurora fragte, weil sie von diesen Stromfabriken ja schon gehört und gelesen hatte, ob er hier Atomkraftwerke bauen wollte.

"Neh, sowas nicht, obwohl die das Uran ja gleich vor der Haustür hätten. Aber sowas baue ich nicht. Ich kenne einige Kumpels vom Studium, die kein Problem damit haben, diese Strahlenschleudern zu bauen und zu warten. Aber ich will mit dieser Umweltsauerei nix am Hut haben, seitdem bei den Russen so ein Kraftwerk in die Luft geflogen ist. Ich helfe beim Bau von Wasserkraftwerken, also die vom fließenden Wasser angetrieben werden."

"Achso, wie Wassermühlen", erwiderte Aurora. Bill nickte, wobei ihm anzusehen war, daß er sich gerade nicht so recht klar war, wie er die junge Schwarzhaarige ihm gegenüber einschätzen sollte. Tat die nur so ungebildet?

"Jedenfalls will ich hier kein Atomkraftwerk hinsetzen oder an einem rumbasteln, das schon steht. Selbst wenn mir die Betreiber von sowas eine Milliarde Pfund vor die Nase halten würden."

"Ich hörte von diesem Unfall. Aber das war doch in der Ukraine oder?" Fragte Aurora. Jetzt staunte Bill Huxley, weil sie offenbar genauer wußte, wo das passiert war. Er nickte und meinte: "Für meine Eltern und für mich ist das wohl noch Rußland, weil es zum Sowjetimperium gehört hat, das von Moskau aus regiert wurde." Aurora überlegte schnell und erinnerte sich an das, was sie über die politischen Machtzentren der Muggelwelt gelernt hatte. Sie nickte. Eine Hexe wie Tonya Rattler oder Perdita Shadelake hätte spätestens hier zugeben müssen, keine Ahnung von gar nichts zu haben, weil sie sich nicht für Muggelsachen interessierten. Aurora erwähnte das, was sie über Atomkraft und ihre bedenklichen Auswirkungen gelernt hatte und verblüffte Bill Huxley damit, der erst gedacht hatte, sie sei technisch wohl komplett unausgegoren. So sagte er: "Eben weil wir in England und auch sonst wo in Europa keinen rechten Plan haben, wohin mit dem unverwertbaren Rest aus den Kraftwerken sollten wir zusehen, von denen runterzukommen, also was finden oder erfinden, um sie irgendwann in zwanzig oder dreißig Jahren nicht mehr nötig zu haben. Mit meinen Wasserkraftwerken bin ich da schon gut aufgestellt, weil das über Jahrhunderte lang funktioniert und auch schon so alt ist, auch wenn sie damals noch keinen gleichmäßigen Strom erzeugen konnten. Andererseits beschweren sich selbsternannte Umweltschützer auch über die Wasserkraftwerke, weil zu deren sicherem Betrieb Stauseen angelegt werden müssen. Die wollen keine künstlichen Seen und überflutete Landschaften haben. Tja, aber wenn sie keine Kernkraftwerke wollen und das mit den Solaranlagen wohl noch zu wenig bringt, um allen Leuten genug Strom zu liefern, müssen wir wohl mit Wind- und Wasserkraftwerken in der Landschaft leben, werte Öko-Fans."

"haben Sie bei der Errichtung von Stauseen keine Schwierigkeiten mit den Ureinwohnern? Ich meine, sie bauen ja auf Land, daß von denen früher mal bevölkert war und zum Teil zu deren Heiligtümern gehört."

"Ja, ich hatte schon mal einen von denen bei mir im Büro, der sich als Interessenvertreter eines Stammes, dessen Namen ich nicht aussprechen kann, ausgegeben hat. Er meinte, daß wir den Fluß nicht dazu zwingen dürfen, sich in einem See zu sammeln, weil in dem Fluß die nährenden Wassergeister wohnen, die dann wütend würden, wenn man denen das Fließwasser abklemmt oder in einem See zusammenstaut. Ich habe dem geantwortet, daß sein Volk gerne weiter an Lagerfeuern und in Höhlen wohnen kann. Aber es gäbe auch Menschen, die Wert auf eine gewisse Lebensqualität legten, und die bräuchten elektrischen Strom dazu. Da meinte der doch glatt, daß dies ein Frevel an der Macht der Geister sei, ein hilfloser Versuch, fehlende Magie durch Strom zu ersetzen." Er lachte, nippte an seinem Guinness, während Aurora ihrem süßen Sprudelgetränk zusprach. "O Mann, Kultur in allen Ehren. Aber welcher gebildete Mensch glaubt heute noch an Zauberei?"

"Sagen wir mal so", setzte Aurora Dawn ganz ruhig an. "Es gibt noch genug, was die sogenannte Naturwissenschaft nicht erklären kann. Und für die Ureinwohner gehört ihr Glaube an die Magie und an ihre Vorfahren zum gesellschaftlichen Fundament. Ich würde mich ja auch nicht über jemanden auslassen, der für alles, was er oder sie tut die Sterne befragt, selbst wenn ich nicht an Astrologie glaube."

"Mir haben sie in Eton einzutrichtern versucht, unbedingt an diesen einen Gott und seinen Sohn, den Herrn und Heiland zu glauben. Gut, beruhigt schon für eine Zeit, sich vorzustellen, daß wir nicht alleine sind und jemand auf uns aufpaßt. Aber das ist irgendwie wie ein Rückfall in Kleinkindverhalten, finde ich", sagte Bill. Da Aurora keine Anstalten machte, ihm durch erzürnten Blick oder eine angriffslustige Körperhaltung zu widersprechen legte er noch nach: "Oder glauben Sie an die Erschaffung der Welt in sechs Tagen und daß wir Menschen aus einem Klumpen Lehm gemacht worden sind?"

"Sagen wir es so. Meine Eltern haben Wert darauf gelegt, daß ich die Natur und die Schöpfung respektiere. Das hat mir auch bei der Ausbildung geholfen. Auch weiß ich, daß es sehr viele Dinge gibt, auf die die gängigen Wissenschaften bisher keine oder unzureichende Antworten gefunden haben. Aber an den Text aus diesem Buch, Bibel heißt es wohl, glaube ich nicht. Sicher ist es für die gesamte Menschheit besser, in Frieden zu leben. Aber ich habe auch gelernt, daß es gerade die christliche Kirche im ausgehenden Mittelalter war, die viele interessante Denk- und Wissensansetze bekämpft und viele unschuldige Menschen dafür umgebracht hat. Einer derartigen Barbarei kann ich nicht zustimmen, auch, wenn sie nur Angst hatten, weil sie dachten, daß Hexen oder Zauberer mit ihrer Macht die Menschen versklaven wollten." Bill überlegte, ob Aurora jetzt andeuten wollte, daß es echte Hexen und Zauberer gab oder ob sie nur die Glaubens- und Politikgrundsätze der vor allem römisch-katholischen Kirche wiedergab. So meinte er: "Steht ja schon in der Bibel drin, daß man Zauberer meiden soll", sagte er. "Aber wie erwähnt ist das für mich unglaubwürdiges Zeug. Ja, es stimmt, daß es Sachen gibt, die heute noch nicht geklärt sind. Aber wenn ich mir ansehe, was im zwanzigsten Jahrhundert allein entdeckt und erfunden wurde ... Jeder aus dem Mittelalter in unsere Zeit hineingeratende muß doch glauben, in einem magischen Königreich gelandet zu sein mit den Autos, Flugzeugen, Fernsehern und allein schon Glühlampen. Und die Cola, die Sie da trinken würde so ein armer Wicht glatt als Hexengebräu ansehen, weil es kein Bier ist, braun ist aber sprudelt und süßer schmeckt als Honig, was die als einziges Süßmittel kannten."

"Hexengebräu. Dann müßte ich das ja glatt mal untersuchen, woraus es besteht", erwiderte Aurora Dawn grinsend, wobei sie ernsthaft darüber nachdachte, ob es nicht sinnvoll sei, die Muggelspeisen und Getränke alchemistisch zu analysieren, um mögliche Schadwirkungen oder Nutzanwendungen zu ermitteln.

"Nichts für ungut, Ms. Dawn. Aber kennen Sie echt keine Cola?" Fragte Bill Huxley.

"Ich komme aus einem Haushalt, wo es das nicht gab und wurde in einem sehr abgelegenen Internat ausgebildet, das auf althergebrachte Speisen und Getränke wie Fruchtsaft wertlegte", antwortete Aurora Dawn schlagfertig. Denn diese Antwort hatte Tim Preston ihr empfohlen, wenn sie mit manchen Sachen aus der nichtmagischen Welt noch nichts zu tun hatte und deshalb auffiel.

"Klar, mir haben sie als Kind auch gesagt, keine Cola zu trinken, weil zu süß, und angeblich würde es das Fleisch im Magen zersetzen und so. Aber als Eton-Bursche habe ich vieles was meine Eltern mir einzubläuen versucht haben vergessen. Dafür habe ich manchen Krempel von Eton nicht mehr aus dem Kopf gekriegt, als ich nach Oxford ging, um da Physik und Maschinenbau zu studieren. Aber was den Säuregehalt angeht hat ein Kumpel von mir, ein doktorierter Chemiker, mal auf den Säuregrad getestet. Der hat dabei einen PH-Wert von 2,4 ermittelt, wegen der Phosphorsäure in dem Zeug. Aber im Magen soll der Salzsäureanteil noch heftiger sein." Aurora hütete sich, einzuwerfen, daß sie von diesem Meßverfahren keine Ahnung hatte. Denn wenn sie als Botanikerin und Heilerin auftrat mußte sie wohl einiges von natürlichen Säuren und Laugen wissen. Das stimmte ja auch. Aber wie die Muggel Säuregrade maßen hatte sie nicht gelernt. Der Entschluß, diverse Lebensmittel der Muggel in ihrem Labor zu zerlegen und auf die Zusammensetzung zu prüfen stand nun felsenfest. Sie meinte dann, daß ihr Getränk nicht wie Säure brennen würde, weil sie wohl sonst keinen Schluck davon überlebt hätte. Dann sprach sie mit Bill über ihre Arbeit, soweit es die nichtmagische Abteilung betraf und sie keine Patientennamen nannte. Sie erwähnte, daß sie hauptsächlich Heilkräuter studiert habe, aber in ihrer Arbeit auch als Hebamme tätig sei, da es doch viele werdende Mütter gebe, die ihre Kinder in den eigenen vier Wänden ans Licht der Welt bringen wollten. Bill fragte sie, ob sie auch Sachen kenne, die unvorsichtigen Frauen halfen, ungewollte Kinder wieder loszuwerden. Aurora hatte mit dieser Frage gerechnet und antwortete ruhig:

"Es hat sich mittlerweile herumgesprochen, daß meine Ausbilder und ich den Grundsatz verfolgen, menschliches Leben zu schützen, auch wenn es gerade erst im Mutterleib entstanden ist. Deshalb darf und will ich keine Mittel anbieten, um unerwünschte Kinder weit vor der Geburt zu töten. Ich habe es einer Mutter einer Minderjährigen mal so beschrieben, daß wer einen Kirschkern in ein Stück fruchtbare Erde setzt, damit einen ganzen Kirschbaum pflanzt, weil in dem Kern ja schon alle Anlagen für den großen Baum enthalten sind. Abgesehen davon habe ich auch viele Mütter getroffen, die am Ende froh waren, wenn sie ihr Kind, daß sie erst nicht wollten, sicher auf der Welt hatten. Ich weiß, daß die auf Maschinen und Chemiesachen aufbauende Welt vieles unangenehme gleich zu den Krankheiten einteilt. Aber Kinder sind keine Krankheiten, selbst wenn ich wohl noch einige Jahre warten möchte, bevor ich eigene Kinder haben möchte."

"Ja, aber Ihrer gerade geäußerten Meinung nach müßten sie ein Kind, das sie von wem auch immer im Bauch haben kriegen und großfüttern, oder?"

"Großfüttern nur dann, wenn ich es nach der Geburt auch aufziehen möchte. Aber solange es in mir wächst bin ich für es verantwortlich. Ich würde ein solches Kind dann tatsächlich zur Welt bringen", erwiderte Aurora. Mehr zu verraten würde mein Privatleben berühren, und so gut kennen wir beide uns nicht, daß ich jetzt schon mehr darüber ausplaudern möchte", fügte sie noch hinzu. Bill hatte die Wörter "jetzt schon" genau gehört. Für ihn bedeuteten sie eine mögliche Fortsetzung dieser interessanten Unterhaltung, die nun wieder von den gewollten oder ungewollten Kindern weg zu seiner Arbeit ging, wobei er die Namen der ihn beauftragenden Firmen genausowenig preisgab wie Aurora die Namen ihrer Patienten oder die genauen Verläufe von Krankheiten oder Behandlungen. Sie erwähnte jedoch, daß sie für viele körperliche Leiden entsprechende Kräutermischungen zusammenstellen konnte und auch Ernährungsratschläge gab. Bill deutete erneut auf ihr Glas und fragte dann, ob sie deshalb zwischendurch auch mal sündigte, um zu erkennen, wo sie mit ihrer Beratung ansetzen konnte.

"Paracelsus sagt, die Dosis macht das Gift", erwiderte Aurora darauf. Daß Paracelsus auch bei den Muggeln als Heilkundiger Berühmt war hatte sie in den Stunden zur Geschichte der magischen Heilkunst gelernt. Bill Huxley kannte den Gelehrten wohl auch und nickte. Dann sprachen sie über die alte Heimat und ihre Erfahrungen auf dem fünften Kontinent. So verflog der Abend. Als Aurora auf ihre Uhr sah erschrak sie fast. War es echt schon Mitternacht? Deshalb bat sie höflich um Entschuldigung, weil sie morgen wohl wieder einiges zu erledigen habe und deshalb nach Hause fahren müsse. Bill, der bereits vier Guinness im Körper hatte bedauerte, sie nicht fahren zu können. Aber die Polizei sei sehr wild hinter betrunkenen Autofahrern her, und er als Zugereister würde denen gerade rechtkommen. So war es für Aurora kein Problem, sich ein Taxi zu bestellen und in die Nähe ihres Hauses zu fahren, daß ja nicht in einer abgeschirmten Magiersiedlung oder der Sonnenstrahlstraße lag. Bill hatte sie gefragt, ob sie sich mal wieder treffen könnten. Sie war dem nicht abgeneigt, wenngleich sie zwischen den Zeilen anklingen ließ, daß sie nicht gerne dabei saß, wenn jemand viel Alkohol trank, weil sie in ihrer Ausbildung gelernt habe, wie tückisch dieses Gährungsgift sei. Sie wolle ihn jedoch nicht maßregeln, sofern er nicht ausdrücklich als Patient oder an einer beratung interessierter Kunde zu ihr käme. Er hatte darauf schon leicht neben der flüssigen Tonlage liegend geantwortet, daß sie ihm ja ihre Visitenkarte dalassen könne, falls ihm die Kurpfuscher auf die Nerven gingen. Dabei hatte sie erkannt, daß sie ein solches Andenken nicht bei sich trug. Abgesehen davon besaß sie kein fest angeschlossenes Telefon.

Das Gespräch mit Bill hatte ihr aber einige Ideen eingegeben, so zum Beispiel, sich ab und an eine Zeitung aus der Muggelwelt zu kaufen, um mitreden zu können und vielleicht eines jener Satellitentelefone anzuschaffen, von denen Bill ihr erzählt hatte, die über künstliche, im Weltraum kreisende Übermittlungsvorrichtungen Sprechkontakt ermöglichten, ohne auf ein festes Telefonnetz oder einen Verbund von auf der Erde stehenden Mobilfunkrelais zugreifen zu müssen. Da sie obendrein auch in der Muggelwelt gemeldet war, konnte sie sogar ein Kabeltelefon beantragen. Das würde ihr auch bei den Terminabsprachen mit den magielosen Frauen helfen, die sie als Hebamme engagierten. Als sie ihrem Tagebuch Wendy die Erlebnisse des Tages und des Abends so gebündelt sie konnte mitgeteilt hatte schloß sie mit den Worten:

"Ich hatte den Eindruck, daß Bill Huxley sich dafür interessiert, mich näher kennenzulernen. Und ich muß wohl zugeben, daß ich mich auch wieder gerne mit ihm treffen möchte. Mal sehen, wo das am Ende hinführt!"

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Zunächst hatte Aurora einiges um die Ohren, was ihre Zeit recht gut ausfüllte. Denn Herbstzeit in Australien hieß auch Grippezeit. Sie pendelte zwischen Zaubertrankbraulabor und Hausbesuchen, weil einige ihrer Patienten gleich mit starken Fieberschüben auf die unsichtbaren Krankmacher reagierten und sich keine Apparition zu ihr hin trauen konnten. Außerdem beriet sie in den Osterferien junge Mädchen im Redrock-Alter, die die ersten körperlichen Auswirkungen ihrer Weiblichkeit erfuhren und gab diesen vorsorglich Dosen des blauen Verhütungselixiers mit. Der Fall Bromelia Pinewood war immer noch in den Köpfen der jungen Hexen. Doch einige hatten sich davon nicht abhalten lassen, bei ihren Kontakten zu interessierten Jungen nicht vor der Tür halt zu machen, nur weil dahinter vielleicht ein ungewolltes Kind wartete. Insofern war Vorsorge besser als ständige Belehrung und Ermahnung, und sie war Redrock gegenüber ja nicht verpflichtet, die jungen Mädchen zu einem enthaltsamen Leben anzuhalten. Daß die Schulregeln von Beauxbatons da strenger waren als die von Redrock oder Hogwarts wußte sie von Camille.

Einmal besuchte Mrs. Garfield sie, die Mutter von Jake und Jimmy. Sie hatte wohl doch irgendwie mitbekommen, daß ihr Zweitgeborener häufiger mit dem Hund in ihrer Gegend unterwegs war und unterhielt sich, sofern Aurora Zeit hatte, über Jimmy. "Mein Mann hält die Gerüchte für wahr, Sie würden mit Hexensalben und Zaubertränken behandeln. Seine Eltern glauben noch an echtes Teufelswerk. Ich persönlich halte es eher für Aberglauben. Ich möchte Sie nur bitten, wenn Jimmy sich mal wieder in Ihre Nähe verirrt, daß Sie ihm keine Sachen einzureden versuchen, die ihm Ärger machen können, wenn er sich danach richtet oder sie weitererzählt. Für den ist die Vorstellung von Zauberern und Hexen ein schöner Ausgleich vom geregelten Schultrott."

"Mir liegt nichts daran, Kinder anderer Leute zu irgendwas zu verleiten. Das verbietet mein Berufsethos, Mrs. Garfield. Ich habe ihm auch keinen Anlaß dazu gegeben, mich für eine Zauberformeln murmelnde Hexe auf einem Besenstiel zu halten", erwiderte Aurora. "Aber Sie wissen ja vielleicht aus der Geschichte, daß gerade wir Kräuterkundigen früher von den Kirchen als mit diesem gehörnten Dämon Teufel verbunden angesehen wurden. Das paßte denen ja auch gut ins Konzept, um althergebrachtes, erprobtes Heilwissen zu verdammen und den Leuten einzureden, daß nur ihr Herrgott über Heil und Tod befinden dürfe und jedes andere Mittel eben von diesem Fürsten aus der Hölle stammen müsse, das wirke und das dafür das Blut von Jungfrauen oder kleiner Kinder geopfert worden sei oder sowas. Ich mische nur heilsame Sachen, betreibe also in der Hinsicht das, was unter dem Begriff weiße Magie bezeichnet würde, halte es aber eben für eine einstudierbare und ohne weiteres reproduzierbare Kunst, die von Menschen an Menschen weitergegeben werden kann, wenn nicht irgendwelche Glaubenshüter finden, dadurch um ihre Vorrangstellung gebracht zu werden", erwiderte Aurora ruhig.

"Ich möchte Sie auch nur bitten, Jake und meinem Mann gegenüber nicht zu erwähnen, daß Jimmy häufiger hier herumläuft. Daß ich das weiß liegt nur daran, daß Terry beim Gassigehen immer wieder freudig auf ihr Haus zuläuft, als wenn er hier öfter wäre."

"Hmm, ich tu aber nichts und werde es auch nicht tun, was Ihren Hund dazu veranlaßt, bei mir was zu Fressen zu erhoffen, Mrs. Garfield", wandte Aurora sogleich ein. "Im Gegenteil, ich habe Jimmy geraten, aufzupassen, daß Terry nichts von Fremden erbettelt oder gar annimmt, weil ich weiß, daß es nicht nur nette Menschen auf der Welt gibt und Terry ja zu Ihrer Familie gehört wie Ihre beiden Söhne."

"Das wäre auch wirklich unverschämt, uns den Hund abspenstig zu machen", knurrte Mrs. Garfield. Dann befand sie, daß sie besser wieder nach Hause gehen solle, weil Jake bald vom Rugby wiederkäme. Aurora verabschiedete sich höflich von ihr und geleitete sie zur Tür. Als Mrs. Garfield die Haustür öffnete, knallte es laut, und wie aus dem Nichts stand ein korpulenter Mann im graugrünen Umhang mit einem breitkrempigen braunen Spitzhut da, den schlanken Eukalyptuszauberstab in der rechten Hand. Mrs. Garfield erstarrte wie versteinert und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf den so plötzlich erschienenen Fremden. Aurora reagierte blitzschnell und zückte ihren eigenen Zauberstab. "Obleviate", stieß sie aus, noch ehe Mrs. Garfield sich aus ihrer Schreckensstarre lösen konnte. Unvermittelt bekam die Muggelfrau einen weltentrückten Gesichtsausdruck. Aurora verharrte einige Sekunden in konzentrierter Starre. Dann senkte sie den Zauberstab wieder. "Alfred, Sie gehen schon mal ins Sprechzimmer vor!" Zischte sie dem Zauberer im graugrünen Umhang zu. Dieser grinste über sein Mondgesicht, weil die vor ihm stehende Fremde gerade wie im Traum dastand. Doch Auroras Blick verhieß Ungemach, und so wälzte er sich an ihr vorbei ins Haus. Genau in dem Moment erwachte Mrs. Garfield aus der Benommenheit des Gedächtniszaubers, mit dem Aurora sie belegt hatte.

"Der nächste Patient hat sich gerade angekündigt", sagte Aurora. "Sie wissen ja, daß Vertraulichkeit zwischen mir und den Patienten oberstes Gebot hat." Mrs. Garfield nickte und winkte zum Abschied. Dann ging sie davon.

"Ich fürchte, ich muß den Apparitionsbegrenzungsbereich auf hundert Meter ausweiten", knurrte Aurora, als sie sich im Sprechzimmer einfand. Alfred grinste feist. "Ich wüßte nicht, was es da so Lausbubenhaft zu grinsen gibt, Mr. Blueberry", schnarrte sie den fülligen Zauberer an. "Sie wissen genau wie alle anderen, daß ich auch Muggel behandele, wenn auch mit nichtmagischen Methoden. Wenn die Dame jetzt schwanger gewesen wäre hätten Sie trollstarken Ärger bekommen."

"Ich kapiere nicht, daß Sie denen überhaupt helfen. Die haben doch ihre Knochensäger und Giftanrührer und haben piepsende Geräte gebaut, mit denen die Leute abhorchen oder behandeln können", brummelte Alfred Blueberry. "Abgesehen davon müßten wir alle ja dann mehr als hundert Meter laufen, um bei Ihnen anzukommen. Und Sie hätten die Frau ruhig ein paar Sekunden länger im Haus halten können. Dann hätte die nix von meiner Apparition mitgekriegt."

"Ich weiß doch nicht, daß Sie mal eben vor meiner Haustür apparieren wollen, Alfred", erwiderte Aurora schnippisch. Dann sagte sie: "Abgesehen davon darf ich Muggel behandeln, solange ich reine Kräutermischungen und Verhaltensberatungen verwende. Immerhin gibt es viele, die ihren Ärzten nicht recht über den Weg trauen und bei leichteren Sachen lieber auf Naturmittel zurückgreifen oder nicht in so einem unpersönlichen Umfeld ihre Kinder gebären möchten, wie es die Krankenhäuser der Muggel notgedrungen bieten. So und jetzt zu dem, warum Sie nur die zwanzig Meter zu meiner Haustür hinlaufen wollten und nicht weiter davon fort apparieren konnten", kam Aurora letztendlich auf das, warum Alfred Blueberry sie aufsuchte. Da er keinen der bekannten Abspecktränke vertrug, wegen seines Übergewichtes jedoch unter ständigen Kreislaufproblemen und Erschöpfungserscheinungen litt, hatte sie mit ihm eine Alternativtherapie mit Herzkraftstärkenden Tränken und Gymnastikübungen ausgearbeitet. Alle zwei Monate kam Blueberry bei ihr vorbei um sich gründlich untersuchen zu lassen. Als das erledigt war und sie befand, daß der Patient im Vergleich zur letzten Begutachtung Fortschritte gemacht habe, gab sie ihm eine weitere Menge des Herzkraftverstärkungstrankes, schrieb ihm eine genaue Anweisung auf, wie er diesen dosieren sollte, um nur so viel davon zu nehmen, wie er unbedingt brauchte und schickte ihn mit schönen Grüßen an seine Ehefrau und seine Schwiegereltern nach Hause. Außerhalb der Apparitionsbegrenzung von Auroras Niederlassung verschwand Alfred Blueberry genauso, wie er vorhin aufgetaucht war.

Außer Alfred Blueberry hatte sie an diesem Tag keine weiteren Patienten.

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Aurora hatte sich in Sydney eine Telefonzelle gesucht, weil sie wußte, daß dort Bücher auslagen, in denen jene Zahlenfolgen verzeichnet waren, die Roy, Tim und Vivian Telefonnummern nannten. Tatsächlich fand sie einen Eintrag unter dem Namen Huxley, William und rief ihn an. Es war schon einige Zeit her, daß sie ein Telefon benutzt hatte. Deshalb hatte sie nicht mehr im Kopf, daß sie in das Sprechrund des bananenförmigen Hörers ganz normal hineinsprechen konnte, um verstanden zu werden. Bill Huxley, dessen Stimme sie sofort als richtig erkannte erschrak wohl, als sie sich meldete. Dann meinte er: "Ähm, von wo rufen Sie denn an, Ms. Dawn?" Aurora beschrieb es ihm. "Nichts für ungut. Aber soweit ich weiß übertragen die Münzfernsprecher ziemlich gut. Sie müssen nicht laut rufen, damit ich Sie verstehen kann." Aurora schluckte eine Entgegnung hinunter, daß ihr keiner das gesagt hatte. Denn sie erinnerte sich, daß Vivian ihr das ja auch schon demonstriert hatte und sie bei Vivians Eltern auch unangenehm aufgefallen war, weil sie sie am Telefon so laut angesprochen hatte. So senkte sie ihre Sprechlautstärke und entschuldigte sich, weil sie vor kurzem mit ihren alten Schulfreunden in England gesprochen habe und die so leise waren, daß sie meinte, man müsse extralaut sprechen.

"Manchmal hängen die Satellitenverbindungen ziemlich durch", erhielt sie zur Antwort. "Da braucht man schon digitale Geräte, die besser übertragen können. Aber Sie wollten bestimmt nicht mit mir über Telefonverbindungen sprechen, oder?" Aurora blickte auf das Zählfenster, in dem ihr Restgeldbetrag angezeigt wurde und nickte. Sie hatte am nächsten Abend Zeit und wollte fragen, ob Sie sich mit Bill wieder treffen könne, falls er daran interessiert sei, ihre Unterhaltung aus dem Leonardo da Vinci fortzusetzen. Er hatte. Doch diesmal schlug er vor, daß sie sich in einem Steakhaus trafen, in das er häufiger ging, wenn er einfach nur für sich sein und was richtig gutes essen wolle. Sie ging auf seinen Vorschlag ein und ließ sich die Adresse geben. Sie würde mit einem der weißen Taxis dort hinfahren. Bill bot an, sie von ihrem Haus abzuholen. Doch sie lehnte es höflich ab, da sie ihm noch nicht sagen wollte, wo sie wohnte. Sie schützte vor, daß sie bis zum Abend noch Sprechstunde habe und ihr die Vertraulichkeit ihrer Patienten wichtig sei. Sollte sich aus dem Treffen mit ihm mehr ergeben als nur eine Gelegenheit zum Plaudern würde sie ihm ihre Visitenkarte geben, die sie ihren Muggelstämmigen Patienten überließ, die ihren Freunden oder Angehörigen empfehlen wollten, sie aufzusuchen.

Aurora wählte für den Abend mit Bill Huxley ein jadegrünes Kleid, daß ihr Camille Dusoleil zu Weihnachten zugeschickt hatte. Sie ging davon aus, daß das Speiselokal einen etwas höheren Anspruch an die Bekleidung seiner Gäste stellte.

Als sie den Fahrer des weißen Taxis in Erstaunen versetzte, weil sie ihm ein Trinkgeld zahlte, das fast die Hälfte des geforderten Fahrpreises erreichte, stellte sie fest daß das erwähnte Lokal im Stil einer Blockhütte erbaut war, eben nur um einiges größer als einfache Siedlerhäuser. Sie erkannte fünfzig Meter von der ländlich anmutenden Tür entfernt einen Abstellplatz für Autos und sah, daß die dort hingestellten Fahrzeuge allesamt ziemlich groß und geräumig waren. Da die Muggel ja keinen Rauminhaltsvergrößerungszauber benutzen konnten mußten sie eben größere Wagen haben, wenn sie viel mitnehmen wollten. Allerdings sa sie auch zweirädrige Gefährte, die wie angedeutete, gesattelte Pferde aus rotem, grünen, weißen oder blauen Metall aussahen. Motorräder hießen die, wußte sie aus Muggelkunde. Ob Bill Huxley auch auf so einem Knatterding angeritten war wußte sie nicht. Sie wollte auch nicht zu lange auf die hier wartenden Selbstfahrwagen glotzen wie ein kleines Kind. Allerdings fiel ihr das Gefährt auf, das wie eine kleine Version eines Busses aussah, höher und gedrungener und nicht so gestreckt wirkend wie die anderen Wagen. Dann entschloß sie sich, das Lokal zu betreten. TONY UND ANNIES ECHT BRITISCHES STEAKHAUS stand in handgroßen Buchstaben auf dem von innen beleuchtetem Schild über der mit eingeschnitzten Baum-, Kuh- und Hirschgeweihmotiven verzierten Eichentür mit wuchtiger Bronzeklinke. Aurora sog prüfend die Umgebungsluft in ihre Nasenflügel ein und nickte. Es roch nach gut gebratenem Fleisch und nicht nach überaltetem Bratfett, wie es die Schnellimbisverkaufsbuden umwehte, die sie einmal getestet hatte und danach froh war, sich eine kleine Dosis Magentrosttrank genehmigen zu können, um das, was sie da gegessen hatte ohne unangenehme Begleiterscheinungen zu verdauen.

Das Innere des Steakhauses war wie das äußere im Stil der Pioniere des 19. Jahrhunderts eingerichtet. Außer dezenten, elektrischen Deckenleuchten spendeten Kerzen auf den Tischen genug angenehmes Licht. Es war leise. Nur aus einer Aurora nicht erkennbaren Quelle rieselte leise Musik, die das gedämpfte Raunen der sich unterhaltenden Gäste und das Klappern von Besteck auf Tellern unterlegte. Ein Mann mit blütenweißer Jacke kam eilfertig auf sie zu und begrüßte sie diensteifrig. Sie stellte sich vor und erwähnte, hier mit einem Mr. Huxley verabredet zu sein. "O ja, Ms. Dawn. Mr. Huxley ist bereits eingetroffen und hat Sie angekündigt. Bitte folgen Sie mir!" Erwiderte der Bedienstete und führte Aurora an einen Tisch in einer gemütlichen Nische unter einem der Fenster, wo Bill Huxley gerade vor einem großen Glas Mineralwasser saß. Als er sie sah strahlte er und erhob sich. Er trug heute einen schnieken dunklen Anzug mit Fliege und hatte einen Hut auf die Fensterbank gelegt. Er schüttelte Aurora die Hand und nickte dem Mann in weißer Jacke zu. "John, kommen Sie bitte in zehn Minuten bei uns vorbei. Die Lady war ja noch nie hier und wird wohl gerne die Speisekarte ausgiebig studieren wollen."

"Natürlich, Mr. Huxley. Ich werde zur gewünschten Zeit nach Ihrer Auswahl fragen", erwiderte der Bedienstete und zog sich ohne weiteres Wort zurück. Aurora übernahm die hier gedämpfte Lautstärke, als sie Bill begrüßte und auf seinen Wink hin ihm gegenüber Platz auf einem der hochlehnigen Stühle nahm. Sie tauschten Belanglosigkeiten über das Wetter, das Gewühl in der Stadt und die Jahreszeit aus. Dann ergriff Aurora die in Leder gebundene Speisekarte, die mit bebilderten Beschreibungen der hier erhältlichen Gerichte angefüllt war. Sie konnte verschiedene Suppen, sowie aus allen Formen von gebratenem Rindfleisch, Wild und Geflügel und Beilagen wie in Folien gewickelte Kartoffeln, selbstgemachte Pommes Frites und Kartoffelecken wählen und sich an einer einladenden Theke eine eigene Salatmischung zusammenstellen, die im Preis für das Hauptgericht enthalten war. Da Bill heute mit seinem Kleinbus da war, wie er ihr erzählte, würde er es nur bei einem schwach alkoholischen Getränk zum Hauptgang belassen. Sie wunderte sich nur, daß die Gerichte keine Preisangaben hatten. Bill erwähnte, daß dies hier so üblich sei, daß die weiblichen Gäste von ihren männlichen Begleitern eingeladen würden und sich daher keine Gedanken um die Preise machen sollten. Aurora überlegte, ob sie das wirklich haben wollte, daß sie ohne Wissen über ihre Zeche essen und trinken dürfe und vor allem, ob sie sich von Bill Huxley einladen lassen sollte. Dann befand sie, daß sie um der guten Stimmung Willen auf dieses Spiel eingehen sollte, sofern sie Bill klarmachen könne, daß er keine bestimmten Hoffnungen hegen solle, nur weil er sie einladen durfte.

Während des Essens sprachen sie über die für Außenstehende erlaubten Sachen aus ihren Berufen und über die nicht zu internen Geschichten aus der Verwandtschaft, bei denen Aurora jedoch darauf achten mußte, keine merkwürdigen Andeutungen über die Berufe ihrer Eltern zu machen. Immerhin konnte sie ruhig erzählen, daß ihr Vater sich mit der Vogelkunde befaßte, während ihre Mutter früher mal als Rechenlehrerin gearbeitet habe und jetzt als Teilzeitkraft in einer Behörde in London arbeitete, über deren Funktion sie aber nichts erzählen dürfe. Bill fragte, ob Auroras Mutter beim Geheimdienst arbeite, woobei er grinste, als meine er es nicht so ernst. Sie grinste zurück und erwiderte, daß die Behörde schon mit vertraulichen Dingen zu tun habe und ihre Mutter sie gebeten habe, nichts näheres darüber zu verraten. Bill meinte dazu nur, daß er einen Schulkameraden hatte, der als Junge wohl gerne Geheimagent hatte werden wollen. Ob er das geschafft habe wisse er natürlich nicht, weil das dann ja ganz geheim sei. Aurora fragte dann, was so ein Geheimdienst denn mache. Das erstaunte Bill. Er erwähnte dann, daß solche geheimen Organisationen gegen Spione und unerlaubten Handel mit Waffen kämpften oder die einheimischen Firmen vor Werksspionage schützen würden. Aber mehr wisse auch er nicht darüber. Er erwähnte nur noch, daß es viele Filme über solche Agenten gebe und er lieber was tue, wo er sich am nächsten Morgen noch beim Rasieren im Spiegel ansehen könne. Aurora faßte es so auf, daß er damit meinte, daß solche Geheimdienste auch Sachen machten, die das eigene Gewissen belasten mochten, vielleicht sogar die gezielte Ermordung von angeblich gefährlichen Leuten. Doch sie war nicht hier, um über anrüchige Regierungsorganisationen zu plaudern, sondern um einen schönen wie interessanten Abend zu verbringen und bei der Gelegenheit noch Sachen aus der Muggelwelt zu lernen und Bill in die Vorzüge der maschinenlosen Heilkunde einzuführen, falls er sich dafür interessierte. Wie damals im Leonardo da Vinci fühlten beide eine gewisse Sympathie füreinander, gingen aber nicht gleich davon aus, es als innige Zuneigung zu verstehen. Freunde könnten sie werden. Ob es dann zu mehr führte wollten beide nicht übereilen. Zumindest beschlossen sie beide, sich beim nächsten Mal in einem Tanzsalon zu treffen, weil Aurora erwähnte, daß sie wenn es ginge gerne tanze und auch jene Tänze erlernt habe, die als für die feinere Gesellschaft ausgewiesen waren. Bill dachte zwischenzeitlich daran, daß Aurora vielleicht zu versteckt und behütet aufgezogen worden sein mochte, weil sie manche für ihn alltäglichen Sachen entweder gar nicht kannte oder zu wenig darüber wußte. Sie erstaunte immer wieder, wenn er ihr erzählte, was die modernen Computer so konnten und wie flexibel die Leute durch die modernen Kommunikationsmittel seien. Daß sie Fernsehfilme oder -serien nicht kannte, die bei den meisten Frauen ihres Alters so beliebt waren erstaunte ihn merklich. Andererseits hatte er den Eindruck, daß sie über die zwischenmenschlichen Vorgänge und Naturheilmittel mehr wußte als die ganzen Mediziner, die er während seines Studiums getroffen hatte. Einen winzigen Moment benannte er sie im Geiste als weltfremde Fachidiotin. Doch dann erkannte er, daß er da eine höchstinteressante Bekanntschaft gemacht hatte, von der er wohl noch sehr viel erstaunliches lernen konnte. außerdem lagen ihre Wissenslücken auf Gebieten, die absolut unnötiges Zeug betrafen. Was die Nachrichten anging hielt sie sich wohl durch die Zeitungen auf dem Laufenden. Sie erwähnte, daß sie mit nur dem nötigsten in ihrem Haus ausgestattet sei und dem Fernsehen nichts abgewann, was ihr fehlendes Wissen über Serien wie "Dallas" oder "Nachbarn" eindeutig erklärte. Allerdings wollte sie nicht so recht damit heraus, wo genau sie ihre Ausbildung gehabt hatte, während er kein Problem damit hatte, sein Studium in Oxford zu erwähnen, wo einer seiner Schulfreunde seinen Doktor in Chemie gemacht und damit eine supergute Karriere angefangen hatte. "Der hält mir vor, ich würde wohl als ewiger Junggeselle enden, weil der mittlerweile einen Sohn hat, der in diesem Jahr nach Eton geht, wo er und ich ja auch waren. Ob ich dem Jungen das wünschen soll weiß ich nicht. Alles war da auch nicht so doll. Aber zumindest hat es mir wichtige Türen aufgemacht. Das sollte ich schon anerkennen", sagte Bill, während Aurora ihre Schulzeit als sehr abwechslungsreich beschrieb und erwähnte, in einem Internat für Jungen und Mädchen gelernt zu haben, das aber nur Kinder aus Familien aufnahm, die so waren wie die ihrer Eltern. Das dies nur zum Teil stimmte wollte und durfte sie hier nicht erwähnen. Sie gab einen Namen an, den Bill natürlich noch nie gehört hatte. Daß sie im Gegenzug von der strengen und traditionsbewußten Schule Eton gehört hatte konnte sie aber erwähnen. Immerhin sollten da einige ihrer muggelstämmigen Schulkameraden eigentlich hingehen, wenn bei denen keine Zauberkräfte festgestellt worden wären. So verging der Abend, während dem sie ein Drei-Gänge-Essen genossen und von John, dem verschwiegenen und diensteifrigen Kellner, mit Getränken versorgt wurden. Bei einem Glas Wein, daß Bill sich nach dem üppigen Steakessen genehmigte, vereinbarten beide, sich beim Vornamen zu nennen.

Nach dem Essen bat Bill leise um die Rechnung, die ihm auf einem kleinen Silbertablett in einem Lederetui präsentiert wurde. Aurora unterdrückte den Wunsch, ihn zu fragen, wie viel sie ihm heute gekostet habe. Vielleicht ergab sich eine Möglichkeit, sich einmal zu revanchieren, wenn aus der gerade begonnenen Bekanntschaft eine Freundschaft oder vielleicht sogar eine feste Beziehung werden mochte. Immerhin konnte sie kochen und würde Bill dann eindeutig aus ihrer Küche fernhalten, bis sie alles fertig hatte. Doch das mochte noch in weiter Ferne liegen. Da sie mittlerweile gelernt hatte, daß man kein Geld hergeben mußte, um etwas zu bezahlen erstaunte sie es nicht, daß Bill eine kleine Karte aus Plastik aus seiner Brieftasche holte und John anwies: "Buchen Sie's bitte ab, wie üblich, John!" Der Kellner nickte und ging mit der Karte davon. Eine Minute später kehrte er damit wider zurück und gab sie Bill, der in der Zeit die Rechnung sicher fortgesteckt hatte. Dann geleitete John die beiden Gäste zur Tür und wünschte ihnen noch einen guten Abend.

"Darf ich Sie nach Hause fahren, Aurora? Dann brauchen Sie nicht noch einmal so viel Geld für ein Taxi auszugeben", bot Bill Huxley seiner Begleitung an. Diese überlegte. Was sollte es? Im Zweifel konnte er ruhig wissen, wo sie wohnte, wenn sie es hinbekam, daß er nicht mit ihr ins Haus wollte. So ließ sie sich von Bill mit dessem puderblauen Kleinbus namens Ford Transit zu ihrem Wohn- und Arbeitsplatz fahren. Dabei kam heraus, daß Bill in derselben Wohnsiedlung wohnte, allerdings einige Meilen entfernt. Er zeigte sich erstaunt, bisher nie was von ihr mitbekommen zu haben. Sie entgegnete ihm, daß sie wegen ihrer Arbeit auch nur selten vor acht Uhr abends das Haus verlassen könne. Zu ihrem Erstaunen machte Bill keine Anstalten, sie zu überreden, mit ihr ins Haus kommen zu dürfen. So verabredeten sie sich für das nächste Wochenende zum Tanzen.

Als Bill Aurora zusah, wie sie in diesem gemütlichen Haus verschwand, das von einem sorgfältig gepflegten Garten umgeben war, in dem zwei große Gewächshäuser standen, dachte er daran, daß er diese Frau gerne ins Haus begleitet hätte um zu sehen, ob sie auch lebte, wie sie sich ihm gegenüber gezeigt hatte. Doch seine strenge Erziehung verbot es ihm, eine Frau zu fragen, ob er sie begleiten durfte. Und sie hatte ihn nicht zum Kaffee eingeladen. Er fragte sich, ob er nein gesagt hätte, wenn sie ihm angeboten hätte, mit ihm die nacht mit allem was möglich war zu verbringen. Da erkannte er, daß das im Moment die gerade interessant werdende Bekanntschaft ganz schnell kaputtgemacht hätte. Sie hatten es bisher beide vermieden, über ihre eigenen Beziehungen zu sprechen, sich zu fragen, ob sie gerade vergeben oder gar verheiratet seien. Er dachte an seinen Schulkameraden Ryan Sterling, der bereits in Eton manchem Rock nachgestellt hatte, bis er Claudia kennengelernt hatte und jetzt auf braven, gutbürgerlichen Ehemann machte. Er dachte an seinen Freund Richard, der von den drei verschworenen Knaben am stärksten auf althergebrachte Anstandsregeln gepolt war. Der hatte diese manchmal kühl wirkende Computerfee geheiratet und mit der einen Sohn. Bill fragte sich, wie die den hinbekommen hatten, wo er so prüde und sie so ungemein gefühlsarm waren. Er stellte jedoch fest, daß Eton und Oxford ihre Spuren in seinen Charakter eingeschliffen hatten. Denn sonst hätte er sich nicht gescheut, für das opulente Abendessen von Aurora andere fleischliche Genüsse zu erbitten. Aber eben dieser Gedanke störte ihn merkwürdigerweise. Aurora Dawn war kein gewöhnliches Mädchen. Wenn er jetzt auf mehr als einen gemütlichen Plauderabend bestanden hätte, hätte er sich mehr kaputtgemacht als sonst was. Außerdem hatte er nicht vergessen, was sie ihm über ihre Ansichten über ungewollte Schwangerschaften erzählt hatte. Die würde sich hundertmal überlegen, mit wem sie ins Bett steigen würde und wenn überhaupt dann nur, wenn sie entweder komplett verhütete oder es darauf anlegte, von dem, mit dem sie schlief ein Kind zu bekommen. Nein, Sex war im Moment nicht das, was er mit Aurora haben wollte. Zumindest nicht heute. So startete Bill seinen Transit und fuhr die wenigen Meilen zu seinem eigenen Haus, während Aurora zusah, schnell genug ins Bett zu finden, um für den nächsten Arbeitstag ausgeruht genug zu sein.

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Der Tanzabend am nächsten Wochenende verlief für beide sehr angenehm. Bill war froh, mit einer geübten Partnerin zusammenzusein und sich in diesem noblen Tanzlokal nicht zu blamieren, wo auch Leute aus den oberen Gesellschaftsschichten verkehrten, bei denen er hoffte, vielleicht den einen oder anderen Draht zu weiteren Energieunternehmen zu bekommen. Doch an die Arbeit dachten weder er noch Aurora, die zwar jenes bunte Armband trug, das Bill als merkwürdiges Schmuckstück ansah, über dessen Funktion aber absolut nichts wußte. So dachte er sich auch nichts, als Aurora mitten in einem wilden Tango zusammenschrak und nach einer hastigen Entschuldigung in Richtung Toilettentrakt davoneilte. Bill grinste lausbübisch. Womöglich hatte Aurora sich mit ihrem Monatszyklus verrechnet und war nun kalt davon erwischt worden. Zumindest hatte ihm der Frauenheld Ryan mal sowas erzählt, daß eine seiner Bekanntschaften vor Claudia mitten im Plaudern wegmußte und er später erfahren hatte, daß sie sich um einen Tag verrechnet hatte. Er konnte nicht wissen, daß Aurora mitten im schönsten Tangotanz einen magischen Notruf empfangen hatte. Ihre Heilertasche hatte sie nicht mitgenommen. Doch sie hatte sie mit einem Apportationserleichterungszauber belegt, um sie an jedem Punkt des Landes zu sich hinbefördern zu können.

Als Aurora sicher war, daß sie keiner beobachten konnte, disapparierte sie so leise sie konnte aus einer Kabine der Damentoilette und landete dort, wo sie nach den Vibrationen ihres Armbandes gebraucht wurde. Ein Zauberer hatte den magischen Notruf gewirkt, weil sein Kamerad von einer giftigen Schlange gebissen worden war. Aurora apportierte ihre Heilertasche und verabreichte dem bereits von Krämpfen geschüttelten Patienten das Breitbandgegengift. Dann untersuchte sie die von dem Notrufer mit Schockzauber belegte Schlange und meinte: "Da habt ihr zwei aber noch mal Glück gehabt, daß ich immer genug AD 999 in der Tasche habe. Wer kam denn auf die glorreiche Idee, einen Küstentaipan nach Sydney zu holen?"

"Wir wollten das Gift für den Austrocknungsschutztrank haben. Konnte nicht wissen, daß dieses Biest nach dem Auspacken so schnell wieder munter ist", sagte der, der den Notruf gewirkt hatte. Dann sah er, daß Aurora im Ballkleid erschinen war und meinte: "Öhm, ich wollte Sie nicht von Ihrem freien Abend wegholen, Ms. Dawn."

"Jungs, es ist mein Beruf, zu helfen", sagte Aurora, die zwar etwas verärgert war, wegen solchen Leichtsinns von der Tanzfläche gerufen worden zu werden. Aber sie hatte geschworen, jedem magischen Menschen zu helfen, der ihre Hilfe benötigte. Dann sagte sie: "Die Schlange kommt zu den Kollegen von der Sana-Novodies-Klinik. Die können immer frische Giftlieferanten gebrauchen." Wie auf Stichwort erschien ein Kollege in der blauen Tracht der Sana-Novodies-Klinik und entschuldigte sich, daß er nicht gleich hatte erscheinen können. "Wir hatten gerade volles Haus. Irgendwo müssen wieder mehrere Bundabundos gewütet haben."

"Die Sache ist bereits erledigt", sagte Aurora ihrem Kollegen und fügte hinzu: "Biß eines Küstentaipans, zum Glück nicht mit voller Giftdosis. Das Tier darfst du den Schlangenmelkern mitbringen." Sie gab dem Heiler die geschockte Giftschlange, die er mit einem sichtlichen Unbehagen entgegennahm. Dann meinte er: "Oha, den Patienten hätten wir dann wohl mitnehmen müssen, weil ich im Moment kein AD 999 mithabe."

"Na, da werde ich wohl eure Chefin anschreiben, daß das zur Ausrüstung jedes Außeneinsatzheilers gehören sollte", erwiderte Aurora. Ihr Kollege erwiderte darauf, daß die es ihm und den anderen immer wieder predigte, es dabeizuhaben, es aber so schwierig nachzubrauen sei und daher nicht jeder mithatte. Das rang Aurora nur ein verächtliches Kopfschütteln ab. Sie verabschiedete sich von ihrem Patienten, froh, nichts schlimmeres behandeln zu müssen. Dann schickte sie ihre Heilertasche wieder in ihr Haus zurück. Danach apparierte sie so leise sie konnte in der noch verschlossenen Kabine der Damentoilette des Tanzlokals. Als sie um der Täuschung wegen die Spülung betätigt und die Tür geöffnet hatte, stand eine Muggelfrau mitte vierzig davor und tippelte von einem Fuß auf den anderen. "Wurde auch Zeit", knurrte sie. Aurora verließ die Kabine. Offenbar hatten viele andere Damen, die dem edlen Wein und anderen Getränken zugesprochen hatten beinahe kollektiv das Badezimmer aufgesucht. So hatte sie ungewollt aber nicht zu vermeiden eine Kabine blockiert, die sie nur als heimlichen Abreise- und Rückkehrpunkt benutzt hatte.

"Geht es Ihnen gut, Aurora, oder möchten Sie nach Hause?" Fragte Bill, als Aurora mit einer aufgesetzten Verlegenheitsmiene zu ihm zurückkehrte. Sie schüttelte den Kopf und erwähnte, daß es ihr gutgehe und sie den Abend ruhig fortsetzen konnten. Sie hoffte nur, daß nicht noch wer mit giftigen Tieren spielen wollte. Sie würde wohl morgen noch den Bericht für die Heilerzunft und Direktorin Herbregis zusammenschreiben müssen, was sie etwas ärgerte, weil das nämlich hieß, daß sie nicht zu lange ausbleiben durfte. Dennoch verlief der Abend für sie und Bill so schön wie ein Tanzabend sich gerade erst etwas mehr als zwölf Stunden kennenden möglich war. Bill brachte sie dann mit einem Taxi nach Hause, weil er dem guten Wein mehr zugesprochen hatte, als die Polizei erlaubte. Unter dem Einfluß des Alkohols fielen beinahe alle Hemmungen von ihm ab, und er fragte Aurora, als sie vor dem Gartentürchen standen, daß auf ihr Grundstück führte, was sie sagen würde, wenn er sie fragte, ob er nicht die restliche Nacht bei ihr bleiben dürfe. Sie antwortete darauf ganz schlagfertig:

"Nun, als ausgebildete Heilerin würde ich dich ganz sorgfältig in mein Gästebett legen und warm zudecken, damit du deinen Schwips rasch und ohne große Folgen auskurieren kannst. Eine andere Therapie wäre im Moment nicht angeraten." Bill erkannte, daß er doch ein wenig mehr als nötig gewagt hatte und entschuldigte sich vielmals, falls sie den Eindruck bekommen habe, er sei ein Schürzenjäger.

"Da ich nur in der Küche eine Schürze trage muß dir das nicht leid tun", erwiderte sie lächelnd. Dann wünschte sie ihm einen unbeschwerten Heimweg. Als er wieder im Taxi saß, daß auf Bitten Bills noch eine Minute gewartet hatte fragte sich Aurora, ob es wirklich so schlimm gewesen wäre, Bill mit ins Haus zu nehmen und den Abend dort ganz intim ausklingen zu lassen. Doch dann fiel ihr wieder ein, daß sie als Heilerin einem überstrengen Verhaltenskodex unterworfen war. Sollte das rumgehen, daß sie mit einem Mann, einem Muggel, die Nacht verbrachte, würden Gerüchte ins Kraut schießen und sie als leichtfertige Lebedame ausgeben. Wenn sie mit Bill oder einem anderen Mann intime Dinge tun wollte, dann nur, wenn sie sich sicher war, daß sie mit diesem Mann auch ihr gewohntes beruflich geordnetes Leben fortsetzen würde, wie es Heilerinnen wie ihre Mentorin Bethesda Herbregis oder Laura Morehead taten. Abgesehen davon mußten sie beide dann wohl alles voneinander wissen, damit die Heilerzunft der Verbindung auch zustimmte. Bisher hatte Bill ihr gegenüber immer durchblicken lassen, daß er an nichts glaubte, was nicht mit den Mitteln der Naturwissenschaften und der Mathematik hervorzubringen oder zu erklären war. Ihm zu eröffnen, nun schon drei Abende mit einer Hexe verbracht zu haben mochte ihm einen großen Schock versetzen. Falls sie es darauf anlegen wollte dann nur, wenn sie sicher war, daß sie mit Bill eine Zukunft hatte. Aber allein schon die Möglichkeit anzudenken, daß sie mit ihm eine Zukunft haben mochte war vielversprechend. Ihr kam der verwegene Gedanke, sich mit ihm auf neutralem Boden zu treffen, nicht bei ihm und nicht bei ihr, wo sie keiner kannte und dann, ganz unbehelligt von ihrer beiden Nachbarschaften, auszuprobieren, ob sie auch beim waagerechten Tanz so gut zusammenpaßten wie heute abend beim aufrechten Tanz auf dem Parkett. Doch falls sie dieses verwegene Vorhaben wirklich einmal umsetzen wollte, müßte sie sehr gut auf ihre Verhütung achten. Doch zunächst würde sie ihren Beruf ausüben, wie es von ihr erwartet würde. Aber wie das mit dem Muggel namens Bill weiterging war schon eine sehr interessante Sache, fand Aurora Dawn.

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Aurora erhielt die Einladung, das Baby von Heather Springs Cousine Edwina anzusehen. Allerdings mußte sie hierfür eine Verabredung mit Bill Huxley um ein Wochenende nach hinten verschieben. Um schnell mit der Muggelwelt in Verbindung zu bleiben, hatte sie sich mit viel Muggelgeld eines dieser Satellitentelefone und einen Vermittlungsvertrag besorgt, um unabhängig von erdgebundenen Sendern oder Festnetz telefonieren zu können. Das würde sie Bill demnächst vorführen. Außerdem hatte sie sich auch ein Festnetztelefon angeschafft, nachdem sie erfahren hatte, daß man dazu keinen eigenen elektrischen Strom im Haus haben mußte. Mit einverständnis der Heilerzunft und des Zaubereiministeriums hatte sie die Telefonmonteure das Gerät in ihrem Sprechzimmer anschließen lassen, wobei sie tunlichst darauf geachtet hatte, daß die Muggel nichts von ihrem Hexenhaushalt mitbekommen konnten.

Die Feier bei Heathers Cousine Edwina und ihrem Mann Jamy verlief fröhlich. Mr. Westwood fragte sie einmal, ob die Gerüchte stimmten, daß Heilerinnen die ungeborenen Kinder anderer Mütter übernehmen und zu ende tragen konnten. Aurora erwiderte darauf:

"Ich bin Heilerin, Sir. Ich hätte Ihre Tochter nur in meinen Leib aufgenommen und geboren, wenn Ihre Frau ernste Probleme gehabt hätte, sie unkompliziert auszutragen. Vielleicht werde ich irgendwann selbst ein Kind haben. Dann werde ich dieses erhabene Gefühl selbst erleben, daß ich bisher nur bei Patientinnen erahnen kann, die von mir betreut werden."

"Auf jeden Fall hat meine Edwina gut für die Kleine mitgegessen", sagte Mr. Westwood und bezog sich dabei auf das proppere Aussehen der Neugeborenen. Edwina glubschte ihren Mann dafür nur verdrossen an.

Am folgenden Wochenende traf sie Bill wieder und fuhr mit ihm zum Strand. Aurora hatte vorsorglich eine kleine Flasche mit der blauen Kontrazeptionslösung mitgenommen, die schädliche Keime und eine ungewollte Empfängnis aus ihr herausspülen konnten. Doch weil Aurora es nicht darauf anlegte und Bill offenbar von seiner Erziehung her zur Zurückhaltung neigte, war eine innige Umarmung das höchste, was sie sich nach dem langen Strandspaziergang leisteten, bevor sie in einem gemütlichen Fischrestaurant den Abend ausklingen ließen.

Als sie jedoch Mitte Mai einen Ausflug ins Buschland machten, weil Bill nach der vielen Arbeit in der Stadt und an den großen Turbinen endlich die freie, wilde Natur Australiens wiedererleben wollte, fühlte Aurora, daß sie Bill immer mehr begehrte. Er erkannte wohl, daß sie beide kurz davorstanden, die Schwelle zwischen guter Freundschaft und leidenschaftlicher Verbundenheit zu überschreiten. Aurora dachte an Bernard Hawkins, mit dem sie in Hogwarts zusammen war. Der hätte bestimmt so schnell wie möglich alles ausprobiert. Doch Bill blieb ruhig, ein wahrer Gentleman. Als es dann zwischen ihm und ihr zu einem langen, leidenschaftlichen Kuß kam meinte sie, gleich verraten zu müssen, daß er nicht ihr erster Partner sein würde. Doch dann zog er sich zurück, was ihr ein wenig mißfiel. Denn hier im Buschland hätte niemand sie ertappen können, der für ihre Arbeit wichtig war. Er sagte leise:

"Ich merke es, daß wir es hier und jetzt locker tun könnten, Aurora. Ich weiß aber nicht, ob das nicht alles kaputtmachen würde. Außerdem kriege ich diese alten Moralpredigten nicht aus meiner Birne raus, daß ich erst heiraten soll, damit die, mit der ich zusammen bin sich nicht dafür schämen muß. Ich weiß, klingt ziemlich spießig, und womöglich verderbe ich das gerade zwischen uns, weil ich so verklemmt bin. Aber ich habe echt Angst, daß es danach mit uns vorbei ist, wenn wir es tun."

"Ich fühle es, daß ich dich haben will, Bill. Ich hätte es auch nicht verhindert, wenn wir zwei es hier und jetzt darauf angelegt hätten. Ich halte es aber nicht für verkehrt, sich erst über die gemeinsame Zukunft klarzuwerden, um nicht wegen ein bißchen Vergnügen eine gute Freundschaft kaputtzumachen. Deshalb halte ich das nicht für überholt, wenn du sagst, daß du wegen eingeschliffener Verhaltensregeln keine rechte Lust hast. Ich bin ja, wie du weißt auch ziemlich zurückhaltend und behütet aufgezogen worden. Dazu kommt auch noch mein Beruf und daß ich nicht nur für andere verantwortlich bin, sondern zusehen muß, keinen schlechten Ruf abzubekommen. Sicher hätte uns hier keiner so leicht erwischt. Aber für uns zwei wäre es danach nicht mehr so wie bisher. Ich kann zwar genug Sachen machen, damit wir zwei nicht für ein Kind mitplanen müssen. Doch ich bin froh, wenn wir zwei erst einmal klarbekommen, was das zwischen uns beiden wird, bevor wir nur unseren Körpern nachgeben."

"Du hältst mich also nicht für einen Schlappschwanz oder sowas?" Fragte Bill.

"Ich halte dich für einen Mann, der bereit ist, die Folgen dessen zu tragen, was er tut und sich lieber vorher überlegt, welche Folgen es sind und klar entscheidet, ob er sie tragen möchte oder nicht."

"Von wegen Tragen wärest du dann aber ehr gefragt", erwiderte Bill mit einem Versuch, die etwas merkwürdige Atmosphäre aufzulockern. Aurora verzog kurz das Gesicht. Dann sagte sie:

"Glaub es mir, Bill, daß wenn ich was von dir tragen würde du alles davon mitbekommen würdest, was ein Mann davon mitbekommen kann, allein schon, weil ich möchte, daß du auch die nötige Beziehung zu dem bekommst und es nicht als ungewolltes Schicksal oder unangenehmen Ausgang einer nicht so ernsten Angelegenheit abtun kannst. Ich weiß mittlerweile, daß es genug Männer gibt, die wegen Fortschritten in der Verhütung meinen, es gleich am Anfang einer Beziehung mit ihren Freundinnen tun zu müssen. Doch ich möchte dich erst richtig kennenlernen und dir alles wichtige von mir beibringen, wenn wir beide wissen, ob wir eine gemeinsame Zukunft haben. Am besten geben wir uns noch ein halbes Jahr oder mehr, genug Zeit, um zu lernen, ob wir unsere Eigenständigkeit füreinander zurückstellen möchten oder nicht. Ich habe mich daran gewöhnt, alleine zurechtzukommen. Du lebst auch alleine. Das müßten wir beide aufgeben, wenn wir mehr voneinander wollen. Denn sollte ich trotz allem, was ich vorbeugend machen kann, von dir ein Baby empfangen, würde ich es unbedingt haben wollen und dich auf jeden Fall an seiner Erziehung beteiligen. Das ist viel Verantwortung, die jeder von uns beiden schultern müßte. Bleiben wir deshalb erst einmal gute bis sehr gute Freunde und geben uns die Zeit, die wir brauchen!" Bill nickte behutsam. Er wußte jetzt nicht, ob er da wirklich richtig reagiert hatte. Aurora hingegen hatte ihre kurze Begierde nach geschlechtlichem Zusammensein verdrängt. Auch wenn sie es endlich erleben wollte, sollte es nicht zum Preis einer zerstörten Freundschaft oder einer möglichen Ächtung ihrer Vorgesetzten passieren. Auch wenn sie ihre verstorbene Großmutter Regan darum beneidete, mehrere Kinder und Enkelkinder gehabt zu haben wollte sie das, was sie bisher erreicht hatte nicht wegen einiger Minuten Ungehemmtheit aufs Spiel setzen. Falls sie und Bill mehr als gute Freunde blieben und ein gemeinsames Leben anstrebten, würde sie ihn früh genug mit sich vereinigen und seine und ihre Leidenschaft ausleben.

Als das geklärt war war zwar die herrliche Spannung zwischen ihnen weg. Doch sie fühlten sich beide erleichtert, sich nicht auf ein Spiel mit ungewissem Fortgang eingelassen zu haben. Das war für beide doch schon befreiend.

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Manchmal, wenn Aurora Dawn in den nächsten Wochen an Bill dachte, der zwischendurch im ganzen Land herumreiste, um Aufträge auszuführen, fragte sie sich doch, ob ihr Treffen im Mai nicht doch hätte anders verlaufen sollen. Doch dann erkannte sie immer wieder, daß sie kein kleines Mädchen mehr war, daß einfach nur tun konnte, wonach ihm gerade der Sinn stand. Sie war froh, daß Bill kein Mann war, der sie dazu drängte, sich mit ihm auf verwegene Abenteuer einzulassen. Wenn sie sich trafen beließen sie es bei Umarmungen und Küssen. Sie erzählten sich behutsam näheres aus ihrem Leben, wobei Aurora immer noch auf der Hut war, ihre wahre Natur auszuplaudern. Bill schien das zu spüren, daß da noch etwas war, etwas ganz wesentliches, was seine Freundin vor ihm verbarg. Doch auf der anderen Seite erregte es sein Interesse, es ohne forsch zu fragen herauszufinden. Außer Auroras Tagebuch Wendy erfuhr niemand in der Zaubererwelt von ihrer Bekanntschaft. Ihr Bild-Ich hatte Anweisung, keinem der anderen Portraits was zu erzählen, solange Aurora nicht absolut sicher war, daß sie mit Bill zusammenbleiben würde. Des weiteren hielt ihre Arbeit sie auf Trab. Da ihre Kollegin Diana Silverlake in den großen Schulferien mit ihrer Familie eine Reise in die Staaten zu dort angesiedelten Verwandten machen wollte, hatte Aurora die Vertretung für sie, zumindest bis zum dreiundzwanzigsten Juli. Als sie am fünfzehnten Juli einen Brief von Camille Dusoleil erhielt freute sie sich zwar, von der französischen Kräuterhexe zu lesen. Doch sie war betrübt, ihre Einladung nicht annehmen zu können, an Claires elftem Geburtstag in Millemerveilles zu sein. Sicher war das ein wichtiger Geburtstag. Denn Claire würde in diesem Jahr nach Beauxbatons gehen, wo ihre Schwester Jeanne schon vier Jahre gelernt hatte und in kommenden Schuljahr ihre ZAGs machen würde. Doch wenn sie eine Vertretung machte, dann sorgfältig. Abgesehen davon konnte sie ja schlecht um Urlaub bitten, um einer Hexe, mit der sie nicht verwandt war, zu einem neuen Lebensabschnitt zu gratulieren. So beließ sie es bei einem Brief für Camille und einen Brief für Claire, den diese aber erst an ihrem Geburtstag öffnen sollte. Um Claire für ihren Schulwechsel was wichtiges mitzugeben schickte sie mit dem Brief eine von ihr signierte Ausgabe des kleinen Hexengartens und eine Halbliterflasche mit dem Breitbandgegengift und einen Ratgeber für Hexenmädchen zwischen Kind und Frau, den Amalthea Honeydew verfaßt hatte und von dem sie eine Französische Ausgabe von der Verfasserin selbst beziehen konnte. Als sie das so gut verschnürte Paket losgeschickt hatte dachte sie daran, das sie wohl für den nächsten Juli ein paar freie Tage herausarbeiten sollte, um mal wieder zu den Dusoleils zu reisen. Vielleicht konnte sie der Familienhexe Camille dann auch mitteilen, ob sich bei ihr in Sachen Familienplanung auch was tat oder nicht. Denn Camille bedauerte es heimlich, daß Aurora nicht so frei umherstreifen konnte, um einen Mann für's Leben zu finden.

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18. Juli 1993

Hallo Wendy!

heute war ein anstrengender Tag, weil Mrs. Fairfax, die Dianas Patientin ist, trotz meiner ausdrücklichen Anweisung, mit ihren ungeborenen Zwillingen keine wilden Besenflüge zu machen, fast bei einem Freizeitspiel zwei gegen zwei ihre Babys verloren hätte. Ich hätte eines davon fast in mir einlagern müssen, auch wenn ich den Zauber gerade mal in der Theorie erlernt habe, um nicht beide sterben zu lassen. Doch es ging gerade so noch gut. Die beiden sollen erst im September geboren werden. Ich habe ihrem Mann und ihr eine heftige Standpauke gehalten, den Quidditchbesen bis zum Ende der Stillzeit bei Gringotts im Verlies zu verstauen, um jede Versuchung auszuschließen. Da wollte die mir doch glatt eine Beschwerde aufhalsen, ich würde zu sehr in ihr Privatleben reinquatschen. Na ja, ich wünsche der viel Spaß mit Laura Morehead und Amalthea Honeydew.

Ich hätte meinem Bild-Ich fast gesagt, es möge Petula von Bill erzählen. Doch dann hat es mir erzählt, daß Petula gerade mit ihrem Freund Kelvin Fleet schlußgemacht hat. Der wollte offenbar nur eine Bettgeschichte mit ihr erleben, und sie hat ihm den Gefallen getan. Wie hätte ich Petula da erzählen können, daß ich einen Freund habe, der zum einen Muggel ist und zum anderen kapiert, daß wir es erstmal angezogen miteinander aushalten lernen sollen. Außerdem hat Petula mir erzählt, daß Cynthia Flowers demnächst zu einer Muggelfamilie soll, deren Sohn ziemlich schnell nach Hogwarts gehöre, weil der offenbar schon sehr starke zauber gewirkt habe. Näheres wußte sie aber nicht. Na ja, vielleicht haben wir nach Orfeo Colonades und Norman Ironquill einen weiteren Ruster-Simonowsky-Zauberer in der Welt. Aber das ist Cyns Job, solange der Bursche nach Hogwarts und nicht nach Redrock geht.

Diana kommt schon übermorgen wieder zurück. Offenbar hat sie sich mit ihren Yankee-Angehörigen nicht so gut verstanden und will lieber wieder in ihre Niederlassung. Sie hat mir eine Blitzeule geschickt, daß sie am zweiundzwanzigsten wieder anfangen will. Ich habe ihr schon einen Bericht über Mrs. Fairfax zugeschickt. Vielleicht meint Diana, mit mir noch mal darüber reden zu müssen. Ansonsten könnte ich mir den Tag für Bill freihalten. Der wollte mich mal mit zu einem fertigen Wasserkraftwerk nehmen, weil ich ihm gesagt habe, daß es mich schon interessiert, wie genau der Fluß von Wasser in elektrischen Strom umgewandelt wird. Hoffentlich wirft er mir da keine Fachbegriffe um die Ohren. Jedenfalls werde ich morgen noch mal in meinen Aufzeichnungen was nachlesen, woher die Muggel elektrischen Strom kriegen, um nicht all zu unwissend aufzufallen.

Bis morgen, Wendy!

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"Das kann die gute Becky nicht haben, wenn ihr vierzig Jahre jüngere Hexen, die selbst noch kein Baby hatten dreinreden, was sie als Schwangere noch machen kann oder nicht", bemerkte Diana Silverlake, als Aurora ihre Kollegin am 22. Juli in deren Niederlassung besuchte, um mit ihr die Ereignisse der letzten Wochen durchzugehen. "Aber deine Drohung hat wohl gewirkt, notfalls eines von Beckys Babys zu Ende zu tragen, hat mir ihre Schwester geschrieben. Aber so'n quirliges Bübchen möchtest du sicher nicht unterm Umhang haben, wenn du es nicht auf natürliche Weise dort hingelegt bekommen hast, Aurora. Ich werde die nachher als erstes aufsuchen. Das wird mir diese überfütterten arroganten Frauenzimmer endgültig aus dem Kopf verdrängen. Aber das würde jetzt Privatangelegenheiten berühren. Jedenfalls vielen Dank, daß du mich so gut vertreten hast. Vielleicht kann ich dir bald wieder ein paar freie Tage verschaffen."

"Im Moment bin ich hier gut beschäftigt. Zwei Jungen aus meinem Patientenkreis fangen in diesem Jahr mit Redrock an, und ein Mädchen hat in diesem Jahr damit aufgehört und hat mich gefragt, ob sie sich für die Heilerausbildung eignet."

"Und?" Wollte Diana wissen.

"Ich habe mir ihre UTZs angesehen und mit ihr drüber gesprochen, daß sie dann aber eindeutig verplant sei und sich nicht für nur zwischendurch mit Jungen einlassen darf. Das hat ihr offenbar nicht gefallen. Jetzt will sie in die Zauberwesenabteilung rein."

"Und was hat die gute Laura gesagt, daß du eine mögliche Nachwuchsheilerin vergrault hast?" Fragte Diana Silverlake vergnügt grinsend.

"Ich hätte es ihr nur erzählt, wenn das Mädchen ernste Absichten gehabt hätte und von mir eine Anfrage erbeten hätte."

"Ist die so ein flatterhaftes Ding?" Fragte Diana Silverlake. Aurora überlegte, ob sie darauf eine Auskunft erteilen durfte. Dann sagte sie: "Ich denke, sie will jetzt alles ausprobieren, wozu sie in Redrock keine Erlaubnis hatte. Vielleicht fragt sie in zehn Jahren an, wenn sie mit denen aus der Zauberwesenabteilung Probleme haben sollte", meinte Aurora Dawn dazu. Diana Silverlake nickte. Es wäre schließlich nicht das erste Mal, daß eine Hexe oder ein Zauberer weit nach Ende der Schulzeit um eine Heilerausbildung bitten würde. Doch in den meisten Fällen waren das Quidditchspielerinnen und -spieler, die nach der Profi-Zeit was für den Rest des Lebens suchten, wenn sie nicht als Trainer oder Beamte in der Spiele-und-Sportabteilung anfangen wollten.

"Dann hoffe ich mal, daß du die etwas freieren Tage genießen kannst, Aurora. Ich werde gleich heute wieder anfangen", sagte Diana Silverlake. Aurora bestätigte es und kehrte per Flohpulver ins "Haus der Morgendämmerung" zurück.

Als sie Bill anrufen wollte meldete sich nur dessen elektrischer Anrufbeantworter. Da der ihr aber nicht verraten konnte, wann Bill zurückkehrte und sie nicht darauf warten wolle, bis er sie anriefe legte sie auf, bevor der Piepton erklang, nach dem sie eine Nachricht hätte hinterlassen können. Sie hatte noch genug, was sie tun konnte. Einige ihrer Zauberpflanzen hatten Ableger ausgebildet. Die konnte sie in freie Töpfe setzen. Außerdem konnte sie noch einen Fiebersenkungstrank ansetzen, der innerhalb von sieben Stunden fertig war. Als niedergelassene Heilerin hatte sie immer was, womit sie einen zeitlichen Leerraum ausfüllen konnte.

Aurora Dawns gemaltes Ich rief sie kurz vor der angesetzten Abendbrotzeit aus dem Kellerlabor herauf. Sie konnte den Trank gegen Schüttelfrost und überstarkes Fieber nun ziehen lassen. Sie eilte in ihr Sprechzimmer, daß außer den Patienten keiner außer ihr zu betreten hatte. Sie sah die gemalte Kopie von sich im Bilderrahmen und fragte: "Ich glaube, es ist was wichtiges, wenn du mich so dringend rufst. Haben Mum und Dad etwas wichtiges für mich mitgegeben?"

"Das nicht. Petula hat sich nur mit Melinda Bunton getroffen. Die hat sich eine Woche freigenommen, um zu dir runterzukommen. Beziehungsweise, die kommt nach Australien, um ihre verschwägerten Anverwandten zu besuchen. Du weißt ja, daß sie eine Nichte hier unten hat."

"Stimmt, Corinna. Die wohnt in Canberra, nicht mein Einzugsgebiet."

"Ja, aber die kommt erst nach Sydney, mit 'nem Muggelflugzeug", sagte die gemalte Aurora Dawn. Die Aurora aus Fleisch und Blut fragte zurück, wieso sie das denn täte, wo sie dafür mehr als zwanzig Stunden unterwegs sein würde. "Corinna hat muggel-Großeltern. Die haben Corinna gerade bei sich in Sydney, weil die da besser feiern können. Und weil die nicht wissen, daß Corinnas Mutter eine Hexe ist und auch die anderen Verwandten von der kommt Melinda mit ein paar Freundinnen im Muggelflieger rüber. Sie will das endlich wissen, ob diese Art zu reisen für die Muggel wirklich so schnell und bequem sei, wie die immer behaupteten. Außerdem kann sie so ganz offiziell bei ihren magielosen Schwiegerverwandten aufkreuzen, ohne verraten zu müssen, was sie ist."

"Das wollte ich eigentlich auch schon längst ausprobiert haben", sagte die echte Aurora Dawn. "Na ja, vielleicht demnächst mit Bill, wenn er wieder da ist. Kann Petula Melinda noch eine Eule schicken, die vor dem Abflug ankommt?"

"Wieso. Willst du sie treffen?" Wollte die gemalte Aurora von ihrem Original wissen. Dieses nickte und meinte, daß sie die gutgelaunte, runde Hexe aus ihrer Jahrgangsstufe gerne mal wieder sehen würde. Zwar wurde von allen, die sich damals gut verstanden hatten ein Klassentreffen im nächsten Jahr anvisiert. Doch warum nicht vorher schon mal mit der berühmten Zauberzuckerbäckerin sprechen. Immerhin war Mel Bunton ja auch nicht so unbekannt geblieben.

"Wenn Petula das von ihr richtig mitbekommen hat wird Mel um sechs Uhr Morgens britischer Zeit losfliegen. Sie hat aber was erzählt, daß sie mindestens schon um vier Uhr morgens am Flughafen in London sein müsse. Auf jeden Fall ist sie ziemlich aufgeregt."

"Dann sage Petula bitte, sie möchte ihr eine Eule schicken, daß ich mich freuen würde, wenn sie nach der Verwandtschaft mal zu mir rüberkommt."

"Geht klar!" Erwiderte die gemalte Ausgabe der Heilerin. Zehn Minuten später kehrte sie in das Bild zurück und vermeldete betrübt: "Petula sagt, Mel hat schon angekündigt, daß sie die Woche da unten bei euch nur mit der Verwandtschaft zusammen ist und dann von Canberra aus direkt zurückfliegen wird. Dann wird sie wohl keine Zeit haben."

"Stimmt, und sie kann nicht mal eben auf gut Glück disapparieren, ohne aufzufallen. Na ja, dann lasse ihr bitte einen Gruß ausrichten, daß ich mich gefreut hätte, wo sie so nahe an mich herankäme", erwiderte die natürliche Aurora Dawn.

"Habe ich schon an Petula weitergegeben", bestätigte das Bild-Ich.

Aurora überlegte, welche Ortszeit sie dann in Sydney haben würden. Irgendwie spät abends dachte sie. Da mochte sie dann wohl schon im Bett liegen.

Am Abend rief Bill bei ihr an und vermeldete, daß er die nächsten Tage Zeit habe, und lud sie ein, falls sie auch Zeit habe, mal wieder im Leonardo da Vinci miteinander zu plaudern. Aurora überlegte und erwiderte, daß sie es davon abhängig mache, wie sie ihre Termine in den nächsten zwei Tagen bewältigen könne. Zwar hatte sie durch Dianas frühere Rückkehr keine weiteren Termine in deren Einzugsgebiet. Aber jetzt im Winter konnte ja immer eine Erkältung oder Grippe auftreten. Nachdem sie ihrem Tagebuch die wenigen wichtigen Ereignisse des Tages anvertraut hatte legte sie sich schlafen.

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Der 23. Juli, Claire Dusoleils elfter Geburtstag, war ein Leerlauftag. Hätte Aurora vor einer Woche noch gewußt, daß sie heute nichts zu tun hatte, wäre sie mit Flohpulver nach Millemerveilles gereist. Aber sie hatte auf Abruf zu bleiben. Wenn sie aus dem Bereich ihres Heilerarmbandes verschwand, und jemand rief nach ihr, war das ein grober Verstoß gegen ihr Hilfeleistungsgebot. Außerdem hatte Bill Huxley sie am Mittag angerufen und erwähnt, daß er womöglich in den nächsten Tagen Besuch bekommen würde. "Der Schulkamerad, von dem ich dir erzählt habe, hat ganz spontan beschlossen, seinem Sohn vor dem Gang nach Eton noch eine tolle Reise zu spendieren. Die fliegen am Morgen Ihrer Zeit los. Ich kriege das dann wohl von unterwegs, wann sie genau ankommen", hatte er gesagt. Aurora hatte ganz unbekümmert gefragt, ob er seinem verheirateten Freund von ihr erzählen würde. Bill hatte darauf geantwortet, daß er sie seinem auf korrekte Kleidung und Benehmen getrimmten Freund und seiner auf Logik schwörenden Frau gerne vorstellen würde. "Deren Junge Julius schlägt schon ganz nach seinem Vater. Der hat vor drei Jahren, wo ich mal bei denen drüben auf unserer guten alten Heimatinsel war, eine Schaumparty im Badezimmer abgezogen, als der eine halbe Flasche Badeschaum durch einen Zerstäuber gejagt hat. Seine Mutter fand das zwar nicht so lustig. Aber Richard und ich haben uns köstlich amüsiert, natürlich nur, wo der Bengel nicht dabei war. Leider hat dem sein Erzeuger ihn schon früh zu so einem Kleiderpüppchen mit Anzug und Krawatte gemacht, wie er selbst eins geworden ist. Bin mal gespannt, ob das immer noch ein Junge geblieben ist, wenn die in Sydney landen."

"Hmm, wohnen die dann bei dir?" hatte Aurora Gefragt. Bill hatte es bestätigt, weil die Reise wohl, weil sie so kurzfristig gebucht worden sei, ziemlich teuer geraten sei. Das ließ Aurora wieder daran denken, wie gut sie es als Hexe hatte. Doch sagen konnte sie das natürlich nicht. So hatte sie nur erwidert, daß Bill ihr ja bescheidgeben mochte, wenn er wisse, für wie lange er mit seinen Bekannten aus England zu tun hatte.

"Noch ein paar ruhige Tage", dachte Aurora. Andererseits, wenn Bill es wünschte, konnte sie ausprobieren, ob sie mit anderen, die nichts von ihrer Zaubererwelt wußten auch gut auskam. Sie dachte daran, daß Bills Freund und seine Familie womöglich dieselbe Flugmaschine benutzen würden, mit der Mel Bunton und ihre zwei Freundinnen zu ihnen ins Land unten Drunter kamen. Schon ein komischer Gedanke, daß drei Hexen in einer dieser Flugmaschinen saßen. Vielleicht sollte Aurora Heather fragen, ob sie mit ihr nicht auch einen Frauentag einlegen wollte. Solange sie auf Abruf blieb ging das ja. Termine hatte sie im Moment keine. Eine Muggelfrau, die im Oktober ein Baby bekommen würde wollte erst zu einem der Ärzte, die sich mit Frauen und Ungeborenen auskannten, um klären zu lassen, ob sie wie erhofft im eigenen Haus entbinden konnte. Erst dann wollte sie Aurora bescheidgeben, ob das alles so klappte. Sie wollte gerade eine Eule zu Heather schicken, als mit lautem Fauchen eine Eule aus ihrem Kamin herausfiel und wild schuhute. Aurora sah den Waldkauz bedauernd an. Er trug einen Ring am rechten Bein und eine Ledertasche auf dem Rücken. Der Eulenvogel flatterte, wobei er Asche aus seinem Gefieder schüttelte und hüpfte aus dem Kamin heraus. Aurora sah ihn an und fragte, ob er eine Nachricht für sie, Aurora Dawn habe. Der Kauz flog schlenkernd auf sie zu und landete vor ihr auf dem Tisch. Jetzt erkannte sie das winzige Wappen am Beinring des Vogels. Es zeigte ein großes H, um das ein Dachs, ein Adler, ein Löwe und eine Schlange gruppiert waren. Also war der Vogel aus dem Eulenbestand von Hogwarts. Wieso schickte Hogwarts ihr eine Blitzeule durch das Flohnetz? Sie öffnete die Ledertasche und holte zwei Pergamentbögen heraus. Eines trug das Wappen von Hogwarts und war in der ihr wohlvertrauten Handschrift von Cynthia Flowers verfaßt.

Hallo Aurora,

Professor Dumbledore und Professor McGonagall haben mir gestattet, dich anzuschreiben, weil das schneller geht als einen offiziellen Antrag beim australischen Zaubereiministerium zu stellen, sich der Angelegenheit anzunehmen. meine Vorgesetzten hoffen, daß wir dich damit nicht von deiner so wichtigen Arbeit für die Zaubererwelt abhalten.

Wie dir Petula über eure Privat-Schnellverbindung bestimmt erzählt hat habe ich mal wieder mehrere muggelstämmige Erstklässler zu betreuen. Die meisten von denen, respektive deren Eltern, haben kein Problem damit, daß ihre Kinder nach Hogwarts gehen. Sind diesmal auch nicht so viele. Allerdings bekam ich von Professor McGonagall am Abend des 22. Juli Bescheid, daß einer von denen, mit dem sie sich selbst befassen wollte, vielleicht Probleme kriegen könnte, den Weg zu uns zu finden, obwohl er eindeutig zu uns hingehört. Denn der hat schon mit vier Jahren Magie freigesetzt, die andere noch nicht mal in der dritten Klasse hinkriegen können. Außerdem sei der über mehrere Generationen mit Professor McGonagall verwandt, hat sie mir selbst gesagt. Warum schreibe ich dir das, wo du so weit von uns weg bist? Weil es eben passiert, daß der Junge von seinen Eltern zu euch unten Drunter hingebracht wird. Eigentlich hätte ich mit ihm am 23. Juli um ein Uhr Mittags mit ihm in die Winkelgasse gehen sollen und habe das auch schriftlich angekündigt. Aber jetzt habe ich erfahren, daß die Familie um vier Uhr morgens am Großflughafen Heathrow in London aufgetaucht ist. Unsere dortigen Grenzüberwacher haben das gemeldet. Damit hat sich leider eine Befürchtung bestätigt, die Professor McGonagall hegte. Deshalb hat sie den Jungen mit einem unfühlbaren Ortungszauber belegt, der erst erlischt, wenn er durch die Barriere von Gleis 9 3/4 geht. Ich weiß nicht genau, wie sie es gemacht hat. Aber ich bekam von den Grenzleuten mit, daß "der zu überwachende" mit seinen Eltern in eine Maschine einsteigen wollte, die über Singapur nach Sydney fliegt. Dumbledore hat seine zwar nicht so großen aber wirksamen Beziehungen zum Muggelverbindungsbüro spielen lassen und klargemacht, daß Lorna Oaktree und ich in dieser Maschine sitzen dürfen. Wo du das hier liest sind wir schon unterwegs in Richtung Australien, falls die Eltern des Jungen nicht meinen, in Singapur auszusteigen. Da du, wie ich weiß, gute Beziehungen zum Zaubereiministerium bei euch hast bitte ich dich, daß ihr zuseht, den Jungen ohne grob zu werden begrüßt, wenn der mit seinen Eltern bei euch unten eintrudelt. Lorna und ich bleiben zumindest in seiner Nähe. Vielleicht kriegen wir auch mit, wo er genau hin will. Ich weiß nicht, ob bei euch da unten wer Flugpläne herausbekommen kann. Deshalb habe ich die mögliche Ankunftszeit auf den zweiten Bogen geschrieben, zusammen mit der Liste dessen, was der Junge, Julius Andrews heißt er übrigens, schon unbewußt gezaubert hat. Daran wirst du als Heilerin sicher erkennen, wie überaus wichtig es ist, daß dieser Junge nach Hogwarts kommt, wenn seine Eltern ihn nicht nach Beauxbatons oder zu euch in die Redrock-Akademie schicken wollen. Nach Eton darf der jedenfalls nicht. Die Beschulungsrichtlinien für hochgradig magiebegabte Kinder aus magielosen Familien sind da unmißverständlich.

Wie erwähnt schreibe ich dir das per Blitzeule, damit du bei euch die wichtigen Stellen informieren kannst. Vielleicht ist es nicht nötig, und wir kommen auch so an den Jungen heran, ohne grob werden zu müssen. Aber für den Fall, daß es offiziell gehen muß, dann soll es eben so gehen.

Vielleicht sehen wir uns ja, wenn wir alles erledigt haben. Würde mich auf jeden Fall mal interessieren, wie du so bei euch da unten lebst. Außer diesem einen Fall liegt sonst nichts mehr für mich an.

Bis dann irgendwann!

Cynthia Flowers

Aurora Dawn wog den gerade gelesenen Brief in ihrer Hand. Hatte Bill ihr nicht vorhin erzählt, sein Freund käme mit seiner Frau und seinem Sohn Julius nach Sydney? Sie dachte noch einmal darüber nach. Dann las sie den zweiten Pergamentbogen, wo sie von der Familie Richard, Martha und Julius Andrews las und daß die Flugmaschine aus London am Nachmittag des 24. Julis landen würde. Sollte sie jetzt schon dem Zaubereiministerium in Canberra bescheid geben? Nein! Sie wollte vorher wissen, ob es sich bei Bills Freunden um genau die handelte, wegen derer sie so unvorangekündigt eine blitzeule erhalten hatte. Dann las sie noch, daß Professor McGonagall, die einige Zeilen auf dem beigefügten Brief, der an Cynthia gerichtet war, dem Jungen ihren Zauberstab in die Hand gegeben habe. Diesen hatte sie vor ihrem Besuch bei der Familie mit einem übertragbaren Aufspürzauber belegt, der auf den magisch begabten Menschen überging, dem sie den Zauberstab als nächstes in die Hand drückte. Aurora kannte diesen Zauber. Er war ziemlich schwierig und schränkte die Zaubermöglichkeiten des Stabes ein, bis er auf die Zielperson überging. Aber Professor McGonagall war eine mächtige Hexe, die trotz dieser Beschränkung wohl noch einige einfachere Zauber ausführen konnte. In dem Moment, wo ein magisch begabter Mensch den Stab schwang und damit einen Kraftfluß zwischen ihm und sich erzeugte, trat der zauber in Kraft und erlosch erst, wenn die Zielperson einen bestimmten Ort erreichte oder einen bestimmten Gegenstand berührte. Es mußte für die gute Minerva McGonagall überaus wichtig gewesen sein, bei einem angeschriebenen Schulanfänger eine solche Maßnahme zu ergreifen. Denn üblicherweise reichte es völlig aus, einen in die Ferne wirkenden Aufspürzauber zu wirken, falls Muggelstämmige oder deren Eltern schwierigkeiten machten. So hatte sie von Cynthia erfahren, daß Harry Potter derartig überwacht worden war, um sicherzustellen, daß der berühmte Junge auch wirklich in Hogwarts ankam. Ein Ortungszauber, der durch Zauberstabberührung übertragen wurde, konnte von jedem angepeilt werden, der die vom Anwender verwendeten Mentalpasswörter kannte. Diese hatte Professor McGonagall Aurora mitgeteilt. Allerdings reichte der Zauber nur eintausend Kilometer weit. Sollte er in Sydney landen, mußten dort stationierte Zauberer die Überwachung aufnehmen. Der Vorteil war, daß die Muggel nicht apparieren oder das Flohnetz benutzen konnten.

"Ich denke, ich rufe Bill nachher wegen was unverfänglich klingendem noch mal an und frage ihn, ob er Zeit hat", dachte Aurora Dawn. Dann beschloß sie, erst einmal nicht das australische Zaubereiministerium zu informieren, bevor sie nicht wußte, ob der Junge wirklich mit seinen Eltern mit diesem Flugzeug ankommen würde. Vielleicht konnte Cynthia ja von unterwegs eine Nachricht an sie abschicken, wenngleich es schwierig sein dürfte, von einem Muggelflughafen aus Kontakt zur Zaubererwelt zu bekommen. Daß Aurora nun ein fest angeschlossenes Telefon nach Muggelart hatte wußte Cynthia noch nicht.

Weil sie im Moment nicht mehr tun konnte als zu warten, beschloß sie ihren Tag wie geplant und legte sich schlafen.

Am nächsten Morgenrief sie noch einmal bei Bill Huxley an, wobei sie über ihr Festnetztelefon sprach, in das sie ganz normal hineinsprechen konnte, wie sie gelernt hatte. "Hmm, ich hoffe mal, du hast mich nicht zu heftig eingeplant, Aurora. Ich muß nachher zum Flughafen hin. Mein Freund und seine Familie landen heute Nachmittag. Der hat von unterwegs angerufen, obwohl die keine Handys im Flugzeug benutzen dürfen, wegen der Streustrahlung und der Bordelektronik. Dann war ihm das wohl ziemlich wichtig. Ich fahre dann erst mal zu mir hin und sehe zu, daß die sich von der zeitverschiebung erholen."

"Schade. Wäre heute nachmittag sicher recht gemütlich gewesen, wo das Wetter gerade so schön ist für Winter", sagte Aurora.

"Ich stelle dir die drei auf jeden Fall vor", sagte Bill noch. Dann verabschiedete er sich von seiner geheimnisvollen Freundin. Diese wußte nicht, ob sie triumphierend lächeln oder ein bedauerndes Gesicht machen sollte. Da purzelte noch eine Blitzeule aus Auroras Kamin. Sie trug einen sehr kurzen Brief von Lorna Oaktree bei sich.

Betrifft Ankunft von Julius Andrews mit Familie. Wird wie zu vermuten stand in Sydney landen. Keine Verspätung. Ms. Flowers hat auf Anfrage des Vaters hin ein Doppelzimmer mit Schlafcouch in Hotel Sonnenquell gebucht. Bleiben an dem Jungen dran.

Lorna Oaktree

"Soso, hat der Vater verlangt, daß ein Hotelzimmer gebucht wird", grinste Aurora. Dann fragte sie sich, wie das ging, daß er Cynthia den Auftrag dazu erteilt hatte. Doch dann fiel ihr ein, daß er Cynthia Flowers wohl noch nicht persönlich getroffen hatte. Wenn sie sich einen Platz in dieser Flugmaschine gesichert hatte ... was hatte Roy ihr erzählt? In diesen Flugzeugen war nicht nur der Pilot genannte Steuermann, sondern es gab noch mehrere meist weibliche Bedienstete, die sich um die Verpflegung und Sicherheit der Fluggäste kümmerten. Falls Cynthia als solche Bedienstete auftrat durfte die ihr das mal erzählen, wie sie an diesen Posten gekommen war, wenn sie damit keine Ministeriumsinterna ausplaudern mußte. Dann dachte sie daran, daß dieser Richard Andrews wohl ganz schlau sein wollte und davon ausging, daß die Zaubererwelt ihm schon auf den Fersen war. Um Cynthia auf eine falsche Spur zu bringen tat er so, als würde er in Sydney eine Herberge suchen. Dort, so dachte er, würden sie wohl darauf hoffen - aus seiner Sicht wohl eher lauern -, ihn und seine Familie kontaktieren zu können. Statt dessen würde er zu seinem Freund Bill Huxley fahren. Mit dem auf den Jungen übertragenen Aufspürzauber nützte ihm das aber nichts, weil Bill im Umkreis der magischen tausend Kilometer wohnte und somit als Beherberger des Jungen auffallen würde. Aurora dachte daran, daß der Muggel nur eine wirkliche Chance gehabt hätte, sich der Kontaktaufnahme zu entziehen, wenn er mit seiner Familie immer in einer großen Menschenmenge unterwegs war. Denn vor Muggeln durften sie nicht zaubern. Dann fragte sie sich, wie sich der Junge fühlen mochte. Professor McGonagall hatte erwähnt, daß er dem nicht so abgeneigt wäre, nach Hogwarts zu gehen, besonders als sie gezwungen war, seinem Vater eine gefährliche Schußwaffe aus der hand zu expelliarmieren. Was hatte Bill über seinen Freund erzählt? Der glaubte nichts, was nicht rein naturwissenschaftlich bewiesen und erzeugt werden konnte. Wie mußte dem da die Enthüllung einer magischen Welt vorkommen? Das war doch für den ein Weltuntergang, zumindest aber etwas höchstbeängstigendes. Mit dieser seelischen Grundvoraussetzung mußte man wohl bei diesem Muggel rechnen. Sicher, ob Bill es geschluckt hätte, wenn sie ihm ihre Hexenkünste gezeigt hätte wußte sie ja nicht. Aber sie ging davon aus, es früher oder später herausfinden zu müssen. Da sie wußte, wo Bill Huxley wohnte, konnte sie sich in der Nähe aufhalten und zusehen, ob die Andrews' dort eintrafen. Andererseits könnte sie versuchen, die Familie zu sich nach Hause zu locken, ohne daß Bill mißtrauisch wurde. Denn von hier aus könnten sie locker das Flohnetz benutzen. Das wiederum setzte voraus, daß sie die Eltern umstimmte oder für eine gesundheitsunschädliche Zeit außer Gefecht setzte. Wäre sie Ireen Barnickle, so hätte sie Möglichkeit eins ins Auge gefaßt. Ihre Ausbildungskameradin war eine brillante Psychomorphologin, die darin geschult war, seelische Schieflagen und geistige Störungen zu behandeln und mit Patienten sehr feinfühlig umging. Sie aber war eine Trankspezialistin. Also würde es wohl auf Möglichkeit zwei hinauslaufen, sofern es ihr gelang, Bill zu überreden, seine Gäste zu ihr zu bringen. Ein wenig schäbig fühlte sie sich schon, jemanden derartig auszutricksen. Aber das Begleitschreiben Professor McGonagalls hatte sie unumstößlich überzeugt, daß es richtig und notwendig war, dem Jungen eine ordentliche Ausbildung seiner Zauberfertigkeiten zu geben, wenn nicht anders möglich auch gegen den Willen seiner Eltern, wobei die dann wohl Besuch von Vergissmichs erhalten würden, nach dem sie dann nicht mehr wußten, einen Sohn gehabt zu haben. Das wäre aber die allerallerletzte aller Lösungen, erkannte Aurora Dawn. Wenn sie es hier und heute in der Hand hatte, sicherzustellen, daß dieser Junge seinen Weg nach Hogwarts finden würde, so konnte es gelingen, ohne seine Eltern vergessen zu machen, daß es ihn je gab. Denn als Heilerin widerstrebte es ihr, Eltern ihrer Kinder zu berauben, auch wenn ein höherer Zweck dies rechtfertigen mochte. Nein, es mußte anders gehen. Vielleicht half es, mehr über die seelische und geistige Verfassung der Eltern zu wissen, deren Ansichten und Überzeugungen zu kennen, um an den richtigen Stellen einen Hebel anzusetzen. Doch zunächst wollte sie sicherstellen, daß Julius Andrews seine Schulsachen bekam. Hatten sie ihn erst überzeugt, konnten sie seine Eltern hoffentlich auch dazu bewegen, seiner magischen Ausbildung zuzustimmen. Dann fiel ihr ein, daß Bill von der Zeitverschiebung gesprochen hatte. Ja, das konnte helfen. Sie dachte an einen fettlöslichen Schlummertrank, der kleinen Kindern verabreicht werden konnte, wenn sie nicht durchschlafen konnten. Davon hatte sie noch einen kleinen Vorrat da. Denn Kleinkinder, die sich die Windpocken, Masern oder Grünschleimhusten eingefangen hatten konnten nicht richtig durchschlafen. Deshalb mußte sie immer damit rechnen. Aber sie war gehalten, über die Vorräte ihrer Tränke Buchzuführen und gegebenenfalls Rechenschaft abzulegen. Aber den Trank konnte sie in drei Stunden brauen, mit Pflanzen aus ihrem Zaubergarten war der in Besenschnelle zusammengerührt. Wenn sie genau die Menge machte, die sie brauchte, mußte die Heilerzunft davon nichts erfahren. Aber was dachte sie denn da gerade? Sie wollte die ihr auferlegten Bestimmungen unterlaufen? Wenn das aufflog war sie ihre Aprobation und womöglich einige Monate ihrer Freiheit los. Nein, daß mußte sie ordentlich über die Bühne bringen, am besten sofort. So kontaktfeuerte sie mit Laura Morehead und unterbreitete ihr das Anliegen Cynthia Flowers. Dabei mußte sie zwar erwähnen, daß sie sich zu unverfänglichen Zusammenkünften mit einem Muggel Namens Bill Huxley getroffen hatte und wurde natürlich gefragt, ob sie vorhatte, aus dieser Bekanntschaft mehr zu machen. Doch sie konnte diese Fragen damit beantworten, daß sie sich erst ganz sicher sein wolle, daß Bill Huxley sein Junggesellendasein für sie aufgeben wolle und ihn dann in ihre wahre Natur einweihen. Dann legte sie der Zunftsprecherin ihren Plan dar. "Ich will die Liste sehen, die deine Kameradin dir geschickt hat. Dann kriegst du von mir die Antwort, ob du so vorgehen darfst oder es besser dem Ministerium überläßt, mit der Familie in Kontakt zu treten", sagte die Großheilerin. Aurora sah das ein und brachte ihr die betreffenden Unterlagen ins Büro. Als Laura Morehead die aufgeführten Ereignisse studiert hatte nickte sie. "Ein RS, Aurora? Ist mit Professor McGonagall über mehrere Generationen verwandt? Könnte also ein Nachfahre unserer seligen Zunftkollegin Megan Bakersfield sein, die leider nur magielose Kinder geboren hat. Wenn von der anderen Seite her auch eingeschlafene Zauberkräfte über mehrere Generationen weitergegeben wurden und sich erst in diesem Jungen mit denen der McGonagall-Linie vereinigten ... Okay, mach es, wie du es mir vorgeschlagen hast. Aufstellung der verwandten Dosis nur an mich melden. Ich halte da die Hand drüber. Wenn es wirklich ein RS ist muß der unbedingt in eine Zauberschule. Und sollten seine Eltern dem nicht nur nicht zustimmen, sondern weitere solche Manöver vollführen, um seine Ausbildung an einer magischen Lehranstalt zu verhindern, müssen wir das hiesige oder britische Zaubereiministerium einschalten."

"Wenn es ein Ruster-Simonowsky-Zauberer ist kommt das vielleicht erst heraus, wenn er gezielte Zauber wirken soll und als Mentalinitiator auffällt", erwiderte Aurora Dawn. Laura Morehead nickte. Doch dann tippte sie noch einmal auf die Liste der erwähnten Zauber, die der Junge schon gewirkt hatte. "Haben wir doch hier. Er hat aus purer Panik einen Keller einstürzen lassen, weil er von einem dort nistenden Wespenvolk attackiert wurde, dessen Stiche durch intuitive Selbstheilzauberkraft abklingen lassen wie auch eine Verbrennung. Daß er einen dieser Fußbälle so telekiniert hat, daß er ihn traf oder einen durch Berührung wirksam gewordenen Lähmungszauber ausführte spricht schon für ein sehr hohes Zauberkraftpotential. Näheres sollen dann die Lehrer in Hogwarts ergründen. Also muß er am ersten September dahin, falls er nicht zu uns nach Redrock oder zu den Nordamerikanern nach Dragonbreath oder Thorntails geschickt wird."

"Ich weiß nicht, ob er Französisch kann. Sonst käme noch Beauxbatons in Frage", flocht Aurora ein.

"Ist egal, hauptsache eine Zauberschule, die Muggelstämmige aufnimmt", schnarrte Laura Morehead. Also geh nach Hause und setze den Schlummertrank an!" Aurora bestätigte die direkte Anweisung und kehrte mit den Unterlagen über Julius Andrews in ihr Haus zurück.

Als sie den Trank in der erforderlichen Menge fertig hatte prüfte sie die Uhrzeit. Jetzt mochte Bill die Bekannten von diesem Flughafen abgeholt haben. Sie überlegte, ob sie ihn jetzt anrufen sollte und wartete lieber noch fünfzehn Minuten. Dann versuchte sie es erst auf Bills Festnetzanschluß. Doch da ging nur der elektrische Antworter dran. So wählte sie über ihr Satellitentelefon die Mobilfunknummer. Sie hatte mit dem Betreiber der Satellitenverbindung ausgehandelt, daß sie kostengünstiger auf bestimmte Mobilfunknetze zugreifen konnte, während sie über das Kabeltelefon mehr zu zahlen hatte. Da sie im Monat nur wenig Muggelgeld an diese merkwürdige Adresse namens Bankkonto zahlte konnte sie nicht so heftig mit dem von dort abgerufenen Geld umspringen. Tatsächlich erreichte sie Bill, wobei die Verbindung ihr ziemlich leise vorkam. Deshalb rief sie lautstark in das Sprechteil des Telefons: "Hallo, Bill, Aurora hier. Du hast doch gesagt, daß du mich mal zum Kaffeetrinken besuchen wolltest. Hast du deine englischen Freunde aufgepickt?"

"Ja, habe ich. Ich weiß aber nicht, wann ich vorbeikommen soll. Ich muß denen ja noch die Stadt zeigen", hörte sie Bills leicht verzerrte Stimme über das Gebrumm eines Motorwagenantriebs hinweg.

"Dann komm doch vorbei und stelle mir deinen alten Schulfreund vor! Was hast du gesagt ist er?" Brüllte sie zur Antwort. Sie erfuhr, daß dieser ein Bürositzer und kein Naturfreund wäre und seinem erstgeborenen Sohn noch einmal etwas bieten wolle, bevor dieser in die Schule für sogenannte Snobs gehen würde. Er hatte es ihr zwar schon erzählt, setzte aber zurecht darauf, daß sein Freund nicht wissen mußte, daß Bill sich schon häufiger mit ihr über ihn unterhalten hatte, wenngleich er bis gestern den Namen nicht genannt hatte. So wiederholte sie ihre Einladung und erhielt beruhigt zur Antwort, daß sie demnächst vorbeikämen. So war es für sie nicht mehr schwierig, eine kleine Milchkanne mit genug Schlummertrank für drei Personen zu versetzen, wobei sie die Gegenlösung für sich und den Jungen bereits in eine Tasse tat. Sie würde dort trocknen, bis Flüssigkeit über sie ergossen würde. Das mußte jetzt sehr genau ablaufen, dachte sie. Sie kannte das Mißtrauen, etwas nicht anzurühren, wenn der, der es anbot nicht auch davon kostete. Da klopfte eine Eule an ihr Fenster. Sie machte schnell auf und nahm den Brief entgegen. Es war ein australischer Postvogel. Cynthia meldete alarmiert, daß der zu kontaktierende Junge mit seiner Familie am Flughafen von einem ihr fremden Muggel in einem geräumigen Motorwagen von puderblauer Farbe abgeholt worden war, der direkt zum Flugzeug hatte fahren dürfen. Aurora grinste und schrieb auf die Rückseite:

Hallo Cynthia!

Keine Panik. Die Familie kommt genau zu mir hin. Ich kenne den Mann, der die abgeholt hat gut genug, daß er mir vertraut. Folge der Eule, wenn sie wieder bei dir ist. Ich erwarte dich in frühestens einer Stunde.

Aurora

Sie prüfte noch einmal, daß sie ja die richtigen Tassen bereitgemacht hatte und wartete wie die Spinne im Netz oder die Katze vor dem Mauseloch. Irgendwie schon fies, dachte sie, Bill derartig auszunutzen. Dann fragte sie sich, welcher Jahrtausendzufall es gewollt hatte, daß sie ausgerechnet ihn gut genug kennengelernt hatte, um dieses Manöver durchziehen zu können. Gab es vielleicht doch sowas wie eine Vorbestimmung? Eigentlich hielt sie Wahrsagen für Unsinn und gewann der Arithmantik auch nicht viel ab, die wiederum das Berufsfeld ihrer Mutter war. Aber womöglich gab es für besondere Situationen besondere Vorläufe. Aber das war jetzt zu akademisch. Wichtig war ihr, daß sie Cynthia und damit Hogwarts half, daß der Junge Julius Andrews seinen Weg in die Zaubererwelt antrat. Ihr wäre es wesentlich lieber, wenn seine Eltern sich ohne weitere Maßnahmen damit zurechtfinden würden. Aber um genauer auf diese einzuwirken, ohne unverzeihliche Zauber oder geistige Brachialmethoden anzuwenden blieb leider keine Zeit mehr.

Um Bill zu gefallen wechselte sie ihre Kleidung. Sie hatte ihn einmal im roten Sonntagskleid begleitet und damit bei ihm und anderen großen Anklang gefunden. Dieses rote Kleid zog sie nun an. Sie stellte sicher, daß niemand unmagisches an ihre Zauberpflanzen oder Brauutensilien herankam und setzte Kaffeewasser auf. Als dieses kochte dröhnte jenes laute Geräusch, mit dem Bill einmal einen wie verträumt über die Straße laufenden Fußgänger alarmiert hatte. Ja, da sah sie den Ford Transit auch schon vor ihrem Gartentürchen. Sie eilte hinaus und umarmte Bill Huxley. Dann stellte er ihr seine Bekannten vor. Aurora sah erst den Vater, der in seinem überkorrekten Muggelanzug aussah, als wolle er zu einer ungemein wichtigen Verhandlung. Seine Frau trug ein bequemes, nicht überzogen wertvoll aussehendes Kleid. Auch der hellblonde Junge mit den graublauen Augen trug einen feinen Anzug. Er schien irgendwie darauf zu lauern, ob gleich oder später etwas interessantes passierte. Sicher, Cynthia hatte ihr ja mit dieser Schnellzustellungseule geschrieben, daß sie bereits mit dem Jungen Kontakt aufgenommen hatte. So konnte der jetzt darauf lauern, wer im geistigen Duell zwischen seinen Eltern und der Zaubererwelt die nächste Runde gewann. Als die Andrews' erfuhren, daß sie Aurora Dawn hieß erwähnte sie wie ganz nebensächlich, daß ihr Vater schon ein Spaßvogel gewesen sei, als er in Ravenclaw war. Julius fragte, was das sei, aber nicht, als wenn er den Namen schon einmal gehört habe. Kunststück, wenn McGonagall eine Gryffindor und Cynthia eine Hufflepuff gewesen war.

Sie beruhigte das in ihr quängelnde Gewissen, daß sie mahnte, diese Muggel nicht so hinterhältig auszutrickksen, weil es besser sei, als daß der Junge mit seinen unausgebildeten Zauberkräften ein Unheil anrichtete. Auch bei den Heilern galt, ein kleines Übel zu akzeptieren, um ein wesentlich größeres Übel zu verhindern oder auszutreiben.

Das Aurora genau wußte, mit wem sie es zu tun hatte behielt sie hübsch für sich. Sie verwickelte die Familie Andrews in eine harmlose Unterhaltung und erkundigte sich, was Julius mal werden wolle. Dabei erfuhr sie, daß ihn Pflanzen interessierten. Sein Vater hingegen war nichtmagischer Alchemist, der jedoch durch seinen Werdegang größtenteils Bürodienst versah. Julius' Mutter hatte aus ihrer Fähigkeit, umständliche Rechenaufgaben lösen zu können und mit diesen Elektrorechnern zu arbeiten einen Beruf gemacht. Sie wirkte abgeklärt und unerschütterlich. Vielleicht hatte sie McGonagalls Zaubereivorführung wesentlich nüchterner gesehen als ihr Mann. Aurora atmete innerlich auf, daß Julius arglos aus der präparierten Tasse trank und seine Eltern alle Milch zum Kaffee oder Tee nahmen. Da der Schlummertrank behutsam dosiert war, aber dafür mehrere Stunden vorhielt, dauerte es noch ein wenig. Offenbar drängte Julius ein aufgestautes Bedürfnis, seine Blase zu leeren. Aurora zeigte ihm, wo ihr Gästebadezimmer lag und wandte sich wieder seinen Eltern zu. Sie hielt sie noch genau eine Minute mit dem Thema Auswandern bei Laune, bevor erst Martha und dann Richard die Augen zufielen. Bill, der sich während der letzten Minuten bereits zurückgehalten hatte, schlummerte in diesem Moment ein. Jetzt mußte Aurora nur noch auf Julius warten. Doch es dauerte. Gut, der Junge mochte mehr als nur die Blase leeren. Doch da fühlte sie ein mehrfaches Pulsieren in ihrem Heilerarmband. Das bedeutete, daß jemand mit Zauberkraft versuchte, ihre Vorratsschränke in der Küche zu öffnen, wo sie die nichtmagischen Zaubertrankzutaten aufbewahrte. Aber an die kam nicht mal der Alohomora-Zauber heran. Aber sie fühlte jenen Meldezauber, der ihr verriet, daß es gelungen war, den Schrank mit den Tollkirschen zu öffnen. Wenn das wirklich der Junge war waren seine Kräfte wahrhaftig unbestreitbar stark. Sollte sie ihn jetzt auf frischer Tat ertappen? Sie hatte eine bessere Idee. Als sie geprüft hatte, daß der in der Milch verrührte Schlummertrank seine volle Wirkung entfaltet hatte wirkte sie beinahe ungesagt den Bilddurchlaßzauber, um durch die Wand zu beobachten, wie Julius in der Küche herumstöberte. Da er nichts aus den von ihm aufgezauberten Schränken nahm oder gar schluckte mußte sie nicht losspringen. Sie verfolgte aus dem Wohnzimmer heraus mit, wie er ganz leise aber eilig das Haus verließ und zu ihrem Geräteschuppen ging, der ebenfalls vor magielosem Zugriff versperrt war und eigentlich auch nur durch einen genau abgestimmten Zauber geöffnet werden konnte. Und wieder überwand der angehende Zauberschüler die Sperre und ging in den Schuppen, wo außer ihren Besen auch noch der von Melissa Thornapple hinterlassene Spätabbildespiegel Roiretsop hing, eine Spielerei, um die sich darin spigelnden Leute zwei Stunden später darin zu erkennen. Melissa hatte ihn von einem ihrer Großneffen bekommen, der damit ein Gesellenstück in Thaumaturgie abliefern wollte. Ob er damit Eindruck bei seinem Lehrmeister gemacht hatte wußte Aurora nicht mehr. Für sie war der Spiegel eben nur ein harmloser Zauberspiegel ohne besonderen Nutzen. Doch jetzt sollte sie langsam mal hinter dem Jungen her, dem sicher aufgefallen war, daß er in einem Hexenhaus gelandet war. Da sah sie, daß Cynthia um die Ecke kam. Sie war der Posteule nachgelaufen, die nun unhörbar und unauffällig wieder davonflog.

"Besen Hoch!" Hörte sie Julius ganz entschlossen murmeln, als sie mit ihrer alten Schulfreundin vor der offenen Geräteschuppentür stand. Als der Besen seinem Befehl gehorchte und der Junge sich fast auf das magische Fluggerät setzte sprach sie ihn an und lobte sein Naturtalent. Er reagierte zwar ertappt aber nicht übermäßig erschrocken, stellte sogar fest, daß er wohl doch nach Hogwarts gehen müsse, weil er ja sonst irgendwann mit dieser Fähigkeit alles mögliche anstellen konnte. Cynthia und Aurora boten ihm darauf an, mit ihm die nötigen Sachen zu kaufen. Er fragte, ob sie sich direkt nach England versetzen würden. Cynthia und Aurora bekräftigten aber, daß sie mit Flohpulver reisen würden. Julius hatte Professor McGonagall disapparieren gesehen. Das hatte ihn sehr beeindruckt. Sicher mochte er davon ausgehen, diese Kunst bald zu erlernen. Aurora war sich sicher, daß er spätestens in der dritten Klasse apparieren könnte, wenn er ihre gesicherten Küchenschränke auf- und wieder zuzaubern konnte.

In der Gewißheit, daß Bill und Julius' Eltern ungestört und unaufweckbar schlafen würden reisten Aurora und Cynthia mit dem angehenden Hogwarts-Schüler über das internationale Flohnetz nach England in die Winkelgasse. Aurora nutzte den Ausflug, um sich nach den gegenwärtigen Preisen für hochpotente Zaubertrankzutaten zu erkundigen und stellte wieder einmal fest, daß sie Glück hatte, ihre eigenen Alraunen zu ziehen und ohne Geld ausgeben zu müssen an andere Zutaten heranzukommen. Als Cynthia mit dem Jungen aus dem pompösen Gringotts-Gebäude zurückkehrte trafen sie in der Apotheke wieder zusammen. Da kam auch Professor Sprout, die Phytosansalbe gegen Feuerstachelkäferbefall suchte: Da die Apothekenhexe die Heilsalbe für befallene Zauberpflanzen nicht da hatte erwähnte Aurora, daß sie mit dem Muggelmedikament Aspirin und australischem Fledermausblut eine wirksame Abwehr von Feuerstachelkäfern hinbekommen hatte. Julius hatte einige dieser bei Muggeln so beliebten Kopfschmerztabletten dabei, wohl um Auswirkungen der Flugreise zu kurieren. Das Fledermausblut war vorrätig, und so konnte Professor Sprout mit beiden nützlichen Utensilien nach Hogwarts zurückkehren. Die Einkaufstour führte dann weiter zum Buchladen, zum Geschäft für Zaubertrankbraukessel und Waagen bis zum zauberstabladen von Ollivander, wo Cynthia mit Julius alleine hineinging, während Aurora Dawn sich ein schnelles Eis bei Florean Fortescue genehmigte. Als Julius dann mit seinem auf ihn abgestimmten Zauberstab aus dem Laden zurückkehrte ging es über das Flohnetz Zurück nach Sydney, während Lorna Oaktree die erworbenen Sachen in Julius' Elternhaus brachte. Aurora behandelte Bill mit einem Gedächtniszauber, daß dieser davon ausging, mit Aurora in deren kleinem Studierzimmer über anstehende Sachen geplaudert zu haben, während seine drei Begleiter schliefen. Als er dann erwachte führte sie Julius durch ihren Garten, wobei sie ihm nur die harmloseren Sachen zeigte und die wissenschaftlichen Namen hersagte, um zu testen, wie aufnahmefähig der angehende Zauberschüler dafür war. Sie hätte ihm auch gerne ihre Alraunen gezeigt. Doch sie wollte den Argwohn des Vaters nicht gleich heute erwecken. Dieser schien sich nun völlig sicher zu sein, Cynthia Flowers entwischt zu sein und diese es nun aufgeben müsse, ihm nachzustellen. Sollte er das ruhig denken. Dann konnte man ihn vielleicht in einer nicht mehr so alarmierten Stimmung auf den wahren Zusammenhang hinweisen. So dachte auch Cynthia Flowers.

Am späten Abend Ortszeit fuhr Bill seine Gäste zu sich nach Hause. Er würde aber wohl wiederkommen, weil Aurora Julius versprochen hatte, ihm noch mehr von ihren Pflanzen zu erklären.

__________

Am fünften August war Julius wieder bei ihr. Aurora hatte derweil mit Cynthia Flowers besprochen, was sie von dem Jungen dachte. "Solltet ihr rauskriegen, daß er weit vor der sechsten Klasse ungesagt zaubern kann interessiert es mich, Cynthia."

"Du meinst wegen deiner Schränke?" Aurora nickte.

Professor McGonagall war aus England herübergekommen und sollte beobachten, wie Julius' Eltern mit der ungeheuren Tatsache fertig wurden, daß ihr Sohn doch nach Hogwarts gehen sollte. Um diese richtig einzustimmen lud Aurora Julius dazu ein, mit ihr erste Besenflugerfahrungen zu sammeln, während seine Eltern die angebliche Hotelbuchung widerriefen. Es würde natürlich auffallen, daß diese Buchung bereits von Cynthia widerrufen worden war, als feststand, daß die Andrews' zu Bill Huxley fuhren. Als Aurora dem Jungen genug Flugunterricht gegeben hatte und mit ihm landete, war dessen Vater bereits außer sich und bestand weiterhin darauf, daß sein Sohn nicht nach Hogwarts ginge. Doch sowohl seine Frau als auch die Erkenntnis, daß er selbst nicht auf einem Besen fliegen konnte veranlaßten ihn zum Umdenken, zumindest insoweit, daß er nicht wollte, daß sein Sohn unbewußt irgendwas anstellte, das nicht zu erklären oder zu beheben war. Auch Professor McGonagall, die der Konfrontation zunächst heimlich zugesehen hatte, konnte die Andrews' davon überzeugen, daß es sinnvoll sei, das in Julius enthaltene Zaubertalent in kontrollierte Bahnen zu lenken.

Als die Andrews mit Bill Huxley in Richtung Flughafen abgereist waren meinte Cynthia zu Aurora Dawn: "Wie das auch immer passierte, daß du ausgerechnet den Freund von diesem Ignoranten kultiviert hast, jedenfalls habe ich meine Aufgabe sauber und ohne großen Aufruhr erfüllt. Danke dir, Aurora!"

"Wie lange hast du noch frei?" Fragte Aurora.

"Ein Tag geht wohl noch. Dann muß ich aber in Hogwarts sein und mit Professor Dumbledore und Professor McGonagall die Schülerliste der ersten Klasse vervollständigen."

"Ich bin froh, diese Angelegenheit zu einem für uns alle guten Ende gebracht zu haben", sagte Aurora. "Falls du möchtest, können wir noch mal nach Hidden Groves. Den Herbologisch-magizoologischen Garten sollte jeder Australienreisender mal besucht haben."

"Kein Problem. Habe schon auf der Hinreise mit Lorna drüber geredet, daß ich mir den Park mal ansehen sollte", sagte Cynthia. "Daß mel Bunton im Flieger saß habe ich dir ja erzählt. Aber die Arme darf nur unter Muggeln sein."

"Schade. Dann sehe ich die wohl erst im nächsten Jahr, falls ich ein paar Wochen freikriege."

"Gleich ein paar Wochen?" Fragte Cynthia die ehemalige Schulkameradin. Aurora erwähnte, daß sie gerne wieder nach Millemerveilles wolle. Eigentlich hatte sie eine Einladung für den dreiundzwanzigsten Juli. Aber so habe sie helfen können, den Jungen Julius ohne Gewaltanwendung auf den einzig richtigen Weg zu führen.

"Wobei wir nicht wissen, wo er nach Hogwarts hingehen wird", sagte Cynthia. "Und wir wissen auch nicht, ob Du-weißt-schon-Wer nicht doch wiederkommt. Nach der Sache mit der Kammer des Schreckens bin ich mir nicht sicher, ob er nicht doch einen Weg findet, wiederzukommen. Und jetzt ist auch noch sein Verbündeter Sirius Black aus Askaban raus. Stell dir das vor, aus dem Gefängnis ausgebrochen. Es könnte sein, daß wir im nächsten Schuljahr von ihm oder seinen Kumpanen heimgesucht werden."

"Sirius Black ist entflohen? Das ist unmöglich", stieß Aurora aus. "Die Dementoren ersticken jede Hoffnung auf eine gelingende Flucht."

"Er ist aber raus", knurrte Cynthia. "Deshalb muß ich übermorgen schon in Hogwarts sein, um sicherzustellen, daß er sich nicht mit den Schülern bei uns einschleicht."

"Vielsaft-Trank, Cynthia?"

"Ruf den großen Drachen nicht, Aurora. Fudge will Dementoren um die Schule postieren. Zwei oder drei von denen sollen den Hogwarts-Express vor Hogsmeade abfangen und durchsuchen."

"O neh!" Stieß Aurora angewidert aus. Sie wußte zu gut, wie diese riesenhaften Geschöpfe auf Menschen einwirkten. "Dir ist klar, daß die Erstklässler dann meinen, in eine Alptraumanstalt zu fahren. Und wer weiß, ob diese Monster nicht dem einen oder anderen so zusetzen, daß sie gleich von Hogwarts aus in die geschlossene Abteilung vom St. Mungo überwiesen werden müssen. Ist das wirklich schon gesichert, daß diese Bestien den Zug überprüfen?"

"Ich weiß, was du meinst, Aurora. Aber Fudge will da nicht mit sich reden lassen. Dumbledore hat lediglich durchgesetzt, daß diese Ungeheuer nicht ins Schloß reindürfen."

"Na toll!" Schnarrte Aurora. "Dann seht mal zu, daß alle Schüler einigermaßen klar bei Verstand bleiben!"

"Hat Madam Pomfrey auch schon gewettert", knurrte Cynthia. "Denkst du, mir gefällt das?" Aurora schüttelte den Kopf. Dann erwiderte sie, daß Cynthia wirklich die falsche Adresse für ihren Unmut sei und lud sie in die Sonnenstrahlstraße ein, wo sie auch mit Heather Springs zusammentrafen. Das kam Aurora zu Paß. Denn sollte ihr Heilerarmband erzittern, mußte sie die frühere Schulkameradin nicht ganz alleine zurücklassen.

Einen Tag später kehrte Cynthia nach Großbritannien zurück, nicht ohne einige Andenken aus Hidden Groves mitzunehmen. Aurora meinte noch: "Falls seine Eltern mich lassen sehe ich zu, ob ich Julius nicht über die Weihnachtsferien für ein paar Tage hierherholen darf."

"Offenbar hast du den Jungen als persönlichen Auftrag angenommen, wie?" Wollte Cynthia lächelnd wissen.

"Sagen wir es so, wenn ich Bill nur deshalb zufällig kennenlernte, weil ich dadurch diesem Jungen helfen konnte, bei euch in Hogwarts reinzukommen, und der Bursche ist wirklich überragend begabt, dann ist es mir nicht nur eine Verpflichtung, sondern auch eine große Ehre, ihm weiterhin beizustehen. Wenn es gelingt, ihm die Angst vor unserer Welt zu nehmen, ohne ihn seine eigene Welt madig zu machen, kommt er auch mit einem Überschuß an Zauberkraft gut bei uns zurecht, ohne größenwahnsinnig zu werden."

"Hast du Angst, er könnte aus der Bahn fliegen?" Fragte Cynthia Flowers. Aurora räumte ein, nicht direkt Angst zu haben, aber zumindest auf der Hut sein zu wollen, daß er nicht meinte, sich die Zaubererwelt unterwerfen zu müssen, wie es Grindelwald oder der Unnennbare vorhatten. Das gelang aber nur, wenn er nicht mit Druck, sondern mit Zuneigung in die magische Gemeinschaft eingeführt würde und lernen konnte, daß er willkommen war und kein Ausrutscher der Natur war.

Eine Stunde nach Cynthias Abreise erstattete Aurora Dawn ihrer Zunftsprecherin Bericht.

"Dein gemaltes Ich in Hogwarts kann auch mit dir in Verbindung bleiben?" Fragte Laura Morehead. Aurora nickte. "Dann werden wir es bald wissen, ob er ein RS ist. Aber die Aversion seines Vaters könnte ihm zu schaffen machen. Warum kann ein angeblich so analytisch gebildeter Mensch nicht hinnehmen, daß bestimmte Dinge so sind wie sie sind?"

"Das habe ich ihn nicht gefragt. Ich setze aber auf die Methode der langfristigen Gewöhnung. Irgendwann wird er es erkennen und seinen Sohn als das anerkennen, was er ist. Leider liegt das außerhalb unseres unmittelbaren Zuständigkeitsbereiches."

"Sag das mal nicht. Immerhin hältst du diesen Kontakt zu dem Muggel Bill Huxley, wenngleich ich es schon etwas befremdlich finde, daß du dich so stark mit ihm angenähert hast. Was wirst du tun, wenn er dich offen um deine Hand bittet und verlangt, daß du deinen Beruf aufgibst?"

"Sollte er etwas entsprechendes vorhaben muß ich ihm eh erklären, was mit mir los ist", entgegnete Aurora Dawn darauf. Doch insgeheim fragte sie sich schon, was dann passierte.

__________

Die nächsten Monate vergingen. Aurora traf sich immer wieder mit Bill Huxley, der seit dem Besuch der Andrews' mit diesen keinen Kontakt mehr gehabt hatte. Über ihr Hogwarts-Bild-Ich erfuhr die Heilerin, daß Julius in der Tat schon in der allerersten Stunde, Verwandlung bei Professor McGonagall, ungesagt gezaubert hatte und das offenbar sehr unangenehm empfand. Sie erfuhr auch, daß seine Eltern darauf bestanden hatten, daß er neben den üblichen Hausaufgaben auch Sachen aus der Muggelwelt lernen sollte. Ihr Verlangen, mit Bill immer mehr körperliche Nähe zu finden stieg langsam aber unbestreitbar an. Immer wieder konnten sie beide sich gerade so noch zurücknehmen. Als Aurora eines Nachts träumte, sie sei von Bill schwanger und müsse deshalb ihre Heileraprobation zurückgeben wußte sie nicht, ob sie dieses auf diesen einen unausweichlichen Punkt zuplätschernde Verhältnis so fortführen konnte, ohne sich oder Bill an den Rand der Verzweiflung zu bringen. Vorsichtig prüfte sie immer wieder nach, ob Richard Andrews seinem Freund verraten hatte, was sie wirklich war. Doch der schien mit der Überrumpelung durch die Leute aus Hogwarts erst einmal ringen zu müssen. Immerhin erwischte sie Julius' Mutter alleine, als sie ihr Vorhaben wahrmachte und den Jungen für ein paar Tage zu sich einlud. Sie besuchte mit ihm Hidden Groves und sah ein spannendes Spiel der Sparks gegen die Kangaroos. Fast hätte sie ihn dabei an Winnies wilde Welt verloren. Warum hatte sie dieses wahrhaftig verfluchte Buch nicht schon längst ausrangiert? Als Julius wieder in seiner Heimat war kümmerte sie sich wieder um ihre beruflichen Angelegenheiten. Laura Morehead zitierte sie aber immer wieder zu sich um zu klären, wie das mit Bill Huxley weiterginge. Die Beziehung war jedoch ein wenig abgeebbt, wo beide sich darüber klargeworden waren, daß sie ihre Berufe nicht so schnell aufgeben würden. Allerdings fühlte sie, daß nur Auroras berufliches Wohlergehen ihn daran hinderte, sie dazu aufzufordern, mit ihm durchs Leben zu gehen. Denn er war nicht bereit, auf seine abwechslungsreiche Arbeit zu verzichten. Zumindest hegte er im Moment kein sexuelles Verlangen ihr gegenüber. Sie träumte zwar immer wieder davon, wie es mit ihm sein würde, wenn sie es doch einmal taten. Doch sie wandte daraufhin die im Psychomorphologietrimester erlernten Triebaufschubtechniken ohne Einnahme von bewußtseinsverändernden Gebräuen an.

In der Zeit um Ostern herum konnte sie mit Julius telefonieren und erfuhr, daß seine Familie gerade Besuch aus Frankreich hatte. Offenbar wußte seine Mutter, die gerade allein mit ihm im Haus war nicht, daß die Brickstons mit der Zaubererwelt in Verbindung standen. Daß auch jene berühmte Hexe Blanche Faucon bei ihm zu Besuch war machte sie schon fast neidisch. Wie gerne hätte sie mit der Fluch- und Verwandlungsexpertin über diverse Sachen diskutiert. Von Camille wußte Aurora, daß die Beauxbatons-Lehrerin ebenfalls gerne einmal mit Aurora Dawn über die magische Gartenkunde diskutiert hätte. Doch bisher war es nicht gelungen, daß beide zeitgleich an einem Ort zusammentreffen konnten.

Der nächste Winter kam, der in Europa ein Sommer war. Eigentlich wollte sie mit Julius zur Quidditch-Weltmeisterschaft. Denn dafür hatte sie einige Wochen freibekommen können. Ein kurzer Abstecher nach Millemerveilles war auch möglich, sofern Australien während der letzten Tage im Juli nicht ein wichtiges Spiel spielen würde. Allerdings mußte sie erfahren, daß Julius' Vater seinen Sohn genau deshalb aus England fortgeschickt hatte, mußte jedoch laut lachen, als er erfuhr, daß er erst bei den Brickstons in Paris untergekommen war und dann, weil Mr. Andrews durch einen alarmiert wirkenden Brief versucht hatte, seine Rückkehr um einige Tage hinauszuzögern, bei der gestrengen Professeur Faucon in Millemerveilles untergekommen war. Daraufhin beschloß Aurora, ihre Quidditch-Weltmeisterschaftskarten, die ihr Pamela Lighthouse besorgt hatte, anderen Freunden des schnellen Besensports zu überlassen und eine Einladung Camille Dusoleils anzunehmen. Julius hatte dort keinem erzählt, daß er am zwanzigsten Juli Geburtstag feierte. Doch Professeur Faucon hatte es von ihrer Tochter erfahren und mit Camille und der fülligen Dorfrätin Eleonore Delamontagne eine Feier organisiert. Sehr gerne nahm sie den Vorschlag an, ihm einen guten Rennbesen zu schenken. Sie selbst rührte ihm eine ausreichende Menge des Antidots 999 an und besorgte in der Winkelgasse nicht nur den Besen, sondern auch eine Schleiereule und einen Practicus-Brustbeutel. Sie freute sich, als Julius sich sehr über die Feier freute. Leider konnte sie nicht auch noch bei Claires zwölftem Geburtstag dabei sein. Denn sie hatte von Laura Morehead den Auftrag bekommen, die in Europa versammelten Heiler zu interviewen und einige neue Ergebnisse der Frakturheilungszauberei zu studieren, wo früher nur eine vollständige Knochenerneuerung angezeigt war. Immerhin schaffte sie es, den ersten selbständig erarbeiteten Vortrag über die Magie des Sonnenlichtes zu hören, den Julius für interessierte Zuhörer halten wollte. Offenbar hatte die werte Professeur Faucon wie sie selbst ein Interesse gefunden, dem Jungen so viel wie möglich beizubringen und ihn auf einem für ihn und sie anderen konstruktiven Weg zu geleiten. Vielleicht sah sie in ihm auch sowas wie den Enkelsohn, den ihre Tochter Catherine ihr nicht geboren hatte. Jedenfalls konnte sie noch einige Erkenntnisse aus der nichtmagischen Sonnenforschung mitnehmen und auch eine gründliche Erklärung für die zunehmende UV-Strahlung über Australien erfahren.

Allerdings geriet der fehlgeschlagene Versuch, Julius von Hogwarts fernzuhalten, für Aurora zu einer unangenehmen Entscheidungsfrage. Denn Bill Huxley begann, ihr zu mißtrauen, weil sein achso vernünftiger Freund ihn damit gelöchert hatte, ob er sich sicher sei, aus ganz freien Stücken mit Aurora zusammen zu sein und wann genau sie beide sich kennengelernt hatten und ob sie ihm auch nichts verheimliche. Ihr war klar, daß Richard Andrews seinen Freund unterschwellig darauf stoßen wollte, daß Aurora keine gewöhnliche Partnerin für Bill Huxley werden würde. Als es dann im Oktober zwischen ihnen beiden zu einem handfesten Streit darüber kam, wielange sie ihn noch hinhalten wolle und ob sie ihn als Versuchsobjekt für ihre Beziehungsexperimente ansah wurde sie erst wütend und dann nachdenklich. Hatte sie es wirklich zu lange laufen lassen? Wäre es nicht besser gewesen, Bill nach Julius' erstem Besuch einzuweihen? Wie wichtig war ihr diese Beziehung, wenn sie nicht bereit war, sich ihm voll und ganz anzuvertrauen. Sie dachte immer wieder an Bernard Hawkins, ihrer ersten Liebe, wenn man das bei Halbwüchsigen wirklich so hatte nennen dürfen. Wollte sie am Ende die Schuld daran tragen, daß Bill nichts mehr von Frauen wissen wollte? Wollte sie sich eine einmalige Gelegenheit verderben, mit einem Partner durchs Leben zu gehen, der ihr ganz sicher eine Menge bieten konnte? Sie schaffte es nur mit großer Mühe, ihn davon zu überzeugen, daß sie mit ihm gut befreundet bleiben wolle und nichts überstürzen wolle, was für beide unangenehm sei. Außerdem solle er seine Meinung nicht von irgendwelchen Einflüsterungen abhängig machen. Ihre Eltern drängten auch darauf, daß sie sich endlich entscheiden würde. Allerdings wüßten diese, daß sie lange und hart für ihren Beruf gelernt habe, um das alles aufzugeben. Bill hatte dann um Bedenkzeit gebeten.

"Dieser Ignorant beschwatzt ihn, Laura. Wenn ich nicht bald mit ihm abkläre, was mit mir los ist kriegt er es von diesem Besserwisser, um mir eins auszuwischen, weil ich seinen Sohn für die Zaubererwelt begeistert habe."

"Du kannst einem auf rein muggelwissenschaftlich basierende Erkenntnisse fixierten Mann nicht verübeln, daß er die Kenntnis von unserer Welt nicht so einfach akzeptiert. Daß wir uns nicht allgemein offenbaren dürfen liegt ja gerade daran, daß es immer noch große Vorbehalte und Ängste gegen die magische Welt gibt", erwiderte Laura Morehead, als Aurora wieder einmal bei ihr zum Gespräch saß.

"Bill will sich Weihnachten bei seinen Verwandten von der australischen Sommerhitze erholen. Aber wenn er im Januar wieder da ist wird er eine klare Entscheidung erwarten. Wer weiß, ob dieser Ignorant Richard Andrews ihm bis dahin nicht erwähnt hat, daß ich eine Hexe bin."

"Gut, dann solltest du bei Ministerin Rockridge beantragen, daß ein Vergissmich in Bereitschaft gehalten wird. Du mußt ihn eindeutig fragen, ob er bereit ist, dich so zu akzeptieren, wie du bist und ob er dich heiraten möchte. Nach dem, was ich durch Recherchen in der Muggelwelt erfahren habe würdest du eine solide Partie machen und er würde eine sehr kundige Heilerin zur Frau bekommen. Aber ihr müßt beide voreinander eingestehen, was ihr seid. Darauf bestehe ich als Zunftsprecherin", stellte Laura Morehead unmißverständlich klar. Aurora sah dies ein und versicherte ihr, alle ausstehenden Fragen zu klären.

Als Bill dann im Januar von seinem Weihnachtsausflug wiederkam lud Aurora ihn zu sich ein. Sie fühlte das Mißtrauen, daß er ihr gegenüber empfand. Er berichtete ihr, daß Richard und Martha sehr verstimmt seien, weil ihr Sohn nicht über die Weihnachtstage zu ihnen hatte reisen dürfen, angeblich weil es zu einer Lernverweigerung gekommen sei, die ihn fast an den Rand des Rauswurfs getrieben hätte und die Theodor-C.-Beaufort-Schule bisher keinen Schulverweis ausgesprochen habe und nicht gerade den Sohn eines Direktors an die Luft setzen wollte. Aurora hörte sich das an. Wie es wirklich war wußte sie besser als er. Denn über das Bild-Ich in Hogwarts bekam sie nicht nur den Verlauf des trimagischen Turnieres mit, sondern erfuhr auch, warum Julius dort die Weihnachtstage verbracht hatte. Von wegen Lernverweigerung. Er kniete sich ordentlich rein und hatte sich mit seiner besonderen Zauberkraft arrangiert. Aber genau das stieß seinem Vater ja so auf. Dann kam sie zu dem, worüber sie mit Bill reden wollte.

"Bill, ich finde, das im Herbst müssen wir nicht wiederholen. Meiner Meinung nach ist es nur passiert, weil wir beide uns nicht darüber im klaren sind, wie wir unser beider Leben zusammenführen können, ohne daß der eine oder die andere das bisher erreichte aufgibt."

"Ich habe mich nur auf deine Einladung eingelassen, weil ich finde, daß du mir langsam erzählen solltest, was eigentlich mit dir los ist. Ich kriege immer komische Andeutungen, ob du mich nur als Freund hättest, um mit mir anzugeben oder mich als Studienobjekt oder gar Spielzeug kultivierst. Ich merke, daß das mit einer reinen Freundschaft nichts halbes und nichts ganzes für mich ist. Aber meine scheiß Neurosen blocken das ab, mehr zu verlangen, als du mir geben möchtest."

"Du mußt dich nicht selbst mit den wüstesten Ausdrücken erniedrigen", erwiderte Aurora. "Im Gegensatz zu mir hast du keinen Eid geschworen, dein Leben als Vorbild für andere zu führen und immer als sittlich fest und vertrauenswürdig dazustehen. Die Sprecherin der Gruppe, der ich angehöre hat mich auch schon gefragt, wie lange ich das noch vor mir hertreiben lassen oder mich davon vorantreiben lassen möchte, bis es peinlich für uns beide wird. Lass das, was du deine Neurosen nennst mal schweigen und sage mir offen ins Gesicht, was du von mir erwartest oder wünschst?"

"Soll ich jetzt den Steinzeitmenschen geben und sagen: Du und ich Liebe machen oder was?" Stieß Bill aus. Dann verzog er das Gesicht und atmete tief durch. Weil Aurora auf diese merkwürdige Äußerung nicht reagierte fügte er verunsichert hinzu: "Wir beide hatten es ja schon davon, daß du und ich wegen unserer Erziehung nicht so frei herumlaufen können, wie wir wollen. Aber ich habe schon heftigste Träume von dir gehabt. Gut, daß meine Freunde hier in Australien nicht wissen, daß wir miteinander befreundet sind. Die hätten mich glatt gefragt, ob ich vom anderen Ufer sei oder du oder dir irgendwer was zugenäht hat oder mir jemand was abgeschnitten hätte. Und immer wieder komme ich darauf, daß ich nicht weiß, woran ich bei dir bin, es aber unbedingt wissen möchte, um zu wissen, wie das mit uns beiden weitergehen soll. Doch dann denke ich auch, daß ich nicht weiß, ob ich dich nur als Kameradin oder als Frau um mich haben möchte."

"Frau im Sinne von Ehefrau oder nur als Geschlechtspartnerin?" Fragte Aurora, nachdem Bill einige Sekunden geschwiegen hatte. Bill stutzte und erwiderte dann:

"Wir hatten es ja schon davon, daß wir jeder für sich viel geackert haben, um alleine leben zu können. Das hat viel Kraft gekostet, meinem Vater zu widersprechen, der mich unbedingt in einer Arztpraxis gesehen hat. Deshalb weiß der bis heute nicht, daß ich eine Naturheilpraktikerin kenne, weil der von solchen leider nichts hält. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich bisher so zurückhaltend geblieben bin, um dich zu fragen, ob wir nicht heiraten sollten." Jetzt war es heraus. Ohne es konkret als Wunsch geäußert zu haben räumte Bill Huxley ein, daß er Aurora sehr gerne zur Ehefrau nehmen würde. Sie hörte weiterhin zu. Das irritierte ihn. Denn nun kam er sich ausgeliefert vor. So sagte er nur noch: "Jetzt kannst du meinetwegen lachen und mich für einen Vollidioten halten. Aber ich hänge echt an dieser einen Stelle fest, soll ich sie fragen oder soll ich es lassen? Aber dann fällt mir auch immer ein, daß ich keine Katze im Sack kaufen soll und du mir längst noch nicht alles erzählt hast, was du so erlebt hast. Ich hatte nur den Eindruck, daß es dir wichtig war, daß Richards Sohn Julius was von deiner Pflanzenkenntnis mitbekommt, um damit in seiner Schule zu punkten. Aber das waren wohl die berühmten Perlen vor die Säue. Der Bursche ist offenbar noch fauler geworden als vor seiner Schulzeit. Insofern hat Richard wohl doch besser daran getan, den nicht nach Eton zu schicken."

"Wir sind das Thema", holte Aurora ihn sehr bestimmt zum eigentlichen Thema zurück. "Du hast mir gerade gesagt, du würdest mich gerne heiraten, hättest aber Angst, weil dein Vater keine Heilerinnen mag und du deine eigenen Bedürfnisse zurückstellst, um dich nicht in eine für dich unangenehme Lage zu bringen. Das kann und muß ich auch für mich in Anspruch nehmen. Nur im Gegensatz zu dir mußte ich sogar einen Eid schwören, einen verläßlichen Lebensweg zu führen und für andere als Vorbild zu dienen. Daher darf ich Gefühle für einen Mann nur weil ich eine Frau bin nicht so offen durchbrechen lassen, weil ich hart dafür gearbeitet habe, um zu erreichen, was ich jetzt habe. Und wenn ich einen Mann finde, der bereit ist, mich als Ehefrau zu nehmen, muß ich meinen Leuten den sogar vorstellen oder zumindest sicher wissen, daß er es ernst meint. Also, meinst du es ernst und würdest mich Heiraten, wenn du alles von mir wüßtest?" Preschte sie nun vor. Bill fühlte sich nun in die Enge gedrängt. Genau das hatte Aurora jetzt gewollt. Die verdrängten Bedürfnisse mochten ihn gehemmt haben, das Gefühl, unter Druck zu stehen, mochte diese Hemmungen abbauen. Tatsächlich sagte er:

"Willst du mir nur alles verraten, was dich noch so umgibt, wenn ich mit Ja antworte?" Aurora nickte. "Das wurde mir so gesagt, daß ich diese konkrete Entscheidung von dir haben muß, um dir den Rest alles wichtigen zu erzählen."

"Und wenn ich jetzt nein sage?" Fragte Bill. Aurora lächelte verdrossen und unterstellte ihm, daß er nicht ehrlich mit "Nein" antworten würde. Bill verzog wieder das Gesicht. Dann fragte er: "Wen würde ich denn dann zum Altar führen, wenn ich dir einen offiziellen Antrag machen wollte?"

"Ich beantworte die Frage sehr ungern, weiß aber, daß ich sie beantworten muß. Allerdings mußt du Sie ohne Konjunktiv stellen", bestand Aurora auf einer ganz klaren Antwort. Bill atmete tief durch und versuchte, diese Unterhaltung als albern und zwecklos abzustempeln. Doch weil Aurora ihn sehr erwartungsvoll ansah sagte er schließlich: "Wenn du meinst, es würde wichtig sein, dir ohne zu wissen, was du bist einen Heiratsantrag zu machen dann bitte: Aurora, wirst du dieses dumme Spiel, was wir zwei in den letzten anderthalb Jahren gespielt haben aufgeben und meine Frau werden?" Aurora sah ihn an und antwortete: "Wenn du mit mir so zusammenleben kannst wie ich bin, ja, William Huxley."

"Dann stelle ich jetzt die Frage noch einmal: Was und wie bist du wirklich?" Aurora atmete tief durch. Endlich war der entscheidende Punkt erreicht. Dann sagte sie so erregungslos wie sie konnte: "Ich bin eine richtige Hexe, nicht nur eine gute Kräutermischerin." Bills Kinnlade klappte nach unten und sofort wieder zu. Er sah sie verdrossen an und knurrte: "Das habe ich nicht nötig, mich von dir so verarschen zu lassen." Aurora jedoch blieb ganz ruhig und sagte:

"Und ich habe es nicht nötig, dir etwas zu erzählen, nur um dich zu veralbern. Ich habe lange überlegt, wann und wie ich dir das erzählen soll. Aber es sprach und spricht so viel dagegen, es jedem, der nicht in der magischen Welt zu Hause ist auf die Nase zu binden, was ich kann und bin."

"Du hast eben das Wort "Hexe" benutzt. Stimmt das?"

"Eindeutig, Bill: H-e-x-e, eine magisch begabte Frau, die durch Zaubersprüche oder Tränke Dinge bewirken kann, die sich nicht mit eurer Naturwissenschaft ergründen oder beschreiben lassen. Wenn du wirklich mit mir zusammenleben willst habe ich keine Probleme damit, dich so zu nehmen, wie du bist, wenn du mich als das akzeptierst was ich bin."

"Neh, Mädel, das geht mir jetzt sowas von auf den Senkel. Ich lasse mich doch nicht dermaßen verscheißern", brüllte Bill laut. Da holte Aurora ihren Zauberstab hervor und deutete auf den Hut des Ingenieurs. Eine schnelle, fast nicht mit den Augen zu verfolgende Bewegungsabfolge später schlug ein violetter Blitz aus dem Zauberstab und traf den Hut. Statt seiner hockte nun ein weißer Kakadu da und stieß seinen lautstarken Ruf aus. Bill erschrak heftig. er saß da wie versteinert. Dann begann er zu zittern und stammelte: "Pure Täuschung. Sowas gibt's nicht echt."

"Dann nimm deinen Hut und setz ihn bitte auf", sagte Aurora darauf nur. Sie hatte ihre Enthüllung mit dem Holzhammer vorgetragen. Doch sie wußte, daß Bill eine reine Erklärung niemals akzeptiert hätte. Außerdem hatte sie Laura Moreheads Genehmigung, Bill ein oder zwei unerklärliche Zaugerkunststücke vorzuführen, ohne ihn selbst in irgendeiner Weise zu beeinträchtigen. Sie sah, wie Bill hinter dem Kakadu hersprang um ihn als pure Spiegelung zu entlarven und der Vogel ihn dafür mit dem gekrümmten Schnabel in die Hand hackte, bevor er wild kreischend aufflog und im geschlossenen Raum herumschwirrte. Bill starrte auf seine Hand. Blut quoll aus der Stelle, die der zum weißen Papageienvogel verwandelte Hut mit dem Schnabel erwischt hatte. Aurora sah, wie der Kakadu auf den Kaminsims flatterte und von dort aus wilde Rufe ertönen ließ. Sie schwang ihren Zauberstab erneut und ließ den Vogel zur Blumenvase werden. Bill starrte verstört auf das zweite Zauberkunststück. Als die Vase dann auch noch die Farben wechselte und aus sich selbst zu leuchten begann keuchte er nur noch. Aurora erkannte, daß sie nicht weiter auf seinen gebeutelten Nerven herumtrampeln durfte. So ließ sie die Blumenvase wieder zum Hut werden. Nur, daß der jetzt wo anders lag als vorher.

"Scheiße, das blutet", stieß der Ingenieur bar jeder Contenance aus. Aurora ging zu ihm. Er holte mit der unverwundeten Faust aus. Da erwischte ihn ein ungesagter Bewegungsbann. "Ich habe dir das angetan und werde das wieder beheben", sagte sie ganz ruhig. Dann ergriff sie die verwundete Hand und reinigte sie zunächst, um sie dann mit "Injuriclausa!" vollständig verheilen zu lassen. Danach ging sie weit genug zurück und hob den Bewegungsbann auf. Bill schlug nicht nach ihr. Er stand zitternd da. Das alles war zu viel für seinen auf reine Naturgesetze getrimmten Verstand. Diese Frau da hatte ihn nicht belogen. Und die Verletzung hatte echt weh getan. Das war kein Trick gewesen. Aurora sah ihn an und wartete, wie er sich verhalten würde. Wenn er den Verstand zu verlieren drohte mußte sie ihm einen Beruhigungszauber auferlegen. Doch er schaffte es auch so, innerhalb von dreißig Sekunden die Sprache wiederzufinden: "Das kann es nicht geben. Aber ich hab's gerade mitgekriegt", sagte er. "Und das ist das, was du mir die ganze Zeit nicht sagen wolltest?"

"Was ich dir nicht sagen durfte, Bill. Die magischen Menschen, zu denen ich gehöre, leben mit einem strickten Geheimhaltungsgebot und dürfen nichts unternehmen, was den magielosen Menschen wie dir, Schaden zufügt oder unfaire Vorteile gegenüber den Anderen verschafft. Wie bei euch gibt es bei uns verschiedene Berufe und Wissenschaften. Nur liegen unseren Tätigkeiten magische Möglichkeiten zu Grunde."

"Die haben uns allen erzählt, daß Zauberei nur Aberglaube oder geschickte Trickserei sei. Aber dieser weiße Brathahn war echt. Der hat mich echt gebissen. Und jetzt liegt da wieder ein Hut und du hast mich mit einem Bannstrahl erwischt und dann das Blut verschwinden und die Wunde wieder zugehen lassen. Das kann ich nicht erklären. Was gilt dann noch die Wissenschaft?"

"Ihr habt viel erfunden, nur weil ihr die nichtmagischen Zusammenhänge in der Natur erforscht und ergründet habt", erwiderte Aurora darauf. "Wo wir Zauber zum Fliegen auf Besen oder Flugteppichen benutzen, habt ihr Maschinen gebaut, die so viel Kraft erzeugen, daß sie damit Vögeln nachgebaute Stahlkolosse in die Luft heben können. Allerdings stimmt es schon, daß unsere Heilkunst und viele Fortbewegungsmittel dem noch weit voraus sind."

"Vielleicht ist es der Hyperraum, das was seriöse Physiker ablehnen und Zukunftsdichter als das Medium bezeichnen, in dem Raumschiffe schneller als das Licht fliegen können und Gegenstände durch Gedankenkraft bewegt oder zeitlos versetzt werden können", erwiderte Bill Huxley.

"Das denke ich nicht, daß es so ein übergeordneter Raum ist. Es ist vielmehr etwas, daß innerhalb des sichtbaren Raumes unsichtbar existiert und nur von bestimmten Menschen oder Lebewesen verspürt oder beeinflußt werden kann", wandte Aurora ein. "Außerdem müssen wir zur Ausübung von Zaubern bestimmte Wort- und Zauberstabkombinationen und damit verknüpfte Gedanken einstudieren, was bei einem Energiefeld, wie es die Naturkundler deiner Welt kennen oder vorherbestimmen können, nicht nötig wäre. Aber das ist jetzt pure Theorie. Was für dich und mich wichtig ist ist doch schlichtweg, ob du mich als deine Frau an deiner Seite haben möchtest, auch wenn ich eine Hexe bin. Denn außer dir und meinen Verwandten dürfte es niemand wissen."

"Seid ihr Mutanten, Leute, die durch Erbveränderung Sachen machen können, die sonst keiner kann?" Versuchte Bill, eine neue Deutung für das gesehene zu finden, die annähernd an eine naturwissenschaftliche Erklärung heranreichte.

"Also ich weiß, daß ich meine Zauberkräfte von meinen Eltern, Großeltern und Urgroßeltern bekam und daß sie nicht darin erschöpft sind, direkt was zu bewirken, sondern auch, Dinge so zu verändern, daß sie verändert bleiben, auch wenn wir sie nicht mehr ansehen. Insofern sind wir keine Mutationen im Sinne einer sporadischen Erbgutveränderung", sagte sie. Die Begriffe, mit denen Bill hantierte kannte sie von Roy und Tim bereits, um damit was anfangen zu können. Dann sagte Bill: "Verstehe, alle Märchenerzähler haben die Wahrheit gesagt, und es gibt Zauberer und Hexen, Drachen und Dämonen. Dann gibt es auch Gott und den Teufel."

"Also was einen allmächtigen, gütigen Gott angeht oder dessen zerstörungssüchtigen, Haß sähenden Widerpart, den Teufel, kann ich deren Existenz nicht so schlüssig beweisen wie meine Zauberkräfte. Ich kann nur sagen, daß ich sie nicht von solchen überweltlichen Wesen bekommen habe."

"Das glaubt mir doch keiner", stöhnte Bill Huxley. "Ich habe so Dinger wie die Bezaubernde Jeanie und diese Serie mit dem Typen, der eine echte Hexe geheiratet hat für pure Spinnerei gehalten, um Leute zu unterhalten. Und jetzt stecke ich voll in einer solchen Kiste drin. meine ganze Bildung nur ein Viertel echte Wahrheit", seufzte er noch. Dann fühlte er, wie ihm die Kräfte schwanden, obwohl Aurora ihren Zauberstab schon längst fortgepackt hatte. Er setzte sich wieder hin. Er sah die bisher für so geheimnisvoll gehaltene Freundin verstört an. Doch diese lächelte sanft. "Ich muß es wohl glauben. Aber wieso ich?"

"Nur ein Zufall. Wir laufen nicht hinter Leuten her, um sie uns zu angeln", sagte Aurora Dawn. "Daß ich mich dir hier und jetzt enthülle liegt ganz alleine daran, daß ich mit dir zusammenleben möchte, sofern du mich so nimmst, wie ich bin. Ich bekam den Auftrag, das zu klären, weil meine Zunft der magischen Heiler von mir verlangt, daß ich nicht jeder Versuchung oder kurzfristigen Laune nachgebe. Weil wenn mir nur nach Spaß und Spiel wäre und ich mich frei austoben dürfte, dann hätten wir zwei es schon längst miteinander getan und ich hätte dich dazu bekommen, nur noch mich haben zu wollen und mir jederzeit zu Willen zu sein. Aber wir haben Gesetze, die uns das verbieten, unsere Kräfte so egoistisch auszunutzen. Und wir Heiler sind in der Hinsicht noch mehr eingeschränkt, weil wir einen Eid schwören müssen, unsere Kenntnisse und Künste nur zum Heil und Schutz von Menschen anzuwenden. Deshalb kann ich dir verbindlich garantieren, daß ich weder dir noch sonst wem, der dir wichtig ist, mit meinen Zauberkräften Schaden zufüge. Aber du mußt mir versichern, daß du mich als Ehefrau mit meinen Zauberkräften und meinem damit verbundenen Beruf akzeptierst. Oder du erklärst mir hier und jetzt, daß du nicht damit leben kannst, daß ich eine Hexe bin. Dann geh bitte. Aber bitte verrate es niemandem!"

"Nach der Sache, die du gerade gemacht hast. Tut mir leid, Aurora. Auf das war ich jetzt nicht vorbereitet. Ich könnte mich vielleicht daran gewöhnen, daß du das alles kannst, was du mir gezeigt hast. Aber ich habe einen zu wichtigen Job, der mich auch zur öffentlichen Person macht. Die Presse würde nachhaken und das rauskriegen. Dann wäre ich voll blamiert. Ich muß mich ja eh schon freuen, daß mir bisher keiner draufgekommen ist. Aber nein, tut mir leid. Das mit uns wird wohl nichts."

"Du meinst, dir ist es wichtiger, daß du mit mir an der Seite repräsentieren kannst als mich als deine Frau zu haben?" Fragte Aurora. Ihr war es nun ebenso unwohl wie Bill.

"ich habe mehr als ein Jahr damit jongliert, nicht alles von dir zu wissen. das hat dich für mich interessant gemacht. Aber jetzt, wo du es mir erzählt und vorgeführt hast, ärgere ich mich darüber, daß ich es wissen wollte. Ich kann nicht mit einer Frau leben, die alles auf den Kopf stellt, was mir als einzig richtig beigebracht wurde. Nein, Aurora. Vielleicht sollten wir den Abend hier als Ende unserer Beziehung ansehen. Sicher, du könntest mir vielleicht einen Hypnosezauber oder einen Gehorsamkeitsfluch oder sowas überbraten, damit ich bei dir bleibe. Aber lieben könnte ich dich dann nicht mehr."

"Wenn mir danach wäre, dich als Erbgutspender für gute Kinder zu halten müßte ich dir nicht erzählen, was mit mir los ist. Aber ich habe gelernt, daß unsere Macht die Verpflichtung beinhaltet, zu heilen und zu schützen und nicht zu unterdrücken und zu versklaven. Ich finde es traurig, daß es so endet. Aber vielleicht ist es besser, als weiterhin in der Ungewißheit zu leben, etwas wesentliches verschwiegen zu haben. gut, wenn du gehen möchtest geh!" Erwiderte Aurora, die um ihre Fassung rang. "Wenn es dir wichtiger ist, daß deine Ehefrau auch eine gute Vorzeigepartie sein soll, mit der du dich nicht blamierst oder deren Natur du nicht erwähnen darfst, so geh bitte! Auch wenn du es als Heuchelei auffassen magst: Vielen Dank für die netten Wochen und Monate, in denen ich von dir vieles sehr wichtiges gelernt habe. Es ist schade, daß ich dir von dem, was ich tun kann nichts weitergeben durfte. Aber womöglich waren wir zwei nicht füreinander bestimmt. Wenn du gehen möchtest geh bitte!" Bill ergriff seinen Hut, setzte ihn aber nicht auf, weil er Angst hatte, Aurora könnte ihn wieder in irgendwas verwandeln. Dann winkte er ihr zum Abschied. In seinem Gesicht stand eine Mischung aus Bestürzung aber auch Enttäuschung. Offenbar hatte er sich tatsächlich was mit Aurora Dawn ausgerechnet. Er ging zur Tür, öffnete sie und verließ das Zimmer. Aurora geleitete ihn zur Haustür. Eilig öffnete er diese und lief hinaus, hin zu seinem Ford Transit. Diesen enterte er mit solcher Eile, daß Aurora schon fürchtete, er würde gleich damit in die nächste Häuserwand hineinrasen. Doch als er den Motor anließ und auf die schmale Straße einbog, fuhr er ganz diszipliniert davon. Aurora zog sich in ihr Haus zurück. In ihrem Kopf dudelte Bill Huxleys Handy-Klingelton: Waltzing Mathilda, das Lied von dem Vagabunden, der ein freilaufendes Lamm einfing und es ohne erlaubnis kochen wollte. Mit der Melodie im Kopf kehrte Aurora in ihr Sprechzimmer zurück. Sie winkte mit dem Zauberstab und ließ alle Türen zufallen. Bill wollte sie nicht mehr, weil sie das konnte. Bill Huxley hatte sie abgelehnt, weil sie etwas konnte, daß seinem Weltbild widersprach. Sollte sie sich jetzt dafür verabscheuen? Nein! Für das was sie konnte und war konnte sie nichts. Sie war und blieb eine Hexe. Ihre erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse waren ein Teil von ihr. Genausowenig konnte sie Bill abverlangen, ohne seinen rechten Arm oder sein linkes Bein zu leben. Sie fühlte, wie ihr Tränen in die Augen traten. Wieso hatte es so enden müssen? Warum konnte sie keine richtige Beziehung knüpfen? Sie gab sich fünf Minuten einem Weinkrampf hin, bis ihr Verstand die aus Selbstvorwürfen und Fragen bestehenden Gedanken vertrieb. Sie hatte doch damit rechnen müssen, daß Bill sie deshalb ablehnte. Kein Mensch, der auf eine bestimte, einzig gültige Lebensweise hinerzogen wurde, klatschte laut Beifall, wenn sich diese Lebensweise als Halbwahrheit oder Unwissenheit entpuppte. Und selbst, wenn sie ihre magischen Kräfte hätte ablegen können wie einen alten Mantel, so wäre da immer noch die Gewißheit gewesen, daß Bill sie nicht in seine Welt lassen wollte, weil sie anders war. Zwar hatte sie neben der Enttäuschung auch ein gewisses Unbehagen in seinem Gesicht erkennen können. Doch das täuschte sie nicht darüber hinweg, daß er seine Entscheidung eindeutig getroffen hatte. Wenn er sie wirklich geliebt hatte, so hatte er das in dem Moment vergessen, als ihm klar wurde, daß sein Weltbild durch sie lächerlich gemacht worden war. Sie hatte sein Lebensfundament zerstört, zumindest arg beschädigt. Eine solche Frau konnte er bestimmt nicht lieben oder gar heiraten, mit ihr Kinder haben und alt werden. Sie erkannte, daß es so besser war, als daß sie beide sich auf etwas eingelassen hätten, woran sie beide zerbrechen konnten. So blieb ihr nur, eine Eule zu jenem Vergissmich zu schicken, der sich heute Abend bereitgehalten hatte. Denn was nun kommen mußte, konnte sie nicht tun. Sie wäre zu gefühlsmäßig beschränkt, um es so gründlich zu tun, wie es angeraten war. Sie schrieb nur:

meine Enthüllung führte zur Ablehnung. Bitte lassen sie ihn glauben, daß ich bereits wem anderen versprochen bin, damit er seinen Frieden im Leben findet!

Anschließend schrieb sie Laura Morehead noch einen Brief, daß es nun klar sei, daß sie auch weiterhin ungebunden und unbeschränkt für die Heilerzunft da sein würde.

Eine Stunde später erhielt sie die Antworteule, daß der Vergissmich Bill Huxleys Gedächtnis entsprechend bearbeitet hatte, daß Aurora verlobt sei.

Am nächsten Morgen erhielt sie noch einen Anruf von Bill. "Es war schön mit uns, auch wenn wir nie zusammen im Heu oder auf der Wolldecke Liebe gemacht haben. Aber jetzt, wo du mir das erzählt hast, daß du schon wen gefunden hast, der nur etwas weiter weg wohnt, kann ich doch ohne schlechtes Gewissen einen Job annehmen, für den sie mich schon im November haben wollten. Ich wünsche euch beiden alles Glück, daß ihr verdient habt."

"Komm gut klar, Bill. Es war schön, dich kennengelernt zu haben", erwiderte Aurora Dawn. Dann legte sie auf und wischte neue aufkommende Tränen fort. Gestern hatte sie keine kurzen Sätze zusammenbekommen, um sie ihrem Tagebuch anzuvertrauen. Nun, wo sie eine Nacht darüber geschlafen hatte, konnte sie schreiben:

10. Januar 1994

Hallo Wendy!

Ich melde mich schon vom 11. Januar. Aber ich kann dir jetzt erst schreiben, was mir passiert ist. Ich habe auf Laura Moreheads Drängen Bill meine Zauberkünste vorgeführt, als der mir erzählt hat, er würde mich gerne heiraten. Doch danach war er so durcheinander, daß ich schon Angst hatte, er würde den Verstand verlieren. Doch dann sagte er mir ganz klar und unmißverständlich, daß er in seinem Beruf auch eine Frau zum Repräsentieren bräuche und ich als Hexe alles in Frage stellen würde, was ihm als einzig richtig beigebracht worden sei. Mit so einer Frau könne er nicht alt werden. Ich habe ihn ziehen lassen. Denn ich habe festgestellt, daß ich ihn zu sehr geliebt habe, als daß ich auch ohne Heilerkodex irgendwas gemacht hätte, um ihn an mich zu binden. Ein Vergissmich hat ihm eingegeben, daß ich schon verlobt sei. So kann er mit seinem einzig wahren Weltbild weiterleben. Er hat mich gerade noch mal über sein Telefonding angerufen und sich verabschiedet. Ich denke, er zieht bald aus der Gegend weg. Ich hoffe, er findet doch noch sein Glück. Ob ich meins noch suchen soll oder ob ich mich mit dem zufriedengeben muß, was ich habe weiß ich nicht. Ich bin zumindest froh, über Bill an Julius Andrews herangekommen zu sein und ihm helfen kann, seinen Weg in der Zaubererwelt zu finden. Wenn es das sein soll, was mir bestimmt ist, dann will ich sehen, daß ich das beste für ihn, für mich und alle anderen daraus mache.

Bis Morgen, Wendy!

ENDE

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