BLUTSGESCHWISTER

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Daß das neue Schuljahr sehr düster werden könnte wußten Julius und seine früh angetraute Ehefrau Mildrid schon vor der Rückkehr nach Beauxbatons. Doch daß sich selbst in Frankreich düstere Dinge zutragen werden haben sie dann doch nicht erwartet.

Der fanatische wie herrschsüchtige Hexenmeister Voldemort hat das britische Zaubereiministerium in seiner Hand. Todesser und unterworfene Ministeriumsbeamte üben ein Terror-Regime aus und jagen vor allem Hexen und Zauberer, die keine magisch begabten Eltern haben. Dolores Umbridge, klein aber gemein, leitet die für diese unmenschliche Jagd eingerichtete Kommission. Vor allem will sie überragend gute Zauberer vorladen, die muggelstämmig sind. Und als wenn Voldemort das nicht reicht, hat dieser noch schlafende Krieger aus dem alten Reich erweckt, die teils Mensch teils Schlangenkreatur sind und ihr Dasein wie eine Tollwuterkrankung weitergeben können.

Julius hat schon als stellvertretender Saalsprecher genug um die Ohren. Hercules Moulin erweist sich als Nachfahre einer grünen Waldfrau und muß zur Beherrschung seiner damit verbundenen Eigenarten nach Amerika, wo eine gemäßigte Vertreterin dieser Zauberwesenart lebt. Der neu angestellte Zaubertierlehrer Maurice Pivert bringt seine Schüler zweimal in tödliche Gefahren und muß deshalb wieder gehen. Für ihn übernimmt Hercules' Vater, der früher in der Zaubertierabteilung war. Dann sind da natürlich die schwereren Schulaufgaben und die Verantwortung für die anderen Mitschüler. Als wenn das nicht reichen würde muß Julius darauf warten, ein geheimnisvolles magisches Musikinstrument zu finden und richtig zu spielen, um die aufgeweckten Krieger und ihre Abkömmlinge zu besiegen. Seine vier besten Schulfreunde werden in Hogwarts von Dolores Umbridge mit dem Kuß des Dementors bedroht. Der neue Schulleiter Snape und die von Voldemort als Lehrer angedienten Carrow-Geschwister tyrannisieren eh schon alle, die dort noch lernen dürfen. Mit Hilfe seines Intrakulums kann Julius seine vier Freunde befreien und ihnen einen heimlichen Flug in die vereinigten Staaten sichern, wo sie in Thorntails weiterlernen sollen.

Doch auch in der französischen Zaubererwelt an sich wirkt sich Voldemorts Schreckensherrschaft aus. Seine Dementoren überfallen immer wieder das Land. Wie sie erfolgreich bekämpft werden sollen spaltet die magische Gemeinschaft. Grandchapeaus besonnene Politik der Einrichtung passiver Schutzmaßnahmen scheint zu funktionieren. Doch dann verschwinden der Zaubereiminister und seine Ehefrau spurlos. Sein Nachfolger wird Janus Didier, der eine aktive Bekämpfung der Dementoren verlangt hat. Dieser erläßt sehr drastische Verhaltensregeln, die keine Kritik an ihm zulassen. Offenbar will er auch keine ausländischen Zauberer im Land haben. Denn er läßt Julius' Mutter ins Ministerium zitieren, wo sie von seinem Sicherheitschef Pétain verhört werden soll. Martha Andrews ist jedoch auf die Verwendung von Wahrheitstränken gefaßt und kann den Spieß umdrehen. Dabei erfährt sie, daß Didier alle seine Politik kritisierenden Hexen und Zauberer in gesicherten Lagern internieren will, die er Friedenslager nennt. Mit Catherine Brickstons Hilfe kann Martha diese brisanten Informationen aus dem Ministerium herausbringen. Didier läßt umgehend die auf seiner Liste stehenden Zauberer und Hexen jagen, von denen jedoch viele, von Martha und Catherine gewarnt, rechtzeitig in Millemerveilles untertauchen können. Auch die Familienstammschlösser Florissant und Tournesol werden zu Fluchtbunkern für die Familienangehörigen. Didier hat viele Hexen und Zauberer seiner Behörde unter Imperius genommen, um sich deren Gehorsam zu sichern. Dann muß auch er erkennen, daß neben den Dementoren auch andere Kreaturen ins Land eindringen. Doch das bringt ihn nicht von seinem paranoiden Übereifer ab. Im Gegenteil. Als auch die von der Wiederkehrerin und Erbin Sardonias erweckten Entomanthropen wieder auftauchen, ist er sich sicher, daß seine Vorgehensweise die einzig richtige ist. Um Didiers Unrechtspolitik zu beenden entsteht in Millemerveilles ein Gegenministerium unter dem gewählten Minister Phoebus Delamontagne, der sich jedoch als Grandchapeaus Stellvertreter sieht, weil er von dessen Tochter Belle weiß, daß dieser und seine Frau noch irgendwo am Leben sein müssen.

Martha, die mittlerweile die Vermittlung zwischen Muggel- und Zaubererwelt übernommen hat und insgeheim auch muggelstämmigen Hexen und Zauberern aus Großbritannien zur Flucht verhilft, wohnt in Millemerveilles und gibt den unter elf Jahren alten Schulkindern Rechenunterricht. Doch weil der sonst wirkende Muggelabwehrbann droht, sie aus dem Dorf zu verdrängen, weil der davor schützende Trank zur Neige geht, hat sie scheinbar nur die Wahl zwischen Zauberschlaf oder Umzug in ein anderes geschütztes Umfeld. Ihre entfernte Verwandte Antoinette Eauvive schlägt ihr eine dritte Möglichkeit vor und unterzieht Martha dem Lebenskraftspenderitual, um etwas von ihrem eigenen Magiepotential zu übertragen. Ihre drei Töchter unterstützen sie dabei. Deshalb schlägt das Ritual besser an, als sie eigentlich vorhatten. In Martha wird ein nach außen wirksames Magiepotential aufgebaut, das nicht mehr verschwindet. Sie ist nun selbst eine Hexe und muß sich darauf einstellen, ihre unerwartete und eigentlich nicht erbetene Zauberkraft zu beherrschen. Immerhin kann sie in Millemerveilles bleiben, ohne im Magischen Tiefschlaf liegen zu müssen.

Weil Madame Maxime und Professeur Faucon auf Didiers Liste der unerwünschten Personen stehen, sollen sie Beauxbatons verlassen. Madame Maxime wird sogar mit dem Tode bedroht. Das verhilft ihr, zusammen mit Schülern, die in direkter Linie von den sechs Gründern abstammen, die Säulen dieser Gründer zu aktivieren, die Beauxbatons vor feindlichen Überfällen und dem Aushungern bewahren. Phoebus Delamontagne beschließt, die Friedenslager Didiers anzugreifen und zu befreien. Um das hinzukriegen bittet er Julius darum, ihm und seinen Vertrauten, zu denen auch Professeur Faucon unc Catherine Brickston gehören, die vier wirkungsvollen zauber aus dem alten Reich beizubringen, die ihm die Altmeisterin Ianshira beigebracht hat, um gegen die Schlangenkrieger zu bestehen. Damit ausgestattet und den Sanguivocatus-Zauber verwendend orten und enthüllen Delamontagnes loyale Kämpfer sechs von acht Friedenslagern und befreien deren Insassen, die von Gehilfen Didiers drangsaliert wurden. Zwei Lager werden jedoch von ihrem Erbauer Flavio Maquis per Ortsumtauschzauber an einen anderen Platz versetzt und damit erst einmal unauffindbar. Julius lernt in Träumen von Darxandria, daß Ailanorars Stimme eine silberne Flöte ist und wie er die richtige Melodie darauf spielen muß.

Wenige Tage vor Weihnachten brechen er, Professeur Faucon und die Flügelkuh Artemis nach Australien auf, wo Julius an den dort wachenden Windelementarwesen vorbei in ein Höhlensystem im Uluru vordringt, wo er zunächst an einer schwarzen Riesenspinne vorbei muß, die menschliche Gedanken auf ihn übertragen kann. Als er die Flöte Ailanorars findet und ergreift, wird er aus seinem Körper herausgezogen und zu der Seele des Windmagiers hinübergetragen, gegen die er in einem Tanzduell bestehen muß. Ailanorar erläutert ihm, daß die Spinne seine unsterblich gewordene Schwester Naaneavargia sei und er, Julius, besser bei ihm bliebe, als von dieser getötet und gefressen zu werden. Dennoch legt es Julius darauf an, Ailanorar auszutanzen und flüchtet, auch mit Hilfe seiner Frau, die ihn über die Herzanhängerverbindungen mehr Stärke zusenden kann. Wieder im eigenen Körper lehnt er Naaneavargias Angebot ab, sich ihm hinzugeben und mit ihm seine wildesten Wunschträume auszuleben. Er kehrt den Überdauerungszauber um, der die Atlanterin, die als Spinne oder überragendschöne Frau auftreten kann, ohne weiteres Lebewesen in der Höhle schlafen läßt. So fällt sie in Starre, und er kann flüchten. Ein Magier der Ureinwohner, dem er und die zwei anderen begegnet sind, versucht die Flucht Naaneavargias zu vereiteln, löst dabei jedoch einen magischen Wirbelsturm aus, der die Katastrophenumkehrzauberer auf den Plan ruft. Naaneavargia kann jedoch entkommen, nachdem alle Windgeister ihr Dasein ausgehaucht haben. Julius spielt derweil in Spanien die magische Melodie und beschwört die Himmelsburg der Vogelmenschen herauf, die ihn zu sich holen. Er trifft das Königspaar und erfährt, daß sie nicht bereit sind, gegen die angeblich noch verbliebenen drei Skyllianri zu kämpfen. Um wieder aus der Burg hinauszukommen muß er Ailanorars Stimme zurücklassen, was er gerne tut, weil er dieses Instrument eh nicht richtig beherrschen kann. Die Vogelmenschenkönigin Pteranda übergibt ihm heimlich eine ihrer Brustfedern, mit deren Hilfe er sie rufen kann, wenn die Skyllianri doch wieder mehr werden und ihn unmittelbar angreifen sollten. Auf seinem Weg zurück zum Erdboden entgeht er mit Temmies Hilfe knapp einem Mordanschlag der Diener des Königs, um den letzten Mitwisser um Ailanorars Stimme loszuwerden. Das eigentliche Ziel hat er nicht erreicht. Angeblich ist Grandchapeau wieder aufgetaucht und verlangt nach Aufklärung, was in der Zwischenzeit passiert ist. Das ist jedoch nur eine Finte Delamontagnes, um Didier und Pétain aus dem sicheren Ministerium herauszulocken. Kurz vor Jahreswechsel erfolgt ein von Voldemort geplanter Anschlag auf Didier, dessen Frau im Bann des Imperius-Fluches konzentriertes Skyllianri-Gift in seinen Körper spritzt, womit er selbst zum Schlangenmenschen mutiert. Pétain fürchtet, daß Didiers Ministertage gezählt sind und nutzt das Jahre lang gehütete Wissen um Didiers größte Untat aus, um ihn zu verhaften. Doch er kann nur noch zusehen, wie Didier zu einem Krieger des Feindes wird. Kurz darauf erwachen alle unter Imperius stehenden Mitarbeiter Didiers aus dem magischen Bann und wollen Pétain verhaften. Dieser entkommt mit Hilfe heimlicher Schutzzauber. Damit offenbart er jedoch, daß er nicht der ist, als den sie ihn alle kannten. Bevor er das Land verlassen will versucht er noch, Millemerveilles mit Giftgas aus Militärbeständen der Muggel zu entvölkern, was nur durch Professeur Faucons Freund-Feind-Karte und Julius mit Artemis vereitelt werden kann. Pétain wird dingfest gemacht. Doch nun bricht die Katastrophe los. Magielose Menschen erhalten Dosen des Verwandlungsgiftes der Skyllianri. Sie sammeln sich hinter Didier im Friedenslager vier, eines der beiden, die im ersten Ansturm nicht befreit werden konnten. Als Lager eins gefunden und aufgelöst wird, erfahren Delamontagne und seine Mitstreiter, daß dort neue Schlangenkrieger zusammengezogen werden. Doch dann bricht der Sturm auf die Zaubererwelt mit voller Stärke los. Zwar kommt heraus, daß das isolierte Gift nur solange wirkt, wie die davon betroffenen Kontakt mit der festen Erdoberfläche haben. Doch es sind zu viele. Millemerveilles und Beauxbatons werden angegriffen. Julius überläßt Madame Maxime Pterandas Feder. Die Schulleiterin eilt damit hinaus und ruft mit einem Verständigungstrank Pteranda, deren Mann Garuschat mittlerweile bereut, Julius' Tod befohlen zu haben. Die grauen Riesenvögel brechen als überschallschnelles Geschwader auf, um nun Jagd auf alle Schlangenkrieger zu machen. Julius und die anderen, die die Säulen der Gründer geöffnet haben, schaffen in der Zwischenzeit ihre Mitschüler durch magische Raumtore aus dem Palast. Als Julius der Knieselin Goldschweif beistehen will, die fast von einem Schlangenkrieger getötet wird, beißt ihn ein Skyllianri. Nun beginnt ein Kampf gegen das heimtückische Gift. Er hört Gedankenstimmen, die ihn auffordern, mit dem Meister verbunden zu sein. Als er ungewollt im Krankenflügel auftaucht bindet Madame Rossignol ihn an ein Bett fest. Millie wirkt über den Herzanhänger auf ihren Mann ein, damit Voldemort, dessen Gedankenstimme sie beide hören können, keine Macht über ihn bekommt. Kurz vor der endgültigen Aufgabe findet sich Madame Maxime im Krankenflügel ein. Sie hat sich als gegen das Skyllianrigift immun erwiesen. Das bringt Madame Rossignol auf eine Idee. Sie läßt Julius so gründlich zur Ader, bis er bewußtlos wird. Dann überträgt sie ihm Blut von Madame Maxime. Dessen Einfluß kehrt die voranschreitende Verwandlung um. Doch die Therapie hat einen beachtlichen Preis. Julius ist nun einer Flut unbeherrschter Gefühle ausgeliefert. Weil er zudem solange immun gegen niedere Flüche ist, solange das Blut der Halbriesin in ihm fließt, muß er mit Verbindungsringen an der Schulleiterin festgebunden werden. Ungefähr drei Monate soll diese Maßnahme dauern, prophezeit die Schulheilerin.

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Außer Julius, dem Weibchen Florence und der großen Anführerin Olympe ist keiner mehr da. Mir tun die Füße weh. Diese Eidechsenkerle, die ganz böse waren, haben Julius gebissen. Ich habe sie nicht davon abhalten können. Denn irgendwie bin ich wegen des Kampfes eingeschlafen. Als ich wieder wach wurde bekam ich mit, daß Julius jetzt was von Olympe im Körper hat. Er ist jetzt ganz anders, irgendwie wilder, nicht so unterdrückt wie vorher. Hat Olympe das mit ihm gemacht, damit sie Junge von ihm kriegen kann? Auuuaa! Ich kann nicht richtig laufen! Florence kommt. Die hat mit einem lauten Ton der Kraft nach mir gesucht. Ah, sie tut mir was auf die Füße. Ja, der Schmerz geht weg. Sie macht was um meine Füße, was weißes, weiches, aber auch festes. Das ist doch nicht gut. Wie soll ich denn so merken, wo ich drauf laufe? Ich versuche, mir die weißen Dinger runterzuknabbern.

"Nein, Goldie, Laß das!" Sagt die. Ich schimpfe und werf mich herum. "Goldie, ist gut!" Knurrt die mich an. Ich merke aber, daß sie mich nicht angreifen will. Das soll wohl sein, damit ich bald wieder alle Krallen habe und weiterlaufen kann, ohne daß es mir wehtut. Ich frage sie nach Julius. Aber die kann mich nicht verstehen. Als ich ihr in diesen weißen Dingern an meinen Füßen nachlaufen will verschwindet die einfach in der Wand, wo die Kraft drinsteckt. Ich rufe laut: "Ey, ich will zu Julius!" Doch offenbar hört das keiner. Ich muß das doch wissen, was mit Julius ist. Warum hat der jetzt Blut von Olympe im Körper? Kann der mich jetzt noch verstehen? Will die wirklich haben, daß er ihr Junge macht? Ich muß doch jetzt auf den aufpassen, auch wenn ich mich sehr schlecht fühle, weil ich ihm nicht helfen konnte. Im Moment sind aber keine dieser ganz bösen Wesen da. Kommen die wieder? Das muß ich doch wissen.

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"Was sollte die Kiste mit dem roten Herzen, Mildrid. Warum hast du dir das ganz lange an den Kopf gedrückt?" Wollte Caroline Renard wissen. Sie saßen immer noch in der großen Höhle, in die sie das blaue Tor auf der Plattform hineingeführt hatte. Hier war auch eine Plattform aus Silber oder ähnlichem Metall. Aber im Moment war kein Tor mehr da.

"Julius war in ziemlichen Schwierigkeiten, Caro. Die Herzanhänger machen, daß die, die sie tragen sich gegenseitig stärken können. Ich habe ihm damit geholfen", erwiderte Mildrid Latierre. Sie war froh, daß Bernadett mit Patricias Gruppe gegangen war, als der Angriff auf Beauxbatons losging. Dieser Streberin jetzt zu stecken, wie das mit den Herzanhängern ging und vor allem warum hatte sie nun wirklich keine Lust. Und wahrscheinlich hätte sie dieser rechthaberischen Bücherhexe auch noch erklären sollen, was gerade mit Julius ablief. Sie hatte das schon mitbekommen, daß Julius durch Madame Maximes Blut vom Gift der Schlangenleute befreit worden war. Aber jetzt mußte der mit einem Walpurgisnacht-Ring an der dranhängen. Irgendwie paßte ihr diese Vorstellung nicht. sicher, Madame Maxime war älter als ihre Oma Line. Aber wer wußte echt, wie alt Riesen wurden, und wie alt Halbriesen werden konnten, um sagen zu können, was alt für die war? Nachher nutzte die das noch aus, einen schlauen wie zauberstarken Burschen wie Julius in der Nähe zu haben. Aber was dachte sie denn da? Was hatte die außer dem größeren Körper denn, was sie nicht auch hatte?

Ein paar ältere hier hatten mit ihren Zauberstäben den Sonnenkugelzauber gemacht, um diese Riesenhöhle auszuleuchten. Hoffentlich wohnte hier kein Drache drin. Das fehlte noch! Denn wer wußte schon, was nach dem Bau dieser Fluchthalle so passiert war.

"Madame Latierre, wie ich sehe pulsiert Ihr Schmuckstück noch", wandte sich Professeur Fixus an Mildrid. Die Leiterin des roten Saales hatte sich während der ganzen Zeit hübsch zurückgehalten. Ganz sicher hatte die mitbekommen, daß Millie um ihren Mann gekämmpft hatte. Warum fragte die jetzt also?

"Julius lebt noch, Professeur Fixus", sagte Mildrid ruhig. "Madame Maxime und Madame Rossignol haben ihm geholfen und passen jetzt auf ihn auf."

"Gut, dann werde ich nachher Kontakt mit Madame Maxime aufnehmen", sagte die Leiterin des roten Saales, bevor sie sich an die hier versammelte Gruppe wandte. "Madame, Mesdemoiselles et Messieurs, im Moment sind wir hier wohl sicher. Ich werde gleich mit den UTZ-Kandidaten unter ihnen provisorische Schlafstätten und Bedürfnisgeschirr heraufbeschwören, damit wir alle noch genug Schlaf bekommen. Ich hoffe, daß wenn die Gefahr von Beauxbatons abgewendet ist, wir dieses Teleportal benutzen können, um nach Beauxbatons zurückzukehren. In diesem Fall ordne ich an, daß zunächst ich alleine in den Palast zurückkehre. In der Zwischenzeit führt Mademoiselle Heidenreich die Aufsicht über Sie, bis wir alle nach Beauxbatons zurückkehren."

"Falls es noch steht", schnarrte Laertis Brochet verdrossen. Professeur Fixus überhörte es jedoch. Sie griff in ihre linke Umhangtasche und holte ein gerade taschentuchgroßes Stück Leinwand heraus, das mit einer kleinen Öse versehen war. Dann beschwor sie einen stabilen Stahlnagel aus dem Nichts und befestigte mit dem Hämmerzauber das Stück Leinwand an der massiven Granitwand der kathedralenartigen Grotte. Danach vollführte sie mit fünf gezogenen Linien einen Zauber, der Orion den Wilden in den Vordergrund der sonst leeren Leinwand trieb.

"Das ist unter meiner Würde, in diesem Winzding herumzuhängen", quiekte die Stimme des verkleinert abgebildeten Gründungsvaters von Beauxbatons. "Sag mir was los ist und laß mich wieder hier raus."

"Auch wenn Sie der Begründer unseres Saales sind, Magister Lesauvage, so weise ich sehr entschieden darauf hin, daß Sie genauso respektvoll und gehorsam allen lebenden Lehrern von Beauxbatons gegenüber aufzutreten haben wie in Ihren großen Ausgaben", hallte Professeur Fixus' Stimme wie Windgeheul durch die Riesenhöhle. "Aber damit Sie nicht zu lange in dieser Miniaturausgabe verweilen müssen: Suchen Sie bitte Madame Maxime auf, sofern die Verbindung noch besteht und fragen Sie an, ob ich morgen früh zu ihr nach Beauxbatons zurückkehren kann. Falls möglich kann sie mir das Tor öffnen, da ich nicht weiß, wie weit wir von Beauxbatons entfernt sind."

"Die Schule ist nur leicht von diesen Riesensperlingen angeknabbert worden, die irgendein Spaßvogel hergerufen hat. Gut, die Schlangenbiester sind wohl von denen wie Würmer gefressen worden. Die Verbindung gibt's aber noch", piepste die Winzlingsausgabe des sonst so kraftstrotzenden Mitbegründers der Akademie. "Ich richte das aus. Darf ich jetzt hier weg?"

"Ja, Sie dürfen", erwiderte Professeur Fixus ungehalten. Keine Sekunde später tauchte Orions lebendiges Bild-Ich nach rechts unten aus dem Bild und war fort.

"Sie hörten es, die Herrschaften. Beauxbatons steht noch. Vielleicht können wir morgen Mittag bereits wieder im Speisesaal zusammensitzen", faßte die Leiterin des roten Saales die Aussagen Orions zusammen. "Also nutzen wir die Nachtstunden aus und schlafen, um morgen vor den Kollegen und Mitschülern einen erholten Eindruck zu machen!" Dann sammelte sie die ältesten Schüler um sich und beschwor mit ihnen gemeinsam so viele rote Schlafsäcke herauf, wie Schüler hier waren. Dann verhüllte sie die drei gefundenen Ausgänge mit magischen Barrieren, um unerwünschte Eindringlinge auszusperren. Brunhilde hatte derweil mehrere Dutzend Nachttöpfe aus dem Nichts gezaubert. Danach wurden die geretteten Schüler nach Geschlecht auf die Schlafsäcke aufgeteilt und zwischen den beiden Gruppen unverrückbare Wandschirme aufgerichtet. Millie legte sich nach dem Ablegen ihres Schulumhangs in den gefütterten Schlafsack zwischen Caro und Leonie.

"Geht's Julius gut?" Fragte Leonie flüsternd. Millie zischte so leise sie konnte zurück, daß er nun absolut sicher sei. Dann, als die Sonnenkugel erlosch und vollständige Finsternis in die Grotte hineinflutete, legte sie sich noch mal den rubinroten Herzanhänger an die Stirn. Sie fühlte, daß Julius noch wach sein mußte und dachte konzentriert: "Monju, wie bist du untergebracht?"

"Die Rossignol hat echt ein verschließbares Gitterbett für mich hingestellt, verdammt noch mal. Die haben Angst, Madame Maxime und ich könnten uns sonst gegenseitig vernaschen. Die hat 'nen Wandschirm zwischen ihrer Riesenpofe und meinem Bett hochgezogen, damit wir uns nicht beim Ausziehen anglotzen können. Jetzt liegen wir hier. Hoffentlich muß ich nachts nicht ganz nötig raus. Sonst muß ich durch die Gitter Strullen."

"Mach das besser nicht. Sonst ziehen die dir passend zum Bett noch die nötige Auffangunterkleidung an, Monju", dachte Millie amüsiert, weil Julius sich gerade sehr ungehemmt einfach ausdrückte, wo sie wußte, daß er doch eher schon wie die ganzen Erwachsenen rüberkommen wollte, wenn er sprach. Andererseits wußte sie nicht, ob ihr das gefallen würde, wenn das so bliebe.

"Der Mistkerl Orion war noch bei uns, hat uns erzählt, daß ihr mit Fixus jetzt auch schlafen wollt und ob die morgen zu uns zurückkommen kann. Der hat mich komisch angeguckt, weil ich den Ring unterm Unterhemd habe. So ein Drecksack. Kann mir vorstellen, daß der sich in seinem versteckten Stammbild hingehockt hat und sich jetzt dran hochzieht, daß Madame Maxime und ich im selben Schlafzimmer liegen.""

"Ich weiß nicht, ob du oder Madame Maxime nicht doch irgendwann den Rappel kriegt, wenn ihr schon im selben Zimmer seid könntet ihr euch mal zusammenlegen. Falls du sowas vorhast sage mir früh genug bescheid, damit ich dich davon abhalten kann."

"So, wie ich hier gerade liege wäre mir gerade nach, daß du jetzt bei mir bist und wir beide uns zusammenstöpseln. Zumindest ist mir so danach, als könnte ich die ganze Nacht durchhalten."

"Das kriegen wir beide, wenn wir uns anderswo als in Beaux treffen, Monju. Versuch jetzt zu schlafen. Vielleicht sehen wir uns morgen wieder."

"Das kannst du knicken, Mamille. Wegen dieser Blutvermischungskiste darf ich von euch keinem mehr näher als drei Meter kommen, haben Rossignol und Maxime gesagt", gedankenknurrte Julius zurück.

"Wie lange?" Schickte Millie zurück.

"Nach unserer werten Schulheilerin nicht vor Ende April oder Anfang Mai, bis das Halbriesenblut durch mein eigenes Blut ersetzt ist, wenn mein Körper nicht anfängt, das Zeug selbst zu machen, weil der sich jetzt drauf umstellt."

"Wenn du das hinkriegst, damit zu leben könnte das für uns beide doch auch sehr schön sein. Dann bist du lockerer als sonst und bestimmt auch richtig stark. Aber jetzt schlaf!"

"Eh, ich habe nicht mit dem Melo angefangen, Mamille."

"Hat auch keiner behauptet", grummelte Millie nur für Julius vernehmbar zurück. Dann nahm sie das pulsierende, warme, halbe Herz an der Silberkette von ihrer Stirn und ließ es unter dem Nachthemd verschwinden, daß sie während der Flucht unter dem Umhang anbehalten hatte. Sie gab sich einigen Momenten den sanften Strömen hin, die nun zwischen ihren Brüsten in ihren Körper hineinwirkten und sah Julius vor sich, wie er in lustvoller erwartung dalag. Einen Moment meinte sie, nur die Hand ausstrecken zu müssen, um seinen Körper zu berühren. Sie fühlte, wie sie diese Vorstellung schon wohlig anregte. Hoffentlich übertrug sich das jetzt nicht auf ihren in einem übergroßen Kinderbett liegenden Mann in Beauxbatons. Nachher passierte ihnen das, was damals unter der Exosensohaube angesprungen war, als sie von ihm den Dawn'schen Doppelachser gelernt hatte. So dachte sie an Bernadette und das diese sie dumm anquatschen würde, wenn sie alle wieder nach Beauxbatons zurückkehrten und sie Julius hinter Madame Maxime herdackeln sehen mußten. Ja, das wirkte wie ein Eimer kaltes Wasser voll über ihren Bauch ausgekippt. Sie drehte sich um und wartete darauf, daß sie einschlief.

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Madame Maxime hatte ihn ziemlich unmißverständlich dazu getrieben, sich hinter einem Wandschirm zwischen ihr und diesem verdammten Riesenbabybett umzuziehen, nachdem sie beide im Badezimmer waren, wo er die kleine Trittleiter ausprobiert hatte, die ihm für Toilette und Waschbecken hingestellt worden war. Jetzt lag er in diesem Zwischending zwischen Einzelzelle und Pritsche, glubschte das wie ein engmaschiges Stahlnetz gebildete Dach an und wußte, daß er hier erst wieder rauskam, wenn Madame Maxime und er gleichzeitig wach waren. Dummerweise konnte nur sie die Verriegelung öffnen. Denn er hatte seinen Zauberstab aus dem Futteral nehmen und außer Griffweite hinlegen müssen. Schlief er tief und fest, konnte sie das Gitter auch nicht öffnen. Ob das wirklich so lief wie Madame Rossignol sich das ausgedacht hatte? Immerhin würden sie wohl die nächsten Tage und Wochen so ziemlich allein im Palast sein. Falls ihm da wirklich die Idee kam ... Das konnte noch was werden. Er lauschte. Der Wandschirm schluckte den Großteil aller Geräusche. So konnte er nicht einmal hören, ob die Drei-Meter-Frau da im Bett neben ihm schnarchte oder nicht. Nun, so würde sie auch nicht hören, wenn er schnarchte. Obwohl Millie ihm sowas noch nicht erzählt hatte. Bei dem Gedanken an seine Frau meinte er zuerst, er habe sich ihre Stimme in seinem Kopf nur eingebildet. Doch dann erkannte er, daß sie es wirklich war und unterhielt sich ein wenig mit ihr, bis sie ihn aufforderte, zu schlafen. Danach war ihm wieder so heiß wie nach der Bluttransfusion. Doch es war jene anregende Hitze, die er schon mehrmals verspürt hatte. Er hoffte, daß Madame Maxime wirklich schlief und nicht meinte, nachprüfen zu müssen, ob er schliefe. Denn dann könnte die glatt meinen, er sei für sie bereit. Das wirkte auf ihn zunächst wie ein eiskalter Wasserstrahl ins Zentrum seiner Leidenschaft. Doch er konnte den Gedanken nicht ganz loswerden, daß Madame Maxime trotz ihres Alters noch sehr gut für ganz private Turnstunden zu haben sein könnte. Aber sogesehen war sie gerade seine Schwester. Es mit ihr zu treiben wäre ja glatte Inzucht. Da hätte er eher mit seiner Tante Alison ... Bei dem Gedanken sah er die Frau seines Onkels Claude vor sich, wie sie wie eine Ballerina ohne Ballettröckchen vor ihm tänzelte und einen Spagat nach dem anderen Machte. Dabei hörte er, wie sie flüsterte: "Claude bringt's eh nicht. Also komm!" Dann stellte er sich vor, wie er sie heiraten mußte, weil sie ein Baby von ihm im Bauch hatte, seinen eigenen Sohn und Cousin in einem. Nein, Auch wenn er sich unter dem Einfluß des Halbriesenblutes ausmalte, die überkandidelte Tante flachzulegen, mit der zusammenzuleben konnte er sich dann doch nicht vorstellen. Allerdings amüsierte es ihn, daß er sich irgendwelche Frauen vorstellte, obwohl er vor ein paar Stunden noch losgelassen hatte, daß er vor lauter Östrogen im Blut wohl Angst kriegen mußte, nicht Madame Maximes Oberweite abzukriegen. Oder war Madame Maxime auf Frauen gepolt? Oha, das durfte er der ganz sicher nicht an die Birne knallen. Bestenfalls pfefferte die ihn dann in eine Ecke. Schlimmstenfalls nahm sie ihn ran, um ihm zu zeigen, daß das nicht stimmte. Schlimmstenfalls? Da hatte er sie wieder vor seinem inneren Auge, diese ihn weit überragende, für ihr Alter von bald siebenundsiebzig Jahren doch noch gut erhaltene Mischung aus Eleganz, körperlicher Stärke und Willenskraft. Nein, sie war seine Blutsschwester! Etwas von ihr war in ihm. Sorum war es schon abgedreht genug. Julius dachte nur daran, daß wenn ihn diese Vorstellungen sogar in seine Träume verfolgten, jeden Tag ein neuer Schlafanzug fällig sein könnte. Falls ja, dann konnte das noch was geben. Um sich selbst abzukühlen dachte er an Naaneavargia, die zwar superschön aussah, solange sie als Frau herumlief, aber immer wieder zu einer schwarzen Spinne wurde, wenn er sie berühren wollte. Doch diese Vorstellung brachte ihn nicht nur von seinen erotischen Gedanken ab, sondern jagte ihm große Angst ein. Dieses Spinnenweib war entwischt. Womöglich suchte es sogar nach ihm. Wenn er ausgerechnet an sie dachte, konnte die den vielleicht aus der Ferne wittern und rauskriegen, wo er war. Schlimm genug, daß Aurora und die anderen australischen Hexen und Zauberer jetzt diese Personalunion von der schönen und dem Biest am Hals hatten, falls dieses Monsterweib nicht rausbekam, wie es den Kontinent wechseln konnte. vielleicht hätte er der besser nicht sagen sollen, daß er mit Hallitti fertiggeworden war. Denn erstens stimmte das so nicht, weil Anthelia ihm geholfen hatte. zweitens mochte sich Ailanorars Schwester erst recht herausgefordert fühlen, ihn auf irgendeine Weise zu sich zu nehmen. Einen winzigen Moment dachte er daran, daß sie in Spinnengestalt gerade durch eines der großen Fenster hereinschwingen und grazil auf dem Dach des Kinderbettes landen würde, um es mit ihren Superkräften aufzureißen und ihn mal eben herauszupflücken, ohne daß er sich wehren konnte. Nein, hier kam sie nicht rein, dachte er. Auch wenn in den Mauern jetzt Löcher groß wie Scheunentore klafften würde sie hier nicht reinkommen. Denn der Bereich des Schulleiters war besonders gesichert, wußte er. Die Gründer wachten über ihn. Die Magie der Gründer umgab den Schulleiter wie ein Schützender Schirm. Und er, Julius, war der Abkömmling von Viviane Eauvive, einer der Gründerinnen. Sie würde nicht zulassen, daß ihm hier etwas passierte. Unvermittelt überkam ihn die geballte Müdigkeit, die ihn den ganzen Abend verschont hatte und ließ ihn übergangslos in tiefen Schlaf gleiten. Er merkte erst, daß er wohl schlief, als er meinte, neben Pteranda, der Vogelmenschenkönigin zu stehen. Sie deutete auf eine Halle groß wie ein Hangar für mehrere Jumbojets. Doch statt imposanter Düsenflugzeuge standen hier jene grauen Riesenvögel dicht an dicht, die Beauxbatons von den Schlangenmenschen gesäubert und fast auch ihn erledigt hätten. Pteranda sagte:

"Da in dir etwas von der fließt, der du vertraut hast und sie mich rief kann ich dir jetzt, wo ihr beide eure Wachwelt ausgesperrt habt danken, daß wir durch dich die Gefahr endgültig aus der Welt geschafft haben. Die Skyllianri gibt es nicht mehr, und meine Wolkenhüter haben auch alle Verstecke gefunden, in denen ihr unheilvolles Gift gelagert war. Doch der, der es wagte, diese alte Pest aus ihrem Schlaf zu wecken, lebt noch. Und er ist schwer zu besiegen. Denn er hat sein Selbst durch die Opferung fremder Leben verstreut und verborgen. Nur wenn die Behälter seines Seins gefunden und zerbrochen werden, wird er selbst besiegbar sein. Doch dies ist nicht deine Aufgabe. Ein anderer, der ohne darum gebeten zu haben etwas von dem Sein des Feindes in sich trägt, ist auf der Suche und wird die unheilvollen Gefäße aufspüren, wenn sein Mut und die Hilfe seiner Freunde ihm weiter erhalten bleiben."

"Was meint Ihr damit, Herrin Pteranda?" Fragte Julius.

"Daß du nun, wo du diese große Last getragen und den Weg zu uns gefunden hast für die nächste Zeit wohl nur dein Leben und das der dich liebenden und von dir geliebten Menschen bedenken mußt und nicht die Wirrungen der Kraft in der Welt. Nutze die Zeit und reife vollends heran. Gib einer dir verbundenen Gefährtin deinen Teil für neues Leben und erfreue dich daran, es heranwachsen zu sehen."

"Dafür wollten meine Gefährtin und ich uns noch Zeit lassen", erwiderte Julius darauf. "Aber was genau meint Ihr damit, daß der Feind sein Sein verstreut hat und der, der ihn besiegen kann was davon in sich trägt? Ich habe das schon mal gehört. Aber was genau ist gemeint?"

"Ich darf dir um den Lauf des Schicksals nicht aufzuhalten nicht mehr sagen. Ich wollte nur, daß du weißt, daß du deine große Aufgabe erfüllt hast und dich darauf besinnen kannst, ein ruhiges Leben zu führen."

"Bleiben noch die Insektenungeheuer. Könnt Ihr sie nicht mit den Wolkenhütern vernichten?" Fragte Julius.

"Sie sind Geschöpfe eurer Zeit. Unser Kampf galt den Feinden aus unserer Entstehungszeit. Nun können wir weiter in Frieden leben."

"Dann sagt mir bitte, wo ich das Schwert der Entschmelzung finde, um diese Wesen zu besiegen!" Erwiderte Julius.

"Das Kurzschwert Elnotars, dem Sohn von Madrash Ghedon, kann nicht gesucht werden. Es sucht die Hand, die es führen soll selbst. Nur wenn es dir bestimmt ist, damit gegen die fliegenden Ausgeburten gnadenlosen Schaffens zu kämpfen, so wird es dich rufen und finden. Denn es kann nicht nur verschmolzene Wesen wie die Skyllianri und uns in einzelne Wesen aufspalten, sondern birgt eine Macht, die nicht grundlos geweckt werden darf und dann auch nur, wenn die andere Möglichkeit darin besteht, daß ein großes Unheil nicht mehr aufgehalten wird. Ich denke, du hast in deinem Leben mehr vor, als andauernd nach Aufgaben zu suchen, die dich in tödliche Gefahr bringen. Es gehört mehr Mut dazu, das eigene Leben zu leben als dazu, das eigene Leben zu opfern. Sieh mich an! Meine Aufgabe ist es, Leben zu geben und mein Volk zu beraten. Dafür, daß ich häufig nicht gehört werde, erachte ich mehr von meinem Leben als vom Dasein eines Cuarviri, auch wenn diese sehr wichtige Aufgaben haben. Du selbst befindest dich jetzt in einem Zustand, wo durch hilfreiches, aber fremdes Blut dein Wesen gefordert ist, deine innersten Gefühle zu erkennen und mit ihnen zu leben."

"Ihr habt gut reden. Vorhin war ich scharf und heiß wie ein Laserstrahl. Dann hatte ich eine Scheißangst, weil ich an die Schwester Eures großen Schöpfers dachte. Könnt Ihr mir zumindest erzählen, wie ich mit der fertig werde?"

"Die Schwester des Schöpfers ist für uns unantastbar. Ich würde ein altes Gesetz brechen, daß die Blutsverwandten des Schöpfers behütet und jeden tötet, der gegen sie plant oder kämpft. Du hast sie aus ihrer Kerkerhaft befreit. Womöglich wird sie dir dankbar sein. Und falls nicht, darf ich dir nicht gegen sie helfen, und kein Wolkenhüter. Es würde jeden sofort töten, der es tut."

"Dann erzählt mir bitte, was Ihr jetzt genau macht, wo die Schlangenwesen nicht mehr da sind!"

"Unsere rastlose Wanderung durch die flüchtige Welt zwischen Kugelschale und Sternenraum wird weitergehen. Wir werden uns vermehren. Nur von den Wolkenhütern werden viele dahingehen, weil sie keinen Nutzen mehr haben." Sie deutete auf vier stattliche Riesenvögel, deren Köpfe gerade immer tiefer auf den Boden sanken. Julius fiel auf, daß sie langsam zusammenschrumpften. Starben sie so? Das fragte er auch.

"Aus dem Reich des Schöpfers sind wir alle entstanden. In es gehen unsere Dahingeschiedenen ein. Die meisten Wolkenhüter werden so vergehen. Nur ein Zehntel von ihnen wird zum Schutz unserer Burg verbleiben."

"Traurig eigentlich", erwiderte Julius mitfühlend, als die vier Wolkenhüter immer weiter zusammenschrumpften, wie Ballons, aus denen langsam die Luft entwich.

"Du hast durch die mutige Suche nach der Stimme des Schöpfers den Sinn unseres Daseins zurückgebracht. Auch wenn einige von uns es nicht wahrhaben wollten, daß wir nur für diesen Zweck leben, so haben wir nun erfüllt, was uns aufgetragen war. Als Bewahrer des Wissens um den Schöpfer und seine Zeit verbleiben wir. Doch wird uns niemand mehr finden, den wir nicht zu uns holen. Wenn du aus diesem Gemeinsamen Traum mit mir erwachst, Julius Erdengrund, so wirst du den Rest der zu mir bestehenden Verbindung verloren haben. Ich wollte dir nur verkünden, daß du dir nun keine Sorgen mehr um die Geschicke um den von Dunkelheit erfüllten Narren machen sollst. Überlasse dies denen, die dies zu ihrer Aufgabe gemacht haben!"

"Wenn ich jemandem helfen kann, vor ihm wegzulaufen .. ich meine, ich kann doch die Kraft aus der Zeit des Schöpfers anwenden", erwiderte Julius.

"Du hast schon geholfen, indem du von deinem Wissen an die abgabst, die es zu ihrer Aufgabe machten, die von Dunkelheit überfüllten Träger der Kraft zu bekämpfen. Deine Aufgabe ist nicht Jagd, sondern Aufbau. Und nun kehre zurück in deine Welt und behalte uns als dankbares Volk in Erinnerung, das durch dich endlich den Frieden fand, den es seit tausenden von Sonnenkreisen suchte!" Diese Worte wirkten wie ein Zauberspruch. Denn sie hallten sehr lange nach, während um Julius Latierre alles verschwamm und er fühlte, wie wohltuende Dunkelheit ihn umfing und in erholsamen Schlaf hinübergleiten ließ.

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Julius erwachte vom fröhlichen Gefiedel und Trompeten der gemalten Mariachis. Das Souvenir aus Mexiko, das alles und jeden in Beauxbatons morgens weckte, funktionierte also noch. Womöglich hatten die auf die Leinwand gemalten und mit animierenden Zaubern künstlich belebten Mexikaner noch nicht einmal mitbekommen, daß die Skyllianri angegriffen hatten. Er sah auf seine Weltzeituhr. Es war kurz nach halb sechs. Julius wand sich, um zu sehen, in welchem Bild die Wanderkapelle gerade herumlief, als er einen der Sombreroträger sah, der verwundert zu ihm herunterblickte. Da tauchte Viviane Eauvive zusammen mit Aurora Dawn in diesem Bild auf. Sie wechselte ein paar spanische Sätze mit dem Musiker, der dann vergnügt grinsend auf Julius deutete und dann hinter seinen Spielmannsbrüdern herlief, die bereits auf Madame Maximes Seite verschwunden waren, wo der Wandschirm die Sicht auf sie und ihre Musik verbarg. "Du wirst damit fertig, Julius. Du bist einer meiner Söhne und wirst das beste aus dieser Lage machen", sprach ihm Viviane noch zu.

"Haha! Du hast echt gut reden, Viviane", knurrte Julius. "Ich dachte schon, ich würde was ganz fieses oder total heftig anheizendes träumen."

"Du wirst wohl zu müde gewesen sein, um dich an einen Traum zu erinnern, der die Kraft hätte, dich so oder so aufzuwühlen", erwiderte Aurora Dawn darauf. "Immerhin hat dein Körper sehr massive Belastungen aushalten müssen, und dein Gehirn muß im Moment mit so vielen neuen Eindrücken zurechtkommen."

"Neh ist klar", schnarrte Julius. "Mein Kopf muß jetzt klarkriegen, wie ich den Tag rumbringe, ohne wen umzubringen oder flachzulegen."

"Da kann ich froh sein, daß ich nur die gemalte Ausgabe meines natürlichen Vorbildes bin und das schön weit von dir weg ist", scherzte Auroras Bild-Ich. Julius fiel ein, daß er dieses noch einmal vor Naaneavargia warnen sollte und erinnerte sie daran, was ihm am Uluru passiert war.

"Ja, da hast du meinem natürlichen Selbst und allen anderen Australiern wirklich was sehr heftiges aufgebürdet. Als wenn wir nicht schon genug gefährliche Spinnen bei uns hätten. Aber wir werden sie finden. Ich hoffe, ihr kann geholfen werden, das spinnenhafte in sich auszulöschen, ohne ihr Leben beenden zu müssen. Die Australier lesen sich bereits schlau, was sie über die Stichwörter Tränen der Ewigkeit und das alte Reich finden können."

"Ich fürchte, darüber steht in keinem Buch was, Aurora", sagte Julius. Da lugten Madame Maximes schwarze Augen um den Wandschirm herum. Julius betrachtete sie genau. Selbst vom Schlaf gezeichnet wirkte sie immer noch erhaben, auch wenn ihr dichtes Haar ordentlich zerzaust war und ihre Wangen noch nicht die Farbe tagestauglicher Durchblutung hatten. Er sah fast keine einzige Falte. Wenn er sich die letzten Fotos seiner Urgroßeltern ins Gedächtnis rief, dann mochten diese im Vergleich zu Madame Maxime zweihundert Jahre alt sein. Dabei war Uroma Hillary mit knapp achtzig Jahren friedlich eingeschlafen.Dieses gigantische Frauenzimmer da mochte doppelt so alt werden können.

"Guten Morgen, Monsieur Latierre. Wie ich vernehme befinden Sie sich in einer wohl kurzweiligen Unterhaltung mit Mademoiselle Dawns gemaltem Sein. Verspüren sie das Bedürfnis, das Badezimmer aufzusuchen oder möchten Sie noch eine Stunde ruhen?"

"Ich bin total wach, Madame Maxime", erwiderte Julius. "Irgendwas in mir weckt mich auch ohne die Mariachis früh genug auf. Abgesehen davon wäre ich heute mit Wecken dran."

"Nun, dann sollten wir uns arrangieren, wie wir es gestern bereits taten, um uns tagestauglich zu reinigen und anzukleiden. Mir ist nach den ganzen Kämpfen nach einem erfrischenden Bad. Womöglich empfinden Sie ähnliches." Julius überlegte schon, wie das gehen konnte, daß sie oder er in die schwimmbeckengroße Wanne stieg, ohne den jeweils anderen mit im Wasser sitzen zu haben. Denn wenn das nicht ging würden sie beide sich nackt sehen müssen. Das hatte der Wandschirm gestern noch verhindert. Er fragte sie also, wie das gehen konnte.

"Einer von uns wird außerhalb der Wanne auf einem Stuhl sitzen und warten, bis der andere fertig ist. Wir betreten in Badekleidung das Badezimmer. Zwischen dem Rand der Wanne und dem Stuhl wird genug Platz für einen Wandschirm sein. Ich sehe es als gute Übung, diesen Sichtschutz hervorzubringen. Und jetzt suchen Sie ihre Badekleidung!" Julius holte seine Badesachen aus dem Koffer, den Madame Rossignol aus dem Schlafsaal der Fünftklässler geholt hatte. Die beiden älteren Hexen hatten offenbar vieles organisiert, während die Blutvermischung lief, dachte Julius. Im Moment fühlte er sich eher so, als müsse er gleich hundert Kilometer Dauerlauf machen als daß er in eine Badewanne klettern sollte. Doch er zwang sich, es die Schulleiterin nicht merken zu lassen, die hinter dem Wandschirm in einen hochgeschlossenen, meergrünen Badeanzug schlüpfte. Derartig verpackt tauchte sie nach einer halben Minute wieder auf, ließ den Wandschirm verschwinden und winkte Julius, ihr zu folgen. Zumindest gebot ihre Beinlänge ihm einen respektvollen Abstand im Vergleich zu andren Hexen, mit denen er schon auf diese Weise zusammengebunden gewesen war. Bei dem Gedanken an Claire und wie Madame Maxime ihr und ihm die ersten Walpurgisnachtringe ihrer Schulzeit hier umgelegt hatte überkam ihn für einen Moment tiefe Traurigkeit. Doch dann dachte er daran, wie das mit Millie war, als sie beide zum ersten Mal zusammengebunden gewesen waren. Und das wiederum, gepaart mit dem Anblick, den Madame Maximes halbnackte Beine und ihre vom Anzug nur schwer verborgene Oberweite bot, heizte seine Leidenschaft an. Nein, die da war tabu. Er hatte wen, mit der er diese Leidenschaft voll ausleben konnte. Die da vor ihm war seine Schwester. Unfug eigentlich! Er hatte nie mit einer Schwester zu leben lernen müssen. Warum sollte Madame Maxime also für ihn was besonderes sein, wenn es um Frauen ging? Vielleicht war die sogar noch V.I. Positiv. Er mußte einen Moment grinsen, wenn er sich vorstellte, daß das bisher keiner von den Schülern wußte. Aber verdammt noch mal, das war doch nicht seine Kiste. Die Frau da vor ihm war ihm zu alt, zu groß und zu vornehm, als daß er mit der was anfangen sollte. Unsinn! Unter den Klamotten war sie genauso nackt wie jede andere Frau auch. Und sie machte nicht mal Anstalten, unattraktiv auszusehen. Selbst dieses wehende Haar, immer noch vom Schlaf verstruwelt, floß ihr um den meergrün verhüllten Rücken wie Wolken über einer Meeresbucht. Mann, dieses verdammte Riesenblut! Dann noch drei Monate mit der zusammen? Nachher war die noch von ihm schwanger, wenn das so weiterging. Dann bekam er aber totalen Ärger mit Millie und allen anderen Latierres. Der Gedanke, was denen einfallen konnte, um ihn gebührend zu bestrafen kühlte ihn wieder ab. Er mußte das irgendwie hinkriegen, sich nicht andauernd in diese blöden Wallungen reinfallen zu lassen. Er dachte an Millie, die das vielleicht alles mitbekam, wie er sich fühlte. Er wunderte sich eh, daß sie ihn noch nicht anmentiloquiert hatte. Aber womöglich dachte die, daß Madame Maxime ihn dabei beobachten konnte. Auch Schwachsinn, zu denken, daß die das nicht mehr wußte, daß Professeur Faucon seiner Frau offiziell erklärt hatte, wie die Zuneigungsherzen noch zu benutzen waren.

"Was mich stört verschwinde", dachte er zunächst. Doch dann kam in ihm die Frage auf, warum das ihn stören sollte, sich was mit Madame Maxime vorzustellen. Es gab genug Männer, die in ihren Träumen was mit Riesenfrauen hatten, vor allem wenn die zwanzig Meter oder mehr groß waren. Doch Madame Maxime war keine zwanzig Meter groß. Dann hätte er aufpassen müssen, nicht von ihr zertreten zu werden. Er dachte an Madame Rossignol. Hatte er das geträumt oder echt erlebt, wie die sich selbst doppelt so groß wie üblich gezaubert hatte, um ihn leicht packen und ans Bett fesseln zu können. Er hatte aber gelernt, daß Selbstverwandlungen mit Größenzuwachs sehr schwer waren und nicht zu lange beibehalten werden durften, um die Tagesausdauer nicht zu verheizen. Er fühlte einen ordentlichen Zug an seinem Verbindungsring. Hatte er geträumt oder nur zu lange nachgedacht? Er hkehrte schnell in die Nähe der Halbriesin zurück und begleitete sie ins Badezimmer, wo sie mit einem Zauberstabwink mehrere breite Wasserhähne zugleich öffnete.

Die nächsten zwanzig Minuten verbrachte Julius auf einem thronartigen Stuhl gleich neben der Wanne. Madame Maxime hörte er nur leise plätschern. Als sie dann von einem dampfenden Film warmen Wassers bedeckt in pitschnasser Badekleidung aus der Jumbowanne herauskletterte, hatte Julius in Gedanken mehrere Schachpartien durchgespielt. In der Wanne selbst überkamen ihn wieder Gefühle. Beengtheit, weil er nicht weiter von der Schulleiterin fortgehen konnte, der Gedanke an Millie, die jetzt irgendwo weit fort von hier zusehen mußte, wie sie in den Tag hineinkam und diese Geborgenheit, die das fast heiße Wasser auf ihn ausübte. Einmal tauchte er für eine halbe Minute ganz unter, wobei er an Cythera und Miriam dachte, deren Wartesaal ins Leben er besucht hatte. Was hatte Millie gestern gefragt? Ob Madame Rossignol den Iterapartio-Zauber mit ihm gemacht hatte. Für einige Sekunden gab er sich der Illusion hin, daß die Heilerin ihn als viertes Kind wiedergebären wollte oder Madame Maxime seine neue Mutter würde. Doch dann merkte er, daß er doch schon Luft zum leben brauchte und tauchte wieder auf. Keiner verlor über das Bad an sich ein Wort. Überhaupt beschränkte Madame Maxime jede Unterhaltung im Bade auf wenige Worte und Gesten. Während sie mit Frisierbesteck und Schminkzeug herumhantierte, ließ Julius seinen nachgewachsenen Bart aus dem Gesicht verschwinden. Er dachte daran, wie dankbar er dieser Hexe da neben sich sein mußte, daß er keine grün-schwarzen Schuppen im Gesicht hatte.

Durch einen neuen Wandschirm getrennt zogen sich beide tagesfertig an. Dann forderte Madame Maxime ihn auf, sie in die Küche zu begleiten, wo sie sich Frühstück zubereiten konnten. Die Hauselfen waren nach der aufgehobenen Belagerung geflüchtet, als Madame Maxime den Angriff der Schlangenmenschen abwehrte. Sie würden erst zurückkehren, wenn sie den ältesten von ihnen rief. Doch wenn nur drei Leute in der Schule waren brauchte sie die hundert Hauselfen im Moment nicht.

"Es ist eine große Versuchung für jeden Schüler, den Weg zur Küche zu finden", bemerkte Madame Maxime, als sie durch das Bildertor in die allgemeinen Bereiche der Schule übergewechselt waren. "Aber ich gehe davon aus, daß Sie nicht der Völlerei oder Naschsucht zugetan sind, Monsieur Latierre. Darum kann ich Ihnen den Weg zum Küchentrakt ruhig zeigen."

Julius folgte ihr durch den Palast hinunter ins Erdgeschoß und von da aus zu einem Wandstück, auf dem ein Apfelbaum zu sehen war, der an die Jahreszeiten angepaßt zu sein schien. Denn im Moment trug er kein einziges Blatt an seinen Zweigen. Madame Maxime berührte den Stamm des gemalten Baumes und murmelte "Aula Cenarum!" Da spaltete sich der Apfelbaum von der Krone zur Wurzel und trat als gewölbte Erhebung aus der Wand. Dann klaffte in der Baumspalte eine knapp zwei Meter hohe Öffnung. Madame maxime ging in die Hocke, beugte sich vor und schlüpfte hindurch. Julius folgte. Kaum hatte er die beiden runden Türflügel passiert, knirschten sie hinter ihm zusammen. Offenbar bekam die Wand jetzt wieder ihre gewohnte Erscheinung. Fackeln flammten von selbst auf und erleuchteten eine breite Marmorwendeltreppe. Dieser folgten die Schulleiterin und der durch Blut und Haltering mit ihr verbundene Schüler mehrere Meter tief, wo es nach kaltem Bratfett roch. Unten angelangt betraten sie einen weitläufigen Saal mit großen Herdstellen, die mehrstöckige Backöfen und mindestens zwanzig beheizbare Kochplatten besaßen, auf denen waschkorbgroße Töpfe oder Pfannen beheizt werden konnten. Julius half mit, Kaffee zu kochen und aus Mehl, Wasser und Gewürzen frisches Brot zu backen. Es dauerte anderthalb Stunden, bis die beiden ausgiebig gefrühstückt hatten. Julius stellte dabei fest, daß er einen gehörigen Appetit entwickelte. Mochte das durch die Blutspende kommen? Während des Frühstücks sprachen die beiden darüber, was sie heute zu erledigen hatten. Im wesentlichen war das die Besprechung mit den Saalvorstehern, die Einteilung der Renovierungsaufgaben und die nötige Korrespondenz mit den Schulräten, ob sie noch da waren und dem Zaubereiminister in Millemerveilles. Immerhin gab es das Magierdorf noch.

Zuvor bestand Madame Maxime jedoch darauf, das Julius ihr in der Trainingshalle für das Duelltraining zeigte, ob er überhaupt noch zaubern konnte. Madame Rossignol wurde hinzugebeten, um bei möglichen Verletzungen oder anderen magischen Beeinträchtigungen einschreiten zu können. Die Schulleiterin merkte das sehr wohl, daß es Julius selbst unter den Nägeln brannte, seine Fähigkeiten zu überprüfen. So gab sie ihm erst einige Zauberkunstaufgaben auf, wie das Fernlenken von Objekten, von der Streichholzschachtel bis zu einem wahrhaftigen Konzertflügel, Schrumpf- und Vergrößerungsstücke an verschiedenen Gegenständen wie Tischen, Töpfen oder Lebewesen, Verwandlungsaufgaben aus den Lehrbüchern der ersten bis zur sechsten Klasse. Julius staunte selbst, wie leicht ihm die Zauber noch von der Hand gingen. Eine unbändige Euphorie überkam ihn, so daß er die Verwandlung eines Regenwurms in ein Hausschwein zu gut meinte und statt des rosaroten Borstentiers einen rosaroten Elefanten mit roten Punkten in die Halle brachte.

"Schwein sagte ich, Sus scrofa domestica, nicht Loxodonta africana, Monsieur Latierre", tadelte Madame Maxime ihren Einzelschüler. Dieser ärgerte sich zwar über den Patzer, lachte aber laut, weil ihm dieses Tier so schrill gelungen war. Die Stoßzähne des eindeutig männlichen Tieres glänzten nicht elfenbeinfarben, sondern neongrün. "An diesem Ergebnis ist nichts erheiterndes. Kehren Sie die Verwandlung umgehend wieder um!" Blaffte sie ihn noch an. Doch Julius hing voll zwischen den Gefühlen fest, die Verärgerung, weil er den aufgegebenen Zauber verhunzt hatte und die kindliche Belustigung über dieses schrillbunte Endergebnis. Der aus dem Regenwurm entstandene Elefantenbulle reckte den Rüssel, auf dem schwach zu sehen blaßlila Kringel waren und trompetete lautstark, daß die Wände wackelten. Dann ließ er mit einem lauten Geräusch einen fußballgroßen Dungkloß fallen. "Hören Sie sofort mit dem albernen Lachen auf, Monsieur Latierre! Verwandeln Sie dieses Geschöpf in das zurück, was es vorher war!" Stieß die Schulleiterin aus. Julius sah, wie der Elefantenbulle sich der Halbriesin zuwandte und anstalten machte, die laut schimpfende Menschenfrau anzugreifen. Das jagte ihm einen gehörigen Schrecken ein, der sich unbeabsichtigt in einer Folge blauer Blitze aus dem Zauberstab entlud, die das rosarote Rüsseltier an der langen Nase trafen und diese nach hinten schleuderten. Das mächtige Tier warf sich herum und ging auf Julius los, der gerade soeben noch einen Feuerwall zwischen sich und den Aufgebrachten Elefanten beschwor. Madame Maxime funkelte das falsch gefärbte Säugetier und ihren Schüler abwechselnd an. Madame Rossignol hielt den Zauberstab bereit, um unverzüglich einzuschreiten, wenn das mächtige Tier losstürmen würde. Julius keuchte unter der Woge der ihn bestürmenden Empfindungen. Fast hätte ihn das Tier da angegriffen. Doch es sah immer noch total komisch aus. Warum hatte er aus dem Regenwurm so ein abgedrehtes Tier gemacht? Er mußte es zurückverwandeln. Einen Moment starrte er auf den Elefanten, der durch den Feuerwall blickte, nicht wußte, ob er umkehren und gegen die Wand oder auf Madame Rossignol zupreschen sollte. Da bekam Julius es hin, den Reverso-Mutatus-zauber, den allgemeinen Verwandlungsumkehrer zu wirken, den er laut sprechend ausführte. Mit einem dumpfen Knall fiel der Elefant in sich zusammen und wurde wieder zu einem Regenwurm, der wild schlängelnd und windend auf dem Boden entlangkroch. Das niedere Tier suchte wohl ein Loch, in dem es sich verkriechen konnte.

"Das war aber sehr knapp an der Katastrophe", schnarrte Madame Maxime. "Sein Sie froh, daß ich Ihnen wegen Ihres Zustandes und dem Umstand, daß im Moment kein geregelter Unterrichtsbetrieb stattfindet keine Strafpunkte wegen Unbeherrschtheit und fehlerhafter Umsetzung gegebener Anweisungen erteilen kann. Aber Sie merken sicherlich, daß Ihre Gefühle Ihre magischen Fähigkeiten nachteilig beeinflussen können."

"'n rosa Elefant. Das machen Ihre Hormone, Madame Maxime", schnaubte Julius verärgert, weil er hier heruntergeputzt wurde.

"Warum ausgerechnet ein Elefant?" Fragte Madame Rossignol sehr ernst klingend. Julius blickte sie verdrossen an. Doch dann schaffte es die Frage, durch die aufgeworfenen Gefühle in seinen Verstand vorzudringen und dort nachzuklingen. Warum hatte er einen Elefanten erzeugt, wo er eigentlich nur ein Hausschwein hinbekommen sollte? Seine Verdrossenheit wurde Verdutztheit und dann ein merkwürdiges Gefühl von Stolz. Er straffte sich und sagte laut: "Professeur Faucon fand heraus, daß ein afrikanischer Elefant meine innere Tiergestalt ist, Madame Rossignol. Irgendwie muß das durch das ganze Gedöns in meinem Kopf auf den Regenwurm übergesprungen sein. Aber daß der rosa wird kommt echt wohl von Madame Maximes Blut her."

"Das ist wohl eine bodenlose Frechheit", schnaubte Madame Maxime. "Wagen Sie es nie wieder, sich auf diese Ausrede festzulegen, wenn Sie eine von mir erteilte Anweisung ungewollt oder willentlich falsch ausführen! Der Umstand, daß aus einem zwitterigen wirbellosen Tier ein rein männliches Säugetier wurde beweist, daß Ihr körperliches Geschlecht immer noch dominiert. Das war nämlich auch Sinn und Zweck dieser Anweisung, weil Regenwürmer immer bei einer Verwandlung in Wirbeltiere das Geschlecht des sie verwandelnden annehmen. So hätte ich laut meiner Anweisung einen Eber von Ihnen zu sehen erwartet und keinen Elefantenbullen. Was die Färbung angeht, so entsprang sie wohl der gerade nicht vorhandenen Selbstbeherrschung, von der Tatsache abgesehen, daß Hausschweine rosa farbene Haut besitzen. Was die eingestreuten Punkte und die Farbe der Stoßzähne angeht sehen Sie daran, wie konzentriert Sie Ihre durchaus hohe Begabung für Magie steuern müssen, vergleichbar mit einem sehr schnell fliegenden Besen, bei dem die winzigste Körperverlagerung große Abweichungen verursacht."

"Es ist erstaunlich, daß überhaupt eine Transfiguration von einem Regenwurm zu einem erwachsenen Elefanten stattfand", wandte Madame Rossignol ein. "Du hast also wesentlich mehr magische Energie investiert als bei der angewiesenen Verwandlung. Hat dich das angestrengt?"

Nö", erwiderte Julius. Die Heilerin nickte, während Madame Maxime ihn zurechtwies, daß er nicht mit einem simplen "Nö" zu antworten habe, sondern anständig mit "nein" oder "Nein, hat es nicht". Das wiederum machte ihn wütend. Wenn die schon am ersten Tag so überkritisch an ihm rummeckerte ... Aus seinem zauberstab knisterten giftgrüne Funken, die wild durch die Luft schwirrten und zischend in der noch stehenden Mauer aus materiallos brennendem Zauberfeuer vergingen. "Anstatt hier unkontrollierten Firlefanz zu zaubern beseitigen Sie umgehend die Hinterlassenschaft des Elefantenbullen und entfernen Sie die von Ihnen errichtete Feuerwand!" Julius wollte schon auf die Halbriesin zielen. Doch diese hielt ihren Zauberstab bereit. Sich ohne große Absprache mit ihr zu duellieren würde ihm wohl noch mehr dumme Anmache von ihr einbrocken. So schickte er den Misthaufen mit "Excrementa dissolveto maxima" ins Nichts und ließ den Feuerwall ungesagt mit leisem Wuff erlöschen.

"Sehen Sie, wenn Sie sich beherrschen können Sie sehr ordentliche Zauber ausführen", mußte Madame Maxime dazu unbedingt einwerfen. Julius grummelte und machte Anstalten, den Zauberstab auf die Halbriesin zu richten. "Nun, offenkundig wollen Sie erfahren, inwieweit Ihre Künste und Reflexe im magischen Duell erhalten blieben oder sich verändert haben", sprach Madame Maxime sehr angriffslustig. "So sei es!" Mit einer schnellen Bewegung rief sie die magische Begrenzung auf, die fehlgehende Flüche auffing, um die Zuschauer nicht zu gefährden. Keinen Sekundenbruchteil später fegte ein silberner Blitzstrahl knapp an Julius Vorbei, der wutentbrannt "Stupor!" rief. Der rote Schocker peitschte durch die Luft und prallte krachend von Madame Maximes Bauch ab, schwirrte zerfasernd gegen die durchsichtige Barriere und zerstob mit lautem Pong. Natürlich, damit war sie nicht zu erledigen, wußte Julius aus eigener Erfahrung. Um ihm zu beweisen, daß er genauso widerstandsfähig gegen den Schockzauber war bekam er selbst einen an den Brustkorb, der jedoch nur ein kurzes, unangenehmes Prickeln auslöste. "Wenn Sie mich im Duell besiegen wollen müssen Sie schon ungesagt zaubern", schnarrte die Halbriesin und demonstrierte ihm, wie locker sie ihn aus zehn Schritt entfernung mal eben in die Luft schleudern konnte. In ihm loderte die Wut, was dazu führte, daß er ungesagt keinen anständigen Angriffszauber hinbekam, sondern nur laut krachende, pfeifende, zischende und prasselnde Leuchterscheinungen, die mal als Blitze, mal als flirrende Lichtkugeln, mal als Lichtvorhänge aus grünem, roten, goldenen, blauen und violettem Licht erschienen. Er fing sich den Mondlichthammer, der ihn bis zur Begrenzung fegte, konnte gerade einem Eisball ausweichen und fühlte einen brennenden Schmerz, als ein Sonnenspeer ihn am linken Arm streifte. Erst nach einer Minute schaffte er es, sich auf die Gegenschläge zu konzentrieren. Er versuchte den Panikfluch anzubringen, wobei er sich einen Schwarm Entomanthropen vorstellte, die genau auf ihn zubrummten. Doch der Zauber zerfloß in einer schützenden Aura um Madame Maximes Körper. Er teilte nun selbst den Mondlichthammer, den Deterrestris und andere von außen auf den Körper einwirkende Kraftzauber aus. Nur Murattractus, der Anheftfluch, wirkte nicht. Alle Körperschaden oder Verwandlungen verursachenden Flüche prallten von Madame Maxime ab wie Flummibälle von einer Betonwand und krachten in die Abgrenzung. Fünf Minuten lang hielten sich beide mit schnellen Zaubern in Atem. Julius schaffte es nicht, die Halbriesin auszukontern. Fünf Mondlichthämmer konnte er parieren und drei Deterrestris-Flüche aufheben. Auf der Hut vor Gefühlsbeeinflussungsflüchen hielt er sich dauernd im Schutz des Auracalma-Zaubers auf, den er nach jeder dritten Seelenattacke neu aufbauen mußte, während Madame Maxime ohne Pause weiter drauf loshexte. Einmal hätte sie ihn fast mit einem die Augen betreffendenFluch erwischt oder ihm was auch immer in den Mund hineingejagt, vielleicht den Perdedentes-Fluch, der alle Zähne ausfallen ließ oder den Asphyxia-Fluch, der einen Erstickungsanfall auslöste, der ohne schnellen Gegenzauber zum tode führen konnte. Schließlich klatschte Madame Rossignol in ihre Hände und rief: "Genug jetzt! Aufhören!" Beide Duellanten senkten ihre Zauberstäbe, wenngleich es Julius kitzelte, der übergroßen Dame noch was aufzubrennen. Doch er fühlte, daß er schon gut ausgelaugt war. "Wir haben wohl alle erkannt, daß du noch fit genug für den Unterricht bist und deine magischen Kräfte nicht nachteilig verändert wurden, Julius", stellte die Heilerin fest. Madame Maxime sah sie zwar verdrossen an. Doch die Schulkrankenschwester wehrte diesen stummen Tadel mit einem Schulterzucken ab. Für körperliche und seelische Befindlichkeiten war nun einmal sie zuständig. Das wußte Madame Maxime sehr wohl. So nahm sie es auch hin, daß die Schulheilerin verordnete, daß sie mit Julius erst eine Viertelstunde an der frischen Luft verbringen solle, um sich von dem Duell zu erholen. Erst dann, so Madame Rossignol, könne die Direktrice ihre Arbeit aufnehmen.

""Sie kann mich doch alleine rausgehen lassen", meinte Julius dazu grinsend.

"Die Vereinbarung ist unverhandelbar, Julius. Du verbleibst bis zur vollständigen Wiederherstellung deines vorherigen Blutzustandes in Madame Maximes unmittelbarer Nähe", entgegnete die Heilerin sehr entschlossen. "Das heißt für dich, daß du dort hingehst, wo sie hingeht, aber auch, daß sie um deiner Gesundheit willen dafür zuständig ist, daß du genug Nahrung, Frischluft und bei Bedarf Gelegenheit zur Erleichterung von unverdaulichem erhältst. Auch wenn ihr das selbst unangenehm ist hat sie sich bereiterklärt, diese Bedingungen einzuhalten." Julius hörte genau heraus, daß sie ihm dringend riet, ebenfalls damit klarzukommen und sich damit abzufinden, für mehrere Wochen an die Schulleiterin gekettet zu sein, ohne eine echte Kette zwischen sich und ihr zu haben.

"Soweit ich orientiert bin trainieren Sie, wenn Sie nicht in Stellvertretung von Monsieur Moureau den Weckdienst versehen am Morgen", sprach Madame Maxime Julius auf seinen üblichen Frühsport an, als sie in der Nähe des Quidditchstadions entlangliefen. Er bestätigte es. Sie nahm den Zauberstab und hielt ihn nach unten, schwang ihn auf ihre Füße deutend von links nach rechts. Unvermittelt trug sie keine eleganten Hochhackigen Schuhe mehr, sondern bis zu den Waden reichende Laufschuhe mit flachen Absätzen. Sofort danach zog die Schulleiterin das bisherige Tempo an. Dabei schritt sie einfach nur weiter aus. Das jedoch brachte Julius zum leichten Trab, um sich nicht von seinem Verbindungsring hinter ihr herziehen zu lassen. Andererseits dachte er daran, daß es auch spannend sein konnte, zu testen, ob ihm das in ihn hineingepumpte Halbriesenblut zusätzliche Körperkräfte und Ausdauer gab. So ging es vom leichten Trab zum lockeren Dauerlauf. Nun wechselte Madame Maxime auch die Gangart und trabte mit ausgreifenden Laufschritten voran. Julius erkannte, daß sie ihn mühelos abhängen konnte, wenn er nicht mehr an ihr hing. Doch im Moment wollte er es wissen, wie schnell er laufen konnte und wie lange. Er kam schon gut ins schwitzen, trotz des kalten Februarwindes, der ihnen gerade entgegenblies. Doch im Windschatten Madame Maximes bekam Julius davon nicht viel ab. Er mußte aufpassen, nicht die großen Füße seiner Tempomacherin ins Gesicht zu kriegen und hielt den nötigen Abstand, den sein Haltering ihm erlaubte. Immer wieder ging es um das Stadion herum. Julius wurde es immer heißer. Nicht nur seine Beine fühlten sich an wie im Backofen. Sein Herz pochte gleichmäßig aber kräftig und trieb das in ihm fließende Blutgemisch in jede Faser seines Körpers. Er hörte, wie sein Atem langsam lauter wurde. Seine Lungen mußten den sich anstrengenden Körper mit mehr frischem Sauerstoff versorgen. Langsam merkte er, daß er wohl noch einmal ins Badezimmer gehen mußte, um sich den Schweiß vom Körper zu spülen. Eine Minute hielt er das Tempo mit. Dann keuchte er wie eine bergauf fahrende Dampflokomotive. Madame Maxime wurde etwas langsamer. Fast rannte er gegen ihr nach hinten ausschlagendes linkes Bein. Ganz sachte bremste die Halbriesin das Lauftempo herunter. Dann wechselte sie vom leichten Trab zum schnellen gehen und dann zur üblichen Spaziergeschwindigkeit, mit der sie und er schon häufig die Pausenhofpatrouille abgegangen waren. Julius schnaufte noch einige Sekunden, um den Bedarf an Sauerstoff zu decken. Dann beruhigten sich Herz und Atmung wieder.

"Ja, durchaus beachtlich, daß Sie mir nicht umgefallen sind, Monsieur Latierre", stellte Madame Maxime mit einem gewissen Wohlwollen fest. Ihr Schwermachertraining hat sich durchaus ausgezahlt. Falls Sie keinen Einwand haben biete ich Ihnen an, Ihre Körperertüchtigungsstufe aufrechtzuerhalten oder sogar zu erhöhen, wie Sie es ohne die erzwungene Gemeinschaft mit mir wohl auch vorhatten."

"Sollte das gehen, daß ich nach drei Monaten wieder ganz eigenes Blut im Körper habe könnte ich meine Schwiegercousinen einholen. Hoffentlich war das jetzt nicht zu heftig."

"Am besten erholen wir uns von der Übungseinheit durch ruhige Bewegung wie Gehen, um den Körper nicht abrupt zu unterfordern."

"Hui, war das heftig", wiederholte Julius, was er eben schon gesagt hatte. "Trainieren Sie auch?"

"Ich halte es eher mit Gymnastik und Ballett. Aber zwischendurch, vor allem in den Ferienzeiten, wickel ich auch ein Gutteil Dauerlaufübungen ab, um meine Gelenke und Muskeln in Form zu halten. Da Sie mir ja gestern so ungehemmt bis trotzig verrieten, um mein Alter zu wissen - woraus ich persönlich keinen Hehl machen muß - können Sie sich durchaus denken, daß ich sowohl auf eine gute Form wie ein erträgliches Körpergewicht achten muß. Ihre werte Schwiegergroßmutter hat sich ja selbst nach der Niederkunft mit den Zwillingen Esperance und Felicité rasch von den überschüssigen Pfunden heruntergearbeitet, auch wenn sie immer noch eine gewisse Korpulenz behalten hat."

"Na gut, aber Ihr Körperlängen-Gewichts-Index dürfte sich ganz anders ausrechnen", warf Julius verhalten grinsend ein.

"Was nicht heißt, daß ich unnötiges Körperfett ansammeln muß", erwiderte Madame Maxime leicht verstimmt. "Abgesehen davon halte ich derartige Zahlenkonstruktionen für hilflose Versuche, eine Normierung der Idealverhältnisse zu schaffen." Julius grinste. "Was amüsiert Sie daran?" Fragte sie harsch.

"Das meine Schwiegeroma Ursuline keine Probleme mit ihrem Gewicht hat. Zumindest ist die ganz gelenkig und ausdauernd. Macht wohl die Latierre-Kuhmilch."

"Diese bekommt mir nicht. Ich habe sie vor Jahren probiert, als Madame Barbara Latierre, Ihre Schwiegerurgroßmutter, sie mir einmal anbot. Als ich dann erfuhr, daß sie bei erwachsenen Hexen auch nicht mehr die kraftfördernde Wirkung erzielt, bedauerte ich diese Unverträglichkeit auch nicht." Julius nickte. Im Moment fühlte er sich sehr wach und aufnahmebereit. Doch womöglich würde sein Körper am nächsten Tag protestieren, weil er ihn heute so ausgereizt hatte.

Sie kehrten nach zehn schweigend zugebrachten Minuten zum Palast zurück und umschritten ihn von außen. Madame Maxime betrachtete sehr kritisch die in die Mauern hineingebrannten Löcher, die die ultraheißen Blitze aus den Wolkenhüterschnäbeln hinterlassen hatten. "Wie Einschüsse von Superlasern", bemerkte Julius dazu. "Da kriege ich echt noch nachträglich Bammel, daß mich so'n Riesenpiepmatz fast mit diesen Entladungen gegrillt hätte. Nebenbei habe ich in der Nacht von der Königin Pteranda geträumt. Die hat mir erzählt, daß die meisten Wolkenhüter jetzt zusammenschrumpfen und sterben, weil sie nicht mehr gebraucht werden. Die wollen nur ein Zehntel übrigbehalten. Dezimierung nennt sich das wohl."

"Ich weiß, ich habe ihnen aus einer von mir nicht zu ändernden Warte zuhören können. Offenbar steckte in mir und durch die Blutübertragung auch in Ihnen noch ein Rest von der Hexenkelchmixtur, die ich mit Pterandas Feder angesetzt habe. Eigentlich war die Dezimation eine brutale Strafmaßnahme in den antiken Weltreichen, vor allem dem Imperium Romanum. Wenn eine Legion oder Unterabteilung gegen die Befehle ihres Oberbefehlshabers aufbegehrte ließ dieser per Losentscheid jeden zehnten der meuternden Truppe von den eigenen Kameraden erschlagen. Später wurde der Begriff zur Beschreibung massiver Vernichtungserfolge umgedeutet."

"Mag so sein", knurrte Julius, dem das jetzt eigentlich egal war, ob die alten Römer sowas schon gemacht hatten und er zum anderen im Moment keine rechte Lust auf Lernen hatte, nachdem seine Ringpartnerin ihm am Morgen schon wie im Unterricht gekommen war. Offenbar gefiel der das noch, einen Einzelschüler zu haben. Hätte er sich doch besser mit den anderen abgesetzt und Goldschweif Goldschweif sein lassen ... Unvermittelt erschrak er. Er hatte Goldschweif noch wegrollen sehen können. War sie da tot oder nur benommen gewesen? "Mist, das habe ich ganz vergessen zu fragen, was ist mit Goldschweif?"

"Madame Rossignol kümmert sich wohl um sie. Wir können uns gerne erkundigen, wenn wir im Konferenzraum in meinem Arbeitsbereich sind. Ich denke nämlich, daß wir nun langsam die nötige Organisationsarbeit in Angriff nehmen müssen, um die Akademie so schnell wie möglich wiedereröffnen zu können."

Bevor Madame Maxime und Julius im Konferenzzimmer auf die Ankunft der Saalvorsteher warteten durchschritt die Halbriesin mit nach schräg oben deutendem Zauberstab den sechseckigen Empfangsraum mit Kamin und Bildertor. "Acta Pericola!" Rief sie auf Vivianes Statue deutend, die unvermittelt silbern aufleuchtete. Julius staunte nicht sonderlich, als die Schulleiterin mit denselben alten Losungsworten auf Serena, Donatus, Logophil, Orion und Petronellus deutete. Als sie zum sechsten Mal "Acta Pericola!" Gerufen hatte, verneigten sich die silbern leuchtenden Statuen. Ein leises Rumoren ging durch das Gebäude. "Die Wege sind nun frei!" Murmelten die sechs Gründer. Madame Maxime führte Julius nun in den Besprechungsraum hinter dem hufeisenförmigen Korridor. Dort warteten die gemalten Ausgaben der Gründer im größten Bild ehemaliger Schulleiter. "Richten Sie den Saalvorstehern aus, daß sie und nur sie die wiedereröffneten Tore hierher passieren mögen um mit mir zu erörtern, wie schnell wir die Akademie wiedereröffnen können!" Befahl Madame Maxime. Die Bild-Ichs der Gründer bestätigten die Anweisung und schwärmten aus.

"Durch das tor, wo ich durchging ist kein Lehrer mitgegangen", warf Julius ein. "Wenn das jetzt auch aufgeht kommen die vielleicht zurück." Madame Maxime knurrte ungehalten, weil offenbar kein Lehrer es für nötig gehalten hatte, durch das von Julius angesteuerte Tor der Gründersäule Vivianes zu gehen, um auf der anderen Seite aufzupassen, daß nichts passierte. Julius fand, daß sie ihm im Grunde die Schuld dafür gab und knurrte trotzig zurück:

"Ich sollte die alle rausbringen. Wenn Professeur Faucon unbedingt mit Argons Truppe gehen wollte kann ich da echt nichts für."

"Habe ich das behauptet?" Schnarrte Madame Maxime. "Ich ging davon aus, daß Professeur Laplace oder Bellart mit Ihnen mitgehen würden. Keiner ist mit Ihnen gegangen?"

"Keiner von denen", stieß Julius aus. "Ich dachte, Sie hätten sowas wie einen Evakuierungsplan mit denen abgeklärt."

"Diesen impertinenten Unterton verbitte ich mir, Monsieur Latierre. "Die Anweisung war klar, daß die Mitglieder des Lehrkörpers sich so im Palast verteilen sollten, daß mindestens eines in nächster Nähe eines Durchgangs sein sollte. Außerdem sind Sie meiner Kenntnis nach noch hinter verstreuten Schülern hergelaufen. Haben Sie dabei keinen Lehrer angetroffen?"

"Keinen einzigen", schnaubte Julius, den diese nun fast schon direkte Schuldzuweisung ziemlich annervte. in ihm kam wieder Wut auf, weil die Halbriesin ihn jetzt für die Kiste mit den unbeaufsichtigten Schülern verantwortlich machen wollte. Dann fiel ihm ein, daß Giscard zumindest noch mit seiner Gruppe mitgelaufen war und blaffte: "Aber Giscard Moureau war mit."

"Dann hoffen Sie mal, daß Ihr hauptamtlicher Saalsprecherkollege alle zunächst zurückhält", stieß die Schulleiterin aus. Als Serena Delurdes in das Versammlungsbild zurückkehrte sagte sie Julius zugewandt: "Einen Gruß von Madame Rossignol, Sie hat Goldschweif erst einmal zu sich in den Krankenflügel geholt, weil die Knieselin versucht hat, mit bandagierten Pfoten zu jagen und zu klettern und dabei immer wieder hingefallen ist." Julius bedankte sich schnell für diese Nachricht. Sie bewirkte, daß er zum einen sehr erleichtert war, daß Goldschweif wirklich nicht viel passiert war und amüsierte ihn, weil er sich ausmalte, wie heftig Goldschweif versuchte, mit verbundenen Pfoten zu laufen. Im moment waren die vereinzelt in der Nähe der Akademie hausenden Ratten wohl vor ihr sicher.

Wenige Minuten später trafen die ersten Saalvorsteher ein, Professeur Pallas, Professeur Paralax und Professeur Paximus. Sie wunderten sich, daß Julius im Sprechzimmer war. Denn sie konnten ja unmöglich mitbekommen, daß er nicht mit den anderen Schülern geflüchtet war. Die Schulleiterin sagte ihren Mitarbeitern nur, daß sie alles erklären würde, wenn alle angekommen seien. Tatsächlich dauerte es keine zehn Minuten mehr, bis die drei letzten Saalvorsteher eintrafen. Die Reihenfolge war: Professeur Faucon, Professeur Fixus und Professeur Trifolio. Die Saalvorsteherin des grünen Saales wirkte etwas beklommen, womöglich weil sie mit einer Standpauke ihrer Vorgesetzten rechnete. Julius blickte sie erwartungsvoll an. Seine Saalvorsteherin sah ihn erst verwundert und dann mit einer völlig gefühlfreien Miene an. Offenbar kombinierte sie, daß Julius nicht ohne Grund in diesem Raum war. Vielleicht hatte Vivianes Bild-Ich ihr aber auch schon gesteckt, daß er mit Madame Maxime zusammengebunden war. Professeur Fixus wußte das garantiert schon, und Trifolio würde das gleich von seiner Chefin zu hören kriegen. Zumindest wünschte er allen einen guten Morgen.

"Um die Anwesenheit von Monsieur Latierre zu klären, werte Kolleginnen und Kollegen, so ergibt sie sich aus einer Zwangslage, die auftrat, als er von einem der Angreifer gebissen wurde und sich in ein Wesen ihrer Art zu verwandeln drohte. Madame Rossignol bat mich um die Mithilfe bei einer bis dahin nicht durchgeführten Behandlung", begann Madame Maxime und erzählte denen hier allen, daß Julius einen großen Vorrat ihres Blutes in sich trug und daher mit ungewollten Gefühlswallungen zu rechnen sei, die in körperlicher Gewalt oder anderen unbeherrschten Handlungen ausufern könnten. Julius fühlte die Wut, weil sie ihn so anstarrten wie einen, von dem sie nicht wußten, ob er bemitleidenswert oder gefährlich war. Für Mitleid konnte er sich eh nichts kaufen, und ob er gefährlich wurde lag ja wohl an denen, die meinten, ihn mit irgendwas aufziehen zu müssen. Als sie endlich damit durch war, den sechs Vorstehern zu erzählen, daß er mit ihnen zusammen am Lehrertisch sitzen würde, wenn denn die Schule wieder aufgemacht würde, bat Professeur Faucon ums Wort. Julius dachte schon, daß sie ihm jetzt noch irgendwas raten oder anweisen würde und fühlte sich so, als müsse er gleich einen Angriff abwehren oder einem Angriff zuvorkommen.

"Ich bin erfreut, daß Monsieur Latierre vor den Auswirkungen dieses Giftangriffes gerettet werden konnte. Bislang hieß es, gegen diese heimtückische Körpersubstanz gebe es kein Antidot. Ich nehme die vorübergehende Überantwortung in Ihre Obhut zur Kenntnis und werde die Bewohner des grasgrünen Saales entsprechend anweisen, daß sie aus seiner und Ihrer prekären Zwangslage keinen Grund für Hohn, Spott oder sonstige unpassende Handlungen abzuleiten haben. Ihnen, Monsieur Latierre, wünsche ich, daß Sie die Nachwirkungen der an Ihnen ausgeführten Behandlung bald überstanden haben und in den allgemeinen Klassenunterricht zurückkehren können."

"Danke", grummelte Julius. Madame Maxime räusperte sich zwar, sagte aber nichts weiter dazu. Sie kam nun zu den eigentlichen Gesprächsthemen. Sie erklärte den sechs höchsten Lehrern von Beauxbatons, daß die grauen Wolkenhüter bis auf eine Ausnahme alle vollendeten Schlangenkreaturen getötet hatten und welche Beschädigungen sie dabei an den Mauern des Palastes angerichtet hatten. Sie erwähnte, daß es ihrer Meinung nach drei Wochen dauern mochte, die Löcher zuzumachen und die kaputten Fenster und das Tor zu reparieren. Sie sagte zum Schluß, daß sie um vorgezogene Ferien bitten wolle, um die Arbeiten so gründlich wie möglich und ohne den laufenden Unterricht zu stören erledigen zu lassen. Professeur Fixus erwähnte dann, daß sie alle noch ihre ganzen Sachen hier hatten. Madame Maxime bestätigte das und bot an, daß Alle Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Sachen zusammenpacken könnten, wenn klar war, ob die Renovierungsarbeiten ausgeführt werden konnten oder nicht. Professeur Faucon schien zu überlegen. Aber irgendwie schien ihr das was sie dachte nicht so recht zu gefallen. Sie schüttelte sachte den Kopf und bat dann ums Wort.

"Ich gedachte erst, Ihnen vorzuschlagen, den Unterricht wegen der vorhandenen Gegebenheiten in Millemerveilles fortzuführen. Doch die Unterbringung dürfte nach dem großen Ansturm im Januar sehr fraglich sein. Ebenso bräuchten wir ein geeignetes Haus, und das Gemeindehaus ist wohl ebenfalls zur Notunterkunft umfunktioniert worden. Falls Sie möchten kann ich Ihnen gerne eine Erörterung schreiben, was für und gegen eine direkte Fortsetzung des Unterrichts in Millemerveilles spricht, Madame Maxime."

"Ich verfasse gleich den Antrag an die Schulräte und die Ausbildungsabteilung. Monsieur Descartes ist ja wieder in seine Ämter eingesetzt", sagte die Schulleiterin. Professeur Faucon und Professeur Trifolio nickten bestätigend. Damit beendete Madame Maxime die Besprechung und schlug vor, daß sich alle die Schäden an den Mauern ansehen sollten. Sie wollte in der Zwischenzeit den Brief schreiben, den sie in mehrfacher Kopie an die Schulräte schicken würde. Professeur Fixus und Professeur Faucon baten darum, noch im Besprechungszimmer zu bleiben. Julius schwante, daß sie das wegen ihm wollten. Was würde da gleich noch kommen?

Als die vier anderen Saalvorsteher den Besprechungssaal verlassen hatten, sagte Professeur Faucon: "Es wäre für Ihre Gattin wohl günstiger, wenn Sie Ihren Partnerschmuck ablegten, Monsieur Latierre. Immerhin könnte es durch die beiden Anhänger zu ungewollten Gefühlsaufschaukelungen kommen, die Sie beide nicht bewältigen können."

"Wenn meine Frau das will legt sie das Herz weg", knurrte Julius verdrossen. "Da hatten wir es gestern schon von. Madame Rossignol hat keine Probleme damit und Madame Maxime im Moment auch nicht."

"Immerhin hat diese Verbindung geholfen, die Verwandlung und die Unterwerfung lange genug hinauszuzögern, Blanche", wandte Professeur Fixus ein und schilderte zu Julius Unmut, was Millie und er in Gedanken gegen die Macht des Skyllianrigiftes und den Herren der Schlangenmenschen aufgeboten hatten. Julius setzte schon an, aufzuspringen und Professeur Fixus eins auf den Mund zu hauen, weil die mal eben so aussprach, was er mit seiner Frau so für gedanken geteilt hatte. Doch Madame Maxime fühlte es wohl irgendwie und hielt ihn mit ihrer linken Hand in einem stahlharten Griff auf seinen Sitz. Er machte schon Anstalten, seine wild aufflammende Wut in den Besprechungsraum zu brüllen, als ihm Millies Gedankenstimme durch den Kopf ging: "Wenn du wegen Fixie wütend bist kühl runter! Nachher ziehen die noch deinen Anhänger ein. Wie ging deine Formel noch mal? Was mich stört verschwinde! ..." Julius fühlte seine Wut noch stärker. Doch Millies Gedankenstimme, die seine eigene Selbstbeherrschungsformel aussprach, überlagerte den Wunsch, der Halbriesin mit rechts irgendwo hinzuhauen wo es ihr wehtat. Er bebte wie ein Stier vor dem Angriff. Doch der Stahlklammergriff um seine Schulter und Millies immer eindringlicher werdende Wiederholung seiner Selbstbeherrschungsformel hielten ihn fest auf seinem Stuhl, der schon leise knarrte, weil Madame Maxime sehr viel Kraft aufwandte, um ihn auf dem Sitz zu halten. Er wollte unter seinen Umhang langen, um das Zuneigungsherz herauszuziehen, um Millie zuzumentiloquieren, sie solle damit aufhören. Doch da drangen die Worte, die ihm sein Karatemeister beigebracht hatte, endlich durch das Höllenfeuer seiner Wut und erreichten ihn. Er hörte sein Herz unter Volldampf und wie sein Atem immer stärker ging. Ihm war heiß geworden. So gab er sich Millies sicher gedachtm Mantra der Selbstbeherrschung hin und ließ Professeur Fixus und Professeur Faucon über ihn reden, ohne es zu beachten. Erst als der Wutvulkan in ihm seine Glut restlos verfeuert hatte ließ Millie ihn mit seinen Gedanken alleine.

"... können Sie auch jetzt wieder sehen, Blanche, daß die beiden sich eher ausgleichen können."

"Ja, aber nur, wenn Madame Latierre wie jetzt Zeit hat, sich auf diesen Ausgleich zu konzentrieren", hielt Professeur Faucon dagegen. "Wenn aber beide einen geregelten Unterricht verfolgen müssen wird es schwierig. Aber bis dahin erkenne ich an, daß Monsieur Latierre seinen partnerschmuck weitertragen darf."

"Wie nett von Ihnen", schnarrte Julius mit dem letzten Funken Zorn. "Ich gebe den Anhänger nur ab, wenn mir das wer klar befiehlt. Vorher nicht."

"Hoffen wir, daß Madame Latierre dadurch nicht beeinträchtigt wird", schnarrte Professeur Faucon, die so viel Aufsässigkeit von Julius nicht gewöhnt war. Dann schlug sie vor, daß sie sich den Schaden im grünen Saal angucken wollte. Professeur Fixus erwähnte darauf, daß sie sich auch die Löcher in der Mauer ansehen würde. Als die beiden Saalvorsteherinnen den Wohn- und Arbeitstrakt der Schulleiterin verlassen hatten zog die Halbriesin ihren vorübergehenden Einzelschüler von seinem Stuhl hoch und sagte ungewohnt leise und behutsam: "Mir war klar, daß Sie Professeur Fixus für ihre ausführliche Darlegung ihres Gedankenaustauschs am liebsten in der Luft zerrissen hätten, Monsieur. Daher mußte ich sie festhalten. Aber das alleine wird wohl nicht geholfen haben, Sie von einem blindwütigen Angriff abzuhalten. Wie immer Sie sich und uns vor einem Tobsuchtsanfall bewahrt haben, Monsieur, Sie sehen es wohl jetzt ein, weshalb wir beide bis auf weiteres in unmittelbarer Nähe die Zeit verbringen müssen. Aber wie auch immer Sie den Wutansturm ausgehalten haben, ich möchte Sie jetzt bitten, mich in mein Büro zu begleiten, damit ich den Brief an die Schulräte verfassen kann." Julius nickte. Er fühlte sich im Moment total abgeschlafft und elend, weil er fast die kleine Lehrerin zusammengeschlagen hätte, weil die das erzählt hatte, was sie aus Millies Kopf herausgehört hatte. Das durfte die eigentlich gar nicht. Warum hatte er ihr das nicht ganz ruhig gesagt? Warum wollte er das auf die harte Tour erledigen. Er war kurz davor gewesen, eine Frau zu schlagen, und nicht nur, um ihr eine Ohrfeige zu verpassen. Das war doch ganz klar gegen seine Lebensregeln, an die er sich trotz Malcolms und Lesters Abrutscher noch halten würde, ja wohl als einziger der Bubblegum-Bande noch halten mußte. Das eben wäre fast ziemlich übel gelaufen. Und das zog ihn ziemlich gut runter.

Während Madame Maxime ihren Brief schrieb, den sie mit dem Multiplicus-Zauber vervielfältigen wollte, mentiloquierte Julius mit Millie und bedankte sich, daß sie ihn davon abgehalten hatte, Professeur Fixus an die Wand zu klatschen.

"Ich habe das mit der Formel auch gemacht, um Caro nicht aus deiner zu mir rübergeflogenen Wut nicht die Haare auszureißen. Die hat mich nämlich blöd angeguckt, weil ich so kampflustig auf sie geglotzt habe. Wo Fixie gerade bei euch ist hängt nur Brunhilde hier rum und hat eine Mauer aus verhärteter Luft vor das Tor gezaubert. Genialer Trick das. Kannst du den auch?"

"Ich kann ja noch nicht mal den Spiegel aus reinem Wasser, mit dem die Dexters damals Demies Spiegelbild hinbekommen haben", gedankenknurrte Julius.

"Den hat die auch nicht in Beaux gelernt, sondern von ihrem Papa, der ein As in Elementarzaubern sein soll", erwiderte Millie.

"Dann grüß sie mal schön! Wenn das so weitergeht darf ich noch mal über den Teppich laufen."

"o, wäre zwar schön, aber dann mußt du das auch selbst von dir aus alles empfinden, was dir gerade so passiert, fürchte ich. Madame Maximes Blut macht ja nur, daß du das alles mitkriegst, was du sonst krampfhaft zurückhältst."

"Willst du mich wieder ärgern, Mamille?" Schickte Julius zurück.

"Ich will dir nur sagen, daß ich will, daß du das soweit hinkriegst, daß du ohne Madame Maxime um dich rum rumlaufen kannst", erwiderte Millie. Dann beendete sie die Gedankenverständigung.

"So, jetzt in meine Diensteulerei", legte Madame Maxime die weitere Marschroute fest, nachdem sie für jeden Schulrat und den Leiter der Abteilung für magische Ausbildung und Studien eine Kopie ihres Antrages fertig hatte. Sie führte Julius durch ein für sie schmales Treppenhaus in eine Dachkammer, wo zwölf unterschiedlich große Eulen auf langen Stangen an der Wand hockten. Der Boden war unterhalb der Stangen mit frischem Eulenkot und ausgewürgten Mäusefellen und -knochen besudelt.

"Sie haben heute Morgen einen sehr probaten Dungentfernungszauber praktiziert. Würden Sie für mich bitte den Boden von den Eulenexkrementen befreien?" Fragte Madame Maxime behutsam und keinesfalls wie einen Befehl betonend. Julius ging jedoch davon aus, daß es ein Befehl war und bestätigte es mit "Jawohl, Madame Maxime." Dann ließ er den Eulendreck verschwinden, kehrte mit Accumulus" alle Knochen- und Fellreste auf einen Haufen zusammen und ließ diesen mit "Vanesco Solidus" verschwinden. Ohne einen Befehl dafür abzuwarten ließ er den Säuberungszauber Ratzeputz mit voller Stärke über den Boden scheuern. Dabei dachte er komischerweise an seine Mutter. Würde die von Madeleine L'eauvite diesen Zauber lernen, falls sie nicht schon wieder in Paris war? Schulverpflichtungen hin oder her?

"Diese Arbeit muß ich jeden Morgen einmal machen", meinte Madame Maxime. "Im Schulleitertrakt dürfen Hauselfen nur auf direkten Anruf hinkommen. Da erledige ich diese Sache lieber selbst, wenn ich den üblichen Eulenpostverkehr abwickle. Aber wie ich Sehe sind Sie in häuslichen Zauberkunststücken sehr gut vorgebildet. Das trifft bedauerlicherweise nicht auf jeden jungen Zauberer zu. Es war vollkommen richtig, Ihnen ein Leben unter magischen Menschen zu verordnen", lobte sie ihn noch, während sie den letzten Brief an das rechte Bein eines Uhus band und diesen mit "Ausbildungsabteilung Monsieur Cicero Descartes", abschickte.

"Ich dachte, sie hätten auch Weibchen hier", meinte Julius, der die Eulen nach seiner Sauberzauberei genauer angesehen hatte.

"Weibliche Eulenvögel entwickeln eine mir nicht nachvollziehbare Abneigung gegen mich, wenn sie länger als eine Minute in meiner Nähe zubringen müssen. Daher unterhalte ich eine Gruppe rein männlicher Posteulen für den persönlichen und dienstlichen gebrauch. Kehren wir zurück ins besprechungszimmer!"

Die Saalvorsteher verließen nach einer weiteren kurzen Besprechung über die aufgenommenen Schäden Beauxbatons durch die Tore. Professeur Faucon ließ sich von Julius mit Madame Maxime im Schlepptau zeigen, wo der untere Durchgang der Eauvive-Säule stand. Die Saalvorsteherin sagte dann noch: "Ich wäre gerne umgekehrt und hätte mich Ihrer Gruppe angeschlossen, wenn Monsieur Odins Gruppe nicht so unbeherrscht durcheinandergelaufen wäre. Als ich mit ihm durch das Tor war, wollte ich umkehren und stieß auf Widerstand. Diese Art von Teleportal führte wahrlich nur in eine Richtung."

"Ich hoffe, daß die Leute mit Giscard gut klargekommen sind", seufzte Julius. Er wäre ja gerne selbst durch das blaue Tor gegangen, hinter dem er nun schemenhaft seine durchgeschleusten Kameraden sehen konnte, Professeur Faucon betrachtete die nebelhafte Szenerie unter dem leuchtenden Torbogen und wirkte sehr zufrieden. Dann winkte sie ihrer Vorgesetzten und ihrem Schüler zum Abschied zu und durchschritt das Tor. Julius sah, wie ihre Konturen für einen winzigen Moment flackerten, bis sie in der dunstigen Landschaft hinter dem Tor zu sehen war.

"Das schreibe ich Hermine Granger, wi viel Zeit trotz Zaubern für Küchendienst draufgeht, wenn keine Hauselfen da sind", meinte Julius zu Madame Maxime, während sie beide an einem hohen Tisch in der Großküche von Beauxbatons saßen und das von ihnen selbst zusammengezauberte Drei-Gänge-Menü aßen. Dann sollte er natürlich erzählen, was die Madame Maxime als überaus lerneifrig bekannt gewordene Gryffindor-Schülerin mit Küchendienst ohne Hauselfen zu tun hatte. Julius erwähnte die von dieser gegründete B.Elfe.r-Gruppe, als ihm ein eisiger Schreck durchfuhr, daß Hermine Granger wegen ihrer Muggelstämmigkeit ganz sicher in Askaban gelandet war. Auf die Frage, was ihn da jetzt so schockiert habe gestand er mit einem Gefühl, ein totaler Hasenfuß zu sein, was ihn da so heftig aus dem Tritt gebracht hatte.

"Sie dürfen sich beruhigen, Monsieur Latierre. Soweit mir Professeur Faucon mitteilte befindet sich Mademoiselle Grongdschee weiterhin auf der Flucht und damit auf freiem Fuß. Sie gehört zur Gruppe der unerwünschtesten Personen, Nach Harry Potter. Irgendwer hat sie um Weihnachten herum in der Siedlung Godrics 'ollow gesehen und die Verbrecher informiert, die zur Zeit Ihr Geburtsland tyrannisieren, Monsieur Latierre. Womöglich ist sie mit Monsieur Potter auf der Flucht."

"Oder auf der Jagd nach dem, was diesem Irren, dem wir beide unsere Zeit mit den Ringen verdanken endgültig von der Erdoberfläche wegputzt wie ein zehnfacher Ratzeputzzauber. Sie haben ja auch gehört, was Pteranda erzählt hat, daß da was sein soll, daß dieser Mistkerl mit sich angestellt hat, um unbesiegbar zu bleiben."

"Ja, und ich wollte es nicht glauben, als sie von "mehreren" verborgenen Sachen sprach", schnarrte die Halbriesin. "Professeur Faucon hat mich über die näheren Umstände dieser unfaßbaren Tat aufgeklärt. Aber ich fürchte, Pteranda hat recht, wenn sie darauf beharrt, Ihnen nicht nähere Auskünfte darüber zu erteilen. Erstens würden Sie von hier aus eh nichts ausrichten können. Zweitens fehlt Ihnen und mir jeder kleinste Ansatzpunkt, um diese Artefakte aufspüren und zerstören zu können. Selbst Professeur Faucon, die einiges mehr über diesen Psychopathen, der Sie fast zu seinem Werkzeug gemacht hätte weiß, Monsieur Latierre, ist untröstlich, nicht zu wissen, was und wo diese verderbten Objekte sind. Aber Sie könnten mit Ihrer Vermutung recht haben, daß Potter von Dumblydor all die nötigen Einzelheiten erfahren hat, um die Suche nach diesen Erzeugnissen dunkelster Zauberkunst aufnehmen und vielleicht erfolgreich beenden zu können. es wäre für uns alle ein großer Segen, wenn dieses selbstgemachte Ungeheuer in Menschengestalt endlich und für alle Zeit entmachtet wird. Aber mehr möchte ich zu diesem Thema nicht besprechen. Wir beide haben auch hier wichtiges zu tun, was unserem Heimatland sehr dienlich sein wird."

"Und was soll das bitte sein, außer hier in einem durchlöcherten, leeren Palast rumzusitzen?" Schnarrte Julius.

"Abgesehen davon, diesen - wie sagten Sie? - durchlöcherten Palast wieder dichtzumachen und als die erhabene Lehranstalt wiederzueröffnen, als die er nun über mehr als zehn Jahrhunderte dient dürfte demnächst die gerichtliche Aufarbeitung der nun doch beendeten Ära Didier anstehen, zumal die beiden Hauptverantwortlichen in Arrest sind. Es könnte Monsieur Delamontagne und Professeur Tourrecandide in den Sinn kommen, Zeugen für die Gräueltaten Didiers zu laden, und da Ihre Frau Mutter unmittelbar von den Machenschaften Didiers und Pétains betroffen war, wie auch wir beide, könnte es im Laufe der nächsten Monate zu Anfragen kommen, unsere Aussagen vor dem Zaubergamot zu hören." Julius überlegte sich, ob Professeur Faucon Madame Maxime bereits erzählt hatte, was mit seiner Mutter passiert war. Doch dann dachte er daran, daß das im Moment noch nicht jeder wissen mußte, vor allem nicht, wo doch nicht ganz auszuschließen war, daß Agenten voldemorts in Frankreich herumliefen. Seine Mutter wäre das Paradebeispiel für die Anti-Schlammblut-Hetze von Dolores Umbridge, eine Frau, die von irgendwoher weit nach der Geburt zur Hexe werden konnte. "Allerdings könnte es auch sein, daß man Ihre Mutter wohlweißlich nicht aus Millemerveilles herauslassen möchte, solange der Feind in England noch mächtig ist", fuhr Madame Maxime unerwartet ernst fort. Julius wollte schon fragen, wie sie darauf komme, als sie hinzufügte: "Ich weiß, daß es bis auf weiteres nur in der Familie Eauvive, Latierre und den Vertrauten Ihrer Mutter bleiben soll, daß ein an sich nur zusätzliche Lebenskraft spendendes, sehr intimes Ritual Madame Eauvives Ihrer Mutter zum Erwerb magischer Kräfte verholfen hat. Und wagen Sie jetzt nicht, darüber zu erschrecken! Als Schulleiterin muß ich über den magischen Status der Schüler und ihrer Verwandten unterrichtet sein, um beispielsweise die Entwicklung zauberfähiger Kinder und Jugendlicher einschätzen zu können. Ihre Mutter wird also in Ihrer Freizeit damit umzugehen lernen. Soweit mir bekannt ist erhält sie die nötigen Unterweisungen von Madame Madeleine 'eauvite und Madame Catherine Brickston, seitdem Madame Eauvive wieder in Amt und Würden ist."

"Ups, da mußte ich gerade dran denken, daß das genau die Art von Beweis ist, die der Irre in England den Leuten unter die Nase halten kann, um zu beweisen, daß es keine muggelstämmig geborenen Hexen und Zauberer geben kann", stieß Julius aus.

"Tja, aber die Art, wie das Ritual wirkt ist gutartig, hat nichts mit Diebstahl oder Raub zu tun. Aber wem sage ich das. Sie wurden ihm selbst ja auch schon unterzogen, als Geschenk Ihrer damals noch zukünftigen Schwiegergroßmutter."

"Finden Sie nicht, daß das jetzt ziemlich fies ist, mir zu erzählen, was Sie über mich alles wissen", schnaubte Julius ungehalten. Madame Maxime war auf der Hut vor einem neuen Wutanfall und sagte schnell:

"Nun, es wird sich nicht vermeiden lassen, daß wir in den nächsten Wochen viele Stunden freie Zeit haben, auch wenn ich Sie natürlich gemäß der Heileranweisung Madame Rossignols als Einzelschüler unterrichten werde. Und da ich darauf bedacht bin, diese Zeit für Sie so erfolgreich wie möglich zu gestalten, wollte ich Ihnen nur mitteilen, daß ich einige Ihrer derzeitigen Sorgen und Hintergründe kenne. Na, den Teller lassen Sie bitte stehen!" Stieß sie ganz am Schluß mit einer Wucht aus, die Julius aufkommende Wut mit einem Schlag niederstreckte. Julius hatte wirklich schon den Teller mit dem Hühnerfrikassee angehoben. Er ließ ihn klirrend auf den Tisch zurückfallen, daß etwas von der Soße über den Rand schwappte. Wieder überfiel ihn dieses Gefühl, was total peinliches getan zu haben. Die Zornesröte wurde übergangslos zur Schamröte. Nur sein Blick verriet, daß er seinen neuerlichen Beinahewutanfall heftig bedauerte.

"Wenn das so weiter geht ramme ich doch noch wen durch die Tür", seufzte er. Madame Maxime sah ihn sehr genau an, nicht tadelnd, nicht eindringlich, sondern eher mitfühlend. Dann sagte sie wesentlich ruhiger als gerade eben noch:

"Ich weiß, wie es sich gerade für Sie anfühlt. Sie dürfen sich glücklicher schätzen als ich, daß Sie jemanden haben, der Ihnen beistehen kann, wenn es extreme Formen annimmt. Und ich hoffe sehr, daß Sie bei vollständiger Erneuerung Ihres eigenen Blutes wieder die Ihnen vertraute Selbstbeherrschung zurückgewonnen haben werden."

"Wenn's nach meiner Frau ginge dürfte ich nur halb so viel Selbstbeherrschung haben wie Sie mir zutrauen", sagte Julius, bevor er wieder nach dem Besteck griff, um weiterzuessen.

"Dann kann ich nur hoffen, daß Ihre Gattin nicht fürchtet, Sie könnten das Interesse an ihr verlieren und sich mir zuwenden", erwiderte Madame Maxime unerwartet. Julius mußte schnell schlucken, um nicht das was er im Mund hatte vor lachen durch die Gegend zu spritzen. Die große Dame konnte echt Witze machen. Andererseits, vielleicht bildete die sich auch was auf ihre Wirkung auf ihn ein. Womöglich dachte sie, wenn er lange genug an ihr festhing könnte er doch auf sie abfahren und eine wilde Lawine lostreten. Doch sie grinste nun wie ein übergroßes Schulmädchen. Die hatte ihn tatsächlich verladen. So meinte er:

"Ihre Mutter und ihre Schwester haben mir schon angedroht, mir eine von diesen grünen Waldfrauen zu suchen, wenn ich Mildrid verlassen sollte."

"Oh, das sollten Sie ernstnehmen, Monsieur Latierre. Ich kenne selbst einige grüne Waldfrauen, die sofort zugreifen würden, wenn Sie in ihr Revier gerieten. Nun gut, lassen wir das. Sie benötigen noch etwas Nahrung. Mein Blut dürfte Ihren Stoffwechsel deutlich stärker anregen als Ihr gewohnter Lebenssaft." Julius verstand, daß sie besser nicht zu lange über irgendwas reden sollten und aß.

Am Nachmittag erhielt Madame Maxime die Mitteilung von den Schulräten und der Ausbildungsabteilung. Sie hatten sich alle bei Monsieur Descartes versammelt, weil sie zwar gehört hatten, daß Beauxbatons den Angriff und die Befreiungsaktion der Wolkenhüter größtenteils heil überstanden hatte, warteten jedoch auf die Nachricht vom Verbleib der Lehrer und Schüler.

"Die Wochen bis zum ersten Märzsonntag sind vorgezogene Osterferien", verkündete Madame Maxime Julius und den Saalvorstehern. "Mit den Instandsetzungsarbeiten wird morgen um acht Uhr begonnen. Professeur Fixus und Professeur Trifolio, Sie werden die Bau- und Aufräumarbeiten mit mir und Monsieur Latierre beaufsichtigen. Alle anderen erhalten vom Ministerium bezahlten Urlaub bis zur Rückkehr. Professeur Faucon, Professeur Pallas und Professeur Paximus, Sie dürfen Ihre Schüler zuerst herüberholen. Eine Viertelstunde später folgen dann die Schülerinnen und Schüler der Säle Weiß, Rot und Violett! Um spätestens sechs Uhr abends bringen Sie die Schülerinnen und Schüler per Reisesphäre in die Ausgangskreise ihrer Heimatregionen!"

"Werden wir das den anderen gleich erzählen oder besser erst im März?" Fragte Julius auf sich und Madame Maxime deutend. Diese bekräftigte, daß die Schüler es erst im März erfahren sollten. So war klar, daß Madame Maxime und Julius sich nicht außerhalb des Schulleiterbereiches sehen lassen durften. Professeur Faucon und Professeur Fixus übernahmen die Aufsicht.

"Für Sie habe ich eine wichtige Aufgabe, Monsieur Latierre", setzte Madame Maxime an. "Bitte kontaktfeuern Sie Ihre Mutter in Millemerveilles und bitten Sie sie darum, daß sie die Eltern der muggelstämmigen Schüler per Elektrofernsprechvorrichtung verständigt, daß ihre Kinder wohlauf sind und bis zum ersten Märzwochenende in vorgezogene Osterferien zu ihnen kommen werden und sie sie bitte gegen sechs Uhr abends an den Ihnen bekannten Abholpunkten in Empfangnehmen möchten!"

"Mach ich", sagte Julius hocherfreut, nicht hier oben rumzuhocken, während unter ihm seine Schulkameraden herumwuselten. Der Kamin im Empfangszimmer war nur für Kontaktfeuergespräche offen. Aber das reichte.

"Hallo, Julius!" Rief Babette Brickston, als der Kopf des Zauberschülers im Kamin auftauchte. "Deine Mum ist mit meiner Maman und Tante Madeleine im Übungsraum. Ähm. Oma Blanche hat schon ihren Kopf zu uns reingefeuert und gesagt, ihr hättet auch diese Schlangenleute dagehabt. Seid ihr noch in Beaux?"

"Noch, Babette. Kannst du meine Mum von deinen beiden Verwandten loseisen? Ich soll was von Madame Maxime bestellen, was Mum über die Mobilfunkverbindung weitergeben möchte."

"Tante Madeleine und maman sahen nicht so aus, als wollten die Martha jetzt schon rauslassen, jetzt wo diese ganzen Friedenslager allegemacht wurden. Die haben die Tür ganz fest zugemacht. Die kriege ich auch mit Alohomora nicht aufgehext."

"Och, den kannst du schon?" Fragte Julius ziemlich vergnügt.

"Schon seit dem ich acht bin, du Überflieger", grummelte Babette. "Hatte nur noch keinen Zauberstab um den richtig auf 'ne Tür zu kriegen."

"Ganz dicht? Schade, das bei euch kein Melo geht, sonst wäre das kein Thema. Aber probier's mal aus! Ich habe Zeit. Sag ihnen, ich hätte den Eilauftrag, die ganzen Muggeleltern für sechs uhr zu den Ausgangskreisen zu bestellen, sonst würden die ganzen Schüler in Zauberschlaf versenkt und bis zum März im Keller versteckt wie Frankensteins Monsterpuzzle."

"Wiesoooo?!!" Entschlüpfte es Babette, die kreidebleich geworden war.

"Weil die Schule repariert werden muß und die Leute da freie Bahn brauchen, nachdem die Schlangenleute auch bei uns waren und von den grauen Riesenvögeln weggeputzt wurden."

"Achso, und wenn die Muggelstämmigen nicht abgeholt werden können werden die im Keller versteckt?" Fragte Babette.

"Diese Drohung habe ich nicht ausgesprochen, Monsieur Latierre", hörte er Madame Maxime wie aus einem hinter ihm liegenden Schacht.

"Ach du Scheiße! Bist du bei der Maxime im Zimmer?" Fragte Babette nun leise. Julius nickte. Das war für Babette offenbar ein Signal, daß sie ganz dringendzum Übungsraum gehen solte. Da kam ihr Vater herein und sah Julius' Kopf.

"Ach, gibt's dich noch? Deine werte Lehrerin hat heute Morgen schon mit uns gequatscht, daß euer Laden auch von diesen Echsenmonstern angegriffen wurde und ihr alle durch so Lichttore abhauen mußtet. Was hast du jetzt in diesem Hexenkamin verloren?"

"Verloren nix, Joe, muß nur einen Auftrag von Madame Maxime ausführen. Ich möchte meine Mutter bitten, die nichtmagischen Eltern von meinen Mitschülern anzurufen, um denen zu sagen, daß wegen Renovierungsarbeiten bis Anfang März die Schule dichtgemacht wird. Dafür gibt's keine Osterferien."

"Ach, und Blanche und ihre angeblich drei Meter große Chefin gehen mal eben davon aus, daß wir sogenannten Muggeleltern auch Zeit für unsere Kinder haben, wo wir alle unseren Urlaub schon im Winter mit den Kollegen abstimmen müssen, wenn man nicht gerade mit 'ner Hexe verheiratet ist, die einen mal eben für alle Kollegen verschwinden und ohne festen Job rumhängen lassen kann. Und was soll das bis Anfang März? Dahin sind's noch über drei Wochen. Ich dachte, die ziehen einem magisch mal eben in einer Stunde eine Mauer hoch und in 'ner weiteren Stunde ein großes Wohnzimmer."

"Beauxbatons ist ein bißchen größer, Joe", sagte Julius. "Da müssen sie mehr machen."

"Blanche und ihre Bande spinnen doch. Erst nehmen sie uns die Kinder weg, weil die nur bei denen diese Zaubersachen lernen können, und dann, wenn irgendwas passiert, sollen die Kinder mal eben für ein paar Wochen zu ihren Eltern, ohne zu wissen, was sie mit der Zeit machen sollen. Die spinnt doch, diese Madame Maxime."

"Das habe ich wohl gehört, Monsieur Brickston!" Rief Madame Maxime. "Und im Namen Ihrer Töchter sollten sie tunlichst einen gepflegteren Wortschatz und wesentlich bessere Umgangsformen entwickeln, wenn Sie möchten, daß Ihre Töchter sich Ihrer nicht schämen müssen."

"Verstehe, du darfst nicht unbeaufsichtigt mit einem Muggel wie mir quatschen", schnarrte Joe. Julius fühlte wieder Zorn in sich auflodern, der zum dritten großen Wutvulkan des Tages anschwoll. Nur konnte er Joe kaum an die Gurgel gehen. Da stürzte Catherine in die Wohnküche, dicht gefolgt von Martha, gefolgt von Madeleine und Babette.

""Babette sagte was, daß Madame Maxime deinen Kopf zu uns geschickt hat, weil sie will, daß wir die Eltern der Muggelstämmigen anrufen", sagte Catherine. Julius kämpfte gegen die noch in ihm tosende Wut. Er fühlte, daß irgendwas seine Hände festhielt. Er wollte schon ausstoßen, daß Joe ihn dumm angemacht hatte. Doch dann brachte er noch einigermaßen freundlich heraus: "Ja, Catherine. Heute abend um sechs werden alle Schüler außer mir an den Ausgangskreisen abgeliefert. Ferien bis zum ersten Märzwochenende wegen Renovierungsarbeiten. Dafür keine Osterferien."

"Verstehe", sagte seine Mutter. Dann fragte sie sehr besorgt klingend: "Du sagtest: "außer mir". Warum kommst du nicht nach Hause?"

"Meinst wohl dieses Zaubererdorf hier, Martha", schnarrte Joe verächtlich.

"Die Kiste ist so heftig, daß ich das in einer Minute nicht erzählen kann. Sagen wir's so, Madame Rossignol mußte mir was geben, womit ich nicht ohne Aufsichtrumlaufen kann. Deshalb bleiben sie und ein paar andere mit mir in der Schule."

"Was ist mit dir passiert, Junge?" Schnarrte Martha mehr aus Angst als aus Entrüstung.

"Ich schreibe dir das."

"Wir kommen zu dir rüber, wenn Blanche den Kamin ganz aufmacht", sagte Madeleine.

"Ich bin in Madame Maximes Vorzimmer", korrigierte Julius. Langsam flaute die Erregung wieder ab, die Joes Gequatsche ihm eingejagt hatte. "Auch gut, dann darf Madame Maxime ihren Kamin ganz aufmachen. Wird eh Zeit, daß deine Mutter das lernt. Soweit ich weiß hat Blanche es ihrer Chefin eh schon auf die Nase gebunden."

"Madeleine, das meinst du nicht ernst", zischte Julius' Mutter.

"Och, die andere Sache geht wohl auch noch", erwiderte Babettes Großtante mit schadenfrohem Grinsen. Julius' Mutter verstand wohl unverzüglich und nickte schwerfällig. Dann sagte sie: "Ich habe die Telefonnummern vorsorglich alle gespeichert. Ich rufe an und schreibe mit, was sie sagen. Also: Sechs Uhr abends an den bekannten Abholstellen. Vorgezogene Osterferien bis erstes Märzwochenende wegen fälliger Renovierungsarbeiten. Soll ich denen erzählen, weshalb?"

"Sage ihnen, sie bekämen wohl noch briefe über den genauen Umstand. Erst einmal ist es wichtig, daß die Schüler alle nach Hause kommen."

"In Ordnung, mache ich", erwiderte Martha Andrews. Julius bedankte sich. Joe meinte dann noch:

"Und bestell dieser Madame Maxime, ich sei alt genug, um zu wissen, mit wem und wie ich reden soll, Julius."

"Die kann heftige Flüche, Joe. Könnte sein, daß Infanticorpore auch dabei ist. Der Fluch macht erwachsene Menschen wieder zu Babys", feuerte Julius noch ab und sah, daß das bei Joe sehr wuchtig einschlug. Doch Bevor Joe was sagen konnte zog Julius seinen Kopf vergnügt grinsend wieder ein.

"Es wird schwierig sein, die junge Mademoiselle Brickston an einen pfleglicheren Umgang zu gewöhnen", schnarrte Madame Maxime. "Aber die Bemerkung am Ende, sollte sie als Drohung aufgefaßt sein, war wohl nötig."

"Monsieur Brickston will es nicht kapieren, mit wem er sich da leicht verkrachen kann", seufzte Julius, der sich Joe in Windeln und Strampelanzug vorstellte. Das wäre ihm vielleicht gestern noch passiert, wenn der Fluch überhaupt auf ihn gewirkt hätte.

"Sie erwähnten einen erklärenden Brief. Solange wir auf das Resultat warten dürfen Sie diesen Brief schreiben. Ich werde ihn unterzeichnen und vervielfältigen", gab Madame Maxime ihm sogleich die nächste Aufgabe. Julius kapierte, daß er mit Muggelwelterklärungen wohl besser bescheid wußte. Also ging er daran und schrieb einen langen Brief, in dem er ohne genauer auszuführen, wer und was die Skyllianri waren, den Angriff auf Beauxbatons beschrieb, wobei er sich sehr konzentrieren mußte, nicht in die damit verbundenen Gefühle von Ohnmacht, Wut, Unterwerfung und Zuversicht abzugleiten. Als er den Brief fertig hatte fauchte es im Kamin, und Hippolytes Kopf saß in den Flammen. "In meiner Eigenschaft als ministeriell bestellte magische Fürsorgerin für Monsieur Julius Latierre bitte ich Sie, Madame Maxime, mir den Kamin für einen vollständigen Durchgang zu öffnen, um mit Ihnen zu erörtern, was genau mit Julius passiert ist. Bei der gelegenheit werde ich auch meine Tochter Mildrid, meine Schwester Patricia und meine Nichten Calypso und Penthesilea mitnehmen. Wir werden bis zum Ende der vorgezogenen Ferien im Stammsitz meiner Familie wohnen."

"An und für sich ist vorgesehen, daß alle Schüler ordentlich ihre Habe zusammenpacken und dann via Reisesphäre abreisen", knurrte Madame Maxime. "Wir erteilen hier keine Sonderbehandlungen, Madame Latierre. Es sei denn, Sie erachten es als geboten, Ihre Tochter Mildrid von der Akademie zu nehmen und haben ähnliche schriftliche Verfügungen ihrer Schwester Barbara und Ihrer Mutter Ursuline zur Hand. Nur dann dürfen Eltern ihre Kinder persönlich abholen, solange kein Elternsprechtag ist."

"Der grundsätzlich immer am Tag der Ferienheimreise zu Ostern ist, Gnädigste Madame Maxime", konterte Hippolyte. "Wenn ich nicht erkennen würde, daß mein Schutzbefohlener offenbar nicht ohne Grund mit Ihnen zusammengebunden wurde, würde ich ihn auch gleich zu uns mitnehmen. Aber zum einen möchte ich sehr gerne erfahren, was genau vorgefallen ist und inwieweit diese Maßnahme noch andauern soll. Aber das möchte ich auch gerne klären, wenn Julius' Mutter ankommt."

"Ich sehe ein, daß Sie im Moment einen guten Grund haben, mit mir und Monsieur Latierre die direkte Unterredung zu suchen. Ziehen Sie bitte den Kopf aus dem Kamin, damit ich die Passage erweitern kann! In fünf Minuten dürfen Sie herüberkommen." Hippolyte nickte und lächelte Julius an, der dabei einen heißen Schauer fühlte, der diesmal absolut keine Wut war. Es war ihm, als habe ihm mal wieder wer fast kochenden Glühwein oder heißen Met direkt ins Blut gespritzt. Zumindest wußte er da, das er nicht unter zu hohem Östrogenanteil litt.

Wie bestellt fiel die ganze Hippolyte fünf Minuten später aus dem Kamin. Millie mentiloquierte Julius an, wer ihn da gerade so herrlich aufheize. Er gab nur: "Deine Mutter" zurück, als die beiden Hexen sich begrüßten.

"Papa kann gut duellieren", war die Antwort. "Denk besser, wir wären schon sechzehn Jahre verheiratet und ich wäre das!"

"Danke für den Tipp, wenn deine Oma auch noch hier eintrudeln sollte."

"Ey, nicht frech werden, Monju", bekam er eine erwartete Antwort. Julius fragte seine Frau noch, wo sie sei und erfuhr, daß sie gerade im Mädchen-Badezimmer der Roten war. Dann meinte er zu Madame Maxime: "meine Frau läßt schön grüßen, und sie hofft, daß ich nach den drei Monaten wieder zu ihr zurückkehren könne."

"Hast du ihr erzählt, daß ich sie abholen komme?" Wollte Hippolyte wissen. Julius verneinte es.

Eine halbe Stunde später - Hippolyte hatte inzwischen von Julius die ganze Geschichte erzählt bekommen - fauchte es im Kamin, und Martha Andrews purzelte heraus. Sie war käsebleich und rang um ihr bereits im Magen liegendes Mittagessen. Keine Minute darauf rauschte auch Catherine Brickston aus dem Kamin heraus. Jetzt kam auch noch Madame Rossignol hinzu. Julius durfte die Geschichte noch einmal erzählen, wohl um nicht den Eindruck zu kriegen, man würde über ihn als mit ihm reden. Madame Maxime und die Heilerin ergänzten die fehlenden Einzelheiten. Dann meinte Martha Andrews:

"Das ist schlimmer als dieser Mörderwirbel, durch den ich gehen mußte. Das heißt, Sie und du müßt jetzt alles gemeinsam machen, dürft nie mehr als einen Ihrer Schritte auseinanderkommen?"

"Können nicht, Madame", sagte die Schulleiterin. "Ich bitte darum, die Unterbringungsmöglichkeiten zu besichtigen", sagte Martha. "Ansonsten würde mir das keine Ruhe lassen, mir vorzustellen, daß Sie und mein Sohn intime Verrichtungen ausführen müssen, jeweils vom anderen beobachtet." Dem Wunsch kam Madame Maxime gerne nach und führte Hippolyte, Martha und Catherine ihre Wohnung und die Sonderausstattung für Julius vor. "Sie können sich darauf verlassen, Mesdames, daß meine Rangstellung und Würde es von selbst gebieten, daß ich einen der Akademie anvertrauten Schüler nicht in eine für ihn und/oder mich peinliche Situation geraten lasse, wenn es sich vermeiden läßt", sagte die Leiterin von Beauxbatons dann noch. Dann bat sie alle in den schalldichten Besprechungsraum zurück. Sie sah Julius' Mutter an und sagte ganz ruhig: "Nun, über Ihren Übertritt in unsere Gemeinschaft wurde ich vertraulich informiert, Madame Andrews. Ich hörte auch davon, daß Sie bereits in grundlegenden Zaubern unterwiesen werden. Gedenken Sie, eine vollständige Zaubereiausbildung zu erwerben?"

"Wenn die Frage darauf abzielt, ob ich diese Akademie besuche, Madame Maxime, so wurde mir sowohl von Professeur Faucon, sowie Madame L'eauvite und Madame Eauvive bereits gesagt, daß ich dies nicht tun müsse, da ich mich hier von der Ausbildung abgesehen sehr zurückgestuft fühlen würde. Daher werde ich dann, wenn die Gefahr durch meinen psychopathischen Landsmann behoben sein mag, ob morgen oder in zehn oder zwanzig Jahren, offiziell das Magiewiedererstarkungsprogramm der Delourdesklinik und die privaten Unterweisungen nutzen, die ich bisher erhalte."

"Nun, es ist für uns schon wichtig, sicherzustellen, daß Menschen mit magischer Begabung eine umfassende Ausbildung erhalten, die den internationalen Anforderungen entspricht, Madame Andrews. Ich erkenne jedoch an, daß eine erwachsene Frau unter Kindern und Jugendlichen sehr einsam sein mag. Allerdings wird Monsieur Descartes, sobald er darüber in Kenntnis gesetzt wird, an Sie und mich herantreten und von Ihnen wissen wollen, wie weit Sie Ihre erworbenen Kräfte ausbilden wollen. Sollten Sie meinen, daß einige wenige Zauber ausreichend sind, betrifft das die Beauxbatons-Akademie nicht. Sollten Sie jedoch finden, alles lernbare erlernen zu können, sind Sie auch als erwachsene Hexe verpflichtet, zumindest die allgemeinen Zauberergrade zu erwerben, die Ihr Sohn in diesem Sommer Hoffentlich erwerben wird. Diese werden üblicherweise hier oder in den Sommerferien in der Abteilung für magische Ausbildung und Studien geprüft. Am besten besprechen Sie dies mit Ihren zaubererfahrenen Bekannten!"

"Meine Tante und ich haben bereits einen umfassenden Lehr- und Übungsplan erstellt, Madame Maxime", sagte Catherine. "Ich habe es schon so erfaßt, daß Madame Andrews alle ihr zugänglichen Zauberstücke erlernen möchte, wenn sie nicht in einer Klasse pubertierender Jungen und Mädchen sitzen muß." Julius amüsierte es, daß sie jetzt nicht über ihn redeten, als wäre er nicht anwesend. Seine Mutter wäre jetzt ganz sicher auch total wütend geworden, wenn sie Madame Maximes Blut im Körper hätte.

"Nun, im wesentlichen geht es darum, daß Julius nun für's erste mit Ihnen verbunden bleiben muß", brachte Hippolyte das Gespräch wieder auf das eigentliche Thema. Madame Maxime und Julius nickten schwerfällig. "Und wenn ich das richtig verstanden habe, so hat dieser Massenmörder Mildrids Gedankenstimme vernehmen können."

"Die ja, aber nicht ihren Namen. Außerdem war dieses Schlangenmenschengift als Verstärker dazwischen", warf Julius ein. Madame Rossignol überlegte und sagte dann: "Nun, es wäre vielleicht hilfreich, wenn Mildrid in den Ferien die Occlumentie erlernt, um mögliche Eindringungsversuche des Magiers mit dem unaussprechlichen Namen zu vereiteln."

"Das kann meine Schwester Béatrice ausführen. Als Heilerin hat sie beides erlernt und eine Prüfung abgelegt", entgegnete Hippolyte Latierre.

"Das ist wohl eine kluge Entscheidung", erwiderte Madame Maxime. Sie lehnte es jedoch ab, daß Mildrid und die anderen Latierre-Mädchen gleich von hier aus ins Château Tournesol abreisten. Schließlich vereinbarten sie, daß Hippolytes Mann sie mit dem VW-Bus am Ausgangskreis abholte. Die Arrestaura stand ja schon seit Didiers Entmachtung nicht mehr. Danach flohpulverte Hippolyte in das Sonnenblumenschloß zurück, während Catherine zu Madame Maxime sagte: "Mein Mann möchte sich übrigens für den unangebrachten Tonfall entschuldigen, den er gegen Sie verwendet hat. Hier, diesen Brief darf ich Ihnen geben." Sie überreichte Madame Maxime einen Umschlag. Die Schulleiterin nahm ihn naserümpfend entgegen, zog einen Pergamentbogen heraus, blickte diesen für zwei Sekunden konzentriert an und steckte ihn wieder in den Umschlag zurück. "Teilen Sie Ihrem Mann bitte mit, daß er in den Sommerferien, bevor Ihre gemeinsame Tochter Babette die Aufnahmebestätigung erhält, von mir persönlich auf die Verhaltensregeln junger Hexen und Zauberer und welche Vorbildfunktion deren Eltern erfüllen möchten hingewiesen wird!" Catherine nickte nur und nahm den Briefumschlag zurück. Julius wunderte sich. Madame Maxime hatte den Brief keine zwei Sekunden lang gesehen. Die konnte doch unmöglich alles gelesen haben, was drinstand. Catherine hatte den Umschlag aber problemlos wieder an sich genommen, ohne zu fragen, ob die überlebensgroße Schuldirektorin eine Zeile davon gelesen hatte. Ging sie davon aus, daß Madame Maxime so schnell einen Brief lesen konnte? Einmal hatte er das ja schon erlebt, daß Madame Maxime einen Zettel nach nur wenigen Sekunden fortgesteckt und behauptet hatte, alles darauf gelesen zu haben.

"Ich habe übrigens mit allen aufgelisteten Eltern sprechen können, Madame Maxime", sagte Julius' Mutter. "Dabei hat sich ein Problem ergeben. Monsieur Hellersdorf hält sich zur Zeit und drei weitere Wochen in Französisch Guayana auf, wo er einen Weltraumsatellitenstart überwachen soll. Seine Frau macht eine Motorradreise quer durch die vereinigten Staaten und hat extra kein Mobiltelefon mitgenommen, um, wie Monsieur Hellersdorf so schön betonte, die Atmosphäre eines weiblichen Easy Riders zu genießen. Die nächste ihm bekannte Adresse wird sie erst morgen nachmittag unserer Ortszeit erreichen. Laurentines Großeltern sind in Los Angeles."

"Und die Herrschaften hielten es nicht für geboten, ihre Tochter abzuholen?" Fragte Madame Maxime ungehalten. Julius seufzte nur. Das konnte für Laurentine noch was geben.

"Monsieur Hellersdorf ist vertraglich verpflichtet, das Weltraumprojekt bis zum Abschluß zu betreuen und konnte keinen Stellvertreter benennen. Laurentines Großeltern könnten sie zwar aufnehmen, aber erst in zwanzig Stunden in Paris landen. Da habe ich, Ihr Einverständnis vorausgesetzt und Catherines Mutter noch zu fragen angeboten, daß Laurentine zu uns nach Millemerveilles kommt und bei uns wohnt, sofern Professeur Faucon dies erlaubt. Andernfalls böte sich in Millemerveilles gewiß noch eine Unterbringung an, wo sie dort einige Freunde gefunden hat."

"Von denen eine Freundin schon nicht mehr dort lebt, Mum", erwiderte Julius sehr betrübt. "Und die Gastschwester ist gerade mit eigener Familienplanung beschäftigt."

"Gut, dies klären Sie unverzüglich mit Professeur Faucon!" Bestimmte Madame Maxime. "Meiner Kenntnis nach hält diese sich in ihrem Sprechzimmer auf." Catherine nickte und entzündete ein Flohpulver-Feuer im Kamin. Nach dem Ausruf "Professeur Faucons Sprechzimmer!" verschwand sie in den smaragdgrünen Flammen.

"Ich hoffe, Professeur Faucon gestattet diese kurzfristige Unterbringung. Ich erinnere mich, daß Laurentine und sie nicht gerade gut aufeinander zu sprechen sind."

"Warum hast du's dann vorgeschlagen, Mum? Wegen der Telefonverbindung?" Wollte Julius wissen. Seine Mutter stutzte erst, weil ihr Sohn so harsch mit ihr sprach. Doch dann sagte sie ganz ruhig: "Genau aus diesem Grunde, mein Sohn." Da fauchte es auch schon im Kamin, und Catherine wirbelte von grünen Flammen umtobt heraus.

"Huch, das ging aber schnell", wunderte sich Julius. "War Professeur Faucon nicht da?"

"Doch, sie war da. Ich brauchte nur zu sagen: "Laurentine Hellersdorfs Verwandte können sie nicht abholen kommen. Kann sie zu uns?"" Da antwortete sie nur: "Ja, sie kann. Ich bringe sie mit." Was soll ich da noch groß fragen oder verhandeln?"

"Dann ist dieser Punkt geklärt", stellte Madame Maxime klar. Julius' Mutter und Catherine nickten. Dann verabschiedeten sie sich von der Schulleiterin und Julius. Martha Andrews sollte zuerst flohpulvern. So richtig behagte ihr das wohl nicht, sah Julius ihr an. Ihn amüsierte es, daß er was machen konnte, was seiner Mutter total schwerfiel. Doch als sie mit dem korrekten Ausruf "Maison du Faucon" verschwand, erkannte er, daß sie durchaus bereit war, das neue zu lernen, was ihr angeboten wurde. Catherine folgte seiner Mutter eine halbe Minute später.

"Ob es Laurentine gefällt?" Fragte Julius Madame Maxime eine Minute nach Catherines Abreise.

"Sie hat jetzt keine Wahl mehr, Monsieur Latierre. Ihre Verwandten haben sich unerreichbar gemacht, und so oder so hätte Professeur Faucon Laurentines Unterbringung sicherstellen müssen, egal bei wem." Julius dachte nur daran, daß Laurentine wohl nicht schon morgen oder übermorgen zu ihren Großeltern geschickt würde. Wenn sie einmal bei Professeur Faucon war, würde die sie nicht vor Ferienende weglassen, zumal Laurentines Großeltern wohl nicht wußten, daß ihre Enkeltochter eine Hexe war.

Julius hörte gegen sechs Uhr abends das laute Wummern der ersten Reisesphäre. Die Kameraden gingen in die Ferien. Er zählte die dumpfen Schläge, bis er auf sieben kam, Dann war Ruhe. Den rest des Tages verbrachten die beiden unfreiwilligen Ringpartner mit Schach, wobei Julius merkte, daß er sich wegen der aufkommenden Gefühle nicht mehr voll konzentrieren konnte. Er verlor vier Partien in Folge. Um ihn wieder zu beruhigen machten sie noch etwas Musik, bis es Mitternacht war. Vom langen Tag gut geschafft gingen die beiden Bewohner des Schulleitertraktes schlafen.

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In der Nacht durchlebte er Himmel und Hölle der Gefühle in seinen Träumen. Die aufwühlendsten Erlebnisse seiner bisherigen Schulzeit überrollten ihn in abgeänderter Form, ob es das war, das Jeanne ihn während des trimagischen Turniers wie Madame Maxime an ihn gebunden hielt, er gegen Slytherin das Duell verlor und als Geist durch die Bilder von Hogwarts spukte, den Kampf gegen Hallitti verlor und als ihr Sklave jungen Frauen nachjagte, um deren Lebenskraft zu stehlen, im Sonnenblumenschloß nicht rechtzeitig den Fluch Orions austreiben konnte und deshalb dessen volle Wirkung zu spüren bekam, von den Morgensternbrüdern wie ein Flaschengeist eingefangen wurde und zuhören mußte, wie Aurélie Odin und alle ihre weiblichen Verwandten starben, von Bokanowski lebendig in seine Einzelteile zerlegt wurde oder beim Kampf in Sterlings Haus ohnmächtig zusah, wie alle sich im Rausch des Haßdoms gegenseitig zerfleischten und wie er mit Ailanoras Schwester erst eine wilde Liebesnacht erlebte, um dann lebendig von ihr gefressen zu werden, ohne die Himmelsburg jemals erreicht zu haben. Erschöpfter als am Abend erwachte er um fünf Uhr morgens. Er stellte fest, daß sein Körper erneut auf die leidenschaftlichen Anteile seiner Träume reagiert hatte. Das konnte noch was geben, dachte er leicht beunruhigt. Doch als Madame Maxime um halb sechs erwachte und ihn fragte ob er auch wach sei kam kein Donnerwetter. Sie sagte nur, daß sie in ihrer Jugend durchaus selbst wilde Träume gehabt habe und die Umstellung durch ihr Blut sein seelisches Gleichgewicht gründlich durcheinandergebracht haben mußte. Ohne weiteren Kommentar dazu begannen sie den nächsten Tag.

Julius lernte die zwanzig führenden Baumagier des Landes kennen, darunter aber auch welche, die Flavio Maquis bei der Errichtung der Friedenslager geholfen hatten. Die Renovierung von Beauxbatons sollten sie kostenlos als Bußleistung abarbeiten. Er traf sogar Monsieur Lagrange, Seraphines und Belisamas Großvater väterlicherseits, der die Bauzaubereien in der Rue de Liberation 13 für seine Mutter und ihn ausgeführt hatte. Groß sprechen konnte er jedoch nicht mit den Hexen und Zauberern, die schnell daran gingen, die Mauern zu untersuchen, um die eingeschossenen Blitzlöcher zu schließen. Ein relativ junger Bauzauberer namens Cimex Devereaux grinste Julius immer wieder an, weil dieser hinter Madame Maxime herlief, bis der angeforderte Spezialist sah, wie sich die Walpurgisnachtringe unter der Kleidung der beiden zusammengebundenen abzeichneten und Julius beim nächsten Rundgang aus seinen türkisfarbenen Augen verschlagen zuzwinkerte und wisperte: "Haben die dich hinter der großen Dame festgemacht, bis du ihr endlich mal wen kleines reingeschubst hast, Burschi?" Julius erstarrte. Einen Moment dachte er, der Kerl da wollte ihn nur veralbern. Aber diese lüsterne Art, wie der ihn anglubschte paßte nicht zu einer Veralberung. Julius mußte an Fernsehberichte über Viehbauern denken, die fruchtbare Kühe mit einsatzbereiten Bullen zusammenbanden, um sie zur Paarung zu bringen. Unvermittelt explodierte in Julius die Wut und entlud sich in einem einzigen gezielten Schlag, der den jungen, muskelbepackten Zauberer in seiner taubenblauen Arbeitsmontur von den Beinen holte und mindestens drei Meter weit nach hinten katapultierte. Julius stieß nach, wollte den Kerl da noch den Fuß bis zum Hals in die Eingeweide rammen. Madame Maxime warf sich herum und schnappte ihn mit ihren gepflegten, aber stahlhart zupackenden Händen um die Hüfte und riß ihn fort. "Was sollte das?"! Schrillte sie weit durch die fast leeren Gänge hallend. "Was hat dieser Mann Ihnen getan oder gesagt, ihn derartig rüde anzugehen?!" Monsieur Devereaux fand sich derweil auf dem Boden wieder und spuckte Blut und einige abgebrochene Zähne aus. Julius hing wild bebend im Griff der Halbriesin und versuchte, ihre Hände zu lösen. Als das nicht gelang, versuchte er sie zu schlagen. Doch sie warf ihn ansatzlos nach oben, fast bis zur Decke und fing ihn mit ihren Armen auf, wobei sie seine Arme an seinen Körper festklammerte. "Was war der Grund für diesen tätlichen Angriff, Monsieur Latierre?" Fauchte sie ihm wie ein kampfbereiter Drache ins rechte Ohr. Cimex Devereaux wurde inzwischen von seinen Kollegen umringt, die erst nicht fassen konnten, daß der am Boden lag und ein Viertel von seinem Gebiß eingebüßt hatte.

"Dieser Riesenarsch hat gemeint, Sie hätten mich hinter sich angebunden, damit ich Sie schwängere", schrillte Julius immer noch im Bann seiner unnatürlichen Wut. Die gestandenen Männer vom magischen Bautrupp fuhren zusammen und glotzten verdutzt auf ihren niedergeschlagenen Kollegen und dann auf den von Madame Maxime sicher festgehaltenen Schüler, der versuchte, mit Fußtritten freizukommen. "Hat er das wirklich gesagt?" Fragte die Schulleiterin sehr erzürnt klingend. Julius stieß nur ein lautes "Ja" aus und versuchte, sich freizustrampeln. Doch das gelang nicht. Er hing in Madame Maximes Armen wie ein Käfer im Todesgriff einer Fangheuschrecke.

"Holla, Madame Maxime, wie haben sie den Burschen denn so stark gemacht?" Mußte ausgerechnet jetzt einer der umstehenden Bauzauberer dazwischenfragen.

"Bestimmt nicht wegen meiner Familienplanung, Monsieur Delaporte", bellte sie lautstark zurück. "Sollte sich herausstellen, daß Monsieur Devereaux seine wüsten Phantasien auf meinen Schüler projiziert hat und ihm wahrhaftig eine höchst unerhörte Frage gestellt haben, darf er sich gerne eine andere Arbeit suchen."

"Der hat Mex K.O. gehauen. Das hat bisher noch keiner geschafft", wunderte sich der Baumagier namens Delaporte, ein knapp dreißig Jahre alter, auch nicht gerade unathletisch gebauter Schwarzschopf mit hellgrauen Augen.

"Ach, hat der schon häufiger Leute dumm angemacht?" Spie Julius aus, während Madame Maxime ihn immer noch festhielt.

"Häh?" Machte ein anderer Bauzauberer und blickte nach oben. Da erschien Madame Rossignol aus einer etwas weiter fort gelegenen Stelle in der Innenwand. Woher hatte die gewußt, daß sie gebraucht wurde? Diese Frage, verbunden mit der plötzlichen Erkenntnis, einen Menschen einfach so ohne von ihm direkt angegriffen worden zu sein niedergeschlagen zu haben, kühlten Julius Wut wieder ab und stürzten ihn in einen Strudel aus Scham und Reue hinein. Was hatte er da angerichtet?

"So, die Herren, was ging hier vor?!" Rief die Schulkrankenschwester.

"Der Bursche da in Madame Maximes Armen hat Cimex Devereaux fast an die Wand gepfeffert wie 'n Sack Daunenfedern. Ich hab's geseh'n. War nur'n Schlag voll gegen die Birne. Hätt' ihm die wohl fast runtergerissen."

"Warum hat der Junge deinen Kollegen niedergeschlagen, Atlas?" Fragte Madame Rossignol den hochaufgeschossenen Kerl, der auf ihre Frage geantwortet hatte.

"Weiß ich das? Der Bengel krakehlte nur was, die hätten ihn und Madame Maxime zusammengebunden, damit er der was kleines in den Ranzen legt", erwiderte Atlas.

"Florence, erledigen Sie diese Angelegenheit umfassend", schnarrte Madame Maxime nur und trug Julius davon, der erst zu protestieren ansetzte, dann aber merkte, wie lächerlich er sich damit machen würde. Das miese Gefühl, diesen Dummschwätzer da wegen eines blöden Spruches aus den Schuhen gehauen zu haben, daß selbst so'n Boxrüpel wie Mike Tyson vor Neid erblaßt wäre, beschämte ihn sehr heftig. Er hatte gegen alle Regeln verstoßen, die ihm beigebracht worden waren. Denn es galt, niemals anzugreifen, wenn nicht das eigene Leben oder das von Freunden oder Angehörigen zu verteidigen war, sich nicht zu einem Angriff reizen zu lassen und die Gewalt immer als allerletztes Mittel zu sehen. Doch er hatte diesen Proleten da ohne weiteres Nachdenken umgehauen. Eigentlich könnte er stolz darauf sein. Aber er fühlte sich sauelend. Er hatte sich hinreißen lassen, wie die brutalen Prügelknaben aus seiner ersten Schule draufzuhauen, wenn was gesagt wurde, was ihnen nicht paßte. So dumm und unterentwickelt wollte er doch nicht sein. Gewalt war das Mittel der Hirnlosen, die sonst nichts drauf hatten und das eben durch reine Brutalität überspielten. Was war da mit ihm passiert?

"Ich fürchte, dieser Umgang schadet Ihrer geistigen Verfassung", schnaubte Madame Maxime und trug Julius weiter bis in den achten Stock, wo sie mit ihm vor dem Bild mit dem Königspaar anhielt. "Ich hoffe, ich kann Sie jetzt auf Ihre Füße stellen, Monsieur Latierre, ohne daß wir beide auch noch miteinander kämpfen müssen, sofern Sie so ungezogen sind, eine ältere Frau zu schlagen."

"Verdammt, dieser Drecksack hat mich dazu gebracht, ihn umzuhauen. Dem wäre fast die Birne von den Schultern gerollt."

"Sie meinen, Sie hätten ihn fast enthauptet, Monsieur Latierre. Übernehmen Sie ja nicht diese zurückentwickelte Ausdrucksweise dieser Leute, die allen Anstand, den sie hier lernten nach dem Schulabschluß wieder vergessen haben!" Maßregelte Madame Maxime Julius und stellte ihn auf die Füße. Er widerstand dem Drang, ihr zumindest vor eines der Knie zu hauen. Denn höher als bis zum unteren Bauchabschnitt käme er doch nicht. So wandte er sich dem Bild zu und sagte nur das Passwort: "Radices Mundi!"

Wieder in den Räumlichkeiten der Schulleiterin übermannte Julius ein Weinkrampf, weil ihm die Ungeheuerlichkeit seiner Tat so heftig zusetzte. Madame Maxime ließ ihn eine Minute lang gewähren. Dann sagte sie leise aber unerbittlich: "Ihre Tränen können das geschehene nicht umkehren, Monsieur Latierre. Reißen Sie sich also wieder zusammen, damit wir beide besprechen können, was geschehen ist, um zukünftig mit diesen kantigen, ungehobelten Besenrohlingen da unten besser zurechtzukommen. Also noch einmal, hat Monsieur Devereaux Sie wirklich gefragt, ob Sie nur deshalb mit mir verbunden seien, damit Sie mich in andere Umstände versetzen?" Julius sah die Schulleiterin gerade heraus an und wiederholte, was Cimex Devereaux ihn gefragt hatte. Madame Maxime kaufte ihm das ab und lieferte auch die Antwort. "Dieser Mensch ist ein ausgesprochener Lüstling, der vor zehn Jahren, als er von hier abging getönt hat, er würde niemals eine Frau heiraten, nur um körperliche Liebe erleben zu können. Da müsse ihn schon eine mit Walpurgisnachtringen an sich binden, um ihn dazu zu zwingen, ihr zu einem Kind oder zwei zu verhelfen. Insofern trage ich eine gewisse Mitschuld an dem Beinahedesaster von gerade eben. Allerdings bitte ich mir aus, daß Sie in Zukunft jeder Versuchung widerstehen, jemanden wegen niveauloser Reden zusammenzuschlagen. Das ist Ihrem mir bekanntem Entwicklungsstand absolut unwürdig. Nur ein Bewohner des blauen oder roten Saales, der gerade erst hier eingeschult ist, läßt sich so leichtfertig provozieren. Und Sie sind kein Blauer. Die Anteile der Roten, die bei Ihrer Auswahl sichtbar wurden, werden wohl leider durch mein Blut übermächtig in Ihnen verstärkt. Aber wenn es Ihr Grundcharakter wäre, sich ohne großen Grund gewalttätig aufzuführen, wären Sie bei den Blauen oder Roten gelandet und nicht bei den Grünen."

"Sie haben verdammt noch mal recht. Was ich da angestellt habe war echt dumm", schnaubte Julius wider zornig, diesmal auf sich selbst, weil er sich wie ein tobsüchtiges Monster verhalten hatte. Der hätte diesem Schwätzer doch einfach sagen können, daß er nur drei Monate Zeit hatte. Wäre Madame Maxime dann nicht schwanger, würde sie sich wen andren anbinden, vielleicht ihn. Abgesehen davon wußte er doch gar nicht, ob Madame Maxime wie diese Sarah Redwood noch so spät Kinder kriegen konnte. Das sollte ihm ja auch vollkommen egal sein.

"Kriegt Madame Rossignol den wieder hin?" Fragte Julius.

"Was die Verletzungen angeht bestimmt, Monsieur Latierre. Sie haben ja keinen Fluch gegen ihn benutzt. Das war sein Glück, daß der Angriffsimpuls direkt in einem körperlichen Angriff entladen wurde."

"Der wird wohl auf Rache ausgehen, weil ich den vor seinen Kollegen so heftig abserviert habe", erkannte Julius.

"Sähe ihm ähnlich. Aber wenn rauskommt, warum Sie ihn derartig angingen wird er Sie wohl eher bedauern als befeinden."

"Will ich das, daß er das weiß?" Fragte Julius sich und die Schulleiterin.

"Sagen wir es so, bevor irgendwer Sie als unbeherrschten Schlagetot in Verruf bringt sollten wir die Wahrheit über das, was Ihnen passiert ist so gefühlfrei und sachlich wie möglich erwähnen, zumindest das, was die Öffentlichkeit wissen darf. Will sagen, woher die grauen Vögel kamen und was Sie anstellten, um die Brut dieses Skyllian zu vernichten, muß nicht jeder wissen. Daß Madame Rossignol Sie, einen ihrer Pflegehelfer, mit meiner Hilfe vor der vollen Wirkung eines Bisses dieser Bestien bewahren konnte und Sie mit entsprechenden Nachwirkungen zu leben haben kann schon thematisiert werden. Vielleicht sollten wir in den nächsten Tagen ein Interview mit den beiden Zeitungen des Landes und den im Moment noch zwei Rundfunksendern in Erwägung ziehen, vielleicht sogar im Rahmen einer Anhörung vor den magischen Heilern." Julius dachte einen Moment daran, vor hundert interessiert glotzenden Leuten vorgeführt zu werden, sich mehr oder weniger dämliche Fragen gefallen lassen zu müssen und es hinzunehmen, wie sie über ihn redeten. Andererseits fing irgendwann wieder die Schule an. Spätestens da würde das nicht mehr zu verheimlichen sein. So nickte er schwerfällig.

Eine halbe Stunde später betrat Madame Rossignol die Räume der Schulleiterin und meldete: "Ich habe diesen Rüpel wieder in Ordnung bekommen, Madame Maxime und Julius. Er wollte mir zuerst nicht verraten, was zu seinem unvermittelten Sturz geführt hat, redete sich auf Amnesie heraus. Aber die Drohung mit Veritaserum reichte aus, ihn sein Gedächtnis wiederfinden zu lassen. Er bestätigt, dich provoziert zu haben, auch wenn er meinte, du müßtest sowas gut wegstecken können. Danach mußte ich, weil Sie, Madame Maxime, mich um umfassende Regelung dieses Vorfalles baten, vor der Mannschaft dieses ungehobelten Klotzes darlegen, was Sie und dich im Moment zusammengebunden hat. Erwartungsgemäß flossen die Mannsbilder dann vor Mitleid über, hatten aber auch eine gesunde Menge Angst, wie ich ihnen ansehen konnte. Denn einige von denen haben den Angriff der Skyllianri auf die Rue de Camouflage mitbekommen und konnten mit ihren Familien gerade so noch disapparieren. Daß nur Sie gegen das direkte Gift dieser Ungetüme immun waren, Madame Maxime, und nur das dich, Julius, davor geschützt hat, selbst so ein Monstrum zu werden, hat einige doch sehr nachdenklich gemacht, sofern bei diesen Rüpeln das Denken noch in Form gehalten wird."

"Vielleicht sollte ich diesem Typen Devereaux sagen, daß ich ihn nicht umhauen wollte und mich entschuldigen, auch wenn er mich dann als Memme ansehen mag. Soll er doch", schlug Julius vor.

"Das würde vielleicht einigen imponieren", sagte Madame Rossignol. Madame Maxime überlegte kurz und nickte dann. So ging es wieder hinunter in die allgemeinen Bereiche des Palastes, wo Atlas Lesauvage, der ältere Vetter von Stomoxus Lesauvage aus dem Blauen Saal, gerade einen Zauber auf die Außenwand wirkte, um die Druckverteilung und Spannungen zu prüfen. Cimex Devereaux stand bei seinen Kollegen und lächelte sie mit vollständigem Gebiß an. Sofort wurde es ruhig. Julius baute sich vor der angetretenen Mannschaft auf, zu der noch ein paar Bauhexen kamen, die sich in der Uniform nicht von ihren männlichen Kollegen unterschieden.

"Guten Morgen noch mal, die Damen und Herren. Sie haben ja vorhin mitgekriegt, daß ich andauernd hinter Madame Maxime herlaufen muß und nicht wie der Rest aller Schüler die Umbaupause bei meinen Verwandten verbringe. Das Ding, was ich Ihnen, Monsieur Devereaux verpaßt habe, kam daher, daß mir das ziemlich unangenehm ist, die nächsten Wochen so hinter Madame Maxime herlaufen zu müssen und mich Ihre Frage schon ziemlich fies erwischt hat. Das ich Sie dann so heftig aus den Schuhen gedroschen habe wollte ich so nicht. Mein Vater und andere männliche Verwandte haben mir beigebracht, daß ein erwachsener Mann nicht der ist, der sofort wem eine reinhaut, der was sagt, was ihm nicht paßt, sondern der, der seinen Kopf benutzt, um dem Typen zu zeigen, was für dummes Zeug er da geredet hat. Nur dafür, daß ich das vergessen habe entschuldige ich mich bei Ihnen und Madame Maxime. Madame Rossignol hat Ihnen ja erzählt, was mir passiert ist und daß ich im Moment mehr Blut von Madame Maxime im Körper habe, weil sie gegen diese Biester, die uns vorgestern angegriffen haben, immun ist und ich fast von so einem Viech verhunzt worden wäre, weil ich als Lezter von hier weg wollte und nicht schnell genug abhauen konnte. Ich hatte ein Schweineglück, daß Madame Maxime mir helfen wollte und helfen konnte. Deshalb entschuldige ich mich auch bei Ihnen, Madame Maxime, weil ich Sie in eine peinliche Lage gebracht habe. Denn wenn jemand meint, Sie hätten mich nur mit den beiden Ringen unter unseren Sachen an sich gebunden, weil Sie einen Zuchtbullen haben wollen, dann tut mir das leid. Und wenn das echt so gewesen wäre, daß Sie jemanden für sowas hätten haben wollen, wäre ich kleiner Zauberschüler bestimmt nicht die erste Wahl gewesen." Er sah sich um und nickte denen mit dem schrankartigsten Körperbau zu, als wähle er sie gerade aus. In ihm wirkte das Gefühl der Überlegenheit, diesen rauhen Kerlen da einen mitgeben zu können. Die Botschaft kam tatsächlich an. Madame Maxime räusperte sich zwar, wurde jedoch durch Madame Rossignols beruhigende Geste von weiteren Zwischentönen abgehalten. "Also, noch mal: Ich laufe hier nicht herum, weil Madame Maxime mit mir den Regengbogenvogel rufen will, sondern weil mich so'n Schlangenmonster gebissen hat und ich froh sein kann, daß ich noch ich sein darf und nicht eine Kreatur von Lord Voldemort." Die meisten Bautruppler zuckten zusammen. Julius genoß diesen Anblick. Da dieser Petzfluch hier nicht galt konnte dieser bescheuerte Name doch ganz problemlos ausgesprochen werden. Und diese Haudegen da schraken zusammen wie vom Blitz getroffen. Das wollten starke Typen sein? "Insofern hatten Sie noch mal Glück, Monsieur Devereaux, daß ich Sie nicht mit schönem Gruß von Lord Voldemort oder wie der eigentlich heißt geküßt und Ihnen dabei das nette Gift der Schlangenleute ins Blut gespritzt habe. Mehr möchte ich nicht sagen."

"Du hast mir zehn Zähne rausgehauen", schnarrte Devereaux. Doch seine Kollegen machten Schschsch. Da sagte Madame Maxime für alle unerwartet:

"Als amtierende Schulleiterin ist es mir völlig untersagt, mit einem Schüler auf Nachwuchs hinzuarbeiten. Aber Sie haben mich daran erinnert, Monsieur Devereaux, daß Sie nur der Frau zu Kindersegen verhelfen möchten, die es schafft, Sie hinter sich anzubinden. In ungefähr drei Monaten, so unsere erfahrene Schulheilerin Madame Rossignol, besteht kein Anlaß mehr, Monsieur Latierre in meiner unmittelbaren Nähe zu halten. Womöglich könnte ich in den Sommerferien darauf zurückkommen, was Sie vor zehn Jahren so inbrünstig äußerten, Monsieur Devereaux. Ich könnte Ihre Stärke mit meiner Intelligenz vereinen. Es sei denn, Sie begraben diesen Rest ihrer infantilen und misogynen Umgangsformen und wenden sich außerhalb Ihrer Arbeit der Suche nach jemandem zu, die Ihre Launen besser erträgt, als Sie meine Launen ertragen würden."

"Verdammt, ich wollte den Burschen nur ärgern. Wenn der das im moment nicht gut abkann soll's das eben gewesen sein", schnarrte Cimex Devereaux und wandte sich um. Seine Kollegen folgten ihm wortlos.

"Wer sich abwendet und einfach davongeht könnte auch gleich eingestehen, verloren zu haben", bemerkte Madame Rossignol leise, als die Bauzauberer sich wieder im Palast verteilt hatten. Julius nickte.

Nach dem Mittagessen liefen Madame Maxime und Julius durch die Parkanlagen des Palastes und machten Gymnastikübungen in einem abschließbaren Übungsraum. Abends hörten sie die Meldungen im Radio.

"... wurde nun das endgültige Ausmaß der Schlangenmenschenattacke auf die westeuropäische Zaubererwelt bekannt", sagte Professeur Tourrecandide gerade, als Julius vom Musiksender auf Radio freie Zaubererwelt umwechselte. "alles in allem kamen bei den Angriffen zweihundert Menschen durch herabfallende Trümmerteile ums Leben, hauptsächlich Angehörige der nichtmagischen Welt. durch die Vergiftung vollendete Schlangenmenschen wurden nach den Überresten, die von jenen fremdartigen grauen Riesenvögeln hinterlassen wurden eintausend alleine auf dem westeuropäischen Festland gezählt." Julius erschrak. Eintausend? Die gingen auf sein Konto. Er hatte eintausend Menschen umgebracht. "Von denen waren gerade fünfzig Mitglieder der magischen Gemeinschaft. Die unermeßliche Grausamkeit, die unser Erzfeind in Großbritannien an den Tag legte, überließ neunhundert Muggeln nur die Alternativen, als Gehilfen des Unnennbaren weitere Artgenossen zu erzeugen oder den Tod zu finden. Hätten die unbekannten grauen Riesenvögel, die offenbar ausdrücklich auf diese Ungeheuer abgerichtet waren nicht eingegriffen, wäre das Ausmaß sicherlich zehnmal oder hundertmal schlimmer geworden. Insofern gilt unser Dank dem- oder denjenigen, der/die diese Riesenvögel herbeigerufen hat oder haben. Der Alptraum mit den sogenanten Schlangenkriegern ist nun zu Ende. Doch dafür haben wir immer noch die Plage der Entomanthropen, die nun frei verfügbar sind. Und unser Erzfeind wird weiterhin versuchen, uns durch Terror und Chaos seinen Willen aufzuzwingen. Wohin übermäßige Angst führen kann beweist uns leider die viel zu lange Regentschaft von Janus Didier, der nur durch einen Zufall vor der Vernichtung während des Schlangenmenschenangriffes auf Beauxbatons gerettet wurde und sich derzeitig an einem geheimen Ort unter Hausarrest befindet."

"Verdammt, ich habe mitgeholfen, tausend Leute umzubringen", schrillte Julius und fühlte Tränen in die Augen schießen. Madame Maxime sah ihn an und sagte: "Sie haben aber gehört, was Professeur Tourrecandide sagte. Ohne die Wolkenhüter wären es mehr als zehntausend oder hunderttausend Kreaturen geworden, die kein eigenes Leben mehr gehabt hätten. Sie haben diese Menschen erlöst, nicht getötet. Tot waren sie in dem Moment, wo das Skyllianrigift in ihnen aufging. Merken Sie sich das gefälligst! Es gab nur diese beiden Möglichkeiten. Ich konnte nur mit fünf Litern meines Blutes verhindern, daß Sie verwandelt wurden. Bei tausenden hätte das nicht ausgereicht.""

"Stimmt schon", schniefte Julius. "Aber fühlt sich doch ziemlich fies an, zu wissen, daß tausend Leute nur wegen mir tot sind."

"Hören Sie grundsätzlich nicht hin, wenn jemand im Rundfunk spricht?!" Blaffte Madame Maxime. "Professeur Tourrecandide hat eindeutig erklärt, daß der Zauberer, dessen Namen Sie wohl immer noch unbefangen aussprechen können, die Schuld an dieser Katastrophe trägt und nicht Sie. Nicht der, der die Infektion ausrottet ist Schuld an der Epidemie, sondern der, der sie willentlich unter das Volk bringt. Sie hatten die Chance, die wir anderen nicht hatten, dieses Inferno aufzuhalten und haben diese Chance genutzt. Im Übrigen habe ich mit der Feder Pterandas und Garuschats Wolkenhüter zu uns gerufen und nicht Sie. Ich müßte mich also wesentlich schuldiger fühlen als Sie. Das ich das nicht tue liegt daran, daß es keine andere Möglichkeit mehr gab, dieser Flut von Bestien Einhalt zu gebieten. So stelle ich Ihnen jetzt die Frage, die Sie mir als Muggelstämmiger sicherlich beantworten können: Wenn jemand mit einer dieser Atomspaltungsfeuerbomben Ihre Heimatstadt zu zerstören versucht, würden Sie dessen Leben schonen, auch wenn eine Million anderer dadurch vernichtet würden?"

"Ich würde zumindest sehen, ihn an keine Bombe ranzulassen", erwiderte Julius.

"Und wenn er das Massenmordgerät schon in Besitz hat?"

"Würde ich ihn Handlungsunfähig machen, vielleicht auch töten, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt."

"Sie haben mit Professeur Faucon einen heimtückischen Anschlag auf Millemerveilles vereitelt. Sie hatten den Fluchumkehrzauber zur Verfügung. Aber ohne diesen, was hätten Sie dann gemacht?"

"Das Flugzeug abgeschossen, und zwar so, daß das Gas mitzerstört worden wäre", erwiderte Julius darauf. Eine andere Möglichkeit fiel ihm jetzt auch nicht mehr ein. Zumindest war er sich sicher, daß Professeur Faucon ohne langes Zögern einen magischen Feuerball oder ähnliches gegen das Flugzeug geschleudert oder den Piloten per Imperius zum Selbstmord durch Absturz getrieben hätte, auch wenn sie danach nie wieder nach Millemerveilles hineingekommen wäre. Sogesehen waren tausend tote Muggel gegen neunundneunzigtausend überlebende noch zu vertreten, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gab.

Um die Nachrichten etwas vergessen zu können gingen Madame Maxime und Julius daran, einen Stundenplan für die nächsten Wochen zu machen, bei dem Julius nicht nur mit dem Zauberstab, sondern auch im Zaubertrankkerker weiterlernen konnte. Ab morgen sollte dieser intensive Kurs dann beginnen. Nur Selbstverwandlungen ließen sie aus. Denn im Moment konnte sich Julius genausowenig selbst verwandeln wie Madame Maxime. Gegen zwölf Uhr gingen sie schlafen. Julius empfand das übergroße Gitterbett, in dem er lag nicht mehr als zu beengend. Der dumme Spruch von Cimex Devereaux war ihm ziemlich nahegegangen. Die Frage, ob Madame Maxime überhaupt wen gefunden hätte, der freiwillig mit ihr eine Familie gründen wollte, ließ ihn nicht los. Seine nur wenige Tage alten Erfahrungen hatten ihm doch gezeigt, daß jeder mit einem Anteil Riesenblut im Körper mit heftigen Gefühlen aller Art zu tun bekam. Was würde ihm noch passieren, wenn er erst einige Wochen mit diesem Zeug, das wie eine Gefühlsaufputschdroge wirkte, leben mußte?

__________

Die nächsten Tage verbrachte das Gespann Olympe Maxime und Julius Latierre damit, die für die ZAGs nötigen Zauber zu wiederholen. Julius merkte, daß er nur dann die erwünschten Leistungen bringen konnte, wenn er sich ganz und gar von störenden Gedanken freimachte. Er erfuhr von Viviane Eauvives Bild-Ich, daß Laurentine Hellersdorf mit ihren Eltern telefoniert hatte, die darauf bestanden, sie zu sich zu holen. Da im Moment keine ministerielle Anweisung vorlag, sie nicht zu ihren Eltern zu lassen, übergab Professeur Faucon seine Jahrgangskameradin in Straßburg ihrer Mutter, die mit ihren Eltern aus den Staaten herübergekommen war.

Am neunten Februar reiste Madame Maxime mit Madame Rossignol und Julius nach Millemerveilles, wo sie ein Gemeinschaftsinterview für die beiden Rundfunksender und die beiden Zeitungen angesetzt hatte. Bedenken, Agenten des Unnennbaren die ganze Geschichte aufzutischen wurden auf Grund der Lage verworfen. Aufgeworfene Gerüchte, Julius sei von Madame Maxime durch Blutübertragung zu ihrem Adoptivsohn gemacht worden, wenn sie schon selbst keine Kinder kriegen wollte, zwangen förmlich dazu, die Wahrheit zu verbreiten. Professeur Faucon und ihre Lehrerin Tourrecandide sicherten zu, daß die bekannten Fernflüche nicht durch die von ihr und Professeur Tourrecandide wiederverstärkten Fluchbarrieren dringen konnten. Millie Latierre war ja im Château Tournesol und damit vor Fernflüchen sicher. Martha Andrews würde so oder so vor Fernangriffen sicher sein, solange sie in Millemerveilles war.

So trafen sie sich am frühen Vormittag im Gemeindehaus von Millemerveilles. Julius erkannte Ossa Chermot vom Miroir Magique, die offenbar meinte, die nur für ihn zuständige Reporterin zu sein, seinen verschwägerten Großcousin Gilbert Latierre von der Didier-freien Zeitung Temps de Liberté, einen Mikrofonträger vom offiziellen Nachrichtensender Tagesecho und Florymont Dusoleil vom Radio freie Zaubererwelt. Darüber hinaus waren der gesamte Dorfrat von Millemerveilles, Gegenminister Delamontagne und seine Führungsmannschaft, Julius Mutter, Catherine Brickston und ihre Mutter, sowie die hochschwangere Belle Grandchapeau und ihr Mann anwesend. Hoffentlich konnte er dieses Interview ohne irgendeinen Zwischenfall über die Bühne bringen. Er mußte mindestens dreimal seine Selbstbeherrschungsformel denken und wunderte sich nicht schlecht, daß sie von wem anderen mitgedacht wurde. Natürlich war Millie mit Gilbert Latierre, womöglich noch einigen anderen aus seiner mitgeheirateten Verwandtschaft nach Millemerveilles gekommen, als das mit dem Interview klar war. Sie wollte ihm offenbar helfen. Aber irgendwie dachte er, daß er langsam selbst rausfinden mußte, ob er sich gut beherrschen konnte. Doch im Moment konnte er sich einen Ausraster wie gegen Devereaux nicht erlauben.

Die Pressekonferenz begann mit einer offiziellen Stellungnahme Professeur Tourrecandides zu den Vorkommnissen in den ersten Februartagen und der Wiederholung, daß nur durch die grauen Riesenvögel die unverhoffte Wende herbeigeführt wurde. Mittlerweile habe sie auch durch Nachforschungen ermitteln können, daß diese Vögel in den Mythologien verschiedener Völker vorkämen, zum beispiel bei den australischen Anangus, die den roten Felsenberg Uluru als heilig verehrten, den die weißen Kolonisten Ayers Rock genannt hatten. Diese erwähnten einen Kampf zwischen Riesenvögeln und Eidechsenmenschen. Sie erwähnte die Anhänger des Hinduismus, die Schlangendämonen als Nagas bezeichneten, deren Erzfeind der mächtige Vogel Garuda war, das fliegende Reittier des Gottes Wishnu. "Womöglich", kam die ZAG- und UTZ-Prüferin und derzeitige Sicherheitsleiterin zum Schluß, "bezogen sich alle diese unabhängig entstandenen Sagen und Glaubensvorstellungen auf einen realen Konflikt, bei dem bereits diese beiden Kreaturformen aufeinandertrafen. Es ist daher dringend anzunehmen, daß die massive Verbreitung der Schlangenmenschen die Riesenvögel oder jene, die sie lenkten dazu veranlaßte, die endgültige Entscheidung zu finden. Offenbar war eine Totalvernichtung aller existenten Schlangenkreaturen unausweichlich, und wie wir erfuhren, wurden auch Depots mit ihrem ausgelagerten Gift vernichtet, um eine Nachzucht dieser Ungeheuer zu verhindern. Von dieser massiven Vernichtungsaktion abgesehen traten bereits im Jahre 1980 einige dieser grauen Riesenvögel auf, die nach Beobachtungen hiesiger Einsatzkräfte gebündeltes Sonnenlicht wie Gewitterblitze ausstoßen konnten. Dies geschah im Zusammenhang mit einem Angriff unseres Erzfeindes auf das Dorf Hogsmeade in Schottland, um dem Erzfeind die Macht über Drachen zu entreißen. Wie sie damals gerufen wurden ist der Liga zur Abwehr dunkler Kräfte bekannt. Ob ein ähnliches Rufsignal zum Entsatzangriff der Riesenvögel zu Beginn des Februars führte ist im Moment nicht bekannt. Womöglich wurden die fremdartigen Helfer ohne auf der Erde lebende Rufer in Marsch gesetzt. Über den Angriff auf die Beauxbatons-Akademie und welche Folgen dieser hatte möchte uns jetzt Madame Maxime berichten, da in den letzten Tagen wilde Gerüchte aufkamen, die sich um sie und den hier anwesenden Julius Latierre ranken." Die Bilderknechte der Zeitungen ließen kurz die Kameras rot rauchen, als Madame Maxime sich in Positur setzte und gerade aus in die offenen Mikrofone und damit in viele hundert aufmerksame Ohren hineinsprach. Sie schilderte die Vorzeichen des Angriffes, wie sie die Schüler zum Wachdienst eingeteilt hatte und erwähnte auch Vorkehrungen der Gründer, die im Falle eines feindlichen Angriffes greifen würden. Sie beschrieb den Angriff und dessen Abwehr durch die Riesenvögel, erklärte, wie Beauxbatons so schnell geräumt werden konnte und kam dann zu dem Punkt, der vor allem Julius betraf. Sie erwähnte, daß dieser als ein über viele Dutzend Generationen entfernter Nachfahre der Gründerin Viviane Eauvive die Aufgabe hatte, Schülergruppen durch ein Tor der Gründungsmutter in Sicherheit zu bringen. Er habe wohl noch einige verstreute Schülergruppen gesucht und zum Tor hingeführt, bevor die Schlangenkreaturen in den Palast einrückten. Wie er dann gebissen wurde schilderte Julius, wobei er die Zauber ausließ, mit denen er die Schlangenmenschen aufzuhalten geglaubt hatte. Er erfand schlicht, daß er mit gängigen Materiezaubern wie dem Netzwurfzauber und dem Nebelzauber hantiert habe, bis die Schüler weg waren. Als er selbst flüchten wollte, sei er gebissen worden. Madame Maxime und Madame Rossignol erwähnten dann, wie sie Julius therapiert hatten und er jetzt die Nachwirkungen zu überstehen habe. Dann wurde noch einmal erwähnt, daß bis zum ersten Märzwochenende Schulfrei sei. Dann durften Fragen gestellt werden. Natürlich wurde Julius von Ossa Chermot gelöchert, wie das mit dem Tor der Gründerin gewesen sei, was er unter dem Einfluß des Giftes gefühlt habe und wie er sich nun fühle, wo er einen Anteil fremden Blutes in sich trage. Florymont Dusoleil fragte ihn behutsam, ob er durch die Blutübertragung ein anderes Gefühl für Zauberkräfte bekommen habe. Der Zauberer vom Tagesecho wollte dann wissen, ob es stimme, daß er einen Baumagier zusammengeschlagen habe, nur weil der die Verbindung zwischen ihm und Madame Maxime verächtlich geredet hatte. Er antwortete mit leiser Unterstützung seiner Frau, die ihm die Selbstbeherrschungsformel zudachte:

"Er meinte, Madame Maxime habe es nötig, Zauberer an sich zu binden, um von denen Kinder zu kriegen und ich hätte diese Aufgabe zu erledigen. Ich finde das selbst dumm, was ich gemacht habe und schäme mich dafür. Andererseits hat dieser Monsieur mich ohne Vorwarnung dumm angeredet, und ich habe nicht groß überlegt. Madame Rossignol hat ihn aber schnell wieder zusammengeflickt."

"Ja, und ich möchte diese öffentliche Befragung gerne nutzen, um klar zu betonen, daß ich Monsieur Julius Latierre, der als Julius Andrews zu uns nach Beauxbatons kam, für einen sehr besonnenen, seinem alter geistig gut voraushandelnden Zauberer halte. Sonst hätte ich ihn ganz sicher nicht in die schuleigene Pflegehelfertruppe aufgenommen", schaltete sich Madame Rossignol ein. "Wie Sie alle hören konnten bedauert er diese gedankenlosigkeit und wird wohl, da bin ich sicher, zukünftig mehr Acht auf seine Gefühle geben. Allerdings wird Monsieur Latierre bis zum Abklingen der Nachwirkungen der sehr riskanten wenn auch erfolgreichen Therapie mit Madame maxime verbunden bleiben, weil sie die einzige ist, die seine Gefühlswallungen erkennen kann und ihm körperlich weit genug überlegen ist."

"Wer sagt uns, daß Julius Latierre stärker geworden ist als vorher?" Wollte Gilbert Latierre wissen.

"Der Umstand, daß Monsieur Devereaux zehn Zähne verlor und bei dem Schlag knapp drei Meter weit flog, obwohl er einhundertzwanzig Kilogramm wiegt, wie ich bei seiner Untersuchung unbestreitbar nachmessen konnte. Bei diesem einen Schlag, den Monsieur Latierre austeilte, entstand weder an seiner Hand noch an seinem Arm der geringste Schaden. Daraus erfolgt für mich, daß er zurzeit mindestens dreimal so stark ist wie ein junger Zauberer seines Alters ohne durch spezielle Übungen erworbene Muskulatur."

"Ich mache Schwermachertraining", berichtigte Julius die Heilerin. Diese sah ihn verdrossen an, korrigierte sich dann und meinte, daß er dann wohl anderthalb mal so stark war wie vorher."

"Dann haben Sie vielleicht den Drachen mit dem Basilisken ausgetrieben", warf Ossa Chermot ein. Madame Maxime erhob sich zur vollen Größe, stand einige Sekunden vor der Reporterin und setzte sich dann wieder auf die drei nebeneinandergestellten, hochbeinigen Stühle.

"Ich habe Ihnen in die Augen gesehen, Mademoiselle Chermot. Sind Sie tot oder leben Sie noch?" Fragte sie.

"Natürlich lebe ich noch", brachte Ossa Chermot heraus.

"Nun, dann bin ich kein Basilisk. Das ist schon einmal beruhigend für Sie alle", erwiderte Madame Maxime kühl. "Und zu der Metapher: Wir haben den Basilisken aus Julius Latierre ausgetrieben. Denn wenn er sich vollends verwandelt hätte, wäre er ungleich gefährlicher geworden, mit einer überragenden Körperstärke, einer beinahe unabwendbaren Magieresistenz, einem hypnotischen, vielleicht sogar tödlichen Blick, dem in ihm selbst gebildeten Verwandlungsgift und ganz wichtig, ohne eigenen Willen, nur ein Werkzeug dessen, dem wir diese Katastrophe zu verdanken haben. Zählen Sie diese unheilsbringenden Elemente zusammen, und Sie werden mit Leichtigkeit errechnen, daß ein mit unbeherrschbarer Wut und überragender Stärke behafteter Mensch immer noch das kleinere Übel ist."

"Nun, aber warum erzählen Sie uns das dann?" Wollte Florymont Dusoleil wissen. "Ich meine, für Julius Latierre ist das doch ziemlich anstrengend, auch ohne daß die Öffentlichkeit davon weiß."

"Wir beabsichtigen im März die Wiedereröffnung von Beauxbatons. Spätestens da wäre es geboten, den Schülerinnen und Schülern zu erklären, was geschehen ist und warum ihr Schulkamerad mit mir am Lehrertisch sitzen kann, darf oder muß und warum ich den bisherigen Unterricht in praktischer Magizoologie wohl nicht weitererteilen kann und bereits nach einem kompetenten Experten oder einer Expertin auf diesem Gebiet suche."

"Flucht nach vorn heißt das bei den Muggeln", warf Julius trocken ein. Seine Mutter nickte.

"Bei den Zauberern gibt es diesen Begriff auch, Monsieur Latierre", belehrte ihn Professeur Tourrecandide.

"Didier mag ja viele schlechte Dinge gesagt und getan haben. Aber in einem Punkt hat er wohl doch recht, nämlich dem, daß wir nicht wissen, ob nicht doch Agenten des Unnennbaren in Frankreich versteckt sind, die die Aktionen der Schlangenmenschen überwacht haben", brachte der Reporter vom Tagesecho einen anderen Punkt zur Sprache.

"Dann dürften diese es jetzt noch schwerer haben als vorhin, an Julius Latierre heranzukommen. Denn bekanntermaßen wurde ja schon häufig versucht, ihn nach England zurückzutreiben, um ihn dort der Tyrannei des Unnennbaren auszuliefern", warf Professeur Faucon ein, zückte den Zauberstab und richtete ihn auf Julius. Ehe er oder sonstwer was unternehmen konnte schickte sie ihm einen rhinotruncus-Fluch auf den Hals, der seine Nase zum Rüssel verformen sollte. Doch der Fluch prallte von seinem Kopf ab und schwirrte knapp an Ossa Chermot vorbei gegen die Wand, aus der ein Stalaktit von zwei Metern herauswuchs, der krachend abbrach und beim Aufschlag auf dem Boden zu Staub zerfiel. Das Loch in der Wand füllte Professeur Faucon ungesagt wieder aus. Auch der Schocker, der Ganzkörperklammerfluch und einige andere Flüche prallten unwirksam von Julius ab, der keinen Zauberstab in der Hand hielt, um sich zu wehren. Madame Maxime gebot ihrer Mitarbeiterin dann mit einer Geste Einhalt. "Sie erkennen also, warum es nötig ist, daß Monsieur Latierre in unmittelbarer Nähe von Madame Maxime verbleibt und es gleichzeitig für den Erzfeind schwerer geworden ist, ihm etwas anzuhaben. Hier in Millemerveilles sind alle Bürger vor von außen kommenden Fernflüchen sicher. Gleiches gilt in Beauxbatons, nur daß dort gutartige Zauberer und Hexen gewirkt haben, und weil die Gegenzauber durch mich und andere Experten bereits überprüft und verstärkt wurden. Es ist schließlich davon auszugehen, daß unser gemeinsamer Feind, der sich überheblich als dunkler Herrscher bezeichnet, bereits danach getrachtet hat, dem einzigen Menschen nachzustellen, der sich dem Gift seiner Kreaturen entziehen konnte. Soll er ruhig erfahren, wie er das konnte. Ausrichten kann er dagegen nichts mehr. Und seine Ungeheuer sind nun unwiederbringlich von unserer schönen Erde verschwunden."

"Das ist im Moment wohl die beste Nachricht, die wir erhalten konnten", erwiderte Florymont Dusoleil darauf. "Und ihn und seine muggelfeindlichen Handlanger dürfte dabei auch sehr ärgern, daß wir in Millemerveilles Fluggeräte der Muggel nachgebaut und in Kombination mit Besen zur Abwehr seiner schuppigen Bestien eingesetzt haben. Bleiben nur noch die Entomanthropen und die Wertiger in Frankreich."

"Da sind wir schon dran. Die meisten Entomanthropen sind zwar gegen magisches Feuer immun, aber nicht gegen punktgenaue Elementarzauber wie Heliotelum", erwiderte Professeur Tourrecandide. "Und die Wertiger können durch nichtmagisches Feuer oder Geschosse aus unbezaubertem Eis besiegt werden."

"Näheres zur Politik mit den Wertigern dürfen Sie demnächst erfahren, wenn geklärt ist, wie das Ministerium weitergeführt wird", sagte Monsieur Delamontagne dazu.

Belle Grandchapeau lächelte unvermittelt und blickte zur Tür hin. Alle anderen wandten sich um. die Radioreporter sprachen leise in die fremdartig wirkenden Mikrofone, als die Tür aufging, und Monsieur Armand Grandchapeau und seine Frau Nathalie in öffentlichkeitstauglicher Aufmachung hereinkamen. Sie wirkten ausgemergelt aber unverletzt. Belle wuchtete ihren gerundeten Körper aus dem bequemen Sessel hoch und eilte mit ausladenden Schwüngen auf ihre Eltern zu. Julius erkannte wie alle anderen, daß das ihre einzig wahren Eltern sein mußten. Denn alle wußten sie von dem Viviparentis-Zauber, dem Belle während ihrer Geburt unterzogen wurde.

"Oh, ich hoffte, hier genug interessierte Leute begrüßen zu können", sagte Armand Grandchapeau. Julius entging nicht, daß Monsieur Delamontagne für einige Sekunden konzentriert dasaß. Offenbar mentiloquierte er mit jemandem. Alle begrüßten den wahrhaftigen Zaubereiminister und waren natürlich sehr gespannt, was er erzählen würde.

"Nun, sezte Grandchapeau an, der heute ohne den üblichen Zylinderhut ausgegangen war. "Wie Sie alle wissen wurden meine Gattin und ich im Oktober letzten Jahres von unbekannten angegriffen. Es waren sieben Leute auf fliegenden Drachen. Sie hören richtig, kleinen, wendigen und weite Flammen speienden Drachen in roter und blauer Färbung. Sie zerstörten unsere Besen, mit denen wir zu einem nur wenigen Leuten bekannten Flug nach Spanien unterwegs waren. Die Drachenreiter überwältigten uns mit Bannzaubern und verschleppten uns mit verbundenen Augen durch die Luft." Minister Grandchapeau berichtete dann weiter, wie sie in einem Felsenkerker mit Luftlöchern landeten und dort von einem Mann mit einer merkwürdigen Zeichnung um den Hals mit Wasser und kargem Essen versorgt wurden. Auf das Verlangen, Grund und Dauer der Entführung zu erfahren ging man erst nicht ein. Erst im Dezember, zumindest nach den Schilderungen einer älteren Hexe namens Syrinx Chaudchamps, sei es möglich geworden, das die Grandchapeaus näheres über ihr Schicksal erführen. So habe "man" beschlossen, die beiden solange gefangenzuhalten, bis die Lage in Frankreich eine grundlegene Reform der Zaubererweltpolitik ermögliche. Minister Grandchapeau habe diese Syrinx Chaudchamps dann gefragt, ob sie auf der Elfenbeininsel seien. Sie habe sich zunächst sehr gut beherrscht, es dann jedoch zugegeben. Von da an sei dem Minister klar gewesen, was die Herren der Insel vorhatten. "Teile und herrsche, das klassische Prinzip eines instabilen Regimes, zwei verfeindete Gruppen zu schwächen um die eigene Macht zu vergrößern oder die vorhandene zu erhalten", führte Grandchapeau aus. "Ich konnte Syrinx davon überzeugen, daß die Insulaner keinen Vorteil aus einem Krieg zwischen dem Unnennbaren und der französischen Zaubererwelt ziehen konnten. Sie stimmte mir zu, daß der Plan bereits fehlgeschlagen sei, weil die Maßnahmen meines ehrenwerten Nachfolgers nicht gegriffen hätten und es im Lande selbst zu zwei widerstreitenden Lagern gekommen sei, die es nun dem Unnennbaren leicht machen würden, die Macht zu ergreifen. Das bewog mich, Mademoiselle Chaudchamps davon zu überzeugen, daß ich nicht länger Gast des isolationistischen Haufens bleiben dürfe. Sie und der Mann, der uns mit Nahrung versorgt hat verhalfen uns dann zur Flucht. Syrinx trug mir auf, nach meiner geglückten Rückkehr ausschau nach jemandem zu halten, der sich dort befindet, was sie auf der Insel "Die welt da draußen" nennen. Als offenbar ihre wertvollen Flugdrachen dezimiert wurden erkannten die Herrschaften wohl, daß ihr Vorhaben, als Heilsbringer aufzutreten, fehlschlug. Im Wirrwarr der Diskussionen gelang es meiner Frau und mir, Zauberstäbe zu erlangen und zu einem geheimen Teleportal zu flüchten. Dabei kam heraus, daß jener Mann mit der Zeichnung um den Hals nicht aus den unterirdischen Räumen heraus konnte, in denen wir eingesperrt gewesen waren. Das Teleportal ging auf und gewährte uns ohne körperliche Begleiterscheinungen Zugang zu einem Ort im Süden Frankreichs, von wo wir gefahrlos disapparieren konnten. Weil wir wußten, daß wir sofort wieder gejagt würden, wenn wir uns zeigten, erkundeten wir erst die Lage. Dabei erfuhren wir auch, daß Janus Didier, der mich zu einem offenen Krieg gegen die Dementoren anstacheln wollte, mein Nachfolger wurde, jedoch von Ihnen, Phoebus, bekämpft wurde. Wie Sie alle erfahren haben versuchte ich um Weihnachten herum eine Rückkehr ins Ministerium und wurde dabei fast Opfer eines Anschlages. So überließ ich es Monsieur Delamontagne, in meinem Namen weiterzuregieren und erfuhr, daß Janus Didier Opfer dieser Schlangenkreaturen wurde. Davon ausgehend, daß wir nicht nahe genug an einen Ausgangskreis herankommen konnten, um nach Millemerveilles zu flüchten, blieben wir im Versteck. Ich erfuhr nach der Vernichtung der Schlangenmenschen, daß die Gefahr nun beseitigt sei und kam hierher."

"Jau, früh genug, um wieder anzufangen und spät genug, um nicht mehr aufräumen zu müssen, nicht wahr, Monsieur Leministre?" Fragte Gilbert Latierre. Belle grummelte ihn finster dreinschauend an. Doch Grandchapeau wetterte diese Frage mit einem Lächeln ab.

"Im Gegenteil. Da Phoebus im Moment nur mein Stellvertreter ist und die anderen Ministerien, die nicht im Einflußbereich dieses Massenmörders liegen zurecht skeptisch sind, nachdem, was sich mein werter Mitarbeiter Janus Didier geleistet hat, bin ich hoffentlich früh genug wieder heimgekehrt, um durch eine freie Wahl aller erwachsenen Hexen und Zauberer zu klären, wen sie weiterhin als legitimen, ordentlich ernannten Zaubereiminister anerkennen wollen. Ich denke, die Wahl sollte am ersten Samstag im März stattfinden. Sofern mein legitimer Stellvertreter Phoebus Delamontagne nichts dagegen hat trete ich gerne gegen ihn und jeder oder jedem anderen Kandidaten an."

"Ich erachte es als sehr nobel, die magische Gemeinschaft zu befragen", sagte Monsieur Delamontagne. "Ich denke jedoch, daß die Entscheidung schon in der nächsten Woche getroffen werden kann. Doch ich erkenne, daß Sie Gründe haben, den Zeitpunkt der Wahlen nicht so früh anzusetzen."

"In der Tat", erwiderte Grandchapeau und lächelte seine Tochter an.

"Nun, dann können wir wohl, wo hier alle gerade im Lande tätigen Nachrichtenverbreiter anwesend sind, beschließen, daß wir uns in drei Wochen zur Wahl Stellen werden", sagte Delamontagne. Grandchapeau nickte. Madame Maxime sagte dann noch: "Dieser Termin ist gut gewählt, da zu dem Zeitpunkt noch alle volljährigen Schüler der Beauxbatons-Akademie bei ihren Verwandten sind und direkt wählen können."

"Wir sind gespannt", sagte Ossa Chermot. "Wo werden sie bis dahin wohnen, Monsieur Grandchapeau?"

"Meine Tochter und ihr Gatte werden hoffentlich noch ein freies Gästezimmer zur Verfügung stellen können", sagte Madame Grandchapeau. Ihr Mann nickte. Belle nickte ebenfalls.

"Nun, dann sind wir hier wohl alle mit dem durch, was gerade wichtig ist", befand Madame Maxime. "Gestatten Sie mir nun bitte, mich nach Beauxbatons zurückzuziehen!" Man gestattete es ihr und Monsieur Latierre.

"Wann der echte wohl wieder aufgetaucht ist", meinte Julius zu der Schulleiterin, als sie nach der Reise durch die Fährensphäre wieder in Beauxbatons im Dauerklangkerker-Konferenzraum saßen.

"So, Sie glauben, der erste, der um Weihnachten auftauchte war eine Vielsaft-Trank-Kopie?"

"Belle, ähm, Madame Grandchapeau hat so erfreut gestrahlt, als ihre Eltern reinkamen, als habe sie sie lange nicht mehr gesehen und nicht mehr gewußt, ob sie jemals zurückkehren würden", erwiderte Julius. Madame Maxime nickte. Das war ihr durchaus auch aufgefallen.

"Das stört Monsieur Delamontagnes bisherige Aktionen etwas, falls die Nachrichtenverbreiter das auch mitbekommen haben. Das dürfte eine aufwühlende Angelegenheit sein, wenn Monsieur Delamontagne als Täuscher entlarvt werden sollte. Deshalb bitte ich Sie darum, diese Vermutung nicht vor anderen Ohren zu wiederholen. Wenn wir Glück haben, verläuft diese Neuwahl ohne Reibereien. Ich denke nicht, daß Monsieur Delamontagne an dem Stuhl klebt, auf den man ihn gesetzt hat."

"Denke ich auch nicht", erwiderte Julius.

"So wie die junge Madame Grandchapeau aussieht werden wir wohl bald erfahren, daß ein neuer Schüler oder eine neue Schülerin vorgemerkt wird", erwähnte Madame Maxime.

"Hmm, wie das? Ich hörte mal, daß es in Hogwarts auch was gibt, was bei der Geburt von Zaubererkindern sofort notiert, wann sie nach Hogwarts gehen sollen."

"Das Verfahren ist bereits seid langer Zeit im Gebrauch und seit Gründung der Akademie auch bei uns in Beauxbatons üblich. Bringt eine Hexe ein Kind zur Welt, so wird es vorgemerkt. Wird das Kind eines Zauberers geboren, auch wenn die Mutter Muggel ist, wird der Name vorgemerkt. Bei Kindern nichtmagischer Elternteile muß zunächst erfaßt werden, daß sie eigene Magie entfalten, so wie bei Ihnen."

"Würde mich echt interessieren, seit wann die in Hogwarts meinen Namen auf der Liste hatten", gestand Julius seine Neugier. Madame Maxime nickte wohlwollend. Dann apportierte sie ungesagt aus ihrem Arbeitszimmer ein Pergamentblatt, blickte es einige Sekunden an und reichte es an Julius weiter. Er las darauf die Namen aller Schulanfänger von 1995, wo er als Quereinsteiger der dritten Klasse nach Beauxbatons umgeschult worden war. Bei den meisten stand Vorgemerkt seit 1984. Bei ihm stand:

Julius Andrews
Geboren 20. Juli 1982 im Königin-Victoria-Hospital, London England.
Eltern: Martha Andrews geb. Holder (SPM), Richard Andrews (SPM)
Vorgemerkt für Hogwarts, britische Schule für Zauberei und Hexerei durch PM-Aktivität (unbewußter Bremszauber nach Sturz) am 15. April 1986
Einschulung in Hogwarts am 1. September 1993
Unterbringung in Hogwarts: Haus Ravenclaw (Prof. Flitwick)
Umschulung nach Beauxbatons wegen familiärer Gründe am 22. August 1995
Unterbringung: Grasgrüner Saal (Prof. Faucon)

"Da hat es also bei denen am fünfzehnten April 1986 geklingelt oder wie auch immer, als ich aus dem Dachfenster gefallen bin und mir komischerweise beim Aufschlagen nichts gebrochen habe", erinnerte sich Julius. Jetzt war ihm auch klar, warum das Ministerium in England ab da hinter ihm hergeschnüffelt hatte, um mögliche Folgetaten aufzuzeichnen.

"Ein Eintrag über mehrere Zeilen kommt bei uns selten vor", erwiderte Madame Maxime kühl.

"Bei den reinen Zaubererkindern steht bei den Eltern CPM in Klammern dahinter und bei den Muggelstämmigen oder sogenannten Halbblütern SPM. Heißt das C cum, also mit und das S sine, also ohne?" Erkundigte sich Julius.

"Vollkommen korrekt. Cum oder sine Potentia magica", bestätigte Madame Maxime. "Bei der Gelegenheit, darf ich das Dokument zurückhaben?" Julius gab es ihr. "Corrigo!" Murmelte Madame Maxime, als sie den Zauberstab auf einen bestimmten Punkt des Blattes hielt. Julius vermeinte, ein flimmern auf dem Blatt zu sehen und verstand, daß die Schulleiterin wohl den Eintrag über seine Mutter berichtigte. Der Vorgang dauerte nur eine Sekunde. Das war schneller als auswischen und neuschreiben."so, bei Ihrer Mutter steht jetzt ein CPM und der Zusatz PN, also Post natum. Wir sollten uns wohl doch damit anfreunden, daß es nun eine Möglichkeit gibt, knapp unter der Außenwirksamkeit liegende Magiepotentiale zu aktivieren."

"Dann wird Belles Kind automatisch vorgemerkt?" Fragte Julius noch einmal.

"Sobald es im Einzugsbereich von Beauxbatons geboren wird und seinen Namen erhält. Ähnlich verlief es mit Mademoiselle Cythera Dornier, deren Geburtsort mit Krankenflügel der Beauxbatons-Akademie für französischsprachige Hexen und Zauberer angegeben wurde."

"Das Was-auch-immer muß ja im letzten Mai ja dann sehr heftig rotiert haben, wo so viele Kinder auf einmal ankamen."

"Eindeutig", erwiderte Madame Maxime. "Und es hat dieses Jahr schon zehnn mal einen neuen Schüler für 2009 vorgemerkt. Ich denke, wir werden bis zum Mai mindestens noch sieben sichere Kandidaten vormerken können, vielleicht sogar noch welche, die nach der Geburt als zauberkräftig erkannt wurden."

"Kriege ich das irgendwie mit?" Fragte Julius.

"in meinem Arbeitszimmer. Falls die Vollendung der Geburt und die Namensgebung nicht gerade während der Nachtstunden erfolgen werden Sie das durchaus mitbekommen. Ich bitte Sie jedoch darum, das nicht all zu weit herumzuerzählen, wenn Sie wieder in den Klassenunterricht zurückkehren können!" Julius nickte. Ihn interessierte jetzt zwar, wann Laurentine vorgemerkt worden war oder Pierre Marceau. Aber er wußte von seiner Mutter, daß persönliche Daten sehr empfindliche Sachen waren und er nicht unbedingt damit angeben sollte, die Daten von anderen zu kennen. Denn ihm war trotz des Gefühlsaufruhrs in seinem Kopf klar, daß auch die Schulabgänge und möglichen Endzeugnisdurchschnittsnoten mitgeschrieben und lange aufbewahrt wurden. Das würde einigen ganz bestimmt nicht schmecken, wenn er andeutete, das vielleicht zu wissen. Deshalb war das für ihn klar, den anderen nichts zu erzählen.

Julius' Pressekonferenz wurde abends in verkürzter Form im Radio wiedergegeben. Sicher würden die nun zwei Zaubererzeitungen des Landes morgen einen Artikel bringen, wie er sich unter dem Einfluß des Schlangenmenschengiftes gefühlt hatte und wie er beinahe zu Voldemorts Gehilfen geworden war. Er dachte an Millie, die ihm dabei geholfen hatte, nicht aufzugeben. Was wäre ihm passiert, wenn er ihre eindringliche Stimme nicht im Kopf gehabt hätte? "Wir sind Borg. Widerstand ist zwecklos!" Hörte er die elektronisch zu unheimlichen Lauten verzerrten Stimmen der halbrobotischen Kreaturen aus der Welt von Kirk & Co. in seinem Kopf. Er hätte wohl gnadenlos jeden getötet oder zu einem Schlangenmenschen gemacht, auf den der Irre gezeigt hätte. Ein Gedankenbefehl hätte schon gereicht. Zumindest blieben ihm die aus Schuld entstandenen Alpträume erspart, die der Weltraumheld Picard immer wieder hatte, nachdem dieser eine Zeit lang zu den Borg gehörte.

Im Gitterbett mentiloquierte er noch einmal mit seiner Frau und teilte ihr auch mit, daß es zwar gut gewesen sei, ihm zu helfen, er aber demnächst gerne alleine rausfinden wolle, wie weit er sich selbst unter Kontrolle hatte. Millie schickte nur zurück: "Nach dem Ding, das du Devereaux verpaßt hast hättest du die Chermot oder Gilbert locker mit links zerlegen können. Aber ich kapiere, daß du natürlich klarkriegen mußt, was du an Gefühlen haben willst und was nicht. Nur wütend zu werden ist auch zu langweilig, und traurig sein bringt's auch nich'. Schlaf schön, Monju! Träum was süßes."

"Habe ich schon hinter mir", gedankengrummelte Julius. "Aber im Moment weiß ich nicht, was in meinem Kopf so herumfliegt, was ich nachts nicht irgendwie umräumen muß. Nacht Mamille!"

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Wie zu erwarten war am nächsten Tag ein Artikel im Miroir Magique und der Temps de Liberté abgedruckt. Während Gilbert Latierre Julius als willensstarkes Beispiel beschrieb, daß auch bei schlimmen Sachen immer noch gehofft werden dürfe, ließ Ossa Chermots rührselige Geschichte den Wutvulkan in Julius sehr drohend brodeln. Diese Reporterin behauptete, Julius sei wohl durch die frühe Ehe mit Mildrid Latierre in einer besonders aufwühlenden Stimmung und daher wohl leicht für die Einflüsterungen des Unnennbaren empfänglich gewesen, die er nur dank des todesmutigen Einsatzes von Madame Maxime abwehren konnte. Sie führte aus, daß Fremdblut, vor allem von Angehörigen des jeweils anderen Geschlechtes, immer wieder zu ausufernden Gefühlsausbrüchen führte, malte in einer ziemlich spannerhaften Weise aus, woran Julius nun noch mehr als früher eh schon alles denken mochte und stellte die Frage, ob er sich von der Blutübertragung je wirklich würde erholen können oder nicht für den Rest seines Lebens an Madame Maxime gebunden bleiben müsse. Sie erwähnte dabei auch noch einmal die Sachen, die ihm passiert waren, wie die Tochter des Abgrunds, Claires Tod und die Entführung durch Bokanowski. Letzteres ungern erlebte Ereignis nahm sie dann noch als Aufhänger, um auf den Artikel "Grandchapeaus Rückehr jetzt erst oder früher schon?" hinzuweisen. Um seine Wut abzureagieren ließ Madame Maxime ihn gegen zentnerschwere Sandsäcke antreten und -boxen, bis er nur noch keuchen konnte.

Am zwölften Februar traf ihn die Zeitungsmeldung über den Fund von Golbasto Collis Kopf keine zweihundert Meter vor dessen Elternhaus wie ein Hammerschlag gegen Brustkorb und bauchdecke. Sowohl Chermot als auch Gilbert erwähnte, daß Golbasto wohl von den Riesenvögeln aufgepickt worden sei, weil an der Stelle, wo der Kopf vom Hals abgetrennt worden sei, Spuren eines übergroßen, scharfen Schnabels zu finden waren, während die Entomanthropen ihre Opfer entweder in der Luft zerrissen oder mit ihren Giftstacheln durchbohrten. Monsieur Collis, dessen Schwarz-weiß-Bild abgedruckt wurde, hatte dem Reporter des Miroirs für die Öffentlichkeit mitgegeben, daß seine Frau nach dem grausigen Fund in die Delurdesklinik eingewiesen werden mußte und er bereits Anklage gegen unbekannt erhoben hatte, um denjenigen zur Rechenschaft zu ziehen, der die grauen Riesenvögel herbeigerufen und seinen Sohn damit zum Tode verurteilt hatte.

"Ich frage mich allen Ernstes, was den guten Durin Collis bewogen hat, die Schuld nicht bei dem mörderischen Magier aus Großbritannien zu suchen, daß sein Sohn Opfer dieser Vögel wurde. Denn diese haben - wofür Sie das beste Beispiel sind, Monsieur Latierre - nur vollständig in Schlangenkreaturen verwandelte Menschen gejagt und getötet, keinen normalen oder noch in der Verwandlung befindlichen. Diese Wesen wußten durchaus zu unterscheiden, wer ihre Feinde sind, auch wenn die durch die Gifteinspritzungen ohne direkten Einfluß von Skyllianri erschaffenen Artgenossen der alten Krieger wohl als gewöhnliche Menschen hätten weiderleben können, wenn sie von besonneneren Wesen überwältigt worden wären, wie Didier zeigt. Daß Monsieur Collis nun findet, jemanden dafür belangen zu müssen ist reine Hilflosigkeit, Monsieur Latierre."

"Golbasto Collis wollte gegen die Dementoren kämpfen", fiel es Julius ein, als er endlich die Mischung aus abgrundtiefer Trauer und Wut über die ihm indirekt angetane Ungerechtigkeit überwand. "Und jetzt ist er tot."

"Ein Opfer des Unnennbaren, Monsieur Latierre, nicht Ihr oder mein Opfer. Lassen Sie sich ja nicht durch Anklagen wie diese dazu verleiten, die Schuld für die Gräueltaten unseres Erzfeindes auf sich zu nehmen, nur weil Sie ein Mittel fanden, seine Kreaturen zu besiegen!"

"Trotzdem glotzt mich dieser kleine Wicht da im Foto so haßerfüllt an, als wüßte der, daß ich was mit diesen Vögeln zu schaffen hatte", schnarrte Julius und deutete auf den kleinen, faßartig gestalteten Zauberer mit hellem Spitzbart und schwarzem Schlapphut.

"Im Moment wird der gute Durin wohl alles und jeden hassen, der es zugelassen hat, daß sein Sohn starb. Ich warte besser darauf, daß ein Heuler oder ähnliches Wutschreiben an mich ergeht", erwiderte Madame Maxime kalt.

"Irgendwer muß halt Schuld sein", schnarrte Julius verärgert. "Aber daß dieser kleine Wicht sich nicht traut, auf den richtigen zu zeigen, nämlich den, der uns diese Schlangenmonster rübergeschickt hat, ist ziemlich feige. Neh, da schiebt er den Tod seines Sohnes lieber denen in die Schuhe, die die Wolkenhüter gerufen haben."

"Was uns zeigt, wie richtig es war, nicht zu erwähnen, woher die grauen Vögel kamen und wer sie zu uns hingerufen hat", bemerkte Madame Maxime. Dann meinte sie noch: "Monsieur Collis wird erkennen, daß er sich gegen den falschen gewandt hat, wenn genug Proteste gegen seine Anklage eintreffen. Viele Zaubererfamilien verdanken den Wolkenhütern ihr Leben."

"Der Knilch ist ziemlich klein. Hat der auch einen Zwerg oder Kobold im Stammbaum?" Fragte Julius.

"Nun, ich weiß es natürlich aus gewissen Gründen, was mit Monsieur Collis los ist. Ich kann jedoch aus mir außerordentlich gut verständlichen Gründen verstehen, daß er darum kein Gerede machen möchte. Aber Ich vertraue es Ihnen an, damit Sie ein gewisses Einsehen mit Monsieur Collis haben. Es heißt, vor fünfhundert jahren sei eine seiner Vorfahrinnen von betrunkenen Zwergen geschändet worden und habe das aus dieser Gewalttat empfangene Kind nach der Geburt den Hexenammen überlassen, bevor sie sich selbst tötete. Allerdings wird auch erzählt, daß Monsieur Collis' Vorfahren mit den Zwergen Norwegens sehr gute Beziehungen hatten, bis ein Zwergenkönig die Tochter, jene Vorfahrin Monsieur Collis' für das doppelte ihres Gewichtes in Gold erworben habe. Dieses Mädchen war vielleicht ein Squib, also eine fast zauberkraftunfähige Hexe. Anders kann ich mir nicht erklären, wie sie sich von den Zwergen in deren unterirdisches Reich hat verbringen lassen. Da Sie von Ihrer damalig noch nicht Ehefrau Mildrid Latierre wie wir alle im Seminar sprach- und planungsfähiger Zauberwesen erfuhren, wie rüde weibliche Zwerge von ihren Artgenossen behandelt werden, vermögen Sie sicher, sich vorzustellen, unter welchen Bedingungen besagte Vorfahrin lebte, als Kuriosum in der Zwergengemeinschaft. Als Brutmutter besonderer Kinder eingesperrt in Höhlenbauten. Somit schwankt das Selbstverständnis der Collis' zwischen Beschämtheit und Stolz, Verherrlichung und Verdammung ihrer Ahnenlinie. Durins Vater war einer von denen, die die Geschichte von der Hexe als Zwergenkönigin bevorzugte."

"Das wird die Leute vom Violetten Saal ziemlich runterziehen, daß Golbasto tot ist", seufzte Julius, der Madame Maximes Worte nur halbherzig aufgenommen hatte.

"Auch deshalb ist es sehr wichtig, daß außer den unmittelbar eingeweihten keiner erfährt, wie die Wolkenhüter herbeigerufen wurden, wiederholte Madame Maxime ihre Feststellung. Julius nickte. Er hatte nur wen zu Hilfe gerufen. Daß derjenige alles niedermachte, was ihn bedroht hatte war nicht seine Schuld.

Der Alltag des an Madame Maxime geketteten Zauberschülers verlief von solchen Meldungen und Eröffnungen abgesehen nun in strickten Bahnen. Aufstehen, Frühstücken in der Küche, einige Runden Dauerlauf um das Quidditchstadion und Schreibarbeiten im Büro der Schulleiterin. Immer wieder trafen Briefe von Schulkameraden wie Robert, Gérard, Belisama, Sandrine und den Duisenbergs, aber auch von Seraphine, Francine und Martine ein. Jeanne hatte wohl von Madame Rossignol den Hinweis bekommen, Julius mit Alltagserlebnissen einer jungen Mutter aufzumuntern und beschrieb ihre Zeit mit der kleinen Viviane Aurélie. Das war zwar gut gemeint, löste in Julius jedoch immer wieder Trauer und Selbstvorwürfe aus, weil er daran denken mußte, daß Claire seinetwegen ihren Körper aufgegeben hatte, wo sie doch selbst ganz bestimmt ihre Nichte aufwachsen sehen wollte. Doch wie diese Gefühlswallungen auch aufkamen, so wurden sie auch wieder zerstreut. Denn Jeanne schrieb in einem Brief am vorabend von Valentin, daß sie sicher sei, daß die kleine Viviane von ihrer Großmutter und ihrer Schwester gleichermaßen gut beobachtet und behütet werde. Da sah Julius Ammayamiria, wie sie wie ein flügelloser Engel über der Wiege mit dem Fünfzackstern schwebte und aufpaßte, daß der kleinen Viviane nichts geschah.

In der Nacht zu Valentin suchte ihn eine Mischung aus Alptraum und erotischer Phantasie heim, daß er von Naaneavargia und den noch wachen Abgrundstöchtern dazu verurteilt wurde, die Mütter seiner Schulkameraden zu lieben, damit diese überhaupt entstanden. Hierzu wurde er immer in die Zeit zurückgezaubert, in der die eigentlichen Väter den Grundstein für ihre Familien legen sollten. Nur wenn es ihm gelänge, alle die auf den Weg zu bringen, die wichtiges zu seinem Leben beigetragen hatten, würde Naaneavargia ihn nicht fressen und seine Seele nicht in einem überdimensionalen Goldkrug einer der beiden wachen Abgrundstöchter landen. Zwischen Widerwillen und Faszination durchlebte er die Entstehung von Aurora Dawn, Brittany Forester, June Priestley, Cynthia Flowers, Lea Drake, sogar Blanche Faucon, Hippolyte Latierre, Camille Dusoleil, Hortensia Watermelon, Armand Grandchapeau, Plinius Porter und Kevin. Wenn er dann doch meinte, sich verweigern zu müssen hörte er immer die Stimmen derer, die er ins Leben schicken sollte, wie sie ihn antrieben und daß er ohne den einen oder die andere nie soweit gekommen wäre. Als er sogar mitten in Millemerveilles landete und ohne Imperius-Fluch mit der ihm als Bildnis wohl bekannten Nigrastra zusammenfand, damit diese Anthelia hervorbringen konnte, war er doch schon sehr beunruhigt. Er konnte nicht aufwachen, auch wenn er sich immer fragte, ob das alles echt war oder nicht. Als er dachte, er habe die Bedingungen der drei Unersättlichen erfüllt, schickten diese ihn noch einmal durch einen aus ihren Armen gebildeten Torbogen durch einen gläsernen Strudel durch die zeit, um in einer Stadt Altaxarrois Darxandrias Mutter zu suchen und die letzte Königin des alten Reiches auf den Weg zu bringen. Danach wurde er durch einen anderen Zeittunnel auf eine Tanzfläche geworfen, auf der sich Zauberer in langen, schweren Samtumhängen mit Hexen in bauschigen, den Boden fegenden Ballkleidern mit Rüschen und Glöckchen zur Musik aus Geigen, Harfen, Flöten und Klarinetten drehten. Ehe er sich's versah, hatte ihn eine junge, attraktive Frau mit langen, dunkelbraunen Haaren ergriffen und fügte sich mit ihm in den dezenten Tanz ein, wobei sie ihm verriet, daß sie Dodo genannt wurde und sie froh sei, daß noch ein junger Freund von Bromelius gekommen war. Sie deutete auf einen jungen Burschen, der Ähnlichkeit mit den Rossignol-Zwillingen besaß, jedoch als waschechter Tanzmuffel schön weit weg vom Tanzboden entfernt stand und sich mit anderen jungen Zauberern in einer wohl sehr wichtigen Unterhaltung verstrickt hatte. "Schon seltsam, daß seine Eltern meinten, er wäre ein guter Tänzer. Aber er ist zu schüchtern, ein Gelber halt. Im welchem Saal warst du noch mal?"

"Ähm, ich bin keiner von Beauxbatons. Ich habe in Hogwarts gelernt, wo ich im Haus Ravenclaw gewohnt habe", antwortete Julius, dem diese direkte Art merkwürdig bekannt und befremdlich zugleich vorkam. Dodo lächelte und schien dann tief einzuatmen. "Ravenclaw? Das Haus der Kopflastigen? Neh du! Bei deinem Temperament warst du bestimmt bei den Gryffindors. Ich habe mal welche von denen getroffen. Die wußten immer, was sie wollten, aber auch, was sie zu tun und zu lassen hatten, ohne groß nachdenken zu müssen." Julius beteuerte, ein Ravenclaw zu sein, was die Hexe Dodo jedoch nicht glauben wollte. Weil er merkwürdigerweise sehr großen Gefallen an ihrer unverkrampften, fast aufdringlichen Art empfand, blieb er den Abend mit ihr auf der Tanzfläche. Erst gegen Mitternacht verabschiedete sich Bromelius von ihr und bedankte sich bei Julius, daß er so gut auf seine Verlobte aufgepaßt habe, wo so viele Raufbolde aus ihrem alten Saal in der Nähe waren. Dann disapparierte er einfach. Dodo bot Julius an, ihn nach Hause zu bringen. Doch der wußte nicht, wo er jetzt gerade war. Kurzerhand apparierte sie mit ihm in ihrem eigenen Haus in einem lichten Wald, durch dessen Baumwipfel das helle, fast ins Gelb übergehende Licht eines erdnahen Vollmondes hindurchsickerte. Julius fühlte, daß er wohl mit dieser attraktiven wie willensstarken Hexe gleich dasselbe tun mußte, was er mit knapp einem Dutzend anderer zu ihrer Zeit noch jungen Hexen hatte tun müssen. Doch diesmal war kein Ekel oder Widerwille dabei. Als es dann wirklich passierte genoß er das sogar. Er meinte, mit Millie oder Béatrice Latierre zusammenzusein. Als sie dann beide voneinander genug hatten meinte sie: "Schade, daß ich Bromelius schon fest zugesagt habe. Aber der ängstliche Bursche wird es nicht mitkriegen, daß wir beide gerade meine Mädchenzeit in meinem Waldhaus beendet haben. Aber ich habe noch 'ne Cousine, die bestimmt genauso viel Spaß mit dir hätte und dich vergessen macht, daß diese alte Stofftüte in 'ogwarts dich in dieses Hirnakrobatenhaus reingeschickt hat."

"Ähm, und wenn du jetzt ein Kind kriegst?" Fragte Julius.

"Werde ich dich nicht damit behelligen, Süßer. In zwei Wochen heirate ich Bromelius und kriege den bestimmt gut in Fahrt, wo du und ich das jetzt ausprobiert haben. Dann darf der sich Papa von dem Kind nennen. Wenn's 'ne Tochter wird sieht die eh so aus wie ich. War schon immer so bei meiner Familie. Dann fällt dem das nicht auf und ich werde froh sein, daß die dann nicht so schüchtern ist wie ihr Adoptivpapa."

"Danke, Julius", hörte er Madame Rossignols Stimme erleichtert aus Dodos Richtung klingen. Da sog ihn der Zeittunnel wieder ein. Doch anstatt ihn zwischen den Armen der drei Unersättlichen herauspurzeln zu lassen landete er auf einem Hügel im hellen Schein einer Frühlingsmittagssonne. Er fragte sich gerade, wessen Vater er noch alles werden sollte, als er einen großen, hageren Mann sah, der in wilder Panik auf ihn zustürmte und offenbar keine Augen für die Landschaft hatte. Die Erde bebte rhythmisch. Und das Beben wurde immer stärker. Der Fremde trug einen in Fetzen zerrissenen Zaubererumhang und blutete aus mehreren tiefen Kratzwunden, die gigantische Fingernägel in seine Haut gezogen haben mußten. Julius wollte zur Seite springen. Da krachte der Fremde mit ihm zusammen und landete mit ihm auf dem Boden. "Drachenmist!" Brüllte der Unbekannte und hieb nach Julius Nase, daß dieser einen Sternenschauer sehen mußte. Dann fühlte er, wie ihm der Fremde den Umhang und den Zauberstab wegriss und laut triumphierend aufsprang, um im nächsten Moment mit lautem Knall zu disapparieren. Julius war wie gelähmt, auch wenn er den Schmerz des Aufpralls und Schlages überhaupt nicht gespürt hatte. Das rhythmische Beben wurde noch stärker. Die Pausen zwischen den Erdstößen wurden kürzer. Dann sah er den Schatten, der die Sonne verdunkelte und erkannte einen mächtigen, über und über mit dicker Hornhaut überzogenen Fuß, der knapp vor ihm in die Erde hineintrat und Krumen davonwirbelte. Julius fühlte die Angst in sich aufsteigen, als er den langen, aber schmalen Fuß sah, der so lang wie er selbst war. An dem Fuß hing ein Bein wie ein Baumstamm, das knapp unter dem Becken unter einem Bärenfellschurz verschwand. Als Julius' von Furcht erfüllter Blick von Neugier und Zwang zum Hinsehen angezogen weiter nach oben glitt konnte er die haushohe Erscheinung genau sehen. leicht behaart und gelblichgrau zog sich die wie ein Netz aus Leder gespannte Haut über den ganzen Körper bis hinauf zu dem fast birnenförmigen Kopf, von dem dichtes, schwarzes Haar wie hundert Pferdeschweife herunterhing. Tiefschwarze Augen, ähnlich denen Madame Maximes, glotzten ihn gierig an. Er sah, daß es sich um einen weiblichen Riesen handelte. Die Gigantin grummelte eher lachend als knurrend, als sie den zu ihrem rechten Fuß auf dem Boden liegenden sah. Mit einer plötzlichen Verbeugung, die Julius dieser übergroßen Kreatur nicht zugetraut hatte, ließ sie ihre beiden Arme zu ihm hinunterschnellen und riß ihn hoch. "Anderer weg!" donnerte ihre Stimme, die trotz der Größe noch als Frauenstimme zu erkennen war. "Dann eben du mir machen Guigui." Sie warf ihn in die Luft und fing ihn lachend auf. Dann schnüffelte sie mit ihrer breiten Nase an ihm. "riechst gut für Guigui", grollte sie. Julius meinte, ihren Atem riechen zu müssen. Doch kein wie auch immer erträglicher Geruch ging von der Riesin aus. Da wurde ihm klar, was diese drei Teufelsweiber noch von ihm wollten. Doch das wollte er nicht. Lieber würde er Naaneavargia nehmen, ihr ein kurzes Vergnügen bieten und dann seinen Tod hinnehmen als mit dieser. Doch da trug ihn die Riesin schon zu einem Platz zwischen Bäumen und machte sich solange an ihm zu schaffen, bis er zur Liebe bereit war. Entsetzen und Widerwille überkamen ihn, als die ungleiche Partnerin ihn nahm. Doch anstatt nun eine schreckliche Runde größenungleicher Leidenschaften zu erleiden stürzte er quasi in ihren Körper hinein, hörte ihr großes Herz schlagen und blieb einige Sekunden lang in völliger Dunkelheit. Dann fand er sich in seinem Gitterbett wieder.

Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals und kalter Schweiß rann ihm über das Gesicht. Er brauchte eine Weile, um die im Traum durchlebten Ereignisse zu sortieren. Wenn das so weiterging war er bald ein Fall für die geschlossene Abteilung, dachte er. Er sah auf seine Uhr. Es war erst drei Uhr. Er konnte noch nicht aufstehen. Madame Maxime schlief tief und fest. Zumindest mußte er nicht dringend wohin. Aber jetzt noch einmal schlafen, noch einmal diesen Traum haben? Das konnte nicht gehen. Das würde er nicht packen. Dann war er am Morgen und den ganzen Tag lang total durcheinander. Die Vorstellung, von Madame Maximes Mutter vergewaltigt worden zu sein und irgendwie in dieser zu verschwinden, Madame Rossignols Mutter vor der Hochzeitsnacht gut unterhalten zu haben und so weiter. Er konnte den ganzen Hexen und Zauberern nicht mehr ins Gesicht sehen, ohne an diese Träume zu denken. Was hatte ihm sein Gehirn denn da für einen Streich gespielt? Unter dieser Frage schlief er wieder ein, um sich auf der Kellertreppe des Sanderson-Hauses wiederzufinden. Nein, die wollte er nicht hinuntergehen. Da waren die Wespen. Er hörte sie doch schon brummen.

"Hey, du warst noch nicht richtig fertig bei mir!" Brüllte die Riesin. "Hast ja erst angefangen, mein Guigui zu werden. Rauskommen und wieder zu mir!"

Julius stolperte nach vorne, als ein Schatten die Tür hinter ihm verdeckte. Gleich würde die Riesin die Wand einreißen und ihn sich wieder holen. Was hatte sie gesagt? Sie wollte, daß er ihr Guigui wurde? Sollte das Baby heißen oder Liebhaber? Er stolperte über die Treppen hinunter und betrat den Keller der Wespen. Diese stürzten sich auf ihn. Doch die Angst vor der liebeshungrigen Riesin war größer als die Angst vor dem wütenden Schwarm, der über ihn hereinbrach. Doch die Biester wuchsen an, wurden zu kaninchengroßen Kreaturen, die weiterwuchsen, bis sie zu einem Schwarm Entomanthropen wurden, die Julius ergriffen und ohne Rücksicht auf die feste Steindecke und alle Decken darüber senkrecht durch das Haus nach oben trugen und mit wildem Getöse durch das Dach hinausflogen. Julius schloß die Augen, hoffte, gleich von aller Angst erlöst zu werden. Er hörte das Toben der um ihr Liebesspielzeug gebrachten Riesin und hörte zwei weibliche Entomanthropen miteinander reden:

"marisa, unsere Mutter wartet fünf Minuten von hier weg. Sie will ihn wegen der grauen Vögel fragen und ob er es wert ist, unser Bruder zu werden."

"Weil ihn dieses Riesenweib vernaschen wollte, Tante Lolita?" Hörte er die andere Entomanthropin. "Weiß nicht, was an dem Bürschchen so doll ist, daß unsere Mutter den zu unserem Bruder machen will."

"Weil sie nicht will, daß die alte spinne aus Atlantis ihn frißt und er ganz verschwindet, bevor der alles erzählt hat, was er über diese Anthelia weiß."

"Kapiere ich", erwiderte die wohl jüngere Entomanthropin. Julius versuchte, sich freizustrampeln. Doch die Insektenfrau, die als "Tante Lolita" angesprochen worden war, hielt ihn stahlhart mit ihren vier Vordergliedern umklammert. "Na, Chiquitito, du wirst mir ganz sicher nicht runterfallen", lachte sie über die lächerlichen Befreiungsversuche.

"Ich will keiner von euch werden, du Biest. Da sterbe ich lieber!" Rief er. "Ihr seid abstoßend und dumm", stieß er noch aus.

"Wissen wir. Na und", lachte seine Trägerin. "Wenn Mutter Val sagt, du wirst unser Bruder, wirst du das. Ich weiß, fühlt sich erst ziemlich fies an. Aber jetzt bin ich stärker als vorher", entgegnete dieses Insektenweib. Da hörte Julius zwei wohlbekannte Worte: "Avada Kedavra!" Die Entomanthropin, die ihn hielt zuckte zusammen. Das wilde Brummen ihrer Flügel ebbte in einem lauten Knattern und Rascheln ab. Der Griff ihrer Arme ließ schlagartig nach. Julius stürzte mit ihr zusammen ab. Ein weiteres Mal hörte er die verbotenen Worte und das den Tod verheißende Sirren. Und noch mal. Er erkannte die Stimme. Das war die Wiederkehrerin. Nach zehn Todesflüchen war in seiner Nähe kein RiesenInsekt mehr zu hören. Er fiel. Er fiel immer tiefer. Gleich würde er dumpf aufschlagen und ... "Ups, fast zu schnell!" Eine unsichtbare Gewalt hatte ihn ergriffen und zu einem Besen hingezogen, auf dem eine strohblonde Frau in einem hautengen Anzug saß. Er erkannte sie. Das war die Wiederkehrerin, Anthelia selbst. Julius entging nicht, daß sie offenbar in guter Hoffnung war. Oder sollte man besser sagen, zur Zeit zu zweit unterwegs war? Wie kam das denn? Das konnte doch nicht angehen!

"Das werde ich nicht zulassen, daß du diesem bedauernswertem Fehlschlag meiner Mühen erzählst, was du mit mir alles erlebt hast und über mich sonst noch so erfahren konntest, Julius Latierre. War schon schwierig, deinen neuen Nachnamen zu erfahren. Aber im Moment kann ich doppelt so gut zaubern und mehr Magie aushalten."

"Angeberin", tönte es so dumpf wie aus einem dicken Sack. Julius meinte, die Stimme schon mal gehört zu haben. Aber im Moment kam er nicht darauf, wo.

"Hör nicht auf die. Die ist nur ungehalten, weil sie mir nicht folgen und meine Anweisungen ausführen wollte. Sie meinte, ich sei nicht ihre Mutter. Da habe ich eine Strafe vollstreckt, die meine großartige Tante mal vollzogen hat, als ein Zauberer sie nicht als unsere große Mutter anerkennen wollte. Jetzt muß die gute Dame da in mir neu heranwachsen. Gefällt ihr sicherlich genauso gut, als wenn du das Kind dieser krötengesichtigen Eiferin würdest. Wie war ihr Name noch mal?"

"Umbridge, du mieses Stück Dreck", klang dumpf die Antwort aus dem Leib der Besenreiterin. Julius zweifelte nun ernsthaft, daß er das wirklich erlebte. Das konnte doch nicht gehen! Natürlich konnte das nicht gehen. Ungeborene konnten nur in Weihnachtsliedern sprechen. Also träumte er das wirklich, daß er gerade mit der Wiederkehrerin sprach. Jetzt meinte er auch, die Stimme der Ungeborenen zu erkennen. Wirklich, das konnte nicht echt passiert sein. So erwiderte er keck

"Iterapartio geht nur wenn beide den wollen. Sonst geht das nicht, dunkle Lady."

"Och, geht nicht?" Erwiderte die strohblonde Hexe grinsend. "Ich könnte dich wie die da in mir in eine andere Hexe hineinbetten, zum Beispiel diese Dolores Umbridge. Hmm, eigentlich keine schlechte Idee. Da werden dich die drei Unersättlichen und meine neue Erzfeindin nicht finden", grinste die unverhoffte Retterin und landete. Julius wollte schon von ihrem Besen herunterspringen, als sie rief: "Natum reverto! in Ventre Dolorius Umbridgiae iterum cresceto!"!" Ein blauer Blitz fegte auf ihn zu. Dann dachte er wieder an Cythera, Miriam und die Kinder von Ursuline, als diese noch nicht selber atmen konnten. Dumpf und laut hörte er eine honigsüße kleinmädchenstimme sagen: "Ich denke schon, herr Zaubereiminister Thicknesse, daß ich trotz der neuen Umstände weitermachen kann. Immerhin weiß ich ja, daß es ein Reinblüterkind wird."

"Und ich bin froh, daß ich doch noch was zustande gebracht habe", lachte eine Stimme, die Julius nicht kannte. "Aber er wollte, daß Sie die Mutter meines Kindes werden. Deshalb passen Sie weiterhin gut auf sich auf, Dolores."

"Keine Sorge. Keiner der Schlammblüter wird es mitkriegen", dröhnte diese widerliche Kleinmädchenstimme über das Wummern eines großen Herzens und das Rauschen wie von mehreren Heizungsleitungen hinweg. Dann lachte sie, und Julius meinte, von übergroßen Händen durchgeschüttelt zu werden, bis er schweißgebadet aufwachte und Madame Rossignol über sich erkannte, die ihn wachgerüttelt hatte. Wie kam sie hier herein. Und wieso konnte sie das Gitter seines Bettes öffnen?

"Ich glaube, Junger Mann, Sie begleiten mich besser sofort in den Krankenflügel", sagte die Schulheilerin entschlossen und wandte sich dann dem Wandschirm zu, hinter dem Madame Maxime lag. "Madame Maxime. Entschuldigen Sie vielmals mein ungebetenes Eindringen! Aber ich habe dringenden Grund zur Annahme, daß Monsieur Latierre eine weitere Nacht ohne ausreichende Absicherung nicht überstehen wird!" Rief Madame Rossignol.

"Wie, was!" Schrillte es selbst durch den Schallschluckenden Blickschutz noch laut. Dann löste dieser sich mit lautem Knall auf. Madame Maxime tauchte in ihrem Veilchenblauen Nachthemd auf. "Was soll das, Florence? Wieso wagen Sie es, meine Privatgemächer zu betreten, ohne sich anzumelden. Und wieso konnten Sie die Bettstatt von Monsieur Latierre entriegeln?".

"Letzte Frage zuerst: Ich habe einen Notfallöffnungsmechanismus eingebaut, der auf Berührung meines Armbandes anspricht. Das ich ungebeten zu Ihnen und Monsieur Latierre kam liegt an zwei unabhängigen, alarmierenden Meldungen. Zum einen beauftragte ich die portraitierte Version von Gründungsmutter Delourdes, meinen Pflegehelfer während des Schlafes zu überwachen. Sie kam vor fünf Minuten zu mir und vermeldete, daß wildes Brummen über dem Bett zu hören war und sie Schatten von Entomanthropen gesehen hat. Gleichzeitig erhalte ich von Madame Mildrid Latierre und ihrer Tante Béatrice den Hinweis, daß Julius offenbar kurz vor dem Zusammenbruch seines Verstandes steht, weil ihn heftigste Angst- und Lustgefühle gleichzeitig überkommen haben. Auf Heileranweisung meiner Kollegin Mademoiselle Latierre hat Mildrid ihre Hälfte des Zuneigungsherzens abgelegt. Da Ihr Blut ein hochpotentes magisches Elixier darstellt, Madame, sowie in Wechselwirkung mit einem anderen hochpotenten Wirkstoff trat könnte es dazu führen, daß Monsieur Latierre am Traumrufsyndrom erkrankt, falls die emotionale Balance zwischen Schlaf- und Wachleben nicht mehr stimmt und die Träume ihm so wirklich vorkommen wie die Wirklichkeit selbst. Deshalb möchte ich Sie darum bitten, ihn zu mir in den Krankenflügel zu bringen, um ihn zu untersuchen und gegebenenfalls Maßnahmen für die kommenden Nächte zu ergreifen, damit das Traumrufsyndrom nicht offen ausbricht.

"Von dieser Erkrankung habe ich bisher nie etwas gehört", schnarrte Madame Maxime sehr ungehalten. Julius fühlte kaltes Entsetzen in sich aufsteigen. Was hatte Madame Rossignol gesagt? Serenas Bild-Ich habe ein Brummen gehört und die Schatten von Entomanthropen über dem Bett gesehen. Hieß das etwa, daß was er träumte auch in der Wirklichkeit passierte?

"Ach du Drachenmist! Soll das heißen, was ich träume könnte echt passieren. Auch das mich jemand umbringt?"

"Das ist im Kern die Beschreibung des Traumrufsyndroms, wie es vor zweihundert Jahren der Heiler Justin F. Potter erstmalig genauer erforscht und detailliert beschrieben hat", dozierte die Heilerin und legte nach. "Denn das Phänomen, daß nach vielen wach verbrachten Nächten in Zusammenwirkung mit Wachhaltetränken oder magischen Rauschmitteln die magische Balance sich vom bewußten, zielgerichteten Gebrauch zu einer ungewollten, nur vom Unterbewußtsein ausgelösten Aktivität verschiebt ist der magischen Heilzunft schon seit siebenhundert Jahren bekannt. Zusammenhänge und Verlauf waren jedoch bis zu Heiler Potters Arbeiten nicht eindeutig bestimmt. Einige Patienten starben, weil sie in ihren Träumen eine tödliche Situation durchlebt haben. Andere verwandelten sich unbeabsichtigt in Tiere, Pflanzen oder Menschen anderen Alters und/oder Geschlechtes. Letzteres dürfte durch die Blutübertragung einstweilen nicht auftreten, da neben der PTR auch die ATR, die Aktivtransfigurationsresistenz erhöht wurde. Diese liegt für gewöhnlich unterhalb des eigenen Verwandlungsniveaus. In diesem Fall dürfte sie jedoch weit darüber liegen. Ich konnte bei meinem Eintritt das Pochen eines Herzens hören und mußte durch einen dunstigen Widerstand greifen, der meines Empfindens nach wie eine Flüssigkeit beschaffen war und bestimmt Körpertemperatur betragen hat. Ich mutmaße, daß du davon geträumt hast, als jemandes ungeborenes Kind zu existieren. Stimmt das?" Julius erschauderte. Dann hätte er tatsächlich ersticken können. Er bestätigte es, ohne näheres zu erwähnen.

"Könnte es sein, daß noch ein Rest sympathetischer Empfindungen zu Madame Belle Grandchapeau besteht", schnarrte Madame Maxime, der wohl gerade sonnenhell aufging, in welcher Gefahr nicht nur Julius schwebte.

"Nein, das ist ganz eindeutig auszuschließen, da ich weiß, daß Madame Grandchapeau vor zwei Wochen Vorwehen hatte und Julius keine entsprechenden Empfindungen verspürt hat. Aber näheres werde ich in einer Besprechung mit ihm klären, bei der die Emotionen einstweilen ausgeschaltet werden. Ich habe in weiser Voraussicht Beaumonts Merkfähigkeitselixier gebraut."

"Von dem ich abraten möchte, Florence. Ich habe selbst häufig genug damit gearbeitet, um mich auf wesentliches konzentrieren zu können. Die Rückkehr der Emotionen ist danach ungleich härter. Abgesehen davon, daß die Mixtur mit meinem Körper nicht so zusammenwirkte wie bei normalgroßen Personen", schnarrte die Schulleiterin.

"Julius ist normalgroß", widersprach Madame Rossignol. Dann sagte sie sehr harsch: "Aber ich vertue die Zeit, die wir noch haben, um sicherzustellen, daß die Rückverwandlung nach dem Biß des Schlangenmenschen keine weiteren, weitaus gefährlicheren Nachwirkungen offenbart."

"Sollen wir uns tagesfertig umziehen?" Fragte Madame Maxime.

"Hausmeister Bertillon wird erst am zwanzigsten zurückkommen, um die Fertigstellung der Renovierungen zu überwachen", sagte die Heilerin. "Also sieht Sie und Monsieur Latierre keiner außer mir." Doch Madame Maxime bestand darauf, zumindest die Morgenkleidung anzuziehen. Julius schlüpfte in seinen Bademantel, der ein wenig enger saß als vor zwei Wochen noch. Madame Maxime hob julius mit einem Arm hoch und drückte ihn an sich, während Madame Rossignol sie an der großen Hand ergriff und mit sich durch das Wandschlüpfsystem zog, daß von den Beeinträchtigungen der Außenwand nichts abbekommen hatte.

"Ich möchte sehr gerne mit ihm alleine sprechen, sagte Madame Rossignol, als die Schulleiterin ihren Einzelschüler auf die eigenen Füße gestellt hatte. Die Halbriesin funkelte die Heilerin zwar an, nickte dann jedoch. Madame Rossignol öffnete ihren Schreibtisch und holte eine bauchige Flasche heraus, aus der sie einen kleinen Silberbecher füllte, den sie Julius reichte. Dieser beschnüffelte die Mixtur, die wie ein anregendes Parfüm duftete. Er fragte sich, ob das Zeug ihm wirklich helfen konnte. Es machte für die Wirkungsdauer, daß der Trinkende sich an alles je erlebte, gelernte und gelesene erinnerte. Allerdings fühlte der dabei nichts, weder Wut, noch trauer, noch Angst. Er trank die Mixtur, obwohl Madame Maxime sehr argwöhnisch auf ihn blickte. Für einige Sekunden war ihm, als brause ein wilder Bienenschwarm durch seinen Kopf. Bunte Funken wirbelten vor seinen Augen herum. Dann meinte er, noch wacher zu sein als vorher. Aber er fühlte sich frei. Er konnte frei denken, ohne störende Gefühle. "Ich wollte ihm nur einmal davon geben. Bitte lösen Sie Ihren Verbindungsring und warten Sie, bis ich Magistra Delourdes zu Ihnen schicke, um Sie zu rufen!" Sagte die Heilerin. Madame maxime sah sie verdutzt an. Doch als sie in Julius' Gesicht sah, daß dieser im Moment keinen Gedanken an Flucht oder unbeherrschte Sachen verschwendete, nickte sie und werkelte an ihrem Walpurgisnachtring herum. Als dieser aufsprang erkannte Julius so nüchtern wie ein Computer, daß die magische Kette zwischen ihr und ihm gerade gelöst war. Doch er beabsichtigte nicht, zu fliehen. Nein, er war neugierig und wollte auch wissen, in welcher Gefahr er geschwebt hatte.

Als die Halbriesin mit ungehaltener Miene den Behandlungsraum durch die Tür verlassen hatte setzte sich Madame Rossignol Julius gegenüber hin und fragte ihn nach seinem Namen. Dann sollte er seinen ersten Schultag schildern. Ohne groß zu überlegen, wozu sie das jetzt wissen mußte erzählte er ihr so detailreich wie er konnte von seiner Einschulung zusammen mit Moira, Lester und Malcolm. Dann ging es an die Träume, die er in den letzten Nächten so gehabt hatte, bis sie zu den gerade überstandenen Träumen kamen. Ohne es peinlich zu finden oder sich zu ärgern oder zu ängstigen rasselte Julius wie ein Automat die winzigsten Einzelheiten herunter, daß er im Auftrag der drei Monsterfrauen durch die Zeit gereist war und alle ihm wichtigen Menschen durch eigene Kraft auf den Weg ins Leben gebracht hatte. Über den zweiten Teil, den mit der Riesin, den Entomanthropen und Dolores Umbridge sprach er, daß das wohl seine größten Ängste seien.

"Dann können wir von Glück reden, daß diese Dame nicht wahrhaftig an dir trägt, Julius. Aber interessant ist es schon, daß du diese Wiederkehrerin in anderen Umständen angetroffen hast . Du sagtest, die Stimme der Ungeborenen sei dir bekannt vorgekommen."

"Ja, das war die Stimme von einer Hexe, die ich als Daianira Hemlock in Viento del Sol getroffen habe", erwiderte Julius völlig ruhig und ohne einen Funken von Erregung. Madame Rossignol hingegen schien sehr angespannt zu sein, als müsse sie mit großer Anstrengung etwas unterdrücken.

"Wieso hast du die von dir erwähnten Personen in deinen Träumen getroffen oder gezeugt?" Fragte die Heilerin. "Oder besser so: Was machte diese Damen und Herren für dich so wichtig?" Julius zählte frei von der Leber weg auf, warum diese Leute für ihn wichtig waren. Das es ausnahmslos Hexen und Zauberer waren, und er nicht etwa den eigenen Vater oder seine Mutter neu auf den Weg zu bringen hatte war für die Heilerin wohl ziemlich wichtig.

"Was Mr. Porter angeht, wo ich nicht weiß, wie ich Mrs. Jane Porter je wieder ins Gesicht sehen kann, ohne an diesen Abschnitt zu denken, so hat er meinen Eltern geholfen, daß ich in Hogwarts nicht ohne Bücher und Essen rumlaufen mußte. Der Zaubereiminister, dessen Mutter ich nie im echten Leben gesehen habe, hat sehr viel dafür getan, daß ich hier überhaupt noch sein darf. Brittany Forester hat mir damals geholfen, rauszufinden, was mit meinem Vater passiert ist und damit wohl die ganze Lawine losgetreten, die Hallitti unter sich begraben hat. Was Camille Dusoleil angeht, so ist sie Claires Mutter, ebenso wie hippolyte Latierre Millies Mutter ist."

"Hast du schon einmal etwas geträumt, was sich später als wahr herausgestellt hat?" Fragte die Heilerin. Julius erwähnte die geträumte Unterhaltung zwischen Viviane Dusoleil und Charles van Heldern, Stunden bevor sie in Wirklichkeit geboren wurden. Eine Flotte-schreibe-Feder, die Anschaffung nach Cytheras erfolgreicher Geburt, notierte fleißig alles mit. Auf die Frage, ob er in seinem Traumleben eine besondere Beziehung zu ungeborenen Kindern oder deren Lebensraum hätte erwähnte Julius, daß er einmal geträumt hatte, Millie und eer seien von Brittany Forester in ihre ungeborenen Kinder verwandelt worden, was Millie genauso geträumt hatte wie damals das mit der geflügelten Artemis, die sie vor den Skyllianri gewarnt hatte.

"Sonst noch etwas, was dir selbst aufgefallen sein muß, von den Träumen, die dir diese Darxandria beschert hat abgesehen?" Fragte die Heilerin. Julius überlegte nicht lange. Die Fragen griffen bei ihm, als drückte jemand auf einen Mausknopf, um den Inhalt einer Datei abzurufen. Er berichtete von seinem Traum von Sardonia und Anthelia und konnte auf die darauf folgenden Bilder sogar einzelne Passagen aus der Fernsehserie wiedergeben, die als unbewußtes Vorbild für den Traum gegolten hatte. "Also außer Vivianes bevorstehender Geburt hast du nichts vorweggeträumt?" Fragte Madame Rossignol

"Nein", erwiderte Julius. Dann sagte er: "Ist schon zu bemerken, daß ich diese Sachen erst geträumt habe, nachdem ich Constances Kind zur Welt habe kommen sehen und seitdem ich mit Mildrid in der Festung der Mondtöchter war."

"Nicht zu vergessen die weiblichen Wonnen, die du bei der körpervertauschten Liebe mit Mademoiselle Béatrice Latierre empfunden hast", wandte die Heilerin ein. Julius hätte wohl ohne Trank auch ohne Madame Maximes Blut im Körper wütend dreingeschaut. Doch so nickte er nur. Es stimmte ja. "Dann hast du von Ursuline Latierre Lebenskraft eingeflößt bekommen. Und das ganze bündelt sich jetzt durch die Blutübertragung", stellte Madame Rossignol fest. Dann sagte sie noch: "Halten wir fest, daß es normalen Ungeborenen in Wirklichkeit nicht möglich ist, hörbar mit ihren Müttern oder anderen zu sprechen. So etwas ist physisch unmöglich, wie du ja auch ohne den Trank genau weißt. Was jedoch im Traum geht, besonders dann, wenn du durch die Magie weiblicher Wesen beeinflußt wurdest, inklusive Artemis, der Latierre-Kuh, ist, daß du die zukünftigen Charakteristika werdender kinder intuitiv erfassen und in deinen Träumen zu scheinbar hörbaren Gedanken formen kannst. Was diesen Traum mit Brittany Forester angeht, so hast du wohl mit Millie ein schlechtes Gewissen gehabt und geträumt, dafür mit ihr gemeinsam bestraft zu werden. Was habt ihr angestellt?" Julius dachte jedoch nicht daran, diese Frage zu beantworten. Auch wenn er keine Emotionen mehr empfand erkannte er schon, daß er Sachen gefragt wurde, die eer nicht erzählen wollte. Abgesehen davon schützte ihn der Zauber des Sonnenblumenschlosses - noch ein durch ein weibliches Zauberwesen bewirkter Vorgang - stellte er fest. So sagte er nur, daß er darüber nichts erzählen dürfe, da dies zu Familienangelegenheiten der Latierres gehöre.

"Gut, akzeptiert", erwiderte die Heilerin leicht verstimmt. Womöglich konnte sie sich eh denken, was passiert war. Dann fragte sie Julius noch nach seinen in der Wirklichkeit durchlebten Sachen, vor allem die letzte Reise mit Professeur Faucon. Dann meinte sie: "Also, wir müssen einen Weg finden, wie wir dein Magieaktivierungsvermögen auf dein Bewußtsein, deinen Wachzustand beschränkt halten können. Unbewußte Magieausübung kann leicht zu Katastrophen führen. Die einzige Möglichkeit, die ich sehe, das Verhältnis zwischen Schlaf- und Wachleben wieder zu normalisieren ist, daß du in deinen Träumen von jemandem betreut wirst, also in anderer Leute Träumen, die nicht übermäßig emotional sind oder mit Ihnen im Traum gelenkt interagierst. Im Moment kommen dafür nur zwei Wesen in Frage, da Madame Maxime ihre eigenen Gefühle nur nach langer Übung im Wachleben beherrschen konnte und sicherlich Probleme haben dürfte, dich emotional auszubalancieren: Entweder wird Millie deine Traumhüterin - so heißt das bei uns Heilern. Oder die in Artemis wiederverkörperte Darxandria übernimmt diese Aufgabe, da sie ebenfalls eine Verbindung zu dir unterhält. Abgesehen davon muß ich einen Weg erarbeiten, wie du einmal in zwei Wochen angestaute Wut oder andere Empfindungen unschädlich für dich und andere abreagieren kannst. Der erste Gedanke, dich und Mildrid für je eine Stunde pro Woche unter meiner Betreuung miteinander verkehren zu lassen wird leider durch drei Umstände ausgehebelt: Einmal bist du im Moment zu stark, um dich im Rausch der Leidenschaft beherrschen zu können. Zum zweiten seid ihr beide noch minderjährig, auch wenn ihr schon verheiratet seid. Heileranweisungen, die geschlechtliche Aktivitäten beinhalten dürfen aber nur an Volljährige ergehen, um die eigene Entwicklung nicht zu beeinflussen. Drittens wird Madame Maxime es weder mit ihrem Pflicht- noch ihrem Anstandsempfinden vereinbaren, dich einer solchen Therapie zu überlassen."

"Moment, aber Aurora Dawn hat mir empfohlen, mir nach Claires körperlichem Tod so schnell es geht eine neue Partnerin zu suchen", erwiderte Julius.

"Partnerin ja, um dich emotional auszupendeln, um dich nicht in unkontrollierbare Gefühlsausbrüche hineinstürzen zu lassen. Aber sie hat dir wohl nicht empfohlen, auf eine reine Beischlafbeziehung auszugehen, oder?" Julius mußte das in der Tat verneinen. Madame Rossignol nickte und sagte: "Ich konferiere mit meinen Kollegen in der Delourdesklinik und mit deiner Schwiegertante, wie der entstehende Triebstau bewältigt werden kann. Julius erwähnte, das dies für einen Mann doch eh kein Problem sei. Doch er wurde belehrt, daß ihm das nur vorübergehend helfen würde, die Begierden nach seinen Erlebnissen jedoch nicht dauerhaft verdrängt werden könnten, da er mit allen Sinnen erfahren habe, wie überwältigend dies sei. "Deshalb reden Menschen auch gerne vom Verlust der Unschuld, wenn sie den ersten Liebesakt hinter sich haben. Das Denken und Fühlen, der Umgang mit den Mitmenschen des bevorzugten Geschlechtes, all das verändert sich. Das hast du selbst doch schon nach dem vorletzten Sommer gewußt, wenn ich das richtig einschätze." Julius nickte. Dann wartete die Heilerin noch mit etwas auf, daß ihn ohne Beaumonts Trank der mannigfalltigen Merkfähigkeit bestimmt total aufgeregt hätte: "Um wieder zurück auf deine Träume zu kommen, Julius: du bist offenbar in der Lage, bestimmte zusammenhänge in deiner Umwelt im Traum zu erfahren und einzuordnen. Insbesondere wenn es um weibliche Wesen und ungeborenes Leben geht scheint die Intuition bei dir vervielfacht zu sein. Dann hast du Namen erwähnt, die du vorher nicht kennen konntest. Das meine Mutter Dodo gerufen wird wußten bis gerade eben nur sie, mein Vater, dessen Namen du nur aus meinem Familienstammbuch hättest erfahren können aber es nicht hast, mein Onkel Mütterlicherseits und ihre Schulkameradinnen, mit denen du bisher keinen Kontakt gehabt hast. meine Kinder und Enkel haben sie immer als Oma Do bezeichnet, wenn sie sie nicht Oma Dolores nennen wollten." Julius erinnerte sich, daß Madame Rossignol den Vornamen ihrer Mutter bei Cytheras Geburt erwähnt hatte. Dann fiel ihm ein, daß er von drei verschiedenen Doloreses geträumt hatte, weil Lolita ja die Koseform dieses Namens war. "Den Ball, auf dem du sie getroffen hast und dich von ihrem Charme und ihrer Zielgerichtetheit hast verführen lassen, war tatsächlich ein Ball ihrer zukünftigen Schwiegereltern, bei dem sie als zukünftige Braut debütierte. Zwei Wochen später hat sie tatsächlich geheiratet. Allerdings haben meine Großeltern väterlicherseits darauf bestanden, daß sie vor dem Hochzeitstag von einer Heilerin und Hebamme auf ihren geschlechtlichen Status geprüft wurde. Ich weiß, daß sie nichts dagegenhätte, es dir zu sagen, wenn sie erfährt, daß sie die Frau deiner Träume war. Sie war zu dem Zeitpunkt noch eindeutig V.I. positiv und trug auch kein gerade eingenistetes Kind in ihrem Schoß. Damit können wir ausschließen, daß du mein Vater bist. Nur um dir zu helfen, dich nicht in verworrene Phantasien zu verrennen, daß du vielleicht doch von diesen drei schönen wie durchtriebenen Kreaturen dazu bestimmt wurdest, viele deiner Mitmenschen durch eigene Manneskraft zu verwirklichen. Dennoch kannst du offenbar nicht nur nahe in der Zukunft ablaufende Ereignisse intuitiv und traumtechnisch wahrnehmen, sondern auch Begebenheiten der Vergangenheit. Das mag durchaus an der Verschmelzung mit Darxandria liegen. Es kann auch sein, das du eine Begabung hast, im Traum aus den Erinnerungen anderer Menschen und Lebewesen zu schöpfen und diese Gabe, die ich mal als kollektive somnambule Legilimentie bezeichnen möchte, da mir kein passenderer Vergleich einfällt, durch die Blutübertragung verstärkt wurde. Ich versteige mich jetzt nicht in Vermutungen, ob sie durch die vollständige Regeneration deines eigenen Blutes wieder abklingt oder dauerhaft erhalten bleibt. Jedenfalls würde ich dir dringend empfehlen, deine Schwiegergroßmutter im Sonnenblumenschloß zu besuchen und mit ihr sicherzustellen, daß deine Träume, welche es auch seien, zu den Geheimnissen deiner neuen Familie hinzugefügt werden, so daß sie dir niemand gegen deinen Willen entlocken kann, so wie ich das im Moment tue. Es gibt echte Wahrträumer, Leute, die die Verfasser von Büchern der Wahrsagekunst bewogen haben, Träume als Mittel der Wahrsagerei anzuerkennen. Einige von den derzeit offiziell registrierten wohnen in Europa. Die meisten jedoch in den Ländern, wo Schamanismus und andere animistische Formen der Magie praktiziert werden, Voodoo zum Beispiel. In der Regel benötigen sie einen Traumübersetzer, weil sie in Bildern träumen, die nur langjährige Erfahrung mit ihnen im Wachbewußtsein eines anderen zu zusammenhängenden Ereignissen umgedeutet werden können. Jemand, der im großen und ganzen reale Ereignisse nach- oder vorwegträumt ist selten. Und was die Ausgleichsbehandlung zur Abwehr des Traumrufsyndroms angeht, so empfehle ich jeden Tag mindestens acht Stunden konzentrierter Zauberei unter Aufbietung eines möglichst emmotionsfreien Bewußtseins. Der Träumgut-Tee wirkt nur bei reinblütigen Menschen wie er soll. Bei dir könnte er zwar die Angstepisoden verdrängen, dafür jedoch die erotischen Bestandteile überdeutlich hervorholen. Du würdest wie heute morgen oder die vergangenen Nächte meinen, einen über zehn Stunden dauernden Liebesakt mit Dutzenden von Höhepunkten zu erleben. Dein Körper würde das auch mit dem Schwermacher, dem Lebenskraftritual und Madame Maximes Blut nicht all zu lange durchhalten. Es sind schon Zauberer körperlich und geistig daran zerbrochen, mehr als acht Stunden am Stück geschlechtlich zu verkehren." Das hätte Julius sonst jungenhaft erstaunen lassen. So notierte er wie ein mitlaufendes Videogerät nur die Mitteilung, daß acht Stunden am Stück gingen. "Frauen sind hingegen, wenn sie eine entsprechend hohe Begierde haben zu längeren Akten mit einem oder mehreren Partnern fähig, um dir diese Information jederzeit abrufbar zu überlassen."

"Mal eine Frage, Madame Rossignol", setzte Julius an, dem im Zusammenhang mit einer besonderen Begabung die Worte von Orfeo Colonades, dem Ruster-Simonowsky-Zauberer aus Spanien, einfielen. "Der Barde, der mit mir bei Bokanowski war behauptete, daß jeder Ruster-Simonowsky-Zauberer eine weitere Begabung neben den überragenden Zauberkräften hätte. Er kann magisch wirksame Lieder singen. Könnte es sein, daß diese kollektive somnambule Legilimentie, die ich mal KSL-Faktor nennen möchte, meine besondere Begabung ist, da ich mit Mildrid ja doch schon einige Male den Regenbogenvogelruf ausprobiert habe?"

"Durchaus möglich. Dann hast du jedoch wie er etwas, womit du leben lernen mußt. Das bedeutet, du mußt lernen, was von deinen Träumen wahrhaftig eintreten kann, wen sie betreffen, wem du sie anvertrauen kannst und wem du sie auf keinen Fall anvertrauen darfst."

"Die Träume von heute Nacht darf ich wohl außer ihnen höchstens noch meiner Frau erzählen, falls die nicht meint, ich hätte sie mit ihrer Oma betrogen, wenngleich die das sicher als Kompliment auffassen würde."

"Wie erwähnt, du hast das alles nur geträumt, nicht wirklich erlebt", erwiderte Madame Rossignol scheinbar überflüssigerweise. Ihr war es sehr ernst, daß Julius eine klare, undurchlässige Grenze zwischen seinen Träumen und der erlebten Wirklichkeit zog. Dann fragte Julius noch:

"Mal eine Frage, Madame. Sie erwähnten Justin F. Potter. Ist das ein Vorfahre von Harry Potter?"

"In direkter Linie", erwiderte Madame Rossignol noch. Dann beschloß sie: "Ich werde Madame Maxime vorschlagen, daß du mit ihr die Nächste Nacht im Stammsitz der Latierres zubringst. Professeur Trifolio und Professeur Fixus werden dann hier bleiben. Bei der Gelegenheit übe dich heute gut in Occlumentie! Professeur Fixus muß nicht wissen, was du in deinen Träumen erlebst."

"Ich denke, die haben meine Gedanken sowieso schon sehr angewidert", sagte Julius ganz unbekümmert. Madame Rossignol verzog jedoch keine Miene. "Noch etwas", sagte die Heilerin: "Madame Maxime ist mittlerweile über die geflügelte Kuh Artemis informiert?"

"Dies mußten wir ihr erzählen, nachdem ich mit Professeur Faucon und Artemis die Himmelsburg gesucht haben", erwiderte Julius.

"Gut, das mußte ich wissen, falls es wirklich so sein soll, daß wir sie als deine Traumhüterin gewinnen müssen." Julius nickte.

Madame Rossignol rief über Serenas Abild Madame Maxime zurück. Zwei Minuten später traf sie ein. Madame Rossignol hatte in der Zeit noch einige Magiepotentialmessungen vorgenommen. Sie erklärte der Schulleiterin, daß sie am Abend zu den Latierres reisen sollten. Dann bat sie sie darum, sich ihren Walpurgisnachtring wieder umzulegen. Als sie dies getan hatte, bekam Julius den Gegentrank zu Bicranius Mixtur. Unvermittelt stürzten hunderte von Gefühlen und Empfindungen auf ihn ein. Er hatte der Heilerin wirklich alles erzählt, ohne dazu gezwungen zu sein. Was mochte die jetzt von ihm denken, daß er zu einem liebestollen Rabauken geworden war? Vor allem, daß er ihre Mutter gehabt hatte könnte sie zu komischen Gedanken veranlassen. Wie mochte Dodo alias Dolores Rossignol jetzt aussehen. Bestimmt hatte sie weißes Haar und trug eine Brille, ging vielleicht am Stock wie Glorias Urgroßeltern mütterlicherseits. Das war eine interessante und gut abschreckende Vorstellung, auch wenn er sich Professeur Faucons Mutter vorstellte, die er tatsächlich einmal gesehen hatte, als sie ihm den Grund für die lange Fehde mit Ursuline Latierre gestanden hatte.

So, wir müssen ins Château Tournesol, weil Monsieur Latierre von unbeherrschbaren Träumen heimgesucht wird. Ich habe selbst unbeherrschbare Träume. Finde jedoch immer wieder genug Disziplin, sie nicht mein Handeln bestimmen zu lassen", schnarrte Madame Maxime.

"Mit Verlaub, Madame Ladirectrice, Sie sind keine Ruster-Simonowsky-Hexe. Sie haben von Geburt an mit Ihren Eigenschaften und Launen zu leben gelernt. Monsieur Latierre wird von diesen Eindrücken regelrecht überrolt, was sein Unterbewußtsein aufwühlt und die magische Kontrolle verschiebt. Wollen Sie ernsthaft, daß er sich und Sie und möglicherweise Beauxbatons ohne es zu wollen vernichtet?" Hielt Madame Rossignol dagegen. Das mußte die Schulleiterin dann doch verneinen. Denn als die Heilerin ihr die schriftlichen Beschreibungen des Traumrufsyndroms zu lesen gab, während Julius fast unter der Flut der wiedergekehrten Gefühle zusammenbrach und verstand, was Madame Maxime mit ihrer Warnung vor dem Trank gemeint hatte, sagte sie nur, daß sie es soweit wirklich nicht kommen lassen durften. Als sie dann nach zehn weiteren Minuten zurück in die Gemächer der Schulleiter gingen meinte diese zu Julius: "Offenbar benötigen Sie doch gewisse Einlagen, die die Ausbrüche ihrer ungebremsten Leidenschaften absorbieren. Ich kenne das, wie heftig jemanden in jungen Jahren erotische Wallungen im Traum heimsuchen können. Ich kenne das zu gut."

"Das ist mir schon peinlich, daß ich das nicht kontrollieren kann. Aber es geht irgendwie nicht. Ich komme mir echt vor wie ein Bewohner vom Planeten Vulkan, der voll im Pon Farr dringsteckt."

"Wen und was meinen Sie genau, Monsieur Latierre", erkundigte sich Madame maxime. Julius konzentrierte sich und beschrieb der Schulleiterin die sonst so logisch auftretenden, spitzohrigen Außerirdischen, die alle sieben Jahre in einen wilden Paarungsrausch verfielen, wohl als von der Natur eingeschalteter Mechanismus, sich bei aller Logik überhaupt noch fortzupflanzen.

"Dann können diese fiktiven Wesen an ausbleibender Triebabfuhr sterben?" Fragte die Schulleiterin keineswegs ungehalten, ihr mit erfundenen Lebewesen zu kommen. Julius nickte heftig. "Nun, eine professionelle Wonnefee oder eine ihrem Körper viele Zugeständnisse einräumende Lebedame würde Ihnen erzählen, daß geschlechtliches Beisammensein so wichtig sei wie die Luft zum Atmen, Nahrung und Trinkwasser. Aber es gehört durchaus zu den anstrengendsten und nachhaltigsten Tätigkeiten und bedarf daher einer größeren Mäßigung als das Essen. Und falls Sie es wirklich so empfinden, sterben zu müssen, wenn Sie sich nicht fortpflanzen können, so bin ich mir sicher, daß Madame Rossignol bereits eine Lösungsmöglichkeit angedacht hat. Da sie mich jedoch während des Gespräches aus ihrem Zuständigkeitsbereich bat, kann, will und werde ich nicht näher darauf eingehen, wohl auch im Bewußtsein, Details zu hören, die mein Ehrempfinden beeinträchtigen oder meine Meinung von Ihnen abwerten können. Ich wiederhole noch einmal, daß mir Ihre derzeitigen Empfindungen, auch wenn ich nicht Ihr Geschlecht besitze, durchaus bewußt sind und ich deshalb in Ihrer Nähe verbleibe, um Ihnen zu helfen, damit zu leben und darüber hinwegzukommen, wenn Ihr Körper ohne magisches Zutun eigenes Blut ausgebildet hat." Julius grummelte. Wollte er denn echt genau diese Antwort von ihr hören?

Auf der Standuhr im sechseckigen Ankunftsraum war es gerade erst fünf Uhr. Julius erschrak und prüfte seine Weltzeituhr. Diese zeigte auch fünf Uhr Morgens. Hatte Madame Rossignol nicht gesagt, Millie hätte ihre Hälfte des Zuneigungsherzens abgelegt? Warum spürte er es dennoch die ganze Zeit sacht aber so schnell pulsieren, als ob Millie wach wäre?

Während Madame Maxime und Julius in die Räumlichkeiten der Schulleiterin zurückkehrten sann Madame Rossignol darüber nach, was sie mit den ganzen Notizen machen sollte. Wenn es je was vertrauliches zwischen Heilerin und Patienten gegeben hatte, dann wohl das, dachte sie. Also gehörte das in ihren Wandelraumschrank mit dem Passwort gesicherten Verbergezauber. Sie wollte gerade dort hingehen, um die Notizen sicher zu verstauen, als aus dem Bild mit Serenas Sofa eine helle Lichtspirale trat, die den Boden berührte und eine erst leuchtende und dann greifbare Gestalt freigab. Madame Rossignol verzog vor Verärgerung das Gesicht. Dann sagte sie mit einer schneidenden Stimme:

"Ach, die werte Madame Reichenbach beehrt mich. Was verschafft mir dieses Vergnügen?"

"Der Umstand, daß das wohl kein Vergnügen ist, Madame Rossignol", sagte die untersetzte Hexe im geblümten Kleid ohne Anflug amerikanischen Akzents. "Was Sie da nämlich herausgefunden haben könnte dem Jungen und allen denen er was davon erzählt großen Ärger machen. Das haben Sie auf jeden Fall richtig erkannt. Er hat nämlich einiges erwähnt, daß ausschließlich im LI und den Geheimabteilungen des Zaubereiministeriums der USA bekannt ist und aus guten Gründen nicht in dortigen oder ausländischen Zeitungen erwähnt wird."

"Was da wäre, Madame Reichenbach? Oder soll ich La araña Blanca zu Ihnen sagen?"

"Ich weiß, Sie sind genauso um den Jungen besorgt wie ich, Madame Rossignol", fauchte die aus dem Bild herausgetretene. "Daher ist das durchaus berechtigt, wütend zu sein. Ich möchte Sie daher nicht zu lange auf die Folter spannen. Der Junge hat drei Namen genannt, die im Moment zu den größten Gefahrenherden meiner Heimat gehören: Val als Kurzform für Välleri, Marisa und Tante Lolita. Der übereifrige Mr. Wishbone träumt schon von diesem Dreiergespann. Daß Julius deren Namen in einem ansonsten eher erotischen Traum gehört hat ist höchst alarmierend."

"Moment mal, wie lange haben Sie in Serenas Bild gesteckt und gelauscht? Mal abgesehen davon, daß ich Sie dort hätte sehen müssen", sagte die Heilerin von Beauxbatons. "Raus mit der Sprache, bevor ich den Zauber für unbefugte Eindringlinge in Kraft setze!"

"Intuition, werte Heilerin. Nachdem ich mich erkundigt habe, daß meiner Enkelin und ihren Kameraden im Moment kein Unheil droht kam ich hierher, um Erkundigungen über den Verlauf der Schlangenkriegerattacke einzuholen. Da ich ja mitbekam, daß Julius gerade in Madame Maximes Nähe bleiben muß, habe ich mich umgehört, was so los war. Dann bekam ich mit, wie Sie Besuch von Serena Delourdes bekamen. Ich kann mich gut tarnen. So konnte ich unsichtbar mithören, was Sie Julius unter Bicranius Mixtur entlockt haben. Sie haben Recht, daß das meiste nur Traumgespinnste waren. Denn an den Zeitpunkt, da ich meinen Sohn empfing, kann ich mich noch sehr gut erinnern. Der geschilderte Zeitpunkt stimmt nicht. Der Ort auch nicht. Mehr erfahren Sie nicht. Aber als er vom zweiten Teil seiner wilden Träume berichtete war mir nicht mehr nach reinem Interesse. Mir ist klar, daß der Junge durch die Nachwirkungen der Therapie im Moment keinen außerschulischen Belastungen ausgesetzt werden darf. Aber Sie sollten wissen, was so brisantes an seinen Träumen ist, daß diese unbedingt verborgen bleiben müssen." Dann schilderte sie Madame Rossignol eine haarsträubende Geschichte, die wohl schon im September oder Oktober begonnen haben mußte, jedoch erst Ende November in Fahrt gekommen war. Als sie geendet hatte sagte sie nur noch: "Und was die Wiederkehrerin angeht, so könnte ich mich gleich in eine dumme Gans verwandeln, daß mir das nicht sofort eingeleuchtet hat. Ich wußte schon längst, daß es dieses Duell gab und kenne den schwarzen Spiegel. Haben sich die beiden offenbar gegenseitig ein Eigentor geschossen. Kommt bei den schlimmsten Feinden schon mal vor. Und aus diesem Grund werde ich auch wieder auf meinen Posten zurückkehren und weiterhören, was sich so tut. Wie erwähnt, das bleibt besser solange unter uns, bis diese prächtige Geheimhaltungszauberei gemacht wurde. Noch einen guten Tag!"

"Sie meinen die hahnebüchene Sache, daß Julius die Wiederkehrerin mit dieser Daianira Hemlock schwanger geträumt hat. Da muß ich Sie enttäuschen. Diese Dame wandelt noch auf ihren eigenen Beinen auf diesem Planeten umher. Sie hat vor kurzem noch etwas in der Zeitschrift für Zaubertrankbrauer veröffentlicht."

"Das stimmt auch, Madame Rossignol. sie ist die, die bei der Aktion eigenständig weiterlaufen und -atmen darf. Guten Tag noch." Mit diesen Worten drückte die Besucherin im Blumenkleid eine Metallscheibe an das Bild mit dem Sofa, hielt ihren Zauberstab dagegen und wisperte: "Per Intraculum transcedo!" Eine weitere Lichtspirale erschien aus dem Metalldiskus und fing die Besucherin ein. Madame Rossignol unterdrückte den Wunsch, das Bild sofort abzureißen, wenn der Übertritt beendet war. Denn dann wäre die unerwartete Besucherin darin gefangen geblieben ... bis sie das Intrakulum noch einmal benutzt hätte. Doch Madame Rossignol wußte, daß Jane Porter, die für den größten Teil der magischen Weltgemeinschaft tot und beerdigt war, ganz sicher nicht gegen sie und Julius intrigierte. Sie verübelte dieser Hexe im wesentlichen, daß sie Julius und ihre Verwandten, vor allem ihre Enkeltochter Gloria, derartig geschockt und in tiefe Trauer gestürzt hatte. Julius wußte mittlerweile, daß Jane Porter noch lebte. Auch das verübelte Madame Rossignol ihr. Aber jetzt sah sie ihr erst einmal nach, wie sie wie ein x-beliebiges Bildermotiv nach rechts durch den Rahmen in das nächste Bild übertrat und den Krankenflügel verließ.

Der Tag wurde wieder anstrengend für Madame Maxime und ihren unfreiwilligen Begleiter. Denn die Baumagier stießen auf schlummernde Abwehrzauber, die eigentlich verhindern sollten, daß jemand Flüche durch die Mauern schickte. Professeur Faucon mußte aus Millemerveilles anreisen und helfen, die Balance in der Wand wieder herzustellen. Ihr verrieten sie nicht, was am frühen Morgen gewesen war. Wie froh waren Madame Rossignol, Madame Maxime und Julius, als der Abend anbrach. Sie verließen den Palast durch den großen Kamin im sechseckigen Empfangsraum der Schulleiterin, die Julius auf dem rücken trug. Am Ende der Flohpulverreise wurden die drei von Ursuline Latierre, ihren Töchtern Hippolyte, Barbara und Béatrice begrüßt. Auch Mildrid war da. Doch sie hielt sich erst einmal im Hintergrund, weil sie sehen wollte, wie Julius die zwangsweise Nähe zu Madame Maxime bekam. In einem kleineren Zimmer mit Sofas und Tischen erzeugte die Hausherrin einen Klangkerker. Dann ließen sie und ihre Verwandten sich berichten, was geschehen war. Details aus Julius Träumen gab es nicht, nicht wo Ursuline, Hippolyte und Millie im Raum waren. Abschließend sagte Madame Rossignol: "Deshalb möchten wir Sie bitten, Julius' Träume zu den Geheimnissen hinzuzufügen, die er hier bereits deponiert hat."

"Auf jeden Fall. Wer weiß, was er im Traum erlebt, wenn stimmt, was meine Tochter Béatrice und Sie unabhängig voneinander vermuten. Er hat uns schließlich auch erzählt, daß er Jeannes kleine und den von Barbara van Heldern ziemlich genau vorweggeträumt hat. Aber dazu muß Julius die Nacht hier verbringen. Denn der Zauber gelingt nur bei schlafenden Familienmitgliedern", erwiderte Ursuline. "Ich habe ein Schlafzimmer herrichten lassen, in dem ein kleines Bad ist. Falls Sie möchten, können wir Julius bis morgen Früh darin einschließen."

"Wie im Gefängnis, Oma Line?" Schnarrte Julius verbittert.

"Wie in einem geschützten Raum, Julius", erwiderte Ursuline darauf. Sie zeigte den Gästen den raum, der von der schweren Eisentür abgesehen nichts von einer Kerkerzelle an sich hatte, sondern ein kleines, möbliertes Gästezimmer mit Fenstern zum Sonnenblumenwald war. Die Fenster konnten magisch verriegelt werden, falls Julius oder jemand anderes befinden mochte, hinauszuspringen.

"Wen bunkert ihr hier denn sonst so ein?" Fragte Julius verächtlich.

"Die Tür wurde nachträglich eingebaut. Die Fenster sind eine Kindersicherung, Julius. Immerhin sind wir im fünften Stock", erwiderte Line Latierre. Dann gingen sie zum Abendessen in den großen Salon. Anschließen zog sich Julius mit seinen Büchern in das Zimmer zurück und schmollte einige Minuten, während er auf die mit mehreren unsichtbaren Riegeln verrammelte Tür starrte. Seinen Zauberstab hatte Béatrice Latierre einkassiert. Den Herzanhänger hatte er jedoch behalten dürfen. Nach einigen trotzig weggeschwiegenen Minuten befand er, sich hinzulegen. Dabei fand er unter seinem Kopfkissen nicht nur einen ihm passenden Schlafanzug, sondern auch eine bläulich-silberne Garnitur Unterwäsche, die aussah wie Seide mit Silber durchwirkt. Reizwäsche? Bei dem Gedanken, diese bestimmt teuren Sachen Madame Maxime vorführen zu können lachte er laut auf. In diesem Unterzeug sah er bestimmt aus wie der Weltraumritter Scorpio Taurus kurz vor einer galaktischen Nacht mit einer exorbitanten Weltraumschönheit. Als er die silbernen Sachen auseinanderfaltete fand er noch einen Zettel:

Wenn es dich arg juckt und treibt zieh diese Sachen an, Julius. Millie hat die Gegenstücke. Madame Maxime darf das nicht wissen. Unter dem Bett steht die Verpackung. Tu die Sachen da rein und sag "Maymay. Das ist der Kosename meiner drittjüngsten Schwester. Madame Rossignol weiß davon und genehmigt das, wenn ihr es im Maße verwendet und keinem, absolut keinem auf die Nase bindet, daß ihr sowas habt und benutzt.

Ich wünsche dir gute Besserung!

deine Schwiegertante Béatrice

Julius betrachtete das Geschenk und grinste. Er hatte schon gehört, daß Computertechniker Tastempfindungen auf spezielle Anzüge übertragen wollten, um liebeshungrigen Kunden die Möglichkeit zu geben, ohne anwesenden Partner gut durch die freie Zeit zu kommen. War das vielleicht sowas in der Richtung? Julius wusch sich gründlich und zog die silberne Unterkleidung unter seinem Schlafanzug an. Dann legte er sich hin. Keine fünf Minuten später hörte er Millies Gedankenstimme:

"Ich hoffe, du hast Tante Trices Silbersachen an. Schon geniales Zeug, was sie da aufgetrieben hat. Fernfühlmichs heißen die und sind sauteuer. Das Codewort zum loslegen heißt Hora amoris. Das zum aufhören Nox tranquilla. Ist besser als gar nichts." Julius schickte zurück, daß er es ausprobieren wollte und erlebte nach denken des Passwortes, wie etwas über ihn strich und ihn zärtlich streichelte. Er hob seine Hand und fühlte etwas wie nackte Haut. Da begriff er, daß die magischen Klamotten alle Hautempfindungen übermittelten. Er meinte, seine Frau selbst bei sich zu haben und bekam es hin, ihr so nahe es ging zu kommen. Diese Sachen vermittelten sogar Gegenkraft und Gewichtsverteilung, erkannte er. Nur der Umstand, daß er sie nicht sehen, riechen oder hören konnte störte ein wenig. Doch erleichternd war es schon, nicht mehr nur zu träumen. Als er schließlich Nox Tranquilla dachte bemerkte er, daß die neue Kleidung völlig unbeschmutzt war. Sie schluckte alle Haut und Körperausscheidungen. Julius drehte sich erschöpft um und schlief, nachdem er sich bei Millie bedankt hatte.

"Ist zwar nur Anfassen und fühlen. Aber besser als gar nicht ist besser. Kein Wunder, daß die in Beaux das nicht wissen dürfen. Bernie, Caro und Leonie würden vor Neid explodieren, nachdem sie mich umgebracht hätten, um mir die Klamotten abzujagen. Pass auf deine auch gut auf! Schlaf jetzt schön. Ich liebe dich!"

"Ich dich auch, Mamille", schickte Julius höchst selig zurück. So ging's. So konnten sie auch in Beauxbatons zusammensein, ohne daß irgendwer das merkte. Allerdings durften sie es nicht übertreiben, damit das nicht im Unterricht auffiel. Millie lernte jetzt Occlumentie, würde sich hoffentlich in den Ferien gut ranhalten und im März wie er "zumachen", wie Corinne Duisenberg das nannte. Er schlief ein und erwachte ohne Traum in jenem geheimen Keller, nur noch ein viertel so groß scheinend wie sonst. Ursuline sang ihm jenes Lied vor, das sie schon einmal gesungen hatte, als er zum ersten Mal hiergewesen war. Als er alle geheimzuhaltenden Träume an seinem geistigen Auge vorbeilaufen gesehen hatte dachte er noch: "Jeder Traum ab jetzt hier rein!" Dann wurde er halbstofflich aus jener Kristallhalbkugel mit dem weißen, rauchartigen Inhalt herausgelöst und in seinen Körper zurückversetzt.

Er dachte nach der Fernfühlmich-Erfahrung mit Millie, trotzdem noch leidenschaftliche Träume erleben zu können. Doch was er träumte war, daß er auf Temmies Rücken saß und mit ihr über die letzten Wochen sprach. "Ich kann mich nicht mehr in mein früheres Sein verwandeln, Träger meines Siegels. Aber du weißt, daß ich es bin, und auf meinem Rücken kannst du dich weit umsehen. Ich kenne wilde Träume auch, als Temmie hatte ich auch welche. Wußte nicht, daß junge Latierre-Kühe solche Phantasien haben können. Aber ich will, daß du deine Kraft nur im Wachleben benutzt. Deshalb helfe ich dir. Jetzt, wo du mir räumlich sehr nahe bist, knüpfe ich ein stärkeres Band zu dir. Das bin ich dir schließlich schuldig, daß du dich von deinem mutigen Kampf um die Menschheit erholen kannst."

"Wird wohl auf die Dauer langweilig, immer auf dir zu hocken", sagte Julius.

"Ach, ich kann dich auch in mich reinlegen", erwiderte Temmies Cello-Stimme amüsiert. Unvermittelt meinte Julius, in einem dunklen Raum zu liegen. Das war wie ein Déjá Vu, mit dem wummernden Herzen und dem lauten Rauschen atmender Lungen und pulsierenden Blutes. Dann wechselte er wieder den Platz und stand neben Temmie. "Was ist dir lieber?"

"Draußen ist besser, Temmie", erwiderte Julius.

"Schön. Dann fliegen wir ein wenig herum. Hoch mit dir!" Julius fühlte, wie ihre Gedanken ihn aufhoben und hinter ihrem Kopf absetzten. Er krallte sich fest. Doch mit ihrem Federleichtzauber hob Temmie fast ab wie ein Wasserstoffballon und segelte über Landschaften, die gar nicht zum Sonnenblumenschloß gehörten. "Am Tag kann ich so nicht auf dich aufpassen, Julius. Da wirst du mit deinen Gefühlen und Bedürfnissen leben müssen, die ich gerade in Landschaftsbilder verwandel. Aber du wirst es schaffen, wieder alleine träumen zu können, wenn der Mond einmal alle vier Phasen durchlaufen hat." Unter ihnen rauschte auf einmal das Meer. Julius genoß diese ruhigen und doch nicht langweiligen Momente des Traumes.

Am nächsten Morgen war er richtig gut ausgeschlafen, auch wenn jetzt, wo er wieder wach war, die wilden Gedanken um die besondere Ausrüstung und Millie kreisten. Als er das geheime Wort sagte, verwandelte sich der Karton in ein fünf Zentimeter großes Modell des Sonnenblumenschlosses, das locker in seinem Practicus-Brustbeutel verschwand. Er dachte daran, daß er gestern doch irgendwie Valentin mit seiner Frau erlebt hatte. Mit dieser in sich verborgenen Befriedigung kehrte er mit den Ringen angebunden zurück nach Beauxbatons.

__________

Die Therapie, am Tag viel zu zaubern und nachts von Temmie durch ruhige Träume getragen zu werden schlug gut an. So waren es nur die vielen Gefühle am Tag, die ihm zu schaffen machten.

Da waren zum Beispiel die immer wieder aufkommenden Selbstzweifel, wenn er daran dachte, wie überheblich er gegen die Schlangenmenschen vorgegangen war und fast deswegen einer von denen geworden wäre. Da war die grenzenlose Euphorie, wenn er einen ihm bis dahin nicht bekannten Zauber im ersten Ansatz fehlerfrei ausführen und danach ungesagt wiederholen konnte. Immer wieder dachte er an die Toten, die durch den Angriff der Schlangenkrieger und deren Vernichtung durch die von ihm indirekt herbeigerufenen Wolkenhüter zu beklagen waren. Zwischendurch mußte ihn Madame Maxime zurückhalten, wenn er die Bauzauberer belauschte, die darüber herzogen, wie blöd er doch gewesen war, nicht mit den anderen zu verschwinden. Offenbar wollten die es nicht so leicht lernen, wie gewaltsam er auf solche Sprüche reagieren konnte. Hinzukam, daß er sich trotz Madame Maxime und Madame Rossignol irgendwie verloren in diesem großen Gebäude vorkam. Als er mehrmals versuchte, Goldschweif zu sprechen fühlte er sich enttäuscht, weil die Knieselin sich sehr weit von ihm fernhielt, ohne Angriffslust zu zeigen. Ihr Maunzen und Fauchen verstand er jedoch nicht. Damit hatte er wohl eine wertvolle Vertraute verloren, falls die Blutsbindung zwischen ihr und ihm nicht zurückkam.

Es war der zwanzigste Februar. Nach einer Runde Sparring mit Madame Maxime, wo bei sie sich die für sie beide eh unwirksamen Flüche auf die Hälse jagten und zusahen, wer am meisten pro Minute austeilen konnte, hieß es für die Schulleiterin, die anstehenden Berichte und Briefe fertig zu schreiben. Dabei hörte Julius es. Es war ein freudiges Glockenspiel, wie von einem weit entfernten Kirchturm. "Ecce Dies Vitam novam"", sagte Madame Maxime lächelnd. Julius übersetzte das mit "Sieh das neue Leben, Tag!"Das magische Glockenspiel klang leise von überall her aus dem Arbeitszimmer. Dann hörte er ein leises, schnelles Schaben in einer Ecke des wuchtigen Schreibtisches, der mit mehreren abschließbaren Schubladen bestückt war. Um so mehr wunderte es Julius, als eine Klappe links auf halber Tischbreite aufsprang und ein Stück rosarotes Pergament herausgeflogen kam, das fröhlich kreiselnd über dem Tisch herabsegelte und vor Madame Maxime landete, wobei das Glockenspiel mit einem beschwingten Akord aufhörte. Julius ahnte es eher, als er es wußte. Madame Maxime nahm den Zettel, sah ihn an und lächelte. "Damit haben Sie das schönste Privileg des Schulleiters miterleben dürfen, Monsieur Latierre. Hier! Lesen Sie die Nachricht auch!" Damit überreichte sie ihm den Zettel. Julius nickte und las still:

MAGA NOVA NATA!

Nomen: Laetitia Syrinx Daphne Grandchapeau
nata: Dies XX Februarii MCMXCVIII in Mansione magistrae medicarum Hera Matine
Parentes: Belle Éloise Nathalie Grandchapeau (CPM), Adrian Octavian Grandchapeau n. Colbert (CPM)
Annus Initialis: MMIX/MMX

"Diesen Eintrag müssen Sie jetzt abheften?" Fragte Julius.

"Das dürfen Sie übernehmen. Sie sind des Lateinischen für diese kurze Übersetzung mächtig genug, denke ich", erwiderte Madame Maxime und apportierte einen Aktenordner, auf dem in schwarzer Tinte MMIX/MMX stand. Sie blätterte bis zu einer noch ziemlich leeren Seite und gab ihm Tintenfaß und Adlerfeder. Da er bereits die Eintragungen gelesen hatte, wie sie für ihn in Französisch und mit arabischen Zahlen niedergeschrieben worden waren übernahm er das Format und fügte den Namen Laetitia Syrinx Daphne Grandchapeau auf die in arabische Ziffern umgewandelte Schreibweise ein. Als er alle Daten und die Kürzel CPM für cum Potentia Magica säuberlich eingetragen hatte gab er Madame Maxime den Zettel und den Ordner.

"Der Zettel wird in das Archiv für Vorgemerkte neue Schülerinnen und Schüler einsortiert", sagte die Schulleiterin. Sie ließ den Zettel mit einem Versetzungszauber verschwinden und schickte den Aktenordner ebenfalls an seinen Platz zurück, als sie sich von der Korrektheit der Eintragung überzeugt hatte.

"Warum wirft dieser Geburtsanzeiger die Mitteilung in Latein aus, während die Aktennotiz auf Französisch gemacht wird?" Fragte Julius.

"Weil er fest mit Beauxbatons verbunden und unabänderlich ist. Wäre Beauxbatons vor siebzehn Tagen zerstört worden, hätten wir wohl einen neuen Neotokographen bauen und kalibrieren müssen. Die Pläne dazu sind in der unzerstörbaren Kiste der Pläne, die ich Ihnen vorgestern gezeigt habe, um den Bauarbeitern neue Anweisungen geben zu können."

"Die Körperdaten stehen nicht auf dem Zettel", sagte Julius.

"Die sind ja auch für uns unwichtig, da der vorgemerkte Schüler bei der Einschulung mindestens vierzig Kilogramm mehr wiegt und einen guten Meter länger ist als bei seiner oder ihrer Geburt", bemerkte Madame Maxime nüchtern. Dann fuhr sie mit dem sonstigen Schreibkram fort, bis Mittagessenszeit war. Am Nachmittag kam es fast wieder zu einer Handgreiflichkeit zwischen Julius und einem Baumagier, der ihn fragte, ob er sich denn auch immer schön artig umdrehte, wenn Madame Maxime sich entkleidete. Den Drang, wieder zuzulangen unterdrückte er. Dann sagte er ruhig: "Ich habe schon einmal eine nackte Frau gesehen. Sie nicht?" Der baumagier starrte auf Julius, als hätte der den wie seinen Kollegen Cimex Devereaux durch den Raum gedroschen. Atlas Lesauvage lachte. "Der kennt dich, Babar."

"Ey, nennst du mich noch mal so mauer ich dich gleich hier ein, als Kind im Bauch von Maman Beaux, Trolldödel", schnarrte der mit Babar bezeichnete Bauzauberer verdrossen und meinte zu Julius: "Ich habe sogar schon zwei neue gemacht. Du auch?"

"Hat noch Zeit", erwiderte Julius kühl.

"Bringen Sie Ihren zwei Töchtern bitte vorher bei, daß diese nicht so vulgär daherreden dürfen wie ihr Erzeuger und Ernährer, Monsieur Fontainebleu. Brigitte ist nach meinen Kenntnissen für das kommende Schuljahr vorgemerkt. Also tun Sie bitte Ihrer Tochter zu Liebe Ihre Arbeit und stellen Sie sicher, daß ihr hier kein Stein auf den Kopf fallen kann!" Herrschte Madame maxime den Bauzauberer an. Julius betrachtete den schwarzhaarigen, drahtigen Mann mit den jadegrünen Augen und dachte sich die Haare länger, statt der Bauarbeiterkluft ein Beauxbatons-Schulmädchenkostüm und eine knapp fünfzehnjährige darin, die diese Augen hatte. Dieses Jahr wurde sie eingeschult? Dann kam die mit Babette und Mayette rein.

"Schon gut, Madame Maxime, wollte nur gucken, ob Ihr Musterknabe so anständig ist, wenn der mit so einer Rassehexe im selben Raum schläft."

"Sie waren und bleiben wohl ein hoffnungsloser Nachspürer, Bartholomeus. Weiter an Ihre Arbeit!"

Der jadegrünäugige Zauberer schob ab. Madame Maxime zog Julius mit der Kraft der zwei Ringe hinter sich her zur nächsten kleinen Truppe, die gerade von blauen Blitzen umtost wurde.

"Hoi, der Zauberwehrzauber macht Streß, Madame Maxime. Wir kriegen keine gescheite Steinfüllzauberei an die Wand", sagte der Truppleiter. Madame Maxime hob ihren Zauberstab und verharrte in konzentrierter Haltung. Die Blitze verschwanden mit leisem Prrrrzzz. "Fügen Sie den Steinauffüllzauber nun ein. Sie haben fünf Minuten, bevor die Unterbrechung aufhört", sagte die Schulleiterin und sah genau zu, wie die drei Zauberer hantierten. Nach vier Minuten nickten sie. Das Loch, das sie forthaben wollten war von nachwachsendem gestein nahtlos abgedichtet worden.

Auf dem Dach trafen sie Professeur Fixus, die gerade einen Zauberer wie einen knorrigen Baum zusammenstauchte. Der Bauarbeiter war mindestens zwei Meter groß und überragte die kleinwüchsige Hexe um mindestens zwei Köpfe. Doch irgendwie schien er im Moment winzig klein zu sein.

"Madame Ladirectrice, dieser Rohling hat Mademoiselle Delyon unzüchtig berührt und meinte, die hätte das nötig gehabt", schnaubte die Zaubertranklehrerin.

"Wir sind kein Wonnehaus, mein Herr. Hier ist die Beauxbatons-Akademie", schnarrte die Direktrice sehr ungehalten.

"Glauben Sie der da gleich alles, weil die Gedanken zu hören meint?" Schnarrte ein anderer Bauzauberer. Irmine hat sich nicht beschwert. Dann wollte die das auch so. Sonst hätte die Roland gleich kräftig wo hingetreten, wo's ganz doll wehtut, wenn Sie verstehen."

"Ach, und allein der Umstand, daß diese drastische Abwehrreaktion ausblieb berechtigt Sie beide zu der meinung, Ihre für Gartenbau zuständige Kollegin habe um einen körperlichen Annäherungsversuch gebeten?" Scholl Madame Maximes Stimme laut wie Donner über das Dach. "Ein für alle Mal, die Herren: Hier arbeiten auch Hexen an der Wiederherstellung der Bausubstanz und der magischen Gärten und der Wälder. Das sind Kolleginnen von Ihnen und kein Zeitvertreib." Die beiden Rüpel trollten sich. Julius war bei der Aktion ganz ruhig geblieben, hatte jedoch gegrinst.

Am Nachmittag traf Schuldiener Bertillon in Beauxbatons ein. Er hatte bis jetzt die Ferientage in Nizza zugebracht, wo er seine Verwandten besucht hatte. Jetzt wollte er wieder seinen Tätigkeiten als Schuldiener nachgehen. Das würde Madame Maxime bei der Bauauffsicht sehr entlasten.

"Na, und Sie hängen jetzt hinter unserer Direktrice fest, weil Sie nicht schnell genug abhauen konnten, junger Mann?" Fragte der oftmals mürrisch auftretende Angestellte. Julius grummelte zurück, daß sie beide ja gerne tauschen könnten. Doch das lehnte Monsieur Bertillon ab und ging in sein Büro, um die Tagesplanung der nächsten Wochen auszuarbeiten.

Am Abend hörten die beiden Bewohner der Schulleiterräume noch einmal Radio. Dort wurde vermeldet, daß die Mitglieder des Zaubergamots die Zeugenliste für das Verfahren gegen Didier fertig hätten. Die Liste würde jedoch nicht veröffentlicht, um Anhänger des gestürzten Zaubererweltdiktators nicht zu unschönen Versuchen zu veranlassen.

"Dann müßten die die halbe Zaubererwelt niederfluchen, um keinen Zeugen reden zu lassen", grummelte Julius verächtlich. Dann kam eine erfreuliche Meldung:

"Heute Morgen schenkte Madame Belle Grandchapeau, die Tochter des bisherigen Zaubereiministers, einem kleinen Mädchen das Leben. Es heißt Laetitia und wog bei seiner Geburt um acht Uhr Morgens proppere viertausenddreihundert Gramm und kam mit einer Gesamtkörperlänge von dreiundfünfzig Zentimetern und einem Kopfdurchmesser von stolzen fünfzehn Zentimetern auf die Welt. Mutter und Kind sind wohlauf, meldet die in Millemerveilles niedergelassene Hebamme Hera Matine.

"Ui, wenn Constance Dornier das hört dankt die noch irgendwem da oben, daß Cythera bei der Geburt nicht so einen Riesenschädel hatte", bemerkte Julius. Dann fragte er, ob er der jungen Mutter einen Glückwunschbrief schicken dürfe, da diese wohl jetzt viel Zeit zum Lesen haben würde, wie er Hera Matine kannte. Seine Bitte wurde ihm gewährt, zumal Madame maxime ebenfalls gratulieren wollte.

"na, auch gehört, was für'n Wonneproppen deine Beinahe-Zwillingsschwester da ausgeliefert hat?" Fragte Millie ihn kurz vor zwölf, wo Madame Maxime und er in ihren Betten lagen.

"Sag bloß, du willst auch so ein schweres, großes Bündel durch dein kleines Tor zur Welt drücken, Mamille."

"Hast du davon was gespürt, als die kleine rauskam, die wie du heißt?"

"Nein, nichts. Madame Rossignol hatte recht, da ist nichts mehr an Verbindungskraft zwischen Belle und mir. Ja, daß sie ihr den Namen gegeben hat, den ich mal einen Nachmittag getragen habe habe ich auch mitbekommen. Den fand sie wohl sehr schön."

"Wie wär's, Tante Trices Klamotten an?"

"Habe ich. Ist einfacher als ich dachte, das Zeug unter der Decke anzuziehen. Also los. Hora amoris!"

__________

Sehr geehrter Monsieur Latierre,

Meine Base war sehr erfreut, von Madame Maxime und Ihnen so schnell einen Glückwunsch zu erhalten. Sie hoft, daß die durch den Körpertauschfluch errichtete Verbindung wirklich völlig abgeklungen war und Sie von der insgesamt siebzehn Stunden dauernden Geburt nichts verspürt haben. Gemäß dringlicher Heileranweisung muß meine Base mindestens drei Wochen Bettruhe einhalten, nur durch Nahrungsaufnahme und Stillen zu unterbrechen. Heilerin Matine zeigte sich nach den Strapazen der Geburt sehr unerbittlich, zumal doch einige Mengen Blut abgegangen sind. Ich möchte Ihnen nicht nur als Stellvertreterin meiner Base schreiben, sondern auch in der Funktion der bereits amtlich bestätigten Patin von Mademoiselle Laetitia Syrinx Daphne Grandchapeau.

Mit hochachtungsvollen Grüßen und besten Wünschen für eine baldige Wiedererlangung ihrer unabhängigen Beweglichkeit

Suzanne Grandchapeau

P.S. Wie Sie meinem Namenszug entnehmen Dürfen habe ich meinen Geburtsnamen abgelegt und den meiner Cousine angenommen.

Julius las den Brief noch einmal. Suzanne hatte den förmlichen Stil benutzt, den ihre Cousine immer pflegte. Ihn hatte sie früher immer geduzt und auch gerne gestichelt oder geneckt. sie war im Friedenslager fünf eingekerkert und dort schlimmen Demütigungen ausgesetzt gewesen. Daß sie Minister Grandchapeaus Nachnamen angenommen hatte erschien ihm total verständlich. Er wollte ja auch nicht Julius Hitler oder Bokanowski heißen. Sicher, den Nachnamen Andrews hatte er sehr problemlos abgelegt, nachdem das mit seinem Vater passiert war. Aber außer in Frankreichs Zaubererwelt hieß er ja noch Andrews. Es sei denn, die mit Daianira irgendwie schwanger gewordene Anthelia aus seinem Traum hatte recht, und es ging, den neuen Nachnamen rauszufinden.

Einen Tag später trafen Dankesbriefe von Belles Eltern ein. Madame Grandchapeau erwähnte, daß Belle sich den ersten und als Rufnamen zu benutzenden Vornaamen wohl in Erinnerung an die vier Tage mit ihm ausgesucht habe. Minister Grandchapeau erläuterte, das Belle der Inselbewohnerin Syrinx Chaudchamps dafür danken wollte, daß sie ihren Eltern die Flucht ermöglicht hatte. Außerdem seien schon viele Geschenke eingetroffen, darunter auch von den Latierres ein Kindertragekorb für den Besen und eine Nachbildung einer Latierre-Kuh, die jedoch den Hang dazu hatte, morgens um sechs zu muhen, bis jemand ihr Euter kurz streichelte. Julius lachte. So eine hatte er auch im Koffer. Wenn die Schule wieder losging würde er die wohl als Wecker benutzen.

Seine Mutter schrieb ihm, daß sie bei Laetitias Geburt hatte zusehen dürfen. Sie habe sogar noch zwischen den Eröffnungswehen mit ihr Schach gespielt. Julius veranlaßte das zu der Antwort, daß sie dann froh sein könne, daß das Baby nicht als schwarze oder weiße Dame zur Welt gekommen sei, was ihn bei der Länge der Niederkunft nicht verwundert hätte.

Drei Tage später traf per Eule die offizielle Wahlbenachrichtigung ein. Julius war gespannt, wie sowas bei Zauberern ging. Er hatte seine Eltern dreimal zu Wahlen begleitet und immer gefragt, wen die jetzt gewählt hatten. Irgendwann hatte er zwar auch so rausbekommen, daß die beiden wohl erst die eiserne Maggy Thatcher und dann ihren Nachfolger John Major gewählt hatten. Aber lustig war das schon, die ganzen wie in einer Kirche still schweigenden Erwachsenen zu ärgern. Er durfte wohl noch nicht wählen.

WAHLBENACHRICHTIGUNG

Sehr geehrtes Mitglied der magischen Gemeinschaft von Frankreich,

Hiermit werden Sie aufgerufen, am Samstag, den zweiten März 1998 an der vorgezogenen Wahl zum neuen Zaubereiminister teilzunehmen. Wie Sie den magischen Medien entnehmen durften stellt der glücklicherweise zurückgekehrte Zaubereiminister Armand Grandchapeau sich einer vorgezogenen Wahl, um den Willen der magischen Mitbürger zu erfahren, ob er weiterhin das mehrheitliche Vertrauen genießt oder einem würdigen Nachfolger platzmachen möge. Die Liste der Kandidaten finden Sie auf dem beigefügten Informationsbogen mit aufgedruckten Fotos der vier Bewerber.

Die Wahl kann auf zwei Arten erfolgen:

  1. Suchen Sie am Wahltag zwischen 9 und 19 Uhr die Gemeindehallen der Rue de Camouflage oder Millemerveilles auf! Weisen Sie Ihre Wahlberechtigung durch Vorzeigen dieser magisch unkopierbaren Mitteilung nach! Bestätigen Sie durch Unterschrift die Teilnahme an der Wahl! nehmen Sie dann die Stimmkarte entgegen! begeben Sie sich damit in eine der blickdichten Wahlkabinen und kreuzen Sie den Bewerber Ihres Vertrauens an! Sie dürfen nur einem Bewerber Ihre Stimme geben. Anschließend legen Sie die ausgefüllte Stimmkarte in den mitgegebenen Umschlag und werfen diesen gleich neben der Kabine in die Wahlurne.
  2. Falls Sie am Wahltag selbst nicht eine der beiden erwähnten Wahlörtlichkeiten aufsuchen können, senden Sie uns diese Mitteilung mit einer Eule bis zum 28. Februar zurück und bitten Sie um Zusendung einer Stimmkarte mit Umschlag! Auf der Stimmkarte kreuzen Sie bitte den Bewerber Ihres Vertrauens an! Sie dürfen nur eine Stimme vergeben. Legen Sie die ausgefüllte Stimmkarte in den zugesandten Rückumschlag! Senden Sie die Stimmkarte bis spätestens 3. März an die auf dem Briefwahlumschlag aufgeführte Adresse!

Wir freuen uns über Ihre Mithilfe und hoffen mit Ihnen auf einen reibungslosen Wahltag und einen für uns alle erfolgreichen Zaubereiminister

Mit Freundlichen Grüßen

Amt für magische Verwaltungsfragen
Adele Lagrange

"Och joh, durfte Seraphines Mutter die ganzen Briefe rausschicken", scherzte Julius und gab Madame Maxime ihre Benachrichtigung zurück.

"Das wird schon ein guter Aufwand. Ich wähle meistens per Eulenbriefwahl, weil die Kabinen für meine Statur unzureichenden Platz aufweisen." Julius war enttäuscht, weil er nicht mit zur Direktwahl gehen würde. Aber er verstand es, daß die Halbriesin sich ganz bestimmt nicht in eine zu enge und zu niedrige Kabine hineinquetschen würde wie eine Sardine in der Dose. So sagte er kein weiteres Wort und prüfte statt dessen die Liste der vier Kandidaten. Warum eigentlich vier?

Da waren die beiden, die ihm schon bekannt waren. Sie lächelten professionell von den Bewerberfotos. Dann war da noch Monsieur Charpentier, der oberste Dorfrat von Millemerveilles, sowie als einzige Hexe Oleande Champverd, die Kräuterkundeexpertin, Großmutter Virginies und ZAG- und UTZ-Prüferin von Beauxbatons.

"Oha, wenn Madame Champverd gewählt wird kriegen die Muggelstämmigen aber Dauerregen statt Sonnenschein. Die mag keine Muggelstämmigen."

"Was sie nicht davon abgehalten hat, Ihnen vor zwei Jahren eine sehr gute Verwandlungsprüfungsnote zuzuweisen, Monsieur Latierre. Abgesehen davon konnte Ihre Mutter mit Ihnen zusammen das Meinungsbild Madame Champverds um etliche Punkte verbessern. Zumindest ist sie keine Sardonianerin."

"Hätte mich nicht gewundert, wenn die Herrin der Entomanthropen sich aufgestellt hätte, ungefähr so: "Ey, ihr wählt alle mich! Wer mich nicht wählt kriegt Zoff mit meinen Entomanthropen!"

"Abgesehen davon, daß besagte Hexe sich gewiß einer höher entwickelten Wortwahl befleißigen dürfte als Sie, dürfte sie es als pure Zeitverschwendung ansehen, sich einer Volksbefragung zu stellen. Wenn sie die Macht will, wird sie sie entweder erkämpfen oder sich ergaunern", schnarrte Madame Maxime. "Abgesehen davon dürfte die Wahl zwischen Monsieur Grandchapeau und Monsieur Delamontagne entschieden werden. Die beiden anderen Kandidaten dienen eher als Auffanghilfen für die, die weder den einen noch den andren Spitzenkandidaten wählen möchten. Das ermöglicht eine hohe Wahlbeteiligung, die bei nur zwei Kandidaten fraglich ist", gab ihm Madame Maxime Unterricht in magischer Alltagspolitik. "In dann wohl hoffentlich fünf Jahren dürfen auch Ihre Frau und Sie über den Rang des Zaubereiministers abstimmen. - Hmm, ich bin sehr stark davon überzeugt, daß Ihre Mutter ebenfalls eine Benachrichtigung erhalten hat."

"Aber dann müßten die im Ministerium jetzt alle wissen, was mit meiner Mutter ist. Wenn da einer nicht dichthält könnten sie's gleich in die Zeitung setzen", erwiderte Julius.

"Nun, wir wissen nicht, ob und wenn ja wann unser aller Erzfeind gestürzt werden kann. Ihre Mutter hat mit der Aktivierung ihrer Zauberkräfte die gleiche Mitverantwortung wie wir erwachsenen Hexen und Zauberer, die seit unserer Geburt damit zu leben gelernt haben. Dieser Verantwortung wird sie sich nicht entziehen können, egal wo sie wohnt."

"Ich weiß, mit Macht kommt Verantwortung. Mit großer Macht kommt große Verantwortung", zitierte Julius die Weißheit von Ben Parker, dem Onkel des Comichelden Spiderman.

"Genau das ist es, was ich lernen mußte, was Sie gerade lernen und Ihre Mutter auch gerade erlernt, Monsieur Latierre. Und ich bin mir sicher, daß sie bei Professeur Faucon und Madame Brickston in kompetenten Händen ist. Über Madame Madeleine L'eauvite verliere ich besser kein überflüssiges Wort. Ich habe da so meine Erfahrungen mit ihr als Schülerin und als Mutter von Schülern. Kaum zu glauben, das beide Estelle Rochers Schoß entstiegen sind."

"Stimmt, bei Babettes Tante denke ich echt, die ist freudestrahlend an die frische Luft gehüpft und hat gefragt, was so los ist", erwiderte Julius respektlos. Madame Maxime räusperte sich sehr ungehalten.

"Weil ich die Gefahr sehe, daß Madame L'eauvite geborene Rocher Ihre Bemerkung mit einem erfreuten Lachen und einem "Genau so war das" quittieren könnte verzichte ich besser auf disziplinarische Maßnahmen. Aber gewöhnen Sie sich bitte schnell wieder ab, derartige Unverschämtheiten in meiner Anwesenheit laut auszusprechen! Wenn die Schule wieder losgeht werde ich keine Probleme damit haben, Ihnen Strafpunkte zuzuweisen."

"Geschenkt", erwiderte Julius verächtlich.

"Junger Mann, die Grenzen sind sehr eng gezogen. Sie sind kurz davor, meine Wertschätzung über Sie empfindlich zu beschädigen!" Schnaubte Madame Maxime. Julius sah sie an, wie sie sich straffte und fühlte irgendwie eine gewisse Begierde, dieses Kraftpaket von Überfrau anzufassen, zu sehen, ob unter dem nun marineblauen Seidenumhang wirklich eine Frau aus Fleisch steckte. Daß sie Blut hatte wußte er ja schon. Sie sah es wohl und meinte, daß er sich besser auf eine andere Vorstellung konzentrieren solle. Er sah nur sie an, wie attraktiv sie aussah. Ihre gigantische Größe mochte im ersten Moment abschreckend wirken. Aber sogesehen hatte sie durch diese Übergröße noch mehr von einer Rassefrau. Längere Beine, ein weiteres Becken, einen traumhaften Brustumfang, längeres Haar.

"Prüfen Sie meine Erscheinungsform oder Ihre Vorstellungskraft, Monsieur Latierre?" Fragte die Halbriesin. Julius erkannte, wie heftig er diese angeschmachtet haben mußte und errötete so heftig, daß er meinte, sein Gesicht sei auf einer heißen Herdplatte gelandet.

"Ich wollte sie nicht anstarren, Madame. Ich habe mir nur die ungehörige Frage gestellt, warum Männer Angst vor großen Frauen haben."

"Sagen wir es so, wenn sie eine gewisse Reife haben und vernünftig sind achten Sie in mir nicht den Körper, sondern den Geist und meiden körperliche Betätigungen mit mir. Wenn sie grob und ungebildet sind haben Sie Angst, weil ich Ihnen deutlich zeigen kann, daß ich Ihnen doch überlegen bin. Sind sie ohnehin schüchtern, fangen sie gar nicht erst an, mich so lüstern anzusehen wie Sie gerade. Ich will Ihnen das nicht zum Vorwurf machen. Es ist offenbar noch nicht lange genug, daß Sie lernen konnten, Ihre Gefühle zu beherrschen. Dabei dachte ich, daß die ihnen heimlich zugestellten Hilfsmittel Sie zumindest bei der Lustabfuhr unterstützen." Julius mußte fast schlucken. Sein Gesicht blieb stehen. Alles Blut, daß eben noch in sämtliche Adern geschossen war, versickerte mit einem Schlag. Woher wußte die ... Mist! Wenn sie's nur vermutet hatte, jetzt wußte sie es ganz bestimmt! Blieb nur die Flucht nach vorne.

"Schwester Florence hat mir was verschrieben, um nicht jede nacht die halbe Hexenwelt im Traum zu bespringen wie ein überdrehter Rammler im Kaninchenstall. Sie erwähnte jedoch, daß Ihnen das nicht gefallen würde", schnarrte er verärgert, weil er sich so leicht hatte austricksen lassen.

"Kommt auf die Heileranweisung an", schnarrte Madame Maxime zurück. Julius atmete mehrmals ein und aus. Dann erwähnte er, was er eigentlich nicht erwähnen wollte.

"Dann gehören Sie offenbar zu den Männern, die nicht alle Welt wissen lassen müssen, daß sie sich gerade mit einer Frau vergnügen. Ein Gutteil wird der Wandschirm wohl auffangen. Aber selbst den Rest müßte ich noch hören. Ich kenne diese Artefakte. Sie wurden eigentlich als Brand- und Kälteschutz entwickelt, bis jemand herausbekam, wie die Silberfäden gewoben werden müssen, um die Befindlichkeit der eigenen Haut auf ein Gegenstück zu übertragen. Von da an war der lüsternen Verwendbarkeit Tür und Tor geöffnet. Gut, ich sehe ein, daß Ihr Wachstum und die Übermacht bis dahin sorgfältig verdrängter Gefühle Sie in eine ernste Lage gebracht haben. Daher werde ich ihre Hilfsmittel nicht konfiszieren. Davon ausgehend, daß Madame Latierre Wert auf guten Nachtschlaf und ihre Aufmerksamkeit im Unterricht legt und Madame Rossignol wohl eine ausgeruhte und aufmerksame Pflegehelferin behalten möchte vertraue ich auf die Kompetenz unserer Schulheilerin, daß sie die Dosierung ihrer Behandlungsmethode auf ein vernunftgemäßes Maß beschränkt. Es gibt im Moment keine Regeln, die das magisch aufeinander einstimmen von Schülern aus privaten Mitteln untersagen. Die Regeln beziehen sich auf physische Nähe und Entdeckbarkeit, zumal ja unerwünschte Zeugung zu verhindern ist, die mit Ihren Hilfsmitteln ja doch ausgeschlossen ist. Verbleiben Sie weiterhin so diskret wie bisher! Halten Sie sich an jede Ihnen dies bezüglich erteilte Einschränkung Madame Rossignols! Dann werde ich im Namen der Ausnahmesituation keine Einwände erheben. Dies gilt aber eben nur während der Ausnahmesituation. Wenn Sie meine direkte Nähe verlassen können, ohne zu einer Gefahr oder einem Ärgernis für sich und andere zu werden, erwarte ich von Ihnen als vernünftiger Schüler, daß Sie dieses Hilfsmittel bei Madame Rossignol abgeben, ohne von ihr oder mir nochmals dazu aufgefordert zu werden."

"Und was, wenn nicht?" Fragte Julius harsch.

"Muß ich davon ausgehen, daß Sie auch ohne mein Blut in Ihren Adern zu undiszipliniert für die ehrwürdige Beauxbatons-Akademie sind und Ihre Entlassung veranlassen. Ich denke nicht, daß es Ihnen, Ihrer Gattin oder deren Verwandten, Ihrer Mutter oder allen, die Ihnen bisher geholfen haben, bei uns im Besonderen und in der Zaubererwelt im allgemeinen Fuß zu fassen wert ist, nur um diese Ausrüstung zu behalten. Achso, des weiteren erwarte ich selbstverständlich von Ihnen, daß weder Sie noch Madame Latierre, Mildrid, anderen gegenüber damit auftrumpfen, derlei Hilfsmittel zu benutzen. Denn dann müßte ich auch Ihrer Angetrauten den sofortigen Schulverweis aussprechen. Ich hoffe, dies ist Ihnen und Madame Latierre unmißverständlich klar."

"Wir hatten es schon davon", grummelte Julius. "Millie und ich erzählen das schon deshalb keinem von den anderen, weil wir keine Lust haben, von denen dumm angeredet zu werden von Wegen Vorrechte und sonst noch irgendwelche Neidhammelsprüche. Ich habe das begriffen, daß ich die von Mademoiselle Béatrice Latierre überlassenen Sachen bei Madame Rossignol abgebe, wenn ich wirklich wieder ohne Sie irgendwo hingehen darf", brachte Julius am Rand eines Wutanfalls heraus. Die Halbriesin belauerte ihn förmlich, war wohl darauf gefaßt, gleich einen Gewaltausbruch oder ähnliches abwehren zu müssen. Julius mußte sich arg anstrengen, sich von dieser Vorstellung nicht echt zum ausrasten treiben zu lassen. Eigentlich müßte er sie jetzt fragen, ob sie was grundsätzliches dagegen hatte, wenn zwei Menschen es miteinander taten, solange es beide wollten. Aber nachher zog die seine Silberuntersachen ein, weil sie sich von dieser Frage angenervt fühlte. Dann wäre er wieder alleine mit seinen Gelüsten wie besagte Spitzohren im wilden Paarungsfieber.

"Darf ich Magistra Eauvive fragen, ob meine Mutter auch so eine Wahlankündigung gekriegt hat?" Fragte Julius nach fünf Sekunden, in denen er die in ihm wirkenden Wallungen niederzuhalten geschafft hatte.

"Nun, da spricht nichts gegen. Aber da ich im Moment noch einen langen Brief an Monsieur Descartes beenden und nicht zu lange abgelenkt werden möchte bitte ich Sie darum, diese Frage später an Magistra Eauvive zu richten", vertröstete Madame Maxime den Schüler, der einen Moment lang ein wildes Zucken im rechten Bein verspürte, trotzig mit aller Kraft aufzustampfen. Doch das würde nichts bringen, erkannte er. Es hatte ihm als kleiner Junge auch längst nicht alles gebracht, wenn er bockig rumgestampft und geschrien hatte. Bei Madame Maxime brächte das bestimmt auch nichts. Er bekam jedoch eine Aufgabe, um sich zu beschäftigen. "Wie wäre es, wenn Sie für das Schularchiv einen Erlebnisbericht verfassen, wie Sie damals das trimagische Turnier in Hogwarts erlebt haben und wie Sie mit den beiden Abordnungen der Teilnehmenden Schulen klargekommen sind?"

"Schon fast drei Jahre her, Madame", erwiderte Julius darauf. Doch in dem Moment kamen ihm sämtliche Bilder wieder in den Sinn: Die Drachen, der Ball, die Meerleute, die Reisekutsche, die er putzen mußte, das Labyrinth und Cedrics Leiche. So nickte er und erbat sich drei rollen Pergament.

Offenbar kannte sich Madame Maxime wirklich gut damit aus, überflüssiges Gefühlschaos ohne Verkrampfung niederzuhalten, erkannte Julius, als er in lebhaften Beschreibungen erwähnte, wie es mit dem Turnier angefangen hatte. Er erwähnte alles ihm damals wichtige und sah immer die entsprechenden Szenen vor sich, hörte die Sätze, die er mit seinen damaligen Klassenkameraden gewechselt hatte und erwähnte auch die Diskussion um Fleur Delacours Wirkung auf Jungen. Er schaffte es, die Stimmung in Hogwarts in guten, aber lebendigen Sätzen wiederzugeben. Vor allem was los war, als Harry Potter als vierter Teilnehmer ausgelost worden war. Er schrieb nieder, daß es ihm eine große Ehre gewesen sei, am trimagischen Weihnachtsball teilzunehmen und schilderte die drei Aufgaben des Turnieres bishin zur erschütternden Rückkehr von Harry Potter und dem toten Cedric Diggory. Das er zwischendurch die blaue Reisekutsche putzen mußte erwähnte er in einem kurzen Satz, um Madame Maxime nicht zu dumm aussehen zu lassen. Sein fast die drei Rollen ausfüllender Bericht, den er schon so klein wie er konnte aufgeschrieben hatte, endete mit dem Satz: "Auf Grund der neuen Lage beschlossen Vertreter von Beauxbatons und des Dorfrates von Millemerveilles, mir die Rückreise mit der Beauxbatons-Delegation zu erlauben, während der ich die ersten Stunden meines Lebens in Beauxbatons zubringen konnte."

"So, fertig", sagte Julius im Moment ohne irgendeinen gefühlsmäßigen Aufruhr im Kopf. Madame Maxime nickte ihm zu und hielt die Hand auf. Er legte ihr die Pergamentrollen hinein und bestaunte erneut, wie sie innerhalb von sekunden eine Rolle nach der anderen durchlas. Hatte sie echt alles durchgelesen? Dann sagte sie: "Da fehlt noch ein Fazit, also eine Schlußfolgerung Ihrerseits, ob das katastrophale Ende des letzten Turnieres dafür spricht, es nie wieder auszutragen oder ob Sie einen neuerlichen Versuch unter hoffentlich besseren Vorzeichen befürworten würden." Sie reichte ihm die drei Rollen zurück. Er fühlte sich leicht verulkt. Wurde er jetzt echt gefragt, ob man das trimagische Turnier noch mal irgendwo machen sollte oder nicht? Doch irgendwie stimmte es schon. Er hätte da noch was zu schreiben können, ob es seiner Meinung nach am Turnierablauf oder an Voldemort gehangen hatte, daß es so ausging. So nahm er die dritte Rolle, Stellte fest, daß er noch genau fünf Zentimeter Platz bis zum unteren Rand hatte und schrieb in der bisherigen Schriftgröße:

"Zum Schluß möchte ich noch schreiben, daß mir das trimagische Turnier sehr gut gefallen hat. Das mit den vier statt drei Teilnehmern wie auch das grausame Ende lag nicht an der Planung des Turniers, sondern an einem Eindringling im Namen des bösen Zauberers Voldemort. Das Ziel des Verräters war, Harry zu diesem Dunkelmagier zu befördern, um diesem bei der Rückkehr zu helfen. Wenn solche Sachen in Zukunft ausgeschlossen werden können, würde ich sehr gerne noch einmal so ein Turnier sehen, sofern es in Beauxbatons stattfindet oder ich zur Abordnung gehören darf." Dann unterschrieb er den Bericht noch und gab ihn Madame Maxime noch einmal. Sie nickte heftig und sagte: "Gute Arbeit. Ich freue mich, das Sie die sich mir bietende Gelegenheit so trefflich gestaltet haben, eine nicht-amtliche Meinung über den Ablauf zu erhalten. Diesen Bericht kann ich also getrost in die Korrespondenz einfügen, die ich gerade mit der hiesigen Spiele-und-Sportabteilung führe."

"Lustig! Dann liest meine Schwiegermutter meinen Bericht auch", bemerkte Julius dazu.

"Falls sie nicht findet, daß das Turnier nicht wirklich wieder aufleben soll. Ich hoffe mal nicht, daß Sie ihre Bemerkung, die Zahl von zwölf Kandidaten pro Schule sei eine großartige Idee gewesen, aus Heuchelei niederschrieben. Denn für diese Festlegung war ich verantwortlich."

"Huch, wußte ich gar nicht", erwiderte Julius. "Hmm, dann kann ich das auch nicht als einschleimendes Zeug gemeint haben."

"Gut, das nehme ich einmal als verbindliche Bekundung hin", erwiderte Madame Maxime nüchtern. Dann erlaubte sie Julius, mit dem Bild-Ich von Viviane Eauvive zu sprechen. Es dauerte keine Minute, da kehrte die gemalte Gründungsmutter des grünen Saales zurück und vermeldete, daß Martha Andrews tatsächlich eine Wahlbenachrichtigung erhalten habe.

"Dann wird es nicht mehr lange dauern, bis die Sensation durch die Presse und den magischen Rundfunk geht", vermutete Madame Maxime. Julius fand das nicht so toll. Solange Umbridge und ihre Muggelstämmigen-Aburteilungsbande noch am Werk waren und ihr Herr und Strippenzieher drauflos mordete wie er wollte kam das nicht gut, wenn eine vorher reine Muggelfrau plötzlich und für alle nachvollziehbar als Hexe herumlaufen konnte. Das wollte er schon genauer wissen und schrieb deshalb einen Brief an Monsieur Delamontagne und dessen Tochter, die Dorfrätin für gesellschaftliche Angelegenheiten, weil er dachte, daß sie auch dabei mitgesprochen hatte. Vielleicht konnte der noch als Stellvertreter bezeichnete Monsieur Delamontagne nicht mehr vor der Wahl antworten. Vielleicht hatte er die Antwort aber auch noch davor.

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Der Februar endete mit einem Sturm, der ganz Südfrankreich überzog. Julius fühlte sich unbehaglich, weil bei solchen Stürmen Dementoren ins Land eingefallen waren. Auch dachte er an den Ausritt auf Thestralen, als der mittlerweile gefeuerte Monsieur Pivert meinte, man könne selbst bei solchem Wetter wunderbar auf diesen für die meisten unsichtbaren Zaubertieren durch die Gegend fliegen. Als eine besonders heftige Böe mehrere Liter Regenwasser laut gegen die Fenster klatschte fragte Julius Madame Maxime: "Haben Sie schon raus, wer den Posten für praktische Magizoologie übernimmt?"

"Monsieur Moulin hat von der Tierwesenbehörde eine lukrativere Anstellung erhalten als wir ihm bieten können", seufzte sie. "Dort gab es schließlich einige Ausfälle, als der Generalangriff der Skyllianri erfolgte. Monsieur Pivert werde ich nicht noch einmal bemühen, ohne ihm eine horrende Entschädigungsgebühr und Abbitte zu gewähren. Er hat sich als zu riskant und experimentierfreudig erwiesen und hält sich ohne dies gerade in Australien auf, um die kleine Familie dieser Wollmilchmenschen zu betreuen." Julius dachte an Auroras Beschreibung dieser Halbmenschenrasse, die gerade zwölf Jahre existierte. Außerdem erweckte der Gedanke an Australien in ihm eine Mischung aus Beklommenheit und Lust, weil er an Naaneavargia dachte. War die Spinnenfrau immer noch hinter ihm her? Oder suchte sie arglose Leute und Tiere heim, um sich einfach am Leben zu halten? "Madame Barbara Latierre hat sich nur unter der Bedingung zur Übernahme dieses Postens bereitgefunden, wenn sie alle derzeit trächtigen Latierre-kühe und einen Bullen auf dem Gelände von Beauxbatons unterbringen könne und in ihrem Vertrag die Klausel stehen habe, daß sie bei Problemen auf ihrem Hof jederzeit Unterrichtsstunden ausfallen lassen dürfe. Die Schulräte sind nicht mit diesen Bedingungen einverstanden. Madame Latierre hat mir jedoch angeboten, bis zum Wahltag abzuwarten. Sollte sich bis dahin niemand freiwillig melden, würde sie jemanden aus ihrer Abteilung per Los bestimmen, auf Kosten des Ministeriums bis Schuljahresende den Unterricht zu erteilen."

"Sich selbst wirft sie dann aber nicht in die Lostrommel, oder?" Fragte Julius.

"Wohl nicht", erwiderte Madame Maxime. "Aber zumindest ist es ein guter Kompromiß. Vielleicht können wir die zugeteilte Fachkraft dann abwerben, sofern es jemand aus den unteren Abteilungen ist."

"Der wäre dann aber noch ziemlich jung", sagte Julius.

"Wohl wahr", erwiderte die Schulleiterin. "Aber ich habe damals auch ziemlich jung als Lehrerin angefangen. Da war ich gerade vierundzwanzig Jahre alt. Und jemand anderes, über den wir hier wohl nicht zu lange sprechen müssen, hat seinerzeit in Hogwarts als Zwanzigjähriger eine Lehranstellung erhalten und bis zu seiner groben Undankbarkeit gegenüber dem Schulleiter Zaubertränke unterrichtet."

"Ist echt nett, einen Mord als grobe Undankbarkeit zu bezeichnen", grummelte Julius. Denn er kannnte nur einen Zaubertranklehrer von Hogwarts. Seltsamerweise stieg in ihm Goldschweifs Bemerkung auf, daß Snape - eben jener Lehrer - nur unangenehm sei, während sie die Todesser als böse bezeichnet hatte, als er mit ihr seine Freunde aus Hogwarts geholt hatte.

"Neh, über den müssen wir wirklich nicht mehr sprechen", knurrte Julius dann noch.

Kurz vor der Wiederaufnahme des Schulbetriebes mußte Madame Maxime zusammen mit den Schulräten und Saalvorstehern die ausgeführten Bauarbeiten begutachten. Monsieur Descartes von der Ausbildungsabteilung hielt sich mit Julius soweit es ging im Hintergrund. Welche zauber ausprobiert wurden und ob diese gingen oder nicht bekam Julius selbst nicht so häufig mit, weil viele Sachen unsichtbar und unhörbar abliefen. Hier und da mußten Madame Maxime und Professeur Faucon irgendwas nachbessern und einränken. Doch dann sagte die Schulleiterin: "Hiermit erkläre ich von meiner Seite Beauxbatons für vollständig instandgesetzt." Diese klare Ansage mußten auch Professeur Faucon, der Vorstand der Schulräte und Monsieur Descartes wiederholen. Damit war die Schule renoviert. Übermorgen konnten alle Schüler wieder zurückkehren. Dann würde es für Julius richtig schwierig, von allen immer wieder angeglotzt zu werden, weil er am Lehrertisch sitzen sollte.

"Ich darf Ihnen bei der Gelegenheit noch mitteilen, Madame Maxime, das Madame Fourmier sich doch hat überzeugen lassen, die Stelle anzunehmen", sagte Monsieur Dumas, der für Madame Delamontagne die Millemerveillesen im Schulrat übernommen hatte. Julius horchte auf. Wer war denn Madame Fourmier?

"Ah, die gute Agrippine", entgegnete Madame Maxime. "Ich ging davon aus, sie wollte sich bei Ihnen in Millemerveilles bis zu ihrem Tode auf dem Chefinnensessel der menagerie ausruhen."

"Seitdem Millemerveilles von so vielen Flüchtlingen bevölkert ist fühlt sie sich dort nicht mehr so richtig wohl. Seitdem ihr Mann vor fünf Jahren starb hat sie nur die Tiere und Pfleger um sich gehabt. Sie meint, daß sie mit Halbstarken wohl leichter umspringen kann als mit besserwisserischen oder ignoranten Erwachsenen", erwiderte Monsieur Dumas erheitert grinsend. Julius preßte die Lippen aufeinander, um nicht zu entgegnen, daß die sogenannten Halbstarken einen schon gut fertigmachen konnten. Aber im Moment dachte er daran, daß eine neue Lehrerin für Tierwesen besser war als andauernd mit Madame Maxime von einer Schülergruppe nach der anderen zwischen Faszination und Mitleid angeglotzt zu werden, als sei er selbst ein besonderes Zootier.

"Gut, dann erwarte ich die offizielle Bewerbung der guten Agrippine", sagte Madame Maxime. Monsieur Dumas grinste wie ein Schuljunge nach einem gelungenen Streich und förderte einen Briefumschlag aus seinem grünen Samtumhang. "Habe ich mir schon gedacht und Agrippine gebeten, Ihnen die nötigen Schreiben und Nachweise einzustecken. Bitte sehr, Madame Maxime."

"Dann möge sie auf meine Antwort warten!" Erwiderte Madame Maxime leicht verstimmt, weil man sie quasi ausgekontert hatte.

Als alle Besucher und Gutachter fort waren beschrieb Madame Maxime, wer die neue Lehrerin war. Diese hatte von 1930 bis 1945 das Fach unterrichtet, was gerade neu zu vergeben war. Dann war sie als Drachenjägerin durch halb Europa gezogen, hatte eine probate Spiegelbrille gegen Basilisken erfunden, die jedoch nicht so leicht nachzubauen und nur auf einen Träger für die Dauer ihrer Haltbarkeit abstimmbar war. Allerdings sei ihr dabei ein schwerer Unfall passiert. Sie hatte versucht, mehrere Runespores auf einmal abzutöten. Die gefährlichen Schlangenwesen hatten sie mit ihrem Gift an Armen und Beinen erwischt. Das rettende Antidot war nicht früh genug da, um die Gliedmaßen zu retten. Wegen der magischen Wirkung des Giftes konnten diese nicht einfach regeneriert werden. Seitdem besaß Agrippine Fourmier magische Arm- und Beinprothesen. Vor zwanzig Jahren hatte sie dann in Millemerveilles in der Menagerie angefangen und sich bis zur Direktrice hochgearbeitet.

"Ups, dann macht die ja einen Rückschritt, wenn sie jetzt wieder Schulkinder unterrichtet", warf Julius ein.

"Sie haben es gehört, daß sie sich im Moment wohl von Leuten in Millemerveilles überfordert fühlt. Sie hat sich immer auf dem laufenden gehalten und einige Fachartikel herausgegeben, vor allem im Umgang mit Drachen und Riesenspinnen. Da sie nicht viel Wert auf öffentliche Ehrungen legt hält sie sich bei brisanteren Sachen gerne im Hintergrund auf."

"Sie hat also diese silbernen Armprothesen, wie sie der Drachenjäger Perseus Forester hat?" Fragte Julius.

"Ja, und entsprechende Beine", erwiderte Madame Maxime. "Um nicht gleich als halbkünstlich aufzufallen verbirgt sie diese Gliedmaßen jedoch immer unter fleischfarbenen Handschuhen und Strumpfhosen. Das Ministerium ist sehr großzügig zu seinen Mitarbeitern, die im Einsatz verunglücken", erwiderte die Halbriesin. "Aber wenn sie wirklich hier anfängt löchern Sie sie bitte nicht mit Fragen über ihre künstlichen Glieder. Soweit ich weiß empfindet sie das als Abwertend. Dies nur, um Ihre klar erkennbare Neugier zu beschränken, bevor es zu einem unliebsamen Mißverständnis kommt." Julius blickte sie enttäuscht an, dachte dann aber daran, daß ihm der Ex-Drachenjäger Perseus ja schon einiges über seine magischen Arme erzählt hatte. Doch die eine Frage mußte er jetzt noch anbringen.

"Ähm, wenn sie nicht mehr für das Ministerium arbeitet, haben die dann nicht die Superkräfte aus den Armen und Beinen rausgenommen?"

"Junger Mann, ich entsinne mich sehr gut, daß während des Turniers jener Eindringling, den Sie erwähnten, das magische Auge dessen trug, dessen Identität er uns vorgegaukelt hat. War das etwaa in irgendeiner Weise gedrosselt oder anderweitig eingeschränkt?" Julius grummelte über seine eigene Dämlichkeit. Moody, besser der, der ihn lange gespielt hatte, konnte das magische Auge mit allen seinen Sonderleistungen benutzen, obwohl Moody nicht mehr für das Ministerium arbeitete.

"Im Gegenteil, der hat damit uns Schüler wunderbar unter Druck gehalten, weil er locker nach hinten und durch alles durchgucken konnte, dieser Drecksack. Aber der hatte ein Holzbein."

"Die Frage können Sie sich auch beantworten, wenn Sie schon spekulieren, daß künstliche Glieder leistungsfähiger sind als die natürlichen Extremitäten", entgegnete Madame Maxime. Natürlich konnte sich Julius die Frage beantworten. Wenn ein Bein zwanzigmal stärker war als das andere würde dessen Träger immer irgendwie im Kreis herumlaufen, wie gut er oder sie sich auch auf eine behutsame Kraftverteilung konzentrierte. Das erwähnte er dann auch. Madame Maxime nickte.

"Dann kommt diese Madame Fourmier übermorgen mit den anderen aus Millemerveilles", sagte Julius noch. Seine derzeitige Einzellehrerin nickte. Dann legte sie ihm einen Stundenplan hin. "Das ist unser Arbeitstag ab Montag, Monsieur Latierre. Da Ihre Freizeitkurse bis auf das Zauberwesenseminar am Dienstag für Sie ausfallen liegen unsere Übungsstunden Nachmittags, nachdem ich die schriftlichen Angelegenheiten erledigt habe. Tagesschluß ist dann um zehn Uhr abends. Die Mahlzeiten werden wir wie schon längst beschlossen zu den üblichen Zeiten einnehmen." Julius nickte und nahm zur Kenntnis, daß sie am Mittwoch Nachmittag im Kerkerraum für Zaubertränke das ZAG-pflichtige Pensum magischer Braukunst fortsetzen würden.

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Am Wahltag hörten die nun vier Bewohner Beauxbatons' die Nachrichten und letzten Reden der Kandidaten. Natürlich glaubte weder Madame Maxime, noch Madame Rossignol, Monsieur Bertillon noch Julius Latierre, daß Phoebus Delamontagne als hauptamtlicher Zaubereiminister weitermachen konnte. Er wollte das bestimmt auch nicht. Am Abend wurden die Stimmen ausgezählt. Nach zwei Stunden stand das Ergebnis in Millemerveilles fest. Dort hatte Armand Grandchapeau mit sechsundfünfzig Prozent der gültigen Stimmen gewonnen. Zwei Stunden später konnte auch der Wahlleiter von Paris verkünden: "Nach Auszählung aller gültigen Wählerstimmen entfielen auf den Bewerber Grandchapeau sechsundsechzig Prozent, den Bewerber Delamontagne zwanzig Prozent, die Bewerberin Champverd elf Prozent und den Bewerber Charpentier drei Prozent. Damit bleibt Monsieur Armand Grandchapeau amtierender Zaubereiminister."

"Mitleidseffekt", schnarrte Bertillon. "Der hat seine Entführung und den Einsatz für die französische Zaubererwelt wie ein Ruhekissen benutzen können. Die anderen waren dagegen doch komplett machtlos."

"Ich denke schon, daß Monsieur Delamontagne einen sehr guten Eindruck gemacht hat. Aber wir alle konnten erkennen, daß er dieses Amt nicht wirklich will. Den Gefallen haben sie ihm also erwiesen", bemerkte Madame Maxime.

"Immerhin hat Monsieur Delamontagne in Paris mehr gekriegt als in Millemerveilles", meinte Julius. Madame Rossignol nickte. Charpentier hatte in Millemerveilles knapp dreißig Prozent der Stimmen eingefahren. Daß es nicht mehr waren lag wohl an den derzeitigen Zugezogenen.

"Nun, in dieser Hinsicht werden wir also bekannte und vertraute Verhältnisse wiedererlangen", faßte Madame Maxime den Tag zusammen. "Wollen wir hoffen, daß wir auch irgendwann wieder Frieden außerhalb der Landesgrenzen haben werden."

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Temmie trug Julius im Traum über die Gebäude von Khalakatan, der zeitlosen Stadt. Er unterhielt sich mit ihr über die Schüler, die morgen zurückkehrten. Temmie meinte dazu: "Die große Gefahr ist noch nicht aus der Welt, Julius. Die von Dunkelheit erfüllten umschleichen das Land, in dem du lebst. Und wenn jener, der nur von Dunkelheit durchdrungen ist nicht bald von aller Macht befreit wird, so wird sein düsterer Wille sich erneut über die Welt ausbreiten und irgendwann jenen wecken, der dunkler ist als jeder nach ihm war. Er hat nicht vergessen, daß es Yanxotahrs Waffe gibt und sucht weitere Dinge, die ihm Macht geben."

"Sachen aus Altaxarroi?" Fragte Julius.

"Diese wohl auch. Aber im Moment jagt er einem Ding nach, das ich nicht recht erkennen kann, weil es aus einer Kraft besteht, die sich mir entzieht, einer Kraft zwischen Leben und Tod."

"Weißt du, ob er uns wieder irgendwelche Dementoren schickt?" Fragte Julius.

"Das kann ich nicht sagen", erwiderte Temmie. "Nur das langfristige Ziel, den Gegenstand mit der unbesiegbaren Kraft zu erlangen, kann ich ergreifen. Mehr nicht."

"Schade", erwiderte Julius. Dann erwachte er. Der Tag, an dem seine Mitschüler zurückkehrten begann.

Am Mittag rückten alle Hauselfen ein. Madame Maxime hatte sie mit einer silbernen Glocke herbeigerufen, als sie in der Küche waren. "Somit können wir uns jetzt wieder der noblen Kochkunst unserer fleißigen Diener anvertrauen", sagte die Schulleiterin. Julius bedankte sich noch einmal artig für das, was sie für sich und ihn so gezaubert hatte. Sie hatte sich Professeur Faucon als ebenbürtig in Sachen Kochkunst herausgestellt.

Am Nachmittag erschien aus einer Reisesphäre eine spindeldünne, dunkelblonde Hexe im grasgrünen Kleid, mit einer dicken Brille auf der breiten Nase, deren Gläser wie blaue Spiegel aussahen, durch die Julius kaum die echte Augenfarbe erkennen konnte. Die Arme und Beine waren dünn und gelenkig wie bei einer Spinne oder einem Insekt. Das war die neue Lehrerin, Agrippine Fourmier. Julius wunderte sich, als er zusammen mit Madame Maxime und Madame Rossignol auf dem Platz vor dem Ausgangskreis wartete, daß er die Hexe in Millemerveilles nie gesehen hatte. Dabei verbrachte er dort einen Großteil seiner Ferien und wäre fast ganz dort hingezogen, wenn Professeur Faucon und Madame Delamontagne ihren Willen bekommen hätten.

"Ah, Olympe, schön, Sie in ihrer ganzen Erhabenheit wiederzusehen", begrüßte die eingetroffene Hexe die Schulleiterin herzlich. Ihre Stimme klang so, als sei sie eine Sängerin, die ein fröhliches Lied vortrug. Julius konnte nicht sehen, ob die Arme und Beine der Neuen wirklich magische Prothesen waren. Sie bewegte sich sehr fließend und keinesfalls übervorsichtig oder überschnell.

"Agrippine, schon lange nicht mehr miteinander gesprochen", erwiderte Madame Maxime. "Ich dachte, Ihnen gefällt Millemerveilles zu gut."

"Wohnen tue ich dort immer noch gerne, Olympe. Aber im Moment stromert mir da zu viel aufgescheuchtes Volk herum, daß ich schon dachte, die gute Begonie hätte sich einen Jux erlaubt und alle ihre Bienen in Menschen verwandelt."

"Die Zwischenstadien sind schon schlimm genug", schnarrte Madame Maxime. Julius fragte sich, warum er diese Hexe noch nie beim Sommerball gesehen hatte, wo doch sonst alle tanzfähigen Bewohner aufliefen. Konnte die mit ihren Bionikbeinen vielleicht nicht mehr tanzen?

"Guten Tag, junger Mann. Ich hörte, daß Sie im Moment wegen der Sache mit den Schlangenwesen mit Madame Maxime zusammenleben müssen. Sie haben sich gut entwickelt, seitdem ich Sie mit ihrer Frau Mutter und Babette Brickston in der Menagerie beobachtet habe. Oh, Olympe, stellen Sie uns bitte einander vor?"

"Monsieur Latierre, das ist Madame, beziehungsweise nun Professeur Agrippine Fourmier, die ab morgen den Unterricht in praktischer Magizoologie erteilen wird. Professeur Fourmier, das ist Monsieur Julius Latierre, ZAG-Kandidat aus Professeur Faucons Saal, über den Sie ja bereits etwas erfahren durften."

"Angenehm", sagte Julius zuerst. "Angenehm", erwiderte Professeur Fourmier und umarmte Julius nach Landessitte. Er fühlte einen kurzen Angstschauer, sich vorzustellen, daß diese zerbrechlich wirkende Frau ihn mal eben wie ein rohes ei zerdrücken könnte. Doch er erwiderte die Umarmung dynamisch aber nicht übertrieben. Ein Wiesenparfüm wehte ihm dabei in die Nase. Das war so ähnlich wie das, was Claire gerne aufgelegt hatte.

"Darf ich fragen, warum ich Sie damals nicht gesehen habe, als ich mit meiner Mutter und Babette in der Menagerie war?" Machte Julius seiner Neugier Luft.

"Weil ich da in meinem Büro saß. Wenn ein vollständig magieloser Mensch unter Schutz des Abwehrbannhemmtrankes in die Menagerie kommt wird mir auf einer Bildverpflanzungswand angezeigt, wie er aussieht und wo er langläuft. Es gibt Wesen, die reagieren allergisch auf magielose Menschen, flüchten oder verteidigen sich. Das kann für die Pfleger gefährlich werden. Daher konnte ich bis heute Mittag sofort sehen, wenn ein Muggel durch den Tierpark geht."

"Verstehe", erwiderte Julius nur und schluckte jede weitere Bemerkung hinunter. Er wollte sie nicht gleich mit allem löchern, was ihn interessierte.

"Mit der Anrede Professeur muß ich noch warm werden, Olympe. Die gute Blanche hat da mehr Übung drin."

"Sie wollten nicht mit den anderen zusammen hier eintreffen?" Fragte Madame Rossignol.

"Große Auftritte waren und sind nie meine Sache, Heilerin Rossignol. Oder darf ich Sie weiterhin Florence nennen?"

"Der alten Zeiten wegen", erwiderte Madame Rossignol lächelnd.

"Gut, dann möchte ich gerne meine Unterbringung sehen, Olympe. Oh, Verzeihung, Madame ladirectrice. Auch daran werde ich mich wohl gewöhnen müssen", entgegnete Professeur Fourmier. Julius fragte sich, ob so wirklich eine Hexe auftrat, die seit Jahren verwitwet war und jeden Tag daran erinnert wurde, das sie nur noch zur Hälfte aus lebendem Gewebe bestand. Aber eigentlich ging ihn das nichts an. Er hatte zwar seine natürlichen Organe noch und sollte froh darüber sein. Aber ihn faszinierte es immer noch, daß die magische Heilkunst künstliche Körperteile mit überragenden Fähigkeiten herstellen konnte, wenn die Originalorgane und Gliedmaßen nicht mehr nachwachsen konnten. Im Grunde konnte er sich doch glücklich schätzen, daß sie ihm nicht Arme und Beine abnehmen mußten, nachdem das Skyllianrigift darin eingedrungen war.

"Vorher möchte ich Sie bitten, mir Ihren Schutzbefohlenen für eine gründliche Untersuchung zu überlassen, Madame Maxime", sagte Madame Rossignol. "Bitte bringen Sie ihn zu mir!"

"Natürlich", erwiderte Madame Maxime und geleitete die Heilerin und Julius per Wandschlüpfsystem in den Krankenflügel, der nun wieder auf Hochglanz geputzt war. Julius ließ es sich gefallen, auf einer Behandlungsliege festgeschnallt zu werden, bevor Madame Maxime ihren Walpurgisnachtring löste und sich dezent zurückzog. Er kannte die Prozedur. Jeden Sonntag seit der Bluttransfusion war er bereits zur Untersuchung eingeliefert worden. Mit magischen Maßbändern untersuchte die Heilerin Julius. Dabei stellte sie fest, daß er in der letzten Woche um einen weiteren Zentimeter gewachsen war. Julius erkannte, warum er in manche Unterkleidung nicht mehr so locker hineinkam. Seine Oberweite hatte sich nur sehr schwach geändert. Um ein unerwünschtes Brustwachstum zu unterbinden erhielt er eine gut abgemessene Dosis Retrolactus-Trank.

"Dann sind es jetzt insgesamt fünf Zentimeter Längenwachstum in drei Wochen. Die Rate sinkt wohl im Verhältnis des in dir weiterfließenden Blutes von Madame Maxime. Ich sehe aber voraus, daß wir in den nächsten zwei bis drei Wochen einen Satz neuer Wäsche für dich kaufen müssen."

"Millie meinte schon, ich könnte sie einholen, wenn die Walpurgisnacht rum ist."

"Könnte sein, daß du am Ende dieser Therapie um ganze fünfzehn Zentimeter gewachsen sein wirst, Julius. Das wären knapp ein Meter und neunzig."

"Deshalb meinte Professeur Fourmier auch, daß ich mich gut entwickelt hätte", erwiderte Julius. Dann fühlte er die Diagnosezauber über und in seinem Körper herumtasten.

"Hattest du in den letzten Nächten wieder irgendwelche aufwühlenden Träume?" Fragte die Heilerin. Julius antwortete nur, daß er sich immer wieder mit der geflügelten Kuh Artemis unterhalten hatte und worüber. Madame Rossignol würde das nicht weitererzählen können, wußte Julius.

"Du bist körperlich unterrichtstauglich, seelisch im Moment recht gut gefordert und geistig ebenso unterrichtstauglich", befand Madame Rossignol, bevor sie Madame Maxime zurückrief.

Am Abend trafen die anderen ein. Immer wieder wummerte die sonnenuntergangsrote Reisesphäre, bevor sie im Boden verschwand. Jedes mal gab sie eine weitere Gruppe Schüler frei. Julius stand mit Madame Maxime parat. Zuerst erschien die Gruppe aus Millemerveilles, aus der sich Professeur Faucon zu den beiden wartenden stellte. Nach dem Eintreffen der Gruppe aus Straßburg wußte Julius, wie anstrengend die nächsten Wochen werden mochten. Alle bisher angekommenen starrten ihn mit unterschiedlichsten Mienen an, von schadenfroh bis mitleidsvoll, fasziniert bis beunruhigt, neugierig bis abweisend. Als sein Blick den von Laurentine Hellersdorf traf las er große Anteilnahme daraus. Offenbar hatte sie sein Schicksal geschockt, nachdem ihr Professeur Faucon die ganze Sache erzählt hatte. Als dann die aus Brüssel eintrafen ließ Julius seinen Geist absichtlich frei wirken. Er sah die Duisenbergs genau an und bemühte sich, Ruhe auszustrahlen. Corinne lächelte ihm aufmunternd zu. Patrice winkte ihm sogar. Als Belisama Lagrange mit allen aus Calais in Beauxbatons landete schlug diese ihre Augen nieder. Sie wollte ihn nicht ansehen. Ganz anders dagegen die Latierres, die mit den Dorniers in der pariser Gruppe ankamen. Sie winkten Julius zu und begrüßten ihn. Céline wußte nicht so recht, wie sie sich verhalten sollte. Constance sah Julius mit einem merkwürdigen Grinsen an, als wisse sie nicht, wie sie mit der Lage umgehen sollte. Die kleine Cythera, die auf den Schultern ihrer Mutter saß, winkte ihm mit ihren kurzen Ärmchen. Doch seine ganze Aufmerksamkeit gehörte Millies rehbraunen Augen, die ihn warm und aufmunternd anblickten. Er fühlte eine Wärme wie an einem sommerlichen Strand in sich eindringen. Sein Herzanhänger pulsierte kräftiger und schickte ihm aufmunternde Ströme in den Brustkorb, die wie sein Blut im ganzen Körper verteilt wurden und ihn kräftigten. Fast meinte er, sie aus dem Lärm der Ankömmlinge heraus wispern zu hören: "Ich bin wieder bei dir, Monju."

Der Lärm der durcheinanderschwatzenden Schüler erstarb sofort, als Madame maxime eine Hand hob. "Mesdames, Messieurs et Mesdemoiselles. Es ist mir eine ganz besondere Ehre, Sie alle nach drei Wochen Zwangspause wieder in den wiedererstarkten Mauern unserer altehrwürdigen Akademie Beauxbatons begrüßen zu dürfen", sprach sie die Angereisten mit weithin hörbarer Stimme an. "Ich möchte Ihnen allen sagen, wie froh ich bin, daß wir alle den gnadenlosen und brutalen Überfall auf diese ehrwürdige Lehranstalt unverletzt überstanden haben." Alle blickten verunsichert auf Julius Latierre, der jedoch kalt lächelnd zurückwinkte. "Ich sagte alle, und ich meinte das auch so, die Damen und Herren", bekräftigte die Schulleiterin. "Auch wenn Sie Ihren Schüler oder Mitschüler Julius Latierre hier an meiner Seite sehen und wissen, was diesem widerfuhr, so ist er doch wie Sie alle dem grausamen Angriff entronnen, ohne Folgeschäden davongetragen zu haben. Der Umstand, der ihn nun bis in den Mai hinein dazu verurteilt, in meiner unmittelbaren Nähe zu verweilen, rettete ihn vor einem entsetzlichen Schicksal und bewahrte ihn und uns davor, zu lebenden Werkzeugen jenes bösartigen Magiers zu werden, der keine Ehrfurcht vor menschlichem Leben kennt. Ich möchte noch einmal betonen, daß wir alle froh sein dürfen, daß uns und unseren Angehörigen durch diese Untat kein Leid widerfuhr und ..."

"Golbasto hat's erwischt", schnarrte einer der Violetten. "Der ist von diesen Riesenspatzen totgepickt worden." Julius fühlte sich, als werde er gerade angegriffen. Kampflustig straffte er sich, bereit, jeden niederzuhauen oder mit Zaubern zu belegen, die noch wen aus der Opferliste rausposaunen wollten, um ihm zu sagen, daß er die alle auf dem Gewissen hatte.

"Monsieur Collis war volljährig und hat unsere Akademie in der besten Überzeugung verlassen, für das gute in der Zaubererwelt einzutreten und unsere Feinde zurückzuschlagen", stieß Madame Maximes Antwort in das nun aufgekommene Getuschel hinein. "Daß er starb lag daran, daß er Opfer dieser Wesen wurde, die sich durch ihr Gift vermehrten. Die Riesenvögel handelten nach einem einfachen Befehl, alle die zu töten, die zu diesen Ungeheuern gehörten. Sie unterschieden nicht zwischen Keimzellen und Opfern der Seuche. So wie diese selbst keinen Unterschied mehr darin sahen und nur dem einfachen Befehl unterstanden, alles zu tun, was ihnen ihr Meister auftrug. Er und alle anderen, deren Namen durch die Zeitungen und Rundfunkberichte gingen, wurden von einem unwürdigem und unfreien Dasein erlöst. Daß nicht noch viele andre Menschen, mit oder ohne magische Begabung, jenes Schicksal eerfahren mußten, Sie eingeschlossen, verdanken Sie und ich diesen Vögeln aus einem verborgenen Refugium. Bedenken Sie das immer, um wie viele Menschen mehr die Brut der Schlangenwesen angestiegen wäre! Danken Sie dem Himmel, dem Schicksal, einer von Ihnen verehrten Gottheit oder dem Lauf der Welt, daß wir alle wieder hier zusammenkommen konnten! So, und jetzt darf ich sie alle bitten, mich in den Speisesaal zu begleiten, um die Wiedereröffnung von Beauxbatons zu feiern!" Mit diesen Worten drehte sie sich um und führte sie alle an. Julius hielt mühelos mit ihr Schritt. Er hörte jedoch das gehässige Lachen einiger Schüler hinter sich. Das waren wohl Blaue.

Als er sich zur linken Madame Maximes vor Kopf des Lehrertisches setzte fühlte er wieder die Blicke aus mehr als tausend Augen auf seinem Körper kleben. Er kam sich wie ein in die Enge getriebenes Tier vor, das weglaufen will, aber nicht kann und das spürt, daß der Feind ihm überlegen ist. Komischerweise fiel ihm gerade ein, daß er einmal vom grasgrünen Tisch aus die Lehrer beim Tuscheln beobachtet und einen Moment lang gewünscht hatte, verstehen zu können, was sie sagten. Dieser Wunsch erfüllte sich gerade. Aber Julius empfand keine Freude oder Befriedigung dabei. Er stellte fest, daß die anderen Lehrer sich schön weit außerhalb seiner Armspannweite niederließen. Dachten die denn, er wollte sie alle gleich niederschlagen? Mit einem mal verwünschte er es, daß er sich in den letzten Wochen so verloren und hilflos in der leeren Schule gefühlt hatte. Die Menge der Leute, die ihn immer wieder anstarrten und abwechselnd im Blick behielten drückte schwerer auf seine Seele als die leeren Korridore und Räume zusammen.

Professeur Fourmier hatte ihr grasgrünes Kleid gegen einen wallenden, hellblauen Umhang getauscht. Ansonsten trugen die Lehrerinnen und Lehrer ihre üblichen Sachen. Professeur Faucon hatte ihren mauvefarbenen Umhang angezogen. Professeur Trifolio trug einen derben grünen Arbeitsumhang, der keine Erdflecken aufwies. Das mochte sich heute abend noch ändern, wenn der Kräuterkundelehrer noch einmal sein Reich inspizierte.

Da die Schulleiterin ihre Begrüßungsrede schon vor dem Palast gehalten hatte, stellte sie lediglich noch die neue Lehrerin für Zaubertiere vor. Die Schüler aus Millemerveilles kannten sie fast alle. Dem Rest war sie unbekannt. Julius erhaschte einen Blick von Yvonne Pivert, die die neue Lehrerin sehr neugierig betrachtete. Madame Maxime beschrieb den Werdegang der Neuen und erwähnte, daß sie schon einmal in Beauxbatons unterrichtet habe. Daß sie keine natürlichen Arme und Beine mehr hatte ließ sie jedoch aus. Das ließ Julius stutzen. Sollte er sich jetzt geehrt fühlen, weil er das erfahren hatte? Oder mußte er sich jetzt veralbert fühlen, weil die Schulleiterin ihm da was erzählt hatte, was nicht stimmte? Er beschloß, wenn er die Gelegenheit hatte, die neue Lehrerin zu ihrer ersten Lehreranstellung hier zu befragen. Sie saß im Moment neben Professeur Faucon zur rechten Madame Maximes.

Die Befürchtung, die Tischgespräche der Lehrer könnten über langweilige Themen gehen erfüllte sich nicht. Die meisten Lehrer waren froh, wieder hier zu sein und plauderten über ihre Ferienerlebnisse. Julius aß derweil, um nicht in die Versuchung zu geraten, was ungehöriges zu sagen. Madame Maxime befand jedoch, daß er sich durchaus in die laufende Konversation einzufügen habe und schnitt das Thema an, wie Julius' Mutter Kontakt in die Muggelwelt bekam. Das interessierte natürlich den Muggelkundelehrer Paximus, die Arithmantiklehrerin Laplace und die Zauberkunstlehrerin Bellart. So entwickelte sich eine lebhafte, wenn auch emotionsarme Fachdiskussion über Telefone, Internettelefonie und Mobilfunk. Professeur Faucon konte ja auch was dazu beisteuern und pries - Julius vermeinte sich zu verhören - die technischen Verständigungsmittel, die es ja immerhin ermöglicht hatten, die Eltern der Muggelstämmigen zu informieren. Dann ging es um die Bauarbeiten. Doch von da aus war es ein winziger Schritt zu Julius' Anwesenheit am Lehrertisch und seiner gegenwärtigen geistig-seelischen Verfassung.

"Ich habe das im Rundfunk schon gesagt, Messieursdames lesprofesseurs, daß ich den Schlag, mit dem ich Monsieur Devereaux umgehauen habe bedauere", wandte Julius leicht gereizt ein. "Ob der Herr mir eine Weihnachtskarte schickt oder nicht ist mir völlig gleich. Ich habe mich entschuldigt."

"Nun, aber von ganz ungefähr wurden Sie ja nicht dazu verpflichtet, durch Verbindungsringe in Madame Maximes Nähe zu bleiben", hielt ihm Professeur Dedalus entgegen. Offenbar war es dem Besensportlehrer ein Bedürfnis, den in vielen Fächern überragend erscheinenden Jungen knallhart vorzuführen. Julius mußte ganze drei Sekunden überlegen, was er ihm sagen sollte, ohne sich und ihn noch mehr aufzuregen. Der Lehrer blickte ihn herausfordernd an.

"Der Grund besteht schlicht darin, daß außer Madame Maxime keiner Ahnung davon hat, was ihr Blut so anstellen kann und Madame Rossignol deshalb die Heileranweisung ausgegeben hat, mich in ihrer Nähe zu halten, damit, falls ich mich überhaupt nicht mehr beherrschen kann, keiner dabei verletzt wird, weder Sie noch ich, Professeur Dedalus. Deshalb hat mir die Sache mit diesem Typen Devereaux ja auch total Angst gemacht, weil ich einen übertrainierten Mann mal eben zwei mal so weit wie ich lang bin durch einen Korridor geschlagen habe, mit einem einzigen Schlag. Wenn ich das einem Schulkameraden oder gar einer Schulkameradin aus den unteren Klassen angetan hätte wäre der oder die bestimmt daran gestorben. Genau deshalb wurde mir das hier umgelegt", sagte er und deutete auf die Stelle seines Körpers, wo ihn der Walpurgisnachtring umschloß.

"Es ist nicht leicht, mit unverhofftem Kraftzuwachs sofort vernünftig umzugehen", wandte Professeur Fourmier ein. "Wenn dann wirklich ein durch die Blutübertragung angefachtes Gefühlschaos entsteht grenzt es eh an ein Wunder, daß Monsieur Latierre nicht alles und jeden in Stücke haut und mit uns hier zusammen sitzen kann."

"Ich wollte nur feststellen, daß der junge Mann vielleicht den Preis für eine Unüberlegtheit bezahlen muß", sagte Dedalus. Julius hatte jetzt doch das Bedürfnis, diesen kerl da zu erwürgen oder ihm mal eben den Kopf abzuschrauben. Madame maxime merkte das wohl, weil er sich straffte und leicht erzitterte. So sagte sie:

"Aeolos, Sie werden hier und jetzt keinen Vorwurf gegen den jungen Mann hier erheben, nur weil er seine Pflicht als stellvertretender Saalsprecher erfüllt und verstreut im Palast umherirrende Mitschüler gesucht hat. Das wäre schließlich auch Ihre Pflicht als Lehrer gewesen, die Schüler, die die Ausgänge zu den Säulen kennen zu unterstützen und alle in deren Nähe befindlichen Schüler in die richtige Richtung zu führen."

"Wollen Sie mir vor der neuen Kollegin und diesem Burschen da Feigheit unterstellen?" Fragte Dedalus. Julius wollte schon rufen, daß der Schuh ihm wohl paßte, wenn er den so locker anzog. Doch Madame Maxime kam ihm zuvor:

"Ich stelle lediglich fest, daß Sie sich schnell einer Gruppe angeschlossen haben, ohne zu fragen, ob vielleicht noch Schüler im Palast sind, Aeolos. Julius Latierre suchte nur noch nach weiteren Schülern, von denen ihm der Kniesel Goldschweif berichtet hatte. Hätte er das nicht getan, wäre meine Begrüßungsrede sicherlich nicht so erfreut ausgefallen. Womöglich gäbe es die Akademie dann auch nicht mehr."

"Mein Gedanke war und ist nur, hier jedem zu zeigen, daß er oder sie Grenzen hat", erwiderte Professeur Dedalus unwirsch. Das wiederum brachte Professeur Faucon dazu, was zu sagen.

"Zum ersten ist das unser aller Aufgabe, die wir einen Lehrauftrag an dieser Akademie erfüllen dürfen, Aeolos. Zum zweiten ist es aber auch unsere Aufgabe, den Schülern zu zeigen, wie sie ihre Grenzen nicht nur erkennen, sondern in vernünftigem Maß erweitern können. Mag sein, daß Sie für Besenflug und Quidditch eiserne Grenzen sehen, die niemand überschreiten kann oder darf. Meine Fächer geben mir da doch ein bißchen mehr Ausbaumöglichkeit, um talentierte Schüler zu fördern, nicht nur zurechtzuweisen, wenngleich dies im Rahmen einer Forderung und Förderung oftmals nötig ist. Was Sie hier und jetzt tun ist, die ohne sein Wollen herbeigeführte, instabile Gefühlslage von Monsieur Latierre auszunutzen, um ihn zu provozieren oder zu erniedrigen. Er hat Ihre Fragen beantwortet und damit auch unsere unausgesprochenen Fragen beantwortet. Dabei sollten wir es bitte bewenden lassen."

"Sie sind doch nur erbost, daß Ihr Vorzeigeschüler sich einen schweren Fehler erlaubt hat, weil er nicht schnell genug laufen konnte, wo er doch angeblich so sportlich ist und ..."

"Ganz ruhig", zischte Madame Maxime Julius ins Ohr, weil dieser schon halb von seinem Stuhl aufgesprungen war. Hinlaufen konnte er nicht. Aber den Stuhl könnte er diesem Drecksack mal eben voll in das überhebliche Gesicht pfeffern. Da war ihm, als flösse ihm von seinem Zuneigungsherz eine stark beruhigende Mixtur in den Körper. Er vergaß die Lust, diesen Kerl da mit seinem Stuhl voll an der Birne zu erwischen. Alle Muskeln angespannt, leicht bebend stand er da, sein Gesicht eine rote Maske der Wut. Doch dann entspannte er sich wieder und setzte sich hin.

"Ich wäre wohl ein Feigling, wenn ich Sie jetzt für das dumme Geschwätz angreifen würde, Professeur Dedalus. Ich wäre feige, weil ich genau weiß, daß Sie im Moment keine Möglichkeit hätten, mich abzuwehren. Sie wiegen gerade mal achtzig Kilogramm. Außerdem kann ich Kampfsporttricks, gegen die Sie nichts zu bestellen haben, Monsieur leprofesseur. Ja, ich wäre eine feige Sau, wenn ich sie hier und jetzt oder anderswo angreifen würde. Aber wenn Sie so weiterreden könnte ich das vielleicht vergessen. Deshalb bin ich gerade mit den Ringen an Madame Maxime angebunden. Falls ihr jedoch einfällt, daß ich mal zeige, wie ich wen an einer Wand zerteile könnte sie vielleicht ihren Ring losmachen. Wann das ist weiß ich erst, wenn ich merke, daß ich frei rumlaufen kann", preßte er hervor. Dann gab er sich diesem beruhigenden Gefühl hin, daß aus dem sanft pulsierenden Herzen unter seinem schon gut spannenden Unterhemd in ihn hineinsickerte. Er verdrängte den inneren Anstoß, zum kirschroten Tisch hinüberzusehen. Er stellte sich Millie vor, die gerade mitten beim Essen in einer konzentrierten Haltung dasaß und seine Selbstbeherrschungsformel dachte. "Was mich stört verschwinde!" Dachte er jetzt fast wie auf Knopfdruck. Dieser Satz wirkte bereits. Er fühlte sich entspannter. Die Antwort von Dedalus überhörte er schlicht. Er hörte erst wieder recht hin, als Professeur Pallas den Wahlausgang zur Sprache brachte. Ab da ging es um die Zaubererweltpolitik. Julius wurde gefragt, ob er neues aus England gehört habe, ob sich die Lage dort verschlimmert oder verbessert habe.

"Seitdem die Familien meiner besten Schulfreunde aus England flüchten mußten kriege ich keine Zeitungen oder sowas mehr, Professeur Pallas. Das, was ich da zuletzt gekriegt habe war auch nicht gerade nett."

"Meine Kontakte auf die britischen Inseln stehen noch", schaltete sich Professeur Faucon ein. "Um die Frage kurz und knapp zu beantworten: Die Lage ist schlicht unerträglich, vor allem für noch dort verbliebene Muggelstämmige."

"Nun, wir haben jetzt den Großangriff des Unnennbaren überstanden, wenngleich wir nicht viel dagegen tun konnten", erwiderte professeur Paralax. "Doch die Gefahr ist noch nicht gebannt."

"Ich habe mir die Freiheit genommen, diverse Ausdeutungsmethoden auszuprobieren", erhob nun Professeur Cognito, der Wahrsagekunstlehrer, das Wort. "Eine astrologische Analyse sagt aus, daß im Zeichen des Stiers der keim für eine neue Welt gelegt wird und der Stier ihre Morgendämmerung bringt, wenn Venus und Jupiter die Herrschaft von Mars und Pluto beenden. Die Kristallkugel zeigte mir eine Entscheidungsschlacht und einen Krieger, der stolpert und dabei in sein Schwert stürzt. Die Karten ..."

"Zeigen viele viele bunte Bilder, Theresias", schnarrte Professeur Pallas. "Mit welchem Räucherwerk haben Sie hantiert, um diese Visionen und Deutungen zu erzielen?"

"Bei allem Respekt, werte Kollegin. Meine Studien und Methoden beruhen auf langjährig erprobtem Wissen, insbesondere in den Bereichen der Sterndeutung."

"Diese Thematik betrifft ja wohl auch mein Fachgebiet, werter Kollege", klinkte sich nun Professeur Paralax ein, der Astronomielehrer. "Sicher sind die Sterne, Planeten und Monde wichtige Orientierungshilfen und Zeitgeber, und Sonne und Mond beeinflussen unser Leben ungemein durch die Gezeitenkräfte und die Strahlung, die sie uns schicken. Aber aus den Bewegungen der Planeten die Zukunft zu deuten oder die foranschreitende Präzession als Grundlage für eine auf Menschen bezogene Zukunft zu benutzen ist doch sehr unzuverlässig."

"Natürlich streiten Sie ab, daß die Gestirne unser Schicksal verraten, weil Sie in Ihnen eben nur sich bewegende Körper sehen. Es ist ja auch ein langer Weg, um die Aussagen der Sterne zu verstehen", verteidigte Professeur Cognito sein Fachgebiet. Julius fiel eine Weisheit ein, die ihm seine Mutter mitgegeben hatte, als es um sein Sternzeichen und sein Geburtshoroskop ging, daß Tante Alison ihm hatte erstellen lassen: "Bei deiner Geburt war das Gewicht der Krankenschwester, die dir aus mir heraushalf entscheidender als das Gewicht aller im Weltraum leuchtenden Sterne zusammen, Julius." So sagte er, nachdem die beiden auf ihre Art den Sternenhimmel anhimmelnden Lehrer ihre kurze Meinungsverschiedenheit unterbrachen: "Ich denke, für die kleine Mademoiselle Grandchapeau war es wichtiger, wie viel Kraft ihre Hebamme hatte als die Kraft der ganzen im Universum stehenden Sterne zusammen, und daß sie im Zeichen Wassermann geboren wurde dürfte sie jetzt weniger interessieren als daß ihre Mutter jede Minute für sie da ist." Madame Maxime verzog das Gesicht. Professeur Pallas grinste mädchenhaft. Professeur Paximus rümpfte die Nase. Professeur Fixus sah ihn staunend an, und Professeur Paralax blickte triumphierend Professeur Cognito an. professeur Faucon wußte offenbar nicht, was sie dazu sagen sollte. Dann meinte Paralax:

"Abgesehen von dieser Tatsache dürfen Sie drei Dinge nicht vergessen, Theresias: Die Sterne, die wir sehen, sind so weit entfernt, daß ihr Licht Jahre benötigte, um uns zu erreichen. Wie sie gerade jetzt stehen wissen wir also nicht. Das fällt also für eine genaue Zukunftsdeutung anhand der Sternenstellungen schon einmal aus. Zweitens sind sämtliche Sterne, unsere Sonne eingeschlossen, schon so alt, daß auf einen Tag zusammengekürzt ein Menschenleben dagegen einige Sekundenbruchteile ausmacht. Für einen derart lächerlichen Zeitraum eine bestimmte Haltung einzunehmen gehört in den Bereich des Balletts, aber nicht in den Bereich planungstauglicher Vorhersagen. Drittens werden diese Sterne, sofern sie nicht zu den übergroßen, sich rasch verzehrenden Objekten gehören, uns Menschen so lange überstehen, daß wir im großen und ganzen unwichtig für sie sind, ob sie eine Seele haben oder von einem beseelten Etwas gelenkt werden oder nicht. Falls Sie uns mit der magischen Wirkung des Mondes und der Planeten kommen möchten, die ich durchaus nicht anzweifeln kann, so bezieht sie sich auf die direkte Wechselwirkung der im Raum wandernden Materie und der damit einhergehenden Veränderung der verteilten Magie oder der Umkehrung wie im Falle des Vollmondes. Magie, das wissen Sie alle, unseren jungen Tischgenossen eingeschlossen, ist jedoch nicht von Raum und Zeit entkoppelt. Entfernungen in Raum und Zeit erschweren oder vereiteln Wirkungsweisen. Der uns nächste Stern ist Proxima Centauri, dessen Licht knapp fünf jahre braucht, um unsere Augen zu erreichen und da schon sehr schwach ist."

"Möchten Sie wieder eine Grundsatzdiskussion eröffnen, inwieweit Ihr Fachgebiet eine entseelte Abspaltung meines Fachgebietes ist, Herr Kollege Paralax?" Entrüstete sich Professeur Cognito. Dann deutete er auf Julius und sagte: "ich halte daran fest, daß es unbestreitbare Vorzeichen gibt, die erklären, was einem Menschen oder einer Menschengruppe in der Zukunft widerfahren kann oder widerfahren muß, je nach seinen in die Wiege gelegten Eigenschaften und seinen Mitmenschen. Arithmantisch wie astrologisch kann ein ganzes Leben vorherberechnet werden, ehe es beginnt, und ich bin mir sicher, daß die Zusammenhänge, die Monsieur Latierre an unseren Tisch geführt haben, bereits viel früher als vor seiner Einschulung in Beauxbatons ihren Ausgangspunkt hatten. Natürlich braucht jeder Wahrsager und Ausdeuter so viele Faktoren und Kenntnisse wie möglich, um die Zukunft mit der größten Wahrscheinlichkeit vorhersagen zu können."

"Klar, die Voraussetzungen, daß ich jetzt an diesem Tisch sitze haben vor zweiundachtzig Jahren angefangen, als meine Großmutter väterlicherseits geboren wurde", warf Julius ein. Eigentlich hatte er keinen Grund mehr, grundsätzlich an Prophezeiungen zu zweifeln, wo ihm selbst drei Stück gemacht wurden, die schon zum teil eingetreten waren. Doch er wollte Paralax nicht ins Hintertreffen geraten lassen. Professeur Pallas lachte nun unbefangen. Professeur Faucon starrte Julius leicht ungehalten an, weil er sich so frech in diese Unterhaltung eingeschaltet hatte. Doch Madame Maxime schwieg nun. Offenbar interessierte es sie, wie die Sache weiterging. Professeur Paralax fühlte sich nun sehr überlegen und sagte seinem Kollegen Theresias Cognito: "ja, diese Voraussetzung ist wahrlich lange genug her, um Ihre These zu bestätigen."

"Mit Ihnen werde ich mich wohl nie einigen, Eridanus", seufzte Cognito. Professeur Laplace sah Julius an und meinte dann:

"Nun, die Arithmantik bezieht sich auf eindeutig nachprüfbare Faktoren. Diese sind im Rahmen der gültigen Gesetze vorausdeutbar, und Menschenleben können auf diese Weise in die Zukunft projiziert, Zusammentreffen oder Schlüsselhandlungen mit der größten Wahrscheinlichkeit vorausgesagt oder verworfen werden." Julius nickte. Was taten Mathematiker denn anderes als durch Zahlen und Rechenformeln Modelle für die Zukunft oder die sie bedingende Vergangenheit zu erstellen? Dann ging es nur um Julius' Stundenplan und daß die Hausaufgaben während Madame Maximes Schreibarbeiten erledigt werden konnten. Die für die praktischen Begleitkurse zuständigen Lehrer bedauerten, ihn erst im Mai wieder in ihren AGs begrüßen zu können. Aber ansonsten wünschten sie ihm eine erfolgreiche Zeit bis dahin.

Abends im Wohnzimmer Madame Maximes sagte diese zu Julius: "Es wird schwierig für Madame Latierre, Ihnen ständig die gebotene Ruhe zu übermitteln. Andererseits hätte ich zu meiner Schulmädchenzeit wohl auch sehr erhitzt auf derartige Unverschämtheiten reagiert, mit denen der Kollege Dedalus Sie vorführen wollte. Offenbar mißfällt ihm, daß Sie nicht nur intelligent sondern auch sportlich sind. Das ist ihm zu viel des guten. Daß sie dafür einen ihm selbst nicht klaren Preis zu zahlen hätten erschien ihm daher als einzig richtig. Ich frage mich, ob er nicht ebenso eine Gefühlswache benötigt wie Sie."

"Ich hoffe, meine Frau überanstrengt sich nicht damit, mich andauernd ruhig zu halten. Aber sie meint ja, das wäre eine geniale Übung dafür, wenn sie selbst einmal wegen anderer Umstände Probleme mit der Selbstbeherrschung hätte."

"Und was die Vorhersehbarkeit der Zukunft angeht, so war der Einwand des Kollegen Cognito schon zielgenau platziert, Monsieur Latierre. Oder möchten Sie mir gegenüber abstreiten, daß die Reise in die verborgene Stadt und das dort erhaltene Wissen nicht durch bestimmte Voraussetzungen ermöglicht wurde, die Sie in den Besitz des Lotsensteines kommen ließen?" Julius bestätigte, daß er das nicht anzweifelte. "Gut, dann verbleiben wir einstweilen dabei, daß Sie sich heute abend trotz der Anspannung, die um Sie herum aufkam gut gehalten haben. Ich hoffe, das werden Sie noch ausbauen."

Einfach aus Neugier hätte ich doch gerne gewußt, was dem werten Professeur Cognito die Karten erzählt haben", erwiderte Julius.

"In der Chartomantik oder Tarotkunde bin ich nicht bewandert, und Sie ja auch nicht. Was hätten uns die ausgelegten Karten verraten. Viele Omen und Zeichen bewirken eher, daß die sie bezeichnenden Menschen ihre Zukunft danach ausrichten und damit erst die Prophezeiungen erfüllen." Julius nickte. Doch die Bilder, wie sein Vater vom alten Mann zum Baby wurde, er sich als grün-schwarzer Skyllianri, blonde Frau oder vor einer schwarzhaarigen Mutter von Zwillingen sah waren nicht so einfach wegzudiskutieren. Abgesehen davon, daß er wohl vorerst keine schwarzhaarige Frau zur Mutter von Zwillingen machen würde, seit Claire nicht mehr da war, konnte er sich auch nicht vorstellen, sich dem Contrarigenus-Fluch zu unterwerfen. Und die Verwandlung in einen Schlangenmenschen war zum großen Glück von ihm abgewendet worden, wohl eher, weil er sich an einer Stelle doch richtig entschieden hatte, auch wenn er nicht wußte, an welcher.

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Das Frühstück war ähnlich angespannt wie das letzte Abendessen. Vor allem erkannte Julius, daß die Lehrer Paralax, Cognito und Trifolio ausgesprochene Morgenmuffel waren, während Professeur Faucon, Professeur Paximus und Professeur Pallas eine unglaubliche Energie ausstrahlten. Er vermied es, zu den anderen Tischen hinüberzublicken. Ständig waren mehr als zehn Augenpaare auf ihn gerichtet. Irgendwer hielt ihn immer unter Beobachtung. Das würde dazu führen, daß immer irgendwelche Andeutungen über ihn herumschwirrten, umgetextet und übertrieben wurden. Er bekam hier und jetzt den Eindruck, wie sich ein Mensch mit augenfälliger Entstellung oder Behinderung fühlen mußte, wenn er draußen in der Öffentlichkeit herumlief. So mußten sich auch Superstars fühlen, die nur mal eben einkaufen gehen wollten und von allen angeglotzt wurden. Wollte er wirklich mal was machen, wofür er berühmt wurde? Im Moment wohl eher nicht. Er erkannte nun, wie schwer es Harry Potter mit seiner Blitznarbe auf der Stirn und der damit verbundenen Geschichte hatte, und wie überaus weise Dumbledore gehandelt hatte, ihn bei Muggeln unterzubringen, die diese Geschichte nicht kannten und ihn daher nicht anders als jedes andere Kind aufziehen konnten. Dabei fiel ihm aber ein, daß er Harry immer sehr glücklich gesehen hatte, wenn er nach Hogwarts kam, vom Eindruck nach der ersten Anreise abgesehen. So war jemand drauf, der endlich aus einem öden Nest oder von miesen Leuten wegkommt. Wußte er denn, bei wem und wie Harry in den Ferien lebte? Nein! Trotzdem änderte das nichts an seiner neuen Erfahrung, wie schwer das jemandem auf der Seele liegen konnte, von allen angeglotzt zu werden wie das größte Wunder oder der größte Schrecken.

Wie erholsam war dagegen die Zeit im Büro Madame Maximes und die praktischen Zauberübungen und weiterführenden Erklärungen am Nachmittag. Beim Abendessen änderte er seine Taktik. Er blickte nun zu den sechs Tischen hinüber und veranstaltete ein Anstarrduell mit jedem, der oder die ihm zu aufdringlich anglotzte. Die meisten gaben nach nur fünf Sekunden beschämt auf. Julius erkannte dabei jedoch, wie viele wunderbar gebaute Mädchen an den Tischen saßen. Als wäre er jetzt gerade erst darauf gekommen, daß diese Wesen noch mehr sein konnten als keine Jungs, verfing sein Blick sich häufig in fließenden Haarschöpfen, klebte an üppigen Oberweiten oder verkantete sich an geschwungenen Beckenknochen. Heiße Wogen der Wollust brandeten immer wilder durch seinen Körper. Nur der Umstand, daß er immer mal wieder zu Unterrichtsthemen befragt wurde brachte ihn dazu, Gabrielles silberblondes Haar für einige Sekunden zu vergessen oder nicht an Belisamas ausgeprägten Brustkorb zu denken. Vielleicht sollte er besser die ganz dünnen oder ganz dicken Mädchen anglubschen. Doch die Taktik ging nicht auf, weil er beim Anblick Corinnes daran dachte, der Besen zwischen ihren runden Beinen zu sein und ihre siebzig Kilo Hexenfleisch schwer doch verheißungsvoll auf seinem Körper zu fühlen. Die Saalsprecherin der Blauen lächelte ihn ganz erfreut an, was ihm einen wohltuenden Stromstoß in die Eingeweide zu versetzen schien. Nein, er mußte seine Frau angucken. Nur auf sie durfte er seine Leidenschaft konzentrieren. Er suchte Millies Tisch und blieb an Callies Lockenfrisur hängen. Seine verschwägerte Cousine hatte seit Glorias Austauschjahr Gefallen an dieser Haartracht gefunden und hob sich damit gut von ihrer einige Minuten jüngeren Schwester Pennie ab. Früher konnten auch Cousinen geheiratet werden, dachte er. Dann sah er endlich seine Frau an, die sich nun erst recht in eine verheißungsvolle Position setzte. Sicher bekam die mit, wie er sich fühlte. Und die Ertapptheit, etwas zu tun, was ihr wohl nicht gefallen mochte, blies das in ihm lodernde Feuer verbotener Begierden aus.

"Oh, sind wir jetzt erst drauf gekommen, was hier so angeboten wird?" Fragte Dedalus wieder einmal herausfordernd.

"Ich muß noch lernen, wie ich mich wieder einränken kann", schnarrte Julius. "Konfrontation mit dem Auslöser und Abstumpfung durch Sättigung. Sigfried Leid oder wie dieser Onkel mit dem Psychoannalysekrempel hieß", erwiderte Julius. Madame Maxime stupste ihn in die Seite und zischte: "Beherrschen Sie sich mehr, Monsieur Latierre. Die jungen Damen an den Tischen könnten sonst leicht den Eindruck bekommen, Sie wären für jede von ihnen leichte Beute." Julius stutzte. Er sollte denen zur Beute werden, wo er die gerade anglotzte wie der Fuchs die Kaninchen? Unfug! Gucken kostete nichts. Und Corinne hatte ihn sogar angestrahlt, weil sie seine Erregung wohl empathisch aufgefangen hatte. Womöglich hatte das bei der tief drin sogar einen noch nicht getesteten Motor angeworfen und ... Oha, dann könnte die echt finden, er wolle was von ihr. Das konnte aber Ärger mit Millie geben, falls der Corinne Hoffnungen gemacht hatte. Ach, Quatsch! Diese Hoffnungen hatte die doch schon länger. Ja, die fuhr doch schon auf ihn ab, weil er damals angst gehabt hatte, sie wäre von seinen Quidditchkollegen verletzt worden, wo er gerade so noch einem direkten Zusammenstoß mit den Mistrals entgangen war. Richtig heftig mochte das erst gewesen sein, als er sie ohne es zu wollen auf den Schultern hocken hatte. Und ganz doll war das bei der bestimmt angesprungen, seitdem er seine Gedanken vor ihr zumachen konnte. Zwar mußte er jetzt, wo er vor lauter aufgekommener Gier nach Mädchenfleisch alles an Gedankenenergie ungeblockt nach außen abfließen ließ für sie gestrahlt haben wie eine Leuchtreklame "Nimm mich und vernasch mich!" Aber die wußte doch, daß er und Millie schon fest zusammen waren. Das hatte Millie damals nicht gestört, als er mit Claire zusammen war. Warum sollte es Corinne stören, wo er mit Millie verheiratet war. Da fiel ihm ein Spruch ein, der ihm vielleicht helfen konnte: "Du kannst dir draußen Appetit holen, aber gegessen wird zu Hause."

Im Grunde war er froh, daß er nach dem Abendessen außer Madame Maxime kein weibliches Wesen mehr um sich hatte. Denn er hatte schon angefangen, Professeur Faucon anzusehen und sich vorzustellen, daß ihre Körperteile Catherine geborgen oder ernährt hatten. Die Schulleiterin baute sich vor ihm auf und meinte: "Offenbar überflutet die Anwesenheit vieler gerade heranwachsender Damen Ihre sorgfältig errichtete Zurückhaltung." Julius mußte zugeben, daß das stimmte. "Dann sollten Sie heute abend wohl besser die nötige Triebabfuhr betreiben." Julius verstand es so, als wolle die große Dame ihm ein Angebot machen. Er sah sie an und dachte daran, diesen ihn überragenden Körper zu berühren, ihm so nahe es geht zu kommen, zu fühlen und zu hören, wie sie mit ihm eins wurde, wo die beiden Ringe sie doch schon fast zusammenschmiedeten. Und sie reagierte auch auf seine Annäherung. Sie bekam größere Augen. Ihr Brustkorb dehnte sich immer mehr, zeigte mehr von ihr als vorher. Er war schon drauf und dran, die Hände vorzustrecken und so hoch er konnte anzufassen, als die Halbriesin ihre Hände vorschnellen ließ und ihn federleicht vom Boden hob. Doch anstatt ihn an sich zu drücken warf sie ihn hoch und fing ihn wieder auf, bevor sie ihn auf den gepolsterten Stuhl zurückdrückte, auf dem er gesessen hatte und ihn gut festhielt. "Ich ging davon aus, die Hilfsmaßnahmen würden Sie besser ausgleichen, Monsieur Latierre. Ich glaube nicht, daß Sie ernsthaft darauf ausgehen, mit mir hier eindeutig untersagte Handlungen zu begehen und diesen Rüpeln noch rechtzugeben, die Sie damit herauszufordern wagten, wir beide seien der Anbahnung einer simplen Paarung wegen zusammen. fünfzig Strafpunkte für einen unsittlichen Annäherungsversuch an ein Mitglied des Lehrkörpers. Reißen Sie sich gefälligst zusammen!" Julius erzitterte unter dieser lauten Zurechtweisung. Madame maxime ließ von ihm ab und zog sich zurück. Dann sagte sie ruhig: "Ich erkenne, daß Sie im Moment zurückgedrängte Gelüste empfinden, die Sie um den Verstand bringen könnten. Ich habe auch einmal so gefühlt und wesentlich wilder als Sie meinen, es gerade zu erleben. Es ist schon etwas an der These dran, das ein Mädchen, besonders als heranwachsende, intensivere Gefühlslawinen über sich ergehen läßt als ein Junge. Ich hoffe nur, daß Mademoiselle Duisenberg, Corinne Ihren Anblick nicht als Antrag auffaßt. Es dürfte ihr selten widerfahren, daß ein junger Mann sie derartig offen erotisiert angeschaut hat und sie dies auch auf übersinnlichem Weg erfuhr."

"Ich werde mich wohl bei ihr für diese Aktion entschuldigen müssen", sagte Julius von einer langsam in ihm wirkenden Reue beeinflußt. Was hatte er da gerade getan. Bis heute hatte er sich doch sehr stolz gefühlt, nichts von Madame Maxime zu wollen. Und gerade eben ... wenn die es darauf ankommen gelassen hätte ... Oha!

"Ich denke nicht, daß Sie sich dafür entschuldigen sollten, sie begehrt zu haben. Das würde sie unzweideutig als Beleidigung auffassen. Falls Sie wirklich Abbitte bei jemanden leisten müssen, dann ist das Ihre Gattin. Wenngleich ich mich nicht des Eindrucks erwehren kann, daß diese offenbar interessiert mitverfolgt hat, welche Leidenschaft Sie entfalten können."

"Das weiß sie doch", erwiderte Julius. Doch so heiß wie heute abend hatte er sich selbst in VDS im kleinen Sündenzelt nicht gefühlt. Aber das konnte ja auch heißen, daß da etwas zu lange in ihm geschlummert hatte, obwohl er vor einer Woche die letzte Nacht in silbernem Unterzeug verbracht hatte.

"Ich werde mich bei meiner Frau entschuldigen", sagte Julius noch. Madame Maxime nickte ihm zu und schlug vor, mit ihm noch ein wenig zu musizieren. Das sei auch eine sehr leidenschaftliche Tätigkeit zu zweit und noch dazu höchst anständig.

Abends in seinem Gitterbett mentiloquierte er mit Millie und setzte schon an, sich für sein Benehmen zu entschuldigen. Sie schickte jedoch zurück:

"Hast du dir an den ganzen anderen Mädels genug Lust angefressen. Dann gib der Mutter deiner Kinder mal gehörig was ab, wie sich das für Eheleute gehört!" Sie war ihm nicht böse? Er fragte zurück, ob sie das nicht total angewidert hatte.

"Monju, wenn du mit der Leidenschaft, die dir Madame Rossignol in den Körper gepumpt hat keine von uns Mädels mehr ohne scharf zu werden angeguckt hättest wärest du echt krank, und ich müßte mir Sorgen machen. Ich denke auch zwar, daß du Corinne gerade Stoff für tausend heiße Träume serviert hast. Aber sie weiß, wo du hingehörst."

"Echt komisch, daß ich gerade die so angeschmachtet habe. 'ne Sekunde später, und die hätte nackt auf dem Stuhl gesessen."

"Wenn du den Zauber kannst, bring den mir bitte bei, Monju! Aber jetzt haben wir genug verquatscht. Du warst heute ein böser Junge. Und ich bin ein Böses Mädchen, weil ich dich nicht ordentlich dafür ausschimpfen kann. Oma Line sagt, daß zu bösen Jungs und Mädchen kein Sandmännchen mehr hinkommt, um sie einschlafen zu lassen. Dann müßten die sich anders Müde machen."

"Das heißt, weil der Schlafsand nur noch für die Kinder reicht, hat Laurentine mir erzählt, als wir es mal davon hatten, was so wichtig an Sex ist, wenn damit nicht nach dem Regenbogenvogel gerufen wird."

"Oha, Laurentine kennt sich in sowas aus? Das wußte ich bisher nicht. Aber sei es drum, Burschi. Hora Amoris!"

"Hora amoris", dachte auch Julius.

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Julius stellte die Taktik wieder um. Wenn er zu den andren Tischen hinübersah, mied er den Blick auf die Mädchen. Jungs konnte er gut niederstarren. Was über ihn geredet wurde bekam er nur von Millie Mit, die ihm wohl nur eine gefilterte Fassung gab. Im wesentlichen hatten einige Mädchen Angst vor ihm. Andere fühlten sich angezogen. Andere angewidert. Die Jungen wußten nicht, ob sie eifersüchtig auf ihn sein sollten, ihn für einen Typen halten sollten, dessen Gehirn unter den Bauchnabel gerutscht war oder jetzt noch heftiger austesten mußten, bei welchen Mädels sie zum Zuge kamen. Julius fürchtete sich in gewisser Weise vor der ersten Saalsprecherkonferenz. Womöglich würde ihm da alles um die Ohren gehauen. Der unterricht verdrängte jedoch seine Selbstbeschuldigungen und Gewissensnöte. Doch abends ertappte er sich immer wieder, wie er Madame Maxime anschmachtete. Die Halbriesin bewegte sich entschlossen und gelenkig. das war eine, die wußte, was sie wollte. Beim Zauberwesenseminar kam er seinen Mitschülern wieder nahe genug, um normal gesprochene Worte verstehen zu können. Es ging um Zentauren. Anschließend baten Millie und Corinne Madame Maxime darum, kurz mit Julius zu sprechen. Sie gestattete es, wenngleich sie dafür in den Klangkerkerbesprechungsraum hinter dem Bildertor gingen. Die Besprechung verlief jedoch nicht so heftig, wie Julius es befürchtet hatte. Millie und Corinne hatten sich wohl über Patrice per Pflegehelferschlüssel unterhalten, daß Julius im Moment wohl jeder ja sagen würde, die ihn fragte. Corinne erwähnte, daß sie sich schon sehr geschmeichelt gefühlt habe, aber gleich erkannt hatte, daß das nicht der Julius Latierre war, den sie bewunderte. Sie sagte einfach und einleuchtend: "Ich konnte mir zwar vorstellen, daß das zwischen uns was geben könnte, Julius. Aber das ist zum einen um zwei Ecken wegen Claire und jetzt Millie und zum anderen will ich keinen Freund oder mann haben, der nur hinter meinem Körper her ist." Julius erwähnte darauf, daß er wohl gerade wegen aller zurückgekommenen Mitschüler aus dem Tritt geraten sei, nachdem er die drei Wochen so gut es ging überstanden hatte. Millie meinte dazu: "Ich kriege uns beide wieder richtig hin, Julius. Ist auf jeden Fall wichtig für mich, wie heftig ich von dir was abbekomme und ob ich das überlagern oder umbiegen kann. Damit kriege ich auch raus, wie ich irgendwann mit wem neues in Bereitschaft von dir in der richtigen Spur gehalten werden kann." Madame Maxime grummelte nur. Doch Millie sagte ganz knochentrocken: "Nichts für ungut, Madame. Aber ich will irgendwann mal Kinder haben. Und das soll gefühlsmäßig ziemlich heftig sein für eine Mutter."

"Wollen Sie mir damit unterstellen, keine Ahnung zu haben, Madame Latierre?" Fragte Madame Maxime.

"Die Fünfzig Strafpunkte nehme ich sehr gerne in Kauf, wenn ich Ihnen sage, daß Sie Ihre Entscheidung im Bezug auf Kinder doch schon getroffen haben und der Besen mit dem Kindertragekorb nicht auf ihrer Weihnachtswunschliste steht."

"Die Fünfzig Strafpunkte für eine bewußte Ungehörigkeit gegenüber meiner Person und zwanzig dafür, daß Sie es wagen, meine Kompetenz anzuzweifeln, Madame Latierre. Falls Sie sonst nichts mehr vorzutragen oder einzuwänden haben, sollten wir hier das Gespräch beenden. Mademoiselle Duisenberg hat sich gegen alle bestehenden Vorbehalte gegen die Bewohner des himmelblauen Saales als sehr umsichtig präsentiert. Und Sie, Madame Latierre, sollten vielleicht doch überlegen, Ihre Hälfte des roten Herzens abzulegen, um nicht gegen ihren Willen zum Opfer von Monsieur Latierres Unbeherrschtheit zu werden."

"Madame Rossignol sagte, daß ich Julius gut damit helfen kann, wieder er selbst zu werden, weil sie wisse, daß er sonst sehr schwer wieder zurechtzukommen lernt. Ich habe keine Probleme damit, starke Gefühle auszuleben, wenn dabei keinem was passiert, was er nicht passieren lassen will. Sie haben Julius' Vorerziehung gut genutzt, um ihn mit Zusatzaufgaben zu beschäftigen. Wenn Sie aber jetzt wollen, daß ich ihm nicht mehr helfe. Dann war das alles Flubberwurmfutter, und Sie, Professeur Faucon, seine Mutter und wer immer noch alles können noch mal ganz neu anfangen."

"Wie reden ..." Setzte Madame Maxime mit hochrotem Gesicht an. Dann holte sie tief Atem. Julius zischte Millie zu, daß er sich total blöd vorkam, weil sie über ihn redeten wie über ein Baby. "Ich muß zu Ihrem Glück eingestehen, daß Ihre Argumentation einen großen Wahrheitsgehalt aufweißt, Madame Latierre", führte Madame Maxime dann weiter aus, was sie Millie entgegnen wollte. "Denn im Gegensatz zu Ihrer Meinung, ich hätte kein Interesse am Sexus, weiß ich besser als Sie, was gerade in Ihrem Gatten vorgeht. Daher überlasse ich es Madame Rossignol oder Ihrer Saalvorsteherin, ob Sie Ihnen die Hälfte Ihres gemeinsamen Schmuckstückes überläßt oder nicht. Ich rate Ihnen jedoch, sich der Anweisung, es abzugeben unverzüglich und Widerspruchslos zu beugen."

"Eine Frage, Madame", schaltete sich Corinne ein. "Wenn Sie der Meinung sind, daß diese roten Herzen Mildrid durcheinanderbringen können, warum nehmen Sie es Julius nicht so lange ab, bis er wieder so ist wie früher?"

"Der Gedanke kam mir in der Tat. Doch eine Sentimentalität und eine Gewißheit haben mich davon abgebracht. Die Sentimentalität ist, daß ich es beruhigend finde, daß jemand außer mir auf ihn aufpassen kann." Julius grummelte mißbilligend. "Die Gewißheit ist, daß er ohne die daraus entstandene Verbindung wesentlich schneller dem Einfluß des Schlangenmenschengiftes erlegen wäre und wir diese Diskussion nicht führen könnten. Da er einen Teil meines Blutes in sich trägt bin ich für ihn gerade hauptverantwortlich. Ich möchte ihm das Leben mit den Nachwirkungen leichter gestalten als es mir in all den Jahren gefallen ist, damit zu leben. Das war ein langer und sehr dorniger Weg, bis ich genug eigene Disziplin entwickelt habe, mit meinen Eigenschaften zu leben. Deshalb bin ich hier in diesem Raum auch die einzige, die genau weiß, wie ausufernd das sein kann, was in Monsieur Latierre gerade vorgeht."

"Hallo, ich bin noch da", schnarrte Julius. Corinne grinste. Millie meinte dann direkt zu ihm: "ja, und damit das auch so bleibt reden wir gerade über dich, Julius. Was hättest du gestern abend mit dem strammen Professeur Dedalus gemacht, wenn ich nicht gewußt hätte, daß du den gleich angreifen würdest?"

"Ich hätte ihm meinen Stuhl vor die Nase geknallt. Aus der Entfernung hätte der bestimmt eine richtige Boxernase abbekommen", stieß Julius aus.

"Das wäre dann nicht nur für dich peinlich geworden, sondern auch für Sie, Madame Maxime. Ich denke mal, daß Ihre Hilfe für meinen Mann nicht so gedankt werden sollte."

"Eindeutig nicht. Aber ich hatte die Situation im Griff", erwiderte die Schulleiterin. Millie wandte nur ein, daß auch sie nicht sofort reagieren konnte, wenn Julius richtig wütend wurde, wie das ja bei diesem Cimex Devereaux passiert war. Die Schulleiterin mußte zugeben, daß sie da nicht aufgepaßt hatte. Dann befand sie, daß die beiden jungen Damen nun genug über ihren Kameraden geredet hätten und schickte sie in ihre Säle zurück.

"Morgen früh werde ich Ihnen etwas zeigen, Monsieur Latierre, daß die von Ihrer Frau aufgestellten Thesen widerlegen wird und Ihnen klarmacht, wie gefährliches werden kann, mit einem fehlenden Anteil Selbstbeherrschung und einem Übermaß an Kraft durchs Leben zu gehen. Bis dahin versuchen Sie bitte, sich gut zu erholen!"

"Ich versuche es", sagte Julius.

__________

Am nächsten Morgen war er schon gespannt, was Madame Maxime ihm zeigen würde. Nach seinen bisherigen Erfahrungen ging er von in ein Denkarium ausgelagerten Erinnerungen aus. Gedächtnisreisen waren die eindrucksvollste Art, Erlebnisse anderer hautnah und einprägsam nachzuerleben. So wunderte es ihn auch nicht, als Madame Maxime zwei Stunden nach dem Frühstück ihre dringendsten Schreibarbeiten beendete und ihn aufforderte, sie in einem, dem Arbeitszimmer angeschlossenen Raum zu begleiten, den nur der amtierende Schulleiter und ein von diesem an der Hand geführter Besucher betreten konnte.

Die Kammer war klein und fensterlos. Sie lag hinter einer Wand verborgen und war nur durch Madame Maximes Handauflegen zu öffnen. Als Julius an der linken Hand der Halbriesin wie ein zweijähriger Knirps laufend in das für sie beide enge Geheimzimmer eintraten schloß sich die Wand hinter ihnen, und mit leisem Prasseln flammten zehn in einer Reihe Silberhalter steckende Kerzen auf. Die gerade vier mal drei Meter große Kammer enthielt ein Bücherregalund einen wuchtigen Schrank, der Madame Maxime bis zur Unterkante ihres Brustkorbs reichte. Julius mußte bis in eine Ecke des Raumes zurückweichen und aufpassen, sich nicht an einer der brennenden Kerzen zu verbrennen. Madame Maxime öffnete den Schrank und zog ein großes graues Behältnis wie ein Steinbecken heraus, aus dessen innerem silberweißes Licht schimmerte. Also wirklich ein Denkarium, dachte Julius.

"Diesen Gegenstand hat Ihnen Professeur Faucon bereits vorgeführt, als Sie zum einen Gastschüler der siebten Klasse des Jahres 1995 waren und zum zweiten, als Sie Ihnen hilfreiche Zauber und Flüche im Schnellverfahren beibrachte, um in Slytherins gemaltem irrsinn zu überleben. Womöglich ist Ihnen noch nicht bekannt, daß ein Denkarium auch dazu benutzt werden kann, fremde Erinnerungen in Form wahrhaftiger Rundumerlebnisse nachzuvollziehen. Um Ihnen bei der Bewältigung Ihrer derzeitigen Schwierigkeiten mit der Eindämmung übermächtiger Gefühle zu helfen, habe ich mich schweren Herzens dazu entschlossen, Ihnen einen Teil meiner Geschichte zu zeigen. Ich fordere Sie jedoch eindringlich dazu auf, außerhalb dieses Raumes niemandem zu berichten, was genau Sie gleich zu sehen bekommen werden. Ich appelliere an Ihre irgendwann wiederkehrende Umsicht und Vernunft, daß Sie begreifen, in welch schwierige Situation ich als Schulleiterin geraten kann, sollte jemand außer Ihnen und mir die Ereignisse erfahren."

"Wenn Sie das wollen schwöre ich Ihnen das auf einen Eidesstein", bekundete Julius, daß sie sich auf ihn verlassen konnte.

"Es macht wesentlich mehr eindruck, wenn jemand ohne einen magisch bestärkten Eid zu schwören einhält, was er oder sie versprochen hat", erwiderte die Schulleiterin. "Ich habe das nur damals mit Ihnen und den anderen vollzogen, um sicherzustellen, daß der damals noch Mademoiselle genannten Madame Belle Grandchapeau auf Grund ihrer prominenten Eltern kein Ungemach entsteht. Von Ihnen erwarte ich jetzt, daß Sie sich ohne magischen Zwang an eine gegebene Zusage halten. Versprechen Sie mir also, niemandem außerhalb dieses Raumes zu erzählen, was Sie gleich über mich erfahren werden!"

"Ich verspreche, niemandem zu erzählen, was ich genau zu sehen und zu hören kriege", sagte Julius und dachte daran, zumindest Millie zu mentiloquieren, daß Madame Maxime ihm etwas verdammt heftiges zeigen wollte. Madame Maxime nickte ihm anerkennend zu. Dann kniete sie sich Hin. Julius mußte um ihren linken Fuß herum und sich vor das Denkarium knien. "Ich würde Sie gerne dorthin begleiten, wohin das Denkarium sie gleich führen wird, Monsieur Latierre. Aber ich fürchte, unsere beiden Köpfe zusammen passen nicht hinein. Darum müssen Sie dort alleine hin. Sehen Sie sich alles an! Bleiben Sie immer in der Nähe meines vergangenen Ichs und hören Sie genau zu! Falls Sie meinen, mir einen Gefallen tun zu müssen, etwas nicht anzusehen, verwerfen Sie diesen Gedanken! Ich offenbare Ihnen einen Ausschnitt meiner Jugendzeit, der Ihnen eine wichtige Lektion ist. Lektion heißt, daß dies zu Ihrem Unterricht gehört. Wie im regulären Unterricht auch verlange ich die volle Aufmerksamkeit und Aufnahmebereitschaft von Ihnen." Julius verstand. Wenn er Madame Maxime nackt sah, sollte er hingucken, anders als bei Professeur Faucons Erlebnis mit Ursuline Latierre und dem von beiden umworbenen Roland Didier. Sie rührte mit dem Zauberstab in der wie flüssiges Mondlicht wirkenden Substanz herum, bis er meinte, durch eine offene Luke in einen Klassenraum hinunterzusehen. "Senken Sie nun ihren Kopf in die Projektion. Keine Angst! Ihnen kann nichts zustoßen. Die substanzielle Erinnerung kann ihrem Körper nicht schaden, und die darin ablaufenden Ereignisse können ihnen keinen physischen Schaden zufügen. Und jetzt los!" Julius tauchte mit dem Bewußtsein, eine derartige Reise ja schon mal gemacht und heil überstanden zu haben in die Tiefen des Denkariums, bis er meinte, durch einen dunklen Schacht zu stürzen, um unvermittelt hinter zwei Mädchen zu sitzen, von denen das eine eine Teenager-Ausgabe Madame Maximes war. Er hörte Federn auf Pergament und Kreide auf einer Tafel und sah eine Lehrerin, die ihn im ersten Moment an die Vampirin Voixdelalune Sangazon erinnerte, bis ihm aufging, daß es in Wirklichkeit deren Mensch gebliebene Schwester Austère Tourrecandide war.

"... dürfen wir festhalten, daß es mehrere Arten gibt, angreifende Inferi zu besiegen: zauberfeuer, Sonnenspeere und Flammengeißeln. Auch ohne Magie entfachtes und unterhaltenes Feuer kann ihnen schaden. Alle anderen physischen Zauber und Angriffe bleiben wirkungslos, da es sich um keine Lebewesen handelt. Der Todesfluch kann sie nicht wie andere tote Gegenstände vernichten, weil sie mit animierender, schwarzer Magie erfüllt sind. Ja, bitte Monsieur Chevaillier?"

"Verzeihen Sie, Professeur Tourrecandide. Ich hörte, daß es einen Zauber gebe, belebte Leichen mit einem Schlag zu desanimieren. Der Zauber heißt Mortuus Mortuorum."

"Interessant. Von wem haben Sie diese Kenntnis?" Fragte die Lehrerin sichtlich ungehalten. Julius sah den Jungen und meinte, Jeannes Mann zu sehen. Doch das war wohl eher dessen Großvater, der vor Didiers Machtergreifung umgekommen war.

"Mademoiselle Villefort hat mir das erzählt. Und ich habe es im Buch "Totentanz und Knochenkraft" gelesen."

"ja, dieses Buch ist ein Muß für jeden, der sich der Nekromantik ergeben oder diese bekämpfen möchte", knurrte die Lehrerin. "Und das Mademoiselle Villefort Ihnen eine derartige Auskunft geben kann erschließt sich mir auch, wenn ich die Vergangenheit und die Traditionen ihrer Familie bedenke."

"Ach, jetzt reiten Sie darauf rum", schnarrte ein Mädchen mit goldblonden Haaren, das weiter rechts hinter Madame Maximes Schulmädchen-Ich saß. "Ich habe Belenus, ähm Monsieur Chevallier nur gesagt, daß es einen schnell wirksamen und auf der Fläche wirksamen Zauber gibt, um animierte Leichen und Gerippe wieder totzuzaubern. Da wir hier alle so gute Abschlußnoten wie möglich haben möchten war das ein rein kameradschaftlicher Akt, der nichts mit der Vergangenheit meiner Familie zu tun hat."

"Das will ich jetzt nicht weiter vertiefen, Mademoiselle Villefort. Im übrigen habe ich Ihnen keine Sprecherlaubnis erteilt. Zwanzig Strafpunkte wegen unerlaubten Dazwischenredens! Und was Mortuus Mortuorum angeht", wobei sie die Wörter mit quietschender Kreide an die Tafel schrieb, "so merken Sie alle sich bitte ganz genau, daß dieser Zauber nur von jemandem verwendet werden kann, der bereits durch Zauberkraft ein Menschenleben ausgelöscht hat. Es handelt sich also um einen Hilfszauber schwarzer Magier, und zu diesen wollen Sie ja wohl hoffentlich nicht gehören."

"Ich verstehe immer noch nicht, warum es einen Unterschied macht, ob ich zu einem wandelnden Toten Inferius oder Zombie sage", wandte die ein, deretwegen Julius das jetzt alles nacherlebte.

"Nun, die afrokaribischen Zombies wollten wir an und für sich in der nächsten Stunde erwähnen, wenn ich weiß, daß Sie über Inferi genug wissen, Mademoiselle Maxime. Aber nun gut. Zombies sind bedauernswerte Menschen, die durch das Gift der Todesnähe oder ein bösartiges Ritual eines Voodoo-Magiers oder einer Voodoo-Hexe vom lebenden zum wandelnden Toten gemacht werden. Inferi sterben als Menschen richtig und werden erst nachträglich, wobei beliebig lange Zeiträume dazwischenliegen können, animiert und auf ein bestimmtes Ziel fixiert, während ein Zombie immer wieder neue Befehle entgegennehmen und ausführen kann. Beide vereint, daß sie keine lebendigen Kreaturen mehr sind, wenn man von den durch nichtmagische Voodoo-Priester verabreichten Toxin absieht, daß lediglich einen Scheintodartigen Zustand mit gravierender Hirnschädigung bewirkt. Es vermischen sich gerne die Vorstellungen, daß Voodoo-Priester x-beliebige Tote aus ihren Gräbern wachrufen und zu ihren Sklaven und Auftragsmördern machen. Dem ist jedoch nicht so. Zombies können nur durch die entsprechenden Rituale erschaffen werden und als Selbstversorger durch ihren Biß andere mit ihrem verfluchten Dasein anstecken. Inferi können derartiges nur, wenn die Magie, die sie animiert hat, an dem Ort der Tötung wirksam bleibt. Werden sie jedoch ausgeschickt zu morden oder zu zerstören, sterben ihre Opfer und bleiben tot, sofern keiner den dunklen Animierungszauber verwendet, um die Leichen zu seinem oder ihrem Dienst zu zwingen und damit die Totenruhe zu mißachten." Die Schulglocke läutete. "Nun, Hausaufgaben, die Herrschaften. Bis zur nächsten Stunde alles aufschreiben, was Sie hier in der Stunde erfahren haben, sowie über die Geschichte der Inferi einen Bericht anfertigen. Und ich bitte mir eine anständige Rechtschreibung aus, Monsieur Chevallier. Sonst können Sie Ihre Empfehlung für das Zaubereiministerium vergessen."

Julius fragte sich schon, warum er in diese Szene hineinversetzt worden war. Doch als er keine zwei Minuten später sah, wie sich Mademoiselle maxime mit fünf grobschlächtigen Mädchen und zwei Jungen eine wilde Prügelei lieferte, bis der die Aufsicht ausführende Professeur Énas mit Knallfroschzaubern dazwischenballerte und Mademoiselle Maxime ein dichtes Netz überwarf, war ihm klar, was hier los war. Die Mädels hatten die Halbriesin damit aufgezogen, daß sie sich von ihren Typen fernhalten sollte, da die keine Lust auf eine aufgeblähte Mißgeburt hatten. "Hundert Strafpunkte, Mademoiselle Maxime", schnarrte der Julius sonst sehr lustig bekannte Verwandlungslehrer. "Ich werde sofort mit Ihrem Saalvorsteher sprechen. Das ist schon das vierte Mal in diesem Halbjahr. Ich fürchte, wenn das so weitergeht muß Monsieur Maindure Sie der Schule verweisen."

"Die da haben mich verdammt dumm angequatscht", schrillte Mademoiselle Maxime, daß es über den ganzen Schulhof hallte.

"Was kein Grund ist, sie in den Krankenflügel zu schlagen", bellte Énas ungemein streng zurück. in der Tat lagen die eigentlich sehr kräftig aussehenden Mädchen mit blutenden Gesichtern und verdrehten Gliedern auf dem Boden. Der Lehrer führte Mademoiselle Maxime mit einem heraufbeschworenen Kettenzaumzeug wie ein störrisches Pferd ab. Die Szene verwischte und machte einer anderen Platz. Julius sah, wie Mademoiselle Maxime am roten Tisch mit ihren Klassenkameradinnen zankte und hörte, daß es um das berühmte erste Mal ging, weil einige der Mädchen ihren Siebzehnten nicht als Jungfrauen erreichen wollten. Olympe Maxime wurde wieder damit aufgezogen, daß sie wohl ihr ganzes Leben lang unberührt bleiben würde, da es wohl keinen Zauberer oder Muggel gebe, der sich an sie rantraute. Merkwürdigerweise rastete die spätere Schulleiterin nicht wieder so aus wie in der vorhergehenden Szene, sondern tönte unerschüttert:

"Ich bin wohl ein bißchen größer als ihr Schnepfen. Aber wenn ich das richtig anstelle kriege ich auch noch einen zu mir aufs Lager und genieße den mit allem was ich habe. Abgesehen davon schwätzt ihr dummes Zeug. Kein Junge, dem sein erstes Mal was wert sein soll würde sich mit einer von euch diesen besonderen Moment versauen. Ihr seid doch viel zu kindisch für sowas."

"Haha, Olympe", kicherte eine, die Julius an die neue Lehrerin Fourmier erinnerte. Hatte die damals schon so geheißen. Er prägte sich ein, daß sie graublaue Augen hatte. Das wußte er also jetzt auch. Im wesentlichen lief die Sache darauf hinaus, daß die Mädchen sich leise ausmalten, mit wem sie den großen Moment erleben wollten und kicherten albern, bis auf Olympe Maxime. Dann änderte sich die Szene wieder.

Jeztt befand sich Julius mit der späteren Schulleiterin auf einem freien Feld. Sie trug sehr knappe Kleidung. Es war dunkel und trotzdem warm. Grillen zirpten in den Wiesenrainen, und ein großer weißer Vollmond lieferte das Licht zu dieser romantischen Stimmung. Julius fühlte förmlich das Knistern in der Luft, die Spannung eines großen, bevorstehenden Ereignisses. Da knallte es, und ein mindestens zwei Meter großer Zauberer mit im Mondlicht glitzerndem Goldhaar erschien. Er trug einen kurzen Umhang aus Samt.

"Bist du sicher, daß hier keiner herkommt, Olympe?" Fragte der Ankömmling.

"Ganz sicher, Maurice. Hier stört uns keiner. Du willst es also doch auch?"

"Na klar, bin ich meinem Nachnamen schuldig. Dieser alte Gründungsbär Orion meinte eh schon, ich sollte mir kein schwächliches Ding aussuchen. Wo machen wir's?"

"Da im Kornfeld", säuselte Olympe Maxime. Julius fühlte, wie diese Stimme ihn wohlig anregte. Sie wollte es mit diesem Burschen da tun. Er sollte dabei zusehen. Deshalb sollte er das keinem erzählen. Da er den ausdrücklichen Befehl hatte, alles anzusehen, beobachtete er ohne das Gefühl, ein Spanner zu sein, wie die beiden sich in einem Roggenfeld erst umarmten, miteinander schmusten, wobei Madame Maxime ganz gelenkig in die Hocke ging, küßten und dann einander entkleideten. Julius fühlte, wie sein Körper auf diese Szene reagierte und hoffte, nicht davon zu sehr angeheizt zu werden. Er dachte seine Selbstbeherrschungsformel, um jedes Übermaß zu verhindern, während die beiden vergangenen Ichs nun ohne großes Vorspiel zur Sache kamen. Er hörte, wie Mademoiselle Maxime ihre Lust immer lauter in die Nacht schrie und erlebte mit, wie ihr Liebhaber sein Ziel erreichte und von ihr ablassen wollte. Doch sie hielt ihn fest und stöhnte, daß sie noch nicht genug habe. Sie wollte mehr von ihm und zog ihn immer fester an sich. "Gib mir mehr, Maurice! Gib mir mehr!" Forderte sie. Ihr Liebhaber bekam es wohl langsam mit der Angst zu tun, konnte Julius sehen. Er wand und drehte sich, versuchte aus der Umklammerung freizukommen. Aber es gelang nicht. Er flehte sie an, ihn loszulassen. Doch sie schnaubte nur: "Nichts, du gehörst mir und gibtst mir was ich will!" Die lustvolle Stimmung war nun einer brutalen Szene gewichen, in der nicht der Mann der Überlegene war. Julius mußte mit nun steigendem Unbehagen erkennen, wie der athletisch gebaute Bursche gegen die Fangschreckenartige Halbriesin ankämpfte und immer schwächer wurde. Offenbar konnte sie ihn noch einmal mit sich vereinigen und forderte seine ganze Kraft. Dabei umschlangen ihre Beine seinen Oberkörper. Er röchelte, keuchte und ächzte, bis Julius die ersten blauen Flecken im Gesicht des jungen Mannes sehen konnte. Der Bursche drohte zu ersticken. Seine Geliebte drückte ihm die Luft oder sogar das Blut ab. Mit unvermitteltem Entsetzen erkannte er, was sich da abspielte, und er verstand besser als er es gemeint hatte, warum Madame Maxime nicht wollte, daß er es irgendwem erzählte. Offenbar hatte ihr jüngeres Ich das nicht gemerkt, daß sie ihren Liebhaber langsam erstickte. Sie empfand wohl gerade die höchste Lust oder war kurz davor. Als sie dann wahrlich schlagartig errötete und laut aufschrie riß sie den bereits blau angelaufenen Burschen noch einmal mit den Beinen an sich. Julius vermeinte, ein häßliches Knacken gefolgt von einem pfeifenden Geräusch zu hören. Dann war es vorbei. Die junge Mademoiselle Maxime blieb einige Sekunden lang erschöpft liegen. Dann schien sie langsam zu erkennen, daß ihr Liebhaber nicht nur total geschlaucht, sondern mausetot war. Wie Julius vorhin ergriff auch sie blankes Entsetzen. Sie versuchte, ihn durch Ohrfeigen und lautes Zurufen aufzuwecken, holte ihren Zauberstab und spritzte ihn mit kaltem Wasser voll. Doch nichts. Maurice, der wohl Lesauvage geheißen hatte, war bei der ersten körperlichen Liebe seines Lebens gestorben. Julius verstand, warum Madame Maxime ihm das hier zeigen wollte. Sie hatte damals zu unbeherrscht reagiert, sich voll in dieses Gefühl reinfallen lassen. Er erinnerte sich an ein Gespräch mit Waltraud Eschenwurz, ob Halbriesen eher Menschenmütter oder Menschenväter hatten. Sein eigener Traum von der ihn bedrängenden Vollriesin hatte es ihm schon angedeutet, wie gefährlich selbst die zärtlichsten Berührungen dieser Geschöpfe werden konnten. Er hörte Mademoiselle Maxime laut schreien, bevor sie den Notrufzauber machte. Dann wurde in die nächste Szene übergeblendet, die in einem kleinen Raum stattfand. Olympe Maxime war mit schweren Ketten an einen eisernen Stuhl gefesselt und mußte sich der Anklage wegen Totschlages stellen. Er hörte zu, wie die Lesauvages sie beschuldigten, ihren Sohn verführt und ermordet zu haben und daß sie deshalb vor den Ausschuß zur Beseitigung gefährlicher Geschöpfe gehöre. Die amtierende Schulheilerin von Beauxbatons verteidigte sie jedoch und wandte ein, daß sie wohl ihre Kraft unterschätzt habe und es keinesfalls ihre Absicht gewesen sein konnte, den jungen Maurice auf diese Weise umzubringen. Weitere Heiler wurden gehört, Olympes Adoptiveltern befragt und der Schulleiter vernommen, ob Olympe Gemeingefährlich sei. Er sagte aus, daß sie zwar immer wieder in Prügeleien verwickelt wäre, aber ansonsten sehr lerneifrig und diszipliniert sei und ihre Gefühls- und Gewaltausbrüche wohl ihrer Abstammung zuzuschreiben waren. Auf die Forderung, sie aus Beauxbatons zu entlassen reagierte er mit der Bemerkung: "Es spricht viel dafür, daß sie dem Geist und der Ehre von Beauxbatons geschadet hat. Doch wenn ich sie entlassen soll, dann nur, wenn eindeutig nachgewiesen wird, daß sie in böswilliger Absicht gehandelt hat. Da Sommerferien sind, untersteht sie nicht den Anstandsregeln der Akademie, bis sie dort wieder ankommt. Solange hier kein Strafverfolgungsbeamter sagt, daß Mademoiselle Maxime eine permanente Gefahr für sich und alle anderen darstellt, verbleibt sie bis zum UTZ-Abschluß oder bis zu einer groben Verfehlung innerhalb der Akademie in Beauxbatons."

Nach einer Beratung in Abwesenheit der Beklagten wurde das Urteil gefällt. Freispruch wegen erwiesener, zeitweiliger Schuldunfähigkeit. Allerdings wurde der Beklagten auferlegt, zur kontrollierten Abfuhr ihrer Triebe Vorkehrungen zu treffen, um angestaute Gelüste gefahrlos abzureagieren. Er bekam dann in einer weiteren Szene mit, wie die Schulheilerin ihr ähnliches Unterzeug gab, wie er es von Béatrice bekommen hatte, nur mit dem Unterschied, daß es darauf geprägt war, ihr in den Nachtstunden aufgestaute Begierden durch Stimulation und bildhafte Projektionen abzuführen. Eine Szene später sah er sie zusammen mit anderen UTZ-Schülern freudestrahlend beim Abschlußball tanzen. Jungen hielten sich jedoch gut zurück. Danach sah er sie noch als frisch ernannte Schulleiterin, wie Monsieur Maindure, ein Typ wie ein strammer Armeeoffizier, sie beglückwünschte. Schließlich noch erlebte er sie zusammen mit dem Hogwarts-Wildhüter Hagrid, wie sie in einer heruntergekommen aussehenden Kneipe von einem mehr als zwei Meter großen Kerl mit blassem Gesicht und menschenuntypisch langen Eckzähnen dumm angequatscht wurden. Der Vampir sprach gebrochen Englisch und meinte, daß die beiden wohl kleine Riesenbälger machen wollten. Er hasse Riesen und deren Brut. Das brachte die beiden gegen den Blutsauger auf, der laut gröhlend mit ihnen eine Keilerei anfing, bei der er jedoch schnell ziemlich alt aussah. Er wurde von Hagrid und Madame Maxime an die Decke und die Wände geschleudert, zerlegte als Wurfgeschoß Tische und Stühle und ließ doch nicht locker. Er versuchte, die beiden zu beißen und verlor dabei einen seiner Fangzähne. Hagrid rammte ihn dann unangespitzt durch die verschlossene Küchentür, während der Wirt vergeblich versuchte, mit Zaubern gegen die beiden Halbriesen zu kämpfen.

"Hast du jetzt genug, Blutsauger?" Hörte Julius Madame Maxime sehr wütend fragen.

"Ja,ich habe genug", röchelte der selbst schon wie ein Halbriese wirkende Vampir und spuckte bleiches Vampirblut auf den Boden. Er zwengte sich aus der gesplitterten Tür frei und wankte sichtlich zerfleddert aussehend aus dem zertrümmerten Lokal. Der Wirt starrte die beiden Besucher sehr verschüchtert an, wußte wohl nicht, ob er die jetzt ausschimpfen oder um Gnade anflehen sollte. Madame Maxime holte eine elegante Ledertasche aus ihrem Umhang und zog ein Pergamentstück heraus, auf das sie etwas notierte. Dann reichte sie es dem Wirt und fragte mit ruhigem Ton, ob das den Schaden ausgleichen würde. Der Wirt las und bekam einen erleichterten Ausdruck im Gesicht. Er nickte wild und bedankte sich. Die beiden übergroßen Besucher verließen dann den Pub. Ohne Vorwarnung platzte Julius voll in ein Liebesspiel zwischen ihr und Hagrid hinein. Sie hatten sich in einer Höhle eingekuschelt und es wohl vfür zu kalt befunden, sittsam getrennt zu liegen. Dann verschwand die ganze Szenerie in Dunkelheit, und Julius fühlte, wie ihn große Hände sachte zurückzogen.

"Das mit Hagrid hätten Sie mir doch nicht zeigen müssen", sagte er, nachdem er sich in der Gegenwart wiederfand.

"Das war nötig, um Ihnen zu zeigen, daß ich durchaus doch noch eine einvernehmliche Erfahrung machen durfte, Monsieur Latierre. Ich hatte sehr großes Glück, daß man mich nicht als unzurechnungsfähige Bestie abgeurteilt hat. Die bittere Erfahrung mit dem jungen Monsieur Maurice Lesauvage hat mich verändert, mir all zu grausam gezeigt, wie schnell ich durch meine bloßen Begierden andere gefährden konnte. Deshalb habe ich das letzte Schuljahr als beste Schülerin abgeschlossen, mit eiserner Disziplin. Die Lesauvages sehen zwar heute noch eine brutale Kreatur in mir, wagen es jedoch nicht, mich öffentlich zu kritisieren, weil ihr feiner Herr Sohn mich ganz klar angeregt hat, mit ihm diese bedauerliche Episode zu erleben. Es stellte sich nämlich heraus, daß er mit seinem älteren Bruder gewettet hatte, mein erster Liebhaber zu sein. Damit konnten meine Zieheltern weitere Anfeindungen abwehren."

"Ich verstehe zumindest, was Sie mir beibringen wollten, Madame maxime", sagte Julius frei von jeder Anbiederung. "Deshalb bin ich froh, daß meine Schwiegertante Mildrid und mir was mitgegeben hat, um mich zwischendurch abreagieren zu können."

"Genau aus dem Grund gestattete ich Ihnen die Verwendung derartiger Hilfsmittel. Gefühle sind etwas wichtiges, etwas nützliches, solange sie ohne anderen zu schaden empfunden und ausgelebt werden, Monsieur Latierre. Da Sie vor dem Erhalt meines Blutes sehr vernünftig und vorbildlich aufgefallen sind, setze ich mein Vertrauen darauf, daß Sie diese wichtige Erkenntnis über die uns noch bevorstehenden Wochen verwenden werden, um jeden Anflug von Unkontrolliertheit so gut Sie können zurückzudrängen. Um Aggressionen abzubauen werden wir beide weiterhin Flüche mittlerer Stufen gegen uns anwenden, um Sie bei der Gelegenheit auch in der Verteidigung gegen dunkle Künste in bester Verfassung zu halten. Ich möchte jedoch noch einmal an Ihr Versprechen erinnern, niemandem Einzelheiten der gerade nacherlebten Ereignisse zu verraten. Falls Ihre Frau darauf besteht, zu erfahren, was Sie bei mir gelernt haben, erwähnen Sie ihr gegenüber nur, daß ich Ihnen zur Veranschaulichung Ihrer Situation Szenen aus meiner Schulzeit gezeigt habe, über deren Inhalt Sie jedoch zu schweigen hätten!"

"Danke für diese Möglichkeit", sagte Julius.

"So, und nachdem Sie nun mein unvernünftiges junges Wesen kennenlernen durften, möchte ich Sie bitten, mir das ganze Rezept des Blutauffrischungstrankes aufzuschreiben, den ich Ihretwegen einnahm. Den werden wir heute Nachmittag nachbrauen, um Madame Rossignols Vorräte wieder aufzustocken. Professeur Fourmier will morgen Nachmittag mit den UTZ-Kandidaten das Greifenreservat in der Nähe von Bayonne aufsuchen. Greife sind genauso unberechenbar wie reinrassige Riesen."

"Aber schöne Tiere. In Millemerveilles gibt's doch einige. Wieso guckt die sich nicht die an?"

"Erstens weil sie sich nicht mit ihren früheren Mitarbeitern herumschlagen will und zweitens weil die dort gehaltenen Exemplare in der fünften Generation Zootiere sind. Sie will jedoch die eigentliche Natur dieser Wesen behandeln."

"Solange die keine Feuerlöwen herholt", meinte Julius.

"Das werde ich ihr wohl ausreden müssen, sollte sie dergleichen beantragen."

Eine Glocke schrillte laut wie die eines Suppenschüsselgroßen Weckers. "Audivi!" Rief Madame Maxime ohne Zauberstabbenutzung. Das Schrillen erstarb. Dafür ging die Wand auf. Julius brauchte keine weitere Aufforderung, die kleine Kammer zu verlassen. Madame Maxime folgte ihm und ließ die Wand wieder zusammenwachsen. Dann führte sie Julius in den Empfangsraum, wo Minister Grandchapeaus Kopf im Kamin saß.

"Ah, Madame Maxime und Monsieur Latierre. Ich möchte sie auf dem kurzen Dienstweg informieren, daß wir am ersten April die Hauptverhandlung gegen Monsieur Janus Didier angesetzt haben. Falls Sie Dokumente von ihm oder seinen unterjochten Handlangern haben suchen Sie diese bitte zusammen und überstellen Sie sie Monsieur Montpelier!"

"Was ist mit Pétain?" Fragte Julius. "Der kommt doch hoffentlich auch vor gericht."

"Seine Verhandlung läuft bereits. Es ist unglaublich, was über diesen Herrn im Nachhinein ans Licht gelangt ist. Allerdings sind Pergamente geduldig, und Zeugen sind schwer aufzutreiben gewesen. Viele junge Damen verweigerten gar die Aussage. Offenbar sind sie zu beschämt, sich auf einen Betrüger und Lebensräuber eingelassen zu haben."

"Sagen wir's ganz klar, Herr Minister, daß diese Damen wohl eher traurig sind, daß sie von Pétain kein Geld mehr für von ihm bekommene Kinder kriegen werden", warf Julius knallhart ein. Madame Maxime räusperte sich und setzte schon an, ihm Strafpunkte zu geben. Doch der Minister grinste verächtlich und sagte:

"Ich als Amtsträger und auf eine würdige Ausdrucksweise bedachter Zauberer darf sowas nicht laut aussprechen. Aber sie dürfen versichert sein, daß dies mein vordringlichster Gedanke war, als ich die fadenscheinigen Gründe dieser Damen erfuhr, Monsieur Latierre."

"Dennoch ist das eine schwerwiegende Unterstellung, Messieurs", grummelte Madame Maxime.

"Ihre Mutter wird übermorgen als Zeugin gehört. Pétains Verteidiger hat versucht, sie für befangen und als Betrügerin anklagen zu lassen, was jedoch fehlgeschlagen ist, da Madame Brickston und ihre Tante Madame L'eauvite unter Eid bekundeten, Ihrer Mutter geholfen zu haben, aus dem Ministerium zu entkommen. Im Grunde verdanken wir ihr ja unsere wiedergewonnene Freiheit, weil die wichtigsten Leute rechtzeitig gewarnt wurden."

"Wir werden dieser Anhörung beiwohnen", sagte Madame Maxime, die in Julius Gesicht gelesen hatte, daß ihn das brennend interessierte.

"Wenn Sie garantieren können, daß Monsieur Latierre nicht in einer ohnnächtigen Wut versucht, Pétain zu erschlagen oder zu erwürgen", sagte der Minister. Julius lief rot an. Doch dann dachte er an die in wilder Wonne ihren Liebhaber erstickende Mademoiselle Maxime und kühlte schlagartig wieder herunter. "Ich bin und bleibe ja in seiner reichweite. Er wird sich dem Ort und dem Anlaß entsprechend verhalten", erwiderte Madame Maxime. Julius nickte verdrossen und sagte dann ruhig: "Ich glaube nicht an eine Hölle nach dem Tod. Aber die Hölle auf Erden gönne ich dem Kerl von ganzem Herzen. Fragen Sie den bitte auch, wie der an das Muggelflugzeug und das Giftgas gekommen ist, mit dem er Millemerveilles angreifen wollte!"

"Professeur Faucon schilderte Monsieur Delamontagne diesen Zwischenfall und das sie ihn gerade so noch verhindern konnte. Sie interessiert sich auch dafür, womit er ihre Tochter und Enkelinnen hatte töten wollen."

"Ich kann ihnen gerne aus einem Buch über Kampfstoffe was über Giftgase zusammenschreiben, Herr Minister, damit Sie eine Ahnung haben, was die Muggel so alles können."

"Ich werde Ihr Angebot weiterleiten, Monsieur Latierre und denke, Monsieur Montpelier wird es dankbar annehmen, da er sich mit Alchemie und dem, was bei den Muggeln davon geblieben ist nicht sonderlich zurechtfindet."

"Okay, dann lasse ich die Formeln raus und erwähne nur die ungefähre Zusammensetzung, Wirkungsweise und mittleren Dosen, bei denen fünfzig Prozent der betroffenen sterben. Das hat mir schon manchen Alptraum beschert."

"Aber bitte nicht übertreiben", sagte der Minister. Julius beteuerte, daß er sich an die in seinen Büchern stehenden Fakten halten würde, da ihm ja auch nicht daran gelegen war, dummes Zeug in Umlauf zu bringen. Madame Maxime wies ihn aber darauf hin, daß er auch die von den anderen Lehrern aufgegebenen Hausaufgaben zu erledigen habe. Der Minister bedankte sich jedoch und zog seinen Kopf in den eigenen Kamin zurück.

"Wie erwähnt werden wir heute den Blutauffrischungstrank nachbrauen. Bitte verfertigen Sie mir eine vollständige Rezeptur davon!" Sagte Madame Maxime.

So konnten sie nachmittags den wichtigen Trank nachbrauen und Madame Rossignol übergeben. Julius erhielt die offizielle aufforderung aus dem Ministerium, über giftige, auf der Fläche wirksame Substanzen der Muggelwelt zu arbeiten und einen die tödlichsten Stoffe abhandelnden Bericht bis Freitag einzureichen. Zur Anwendung würde dieser Bericht wohl erst an einem der späteren Verhandlungstage kommen. Madame Maxime grummelte zwar, weil Monsieur Montpelier ihm die ministerielle Priorität zugewiesen hatte, sonstige Arbeiten zurückzustellen. Doch sie erkannte, daß es schon wichtig war, Pétains Machenschaften lückenlos aufzuklären. So wappneten sie sich beide für den kommenden Freitag, den Verhandlungstag.

ENDE

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