DRACHE UND BASILISK

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Daß das neue Schuljahr sehr düster werden könnte wußten Julius und seine früh angetraute Ehefrau Mildrid schon vor der Rückkehr nach Beauxbatons. Doch daß sich selbst in Frankreich düstere Dinge zutragen werden haben sie dann doch nicht erwartet.

Der fanatische wie herrschsüchtige Hexenmeister Voldemort hat das britische Zaubereiministerium in seiner Hand. Todesser und unterworfene Ministeriumsbeamte üben ein Terror-Regime aus und jagen vor allem Hexen und Zauberer, die keine magisch begabten Eltern haben. Dolores Umbridge, klein aber gemein, leitet die für diese unmenschliche Jagd eingerichtete Kommission. Vor allem will sie überragend gute Zauberer vorladen, die muggelstämmig sind. Und als wenn Voldemort das nicht reicht, hat dieser noch schlafende Krieger aus dem alten Reich erweckt, die teils Mensch teils Schlangenkreatur sind und wohl ihr Dasein wie eine Tollwuterkrankung weitergeben können.

Julius hat schon als stellvertretender Saalsprecher genug um die Ohren. Hercules Moulin erweist sich als Nachfahre einer grünen Waldfrau und muß zur Beherrschung seiner damit verbundenen Eigenarten nach Amerika, wo eine gemäßigte Vertreterin dieser Zauberwesenart lebt. Der neu angestellte Zaubertierlehrer Maurice Pivert bringt seine Schüler zweimal in tödliche Gefahren und muß deshalb wieder gehen. Für ihn übernimmt Hercules' Vater, der früher in der Zaubertierabteilung war. Dann sind da natürlich die schwereren Schulaufgaben und die Verantwortung für die anderen Mitschüler. Als wenn das nicht reichen würde muß Julius darauf warten, ein geheimnisvolles magisches Musikinstrument zu finden und richtig zu spielen, um die aufgeweckten Krieger und ihre Abkömmlinge zu besiegen. Seine vier besten Schulfreunde werden in Hogwarts von Dolores Umbridge mit dem Kuß des Dementors bedroht. Der neue Schulleiter Snape und die von Voldemort als Lehrer angedienten Carrow-Geschwister tyrannisieren eh schon alle, die dort noch lernen dürfen. Mit Hilfe seines Intrakulums kann Julius seine vier Freunde befreien und ihnen einen heimlichen Flug in die vereinigten Staaten sichern, wo sie in Thorntails weiterlernen sollen.

Doch auch in der französischen Zaubererwelt an sich wirkt sich Voldemorts Schreckensherrschaft aus. Seine Dementoren überfallen immer wieder das Land. Wie sie erfolgreich bekämpft werden sollen spaltet die magische Gemeinschaft. Grandchapeaus besonnene Politik der Einrichtung passiver Schutzmaßnahmen scheint zu funktionieren. Doch dann verschwinden der Zaubereiminister und seine Ehefrau spurlos. Sein Nachfolger wird Janus Didier, der eine aktive Bekämpfung der Dementoren verlangt hat. Dieser erläßt sehr drastische Verhaltensregeln, die keine Kritik an ihm zulassen. Offenbar will er auch keine ausländischen Zauberer im Land haben. Denn er läßt Julius' Mutter ins Ministerium zitieren, wo sie von seinem Sicherheitschef Pétain verhört werden soll. Martha Andrews ist jedoch auf die Verwendung von Wahrheitstränken gefaßt und kann den Spieß umdrehen. Dabei erfährt sie, daß Didier alle seine Politik kritisierenden Hexen und Zauberer in gesicherten Lagern internieren will, die er Friedenslager nennt. Mit Catherine Brickstons Hilfe kann Martha diese brisanten Informationen aus dem Ministerium herausbringen. Didier läßt umgehend die auf seiner Liste stehenden Zauberer und Hexen jagen, von denen jedoch viele, von Martha und Catherine gewarnt, rechtzeitig in Millemerveilles untertauchen können. Auch die Familienstammschlösser Florissant und Tournesol werden zu Fluchtbunkern für die Familienangehörigen. Didier hat viele Hexen und Zauberer seiner Behörde unter Imperius genommen, um deren Gehorsam zu sichern. Dann muß auch er erkennen, daß neben den Dementoren auch andere Kreaturen ins Land eindringen. Doch das bringt ihn nicht von seinem paranoiden Übereifer ab. Im Gegenteil. Als auch die von der Wiederkehrerin und Erbin Sardonias erweckten Entomanthropen wieder auftauchen, ist er sich sicher, daß seine Vorgehensweise die einzig richtige ist. Um Didiers Unrechtspolitik zu beenden entsteht in Millemerveilles ein Gegenministerium unter dem gewählten Minister Phoebus Delamontagne, der sich jedoch als Grandchapeaus Stellvertreter sieht, weil er von dessen Tochter Belle weiß, daß dieser und seine Frau noch irgendwo am Leben sein müssen.

Martha, die mittlerweile die Vermittlung zwischen Muggel- und Zaubererwelt übernommen hat und insgeheim auch muggelstämmigen Hexen und Zauberern aus Großbritannien zur Flucht verhilft, wohnt in Millemerveilles und gibt den unter elf Jahren alten Schulkindern Rechenunterricht. Doch weil der sonst wirkende Muggelabwehrbann droht, sie aus dem Dorf zu verdrängen, weil der davor schützende Trank zur Neige geht, hat sie scheinbar nur die Wahl zwischen Zauberschlaf oder Umzug in ein anderes geschütztes Umfeld. Ihre entfernte Verwandte Antoinette Eauvive schlägt ihr eine dritte Möglichkeit vor und unterzieht Martha dem Lebenskraftspenderitual, um etwas von ihrem eigenen Magiepotential zu übertragen. Ihre drei Töchter unterstützen sie dabei. Deshalb schlägt das Ritual besser an, als sie eigentlich vorhatten. In Martha wird ein nach außen wirksames Magiepotential aufgebaut, das nicht mehr verschwindet. Sie ist nun selbst eine Hexe und muß sich darauf einstellen, ihre unerwartete und eigentlich nicht erbetene Zauberkraft zu beherrschen. Immerhin kann sie in Millemerveilles bleiben, ohne im Magischen Tiefschlaf liegen zu müssen.

Weil Madame Maxime und Professeur Faucon auf Didiers Liste der unerwünschten Personen stehen, sollen sie Beauxbatons verlassen. Madame Maxime wird sogar mit dem Tode bedroht. Das verhilft ihr, zusammen mit Schülern, die in direkter Linie von den sechs Gründern abstammen, die Säulen dieser Gründer zu aktivieren, die Beauxbatons vor feindlichen Überfällen und dem Aushungern bewahren. Phoebus Delamontagne beschließt, die Friedenslager Didiers anzugreifen und zu befreien. Um das hinzukriegen bittet er Julius darum, ihm und seinen Vertrauten, zu denen auch Professeur Faucon unc Catherine Brickston gehören, die vier wirkungsvollen zauber aus dem alten Reich beizubringen, die ihm die Altmeisterin Ianshira beigebracht hat, um gegen die Schlangenkrieger zu bestehen. Damit ausgestattet und den Sanguivocatus-Zauber verwendend orten und enthüllen Delamontagnes loyale Kämpfer sechs von acht Friedenslagern und befreien deren Insassen, die von Gehilfen Didiers drangsaliert wurden. Zwei Lager werden jedoch von ihrem Erbauer Flavio Maquis per Ortsumtauschzauber an einen anderen Platz versetzt und damit erst einmal unauffindbar. Julius lernt in Träumen von Darxandria, daß Ailanorars Stimme eine silberne Flöte ist und wie er die richtige Melodie darauf spielen muß.

Wenige Tage vor Weihnachten brechen er, Professeur Faucon und die Flügelkuh Artemis nach Australien auf, wo Julius an den dort wachenden Windelementarwesen vorbei in ein Höhlensystem im Uluru vordringt, wo er zunächst an einer schwarzen Riesenspinne vorbei muß, die menschliche Gedanken auf ihn übertragen kann. Als er die Flöte Ailanorars findet und ergreift, wird er aus seinem Körper herausgezogen und zu der Seele des Windmagiers hinübergetragen, gegen die er in einem Tanzduell bestehen muß. Ailanorar erläutert ihm, daß die Spinne seine unsterblich gewordene Schwester Naneavargia sei und er, Julius, besser bei ihm bliebe, als von dieser getötet und gefressen zu werden. Dennoch legt es Julius darauf an, Ailanorar auszutanzen und flüchtet, auch mit Hilfe seiner Frau, die ihn über die Herzanhängerverbindungen mehr Stärke zusenden kann. Wieder im eigenen Körper lehnt er Naneavargias Angebot ab, sich ihm hinzugeben und mit ihm seine wildesten Wunschträume auszuleben. Er kehrt den Überdauerungszauber um, der die Atlanterin, die als Spinne oder überragendschöne Frau auftreten kann, ohne weiteres Lebewesen in der Höhle schlafen läßt. So fällt sie in Starre, und er kann flüchten. Ein Magier der Ureinwohner, dem er und die zwei anderen begegnet sind, versucht die Flucht Naneavargias zu vereiteln, löst dabei jedoch einen magischen Wirbelsturm aus, der die Katastrophenumkehrzauberer auf den Plan ruft. Naneavargia kann jedoch entkommen, nachdem alle Windgeister ihr Dasein ausgehaucht haben. Julius spielt derweil in Spanien die magische Melodie und beschwört die Himmelsburg der Vogelmenschen herauf, die ihn zu sich holen. Er trifft das Königspaar und erfährt, daß sie nicht bereit sind, gegen die angeblich noch verbliebenen drei Skyllianri zu kämpfen. Um wieder aus der Burg hinauszukommen muß er Ailanorars Stimme zurücklassen, was er gerne tut, weil er dieses Instrument eh nicht richtig beherrschen kann. Die Vogelmenschenkönigin Pteranda übergibt ihm heimlich eine ihrer Brustfedern, mit deren Hilfe er sie rufen kann, wenn die Skyllianri doch wieder mehr werden und ihn unmittelbar angreifen sollten. Auf seinem Weg zurück zum Erdboden entgeht er mit Temmies Hilfe knapp einem Mordanschlag der Diener des Königs, um den letzten Mitwisser um Ailanorars Stimme loszuwerden. Das eigentliche Ziel hat er nicht erreicht. Er kann nur hoffen, daß die Skyllianri tatsächlich von den Kampfdrachen und Entomanthropen sowie den Wertigern erledigt werden und Didier als falscher Zaubereiminister abgesetzt wird.

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"Wartet noch auf das Zeichen! Verhaltet euch unauffällig! Ich sage euch, wenn ihr losschlagen sollt", klang die in der erhabenen Sprache gewisperte Anweisung des Meisters, der den machtvollen Stab ihres Schöpfers trug. Hier, verborgen vor dem Rest der Welt, warteten sie auf den Tag des großen Sturmes. Diese Narren würden bald lernen, wie sehr sie dem Meister und ihnen halfen, indem sie sie hier untergebracht hielten. Im Moment waren es nur fünfzig. Sie mußten heimlich vorgehen. Doch im nächsten Monat würde ihre Zahl dreimal so groß sein.

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Janus Didier freute sich, daß seine Frau über die Weihnachtstage zu ihm gekommen war. Es kam so selten vor, daß Euryale Zeit fand, ihren einträglichen Beruf in Bern bei Seite zu legen und sich ein paar Ferientage mit ihrem Mann gönnte. Sie sah immer noch sehr reizvoll aus, mit den rosaroten Pausbacken, dem strohblonden Haar und den bergseeblauen Augen. Ihr Körper war rank und schlank und überragte den des gerade noch amtierenden Zaubereiministers um einen halben Kopf. Als Seniorsekretärin des schweizer Zaubereiministers Urs Rheinquell war sie zwar häufiger in Bern als in ihrem Geburtsort Lausanne, nutzte dort jedoch die alten Familienbande, um für ihre Eltern gewinnbringende Geschäftsbeziehungen anzuleiern. Das widersprach zwar der Vorschrift, daß Beamte sich nicht privatwirtschaftlich engagieren durften, wurde im Land der größten Goldlager Europas jedoch nicht so genau eingehalten. Immerhin hatte sie die Ehe mit Janus Didier auch sehr weit gebracht, selbst wenn dieser sich wohlweißlich zurückgehalten hatte, für die angeheiratete Verwandtschaft neue Kontakte in Frankreich selbst zu knüpfen. Als Leiter der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit war es ihm jedoch leichtgefallen, ausländische Geschäftspartner für die Eltern seiner Frau zu gewinnen. Doch auch das gehörte zu jenen privaten Geheimnissen, die ja nicht an die Öffentlichkeit kommen durften, wollte er nicht für lange Zeit entwürdigt und verurteilt in Tourresulatant verschwinden.

Fröhliche Weihnachten, ma Chere", säuselte Didier seiner Frau ins Ohr, als sie den prächtig geschmückten Weihnachtsbaum mit den goldenen, leise heulenden Eulen und dem tirilierenden Phönix auf der Spitze besahen, der in den besonders abgesicherten Bereichen des Ministers aufgebaut worden war. Die magischen Bildverpflanzungsfenster, die Didier die von ihm gerade noch kontrollierte Außenwelt zeigten, präsentierten gerade idyllische Winterlandschaften, schneebedeckte Hügel, einen zugefrorenen See, Bergkämme, von deren zerklüfteten Felsen skurile Eiszapfenkunstwerke herabhingen. In einem Fenster sah Didier den Mond fahl über einem winterlichen Tannenwald scheinen. Die verschneiten Äste und Wipfel der Nadelbäume glänzten wie gediegenes Silber vor dem tintenschwarzen Hintergrund. Das war wirklich weihnachtlich. Der Tannenbaum mit den hundert Kerzen und goldenen Gehängen, die Winterbilder in den Fenstern, das munter prasselnde Kaminfeuer und der Geruch von Bratäpfeln und Zimt. Kein anderes Wesen außer ihm und seiner Euryale. Kein Mensch, der seinen Frieden bedrohte. Kein Delamontagne, der seinen Sturz betrieb. Keine abtrünnigen Hexen und Zauberer, die nach seinem Rücktritt schrien. Das war wahrlich Weihnachten.

"Wann kehrst du nach Bern zurück, Teuerste?" Fragte Janus.

"Rheinquell hat mir bis zur Jahreswende freigegeben", sagte Euryale mit ihrer angenehm weichen Stimme. "Vielleicht wäre es besser, wir fragten ihn, ob du nicht mit mir in die Schweiz einreisen kannst. So wie ich es sehe mögen die dich hier nicht mehr so recht."

"Bitte reden wir nicht über meinen Beruf, meine Holde. Ich möchte die wenigen Tage, die wir im Jahr haben, nicht mit den Banalitäten der Politik verplempern."

"Du hast doch nicht wirklich Suzanne in ein Straflager mit einem Werwolf als Wächter einsperren lassen?" Fragte Euryale verhalten. Ihr Mann schüttelte den Kopf. "Das ist eine üble Verleumdung, um mich lächerlich zu machen, um die anderen Zaubereiminister Beifall klatschen zu lassen, wenn mich diese Besserwisser aus dem Amt prügeln sollten. Natürlich habe ich Suzanne nicht von einem unkontrollierbaren Werwolf bewachen lassen."

"Solange der alte Delamontagne das behaupten kann könntest du Ärger kriegen", wandte Madame Didier ein. "Abgesehen davon würde ich gerne selbst mit Suzanne sprechen, um zu erfahren, was passiert ist."

"Der alte Delamontagne hat sie ganz bestimmt unter den Imperius genommen oder einen Gedächtniszauber angewandt, um sie glauben zu machen, das alles erlebt zu haben, was er mir jetzt vorwirft. So arbeiten die Agenten des Unnennbaren eben."

"Du denkst also, daß der alte Delamontagne für ihn arbeitet? Wie kann er dann in Millemerveilles sein?"

"Daran siehst du, daß er lügt, Euryale. Er ist nicht in Millemerveilles. Er behauptet das nur, damit alle leichtgläubigen annehmen, er sei frei von jedem dunklen Einfluß", erwiderte der umstrittene Zaubereiminister kühl. "Ich lasse nach ihm suchen. Vielleicht ist der echte Delamontagne auch schon tot, und wer sich da als er ausgibt ist ein Doppelgänger, eine Marionette des Unnennbaren."

"Das ist nicht gerade einfach zu glauben, wer da recht hat und wer nicht, Schatz", erwiderte Madame Didier. Ihr Mann verzog vor Wut das Gesicht und fauchte sie an, ob sie ihm nicht glauben würde. Sie wiegelte schnell ab, daß sie nicht zu ihm gekommen wäre, wenn sie ihm nicht glaubte. Janus Didier beruhigte sich wieder. Weil seine Frau nun merkte, wie unangebracht eine Unterhaltung über die beruflichen Probleme ihres Mannes war, schnitt sie ein ihm angenehmeres Thema an, die Schlittenfahrt in den Alpen, die das Grenzgebiet zwischen Frankreich und der Schweiz bildeten. Außer Pétain wußte keiner im Ministerium, daß er dort hin wollte, um mit seiner Frau aus dem selbstgewählten Bunker herauszukommen, in den ihn die unverhofft erstarkte Widerstandsbewegung um Delamontagne, Tourrecandide und die anderen getrieben hatte. Pétain war wohl gerade bei einer seiner Freizeitgestalterinnen. Offenbar hoffte die junge Dame darauf, eine gewinnbringende Zukunft in ihrem Schoß zu empfangen. Er hatte es seinem aufmüpfigen und viel zu viel wissenden Partner schon mehrmals gesagt, daß ein Sicherheitsleiter mit einem derartigen Lebenswandel nicht gerade vertrauenserweckend war. Außerdem mochte jede Hexe, mit der sich Sebastian Pétain einließ, eine Anhängerin von Sardonias Erbin sein. Vielleicht gab es Zauber, die ihn banden, sobald eine Hexe sein Kind trug. Doch Pétain hatte darüber nur gelacht und Janus einen argwöhnischen Neidhammel genannt, der auf Grund eigener Bedürfnisse wütend war, wenn andere sich unbefangen auslebten. Doch auch Pétain hatte erkennen müssen, daß er nicht mehr so einfach draußen herumlaufen konnte. Warum der dann doch meinte, mit diesem jungen Ding, das wohl gerade fünf Jahre von Beaux herunter war, Weihnachten feiern zu können ... Nein, er wollte doch nicht über seinen Beruf nachdenken. Wenn das Jahr gewechselt hatte, würde er Pétain irgendwie ganz unverdächtig aus dem Amt befördern. Vielleicht trug er ihm sogar einen Posten als Leibwächter seiner Frau an, um sie in der Schweiz vor Agenten Delamontagnes oder des Unnennbaren zu schützen und ließ ihn dabei irgendwas dummes passieren, wenn er wußte, was im Testament Pétains drinstand. Doch im Moment wollte er nur Weihnachten mit seiner Frau feiern.

Eine der goldenen Eulen am Weihnachtsbaum gab ein sehr lautes Schuhuh von sich, das so klang, als stehe Janus Didier neben einer echten Eule in einem dichten Wald, von dessen Bäumen der Ruf des Nachtvogels lange widerhallte. Er grummelte und sah die laut tönende Eule verärgert an. Euryale fragte ihn, was los sei. "Eine als wichtig gekennzeichnete Nachricht. Grandchapeaus Vorgänger hat das mit den Meldeeulen eingeführt, wenn er sonst keine Nachrichten entgegennehmen oder Besuch haben wollte. ich muß zum Briefkasten und sehen, wer da wagt, uns die Feier zu verderben, Euryale."

"Ich hoffe, daß es nicht was von meinem Chef aus Bern ist", grummelte Euryale. Ihr Mann antwortete nichts darauf. Er stand auf und verließ den weitläufigen Wohnsalon des Zaubereiministers. Er schloß die Tür hinter sich. Euryale sah den lindgrünen Samtumhang durch die Türöffnung wehen, bevor die pompöse Eichenholztür mit den Verzierungen, die Zauberer und Hexen vergangener Epochen zeigte, zufiel. Sie dachte daran, daß ihr Mann sie belogen hatte. Sie wußte, daß er gelogen hatte und Suzanne wirklich zu unmenschlichen Bedingungen eingesperrt gewesen war. Auch wenn Janus alle ihm zugänglichen Verständigungswege blockiert und/oder überwacht hielt hatte sie von Suzannes Eltern entsprechende Mitteilungen erhalten, nachdem die angeheiratete Großnichte dem Friedenslager fünf entronnen war. Doch das durfte sie Janus nicht sagen. Denn dann wäre sie umgehend selbst in ein solches Lager gesteckt worden, ehe sie erledigt hatte, weshalb sie eigentlich nach Paris gekommen war. Im Grunde war sie froh, daß die sonst wirksamen Sicherheitszauber sie nicht als Verdächtige aussortieren konnten, weil sie über einen geheimen Zugang für ganz vertraute Besucher des Ministers in die sonst so stark gepanzerte Festung Zaubereiministerium gelangt war. Die Schlittenfahrt um Neujahr herum sollte der Termin sein, an dem sie das tat, was sie eigentlich hergeführt hatte. Sie zog ihren Zauberstab hervor und beschwor weitere Bratäpfel aus der Küche in die Kristallschale auf dem Tisch. Wie lange mochte Janus wegbleiben? Würde er bald wiederkommen oder gleich irgendwo hinreisen müssen, falls er sich das überhaupt noch trauen durfte?

"Die behaupten glatt, Grandchapeau sei wieder aufgetaucht", keuchte der Minister mit erregter Miene, als er fünf Minuten später zurückkehrte. Er schwang ein Pergamentblatt. "Angeblich sind Armand und Nathalie wieder in Frankreich aufgetaucht. Einer meiner heimlichen Boten hat das sogar mitbekommen, daß sie in Marseille aufgetaucht und sofort disappariert sind. Nathalie habe sehr abgekämpft ausgesehen. Ich muß das klären, Cherie, bevor mir Delamontagne vorhält, ich hätte die beiden entführen lassen."

"Das ist nur eine Finte, Janus. Irgendwie haben die Doppelgänger von denen erschaffen, die jetzt so tun sollen, als wenn sie die echten wären, um deine Amtsführung komplett lächerlich zu machen", warf Euryale ein. "Bleib bloß im Ministerium! Die warten doch nur darauf, daß du dich hinauswagst. Denn reinkommen können sie nicht."

"Euryale, denkst du echt, ich hätte das nicht sofort erkannt? Natürlich ist das eine Finte Delamontagnes und Tourrecandides. Würde mich nicht wundern, wenn Tourrecandide sich selbst in Nathalie Grandchapeau verwandelt hätte, und der alte Phoebus Delamontagne ist in dieser Zaubereidisziplin auch nicht unbegabt. Wenn die Doppelgänger jedoch allen im Land verkünden, daß sie die echten sind und meine sofortige Stellungnahme, ja eine persönliche Unterredung fordern, um meine Sicht der Ereignisse zu erfahren, muß ich was unternehmen."

"Schlage sie mit denselben Waffen, Janus. Schicke wen zu diesem Treffen hin, der deine Ansichten vor der Öffentlichkeit vertritt. Gib Pétain Vielsaft-Trank! Der kann dann deine Handlungen rechtfertigen."

"Gut, daß wir unter uns sind. Sonst würde mir ein Delamontagnist unterstellen, ich würde mir von meiner Frau diktieren lassen, was ich zu tun hätte", grummelte Janus Didier, den die vorwitzigen Vorschläge seiner Gattin etwas unheimlich waren, wo sie sonst eher unterwürfig und bescheiden im Hintergrund blieb, egal ob als seine Frau oder Sekretärin des schweizer Amtskollegen. Dann erkannte er, daß das eine geniale Idee war. Pétain sollte ihn spielen. Mit Vielsaft-Trank sollte der in die gestellte Falle gehen. Und wenn er darin gefangen wurde, war er ihn los, konnte gegen Delamontagne offen Front machen und sich als echten Zaubereiminister im Bewußtsein der magischen Welt verankern. Andererseits wußte Pétain einiges mehr als er bereits ausgeplaudert hatte. Wenn man ihn festnahm und verhörte, konnte er auf die unschöne Idee kommen, ganz private Sachen über ihn, Janus Didier, preiszugeben. Dann sollte es doch besser ein unter dem Imperius-Fluch stehender Gehilfe sein, der dieses Manöver ausführte. "Warten wir erst einmal ab, was dieser so unverhofft wieder aufgetauchte Amtsvorgänger so erzählt oder fordert", beschloß er noch. Dann sah er die in die Kristallschale gezauberten Bratäpfel und nickte Euryale zu. Er liebte Bratäpfel. Das war einer der wenigen Gründe, warum er sich so auf die Winterzeit freute. Er dachte daran, daß sein älterer Bruder Roland ihm immer die größten Bratäpfel weggefuttert hatte und es um die Tage des Familienfriedens herum immer Streit zwischen den beiden Brüdern gegeben hatte. Auch als Roland behauptet hatte, daß seine Schwiegermutter Barbara noch bessere Bratäpfel machen konnte, hatte Janus Didier das Gesicht verzogen und ihn gefragt, ob er dieses Mädchen Ursuline nur wegen ein paar Bratäpfeln geheiratet habe. Der hatte die Frechheit besessen und geantwortet: "Wenn du das vorher gewußt hättest hättest du mir Line glatt ausgespannt, Jani." Daran mußte der gerade noch amtierende Zaubereiminister denken, als er eine der einladend duftenden, goldgelben Kugeln aus der Schale nahm. Wie lange war das jetzt alles her? Egal. Jetzt galt nur, daß er hier mit Euryale war und nur mit ihr die Weihnachtstage verlebte.

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Er tobte vor Wut. Ins Leere geschickte Zauber blitzten bunt und krachten gegen Hindernisse, die zerplatzten, schwarz anliefen und zu Staub zerfielen, verglühten oder zerschmolzen. Beinahe hätte er den Bengel und dieses Schlammblut erwischt. Nagini hatte ihn doch schon so sicher. Eine einzige Sekunde früher, und Harry Potter wäre jetzt tot, und er, Lord Voldemort, der Unnennbare, der mächtigste Zauberer der Gegenwart, Slytherins rechtmäßiger Erbe, wäre unbesiegbar und unübertroffen. Niemand hätte ihm dann noch Widerstand entgegengebracht. Keiner hätte es gewagt, ihm die Stirn zu bieten. Jeder zauberer weit und breit hätte vor lauter Angst vor seinen Worten gezittert. Doch jetzt war dieser Bengel wieder einmal entkommen, und er wußte nicht wohin. Zumindest konnte er froh sein, daß Nagini, seine hochgeschätzte Gefährtin, bei der Explosion des Zimmers nicht verletzt worden war. Doch was half es. Potter lief noch immer herum. Und als wenn das nicht reichte hatte ihm Skyllian Sharanagot, dessen Seele in jenem mächtigen Schlangenzepter steckte, vorgehalten, er stehe kurz davor, zu verlieren, weil die ausgeschickten Skyllianri nacheinander getötet würden. Nur noch die drei in England lebten. Doch sie hielten sich im Schoße der Erde verborgen, wie ängstliche Babys, die aus Angst vor der großen, lauten Welt in ihre eigenen Mütter zurückgekrochen seien. Wenn Voldemort nicht bald den großen Schlag anbrachte würde sich Skyllians Zepter gegen ihn wenden. Das zumindest hatte ihm die innewohnende Seele des Schlangenmagiers angedroht. Der dunkle Lord mochte es nicht, bedroht zu werden, vor allem nicht, wenn der Drohende ihm ernsthaft schaden konnte. Das bedeutete meistens den baldigen Tod des Widersachers. Doch er mußte dieses Schlangenzepter behalten. Es war zu schwer gewesen, es zu erobern. Und die im Lande herumlaufenden Wertiger bewiesen, daß er immer noch nicht sicher vor seinen früheren Hütern war. Doch sein Plan war wasserdicht. Er wußte, daß die Entomanthropen und die Kampfdrachen aus einem ihm unbekannten Land auf die Besonderheiten der Schlangenmenschen abgerichtet waren. Da half es auch nicht, daß sich die Skyllianri so schnell vermehren konnten. Die Entomanthropen konnten sich noch schneller vermehren, schien es. So blieb ihm nur eins, seine Feinde in die trügerische Sicherheit zu wiegen, er habe diese Kreaturen verloren. Mit den Wertigern konnte er fertig werden. Diese törichten Katzenmenschen vergaßen nämlich, daß sie in ihrer Wergestalt eine Magieverringerung in ihrer Umwelt erzeugten, die mit den richtigen Mitteln geortet werden konnte. Außerdem waren sie nicht gegen Feuer und Eis gefeit. Und Eis gab es im Moment genug in den Bergen Schottlands, wo nicht nur seine Riesen lagerten, sondern auch die drei letzten Schlangenmenschen im tiefen Felsgestein auf ihre Stunde warteten, erstarrt wie der Fels selbst, nur von ihres Meisters Gedankenruf zu wecken. So hatte er Skyllian Sharanagots Seele damit getröstet, daß er bereits den entscheidenden Schlag vorbereitet hatte. Ihn störte daran zwar, daß er sich hierbei Muggeltechniken bedienen mußte. Doch der Erfolg würde ihn jedes Ungemach vergessen lassen. Doch dann hatte ihm Skyllians Stab etwas erzählt, was ihm seltsam vorkam: "Besiege unsere Feinde, bevor sie Hilfe erhalten, die meine Macht zerstören kann und deine Kraft für den Höchsten aller Meister fordern wird. Warte also nicht zu lange!"

"Welche Hilfe soll das sein?" Hatte Voldemort dann gefragt. "Die Riesenbienen und diese Drachen kann ich vernichten."

"Da ist etwas, als seien die alten Feinde aus der Luft erwacht und warteten, wer sie ruft, um uns zu vernichten. Wenn sie erscheinen, werden sie meine Diener töten, und ich werde dir alle Kraft nehmen, die dir innewohnt und sie meinem höchsten Meister Iaxathan überreichen, bevor mein Daseinszweck verweht. Die alten Vogelkrieger meines Erzfeindes Ailanorar sind schnell und stark. Ich erspüre, daß sie uns beobachten, weil jemand sie gerufen hat. Er fand nur nicht die richtigen Worte, um sie zum Kampf gegen uns aufzurütteln. Findet er sie oder erhält von anderswo Hilfe, um sie zu finden, wird deine Macht genauso vergehen wie meine."

"Wer soll das sein, der diese Vogelkrieger gerufen hat?" Fragte Voldemort aufgeregt.

"Das erfuhr ich nicht, weil ich zu diesem Zeitpunkt wohl in diesem Totenbett gelegen habe, in dem du mich immer zurückläßt, um nicht an deine Pflichten erinnert werden zu können. Deshalb warne ich dich. Lege mich nicht noch einmal so weit von dir fort. Oder ich werde dir meinen Dienst verweigern, wenn du deine Pflichten unserer Sache gegenüber vernachlässigst."

"Mein Plan braucht Zeit, in der du mir nicht helfen kannst", sagte Voldemort und beförderte den Schlangenstab mit einer raschen Handbewegung in die offene Grube. Hier lagen sie, die verfluchten, durch seinen Zauber niedergemähten Eltern dieses immer noch lebenden Bastards. "Infodio!" Stieß er aus und machte mit dem Zauberstab eine schlenkernde Bewegung über der Grube. Ein Haufen Erde flog von rechts in die rechteckige Grube und füllte sie in wenigen Sekunden aus. Mit zwei Zauberstabschwüngen ließ er das Erdreich fest werden, bevor er mit einer entschlossenen Bewegung die bereits mehr als zehn Jahre alte Grabplatte an ihren Platz zurückversetzte. Sein Plan war wasserdicht. Dieser französische Trottel, der meinte, ihm durch ein Regime der Angst was entgegensetzen zu können, würde bald lernen, wem er damit gedient hatte.

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"Entweder wird er Pétain schicken oder einen seiner imperisierten Erfüllungsgehilfen", stellte Phoebus Delamontagne fest, als er am siebenundzwanzigsten Dezember eine Sitzung des Gegenministeriums leitete, die diesmal im Haus Professeur Faucons stattfand. Professeur Tourrecandide, die für die Abwehr dunkkler Künste zuständig war wandte ein:

"Wenn es ein Handlanger unter Imperius ist können wir ihn umdrehen, Phoebus. Wenn wir Pétain erwischen kriegen wir aus diesem vielleicht mehr über die verbliebenen Friedenslager heraus und können die befreien. Nur wenn wir diese beiden verwerflichen Strafkolonien stürmen und befreien können, haben wir freie Hand, Didier auch mit Gewalt aus dem Amt zu jagen."

"Wie lange hält der Vielsaft-Trank denn vor?" Fragte Monsieur Pierre in die Runde.

"Nun, die beiden müssen nur davon trinken, wenn sie gesehen und gehört werden sollen, wie morgen beim Besuch im Château Tournesol", sagte Professeur Tourrecandide. Die dortige Patrouille wird mithören, wie sie dort eintreffen, ja auch sehen, wie sie dort per Portschlüssel wieder abreisen. Da sich Didier eh denken kann, daß auch dort Klangkerker bestehen, wird seine Patrouille nicht mehr mitbekommen als die Ankunft und Abreise. Gilbert wird dann schreiben, daß Grandchapeau sich selbst überzeugen möchte, ob Sie, Herr stellvertretender Zaubereiminister, oder Monsieur Didier das Amt besser ausgeübt hat und Rechenschaft von Didier persönlich fordern."

"Sie vergessen dabei etwas", warf Martha Andrews ein, die in diesem Gremium volles Mitspracherecht besaß. "Jetzt, wo die Meldung herum ist, daß der echte Minister wieder aufgetaucht ist, werden alle die, die Didier lieber gestern als morgen aus dem Ministerium haben wollen darauf drängen, ihn schnellstmöglich loszuwerden, womöglich zu verhaften. Wir haben hier ein Rudel Geister gerufen, die wir sehr genau kontrollieren müssen. Denn die, die unseren Schwindel glauben, hoffen, daß Minister Grandchapeau bald wieder die Amtsgeschäfte übernimmt. Sie werden entweder aufbegehren oder sich von uns abwenden, wenn dieser Machtwechsel nicht bald erfolgt. So oder so stehen wir auf einer sehr wackeligen Brücke über einem sehr tiefen Abgrund, meine Damen und Herren. Da mir bei der Erörterung des Planes ja nichts besseres einfiel habe ich zugestimmt, ihn so durchzuführen. Ich bitte nur darum, daß wir uns darüber klar bleiben, daß die magischen Menschen Didiers Diktatur beenden wollen, oder wie mein Sohn es sagen würde, die Schnauze von Didiers Leuten gründlich voll haben. Unser hier zusammengetretenes Gegenministerium hat Hoffnungen geschürt, diesen Usurpator bald loszuwerden. Bedienen wir diese Hoffnungen nicht, könnte alles verlorengehen, was wir erreicht haben, unsere Überzeugungskraft, unsere Glaubwürdigkeit und die Hoffnung auf ein Ende der Diktatur. Schlimmer noch: Wenn wir nicht bald Erfolg haben wird Didiers Vorwurf zur Wahrheit, wir hätten es nur auf eine Destabilisierung der Zaubererwelt angelegt und würden damit dem gemeinsamen Feind in meiner Heimat in die Hände spielen. Denn dann, meine Damen und Herren, werden wir wohl oder übel ein Chaos im Land haben, daß dieser größenwahnsinnige, der sich als dunkler Lord bezeichnet, hemmungslos und risikolos ausnutzen wird. Also ist es wichtig, daß Didier möglichst noch im nächsten Monat aus seinen an sich gerissenen Ämtern entfernt wird, möglichst lebend, um ihn zur allgemeinen Beruhigung vor ein Gericht zu stellen und um unseren Ruf zu wahren, mit unseren Widersachern menschlich und gerecht umzugehen. Ich hoffe, meine Ansichten waren nicht zu überheblich. Aber ich stehe dazu."

"Sie haben recht, Madame Andrews", pflichtete ihr Professeur Tourrecandide bei. "Wir haben im Grunde einen sehr großen Stein ins trübe Wasser geworfen und damit große Wellen geschlagen. Wenn wir nicht aufpassen gehen wir unter diesen Wellen mit dem Stein unter. Also sollten wir die direkte Konfrontation suchen."

"mehr noch. Wenn Didier nicht auf den Köder hereinfällt - und das muß ich leider für möglich halten - muß unser Täuschungsmanöver so beendet werden, daß es nicht als solches erkannt wird. Denn dann, meine Damen und Herren, ergibt sich ein Vorteil für uns, noch mehr Stimmung gegen Didier zu machen, ohne selbst in Verruf zu geraten." Martha formulierte, was sie als Ausweichmöglichkeit vorschlug. Belle nickte beipflichtend, als Martha erwähnte, daß die Tochter des rechtmäßigen Ministers dann nichts mehr sagen dürfe, ob ihre Eltern noch lebten. Dann fragte Adrian Grandchapeau:

"Und wir wissen immer noch nicht, wer die beiden letzten Lager verlegt hat? Ich meine, wenn wir an Angehörige von dem rankämen, könnten wir das finden, wo er drinsteckt. Kriegen wir ihn zu fassen, kriegen wir auch das zweite Lager."

"Wenn ich das herausgefunden hätte, wer das ist, wüßten wir es ja längst. Pétain wußte es nicht. Nur Didier weiß genau, wer die Friedenslager gebaut hat. Es ist zu vermuten, daß er im ersten Lager ist, das als Kontrollstelle für alle anderen herhalten mag, weil die beiden noch unberührten Lager nicht verschwunden wären, hätten wir die Kontrollstelle mit den anderen sechsen ausgeschaltet", bemerkte Martha Andrews nach Erteilung des Wortes. "Ich vermute deshalb, daß es Lager eins ist, weil die Nummerierung es anbietet. Er kann zwar auch im noch nicht befreiten Lager vier sitzen, doch Lager eins erscheint mir plausibel." Alle anderen nickten. Dann wandte Professeur Tourrecandide ein, daß sie wisse, wer das sein mußte. Alle anderen sahen sie überrascht an.

"Ich wollte nicht damit herausrücken, bevor ich mir nicht absolut sicher war, meine Damen und Herren. Aber jetzt, wo es angeschnitten wurde: Didier pflegte immer gute Verhältnisse zu allen möglichen Spitzenkräften der magischen Industrie und des Zauberkunsthandwerks. Ich habe daher ermitteln lassen, welche Baumagier erstens gut mit ihm oder seiner Familie bekannt sind und zweitens gerade nicht auffindbar sind. Denn wir dürfen davon ausgehen, daß unser geheimer Architekt und Baumeister sich immer noch und ohne Unterbrechung in seinem Hauptlager aufhält. Von allen begabten Baumagiern, die bekannt sind kommt für diese zwei Faktoren nur Flavio Maquis in Frage, ein äußerst begabter Baumagier, der, wie wir mittlerweile von zu uns übergelaufenen Ministeriumsleuten wissen, von Didier großzügig gefördert wurde, ihm selbst jedoch auch gute Dienste geleistet hat. Die beiden haben das so geschickt eingefädelt, daß es jetzt erst ans Licht gekommen ist. Doch für Flavio Maquis als Baumeister der Friedenslager spricht auch, daß seine Familie seit Didiers Amtsanmaßung unauffindbar ist. Da zu vermuten ist, daß er sie nicht mit sich in sein Hauptquartier genommen hat, vermute ich sehr stark einen Fidelius-Zauber mit ihm als Geheimniswahrer. Damit entfällt natürlich auch die Möglichkeit, durch den Sanguivocatus-Zauber den Aufenthaltsort von ihm herauszufinden. Das wäre doch ihr Vorschlag gewesen, Monsieur Grandchapeau." Adrian nickte, Martha auch. "Aber wir haben noch nicht alle Möglichkeiten ausgelotet. Der Ortsvertauschungszauber, den Maquis mit den verbliebenen Lagern durchgeführt hat, ist zwar nur von dem Gebäude oder Gelände aus umkehrbar, das versetzt wurde. Daran kann auch der alte Fluchumkehrer nichts ändern, weil er eben nur übles Zauberwerk umkehrt. Doch wenn wir das Ausschlußverfahren bemühen, wird es uns möglich sein, den möglichen Standort der Lager zu finden. Sie können weder unter Wasser, noch tief unter der Erde, noch mitten in dicht bevölkerten Siedlungen oder gar Muggelstädten angekommen sein. Ein Schutz vor Elementargewalten würde sich mit den sonstigen Zaubern verwirren, und bei einer Versetzung in dicht besiedelte Gebiete würden die Verhüllungszauber das normale Raumdurchquerungsempfinden beeinträchtigen. Stellen Sie sich vor, mitten in Paris würde eines der Lager auftauchen. Alle Perspektiven, die Wege und die Anordnung der Gebäude und Straßen kämen durcheinander." Martha nickte heftig. Natürlich, so konnten sie die beiden Lager finden. "Also müssen die beiden Lager an Orte versetzt worden sein, die an der frischen Luft und in gar nicht besiedelten Gegenden weit ab von Verkehrswegen liegen. Davon ausgehend können wir dann wohl die Orte mit der größten Wahrscheinlichkeit ermitteln und auf die nun bekannten und nicht so leicht zu ändernden Tarnzauber überprüfen. Sollten wir dabei eines der Lager finden dürfen wir noch einmal auf die nützlichen Selbsttarnungshilfsmittel zurückgreifen, die uns die Befreiung der Lager zwei, drei, fünf, sechs, sieben und acht ermöglicht haben." Alle anderen sahen Professeur Tourrecandide sehr beeindruckt an. Martha nickte erneut. Dann fragte Monsieur Pierre, ob das nicht dauern würde, die möglichen Standorte zu prüfen und Didier nicht auffallen mußte, wenn Hexen und Zauberer mit ihren Zauberstäben auf verborgene Magie prüften. Martha lächelte überlegen und bat noch einmal ums Wort.

"Es ist durchaus möglich, alle Orte innerhalb weniger Minuten auszuschließen, an denen die verbliebenen Lager unmöglich sein können, wenn ich die von Ihnen sehr richtig angeführten Ausschlußkriterien an der frischen Luft und keine Besiedlung mit den räumlichen Ausdehnungen der bekannten Verhüllungszauber zusammennehme und ein Programm erarbeite, daß alle von Didier kontrollierbaren Landstriche auf diese Kriterien prüft. Trifft auch nur eins zu, fällt dieser Landstrich als Aufenthaltsort aus. Das dürfte mich zwar einige Tage intensiver Arbeit kosten ... Eine Frage an die Experten für diesen Ortsaustauschzauber: Wie weit kann der zwei Gebäude oder Geländeteile versetzen?"

"Abhängig von der Größe des zu bezaubernden Raumes zwischen eintausend und zehn Kilometer. Ein Landgut von einem halben Quadratkilometer kann gerade noch einhundert Kilometer weit versetzt werden. Ein Einfamilienhaus kann siebenhundert Kilometer weit versetzt werden", erwähnte Professeur Tourrecandide. Monsieur Pierre und Florymont Dusoleil nickten beipflichtend.

"Gut, damit sind die Überseebesitzungen Frankreichs schon aus dem Spiel", stellte Martha nüchtern fest. "Ist also nur zu berechnen, wie groß die Lager sind und wie weit sie dann maximal versetzt wurden. Dann nehmen wir die ursprünglichen Standorte als Mittelpunkt eines Kreises, der die weiteste Versetzung angibt. Innerhalb dieser beiden Kreise lassen sich dann gemäß der Ausschlußkriterien die nicht zutreffenden Gebiete wegfiltern. Was dann noch übrigbleibt kann genauer überprüft werden. Wenn ich das Programm fertighabe wird es nur Minuten dauern, um die Orte mit der höchsten Wahrscheinlichkeit auszugeben."

"Hätten wir auch echt selbst schon überlegen können", grummelte Florymont Dusoleil.

"Wie sicher ist dieses Verfahren?" Fragte Monsieur Delamontagne.

"Nun, dazu brauche ich alle in Zahlen erfaßten Einzelheiten über den Zauber und die geschätzte Ausdehnung der Lager. Da ich die Ausdehnung der Lager so schon habe kann ich diese Werte dann in die Berechnung einbeziehen. Das schwierigste Problem ist der Filter. Das Programm muß die gesamte Landkarte von Frankreich übernehmen und die zutreffenden Orte ausfiltern und die möglichen Orte hervorheben. Grafiken sind schwerer zu programmieren als einfache Tabellen. Aber da verlasse ich mich mal auf Joe, der mit grafischen Modellen besser hantieren kann als ich. Vielleicht schreibt der mir die nötigen Module, also Unterprogramme, die die Anzeige übernehmen."

"Ich gebe Ihnen den Band Zauberkunst für gehobene Anwendungen mit, Madame Andrews", sagte Professeur Tourrecandide. Catherine schüttelte behutsam den Kopf. "Das Buch befindet sich in der Bibliothek meiner Mutter. Da ich ihre Erlaubnis habe, alle hilfreichen Bücher zu Rate zu ziehen, kann Madame Andrews die ihr fehlenden Angaben dort nachschlagen."

"Moment, eine Muggelfrau darf doch keine Zauberbücher lesen. Das verstößt gegen ... Vergessen wir's", setzte Adrian an und zog seinen Einwand umgehend zurück, weil Belle ihn verstört anblickte. Außerdem hatten sie ja schon längst gegen die Zaubereigeheimhaltung verstoßen, weil Martha in Millemerveilles war. Zudem war sie als Mutter eines Zauberers und Schwiegermutter einer Hexe Informationsberechtigt genug, auch mal in ein Zauberbuch hineinzusehen.

"Ich traue diesem Rechnerdingsbums nicht so recht über den Weg", wandte Monsieur Pierre ein. "Ich meine, nicht daß ich das nicht für möglich hielte, daß dieser kleine Kasten das wirklich ermitteln kann, ohne selbst an die betreffenden Orte gebracht zu werden. Aber wenn wir uns darauf einlassen würden wir uns zwei Sachen ausliefern: Das uns eine Maschine sagt, wo wir was suchen sollen und dem umstand, daß Madame Andrews sich bei der Erarbeitung des Suchprozesses vertun kann. Ich bin ein altgedienter Zauberer und kann mich nicht so einfach damit anfreunden, mich einer Apparatur der Muggelwelt anzuvertrauen."

"Das haben wir bereits getan, als es darum ging, Kontakte ins Ausland zu knüpfen", wandte Monsieur Delamontagne ein. "Gut, die Möglichkeit, daß Madame Andrews bei der Erarbeitung des Rechenprogrammes einen Fehler macht besteht zwar, aber Madame Andrews weiß das sicher auch und wird zur Vermeidung von Fehlern alles an Angaben lesen, die sie braucht, nicht wahr?"

"Natürlich, allein schon wegen meines Sohnes, damit dieser in einer sicheren Umwelt aufwachsen kann", erwiderte Martha.

"Gut, dann halten wir für unser Protokoll fest, daß wir die beiden verbliebenen Friedenslager auffinden und befreien wollen und hierzu jenes magielose Elektrorechengerät namens Computer benutzen werden, mit dem Madame Andrews und Monsieur Brickston vertraut sind", stellte Monsieur Delamontagne klar. Alle stimmten zu, auch Monsieur Pierre. Immerhin hatte der sich ja damals auch darauf verlassen, daß Julius über diese Supersprengwaffen der Muggel genug wußte, um Millemerveilles zu sichern. So endete die Sitzung mit einem Bericht über die Bewegungen um Millemerveilles herum. Es waren keine neuen Patrouillen aufgetaucht. Anderswo wurden die Didier hörigen Zauberer und Hexen dringender gebraucht. Auch von den Schlangenmenschen und den Entomanthropen war in den letzten Tagen keiner gesichtet worden. So beschloß der stellvertretende Zaubereiminister die Sitzung und verließ mit allen, die nicht im Haus Professeur Faucons wohnten den Klangkerkerraum. Catherine umarmte Martha. "Das schmekct weder dem alten Pierre noch der ehrenwerten Professeur Tourrecandide, daß sie mit Muggeltechnologie arbeiten sollen. Aber Mamans Lehrmeisterin hat erkannt, daß eine Suche von Hand länger dauert und auch mit aller Magie nicht vor einem Monat zum Ziel führt. Außerdem hat sie dir ja die Steilvorlage geboten, die Vorzüge einer Computeranalyse und -prognose ins Feld zu führen. Ich weiß, daß Joe eine ganze Menge dieser Bildveränderungsprogramme geschrieben hat, er nannte es Bibliothek. Diese vereinfache ihm die Arbeit an neuen Programmen, sagte er mir mal. Hoffentlich hat er die alle in seinem tragbaren Rechner drin."

"Wird sich zeigen. Ich brauche außer den Angaben über die Wirkungsbedingungen des Zaubers auch die Angaben über die Bevölkerung in Frankreich. Wenn an einem Ort auch nur eine Person fest angesiedelt ist, muß das Programm ihn als unzutreffend einstufen können. Oha, da habe ich mir ja was aufgeladen. Tage? War wohl britische Untertreibung. Könnte sein, daß ich einen Monat brauche, um die Ausgangsdaten einzuprogrammieren", seufzte Martha. Doch nun hatte sie sich weit aus dem Fenster gelehnt, und der stellvertretende Zaubereiminister hatte dem zugestimmt. Denn alle wußten, daß sie höchstens noch einen Monat Zeit hatten. War Didier bis dahin nicht aus dem Zaubereiministerium heraus, würde die ganze gegen ihn aufgebaute Stimmung gegen die Gegenregierung umschwenken. Insofern hatten sie wahrlich Geister gerufen, die schwer zu beherrschen waren. Womöglich trieben sie mit ihrem Täuschungsmanöver gar den Drachen mit einem Basilisken aus, dachte Catherine. Doch nun war der Stein geworfen und schlug die ersten Wellen. Er konnte nicht mehr zurückgeholt werden.

"Du wirst aber noch ein paar Dutzend Minuten freihalten, Martha", stellte Madeleine L'eauvite beim Mittagessen fest. "Antoinette und ich werden das nicht gelten lassen, daß du für den altehrwürdigen Phoebus und Blanches Lieblingslehrerin deine wertvolle Zeit aufbringst und dabei deine eigenen Übungen vernachlässigst."

"Ich muß Prioritäten setzen, Madeleine", wandte Martha ein. "Und im Moment gilt es, diesen Usurpator aus Paris herauszukriegen, so oder so."

"Deine Prioritäten", knurrte Madeleine. "Wenn du schon wie meine kleine Schwester redest solltest du auch beherzigen, was ihr wichtig ist, nämlich das eine erwiesene Hexe am Beginn ihres magisch aktiven Lebens keine Übung auslassen darf, um ihre eigenen Fähigkeiten zu verbessern. Und das sind durchaus auch Sachen, die sich Prioritäten schimpfen dürfen. Also lege dir bitte zunächst einen Tagesplan an, wie lange du für Monsieur Delamontagne arbeitest, wie viel Zeit du zum Essen, zum schlafen, zur Erholung und zu magischen Übungen einteilst! Den Plan zeigst du Antoinette und mir vorher, wenn du möchtest, daß du dieses Computerding mit euren netten Ideen traktierst!"

"martha, laß dir keine Befehle geben, nur weil du aus Antoinettes Unterbau mehr Zauberkraft eingepumpt bekommen hast als ich!" Schnarrte Joe verdrossen. Ihn störte es immer noch, daß er ungefragt von Antoinette Eauvive dem Lebenskraftauffrischungsritual unterworfen worden war, mit dem Ursuline Latierre Julius schon "beglückt" hatte.

"Da kannst du froh sein, daß ich mehr Spaß verstehe als meine Schwester und ich Jungs, die nicht vernünftig sein wollten ein wenig mehr Verständnis entgegenbringe als meine Schwester", erwiderte Madeleine. "Sonst könnte mir einfallen, wie schön das war, mich um wen ganz kleinen zu kümmern. Martha hat nun einmal dieses magische Potential erhalten, Joseph Brickston. Und das Potential hat sie nun richtig auszufeilen. Und da ich hier in dem Haus die älteste Hexe bin, habe ich beim Barte von Merlin das Recht, darauf zu achten, daß Martha ihre magischen Übungen macht." Joe erbleichte erst und errötete dann vor Zorn.

"Hat deine achso kleine Schwester es also weitererzählt, wie? Na klar, reitet doch nur darauf herum, wie sehr ihr mir blöden, unfähigem Muggel überlegen seid und ich nichts zu melden habe, wo meine Tochter dabeisitzt."

"Du hast dich gerade als unfähig bezeichnet", wandte Madeleine ein, während Babette fürchtete, es würde gleich richtig zwischen ihrer bisher so lustigen Tante und ihrem Vater krachen. Da sagte diese unvermittelt und unerwartet: "Immerhin hast du eine zauberkräftige Tochter hinbekommen und wohl noch eine, die in fünf bis sechs Jahren ihre Magie entdecken wird. Das ist doch nicht unfähig. Und als blöd habe ich dich auch nicht bezeichnet. Ich stellte nur fest, daß dir der nötige Respekt fehlt, obwohl Blanche dir mehrere Stunden ihrer Zeit und Hingabe geopfert hat, ihn in dich hineinzukriegen. Mehr möchte ich aus Achtung deiner väterlichen Autorität wirklich nicht dazu sagen."

"Sagen wir es mal so, Joe: Wäre ich schwanger oder hätte keinen fast schon erwachsenen, sondern noch ganz kleinen Sohn, könnte ich auch nicht in einer Tour arbeiten", erwiderte Martha. "Womöglich sieht Madame L'eauvite meine aufgeweckte Zauberkraft als sowas wie eine zusätzliche Verantwortung, für die ich mir Zeit nehmen muß. Zumindest gilt das für die Zauberstabübungen."

"Und für das Fliegen. Den Besen hast du ja nicht bekommen, um damit den Dreck von der Türschwelle wegzuwischen", erwiderte Madeleine. Babette wußte mittlerweile, daß Martha durch Antoinette Eauvive zu einer echten Hexe geworden war. Doch ihre Tante hatte ihr das Versprechen abgenommen, daß sie es keinem weitererzählte, bis sie selbst damit herausrücken wollte.

"Klar, du nimmst ja auch keine Ratschläge von mir an, Martha. Hast du ja schon damals nicht getan", knurrte Joe. Martha befand, daß das nun ziemlich hart an die Grenze stieß und erwiderte sehr ungehalten: "Wenn ich das damals getan hätte würdest du vielleicht heute nur noch für meinen Unterhalt arbeiten, während ich schon weit weg von dir wohnte, Joe. So ein Motzkopp wie dich auszuhalten ist eine Lebensaufgabe. Ich bewundere Catherine, daß sie es mit dir bis jetzt aushält. Sie hätte dich ja auch in eurem Haus zurücklassen können. Vergiss das bitte nicht! Abgesehen davon treibt verflossenes Wasser keine Mühle mehr an."

"Martha, das ist jetzt wohl genug", schnarrte Catherine und funkelte ihren Mann und Martha abwechselnd an. "Ich gebe ihr zumindest recht, daß es nicht einfach ist, mit deinen Selbstvorwürfen und Minderwertigkeitskomplexen zurechtzukommen, Joe. Aber wie Tante Madeleine sagte, du hast mir geholfen, zwei gesunde Töchter auf die Welt zu bringen, von denen die eine nächstes Jahr nach Beauxbatons geht, sofern wir die Plage Didier bis dahin los sind und die andere wohl auch magische Fähigkeiten entwickeln wird. Zumindest bin ich beruhigt, weil Claudine schon in Beauxbatons vorgemerkt ist."

"Zurück zum Ausgangspunkt, Leute. Martha erstellt einen Tagesplan, in dem sie ihre Arbeit für Monsieur Delamontagne, ihre Zauberübungen, Essens- und Ausruhzeiten einteilt. Und zu den Zauberübungen gehört auch das Fliegen, werte Martha. Das habe ich mir vorgenommen, dich besensicher hinzukriegen, und was man mir auch immer vorhalten mag, was ich ernsthaft wollte, habe ich auch hingekriegt." Martha nickte Madeleine zu. Diese Hexe besaß mehrere Persönlichkeiten und sah in ihr wohl so etwas wie eine Adoptiv- oder Patentochter, die sie mit der gebotenen Strenge zum Lernen anhalten wollte. So schrieb sie sich einen Tagesplan auf, der vom Aufstehen bis zum Schlafengehen alles berücksichtigte, was wichtig war. Sie zeigte ihn Catherine und Madeleine. Die beiden nickten zustimmend. Dann konnte sie endlich darangehen, den Auftrag Delamontagnes und Tourrecandides auszuführen, ohne zu wissen, wie lange sie dafür brauchte.

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Pteranda war außer sich. Doch das durfte sie nicht zeigen. Erst als der Träger der Stimme mit einem der Wolkenhüter aus der Burg, die keiner Finden kann abgereist war, hatte sie die lauernden Gedanken Garuschats vernommen. Vailadorat und Iikarat sollten den Jungen Beseitigen, der mit der Stimme des Schöpfers zu ihnen gefunden hatte. Doch für eine Warnung an ihn war der flügellose Jüngling bereits zu weit in die Tiefe getragen worden. Sie fühlte seinen Schrecken, hörte beinahe den Schreckensschrei des Wolkenhüters, der nicht auf diesen Anschlag vorbereitet worden war und nun von der schützenden Kraft der unaufhaltsamen Geschwindigkeit entblößt war. Sie hatte in der Halle ihres Geleges an der Wand gelehnt und konzentriert mitverfolgt, wie der Jüngling beinahe unaufhaltsam in den Tod gestürzt war. Doch die, die ihn hergeführt hatte, war aus dem Nichts heraus aufgetaucht wie die Gefährten des Schöpfers dies tun konnten, hatte ihn ergriffen, nachdem er den Zauber des flügellosen Fliegens erweckt hatte, um dann mit ihm im Nichts zu verschwinden, wohl an einen sicheren Ort, außerhalb der Reichweite ihres Gedankenspürsinns. Sie hatte nur mitbekommen, daß er gerettet war. Doch wußten die verruchten Mörder das auch? Tage hatte sie gebraucht, um sich Klarheit zu verschaffen. Ihr eigener Gefährte, Garuschat, hatte den Befehl zu dieser Tat erteilt. Er hatte Vailadorat kommen lassen, als sie in der Gelegehalle war. Wie gut es war, daß sie dem Jüngling eine ihrer Federn mitgegeben hatte. Garuschat würde sich nun, wo die Stimme des Schöpfers sicher verstaut war, nie wieder mit den Bodenbewohnern befassen. Sie hoffte darauf, daß die alten Berichte keine reinen Legenden waren und die Verräter am Willen des Schöpfers bestraft würden. Sie selbst wollte nicht zur Verräterin werden. Sie hatte es mitbekommen, wie der Jüngling vom Geist der Stimme des Schöpfers versucht wurde, Garuschat zu töten. Doch er hatte widerstanden und die mächtige Stimme des erhabenen fortgelegt. Er war trotz des feigen Anschlags in seine Welt zurückgekehrt. Jetzt mußte sie hoffen, daß die Berichte von den nur noch drei Skyllianri stimmten, und diese Ausgeburten der düsteren Tiefe getötet wurden. Wurden es wieder mehr, konnte sie nur eingreifen, wenn sie ausdrücklich gerufen wurde, so das Gesetz des Schöpfers. Ihre einhundert Wolkenhüter, die ihr als Bewahrerin des königlichen Blutes allein unterstellt waren, schliefen den Schlaf des dauernden Wartens. Nur die zehn Verteidigungswolkenhüter, die im Falle eines Angriffs auf die Burg, die keiner Findet hinausfliegen konnten, scharrten ungeduldig mit ihren Krallen im Sand, der immer wieder von niederen Dienern aus den Wüsten der Erde herangeschafft wurde. Sollte sie Garuschat zur Rede stellen? Sollte sie ihm den Verrat am Willen des Schöpfers unterstellen? nein! Auch wenn ihre geistigen Gaben wohl bekannt waren sollte sie doch nicht enthüllen, wie viel sie wußte. Sollten die Verschwörer doch ruhig denken, ihr verwerflicher Plan sei aufgegangen.

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Julius war beruhigt, daß in Beauxbatons im Moment Frieden herrschte. Keine Pöbeleien, keine Prügeleien, kein böses Wort über die immer noch angespannte Lage. Selbst die Blauen hielten sich zurück. Offenbar hatten deren Saalsprecher und die beiden sogenannten Säulenheiligen sie dazu beknien können, Ruhe zu bewahren. Sicher, alle warteten auf den entscheidenden Tag, an dem Didiers und/oder Voldemorts Entmachtung amtlich verkündet wurde. Je länger das dauerte, desto angespannter würde die Atmosphäre in Beauxbatons sein. Dann hatte der Piratensender der Gegenregierung noch verkündet, Grandchapeau sei aus der Gefangenschaft seiner Entführer entflohen. Das war wohl ein ausgemachter Bluff, um Didier und Pétain aus ihrem Bunker herauszulocken. Damit begaben sich Gegenminister Delamontagne und alle seine Mitarbeiter, darunter seine Mutter, auf hauchdünnes Eis. Aber das wußten die ganz bestimmt selbst am besten. Er hatte nach seinem Ausflug zum Uluru und in die Burg der Vogelmenschen erst einmal nichts anderes zu tun, als seine Pflichten als stellvertretender Saalsprecher zu erfüllen. In den Ferientagen hieß das vor allem, aufzupassen, daß die Schüler seines Saales keinen Unfug anstellten, dessen Folgen nicht repariert werden konnten. Er wechselte sich mit Giscard, Yvonne und Céline bei der Saalwache ab. Das Radio, daß er zu Weihnachten bekommen hatte, unterhielt mit leiser Musik die Mitschüler. Sie hatten es so leise gestellt, daß die, die Hausaufgaben machen wollten, in einer Ecke weit davon fort arbeiten konnten, während die, die zuhören wollten, ganz nahe bei dem klobig wirkenden Holzkasten sitzen mußten. Nur wenn Nachrichten von "Radio freie Zaubererwelt" oder dem vom Ministerium kontrollierten Sender gebracht wurden, stellte Julius es nach Rückfrage an alle laut genug, daß alle mithören konnten. Dabei hörten sie am siebenundzwanzigsten Dezember auch, daß der wieder aufgetauchte Grandchapeau, der seine Frau weit fort von der zaubererwelt sicher untergebracht hatte, eine offene Aussprache mit Janus Didier suchte. Das war die eindeutige Provokation, und Didier würde irgendwie darauf antworten müssen. "Ich werde mich wohl demnächst persönlich mit Monsieur Didier treffen, um die in meiner Abwesenheit geschehenen Dinge zu besprechen. Außerdem möchte ich ihm mitteilen, wessen Gast ich sehr ungewollt war. Das kann er unmöglich ignorieren."

"Eindeutig nicht", dachte Julius nur, als die Stimme Grandchapeaus dies zu allen Zuhörern von Radio freie Zaubererwelt sagte. Er wollte sich gerade an Laurentine wenden, die dem Interview ebenso gebannt lauschte, als die silberbrosche Vibrierte, die er auf dem Brustteil seines Sonntagsumhangs trug. Das hieß, daß Professeur Faucon ihn sprechen wollte. So blickte er Céline an, die gerade auch zuhörte und wisperte: "Ich muß zu Professeur Faucon. Wenn die hier kein Radio mehr hören wollen machst du bitte aus!"

"Geht klar", bestätigte die immer noch sehr dünn aussehende Klassenkameradin. Julius stand auf und verließ den grünen Saal per Wandschlüpfsystem, da er heute noch kein einziges Mal davon gebrauch gemacht hatte. In der Nähe des Sprechzimmers traf er Corinne Duisenberg, die kugelrunde Sucherin und Saalsprecherin der Blauen.

"Ups, hat's bei euch auch einen zum Nachsitzen erwischt?" Fragte sie Julius vergnügt grinsend. Dieser schüttelte behutsam den Kopf und hielt seinen Geist für Außenstehende verschlossen.

"Ich weiß nicht, warum ich herkommen sollte", sagte er ruhig. Corinne sah ihn sehr genau an. Er wußte, daß ihr das ein stilles Vergnügen bereitete, nicht zu wissen, was er gerade empfand, wo sie das bei den meisten unterhalb der siebten Klasse locker konnte.

"Da das auf der nächsten SSK wohl rausgelassen wird, Jacques hat sich Nachsitzen bei eurer Saalvorsteherin eingebrockt, weil er den kleinen aus der ersten die Hausaufgaben wegaccieiert hat, um sie in der Luft zu verbrennen, um zu zeigen, wie gut er schon mit Zauberkunst herumhantiert. Das gibt bestimmt wieder 'nen Heuler von seinem Vater."

"Oder von seiner großen Schwester", grinste Julius. Dann deutete er auf die Tür Professeur Faucons und zischte, daß er sich wohl beeilen müsse. Corinne grinste über ihr Mondgesicht und wünschte Julius noch einen schönen Tag, bevor sie in einem der Seitengänge verschwand. Er wunderte sich immer noch, wie gewandt die kleine, runde Hexe laufen konnte, als wären die siebzig Kilo Durchschnittsgewicht nicht so tragisch. Er wußte aber auch von den Pflegehelferkonferenzen, daß Corinne dafür viel Gymnastik und Bewegungstraining machen mußte, weil ihr der Abspecktrank nicht bekam. Einen Moment stellte er sich vor, Corinne mit Umstandsbauch kurz vor der Niederkunft zu sehen. Würde das einen Unterschied machen? Ach was! Das hatte ihn nicht zu kümmern. Er war schließlich seit nun bald einem halben Jahr immer noch glücklich verheiratet. Er wandte sich nun der Tür zu und klopfte an. Auf dem Türschild erschien der Schriftzug "Julius Latierre bitte eintreten!"

"Jemand, den wir beide kennen, möchte Ihnen ohne öffentliche Notiz ein verspätetes Weihnachtsgeschenk zukommen lassen, Monsieur Latierre. Es traf bereits gestern ein, auf welchem Wege möchte ich nicht verraten", kam die Leiterin des grünen Saales gleich auf den Grund ihrer Einbestellung, nachdem sie einen Klangkerker aufgebaut hatte, um die draußen weiterpatrouillierenden Didier-Gehilfen mit ihren Abhörgerätschaften auszusperren. Dann öffnete sie den Wandelraumschrank, in dem sonst die Bewertungsbücher der ihr unterstehenden Schüler aufbewahrt wurden und fischte mit der rechten Hand ein kleines Paket aus der undurchdringlich wirkenden Schwärze. Sie gab es Julius und bat ihn ohne strengen Ton, was in dem rosaroten Päckchen war herauszuholen. Julius fühlte sich bei der Farbe des Seidenpapiers an das Schlafzimmer in Whitesand Valley zurückversetzt, wo er nach der gemeinschaftlichen Flucht vom Sterling-Anwesen zu sich gekommen war. Vorsichtig entknotete er die Schleife und wickelte eine kleine Schachtel aus, auf der stand: EIN WEITERER WEG ZU NEUEN NACHRICHTEN. Er ahnte, was es sein mußte und legte die Schachtel auf den Schreibtisch Professeur Faucons. Dann öffnete er sie und fand ein in Watte eingelegtes Objekt darin, das er sehr gut kannte. Aus einem Silberrahmen heraus blickte ihn sein eigenes Gesicht im Kleinformat an. Noch ein Zweiwegespiegel, dachte er. Vorsichtig nahm er das magische Hilfsmittel aus dem Wattebett seiner Schachtel und hielt es ins fahle Wintermittagslicht. Dann betrachtete er die Rückseite und sah die Gravur eines Kelches mit breitem Rand und langem Stiel.

"Ich glaube, Sie dürfen sich geehrt fühlen, Monsieur Latierre. Dieses Symbol stellt die Urkraft des Weiblichen dar und ist eines der Geheimsymbole alter Hexenschwesternschaften", sagte Professeur Faucon. "Natürlich war mir klar, was Sie da erhalten sollten. Weil sonst hätte die Absenderin es sicherlich so zu uns kommen lassen, daß es Ihnen mit den übrigen Geschenken zugestellt worden wäre."

"Mit wem kann ich über diesen Spiegel reden?" Fragte Julius und drehte den mit magischen Verzierungen versehenen Taschenspiegel in den Händen, als könne er damit wen immer heraufbeschwören.

"Das teilte die Absenderin nicht mit", erwiderte professeur Faucon. "Sie bat mich nur darum, Ihnen dringend nahezulegen, diesen Spiegel nirgendwo zu benutzen, wo die Gefahr von direkter Beobachtung besteht. Möglich, daß die Absenderin selbst befunden hat, mit Ihnen in Kontakt zu treten, obwohl sie bereits einen derartigen Verständigungsweg zu uns beschreiten kann, oder sie wurde von einer ihrer guten Bekannten gebeten, mit Ihnen persönlich eine solche Fernverständigungsverbindung einzurichten." Dann schaltete sie von der formalen auf die persönliche Anrede um und sagte: "Ich ehe davon aus, Julius, daß jene zwischen Wagemut und Leichtsinn pendelnde Junghexe, der du in Hogwarts begegnet bist, das Gegenstück von diesem Spiegel bekommen hat. Kann auch sein, daß die Mutter dieser Junghexe mit dir in Kontakt bleiben will, um gegebenenfalls über die Bilder Nachrichten an ihre Tochter weiterzugeben."

"Ich bin mir ziemlich sicher, das die erwähnte Junghexe das Mentiloquieren gelernt hat", erwiderte Julius trocken. "Dann braucht die keine umständliche Verbindung mehr. In Hogwarts gibt es ja keine Mentiloquismussperren wie hier in Beauxbatons."

"Oh, natürlich", grummelte Professeur Faucon, die das wohl nicht mehr bedacht hatte, obwohl sie ja selbst bei Dumbledores Beerdigung mehrmals auf dem Gelände von Hogwarts mentiloquiert hatte.

"Könnte auch Pina sein, die wohl noch da ist, wo ich nach der Sache mit den Todessern bei den Sterlings angekommen bin", vermutete Julius. "Wäre auch ganz nett, wenn ich mehr wüßte, was da gerade so passiert und was in den letzten Monaten so abgegangen ist."

"Nun, soweit du ohne den Fideliuszauber über diesem Ort erschüttern zu müssen berichten konntest wird dort selbst wohl nichts nennenswertes passiert sein. Die einzige Gefahr dürfte die zunehmende Langeweile darstellen, sofern dort keine ausreichenden Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen, was ich jedoch anzweifeln möchte." Julius nickte. Immerhin wollten Sophia Whitesand und ihre Verwandten Pina und den anderen dort weiter Unterricht geben. Dann kam vielleicht noch Ceridwen Barley in Frage, die damals die Flucht von Glorias, Bettys und Jennas, sowie Kevins Eltern mit eingefädelt hatte. Als er dann den Spiegel erneut mit der spiegelnden Seite zu sich drehte, sah er in ein dunkelbraunes Augenpaar über einer breiten Nase, umrahmt von kastanienbraunen Rattenschwanzzöpfen. Das war eindeutig Lea Drake. Sie wirkte nicht wie eine fünfzehnjährige, sondern sah irgendwie schon etwas älter aus, fast ausgewachsen, so wie er selbst. Was hatte Gloria ihm auf dem Überschallflug in der Wunderflasche erzählt, ihre Unsichtbarkeit ließ sie schneller altern, in einer Woche um einen Monat. Und gerade war sie wohl nicht unsichtbar.

"Ach neh, sieht man dich auch mal wieder?" Waren dementsprechend die ersten Worte, die Julius in englischer Sprache zu ihr sagte.

"War mir klar, daß Mums gute Bekannten dir den zweiten Spiegel unterjubeln, Muggelkind. Die wollen wohl haben, daß du mir was aus Beauxbatons erzählst oder ich dir aus Hogwarts."

"Bei euch ist wohl im Moment mehr los als bei uns", tat Julius so, als sei nur in Großbritannien alles in Unordnung.

"Wenn ihr euch langweilt schicken wir die Carrows gerne zu euch rüber", schnaubte Lea Drake. Julius erwiderte darauf nur: "Neh laß mal! Die können bestimmt kein Französisch."

"Englisch können die auch nicht gerade richtig. Wo bist du gerade mit dem Spiegel?" Wollte Lea nun wissen. Julius schmunzelte. Die klassische Handy-Frage. Er sah Professeur Faucon an, die ihm zunickte. "Bei meiner Hauslehrerin im Büro. Die hat das Päckchen mit dem Spiegel für mich aufbewahrt, weil sie nicht wollte, daß ich jedem erklären muß, wie der geht und was ich damit machen soll."

"Ach du großer Drachenmist. Du bist doch bei dieser Blaanch Faucon im Haus untergekommen, habe ich gehört."

"Professeur Faucon", schnarrte Professeur Faucon leicht ungehalten. Julius wußte, daß sie es nicht mochte, wenn ihr Vorname verunstaltet wurde.

"Darfst du den Spiegel nur benutzen, wenn du dich dabei unter ihrem Rock versteckst?" Erwiderte Lea frech wie eine Gassengöre.

"Offenbar treibt die derzeitige Ordnung in Hogwarts in gegenseitigem Wechselspiel mit der Isolation Ihrer Gesprächspartnerin sehr zweifelhafte Blüten aus", knurrte Professeur Faucon, während Julius antwortete:

"Ich würde sie sehr beleidigen, wenn ich mich für wichtige Gespräche unter ihrem Rock verstecken müßte. Das wäre uns beiden wohl sehr unangenehm und entwürdigend. Sie hat mir den Spiegel gegeben, weil sie möchte, daß ich mit wem auch immer am anderen Ende gut reden kann und nicht, um ihr wie auch immer dummzukommen, Lea."

"Das sagst du nur, weil die wohl schon den Zauberstab in der Hand hat. In der Strammsteherpenne dürfen die ja freche Schüler verwandeln, habe ich gehört."

"Teilen Sie dieser offenbar durch die beschleunigte Pubertät bar jeder Verhaltensnormen befindlichen jungen Dame mit, daß ich Ihnen den Spiegel auch wieder wegnehmen und zerstören kann, falls die junge Ms. Drake sich nicht augenblicklich einen anderen Tonfall angewöhnt."

"Lea, meine Hauslehrerin befürchtet, du könntest mich hier verderben und hat klar angesagt, daß sie mir den Spiegel wieder wegnimmt und kaputtmacht, wenn du nicht ein wenig respektvoller über sie sprichst. Von wem du auch immer den Spiegel hast könnte dann ziemlich ungemütlich werden. Ich weiß nämlich nicht, wie teuer die Dinger sind, abgesehen davon, daß wer immer dir den Spiegel gegeben hat wollte, daß wir beide uns mit deren Hilfe unterhalten, was nicht mehr ginge, wenn Professeur Faucon mir den einen Spiegel wegnimmt."

"Klar, du mußt den netten Jungen geben, weil du denen ja dankbar sein mußt, daß die dich noch rübergeholt haben, bevor ein übergroßer Drache seinen Haufen über Hogwarts abgelassen hat. Aber wenn sie meint, ich dürfte nicht mehr über sie herziehen mache ich das nicht. Gibt ja schließlich wichtigeres." Professeur Faucon verzog das Gesicht, sagte jedoch nichts. Julius sah Leas Gesicht im Spiegel an und sagte: "Das ist wohl der Grund, warum man uns mit den Spiegeln bedacht hat. Darf ich davon ausgehen, daß du nach den Ferien nach Hogwarts zurückfährst?"

"Dad wollte es nicht. Aber Mum und Ich finden, daß ich zumindest noch bis zum Schuljahresende dahin soll. Die haben eure schrullige Luna Lovegood aus dem Zug geholt, als wir in die Ferien fuhren", rückte Lea mit einer eindeutig erschütternden Nachricht heraus. Julius hätte fast den Spiegel aus der Hand fallen lassen. Sie hatten Luna Lovegood aus dem Zug geholt? Warum? Dieses Fragewort sprach er laut aus.

"Ihr Daddy, der den Klitterer mit den ganzen abgedrehten Geschichten rausbringt, hat wohl ziemlich oft und ziemlich breit über Lord Rotauge hergezogen und Harry Potter als Held dargestellt. Das konnten sich dieser durchgeknallte Mörder und seine Hampelmänner im Zaubereiministerium nicht bieten lassen. Mit Loony Luna wollen die ihren alten Herrn wohl umpolen, in deren Sinne zu texten, sagt auch meine Mum. Das Ding lief genauso ab wie mit den Muggelstämmigen. Mitten auf der Strecke haben ein paar Dementoren den Zug angehalten. Allerdings haben Typen, die dem durchgeknallten Rotauge gehören Luna aus dem Abteil gezogen, wo auch die kleine von den Weasleys drin war. Habe schon gedacht, die nehmen die auch hopp, wegen Ron, dem Freund von Harry Potter. Aber die haben sie in Ruhe gelassen. Ist denen in Hogwarts wohl wertvoller als anderswo, zumal deren Daddy und deren große Brüder sich alle ganz klein und unauffindbar gemacht haben, seitdem der große, böse Magier am Ruder ist."

"Tolle Methoden", schnarrte Julius. Er kannte Luna eben nur so als Hauskameradin in Ravenclaw. Sie war ein Jahr älter als er und hatte so merkwürdige Vorstellungen von Tieren, die selbst in der Zaubererwelt umstritten waren. Die Vorstellung, daß sie entführt wurde, um ihren Vater Mundtot zu machen oder auf Voldemorts Linie zu bringen war wie ein Schlag in die Magengrube. Weihnachten war schon gelaufen, dachte Julius. Die Gemeinheiten der Welt hatten ihn wieder eingeholt, auch wenn er mehr als tausend Meilen vom Geschehen fort war. Das hatte ihm Aurora Dawns Bild-Ich natürlich nicht mitteilen können. Und jetzt verstand Julius auch, warum Sophia und ihre netten Hexenschwestern wollten, daß er mit einem lebenden Wesen aus und in Hogwarts in Verbindung blieb. Wenn dabei noch Informationen aus Frankreich zurückkamen, warum nicht?

"Also du gehst wieder nach Hogwarts und machst dich mit diesem Unsichtbarkeitstrank unauffindbar?"

"Ich habe mich dran gewöhnt und nehme auch genug Zeug zur Körperstärkung und Blutbildung mit", knurrte Lea. "Will ja selbst wissen, ob das alles noch schlimmer werden kann als es ist. Ich hörte was, daß unser gemeinsamer Erzfeind sogar alte Monster aus der Vorzeit aufgeweckt haben soll. Weißt du was drüber?" Julius sah Professeur Faucon an, die nickte.

"Das was in den Zeitungen steht, Lea. Schlangenmenschen, die wie Vampire und Werwölfe ihre Daseinsform weitergeben und wohl vor langer Zeit entstanden sind. Die werden hier aber von Sardonias Entomanthropen plattgemacht. Bestimmt hat deine Mum dir erzählt, daß da eine Hexe rumläuft, die sich für Sardonias Erbin hält. Die konnte diese Biester nachzüchten und radiert diese Schlangenmenschen aus. Könnte nur sein, daß bei euch noch ein paar rumlaufen. Also paßt gut auf!""

"Machen wir, Julius. Danke für die Bestätigung dieser Gerüchte, auch wenn das natürlich nichts beruhigendes ist. Zumindest können meine Mutter und andere jetzt nachforschen, was für Biester das sind und wie die plattgemacht werden können."

"anheben, hochhalten, ohne daß die mit einem Fitzel Erde in Berührung sind, festhalten und dann einfach mit Todesfluch oder gewöhnlichen Waffen abtöten. Das sind keine Menschen mehr, Lea", sagte Julius kaltschnäuzig wie ein Metzger auf einem Schweinezuchthof.

"Woher weißt du das?" Wollte Lea natürlich wissen.

"Weil es so erwähnt wurde, wie die Entomanthropen die Schlangenwesen umbringen", erwiderte Julius ganz ruhig. Es stand ja wirklich in den Zeitungen drin.

"Dann gebe ich das mal so weiter", sagte Lea. "Wenn ich wieder in Hogwarts bin lasse ich über die Lady und deine große Freundin rumgehen, wann ich wieder mit dir sprechen kann, falls du den Spiegel bis dahin noch hast."

"Was ausschließlich an Ihrer Ausdrucksweise gemessen wird, junge Miss", mischte sich nun Professeur Faucon ein. Leas Gesicht im Spiegel verzog sich ein wenig. Dann sagte die ehemalige Mitschülerin:

"Das kriege ich ja dann mit, ob wir beide noch mal miteinander reden können, Julius. Bis dann!" Ihr Gesicht verschwand übergangslos aus dem Spiegel. Julius legte ihn auf den Tisch. Professeur Faucon legte ihn in die Schachtel zurück, klappte den Deckel zu und gab sie Julius in die Hand.

"Wenn ich nicht genau wüßte, wer dir diese freche junge Dame als neue Spiegelkontaktpartnerin zugedacht hat, würde ich diesen Spiegel wirklich beseitigen. Aber ich erkenne an dieser erschütternden Mitteilung, die ganz bestimmt nicht ausgedacht war, um mich oder dich zu verulken, daß dieser Kontakt wichtig ist. Auch die Information über die einzige schwache Stelle der Schlangenwesen dürfte in England längst noch nicht jedem geläufig sein. Falls dort wirklich die letzten Exemplare sind, müssen diese genauso vernichtet werden wie die bei uns und in anderen Ländern. Ich wertschätze keinesfalls die Methoden, wie diese Wiederkehrerin die übrigen Kreaturen aus der Welt geschafft hat, muß jedoch einräumen, daß die Entomanthropen das kleinere Übel sind, und wir die Brutköniginnen leichter erledigen können als diese Schlangenmenschen. Verberge den Spiegel sicher wo die beiden anderen Spiegel sind! Ich gewähre dir sehr großes Vertrauen, daß du dich von dieser Junghexe nicht zu einem ungebührlichen Verhalten ermuntern läßt. Dagegen hat sich die junge Mildrid sehr ordentlich entwickelt." Julius erwiderte darauf nichts. Erst als er mit seinem verspäteten, ganz heimlichen Weihnachtsgeschenk draußen vor der Tür war, schmunzelte er. Lea benahm sich also schlimmer als Millie? Vor einem Jahr hätte Professeur Faucon das bestimmt nicht freiwillig gesagt. Da es bereits Mittagessenszeit war, nutzte er noch einmal das Wandschlüpfsystem, um rasch genug in die Nähe des Speisesaales zu kommen. Unterwegs mußte er grinsen. Er stellte sich das Bild vor, wie er sich so klein er sich machen konnte unter Professeur Faucons Rock verbarg, die sich auf die Zehenspitzen stellte, damit er auch genug Platz hatte. Das wollte er Millie bei der nächsten heimlichen Melo-Plauderei mitteilen.

Der restliche Tag verlief ohne weitere Besonderheiten. Er ging mit seiner Frau im Park spazieren, besuchte Goldschweif, deren Kinder nun fast ein Jahr alt waren und half seinen angeheirateten Cousinen im kleinen Leseraum der Bibliothek bei den Zaubertrankhausaufgaben, weil Bernadette sich dafür zu fein fühlte.

__________

In einem Tag würde das alte Jahr verwehen und mit 1998 ein hoffentlich ruhigeres Jahr einkehren, dachte Janus Didier, als er eingemummelt in dicke Warmwolledecken auf der in Fahrtrichtung zeigenden Bank eines Pferdeschlittens saß. Seine Frau Euryale saß neben ihm. Vor sich war die leere, rückwärtige Sitzbank. Auf dem Kutschbokc des großen Schlittens thronte ein stämmiger Mann in gefütterter Lederkluft mit einer Bärenfellmütze. Vor dem mit glöckchen behangenen Schlitten waren vier breitschultrige Schimmel gespannt. Auch ihr Geschirr war mit kleinen und großen Glöckchen geschmückt. Winterromantik war angesagt. Rings um sie herum ragten die majestätischen Bergriesen der Alpen in den fahlen Himmel empor. Außer einigen schroffen Felsen, die hier und da hervorlugten, waren alle Hänge mit strahlendweißem Schnee bedeckt. Der Schlittenkutscher ließ die Peitsche knallen und rief: "Hüa! Voran!" Mit leisem Schnauben zogen die vier Schimmel an und setzten den Schlitten in Bewegung. Die Glöckchen am Gespann klingelten im Rhythmus der durch den tiefen Schnee stapfenden Hufe. Wie sehr hatte sich Janus Didier diese urtümliche Fahrt durch die winterlichen Alpen zurückgewünscht. zwanzig Jahre lang hatte er dieses magielose Freizeitvergnügen vermißt. Auch wenn er sich damals mit seinem Bruder Roland über irgendwelche Feinheiten des Alltages in der Wolle hatte und auch über die aktuelle Politik im Bezug auf den Unnennbaren, der damals schon anstalten machte, in Frankreich und anderswo Fuß zu fassen, waren nur die Bilder der dahingleitenden Landschaft, das Schaben der Kufen, Klingeln der Glöckchen, Stapfen der Hufe und der Duft von Feuerholz, Schnee und Kerzenwachs in direkter Erinnerung geblieben. Ein halbes Jahr später war Roland dann in jene unrühmliche Klemme geraten, die er nicht überlebt hatte. Roland! Viele mochten meinen, er habe seinen großen Bruder verehrt, ja vergöttert, weil dieser so klug, so talentiert und so entschlossen war. Doch Janus Didier hatte immer nur in seines Bruders Schatten gestanden. Und wenn er sich einmal daraus hervorwagen wollte hatte dieser überragende Bruder mit seiner Art, Leute um den Finger zu wickeln dafür gesorgt, daß er, Janus, immer als Bittsteller und nicht als qualifizierter Anwärter oder ebenbürtiger Partner dastand. Diese Marotte, ihm immer helfen zu müssen, obwohl er keine Hilfe brauchte, hatte Roland in Janus' Augen zu einem Sinnbild der Verachtung, zu seinem persönlichen Lebenshindernis werden lassen. Wo immer er hinwollte, überall hatte Roland Latierre schon seine Duftmarken gesetzt, die eigenen wie die durch die Ehe mit dieser immer runder gewordenen Kaninchenfrau gezüchteten Kameradschaften ausgenutzt, so daß für ihn, Janus, den kleinen Bruder, immer eine Tür offenstand, ohne daß er sich dafür selbst profilieren mußte. Im Grunde war er erst wirklich unabhängig und frei geworden, als Roland durch diese sehr unschöne Sache mit diesen schwarzen Magiern, die wohl für den Unnennbaren einen Stützpunkt errichten wollten, ziemlich unappetitlich vom Leben zum Tode befördert wurde. Das war eben das Los des Desumbrateurs. Allerdings war dieser Zwischenfall auch der Auslöser dafür, daß er seitdem nie wieder in Millemerveilles gewesen war.

"Woran denkst du?" Fragte seine Frau Euryale verlegen.

"Das das jetzt schon zwanzig Jahre her ist, daß ich in so einem Pferdeschlitten saß, ma Chere", erwiderte Janus Didier wahrheitsgemäß. Dann dachte er daran, daß außer Pétain niemand von dieser Schlittenfahrt wußte. Und Pétain war im Ministerium mit diesem jungen Ding, dieser Simone Chatrouge, einer Untersekretärin aus der Handelsabteilung, beschäftigt. Zwar sollte er heute mit diesem angeblichen Grandchapeau zusammentreffen. Doch dafür hatte er Jean-Louis Rivolis, der sich am besten für den Imperius-Fluch eignete, mit Vielsaft-Trank für vier Dosen ausgestattet und ihm vorgefertigte Antworten und Forderungen diktiert, die dieser gelernt hatte. Um seine Frau nicht selbst in irgendwelche Grübeleien verfallen zu lassen plauderte er mit ihr über die Berge, die Verwandten in der Schweiz und ob er noch was von den verschwägerten Verwandten aus dem Latierre-Clan gehört habe. Er gab offen zu, daß diese ihn nicht für voll nahmen und sich jubelnd auf Delamontagnes Seite gestellt hatten, womit klar sei, daß seit dem Tod seines Bruders keine wirkliche Familienstimmung mehr zwischen denen und ihm bestand. Euryale fragte zwar, wie es dann sein könne, daß sie von Ursuline Latierre Einladungen zu den Geburtstagsfeiern ihrer Kinder erhalten habe, wurde jedoch damit abgefertigt, daß das eben das einzige sei, was "diese Line Latierre" konnte, Kinder kriegen und darüber reden. Er wußte zwar, daß seine Frau am liebsten auch zwei oder drei Kinder von ihm bekommen hätte. Doch weil dieses unangenehme Thema immer wieder zu heftigen Streitereien geführt hatte, war sie um des Ansehens und der guten Beziehungen wegen still geblieben und führte eine reine Präsentationsehe, weil Ministerialbeamte mit Ehegatten oder -gattinnen weniger argwöhnisch angesehen wurden als die unverheirateten, die jederzeit ihre Zelte abbrechen oder einen handfesten Skandal auslösen konnten. Sicher gab es auch verheiratete Zauberer und Hexen, die die Welt außerhalb des Ehebettes erkundeten, doch weil in der Zaubererwelt vile einander kannten, konnte sowas nicht lange unter der Decke gehalten oder unter den Teppich gekehrt werden wie in der anonymen, überquellenden Masse der Muggelwelt.

Es ging einen steilen Pfad hinauf, der sich als weit ausladende Serpentine einen wuchtigen Dreitausender hinaufwand. Der Schlitten schrammte bei der Durchfahrt durch die engen Kurven mal auf der rechten, mal auf der linken Kufe dahin. Doch der Lenker der vier Pferde blieb ruhig und verringerte das Tempo des Gespanns nur mäßig. Erst auf der Paßhöhe brachte der Schlittenführer die vier Pferde mit langem "Hooo!" zum stehen. Euryale war bleich im Gesicht geworden. So schnell wollte sie dann doch nicht hinauffahren, immer an den Steilhängen entlang, Schneewächten über sich und Verwehungen, in denen sie beinahe hängengeblieben wären. Sie Wandte sich an den Schlittenführer und zischte ihm zu, daß das wohl etwas zu schnell war, als sie erstarrte. Der Schlittenführer war kein Muggel, wie Janus ihr erzählt hatte. Denn sonst hätte der sich nicht mal soeben aus einer schnellen Drehung heraus mit lautem Knall in Luft auflösen können. Dabei hatte er seine Peitsche in den Himmel gereckt, daß die mehrere Meter lange Schnur blitzartig im Stiel verschwand. Didier starrte ebenso auf den nun leeren Kutschbock und begriff. Eine Falle!

"Wir müssen Disapparieren, Liebes, bevor ..." Da sausten schon die ersten Zauber durch die Luft auf sie zu. Janus warf sich mit seiner Frau zwischen die Sitzbänke. Krachend pulverisierte der ihnen zugedachte Schocker einen Teil der Holzverkleidung. Klirrend sprangen die Geschirre von den vier Pferden ab, weil irgendwer einen Öffnungszauber oder den Relaschio-Zauber benutzt hatte. Offenbar wollte man verhindern, daß die weißen Zugpferde mit dem Schlitten davonstürmten. Tatsächlich preschten die vier Pferde ungestüm und unaufhaltsam davon, nahmen dabei keine Rücksicht auf die glatten Stellen im Boden. Eines der Tiere glitt aus und stürzte einen markerschütternden Schrei ausstoßend in die Tiefe. Die drei anderen Schimmel jagten daraufhin noch schneller davon. Dabei rutschte ein zweites Pferd aus, wurde jedoch von einer meterhohen Schneewehe aufgefangen und strampelte wild um sich. Ein Schockzauber betäubte das panische Tier erst einmal. Die beiden verbliebenen Pferde fanden den Weg nach unten und stürmten, Schnee nach hinten schleudernd, in Richtung Tal den Hang hinunter. Weitere Zauber flogen durch die Luft. Janus wagte einen Blick nach oben. Kein Besen war zu sehen. Wer immer sie da unter magischen Beschuß nahm war zu Fuß und ohne Luftüberwachung. Er zog seinen zauberstab. Jetzt hoffte er einmal im Leben, daß er wirklich alles verinnerlicht hatte, was sein achso überragender Bruder ihm beigebracht hatte. Besser noch, er wollte töten. Wer immer ihn hier in diese Falle gelockt hatte, mindestens einen oder zwei von ihnen würde er heute noch aus dieser Welt stoßen. Krachend barst die rechte Kufe, und Flammen loderten auf. Euryale kauerte noch zwischen den Sitzbänken, als Janus versuchte, die Gegner anzuvisieren. Doch sie hielten mit weiteren Schockern und Sprengzaubern auf ihn und den Schlitten. Da meldete sich eine Stimme, die er zu gut kannte: "Janus Didier, hiermit erkläre ich Sie in meiner Eigenschaft als Leiter der Abteilung für magischen Landfrieden für verhaftet."

"Ach ja, du Verräter. Und wegen was bitte, deswegen, weil ich dir armseligen Blutegel diese Stelle verschafft habe?!" Rief Didier und warf einen großen Schild zwischen sich, an dem drei Zauber mit lautem Getöse zerstoben, bevor der Schild sich auflöste.

"Wegen des aktiven Mordes an Ihrem Bruder Roland Auguste Latierre geborener Didier", erwiderte Pétain. Irgendwo mußte dieser Kerl doch stecken. Die waren offenbar alle recht gut getarnt. Denn Didier konnte nur verschwommene Schemen erkennen, wenn die Angreifer ihre Positionen wechselten.

"Alles Lüge!" Rief Didier. "Das haben mir damals schon welche unterstellen wollen. Hat aber nicht geklappt."

"Weil Sie zu schlau sein wollten und das genaue Wissen um die Tat ausgelagert haben. Ich habe es gefunden", erwiderte Pétain. Janus kochte vor Wut. Wieso kam ihm dieser miese Blutegel jetzt damit. Wieso rückte er mit diesem Geheimnis hier und jetzt heraus, wo mehrere Zeugen dabeistanden?

"Warum verspielst du deinen Trumpf, du miese Ratte?" Fragte sich Janus. Ihm kamen die Bilder in Erinnerung, wie er das Denkarium, sein ganz persönliches Denkarium, gerade fortpackte, als er bemerkte, wie jemand ihn beobachtete. Erst einen Tag später hatte er herausbekommen, wer es war. Und Pétain hatte ihm detailiert beschrieben, wie Janus in der Verkleidung der Ritter der Reinheit den geplanten Einsatz seines Bruders verraten hatte und wie er selbst den Todesfluch ausgestoßen hatte, der Roland fällte, gleichzeitig mit einem anderen Reinheitsfanatiker, den Didier im nächsten Ansatz umbrachte, um vorzutäuschen, daß sein Bruder im heldenhaften Kampf seinen Gegner mit in den Tod gerissen hatte. Das war die Gelegenheit gewesen, sich von diesem Überzauberer und Heuchler, Frauenhelden und Schlauberger zu befreien, endlich nicht mehr nur der kleine, etwas unterbemittelte Bruder zu sein. All der Haß, angestaut von der ersten Lebensminute bis zu diesem Augenblick, hatte sich in diesem grünen Blitz entladen und Roland Auguste Latierre ein für allemal zum Schweigen gebracht. Seitdem kam er nicht mehr nach Millemerveilles hinein. Pétain hatte wohl diese Bilder aus dem Denkarium gesehen, wie auch immer dieser kleine Schreibtischwühler das angestellt hatte. Aber er hatte es gesehen und bekräftigt, daß kein anderer es erfahren würde, wenn Pétain länger lebte als Janus Didier. Seit diesem verfluchten Tag spielten sie beiden Katz und Maus miteinander. Janus hatte Pétain einige Gefälligkeiten erweisen müssen, ihm selbst Gespielinnen aus der Muggelwelt besorgen müssen, bis er sich noch tiefer in den Sumpf der Erpreßbarkeit hineingewagt und einen Konkurrenten Pétains mit einer miesen Lügenkampagne um Amt und Würde gebracht hatte. Pétain hatte ihm dafür einige weitere Türen geöffnet. Dieser Bastard besaß ein Gespür für wichtige Neuigkeiten und wer diese anbot oder benötigte. Wieso wollte dieser Kerl die bisher so einträgliche Machtquelle nicht mehr ausschöpfen? Die Antwort war so banal wie niederschmetternd. Er, Janus Didier, war wertlos geworden.

"Das ist ein verdammt übler Vorwurf, den Sie da erheben, Monsieur Pétain. Womöglich stehen Sie nicht mehr unter ihrem eigenen Willen, sondern unter dem eines anderen, daß Sie derlei behaupten. Zeigen Sie sich!" Zur Antwort flogen weitere Zauber auf ihn zu, die er mit einem großen Schild parierte. Er wollte gerade seine Frau ergreifen und disapparieren, als er erstarrte. Das lag nicht an einem platzierten Zauber. Seine Starre kam von dem, was er sah. Seine Frau hielt einen länglichen Zylinder in der Hand, an dessen Spitze ein dünnes Röhrchen herausragte, das in einer spitzen Hohlnadel mündete. Was wollte Euryale mit diesem Ding? Die Antwort stach ihm unvermittelt ins Hirn, als die Nadel sich in seine von der Winterkleidung freien Wange bohrte. Er fühlte etwas heißes, prickelndes in sein Fleisch hineinströmen. Er verlor den Halt und fiel in das innere des Schlittens zurück, gerade als ein Fangzauber aus mehreren Seilen über ihn hinwegpeitschte. Euryale hatte derweil den aus dem hinteren Teil des Zylinders ragenden Kolben bis zum Griff in den Zylinder gepreßt, wodurch das, was bis dahin darin gewesen war, in Janus Didiers Körper hineingeschossen wurde. Rote Kringel und Blitze leuchteten vor Didiers Augen auf. Ein heißes, pochendes Gefühl in der rechten Wange raubte ihm fast die Sinne. Er fühlte, wie das unheimliche Etwas, das über die Nadel in sein Gesicht gespritzt worden war, sich immer merh ausbreitete, sein Gesicht durchzog und dann in den Kopf hineinströmte, wo sich das Pochen noch verstärkte, in den Hals und den Brustkorb hineintastete und immer mehr von seinem Körper ausfüllte. Er wollte seine Frau fragen, was sie ihm da angetan hatte, als diese sich selbst dieses Teufelszeug über den Apparat mit der Nadel in den Hals verabreichte. Gift, dachte Janus Didier. Sie hatte ihn und sich vergiftet, die einzige Möglichkeit, ihn auch innerhalb des Ministeriums umzubringen, weil dieses Spritzding keine Magie nötig hatte und Tränke ja immer noch nicht restlos aufgespürt werden konnten. Einen Moment lang vergaß Didier Pétain und die ihm drohende Verhaftung. Hatte Euryale diesen Anschlag aus freien Stücken geplant oder unter dem Imperius gehandelt. War sie am Ende nicht einmal seine Frau, sondern eine Doppelgängerin, sowie der wieder aufgetauchte Grandchapeau ein Doppelgänger war? Würde er jetzt sterben oder in einen für Befragungen zugänglichen Zustand versetzt? Da hörte er das leise Zischen und Fauchen in seinem Kopf, als ströme Luft durch sein Gehirn. Das war bestimmt das eigene Blut, daß er rauschen hörte, bevor er die Besinnung verlor. Er nahm nur verschwommen wahr, wie fünf schemenhafte Gestalten auf den nun brennenden Schlitten zustürzten, wohl eingehüllt in eigene Zauberschilde. Von der anderen Seite bekämpften bereits Zauberer das angerichtete Feuer mit Brandlöschzaubern. Er fühlte ein unangenehmes Prickeln auf seinen Armen, ein taubes Gefühl, als schliefen ihm gleich die Arme ein. Er zielte auf einen der Zauberer und rief: "Avada Kedavra!" Doch statt des grünen Blitzes knisterten nur grüne Funken aus dem Zauberstab hervor. Didier fühlte Schmerzen. Jemand schien von innen seinen Kopf zu zertrümmern, seine Lungen zu verbrennen und sein Herz zu zerreißen. Er stieß einen langen Schrei aus. Dieser wirkte heftiger als der gescheiterte Todesfluch. Die ihn beschleichenden Zauberer schraken zurück.

__________

Pétain hatte sich entschieden. Janus Didier würde nicht mehr lange Minister sein. Entweder erledigte der Unnennbare ihn, oder die Delamontagnisten taten es. Er war sich sicher, daß dieser Strippenzieher und Opportunist ihn, Sebastian Pétain, mit in den Untergang reißen würde. Denn das, was sie beide so unsäglich und untrennbar verband, konnte auch zu seinem Fallstrick werden. Pétain hatte seine heimlichen Helfer auf die Posten geschickt und mitbekommen, wie Didier den kleinen Wicht Rivolis mit dem Imperius-Fluch und einer Zaubertrankflasche versah. Natürlich kannte Pétain die Gerüchte um den wieder aufgetauchten Armand Grandchapeau. Ob es der echte oder ein Doppelgänger war war Pétain gleich. Er oder Didier sollten aus der immer trügerischer werdenden Sicherheit des Zaubereiministeriums hinausgelockt werden. Jean-Louis Rivolis sollte wohl als Didiers oder Pétains Abbild zu einem solchen Treffen. Heute war doch auch diese Schlittenfahrt mit Madame Didier. Vielleicht ... nein, bestimmt sollte er das ausnutzen, um Didier als unnötigen Ballast loszuwerden. Er wußte auch schon wie. Er würde gleich alle nötigen Beweise finden, die Didier als Mörder seines Bruders entlarvten. Ironie dabei war, daß dieser Vorwurf keinesfalls erfunden werden mußte. Denn Pétain wußte durch seine geheimen Tricks und Beobachtungen, daß Didier es war, der Roland Latierre mit dem Todesfluch erledigt hatte. Womöglich hatte Janus seinen Bruder dermaßen gehaßt, daß er sich diese Gelegenheit unmöglich entgehen lassen konnte, als die Desumbrateure sich mit diesen Reinheitsrittern, Sympathisanten dieses unnennbaren Irren, angelegt hatten. Nun galt es nur noch, die nötigen Beweise sicherzustellen, wenn Didier mit seiner achso zurückhaltenden Gattin das Ministerium durch den privaten Hinterausgang verlassen hatte, den nur der Minister benutzen konnte.

Ein geheimer, von Pétain eingerichteter Zauber, der auf die direkte Anwesenheit einer bestimmten Person ansprach, vermeldete für Außenstehende unhörbar, daß Didier das Ministerium verließ. Er würde wohl sofort an den Treffpunkt apparieren, wo sie den Muggel mit dem Pferdeschlitten hinbestellt hatten. Dieser sollte, so Pétains Kenntnis, zwanzig Minuten später eintreffen, um das ältere Ehepaar durch die Winterbergwelt zu kutschieren. Also hatte Pétain noch zwanzig Minuten Zeit, um die Schlittenfahrt zum unvergeßlichen Erlebnis werden zu lassen.

Der Erste Schritt bestand darin, den Schlittenführer durch einen seiner Getreuen auszutauschen. Diesen Plan hatte er eh gefaßt, falls Didier wider Erwarten doch noch anderen von der lauschigen Schneepartie erzählt haben mochte. Im Schutze seines Büros, daß er nach dem Zwischenfall mit Martha Andrews mit zusätzlichen Spür- und Meldezaubern gespickt hatte, mentiloquierte er seinen Getreuen in der Nähe der Landesgrenze zur Schweiz an und gab ihm die Anweisung, den Schlittenkutscher unterwegs abzufangen, zu betäuben, ihm ein paar Haare zu stiebitzen und damit den entsprechenden Vielsaft-Trank anzusetzen. Dann sollte er das Ministerehepaar wie bestellt durch die Berge fahren und auf die Paßhöhe eines grenznahen Dreitausenders hinaufbringen, was alles in allem zwei Stunden dauern mochte. In der Zeit wühlte sich Pétain durch die Akten, sammelte alle Beweismittel über die Reinheitsritter ein, wußte auch, wo er die Hinweise finden mußte, die den Verrat Didiers an den Desumbrateuren nahelegten und füllte die aus Didiers Denkarium entnommene Erinnerung an den Mord in eine ausreichend große Kristallflasche, die er "Finden" würde. Dann rief er die offiziellen Mitarbeiter seiner Landfriedenstruppe zusammen und erläuterte ihnen in einer Dreiviertelstunde, was er gefunden hatte, wobei er es wohlweißlich den anderen überließ, die endgültigen Schlüsse zu ziehen. Als dann allen klar war, daß sie einem Brudermörder gedient hatten, peitschte Pétain sie an, kein Aufsehen darum zu machen und Didier diskret zu verhaften und in Friedenslager vier unterzubringen. Er, Pétain, würde dann das Ministerium übernehmen und Neuwahlen im Februar verkünden. Mochte sich Delamontagne dann zur Wahl stellen. Pétain würde sich dann hübsch zurückhalten und sich gegebenenfalls mit einer untergeordneten Stelle begnügen, wie er es bisher gewohnt war. Ganz oben zu stehen behagte ihm eh nicht. Da mußte er öffentlich agieren. Als Abteilungsleiter war das schon nicht einfach. Doch da konnte er immer noch sagen, er habe nur Befehle ausgeführt. Stand er ganz oben, mußte er jede Anweisung, die er erteilte vertreten. Doch diesen Schlag gegen Didier mußte er führen, wollte er nicht selbst mit ihm untergehen. So trommelte er zehn verläßliche Leute zusammen, die er auch ohne Imperius-Fluch kontrollieren konnte und bezog auf der Paßhöhe Stellung, wo der Pferdeschlitten eintreffen mußte. Als dieser kam, warteten die getarnten Zauberer, bis das räderlose Pferdefuhrwerk anhielt. Dann mentiloquierte Pétain dem Kutscher, zu verschwinden. Kaum war dieser fort, zogen drei seiner Leute einen Apparitionswall hoch, während die andern vorrückten, um Didier kampfunfähig zu machen. Pétain, der im Gegensatz zu seinen Leuten keine Tarnzauber, sondern einen Tarnumhang trug, ließ eine V-förmige Angriffsformation vorrücken, deren hintere Spitze er bildete. Didier ließ sich jedoch nicht so einfach überrumpeln. Er wirkte Schildzauber. Die restliche Truppe huschte um den Schlitten herum, um Didier von der anderen Seite unter Flüche zu nehmen. Dabei trafen wohl zwei Schocker auf einen Punkt und entzündeten den Schlitten. Die Pferde waren von Pétain persönlich ausgespannt worden, um den Schlitten nicht unkontrolliert davonzureißen. Als er selbst weiter vorrückte und das V zum C umgruppiert wurde, rief er Didier zu, daß dieser Verhaftet sei, weil er seinen eigenen Bruder Roland Latierre ermordet habe. Didier mußte diese Erkenntnis lähmen, daß er, Pétain, sein Druckmittel so einfach aus der Hand gab. Zwar hielt er noch einmal mit einem Schildzauber gegen, doch viel mehr würde er jetzt nicht mehr tun können. Sie rückten weiter vor. Pétain sah in den offenen Schlitten hinein und erstarrte fast. Gerade noch sah er diesen länglichen Zylinder, den Euryale ihrem Mann ins Gesicht preßte und dann, wie sie selbst ein ähnliches Ding an ihren Hals drückte. Didier zuckte und keuchte, als habe er große Schmerzen. Dann erkannte Pétain, wie sich über das Gesicht seines bisherigen Vorgesetzten ein blau-schwarzes Muster zog, wie die Schuppenhaut einer Schlange. Auch Euryales Gesicht veränderte sich. Es bekam rot-braune Längsstreifen, die immer breiter wurden. In Pétains Kopf schrillten sämtliche Alarmglocken. Was ging hier vor?

"Avada Kedavra", keuchte Didier. Sein Zauberstab zielte auf einen der durch die schnellen Bewegungen schemenhaft erkennbaren Zauberer. Doch kein grüner Blitz schnellte heraus. Nur mehrere grüne Funken zischten durch die Luft, ohne Schaden anzurichten. Dann schien ein unbändiger Schmerz den umstellten Janus Didier zu übermannen. Er schrie laut und langgezogen auf. Auch Pétain schrak zurück. Das Schreckliche, das er da gerade mit ansah, machte seinen geplanten Befreiungsschlag jäh zunichte. Pétain ahnte es. Nein, er wußte es genau, was da passierte. Madame Didier hatte ihrem Mann mit einer dieser Muggelspritzen, die er selbst als Kind so zu verabscheuen gelernt hatte, die pure Essenz der mörderischen Monstren in den Körper gejagt und sich ebenfalls damit infiziert. Irgendwer hatte sie wohl dazu angehalten oder per Imperius gezwungen, einen günstigen Moment oder eine unkontrollierbare Lage abzupassen, um ihrem Mann und dann sich selbst dieses Teufelsgift in den Leib zu spritzen. Der Unnennbare hatte einen diabolischen Plan ersonnen, den Zaubereiminister Frankreichs außer Gefecht zu setzen. Nein, er wollte ihn zu einem Erfüllungsgehilfen machen. Pétain malte sich gar nicht erst aus, was passiert wäre, wenn Euryale Didier das verfluchte Gift ohne Zeugen verabreicht hätte. Konnten diese Schlangenmonster zaubern wie Werwölfe und magisch hochbegabte Vampire? Die Antwort mußte nein lauten. Denn dann hätte sie ihrem Mann wohl keine Spritze geben, sondern selbst als eine solche Kreatur über ihn herfallen können. Doch andererseits wurden nicht-menschliche Kreaturen wie Vampire und Werwölfe sofort gemeldet, wenn sie im Ministerium waren. Ja, der Plan des Unnennbaren war wahrhaftig meisterhaft. Das Gift als solches wurde wohl nicht angezeigt, solange es in einer kleinen Menge durch den persönlichen Hintereingang im Ministerium gebracht wurde. Erst wenn es ein Opfer fand, könnte eine Alarmmeldung erfolgen. Die Monster waren gegen Zauberkraft immun, hieß es. Galt das nur für die vollwertigen Exemplare oder auch schon im Umwandlungsstadium? Er mußte es ausprobieren. Er zielte mit dem Zauberstab auf Janus Didier. Er hatte ihn bisher nie aufrufen müssen. Konnte er ihn überhaupt mit voller Wirkung einsetzen? Er mußte es versuchen. Die Verwandlung schritt wohl sehr rasch voran. Er mußte es versuchen!

"Avada Kedavra!" Rief er, wobei er sich wünschte, diese Bestie im Schlitten zu töten. Tatsächlich schoß der grüne Todesblitz aus dem Stab hervor und sirrte auf Didier zu, der durch die Schmerzen der Umwandlung wohl nicht mehr recht erkannte, was um ihn ablief. mit dumpfem Schlag traf der Fluch den eingemummelten Minister und ließ ihn zusammenklappen. Er rollte in den Schlitten hinein. Euryale, selbst in der Agonie der Verwandlung, schrie auf, als ihr Mann auf sie fiel und sie aus dem Schlitten kippte. Einer der Zauberer versuchte den Schockzauber gegen sie anzuwenden, verfehlte sie jedoch. Pétain lief um das Fuhrwerk herum und rief noch einmal die zwei verbotenen Worte. Euryales Schrei erstarb in einem letzten Röcheln. Er hatte auch sie getroffen.

"Ich mußte das tun", sagte er, um es auch vor sich selbst zu rechtfertigen. Da erschrak er. Die beiden scheinbar getöteten regten sich wieder, um dann aus dem Liegen heraus emporzuschnellen. Die Warmwollkleidung platzte von ihnen ab, und er konnte sehen, daß sie zu vollwertigen Schlangenmonstern anwuchsen, über zwei Meter hohen, schuppigen Scheusalen mit biegsamen aber muskulösen Armen und Beinen. Mehrere Zauberer feuerten Flüche, auch den Todesfluch auf die Ungeheuer ab. Doch die Todesflüche warfen sie nur für eine Sekunde um. Da begriff Pétain. Seine Todesflüche hatten den letzten, rein menschlichen Rest in Didier und seiner Frau abgetötet, das, was nicht dieser dunklen Kraft unterworfen war. Offenbar war dies bereits in der Minderzahl. Die Verwandlung hatte dann innerhalb weniger Sekunden den Endzustand erreicht. Jetzt standen die beiden Schlangenmenschen vor ihm und glotzten ihn an. Eine starke, fast unwiderstehliche Kraft ging von ihren bleichen Schlangenaugen aus. Pétain fühlte, wie sein Wille dahinschmolz. Doch dann durchzuckte ein befreiender Gedanke, eine magische Notmaßnahme in seinem Geist, den Kopf des Landfriedensleiters. Die magische Unterwerfung erlosch. Pétain konnte sich vom Anblick der hypnotischen Augen losreißen. Doch seine Gefährten standen da wie erstarrt. Didier zischte und fauchte laut. Dann schnarrte er mit einer völlig anderen Stimme:

"Hassst du dir ssso gedacht, du verrräterrrr! Jetztztztzt werrrde ichchch dichchch lehren, mir in den rücken zzzu fallen!"

Pétain sprang zurück, als der nun blau-schwarze Schlangenmensch, der vorher noch Janus Didier war, auf ihn zustürmte. Mit einer Zauberstabbewegung ließ Sebastian Pétain eine dichte Wolke Schnee vom Boden hochschnellen, die dem Ungeheuer die direkte Sicht versperrte. Er wußte, daß er diesem Scheusal des Unnennbaren unterlegen war, wenn keine ihm bekannte Magie mehr wirkte. Euryale suchte sich derweil aus einem der in hypnotischer Starre stehenden Zauberer ihr erstes Opfer aus und warf sich auf den Helfer Pétains, um diesem ihre neuen Giftzähne ins Fleisch zu bohren. Zwar würde der Biß länger brauchen, um diesen Mann zu einem ihrer Art zu machen. Doch sie hatte nun Zeit.

Pétain fühlte instinktiv, daß Janus, der Schlangendämon, ihm trotz des aufgewirbelten Schneegestöbers auf den Fersen blieb. Er konnte nicht disapparieren. Die Sperre reichte hundert Meter weit. Diese Strecke mußte er überwinden. Doch hier ging das nicht so einfach. Der einzige Weg war der in weiten Kurven talwärts führende Weg, in dessen verschneitr Oberfläche sich noch Huf- und Kufspuren des Schlittens abzeichneten.

"Ichchch bin schschschneller alssss du, Ssssebassstian", fauchte der Schlangenmann. Pétain wußte das. Er fühlte intuitiv, daß die Bestie ihn gleich aus vollem Lauf in den Rücken springen würde. Er richtete seinen zauberstab nach hinten und dachte konzentriert "Glaciomurus durissimus!" Er hörte das Knirschen, als würden riesige Fäuste den Schnee zusammenballen und hörte ein leises Rauschen. Er lief jedoch weiter. Da hörte er Janus Didier mit lautem Gebrüll losspringen, direkt gegen die mindestens einen Meter dicke und haushohe Mauer aus zu besonders hartem Eis zusammengefügtem Schnee. Wie viele Sekunden würde Pétain dadurch gewinnen? Er rannte weiter, aus der Antidisapparierzone hinaus. Da hörte er das laute Klirren und warf sich herum. Didier hatte es geschafft, durch die Mauer zu brechen, die selbst ein mit Diamanten besetzter Bohrer nichtunter einer Minute durchdringen konnte. Er sah den Schlangenmann aus einem Wirbel davonfliegender Eissplitter heraustreten und die Verfolgung wieder aufnehmen. Gleichzeitig fühlte Pétain, wie Madame Didier einen weiteren seiner Mitkämpfer anfiel. Es war so, als erschüttere etwas ein unsichtbares Netz, das er selbst ausgeworfen hatte. Doch noch hatte er den Feind direkt vor sich. "Conjunctivitis!" Rief er, schnell auf Höhe der bleichen, leuchtenden Augen zielend, ohne zu lange hineinzublicken. Mit leisem Piff zerstob der Zauber am Kopf Didiers, der nun auf Pétain zueilte. Pétain sah bereits, wie der Schlangenmensch absprang, um ihn niederzuwerfen. Da drehte er sich schnell um und disapparierte. Didier stieß in sich verflüchtigende Luft. Fauchend schlug er auf dem Boden hin. Sein zum zubeißen geöffnetes Schlangenmaul füllte sich mit Schnee. Dieser Feigling war ihm im allerletzten Augenblick entwischt. Oder hatte der sich nur versteckt. Er sog die Luft in seine schlitzartigen Nasenlöcher ein. Doch er konnte den Verräter nicht mehr wittern. Kein Verhüllungszauber konnte ihn vor ihm schützen. Seine Augen durchdrangen auch magische tarnungen, konnten durch Dunkelheit und Nebel sehen und mit ihrer Kraft alle bannen, die in sie hineinblickten. Alle? Pétain hatte sich gewehrt. Nein, etwas an oder in ihm hatte sich gewehrt. Und jetzt war er entkommen.

"Befolge deinen Auftrag! Vermehre dich und suche die versteckten auf!" Fauchte und zischte ein Befehl unter seiner Schädeldecke. Janus Didier erstarrte. Seine Wut verflog. Er hatte einen Auftrag. Der Meister hatte ihm befohlen, mehr von seiner Art zu schaffen und dann zu den anderen zu gehen, zu denen, die sich versteckt hatten. Wo waren sie versteckt? Diese Frage dachte er an die Adresse des Meisters:

"Da wo du sie selbst hingeschickt hast, Vangarian, Rächer deines Meisters", kam eine höhnisch klingende Antwort zurück. Vangarian. So hieß er nun. Vangarian, was Rächer hieß. Janus Didier verlor immer mehr seiner Persönlichkeit. Nur die dunklen Taten und Erlebnisse blieben vorhanden, neben dem animalischen Trieb, dem Meister zu folgen und die eigene Art zu vermehren. Er erhob sich und kehrte zu der von ihm und seiner Gefährtin gebannten Menschen zurück. Drei von ihnen trugen schon die Saat des Meisters in sich. Bald würde sie aufgehen. Doch noch waren es sieben Mann, die ungeweiht waren. Er gönnte seiner Gefährtin, die sich ihm jetzt als Albarania, die Botin vorstellte, daß sie noch zwei weitere Menschen dem Meister weihte. Die übrigen fünf übernahm er selbst. Er wußte genau, daß sie nicht hierbleiben durften. Zwar stand dieser nun deutlich fühlbare Würfel aus reiner Kraft, der das Apparieren versperrte. Aber sie mochten mit fliegenden Besen oder diesen brummenden Ungeheuern wiederkommen. Nein, die Brummenden Ungeheuer dieser widerlichen Sardonianerin würden nicht bis hier herauf kommen. Wenn die Kraft der Erde nicht wäre würde er hier oben erfrieren. Diese Entomanthropen waren nicht so ausdauernd. Bis hierher kamen sie nicht. Das war gut zu wissen. Vielleicht sollten sie, wenn sie neue Gefährten hatten, auf solchen Bergen wohnen. Warum war seinen Gefährten das nicht früher eingefallen. Dann würden sie vor diesen Ungeheuern sicher sein. Diesen Vorschlag schickte er durch reine Gedankenkraft an den Meister zurück. Sekunden vergingen, bis eine Antwort eintraf:

"Auf hohen Bergen könnt ihr keinen Auftrag von mir ausführen. Also steigt herab und sucht die Anderen!" Die Antwort klang überaus verärgert. Vangarian verstand nicht, warum, aber er fühlte Furcht vor dem Zorn des Meisters. Dann trug er mit seiner Gefährtin Albarania, die als Menschenfrau Euryale Didier geheißen hatte, die in den Schmerzen ihrer Wiedergeburt jammernden in den pferdelosen Schlitten. Diesen zogen sie mit vereinter Kraft herum und liefen, von der unerschöpflichen Kraft aus der Erde bestärkt, talwärts.

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Pétain war gerade noch entwischt. Fast hätte ihn dieser Schlangenmensch erreicht und womöglich gebissen. Sein Glück, daß er bereits aus dem Apparitionswall heraus war. Doch was nun? Didier hatte sich in eines dieser Schlangenbiester verwandelt. Damit war er nun lebensgefährlich, für ihn, für Delamontagne und alle anderen Menschen. Er war zu einem Werkzeug Tom Riddles geworden. Dieser halbblütige Gernegroß hatte es geschafft, den Führer des französischen Zaubereiministeriums in seine Gewalt zu bringen. Was wußte Pétain über diese Geschöpfe? Sie widerstanden jeder direkten Magie, solange sie auf dem Boden herumliefen. Der Versuch, welche von denen mit Besen anzuheben war mißlungen. Die Besen verloren ihre Flugeigenschaften, solange diese Monstren festen Boden unter den Füßen hatten. Nur diese widerlichen Entomanthropen und ... Ja, die mußten her. Und zwar ganz schnell.

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Es war kein Problem für Professeur Tourrecandide gewesen, den Doppelgänger mit dem Fluchumkehrer von seinem eingeprägten Auftrag abzubringen, als dieser eine Weile bei Guillaume, dem Grandchapeau-Doppelgänger gesessen hatte. Dieser Zauber aus Atlantis war ganze Verliese voller Gold wert. Eigentlich interessierte es sie schon, wie Blanches Schützling da herangekommen war. Aber sie hatte versprochen, ihn nicht zu fragen. Denn ihr war auch klar, daß er sich damit großen Nachstellungen aussetzte, wenn er es verriet. Wahrscheinlich wußte Blanche Faucon näheres, oder seine frühere magische Fürsorgerin Catherine Brickston und/oder seine neue Fürsorgerin Hippolyte Latierre. Aber was wichtiger war, daß sie nun einen informierten Ministeriumsmitarbeiter in ihrem Gewahrsam hatten, der nun, wo die Wirkung des Fluches umgekehrt worden war, alles ausplauderte, was er an geheimnissen kannte. Das waren zwar nicht gerade die brisantesten. Aber zumindest bestand nun die Möglichkeit, die Barrieren um Didiers und Pétains Amtsräume zu knacken. Auch wußten sie, daß Didier den Feindfressernebel installiert hatte. Das war eine sehr nützliche Neuigkeit, wenn sie Didier per Greifkommando aus dem Amt entfernen wollten. Sie notierte die erhaltenen Informationen und schickte sie per Kurier nach Millemerveilles.

"Mir ist irgendwie nicht wohl dabei, Armands Rolle zu spielen", sagte Guillaume nachdem sie den Doppelgänger Didiers in Gewahrsam genommen hatten. "Wo ich nicht weiß, ob er echt noch lebt oder nicht doch schon längst tot ist."

"Seine Tochter sagt, er lebt noch. Sie haben damals den Viviparentis-Zauber ausgeführt, während sie geboren wurde. Also dürfen Sie sicher sein, daß Armand noch lebt und sich sicherlich freut, wenn wir mit Ihrer Hilfe seinen Widersacher entmachten können, Guillaume", beruhigte ihn die ehemalige Beauxbatons-Lehrerin.

"Und wie soll das jetzt weitergehen? Didier wird erfahren, daß sein Trick nicht geklappt hat. Noch mal können wir ihn nicht ködern."

"Wir verheimlichen es, daß dieser Rivolis nun für uns arbeitet. Wir lassen ihn frei, wenn wir alles wissen, was er noch erzählen kann. Danach lassen wir ihn frei. Vielleicht wird er uns noch ein paar Türen öffnen, wenn er wieder im Ministerium ist."

"Wie haben Sie das eigentlich gemacht, daß der nun für uns arbeitet?" Fragte Guillaume.

"Das ist nur den obersten Vertrauten des stellvertretenden Zaubereiministers vorbehalten, Guillaume. Nur so viel: Flüche richten sich zu weilen gegen den, der sie aufruft. Ich Denke, diese Lektion haben Sie damals in Beauxbatons schon erhalten."

"durchaus", bestätigte Guillaume. Da fühlte er die Schmerzen der Rückverwandlung. Keuchend und schnaufend wand er sich auf seinem Stuhl. Dabei wurde er etwas kleiner. Das Haar wurde kürzer und dunkler. Eine spitze Nase formte sich im immer ovaler werdenden Gesicht. Dann war von Grandchapeaus Aussehen nichts mehr übrig.

"O Mann, das Zeug ist ein Höllengebräu", stöhnte Guillaume, der in seiner angeborenen Gestalt eine leicht piepsige Stimme hatte.

"Das war bestimmt noch harmlos. Ich habe mich mal in einen jungen Burschen verwandelt, als wir von der Liga in eine reine Männerrunde vorstoßen sollten, die außer dem Anführer nur aus jungem Volk bestand. Das tut wesentlich mehr weh, wenn noch ein Geschlechtswechsel hin und zurück stattfindet", tat Professeur Tourrecandide die Auswirkungen des Trankes ab. Guillaume wagte nicht, ihr zu widersprechen.

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"Janus Didier, mein größter Gegner", grinste Voldemort. "Jetzt gehörst du mir. Schlaumeier!" Knurrte Voldemort dann noch. Er hätte wirklich schon früher auf die Idee kommen müssen, daß die von ihm geweckten Krieger der Vorzeit auf hohen Bergen vor den Insektenmonstern der Wiederkehrerin sicher waren. Jetzt, wo es gerade noch die drei in England und die versteckten Skyllianri gab, nützte ihm diese Erkenntnis nichts mehr. Doch eine halbe Stunde später erwies sich, daß die Idee ein wenig kurzsichtig erwogen war. Voldemort trug nun Sharanagots Zepter bei sich, nachdem er am achtundzwanzigsten Dezember erfahren hatte, daß sein Agent in der Schweiz das Gift wirklich weitergeleitet hatte. Didiers eigene Frau sollte diesen Trottel mit der Gabe Skyllians beglücken. Tja, und heute hatte sie es getan und bei der Gelegenheit noch zehn weitere Mitglieder für seine Truppe anwerben können. Doch dann hörte er über das Zepter Hilferufe. Er dachte zuerst, die Insekten dieser widerlichen Wiedergeburt von Nigrastras Tochter hätten es geschafft, auch in die hohen Berge zu kommen, obwohl das eigentlich nicht sein konnte, wegen der viel zu dünnen luft und der Kälte. Dann begriff er. Und er verwünschte den Umstand, daß es bei der Verwandlung einen Zeugen gegeben hatte, der entkommen war.

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Er war stark! Er war ausdauernd! Er war unbesiegbar! Vangarian und seine Gefährtin zogen den Pferdeschlitten, der sonst von vier kräftigen Zugpferden bewegt werden konnte, so schnell wie mit acht Pferden. Sicher, einen Teil trug die Schwerkraft der Erde bei, weil es gerade nach unten ging. Eigentlich konnten sie sich auch auf den Bock setzen und den Schlitten wie einen Riesenrodel zu Tal sausen lassen. Doch sie mußten die Kurven beachten. Die noch nicht fertigen Gefährten durften nicht in die Tiefe stürzen. Dann hörten sie ein wildes Schwirren über sich, und ein langgezogenes Schnauben. Er blickte nach oben und erkannte ein mit wirbelnden Flügeln auf sie zustoßendes, langgezogenes Geschöpf mit spitzem Maul. Ein Drache von der Insel. Wo kam der denn so plötzlich her? Das durfte nicht sein. Doch das Ungeheuer kam auf sie zu. Es schillerte blau und trug keinen Reiter. Nur ein bronzener Halsring zierte das geflügelte Zaubertier, das nun sein Maul aufriß und unvermittelt einen mehrere Dutzend Meter langen Flammenstoß spie, der den zu großen Teilen aus Holz verarbeiteten Schlitten in lodernde Flammen hüllte. Vangarian wußte zu gut, was das hieß. Die Drachen jagten die, von deren Art er jetzt war. Er stand auf der Todesliste der Insulaner. Aber woher wußten die, wohin sie diesen Drachen ... Wuff! Eine weitere Flammenfontäne aus dem Drachenmaul schlug genau vor ihnen in den Schnee und brachte diesen zum kochen.

"Schnell in den Schutz der Erde!" Zischte Vangarian seiner Gefährtin zu. Diese erkannte die Gefahr, als der Drache den brennenden Schlitten attackierte. Sie warf das Zuggeschirr ab und warf sich mit dem Wunsch, im Boden zu versinken in den Schnee, durch den sie wie durch eine Wasseroberfläche drang und dann in der knapp einen Meter tiefer gelegenen Erde zu verschwinden. Über ihr brodelte der siedende Schnee. Dann waren sie fort. Der Drache griff den Schlitten an, zerrte die bereits brennenden Opfer der Schlangenmenschen heraus und riß sie in die Luft, wo er sie nach wenigen Sekunden in seinem Feuer einäscherte. Das trieb das tobende Ungetüm so oft, bis die zehn unglücksseligen Zauberer nicht mehr lebten. Ihnen blieb somit ein Dasein im Bann Voldemorts und Skyllians erspart.

Der Drache betrachtete mit seinen eher Raubvögeln ähnelnden Augen das brennende Schlittenwrack und die verstreuten Aschehaufen. Er hatte zwei ausgewachsene Feinde entwischen lassen. Er war zu langsam gewesen. Er stieß ein wütendes Gebrüll aus, bevor er in den Himmel hinaufstieß. Hier wurde er nicht mehr gebraucht. Der Ring um seinem Hals erglühte tiefrot, dann hüllte ein blutroter Wirbel den Drachen ein und ließ diesen verschwinden.

Derweil schwammen die beiden entkommenen Schlangenkrieger durch tiefes Felsgestein wie durch klares Wasser. Sie hatten ihre Bewährungsprobe verfehlt. Der Meister würde das nicht mögen.

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Es gab einen großen Aufruhr, als Pétain vor den Abteilungsleitern des Ministeriums verkündete, daß Didier von einem Agenten Voldemorts überfallen und durch konzentriertes Schlangenmenschengift zu deren Artgenossen gemacht worden war. Etwas anderes als die Wahrheit kam nun nicht mehr in Frage. Er log nur, als er davon berichtete, daß Didier ihn noch um Hilfe anmentiloquiert hatte. Die Zauberer, die er zur Verhaftung Didiers mitgenommen hatte würden eh nicht mehr zurückkehren. Falls doch, dann bestimmt nicht mehr als Menschen.

"Ich übernehme bis zur Wahl eines neuen Ministers die Amtsgeschäfte", verkündete er dann noch. "Da ich nicht riskieren will, als Amtsanmaßer von den Strafzaubern erledigt zu werden, werde ich in meinem gesicherten Büro residieren. Ich hoffe, wir alle können die gegenwärtige Krise sicher bewältigen."

"Und was ist mit Grandchapeau? Der soll doch wiedergekommen sein", warf Montpelier ein, der die Außenschutzabteilung leitete. Pétain verwies darauf, daß noch nicht geklärt sei, ob es sich bei diesem Jemand um den echten Grandchapeau oder einen Schwindler handle. Dies müsse zunächst herausgefunden werden. Er fühlte, daß die Mitarbeiter nicht mehr so loyal waren. Das mochte an der Verwandlung Didiers liegen. Der von ihm ausgeführte Imperius-Fluch konnte dadurch aufgehoben worden sein, falls sie nicht ebenfalls in den Bann Voldemorts gerieten. Montpelier stand auf und sagte:

"Das prüfen wir selbst nach, Monsieur Pétain. Sie müssen schließlich noch beweisen, daß der bisherige Zaubereiminister eines dieser Ungeheuer geworden ist. Wer sagt uns, daß Sie ihn nicht beseitigt haben. Wo sind die übrigen Zauberer, die sie mitgenommen haben? Wenn die auch zu diesen Ungeheuern wurden, warum konnten Sie entkommen?"

"Weil ich versuchte, Didier, der bereits verwandelt war, in eine Falle zu locken", sagte Pétain verärgert. Das er schlicht weg vor ihm davongelaufen und geflüchtet war wollte er denen hier nicht auftischen. "Ich habe die Macht dieser Wesen nur falsch eingeschätzt. Er konnte mir entkommen. Beinahe hätten mich seine auch schon verwandelte Frau und zwei ihrer Opfer eingekreist. Ich mußte mich zurückziehen."

"Und wo soll das gewesen sein?" Wollte ein anderer Mitarbeiter wissen. Pétain beschloß, sich nicht verhören zu lassen. Er hieb mit der Faust auf den Tisch und bellte: "Genug jetzt! Wenn Sie meinen Worten nicht glauben wollen prüfen sie, ob die Privaträume des Ministers noch fest verschlossen sind. Sind sie es, lebt er noch so wie vorher auch. Wenn nicht, nehmen Sie bitte die von mir ausgesagte Begebenheit als Tatsache zur Kenntnis!"

"Vielleicht hat Delamontagne ihn entführt oder getötet", vermutete Montpelier. Da zuckte er zusammen, und sein Blick klarte so auf, als sei er aus einem vollrausch mit einem Schlag stocknüchtern geworden. "Dieser Bastard ist tot", schnaubte er. "Ja, jetzt kapiere ich alles. Dieser Drecksack Didier und Sie, Pétain, haben mich mit dem Imperius erwischt, um uns kleinzuhalten. Das war wegen dieser Friedenslager." Pétain fühlte sofort, daß er jetzt in ernsten Schwierigkeiten steckte. Denn auch die anderen unmittelbar vom Minister mit dem Unterwerfungsfluch belegten erwachten wie aus einem Tagtraum. Wieso hatte das nicht schon früher eingesetzt? Egal, er war in ernsten Schwierigkeiten und ... "Stupor!" Drei Schocker rasten auf Pétain zu. Dieser kam nicht einmal mehr an seinen Zauberstab. Da krachte es auch schon, und er fiel schlaff vom Stuhl.

"Macht die Kamine wieder auf. Das kann doch nicht wahr sein, daß wir uns so lange am Nasenring haben herumführen lassen."

"Ist Didier jetzt tot oder nur entmachtet?" Fragte eine Hexe aus der Portschlüsselabteilung.

"Erst einmal egal. Ich nehme sofort Kontakt zu Delamontagne auf und erkläre ihm, daß er von uns her nichts mehr zu befürchten hat. Wenn er weiterhin Minister sein will soll er herkommen und sehen, ob das Büro ihn akzeptiert!"

"Und was machen wir mit dem?" Fragte sein Untersekretär Binoche.

"Tourresulatant, falls wir nicht rauskriegen, wo die beiden letzten vermaledeiten Friedenslager sind", erwiderte Montpelier.

"Delamontagne wird nicht glauben, daß Didier entmachtet ist", warf Roger Brassu aus dem Portschlüsselkontrollzentrum ein. "Er wird, ja er muß von einer Falle ausgehen."

"Dann gehe ich nach Millemerveilles", knurrte Montpelier. "Womöglich hat dieser hinterhältige Imperius-Fluch mich davon abgehalten, dort reinzukommen. Meinetwegen dürfen die mir da Veritaserum einflößen und legilimentieren und auf Gedächtniszauber prüfen."

"Was ist, wenn dieser Drecksack da recht hat und Didier eines dieser Schlangenmonstren geworden ist?" Wollte Maurice Bouvier aus der Abteilung für magische Geschöpfe wissen. Immerhin fiel das in seinen Zuständigkeitsbereich.

"Dann kommt der hier nicht so ohne weiteres rein. Nach der Affäre um die Garouts wehrt das Ministerium auch alle teilmenschlichen Kreaturen ab", knurrte Montpelier. Auch wenn sein Wille durch Imperius unterdrückt war konnte er sich doch an alle Kleinigkeiten erinnern, von denen er gehört oder die er selbst miterlebt und angerichtet hatte. Das war ja das tückische an diesem Fluch.

"Gut, dann gehen Sie zu Delamontagne nach Millemerveilles. Wir machen indessen alle Kamine wieder auf, auch wenn die Gefahr besteht, daß wirklich Agenten des Unnennbaren im Lande sind."

"Die können apparieren", schnarrte Ariane Mistral, die im Moment Michel Montferres Posten innehatte. So entschieden die von Pétain zusammengerufenen Vertreter der wichtigsten Abteilungen, daß sie mit Phoebus Delamontagne zusammenarbeiten wollten, unabhängig davon, ob er nun als legitimer Nachfolger Didiers weitermachen sollte oder nicht. Ihnen allen war nämlich aufgegangen, daß sie über Monate eine unmenschliche Unterdrückungspolitik mitgetragen hatten, unfreiwillig zwar aber unbestreitbar.

__________

"Wie, Didier ist verschwunden? Das möchte ich noch einmal genauer wissen", wandte sich Professeur Faucon an Viviane Eauvives Bild-Ich.

"Es ist an und für sich keine gute Nachricht, Professeur Faucon. Nachdem, was mir von Ihrer Tochter übermittelt wurde, ist Montpelier vor einer Stunde am Rand von Millemerveilles appariert, durch die Barriere gegangen und hat sich von der Grenzwache widerstandslos festnehmen lassen. Als Phoebus Delamontagne ihn unter Zuhilfenahme von Veritaserum befragte, erfuhr er, daß Janus Didier offenbar in eine Falle von Sie-wissen-schon-wem gelockt und mit konzentriertem Skyllianri-Gift verseucht wurde. Eine Stunde danach habe der von ihm ausgeübte Imperius wohl seine Macht verloren. Pétain wurde betäubt, bis über seinen weiteren Verbleib entschieden wird. Das pariser Zaubereiministerium ist demnach wieder zur Vernunft gekommen. Es wird erwogen, die Kaminblockade aufzuheben und bis auf die britischen Anschlüsse internationale Verbindungen zu ermöglichen."

"Didier wurde zum Skyllianri?" Fragte Professeur Faucon besorgt. "Das heißt wahrlich nichts gutes. Auch als Kreatur des Psychopathen kann und kennt er noch alles, was er während seiner unberechtigten Amtszeit gelernt oder in die Wege geleitet hat. Selbst wenn er keinen Zauber mehr ausführen kann reicht das, um das offizielle Zaubereiministerium in Gefahr zu bringen."

"Das will ich nicht abstreiten", erwiderte Viviane Eauvive. "Die Frage ist nur, wie es nun weitergeht."

"Von hier aus kann ich nicht viel machen. Aber am nächsten Samstag dürfen Sie mir wieder helfen. Noch sind nicht alle Zauber sicher erlernt."

"Verstehe", sagte die gemalte Gründungsmutter.

Eine Viertelstunde später war es in der ganzen Schule herum. Nicht nur durch Viviane und die anderen Gründer, sondern auch, weil auf einmal alle bisher so beharrlich über den Ländereien patrouillierenden Hexen und Zauberer davongeflogen waren. Julius erreichte die Nachricht, als er sich mit seiner Frau in der Bibliothek aufhielt, um Muggelkundehausaufgaben mit ihr durchzugehen. Madame D'argent, die Bibliothekarin, erwähnte, daß die Patrouillenflieger über dem Schulgelände verschwunden seien. Nur die Hadesianerhunde stromerten noch in der Gegend herum. Julius eilte sofort mit Millie auf den Vorplatz und blickte zum Himmel. Die üblichen winzigen Objekte, die eigentlich auf Besen fliegende Hexen und Zauberer waren, fehlten. Nur die bleichen Wolken schimmerten in der matten Winternachmittagssonne. Kein Patrouillenflieger in Sicht.

"Das möchte ich genauer wissen. Ich beantrage eine Sondersitzung der Saalsprecher", sagte Julius. Doch Madame Maxime kam ihm zuvor. Durch einen Zauber überall auf dem Gelände von Beauxbatons hörbar erklang ihre befehlsgewohnte Stimme:

"Sämtliche Saalsprecher und ihre Stellvertreter bitte umgehend in meinem Besprechungszimmer zu einer Sonderkonferenz einfinden!"

"Kann die deine Gedanken lesen?" Fragte Millie verdutzt.

"Ich hoffe mal nicht, weil sonst bekäme sie ja auch mit, was uns beide so verbindet", flüsterte Julius und deutete auf die unter seinem Umhang verborgene Hälfte des gemeinsamen Herzanhängers. Millie grinste erst mädchenhaft und sagte dann halblaut: "Wenn das so wäre hätte sie uns die Herzanhänger wohl schon weggenommen. Okay, Monju, mach dich zu ihr hoch und krieg raus, was genau passiert ist. Falls Brunhilde es uns nicht erzählt, teilst du mir das bitte vor dem Schlafengehen mit, ja?"

"Geht klar, Mamille", wisperte Julius und lief in den weißen Palast zurück. Per Wandschlüpfsystem erreichte er den achten Stock in weniger als vier Sekunden. Direkt hinter ihm traten Sandrine, Deborah und Belisama aus dem zum Pflegehelferwegesystem gehörenden Wandstück.

"Bin gespannt, ob's stimmt, daß Didier weg ist", stieß Deborah Flaubert aus. Sandrine unkte: "Wenn stimmt, was Magistra Delourdes gerade erzählt hat, kriegen wir keine netten Sachen zu hören."

"Sind diese Hunde noch da draußen?" Fragte Belisama.

"Kann sein, daß die Flieger übereilt abgerückt sind und die netten Kuschelhündchen gleich noch von entsprechenden Leuten eingesammelt werden", vermutete Julius. Ihm waren diese riesigen Hunde mit den drei Köpfen auch nicht geheuer.

die zum Pflegehelfertrupp gehörenden Broschenträger begrüßten Madame Maxime, die in einem großen Gemälde sämtliche Gründer der Schule versammelt hatte. Julius war nicht entgangen, daß die sechs lebensgroßen Statuen im Ankunftsraum hinter dem Bildertor ihre Posen geändert hatten. Waren sie wieder lebendig geworden, wie bei der Öffnung der sechs Säulen?

"Wir warten erst auf alle anderen. Die Saalvorsteher werden heute auch vollzählig erscheinen", erwiderte die über drei Meter hohe Schulleiterin kühl. Die bereits anwesenden setzten sich so wie bei den üblichen Samstagskonferenzen. Schweigend warteten sie, bis die restlichen Saalsprecher eintrudelten. Giscard schleppte Julius' Radio mit, wohl um sicherzustellen, daß es auch keinen im grünen Saal stören konnte, solange er und die drei anderen Broschenträger nicht anwesend waren. Vielleicht wollte er aber auch anbieten, die neuesten Nachrichten damit zu hören, solange der Miroir oder die Temps keine Extrablätter rausbrachten. Als endlich auch die Lehrerinnen und Lehrer, die die sechs Säle betreuten eingetroffen waren berichtete Madame Maxime, was sie erst vor einer Viertelstunde erfahren hatte. Alle hörten gebannt zu, auch die in einem Gemälde versammelten Gründer.

"Mit anderen Worten, der Druck von Seiten Didiers ist zwar vorbei, die Gefahr jedoch noch nicht", faßte Professeur Faucon zusammen. "Wenn das stimmt, daß Didier Opfer des tückischen Verwandlungsgiftes wurde, verfügt unser Hauptfeind in England nun über einen Sklaven, der die Geheimnisse des zaubereiministeriums kennt. Womöglich ist Didier nicht der einzige Amtsträger in der europäischen Zauberergemeinschaft, der in eine derartige Falle gelockt wurde. Wir müssen also darauf gefaßt sein, daß vorerst kein Grund zur Entwarnung besteht. Sicher, die unversehrten Hexen und Zauberer können nun etwas freier atmen, weil wohl keiner mehr in einem der beiden Friedenslager verschwinden wird. Aber die Gefahr ist immer noch vorhanden, womöglich sogar noch größer als wir ahnen."

"Nun, auch wenn ich erst dachte, diese Meldung als freudigen Anlaß zu sehen muß ich doch erkennen, daß Sie womöglich mit Ihrer negativen Bewertung recht haben können, Professeur Faucon. Also gilt es, unsere Haltung und das daraus folgende Verhalten abzustimmen", stellte Madame Maxime fest. "Wenn wir uns nicht sicher fühlen können, sollten wir die bisher getroffenen Maßnahmen beibehalten. Das heißt, daß die Kamine von unserer Seite her versperrt bleiben, der Schutz und die Nahrungsversorgung der Gründer aufrechterhalten bleibt und keine Besucher von auswärts eingelassen werden."

Julius hob die Hand und erhielt Sprecherlaubnis.

"Was die Schlangenwesen angeht habe ich einiges über sie gelernt. Die können nicht zaubern. Das heißt, sie können wohl auch nicht apparieren oder flohpulvern. Daher könnten die Kamine zumindest für Kontaktfeuergespräche geöffnet werden. Ich bin zwar kein Psychologe, aber ich vermute mal, daß das einigen hier echt was bringt, wenn sie zumindest mal wieder direkt mit ihren Eltern reden könnten, wenn das Netz wirklich wieder so arbeitet, wie es früher gearbeitet hat."

"Klingt wohl sehr mitfühlend, Monsieur Latierre. Aber wir wissen nicht genau, wie Didier genau das Gift zugefügt bekommen hat", widersprach Professeur Faucon. "Abgesehen davon sind alle außerhalb von hier und Millemerveilles jederzeit gefährdet und könnten zu Opfern dieser Bestien werden. Wenn es ihnen durch die Kamine gelingen sollte, Schüler oder Lehrer zu infizieren, waren unsere bisherigen Schutzmaßnahmen wertlos. Ich möchte nicht zur Paranoia ermutigen. In diesem Falle möchte ich jedoch dringend davor warnen, unseren Schutz zu vernachlässigen, solange wir keine Sicherheit haben, daß diese Pest des Massenmörders endgültig ausgerottet ist."

"In Millemerveilles kommen die aber nicht rein", wandte Sandrine ein, als sie das Wort erhielt. "Julius, ähm, Monsieur Latierre hat völlig recht, daß es wichtig für die anderen ist, mit ihren Eltern zu reden. Gerade jetzt, wo gerade Weihnachten vorbei ist und morgen ins neue Jahr gefeiert wird. Immerhin ist Didier jetzt erst einmal aus dem Ministerium raus. Monsieur Delamontagne könnte doch alle Eltern einladen, dort mit uns hier zu kontaktfeuern. Wer hinkommt steht wohl nicht unter einem bösen Zauber oder will selbst was böses zaubern."

"Dann könnten wir Millemerveilles gleich zur Fluchtburg für alle Hexen, Zauberer und Muggel mit Kindern hier in Beauxbatons ausrufen lassen", schnarrte Bernadette Lavalette. Corinne, Sandrine und Julius sahen sie verdrossen an. Corinne bat ums Wort:

"Ich weiß, vielen hier ist das unheimlich, daß ich mitkriege, wie sich jemand gerade fühlt, solange er oder sie nicht diesen Gedanken- und Gefühlszurückhaltezauber kann", eröffnete sie. "Aber ich möchte gerne erwähnen, daß genau dann, als die ersten Nachrichten rumgingen, immer größere Freude und immer mehr Sehnsucht rumgingen. Die Leute hier hoffen, daß der Spuk von Didier jetzt rum ist und hoffen, möglichst schnell mit ihren Familien reden zu können. Auch wenn ich natürlich alles mache, was keinen hier umbringt, Madame Maxime, weiß ich nicht, ob das so gut wäre, wenn wir das nicht machen könnten, daß die Leute hier alle mit ihren Familien reden können. Ich fürchte nämlich, daß dann alle wütend werden, wenn das in den zeitungen steht, daß die Kamine wieder gehen."

"Wenn die Marionetten Didiers da draußen abgezogen sind kommen auch wieder Eulen durch", warf Bernadette verächtlich ein, ohne um das Wort gebeten zu haben. "Sollen die Leute hier Briefe schreiben."

"Mademoiselle Lavalette, ich habe Ihnen keine Sprecherlaubnis erteilt", schnarrte Madame Maxime. "Zehn Strafpunkte für unerlaubtes Reden. Und zu Ihnen, Mademoiselle Duisenberg: Ich muß Professeur Faucons Einwand ernstnehmen, solange wir nicht wissen, ob Janus Didier von besagten Ungeheuern direkt angegriffen wurde oder auf andere Weise das verwandelnde Gift abbekommen hat. Allerdings leuchtet mir auch Mademoiselle Dumas' Argumentation ein, daß behexte oder von dunkler Kraft oder Absicht erfüllte Wesen nicht nach Millemerveilles vordringen können. Allerdings weist Millemerveilles Muggel ab, und mindestens ein Achtel der hier lernenden Schüler ist muggelstämmig beziehungsweise halbmuggelstämmig. Soweit ich orientiert bin ging der Trank, der diese Abwehr zeitweilig aufhebt zur Neige, sodaß die beiden einzigen in Millemerveilles lebenden Muggel gerade noch bis Februar dort ausharren können. Wegen einer psychologischen Maßnahme hunderte von Muggeln mit dem Trank zu versorgen ist also nicht möglich. Auch wenn mir der Sarkasmus, mit dem Mademoiselle Lavalette die Möglichkeit des Eulenpostverkehrs einbrachte mißfällt", wobei sie streng auf Bernadette herabsah, "so ist dieser zunächst die einzige bleibende Verständigungsform zwischen den nichtmagischen Eltern hier lernender Schülerinnen und Schüler. Eine vollständige Entwarnung - da muß ich Professeur Faucon leider absolut zustimmen - kann erst dann erfolgen, wenn die Gefahr dieser Schlangenkreaturen und ihres Giftes unwiederbringlich aus der Welt getilgt ist. Was diesen Punkt angeht, so fehlt es mir da an Vorschlägen, wie dies erreicht werden kann. Aber ich erkenne an, daß zumindest die mit eigener Magie ausgestatteten Familienangehörigen der Schüler nach Millemerveilles reisen sollten, um innerhalb der noch andauernden Weihnachtsferien und zu den Osterferien Kontaktfeuergespräche führen zu können. Ich werde gleich einen entsprechenden Brief an Monsieur Delamontagne, seine Tochter, Dorfrätin Delamontagne und die Schulräte von Beauxbatons schicken, sofern es sie noch gibt."

"Über die Reisesphären besteht kein Problem, nach Millemerveilles zu gelangen, falls das Zaubereiministerium wirklich wieder in vernünftigen Händen ist", wandte professeur Faucon ein, die wie alle anderen auch um Sprecherlaubnis bitten mußte, auch wenn sie keine Strafpunkte zu befürchten hatte. Madame Maxime nickte. Dann trug sie den Saalsprecherinnen und -sprechern auf, ihre Saalkameraden zu informieren, daß vorerst keine Änderung in den bisherigen Schutzmaßnahmen vorgenommen werde. Die Meldung über Didiers Entmachtung sei einhergegangen mit der Information Pétains, daß Didier selbst zu einem dieser Schlangenungeheuer geworden sei, die in den letzten Monaten die Schlagzeilen bestimmt hatten. Daher müsse mit weiteren Angriffen gerechnet werden. Womöglich würde der Unnennbare auch wieder Dementoren ins Land schicken, um an zwei Fronten zugleich anzugreifen. Julius fragte nach dieser Mitteilung, was es mit der Meldung über Grandchapeaus Rückkehr auf sich habe.

"Darüber liegt nichts näheres vor", erwiderte die Schulleiterin. Giscard deutete auf die Wanduhr, die fast auf vier Uhr Nachmittags stand und auf das Radio, daß Julius zu Weihnachten bekommen hatte. Die Schulleiterin nickte. Giscard winkte Julius. Der durfte das Radio einschalten, wobei er erst den offiziellen Nachrichtensender anwählte, da Radio freie Zaubererwelt nur alle sechs volle Stunden für eine halbe Stunde auf Sendung ging.

"Es ist sechzehn Uhr", drang es aus dem magischen Lautsprecher, als stünde der Nachrichtensprecher mitten im Raum. "Vor einer halben Stunde hat Monsieur Montpelier, der bisherige Leiter der Grenzschutzabteilung, den mutmaßlichen Tod von Zaubereiminister Didier und die fristlose Entlassung Monsieur Sebastian Pétains verkündet. Der bisherige Minister sei auf einem geheimgehaltenen Ausflug mit seiner Gattin in eine Falle von Sie-wissen-schon-wem geraten und dabei ums Leben gekommen. Pétain, der zu Hilfe gerufen worden sei, habe nichts mehr unternehmen können. Zur Bestätigung des Todes des bisherigen Ministers bekundeten viele Mitarbeiter, daß sie sich über Monate im Bann des Imperius-Fluches wähnten und jetzt erst wieder frei denken könnten. Auf Grund dieses massenweisen Erwachens kam es zur Festnahme Monsieur Pétains, dem Amtsmißbrauch und mutwillige Freiheitsberaubung zur Last gelegt werden sollen. Um den seit einigen Wochen andauernden Konflikt zwischen in Millemerveilles und anderswo ansässigen Oppositionellen und dem Zaubereiministerium zu schlichten reiste Monsieur Montpelier unverzüglich nach Millemerveilles. Dort beabsichtigt er, mit dem sich selbst als Minister Grandchapeaus Stellvertreter bezeichnenden Experten für die Abwehr dunkler Künste, Phoebus Delamontagne zu unterhandeln. Ob die Unterhandlung stattfindet oder nicht liegt uns zur Stunde nicht vor. Monsieur Montpelier hat sofort nach der vorübergehenden Amtsübernahme die Öffnung aller Flohnetzanschlüsse und die Aufhebung des Apparierverbotes angeordnet. Ebenso will er eine Kommission einrichten, die die gesetzmäßigkeit, die Besetzung und den Betrieb jener magischen Sammellager überprüfen soll, die der magischen Öffentlichkeit als Friedenslager bekannt gemacht wurden. Hier, so Monsieur Montpelier, bestehe der dringende Verdacht, daß Minister Didier und Landfriedensleiter Pétain ihre Befugnisse nicht nur überschritten, sondern mutwillig und ohne rechtliche Handhabe magische Mitbürger wie Verbrecher eingekerkert haben. Ehemalige Insassen durch die Opposition gewaltsam geräumter Lager werfen Minister Didier und Monsieur Pétain willkür, Unterdrückung, ja auch Demütigungen vor und verlangen eine öffentliche Verhandlung, bei der sich die von ihnen belasteten verantworten sollen. Was genau mit dem seines Amtes für verlustig erklärten Minister Didier geschehen ist wurde nicht verlautbart. Meldungen, daß die angebliche Rückkehr von Minister Grandchapeau der Köder für die Falle war, in die Minister Didier geriet, wurden bislang nicht bestätigt. - " Etwas raschelte, als wenn gerade ein Stück Papier oder Pergament auf den Tisch des Nachrichtensprechers geplumpst wäre. Einige Sekunden trat Stille ein. Dann las der Nachrichtenmann mit leicht erregter Stimme weiter: "Wie soeben gemeldet wird wurde auch den Personen aufgelauert, die sich als Armand und Nathalie Grandchapeau bezeichneten. Sie mußten nach heftigen Kämpfen, unterstützt von Helfern der Oppositionstruppen das Heil in der Flucht suchen, da mindestens zwei schlangenartige Kreaturen dessen, dessen Namen wir nicht nennen möchten, an dem Angriff beteiligt waren. Die in den Reihen der Opposition für Schutz- und Abwehrmaßnahmen zuständige Madame Tourrecandide teilte allen Nachrichtenmedien mit, daß Grandchapeau mit einem Notfallportschlüssel an einen bereits seit Weihnachten gesonderten Ort gereist ist, der nach dessen Ankunft auch für Portschlüssel unerreichbar wurde. Wo genau sich dieser Ort befinde sei naturgemäß streng geheim. Sie erklärte öffentlich, daß solange die Gefahr der Schlangenwesen nicht beseitigt sei, nur innerhalb der Grenzen Millemerveilles Schutz vor ihnen bestehe, möglicherweise auch in Beauxbatons, da ihrer Kennntnis nach von den Gründern der Schule eingerichtete Schutz- und Versorgungszauber in Kraft seien, die feindliche Kreaturen abwiesen und jede Belagerung wertlos machten. Es erscheint daher angeraten, die weiteren Beschlüsse und Maßnahmen abzuwarten, um genaueres zu vermelden."

"Holen Sie bitte den Sender der Gegenregierung herein, Monsieur Latierre!" Verlangte Madame Maxime. Julius nickte und tippte den Sendersuchknopf an, wobei er "Sommerball" wisperte, das für heute geltende Passwort. Unvermittelt klang Professeur tourrecandides Stimme durch den Raum. "... haben meine Mitarbeiter keine Möglichkeit gefunden, die Angreifer kampfunfähig zu machen. Ich muß leider einräumen, daß wir mit einem derartigen Überfall auf den seinen Entführern entronnenen Minister Grandchapeau gerechnet haben. Die Möglichkeit, daß unser eigentlicher Feind in Großbritannien den ersten Überfall durchführen ließ nähert sich damit der Gewißheit, auch wenn eindeutige Beweise für dessen Schuld fehlen. Als Notmaßnahme im Falle eines erneuten Angriffs haben Monsieur Grandchapeau und seine Ehefrau besondere Portschlüssel in ihrem Besitz gehabt, die in Fällen größter Bedrängnis und Panik aktiv wurden. Mit ihnen entkamen sie den Angreifern. Meine Leute konnten sich umgehend zurückziehen. Madame und Monsieur Grandchapeau befinden sich nun an einen magisch vollkommen abgeschirmten Ort, der nach Eintreffen der gesonderten Portschlüssel auch nicht mehr mit diesem Reisemittel erreicht werden kann. Dort werden sie verbleiben, bis die Bedrohung für Frankreich vorbei ist. Monsieur Delamontagne bekam jedoch schon vor einem tag eine Ermächtigung, die Amtsgeschäfte im Sinne Grandchapeaus fortzuführen, sollte es in Paris keine Änderung der Lage geben. Ob die gegenwärtigen Entwicklungen als eine positive Änderung anzusehen sind werden die derzeit laufenden Gespräche zwischen Monsieur Montpelier und dem stellvertretenden Minister Delamontagne an den Tag bringen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit." Einige Sekunden Stille im Radio und auch im Konferenzraum Madame Maximes. Dann sprach Monsieur Dusoleil weiter, der am Morgen schon die Nachrichten gesprochen hatte. "Vielen Dank Professeur Tourrecandide für die rasche Bekanntgabe, was vor gerade fünf Minuten passiert ist. Wie Sie ja gerade mitgeteilt haben, laufen die Gespräche zwischen Monsieur Montpelier und dem stellvertretenden Zaubereiminister. Sollte sich bereits vor achtzehn Uhr etwas neues ergeben, werden wir wie gerade eben wieder direkt auf Sendung gehen. Ich möchte auch die Kollegen von der Temps de Liberté erwähnen, die bereits an einer Extraausgabe arbeiten, um Sie, liebe magischen Mitbürger da draußen an den Rundschallempfängern, umfassend über die Geschehnisse des heutigen Nachmittages zu informieren. bis dahin auf Wiederhören!" Leises Rauschen klang nun aus dem Empfänger, dessen leuchtende Senderanzeige flackerte und dann mit einem Sprung zu Radio Heim und Herd zu wechseln, wo eine ältere Hexe und ein jüngerer Zauberer gerade aufgeregt darüber sprachen, was gerade vorging.

"Warum hat der denn den Omasender angewählt?" Wunderte sich der Saalsprecher der Blauen. Julius fragte sich das auch. Sie lauschten jedoch noch eine Weile, bis Madame maxime befand, daß die beiden im Radiostudio auch keine Neuigkeiten mehr verkünden würden. Julius schaltete das Radio aus, indem er den Kasten anstupste und "aus" dachte.

"Dann galt das wohl beiden zugleich, was da gelaufen ist. An Delamontagne kamen sie nicht dran, weil der in Millemerveilles sitzt wie die Maus im Loch", vermutete Brunhilde Heidenreich. Madame maxime nickte. "Um so wichtiger, daß die bisher gültigen Schutzmaßnahmen aufrechterhalten werden", bemerkte sie. "Ich kann mir vorstellen, daß unser Feind einen umfangreichen Schlag gegen alle die geplant hat, die ihm gefährlich werden können. Das schließt nicht nur die in Millemerveilles befindlichen Damen und Herren ein, sondern auch Professeur Faucon und meine Wenigkeit in Beauxbatons. Insofern gehen Sie alle nun bitte in Ihre Säle und teilen Sie Ihren Mitbewohnern meine Entscheidung mit! Die Kamine bleiben von unserer Seite her gesperrt, bis eine für uns alle gefahrlose Möglichkeit besteht, daß Sie und Ihre Mitschüler mit Angehörigen kontaktfeuern können. Vollständige Passagen bleiben jedoch auch weiterhin unterbunden. Ansonsten besteht wohl hoffentlich bald wieder Eulenpostverkehr."

"Entschuldigung, Madame Maxime", entgegnete Julius noch, bevor alle in Aufbruchsstimmung von den Stühlen aufstanden. "Es könnte durchaus passieren, daß jemand mit Briefen vergiftete Nadeln verschickt, die bei Öffnen der Umschläge herausspringen. Daher schlage ich vor, daß alle beim Öffnen von Briefen, die sich dicker als üblich anfühlen, Drachenhauthandschuhe tragen."

"Wie kommen Sie auf diese heimtückische Vorrichtung?" Wollte Professeur Fixus wissen. Julius erwähnte, daß das Schlangenmenschengift vielleicht auch durch Spritzen oder damit behandelte Nadeln ins Blut gebracht werden konnte. Falls es nicht unmittelbar nötig war, daß ein Schlangenkrieger jemanden biß, um den Fluch seines Daseins auf ihn zu übertragen, konnte das Gift als solches gesammelt und in solchen Vorrichtungen weitergeleitet werden. Da sie außer den Zeitungen keine Eulenpost mehr erhalten hatten, hatte es bisher wohl auch keiner versucht, dieses Mittel einzusetzen. Professeur Fixus und Professeur Faucon nickten heftig. Madame Maxime forderte Julius und die anwesenden Pflegehelfer auf, das mit Madame Rossignol zu erörtern, die ihr dann das Ergebnis mitteilen sollte. Danach schickte sie alle hinaus. Als die Saalsprecher und ihre Stellvertreter fort waren wandte sie sich an ihre Kollegen vom Lehrkörper.

"Interessanter Einwurf des jungen Monsieur Latierre. Mir als Zauberwesenexpertin ist bekannt, daß Werwolfspeichel in konzentrierter Form die Werwut auch ohne Biß auslösen kann, wenn er in das Blut argloser Menschen gerät. Ob es sich mit Schlangenmenschengift ähnlich verhält weiß ich nicht. Aber bedenken sollten wir das schon."

"Ich habe nicht den Eindruck, daß Monsieur Latierre Sachen erfindet oder sich wichtig machen will", wandte Professeur Faucon ein. "Womöglich hat er wie wir alle hier überlegt, wie unser Widersacher seine Armee, die durch die Entomanthropen und Elfenbeininseldrachen erheblich dezimiert wurde, schnell und wirkungsvoll wieder aufbauen kann. Wissen wir, welche Experimente er in seinem Versteck anstellt, um zu erforschen, welche Möglichkeiten diese Bestien ihm bieten?" Alle schüttelten die Köpfe. "Dann halte ich das zumindest mal für möglich."

Belisama, Deborah, Julius und Sandrine erstatteten Madame Rossignol Bericht. Julius erwähnte dann noch einmal, was ihm siedendheiß eingefallen war.

"Ich weiß nicht, ob man Menschen durch das Gift oder nur durch den Biß eines Schlangenmenschen zu dessen Artgenossen machen kann. Bei Werwölfen genügt konzentrierter Speichel. Das habe ich auch mal Snape erzählt, als der für Professor Lupin einspringen mußte und uns mit der Nase drauf stoßen wollte, daß Lupin ein Werwolf ist."

"Ach, und dann reicht wohl Vampirblut in Kelchen, um Leute zu Vampiren zu machen, wie?" Fragte Sandrine verdrossen. Die anderen schüttelten die Köpfe. Die in Madame Maximes Zauberwesengruppe im letzten Schuljahr die Sangazons miterlebt hatten wußten schließlich, daß ein Mensch nicht einfach zum Vampir werden konnte. Entweder starb er an Blutarmut oder vereinbarte mit mindestens einem Vampir, daß er sein Artgenosse sein wollte und trank dessen Blut, während er das eigene Blut opferte.

"Wie könnte dieses Gift verabreicht werden?" Fragte Belisama Julius. Dieser sah Madame Rossignol an, die ihm jedoch bedeutete, zu antworten:

"Ich habe daran gedacht, daß diese Biester wohl eine andersartige Magieausstrahlung haben. Deshalb fallen die bei entsprechenden Ortungszaubern wohl auf. Wenn aber jemand, der unter Imperius steht, mehrere Spritzen mit entnommenem Schlangenmenschengift mitnimmt, kann der oder die weiter zaubern und trotzdem das Gift in jemanden reinspritzen. Ob es dann langsamer oder schneller wirkt weiß ich nicht. Ich weiß ja auch nicht, wie schnell ein Mensch zum Schlangenmonster wird, wenn er gebissen wurde, ob die Menge des Giftes dabei entscheidet oder die Körpermasse des Opfers. Es gibt viele Tränke und Elixiere, die auf Gewicht und Körperlänge eines Menschen abgemessen werden müssen, wie die Abspecktränke oder eben diverse Betäubungs- und Giftmischungen."

"Was ist denn bitte eine Spritze?" Fragte Deborah Flaubert. "Ich kenne nur die großen Feuerspritzen, wenn der reine Wasserzauber oder Extingio nicht schnell genug wirken."

"Das ist ein an und für sich für die Muggelheilkundler wichtiges Ding, mit dem sie durch eine feine hohle Nadel einen Wirkstoff direkt ins Blut eines Patienten spritzen können. Bei manchen Krankheiten oder bei bewußtlosen Leuten ist das die einzige Behandlungsmöglichkeit."

"Kannst du so ein Ding aus dem Gedächtnis materialisieren, Julius?" Fragte Madame Rossignol. Sie wußte schließlich, daß er im Fortgeschrittenenkurs Verwandlung bereits locker Sachen aus dem Nichts erschaffen konnte, sofern sie nicht zu kompliziert waren oder aus Teilen ehemaliger Lebewesen bestanden. Julius überlegte. Er hatte in seiner Kindheit mehrere Spritzen bekommen und die Dinger zu verabscheuen gelernt, wie die Mehrheit aller Kinder dieser Welt. Auch hatte ihn der Mikrobiologe Flemming, ein Studienfreund seines Vaters, einmal mit so einem Ding herumhantieren lassen. So konzentrierte er sich und zeichnete mit dem Zauberstab die Umrisse einer kleinen Spritze über dem Tisch. Dann legte er alle Vorstellungskraft in die Beschaffenheit und Gestaltung, bis erst schemenhaft und dann mit lautem Klappern ein Plastikzylinder mit eingeschobenem Kolben und einer Nadel am Ende auf dem Tisch landete. Dann sagte er noch: "Verbotene Rauschgifte können auch durch diese Geräte in den Körper gedrückt werden. Vorsicht, Sandrine, die Nadel könnte ziemlich spitz sein!" Sandrine langte mit ihrer schmalen Hand nach dem Injektionsgerät. Julius nahm es auf und drehte die kanyle ab. Dann zog er den Kolben heraus, bis er anschlug, schob ihn wieder hinein, das ein leises Zischen zu hören war.

"Kannst du dir vorstellen, daß er, dessen Namen wir nicht nennen dürfen, diese Dinger der Muggel nimmt, um jemandem das Gift in den Körper zu treiben?" Fragte Deborah.

"Wenn ich das wüßte, wüßte ich alles, was dieser Schweinehund so vorhat und könnte jeden früh genug warnen", knurrte Julius. "Aber ich vermute stark, daß sein Muggelhaß da aufhört, wo er mit Muggelsachen mehr Unheil anrichten kann als durch reine Zauberei. Zumindest halte ich das mal für möglich."

"Das wäre natürlich heimtückisch, wenn er nicht nur Hexen und Zauberer beeinflußt, dieses Mörderelixier zu verabreichen", erwiderte Madame Rossignol. "Er könnte auf die Idee kommen, arglose Muggel, vielleicht sogar die sogenannten Heilkundler der Muggel, per Imperius anzustiften, diesen verfluchten Wirkstoff an Mitbürger zu verabreichen." Julius bekam bei der Erwähnung, daß Ärzte das Zeug spritzen konnten einen riesenschreck. Auf die Frage, was ihn jetzt so dermaßen betroffen habe antwortete er mit wachsbleichem Gesicht: "Im Moment sausen mehrere Grippeviren durch die Luft. Wir hatten hier doch auch schon ein paar herumfliegen. Muggel lassen sich mit genau auf die Viren abgestimmten Wirkstoffen vollspritzen. Das nennen sie Grippeschutzimpfung. Wenn dieser Massenmörder wirklich keine Hemmungen mehr hat, Muggel einzusetzen, kann der innerhalb von einer Woche mehr als tausend Leute mit dem Zeug erwischen, vielleicht sogar mehr, weil ich nicht weiß, ob der eigentliche Wirkstoff konzentriert werden kann oder wie viel üblich abgemischtes Gift ins Blut muß, um die Verwandlung auszulösen."

"Dann hätte er das wohl schon gemacht", warf Deborah ein, während Sandrine und Belisama genauso bleich wurden wie Julius. Fast sahen sie so aus wie der Vampir Éclipsian Sangazon. Madame Rossignol wiegte den Kopf und überdachte wohl einiges. Dann straffte sie sich, wandte sich Serena Delourdes Bild-Ich hinter ihr zu und sprach mit kräftiger Stimme:

"Nachricht an die niedergelassenen Heiler und die Notfalltruppen der Delourdesklinik, Orte und Gebäude muggeltechnischer Grippebekämpfungszentren auf magische Ausstrahlung hin überprüfen, bei positivem Befund umgehend die Abwehrtruppe gegen bösartige Zauberwesen zum Ort der Feststellung beordern. Möglicherweise setzt Sie-wissen-schon-wer Arzneieinspritzungswerkzeuge der Muggel zur Verbreitung der Schlangenwesenseuche ein. Bitte um Rücksprache mit dem derzeitigen Leiter der Klinik. Danke!" Serena Delourdes Abbild nickte. Das Bild-Ich hatte ja die Unterhaltung mitgehört und konnte im Bedarfsfall näheres erläutern.

"Da hätten wir wirklich mal früher drauf kommen können", knurrte Madame Rossignol. Julius bezog das "wir" auf sich und machte eine schuldbewußte Miene. Die Heilerin schüttelte den Kopf und sah ihn beruhigend an. "Du mußt nicht alles auf dich nehmen, nur weil es in der Welt deiner Eltern passieren kann, die wir nicht gut genug kennen. Wahrscheinlich hast du wie ich daran gedacht, daß diese Monstren sich nur durch direkten Kontakt mit ihren Opfern fortpflanzen können wie Vampire. Insofern wohl hoffentlich noch früh genug, daß wir das erkannt haben. Womöglich, besser hoffentlich, ist diese Maßnahme unnötig, weil es eben doch nur durch direkten Körperkontakt geht. Zumindest sollten wir darauf gefaßt sein, daß es geht."

"Sie glauben also, daß der Unnennbare sowas anstellen kann?" Fragte Deborah Flaubert ungläubig.

"Junge Dame, in der Heilzunft glaubt man nicht, sondern vermutet und zwar auf der Grundlage von beobachtungen, überlieferten oder durch Versuche erlangter Erkenntnisse. Und meine Erkenntnis sagt mir, daß es sehr einfach ist, ein tödliches Gift oder einen gefährlichen Seuchenerreger leicht unter die Leute zu bringen, wenn diese freiwillig an einen Ort kommen, wo sie arglos mit fragwürdigen Präparaten versehen werden. Ich entsann mich einer Unterhaltung mit Madame Eauvive vor acht Jahren, als in der Muggelwelt ein Krieg gegen ein Land anstand, dessen Führung verdächtigt wurde, Krankheitserreger als Waffen einzusetzen und ob und wie wir in der Zaubererwelt auf derartig entfachte Seuchen reagieren sollen. Diese Unterhaltung und die Erörterung haben mich bewogen, das was Julius überlegt hat als mögliche Gefahrenquelle einzuordnen. In Ordnung, worum ging es? Ja, ich unterstütze Julius' Vorschlag, Briefe, die ungewöhnlich dick sind, nur mit Handschuhen zu öffnen", entschied Madame Rossignol. Da kehrte Serena Delourdes ins Bild zurück.

"Eine Maßnahme zwischen Montpelier und Delamontagne ist, daß die alten Amtsträger vor Didiers Machtübernahme wieder in ihre Ämter und Würden eingesetzt wurden. Madame Eauvive wird gleich wieder in ihr Büro zurückkehren, wenn die Kamine geöffnet werden. Womöglich wird sie dann mit Ihnen kontaktfeuern", sagte Serenas Bild-Ich. Madame Rossignol nickte und trug den Pflegehelfern auf, Madame Maxime zu unterrichten. Sie schrieb die Empfehlung auf einen Zettel und gab ihn Deborah, der gerade ältesten und einzigen Goldbroschenträgerin der anwesenden Pflegehelferinnen. Rangfolge und Altersstufen waren wichtig in Beauxbatons. Dann verließen die Pflegehelfer das Büro der Schulheilerin.

Julius kam gerade noch rechtzeitig an, um Giscards Rede vor den Bewohnern des grünen Saales zu hören. Er hielt sich still zurück, bis der Saalsprecher zu sprechen aufhörte. Verhaltenes Gemurmel setzte ein. Dann sollte Julius erzählen, was bei der Sonderbesprechung mit Madame Rossignol herausgekommen war. Laurentine fiel eine Sherlock-Holmes-Geschichte ein, in der der Meisterdetektiv dem Anschlag mit Krankheitserregern zu erliegen drohte. Die Saalbewohner lauschten erst vergnügt grinsend, dann verunsichert dreinschauend. Jedenfalls waren sie nicht so begeistert von Didiers Entmachtung, wie es vorhin noch geklungen hatte. Was würden die nächsten Tage bringen?

Am Abend trafen die Zeitungen ein und berichteten vom Machtwechsel im Zaubereiministerium. Gilbert Latierre war nach Millemerveilles gereist, um ein Exklusivinterview mit Delamontagne und Montpelier zu führen. Madame Maxime las es laut für alle vor. Als sie die Zeitung wieder zusammenfaltete sagte sie:

"Wie Ihnen die Saalsprecher mitteilten halte ich trotz dieser erfreulich erscheinenden Entwicklung an den bisherigen Schutz- und Versorgungsmaßnahmen fest, um jede Gefahr eines Angriffs zu unterbinden. Allerdings haben Monsieur Delamontagne und Monsieur Montpelier zugesagt, daß Sie alle in den Tagen bis zum Beginn der letzten Halbjahreswochen per Kontaktfeuer mit Ihren Angehörigen sprechen können, die zu diesem Zweck nach Millemerveilles transportiert werden oder aus eigener Kraft in die Nähe apparieren. Was die Schülerinnen und Schüler mit nichtmagischer Verwandtschaft angeht, so wird derzeit in Millemerveilles an einem Verfahren gearbeitet, die sogenannten Fernsprechverbindungen der Muggelwelt zu benutzen, um auch Ihnen Gelegenheit zu geben, direkt mit Ihren Anngehörigen zu sprechen. Näheres erfahre ich morgen. Das Flohnetz steht ab Mitternacht wieder für den Reise- und Fernverständigungsdienst zur Verfügung. Wessen Angehörigen sich für ein Kontaktfeuergespräch in Millemerveilles eingefunden haben wird vom Vorstand seines oder ihres Saales unterrichtet und ein Kontaktfeuergespräch für zehn Minuten ermöglicht. Bitte halten Sie sich an diese Ihren Mitschülern dienliche Zeitbeschränkung!" Ein Murren ging durch den Speisesaal. Doch dann blickte Madame Maxime nur in erfreute Gesichter. Besser zehn Minuten als überhaupt nicht mehr. Somit gab es an dem Abend nur zwei Fragen:Was erzähle ich meinen Eltern? Was haben die mir zu erzählen?

Nach dem Abendessen suchte Julius einen ruhigen Platz in den Parks, um sich mit seiner Frau zu unterhalten.

"Martha macht das mit den Telefondingern, nicht wahr, Julius?" Fragte sie grinsend.

"Tja, gut das gerade ein Muggel mit einer Telekommunikationsausrüstung in Millemerveilles herumsitzt und sich freut, daß die endlich mal gewürdigt wird", erwiderte Julius sarkastisch. Er erinnerte sich noch gut an den Streit zwischen seiner Mutter und Eleonore Delamontagne, weil seine Mutter Laurentine per Mobiltelefon mit ihren Eltern hatte sprechen lassen. Das hätte beinahe Jeannes Hochzeitsfest verdorben. Und jetzt sollte diese Muggel-, ähm Neuhexe mit ihren Muggelgeräten den inneren Frieden von Beauxbatons retten. War schon irgendwie komisch. So sagte er noch: "Hast ja damals mitgekriegt, wie sich Dorfrätin Delamontagne aufgespult hat, wegen meiner Mutter und Laurentine."

"Gut, wir wissen ja auch, wieso sie so gereizt war, Monju. Ich denke, deine Mutter hat es ihr schon längst nachgesehen."

"Ganz sicher. Unter Umständen könnte Madame Delamontagne auf die Idee kommen, meine Mutter zum Schachturnier einzuladen, wenn es nächsten Sommer eins gibt."

"Ui, das würde lustig. Pattie will mit Oma Line auch wieder hin. Dann könnte ich mir das auch mal ansehen, wenn das in unserer Familie entschieden wird. Nachher steht ihr vier dann mit diesen Hütchen da."

"Ups! Habe ich nicht dran gedacht. - Aber das geht nur, wenn diese Schlangenbrut entgültig verschwunden ist. Und danach sieht es heute weniger aus als vor Weihnachten." Millie umarmte ihren Mann und drückte ihn fest an sich. Das widersprach zwar den Auflagen, die sie beide zu erfüllen hatten, war für Millie jedoch die einzige Möglichkeit, Julius in Flüsterreichweite zu halten. "Wenn's finster kommt hast du immer noch die Feder von dieser Vogelmenschenkönigin."

"Die ich aber nur benutzen darf, wenn ich wirklich angegriffen werde. Das geht nämlich nur einmal", erwiderte Julius. Millie grummelte leise und ließ von Julius ab. Sie schauten sich um. Keiner hatte sie beobachtet.

"Du schickst besser nachher hinter dem Vorhang noch 'ne Nachricht an Ma und Pa wegen der Kiste mit den Spritzen. Vielleicht können die Tante Trice drauf ansetzen."

"Du meinst, wenn die Patrouillen über dem Château auch abgezogen wurden?" Wollte Julius wissen.

"Genau", bestätigte Millie. Julius nickte. Dann berichtigte er, daß er seiner Schwiegertante Béatrice ja direkt eine Nachricht mit dem Pappostillion zuschicken konnte und keinen Umweg brauchte.

Wieder zurück im grünen Saal traf er Laurentine, die einen ähnlichen Gedanken hatte wie Millie und er vorhin im Park. "tja, vor fast anderthalb Jahren hat diese dicke Trulla Delamontagne deine Mutter runtergeputzt, weil die mich mit meinen Eltern reden ließ. Und jetzt jubeln sie ihr alle zu, weil die so'n Ding in Millemerveilles hat. Kaputte Kiste, nicht wahr?"

"Noch jubelt ihr keiner zu, Laurentine", erwiderte Julius. "Ist nämlich fraglich, ob das alles so geht wie es soll."

Als er im Bett lag schickte er noch eine Nachricht an Béatrice Latierre wegen der Spritzen und der Grippeimpfzentren los. Dann nahm er seinen neuen Zweiwegespiegel und murmelte im Schutz des Schnarchfängervorhangs: "Lea Drake!"

"Habe mir gedacht, daß du mich noch mal anrufst, Julius", erwiderte Lea, die gar nicht Müde aussah. Vom Hintergrundlicht her saß sie in einem von mindestens zwei Kerzen oder einer Öllampe erleuchtetem Zimmer. "Du willst mir stecken, daß euer durchgeknallter Einsperrminister verschwunden ist und jetzt alles wieder bei euch rundläuft, nicht wahr. Habe ich schon von Lady Medea, und die hat's von ihren Quellen in eurem Land."

"Habe ich vergessen, daß ihr ja in der Nähe von der guten Medea abhängt", erwiderte Julius. "Aber daß Lord Unnennbar vielleicht einen Weg gefunden hat, das Gift der Schlangenmenschen ohne einen von denen zu übertragen wollte ich dir noch sagen, falls deine Mum und ihre wichtigen Freundinnen das interessiert."

"Mit 'ner Spritze wie die Weißkittel? Glaube ich nicht, daß das geht. Kuck mal, Vampire können auch nur neue von sich machen, wenn sie beißen und dabei das Opfer von ihrem Blut trinken lassen. Hat euch die achso überstrenge Professöör Faucon bestimmt im Unterricht erzählt. Da glaube ich nicht, daß dieses Gift so einfach abgezapft und wem anderen hundert Meilen weit weg in den Leib gejagt werden kann und es dann auch so wirkt wie es soll."

"Didier könnte so überwältigt worden sein, vermuten sie. Wie gesagt, sie vermuten es."

"Ich habe mal was davon gehört, daß sie Stieren ihren Samen klauen, um damit weit entfernte Kühe zu schwängern. Klappt auch nicht immer, obwohl sie das Zeug angeblich reinigen und konzentrieren."

"Hoffentlich hast du recht. Weil sonst könnte gerade in der Grippesaison ein ganz neues, wesentlich fieseres Virus um die Welt gehen."

"Ich sage es meiner Mum, daß sie aufpassen sollen. Noch was wichtiges?"

"Nein, das war's", grummelte Julius. Lea nickte und wünschte ihm dann noch eine gute Nacht. Julius sah Auroras Bild an. Doch da war zur Zeit niemand zu Hause. So drehte er sich um und schlief.

__________

Es war wie in einer großen Wartehalle mit nur einer Telefonzelle, wo jeder schnell zu Hause anrufen wollte, daß der Zug oder das Flugzeug verspätet abging. Julius hatte es nicht nötig, mit seiner Mutter zu kontaktfeuern. Über Vivianes Bild hatte er eine gute Direktverbindung. Er lehnte es jedoch nicht ab, als Professeur Faucon, die eine Namensliste abarbeitete, ihn aufrief. Offenbar hatte wer nach einem Gespräch mit ihm verlangt. Er wollte schon "Maison du Faucon" rufen, als er den Kopf im smaragdgrünen Feuer hatte, als Professeur Faucon ihm zurief, er möge den Jardin du Soleil als Zielkamin ausrufen. Also wollte Camille ihn sprechen, dachte er, bevor er "Jardin du soleil!" ins Feuer rief. Er schloß die Augen und wartete, bis der wilde Wirbel vorbei war. Es war nach der langen Pause wieder komisch, den Kopf wie abgeschraubt im Netz herumfliegen zu fühlen und ihn jetzt in einem munteren Kaminfeuer hocken zu finden. Tatsächlich war Camille Dusoleil in der Nähe. Doch auch Florymont, dessen Schwester Uranie, Jeanne, Denise und seine Mutter saßen vor dem Kamin. Julius konnte nicht anders als zuerst auf die nun deutlich vortretenden Unterbäuche Camilles und Uranies blicken. So begrüßte er die Runde und fragte zuerst: "Was machen die Kleinen?"

"Meinem geht's gut, weil es weiß, was für eine nette Maman für es mitißt und sich freut, wenn es ankommt", sagte Camille. Uranie grummelte nur, daß sie froh sei, wenn dieses Balg endlich fertig sei und hoffe, daß es möglichst schnell rauskäme so wie bei Jeanne. Diese grinste darüber nur. Dann sprach er kurz über die Weihnachtsfeier und die letzten Tage, bedankte sich noch einmal für das Radio und erwähnte auch, daß er Florymont schon mehrmals gehört habe und auch seine Mutter. "Wußte gar nicht, daß du eine gute Radiosprecherin abgibst, Mum", scherzte er. Sie lächelte und meinte dazu, daß sie das vor einem Jahr auch nicht gewußt habe. Dann erwähnte sie, daß Joe und sie die Mobilfunkfreisprechvorrichtung installiert hätten. Ab Nachmittag könnte sie dann die aus allen Sälen durchstellen. Sie sollten die Telefonnummern ihrer Angehörigen parat haben.

"Wollen Catherine, Joe und du wieder nach Paris zurück. Der Zauber steht ja noch", wollte Julius wissen.

"Die wollen mich hier nicht weglassen. Sandrines Mutter hat mir angedroht, mich für jede mutwillig ausgelassene Stunde mit dem doppelten zu belangen, was ich für den Unterricht kriege. Mein Vertrag - von dem ich nichts weiß - liefe bis Schuljahresende und sei obendrein magisch bindend. Nachher schrumpfe ich noch zum Schulmädchen zurück, wenn ich den nicht erfülle. Camille hat befunden, mich in Sachen Zauberkräuter auf einen guten Bildungsstand zu kriegen und zitiert mich jeden zweiten Tag in die grüne Gasse. Und dann tüftel ich gerade mit Joe ein Programm aus, um die beiden verbliebenen Friedenslager zu finden. Gut, jetzt wo Didier aus dem Amt ist könnten die Leute vom Ministerium nun eine große Suche starten. Aber wenn das Programm läuft kann die Arbeit deutlich eingeschränkt werden oder für die Suchabschnitte mehr Leute zugleich eingeteilt werden. Na ja und ansonsten kennst du ja Professeur Faucons Schwester. Die hat sich in den Kopf gesetzt, mir das von allen Muggelsachen erleichterte Leben schmackhaft zu machen. Joe will zwar nach Paris zurück, aber Catherine hat ihm klargemacht, daß da im Moment nur die Schlangenmonster auf ihn warten, sobald er aus dem Schutzzauber raus ist. Sonst gäbe es nichts neues." Julius grinste. Was Madeleine L'eauvite mit seiner Mutter vorhatte war eindeutig. Doch Martha Andrews hütete sich davor, es durch eine Kontaktfeuerverbindung genau zu beschreiben. Er verabschiedete sich von der Runde und zog seinen Kopf in den Kamin des grünen Saales zurück. Dann durfte einer aus der dritten Klasse die Verbindung benutzen. Weil er gerade nichts im grünen Saal zu tun hatte vertrieb er sich die Zeit im Park, wo er nicht nur seine Frau, sondern auch Corinne Duisenberg traf.

"Die haben diese Köter eingesammelt. Fühle mich jetzt wieder wohler, wo diese angriffslustigen Biester nicht mehr um uns herumlaufen. Und, schon mit deiner Maman geredet? Oder ist die nicht mehr in Millemerveilles?"

"Doch, die ist da noch. Mindestens bis Februar kann sie da noch bleiben", erwähnte Julius und gab gut Acht, daß seine Gedanken verhüllt blieben. Millie meinte dann, daß ihre Mutter ihn schön grüßen lasse und sie sich gefreut habe, ihre jüngere Tochter mal wieder direkt zu sprechen. Dann ließ sie eine Bombe platzen.

"Pétain ist entwischt. Frag mich nicht wie! Drei Schockzauber auf einen Streich, und als sie ihn in einen Behandlungsraum bringen wollten, um die Auswirkungen zu kurieren, klaut der einem telekinetisch den Zauberstab, stupst sich damit an und löst sich in einer grellblauen Lichtspirale auf, als hätte der einen Portschlüssel verschluckt."

"Pétain hat die Biege gemacht?" Fragte Julius. Corinne sah Millie tief in die Augen. Diese hielt sich jedoch die Hand davor und meinte: "Neh, Mädchen, du bringst diesen Legilimentiktrick nicht. Nachher siehst du meinen Mann noch nackt und kriegst dich vor Gier nach ihm nicht mehr ein."

"Ich kann das nicht", knurrte Corinne. "Wollte nur sehen, ob du uns beschwindelst oder nicht."

"Julius, Tante Trice kann diesen Abwehrzauber auch. Die bringt den mir bei, wenn die ZAGs rum sind."

"Wollen doch mal hoffen, daß wir die jetzt ungestört durchziehen können, Millie", grummelte Julius. Corinne sah ihn von unten her an und meinte dann: "Du weißt ja, wie mir das gefällt, wie du dich so schön zumachen kannst." Julius wußte das natürlich. Lwaxana Troi ließ grüßen. Aber die Nachricht von Pétains Flucht störte seine occlumentische Balance. Mochte es sein, daß dieser Typ, der sich von seiner Mutter hatte austricksen lassen, der eigentliche üble Hund in der Didier-Diktatur war, einer, der aus dem Hintergrund die Drähte zog? Dann meinte er zu Millie:

"Der hat so getan, als wäre er geschockt. Du kannst dich durch bestimmte Artefakte gegen bestimmte Zauber abschirmen. Und das mit dem geschluckten Portschlüssel klingt klüger als du dir das vielleicht denkst. Stell dir vor, der Typ hat einen Geheimauftrag von einer ganz geheimen Stelle. Dann darf der um keinen Preis der Welt gefangengehalten und verhört werden. Die Kiste mit dem Veritaserum, daß er meiner Mutter unterjubeln wollte und dann selbst geschluckt hat war der größte Fehler, den er sich leisten konnte. Wäre das nicht passiert, hätten Didier und er in aller Ruhe die Friedenslager aufmachen und alle darin verschwinden lassen können, die ihnen im Weg waren, Professeur Tourrecandide, Monsieur Delamontagne, Professeur Faucon, Madame Maxime, Catherine Brickston, einfach alle, die ihnen zu gut waren. Womöglich hätte er da schon die Flatter machen müssen. Aber dann wäre er als Geheimagent wertlos geworden. Ist der doof. Mit dieser Verschwindibus-Nummer hat der sich endgültig enttarnt."

"Als was?" Fragte Millie, die gerade über das nachdachte, was Julius da vom Stapel ließ. Corinne lächelte ihn wie ein Vollmond im Frühling an. "Er meint, daß Pétain für eine Gruppe von Leuten gearbeitet hat, die unser Ministerium überwachen wollte. Und es sind nicht die von deiner Heimatinsel, Julius."

"Absolut nicht. Ladies, ich möchte das nicht mit mir rumtragen und mir nachher vorwerfen lassen, entweder Blödsinn zu reden oder was wichtiges verschludert zu haben. Professeur Faucon ist noch im grünen Saal und läßt da alle nach Hause pyrofonieren, wie's meine Mutter mal nannte. Ich nehme Madame Rossignol als nächsthöhere Instanz."

"Moment, dann gehe ich aber mit und hör mir an, was du da bis zum Schlüpfen ausgebrütet hast, wenn du schon so laut gackerst, Süßer. Außerdem habe ich das Professeur Fixus schon zugedacht. Die hat mich dann auch so angeglotzt, als wolle die in meinen Kopf reingucken. Aber sie hat so getan, als wäre das im Moment nicht wichtig."

"Womöglich der Knaller vor dem Silversterfeuerwerk", erwiderte Julius. "Dann gehe ich zu Madame Rossignol, weil Professeur Faucon nicht im Vorbeigehen legilimentieren kann."

"Wir kommen mit", beschloß Corinne. Sie konnten es ihr nicht einmal verbieten. Sie war saalsprecherin.

So zogen sie zu dritt durch den Palast und suchten ohne Wandschlüpfsystem Madame Rossignol auf. Diese zitierte sofort alle Gründer-Bild-Ichs zu sich.

"Du bist nicht zufällig wegen Pétain zu mir gekommen? Professeur Fixus hat Magister Lesauvage zu mir geschickt um mich zu fragen, ob ein Mensch einen Portschlüssel verschlucken kann und wie lange dieser aktiviert werden kann."

"Mir schwant, dieser Pétain arbeitete für die Drachenleute von der Elfenbeininsel", feuerte Julius einen Verdacht aufs Geratewohl in das Büro der Heilerin ab.

"Ach neh", grummelte Millie. Madame Rossignol nickte verhalten. "Setzt euch bitte hin. Corinne, du bist zwar keine Pflegehelferin, aber als Saalsprecherin durchaus berechtigt, einige Sachen mitzuhören." Corinne setzte sich auf einen der Stühle in der Nähe des Schreibtisches.

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Ihn wollten sie verhaften. Ihn wollten sie einsperren! Nein, das durfte nicht sein. Wenn sie sich Zeit nahmen brachen sie womöglich alle in ihm enthaltenen Blockadezauber, von denen der erste pünktlich zu seinem siebzehnten Geburtstag verschwunden war. Es war damals schon merkwürdig, sich mit einem Schlag an so viele Sachen zu erinnern, wo er bis dahin gedacht hatte, ein Muggelstämmiger Zauberer aus mittleren Verhältnissen zu sein. Erst die erlöschende Blockade hatte alle Erinnerungen in seinen Geist zurückströmen lassen, die siebzehn Jahre lang darin gefangengehalten worden waren. Er hatte einen Auftrag. Deshalb hatte er siebzehn Jahre Kindheit noch einmal erlebt. Jetzt konnte er sich an so vieles erinnern. Aber auch an die Zeit, die er eigentlich schon wieder vergessen zu haben glaubte. Er dachte an sich als Baby, wie er heimlich in ein kleines Bett hineingelegt worden war, aus dem jemand anderes noch heimlicher einen anderen, gerade erst ein paar Stunden alten Säugling herausholte. Er fühlte nasse Windeln, schmeckte warme Muttermilch, fühlte die ersten Faustschläge bei einer Prügelei mit schmutzigen Straßenjungen, saß in einer Schulklasse und freute sich auf Beauxbatons, weil die ganzen kuriosen Sachen, die ihm so passierten ihn als was besonderen auszeichneten. Seit diesem siebzehnten Geburtstag, dem zweiten in seinem nun schon sehr langem Leben, hatte Ion Borgogne sich behutsam in die neue Rolle eingefunden, die er spielte. Sein Auftrag, dem ihm Phaeton Maintenon, der Sprecher des Oktagons persönlich übermittelt hatte lautete, den Einfluß der Muggelstämmigen in Frankreich zu beobachten und zu berichten, wie weit die Durchmischung voranschritt. Seit dem kläglichen Versuch, mit Gellert Grindelwald einen Pakt zur Widerherstellung der reinblütigen Zaubererschaft zu schmieden, verfolgte das Oktagon keine offene Außenpolitik mehr. Er, Ion Borgogne, war einer von sieben, die im europäischen Raum unterwegs waren. Das es sieben waren war die einzige Information, die er über die anderen hatte. Sie kannten ihn wohl auch nicht. Er hatte sich an die Didiers gehalten, weil ein in ihm verankerter Zauber Roland Didier als sehr begabten und potenten Zauberer auswies, der eines Tages sicher an die Spitze der französischen Zaubererschaft kommen würde. Er war reinblütig bis in die zehnte Generation zurück. Janus, sein kleiner Bruder, lief ihm nach wie ein Hund, lernte von ihm und ließ sich helfen. Als Roland dann diese heißblütige Hexe Ursuline heiratete und ihren Familiennamen annahm, dachte Ion, damit wäre Rolands Weg in das Ministerium klar vorgezeichnet. Doch dann mußte er erkennen, daß Roland nie mehr Ambitionen auf ein hohes Amt hatte als es sein Talent andeutete. Anders als sein Bruder war er mit einem guten Posten, der wichtig und aufregend genug war, höchst zufrieden. Dann waren da diese Reinheitsritter aufgetaucht, drei Jahre nach der Geburt seiner Tochter Béatrice. Ion hatte es miterlebt, wie Roland von seinem eigenen Bruder ermordet worden war. Dieser strebte wahrlich höhere Ziele an, obwohl er von der Begabung und der Auffassungsgabe her nicht so gut ausgestattet war. Ion hängte sich an Janus und hielt ihn mit dem was er wußte gefügig. Heimlich baute er an den Sprossen der Karriereleiter mit, die Janus emporkletterte, blieb dabei immer hinter ihm, erkannte die Kontakte und verhalf ihm zu weiteren. Und jetzt, nachdem Janus sich durch sein Tun selbst wertlos gemacht hatte und zu allem Überfluß noch von diesem Verwandlungsgift erwischt wurde, hätte er sein Amt pro Forma übernehmen und einen ihm genehmen Nachfolger aussuchen können. Denn auf dem obersten Podest zu stehen widersprach seinem Auftrag. Doch sie hatten ihn mit drei Schockern belegt. Einen hätte ein weiterer Schutzzauber, den er sich selbst angefertigt hatte, sicherlich sofort neutralisiert. Doch drei auf einmal brauchten Zeit. Er war erst wieder zu sich gekommen, als er auf einem Behandlungsbett lag. Mit einem übermächtigen Fernlenkzauber holte er sich einen Zauberstab und löste mit den Worten "Escappericolum" einen vor zehn Jahren von einem gedungenen Ex-Heiler eingesetzten und als Rippenknochen getarnten Portschlüssel aus, der ihn aus dem Ministerium versetzte. Sein Auftrag war nun hinfällig. Aber etwas anderes mußte er noch tun, er mußte klären, ob es wirklich Grandchapeau war, der da aufgetaucht war.

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"Professeur Faucon hat mich doch ins Vertrauen gezogen, Julius", sagte Madame Rossignol. "Wir haben zwar was dich angeht gewisse Meinungsverschiedenheiten, vor allem was die Ausnutzung deiner Belastbarkeit angeht, gehen aber darin konform, daß du hier im Rahmen einer gesunden Entwicklung gefördert werden sollst. Daher hat sie mir erzählt, was ihr beiden euch da so zurechtgelegt habt. Es ist durchaus möglich, jemanden in eine Muggelfamilie einzuschmuggeln und dort als muggelstämmigen Zauberer aufwachsen zu lassen, damit er uns von innen her beobachten oder steuern kann. Falls Pétain so jemand ist, mußte er fliehen, weil wir sonst einen hieb- und stichfesten Beweis hätten, wer ihn geschickt hat. Allerdings ist er damit als Spion wertlos geworden."

"Als Spion, der was steuern sollte schon. Aber als heimlicher Beobachter kann er jetzt weitermachen", knurrte Julius und erklärte Millie und Corinne, welche Ideen er mit Professeur Faucon erörtert hatte, erwähnte aber auch, daß er nicht so unbeschwert darüber reden durfte. Millie nickte. Sie konnte schließlich nicht occlumentieren.

"Wo mag ihn dieser Portschlüssel hingetragen haben?" Fragte Julius. "Ist er jetzt wieder in seiner Heimat oder irgendwo in einem sicheren Haus?"

"Sicheres Haus?" Fragte Corinne, die den Begriff, wie Julius ihn betont hatte, für was besonderes hielt.

"So nennen Geheimagenten ein Versteck, wo sie keiner findet und wo sie heimliche Treffen abhalten können, wenn sie keinen toten Briefkasten benutzen, also einen Behälter, wo sie Briefe reinlegen, die irgendwann von einem Kollegen abgeholt werden und beantwortet werden. Der Kumpel meines Vaters ist im Geheimdienst ihrer Majestät. Der hat mir ein paar ohnehin schon bekannte Spionagetricks genauer erklärt."

"Unabhängig davon, wo er ist ist wichtiger, was er gerade plant. Aber darüber weiß wohl nur er oder sein Auftraggeber was. Ich gehe davon aus, daß er die bis heute unabhörbare Möglichkeit des Mentiloquismus benutzt hat, um Berichte abzusetzen oder Detailbefehle entgegenzunehmen. Er brauchte also keinen - wie nanntest du das, Julius? - toten Briefkasten", erwiderte Madame Rossignol. Dann klopfte es an die Tür. Corinne wisperte: "Professeur Faucon." Als die Saalvorsteherin der Grünen den Krankenflügel betrat wirkte sie sehr angespannt. Vor allem, als sie Millie und Corinne bei Julius sah. Als Madame Rossignol ihr jedoch in knappen Sätzen die Lage schilderte, grummelte sie kurz, nickte dann und sagte:

"Nun, es versteht sich, daß Sie, Madame Latierre dem Vertrauen verpflichtet sind, daß ein Ehemann in die Diskretion seiner Frau setzen darf und sie, Mademoiselle Duisenberg, als amtierende Saalsprecherin solche Details solange für sich behalten, bis Madame Maxime oder einer meiner Kollegen Sie offiziell zur Preisgabe oder zu weiterem Stillschweigen auffordert. Ansonsten ärgere ich mich nur darüber, daß sich eine bisher als zu haarsträubend abgetane Vermutung höchstwahrscheinlich doch bewahrheitet hat. Es wäre günstiger gewesen, diesen Lumpen in eine magische Kapsel einzuschließen. In dieser wirkt auch kein einverleibter Portschlüssel."

"Toll, dann haben uns von Oktober bis heute ein Nachläufer und Abkupferer und ein Türschlitzspanner und Frauenheld rumgescheucht", schnaubte Millie. "Was die ganzen Frauen sagen werden, die sich von ihm haben reichschwängern lassen."

"Mildrid Latierre, das gehört sich nicht", schnarrte Madame Rossignol, bevor Professeur Faucon was sagen konnte. "Zwanzig Strafpunkte wegen ungezogener Rede, weil du Pflegehelferin bist und ich von meinen Pflegehelfern eine anständige Ausdrucksweise verlangen darf." Professeur Faucon nickte zustimmend.

"Wahrscheinlich hat er diese ganzen Frauengeschichten auch nur angefangen, um deren Bekannte auszuspionieren", wandte Julius ein. "Kommt zwar eher im Kino vor, könnte aber in der Zaubererwelt als brauchbare Technik benutzt werden."

"Natürlich erregt das Ihre noch im Prozeß der Pubertät steckende Vorstellungskraft, Monsieur Latierre", erwiderte Professeur Faucon. "Aber ich denke eher, diese Affären dienten der Zerstreuung, um den Druck zu vergessen, ständig enttarnt werden zu können oder ein gestohlenes Leben zu führen. Denn wir dürfen dabei nicht außer Acht lassen, daß er den Platz eines anderen Menschen, vielleicht eines vollständig unmagischen Jungen, eingenommen hat, um bei dessen Eltern aufzuwachsen, sofern er nicht, wie ja auch schon vermutet wurde, als Findelkind ausgegeben wurde." Julius nickte. Millie und Corinne stellten sich das gerade vor, wie böswillige Zauberer oder Hexen ein Baby verschleppten, um einen infanticorporisierten an dessen Stelle zu legen. Julius erwähnte noch einmal die Geschichten von sogenannten Wechselbälgern, die von Hexen, Kobolden oder Dämonen unschuldigen Familien untergeschoben wurden. Also mochte an diesen Legenden doch mal was wahres dran sein.

"Auf jeden Fall ist die Situation dadurch, daß Pétain entwischt ist, nicht besser geworden. Denn er mußte fliehen, weil zwei Dinge passiert sind: Zum einen hat er den Fehler begangen, eine Muggelfrau zu unterschätzen, daß er Geheimnisse ausplauderte, die die Machtübernahme erheblich störten. Zum zweiten ist jemand aufgetaucht, der als Minister Grandchapeau auftrat, wo wir immer noch nicht wissen, wie die Grandchapeaus überhaupt verschwanden", stellte Professeur Faucon fest.

"Sie meinen, er könnte sich an meiner Mutter rächen, weil sie seine Überheblichkeit ausgenutzt hat?" Fragte Julius besorgt.

"Er würde seinen Auftraggebern damit eine Menge Fragen beantworten können, wenn er beweisen könnte, daß er sich nicht von einer Muggelfrau hat hereinlegen lassen. Insofern sollte Ihre Mutter ganz dringend in Millemerveilles bleiben. Da er durch Zaubermacht Jahrzehnte lang getäuscht und betrogen hat und obendrein feindliche Absichten hegt, kann er nicht nach Millemerveilles. Aber soweit ich oberflächlich mithören konnte ist Ihre Mutter dort an gewisse Verpflichtungen gebunden und langweilt sich auch nicht."

"Tja, und Grandchapeau?" Fragte Millie. "Ist er der echte oder war das nur ein Trick von Monsieur Delamontagne, um Didier oder Pétain einzukassieren?"

"Darüber weiß ich nichts", erwiderte Professeur Faucon. Ob sie log oder nicht konnte wohl nicht einmal die empathisch begabte Corinne ergründen, weil die Lehrerin sich sicher occlumentisch verschlossen hielt.

"Tja, dann wird dieser Pétain oder wie der vor der zweiten Kindheit geheißen hat das wohl nachprüfen", vermutete Madame Rossignol. "Allerdings wäre er besser beraten, sich schnellstmöglich außer Landes zu begeben, weil er nämlich durch die Suche verraten würde, daß ihm was an der Aufdeckung liegt."

"Genau, weil dann nämlich der Verdacht genährt wird, daß seine Auftraggeber mit den Entführern der Grandchapeaus identisch sind und er womöglich die Falle gestellt hat."

"Wieso sollte er die Grandchapeaus entführen lassen?" Wollte Millie wissen.

"Weil der Minister nicht aktiv gegen Lord Unnennbar kämpfen, sondern nur die Dementoren zurücktreiben wollte. Und das hat er ja geschafft", erwiderte Julius darauf. "Pétains Auftraggeber wollten aber einen voranpreschenden Minister haben, der den offenen Krieg mit dem Mistkerl sucht."

"Julius Latierre, auch für dich mal eben zwanzig Strafpunkte wegen ungezogener Redeweise. Die Begründung ist dieselbe wie für deine Ehefrau", schnarrte Madame Rossignol.

"Macht also vierzig für jeden von Ihnen beiden", kommentierte Professeur Faucon die Disziplinarmaßnahme. Dann riet sie, um kein weiteres Aufsehen zu verursachen, daß die drei sich erst einmal nicht mehr darüber unterhalten sollten. Pétains Flucht würde vielleicht in den Zeitungen stehen. Falls nicht, galt sie als Geheimsache. Julius kapierte das. Dann fragte er Millie, wieso man es ihren Eltern überhaupt erzählt hatte.

"Weil Monsieur Montpelier meine Mutter, meine Schwester Martine, meine Tante Barbara und Monsieur Montferre wieder ins Ministerium zurückrufen möchte. Dabei war er wohl so wütend, daß er die Kiste erzählt hat."

"Was nicht gerade für einen guten Ministerialbeamten spricht", fauchte Professeur Faucon. "Dann hätte er es auch gleich Gilbert Latierre für die Zeitung auftischen können."

"Der ist gerade in Millemerveilles und interviewt die Elternpaare, die mit den Leuten von hier sprechen", erklärte Millie. Professeur Faucon nickte erleichtert. Dann gab es also noch eine Chance, dachte sie. Wenn er Wirklich nach Martha Andrews suchte, würde er in die Nähe von Millemerveilles kommen. Das würde dann sein letzter Fehler sein.

"Wie erwähnt bitte ich mir aus, daß Sie drei über diese unselige Angelegenheit schweigen. Überlassen Sie diese leidige Affäre meiner Obhut!" Befahl die Lehrerin kampfeslustig. Dann verließ sie das Büro.

"Wo kamt ihr her?" Fragte Madame Rossignol. Die drei erwähnten es. "Dann geht dort wieder hin. Julius, du darfst Corinne mit durch die Wand nehmen."

"Patrice meinte, ich könnte darin hängenbleiben", alberte Corinne.

"Da sind schon größere und schwerere Leute durchgekommen, Corinne", beruhigte sie Madame Rossignol. Julius nickte, aktivierte das Wandschlüpfsystem und zog Corinne an der Linken Hand mit sich hinüber zur Außenseite des Palastes.

"Na, noch alles dran?" Fragte er scherzhaft, als Millie gerade aus der Wand herausgeworfen wurde.

"Außer meinem Mieder ist alles mitgekommen", erwiderte Corinne. Julius grinste. Millie verzog das Gesicht.

"Wenn du glaubst, wir würden das nachprüfen täuschst du dich, Corinne."

"Dann müßte ich mich ja halb ausziehen", erwiderte Corinne verrucht. Julius grinste noch breiter. Millie kniff ihm in die Nase. Dann sagte sie:

"Schön, daß du als Broschenträgerin noch einen gewissen Humor hast. Vielleicht sollten wir Bernie mit dem zusammenbringen, was den bei dir wachgehalten hat."

"Neh lass mal! Den brauche ich bei meinen Mädels dringender als die bei euch."

"Hast du 'ne Ahnung", grummelte Millie. Dann bat sie Julius darum, ihr noch ein paar Sachen wegen Zaubertränken zu erklären. Corinne kapierte es, daß sie jetzt nicht mehr gebraucht wurde und verabschiedete sich von dem jungen Ehepaar.

"Bin froh, daß du dich noch früh genug entschieden hast, Monju. Nachher hätte sie dich auf den Besen gehoben."

"Habe ich sowas ausgestrahlt oder wieso kommst du da drauf, Millie?" Wisperte Julius.

"Immer wenn du in ihrer Nähe bist macht die diese Spielchen mit dir, auch wenn ich dabei bin. Und du findest das nicht unangenehm, mit ihr rumzualbern oder ganz ernsthaft mit ihr zu reden. Abgesehen von ihrer Figur ist sie ja auch sehr nett und lerneifrig, also was für dich. Und wenn ich mir Ma und Pa vorstelle oder Oma Line und Stiefopa Ferdinand, dann tut Körpergröße echt nix zur Sache."

"Die findet wohl was an mir, weil ich sie einmal Hhuckepack getragen habe und wegen der Occlumentie, weil sie nichts von mir auffängt."

"Klar, wer nur nackte Leute sieht geht bei komplett verhüllten richtig gut ab", maulte Millie. Dann knuddelte sie Julius und hauchte ihm zu: "Aber ich finde es doch sehr schön, daß du jetzt zu mir gehörst."

Am Nachmittag durften nun die Muggelstämmigen den Kamin im grünen Saal benutzen. Sie mußten "Maison du Faucon ausrufen. Den Anfang machte Pierre Marceau, der von seiner vielleicht schon mehr als eine Freundin sein wollenden Kameradin Gabrielle Delacour getätschelt wurde, was Professeur Faucon ein mißbilligendes Räuspern entlockte. Nach zehn Minuten saß Pierres Kopf wieder da, wo er von Natur aus sitzen sollte.

"Wau, deine Mutter kann schon Internettelefonie. Das mit dem feuerfesten Mikrofon ist voll genial!" Schwärmte Pierre, bevor der nächste drankam, Louis Vignier. Etwas schwindelig aber glücklich blickte Louis in die Runde, als er seinen Kopf wieder auf dem Hals hatte. "Meine Eltern sind froh, mich mal wieder sprechen zu hören. Nachdem die ganze Postsperre richtig durchkam und wir nur über die Bilder mit ihnen sprechen konnten haben sie schon gedacht, der Teufel hätte uns in die Hölle geholt."

"Mademoiselle van Bergen!" Rief Professeur Faucon Marie heran. Diese kontaktfeuerte auch. Dann kam Louis Klassenkamerad dran. Dann Laurentine. Sie brauchte jedoch nur zwei Minuten. "Nur der Anrufbeantworter. Hoffentlich ist meinen Eltern nix passiert. Habe ihnen zumindest noch einen guten Übergang gewünscht und das es mir gut geht und sie deine Mutter anrufen sollen, Julius", sagte sie leicht verunsichert. So ging es weiter, bis alle Muggelstämmigen durch waren. Dann folgten noch mehrere Zaubererweltgeborene. So verstrich der Nachmittag. Beim Abendessen plauderten sie alle über ihre Gespräche mit den Eltern oder Verwandten.

Julius ging an diesem Abend mit gemischten Gefühlen ins Bett. Pétain hatte sich also tatsächlich als Spion und Strippenzieher enttarnt. War er es vielleicht auch, der die Gemeinheit mit den Friedenslagern angeschoben hatte? Nein, dann hätte er unter seinem eigenen Veritaserum mehr dazu rausgelassen. Aber er sollte irgendwas im Ministerium drehen. Hoffentlich konnten sie ihn kriegen, bevor er sich ganz unsichtbar machte.

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Das Alte Jahr verwehte im Feuerwerk, das die Lehrer abbrannten. Julius erfuhr über Viviane, daß seine Mutter in Millemerveilles mitfeierte. Pétains Flucht wurde weder in den Zeitungen noch den beiden Radiosendern erwähnt. Offenbar hatte die Nummer mit dem eingebauten Portschlüssel alle relevanten Leute heftig beeindruckt oder erschreckt. Vielleicht verdächtigten sich auch schon welche gegenseitig, ihn unterstützt zu haben.

Die Heiler in Frankreich überwachten die Grippeimpfzentren. Doch bis zum zehnten Januar gab es keine Unregelmäßigkeiten. An diesem Tag verkündete Martha Andrews über Vivianes Bild, daß das Programm jetzt lief und nur noch feinabgestimmt werden müsse.

Am elften Januar meldete das Radio, daß nun wieder im Schlafsaal der ZAG-Schüler stand, daß in Marseille zwanzig Menschen mit merkwürdigen Krankheitsanzeichen nach einer Grippeimpfung aufgetaucht seien. Die Heiler und Mitglieder vom Ausschuß zur Beseitigung gefährlicher Geschöpfe hätten sich darüber gehabt, ob sie die infizierten töten sollten. Weitere Verseuchungen konnten verhindert werden, weil in dem Zentrum das Gift gefunden und der imperisierte Arzt von Professeur Tourrecandide mit dem Fluchumkehrer umgepolt werden konnte. Von Pétain oder Didier hörte man nichts. Das Zaubereiministerium in Paris war komplett geräumt worden. Die Beamten waren nach Millemerveilles umgezogen, wo sie vor Schlangenmenschen und Entomanthropen sicher waren.

Am zwölften Januar vermeldete Julius' Mutter, die neben Unterricht, Zauberübungen und Kräuterkunde noch das Friedenslagerausschlußprogramm geschrieben hatte, daß sie nun systematisch suchen konnten.

Am dreizehnten Januar tauchten wieder Schlangenmenschen aus einer Impfstation auf. Das Gift wurde sichergestellt. Nun wurde ein magisches Prüfverfahren entwickelt, daß mit dem Gift der Skyllianri wechselwirkte. Julius ging auf, daß damit auch die Entomanthropen oder Drachen kalibriert worden sein mußten, als zwei Tage später eine künstliche Schlangenmenschenepidemie im Ansatz vereitelt wurde. Zwei Tage danach wartete Madame Eauvive, die den Schutz ihres Schlosses zeitweilig verließ, um in der Klinik zu arbeiten, mit der Neuigkeit auf, daß das Gift nicht die volle Wirkung versah. Zwar bewirkte es zunächst innerhalb von Minuten die vollständige Verwandlung. Doch sobald ein damit versehener in tiefes Wasser fiel oder für fünf Sekunden in große Höhe gezogen wurde, kehrte sich die Verwandlung in merkwürdigen Lichtentladungen zur Erde hin um. Die verwandelten erfuhren danach keinen Rückfall. Offenbar stimmte es doch, daß irgendwas fehlte. Das Gift alleine war also nicht die ganze Sache. Die zurückverwandelten berichteten, daß sie in der Verwandlung eine Stimme gehört hatten, die ihnen befohlen hatte, sich zu vermehren und die anderen aufzusuchen, die noch warteten. Julius war nicht wohl. Jetzt liefen schon über fünfzig neue Schlangenmenschen herum. Auch wenn die Verwandlung nicht vorhielt, sobald sie einmal länger als fünf Sekunden vom Erdboden gelöst waren, so mochten die entwischten lange genug verwandelt bleiben, bis sie genug Unheil angerichtet hatten. Allerdings zeigte sich bei weiteren Untersuchungen, über die die Pflegehelfer in den Konferenzen bis zum zwanzigsten Januar erfuhren, daß die einmal vergifteten und wieder zurückverwandelten immun gegen das Gift geworden waren und sogar einen Sinn entwickelt hatten, um die Spuren der Schlangenmenschen zu orten. Julius fragte sich, ob das jetzt eine gute oder schlechte Nachricht sei. Er konnte nicht ahnen, daß die Grippeimpfzentren nur ein geschicktes Ablenkungsmanöver Voldemorts waren, und seine gefährlichen Gehilfen ganz wo anders nachgezüchtet wurden, in den verrufenen Vierteln und dunklen Ecken der großen Städte Frankreichs.

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Es war mal wieder so weit. Berno brauchte einen Schuß. Das Zittern und Frösteln war eindeutig. Bald würden die Schmerzen kommen, und dann war er wieder in der Hölle. Er und seine Kumpel hingen schon seit zwei Jahren an der Nadel und mußten für jedes Gramm des weißen Pulvers immer tiefer in die Taschen greifen. Seine eigene Cousine Jacqueline ging sogar schon auf den Strich und ließ die miesesten Typen an sich ran. Er hatte dieses Elend noch verdrängt. Aber er wußte, daß er nicht mehr weit davon weg war, seinen Körper, der vom schleichenden Gift schon sichtlich ausgemergelt aussah, für wen auch immer zu verkaufen. Rico, der Typ, der ihnen den Stoff besorgte, grinste immer nur, wenn er ihn und die anderen mit bleichen Gesichtern und zitternden Händen bei sich auftauchen sah. Für ihn hieß das immer, daß er mehr rausschlagen konnte, um seinen Kunden den Affen vom Hals zu schaffen, wie sie die Schmerzen des Entzugs nannten.

Berno hatte schon ein paar mal die Zigarettenautomaten geknackt. Nicht wegen der Lullen, die von denen im Akord weggezogen wurden, die sich über ihn und die anderen ausließen, sondern wegen des Kleingelds. Einmal hätten ihn die Flics dafür hoppgenommen. Doch er war noch einmal rechtzeitig weggekommen. Diesmal hantierte der Fichser an einem Automaten für kleinere Geschenkartikel in der Bahnhofspassage von Paris Nord herum. Es war schon zwei Uhr Nachts. Er schaffte es, die angeblich bombensichere Geldcassette zu öffnen, da schrillte die Alarmanlage los. Er war froh, noch die Scheine und die Box für das Münzgeld unter den Arm klemmen zu können, als die Polizei um die Ecke stürmte. Aus! Jetzt hatten sie ihn am Arsch. Doch da war noch ein Fluchtweg, nach rechts in das Büchergeschäft. Vielleicht konnte er hier auch Moneten abziehen. Er stürmte los und krachte durch die Glastür. Wieder jaulte eine Alarmanlage los. Die Polizisten nahmen die Verfolgung auf. Berno rannte an der Kasse vorbei. fand ein Fenster und schlug es mit der Stahlcassette ein. Das ihm Scherben auf den Kopf und die Schultern regneten nahm er nicht sonderlich zur Kenntnis. Er verließ den Laden. Die hatten die Fenster nicht vergittert, diese trottel. Er wetzte los, hinein in eine dunkle Seitengasse. Das Klimpern des Münzgeldes klang wie ein Wegführer für die ihm wohl noch nachjagenden Flics. Doch er brauchte die Kohle, beziehungsweise, was er dafür kriegen konnte.

"Junge, das bringt nix. Bleib stehen!" Bellte eine kräftige Männerstimme hinter ihm her. "Halt an, oder ich schieße. Berno hielt nicht an. Ihn abzuknallen würde alles beenden. Ließ er sich kriegen, würde er voll durch die Hölle gehen. Nur noch um zwei Ecken. Dann war er im Bezirk von Rico. Der würde sich zwar nicht blicken lassen, wenn die Polente hinter ihm herwetzte. Aber hier kannte er ein sicheres Versteck. Aber das erreichte er nur, wenn er die Flics weit genug hinter sich ließ. Da explodierte etwas hinter ihm, und die Schritte erstarben. Berno wagte nicht, sich umzudrehen. Was immer da abging war ihm jetzt egal. Er tauchte in die von keiner Laterne beschienenen Seitenstraße ein. Rico pflegte seine Kunden nachts abzufertigen. Berno keuchte und klimperte mit der Geldbox, als er den verschwiegenen Platz erreichte. Ein Schatten löste sich aus einer Ecke. Eine Taschenlampe blitzte kurz auf. Dann wurde es wieder dunkel.

"Ach, der Automatenberno. Taschengeld gekriegt?" Fragte Rico, der im moment nicht zu erkennen war.

"Mann, ja. Ich brauch was", keuchte Berno und griff in die Geldbox. Rico lachte leise. Dann sagte er den Preis. Das war das doppelte von vor zwei Tagen, wo Berno seine Letzte Ladung klargemacht hatte. Er zählte im dunkeln und kam auf den Preis für zehn Gramm. Rico gab ihm nach der Geldbox neunzehn kleine Tütchen und eine längere Ampulle. "Schieß dir den Stoff aber erst rein wenn du genug Luft zwischen mir und dir gelassen hast", zischte Rico und verstaute das Geld. Wieder knallte es. Irgendwer hielt wohl die Flics auf Abstand. "Eh, mach dich ab, hier stinkt's nach Bullen!" Schnarrte der Rauschgifthändler noch und stieß den zitternden Fichser an, daß er Land gewann. Berno tauchte ab. Rico grinste. Eine Ampulle enthielt das Zeug, daß sein Freund, der die Bullen aufhielt Jackpot nannte, weil es den ultimativen Trip verschaffte. allerdings konnte das sein, daß wer das Zeug in sich reinjagte danach die letzte aller Reisen antrat. Doch wenn er das überlebte, würde er nur noch das Zeug haben wollen. Rico war nicht blöd. Er hatte nie das Zeug angerührt, das er diesen armen Teufeln andrehte. Ihm genügten schon die kaputten Typen und bibbernden Mädels, um zu wissen, daß er so nicht enden wollte. Gesetz des Dschungels. Die Idioten fichsten, die Cleveren dealten. Und sein Zuliferer würde sich freuen, wenn Jackpot voll einschlug.

"Konntest du dem armen Tropf helfen?" Fragte der hagere Mann im blauen Umhang, als er wie aus dem Nichts neben Rico auftauchte. Rico war nicht argwöhnisch. Das war sein Partner, der die Bullen auf Abstand hielt. "Joh, konnte dem Typen was geben. Hatte genug Kies dabei. Ich habe ihm zum Preis noch eine Jackpotkapsel gratis mitgegeben, wie du das wolltest."

"Na dann", erwiderte der Fremde und verschwand so übergangslos wie er aufgetaucht war. Der Rauschgiftverkäufer verschwendete keinen Gedanken damit, sich zu fragen, wo der Fremde herkam und wohin er so blitzartig wieder verschwand. Seitdem er vor vier Tagen hier von ihm aufgesucht worden war und dieses supertolle Glücksgefühl im Kopf erlebt hatte, half der Fremde ihm. Er mußte ihm dafür jedoch helfen, die Jackpotkapseln unter die Abhängigen zu bringen.

Berno indes lief einige Häuserblocks weiter vom Bahnhofsviertel fort. Die Aussicht, seine Leiden gleich für's erste kurieren zu können ließ ihn das Zittern und Frösteln vergessen. Als er sicher war, von keinem erwischt zu werden, untersuchte er seinen Kauf. Die Ampulle gefiel ihm irgendwie. Er hatte mal gehört, daß reiche Knilche den Stoff auch in dieser Form reinjagen konnten. Aber dafür brauchte er zu seinem üblichen Besteck noch eine Spritze mit entsprechender Vorrichtung. Ach was! Er hatte das doch in den ganzen Arztserien gesehen, wie die Weißkittel aus einer offenen Ampulle die Spritzen aufzogen. So brach er mit zittrigen Fingern die Spitze von der Ampulle, führte die Nadel seiner Spritze ein und zog den Kolben vorsichtig auf, bis das Zeug aus der Ampulle im Zylinder verschwunden war. Er hatte sich für seinen Zustand voll konzentrieren müssen, um keine Luftblase in die Spritze zu kriegen. Denn Davon konnte man draufgehen, wußte er. Dann setzte er sich ohne nachzudenken das Zeug, auch wenn's der goldene Schuß sein mochte. Dann meinte er, noch größere Schmerzen zu haben. Offenbar hatte Rico ihn verarscht. Die Schmerzen wurden immer schlimmer. Der linke Arm, in den er das Zeug reingejagt hatte, schwoll an und bekam eine komische Haut, wie Schuppen. Dann fühlte er es am Hals. Das Teufelszeug suchte sich seinen Weg durch seinen Körper, breitete sich in alle Venen aus, die es passierte, veränderte dabei bereits Gewebe und Zustand des Körpers. Irgendwann waren die Schmerzen so heftig, daß Berno zusammenbrach und nur noch schrie. Rote Ringe explodierten vor seinen Augen. Das war der schlimmste Horroorttrip, den er je erlebt hatte. Rico hatte ihn wirklich verarscht ..." sei mir verbunden", drang erst leise fauchend und dann immer deutlicher hörbar eine Stimme in seinen Kopf ein. "Sei mir verbunden!" zischte sie lauter und eindringlicher. Berno fühlte immer noch die Schmerzen, die nun seinen ganzen Körper ergriffen hatten. Doch irgendwie fühlte er sich nicht mehr verraten, sondern immer sicherer. Trotz der peinigenden Wallungen meinte er, neue Kraft in sich ansteigen zu fühlen. Die roten Ringe, die zwischendurch zu einem wilden Feuerwerk wurden, daß ihm in den Augen brannte, ließen allmählich nach. Dann durchzuckten ihn drei heiße Wallungen. Es war, als schlügen drei Blitze hintereinander durch seinen Körper aus dem Boden in den Himmel. Dann waren die Schmerzen vorbei. Berno wand sich, um die zerfetzte Kleidung loszuwerden. Er reckte seine herrlich biegsamen und kräftigen Arme und fühlte die unglaubliche Kraft, die ihm direkt aus der Erde zufloß. In seinem Kopf tönte immer noch dieser Befehl: "Sei mir verbunden!" Er rief im Geiste zurück: "Ja, ich bin dir verbunden, Meister!" Er wußte, daß er ein großartiges Geschenk erhalten hatte. Er durfte als mächtiger Krieger Skyllians in den Kampf um die Welt ziehen, und keine Kraft konnte ihn stoppen. Keine Gewalt, keine böse Macht, konnte ihn verletzen oder töten, solange er mit der großen Mutter Erde verbunden blieb. Dann hörte er den nächsten Befehl: "Vermehre dich und geh zu den anderen. Sie werden dich rufen!" Berno bejahte es und lief los. Er wußte, wie er noch mehr Leute in Skyllians Armee holen konnte. Es war wie bei den Vampiren. Er mußte sie nur beißen. Er dachte einen Moment an Rico. Sollte er ihn: "Weit ab von da, wo du dieses Geschenk erhalten hast!" Fauchte ein weiterer eindringlicher Befehl in seinem Kopf. Berno verstand. Rico sollte verschont bleiben, um noch anderen dieses Geschenk zu machen. So zog er los, um seinen apokalyptischen Auftrag auszuführen.

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"Sind sie entkommen?" Schickte Ion Borgogne eine unhörbare Frage durch Zeit und Raum. "Nein, sie sind noch bei uns", erklang die beruhigende Antwort in seinem Kopf. Also hatte Delamontagne ihn doch täuschen wollen, ihn und Didier. Das ermöglichte ihm doch noch, den Auftrag des Oktagons auszuführen, und den offenen Krieg zwischen den französischen und britischen Zauberern zu suchen, durch den seine Landsleute genug Freiraum bekamen, um selbst die Macht in diesem Land, daß sie einst verdrossen verlassen hatten, übernehmen zu können. Er mußte nur die Nachricht von Delamontagnes Betrugsmanöver an die Öffentlichkeit bringen. Doch vorher wollte er eine persönliche Rechnung begleichen. Bei der gelegenheit wollte er die Unruhe in Frankreich noch verschärfen.

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"Ah, da bist du also", knurrte Professeur Faucon. In ihrer Unterkunft in Beauxbatons hing eine zwei mal drei Meter große Landkarte Frankreichs und der angrenzenden Regionen. Das besondere daran war jedoch, daß sie nicht nur Land und Städte zeigte, sondern ein Gewusel verschiedenfarbiger Punkte von golden bis tiefschwarz. Das war Blanche Faucons wertvollster Besitz, den sie nach dem Tod ihres Mannes in mühevoller Alleinarbeit selbst hergestellt hatte, die Freund-Feind-Karte. Sie zeigte alle, die nicht durch Unortbarkeitszauber geschützt wurden, wobei es ausschließlich Zauberer und Hexen waren, die über ein magisches Ruhepotential über drei verfügten. Sechs Jahre hatte sie gebraucht, um dieses Pergamentstück mit bezauberten Farben zu bemalen, die Farben bestimmten Verhaltensformen zuzuordnen und das ganze derartig zu bezaubern, daß die wahren Namen der mit den Punkten verbundenen Magiepotentiale erschienen. Sie hatte hierfür an über tausend Stellen Erd- oder Wasserproben nehmen müssen, um die Landschaften und Gewässer mit der Karte zu verbinden, beziehungsweise, die Karte als Ortungshilfe einzurichten. Allein für die Landeskalibrierung hatte sie drei Monate gebraucht. Ihr Ziel war es, nie wieder einen feindlichen Überfall auf Frankreichs Zauberer zuzulassen. Das schwierigste Problem war, daß sich Gesinnungen ändern konnten. Wer gestern noch ein vertrauenswürdiger Mitmensch war, konnte morgen zum Todfeind werden. Für diese heikle Angelegenheit hatte sie sogar auf dunkle Zauber zurückgreifen müssen, die ihnen gewogene Magier anzeigen konnten. Dabei hatte sie jedoch keinen Menschen verletzen müssen, sondern nur mehrere hundert niedere Wirbeltiere, Würmer und Schnecken geopfert. Abschließend hatte sie die vier Zauber gewirkt, die mit ihrem eigenen Blut verbunden werden mußten, um die karte vollständig zu aktivieren. Sie war stolz auf dieses Stück Zauberwerk. Daß über den britischen Inseln ein Netz aus tiefschwarzen Strängen und Knoten hing, war ihr seit dem zweiten August wohl vertraut. Tom Riddles Bande und seine verheerenden Flächenzauber hielten die Inseln unter diesem schwarzmagischen, von Feinden durchzogenen Gespinnst. Riddle selbst hatte sich unortbar gemacht, was durch einen pulsierenden, breite Landstriche auf der Karte überdeckenden Kleks angezeigt wurde. Sie konnte also nur sehen, wo er ungefähr war, mit einer genauigkeitsabweichung von fünf Kilometern. Doch im Moment interessierte sie der signalrote Punkt, der sanft blinkend über Frankreich dahinzog, so schnell, daß der ihn bezeichnende Zauberer auf einem Besen fliegen mußte. Professeur Faucon las noch einmal den winzigen Schriftzug, der ebenfalls wie ein Blinklicht erschien und verging: PÉTAIN. "Hättest besser in deinem Rattenloch bleiben sollen. Vergrößerung voll!" Sie tippte den wandernden Punkt mit dem Zauberstab an, der zu einem zehn Zentimeter großen Männchen wie bei einer elektrischen Verkehrsampel der Muggel anwuchs. Der Schriftzug erweiterte sich auf ION BORGOGNE ALIAS SEBASTIAN PÉTAIN. "So heißt du Wicht also wirklich", dachte Professeur Faucon lautlos. Damit hatte sie den Beweis. Seitdem sie ihre Karte dahingehend abgerichtet hatte, Didier oder Pétain gesondert anzuzeigen, wenn sie sich bewegten, horchte sie jede Sekunde auf den Meldezauber, den sie benutzte, um solche Bewegungen sofort verfolgen zu können. Als dieser am zwanzigsten Januar ausgelöst wurde, war gerade Abendessenszeit. Sie entschuldigte sich bei Madame Maxime, die sie in ihre Überwachung eingeweiht hatte und eilte in ihre schuleigene Unterkunft. Jetzt saß sie vor der Karte und verfolgte Pétains Flug. Er wollte nach Süden. Wo er herkam wußte sie nicht. Sicher war nur, daß er in Richtung Millemerveilles flog. Meinte der denn wirklich, dort hineinzugelangen? Warum apparierte er dann nicht einfach in die Nähe? Klar, weil er nicht wußte, ab wo die Schutzglocke Sardonias wirkte. Außer der Tatsache, daß Pétain auf ihre Heimat zuflog gefiel ihr noch etwas nicht. Pétain machte sich nicht die Mühe, mögliche Verfolger abzuhängen. Außerdem flog er etwas zu schnell, selbst für einen ganymed 10. Außer der seligen Aurélie besaß niemand in Frankreich ein schnelleres Fluggerät. Das einzige Tier, das schneller als jeder Besen fliegen konnte, war die Latierre-Kuh Artemis. Und die würde sich Pétain gewiß nicht als Flughilfe zur Verfügung stellen, selbst wenn er gewußt hätte, daß es sie gab und wo sie zu finden war. Mochte es sein, daß Pétain einen Bronco Millennium besaß, von dem ihr Jane Porter vorgeschwärmt hatte? Sie bedauerte es, die potentiellen Feinde nicht in echterscheinung darstellen zu können. Dann passierte was, was ihr inneres Alarmsystem kitzelte. das bisher signalrote Männchen wurde immer dunkler, je näher es Millemerveilles kam. Pétain war dabei, zu einem tödlichen Feind zu werden. Das hieß, er wollte töten. Aber wie sollte er jemanden im Schutz von Millemerveilles töten? Er mochte noch gut eine Viertelflugstunde vom Außenrand entfernt sein. Sie hatte also nur fünfzehn Minuten, um Pétains Plan zu durchschauen und zu vereiteln. Denn nun, wo statt des roten Ampelmännchens ein tiefschwarzes Männchen als Ion Borgogne alias Pétain angezeigt wurde, war ihr völlig klar, daß er den Tod nach Millemerveilles bringen wollte. Dort befanden sich gerade sämtliche Mitglieder des Zaubereiministeriums. Wen davon wollte er töten? Delamontagne, ihre Kollegin Tourrecandide, ihre Tochter Catherine ... oder Martha Andrews? Natürlich! Sein Angriff galt allen, die ihn entmachtet hatten. Und entmachtet werden konnte er nur, weil Martha Andrews die sogenannte Operation Pax Patriae aufgedeckt hatte. Sie hatte ihn mit seinen eigenen Waffen geschlagen und Didiers Vorhaben damit weitestgehend vereitelt, auch wenn es Wochen gedauert hatte, bis die Friedenslager befreit werden konnten. Professeur Faucon fragte sich, wie er ohne nach Millemerveilles hineinzukommen mehrere Leute dort mit dem Tode bedrohen konnte? Dann fiel es ihr ein. So mußte es gehen. Er würde ein tödliches Gas oder einen Behälter mit einer tödlich verlaufenden Seuche über Millemerveilles abwerfen. Doch wenn er rasch töten wollte, durfte es keine Krankheit sein, die erst einmal Opfer suchen mußte und mehrere Tage brauchte, um von einem zum anderen zu springen. Also mußte es ein giftiger Brodem sein, Drachengallengas zum Beispiel. Doch das war nicht so leicht zu kriegen. Selbst im Ministerium, wo an Gegengiften und Schutzmaßnahmen geforscht wurde, standen nicht so große Mengen zur Verfügung, um ein weitläufiges, von genug Frischluft umwehtes Gelände zu verseuchen, daß wirklich alle starben. Da er nicht wissen konnte, wo seine Feinde sich aufhielten, mußte er das Todeselixier weiträumig und in großen Mengen verteilen, und zwar so, daß der Wind es nicht sofort von Millemerveilles fortwehte sondern es länger dort wirken konnte. so große Mengen konnte er unmöglich an einen Besen hängen. Es sei denn ... Professeur Faucon winkte der Tür mit dem Zauberstab und hastete hindurch. Hoffentlich reichte die Zeit noch, um Pétains heimtückischen Massenmordanschlag zu vereiteln und ihn endgültig aus dem Verkehr zu ziehen. Sie eilte in den Speisesaal und wandte sich an Madame Maxime: "Bevorstehender Gasanschlag auf Millemerveilles, benötige Monsieur Latierre und seine Latierre-Kuh", zischte sie der Halbriesin zu. Diese verzog zwar das gesicht, nickte dann aber. Das war eine stille Erlaubnis für die Leiterin des grünen Saales.

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"Und in den anderen Ländern haben sie auch schon dieses Gift gefunden?" Fragte Robert Deloire gerade Julius.

"Die Heiler haben ein Netz von Spezialisten eingesetzt. Einige von den beseitigungsleuten sind dabei. Seitdem die wissen, daß das klinisch konzentrierte Gift nur solange wirkt, wie die Biester mit der Erde Kontakt haben genügt es schon, denen sprichwörtlich den Boden unter den Füßen wegzuziehen und für ein paar Sekunden in der Luft zu halten."

"Hups, Professeur Faucon ist wieder da. Ich dachte, die war auf dem Klo oder so. Die hat's ja richtig eilig", bemerkte Gérard Laplace. Julius sah die Lehrerin an und machte ein beunruhigtes Gesicht. Irgendwas lief da ab. Als die Lehrerin dann auf den grünen Tisch zueilte und ihn genau ansah, schnellte er automatisch von seinem Stuhl hoch, ließ den dritten Gang seines Abendessens stehen und stellte sich in Erwartungshaltung.

"Folgen Sie mir ohne Fragen!" Herrschte ihn Professeur Faucon an. Julius gehorchte, eher aus Verunsicherung, weil er nicht wußte, was nun los war. Außerhalb des Speisesaales erhielt er den Befehl, mit ihr durch das Wandschlüpfsystem zu gehen. Er verzichtete darauf, Madame Rossignol anzuzittern. Sollte die sich mit Professeur Faucon auseinandersetzen. Er rief die Wandschlüpfmagie auf und zog seine Hauslehrerin mit durch die Wand. Sie winkte ihn in ihr Sprechzimmer und verschloß die Tür. Dann entzündete sie den Kamin und hantierte mit dem Zauberstab daran. Das Feuer flackerte für einen Moment bläulich. Julius kannte das. Damit wurde eine Kaminsperre aufgehoben.

"Pétain plant Gasanschlag aus freiem Flug über Millemerveilles. Wir brauchen deine Wunderkuh!"

"Das wird meine Schwiegertante nicht so leicht zulassen", sagte Julius. Er wurde auf einmal kreidebleich, und die Knie wurden weich wie heißes Gummi. Fast fiel er hin. Er konnte sich gerade noch so beherrschen, nicht zusammenzuklappen. Giftgas! Daran hatten sie bisher nicht gedacht, weil Millemerveilles zu groß war. Welche Giftgase der Zaubererwelt kannte er, die ein Dorf entvölkern konnten. Garottengas, Drachengallengas und Fieberwallungsgas waren zwar tückisch, konnten aber nur eine bestimmte Fläche verheeren. Um das weitläufige Dorf Millemerveilles zu entvölkern brauchte man dann Tonnen davon, die strategisch verteilt werden mußten. Anders war es mit Giftgasen der Militärs wie Sarin, Tabun, Lost, VX oder Senfgas. Damit konnten kilometerbreite Landstriche nachhaltig verseucht werden. Das sagte er auch:

"Hat der sich aus der Hexenküche der Muggelmilitärs bedient, wenn er Millemerveilles verseuchen will?"

"Mag sein. Er fliegt schneller als auf einem Besen. Könnte sein, daß er ein Flugzeug von denen entführt hat. Wir haben wohl nur zehn Minuten Zeit. Also komm!"

"Château Tournesol!" Rief Julius und verschwand im grünen Flohpulverfeuer. Professeur Faucon wartete nur, bis er vollständig verschwunden war. Dann sprang sie auf den Kaminrost und rief dasselbe Ziel aus. Julius sprang förmlich aus dem geräumigen Kamin im Salon seiner Schwiegergroßmutter. Keine Sekunde später fauchte seine Lehrerin auch schon aus dem Kamin.

"Babs, Pétain will Millemerveilles mit Gas angreifen. Brauche Temmie. Nur noch neun Minuten Zeit", mentiloquierte er.

"Unmöglich. Gibt kein Gas, das er so weit von Millemerveilles einsetzen kann, ohne dabei selbst draufzugehen", ertönte Babs' Gedankenstimme zur Antwort. Julius schickte zurück: "Muggelflugzeug, Muggelgiftgas. Flugzeugführer wohl unter Imperius."

Babs Latierre fragte, wo er war und kam zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Béatrice in den Salon appariert. Barbara Latierre fragte Professeur Faucon, woher sie das wisse. Diese erwähnte, daß sie etwas habe, daß Feinde in der Nähe ihrer Heimat anzeige und deren Namen verriet. Béatrice sah Julius an, als wolle sie ihn abschätzen, ob er noch in Ordnung war. Dann nahm sie ihn bei der Hand und versetzte sich mit ihm zu Temmie. Julius sah sie an und sagte nur: "Temmie, jemand will meine Mutter umbringen und benutzt wohl ein magisches oder magieloses Fluggerät, um einen giftigen Nebel abzulassen. Wir müssen den aufhalten."

"Bist du allein hier?" Mentiloquierte Temmie. Julius verneinte es. Da tauchte auch schon Babs Latierre mit Professeur Faucon auf. Die Hüterin der Latierre-Kühe wirkte sehr verärgert. "Wehe sie verliert das Kalb und die ganze Sache ist ein großer Schwindel, Professeur Faucon. Dann sind Sie es, die eine Anklage an den Hals kriegt."

"Im Zweifelsfall wiegen mehr als tausend Männer, frauen und Kinder ein Kalb auf, Madame Latierre", schnarrte Professeur Faucon.

"Sie weiß doch gar nicht, wo Millemerveilles liegt", blaffte Barbara Latierre.

"Natürlich weiß sie das, weil sie schon oft mit mir da war", erwiderte Julius unvermittelt. "Temmie, Wenn wir auf dir sitzen bring uns zu dem Teich mit den großen Statuen von der Meerjungfrau, dem Drachen, dem Greif und dem Einhorn!"

"Mach ich", mentiloquierte Temmie. Béatrice apportierte einen zweieraufsatz. Barbara befestigte ihn auf Temmies Rücken. Die Treppe entfaltete sich. Im Sturmschritt enterte Julius auf Temmies Rücken auf. Professeur Faucon keuchte ihm hinterher. Dann saßen beide und sicherten sich. Die Treppe faltete sich zusammen. Dann Krachte es dumpf, und Temmie war mit ihren Reitern Verschwunden.

"Woher soll die wissen ...? Natürlich, sie hat mir doch erzählt, daß sie, wo sie in Julius' Bewußtsein verankert war, alles miterlebt hat, was er erlebt hat", schnarrte Barbara Latierre.

Wie Julius Gehofft hatte wirkte die Apparitionssperre um Millemerveilles nur auf Zauberer und Hexen mit Zauberstäben. Temmie drang ohne Mühe hindurch und erschien mit lautem Knall vor dem Maul der Drachenstatue. Sie verlor keine Zeit und startete sofort durch. Dabei wurde sie unsichtbar und machte sich so leicht, daß sie fast wie ein Ballon durch die Luftverdrängung aufstieg.

"Langsam frage ich mich, was wir täten, wenn diese ganzen Koinzidenzen nicht eingetreten wären, die schließlich in der Vereinigung zwischen Temmies Körper und Darxandrias Geist mündeten", schnaufte Professeur Faucon, die von der selbst angefachten Hektik und körperlichen Anstrengung gut ins Schwitzen gekommen war. Julius fragte sie, aus welcher Richtung Pétain anflog und gab es an Temmie weiter, die nun Fahrt aufnahm.

"Wenn er in einem Flugzeug sitzt kann er mehr als viertausend Meter über Grund sein", sagte Professeur Faucon.

"Wenn er nicht gerade in einem tarnkappenbomber fliegt muß er aber unter den Radarstrahlen bleiben, also so knapp vierhundert Meter über dem Boden. Sonst kann der Flughafen von Marseille in locker aufspüren."

"Hoffentlich hast du recht, Julius."

"Da vorne ist einer der Metallvögel, die ich schon über das große Haus habe wegfliegen hören können", mentiloquierte Temmie und richtete sich aus, wobei sie noch schneller wurde, bis sie und das gerade von ihr gesehene Flugzeug fast mit addierter Schallgeschwindigkeit aufeinander zurasten.

"In ungefähr fünf Minuten erreicht er den außenrand von Millemerveilles", erkannte Professeur Faucon. Temmie stieg noch höher und sauste über einen Bomber hinweg, der in sehr niedriger Höhe dahinfauchte.

"Wenn der Pilot unter Imperius ist können wir mal probieren, ob das echt geht, den Fluch umzudrehen", sagte Julius, als Temmie unaufgefordert den Dawn'schen Doppelachser brachte und fast ohne Fahrt zu verlierenhinter der Maschine herflog. Der Triebwerkslärm begann mit einem verwaschenem Säuseln. Dann steigerte er sich zu einem trudelnden Rauschen. Dann mischte sich das Heulen der Turbinen hinzu. Schließlich meinten sie, fast in der Nähe der Maschine zu sein. Temmie schüttelte sich. Offenbar tat ihr der Lärm in den Ohren Weh. Doch sie hielt den Kurs. Dann waren sie so dicht an der Maschine dran, daß sie die Wärme der sich verflüchtigenden Abgase fühlen konnten.

"Den Fluch umzukehren reicht nicht, wenn der, der ihn wirkte sofort reagieren kann. Wir machen das anders. Wenn wir nahe genug an der Maschine sind, apportiere ich ihn da raus. Habe ich ihn hier, kannst du den Fluchumkehrer wirken."

Der Bomber wurde langsamer. Temmie überholte ihn fast, korrigierte dann aber nach. "Lange halte ich den Krach nicht aus, Julius", gedankenjammerte sie und keuchte hörbar. Professeur Faucon rief, den Abstand zu halten. Temmie gehorchte. "Ion Borbogne ad locum meum nunc apporto!" Julius sah, wie unter den Tragflächen große Behälter hingen. Das Teufelszeug durfte auf gar keinen Fall nach Millemerveilles. Er schrak zusammen, weil es knallte. Als er dann aber für einen Moment Pétains Körper in der Luft hängen sah kapierte er. Professeur Faucon hatte ihn erfolgreich aus dem Flugzeug gebeamt. Schnell richtete er seinen Zauberstab auf die Maschine und rief den Fluchumkehrzauber aus. Pétain, von der plötzlichen Wendung wohl überrascht, landete gerade auf Temmies Rücken. Ein silberner Lichtstrahl schoß durch die Luft und traf das Cockpit. Für einen Moment erschien Pétains Gesicht über der Maschine. Dann erlosch das Licht. Julius hofffte, daß er den Fluch damit wirklich gebrochen hatte, als ihm jemand an der Schulter packte und herumzureißen versuchte. Das war nicht Professeur Faucon. Er ließ den Zauberstab in die linke Hand gleiten und entwand seinen Arm, der jetzt wesentlich leichter war, um im nächsten Moment einen Handkantenschlag auszuteilen. Dieser traf den unsichtbaren Gegner wohl ziemlich schmerzhaft auf die Nase.

"Oh, das Nasenbein hat's erwischt", knurrte Julius. Dann steckte er den Zauberstab sicher fort und griff nach dem Gefangenen, bis er ihn sicher am Kragen hatte.

"Du hast ihn betäubt, ohne Magie?" Fragte Professeur Faucon.

"Ich hoffe ... Ja, Der Bomber dreht ab und steigt. Oh, das wird Lustig. Wenn der in die Radarstrahlen gerät, kriegt der bald Besuch. Was wird er denen dann erzählen?"

"Werden wir Bald wissen. Ich mentiloquiere Professeur Tourrecandide, sie soll die Leute an den Kriegsflugplätzen darauf einstellen. Zum Glück existiert dieses Nachrichtennetz noch."

Der Bomber fauchte davon. Julius atmete auf. Der Anschlag war gerade so noch abgewehrt worden.

"Wo schaffen wir ihn hier hin?" Wollte Julius wissen.

"Das überläßt du bitte mir", sagte die Lehrerin. Doch Julius fand, daß wo er jetzt mal wieder was wichtiges getan hatte, vor allem um das Leben seiner Mutter zu retten, mehr wissen durfte.

"Nicht nach Millemerveilles und nicht ins Château tournesol. Dort würde er sofort als Feind abgewiesen. Das Pariser Zaubereiministerium ist auch unsicher, weil Didier immer noch dort auftauchen könnte. Ich bringe ihn in die Delourdesklinik, solange er noch besinnungslos ist. Deine Reaktion dürfte auch sein Antischockzauber nicht verdaut haben."

"Der kann telekinese ohne Zauberstab", erinnerte sie Julius.

"Nur auf Sicht", erwiderte Professeur Faucon. "Temmie werde bitte sichtbar und lande schon einmal!" Temmie gehorchte unverzüglich. Damit wurden nun auch alle auf ihrem Rücken wieder sichtbar. Pétains Gesicht war voller Blut. Seine Nase war tatsächlich breitgeschlagen, und auch aus dem Mund rieselte Blut. "Oha, ob Madame Rossignol mir das verzeiht, daß ich einen Menschen verletzt habe?"

"Das war eindeutig Notwehr, Julius. Er hätte dich womöglich sogar totgeflucht, wenn er hätte zielen können."

"Der bringt keinen mehr um", schnarrte Julius, den nun doch die Wut ergriff, weil dieser Mann da seine Mutter hatte umbringen wollen. Was immer das für ein Gas war ...

"Ich möchte dabei sein. Ich möchte wissen, woher er das Gas hatte und welches das war. Ich habe mich über einige Giftgase schlaugelesen. Das könnte denen in der Klinik nützen", schnarrte er, sich soeben noch beherrschend.

"Du kehrst mit Temmie zum Sonnenblumenschloß zurück und erstattest deiner Schwiegertante Bericht. Womöglich muß Temmie einen auf sie abgestimmten Trank gegen Ohrenleiden schlucken, so laut dieses stählerne Luftvehikel war", fauchte Professeur Faucon. Temmie landete. Die Lehrerin löste ihre Sicherheitsketten und disapparierte ohne weiteres Wort mit ihrem Gefangenen. Julius wollte sich noch an ihr festhalten. Doch da war sie schon verschwunden.

"Okay, Temmie, zu dir nach Hause!" Schnarrte Julius. Dann fühlte er wieder jenes Zusammenquetschen der Apparition.

"Du kommst bitte zurück, wenn meine Kollegin dich untersucht hat!" Antwortete Madame Rossignol, die sich Julius' Bericht zusammen mit den Latierres angehört hatte. Béatrice fand jedoch nichts außer einer Unterkühlung des ersten Stadiums, die sie mit einem Aufwärmtrank behandelte.

"Trice, wenn du zu denen in der Klinik gute Beziehungen hast bitte darum, daß die rauslassen, was für ein Gebräu der über Millemerveilles abwerfen wollte. Ich biete im Gegenzug ein Buch an, in dem über Giftgase der Muggelwelt ausführlich berichtet wird."

"Sollte vielleicht in unserem interesse sein zu wissen, wie Mordgebräue der Muggelwelt wirken. Pétain hat nämlich tatsächlich die einzige Schwachstelle im Schutz gefunden. Man kann Sachen über Millemerveilles abwerfen", seufzte Béatrice. Ursuline meinte dazu:

"Warum hat Delamontagne das nicht einbezogen, daß jemand die Kriegsvögel und Waffen der Muggel benutzen kann? Hippolyte ist gerade in Millemerveilles, weil sie die Spiele-und-Sportabteilung übernehmen möchte, auch wenn wir wohl in diesem Jahr keine Quidditch-Weltmeisterschaft haben werden." Julius sah sie an und erhielt ein äußerst dankbares Lächeln von ihr zurück. Er schüttelte vorsichtig den Kopf und sagte, daß ohne Professeur Faucons geheimes Überwachungsdings keiner was mitbekommen hätte, bis die Gasladungen freigesetzt worden wären.

"So haben wir im Moment alle gute Freunde und Verwandte in Millemerveilles", sagte Ursuline. Béatrice meinte dann noch:

"Vielleicht doch keine gute Idee, daß sich da jetzt alle wichtigen Leute versammelt haben. Das mit dem Giftangriff hätte auch schon von Didier angeleiert werden können."

"Ganz bestimmt nicht, weil dein Onkel sich damit ganz sicher sehr unbeliebt gemacht hätte, wenn er Männer, Frauen und Kinder tötete. Außerdem gibt es in unserer Welt kein Giftgas, daß weiträumig genug wirkt. Er hätte auch keine Muggelmaschinen eingesetzt. Dann hätte er seinen guten Freunden gegenüber zugeben müssen, daß Zauberei eben doch nicht alles erledigen kann. Und so wie ich ihn miterlebt habe, wollte er mit Muggelsachen nichts zu tun haben. Der hätte glatt auf die Elfenbeininsel ziehen können."

"Wo Pétain vielleicht ursprünglich herkommt", ließ Julius heraus. Ursuline nickte.

"Schon eine Gemeinheit, Eltern, die sich neun Monate lang auf ein Kind gefreut haben ein solches Kuckucksei ins Nest zu legen. Das das aber nicht aufgefallen ist. Ich meine, Infanticorpore berührt nur den Körper."

"Gedächtnisblockade, Maman. Nachdem der Fluch ausgeführt wurde, wurden alle Erinnerungen bis zum Zeitpunkt des Fluches unterdrückt und erst zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder freigegeben", wußte Béatrice. Madame Rossignol, deren räumliches Abbild noch im Raum schwebte, nickte zustimmend.

"Wir dürfen den Elfenbeininsulanern unterstellen, daß sie alle möglichen Zauber vervollkommnet haben. Wenn ein bestimmter Zeitraum im Gedächtnis unterdrückt wird, bleiben nur die Erinnerungen davor oder die reinen Reflexe. Er war also für seine Gasteltern ein ganz gewöhnlicher Säugling mit Saug- und Klammerreflexen."

"Klingt wie eine logische Bombe, ein Computerprogramm, daß zu einem bestimmten Zeitpunkt anspringt und Schäden anrichtet", seufzte Julius.

"Ja, und der Typ hat ein ganzes geklautes Leben gelebt", knurrte Barbara Latierre. Ihre Mutter nickte. "Die Frage ist, was mit dem echten Sohn dieser Leute passiert ist, falls er nicht als Findelkind ausgegeben wurde."

"Entweder wie ein lebensunfähiges Jungtier beseitigt oder bei sich aufwachsen lassen", vermutete Béatrice. "Und wenn es ein Muggelkind ohne Zauberkräfte ist, konnte es kein schönes Leben erwarten."

"Durchaus nicht", seufzte Ursuline.

"Julius, du kommst jetzt besser wieder zurück. Ich erfahre soeben, daß Professeur Faucon mit ihrem "Patienten" in der DK eingetroffen ist. Unabhängig davon, ob sie dem Verhör beiwohnt oder nicht gehörst du jetzt nach Beauxbatons. Also komm rüber. Nimm meinen Kamin: Krankenflügel Beauxbatons!" Julius bestätigte und verabschiedete sich von seiner Schwiegerfamilie. Als er in den Kamin im Salon klettern wollte, umschlang ihn Line und drückte ihn fest an sich:

"Ich danke dir, daß du meine Hippolyte gerettet hast. Komm gut zurück!"

"Ich weiß nicht, ob das rumgeht. Dann könnte meine Mutter das auch erfahren."

"Ich werde mich freuen, wieder gegen sie antreten zu dürfen. Ähm, die gute Eleonore wird es sich wohl nicht nehmen lassen, sie auf die Teilnehmerliste des nächsten Turniers zu setzen", raunte Line verschwörerisch. Julius überlegte, wie er darauf antworten sollte. Das seine Mutter eine Hexe und damit teilnahmeberechtigtwar hatte er ... über Millie quasi jedem in der Verwandtschaft mitgeteilt. "Ich werde mir demnächst mal ansehen, wie gut sie auf dem Besen ist. Immerhin braucht sie ja mal eine Lizenz und dann vielleicht die Soziusprüfung. Madeleine trainiert sie bestimmt auf dem Besen, den ich mitbezahlt habe." Julius kapierte es endgültig und sagte nur:

"Sie möchte das noch nicht rumgehen lassen. Ist schon ziemlich heftig."

"Spätestens zum nächsten Schachturnier wird das rauskommen, Jungchen. Aber jetzt ab, bevor meine ganz kleinen dich noch in Beauxbatons besuchen dürfen." Julius kam aus der Umarmung frei und kletterte in den Kamin.

"Was wollte Professeur Faucon wieder von dir?" Fragte Robert Deloire, als Julius in den grünen Saal zurückkehrte.

"Sie haben einen von Didiers unverfluchten Freunden erwischt, als er gerade versucht hat, einen Kampfpiloten der Muggel anzustiften, Bomben über Millemerveilles abzuwerfen. Sie wollten wissen, was ich darüber weiß, weil Minister Grandchapeau mich ja schon einmal wegen sowas befragt hat", erwiderte Julius und log dabei nicht ganz so arg.

"Bomben, Sprengdinger? Die wären wohl durchgekommen", erschrak Gérard.

"Na ja, sie haben ja wieder Leute beim Militär und haben es früh genug mitbekommen, was der Mistkerl vorhatte", wiegelte Julius ab. Er fühlte sich immer noch etwas merkwürdig, auch wo die Gefahr nun vorbei war.

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Was mit Pétain los war erfuhr keiner in Beauxbatons. Temmie hatte wegen der Lärmbelästigung eine Heilsalbe für die Trommelfelle verabreicht bekommen. Es wurde nur erwähnt, daß jemand versucht hatte, einen Muggel zum Angriff aus der Luft anzustacheln. Wie und womit blieb verschlossen.

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"Da ist was", zischte Monsieur Pierre, der im Schutz eines Kontraspektors über ein breites Tal dahinflog. Sein Begleiter nickte. Auch er fühlte seinen Zauberstab in der Hand vibrieren. Die unsichtbaren zauber wecselwirkten mit einer anderen, verbergenden Magie.

"In Ordnung, Rückzug und die anderen herrufen!" Befahl Monsieur Pierre. Sie drehten bei und schwirrten davon.

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Flavio Maquis wußte nicht, was geschehen war. Seit Jahresende hatte erkeinen Kontakt mehr mit Minister Didier gehabt. Das hieß nichts gutes. Entweder war Didier entführt oder getötet worden. Was sollte er tun? Sein Befehl war eindeutig: Die Gefangenen unter keinen Umständen freilassen, falls Didier dies nicht ausdrücklich befahl. Doch was, wenn er das nicht mehr konnte? Wer würde der Nachfolger Didiers? Erst wenn sein Freund Janus Didier oder ein von diesem eingeweihter Nachfolger ihm den Befehl gab, konnte er die Gefangenen freilassen.

Der korsische Zauberer prüfte jeden Tag die Friedenslager eins und vier. Nichts war verändert. Die Leute in Lager vier gingen ihrer Arbeit nach und wurden bewacht. Aber irgendwie kam es ihm so vor, als würden es jeden Tag mehr. Das konnte nicht sein! Für jeden Neuzugang bekam er als Oberaufseher der Friedenslager eine Anmeldung. Er prüfte die Listen. Gut, die Lager zwei, drei und die von fünf bis acht waren verloren. Janus Didier hatte auch keine Anstalten gemacht, neue errichten zu lassen. Aber im Lager vier, wo eigentlich die gefährlichsten Feinde des Ministeriums unterkommen sollten, sollten der Liste nach nur fünfzig Mann sein. Als er jedoch nachzählte kam er auf über zweihundert. Er las die Namen, alles Leute aus der Mysteriumsabteilung, die versucht hatten, seinen Freund abzusägen. Doch wer waren die knapp einhundertachtzig anderen? Dann erstarrte er. Über die Mauer kletterten gerade dreißig weitere Leute, splitternackt und sehr gelenkig, hauptsächlich Jünglinge, die gerade zwischen vierzehn und zwanzig Jahre alt waren. Und dann sah er ihn. Unvermittelt kam er aus einer der Baracken heraus. Er trug das Einheitsgrau der Insassen mit dem Schriftzug FL4. Das konnte keine Verwechslung sein. Der da aus der Baracke heraustrat und die jungen Leute begrüßte, die gerade über die hohe Mauer geklettert kamen, war Janus Didier!

"Umsturz. Sie haben ihn nach Lager vier verbannt", dachte Maquis. Doch er fragte sich, warum diese Jungen über die Mauer geklettert waren. Eigentlich durfte das nicht gehen, weil die Mauer mit Antianhaftungszaubern und Glättezaubern gespickt war, daß weder innen noch außen jemand daran herumklettern konnte, der nicht die Schlüssel zu den Aufgängen zum Wehrgang besaß. Jetzt sah er auch junge Mädchen, die wie biegsame Kriegerprinzessinnen aussahen und von älteren Männern verfolgt wurden, wie sie spielerisch die Mauer herabturnten. Das durfte nicht sein.

"Schutzmaßnahmen Lager vier!" Befahl er. Nichts änderte sich. Dann sah er noch Didiers Ehefrau, die die weiblichen Neuankömmlinge begrüßte. Da begann das Bild zu verwischen und verschwand. Das Symbol für Lager vier war jedoch noch intakt.

"Direktbeobachtung", befahl Flavio Maquis noch einmal. Doch diesmal bekam er kein Bild. Irgendwas blockierte seinen Beobachtungszauber. Irgendwas hatte die Mauer von Lager vier besteigbar gemacht. Doch anstatt welche flüchteten, kamen Scharen von Neuzugängen, alle unbekleidet und Flavio völlig unbekannt. Es sah so aus, als sei Lager vier kein Inhaftierungs- sondern ein Auffanglager geworden. Ein Sammellager, das nicht nur irgendwer so einfach finden, sondern noch einfacher betreten konnte. Das war ihm unheimlich. Das durfte nicht sein. Für ihn war dieses Schauspiel und die ihm nun verweigerte Direktansicht schlimmer als die Nacht, als sechs Lager gestürmt und aufgelöst worden waren. Hatten die Feinde eine neue Taktik gewählt? Er prüfte Lager eins noch einmal. Die Mauern waren unbesteigbar, die Fernbeobachtungszauber in Kraft. Das Tor war geschlossen.

Einen Tag später versuchte er noch einmal, Lager vier zu beobachten. Doch es verweigerte sich ihm immer noch. Schlimmer noch: Das grüne Symbol auf dem Glastisch in seiner geheimen Überwachungsstation glomm nun türkis. Türkis war keine Farbe, die er bei der Einrichtung festgelegt hatte. Grün, Gelb, Orange und Rot sollten den Sicherheitszustand eines Lagers anzeigen. Dann beschloß Flavio, Lager eins zu räumen.

"Alle Tore auf!" Befahl er und benutzte einen Kontaktzauber zu den Wächtern im Turm unter ihm.

"Wieso räumen wir das Lager?" Fragte einer seiner Gehilfen. Flavio Maquis erwiderte: "Befehl von Minister Didier."

Doch die Tore blieben verschlossen. Die Mauern unbesteigbar und die Sicherheitszauber in Kraft, auch wenn Flavio alle Passwörter korrekt gebrauchte. Das Lager blieb verschlossen. Er wollte disapparieren - und landete in einem der Alptraumlabyrinthe des Lagers. Unvermittelt hörte er hinter sich ein gieriges Schmatzen und Schnüffeln. Er drehte sich um und sah fünf bleiche Frauen, die nadelspitze Fangzähne entblößten und Anstalten machten, ihn zu ergreifen. Sie wollten ihm das Blut aussaugen! Seit dem er als Neunjähriger fast von einem Drillingspaar Vampirinnen zu "ihrem Dreierkind" gemacht worden war, verfolgte ihn die Angst vor diesen Nachtgeschöpfen in seine schlimmsten Alpträume. Er sah sich mit diesen Scheusalen im Liebesspiel, vor einem Zeremonienmagier oder in einem Ballsaal. Der Schrecken, von diesen drei Vampirinnen, die nicht nur in ihrer Daseinsart, sondern auch durch die körperliche Geburt Schwestern waren, war sein ständiger Begleiter. Deshalb wohnte er lieber am Meer oder an einem großen Strom, aß gerne Knoblauch und verstand sich neben der Baumagie auch gut auf Feuerzauber. Er wußte, daß er hier nicht wegrennen konnte. Das waren nur Alptraumgestalten. doch dieser Alptraum würde andauern. Mit seinen schlimmsten Angstvisionen konfrontiert blieb ihm nur noch die Aufgabe. Als er dann im Innenhof des Lagers wieder hervortrat verstand er. Didier hatte bei der Besichtigung des Lagers die Schließzauber verändert. Nur wenn ein Befehl von ihm kam, bei dem er auch die Passwörter übermittelte, konnte Flavio das Lager öffnen.

Alle weiteren Versuche schlugen fehl. Die Besatzung des Lagers rottete sich zusammen, um ihn zu ermorden. Denn sie hatten erfahren, daß er es war, der dieses Gefängnis gebaut hatte. So blieb ihm nur die Flucht in seinen Turm, wo er von den geheimen Nahrungsvorräten zehren mußte, die nur noch vier Wochen reichten, wenn das Ministerium keinen Weg fand, ihn zu befreien. Er erkannte, daß sich eine Festung von einem Gefängnis dadurch unterschied, auf welcher Seite der Tür der Schlüssel im Schloß steckte.

Als sein Kalender den achtundzwanzigsten Januar zeigte wußte Flavio, daß er nur noch zwei Tage zu Essen haben würde. Neue Vorräte waren nicht geliefert worden. Die dort unten würden aber noch bis April conservatempisierte Lebensmittel essen können. Und dann. Er malte sich aus, was die da unten dann essen würden, und er erschauerte. Immerhin konnten sie ihn hier oben nicht erreichen. Die Türen waren für sie unüberwindlich. Die Wächter, die sich mit den Gefangenen verbündet hatten, kamen mit keinem Zauber durch die verstärkten Türen. Sie wußten auch nicht, wo genau er sich aufhielt. Und wie die Keller hatte er auch für hier oben Zermürbungsmaßnahmen eingerichtet, die jeden Feind abhalten konnten.

Der Abend kam, als er ein leises Klingeln hörte. Irgendwer versuchte von außerhalb, die Schutzzauber des Lagers zu entwirren. Flavio hätte vor einem Monat noch Alarm geschlagen. Doch jetzt erschien ihm die Möglichkeit höchst willkommen, daß jene, die die sechs anderen Lager gestürmt hatten, auch Lager eins gefunden hatten. Er wunderte sich nur, daß das so rasch gegangen war. Dann schrillten die Alarmzauber los. Auf seinem Beobachtungswürfel sah er das über dem Lager tobende Gewitter aus silbernem, blauem und rotem Licht. Alle Instrumente in seinem Geheimen Überwachungsraum schlugen voll aus, zerbarsten klirrend oder pfiffen wie unter Überdruck stehende Teekessel. Ein mittelschweres Beben durchlief den Turm. Die Wächter draußen jubelten mit den Gefangenen, als mehrere Dutzend Flugbesen mit Hexen und Zauberern herabstießen. Sie klatschten Beifall. Flavio Maquis erkannte seine Chance. Er würde sich als Gefangener ausgeben. Schnell wechselte er in das Einheitsgrau mit dem Lagerschriftzug und verließ seinen Überwachungsraum. Er eilte hinunter und öffnete die Tür. Doch davor staute sich gerade ein Pulk von Leuten in Grau, ein Wächter dabei.

"Da ist er ja. Endlich kommt die feige Ratte aus ihrem Loch, weil wer kommt und uns abholt", schnarrte eine stämmige Hexe in Insassenkleidung. Maquis wurde sofort an Armen und Beinen gepackt und nach draußen gezerrt, wo die Wächter widerstandslos ihre Zauberstäbe abgaben. Als Flavio Maquis Professeur Tourrecandide unter den Befreiern erkannte wußte er, daß er verspielt hatte. Von mehreren Seiten drangen Leute mit Äxten und Messern auf ihn ein. Doch die Befreier feuerten ein blaues Lichtgewitter auf alle ab. Schmerzensschreie klangen auf. Dann war Ruhe.

"Haben wir sie gerade noch davor bewahrt, von Ihren unfreiwilligen Gästen zu Hackfleisch verarbeitet zu werden, Monsieur Maquis", schnarrte Professeur Tourrecandide. Im Namen von Interimszaubereiminister Delamontagne erkläre ich Sie hiermit für Verhaftet. Gegen Sie wurde in Abwesenheit Anklage wegen Beihilfe zur Nötigung, Freiheitsberaubung, Beleidigung und Anstiftung zur Folter erhoben. Sie werden sich bald vor dem Zaubergamot verantworten, zusammen mit Monsieur Pétain und allen anderen, die aktive Beihilfe geleistet haben."

"Delamontagne ist jetzt Minister? Klar, wo Didier irgendwie von euch in Lager vier hineingeschickt wurde", knurrte Maquis.

"Lager vier? Wo ist das jetzt?" Fuhr ihn Professeur Tourrecandide an.

"Ihr habt das hier gefunden, dann findet ihr auch das andere", schnarrte Maquis. Es gab kein Gefängnis, daß schlimmer war als die Keller dieses Friedenslagers.

"Ihnen ist nicht bewußt, daß ich gerade Gesetzesvollstreckungsbefugnis habe. Ich bin die oberste Leiterin für magische Strafverfolgung. Ich kann entscheiden, ob sie für nur fünf oder fünfzig Jahre ins Gefängnis kommen. In ihrem Fall könnte das dann lebenslänglich sein."

"In Ihrem Fall höchstens", knurrte Maquis. "Wo sie die Urgroßmutter Ihrer Schwester sein könnten."

"Professeur Tourrecandide holte mit der rechten Hand aus, ließ sie aber wieder sinken. "Sie sind es nicht wert, mir an Ihnen die Finger schmutzig zu machen", schnarrte sie. "Abgesehen davon sollten gerade Sie meine Schwester und warum sie jünger als ich aussieht besser nicht erwähnen, Monsieur Maquis. Wenn ich mich richtig entsinne hatten Sie arge Probleme mit der Bekämpfung eines Irrwichtes auf Grund traumatischer Kindheitserfahrungen. Oder möchten Sie, daß ich meiner Schwester eine Nachricht zukommen lasse, Sie würden gerne ihr Sohn werden?" Flavio zuckte zusammen. Ja, sie hatte recht. Er hatte eindeutig was falsches gesagt. Sie wußte von seiner panischen Vampirinnenaversion. Und dieses über hundert Jahre alte Hexenweib brachte es fertig, ihn ihrer von einem Blutsauger geheirateten Schwester auszuliefern, wenn er nicht spurte.

"Lager vier liegt jetzt im Rhonetal. Ich kann Ihnen die geographischen Angaben liefern", sagte er kleinlaut.

"Ich komme in einigen Minuten darauf zurück, wenn wir Ihre gastfreundliche Errungenschaft verlassen haben", fauchte Professeur Tourrecandide. Dann ließ sie ein großes Tuch im Hof ausbreiten, auf das alle in Grau gekleideten stiegen. Keine Minute später waren sie fort. Die Wächter wurden mit Handschellen an die Flugbesen gefesselt, auch Flavio Maquis, der nicht hinter Professeur tourrecandide, sondern Monsieur Pierre aus Millemerveilles angekettet wurde. Denn die Leiterin der Strafverfolgungsbehörde wollte es sich nicht nehmen lassen, das befreite Lager persönlich unbrauchbar zu machen. Als es in den Entladungen der umgekehrten Einsperrzauber in Feuer und Rauch aufging, flog sie selbst davon.

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"... dürfen wir Ihnen allen die Auflösung des vorletzten sogenannten Friedenslagers vermelden", erklang Florymonts Stimme aus dem Radio im ZAG-Schüler-Schlafsaal der Grünen. Alle bewohner jubelten. Das war doch mal ein schönes Aufweckprogramm.

Beim Frühstück verlas Madame Maxime die Meldung, die im Miroir Magique auf Seite eins stand.

DIDIERS SCHÄNDLICHE ERBSCHULD UM EIN WEITERES STÜCK ABGETRAGEN

"... Somit kann noch vor Monatsende mit der Befreiung der letzten unrechtmäßig inhaftierten Hexen und Zauberer gerechnet werden, läßt Professeur Tourrecandide verlauten." Die Schüler nickten. Einige hatten Angehörige, die im Lager eins gesessen hatten. Als sie erfuhren, daß dort wohl im April Schluß mit der Lebensmittelversorgung gewesen wäre erinnerte sie das zu gut daran, wie Didier sie hier hatte aushungern wollen. Nur die Säulen der Gründer hatten sie vor diesem grausamen Schicksal bewahrt.

"Soweit die erfreuliche Nachricht. Die unerfreuliche Nachricht des Tages lautet, daß es wieder zu Überfällen der Kreaturen des Unnennbaren kam. Die Schlangenwesen sollen demnach in Straßburg, Montecarlo und Aix-en-Provence aufgetaucht sein. Offenbar verläßt sich der Feind nicht mehr darauf, daß seine Massenverseuchung alleine wirkt. Es besteht also noch lange kein Grund zu unbeschwerter Freude." Ein Seufzer schwebte durch den Speisesaal. Die Schlangenpest war noch lange nicht ausgerottet. Jeden konnte es jederzeit erwischen. Laurentine und alle, die im Einzugsbereich Straßburg wohnten erbleichten. Ihre Eltern waren akut bedroht. Und was das schlimme war, diese Monster suchten sich ihre Opfer in der Muggelwelt und konnten daher in großen Menschenmassen untertauchen, wenn sie nicht in Echsengestalt auftraten. Julius fragte sich, ob er nicht doch die Wolkenhüter herrufen sollte, um dem Spuk ein Ende zu machen. Wi viele Menschenleben konnte er damit retten? Doch dann erinnerte er sich wieder daran, daß er nur dann um Hilfe rufen sollte, wenn er und alle um ihn herum angegriffen wurden. Verschwendete er die weiße Brustfeder Pterandas, so würde sie ihm wohl nie wieder helfen. Aber wie konnte er das anstellen, in eine derartige Situation zu geraten?

Am Abend erfuhren sie, daß die Entomanthropen sich nicht zurückgezogen hatten. Sie jagten weiter die Schlangenmonster. Offenbar hatte die Wiederkehrerin erfahren, daß diese düstere Sache noch nicht erledigt war.

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"Es werden wieder mehr, o Viergoldschwingenträger", sprach Pteranda zu ihrem Angetrauten, Garuschat XV. Vailadorat, der Weltenwächter, befand sich auch im Thronsaal der Burg, die keiner finden kann.

"Wie viele sind es?" Fragte Garuschat.

"Mindestens zweihundert, über die ganze Landmasse namens Europa verteilt. Sie entstehen auf einmal, nicht mehr durch einen Biß."

"Laßt euch von der Bewahrerin Eures Blutes nicht in was hineinreden, Vater der geflügelten Völker! Diese Wesen sind von den Kerbtiergezüchten getötet worden. Aus dem Nichts heraus können sie nicht entstehen."

"Du wagst es, unsere Worte anzuzweifeln, Viersilberschwingenträger", schrillte Pteranda empört. "Hast du und deine Untergebenen nicht sehen können, was dort unten geschieht? Willst du bezweifeln, daß Skyllians Vermächtnis wieder auflodert? Dann fliege selbst hinunter und sieh dich um!"

"Herr?" Wandte sich Vailadorat an den König, den kleineren Adlermenschen im Trhonsaal.

"Die Bewahrerin meines Blutes entrüstet sich, weil Skyllians Erbe in der Tat nicht aus der Welt ist. Doch wir sind dem Gesetz verpflichtet, nur auf ausdrücklichen Ruf unsere Wolkenhüter auszuschicken. So bleibt uns nur das Warten."

"Dann werde ich die Welten von hier aus weiterbewachen", sagte Vailadorat. Er hatte verstanden, daß es dem König egal war, was nun dort unten passierte. Nach der Erlaubnis des Viergoldschwingenträgers verließ er den Thronsaal.

"Ihr hättet die Erlaubnis zum Töten des Jünglings Julius nicht erteilen dürfen", schnarrte Pteranda ihren Mann an. "Nun werden wir die Strafe des Schöpfers erwarten, weil wir uns seinem Willen verweigert haben."

"Woher will meine Gefährtin wissen, daß ich mein Wort brach und die Tötung des Trägers der Stimme des Schöpfers befahl", schnarrte Garuschat zurück. Doch er wußte es. Seine Gefährtin wußte davon. Doch sie war die einzige, die sein Blut bewahren konnte, bis er starb. Vorher durfte niemand sie anrühren. Er konnte sie zwar verstoßen. Doch sie blieb dann immer noch unantastbar, bis er starb. Pteranda schickte ihm eine Flut von Gedankenbildern zu, in denen er dämmerige Wege zwischen großen, viereckigen Steinbauten sah. Er erkannte, wie ein junges Mädchen ohne viel Kleidung einen länglichen Gegenstand an ihren Arm drückte und wenige Minuten später zu einem Schlangenungeheuer anwuchs. Skyllian hatte einen weiteren Weg gefunden, seinen Fluch zu verbreiten.

"Ihr hättet Vailadorat entsenden sollen, mein Herr. Dann hätte er diese Bilder gesehen, und er hätte bereut, welche Untat er begangen hat, in Eurem Namen."

"Damit kann Skyllian die ganze harte Welt bevölkern. Die flügellosen Kinder der runden Weltenkugel wußten, daß wir ihre einzige Hoffnung sind. Was habe ich getan?" Dachte der König. Ihm war jetzt klar geworden, daß der Befehl, den Jungen zu töten, bald schon seinen Tod bedeuten würde. Denn wenn Skyllians Brut die Welt überzog, würde die Burg, die keiner Finden kann, vom Himmel fallen. So hatte es der Schöpfer festgeschrieben. Denn ihr Dasein war der Kampf gegen Skyllians Brut. Nur wenn jemand sie rief, konnten sie eingreifen. Und es war niemand mehr, der sie rufen konnte. Ihr eigenes Ende rückte näher.

"Sollte doch jemand einen Weg des Schöpfers finden, uns zu rufen, Bewahrerin meines Blutes, so werden alle Wolkenhüter niederstoßen und die Brut Skyllians bis auf den letzten Erdenkriecher ausrotten", bekräftigte der König. Welche Wahl hatte er denn schon. Wollte er nicht als letzter Träger der vier goldenen Schwingen des Schöpfers mit der Himmelsburg niederstürzen, so mußte er hoffen, daß jemand dort unten ein weiteres Zeichen des Schöpfers fand, um sie zu rufen. Denn Vorher würden außer den zehn wachenden Wolkenhütern keine niederfliegen.

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Der Januar war nun schon zwei Tage um. Keine Meldung über das letzte Friedenslager. Alle wichtigen Stellen schwiegen sich aus. Irgendwas paßte da nicht so ganz. Bei der ersten großen Befreiungswelle waren gleich sechs Lager im Sturm genommen worden. Warum wurde Lager vier nicht befreit. Dann kam die Nachricht, die das erklärte.

"Wir haben Monsieur Maquis, der für die Errichtung und Ausstattung der sogenannten Friedenslager verantwortlich zeichnet mehrfach verhört. Mittlerweile müssen wir davon ausgehen, daß Lager Vier der Zufluchtsort des umgewandelten Janus Didier ist. In den Letzten Tagen wurde daran gearbeitet, Absperrungen zu entwickeln, die die zu Kreaturen des Feindes gewordenen Insassen und weitere bedauernswerte Opfer dort isoliert, wo sie sich gerade befinden. Doch die uns bekannte Unangreifbarkeit dieser Geschöpfe läßt uns an unsere Grenzen stoßen. Uns bleibt nur, Methoden zu erarbeiten, die die Kreaturen längere Zeit auf nichtmagische Weise von der festen Erdoberfläche lösen kann. bis dahin gilt es, Wachen in der Nähe des Lagers zu platzieren, die sofort melden, wenn die Kreaturen einen Ausfall durchführen. Mit großer Besorgnis müssen wir auch feststellen, daß irgendwer einer andren Macht, die wir nicht gerade als freiheitlich und menschlich einschätzen, den Standort des letzten Lagers verraten haben muß. Wo die undichte Stelle liegt wird noch ergründet."

"Was heißt das, einer anderen Macht?" Wollte Robert wissen, als nach Monsieur Delamontagnes Durchsage betretenes Schweigen im Schlafsaal der ZAG-Schüler einkehrte.

"Er meint die, die sich Sardonias Erbin nennt, Leute. Offenbar hat sie ihre Monsterbrummer dahingeschickt, wo das letzte Lager ist, um die Schlangenbiester von Lord Unnennbar beim herauskriechen zu erledigen, wie Vögel die Würmer fangen", erwiderte Julius. Einerseits hätte er schon längst die Wolkenhühter Pterandas gerufen, um die Monster auf einen Schlag auszulöschen. Andererseits behagte es ihm auch nicht, daß Anthelia sich dieses Verdienst anrechnen lassen durfte. Die könnte dann nach der ganzen Aktion öffentlich auftreten und ein Dankeschön von der französischen Zaubererwelt einfordern.

Die Stimmung in der Schule war gedrückt. Viele erfuhren aus den Zeitungen vom Eingeständnis Delamontagnes, nichts tun zu können, bis sie geeignete Mittel hatten, die Schlangenkrieger zu erledigen. Am Abend brach dann schließlich das los, wovor sie alle Angst hatten.

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"Sie wissen, wo ihr seid. Brecht aus, taucht unter der Erde entlang und greift die Zentren der Zaubererwelt an. Die, die dort geboren sind führen euch an", erscholl der für alle geltende Ruf des Meisters. Er betraf die im Lager vier, sowie die, die noch auf dem Weg dorthin waren und von den Entomanthropen aufgepickt wurden, wenn sie es wagten, oberirdisch zu laufen. Auch Berno empfing diesen Ruf und versuchte, den Kameraden entgegenzurennen. Da schwirrte eine Dreierformation geflügelter Ungeheuer auf ihn zu. Er wollte sich gerade auf den Boden werfen, um in der festen Erde zu verschwinden, da hatten sie ihn schon ergriffen und hochgerissen. Er sah noch eine Frau mit haselnußbraunen Haaren, die auf einem Reisigbesen neben den drei Monstern herflog, die halb Bienen und halb Menschen waren, da fühlte er, wie ihm irgendwas die Kraft entriß. Er hörte es prasseln und sah Blitze durch seine Füße zu Boden schlagen. Die Insektenmonster aus einer anderen Welt hielten ihn fest. Er schrie, als er fühlte, wie er sich in den gerade siebzehnjährigen Fichser zurückverwandelte. Er schien aus einem Traum zu erwachen. Nein, der Alptraum ging weiter. Denn die laut dröhnenden Riesenbrummer zerrten an ihm. Einer schwang sich über ihn, um ihm einen Stachel wie ein Schwert in den Leib zu jagen. Da ließ das Biest von ihm ab. Auch die anderen Brummer ließen ihn los. Er fiel. Doch er schlug nicht hart auf. Etwas umfing ihn und ließ ihn sicher aufsetzen. Die Bienenbiester blieben laut schwirrend über ihm. Er zitterte, nicht weil er wieder einen Affen schob, sondern vor Kälte und vor allem vor Angst. Eine Minute stand er so da, weil er zu schwach war, wegzulaufen. Außerdem hatte er nichts an. Wo war er hier eigentlich?

"Hast ein Schweineglück, Jungchen, das ich das noch rechtzeitig gemerkt habe, daß das Teufelszeug bei dir nicht richtig gewirkt hat", sagte die Frau auf dem Besen, 'ne richtige Hexe.

"Hallo, ich weiß, mancher Trip macht die härtesten Filme. Aber in dem Film wollte ich nich' mitspielen", erwiderte Berno, als die Besenreiterin neben ihm landete. Sie trug ein weites, himmelblaues Kleid und wirkte irgendwie leicht erschöpft. Sie atmete etwas laut. Doch dann sprach sie ruhig weiter: "Woher hast du dir das eingefangen?"

"Ähm, was eingefangen? Ich meine, das passiert doch nich' echt. Das ist nur'n Horrortrip von diesem komischen Zeug aus der Ampulle, der volle Alptraumflash und ..." Da erwischte ihn für eine Sekunde eine Welle von Schmerz, den er bis dahin nie verspürt hatte. Er schrie auf. Als die Hexe ihren Zauberstab wieder sinken ließ, hockte Berno am Boden. Sie schien auf irgendwas zu lauschen oder sich zu konzentrieren. Dann sagte sie: "Ich kann dir wehtun. Du kannst das spüren. Du bist wach. Am besten ziehen wir zwei uns mal wohin zurück, wo du mir deine Geschichte erzählen kannst." Dann sah sie die Insektenwesen an und hob einen merkwürdigen gelben Stein hoch. Berno vermeinte, darin eine große Fliege oder Wespe zu sehen. Dann schwirrten die Riesenbrummer davon. Im nächsten Augenblick hielt ihn die Hexe bei der Hand und zog ihn mit sich. Mit lautem Knall verschwanden sie.

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Janus Didier und seine Frau freuten sich. Endlich durften sie hinaus und die Armee des Meisters vergrößern. Janus sprach als Anführer zu einer Gruppe aus hundert Artgenossen: "Wir greifen dort an, wo die Feinde unseres Meisters ihre Kinder haben. Außerdem will ich dort drei Leute erwischen, die mich schon lange geärgert haben." Dann tauchten die Schlangenmenschen in den Boden ein und verschwanden. Sie schwammen unter den auf sie wartenden Insektenmonstern hindurch. Nur wenige wagten es, sich aus der Erde zu lösen. Sie wurden gepackt und hochgerissen. Weil ihre Herrin nicht da war, um sie abzuhalten, erfüllten sie ihren vor zwei Monaten eingegebenen Auftrag. Doch von den vierhundert, die nun im Lager waren, konnten dreihundertsechzig unangefochten entwischen. Anderswo in Frankreich begannen weitere, bis dahin auf der Suche nach den Artgenossen befindliche Neuskyllianri, willkürlich um sich zu beißen, denn nun galt nicht mehr die Suche, sondern der Kampf. Voldemorts und Skyllians bösartige Brut brach nun über die Menschen herein wie ein Wintersturm.

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Die Nachricht von den Angriffen verbreitete sich mit rasender Geschwindigkeit. Die Geheimhaltung der Zauberei stand kurz vor ihrem Ende. Da die Zauberer und Hexen des Ministeriums nichts gegen die Schlangenwesen selbst tun konnten, blieb ihnen entweder nur die Gedächtnismodifizierung der Zeugen und die Versuche, die Gebissenen auf die Dauerhaftigkeit der Wirkung zu prüfen. doch einige Schlangenmenschen waren solche, die von richtigen Skyllianri gebissen worden waren. Besen verloren ihre Flugmagie. Und so fielen den losgelassenen Bestien am ersten Tag des Ansturmes zwanzig weitere Zauberer und wohl auch etliche Muggel zum Opfer. Es herrschte Kriegszustand, schlimmer als zur Zeit der Dementorenangriffe, schlimmer noch als unter Didiers verblendeten Maßnahmen. Die Saalsprecher in Beauxbatons wurden angehalten, ihre Kameraden auf eine mögliche Evakuierung vorzubereiten. Falls es ging, wollten sie alle Schüler nach Millemerveilles bringen. Falls es auch dort keine Ruhe gab galt, daß die Angreifer, wenn sie auch hier auftauchen sollten, keinen mehr vorfanden, den sie beißen konnten. Es wurden Nachtwachen eingeteilt, die auf dem Dach des Palastes und in den Kellerräumen aufpassen sollten, ob irgendwas den Palast erschütterte. Julius traf sich am Abend des dritten Februar mit Madame Maxime und der Sub-Rosa-Gruppe, als sein Saalsprecherkollege Giscard noch einmal die Fluchtwege durchging.

"Ich muß damit rechnen, daß wir spätestens übermorgen angegriffen werden. Didier war im Lager 4. Er könnte auch in der Verwandlung befinden, der Zaubererwelt einen schweren Schlag zu versetzen, wenn er die Akademie angreift", sagte Madame Maxime.

"Er stellt keine Forderungen oder sowas?" Fragte Julius.

"Sie meinen den, der sich Lord Voldemort nennt?" Fragte Professeur Faucon.

"Genau den. Wenn ich die Welt beherrschen wollte, würde ich nur ein Ziel angreifen und dann drohen, alle anzugreifen. Aber so wie es aussieht hat er seine Monster ganz von der Kette gelassen."

"Julius, da draußen sterben Menschen oder werden selbst solche Biester", schrillte Gabrielle Delacour, die mit einer Tränenflut kämpfte.

"Genau deshalb will ich ja wissen, warum er das jetzt macht, verdammt noch mal!" Polterte Julius zurück. Doch lauter als er und Gabrielle zusammen dröhnte Madame Maximes Stimme:

"Hier darf nur eine laut werden, und das bin ich!! Reißen Sie sich zusammen!!" Dann sprach sie in einer ohrenfreundlichen Lautstärke weiter: "Ihre Großmutter ist mit Ihrer Familie in Sicherheit. Sie befinden sich auf einem Segelschiff vor der Atlantikküste. Unter Umständen werden sie Ihre Schwester und deren Familie aus England abholen, Mademoiselle Delacour. Und was Sie betrifft, Madame und Monsieur Latierre, so halten die Sanctuafugium-Zauber um Tournesol und Florissant. Ihre Angehörigen sind dort alle wieder in Sicherheit. Die meisten anderen versuchen, nach Millemerveilles zu kommen. Die Rue de Camouflage wird von unseren fragwürdigen Zweckverbündeten überwacht, den Entomanthropen. Viele Zauberer und Hexen benutzen das Flohnetz oder die Besen, um möglichst außer Reichweite zu bleiben. Die Grenzstation ist angehalten, Flüchtlinge nach reiner Personalienaufnahme weiterreisen zu lassen. In Übersee gibt es diese Bestien nicht. Monsieur Delamontagne hat mit diversen Zaubereiministerien in Afrika und Australien ausgehandelt, Flüchtlinge in den Gasthäusern unterzubringen, sofern sie keine Verwandten haben. Er versuchte auch, diesen Sturkopf Wishbone zu überzeugen, daß er die Grenze wieder aufmachen soll. Aber der schottet sich jetzt erst recht ab, wo seine Spione ihm vermeldet haben, daß die Saat dieser Bestien auch in gewöhnlichen Injektionsgeräten der Muggel transportiert und damit auch in den Staaten verabreicht werden kann."

"Wo die Wiederkehrerin bestimmt noch ein paar tausend Entomanthropen hat", schnarrte Julius. Madame Maxime räusperte sich nur.

Ein ehemaliger Schulleiter, der Julius' Wissen nach ein Gegenstück in Millemerveilles hatte, trat in sein Bild und verkündete:

"Dusoleils Ballons funktionieren. Anhand der von Madame Andrews und Monsieur Brickston erhaltenen Erläuterungen konnte er hundert Heißluftballons herstellen, die gegen Millemerveilles anrennende Echsenbrütige mit Schleppnetzen einfangen und dann aufsteigen. Damit konnten fünfzig dieser Wesen unschädlich gemacht werden. Wo die Verwandlung nach der Loslösung aufhörte, gelangten die befreiten nach Millemerveilles. Wo sie vorhielt, wurden die Kreaturen per Todesfluch eliminiert. Die Ballonpatrouillen fligen weiter."

"Ballons? Hat mir ja gar keiner was von erzählt", staunte Julius. "Aber die können nur dahin, wo der Wind hinweht."

"Zur Steuerung werden Besenflieger herangezogen, bis die Ballons über den Angreifern schweben", sagte Professeur Faucon. "Das war eine Idee meines Schwiegersohnes." Sie lächelte dabei. "Ein sehr gelungener Kompromiß, um die Windabhängigkeit der Ballons und die Magieabhängigkeit der Besen gegeneinander auszugleichen. Der Plan wurde im Dorfrat von Millemerveilles vor zwanzig Tagen erörtert, als die Verbreitung des Skyllianrigiftes im Gange war. Ich frage mich allerdings, wieso so viele Giftdosen durch unsere Kontrollen geschlüpft sind."

Julius schlug sich vor den Kopf. Warum hatte er das nicht gleich vermutet. "Der hat das Zeug an Rauschgifthändler verteilt. Hätte ich doch drauf kommen müssen, wo ich Madame Rossignol und den Doppelkolleginnen von mir gezeigt habe, was eine Spritze ist."

"Natürlich", schnarrte Professeur Faucon. "Aber trösten Sie Sich! Ich kenne diesen dunklen Auswuchs einer auf Vergnügungen und schnellen Gewinn abzielenden Gesellschaft auch aus den nichtmagischen Medien. Es ehrt Sie, Monsieur Latierre, daß Ihnen diese kriminellen Geschäfte mit dem Leben anderer Menschen nicht so spontan eingefallen sind wie der Schutz des Allgemeinwohls durch Immunisierung gegen Krankheitserreger."

"Nur, daß dadurch vielleicht ein paar tausend von den Biestern durch das Netz geschlüpft sind", grummelte Julius. "Lord Massenmord sind die ganzen Junkies eh total egal. Auch nur Muggel." Madame Maxime räusperte sich und deutete dann auf den Boten der guten Nachricht im ganzen Chaos. "Melden Sie Monsieur Pierre, daß wir im Falle, daß wir angegriffen werden, möglichst viele der Schüler in Millemerveilles unterbringen möchten, sofern wir Zeit haben, die Reisesphäre zu benutzen. Und dann kehren Sie umgehend zurück, um auf neue Anweisungen zu warten!" Der gemalte Ex-Schulleiter nickte und verschwand aus seinem Bild.

"Glauben Sie, daß die Säulen der Gründer einem Ansturm dieser Monster standhalten?" Fragte Julius.

"Das weiß ich nicht", zischte Madame Maxime. "Immerhin haben die Gründer bedacht, daß eine mächtigere Zauberkraft dagegen aufgeboten werden kann. Die Schlangenkreaturen widerstehen, solange sie auf dem Boden herumlaufen, jeder magischen Gewalt. Die Menge von ihnen könnte die Schutzkuppel der Gründer durchdringen. Daher müssen wir sehr gut aufpassen, um rechtzeitig flüchten zu können."

"Mit der Reisesphäre haben wir die Schule in einer Viertelstunde geräumt", wandte Professeur Faucon ein. "Die Frage ist nur, ob wir die Zeit haben."

"Angriff auf die Rue de Camouflage", schrillte eine frühere Schulleiterin in violettem Rüschenkleid. "Mindestens einhundert dieser Bestien dringen dort ein."

"Hoffentlich kommen die nicht auch durch die Kamine", unkte Millie. Dann wandte sie sich Orion dem Wilden zu, der gerade in Madame Maximes Besprechungssaal ankam. "Turnesol steht sicher. Ursuline hat sieben von denen gesehen, wie sie von dem Zauber zurückgedrängt wurden."

"Offenbar wollen sie nicht die einzelnen Schlösser angreifen und konzentrieren sich auf die Ballungszentren der Zaubererwelt", vermutete Professeur Faucon.

"Wir sind Didier losgeworden, um jetzt von diesen alten Ungeheuern überrannt zu werden", schnaubte Madame Maxime. "Wir haben den Drachen mit dem Basilisken ausgetrieben."

"Nicht wir", knurrte Professeur Faucon. "Womöglich hat der Massenmörder Didiers Rückzug genau deshalb geplant, um ihn zum Führer dieser Streitmacht zu machen. Er hätte jederzeit aus Lager vier ausbrechen können, noch bevor wir von diesem Handlanger Maquis erfuhren, daß er dort untergetaucht ist."

"Er mußte warten, bis sein Herr und Meister den Befehl gab", grummelte Julius. Gabrielle saß derweil da und blickte die Bilder an der Wand an. Jederzeit konnte jemand darin eine neue Schreckensmeldung verbreiten. Dann sagte Madame Maxime:

"Monsieur Latierre, bereiten Sie sich bitte darauf vor, das Hilfsmittel zu verwenden, daß sie erhalten haben, um im Fall der Notlage Hilfe anzufordern!" Julius nickte. Er hatte Pterandas Feder immer dabei. Er mußte sie nur mit Hexenkelchsamen und einigen andren Ingredentien zusammen verrühren, trinken und dann hoffen, daß er den Hilferuf an Pteranda absetzen konnte.

"Die beste Wirkung erzielen Sie wahrscheinlich außerhalb der Mentiloquismussperre", sagte Madame Maxime. Dann sah sie Julius an und befahl: "Überlassen Sie diese Feder mir! Da ich die letzte sein werde, die Beauxbatons verläßt, kann ich den Hilferuf außerhalb der Sperre absetzen. Auch wenn diese Wesen übermenschlich stark sein mögen bin ich physisch doch um einiges besser auf eine direkte Auseinandersetzung mit ihnen vorbereitet als Sie."

"Es wurde berichtet, daß sie mit ihren Augen eine magische Lähmung oder Unterwerfung erzeugen können", wandte Professeur Faucon ein.

"Wenn ich ihnen in die Augen sehe", schnarrte Madame Maxime. "Nach allem, was ich von diesen Geschöpfen weiß, sind sie gerade zwei Drittel so hoch wie ich. Ich kann also problemlos über sie hinwegsehen, wenn ich meine hochhackigen Schuhe anziehe."

"Und ihr Gift?" Fragte Millie verunsichert.

"Da muß ich mich wohl vor hüten", knurrte die Halbriesin. Julius zog die weiße Feder aus seinem Brustbeutel und gab sie der Schulleiterin.

"Ich bitte um die Erlaubnis, Goldschweif als Begleiterin für meine Nachtwache mitnehmen zu dürfen", sagte Julius. Die Schulleiterin genehmigte das ohne nachdenken zu müssen. Da im Moment nicht an einen geordneten Schulbetrieb zu denken war, konnten die Schüler nachts länger aufbleiben. Die älteren von ihnen wachten mit Fernrohren und Omnigläsern.

"Gut, mehr können wir im Moment eh nicht mehr erörtern, was nicht auch die anderen mitbekommen können", beschloß Madame Maxime die Sitzung. Dann schickte sie Gabrielle, Millie und Julius wieder in ihre Wohnsäle zurück. Julius holte auf dem Weg die Knieselin Goldschweif, die ihm bereits entgegeneilte, als er aus dem Palast kam.

"Ihr habt ganz viel Angst. Will euch jemand angreifen?" Fragte sie nur für ihn verständlich. Er sagte: "Ja, ganz gefährliche Wesen wollen uns angreifen. Ich hoffe, du kannst spüren, wenn sie kommen, bevor sie nahe genug sind, um uns was zu tun."

"Ich sage es dir sofort", erwiderte Goldschweif und sprang auf Julius rechte Schulter.

Im grünen Saal durften die jüngeren Schüler, die noch keinen Kniesel gesehen hatten über Goldschweifs Fell streicheln, während sie wie eine kleine Königin Auf Julius' Schoß thronte. Gegen halb elf schickten die Saalsprecher die jüngeren ins Bett. Julius meinte dann noch:

"Legt eure Umhänge und Zauberstäbe nahe genug, daß ihr die nehmen könnt, falls wir schnell rausmüssen!"

"Gibt es nix, was gegen die Viecher hilft?" Wollte Marie van Bergen wissen, die bange auf Nachrichten aus Belgien wartete.

"Die sind unverwundbar, solange sie auf dem Boden rumlaufen", erwiderte Julius.

"Wie die Borg?" Fragte Pierre Marceau.

"Genauso", bestätigte Julius. "Die denken wohl auch so wie die und verhalten sich total unterwürfig."

"Wer bitte sind die Borg", schnarrte Antoine Lasalle, der zugehört hatte. Julius erklärte es ihm, während die Erst- bis Drittklässler in ihre Schlafsäle gingen.

"Schon eine ziemlich gruselige Sache, von irgendwelchen eingepflanzten Sachen gesteuert zu werden", meinte Antoine dazu.

"Mach's Radio an! Ich möchte wissen, ob noch wer sendet", sagte Gérard Laplace. Julius nickte und holte sein Radio herunter in den Aufenthaltsraum.

"... können wir nun mit sicherheit sagen, daß die Angreifer darauf ausgehen, die Zentren der Zaubererwelt zu bestürmen. Madame Lefeu, die für uns über der Rue de Camouflage fliegt, hat an die zwanzig dieser Wesen gesehen, die in das Zaubereiministerium einzudringen versuchen. Nebenbei brechen die übrigen in die Läden und Häuser ein, um die Bewohner anzugreifen. Nur die frühe Warnung hat wohl schlimmeres verhindert", sprach Florymont Dusoleil sichtlich angespannt. "Die hier in Millemerveilles eingerichtete Abwehrmaßnahme gegen einen Überhang dieser Kreaturen funktioniert, solange es geht, vier Wesen mit einem Netz zu erwischen. Also rät Ihnen Professeur Tourrecandide, die zur Zeit die Einsätze in den Städten leitet: Kommen Sie unverzüglich nach Millemerveilles. Benutzen Sie die Kamine Chapeau du Magicien, Mercurio und die Kamine der Grünen Gasse Nord, Mittel und Süd!"

"Klingt nach ziemlich viel Ärger", unkte Robert Deloire, der mit Céline zusammenstand.

"Er will es jetzt wissen", schnarrte Julius. "Er hat seit mehreren Monaten eine gefährliche Streitmacht, schlimmer als die Dementoren herangezogen und will uns damit jetzt fertigmachen."

"Dementoren? Die könnten auch noch kommen", seufzte André Deckers.

Das Radio meldete weiter, was in anderen Städten passierte. Doch viel neues kam dabei nicht herum. Offenbar zogen befallene Leute aus den Städten los, um das Zaubereiministerium und die Rue de Camouflage anzugreifen. Die Delourdesklinik wurde evakuiert, als die ersten Schlangenkreaturen im Überwachungsbereich auftauchten. In Millemerveilles entstand eine Zeltstadt, und Monsieur Renard hatte alle von ihm erworbenen transportierbaren Ferienhäuser um sein Gasthaus aufgestellt. Die Schule, das Gemeindehaus und andere großen Gebäude wurden zu Schlafstättenumfunktioniert. Julius dachte daran, wie er im Rathaus Schach gespielt und Millie geheiratet hatte. Wie viele Leute mochten jetzt schon dort untergekommen sein. Wenn es wenigstens Sommer gewesen wäre hätten sehr viele draußen in den Parks schlafen können.

"Ich muß raus zur Wache", sagte Julius kurz vor halb zwölf. Die anderen nickten nur. Giscard hatte Saalaufsicht.

Als Julius mit Goldschweif und seinem Superomniglas auf dem Dach des Palastes stand und in die Nacht blickte kam er sich vor wie ein Soldat, der weiß, daß morgen die letzte Schlacht stattfand. Er hatte seiner Mutter keinen Brief mehr geschrieben, obwohl die Eulenpost nun wieder regelmäßig geliefert wurde. Er dachte an seinen Namensvetter, den römischen Feldherrn und Diktator Gaius Julius Caesar, der für Rom neue Provinzen erobert hatte und doch nicht mit Verrätern aus seinen Reihen gerechnet hatte. Er dachte an seinen Großonkel, der bei der Landung in der Normandie gefallen war, um Hitler-Deutschland zu besiegen. War es ihm bestimmt, sein junges Leben zu opfern, um der ganzen Welt zu helfen, Voldemort zu besiegen? Oder würde er nur hilflos dabeistehen können, bis alles gelaufen war? Goldschweif hockte auf seiner Schulter und lauschte in die Nacht. Die Knieselin hatte feinere Ohren als er und ein ausgeprägtes Gespür für Magie. Er wünschte sich, daß die Entomanthropen der Wiederkehrerin oder die von Madame Faucon und den Vogelmenschen erwähnten Wertiger in der Nähe wären. Diese Ausgeburten waren zwar nicht ungefährlicher, konnten aber mit den Schlangenkriegern fertig werden. Warum hatte er nicht schon längst die Feder benutzt?

Er sah mit Hilfe der Restlichtverstärkung, wie Madame Maxime mit einer verkorkten Flasche im Westen in den grünen Forst ging, jenen ringförmigen Wald, der Beauxbatons nach außen bis auf wenige Stellen abgrenzte. Wo waren die anderen Lehrer?

"Du wartest darauf, daß sie kommen, nicht wahr?" Hörte er Corinnes Stimme hinter sich. Goldschweif hatte sich nicht gemuckst. Julius bejahte es.

"Entweder heute oder morgen, Corinne. Sind deine Eltern in Millemerveilles?"

"Ich weiß es nicht. Vielleicht sind sie auch in Brüssel in der Muggelstadt untergetaucht", erwiderte Corinne. "Was in Belgien, der Schweiz oder Luxemburg los ist bringen die ja nicht im Radio oder?"

"Doch, eben gerade hieß es, daß Güldenberg, der deutsche Zaubereiminister, mehrere hundert Heißluftballons von den Muggeln stiebitzt hat und sich von einer Gruppe Alchemisten Wasserstoffballons aufblasen läßt. Irgendwer muß denen verklickert haben, wie freier Wasserstoff gewonnen wird."

"Der klaut Ballons? Wozu das denn?" Wollte Corinne wissen.

"Um die Biester aufzuheben, wenn sie angreifen", sagte Julius. "Wenn du die ohne Levitationsmagie vom Boden wegkriegst sind sie so gut wie wehrlos."

"Weiß das auch der belgische Zaubereiminister?" Wollte Corinne wissen.

"Wenn Güldenberg das weiß wissen die in deiner Heimat das auch", beruhigte sie Julius. Sie nickte ihm zu und winkte mit ihrem Omniglas. "Ich geh dann mal wieder in meine Ecke. Ich habe nur gemerkt, daß du heute mal nicht zugemacht hast und wollte wissen wieso. Ich hoffe, wir kommen hier schnell genug weg."

"Eigentlich könnte Madame Maxime jetzt schon alle hier rausschaffen", schnarrte Julius.

"Sie will ihren Bau nicht ohne Kampf aufgeben", erwiderte Goldschweif darauf. Corinne verstand die Knieselin zwar nicht. Doch ihre empathischen Gaben verrieten ihr wohl, daß das Katzenwesen für Julius verständlich geantwortet hatte.

Mitternacht kam und ging. Julius fühlte sich trotz mehrfacher Pullover und dickem Winterumhang kalt. Goldschweif kuschelte sich eng auf seiner Schulter zusammen. Im Moment war alles soweit friedlich. Absolute Stille lag über Beauxbatons wie über einer Gruft. Er hörte keinen seiner Mitschüler.

"Was machen deine Kinder, Goldschweif?" Fragte Julius, um das Schweigen zu brechen.

"Sie laufen wohl herum, um zu jagen", maunzte Goldschweif. Dann entrollte sie sich und sprang auf den Boden. "Was ganz unheimliches und böses kommt, Julius. Es kommt durch den Boden wie die Würmer."

"Also doch", schnarrte Julius und hob seinen Zauberstab an den Kehlkopf: "Sonorus!" Fauchte er. Dann rief er überall hörbar: "Achtung, Goldschweif meldet unterirdisch herankommende böse Wesen! Wir werden angegriffen. Goldschweif meldet unterirdisch herankommende böse Wesen! Wir werden angegriffen!" Madame Maximes Stimme erklang nun ebenso magisch verstärkt:

"Alle Schüler ausrücken zum Ausgangs..." Rums! Der Boden erzitterte wie bei einem Erdbeben. Julius fühlte, wie er für einen Sekundenbruchteil den Halt verlor. Gleichzeitig verfärbte sich der tintenschwarze Nachthimmel. Eine hellblaue Kuppel stand über ihm, in der silberne Schlieren irrlichterten. Die Säulen hatten den magischen Schutzschirm verstärkt. Wieder rumste es. Wieder zuckten silberne Schlieren durch den blauen Strahlendom, der bedenklich erzitterte.

"Kommando zurück. Alle Schüler in die Säle!" Rief Madame Maxime. Julius konnte sie erkennen, wie sie an einem Fluß entlang zurückrannte und mit weit ausgreifenden Schritten durch das offene Tor preschte. Er jagte über das Dach zum Einstieg in das untere Stockwerk. Da krachte es wieder. Er konte noch silberne Blitze erkennen, die aus dem blauen Schirm herausschlugen und in der Luft zerfaserten. Jeder Schild hatte eine Maximalbelastungsgrenze. Goldschweif jagte hinter Julius her und setzte auf seine Schultern über.

"Sie kommen von unten. Ihr müßt wegfliegen."

"Wir wollten die Reisesphäre ..." setzte Julius an, als es wieder bebte. Er hörte ein kurzes Sirren von oben und sah ein silbernes Licht in das Treppenhaus hineinfluten.

"Schüler von Beauxbatons! Wir sind die Gründer eurer Schule, eure Vorfahren und Schutzherren", erklang wie von überall her ein Chor aus Stimmen, wohl den Gründern. "Rettet euch mit Hilfe der Säulen, denn ein übermächtiger Feind bedrängt euch und wird nicht mehr lange abgehalten. Laßt euch von unseren Nachfahren zu den Füßen und Köpfen der sechs Säulen geleiten!" Wieder krachte ein Erdstoß. Staub rieselte von den Wänden.

"Hoffentlich bleibt von Beauxbatons noch was übrig", meinte Julius. Goldschweif schnarrte: "Sie wollen mit ganzer böser Kraft hinein. Ich höre sie nun auch auf dem Boden gegen die gute Kraft anrennen."

Drei weitere Erdstöße später erreichte Julius den grünen Saal. Durch die Fenster sah er, wie silberne Lichtkaskaden im immr grobmaschigeren Energiefeld tobten. Die ersten Flüchtlingspulks kamen aus dem Schlafsaaltrakt.

"Ich bringe euch zum Fuß der Säule. Magistra Eauvive, bitte teilen Sie Argon Odin mit, er möchte mit genug Leuten zum oberen Ende laufen!"

"Verstanden", wiederholte Magistra Eauvives Bild-Ich und eilte davon.

Okay, Leute, ist noch wer da oben in den Betten?!" Rief Julius. "Alle Klassen aufstellen!" Giscard sah ihn komisch an, weil er so einfach das Kommando übernommen hatte. Doch was hatten die Gründer gesagt: Die Nachfahren sollten führen. Julius wurde ja von vielen "Säulenheiliger" genannt, weil er mit Millie, Patricia, Argon und acht anderen die sechs Säulen aktiviert hatte, über die sie zu Essen bekommen hatten. Also mußte er jetzt die Führung übernehmen. Giscard formierte mit Yvonne und Céline die Schüler. Er rannte noch einmal in den Jungentrakt und kehrte mit Louis Vignier zurück, der sich im Badezimmer einzuschließen versucht hatte. Dann liefen sie aus dem Saal.

"Nicht aus dem Palast hinaus!" Rief Madame Maximes magisch verstärkte Stimme. "Sie rücken zu mindestens hundert an!"

Julius lotste die Saalkameraden durch Korridore, während es weiter bebte. Sie liefen nach unten. Da waren doch die Angreifer. Doch sie waren offenbar noch nicht durch die Abschirmung, die wohl auch bis in den Boden hinein wirkte. Goldschweif klammerte sich an seiner Schulter fest und maunzte, daß sie nun von unten und von norden her anstürmten. Es seien unterschiedliche Gegner. Die einen wären sehr alt und führten. Die anderen liefen nur nach. Damit hatte Julius gerechnet.

"Wenn die durch den Boden brechen sind wir unten bestimmt ziemlich übel dran", protestierte Louis Vignier. "Besser wir fliegen von hier weg."

"Dann verfolgen sie dich am Boden, bis du landen mußt, du Memme", schnarrte Antoine Lasalle.

"Arschloch", polterte Louis. Giscard schritt ein und mahnte alle zur Ruhe.

"Die Gründer haben bestimmt eine Art Nottransporter eingerichtet", fügte Julius hinzu. "Außerdem sind wir gleich unten."

Noch einmal krachte es. Von draußen klang nun ein lautes Schwirren und Heulen, als wenn Sturm durch enge Ritzen fuhr. Dann waren sie an der geheimen Tür, durch die Julius die Säule Viviane Eauvives verlassen hatte. Ein Hauself hockte bibbernd davor. Julius berührte die Tür. Diese schwang auf. Dahinter erhob sich die goldene Plattform. Doch nun stand ein gleißender blauer Torbogen darüber, breit genug für vier Leute.

"Scharf, ein Transmittertor", entfuhr es Pierre. Julius atmete auf. Die Gründer hatten nicht die Transportmagie für die Lebensmittel aktiviert, sondern einen direkten Durchgang geschaffen. Wohin genau wußte jedoch keiner.

"Sieht so aus, als wäre das Portal mit einer festen Gegenstelle verbunden", sagte Julius, der durch das Tor nebelhaft eine große Halle erkennen konnte. Womöglich war das Tor nur in eine Richtung passierbar. Er mußte sich also darauf verlassen, daß alle sicher ankamen. Er verschenkte keinen Gedanken daran, daß die Verbindung vor tausend Jahren eingerichtet worden war. Was konnte in der Zeit alles passiert sein?

"Die mit mehr als einer Sprache gehen zuerst durch, um im Zweifelsfall zu übersetzen", befahl Julius. Er nahm sich dabei zuerst aus. Er winkte Marie, Carmen, Laurentine und Giscard, von dem er wußte, daß er ein wenig Italienisch konnte. Carmen hatte spanische Verwandte, und Gabrielle hatte ja etwas Englisch gelernt. Giscard sah ihn finster an und setzte an, auf seine Autorität als Saalsprecher zu pochen. Doch die nachdrängenden Schüler trieben ihn an, zu gehorchen. Sollte Beauxbatons dieses Chaos überstehen, konnte er ihn immer noch zurechtweisen. Falls nicht, war es egal. Er sprang förmlich durch das blaue Lichttor und schien darin zu zerfließen. Dann war er auf der anderen Seite, durch den feinen, bläulich-goldenen Nebel hindurch. Laurentine zog Marie mit sich und dann auch Louis, den Angst und Faszination zugleich antrieben, das Teleportal zu durchschreiten.

"Monju, aus meinem Saal sind welche noch im Palast unterwegs, und ich wollte nicht länger warten", erklang Millies Gedankenstimme in Julius' Kopf. Offenbar war seine Frau schon mit einem Teil ihrer Leute unterwegs zu ihrem Ausgang der Säule von Orion. Krawumm!! Eine Erschütterung, die das ganze Gebäude wie eine gewaltige Pauke erklingen ließ schleuderte alle von den Beinen. Sie wollten es also wirklich wissen. Doch das blaue Tor stand stabil. Offenbar war der Schutzdom und das Portal unabhängig voneinander, oder der Dom bekam weniger Energie, um das Portal offen zu halten. Viel zu technisch gedacht, erkannte Julius. Das waren zwei unterschiedliche Zauber, die unterschiedliche Kräfte brauchten. Mit einfachen Handbewegungen brachte er die Leute dazu, Viererkolonnen zu bilden. Da Giscard bereits mit den ersten durch das Tor gegangen war, beaufsichtigten Céline und Yvonne von hinten den Durchgang. Julius eilte nach oben an den nun schnell voraneilenden Schülern vorbei und zischte Yvonne zu: "Es sind noch welche im Palast unterwegs, die eingesammelt werden müssen. Ich suche die mit Goldschweif. Schickt alle durch und geht selbst. Ich weiß ja, wo ich hin muß!"

"Woher weißt du das?" Schnarrte Yvonne, die gerade zwei große Jungen abhielt, sich vorzudrängen und dabei fast Leute die Treppe hinunterwarfen.

"Goldschweif", log Julius und deutete auf die Knieselin. Dann lief er los, zurück in die allgemeinen Bereiche. Das Magische Tierwesen leitete ihn. Es waren nicht nur fehlende Rote, sondern wohl auch ein paar weiße. Zumindest fand Julius unterwegs Deborah Flaubert, die als Saalsprecherin nach ihren verstreuten Leuten suchte. Zusammen mit Julius fand sie diese nach fünf Minuten. In der Zeit krachten weitere Erdstöße. Es war nur noch eine Frage von Minuten, bis entweder der Schutzschirm draußen oder der unterirdische Schutz unten nachgeben würden. Bild-Ichs gaben Botschaften an die zwölf Nachfahren weiter. Millie hatte schon alle ihre Leute vor dem Tor, daß ebenfalls blau leuchtete. Das lag wohl an der Art der Magie.

"Sie kommen rein!" Schrillte Goldschweif. "Sie kommen jetzt von draußen."

"Wieso nicht von unten, Goldi?" Fragte Julius.

"Die ganz starke Kraft ist ganz nach unten gegangen und ganz fest geworden."

"Prioritäten", dachte Julius und fragte, wo noch wer von der Schule sei. Doch keiner lief mehr alleine herum.

"Olympe ist durch die Kraft ganz rausgelaufen", hörte er Goldschweif.

"Wo sind die Lehrer?" Fragte Julius. "Die euch alles beibringen laufen zu den lauten blauen Lichtgängen. Sie wissen wohl, wo sie sind."

"Dann tun wir das auch", erwiderte Julius und winkte den eingesammelten Leuten, ihm zu folgen.

"Sie sind am Schließeisen und drücken dagegen", kreischte Goldschweif sehr aufgeregt. Julius nahm es zum Anlaß, seine Begleiter zu größerer Eile anzutreiben.

"An alle noch verbliebenen Pflegehelfer, seht zu, daß ihr durch die Säulen kommt", hörten Deborah und Julius Madame Rossignols Stimme durch die Armbänder. Die Heilerin konnte ja verfolgen, wer von der Truppe noch im Palast war. Julius verzichtete daher darauf, zu fragen, wer außer Debbie und ihm noch da war.

Weitere Beben ershütterten das Gebäude. Doch sie waren nicht so schlimm wie das metallische Poltern, als die Feinde wie lebende Rammböcke gegen die verrammelten Torflügel krachten. Hier und dort klirrten Fenster. Sie hatten doch Schwachpunkte zum Einsteigen gefunden, erkannte Julius mit Schrecken. Nachher würde der Palast über ihnen zusammenbrechen. Dann sah er das blaue Licht des Tores. Er ließ sich zurückfallen um die anderen beim Durchgang zu überwachen, bevor er selbst hindurchgehen würde.

"Julius, da ist einer hinter uns", fauchte Goldschweif. "Einer von den unheimlich bösen Feinden. Ich mach, daß der euch nicht nachläuft."

"Nein, Goldi, den kannst du nicht ...", setzte Julius an, als die Knieselin schon von seiner Schulter herunter und in den Gang abgetaucht war.

"Debbie durch das blaue Tor über der Plattform. Ich muß Goldschweif helfen, sonst wird die umgebracht", schnarrte Julius. Deborah wollte schon einwenden, daß er das besser lassen und mit ihr flüchten sollte. Doch da war auch er schon weg. Die Pflicht als Saalsprecherin und Pflegehelferin gebot ihr, die Kameraden in Sicherheit zu bringen. So trieb sie alle durch das blaue Tor. Als sie dann Kampflärm von weiter oben und Zaubersprüche von Julius hörte, die sie nicht kannte, erstarrte sie. Dann sprang sie selbst durch das blaue Tor und fand sich in einer kathedralengroßen Grotte wieder.

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Haschlalian, der Schreckensschleicher, hatte Vangarian, den Rächer unterwegs mit diesen Kümmerlingen getroffen. Der Krieger der alten Garde erkannte sehr wohl, daß Skyllians großes Geschenk nur vorhielt, solange sie alle auf dem Boden herumliefen. Womöglich würde es erst dann dauerhaft verbleiben, wenn Vangarian sich seiner erhabenen Gestalt und Aufgabe würdig erwiesen und mindestens zehn neue Krieger erschaffen hatte. Dennoch war Schreckensschleicher ohne Murren darauf eingegangen, Vangarian zu diesem Hort der Kinder zu begleiten, um so viele von ihnen wie möglich in Skyllians Reihen zu küssen. Doch um diesen Ort stand etwas, daß ihn unsichtbar machte. Nur ein Flimmern der Kraft aus allen Elementen, ganz oben das der Luft, und dazwischen die von Wasser und Feuer, konnte er sehen. Zu seinem Verdruß erkannte er, daß die erhabenen Kräfte der großen Mutter Erde dort unter ihm mit dem verderblichen Licht der Bewahrung vereinigt wurde. Einige der erhabenen Brüder versuchten bereits diesen Widerstand zu brechen. Doch es waren Kräfte der Erde, die ihnen entgegenstanden. Er selbst suchte sich mit einigen anderen einen Weg durch die Kraft aus Wasser, Feuer und Luft. Auch hier waren diese Kräfte mit dem Licht der Bewahrung versetzt worden. Doch wenn sie stark genug dagegen anstürmten würden sie dort hindurchgelangen. Er rannte mit sieben von ihm selbst in die Reihen der Krieger geholten immer wieder gegen den Dom aus Kraft an, immer wieder. Dann waren es zehn, dann zwanzig. Zwischendurch hörte er, wie der Meister sie voranpeitschte. Er klang sehr ungehalten. Dann endlich, mit der vereinten Kraft von zwanzig auf einmal, brachen sie durch und standen in einem Wald aus kahlen Bäumen. Aus den Winkeln seiner Augen gewahrte er eine Gestalt, die größer als er selbst war, die gerade mit einer wuchtigen Keule aus blankem Eis auf die anderen einschlug und dabei aus einem Gefäß trank, daß ihr wohl Stärke verleihen sollte. Doch von den Kümmerlingen waren schon fünf oder sechs um sie herum. Vangarian hatte es offenbar besonders eilig, dieses Etwas anzugreifen. Er wollte in den Bau hinein, wo die jungen Menschen waren. Er hörte noch Vangarians triumphales Zischen, daß er den übergroßen Feind mit seinen Zähnen erwischt hatte. Dann rannte er mit fünf anderen gegen die Metalltür an. Metall war aus dem Schoß der Erde und damit ihm und seiner Kraft zu unterwerfen. Doch sie hatten eine ruhende Kraft in diese Türen eingewirkt, die sie hart und unnachgiebig machten. Erst nach sieben wuchtigen Anläufen beulte sich einer der Torflügel weit genug ein, daß sie geschmeidig hindurchschlüpfen konnten. Die anderen hatten derweil Fenster als Einstiegsmöglichkeit gefunden. Wer immer noch hier war würde bald die Stimme des Meisters hören und ihr folgen.

Im Gebäude selbst verteilten sich die Skyllianri. Jeder suchte einen Gang ab und rannte die Treppen hinauf, die unvermittelt zu glatten Rutschbahnen wurden. Doch für die Schlangenkrieger war das kein Hindernis. Sie ließen sich nach vorne überfallen und robbten mit schnellen Schlängelbewegungen hinauf. Die Kameraden von unten kamen immer noch nicht durch. Womöglich, weil die anderen Kräfte nachgelassen und das Licht der Bewahrung ganz in den Boden hinabgeglitten war. Doch das machte jetzt nichts mehr.

Haschlalian suchte sich seinen Weg nach unten. Denn dort hörte er Schritte. Dann war da ein unangenehmes Kreischen, das er nicht zuordnen konnte. Er machte sich nicht die Mühe, leise anzuschleichen. Wer konnte ihm auch schon was tun?

Als er eine noch unverwandelte Treppe hinunterstürmte, flog ihm etwas silbergraues mit braunen Flecken wild schreiend entgegen und traf genau sein linkes Auge, dessen Kraft er nicht eingesetzt hatte. Laut fauchend schlug der Skyllianri nach dem Wesen, das versuchte, ihm spitze Krallen mit großer Kraft durch den bleichen Augapfel zu ziehen. Er warf sich herum. Doch das kleine Ding flog nicht weit genug, als das es nicht wieder anspringen konnte. Seine Gewandtheit und Schnelligkeit waren der des Gegners ebenbürtig. Er fühlte die Krallen auf seiner Haut abgleiten und versuchte, das lästige Getier zu packen. Da erklang ein Ruf, den er hier nicht erwartet hätte: "Weiche Tod!" Er fuhr herum und blickte in ein gleißendes Licht, daß im tief in die Augen und in die Nase drang und ihn erzittern ließ. Das konnte nicht sein, daß hier einer war, der einen der wenigen Rufe des Lichtes konnte, die ihm etwas anhaben konnten. Dieser Jüngling da hatte bei seinen Feinden gelernt, die doch schon lange zu Staub geworden sein sollten. Dann kam noch ein Ruf, der ihn hieß, nicht mehr an diesem Ort zu sein. Dieser Ruf konnte ihm zwar nicht viel anhaben, weil er nicht verschwinden konnte, solange er auf der Erde stand. Doch das Licht fesselte ihn.

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Er schmeckte ihr Blut. Dann biß er noch einmal zu, genau in die Hand, die ihm die Eiskeule um den Schädel drosch. Eis war ihm nicht unterworfen. Daher brauchte Vangarian alias Janus Didier immer eine Sekunde, bis er wieder klar denken konnte. Doch er hatte sie erwischt. Ja, und seine Kameraden zerfledderten gerade ihren dicken Pelz, um ihr weitere Küsse der Krieger zu geben. Das konnte auch diese Halbriesin nicht überstehen. Entweder würde sie an dem Gift krepieren oder eine von ihnen, und dann wohl eine der kampfstärksten. Er teilte es seinem Meister mit, daß er sie erwischt hatte. Da bekam er einen Schlag mit der Eiskeule von unten, wurde hochgerissen und dann von einer mit Brachialgewalt getriebenen Wucht nach oben geschleudert, mindestens zwanzig Meter hoch. Er sah noch benommen, wie seine Gefährten von einem Rundschlag der Eiskeule in mehrere Richtungen davongeschleudert wurden. Doch sie blieben nahe genug an der Erde, die sie vor Verletzungen ... Aaarrg! Ein lautes knirschen in seinem Kopf und ein Schmerz, als szerre ihm jemand mit feurigen Haken alle inneren Organe nach unten weg, fühlte er, wie ihm die Kraft schwand. Er sah noch, wie etwas unter ihm blau rot und grün blitzte. Dann erst stürzte er in die Tiefe. Und er hatte plötzlich scheußliche Angst. Die Erhabenheit, die Kraft und die ihn führende Stimme des Meisters waren mit einem Mal verschwunden. Er entfernte sich von Madame Maxime. Er hatte sie eben angegriffen. Was hatte er getan. Er wollte sie doch nur festnehmen. Doch jetzt ... Da verfing er sich in den nackten Zweigen einer Ulme und blieb hängen. Sie hatte ihn vor lauter Wut so hoch geschleudert, daß er in der Krone gelandet war. Und dieser böse Drang, diese Unterwerfung unter diese Stimme, sie kehrten nicht mehr zurück. Janus Didier fühlte sich plötzlich Elend. Er mußte daran denken, wie er mit sieben Jahren an einem ähnlichen Baum hängengeblieben war, als Roland ihn angestachelt hatte, mit dem Besen zwischen den Bäumen durchzufliegen. Zwar hatten seine Eltern den verhaßten Bruder Besserwisser und Alleskönner ordentlich ausgeschimpft. Doch die Angst vor dem Klettern auf Bäume war geblieben. Und jetzt hing er wieder an einem Baum, und ihm taten sämtliche Glieder weh. Aus Schnitt- und Schürfwunden quoll Blut heraus. Denn er war ja splitternackt in diesen Kampf gezogen, einen Kampf, in den er nicht ziehen wollte. Was hatte er getan? Er hatte auf Seiten der Schlangenmenschen für ihn, den Feind, den Unnennbaren, gekämpft. Er fröstelte. Denn nun wirkte auch die Kälte der Spätwinternacht auf seinen geschwächten Körper ein. Er hörte noch, wie Madame maxime sichtlich verärgert davonstampfte. Sie war gebissen worden, von ihm und anderen. Das Gift würde wirken. Sie würde sterben oder selbst eine solche Kreatur werden.

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"Hilf mir Leisetöter! Ich bin gefangen", hörte Salisharian seinen Kameraden wie aus einem großen Kessel rufen. Er war gerade in einem Raum, wo ein schmaler gepolsterter Tisch und mehrere Stühle standen. Außerdem war da noch ein Schreibtisch und ein merkwürdiges rundes Knäuel, in dem zwei leicht zitternde Nadeln steckten. Hinter einer Tür sah er mehrere Reihen von Schlafstätten. Unter diesen standen große Töpfe mit Deckeln. Er fuhr seine Schlangenzunge aus und witterte mehrere Dutzend Schweißspuren, aber auch getrocknetes Blut und den sauren Geschmack von Urin. Das ekelte ihn etwas an. Er blickte sich noch einmal um, wobei seine Augen im dunkeln glommen und über die Schlafstätten strichen. Kein Mensch war hier. Er konnte mit dem Wärmesichtsinn seiner Augen nur Fußabdrücke erkennen, die sich im Raum verteilten. Mehr war nicht.

"Hilf mir, Leisetöter!" Klang hohl und mitleiderregend die Stimme von Haschlalian zu ihm herauf. Er wandte sich um und lief so leise durch die Gänge, daß kein Menschenohr ihn hören konnte. Dann sah er seinen Kameraden, eingehüllt in ekelhaftes, silberweißes Licht, in dem er fast zu verschwimmen schien. Er sah einen gelbhaarigen Menschenknaben, der gerade ein silbergraues kleines Wesen beruhigte. Er stieß vor und berührte die Umhüllung. Die Kraft darin schmerzte ihn. Doch die Hülle zerplatzte. Schreckensschleicher kam frei.

"Da unten sind noch welche, die sind dir. Ich will den", zischte Schreckensschleicher und preschte los. Leisetöter rannte los und die Treppe hinunter auf ein blaues Licht zu, das plötzlich mit lautem Knall erlosch. Er erreichte nur noch eine goldene Plattform, in der gerade die Kraft abklang. Dann hörte er Schreckensschleicher "Hab ich dich erwischt!" fauchen.

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Julius blickte gebannt auf den Schlangenmenschen, der wild fauchend in einer Art silbernem Wackelpudding gefangen war. Der Feindeswehrzauber versetzte ihn nicht. Doch so hielt er ihn zumindest auf. Julius eilte zu Goldschweif, die in einer Ecke hockte und erschöpft zitterte. Er hatte sie mindestens fünfmal gegen den Schlangenmann anspringen sehen können. Fünf ihrer Krallen waren gesprungen. Blut kam aus den Pfoten.

"Das wird wieder, Goldi. Ich bring dich durch das Tor da unten und dann kriegen wir dich wieder hin", sprach Julius beruhigend auf die Knieselin ein. Er wußte nicht, ob sie nicht gleich auf ihn zuspringen und die noch brauchbaren fünfzehn Krallen durch sein Gesicht ziehen würde. Mindestens eine Minute sprach er auf die Knieselin ein, bevor er es wagte, sie anzufassen und vorsichtig hochzunehmen. Er wollte gerade in Richtung Tor laufen, als sie jaulte: "Da ist noch einer." Dann ging alles sehr schnell. Es klirrte merkwürdig. Silberne Lichtfragmente flogen durch die Luft und zerstoben. Und bevor Julius es fassen konnte, warf sich etwas auf ihn und riß ihn hoch. Goldschweif rutschte aus seinen Händen und fiel auf den Boden, wo sie wegkullerte. Dann sah Julius die Augen des Scheusals und kniff schnell die eigenen Augen zu. Doch es war eh schon zu spät. Er fühlte, wie sich ihm mehrere spitze Zähne in den rechten Arm bohrten. Er fühlte ein wildes Ruckeln des Pflegehelferarmbandes. Dann meinte er, ätzende Säure ströme in seinen Arm hinein. Dann ließ ihn das Monster einfach fallen und stieß ein langes Fauchen aus, daß Julius unpassenderweise an das Geräusch erinnerte, das Ernie aus der Sesamstraße von sich gab, wenn er sich amüsierte. Ja, und offenbar hatte dieses Biest allen Grund dazu. Julius fühlte, wie etwas wie feuer in seinen Arm hineinfraß, fühlte aber auch das wilde ruckeln des Armbandes, das mit dem schwarzmagischen Vorgang wechselwirkte, der da gerade in ihm begonnen hatte. Er öffnete die Augen und sah, wie dieses grün-schwarz geschuppte Ungetüm vor ihm stand und ihn von oben herab anstarrte. Das Monstrum machte nicht einmal anstalten, ihn noch einmal anzugreifen. Es hatte erreicht, was es wollte. Er, Julius Latierre, der von Darxandria darauf angesetzt worden war, die Brut Skyllians zu bekämpfen, würde in einer ihm unbekannten Zeit selbst ein solches Geschöpf sein. Julius fischte nach seinem Zauberstab. Der gebissene Arm tat ihm höllisch weh, doch er wollte diesen Drecksack da noch einmal angehen.

"Du kannst mir nichts mehr tun, Bursche", schnarrte der grünschwarze Schlangenmann sehr bedrohlich. "Mein Geschenk an dich wird dich bald zu einem von uns werden lassen. Dann wirst du auch die erhabene Sprache verstehen und uns helfen, alle die zu töten oder zu fangen, die dem Meister im Weg sind. Ich wünsche dir eine erhabene Wiedergeburt." Mit diesen Worten drehte das Scheusal sich um und ging lautlos davon.

"Freu dich, Bursche. Unsere Gabe wird dich stärker machen als dieses verderbte Licht, das du auf meinen Gefährten gelegt hast", schnarrte ein anderer ungebetener Gast von hinten. Ein blau-schwarzes Monstrum auf Beinen schritt unbekümmert an Julius vorbei, während Goldschweif in einer Ecke hockte und ihn sehr verängstigt ansah, während der zweite Schlangenmann unhörbar im Korridor verschwand, wohl auf der Suche nach weiteren Opfern. Opfer! Hoffentlich hatte der nicht ... Julius warf sich herum. Dabei überkam ihn ein Schwindelgefühl. Doch egal! Er lief zur Treppe und blickte hinunter. Das blaue Leuchten des Teleportals war erloschen. Ja, er hatte doch gerade nach dem Klirren noch einen Knall gehört. Er lief hinunter, wobei er meinte, auf einem schwankenden Schiff zu sein. Dann erreichte er die goldene Plattform. Sie war leer. Niemand stand oder lag davor. Das Tor war verschwunden und damit der sichere Fluchtweg. Julius sog Luft durch die zusammengebissenen Zähne und unterdrückte den Drang, die immer wilder werdenden Schmerzen hinauszuschreien. Er drehte sich wieder um und wankte nach oben. rote Punkte flimmerten vor seinen Augen, und er meinte, durch einen immer dichter werdenden Nebel zu sehen, der alles verschwimmen ließ. Das Höllengift wirkte. Und er wußte, daß das Antidot, daß er seit Jahren mit sich herumtrug, nichts dagegen ausrichten konnte. Goldschweif war nicht mehr da. Er sah blutige Pfotenabdrücke und rief ihr nach. Doch seine Stimme wollte nicht mehr so richtig. Er winkte in den Gang und sah mit Entsetzen, wie sich dort, wo die Giftzähne des Skyllianri ihn am Arm erwischt hatten, grüne und schwarze Hautlappen bildeten. Die Transformation hatte bereits eingesetzt. In einem winzigen Moment sah er sich in Marie Laveaus unterirdischer Kammer und sah jenes grünschwarz geschuppte Ungetüm in jener Vision seiner Zukunft. Er begriff, daß das er selbst war, den er da gesehen hatte. Er selbst würde sich nun in solch ein Ungeheuer verwandeln und Voldemort dienen, wie die anderen Skyllianri. Er hatte sich schlichtweg falsch entschieden. Marie Laveau hatte ihm vier wahrscheinliche Zukünfte gezeigt, die alle von dem, was er in nächster Zeit tun würde abhingen. Er hatte sich tatsächlich falsch entschieden. Anstatt durch das blaue Tor zu laufen und Goldschweif ihrem Schicksal zu überlassen, hatte er der vierbeinigen Kameradin mit diesen Zaubern helfen wollen, mit diesen Zaubern, die ihn überheblich gemacht hatten, wirklich jeden Feind damit besiegen zu können. Wie sehr hatte er sich da getäuscht. Jetzt würde er den Preis bezahlen. Schmerzen und eine grausame Verwandlung, die am Ende auch seinen Verstand ergreifen und ihn auch geistig zum Ungeheuer machen würde. Ab da war er nicht mehr als eine Drone des Massenmörders, wie die Borg, assimiliert. Und womöglich würde er, wie ein Borg oder Vampir sogar sehr glücklich sein, so zu sein und nicht mehr an die Zeit zurückdenken wollen, wie er vorher war. Doch nein, noch war er nicht verwandelt. Er hatte die Hoffnung, daß Madame Maxime zumindest noch die weiße Feder benutzt hatte. Er hoffte, daß Pteranda Wort hielt und ihre Wolkenhüter schickte. Dann würde zumindest diese Brut von der erde verschwinden. Falls er bis dahin selbst ein Exemplar dieser unerlaubten Geschöpfe sein würde, hatte er dann immer noch seinen Auftrag und sein Ziel erfüllt. Dann mochte er eben wie die anderen gejagt und getötet werden. Diese Hoffnung gab ihm unvermittelt mehr Kraft. Er lief nun schneller durch den Gang, folgte Goldschweif. Da stutzte er. In seinem Kopf erklang ein merkwürdiges Zischen und Fauchen. War das sein Blut? Er lauschte und hörte es deutlicher, gab sich diesen Lauten beinahe hin. Dann erschrak er. Was tat er da? Das waren keine Körpergeräusche. Das waren fremde Gedanken. Gedanken, die er nicht verstehen konnte. Aber das er sie hörte war alarmierend. Das waren bestimmt Rufe Voldemorts, der mit seinem verfluchten Zepter, daß Skyllian erschaffen hatte, die Schlangenbestien fernsteuern konnte. Ja, das mußte es sein. Das Zischen war Parsel, die magische Sprache der Schlangen, die die ansonsten stocktauben Kriechtiere hören konnten. Er erkannte mit Schrecken, daß er bald verstehen würde, was ihm da zugezischt wurde. Bald würde er die Stimme dessen hören, der ihn in seine Gewalt gebracht hatte. In seine Gewalt? Nein! Widerstand war nicht zwecklos! Noch konnte er frei denken. Noch war er ein Mensch, und noch hoffte er, daß die Wolkenhüter kommen würden. Auch wenn er dabei sterben würde, hatte er diesen Schweinehund besiegt. Er konzentrierte sich auf seine Selbstbeherrschungsformel: "Was mich stört verschwinde. Mein Geist herrscht über meine Gefühle. Mein Geist herrscht über meinen Körper. Mein Geist herrscht über meine Gedanken. Was mich stört verschwinde!"

"Monju, wo bist du?" Hörte er Milies besorgte Gedankenstimme in sich. Sie verdrängte das immer lauter werdende Fauchenund zischen, das er mit Mühe und Not mit seinem Selbstbeherrschungsmantra überlagert hatte. Er nahm das rote Herz, das hektisch Pulsierte und drückte es an seine Stirn. Wenigstens konnte er sich noch von seiner Frau verabschieden.

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Garuschat zitterte. Er fürchtete die Strafe des Schöpfers. Sie würde kommen. Sie würde ihn töten oder ihn miterleben lassen, wie sein Volk mit der Burg, die keiner Finden kann in die Tiefe stürzte. Er hatte alle Weltenwächter ausgeschickt, die gewölbte, feste Welt zu überwachen. Sie hatten ihm eine Schreckensnachricht nach der anderen überbracht. Was hatte er getan? Die Diener des Feindes vermehrten sich wieder und zwar rasend schnell. Und jetzt griffen sie die Menschen an, wie damals in Yanxotharan, wie er es aus den alten Schriften und Liedern wußte. Er hatte sich feige und selbstsüchtig von seiner Aufgabe abgewandt, hatte den einzigen töten lassen, der ihn in die ehrenvolle Schlacht hätte rufen können. Nun würde ihm erst das Bild der Niederlage und dann die grausame Rache des Schöpfers ereilen. Nach ihm würde es keinen Viergoldschwingenträger mehr geben.

"Bringe uns über die Landmasse Eurasien, wo diese Geschöpfe wüten", schnarrte ihm Pteranda zu. "Vielleicht können wir doch noch einschreiten."

"Ich habe ihn umbringen lassen, Pteranda. Ich habe Julius Erdengrund vom Wolkenhüter stürzen lassen", jammerte Garuschat bar jeder Würde. "Keiner wird uns rufen, wie es der Schöpfer geboten hat. Keiner wird uns davor bewahren, unehrenhaft zu Grunde zu gehen."

"Du hast ihn töten lassen wollen, Garuschat. doch er lebt noch. Der Wolkenhüter, der ihn trug kehrte zwar ohne ihn zurück, doch er lebt noch. Die, die ihn zu uns schickte, kam ihm zu Hilfe, und er verwendete eine Kraft, wie wir in der Luft zu gleiten, auch ohne Schwingen. Ich empfand die Botschaft der großen Königin des Lichtes, die in dieser erhabenen geflügelten Milchgeberin Fleisch geworden ist", sprach Pteranda tröstlich auf ihren mit Selbstzweifeln und ehrlicher Reue ringenden Mann ein. Dann lauschte sie. Unvermittelt war ihr, als riefe jemand nach ihr. Sie hob den gefiderten Kopf mit dem goldlackierten Schnabel und schloß die Augen. Sofort sah sie sich umringt von Skyllianri, fühlte einen klirrendkalten Gegenstand in ihrer Hand und hörte: "Wir werden angegriffen! Helft uns! Wir werden Angegriffen! Helft uns!" Das war zwar nicht die Stimme des wagemutigen Trägers der Stimme des Schöpfers. Doch dieses weibliche Wesen gebrauchte die richtigen Worte und hatte nur mit der Feder und einem Mittel der fernen Verständigung an ihren Geist rühren können. Das genügte. Sie ließ Garuschat die Gedankenrufe der Fremden mithören. Dieser lebte unversehens wieder auf, straffte sich, breitete die eigenen Flügel aus. Jeder Federkiel ein König. Dann schrillte seine gebieterische Stimme durch die ganze Burg:

"Erwacht, ihr Wolkenhüter. Auf dem festen Boden kriecht die Brut unseres Feindes. Im Namen unseres Schöpfers, Ailanorar, dem Herrscher der Winde, erwacht, ihr Wolkenhüter und stoßt hinab, wo die Diener des Feindes ihr unerwünschtes Werk treiben! Stoßt hinab!"

Der Name des Schöpfers war tabu. Wer ihn mutwillig aussprach mußte sterben. So lautete das Gesetz. Er durfte nur in einem Zusammenhang laut ausgesprochen werden, wenn es galt, die Wolkenhüter aus ihrem Schlummer zu wecken. Wildes Krächzen und dann schrilles Schreien klang aus den Eingeweiden der Burg, die fünfhundert Wolkenhüter erwachten. Garuschat rückte den Haufen Thronfedern zur Seite und tastete auf dem Boden entlang, bis er das Rad der Vergeltung fand, eine Kurbel, die alle vergitterten Luken öffnete, um die bis dahin in Käfigen mit beindicken Gittern in Überdauerungsschlaf gefangenen Riesenvögel freizulassen. Vailadorat und Iikarat riefen durch die Burg, daß das nicht wahr sein konnte. Doch da sprangen schon die schweren Luken auf, und die nun sehr aufgeregten grauen Riesenvögel stießen wie abgefeuerte Torpedos heraus und sofort hinunter, durch die grünliche Leuchtsphäre, die die Burg umgab. Diese schwebte gerade westlich von Spanien über dem Atlantik. Doch die Wolkenhüter konnten zwölfmal schneller als der durch die Luft klingende Schall fliegen. Ihr Auftrag war einfach und unmißverständlich: alle Skyllianri auf dieser Welt finden und töten. Vorangepeitscht von der nun in ihren Köpfen klingenden, von Pteranda verstärkten Stimme, jagten ihre eigenen Wolkenhüter voran, die wußten, wo sie hinwollten. Unvermittelt entstand ein riesiger Schwarm blauer Leuchtsphären, die zunächst noch in großer Höhe dahinrasten, wummernde Donnerschläge erzeugend. Bald hatten sie das Geräusch ihrer wild schwirrenden Flügel um mehr als hundert Kilometer abgeschüttelt, das sich als lange Lärmschleppe ausbreitete und erstarb, bevor es nur in die Nähe der Wolkenobergrenze gelangte.

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"Einer hat mich gebissen, Mamille. Ich weiß nicht, ob das die letzten klaren Gedanken sind, die ich noch denken kann", schickte Julius an seine Frau. "Falls mich das Gift schnell umwandelt, wollte ich dir nur sagen, daß es mich gefreut hat, daß du um mich gekämpft und auf mich gewartet hast. Schade, daß das vom ersten August für nix und wieder nix war."

"Noch bist du da. Ich kriege mit, daß du nicht willst, daß du einer von denen wirst, Monju. Du hast Du-weißt-schon-wessen leute geschafft, du hast Hallitti und Bokanowski überstanden und auch diese Spinnenfrau, damit wir beide zusammen sind. Das ist noch nicht vorbei", drangen Millies Gedanken in Julius' Geist ein und verjagten die fauchenden Laute, die langsam zu einem unverständlichen Flüstern wurden.

"Ich weiß nicht, ob mich einer von den Spritzenbiestern oder einer von der alten Garde erwischt hat, Mamille. Ist auch egal, weil Madame Maxime vielleicht die Wolkenhüter gerufen hat. Falls ich zu so einem Monster werde, bevor die hier auftauchen, erledigen die mich gleich mit. Ist dann bestimmt besser. Wo bist du denn jetzt?"

"In einer alten Tropfsteinhöhle. Marc hat so ein Dings, das GPS heißt. Der Meint, wenn wir nicht gleich abgeholt werden könnte er damit draußen prüfen, wo wir sind."

"Das hat der die ganze Zeit mitgehabt?" Lachte Julius. Elektronische Geräte gingen in Beauxbatons ja nicht.

"Julius, komm besser zu uns, auch wenn dich das Gift erwischt hat. Vielleicht können wir das so lange aufhalten, bis die Wolkenhüter die anderen erledigt haben. Lentavita. Schlüpf zur Südwand und suche da eine rote Kellertür. Die ist wohl noch offen. Da ist so'n blaues Lichttor. Da gehst du durch. Ich mach dich dann langsamer. Dann wirkt das Zeug nicht mehr so schnell."

"Ich weiß nicht, ob ich noch Zeit habe. Außerdem wird das Tor zugehen, bevor ich durch bin, wenn es nicht schon zu ist. Einer der Mistkerle hat es wohl mit seiner bloßen Anwesenheit ausgelöscht."

"Monju, du kommst gefälligst zu uns rüber! Wenn du schon meinst, dich von mir verabschieden zu müssen, dann will ich dir dabei in die Augen sehen und wissen, ob du das wirklich willst."

"Ich will es doch nicht", gedankenseufzte Julius.

"... verbunden! ... verbunden!" Wisperte es in seinem Kopf. Er begann, das Fauchen zu verstehen.

"Du hörst da nicht drauf!" Peitschte eine unerwartet laute Anweisung seiner Frau durch den Kopf. "Ich will nicht, daß du diesem Schweinehund zuhörst. Der hat keine Ahnung wie schön das ist, miteinander zu kuscheln und hat bestimmt nie im Leben richtigen Sex gehabt, weil der sonst nicht so geworden wäre wie der ist. Du kommst zu mir rüber. Du gehörst nur zu mir! Hörst du?! Du gehöst zu mir!" Julius hörte im Moment nur Millies Gedankenstimme. Er fühlte, wie sie seine Schwäche überlagerte. Zwar tanzten noch vereinzelte rote Punkte vor seinen Augen, aber er fühlte sich wieder stärker. Er vergaß fast sogar die Schmerzen in seinem Arm, auf dem immer mehr grüne und schwarze Schuppen sprossen.

"Du gehörst zu mir, Monju! Sag es mir!"

"Ich gehöre zu dir!" Wiederholte Julius und schritt entschlossen Voran, zum nächsten Wandschlüpfpunkt. Das Armband ruckelte nicht mehr. Offenbar hatte es seinen Widerstand aufgegeben. Würde es ihm noch gehorchen? Er legte den Finger auf den weißen Schmuckstein. Sicher war Madame Rossignol schon aus dem Palast heraus, wohl mit den Gelben mitgegangen. Er dachte an das Wandstück, daß Millie ihm vorgab. Dann löste er die Wandschlüpfmagie aus. Diesmal war es ihm, als zwenge er sich durch einen dicken, mit eiskaltem Wasser getränkten Vorhang. Doch er kam noch dort an, wo er hinkommen wollte. Dann lief er, von Millie, die ihr Du-gehörst-zu-Mir-Mantra immer wieder mit großer Inbrunst in seinen Kopf pflanzte und damit das unheilvolle Flüstern übertönte. Dann erreichte er jene rote Kellertür und sah gerade noch, wie ein rot-schwarzer Schlangenmensch aus dem Raum schoß. Das Wesen Ließ seine gespaltene Zunge herausschießen und mehrmals hin- und herpeitschen. Dann winkte es Julius verächtlich zu und passierte ihn unangefochten. Offenbar verströmte der Gebissene bereits den erwünschten Stallgeruch. Julius achtete nicht weiter darauf, die goldene Plattform hinter der Tür, über der kein blaues Lichttor stand, genügte auch so, um ihn fast auf die Knie fallen zu lassen. Das Tor war zu. Womöglich hatte dieser Schlangenmensch es mit seiner Anwesenheit zuknallen lassen. kein Feind durfte den Flüchtlingen nachsetzen. Das kapierte Julius nun. Er keuchte, auch weil das in ihm wirkende Gift wieder stärkere Schmerzen verursachte. Weil Millie einen Moment nicht mehr auf ihn einmentiloquierte und er das rote Herz vor seiner Brust baumeln ließ, hörte er das verhängnisvolle Flüstern: "Sei mir verbunden! Sei mir verbunden!"

"Niemals!" Schrie Julius. "mein Wille herrscht. Mein Wille herrscht, du Geisterbahnfigur." "Mamille, das Tor ist zu. Ein Typ in rot-schwarzem Schlangenleder hat es wohl zugeschlagen. Ich geh jetzt wieder hoch und hole meinen Besen aus dem Schlafsaal. Wenn der noch fliegt fliege ich von hier weg. In der Luft wirkt die Magie vielleicht nicht und ..." Ein stechender Schmerz vom Arm bis in den Kopf ließ seine Gedanken verfliegen. "Sei mir verbunden!" Hörte er unter der Schmerzwelle.

"Ja, mach das, Monju. Vielleicht hört das Zeug dann zu wirken auf. Du gehörst zu mir!" Erwiderte Millie und traktierte ihn mit diesen immer noch sehr entschlossenen und hoffnungsvollen Gedanken. Julius fühlte jedoch, wie sein Körper dem dämonischen Gift nicht mehr so recht standhielt. Wie eisern er sich auch dagegen stemmte, seinen Geist nicht in den Sog von Voldemorts oder Skyllians Bann geraten zu lassen, so vermochte er jedoch nicht den foranschreitenden Vorgang zu unterdrücken, der seinen menschlichen Körper langsam aber mit verheerender Sicherheit in ein Monster verwandelte. Wieder begannen rote Punkte vor seinen Augen zu flimmern. Sein ganzer Leib begann nun zu schmerzen. Er fühlte förmlich, wie die bösartige Kraft sein Fleisch durchknetete, sein Blut verdarb und seine Haut überzog, um ihm eine neue, echsengleiche Außenhülle zu verpassen. Er stolperte, torkelte und schwankte wie mit drei Flaschen Wein abgefüllt auf die vor ihm verschwimmende Wand zu. Millies Gedankenstimme peitschte ihn voran, schlug die bösartigen Befehle nieder, die ihn zum Werkzeug Voldemorts machen sollten. Dabei erkannte er, daß das nicht genau an ihn gerichtete Befehle waren. Das waren Standardsignale, wohl eine Art Test, wie gut er schon ansprechbar war. Er wollte sich bestimmt nicht von einem Testsender fernsteuern lassen. Millies Gegenhalt war menschlich, gefühlsmäßig ehrlich und entschlossen. Doch was nützte es. Er hob den immer schwerer werdenden linken Arm an und hielt ihn an das Armband, als er mehrere dumpfe Knälle wie Kanonendonner hörte. Nein, das waren Doppelknälle, Überschallknälle, mehrere Überschallknälle hintereinander! Dann vernahm er ein vielstimmiges Geschrei, als wolle jemand ein drei Meter großes Schwein mit einer Kreissäge Schlachten. Für einen Moment war Millies Gedankenstimme die einzige in seinem Kopf. Er erkannte, was passierte. Er empfand wieder Hoffnung. Sie waren wirklich gekommen. Da hörte er auch schon die lauten Überschlagexplosionen, und in seinem Kopf erklang ein vielstimmiges Wehgeschrei. Dann erst setzte die Stimme des dunklen Meisters wieder ein: "Sei mir verbunden! Widerstand ist zwecklos! Sei mir verbunden! Du gehörst mir! Ich bin dein Herr und Meister!"

"Nein, ist er nicht, Monju. Aber was ist los bei euch. Irgendwie wirkt das Herz wieder anders, als sei wer gekommen, der dir Hoffnung macht. Sind das die Riesenpiepmätze, die du vor Weihnachten rufen wolltest?"

"Genau, die sind da, Millie. Ich kann nicht mehr gescheit laufen, geschweige denn fliegen. Aber wenn die da sind, gibt's hier gleich keine voll ausgereiften Skyllianri mehr."

"Sei mir verbunden! Sei mir verbunden!" wurde das eindringliche Mantra des bösen meisters immer lauter. Im gleichen Maße fühlte Julius, wie das in ihm kreisende Gift seinen teuflischen Dienst versah. Er fühlte, wie sein Wille wankte. Millies Gegenstöße konnten die befehlende Stimme schon fast nicht mehr übertönen. Da hatte er den Einfall, sich den Wolkenhütern auszuliefern, ihnen sein nicht mehr eigenes Leben anzubieten, um niemanden im Namen Voldemorts oder Skyllians schaden zu können. Er dachte konzentriert an den Ausgang zum Quidditchstadion, während um ihn herum wildes Fauchen und Brüllen vom Kampfgeschrei der Wolkenhüter übertönt wurde. Die Schlangenbestien, zu denen er bald auch gehören würde, versuchten, sich in den Palast zu flüchten. Donnerschläge ließen die Akademie erzittern. Er legte den Finger auf den weißen Stein und dachte an den Ausgang, wobei er es schaffte, nicht auf den ständig wiederholten Befehl in seinem Kopf zu hören. Dann legte er das Armband an die rosaflimmernde Wand.

Das war nicht wie sonst. Stechende Schmerzen durchpulsten ihn. Er hatte den Eindruck, vom Mauerwerk bei lebendigem Leibe aufgefressen zu werden. Stück für Stück zog es ihn hinein. Dann fühlte er einen Stoß wie von einer Riesenhand und flog auf der anderen Seite heraus. Doch er war nicht in der Nähe des Stadions herausgekommen. Er lag nun mitten im Büro von Madame Rossignol. Er versuchte, sich hochzustemmen, während lautes Kampfgeschrei und ein Knall wie von einer zwanzig Meter langen Peitsche erscholl. Draußen mußte die Hölle toben. "Ihr kommt nicht hier durch!" Hörte er wie durch Watte gefiltert Madame Maximes Stimme.

Julius Latierre, zumindest das, was noch von ihm übrig war, rappelte sich auf. Die paar Sekunden auf dem Boden hatten ihm neue Kraft gegeben. Doch immer noch drang die Stimme des Meisters in seinen Kopf ein. Ja, das war sein Meister. Er sollte ihm doch antworten.

"Monju, wo bist du jetzt?" Hörte er Millies Gedanken. Was wollte die denn noch von ihm. Er war schon so gut wie ein Skyllianri. Sein Plan, sich den wütenden Wolkenhütern zum Fraß vorzuwerfen war voll in die Hose gegangen. Irgendwie hatte das Wegesystem ihn wieder einmal ohne daß er es wollte in den Krankenflügel umgeleitet und noch dazu auf eine ziemlich fiese Art. Er stand auf und ging in den Schlafsaal hinüber.

"Monju, noch fühle ich das Herz. Noch bist du der Mann, den ich liebe. Hörst du, Monju?! Ich liebe dich! Das kann dieser Drecksack nicht überwinden. Das kennt der nicht einmal. Also laß dich nicht von ihm einfangen. Der ist schwächer als du, weil du was kannst, was der nicht kann."

"Hör gefälligst auf zu labern, du dumme Pute. Das Zeug hat mich doch schon erledigt. Mich siehst du nie wieder", schimpfte Julius, während er an den Betten vorbeiging. Dabei fiel ihm mit Belustigung auf, daß unter jedem Bett ein blauer Nachttopf stand. Was sollte das denn? Hatte Madame Rossignol damit gerechnet, daß sie alle nach der Schlacht bei ihr liegen würden? Dann hätte sie alle Bettpfannen inklusive der zehn, die früher mal vollkommen idiotische Pflegehelfer gewesen waren bereithalten müssen.

"Gut, dann bin ich eine blöde Pute. Aber solange du mit mir in Verbindung stehst laß ich dich nicht in Ruhe, Julius Latierre. Du hast mir gesagt, daß du dein Leben lang mit mir zusammenbleiben willst, und das wirst du auch."

"Sei froh, daß ich nicht rüberkommen konnte. Dann hätte ich dich vielleicht geküßt und dich mit in Voldys Schlangentruppe aufgenommen", sprach Julius, eher als er dachte. Da hörte er ein leises Knirschen, und ein hohl klingendes Stöhnen. Er sah sich um und entdeckte, das einer der Nachttöpfe unter dem einem Bett hervorrutschte. Ihm fiel ein, daß er in dem Bett schon ein paar mal gelegen hatte. Einmal als Mädchen und einmal als männliche Hebamme. Nebenan hatten Martine und Jeanne gelegen, nur durch einen lächerlichen Wandschirm von ihm getrennt. Aber dieser blaue Nachttopf war unheimlich. Der rutschte immer weiter auf dem Boden entlang, wobei sich ein hohles Ächzen aus ihm vernehmen ließ. Dann klappte der Deckel auf, und das Bedürfnisgeschirr wuchs an, verlor die blaue Farbe und bekam Arme, Beine, einen Kopf und eine weiße Schwesterntracht. Dann stand an Stelle des Nachttopfes Madame Rossignol vor ihm. Sie zog ihren Zauberstab.

"Ich hoffe, daß ich dich noch in die DK kriege, bevor das Teufelszeug dich völlig verdirbt", schnarrte sie. Julius lachte, über den Verwandlungsgag, den sie gebracht hatte und über die Ankündigung, ihn in die Delourdesklinik zu schaffen.

"Hahaha, ich weiß doch selbst nicht, ob ich nicht schon über die Grenze bin."

"Werden wir gleich sehen. Nudato!" Julius fühlte, wie ihm sämtliche Kleidungsstücke vom Leib glitten, als würde er sich mal eben selbst ausziehen. Nur das Armband, das Zauberstabfutteral, der Brustbeutel, das Zuneigungsherz und die Armbanduhr blieben an ihm. Draußen schlugen grelle Blitze wie aus Laserkanonen auf den Boden. Die Erde wurde davon glühend rot. Julius konnte einen grauen Schemen erkennen, der blitzartig niederstieß, in die lavaartige Masse hineintunkte und mit etwas blau-schwarzem wieder hinaufstieg. Dann fühlte er das lästige Kribbeln irgendeines Zaubers auf seinem Körper. Er setzte an, vorzuspringen und dieses Hexenweib da zu erwürgen. Doch dann verdrängte er den Gedanken. Er wollte nicht töten. Er wollte sterben, um nicht töten zu müssen. Das bewahrte Madame Rossignol vor dem Angriff.

"Der Prozeß ist erst zu einem Drittel verlaufen. Ich fürchte jedoch, wenn wir beide nicht zusehen, daß du an einen Ort kommst, wo mindestens zehn Heiler mit Gift- und Flucherfahrung herumlaufen, du in einer Stunde unrettbar verändert bist."

"Wollen Sie mir alles Blut rausziehen und neues Reinmachen? Das wird nicht helfen. Das Zeug ist wohl schon in allen Nerven und Muskeln drin", schnarrte Julius.

"Kriegen wir raus", schnarrte die Heilerin. "Noch kannst du dich dagegen wehren. Das sehe ich an dem Herzanhänger. Die Verbindung steht noch."

"Sei mir verbunden. Höre nicht auf dieses Weib!" Die Stimme war jetzt anders. Das war nicht dieses zischen von eben, sondern von einer kalten, hohen Stimme. "Wer immer du bist, ich habe deinen unsinnigen Kampf lange genug verfolgt. Du gehörst schon mir. Sieh das ein und schwöre mir Gefolgschaft!"

"Ach, du bist dieser Voldemort?" Fragte Julius, während Madame Rossignol unvermittelt zu einer Riesin anwuchs, ohne daß um ihn herum alles mitwuchs.

"Der dunkle Lord, dein Herr und Meister", schnarrte die kalte, hohe Stimme. Julius hörte sie zischen und fauchen und verstand sie. Das war Parsel. "Erkläre mir, was um dich herum geschieht, daß ich so viele Todesschreie höre! Sprich zu mir!"

"Nöh", schnarrte Julius in Gedanken. Und er war sich sicher, nicht alleine zu schnarren. Indes stand vom Boden bis zur vier Meter hohen Decke beinahe anstoßend, Madame Rossignol vor ihm, bückte sich und drückte ihm mit einem geschickten Griff ein paar wichtige Nerven zusammen, während sie ihn mit der anderen Hand hochhob und in ihr Büro zurücktrug. Julius versuchte sich zu wehren. Aber auf irgendeine nichtmagische Art hatte sie ihn teilweise lahmgelegt. Oder war es nur das Gift.

"Du hast mir zu gehorchen! Sei mir verbunden!" Schrillte Voldemorts Stimme. Und Julius fühlte, daß er ihm gleich seine Gefolgschaft schwören würde.

"Ich habe dir und deinen Schuppenkumpanen schon mal gesagt, daß hier für euch kein Durchkommen mehr ist!" Hörte er Madame Maximes ferne und wütende Stimme. Dann erfolgte ein schriller Vogelschrei, ein lauterer Schrei, der in den Himmel stieg und dann Stille.

"Wie wollen Sie mich in Ihrem aufgeblasenen Zustand da durch den Kamin tragen", röchelte Julius verächtlich. "Monju, wehre dich. Lass diesen Kinderschreck nicht in deinen Kopf rein!" Hörte er Millies Gedankenstimme. Er fühlte Wut, weil sie sich jetzt auch noch einmischte.

""Reicht mir schon, dich durchzuschubsen, Jungchen", donnerte Madame Rossignols Stimme auf ihn ein. "Serena, Eileinweisung. Nichtmagisch fixieren und falls gegeben totaler Blutaustausch!"

"Wird erledigt", hörte Julius Serena Delourdes' Stimme. Dann fühlte er, wie er in den Kamin geschoben wurde, in dem unvermittelt smaragdgrünes Feuer aufloderte. Doch es fühlte sich nicht warm an, sondern eiskalt, und es flackerte wild, bis es mit einem lauten Wuff zusammenfiel.

"Die Magieabsorbtion ist schon zu hoch", schnarrte die Heilerin und zerrte Julius wieder aus dem Kamin. Ohne großes Federlesen trug sie den zum Schlangenmenschen werdenden Pflegehelfer in den nebenan liegenden Schlafsaal, wo sie ihn auf ein Bett ohne Decke warf.

"Wau, daß du in dem Alter noch so rangehst, Florence", spie Julius ihr eine Unverschämtheit entgegen.

"Macht die Übung der dreifachen Mutter, Süßer", gab Madame Rossignol kaltschnäuzig zurück. dann winkte sie mit dem Zauberstab, und fünf breite Riemen flogen aus einem Schrank zu ihr hin. Dabei hielt Sie den nackten Julius mit ihrem vergrößerten Körpergewicht auf dem Bett fest. "Dann muß ich dich eben fixieren und rauskriegen, wie ich den Prozeß verlangsamen kann", schnarrte sie, während sie Julius mit schnellen und geübten Handgriffen fest an das Bett schnallte. Er stemmte sich zwar dagegen. Doch die fünf breiten Riemen waren aus Drachenhaut und Acromantulafäden. Die Schlösser waren rein mechanisch und dreifach verschließbar. Es dauerte keine Minute, da war Julius unbeweglich fixiert. Er schrie und versuchte sich zu winden. Doch die Riemen saßen bombenfest, und das ganz ohne Zauberkraft.

Madame Rossignol tippte sich mit dem Zauberstab an und schrumpfte auf ihre übliche Größe zurück. "Bist nicht der erste durch Krankheit oder Gift zur Tobsucht tendierende Patient", sagte sie und hantierte mit dem Zauberstab an Julius' rechtem Handgelenk herum. Das Armband ging ab. Dann versuchte sie "Lentavita". Dann "Conservacorpus". Alles das half nichts. Julius lachte und lauschte, wie Voldemort lachte. Doch der dunkle Lord kam nie recht dazu, ihm einen weiteren Befehl zu geben. Vielleicht merkte er auch, daß sein Opfer sich im Moment nicht bewegen konnte. Millie verdrängte seine Befehle immer wieder: "Monju, wehr dich, laß den nicht in deinen Kopf rein!"

"Mit lautem Knall verpuffte ein Verwandlungszauber an ihm.

"Versuch es doch mal mit Infanticorpore, Dreifachmutter", smachte Julius einen verächtlichen Vorschlag.

"Der wird auch nicht mehr greifen", erwiderte die Heilerin. "Abgesehen davon müßtest du dann ganz neu aufwachsen. Aber solange da noch genug rosa Haut ist", sagte sie und kniff ihm in den Bauch "und da oben noch genug Widerstandsgeist und Frechheit", wobei sie ihm an die Stirn stupste "bleibe ich bei dir."

"In einer Stunde ist die Sache erledigt, dann kommen die Wolkenhüter hier rein und fressen mich auf, weil ich auch so ein Wurm geworden bin", sagte Julius gehässig. Weil er das gleichzeitig auch dachte verstummte der in ihm tobende Kampf von Voldemort und Millie. Dafür kam wieder dieser Befehl "Sei mir verbunden!" Julius stemmte sich jedoch gegen diesen telepathischen Automatenbefehl. Hatte der Meister ihn schon aufgegeben?

Weitere Schreie von draußen erklangen. Die Erde bebte ein wenig. Dann donnerten die dumpfen Doppelknälle wieder.

"Verrate mir, was passiert! Ich, Lord Voldemort, dein Herr und Meister, befehle es dir!" Schlug die kalte, rauhe Stimme in seinen Kopf ein. Julius wußte nicht, warum er diesen Befehl nicht befolgen sollte.

"Deine netten Schlangenmenschen sind jetzt nicht mehr da, weil die Wolkenhüter aus Atlantis sie gefressen haben. Schon mal von denen gehört, Halbblut?"

"Ich verbiete dir, mich halbblut zu nennen. jage diese Hure fort, die meint, dich mit ihren Gedanken vor mir schützen zu können, bevor ich dich ihr nicht nachjage, um sie für mich zu töten."

"Ach, magst du das nicht, daß jeder weiß, daß dein Vater kein Zauberer war, Erbe von Schlitterein", dachte Julius. Durch seinen Leib pulsierte zwar das Gift, doch in seinem Kopf hatte er nur das sachte Pulsieren des Herzanhängers, der starke Ströme durch seine Schädeldecke jagte. Madame Rossignol hatte wohl erkannt, daß Millies Beistand ihren Patienten stabilisierte. Sie rief per Pflegehelferschlüssel nach ihr:

"Ich habe deinen Mann bei mir festgeschnallt. Dein Beistand hindert den Massenmörder daran, seinen Willen zu durchdringen. Halte ihn stabil. Aber nenne weder deinen noch seinen Namen,hörst du?" Befahl Madame Rossignol.

"Sie sind noch in Beauxbatons? - In Ordnung, mach ich!"

Hörst du, mein Liebster! Wir haben denselben Namen. Das heißt, du gehörst nur zu mir, und nicht zu ihm, diesem armseligen Halbblut."

"Wer seid ihr. Er gehört mir", schnarrte Voldemort, diesmal in Parsel, daß Julius verstand. Und es wirkte nun heftiger als sonst. Millie verstand die Schlangensprache nur, solange sie mit Julius verbunden war. Doch gegen die Macht, die sie nun ausübte, kam sie fast nicht an. Sie hielt mit dem Mantra: "Du bist mein Mann. Du gehörst zu mir. Ich gehör zu dir!" gerade so noch dagegen. Doch Julius war drauf und dran, es ihr zu verbieten. Nur ein winziger Umstand hielt ihn davon ab, sie beim Namen zu nennen: Er wollte sie nicht töten. Und ihren Namen zu nennen würde sie töten.

"Befindet sich noch jemand in der Akademie?!" Dröhnte Madame Maximes Stimme durch den Raum. Madame Rossignol tippte sich mit dem Zauberstab an die Kehle und rief dann überlaut und wohl überall vernehmbar: "Ja, ich bin noch da, im Krankenflügel mit einem Patienten."

"Bin am Tor. Kein Feind mehr zu sehen. Fünf Vögel patrouillieren noch, als wenn in der Nähe einer wäre. Holen Sie mich ab!"

"Ich komme", schnarrte Madame Rossignol, hob den Verstärkerzauber wieder auf und eilte ins Büro.

"Sie hat nichts mehr von dir. Du gehörst jetzt mir, dem dunklen Lord", schnarrte Voldemort auf Parsel. Millies Stimme wurde langsam leiser. Das Gift verschob die Empfänglichkeit trotz des harten Widerstandes. "Du bist mein", drang Voldemorts geparselte Feststellung in Julius' Kopf ein. Er fühlte, wie das Gift auf diesen klaren Hinweis hin noch stärker wirkte. Er mußte diese Fesseln sprengen. Er mußte dieses rote Ding von seiner Stirn wegfegen, das ihm immer unsinnigeres Zeug in den Kopf bohrte. Er erkannte, daß er nur noch eine Wahl hatte, den bedingungslosen Gehorsam. Doch er wollte diesem Kerl nicht dienen. Er wollte keinen umbringen. Darxandria hatte ihn auserwählt. Sie hatte ihn ausgewählt, weil er mutig und stark und entschlossen war. Er wollte nicht diesem Bastard dienen.

"Du gehörst mir", schnarrte Voldemort. Doch seine Stimme klang nicht mehr entschlossen, sondern verzweifelt, als sei dieser gerade vom Gift der Skyllianri verseuchte Junge der Strohhalm, an dem er sich festklammern mußte.

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Madame Maxime schwitzte, als Madame Rossignol sie im Eingangsbereich abholte. Das Tor war stark verzogen und eingedrückt. "Bin ich froh, daß ich die Hintertür bereits vor einem Tag, als der Unterricht suspendiert wurde mit Extramauerwerk und Härtungszaubern abgedichtet habe. Allerdings klaffen mehrere Dutzend Löcher im Gemäuer, Fenster sind mit ihren Rahmen herausgesprengt worden, und auf dem Dach sind Brandspuren. Das uns die Akademie nicht über den Köpfen zusammengebrochen ist verdanken wir wohl den Fluchtinstinkten dieser Ungeheuer. Sie wollten schnellstmöglich flüchten und konnten nicht durch die Erdschutzmagie der Gründer im Boden versinken. Also flohen sie durch die Fenster und wurden damit zur leichten Beute der grauen Riesenvögel." "

"Sie sind gebissen worden", erschrak Madame Rossignol und deutete auf die Schulleiterin, die trotz Winterkälte nur noch in roter Seidenunterwäsche herumlief und aus mehreren Bißwunden blutete.

"Einer war Didier. Ich konnte noch sehen, wie er sich zurückverwandelte, als ich ihn mit einer Eiskeule auf eine Ulme schleuderte. Aber sie sprachen von einem Patienten. Das ist nicht etwa Monsieur Latierre?"

"Bedauerlicherweise ja. Er hat aus einem mir nicht bekannten Grund seinen Ausweg nicht genommen und wollte wohl durch ein anderes Tor hinaus. Dann kam er wohl nicht mehr richtig auf die Beine und hat die Pflegehelfernotfallbergung ausgelöst, die einen Pflegehelfer unabhängig wo er hinwollte zu mir bringt, wenn er das Wegesystem auslöst."

"Mir ist heiß, als würde ich genau auf der Sonne stehen", keuchte Madame maxime. "Ich weiß, daß ich in dieser Kleidung nicht gerade meiner Würde entspreche. Aber im Moment könnte ich sogar noch meine Leibwäsche ablegen."

"Fühlen Sie sonst nichts von dem Gift?" Fragte Madame Rossignol.

"Bringen Sie mich in den Krankenflügel und untersuchen Sie, ob das Gift noch in meinem Leib ist!" Schnarrte Madame Maxime. Die Heilerin gehorchte widerspruchslos und zog Madame Maxime problemlos mit sich in den Krankenflügel hinüber. Nach knapp fünf Minuten hatte sie ein Ergebnis: Madame Maximes Blut hatte das Gift verdrängt.

"Wissen Sie, wo Professeur Faucon ist?" Fragte die Heilerin.

"Sie ging wohl mit der Gruppe um Argon Odin, da dort nur ein mehrsprachig begabter Schüler war."

Sie hörten ein wütendes Zischen und fauchen von nebenan. Die Schulleiterin stürzte in den Schlafsaal. Julius Latierre kämpfte gegen fünf breite Riemen an. Die hälfte seines Körpers war von grünen und schwarzen Schuppen bedeckt. Auf der Stirn pulsierte schwach aber doch noch erkennbar das rote Zuneigungsherz.

"Deshalb sind die Vögel noch da", grummelte die Halbriesin. Schweiß lief ihr über Arme und Beine. "Sie haben gewittert, daß hier noch einer ist, der noch nicht ausgereift ist. Sie lauern auf ihn. Sobald er verwandelt ist werden sie hier eindringen und ihn töten. Das wird die Akademie nicht überstehen. Damit würden wir Drachen mit Basilisken austreiben."

"Moment mal", erwiderte Madame Rossignol. "Sie wurden trotz mehrfacher Bisse nicht ansatzweise verwandelt. Ihre Hitzewallung ist eine Immunreaktion. Ihr Körper hat den magischen Erreger abgewehrt und bestimmt noch Abwehrstoffe gegen ihn ausgebildet", sagte Madame Rossignol. "Ihr Blut ist von der Verträglichkeitsklasse her das gleiche wie das von Julius. Ich möchte ein letztes Experiment machen, falls Sie mir gestatten, meinen Heilerpflichten dienlich zu sein und vielleicht nicht nur diesen Jungen, sondern auch die Gebäude der Akademie vor Schaden zu bewahren."

"Was soll das werden, Medizinfrau. Ich gehöre jetzt ihm, dem dunklen Lord. Und in nicht einmal einer halben Stunde kann ich diese Fesseln mit dem Bett zerreißen und dich und auch ... Ui, Für wenn haben Sie sich denn so spärlich angezogen, Madame Maxime?" Er lachte.

"Offenbar bricht der geistige Widerstand ganz zusammen. Bitte helfen Sie mir. Das ist die letzte mir noch einfallende Möglichkeit."

"Wenn Sie mir verraten, was Sie vorhaben", erwiderte Madame Maxime. Julius bebte. Offenbar hatte er starke Schmerzen. Die Heilerin sah mit gewissem Unbehagen, wie sich die Schuppen mit einem Schub über die Beine ausbreiteten. Wenn sie ihn ganz bedeckten würden wohl auch die inneren Organe unweigerlich verändert. Sie deutete auf Julius Arm und Madame Maximes linkes, unversehrtes Bein. In wenigen Sätzen sagte sie der Schulleiterin, was sie vorhatte. Diese nickte heftig. Daß sie hierstand sprach dafür, daß dieser Versuch klappen konnte.

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"Erkenne mich an, deinen Meister", hörte Julius Voldeemorts Stimme in sich. Millies Gedankenstimme klang leiser und schien dazu noch in einer fremden Sprache zu sein. Er sah Madame Maxime mit Madame Rossignol hereinkommen. Die schulleiterin war fast nackt. Das löste in ihm eine gewisse jungenhafte Regung aus, wie sie da in roter Seidenunterwäsche vor ihm stand, fast so groß wie Madame Rossignol kurz vorher. Und sie schwitzte, als sei sie ein Eiswürfel auf einer heißen Herdplatte. "Ja, ich bekenne mich zu dir, Lord Voldemort", dachte er noch. Millies Gedankenstimme schrie auf, wurde dann aber leiser, weil ein jäher Schmerz Julius Konzentration überlagerte. Er hörte nicht, was Madame Rossignol der Halbriesin mitteilte. Seine Gedanken waren bereits in den Sog geraten, den Sog ins Verderben. Voldemort stand kurz davor, ihn, Darxandrias Siegelträger, in seinen Dienst zu nehmen. Daß er kein langes Vergnügen daran haben würde wußte der Dunkle Lord wohl nicht. Wieder bekannte sich Julius auf Parsel zu seinem Herrn und Meister. Wieder überkam ihn Schmerz. Jetzt war er schon zu zwei Dritteln von Schuppen überzogen. Da fühlte er, wie Madame Rossignol eine Silberne Nadel an seinem grünschwarzen Arm einstach. Mit roten Ringen vor den Augen sah er, wie ein Schlauch an der Nadel pulsierte, der in ein großes Auffangbecken führte. Da konnte er auch schon die hellrote Flüssigkeit sehen, die Schwall für Schwall aus dem Schlauch lief, Sie ließ ihn zur Ader. Sie saugte ihm mit einer magicomechanischen Vorrichtung Blut ab, um ihn zu schwächen. Er wurde wütend. Er sollte ausbluten, damit er sich nicht in die erhabene Gestalt verwandeln konnte. die Gedankenstimme dieses weiblichen Etwas in seinem Kopf schrie immer noch was, nannte ihn Monju, immer wieder. Dann fühlte er, wie der Blutverlust ihm Schwindel bereitete. Er rief Voldemort um Hilfe. Dieser fragte ihn, wo er war, und er setzte schon an, ihm seinen Namen zuzudenken, als ihm schwarz vor den Augen wurde und er von einem pulsierenden Rauschen begleitet ins Nichts dahintrieb.

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"Wolkenhüter", dachte Voldemort. "Dieser Kerl bluffte. Dieses Weib in seinem Kopf half ihm. Er fühlte genau, wie sich Sharanagots Stab in seiner Hand wand und bog, weil er gegen eine Barriere ankämpfen mußte, die seinem Erschaffer mißfiel. Er bekam nicht einmal den Namen seines neuen Dieners. Da zischte ihm der Stab zu: "Sie sterben alle. Jemand hat die Feinde meiner Krieger geweckt, und jetzt kommen sie und töten meine Diener."

"Wir machen neue", knurrte Voldemort und konzentrierte sich wieder auf den wehrhaften Geist. Ja, jetzt brach die Barriere. Jetzt konnte er ihn in seine Macht ziehen. Sharanagots Stab zitterte sehr wild. Offenbar wirkte etwas höchst unerfreuliches auf ihn ein. Voldemort sah für einen Moment jene grauen Vögel, die ihm damals die Sache mit dem Drachenturm vermasselt hatten. Er hatte danach gedacht, daß niemand mehr diese Phantome aus der Luft rufen konnte. Aber was, wenn es doch jemand geschafft hatte. Dieser Bursche behauptete das andauernd, daß er das getan hatte. Er sollte ihm verraten wie. Dann rief der, daß ihm das Blut abgenommen würde. Dachten diese Narren, Sharanagots Gift damit auszuspülen? Das hatte schon mal ein Heiler versucht und hatte das Blut ausgetauscht. Es hatte nichts geholfen. Das Gift hatte sich im neuen Blut schnell wieder ausgebreitet und ihm, dem dunklen Lord, einen gehorsamen Diener mehr beschert. Dann versagte das Bewußtsein des Burschen. Auch die Stimme dieses Weibes, wohl noch ein Mädchen, verstummte. Doch Voldemort wußte, daß er diesen Diener sicher hatte. Der würde schon wieder aufwachen, wenn er neues Blut erhielt und das Gift sein Werk vollendete.

"Sie sind alle vergangen, die du in das große Land jenseits dieser Insel geschickt hast, Voldemort, von meinen schlafenden Kriegern lebt jetzt nur noch Angststürmer. Und die anderen verloren meine Gabe, als sie angehoben wurden. Verstecke Angststürmer! Rufe die anderen dazu auf, sich zu verbergen, wo sie herkamen!"

"Ich denke nicht daran", dachte Voldemort. Sich von einer eingekerkerten Seele Befehle geben zu lassen lag weiter unter seiner Würde als einen Stall auszumisten.

"Ich bin der Ware Meister der Erdkrieger. Wirst du nicht gehorchen, und sie vergehen alle, wirst du den Preis für deinen Frevel bezahlen, Tom Vorlost Riddle."

"Ich bin Lord Voldemort. Auch für dich, kleiner Schlangenmagier", knurrte der dunkle Lord.

"Wieder sterben drei. Höre ihre Klagen!" Damit hatte der Geist im Stab schon häufig gezeigt, wie sehr er seinen lebenden Partner verachtete. Voldemort hörte das entsetzte Aufschreien, wenn die Krieger aus der durch einen starken Hitzeschock aufgeweichten Erde gepflückt und dann in der Luft getötet wurden. Keine Minute später hörte er die gellenden Todesschreie von sieben auf einmal. Ja, jemand hatte seinen Großangriff mit einem ebenbürtigen, ja überlegenen Gegenschlag gestoppt und drehte nun den Spieß um. Wie viele Krieger lebten überhaupt noch?

"Jetzt sind es nur noch fünfzig", antwortete Sharanagot alias Skyllian. Nach weiteren fünf Minuten waren es nur noch vierzig. Dann erwachte der, gegen dessen Willen und dessen Gedankenpartnerin er so lange gekämpft hatte. "Mir ist auf einmal so heiß", war der erste Gedanke.

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Sie bringen ihn um", stieß Madame Maxime aus, als sie sah, wie innerhalb von einer Minute mehr als anderthalb Liter Blut aus Julius' fast verwandeltem Körper gesaugt wurden.

"Wir können anfangen", sagte Schwester Florence. Denn gleich würde die kritische Grenze erreicht sein, bei der ein normaler Mensch von Julius Größe und Gewicht an Blutarmut sterben mußte. Madame Maxime kippte noch einen großen Krug mit einer merkwürdigen Flüssigkeit in sich hinein und legte sich auf vier zusammengestellte Betten. Madame Rossignol bohrte eine Nadel in Madame Maximes linkes Bein. Die Bißwunden hatte sie bereits gereinigt und verbunden, weil Riesen und Halbriesen nicht auf die üblichen Wundheilzauber ansprachen. Zum Glück hatte sie den Trank vorrätig gehabt, der mit Riesenblut angesetzt worden war, und eine vollständige Bluterneuerung in einer Viertelstunde bewirkte. Allerdings mußte der, der diesen Trank einnahm, eigenes Körperfett dafür verbrauchen. Das führte dazu, daß die Person sichtlich abnahm und sehr erschöpft sein würde. Dann begann die Bluttransfusionspumpe, die weit genug von Julius Körper entfernt war. Madame maxime fühlte, wie das eigene Blut aus ihren Adern gesogen wurde und dachte einen Moment an die Sangazons, die es selbst einmal versucht hatten, als sie noch keine Lehrerin gewesen war. Das hatte den Vampiren damals einen lehrreichen Schock versetzt, daß ihre Körperkräfte größer waren als die der Blutsauger. Auch dachte sie an diesen zerlumpten weißrussischen Vampir, dem sie und Hagrid auf der geheimen Mission für Dumbledore in Minsk begegnet waren. Die Gaststätte war dabei zu zwei Dritteln zertrümmert worden, weil der Vampir, selbst mehr als zwei Meter groß, eine Abneigung gegen alle hatte, die größer als er selbst waren. Nachdem er einen seiner Fangzähne eingebüßt und mehrere Aufschläge an Decke und Wänden hatte hinnehmen müssen, war das Nachtwesen hinkend und mit hängendem Kopf von Dannen gezogen. Sie hatte dem höchst verängstigten Wirt eine Zahlungsanweisung in Höhe von eintausend Galleonen dagelassen. Damit hatte der seine Spilunke sicher schon wieder renoviert. Und jetzt pumpte ein mechanischer Vampir ihr Blut Schluck für Schluck aus dem Leib. Sie spürte jedoch daß es ihr erst einmal wohltat. Denn die mörderische Hitze sank ab. Der Trank zur Bluterneuerung, von dem sie bewußt die dreifache Dosis genommen hatte, wirkte bestimmt schon dem Blutverlust entgegen. Sie dachte noch einmal an die Warnung, die sie der Heilerin mitgegeben hatte. Diese hatte gesagt, daß dieses wohl das kleinere Übel sei und das sich das von selbst regeln würde. Madame Maxime hatte jedoch darauf bestanden, daß Julius Latierre nach einer erfolgreichen Entgiftung und womöglich Rückverwandlung entsprechend präpariert würde. Auf dem einzelnen Bett vor ihr lag der durch den rigorosen Aderlaß an den unbeschuppten Stellen wachsbleich gewordene ZAG-Schüler. Wie würde er reagieren, wenn er erfuhr, daß sein Schicksal gerade in ihrer Hand lag? Sie dachte daran, wie sie ihn damals kennengelernt hatte, im Haus von Professeur Faucon, als sie mit dieser das kommende trimagische Turnier besprach und wie sie ihn in Hogwarts erlebt hatte. Der Junge war zwar frech wie viele seines Alters. Hatte aber auch eine bemerkenswert gute Disziplin, wenn er zeigen wollte, daß er sich nicht unterkriegen ließ. Dieses charakterliche Vermögen hatten sie in Beauxbatons noch vergrößert. Im Moment lagen seine Sachen zwar auf einem anderen freien Bett und damit auch die Silberbrosche. Doch daß er die erhalten hatte kam nicht allein von der Fürsprache seiner Saalvorsteherin. Sicher hatte sie es auch mit einer gewissen Verwunderung zur Kenntnis genommen, wie schnell er sich nach dem Tod von Claire Dusoleil ausgerechnet mit einer ähnlich heißblütigen Junghexe zusammengetan hatte, wie sie selbst eine war. Gut, ganz so wie sie war Mademoiselle Mildrid Latierre dann doch nicht. Oder sie hatte in Julius einen Partner und Ausgleich gefunden, um derartige Auswüchse zu vermeiden, wie sie sie sich geleistet hatte.

Julius unbeschuppte Haut wurde langsam wieder rosig. Er stöhnte. Auf seiner Stirn perlten Schweißtropfen. Offenbar war das auf ihn übertragene Blut immer noch kochendheiß. Oder die von Madame Rossignol erhofften Abwehrstoffe darin traten bereits in Aktion.

"Ich habe ihm jetzt fünf Liter eigenblut entnommen. Wenn er nicht schon fast drei Liter Ihres Blutes in sich hätte wäre er jetzt tot", kommentierte die Heilerin nüchtern. Dann deutete sie auf das rechte Bein. Madame maxime mußte sich verränken, um es sehen zu können. Die grün-schwarzen Hautlappen bildeten sich zurück. Julius keuchte wie ein kurz vor dem Sieden stehender Dampfkessel.

"Mir ist heiß", murmelte er, während weiterhin fremdes Blut in seine Adern gepumpt wurde. Madame Rossignol nahm nun auch die Nadel für die Blutabsaugpumpe ab und verband den Einstich.

"Fühlen Sie sich noch gut, Madame Maxime. Immerhin haben sie gleich fünf Liter Blut abgegeben."

"Es geht mir noch gut", sagte die Schulleiterin.

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Er tauchte allmählich wieder aus dem dunklen, lautlosen Nichts auf. Es war ihm, als schwämme er in einem kochenden Kessel. Er hatte einmal beim Baden das Wasser zu heiß gestellt und sich gehörig den linken Fuß verbrüht. Das war gegen dieses Gefühl, gleich Dampf aus allen Löchern blasen zu müssen ein Klacks. Dann war da noch dieses prickeln auf der Haut und Kneten im Körper. Doch es tat nicht weh. Es war nur unangenehm.

Da war diese Stimme in seinem Kopf. Sie fauchte was fast unverständliches: "Ifft ffmeinff schschdienschscher wiescscher erfffachchchtschsch?" Julius meinte zwar, die Sonne im Schädel brennen zu fühlen, und Schweiß perlte über seine gerade erst wieder richtig aufgehenden Augen. Aber er erkannte die Stimme. Das war er, Lord Voldemort. "Ifff mffffn Dffffnsschr schschiefff erwchchchcht?" Sollte das Gefauche heißen, ob sein Diener erwacht sei. Dann erkannte er mit Schrecken, daß Voldemorts Krieger ihn gebissen hatten. Todesangst stieg in ihn hoch. War er jetzt ein Schlangenkrieger? Dann erkannte er, daß er vorher wohl Parsel verstanden hatte. Doch wenn das jetzt immer noch Parsel war, verstand er es immer schlechter. Ein merkwürdig befriedigender Gedanke kam in ihm auf. Hatte die Heilerin, die vor ihm ein paar irre Selbstverwandlungen hingelegt hatte ein Mittel gegen das Gift gefunden, wo es hieß, daß es keins gab?

"Warum verstehst du mich nicht mehr?" Schnarrte die böse, hohe Stimme in seinem Kopf. Da mischte sich Millie ein.

"Weil er nicht dir gehört, sondern zu mir hingehört, du feiger, durchgeknallter Mörder. Der wird mir mal sieben Kinder oder mehr in den Bauch legen, anstatt für dich Leute zu beißen oder umzubringen."

"Wer seid ihr. Das ist unmöglich!" Schrillte Voldemorts Stimme in menschlicher Sprache. Doch sie klang bei weitem nicht mehr so laut wie vorhin noch.

"Ich weiß nicht wie, und ich werde es dir auch nicht verraten, Voldy Halbblut, aber dein nettes Geschenk verbrennt gerade zu billigem Rauch. Ui, ist mir heiß."

"Wieso ist dir heiß? Verrate mir, was mit dir geschieht!" Befahl Voldemorts Stimme. Doch die Macht, die sie vorhin noch ausgeübt hatte war nicht mehr da. Julius mußte grinsen, weil er sich ein nerviges Kind vorstellte, daß unbedingt was haben oder wissen wollte und wütend aufstampft, wenn es das nicht kriegt.

"Daß mir heiß ist passiert gerade", schickte Julius nun sehr verächtlich klingend zurück. Millies Gedankenstimme fügte hinzu:

"Er träumt von dem, was mir die Sieben Kinder beschert, du armer, kranker Kerl, der es nötig hat, Leute umzubringen, um anerkannt zu werden."

"Ihr werdet sterben, wenn du nicht mein Diener wirst, Junge."

"Das kannst du in die Tonne klopfen, Halbblut", schickte Julius zurück, dem die Vorstellung, diesen überheftigen Irren hier und jetzt einen reinwürgen zu können sichtlich Vergnügen bereitete. Ihm fiel nämlich auf, daß die Stimme immer leiser wurde. Außerdem konnte er nun sehen, daß die grünen und schwarzen Schuppen immer weiter zurückwichen, einschrumpften und in seiner früheren, nun ziemlich geröteten Haut verschwanden. Schweiß brach überall dort aus, wie das echsenartige Hautgewebe verschwand. Draußen hörte er merkwürdige Rufe, die nicht wie Angriffs- sondern Triumphrufe klangen. Dann wummerte es durchdringend fünfmal in kurzen Abständen. Julius wendete seinen Kopf und sah, daß hinter ihm Madame Maxime in roter Unterwäsche auf vier zusammengeschobenen Betten lag. Jetzt verstand er, warum sie hier abnehmbare Baldachine hatten. Er erkannte einen von ihrem linken, bis zu den Oberschenkeln nackten Bein ragenden Schlauch, der über eine nun langsam zur Ruhe kommenden Pumpe mit seinem linken Arm verbunden war. Auch hatte er den Eindruck, daß die Halbriesin etwas schlanker war. Das konnte aber auch von der spärlichen Bekleidung kommen. Was da lief verstand er jetzt, und er wendete Occlumentie an, um es für sich zu behalten. Ja, er konnte es wieder. Die Verwandlung seines Körpers ging von Sekunde zu Sekunde zurück. Ihm war immer noch heiß. Er hatte Durst. Er schwitzte. Sein Bett war bestimmt schon auf Saharasandtemperatur hochgejubelt worden. Als die Schuppen nur noch seinen Oberkörper bedeckten, da wo das Gift zuerst gewirkt hatte, öffnete er noch einmal seinen Geist und dachte:

"Bald sind die Wolkenhüter wohl bei dir, Voldy. Dann hast du keinen Schlangenkrieger mehr. Du hast den Fehler gemacht, dich auf uralte Sachen einzulassen, ohne sie genauer zu studieren. Und sowas will der mächtigste Zauberer der Welt sein. Deine Monster gehen jetzt drauf, weil ich von wem, der die besser kennt als du, gelernt habe, wie und zu wem ich hingehen muß, um die grauen Riesenvögel zu rufen, die schon damals gegen die gekämpft haben. Hast gedacht, die gäb's nicht mehr, wie?"

"Ich will wissen, wer du bist", drang Voldemorts stimme nur noch schwach zu ihm.

"Der Nagel zu deinem Sarg, Voldemort. Aber das ist ja auch nicht dein echter Name. Deshalb nur noch so viel, bevor der letzte Rest von dem Schlangenzauber weggeht, eine lezte Botschaft von mir für dich: Wiederstand ist nicht zwecklos. Du bist im Arsch!"

"Das wirst du büßen. Ich bin Lord Voldemort, der mächtigste Zau..." Die Wut des Wüterichs klang immer leiser zu ihm durch und versiegte dann in dem Moment, wo ein heftiges Ruckeln durch seinen Oberkörper ging, und die letzten grünen und schwarzen Hautlappen in seiner nun ziemlich roten Haut verschwanden. Julius wartete noch ein paar Sekunden. Dann mentiloquierte er, weil er es auf der Stirn fühlte, über den Herzanhänger Millie an: "Radio Voldemort hat gerade seinen Privatkanal zu mir verloren. Ich hoffe, das bleibt jetzt auch so. Mann, ist mir heiß."

"Was hat Madame Rossignol mit dir angestellt. Sag jetzt bloß nicht, die hat irgendwie Iterapartio auf dich anwenden können, obwohl das auf Gegenseitigkeit beruht."

"Neh, ich bin noch ein weitestgehend großer Bursche, keuche mir hier was zurecht, weil ich schwitze und wohl nicht weiß, wie ich demnächst zu Madame Maxime sagen soll."

"Häh?! Was hat sie damit zu schaffen?"

"Mann, die haben mir Blut abgezapft, um Platz für ihr Blut zu machen. Offenbar war da was drin, was das Gift ausgehebelt hat", gedankenschnarrte Julius, bevor ihm klar wurde, das Millie es ja nicht wissen konnte.

"Ey, dumm anpampen mußt du mich jetzt nicht. Aber schon interessant. Oha, dann hast du jetzt Blut von der drin?"

"Hallo zusammen. Erst einmal danke an die edle Spenderin da hinter mir", sprach Julius nun zu den beiden Hexen. "Wußte gar nicht, daß Ihr Blut so heiß ist, Madame Maxime. Wie viel hat Ihnen Madame Rossignol für mich abgehandelt?"

"Fünf Liter", erwiderte Madame Rossignol. Julius dachte daran, daß ein erwachsener Mensch zwischen fünf und sieben Litern Blut besaß. Das war ja schon ein voller Austausch. Die Hitze begann ihn jedoch zu nerven. Hieß das jetzt, daß er jetzt dauernd an der Wasserleitung hängen mußte, um nicht auszudörren? Das konnte doch nicht Madame Rossignols Ernst gewesen sein. Was war der denn eingefallen, sowas mit ihm durchzuziehen?

"Ähm, sollte das jetzt ein Versuch oder eine konkret durchdachte Therapie sein, was Sie da mit mir gemacht haben, Madame Rossignol."

"Fundiert durchdacht, aber doch ein Versuch, Julius. Ich habe Madame Maxime mit mehreren Bißverletzungen angetroffen, ohne das sie sich verändert hat. Daraus folgerte ich, daß ihre besondere Physis sehr rasch Antikräfte gegen das in sie gelangte Toxin ausgebildet hat. Da dort draußen immer noch Wolkenhüter herumflogen, die auf einen Schlangenmenschen warteten, hatte ich nur zwei Möglichkeiten, dich durch die ganze Verwandlung gehen und dann von denen zerfleischen zu lassen oder Madame Maxime zu überzeugen, daß ihre Abwehrkräfte dir vielleicht helfen könnten, zumindest aber die Verwandlung an einem bestimmten Punkt anhalten würden. Daß sie sich vollständig umkehrt war nur eine Hoffnung, aber wie ich sehe eine berechtigte."

"Na super, Sie haben gewürfelt. Zufällig kam die Sechs", grummelte Julius. Madame Maxime, die noch auf den vier Betten lag sagte mit kräftiger Stimme:

"Sie haben selbst schon erfahren müssen, daß ungewöhnliche Situationen keine langwierige Planung zulassen, zumal wichtige Kenntnisse fehlen, um einen solchen Plan fehlerfrei auszuarbeiten. Da Sie jetzt, wie Sie erfahren durften, fünf Liter meines Blutes in sich tragen, verstehe ich, daß Sie ein wenig ungehalten sind, weil wir Sie weder über Art noch Aussichten dieses Experimentes befragen und schon gar nicht Ihre Zustimmung einholen konnten. Sogesehen hätten wir die Zustimmung eh nicht erhalten, weil Sie bereits alle Anzeichen aufwiesen, daß Sie sich mit der Verwandlung und der damit einhergehenden Versklavung angefreundet haben."

"Toll, ich habe fünf Liter Frauenblut im Körper und damit 'ne Menge Östrogen, wenn Sie in Ihrem Alter noch sowas brauchen. Nachher kriege ich noch solche Megamöpse wie Madame Montferre oder Sie." Madame Rossignol verzog das Gesicht, schwieg jedoch.

"Falls Sie mit der ziemlich unterentwickelten Bezeichnung "Megamöpse" meine Oberweite meinen, Monsieur Latierre, so nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß ich mich dieser zwar nicht schäme, sie aber auch sittsam verhüllt trage. Und was soll das heißen, was ich in meinem Alter noch brauche? Sie wissen doch gar nicht wie alt ich bin", erwiderte Madame Maxime sehr ungehalten.

"Steht in den Bulletins, das Sie 1939 mit zehn UTZs von Beauxbatons abgegangen sind. Da Sie sicher keine Ehrenrunde gedreht haben waren Sie da gerade achtzehn Jahre, was heißt, daß sie im Jahr 1921 auf diesem Planeten gelandet sind. Bums", sprudelte es aus Julius heraus. Ihm war es total egal, ob er da gerade indiskret oder gar unverschämt war. Madame Maxime richtete sich auf. Der Einstich an ihrem Bein blutete nach. Madame Rossignol nickte erneut und schwieg. Offenbar wollte sie wissen, wie die beiden sich miteinander verständigten.

"Mit anderen Worten, Junger Mann, ich bin alt genug, um Ihre Frau Großmutter sein zu können, aber für eine Hexe noch jung genug. Also was ist dieses Östrogen?"

"Das ist 'ne Chemikalie, ein Hormon, ein Botenstoff", versetzte Julius herablassend. "Das ist das Zeug, daß die Frau zur Frau macht. Aber jetzt, wo ich das Gedöns auch in mir habe, habe ich wohl Voldys Schlangenmannkostüm abgelegt, um bald wieder in so blöden Miedern rumzulaufen wie damals, wo ich Madame Grandchapeaus Kleider anziehen mußte. Will nur hoffen, daß ich dann nicht auch alle anderen Sachen kriege, die Frauen so kriegen. Hatte ja damals noch ein Schweineglück. Ey, warum bin ich eigentlich noch festgebunden. Das Schlangengift ist ausgebrannt, bei der Hitze eh kein Wunder."

"Eine Bluttransfusion, vor allem nach einer sehr heftigen Teiltransformation, könnte unerwünschte Nachwirkungen haben", sagte Madame Rossignol.

"Welche da wären?" Schnarrte Julius. Diese Hitze, und dann noch an dieses verdammte Bett angebunden zu sein wie ein Irrer kotzten ihn an.

"Beispielsweise Erschöpfung, Schwindelanfälle, mangelhafte Selbstbeherrschung auf Grund der vorübergehenden Sauerstoffunterversorgung im Gehirn und/oder auf Grund der unzureichenden Anpassung an das Spenderblut. Merkst du denn nicht, daß irgendwas mit dir nicht so ist wie vor dem Angriff des Schlangenmonstrums?"

"Natürlich, mir ist heiß, ich habe einen tierischen Durst, bin mit Östrogen vollgepumpt, was im Ruf steht einen durcheinanderzubringen und hänge an einem Bett fest."

"Immerhin funktioniert Ihre Beobachtungsgabe noch", erwiderte Madame Maxime.

"Wie nett", knurrte Julius und kämpfte gegen Gurte und Bettgestell an. Dabei konnte er seinen Rücken fast einen Zentimeter fortdrücken. Das Bett knarrte sehr unangenehm.

"Wollen Sie wissen, ob ich mich selbst aus den fünf Riemen rausziehen kann?" Raunzte Julius und stemmte sich noch einmal gegen Bett und Gurte. "Na, gleich kracht die Kiste unter mir weg", grinste er.

"Stupor!" Rief Madame Rossignol unvermittelt und deutete mit dem Zauberstab auf ihren Patienten. Mit lautm Pong zerstob der rote Schocker an seinem nackten, blond behaarten Brustkorb. Er fühlte nur ein unangenehmes Prickeln, was jedoch sofort wieder abklang.

"Quod erat expectandum, würde meine Kollegin Faucon wohl dazu bemerken", sagte Madame Maxime. Die Heilerin nickte wieder.

"Jau, der Schocker kann mich nicht umhauen. Macht ja das Riesenblut. Genial!" Freute sich Julius überschwenglich. Dann fiel ihm was ein, was ihm einen höllischen Schreck einjagte. Riesen galten als leicht reizbar und tobsüchtig. Hatte er jetzt diese Stoffe in sich, die das anrichteten?

"Was erschreckt Sie jetzt?" Fragte Madame Maxime.

"oh, Mist, dann könnte ich ja von jetzt auf gleich wen umbringen, weil Ihr Blut mich ramdösig macht", seufzte Julius.

"Genau deshalb wollte Madame Rossignol sie nicht losbinden, bevor sie nicht weiß, wie Sie auf meine Blutspende ansprechen", erwiderte Madame Maxime.

"Soll das heißen, ich muß jetzt mehrere Tage so liegen bleiben, damit ich keinem die Birne einhau?" Entrüstete sich Julius von einem Moment zum anderen. "Dann gibt's aber ein Problem. Essen muß ich was, und irgendwann will das dann auch wieder raus. Ich lass mich hier bestimmt nicht wie'n Wickelkind windeln und mit der Flasche abfüllen."

"Erstens wären es grob gerechnet drei Monate, bis dein Körper neues Blut gebildet hat und das von Madame Maxime abgebaut ist", setzte Madame Rossignol mit einer heftigen Antwort an. "Zweitens, wenn ich keine Alternative angeboten bekommen hätte, weil Madame Maxime deine Unbeherrschtheit und Frechheiten vorausgesehen hat würde ich dich genauso halten wie ein ungezogenes Wickelkind, falls ich nicht herausfinde, daß Infanticorpore trotz der Magieresistenz des Fremdblutes nicht doch anschlägt. Dann wärest du jetzt schon ein Wickelkind, Jungchen. Ich würde mir dann womöglich das Vergnügen gönnen, dich ohne Umweg über eine Flasche zu ernähren, und du weißt wie." Julius blickte die mehrfache Mutter und Großmutter abschätzend an und grinste. "Drittens, werter Monsieur Latierre, sehe ich es nicht ein, Sie hier füttern und Waschen zu müssen, wo Sie das selbst immer noch können. Daher wird folgende Maßnahme von Madame Maxime und mir verfügt: Du wirst bis zur vollständigen Neubildung deines eigenen Blutes und der damit hoffentlich wieder eintretenden Selbstbeherrschung in Madame Maximes Obhut zubringen. Die Schule, sofern wir die Akademie bald wieder eröffnen können, findet für dich als Einzelunterricht statt. Du wirst lediglich die Hausaufgaben deiner Klassenkameraden erhalten und an die Fachlehrer zur Korrektur geben. Um keine von dir selbst nicht erwünschten Schwierigkeiten mit den Mitschülern zu bekommen wirst du bei den Mahlzeiten wohl oder übel am Lehrertisch sitzen. Ach ja, das mit dem Brustwachstum nehme ich als Heilerin doch ernst genug. Insofern werden wir, falls dieses wirklich einsetzt, mit Retrolactus in genau abgestimmten Dosen behandeln. Damit kannst du deine blonde Heldenbrust ohne Angst vor lüsternen Blicken anderer Jungen oder neidvoller Blicke anderer Mädchen erhalten. So, und wenn du mir versprichst, nicht gleich den Krankenflügel zu zerlegen, werde ich dich losmachen."

"In der Obhut von Madame Maxime. Wie wollen Sie denn das hinbiegen. Walpurgisnacht-Ringe oder was?" Madame Rossignol griff unter eine Bettdecke und zog zwei Metallringe, einen hula-Hoop-großen und einen gerade mal Gürtelbreiten hervor. Den größeren warf sie Madame Maxime zu, die ihn sich mit schnellen Handgriffen unter ihr Miederpraktizierte und einrasten ließ, während Madame Rossignol Julius den zweiten Ring knapp unter dem Bauchnabel um den Leib wand und fest genug einrasten ließ, daß er weder rutschte noch drückte. "Natürlich so und nicht anders", bemerkte die Heilerin. Julius fühlte lodernde Wut in sich aufsteigen. Sie hatten ihn vom Regen in die Traufe getrieben. Seine Muskeln spannten sich an. Sein Leib bebte vor Erregung. Doch dann beruhigte er sich, indem er seine Formel dachte. Wenn er nicht für eine Minute Ruhig bleiben konnte, würde er wohl gleich in Windeln gewickelt werden. Ob Infanticorpore oder nicht könnte es der netten Heilerin einfallen, für ihn den Nutrilactus-Trank zu schlucken. Das wollte er dann doch nicht. War schon schlimm genug, daß er jetzt mit Madame Maxime Blutsbrüderschaft für zehn Cowboys und Indianer geschlossen hatte. Er beruhigte sich. Dann sagte er so gefühlsfrei wie er konnte: "Okay, ich sehe ein, daß das wohl nicht anders geht. Bitte machen Sie mich los und geben mir meine Sachen wieder, bevor Madame Maxime noch findet, sie müsse mich heiraten."

"Eine gewisse Impertinenz ist wohl nicht ganz auszurotten", erklärte die Heilerin. "Aber zu Ihrem Glück bist du ja schon verheiratet. Achso, den Herzanhänger darfst du behalten, sofern Madame Maxime keine Einwände dagegen erhebt."

"Sofern Sie sich und Madame Latierre damit nicht nachweißlich ungebührlich betragen. Allerdings wäre es für Madame Latierre vielleicht angenehmer, wenn Sie es von Sich aus ablegten, um sie nicht mit unerwünschten Gefühlswallungen zu überfordern."

"Die will sieben Kinder von mir kriegen. Ich hab's bei Constance Dornier erlebt, wie da die Emotionsachterbahn rotiert", grinste Julius. "Wenn sie das möchte, dann lege ich es in meinen Brustbeutel."

"Nein, sie möchte nicht", schossen ihm Millies Gedanken durch den Kopf. "Das behältst du schön um. Will schließlich wissen, wie du dich fühlst. Und abgesehen davon, daß du das mal mitkriegst, wie viel das bringt, mal einfach zu fühlen hast du recht, daß ich damit gut für Aurore und die anderen sechs üben kann."

"Meine Frau erwartet, daß ich das Herz umbehalte", erwiderte Julius laut. Madame Maxime nickte. "Sofern Professeur Fixus es ihr nicht entwendet, um ihre geistig-seelische Balance damit wiederherzustellen."

"Das kann ja lustig werden", erwiderte Julius. Dann wurde er endlich losgebunden. Madame Rossignol teilte über Serena mit, was geschehen war und daß Julius Latierre auf ihre und Madame Maximes Anweisung hin in der unmittelbaren Nähe der Halbriesin blieb. Immerhin durfte er sich hinter einem Wandschirm anziehen. Madame Rossignol erbat sich flüsternd von Madame Maxime die Zugangszauberwörter für den Schulleiterbereich, um Julius Kleidung dort hinzubringen.

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Sie kamen, sie nahmen und sie verschwanden. Die Skyllianri schafften es nicht, unter der Erde zu bleiben. Sonnenheiße Blitzsalven weichten die Erde auf. Die Schnäbel der Wolkenhüter widerstanden der großen Hitze und zogen ihre Beute aus dem zum Kochen gebrachten Erdreich. Die Vögel nahmen jedoch keine Rücksicht auf Muggelstädte und Muggel, die die schlagartigen Angriffe und die davor und danach auftretenden blauen Sphären und Überschallknälle für militärische Attacken oder außerirdische Invasionsversuche hielten. Immerhin war es noch mitten in der Nacht und so viele Zeugen gab es nicht. Denn der Spuk war immer schon vorbei, bevor Leute aufmerksam wurden. Fünfhundert losgelassene Riesenvögel fegten über Europa dahin, fanden ihre Opfer nicht nur in Frankreich, sondern auch Deutschland, Italien, Österreich, Spanien, Polen und der Schweiz. Von Pteranda und Garuschat geführt brach eine Staffel aus dreißig Vögeln auf und übersprang im Hyperschalltempo den Kanal. Weder die auf magische Menschen abgestimmte Vernichtungsaura über dem Land noch die auf Entomanthropenpatrouille befindlichen Todesser konnten ihr Eindringen verhindern. Einer der Helfer Voldemorts meldete um zwei Uhr britischer Zeit, daß er blaue Feuerbälle über sich wegfliegen gesehen hatte. Eine Minute später erwischten fünf Wolkenhüter bereits einen der Schlangenmänner, der gerade mit einem gestohlenen Sportwagen über die Autobahn jagte. Der Wagen wurde zu Schrott und der Skyllianri, einer der ersten, wurde zu unschönen Überresten. Voldemort eilte seinen verbliebenen Schlangenkriegern zu Hilfe. Seine Leute wollten die Vögel von Besen aus mit Todesflüchen abschießen. Doch als er die blauen Leuchtsphären sah und sie tatsächlich als die erkannte, die ihm die Pleite mit dem Drachenturm eingebrockt hatten, erkannte er, daß er gerade eine herbe Niederlage einstecken mußte. Die Schlangenmenschen waren tief unter die Erde gekrochen. Voldemort ließ eine Ringformation bilden und in schneller Folge Todesflüche austeilen. Damit gelang es, einen der Vögel vom Himmel zu holen. Das führte jedoch nur dazu, daß die geflügelten Jäger nun auf die Verteidiger losgingen und gleißende Blitze spuckten, die wie das Stroboskoplicht einer Discothek flackerten. Voldemort stand im Schutz eines Elementarschildes da, während er zusehen mußte, wie die Vögel kurzen Prozeß mit seinen Männern machten. Er hatte dieses Federvieh schlicht unterschätzt. Vor allem geisterte ihm immer und immer wieder die höhnische Bemerkung des Jungen durch den Kopf, den er fast als Diener begrüßt hätte und der ihm auf unerklärliche Weise entwunden worden war. Sharanagots Stab glühte rot auf, spie seinerseits giftgrüne Feuerstrahlen aus, die den Wolkenhütern offenbar zusetzen konnten. Denn sie wichen immer wieder aus, versuchten, nicht in einen Flammenstrahl hineinzugeraten. Dann war nur noch er mit den gefiederten Vollstreckern alleine. Diese änderten ihre Taktik und legten einen Ring aus Lava um Voldemort, bis das Stück Land, auf dem er stand, zu schwanken begann. "Zurück in den steinernen Wald!" Befahl Voldemort seinen Schlangenkriegern. Doch da zog einer der Vögel einen flüchtenden bereits herauf, riß ihn hoch in die Luft und ließ ihn eine halbe Minute später wieder fallen. Jetzt war nur noch Angststürmer übrig. Der Schlangenstab warf Feuerstrahlen aus, um die Wolkenhüter an der Verfolgung zu hindern. Voldemort hatte einen taktischen Fehler begangen, als er die Flucht befohlen hatte. Denn eine Minute Später hörte er Angststürmers letzten Schrei in diesem Leben. Die Wolkenhüter kreisten nun über Voldemort wie die Geier.

"Du hast versagt, Tom Vorlost Riddle. Iaxathan wartet auf dich", schrillte eine unangenehm laute Stimme aus dem Stab. Blitzartig entrollten sich die künstlichen Schlangen darauf und schlangen sich um Voldemort. Doch dieser nahm den ihm drohenden Tod nicht ernst. Er lachte, während die Schlangen sich um seine Arme und Beine und seinen Leib Schlangen.

"Dein Meister wird lange auf mich warten dürfen, Sharanagot", keuchte er und drehte sich schnell. Mit lautem Knall disapparierte er. Die Wolkenhüter stoben auseinander und jagten der Quelle des Schlangenstabes nach.

Weit über dem Meer erschien der eingewickelte Herr der Todesser mitten in der Luft und dachte seine Flugformel. Die um ihn geringelten Schlangen aus dem Stab zitterten und wanden sich. "Habt ihr nicht mit gerechnet, wie?" Fragte Voldemort und strampelte sich frei. "Hier ist das Meer wunderschöne zweitausend Meter tief. Schlaf schön, Sharanagot!"

"Du gehörst jetzt dem Meister aller Meister", zischte es aus dem Stab. "Du wirst mit deiner Lebenskraft und Magie meinem Meister dargebracht. So befiehlt es sein Gesetz für Versager."

"Und weg mit dir!" Rief der dunkle Lord und schleuderte den nun mit vielen schlaffen Schlangen behangenen Stab von sich, der immer heller leuchtete. Er fühlte noch einen unangenehmen Sog. Das Ding wollte ihm doch wirklich Lebenskraft aussaugen. Doch da segelte es auch schon hinunter, wobei es heller und Heller erglühte. Der oberste Dunkelmagier Großbritanniens wartete nicht, ob der Stab verglühen oder explodieren würde. Er disapparierte mitten in der Luft. Keine Sekunde später rasten fünf blaue Leuchtsphären heran und stürzten dem Stab hinterher. Doch ein innerer Drang trieb sie zurück. Da schlug der Stab auf dem Wasser auf, das zischend zu allen Seiten entwich. Dann verschwand der Schlangenstab wie eine Sonne im Strudel. Die Riesenvögel schwirrten über der Stelle und warteten. Dann schoß mit einer Urgewalt eine mindestens hundert Meter hohe Fontäne aus dem Meer und zerstob zu einem gewaltigen Pilz, von dessen Schirmrand das Salzwasser wie aus kleinen Wasserfällen herabregnete. Skyllians Erbschaft war nun endgültig aus dieser Welt getilgt. Die Wolkenhüter hatten ihre ggroße Aufgabe erfüllt. Mit einem fünffachen Überschallknall stießen die grauen Riesenvögel zurück in den Nachthimmel, aus dem sie hinabgefahren waren, um die letzte Schlacht Skyllians gegen die Diener des Schöpfers zu schlagen.

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Julius mußte dauernd die Formel denken, um nicht wütend oder übermäßig belustigt zu werden, als sie die Akademie inspizierten. Außer den Fenstern in den Unteretagen und Brandsspuren am Dach war nichts Beschädigt. Madame Maxime, die nun vor Julius herschritt, nachdem sich ihr Blut wieder abgekühlt hatte, erzählte Julius, wie sie die auf den Palast zudrängenden Skyllianri mit einer großen Eiskeule zurückgetrieben hatte. Als sie erwähnte, daß wohl viele Muggel dabei waren, die vielleicht hätten gerettet werden können, überfiel Julius ein heftiger Reueanfall. Er weinte Hemmungslos los.

"Die sind alle gestorben, weil ich die Vögel klargemacht habe", schniefte er zwischen zwei Weinattacken. Madame maxime baute sich in ihrer ganzen Größe von etwas mehr als drei Metern vor ihm auf und herrschte ihn an:

"Diese Tränen nützen keinem mehr was, Monsieur Latierre. Und wenn diese zu Ungeheuern verurteilten Muggel weitere Menschen gebissen hätten wäre die Anzahl der Opfer ungleich höher ausgefallen. Also reißen Sie sich gefälligst zusammen."

"Die haben doch alle jagen wollen. Die werden alle umbringen, ohne rauszukriegen, wer ein ganzer und wer nur ein zeitweiliger Skyllianri war", wimmerte Julius.

"Eine wichtige Lektion für Ihr Leben, obwohl ich denke, daß Sie das schon wissen: Wer in der Magie oder dem sonstigen Leben konsequent handelt muß immer die Konsequenzen des Handels ertragen, die guten wie die schlechten. Und jetzt bringen Sie sich wieder unter Kontrolle. Sonst veranlasse ich bei Madame Rossignol doch den Plan mit dem Infanticorpore-Fluch. Denn ein Zauberschlaf dürfte bei Ihnen nicht funktionieren. Mir kann ein solcher auch nicht auferlegt werden."

"Ich Riesenbaby", knurrte Julius. Seine Reue schlug übergangslos in Wut um, weil er sich derartig hatte hinreißen lassen. Madame Maxime sah ihn ruhig aber aufmerksam an, als er seine Handkanten schwang und laut zischend die Luft zerteilte. Zehn Sekunden lang drosch und trat er in die Luft, versuchte seinen eigenen Schatten zu treffen. Dann ebbte der Anfall wieder ab.

"Ich denke, wir haben den Drachen mit dem Basilisken ausgetrieben", meinte Julius, als er sich wieder einigermaßen in der Gewalt hatte.

"In diesem Fall umgekehrt, Monsieur Latierre. Lieber mit dem Feuer eines Drachens in sich leben als mit Augen und Zähnen Angst und Tod verbreiten. Wir haben die böse Schlange aus Ihnen vertrieben. Und Sie haben der magischen Welt einen unschätzbaren Dienst erwiesen. Auch wenn zu befürchten ist, daß die Vorfälle in der Muggelwelt schwer zu vertuschen sein werden. Erweisen Sie sich dieser historischen Rolle, die Sie spielen durften würdig und ertragen Sie die folgen!"

"Sie haben gut reden. Ich hänge in knapp zwei Metern Abstand hinter ihnen fest, muß mit Ihnen wohl sogar ins Bad und ins Bett, und das drei Monate lang."

"Sie haben es erwähnt, Monsieur Latierre, Mademoiselle Dornier, Constance, mußte länger an einem ungewohnten, unangenehmen Zustand tragen. Und heute erweist sie sich der Bürde, die ihr auferlegt wurde standhaft genug. In Ihrer und meiner Heimat gelten Männer als Eerwachsen, wenn sie die Dinge, die sie tun müssen mit allen Folgen ausüben. Freuen Sie sich. Sie haben uns geholfen, unserem Erzfeind die schwerste Niederlage seiner zweiten Daseinszeit beizubringen. Uns Sie sind ihm entronnen, was längst nicht alle behaupten können, die mit ihm gekämpft haben."

"Die Schule ist so leer. Überall denke ich, daß ein toter Skyllianri rumliegen kann", unkte Julius.

"Bestimmt nicht, weil sonst die Decken oder das Dach entsprechend beschädigt wären. Die Schlangenwesen, die in der Schule waren flohen durch die Fenster, weil sie nicht in die Erde abtauchen konnten, um zu verschwinden. Die Vögel haben ihnen gezeigt, daß sie die Mauern durchschlagen können, wenn sie müssen. Sehen Sie?" Sie deutete auf eines der großen Löcher in der Mauer. Es besaß einen kristallartigen Rand wie durch die Wand gebrannt. Julius hielt seine rechte Hand an den glasierten Rand und zog sie schnell zurück. Das Mauerwerk war beinahe glühendheiß.

"Sie haben mit ihren Blitzschlägen die Mauer durchbohrt wie heiße Messer durch Butter gehen", erkannte Julius. "Und weil diese Bestien der Erde verhaftet waren sind sie lieber unten raus. Wie lange dauert das, das alles wieder hinzukriegen?"

"Ich denke drei Wochen. ich werde die Akademie erst am ersten Montag im März wieder eröffnen."

"Wissen Sie denn, wo die alle hingekommen sind?"

"Die Gründer wissen es. Außerdem sind genug Apparatoren unter den Evakuierten. Ich gehe sogar davon aus, daß morgen bereits die Saalvorsteher hier eintreffen. Ich denke, ich kann die Schulräte dazu überreden, vorgezogene Ferien zu bewilligen, unter Umständen unter Verzicht auf die Osterferien. Ich werde in sechs Stunden, wenn wir beide den nötigen Schlaf hinter uns haben wissen, ob ich Baumagier und Zauberschmiede bekomme, die die Schäden an den Mauern und dem Tor regulieren."

"Wer bezahlt das, hoffentlich nicht ich."

"Ich habe mir die Feder von Ihnen erbeten. Demnach müßte ich die Schäden tragen. Aber ich denke, der Tag wird kommen, wo wir die, die uns dieses Ungemach eingebrockt haben für alles zur Rechenschaft ziehen können. Mit dem Herren, der mehr Glück als ihm zustand hatte, daß ich ihn vor dem Angriff der Vögel von seinem Fluch befreite, werden wir anfangen. Madame Rossignol wird ihn wohl schon eingesammelt und zur DK geschickt haben. Wir beide suchen jetzt unsere Räumlichkeiten auf."

Auch wenn Julius sich immer noch ärgerte, hinter der Halbriesin herdackeln zu müssen war er doch gespannt darauf, wie die übergroße Dame privat lebte. Da er im Moment keinen Pflegehelferschlüssel mehr am Arm hatte, mußten sie den Weg zum achten Stock zu Fuß gehen. Das streitbare Königspaar Schlief. Natürlich war der König nicht besonders gut gelaunt, daß er geweckt wurde. Doch dann ließen er und seine Frau die beiden aneinandergeketteten ein.

"Sie haben sich sicher wie alle anderen gefragt, wie ein amtierender Schulleiter privat lebt", sagte Madame Maxime, als sie Julius durch eine der Türen im Hufeisengang führte. Hier befindet sich mein Ruheraum, wo ich lesen, töpfern oder Musizieren kann." Sie deutete auf einen thronartigen Sessel und mehrere Schränke. Auf einem Regal über Julius Kopf waren bauchige Becher, schlanke Vasen und verzierte Töpfe aufgereiht. Die Schulleiterin betrachtete sie alle sorgsam und nickte. "Tonarbeiten gehören zu meinen Freizeittätigkeiten. Sie entspannen und fordern doch viel Konzentration. Das gleiche gilt für die Musik. Wahrscheinlich hat Madame Rossignol Ihre Instrumente aus dem Schlafsaal herbeigeschafft. Dann können wir beide gerne einmal prüfen, ob wir ein gutes Duett abgeben. Bücher hole ich mir meistens aus der Bibliothek. Es steht Ihnen frei, dies auch zu tun, wenn Sie mich dorthin begleiten."

"Ich habe eine ganze Menge Bücher mit", erwiderte Julius, der im Moment wie ein kleines Kind vor den überhohen Möbeln stand und sich den Nacken verränken mußte. Die Decke war hier bestimmt fünf Meter über dem Boden. Trotzdem hallte es nicht sonderlich.

Durch eine andere Tür ging es in ein großes, rechteckiges Schlafzimmer, daß mit einer Landschaftstapete ausgekleidet war, die eine Hügelkette unter dem Mond darstellte. Julius erkannte sofort, daß hier wohl eine Tages- und Jahreszeitankopplung benutzt wurde. Neben drei fast hausgroßen Kleiderschränken und einem über zwei Meter hohen Frisiertisch stachen Julius jedoch zwei Möbel ins Auge. Das eine war mindestens vier Meter lang, stand auf knapp ein Meter hohen, breiten Füßen und mochte bis zum Scheitelpunkt des mitternachtsblauen Baldachins zweieinhalbmeter aufragen. Die Vorhänge waren gerade Ggeschlossen. Davor, knapp zwei Meter entfernt, stand ein übergroßes Gitterbett mit Dach. Julius deutete auf das weißlackierte Schlafmöbel und fragte: "Ähm, soll das meins sein?"

"Ja, eindeutig. Madame Rossignol hat es wohl wirklich so gedacht."

"Ein Kinderbett? Das soll wohl ein Witz sein."

"Junger Mann, ich gehe sehr stark davon aus, daß Madame Rossignol keinen Scherz mit Ihnen oder mir treiben wollte, daß sie unsere Schlafstätten wie bei einem Mutter-Kind-Gespann zusammenstellt. Es verhält sich wohl eher so ... das Sie in diesem Bett sicherer schlafen können."

"Aus dem Kinderbettalter bin ich aber schon bald dreizehn Jahre raus", meinte Julius und sah die kleine Claudine in ihrem rosaroten Kinderbett.

"Mag sein. Aber bedenken Sie, daß auch ich nicht frei von den Auswirkungen meines Blutes und meiner besonderen Statur bin. Es verbietet sich sowohl aus der Hierarchie in Beauxbatons, dem Altersunterschied zwischen Ihnen und mir und der Körpergröße, daß wir beide dasselbe Bett teilen. Dennoch besteht durchaus die Möglichkeit, daß wir beide trotz des Altersunterschiedes durch die erzwungene Enge in Versuchung geführt werden könnten, uns einander auf hier ungehörige Weise zu nähern. Um dies zu verhindern stellte Madame Rossignol dieses Gitterbett hier hinein, das nur dann geöffnet werden kann, wenn Sie und ich wach genug sind, unsere Triebe, sofern vorhanden, zu kontrollieren. Ansonsten wäre dann doch eher die Alternative der Infanticorpore-Bezauberung, sofern diese anschlüge. Also akzeptieren Sie um Ihrer verbliebenen Beweglichkeit willen dieses Gitterbett als Ihre Schlafstatt. Sie müssen ja niemandem erzählen, wie Sie nächtigen."

Julius schwieg. Erst als sie im gewaltigen Badezimmer waren, das ein Becken wie das Vertrauensschülerbad besaß, kam er nicht um ein "Wau!" herum. Handgetöpferte Fische, Nixen und Seeanemonen thronten auf einer Brüstung von mehr als zwei Metern Höhe. ansonsten gab es hier ein Waschbecken, daß Julius mit einem Schlag zum dreijährigen Knirps degradierte, weil es ihm knapp über dem Kopf hing und eher eine Badewanne war, sowie ein Bidet mit Rand auf Julius' Oberschenkelhöhe und einer Toilettenschüssel, deren oberer Rand auf Höhe seines Brustkorbs verlief. Er blickte den so wichtigen Keramikbehälter genau an und erkannte neben Sitz und Deckel einen zweiten Sitz. Und der degradierte ihn zum Zweijährigen, als sein Vater einen Zwischensitz ins Klo eingebaut hatte, damit der kleine Sohn nicht in die Schüssel plumpste, wenn er wie die großen machen lernen sollte. Erst dann erkannte er die Trittleiter mit den fünf Sprossen, an der ein Zettel hing, den Madame Maxime ihm gab:

Hallo Julius! Du bist zwar kein Kleinkind und sollst auch keines mehr werden. Doch die für Madame Maxime ausgelegten Möbel und vor allem die Badezimmereinrichtungen machten es unumgänglich, bestimmte, deine geringere Größe ausgleichende Sachen einzufügen. Um an die wichtigen Sachen heranzukommen, um dich weiterhin pflegen und erleichtern zu können, benutzt du bitte diese Trittleiter und für den gewissen Ort den deiner Größe entsprechenden Zwischensitz. Zumindest mußt du dann keine Windeln tragen, was deinem Selbstwertgefühl bestimmt mehr entspricht. Ich wünsche dir für die Zeit des erzwungenen Zusammenlebens die nötige Ruhe, aber auch die Gelegenheiten, aus dieser doch sehr unangenehmen Lage das beste für dich herauszuholen. Bitte teile Madame Maxime mit, daß ich dich jede Woche gründlich untersuchen möchte, um die Nachwirkungen der doch sehr außergewöhnlichen Therapie zu prüfen! Ansonsten verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen

Florence Rossignol

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Didier war froh, als er nicht mehr im Baum hing. Er war sogar froh, als diese überschlaue Alte Tourrecandide ihn persönlich in der Delurdesklinik abholte und in ein Haus in der Nähe von Grenobel brachte, wo er bis zu seiner Verhandlung unter Hausarrest stehen sollte. Seine Frau Euryale war tot. Was das auch immer war, daß über sie hereingebrochen war, er war als einer der wenigsten mit dem Leben davongekommen. Doch wenn er sich ausmalte, welche Zukunftsaussichten er hatte, dann fragte er sich schon, ob er nicht besser gestorben wäre. Es war einiges, was sie ihm vorwarfen. Doch das, was er am heftigsten zu bereuen hatte, stand nicht auf der Tagesordnung. Noch nicht. Sie hatte ihm erzählt, daß sie Pétain auch festgesetzt hatten. Die Häuser waren gegen Mentiloquismus gesichert. Sie durften auch keine Eulen verschicken. Das einzige was ihm hier an Informationsmöglichkeiten zustand war ein kleines Radio. Aus diesem hörte er die Freudenmeldung, daß es in Europa und wohl auch anderswo keine Schlangenungeheuer mehr gab und daß zwar mehr als tausend Muggel unschuldig zu diesen Wesen wurden und als solche sterben mußten, aber der Schaden für die Zaubererwelt verhältnismäßig gering war. Das man ihn in Einzelhaft mit Komfortzelle gesperrt hatte wurde auch als freudige Nachricht verbreitet. Was hatte er bloß angerichtet, daß sich Leute freuen durften, wenn er nicht mehr frei herumlief? Schließlich, um das Füllhorn der Freudenbotschaften noch voller zu machen, sprach Minister Grandchapeau, der aus seiner Zuflucht zurückgekehrt war, von seiner Entführung und Gefangenschaft. Didier mußte eingestehen, daß er auf diese Hintergründe nicht im Traum gekommen wäre. Zum Schluß sprach Professeur Faucon, die mit einer großen Schar Schüler durch ein mysteriöses Teleportal der Gründer nach Spanien geraten war und erklärte, daß sie hoffe, daß alle wohl auf seien und der Lehrbetrieb hoffentlich bald weitergehen könne. Martha Andrews, die Frau, der er im Grunde seine jetzige Lage verdanken durfte, gab in einem kurzen Interview an, daß ihr Sohn nach einem Zusammenstoß mit den Schlangenmenschen unerwartete Hilfe und Rettung erhalten habe, jedoch für's erste nicht im regulären Schulbetrieb weiterlernen könne. Näheres dazu verschwieg sie jedoch.

ENDE

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