BANDENKRIEG IN DROPOUT

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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© 2003 by Thorsten Oberbossel

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vorige Story

P R O L O G

Nach der unheimlichen Wiederkehr des in der Welt der Hexen und Zauberer gefürchteten Dunkelmagiers Lord Voldemort ist die Zauberergemeinschaft in jene gespalten, die an diese Rückkehr glauben, sowie denen, die sie schlichtweg abstreiten. Doch Voldemort ist nicht die einzige Gefahr.

Der für tot gehaltene und in der Maske eines Lehrers in Hogwarts tätige Bartemius Crouch Junior wird nach Voldemorts Rückkehr entlarvt und durch einen Dementor, eines jener dämonischen Wesen, die das Zauberergefängnis Askaban bewachen, seiner Seele beraubt. Crouches entseelter Körper wird vom Ministerium für Magie versteckt gehalten. Voldemort will ihn töten lassen, doch sein Handlanger stirbt selbst, weil Pandora Straton, eine nicht mit den Zaubereigesetzen einverstandene Hexe ihn tötet und Bartemius' Körper entführt. In einem magischen Prozeß wird aus Bartemius Crouch zunächst eine Frau, in deren Körper dann die in einem alten Medaillon der dunklen Kraft eingelagerte Seele der mächtigen Hexe Anthelia, Nichte Sardonias vom Bitterwald, zu neuem Leben erwacht.

Anthelia gründet mit Pandora, deren Tochter Patricia und einigen anderen dunklen Hexen aus aller Welt den Orden der Spinne, der die Herrschaft der Hexen über die gesamte Menschheit zum Ziel hat. Der fünfzehnjährige Benjamin Calder, der zufällig das Wiedererweckungsritual belauscht hat, wird von Anthelia durch mehrere Flüche zu einem Verbindungsglied zur nichtmagischen Welt.

Um weitere Macht zu erlangen, trachten sowohl Lord Voldemort, als auch Anthelia danach, das alte Erbe der mächtigen Sarah Redwood an sich zu reißen. Anthelia lockt Chuck Redwood, einen leiblichen Erben der alten Hexe, durch telepathische Botschaften zum Haus Sarahs, das nur von leiblichen Erben betreten werden kann. Zeitgleich versucht ein Trupp von Voldemorts Anhängern, Chuck und dessen Vater gefangen zu nehmen. Dabei stirbt Chucks Vater. Auch Chuck selbst, beziehungsweise eine Leiche, die wie er aussieht, bleibt nach dem Überfall auf die Redwoods zurück. Doch Anthelias Hexenschwestern haben den Tod Chucks vorgetäuscht. Wahrhaftig ist einer von Voldemorts Gefolgsleuten durch einen Gestaltwandeltrank in Chucks Körperform verwandelt worden. Chuck selbst arbeitet sich durch Sarahs Haus, vorbei an steinernen Wächtern und einem Basilisken, bis er in einem Steinsarg Sarah Redwood findet. Diese überwältigt ihn, weil er nicht auf ihre Seite kommen will und verläßt ihr Haus, nachdem sie sich durch Chucks Blut verjüngt und Chuck selbst in ihren Überdauerungssarkophag gezwungen hat. Doch draußen wartet schon Anthelia, mit der sich Sarah aus Angst vor Konkurrenz ein Duell liefert, an dessen Ende Sarah den Tod findet. Anthelia bannt den dem Körper entweichenden Geist in ihrem Seelenmedaillon und gewinnt damit alles Wissen und Können Sarahs zu dem Gedächtnis Bartemius' Crouches. So erringt sie einen weiteren Teilsieg gegen Voldemort und kehrt in ihr Hauptquartier, einer alten Plantagenbesitzervilla in der Nähe der Kleinstadt Dropout, Mississippi zurück.

Sie nutzt die Zeit, um sich auf eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Handlangern Voldemorts sowie den Zaubereiministerien der Welt vorzubereiten. Doch sie weiß nicht, daß eine große Gefahr in unmittelbarer Nähe droht.

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Der Wandkalender mit den Naturansichten Nordamerikas zeigte einen Wald mit herbstlich eingefärbten Bäumen. Das Kalenderblatt enthielt alle Tage des Septembers. am Vorabend war es unter dem Bild eines Wasser speienden Geysirs des Yellow-Stone-Parks hervorgeholt worden. Man schrieb nun den ersten September 1995. Das Büro, in dem der Kalender hing, war nicht gerade groß. Dennoch enthielt es alles, was ein Büro im ausgehenden 20. Jahrhundert aufzuweisen hatte. Ein Computer stand unter dem Kiefernholzschreibtisch, ein Telefon mit Lautsprecher, ein Anrufbeantworter und ein Faxgerät standen einträchtig neben dem großen Computerbildschirm auf dem Schreibtisch. Daneben stand auf dem Schreibtisch noch ein Funkgerät, das über ein Kabel an eine große Antenne auf dem Dach angeschlossen war. Es war gerade ausgeschaltet, denn im Moment war der, der mit ihm arbeitete, nicht im Büro. Ein Kofferradio ruhte ebenfalls ausgeschaltet auf dem untersten Brett eines Wandregals, in dem neben einigen Büchern noch Disketten und CD-ROMs aufbewahrt wurden. Über allem lag die Stille momentaner Untätigkeit.

Die große elektrische Wanduhr zeigte gerade sechs Uhr am Morgen des ersten Septembers, als das Faxgerät loszusurren begann. Langsam schob es ein dünnes Blatt Papier nach dem anderen heraus. Auf jedem Blatt waren Text oder Bilder abgedruckt, die gerade irgendwo aus dem Speicher eines anderen Faxgerätes übertragen wurden. Nach fünf Seiten Papier stoppte der Faxapparat seine Tätigkeit und ging wieder auf Empfangsbereitschaft. Es verging noch eine halbe Stunde, bis die Bürotür geöffnet wurde und der Inhaber die gefaxte Mitteilung vorfand, nicht ahnend, daß diese Nachricht der Auftakt mörderischer Ereignisse bedeutete.

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Roscoe Foggerty wachte vom nervtötenden Piepen seines Weckers auf. Grummelnd drehte er sich aus seiner Lieblingsschlafstellung zu seinem Nachttisch hin und ließ die große Hand auf den Abstellknopf niedersausen. Der Wecker verstummte. Foggerty setzte sich auf, gähnte laut und vernehmlich und stand auf. Seit fünfzehn Jahren war das jeden Morgen dasselbe Spiel. Der Wecker, früher ein rasselndes mechanisches Ding, dann dieser piepende Quarzwecker, ging immer um halb sechs los, um Roscoe Foggerty in den neuen Tag zu rufen. Sieben Uhr war die Zeit, zu der er in seinem Büro zu sein hatte. Die Leute verließen sich darauf, denn er vertrat das Gesetz in Dropout, einer kleinen verschlafen wirkenden Stadt im amerikanischen Bundesstaat Mississippi. Als bekennender Junggeselle fand er in diesem festen Tagesablauf den Halt und die Erfüllung, die ihm andere Männer neideten, die nicht genau wußten, wozu sie eigentlich auf der Welt waren.

Foggerty duschte, rasierte sich und kämmte sich das dunkelbraune Haar, daß über der Stirn bereits auf dem Rückzug war und zog erst eine gewöhnliche Hose und einen Pullover an. Kaffee und Frühstück waren schnell zubereitet und noch schneller eingenommen worden. Danach zog der Ordnungshüter seine Uniform mit dem großen Blechstern auf der linken Seite des Brustteils an und verließ zu Fuß seine kleine Wohnung, die in der Nähe des Sheriffbüros lag. Er schloß das Sicherheitsschloß auf, schaltete mit einer Fernsteuerung die Alarmanlage aus und öffnete die Tür.

"Moin, Ross! Toller Tag heute!" Grüßte Mr. Cramer, der Besitzer des Eisenwarengeschäftes gleich neben dem Sheriffbüro den Gesetzeshüter. Dieser sah sich um und meinte:

"Das soll so bleiben, Roy. Schon so früh auf?"

"Kriege vor acht eine Lohre Bohrer rein, Ross. Außerdem wollte der alte Dunning sich sein neues Jagdgewehr holen. Der will ja 'n paar Wildschweine schießen."

"Solange er dazu keine illegalen Waffen nimmt, Roy. Donna schläft noch?"

"Jawoll, Sheriff. Die und Benny Calder haben gestern mit ihren Freunden noch mal einen draufgemacht, bevor die Schule wieder losgeht. Geht ja erst in sieben Tagen wieder richtig los."

"Wird auch Zeit, Roy. Die Bengels haben sich ja schon gelangweilt. Dann werde ich wohl endlich wieder ruhigere Tage haben", erwiderte der Sheriff. Dann wünschte er Roy Cramer einen erfolgreichen Tag und betrat sein Büro.

Die fünf vom Faxgerät herabhängenden Papierseiten sprangen Foggerty direkt in die Augen. Er zog die Tür hinter sich zu, schaltete das Bürolicht ein und riss die fünf bedruckten Seiten vom Rest des Papierstapels ab. Er faltete die hauchdünnen Seiten zusammen, rupfte routiniert die perforierten Randstreifen ab, die den Papiervorschub durch die Zahnräder glatt über die Bühne gehen ließen und warf sie in den Korb für das Altpapier. Er schaltete das kleine Radio ein, das auf dem Nachrichtenkanal eingestellt war und setzte sich an den Schreibtisch, um das angekommene Fax zu lesen.

Seine leicht lässige Haltung, sowieso einen Tag wie jeden anderen zu erleben, verflog schlagartig, als er las, daß das Fax aus Jackson, der Hauptstadt Mississippis kam und bereits eine Weiterleitung eines anderen Faxes aus New York war. Es handelte sich um ein Rundfax an alle Polizeistationen und Sheriffbüros der südöstlichen Regionen der vereinigten Staaten und warnte in roten Druckbuchstaben vor einer Zusammenkunft einer weithin als kriminell bekannten Rockerbande, den Red Rattlesnakes. Foggerty kannte diese Bande nur vom Hörensagen. Weiter oben an der Ostküste terrorisierten sie kleinere Städte und waren in Unternehmen des organisierten Verbrechens in New York, New Jersey und Chicago verwickelt, mal als Geschäftspartner, mal als Rollkommando. Von Drogen bis hin zum Waffenhandel, Einbruch und schwerer Körperverletzung reichten die Straftaten der bekanntesten Mitglieder dieser Bande, die wohl um die 500 Mitglieder zählte. Was Foggerty auch aus eigener Erfahrung mit kleineren Rowdie-Banden wußte, die hier einmal durchgezogen waren: Die hatten alle mordsmäßige Angst vor den Rattlesnakes.

"... liegen uns zum größten Bedauern unstrittige Hinweise vor, daß sich sämtliche bekannte so wie im Verdacht der Mitgliedschaft bestehende Anhänger dieser Gruppierung auf dem Staatsgebiet von Lousiana zusammenfinden, was bedeutet, daß sie offenkundig eine große Unternehmung planen. Die Polizeibehörden innerhalb dieses Informationsnetzwerkes sind gehalten, Ausschau nach Mitgliedern dieser kriminellen Vereinigung zu halten und nach Möglichkeit straffällige Angehörige festzunehmen. Wir weisen jedoch darauf hin, daß die erwiesenen Mitglieder der Gruppierung unter dem Namen "Red Rattlesnakes" skrupellose Gewalttäter sind und auch schwer bewaffnet sein dürften. Da wir bislang keine Kunde vom genauen Versammlungsort der Gruppe haben, da sie durch geschickte Täuschungen unsere Nachforschungen vereitelten, warnen wir Sie und alle Kollegen, die dieses Rundfax erhalten, vor dieser Gruppierung. Es folgen die Daten der vier bekanntesten und gleichermaßen gefährlichsten Mitglieder", las Foggerty halblaut und bekam immer größere Augen. Da stand was von allen bekannten und vermuteten Mitgliedern. Wieso hatte man nicht einfach zugegriffen, als sich diese Versammlung andeutete? Konnte man nicht einmal prophylaktisch bereits aktenkundige Straftäter festnehmen? Manchmal verwünschte Foggerty das Rechtssystem der USA, weil erst etwas passieren mußte, bevor die Ordnungshüter eingreifen durften. Polizisten, die Manns genug waren, sich nicht von den Kriminellen auf der Nase herumtanzen zu lassen, gerieten im Zeitalter der allgegenwärtigen Medien immer wieder ins Kreuzfeuer, wenn sie Verdächtige festnahmen, ohne direkt etwas gegen sie vorbringen zu können. Ja, und Amerika war das Land der Freiheit, wo ja jeder tun konnte, was er oder sie wollte, solange es erwiesenermaßen erlaubt war. Also konnte auch jeder hinfahren, wo immer es ihn hinzog, auch Mitglieder einer Rockerbande, die drauf und dran war, den Hells Angels und ähnlichen Gruppierungen den Rang abzulaufen. Diese Leute mochten skrupellose Gewalttäter sein, aber dafür waren sie leider nicht dumm und wußten genau, wann sie sich beherrschen mußten, um nicht vorzeitig von der Straße geholt zu werden. Wenn die dann auch noch mit den neusten Errungenschaften des Hochtechnologiezeitalters, Internet und Handies, ausgestattet waren, genügte eine unverfängliche Nachricht per E-Mail oder Anruf, um ganze Armeen brutaler Personen zusammenzutrommeln.

Foggerty besah sich die mitgefaxten Bilder der vier bekanntesten Rattlesnakes. George William Saunders II., Sohn eines ehemaligen Stadtrates von Washington D.C., galt als Anführer. Unter dem Spitznamen Greenskull, grüner Totenkopf, hatte er sich vor zehn Jahren in der Hierarchie einer Washingtoner Jugendbande hochgekämpft und versprengte Teenager, die genauso wenig von ihren bürgerlichen Familien hielten, wie er selbst, zur ersten eigenen Bande zusammengeführt. Später hatte er sich die zerschlagenen Banden aus New York und New Jersey herangezogen und die Red Rattlesnakes gegründet. Je älter Greenskull wurde, desto gnadenloser ging er vor, wurde aber auch durch intelligente Planung von Verbrechen berühmt. Er hatte für vier Jahre in einem Bundesgefängnis gesessen, was seinem Ansehen und seiner kriminellen Karriere jedoch nichts hatte anhaben können. Im Gegenteil. Durch Verbindungen zu anderen Verbrechern hatte er sich im Drogenhandel, der illegalen Prostitution und bezahlten Überfällen einen unrühmlichen Namen gemacht. Warum sich die von ihm geführte Bande "Red Rattlesnakes", also die roten Klapperschlangen nannte, lag wohl daran, daß sie gerne rot lackierte Harley-Davidsons fuhren.

Rhonda Lurker war die einzige aktenkundige Frau in der Gruppe. Sie unterhielt eine Beziehung zu Greenskull und war ausgebildete Pharmakologin, was sie dadurch gefährlich machte, weil sie sich mit Giften auskannte. Ein nicht gänzlich aufgeklärter Mord, den ausgeführt zu haben sie verdächtigt wurde, war solch ein Fall, wo jemand durch ein raffiniertes Gift umgekommen war. Da Lurker jedoch ein unerschütterliches Alibi vorweisen konnte, mußte sie aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden. Foggerty besah sich die attraktive Frau mit den hellblonden Kräuselhaaren, deren dunkler Hautton von einer afroamerikanischen Großmutter herrührte. Auf dem gefaxten Foto trug sie eine rote Elastikhose und eine weiße Satinbluse.

Clark Founder und Peter Lommond, zwei bullige Männer mitte Dreißig, galten als Vollstrecker und Leibwächter Greenskulls. Diese Leute waren also die gefährlichsten Bandenmitglieder der Rattlesnakes, kam es Foggerty in den Sinn. Die gefährlichsten Mitglieder. Das hieß, daß die anderen auch noch mit großer Vorsicht oder Härte anzupacken waren.

Sheriff Foggerty telefonierte mit den Kollegen in anderen Städten, ob diese auch das Fax bekommen hatten und sprach sich mit ihnen ab, was im Falle einer Sichtung der aufgeführten Personen zu tun sei. Er fragte sich, ob er mit seinen zehn Hilfssheriffs und den noch zu mobilisierenden zwanzig Freiwilligen gegen eine Gruppe von fünfhundert möglicherweise Schwerbewaffneten was ausrichten konnte. Er fuhr seinen Computer hoch und hoffte, daß das kurz zuvor installierte WINDOWS 95 lange genug laufen würde, um gewisse Recherchen anzustellen, ob Bandenmitglieder in der Region gesichtet worden waren oder gar hier irgendwo wohnten. Zu seiner Freude lief das Betriebssystem einmal recht stabil, sodaß er seine Recherchen im Polizeinetz abschließen konnte. Nicht, daß die Sucherei was neues gebracht hätte. Die Mitglieder der Rattlesnake-Bande wiesen zwei Basiseigenschaften auf: Entweder stammten sie aus sehr zerrütteten Familien oder genau andersherum aus Familien mit überhöhtem Ordnungs- und Harmonieanspruch, meistens von einem autoritären Oberhaupt geleitet. Foggerty war ein gewählter Sheriff, kein ausgebildeter Polizist. Daher war das einzige, was er über Psychologie wußte das, was er in seinen fünfzehn Dienstjahren durch eigene Erfahrung hatte lernen können. Dennoch war er sich sicher, daß diese Leute zum einen nichts zu verlieren hatten, weil sie nie etwas gehabt hatten oder alles hingeworfen hatten, aber auf der anderen Seite einem starken Führer nachliefen, der sie anleitete und in eine erfolgversprechende Richtung schubste.

Das Telefon läutete um neun Uhr. Bäcker Barley in der Futtermeile hatte einen Landstreicher beim Brotdiebstahl erwischt und hielt ihn fest. Foggerty fuhr selbst hin und regelte das. Er nahm den Obdachlosen in sein Büro mit und schloß ihn in eine der zehn Gefängniszellen im Keller ein, da der Mann keine Papiere mithatte und Foggerty selbst keine Erkennungsdienstlichen Hilfsmittel besaß. Eine Stunde später kam jemand von der Staatspolizei und holte den Broträuber ab, der abgemagert und in seinen zerlumpten alten Klamotten ein Jammerbild abgab.

Ein Verkehrsunfall auf der Umgehungsstraße forderte Foggertys Einsatz um elf Uhr, zwei Yankees aus Philadelphia, die mit sechzig Meilen die Stunde einfach durch Dropout rasten, riefen ihn um halb zwölf auf den Plan. Er verpaßte den überheblichen Rasern, wohl dem Sohn eines wohlhabenden Staatsbürgers, der zum ersten Mal ein eigenes Auto unterm Hintern haben durfte und damit seiner Freundin oder Verlobten imponieren mußte, ein gepfeffertes Strafmandat und trieb 50 Dollar für die Gemeindekasse ein.

Es war genau zwölf Uhr mittags, als Hilfssheriff Goldsmith über Funk den Sheriff rief, der sich noch mit dem arrogant auftretenden Jüngling herumstritt, der mit Anwälten und tollen Beziehungen zu wichtigen Leuten drohte.

"Sheriff, da kommt gerade 'n Fax rein. Steht "wichtige Mitteilung" Drauf!" Klang Goldsmiths Stimme von atmosphärischen Störgeräuschen durchsetzt blechern aus dem Lautsprecher des Funkgerätes im Wagen des Sheriffs.

"Von wem kommt's?" Fragte Foggerty zurück.

"Polizeibehörde Sacramento, Kalifornien, Sir. Ups, was wird das denn?" Kam Goldsmiths Antwort. Dann herrschte für dreißig Sekunden nur das Knistern, Rauschen und Knacken der Statik im Funk vor.

"Irgendwelche War Dragons aus San Francisco haben sich mit ihren Genossen zusammengetan und sind wohl unterwegs nach Osten. Die letzte Sichtung war irgendwo in Oklahoma. Die müssen sich gleichmäßig über die südlichen Staaten verteilt haben, weil von denen nie mehr als zehn auf einmal gesichtet wurden, Sir."

"Heh, Sie, Sheriff! In zwei Stunden ist mein Anwalt bei Ihnen und legt Ihnen die Ablehnung der Strafe auf den Tisch. Meine Personalien haben Sie ja. Wenn Sie mir nichts besseres vorwerfen können, als läppische fünf Meilen über der erlaubten Höchstgeschwindigkeit, dann fahre ich jetzt weiter", tönte der erwischte Geschwindigkeitssünder unverdrossen. Foggerty war von der Funkmeldung so irritiert worden, daß er nichts mehr sagte. Der Raser stieg in seinen silbernen Thunderbird und fuhr einfach davon. Sheriff Foggerty machte keine Anstalten, dem Mann nachzufahren, um ihn zu stoppen.

"Hank, das schmeckt nach Ärger. Kathy ist ja noch hochgefahren. Im Moment ist sie mal guter Laune. Also mach mit ihr mal 'ne Nachfrage, was diese War Dragons für Leute sind, wo sie herkommen und wer zu denen gehört! Ich habe hier gerade so'n Yankee-Bübchen mit 50 Dollar zur Kasse gebeten. Der schickt mir nachher seinen Paragraphenhengst vorbei. Ich reite gleich zum Büro zurück. Bis dahin will ich haben, was Kathy ausspucken kann. Klar?!"

"Befehl, Sheriff", kam Hank Goldsmiths Antwort über Funk.

Foggerty ließ den Motor seines Wagens an und kehrte fast selbst mit überhöhter Geschwindigkeit zum Büro zurück, wo Ben Calder, ein fünfzehnjähriger Bursche, der ständig mit einer Baseballmütze mit Werbung für die Firma seines Vaters drauf herumlief, am Computer arbeitete.

"Heh, Hank, was will Calder Junior hier? Was hat der an unserer Kathy rumzufummeln?"

"Kathy wollte mal wieder nicht und soff mir mitten im Einwahlvorgang für's Lawnet ab. Neustart war nicht, und mit der Resettaste ließ sich die Widerspenstige auch nicht wieder wachküssen", seufzte Hilfssheriff Goldsmith.

"Dad sagt, der Name eines Computers macht sein Verhalten aus. Er hat seinen in der Firma Marilyn genannt", sagte Ben Calder unbeeindruckt, daß Foggerty sich in seiner ganzen Länge und Breite hinter ihm aufgebaut hatte.

"Ich gehe davon aus, daß Sie die Installationsdisketten und die CD noch haben?" Fragte der Teenager, der vor einigen Monaten noch ein schmächtiges Bürschchen mit vielen roten Pickeln im Gesicht gewesen war. Jetzt, wo Foggerty genau hinter ihm stand, fiel dem Sheriff auf, daß der Junge seit seiner letzten näheren Begegnung mit ihm im Juli zu einem athletischen Jüngling mit einem hoffnungsvoll spriesenden Bart herangereift war. Pickel konnte Foggerty keine mehr sehen. Doch ihn kümmerte es nicht, wann die Körper von Teenagern die lästigen Auswirkungen der Pubertät überstanden hatten, weil der eine früher und der andere später damit durch war. Was ihn kümmerte und störte war die lockere Art, mit der Ben Calder auf Foggertys Bürostuhl saß und mit Maus und Tastatur am Computer herumdoktorte.

"Was hast du hier verloren, Benjamin Jacob Calder Junior?" Fragte der Sheriff sehr ungehalten und zeigte ein mürrisches Gesicht.

"Mr. Goldsmith hat mich angerufen, Sir. Ihr Computer hat einen Absturz hingelegt und will sich nicht berappeln. Da mein Daddy Ihnen den Rechner hingestellt hat und ich außer ihm am besten mit sowas klarkomme, bin ich mal eben rübergekommen. Haben Sie die Installationssoftware nun da?"

"Heh, Burschi! Nicht so frech mit Onkel Foggerty! Hank, du hast dem Knaben doch nicht etwa Geld angeboten, damit er Kathy wieder ..." Goldsmith schüttelte den Kopf. "... Gut. Kathy war sowieso schon ziemlich teuer."

"Was Daddy, Donnas Dad und die anderen Moms und Daddies von Dropout bezahlt haben, Sheriff. Ich bekomme Ihren Rechner ohne neue Installation nicht gecheckt. Wenn's beim Absturz die Platte vermurkst hat, kann ich das nur durch einen Probelauf vom CD-Laufwerk aus nachprüfen, falls das Bios nicht mit abgekackt ist."

"Hallo, Mr. Calder! Nicht diese Ausdrücke! Verstanden?"

"Wenn's hilft", gab Ben leicht gehässig zur Antwort und blickte auf das Regal, wo Computerdisketten und -CDs bereitlagen. Goldsmith suchte schnell nach dem Installationspaket. Ben versuchte den Rechner damit wieder flott zu kriegen, bekam aber nur Fehlermeldungen über unkorrekt angemeldete Laufwerke. Als er es zumindest hinbekam, über das Diskettenlaufwerk einen Datenträgertest durchzuführen, kam die befürchtete Meldung, daß die Festplatte durch einen Programmfehler deformatiert worden war.

"Ich hoffe, Sie haben von allen Programmen und Daten Sicherungskopien", wandte sich Ben an den Sheriff. Dieser verzog das Gesicht und knurrte: "Nur die Programme, verdammt noch mal!"

"Dann ordnen Sie die bitte, damit ich Ihnen Ihre Kathy wieder frischmachen kann!" Sagte der Junge und testete, ob sich die Festplatte nach einer Anmeldung neu formatieren ließ, was jedoch nicht funktionierte.

"O-o, physikalischer Schaden auf der Harddisk, fast genau im Bootsektor. Das muß Daddy mit Ihnen abklären, Sheriff."

"Wie? Will kathy nicht mehr?" Fragte Goldsmith. Foggerty sah den Hilfssheriff sehr vorwurfsvoll an, als sei es Goldsmiths Schuld, daß der Bürocomputer nicht mehr arbeiten wollte.

"Yep!" War Bens Antwort.

"Verfluchter Mist!" Schimpfte Sheriff Foggerty. Dann sagte er:

"Dann hast du hier nichts mehr zu suchen

"Kein Problem, Boss", sagte Ben, stand auf und ging mit kurzem Abschiedsgruß an Goldsmith aus dem Büro.

"Irre ich mich, oder wird dieser Bursche langsam immer frecher?" Fragte Foggerty den Hilfssheriff. Dieser grinste nur und meinte:

"Er weiß, daß wir Kathy nicht alleine hinkriegen, und sein Daddy hängt in Houston rum, wo er wohl neue Aufträge von der NASA ranholen will, wenn ich Bennys Mutter richtig verstanden habe", sagte der Hilfssheriff.

"Wie, dann steht hier ein nutzloses Stück Schrott rum, während irgendwelche Banden über die Staatsgrenzen einrücken? Hank, ans Telefon! Müssen wir einmal wieder andere Leute in die Computer kucken lassen", sagte Foggerty und stubste den nun ausgeschalteten Rechner unter dem Schreibtisch. Dann nahm er sich das Fax, das vor den War Dragons warnte, die sich aus den Angehörigen der japanischen, chinesischen und afroamerikanischen Bevölkerungsschichten zusammensetzten und ausschließlich japanische Motorräder und Autos zur Fortbewegung benutzten. Das Telefon läutete gerade, als Hank Goldsmith die Nummer für die Zentrale der Staatspolizei in Jackson rausgesucht hatte. Er nahm den Hörer ab, meldete sich und hörte kurz zu, was am anderen Ende der Leitung gesprochen wurde. Er schnaubte:

"Ja, unser Rechner ist auch ausgefallen. Toll, daß man das jetzt schon erfährt. Bye!"

"Was war, Hank?" Fragte Roscoe Foggerty.

"Ach, Farrady vom E-Werk hat gefragt, ob wegen der Spannungsschwankung von vor zehn Minuten was mit unserem Computer passiert sei, weil ihn viele erzürnte Kunden angerufen hätten, ihnen seien die Rechner abgeschmiert. Da habe ich ihm gesagt, daß unser nettes Computerchen auch den Geist aufgegeben hat und wir uns freuen, daß wir das mit der Spannungsschwankung jetzt schon erfahren."

"Diese Scheißtechnik wird immer empfindlicher!" Fluchte Foggerty. "Was war denn mit dem E-Werk?"

"Die haben neue Generatoren ans Netz gehängt. Liefen wohl noch nicht rund. Für eine Viertelsekunde gab's zu viel Saft auf dem Netz. Dann ist Kathy ja unschuldig."

"Im Sinne der Anklage aber nur, Hank", schnaubte Foggerty verärgert.

Über die Zentrale der Staatspolizei holten sich Sheriff und Hilfssheriff Informationen über die War Dragons ein und ließen sich die Unterlagen zufaxen. Was dabei herumkam, hob nicht gerade die Stimmung der kleinstädtischen Ordnungshüter.

"Vor fünf Jahren gab's einen partiellen Krieg zwischen einer Gruppe dieser japanischen Rocker und den Rattlesnakes. Einige Kamikaze-Fahrer haben das regionale Heroinlager der Rattlesnakes niedergebrannt, weil die Chinesen, mit denen die Dragons zusammenarbeiten, ihr eigenes Opium auf dem kalifornischen Rauschgiftmarkt unterbringen wollten", hob Foggerty einen auffälligen Punkt der Mitteilung hervor. "Ich wiederhole mich ungern, aber das schmeckt nach Ärger."

"Zwischen denen und diesen roten Klapperschlangen liegt noch so viel Prärie und dergleichen, daß die sich erst einmal suchen und finden müssen. Aber ich gebe zu, daß mir das auch nicht gefällt, daß zwei gefährliche Großbanden generell aufeinander zumarschieren. Aber die treffen sich sicher nicht ausgerechnet bei uns", erwiderte Goldsmith.

"Das müssen die auch nicht. Schlimm, wenn einzelne von denen in der Nähe sind und meinen, hier Putz zu machen. Hank, ich hab's im Urin, daß es besser wäre, die Nationalgarde zu rufen, um abzusichern, daß die sich nicht vor unserer Haustür beharken. Aber wie soll ich dem Gouverneur erklären, wieso ich das für die richtige Idee halte?"

"Rufen Sie doch das FBI an. Die Gangster sind doch bundesweit aktiv. Da haben wir doch die Möglichkeit ...", setzte Hank Goldsmith an, wurde jedoch von einem über die Maßen wütenden Roscoe Foggerty abgewürgt.

"Was?! Die vom Fach besonderer Inkompetenz?! Soll ich die wieder hier rumlungern haben, nachdem wir uns vor einigen Monaten so toll blamiert haben?! Ich bin doch nicht bescheuert und lasse diese mexikanische Lady wieder anrücken, nur um dann irgendwann zu hören, daß sich die beiden Gruppen in New York, Detroit oder einer anderen Yankee-Stadt geprügelt haben! Dann kann ich die Wiederwahl in einem halben Jahr in die große Tonne treten, und ob du dann noch mal Hilfssheriff wirst, steht dann sowas von in den Sternen, daß ...! Nein! Die vom Büro kommen mir erst her, wenn die Kacke wirklich am dampfen ist."

"Verzeihen Sie mir meine Insubordination, Sheriff Foggerty! Aber hatten Sie nicht dem Jungen Calder gesagt, keine rüden Ausdrücke zu gebrauchen?" Erkundigte sich Goldsmith, der nach anfänglicher Irritation ein gewisses Maß an Frechheit gewonnen hatte. Das vor Wut rote Gesicht seines Vorgesetzten war auch zu schön. Die vor unbändigem Zorn geschwollene Stirnader, die verengten, wild funkelnden Augen, das pulsierende rote Blut direkt unter der Haut, war einfach zu herrlich. Aber recht hatte Foggerty, wenn er Stärke und vor allem Augenmaß beweisen mußte. Er wußte genau, als wenn es gestern geschehen war, wie erleichtert der Sheriff dreingeschaut hatte, als nichts von den angeblich in der alten Daggers-Villa gehörten Hexen in den Zeitungen gebracht wurde. Der Junge, Ben Calder, hatte damals behauptet, singende Frauen in der Villa gehört zu haben, die irgendeine verstoßene Schwester beschworen haben wollten. Damals war Spezialagentin Maria Montes vom FBI aus Jackson angereist und hatte ihnen was von Satansjüngern erzählt, die sich Häuser mit dunkler Vergangenheit, wie die Daggers-Villa eines war, als Treffpunkte für schwarze Messen auskuckten. Da aber weder innerhalb noch außerhalb des Hauses irgendein Hinweis auf unbefugte Benutzer gefunden worden war, hatte sich die Angelegenheit in Wohlgefallen aufgelöst. Goldsmith wußte genau, daß Foggerty mit der selbstbewußten mexikanerin vom FBI nicht fertig geworden war, was seinen Stolz angekratzt hatte. Deshalb, wohl noch wegen dieser Sache, wollte Foggerty das FBI nicht noch mal so schnell herrufen.

Um Foggertys Tag so richtig abzurunden, traf um zwei Uhr nachmittags ein schnieke angezogener Herr in einem Chevrolett aus Jackson ein, stellte sich als Collin Barkley, Rechtsanwalt, vor und legte in einer typisch akademisch überirdischen Art dem Sheriff eine Widerklage seines Mandanten Augustus Tiberius Peabody III. gegen die von Sheriff Roscoe Foggerty am 1. September 1995 um 11.30 Uhr verhängte Geldstrafe wegen Geschwindigkeitsübertretung innerhalb der Ortsgrenzen von Dropout Mississippi vor. Foggerty schnaubte wütend. Hilfssheriff Goldsmith fragte höflich:

"Entschuldigung, Dr. Barkley, aber schießt Ihr Mandant nicht mit Kanonen auf Spatzen, wenn er einen Anwalt bemüht, eine Geldstrafe von fünfzig Dollar abzuschmettern? Ich darf doch davon ausgehen, daß Ihr Honorar diesen Betrag mehr als übersteigt."

"Dies ist meinem Mandanten bewußt, aber auch nicht so bedeutsam, Hilfssheriff Goldsmith. Meinem Mandanten liegt daran, Diskretion über seinen Reiseweg zu wahren. Er hätte die Ortsgrenzen Ihrer Stadt nur eine Minute später überquert, wenn Ihre Radaranlage ihn nicht vorher erfaßt hätte. Könnte es sein, daß Sie ihre Geschwindigkeitsmessvorrichtung gezielt so positioniert haben, daß Sie beschleunigende Fahrzeuge, die aus der Stadt herauswollen, in dem kurzen Zeitraum erwischt, in dem die Halter die vorgeschriebene Geschwindigkeit auszusteuern haben?"

"Die Radaranlage hat Ihren Mandanten bei einer Überhöhung um fünf Meilen erfaßt, Dr. Barkley!" Bellte der Sheriff sehr ungehalten. "Der kann mir nicht weismachen, daß er ein zu lockeres Gaspedal hat und gerade wieder runterbremsen wollte. Lassen Sie diesen Schrieb hier, der geht den Dienstweg!"

"Das ist gerade das, was mein Mandant zu vermeiden wünscht und auch vermeiden wird, Sheriff Foggerty", erwiderte der Anwalt gelassen und stemmte seine Hände lässig in die Seiten, sodaß sein glatt gebügelter Anzug noch straffer über seinem leichten Bauchansatz gespannt wurde.

"Draußen auf der Tür steht "Sheriff Roscoe Foggerty". Das Schild sagt jedem, der es liest, daß ich hier die Gesetze vertrete. Eines davon nennt sich Straßenverkehrsordnung und sagt, daß nur fünfundfünfzig Meilen erlaubt sind, auf den Schnellstraßen, als auch in den Städten. Wie gesagt: Den Schrieb können Sie hierlassen. Die Rechtsabteilung der Bezirksverwaltung wird sich damit rumschlagen. Solange behalte ich die fünfzig Eier, die Ihr Mandant zu zahlen hatte", erwiderte der Sheriff und nahm das Schriftstück an sich.

"Ich nehme Ihnen den Gang zur Bezirksverwaltung ab, Sheriff", erwiderte der Anwalt überlegen lächeln und zog sein Handy aus dem Jacket. In diesem Augenblick Läutete das Telefon im Sheriffbüro. Goldsmith ging dran, während Foggerty dem Anwalt lauernd zusah, wie dieser eine Nummer wählte.

"Sheriff, Überfall auf die Tankstelle eine Meile vor der westlichen Ortsgrenze!"

"Was?! Das gab's bei uns noch nie!" Erschrak der Ordnungshüter. Mit schnellen und präzisen Bewegungen fischte er aus einer Schreibtischschublade seinen Dienstrevolver, eine Smith & Wesson 38. Hank Goldsmith bewaffnete sich mit einem gleichartigen Revolver.

"Raus hier! Wir haben Einsatz!" Polterte Foggerty, wobei er die Waffe gerade noch so hielt, daß der Anwalt sich nicht davon bedroht fühlen konnte. Barkley, der die Telefonnummer auf seinem Handy noch nicht vollständig gewählt hatte, legte auf und eilte aus dem Büro. Goldsmith rannte hinterher, dann Foggerty. Dieser schlug die Tür zu und schloß schnell ab. Dann hetzten die beiden Ordnungshüter zu ihrem Dienstwagen und brausten mit eingeschaltetem Rotlicht und Sirenengeheul los.

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Ein schneeweißer Maserati Baujahr 1994 glitt über die Straßen von Dropout. Am Steuer saß eine junge Frau in einem apfelgrünen Sommerkleid. Ihre langen dunkelbraunen Haare umflossen ihren Oberkörper, und der Blick der dunkelgrünen Augen mit dem leichten Graustich war konzentriert auf den Straßenverkehr gerichtet. Ihr langes ebenmäßiges Gesicht mit den hohen Wangenknochen verriet deutliche Anspannung. Offenbar mußte die Frau etwas sehr schwieriges oder gefährliches tun.

Ein schwarzer Porsche 928 aus den 80er Jahren schoß gerade aus der linken Querstraße heran, die den Weg des Maseratis schnitt. Der Fahrer des Porsches, ein Mann Ende dreißig, machte keine Anstalten, seinen Wagen zu bremsen. So mußte die Fahrerin des Maseratis mit ganzer Kraft auf die Bremse treten. Leicht quietschend und vom leisen Ruckeln des Antiblockiersystems untermalt, verzögerte der weiße Wagen, bevor er dem schwarzen Wagen in die rechte Seite krachen konnte. Der Porschefahrer schien das nicht besonders aufregend zu finden. Denn er behielt Geschwindigkeit und Richtung bei, überquerte die Hauptstraße und schoss in die Silbererzstraße hinein.

Kalter Schweiß stand auf der Stirn der jungen Frau. Ihr Atem ging dreimal so schnell, wie noch vor zehn Sekunden. Von der Rückbank her erklang ein schon in Knurren übergehendes Miauen. Eine schneeweiße Katze mit seidenweichem Fell war von der Gewaltbremsung aus ihrem leichten Schlaf aufgeweckt worden und hatte sich mit einem diesen Tieren eigenen Reflex in das Sitzpolster gekrallt, um nicht nach vorne und durch die Windschutzscheibe zu fliegen. Zwar sah der Sitz jetzt etwas ramponiert aus, weil das durch die Bremsung vervielfachte Gewicht des Katzenkörpers die Krallen richtig darin hatte einreißen lassen, doch das bekümmerte die Fahrerin im Moment nicht. Sie peilte nach einem Standplatz am rechten Straßenrand, hielt den Wagen an, stellte den Motor aus und griff nach einer kleinen Tasche zwischen Fahrer- und Beifahrersitz. Daraus holte sie einen schlanken Holzstab hervor, wandte sich damit zur Rückbank um.

"Gehst du bitte aus dem Weg?" Sagte sie leise, ja respektvoll klingend zu der Katze und richtete die Stabspitze auf die zwei Parallelen Risse im Polster, wo die krallenbewehrten Katzenpfoten ihre Spur hinterlassen hatten.

"Reparo Polster!" Sagte sie. Innerhalb von nur zwei Sekunden wuchsen die Risse im Polster wieder zusammen und verschwanden völlig. Unversehrt spannte sich der Bezug über das ordentlich zusammengefügte Sitzpolster der Rückbank. Die Frau steckte den Holzstab wieder in die Tasche zurück. Die weiße Katze ging mit eingezogenen Krallen in die linke Ecke zurück, legte sich auf die Seite und rollte sich zusammen, das rechte Ohr unter der rechten Vorderpfote vergrabend.

"Daß es die Muggel nicht auf die Reihe kriegen, daß schnelle Transportmittel ihnen nicht über ihre Minderwertigkeitskomplexe hinweghelfen!" Grummelte die junge Fahrerin, ließ den Motor wieder an und fädelte sich in den Nachmittagsverkehr von Dropout ein, der einem New Yorker oder Autofahrer aus Los Angeles ein gelangweiltes Gähnen abgerungen hätte, aber für die Maseratifahrerin offenbar eine große geistige und körperliche Herausforderung bot. Doch sie hatte den Auftrag, Ihre Fahrpraxis zu verbessern, um wie das gemeine Volk der Muggel von einem Ort zum Anderen zu gelangen, und dafür bot die Kleinstadt Dropout eine wesentlich friedlichere Umgebung als die Blechlawinen von New York oder Los Angeles. Dennoch zog die junge Frau es vor, über dieses laute und Umwelt verpestende Getöse hinwegzufliegen oder auf noch schnellere Weise den Standort zu wechseln. Aber sie hatte den Auftrag und führte ihn aus. Irgendwann mochte es vorteilhaft werden, Auto zu fahren.

Ben Calder Junior stand mit seinem Rennrad an der Kreuzung Hauptstraße und Uferstraße. Sein Rennrad war aufgebockt, weil der Junge gerade einen Anruf auf dem Handy erhalten hatte. Sein Vater, Benjamin Jacob Calder Senior, rief aus Houston Texas an, wo es wohl eine Stunde Früher sein mochte. Er unterhielt sich mit seinem Sohn, der ihm grinsend auftischte, daß Sheriff Foggertys Computer den Geist aufgegeben hatte.

"Komm, so heftig kann die Platte nicht beschädigt gewesen sein, Benny", klang Mr. Calders Stimme aus dem Handy-Lautsprecher. Ben Junior schüttelte den Kopf, obwohl sein Vater das nicht sehen konnte.

"Die hatten eine Überspannung im E-Werk. Deren Rechner haben dagegengehalten und eine Spannungsschwankung gebaut. Dabei muß es Kathy wohl die Platte zerdübelt haben, Dad."

"Huch, woher weißt du das mit der Überspannung?" Fragte Ben Senior.

"Weil Donnas Dad dasselbe Problem hatte. Da war aber gerade keine Anwendung aufgerufen, die die Platte benutzt. Der Rechner stürzte nur ab und ließ sich danach wieder hochfahren. Man soll eben doch nicht an ein System rühren, welches gut läuft."

"Stimmt, Farraday hat mir das letzte Woche ja gesagt, daß die zwei neue Generatoren anfahren wollen, weil die einen höheren Wirkungsgrad haben. Muß wohl was dran sein", erwiderte Mr. Calder leicht amüsiert klingend.

"Und, hat Genialotech das Ding sicher, was du mit den Raumfahrtleuten anschieben wolltest?" Fragte Benny Calder. Sein Vater schwieg für eine Sekunde und antwortete:

"Benny, sowas darfst du doch nicht wissen. Das sind Firmengeheimnisse. Wo bist du denn überhaupt?"

"Auf dem Times Square in New York, Dad. Wollte gerade zum Welthandelszentrum."

"Komm mir nicht dumm, Junge! Wo bist du gerade?"

"Ecke Haupt- und Uferstraße. Wollte noch mal in die Pedale treten und dann zu meiner Bella Donna."

"Ich bin morgen wieder zu Hause. Ich habe einen Flug direkt von Houston nach Jackson. Mom möchte mich bitte um zwei Uhr eurer Zeit vom Flughafen abholen."

"Okay, Dad. Die freut sich schon, daß du wiederkommst. Dann hören ..."

Wumm! Mit rasender Geschwindigkeit brausten vier Honda-Motorräder in Formation mit mehr als die erlaubten fünfundfünfzig Meilen an Benny vorbei. Er konnte gerade noch die blutroten Drachenköpfe auf den giftgrünen Rückenteilen der vier Lederkombinationen der Fahrer erkennen, bevor die Maschinen auch schon seinen Sichtbereich verließen und als winzige Punkte mit bläulichem Rauchfaden verschwanden.

"Benny, was ist?" Fragte Benjamin Calder Senior mit sehr besorgter Stimme, weil sein Sohn nicht zu Ende gesprochen und er wohl auch das Dröhnen der vier kraftvollen Motorräder gehört hatte.

"Das glaubst du mir nicht, Dad. Hier sind gerade vier 1250er-Hondas im tierischen Tempo durchgerast. Da saßen so grün gekleidete Typen mit Drachenkopfaufnähern auf dem Rücken drauf. Wohl 'ne Rockerbande, die mal wieder unsere Stadt aufmischen will."

"Um Himmels Willen. Das mit den Bloodhounds im letzten Jahr war doch schon genug. Wenn Foggerty nicht den Kessel gemacht hätte, hätten die doch alles niedergewalzt."

"Die waren aber vielleicht nur auf der Durchreise, die vier gerade eben. Schien so, als wenn sie auf der Flucht wären."

"Dann fahr nach Hause, ruf deine "Bella Donna" an, daß du sie heute nachmittag nicht besuchst und bleib mit deinem Hintern im Haus!" Klang Mr. Calders Stimme sehr ernst.

"Dad, die brettern ja nicht andauernd dalang, wo ich gerade bin. Ich sage Mom, daß sie dich morgen vom Flughafen abholen soll. Bye, Dad!"

"Bleib zu Hause, Benny! Hörst du?!" Klang Mr. Calders Ermahnung noch mal aus dem Handy, bevor Benny es ausstellte. Warum sollte er zu Hause bleiben, nur wegen vier japanischer Motorräder, die er hier noch nicht gesehen hatte?

Mr. Crossleys schwarzer 928er kam aus der Uferstraße, die Parallel zur Silbererzstraße verlief. Als Crossley den Jungen Ben am Straßenrand sah, bremste er seinen schnittigen Sportwagen, und fuhr rechts heran. Surrend fuhr das rechte Seitenfenster nach unten, und der ehemalige Schulkamerad von Bennys Vater steckte seinen strohblonden Rundschädel heraus.

"Hi, Benny. Probleme mit dem Rad?"

"Nop, Mr. Crossley. Das ist der Porsche, den Sie sich zugelegt haben? Der ist aber nicht mehr das neuste, oder?"

"Die sind selbst alt noch besser als die detroiter Gurken von heute, Benny. Da fühlt man sich wieder richtig jung und wild, wie James Dean, der Rebell", schwärmte Crossley. Benny fragte sich, wo der Altersunterschied zwischen ihm und dem Porschefahrer lag. Wohl nur darin, daß Crossley eben einen Porsche und Benny nur ein Rennrad dabeihatte.

"Eben sind hier vier Hondas mit einem Affenzahn durchgerauscht. Wenn die Foggertys Starenkasten kitzeln, staunt unser Sheriff die größten Bauklötze des Universums", erzählte Benny aufgeregt. Der Porschefahrer grinste jungenhaft.

"Vier Hondas? Was wollen denn Leute mit japanischen Motorrädern hier? Wollen die den Harley-Club in Jackson ärgern und suchen eine Stadt, um ihre Maschinen auszufahren, weil da meistens Radarfallen warten?" Fragte Crossley fasziniert.

"Ja, die sammeln Strafzettel, wer seinen Bock am höchsten ausgefahren hat", pflichtete Benny dem Mann im Porsche bei.

Hinter dem Porsche glitt ein anderer Sportwagen heran, schneeweiß und nicht das Produkt deutscher, sondern italienischer Fertigung. Benny staunte, gleich zwei so krass miteinander kontrastierende Sportwagen zu sehen, bis er die Fahrerin erkannte. Unvermittelt wechselte seine Gesichtsfarbe von aufgeregt rosa zu Schreckensbleich und seine Miene von amüsiert zu leicht geschockt. Aber das konnte doch nicht sein? Die würden doch nicht Auto fahren, wenn die sich mal soeben anderswo hinbeamen konnten, dachte Ben sehr überhastet. Mr. Crossley bemerkte wohl, daß mit dem Jungen eine schlagartige Veränderung vorgegangen war und fragte mit besorgter Miene und Stimme:

"Was ist, Benny? Hast du einen Geist gesehen?" Dann sah er den Maserati und dessen Fahrerin und grinste wieder jungenhaft. "Oho, das Wägelchen habe ich doch vor wenigen Minuten erst gesehen", flötete er. "Die junge Lady wäre mir fast in die rechte Seite geknallt."

Die "Junge Lady" entstieg ihrem Wagen und sah erst Ben mit ihren grünen Augen mit dem leichten Graustich an, dann Mr. Crossley. Jetzt fühlte sich Ben, als würde er in einen tiefen Abgrund stürzen. Das war diese Frau! Das war diese ... diese Hexe!

"Sir, haben Sie sich verfahren, daß Sie nun wieder auf dieser Straße sind? Das kommt vom rücksichtslosen Schnellfahren. Ich freue mich auch, daß ich einen schnellen Wagen habe, gebe aber nicht damit an, wenn dabei Leute in Gefahr geraten könnten", sagte die Maseratifahrerin zum Porschefahrer. Dieser lachte nur.

"Kann ich wissen, daß um diese Zeit ein junges Küken mit einem viel zu schnellen Auto unterwegs ist? Immerhin bauen die Spaghettis gescheite Bremsen und ABS in ihre Karren ein."

"Sie fahren doch ein deutsches Auto. Was lästern Sie da über italienische Fahrzeuge. Immerhin läuft mein Wagen auf Benzin und nicht auf Kredit. Aber ich zanke mich nicht mit einem Kind, dessen Körper zu schnell gewachsen ist."

"Mylady, ich vertrage 'ne Menge Spaß, aber den Spruch da nehmen Sie bitte wieder zurück", versetzte Mr. Crossley übergangslos verärgert dreinschauend.

"Wenn Sie sich dann besser fühlen, Mister, dann nehme ich diesen Spruch zurück", sagte die Maseratifahrerin. Ben fand wieder zu seiner Fassung. Er beschloß, sich aus dem Staub zu machen. Wenn Crossley und die Hexe sich über Autos und das Autofahren zanken wollten, konnte er gut wegkommen, bevor dieses Teufelsweib noch auf unschöne Ideen kommen könnte. So klappte er so leise wie möglich den Ständer seines Rennrades nach oben, saß auf und fuhr los. Hinter sich hörte er noch, wie sich die Hexe und Mr. Crossley unterhielten.

Mit hoher Geschwindigkeit sauste Ben Calder auf der Uferstraße entlang, fuhr in die Futtermeile ein, vorbei an der Metzgerei, der Bäckerei, dem Gemüseladen, dem Supermarkt und dem Fischhändler, bis er in die Silbererzstraße einbiegen und von dieser aus wieder auf die Hauptstraße abbiegen konnte. Er suchte seinen Weg zum Eisenwarenladen von Roy Cramer. Erst dort bremste er voll ab, sodaß er fast nach vorne über die niedrige Lenkstange geflogen wäre. Ein strohblondes Mädchen in Jeans und Sonnentop stand vor dem Panzerglasschaufenster des Eisenwarenladens, in dem gerade ein Mann mit hellblonder Halbglatze große und kleine Bohrmaschinen ausbreitete.

"Hi, Donna! Wollte an und für sich etwas später herkommen. Aber ich denke, die Übungsrunde muß ich heute nicht mehr fahren. Dad kommt morgen wieder."

"Hi, Benny. Du kamst angeschossen, wie 'ne Hexe auf ihrem Besenstiel", sagte Donna und jagte ihrem Freund ungewollt einen heftigen Schrecken ein. "Eh, Benny, das war doch nur'n Witz", sagte Donna Cramer sofort, als sie bemerkte, wie heftig Benny das geängstigt hatte. Gleichzeitig strömte ein deutlicher Gedanke in Ben Calder Juniors Bewußtsein ein:

"Beherrsche dich, Knabe! Unser Geheimnis gehört nur uns."

"Ich habe mich nicht wegen dem Spruch erschrocken, sondern weil ich offenbar zu schnell gewesen bin. Gut, daß Foggertys Radarfalle nicht direkt vor seinem Laden steht", sagte Ben schnell.

"Der ist gerade mit dem Wagen los, Ben!" Rief Mr. Cramer, Donnas Vater, hinter dem Schaufenster. Dann kam er ganz aus dem Laden.

"Die hatten Besuch von so'nem geleckten Typen, wohl ein Anwalt. Dann muß irgendwas passiert sein, daß die ausrücken mußten, der Paragraphenheini, oder was der ist, ist wieder in seinen Chevy gestiegen und abgedampft."

"Sie haben die neuen Bohrer gekriegt, von denen Sie mir erzählt haben?" Fragte Ben und deutete auf die neue Auslage im Schaufenster. An und für sich interessierte er sich nicht für Werkzeuge. Er war Radsportler und Computergenie. Mehr mußte ein Junge nicht sein. Aber er mußte den nachwirkenden Schrecken irgendwie verdrängen, den Donnas einfacher Vergleich mit einer fliegenden Hexe bei ihm ausgelöst hatte, zumal er vorhin diese Patricia, die sich auch mal Liberty Grover genannt hatte, wiedergesehen und gerade eben jene innere Stimme wiedergehört hatte, welche ihn seit dem siebten Juli in Ruhe gelassen hatte.

"Ach, hast du dir das gemerkt, daß ich die heute kriege. Sind neue Kraftmaschinen, englischer Import, Grunnings heißt die Firma. Die bauen Bohrer für alle Größen und Anwendungen, vom Zahnarztbohrer bis zur MegawattTunnelbohrmaschine mit Diamantkern", schwärmte Roy Cramer, mal über ein ihm sehr vertrautes Thema reden zu können.

"Wieso aus England? Bauen unsere Leute keine gescheiten Bohrer mehr. Ich meine, ich habe gerade 'nen Porsche und 'nen Maserati gesehen und davor noch vier Hondas. Dad hat mir ein Erikson-Handy geschenkt und meine Stereoanlage kommt aus Singapur", sagte Ben schnell.

"Waren billig zu haben. Die lagen noch rum, weil der Geschäftsführer wohl vor drei Jahren einen Großauftrag vermasselt hat. Ich habe nur das Gerücht gehört, daß der 'nen Kunden zu sich eingeladen hat und seinem Neffen der ganze Nachtisch runtergefallen ist, was nicht gerade 'nen guten Eindruck gemacht haben soll. Deshalb konnte ich die ..."

Sie waren zwar laut, aber auch schnell da. Sechs grün lackierte Motorräder, drei Hondas, eine Kawasaki und zwei Susukis. Auf jedem saß ein Fahrer in grüner Lederkombi mit schwarzem Helm und knallrotem Drachenkopfaufnäher auf dem Rücken. Sie zogen einen Halbkreis um den Eisenwarenladen und sperrten alle Zu- und Auswege. Ben war sich sicher, das dies nichts gutes bedeutete.

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Mr. Flanigan war der Pächter der Tankstelle am westlichen Ortsausgang von Dropout Mississippi. Neben der kleinen Tankstelle von Nathan Fish, der direkt im Stadtzentrum stationiert war, bot er in Dropout den für Autos und Rasenmäher nötigen Kraftstoff an. Seine Geschäfte mit Treibstoff liefen zwar mäßig, dafür kauften die Bewohner der Kleinstadt viel Süßkram, Bier und Schnaps. Abends bot er sogar Fertiggerichte Mikrowellenfrisch zum Verzehr an, was ihm den Ruf eintrug, die einzige Kneipe zu betreiben, in der sich selbst die Autos besaufen konnten. Dem Ururenkel eines irischen Baumwollplantagenbesitzers gefiel dieses beschauliche Leben. Die Leute die zu ihm kamen, hatten es nie so eilig, daß zwischen Zapfsäule und Kasse nicht noch ein netter Plausch gepaßt hätte. Seine Frau Rita, die ihm half, beteiligte sich gerne an diesen Gesprächen. Touristen kamen nicht so viele nach Dropout. Meistens waren es die Einheimischen, die bei ihm tankten und einfache Nahrungsmittel kauften. Nur an diesem Morgen, da hatte er sich sehr gefreut, mal wieder ein fremdes Gesicht zu sehen, noch dazu ein so appartes mit hohen Wangenknochen und tiefgrünen Augen, die bei licht leicht grau schimmerten, wie Tau, der zwischen Moos glitzert. Die Fremde fuhr einen weißen Maserati und schien damit noch nicht so grün zu sein. Sie genoß es, bei ihm frische Brötchen, die Bäckermeister Barley von seinem Lehrjungen jeden Morgen anfahren ließ, mit Erdnußbutter zu essenund dazu frischen Kaffee zu trinken. Rita hatte ihr ein Kompliment zu ihrem apfelgrünen Sommerkleid gemacht und gefragt, wie sie es anstellte, so schönes langes Haar zu haben. Die Fremde hatte ihr alle Fragen beantwortet und sich mit ihm, Sean Flanigan, über das Auto unterhalten. Er hatte erfahren, daß es das Highschool-Abschlußgeschenk ihrer Eltern war, weil diese wollten, daß sie nicht dem erstbesten Jungen ins Auto stieg, nur um nach Hause zu kommen. Rita hatte darüber leicht verlegen dreingeschaut aber gelacht. So um eins, nach drei Stunden und zwei Kannen Kaffee, war Ms. Liberty Grover in ihren Wagen gestiegen und weitergefahren.

Sean Flanigan nutzte die Zeit, wo keine Kundschaft kam, um die Regale mit Schokolade und Kekspackungen aufzustocken. Rita werkelte in der Küche, die in dem kleinen Wohnhaus hinter der Tankstelle untergebracht war. Heute abend wollte sie ihren Mann mit irischem Eintopf nach dem überlieferten Rezept ihrer Urgroßmutter verwöhnen. Aus dem Radio klang leise "sich wieder verlieben" einer Gruppe namens "La Bouche", eine wunderschöne Ballade, wie Sean fand, vor allem wegen der kraftvollen Stimme der Sängerin. Doch plötzlich verstummte die Radiomusik. Das leise Summen der Kühlschränke, in denen die Fertiggerichte für den Abendverkauf gelagert wurden, endete in einem kurzen Rumpeln, als die Kühlpumpen abgewürgt wurden. Was war mit dem Strom los?

"Sean, der Strom ist weg!" Rief Rita aus dem Wohnhaus.

"Yo, Rita. Die vom E-Werk basteln wohl wieder an was neuem!" Rief Sean Flanigan. Er legte die große Tafel Schokolade, die er aus dem Lagerkarton geholt hatte, in das mittlere Regal und ging zum Sicherungskasten. Alle Sicherungen waren ordnungsgemäß drin. Also mußte es tatsächlich am E-Werk hängen, daß kein Strom ...

"Keine Bewegung, Meister! Überfall!" brach eine von einem Motorradhelm gedämpfte Stimme in Sean Flanigans Überlegungen ein und riß ihn unvermittelt aus seinr friedlichen Vorstellung, in einer Kleinstadt keine Sorgen haben zu müssen. Drei schmächtige Männer in grünen Lederanzügen und schwarzen Motorradhelmen standen im Rahmen der gläsernen Flügeltür. Jeder von ihnen hatte eine gefährlich aussehende Waffe, wohl eine Maschinenpistole. Sean sah erschrocken und überrascht auf die drei Eindringlinge, die im Ladenlokal der Tankstelle standen und ihre Waffen auf den unbescholtenen Pächter richteten. Dieser war kein Held und wollte auch nicht als einer beerdigt werden. Er hob die Hände, wie er es in den Fernsehkrimis oft gesehen hatte und wartete, was die Männer von ihm verlangten. Er hoffte nur, daß Rita nicht die Nerven verlieren und die Situation gefährlich aus der Bahn werfen würde.

"Kasse auf! Geld her!" Forderte der mittlere Mann in Motorradkluft und deutete mit dem Lauf seiner Waffe auf den Brustkorb des Tankstellenpächters. Dieser ging ruhig zur Kasse, holte ohne hastige Bewegung den Sicherheitsschlüssel heraus und schloß den massiven Stahlkasten auf, in dem das Geld aufbewahrt wurde. Er wußte, daß er im Moment nur zweihundert Dollar in der Kasse hatte. Doch gerade diese geringe Menge Geld wollte er nicht mit dem Leben verteidigen. Er öffnete den Stahlkasten und griff die Geldbündel, die zum Wechseln in geordneten Fächern lagen.

"Sean, ist was?!" Rief Rita Flanigan ängstlich. Sean Flanigan wollte schon rufen, Rita möge sich ja ruhig verhalten, als der rechte der drei Männer aus dem Laden stürmte und um die drei Zapfsäulen herumrannte, auf das Wohnhaus zu.

"Ich gebe Ihnen das Geld. Aber bitte, lassen Sie meine Frau und mich unverletzt. Ich kann Sie nicht erkennen und daher auch nicht gegen Sie aussagen. Hier ist das Geld", sagte Mr. Flanigan schnell, bewußt, daß jedes Wort sein letztes sein mochte.

Aus dem Haus ertönte der häßliche Knall eines Schusses und ein kurzer Aufschrei, der Aufschrei eines Mannes. Einer der beiden verbliebenen Männer wirbelte mit seiner Waffe herum und rannte raus. Sean erinnerte sich, daß Rita von ihrem Vater eine Jagdflinte mitbekommen hatte. Er mochte zwar keine Waffen, aber er wollte sie seiner Frau auch nicht verbieten. Offenbar hatte Rita sich irgendwo bereitgehalten und den einen Eindringling beschossen und wohl auch getroffen. Sean Flanigan packte die wenigen Geldbündel und warf sie dem verbliebenen Mann zu. Dieser beachtete sie jedoch nicht. Er rannte auch aus dem Ladenbereich. Wieder knallte ein einzelner Schuß, diesmal erklang kein Aufschrei. Dafür hörte Sean etwas schweres hinfallen. Da er nun allein im Laden stand, griff er schnell nach dem Telefonhörer, drückte die Notruftaste, die auf die Durchwahl zum Sheriff eingestellt war und sprach gehetzt in die Sprechmuschel:

"Hier Flanigan! Überfall auf meine Tankstelle. Kommen Sie sofort!"

Er warf sich zu boden, als er ein bedrohliches Klicken einer soeben entsicherten Waffe hörte. Keine Sekunde später fuhr mit lautem Rattern und Schwirren eine Garbe Maschinenpistolenmunition durch die offene Tür und schlug in die Wände und Regale, gegen das Metall der Kühlschränke und der Kasse. Wimmernd, peitschend und heulend flogen Querschläger verfehlter Schüsse durch den Laden, schlugen durch die Fensterscheiben und das Glas der Eingangstür. Mit dem Herzschlag wie ein modernes Discostück lag Sean Flanigan flach auf dem Boden. Der Maschinenpistolenschütze gab noch mal Feuer. Wieder prasselten Dutzende von Kugeln gegen alles im Laden, blieben in den weichen Süßwaren stecken, brachten Bierdosen mit lauten Knällen zum Zerplatzen, zerschlugen klirrend Schnapsflaschen oder sausten wimmernd und miauend als nicht weniger gefährliche Querschläger im Raum herum.

Sean meinte schon, aufatmen zu können, als er das mörderische Rattern der Maschienenpistole erneut hörte. Doch diesmal spie sie ihre tödlichen Bleikugeln nicht in den Laden, sondern wohl in Richtung des Wohnhauses.

"Rita!" Rief Sean und vergaß, daß er eigentlich kein Held war und dachte auch nicht daran, lieber als Feigling ein langes Leben zu haben anstatt als Held jung zu sterben. Er rannte mit vorgebeugtem Oberkörper aus dem Laden. Die Tür war, sofern überhaupt vorhanden gewesen, durch die zwei MP-Salven restlos zertrümmert worden. Dennoch prallte Sean wie vor eine Glaswand, als er sah, was draußen geschah.

Ein Mann lag mit zersprungenem Helmvisier und einem häßlichen roten Loch, groß wie eine Kinderfaust zwischen den Augen auf dem Rücken. Ein Mann stand mit im Anschlag unter ihrem Rückstoß zitternder Maschinenpistole in den Armen da und feuerte auf das Haus, dessen Vorderseitenfenster bereits keine Scheiben mehr besaßen. Doch die eigentlich schreckliche Sache waren die drei sprudelnden Benzinströme aus von den Zapfsäulen abgenommenen Zapfpistolen, die sich auf dem Boden zu einem schillernden See vereinten, dessen Uferbereich sich mehr und mehr dem Laden und dem Wohnhaus näherte. Eine gelbe Flamme am Ende eines Holzspans näherte sich langsam dem wachsenden Benzinsee. Die Dieselzapfsäule war nicht angerührt worden. Sean verstand, daß es diesen Leuten nie um das wenige Geld gegangen war. Sie wollten ihn und Rita umbringen und die Tankstelle, den bescheidenen Traum eines friedliebenden Amerikaners, in die Luft fliegen lassen.

"Rita!" Rief Sean. Wie eine Antwort flog aus dem Haus eine Gewehrkugel zielgenau durch das Visier des Amokschützen, bohrte sich zwischen dessen Augen und warf ihn nach hinten über. Doch wer den Holzspan hielt, konnte Sean aus seiner jetzigen Lage nicht erkennen. Er erkannte nur, daß der brennende Span wieder hochgerissen wurde, bevor ihn die aufsteigenden Benzindämpfe erreichen und sich daran entzünden konnten. Aus dem Haus stürzte sich Rita Flanigan mit dem Jagdgewehr, gab noch einen Schuß ab und rannte durch den Benzinsee zu Sean. Dieser verschwendete keine Zeit mit Worten und rannte mit Rita davon. Sie hörten, wie ein Motorrad gestartet wurde, bogen um die Tankstelle herum und rannten im Schatten des Wohnhauses um ihr Leben.

Ruuuums! Ein sengendheißer Feuerball blähte sich genau dort auf, wo das Benzin aus den Zapfsäulen verschüttet worden war. Keine Sekunde später erfaßte die Flammenkugel die Zapfsäulen, die mit dröhnenden Explosionen als meterhohe Flammenfontänen in die Luft flogen. Wieder kaum eine Sekunde später hüllte der Feuerball das Ladenhäuschen und das Wohnhaus ein. Denn die Benzinlager unter den Zapfsäulen schenkten dem höllischen Feuerball Nahrung im Überfluß. Mit dem Feuerball kam eine Druckwelle mit unbändiger Gewalt hinter den flüchtenden her. Sie brach sich zwar an dem Wohnhaus, rüttelte Sean und Rita Flanigan jedoch durch. Der Boden bebte unter der Wucht der auf einen Schlag freigewordenen Energie von mehreren Tausend Litern Kraftstoff. Als eine mächtige Verpuffung bis dahin eingezwängter Benzingase einen neuen Feuerball erzeugte, brach das Wohnhaus wie ein großes Kartenhaus in sich zusammen, umhüllt von einem Mantel aus meterlangen Flammen.

Rita und Sean rannten immer noch, getrieben von der Hitze, malträtiert von den wechselnden Druck- und Sogwellen, die entstanden, wenn Gase sich entzündeten oder das große Feuer Umgebungsluft ansaugte. Doch irgendwie entkamen sie der von Menschen gemachten Hölle. Irgendwie, ohne Sinn oder Verstand. Das sie fast die ersten Opfer einer mörderischen Schlacht geworden wären, die mit der Explosion von Flanigans Tankstelle eingeläutet worden war, konnten sie nicht wissen.

__________

Zwei grüne Motorräder rasten dröhnend auf der Ausfallstraße nach Westen. Ihre Fahrer hatten soeben ein mörderisches Spektakel veranstaltet. Ursprünglich war nur geplant, einen Geldraub vorzutäuschen, um den Sheriff anzulocken. Doch dann hatte jemand aus dem Pächterhäuschen gezielte Gewehrschüsse abgefeuert, erst einen von ihnen an einer Tür erledigt und dann noch den zweiten. So mußte der Plan geändert werden. Um den Sheriff und seine Leute möglichst lange zu beschäftigen, mußte die Tankstelle in die Luft gejagt werden. Da sie freundlicherweise genug Brennstoff bot, war das kein Akt für Ruben Wallace, dem Spreng- und Brandspezialisten der War Dragons. Daß jedoch statt der fünf Krieger nur Wallace und Wong Liu, der Späher und Funkkontakthalter entkommen konnten, war so nicht eingeplant.

"Tsunami wird das nicht mögen, daß Brad, Hikaro und Wilson draufgingen", sagte Ruben mit seiner weithin berühmten Baßstimme. Eine Kombination aus Kopfhörer und Mikrofon, wie bei Flugzeugpiloten üblich, verband ihn über Vollduplex-Funkgerät mit dem Chinesen Wong Liu. Dieser antwortete mit einer zu Rubens Stimme krass entgegenstehenden hohen Stimme:

"Können wir was dazu, das die weißen Teufel Waffen hatten. War wohl die Frau des Mannes im Laden, die geschossen hat. Hätte mich fast von der Maschine geholt."

"Dafür sind die mit Sicherheit im Feuerball gegrillt und zerbrutzelt worden. Bumm!" Erwiderte Ruben, der seine Feuerverrücktheit, wegen der er von mehreren Schulen und aus mehreren Kinder- und Jugendheimen geflogen war, zum Lebensinhalt gemacht hatte.

"Tsunamisan an alle Krieger des Drachens. Ich habe mitgehört, daß unser Ablenkungsmanöver funktioniert. Der Sheriff wird wohl gleich an der Tankstelle vorfahren. Die Beschaffer werden weitere Waffen besorgen, dann beziehen wir unsere Stellungen. Feuerteufel, du kümmerst dich um alle wichtigen Vorkehrungen!"

"Zu Befehl, Boss!" Rief Ruben sogleich. Die Funkverbindung reichte über fünf Kilometer hinweg. Das reichte für diese kleine Stadt völlig aus, wo sie sich bereithalten wollten, um die entscheidende Schlacht mit den verhaßten Rattlesnakes auszutragen, die keine Minute gezögert hatten, die Kriegserklärung anzunehmen, die Ruben Wallace, der Feuerteufel, eigenhändig formuliert und per Eilboten in das Mittelwestquartier der roten Klapperschlangen geschickt hatte: Einen Lieferwagen mit Plastiksprengstoff, der das Lager für Waffen und Drogen, welches die Rattlesnakes in Iowa unterhalten hatten, zu Staub im Wind der Geschichte verwandelt hatte. Doch niemand, auch nicht Ruben oder Wong Liu, wußten, weshalb ausgerechnet in dieser an sich langweiligen Stadt Dropout der entscheidende Kampf ausgefochten werden sollte. Niemand, außer Tsunamisan, der große Anfürer, der seine Großeltern beim Atombombenabwurf auf Hiroshima verloren hatte und die schwarze Sphinx, seine Beraterin und die Königin der War Dragons, von der die Mitglieder angstvoll munkelten, sie sei eine echte Voodoo-Hexe, deren Vorfahren auf afrikanische Totenpriester zurückzuführen sein sollten.

Über einen weiträumigen Umweg kehrten der Feuerteufel und Wong Liu in die Nähe von Dropout zurück. Von weitem hörten sie trotz Helm und Motorenlärm die Sirenen von Feuerwehr und Ambulanzen. Das kleine Krankenhaus, in dem drei Ärzte für die ganze Stadt zuständig waren, würde wohl nichts mehr zu tun bekommen, dachte der Feuerteufel mit sadistischem Vergnügen.

_________

Greenskull war sowas von wütend, daß niemand es wagte, irgendein Wort zu sagen. Daran erinnerte sich Clint Waringer, der Technikspezialist der Red Rattlesnakes, als wenn es nicht die vier Wochen her war, sondern erst vor einem Tag passiert sei. Irgendwer hatte in ihr an und für sich geheimes Waffen- und Heroinlager einen Lieferwagen reingefahren. Das wäre ja nicht das Problem gewesen, weil der Fahrer bei diesem Unfall den Löffel abgegeben hatte. Aber das in dem Lieferwagen noch mehrere Tonnen Superplastiksprengstoff gewesen waren, die jemand aus sicherer Entfernung gezündet und damit Arbeit und Ertrag von drei Jahren in die Wolken gepustet hatte, war nicht nur ein Problem, sondern schlicht eine Schweinerei erster Größenordnung. Nichts war gerettet worden, da in dem Lager ja auch Munition, Handgranaten und Dynamit gelagert worden war, hatte das den Knalleffekt des ungemein witzig erscheinenden Feuerwerkers noch verstärkt. Waringer hatte nicht lange gebraucht, um rauszukriegen, wer ihnen diesen Tiefschlag versetzt hatte: Es konnte nur sein alter Erzfeind und Ebenbürtiger Spezialist der anderen Seite, Ruben Wallace, genannt Feuerteufel sein, der sich mit den Reisbrennerfahrern von den War Dragons verbündet hatte. Clint hatte das natürlich direkt dem Boss gemeldet, nicht über die sichere Handy-Botenkette, sondern direkt über die Rassel der Klapperschlange, ein von ihm über die Staaten verteiltes Netz von Relaisfunkstationen, die beim Betrieb ständig die Frequenz wechselten und nur in sehr dringenden Fällen benutzt wurden. Greenskull und seine herzallerliebste Begleiterin in allen Lagen, Rhonda Lurker, hatten die Rassel dann noch mal benutzt, um die Quartierchefs der einzelnen Gruppen aufzurufen, den Kriegern des Drachens entgegenzufahren und sie noch in ihrem Revier zu stellen und zu schlagen. So war das dann abgelaufen, daß alle fünfhundert Mitglieder der Rattlesnakes aus allen Teilen Nordamerikas mit ihren Motorrädern, Trucks und Geländewagen losgefahren waren, um sich südlich von New York zu sammeln. Da die War Dragons ihr Zentrum in Kalifornien hatten, wollte man über die Südroute angreifen, da der Weg über den Norden zwar kürzer, aber dafür auch heftiger von Polizei bewacht war. In den weiten Ländereien der ehemaligen Konföderationsstaaten würden sich große Gruppen besser verteilen lassen, aber auch schnell neu zusammengezogen werden können.

Clint stand nun neben der rot lackierten Harley von Greenskull, dessen Symbol, ein phosphorgrüner Tootenschädel mit zwei gekreuzten Knochen, unübersehbar den Tank der schweren Maschine verzierte. Greenskull selbst war ein muskulöser Bursche mit zerzaustem silberblondem Haar und dito Vollbart. Durch die wilden Barthaare konnte man einige lange Narben sehen, den Stolz Greenskulls, die Zeichen der Triumphe über die Leute, die ihn umzubringen oder zu foltern versucht hatten. Die dunkelhäutige Rhonda Lurker unterhielt sich gerade mit einem jungen, verwahrlost aussehenden Mädchen, das wie die übrigen Mitglieder der Führungsgruppe in rote Lederkleidung gehüllt war. Lommond und Founder, Kleiderschränke von Männern, standen an einem Sattelschlepper, dessen Räder ihnen zu den Bäuchen reichten, was etwas heißen wollte. Sie berieten sich mit einigen Typen in roten Overalls, ob man einige Maschinen auf dem Truck befördern sollte oder den besser mit den schweren Waffen beladen wollte. Greenskull hatte in den letzten drei Jahren seiner verbrecherischen Laufbahn gute Kontakte zu Lieferanten militärischer Waffen geknüpft und ein tadellos funktionierendes Gegenseitigkeitsabkommen getroffen. Über einen "guten Freund" in Südamerika hatte er sich zudem reichhaltige Kokain- und Mohnplantagen an Land gezogen. Sicher, andere "Firmen", wie die der Cosa Nostra oder die der alten KGB-Leute aus Rußland, die nun auf eigene Rechnung wirtschafteten, waren zwischendurch mal ganz gefährlich nahe gekommen. Doch Greenskulls Verbindungen und Beziehungen hatten derartige Störfälle noch rechtzeitig beendet. Jetzt hatten die Rattlesnakes nicht nur Waffen zum Weiterverkauf, sondern auch für den eigenen Bedarf. Von den War Dragons wußte man, daß sie zwar in ähnlichen Geschäften mitmischten, aber im wesentlichen darauf ausgingen, über Erpressung wichtiger Leute Macht und Einfluß zu kriegen.

"Clint, wieviele haben sich nun angesagt?" Fragte Greenskull. Clint Waringer holte seinen Taschencomputer hervor, tippte einen Code ein und las den winzigen Bildschirm ab.

"Soweit ich die Rückmeldungen mithabe, haben sich alle gemeldet. Wird auch mal Zeit, daß wir diesen sogenannten Kriegsdrachen das Feuer auspusten, Boss", sagte Waringer.

"Die haben um die zweihundert Mann, bestimmt nicht so gut bestückt, wie wir", meinte Clark Founder, der sich zu seinem Chef zurückbegeben hatte. Gute Leibwächter mußten immer an der zu schützenden Person sein.

"Klar, wer mit Reisbrennern durchs Gelände rattert hat ja auch keinen Dunst von stilvoller Ausrüstung", lachte Greenskull. Dann fragte er: "Stimmt das, daß die schon unterwegs sind, um uns abzufangen, Clint?"

"Wenn der Typ von der LA-Polizeibehörde sich nicht geirrt hat, sind von denen schon welche nach Osten los, Boss. Könnte es nicht sein, daß die uns irgendwo hinlocken wollen, wo wir mit fünfhundert Mann uns selbst im Weg rumstehen, während die von außen einfach locker auf uns draufballern können?" Wagte Clint, eine nicht ganz angenehme Frage zu stellen.

"Um so wichtiger, das wir schneller bei denen sind als die bei uns. Wenn die zwischendurch wo anhalten, wär's komisch. Aber wir kriegen die am Arsch, Leute. Niemand sprengt so frech unsere Lager in die Luft."

"Was Clint dir sagen möchte, Skully: Könnte es nicht sein, daß die uns eine Falle gestellt haben? Wissen wir, wann die losgezogen sind? Wissen wir, ob die nicht schon da angekommen sind, wo die uns richtig fertigmachen können und nun in aller Ruhe das Gelände checken?" Fragte Rhonda mit ihrer ruchvoll klingenden rauhen Altstimme. Sie war die Einzige, die den Boss "Skully" nennen und ihm Fragen stellen durfte, die seine geniale Planung anzweifelten. Greenskull hatte mal einen, der das versucht hatte, einfach so erschossen. Was er an und von Rhonda hatte, war sein eigenes Geheimnis, das keiner mehr wissen wollte, weil zwei schon hatten dran glauben müssen.

"Rhonnie, ich weiß, daß die mich herausgefordert haben. Das hat dieser Wirbelsturm, oder was Tsunami sonst heißt, sicher nicht mal zwischen Frühstück und Mittagessen angeleiert. Ich weiß auch, daß die wohl einen Ort suchen, wo die uns gut abkassieren können. Wenn ich aber jetzt so tue, als sei das was ganz lustiges, die Waffenlager der Rattlesnakes wegzupusten, macht das morgen einer von den Ruskis, übermorgen die Sizilianer und in einer Woche schmeißt mir 'n fünfjähriger Pimpf lachend 'nen Knallteufel zwischen die Beine, weil ich mir ja sowas bieten lasse. Wenn der Japs Krieg will, soll der Krieg haben. Da werden dem auch seine Drähte in alle Ministerien und Parteien nix bringen. Ich habe meinem Hirn immer mehr als einer Kanone über'n Weg getraut. Aber es gibt Zeiten, da kapieren es die Leute nur, wenn man nicht "aua" schreit, sondern gleich voll zurückhaut. Das habe ich gelernt, du auch und Rusty der König der fliegenden Klingen auch."

"Aber wir sollten uns auf den Karten ansehen, wo die uns am besten abfangen könnten und ob wir denen nicht zuvorkommen können", warf Rhonda ein.

"Babe, das läuft schon. Oder, Clint?

"Aber hallo, Boss! Ich habe mir sämtliche CD-ROms mit den Landkarten besorgt und lasse die von meinem Schlepptop gerade auf mögliche Geländevorteile abklopfen. Das Progrämmchen kennst du ja gut."

"Hab's ja immerhin mit dir zusammen geschrieben, du Genie", grummelte Greenskull und funkelte Clint mit seinen dunkelblauen Augen an. Das war für Clint eine Warnung, diesen Tag keine weiteren überflüssigen Sachen mehr zu sagen.

Am 31. August passierten dreihundert Rattlesnakes, verteilt auf mehrhere Landstraßen und Trucks, die Staatsgrenze zwischen Lousiana und Mississippi. Clint, der gerade mit Rhonda im fahrbaren Computerzentrum saß und eine neue Geländevorteilsanalyse ausrechnen ließ, fragte Rhonda vorsichtig:

"Was stimmt eigentlich daran, daß Tsunamis Braut 'ne Hexe sein soll?"

"Ich habe gelernt, daß jemand, der glaubt, verflucht zu sein, sich so verhält, als wäre er es, ja sogar krank wird und stirbt, weil er denkt, ein Voodoo-Zauber hätte ihn erwischt. Ob diese sogenannte schwarze Sphinx, mit der sich unser japanischer Erzfeind die Tage und Nächte teilt, eine echte Hexe ist, ist für mich keine Frage, solange es Leute gibt, die das glauben. Ich selbst glaube nicht an Zauberei oder Voodoo. Wenn die meinen, unsere Schlagkraft durch Nadelpuppen und Totentänze auszugleichen, werden die ihr blaues Wunder erleben."

"Der Feuerteufel ist gut, und dieser Chinamann Wong ist fast so'n guter Elektroniker wie ich. Ich lege es besser darauf an, mir auszudenken, wie ich uns am besten fertigmachen kann, um vorzuplanen, was die mit uns anstellen könnten."

"Das mache ich auch, Waringer", gestand Rhonda. Was Clint mit Technik anstellen konnte, war für Rhonda die Giftkunde. Wenn man ihn gefragt hätte, ob er Rhonda für eine Hexe halte, hätte er glatt mit Ja geantwortet. Aber das mit Voodoo ging ihm nicht aus dem Kopf. "Wenn man daran glaubt, handelt man so", grübelte er fast unhörbar, als er eine neue Geländeanalyse fertig hatte. Dieser Auswertung nach mußten die Rattlesnakes sich davor hüten, die War Dragons in einem Gebiet zwischen dem Mississippidelta und dem Sumpfland von Bayoo zu treffen. Wenn sie jedoch noch weiter im Westen waren, sollten sie sich vor den Bergen hüten, zwischen denen man sie gut einkeilen konnte. Dann legte er eine CD mit geschichtlichen Daten ein. Wenn dieser Japaner, Tsunami, wirklich jemand war, der an denkwürdigen Orten seine Schlachten schlug, könnten nicht Bodenbeschaffenheit, sondern Geschichte eines Ortes wichtig sein. Vielleicht wollte er die Schlacht am Little Big Horn neu schlagen, nur daß dann die Roten, also die Rattlesnakes, die Verlierer waren und nicht die Gewinner wie damals bei Custers Niederlage. Dann fütterte er das Programm mit den Stichwörtern "Magie", "Voodoo", "Hexerei" "Verflucht" und "Fluch", um Orte auswerfen zu lassen, die mindestens eines dieser Stichwörter bedienten. Wenn Tsunami sich wirklich darauf verließ, daß seine Bettgenossin eine echte Hexe war, könnte der auch auf die Idee kommen, sogenannte magische Orte zu wählen, um ihr Kraft zu geben. Doch was auch immer dabei herauskam, er würde es für sich behalten müssen. Greenskull mochte keine Besserwisser. ER hatte diesen alten Furz im Hirn, niemandem mehr zu trauen, der ihm beweisen konnte, wann er unrecht hatte. Dennoch ließ er den über Mobilfunk mit dem Internet verbundenen Apple-Computer analysieren. Er bekam nach vier Minuten drei Orte ausgewiesen, die bereits passiert worden waren oder noch erreicht werden mußten: New Orleans Lousiana, Hangman City Texas und Dropout Mississippi. New Orleans war klar, dort grassierte die Legende von Marie Laveau, der Voodoo-Königin, die von 1830 bis 1881 geherrscht haben sollte, daß dort noch viele Voodoo-Sachen gemacht wurden, hauptsächlich für die Touristen und besonders zu Halloween. Hangman City war eine alte Goldgräberstadt, die auf dem Gebiet eines indianischen Heiligtums errichtet worden war. Die Legende ging um, daß die letzten Medizinmänner des Indianerstammes, der dort seine Toten bestattet und seine Schutzgeister angebetet hatte, einen Fluch ausgesprochen hatte, der alle tötet, die sich von der heiligen Erde ernährte und sie zur ewigen Gefangenschaft verurteilte. Da Gold ja aus der Erde kam, erfüllte sich dieser Fluch, und die Goldgräber starben aus. Ob aber ihre Geister umgingen, wußte niemand so recht. Bei Dropout im Bundesstaat Mississippi, auf dessen Gebiet sie gerade angekommen waren, sollte es eine alte Plantagenbesitzervilla geben, deren letzter Eigentümer ein schrecklicher Sklaventreiber gewesen war. Ein afrikanischer Medizinmann soll ihn verflucht haben, nie das Haus verlassen zu können, weswegen sein Geist dort umgehen sollte, wie auch die Geister von Soldaten der Unionstruppen, die nach dem Bürgerkrieg die Villa durchsuchen wollten. Der Fluch sollte immer noch wirken, hieß es.

"Wir werden sehen, wo wir letztendlich genau ankommen. In New Orleans wird es auf jeden Fall nicht passieren", dachte Clint, speicherte die Suchergebnisse als Datenarchiv, vershlüsselte dieses mit Passwort und kopierte es sich auf Diskette. Dann löschte er die Suchanfrage und das Ergebnis von der Festplatte, und zwar so, daß es kein Unlöschprogramm zurückholen könnte.

"Die faxen unsere Steckbriefe rum", knurrte Greenskull, als Clint ihm über die Handy-Botenkette eine persönliche Mitteilung von einem Polizisten in New Jersey und Jackson Mississippi vorlegte.

"Sagen wir's so: Wäre ja auch zu schade gewesen, wenn die uns nicht vermißt hätten", wandte Founder ein und grinste breit. Greenskull grummelte: "Dann kriegen die Dragons ja auch mit, wo wir gerade zu suchen sind."

"Tja, und wir wissen nicht, wieviele von denen gerade unterwegs sind und wo", warf Lommond, der zweite Leibwächter, mit sehr verhaltener Stimme ein.

"Ich glaube nicht, daß die mit ihren Reisbrennern unerkannt durch die Staaten gurken können", warf Greenskull ein. "Clint, wirf den Zauberkasten an und füttere die Anfrage nach grünen Japsenmotorrädern ein, insbesondere, wenn da grüne Leute draufsitzen. Vielleicht haben Anti-Honda-Clubmitglieder und die vom Verein "Sägt Susukis durch" was gemerkt, das von denen welche zu viel unterwegs sind."

"Du warst, bist und wirst es wohl noch nach deinem Tod sein, ein Genie", sagte Founder zu Greenskull, der dieses Lob genüßlich auf sich wirken ließ. Clint Waringer führte derweil den Befehl aus.

Zwar war das Internet noch nicht so allgegenwärtig, wie es Cracks wie Waringer gerne hätten, aber wenn man wußte, über welche Rechner man welche Infos bekam, störte das wenig. Es dauerte zwar einige Zeit, bis der Computer die eingehenden Nachrichten korrekt verglichen und in ein brauchbares Muster eingefügt hatte, aber das ließ sich sehen. Es zeigte eine starke Verlagerung japanischer Motorräder mit grüner Lackierung aus Kalifornien nach Osten auf, stellte zumindest eine grobe Marschroute dar, die durch weitere Beobachtungen noch besser abgebildet werden könnte, aber für Greenskull sollte das erst einmal reichen.

__________

Die weiße Katze auf dem Rücksitz des Maseratis schrak aus dem Schlaf hoch. Auch die Fahrerin des Sportwagens hörte den mächtigen Knall und die folgenden Explosionen. Sie ließ das Fenster herunterfahren und sah sich um. Unschwer machte sie trotz Tageslicht helle Feuersäulen in westlicher Richtung aus. Offenbar war dort ein Lager mit brennbarem oder explosionsgefährlichem Muggelzeug in Flammen aufgegangen. Ja! Die Tankstelle! Schoß es der Fahrerin durch den Kopf. Das redselige irischstämmige Ehepaar, welches diese Tankstelle betrieb, mußte wohl von diesem Unglück heimgesucht worden sein. Die junge Frau fand es bedauerlich, daß Menschen, die so friedlich leben wollten, als erste lernen mußten, wie Ärger schmeckte. Selbst wenn es Muggel waren, galten sie für Patricia Straton immer noch als fühlende Wesen.

"Schwester Patricia! Begebe dich zum Haus des Gesetzeshüters. Unser Schützling schwebt in großer Gefahr!" Schoß ein von außen einfallender Gedanke durch Patricia Stratons Bewußtsein. Sie dachte konzentriert zurück, daß sie sich der Sache sofort annehmen wolle.

"Wir müssen raus", sagte sie zu der Katze. Diese nickte wie ein Mensch und sprang durch das noch geöffnete Seitenfenster auf den Bürgersteig. Patricia stieg aus, schloß die Fahrertür, zog ihren Zauberstab aus der Handtasche und ließ damit erst das Fenster zufahren und dann mit "Centinimus" den weißen Sportwagen innerhalb von Sekunden auf Modellautogröße einschrumpfen. Vorsichtig hob sie das verkleinerte Fahrzeug auf, sah sich um, ob wirklich kein Muggel die Transformation beobachtet hatte, duckte sich dann in einen Hauseingang. Die weiße Katze lief zu ihr, sprang ihr auf die rechte Schulter und hielt sich im Stoff des Sommerkleides fest. Unvermittelt verschwand die junge Hexe mit lautem Knall im Nichts. Keine Sekunde später huschte laut dröhnend ein schweres grünes Motorrad vorbei, auf dem ein untersetzter Mann in grüner Lederkombi mit rotem Drachenkopfaufnäher auf dem Rücken ritt.

Etwa fünfzig Meter vom Sheriffbüro entfernt erschien Patricia Straton hinter einem großen und überquellenden Müllcontainer, den sie sich vor Wochen schon als möglichen Apparitionspunkt ausgeguckt hatte. Sie setzte die Katze auf den Boden und hockte sich hinter den Container.

"Ich teile deine Sinne", sagte sie zu dem Tier, das wieder nickte und davonhuschte, zwischen geparkten Autos entlang, um weitere Müllbehälter herum, über einen Rasen, unter einer Hecke hindurch und um das Sheriffbüro herum. Patricia verfolgte den Lauf der Katze erst mit ihren eigenen Sinnen und konzentrierte sich dann. Mit dem Zauberstab auf ihre Stirn deutend murmelte sie "Exosenso". Sie schloß ihre Augen und spürte, wie die Welt um sie herum verschwand, zunächst in einem Meer aus Dunkelheit, Stille und Leere versank, um dann um einiges lauter, geruchsintensiver und größer wiederzuerstehen. Patricia hatte ihre eigene Wahrnehmungswelt ausgeschlossen und sich in die Wahrnehmung der weißen katze mit den tiefgrünen Augen eingeklinkt, die zielgenau jede Deckung ausnutzte und sich von außen an einen halben Ring aus grünen Motorzweirädern heranpirschte. Das Tier wußte, daß sein weißes Fell nicht gerade eine Tarnfarbe war, zumindest außerhalb des Polarkreises. Doch es war flink und gewandt, um von einer sicheren Deckung zur nächsten zu wechseln. Patricia lauschte. Mit den um vieles empfindlicheren Ohren einer Katze konnte sie klar und deutlich jedes Wort verstehen, das gesprochen wurde.

__________

Ben Calder fühlte sich in einer Falle. Da war er nicht der Einzige. Irgendwie hatten diese Motorradfahrer sie belauert und nun zugeschlagen, wo der Sheriff nicht da war. Doch was würde das auch bringen, wenn gleich sechs Mann aufmarschiert waren. Der Junge sah sogar, daß einige dieser Fremden mit automatischen Waffen ausgerüstet waren. Da kam ihm die Idee, diese Bilder und Eindrücke genau zu erfassen. Sollte diese Anthelia sich das doch ansehen, wenn sie sich wieder in seine Gedanken eingeschlichen hatte! So betrachtete er jeden Fahrer genau, jede Maschine. Doch dafür hatte er nur eine halbe Minute Zeit. Denn die Fremden richteten ihre Waffen auf Ben Calder, Donna Cramer und ihren Vater.

"Der ehrenwerte Führer, Tsunamisan, wünscht die vorrätigen Feuerwaffen und ihre Munition zu erwerben", sagte ein kleiner Mann, nachdem er sein Helmvisier hochgeklappt hatte. Ben glaubte, nicht richtig zu hören oder zu sehen. Das war doch'n Japaner!

"Ich möchte Ihnen nichts böses sagen, meine Herren. Aber Sie haben schon mehr Waffen in der Hand, als ich in meinem Geschäft", erwiderte Roy Cramer.

"Diese Waffen sind nicht für uns persönlich, sondern für unsere ehrenwerten Mitkämpfer", sagte der Japaner und deutete in die Runde seiner Begleiter. Dann sagte er: "Jede Weigerung Ihrerseits würde einen sehr schmerzvollen Tod zur Folge haben, zunächst für diesen Jungen, dann für das Mädchen, schließlich für Sie, Mr. Cramer. Also händigen Sie uns alle vorrätigen Feuerwaffen aus, inklusive jener, die Sie wohl unter ihrem Ladentisch bewahren."

"Gut, ich werde Ihnen meine Bestände aushändigen", sagte Roy Cramer, der beim Anblick einer auf Donnas Unterleib gerichteten Maschinenpistole jede Lust auf Heldentaten verloren hatte. Gefolgt von einem der sechs Motorradleute ging er in seinen Laden und kramte dort laut scheppernd und klirrend herum. Dann rief der Wortführer:

"Gleich wird ein Transporter eintreffen, in den Sie gütigst alles verladen mögen. Wir behalten uns vor, den Jungen und das Mädchen als Unterpfand für Ihre Folgsamkeit mitzunehmen. Bemühen Sie sich nicht um das Telefon! Nachdem es uns gelang, den Sheriff auf eine andere Spur zu bringen, haben unsere Techniker das gesamte Ortsnetz außer Funktion gesetzt. Selbes gilt auch für die elektrische Versorgung."

"Habe ich schon mitbekommen!" Klang es dumpf aus dem Eisenwarenladen.

Tatsächlich kam nach nur einer Minute ein grüner Nissan-Transporter angefahren. Ben Calder war drauf und dran, alle japanischen Autos und Motorräder zu verfluchen.

"Du, Junge und du, Mädchen, helft beim Einladen!" Forderte ein anderer der sechs Motorradfahrer durch das heruntergeklappte Helmvisier wie in eine Holzschüssel sprechend. Ben wußte, daß es nicht darum ging, die Waffen einzuladen, sondern ihn und Donna zu entführen. Er schmunzelte, wenn er daran dachte, daß diese Hexen um Antehlia, wieviele es auch sein mochten, nun ihren Spion wider Willen verlieren mochten. Denn das Donna und er nicht mehr lebend freikamen, war ihm völlig klar.

"Du steigst da nicht ein!" Klang eine nur für Ben hörbare Stimme auf. Der Teenager schrak zusammen. Hatte er nicht damit rechnen müssen, daß diese Anthelia ihn nicht so wegkommen lassen würde? Auf diesen Gedanken erfolgte ein verhaltenes inneres Lachen einer hohen Frauenstimme.

"Einladen!" Forderte der Typ, der mit Mr. Cramer im Laden gewesen war. Kistenweise wurden zerlegte Jagdgewehre, Pistolen und Revolver, sowie dazugehörige Patronen und Magazine im Transporter verladen. Als nach einem Dutzend Kisten nichts mehr kam, zog der Wortführer eine Pistole und richtete sie auf Donna.

"Mädchen, in den Transporter!"

"Mach, was der sagt, Donna!" Sagte Mr. Cramer. Ben jedoch sah die Pistole an, lauernd, abschätzend, sich bereithaltend. Doch Donna stieg sofort in den Wagen ein, und die Waffe deutete auf Ben.

"Junge, in den Wagen!" Befahl der japanische Wortführer der Motorradbande.

"Hinwerfen!" Schoß ein explosionsartiger Gedanke durch Bens Kopf. Unüberlegt ließ sich der Junge fallen. Keinen augenblick später zischte ein roter Lichtstrahl über ihn hinweg und traf den Japaner voll in die Brust. Einen hohen kurzen Aufschrei ausstoßend, fiel er hinten über und schlug bewußtlos hin.

"Was war das?! - Wo kam das her?! Wie ging das?!" Fragten die behelmten Banditen durcheinander. Ben nutzte die Gunst des Durcheinanders, in den Transporter zu springen, um Donna zu erreichen. Doch sofort fuhr die tür zischend zu, der Motor sprang an und ließ Ben und Donna zum Heck hin rollen, so heftig beschleunigte der Wagen.

"Ätsch, Anthelia! Jetzt haben sie mich doch", dachte Ben und bereute diese Frechheit sogleich. Denn ein Schmerz, rasend und feurig, jagte durch seinen Schädel, daß er laut aufschreien mußte. Donna erschrak, doch Schmerz und eigenes Geschrei ließen Ben nicht verstehen, was sie rief. Daß sie ihm eine Ohrfeige gab, weil sie glaubte, der Schock der Entführung hätte ihn irrsinnig werden lassen, spürte er auch nicht. Die fürchterliche Folter, von der Ben nicht wußte, wie Anthelia sie ausübte, peinigte ihn anderthalb Minuten lang, um dann ebenso plötzlich abzuklingen, wie sie entfacht worden war.

"Was war mit dir los, Ben?" Fragte Donna, als ihr Freund sich wieder beruhigt hatte. Angst und Hilflosigkeit standen ihr ins Gesicht geschrieben.

"Nichts für diesen Fall wesentliches. Wenn ich in Streß gerate, kriege ich mal so einen Kopfschmerzanfall. Normalerweise habe ich gegen sowas Tabletten. Ich konnte nur nicht wissen, daß man mich heute kidnapt."

"Ich auch nicht, Benny. Wer sind die, und was wollen die von uns?" Fragte Donna.

"Banditen, die Waffen brauchten. Offenbar wollen die sich mit wem bekriegen."

"Ja, aber warum hier in Dropout?" Wollte Donna wissen.

"Weil New York zu weit weg ist", grummelte Ben Calder. Dann fiel ihm ein, daß er sein Handy ja noch einstecken hatte. Wenn er Donna dazu bringen konnte, vor ihm als Sichtschutz zu hocken, konnte er vielleicht vom Fahrer unbemerkt Hilfe anfordern.

"Donna, Honey! Kannst du mal einige Zentimeter nach vorne rücken? Ich will was probieren, was der Fahrer nicht sehen muß. Ich habe nämlich mein ...

Kreischend blockierten die Räder des Nissan. Polternd flogen Kisten und Patronenschachteln nach vorne, prallten auf Donna und Ben. Irgendwer oder irgendwas mußte den Wagen zur Vollbremsung gezwungen haben. Eine Kiste mit Gewehrläufen prallte mit voller Wucht gegen Bens rechten Arm. Er hörte es knirschen und spürte fast sofort den Schmerz.

"Mist, ich habe mir den rechten Arm gebrochen", jammerte er, wobei er die heftigsten Schmerzen noch zu verbeißen versuchte. Donna war zwischen zwei Waffenkisten eingekeilt und konnte sich nicht mehr bewegen. Auch sie stöhnte vor Schmerzen.

"Blödes Weib! Hast mich voll ausgebremst!" Brüllte eine Stimme aus dem Fahrerraum. Dann stieg er einfach aus. Ben sah genau, daß der südamerikanisch aussehende Mann im grünen Lederanzug einen merkwürdig glasigen Blick besaß.

"Ja, schön da stehenbleiben!" Klang eine Frauenstimme, die Ben am liebsten nie im Leben gehört hätte: Liberty Grover alias Hexenschwester Patricia. Eine Autotür klappte auf und zu. Offenbar war da jemand aus- oder eingestiegen. Dann tauchte Patricia Stratons Gesicht über dem Fahrersitz auf.

"Mußte sie dich erst wieder daran erinnern, wem du verbunden bist, Benjamin Calder Junior? Ich war ganz in der Nähe und hätte euch beide aus dieser Lage befreien können. Aber nein, du mußtest ja gegen den Befehl verstoßen."

"Wer ist das, Benny?" Wimmerte Donna. Dann sah sie den auf sie gerichteten Zauberstab.

"Was wird das?" Fragte sie in Panik.

"Du wirst nur schlafen, Zuckerrose, ganz lieb einschlafen", säuselte Patricia Straton. Ben wollte schon los, der Hexe den Stab wegnehmen, doch ein überdeutliches "Hüte dich!" in seinem Kopf vertrieb diesen Wunsch sehr rasch. Donna bekam immer müdere Augen, während Patricia einen merkwürdigen Singsang von sich gab, zu dem sie den Zauberstab bewegte, wie ein Dirigent seinen Taktstock. Donna schloß die Augen und schlief einfach ein, ganz friedlich.

"Ich hol euch beide hier raus. Dann darf der freundliche Herr, der euch mitnehmen wollte, seinen Weg fortsetzen. Wir haben ja den Anführer sicher, der uns erzählen wird, was geschieht", sagte Patricia freundlich lächelnd und ließ von Zauberkraft die schweren Waffenkisten von Donnas Beinen fortschweben, an Ben vorbei nach hinten. Dann hob die schlafende Donna Cramer ab, wie auf einer unsichtbaren Trage und glitt sanft schwebend aus dem Transporter. Ben wunderte sich, daß niemand in der Nähe war und das alles verfolgte.

"Dein Arm, du hast ihn dir gebrochen. Ich werde ihn draußen heilen", sagte Patricia Straton überfreundlich. Ben Calder schüttelte den Kopf.

"Ich will nichts mit Ihnen zu tun haben", fauchte er.

"Wir aber dafür mit dir, Jungchen. Komm jetzt raus! oder soll die höchste Schwester dich erneut strafen?"

"Ihr kommt euch wohl sehr groß und toll vor, weil ihr das alles machen könnt, wie?" Fauchte Ben. Übergangslos sah er in die grünen Augen Patricias, von denen eine merkwürdige Kraft ihn durchfloß, die seinen Willen schwächte. Er erhob sich und stieg aus. Draußen zeigte er seinen wild schmerzenden Arm vor. Patricia hantierte mit dem Zauberstab darüber und sprach einige Worte. Knirschend schienen die verschobenen Knochen wieder zusammenzufinden. Dann ließ der Schmerz schlagartig nach und verflog gänzlich.

"Trotz ist was dummes, wenn er nichts bewirkt außer Schmerzen", sagte Patricia im Tonfall einer Mutter, die enttäuscht von ihrem Kind ist, weil es nicht gehorchen will.

"Du steigst in den Maserati, auf den Beifahrersitz. Der Fahrer dieses Vehikels soll es ruhig dorthin bringen, wo es erwünscht ist. Aber Moment, vielleicht möchte die höchste Schwester dies doch noch wissen", sagte Patricia, rupfte sich eines ihrer Haare aus, band es um den Schaltknüppel des Nissans und sprach einen Zauber darüber. Das Haar leuchtete grünlich auf, knisterte und verdampfte sofort. Stattdessen erstrahlte der ganze Transporter in diesem grünen Licht, für zehn Sekunden. Dann war alles vorbei.

"Localisatus inanimatus", fiel Ben ein, wie dieser Zauber hieß, obwohl er nie davon gehört hatte. Anthelia hatte ihm dieses Wissen eingegeben.

Wie unter irgendwelchen Drogen, so schien es Ben, stieg der Fahrer des Transporters in seinen Wagen um und fuhr davon. Ben fragte sich, was für ein Zauber dies war.

"Suggestive Trance mit anschließendem Vergessen, daß er hier gehalten hat", erwiderte Patricia auf die unausgesprochene Frage. Da war es Ben klar, daß diese Hexe seine Gedanken lesen, zumindest aber erraten konnte. Widerstandslos schlüpfte Ben Calder Junior auf den Beifahrersitz des weißen Maseratis, den Patricia nach dem fehlgeschlagenen befreiungsversuch einige hundert Meter in die Fahrtrichtung des Transporters gebracht hatte und dort wieder zur Normalgröße hatte anwachsen lassen. Die Beifahrertür klappte von selbst zu, und Patricia schlüpfte auf den Fahrersitz. Ben warf einen Blick auf die schmale Rückbank. Er sah zwei Katzen, beide zusammengerollt im Schlaf. Eine war schneeweiß, die andere goldgelb, fast so, wie Donnas Haarfarbe. Ein eisiger Schreck durchfuhr ihn. Hatte diese Hexe ...?

"Sie hat", sagte Patricia laut und startete den Motor.

"Das dürfen Sie doch nicht mit Menschen machen", wimmerte Ben und kämpfte aufsteigende Tränen nieder. Das war das allerletzte, Donna in diese Kiste mit den Hexen von der Daggers-Villa mit hineinzuziehen.

"Deine Freundin ist hier bekannt, und in dieser Gestalt hat sie es auf dem Rücksitz bequemer, solange sie schläft. Außerdem: Dürft ihr Muggel die Erde vergiften, eure Artgenossen in ärmeren Ländern hungern lassen oder gefährliche Strahlenbomben und Brennöfen mit diesem Strahlenzeug bauen? An und für sich nicht. Aber die Zeit wird kommen, wo ihr von uns Hexen wieder lernen werdet, die Natur zu schätzen und zu schützen, die Mutter allen Lebens."

"Aber Sie dürfen doch nicht einfach Leute verwandeln", sagte der Teenager immer noch erschüttert.

"Da ihr nach der Devise handelt: Possum ergo licet, ich kann es also ist es erlaubt, hast du mir nicht vorzuschreiben, was ich mit wem machen darf und was nicht, Jungchen. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich dich auch in etwas andres verwandelt. Aber die höchste Schwester will Verbindung zu dir halten und bestimmt, was mit dir geschieht."

"Oh, dann sind Sie ja auch eine Marionette, genau wie ich", erwiderte Benjamin Calder Junior. Dann trällerte auf einmal sein Handy.

"Stell es ganz aus!" Befahl Anthelias Gedankenstimme aus der Ferne. Ben war schon versucht, abzunehmen und um Hilfe zu rufen, wer auch immer amanderen Ende sein mochte. Doch dann stellte er das Handy komplett aus.

"Mein Daddy kommt jetzt auf die Idee, mir wäre was passiert", sagte Ben laut genug. Ob er dachte oder laut sprach, war für die Hexe neben ihm und die in der Villa, die ihn wie einen Mondroboter fernsteuerte und überwachte gleich.

"Dort, wo er ist, kann er nichts tun. In der ganzen Stadt sind die Telefonleitungen zusammengebrochen. Diese Leute, die auch Dinge tun, von denen du sicher sagen wirst, daß sie das nicht dürfen, haben die ganze Stadt gelähmt. Nur die Mobilsprechnetze arbeiten noch. Aber ich vermute, auch daran ist gedacht worden."

"Was ist mit Sheriff Foggerty?" Fragte der von Anthelia kontrollierte Junge.

"Er wird wohl die brennende Tankstelle besichtigen. Schade um das nette Ehepaar, das sie geführt hat." In ihren Worten klang weder Hohn noch Spott nach. Ben konnte nicht anders als ihr diese Gefühlsregung abzukaufen.

Vor der Daggers-Villa außerhalb von Dropout hielt der Maserati. patricia holte zunächst die schlafende Katze Donna aus dem Wagen, während die weiße Katze von sich aus aus dem Wagen sprang und davonstolzierte. Übergangslos verschwand Patricia im Nichts, tauchte jedoch fünf Sekunden später an Bens Seite wieder auf.

"Die höchste Schwester hat mir gestattet, dich heute uneingeschrumpft hineinzubringen. Am besten schließt du die Augen. Der Farbenwirbel, den die sehen, die es nicht von sich aus tun, irritiert ziemlich häufig."

Ben nahm die rechte Hand Patricia Stratons, die sich warm und weich anfühlte, wie die Hand einer geliebten Person und schloß die Augen. Mit einem lauten Knall verschwanden beide dann im Nichts.

_________

Roscoe Foggerty sah die Hölle in Gestalt der lodernden Tankstelle vor sich. Was war hier passiert? Er rief über funk die Feuerwehr und die Ambulanzen herbei.

"Diese Verbrecher haben die ganze Tankstelle abgefackelt", entfuhr es Hank Goldsmith.

"Wozu das?" Fragte Sheriff Foggerty.

Mehrere Meter messende Flammenzungen tanzten auf den Ruinen des Ladenhäuschens und des kleinen Pächterhäuschens. Im Boden klaffte ein Krater, rotglühend vom Grund bis zum Rand. Zwischendurch verpufften noch Funken über dem großen Loch, das auf Foggerty den Eindruck machte, direkt mit der Hölle verbunden zu sein. ausglühende Trümmer lagen zerfetzt herum, Reste der Zapfsäulen. In der Nähe fackelte eine große Menge Dieseltreibstoff ab, als feuriger See in einem zweiten Krater. Abgerissene Strom- und Telefonleitungen pendelten wie Zeitgeber des Untergangs über der entflammten Trümmerwüste.

"Keine Funken aus den Stromleitungen", stellte Foggerty verblüfft fest. Er griff zu seinem Handy und wählte die Kontrolle im E-Werk. Doch dort ging niemand dran, ja es kam sogar die Meldung, daß dieser Anschluß nicht erreichbar sei.

"Verdammt! Was läuft hier für ein Spiel ab?" Brach es aus dem Sheriff heraus. Dann sah er eine flüchtige Bewegung. Sofort griff er seinen Revolver und sprang aus dem Wagen. Doch als er genauer hinsah, erkannte er Rita Flanigan in ihrer Küchenschürze. Ruß und Baumblätter hingen ihr im Haar. Sie starrte fast ausdruckslos durch die Gegend. Hinter ihr trat Sean Flanigan aus dem Rauchvorhang, der die feurige Verheerung überdeckte.

"Wenn die Ambulanzen hier ankommen, Hank, kommen die beiden sofort in die Unfallklinik nach Jackson. Die stehen bestimmt unter Schock", sagte Foggerty. Zumindest ging heute einmal was richtig. Denn eine Ambulanz traf wie aufs Stichwort ein. Die Rettungssanitäter nahmen sich sofort der beiden Eheleute an und brachten sie in den Wagen. Foggerty gab dem Fahrer noch die Anweisung, die Eheleute Flanigan nach Jackson zu bringen. Der Fahrer nickte bestätigend und fuhr los. Foggerty lauschte auf das Heulen der Sirene, bis es im Tosen des Feuers verschwand.

"Warum überfällt jemand eine Tankstelle und jagt die dann in die Luft?" Wiederholte Foggerty eine Frage, die sowohl er als auch Goldsmith sich immer wieder gestellt hatten.

"Wollen hoffen, daß die Flanigans wieder zu sich finden, um uns das zu beantworten. Hast du gesehen, daß Rita ein Gewehr dabei hatte?"

"Ja, aber es war offenbar leergeschossen. Ach, du meinst, jemand könnte noch hier herumliegen?"

"Das kannst du abhaken, Boss. Wenn das ganze Benzinlager da mit einem Knall hochgegangen ist, hat das eine Druckwelle gegeben, die alles im Umkreis von hundert Metern weggefegt hat. Daß die Flanigans das überlebt haben, grenzt an ein Wunder."

"Ja, aber der Attentäter hätte sich dann ja selbst auch ..."

"Wäre das so abwegig? Aber ich denke, der hat aus großer Entfernung ein brennendes Streichholz reingeschmissen oder eine Zündschnur gelegt, um noch gut wegzukommen. Ich glaube jetzt, daß dies auf jeden Fall beabsichtigt war, die Tankstelle hochzujagen."

"Zum X-ten mal, wozu das?" Wollte der Sheriff wissen.

"Vielleicht, um uns von was weitaus wichtigerem abzulenken", erwiderte Hank Goldsmith. Roscoe Foggerty nickte. Das mußte es sein. Wer immer die Tankstelle zerstört hatte, wollte freie Bahn für was anderes haben. Diese Show ist nur der Auftakt, Hank."

"Habe ich Ihnen schon gesagt, daß es Unheimlich ist, wenn Sie recht haben, Sheriff?" Fragte Hilfssheriff Goldsmith.

"In diesem Fall gestatte ich Ihnen das. Mir geht es auch nicht gut, wenn ich mir vorstelle, daß ich recht habe. Machen wir, daß wir in die Stadt zurückkommen und unsere Mannschaft in Marsch setzen!"

"Gut, Sheriff", sagte Hank und griff zum Mikrofon des Funkgerätes. Er sprach einen Ruf an alle auf diesem Kanal aus, bekam jedoch nur ein von statischen Störgeräuschen untermaltes Sirren zu hören, als habe jemand einen Störsender eingeschaltet. Er versuchte es noch mal, wieder ohne Erfolg.

"Der Funk ist auch tot, wie der Strom und das Festnetz", sagte Foggerty, als habe er mit dieser Entwicklung gerechnet. Er holte sein Handy heraus und wählte eine Mobilfunknummer. Doch auch das ging nun nicht mehr.

"Ich frage mich, ob wir nicht etwas ganz entscheidendes vermasselt haben, Hank. Jemand hat alles abgeklemmt, Strom, Festnetz, Radio und jetzt auch noch Mobilfunk. Ist ja auch in Dropout nur ein Sendemast da, der noch dazu nur für wenige Minuten Notstrom hat. Wer den ausschaltet, legt hier alle Handies lahm."

"Dann machen wir, daß wir in die Stadt zurückkommen", wiederholte Hank einen Vorschlag, der bereits vor einigen Minuten aufgekommen war. Foggerty nickte. Zusammen fuhren sie in die Stadt zurück.

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Wong Liu und Ruben Wallace, der Feuerteufel, meldeten sich bei Tsunami, dem Anführer aller War Dragons im zum Büro umgebauten Container auf einem großen Lastwagen. Auf einer Computerkarte, die von einem Projektor auf eine Leinwand geworfen wurde, sahen die beiden Anschlagsspezialisten eine Grafik von Dropout. An der westlichen Stadtgrenze blinkte ein blaues Licht wohl da, wo die Tankstelle gestanden hatte. Der Mann, der sich Tsunami nennen ließ, war mitte zwanzig, für seine Japanische Abstammung her mit 1,76 Metern übermäßig groß, athletisch gebaut und trug sein schwarzes Haar seidig glatt gescheitelt. Er trug den neuesten Versace-Anzug und eine Seidenkrawatte. Daß er der Chef war, konnte jeder erkennen, der für die Ausstrahlung von Körperhaltung und Gesichtszügen, den Blick der schwarzen Augen und die Art zu sprechen empfänglich war. Zwar benutzte Tsunami eine ähnlich rüde Sprache, wie seine übrigen Bandenmitglieder, hätte aber auch bei akademischen Treffen keine Probleme bekommen.

Neben dem Chef saß eine dunkelhäutige Frau mit rot gefärbter Naturkrause. Sie trug weite bunte Gewänder und wirkte in sich ruhend aber gefährlich, wie ein Vulkan vor dem nächsten Ausbruch. Sie musterte den Feuerteufel und Wong Liu und lächelte.

"Ihr habt euren Auftrag erfüllt, Leute. Das die anderen drei nicht mit zurückkamen, war zwar nicht geplant, aber läßt sich nicht mehr ändern. Die Leute, die sie umgebracht haben, sind sicher auch draufgegangen. Liu, du zeigst mir gleich, wo die Punkte sind, auf die wir heute noch zurückkommen müssen!" Sagte Tsunami.

"Also, Tsunamisan, hier in der Stadt müssen wir nur noch die Telefonzentrale der Post, wo auch der Funksender für das Mobilnetz untergebracht ist, ausschalten. Der Strom ist zwar komplett weg und die Haupttelefonkabel nach drinnen und draußen haben wir wohl in wenigen Minuten gekappt, aber wenn wir verhindern wollen, daß die Leute aus der Stadt Hilfe von außen rufen, müssen wir auch das Mobilnetz blockieren, bevor wir den Strom wieder einschalten. Den brauchen wir nämlich", sagte Wong und deutete auf ein gelb markiertes Gebäude im projizierten Stadtplan, welches die Post darstellte und dann noch auf ein gelb markiertes Gebäude, dem Wasserkraftwerk von Dropout, das von einem Staubecken gespeist wurde.

"Wann warnen wir die Stadtbevölkerung? Mir geht es nicht um die Leben, sondern darum, den Weg frei zu haben", sagte Tsunami.

"Wenn der Sheriff wieder in der Stadt ist übernehmen wir alles aus seinem Büro und treiben die Leute aus der Stadt. Wongs Handy-Störer wird gerade ans Hauptnetz angeschlossen. Er blockiert alle geläufigen Frequenzen des Mobilfunks. Wenn wir die Leute aus der Stadt haben, pferchen wir die auf diesem großen Feld nördlich ein und legen die Sprengfallen, damit die da auch bleiben, bis die Show gelaufen ist, Tsunamisan", sagte der Feuerteufel und grinste vergnügt. Die Sprengfallen hatte er schon fertig. Bester Plastiksprengstoff, den sie durch ein geschicktes Bestechungs- und Erpressungsmanöver ergaunern konnten, würde die wenigen tausend Bewohner von Dropout festhalten, wenn keiner sich selbst und einige andere in die Luft jagen wollte. Zusätzlich sollten Fünf Leute mit ferngesteuerten Maschinengewehren jede Flucht vereiteln. Diebstähle über die ganzen Staaten verteilt, hatten dem Techniker Wong die nötige Ausrüstung dazu verschafft. Wong deutete auf den Bereich, wo dieser Pferch aus Sprengfallen und MGs aufgebaut wurde und erwähnte, daß man da schon die letzten Handgriffe tat. Er würde sich mit Ruben nachher die Arbeit ansehen.

"Unsere Kundschafter haben die Rattlesnakes schon auf dem Staatsgebiet von Mississippi ausgemacht. Einer von uns ging dabei drauf. Die Roten könnten morgen hier ankommen, aber auch schon heute. Wir sollten uns also beeilen. Wenn wir heute alles geschafft kriegen, können wir denen vorgaukeln, uns in der Stadt eingenistet zu haben", sagte Tsunami zufrieden lächelnd. Dann entließ er seine Spezialisten, um die letzten Vorbereitungen für die große Entscheidungsschlacht zu treffen.

"Wann willst du dir die Villa ansehen, ob die wirklich das hält, was du dir versprichst, Dessy?"

"Morgen früh, wenn ich sicher sein kann, daß die Stadtbevölkerung uns nicht stört. Ich hoffe, die Kraft der verfluchten Erde wird mir helfen, meine eigene Magie zu vervielfachen, um die Rattlesnakes in Scharen niederzuwerfen. Das Ritual der Feindeslähmung, von dem ich dir erzählt habe, wird die Überlegenheit der Roten brechen", sagte die dunkelhäutige Frau im bunten Gewand und deutete auf ein leeres Glas auf einem Tisch in der Mitte des Containers. Sie nahm eine konzentrierte Körperhaltung ein, nagelte das Glas mit ihrem Blick fest und verharrte für drei Sekunden in dieser Haltung. Dann glühte das Glas plötzlich rot auf und zersprühte wie heißes Wasser auf einer Herdplatte.

"Du bist immer noch in Form, Dessy", sagte Tsunami mit einer Mischung aus Anerkennung und Furcht. Er hatte früher nie an magische Kräfte geglaubt. Doch als er Desdemona Glapion im verruchtesten Viertel von Sacramento mit einer Bande Straßenräubern hatte kämpfen sehen, war er zum Gläubigen geworden. Sie hatte durch einen merkwürdigen Gesang und gezielte Gesten alle fünf Räuber erstarren und dann regelrecht in sich zusammenfallen lassen, bis sie regelrecht zerquetscht wurden und zu Häufchen aus Blut, Knochen und Hautfetzen geworden waren. Diese loderten nach einem neuen Ritual einfach auf und verbrannten völlig. Tsunami wußte, daß diese Frau gefährlich war, aber auch seine Geheimwaffe Nummer eins bei allen Planungen. Denn sie konnte nicht nur töten, sondern auch Leuten ihren Willen aufzwingen, ihnen aus der Entfernung Schmerz zufügen und tote Objekte, wie gerade eben das Glas, verformen, bewegen oder zerstören. Desdemona hatte Tsunami aber immer davor gewarnt, daß er sie nicht zu häufig um magische Gefälligkeiten bitten sollte, da es nicht nur sie gab, sondern auch Magier, die sie aufspüren und bekämpfen könnten.

"Gut, Dessy. Wir warten ab, bis unsere Leute alles vorbereitet haben. Dann können die Roten kommen", sagte Tsunami.

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Vor seinem Büro erwartete Sheriff Foggerty eine Truppe Fremder auf grünen Motorrädern. Er und Goldsmith wurden sofort eingekreist und mit Pistolen bedroht. Er mußte alle seine Schlüssel, die Fernbedienung für das Büro und die Waffe abgeben. Einer der Motorradfahrer nahm den Wagen des Sheriffs und fuhr damit fort.

"Pfoten her!" Befahl einer der Gangster. Foggerty und Goldsmith streckten ihre Hände aus. Brutal rissen zwei Leute jedem die Hände auf den Rücken und fesselten Foggerty und Goldsmith mit den eigenen Handschellen. Dann nahmen sie dem Sheriff seinen Stern ab und stießen ihn gegen die Mauer seines Bürogebäudes.

"Nehmen wir Abschied vom wilden Westen", lachte einer der Motorradfahrer. Foggerty fragte sich, was nun passieren würde. Keiner der in Grün gekleideten Gangster hatte den schwarzen Helm abgenommen. Dennoch war er sich sicher, Leute asiatischer Abstammung darunter zu sehen. Der der gesprochen hatte, zog von seiner Maschine ein längliches Lederfutteral. Foggerty vermutete, daß darin ein Gewehr verborgen war. Doch als der Verbrecher das Futteral öffnete und einen länglichen Griff packte, erkannte der Sheriff, was es war. Langsam, ganz langsam, als wolle der Gangster jede einzelne Bewegung, jedes einzelne Bild feierlich würdigen, zog er ein langes Schwert aus dem Futteral, ein langes, scharf geschliffenes, japanisches Samuraischwert.

"Welchem Zweck soll diese Show dienen?" Fragte Foggerty. Der Gangster zog das Schwert nun völlig heraus und schwang es mehrmals durch die Luft. Wusch! Wusch! Zerteilte die rasiermesserscharfe Klinge die Luft vor dem Untäter in grüner Lederkleidung.

"Ich sagte es doch. Wir verabschieden uns vom wilden Westen. Die Zukunft dieses Landes gehört uns aus dem Osten", sagte der Gangster. Foggerty war sich nicht sicher, es mit einem Wahnsinnigen oder einem Fanatiker zu tun zu haben, als der Mann mit dem Schwert auf Goldsmith zuging, dessen Augen sich vor Todesangst mehr und mehr weiteten. In Reichweite des Samuraischwertes verharrte der Verbrecher, holte aus ...

Peng! Die Kugel aus einer starken Handfeuerwaffe schlug ein faustgroßes Loch durch den Helm, ließ eine rote Blutfontäne davonspritzen und riß den Kopf des Verbrechers mit dem Schwert fast von den Schultern, während sie zur gegenüberliegenden Seite des Helmes wieder austrat und krachend ein weiteres Loch ins Mauerwerk schlug. Der Schwertführer fiel zu Boden und verlor dabei das Schwert, daß klirrend vor Goldsmith auf dem Asphalt des Bürgersteiges landete.

Die übrigen Gangster auf den Motorrädern wirbelten herum, rissen ihre Pistolen hoch und feuerten auf Roy Cramers Laden. Doch die Panzerglasschaufensterscheibe hielt die Kugeln ab, schlug sie pfeifend den Schützen zurück. Dann fiel ein weiterer Schuß und traf einen der Gangster in die Brust. Für einen Sekundenbruchteil konnte Foggerty eine Hand mit einer 3,57er Magnum sehen. Rauch faserte aus dem Lauf der Faustfeuerwaffe, dann blitzte es in der Mündung auf. Krachend explodierte eine weitere Patrone und schickte eine Kugel gegen einen anderen Gangster. Die verbliebenen nahmen das vergitterte Fenster unter Feuer, hinter dem sich Roy Cramer wohl aufhielt. Doch der Eisenwarenhändler war offenbar zu schnell wieder in Deckung gesprungen, sodaß die Kugeln ins Leere pfiffen. Einer der zwei verbliebenen Gangster stürzte sich auf das Samuraischwert, das noch vor Goldsmith lag, holte wütend damit aus und hieb es mit großer Wucht durch Goldsmiths Brustkorb. Foggerty schloß die Augen. Dieses Bild wollte er nicht sehen.

Wieder krachte ein Schuß, sofort gefolgt von Gegenfeuer. Foggerty fühlte, wie etwas schweres vor ihm aufschlug, dann traf ihn etwas mit voller Wucht am Kopf, bohrte sich hinein und löschte schlagartig alles aus, was Roscoe Foggerty noch wahrnahm. Das der letzte noch stehende Gangster keine sekunde später die letzte Kugel aus der Magnum in den linken Lungenflügel bekam, der regelrecht zerfetzt wurde, bekam der Sheriff schon nicht mehr mit. Sein Wirken auf Erden war vorbei, beendet innerhalb nur einer Sekunde, durch einen Verbrecher, der sich entschlossen hatte, ihn zu töten.

"Verfluchter Dreckskerl!" Rief Roy Cramer, als er sah, daß Foggerty ebenfalls eine Kugel in den Kopf bekommen hatte, wie die drei von ihm erschossenen Gangster. Er hatte die Waffe unter seinem Ladentisch, einen alten aber noch gut funktionierenden Colt abgegeben, aber die Magnum in der Aktentasche, wollte wohl keiner haben. Danach hatte niemand gefragt. Als er gesehen hatte, wie Goldsmith mit einem altertümlichen Schwert erschlagen oder gar geköpft werden sollte, erschoss er den Verbrecher und war darauf selbst unter Beschuß geraten. Doch er hatte sich so postiert, daß er sofort wieder in Deckung war, wenn er getroffen hatte, und er hatte schon auf tödliche Treffer abgezielt. Zwar lagen nun alle Gangster, die ihn und Donna bedroht hatten, vor dem Sheriffbüro herum und würden niemandem mehr was tun, aber für Foggerty und Goldsmith hatte seine gefährliche Einzelaktion nichts mehr gebracht. Wütend und total verzweifelt sah Cramer auf die Leichen der Gangster und des Sheriffs. Was war mit dieser Stadt passiert, daß innerhalb von wenigen Stunden eine friedliche Gemeinde in die Hölle geraten war?

"Vielleicht kann ich für Roscoe noch was erledigen", bäumte sich sein Verstand gegen die Verzweiflung und Wut auf. Er verließ seinen Laden und eilte zu den von ihm getöteten. Er vermied es Goldsmith anzusehen, den der Hieb des Samuraischwertes das Leben geraubt hatte. Schnell suchte er die blutüberströmten Körper nach Dingen ab, die er noch gegen die, von denen sie wohl hergeschickt worden waren, verwenden konnte. Denn daß sie hergeschickt worden waren, war ihm klar, als sie seine Waffen und seine Tochter mitgenommen hatten. Er nahm die Schlüssel des Sheriffs, dessen Stern und die Funkgeräte der Gangster an sich. Einige waren durch die Kugeln aus der Magnum beschädigt worden, doch zwei waren noch Funktionsfähig. Er ahnte, daß man bald nach diesen Leuten suchen würde und trug sie in einem Anflug hektischen Tatendranges ins Sheriffbüro hinüber. Wenn man sie suchen würde, sollte man sie nicht auf der Straße finden. Das verfluchte Samuraischwert hob er auf und warf es weit von sich, sodaß es klirrend im Hinterhof des Sheriffbürohauses landete. Danach untersuchte er noch die Motorräder der Gangster und räumte die Satteltaschen leer. Pillen, Munition und einige Messer und Einbruchswerkzeuge fand er vor. Er wollte gerade zu seinem Wagen, um den Tatort zu verlassen, als er das Gebrumm sich nähernder Motorräder hörte. Er warf sich herum und sah vier weitere grüne Maschinen, die auf ihn zurasten. Er schloß bereits mit seinem Leben ab, als der Vordermann eine schwere Pistole anhob. Er sah, wie sich der Zeigefinger der rechten behandschuhten Hand krümmte ...

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Anthelia sah Ben Calder durchdringend an, als er zusammen mit Patricia Straton im Weinkeller der Daggers-Villa apparierte. Schwindelig vom fast zeitlosen Sprung von Ort zu Ort knickten die Knie des Halbwüchsigen leicht ein. Patricia Straton stützte ihn, sodaß er die Führerin der Spinnenschwestern ansehen mußte.

"Aufruhr kommt über deine Heimatstadt. Der Machtgier verfallene Unfähige rotten sich zusammen und bedrohen euren Frieden", sagte die im umgewandelten Körper von bartemius Crouch Junior wiedererstandene Nichte Sardonias mit unheilverkündender Betonung. Ben grinste gehässig.

"Macht Ihnen das Angst?" Fragte er kühl. Anthelia schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht zu einem überlegenen Grinsen.

"Warum sollte es das? Die Unfähigen bekriegen sich seit Jahrhunderten und haben immer neue Mittel der Zerstörung hervorgebracht. Aber ich habe dich hergeholt, weil ich nicht will, daß du mir abhandenkommst. Dein Leben bietet mir viel neues Wissen, wertvoll für mich und meine heeren Ziele. Ich bitte mir aus, daß du dich weniger aufsässig zeigst, wenn du mit mir sprichst, Knabe."

"Ach, dann hatten Sie Angst, diese Rocker oder was die sind, könnten mich erschießen? Aber warum haben Sie dann auch Donna rausgeholt?"

"Weil sie für dich wichtig ist und ich nicht will, daß du den Halt in deiner Welt verlierst."

"Dann verwandeln Sie sie bitte zurück", sagte Ben nun sehr unterwürfig zu Anthelia.

"Sie schläft und wird in diesem Schlafe verharren, bis ich beschließe, euch aus meinem Reich zurückzusenden. Es wäre also nicht nötig, ihr ihren angeborenen Körper zurückzugeben."

"Sie sagten, Donna sei wichtig für mich. Ihr Vater ist wichtig für sie und meine Eltern sind für mich wichtig. Wollen Sie die auch in Katzen oder andre Tiere verwandeln und herholen?"

"Das wird nicht nötig sein. Denn du wirst bald zu deiner Mutter zurückkehren und Donna zu ihrem Vater. Zusammen werdet ihr die Stadt verlassen, mit einem dieser Maschinenkutschen, die ihr Autos nennt. Ich gebiete, daß du die deinen für mehrere Tage aus dem Bereich der Stadt fernhältst, bis meine Schwestern und ich erkundet haben, welche Pläne die Fremden ins Werk zu setzen trachten und worin diese Pläne gipfeln mögen. Widerstrebst du mir aufs neue, wie vorhin, werde ich dich abermals züchtigen müssen, Unfähiger. Schwester Patricia könnte auch von Mir das Geheiß erlangen, dich in eine andere Daseinsform zu wandeln, wenn du verstehst, was ich meine, Unfähiger."

"Dieses "Unfähiger" geht mir voll auf den Sack", dachte Ben Calder für sich. Unvermittelt spürte er heftige Schmerzen im Unterleib.

"Du bist, was du bist, Benjamin Jacob Calder, der du nach deinem Vater benannt wurdest. Derbheiten welcher Art auch immer ahnde ich auf der Stelle", hörte Ben Anthelias Geistesstimme in seinem Kopf sagen.

Patricia Straton verschwand, nachdem sie offenbar von ihrer Herrin einen Gedankenbefehl erhalten hatte. Ben war alleine mit Anthelia und den beiden Katzen, der schneeweißen und jener goldgelben, welche eigentlich ein blondes Mädchen namens Donna Cramer war und in Verzauberung und magischem Schlaf auf einem Kissen lag.

"Du hältst mich für unerträglich grausam, nicht wahr, Knabe?" Fragte Anthelia, kaum das die braunhaarige Hexe mit den grünen Augen verschwunden war. Ben nickte.

"Sie empfehlen sich nicht gerade, muß ich wohl sagen. Zumindest bieten sie mir das Bild einer echt bösen Hexe."

"Gut und Böse sind Deutungen von Sichtweisen. Wer hinter dem Gitter einer Kerkerzelle zubringt, wird als böse bezeichnet. Doch gleichsam widerfährt ihm böses, weil ihm die Freiheit verwehrt ist. Würdest du sagen, daß du immer gut warst?"

"Hmm, was meinen Sie damit?" Fragte Ben, der nicht wußte, was diese Frage sollte.

"Die Frage ist doch sehr einfach", erwiderte Anthelia und sah den von ihr zum Kundschafter in der Welt der magielosen Menschen verdammten Jungen sehr genau an. "Warst du immer gut zu anderen Lebewesen?"

"Nöh", sagte Ben, der wußte, daß er vor dieser Hexe nichts geheimhalten konnte. Immerhin hatte er sich mit anderen Jungen geprügelt, längst nicht alles getan, was ihm seine Eltern gesagt hatten und sich auch gerne über andere Leute lustig gemacht. Anthelia lächelte tiefgründig.

"Und du hast vom Fleisch vieler Tiere und von Teilen vieler Pflanzen gegessen, die auch deinetwegen sterben mußten. Für diese Lebewesen bist du doch auch als böse anzusehen, oder?"

"Wollen Sie mir jetzt einen Vortrag über die richtige Ernährung halten?" Erwiderte Ben trotzig.

"Nein, denn die Natur bestand vor jeden Anstandsregeln und wird auch noch bestehen, wenn jene, die sie aufstellten, ihrer Überdrüssig sind oder da selbst nicht mehr bestehen. Ich wollte dir lediglich vor Augen führen, daß die von Menschen erdachten Umschreibungen von Gut und Böse keine festgefügten Grundbegriffe sind, sondern immer nur für bestimmte Situationen oder Lebewesen zutreffen. Meine Ziele, die ich vorantreibe, werden dir als böse erscheinen, weil sie deine bisherigen Lebensweisen durchdringen und verändern. Doch meine Schwestern und ich betrachten das, was wir tun, als gut, weil es dazu dient, das wider die natürliche Ordnung gerichtete Mißverhältnis der Menschen zu der sie umgebenden Welt zu beheben. Die unerwünschte Anwesenheit jener, die dich bedrohten, offenbart die Rechtschaffenheit meines Wirkens. Will das Schicksal nicht die Selbstzerstörung der gesamten Menschheit, so muß eine erneuerung der alten Ordnung auferstehen, in der die mächtigen Frauen mit Kraft und Beharrlichkeit die Geschicke der Welt in gesunder Balance halten."

"Ach ja, und dazu haben Sie mir diesen Fluch angehext, der mich an Sie kettet?" Fragte Ben.

"Ohne diese Vorkehrung hätte dich schon längst der Tod ereilt, Knabe", erwiderte Anthelia mit einem überlegenen Lächeln. Ben empfand es zumindest als Aufwertung, nicht mehr "unfähiger" genannt zu werden. Aber warum erzählte ihm diese Hexe das? Was wollte sie von und mit ihm?

"Du dienst meinem Plan, Ben Calder. Du wirst dich für mich fürderhin als nützlich erweisen, wenn du im Eingedenk dessen handelst, was ich dir kundtue", sagte Anthelia laut als Antwort auf Bens nur gedachte Fragen.

"Ich könnte gut darauf verzichten. Warum haben Sie mir nicht einfach das Gedächtnis verändert, als ich Sie singen hörte?" Fragte Ben laut.

"Weil ich beschloß, einen Kundschafter in eurer Welt zu haben, der weiß, wozu er dient. Deshalb haben wir nicht in deine Erinnerungen eingegriffen", antwortete Anthelia.

Minuten des Schweigens vergingen. Ben dachte an seine Eltern, an Donnas Vater, der von diesen Gangstern bedroht wurde, daran, was diese Rockertypen in Dropout wollten.

Patricia erschien mit lautem Plopp und legte einen auf ein Zehntel seiner ursprünglichen Größe verkleinerten Menschen auf den Tisch: Mr. Roy Cramer.

"Ich kam noch rechtzeitig, um zu verhindern, daß dieser Mann von weiteren Unholden auf Krafträdern hinterrücks erschossen wurde. Er muß wohl viele von ihnen getötet haben. Er schläft, Benny", sagte Patricia, die Bens besorgten, ja angstvollen Blick auf die verkleinerte Gestalt des Eisenwarenhändlers geheftet hatte.

"Was haben die anderen getan, als Sie Mr. Cramer da rausgeholt haben?" Fragte Ben.

"Ich habe den Fluch der Niederwerfung gewirkt und allen, die mich sahen, das Gedächtnis genommen, welches sie an mein Eingreifen erinnert hätte. Sie werden in einigen Minuten erwachen und nicht mehr wissen, was sie eigentlich vorhatten", sagte Patricia Straton. Dann knallte sie Ben unmittelbar vor: "Sheriff Foggerty und sein Gehilfe sind getötet worden. Die Eindringlinge haben sich seiner entledigt. Offenbar wollen sie die Stadt unter ihre Kontrolle bringen."

"Wozu?" Fragte Ben.

"Das werden wir zu klären haben", sagte Patricia. Was befiehlst du, höchste Schwester?"

"Verharren wir hier. Ben wird derweil schlafen, bis wir ihn zu den seinen zurückschicken", gebot Anthelia und zog ihren silbriggrauen Zauberstab hervor. Ben wollte schon zur Seite springen. Doch eine unsichtbare Kraft hielt ihn fest. Er spürte, wie von dem magischen Stab eine Kraft auf ihn einströmte, die ihn immer schläfriger machte. Als er in einen tiefen Zauberschlaf hinüberglitt, verlor er den Halt und kippte nach hinten über. Patricia Straton fing ihn auf und legte ihn vorsichtig auf eine dicke weiche Daunendecke auf dem Boden.

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Die War Dragons fuhren auf ihren grünen Motorrädern durch Dropout und klopften an alle Haustüren. Mit vorgehaltenen Waffen zwangen sie die Leute, ihre Häuser zu verlassen und zu Fuß die Stadt zu verlassen. Mrs. Calder, die gerade aus der Kreisstadt fünfzig Meilen entfernt heimkehrte, wurde am Ortseingang von Dropout von schwer bewaffneten Motorradfahrern gezwungen, ihren Wagen zu verlassen und sich zu den übrigen 3000 Bewohnern der Kleinstadt zu begeben, die von mehreren Dutzend Mann mit Maschinenpistolen in Schach gehalten wurden. Sie fragte mehrmals, wo ihr Sohn Ben sei. Doch weder die Eindringlinge, noch die von ihnen aus der Stadt getriebenen Dropouter wußten darauf eine Antwort.

"Frau, wenn du nicht bald Ruhe gibst, stellen wir dich auf "aus"!" Drohte ein stämmiger Kerl in grüner Lederkleidung. Mrs. Calder schwieg, weil der Anblick der Maschinenpistole ihr klarmachte, daß sie Benny keinen Dienst erwies, wenn sie sich von diesen Leuten erschießen ließ. So war sie eine Gefangene, wie die anderen auch. Sie mußte mit ansehen, wie um die freie Fläche, auf der sie alle zusammengetrieben worden waren, runde Körper im Boden vergraben und irgendwelche Lichtschranken oder dergleichen aufgebaut wurden. Einer der Stadtbewohner, der unter Foggerty als Hilfssheriff arbeitete, versuchte eine Flucht. Sofort ratterte ein auf ein Stativ gesetztes Maschinengewehr los und jagte dem Flüchtenden mehrere Dutzend Kugeln in und durch den Leib. Wie ein nasser Sack mit häßlichen roten Löchern, aus denen das Blut nur so strömte, fiel der, der es gewagt hatte, der Gefangenschaft zu entfliehen, auf dem Feld hin und blieb liegen. Diese Warnung reichte aus, den Rest der aus der Stadt vertriebenen Bürger Dropouts einzuschüchtern, sowas nicht erneut zu versuchen.

"Mein Sohn ist noch irgendwo", flüsterte Mrs. Calder einer Nachbarin, die Mühe hatte, ihre zwei kleinen Kinder und den vierjährigen Golden Retriever ruhigzuhalten.

"Vielleicht ist er aus der Stadt fortgefahren, als die Gangster kamen", sprach die Nachbarin Mrs. Calder Mut zu. Doch Bennys Mutter glaubte das nicht so richtig. Dennoch wollte sie die andere Möglichkeit nicht an sich heranlassen, nämlich daß ihr Sohn schon nicht mehr lebte.

Kein Handy funktionierte. Die Bande hatte nicht nur die Stromversorgung unterbrochen, sondern vor allem den einzigen Sender für Mobilfunk in Dropout ausgeschaltet. Im Umkreis von zwanzig Meilen gab es keinen anderen Sender, der empfindlich genug für die Signale der Mobiltelefone gewesen wäre, um diese verstärkt weiterzuleiten.

"Vielleicht kommt die Staatspolizei, wenn Foggerty und die anderen Hilfssheriffs sich nicht mehr melden", hoffte Bäckermeister Barley, der in der Nähe von Mrs. Calder stand.

"Dann sollte sie sich beeilen", warf Metzger Bacon ein. "Diese Leute sind wie Militärs sehr gut eingespielt. Ich fürchte, die werden unsere Stadt zum Schlachtfeld machen, und ob wir danach noch Häuser haben, steht in den Sternen."

"Wie kommst du denn darauf, daß die Dropout als Schlachtfeld brauchen, Bruce?" Fragte Barley den Geschäftsnachbarn.

"Ganz einfach, weil die uns alle aus der Stadt rausgescheucht haben. Ich war in Nam, ich weiß, wie gut man ein Dorf oder eine Kleinstadt vermienen kann, um eine ganze Armeeeinheit auszuschalten. Diese Leute haben uns bestimmt nur deswegen hier zusammengetrieben und die Waffen aufgebaut, weil die die Stadt für sich haben wollen", erwiderte der Metzger. Keiner, der ihn hörte, widersprach ihm.

"Ja, aber die Cramers und mein Junge sind noch in Dropout!" Rief Mrs. Calder.

"Maggy, das wird dann wohl heißen, daß sie die noch herschaffen oder die schon tot sind", erwiderte Bruce Bacon eiskalt.

"Der Beruf färbt doch auf den Charakter ab", versetzte Mrs. Calders Nachbarin sehr ungehalten darüber, wie brutal Bacon diese Äußerung gemacht hatte.

"Leute, es bringt doch nichts, was falsches anzunehmen", verteidigte sich der Metzgermeister aus Dropout. "Wenn Benny, Roy und Donna noch lebten, wären die doch schon hier."

"Wenn sie nicht rechtzeitig die Kurve gekratzt haben, Bruce", warf Barley ein. "Man muß nicht immer gleich das schlimmste annehmen, nur weil es sich anbietet."

"Dann sage ich eben nichts mehr", gab Bacon verdrossen zurück und zog sich von Maggy Calder, ihrer Nachbarin und dem Bäcker zurück.

"Was ist bloß mit Benny passiert?" Fragte sich Maggy Calder wieder und wieder. Doch sie fand keine Antwort. Wenn man ihr gesagt hätte, was mit ihrem Sohn tatsächlich geschehen war, hätte sie es wohl nicht geglaubt.

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Wong Liu, der Technikspezialist der War Dragons, parkte den Nissan-Transporter mit dem elektronischen Kleinkram vor dem Sheriffbüro von Dropout. Feuerteufel Ruben Wallace war bei ihm und tätschelte ein Paket, das er mitgenommen hatte, um zu prüfen, wo man es am besten unterbringen sollte.

"Ruben, wie bauen wir die Fallen auf?" Fragte Wong. Der Sprengstoffexperte der Dragons sah sich um und entschied dann, die schwerste Ladung im Stadtzentrum am kleinen Rathaus unterzubringen.

"Wollen wir nicht sehen, ob noch was in der Bank ist, wo unsere Jungs die Leute da rausgejagt haben?" Fragte der Feuerteufel mit verschmitztem Grinsen.

"Der Japaner hat gesagt, daß wir die Fallen aufbauen sollen. Schon schlimm genug, daß wir in dieser bedeutungslosen Stadt mit den Rattlesnakes kämpfen sollen, wo wir sie besser in den Schluchten Arizonas hätten abfangen können. Ich verstehe diesen Kerl nicht, was den hier in dieses Nest zieht."

"Seine Perle wollte das so, Liu", knurrte Ruben Wallace. Er verstand seinen chinesischen Partner. Tsunami mochte geniale Ideen gehabt haben. Aber jetzt in einer Kleinstadt Sprengfallen aufzubauen und sich auf einen Guerillakampf einzulassen, erschien dem Feuerteufel völlig von der Rolle. Er hätte es am liebsten so gemacht, daß man die Feinde, die Red Rattlesnakes, in Bergschluchten gelockt und dort mit Sprengkörpern unter Steinlawinen begraben hätte. Denn Sprengfallen an Häuser anzubringen barg viele Risiken. Ein Fehlgriff konnte den Mechanismus zu früh zünden.

Wong fragte sich immer, was er eigentlich in dieser Bande zu suchen hatte. Sicher, Tsunami und er waren in den Staaten geboren worden und aufgewachsen. Aber er wußte, daß seine Großeltern von den Großvätern Tsunamis beim Einmarsch der Japaner in China verschleppt und gefoltert worden waren. Er hatte es durch einen Zufall rausbekommen, als er das Bild Tsunamis, der eigentlich Naoki Shimada hieß, in einem Bericht über den japanischen Einmarsch in China gesehen hatte, als er im Internet nach den Ursprüngen seiner Ahnenlinie geforscht hatte. Doch weil er schon zu lange in der Bande war, hatte er sein Wissen tunlichst für sich behalten. Doch seit diesem Tag, an dem er erfahren hatte, was Tsunamis Großväter getan hatten, hoffte er auf eine Gelegenheit, den Enkel der Peiniger seiner Großeltern auf einem falschen Fuß zu erwischen, ja dachte sogar daran, ihn in einen Hinterhalt zu locken. Doch das würde sofort auf ihn zurückfallen, und die anderen japanischstämmigen Mitglieder der Bande würden ihn umgehend abmurksen. Er sehnte sich nach Vergeltung, war aber nicht so dumm, das zu zeigen, um nicht von einem der zehn Ninjas Tsunamis abgeschlachtet zu werden. Außerdem war da die schwarze Hexe, die der Japaner an seiner Seite hatte. Sie konnte wahrhaftig zaubern, hatte er mehrmals mit ansehen dürfen. Ihren Zorn durfte er sich nicht zuziehen, denn verflucht zu werden war auch kein Ziel, für das eine offene Racheaktion sich gelohnt hätte. Doch vielleicht konnte Wong ja ganz dezent aus der Bande verschwinden, falls sich die Entscheidungsschlacht mit den weißen Teufeln von den Red Rattlesnakes zu Ungunsten der War Dragons auswirken würde.

Vom Sheriffbüro aus montierte er Lichtschranken und Geschwindigkeitsmessgeräte an den Häusern, so, daß sie nicht gesehen werden konnten. Die Lichtschranken basierten auf Infrarotlicht und würden von Ruben eingeschaltet, wenn alle Fallen angebracht und die Stadt völlig geräumt worden war.

Eine schneeweiße Katze huschte zwischen den Häusern entlang. Wong sah das schöne Tier mit erhobenem Schwanz graziös durch einen Vorgarten eilen und erhaschte für eine Sekunde den Blick zweier tiefgrüner Augen, die ihn sehr interessiert zu mustern schienen.

"Lauf rum, solange wir dich lassen", dachte Wong und lächelte böse. Auf Tiere, die nicht mit ihren Menschen aus der Stadt verschwinden wollten, wollte er bestimmt keine Rücksicht nehmen.

Er hörte einen kurzen scharfen Knall und riß seine Automatikpistole heraus, weil er dachte, jemand hätte geschossen und würde gleich um die nächste Ecke kommen, um ihm Kugeln um die Ohren zu jagen. Doch was immer es war, er konnte nichts bedrohliches erkennen.

"Hast du das auch gehört, Ruben?" Fragte Wong den Feuerteufel, der aus dem Transporter eine weitere Sprengladung holte und die Verkabelung überprüfte, mit der sie an die elektronischen Auslöser angeschlossen werden sollte.

"Klang wie 'ne Fehlzündung von einem Auto. 'n Schuß war's auf jeden Fall nicht, Liu. Kannst die Knarre wieder einpacken."

"Wo soll denn hier noch ein Auto herumfahren?" Fragte Wong und kramte in seinem Rucksack, wo er ein Fernglas verstaut hatte. Er holte es hervor und suchte damit die Gegend ab. Dabei fielen ihm drei Leute ins Auge, ein Mann, ein Junge und ein Mädchen.

"Eh, Ruben, da sind noch welche!" Rief er. Der Feuerteufel hantierte an seinem Funkgerät und sagte denen, die die Stadt nach vergessenen Leuten absuchten Bescheid. Keine zwei Minuten später kreuzten zehn Motorräder auf und umzingelten die drei Figuren, die Liu gesehen hatte.

"Wo kamen die denn jetzt her?" Fragte der chinesischstämmige Elektronikspezialist die Bandenmitglieder.

"Die sind aus einem Lieferwagen gekommen, wo die sich versteckt haben. Wollten damit türmen. Aber der Motor ist denen abgesoffen, und deshalb sind die losgelaufen, um zu kucken, ob sie ein anderes Auto nehmen könnten", kam eine Antwort über Funk.

"Achso", lachte Wong. "Dann schafft die Typen zu den anderen draußen hin!"

"Klar doch, Wong. Tsunamisan hat das schon so angeordnet", kam die Antwort zurück.

"Hoffentlich waren das die letzten, die sich hier noch rumdrücken. Wer in einer Stunde noch hier ist, geht hops, wenn wir die Anlage anwerfen", sagte Ruben. Er sah dabei nicht besonders zufrieden aus. Denn die Sprengfallen, die bei Annäherung mit mehr als 16 Stundenkilometern oder bei dem Versuch, Haustüren zu öffnen losgehen würden, waren für die Rattlesnakes gedacht. Ruben und Liu hatten die Ladungen so platziert, daß jede für sich keine Kettenreaktion auslösten aber ein fast undurchlässiges Netz von Todesfallen bildeten, die bestimmt einige hundert Mann ins Jenseits befördern würden, wenn Ruben die magische Schaltung mit seiner Fernbedienung gemacht und alles auf scharf gestellt hatte.

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Ben war der einzige, der bei vollem Bewußtsein mitbekommen hatte, wie Patricia Straton und Anthelia mit ihm und den Cramers aus der Villa in die Nähe eines geparkten Lieferwagens appariert waren. Irgendwoher hatte die Oberhexe erfahren, daß man hier unbeobachtet von den Mitgliedern der Bande ankommen konnte. Sie schärfte Ben noch ein, zu erzählen, daß sie versucht hätten, mit dem Lieferwagen zu verschwinden, es aber wohl nicht geklappt hätte. Donna und ihr Vater erlangten ihre ursprüngliche Gestalt zurück, wurden mit merkwürdigen Zaubern behandelt und erst dann wach, als die beiden Hexen sich wieder in Luft aufgelöst hatten. Seltsam für Ben war, daß die Cramers davon ausgingen, die ganze Zeit an diesem Lieferwagen herumgespielt zu haben, um damit die Stadt zu verlassen. Roy Cramer schlug vor, sich einen anderen Wagen zu suchen. Donna stimmte zu. Auch Ben war davon überzeugt, sich möglichst einen fahrbaren Untersatz zu besorgen, um aus der wie ausgestorben daliegenden Stadt zu verschwinden, bevor die Bande, die hier eingefallen war, sie noch erwischte.

Offenbar waren sie aber nicht unbeobachtet geblieben, als sie die Straßen nach einem leicht zu knackenden Auto absuchten. Von irgendwo her tauchten plötzlich zehn Kawasaki-Motorräder auf, umzingelten die drei Dropouter. Die Fahrer der Maschinen, alle in der grünen Lederkluft mit dem roten Drachenkopf auf dem Rücken, zwangen die drei unbescholtenen Bürger, mit ihnen die Stadt zu verlassen und zu einem Platz zu fahren, wo die anderen warteten. Roy Cramer fragte, was hier überhaupt los sei, bekam aber statt einer Antwort einen Schlag mit einem Pistolenkolben auf den Rücken.

"Das hat euch nicht zu jucken, was hier abgeht. Ihr macht euch raus hier und laßt uns hier unseren Job machen, wenn ihr nicht krepieren wollt! Klar?" Raunzte einer der zehn Motorradfahrer Roy Cramer an. Dieser verzichtete auf weitere Fragen. Widerstandslos, wie Anthelia es von Ben verlangt hatte, ließ dieser sich mit seiner Freundin und ihrem Vater aus der Stadt bringen. Sie saßen auf den Soziussitzen dreier Maschinen, verfolgt und genau beobachtet von den sieben anderen Gangstern, zu keiner schnellen Aktion fähig.

Ben sah das freie Feld außerhalb von Dropout, wo sich alle Bewohner der Kleinstadt zusammendrängten. Er sah auch einige Dutzend von diesen Drachenleuten, die das Feld umstellt hatten. Einer der Bande meldete wohl die drei Nachzügler an, denn von den Wächtern kamen zwei herüber und geleiteten die Kolonne bis zum Feld, wo sie zwischen zwei verdächtig frischen Erdhügeln durchgeführt wurden. Kaum waren die Cramers und Ben an den Hügeln vorbei, zogen sich die Motorradfahrer wieder zurück. Einer rief noch:

"Die hügel sind Annäherungsminen. Wer jetzt noch mal dran vorbei will, lernt fliegen." Ben nahm ihm das ohne weiteres ab. Was immer diese Leute bis jetzt getan hatten, war sehr genau durchgeplant worden, wußte er von Anthelia.

"Ben!" Rief Bennys Mutter aufgeregt und doch über alle maßen erleichtert, ihren Sohn noch lebendig und unverletzt wiederzusehen. Ben lief zu seiner Mutter hinüber und umarmte sie innig.

"Gut, daß dir nichts passiert ist, Mom. Ich habe schon gedacht, die hätten euch alle umgenietet", sagte Benjamin Jacob Calder Junior. Dann erzählte er seiner Mutter, daß er mit den Cramers zusammen hatte abhauen wollen, als die Bande die Stadt durchstrolcht hatte, wie Anthelia es ihm aufgetragen hatte, um seine wahren Erlebnisse nicht ausplaudern zu müssen.

"Bacon glaubt, die wollen in unserer Stadt Krieg führen", flüsterte Maggy Calder ihrem Sohn zu. Dieser nickte.

"Ich habe einen Chinesen und einen Schwarzen mit irgendwelchen Ladungen herummachen gesehen, Mom. Ich denke, die verminen die ganze Stadt."

"Ja, aber wozu?" Fragte Mrs. Calder.

"Was weiß ich, Mom. Vielleicht haben die sich hier mit irgendeiner feindlichen Bande verabredet", flüsterte Ben. "Aber wieso die sich hier treffen, weiß der Teufel."

"Den mal besser nicht an die Wand, Junge. Wenn die Dropout zum Kampfplatz machen, sieht das nicht gut für uns aus", sagte Bens Mutter mit besorgter Miene.

"Und die halten uns hier auf diesem Feld fest? Wollen die uns etwa nach dem Kampf wieder abrücken lassen?" Fragte Ben. Seine Mutter wußte keine Antwort darauf.

"Im Moment können wir hier nicht weg. Cliff Johnson hat versucht, abzuhauen und wurde von einem dieser Maschinengewehre da drüben förmlich durchsiebt. Die haben den einfach niedergemäht", sagte Mrs. Calder mit Angst und Verzweiflung in der Stimme. Benny wurde es ganz anders, als er das hörte. Offenbar wollten diese Kerle sich nicht von irgendwem reinfuhrwerken lassen. Was würde Anthelia da bloß gegen tun? Würde sie dem einfach so zusehen und warten, wer am Ende übrig blieb, oder würde sie sich einmischen? Er wußte es nicht.

"Was machen eigentlich die, die aufs Klo müssen oder die ganzen Babys hier neu wickeln müssen?" Fragte Benny. Seine Mutter deutete auf ein Gebüsch, das die Bandenmitglieder als Freiluftklo bezeichnet hatten. Benny dachte, daß er sich wohl jedes Bedürfnis irgendwie verkneifen würde. Auch war ja wohl nicht daran gedacht worden, den Leuten was zu essen zu geben. Entweder würde, was immer passierte, in den nächsten Stunden oder Tagen laufen, oder man würde sie doch noch alle umbringen, überlegte sich Ben leise. Er wußte, daß Anthelia das bestimmt mithören würde, bekam aber keine telepathische Antwort von ihr, was sie davon hielt.

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Phase eins, die Verminung Dropouts, war nach zwei Stunden abgeschlossen. Es waren keine weiteren Leute mehr gefunden worden, und so zogen sich die Dragons aus der Stadt zurück. Ruben Wallace, der mit Wong Liu jede einzelne Ladung und Auslösevorrichtung doppelt überprüft hatte, grinste verschmitzt und meldete über Funk:

"Ihr könnt den Strom jetzt wieder anwerfen, Leute! Ich stelle unsere Babys gleich scharf. Dann können die Rattlesnakes kommen."

"Klar, Feuerteufel", kam über Funk eine Antwort von den Bandenmitgliedern aus dem Wasserkraftwerk zurück. Keine zehn Sekunden später leuchteten alle Schaufenster und Verkehrsampeln in Dropout wieder auf. Kühlschränke und Tiefkühltruhen sprangen rumpelnd an, um die angestiegenen Temperaturen wieder zu senken. Doch davon bekamen die meisten Mitglieder der Drachenkopfbande nichts mit, weil sie sich außerhalb der Stadt verteilten, um möglichst nicht alle auf einem Haufen erwischt zu werden, wenn ihre Erzfeinde anrückten.

"So, Chinamann! Jetzt kommt die Stunde der Wahrheit", sagte der Feuerteufel und holte eine klobige Fernsteuerung hervor, die er an eine zwei Meter hohe Antennenanlage anschloß. Wong Liu lächelte zuversichtlich.

"Meine Vorrichtungen sind ordentlich eingestellt, schwarzer Mann. Wenn du die Programmierung aufrufst, wird alles, was sich an ihnen zu schaffen macht oder schneller als mit sechzehn Stundenkilometern an ihnen vorbeizukommen versucht, in die Luft gejagt. Außerdem kannst du ja jede einzelne Falle per Fernimpuls auslösen, wenn jemand nicht diese Spielregeln einhalten will oder gerade viele von diesen Dreckskerlen zusammensind, sodaß es sich voll lohnt."

"Außerdem habe ich die schnuckeligen Napalmladungen gleichmäßig verteilt. Wenn wir die nicht alle mit den Mienen und den MGs kriegen, fackel ich halt die ganze Stadt nieder. Die Rattlesnakes bilden sich was auf ihre Militärtechnik ein. Ich tu das auch", sagte Ruben und schaltete an der Fernsteuerung herum. Radiosignale erreichten darauf eingestellte Empfänger und ließen voreingestellte Programme anlaufen. Die Infrarotlichtschranken bauten sich auf, die Zünder stellten sich scharf. Über die ganze Stadt verteilte Sprengfallen lauerten nun auf ihre Opfer. Dropout war zum Krieg gegen die Rattlesnakes bereit.

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Durch die grünen Augen der weißen Katze, die unbehelligt unter den Lichtschranken der angebrachten Sprengfallen hindurchlief, beobachtete Patricia Straton, was sich in Dropout tat. Mit den empfindlichen Ohren des Tieres vernahm sie jedes weit entfernte Geräusch. Sie hörte das Summen der wieder unter Strom gesetzten Umspanner, das Rauschen angesprungener Klimaanlagen und das Klicken der Relais in Verkehrsampeln, die ungeachtet, daß niemand mehr in Dropout unterwegs war, von Rot auf Grün umsprangen und wieder zurück von Grün auf Rot. Die Katze stromerte wie beiläufig durch die Futtermeile von Dropout, wanderte durch die verlassene Hauptstraße, vorbei an geparkten Autos und verlassenen Häusern. Diese fremden Leute, die auf grünen Motorzweirädern gekommen waren, hatten alle dreitausendvierundzwanzig Bewohner aus ihrer Stadt vertrieben und auf einem Feld weit davon entfernt zusammengepfercht, wie eine Herde dummer Schafe.

"Zieh dich aus ihrer Sinneswelt zurück, Schwester Patricia! Wir müssen uns auf unseren Treffpunkt konzentrieren!" Hörte Patricia in Gedanken die Stimme Anthelias. So zog sich die braunhaarige Hexe aus der Wahrnehmungswelt der weißen Katze zurück und fand sich im Weinkeller der Daggers-Villa, wo sie mit Anthelia, der höchsten Schwester, ausharrte.

"Hast du den betäubten Muggel verhört, Höchste Schwester, um ihn auszuhorchen, was dieser ganze Irrsinn überhaupt soll?" Fragte Patricia Straton, die ihre Hoffnung, jemanden zu diesen Vorfällen befragen zu dürfen nicht verhehlen konnte.

"Ja, das habe ich. Es genügt, um jemanden in das Lager dieser sogenannten War Dragons hinüberzusenden", sagte Anthelia.

"Soll ich das unternehmen, höchste Schwester?" Fragte Patricia leicht beklommen.

"Das soll Schwester Izanami tun. Wie ich mitbekommen habe, sind die meisten Männer aus dieser Gruppe Abkömmlinge ihres Volkes, die einst in diesem Land geboren wurden", antwortete Anthelia. Patricia nickte beipflichtend. Izanami Kanisaga, die japanische Mitschwester des Ordens der Spinne, würde sich freuen, herauszufinden, was hier überhaupt gespielt wurde.

Es knallte laut, als eine Frau in weißer Kleidung im Weinkeller der Daggers-Villa apparierte. Sie sah Patricia Straton sehr ähnlich, nur daß sie tiefgrüne Augen ohne den leichten Graustich besaß.

"Hallo, Mutter und Schwester", begrüßte Patricia die Hexe freudig. "Weißt du, was diese Muggel mit der Stadt vorhaben?"

"Sie haben Fallen gestellt, die durch starke Explosionen jemanden töten sollen. Ich konnte sehen, wie ein dunkelhäutiger Mann die Sprengstoffladungen vorbereitete", sagte die gerade erst eingetroffene Hexe, Pandora Straton, Patricias Mutter. "Ist der Junge mit seiner Freundin gut in diesem Pferch angekommen?" Fragte sie Anthelia zugewandt. Diese nickte.

"Die Unfähigen dort vermuten, daß die Stadt zum Schauplatz einer Schlacht werden soll. Offenbar treffen hier zwei rivalisierende Banden aufeinander", sagte die Führerin des Spinnenordens. Sie sah dabei so aus, als wüßte sie nicht, was sie davon zu halten habe. Denn einerseits war es ihr gleichgültig, ob sich irgendwelche Banden bekriegten. Andererseits wollte sie nicht, daß Ben Calder seine sichere Umgebung verlor.

"Kannst du ausfindig machen, wo sich der Anführer der Fremden aufhält, Schwester Pandora?" Fragte Anthelia. Pandora Straton schüttelte den Kopf.

"Was ich mitbekam reicht nicht aus, ihn zu finden, da er sich mit seinen Untergebenen über dieses Fernsprechverfahren namens Funk verständigt. Wo genau diese Funkbefehle herkommen, kann ich so nicht herausfinden. Wir müßten uns einen von der Bande fangen, um herauszubekommen, was wir wissen wollen. Haben wir eigentlich noch etwas von dem Trank, Tochter und Schwester?" Patricia der der Blick ihrer Mutter galt, sagte:

"Ich habe noch einen ganzen Kessel davon vorrätig, Mutter und Schwester. Aber diesmal möchte ich nicht davon trinken, falls die höchste Schwester dies nicht ausdrücklich befiehlt."

"Das wird keine von euch tun müssen, Schwester Patricia. Schwester Izanami wird sich in die Bande einschleichen, um zu erfahren, was wir wissen wollen", sagte Anthelia.

Eine Stunde später traf die japanische Hexe Izanami Kanisaga im Hauptquartier des Spinnenordens ein. Sie ließ sich berichten, weshalb man nach ihr geschickt hatte und willigte ein, sich in das Lager der Bande einzuschleichen, um mehr herauszufinden. Als sie alle Instruktionen entgegengenommen und verstanden hatte, disapparierte sie aus dem Keller der Daggers-Villa.

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Greenskull und Rhonda Lurker saßen wieder im rollenden Kommandostand ihrer Kampftruppe. Clint Waringer, der Techniker und Sabotagespezialist, hatte dem Chef der Red Rattlesnakes eine Liste mit riskanten Geländeformationen übergeben. Greenskull hatte daraufhin zwanzig Leute losgeschickt, die als Kundschafter das Gelände überprüfen sollten. Sie führten kleine Videokameras mit Intervallsendern mit, die alle zwanzig Sekunden in hundertfacher geschwindigkeit die Aufnahmen der letzten zwanzig Sekunden an das rollende Befehlszentrum übertrugen. Waringer hatte diese Technik vor einem Jahr von Militärspezialisten der Armee abluchsen können, ohne das die Armee was davon mitbekommen hatte. So war es möglich, ständigen Bildkontakt mit dem Rest der Bande zu halten, ohne von Funkpeilgeräten aufgespürt zu werden, weil die Sendefrequenzen sich bei jedem Durchlauf neu einstellten, nach einem vorprogrammierten Muster, auf das der Empfänger eingerichtet werden konnte. Hinzu kam noch, daß die zwanzig Mann auf besonders leisen Motorrädern fuhren, deren Lärm durch Dämmstoffverkleidungen und Schalldämpfern in den Auspuffrohren auf ein Zehntel verringert wurde. Zwar konnte man mit diesen Maschinen nicht schneller als das gesetzliche Tempo von 88 Stundenkilometern erreichen, um die Lärmdämmung nicht zu überhitzen, aber für Späher war das nicht so wichtig, da sie ohnehin ja darauf achten mußten, nicht erwischt zu werden.

George William Saunders II., wie Greenskull seit seinem Ausstieg aus dem geordneten Leben seiner Familie nicht mehr genannt werden wollte, bewunderte die technische Raffinesse, mit der Waringer seine Spielsachen einsetzte.

"Warum wollten die von den Marines dich nicht haben, Clint?" Fragte Greenskull mit bewunderndem Blick auf die fünf großen Monitoren, die jeder für sich in vier Bildausschnitte eingeteilt alle zwanzig Kameraeindrücke widergaben.

"Mein Mangel an Unterordnung, Boss", sagte Clint Waringer verächtlich. "Jemand, der meine Fähigkeiten nicht richtig würdigen kann, hat von mir nichts zu erwarten."

"Ja, da sind wir ja froh, daß wir dich haben", warf Rhonda Lurker gehässig ein. Wie Clint Waringer hielt sie sich schön klein, wenn der Boss in Hörweite war. Aber sie dachte auch nicht selten daran, ob es nicht irgendwann an der Zeit sein mochte, sich von ihm abzusetzen. Sicher, sie war nun zehn Jahre mit diesem Mann zusammen, hatte mit ihm Freude und Leid geteilt, seinen Aufstieg zum Anführer einer gefürchteten Bande gefördert und davon viel gehabt. Aber sie wußte auch, daß ein winziger Fehler in den Plänen des Bosses verheerende Folgen haben würde, und der Kriegszug gegen die War Dragons mochte dieser Fehler sein.

Es wurde schon dunkel. Langsam verschwammen die Farben auf den Videobildern. Clint schaltete an einem Computer herum, der mit dem Videoempfänger und den Monitoren verbunden war. Alle Farben verschwanden, dafür wurden die Bilder jedoch wieder schärfer.

"Die Drachenköpfe können wir auch in Schwarz-weiß erkennen", sagte Clint. Greenskull nickte, wenngleich er erst nicht recht wußte, ob er dem Technikspezialisten nicht was erzählen sollte, was dem einfiel, einfach an der Anlage rumzuspielen.

So um elf Uhr abends erreichte Rob Reinards, einer der zwanzig Späher, das südliche Umland von Dropout. Die auf dem Lenker seiner schweren Harley montierte Kamera nahm eine menschenleere Straße auf, deren Laternen alle zwanzig Meter gelborange Lichtkreise auf den Asphalt malten. Keiner außer ihm war unterwegs auf diesen Straßen. Er griff zu seinem Handy und wollte seinen Boss anrufen, um ihm zu melden, wo er gerade war. Doch er bekam überhaupt kein Freizeichen. Offenbar war er hier in einem Funkloch, von wo aus er keine Handy-Signale bekommen konnte.

"Scheiß Provinznest!" Fluchte er. Er fuhr weiter und suchte sich einen Weg, um die kleine Stadt einmal umrunden zu können. Über einen Feldweg gelangte er an den Westrand von Dropout, wo ein rotes Glimmen in der Dunkelheit seine Aufmerksamkeit erregte. Er fuhr darauf zu und dachte sich, daß die Kamera auf der Lenkstange das Bild aufnehmen und weiterfunken würde. Als er näherkam, erkannte er zwei große Krater im Boden, über denen starker Qualm hing, zwei zerfetzte und total ausgebrannte kleine Häuser, sowie verkohlte Baumreste, die in einem Umkreis von hundert Metern das Trümmerfeld umringten. Er hielt an, um sich das ganze näher zu besehen ...

Da traf ihn etwas hart im Rücken und warf ihn über den Lenker seiner Maschine nach vorne. Die Kamera riß von ihrer Halterung ab und baumelte für eine winzige Zeitspanne an einem Kabelstrang vom Motorrad herunter, bis ein gezielter Pistolenschuß sie komplett und wohl für alle Zeiten ausschaltete.

Von links und rechts stürzten sich zwei Männer auf Rob und packten ihn. Es dauerte keine halbe Minute, da war er wie ein Postpaket verschnürt und in einen Japanischen Kleintransporter verladen worden, der unverzüglich losfuhr.

Im rollenden Kommandostand der Rattlesnakes sahen Greenskull, Rhonda und Clint, wie übergangslos das Kamerabild verwackelte und dann endgültig ausfiel.

"Die haben den. Wieso konnten die sich anschleichen, ohne daß Rob das mitbekommen hat?" Fragte Greenskull.

"Die Tanke, die da zuletzt zu sehen war, wird ihn wohl voll beschäftigt haben, Boss. Wahrscheinlich haben die Drachenköpfe die hochgejagt, um Leute abzulenken", sagte Clint Waringer vorsichtig.

"Wo war Rob, als das passiert ist?" Fragte Rhonda Lurker.

"In der Nähe einer Kleinstadt namens Dropout", sagte Clint, der die abgesprochenen Routen der Späher im Computer hatte und schon nachprüfte, wo Rob Reinards wohl die nächste Ansiedlung mit Tankstelle hätte antreffen können. Bei der Erkenntnis, daß Rob in der Nähe von Dropout offenbar abgefangen worden war, verspürte er ein gewisses Unbehagen. Immerhin war Dropout Mississippi ja einer der Orte gewesen, die seine heimliche Nachforschung nach Orten mit dunkler, magischer Vergangenheit ergeben hatte. Offenbar war da doch mehr dran, als er sich erst hatte vorstellen mögen.

"Wieso hat Rob nicht über Handy versucht, uns anzurufen?" Fragte Greenskull.

"Hmm, muß ich noch rauskriegen, Boss", erwiderte Clint Waringer und fragte, ob er versuchen sollte, Rob über Handy zu erreichen. Greenskull dachte einige Sekunden nach. Wenn man den Späher erwischt hatte, war sein Handy in den falschen händen. Wenn es dann klingelte, würde jemand darauf die Rufnummer ablesen, von der aus es angewählt worden war. Doch Clint wußte damit sehr gut Bescheid, wußte Greenskull. Also erlaubte er, Robs Handy anzurufen. Clint nahm ein vor einigen Monaten gestohlenes Handy und wählte die Nummer, über die Rob zu erreichen sein sollte. Er bekam die Nachricht, daß zu diesem Teilnehmer derzeit keine Verbindung hergestellt werden könne.

"Der ist nicht zu erreichen, Boss. Ich checke mal, ob in Dropout überhaupt ein Sender steht", sagte der Techniker und tippte schnell etwas in einen Computer ein, der über ein Mobilfunkmodem mit anderen Rechnern verbunden werden konnte. Er fragte an, ob Dropout ans Mobilfunknetz angeschlossen war und erfuhr sogar die Testnummer des Senders. Über ein vor kurzem von ihm entschlüsseltes Programm testete er die Bereitschaft der Mobilfunksender, indem er sich als Telekommunikationstechniker ausgab. Nach einer Minute kam die Antwort über diverse Zwischenstationen zurück, daß der Mobilfunksender in Dropout offenbar defekt war, da die Testsignale nicht beantwortet wurden.

"Der Mobilfunksender ist tot, Boss. Innerhalb von zwanzig Kilometern um den herum kann niemand mit dem Handy telefonieren. Soll ich mal wen in Dropout anrufen, um zu sehen, ob das Festnetz geht?" Fragte Clint. Greenskull fragte, was das bringen sollte, nickte dann aber, weil ihm wohl die Antwort einfiel.

"Willst du wissen, ob überhaupt was telefonisches geht, Clint?"

"Yep, Boss", erwiderte Waringer und legte eine CD-ROM in seinen Computer ein, deren Hülle mit "Telefonverzeichnis des Staates Mississippi" gekennzeichnet war. Er suchte sich eine beliebige Nummer heraus und wählte sie, wobei er erst mit dem Mobilfunksender einen Empfänger für das Festnetz in der Umgebung anwählte, der dann versuchte, die gewünschte Nummer anzuwählen. Doch schon der erste Versuch schlug fehl.

"Da geht auch nichts mit dem Festnetz, Boss. Wer immer die Tanke hochgejagt hat, hat die ganze Stadt von allen Telefonverbindungen abgeschnitten. Würde mich nicht wundern, wenn das nicht unsere speziellen Freunde sind."

"Wozu, Clint. Wieso sollten die diese Stadt lahmlegen?" Fragte Greenskull.

"Weil die da eingerückt sind, Skully", erwiderte Rhonda Lurker schlagfertig. "Wenn dieser Tsunami und seine Bande sich dort festsetzten, wäre es dumm, die Telefonnetze in Ruhe zu lassen. Die Polizei dort könnte Verstärkung rufen oder irgend jemand könnte andere Leute anrufen und sagen, daß da eine Horde grüner Reisbrenner aufgetaucht ist. Immerhin ist das ja 'ne Kleinstadt."

"Ja, aber wenn die in diesem Kaff keiner anrufen kann werden die wohl auch nicht lange ruhig da rumhängen können", wandte Greenskull ein.

"Ja, aber nur, wenn wem auffällt, daß da niemand mehr zu erreichen ist. Für einen bis zwei Tage dürften die unbehelligt sein", warf Clint ein.

"Die werden sie nicht kriegen", sagte Greenskull. "Ich denke mal, die wissen nicht, daß du alle Telefonnetze abklappern kannst. Diese Stillegungsaktion war ihr Fehler. Jetzt wissen wir, wo die gerade sind. Aber wir wissen nicht, wieviele von denen da rumhängen. Mist, das wir keinen Hubschrauber haben, um dieses Dropout mal zu überfliegen."

"Was machen wir jetzt, Boss?" Fragte Clint, obwohl er sich selbst schon Gedanken gemacht hatte.

"Noch zwei Erkundungstrupps losschicken um zu sehen, wo genau die in Dropout herumhängen", legte Greenskull fest. Clint nickte. Dem Boss jetzt zu sagen, daß er eine bestimmte Ahnung hatte, warum die in Dropout die Telefonnetze lahmgelegt hatten, wollte er nun noch nicht.

Die übrigen Kundschafter konnten keine Spur von den War Dragons finden. Zwischendurch meldeten sie ihre Standorte oder nahmen zur Bestätigung einfach die Autobahn- oder Ortsschilder mit den Videokameras auf. Als Greenskull ihnen befahl, zurückzukommen, wurden die Kameras ausgeschaltet. Nun erwartete der Boss keine weiteren Anrufe von den ausgeschickten Kundschaftern mehr. Als dann doch das Telefon läutete, sah er sehr verdutzt drein. Clint las sofort das Display ab, das die Nummer des Anrufers zeigte und tippte die Nummer schnell in den Computer, auf dem gerade das Telefonbuch-Programm für Mississippi lief. Es war jedoch eine Mobilfunknummer, und so legte der Techniker eine CD-ROM ein, die speziell Handy-Nummern enthielt und fragte die Nummer ab, während Greenskull den Hörer abnahm und "ja" hineinsprach.

"Verzeihung für die ungebührlich späte Störung", meldete sich über Lautsprecher für alle Hörbar eine glockenhelle Männerstimme, "spreche ich mit dem ehrenwerten Mister Saunders, der sich auch als Greenskull zu erkennen zu geben pflegt?"

"Wie?! Wer ist das?" Bellte Greenskull ins Telefon, sodaß es durch Hörer und Lautsprecher eine hohl pfeifende Rückkopplung gab.

"Ich erlaube mir, diese Antwort als "Ja" zu erkennen. Gut! Mein werter Name lautet Tsunamisan, der leitende Direktor der War Dragon Company, eines Ihnen wohl sehr geläufigen Unternehmens."

"Krieg raus, wo das herkommt, Clint!" Flüsterte Greenskull hastig, wobei er die Sprechmuschel des Hörers zuhielt

"Wenn Sie gedenken, den Standort meiner erlauchten Person von Ihrem Sachverständigen, Mr. Waringer herausfinden zu lassen, hoffe ich, Ihre Laune nicht über die Maßen zu verschlechtern, wenn ich Ihnen mitteile, daß dies unnötig ist, da ich ohnehin mitteile, wo Sie mich und meine Mitarbeiter antreffen können. Es gilt nämlich, einen bedauerlichen Konflikt, der zwischen Ihrer Firma und der meinen entfacht wurde, möglichst bald zu beenden. Ihr Unterhändler, den Sie ausschickten, um uns zu kontakten, erlitt einen bedauerlichen Unfall, bevor er mit uns sprechen konnte und verstarb an dessen Folgen. Ich bedauere dieses Vorkommnis und biete Ihnen eine großzügige Entschädigung an, sofern Sie Zeit und Interesse haben, die zwischen unseren Unternehmen entstandenen Friktionen zu beheben ..."

"Quatsch nicht so geschraubt und heuchlerisch, Reisbauer! Wo hast du und deine Schwarz-gelbe Affenbande dich eingenistet?!" Brüllte Greenskull unbeherrscht in den Hörer und verursachte eine erneute Rückkopplung.

"Sie sollten entweder Ihre Stimme oder die Lautstärke ihrer Mithöranlage dämpfen, Mr. Saunders", erwiderte die Stimme am anderen Ende mit berufsmäßiger Freundlichkeit. "Sie haben also Zeit und Interesse? So kommen Sie im Verlauf des morgigen Tages nach Dropout im Staate Mississippi, wo ich Sie vor dem Büro des dortigen Ordnungshüters erwarte. Es steht Ihnen frei, Mitglieder belibiger Zahl Ihres Personals zu diesem Treffen mitzubringen. Wenn Sie vor Ort sind, verhandeln wir über die Entschädigung für den bedauernswerten Boten und die Beilegung des offenen Konfliktes zwischen Ihnen und uns. Ich wünsche Ihnen noch einen erfolgreichen und angenehmen Abend."

Es knackte kurz in den Lautsprechern, dann kam das rhythmische Geräusch, das eine getrennte Telefonverbindung anzeigte.

"Reisbauer!" Fluchte Greenskull und warf den Hörer auf den Telefonapparat zurück. "Wieso will der sich ausgerechnet in Dropout mit uns schlagen. Ist der da überhaupt?"

"Der hat eine Satellitenverbindung benutzt, Boss. Dadurch konnte er die Mobilfunk- und Festnetzblockade umgehen. Der Rechner sucht noch, wo das Ausgangssignal herkommt. - Aha, da haben Wir's! Die Ausgangssignale kamen von den Koordinaten, auf denen Dropout liegt, allerdings mit einer Toleranz von zehn Kilometern, zu viel für einen Raketenangriff."

"Clint, so'n Blödsinn kann ich nicht ab, wie du weißt. Also doch Dropout. Was zum Teufel will der ausgerechnet da? Da können wir den doch leicht umzingeln und dann mit den Granatwerfern und den schweren MGs niederballern, wenn ich deine Geländekarten richtig verstanden habe."

"Das stimmt, Boss. Offenbar hat er die Stadt total unter Kontrolle, oder er legt's darauf an, daß wir uns mit der Nationalgarde rumschlagen müssen, wenn wir da einfallen, weil er die gerade anruft und uns anmeldet", sagte Clint Waringer.

"Ach was! Dann sollen wir also nicht dahin?" Fragte der Chef der Rattlesnakes.

"Ich fürchte, wir müssen dahin, Boss", sagte Clint Waringer, schwieg sich jedoch über den Grund für seine Vermutung aus. Erst als Greenskull von ihm wissen wollte, warum sie dort hinfahren müßten, erklärte Waringer:

"Wenn er die Rufnummer von unserem Mobiltelefon rausgekriegt hat, hat dieser Chinese Wong Liu bestimmt die gleiche Nummer abgezogen, die ich gerade über die Bühne gebracht habe, nur andersrum. Der hat unseren Standort ausgeknobelt und das bestimmt seinem japanischen Chef weitergemeldet. Wenn wir hierbleiben, kesseln uns die Reisbrennerfahrer morgen früh ein und machen uns alle platt. Wir sind gerade alle auf einem Haufen zu kriegen. Das ist unser Nachteil. Wenn wir nicht sofort losfahren, haben die uns in ein paar Stunden am Arsch, Boss."

"Verdammt! Du hast verteufelt noch mal recht, Clint. Der Japs wollte nur checken, wo wir gerade sind, und ich Riesenrindvieh hab' noch den Hörer abgenommen. Dann alle mann los! Weg von hier!" Rief Greenskull, der für eine winzige Zeitspanne angstbleich auf das Telefon gestarrt hatte, als blicke ein unsichtbares Auge daraus auf ihn.

Keine zwei Minuten später rollte das ganze Aufgebot der Red Rattlesnakes vom Platz und verteilte sich fächerförmig über die Straßen und Feldwege, um sich gegen einen Anmarsch der Dragons besser wehren zu können.

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Izanami Kanisaga apparierte unmittelbar hinter dem Nissantransporter, mit dem die Drachenkopfbande die Waffen aus Cramers Eisenwarenladen befördert hatte. Die Schwestern der Spinne hatten den endgültigen Haltepunkt mit dem Localisatus Inanimatus, dem Ortungszauber für unbelebte Objekte, aufgefunden und der japanischen Schwester die genauen Angaben über dessen Standort mitgegeben. Den Zauberstab in der Hand schlich sie vorsichtig um den Wagen herum und sah einen Wächter in grünem Leder.

"Silencio!" Flüsterte sie beschwörend. Der Wächter fuhr herum und riß den Mund auf. Offenbar wollte er was rufen, brachte aber keinen einzigen Ton heraus. Er sprang vor, um die Fremde anzugreifen. Diese murmelte "Petrificus totalus!" Sofort wurden Arme und Beine des Mannes wie von mächtigen Stahlklammern zusammengedrückt und unbeweglich an den Körper gepreßt. Auch der Unterkiefer klappte nach oben und schloß den Mund so fest, als drücke eine unsichtbare Faust von unten dagegen. Vom eigenen Schwung getrieben fiel der Wächter nach vorne über und blieb steif wie ein Brett mit dem Gesicht nach unten liegen. Mit einem weiteren Zauber zog Izanami den Mann, der wohl ihrem Volk angehörte, alle Kleidung aus, was durch den Klammerzauber, mit dem sie ihn gebannt hatte, etwas schwerfällig ging, aber schneller verlief, als wenn sie ihn von Hand entkleidet hätte. Mit etwas Widerwillen schaffte sie den nackten Mann in den Transporter, verriegelte diesen magisch von innen und entledigte sich ihrer weißen Kleidung, die sie zusammenschrumpfen ließ. Dann zupfte sie dem Überwältigten drei Haare vom Kopf, griff nach ihrer kleinen Umhängetasche und holte eine Flasche mit sirupartigem Inhalt hervor, sie warf alle abgerissenen Haare des Wächters hinein und sah, wie das Gebräu zu brodeln begann und schließlich eine goldgelbe Färbung annahm. Drei Dosen, so wußte sie, waren in dieser Flasche enthalten. Sie verzog das Gesicht und trank von dem Zeug aus der Flasche, bis sie an einem Teilstrich an der Seite sah, daß sie eine ganze Dosis eingenommen hatte. schnell verkorkte sie die Flasche wieder und stellte sie auf den Boden. Was sie befürchtet hatte, kam nun über sie.

Eine Woge von brennendem Schmerz, Gefühlen, als würde ihr Leib durchgeknetet und mit mörderischen Zugbewegungen verformt, bereiteten Izanami starke Qualen. Sie unterdrückte den Drang, aufzustöhnen, während etwas mächtiges sie grundweg veränderte. Ihre Brüste verflachten sich, Das Becken wurde schmaler. Ihre zierliche Figur wurde muskulös. Ihre äußeren Geschlechtsorgane veränderten sich, bis aus der Frau ein mann geworden war, der wortwörtlich haargenau wie der Mann aussah, der vorhin noch den Wagen bewacht hatte. Izanami atmete mehrmals durch, als die peinigende Wandlung vorbei und sie in der Gestalt des Fremden zur Ruhe gekommen war. Frauen, die sich mit dem Trank in Männer verwandelten oder umgekehrt, erlitten das doppelte bis dreifache der üblichen Belastungen, wußte die Hexe. Außerdem mußte sie in genau einer Stunde die nächste Dosis trinken, um nicht unter ähnlichen Qualen in ihre eigentliche Körperform zurückverwandelt zu werden. Sie, die nun ein "Er" war, zog die Kleidung des War Dragons an, die ihr natürlich nun genau paßte. Als sie nun umgekleidet war, disapparierte sie mit der Flasche und ihrem Zauberstab in der Tasche und dem schweren Revolver des Wächters im Schulterhalfter. Sie tauchte sofort vor dem Wagen wieder auf und sah sich um, ob sie einen Beobachter gehabt hatte, was zu ihrer Beruhigung nicht der Fall war. Denn der Vivideo-Zauber, der alle Lebewesen im Umkreis von fünfzig Metern anzeigte, sprach nicht an. Sie war allein.

Unbemerkt schlich sich Izanami in der Gestalt von Hiro Yamata, einem Mitglied der War Dragons, zu einem großen Truck, auf dem ein roter Drachenkopf abgemalt war. Sie kannte die Muggelwagen ihrer Heimat gut genug, um zu wissen, daß in diesem großen Wagen viel Platz für ein Besprechungszimmer war, womöglich mit dem technischen Schnickschnack der modernen Muggelwelt ausgestattet. Sie wußte, das der Anführer sich wohl "Tsunami" rufen ließ, was Izanami als unverschämt empfand, sich nach einer der verheerendsten Naturgewalten nennen zu lassen, die in Japan bekannt waren. So trat sie an das Führerhaus heran und rief mit ihrer derzeitig hohen aber eindeutig männlichen Stimme:

"Ich muß zu Tsunamisan. Ich habe da im Wagen was gefunden, das ihn interessieren dürfte." Tatsächlich öffnete sich die Beifahrertür des großen Führerhauses, und ein athletisch gebauter Mann mit dunkler Hautfarbe sprang heraus.

"Was hast du gefunden, Hiro?" Fragte er. Izanami griff in die Umhängetasche ... und holte Benny Calders Handy heraus. Der Afroamerikaner sah verwundert das Erikson-Handy an. Dann sah er die Tasche an.

"Wo hast du die Tasche her? War die im Wagen? Wie kam die dahin?" Fragte er. Izanami machte eine verneinende Geste.

"Die lag in einer der Kisten, in denen die Waffen transportiert worden waren. Ich weiß nicht, wem die gehören könnte."

"Gib mal her!" Sagte der Dunkelhäutige und griff schon nach der Tasche. Izanami ließ ihn gewähren. Sie hatte auf die Tasche einen Fluch gelegt, der bei Muggeln großes Desinteresse auslösen würde, sobald sie die Tasche öffneten. Zusätzlich war der Inhalt durch einen Ich-seh-nicht-recht-Zauber abgesichert, der vergessen machte, was in der Tasche war. So klappte der in Grün gekleidete Mann die Tasche auf, sah kurz hinein und klappte sie wieder zu, sichtlich gelangweilt dreinschauend.

"Unwichtiger Krempel. Soll wohl die Tasche von 'nem Jungen sein, weil die so leer ist", grummelte der Mann aus dem Laster nur und führte Izanami zu Tsunami, dem Anführer. Dieser sprach auf Japanisch mit der als Hiro Yamata auftretenden Hexe und befragte sie, wo die Tasche herkam. Auch er begutachtete sie, konnte jedoch nichts interessantes daran finden und legte sie zur Seite. Dann fragte Izanami ihn vorsichtig, wielange sie noch hierbleiben wollten und wann "die Aktion" losgehen würde. Tsunami wunderte sich zwar etwas, doch weil er nicht allen auf einmal verraten hatte, wie der Zeitplan abgesteckt war, sagte er nur, daß es in fünf Stunden schon losgehen würde. Man rechnete mit einer Vorhut der Rattlesnakes, die man wohl vor der Stadt abfangen mußte. Der Hauptkampf, wie er es nannte, würde dann wohl in den frühen Morgenstunden ausbrechen, da Wong Liu das rollende Befehlszentrum von Greenskull, dem Erzfeind, ungefähr vierhundert Kilometer von der Stadt entfernt geortet hatte.

Sie unterhielten sich über das Handy und überprüften die gespeicherten Nummern. Belustigt stellten sie fest, daß es wohl einem halbwüchsigen Weißen gehören mußte, weil an vorderster Stelle der Name eines Mädchens, dann erst die Nummer der Mutter, dann die des Vaters gespeichert war, anschließend noch Nummern von Freunden, mobil und im Festnetz.

"Geh wieder zurück auf deinen Wachposten, Hiro. Wahrscheinlich hat der Bursche das Handy und die Tasche in einer Kiste liegen gelassen, als er beim Stelldichein mit seiner Freundin erwischt wurde. Du kannst die Tasche wegwerfen. Der Junge braucht sie wohl jetzt auch nicht mehr", sagte Tsunami. Izanami verbeugte sich ehrfürchtig und verließ mit der Tasche und dem Handy wieder das Befehlszentrum der War Dragons vor Dropout. An und für sich hatte sie vor, den Anführer magisch zu überwältigen und ihn zum Verhör mitzunehmen. Doch um ihn herum standen zehn japanische Leibwächter, fünf davon mit einwandfreier Samuraibewaffnung, ein langes und ein kurzes Schwert. Sie legte es nicht darauf an, sich mit zehn Kriegern auf einen Schlag auseinanderzusetzen. Zwar kannte sie Flüche, die ihr halfen, mehrere Angreifer auf einen Streich niederzuwerfen, doch das wäre dann doch zu auffällig gewesen. So begnügte sie sich damit, einige Namen erfahren zu haben. Wong Liu war demnach der Experte für die technischen Sachen, mit denen Muggel Fernverbindungen betreiben konnten. Vielleicht konnte sie seiner habhaft werden, ohne daß es auffiel.

Vor dem großen grün angestrichenen Lastertrat ihr eine dunkelhäutige Frau in den Weg, die sie unvermittelt mit einem durchdringenden Blick ansah. Fast reflexartig konzentrierte sich Izanami darauf, ihre Gedanken und Gefühle in den Hintergrund zu drängen, ihren Geist abzukapseln.

"Wer bist du?" Fragte die Fremde mit einem leicht französisch angehauchten Südstaatenakzent.

"Du kennst mich doch. Ich bin Hiro Yamata", erwiderte Izanami Kanisaga.

"So, Yamata", erwiderte die Unbekannte und sah den Mann, der Izanami im Moment war, noch durchdringender an. Noch intensiver kämpfte die japanische Hexe vom Spinnenorden darum, nichts von ihren Gedanken nach außen dringen zu lassen. Sie dachte wirkungsvolle Zauberformeln, die ihr dabei halfen. Doch gerade das schien die Fremde stutzig zu machen.

"Wer oder was immer du bist, du bist nicht Hiro Yamata. Der kennt mich gut und kann sich gegen meinen Blick der Erkenntnis nicht wehren. Du ..."

Mit vielgeübter Geschwindigkeit förderte Izanami ihren Zauberstab aus der Tasche und winkte damit gegen die Fremde: "Mikramnesia!" Zischte sie. Bevor die Fremde einen lauten Ruf tun konnte. Wie vom Donner gerührt stand die Unbekannte da. Im selben Moment disapparierte Izanami Kanisaga. Als Desdemona Glapion aus der magischen Verwirrung erwachte, konnte sie sich nur daran erinnern, daß sie zu Tsunami gehen wollte. Da sie bereits vor dessen Befehlszentrum stand, setzte sie ihren Weg fort, ohne zu ahnen, daß sie vor weniger als einer Minute Berührung mit einer gefährlichen Gegnerin, ja mit einer hinter dieser stehenden Geheimgesellschaft hatte.

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"... sonst hätte diese Frau mein Bewußtsein durchforscht, höchste Schwester", sprach Izanami, noch in der Gestalt Hiros, als sie im Hauptquartier der Spinnenschwestern appariert war und ihren Bericht beendete. Anthelia, die leicht verärgert dreinschaute, nickte unwillig. Dann sagte sie:

"Eine Hexe bei diesen blutrünstigen Unfähigen. Sie muß autodidaktisch ihre Gaben erlernt haben, sonst hätte sie dich leicht überwältigen können, Schwester Izanami. Der Blick der Erkenntnis. Das Klingt für mich so, als sei sie eine Vertreterin der Animisten, eine Schamanin oder Zauberpriesterin. Sicherlich war die Erkenntnis, daß sie dich nicht durchforschen konnte und damit wußte, daß du nicht der warst, als der du dich ausgabst, das geringere Übel als die Offenbarung deiner wahren Persönlichkeit. Jetzt enthüllt sich mir auch das Ansinnen, das den Werken dieser Unholde zu Grunde liegt. Sie gehen auf diesen Ort, das alte Haus des Sklaventreibers aus. Womöglich wähnt die Unangeleitete sich sicher, die alte Zauberkraft an diesem Ort ihren Wünschen dienstbar zu machen. Mich deucht, sie wird in nicht so ferner Zeit hier erscheinen, um zu erkunden, ob ihr Wille ins Werk zu setzen ist. Auf jeden Fall ist sie eine nicht zu unterschätzende Widersacherin, der es zu begegnen gilt."

"Dann bist du mir nicht böse, höchste Schwester?" Fragte Izanami angstvoll.

"Warum sollte ich Groll wider dich hegen, Schwester Izanami?" Fragte Anthelia zurück. "Immerhin hast du Kunde von der jetzigen Lage bekommen und mir damit guten Dienst erwiesen", erwiderte Antehlia honigsüß. Als sie diese Worte sagte, fühlte Izanami, wie mörderische Wellen von Schmerz und Bedrücken ihren Körper durchrasten, wie sich die Haut ihres Brustkorbs spannte, sehr peinigend die Lenden auseinanderzogen und feuriger Schmerz in ihrem ganzen Unterleib tobte. Sie glaubte zunächst, Anthelia hätte ihre starken Zaubergaben über sie hereinbrechen lassen und wollte schon um Gnade winseln. Doch noch rechtzeitig fiel ihr ein, daß die Wirkung des Trankes nachgelassen hatte und sie sich nun wieder in die zierliche Japanerin zurückverwandelte, die sie von Natur aus war. So ertrug sie die Wogen der Pein, bis sie mit etwas zu weiter Lederkluft dastand, vor Anthelia.

"Ich werde dich dieser Pein nicht erneut unterwerfen und dich erneut in das Lager der fremden Unfähigen entsenden, Schwester Izanami. Schütte den Rest des Trankes fort! Wir können das Erscheinen der dunkelhäutigen Fremden erwarten, die sich sicherlich bald an diesen Ort begeben wird", erläuterte Anthelia in der honigsüßen Betonung weitersprechend, mit der sie Izanami beruhigt hatte, sie nicht für die Entlarvung zu bestrafen.

Stunden verstrichen, in denen Anthelia und ihre Ordensschwestern aus sicherer Entfernung das Lager der War Dragons beobachteten. Die weiße Katze, die wohl sehr vertraut mit Patricia Straton war, erkundete vorsichtig die Stadt und erschnüffelte Brandladungen und Sprengfallen, kletterte durch geöffnete Fenster in Häuser und suchte sich ihren Weg unter den Lichtschranken und Bewegungszündern hindurch. Als sie die Stadt wieder verließ, war sie das letzte Lebewesen, das vor dem großen Inferno von Dropout die Häuser der Stadt unversehrt hatte sehen können.

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Die Nacht brach herein über den von Minen und Maschinengewehren umringten Bereich, in dem die ungefähr dreitausend Bewohner Dropouts zusammengepfercht worden waren. Babys und Kleinkinder quängelten. Hunde und Menschen mußten sich das Gebüsch als Toilette teilen. Eine ältere Frau, die neben Bäcker Barley wohnte, rief einmal aus, daß es eine noch nie dagewesene Demütigung sei, sie alle hier zusammengetrieben zu haben, wie Vieh vor dem Transport zum Schlachter. Dies wiederum veranlaßte Metzger Bacon dazu, einen höchst bissigen Kommentar zu rufen:

"An dich altes Fleisch wird ein Schlachter, der seinen Beruf ordentlich gelernt hat, nicht mehr drangehen! Sei froh, daß die uns nicht alle zusammengeschossen haben! Aber vielleicht kommt das ja noch!"

"Momma, angst!" Wimmerte die erst zweieinhalbjährige Laurie Miller. Ihre Eltern machten "Schschsch", um sie zu beruhigen. Ben, der sich mit seinen Altersgenossen zusammengestellt hatte, sprach leise davon, was nun passieren würde. Benny meinte:

"Die müssen die Nummer heute noch durchziehen. Wenn morgen früh Leute merken, daß die Telefone zu lange tot sind, kommen die Bullen aus dem Umkreis, dann rückt auch das FBI an, vielleicht sogar die Armee."

"Dann können die uns als Geiseln nehmen", erwiderte Curd, ein langes Elend von Fünfzehnjährigem, der ein As im stadteigenen Basketballverein war. Donna Cramer, die zusammen mit Hazel Crane bei den Jungen stand, wandte ein:

"Die könnten uns hier in wenigen Minuten alle umlegen. Ist euch klar, daß die kein Problem damit haben, uns zu killen?"

"Warum haben sie uns dann nicht in der Stadt umgenietet, Donna? Wieso dieser Zirkus mit dem Feld hier draußen. Die hätten diese Sprengdinger doch nicht legen müssen, wenn die uns sowieso ausknibsen wollen", warf Curd ein. Peggy, ein anderes Mädchen, das neben einem Jungen stand, der klobig und breit wie ein Kleiderschrank gebaut war, kam herüber und fragte Donna, ob ihr Vater nicht doch noch eine Waffe mitgenommen hatte. Donna schüttelte den Kopf.

"Wer von euch pennen will, kann sich hier drüben hinschmeißen, weit genug weg vom Gemeinschaftsklo!" Rief einer der wenigen Wächter, ein baumlanger Schwarzer in grünem Leder mit breitestem Zahnpastareklamelächeln und deutete auf einen gerade freien Platz innerhalb des umpferchten Feldes.

"Könnte euch so passen, uns im Schlaf zu ermorden", knurrte Roy Cramer. Doch sie konnten ja nicht die Nacht durchwachen. So entschieden sich die Dropouter, sich so zu legen, daß die Erwachsenen außen schliefen, die Männer ganz außen, dann die Frauen und dann die Kinder. Mütter mit Kindern unter drei Jahren schliefen ebenfalls in der Mitte. Bacon und Barley, die alten Vietnamkriegsveteranen, teilten Wachen ein, um sicherzustellen, daß sie nicht im Schlaf niedergemetzelt werden konnten. Denn selbst in der Gefangenschaft unter freiem Himmel wußten die Dropouter um ihre zahlenmäßige Überlegenheit. Solange sie innerhalb des Minengürtels und der automatischen Waffen blieben, waren sie den Fremden doch noch überlegen, falls diese sich hineinschleichen und sich an den Bewohnern zu schaffen machen wollten.

"Schlaf du, Mom. Ich bleibe wach", flüsterte Ben Calder. Seine Mutter schüttelte den Kopf.

"Du mußt nicht den starken Mann spielen, Benny. Du bist genauso müde wie Donna oder ich", zischte sie ihm zu. Wie konnte sie auch wissen, daß Benny durch einen Hexenfluch einen besonders ausdauernden und kräftigen Körper bekommen hatte und alles andere nur nicht müde war. Die Aufregung, die drohende Gefahr, gewaltsam umzukommen, die Gespräche mit Anthelia und ihren Hexenschwestern, trugen ihr übriges dazu bei, ihn besser wach zu halten, als vier Kannen pechschwarzen Kaffees oder Tees. So nickte er nur, damit seine Mutter sich beruhigt hinlegte, hockte sich neben ihr hin, wartete, bis sie leise schnurrend schnarchte, erhob sich ganz leise und stellte sich so, daß er hinter dem breitschultrigen Schmied Stevenson stand, dem Vater von Willy, dem Jungen wie ein Kleiderschrank. Er hielt die Augen offen und suchte in der Dunkelheit nach Anzeichen für etwas, von dem er nicht wußte, was es sein sollte. Er sah auf Dropout, seine Heimatstadt. Er fragte sich, ob er sie je wieder betreten würde. Mit leichter Verärgerung erkannte er, daß er wohl schon tot wäre, wenn Anthelia ihn und die Cramers nicht vor den Motorradgangstern gerettet hätte. Doch wozu hatte er dieses Leben noch? Er war eine Marionette, ein Hund an einer Leine, von der er nie wußte, wie lang oder kurz sie gerade gehalten wurde. War dieses Leben es wert, weiterzugehen?

In der Ferne glitten Lichtpünktchen durch die Nacht. Wie kaum zu erahnendes Insektengebrumm wehte der Hauch von Motorengeräuschen zum Pferch herüber. Die Wächter, die gerade abgelöst wurden, sahen leicht nervös aus. Benny wandte sich von Dropout fort und erkannte einen Schwarm von Lichtern in großer Ferne. Dann sah er einen Feuerball aufblitzen, wie einen am Boden zerplatzenden Stern. Ohne groß über das Wozu nachzudenken zählte er in Gedanken die Sekunden, die vom aufleuchten des Feuerballes verstrichen. "Eins! - Zwei! - Drei! - Vier! - Fünf! ... Zehn! - Elf!" Bums! ein entfernter, aber sehr dumpfer Knall erklang und hallte sogar von den weit entfernten Häusern Dropouts als Hauch eines Echos wider. Dann erglühten weitere Feuerbälle, wieder verstrichen etwa zwölf Sekunden, bis mehrere entfernte Explosionsgeräusche bei den Dropoutern ankamen. Dann begann es sogar, irgendwo im norden zu rattern und zu knattern, und Benny erkannte mit Schrecken, daß es das wüste Feuer von Maschinengewehren und -pistolen war. Dann war auf einmal ein Streifen aus orangeroten Flammen zu sehen, der sich in großer Entfernung ausbreitete und die winzigen Lichter verschlang, die vorhin noch zu sehen gewesen waren.

"Die Hölle bricht auf, Junge", raunte Stevenson, der sich zu Ben umgedreht hatte. "Gnade uns Gott, das wir das hier überleben."

"Das war wohl 'ne Vorhut, Mr Stevenson", erwiderte Ben flüsternd. "Das wird noch viel heftiger werden."

"Woher willst du denn das wissen?" Fragte Stevenson argwöhnisch.

"Weil die die Stadt geräumt haben. Die haben da bestimmt Hinterhalte und Sprengfallen aufgebaut, um ihre Feinde besser wegputzen zu können. Auf dem freien Feld bringt es ja nichts, sich zu schießen."

"mal den Teufel nicht an die ...!" Rums! Stevenson konnte seinen Satz nicht beenden, weil eine näher zu hörende Explosion durch die Nacht dröhnte. Dann schwirrte und sirrte es über die Köpfe der Dropouter hinweg. Die Leute, die geschlafen hatten, fuhren mit einem Mal hoch. Bacon rief: "Granaten! Runter!"

"Du spinnst ja, Wurstpanscher!" Rief ein etwas jüngerer Mann aus den äußeren Reihen der Gefangenen zurück. Dann krachten vier, fünf, sechs heftige Explosionen in unmittelbarer Nähe um sie herum. Feuerbälle blähten sich auf, und der Geruch verbrannten Pulvers wehte herüber. Wieder sirrten und schwirrten Geschosse über sie hinweg, die Ben nur aus Kriegsfilmen oder Geschichtsvideos in der Schule kannte. Wieder dröhnten Detonationen durchdringend laut durch die Nacht. Doch Benny konnte weitere Feuerbälle in der Ferne sehen, und der Beschuß mit Granaten hörte auf. Stattdessen wummerten entfernte Explosionsgeräusche in schneller Abfolge, Feuerbälle und -säulen schossen im Norden auf. Der Beschuß der Dropouter, wenn diese überhaupt angegriffen werden sollten, wurde nicht fortgesetzt. Stattdessen ratterten Maschinengewehre aus Dropout heraus.

"Die Schlacht hat begonnen!" Wisperte Antehlias Gedankenstimme in Bennys Bewußtsein. Benny nickte nur. Was immer jetzt passierte, konnte nur böse ausgehen.

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Wong Liu hatte seinen Anführer davon begeistert, Kameras mit eingebautem Sprengkörper im Norden aufzubauen. Der Feuerteufel Wallace half ihm dabei, den großen Minengürtel um die Bewohner mit einem weiträumigen Bogen aus weiteren Sprengfallen zu umschließen. Wenn die Rattlesnakes von Norden her anrückten, sollten sie gleich heiß empfangen werden. Als dann die Nacht vollkommen dunkel über dem verlassenen Ort lag, postierten sich die War Dragons um die Stadt. Automatische MGs sollten auf ein Funkkommando hin losfeuern, um den Eindruck zu vermitteln, daß sich Tsunami in der Stadt aufhalte. Die Bande um den japanischen Anführer rechnete zwar erst in den frühen Morgenstunden mit dem Erscheinen einer Vorhut. Um so verblüffter war er, als seine Kameraleute um kurz nach eins meldeten:

"Mist, die Roten sind schon da, Tsunamisan!"

"Alarm für alle. Wir gehen vor wie geplant!" Gab Tsunami an seine Leute durch.

So gerieten die ersten zehn Fahrzeuge der Rattlesnakes in den nördlichen Minengürtel und explodierten sofort. Doch einige Fahrzeuge kamen durch. Verstreute Vorposten griffen diese mit Maschinengewehren an. Doch von den kleinen Lastwagen, die sich näherten, wurde zurückgefeuert. Innerhalb von zwei Minuten gab es auf beiden Seiten bereits über zwei Dutzend Tote.

Wong Liu, der hinter einem Monitor saß, sah, wie Li Wu, ein guter Freund von ihm, auf einen Laster mit aufgesetzter Kanone zuraste. Er wollte ihm noch zurufen, in Deckung zu bleiben. Doch dafür war es schon zu spät. Vom Wagen her flog ein eiförmiger Gegenstand auf Wu zu und landete keine zehn Meter vor ihm. Keine zwei Sekunden später holperte das Motorrad des chinesischen War Dragons darüber hinweg und wurde von einer mörderischen Explosion in tausend Stücke Zerfetzt. Blechteile flogen wild davon. Der Benzintank explodierte unmittelbar nach der ersten Explosion. Wus Körper wurde grausam in Stücke gerissen. Verkohlte Hautfetzen und eine Wolke aus rotem Nebel, verteilten sich über mehrere dutzend Meter um die Explosionsstelle.

"Verflucht!" Rief Liu im chinesischen Dialekt seiner Familie, bevor eine gnadenlose Übelkeit ihn überkam. Er schaffte es noch, sich zum großen Zinkbecken zu schleppen, in dem die Küchenabfälle gesammelt wurden, bevor er sich heftig würgend übergab und alles ausspie, was er zum Mittag und Abend gegessen hatte. Tsunami sah ihn verächtlich an. Hatte der Chinese, der froh sein durfte, eine solch ehrenvolle Aufgabe zu erfüllen, für ihn zu arbeiten, denn geglaubt, in diesem Krieg ginge es nur um technische Spielereien?

"Die haben Granatwerfer mit, Tsunamisan", meldete ein Vorposten, der gerade in eine heftige Schießerei verwickelt war.

"Dann müssen wohl die Ritter der Freiheit los", erwiderte Tsunami. Er wandte sich einem anderen Funkgerät zu und gab einige Befehle auf Japanisch, sodaß weder Liu noch der Feuerteufel das mitbekamen, was er sagte.

"Wenn die wirklich Militärzeug mithaben, kommen meine kleinen Aufmerksamkeiten ja nicht zum Einsatz", sagte Ruben und schaute bedauernd drein, als bekäme er versprochene Geschenke nun doch nicht.

"Die werden in die Stadt reinfahren, Ruben. Ich werde ihnen zeigen, was wahre Überlegenheit ist. Nicht die Waffe ist es, sondern der Wille zum äußersten Einsatz", sagte Tsunami

"Die sind zu früh hier, Tsunami. Ich habe vielleicht keine Zeit mehr, um das Ritual der Feindesschwächung zu wirken, wenn die schon jetzt hier herumfahren", sprach Desdemona Glapion auf den Anführer der War Dragons ein.

"Wie viel Zeit brauchst du?" Fragte Tsunami.

"Zwei Stunden mindestens, wenn die alte Kraft wirklich noch wirkt", erwiderte die dunkelhäutige Voodoo-Hexe. Tsunami nickte.

"Dann lasse ich dich mit dem Panzerwagen zu dieser Villa bringen", beschloß Tsunami.

Als die ersten Granaten auf Dropout zuflogen, dachten die War Dragons, welche sich um die Stadt herum in Deckung hielten, sie würden diesen Kampf nicht gewinnen. Doch dann erfolgten weit entfernt im Norden und im Osten Explosionen, und der Beschuß hörte auf. Währenddessen fuhr ein gepanzerter Kleinlaster mit Tsunamis magischer Lebensgefährtin los, richtung der alten Daggers-Villa, die fünf Meilen außerhalb von Dropout lag.

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Greenskull hatte während der überstürzten Abreise vom früheren Lagerplatz einen Plan gefaßt. Er wollte zweihundert Mann als Vorauskommando losschicken, um zu klären, ob in diesem Dropout wirklich wer auf ihn wartete. Er hatte auch zwanzig schnelle Kleinlaster mitgeschickt, auf denen gestohlene Granatwerfer aus Armeebeständen mit je hundert passenden Geschossen untergebracht waren. Als er so nach ein Uhr erfuhr, das seine Voraustruppen heiß empfangen worden waren, glaubte er schon, daß die Artilleriewagen die Stadt niederbomben würden. Doch um kurz nach halb zwei in der Nacht erreichte ihn ein sehr aufgeregter Funkspruch eines seiner Waffenexperten.

"Boss, die haben uns hier alle Wagen hochgejagt. Wir haben nur noch meinen Wagen. - Verdammt! Da kommt so'n Japaner mit einem Höllentempo auf uns zu. Der hat auf seinem Gepäckträger einen schweren Sack und auf dem Buckel so'nen Rucksack und ..." Mit einem häßlichen Knacklaut brach die Funkverbindung ab.

"Dieser schlitzäugige Bastard!!" Rief Greenskull über die Maßen wütend und erschrocken gleichzeitig. "Der hat seine Kamikazebande losgeschickt. Verdammte Sauerei!"

"Bitte was, Boss?" Fragte Clint Waringer.

"Es heißt von den War Dragons, daß da einige bei sein sollen, die diesen Wahnsinn vom ehrenvollen Freitod noch drinhaben, mit dem die Japaner im zweiten Weltkrieg mehrere Schiffe und Flugplätze in die Luft gejagt haben. Die flogen mit kleinen schnellen Flugzeugen, voll mit Sprengstoff und rasten voll in die Ziele rein. Sowas wie die machen die Leute dieses Tsunamis jetzt auch. Die jagen unsere Waffenwagen hoch oder fahren einfach zwischen unsere Leute. Wenn die alle so drauf sind, haben wir bald keine Leute mehr da hinten."

"Wir können mit den großen Lastern erst in drei Stunden da sein, Boss. Die Bullen kontrollieren bestimmt die Straßen und ..." sagte Clint Waringer.

"Dann machen wir die eben platt!" Rief Greenskull wütend. Waringer befand, daß es jetzt zu gefährlich war, noch was zu sagen.

Doch die Polizei kontrollierte die Landstraßen nicht, auf denen die Rattlesnakes entlangfuhren. Unterwegs hörten sie, daß die Vorausabteilung aus der Stadt heraus beschossen worden war. Offenbar hatten sich welche in Dropout versteckt. Bei diesem Beschuß waren weitere zwanzig Mann getötet worden.

"Na wartet, wenn die großen Brummer vor eurer Tür stehen. Dann gibt's Saures!" Grummelte Greenskull. Er hielt sich schön weit hinten mit seinem rollenden Befehlsstand, zusammen mit Clint Waringer und Rhonda Lurker.

Während der Fahrt hörten sie den Funk ab, bis plötzlich auf den von den Rattlesnakes benutzten Kanälen eine gräßliche elektronische Musik erscholl, wohl chinesischer Prägung. Clint Waringer mußte sich sehr zusammenreißen, nicht loszulachen. Sein Gegenspieler Wong Liu hatte die an und für sich sicheren Funkkanäle ausfindig gemacht und den Schallverschlüsselungscode geknackt. Nun waren sämtliche Kanäle zu.

"Verdammt noch mal, was ist denn jetzt los?!" Polterte Greenskull.

"Der Chinamann hat unsere Frequenzen geknackt und die Verschlüsselung überlistet. Der muß doch einen von den neuen Hochleistungsprozessoren in seinem Computer haben. Schau einer an. Ruf den Anführer über Rauschamplitudenfunk! Das wird der Zopfträger wohl nicht gleich checken."

"Du hast behauptet, die Digi-Funken seien idiotensicher!" Brüllte Greenskull seinen Techniker an. Dieser grinste nun doch und meinte:

"Sicher vor Idioten, Boss. Aber unsere anderen Funkgeräte müßten noch funktionieren. Der hat nicht die Ausrüstung, alle unsere Kanäle zu blockieren", erwiderte Clint beruhigend klingend.

"Wenn durch diesen Mumpitz auch nur einer zu viel draufgeht, Clint Waringer, läufst du an einer Kette hinter Peters Harley her, über die Schnellstraße", drohte Greenskull. Clint Waringer nahm diese Drohung mit einem Ausdruck des Unbehagens hin. Innerlich dachte er jedoch daran, daß er nicht warten würde, bis Greenskull diese grausame Strafe wahrmachte. Wenn alle Stricke reißen sollten, würde er sich sehr schnell sehr dünn machen und bis auf weiteres in der Versenkung verschwinden. Er hatte für diesen Fall X schon einige Ablenkungsmanöver auf der Pfanne, die er nur noch loslassen mußte.

"Dieser Reisfresser hat seine grauenhafte Katzenmusik auf alle Frequenzen gelegt", stellte Peter Lommond höchst verärgert fest. Dabei sah er auf Clint Waringer, als wolle er ihn im nächsten Augenblick erschlagen. Doch der Techniker tüftelte mit Greenskull die neuen Funkverbindungen aus. Ein schwaches Rauschen, gerade so stark, daß es das allgemeine Hintergrundrauschen überlagerte, wurde auf schnell wechselnden Frequenzen übertragen. Greenskull sprach normal laut. Die Stimme wurde von einem neuartigen Mikrochip so umgemodelt, daß das ausgesandte Rauschen schwach verstärkt oder gedämpft wurde, aber analog. Wer nicht über den Frequenzwechselschlüssel verfügte, bekam nie alles mit, selbst wenn seine Empfangsgeräte das schwache Rauschen genau vermessen konnten, um die Schwankungen zu ermitteln. So bekam Greenskull zwar wieder Verbindung zu seinen Truppführern, aber nur um zu erfahren, daß ein schneller Feuerüberfall aus der Stadt heraus die vereinzelten Motorradfahrer der Rattlesnakes weiter dezimiert hatte. Greenskull sah sich zu Clint um, schnaubte und fing sich wieder.

"Du hast die einzige Chance, dein Schicksal noch umzubiegen, wenn du mir hilfst, diesen Bastard zu überlisten und seine Verständigungsmöglichkeiten zu unterbrechen."

So hatte Clint erst einmal Atempause. Denn sie waren noch zu weit fort, um wirkungsvoll auf die Funkverbindungen der War Dragons einwirken zu können.

"Rückt in die Stadt ein und knallt die ab, die da drinsitzen!" Befahl Greenskull. Einige Leute von ihm, die mit den anderen Funkgeräten ausgestattet waren, brannten schon darauf in die Stadt zu fahren und alle umzupusten, die sich dort eingenistet hatten.

Er bekam von diesen Leuten bald die Antwort, daß sie in der Stadt waren.

"Das gibt's nicht. Die ganze Stadt ist menschenleer. Die Autos stehen einfach so auf der Straße rum, Boss."

"Wieviele Leute wohnen in diesem Dorf, Clint?" Fragte Greenskull. Waringer sagte sofort:

"Dreitausendvierundzwanzig, zumindest nach dem Stand vom letzten März. Können aber einige dazugekommen oder abgekratzt sein, Boss", sagte Clint Waringer.

"Wo sind die dann alle? Die Dragons können die doch nicht alle umgebracht haben.""

"Werden die wohl auch nicht. Die haben die einfach rausgejagt oder in ihren Häusern eingeschlossen", erwiderte Clint und bekam auf einmal einen Riesenschreck. "O Scheiße, Boss. Die haben die Stadt als Minenfeld ausgebaut."

"Was?! Sowas sagst du mir erst jetzt, wo fast fünfzig Leute in der Stadt ...?!" Tobte Greenskull, als eine aufgeregte Stimme aus dem Lautsprecher klang:

"Boss, da ist gerade ein ganzes Haus hochgegangen. Jeff und ein paar Jungs haben da reingehen wollen, und ..."

"Mehr muß ich nicht wissen", unterbrach der Anführer der Red Rattlesnakes den Gefolgsmann. "Wieviele Jungs waren in der Nähe?"

"So um die zehn. Die hat's wohl alle erwischt. Wir lassen die Häuser erst einmal in Ruhe, bis wir ... Arrrrg!" Aus dem Lautsprecher klang das mörderische Rattern einer Maschinengewehrsalve. Offenbar war der Kontaktmann in einen Hinterhalt geraten und schon im ersten Ansatz getötet worden.

"Bin ich hier denn nur von Diletanten umgeben?! Läßt sich der Typ einfach abknallen! Wo gibt's denn sowas?! Aber die kriegen wir gleich. Der Tanzabend hat gerade erst angefangen", schnaubte Greenskull. Seine Freundin Rhonda Lurker sah besorgt zu ihm hinüber.

"Hast du denn nicht daran gedacht, daß der Japaner dir eine Falle stellt? Offenbar hat der diese Stadt aus einem bestimmten Grund als Kampfplatz ausgesucht. Wir sollten ihn nicht dort schlagen, sondern uns einen neuen Platz aussuchen, wo wir ihn erwarten können und ..."

"Neh, Babe, die Show läuft jetzt in diesem Dropout. Wenn der Japs da kämpfen will, wird ihm sein Sprengfallenzirkus nicht viel bringen, wenn wir mit den schweren Waffen auffahren und die Stadt von außen niedermachen. Was dann noch da ist, ballern wir so um und ..."

Rhonda sah heimlich zu Clint, der sichtlich verunsichert war, ob sein Boss überhaupt noch Herr der Lage war. Dann sagte sie: "Wenn du die alle umzingeln willst, müssen wir die Wagen jetzt aufteilen, um aus verschiedenen Richtungen ..."

"Weiß ich, Rhonnie", zischte Greenskull sehr bösartig. Dann griff er wieder nach dem Mikrofon, um den Befehl zum Ausschwärmen zu erteilen. Doch er bekam von seinen Mitstreitern keine Antwort. Stattdessen lag eisiges Schweigen in den Funkkanälen. clint Waringer prüfte nach, woran das lag und fand heraus, daß jemand das leise Rauschen doppelt so laut gemacht hatte. Dann erklang über Funk Greenskulls Stimme, vom Original nicht zu unterscheiden.

"Achtung, alle in Formation voran und direkt zum östlichen Stadtrand dieses Dropout vordringen!" Rief die Stimme. Clint hörte zwar heraus, daß die Betonung wohl auf künstliche Weise erzeugt worden war, aber das Klangspektrum der Stimme paßte.

"Chinamann, langsam muß ich dich bewundern", dachte Clint Waringer. Greenskull polterte los, als seine Lastwagen und Motorräder Fahrt aufnahmen und mit hoher Geschwindigkeit losfuhren, wobei die hinteren Wagen und Zweiräder ihn sogar überholten.

"Ihr Deppen, der Gelbe linkt euch ab!" Rief er ins Mikrofon. Doch offenbar konnte seine Stimme nicht mehr übertragen werden.

"Normalfunk, Boss. Ruf die Trucks über CB!" Empfahl Clint Waringer. Sein Boss fuhr herum, hob die rechte Faust und schlug nach dem Techniker. Dieser jedoch ließ sich einfach hinten überfallen, sodaß der Schwung des Schlages Greenskull vom Sitz riß und auf den Boden aufschlagen ließ. Der Techniker wartete nicht, bis Peter oder Clark ihn zwischennehmen würden, sondern zog etwas aus seiner Tasche, das wie eine Streichholzschachtel aussah, fingerte eine Viertelsekunde daran herum, warf sie den Leibwächtern zu und hielt die Luft an. Mit scharfem Knall explodierte das eckige Schächtelchen und breitete eine kaum sichtbare Rauchwolke aus. Peter und Clark stürmten zwar noch vor, um Clint zu ergreifen, taumelten jedoch und kippten benommen um. Regungslos blieben sie ligen. Auch Rhonda Lurker, die teilnahmslos dasaß und beobachtete, was passierte, verdrehte die Augen, rang nach Luft, sackte zur Seite und rutschte betäubt vom Stuhl. So erging es auch Greenskull, der sich aufrichten und auf Clint zuspringen wollte. Etwas raubte ihm die Besinnung und die Kraft und ließ ihn wie ein schlaffer Sack umfallen.

Clint, der vor der Explosion tief Luft geholt hatte, harrte dreißig Sekunden aus, bevor er, immer noch den Atem anhaltend, zur Hecktür des Sattelschleppers kroch, in dem das Befehlszentrum lag, die elektronische Türverriegelung entsicherte und einen der beiden Türflügel aufschwingen ließ. Für drei Sekunden fauchte frische Luft, vom Fahrtwind getrieben, in den geräumigen Laderaum des Lasters und verwehte die letzten Schwaden des schnell wirkenden Betäubungsgases, das Clint vor einigen Monaten heimlich von einem Hobbychemiker gekauft und in einer DruckPatrone mit ein wenig Plastiksprengstoff untergebracht hatte. Die Menge, die er jetzt freigesetzt hatte, reichte aus, um die, die davon eingeatmet hatten, für zwanzig Minuten bewußtlos zu halten. Er schloß die Tür wieder, atmete zweimal ein und aus, bangte darum, ob er nicht zu früh die Tür geschlossen hatte und ging an das Telefon, das über Kabel mit dem Führerstand verbunden war.

"Ross, hier Clint. Der Boss will, daß wir bei der nächsten Ausfahrt rausfahren und da sofort anhalten. Der Japs hat uns gelinkt."

"Warum sagt er mir das nicht selbst, Clint?" Fragte Ross, der den Laster fuhr.

"Weil er gerade aufs Klo ist, Ross. Also mach! Fahr die nächste Ausfahrt ab und halte an!"

"Gut, Clint. Ich muß nämlich auch", kam Ross' Antwort aus dem Hörer zurück. Clint atmete durch. Er wußte, wo sie gerade waren. In einer Minute kam die Ausfahrt zu einer Stadt namens Sleepy Head, die nicht viel größer als Dropout war. Dort würde er sich die Harley schnappen, die im Laster stand und losfahren. Tatsächlich hielt der große Sattelschlepper keine Minute später nach der Ausfahrt vor dem Ortseingang von Sleepy Head. Clint wartete, bis Ross aus dem Führerhaus kam und zum Heck des Lasters ging, um das kleine Chemieklo aufzusuchen, das im Laderaum stand. Clint wollte ihn nicht so lange hineinsehen lassen, daß er die vier Bewußtlosen sehen konnte. mit einem der Holzstühle, die im Laderaum standen, holte er aus, wartete, bis der Kopf des Fahrers durch die Hintertür hereinlugte und schlug mit aller bescheidenen Kraft zu, die er sich als Kopfmensch nach dem Schulsport bewahrt hatte. Das reichte jedoch aus, um Ross K.O. zu schlagen. Der Fahrer stieß einen unbestimmbaren Laut aus, sackte nach vorn und blieb mit dem Oberkörper im Laderaum liegen. Clint betätigte den Mechanismus für die Rampe, die surrend ausfuhr und auf dem Boden aufsetzte, sodaß er nun mit dem vollgetankten Motorrad losfahren konnte. Doch halt! Klüger war es, solange er noch konnte, die elektrischen und elektronischen Vorrichtungen des Lastwagens zu beschädigen, sodaß er nicht verfolgt werden konnte. So zertrümmerte er einfach das Satellitentelefon, die funkgeräte und nahm sämtliche Handies mit, darauf achtend, nicht plötzlich angegriffen zu werden, falls einer der Betäubten früher aufwachte. Den Motor des Wagens ließ er unversehrt, da er wollte, daß Greenskull weiterfahren konnte. Er hoffte darauf, daß der Anführer der Bande zu seinen Leuten wollte, und das wiederum würde ihn einstweilen von Clint Waringer ablenken. Dann, so fünf Minuten später, brauste er mit dem Motorrad, einem Rucksack, in dem sein Laptop-Computer und die wichtigsten Disketten und CD-ROMs steckten und einem vollen Benzinkanister auf dem Gepäckträger los. Er war froh, daß die Straße durch Sleepy Head zu dieser nachtschlafenden Zeit nicht befahren war. Er schlug eine Richtung nach westen ein, richtung Dropout. So, das dachte sich der Techniker der Rattlesnakes, würde Greenskull ihn nicht so einfach verfolgen können, denn der würde annehmen, daß er mit sicherheit von Dropout fortfahren würde. Falls er sich jetzt schon die Mühe machte, nach Clint zu suchen, würde er ihn nicht mehr finden. Sicher wäre es wesentlich klüger gewesen, Greenskull und alle übrigen Zeugen seiner Flucht zu töten. Doch Clint verspürte bei jedem Gedanken daran einen unangenehmen Schauer über den Rücken laufen. Er war kein eiskalter Mörder. Er war Techniker. Sicher hatten seine Basteleien dazu beigetragen, Leute umzubringen. Aber er hatte nie persönlich jemanden ermordet, und heute mußte er auch nicht damit anfangen. So fuhr er bis zur Mobilfunktoten Zone um Dropout heran, wandte sich dann nach süden und fuhr einen großen Bogen um Dropout herum, weit weg von der Schnellstraße, auf der soeben die Rattlesnakes anrückten, um genau in die von Tsunami und seinen Leuten gestellte Falle zu geraten. Er bekam davon nichts mit, sondern fuhr weiter, suchte sich seine Schleichwege und erreichte um fünf Uhr morgens die Staatsgrenze. Da er wußte, das er mit dem Motorrad auffiel wie ein bunter Hund und sein Gesicht noch in keiner Polizeiakte aufgetaucht war, was er durch Recherchen im Lawnet der vereinigten Staaten abgeklärt hatte, kam er ohne Motorradkluft als wandernder Tourist besser zu Rande. So parkte er die Harley-Davidson weit genug vom Polizeiposten an der Grenze entfernt und tankte sie noch mal voll. Dann manipulierte er mit dem Tachometer herum und verstellte die zurückgelegten Meilen, sodaß es nicht so einfach sein würde, seine Fahrstrecke nachzuvollziehen und ging nur mit seinem Rucksack davon. Das Handy, welches er an seinen Laptop-Computer anschließen konnte, hatte er vorsorglich zerstört. Er würde schon ein anderes Handy finden, um sich wieder mit der großen weiten neuen Welt des Internet und seiner öffentlichen und nichtöffentlichen Ableger zu verbinden. Da war er sich sicher. Vorerst galt es, irgendwie nach Mexiko zu kommen, von wo aus er unter falschem Namen weiter nach Südamerika reisen wollte. Das Problem, wie er das Geld dafür beschaffen konnte, erschien ihm nicht zu groß. In Mexiko kannte er einige gute Freunde, für die er schon was gedreht hatte, bevor er der Bande um Greenskull beigetreten war. Wenn er sich ranhielt, konnte er schon übermorgen weit fort von allem sein. Wenn Greenskull wirklich nach ihm suchen sollte, würde er sich sicherlich in Acht nehmen müssen. Doch auch mit noch so guten Verbindungen zum organisierten Verbrechen würde es Wochen oder Monate dauern, auf seine Spur zu kommen.

So entzog sich Clint Waringer dem Bandenkrieg und schmiedete Pläne, wie er seine Zukunft gestalten konnte. Er bekam nichts davon mit, daß zwanzig Minuten nach seiner Flucht Greenskull erwachte, mordsmäßig fluchte, als er den zertrümmerten Kommandoraum erblickte. Ross, der schon zehn Minuten früher erwacht war, erzählte ihm, daß Clint ihn wohl ausgetrickst hatte. Greenskull beschloß daraufhin, erst gegen Tsunami und die War Dragons zu kämpfen und dann nach dem Flüchtling zu suchen.

"Der hat sich davongemacht, die feige Ratte, weil du ihn mit sicherheit kalt gemacht hättest", sagte Clark Foulder zu seinem Anführer.

"Das werde ich auch, wenn ich die Sache mit dem Japaner erledigt habe. Hat der Typ mich doch glatt verladen. Vielleicht arbeitet der auch mit denen zusammen. Aber das kriege ich noch raus."

"War ein ziemlich geniales Giftgas, das er uns da eingebrockt hat", bemerkte Rhonda Lurker. "Wußte nicht, daß der so gute Kontakte zu Chemikern hat. Oder stammt das Zeug aus unserem Vorrat?"

"Wenn das so wäre, könnte ich die ganze Bande von diesem Tsunami ausräuchern und ganz gemütlich abfrühstücken, Rhonnie. Nein, sowas fehlt noch in unserer Sammlung. Aber nun müssen wir los. Ross, kuck dir den Motor an, ob wir noch fahren können!"

"Jawoll, Boss", sagte der Fahrer des Sattelschleppers, betastete die große Beule an seinem Kopf, die wohl höllisch wehtat. Dann ging er zum Führerhaus, prüfte den Motor und rief laut:

"Der Motor ist klar, Boss! Offenbar hatte unser Freund es eilig, mit der Harley abzuhauen!"

"Dann fahr schon los und drück auf die Tube! Wenn Bullen kommen, schießen wir uns eben den Weg frei!" Rief Greenskull.

Unbehelligt erreichte der Laster die letzte Meile vor Dropout Mississippi. Da sah Greenskull, der Mord und Totschlag in vielen Ausführungen gewohnt war, etwas, mit dem er so nicht gerechnet hatte.

Vor ihm zeichnete sich ein im Dunkeln liegender Ort ab, durchbrochen von einigen wenigen Lichtpunkten vorüberfahrender Motorräder. Doch er sah noch etwas anderes: Gewaltig und größtes Unheil Verkündend, flackerte vor ihm, dort, wo der äußere Stadtrand von Dropout sein mochte, eine mehrere Meter breite und hohe Feuerwand. Wie die Tiefen der Hölle wirkte das Inferno aus orangen, roten und weißgelben Flammen und roten und weißen Funken, die wild herumsprühten. Da begriff er, das er sich auf ganzer Linie verhoben hatte. Sein Erzfeind hatte einen mörderischen Schlag gegen seine Gruppe geführt und war nun dabei, die Red Rattlesnakes mit Stumpf und Stiel auszulöschen. Ja, den Stiel, die ganze Bande, konnten sie wohl kriegen. Aber den Stumpf, den Anführer und seine engsten Vertrauten, würden sie nicht kriegen. Das schwor sich Greenskull. Er wollte Ross gerade den Befehl geben, sofort umzudrehen und davonzufahren, denn er gab alle Hoffnung auf, jetzt noch was für seine Leute tun zu können, als zwanzig grüne Motorräder, alles Yamahas, auf den Sattelschlepper zurasten.

"Waffen raus! Die lassen wir nicht unbegrüßt herankommen!" Rief Greenskull.

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Anthelia saß in einem Raum unter dem Dachstuhl der alten Daggers-Villa. Ihre Bundesschwestern pandora und Patricia, wie auch Izanami Kanisaga, hatten sich in den großen Räumen im Erdgeschoß versteckt. Die wiedergekehrte Nichte Sardonias überlegte, wer diese fremde Hexe war und wie stark sie wohl sein mochte. Wenn sie sehr kundig war, konnte es in einem Kampf auf Leben und Tod ausarten. Anthelia war sich sicher, daß sie in jedem Fall die Stärkere war. Sie kannte sich mit alten Zaubern der Druiden, den mächtigsten Ritualen der vorhermetischen Magier des Morgenlandes und mit den zu ihrer Zeit bekannten Flüchen und Schutzzaubern aus. Sie besaß Dairons Seelenmedaillon, das ihre eigene Magie verstärkte, besaß den Zauberstab des dunklen Wächters, eines mächtigen japanischen Dunkelmagiers, der auch zur Verstärkung ihrer eigenen Zauberkraft beitrug und trug den Gürtel der vierundzwanzig Leben am Leib, dessen verfluchte Kraft sie vor zweiundzwanzig Todesarten bewahren würde, weil in ihm die Überreste auf diese zweiundzwanzig Todesarten gestorbener Feinde Dairons enthalten waren, darunter sechs, die durch einen tödlichen Fluch ums Leben kamen. Zwar konnte sie nur noch fünf tödliche Flüche abwehren, weil der Kampf gegen Sarah Redwood eines dieser Schutzleben aufgehoben hatte, doch sie ging davon aus, sich hier und heute nicht umbringen zu lassen.

"Sie wird in der Nacht kommen, um diesen Ort zu untersuchen. Sie weiß nicht mehr, daß sie Izanami begegnet ist. Die Feinde ihrer Freunde sind zu früh eingetroffen. Sie werden nun alle Kräfte vereinen müssen. Wenn sie denkt, diesen Ort zum Focus ihrer Macht erheben zu können, wird sie bald hier erscheinen", dachte Anthelia. Sie dachte kurz an Sarah Redwood, deren Seele und damit deren Wissen und Erfahrungen sie in dem Seelenmedaillon gefangenhielt, unfähig zu eigenem Tun, völlig unterworfen. Sie entsann sich, daß Sarah dereinst gegen eine Widersacherin hatte kämpfen müssen, die ebenfalls die Ritualmagie beherrschte. Sie erinnerte sich daran, daß Sarah sie durch den Bann der Elemente zurückgetrieben hatte. Doch dieses wollte Anthelia nicht tun. Denn dieser mächtige Zauber würde die Villa weithin sichtbar mit Feuer und Blitzen umgeben, solange der zu verdrängende Feind nicht verschwand oder starb. Doch eine vorübergehende Apparitionsmauer mußte sie wohl errichten, um zu vereiteln, daß die fremde Hexe urplötzlich in der Villa auftauchte. So schritt sie durch das Haus, hielt den mit getrocknetem Einhornblut durchtränkten Bambusstab des Dunklen Wächters in die Ecken, streckte ihn zeitweilig zur Decke hoch und sprach mehrere Zauberformeln. Blitze aus orangem, blauen und weißem Licht fuhren aus dem silbriggrau glänzenden Zauberstab und durchdrangen die Wände und Türen. Als sie einmal durch das Haus geschritten war, bezog sie wieder ihren Beobachtungsposten unter dem Dach.

Als sie über Ben Calder mitbekam, daß die Schlacht um die Stadt nun begonnen war, befahl sie den Geistern der in diesen Mauern verstorbenen, sich in den Weinkeller zurückzuziehen und dort auf sie zu warten. Patricia und Pandora folgten ihr in die Eingangshalle.

"Es wird nicht viel Zeit verrinnen, bis die Fremde vor die Tür dieses Hauses treten wird. Es wird klug sein, wenn sich eine von euch in der Nähe verbirgt um nach ihr auszuschauen", sagte Anthelia zu Patricia und Pandora. Pandora nickte. Sie verließ zu Fuß das Haus, denn das Disapparieren war im Moment nicht mehr möglich.

"Was wirst du tun, wenn sie wirklich hier auftaucht, höchste Schwester?" Fragte Patricia Straton.

"Ich werde wohlwollend zu ihr sprechen, sie nach Weg und Begehr fragen und mich als Herrin dieses Hauses zu erkennen geben. Es mag geschehen, daß sie erkennet, welch sinnloses Unterfangen es sei, hier ihren Zauber zu wirken. Falls sie nicht mit derlei Weisheit beschlagen ist, von sich aus von Dannen zu ziehen, werde ich wohl danach trachten, meinen Anspruch auf dieses Anwesen auch mit Mitteln der magischen Gewalt durchzusetzen."

Patricia Straton verstand, daß Anthelia sich nicht mehr aus dieser sicheren Festung verjagen lassen würde. Sie wußte auch, daß die Fremde einen Kampf auf jeden Fall verlieren würde. Sie holte eine Art Badeanzug aus rotem Leder, der mit merkwürdigen Verzierungen geschmückt war und zog ihn unter ihrem Umhang an. Dieses Kostüm aus Drachenhaut war so bezaubert worden, daß seine ohnehin schon starke Widerstandsfähigkeit zu einem unsichtbaren Panzer um Patricias ganzen Leib wurde, der geschmeidig ihre Bewegungen mitmachte, ohne sie zu beeinträchtigen, aber für nichtmagische Geschosse und Säuren, ja sogar Feuer völlig undurchdringlich war. Alles, was einen halben Meter vor Patricias Körper ankam, prallte ab oder verpuffte in der magischen Aura der Panzerung, die ihre Kraft aus dem bezauberten Drachenhautkostüm bezog. Sie wußte, daß die Muggel bei der Hexe keine Skrupel hatten, ihre lauten Schußwaffen zu benutzen. Immerhin taten sie dies schon seit dem ganzen Tag, hatten den Ordnungshüter und seinen Untergebenen ermordet und kämpften jetzt gerade gegen Leute, die nicht besser als sie selbst waren. In Gedanken rief sie ihre Mutter, die draußen auf Beobachtungsposten wartete. Pandora Straton schickte einen Gedanken als Antwort:

"Schwester und Tochter, wir bekommen schon Besuch! Ein großer eisenbeschlagener Wagen der Muggel fährt gerade den sanften Hügel hinauf, der zu diesem Haus führt."

"Danke, Mutter und Schwester", dachte Patricia an ihre Mutter zurück.

Es dauerte wohl noch eine Minute, bis Anthelia und Patricia das Tuckern eines Dieselmotors hörten, der sich dem herrschaftlichen Haus näherte. Dann verstummte das Geräusch der Maschine mit einem Ruckeln und Metalltüren wurden geöffnet und wieder geschlossen. Der erwartete, wenngleich ungebetene Besuch war angekommen.

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Desdemona Glapion fühlte schon bei der Annäherung, wie eine starke Kraft auf sie einströmte. Sie war sich sicher, diesen Ort als den Ort zu finden, von dem aus sie ihrem Liebhaber Tsunami den Sieg über seine Feinde bringen konnte. Doch sie hatte ihre Pläne. Wenn dieses sinnlose Morden vorbei war, die roten Teufel geschlagen waren, wollte sie in diesem Hause, der alten Daggers-Villa, weiterleben, um von dort aus an Macht zu gewinnen, um sich gegen die übrigen Zauberkundigen Amerikas stellen zu können. Gelang es ihr, die Kraft der verfluchten Erde unter ihren Willen zu zwingen, stand ihr mehr Magie zur Seite, als der legendären Voodoo-Königin Marie Laveau vor etwas mehr als hundert Jahren in New Orleans. Dort hatte sie zwar Fuß fassen wollen, doch dort lebende Hexen und Zauberer hatten sie aufgespürt und danach getrachtet, sie einzufangen. Sie mußte fliehen, der Welt der Magie einstweilen den Rücken kehren. Aber von hier aus würde sie sich wieder in die Welt einbringen, die sie vor fünfzehn Jahren nicht aufgenommen hatte, weil sie angeblich nicht fähig war, in einer ordentlichen Schule damit umzugehen zu lernen. Doch man hatte sich in ihr getäuscht! In jahrelangen Eigenstudien, in heimlichen Beobachtungen mächtiger Rituale, hatte sie doch noch zu ihrem magischen Wesen gefunden, das ihr angeboren war.

"Ich weiß nicht, was du in dieser Gegend willst, Sphinx. Aber ich denke, Tsunami weiß schon, wozu der dich hier rausgeschickt hat", grummelte der dunkelhäutige Leibwächter, den sie mitgenommen hatte. Leibwächter! Lächerlich, einen mitzunehmen, wo sie doch bald mehr Macht zur Verfügung haben würde, als eine ganze Armee mit allen Waffen der nichtmagischen Welt. Was brachte da ein Leibwächter mit einer Maschinenpistole, einer gewöhnlichen Pistole, zwei Messern und einer Drahtschlinge? Sie holte eine große Umhängetasche unter der hintersten Sitzbank hervor und beklopfte sie. Ja, die Trommel der haitianischen Voodoo-Priesterin Brigitte Samedi lag noch darin, die Schlegel aus Tierknochen, die mit mächtigen Symbolen der afrikanischen Zauberkunde verziert waren, klapperten verheißungsvoll. Mit diesen Werkzeugen würde sie ihre eigene Magie in Einklang mit der Kraft des alten Sklaven bringen, der dereinst seinen Fluch auf das Haus und dessen Besitzer gelegt hatte.

Als sie sich der Villa bis auf hundert Meter angenähert hatten, spürte Desdemona, daß etwas nicht so war, wie sie es erwartet hatte. Da war ein denkendes Wesen, das sie bemerkt hatte. Dies durfte nicht sein! Sie mußte es finden und töten. Doch sie konnte mit ihrem Blick der Erkenntnis nicht ausmachen, wo dieses Wesen sich aufhielt, denn es schien ihr förmlich auszuweichen. Auch dies durfte nicht sein. Wesen, die ihrem magischen Sinn für die innere Wesenheit ausweichen konnten, mußten selbst Magie beherrschen und erlernt haben, wie sie sich verbergen konnten. Ein heißer Schauer der Vorahnung einer tödlichen Gefahr überkam sie. War sie vielleicht nicht die Erste, die diesen Ort als das zu nutzen verstand, was sie zu nutzen vorhatte? Doch nun war sie hier. Wer immer hier war, er oder sie mußte sich ihr unterwerfen. Denn sie war stark. Stark genug, es mit mächtigen Zauberkundigen aufzunehmen.

"So, Mylady, wir sind da", sagte der Leibwächter, als der kleine Japaner am Steuer des Panzerwagens die Preßluftbremsen betätigte. Mit einem kurzen Ruck stellte der Motor seine Arbeit ein. Der Leibwächter, Logan Bullet, drückte einen Knopf neben der Tür, die zischend zur Seite glitt. Mit schußbereiter Maschinenpistole schlüpfte der Afroamerikaner aus dem Panzerwagen. Er lief im Geschwindschritt einmal um das Fahrzeug herum, während Desdemona ihre magische Trommel auspackte. Sie sang leise einige Zauber, die sie in ihrem langen Training verinnerlicht hatte, um die Umgebung abzusuchen. Dabei stieß sie urplötzlich gegen eine Mauer aus einer starken Gegenkraft, die ihren Zauber zurückdrängte. Sie hatte sich nicht getäuscht. Hier wohnte bereits wer, der über magische Kräfte verfügte.

"Keiner da, Missy! Die Gegend ist wie ausgestorben!" Rief Bullet.

"Brüll doch nicht so herum, Logan!" Zischte Desdemona. "Wir sind hier nicht alleine. Jemand versteckt sich hier im Haus."

"Ach ja?" Fragte der Leibwächter und richtete die Waffe auf die Vorderfront. Unvermittelt krümmte sich sein rechter Zeigefinger um den Abzug und zog diesen durch. Laut ratternd pustete die Waffe zehn Schuß Munition in Richtung Hauseingang. Sirrend prallten alle Kugeln von Wänden und Fensterscheiben zurück und schwirrten ungerichtet davon.

"Kugelsichere Fenster? Verdammt!" Bemerkte der War Dragon dazu.

"Du unfähiger Trottel. Du hast gerade was heraufbeschworen, was du nicht hättest wecken sollen!" Wies die schwarze Sphinx ihren Begleiter zurecht. In diesem Moment öffnete sich die pompöse Eingangstür, die unter einem von Säulen getragenen Vordach untergebracht war. Eine Frau, groß, blondhaarig, mit sommersprossigem Gesicht, gekleidet in einen langen weißen Umhang, der ihren Körper elegant umspielte, trat mit einer flackernden Fackel in der linken Hand aus dem Eingang. Bullet legte sofort auf die Fremde an.

"Was soll dieser Lärm zu nächtiger Stunde? Geziemt es sich, derlei Getöse zu verbreiten?"

"Wie redet die denn?" Kicherte Bullet, behielt die Unbekannte jedoch genau vor der rauchenden Mündung seiner Schnellfeuerwaffe. Desdemona derweil schien in einer unerträglichen Anspannung erstarrt zu sein. Denn sie fixierte die Frau aus der Villa mit ihrem Blick, der Anstrengung, aber auch Unbehagen verriet.

"Wer bist du denn, weiße Dame?" Fragte der Leibwächter amüsiert grinsend.

"Was tönt er, der doch nichts zu sagen weiß? Schweige er, Mohr und lasse er jene vortreten, die ihm befiehlt.! Ihr werde ich mich kundtun, sofern sie es nicht schon erahnt."

"Eh, Alte, 'ne Frau quatscht nicht so herablassend mit mir, klar? Du siehst wohl nicht, was ich hier in der Hand halte, wie?!" Rief Bullet in seinem Stolz gekränkt.

"Schweig er wohl!" Fauchte die Fremde und griff in ihren Umhang.

"Logan, leg dich nicht mit dieser Frau an. Die is'ne Hexe, wie ich", zischte Desdemona dem Begleiter zu. Dieses Wort "Hexe" wirkte selbst schon wie ein Zauberwort. Denn schlagartig schwand Bullet sämtliches Blut aus dem Gesicht und ließ es im Licht der Wagenscheinwerfer hellbraun glänzen, nicht in dem beinahe schwarzen Tiefbraun, das es sonst besaß. Fast entfiel ihm die Maschinenpistole. Er trat total eingeschüchtert zurück.

"Tretet nun vor, junge Maid! Erweist euch und mir die Sitte, mit gebührlicher Lautstärke zu sprechen!" Rief die Frau in Weiß und winkte einladend. Desdemona hatte nicht vor, näher an die Fremde heranzutreten, die ihre Rechte Hand wieder aus dem Umhang gezogen hatte, nachdem Bullet sich kleinlaut zurückgezogen hatte. Sie nahm ihre Voodoo-Trommel und einen der Schlegel. Sie konzentrierte sich, um einen Zauber der Schwächung anzustimmen. Als sie die ersten kehlig klingenden Laute ausstieß, hob die Fremde unter dem Vordach beide Arme, vollführte damit leichte Bewegungen, bei denen sie auch ihre freien Finger in geheimnisvolle Stellungen brachte. Desdemona spürte, wie durch diese Gesten und Körperhaltungen eine starke Gegenströmung von der Fremden ausging, eher noch, als sie und Logan Bullet die Wolke aus blauen und goldenen Funken sahen, die um die Unbekannte herumwehte und immer dichter wurde. Doch Desdemona sang und trommelte weiter. Sie schlug auf das mit Symbolen aus Tierblut verzierte Fell und sang ihren Voodoo-Zauber. Die Frau vor der Tür sang nun auch, während sie ihre Arme, Hände und Finger bewegte, ihren Körper wie eine sich geschmeidig windende Schlange verbog und ihre Augen fest auf Desdemona heftete. Die blau-goldene Funkenwolke verdichtete sich zu einem weiten Mantel und zu einer gleißenden Lichtaura, bevor diese dann mit einem gewaltigen Knall als Schauer blauer und goldener Blitze von ihr wegflog. Desdemonas Hand, die den Trommelschlegel hielt, verkrampfte sich. Der Schlegel wurde unvermittelt heiß, und die magische Trommel schien wie das herausgelöste noch lebende Herz eines großen Tieres in ihren Händen zu zucken und zu springen. Durch ihren Körper schoß ein krampfartiger Schmerz, der in einem Anfall bohrender Kopfschmerzen mündete, bevor alles vorbei war. Der Zauber war gebrochen. Die fremde Hexe hatte sie ohne magische Hilfsmittel wie Feuer, Trommeln oder Weihrauch zurückgeschlagen. Nun breitete sich leise Furcht in Desdemonas Bewußtsein aus. Mochte diese Zauberkraft durch die Magie dieses Ortes kommen? So mußte sie hier und jetzt versuchen, sich diese zu unterwerfen. Doch die Fremde ließ sie nicht so weit kommen. Sie rief:

"Höflichkeit ist wohl keine Zierde eures Wesens, junge Maid. Ich wünschte, mich mit euch gesittet zu bereden, und Ihr versucht afrikanische Magie gegen mich, die meine Glieder und meinen Geist schwächen soll. Doch meine Großmut gebeut, euch einen zweiten Versuch der gütlichen Verständigung zu gewähren. Legt also diesen verderblichen Zierrat archaischer Zauberkunst bei Seite und tretet vor mich hin!"

"Ach ja?! Wozu?! Ich verstehe Sie von hier aus genauso gut!" Rief Desdemona, wohl eher, um ihre Furcht zu überspielen als aus Überlegenheit.

"Nun, wenn Ihr nicht zu mir kommen mögt, trete ich zu Euch hin", erwiderte die Frau im weißen Umhang und schritt einfach auf Desdemona zu. Diese wußte, daß ein langes Ritual ihr jetzt nicht helfen konnte. Sie mußte die Fremde sofort niederwerfen, mit ihrer gefürchteten Zauberkraft besiegen, die sie mehr als alles andere ausgebildet hatte, dem Blick der Vernichtung. Doch Logan Bullet, der nun langsam wieder zur Besinnung kam, riß seine Maschinenpistole hoch, legte auf die Fremde an und feuerte zehn Schuß innerhalb einer Sekunde ab. Doch knisternd zerplatzten die Bleikugeln wenige Zentimeter vor dem Stoff des Umhangs, dem Kopf mit den strohblonden Haaren und allen anderen Körpergliedern.

"Was fällt ihm ein, mich derartig dreist zu bedrängen?! Mohrensohn, mit keinem seiner Mordwerkzeuge ist mir beizukommen. Weg mit diesem Lärmgerät!" Bei diesen Worten deutete sie auf die Maschinenpistole, die wie von einer unsichtbaren Faust gepackt dem Griff ihres Benutzers entwunden wurde und einfach davonflog, weit zurück. Bullet, den dieses telekinetische Zauberkunststück erst erschreckte, warf sich herum und lief der Waffe nach. Doch von irgendwo her schlug ein greller roter Blitz nach ihm, traf ihn voll in den Bauch und warf ihn besinnungslos zu boden. Da war Desdemona klar, daß mindestens noch ein Zauberkundiger, womöglich noch eine Hexe, im Dunkeln lauerte. Sie war in eine von ihr selbst gewählte Falle gelaufen, fiel es ihr nun ein. Doch kampflos wollte sie nicht unterliegen. Wenn sie schon hier war, würde sie um dieses Haus kämpfen.

"Wackere Ziele hegt Ihr in eurem Geiste. Doch wisset, junge Maid, daß jedes Streben, mir diesen Besitz streitig zu machen, euer sicherer Untergang sein wird. Erspart es Euch, solch unrühmlichen Tod zu erleiden und gebärdet euch, wie Sitte und Anstand es von Damen verlangen, die wohl nicht gleicher Meinung sind, aber doch Höflichkeit und Respekt füreinander darbieten. So habt Ihr mir bis zu dieser Stund' nicht euren Namen preisgegeben. Soll ich ihn denn wirklich selbst aus den tiefen Gründen Eures inneren hervorholen?"

"Sie haben mir nicht gesagt, wie Sie heißen. Sie reden wie eine mittelalterliche Lady aus England, aber das ist wohl nur Show", erwiderte Desdemona Glapion trotzig und bemühte sich, ihren Geist vor äußeren Eindringlingen zu verschließen. Doch das schien die Fremde zu erheitern. Sie lachte überlegen, während sie zwei Meter von Desdemona entfernt dastand, wie eine Königin, die eine Besucherin aus einem Nachbarreich von geringerer Bedeutung begrüßt, weil es die Reichspolitik so verlangte. Sie sagte dann mit ruhiger, ja honigsüßer Betonung:

"Nun, ich hege keinen Arg, Euch meinen Namen zu entbieten. So wisset, daß ich Anthelia, Tochter der Nigrastra, Nichte der großen Sardonia bin. Nun sagt an, wer Ihr denn seid, bitte!"

"Sardonia? Ich hörte von einer Hexe in Frankreich, die wohl mächtig gewesen ist und so gerufen wurde. Die lebte aber schon vor mehr als vierhundert Jahren. Sie wollen mir doch nicht erzählen, daß Sie 'ne Nichte von der sein sollen. Das mit der MP-Salve ist wohl'n Schutzzauber, um Geschosse zu parieren. Aber Unsterblichkeit", sprudelte es aus Desdemona heraus. Die Frau, die sich als Anthelia vorgestellt hatte, ließ sie gewähren, bis ihr die Worte von selbst ausgingen. Dann fragte sie erneut, dieses Mal leicht ungehalten klingend:

"Wie heißet Ihr, junge Maid? Es ist über alle Maßen unhöflich, sich dem Besitzer eines Hauses nicht mit Namen vorzustellen."

"So, Antellia, ich bin Desdemona Glapion, Ururenkelin von Marie Laveau, der Herrin von New Orleans, Königin der Gläubigen des alten Wissens."

"So, in Euren Adern fließet Blut einer mächtigen Hexe, die lange nach meiner angeborenen Daseinsform und lange vor meiner jetzigen Daseinsform Fähige und Unfähige unter strenger Zucht und Führung hielt. Dies ist mir eine Ehre, die Tochter aus solch erhabener Familie anzutreffen. Ihr glaubt mir nicht, daß ich die Nichte Sardonias bin? Nun, dies ist auch für Unseresgleichen eine schwerverständliche Begebenheit. Doch ich weiß, daß ich Anthelia bin, und die Schwestern, welche mir Gefolgschaft zollen, wissen dies auch." Mit diesen Worten erreichte Anthelia, daß sie für einige Momente versucht war, aufzugeben. Doch dann gewann der Trotz in ihr wieder die Oberhand. Anthelia schien dies nicht zu bemerken. Denn sie betrachtete die Besucherin ihres neuen Hauptquartiers mit derselben nachsichtigen Miene, mit der sie eine unwissend unterlegene betrachtete, die sich noch für stark genug hielt, obwohl sie bereits verloren hatte.

"Sie und diese Fremde, die meinen Leibwächter niedergestreckt hat? Mehr laufen hier doch nicht herum, will ich meinen. Ich bin hergekommen, um das alte Erbe anzutreten, das ein Kundiger der alten Kräfte vor etwas mehr als einem Jahrhundert hier hinterlassen hat. Es steht uns zu, die wir von afrikanischen Gefangenen und Sklaven abstammen, nicht einer Weißen, die meint, nur weil sie den Gegenzauber zum Schwächungsritual beherrscht, die Nachfahrin einer einst mächtigen Hexe Europas zu sein."

"Wagt Ihr es tatsächlich, Spott wider mich auszustoßen? Seid Ihr euch nicht darüber gewiß, daß ich Euer Leben, euer armseliges Leben, in meinen Händen halte? Muß ich Euch denn erst züchtigen, um euch den gebotenen Respekt zu lehren? Dann sei es dies!"

Anthelia holte aus der rechten Umhangtasche ihren Zauberstab. In diesem Moment versuchte Desdemona Glapion, den vernichtenden Blick einzusetzen. Anthelia bemerkte die Gefahr, sprang zur Seite und riß den silbrigen Zauberstab hoch:

"Protego!" Rief sie. Von einer sekunde zur anderen erstrahlte ein gleißender Lichtkranz um Anthelias Körper. Desdemona fühlte, wie eine mörderische Gewalt gegen ihren Kopf schlug, darin eindrang und wie ein Feuerball in ihrem Körper explodierte. Sie bemerkte, daß sie von ihrer eigenen Magie getroffen worden war, die von einem Schutzschild zurückgeprallt sein mußte.

"Nun werdet Ihr lernen, mir mit Ehrfurcht zu begegnen!" Schnaubte Anthelia, jetzt nicht mehr höflich oder gar wohlwollend klingend. "Crucio!" Desdemona sprang zur Seite. Zwar kannte sie die Wirkung dieses Zaubers nicht, doch daß man vor einem Zauberstab, der auf einen selbst deutete, auf der Hut sein mußte, wußte sie wohl, obwohl sie weder in Dragon Breath, noch Thorntails als fähige Schülerin angenommen worden war, wofür sie sich rächen wollte. Der Zauber verfehlte sie zwar und landete krachend am Scheinwerfer des Panzerwagens, dessen Glas von einem Netz feiner Risse überzogen wurde, doch Anthelia war wendig und hielt den Zauberstab erneut auf Desdemona gerichtet, die schnell einige magische Gesten vollführte, die jeden anderen bei voller Konzentration zurückgeworfen hätten. Einmal hatte sie einen Widersacher Tsunamis auf diese Weise zu Boden geworfen, ohne ihn anfassen zu müssen. Doch Anthelia schien selbst über genug telekinetische Zauberkräfte zu verfügen, sodaß die Macht der Niederwerfung sie nicht beeindruckte.

"Junge Maid, die Jugend verlirt sich in mancher Torheit. Aber wider mich zu kämpfen ist unverzeihlich und muß geahndet werden", sagte sie, als sie ihren Zauberstab wieder auf Desdemona richtete. "Maneto!" Desdemona schaffte es nicht, auszuweichen und blieb unvermittelt stehen, wo sie stand. "Crucio!" Rief Anthelia zum zweiten Mal, und diesmal brach die Hölle des unverzeihlichen Folterfluches über die Voodoo-Hexe im Gefolge Tsunamis herein. Sie konnte nicht ausweichen, nicht die Arme bewegen. Doch ihr ganzer Leib zuckte und zitterte unter den Wellen stechender, brennender, beißender und bohrender Schmerzen in allen Fasern, vom Kopf, über die Organe im Brustkorb, über das Gedärm, die inneren Geschlechtsorgane bis zu den Zehen. Da ihr Mund durch den Bewegungshemmzauber verschlossen war, entrang sich ihr nur ein schmerzerfülltes Wimmern und Winseln. Denn sie hätte laut geschrien, hätte sie den Mund öffnen können. Ihr Unterleib schien von einem wilden Feuerball von innen heraus zerrissen zu werden. Ihre Lungen brannten und fühlten sich an, als steche jemand von Innen darauf ein. Ihr Kopf schien zum zerplatzen unter Druck. Eine halbe Ewigkeit für Desdemona, jedoch nur eine halbe Minute für Anthelia, wirkte diese höllische Magie auf die dunkelhäutige Hexe ein. Als Anthelia den Zauberstab wieder sinken ließ, verflogen alle Schmerzen. Die Unbeschwertheit danach war wie ein freier Fall, eine Losgelöstheit vom Körper. Dann hob Anthelia noch den Bewegungsbann auf und sah ihre ungebetene Besucherin an.

"Trachtet nicht danach, diesen Ort zu unterwerfen! Ich gewähre Euch die Großmut, zu diesen Unfähigen zurückzukehren, deren rohe Umgangsformen Ihr verinnerlicht habt. Lasset jedoch fürderhin von diesem Orte ab! Er ist mein, und er wird es bleiben, solange ich meine Macht zu wirken weiß. Kehret zurück zu dem fehlgeleiteten Manne aus dem Volk der aufgehenden Sonne und kündet ihm, daß dieser Ort für Euch und ihn und seinesgleichen verbotener Grund und Boden sei. Eure Fehde mit den anderen Unfähigen traget gefälligst alleine aus. Ich werde mich in diese Angelegenheit nicht hineinmengen. Doch dieses Haus und die Kraft, die ihm innewohnt, ist mein und wird von mir und denen die mit mir sind erbarmungslos verteidigt werden. Geht und kündet dies Eurem Führer!"

"Zum Teufel mit dir, Hexe!" rief unvermittelt der japanische Fahrer des Panzerwagens. Weitere dunkelhäutige Wächter sprangen heraus, die Desdemona vorhin nicht gesehen hatte, weil sie im Kofferraum und der Fahrerkabine verborgen waren.

"Ihr habt hier nichts zu suchen!" Rief einer der schwarzen Muskelmänner in grünem Leder und feuerte auf Anthelia. Desdemona warf sich zur Seite. Die Kugeln zerplatzten, bevor sie auch nur ein Haar Anthelias krümmen oder den Stoff des Umhanges verderben konnten.

Die wiedergekehrte Nichte Sardonias hob ihren Zauberstab und rief: "Bollidius!" Aus der silbergrauen Spitze des Stabes schoß ein blau-goldener Feuerball heraus, fauchte etwa zwanzig Meter durch die Luft und barst genau auf dem Dach des Panzerwagens. Sengende Glut schlug Desdemona entgegen, als die Feuerkugel in an die zwölf Meter ausgreifenden rotgoldenen Flammen explodierte. Alle Männer, die im und um den Wagen gewesen waren, verbrannten innerhalb weniger Sekunden. Nur kurz vermochten sie, den unendlichen Schmerz, den das Verbrennen bei lebendigem Leib verursacht, hinauszuschreien, bevor sie sich in schwarze Haufen aus verkohlten Knochen und völlig eingeäscherten Fleisches auflösten. Der Wagen knirschte, knackte und knallte, als die Hitze der explodierten Feuerkugel ihn verformte. Er wurde rot-, gelb-, weißglühend, bevor er innerhalb einer Sekunde wie überhitztes Wachs auseinanderfloß. Der Diesltreibstoff im Tank verpuffte mit einem lauten Wumm! und einer dicken schwarzen Rußwolke, die jedoch noch im Flammenwirbel selbst entzündet wurde und in einem weiteren kurzen Knall als grelle Verpuffung verging. Zwischen erster und zweiter Explosion lagen keine zwei Hundertstelsekunden. Nach drei Sekunden, Desdemona fühlte, daß ihr Haar und ihre Haut am Rande des Entflammens waren, fiel die vernichtende Feuerkugel rasend schnell in sich zusammen und erlosch, als habe es sie nie gegeben. Nur die immer noch weiß glühende Pfütze aus flüssigem Metall und die in den Boden eingebrannten Umrisse der toten War Dragons, bezeugten dieses Inferno weniger Sekunden.

"Ihr seht, man sollte mich nicht zur Feindin erwählen, junge Desdemona Glapion. Eure unzureichend geschulten Gaben reichen nicht an mein Wissen und Können heran", bemerkte Anthelia, auf die Stelle deutend, wo vor nicht einmal einer halben Minute ein schier unzerstörbarer Panzerwagen gestanden hatte. Doch Desdemona wollte dies nicht hinnehmen und begann, wild zu trommeln und den Zaubergesang der wütenden Elemente zu singen, um Anthelia die Kräfte der Naturgeister spüren zu lassen, die damit gerufen werden konnten. Doch Anthelia ließ sie nicht soweit kommen, die Wut der Elemente über sie zu beschwören. Sie richtete ihren Zauberstab auf die wie in wilder Ekstase trommelnden Hexe: "Avada Kedavra!"

Gleißend grün sirrte ein magischer Blitzstrahl aus dem Zauberstab Anthelias und traf Desdemona, um die herum bereits kleine Feuerzungen, Dampfwolken und Staubfahnen wehten. Der Zaubergesang brach mitten in einer wichtigen Silbe ab. Anthelia ahnte eher als sie es spürte, daß sie schnell ausweichen mußte. Denn als Desdemonas Körper hinten überfiel, bereits ohne jedes Leben, tat sich ein meterbreiter Erdspalt unter ihr auf, der in gerader Richtung auf die Stelle zulief, wo Anthelia stand. Desdemonas Körper fiel hinein, wobei er sich merkwürdigerweise mitsamt der magischen Trommel in eine rot glühende Flüssigkeit auflöste, wie frische Lava aus einem Vulkan. Als sie vollends in den Erdspalt hinabgesunken war, tobte für zwei Sekunden eine Windhose über dem Erdspalt, die Staub und Steinchen aufwirbelte und gegen Anthelia schleuderte, die jedoch ruhig dastand, weil die fliegenden Gesteinsbrocken ihr nichts anhaben konnten, weil sie ja auch nur Geschosse waren. Dann war alle heraufbeschworene Magie verflogen. Der etwa fünf Meter tiefe Spalt in der Erde blieb jedoch bestehen.

"Huh, das war aber knapp, höchste Schwester", bemerkte Patricia Straton, die vor allen Blicken verborgen im Hauseingang gewartet hatte.

"Diese törichte Jungfer ist einem Traum nachgejagt, für den sie nicht das Rüstzeug hatte. Sie hätte nicht den Tod finden müssen. Aber wenn sie die Wut der Elemente beschwört, so mußte ich ihr endgültigen Einhalt gebieten", schnaubte Anthelia sichtlich verärgert. Dann richtete sie ihren Zauberstab auf den Erdspalt und rief: "Terreclausa!" Knirschend und grummelnd wuchs die klaffende Lücke im Boden wieder zusammen und schloß sich nahtlos, als habe dort kein aus der Bahn geratener Zauber einen Erdspalt geschaffen.

"Der eine liegt noch da, der so heißt, wie er sich vorstellt, höchste Schwester", wies Patricia auf den Leibwächter Desdemonas hin.

"Nimm dich seiner an, Schwester Patricia! Sorge dafür, daß man lernt, diesen Ort zu meiden, wenn man nicht ähnliches erleben will, wie diese unglückselige Maid, die aus Enttäuschung und Machtgier die Grenzen ihres Könnens mißachtete!"

Anthelia ging in die Villa zurück, sichtlich verärgert. Offenbar, so dachte sich Patricia Straton, hatte sie gehofft, daß Desdemona Glapion dem Spinnenorden beitreten und von ihr oder anderen Schwestern hätte lernen können, ihre Zauberkraft richtig zu nutzen. Sie hingegen bedauerte diese dumme Frau nicht. Sie war hergekommen, um die Villa zum Zentrum eines magischen Angriffs zu machen. Wäre ihr dies mit der Unausgegorenheit ihrer Ausbildung gelungen, hätte sie die ganze Gegend in einem Inferno elementarer Gewalten zerstört. Mit diesem schießwütigen Mann dort vorne wollte sie sich noch ihren Schabernack erlauben. Sie trat zu dem bewußtlosen Mann hin, nahm ihm sämtliche Waffen fort. Dann vollführte sie an ihm eine komplizierte Teilverwandlung, sodaß er auf Insektengröße einschrumpfte, den Körper einer blauen Schmeißfliege und den Kopf eines Menschen erhielt. Den immer noch betäubten barg sie mit einem Zettel in einer Blechdose. Bevor sie den Deckel schloß, erweckte sie mit "enervate" den nun derartig mißgestalteten Bullet aus seiner Betäubung, bevor sie den Deckel Schloß und mit diesem disapparierte, genau hinter den Nissan-Transporter, der am Nachmittag noch Ben Calder befördert hatte. In der Blechdose begann es zu surren und zu klicken. Der verhexte War Dragon hatte erkannt, das er nicht mehr so war, wie vor einigen Minuten noch. Patricia pfiff Lausbubenhaft auf den Fingern, womit sie einen zierlichen Japaner auf den Plan rief, der um die Ecke schoß und wie vom Donner gerührt stehen blieb. Patricia sah ihn durchdringend an, schien ihn förmlich von außen nach innen zu bearbeiten und sagte dann in einer sanften, einschläfernden Betonung:

"Gebe das Tsunami, deinem Anführer mit freundlichen Grüßen der Besitzer der verfluchten Villa! Wir wollen keinen weiteren Besuch von euch haben."

Der Mann sah im Moment so aus, als schlafwandele er. Mit entrücktem Blick und mechanischen Bewegungen kam er auf Patricia Straton zu und nahm ihr vorsichtig die Blechdose aus der Hand. Kaum hatte er sie in Händen, verschwand die Hexe mit einem lauten Plopp.

Als müsse er sich aus einem besonders tiefen Schlaf hochkämpfen, ging Tori Yamamoto zum Befehlsstand Tsunamis. Dort gab es alle Hände voll zu tun. Denn die Rattlesnakes kamen gerade mit einer weiteren Einheit von Motorradfahrern, und die eigentliche Bandenstärke war noch nicht erreicht. Er verbeugte sich sehr unterwürfig vor seinem Anführer und überreichte ihm die Blechdose. Als Tsunami fragte, woher er die Blechdose mit offenbar lebendem Inhalt hatte, sagte er den Spruch auf, den Patricia Straton ihm mitgegeben hatte. Tsunami zuckte die Achseln und sagte dem Untergebenen, der ja nicht wußte, was es mit der Villa auf sich hatte, er möge auf seinen Posten zurückkehren. Er selbst stieg in den japanischen Lastwagen, der, ähnlich wie ein Sattelschlepper bei den Rattlesnakes, als Befehlszentrum diente. Im Moment waren die Funkgeräte von einigen Mitgliedern der Bande besetzt, die nicht so gut ausgebildet waren, wie Wong Liu, der gerade wichtigeres zu tun hatte. Er ging in sein Privatkabinett, in das er sich gerne zurückzog, wenn er mit Desdemona alleine sein oder meditieren wollte. Er verschloß die Tür sorgfältig und betrachtete vorsichtig die Blechdose. Er vermutete, eine giftige Spinne oder eine giftige Biene darin zu finden, bis er fast unhörbare Hilferufe mit einer winzigen Stimme hörte.

Befremdet öffnete Tsunami die Blechdose. Eine blaue Schmeißfliege surrte daraus hervor, flog einige Runden um den Kopf des Anführers der War Dragons und setzte sich dann genau an Tsunamis rechtes Ohr. Angewidert wollte er das Insekt abschütteln, als das winzige Stimmchen sprach:

"Verdammt, Tsunamisan! Da in der Villa leben echte Hexen. Die haben mich ... mich ... verhext!"

"Wer bist du denn?" Fragte Tsunami, den eine stets sehr von ihm verabscheute Panik ergriff.

"Logan Bullet, Tsunamisan. Logan Bullet!"

"Was ist passiert?" Fragte Tsunami, der sich nun fast nicht mehr beherrschen konnte.

"Wir kamen an und wurden erwartet. Da war eine Frau in Weiß, die fiel nicht um, als ich auf sie geschossen habe. Dann schlug mir was in den Magen ... und dann bin ich so wach geworden."

"Als schmeißfliege?" Fragte Tsunami. Das Insekt löste sich vom rechten Ohr des Anführers und schwirrte vor Tsunamis Augen herum. Da verließ den Japaner endgültig jede Selbstbeherrschung, und er schrie nur noch vor blankem Entsetzen. Denn zwischen den schwirrenden Flügelpaaren, konnte er deutlich den winzigen Kopf eines Menschen erkennen, den Kopf eines Afroamerikaners, der ihn an den wuchtigen Kopf von Logan Bullet erinnerte, vielleicht deswegen, weil das Fliegenwesen diesen Namen genannt hatte. In unbezähmbarer Panik schlug Tsunami um sich und traf dabei das herumsurrende Insektenwesen, das vorhin noch ein muskulöser Mann aus Fleisch und Blut gewesen war. Damit beendete er unfreiwillig das grausame Schicksal, zu dem Patricia Straton Logan Bullet verurteilt hatte, als Tsunamis rechter Arm mit Wucht die Fliege zwischen sich und der Blechwand zerquetschte. Doch für Tsunami war das nun egal. Die grausame Vorführung skrupellos angewandter Hexerei, mehr als das, was er von Desdemona kannte, trieb den Anführer der War dragons an den Rand des Wahnsinns. Erst nach fünf Minuten fing er sich wieder. Er nahm die Blechdose noch mal hoch, vorsichtig. Er sah ein zusammengefaltetes Stück Pergament darin und nahm es heraus. Er entfaltete es mit wild zitternden Händen und las auf Englisch:

"Wir, die Besitzer der magischen Villa außerhalb von Dropout, wollen unsere Ruhe haben. Wagt euch nicht noch mal, uns zu stören, oder ihr werdet schlimmer leiden, als der, den wir euch zurückschicken. Alle anderen sind tot."

Tsunami ließ das Pergament fallen, weil ihn diese eindeutige Warnung wieder in eine neue Panik zu treiben begann. Dabei fing der Zettel aus sich selbst heraus Feuer und verglühte zu Asche, bevor er auf dem Boden auftreffen konnte.

"Die wollen uns umbringen. Wenn wir die noch mal besuchen, bringen die uns alle um!" Durchfuhr es Tsunami wieder und wieder. Doch dann bahnte sich ein Gedanke seinen Weg in das Bewußtsein, der ihn wieder aufmunterte.

"Wir wollten doch die Villa benutzen, um die Rattlesnakes zu schlagen. Schicken wir die doch alle dort hin. Dann werden die verhext, und alles ist in bester Ordnung."

__________

Wong Liu war zur Bescheidenheit erzogen worden. Deshalb überkam ihn weder Stolz noch Freude, als es ihm gelang, die Funkkontakte der Red Rattlesnakes zu ermitteln und im wahrsten Sinne dazwischen zu funken. Als es ihm noch gelang, die Stimme Greenskulls künstlich nachzumachen und von einem japanischen Hochleistungssprachsynthesizer simulieren zu lassen, sodaß er die meisten schweren Laster der Rattlesnakes in eine von Ruben Wallace vorbereitete Falle leiten konnte, überflog sein Gesicht nicht mehr als ein leichtes Lächeln. Tsunami würde mit ihm zufrieden sein.

Doch als die Rattlesnakes mit ganzer Stärke anrückten, kamen sie nicht nur vom Osten her, sondern auch vom Süden und Westen her. Im Norden, wo der Minengürtel um den Pferch mit den Stadtbewohnern lag, tauchten zwar ab und zu einige Einzelfahrer auf, die aber schnell niedergestreckt wurden. Scharfschützen mit weitreichenden Jagdflinten, einer Spende des Eisenwarenladens Cramer, konnten sich seelenruhig auf die Einzelfahrer einschießen.

Wong sah eine Gruppe von roten Motorrädern von Süden her in die Stadt einfallen. Er wußte, daß die Sprengfallen mit den Lichtschranken sie zwar hineinließen, aber dann nicht mehr aus der Stadt herausließen. Versteckte Maschinenpistolen mit angeschlossenen Fernauslösern, feuerten drauf los und fanden wohl auch einige Ziele. Der Großteil der einfallenden Feinde fiel jedoch den Sprengfallen zum Opfer, die beim Versuch, die Stadt zu verlassen, detonierten.

"Na, wie sieht es aus, gelber Bruder?" Fragte Ruben Wallace.

"Die Fallen funktionieren. Ich denke, der weiße Teufel Greenskull hat bereits sechzig Leute verloren. Aber auf unserer Seite sind bereits zwanzig Mann getötet worden, die meisten als Kamikazefahrer. Aber die Hauptmacht kommt ja noch an", sagte Wong Liu.

"Keine Sorgen, Wong. Wenn die Hauptmacht anrückt, werfe ich den Toaster an. Das gibt ein Freudenfeuer", sagte Ruben. Dann fragte er:

"Hast du was von Tsunami gehört, wieso der Panzerwagen losgefahren ist? Nachher brauchen wir den noch."

"Tsunami hat befunden, daß ich unwürdiger darüber nichts zu erfahren brauche. Wahrscheinlich bereitet er einen Angriff hinter den eigentlichen Linien vor."

"Ohne dich oder mich zu fragen, wie der am besten laufen kann? Merkwürdig", sagte Ruben.

"Wir haben ja schon was angeleiert. Mag sein, daß Tsunami einen anderen Platz checkt, von wo er aus zuschlagen kann, falls die Stadt nicht ausreicht, um die Rattlesnakes ..." Sagte Wong und erschrak, als ein Schwarm echter Granaten aus Militärwaffen heranschwirrte. Heulend fielen sie auf die Stadt und explodierten. Mehrere Häuser bekamen dabei was ab und wankten bedrohlich. Fensterscheiben klirrten, vereinzelte Feuer brachen aus. Dann rumste es weiter weg, ohne vorher mit Hui und Schwirr herangeflogen zu kommen. Offenbar hatten die verstreuten Rückendeckungsposten die Geschützwagen mit Sprenggeschossen angegriffen und gut getroffen.

"Die lernen das nie, daß schwere Waffen nur dann eingesetzt werden sollten, wenn sie sicher untergebracht sind", grinste Ruben. Jauchzend feierte er eine mörderische Explosion, die in der Innenstadt Dropouts stattfand. Gleißend hell schossen Flammen aus einem Haus, und erst drei Sekunden später hörten die beiden Spreng- und Elektronikexperten den wuchtigen Knall, der von den Häusern der Stadt widerhallte und ein bizarres Echo verursachte.

"Das war das Rathaus. Diese Dummbeutel haben es angegriffen, weil sie sich eingebildet haben, daß wir da drin sind. Wunder mich, daß deren Boss denen nicht geraten hat, erst einmal zu warten, ob wir überhaupt in der Stadt sind", sagte der Feuerteufel. Wong Liu lächelte nur.

"Wahrscheinlich würde er es ihnen sagen, wenn ich nicht alle wichtigen Frequenzen und sogar diesen genialen Hintergrundauschamplitudenmodulationsfunk überlagern würde. Es wird für diesen machtsüchtigen Weißen eine sehr bittere Lektion sein, daß Waffen alleine keinen Krieg entscheiden, sondern Planung und Spezialkenntnisse."

"Ach diese Weißbrote haben vor Jahrhunderten mit viel Geballer ganze Kontinente erobert. Du glaubst doch nicht, daß die da was anderes lernen wollen, wenn's doch früher so erfolgreich ablief", erwiderte Ruben Wallace.

Als eine große Gruppe von roten Motorrädern in die Stadt hineinfuhr, wohl an die neunzig Mann, grinste der Feuerteufel. Er wartete, ob noch weitere Rattlesnakes einrückten. Tatsächlich fuhren von den verschiedenen Richtungen noch weitere zwanzig Maschinen in die Stadt hinein.

"Dann warte ich doch glatt fünf minuten, ob von denen wieder welche rauswollen", meinte der Feuerteufel und grinste sehr bösartig. Seine augen leuchteten voller Vorfreude, und seine Finger drückten in der Luft auf nicht vorhandene Schalter. Offenbar probierte der Sprengstoff- und Brandstiftungsspezialist noch mal die Handgriffe aus, die er in kurzer Zeit ausüben wollte.

"Wir haben uns mit einer Flankengruppe dieser weißen Teufel einen Kampf geliefert. zwölf von uns mußten dabei sterben. Die werfen mit Handgr...", sagte ein Mitglied der War Dragons gerade über Funk durch, wurde jedoch unterbrochen. Offenbar suchten die Rattlesnakes auch im Umkreis nach ihren Feinden.

"In den großen Panzerwagen! Wenn die uns hier finden, findet die Premiere nicht mehr statt", trieb Ruben seinen chinesischen Kameraden zum Rückzug in eine wesentlich sichere Umgebung an. Sie liefen schnell zu einem großen Truck, der von außen ganz normal aussah, jedoch von innen mit gehärteten Stahlplatten ausgekleidet war und über eine Bewaffnung von zehn Maschinengewehren auf jeder Seite verfügte. Auf der Kühlerhaube war noch mal ein schwenkbares Maschinengewehr verbaut, das vom Fahrer ausgelöst werden konnte. Innen war eine Computerzentrale untergebracht, von der aus die seitlichen Waffen bedient, der Funk überwacht oder mit Videokameras die Umgebung beobachtet werden konnte. Wong hatte sogar Restlichtverstärkungsprogramme auftreiben und für seine Zwecke weiterentwickeln können, sodaß sie selbst bei der Lichtstärke eines Hundertstels Kerzenlicht eine fast taghelle Bildwidergabe bekamen. Draußen herrschte jedoch genug Umgebungslicht vor, um die Restlichtverstärkung nicht bis zur höchsten Empfindlichkeit auszureizen. Wong und Wallace hatten ein mordsmäßiges Glück. Denn gerade als sie die hydraulisch gesteuerte Panzertür hinter sich geschlossen und verriegelt hatten, knatterten an die sechzig Motorräder mit roter Lackierung und in rotem Leder steckenden Fahrern heran. Einer davon warf einen eiförmigen Metallgegenstand nach dem Panzerwagen.

"Die Eier könnt ihr vergessen, Jungs", knurrte Ruben, als das Wurfgeschoß mit lautem Knall unter dem Wagen explodierte. Die Stoßdämpfer federten die Druckwelle ab, und die Unterbodenpanzerung hielt der Explosion locker Stand.

"Wo kriegen die solche Dinger her? Das war eine echte Eierhandgranate", wunderte sich Wong.

"Greenskull wird nachgesagt, er kenne genug Waffenhändler, die amerikanische Armeelieferungen zu ihm umleiten könnten. ... Ja, Jungs, verballert eure Babys ruhig gegen uns. Ich mach noch ein bißchen Speed-Metal-Musik dazu", lachte Ruben, als sie mit einer Flut von Handgranaten verschiedener Bauarten eingedeckt wurden. Er drückte kurz auf einige Knöpfe. Surrend schwenkten die Seitengeschütze auf die Angreifer ein und feuerten mit zwölf Schuß pro Sekunde Spreng- und Brandmunition los. Da von beiden Seiten des Wagens Angreifer herangefahren kamen, fielen in den ersten drei Sekunden bereits zwanzig Mann von ihren Maschinen, die von den Geschossen in Brand gesteckt oder gleich zur Explosion gebracht wurden. Das trieb die restlichen Rattlesnakes dazu, schnell das Weite zu suchen, wobei auf der Flucht noch zehn Leute von ihren Maschinen gefegt wurden, als seien sie Papierziele auf einem Schießplatz, keine lebendigen Menschen, die einen Namen hatten, Freude und Leid empfinden konnten oder einmal auf bessere Zeiten gehofft hatten. Für Ruben Wallace waren es nur verachtenswerte Weiße, ihre Erzfeinde, die man rücksichtslos und problemlos abschießen durfte, ja abschießen mußte. Wong hingegen empfand beim Blick auf die Videoschirme, auf denen das ferngesteuerte Gemetzel ablief, eine aufsteigende Übelkeit. Er sah, wie eine Garbe Sprenggeschosse einen Motorradfahrer erwischte, faustgroße Löcher in seinen Körper riß und diesen buchstäblich zerteilte. Doch gegen das, was Ruben zwei Minuten später auslöste, war dieses brutale Massaker ein harmloses Scharmützel.

Wong rang die Übelkeit nieder, die der Anblick gräßlich entstellter Leichen und Leichenreste auf den Videoschirmen bot. Er dankte seinen Göttern dafür, daß er nicht auch das verbrannte Fleisch, das kochende Blut und den Gestank von explodierten Motorrädern riechen mußte. Denn der Panzerwagen filterte die Luft von außen durch mindestens vier Systeme, um mögliche Gasangriffe zu vereiteln oder ihn durch dichten Qualm steuern zu können.

"Achtung, die Fete geht los! Das große Klapperschlangengrillfest!" Kündigte Ruben Wallace an und drückte einen Knopf in seinen Sockel. Surrend fuhr eine dreiarmige Antenne aus, die sich über dem Panzerwagen entfaltete. Dann schaltete der Feuerteufel einen kleinen Funksender ein, dessen Kontrollicht nach vier Sekunden grün leuchtete. Danach drückte der Sprengstoffexperte ein paar Knöpfe, worauf auf einem Monitor ein Rasterbild von Dropout entstand, bei dem einige Knotenpunkte rot aufleuchteten. Dann erschien die Zahl 234 auf dem Schirm. Ruben lächelte ein teuflisches Lächeln. Zweihundertvierunddreißig Rattlesnakes hatten die Lichtschranken für die Durchfahr-Sprengfallen berührt und sich in der Stadt verteilt. Er wählte mit einer Computermaus die rot leuchtenden Knotenpunkte aus, dann die gelb leuchtenden, machte eine Pause von fünf Sekunden, während der er wohl die aufgekommene Vorfreude richtig auskostete und drückte die Eingabetaste des Computers. Wong hatte die Sprengfallen alle so geschaltet, daß sie bei Bedarf auch direkt gezündet werden konnten. Er wußte auch, daß Ruben Brandsätze in der Stadt verteilt hatte, die mit hohem Druck brennende Flüssigkeiten in alle Himmelsrichtungen spritzen würden, wenn sie gezündet wurden. Was Wong nicht wußte war, daß Ruben eine besondere chemische Mischung angerührt hatte, die ein Feuer noch schneller anheizen würde. Diese Brandbomben gingen nun los, was durch den Computer mit blinkenden Lichtern angezeigt wurde.

"Und die Hölle tut sich auf", sang Ruben, als seine Vernichtungsvorrichtungen losgingen. "Kennst du einen Dante Aligeri, Liu?" Fragte er noch.

"Nein, kenne ich nicht", sagte Wong sehr bekümmert, weil er daran denken mußte, was nun in der Stadt passierte.

"Der hat mal 'ne Geschichte über die Hölle geschrieben, sich vorgestellt, wie die aussehen mag. Aber gegen meine heiße Ware ist das alles Kinderkram", sagte der dunkelhäutige Vernichtungsfanatiker. Er sah genüßlich auf die Videoschirme und empfand Freude daran, was er sah. Doch das elektronische Abbild alleine reichte ihm offenbar nicht aus. Er sprang auf, nahm eine Maschinenpistole mit und verließ den Panzerwagen, nachdem die Funkantenne wieder eingeholt worden war.

"Das mächtige Wesen des Feuers muß man mit allen eigenen Sinnen erleben, um seine Schönheit und Macht zu erkennen", sagte Wallace und sprang aus der geöffneten Panzertür. Wong sank hinter den Videoschirmen in sich zusammen. Starr, als zwinge eine übermächtige Gewalt ihn dazu, blickte er auf die Videoschirme.

Feuerbälle von mehr als zehn Metern Durchmesser, waren direkt nach Zünden der Brandsätze explodiert und verschlangen Straßenzüge und Häuser in wilden Flammen. Die losgelassene Feuersbrunst breitete sich innerhalb von nur einer halben Minute über drei Viertel der Stadt aus. Häuser brannten, durch die Straßen tobte die glühende Lohe und schmolz den Asphalt, verzog die Laternenpfähle und entzündete geparkte Autos. Da die Brandbomben in mehreren Ringen und Speichenlinien über die Stadt verteilt worden waren, gab es keine Richtung, in der dem Höllenfeuer noch entkommen werden konnte. Wong stellte es sich vor, wie die zweihundertundvierunddreißig Rattlesnakes unrettbar von diesen Feuermassen eingeschlossen wurden. Womöglich waren viele von denen bereits bei den Explosionen getötet worden. Der Rest hatte eine kaum als Gnadenfrist zu bezeichnende Zeit zu überleben, bevor er auch dem Feuer zum Opfer fallen oder durch die Explosionen der noch nicht aktivierten Sprengfallen sterben mußte. Mit einem Schlag, so wie Tsunami und Wallace es geplant hatten, wurde nun die Hälfte aller bekannten Rattlesnakes ausgelöscht und mit ihnen die Stadt Dropout im Staate Mississippi.

"Wong, hörst du mich?" Fragte Tsunami, der Anführer der War Dragons.

"Ja, ich höre dich, Tsunamisan."

"Der Feuerteufel hat wohl sein Meisterwerk losgelassen, die brennende Stadt. Aber das heißt für uns, daß wir schnell fertig werden müssen. Wenn die Militärs die Stadt auf den Satellitenbildern sehen, schicken sie alles her, was fliegen kann. Wieviel Mann waren in der Stadt, als Ruben sie in Brand setzte?"

"Der Computer hat zweihundertvierunddreißig Mann gezählt. Wir haben vorher vom Panzerwagen aus genau zweiunddreißig Mann erledigt. Wieviele gibt es dann noch von denen?"

"Wir haben hier noch Gruppen, die uns beharken. Wir haben um die hundert Leute verloren, die dafür aber fast zweihundert. Greenskull war noch nicht dabei. Aber ich habe da eine Idee. Setze über die Verbindungsfrequenzen dieses unwürdigen Weißen eine in seiner Stimme klingende Botschaft ab, daß wir, also die Reisfresser und Kohlensäcke, uns in einer Villa fünf Meilen außerhalb der Stadt zurückgezogen haben. Mal sehen, wieviele von denen da noch hinkommen."

"Was passiert dort bei der Villa?" Fragte Wong.

"Dessy hat da was gedreht, was uns diese Leute ein für allemal vom Hals schaffen dürfte. Wir auf jeden Fall ziehen uns zurück, wenn du diese Nachricht rausgeschickt hast", erwiderte Tsunami.

"Gut, Tsunamisan. Ich werde deinen Befehl sofort ausführen."

"Wo ist denn der Feuerteufel?"

"Er genießt, was er angerichtet hat, Tsunamisan", sagte Wong Liu sehr bedrückt.

"Dann hol ihn zurück, wenn du die Nachricht abgesetzt hast. Ich Bleibe im anderen Wagen und fahre los, wenn ich den Rest dieser Aktion richtig eingeteilt habe", sagte der japanische Bandenchef. Dann verriet er Wong noch, wo genau die Villa lag und beendete den Funkkontakt. Wong führte den Befehl aus. Er programmierte den Text, den der auf Greenskulls Stimmuster eingestellte Sprachsynthesizer formulieren sollte, legte eine aufgeregt erscheinende Betonung fest und jagte die so programmierte Botschaft über die von den Rattlesnakes benutzten Kanäle, nicht die digitalfunkkanäle, die er vor Zeiten schon blockiert hatte, sondern die, wo er sich noch nicht offenbart hatte, die Hintergrundrauschveränderungsverbindung.

Anschließend holte er Ruben Wallace durch einen Ruf übers Kurzstrecken-Funkgerät zurück in den Panzerwagen und befahl dem Fahrer vom Dienst, loszufahren. Da dieser auch von Tsunami die Anweisungen bekommen hatte, loszufahren, gehorchte er bedenkenlos.

__________

Rick Maddox war einer der besten Motorradfahrer von den Red Rattlesnakes. Er fuhr gerade mit mehreren Leuten seiner Bande in die verlassene Stadt Dropout ein. Da die Anweisung vom Boss gekommen war, die Stadt möglichst schnell zu besetzen, aber auf Fallen zu achten, paßten sie gut auf, ob sie nicht über Stolperschwellen oder durch Radarstrahlen fuhren. Um Radarstrahlen aufzuspüren, führten sie Warngeräte mit, die sie auch gegen die Radarmeßanlagen der Polizei einsetzten, wenn sie nicht gerade ausreizen wollten, wie schnell ihre Maschinen fahren konnten. Gegen dünne Infrarotstrahlen hatten sie keine Spürgeräte dabei. Deshalb bekamen Rick und die anderen nicht mit, daß sie beim Einfahren in die Stadt bereits mehrere Sprengfallen gekitzelt hatten, die nur deshalb nicht losgingen, weil sie von draußen nach drinnen fuhren. Vereinzeltes MP-Feuer schlug ihnen entgegen. Einen erwischte es. Mit blutigem Arm und einem Durchschuß durch das rechte Bein blieb dieser zurück. Rick führte nun die Truppe an.

"Merkwürdig", sagte er zu seinem Nebenmann. "Die haben die ganze Stadt geräumt. Wieso machen die sowas ...?" Bumm!!!

Eine gewaltige Explosion direkt vor ihnen hieb gnadenlos auf die Trommelfelle der Motorradfahrer ein. Die Druckwelle schleuderte Staub und Splitter gegen sie und verursachte einige Stürze. Rick, der gerade noch rechtzeitig bremsen konnte, sah vor lauter Staub auf dem Helmvisier nichts mehr. Fluchend wischte er sich den Dreck von der Plexiglasscheibe und suchte seine Leute. Diese waren wieder aufgestiegen und fuhren langsam weiter, auf der Hut vor weiteren Sprengfallen. So fuhren sie etwa fünf Minuten in der Stadt herum, zwischendurch mal auf Gebäude schießend, aus denen ihnen Kugeln entgegenflogen. Rick wandte sich an seinen Nebenmann und sagte:

"Die haben die Sprengfallen auf Annäherung gestellt. Halte dich bloß von den Häusern fern, bevor ..."

Ohne Vorwarnung, ohne Anlauf, schossen plötzlich um die Truppe um Rick Maddox meterhohe Feuerkugeln aus dem Boden. Gluthitze schlug ihnen auf einer unwiderstehlichen Druckwelle von allen Seiten entgegen. Es ging so schnell, daß Rick erst begriff, was passierte, als die weißgelben Flammenmassen schon heran waren. Er blickte in das tosende Innere einer mächtigen Feuerwalze, die mit mehr als hundert Stundenkilometern auf ihn zuraste. Er fühlte, wie der Boden unter seiner Maschine weich wie warme Butter wurde, Blasen warf und Dellen bekam. Er blickte sich um, und erstarrte vor Schreck. Sie alle waren von einem sich immer enger schließenden Ring aus grellen Flammen umschlossen. Er hörte ferne Schreie, Schmerzens- und Todesschreie, das Tosen der Flammen und das Zerbrechen von Dingen, die der höllischen Hitze nicht gewachsen waren. Eine Explosion wohl hundert Meter rechts von ihm, verriet ihm, daß wohl ein geparktes Auto von den verheerenden Feuermassen zerstört worden war. Dann verließ ihn der klare Verstand. Panik packte ihn mit eisernem Griff und trieb ihn an, einfach loszufahren, weg von der Flammenhölle voraus. Doch es war schon zu spät. Der Boden hielt das Motorrad nicht mehr aus. Der schwarze Asphalt dampfte bereits und blubberte. Rick fiel von der Maschine. Laut knallend platzten die beiden Reifen der Harley, bevor diese mit vollem Gewicht auf ihm landete. Er wurde in die heiße weiche Masse hineingedrückt, die einmal ein fester Straßenbelag gewesen war. Der Hitzeschock jagte ihm erst höllische Schmerzen durch den Körper, dann schwand sein Bewußtsein. Durch diese Gnade des Schicksals bekam er nicht mehr mit, wie das Feuer ihn einholte und wie einen Haufen Lumpen verzehrte. Eingegraben in zerkochenden Teer schwärzte sich der Körper des Rattlesnake-Mannes, glühte rot auf und zerplatzte vom Druck des in ihm kochenden Blutes. Keine Zehn Sekunden später gab es in dieser Straße kein lebendes Wesen mehr. Straße und Häuser wurden dem Erdboden gleichgemacht.

Morton, den alle nur Blade, die Klinge, nannten, weil er so gut mit Messern umgehen konnte, hatte unverschämtes Glück. Er wollte gerade in die Stadt hineinfahren, als das Inferno losbrach. Ohne weitere Befehle zu erfragen wendete er und fuhr zu seinen Kameraden zurück, die sich sammelten, um eine Gruppe War Dragons anzugreifen, die man weiter nördlich ausgemacht hatte.

"Dieser Bastard von Feuerteufel hat die Stadt in Brand gesteckt. Wie bescheuert waren wir, da reinzufahren?!" Rief Blade. Er bekam keine Antwort darauf.

"Fast die ganzen Leute, die hier waren, sind da drinnen", sagte Tony der Scharfschütze, auch einer von Greenskulls besten Leuten. "Das haben die gut abgepaßt. Der Boss hat zwar gesagt, wir sollen aufpassen, aber auf Sprengfallen und nicht auf Feuerladungen. Ich ruf den gleich und sage ihm, was Sache ist."

"Gut", sagte Blade nur. Tony nahm das spezielle Funkgerät und schaltete es ein. Er wollte gerade den Sendeknopf drücken, um zu fragen, was sie nun tun sollten, als sich Greenskulls Stimme merklich erregt meldete, unterbrochen durch atmosphärische Störungen, die die Rauschmodulation verdarben.

"A..tung! Hier ... der Boss! Reisfr..sser und die ...hlensäcke sind ... ..ner Villa außerhalb der ..adt. Ihr kommt ... Feldweg ... hin. Da sitzt ...nami und seine Ban.e. Fahrt sofort los und macht sie fertig!"

Die Botschaft wurde mehrmals wiederholt, immer mit abgeändertem Text, aber mit der Beschreibung des Weges. Deshalb, weil stets anders gesprochen wurde, kam keiner darauf, daß sie einer computergenerierten Botschaft aufsaßen, die sie in eine Falle führen sollte, die nicht vom Anführer der War Dragons errichtet, wohl aber gestellt worden war. Wut und Rachsucht taten ihr übriges, um die restlichen zweihundert Rattlesnakes zu der verlassen geglaubten Daggers-Villa zu führen, die Tsunami nun als äußerst gefährlichen Schauplatz kannte.

__________

... "Verflucht, das ist Napalm!" Rief Metzger Bacon schreckensbleich und starrte auf das plötzlich hell und orangerot bis gelbweiß leuchtende Feuer, das sich unwahrscheinlich schnell über Dropout ausgebreitet hatte.

"Napalm? Jetzt kriegen dich deine Kriegsneurosen wieder ein, wie Bacon?" Erwiderte Stevenson, der örtliche Schmied von Dropout. Doch als er den feurigen Teppich in der Ferne sah, der seine Geburts- und Heimatstadt überzog, wurde ihm ganz anders. Sicher, er war den Umgang mit heißen Feuern gewohnt und hatte keine Angst vor wilden Flammen. Doch dieses Inferno im Süden des großen Platzes, wo alle Einwohner der Stadt mit Gewalt zusammengetrieben worden waren, trieb ihm Angstschweiß und Gänsehaut auf alle Körperpartien. Ben Calder betrachtete das höllische Spektakel mit einer Mischung aus Angst und Faszination. Doch wie die anderen hier fand er keine Worte, um das zu beschreiben, was sich dort abspielte, wo sie am Morgen noch nach einer ruhigen Nacht erwacht und mit der Gewißheit, einen weiteren friedlichen Tag zu verleben aufgestanden waren. Er sah wie die anderen auch, wie sich der Flammenteppich hungrig und ungebärdig über einen großen Bereich ausdehnte. Er hörte die Explosionen und vermeinte sogar, sehr weit entfernte Schreie sterbender Menschen zu hören. Doch das konnte auch Einbildung sein, weil er mit sowas rechnete.

Bens Mutter suchte ihren Sohn und flüsterte ihm zu:

"Was haben wir getan, daß Gott uns so straft?"

"Nichts, Mom", flüsterte Ben erschüttert zurück. Jetzt erst, langsam und unangenehm, blühte in ihm die Erkenntnis auf, daß sie alle hier gerade Hab und Gut, Heim und Arbeitsplatz verloren, tatenlos zusehen mußten, wie ein wahnwitziger Brandstifter ihre friedliche Stadt zerstörte. Tränen kamen nicht nur Ben Calder, als er sich darüber klar wurde, daß er mit seiner Mutter gerade alles verloren hatte, was er besaß. Die Erschütterung wandelte sich in ohnmächtigen Zorn auf die, die das getan hatten, die sie alle hier wie Vieh zum Abtransport zusammengepfercht hielten, mit Maschinengewehren und Sprengkörpern in Schach hielten.

"Wieso hast du mich gerettet, du vermaledeite Hexe?" Schickte er einen wütenden Gedanken an Anthelia, von der Ben dachte, sie würde ihn immer noch überwachen. Doch er bekam keine Antwort.

"Das ist echt Napalm, was da brrennt. So heftig schnell und stark brennt nur das Zeug", sagte Metzger Bacon nach mehreren Minuten ohnmächtigen Schweigens. "Ich hab's in Nam gesehen, wie unsere Jungs damit 'n ganzes Dorf in zehn Minuten niedergemacht haben, nur weil das Hauptquartier meinte, Charlies Leute wären da. Diese Verbrecher hier haben das wohl auch benutzt."

"Wie sollen die denn da drangekommen sein, Bacon?" Fragte Bäcker Barley.

"Beziehungen. Die Anderen, die uns beharkt haben, haben ja auch echte Granatwerfer benutzt", warf der Metzger ein.

"Das kann doch jeder Chemieversessene aus dem Internet holen, wie Napalm geht", warf Willy der Kleiderschrank ein. Ben nickte.

"Diese Gangster!" Fluchte Stevenson. "Wir haben unser Leben dafür malocht, um uns die Stadt so zu bauen, wie wir sie haben wollten, uns den Hintern aufgerissen, um da gescheit zu leben, und ein paar durchgeknallte Asoziale fackeln das alles ab, als sei das nichts!"

"Sich jetzt drüber aufzuregen bringt's jetzt auch nicht mehr", schnaubte Roy Cramer. Man sah ihm an, daß die ohnmächtige Wut, die er empfand, gerade soeben noch beherrscht wurde. Auf Ben machte der Vater seiner Freundin den Eindruck eines Hochdruckkessels, der bis zum Zerbersten unter Dampf stand. Er sah mit tränenden Augen die übrigen Bewohner Dropouts an, das gerade in einem von Menschen gemachten Vernichtungsakt zu Asche zerfiel. Keiner sah gleichgültig aus. Sicher, einige sahen irgendwie weggetreten aus, als habe man sie mit Drogen vollgepumpt, wieder andere weinten, wie Ben, Donna und Bens Mutter, wieder anderen stand das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben, und der Rest derer, die Ben sehen konnte, stampfte mit den Füßen auf, funkelte mit den Augen aus zornesroten Gesichtern. Sie pflichteten damit dem Schmied bei, der ihrer aller Gedanken ausgesprochen hatte.

"Wieso hast du verdammtes Hexenweib mich nicht krepieren lassen?" Fragte Ben voller Wut, aber nur in Gedanken. Wieder bekam er von Anthelia keine Antwort.

Weitere Explosionsgeräusche und das Poltern zusammenstürzender Gebäude drang wie Gespenstermusik an die Ohren der nun heimat- und Obdachlosen von Dropout. Die Stadt und alles, was in ihr war, schrie im Todeskampf. Die Schreie lebender Menschen, die von den Feuermassen qualvoll getötet wurden, waren zu leise, um bis zu den Dropoutern zu gelangen. Lediglich die hundert verschiedenen Hunde, die von ihren Besitzern mitgenommen worden waren, winselten, weil sie die fernen Todesschreie hörten und sich von der damit verbundenen Todesqual in Angst versetzt fühlten. Bonzo, der Schäferhund von Daniel Murphy, einem der Reservehilfssheriffs, bellte laut und basslastig los, als ihm das Geschrei aus der Ferne zu viel wurde.

eine Halbe Stunde verging in erdrückender Untätigkeit, bis der lange Curd plötzlich zu Ben sagte: "Heh, die Bastarde rücken ab. Ich hab's gerade gesehen, wie die von diesen MG-Dingern weg sind. Die steigen auf ihre Maschinen und ..."

Ein lauter Knall in der Ferne erklang, und ein gleißender Blitz überstrahlte für eine Sekunde das lodernde Großfeuer in Dropout. Dann hörten die Gefangenen, wie schwere Motorräder angelassen wurden und davonknatterten.

"Die hauen ab!" Rief Bacon ungläubig. "Die lassen uns hier verrecken!"

"Vielleicht haben die die Sprengfallen entschärft", vermutete Barley.

"Willst du's ausprobieren, John?" Fragte Bacon den Bäcker. Dieser schüttelte den Kopf.

"Auch wenn die Bäckerei wohl gerade niederbrennt hänge ich doch noch an meinem Leben", sagte Barley eindringlich.

Ben war versucht, loszulaufen, um zu sehen, ob die Sprengfallen noch funktionierten. Doch irgendwie konnte er sich noch beherrschen. Was würde seine Mutter sagen, wenn er von einer dieser Mienen zerfetzt würde? Was würde Donna denken, wenn er sich ohne Grund in den Tod stürzte? So blieb er stehen, wo er stand.

"Leute, ob die Dinger da noch funktionieren oder nicht ist völlig schnurz, weil wir ja nirgendwo mehr hingehen können", warf Willys Vater ein, der ebenfalls ziemlich breit und hoch gebaut war. Alle die ihn hörten nickten zustimmend. Was brachte es jetzt noch, sich durch die aufgestellten Sprengfallen zu mogeln, wenn ihre Heimatstadt gerade unter einem Feuerteppich zerbröckelte. Die Fremden auf den grünen Motorrädern hatten ihnen alles genommen, außer dem Leben. So verfielen die meisten Bewohner der zerstörten Stadt in eine aus Verzweiflung entstammende Untätigkeit und blieben in den von den Gangstern festgelegten Grenzen. Sie taten gut daran. Denn die Sprengfallen waren noch aktiv, und die Maschinengewehre konnten durch weit reichende Annäherungsmelder automatisch losfeuern. Doch das wußten die Dropouter nicht und interessierten sich wohl auch nicht dafür. Was wichtig war, brannte gerade nieder. Keine Feuerwehr, keine Rettungstruppe stemmte sich dem entgegen, denn die fünfzig Feuerwehrleute waren selbst Gefangene der War Dragons, die sich gerade vom Schauplatz ihrer mörderischen Schlacht zurückzogen. Vereinzelt konnten noch Schüsse aus Maschinenpistolen und explodierende Handgranaten gehört werden, wenn sich War Dragons und Red Rattlesnakes begegneten. Doch langsam verebbte jeder Kampflärm. Nur noch die Explosionen aus der Stadt, wo Gas- und Öltanks von Häusern oder Benzintanks von Autos zerbarsten, wummerten herüber. Der Krach zusammenbrechender Häuser rollte wie unirdischer Donner über die freie Landschaft. Quietschend und Kreischend verbog sich Metall, bevor die Flammen es derart weich glühten, daß es wie rot glühendes Gummi verformt wurde. Dropout glich dem Tor zur Hölle, einem roten Untergrund, schwarzer kochender Teer, über dem kleine Flämmchen tanzten, wenn die Teergase sich entzündeten und der Teppich aus mehterhohen Flammen in allen Farben von Blau bis orangerot. Zwischenzeitlich, wenn wieder ein größerer Gastank explodierte oder eine der nicht gezündeten Sprengfallen, fuhr eine gleißende Feuersäule in den Nachthimmel hoch, durchstieß die wabernde Rauchwolke, die sich langsam über mehrere Kilometer ausbreitete.

Die Bewohner der vernichteten Stadt verharrten in der Lähmung der Hilflosigkeit. Einige hockten am Boden und weinten. Andere hatten sich hingeworfen und blieben im Staub liegen. Keiner versuchte, sie wieder aufzurichten. Keiner rührte irgendeinen Finger, um anderen Zuversicht oder Hilfe zu geben. Das Schicksal der einzelnen, war ja das Schicksal aller. Keiner glaubte an eine Zukunft, denn ihre friedliche Welt war ohne Vorwarnung zerstört worden.

Ben Calder blickte in die Richtung, wo die Daggers-Villa stand. Dieses verfluchte Haus war nicht in Feuer und Rauch gehüllt. Es würde stehenbleiben, unbeeindruckt von den Geschehnissen. Warum hatte diese Anthelia das zugelassen? Hatte sie nicht gesagt, Donna, ihr Vater und Bens Mutter seien wichtig für Ben? Aber an die Stadt hatte sie nicht gedacht, diese verfluchte Hexe. Sie saß nun sicher in ihrem alten Landhaus und sah wohl zu, wie die Stadt verglühte. Sie würde sich nicht drum scheren, ob Dropout nun unwiederbringlich verschwunden war. Ihr würde das völlig egal sein, daß über dreitausend Menschen keine Wohnung und keine Arbeit mehr hatten. Sie war über alles erhaben. Ben wurde immer wütender. Ihn trieb es danach, dieser strohblonden Hexenlady den Hals umzudrehen. Er brannte darauf, ihrer Handlangerin Patricia mit deren eigenen Haaren die Luft abzuschnüren. Deshalb jauchzte er unvermittelt, als er eine gleißende bläuliche und goldene Flammenwand dort aufleuchten sah, wo die Villa stand. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als daß auch dieses verfluchte Landhaus ein Raub der Flammen wurde.

"Was is'n mit dir los, Benny?" Rief Curd. Ben strahlte über das ganze Gesicht. Dann erst merkte er, wie merkwürdig, ja irre er den anderen vorkommen mußte. Er errötete und sagte:

"Ich habe gerade geträumt, die Armee käme und würde uns rausholen", sagte er.

"Träum weiter!" Schnaubte Curd und zog sich zu seinen Eltern zurück. Die anderen nahmen die Flammenwand um die Villa nicht zur Kenntnis. Für sie zählte nur Dropout, das im Schein des Feuers seine letzten Geräusche der Zerstörung von sich gab.

Ben starrte auf die Flammenwand um die Daggers-Villa, die unvermittelt in sich zusammensank und sogleich erlosch. Leichte Enttäuschung machte sich in ihm breit. Offenbar war das Haus doch nicht zerstört worden.

"Nein, wir sind nicht vernichtet worden", durchflutete ihn ein Gedanke, der nicht sein eigener war. "Wir haben uns nur gewehrt."

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Greenskull feuerte auf die sich nähernden Motorräder. Seine Gefährtin Rhonda Lurker lag auf dem Boden in Deckung hinter einem Metalltisch, auf dem einer der von Clint Waringer zerstörten Computer stand. Der Fahrer des Trucks, in dem die Befehlszentrale der Rattlesnakes gelegen hatte, bediente ein Maschinengewehr und mähte hemmungslos die ankommenden War Dragons nieder. Diese wehrten sich jedoch sofort und feuerten ihrerseits mit automatischen Waffen zurück. So fanden Greenskull, seine Leibwächter und sein Fahrer den Tod im Kugelhagel. Rhonda Lurker wurde nach dem Feuergefecht aus dem Truck geholt. Einige der Angreifer wollten sich in ungezügeltem tierischen Drang nach geschlechtlicher Befriedigung über sie hermachen. Doch sie stach vier Angreifer mit einer vergifteten Nadel, bevor sie sich selbst damit verletzte. Das Gift wirkte innerhalb von zehn Sekunden tödlich. Rhonda, die ihren Liebhaber verloren hatte, fand keinen Sinn mehr in ihrem Leben. Vier Feinde gingen ihr in den Tod voraus.

"Verdammte Schlampe!" Rief einer der War Dragons, ein baumlanger Schwarzer, der mit irrem Blick die Freundin des verhaßten Greenskull anstarrte. Ein japanischer Bandengenosse schob ihn zur Seite und trat auf Greenskull zu. Er zog ein langes Samuraischwert hervor und schwang es spielerisch durch die Luft. Dann trennte er mit einem schnellen Hieb Greenskulls Kopf vom Rumpf.

"Tsunamisan wird höchst erfreut sein, wenn ich ihm Saunders' Kopf darbiete", sagte der asiatischstämmige Verbrecher mit breitem Grinsen und packte den blutenden Schädel des feindlichen Bandenführers in eine simple Plastiktüte ein, als würde er nur einen Kohlkopf auf dem Markt verpacken.

"Irgendwer hat die Elektronik zerstört", fluchte einer der War Dragons, der den großen Sattelschlepper durchsuchte. "Keine Computer, die laufen können. Sogar die Festplatten sind zerstört."

"Das muß vorher passiert sein", sagte der Japaner, der Greenskulls Leichnam enthauptet hatte. "Wo ist dieser Techniker, den Wong unbedingt lebend haben wollte?"

"Außer denen, die wir hier haben, war keiner mehr im Truck", schnaubte der War Dragon, der den Laster durchsucht hatte.

"Dann rücken wir ab!" Befahl der Mann, der mit dem Samuraischwert hantiert hatte. Er gehörte zu Tsunamis Leibgarde, den zehn Ninjas, die nicht nur mit handelsüblichen Waffen, sondern auch mit traditionellen japanischen Waffen und Kampftechniken vertraut waren. Ihm gehorchten die überlebenden War Dragons und fuhren davon, auf weitere Befehle wartend. Diese kamen auch kurz nach dem Mord an Greenskull und seinen Getreuen. Sie sollten in Gruppen zu nur drei Mann über verschiedene Wege nach San Francisco zurückfahren. Falls sie dabei weitere Rattlesnakes trafen, sollten sie sich ihnen stellen und sie bekämpfen. Ansonsten sollten sie sich jedoch unauffällig verhalten.

"Verschwindet so schnell wie möglich!" War der letzte Befehl, den Tsunami noch über Funk durchgab. "Wir haben den Roten noch eine gute Abschiedsüberraschung bereitet."

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"Wo zum Teufel bleibt eigentlich Greenskull?!" Fluchte Blade, als er mit seinen Kameraden von der brennenden Stadt fortfuhr, die gerade über zweihundert Kumpels von ihm umgebracht hatte. Doch keiner wußte auf seine Frage die Antwort. Greenskull, der sie alle hier hinbefohlen hatte, hatte nur noch angekündigt, daß sie alle, die noch lebten, Tsunami und seine engsten Mitarbeiter in einer verlassenen Villa außerhalb der Stadt finden würden. Vier verbliebene Waffenwagen hatten kehrtgemacht und fuhren nun dorthin, wo auf einem Hügel das hochherrschaftliche Haus aus der Zeit der Plantagenbesitzer und Sklavenhalter stand. die restlichen einhundertzweiundneunzig Rattlesnakes, die auf Motorrädern fuhren, rasten von allen Seiten auf die Villa zu.

Da die Rattlesnakes Tsunami lebendig fangen wollten, verzichteten die Lenker der Geschützwagen darauf, das herrschaftliche Haus aus der Ferne unter Beschuß zu nehmen. Von allen Seiten rückten Motorräder an. Die Laster mit den Granatwerfern blieben vorerst auf Abstand. Fast hätte Gerald Tall, der Fahrer eines dieser Wagen, eine Katze überfahren, die er nur deshalb noch rechtzeitig sah, weil sie ein so schönes schneeweißes Fell besaß, das weithin sichtbar glänzte. Keine hundert Meter vor dem Haus hielten die Geschützwagen an. Näher wollten die Fahrer nicht heran, um den Granatwerfern noch einen brauchbaren Schußwinkel zu bieten. Gerald sah, wie zehn wütende Kameraden auf das Eingangsportal zustürmten. Er bekam mit, wie sich das erhabene Portal auftat und eine Gestalt in wallender weißer Kleidung heraustrat. Offenbar gab es zwischen den Rattlesnakes und der Gestalt in Weiß einen Wortwechsel. Dann stürmten die zehn Bandenmitglieder vorwärts ... und wurden von einer mächtigen Entladung silbernen Lichts zurückgeworfen. Gerald konnte nicht sehen, wo das Licht auf einmal herkam. Das war ihm in diesem Moment auch gleichgültig. Denn in diesem Moment raste von rechts ein bläulich-goldener Feuerball heran, schlug direkt auf dem Lastwagen auf und explodierte in rot-goldenen Flammen. Das letzte, was Tall noch fühlte, war der entsetzliche Hitzeschock, der ihn traf, bevor sein Atem und sein Bewußtsein schwand. Innerhalb einer Zehntelsekunde verglühte sein Körper in den entfesselten Flammen, und der Geschützwagen explodierte keine Hundertstelsekunde später.

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Anthelia verfolgte über Ben, wie die Stadt Dropout in Brand geriet. Sie vernahm auch seine wütenden Gedanken gegen sie. Sie lächelte. Sie würde ihm nicht antworten, befand sie. Als sie jedoch von Pandora Straton und deren Tochter Patricia erfuhr, daß sich mehrere Dutzend Selbstfahrzweiräder einer anderen Räuberbande näherten, stieg in ihr die Wut hoch. Sie erkannte sofort, daß dieses ein Schachzug Tsunamis war, den sie überdeutlich davor gewarnt hatte, die Daggers-Villa noch mal zu behelligen. Offenbar hatte der es angestellt, daß seine Feinde nun darauf ausgingen, ihn hier zu finden und womöglich dabei das Landhaus zu zerstören.

Mit einem Exosenso-Zauber, der ihr gestattete, sich ohne bemerkt zu werden in die Wahrnehmungen eines anderen Lebewesens einzufühlen, beobachtete sie durch die Augen eines sich nähernden Motorradfahrers, wie über hundert Fremde auf die Villa zurasten und hörte auch Worte wie "Den kriegen wir. Der wird sich wundern, wie schnell wir ihn aus der Hütte holen."

"Dieser japanische Schurke wähnt sich seiner Sache sicher, mich durch seiner Feinde Wut niederwerfen zu können. Doch dieses Unterfangen fehlt, Tsunami. Deine Feinde werden weichen oder fallen, wenn sie hier erscheinen", dachte Anthelia und rief ihre drei Bundesschwestern Pandora, Patricia und Izanami zusammen. Mit diesen besprach sie, wie sie vorgehen wollte und erwartete die Ankunft der Rattlesnakes.

Als zehn verwegen und wütend aussehende Männer in roten Lederanzügen auf die Eingangstür zurannten, öffnete Anthelia ruhig die majestätischen Türflügel und trat mit erhobenem Zauberstab heraus. Ihre selbstsichere, ja machtbewußte Ausstrahlung und Ruhe stoppten die vorrückenden Gangster, die mit gezogenen Pistolen und Messern keinen Zweifel aufkommen ließen, daß sie keinen Mord scheuen würden, um zu kriegen, was sie wollten. Ganz Ruhig baute sich Anthelia vor den ungebetenen Besuchern auf und sprach mit kräftiger, Respekt erheischender Stimme:

"Wer wagt es, zu dieser nächtigen Stunde meine Ruhe zu stören?! Packt euch und lasset mir und den Meinen den Frieden!"

"Was geht denn hier ab?" Fragte einer der zehn mit erheitertem Grinsen. "Wer is'n die Tante?"

"Höre und erstarre in Ehrfurcht oder Angst, Unfähiger! Denn wisse: Ich bin Anthelia, die Herrin dieses Anwesens. Weichet und lasset mich in Frieden weiterruhen!" Gebot Anthelia und deutete mit dem Zauberstab auf die Fremden.

"Heh, Miststück! Tsunami ist da drin. Deine Show zieht bei uns nicht. Wir wollen ihn haben. Sag dem Japsen, daß die Hütte umstellt ist! Wenn er und seine Bande nicht rauskommen, fackeln wir das Häuschen hier ab!" Tönte ein anderer Rattlesnake-Gangster.

"Du bedrohst mich mit Brandschatzung, weil du einem falschen Wort aufgesessen bist, den Führer deiner Feinde hier zu finden? Diese bodenlose Beleidigung werde ich auf der Stell' vergelten", sagte Anthelia. Die Rattlesnakes lachten laut.

"Was willst du mit diesem Stück Alufolie in der Hand gegen uns machen, Schlampe? Wir gehen jetzt einfach da rein und ..."

Anthelia hob den Stab, dachte einige mächtige Worte und schleuderte den Fremden eine mächtige Entladung aus silbernem Zauberlicht entgegen. Die Magie, die damit einherging, warf alle Zehn Angreifer wie leere Pappbecher im Wind zurück. Einer feuerte seine Pistole ab. Die Kugel zerplatzte kurz vor Anthelias Körper in der Luft.

"Verdammt, das ist Hexenspuk!" Rief eines der Bandenmitglieder und rannte davon, ohne sein Motorrad noch eines Blickes zu würdigen. Die übrigen Bandenmitglieder vor der Villa feuerten ihre Waffen ab. Einer rief in sein Funkgerät:

"Gerry, feuer die Granaten ab. Tsunami hat sich mit 'ner echten ..."

"Schwestern, zerstört die Gefährte mit ihren Kriegsmaschinen!" Dachte Anthelia, wobei sie sich die Gesichter Pandoras, Patricias und Izanamis vorstellte. Keine Sekunde später fielen drei Feuerbälle auf drei der Geschützwagen und vernichteten sie. Die Explosionen ließen die Leute auf den Motorrädern erstarren. Dann ging es mit ihnen durch. Wut und Angst vereinten sich zu einem unbändigen Vernichtungswahn. Aus allen Waffen feuernd griffen sie die Villa an.

"Ich rufe euch, ihr Elemente!" Rief Anthelia in einer uralten Sprache. Dann sprach sie schnell und laut einige Zauberformeln. Die Rattlesnakes stürzten sich auf sie. Doch von ihr fort wälzte sich ohne Vorwarnung eine breite Wand aus weißen Flammen, die sich verbreiterte. Patricia, Pandora und Izanami standn je an einer Ecke der Villa und sprachen ähnliche Zauber. Innerhalb von zwei Sekunden schloß sich die Feuerwalze zu einem Ring aus zwölf Meter hohen Flammen aus weiß-blau und goldgelben Feuersäulen, der von der Villa fortstrebte, wobei er rücksichtslos alles und jeden niederwalzte und einäscherte, was ihm in den Weg geriet. Niemand entkam diesem losgelassenen Inferno. Alle Angreifer wurden schnell und ohne Chance auf Gegenwehr vernichtet. Zehn Sekunden lang verzehrte das höllische Spektakel alles im Umkreis von hundert Metern um die Daggers-Villa. Dann rief Anthelia ein anderes Zauberwort. Wie ausgeblasene Kerzenflammen flackerten und vergingen die verheerenden Feuersäulen, fielen innerhalb nur einer Sekunde in sich zusammen. Verbrannter Boden war alles, was von ihrer Anwesenheit Zeugnis ablegte. Weder Mensch noch Maschine war in diesen Flammen auch nur zum Teil erhalten geblieben. Metalle und Kunststoffe waren ebenso schlagartig verglüht, wie die Körper der Angreifer. Der große Fluch der Vergeltung, verstärkt von der ohnehin vorhandenen Zauberkraft des Fluches, den ein früherer Sklave an diesem Ort gewirkt hatte, war den letzten zusammengehenden Rattlesnakes zum Verhängnis geworden. Da sie alle außerhalb der Villa gestanden hatten, würden sie nicht als gefangene Geister an diesem Ort verbleiben. Doch das war die einzige Gnade, die Anthelias Befreiungsschlag ihnen gewährte.

"Schwestern, habt Dank für eure treue und Hilfe, bei der Niederwerfung dieser mordgierigen Unfähigen. Wachet über das Haus, während ich jenen aufsuche, der dies Ungemach auf uns zu lenken trachtete!" Sagte Anthelia, als sie ihre drei Hexenschwestern wieder zusammengerufen hatte. Dann konzentrierte sie sich und disapparierte, den Zauberstab immer noch in der Hand.

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"Das ist ja unheimlich!" Rief Ruben Wallace, als er zusammen mit seinem Boss Tsunami, Wong Liu und den zehn Ninjas der persönlichen Leibwache des japanischen Bandenchefs im rollenden Hauptquartier zusammensaß und den Videobildschirm betrachtete. Wong hatte den ferngesteuerten Modellhubschrauber mit eingebauter Videokamera losgeschickt, um die Villa des alten Daggers aus sicherer Entfernung zu beobachten. Sie hatten mit großer Befriedigung gesehen, wie wohl alle verbliebenen Rattlesnakes auf die Villa zugefahren waren, wie zehn von denen auf die Eingangstür losgegangen waren und dann von einer hellhaarigen Frau in weißer Kleidung zurückgetrieben wurden. Dann plötzlich breitete sich ein mächtiger Feuerring vom Haus ausgehend aus und vernichtete alles und jeden, was nicht schneller als fünfhundert Stundenkilometer schnell war.

"Das war's dann wohl", frohlockte Tsunami. Ruben sah sehr betreten drein, als die Wand aus Höllenfeuer wieder in sich zusammenfiel, nachdem sie alles weggeputzt hatte, was ihr im Weg war.

"Heftig! Das ist echte Teufelsmagie, Tsunamisan. Dagegen kann mein Grillfeuer nicht anstinken. Woher wußtest du, daß in dieser Villa eine Satansbraut wohnt?" Fragte der Feuerteufel, der mit mehr Furcht als Faszination das Flammenspektakel betrachtet hatte.

"Dessy hat dafür ihr Leben gegeben. Dieses Haus ist ein Hord der schwarzen Magie. Dess wollte ihn nutzen, um die Rattlesnakes zu erledigen. Sie wurde von dieser Frau wohl getötet. Na ja, nur hat diese Frau eben den Job für uns erledigt. Kehren wir zurück nach San Francisco."

"Was passiert mit den Leuten aus der Stadt?" Fragte Wong Liu.

"Die Sprengfallen bleiben scharf, und die automatischen MGs bleiben auch scharf. Wenn die Nationalgarde und die Armee rauskriegen, was hier passiert ist, werden sie die Leute schon befreien", sagte Tsunami. Er nahm den Hörer der Sprechanlage zum Führerstand und befahl dem Fahrer, den Heimweg anzutreten. Tsunami hatte auf ganzer Linie gewonnen. Zwar waren über hundert Mann gestorben, aber die Rattlesnakes waren restlos vernichtet. Was er nicht wußte: Er würde seinen Sieg nicht lange auskosten können.

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"Wo ist dein Herr und Meister?" Fragte Anthelia, als sie unvermittelt hinter dem Fahrer eines grünen Nissan-Kleintransporters appariert war. Dieser trat erschrocken auf die Bremse. Anthelia hielt sich fest, um nicht nach vorne zu fallen. Dann hielt sie ihren silbriggrau glänzenden Zauberstab auf den Fahrer gerichtet.

"Maneto!" Rief sie. Der Fahrer blieb ruhig sitzen. Mit einem weiteren Zauberspruch verschaffte sich Anthelia Zugang zu den Erinnerungen des Mannes und forschte diese nach dem Standort des Hauptquartiers der War Dragons aus. Dann gab sie dem Fahrer mit Hilfe des Imperius-Fluches den Befehl, mit dem Transporter bei Voller Fahrt gegen einen Baum zu fahren. Als der Nissan-Transporter beschleunigte und auf ein etwa zwei Kilometer entferntes Waldstück zuraste, disapparierte Anthelia. Der Fahrer fühlte sich von einem inneren Drang besessen, ohne abzubremsen auf eine mächtige Ulme zuzurasen. Er dachte nicht daran, daß dies sein sicherer Tod sein würde. Krachend prallte der Transporter wenige Minuten später mit 144 Stundenkilometern gegen den majestätischen Baum und zerbrach in mehrere Stücke. Der Fahrer starb beim Aufprall durch eine schwere Verletzung an Kopf und Brustkorb. Daß das Benzin auslief und sich entzündete, bekam er nicht mehr mit. Zu einer Explosion kam es nicht, da der Tank so stark durchlöchert war, daß der Treibstoff sich verteilt hatte, bevor er in großer Konzentration gezündet werden konnte. Der Transporter brannte restlos aus. Die umliegenden Büsche fingen Feuer, ebenso der Baum, gegen den der Fahrer den Kleintransporter wider seinen Willen gefahren hatte. Eine Feuerwachstation in drei Kilometern entfernung registrierte den aufkommenden Waldbrand und alarmierte die Feuerwehrtruppen.

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Die Sonne ging auf über den Bewohnern von Dropout. Ihr rosigrotes Feuer überstrahlte bald die rote Glut des Feuers, das in Dropout tobte und nun alles erfaßt hatte, weil niemand da war, um es zu bekämpfen. Ben Calder wußte nicht, was er tun sollte. Er war als unfreiwilliger Spion Anthelias davongekommen. Doch wozu? Seine Heimatstadt brannte restlos nieder. Sein Rennrad, sein Computer, seine CDs, sein Fernseher waren wohl schon nicht mehr da. Wer immer dieses Feuer gelegt hatte, war nun sein persönlicher Feind. Er würde alles tun, um ihn zu finden und dann eigenhändig selbst in Brand zu stecken. Dieser Durst nach Rache hielt ihn nun gefangen aber auch geborgen, während um ihn herum alle resignierten oder ihrer Wut freien Lauf ließen.

Als dann um neun Uhr Ortszeit das Brummen und Knattern sich nähernder Hubschrauber erklang, riefen viele: "Hier sind wir!" Sie winkten nach oben, als zehn große Armee- und fünf Rettungshubschrauber über ihren Köpfen dahinflogen. Die Hörner von Feuerwehr- und Krankenwagen tröteten durch den frühen Spätsommermorgen, als die Bewohner Dropouts alle durcheinanderliefen und tuschelten, ob nun alles in Ordnung ginge. Zwei Stunden später rückten Armeesoldaten an und begutachteten die Sprengfallen. Sie befanden, daß man sie einfach zünden sollte, um sie zu entschärfen und jagten die frischen Hügel um die dreitausendvierundzwanzig Bewohner Dropouts in die Luft. Mit den aufgepflanzten Maschinengewehren verfuhren sie ebenso rücksichtslos. Sie fuhren sie mit Panzerwagen einfach um. Alle Bewohner der Stadt lagen derweil auf den Boden und warteten, bis ein schneidiger Sergeant zu ihnen durchkam und verkündete:

"Belagerung aufgehoben, Ladies and Gentlemen! Ist der Bürgermeister von Ihnen anwesend?"

Dieser meldete sich. Nun, wo die Situation zumindest in der Hinsicht bereinigt worden war, daß sie nicht mehr mit Waffen oder Sprengstoff umgebracht werden konnten, fühlte er sich wieder oben auf und berichtete, was vorgefallen war. die Soldaten machten verdutzte Gesichter. Dann berichtete ein Lieutenant, der den Trupp angeführt hatte, daß man den Brand von Dropout auf Satellitenbildern hatte sehen können und habe versucht, irgendwen im Umland zu erreichen, da die Telefonverbindungen bereits zusammengebrochen waren. Da von einem Anschlag ausgegangen wurde, wurden Militär und Rettungstruppen gemeinsam ausgeschickt, um zu retten, was noch zu retten war. Der Lieutenant war sehr froh, daß fast alle Bewohner der Stadt überlebt hatten. Als alle durchgezählt wurden, fehlten nur Sheriff Foggerty und Hank Goldsmith, sein Hilfssheriff. Alle waren sich sicher, daß die beiden versucht hatten, den Angriff auf die Stadt zu vereiteln und dabei gestorben waren.

Im Laufe des Morgens wurden dutzende von Leichen aus den Reihen der Red Rattlesnakes und der War Dragons eingesammelt. Eine dringende Anweisung, vom Präsidenten der vereinigten Staaten und dem Gouverneur von Mississippi ausgefertigt, erklärte den Krieg der beiden Großbanden auf dem Boden Dropouts zur Geheimsache. So kam es, daß alle Bewohner der Stadt vorübergehend in ein Militärlager transportiert wurden, wo sie nicht nur medizinische und psychologische Betreuung erfahren sollten, sondern vor allem darauf eingeschworen wurden, niemandem zu verraten, was wirklich in Dropout passiert war. Der Brand sollte als Gasunglück mit verheerender Kettenreaktion erklärt werden. Bens Vater wurde am Tage noch vom Flughafen abgeholt und zu seiner Familie ins Fort Roger Leeland gebracht, wo er sich von seiner Frau Maggy und Ben berichten ließ, was vorgefallen war.

Geheimdienste und die Bundespolizei fahndeten nach Überlebenden der beiden Banden. Einige erwischte man wenige Tage später in New Mexico, Texas, Arizona und Kalifornien. Seltsamerweise waren es ausschließlich Angehörige der War Dragons. Von Greenskull und den Rattlesnakes war niemand davongekommen. Greenskulls kopflose Leiche wurde am Rande der Landstraße nach Dropout neben mehreren getöteten War Dragons und seiner Freundin Rhonda Lurker aufgefunden. Vom Kopf selbst fehlte jede Spur. Daß es sich um den Bandenchef handelte, ergab eine Untersuchung der Fingerabdrücke des Torsos. FBI-Agentin Maria Montes leitete die Untersuchung im Fall Greenskull, kam jedoch zu keinem anderen Ergebnis, als daß der Anführer der War Dragons, der unter dem Decknamen Tsunami bekannt war, den Kopf seines Feindes hatte haben wollen. Denn die Enthauptung an sich, so die Gerichtsmediziner, mußte mit einem scharfen Schneidewerkzeug, möglicherweise einer Machete oder einem Beil, vorgenommen worden sein, allerdings schon post mortem, nach Eintritt des Todes. Maria Montes fragte den Gerichtsmediziner:

"Könnte es auch ein Samuraischwert gewesen sein?"

"Hmm, bei der Volkszugehörigkeit der übrigen Toten käme diese Waffe in Betracht", sagte dieser und untersuchte, ob es zutreffen könnte. Metallspuren am Hals Greenskulls mit Hilfe von hochmoderner Computergaschromatographie und Atomkernresonanzspektralanalyse wiesen deutlich auf jenen Stahl hin, der zum Schmieden japanischer Schwerter hergestellt wurde. Da man bei den gefaßten War Dragons jedoch den Kopf nicht fand, mußte dieser wohl zusammen mit Tsunami im Versteck der Bande zu finden sein.

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Man schrieb bereits den zwölften September. Tsunami, der Chef der War Dragons, war gerade vor einem vergessenen Luftschutzbunker in der Nähe San Franciscos angekommen, in dem sein Hauptquartier lag. Ein treuer Gefolgsmann von ihm hatte ihm den Kopf Greenskulls überreicht, den der Anführer der War Dragons feierlich in einem großen Benzinkanister auf ein freies Feld gestellt und verbrennen lassen hatte. Nun stand er vor der Eingangstür zu seinem Hauptquartier. Wong Liu und Ruben Wallace folgten im gebührenden Abstand hinter den Leibwächtern.

"Nun, ehrenwerte Bundesgenossen", werden wir uns neuen Ufern zuwenden können!" Erklärte Tsunami salbungsvoll und holte den elektronischen Schlüssel hervor, um die hydraulisch gesteuerte Panzertür zum Bunker zu öffnen. Doch da trat eine Gestalt in weißer Kleidung wie aus dem Nichts gekommen vor Tsunami und versperrte ihm den Weg. Es war eine Frau mit strohblondem Haar und Sommersprossen, die einen langen silbrigen Stab in der rechten Hand hielt.

"Naoki Shimada, der du dich nach einer Flutwelle benannt hast, erblicke dein Schicksal!" Sagte die Fremde mit einer Betonung, die sowohl feierlich als auch bedrohlich klang. Sie sah den Führer der War Dragons sehr eindringlich an. Dieser straffte sich für einen winzigen Moment, dann wich er von kaltem Entsetzen geschüttelt zurück.

"W-wer bist du?" Fragte er.

"Ich bin jene, die es gut mit dir meinte. Ich bin jene, die du unbedacht zum Werkzeug deiner niederen Ziele zu machen auserkoren hast, die Herrin des Hauses, in das einzudringen deine Buhle wagte und dabei den Tod fand."

"Erschlagt sie, schnell!" Rief Tsunami und warf sich zu Boden. Drei Ninjas rannten vor und hieben mit Samuraischwertern nach der Fremden. Doch diese stand ungerührt da, als die Schläge, die sie töten sollten, funkensprühend vor ihr abgeblockt wurden. Dann deutete sie mit ihrem Stab auf einen der zehn Ninjas und rief: "Avada Kedavra!"

Ein gleißender Blitz aus grünem Licht und ein brausen, als würde ein Geschoß sehr schnell durch die Luft sausen, und der War Dragon in der Ausrichtung des Stabes fiel einfach um und rührte sich nicht mehr. Die Leibwächter schraken zurück. Sie waren gefangen zwischen bedingungsloser Treue und dem Trieb, ihr Heil in der Flucht zu suchen.

"Du schlugst meine Warnung aus und lenktest deine Feinde zu mir. Doch ich obsiegte, und nun fordere ich die Schuld ein, welche du auf dich geladen hast, Naoki. Deine Werke werden hier und heute ihr verdientes Ende finden, und deine Getreuen werden den letzten Weg mit dir gehen, sofern ich nicht anders verfügt habe.""

Niemand sagte etwas, als die Fremde so sprach. Alle starrten sie angsterfüllt an. Nur Wong Liu, der weit genug fortstand, erkannte eine Chance, hier und jetzt das erzwungene Bündnis mit dem verhaßten Japaner zu lösen. Er wandte sich vorsichtig ab und schritt davon. Er gelangte gerade zu einem etwa fünfzig Meter weit geparkten Motorrad, als eine junge Frau, die in gewöhnliche Straßenkleidung gehüllt war und schönes langes Haar von tiefbrauner Farbe besaß, mit lautem Knall vor ihm erschien.

"Wo wolltest du denn hin, Chinese? Die höchste Schwester hält gerade ihr Strafgericht ab. Du hast gefälligst zuzuhören und hinzunehmen, was sie sagt. Also gehen wir schön wieder zurück und ..."

Unvermittelt schlug Wong zu. Er hatte Kung Fu, die erhabene Kampfkunst aus der Heimat seiner Vorfahren, bis zum Meistergrad erlernt. Für die Fremde kam der Angriff wohl überraschend. Doch der schnelle Vorstoß prallte gegen eine unsichtbare Barriere, die ihm das Gefühl elektrisch geladenen Stahls durch den Arm versetzte. Knirschend brach das rechte Handgelenk des Chinesen. Die Fremde schnalzte mißbilligend mit der Zunge und meinte in einem bedauernden, aber auch tadelnden Tonfall:

"Na na, wer wird denn eine Frau schlagen, Liu? Du hast gemerkt, daß du mich nicht einfach niederschlagen kannst. Wirst du nun gefälligst zurückgehen?"

"Du wirst mich töten müssen, Dämonin", sagte Wong und trat mit beiden Füßen gleichzeitig nach dem Unterleib der Widersacherin. Doch wie zuvor mit dem Arm prallte er auf eine unsichtbare Panzerung, die beim Aufprall einen Schauer wie elektrische Entladung durch seinen Körper jagte. Er fiel hinten über. Die Fremde stellte sich in überlegener Pose über ihn, einen Holzstab auf ihn richtend.

"Eigentlich sollte ich dich den Polizisten deiner Welt überlassen, weil du mehrere Menschen durch deine Spielereien getötet hast und eine ganze Stadt niedergebrannt hast. Aber die höchste Schwester will euch selbst richten. ... Aber sie hat mir soeben mitgeteilt, dich mir zu überlassen", sagte die Fremde und sah Wong prüfend aus tiefgrünen augen, die bei licht einen schwachen Graustich aufwiesen an. Wong lag wimmernd am Boden. Angst und nun bewußt werdender Schmerz peinigten ihn.

"Ich werde dich nicht töten, Wong Liu. Ich werde dir die Chance geben, dein Leben völlig neu zu ordnen, zu lernen, was richtig und falsch ist, daß Schöpfung immer besser als Zerstörung ist."" Sie beugte sich zu ihm, in der anderen Hand ein kleines Messer. Sie ritzte seinen Arm an und bestrich mit ihrem Stab die Wunde. Wong meinte, etwas würde ihn von innen her durchschütteln. Mit blut des Chinesen an der Stabspitze sprach die Fremde einige merkwürdige Worte. Das Blut am Stab glühte rot auf. Gleichzeitig hörte Wong in seinem Inneren mehrere Befehle.

"Die Seele lebt im Blut! Der Seele gebiete ich, sich von nun an niemanden zu offenbaren, wer und was sie früher war! Dem Verstand gebiete ich: Verweigere jede Auskunft über deinen Besitzer, was er tat, war und kannte! Dem Gedächtnis befehle ich, sich niemandem zu offenbaren, was bis zu diesem Zeitpunkt und die nächsten Minuten darüber hinaus in ihm geborgen ruht!"

Kaum hatte Wong diese Worte gehört, fühlte er, wie in ihm eine beinahe körperliche Abneigung entstand, jemandem über sich etwas zu erzählen und über seine früheren Aktivitäten. Dann sprach die Fremde weitere unheimliche Worte. Wong Liu sah plötzlich ein goldenes Licht aus der Spitze des Zauberstabes herausbrechen, das ihn traf. Unvermittelt fühlte er sich schwerelos. Die Welt um ihn herum verschwamm völlig. ...

Tsunami derweil war der anderen Frau, jener im weißen Umhang, hilflos ausgeliefert. Doch zunächst wandte sich die Fremde an Ruben Wallace.

"Feuer und Flammen sind deine Wonne, Ruben Wallace. Du brandschatzt einfach Hab und Gut anderer Menschen, nur um dich daran zu erfreuen, des Feuers mächtiges Spiel zu bewundern. So sei es, daß du lernen wirst, es zu fürchten."

Ruben erschrak. Diese Hexe konnte ihn mühelos genauso verbrennen lassen, wie die Rattlesnakes. Doch nichts dergleichen geschah. Sie schwang ihren Zauberstab gegen ihn, dachte dabei wohl etwas oder murmelte es, dann veränderte sich Ruben von einer Sekunde zur anderen. Er schrumpfte auf die Größe einer Hand ein, bekam federn am ganzen Körper, zwei lange Schwanzfedern. Seine Arme wandelten sich zu Flügeln, sein Gesicht zu einem paar angsterfüllter runder Augen und einem kurzen Schnabel. Mit lautem Pieplaut flatterte Ruben mit den verwandelten Armen und flog unbeholfen auf, dann unvermittelt auf die Fremde zu, die ihn einfach mit einem weiteren Zauber mitten in der Luft anhalten ließ.

"In dieser Gestalt wirst du lernen, das Feuer zu fliehen. Du wirst es nimmer mehr von dir aus loslassen können. So lange du dieses Leben führst wirst du niemandem schaden antun", sagte die Hexe und wandte sich dann Tsunami zu.

"Du wolltest Macht erringen, aber mit reiner zerstörung. Deine Fehde focht mich nicht an, solange du nicht darauf verfielest, mich zur Gehilfin deiner Werke zu machen, ohne die ich nicht den Ansturm deiner Feinde überstanden hätte. So tue ich an den deinen, was du an mir tatest."

Sie richtete ihren Zauberstab auf zwei der Leibwächter, die mit Samuraischwertern bewaffnet waren. Sie sagte: "Imperio!!" Jeder der Leibwächter bekam erst einen glasigen Ausdruck in den Augen, dann sah er wieder völlig klar drein. Wie auf ein unhörbares Kommando riss der erste Wächter sein Schwert hervor und kam auf Tsunami zu. Dieser griff in seine Tasche und zog eine Pistole. Er ahnte, was passieren sollte und legte auf den Leibwächter an.

"Bleib stehen, oder ich töte dich!" Rief er. Der Gefolgsmann blieb nicht stehen. Er kam näher, holte mit dem Schwert aus ... Peng! Tsunamis Pistolenschuß traf den Leibwächter zwischen die Augen, warf ihn hinten über und ließ ihn zu Boden stürzen. Im Nächsten Moment riß eine unsichtbare Macht dem Chef der War Dragons die Pistole aus der Hand und schleuderte sie fort. Der zweite Leibwächter bekam wieder einen magischen Befehl der Hexe. Er ging schnell auf Tsunami zu, holte mit seinem Schwert aus. Tsunami hörte noch, wie die scharfe Klinge durch die Luft sauste, dann fühlte er einen merkwürdig kurzen Schmerz durch den ganzen Hals gehen und sah, wie er aus großer Höhe herunterfiel und merkwürdig leicht über den Boden kullerte, bevor ihn ewige Finsternis und Stille umfing. Sein letzter Gedanke war, daß sein Leben ein einziger Irrtum war, bevor auch das Denken versiegte.

Die Hexe richtete ihren Zauberstab auf die restlichen Leibwächter, die wie erstarrt dastanden. Einer nach dem anderen wurde zu einer blauen Schmeißfliege. Jede Fliege stürzte sich erst auf die Hexe, die aber mit schnellen Schlagbewegungen die gezauberten Insekten zurücktrieb. Dann verschwand sie übergangslos. Nur der Leibwächter, der Tsunami mit dem Samuraischwert geköpft hatte, stand noch unverwandelt da. Doch er hatte noch einen Befehl auszuführen. Schnell und ohne nachzudenken schlitzte er sich selbs den Bauch auf und fiel neben seinen Herrn und Meister zu Boden.

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Schwester Jones versah am Abend des zwölften Septembers ihren Dienst in der Notaufnahme des San-José-Krankenhauses am Stadtrand von Los Angeles. Im Moment war zum Glück kein Hochbetrieb. Die etwa vierzigjährige Krankenschwester schätzte, daß im Laufe des späten Abends mehrere Zugänge wegen Bandenkrawallen oder Gewaltverbrechen bevorstanden, wenn nicht noch Verkehrsunfälle und Herzanfälle dazukamen.

Als um sieben Uhr abends lautes Babygeschrei von der Tür her klang, wunderte sich Schwester Jones und ging hinaus. Konnte es etwa sein, daß wieder eine verzweifelte Mutter ...?

Vor der Tür lag, in einfache Badetücher gewickelt, ein wohl gerade geborenes Baby, jedoch völlig sauber, nicht mit Blut oder Resten des Fruchtwassers besudelt. Es schrie lauthals und in einer Mischung aus Wut und Verzweiflung, vermeinte die Pflegerin. Sie hob das Baby auf und erkannte, daß es reinrassig asiatisch war. Sie schlug die Tücher um den kleinen Körper zur Seite und stellte mit einem kurzen Blick fest, daß es ein Junge war. Merkwürdig war nur, daß der Bauchnabel bereits gut verheilt war, die Geburt also vielleicht schon zwei Tage zurücklag. Sie informierte ihren Vorgesetzten, Dr. Wilberforth, der den Chefarzt informierte, daß "wieder einmal" ein Baby ausgesetzt worden war. Der kleine Erdenbürger wurde medizinisch untersucht, vermessen und gewogen. Die Spezialisten stellten fest, daß er tatsächlich nicht jünger als drei Tage sein konnte. Man nannte ihn Li und benachrichtigte die zuständigen Behörden, daß ein offenbar ausgesetztes Baby ein neues Zuhause suchte. Damit war dieser Fund als Routinefall abgehakt und konnte den üblichen Gang der Ereignisse gehen.

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Maria Montes erhielt am vierzehnten September den Anruf ihrer Kollegen aus San Franciscoo, daß man Kopf und Torso des japanischen Anführers der War Dragons, sowie zwei seiner Leibwächter aufgefunden hatte. Einer war erschossen worden, der andere hatte wohl Harakiri begangen, das japanische Selbstmordritual. Am Schwert, mit dem diese Selbsttötung verübt worden war, wurden auch Blut und Knochenspuren von Tsunami alias Naoki Shimada gefunden.

"Que raro", dachte Maria Montes, die immer in ihrer Muttersprache Spanisch dachte. Laut sagte sie zu ihrem Kollegen Moses Greenthal:

"Tsunami ist tot aufgefunden worden. Er hat sich wohl von einem seiner Leute köpfen lassen, bevor dieser sich selbst tötete. Merkwürdig, daß er das nun tat, obwohl er doch seine Erzfeinde besiegt hat."

"Sein Hauptquartier ist doch aufgeflogen, Maria. Die Japaner halten es für besser, zu sterben, als ehrlos in Gefangenschaft zu leben", sagte Moses mit zynischer Betonung.

"Die haben unser Büro in San Francisco und Los Angeles vor zwölf Stunden angerufen, Mo. Offenbar hat da jemand aus seiner Bande gesungen", sagte Maria Montes.

"War zu erwarten nach dem Ding mit Dropout. Was passiert jetzt eigentlich mit den Leuten von da?"

"Die bleiben noch bis zum ersten Oktober in der Obhut der Seelenklempner. Der Gouverneur hat von Clinton Gelder für einen schnellen Wiederaufbau der Stadt bewilligt bekommen. Die Stadt wird vielleicht in einem halben Jahr wieder stehen. Die Überlebenden bekommen von der Desaster Deposit Bank der Regierung von Mississippi Neustartkredite ohne Tilgungszinsen. Damit können aber nur die materiellen Schäden bezahlt werden. Die Schmerzen und das Trauma der Gefangenschaft dürften so nicht auszuräumen sein", seufzte die mexikanischstämmige FBI-Agentin mit sehr niedergeschlagenem Gesichtsausdruck und spielte wie automatisch am Verschluß ihrer Halskette, an der ein silbernes Kruzifix, ein Erbstück ihrer Großmutter befestigt war.

"Du nimmst ja richtig Anteil daran, was mit diesen Leuten passiert ist, Maria", stellte Moses Greenthal fest und sah seine Kollegin sehr verwundert an.

"Ich war da im Juli mal, Mo. Die Leute da sind zwar mißtrauisch gegenüber Fremden, aber wohl unter sich nette und hilfsbereite Nachbarn."

"Achso", fiel es Moses ein. "Die Sache mit den singenden Hexenschwestern in einer Villa. Da kam doch nichts nach, oder?"

"Nein, Sheriff Foggerty hat da nichts weiteres gefunden. Das Ritual, was ein Halbwüchsiger da mitgehört haben wollte, erscheint mir auch von den üblichen Gebräuchen der Wiccas oder irgendwelcher Satansjünger abzuweichen.

"Wobei die Wiccas sich ja eindeutig vom Satan und seinen Gebräuchen distanzieren", wußte Moses Greenthal. Er war FBI-Experte für Ritualmorde und Sekten und hatte mehr Grundwissen über Religionen und deren Abarten, als ein Professor für vergleichende Theologie in Princeton, Harvard oder Yale, sehr hoch angesehenen Universitäten der Staaten.

"Ich gebe dir gerne recht, Mo. Aber merkwürdig ist es doch, daß dieser Tsunami nun auch tot ist, genau wie sein Widersacher. Genau wie sein Widersacher wurde er enthauptet. Allerdings starb Tsunami durch diese Barbarei, während Greenskull Saunders bereits tot war", erwiderte Maria Montes nachdenklich.

"Du möchtest doch wohl nicht behaupten, da hätte wer die beiden nacheinander massakriert?" Fragte Moses mit lauerndem Blick.

"Nein, das ist wohl nicht so. Die beiden Gruppen haben sich gegenseitig bekämpft. Wahrscheinlich war geplant, sich in den Rocky Mountains zu treffen, um sich in Hinterhalte zu locken. Offenbar trafen sie zu früh aufeinander, und die War Dragons verschanzten sich in der Stadt. Aber darüber gibt es ja den Bericht."

"Wird wohl so sein. Auf jeden Fall hat dieser Tsunami sich seine Feinde besser vom Hals geschafft als die ihn. Aber ich fürchte, da wird nun ein großes Machtvakuum zu füllen sein", warf Moses Greenthal ein. Maria nickte nur.

"Dann müssen wir wieder einschreiten, um die potentiellen Erben in Schach zu halten", sagte sie mit leicht resignierendem Gesichtsausdruck. Moses nickte nur.

ENDE

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