EIN VERBOTENER SEGEN

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Julius Latierre wurde wegen seiner unerwünschten Beharrlichkeit, die grüne Halbriesin Nal zu verschonen, von seinem zweithöchsten Vorgesetzten Vendredi dazu verpflichtet, den Rest seiner noch etwas mehr als drei Jahre dauernden Amtsanwartschaft Innendienst zu versehen. Dies behagt ihm nicht. Um nicht zu heftig in neuerliche Verärgerungen abzugleiten nimmt er den Vorschlag seiner direkten Vorgesetzten an und macht Urlaub mit der Familie. Doch was danach mit ihm sein wird weiß er nicht. Ebenso weiß er nicht, dass zwei weitere Abgrundstöchter erweckt werden sollen, die ihm wohl nicht besonders freundschaftlich gegenübertreten werden. So genießt er die ihm mehr unwillig zugeteilten Ferienwochen so gut er kann, nicht ahnend, dass jemand endlich die Gelegenheit ergreifen möchte, sich für etwas zu rächen.

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Der junge, schwarzhaarige Mann, der gerade auf den strahlend weißen Bungalow zulief, wirkte trotz zehn heruntergelaufener Kilometer noch so frisch wie zu Beginn des Dauerlaufes. Er liebte es, vor dem Sonnenaufgang loszulaufen und dem gerade über den östlichen Horizont kletternden Tagesgestirn entgegenzujoggen. Er liebte das Farbenspiel, wenn der mit seiner in jeder Hinsicht bezaubernden Frau bewohnte Bungalow erst in einem orangen, flammenlosen Feuer erglühte und dann, wenn die Sonne weit genug über dem Horizont gestiegen war und von einem orangeroten zu einem gleißend gelben Ball geworden war, in schneeweißer Pracht zu glänzen. Wenn er, so wie gerade eben, den mit Gras bewachsenen Hügel hinaufeilte, auf dem der Bungalow wie ein kleiner Palast thronte, bereute er es nicht, dass Barca ihn nicht bei sich hatte mitspielen lassen wollen.

Áls er sich der mintgrün angestrichenen Haustür näherte ging diese von alleine auf. Das lag sicher an Arons besonderem Armband, das aus dem goldblonden Haar seiner magisch begabten Frau geflochten war und ihm zudem eine Aura der Nicht-Beachtung aufprägte, solange er es trug. Deshalb wussten die Leute hier auf der Insel auch nur, dass die Lundis den Trubel von Le Havre nicht mehr ausgehalten hatten und mit genug Geld im Rücken den Ausstieg gewagt hatten.

"Chérie, bin wieder zu Hause!" rief Aron gerade laut genug, dass er in jedem der acht Zimmer gehört werden konnte. Seine Frau antwortete: "Bin in der Küche, mon Cher!" Aron sog den Duft von frisch gekochtem Kaffee und wohl gerade ofenfrischer Croissants in seine Nase. Sicher hatte Euphrosyne mal wieder mit jenen zwischen ihren Händen heraufbeschwörbaren Feuerkugeln herumgehext, um Teig und Kaffeewasser zu erhitzen. Von den elektrischen Haushaltsgeräten verstand sie nichts und brauchte sie auch überhaupt keines.

Als Aron mit seiner Frau im Salon mit den drei großen Fensterflächen saß und genoss, was sie zum Frühstück vorbereitet hatte fragte Euphrosyne ihm mit einem hintergründigen Lächeln: "Empfindest du es immer noch als Erholung, im Moment nicht von deinen früheren Fans bejubelt zu werden?"

"Ich freue mich, dass wir zwei hier so gut untergekommen sind und die Leute aus deiner Welt nicht wissen, wo wir sind."

"Nun, wir wollen ja nicht ewig hier versteckt bleiben, zumal der Eigentümer der Insel durchaus mal verraten könnte, wer so alles bei ihm wohnt, auch wenn er uns schriftlich versichert hat, unsere Adresse nicht weiterzugeben. Außerdem wollten wir zusehen, dass wir nicht auf irgendwelche Glückspielhäuser allein angewiesen sind, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen, insbesondere wo ich jetzt Gewissheit habe ..." Weiter sprach sie nicht. Statt dessen tätschelte sie behutsam ihren flachen Bauch und deutete zwischen ihren leicht gespreizten Beinen von sich weg. Aron stierte sie erst verblüfft an. Doch dann begriff er, was sie ihm mit dieser wortlosen Geste mitteilen wollte. Es war ihm, als habe er gerade einen dicken Kloß unzerkaut hinuntergeschluckt, der ihm den Hals verstopfte. Er brauchte einige Sekunden, bis er es schaffte zu sprechen.

"Moment mal, du bist ... öhm, du wirst ... öhm, wir kriegen ..."

"Ja, ich bin schwanger. Ja, ich werde Mutter. Ja, wir bekommen ein Kind, vielleicht sogar zwei. Ich weiß nur, dass in meinem Bauch wer neues eingezogen ist, den du und ich dort hinbestellt haben, um so in zehn bis zwölf Monaten zu uns zu kommen."

"Zwölf Monate. Ich habe doch gelernt, dass Frauen neun Monate schwanger sind, wenn alles gut geht", erwiderte Aron überwältigt.

"Bei reinrassigen Menschen, Süßer. Aber bei reinrassigen Veelas reifen die Kinder fünf Jahre im Mutterleib heran. Da ich eine Viertel-Veela bin wie meine Cousine Fleur, schätze ich, dass ich wie diese so ein Jahr lang unser Kind austragen werde."

"Öhm, Wie kannst du dir sicher sein, ich meine -?"

"Es gibt ein Lied, dass die weiblichen Veelas lernen und dann singen, wenn sie über die übliche Zeit für ihre Regelblutung sind. Je danach, wie es sich im Bauch anfühlt, dieses Lied zu singen weiß sie dann, ob sie dort ein Kind aufbewahrt oder nicht. Außerdem gibt es Heilerzauber, wo die Hebammenhexen das auch feststellen können, ob eine Patientin schwanger ist und wie weit ihr Kind schon gewachsen ist."

"Schon heftig", erwiderte Aron und meinte damit sowohl den Umstand, dass Euphrosynes andere Umstände wohl ein ganzes Jahr andauerten als auch den Umstand, dass er Vater wurde. Sicher hatte er darauf gehofft, einmal eine Frau und mindestens zwei Kinder zu haben. Doch wenn er seine Sportlerlaufbahn so hätte nehmen dürfen, wie er es geplant hatte, wäre das wohl erst kurz vor seinem Abschied aus dem Berufsfußball passiert.

"Wir kriegen das hin, Aron", sagte Euphrosyne zuversichtlich. Dann fügte sie jedoch hinzu: "Das heißt aber auch, dass wir uns nicht dauernd verstecken dürfen, wenn unsere Kinder an Leib und Seele gesund aufwachsen sollen."

"Wird nicht einfach sein, das deinen Leuten zu stecken", grummelte Aron. Doch Euphrosyne lächelte geheimnisvoll.

"Wir haben schon einiges überstanden, dann kriegen wir das mit einem unbeschränkten Familienleben auch hin", sagte sie mit einer Zuversicht, die Aron schon unheimlich vorkam. Ihm gingen Bilder durch den Kopf, Bilder von Kindern, die sein Gesicht hatten und Euphrosynes goldblonde Haarpracht, wie sie in eine Schule gingen, wohl eine für Hexen und Zauberer, wie die, wo Euphrosyne ihre ganzen Hexereien erlernt hatte. Spätestens da konnten Leute auf die Idee kommen, diese Kinder gegen ihre Eltern auszuspielen. Wie Psychoterror ablief kannte Aron zu gut aus seiner eigenen Schulzeit, zumal die Schikanen noch im Namen Gottes und Jesu Christi begangen worden waren.

"Vielleicht erkennt deine werte Oma an, dass du ein Recht auf eigene Kinder hast und diese Leute vom Zaubereiministerium lassen uns in Ruhe, wenn sie mitkriegen, dass wir trotz ihrer ganzen Gemeinheiten zusammengeblieben sind."

"Ja, das werden sie", sagte Euphrosyne mit diesem Zuversicht strotzenden Tonfall von eben. "Das werden sie auf jeden Fall tun", bekräftigte sie noch.

Aron nahm diese zuversichtliche Aussage erst einmal hin. Euphrosyne kannte diese merkwürdigen Leute schließlich von klein auf. Er dachte nur daran, dass in so einem Jahr, also um den fünfzehnten März herum, jemand neues in sein Leben hineingeboren würde. Die Nachricht war nicht so locker wegzustecken wie das gestellte Bein eines Gegenspielers oder eine zu Unrecht gezeigte gelbe Karte. Denn jetzt war die Verbindung mit Euphrosyne absolut. Außerdem dachte er daran, dass er selbst keine liebenden Eltern gehabt hatte. Ja, seine Mutter hatte ihn vor diesem Waisenhaus St. Marie deIncarnation abgeladen wie eine volle Abfalltüte. Er hatte doch keinen blassen Schimmer, wie ein Vater mit seinem Kind richtig umgehen musste. Andererseits, wer sein Vater war wusste er eben nicht. Vielleicht war das ja ein versoffener Hurenbock gewesen, der seine Mutter so im Vorbeigehen geschwängert hatte und sich vor lauter Alkohol im Hirn am nächsten Morgen nicht mal daran erinnern konnte, Sex gehabt zu haben. Zumindest hatten sie hier auf der Insel noch einiges an Zeit, um sich auf die neue Lage einzustellen. Das gab Aron Lundi ebenfalls eine gewisse Zuversicht.

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Aurore fand es total spannend, mit dem Luftschiff von Millemerveilles über das große Meer zu fahren und dann in einem ganz anderen Land, wo die Leute auch ganz anders sprachen, wieder auszusteigen. Ihre kleine Schwester Chrysope hatte die ganze Zeit an den großen vollen Brüsten ihrer Maman liegend geschlafen. Jetzt nahm ihr Papa sie ganz vorsichtig auf die Schultern und machte was um ihre Beine und seinen Rücken, dass sie nicht runterfallen konnte. Denn jetzt ging es raus, über diese Wackeltreppe nach unten. Aurore bekam ganz große Augen, weil das so tief runter ging. Chrysope hing jetzt im Tragetuch auf dem Rücken von Maman und quängelte, weil es hier nicht wie zu Hause aussah. Und dann kam noch diese andere Frau mit den gelblichen Haaren an, die so groß wie Maman und Papa war und nahm ihren Papa einfach in die Arme, ohne groß daran zu denken, dass sie ja gerade auf seinen Schultern saß.

"Hi, Julius. Schön, dass ihr so schnell zum Gegenbesuch kommen konntet", begrüßte Brittany Brocklehurst den Gast aus Übersee und schmatzte ihm links und rechts einen Kuss auf die Wange, wie es eigentlich in Frankreich üblich war. Dann sah sie über Julius' Kopf, wo Aurore vergrätzt zu ihr runtersah und Anstalten machte, ihr in das schulterlange, weizenblonde Haar zu greifen. "Na, hallo, Aurore. Du bist aber schon groß geworden", scherzte sie, während sie die kleinen Hände der bald zwei Jahre alten Junghexe gerade so fest ergriff, dass sie ihr nicht weh tat, aber sie trotzdem davon abhalten konnte, ihr an den Haaren zu ziehen.

"Kannst du mal sehen, was das französische Essen so möglich macht", erwiderte Julius, der den breiten Haltegurt losmachte, mit dem er Aurores Beine an seinem Körper festgemacht hatte. Er versuchte, seine Tochter auf die eigenen kurzen Beine zu stellen. Doch diese fand das zu schön, auf Papas breiten Schultern zu reiten und kniff die Beine so fest zusammen, dass Julius nur mit roher Gewalt was hätte machen können.

"Sie kann dir leider noch nicht antworten, Britt", sagte Julius schmunzelnd. "Im Moment sprechen wir nur Französisch mit ihr, damit sie genug lernt, um mit anderen Kindern zusammen spielen zu können."

"Ja,und dass sie da oben mehr sehen kann als von unten her ist auch klar", erwiderte Brittany. Dann wandte sie sich Millie zu. Die umarmte sie nur behutsam.

Julius dachte daran, dass er eigentlich erst Ostern hierher kommen wollte. Dieser mehr oder weniger aufgedrängte Urlaub sollte ihm die nötige Bedenkzeit geben, um darüber nachzudenken, ob er seinen bisherigen Arbeitsplatz behalten oder aufgeben sollte.

"Meine Güte, du bist immer noch so üppig wie vor einem Monat", bemerkte Brittany und deutete auf Millies von der Mutterschaft ausgeprägte Oberweite.

"Du gehst aber auch nicht gerade als Flachländerin durch die Welt", konterte Millie mit mädchenhaftem Grinsen. Brittany grinste darüber und strich sich über ihre ausgeprägten Rundungen. "Darf ich ja auch nicht, wenn ich irgendwann auch mal so eine kleine Besenprinzessin wie eure Aurore oder Chrysope satthalten will."

"Maman quak-quak!" amüsierte sich Aurore mit fast schon schriller Stimme.

"Hier sprechen die so", erwiderte Julius. "So rede ich doch auch mit Mémé Martha."

"Mémé Martha!" rief Aurore wie zur Antwort auf das, was ihr Papa gesagt hatte. Dieser wollte sie gerade zurechtweisen, dass sie nicht so laut schreien sollte, als er seine Mutter sah, wie sie in Begleitung der residenten Heil- und Hebammenhexe Chloe Palmer auf ihn zukam.

"Hi, Mum!" rief nun Julius, der erkannte, dass ein kleines Mädchen auf den Schultern ihres Vaters mehr sah als der Vater selbst. Er winkte seiner Mutter und schaffte es, trotz des Gedankens, dass seine Mutter gerade mit drillingen schwanger ging, so freundlich er konnte zu lächeln.

"Hi, Julius. Hallo kleine Mademoiselle", begrüßte Martha Merryweather ihren Sohn und ihre erste Enkeltochter. Jetzt wollte Aurore von Papas Schultern runter, um ihrer Oma, die sie Mémé Martha rief, entgegenzulaufen. Julius lud seine erstgeborene Tochter ab und genoss es, wie erfreut sie auf ihre Großmutter zuwuselte.

"Lucky und Linus sind gerade bei meiner Schwippschwägerin. Die hat wohl gerade Probleme mit der hiesigen Zaubereiverwaltung. Welche das sind soll mich nicht kümmern, hat Lucky gesagt", begründete Martha Merryweather die Abwesenheit ihres Mannes und ihres Schwiegerneffen.

"Ja, weil Onkel Lucky dich nicht noch in diese Kiste reinziehen will, wo ihr für drei muntere Merryweathers vorplanen müsst", erwiderte Brittany mit einem leicht spöttischen Unterton. "Deshalb hat der ja auch gleich zugestimmt, als ich ihm und dir vorgeschlagen habe, dass Julius, Millie und die Kleinen bei Linus und mir wohnen, solange sie in den Staaten Station machen", fügte sie noch mit ernsterer Betonung hinzu.

"Ach, meint Lucky, dass er dich nicht in seine Familiensachen mit reinziehen darf, wo das dann auch deine Familienangelegenheiten sein könnten?" wollte Julius wissen, dem die Freude über die Begrüßung etwas abhanden zu kommen drohte.

"Ist wohl eher was, was Linus' Mutter betrifft und Lucky ihr nur helfen will, weil er sich mit den Leuten da wohl besser zurechtfindet als sie", erwiderte Julius' Mutter. Dann trat noch Chloe Palmer zu den Latierres und begrüßte sie in bestem kalifornischen Englisch. Mit berufsmäßiger Neugier blickte sie Aurore und Chrysope an und nickte Millie zuversichtlich zu, bevor sie Julius mit Handschlag begrüßte.

"Ich hörte, dass du vorgezogenen Urlaub erhalten hast, weil es in deiner Dienststelle wohl einige Unstimmigkeiten gegeben haben soll", kam sie ohne Umschweife darauf, was Julius und Millie jetzt schon Ferien beschert hatte. Julius nickte flüchtig und wisperte: "Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie darauf nicht zu heftig eingehen. Meine Familie und ich möchten uns nur einige abwechslungsreiche Wochen gönnen."

"Nun, ich will nicht in irgendwelchen seelischen Wunden herumstochern, Julius. Doch du wirst mir zubilligen müssen, dass es mich als die von deiner Mutter erwählte Hebamme schon betrifft, wie ihre allernächsten Verwandten gestimmt sind."

"Sagen wir es so. Die von Ihnen erwähnten Unstimmigkeiten sind rein beruflicher Natur und haben mit dem, was meiner Mutter bevorsteht nichts zu tun, sind also daher von allen diesbezüglichen Gedanken und Empfindungen unabhängig zu betrachten", erwiderte Julius sehr gezielt akademisch betonend. "Abgesehen davon dürften Sie mit meinem Stiefvater mehr zu tun haben, was ihre Besorgnis angeht. Ich musste mich ja auch daran gewöhnen, zwei Kinder zu haben. Das geht nur, weil sie nacheinander ankamen und ich einen sehr starken Rückhalt von allen bekomme, die mit meiner Frau und mir gut bis sehr gut klarkommen. Sich auf drei Kinder zum gleichen Zeitpunkt umzustellen ist sicher um eine Größenordnung aufwühlender und anstrengender."

"Gut, ich erkenne an, dass du dich mir gegenüber nicht irgendwie seelisch entblößen möchtest, Julius. Womöglich bin ich zu sehr von den eingetretenen Veränderungen in VDS umgetrieben, wo im Leben stehende Hexen und Zauberer sich mit dem Gedanken anfreunden müssen, noch neue Geschwister dazu zu bekommen. Das kann längst nicht jeder so locker hinnehmen."

"Natürlich haben Sie deshalb eine Menge um die Ohren, Mrs. Palmer."

"Davon darfst du ausgehen", erwiderte die Heilerin und wandte sich dann Millie zu, die gerade mit ihrer Schwiegermutter sprach.

"Wer Tante?" wollte Aurore von Julius wissen und zeigte auf Chloe Palmer.

"Das ist eine Heilerin, also eine, die kommt, wenn wem was weh tut oder wer gganz viel Husten hat", erwiderte Julius. "Die will nur wissen, ob es dir, Chrysie, Maman und mir gut geht, wo wir gerade so weit durch die Luft geflogen sind", fügte er hinzu und breitete dabei seine Arme so weit aus wie er konnte, um die Entfernung zwischen hier und Millemerveilles anzudeuten.

"Achso", erwiderte Aurore darauf nur. Vielleicht hatte sie trotz Julius' einfachen Worten nicht alles verstanden.

"Hi, Julius!" rief eine andere Frau von etwas weiter weg. Julius sah sich um und erblickte Venus Partridge, die freihändig auf ihrem Bronco Millennium angesegelt kam und mit beiden Armen winkte, bevor sie ihren Rennbesen wieder beim Stiel packte und zu einer schnellen Landung trieb.

"Hi, Venus. Ich dachte, ihr trainiert noch. Britt hatte sowas angedeutet, bevor wir gestartet sind."

"Unser Trainer bildet gerade die B-Mannschaft weiter aus. Weil Britt ja selbst einen Quod in ihrem kleinen heißen Topf auffangen will mussten wir ja gerade bei den Vorgebern neu planen. Da haben wir gleich zwei Superstars aus Cloudy Canyon eingekauft, Remo und Reina Redrobe."

"Oha, planen die jetzt auch ohne dich?" fragte Julius, bevor Venus ihm um den Hals fiel und ihn mit atemraubender Kraft an sich drückte.

"Nix da, ich bleib noch drei Jahre bei den Windriders, vor allem wenn wir den goldenen Pot zum vierten Mal in Folge geholt haben. Die Handvoll Goldpots will ich gerne noch mitkriegen."

"Und wie geht's sonst?" erwiderte Julius, wobei seine Worte förmlich in Venus' himmelblauer Bluse versickerten, weil die blonde Starspielerin der Viento del Sol Windriders ihn immer noch ganz fest an sich drückte.

"Du bist ja selbst Clubmitglied der unerwarteten großen Geschwister", grummelte Venus nun nicht mehr so begeistert wie gerade eben noch. "Seh mich gerade nach einer eigenen Wohnung hier um, damit die zwei neuen mehr Platz haben. Hat mir zwar keiner aufgetragen. Aber wenn's nicht meine eigenen Windelpupser sind muss ich die Plärrwichtel nicht die ganze Zeit ertragen, auch wenn's meine eigenen Geschwister sein werden."

"Oh, sag sowas nicht zu laut. Meine Frau ist hin und weg von unserer ganz kleinen", sprach Julius.

"Ja, aber die und du wolltet die kleine haben. Bei der Gelegenheit vielen Dank für die Fotos von der Kleinen, hat meine Mom richtig aufleuchten lassen, als sie das gesehen hat. Mein Dad ist zwar nicht so begeistert, ist aber als Heiler natürlich ganz und gar dafür, die nötige Verantwortung zu tragen", erwiderte Venus. Dann sagte sie noch: "Er würde nur zu gerne wissen, wer Mom und ihn diesen Muntermacher verpasst hat. Außerdem ist er froh, dass ich nicht für wen neues vorplanen muss. Aber die haben es ja gezielt auf gebildete Paare abgesehen. - Und ihr bleibt jetzt eine Woche hier?"

"Ja, bis zum Frühlingsanfang. Dann geht's von hier aus mit dem fliegenden Holländer die Pazifikroute runter nach Sydney."

"Ach zu Ms. Dawn?" fragte Venus, die Julius immer noch in einer innigen Umarmung hielt, als sei er der rettende Strohhalm, an den sie sich klammern müsse, um Halt in der Welt zu finden.

"Genau", erwiderte Julius. Da kam Brittany herüber und grinste ihre frühere Mannschaftskameradin herausfordernd an.

"Venus, wenn du Julius weiter so fest umklammerst könnte Millie meinen, du wolltest von ihm auch so was süßes kleines wie Aurore und Chrysope haben. Dann bekämst du aber mächtigen Ärger mit ihr, fürchte ich."

"Neh, Britt, eine muss doch die Windriders oben halten", erwiderte Venus Partridge und ließ Julius los. dann meinte sie, dass er ja morgen gerne mit ihr und den Friday-Drillingen trainieren könne. Millie dürfe ja wohl noch nicht spielen, wo sie immer noch für wen mitessen und -trinken müsse."

"Interesse hätte ich schon", sagte Julius. Venus nickte und ging dann, um Millie zu begrüßen, die immer noch bei ihrer Schwiegermutter stand und sehr leise mit ihr sprach. Als Venus sah, dass Martha und Millie wohl ganz private Sachen zu bereden hatten zog sie sich jedoch wieder zurück.

"Also, wir sehen uns dann morgen auf dem Feld, Julius. Ich kuck mir jetzt noch an, ob Remo mich echt gut vertritt. Sprach's und bestieg den Besen, den sie an den Ankermast des Luftschiffes angelehnt hatte. Keine Sekunde später schnellte sie wie vom Katapult geschleudert im 45-Grad-Winkel davon.

"Venus kommt da nicht so gut mit klar, dass ihre Mom wegen dieser VM-Banditen rund wird", bemerkte Brittany. "Womöglich setzt ihr das zu, dass sie noch keinen festen Freund hat. Aber an dem Rad dreht sie ja selbst mit."

"Ich kann ihr das aber nachfühlen, wie bescheuert sich das anfühlt, was da gerade in ihrer Familie los ist", erwiderte Julius halblaut. Dann bat er darum, dass er das Gepäck in Brittanys Haus bringen konnte. Er wagte nicht, Millie und seine Mutter zu unterbrechen und hoffte nur, dass Linda Knowles nicht in Viento del Sol war.

"Rorie, Britt und ich bringen unsere ganzen Sachen dahin, wo wir die nächsten Tage Urlaub machen!" rief Julius bewusst laut genug, damit nicht nur seine erstgeborene Tochter, sondern auch Millie verstand, was er vorhatte.

"Geht Klar, Julius!" rief Millie und sang dann "Rorie, komm zu mir!" Aurore, die wegen der vielen anders sprechenden Leute lieber den Landeplatz des Luftschiffes erkundete wetzte zu ihrer Mutter hinüber. Julius holte das Gepäck seiner Familie per Apportationszauber aus dem Luftschiff heraus. Zusammen mit Brittany trug er die Koffer und Taschen nacheinander per Apparieren in das Haus Buchecker.

"Sei froh, dass ich noch apparieren darf", sagte Brittany, als sie mit Aurores regenbogenfarbigem Spielzeugkoffer in ihrem Gästezimmer apparierte, während Julius seine eigenen Sachen schon im geräumigen Schrank unterbrachte, darunter seine drei Badehosen.

"Wieso, darfst du nur dann apparieren, solange du in der Quodpotmannschaft mitspielst?" scherzte Julius.

"Das nicht. Aber die sehr besorgte wie teilweise sehr aufdringliche Tante Heilerin Chloe Palmer hat klargestellt, dass ich ab dem dritten Monat nicht mehr apparieren soll, egal, was andere Kolleginnen von ihr ihren Patientinnen erlauben oder nicht." Dabei legte sie sich betont die Hand knapp unter den Bauchnabel auf den Bauch. Julius verstand und strahlte sie an. "Ach, das meinte Venus eben damit, dass du einen eigenen Quod in deinem Warmen Pot auffangen möchtest."

"Sie weiß das schon, dass ich wohl schon in der sechsten Woche bin", grinste Brittany. "Irgendwann musste es ja mal klappen."

"Und was sagt Linus?" fragte Julius.

"Der hat's erst erfahren, als meine Mutter ihn angestrahlt hat und gemeint hat, dass sie sich freut. Eigentlich wollte ich das erst an seinem Geburtstag im April erzählen. Aber Viento del Sol ist dafür ein zu kleines Dorf, um sowas unter der Decke zu halten", erwiderte Brittany. Julius umarmte sie ehrlich erfreut und gab ihr auf jede Wange einen Kuss. Dann rechnete er nach. Heute war der siebzehnte März. Also mussten Britt und ihr Mann um die Willkommensfeier für Chrysope beim Regenbogenvogel bestellt haben. Das wiederum konnte heißen, dass der oder die kleine Brocklehurst im Apfelhaus der Latierres gezeugt worden sein mochte. Brittany schien seine Gedanken zu empfangen, weil sie unvermittelt überlegen lächelte.

"Ihr in Frankreich könnt wirklich sehr stabile und geräumige Betten bauen. Das schrie ja förmlich danach, dass Britts kleine Backstube angeheizt werden sollte."

"So gefrustet wie du wegen meiner Mutter drauf warst hatte ich echt gedacht, dass dich das heftig mitnimmt, was hier bei euch abgelaufen ist."

"Wie erwähnt, euer Gästebett hat regelrecht dazu eingeladen."

"Ihr habt sicher den Klankerker gemacht", vermutete Julius und wurde bestätigt. Dann fragte er, ob Linda Knowles das schon wusste.

"Die ist hinter denen von VM her. Die muss bloß aufpassen, dass sie die nicht einkassieren und sie auch zum Kinderkriegen treiben. Abgesehen davon ist Hecate Leviata gerade in den Staaten auf Tournee, und der Westwind hat die Exklusivberichterstattungsrechte."

"Ach, dann ist sie im Moment nicht hier in VDS?" fragte Julius.

"Im Moment ist die wohl in New Upper Flagly bei New York, wo die Neuenglandhexen und -zauberer für sich wohnen."

"Ich kenne das Originaldorf Upper Flagly", erwiderte Julius und dachte für sich: "besser als ich eigentlich wollte". Doch dann fiel ihm ein, das bis auf eine Bewohnerin von da ja keiner was dafür konnte, was er dort erlebt hatte.

"Vielleicht wollt ihr die Zeit hier um drei Tage verlängern, dann könnte ich über Mrs. Hammersmith noch Karten für Hecates Auftritt hier bei uns klarmachen. Oder ich versuche über Mel, ob ihr Opa Livius noch Karten für das Konzert bei New Orleans ergattern kann."

"Wenn Millie und ich noch alleine wären hätte ich sofort zugesagt. Aber wo lassen wir die beiden Mädels von uns?" fragte Julius. "Meiner Mutter will ich sie im Moment nicht aufs Auge drücken, auch wenn sie darauf bestehen sollte, sie für einen Tag betüddeln zu können. Aber Millie legt auch wert darauf, dass ihre Tochter Chrysope nur ihre Milch zu schlucken bekommen soll. Ist voll das Muttertier."

"Sagst du einer, die selbst bald sowas kleines, lautes, mal süßes und mal nerviges ausbrütet", grinste Brittany. Doch dann nickte sie. Daran, so erkannte sie, musste sie sich auch noch gewöhnen, dass eine Familie nicht mehr so kurzentschlossen umplanen konnte wie jemand alleinstehendes oder ein junges Paar. "Aber Millie wollte auf jeden Fall noch mal in den Weißrosenweg von New Orleans, eben auch in Mels Laden vorbeisehen und noch mal im betrunkenen Drachen sitzen."

"Verstehe", erwiderte Brittany lächelnd.

"Dann ist das mit Quodpot wohl komplett erledigt", vermutete Julius und erntete ein zustimmendes Nicken von Brittany. Sie erwähnte dann, dass sie nach der Babypause wohl im Kräutergarten von Viento del Sol anfangen würde, falls sie nicht in der Abteilung für magische Spiele und Sportarten anklopfen würde. Julius wünschte ihr auf jeden Fall den nötigen Erfolg, egal was sie anfangen wollte. Sie bedankte sich sehr herzlich dafür. Dann wechselte sie das Thema.

"Die Sachen deiner Frau packst du nicht auss?" fragte Brittany mit Blick auf Millies mit künstlichen Apfelblüten verzierten Schrankkoffer. Julius schüttelte den Kopf und verwies darauf, dass Millie ihre eigene Ordnung im Kleiderschrank hatte. Es könne ihr sogar einfallen, seine Sachen noch einmal umzuhängen. Brittany mußte darüber grinsen.

Wieder zurück am Landeplatz der Luftschiffe traf Julius Mrs. Hammersmith, die wie seine Mutter gleich mehrfachen Nachwuchs erwartete. Er begrüßte sie und gratulierte ihr höflich.

"Na ja, wenn Ihre Frau Schwiegergroßmutter sich im beachtlichen Alter noch vier Kinder zutrauen konnte werde ich die zwei, die mir eine äußerst fragwürdige Interessengruppe überantwortet hat wohl auch gesund ins und durchs Leben bringen", sagte Stella Hammersmith. Dann erwähnte sie, dass vor vier Tagen hier in Viento del Sol der neueste Flugbesen der Bronco-besenmanufaktur Weltpremiere gefeiert habe. "Er heißt Parsec 3 und kann drei erwachsene Personen ohne Erholungspause einmal um die Welt tragen. Er hat sogar eine besondere Bezauberung, dass er für fünf Sekunden dreifache Schallgeschwindigkeit erreichen kann und bis zu dreißigtausend Meter aufsteigen kann. Eine besondere Kälteschutzbezauberung und eine weiterentwickelte Version des zur Ausstattung gehörenden Schutzanzuges ermöglichen das."

"Oh, da wissen die im guten alten Europa noch nichts drüber", erwiderte Julius. Dann fragte er, wer den Besen vorgeführt habe.

"Arbolus und Phoebe Gildfork persönlich. Die unübersehbare Dame wollte allen Spottrufen entgegentreten, dass es keinen Besen aus ihrer Firma gebe, der sie so weit tragen könne, ohne sich nach halber Nominaleetappenlänge zu erschöpfen. Der Besen ist dafür auch seine dreitausend Galleonen teuer."

"Voll der Luxusstecken also", erwiderte Julius spöttisch, der sich gerade die übergewichtige, auf dekadente Protzkleidung versessene Hexe Phoebe Gildfork auf einem schnittigen Reisebesen vorstellte, wie sie überlegen lächelnd von oben auf die erstaunten Zuschauer hinunterblickte. Dann fiel ihm was auf. Er fragte: "Wieso Parsec 3? Brittany Brocklehurst hat mir vor einem Monat erzählt, sie arbeiteten noch am Parsec 2."

"Offenbar musste die angekündigte Version überarbeitet werden. Deshalb haben sie schon die übernächste Generation auf den Markt gebracht."

"Verstehe. Sowas gibt's auch bei Computerprogrammen", erwiderte Julius und dachte an das Arkanet, das seine Mutter entwickelt und eingerichtet hatte.

Als Millie mit ihrer Schwiegermutter lange genug gesprochen hatte kehrte sie zu ihrem Mann zurück und fragte, ob er schon alle Koffer ausgepackt habe. Er erzählte ihr, dass ihre Sachen noch eingepackt seien. Dann saßen sie zusammen mit Aurore und Chrysope auf ihrem Ganymed Matrimonium auf und folgten Brittany, die ihren Bronco Millennium flog.

Als auch Millie erfuhr, dass Brittany Ende November bis Anfang Dezember was kleines bekommen würde und dass der Vorlauf dazu im Apfelhaus der Latierres stattgefunden haben musste freute sich Millie überschwenglich. Sie umarmte und küsste Brittany. Dann wünschte sie ihr alles Glück und mehr Freude als Verdruss bei allem, was sie nun durchzustehen hatte.

"Das wird auf jeden Fall was komplett neues", erwiderte Brittany darauf.

Nach dem Kofferauspacken zogen die Latierres mit Martha Merryweather und Brittany durch die Gemeinde, um alle zu begrüßen, die sie kannten, und das waren nicht wenige. Venus' Vater wetterte die Glückwünsche zur baldigen Geburt seiner neuen Kinder mit den Worten ab: "Meine Frau und ich waren eigentlich mit unserer Familienplanung ganz zufrieden. Mir behagt es absolut nicht, dass ich, ein aprobierter Heiler, mich derart von so einer Bande von Feiglingen und Pfuschern zum Zuchtbullen degradieren lassen musste. Dabei haben Chloe und ich alle Speisen und Getränke auf der Party genau überprüft, eben um genau das zu verhindern. Weiß der dreiköpfige Donnervogel, wie die das wieder angestellt haben. Am Ende brauen die noch was, dass Hexen sich parthenogenetisch vermehren wie die Läuse. Diesen Pfuschern ist wirklich alles zuzutrauen."

"Ich habe die Aussage von Heilerin Greensporn gelesen, dass sie die erzwungene Babyflut als Verbrechen ansieht, auch wenn sie und ihre Kolleginnen dadurch mehr Aufträge bekommen haben", erwiderte Julius darauf.

"Ja, und weil es Familien, die bisher miteinander klarkamen durcheinanderbringt. Venus will unbedingt ausziehen. Nicht, dass ich ihr das nicht gönnen würde. Aber ich ging eher davon aus, dass sie erst dann von hier wegzieht, wenn sie einen Zauberer für ein gemeinsames Leben gefunden hat", sagte Silvester Partridge dazu. Julius nickte. Mehr wollte er dazu nicht äußern. Allerdings fragte er sich selbst, ob Silvester Partridge seiner erstgeborenen Tochter dann nicht noch den Friedensraumzauber beibringen wollte, mit dem feindliche Wesen und schädliche Zauber aus einem geschlossenen Raum ferngehalten werden konnten und der eigentlich mit der alten Zivilisation von Altaxarroi untergegangen war und eigentlich nur von den konservierten Geistern der alten Erzmagier bewahrt und weitergegeben wurde.

Bis zum Abendessen hatten die Latierres alle Sehenswürdigkeiten von Viento del Sol abgeklappert. Aurore hatte von der hohen Plattform des Uhrenturms in der Ortsmitte hinabgesehen und dabei zwischen Staunen und Angst geschwankt. Erst als ihr Papa sie wieder auf die Schultern genommen hatte konnte sie die Aussicht so richtig genießen.

"Dafür lohnt sich das Training", sagte Julius, als er seine Erstgeborene die Treppen wieder hinuntertrug, wo seine Mutter wartete, die wegen ihrer anderen Umstände auf den Aufstieg verzichtet hatte.

"Mrs. Palmer hat schon einen Terminplan gemacht, wie oft ich bei ihr zur Schwangerschaftsgymnastik anzutreten habe und ob ich überhaupt all das machen kann, was Mütter von einzelnen Kindern machen können." Millie nickte. Sie erinnerte sich ja noch daran, was Sandrine während ihrer Zwillingsschwangerschaft so alles erwähnt hatte, wenn Julius und Gérard mal nicht da waren.

Es wurde spät, und weil Lucky und Linus immer noch nicht aufgetaucht waren nahm Martha das Angebot Brittanys an, die Nacht im Bucheckernhaus zu bleiben.

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Am nächsten Morgen apparierte Julius alleine vor dem Quodpodstadion der Windriders. Dort traf er die drei Friday-Schwestern Dawn, Hope und Eve, sowie Venus Partridge, sowie einen Zauberer mit schwarzer Naturkrause und samtbraunem Gesicht und eine Hexe, die genauso athletisch gebaut war wie Millie oder ihre Mutter Hippolyte. Auch sie hatte naturkrauses, schwarzes Haar, das jedoch bis auf die Schultern herabwallte. Das waren Remo und Reina Redrobe, die Neuzugänge bei den Windriders.

"Hmm, stellen Sie sich immer so herum vor?" fragte Julius erheitert, weil Remo seinen Namen zuerst genannt hatte.

"Sorum sind wir zur Welt gekommen", lachte Remo und zwinkerte seiner Schwester mit seinen kastanienbraunen Augen zu. Diese grinste. "Er hat für mich die Tür zur Welt weit genug aufgemacht, dass ich ohne anzuecken durchrutschen konnte", sagte Reina, die vom Gesicht her fast wie ihr Bruder aussah, nur dass sie wasserblaue Augen hatte, ähnlich wie Julius' frühere Schulkameradin Pina Watermelon. Julius fragte, ob er wissen durfte, woher die beiden ursprünglich stammten, weil deren Akzent ihn an die Sprechweise der Australier erinnerte.

"Unsere Eltern sind ursprünglich aus Australien", sagte Reina nach einem kurzen Blick zu ihrem Bruder. Dieser fügte dann noch hinzu:

"Unsere Mutter ist eine Magierin vom Stamm der Gunai aus dem australischen Bundesstaat Victoria. Aber sie leben schon seit einundzwanzig Jahren in den Staaten. Was sie aus Australien rausgetrieben hat ist eine reine Familienangelegenheit." Den letzten Satz sagte Remo mit einer unüberhörbaren Entschlossenheit, nicht mehr zu erzählen. Julius akzeptierte diese Ansage mit einem kräftigen Nicken. Zumindest erklärte sich für ihn nun der Akzent und der Hautton der zweieiigen Zwillingsgeschwister.

Wie er es schon mehrfach getan hatte zog sich Julius einen gelben Ganzkörperschutz aus der abgelegten Haut eines Wüstenwollwurmweibchens über, der ihn vor zu wuchtigen Treffern und Kollisionen schützte. Mit einem blauen Übungsball, der nicht schlagartig explodieren konnte wie die offiziellen Spielbälle, spielten Julius, Venus, die Fridays und Redrobes Quodpot. Julius musste feststellen, wie lange er nicht mehr über einem Quodpot- oder Quidditchfeld herumgesaust war. Es dauerte fast zehn Minuten, bis er seine alten Reflexe wieder abrufen konnte. Er jagte immer wieder auf den von Remo behüteten Pot, einem frei in der Luft schwebenden Topf mit einer Abkühlflüssigkeit, zu, scheiterte aber in neun von zehn Fällen an Remo,. Selbst das sonst so wirksame Doppelachsenmanöver, das Aurora Dawn ihm beigebracht hatte, half nicht viel, weil Remo irgendwie vorausahnte, wohin der Quod gespielt werden würde.

Als nach zwei Stunden harten Trainings alle weit genug erschöpft waren fragte Julius Remo, auf welcher Position er spielte.

"Venus bleibt Eintopferin. Meine Schwester und ich haben rausbekommen, dass wir als Vorgeber genial aufeinander abgestimmt sind. Unser Trainer spielt aber auch mit der Idee, uns als Vorblocker einzusetzen. Muss aber noch mit Venus beraten werden, ob das von der Mannschaft her so günstig ist, wo die Friday-Drillinge eine absolut besenfeste Abwehr spielen können."

"Als Hüter wärest du aber auch genial. Ich dachte echt, du würdest was nehmen, was dich so sicher vorausschauen lässt, wo der Quod hinfliegt."

"Reina und ich brauchen keinen Felix Felicis, falls du das meinst. Aber wir haben schon eine ziemlich gute Intuition, wobei meine Schwester eher raushat, wie jemand gesundheitlich drauf ist oder ob jemand uns veralbern will, während ich ein Gespür für Bewegungen und Richtungsänderungen habe. Wie wir dir gesagt haben ist unsere Mutter ja eine Magierin ihres Stammes. Magier wirst du bei denen nicht, ohne dass du schon als Kind irgendwelche starken Zauber ausgeführt hast, ohne dafür Formeln und Zauberstäbe zu brauchen. Es gibt welche, die können über kurze Strecken fliegen. Andere können an bereits besuchte Orte apparieren oder sich ohne Zauberstab in das Seelentier verwandeln, und wieder andere können mit den Ahnen sprechen und dafür aus dem eigenen Körper heraustreten. Von den älteren Magiern kriegen sie dann noch alles beigebracht, was sie sonst so zaubern können, wobei die Frauen andere Zauber lernen als die Männer."

"Stimmt, davon habe ich gehört", erwiderte Julius, der nicht gleich herauslassen wollte, dass er schon einige Male in Australien gewesen war. Doch Remo wusste das wohl auch schon. Denn er sagte:

"Stimmt, du bist ja mit der englischen Heilerin Aurora Dawn bekannt, die in Sydney ihre Niederlassung hat." Julius nickte bestätigend.

"Habe meine ursprüngliche Heimat nie gesehen, weil meine Eltern nicht wollen, dass wir da noch mal hinreisen. Wie sind die Leute da so?" wollte Remo wissen. Julius fragte, warum Remo nicht von sich aus nach Australien reisen wollte; schließlich sei er ja volljährig. Darauf verzog der junge Quodpot-Profi das Gesicht und stierte einen Moment lang an Julius vorbei, als müsse er einen unsichtbar hinter diesem stehenden fragen, was er antworten sollte. Dann sagte er mit sichtlich belegter Stimme:

"Wie gesagt, warum wir da weit vor unserer Geburt weg mussten ist eine reine Familiensache. Nur so viel: Der Stamm unserer Mutter würde uns nicht in ihrem Land dulden. Wie und warum nicht erzähle ich nicht. Bitte akzeptiere das und frage nicht weiter!" Julius erwiderte, dass er nicht weiter nachforschen würde. Schließlich hatte er selbst genügend Geheimnisse, die er nicht so locker ausplaudern durfte. Außerdem hatte er schon genug von den mächtigen Zaubern der Ureinwohner gehört. Wenn Remos Blutsverwandte nicht mehr wollten, dass er seine ursprüngliche Heimat besuchte würden sie das auch durchsetzen, auch wenn Remo und seine Schwester in Thorntails alle möglichen Zauber und Schutzrituale erlernt hatten, um viele Flüche und schwarzmagische Angriffe zurückzuschlagen oder unwirksam zu machen. So beließ er es wie es war.

Dass seine Mutter Martha nicht mehr für sich alleine aß bekamen sie mittags mit. Aus Rücksichtnahme auf die vegane Lebensweise Brittanys aßen sie kein Fleisch und auch keine milchhaltigen Speisen. Dennoch oder auch wohl genau deshalb konnte Julius' Mutter kräftig zulangen, vor allem bei den mit Kokoscreme und Kräutern gefüllten Paprikaschoten.

"Langsam sollten unsere Jungs aber mal wieder nach Hause finden", meinte Brittany zu Martha Merryweather, als sie alle mit dem essen fertig waren. Aurore drehte draußen einige Runden auf ihrem Spielzeugbesen.

"Lucky hat was erzählt, dass es drei Tage dauern könne, alles zu regeln, Britt. Ich habe ihn nie zu vor so ernst und angespannt erlebt. Erinnerte mich fast schon an meinen eigenen Herren Vater", erwiderte Julius' Mutter. Julius nickte. Er hatte seinen Großvater mütterlicherseits als sehr strengen, bierernsten Mann kennengelernt, der ihm nie was hatte durchgehen lassen und ihn auch das eine oder andere Mal über's Knie gelegt hatte. Bis dann, wo Julius gerade sechs Jahre alt war, das Herz den Dienst aufgekündigt hatte, zu viel Stress und zu viel Ehrgeiz hatte man ihm später erklärt. Mochte auch der Grund dafür sein, dass zwischen ihm und Julius' Mutter vierzig Jahre Altersunterschied lagen.

"Ich hoffe mal, dass was immer Lucky mit Linus und seiner Mutter zu erledigen hat gut ausgeht", wandte Julius ein.

"Er hat mir gesagt, das sei eine reine Angelegenheit seiner Schwägerin und von Linus. Er will nicht, dass du und vor allem ich da auch noch mit behelligt werden", erwiderte Julius' Mutter.

"Ist eigentlich fies, wo ihr euch hier in VDS geschworen habt, miteinander und füreinander alles durchzustehen", nahm Brittany Julius' die Worte aus dem Mund. Er nickte ihr sehr heftig zu.

"Okay, Julius, Lucky hat mir in Grundzügen erzählt, was los ist. Aber er erwähnte auch, dass er mir längst nicht alles erzählen könne. Denkt ihr, mir gefällt das, gerade jetzt mit den drei Babys von ihm im Leib?" schnaubte Julius' Mutter. Die anderen am Tisch nickten betroffen. Dann sagte Martha noch: "Wenn Lucky oder Linus finden, dass ihr anderen was davon wissen sollt, dann und erst dann werden sie es euch wohl erzählen. Verbleiben wir besser so. Schließlich hat ja hier jeder oder jede was, was nicht jeder wissen muss." Betroffenes Schweigen folgte dieser für Martha Merryweather sehr gefühlsbetonten Ansage.

"Gut, Mum, du trägst schon genug mit dir herum. Da wollen wir dich nicht weiter zwischen alle Stühle treiben", ergriff Julius nach einer Minute das Wort. Seine Mutter nickte.

Um sich von der aufgekommenen Anspannung abzulenken tobte Julius mit Aurore und Brittany durch den Kräutergarten von Viento del Sol, wo es auch einen Spielplatz gab. Julius dachte beim Anblick der Spielgeräte, dass hier wohl demnächst kräftig angebaut werden müsse, wenn die ganzen neuen Mittbürger erst einmal geboren waren.

"Und Ihre Frau lässt sie so frei herumlaufen, junger Mann?" sprach ihn eine dunkelhaarige Hexe im weit wallenden kirschroten Umhang an, die wohl die beiden knapp vier Jahre alten Jungen beaufsichtigte, die sich gerade auf der frei schwebenden Drehscheibe vergnügten, die sie umlaufende Farben des Regenbogens ausstrahlte.

"Meine Frau passt auf unsere ganz kleine auf, Mrs. Copperdale", erwiderte Julius, der sich gerade noch rechtzeitig erinnerte, mit wem er es zu tun hatte, zumal sie die Weibliche Entsprechung seines Vornamens trug und als Ehrenspielführerin der Windriders und Hauptsponsorin der Quodpotmannschaft im Ort bekannt war.

"Ach, Sie kennen mich. Gut, ich stehe ja zwischendurch im Westwind, und Sie haben von Ihrer Gastgeberin und ihren ehemaligen Mitspielern sicher schon die eine oder andere Geschichte über meine wilden Jahre gehört", erwiderte die Hexe schmunzelnd. Dann rief sie einem der beiden auf der frei schwebenden Drehscheibe zu: "Johnny, bleib vom Rand weg!"

"Öhm, Ihre Kinder oder Enkel?"

"Meine Enkel, Mr. Latierre. Meine Kinder sind noch gut und warm untergebracht, wenngleich ich schon genug Abwechslung im Leben habe." Sie deutete kurz auf ihren gut verhüllten Unterleib. Julius verstand und fragte, ob er ihr gratulieren oder sein Bedauern aussprechen sollte.

"Sie dürfen mir gratulieren, wenn die vier es hinbekommen haben, aus der alten Julia Copperdale herauszufinden. Solange hoffe ich nur, dass ich die immer satt genug halten kann und dabei nicht zum Riesenquod anwachse."

"Oha, Sie auch?" fragte Julius. Wer alles betroffen war hatte seine Mutter ihm nicht erzählt.

"Stand schön dick und fett im Westwind, Windrider-Omi in vierfacher Hoffnung. Dafür hätte mein Mann den Schreiberling gerne zum Duell gefordert. Aber Ihre Frau Mutter darf ja im Oktober auch wen neues auf der Welt begrüßen und die gute Stella Hammersmith und Venus' Mom auch."

"Und Ihre schon ausgewachsenen Kinder?" fragte Julius.

"Bisher haben wir nur den einen Sohn hingekriegt. Der hat mir die beiden von sich für drei Tage ausgeborgt, damit ich wieder in Übung komme, wie er sagt. Die Frechheit hat er von mir", erwiderte Julia Copperdale. Dann rief sie noch ihren zweiten Enkel Jamy zur Ordnung, weil der versuchte, von der Mitte der zehnmal pro Minute rotierenden Scheibe nach außen zu springen und dabei natürlich immer leicht abgelenkt wurde, was fast einen Zusammenstoß mit seinem Bruder verursachte.

"Und Ihr Gatte ist arbeiten?" fragte Julius behutsam.

"Wenn er es sich mit dem Knauserich Dime noch nicht verscherzt hat ja. Allerdings ist er im Moment irgendwo in Kolumbien. Was er da genau zu tun hat darf er mir nicht erzählen, Dienstgeheimnis. Aber das kennen Sie von Ihrem Beruf ja auch."

"Ja, das stimmt", bestätigte Julius, verschwieg dabei aber, dass er seiner Frau selbst die größten Geheimnisse seiner Tätigkeiten übermittelte.

Aurore wollte jetzt auch auf die schwebende Scheibe und lief von der lustig klimpernden Schiffschaukel hinüber. Julius entschuldigte sich bei seiner Gesprächspartnerin und wetzte über den Spielplatz, weil er sah, dass die beiden Jungen die Drehscheibe nun zu einer höheren Drehzahl antrieben, wohl damit Aurore nicht daraufklettern konnte.

"Rorie, das ist für größere Kinder", sagte Julius, als er seine Tochter gerade so zu fassen bekam, um sie ohne grob werden zu müssen zurückzuziehen. Natürlich sprach er Französisch, was die beiden Rabauken auf der Drehscheibe nicht verstanden. Doch sie machten sich darüber lustig, wie Julius sprach. Dieser sah sie kurz an und sagte: "Jungs, ihr langweilt." Weil er jetzt Englisch sprach verstanden sie ihn.

"Eh Typ, bleib locker. Der Pullerpuppe ist ja nix passiert, ey!"

"Weil ich längere Beine als ihr zwei zusammen hab'", lachte Julius. "Wenn ihr von dem Regenbogendings runterkullert kriege ich keinen Ärger. Aber wenn ihr meiner Tochter was getan hättet bekämt ihr Ärger mit mir und meiner ganzen Familie. Also bleibt ihr besser mal locker. Habt'n netten Tag, Muchachitos!"

"Ey, Muchachito? Ey, das gibt Krach, ey", erwiderte Johnny darauf. Doch weil Julius sich in seiner ganzen Größe vor der Drehscheibe hinstellte bekam der kleine Möchtegerndraufgänger große Augen und rückte behutsam zur Mitte hin.

"Neh is' klar", sagte Julius ganz lässig. Das zog offenbar doch. Sich mit fremden Kindern zu prügeln hatte er garantiert nicht vor. Doch das mussten die zwei Bengel nicht wissen. Aurore fing an zu quengeln, weil sie auf das lustig die Farben wechselnde Drehding drauf wollte. Die beiden Jungen machten sich darüber lustig. Julius ließ das kalt. Er sah seine Tochter an und sagte freundlich: "Komm, wir zeigen den zwei Jungs mal, was große Leute mit einem echten Besen so können, ja?"

"Au ja", quiekte Aurore erfreut. Das fiel den zwei Drehscheibencowboys natürlich auf. Deshalb fragte Jamy:

"Ey wie Hamse die Pullerpuppe so schnell umgestellt?"

"Kriegt ihr gleich zu sehen, Jungs." Dann zog er seinen Zauberstab, stellte sich bewusst so, dass die Jungen nicht im Mindesten davon ausgehen konnten, dass er sie gleich angreifen wolle. Dann apportierte er seinen Ganymed 10, der den besonderen Apportationsunterstützungsring trug. Die zwei auf der Drehscheibe glotzten total erstaunt. Ihre Großmutter sah das und meinte, dass die das von ihr doch schon mal gesehen hatten, wie sie was einfach so da sein lassen konnte. Dann saß Julius auf, sicherte sich und seine Tochter mit dem unsichtbaren Bergezauber, der zur Ausstattung gehörte und sauste mit ihr los, immer wieder um die sich immer noch drehende Scheibe herum, darüber hinweg, mal im Tiefflug, mal im Rosselini-Raketenaufstieg. Dann flog er Achten aus und wechselte in einer Z-Kurve die Flugrichtung. Dann flog er immer wieder über den ganzen Platz, über das ebenfalls frei schwebend bezauberte Modell eines Piratenschiffes, dessen schwarze Segel wie in wildemSturm flatterten und auf dem sich gerade zwanzig Jungen und drei Mädchen zwischen neun und vierzehn Jahren vergnügten. "Yoho, und 'ne Buddel Rum!" rief Julius aus zwanzig Metern Höhe nach unten. Dann umkreiste er den Kletterturm, der durch unsichtbare Auffang- und Polsterungszauber gegen wirklich schwere Unfälle abgesichert war und die von einem halbwüchsigen, gerade vier Jahre jünger als Julius ausgetestet wurden, indem er sich immer von oben in die Tiefe stürzte und in knapp einem Meter Höhe aufgefangen wurde.

"Yau, voll drachenfeuermäßig, Mister!" rief der Teenager dem jungen Familienvater zu und erkannte ihn jetzt erst. "Oh, der Julius Lättirr oder wie sich der Name ausspricht. Dachte, sie kommen erst um Ostern her. Meine Cousine sagte so was."

"Deine Cousine?" fragte Julius und erkannte den Jungen jetzt. Das war ein Cousin von Venus Partridge. Er hatte ihn einmal in der Ehrenloge bei einem Spiel der Windriders mitbekommen. "Ich zieh die Frage zurück.

"Haben Sie schon Urlaub?" wollte der Junge von Julius wissen.

"Ja, bis Ostern", erwiderte Julius. "Zeige meiner Familie mal, wo ich schon alles war."

"Sie haben die da schon gekriegt, als Sie noch bei den Franzen in dieser Boxbeton-Schule waren, nich' wahr?" wollte der Junge wissen und zeigte auf Aurore, die sich überschwenglich freute, dass ihr Papa so wild mit ihr herumflog.

"Gekriegt hat sie meine Frau. Aber hingekriegt haben wir sie beide", lachte Julius.

"Mann, wegen Ihnen wollte meine Freundin auch schon 'nen Quod unter den Umhang geschossen haben. Aber ich steh nicht so auf Plärrbälger", grummelte der Kletterturmartist.

"Drauf stehen sollst du auch nicht, Das würde denen ja weh tun. aber lieben, großziehen, dich freuen, dass sie ein Teil von dir sind und was von dir weitertragen", philosophierte Julius. Venus Vetter lachte. Dann meinte er, dass er sowas erst ausprobieren wollte, wenn er sich die Welt angeguckt habe. Julius wünschte ihm dabei viel Spaß und flog dann weiter.

"Jetzt Maman", quiekte Aurore. Julius bestätigte das und flog nun etwas weniger aufschneidend über den Platz zurück, winkte Mrs. Copperdale zu, die immer noch ihre zwei Enkel beaufsichtigte und nahm dann Kurs auf das Bucheckernhaus von Brittany und Linus Brocklehurst.

Dort angekommen traf er die Cousine des halbwüchsigen, mit dem er sich eben noch unterhalten hatte. "Chloe ist bei meinen Eltern und diskutiert mit denen die Umstellungen. Da habe ich mich lieber hier hingeploppt, auch wenn hier ein Babybauch mehr ist als bei mir zu Hause", sagte Venus. Julius grinste, Brittany tätschelte sich den noch flachen Bauch, während Martha etwas verdrossen dreinschaute.

"Siehst ja, wie schnell Frau sowas abbekommen kann", sagte Brittany.

"Weißt ja noch, dass ich damals fast wegen dieser Mora-Vingate-Bande schon wie Kore mit einem Quod unterm Rock herumgelaufen wäre, Britt. Aber die Bettwanzen legen es ja wirklich drauf an, alle Hexen in Reichweite aufzufüllen. Da muss ich echt aufpassen, ob die mir nicht auch noch wen zuteilen, für den oder die ich mitessen muss."

"Apropos Kore, Julius, ich wurde gefragt, ob du und / oder Millie ihr die beiden, die ihr schon hingekriegt habt mal vorstellen könnt. Dass sie mit dem kleinen Aquarius jetzt in Misty Mountains wohnt habe ich euch ja geschrieben", sagte Brittany. Julius nickte bestätigend. "Aber sie ist übermorgen im Weißrosenweg, will sich bei Mel als Aushilfe bewerben. Da wird die sicher kurz im betrunkenen Drachen reinschauen." Julius nickte wieder.

Julius erzählte von seinen kurzen Unterhaltungen auf dem Spielplatz und erwähnte auch, ddass der wohl demnächst ausgebaut werden müsse.

"Der ganze Ort muss ausgebaut werden", grummelte Venus dazu. "Nachher müssen wir auch so hohe Türme aus Glas und Beton hier hinpflanzen, wie die Muggel die in den Großstädten hochgezogen haben, wenn diese Bande jedes Jahr neue Babys in Auftrag gibt."

"Dann fallt ihr aber auf", konnte Julius dazu nur sagen.

"Das war nur eine billige Rache dafür, dass unsere Leute die Mora-Vingate-Partys unmöglich gemacht haben", sagte Brittany.

"Vergiss es, Britt. Die haben jetzt raus, dass sowas klappt und ziehen diese Nummer immer wieder durch", grummelte Venus. Julius enthielt sich da eines Kommentars. Er hatte schließlich mitbekommen, wie skrupellos die Vita-Magica-Gruppierung sein konnte.

Am Abend kehrten Linus Brocklehurst und Lucky Merryweather zurück. Sie wirkten sichtlich erschöpft und missgelaunt, was vor allem bei Lucky, der ein großer Spaßvogel sein konnte, besonders auffiel. Millie und Julius begrüßten die beiden Heimkehrer behutsam. Linus konnte nicht einmal lächeln, als er den Gruß erwiderte. Lucky sah seine Frau und den Stiefsohn abbittend an und sagte dann:

"'tschuldigung, dass die Sache nicht eher durch war, Martha und Julius. Aber zumindest ist jetzt alles geklärt, wenn auch nicht alles zu unserer Zufriedenheit. Aber wie die Franzosen sagen: "C'est la vie."

"Darf ich das wissen, was euch so fertig gemacht hat?" wisperte Julius.

"Das klärst du bitte nur mit Linus. Ich habe ihm und seiner Mutter nur geholfen", sagte Lucky. Dann schaffte er es, doch noch richtig zu lächeln. "Zumindest kann ich michjetzt ganz auf Marthas Bäuchlein konzentrieren."

"Nur auf meinen Bauch, Lucky?" fragte Martha.

"Auf alles, was dranhängt, meine Zahlendompteurin", erwiderte Lucky Merryweather. Dann fragte er sie, ob sie mit ihm nach Hause fliegen wolle. Sie nickte und verabschiedete sich von Julius und seiner Familie. "Ihr kommt dann morgen zu uns hin. Dann können wir uns gerne über alles unterhalten, was so in den letzten Wochen gelaufen ist", sagte Martha. Dann begleitete sie ihren Mann zum Landeplatz für die Luftschiffe, um mit einem kleinen Inlandszeppelin nach Santa Barbara zu fliegen.

"War's was auch immer so heftig?" fragte Julius Linus.

"'tschuldigung, Julius, aber die Kiste erzähle ich keinem und möchte auch nicht, dass wer anderes dir das erzählt", erwiderte er laut genug, damit Brittany das hörte. Julius nahm diese Antwort hin und entschuldigte sich seinerseits, weil er gefragt hatte.

Um den Abend nicht so frostig ausklingen zu lassen machten die Gastgeber und die Gäste noch ein wenig Hausmusik. Dann meinte Linus verschmitzt grinsend: "Vielleicht wollt ihr euch ja dafür revanchieren, dass Britt und ich den kleinen Bruster bei euch auf die Reise ins Leben geschickt haben."

"Wir haben die zwei Kleinen bei uns im Zimmer", erwiderte Julius, sicher, dass Aurore und erst recht Chrysope ihn nicht verstanden, wenn er Englisch sprach. Das rang Linus ein mitleidsvolles Kopfnicken ab.

__________

Am nächsten Tag besuchten Julius und seine Familie die Merryweathers im Haus Zwei Mühlen, das eine gelungene Mischung zwischen Zaubererwelt- und Magielosenhaushalt bot. Aurore freute sich vor allem über die große Tobewiese hinter dem Haus und die aufgestellten Spielgeräte. Während Millie Aurore und Chrysope beaufsichtigte sprach Julius mit seiner Mutter über die Verdonnerung zum Innendienst, Marthas unerwünschte Drillingsschwangerschaft und wie die Zaubererweltpresse darüber berichtete. Dann wartete Martha Merryweather mit etwas auf, das Julius fast von den Beinen holte. Sie zeigte ihm Farbausdrucke, die einen blonden Mann Ende zwanzig zeigten. "Ich kam nur dran, weil mich Pina Watermelon angeschrieben hat, ob der Bursche mit uns verwandt ist, sagte sie. Ich habe das natürlich abgestritten. Aber sieh dir das Gesicht von ihm an!"

"Der sieht aus wie Paps oder Onkel Claude", seufzte Julius. "Halt nur ein paar Jahre jünger und mit ein paar Grübchen mehr im Gesicht. Wie geht denn das auf?"

"Habe ich mich bis heute auch immer wieder gefragt. ich weiß sicher, dass dein Vater keine andere Frau vor mir hatte, die den Jungen von ihm bekommen haben kann, und dass dein mittlerweile hoffentlich in Frieden ruhender Onkel Claude kein Kind mit Tante Alison gezeugt hat. Und dennoch sieht der Mann deinem Vater oder deinem Onkel zu ähnlich, als nur ein Zufall zu sein. Gut, wir haben damals im Studium gelernt, dass die genetische Vielfalt der lebenden Menschen nicht so unendlich ist, dass nicht irgendwie jeder Mensch den einen oder anderen Doppelgänger haben könnte, ohne irgendwelche Klonexperimente. Aber die Augen, wie er guckt. Ich habe mir die Quelle dieser Bilder im Internet angesehen. Das Foto hier stammt von einer Gerichtsverhandlung vom zwölften März." Julius nickte, denn er las gerade den zum Foto gehörigen Text. "Oha, ist aber starker Tobak, was die da ins Netz gesetzt haben. Da steht ja auch was, dass dessen offizielle Eltern nicht seine leiblichen Eltern waren. Am Ende hat Paps oder Onkel Claude noch ein Guthaben bei einer Samenbank eingerichtet, das nun aufgelöst wurde", scherzte Julius.

"Nur, dass der Mann seit dem vierzehnten März scheinbar spurlos verschwunden ist und ich erst am sechzehnten davon erfuhr. Ich wollte das auch nicht zur Sprache bringen, wo Britt und Linus dabei waren. Aber leider ist es nicht ganz abwegig, dass dein Vater oder sein Bruder vielleicht einen Sohn gezeugt haben, von dem beide nichts wussten, weil der nicht im Leib der ihn gebärenden Frau entstand, sondern als Embryo in den Leib seiner offiziellen Mutter eingesetzt wurde. Für eine Frau, die gerade selbst schwanger ist schon eine gruselige Vorstellung, das Kind einer fremden Frau und eines unbekannten Mannes auszutragen wie eine Zuchtkuh."

"Kannn ich verstehen. Aber Onkel Claude hätte garantiert keinen Samen von sich irgendwo eingebunkkert und dann noch hingenommen, dass irgendeine ihm fremde Frau davon was nimmt, um ohne einen Mann anfassen zu müssen ein Baby zu haben. Der Typ, dieser Aldous Crowne, hätte ja auf Grund dieser Genuntersuchungen nachprüfen lassen können, ob Onkel Claude sein Vater ist und den beerben können", sagte Julius.

"Feststeht, dass er von dieser Muriel Crowne tatsächlich ausgetragen und geboren wurde, womit sie rechtlich seine Mutter ist", stellte Martha fest und verwies auf zwei Textseiten, die sie ebenfalls ausgedruckt hatte. "Viviane meint, dass es unheimlich ist, wie sehr die magielosen Leute schon mit werdendem Leben hantieren können."

"Wie du sagtest, Mum, bei Zuchtkühen ist sowas ja schon lange im Gebrauch", seufzte Julius. Dann las er den ganzen Zeitungsartikel.

"Der weiß nicht, wer seine biologischen Eltern sind", bemerkte Julius. "Womöglich ist er deshalb abgetaucht, um das rauszukriegen."

"Womöglich. Immerhin hat ihm diese Erkenntnis das ganze Leben verdorben", seufzte Martha Merryweather. "Ach ja, und noch was", setzte sie zu einer Fortführung an. "Ich habe alle Suchprogramme des Arkanets mit den Beschreibungen von diesem goldenenWächter gefüttert, den du getroffen hast. Wenn irgendwo in der Welt wieder so ein Geschöpf auftaucht kriege ich das früher mit als die Zaubereiministerien, zumindest wenn er in einem Land erscheint, dessen Sprache meine Überwachungsapplikationen übersetzen können."

"Danke, Mum. Ich weiß, dass du gerade mehr als genug um die Ohren hast."

"Noch mal zu der Verdonnerung zum Innendienst, könntest du dir vorstellen, in eine andere Abteilung zu wechseln, wo du auch raus an die Luft kannst und trotzdem noch den dir aufgeladenen Ballast mit Altaxarroi abwickeln kannst?"

"Im Moment spiele ich mit dem Gedanken daran, ganz aus dem Ministerium raus zu gehen und bei Camille in der grünen Gasse anzufangen oder bei Gilbert anzufangen wie Millie, eben nur, dass ich dann über die Verhältnisse zwischen Menschen und Zauberwesen berichte. Kann mir dann nur passieren, dass ich Probleme mit Léto oder Olympe Maxime kriege, weil ich dann nicht mehr als offizieller Ansprechpartner zur Verfügung stehe", sagte Julius. "Aber im Moment interessiert es mich nicht, was nach den Ferien wird. Ich möchte erst hier bei euch, dann noch in Australien und dann noch im guten alten England ein paar Ferientage verbringen, auch um Aurore zu zeigen, wo ich schon alles war."

"Ja, doch spätestens am Tag vor dem ersten Arbeitstag solltest du dir im klaren sein, was du vorhast. Dass du einen Erwerb brauchst, um die zwei Mädchen und die wohl noch in Millies Unterleib verstauten Kinder zu ernähren ist dir ja klar."

"Ich muss vor allem noch eine verdammt wichtige Sache klären, die nichts mit dem Ministerium zu tun hat", sagte Julius. Dann erzählte er seiner Mutter im Flüsterton, was er bei den Altmeistern erlebt hatte, vor allem, dass die Erdmagierin Madrashmironda ihm eine Entscheidung abverlangte. Wie Madrashmironda ihn über Stunden beherbergt hatte verriet er seiner Mutter jedoch nicht. Alles musste sie dann doch nicht wissen.

"Dann sollst du mit einer rein geisterhaften Frau oder einer höchst skrupellos wie mächtigen Hexe diese Einberufung durchführen, wobei es an dir ist, ob du die Erwählte zwölf Tage lang als Liebhaber begleitest oder dich von ihr bis zum Hals eingraben und füttern lässt?" zischte Martha höchst verdrossen. Julius nickte nur.

"Wenn ich dir raten soll, mein Sohn, dann sage ich, lass dich auf keinen von beiden Wegen ein! Du lieferst dich aus, ohne zu wissen, welche Auswirkung es hat. Vor allem lass die Hände von dieser Spinnenfrau! Sie würde dich garantiert nicht mehr freilassen."

"Das ist mir selbst klar, zumal was auch immer mit dieser Madrashmironda keine physischen Folgen haben würde", erwiderte Julius.

"Ich hab's dir ansehen können, dass du mir längst nicht alles von deiner letzten Reise zu diesen konservierten Erzmagiern erzählt hast, Julius. Aber was mögliche Folgen angeht, so kann ich mir durchaus vorstellen, dass diese Geisterwesen dich durchaus auch festhalten können, wenn sie finden, dass du für sie zu gefährlich oder zu neugierig geworden bist. Womöglich würdest du das dann noch nicht einmal mitbekommen, weil so wie du und Catherine es berichtet habt, vollkommene Scheinwelten von ihnen suggeriert werden können. Ich meine, irgendwann wirst du wohl wegen der Hinterlassenschaften aus diesem alten Reich noch einmal zu ihnen hinreisen müssen. Aber mich ihnen auf Gnade oder Ungnade ausliefern würde ich nicht."

"Ja, doch ich kann nicht drüber weg, dass Madrashmironda ihre Daseinsgenossen so weit eingepegelt hat, dass mir keiner von denen mehr was erzählt, solange ich diese Entscheidung nicht getroffen habe."

"Falls die anderen sich umstimmen lassen. Ich mache mir eben Sorgen."

"Das ehrt dich, Mum", sagte Julius dazu nur. Dann erklärte er: "Solange ich ohne die zusätzlichen Zauber der Erde klarkomme lege ich mich nicht fest. Vielleicht haben wir ja eine Zeit lang Ruhe. Nur wenn wirklich eine weitere von den Abgrundstöchtern aufgeweckt wurde könnte es passieren, dass ich was neues lernen muss, um sie von dir, mir, Millie und den Mädchen fernzuhalten."

"Überlasse es doch erst einmal anderen, die Welt zu retten, Julius. Versuch doch einfach mal, ein alltägliches Leben zu führen!"

"Mum, ich bin kein Gefahrensucher, kein Adrenalinsüchtiger", knurrte Julius. "Ist halt nur so, dass wegen meiner Zauberkräfte, für die ich nichts kann, alles mögliche passiert ist, dass so nicht mehr zurückgedreht werden kann. Genauso wie du nicht noch mal zur Neujahrsfeier zurückreisen und dich selbst vor irgendwelchen dubiosen Getränken oder Speisen warnen kannst", erwiderte Julius. Zwar gab es Zeitumkehrer, die echte Zeitreisen ermöglichten. Doch wer sich selbst in der Vergangenheit aufsuchte beschwor Unheil herauf. Dann kam ihm ein Gedanke, der aberwitzig war. Was wäre, wenn dieser blonde Mann, dieser Aldous Crowne, ein aus der Zukunft zurückgeschickter Klon von ihm oder sein eigener Sohn war, der sich, um sich in die Jetztzeit einzufügen von einer Frau aus der Zielzeit neu zur Welt bringen lassen musste? Das, so fand Julius, war dann aber doch sehr sehr unwahrscheinlich, aber leider nicht völlig unmöglich. Um nicht in wilde Spekulationen abzugleiten riss er sich von dieser abstrusen Vorstellung los und dachte lieber an die nächsten Tage des Familienurlaubs.

__________

Als Julius, Millie und ihre beiden Töchter von ihrem Besuch der Weißrosengasse nach VDS zurückkehrten war Millie gut beladen. Sie hatte Melanie Redlief nichts abschlagen können und eine bunte Sammlung kosmetischer Sachen für Hexen von null bis fünfzig Lebensjahren abgekauft, und Julius hatte sich mit Pflegemitteln für junge, vielfältig aktive Zauberer eingedeckt. Brittany, die bei der Rückkehr ihrer Hausgäste prüfte, was ihre ehemalige Klassenkameradin Melanie Redlief ihnen so aufgeschwatzt hatte rümpfte immer wieder die Nase, weil von den offiziell anzugebenden Inhaltsstoffen viele aus tierischen Quellen stammten, darunter sogar eine winzige Spur Streelerschleim. "Hast du sowas echt nötig, Julius?" fragte sie den Besucher aus Millemerveilles, als Millie bereits die verbilligten Einkäufe in ihre rauminhaltsvergrößerten Kosmetiktasche versenkte.

"Werde ich wissen, wenn ich weiß, ob es damit besser läuft als ohne das", erwiderte Julius darauf nur und deutete auf Aurore, die von Melanie einen singenden, ferkelrosa Kamm geschenkt bekommen hatte, der beim Haarekämmen lustige Kinderreime nachsang.

"Also wenn Linus mir damit ankäme würde ich ihm das Zeug ins Gesicht kleistern oder gar zu schlucken geben. Weißt du, wie viele Streeler für dieses Zeug zerrieben werden? Ich las im Tierwesenbeobachter, dass einige von denen noch leben, wenn sie in die Verarbeitung gejagt werden. Ich fürchte, ich muss Melanie die Ohren zum klingeln bringen, bei dieser Barbarei mitzumachen."

"Ich hätte dir das Zeug nicht zeigen sollen, Brittany. Aber was sagst du zu der Lotion, wo Latierre-Kuhmilchpulver drin verarbeitet ist und was die Haut der Brüste stillender Hexen wieder glatt pflegt und stärkt."

"Konnte ich leider nichts machen, als Mel mit dem Zeug rauskam und damit einen Volltreffer landete und wohl wegen dieser VM-Verbrecher noch einen riesen Berg Galleonen in ihr Verlies in Gringotts rüberholen wird. Aber dass du diese Streelerzerschredderlotion von ihr gekriegt hast, wo sie genau weiß, bei wem du gerade wohnst, ist eine glatte Provokation. Das kriegt die wieder."

"Britt, Florymont entwickelt mit seiner Frau zusammen gerade ein Vegephon, ein Gerät, dass die Befindlichkeiten von Pflanzen hörbar macht", sagte Millie. Am Ende können wir dann die Todesschreie aus dem Boden gerissener oder abgerissener Pflanzen hören. Also komm, sei bitte friedlich."

"Millie, das ist jetzt voll Drachensch..., öhm Drachenunrat", blaffte Brittany zurück. Julius wollte noch was sagen, als Brittany auch schon auf dem Absatz kehrt machte und in Richtung ihres Schlafzimmers abzog.

"Millie, du weißt selbst, wie heftig es schwangere Hexen aus dem Tritt bringt, wenn ihnen irgendwas nicht gefällt", meinte Julius zu seiner Frau.

"Monju, ich weiß, dass Britt im Moment und in den nächsten Monaten wohl solche Wutausbrüche haben wird. Aber das Argument, Pflanzen könnten gegessen oder anders benutzt werden, weil sie keine fühlenden Wesen sind, lasse ich der nicht mehr durchgehen, wo mir Florymont den ersten Prototyp vom Vegephon gezeigt hat. Camille ist ja nicht so der Meinung, dass sie so ein Instrument nötig hätte, zumal das Herboskop ja schon eine Menge zeigen würde. Aber wenn Florymont meint, damit durchstarten zu können bitte sehr."

"Mir hat er das Ding noch nicht vorgeführt, was wohl daran liegt, dass ich in den letzten Tagen vor unserer Abreise zu viel um die Ohren hatte."

"Im grünen Walde vier, fünf, sechs
da lebt 'ne Hex', da lebt 'ne Hex'.
Die trinkt fünf Liter Milch auf ex
am Morgen und am Abend."

So trällerte Aurores singender Kamm gerade fröhlich. Dass die magische Stimme englisch sang störte sie wohl nicht. Für sie war das einfach lustige Musik.

"Oha, hundert solcher Trällerteile sind da eingezaubert", grummelte Millie und musste dann doch grinsen. "Aber dann wird sie sich ab jetzt sehr viel lieber die Haare kämmen lassen."

"und aufpassen, dass ihre Maman ihr den Kamm nicht wegnimmt, um sich selbst damit zu kämmen", scherzte Julius.

"Könnte mir glatt passieren, um rauszukriegen, wie schnell ich alle hundert Trällerlieder zu hören kriege. Aber auf jeden Fall auch eine geniale Begründung, dass du ihr auch deine Muttersprache beibringst, damit sie in den kommenden Jahren auch ohne uns dazwischen mit Britt, Venus oder den Fridays sprechen kann.

"Auf jeden Fall. Vor allem, damit sie sich mit ihren drei Onkeln oder Tanten unterhalten kann, die da demnächst ankommen werden", erwiderte Julius. Das brachte seine Frau zum strahlen. Als ihm klar wurde, warum sie so erfreut war meinte er noch: "Sind ja doch die Kinder meiner Mutter. Ob ich sie lieben kann weiß ich noch nicht. Aber es akzeptieren, dass sie sie haben wird muss ich wohl."

Brittany hatte einen Zettel auf dem Esstisch materialisiert:

Bin im Moment für nichts zu haben. Essen ist genug da. Aber ihr könnt auch gerne anderswo essen. Ist mir gerade egal

"Oha, passiert sowas häufiger, wenn eine Hexe was Kleines in Aussicht hat?" fragte Linus Millie. Die grinste ihn hämisch an und erwiderte:

"Kommt auch drauf an, von wem sie das Kleine in den Bauch geschupst bekommen hat."

"Haha", grummelte Linus. Aurores Kamm hatte inzwischen das vierte lustige Lied angestimmt. Es klang nach einem irischen Limerick, der von einem Zwerg aus Delaware handelte, der sich immer auf seine Haare trat, bis er sie grün färbte und eine hungrige Kuh sie ihm vom Kopf fraß.

"Oha, das darfst du Oma Tétie aber nicht vorsingen lassen, Rorie. Die lacht sich entweder tot oder wird böse, weil bei Zwergen die Haare das wichtigste am Körper sind", sagte Millie zu ihrer Tochter und nahm ihr behutsam den Kamm weg. "Außerdem sind deine Haare jetzt glatt genug. Morgen darfst du dich wieder kämmen, bevor wir auf das große Schiff steigen, mit dem wir weit über's Meer fahren", sagte sie noch. Aurore quängelte zwar, weil ihre Maman ihr das lustige rosa Ding weggenommen hatte. Doch als ihr versprochen wurde, dass sie sich damit wieder kämmen durfte, wenn sie ganz lieb und lange schlafen ging, war sie, o Wunder, sogar dazu zu bewegen, noch vor acht Uhr im Bett zu liegen und mit ihrer kleinen Schwester friedlich einzuschlummern.

"So geht's auch", grummelte Julius. Millie meinte, dass das noch harmlos sei. Martine habe sich nur noch ins Bett bringen lassen, wenn sie gleich beim Aufwachen ihren sonnengelben Schmuseniffler im Arm haben würde. Das ging, bis sie sieben war, hat Ma mir erzählt", grinste sie. Julius fiel ein, dass er auch ein so genanntes Betthupferl gebraucht hatte, bei ihm sei das aber kein Stofftier oder was zu naschen gewesen, sondern eine Folge aus einer Hörspielserie, die von einer kleinen roten Lokomotive handelte. Mit fünf hätte er aber dann lieber Geschichten von Raumschiffen und Astronauten gehört und später noch von Leuten aus früheren Zeiten wie den Wikingern, den Rittern oder den Piraten im 17. Jahrhundert.

"Tja, so erinnern uns unsere Kinder immer wieder daran, was wir selbst gerne getan, gehört oder gegessen haben", bemerkte Millie dazu. Linus, der sich aus dieser Unterhaltung weise herausgehalten hatte kümmerte sich in der Zeit um den Abwasch.

Gegen elf Uhr lagen dann alle nach einer letzten Runde in einem Klankerkerzimmer aufgeführten Runde Hausmusik in den Betten.

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Brittany war am Abreisetag, dem 25. März, wieder ganz locker drauf. Sie scherzte mit Millie über die Kilogramm, die sie während ihrer beiden bisherigen Schwangerschaften zugenommen und wieder abgespeckt hatte. "Vielleicht unterbiete ich dich da ja. Dann wissen wir ja, ob veganes Essen nicht doch besser für werdende Mütter ist, egal was Chloe Palmer sagt", hatte Brittany darauf geantwortet.

Nach dem letzten Frühstück auf amerikanischem Boden flogen die Latierres auf ihrem Ganymed Matrimonium zum heimlichen Fernverkehrsseehafen, der seit 1830 betrieben wurde und bisher immer noch gute Passagierzahlen vorwies, wohl weil der Bronco Parsec eben nur eine begrenzte Zuladung tragen konnte und wegen seines Preises, der ebenso astronomisch wie sein Name war, nicht von jedem fernreisewilligen Zaubererweltmitglied angeschafft werden konnte. Port Sundown war ein geschäftiger Ort mit fünf großen Gebäuden, von denen eines die Verkaufsstelle für Reisen über den Pazifik anbot, von hier nach China, Japan, Australien und Neuseeland. Wer noch weiter durch den indischen Ozean und die daran angrenzenden Meere wollte konnte in Sydneys Hafen auf einen Zubringer umsteigen, der einmal um die Südseite an die Westküste fuhr um dort mit dem Pendler zwischen Europa und Australien weiterzufahren.

Julius und Millie kannten den fliegenden Holländer ja schon. Aurore in gewisser Weise auch. Denn im letzten Schuljahr waren sie damit von Frankreich nach Indien gefahren, um dort Occamys in einem Zaubertierreservat zu besichtigen. Aurore staunte über das große Schiff, auf das gerade mehrere Dutzend Hexen und Zauberer unterschiedlicher Hautfarben wechselten. Unter den Passagieren war auch eine ebenholzfarben getönte Hexe mit rubinroter Haarkrause, die gleich acht schwere Koffer hinter sich herschweben ließ. Julius hatte sie bei der Silvesterfeier in Viento del Sol aus der Ferne gesehen. Vom Aussehen her sah sie wie eine Großmutter der Friday-Drillinge aus. Aurore rannte, bevor Julius und Millie sie zurückhalten konnten, zu einem besonders großen, amaryllisfarbenen Schrankkoffer hin, hüpfte los und setzte sich oben drauf, um sich mittragen zu lassen. Julius schaffte es, einen lauten Ausruf zu unterdrücken. Millie rief: "Rorie, runter da!" Die Hexe, die bisher unbeirrt ihr Gepäck hinter sich herschweben ließ zuckte zusammen, weshalb ihr Transportzauber aus dem Gleichgewicht geriet. Die Koffer purzelten aus dem Schwebeflug zu Boden. Aurore kullerte von dem Schrankkoffer herunter und fing sofort an zu flennen, vielleicht weil sie auf den linken Arm gefallen war oder weil ihr die lustige Reise auf einem fliegenden Koffer so plötzlich vermiest worden war.

"Heh, kleine Lady, das macht eine anständige Hexendame aber nicht, auf fremden Koffern zu reiten", lachte die dunkelhäutige Hexe die am Boden herumheulende Aurore auf Englisch an. Dann erkannte sie sie wohl und sprach ein stark akzentlastiges Französisch:

"Well, Dschunges Mejdchen nich' auf Koffers von Fremden Leuten rumreiten, Nich' wahr?"

"Entschuldigung, Madam", sagte Julius, der zusammen mit Millie gerade am Ort des kleinen Unfalls angekommen war. "Meine Tochter findet alles interessant, was von selbst fliegt. Sie hat Quidditchspielererbgut in sich. Wenn was kaputt gegangen ist zahle ich das natürlich", sagte Julius, während Millie ihre Tochter tadelnd anstierte, ohne was zu sagen.

"Ach, Sie sind ja der, der mit meinen Großnichten so gut Quodpot spielen kann, obwohl das bei Ihnen im alten Europa nicht gespielt wird", sagte die Hexe."

"Das stimmt, Madam ...", sagte Julius. Die andere sah ihn mit smaragdgrünen Augen an, etwas, was er bei dunkelhäutigen Menschen noch nie zu sehen bekommen hatte.

"Virginia Lexington. Sie haben ja auch mit Ihrer Gattin diese vertrackte Jahreswendfestlichkeit besucht. Da haben Sie mich wohl gesehen."

"Stimmt, sagte Julius. "Noch mal Entschuldigung, dass unsere Tochter so ungestüm war. Ich werde ihr das irgendwie beibringen, nicht auf jeden fliegenden Koffer zu springen."

"Sollten Sie besser tun, weil sie sonst vielleicht gleich darin eingepackt und mitgenommen wird", erwiderte die afrikanischstämmige Hexe mit den smaragdgrünen Augen. Als Millie sie näher ansah blieb der Blick ihrer rehbraunen Augen an dem der grünen Augen Madam Lexingtons hängen. "Auch von meiner Seite Entschuldigung für das, was unsere Tochter gemacht hat. Mein Mann hat ja schon gesagt, dass wir für jeden Schaden aufkommen, der entstanden ist."

"Junge Dame, wenn was kaputt geht kann ich das problemlos reparieren. Abgesehen davon ist das meiste Zeug Kleidung und gut verpackter Hausrat. Ich verlasse dieses aus den Fugen geratene Land. Die Muggel sind verrückt vor Angst und Rachewahn wegen dieser in ihre Handelstürme gekrachten Flugmaschinen und die Zaubererwelt da ist schon seit Jahren ein einziger Haufen Nogschwänze und wilder Wichtel. Da kann eine kultivierte alleinstehende Hexe nicht mehr länger bleiben."

"Ach deshalb so viel Gepäck", stellte Julius mit einem Blick auf die am Boden liegenden Koffer fest, um die herum sich gerade weitere Hexen und Zauberer herumtasteten, um an Bord zu gelangen. Ein schwergewichtiger Zauberer, den Julius jetzt erst erkannte, weil er vorhin wohl weiter hinter ihm gewesen war, lupfte seinen zitronengelben Zylinder und blaffte laut über Laufplanke und Verdeck hinweg: "Eh, lustige Witwe. Sammel deine Klamotten wieder ein, damit kein anständiger Mensch drüber fällt. Nur weil du dir in deinem Alter noch einen dicken Bauch züchten musst muss nicht jeder über deine ganzen Sachen fallen."

"Mal wieder mit voller Kraft voraus durchs Porzellan, George Lawrence Bluecastle. Aber in einem Jahr bin ich wieder dünn wie ein Besen, während du immer noch so aussiehst wie mit sechs Kindern gleichzeitig in Umständen! Aber du hast recht. Mein Gepäck liegt unordentlich herum", rief die dunkelhäutige Hexe zurück und winkte mit dem Zauberstab, worauf sich alle ihr gehörenden Gepäckstücke erst aufrichteten und dann in eine strenge Rechteckformation zurückfanden, bevor sie wieder vom Boden abhoben.

"Das ist also der berühmte George L. Bluecastle, der mit seinem blauen Springbus Millemerveilles aufgemischt hat", zischte Millie Julius zu und machte eine hinweisende Kopfbewegung zu dem an die drei Zentner wiegenden Zauberer, der nicht im himmelblauen Umhang daherkam, sondern in knallroten halblangen Hosen und einem sich sehr gewagt über seinen Oberkörper und Bauch spannendem T-Shirt heranwalzte. Hinter ihm schwebte ein großer, himmelblauer Schrankkoffer.

"Als die Reisenden am Kartenprüfer vorbeigingen pingelte der von selbst. Die Karten waren mit einem Erkennungszauber versehen. So sparten sie sich hier einen Schaffner. Nur wer eine gültige Fahrkarte hatte konnte durch die sacht flimmernde Barriere hindurch. Die Karten waren zudem auf die Namen der Reisenden geprägt, so dass kein Unbefugter sie benutzen konnte.

Anders als bei Überseeschiffen und Flugzeugen der Muggelwelt gab es beim fliegenden Holländer keine Klasseneinteilung, was Julius sehr sympathisch war. Zumal würde die Reise eh nur achtzehn Stunden dauern.

Schön weit von Mr. Bluecastle wegbleibend beobachteten die Latierres das Ablegemanöver. Das mit besonderen Segeln versehene Schiff wurde aus dem ovalen Hafenbecken herausbugsiert. Kaum in freiem Wasser nahm es rasant Fahrt auf, bis es so schnell war, dass die kalifornische Küste innerhalb von nur drei Minuten hinter dem Horizont, seemännisch korrekt auch Kimm genannt, verschwand.

"Das wasserblaue Segelschiff durchpflügte die rasch aufeinander folgenden Wellen mit einem silbrig schimmernden Gebilde am Bug, das aus reinem Zauberlicht zu bestehen schien. Anders als bei üblichen Schiffsreisen verspürten die Reisenden weder Schaukeln noch Schlingern, nicht mal ein Ruckeln, wenn das Schiff über langgestreckte Wellen einfach hinwegbrauste.

"Ui, ganz schnell", staunte Aurore und versuchte, sich über die Reling zu lehnen. Julius war schon bereit, sie zu packen, falls sie Übergewicht bekommen sollte. Doch sie kam gerade zwanzig Zentimeter über die wasserblau lackierte Holzreling hinweg, bevor sie wie gegen eine Glaswand prallte und erschrak.

"Au", machte sie und drosch mit der rechten kleinen Hand nach vorne, wobei ihre Hand wie in unsichtbarem Wackelpudding abgebremst und zurückgefedert wurde.

"Ein besonders dichter Windumlenkungszauber", bemerkte Julius dazu. Millie nickte. "So kann bei dem Tempo auch niemand über Bord gehen", fügte Millie sehr beruhigt klingend hinzu.

Während der Überfahrt aßen die Reisenden in den vier großen Speisesälen, wobei Julius genau aufpasste, nicht mit seiner Familie in dem zu landen, in den Bluecastle ging. Seit der Quidditchweltmeisterschaft in Millemerveilles hatte er kein Verlangen mehr, mit dem für einen Geschäftsmann ungewöhnlich rüpelhaft auftretenden Reisebusunternehmer zu tun zu haben. So sah das auch Virginia Lexington, die im vorderen Backbord-Esssaal einkehrte. So konnten die Latierres mit der auswandernden älteren Dame noch eine lange Unterhaltung führen.

Virginia Lexington hatte bis zu der sehr erinnerungs- wie fragwürdig verlaufenen Silvesterfeier alleine gelebt. Dass sie sich bei der Feier längere Zeit mit einem gerade erst mit Thorntails fertig gewordenen Zauberer, der im Büro von Handelsabteilungsleiter Dime arbeitete, über Thorntails damals und heute unterhielt, bis sie wohl mit ihm dem Trubel entflohen war. Über weitere Einzelheiten schwieg sie damenhaft. Sie erwähnte nur, dass die Unterhaltung nicht folgenlos verlaufen war und sie nun für mehrere Kinder auf einmal vorplanen müsse, wie ja auch Julius' Mutter und die Dorfrätin Stella Hammersmith. Deshalb habe sie beschlossen, auszuwandern, wo sie keiner behelligen würde und diese Kinder nicht als Bürger einer von zunehmender Dekadenz wie Kriegswahn zerfressenen Gesellschaft aufwachsen lassen zu müssen. Julius räumte ein, dass der Großteil der in den Staaten lebenden Menschen wohl nicht mit den Vorgängen dort einverstanden sei. Darauf erfuhr er, dass ihre Großnichten Dawn, Hope und Eve ihr das auch gesagt hätten, wie auch ihre Großnichte von ihrem zweiten Bruder.

Die Tür ging auf, und eine samtbraun getönte junge Hexe mit bis zu den Hüften wallendem schwarzen Haar und den gleichen smaragdgrünen Augen wie Mrs. Lexington trat ein. "Habe ich dich doch gefunden, Tante Virginia", grüßte sie überganggslos und ohne von der Höflichkeit gebotenen Zurückhaltung. "Opa Valeriuswollte schon ein Suchkommando zusammentrommeln. Deshalb hat er mich losgeschickt, das nachzuprüfen", sagte sie nun gerade noch laut genug, um nicht den ganzen Saal zu beschallen.

"Was machst du hier?" schnarrte Virginia Lexington. "Musst du nicht beim alten Greensoil die jungen Goldapfelbäumchen betreuen oder den Mist von seinen Abraxarieten fortschaffen oder sowas unter deiner Würde liegendes?"

"Das klären wir besser in deiner Kabine, Großtantchen. Nichts für ungut, die Herrschaften, aber das muss ich jetzt im Namen meiner Familie klären", sagte sie noch.

"Glo, das geht so nicht. Du kannst nicht einfach hinter mir herspionieren und dann noch so anmaßend auftreten, als wärest du meine Mutter oder Großmutter und müsstest mich zurechtweisen. Nein, junge Dame, das kann und darf ich dir nicht durchgehen lassen, schon gar nicht, wo du alle guten Aussichten nach den UTZs in den tiefsten Müllschacht geworfen hast und lieber eine schnöde Bauernmagd sein wolltest, nur weil du diesen blassnasigen Farmersburschen um die Beine gestrichen bist wie eine rollige Straßenkatze."

"Du meinst meinen Verlobten, Großtantchen Virginia. Aber davon wolltest du ja nie was hören. Außerdem gefällt mir die Arbeit mit Bäumen und Zaubertieren besser als das, was du geschafft hast, bevor du dem Goldhorter Dime zu alt wurdest, um säumigen Schuldnern die Galleonen aus den Leibern zu quetschen. Aber auch das ist eigentlich eine reine Familiensache." Dann sah sie Julius und Millie an. Offenbar erkannte sie zumindest Millie. "Oh, eine Southerland-Tochter? Ach neh, halt, Sie sind eine Latierre, richtig? O, na klar, Mildred Latierre oder wie Sie sich auch immer schreiben, eine die unbedingt mit siebzehn schon Mutter werden wollte. Dann Sind Sie Julius Latierre, Geborener Andrews, ehemaliger Hogwarts-Schüler."

"Schuldig im Sinne aller Anklagepunkte", sagte Julius dazu. "Und Sie sind Gloria Lexington, Vertrauensschülerin vom Haus Redhawk der Thorntails-Akademie", revanchierte er sich noch.

"Dies trifft zu. Natürlich, Sie kennen ja diese goldlockige Kosmetikprinzessin, die denselben Vornamen wie ich hat und für ein Jahr Asyl bei uns nehmen musste."

"Ja, genau", erwiderte Julius schlagfertig.

"Okay, Großtante Giny, klären wir das, was zu klären ist. Dann kann ich von Sydney aus wieder nach Hause reisen, bevor mein Verlobter sich die Sache mit der Heirat noch mal überlegt."

"Wie bist du eigentlich in meine Privaträume gekommen. Die habe ich extra so bezaubert, dasss nur eine Hexe ... die ... in meinem Zustand ... Okay, du hast mich überzeugt, dass ich dir Bauernmagd ein paar ungestörte Minuten widme. Die Herrschaften mögen mir bitte verzeihen", sagte sie und stand auf. Julius und Millie nickten ihr zu.

"Rorie, nicht den Baum raufklettern!" trötete Julius, weil seine Tochter aus Langeweile, weil die um sie herum ja diese komische Sprache sprachen und sie nichts verstand auf den in der Saalmitte eingepflanzten Miniaturmammutbaumhinaufzukriechen versuchte.

"Soll noch mal wer sagen, das es auf Fernreisen langweilig ist", grinste Millie, bevor ihr Mann zu seiner Tochter hinlief, die jedoch von einer Hexe in der wasserblauen Stewardessenuniform des fliegenden Holländers gekleidet war, sanft aber unmissverständlich zurückgezogen wurde. Julius übersetzte für seine Tochter und die Bedienung, dass nichts passiert wäre. Dann zeigte er seiner Tochter eine kleine Glaskuppel, unter der winzige Figuren von Quidditchspielern in den Nationalumhängen der USA und Australien auf einer grünen Filzplatte standen. Ein roter, runder Kasten, der an die durchsichtige Kuppel angeschlossen war, wies einen Schlitz auf, durch den man Münzen einwerfen konnte. Julius las schnell die Bedienungsanleitung auf dem Kasten und warf eine Sickel ein. Dann dirigierte er Aurore auf die gerade mal drei Meter entfernte Seite gegenüber und tippte mit seinem Zauberstab die Gruppe der australischen Spieler an, die bis auf das letzte Detail der Mannschaften der letzten Weltmeisterschaft nachempfunden waren. Danach wurden die gerade so groß wie die Kinder der Playmobilfamilie gearbeiteten Figuren lebendig, ergriffen ihre Besenund brausten über das Spielfeld. Aurore fand es toll, dass sie nur mit ihren Händen zu zeigen brauchte, wer wohin fliegen sollte. So entspann sich innerhalb von einer halben Minute eine wilde Quidditchpartie, wobei Julius immer wieder aufpassen musste, den gerade stecknadelkopfgroßen Quaffel oder die noch kleineren Klatscher zu sehen. Einen Schnatz hatten sie bei dieser Vorrichtung nicht eingebaut. Der wäre dann wohl für Menschenaugen zu klein gewesen. So lief das Spiel, wobei jede halbe Minute ein leises Ticken verriet, dass die bezahlte Zeit ablief. Jede halbe Minute kostete einen Knut.

Millie kam hinzu und beobachtete Vater und Tochter, wobei die kleine Chrysope gut versteckt unter ihrem Stillumhang ihr zweites Frühstück zu sich nahm.

"Das ist ja Quidditch. Das ist doch voll langweilig", nölte ein halbwüchsiger, rundbäuchiger Zauberer, als er sah, wie Vater und Tochter Latierre ganz konzentriert ihre Mannschaften dirigierten. Fiel der Quaffel durch einen der Ringe wurde der Punktestand frei schwebend in weißen Leuchtzahlen angezeigt.

"Ihr habt nur noch vier Minuten", flötete Millie, die die Restzeitanzeige auf dem Geldeinwurfkasten ablas.

"Vier Minuten um die Welt zu retten", tönte Julius und brachte einen seiner Jäger mit einem Fingerschnippen zum Wurf auf das Tor. Doch Aurore hatte das sehr schnell verstanden, wie sie mit ihren Winzfingern Hüter und Jäger so gruppieren konnte, dass sie den Torwurf abwehrten und sofort zum Gegenstoß anflogen. Als mit lautem Ping alle Spieler in der Luft stehenblieben und auf dem Punkt auf die Filzplatte zurücksanken stand es zweihundert zu zweihundert.

"Mann, hat die das schnell geblickt, wie sie die Spieler steuern kann", staunte Julius und knuddelte Aurore.

"Wenn die mich schon steuern konnte, was zu essen, zu trinken und wieder auszupullern sind so Winzlinge da doch echt keine Herausforderung", meinte Millie. "Okay, mein Großer. Wir zwei gegen euch beide."

"Herausforderung angenommen", erwiderte Julius und flüsterte seiner Tochter zu, welche Spieler sie dirigieren sollte. Dann warf er zwei Sickel ein und tippte die Kuppel an.

Neunundzwanzig Minuten später - mittlerweile hatten sich viele Mitreisende um die jungen Eltern geschart und sahen ihnen zu, stand es 400 : 350 für Millie und Chrysope, wobei diese nichts anderes tat als zu saugen und zu schlucken.

"Wir müssen das wieder in echt spielen, wenn Rorie und Chrysie bei Ma oder Oma Line sind", stellte Millie fest. Dann hörten sie die Stimme von Virginia Lexington.

"Diesen Apparat habe ich nie sonderlich beachtet. Aber für junge Eltern wohl eine sehr nützliche Einrichtung, um ihren Kindern die Langeweile auszutreiben. Merke ich mir besser für künftige Überseereisen vor."

"Konnten Sie sich mit Ihrer Großnichte einigen?" fragte Julius, auch wenn ihn eine entsprechende Antwort nichts anging.

"Sie geht ihren Weg, ich meinen. Mehr brauchen Sie nicht zu wissen", sagte Mrs. Lexington.

"Mehr wollte ich auch nicht wissen", sagte Julius. Dann suchten sie ihre Kabinen auf. Millie hatte vorgeschlagen, einen Gutteil der Fahrt einfach zu verschlafen, weil es dann noch schneller ging. Doch kaum dass Aurore und Chrysope tief und fest schliefen mentiloquierte Millie ihrem Mann, dass sie gerne die Äquatorüberquerung mitverfolgen wolle. Er prüfte die Uhrzeit und nickte ihr zu.

Als das Schiff den berühmten Breitengrad Nummer null nach Süden überquerte bimmelte eine Glocke. Dann erfolgte noch eine Durchsage, die aber nur an Deck und in den öffentlichen Bereichen zu hören war:

"Sehr geehrte Reisende, in einer Minute überqueren wir die internationale Datumsgrenze. Falls sie nicht Zeitmessgerätschaften ohne eigenständige Ortszeitumstellung mitführen halten Sie sich bitte bereit, das Datum vom sechsundzwanzigsten auf den siebenundzwanzigsten März vorzustellen. die Uhrzeit bleibt bis zur Ankunft im Hafen Hidden Bay der Bordzeit entsprechend."

"Schon komisch, einen Tag zu überspringen", sagte Millie dazu. Julius nickte. Er verdrängte den Wunsch, seiner Frau die Sache mit der Datumsgrenze zu erklären. Und wenige Sekunden später stellte er fest, dass er das auch nicht nötig hatte.

"Damit komme ich nie klar, dass diese ins Drachenmaul geworfen gehörende Datumsgrenze zwischen uns und den Aussis im Meer schwimmt", blaffte Bluecastle, der wohl auch gerade nachsehen wollte, wie die Luft an Deck war. "Aber anders geht's nicht, Mr. Bluecastle, weil es ja vierundzwanzig Ortszeitzonen gibt und irgendwo ja Nachmittag zum Morgen wird, wenn nicht gerade Mitternacht ist", erwiderte ein Steward, der offenbar von Bluecastle persönlich angemietet worden war. "Rechnen Sie einfach so, dass mit jedemLängengrad, den sie nach Osten reisen, die Sonne vier Minuten früher am Tag aufgeht. Wenn Sie die ganze Welt umsegeln haben Sie dann ja irgendwann einen vollen Tag früher Sonnenaufgang als beim Start. Damit das kein Durcheinander bei den Zeiten gibt ..."

"Ich weiß, wie diese drachenmistige Datumsgrenze funktioniert. Aber gewöhnen will und werde ich mich nie dran", schnitt Bluecastle dem Steward das Wort ab. Millie sah auf den frei schwebenden Globus, auf dem die gegenwärtige Position ihres Schiffes als grüner Lichtpunkt von Osten nach Westen wanderte, auf eine meist senkrechte, nur im Bereich einiger Inseln stark ausgebeulten roten Linie zu. Rechts davon stand noch das Datum 26.03.2002. Links davon stand das Datum 27.03.2002. Es dauerte noch einige Minuten, bis die grüne Positionsmarkierung über die rote Linie wanderte. Ein Glockendreiklang untermalte diesen Vorgang. "Sehr geehrte Reisenden, soeben haben wir die internationale Datumsgrenze überquert. Willkommen am siebenundzwanzigsten März zweitausendzwei."

"Einen kompletten Tag übersprungen", sagte Julius.

"Und das machen die Schiffe und Fluggeräte der Muggel jeden Tag immer wieder", sagte Millie. Julius nickte. Die Datumsgrenze war ja auch der Grund gewesen, warum es zwischen seinem Mitschüler Louis Vignier und Endora Bellart damals zu Unstimmigkeiten gekommen war.

"Dann gehen wir mal wieder in unsere Kabine. Ich fühlte nämlich, dass Chrysie schon wieder wach wird. Die muss Rorie nicht wecken", sagte Millie.

Tatsächlich schlug die kleine Chrysope ihre Augen auf, als Millie und Julius die Doppelkabine betraten. Ihre Maman lief leise zu ihr hin und nahm sie aus der mitgebrachten Wiege heraus. Aurore schlief tief und fest in ihrem Reisebettchen. Julius mentiloquierte seiner Frau, den geräuschlosen Raum zu zaubern, um Aurore nicht aufzuwecken. Sie war einverstanden.

Als Julius den Zauber ungesagt ausgeführt hatte konnte Millie Chrysope neu wickeln und unter ihrem Stillumhang verstauen. Danach hob Julius den Zauber wieder auf.

Als sie um die Mittagsstunde ostaustralischer Zeit im geheimen Hafen nördlich von Sydney einliefen standen alle Passagiere an Deck und verfolgten die Ankunft mit bloßen Augen oder hinter Ferngläsern.

Julius sah Aurora Dawn als erster. Seine hier lebende Bekannte, die er nur Dank Bill Huxley hatte kennenlernen können, stand jenseits vom Kai und beobachtete das Einlaufen des Überseeschiffes. Julius winkte ihr zu. Sie winkte zurück. Dann erkannte er noch eine Hexe am Hafen, Heather Redrobe, die er noch als Heather Springs kennengelernt hatte und die wiederum Aurora die Tür zur Heilerausbildung in Australien geöffnet hatte, also damit auch indirekt ihn mit ihr zusammengebracht hatte. Unvermittelt zogen die Bilder seiner bisherigen Erlebnisse mit der englischstämmigen Heilerin vor seinem inneren Auge vorüber, zu denen auch die Galerie des Grauens von Salazar Slytherin gehörte, wo sie als gemaltes Ich wie als Original mit ihm zu tun hatte.

Millie merkte, dass Julius wohl in alten Erinnerungen umhertrieb und beaufsichtigte ihre Töchter, während das Schiff rasch an Fahrt verlor und dann mit geschickten Manövern durch die enge Hafeneinfahrt gesteuert wurde. Dann legte das Schiff an. Ganz von selbst flogen die beindicken Haltetaue an Land und verknoteten sich an den Pollern. Als das Schiff fest vertäut am Kai lag schoben sich die drei Laufplanken aus dem Rumpf und legten sich mit den vorderen Vierteln auf den planierten und plattierten Boden. Der Kapitän bestätigte, dass sie nun in Australien angekommen waren und gab die gültige Ortszeit bekannt. Julius brauchte seine Uhr jedoch nicht umzustellen, weil die das schon längst getan hatte. Genauso hatte sich Millies Uhr von alleine auf die hier geltende Zeit eingestellt.

Als die Passagiere mit ihrem Gepäck von Bord waren ging es noch durch eine Abfertigungshalle, in der Flohpulverkamine zur Weiterreise bereitgestellt wurden. Ebenso gab es dort einen Flugbesenverleih. Bluecastle grinste, als er das alles sah und rieb sich die Hände. Julius ahnte, was im Kopf dieses schwergewichtigen Zauberers ablief. Der spekulierte wohl darauf, den blauen Vogel, seinen Reisebus, hier auf den Markt bringen zu können.

Aurora Dawn begrüßte ihre Gäste, die für drei Tage bei ihr unterkommen würden, bevor sie mit dem fliegenden Holländer nach Großbritannien weiterfahren wollten, um Julius' dortige Schulfreunde zu besuchen.

"Auch wenn der Grund nicht zum freuen ist, warum ihr jetzt schon hier seid, Julius, so freue ichmich aber, dass ihr uns besuchen kommt", sagte Aurora Dawn. Dann begrüßte sie ihre Beinahenamensvetterin auf Französisch und hob sie kurz vom Boden hoch. Dabei vermeinte Julius, einen sehr nachdenklichen Blick in Aurora Dawns Augen zu sehen. Das mochte wohl daran liegen, dass die australische Heilerin wohl damit haderte, keine eigenen Kinder zu bekommen, solange sie als niedergelassene Heilerin tätig war. Vielleicht war es aber auch der Umstand, dass da jemand war, die ihren Namen trug, wenn auch in der französischen Entsprechung, was sie als Wertschätzung sehen mochte.

"Heather, Julius kennst du ja noch, hoffe ich. Er weiß, dass du vor sechs Monaten geheiratet hast."

Julius begrüßte Heather und sah genau auf den goldenen Ring an ihrer linken Hand. "Redrobe, wusste doch, dass mir der Name irgendwoher bekannt ist", sagte er, als Heather ihren neuen Familiennamen noch einmal genannt hatte. Irgendwie wirkte sie ein wenig fülliger als früher, dachte Julius. Immerhin war es auch schon lange her, länger als Aurore auf der Welt war, dass er sie das letzte Mal getroffen hatte.

"Als wir uns beim letzten Mal sahen hießt du noch Andrews mit Nachnamen und warst noch so dreißig Zentimeter kürzer", scherzte Heather. "Gut, wieso du so groß geworden bist ging ja durch die Presse. schon heftig", sagte sie. Julius bestätigte das und legte schnell den Zeigefinger auf die Lippen. Er bekam noch mit, wie sich George Bluecastle mit zwei Zauberern in grünen Nadelstreifenumhängen traf, die dunkelbraune, spiegelblank geputzte Stiefel trugen und von Körperhaltung, Gesichtsausdruck und Gesten her sehr wichtig auftraten. Bluecastle lüftete seinen zitronengelben Zylinder, unter dem eine blankpolierte Glatze verborgen war und nickte den beiden zu. Dann wurde Julius Aufmerksamkeit von Gloria Lexington beansprucht, die ihre Großtante Virginia innig umarmte und auf jede Wange küsste, bevor sie durch die mit Leuchtschrift als Abreisehalle markierte Tür ins Abfertigungsgebäude zurückkehrte. Virginia Lexington sah Julius und kam auf ihn zu. Als sie sah, bei wem er stand nickte sie eifrig. "Ah, die junge Ms. Dawn. Ihre Dienstherrin hat also meine Überseeeule erhalten, dass ich heute hier eintreffe? Achso, Lexington, Virginia Lexington. Ich werde im Haus von Mr. Cale einziehen. Dann wollte ich mich bei Ihnen anmelden.""

"Moment, ah, ich habe mit Madam Morehead schon kontaktgefeuert, dass sie demnächst eintreffen werden, Mrs. Lexington. Wusste nicht, dass dies heute ist. Deshalb bin ich ursprünglich hier, um Gäste aus Europa zu begrüßen, die einige Urlaubstage bei mir zubringen werden. Wenn Sie sich eingerichtet haben und eine eigene Posteule erworben haben schicken Sie diese bitte zu mir, Haus der Morgendämmerung", sagte Aurora Dawn ganz berufsmäßig klingend.

"Oh, die jungen Herrschaften werden bei Ihnen wohnen? Dann wünsche ich auf jeden Fall einen angenehmen und abwechslungsreichen Aufenthalt", sagte Virginia Lexington, bevor sie sich nach ihren zu einer Pyramide gestapelten Koffern umsah.

"Ihnen auch, Mrs. Lexington", sagte Julius und Millie nickte beipflichtend.

"Ach, ihr habt die Dame schon an Bord getroffen", stellte Aurora fest. Julius wollte gerade was dazu sagen, als mit scharfem Knall eine untersetzte Hexe mit schwarzen Locken und Stahlblauen Augen und silberner Brille apparierte. "Ui, hab mir schon gedacht, dass du ihn persönlich abholst, sonst hättest du dir für heute sicher nicht freigenommen", sagte die unvermittelt dazugekommene Hexe, die Julius auch kannte. Er stellte sich innerlich darauf ein, jeden Abwerbungsversuch dieser Hexe so höflich wie entschlossen zurückzuweisen, falls es ihr darum ging.

"Hallo, Laura. Ja, ich wollte ihn und seine Familie persönlich abholen", bestätigte Aurora Dawn. Julius und Millie begrüßten Laura Morehead, die Sprecherin aller australischen Medimagier respektvoll und artig. Auch die kleine Aurore, die erst ein wenig erschrocken war, gab der knallbumm aufgetauchten Hexe mit den ganz schwarzen Kringelhaaren die Hand. Dann sah Laura Morehead Heather Redrobe und machte ein sehr ernstes Gesicht. Doch was immer sie gerade dachte, sie behielt es für sich oder schickte es für Ohren unhörbar an jemanden anderen weiter. Hörbar sagte sie dann: "Nun, junger Mann, sie sehen mich an, als müssten Sie gleich gegen mich ein Duell ausfechten. Abgesehen davon, dass ich als oberste Heilerin Australiens kein Duelll einfordern oder beginnen darf wäre es vielleicht interessant gewesen, Ihre und meine Fertigkeiten zu vergleichen. Aber ich bin hier, weil ich mich mit eigenen Augen davon überzeugen möchte, wie Sie und ihre Familie sich entwickelt haben."

"Die Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen, sagte Julius dazu. Millie grinste mädchenhaft und fügte dem hinzu:

"Ausbau ist immer möglich."

"Sagen Sie das ja nicht zu laut, junge Madame. Es gibt Leute auf der Welt, die sowas als Anreiz nehmen, Sie beim Wort zu nehmen", grummelte Laura Morehead. Dann sah sie noch einmal Heather Redrobe an, beließ es aber nur beim ansehen und sagte dann: "Monsieur Latierre, sofern Ihnen nach Ihren bisherigen Erlebnissen doch einmal der Wunsch nach beruflicher Veränderung vorschweben sollte, mein Angebot an Sie und Ihre Gattin bleibt weiterhin gültig." Dann verabschiedete sie sich von Aurora und ihren Gästen und disapparierte wieder.

"Das konnte sie jetzt nicht lassen", knurrte Heather Redrobe leicht verstimmt. "Dachte schon, die wäre meinetwegen hier", zischte sie dann noch. Aurora gebot ihr mit einer kurzen Geste, sich nicht weiter darüber auszulassen. Dann führte sie die Familie Latierre mit der brav hinter Julius herschwebenden Reisetruhe und Millies zwei großen Koffern aus dem Hafen heraus zu einem freien feld. Dort holte Julius den Familienbesen und seinen Ganymed 10 aus der Truhe. Millie bezauberte ihr Gepäck mit dem Federleichtzauber und hängte sie vorne und hinten an den Familienbesen. Julius nahm Aurore vor sich auf den Besen, während Millie die kleine Chrysope sicher in einem Kindertragekorb unterbrachte. Dann flogen sie los, nicht zu schnell, damit die Wandelraum-Reisetruhe, die Millie und Julius vor bald vier Jahren geschenkt bekommen hatten, durch die Luft folgen konnte. "Bleibt es bei dem Termin, Aurora?" fragte Heather, die einen Teil des Weges mitflog. Aurora bestätigte es. Julius wollte nicht nachfragen, was morgen anstand. Wenn es ein Heiler-Patienten-Termin war durfte er das nicht wissen.

Aurora Dawns Haus sah immer noch so aus, wie Julius es beim allerersten Besuch vorgefunden hatte. Nur erschien es ihm jetzt ein wenig kleiner. Das lag sicher nur daran, dass er damals eben dreißig Zentimeter kürzer gewesen war. Die Küchenschränke, die er damals ohne Zauberstab hatte aufbekommen können, hingen für ihn jetzt fast auf Kinnhöhe. Sein Kopf war nur noch zwanzig Zentimeter von der Decke entfernt. Mademoiselle Maxime oder Hagrid würden hier nicht reinpassen.

Die Latierres durften in dem Zimmer wohnen, in dem im dunklen Jahr von Voldemorts Terrorherrschaft die Familie Priestley Asyl gefunden hatte. Von hier aus konnten Julius und Millie die Nachbarhäuser überblicken.

Nachdem sie die Sachen die sie in den nächsten Tagen brauchen mochten ausgepackt und verstaut hatten ging es auf den Besen hinaus ins Buschland. Vorher tranken sie alle vom Antidot 999, das auch für stillende Mütter zugelassen war und rieben sich mit Sonnenkrauttinktur ein. Somit bestens vorbereitet konnten sie immer wieder zwischenlanden und die Pflanzen und Tiere bestaunen, die es hier gab. Millie fragte einmal, ob das mit diesen Zuckerrohrkröten immer noch so ein Problem sei.

"Wie mit den Kaninchen auch", erwiderte Aurora. "Im Stern des Südens stand was von einem Wettbewerb, welcher Zauberer und welche Hexe an einem Tag die meisten Kaninchen erlegen könne, seitdem unser Gegenstück zu eurer Alraunenkönigin Oleande Champverd, Chlora Gnoll, ein ganzes Beet Zittergras an eine ausgehungerte Kaninchenfamilie verloren hat. Die Tiere sind davon regelrecht aufgedreht worden, sind mit bald zehnfacher Normalgeschwindigkeit durch ihren Garten und haben dabei fast das Alraunenhaus gestürmt. Hochträchtige Weibchen stießen ihre Jungen beinahe wie Geschosse aus dem Körper. Irgendwie hat sich alles bei den Biestern auf das zehnfache beschleunigt. Madam Gnoll konnte die Eindringlinge nur festsetzen, weil sie um ihren Garten eine Feuerwand gezogen hat. Fast wäre ihr ein kapitaler Rammler sogar darüber hinweggesprungen. Auf diese Weise wissen wir jetzt, dass Zittergras alle Körperfunktionen und die Alterung von Kaninchen auf den zehnfachen Wert beschleunigt. Wenn die Biester auch an die wild wachsenden Zittergräser gehen haben wir irgendwann ein Problem. Dann noch die Bundabundos, wo es auch einige Draufgänger nicht lassen können, denen nachzustellen." Sie brauchte den beiden nicht mehr zu erklären, was Bundabundos waren. Aurore, die das Wort noch nicht kannte, fand den Namen so lustig.

Abends saßen sie weit ab von Stadt und Straße um ein Lagerfeuer und aßen - gebratenes Kaninchen an über dem Feuer gerösteten Kartoffelecken und Bohnen mit Speck.

"Und das ist in Ordnung, wenn ihr morgen alleine durch Hidden Grove zieht?" fragte Aurora Millie und Julius, als Aurore und Chrysope friedlich schliefen.

"Wir wissen, dass um die Herbstzeit bei euch eine Menge los ist", sagte Julius, der an Erkältungs- und Grippewellen dachte, wie sie im Herbst und Winter Europa überrollten.

Aurora belegte die beiden Kinder mit einem einfachen Schlafzauber, damit sie nicht durch den Rücktransport andauernd geweckt würden. Dann ging es zurück zum Haus der Heilerin.

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Hidden Grove hatte sich nur in wenigen Einzelheiten verändert. Aber es gab immer noch Madam Helianthus, die örtliche Besucherführerin. Diese erinnerte sich auch noch an Julius und musste wohl zweimal hinsehen, um mit seiner endgültigen Körpergröße klarzukommen. Danach führte sie die junge Familie jedoch lange und ausgiebig durch den weitläufigen Garten für magische Tiere und Pflanzen.

Der Star von Hidden Grove war Sunny, ein orangeroter Kakadu, der täuschend echt menschliche Stimmen nachahmen und in ganzen Sätzen sprechen konnte. Das lag an einem eigentlich unerlaubten Kreuzungsversuch eines australischen Tierwesenexperten. Der wollte die Sprachbegabung von Papageienvögeln und Feuerraben miteinander verbinden und hatte zu diesem Zweck ein Feuerrabenweibchen von einemKakadumännchen begatten lassen, dass der Zauberer mit einem Fertilifortis-Zauber belegt hatte, der machte, dass zwei Tiere der gleichen Tierordnung, aber weit auseinanderliegenden Arten zumindest Nachkommen haben konnten. Das Ergebnis waren Sunny, Sammy und Sasha. Sammy und Sasha waren vom Zaubereiministerium beschlagnahmt worden. Sunny wurde in Hidden Groves untergebracht, wo er oder sie- darüber ließ sich Madam Helianthus nicht aus - innerhalb der magischen Begrenzungsmauern frei herumfliegen konnte wie er oder sie wollte. Als Sunny dann noch mit Madam Helianthus Stimme sagte: "Das gefällt mir hier. Hier ist ganz viel Platz", mussten Millie und Julius lachen.

"Na ja, aber wenn Tierkreuzungen verboten sind hätte die Tierwesenbehörde die Nachkommen doch töten müssen", warf Millie ein.

"Der das gemacht hat ist für die nächsten zehn Jahre Gast in Fort Ballibong, unserem Askaban, nur ohne Dementoren", erwiderte Madam Helianthus. Aurore, der man zwischendurch immer übersetzte, was die freundliche Hexe im Kakhi-Umhang so erwähnte, wollte schon die Finger nach Sunny ausstrecken. Doch Julius griff ihren Arm und sagte: "Lass Sunny in Ruhe! Nicht dass der dich beißt. Dann kriegen wir nämlich Ärger mit Mademoiselle Dawn. Willst du nicht und ich auch nicht."

"Sie sprechen mit einer fast zweijährigen so wie mit einer Schülerin der dritten Redrock-Klasse", staunte Madam Helianthus. Julius und Millie tauschten einen Bllick. Dann sagte Julius.

"Sicher versteht sie nicht jedes Wort auf Anhieb. Aber wir möchten ihr frühest möglich beibringen, in ganzen Sätzen und ohne zu viel Babybrabbel zu sprechen, soweit es sie nicht überfordert."

"Sunny beißt nur, wenn wer ihm oder ihr weh tut. Ist aber leider einmal passiert, weil so'n halbwüchsiger Schüler den Vogel unbedingt mit kleinen Steinen bewerfen musste. Da hat er ihm kurz aber kräftig in die rechte Wange gebissen", sagte die Hexe leise, während Sunny weiterflog, um das zugeteilte Revier zu durchstreifen. "Dabei kam raus, dass der Speichel von dem Tier nicht mit menschlichem Blut zusammenkommen darf, weil es dann schlagartig erhitzt wird. Deshalb hat Sunny auch einen Körperrückprellzauberring am Bein, damit keiner ihn oder sie anfassen kann oder Sunny nicht nahe genug an jemanden heran kann. War eine Auflage von Großheilerin Morehead, die auf den Notruf meines Kollegens hier appariert ist."

"Ach, dann ist das hier ihr Einsatzgebiet?" fragte Julius.

"Sofern sie wegen ihrer Rangstellung noch Einsätze mitmacht", sagte Madam Helianthus. Dann führte sie Julius noch Heather, eine Tochter des grünen Riesenkänguruhs der Familie Lighthouse vor.

"Wie Ihre Kniesel neigen diese Tierwesen dazu, sich einen Vertrauten zu erwählen und ihn nach Möglichkeit überall hin zu begleiten. Deshalb bleiben wir besser auf den Besen, damit sie nicht meint, Sie oder eines ihrer Kinder auszuwählen."

"Ich kenne eine Hexe, die Heather heißt", erwiderte Julius grinsend.

"Die ist die Patin von ihr", erwiderte die Besucherführerin.

"Und dann hat sie die nicht als ihre Vertraute ausgewählt?" fragte Julius weiter.

"Da war sie gerade von ihrer Mutter Heidi entwöhnt und auch nicht mehr auf sie angewiesen. Die Suche nach einem Vertrauten fängt auch erst bei Eintritt der Geschlechtsreife an."

"Gilt für die australischen Tiere ein Ausfuhrverbot, wie es auch für europäische Tiere ein Einfuhrverbot gibt?" fragte Millie, die dem grasgrünen Känguruh zusah, wie es in weiten Sätzen durch die bewahrte Landschaft hüpfte.

"Ja, so ist es, sagte Madam Helianthus.

"Dieser Körperrückprellzauber, geht der auch bei größeren Tieren?" fragte Julius.

"Theoretisch ja, ist aber zum einen von der Körperkraft des Tierwesens abhängig, ob es die Rückprellung überwinden kann und zum anderem von der eigenmagischen Durchdringung des Tierwesens abhängig, wie schnell sich der Träger des Zaubers erschöpft. Je größer das Tier und je stärker es eigene magische Anlagen aufweist, desto schneller brennen die Körperabstandshalteringe aus. Ihre Latierre-Kühe oder gar einen Drachen könnten wir damit nur einige Minuten oder Sekunden auf Abstand halten."

Verstehe", sagte Julius. Er wusste, dass es für Menschen solche Zauber gab, dass sie wie gleichgepolt zueinander hinzeigende Magnete nur mit mehr Kraft als deren Feldstärke zusammengeschoben werden konnten.

Wie schnell die Zeit im Reservat HiddenGrove verflog merkten die Latierres erst, als sie am späten Nachmittag mit Flohpulver zu Aurora Dawn zurückkehrten. Heather Redrobe war nicht mehr da, wenn sie nicht erst noch kommen wollte. Julius fragte behutsam, ob Aurora noch Termine habe.

"Der, den jemand mit mir hatte wurde wahrgenommen und abgehandelt", sagte Aurora.

Der Abend klang mit Musik und einem mehrgängigen Essen aus, das Aurora zusammenkochuspokust hatte. Gegen elf uhr abends Ortszeit legten sich die Latierres schlafen.

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Sie genoss die Sonne, die Quelle des Lebens am Himmel, während sie so nackt wie sie dem Schoße ihrer Mutter Églée entschlüpft war im hohen Gras hinter dem Bungalow lag. Die Quelle des Lebens aus der Tiefe, vereint in ihr, die von vielen als vollendetes Geschöpf angebetet wurde. Euphrosyne Lundi atmete Licht und Pflanzenduft in sich ein und wieder aus. Dabei ließ sie die pure Magie durch sich fließen. Sie fühlte ihr Leben und jenes, das sie in sich beherbergte, sein Kind, das Kind eines begabten Mannes. Sie vereinte Feuer und Erde durch ihren Körper, sog die mit Wasserdampf geschwängerte Luft in sich ein und atmete sie wieder aus, angereichert mit einem Hauch ihrer inneren Zauberkraft. Mit einem Geflecht aus Verhüllungs- und Schutzzaubern hatte sie den Platz, auf dem Sie lag abgesichert. Als sie in einem Zustand war, wo ihr Bewusstsein beinahe in unendliche Gefilde entrückte, begann sie leise zu murmeln, Worte in ihrer Muttersprache, die älter war als alle menschlichen Sprachen des Altertums. Sie lud sich damit regelrecht mit einer Kraft auf, die in ihr prickelte und warm aus Bauchraum und Brustkorb in ihre Glieder ausstrahlte. Als sie sicher war, genug von den essentiellen Kräften der Natur in sich konzentriert zu haben stand sie vorsichtig auf und betrat ihr Haus durch den Hintereingang.

Ihr Mann Aron saß im Wohnzimmer und hörte Musik aus dem kleinen Radio. Gerade lief ein Stück aus Südamerika, dass sie noch nicht kannte und was ihren Mann wohl zum mitklatschen einlud. So war er beschäftig. Das war gut so. Sie zog sich in ihr eigenes Lese- und Schreibzimmer zurück. sie lächelte in sich hinein. Ja, demin ihrem Leib heranwachsenden Kind würde man nichts zu Leide tun, nicht nur, weil es Veelablut in sich tragen würde.

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Die folgenden Tage bei Aurora Dawn waren einer Rundreise durch Australien gewidmet. Zusammen mit Heather Redrobe reisten sie nach Melbourne, wo die Willy-Willy-Besenwerkstatt stand. Diese besuchen durften sie jedoch nicht, weil die Herstellung der australischen Renn- und Reisebesen natürlich einer gewissen Geheimhaltung unterlag. Sie durften jedoch Cygnus Redrobe, Heathers Angetrauten, kennen lernen. Julius hatte erst gedacht, einen jungen, samtbraunen Abkömmling zweier Rassen zu sehen zu kriegen. Doch Cygnus war ein großer, hellhäutiger Mann, der jedoch sein dunkelblondes Haar zu einem kecken Pferdeschwanz gebunden trug, wie es Julius eigentlich nur von Mädchen kannte. Außerdem war er mindestens zwanzig Jahre älter als Aurora Dawn und wohl fünfzehn Jahre älter als Heather. Für einen Firmenchef lief er sehr lässig herum. Sein sandfarbener Umhang reichte gerade über die Oberschenkel. Darunter trug er ein blütenweißes T-Shirt mit dem Firmenzeichen, drei dunkle Wolken, über denen ein hellbrauner Besen schwebte. Seine Füße steckten in korallenroten Sandalen. Gut ausgeprägte Arm- und Beinmuskeln wiesen ihn als sportlichen Zauberer aus, ebenso der flache Bauch, der von Muggeln als Waschbrettbauch bezeichnet wurde. Trotzdem Julius eindeutig heterosexuell ausgerichtet war konnte er Heather verstehen, dass ihr dieser Typ sicher gefiel. Was er geistig noch auf dem Kasten hatte bekamen die Latierres geboten, als er sie in fließendem Französisch begrüßte und mit ihnen auch konversation machte. Julius fragte ihn, als sie durch die Ausstellungshalle für auf dem Markt befindliche Besen geführt wurden, ob er Verwandte in den Staaten habe. Darauf sagte Cygnus Redrobe:

"Ich habe noch einen Bruder und eine Schwägerin dort. Aber die mussten unser herrliches Land unten drunter wegen Krach mit der Verwandtschaft meiner Schwägerin verlassen. Zumindest sind sie da, wo sie wohnen ganz glücklich." Julius nickte. Dann stimmte es, dass Remo und Reina Redrobe mit Heathers Mann verwandt waren. Das erwähnte er dann auch. Heather meinte dann dazu, dass sie dann doch mal über den Pazifik reisen müsse, um ihre Verwandten kennen zu lernen. Da wurde der bisher so lässig auftretende Cygnus sehr sehr ernst.

"Heather, das wirst du nicht tun. Du weißt genau warum."

"Ich bin nicht mit deinem Bruder oder seiner Frau blutsverwandt", sagte Heather verdrossen.

"Ja, aber wenn du mal meine Kinder bekommen möchtest könntest du das, was meinen Bruder aus dem Land getrieben hat von ihm abbekommen, wenn du dich ihm näherst. Glaube mir bitte, dass mein Bruder und ich genau wissen, warum das so ist wie es ist."

"Moment, wenn es ein Fluch ist", warf Aurora Dawn ein, "Dann wird es aber Zeit, dass ich als Heathers auserwählte Heilerin und möglicherweise auch Hebamme das einmal genau berichtet bekomme, was da zwischen Ihrem Bruder und seinen Schwiegerverwandten abgelaufen ist."

"Nicht hier und nicht jetzt", stellte Cygnus Redrobe unmissverständlich klar. Damit war für ihn das Thema erledigt.

Mit wesentlich fröhlicherem Ton und Gesicht präsentierte er den Latierres die neuesten Rennbesen vom Typ Willy-Willy 7. Er wollte gerade über die Vorzüge dieses Besens sprechen, als zwei gerade mal 1,20 Meter große, dunkelhäutige Wesen mit spitzen Ohren und ausgeprägt langen Fingern in die Halle stürmten und auf Cygnus Redrobe zurannten. Julius erkannte an den Uniformen der beiden Kobolde, dass sie im Auftrag von Gringotts unterwegs waren. Einer der beiden schnarrte und brabbelte Heathers Mann in Koboldogack an, was Cygnus Redrobe offenbar verstand. Denn er wirkte auf einmal sehr angespannt. Seine in derselben Sprache erfolgende Antwort klang für Julius' Ohren irgendwie abbittend oder unterwürfig. Heather, die die Sprache der Kobolde nicht kannte, sah ihren Mann an, der gerade so dreinschaute wie ein Junge, der bei einer ganz bösen Tat erwischt worden war und nun davon ausging, eine heftige Strafe aufgebrummt zu kriegen. Sie wollte ihn fragen. Doch der zweite Kobold funkelte sie von unten her an und zischte: "Halten Sie sich da besser heraus, Madam, wenn Sie noch ruhig schlafen wollen."

"Moment mal, ich bin seine Ehefrau", entgegnete Heather vollkommen uneingeschüchtert.

"Frauen haben in Geschäftlichem nichts zu sagen", knallte ihr Gringottskobold Zwei an den Kopf, während sein Kollege weiter auf Redrobe einsprach und dabei sehr bedrohliche Gesten und Grimassen machte.

"Liebling, hör drauf, was der Kurze da sagt. Ich erklär's dir später, wenn ich weiß, wie es genau steht", sagte Cygnus Redrobe seiner Frau zugewandt. Die kleine Aurore fand die beiden Kerlchen irgendwie lustig und wollte zu denen hinlaufen. Da funkelte sie der zweite Kobold sehr bedrohlich an und hob beide Fäuste an. Aurore blieb auf dem Punkt stehen und erstarrte. Julius' Hand glitt zum Zauberstab. Millie hatte ihren bereits freigezogen.

"Rorie, weg von dem, der will nicht spielen!" rief Julius seiner Tochter zu. Der Kobold schnitt eine sehr grausige Grimasse und zeigte dabei seine nadelspitzen weißen Zähne wie ein drohendes Raubtier.

"Rorie zu mir hin!" rief Millie ihrer Tochter zu. Aurore nickte und wuselte zu ihrer Mutter zurück.

"Haltet euer Balg bei euch, Zauberstabschwinger", schnaubte der erste Kobold, der gerade nichts weiteres zu Cygnus sagen wollte.

"Ganz ruhig. Wir wollen hier niemandem weh tun. Aber wenn Sie oder Ihr Kollege meiner Tochter was tun, ihr Angst machen oder weh tun, kriegen Sie das doppelt und dreifach zurück", sagte Julius, der nun auch seinen Zauberstab in der Hand hielt, ihn aber noch nicht auf einen der Kobolde richtete.

"Was habt ihr hier überhaupt zu suchen?" fragte der Kobold, der vorhin noch mit Cygnus Redrobe gesprochen hatte. Heathers Mann stand da wie erstarrt. So sagte seine Frau:

"Wir sind auf Einladung meines Ehemannes hier, um das Warenangebot zu besichtigen. Die Frage ist wohl, was Sie hier zu suchen haben?"

"Hat mein Mitarbeiter schon gesagt, dass Frauen nichts mit Geschäften zu tun haben", bekam Heather es auch noch von Kobold Nummer eins, dass sie wohl nichts zu melden hatte. Dann sagte Kobold Nummer zwei: "Wenn Sie sich für einen dieser Witwenmacher da entschieden haben kommen sie zu uns nach Gringotts Sydney und bezahlen direkt bei uns." Er lachte laut und schrill, als habe er gerade den Witz des noch jungen Jahrtausends erzählt oder gehört. Das missfiel dem ersten Kobold offenbar so sehr, dass er unvermittelt von Cygnus Redrobe abließ, mit nur fünf langen Schritten zu seinem Kollegen hinüberrannte und ihm ansatzlos einen so wuchtigen Kinnhaken versetzte, dass Kobold Nummer zwei einen halben Meter angehoben und mehr als zwei Meter nach hinten geschleudert wurde. Knurrend packte der erste Kobold den K.o. geschlagenen Artgenossen und warf ihn sich wie einen Getreidesack über die Schulter. Dann schrillte er in seiner Muttersprache noch was in Richtung Cygnus Redrobe und schleppte seinen Kollegen zur Tür. Draußen stampfte er scheinbar wütend mit beiden Füßen auf. Darauf versank er blitzartig im Boden, als hätte ihn ein dort lauernder Strudel erfasst und eingesogen. Doch da, wo der Kobold und sein Kollege im Boden verschwunden waren klaffte kein Loch, nicht mal ein winziger Riss in den Steinplatten. Julius erinnerte sich, dass Kobolde in festes Erdreich oder Gestein einsinken und sich mit der dort möglichen Schallgeschwindigkeit voranbewegen konnten. Damit konnten sie in einer Sekunde mehrere Kilometer überwinden und waren zu dem unbemerkbar und unaufhaltsam, bis sie am Ziel aus dem Boden herausschossen.

Chrysope, die auf Millies Rücken im Tragetuch geschlummert hatte, war vom Geschrill des ersten Kobolds aufgeschreckt und schrie angstvoll. Auch Aurore stand der Schreck noch in den hellblauen Augen. Julius ging zu ihr hin, während Millie Chrysope zu beruhigen ansetzte. Er ließ dabei den Zauberstab wieder im Gürtelfutteral verschwinden. Aurore lief auf ihn zu und warf sich leicht wimmernd an sein rechtes Bein. Er bückte sich und hob sie behutsam hoch. "Ist jetzt wieder gut, Rorie. Die zwei Kläffer sind weg", sprach er mit sanfter, tiefer Tonlage auf seine Erstgeborene ein. Dabei dachte er, dass er dem zweiten Kobold mindestens den Sirennitus, schlimmstenfalls sogar den Todesfluch übergebraten hätte, wenn der Aurore was getan hätte. Millie hätte den Frechling garantiert mit einem Zauber in der Luft zerrissen oder mit einem von Kailishaias Feuerzaubern in einen Haufen Asche verwandelt, las er an den Augen seiner Frau ab, während sie mit ihrer Stimme die reine, bedingungslose Zärtlichkeit einer liebenden Mutter vermittelte.

"Leute, ich bedauere das sehr, dass ihr Zeugen dieses sehr unliebsamen Zwischenfalls geworden seid", sagte Cygnus Redrobe abbittend klingend.Seine Frau fauchte ihn an, dass er ihr das noch heute erklären solle. Er nickte ihr hastig zu und bekundete, dass sie alles wichtige erfahren würde.

Die gute Stimmung von vorhin wollte jedoch nicht mehr aufkommen. Julius spukte vor allem die Bemerkung des ausgeknockten Kobolds durch den Kopf, er solle, wenn er sich einen von den "Witwenmacherbesen" ausgesucht habe, diesen direkt in Gringotts bezahlen. Dann kam auch noch eine von zwei Sicherheitszauberern verfolgte Hexe in schwarzem Kleid und halb gelüftetem schwarzem Schleier hereingestürmt und fuchtelte mit der linken Hand vor Cygnus Redrobe herum, während die beiden Sicherheitszauberer beinahe Hilflos wirkend verhielten und halbherzig die Zauberstäbe freizogen.

"Das sollte wohl ein zu früh gemachter Aprilscherz werden, Mr. Redrobe. Ich war heute bei Gringotts und wollte Gold für den nächsten Monat abheben. Da erfahre ich doch glatt, dass die Kobolde kein Gold mehr von Ihnen in mein Verlies umlagern. Warum das so ist wollte mir keiner von diesen langfingrigen Spitzohren verraten, weil das nur die und Ihre Firma was anginge. Sie haben einen magisch bindenden Vertrag mit meinem von einem Ihrer Besen gestürzten Gatten geschlossen, dass seine Familie nicht verhungern muss. Also, was ist mit der Vergütung?"

"Mrs. Wavecrest, das ist wohl ein Missverständnis seitens der Kobolde. Selbstverständlich erhalten Sie Ihre Vergütung noch weiterhin", sagte Cygnus Redrobe. "Bitte entschuldigen Sie mich eine halbe Minute." Mit diesenWorten disapparierte er einfach.

"Die Zeit läuft", sagte die Hexe, die dafür, dass sie Witwe war, noch sehr jung aussah. Julius erinnerten ihre Gesichtszüge an die Quidditchspielerin Wilhelma Wavecrest. Dann war das entweder ihre Mutter, oder vielleicht sogar ihre große Schwester.

Pünktlich wie angesagt reapparierte Cygnus Redrobe mit einem großen Lederbeutel. Sein Gesicht wirkte einerseits sehr verlegen. Andererseits war da ein triumphierendes Glitzern in seinen Augen. Er öffnete den Lederbeutel und zählte der Hexe in Schwarz vierhundert Galleonen auf die ausgestreckten Hände. Nach jeder fünfzigsten musste die unangemeldete Besucherin das Zauberergold in ihrer tiefschwarzen Handtasche versenken. Als sie alle vierhundert Galleonen eingestrichen hatte nickte sie heftig. "Das war Ihr Glück, Mister. Wenn ich das Gold bis morgen nicht gehabt hätte wären Sie tot umgefallenund Ihre Frau wäre auch Witwe geworden und das ungeborene Kind in ihr wäre ohne Vater groß geworden. Noch einen schönen Tag, die Herrschaften", sagte Mrs. Wavecrest, drehte sich um und ging an den immer noch bei ihr postierten Sicherheitszauberer vorbei nach draußen.

Cygnus Redrobe starrte verdutzt auf seine Frau, die knallrot angelaufen war und zwischen Verärgerung und Enttäuschung schwankte. Als er sie fragend ansah legte sie sich behutsam die Hand auf den noch flachen Unterbauch und nickte wild entschlossen. Ebenso nickte Aurora Dawn ganz sachte. Dabei sah sie die Latierres an und legte den rechten Zeigefinger auf die Lippen. Millie und Julius verstanden. Aurore hatte sowieso nichts mitbekommen außer der schimpfenden Frau in ganz schwarzen Sachen.

"Drachenmist!" entfuhr es Redrobe leise, aber noch zu laut für Heather.

"Hallo, Mr. Cygnus Falco Redrobe. Das ist aber jetzt die total falsche Antwort darauf, dass du Vater wirst", knurrte Heather sehr verärgert dreinschauend. Dann meinte sie: "Ich fürchte, es gibt hier einiges, was du noch klären musst. Ich gehe mit den Latierres und Aurora noch ein wenig in der Stadt herum. Wenn ich heute abend zu Hause bin erzählst du mir gefälligst, in welchen Schwierigkeiten du steckst und entschuldigst dich für dieses Schimpfwort eben. Bis dann. Aurora, Millie, Julius ...!" Sie winkte den mitgebrachten Besuchern. Millie sah Julius an und mentiloquierte: "Besser wenn wir abrücken." Julius schickte ein "Hast recht" zurück und folgte Heather. So folgte auch Aurora Dawn, die sich von Cygnus noch einen vorwurfsvollen Blick einfing, wohl weil sie ihm nicht mitgeteilt hatte, dass seine Frau schwanger war.

Außerhalb des Firmengeländes fragte Heather Aurora, woher die Witwe Wavecrest das von ihrer Schwangerschaft wusste, wo Heather es nur Aurora und einigen sehr guten Freundinnen und ihren Eltern erzählt hatte. Aurora erwiderte darauf, dass Desdemona Wavecrest das dann eben von einer ihrer Freundinnen erfahren hatte. Sie selbst hatte nichts nach außen dringen lassen. Heather sah sie erst misstrauisch an, was Aurora sehr ernst zurückblicken ließ. Dann errötete Heather schlagartig und blickte ihre Freundin und auserwählte Heilerin und Hebamme abbittend an. "Mist, ich hätte doch dran denken müssen, dass Kelly Fourbees mit Wilhelma befreundet ist. Dann hätte ich das gleich in den Südstern reinschreiben können, verflixt noch eins."

"Denkst du, ich riskiere meine Zulassung wegen mutwilligen Bruchs der Schweigepflicht, Heather?" fragte Aurora. "Ich habe dir gesagt, dass du entscheidest, wem du wann davon erzählst. Daran erinnerst du dich doch noch", erwiderte Aurora mit für Julius völlig ungewohnter Strenge. Heather nickte und bejahte es leise. "Kann man jetzt nichts mehr machen. Und wo Cygnus das jetzt knallhart serviert bekommen hat könnte ich das morgen auch öffentlich rumgehen lassen", seufzte Heather. Doch dann zischte sie: "Aber erst, wenn der mir erzählt hat, was gerade da in der Werkstatt passiert ist." Dann bat sie ihre Besucher, mit ihr weiterzuziehen.

"Die durch die unerwarteten und ungebetenen Besucher vereiste Stimmung taute erst wieder auf, als Heather die Besucher mit ihrer ehemaligen Redrock-Freundin Stacy Wellingford bekannt machte, die gerade vor zwei Monaten Mutter geworden war. Millie unterhielt sich mit ihr über den Unterschied zwischen einer Hausgeburt und der in einem Krankenhaus. Stacy erwähnte, dass sie halbmuggelstämmig sei und deshalb lieber wie ihre eigene Mutter in einem Kreißsaal niederkommen wollte. Der kleine Douglas sah Aurore und Chrysope an, wohl erfreut, dass es nicht nur große Menschen auf dieser noch so unübersichtlichen großen Welt gab. Stacy erfuhr, dass Cygnus Redrobe schon jetzt erfahren habe, dass Heather sein Kind trug, was Heather ihm eigentlich erst nach der zwölften Woche erzählen wollte. Da bekam sie es von Stacy auch serviert, dass sie doch damit hätte rechnen müssen, dass Wilhelma und damit ihre große Schwester Desdemona davon Wind bekommen würden. Da konnte Heather nichts mehr gegen sagen.

Abends reisten Aurora Dawn und die Latierres wieder nach Sydney. Heather blieb in Melbourne, um zu klären, was da vorgefallen war. Aurora schärfte ihren Besuchern ein, über das, was in der Besenfabrik vorgegangen sei keinem was zu verraten, da sie davon ausgehen musste, dass die Redrobes in Schwierigkeiten steckten.

"Wahrscheinlich ist Heathers Mann bei den Kobolden in Zahlungsrückstand geraten. Sonst hätte der eine Kobold nicht getönt, dass wir einen Willy-Willy-Besen direkt bei ihnen in Gringotts zu zahlen hätten", sagte Julius.

"Ich wollte euch das so auch nicht auftischen, wegen Heather. Aber der Firma geht es wirklich nicht gut. Sie hat durch die britischen Feuerblitze und durch die aus Japan eingeführten Langstreckenbesen aus der Kazeyama-Fabrik fast neunzig Prozent ihres früheren Marktanteils eingebüßt. Hinzu kommt, dass es bei Langstreckenbesentests zu vier tödlichen Unfällen gekommen ist. Einer davon hat Wilhelma Wavecrests große Schwester zur Witwe gemacht. Da die Abteilung für Spiele und Sport allen hier ansässigen Besenherstellern auferlegt hat, den Angehörigen von Besenzureitern Ausgleichsrenten zu erstatten, wenn diese bei Tests sterben, muss Cygnus eine Menge Galleonen pro Monat überweisen. Aber wie ihr ja mitbekommen musstet hat er wohl noch eine Art Barkasse, aus der er Mrs. Wavecrest mal eben bezahlt hat. Das hat er den Kobolden wohl nicht auf die Nase gebunden", erwiderte Aurora Dawn. Julius und Millie nickten betroffen dreinschauend. Da hatte Heather sicher noch einiges mehr zu tragen als ein unschuldiges Kind, dachte Julius. Aurora beschloss das Thema dann mit den Worten: "Ich hoffe, es findet sich eine Lösung, die Heather und dem Baby ein Leben ohne Hunger und Entbehrungen sichert. Mehr muss und darf dazu nicht gesagt werden."

Laura Morehead besuchte die Latierres am 30. März. Sie unterhielt sich mit ihnen über ihre Berufe und ob sie dabei ihr Familienleben gut einbeziehen konnten. Beide Eheleute Latierre bestätigten das. Dann zog sich Laura mit Aurora in ihr Schreibzimmer zurück. Was sie dort besprachen war von außen nicht zu hören.

Am Ostersonntag hatte Aurora Dawn für ihre kleine Namensvetterin in ihrem großen Garten viele bunte Ostereier unterschiedlicher Größe versteckt. Millie beaufsichtigte ihre erstgeborene Tochter bei der Suche, damit sie nicht aus Versehen die Brunnenklappe hochdrücken und in den Brunnen fallen konnte. Julius beobachtete seine Tochter und flüsterte mit der Gastgeberin, wo er meinte, dass die nächsten Ostereier sein könnten. Eine Stunde dauerte die aufregende Suche. Die Sonne war nun weit genug über den Horizont geklettertund zum weißgelben Glutball geworden. "Wenn ich überlege, dass es in Europa gerade erst acht Uhr abends ist schon lustig", sagte Julius zu Aurora. Diese lächelte und erwiderte:

"Ja, und in den Staaten, wo ihr vor einigen Tagen noch wart ist es erst gerade Samstag Mittag."

"Papa Osterneier!" quiekte Aurore vergnügt und zeigte vor, was sie gefunden hatte.

"Das sind besondere Eier. Wenn du die aufmachst sind da kleine Geschenke drin", sagte Aurora Dawn.

"Da hat dir der Osterhase aber was feines hingelegt. Guck mal, der wusste sogar, dass du bei Mademoiselle Dawn bist", flötete Julius und zählte schnell die gefundenen Eier durch. "Ui, eins zwei drei gaanz viiiiele", tat er überwältigt von so vielen Ostereiern.

Aurore hatte nach dem Frühstück eine Menge zu tun, die kleinen Geschenke aus den einfach aufklappbaren Eiern herauszuholen, darunter flauschige Miniausgaben der grünen Känguruhs, eine Großläuteglocke, klein wie Aurores Hand aber beim Schwingen den Klang einer echt großen Kirchturmglocke machend, eine unbeschmutzbare Spielschürze und noch einiges mehr, was für ein kleines Mädchen schön und lustig war. Nur in drei Eiern war eher was für Jungen: Ein Spielzeugzauberstab, der beim schwingen blauen Qualm machte, Rülps- oder Pupsgeräusche von sich gab, ein Paket mit roten Mehrfachknaldämonen und die Spielzeugversion eines rostroten Dreideckerbusses mit einem weißen Känguruh zwischen der untersten und mittleren Frontscheibe und dem Schriftzug Querfeldein-Känguruh. Jedenfalls hatten Millie und Julius eine Menge neues Spielzeug in die große Reisetruhe zu packen, bevor sie frühstücken konnten.

"Oh, euer schwergewichtiger Mitreisender G. L. Bluecastle ist unauffindbar", verkündete Aurora Dawn beim Frühstück. Der Südstern hat eine Anfrage von Montgomery Swift vorliegen, ob jemand mitbekommen habe, wo sein Geschäftspartner nach der ersten Kennenlernveranstaltung abgeblieben sei."

"Huch, ist der verlorengegangen?" fragte Julius beinahe belustigt. Doch dann besann er sich, dass das Verschwinden eines Menschen meistens sehr ernste Gründe haben konnte, bestenfalls den, dass der Verschwundene sein früheres Leben satt hatte und anderswo unerkannt was neues anfangen wollte. Schlimmstenfalls wurde ein Verschwundener irgendwann als Leiche wiedergefunden. So sagte Julius: "Ich hoffe mal, der taucht bald wieder auf. Unabhängig von den Gründen für das Verschwinden wäre das in den vereinigten Staaten sicher nicht gerade lustig, wenn ein reicher Unternehmer im Ausland verlorengeht."

"Mir gefällt das auch nicht", erwiderte Aurora Dawn. "Ich habe den wie ihr ja mit diesen beiden Zauberern weggehen sehen. Der eine war der hier aufgeführte Montgomery Swift, der die Buslinie vom Querfeldein-Känguruh betreibt, wie der fahrende Ritter in Großbritannien oder der blaue Vogel in den Staaten. . Der andere war Clyde McCloud, Mitarbeiter in der Abteilung für magischen Personenverkehr im Zaubereiministerium. Beide sind nicht daran interessiert, dass Bluecastle verschwindet."

"Swift vielleicht schon, oder?" fragte Julius. Aurora Dawn schüttelte den Kopf. "Der hat ihn ja gerade eingeladen, weil er, wo die zwanzig Jahre Ausfuhrsperre für US-amerikanische Waren ja schon einige Jahre her ist, Busse von ihm kaufen möchte, weil seine eigenen Busse nicht weiter als zweihundert Kilometer zurücklegen können und die Busse der Blauer-Vogel-Linien quer durch die Staaten reisen können, ohne zu lange Pause machen zu müssen."

"Oha, klingt auch so, als wenn jemand ohne viel zu bezahlen an neue Verdienstmöglichkeiten kommen möchte."

"Entführung. Das kann sich Swift nicht leisten. Der ist Familienvater, hat neun Kinder. Eines davon habe ich vor zwei Jahren auf die Welt geholt, als die Swifts in den Weihnachtsferien in Sydney waren", erwiderte Aurora Dawn.

"Hui, der müsste ja dann von der Vita Magica einen Verdienstorden kriegen", feixte Julius. Millie und Aurora räusperten sich sehr missmutig. Millie begründete ihre Verstimmung damit, dass sie selbst dann keinen Orden von diesen Leuten annehme, wenn sie und Julius zwei komplette Quidditchmannschaften Kinder hinkriegen würden. Aurora wandte ein, dass diese Gruppe sich tunlichst aus Australien heraushalten solle. Was die sich in den Staaten leisteten und was sie mit den nichtregistrierten Werwölfen angestellt hatten widerspreche jeder Mitmenschlichkeit. Das sah Julius ein und begründete seinen Sarkasmus damit, dass er diesen Gaunern drei Halbgeschwister auf einmal zu verdanken habe.

"Die werden bald merken, dass ihr Tun ihnen selbst zum Verhängnis werden wird, Julius", sagte Aurora Dawn. "Keiner von denen darf erwischt werden, weil sich sonst die ganze Wut auf ihn richtet und er mit Unterstützungsforderungen zugeschüttet würde. Dem mussten Millie und Julius zustimmen. So blieben sie erst mal dabei, dass Bluecastle hoffentlich bald wieder auftauchen würde.

Am Nachmittag reisten die Latierres mit Flohpulver zum westaustralischen Hafen Southern Secret, von wo aus sie mit einem anderen Schiff der Linie fliegender Holländer nach England fuhren. Weil diese Reise wegen zwei Zwischenstops in Singapur und Indien und die Umsegelung Südafrikas einen vollen Tag dauerte nutzten Julius und seine Tochter Aurore das Angebot an Bordspielen.

Als sie am Morgen des 2. Aprils Julius' alte Heimat betraten wurden sie von einem regelrechten Empfangskomitee erwartet, bestehend aus den eineiigen Zwillingsschwestern Betty und Jenna Hollingsworth, Gloria Porter, Pina und Olivia Watermelon, Melissa Whitesand, so wie ihrem Bruder Mike und dessen Frau Prudence. Das Prudence bald das zweite Kind bekam war nun unübersehbar.

"Wer hat denn da geplaudert, wann und wo wir ankommen?" fragte Julius, nachdem er jeder jungen Hexe die eigentlich in Frankreich übliche Umarmung gewährt hatte.

"Eine gewisse Martha Merryweather aus Santa Barbara, Kalifornien", lachte Melissa Whitesand. Sie hat die Routenpläne dieser unheimlich schnellen Schiffe studiert und den einzig zutreffenden Ankunftszeitpunkt berechnet."

"Natürlich, willkommen imInternetzeitalter", tat Julius erschöpft. Doch er lächelte sehr glücklich. Da alle Französisch konnten sprachen sie nun auch mit Aurore Béatrice Latierre und schnitten Grimassen für Chrysope Martha Latierre.

"Eigentlich, so mein Erzeuger und ernährer, sollte er dich übers Knie legen, weil du offenbar keinen Moment dran gedacht hast, ihn zu fragen, ob in unserem Haus noch genug Zimmer frei sind", sagte Gloria Porter. Darauf meinte Pina:

"Meine Patentante wollte auch fragen, ob sie deine ganze bisherige Familie mal sehen dürfe, Julius. Vielleicht hätte die auch ein Quartier für euch bereitgestellt."

"Aber bei uns gibt's Internet", flötete Mike Whitesand. Und Prue kommt gut mit kleinen Kindern klar."

"Wie heiße ich, Michael Whitesand?" tat Prudence entrüstet, wofür sie von jemand gut verstautem einen Tritt oder Boxhieb gegen die Bauchdecke bekam.

"Prudence Sincerity Sophia Whitesand", sagte Mike. "Wenn meine Frau ihren vollen Namen irgendwo drunterschreiben muss kann sie die ganze Breite einer Seite füllen."

"So breit wie sie gerade aussieht passt das doch", kicherte Pinas jüngere Schwester.

"Du bist da mal jetzt ganz still. Livy. Im Mai heiratest du und spätestens im nächsten April bist du genauso breit und rund wie ich", erwiderte Prudence. Olivia grinste und sah dann Pina an. "Streich es ihr da auf's Brot, dass ich als erste wen abbekommen habe", feixte sie.

"Da brauchst du Leute für?" fragte Pina schnippisch zurück. Dann fragte sie, wie sie denn von hier aus weiterreisen sollten, wo Mike und Prudence in einer Muggelgegend wohnten.

"Mit dem fahrenden Ritter natürlich", sagte Prudence. "diese französischen Innertralisatus-Umstandsunterkleider sind ihr Geld wert. Da fällt mir garantiert keiner vor dem Termin auf den Boden."

"Wo ist denn Perseus?" fragte Millie. Prudence sagte: "Bei seiner Oma und seinem Opa. Wir holen ihn unterwegs ab", berichtete sie. Dann zog sie den Zauberstab frei und ließ ihn aufleuchten. Dann winkte sie. Keine halbe Minute später knallte es laut und dumpf, und ein purpurfarbener Dreideckerbus ratterte heran. "Wir sehen uns dann nachher bei uns", sagte Mike zu den Zwillingen, Gloria, Pina und Olivia. Dann bestiegen sie den fahrenden Ritter zuerst.

"Willkommen beim fahrenden Ritter, dem Nottransporter für gestrandete Hexen und ... Jau, die Eheleute Latierre mit Nachwuchs", trällerte der Schaffner des Zauberbusses.

"Geht's noch lauter?" grummelte Julius. Prudence brachte ihren drallen Umstandsbauch in Position und sagte: "Bring uns alle nach Brighton, da wo du uns beide und mein Zubehör eingesammelt hast."

"Für welchen Fahrpreis?" wollte der junge Zauberer wissen. Mike zählte ihm drei Galleonen und einige Sickel in die Hand. "Okay, dann mal an Bord und Türen schließen!"

"Und dass du erst losfährst, wenn ich anständig Sitze, sonst kriegst du eine Menge Ärger mit dem Whitesand-Clan", sagte Prudence zum Fahrer. Dieser nickte merklich.

Da um diese Zeit nicht viele Leute unterwegs waren konnten die Latierres und Whitesands sich gleich auf dem ersten Deck in die bereitgestellten Sessel setzen.

Kaum saß Prudence sicher fiel die Tür zu und es ging los. Der Bus übersprang innerhalb einer Sekunde mehrere Kilometer und ratterte durch die Straßen von Liverpool, was Julius daran erkannte, dass sie am berühmten Fußballstadion vorbeifuhren. Einige hundert Meter weiter hielten sie an. Ein alter Zauberer mit Gehstock und schwarz-silbernem Samtumhang stakste durch die Sitzreihen und ließ sich vom jungen Schaffner beim Aussteigen helfen.

"Ist ab einem bestimmten Alter kein Apparieren mehr möglich, Prudence?" wollte Mike von seiner Frau wissen.

"Wenn die Augen nachlassenund der Gleichgewichtssinn nicht mehr so mitspielt raten viele Heiler davon ab, größere Strecken zu apparieren", wisperte Prudence. Aber wie du von Uroma Sophia weißt kann sowas noch sehr lange dauern."

"Fehlt noch, dass die auch noch zu uns hinkommt", grinste Mike. Prudence wollte noch was sagen. Doch da sprang der Bus schon weiter und brauste nun über eine Autobahn, bis er in der Nähe eines alten Gehöftes anhielt, wo eine Gruppe mittelalter Hexen leise schwatzend ausstieg. Danach ging es weiter und hinein nach London, wo sie vor dem tropfenden Kessel hielten, weil dort ein hagerer Zauberer mit seinem Zauberstab gewunken hatte. Anschließend landeten sie in Brighton, wo sie vor einem schönen alten Steinhaus mit einem kleinen Glockenturm anhielten. Die Glocke auf dem Turm läutete mit silberhellem Ton.

"Das Baby und ich sind erkannt", grinste Prudence. Ah, da sind Mum, Dad und Persie", trällerte sie.

Julius begrüßte Prudences Eltern, die er zuletzt im gut verhüllten Whitesand Valley getroffen hatte. Der Schaffner und einige Fahrgäste gaben Laut, weil der Bus schon länger als üblich stand. "Ich werde ja wohl noch meiner Tochter guten Tag sagen, wenn ich ihr ihr Kind wiedergebe", sagte Mr. Whitesand. "Wir sind aber gleich wieder weg. Noch eine schöne Zeit, Millie und Julius." Den letzten Satz hatte er gerade so laut gesprochen, dass nur die Angesprochenen ihn verstanden.

Es ging nun zum von Mike und Prudence bewohnten Anwesen, dass in der Nähe von Blackpool lag und Haus Himmelskuchen genannt wurde. Warum das so war erkannte Julius sofort, als er das Haus sah. Es war in einem fröhlichen Himmelblau gestrichen und trug auf dem Dach statt der üblichen Dachpfannen eine weiße Haube, wie gefrorene Schlagsahne. Vor allem aber wies das dreistöckige Haus keinen rechten Winkel auf, sondern war kreisrund, genauso wie das Haus von Peggy Swann in Viento del Sol.

"Wer hat euch denn das Haus dahingesetzt?" fragte Julius erstaunt.

"Gezeichnet vom Architekturbüro Mondglanzlinien, die so'n ähnliches Teil irgendwo in den Staaten schon mal gebaut haben. Gebaut hat es dann eine Firma namens Porta Elysii, die die Baupläne in der halben Zeit von Prudences Schwangerschaft mit Perseus hochgezogen und eingerichtet haben. Bitte uns zu folgen", sagte er und winkte seinen Gästen.

Wie habt ihr das mit dem Internetanschluss gemacht?" wollte Julius wissen, als er einen wortwörtlichen Rundgang durch das Haus vom Keller bis unter die Gefriersahnekuppel hinter sich hatte.

"Genau wie ihr in einem Geräteschuppen hundert Meter vom Haus weg", sagte Mike stolz. Prudence musste dazu einwenden: "Und genau wie bei euch muss ich ihm immer wieder sagen, wie spät es ist."

"Dann sind wir ja schon wieder fast zu Hause", scherzte Julius. Millie knuffte ihm dafür in die Seite.

Nachdem sie sich alle soweit es ging eingerichtet hatten trafen sie sich im kreisrunden Salon um über die letzten Monate zu sprechen. Inzwischen waren auch Melissa, Pina, Gloria, die Hollingsworths und Olivia eingetroffen. So wurde es eine lange Unterhaltung, wobei sie für Aurore französisch sprachen, damit sie sich nicht langweilte. Pina fragte Julius, ob er noch weiter im Ministerium arbeiten wolle oder jetzt anderswo unterkommen wolle. Er antwortete darauf nur, dass er erst einmal nach Frankreich zurückkehren wolle, um zu klären, was in der Zwischenzeit dort besprochen worden sei.

"Na ja, sieht so aus, als rechne sich diese Belle Grandchapeau Chancen aus, dich als direkten Arbeitskollegen zu kriegen. Die war nämlich bei meinemVorgesetzten, um mit dem über das weitere Vorgehen gegen grenzübergreifende Verbrecher zu sprechen, die auch in der Muggelwelt gut zurechtkämen. Dabei meinte sie zu mir, dass es vielleicht demnächst sein würde, dass ihr Büro einen sich in Frankreich und England gleichermaßen gut auskennenden Mitarbeiter für Außendienste bekäme."

"Das glaube ich ihr gerne, vor allem ihrer Mutter", sagte Julius. "Aber da möchte ich mir dann doch erst mal Angebot und Preis ansehen, bevor ich eine Katze im Sack kaufe, Pina."

"Kann ich verstehen, Julius."

"Meine Oma Grace wüsste gerne, wie viele Verwandlungszauber du in deinem Alltag benötigst, Julius. Einige von ihren UTZ-Kandidaten wollen sich nämlich nur auf das konzentrieren, was sie benötigen würden." Julius erwähnte, dass er für einen schnelleren, unauffälligeren Transport durch die Luft immer mal wieder eine Selbsteinschrumpfung gebrauchte, sowie verschiedene Gegenstände zu verwandeln. Gloria notierte sich alle seine Angaben für ihre in Hogwarts unterrichtende Großmutter.

Abends spielten die, die über einem Jahr und nicht gerade schwanger waren Quidditch über dem großen Grundstück der Whitesands. Um Elf Uhr Ortszeit waren dann alle soweit ermüdet, dass die, die nicht im Haus übernachten wollten per Flohpulver abreisten. Gloria hatte im Namen ihrer Eltern darum gebeten, dass die Latierres während ihres Urlaubs noch in Palast von Plinius, ihrem Elternhausvorbeisahen. Julius und Millie sagten zu.

__________

Ornelle Ventvit traf sich noch einmal mit Nathalie Grandchapeau, ihrer Tochter Belle und Monsieur Vendredi zu einer kurzen Besprechung in Madame Grandchapeaus Büro. Monsieur Vendredi hatte die Leiterin des Büros für die friedliche Koexistenz der Menschen mit und ohne Magie grimmig angesehen, weil sie einfach meinte, in seine Kompetenzen dreinreden zu können. Deshalb sagte er statt einer höflichen Begrüßung:

"Spekulieren Sie nicht darauf, dass der Status der Ministergattin Ihnen alle Vollmachten gibt, in die Belange Ihnen nicht unterstehender Abteilungen einzugreifen. Auch ihre bevorstehende Mutterschaft rechtfertigt keine Unverschämtheiten."

"Zum einen, Arion, habe ich Sie nicht eingefordert, sondern wegen einer unsere beiden Abteilungen berührenden Angelegenheit um eine Zusammenkunft gebeten. Zum zweiten, wenn ich mir anmaßen würde, in mir nicht unterstellte Abteilungen einwirken zu können, hätte ich die Angelegenheit, die ich mit Ornelle im Vorfeld erörtert habe, gleich als verbindliche Anweisung formuliert und nicht als Anregung oder als für alle Seiten vorteilhaften Vorschlag. Drittens verbitte ich mir heute und künftig jede Anspielung, die meine baldige Mutterschaft zum Vorwand nimmt, mir geistiges oder soziales Unvermögen zu unterstellen, damit dies eindeutig klar ist. Da dies nun geklärt ist möchte ich nun darum bitten, dass Mademoiselle Ventvit uns berichtet, was sie in der Angelegenheit Lundi-Blériot erfahren hat."

"Was wohl?" schnaubte Monsieur Vendredi. Seine Mitarbeiterin Ornelle Ventvit sah ihn fragend an. Er grummelte noch was und nickte ihr dann zu, dass sie sprechen dürfe. So erzählte sie, dass ihr Mitarbeiter Pygmalion über die Beziehungen zu seinen Verwandten nachgeforscht hatte, ob der aktuelle Aufenthaltsort von Euphrosyne Lundi geborene Blériot nicht doch noch ermittelt werden könne. Dabei sei jedoch zu Tage getreten, dass sich die Mutter der Gesuchten weigere, bei der Suche nach ihrer Tochter mitzuhelfen, zumal ja keine formelle Anklage gegen sie erhoben worden sei und auch nicht erhoben werden dürfe. Was Zustand und Aufenthaltsort der von Euphrosyne bezauberten Muggel anginge könne sie keine Angaben machen, da diese nicht mit der Zaubererwelt in Kontakt stünden. Sie schloss mit den Worten: "So befinden wir uns gegenwärtig in der Lage, dass Euphrosyne Lundi sich an einem Ort verbirgt, der außerhalb der von uns ausschöpfbaren Verbindungen liegt und / oder entsprechende Zauber verwendet hat, um ihren Aufenthaltsort und den ihres auf sehr fragwürdige Art erwählten und angetrauten Mannes zu verhüllen. Was die von ihr bezauberten Magielosen angeht schlugen alle Zauber fehl, die Bezauberung aufzuheben, sowohl was Verwandlungen als auch Gedächtniszauber angeht. Vielmehr musste einer der unserer Abteilung zugeteilten Vergissmichs wegen eines Rückpralles seines Gedächtniszaubers wegen schwerer Gedächtnisstörungen in die Abteilung für dauerhafte Fluchschäden der Delourdes-Klinik eingewiesen werden. Die zuständigen Heiler äußerten die Befürchtung, es könne sich um eine langwierige Therapie handeln, deren Ausgang ungewiss sei, ähnlich wie bei dem einst so populären Zauberer Gilderoy Lockhart. Somit muss ich, so sehr mir dies auch schwerfällt, feststellen, dass wir gegen Euphrosyne Lundi geborene Blériot kein wirksames Mittel in Händen halten, um ihre Verstöße gegen die Zaubereigesetze wie auch der traditionellen Gesetze der Veela zu ahnden und die dabei angerichteten Schäden zu beheben. Ob wir noch einmal was von ihr hören oder lesen werden ist fraglich, auch wenn der nach außen hin magisch unbegabte französische Staatsbürger Aron Lundi sicher nicht als ihr Gefangener weiterleben soll, sie also irgendwas finden muss, was ihm Lebenssinn und Lebensfreude verschafft. Danke für Ihre Aufmerksamkeit."

"Will sagen, Ornelle, wir wissen nichts und wir können nichts", fasste Arion Vendredi die Darlegungen seiner Mitarbeiterin zusammen. "Also kommen wir zum zweiten Punkt, der mich ja veranlasste, Ihnen, Nathalie, unerlaubte Einflussnahme in die Belange meiner Abteilung vorzuhalten. Sie legen Wert darauf, dass der meiner Abteilung als Amtsanwärter zugeteilte Zauberer Julius Latierre für den rest seiner Anwartszeit zeittweilig Ihrer Abteilung zugeteilt wird, um seine von Ihnen sehr hoch eingeschätzten Zauberkräfte bei außendienstlichen Aufträgen anwenden zu können. Sie haben es als Verschwendung von Fähigkeiten und Einsatzbereitschaft bezeichnet, diesen nicht gerade weisungstreuen Zauberer wegen seiner Anmaßungen zum Innendienst zu verpflichten. Das meine Mitarbeiterin und ich ihm Urlaub gewährt haben, um die ihm zustehende Bedenkzeit über Annahme oder Ablehnung dieser Entscheidung einzuräumen missfiel mir, konnte jedoch aus rein rechtlichen Gründen nicht verweigert werden. Nach meinem Dafürhalten hätte dieser junge Zauberer seine Anstellung im Ministerium vollends aufkündigen und sich einen Beruf in der freien Wirtschaft suchen sollen. Da hätte er sehr schnell gelernt, wie gut er es bei uns hatte. Ihn jetzt Ihrer Abteilung anzuvertrauen, und sei es nur zeitweilig, könnte ihm das Gefühl geben, für seine Aufsässigkeiten auch noch belohnt zu werden. Dies wäre jedoch ein falsches Signal an ihn und an alle anderen Mitarbeiter in untergeordneten Rängen. Ich muss befürchten, dass Sie diese Folge nicht in Erwägung gezogen haben, weil Ihnen zu viel daran liegt, Julius Latierre um jeden Preis in unserem Hause arbeiten zu lassen, auch um den Verlust der allgemeinen Disziplin im Zaubereiministerium."

"Dann möchte ich Ihnen die Fragen und auch Ihre Vorhaltungen beantworten, Arion", holte Nathalie Grandchapeau aus. "Zum einen haben Sie den jungen Zauberer nur deshalb zum Innendienst verpflichtet, weil er Ihnen nicht mitteilen will oder darf, von wem er die bei der Angelegenheit mit der grünen Gurgha verwendeten Zauber erlernt hat und weil er es gegen Ihren Entschluss, dieses Wesen zu töten, durchgesetzt hat, dass dieses Wesen freien Abzug erhielt und weiterleben darf. Das kann natürlich als Befehlsverweigerung und Anmaßung einem höheren Dienstgrad gegenüber ausgelegt werden, und womöglich hätte ich ihm dies auch zur Last gelegt, wenn er dies unter meinem Vorsitz getan hätte. Allerdings hätte ich zunächst einmal das Gespräch mit ihm gesucht und von der Öffentlichkeit abgeschirmt erörtert, was vorgefallen ist, warum es vorgefallen ist und inwieweit ähnliche Vorfälle die gleiche Entscheidung von ihm nach sich ziehen würden. Haben Sie so gehandelt? Nein, Sie haben ihn gleich vor eine Anhörung zitiert, die durchaus ein Vorlauf zu einem Gerichtsverfahren hätte werden können. Dass es kein Gerichtsverfahren gab verdankt der junge Zauberer wohl dem Umstand, dass der Zaubereiminister persönlich einen großen Wert darauf legt, dass Monsieur Latierre in unseren Diensten verbleibt. Und der Zaubereiminister hat die unbestreitbare Erlaubnis, in die Belange anderer Abteilungen einzugreifen. Er hätte auch über Ihren und meinen Kopf hinweg bestimmen können, dass Monsieur Latierre mit sofortiger Wirkung von Ihrer in meine Abteilung versetzt oder seinem eigenen Stab zugeteilt wird oder ihn fristlos entlassen können. Dass er dies alles nicht tat und auch nicht tun wird liegt daran, dass er Ihnen und mir voll vertraut, die unangenehme Lage einvernehmlich zu beenden. Ich überlasse es Ihnen, zu entscheiden, ob ich Monsieur Latierre das Angebot unterbreiten darf, gänzlich in meiner Abteilung weiterzuarbeiten oder ob er, wie ich es mit Mademoiselle Ventvit erörterte, innendienstlich weiterhin in ihrem Büro arbeitet und für außendienstliche Belange meinem Mitarbeiterstab aushilft oder ob Sie wegen der von Ihnen dargelegten Gründe jede außendienstliche Arbeit verbieten und ihm somit die Entscheidung auferlegen, ob er diese Generalanweisung befolgt oder sich ihr durch Kündigung und Beendigung seiner Anwartschaft entzieht, wozu er immer noch das Recht hat. Und was die freie Wirtschaft angeht, die ihm früher als ihm lieb ist vor Augen führt, wie vortrefflich er es bei uns angetroffen hat, so muss ich Sie enttäuschen. Der junge Zauberer hat zu viele ernste Alternativen, aus denen er ganz bequem die für ihn günstigste auswählen kann. Er könnte in die grüne Gasse von Millemerveilles, wie auch in den dortigen Tierpark, eine Zauberschmiedausbildung beginnen oder als Hilfskraft bei seinen Verwandten anfangen, abgesehen davon, dass die Heilerzunft nur darauf wartet, dass er sich bei uns nicht mehr wohlfühlt und er Angebote aus Frankreich, wie auch aus Australien erhalten hat. Ist er einmal aus einer dienstlichen Anstellung des Ministeriums heraus, wird er nicht mehr zurückkehren, werter Kollege. Und was die Veelas angeht, so bleibt er weiterhin dderen Fürsprecher und er könnte dann ohne den Druck einer ihm auferlegten Rangordnung Sachen aushandeln, die Ihrer Abteilung die eine oder andere schwerwiegende Zustimmung abtrotzen mag. Wie gut sich Veelas und Veelastämmige zu verbergen wissen wurde uns gerade von Ihrer Mitarbeiterin Ventvit dargelegt. Ihre Bissige Kurzzusammenfassung, dass wir nichts wissen und nichts können würde dann nicht nur auf diese eine Veelastämmige anwendung finden, sondern für alle Veelas und Veelastämmigen gelten. Da es genug äußere Widersacher der von uns zu bewahrenden Ordnung gibt sollten wir uns nicht auch noch selbst um Ablehnung durch mächtige Zauberwesen bemühen, das wäre sehr unklug. Nur das, um Ihre Entscheidung auf ein klares, umfassend begründetes Fundament zu stellen", sagte Nathalie Grandchapeau. Sie steigerte sich dabei so sehr hinein, dass ihr ungeborenes Kind davon mit erregt wurde und sich für alle sichtbar bewegte. Das brachte sie kurz zum zusammenfahren und schnaufen. Doch sie blieb aufrecht sitzen, ihre Hände parallel zueinander auf dem Schreibtisch. Ornelle starrte sie ein wenig hilflos an, weil sie nicht wusste, ob und was sie dazu sagen durfte. Arion Vendredi betrachtete die wilden Ausbuchtungen in Nathalies Umhang mit gewisser Schadenfreude, was Nathalie nicht entging. Dann sagte er:

"ich muss leider zugestehen, dass Sie recht haben. Ja, und ich muss wohl auch erkennen, dass eine Entlassung Monsieur Latierres oder die Annahme dessen Kündigung eine ähnliche Auswirkung auf die Moral der rangniederen Mitarbeiter zur Folge hätte, weil dann, wenn er eine profitable Anstellung finden sollte, dies ebenfalls als Belohnung für seinen Ungehorsam aufgefasst werden könnte. Daher, und damit Ihr Kind sich nicht weit vor seinem Termin aus ihrem Leib herauskämpft, gestatte ich meiner Mitarbeiterin Ventvit und Ihnen, sich über die Arbeitszeit Monsieur Latierres abzustimmen und ihm anzubieten, außendienstlich für Sie zu arbeiten, sofern er innendienstlich die ihm von Mademoiselle Ventvit zugeteilten Aufgaben zeitnah und mit ganzer Sorgfalt erledigt. Mehr kann und will ich nicht dazu sagen. Sie erhalten diese Einverständniserklärung selbstverständlich sofort, wenn ich sie verfertigt und unterzeichnet habe."

Als Arion Vendredi und seine Mitarbeiterin gingen meinte Belle, die ihrer Mutter immer wieder auf den mal hier und mal dort kräftig ausgebeulten Bauch gestarrt hatte: "Kann sein, dass die ganze Aufregung verfehlt ist, weil Julius sich schon längst zum Verlassen des Ministeriums entschlossen hat. Abgesehen davon muss ich gestehen, dass ich bei der letzten Korrespondenz mit Monsieur Abrahams eingeräumt habe, wir könnten demnächst eine mit seinem Land gut vertraute Verstärkung erhalten. Sollte dieser Brief auch von seiner Assistentin Ms. Watermelon gelesen worden sein könte diese ihm rein Freundschaftlich zukommen lassen, was ihn erwartet und seine Entscheidung beeinflussen, möglicherweise zu unseren Ungunsten."

"Weil er sich verschachert und verschoben fühlen könnte, Madame Grandchap- Autsch! Nicht in den Magen treten!"

"So wie ich ihn kennengelernt habe kann ich das zumindest nicht ganz ausschließen, Madame Grandchapeau."

"Zur Kenntnis genommen", erwiderte Nathalie und zuckte zusammen, weil ihr Kind mal wieder eine empfindliche Zone ihrer Eingeweide getroffen hatte. Dann entfuhr ihrem Gesäß lautstark ein Schwall Verdauungsgase. "Ich sollte mich nicht mehr so aufregen. Der Kleine wird davon ganz rammdösig", seufzte sie. Belle sah ihre Mutter an und nickte. Also war es ein kleiner Junge, der sich da in ihrem Leib austobte.

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Für die Latierres waren die Tage vom dritten bis zum fünften April anstrengend aber auch abwechslungsreich. Sie besuchten die Familie Porter, reisten zusammen mit ihren Freunden in die Winkelgasse, wo sie auch bei Weasleys zauberhafte Zauberscherze vorbeikamen und feststellten, dass George Weasley und sein jüngerer Bruder Ron einige neue Sachen auf Lager hatten wie den Zeitzerrspiegel, der dem Betrachter entweder zeigte, wie er als Ungeborenes oder Kind ausgesehen hatte oder als älterer oder uralter Mensch einmal aussehen würde. Julius hatte sich dabei einmal als verschwommenes Gesicht im prall gerundeten Bauch seiner Mutter gesehen, Millie war ein wenig erschrocken, als sie sich mit schneeweißen Haaren und tiefen Falten in einem runden Gesicht sah. "Oha, so sieht ja Uroma Barbara noch nicht einmal aus", hatte sie dazu nur gesagt. Julius hatte über die Herzanhängerverbindung gespürt, wie heftig ihr das zusetzte. Dann aber hatte sie gesagt: "Wenn ich mit zweihundert Jahren so aussehe soll mir das recht sein."

Sie besuchten auch Lady Genevra Hidewoods in ihrem Landsitz. Sie bot Julius an, ihm zu helfen, sollte er in seiner bisherigen Anstellung nicht mehr richtig gefordert werden und was neues suchen. Er hörte daraus, dass Sophia Whitesands verschwiegene Schwestern ihn immer noch genau beobachteten.

Melissa Whitesand ermöglichte den Latierres sogar einen Besuch des Firefax-Gestütes für Aeton-Rennpferde. Aurore sah sehr fasziniert auf die fuchsfarbenen schlanken Pferde mit den roten Flügeln.

Am sechsten April verabschiedeten sie sich von den Whitesands, Porters und Watermelons. Betty und Jenna hatten schon wieder bei Mrs. Thornhill in der magischen Menagerie in der Winkelgasse zu tun und konnten sich nicht verabschieden.

"Wenn wir uns nicht mehr treffen sollten, bevor euer zweites Kind da ist schon jetzt alles gute für die anstehende Geburt", wünschte Julius Prudence. Diese bedankte sich sehr herzlich und wünschte ihm viel Erfolg für die anstehende Entscheidung, wie es mit ihm weitergehen mochte. Auch er bedankte sich herzlich. Dann ging es mit dem Fahrenden Ritter nach Dover, wo Millis Vater sie und ihre Familie mit seinem veilchenblauen VW-Bus abholte und aus voller Beschleunigung heraus mit dem Transitionsturbo über den Ärmelkanal sprang, um knapp jenseits der Küste sicher auf der Straße zu landen. Einige Kilometer normale Fahrt später hüpfte der Bus direkt in die Rue de Camouflage in Paris hinüber. "Was, das blaue Mädchen hat noch richtig Sprungkraft", bemerkte der halbzwergische Zauberer Albericus stolz. Dann drückte er auf die Hupe, um seiner Frau zu verkünden, dass er wieder zu Hause war.

Aurore freute sich, ihre Tante Miriam wiederzusehen. Die war erst ein wenig angenervt, die kleine Nichte wieder im Haus zu haben. Doch als diese ihr einige der Spielsachen zeigte, die sie zu Ostern bekommen hatte war die Stimmung gleich besser. So konnten sich Millies Eltern mit ihr und Julius über die Extraferien unterhalten.

"Was Pina dir angedeutet hat, Julius, trifft wohl zu. Ich habe über den Fahrstuhlkanal so mitbekommen, dass die gute Nathalie und dein zweithöchster Vorgesetzter sich wohl darüber hatten, ob du nur bei ihm Innendienst machst, ganz zu ihr rüberwechselst oder innen für ihn und außen für sie arbeitest. Aber die sollen dir das gerne offiziell erklären", sagte Hippolyte Latierre. "Es sei denn, du möchtest in meiner Abteilung anfangen. Könnte auch noch wen mit Besenflugerfahrung brauchen, der auch schon mal mit den verschiedenen Ligasprechern Europas zu tun hatte."

"Da wird dir Nathalie Grandchapeau sicher böse sein", meinte Julius. "Aber ich tu mal so, als hätte ich davon nichts mitbekommen, um denen ihren Spaß zu lassen, wo die so wenig haben."

"Kuck mal, Maman, das vertreiben diese Scherzbolde von WZZ seit den Weihnachtsferien", sagte Millie und gab ihrer Mutter einen der silberngerahmten runden Handspiegel am stiel. Ihre Mutter blickte hinein und erstarrte einen Moment. "Schon heftig. Wenn die da mal keinen Krach mit allen Hexen zwischen fünfzehn und fünfundzwanzig kriegen", sagte sie. Als Julius leicht grinsend fragte, ob sie sich als alte Frau oder ungeborenes Kind gesehen hatte sagte sie: "Ich sah aus wie Miriam kurz nach der Geburt. Wozu soll das gut sein?" fragte sie und gab ihrem Mann den Spiegel.

"Laut Anpreisung was um eitle Leute zu erschrecken", sagte Julius. Albericus guckte, staunte, guckte weiter und grinste.

"Mein Vater hatte recht, meine schwangere Mutter stand mir ganz gut", grinste er. "Darf ich den behalten, Millie?"

"Klar", sagte Millie. Julius erwähnte, dass er für Florymont auch einen hatte.

"Die werden die Bezauberung gut getarnt haben, Julius", sagte Hippolyte. Ihr Schwiegersohn nickte.

"Vielleicht kriegt meine Mutter raus, wie dieser Altersverdreher funktioniert. Zwerge und vor allem Zwerginnen haben da ja einiges drauf, was Zauberer und Hexen nicht können."

"Nur dass Oma Tétie nicht nachher den Zauber in sich selbst reinbekommt und andauernd zwischen Pullerpüppchen und Hutzelzwergin hin und herwechselt."

"Ich werde sie vorwarnen", sagte ihr Vater.

Um Miriam weiterhin gewogen zu stimmen schafften es Julius und Millie, Aurore davon zu überzeugen, das Miriam auch zwei der vier grünen Känguruhs, eine Trällertröte und zwei Lila Leuchtballons behalten durfte. Albericus, der von der Körpergröße her gerade so groß wie ein achtjähriger Menschenjunge war quängelte, dass er auch was haben wollte. Julius nahm die Gelegenheit wahr und überließ ihm die roten Knalldämonen, was seinem Schwiegervater ein höchst erfreutes Lächeln ins Gesicht zauberte. "Möchte auch Bus", quäkte er. Julius schüttelte den Kopf und bot dafür eine der Großläutglocken an, von denen Aurore fünf Stück aus den Ostereiern gezogen hatte. Leicht vergrätzt tuend aber doch mit seiner Beute zufrieden trollte sich sein Schwiegervater.

""Jungs bleiben Jungs", grummelte Hippolyte. "Na ja, in drei Wochen feiert sein Schulfreund Hochzeit, dahin sind wir zwei eingeladen."

"Wohl'n Wichtel gefrühstückt, wie?"

"Yep", erwiderte Julius darauf und grinste seine Schwiegermutter an.

Durch die Verschwindeschrankverbindung ging es über das Château Tournesol, wo Aurore noch einen Satz Leuchtballons für ihre ganz jungen Onkel und Tanten spendierte, danach wieder zurück nach Millemerveilles. Dort wieder eingetroffen machte Julius auf dem Besen die Runde, um sich bei den beiden Familien Dusoleil, den Delamontagnes, Dumas und Lagrange zurückzumelden. Belisama war gerade bei ihren Cousinen Seraphine und Elisa. Sie begleitete ihn zum Apfelhaus zurück, um ihrem Patenkind Hallo zu sagen.

Abends machten Millie und Julius noch ein wenig Hausmusik, sie am Klavier und er auf der Querflöte. Dann waren sie aber auch müde genug. Julius wollte morgen ins Ministerium, um zu klären, wie er sich endgültig entscheiden sollte.

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Aron fragte seine Frau nie, was sie in ihrem ganz privaten Studierzimmer trieb. Doch Sorgen machte er sich schon, wo er wusste, dass sie sein Baby in sich trug. Außerdem begann ihm diese Idylle und Abgeschiedenheit ganz langsam auf die Nerven zu gehen. Sicher, er wollte keine Paparazzi um sich herumhaben, die jeden seiner Schritte knipsten und hofften, ihn mal mit heruntergelassenen Hosen oder beim Liebemachen abzuschießen. Doch auf Dauer war das hier auf der Insel nur was zum Erholen, nicht zum dauerhaft herumhängen. Die einzige Ablenkung boten ihm neben einigen zärtlichen Schmusestunden mit seiner Frau Euphrosyne der Laptop mit Internetanschluss und das Baden im kristallklaren Meer, wobei Euphrosyne behaupptete, dass es nirgendwo mehr wirklich natürlich rein war.

Als er am neunten April den Rechner um neun Uhr Ortszeit startete und das E-Mail-Programm abrief fand er neben dem üblichen Werbemüll, der international als Spam bezeichnet wurde, zwei E-Mails, von denen er nicht so richtig wusste, was er davon halten sollte.

Die eine Mail stammte von einer Loulou79@prisec.com und war eine Anfrage, ob seine Gattin immer noch eine weibliche Personenschützerin benötige. Dieser Mail war eine digitalisierte Ansammlung von Zeugnissen inklusive Lebenslauf angehänt. Als Aron das farbige Bewerbungsfoto sah erschauerte er. Die Junge Frau, die da in einem züchtig hochgeschlossenen blauen Oberteil fotografiert worden war, vor allem das tizianrote Haar. Das war Loulou, eine der Freibeuterinnen. Wie kam die zu seiner erst hier auf San Nicholas eingerichteten E-Mail-Adresse?

Die zweite Mail stammte von einem Jorge Molinar aus Barcelona. Er erinnerte sich, dass so einer der Sicherheitsleute hieß, die vom FC Barcelona angeheuert worden waren, um ihm die lästigen Fotoreporter auf Abstand zu halten. Genau diesen Job wollte Molinar nun exklusiv für ihn machen. Da hatte doch sicher Euphrosyne mit ihrer Hexenkraft was dran gedreht, dachte Aron und ließ die beiden Nachrichten über den Tintenstrahldrucker auf Papier bringen.

Dass seine Frau nicht in ihrem Arbeitszimmer war sah er an der weit offenen Tür. Er hatte es einmal probiert, hineinzugehen. Doch etwas wie der Stoß gegen eine heiße, irgendwie prickelnde Glaswand hatte ihn abgefangen. So ließ er es besser bleiben, die scheinbare Einladung anzunehmen. Ihm stank es zwar langsam, dass seine Frau viele auch für ihn geheime Sachen anstellte. Doch er hatte sich nun einmal auf das Leben mit ihr eingelassen.

"Falls du mich suchst, ich bin im Garten", flötete Euphrosyne fröhlich. Aron eilte sofort zur sicherheitsverglasten Hintertür und sah, wie seine Frau in natürlichstem Zustand eine Schreibfeder in ein mintgrünes Etui zurücklegte und ein Tintenfass schloss. Der Anblick seiner vollkommen unbekleideten Angetrauten jagte Aron Lundi heißkalte Schauer durch den Körper und erregte ihn spürbar. Sie lächelte ihn an und entfachte in ihm eine lodernde Glut der Leidenschaft. Wie lange hatte er mit ihr nicht mehr geschlafen? Andererseits war sie von ihm schwanger. Da gehörte sich das nicht und war für das Baby wohl auch sehr gefährlich. Als Euphrosyne bemerkte, dass ihr Mann von ihrem Anblick heftig erregt wurde griff sie ins Gras und holte ihren Zauberstab daraus hervor. Mit einer schnellen Drehung um die eigene Achse schlüpfte sie in einem einzigen Augenblick in ihre sommerliche Freizeitkleidung, die nicht wesentlich mehr verhüllte als ihr bloßer Körper schon gezeigt hatte. Doch das reichte Aron, der immer noch halb in einem Rausch des Verlangens trieb, um zu erkennen, dass sie ihn nicht in den Garten gerufen hatte, um mit ihm Sex zu haben.

"Wir können bald unser Versteckspiel aufgeben und verraten, wo wir wohnen, Chérie", säuselte Euphrosyne, als sie behutsam auf Aron zugeschritten war. Dann sah sie die Papierseiten, die in seinen nun leicht verschwitzten Händen lagen. Sie lächelte. "Ach, haben wir Post bekommen. Dann hat es ja doch geklappt", sagte sie, nahm die bedruckten Seiten und las diese. Dann sagte sie: "Bitte schreibe Loulou, dass sie nächste Woche Montag am Flughafen von Rio de Janeirosein soll. Sie möchte dir die Auslagen für den Flug mitteilen, dass sie mit der ersten Lohnabrechnung mitüberwiesen werden kann! Molinar soll ebenfalls zu diesem Zeitpunkt dort eintreffen. Da ich die beiden kenne kann ich sie dort abholen. Öhm, und wenn Félipe Contreras und noch drei andere spanische oder katalanische Herren diese Elektrobriefe schicken teile ihnen mit, dass sie ebenfalls in Rio erwartet werden."

"Gehst du nicht davon aus, dass sie überwacht werden?" fragte Aron. Denn jetzt dämmerte ihm, wieso die Hexe, die zu einem Viertel von einer menschenähnlichen Zauberwesenart abstammte, genau wusste, was er an Mails bekommen hatte und noch bekommen würde.

"Hast du was mit Loulou und den anderen angestellt, dass die jetzt bei uns sein wollen? Warum ausgerechnet Loulou?"

"Das Mädchen ist uns beiden zu nahe gekommen", knurrte Euphrosyne und deutete auf den Bungalow. "Am besten alles drinnen, Chérie", sagte sie noch.

Als Aron erfahren hatte, dass Euphrosyne Loulou in seiner Wohnung ertappt und durch Veelamagie zu einer ihrer Untergebenen gemacht hatte und dies danach auch mit den auf ihn angesetzten Leibwächtern durchgezogen hatte stierte er sie erst verstört bis verdrossen an. Euphrosyne war wirklich eine Hexe. Doch dann erkannte er, dass sie nicht anders handeln konnte, weil Loulou sonst wohl versucht hätte, ihn rumzukriegen, damit er bloß in Le Havre blieb. Er seufzte kurz. Dann sah er ein, dass es nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte. So fragte er seine Frau, ob die Kandidaten für das gemeinsame Personal alle wirklich nach Rio kommen sollten. Da lächelte sie überlegen. "Um deine Frage von eben zu beantworten, mein Angetrauter, ich denke schon seit unserer überstürzten Abreise aus Nordamerika daran, dass meine Untergebenen überwacht werden. Das mit Rio ist ein Ablenkungsmanöver, falls jemand diese Elektrobriefe unterwegs abfängt und mitliest. Tatsächlich werde ich sie persönlich abholen, wenn sie zugesagt haben und herbringen. Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, und wir unseren Standort verraten, brauchen wir zwei ergebenes Personal, um zumindest die Magielosen auf Abstand zu halten. Das siehst du doch hoffentlich ein." Aron nickte halbherzig. Euphrosyne fühlte, dass ihr Gefährte mit ihrem Vorgehen nicht so einverstanden war. Andererseits wusste er auch, dass er jetzt keine andere Möglichkeit mehr hatte. Nur bei und mit ihr konnte er hoffen, noch ein würdiges Leben zu führen. Darauf baute sie. Sie wusste aber auch, dass sie ihm längst nicht alles erzählen durfte, was sie schon getan hatte oder noch tun würde, um ihr gemeinsames Leben zu verteidigen.

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Julius hatte sich einen taubenblauen Umhang mit stehkragen angezogen und seine halbhohen braunen Schuhe mit Mrs. Sparkles Spiegelglanzschuhcreme behandelt. Jetzt stand er schon im Fahrstuhl nach oben. Er hielt die innere Anspannung so gut er konnte nieder, ließ sich nicht anmerken, wie es in ihm arbeitete. Zusteigende Kollegen grüßten ihn freundlich. Er grüßte freundlich zurück.

In Ornelle Ventvits Büro traf er seine Vorgesetzte und Pygmalion Delacour. Er begrüßte beide freundlich. "Sie haben tatsächlich einiges an Sonne abbekommen, Monsieur Latierre", stellte Ornelle Ventvit fest. Dann deutete sie auf die freien Stühle. Julius nickte und pirschte sich an einen heran. Doch der Stuhl spürte es, dass er eingefangen werden sollte und wetzte nach links weg. Julius sprang ihm nach und bekam ihn an der Rückenlehne zu fassen. Er riss ihn hoch, dass die Stuhlbeine wild in leerer Luft rotierten. Er trug das gefangene Möbelstück zu seinem Schreibtisch hinüber und setzte es dort auf. Dann schwang er sich auf die Sitzfläche und überstand das Zittern und Beben, bis sich der Stuhl vollständig beruhigt hatte.

"Ich hoffe, die Erholungszeit reichte aus, um neben der Abwechslung, die Sie sicherlich genossen haben, die nötige Muße zu finden, um sich zu entscheiden, ob Sie Monsieur Vendredis Anweisung befolgen wollen oder Ihre Anwartschaft vorzeitig aufkündigen möchten", fuhr Ornelle fort. Pygmalion zeigte keine Regung, wie er zu der Sache stand.

"Ich habe mir sehr wohl gründlich überlegt, wie ich mit Monsieur Vendredis Anordnung umgehen werde", setzte Julius an und machte eine rhetorische Pause von zehn Sekunden. Weil in der Zeit niemand fragte, wofür er sich entschieden hatte sprach er weiter: "Ich werde meine Anwartschaft und alle darauf folgenden Jahre nicht in einem Büro absitzen. Sollte ich nur die Auswahl haben zwischen Befolgung der Strafversetzung in den Innendienst oder der Kündigung, dann muss ich die Kündigung wählen, auch weil ich im Urlaub wieder einmal mitbekommen durfte, wie belebend ein abwechslungsreicher Tag ist. Eine schriftliche Ausfertigung dieser Entscheidung werde ich unverzüglich vornehmen und unterzeichnen."

"Sie haben vollkommen recht. Wenn dies die beiden einzigen Auswahlmöglichkeiten wären müssten Sie, wenn Sie einen Wert auf außendienstliche Tätigkeiten legen, das Dienstverhältnis mit unserer Abteilung aufkündigen", sagte Ornelle Ventvit keinesfalls überrascht oder enttäuscht klingend. Pygmalion Delacour wirkte immer noch so, als bekäme er nichts von dem mit, was gerade um ihn herum vorging. Julius nickte Ornelle Ventvit bestätigend zu. Daraufhin sagte diese: "Deshalb haben wir genau wie Sie die letzten Wochen genutzt, um alle umsetzbaren Möglichkeiten zu ergründen und zu erörtern. Wir, das waren meine Wenigkeit als Ihre unmittelbare Unterabteilungsleiterin, Monsieur Vendredi als unser gemeinsamer Vorgesetzter, sowie Madame Grandchapeau aus dem Büro zur Wahrung der friedlichen Koexistenz von Menschen mit und ohne magische Fähigkeiten." Da hatte es Julius nun wortwörtlich amtlich, was Pina und seine Schwiegermutter unabhängig voneinander angedeutet hatten. Er fühlte sich nicht im mindesten Überrascht. Das fiel Mademoiselle Ventvit sofort auf. Deshalb sagte sie: "Offenkundig haben Sie diese Möglichkeit ebenfalls in Betracht gezogen oder haben sie mit Bekannten oder Verwandten für zumindest vorstellbar erachtet. Nun zum einzelnen: "Wir, also Monsieur Vendredi, die Mesdames Grandchapeau und ich, bieten Ihnen, Monsieur Julius Latierre, eine Fortführung Ihrer bisherigen Tätigkeiten in meiner Unterabteilung an, was die innendienstlichen Aufgaben angeht. Da Sie auf Beschluss von Monsieur Vendredi keine außendienstlichen Verpflichtungen von unserer Behörde aus wahrnehmen entsteht genug Zeit, um bei Vorgängen im Rahmen von Amtshilfeersuchen für die Abteilung Madame Nathalie Grandchapeaus tätig zu werden, was deren außendienstlichen Tätigkeiten betrifft. Madame Grandchapeau, Nathalie, ließ über Monsieur Vendredi ein entsprechendes Ersuchen für die Dauer der nächsten drei Jahre an mich weiterleiten. Hiermit bringe ich es Ihnen zur Kenntnisnahme." Sie berührte eine Schublade ihres großen Schreibtisches und holte eine in einen grünen Ring geschobene Pergamentrolle heraus. Sie stand auf und ging auf Julius' Schreibtisch zu. Julius erhob sich ebenfalls und kam seiner Vorgesetzten entgegen. Er nahm ihr die Rolle ab. Er bedankte sich artig und nahm an seinem Schreibtisch Platz. als Ornelle sich wieder hingesetzt hatte. Er zog den Ring ab und stellte fest, dass er drei Pergamentbögen freigelegt hatte. Er las jeden Bogen einzeln und mit der anstehenden Gründlichkeit durch.

Der erste Bogen war ein Besprechungsprotokoll, das darüber Auskunft gab, was Madame Grandchapeau, Monsieur Vendredi und Ornelle Ventvit erörtert hatten. Julius musste sich beherrschen, nicht im Ansatz zu grinsen. So wie es sich da las hatte Belles Maman sehr schnell und sehr heftig auf seinen möglichen Ausstieg aus dem Ministerium reagiert und hoffte nun, diesen damit abzuwenden.

Der zweite Bogen war das bereits angekündigte Amtshilfeersuchen, das auf zwei kurze Sätze zusammengefasst folgende Botschaft beinhaltete: Das Büro für die friedliche Koexistenz von Menschen mit und ohne Magie benötigt für mindestens drei Jahre eine Außendienstaushilfe. Kenntnisse über die magielose Welt, sowie Fachkenntnisse über deren Informationsverarbeitungsgeräte und mindestens zwei fließend gesprochene Sprachen sollten vorhanden sein. Darüber hinaus ging es eben darum, dass im Zuge der zeitweiligen Personaleinschränkung ab Juni eine unterstützende Fachkraft für die magielose Welt sehr erwünscht sei. Das Schreiben war passgenau auf Julius' Kenntnisse zugeschnitten.

Der dritte Bogen war ein Formular, wo das Amtshilfeersuchen seitens der Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe bereits genehmigt worden war, sowohl mit der Unterschrift von Monsieur Vendredi,wie auch der von Ornelle Ventvit. Das Feld, wo der erbetene Beamte oder Amtsanwärter unterschreiben sollte, dass er dem Ersuchen nachkommen würde, war noch leer. Außerdem fehlte dann noch die Bestätigung der Antragsstellerin.

Julius überlegte eine ganze Minute. Ein wenig wollte er die Beteiligten doch noch in der Luft zappeln lassen. Außerdem musste er sich das genau überlegen, ob er dem zustimmte. Er hatte ja genug Auswahlmöglichkeiten, wenn er das Ministerium vorzeitig verlassen sollte. Dann entschloss er sich, auf diesen Handel einzugehen. Er zog eine Falkenfeder aus dem Federhalter, tauchte sie in die smaragdgrüne Diensttinte und unterschrieb im Feld "Einverständnis des Beamten / Amtsanwärters" mit seinem Namen. Dann trocknete er die Tinte mit einer kleinen Portion Salz, das auf dem Tisch bereitstand. Er reichte alle drei Bögen an Mademoiselle Ventvit zurück. Diese reichte sie an Monsieur Delacour weiter und bat ihn, zu bezeugen, ob alle nötigen Einträge gemacht und alle Unterschriften geleistet worden wären. Natürlich sagte er, dass im Feld "Bestätigung der Kenntnisnahme der Gewährung des Antrages auf langfristige Amtshilfe" noch Madame Grandchapeaus Unterschrift fehle. Ornelle nickte und ließ sich die Pergamente wiedergeben. Dann gab sie sie Julius erneut. "Bitte rollen Sie die Bögen wieder so zusammen, wie ich Sie Ihnen ausgehändigt habe und bringen sie die Rolle dann zu Madame Grandchapeau hinüber!" Julius wollte schon fragen, warum sie nicht einen bunten Memoflieger nahm wie bei sowas sonst üblich. Doch dann klickte es in seinem Gehirn, dass er bei der Gelegenheit deutlich zeiggte, dass er auf den Handel einging und möglicherweise schon den ersten Auftrag erhalten würde, worin dieser auch immer bestand.

Mit einer der Aufzugskabienen gelangte Julius zum obersten Stockwerk, wo das Büro des amtierenden Zaubereiministers, sowie die strafverfolgung, die Ausbildungsabteilung, die Familienverwaltung und unter der Abteilungsnummer 19 das Büro zur Wahrung der friedlichen Koexistenz von Menschen mit und ohne magische Fähigkeiten untergebracht waren. Da Julius kurz einmal hier gewesen warfand er sich rasch zurecht. Als er den Seitentrakt betrat, in dem die Büros und ein Aufenthaltsraum lagen, hörte er durch die angelehnte Tür des Aufenthaltsraumes zwei Hexen miteinander diskutieren, wobei die eine Belle Grandchapeau war und die andere wohl eine Besucherin oder Antragsstellerin war. Er klopfte an die Tür des Büros mit dem Schild "Mme. N. Grandchapeau, Leiterin Abteilung 19". Er wartete geduldig, bis das eine Frauenstimme "Herein!" rief.

Julius konnte an Madame Grandchapeau erkennen, wie viele Wochen schon wieder ins Land gezogen waren. Denn sie wirkte nun noch fülliger. Ihr hoffnungsvoller Unterbauch war noch weiter und runder hervorgetrieben, und das Gesicht der Ministergattin und Abteilungsleiterin besaß runde Pausbacken. Auch schien es Madame Grandchapeau nicht zu stören oder zu missfallen, dass sich ihre mit dem Unterleib mitwachsenden Brüste deutlich sichtbar unter dem grasgrünen Stoff ihres Umhangs abzeichneten. Julius wandte den Blick von dieser prallen Form fruchtbarer Weiblichkeit ab. Er grüßte die Büroinhaberin höflich und meldete leise aber klar verständlich die Übe´rbringung des Amtshilfeantrages zur letzten Unterschrift. Madame Grandchapeau nickte und bat ihn, sich zu setzen. "Fehlt wirklich nur eine Unterschrift?" fragte sie verhalten lächelnd. Julius nickte bestätigend. Sie entrollte die drei Bögen und setzte ihren Namen mit einer goldenen Adlerfeder in das betreffende Formularfeld ein. Dann trocknete sie die Tinte und winkte einem Ablagebrett, auf dem zwanzig übereinander gestapelte Memoflieger lagen. Einer der oberen hob ab und segelte punktgenau vor ihr auf den Schreibtisch. Sie machte mit dem Zauberstab eine Kopie von jedem Bogen und schickte eine Ausgabe davon mit dem Memoflieger hinaus.

"Sie haben sich also einverstanden erklärt, dieser Abteilung in den kommenden drei Jahren als Außendienstmitarbeiter zur Verfügung zu stehen", sagte Madame Grandchapeau ruhig, als sei das hier nur ein ganz wertfreier Vorgang. Ob sie innerlich triumphierte konnte Julius ihr so nicht ansehen. So sagte er ebenfalls im neutralen Tonfall, dass er diese Auswahlmöglichkeit als Vorteilhafte Ergänzung zu seiner sonstigen Tätigkeit ansehe.

"Zumal es vier Vorfälle gibt, in die Ihre auch weiterhin hauptamtlich zuerkannte Dienststelle wie auch diese hier einbezogen sind. Deshalb würde ich Sie gerne gleich um zehn zu einer Lagebesprechung meiner fünf Außendienstmitarbeiter hinzubitten, zumal dies auch eine Möglichkeit bietet, dass sie sich vorstellen. Danach wird meine Mitarbeiterin Madame Grandchapeau die jüngere mit Ihnen unsere Außenstelle aufsuchen, wo sie sich mit den dort vorgehaltenen elektronischen Fernverständigungseinheiten vertraut machen werden. Sollten Sie von Mademoiselle Ventvit Schreibaufträge erhalten haben, so werden Sie nach der Mittagspause damit fortfahren können, hoffe ich zuversichtlich. Haben Sie das alles verstanden?" Julius bejahte es laut und deutlich. "In Ordnung, dann erwarte ich Sie um zehn Uhr zur Lagebesprechung", erwiderte Madame Grandchapeau. Julius sah dies als Aufforderung, in sein eigentliches Büro zurückzukehren. Unterwegs dachte er jedoch, dass Belles Mutter ihn langsam aber sicher auf einen ganztägigen Aufenthalt in ihrer Abteilung einpegeln wollte, sofern Ornelle ihm nicht zu viel Aktenmaterial auf den Tisch packte, um ihn in der Zauberwesenbehörde zu halten. Er hoffte, mit dem möglichen Mehraufwand zurechtzukommen.

In Mademoiselle Ventvits Büro musste er Briefe von Mademoiselle Maxime und ihrer Tante Meglamora beantworten. Meglamora lernte immer besser lesen und schreiben, wenngleich sie wegen ihrer Größe immer noch auf Pergamente groß wie Tischdecken schreiben musste. Mademoiselle Maxime bat darum, einen Antrag auf Zuteilung von mehr Fleisch und Gemüse auszuarbeiten, damit ihre mit Zwillingen schwangere Tante gut genug ernährt wurde, um nicht vom Hunger getrieben in der Umgebung zu wildern. Der Antrag wurde von Julius und Ornelle mit dem Vermerk, dass eine schwangere Riesin die doppelte Menge eines nicht schwangeren Riesens essen und trinken musste, Monsieur Colbert in der Abteilung magischer Handel und Finanzen zugeschickt. Des weiteren teilte Mademoiselle Ventvit dem Kollegen an der Goldquelle des Ministeriums mit, dass ihr Untergebener Julius Latierre auch weiterhin bei ihr arbeiten würde. Diese beiden Briefe gingen per Memoflieger in die zuständige Abteilung.

Aus Beauxbatons war ein nur für Ornelle oder Julius zu öffnender kleiner Muschelkasten angekommen, in dem zwei hauchdünne Muschelschalen lagen, in die jemand Text eingeritzt hatte. Ornelle bemerkte dazu: "Damit haben wir es nun Rille in Muschelschale, dass die zur Nixe umgewandelte Hexe kein Wort französisch schreiben kann." Julius pflichtete ihr bei. Denn der Brief aus der Tiefe stammte von Méridana. Sie berichtete davon, dass sie sich nach der Hochzeit mit dem Kronprinzen der Herrscher des südfranzösischen Mittelmeerabschnittes gut eingelebt habe und womöglich schon wieder zwei Meerlinge in sich heranreiften. Weil sie ja um das Asyl gebeten hatte wolle sie auch weiterhin mit dem französischen Zaubereiministerium in Kontakt bleiben. Die Verbindung über Beauxbatons sei ihr von einer Prof. Fourmier ermöglicht worden. Auf eine direkte Gegenüberstellung mit Madame Faucon wolle sie aber nach wie vor verzichten. Julius musste wider alle berufsmäßigkeit grinsen, als er diesen Textteil las. Sicher mochte Madame Faucon erkennen, wer die neue Nixe früher mal gewesen war. Womöglich stand sie mit Foto auf einer US-amerikanischen Vermisstenliste.

Als Julius den Brief aus dem Englischen ins Französische und von Muschelschale auf Pergament übersetzt hatte war es bereits viertel vor zehn. Der für die Frühstückspausenverpflegung zuständige Hauself apparierte mit einem vollen Teewagen. Julius überlegte, ob die beim Muggelverbindungsbüro auch jetzt gerade Kaffee tranken. Doch was sollte es? Er genoss den Kaffee und die Croissants in seinem bisherigen und größtenteils weiter benutzbaren Büro.

Seine sich selbsttätig auf die gerade geltende Ortszeit einstellende Armbanduhr zeigte eine Minute vor zehn Uhr, als er vor dem Aufenthaltsraum stand, der zu Madame Grandchapeaus Abteilung gehörte. Er lauschte, ob schon wer darin war und klopfte an die Tür. Da kam Belle Grandchapeau aus einem anderen Einzelbüro und nickte ihm zu. "Unsere Kollegen sind im Rauchzimmer. Da zwei von denen Pfeifenraucher sind vergessen sie gerne die Uhrzeit. Aber Sie haben offenbar noch die britische Pünktlichkeit im Blut, Monsieur Latierre." Julius stimmte dem zu.

Um zehn Uhr kam Nathalie Grandchapeau aus ihrem großen Büro herüber. Ihr gang war trotz der voranschreitenden Schwangerschaft aufrecht und ohne sichtbare Auslenkung ihres Beckens. "Ah, natürlich sind Sie schon da, Monsieur Latierre. Sie dürfen mit meiner Mitarbeiterin schon mal hinein und sich setzen, ich werde in wenigen Minuten zu Ihnen hinzustoßen."

Der Aufenthaltsraum war wie zwei Wohnzimmer eingerichtet. An Zwei Wänden standen lange Sofas hinter niedrigen Tischen. Links und rechts von der Tür ragten breite Schränke fast zur Decke hoch. In der Mitte des Raumes stand ein ovaler Tisch mit zehn gepolsterten Stühlen. Auf dem Tisch standen kleine verkrümelte Teller und Tassen mit trocknenden Resten Tee oder Milchkaffee. Über dem Sofa links von der Eingangstür zog sich ein Regal mit mehreren Büchern. Über dem rechts eines mit Spielen. Belle rümpfte die Nase, als sie das Geschirr auf dem Tisch sah. Sie rief "Servatio!" Mit scharfem Knall apparierte ein Hauself. "Befördere das bitte in den Abwasch!" befahl Belle ungehalten. Der Hauself verneigte sich tief und bestätigte den Erhalt des Befehls. Wie von Geisterhand stapelten sich die Teller und Tassen und schwebten auf den Hauselfen zu, der das Geschirr mit seinen kleinen Händen berührte und mit einem weiteren scharfen Knall verschwand. "Er wird gleich noch den Tisch reinigen", kündigte Belle an, als Servatio auch schon wieder erschien und ein von seiner Hauselfentelekinese getriebenes Wischlappen- und Schwammballett auf dem großen Tisch aufführte, bis der Tisch blitzblank war und die Lappen und Schwämme zu ihm zurückflogen. Er verabschiedete sich mit einer tiefen Verbeugung von den beiden Ministeriumsmitarbeitern und disapparierte endgültig.

"Der arbeitet immer noch bei Ihnen", staunte Julius. "Ich dachte, weil wir unsere Kaffeepausensachen von einem anderen Hauselfen kriegen wäre Servatio im Ruhestand."

"Der Ruhestand fängt bei denen erst an, wenn Herzschlag und Atmung aufhören oder wenn jemand ihnen Kleidungsstücke übergibt, was ja die Form der fristlosen Entlassung bei Hauselfen ist."

"Oder Freilassung", grummelte Julius, dem Hermine damals noch Grangers B.Elfe.R.-Kampagne noch gut im Gedächtnis war.

"Bevor die anderen hier sind, Madame Grandchapeau, muss ich irgendwelche Verhaltensregeln beachten, die anders sind als bei uns."

"Außer denen, die in Ihrer Abteilung gelten keine besonderen. Wir sprechen uns innerhalb der Abteilung alle förmlich an. Anderswo werden die Vornamen benutzt, weiß ich." Da hörten sie beide die Geräusche von Füßen auf Teppichboden, und eine Hexe Mitte dreißig, die Julius vom Gesicht her irgendwie bekannt vorkam, betrat den Konferenzraum. Hinter ihr schob sich ein sehr beleibter Zauberer mit schwarzem Haar, das hinten zur wallenden Mähne und vorne bis über die Stirn gestutzt frisiert war. Dahinter trafen noch ein hagerer Zauberer mit braunem Ziegenbart, eine kleinwüchsige Hexe mit braunem Haar und schwarzen Knopfaugen, und zwei haargleich aussehende Zauberer mit rotbraunen Haaren ein. Julius fiel bei der kleinen Hexe nicht nur ihre unterdurchschnittliche Körpergröße auf, sondern auch das Gesicht. Sie sah aus wie eine Shwester seines Schwiegervaters, was sie, wenn dies stimmte, zu seiner Schwiegertante machen würde. So sah die kleinwüchsige Hexe das wohl gerade auch, weil sie Julius sofort sehr schalkhaft zuzwinkerte. Die erste eingetroffene Hexe erkannte Julius wohl auch und blickte ihn verwundert an. Jetzt wusste er auch, wo er sie hintun sollte. Sie sah Valentine Devereaux und ihrem älteren Bruder Cimex, dem Bauzauberer sehr ähnlich. Die Zwillinge konnte er den Dujardins zuordnen, von denen er welche in Beauxbatons kennengelernt hatte. Dann betrat auch die Büroleiterin den Konferenzraum. "Ah, der Tisch ist sauber. Gut. Wir benötigen ihn für die Präsentation von Unterlagen", keuchte Madame Grandchapeau. Dann entfaltete sie einen Komfortsessel für schwangere Hexen, wie ihn Millie, Sandrine und gerade auch Martine wertschätzten. Alle anderen setzten sich, wobei die kleinwüchsige Hexe fünf Sitzkissen von anderen Stühlen nahm, um hoch genug auf ihrem Stuhl zu sitzen.

"Wie ich Ihnen angedeutet habe, Madame, Mesdemoiselles et Messieurs, hat uns die Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe ihren jungen Anwärter Monsieur Latierre für außendienstliche Belange zur Verfügung gestellt. Er wird die Jahre bis zum Ende seiner Anwartschaft bei uns mitarbeiten und mit Madame Grandchapeau vor allem im Bereich Informations- und Kommunikationsmedien der magielosen Welt unterstützende Arbeit leisten. Zudem ist er ja der offizielle Verbindungszauberer zwischen magischen Menschenund Veelas und Veelastämmigen, was ja gerade in den letzten beiden Jahren ziemlich häufig benötigt wurde. Ich gehe davon aus, dass Monsieur Latierre sich Ihnen allen in der Mittagspause noch gesondert vorstellen möchte. Daher belasse ich es zunächst nur bei einer einfachen Vorstellungsrunde. Monsieur Latierre, dies sind Mademoiselle Devereaux", wobei sie auf die zuerst hereingekommene Hexe wies. "Daneben sitzt Mademoiselle Arno", womit sie bestätigte, was die kleinwüchsige Hexe und Julius schon beim Ansehen erkannt hatten, "Monsieur Lepont", war der sehr beleibte Zauberer mit der ungleichen Haartracht, sowie die Messieurs Beauvieu. Madame Belle Grandchapeau ist Ihnen ja schon hinlänglich bekannt, und meine Wenigkeit kennen Sie ja auch schon längere Zeit. Kommen wir zur Tagesordnung." Mit silberner Zauberfadenschrift schrieb Belles Mutter mehrere Zeilen über dem Tisch in die Luft und versetzte die Zeilen in eine langsame Drehung um die Senkrechtachse. Doch sie erwähnte die abzuhandelnden Punkte auch mündlich. Zum einen ging es um die Abwehr von zaubererweltrelevanten Veröffentlichungen im Internet. Die Sache mit dem Werwolfkönig Rabioso, der Anfang März von den spanischen Kollegen tot aufgefunden wurde, war für die Hüter der Geheimhaltung ein großer Akt gewesen. Da davon auszugehen war, dass kriminelle Zauberwesen auch weiterhin auch die Informationsquellen der magielosen Welt ausnutzen mochten, um ihre Ziele durchzusetzen galt es noch mehr, solche Gefahren früh genug zu erkennen und abzuwehren.

Punkt zwei behandelte den umgang mit muggelstämmigen Hexen, die sich über die allgemeingültige Verordnung der Heilerzunft hinwegsetzten und in nicht-magischen Krankenhäusern ihre Kinder bekommen wollten. Natürlich musste Madame Grandchapeau dem hinzufügen, wie unvernünftig dies sei. Hierzu sagte Mademoiselle Devereaux etwas, die Verbindungen zur Heilerzunft unterhielt und von diesen auch schon gefragt worden war, wie es diesen Hexen beizubringen war, dass sie in der Zaubererwelt sicherer gebären konnten als in diesen viel zu hellen, hektischen Kliniken der Magielosen. Dabei sah Mademoiselle Devereaux auch Julius an und sprach ihm zugewandt, dass ja die Hebammen Matine und Laporte einmal mehr eine Zeitungsanzeige veröffentlicht hatten, worin sie auf die gesetzliche Verpflichtung verwiesen, dass werdende Mütter sich von einer Heilerin untersuchen und gegebenenfalls betreuen lassen mussten, solange ihre Kinder nicht geboren waren. Madame Grandchapeau nickte Julius auffordernd zu. Er wollte sich erheben, wurde jedoch durch einen sanften Wink der Abteilungsleiterin davon abgebracht. Er erwähnte, was er über muggelweltliche Geburtshilfe wusste, wobei er fast die wachgerufenen und in sein Denkarium ausgelagerten Erinnerungen an seine eigene Geburt angeführt hätte. Doch soeben bekam er noch die Kurve und zitierte das, was seine Mutter ihm darüber erzählt hatte und was er bei all den Geburten, bei denen er hatte zusehen dürfen, mitbekommen hatte. Die Halbzwergin Arno kicherte unpassend, was ihr ein tadelndes Räuspern Nathalies eintrug. Abschließend wurde festgelegt, dass über Erhebung einer Strafgebühr für Hexen beraten werden sollte, die sich nicht an die Vorgaben hielten.

Tagesordnungspunkt drei betraf tatsächlich auch Julius' eigentliches Berufsfeld, weil es um Euphrosyne Lundi geborene Blériot ging. Julius wurde nun offiziell darüber informiert, dass Aron Lundi wegen der offenbarten nicht nach außen wirksamen magischen Grundbegabung und der Verbindung mit Euphrosyne davon abgebracht werden musste, diese Fähigkeiten als übergroßen Vorteil seinen Kameraden und Gegenspielern gegenüber auszunutzen. Seitdem seien die Lundis untergetaucht. Das Ministerium habe die Ehe der beiden offiziell anerkannt. Wegen der von Euphrosyne bezauberten Muggel wäre eigentlich eine Klage wegen Missbrauchs der Magie und unumkehrbare magische Beeinflussung von magielosen Menschen angebracht gewesen. Doch Euphrosyne hatte das ja vorhergesehen und sich und Aron entsprechend abgesichert, um nicht gefangen genommen zu werden. Wie sich die Bezauberten verhielten und vielleicht wieder verhalten würden musste jedoch klar erkannt und vorbedacht werden. Hierzu sollte Julius noch einmal die von ihm erstellten Aufzeichnungen prüfen, die er von denen gemacht hatte, die ihm bei Lundis Wohnhaus zugesetzt hatten. Leider sei es bisher nicht möglich gewesen, die Bezauberung zu beenden, so Nathalie. Julius erwähnte, dabei mitzuhelfen, wandte jedoch gleich darauf ein, dass diese Menschen womöglich nicht mehr von der Bezauberung befreit werden könnten, da Euphrosyne dabei Veelamagie eingebunden habe und das wohl wortwörtlichin Form geopferter Haare. Zumindest habe keine Gefahr im Verzug bestanden, bemerkte Belle dazu, was wohl hieß, dass Julius sonst vorzeitig nach Paris zurückbeordert worden wäre.

Tagesordnungspunkt vier befasste sich mit der bereits hier schon mal erörterten Grundsatzfrage, wie die Zaubererwelt mit der Bedrohung durch den fundamentalistischen Terrorismus umgehen sollte, da zu befürchten war, dass die Magielosen in ihrer Verschrecktheit und dumpfen Furcht ähnliches Unrecht begingen wie damals das Didier-Regime in der französischen Zaubererwelt. Gerade die Mitglieder mit nichtmagischer Verwandtschaft forderten immer häufiger die unterstützung der magielosen Welt, um mögliche Anschläge hierzulande im Vorfeld abzuwehren, weil sie nicht einsahen, dass ihre Eltern, Geschwister, Vettern oder Freunde zu Opfern dieser Fanatiker wurden. Julius erkannte, das hier eine Menge Sprengstoff angehäuft wurde. Ein einziger Funke konnte diesen hochgehen lassen. Es brauchte nur ein muggelstämmiger Zauberer bei einem Anschlag hier in Frankreich oder auf einer Urlaubsreise einen magielosen Verwandten verlieren. Nicht auszudenken, was dann los sein mochte. Madame Grandchapeau wiederholte die feststehenden Richtlinien aller Zaubereibehörden, dass sie nur im Fall der Einbeziehung magischer Wesen und / oder Vorgänge tätig werden dürften und verwies zu dem auf die Vermeidung ungerechter Vorteile derer mit magischer Unterstützung gegenüber jenen ohne diese. Da Elektronik sehr störanfällig auf Magie reagierte, die unmittelbar in der Nähe wirkte, konnte es einen Konflikt zwischen den Such- und Überwachungsgeräten der Muggel und den Schutzzaubern geben, was die Sicherheit erheblich stören würde. Das sahen alle ein, auch und vor allem Julius.

Tagesordnungspunkt fünf betraf die neue Vampirgefahr, die sich nicht auf die Zaubererwelt alleine beschränkte. Hier waren bereits abteilungsübergreifende Arbeitsgruppen mit den Vampirüberwachern gegründet worden. Julius wurde gefragt, ob er auchdaran teilnehmen wolle. Er bat sich Bedenkzeit aus, da er ja ausschließlich für Außeneinsätze freigestellt worden sei.

Der sechste und letzte Tagesordnungspunkt hatte die Aktivitäten der Vita-Magica-Organisation zum Thema. Es war davon auszugehen, dass diese außergesetzliche Vereinigung weiterhin nicht davor zurückscheuen würde, arglose Zeugen in der Muggelwelt mitverfolgen zu lassen, was sie trieben, ja womöglich auch schon Pläne erörtert werden mochten, den scheinbaren Wildwuchs magieloser Menschen zu bremsen oder gar umzukehren. Julius wurde in der Hinsicht gefragt, wie das mit Krankheitserregern lief, die bei Reisen eingeschleppt wurden. Er erklärte es mit so wenigen Fachbegriffen wie möglich, ohne auf Vorschulfernsehniveau zurückgreifen zu müssen. Daraufhin berief Madame Grandchapeau einen der Beaurieu-Zwwillinge zum Kontaktzauberer zwischen dieser Behörde und der Abteilung für magischen Personenverkehr. Denn es galt, mögliche Täter an Flughäfen und Banhöfen zu finden und dingfest zu machen, bevor sie für Magielose tödliche Vorrichtungen und Wirkstoffe zum Einsatz bringen konnten.

Nach den offiziellen Tagesordnungspunkten wurde jeder hier noch einmal gefragt, ob er oder sie etwas wichtiges beizusteuern habe. Mademoiselle Devereaux erwähnte, dass es wohl nötig sei, getarnte Beobachter auf den Kreuzfahrtschiffen der Muggel mitfahren zu lassen, da diese Art der Vergnügungsreise von immer mehr Hexen und Zauberern erwählt wurde, um mal Urlaub von allem auch der Zaubererwelt zu machen. Sie erwähnte mit leicht geröteten Ohren, dass jemand aus ihrer Verwandtschaft unlängst auf einem Schiff namens Montego Sunrise eine Rundfahrt durch die Karibik mitgemacht habe. Ob diese Person dabei heimlich oder gar vor Muggeln gezaubert hatte hatte die betreffende Person schlauerweise für sich behalten.

"Spürsteine zur Ortung starker Zauber sind leider nur im Verbund mit anderen Spürsteinen und den Erfassungsknoten einsetzbar und gemäß der Grenzeinhaltungsübereinkunft von 1902 nur für das eigene Hoheitsgebiet zulässig", beschloss Mademoiselle Devereaux ihre Erläuterung. .

"Gut, Mademoiselle Devereaux, dann stelle ich Ihnen gleich einen offiziellen Einsatzbefehl aus, Angehörige der Zaubererwelt, deren Reise auf so einem Schiff Ihnen zur Kenntnis gelangt, unerkannt zu begleiten und darüber zu wachen, dass keine auffällige Magie vor Magielosen stattfindet. Öhm, bitte beachtenSie dabei jedoch, dass zum Unterhaltungsumfang auf solchen Schiffen auch Handtrickser, die sich Zauberkünstler oder Illusionisten nennen, dazugehören. Bitte reagieren Sie nicht über, wenn sie bei deren Vorstellungen mit Effekten konfrontiert werden, die tatsächliche Magie erahnen lassen könnten", gab Nathalie Grandchapeau ihrer Mitarbeiterin auf den Weg mit. Diese fragte, wie die Verständigung erfolgen solle. Hierfür sollten magische Gemälde im kleinstformat zum Einsatz kommen, die mit gleichaussehenden Gegenstücken in Paris Kontakt aufnehmen konnten, wenn sie an einer Wand aufgehängt wurden.

Zum Abschluss bedankte sich Madame Grandchapeau für die Aufmerksamkeit und Mitarbeit der Konferenzteilnehmer, sammelte die Unterlagen über die Lykotopia-Werwölfe und die Zeitungsausschnitte über Aron Lundi und Euphrosyne Blériot ein und bedeutete Julius dann, mit Belle in das etwas weiter außerhalb gelegene Computerhaus zu wechseln. Das kannte er sogar schon, weil er mit Mademoiselle Maxime schon mal dort war und auch bei der Jagd nach Diosan Sarjawitsch die dortigen Rechner benötigt hatte.

Im Computerraum sah es nicht so gemütlich aus wie im Konferenz- und Aufenthaltsraum von Madame Grandchapeaus Abteilung. Doch für Julius war das hier eher eine Spielwiese. Er zeigte Belle, was er vom auch hier schon installierten Arkanet wusste, konnte eine ministeriumseigene E-Mail-Adresse einrichten, über die ausschließlich dienstliche Botschaften verschickt werden sollten und führte Belle das kostenlose Nachschlageportal Wikipedia vor, dass sich seit seiner Entstehung beachtlich weiterentwickelt hatte. Dann gab er noch den Namen Aldous Crowne in eine Suchroutine ein, die als Personenabgleichsprogramm von seiner Mutter im Arkanet eingebunden war. Belle wollte wissen, was an diesem Namen dienstlich wichtig war. Doch als sie das Foto des Namensträgers sah zog sie ihre Frage zurück. "Der sieht Ihnen sehr ähnlich. Ist das Zufall?"

"Meine Mutter, also Ihre hauptamtliche Kollegin Martha Merryweather, vermutet, dass es sich um einen unbekannten Sohn meines Vaters oder meines Onkels Claude handeln könnte. Hier ist der Artikel zu dem Fall, der in den britischen Zeitungen hohe Wellen geschlagen hat", sagte Julius und rief die Zeitungsartikel erst auf dem Bildschirm auf und ließ sie dann über den schnellen Farblaserdrucker auf Papier bringen.

"Ein Tauschkind, ähnlich wie bei dem Transgestatio-Zauber", grummelte Belle. "Wechselbalg wäre eine andere, despektierlichere Bezeichnung dafür. Schon unheimlich, dass die magielose Menschheit auch ohne Magie solche Techniken erfunden hat."

"Ja, aber das erklärt leider nicht, ob Mr. Crowne mit mir verwandt ist. Dazu müsste der sich auf einen DNS-Vergleich mit mir einlassen, und im Moment habe ich leider keinen Grund, mich ihm deshalb zu nähern."

"Das hätten Sie ruhig bei der Konferenz erwähnen dürfen", erwiderte Belle darauf mit unüberhörbarem Tadel. "Unter Umständen könnte jemand, der mit Ihnen blutsverwandt ist zu einem neuerlichen Angriffsziel für Wesen wie die Abgrundstöchter werden. Ich erteile Ihnen hiermit die Anweisung, ein umfangreiches Such- und Aufspürmuster für diese Person zu erstellen und dem Suchprogramm des Arkanets einzugeben!" Julius bestätigte und ging daran, über die Editierfunktion des Suchprogrammes Stichworte und Verlaufsmöglichkeiten festzulegen, angefangen vom Geburtsort über Schulbesuch, Berufe der Eltern, Mitstudenten und bekannte Vorlieben. Dazu kam dann noch eine allgemeine Horchabfrage bei Hotelbuchungen und Passagierlisten von Schiffen oder Flugzeugen, sowie Fahrkarten für die europäischen Schnellzugverbindungen. Ehe er es sich versah war es ein Uhr Mittags und damit die Mittagspause vorbei.

"Die nehmen wir uns aber jetzt", sagte Belle, als Julius die letzten Eingaben abschloss. "Danke, lasse den Suchdämonen jetzt auf die Daten los."

"Bitte was?" fragte Belle. Julius grinste. Er erwähnte, dass in vernetzten Großrechnern Programmeinheiten arbeiteten, die Vorgänge wie Druckaufträge, Programmzugriffe oder Datenübermittlungen verwalteten und als Daemon also wie Dämon bezeichnet wurden. "Bevor der Begriff Daimonion oder Daimon eindeutig für bösartige Geister oder Zauberwesen festgelegt wurde bedeutete er einfach nur Vermittler zwischen einer übergeordneten Macht und unserer Welt, also das, was ein Avatar bei den Indern ist und auch als Begriff Avatar als bildhafter Stellvertreter in Computerprogrammen verwendet wird. Wenn der ACD, also der Aldous-Crowne-Daemon nun irgendwas findet, was mit der Zielperson zu tun hat, kann er über Rückverfolgung feststellen, wo der Mann war und Wahrscheinlichkeiten berechnen, wo er gerade hin will. Moment, ich kriege gerade mit, dass Mrs. Merryweather sowas auch schon eingepflegt hat. Okay, Verschmelzen", sagte Julius und drückte auf dieLinke Maustaste, worauf zwei blinkende Halbkreise zu einem grünen Vollkreis zusammengefügt wurden. Jetzt konnten sie essen gehen.

Der Speisesaal war jetzt natürlich leer, bis auf Madame Grandchapeau Senior und Ornelle Ventvit, die auf ihre Mitarbeiter gewartet hatten, für Belles Maman eine willkommene Gelegenheit, sich und den ungeborenen Bruder satt zu halten.

"Mademoiselle Arno und Mademoiselle Devereaux waren ein wenig enttäuscht, die angedeutete Kennenlernrunde nicht wahrnehmen zu können", sagte Belles Mutter und schob sich ungeniert ein großes Stück Pfirsichkuchen in den Mund. Belle meinte: "Mam.., öhm, Madame, sie haben den mit Chilliwürze versehen."

"War uns beiden gerade nach", bemerkte die werdende Mutter gerade und konnte gerade noch den Mund schließen, um nicht unfein laut aufzustoßen.

"Haben Sie zumindest alle Aufträge erledigt, die für heute anstanden?" fragte Ornelle ihren Mitarbeiter. Dieser bestätigte das. "Dann dürfen Sie mir gleich bei der Verfertigung eines womöglich langen Anschreibens an meinen US-amerikanischen Kollegen assistieren, der Schadensersatz für das an VM verlorene Lykanthroskop einfordert, und zwar nicht nur für das eine Artefakt, sondern für gleich eintausend."

"Och, konnte der die Zahl 1000000 nicht in eine Zeile schreiben? fragte Julius bissig.

"Was der uns da abverlangt ist auch schon zu viel. Monsieur Colbert hat bereits strengste Ablehnung verordnet, anderenfalls müsse er bereits genehmigte Posten unseres Budgets streichen", grummelte Ornelle Ventvit.

"In Ordnung, ich helfe Ihnen sehr gerne bei der Antwort", sagte Julius.

Als er mit schwirrendem Kopf um sechs Uhr abends im heimischen Kamin landete fragte Millie, wie es gelaufen sei. Er gab ihr einen Tagesbericht über die nicht so geheimen Sachen.

"Rose Devereaux ist bei Belles Maman im Büro gelandet. Beim letzten mal, wo Martine was von ihr hörte schaffte sie noch im Besenkontrollamt", meinte Millie. Dannkam sie noch auf die von Julius heute erst kennengelernte Verwandte Schwiegerväterlicherseits. "Primula Arno, für Martine,Miriam, mich - und natürlich auch dich Tante Pri ist die erste Tochter von Oma Tétie und absolut nicht damit glücklich, eine halbe Zwergin zu sein. Hatte in Beaux einen sehr schweren Stand bei den anderen Mädchen und was Jungs anging herrschte wohl meistens dunkle, kalte Winternacht, weil die meisten sie wegen ihrer Größe nicht für voll nahmen. Eine ältere Schulkameradin hat die glatt mal gefragt, wie sie das mit den Windeln hinkriegen würde, wo sie für richtige Klos doch noch zu klein sei. Die ist dann mal eben drei Meter durch die Luft geflogen und Tante Pri wäre danach fast von der Schule geflogen, wenn die damalige Schulheilerin nicht Einspruch erhoben hätte und es für die Beleidigung zu viele Zeugen gab. Das hat ihr die Sache mit Jungs erst recht versaut. Du hast ja mitbekommen, wie Callie und Pennie von den meisten von euch gemieden wurden", sagte Millie.

"Ja, und wegen Mademoiselle Devereaux habe ich mich heute mal wieder dran erinnern müssen, wie ich ihrem großen Bruder voll eine gezimmert habe, weil der gemeint hatte, Madame Maxime wolle mich nur ann sich binden, bis sie von mir wen kleines in Aussicht hätte. Heftige Zeiten waren das."

"Ja, und ich kann mir vorstellen, das seine zweitjüngste Schwester Rose das gerne noch mal von dir erzählt bekommen möchte, wenn ihr euch mal außerhalb der Dienstzeiten trefft. Aber pass ja auf, die Umtriebigkeit, wie sie bei Valentine heftig rauskam ist auch bei ihr im Blut drin." Julius hätte fast gekontert, dass das gerade die richtige sagte. Doch für wechslhaft und umtriebig konnte er keine der Latierre-Hexen halten. Lebenslustig ja, aber wenn einmal klar war, mit wem sie zusammen sein wollten waren sie treu.

Der Abend verlief ruhig. Aurore, die sich nur schwer daran gewöhnen konnte, dass ihr Papa nun wieder den ganzen Tag anderswo sein musste, wollte nur ins Bett, wenn er ihr noch aus dem Buch "Zwölf schöne Träume für Zauberkinder" vorlas. Das tat er dann auch. Tatsächlich kam er nicht unter fünf der zwölf Geschichten aus Aurores Zimmer heraus. Erst dann schlief sie fest genug, dass er ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn hinhauchen und "Gute Nacht, meine Sternenfee", zuhauchen konnte.

"Ui, war fast so anstrengend wie dieser Brief an den Typen in den Staaten, dass wir keine tausend Lykanthroskope bezahlen", grummelte Julius leise, als er neben seine Frau ins Bett schlüpfte, die Chrysope noch etwas Milch zum einschlafen gönnte.

"Aber du wirst es vermissen, wenn sie keine Geschichten mehr von dir hören will", seufzte Millie und lächelte ihren Mann und dann noch die jüngere Tochter an. "Nicht wahr, Kleines. Was werden wir das vermissen, wenn du eines Tages nichts mehr bei uns essen und keine Gutenachtgeschichten mehr haben willst?" Julius stimmte ihr in Gedanken zu. Auch wenn es anstrengend, ja nervenaufreibend sein konnte, so gaben die beiden immer wieder was von der Energie zurück, die er und Millie für sie aufwandten. Bei seinem Dienst konnte er so eine Garantie nicht einmal erbitten, geschweige denn erwarten. Dann dachte er wieder an die Worte des auf ewig zwischen Ungeborener und Säugling pendelnden Altmeisters Madrashtarggayan, dass er froh sein sollte, wenn seine Kinder groß wurden, weil das eben in der magischen Welt nicht selbstverständlich war. Damals mussten diese Mitternachtsschwestern wirklich heftige Zauber gekannt haben, dachte er noch. Dann überkam ihn die ganze Erschöpfung eines langen, arbeitsreichen Tages, und er schlief neben seiner Frau ein.

"Jetzt ist der doch glatt vor dir und mir eingeschlummert", flüsterte Millie ihrer Tochter ins Ohr. "Das muss ich ihm aber bald wieder abgewöhnen, wenn du noch ein Brüderchen haben möchtest."

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Anthelia hatte ihre Mitschwestern am 17. April in ihr Hauptquartier gebeten, weil sie zwei Ankündigungen zu machen hatte.

"Liebe Schwestern, zum einen möchte ich euch mit Stolz verkünden, dass es gelungen ist, diesem Massenmörder mit dem Pseudonym Lord Vengor eine Brutstätte für seine Unlichtkristalle abzujagen. Ich weiß natürlich, dass dies wohl nicht die einzige Todesfabrik dieser Art auf der Erde ist. Aber nun weiß er, dass ich weiß, wie diese Fabriken zu erledigen sind und dass wir auch die weiteren für immer schließen werden. Was die Gehilfen von ihm angeht, die ich im Zuge dieser Aktion ausgeschaltet habe, so möchte ich euch darum bitten, eure Augen und Ohren offen zu halten, ob wer wichtiges in euren Heimatländern vermisst wird, der nicht in das bisherige Verwandtensuchmuster dieses fehlgeleiteten Totmachers fällt. Das werden dann nämlich mit großer Wahrscheinlichkeit die Gehilfen von ihm sein." Die Anwesenden Spinnenschwestern nickten.

"Die zweite Ankündigung ist, dass ich bis zur Walpurgisnacht, vielleicht sogar darüber hinaus, nicht in den Staaten verweilen werde. Schwester Hannah Siebenkessel hat es geschafft, ein eigentlich geheimes Schriftstück der grünen Mutter zu erlangen, der Obersten des heimlichen Ordens des grünen Mondes, der im persisch-arabischen Kulturkreis besteht. Leider konnte ich das Schriftstück nicht in Besitz nehmen und auch nicht kopieren, weil es zu gut geschützt ist. Aber Schwester Hannah hat den Inhalt imGedächtnis und unter Anwendung von Bicranius Mixtur der mannigfachen Merkfähigkeit eine Abschrift von Hand erstellt. Dieses Dokumentwerde ich nutzen, um die nächsten vorgeschriebenen Vorgänge dieser Schwesternschaft zu beobachten und Kontakt mit der grünen Mutter aufzunehmen. Sollte sie uns und unserer Sache gewogen sein werde ich der Form halber deren Mitglied werden. Sollte sie uns feindlich gesonnen sein werde ich zumindest die Botschaft übermitteln können, weiter auf neu erwachende Abgrundstöchter zu achten. Itoluhila wird nun, wo sie weiß, wie es geht, weitere Männer mit unerweckter Zauberkraft suchen und wohl auch finden, um damit ihre schlafenden Schwestern zu wecken. Ob wir was dagegenunternehmen werden oder gar unternehmen können muss ich noch genau durchdenken. Denn soweit ich aus dem Vermächtnis Sardonias weiß haben acht der neun ihre jüngste Schwester in ewigen Schlaf gebannt. Auch dies zu ergründen gilt meine Reise in den Orient. Ich ernenne Schwester Portia zu meiner Stellvertreterin."

Beth McGuire starrte ihre heimliche Anführerin erst verdutzt an. Dann verstand sie. Sie war als Sprecherin der entschlossenen Schwestern verpflichtet, nicht all zu lange unauffindbar zu sein. Portia dagegen konnte Tage oder Wochen in der Daggers-Villa bleiben. Anthelia gab ihr noch den guten Rat, die in alten Weinflaschen eingekerkerten Geister um keinen Preis freizulassen, weil die sich sofort an ihr und jeder anderen, die keinen wirksamen Geisterrückprellzauber konnte rächen würden. Wer in der Villa starb musste so lange in ihr als Geist umgehen, bis sie irgendwann mal restlos zerstört wurde und der Fluch des alten afrikanischen Zauberers damit getilgt wurde. Sie küsste Portia noch auf jede Wange und verließ dann mit einem kleinen Koffer die Daggers-Villa. Portia besah sich das Haus in Ruhe. Wann würde Anthelia wiederkommen?

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Die Tage bis zum 21. April verliefen für Julius mit zunehmender Routine. Die angekündigten Außeneinsetze führten ihn zu den Vigniers, die darüber erbost waren, dass Sylvie Rocher und Louis in den Osterferien geheiratet hatten, wo sie das eigentlich erst nach dem Schulabschluss tun wollten. Julius konnte die Vigniers nur dahingehend beruhigen, dass er mit Louis und Sylvie in Briefkontakt stand, seitdem er wieder in Frankreich sei. "Sie hätten diese Unverschämtheit verhindern müssen, junger Mann", hatte Monsieur Vignier darüber geschimpft. Doch am Ende hatten seine Frau und er zähneknirschend bekundet, dass sie nichts unternehmen würden, was Louis enddgültig von ihnen trennen mochte.

Ein weiterer Ausflug galt den Marceaus, was zugleich für die Zauberwesenbehörde wie für Madame Grandchapeaus Abteilung praktisch war. Die Marceaus hatten nämlich darum gebeten, in den Sommerferien nicht nur mit den Delacours, sondern anderen Anverwandten Gabrielles sprechen zu dürfen, um sich ein Bild machen zu können, mit wem sie da in nicht mehr ferner Zeit verwandt sein würden. Julius sagte zu, eine entsprechende Bitte vorzubringen.

Ansonsten pendelte er zwischen Ornelles Büro und dem Computersaal des Zaubereiministeriums. Die Suche nach Aldous Crowne war bisher negativ verlaufen, bis auf den Umstand, dass einmal für wenige Minuten dessen Mobiltelefon in einer spanischenFunkzelle eingebucht gewesen war, es aber ganz abrupt und ohne die übliche Abmelderoutine aus dem Netzt gefallen war. Julius hatte Tim Abrahams angeschrieben, und der hatte ihm unter Einhaltung der zweithöchsten Geheimstufe eine Eule mit einem mehrseitigen Bericht aus dem Nervenzentrum des MI6 zukommen lassen, demnach die britischen Geheimdienste wegen der computervirusgesteuerten Sabotage der Firma von Aldous' offiziellem aber nicht leiblichen Vater suchten, auch wegen des Verdachtes, er könne einen dubiosen Frauenarzt namens Abraham Johnson ermordet haben. Da die Geheimdienste eigene elektronische Übermittlungsknoten besaßen war Julius darauf angewiesen, das Tim Abrahams seine Drähte zu den Schlapphüten bemühte. Was die Verwandtschaft anging, so war bisher nichts herausgekommen, weil jemand mehrere geheime Akten aus dem Archiv des Frauenarztes Johnson hatte mitgehen lassen.

Was die von Euphrosyne behexten Menschen anging so konnten sie am 18. April mehrere scheinbar unabhängige Berichte zu einer Ereigniskette zusammenfügen. Der nach waren die beiden Frauen, die Julius gesehen hatte und vier Männer, die früher für den FC Barcelona gearbeitet hatten, mit Flugziel Rio de Janeiro aufgebrochen, aber in Madrid beim Transfer verschwunden, obwohl sie alle auf verschiedenen Fluglinien gebucht waren. Dabei hatte sich sogar erwiesen, dass sie, wenn sie wollten, für Videokameras unsichtbar sein konnten. Die spanischen Zaubereibehörden hatten die Videobilder sofort beschlagnahmt und in Umlauf gesetzt, dass die verschwundenen nie am Madrider Flughafen aufgetaucht waren. Die Einträge in den Passagierlisten wurden entsprechend frisiert. Julius hatte dazu nur gemeint, dass Euphrosyne sich ihren eigenen Hofstaat zusammengesucht habe. Belles Mutter hatte dazu gemeint, dass Euphrosyne offenbar Angst bekommen habe, jemand könne über die von ihr behexten eine Spur zu ihr erstellen. Das glaubte Julius nicht so richtig, sagte es jedoch nicht. Er dachte eher, dass die auf Abwege geratene Viertel-Veela sich jetzt ihrer Sache sicher sei, dass sie die von ihr manipulierten unter den Augen des spanischen und französischen Zaubereiministeriums einsammeln und mit ihnen verschwinden konnte. Was das Verschwinden eines gewissenHenri Clairmont und einer Janine Lasalle anging, so vermutete Julius, dass die beiden, obgleich mit Louise Dossin und den Fanclubs "Die Hafenmeister" und "Die Freibeuterinnen" zu tun gehabt hatten nicht auf Euphrosynes Konto gingen, zumal ein Komilitone Henris bei der Polizei ausgesagt hatte, im Namen von Henris Vater ein Auge auf ihn zu haben. Das aber hatte der alte Clairmont entschieden bestritten und dem Mitstudenten eine Verleumdungsklage angedroht.

Der 21. April begrüßte alle Bürger von Paris mit einem ergiebigen kalten Regen. Weiter oben in den Bergen sollte es sogar noch schneien, hatteJulius von einem Kollegen während der Aufzugfahrt gehört.

"Ja, und übermorgen könnten wir wieder den totalen Hochsommer kriegen", hatte Julius dazu gemeint. Er erinnerte sich an das, was Claire und Millie unabhängig voneinander über eine vorzeitige Stranderöffnung Ende April 1993 erzählt hatten.

"Irgendwer pfuscht da am Wetter rum, das ist doch nicht mehr normal", hatte Julius Aufzugsmitfahrer darauf gegrummelt.

Wie es sich gut eingebürgert hatte gehörte seine Arbeitszeit bis zehn Uhr Ornelles Büro für humanoide Zauberwesen. Léto hatte geschrieben, dass sie die Spur zu Euphrosyne jetzt nicht mehr aufnehmen könne, wo sie ihre Unterworfenen in Sicherheit gebracht hatte. Sie wollte jedoch klargestellt wissen, dass Euphrosyne nicht aus Furcht vor Entdeckung so gehandelt hatte, sondern aus Berechnung, weil sie wohl davon ausginge, dass ihr niemand mehr gefährlich werden würde. Ansonsten hätte sie die verhexten Menschen ganz einfach wieder von sich lossprechen können, wie eine Eidechse ihren Schwanz abwirft, wenn ein Raubtier daran zieht. Eher sei damit zu rechnen, dass Euphrosyne in nicht mehr all zu ferner Zukunft bekanntgeben würde, wo sie wohnt und die von ihr verhexten Leute als Hofstaat und Leibwache benötige, vordringlich gegen die Sensationsreporter der magielosen Welt. Das war Julius unheimlich, wie heftig Léto seine eigenen Gedanken geteilthatte. Hofffentlich hing er nicht selbst zu sehr an ihr, wo sie ihn einmal alle fünf aufbewahrten Nabelschnüre ihrer Kinder um die Beine gebunden hatte, um ihn mit sich und ihren Verwandten zu verbinden.

Julius hatte die Erlaubnis Ornelles, das Schreiben Létos der Morgenkonferenz vorzulegen. Belle hielt Létos Vermutung für sehr wahrscheinlich, während Primula Arno es eher für möglich hielt, dass Euphrosyne die alle in tote Gegenstände umgewandelt und verkauft oder vergraben habe. Dem widersprach Belle, die anführte, dass ja versucht worden war, durch Verwandlung und Rückverwandlung alle fremden Zauber von ihnen abzulösen, es aber wegen einer zu hohen PTR der Betroffenen nicht funktioniert habe. Nathalie Grandchapeau wusste nicht so recht, welche Möglichkeit sie bevorzugen sollte und bat Julius zu einem Vier-Augen-Gespräch über seine Erfahrungen mit den Veelas nach der Konferenz. Primula Arno erhielt noch den Auftrag, unter einem Tarnumhang eine Auktion zu beobachten, bei der vielleicht verzauberte Gegenstände versteigert werden konnten. Da ihre geringe Körpergröße ein Vorteil bei schnellem Durchqueren von größeren Menschenansammlungen war bot sie sich dafür am besten an.

"Ich bin dann wieder drüben im Computersaal", meldete sich Belle bei ihrer Mutter ab.

"Genehmigt. Aber heute Nachmittag erwarte ich Sie im Büro, was die Vorbereitungen auf die provisorische Amtsübergabe angeht!" gab Nathalie ihrer Tochter und Mitarbeiterin noch mit auf den Weg.

Als Julius mit Madame Grandchapeau alleine im Büro war sagte diese:

"Dieses Frauenzimmer spielt mit uns Katz und Maus und meint, sie sei die Katze. Das wir sie nicht einsperren oder töten dürfen wissen wir. Aber ich werde mit Ihrem Abteilungsleiter erörtern, welchen Status sie noch in der Zaubererwelt hat, will sagen, ob mögliche Nachkommen, die aus dieser ergaunerten Verbindung hervorgehen, Beauxbatons oder eine andere magische Lehranstalt besuchen dürfen. Andererseits kann und kennt diese Veelastämmige zu viele Zauber, die sie jedem ihrer Kinder beibringen kann, ohne dass eine Schule die damit verbundenen Beschränkungen vermittelt. Es ist ein verdammtes Patt, und ich trage schon so genug mit mir herum, um mich nicht andauernd mit dieser Person befassen zu müssen."

"Ich stand eine halbe Stunde zu spät vor dem Hotelzimmer, in dem sie mit Aron Lundi die körperliche und magische Ehe vollzogen hat. Wenn ich früher daran gedacht hätte, das Lundi wegen der Reporter längst anderswo untergebracht wurde hätte ich sie vielleicht noch daran hindern können", sagte Julius.

"Konnten Sie aber nicht. Sie hätten dazu einen Zeitumkehrer einsetzen müssen,und inwieweit der Lauf der Dinge dann besser gestaltet worden wäre ist fraglich."

"Zumal ich lernen musste, dass Eingriffe in bereits starke Auswirkungen auf Ereignisse der Vergangenheit eher nach hinten losgehen können", seufzte Julius. Dann fing er an, von Diosan zu erzählen und leitete dann über zu seiner Erwählung als Veelaverbindungszauberer.

Eine halbe Stunde vor Mittag schlüpfte ein Memoflieger durch die dafür vorgesehene Luke. Er trug einen Brief für Madame Nathalie Grandchapeau. Diese nahm ihn behutsam und begutachtete ihn. Ihre Augen wurden unvermittelt groß, und ihre Miene verriet Überraschung. Julius wollte nicht fragen, wer ihr da einen Brief geschrieben hatte. Da wirkte sie unvermittelt angespannt, als müsse sie gleich einen Angriff abwehren oder eine schlechte Nachricht entgegennehmen. Vielleicht war es genau das zweite, dachte Julius. Dann fiel ihm ein, dass Briefe auch gefährliche Substanzen enthalten oder mit Flüchen belegt werden konnten.

"Sie wagt es wahrhaftig, mir einen Brief zu schreiben", schnaubte Madame Grandchapeau nun sichtlich erregt. Julius wollte schon zur Beruhigung mahnen, weil sie in ihrem Zustand keine Aufregung vertrug. Sie drehte den Umschlag hin und her und nickte dann. "Die Fallenschleuse hat ihn als unbedenklich erkannt. Kein Fluch und auch kein toxischer Inhalt", sagte Nathalie. Julius atmete erst auf. Dann wollte er wissen, was die Fallenschleuse sei. Davon habe er noch nichts gehört.

"Die ist auch nur für Abteilungsleiter vom Zaubereiminister abwärts genehmigt, weil sonst die Korrespondenz unergiebig lange verzögert würde. Alles was an einen Abteilungsleiter gerichtet ist wird von der Eulenwache abgefangen und erst einmal mit Gift- und Fluchfindezaubern überprüft. Dieser Vorgang kann bis zu fünf Minuten andauern. Deshalb habe ich diesen Schrieb erst jetzt erhalten. Wenn keine Beanstandung vorliegt wird der Brief zusätzlich mit einem Stempel versehen, dass der Adressat, in dem Fall ich, ihn gefahrlos öffnen oder lesen kann."

"Gut, dann möchte ich sie nicht stören", sagte Julius. Er blickte dafür aus demFenster. Der Aprilregen hatte aufgehört und einen blankgeputzten blauen Himmel hinterlassen. Die Frühlingssonne leuchtete warm und verheißungsvoll in das Büro hinein. Julius genoss es förmlich, sich im Sonnenlicht zu baden.

Plötzlich bekam er von irgendwoher einen wuchtigen Stoß gegen die ganze rechte Seite und flog regelrecht von seinem Stuhl herunter. Nur seinen in Übung gehaltenen Karatefallreflexen verdankte er es, nicht zu hart auf dem Boden aufzuprallen. Er blickte auf und erkannte, dass er fast bis an die nächste Wand herangeschleudert worden war. Und noch was erkannte er: Seinen ganzen Körper, jeden einzelnen Finger, Arme, Brust, Bauch, Beine und Füße, umfloss ein konturscharfer, goldener Lichtschein, so hell, wie er ihn das letzte mal nur in Ilithulas Höhle gesehen hatte, als er die Abgrundstochter mit Hilfe von Camille Dusoleil und Adrian Moonriver in den ewigen Schlaf gebannt hatte. Warum leuchtete die ihn umfließende Siegelaura Darxandrias so hell? Er sprang förmlich aus dem liegen auf die Füße und sah sich um, und was er sah ließ ihn einen Moment erstarren.

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Er hatte sie noch nie so überlegen lachen hören können. Seitdem er mit ihr zusammen war hatte sie zwar immer wieder glockenhell gelacht, aber nie so laut und überlegen wie jetzt gerade eben. Aron Lundi machte dieses Lachen Angst. Es klang nicht schrill oder irre oder was er für irre halten mochte, es war laut, glokckenhell und unbestreitbar triumphierend. Er sprang auf, lief um den Bungalow herum. Seine Frau tanzte über die Wiese, nackt wie die reine Unschuld. Sie badete sich im Schein der aufgehenden Sonne, die ihr eine Aura wie aus orangerotem, flammenlosen Feuer verlieh. Ihre Haare schienen rotgolden zu brennen und standen dabei merklich ab, als habe sie eine Starkstromleitung angefasst. Doch er sah keine Starkstromleitung, roch und hörte auch nichts, was mit Elektrizität zu tun hatte. Er sah nur die über die Wiese tanzende Euphrosyne und hörte ihr überlegenes Lachen. Das machte ihm irgendwie Angst. Gleichzeitig fühlte er, dass er sie jetzt auf gar keinen Fall stören durfte.

Loulou und Danielle, ihre neuen Leibwächterinnen, flankierten ihn, bereit, ihn zurückzuhalten, wenn er sich vorwagte. Doch dann schinen sie einen lautlosen Befehl zu erhalten. "Es passiert dir nichts, komm zu mir und tanz mit mir", säuselte Euphrosyne. Aron zögerte. War das noch seine Frau? "Komm zu mir, mein Gefährte. Grüßen wir gemeinsam den ersten Tag eines neuen gemeinsamen Lebens!"

Er fühlte ihre volle Ausstrahlung. Ehe er sich recht besann war er aus seinen Schuhen, seinen strümpfen, seinemJogginganzug und seiner Unterwäsche gestiegen. Dass Loulou rechts neben ihm stand, die ihn vor einigen Monaten noch zu gerne so gesehen und dann für sich gehabt hätte, interessierte ihn nicht. Er ttanzte auf die Frau seines Lebens zu, seine ganz eigene Hexenkönigin.

Als er auf Armlänge an sie heran war fühlte er ihre Körperwärme. Als sie ihn in eine Umarmung schloss versank sein Verstand gänzlich im Rausch dieser unbändigen Betörung. Er drückte sie an sich und sie sich an ihn. Dann tanzten sie weiter über die Wiese, wobei Euphrosyne nun kristallklar wie ein Bergbach ein Lied sang, dessen Text er nicht verstand. Was er fühlte war, dass er auch mit dem bisher ruhenden Rest seines Körpers mit ihr eins wurde. Sie nahm ihn in sich auf, balancierte sich und ihn so, dass die Verbindung nicht durch den gemeinsamen Tanz unterbrochen wurde und drehte sich mit ihm im Licht der aufgehenden Sonne, während ihre Haare wie unter Strom nach oben standen, wie Antennen, die das Licht der Sonne auffingen.

Wie lange dieser Tanz währte wusste Aron hinterher nicht mehr. Er merkte nur, dass es ihn einmal zur höchsten Lust trieb und dann immer mehr erschöpfte.

"Jetzt ist es geschafft, mein Geliebter. Jetzt wird uns niemand mehr daran hindern, frei zu leben", sang Euphrosyne. Sie kümmerte es nicht, dass ihr Angetrauter in angenehmer Erschöpfung dahindämmerte. Erst als er nicht mehr mit ihr Schritt hielt winkte sie ihren Dienerinnen. "Tragt ihn ins Bett. Er muss sich ausschlafen. Ach ja, vorher wascht ihr ihn. Öhm, Loulou, alles an ihm gehört nur mir!" dachte sie konzentriert. Sie fühlte die Begierde in Loulou aufsteigen. Doch dieser eine Gedanke verblies die Begierde wieder. Beinahe wie ein lebender Leichnam bewegte sich Loulou zusammen mit ihrer Zustandsgenossin. Sie trugen den nun selig schlafenden Aron ins Haus zurück. Euphrosyne badete sich noch im Sonnenlicht, die Füße fest auf der Leben tragenden Erde. Sie fühlte immer noch jenes warme Pulsieren, jene Glückseligkeit, die sie vor einer ihr nicht mehr erfassbaren Zeitspanne übermannt hatte. Ihr Plan war wirklich aufgegangen.

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Anthelia blickte noch einmal auf die Abschrift jener Ritualtexte, die Hannah Siebenkessel für sie angefertigt hatte. Wenn stimmte, was da stand, so würde sie heute Nacht noch Zeugin werden, wie die Schwestern des grünen Mondes ihren Nachwuchs sicherstellten. Sie wollte eigentlich nur zusehen, nicht eingreifen. Doch wenn sich ihr eine Gelegenheit bot, die grüne Mutter selbst zu sprechen würde sie sie nutzen. So begab sie sich bis auf zehn Kilometer an den Ort heran, von dem sie sicher war, dass es dort passieren würde.

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Julius blickte wie versteinert auf das, was sich da vor ihm abspielte. Nathalie Grandchapeau schwebte mehr als einen Meter über dem bequemen Schwangerschaftssessel. Sie war eingehüllt in eine goldene, flirrende Kugelschale. Ihr Körper leuchtete in einem sanften, blutroten Ton. Irgendwie erschien er Julius halbdurchsichtig wie Milchglas. Jetzt konnte er sogar den in Madame Grandchapeau wachsenden Fötus sehen. Auch das ungeborene Kind strahlte ein blutrotes Licht aus, das jedoch eine Spur heller war als das, was seine Mutter ausstrahlte. Immer wieder zuckten kleine, goldene Blitze aus der Kugelschale zu der darin nun fast selbst in Fötushaltung schwebenden Hexe hinüber, trafen sie an Kopf, Brustkorb, Bauch und im Schritt. Julius konnte eine Weile nur zusehen. Dann besann er sich auf sich selbst. Sein Herzanhänger pulsierte wärmer als sonst. Die goldene Aura, die ihn selbst umstrahlte, leuchtete so intensiv und konturscharf,wie er es nur selten zu sehen bekommen hatte. Er versuchte, auf die in der goldenen Sphäre schwebenden zuzugehen. Doch er kam gerade einen Meter weit. Da meinte er, in eine Gummiwand hineinzutreten. Noch zehn Zentimeter weiter fühlte sich der Widerstand wie eine massive Stahlwand an, eine prickelnde, körperwarme Stahlwand. Zwischen ihm und der ihm zugekehrten Polwölbung der goldenen Sphäre lagen noch zwei Meter Luftlinie. Er versuchte es mit einemAnlauf. Da durchzuckte ihn ein warnender Gedanke: "Julius, lass es! Zum einen kommst du da nicht durch, und selbst wenn würde die Kraftkugel dir sicher etwas anderes zufügen als ihr." Julius erkannte die Stimme. Das war Temmie.

"Was passiert da, Temmie. Warum werde ich auf Abstand gehalten? Ist das ein Fluch?"

"Keine Leid oder Tod bringende Kraft, was ihr Fluch nennt. Es sieht mir eher aus wie die Sonne des Lebens, ein sehr starkes Heilmittel meiner menschlichen Mitgeschöpfe meines ersten Lebens."

"Ich dachte, deine Siegelaura blockiert mich, hinzulaufen", sagte Julius.

"Das tut sie auch, Julius. Aber nicht weil Nathalie und ihr Kind von böswilliger Kraft umschlossen sind, sondern weil es eine gleichartige, wenn auch anders wirkende und dabei doch stärkere Macht ist. Außerdem ist da noch was in dir. Ich fühle mich gerade in dich hinein und erkenne, dass da noch was ist, was dich fernhält."

"Was machst du gerade?" fragte Julius.

"Wasser trinken", kam die kurze und leicht amüsiert betonte Gedankenantwort.

"Kann ich den Fluchumkehrer benutzen?" fragte Julius Temmie.

"Wenn es der Lebenssonnenzauber ist wird er die Wirkung nur verstärken und dich dabei bis zur völligen Erschöpfung entkräften", gedankenantwortete Temmie. "Und die Anrufung von Schutz und Leben?" fragte er. "Hat eine meiner damaligen Schülerinnen mal versucht, als ein der Heilung zugetaner Meister des Feuers und der Sonne die Anrufung der Lebenssonne ausgeführt hat. Dabei wurde der Heilsuchende innerhalb eines Hundertsteltages zum neugeborenen Kind zurückverjüngt, im Körper und im Geist. Aber was mich staunt ist, dass diese mächtige Anrufung gelang, ohne dass der Anrufer in der Nähe der damit bedachten ist. Üblicherweise geht diese Anrufung nur so und nicht aus großer Ferne."

"Sie hält den Brief noch in der Hand", sagte Julius. Er sah den auf einen halben Meter ausgespannten Bogen Pergament im selben blutroten Licht glühen wie der Rest von Nathalies Körper. Also kam der Zauber aus dem Brief selbst. Doch diese Fallenschleuse hatte ihn als unbedenklich durchgelassen.

"Weil es eben kein Schadenswerk ist, auf das alleine diese Fallenschleuse wohl achtet", bekam er die gedankliche Antwort von Temmie.

Julius erschrak, als ihm unvermittelt klar wurde, dass nicht nur Nathalie so einen vertückten Brief erhalten haben mochte. "Ornelle", stieß er leise aus. Dann fiel ihm ein, dass er längst schon um Hilfe hätte rufen sollen. "Eure Heiler werden nicht durch die leuchtende Kugelschale dringen, solange die Sonne unverhüllt strahlt", dämpfte Temmies wie ein sanftes Cello klingende Gedankenstimme seinen Eifer, Nathalie beizustehen.

"Dann brauche ich doch nur die Vorhänge zu schließen", dachte Julius und zog den Zauberstab frei. Doch irgendwie war der ihm so schwer wie eine vier Meter lange Bleistange. "Das hilft dir nichts, weil ihr nicht tief genug im Schoß der Erde seid. Nur eine Wand aus viel Wasser oder Erde kann die Macht der Sonne fernhalten."

"Drachenmist und Trollpopel noch mal!" fluchte Julius. Dann erkannte er, das dies Nathalie erst recht nicht half.

"Sonitus urgentiae!" rief Julius mit auf Nathalies Schreibtisch deutendem Zauberstab. Mittlerweile wusste er, dass in jedem Schreibtisch ein magisches Ohr eingebaut war, dass auf diese Worte hin den Heilernotruf auslöste. Eine unsichtbare Glocke ertönte mehrmals. Julius sah, wie die Luft flimmerte und hörte ein Knistern. Dann apparierte eine Hexe in weißer Heilertracht, auf der im Bauchbereich ein blau-weiß-roter Zaubererhut mit darüber gekreuzten grünen Kräuterbüscheln prangte. Sie sah mit einem Blick was hier vorging. "Oh, was haben Sie angestellt?" fragte sie. Dann erkannte sie, dass Julius sie nicht erkannte und stellte sich vorschriftsmäßig korrekt vor: "Heilerin Anne Laporte, diensthabende Heilerin", sagte sie. Julius sah sie noch einmal genauer an. Ja, sie sah von Haar und Gesicht her aus wie eine Tochter oder Enkelin der Chefhebamme Alouette Laporte aus der Delourdes-Klinik. Er stellte sich korrekt vor und deutte dann auf Nathalie. "Sie wurde durch einen unbemerkt gebliebenen Zauber in einem Brief in diese Leuchtsphäre eingeschlossen. Die mich umfließende Aura ist wohl eine hoffentlich unschädliche Nachwirkung eines starken magischen Einflusses, dem ich bei einem Zwischenfall mit einem hochpotenten Zauberwesen unterzogen wurde, um die Sache zu überstehen."

"Sie ist vollständig eingeschlossen. Oha, sie erglüht von innen heraus, was auf eine direkte Wechselwirkung zwischen Sphäre und ihrem Körper und den des Fötus' hinweist", seufzte die Heilerin. "Könnte also sehr riskant sein, die Sphäre aufzulösen", grummelte sie noch. Julius nickte. Temmie riet ihm, der jungen Heilerin zu sagen, dass sie die Sphäre besser nicht zu zerstören trachten sollte. Doch das erübrigte sich, wie sie durch seine Augen und Ohren unmittelbar mitbekommen konnte. Denn die Heilerin sprach gerade einen Erkennungszauber auf die Sphäre, um deren Natur und Stärke zu bestimmen. Da begann ihr Zauberstab wie eine wilde Hornisse zu brummen. Von der Spitze an zitterte er immer wilder. Das Zittern pflanzte sich über die ganze Länge fort. Dann sprang ein goldener Funke von der Sphäre auf den Stab über. Laut zischend schoss eine goldene Stichflamme aus dem Stab. Die Heilerin ließ ihn los. Noch in der Luft verglühte der Zauberstab in goldenem Feuer zu feiner, nicht mehr glühender Asche, die sanft zu Boden rieselte.

"Das darf nicht wahr sein", stieß die Heilerin aus und besah ihre Zauberstabhand. Rote Brandblasen sprossen an Fingern und Handfläche.

"Was war das für ein Zauber, den Sie aufgerufen haben?" fragte Julius immer noch neugierig auf alle ihm vorgeführten Zauber.

"Das ist jetzt unerheblich", erwiderte die Heilerin, die die Schmerzen offenbar gut aushielt, die ihr die Verbrennungen zufügten. "Jedenfalls habe ich nicht mit einem derartigen Kontereffekt gerechnet."

"In der Kugelschale bündelt sich die Kraft des Himmelsfeuers", belehrte Temmie Julius. Doch er hütete sich davor, das laut auszusprechen. Er dachte: "Wenn Nathalie in dieser Kugelschale ihr Kind verliert kriegt jemand aber doch gehörigen Ärger."

"Nein, sie wird ihr Kind nicht verlieren. Du siehst doch, dass sie sich nicht bewegt oder zumindest nicht nachvollziehbar bewegt. Es ist ein der Lebenssonne entsprechendes Wirken, also verlangsamt es auch alle körperlichen und sinnlichenVorgänge auf ein Tausendstel des üblichen."

"Sie scheint von dieser vermaledeitenSphäre mit etwas aufgeladen zu werden", knurrte die Heilerin, die mit der unverletzten Hand in ihre Heilertasche griff und dann mit einer großen Flasche mit Dosierhahn hervorkam. Auf der Flasche stand in großen goldenen Buchstaben das Wort Diptam. Außerdem fiel Julius auf, dass die Flasche querverlaufende Auswölbungen besaß. So konnte die Heilerin sie also wohl unter anderen Tinkturen ganz leicht ertasten. Sie zielte mit dem Dosierhahn auf ihre verletzte Hand und spritzte sich etwas vom Inhalt darauf. Behutsam verrieb sie ihn an der Handfläche und den Fingern. Die Brandwunden begannen unverzüglich zu verheilen.

"Ich fürchte, Mademoiselle Ventvit aus der Zauberwesenbehörde könnte einem ähnlichen oder gar dem gleichen Zauber zum Opfer gefallen sein", sagte Julius, der doch jetzt wissen musste, ob Ornelle auch davon betroffen war.

Madame Grandchapeau und der Fötus sind offenbar in Stasis, also im Moment wohl nicht unmittelbar gefährdet", stellte Heilerin Laporte halblaut fest. "Gut, dann können wir nachsehen. Darf ich mir Ihren Zauberstab ausborgen?" fragte sie noch. Julius zögerte erst. Doch dann erkannte er, dass die Heilerin ohne einen Zauberstab sehr hilflos war. Er gab ihr wortlos seinen Zauberstab. Die letzten zehn Zauber waren kein Geheimnis.

Heilerin Laporte rief ein wohl nur ihr zustehendes Passwort, womit die Luft wieder flimmerte. Dann disapparierte sie. Julius befand, dass er nun nachsehen musste, was mit Ornelle Ventvit los war. Vielleicht konnte er sie noch vorwarnen. Vielleicht hatte er aber auch gerade wichtige Minuten vertan und kam zu spät. Das trieb ihn zu großer Eile.

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Belle Grandchapeau hörte das Klingeln einer mechanischen Glocke über der Tür zum Computerraum, wo sie gerade einen Stapel Papier aus dem Laserdrucker zusammenklaubte. Sie ging zur Tür und öffnete diese. ein Waldkauz mit einem Ring am linken Bein und einem Briefumschlag am rechten Bein flog unhörbar herein und landete auf einem der freien Tische. Belle erkannte den Vogel als zum Eulenbestand des Ministeriums gehörend und nahm ihm den Umschlag ab. Sie las einen aufgeprägten Stempel, dass der Brief auf jede Art von Bezauberung geprüft worden war und an sie weitergeleitet worden sei. So öffnete sie den Brief. Da sie die nach dem Regen gleißend hell strahlende Sonne etwas blendete wandte sie sich mit dem Rücken der Sonne zu und las in ihrem Gegenlicht, was Euphrosyne Lundi geschrieben hatte:

Hallo, Madame Belle Grandchapeau!

Ich habe Ihre Bemühungen, meinen derzeitigen Aufenthaltsort zu ergründen mit großem Interesse und noch größerer Erheiterung verfolgt, Madame Belle Grandchapeau. Allerdings werden diese Empfindungen nach wie vor von der Verärgerung überlagert, die Ihr hinterhältiges und auch feiges Vorgehen meinem Angetrauten zugefügt hat, Madame Belle Grandchapeau. Ich meine damit jene in die Welt gesetzte Behauptung, er habe sich mit unzulässigen Körperkraftverstärkungsmitteln Vorteile bei seinem Beruf verschafft oder besser unerwünscht zugeführt bekommen, Madame Belle Grandchapeau. Dass Sie damit den Lebenstraum eines jungen Menschen zerstört haben ist Ihnen sicher bewusst, Madame Belle Grandchapeau. Daher will und werde ich nicht näher darauf eingehen, Madame Belle Grandchapeau.

Ich möchte Ihnen und Ihrer ebenso rücksichtslos auf die Durchsetzung verstaubter Vorschriften festgelegten Frau Mutter mitteilen, dass mein nun in beiden Welten rechtmäßig angetrauter Ehemann und ich uns nun neu ein- und ausgerichtet haben, Madame Belle Grandchapeau! Wir wissen auch, dass wir weder von Ihnen, noch von Behörden der magielosen Menschheit behelligt werden können, Madame Belle Grandchapeau. Daher haben mein Mann und ich uns entschieden, unseren Aufenthaltsort preiszugeben und zu einem neuen Lebensabschnitt ohne Abschottung vor dem Rest der Welt zu führen, Madame Belle Grandchapeau! Dies tun wir auch und vor allem deswegen, weil wir den Grundstein für eine eigene Familie gelegt haben und wir nicht wollen, dass jedes unserer künftigen Kinder unter den Auswirkungen der Nachstellungen zu leiden hat, denen wir von Ihrer Seite her ausgesetzt waren, Madame Belle Grandchapeau.

Wir wohnen derzeit auf der Insel San Nicholas, die zu einem Archipel von Inseln der karibischen See gehört, die in reinem Privatbesitz sind, Madame Belle Grandchapeau. Allerdings tragen mein Mann und ich uns mit der Entscheidung, bis zur Ankunft unseres ersten Kindes wieder einen Wohnsitz in meinem und Ihrem erhabenen Geburtsland zu finden, damit dieses Kind und alle künftigen Kinder für die Beauxbatons-Akademie vorgemerkt werden können, Madame Belle Grandchapeau. Ich bin mir absolut sicher, dass Sie nach dem leider unumkehrbar gewordenen Erfolg gegen die berufliche Laufbahn meines Mannes jede weitere Tätigkeit unterlassen werden, die meiner Familie körperlichen, seelischen oder geldlichen Schaden zufügen soll und uns deshalb nicht an der Heimkehr und an einem freien Leben unter Frankreichs warmer Sonne hindern werden, Madame Belle Grandchapeau.

Ich bin sogar der festen Überzeugung, dass wir alle uns in der Zukunft sehr gut miteinander vertragen werden, ja füreinander einstehend zusammenleben werden, Madame Belle Grandchapeau. Um dies zu gewähren rufe ich im Namen unseres großen, Licht und Wärme gebenden Gestirnes aus:

Belle Grandchapeau, dein Leben sei gesegnet mit der Kraft der Sonne und des Lebens! Die Macht des alters sei geschwächt, so dass alles Leben in dir gerade nur einen Mondumlauf älter wird, wenn die Sonne zwei Atemzüge tut! Belle Grandchapeau, so sei erfüllt von der Kraft und der Dauerhaftigkeit der Sonne, der feurigen Quelle allen Lebens aus dem Schoße unserer Mutter Erde!

Belle wunderte sich beim lesen, warum Euphrosyne jeden Satz mit einer Anrede beendete. Als sie den für sie eher wohl abfällig gemeinten Segensspruch las musste sie sogar lächeln. Doch dieses Lächeln verging ihr Schlagartig. Denn kaum hatte sie die letzten geschriebenen Worte in ihren Gedanken verklingen lassen, erhitzte sich der Brief unvermittelt, als wolle er gleich in Flammen aufgehen. Durch Belles Hände, Arme und dem Rest des Körpers jagte eine heiße Stoßwelle, die sie regelrecht vom Boden abspringen und ihre Knie beinahe bis auf Brusthöhe hochreißen ließ. Im selben Moment fand sie sich von einer goldenen, sie völlig einschließenden Kugelschale eingehüllt und hörte ein ganz leises, wie durch dicke Wände gefiltertes Kieksen. Sie sah den ihr nächsten Rechner in einem kurzen Feuerblitz verschwinden, den Bildschirm von einem zum anderen Lidschlag vergehen. Der Flammenblitz erfasste den Tisch und hinterließ ihn als leicht angekohltes Möbelstück. Belle fühlte sich schwerelos, langsam in Richtung der durch die Fenster scheinenden Sonne hingezogen. Am heftigsten empfand sie jedoch die sie umgebende Luft. Sie fühlte sich warm an und prickelte in Nase und Lunge. Das brachte sie jedoch nicht dazu, angstvoll den Atem anzuhalten, sondern die veränderte Luft begierig in ihre Lungen einzusaugen, ihre Wärme durch ihren ganzen Körper fließen zu lassen und sie wohlig wieder auszuatmen. Sie fühlte förmlich, wie die Luft innerhalb der goldenen Lichtkugel sie mit Kraft und Frische auflud. Sie fühlte keine Spur von Panik oder Platzangst. Sie hing frei schwebend in der goldenen Kugelschale und sah dabei verschwommene, rasend schnell vor ihr dahinwirbelnde Schatten, ohne deren Form zu erkennen. Sie wandte den Kopf um und sah, dass die Sonne bereits vom zweiten Fenster zum dritten gewandert war und zusehens weiterwanderte, wobei sie immer weiter herabsank. Sie wusste, dass das vierte Fenster im Westen lag. Dorthin schob sich der sinkende Sonnenball, während sie, von der goldenen, flirrenden Lichtkugel umschlossen und von nicht erkennbar um sie herumhuschenden Schatten umschwirrt schwebte und die belebende Luft in sich einsog. Was immer die Luft anreicherte lähmte ihr freies Denken, so dass sie im Moment nur sehen und fühlen konnte, was um sie und mit ihr geschah. Als die Sonne dann Stück für Stück an der linken, unteren Ecke des vierten Fensters verschwand fühlte sie ein leichtes Schwingen und schaukeln. Dann fühlte sie die eigene Schwere zurückkehren. Dann versickerte der letzte in denComputerraum dringende Sonnenstrahl. Mit leisem Säuseln stürzte die goldene Sphäre in sich zusammen, drang dabei in ihren Körper ein und war verschwunden. Sie landete auf dem Boden, und zwischen ihren Händen rieselte feine Asche zu Boden.

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Julius rannte, nicht zu den Aufzügen, weil die ihm zu langsam waren. Er wetzte zu einer Wand am Ende des Traktes. Sie wirkte solide wie eine blitzblank polierte Granitwand. Als er seine Zauberstabhand gegen die Wand drückte rief er "Via Urgentis!" Da ruckelte es im Boden, und die Wand klappte wie zwei Flügel einer klinkenlosen Tür nach innen. Er lief hindurch. Leuchtkristalle glommen an der Decke und beleuchteten eine aus angerauhtem Stein gehauene Wendeltreppe. Diese jagte er hinunter. Er überhörte dabei das wilde Glockengebimmel des von ihm ausgelösten Alarmes. Wichtiger war für ihn, dass er die Etage erreichte, auf der sein eigentliches Büro lag. Mit demselben Zutrittswort ließ er ein weiteres Wandstück nach außen klappen und kehrte so in die allgemeinen Bereiche des Zaubereiministeriums zurück. Jetzt hörte er das hektische Bimm-bimm-bimm der Alarmglocke bewusst. Er sah, wie Türen aufflogen und Beamte und Amtsanwärter herausstürzten um zu sehen, ob die vom Alarm angekündigte Katastrophe auf ihrem Stockwerk stattfand.

Als Julius ohne anzuklopfen in Ornelles Büro hineinstürmte sah er sofort, dass er zu spät war. Unverzüglich leuchtete Darxandrias Siegelaura um ihn wieder auf. Er fühlte, wie die fremde Magie ihn wieder abbremste. Dann sah er bewusst die Heilerin, die mit einem anderen Zauberstab in der Hand da stand, während durch eines der illusionären Fenster die Sonne hereinfiel. Ornelle hing, ebenfalls mit bis zur Brust angezogenen Knien, in einer goldenen Lichtkugel fest. Pygmalion Delacour stand zwei Meter davon entfernt. Seine Haupt- und Barthaare standen ihm zu Berge, als stehe er ganz nahe bei einer Starkstromquelle. Julius schaffte es nicht, auch nur auf zwei Meter an Ornelle heranzukommen. Heilerin Laporte hatte gerade ein Stück Pergament in die Hand genommen und warf es der goldenen Sphäre entgegen. Das Pergament traf auf und wurde wie von einemSog gepackt nach oben gezogen, rutschte dabei über die obere Halbschale der Lichtsphäre und flatterte dann auf der anderen Seite wieder hinunter, wo es auf den Boden fiel und vom Restschwung noch einen Meter weiterschlidderte.

"Huch, wie kommen Sie denn so schnell hierher?" wunderte sich die Heilerin. Dann hörte sie die Alarmglocke. "Oha, den Notausgang. Könnte aber teuer werden, den ganzen Betrieb aufgescheucht zu haben", sagte sie noch. Pygmalion sah Julius an und trat einen Meter zurück. Jetzt erst glättete sich sein Haar wieder.

"Julius, wissen Sie, was hier vorgeht? Auf einmal wurde ich von meinem Stuhl durch den Raum geschleudert und habe mir dabei den Arm verstaucht. Sie hängt in dieser Leuchtkugel fest und rührt sich nicht mehr."

"Ich komme bis auf Griffweite heran, warum Sie beide nicht?" wollte Heilerin Laporte wissen. Julius begründete die goldene Aura, die jeder sehen konnte mit der Sache mit Ashtarias Kindern und der Abgrundstochter Ilithula. Doch warum Pygmalion Delacour von der Sphäre auf Abstand gehalten wurde konnte dieser nicht begründen.

"Sie soll ja nicht die Lichtkugel anfassen", hörte Julius Temmies Gedankenstimme, als Heilerin Anne Laporte ihre linke Hand bis einen Meter vor die Oberfläche der Sphäre ausstreckte.

"Sie wollen die Kugel nicht etwa anfassen", sagte Julius.

"Nachdem mir mein Zauberstab verlorenging und ich in der Ausbildung gelernt habe, niemals eine klar erkennbare, gestaltliche Zusammenballung von Magie mit ungeschützten Händen zu berühren, vor allem, wenn deren Ursprung und Wirkung unbekannt sind ... Wollten Sie mir etwa jetzt Naivität unterstellen, Monsieur Latierre?"

"Keinesfalls. Deshalb wunderte ich mich doch, dass Sie Ihre Hand so nahe an die Oberfläche hielten", erwiderte Julius.

"Achtung, hier spricht Zaubereizentralverwaltungsleiter Pontier. Bitte bewahren Sie ruhe. Es besteht keine Gefahr für Leib und Leben. Der Alarm wurde durch unangemeldete Benutzung einer Nottreppe ausgelöst", hörten sie eine magisch in alle Räume verpflanzte Männerstimme. Gleich darauf erstarb die Alarmglocke. "Der Auslöser dieses Vorgangs wird dringend ersucht, sich bei mir in der Zentralverwaltung zu melden und sein Tun zu begründen! Zuwiderhandlung wird mit dem dreifachen der für mutwilliges Auslösen der Alarmzauber festgesetzten Geldstrafe geahndet."

"Glückwunsch, Monsieur Latierre. Sie haben die Auswahl, nur dreihundert oder neunhundert Galleonen Strafe zu zahlen, sofern Ihre Vorgesetzte Ihnen nicht zwei Abmahnungen zugleich in die Akten einträgt", sagte Heilerin Laporte. Dann fiel ihr noch was ein. "Zumindest dürfen Sie Ihren Zauberstab wieder haben, bis befunden wird, ob Sie ihn weiterhin führen dürfen", fügte sie hinzu und zog Julius' Zauberstab aus ihrer Heilertracht. Er nickte und nahm ihn.

"Ich werde für Sie ein gutes Wort einlegen, dass Sie in höchster Sorge um Mademoiselle Ventvit die Vorschriften missachtet haben, Julius", bekundete Monsieur Delacour seinen Beistand. Julius bedankte sich und lief hinaus. "Jetzt aber den Aufzug, Monsieur. Das Kind liegt schon im Kessel!" schickte ihm die Heilerin noch hinterher.

"Und wenn wir nicht rauskriegen, wie wir's da wieder rausholen zerkocht es uns", dachte Julius missmutig.

Die Zaubereizentralverwaltung lag auf derselben Etage wie das Ministerbüro und die anderen hochrangigen Abteilungen. Julius war bisher nie hier gewesen. Er betrat einen quadratischen Saal von zwanzig Metern Seitenlänge. Die Wände waren mit runden Sichtluken versehen, die jedoch eher Überwachungsschirme waren. Denn statt Außenansichten zeigten sie leuchtende Raster Abschnitte eines Gebäudeplans. Außerdem stand in der Mitte ein durchsichtiges Modell des Zaubereiministeriums, in dem alle Gänge gerade in einem beruhigenden Grünton glommen. Je zehn Schreibtische und Stühle reihten sich an jeder Wand entlang. Auf jedem zweiten Platz saß eine Hexe oder ein Zauberer in blau-weiß-rot quergestreiftem Umhang. Hinter dem Modell des Ministeriums erkannte Julius noch eine offene Tür, in der ein Zauberer in einem oben blau, mitig weiß und unten rot gefärbtem Umhang stand, einen ebenso gemusterten Zaubererhut auf dem Kopf. Julius sah sofort, dass es wohl der Großvater väterlicherseits seiner Beauxbatons-Mitschülerin Irene Pontier war. Hier war er richtig, wohl oder übel.

"Moment mal, Sie waren das?" schnarrte Monsieur Pontier. Dann winkte er Julius zu, ihm in das kleine Büro zu folgen. Er tat es nach einer kurzen Begrüßung.

Im Büro fuhr Pontier ihn an, was ihm eingefallen sei, die Notfallzauber auszulösen. Er blieb jedoch ruhig und schilderte im Telegrammstil den Vorfall mit Madame Nathalie und dass die herbeigerufene Heilerin ihren eigenen Zauberstab verloren hatte und seinen dafür benutzen musste, um apparieren zu können. Da er um seine eigentliche Vorgesetzte besorgt war sah er sich gezwungen, die Notfalltreppe zu benutzen.

"Moment, das werde ich mir selbst ansehen", knurrte der Leiter der Zentralverwaltung. "Sie verbleiben vor der Bürotür, bis ich Sie wieder hereinlasse", sagte Pontier und deutete auf die Tür, die sich ganz von alleine öffnete. Julius nickte und verließ das Büro.

"Julius, wo bist du?" vernahm er eine weibliche Gedankenstimme, doch diesmal die von Léto, der Stammmutter aller veelastämmigen Hexen und Zauberer in Frankreich.

"Musste einen Bericht abliefern, weil ich die Notfallzauber ausgelöst habe. Wieso rufst du nach mir?"

"Weil ich gespürt habe, dass eine starke Kraft, die mit mir verwandt ist, mit dir und Pygmalion zusammengetroffen ist. Bin unterwegs zu euch, Vereinbarung hin oder her."

"Irgendwas von Euphrosyne, das kein Flucherkenner feststellen konnte, hat Madame Grandchapeau und Mademoiselle Ventvit in eine goldene Lichtkugel eingeschlossen und beriselt sie mit Funken. Sie bewegen sich nicht mehr oder sind stark verlangsamt."

"Was?! Mach deine Augenzu und denk noch einmal an die Bilder!" hörte er Létos Geistesstimme so laut, dass ihm davon der Kopf schmerzte. Er atmete einmal kurz durch und tat, was sie von ihm verlangt hatte. Vor seinem geistigen Auge zogen die Bilder der letzten Minuten vorbei. Dabei meinte er, ein ganz leises Singen Létos zu hören. Als die kurze innere Rückschau beim Verlassen von Ornelles Büro endete hörte er Léto wieder lauter gedankensprechen:

"Das kann ich nicht glauben, dass sie das gewagt hat. Aber deine Erinnerungen zeigen es mir überdeutlich, dass sie es getan hat. Ich bin in einer halben Stunde bei euch. Unterlasst alles, diese Lichtkugeln zu zerstören! Zum einen könntet ihr dabei eure Zauberstäbe verlieren und zum anderen vielleicht für euch unerwünschte Auswirkungen auf eure Körper abbekommen. Zunächst so viel, es ist tatsächlich kein Fluch, Julius. Im Gegenteil. Es ist einer der mächtigsten Segen, die eine Veela mit Hilfe der Gestirne über jemanden breiten kann. Ich erkläre das später für deine Vorgesetzte, wenn sie wieder aus der Sonnenkugel freikommt."

"Das heißt, die erlischt von selbst?" fragte Julius.

"Ja, wenn die Sonne unter den Horizont versunken ist", gedankenantwortete Léto. Julius verstand. Temmie hatte also wirklich recht. Der fremde, übermächtige Zauber bezog seine Kraft aus der Sonne selbst.

"Also haben die Veela dieses Wissen bewahrt", vernahm er Temmies Gedankenstimme. "Und womöglich haben sie diese Macht verändert."

Die Tür flog auf und Pontier blickte mit kreidebleichem Gesicht heraus. "Der Minister ersucht Sie, umgehend in das Büro von Madame Grandchapeau zu kommen, auf dem schnellsten Weg. Ich hebe die Apparierblockade für zehn Sekunden auf, Monsieur Latierre!" stieß er mit unüberhörbarer Beklommenheit aus. Julius bedankte sich halblaut. "Jetzt!" hörte er den Leiter der Zaubereizentralverwaltung noch rufen. Er riss seinen Zauberstab hoch und wirbelte auf der Stelle herum. Tatsächlich konnte er unangefochten disapparieren und landete ohne Gegenwehr im Büro Nathalies. Allerdings geriet er dabei unter die 2-Meter-Abstandsbegrenzung und wurde mit Wucht gegen die Wand geschleudert. Dabei strahlte seine goldene Aura wieder auf.

Als Julius den Anprall weit genug verdaut hatte, dass er seine Umwelt wieder richtig wahrnehmen konnte sah er, dass außer Belles Mutter, die immer noch wie aus sich selbst leuchtend in jener verflixten Goldsphäre schwebte, auch noch der Zaubereiminister persönlich und Anne Laportes ältere Anverwandte Alouette Laporte im Büro waren.

"Oha, junger Mann, haben Sie sich verletzt?" fragte die ältere Heilerin besorgt und eilte auf Julius zu. Dieser berappelte sich jedoch schon wieder und konnte sogar lächeln. "Dieser Effekt ist alarmierend und über die maßen unerfassbar", sagte die Heilerin und deutete auf Nathalie Grandchapeau. Da räusperte sich der Minister:

"Falls Sie sich bei dieser abrupten Begrüßung durch dieses vertückte Phänomen keine heilungsbedürftigen Verletzungen zugezogen haben erstatten Sie mir jetzt unverzüglich einen Bericht, was hier passiert!" stieß Armand Grandchapeau aus. Rein vom Gesicht her wirkte der Minister so, als habe er die Lage vollkommen im Griff. Doch an den Augen konnte Julius ihm ansehen, dass Armand Grandchapeau sehr große Angst haben musste. Das konnte Julius ihm nicht einmal verdenken. Eine gewisse Beklommenheit fühlte er auch. Und wenn die Hexe in der goldenen Blase Millie wäre hätte er sicher auch eine Riesenangst. Doch ihm spukten Temmies und Létos Erwähnungen wie Echos ihrer Gedankenbotschaften im Kopf herum. Bei dieser Leuchtsphäre sollte es sich um einen Segen handeln. Aber welchen Grund hatte ausgerechnet Euphrosyne, einen derartigen Schutz- oder Glückszauber zu wirken, und wie genau hatte sie das gemacht?

Nach dem Julius einige Sekunden überlegt hatte berichtete er dem Minister so sachlich er konnte und erwähnte dabei auch Létos Bemerkung, es könne sich um einen Segen der Veela handeln, worüber sie selbst aber demnächst hier etwas genaueres sagen wolle.

"Mademoiselle Ventvit und Madame Grandchapeau haben also einen Brief erhalten, angeblich von Euphrosyne Lundi geborene Blériot. Die Fallenschleuse hat diese Briefe als unbedenklich eingestuft und passieren lassen. Mit den Herrschaften werde ich ... Merlins Unterzeug! Belle!" rief er und hob den Zauberstab. "Aufhebung der Apparierbeschränkung gemäß Losungswort goldenes Einhorn!" rief er. Wieder meinte Julius, die Luft flimmern zu sehen. Dann sagte der Minister. "Ich habe für eine halbe Stunde die Apparierbeschränkung aufgehoben. Bitte bringen Sie mich unverzüglich in den Computerraum!" sagte der Minister. Julius schüttelte den Kopf und sah schnell abbittend auf den Minister herab, der ohne seinen weithin berühmten Zylinder einen ganzen Kopf kleiner als er war.

"Falls Madame Belle Grandchapeau tatsächlich auch betroffen wurde könnte die Entfaltung dieser Magie zu massiven Störungen der elektronischen Geräte geführt und sogar Kurzschlüsse ausgelöst haben, Herr Minister. Daher erlaube ich mir die Empfehlung, nicht direkt im Computerraum zu reapparieren, da dort eine Halon-Feuerlöschanlage eingerichtet ist. Ohne entsprechenden Körperschutz würden wir uns Vergiftungen und Hautschädigungen zuziehen."

"Dann beschaffen sie für sie, mich und Heilerin Anne Laporte Duotectus-Schutzkleidung!" bellte der Minister. nennen sie dem Ausrüstungswart vom Dienst das Tageskennwort Feuerkrone. Meine schriftliche Anforderung erfolgt im Laufe dieses Tages!" Julius nickte und bestätigte den Befehl. Er disapparierte und war froh, bei der Ankunft nicht gleich wieder gegen eine Wand geworfen zu werden.

Wie der Minister ihm befohlen hatte gab er die Anweisung an den Hüter der Ausrüstungsstücke mit Berechtigungspasswort und erhielt die gewünschte Anzahl der praktischen Schutzanzüge.

Der Minister tat sich schwer damit, in den für ihn noch ungewohnten Anzug hineinzuschlüpfen, während Julius schon eine gewisse Routine hatte. Ihn störte auch nicht, dass er sich dafür bis auf die Unterwäsche ausziehen musste, wo Belles Mutter ihm dabei vielleicht zusah. Doch dann erinnerte er sich wieder daran, dass ihre Wahrnehmungsgeschwindigkeit um den Faktor hundert oder tausend verzögert worden war. Für sie war er wenn überhaupt nur ein blitzartig durchs Sichtfeld huschender Schemen. Vielleicht sah sie auch überhaupt niemanden. Wenn für sie eine Sekunde um die zwanzig Allgemeinminuten dauerte.

"Ich vermag mich seit meinem fünften Lebensjahr eigenständig zu bekleiden, Alouette", protestierte der Minister, weil die Leiterin der Geburtsstation der Delourdes-Klinik ihm zur Hand gehen wollte, damit es schneller ging. Ihre Tochter oder Enkelin - Julius hatte bisher nicht nachgefragt - ahmte Julius routinierte Arm- und Beinbewegungen nach und stand nur eine halbe Minute später als dieser umgezogen da. Julius zeigte dann noch, wo die Zauberstäbe untergebracht werden mussten, wenn es in eine giftige oder brandheiße Umgebung ging und schloss die silberne Folienkapuze, die beim Verschluss zur durchsichtigen Kugel mit eingewirkter Kopfblase wurde.

"Sie vollziehen die Zielausrichtung, Monsieur Latierre", sagte der Minister, bevor er seinen Kopf- und Atemschutz verschloss. Julius bot Anne den linken Arm zum festhalten, dem Minister den Rechten. Dann zählte er im Geiste bis drei und schaffte es, trotz der beiden an ihm hängenden in den Appariertransit zu wechseln.

Selbst durch die geschlossenen und dämmenden Kugelhelme hörten sie das alle zwei Sekunden dröhnende Tröten einer Warnhupe. Über der Türzum Computerraum leuchteten vier rote Lichter. Damit hatte Julius gerechnet. "Wir sind geschützt! Tür öffnen!" rief der Minister gegen den Lärm der Warnvorrichtung an. Julius konnte die Tür natürlich nicht wie üblich aufdrücken, weil der Alarmzustand sie vierfach verriegelt hatte. Er versuchte es deshalb mit dem Alohomora-Zauber. Doch dieser prallte als blauer Blitz von der Tür ab und zersprühte an der hinter Julius liegenden Wand zu einer Funkenwolke. Der Minister stierte Julius an. Durch die beiden Kopfblasen gefiltert sah das schon etwas gruselig aus, fand Julius. Dann versuchte Grandchapeau, die Tür aufzuzaubern. Auch ihm gelang dies nicht . "Hinter der Tür?!" fragte er sehr zornig dreinschauend. Julius nickte. Er wollte dem Minister noch zurufen, dass er erst warten sollte, bis nur noch zwei Lampen leuchteten, was wohl hieß, dass im Raum kein offenes Feuer mehr brannte, da war der Minister aus einer energischen Drehung heraus schon verschwunden.

"Wenn es da drinnen noch brennt braucht der Minister einen neuen Zauberstab", bemerkte Julius, als er ausch schon die Stimme des Ministers durch die dicke Tür, die Warnhupe und die Kopfblasenkugeln hindurch rufen hörte "Tausend Fuder Drachenmist! Extingeo!"

"Wie viele Lichter dürfen es sein, dass wir da rein können?" fragte die Heilerin. Julius zählte von rechts nach links bis zum dritten Licht. "Erst dann!" rief er.

"Verschleimte Sabberhexen, Belle!" hörten sie den Minister außerhalb jeder beherrschten Tonlage fluchen. Dann kam Julius die Idee: Zauberstäbe konnten auch dann noch zaubern, wenn eine Eisschicht auf ihnen lag, solange diese nicht zu dick war. Das verriet er auch Anne und besprühte ihren Zauberstab mit Wasser, das er mit "Hiberno", gefrieren ließ. Als Anne feststellte, dass sie dennoch mit ihrem Zauberstab zaubern konnte ahmte sie die Schutzmaßnahme bei Julius Zauberstab nach. Dann apparierten beide Seit an Seit in den Raum.

Julius hatte sich geistig darauf eingerichtet, in einen Vorhof zur Hölle zu geraten. So erschrak er nicht, in Mitten von flirrendem Nebel aus Rauch und Löschgas und immer wieder aus glühenden Schemen herauszuckenden Flammen anzukommen. Sofort führte er den wasserlosen Branddlöschzauber aus und half damit dem in den Raum geblasenen Halon, die letzten Brandnester auszulöschen. Damit traf eine Flamme kurz seinen vereisten Zauberstab und verzischte in einer kurzen Dampfaufwallung. Dann waren die Brände eingedämmt. Doch das Halon würde noch mehr als eine Minute im Raum verbleiben, bis die Wärmefühler in den Wänden eine unbedenkliche Temperatur übermittelten. Julius trat einige Meter weiter vor und fühlte die ihm bereits zu vertraute Gegenkraft. Er sah sogar ein goldenes, schemenhaftes Leuchten, das von ihm ausging und wusste, dass Belle der selben unheimlichen Kraft zum Opfer gefallen war wie ihre Mutter und Ornelle Ventvit. Er hoffte inständig, dass Feuer und Löschmittel ihr in diesem Zustand nichts anhaben konnten. Er hoffte es? Er konnte doch nachfragen. So mentiloquierte er Léto an und erwähnte dabei auch, dass er mit dem Minister und einer Heilerin im Computerraum war, wo ein für Menschen giftiges Löschmittel versprüht worden war.

"Die Kugelschale sperrt alles dem Feuer entstammende aus", war die Antwort. "Und die darin einfließende Luft wird atembar und belebend, egal, womit sie geschwängert wurde", bekam er Létos beruhigende Antwort. Immerhin eine gute Nachricht bei all dem Unheil, was sich hier und im Ministerium ereignete.

"So, sagt diese Léto das?" schnarrte der Minister. "Abgesehen davon, dass sie lügen könnte wäre das ein zu schwacher Trost", fügte er hinzu. Dann stieß er aus: "Immerhin verschwindet das Giftzeug endlich. Wieso haben die hier keine andere unmagische Löschvorrichtung verwendet? Kohlensäuregas wäre doch auch gegangen, oder?"

"Das klären Sie bitte mit den Mesdames Grandchapeau", erwiderte Julius. Anne Laporte musste darüber unstatthaft lachen.

"Noch so eine Unverschämtheit und Sie sind heute noch Ihren Arbeitsplatz los und übermorgen vielleicht auch Ihren Wohnsitz", brüllte der Minister. Julius fühlte einen Moment den Drang, um Verzeihung zu bitten. Doch dann erkannte er, dass der Minister gerade in einer sehr unangenehmen Lage war. Hier passierte etwas, das er nicht überblicken und erst recht nicht beherrschen konnte. Anne sagte sofort: "Herr Minister, Monsieur Latierre wollte Ihnen Hoffnung machen und Sie nicht verhöhnen."

"Ach ja, wollte er das?" knurrte Grandchapeau. "Wenn meine Frau, meine Tochter und mein ungeborenes Kind diesen Tag nicht überleben, weil diese stinkende Glibberdose von einer Viertelveela meint, mit uns allen machen zu können, was sie will, wird meine erste Amtshandlung mit neuem Zauberstab darin bestehen, ihr die Eingeweide rauszubrennen, dass ihr der Qualm zu Mund und Nase wieder rausquillt!"

"Stupor!" hörte Julius und zuckte reflexartig zur Seite. Er fühlte trotz Anzug etwas heißes an seinem Gesicht vorbeizucken. Dann gab es einen dumpfen Aufprall auf dem Boden.

"Öhm, das war aber jetzt dreister als meine Bemerkungen", erwiderte Julius frech.

"Soll ich dich auch noch schocken oder sanft in Zauberschlaf singen?" fragte die Heilerin mit eiskalter Betonung. Julius verneinte dies behutsam. "Der Minister ist im Moment nicht mehr Herr seiner selbst. Daher erlauben es die Heilerdirektiven, ihm zum Schutz auch vor sich selbst an allem zu hindern, womit er sich schaden kann. Ich habe gesehen, dass er durchaus bereit war, dir oder mir einen Schlag zu versetzen."

"o, das hätte aber ganz schön weh getan. Die Anzüge sind auf Druckabwehr eingerichtet. Das wirkt wie eine meterdicke Stahlwand", sagte Julius, der keine Probleme damit hatte, dass die Heilerin ihn gerade duzte.

"Sagte ich doch, ich musste ihn auch vor sich beschützen, damit er sich nicht verletzt", bemerkte die Heilerin dazu.

Endlich lichtete sich der Nebel. Rauch und Halon wurden abgepumpt. Jetzt konnte Julius Belle in der goldenen Sphäre schweben sehen. Sie wirkte wie erstarrt. Schlimmer als sie hatte es die hochmodernen Rechner und ihre Peripheriegeräte erwischt. Die Gehäuse waren mit Kratern und Ausbuchtungen verunzierte Klumpen Blech und Plastik, die Bildschirme waren wohl implodiert und die Gehäuse verkohlt. Die Tische hatten bis zum Einblasen des Halons großflächig gebrannt. Eigentlich sollte das Halon gerade größere Schäden verhindern und schon beim kleinsten Brandnest einströmen, um alle anderen Geräte vor Feuer zu bewahren. Also musste das Feuer an allen Geräten gleichzeitig losgebrochen sein und sich blitzartig ausgebreitet haben, schlussfolgerte Julius und erläuterte Anne die Funktion einer Halongasanlage und warum sie, so umstritten sie war, immer noch gerne zum Schutz von Computerräumen eingerichtet wurde.

"Kohlensäuregas oder gar Kohlengas als solches gingen doch auch, wenn sowieso alle Leute aus dem gefährdeten Raum hinaus müssen", wandte Anne Laporte ein.

"Das können wir mit ihr und ihrer Vorgesetzten gerne erörtern, falls ihr Herr Schwiegervater die Mittel freigibt, einen neuen Computerraum einzurichten", sagte Julius. Daraufhin musste er erläutern, was dieser Raum überhaupt mit dem Zaubereiministerium zu tun hatte. Ohne vorführbare Computer und Außengeräte war das natürlich ein Problem. So lud er Anne ein, sich das gerne mal bei ihm in Millemerveilles anzusehen.

"So wie ich das sehe können wir hier auch nicht viel für Madame Grandchapeau tun. Hilf mir bitte, den Minister in den Genesungsraum bei uns zu bringen. Ich werde einige Kollegen mit anderen Messgeräten herschicken, die den Zustand von Madame Grandchapeau überprüfen und für den Fall, dass sie tatsächlich aus der goldenen Kugelschale freikommt heilmagisch versorgen. Insbesondere psychomorphologisch dürfte hier einiges anstehen."

"Vor allem möchte ich wissen, was hier überhaupt passiert ist und warum es nicht auch mich erwischt hat?" grummelte Julius und stellte sich so, dass er am Kopf des betäubten Ministers stand.

"Dazu würde ich und wohl noch jeder andere Heiler Frankreichs gerne wissen, woher diese goldene Aura bei dir kommt und warum du nicht näher als zwei Meter an diese Unheilssphäre herankommst", schnarrte die Heilerin noch. Julius hatte schon damit gerechnet und sich die passende Erklärung zurechtgelegt. Denn schließlich kannnten die meisten Heiler seine Erlebnisse mit den Abgrundstöchtern und den Kindern Ashtarias, Antoinette Viviane, die Chefin aller Heiler Frankreichs, hatte sogar maßgeblich mitgeholfen, dass Julius aus dieser brenzligen Lage herausgekommen war. Außerdem kannte die auch sein Geheimnis, das Erbe von Altaxarroi und das ihm aufgeprägte magische Siegel Darxandrias.

"Ich gehe davon aus, ihre große Schwester Alouette Laporte möchte das auch gerne wissen", sagte er dreist.

"Moment mal, willst du ihr ein Kompliment machen oder mich beleidigen, junger Mann?" lachte Anne. "Aber so kann man auch Leute ausfragen. Also gut, Madame Laporte ist meine Mutter, nicht meine Schwester. Das ist aber im Dienst irrelevant, genau wie Madame Grandchapeau dort auch keinen Wert darauf legt, dass Madame Nathalie Grandchapeau ihre Mutter ist."

"Meistens", musste Julius unbedingt dazu einwerfen.

"Komm, bringen wir den Zaubereiminister in unseren Genesungsraum und lassen ihn dort einige Stunden liegen, bevor ich oder ein Kollege aus der psychomorphologischen Abteilung ihn aufweckken kann!"

Julius half der Heilerin nun, wo die Tür wieder frei zu öffnen war, den Minister nach draußen zu tragen. Sie übernahm nun die Zielausrichtung, da die angesetzte halbe Stunde noch nicht verstrichen war und sie so unangefochten an jedem Punkt innerhalb des Ministeriums apparieren konnten.

Danach fuhren sie beide mit dem Aufzug wieder zum obersten Stockwerk. Dort erfuhr Julius, dass er keine Strafgebühr für mutwilliges Auslösen der Notfallzauber zu zahlen hatte, da hier ja wirklich Gefahr im Verzug bestanden hatte und die Heilerin mit seinem Zauberstab apparieren musste, wo sie ihren eigenen verloren hatte. Als Julius auch dem Leiter der Abteilung für magischen Handel und Finanzen Midas Colbert erklären musste, was passiert war und dass der sicher sehr teure Computerraum völlig unbrauchbar geworden war konnte er ihm ansehen, dass er gerne losweinen wollte.

"Sie gehen davon aus, dass meine ..., öhm, Madame Belle Grandchapeau aus dieser Verhexung freikommt?" fragte Monsieur Colbert. Julius nickte halbherzig. Er verwies darauf, dass Madame Léto gleich eintreffen würde, um zu erläutern, womit sie es wohl zu tun hatten.

"Da Arion, für Sie Monsieur Vendredi heute seinen freien Tag hat müssen Sie Monsieur Beaubois von der Geisterbehörde fragen. Ich ging davon aus, dass Ihre direkte Vorgesetzte Sie darüber informiert hat."

"Sie ging wohl davon aus, dass ich heute nicht mit ihm zu tun bekommen würde", sagte Julius und verneinte, dass sie ihm irgendwas gesagt hatte. "Gut, ich nehme den Dienstweg null und frage ihn direkt. Er wird sicher auch dabei sein wollen. Bringen Sie Madame Léto in Ihrer Eigenschaft als Veelabeauftragter bei, dass sie uns vorbehaltlos darüber aufzuklären hat, was hier vorgefallen ist. Am Ende hätte dieses Frauenzimmer, dass ihr in zweiter Generation entstammt noch alle Mitglieder unseres Ministeriums auf diese Weise schachmatt gesetzt." Julius konnte das nicht von der Hand weisen. Dann dachte er, dass Belle weit ab vom Ministerium erwischt worden war. Sollte Euphrosynes Racheschlag auch Vendredi treffen? "Öhm, falls Monsieur Vendredi auch bedroht ist, Monsieur Colbert, wissen Sie, wo er sich aufhält?" fragte Julius. Monsieur Colbert erbleichte und schüttelte den Kopf. "Er hat es nicht nötig, seine Freizeitpläne mit mir oder dem Minister abzustimmen", erwiderte Midas Colbert mit einem unüberhörbaren Kloß im Hals. Dann fragte er, wie spät es sei. Julius blickte auf seine Uhr. "Ich muss unbedingt eine neue Uhr haben. Meine spielt in den letzten Tagen immer wieder verrückt", brummelte Colbert. Dann wirbelte er auf demAbsatz herum und verschwand mit lautem Knall im Nichts.

"Gute Idee", dachte Julius und disapparierte, um Monsieur Beaubois einen kurzen Lagebericht zu erstatten und ihm vorzuschlagen, den Aufenthaltsort von Monsieur Vendredi ausfindig zu machen. Er hoffte, dass er zumindest noch keine verhängnisvolle Post von Euphrosyne erhalten hatte. Dann fragte er sich, ob er nicht doch noch von ihr aufs Korn genommen würde. Vielleicht wollte sie ihm vorführen, wie überlegen sie allen war, wo er ja der Veelabeauftragte war. Doch was genau hatte sie angestellt? Diese Frage war immer noch nicht beantwortet. Die einzige, die das konnte und auch wollte kam erst in wenigen Minuten hier an.

"Die Außeneinsatzgruppen aller für magische Gesetze und Katastrophen zuständigen Abteilungen fahnnden nach Monsieur Vendredi. Ich hoffe, er wird noch vor der Eule dieser Unperson aufgefunden", verkündete Colbert. Dann äußerte er noch was, dass Julius eine gewisse Gänsehaut verursachte:

"Wenn der Minister sich von dem Schock erholt hat, den ihm der Angriff auf seine Verwandten zugefügt hat werden wir den Rechtsanspruch von magischen Menschen mit humanoiden Zauberwesen in der Ahnenlinie besprechen und wohl neu zu bewerten haben. So darf es nicht laufen, dass Halblinge und andere Mischbrütigen ihre ererbten Zusatzfähigkeiten bedenkenlos einsetzen, um unsere Ordnung zu untergraben, ja regelrecht zu zerrütten." Julius wagte im Moment nichts darauf zu antworten. Denn mit so genannten Mischbrütigen war dann auch seine Frau gemeint, die zu einemViertel eine Zwergin war, was nur deshalb nicht auffiel, weil irgendwo in ihrer Ahnenreihe auch eine echte Riesin vorkam, so dass der Zwerginnenanteil Lutetias durch den Riesinnenanteil jener Vorfahrin aufgehoben wurde. Tja, und in seinen beiden Töchtern steckte somit auch ein Achtel Zwergenblut. Da würde er aber sicher noch was zu sagen oder schreiben, wenn Colberts Ankündigung zur konkreten Politik werden sollte.

In Ornelles Büro stellte Julius fest, dass die magische Sphäre nicht nur etwas in ihm und Pygmalion auf Abstand zwang, sondern auch die teilweise lebendig bezauberten Stühle beeinflusste. Denn die lagen alle mit weit von sich gestreckten Beinen in einer Ecke zusammen, die Rückenlehnen umgeklappt. Julius versuchte, einen der Stühle sitzbereit zu machen. Doch als wenn das Möbelstück so aus der Tischlerei gekommen wäre war es unveränderlich, eine Form abstrakter Kunst, dachte er. So blieb ihm nichts übrig, als sich außerhalb der 2-Meter-Begrenzung zu Ornelle auf seinen Schreibtisch zu setzen wie Pygmalion.

"Colbert spielt mit dem Gedanken an Rassenhygiene, Pygmalion. Er ist genauso wütend wie der Minister, was mit Madame Belle Grandchapeau passiert ist. Jetzt suchen sie nach Monsieur Vendredi und hoffen, dass der nicht auch so eingekerkert wurde", sagte Julius auf Ornelle deutend.

"Was soll das bitte sein, Rassenhygiene?" fragte Pygmalion. Julius erläuterte ihm den Begriff aus der Propagandasprache der Nationalsozialisten, die meinten, dass auch ein Vierteljude ein ganzer Jude sei und deren menschenverachtender Meinung nach alle andersrassigen keine richtigen Menschen seien. Dann erwähnte er, was Colbert gemeint hatte.

"Das soll er lassen", schnaubte Pygmalion. "Ich lasse meine Frau und meine Töchter sicher nicht zu unwerten Kreaturen erklären wie billiges Nutzvieh oder tote Gegenstände." Julius stimmte ihm durch heftiges Kopfnicken zu und erwähnte, dass eine seiner Schwiegergroßmütter eine reinrassige Zwergin sei, was Pygmalion ja schon wusste.

"ich möchte heute noch zwei Sachen wissen", setzte Fleurs und Gabrielles Vater an. "Erstens will ich wissen, was meine Nichte sich mit Ornelle, Nathalie und Belle erdreistet hat und dann noch, warum du und ich von dieser Kugel da so heftig zurückgedrängt werden."

In dem Moment klopfte es an die Tür. Pygmalion sah Julius an. Der deutete wieder auf ihn. "Herein!" rief Pygmalion.

Léto, gehüllt in ein hochgeschlossenes, himmelblaues Kleid, ihr silberblondes Haar offen bis zum Gesäß herabwallend, betrat das Büro. Das hieß, sie versuchte es. Denn kaum hatte sie einen Fuß über die Türschwelle gesetzt, da flogen ihre Haare förmlich zur Seite und nach oben, so dass sie wie hauchzarte Zweige eines Baumes von ihrem Kopf abstanden. Julius sah mit der Prägung eines erwachsenen Mannes genau, wie Létos ausgeprägter, wenn auch gut verhüllter Busen regelrecht plattgedrückt wurde, was der Veela unübersehbare Schmerzen bereitete. Sie wich zurück vor die Tür. Ihr Haar verlor die Anspannung und fiel ihr wogend über Brust und Rücken zurück. Ihre Oberweite nahm wieder ihre üppige Form an.

"Ja, sie hat es wahrhaftig gewagt und dazu noch etwas einbezogen, was mich und jeden, der mit mir oder meinem Blut körperlichen Kontakt hatte oder sein eigen Fleisch und Blut vereint hat abweist. Deine goldene Aura, Julius, ist nicht die Ursache, dass der Segen des Sonnenatems dich abweist, sondern dass wir beide schon eine gewisse körperliche Nähe gefunden haben. Das heißt, deine Aura, wohl ein Vermächtnis dessen, was du erlebt hast, leuchtet nur deshalb auf, weil etwas in dir mit der goldenen Lichtkugel widerstreitet. Womöglich wärest du sogar noch weiter zurückgedrängt worden, so wie ich gerade eben, wenn sie nicht wäre."

"Pygmalion, damit haben Sie ihre erbetene Antwort nummer zwei", stellte Julius unverfroren fest.

"Da sind einige Herrschaften, die gerne auch von Ihnen hören möchten, was hier eigentlich los ist, Madame Léto. Vor allem wünschen meine Kollegen zu erfahren, ob dieser Zustand dauerhaft anhält und ob es Nachwirkungen gibt, will sagen, welchem Zweck dieser Zustand überhaupt dienen soll", ratterte Julius nun voll im Amtsmodus herunter.

"Dann kommt mal mit. Ihr können wir im Moment sowieso nicht helfen, noch nicht mal ich, vor allem nicht ich", schnaubte Léto und versuchte, auf Ornelle zu deuten. Doch sie konnte ihre Hand nicht richtig in ihre Richtung strecken, ohne mit schmerzhaftem Zucken im Gesicht den Arm zurückzureißen.

Im Konferenzraum warteten bereits Monsieur Montpelier, der Strafverfolgungsleiter und derzeitige Stellvertreter des Zaubereiministers, sowie Midas Colbert, Monsieur Simon Beaubois, der gerade Vendredis Amtsgeschäfte führte, sowie Primula Arno, die nach Nathalie und Belle ranghöchste Vertreterin des Büros für friedliche Koexistenz von Menschen mit und ohne Magie und die diensthabende Heilerin Anne Laporte auf Pygmalion, Julius und die reinrassige Veela Léto, die sorgsam darauf bedacht war, ihre überirdische Ausstrahlung niederzuhalten. Den Vorsitz führte Monsieur Montpelier. Die Stimmung ähnelte einer langen Winternacht, kalt und dunkel, so empfand es zumindest Julius. Als Montpelier alle Anwesenden begrüßt hatte kam er gleich auf den Punkt:

"Heute, am einundzwanzigsten April zweitausendzwei, wurden drei ranghohe Mitglieder des Zaubereiministeriums Opfer einer bis dahin unbekannten Verhexung. Als Urheberin kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die seit März unauffindbare Hexe Euphrosyne Blériot eingestuft werden, die sich durch einen sehr grenzwertigen Vorgang der Nähe und Verbundenheit eines in der nichtmagischen Welt bekannten Berufssportlers versicherte. Da unser Ministerium im Dienste der Bewahrung des friedlichen Miteinanders aller Menschen eine Gefährdung der Geheimhaltung der Zauberei befürchten musste, wurde dem Mann durch ein moralisch vielleicht fragwürdiges, dienstlich bedauerlicherweise unumgängliches Vorgehen die Möglichkeit entzogen, gewollt oder ungewollt Nutznießer ihrer magischen Kräfte zum Zwecke des materiellen Gewinns zu werden. Meine Behörde erfuhr auch erst heute davon, was geschah, obwohl ich klar und deutlich sagen muss, dass mir der komplette Vorgang schon längst hätte mitgeteilt werden müssen. In der Hoffnung, dass die Damen Grandchapeau und Ventvit aus ihrer gegenwärtigen Lage befreit werden können und danach weiterhin im Vollbesitz ihrer körperlichen und geistigen Fähigkeiten sein werden melde ich jetzt schon einmal ernsten Aufklärungsbedarf an. Sollte ich heute noch erfahren wo der Kollege Vendredi anzutreffen ist gilt diese Ankündigung vordringlich ihm. In dem Zusammenhang, wo hier gerade untergeordnete Mitarbeiter der erwähnten Kollegen anwesend sind: Derartige Vorgänge gehören auch in mein Ressort, die Dame und die Herren, damit wir uns da ganz klar verstehen. Natürlich ist mir bewusst, dass Sie weisungsgebunden und genauso zur Vertraulichkeit und auch Verschwiegenheit verpflichtet sind wie meine Mitarbeiter oder ich selbst. Dennoch solte jede Aktion, die magische Rechtsbrüche provozieren könnte, zumindest im Nachhinein der Abteilung zur Wahrung magischer Gesetze zur Kenntnisnahme vorgelegt werden, bestenfalls im Vorfeld mit dieser auf Vertretbarkeit hin überprüft und entsprechend ausgefertigt und umgesetzt werden. Aber dies wird wie erwähnt mit den gerade am meisten betroffenen Kollegen zu erörtern sein. Da Madame Léto hier aus der Ferne erspüren konnte, dass ihr Schwiegersohn, Monsieur Delacour, sowie der zwischen ihrer Rasse und uns vermittlungsbevollmächtigte Monsieur Latierre einem ihrer Natur entspringendem Zauber ausgesetzt wurden bemühte sie sich hierher und wird uns, wie ich hoffe, umfassende Auskunft darüber erteilen, womit wir es hier zu tun haben und ob wir etwas dagegen tun können, ohne die Betroffenen zu gefährden. Denn Madame Eauvive, die Sprecherin der magischen Heiler Frankreichs, hat unmissverständlich darauf beharrt, dass keine Tätigkeit ausgeführt werden darf, die Leib und Leben der Betroffenen bedroht. Ob wir diese Anforderung erfüllen können möchte ich derzeit nicht versprechen. Jetzt soll Madame Léto uns erläutern, was hier vorgeht."

"Öhm, können Sie dies bitte anders sagen, Monsieur Montpelier?" raunte Léto mit unüberhörbarer Verärgerung.

"Vorsicht, Madame, Sie genießen nur Beachtung, weil wir mit Ihrer Rasse bisher gute Erfahrungen gemacht und Ihre Intelligenz und Kultivierthheit geschätzt haben. Also los, was geht hier vor!" schnaubte Montpelier.

"Nun gut, da ich Ihre wertvolle Zeit und Geduld nicht noch weiter belasten möchte sehe ich einmal über Ihren respektlosen Ton hinweg und werte ihn als Ausdruck der Verunsicherung", sagte Léto. Julius musste sich arg anstrengen, nicht zu grinsen. Montpelier warf Léto einen warnenden Blick zu, ebenso Colbert. Doch das ließ Léto offenbar kalt. Sie richtete sich noch mehr auf als so schon und begann mit ruhiger Stimme zu erzählen.

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Arion Vendredi genoss seinen freien Tag. Ministerium, renitente Amtsanwärter, affektierte und rebellische Veelas, machtsüchtige Vampire und kriminelle Werwölfe, all das konnte er schön hinter sich lassen, wenn er im Schutze partieller Selbstverwandlung und unter Benutzung eines Decknamens in einer Stadt an der Côte d'azur unterwegs war. Dass er gerne die Vergnüglichkeiten der Muggelwelt auskostete war sein ganz eigenes Geheimnis. Er hatte in Nizza sogar ein eigenes Rennboot, ganz ohne magisches Zubehör. Wenn er es schaffte, um acht Uhr morgens wieder in seiner Dienststelle zu sein konnte er sogar bis vier uhr in der Früh ausbleiben, dem Wachhaltetrank sei Dank. um nicht von den Überwachern vonSchiffs- und Flughäfen aufzufallen hatte er sich nach Didiers Machtverlust eine jener Antisonden verschafft, die der erfinderische Florymont Dusoleil entwickelt hatte. Doch wenn er wie jetzt an Bord seines Rennbootes war brauchte er dieses passable Stück Unterkleidung nicht. Einmal mit an die zweihundert Stundenkilometer von Nizza nach Monte Carlo, dort ein paar Runden Roulette und dann zurück nach Nizza. Heute wollte er alles um sich her vergessen.

Die "Sagitta Gallica" schnurrte wie eine Nähmaschine auf Amphetaminen über die Wellen des Mittelmeeres dahin. Im Bordradio lief ein populärer Schlager aus dem Jahre 1998, der irgendwas mit Lichtstrahlen zu tun hatte, zumindest verstand es Vendredi, der es bisher nie nötig gehabt hatte, richtig Englisch zu lernen, zumal er den Text über den voranstampfenden Schlagzeugrhythmus und das hohe Trällern dieser amerikanischen Sängerin, die nach einer wichtigen Schutzheiligen der Katholiken benannt war dann eh nicht verstanden hatte. Jedenfalls spornte ihn das Tempo und das in künstlichen Echos ausartende Singen richtig an, den Gashebel bis zum Anschlag zu schieben. Doch das war ihm immer noch nicht schnell genug. Er, der früher einmal Quidditch-Profi gewesen war und den neuesten Ganymed-Rennbesen flog, wollte mehr Geschwindigkeit. Ja, schneller als ein Lichtstrahl über das Meer hinwegjagen, auch wenn er eigentlich wusste, dass dies ohne Magie nicht möglich war. Er hatte ja noch die Gefahrenstufe. Damit würde er zwar den sowieso schon an der Obergrenze orgelnden Motor gnadenlos beanspruchen, ja vielleicht überlasten. Aber für eine Minute allerhöchste Geschwindigkeit wollte er es haben. Er legte den kleinen roten Hebel um und klammerte sich mit Händen am Steuerrad und mit den Beinen am Sitz fest. Laut aufheulend schleuderte der Motor das Boot nach vorne, trieb es schneller und schneller dahin. Die aufgetürmte Bugwelle ragte bereits höher als der Bug selbst. Er jagte das Wasser des Meeres, zerteilte es wild und ungezügelt hinter sich zu einer langen, breiten Schaumschleppe. Der Geschwindigkeitsanzeiger zeigte 270 Stundenkilometer und blinkte rot. Vendredi war ganz im Rausch der Geschwindigkeit, gerade noch aufmerksam genug, nicht in ein vor ihm den Kurs kreuzendes Boot oder Schiff hineinzurasen. Er genoss es, eins mit Wind und Wellen zu sein, sie zu beherrschen.

Als die von ihm angepeilte Minute um war zog er den Gefahrenhebel behutsam zurück. Der Motor verfiel wieder in das übliche Orgeln bei voller Fahrt voraus. Ja, er verstand, warum die Muggel von heute ganz ohne Magie auskommen konnten. Aber sie wussten es ja auch nicht besser, dachte Arion Vendredi. Dafür wusste er nicht, was sich im Zaubereiministerium gerade zutrug.

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"Es gehört eigentlich zu den geheimen Fertigkeiten meiner Rasse, mit den Gestiernen und der Erde eine Wechselwirkung herzustellen. Die allermeisten Anwendungen davon sind friedlich. Unter diesen gibt es jedoch auch einige, die zwar in der Wirkung nutzbringend für andere Wesen sind, aber nicht ohne gewisse Hintergedanken vollzogen werden. Deshalb wurden sie vom Rat der Ältesten verboten, dem damals auch meine Muttermutter Feuerlied angehörte. Es sind die sieben verbotenen Segen. Einer davon ist der Segen des Sonnenatems, ursprünglich als reiner Heilssegen aus alter Zeit überliefert, als ein mächtiges Menschenvolk die Erde bewohnte, das mit der errungenen Macht leider nicht weise genug umgehen konnte und sich selbst aus der Welt tilgte. Dieser Segen des Sonnenatems, meine werten Zuhörerinnen und Zuhörer, mag manchem wie ein wirklicher Segen vorkommen, denn er bewirkt nichts anderes als eine stark verlangsamte Alterung." Léto ließ diesen Satz einige Sekunden wirken. Alle sahen sie an, die einen verdutzt, die anderen verunsichert, Montpelier und Colbert höchst ungeduldig. Dann fuhr sie fort: "Dieser Segen kann nur von einer Veela erteilt werden, die selbst gerade neues Leben in sich heranreift. Damit und mit tagelangen Krafterwerbsliedern an die Sonne, kann sie die ganze Macht dieses Segens bündeln. Eigentlich gingen wir, also meine Artgenossen und ich, davon aus, dass dieser Segen nur bei direkter Sicht und in Hörweite des zu segnenden erteilt werden könne. Doch ich muss wohl erkennen, dass meine Enkeltochter Euphrosyne einen Weg gefunden hat, ihn aus der Ferne zu erteilen und auch noch so, dass keine Blutsverwandte oder jemand, der oder die bereits mit mir oder einer Blutsverwandten körperliche oder geistige Verbundenheit erlebt hat, den Segen unterbrechen oder gar widerrufen kann. Nun, ich sehe Ihnen an, dass Sie alle nun wissen wollen, warum der Segen des Sonnenatems ein verbotener Segen ist." Alle nickten zustimmend. "Wer gesegnet wird, lebt nur so lange mit verlangsamter Alterung, solange die Segensspenderin lebt und solange sie fruchtbare Nachkommen hervorbringt, die wiederum Nachkommen haben. Außerdem überträgt sich die Kraft des Segens auch auf alle später geborenen Nachkommen der Gesegneten. Was Madame Nathalie Grandchapeau betrifft wird überdeutlich, warum der Segen ein verbotener Segen ist. Denn alles Leben, was von ihm erfüllt und umschlossen wird, wird dieser verlangsamten Alterung des Körpers unterworfen. Das Kind, das sie derzeit unter ihrem Herzen trägt, wird in dem Maße langsamer heranreifen, wie sie selbst körperlich altert, wie langsam dies abläuft weiß ich nicht, genausowenig wie ich weiß, wie meine Enkelin den Segen über große Ferne gewirkt hat."

"Es ist ein Fluch", stieß Montpelier aus. "Madame Grandchapeau könnte also jahrhunderteelang schwanger bleiben. Das ist eine Strafe, kein Segen, eine feige, gnadenlose Racheaktion!"

"Es ist ein Segen, weil dem Empfänger oder der Empfängerin kein Schaden zugefügt wird, ja der Körper sogar auch in der Weise stärker gegen Verletzungen und erkrankungen geschützt wird, wie er langsamer altert. Haut, Fleisch, Knochen, Nerven, alles ist wesentlich schwerer zu verletzen als sonst. Deshalb empfinden es die Empfänger ja doch irgendwie als Segen, sofern sie keine werdenden Mütter sind. Aber dafür müssen sie sicherstellen, dass die Segensspenderin unversehrt bleibt und ihre Nachkommen ebenfalls unversehrt aufwachsen und ihrerseits Nachkommen zeugen und so weiter, eine ewige Verpflichtung zwischen der ewigen Sonne und zweier Blutlinien. Das ist es, was den Segen des Sonnenatems zum verbotenen Segen macht."

"Also kein frommer Wunsch nach Glück ohne Anspruch auf Gegenleistung", warf Julius ein, nachdem er sich bei Montpelier wortlos Sprecherlaubnis erbeten hatte.

"So ist es, Monsieur Latierre. Deshalb wurde dieser Segen wie die anderen auf je ein Himmelsgestirn bezogenen Segen mit ähnlicher Grundabsicht zu verbotenen Zaubern erklärt. Wer sie anwendet verliert das Recht, mit einer einem anderen Veela eine Familie zu gründen und erhält auch keinerlei Unterstützung zu lebzeiten. Und damit Sie, werter Monsieur Montpelier nicht gleich loslaufen und eine Tötungsanweisung an ihre Truppen erteilen, nur zu lebzeiten. Die Blutrache nach einem gewaltsamen Tod eines meiner Artgleichen bleibt bestehen. Denn immerhin hat eine von uns dieses Leben in sich getragenund zur Welt gebracht und ein Vater hat dafür seine Freiheit und seine Kraft beschränkt, um dieses Leben erstarken und eigenständig werden zu lassen. Also vergessen Sie das mit der Tötungsvollmacht! Vergessen Sie das auch um der Mesdames Grandchapeau und Mademoiselle Ventvit Willen! Denn stirbt die Segensspenderin oder wird ihr die Möglichkeit verwehrt, fruchtbare Nachkommen hervorzubringen oder diesen die Möglichkeit verwehrt, fruchtbare Nachkommen hervorzubringen, so stirbt der Empfänger des Segens oder dessen Nachgeborener bis ins fünfte Glied eines sehr schnellen Alterungstodes, der unaufhaltsam ist, auch für diesen Verjüngungszauber, den Sie als Infanticorpore-Fluch bezeichnen. Denn er würde nicht wirken, so stark wie der Empfänger des Segens von Magie erfüllt ist. Also vergessen Sie das ganz schnell und gründlich, meine Enkeltochter Euphrosyne zu töten, und auch, ihr ihren Gefährten wegzunehmen. Gut, letzteres hat sie ja schon dadurch vereitelt, dass sie im Falle einer zu langen Trennung von ihm stirbt und damit die erwähnte Blutrache heraufbeschwört. Ich empfinde wie Sie sehr große Verärgerung, dass eine Nachgeborene von meinem Blut eine derartig durchtriebene, gnadenlose und unumkehrbare Methode gefunden und verwendet hat, ihre Ziele zu verfolgen, nachdem Sie ihr eigentliches Ziel, die Frau eines berühmten Mannes zu sein, ebenso unumkehrbar verdorben haben." Julius musste nicken, obwohl er eigentlich nichts dazu äußern wollte. Temmies Warnung, dass die Aktionen gegen Euphrosyne und ihren Auserwählten auf die zurückfallen würden, die sie ausgeführt hatten, hatte sich leider sehr schnell bewahrheitet. Doch was hätte er tun können, wo sie ihn ganz gezielt aus diesen Aktionen herausgehalten hatten? Klar, sie wussten, dass er wohl Einspruch dagegen eingelegt hätte und versucht hätte, eine andere, friedlichere Lösung zu finden.

"Wielange bleiben die Betroffenen noch in diesen Lichtsphären und warum ist es nicht möglich, diese mit Zaubern zu berühren, ohne gleich den eigenen Zauberstab zu zerstören?" wollte Anne Laporte wissen.

"Zur ersten Frage: Die Umschließung und durchflutung hält solange vor, wie mindestens ein Sonnenstrahl auf die Erde fällt. Versinkt die Sonne ganz unter dem Horizont, kommen die Empfänger des verbotenen Segens wieder frei und können ihr Leben in gewohnter Geschwindigkeit fortsetzen, eben nur, dass sie sich nicht mehr so leicht verletzen, verbrennen, vergiften oder mit Krankheiten anstecken können. Das Madame Grandchapeau Nathalie wohl mehr als ein Jahr lang ihr Kind weitertragen muss habe ich ja schon erwähnt. Sie wird es aber als ausgereift und gesund zur Welt bringen. Dies geht aber nur auf natürliche Weise. Jede andere Weise würde das Kind einem überschnellen Alterungsvorgang ausliefern."

"Und wenn das Kind geboren ist, wird es dann mit üblicher Geschwindigkeit altern oder auch derartig verzögert aufwachsen?" wollte Anne Laporte wissen. Léto überlegte und gab zu, dies nicht zu wissen, weil zum einen bisher keine schwangere Frau diesem Segen unterzogen wurde und es zum anderen keiner außer Euphrosyne wusste, wie sie den Segen mit anderer Magie abgeändert hatte, wenn sie ihn schon aus der Ferne erteilen konnte."

"Ich weiß, das kommt irgendwie kaltherzig rüber", setzte Julius an. "Aber wie wird der Segen denn üblicherweise erteilt?"

"Das halte ich nicht für kaltschnäuzig, sondern für gesunde Neugier in Anbetracht einer völlig fremden Lage. Den genauen Wortlaut werde ich nicht preisgeben, da der Segen zudem nur von Angehörigen meiner Rasse erteilt werden kann. Das einzige, was ich verraten möchte ist, dass der volle Name des Empfängers oder der Empfängerin siebenmal so oft genannt werden muss, wie die Verzögerung wirken soll."

"Es bleibt ein verfluchter, in den tiefsten Giftpfuhl geworfener Fluch", schnaubte Montpelier. Julius wollte noch eine Frage stellen. Doch der Konferenzleiter verweigerte ihm diesmal das Wort. Denn er wollte selbst was sagen:

"Wir können ihre Enkelin nicht verhaften oder anderweitig bestrafen, ohne ihren Tod herbeizuführen. Aber wir können und werden ihr das Recht verwehren, in diesem unserem Lande weiterzuleben oder gar das Kind, von dem Sie sagen, dass sie es wohl gerade im Bauch hat und jedes andere mit diesem Muggel gezeugte Mischlingsbalg bei uns aufwachsen und gedeihen zu lassen. Wo immer sie gerade ist, da soll sie bleiben, und wenn es der Mond selbst ist!"

"Ich werde es in meine letzte Botschaft einbeziehen, die ich ihr übermitteln werde, wenn sie für meine Worte wieder empfänglich sein wird", sagte Léto. Julius hob schon wieder die Hand. Montpelier schüttelte abermals den Kopf. Doch Beaubois sprach ihn an: "Eine Frage oder eine Bemerkung, Monsieur Latierre?"

"Eine Frage", erwiderte Julius und wandte sich Léto zu. Diese nickte einverstanden. "Was genau ist mit dem Atem der Sonne gemeint?"

"Dann frage ich doch mal in diese erlauchte Runde, warum niemand anderes als ein junger, zwei Welten kennender Zauberer diese Frage stellt. Können Sie ihm die Frage beantworten?"

"Wollen Sie uns jetzt auch noch verhöhnen, dann sind Sie aber sehr schnell hier raus", blaffte Montpelier. Dann schüttelte er den Kopf und knurrte, dass er die Antwort nicht kenne. Auch die anderen wussten sie nicht.

"Der Atem der Sonne ist die Zeit, in der sie einmal dunkler wird und dann wieder heller. Üblicherweise wird diese Zeit mit einer anderen Zeit in Bezug gebracht, einem Sonnentag, einer Mondphase, einem Mondumlauf, den Abstand zwischen Frühlings- und Herbsttagundnachtgleiche oder Herbst- und Frühlingstagundnachtgleiche, höchstens ein Jahr, wobei je kürzer der erwähnte Zeitraum ist, desto länger muss sich die Spenderin des Segens darauf vorbereiten, weil der erwähnte Zeitraum dann die Zeit andauert, die die Sonne für mindestens einmal ein- und ausatmen braucht." Julius erbleichte. Mit dem Atem der Sonne war also der Sonnenfleckenzyklus gemeint, der bis zu elf Jahren dauerte. Wenn Euphrosyne die Zeit gehabt hatte, sich mit der Magie aufzuladen, um in diesemZeitraum nur eine einzige Stunde Alterung zu gewähren, dann wurde Madrashtarggayans Rekord gebrochen.

"Kann sich jemand vor diesem so genannten Segen schützen?" fragte Monsieur Beaubois.

"Ja, nicht hinhören und schnell das Weite suchen, wenn eine schwangere Veela ganz ohne Kleidung am Leib vor einem auftaucht und zu singen anfängt", sagte Léto. Alle grinsten verdrossen. "Ich meine das ernst. Allerdings kann ich Ihnen leider nicht raten, wie sie sich vor Euphrosynes Abwandlung schützen können. - hmm, doch, kann ich. Öffnen Sie keine Briefe mehr von ihr. Wie auch immer, sie hat den Segen mit den Briefen übersandt, eine Möglichkeit die wir Veela nie bedacht haben, weil wir keine Schrift benutzen." Julius meldete sich wieder zu Wort. Monsieur Montpelier verzog das Gesicht und grummelte: "In Belenus' Namen."

"Würde es vielleicht reichen, wenn die Person, die dem Zauber unterworfen werden soll, diese Segensformel in Gedanken ausspricht, wenn Euphrosyne das Pergament und / oder die Tinte vorher entsprechend bezaubert hat? Es gibt flüche, die durch das leise oder laute Aussprechen von Textzeilen in Kraft treten."

"Ja, aber sowas wird erkannt und kann aufgehoben werden, wie Sie mit Ihren Super-UTZs ganz sicher wissen", polterte Montpelier los. Damit brachte er aber Primula Arno egen sich auf.

"Ja, und die Fallenschleuse hat keinen Fluch erkannt und kein Gift, überhaupt keine eingewirkte Magie?"

"Nein, überhaupt keine, und unsere Fallenschleuse ist schon so empfindlich, dass ein magischer Funke, der vor drei Tagen das Pergament berührt hat, noch nachgewisen werden kann!" brüllte Montpelier. Jetzt war Anne Laporte es, die sich entrüstete:

"Wenn Sie noch weiter Ihre Stimmbänder und unser Gehör mit dieser unstatthaften Lautstärke überlasten muss ich Ihnen seelisches Ungleichgewicht und damit Dienstunfähigkeit atestieren. Reißen Sie sich also gütigst zusammen", schnarrte sie.

"Es wird Zeit, das Monsieur Champverd wiederkommt", seufzte Montpelier. Da meinte Beaubois:

"Um Magie zu erkennen muss Magie verwendet werden, sofern sie sich nicht in kinetischen, optischen, akustischen oder thermischen Effekten äußert. Die Empfindlichkeit der Fallenschleuse kann nicht unendlich hochgeschraubt werden, weil die eigene Magie eine sehr schwache, nicht für Menschen nachweisbare Restkraft in die geprüfte Materie einlagert. Damit könnte genau der von Ihnen erwähnte Funke überlagert werden, Kollege Montpelier. Somit wäre dieser dann nicht mehr nachzuweisen."

"Das ist nicht wahr!" stieß Montpelier aus und drosch mit solcher Wucht die Faust auf den Tisch, dass die darüber schwebenden Kerzen flackerten. Anne Laporte nickte Simon zu und sagte dann, als sie das Wort erhielt:

"Und wenn eine mit Leben selbst wechselwirkende Magie verwendet wird kann sie sich ähnlich wie ein Virus oder eine lebende Zelle vermehren, ausbreitenund dadurch die Kraft erhalten, um die gewünschte Wirkung zu erhalten. Apropos Leben, es könnten auch winzige Körperfragmente eines lebenden Wesens in die Schreibtinte eingefügt werden, Körperfragmente, die bereits abgestorben sind, bevor sie vom Körper gelöst wurden, wie Finger- und Zehennägel - oder Haare." Das traf und saß, erkannte Julius. Denn auch Léto wirkte sehr erschüttert. Und Anne war noch nicht fertig: "Die meisten von Ihnen haben Zaubertränke bis zu den UTZs erlernt und kennen daher den Vielsaft-Trank. In eine Dosis davon muss nur ein winziges Körperfragment der zu imitierenden Person eingebracht werden, ein ganzer Zehennagel oder eine den Bruchteil eines Millimeters lange Haarspitze, um die volle Wirkung zu erzielen. Meine Mutter und ich sind Hebammen und wissen daher, das aus einem winzigen Spermatozoiden, der mit einer im Vergleich dazu großen Eizelle zusammenfindet, ein ganzer, fertiger Mensch entstehen kann. Und in jeder Körperzelle steckt die Kraft, einen ganzen Menschen zu imitieren, wie auch immer das genau geht."

"Desoxyribonukleinsäure", warf Julius das betreffende Schlagwort ungefragt in den Raum."

"Dürfen Sie mir gerne mal erklären, wenn die Konferenz vorbei ist", sagte Anne Laporte.

"Ja, und solange sie dauert bestimme ich, wer was zu sagen hat. Monsieur Latierre, Sie wurden von ihrem Vorgesetzten bereits einmal verwarnt. Glauben Sie mir, dass Sie von mir nicht verwarnt werden wollen." Julius nickte zustimmend. "So bleibt mir als Leiter der Abteilung zur Durchsetzung der magischen Gesetze eine ganz kleine aber entscheidende Frage, Madame Léto", setzte Montpelier mit sehr eindringlicher Betonung an. "Wenn das, was Sie als Segen bezeichnen doch verboten ist, wieso kann Ihre auf Abwege geratene Enkeltochter ihn dann? Warum wird diese Zauberei überhaupt weitergegeben, wenn sie doch angeblich so geächtet ist?"

"Ich beantworte Ihnen die beiden Fragen mit einer Erklärung", setzte nun Léto zur Erwiderung an. "Meine Enkeltochter hat die Worte erlernt, weil sie zu unserer Geschichte gehören, zu unserer Kultur, wenn Sie es so wollen und vor allem auch deshalb, um zu lernen, warum dieser Segen verboten ist und jeder Versuchung zu widerstehen, ihn anzuwenden, wodurch sie und jede andere Veelanachfahrin auch lernt, eigene Standhaftigkeit zu erlangen und sich nicht vom süßen Rausch der Macht verführen zu lassen. Deshalb habe ich diesen und jeden anderen verbotenen Segen erlernt und auch weitergegeben. Schließlich haben Sie alle hier, die Sie hier sitzen, im Schulunterricht bösartige Zauber kennengelernt, um sich gegen diese wehren zu können. Das heißt aber auch, dass sie diese Zauber als Angriffsmittel gegen Ihre Mitmenschen anwenden können."

"Sie stellen hier einen unhaltbaren Vergleich an, der ...", stieß Montpelier aus, wurde jedoch mitten im Wort abgewürgt, weil Monsieur Beaubois ungebeten ausrief:

"Da haben Sie Ihre Antwort, Monsieur Montpelier. Sind Sie nun zufrieden?"

"Monsieur Beaubois, Ihnen kann ich leider keine Verwarnung aussprechen, da dies nur Ihrem Vorgesetzten zusteht. Aber noch einmal lasse ich mich nicht unterbrechen, verstanden. Wer hier spricht oder nicht beschließe ich!"

"So, was sollen wir denn dann noch beschließen? Wir können Euphrosyne nicht töten, ihr nicht den Mann wegnehmen, diesen scheinheiligen Segen nicht widerrufen und auch nicht verhindern, dass dieses Weib eine Familie gründet. Also, was beschließen wir?" schaltete sich nun Midas Colbert ein. "Dann laden wir sie eben ein, bei uns zu leben und knöpfen ihr und ihrem Mann und ihrer Mischlingsbrut dafür so hohe Steuern ab, dass sie es bereut, hier zu leben. Und bei der Gelegenheit beschließen wir dann auch noch eine Aufenthaltsberechtigungssteuer für alle, die keine reinrassigenMenschen sind. Dann haben wir genau wie beim Opferentschädigungsfond für die von den Todessern oder Didiers Regime geschädigten genug Gold zur Verfügung und bringen alle anderen dazu, sich einen anderen Wohnort zu suchen, bis jedes Land sie besteuert. Die Araber haben das im Mittelalter mit den in Spanien lebenden Christenund Juden genauso gemacht, bis die Hexen -und Zaubererverächter von den Katholiken sie vertrieben haben und meinten, nur ihr Glaube sei richtig."

"Midas, das vergessen Sie bitte unverzüglich, was Sie da gerade von sich gegeben haben", erhob nun Pygmalion Delacour zum ersten Mal seine Stimme. "Ich bin mit einer Veelastämmigen verheiratet, habe mit ihr zwei Töchter gezeugt, die Ihrem Bild nach auch nicht reinrassig sind und habe bereits eine Enkeltochter, wenngleich in England. Sie glauben doch nicht im Ernst, das ich und alle die, die mit Zwergennachfahren, Koboldabkömmlingen oder Veelastämmigen verwandt sind diese Maßnahme hinnehmen werden, wo viele sowieso schon darüber klagen, mehr an Steuern zu zahlen, als ihnen an Einkommen zugeht. Sollten Sie dem Minister diesen Floh ins Ohr setzen, mit überzogenen Wohnrechtssteuern für gemischtrassige Hexen und Zauberer das konkrete Problem mit Euphrosyne zu lösen, werden Sie eine Eidechse mit einem Basilisken austreiben. Aber Danke, dass wir Ihre abstruse Idee schon jetzt hören durften, um genug Zeit zu haben, ihr entgegenzutreten!"

"Also, was wollen wir beschließen?" zischte Colbert.

"Wir beschließen hier und jetzt, dass wir es dem Minister und den betroffenen überlassen, wie sie mit der Lage umgehen wollen", sagte Anne Laporte. Montpelier und Colbert warfen ihr einen höchst verärgerten Blick zu. Doch sie blieb ruhig. "Denn wenn Sie hier jetzt von Rassenbestimmungen anfangen, wo das Thema spätenstens nach demSturz des Unnennbaren als grausam und intelligenter, fühlender Wesen unwürdig erkannt wurde, so komme ich als Heilerin nur zu dem Schluss, dass Sie beide, Monsieur Montpelier und Monsieur Colbert, offenbar nicht mehr richtig bei Verstand sind, um verantwortungsvolle Entscheidungen treffen zu können. Daher sollten wir hier und jetzt Schluss machen. Der Grund für die Zusammenkunft ist eh schon längst erledigt, die Erläuterungen von Madame Léto. Also beschließen Sie endlich diese Zusammenkunft, bevor Sie oder noch wer in ablehnenswürdige Vorstellungen verfällt!"

"Im wie vieltenJahr sind Sie heilerin?" wollte Monsieur Colbert wissen.

"Im sechsten Jahr meiner Aprobation."

"GlaubenSie nicht, dass Sie dann noch ein wenig zu unerfahren sind, um beurteilen zu dürfen, wer welche Entscheidungen trifft und aus welchem Grund?" fragte er.

"Nein, das bin ich nicht, weil Monsieur Champverd mich sonst niemals als seine Vertretung für seine Fortbildung vorgeschlagen hätte. Außerdem würde er Ihnen ebenfalls vorhalten, sich bereits außerhalb zulässiger Argumente zu bewegen und erörtern, woher das kommt."

"Ich gehe davon aus, dass Madame Eauvive eine andere Fachkraft empfehlen wird, wenn wir ihr das Protokoll dieser Zusammenkunft vorlegen", sagte Montpelier. Doch das lies Anne kalt. Julius bewunderte sie für diese Gelassenheit.

"Bis dahin bleibe ich die diensthabende Heilerin hier, die Herren Abteilungsleiter. Bringen Sie mich also bitte nicht auf die Idee, Ihre Dienstfähigkeit zu hinterfragen. Dies ist keine Drohung, sondern eine Bitte im Namen einer einvernehmlichen, kollegialen Zusammenarbeit."

"Gut, die Sitzung ist hiermit geschlossen", zischte Montpelier und hieb mit der Faust auf den Tisch, weil er keinen Richterhammer zur Verfügung hatte und auch keine Glocke. Die Anwesenden erhoben sich. Léto schenkte Colbert ein strahlendes Lächeln, was diesen total aus dem Konzept brachte, wie Julius erkannte.

"Das mit dieser Desoxynukleussäure möchte ich von Ihnen gleich noch genau erklärt bekommen, Monsieur Latierre", sagte Anne. "Ich berufe mich dabei auf die Bevollmächtigung eines aprobierten Heilers, einen zertifizierten magischen Ersthelfer zur Unterstützung heranzuziehen", sagte sie laut genug, dass Pygmalion Delacour und Primula Arno es hören konnten. Julius antwortete in derselben Lautstärke:"

"Ich bin einverstanden."

"Julius Latierre empfing noch eine Gedankenbotschaft von Léto: "So, dann werde ich mich besser davonmachen, bevor mir noch ein Feuerball ausrutscht vor lauter Wut."

"Wut, du hast Colbert ein strahlendes Lächeln geschenkt", schickte Julius zurück.

"Nein, ich habe ihm die Zähne gezeigt", erwiderte Léto unverzüglich. Julius musste grinsen. Sowas hatte er doch selbst mal geantwortet, wo er gefragt wurde, warum er wen angelächelt hatte.

Anne ließ sich mit Hilfe von magischen Bildillusionen Aufbau und Funktion der DNS, die wegen Englisch als weitverbreitete Wissenschaftssprache auch DNA abgekürzt wurde, soweit erklären, wie Julius es selbst verstand und es für jemanden, die mit technischen Geräten der Muggel nichts zu tun hatte erklären konnte. "Und was machendie Muggel mit dem Wissen darüber?" fragte sie.

"Das diskutieren die schon seit Jahrzehnten. Die einen wollen maßgeschneiderte Kinder, die anderen wollen Erbkrankheiten früh genug erkennen oder ausschalten und wieder andere wollen Pflanzen und Tiere patentieren lassen, um damit viel Geld zu verdienen. Gutes und Böses in dieser winzigen Doppelspirale, die genausowenig was für das kann, was mit ihr gemacht wird oder aus ihr entsteht, wie das Gold in Gringotts", philosophierte Julius.

"Ja, und dieses Winzfädchen in jeder Zelle bestimmt unser Leben von der Zeugung bis zum letzten Atemzug. Da halten wir uns alle für groß und mächtig. Aber wenn in diesemWinzling drinsteht, wann gegessen werden muss, wird dann auch gegessen. Aber danke für diese erläuterung. Jetzt weiß ich zumindest, was genau in der Zelle unseren Bauplan enthält."

"Und Sie nehmen die Drohung Montpeliers nicht ernst?" fragte Julius.

"Hmm, klingt danach, als wenn Sie unsere Zunftsprecherin nicht kennen würden. Denn die würde klarstellen, dass die Heilerzunft die Dienstposten vergibt und nicht das Ministerium. Wenn die hier mit mir nicht zufrieden sind gibt es eben keinen HVD hier."

"Heute konnten Sie leider nicht groß auftrumpfen", erwiderte Julius, sich bewusst, einen wunden Punkt anzusprechen.

"Das ist das Los der Heiler, Monsieur Latierre. Jeder Tag kann dich mit einer unbekannten Erkrankung, Körper- oder Seelenveränderung oder einer beides verformenden Zauberei oder Vergiftung konfrontieren. Wer damit nicht zurechtkommt muss sich einen anderen Beruf suchen. Zumindest habe ich den Rat meines Vorgängers Champverdd befolgt und mir bei Charpentier noch zwei Zauberstäbe gekauft, damit ich hier nicht zu lange ohne Zauberstab herumlaufen muss."

"Schon heftig, was den Grandchapeaus passiert ist, nicht wahr."

"Ja, und es fängt jetzt erst an, Julius. Wenn sie wirklich in drei Stunden erst aus dieser Lichtblase fallen könnten sie so überwältigt sein wie gerade geborene Kinder. Und dann kommt noch hinzu, dass sie sich mit dem Umstand arrangieren müssen, dass sie alle ihre bereits geborenen Nachkommen überleben und womöglich auch deren Enkel. Das ist fast wie Unsterblichkeit, was Euphrosyne ihnen auferlegt hat und für die meisten dann wirklich wie ein Segen. Aber dieser Segen wird immer irgendwann zum Fluch, genau wie die Möglichkeiten der Desoxyribonukleinsäure. Wortwörtlich erschwerend kommt dann noch Madame Grandchapeaus Schwangerschaft hinzu. Sie war oder ist noch darauf eingestellt, im Juni niederzukommen, ein neues Kind in der Welt begrüßen zu dürfen. Wir wissen nicht, mit welcher Verzögerungsrate dieser Zauber ausgeführt wurde. Am Ende hat Euphrosyne wirklich eine Stunde Alterung auf die Länge von zehn oder zwanzig Sonnenatem festgelegt. Julius nickte und erwähnte, das auszurechnen, wenn er die Vergleichswerte genau kannte. Er war sich sicher, dass der Segen in dem Brieftext enthalten war.

"Das ist eine bisher rein akademische Frage bei werdenden Hebammen: Wie lange kann eine Frau die körperlichen und seelischen Auswirkungen einer Schwangerschaft ertragen, ohne zusammenzubrechen? Und wie weit kann sich ein Kind im Mutterleib entwickeln, bevor es dort nichts neues mehr lernen kann und nur durch die Geburt einen Anstoß zur Weiterentwicklung erfährt? Was habe ich gerade von Léto gehört, dass reinrassige Veelas fünf Jahre an einem Kind tragen?"

"Das stimmt", sagte Julius, und Latierre-Kühe tragen zwei Jahre an einem Kalb. Das ist dann aber auch schon lauffähig, sobald es geboren wird."

"Ja, aber sprechen, lesenund schreiben kann es nicht", sagte Anne. Julius nickte. Er war froh, als sie dann sagte, sie wolle ihren Bericht bei Madame Eauvive abgeben. Denn fast war er versucht, ihr von Madrashtarggayan zu erzählen. Würde Nathalie dazu verurteilt sein, mehr als dreihundert Jahre mit ihrem Kind im Schoß zu leben, war die Frage interessant, ob sich der kleine Grandchapeau wirklich nicht über das Stadium eines Neugeborenen hinaus entwickeln konnte und falls nicht, ob die irgendwann einmal stattfindende Geburt ihn derartig schockieren mochte, dass er vor Angst und Kreislaufversagen starb. Womöglich würde dieser Vorfall die höchste Geheimhaltungsstufe erhalten. Aber dann mussten die Damen Grandchapeau und womöglich auch Ornelle dass Ministerium verlassen, ja vielleicht alle hundert Jahre offiziell sterben, um mit einer anderen Identität weiterzuleben, damit niemand drauf kam, dass da drei beinahe unsterbliche auf der Welt herumliefen.

"Monsieur Latierre, wir wissen noch immer nicht, wo Monsieur Vendredi steckt. Falls er auch von diesem so genannten Segen erwischt wurde könnte er irgendwo hilflos in einer goldenen Leuchtsphäre festsitzen und Aufsehen erregen oder nach der hoffentlich stattfindenden Befreiung die Orientierung verlieren, vielleicht sogar den Verstand. Das ändert aber nichts daran, dass ich mich mit meinen Schwippschwägern treffen werde, um Colberts Träume von der Mischhlingssteuer im Vorfeld zu vereiteln."

"Das ist der Hass, der aus blanker Angst kommt", sagte Julius. "Die gleiche Angst wie vor Zauberern und Hexen im Mittelalter und wie die Angst vor Todesser-Agenten, die Didier und Pétain verbreitet haben."

"Und genau deshalb dürfen wir ihm das nicht durchgehen lassen. Mit Angst darf nicht alles rechtfertigt werden, schon gar nicht, wenn dabei der Schutz von denkenden und fühlenden Wesen vergessen wird. Das hatten wir schon oft genug."

"Ich stimme Ihnen da zu, wo ich ja auch betroffen wäre. Dann könnte man ja gleich noch eine Ausländerwohnberechtigungssteuer einführen, eine Hautfarbensteuer und nicht zu vergessen eine Muggelstämmigensteuer. Anstatt sie umzubringen lässt man sie zahlen und zahlen bis sie entweder durch Verbrechen oder den Hunger sterben", ätzte Julius. "Nein, in so einer Welt will ich nicht leben."

"Ich auch nicht. Aber was ist mit meiner Nichte Euphrosyne? Ist sie jetzt wahnsinnig oder nur rachsüchtig?"

"Sie können Sie ja vorladen. Das Recht dazu hat dieses Büro doch."

"Habe ich in den letzten drei Wochen fünfmal versucht, eine Erklärung von ihr zu bekommen. Meine Schwägerin Églée will sich dazu nicht äußern, und alle anderen Blutsverwandten bekommen keinen Kontakt zu ihr."

"Vielleicht bekommen wir das von Ornelle oder Madame Grandchapeau erzählt, was Euphrosyne umtreibt", hoffte Julius mit Blick auf die drei Meter weit von ihm entfernt schwebende Sphäre.

Und was ist mit den Kindern Ashtarias? Könnten die uns nicht helfen, Euphrosyne zu finden. Wenn wir sie schon nicht einsperren dürfen, dann könnten wir sie zumindest fragen, ob sie diesen Segen widerruft. Wir hätten ja gelernt, wie mächtig sie ist und akzeptieren ihre Entscheidungen und so weiter."

"Wir haben dabei eines ganz außen vor gelassen, dass nicht Euphrosyne diesen Zauber gewirkt haben muss. Am Ende war es ihre Mutter oder Sarja, die so tut, als wenn es Euphrosyne war", brachte Julius eine Vermutung an, die ihm gerade erst eingefallen war. Doch Pygmalion Delacour schüttelte den Kopf.

"Sarja hätte sich dich als Racheziel ausgesucht und Églée hat keinen Grund, uns derartig anzugreifen, zumal sie sicher nicht will, dass Euphrosyne noch mehr inUngnade fällt."

"Auch wieder wahr", sagte Julius.

Bis zum Sonnenuntergang wurden alle Zeugen und Beteiligten an den Vorfällen im Ministerium zurückgehalten. Pygmalion und Julius durften über Kontaktfeuer verkünden, dass sie wegen einer unvorhergesehenen Angelegenheit Überstunden machen mussten. Millie meinte:

"Ach, ist Fleurs große Cousine wieder aufgetaucht und soll jetzt befragt werden? Dann grüß sie mal schön von mir!" Doch Julius sah an ihremGesicht, dass sie schon was hatte läuten hören, womöglich eine ganz große Kuhglocke.

Eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang wurde der Minister aus dem Zauberschlaf geweckt. Natürlich war er erst einmal außersich vor Wut, dass Anne Laporte ihn derartig gedemütigt hatte. Dann las er das Protokoll mit Létos Aussage und der daran anschließenden Diskussion. "Was bringt uns eine Kamppagne gegen alle Zauberwesen, die sich mit Menschen zusammentun?!" herrschte er Midas Colbert an. "Meine Frau hängt da in dieser Sphäre, meine Tochter in einem anderen Haus und unser Kind, das überhaupt keinem was getan hat, wird womöglich erst in drei, zehn oder tausend Jahren geboren, wenn überhaupt. Das einzige, was wir machen können ist ein Wohnverbot für Euphrosyne aussprechen, wo immer sie gerade ist. Ich will sie nicht hier haben, und wenn sie wirklich gerade selbst schwanger ist, dann will ich nicht, dass dieses Balg mit meinen Enkelkindern zusammen in Beauxbatons lernt. Und mein Angebot steht auch noch. Wenn ich einen neuen Zauberstab habe und weiß wo sie ist brenne ich ihr die Eingeweide aus dem Leib."

"Obwohl hier steht, dass dann auch Ihre Frau und ihre Kinder sterben müssen, womöglich auch Ihre Enkel?" fragte Alouette Laporte den Minister, während Julius, Pygmalion und die anderen Konferenzteilnehmer dabeistanden. Dann fiel der Hebammenhexe noch was ein: "Sie könnte genauso mit ihrem eigenen Tod drohen, um Ihre Familie auszulöschen, wenn sie nicht bekommt, was sie will."

"Das ist nur Bluff, und die alte Léto hat euch allen da eine Gruselgeschichte erzählt, dass sie jetzt unangreifbar sei und jeder, der sie töte gleich mitsterben müsse. Vielleicht ist das wirklich meine letzte Amtshandlung. Aber ich werde mir das nicht gefallen lassen."

"Warten wir ab, wie sich die Betroffenen fühlen, wenn sie wirklich aufwachen und freikommen", schlug Alouette Laporte vor.

"Falls sie nicht freikommen oder danach körperliche oder geistige Krüppel sind wird es keinen Ort auf diesem Planeten geben, wo sie sich verstecken kann", schwor der Minister. Julius verstand ihn, auch wenn ihn diese Vergeltungswut beängstigte. Wussten sie denn wirklich, ob Léto die Wahrheit gesagt hatte? Falls nicht blieb es auch an ihm, Julius Latierre, hängen.

Selten hatten Menschen einen Sonnenuntergang so sehr herbeigesehnt wie an diesem 21. April 2002. Als dann der letzte Sonnenstrahl erlosch und nur noch diffuses Dämmerlicht über dem westlichen Horizont glühte schrumpften die Sphären zusammen und verschwanden Funken sprühend in den Körpern der von ihnen über Stunden festgehaltenen. Julius erlebte dies bei Ornelle, wo auch Anne Laporte als Heilerin zugegen war. Der Minister, Midas Colbert und Alouette Laporte wachten bei Nathalie Grandchapeau, und Montpelier, Primula Arno und die hinzugebetene Heilerin Duroubin erwarteten Belles Rücksturz in die Welt.

Erst wusste Ornelle nicht, wie ihr gerade geschah. Sie fand sich auf dem Boden wieder, feine Asche an den Händen, den Rest eines Briefes. Jedenfalls war die zurückweisende Kraft fort, die Pygmalion und Julius auf Abstand gehalten hatte. Sie stierte erst einmal vor sich hin. Dann wimmerte sie: "EinFluch. Die Fallenschleuse hat versagt." Danach sagte sie entschlossen: "Sie hat einen Brief an mich geschickt, dass sie jetzt gerne wieder in Frankreich leben möchte und ihre Kinder hier aufwachsen lassen möchte, wenn Aron schon nicht zu einem großen Fußballtreter wird. Sie hat jeden Satz mit meinem vollen Namen und der Anrede beendet. Dann hat sie diese scheinheilige Segensformel druntergeschrieben. Spätestens da hätte ich doch aufhören sollen", schnaubte Ornelle und zitierte den Segen. Damit stand fest, dass, wenn Léto die Wahrheit gesprochen hatte, Ornelle in zwei mal elf Jahren nur um einen Monat altern würde. Julius fand es unheimlich, dass seine Enkelkinder alt und Grau sein würden und Ornelle Ventvit dann immer noch da sein mochte. Denn in zweihundertvierundsechzig Jahren würde sie genau um ein Jahr älter sein. Wie ein Vampir, der bei guter Blutversorgung an die tausend Jahre erleben konnte. Der wäre im Vergleich zu Ornelle eine Eintagsfliege. Das durfte wirklich keiner der unbeteiligten wissen.

Nathalie, so erfuhr Julius, hielt diese ganze Geschichte mit dem Segen des Sonnenatems für einen riesigen Bluff. Sicher, der Brief war mit einem für die Fallenschleuse unaufspürbaren Zauber versehen worden. Doch jemanden mit einer Art quadrierten Lentavita-Zauber zu verlangsamen war ja kein wirklich großes Stück.

"Vielleicht, so sagte Nathalie zu Julius, als er nach ihr sah, "sollten wir uns mit der Vorstellung anfreunden, dass die Veela uns von vorne bis hinten verulken wollen."

"Aus welchem logischen Grund?" fragte Julius.

"Um zu beweisen, dass sie uns überlegen sind und sich nicht von uns in ihre Angelegenheiten dreinreden lassen wollen", sagte Nathalie Grandchapeau.

"Ich kann einen nicht schmerzhaften Versuch an Ihnen durchführen, um zu überprüfen, ob Ihr Körper wahrhaftig verändert wurde", schlug Alouette Laporte vor und nahm eine Schere aus ihrer Heilertasche. Nathalie fragte, was für ein Versuch das sein sollte. Zur Antwort versuchte die Heilerin, ihr aus ihrem dunkelblonden Schopf ein Haar herauszuschneiden. Doch die Schere stieß offenbar auf zu harten Widerstand. Das freigezogene Haar wollte nicht abgehen. Als Alouette es mit einem Rasiermesser aus reinem Diamant versuchte knirschte und quietschte es. Doch am Ende riselte von der Klinge nur feiner Staub herunter, und das Messer wurde total stumpf. Auch ein Versuch, ein Har mit Feuer abzubrennen misslang, weil die Flamme keinen Millimeter ihrer Haare versengte. Gift wollte und durfte die Heilerin nicht ausprobieren. "Ich gehe aber davon aus, dass ich auch nur solange lebe, wie ich genug Luft einatmen kann", schnarrte Nathalie. Dann sagte sie: "Gut, dann habe ich eben durch das Bad in dieser Sonnensphäre eine schnitt- und feuerfeste Frisur erhalten. Der Durodermistrank in Verbindung mit dem Pyroversus-Trank können das auch bewirken. Das heißt nicht, dass ich eine ganze Ewigkeit lang lebe und er da", wobei sie ihren Umstandsbauch überstrich, "erst im Jahre 2046 auf die Welt kommt. Allein die Vorstellung, so lange schwanger sein zu müssen ist doch schon ein einziger Gruselscherz. Sicher, die Veela tragen ihre Kinder fünf Jahre aus, leben auch wirklich Jahrhunderte lang. Aber sind nicht unsterblich."

"Mit Verlaub, Madame Grandchapeau, aber wir wissen immer noch nicht alles über die Veelas, wie sie entstanden sind und wieso sie diese überragende Attraktivität besitzen", sagte Ornelle, die zu der Unterhaltung dazugestoßen war. "Ich persönlich bin davon überzeugt, dass Euphrosyne uns wahrhaftig mit einem mächtigen Zauber, Segen oder Fluch, belegt hat. Ob und wie er zu brechen ist wissenwir nicht."

"Im Zweifelsfall töten wir uns eben selbst, wenn wir zu lange leben", lachte Nathalie und zuckte auf einmal zusammen. Die Hebamme fürchtete, dass es mit dem Ungeborenen zu tun haben konnte und untersuchte den Fötus mit dem Einblickspiegel. Zumindest das ging noch. Nathalies Augen füllten sich mit Tränen. Diese wischte sie sich mit den Ärmeln ihres teuren Umstandskostüms ab. "Vermaledeites Weib, habe gerade mein Kind in mir und über zwölf Kinder um mich herum vor Schmerzen schreien gehört und selbst fast losgeschrien, weil ich nur daran dachte.

"Der Praeservita-Zauber oder auch Kontrasuizid-Zauber", schnarrte Ornelle. Doch Alouette schüttelte den Kopf. "Der Zauber unterdrückt die Gedanken an einen eigenhändig herbeigeführten Tod, erzeugt jedoch keine akustischen Halluzinationen, aber auch nur solange wie er regelmäßig angewendet wird und zum Preis, dass der oder die damit behandelte immer gefühlsärmer wird, bis er oder sie zu einer Art lebendem Golem verkümmert."

"Geben Sie mir das stärkste schluckbare Toxin!" forderte Ornelle.

"Ich werde Ihnen was erzählen, sich hier vor meinen Augen vergiften zu wollen und ich Ihnen das Pharmakon auch noch persönlich darreiche. Nichts da!" stelte Madame Laporte unumstößlich klar.

"Ich stelle fest, dass ich diese Geschichte von einem so genannten Segen des langen Lebens erst glaube, wenn ich im September immer noch schwanger bin, ohne dass es bei unserem Kind zu fehlbildungen kommt", sagte Nathalie. Ornelle überlegte, was sie sagen wollte. Dann stimmte sie zu.

Belle allerdings glaubte, dass Euphrosyne einen so mächtigen Zauber ausgeführt hatte, um sich zum einen zu rächen und zum anderen ein Faustpfand zu erlangen, ohne es bei sich einquartieren zu müssen. "Und welches Faustpfand sollte das sein, Madame Grandchapeau?" fragte Nathalie. "Ihr ungeborenes Kind. Solange Sie denken, dass es zur berechneten Zeit geboren wird meinen Sie, dass alles nur ein laut- und lichtstarker Ulk gewesen ist. Aber was machen wir am zehnten Juli oder am ersten August?"

"Alouette, ich werde jede Woche zu Ihnen kommen und mich untersuchen lassen. Ich lasse Sie auf einen Eidesstein schwören, mir immer die Wahrheit über die Entwicklung meines Kindes zu erzählen. Nein, besser, Ich nehme sie unter den unbrechbaren Eid."

"Das lehne ich ab und weise Sie darauf hin, dass jede weitere Andeutung in diese Richtung als Ausdruck von Verwirrtheit im Zuge des Ihnen zugefügten Zaubers zu sehen ist. Falls Sie das wollen kann ich Sie gerne bis auf weiteres bei uns sicherheitsverwahren lassen. Wollen Sie das?"

"Sie drohen mir, Alouette. Dafür habe ich Sie nicht als meine Hebamme ausgewählt", zischte Nathalie. Ornelle meinte nur: "Wie dem auch immer sei, der Vorfall hat uns allen gezeigt, dass wir trotz aller Sicherheitsmaßnahmen noch angreifbar sind. Ob Madame Lundi uns drei nur gefoppt hat und uns zum Beweis für ihre große Macht eine zweite, unzerstörbare Haut übergestreift hat oder unsere Körper wirklich langsamer altern und dafür widerstandsfähiger wurden wird die Zukunft zeigen. Da ich gerade nicht schwanger bin kann ich im Moment nur darauf setzen, ob mein Körper dem üblichen Rhythmus unterworfen ist oder nicht. Davon mache ich es dann abhängig, was ich glauben soll."

"Dem stimme ich zu", sagte Belle dazu. "Zudem muss noch geklärt werden, was mit Monsieur Vendredi passiert ist."

"Sie kennen ihn doch, Belle. Wenn er seinen freien Tag hat ist er unauffindbar bis zum Morgengrauen. Klingsors Giftnatter weiß alleine, wo er sich immer herumtreibt", sagte Ornelle unvermutet abschätzig. Belle nickte jedoch.

Die Damen, die Herren", begann der Zaubereiminister. "Ich habe mit den Kollegen Montpelier und Colbert vereinbart, dass bis auf weiteres kein Wort über diesen so genannten verbotenen Segen erwähnt wird. Was passiert ist war ein besonderer Fessel- und Erstarrungszauber, der uns vorführen sollte, wie angreifbar wir noch immer sind. Die Angelegenheit hat ansonsten Geheimhaltungsstufe 10. Sollte sich erweisen, dass wie Madame Nathalie Grandchapeau vermutet, die ganze Sache ein besonders perfider und ausgeklügelter Betrug sein, so werden wir spätestens im Juni Gewissheit haben. Sollte es sich um eine wahrhaftige Verwandlung der Betroffenen handeln, so müssen wir festlegen, wie mit diesem Fall weiter umzugehen ist. Jedenfalls werden wir nicht auf die Forderungen Euphrosyne Lundis eingehen und ihr hier ungestörtes Bleiberecht gewähren. Wenn sie wirklich auf dieser Insel San Nicholas hocken sollte, dann soll sie da hocken bleiben, bis der Mond vom Himmel fällt oder die Sonne ausgebrannt ist! Kommt sie hierher, werde ich sie eigenhändig festnehmen und selbst in so eine goldene Leuchtsphäre sperren oder sie mit einem Totalverzögerungszauber belegen, dass sie die nächsten Jahre an sich vorbeifliegen sehen wird. Soviel dazu", beendete der Zaubereiminister seine Entscheidung.

Gegen neun Uhr abends traf Julius wieder bei seiner Frau und seinen Töchtern ein. Millie legte sich die Finger auf die Lippen und mentiloquierte: "Temmie hat mich bei euch in dieser Konferenz mithören lassen, als ich Chrysie gestillt habe. Jetzt erst mal kein Wort davon!"

Wasdu gemacht, Papa?" wollte Aurore wissen. "'ne ganze Menge Schreibkram und eine gaaanz lange Zeit nur mit anderen Großen geredet", sagte Julius.

"Ja und deshalb ist es jetzt ganz spät und für die Mademoiselle Aurore Béatrice Latierre ist's Bettzeit", stellte Millie unumstößlich fest. Aurore quängelte, sie wollte sich noch was von Papa erzählen lassen. Dieser ging darauf ein, gab ihm das doch die Möglichkeit, sich von all dem abzulenken.

Im Bett bei Millie sagte er dann: "Belles Maman könnte erst dann ihren Sohn kriegen, wenn Rorie selbst wen zum ins Bett bringen hat oder vielleicht schon Oma ist, Millie. Schon heftig, die Vorstellung."

"Wie lange genau?" wollte Millie erschüttert wissen. Julius rechnete ihr das vor. "Mir das vorzustellen ist schlimm. Das ist ja dann wie bei diesem Baby-Altmeister, der dich bei seiner Maman im Bauch in diesen Geistesschutzzaubern unterrichtet hat. Meinst du, wenn das kein Trick von Euphrosyne ist, dass der Kleine Grandchapeau dannn auch schon vor der Geburt mentiloquieren oder sich anders verständigen lernt?"

"Möglich ist das, vielleicht aber auch nicht, weiß ich nicht, Mamille. Ich hoffe nur, Euphrosyne macht jetzt keine Jagd auf alle, die ihr ans Bein pinkeln wollen."

"Dann hätte sie eine ganze Riege halbunsterblicher Feinde. Will sie nicht wirklich, denke ich mal."

"Vendredi hatte heute seinen freien Tag. Ich hätte nie gedacht, das mal zu sagen, aber ich hoffe, dass er morgen unversehrt wiederkommt."

"Ich hoffe mal, das du morgen und an jedem anderen Arbeitstagunversehrt wiederkommst, Monju. Und jetzt versuch zu schlafen. Oder soll ich dir Träumguttee machen?"

Ich versuche es erst einmal so", sagte Julius.

__________

Dschamila strich um das Haus herum. Ihre grünen Katzenaugen tasteten jeden Quadratfuß der Mauer und des Daches ab. Zur Probe fuhr sie die Krallen an ihrer rechten Vorderpfote aus. Es klappte noch wie vor einem Jahr, wo sie das letzte Mal in dieser Gestalt auf Beute ausgegangen war. Sie sog prüfend die Luft in ihre empfindliche Nase ein. Die Tasthaare spannten sich aus und vibrierten im durch sie hindurchstreichenden Wind. Ja, Kadir war zu Hause. Heute würde sie von ihm empfangen, auch wenn er es nicht wollte. Die einzige Schwierigkeit bestand in den Schutzzaubern, die er um sein Haus gelegt hatte. Sie mochten sie als seine Feindin einstufen und bestrafen. Doch Dschamila hatte sich genau auf diese möglichkeit vorbereitet. Sein Hochmut vor ihr und allen anderen Hexen dieses Landes würde heute niedergerungen.

Der Mond ging auf und tauchte das Grundstück in ein honigfarbenes Licht. Wenn er zur silberweißen Scheibe am Himmel geworden war sollte ihre Stunde schlagen.

Kadir bin Harun al Omani iben Iskandar al Bassam genoss die Stunden zwischen Sonnenuntergang und Mitternacht. Sie gefielen ihm von allen Tagesstunden am besten. Er badete sich im erst honiggoldenen Licht des Nachtgestirns, bevor dieses weit genug über dem Horizont stand, dass es das Land in silberweißes Licht hüllte. Der gerade zwanzig Jahre alte Zauberer hatte sich besonders den die dem Mond inewohnenden und von ihm wachgerufenen Zauberkräften zugewandt und würde sich in vier weiteren Jahren dem Rat der zwölf Kundigen zur Prüfung als Meister der höheren Künste stellen. Jeder der zwölf durfte dann vier Zauberstücke von ihm einfordern, von jedem der vier machtvollen Elemente eines. So verlangte es die Sitte im orden der weißen Falkenfeder, dem auch schon sein Vater und dessen Vater angehört hatten und dem er auch seinen erstgeborenen Sohn anvertrauen würde, wenn seine Eltern ihm nach der Meisterprüfung die Frau an seiner Seite vorstellten. Wer von den sieben möglichen das sein würde wusste er noch nicht, weil das die Vorbereitungen auf Prüfung und Hochzeit verdarb.

Dank dir, allerhöchster, dass du den Himmel, die Sterne und den Mond erschaffen hast, damit sie deinen Kindern ein erhabenes Dach und Lichter in dunkler Nacht gewähren", betete Kadir, wobei er sich in Richtung der heiligen Stadt Mekka verneigte. "Gib uns, deinen dich liebenden Kindern weiterhin helle Tage und friedvolle Nächte. !" betete er weiter. Dann dankte er noch für den erfolgreichen Tag und die Gnade des allerhöchsten, ihm in die Dinge der Magie einblick zu gewähren, wobei er seinen Gott bat, ihn immer vor der Versuchung durch den Scheitan zu bewahren. Dann vollendete er das Gebet mit der Bekundung von Gottes Größe und Erhabenheit.

Kadir lag in seinem Bett. Das Fenster stand weit genug offen, dass er das leise Säuseln des Nachtwindes hören konnte. Das Mondlicht fiel in breiten Strahlen durch die Bambusjalousien. Gerade schloss er die Augen, um den nötigen Schlaf zu bekommen, als der Boden leicht erzitterte. Sofort war er wieder hellwach. Er konnte sich nicht erinnern, hier jemals ein Erdbeben erlebt zu haben. Sollte er aufstehen? Er lauschte einige Minuten. Doch es geschah nichts weiteres. Da hörte er ein leises Schaben am Fenster. Er sprang vom Bett herunter und langte nach seinem Zauberstab. Da zwengte sich eine im Mondlicht silbergrau gefärbte Katze von beachtlicher Größe zwischen den nach oben geschobenen Bambusstäben hindurch und sprang mit einem geschmeidigen Satz auf den Nachttisch Kadirs hinüber. Dort hatte dieser seinen Zauberstab liegen. Kadir fuhr herum, stieß die Hand vor, um den Zauberstab zu packen, als ihm die Katze schnell und schmerzhaft die rechte Vorderpfote über die rechte Hand hieb. Der Schmerz hielt ihn für zwei wichtige Sekunden davon ab, das Katzentier anzugreifen. Dieses sprang lautlos mit dem erbeuteten Zauberstab zum Fenster und schleuderte den Stab hinunter. Kadir erkannte, dass das Tier unmöglich eine gewöhnliche Katze sein konnte. Doch dann hätte sie niemals näher als Rufweite an das Haus herankommen können. Er sah erst auf seine blutigen Schnittwunden auf der Hand und dann auf die Katze, die mit nun einladend wippendem Hinterleib vor ihm tänzete. Es war eindeutig eine Katze, kein Kater, aber ein sehr schönes Tier von edler Rasse. Dennoch war Kadir wütend. Er wollte nach etwas greifen, es dem Tier an den Kopf schleudern, da wandte sie sich um und wischte zwischen seinen Beinen durch zum Bett. Mit einem koketten Schwung ihres Hinterleibes hüpfte sie aus dem Stand auf das breite Bett. Kadir knurrte auf und stürzte sich auf die Katze. Dabei geriet er in den silbernen Schein des Mondes. Das hätte sonst nichts außergewöhnliches bedeutet. Doch in diesem Fall umschloss ihn das Mondlicht wie ein Netz aus feinen, glitzernden Fäden. Er wurde in die Luft gehoben und hing so, als seien die durch die Jalousien dringenden Mondstrahlen feste Halteschnüre. Als er strampelte, um sich freizumachen fühlte er, wie seine Arme und Beine einzeln eingeschnürt und von ihm abgespreizt wurden. nun hing er wenige Zentimeter über seinem eigenen Bett schwebend. Dann sah er, was es mit der Katze auf sich hatte.

Dschamila hatte ihn genau da, wo sie ihn haben wollte. Sie sah ihn von unten her an, dann verwandelte sie sich innerhalb von zwei Atemzügen in ihre angeborene Erscheinungsform, eine junge, schlanke Frau Mitte zwanzig mit bis auf die Schultern fallendem, leicht gelocktem Haar. Außer einer dünnen Scherpe um den Unterleib trug sie keinen Faden Kleidung am Leib. Sie fühlte den Blick Kadirs auf ihrem freien Oberkörper und fühlte seine Ablehnung und Begierde zugleich. Sie lächelte ihn an und fingerte an ihrem Lendenschurz. Noch einmal erzitterte der Boden. Doch Dschamila wusste, dass der Schutzbann ihr nichts mehr anhaben konnte. Das Netz aus Mondlicht hielt ihren Auserwählten sicher. Gut, dass sie draußen um das Haus mit ihrem Blut getränkte Silberstücke mit eingeritzten Beschwörungen des Mondes ausgelegt hatte. Durch ihr eigenes, freiwillig gelassenes Blut war sie zudem vor dem Feindesstrafezauber sicher, weil der sofort unterbrochen wurde, wenn ein Feind oder eine Feindin ohne angegriffen zu werden eigenes Blut ließ. Dass wussten nicht viele, dass dieser Zauber so einfach aufgehoben werden konnte.

"Der Mond, den du vorhin angebetet hast, hat dir ein besonderes Geschenk gemacht, Kadir", säuselte sie. Heute Nacht endet deine Knabenzeit."

"Du bist eine Grünmondlerin. Hure des Verfluchten, weiche zu deinem Herrn und Meister und kehre nie wieder!" rief Kadir, der immer noch in dem Netz hing.

"Ja, ich gehöre den hochedlen Schwestern des grünen Mondes an. Dass du von uns Kenntnis hast ehrt dich. Dann weißt du auch, dass ein Mann oder Knabe, den wir erwählt haben, diese Wahl nicht zurückweisen kann. Und damit du nicht auf den Gedanken kommst, dich gegen mich aufzulehnen habe ich das Netz des Friedensmondes beschworen, dass dich hält und zugleich den Zauber des erneuernden Mondes gewirkt, dass dessen Kraft uns beide zu Glück und Erzeugung tragen kann."

"Meine Familie wird dich jagen und töten. Ich werde dich töten!" rief Kadir.

"Nicht bevor unsere gemeinsame Frucht meinem Schoß entstiegen sein wird", hauchte Dschamila. Dann sah sie an Kadir vorbei und dachte daran, ihn zu sich herunterzulassen. Das Mondlichtnetz glühte noch heller. Dabei löste es alle toten Fasern von Kadirs Körper, als seien sie nur Luft gewesen. Nun selbst so wie sein allerhöchster Gott ihn erschaffen hatte sank er zu Dschamila herunter. Dann vollzog sich, was sie gewollt und er befürchtet hatte. Das Netz umhüllte sie beide. Sie bewegte sich so, dass es ihn und sie in die von ihr gewünschte Lage zwang und dann vereinte.

Minuten vergingen, während derer Kadir erst Abscheu und dann immer größere Leidenschaft empfand. er kannte dieses Gefühl noch nicht, doch es war irgendwie belebend, anregend und berauschend.

"Verdammte Grünmondhure, lass ab von meinem Sohn. Ihm ist eine ehrbare Frau versprochen, du Dirne!" brüllte unvermittelt eine harsche Männerstimme. Mitten im Raum stand ein untersetzter Mann im dunklen Gewand. Er hielt seinen Zauberstab fest in der Hand. Kadir versuchte, sich aus Dschamilas Umschlingen und den Fasern aus Mondlicht herauszuwinden. Doch es gelang nicht.

"Wenn du deinen Sohn behalten willst unterbrich nicht die Hochzeit des Mondes", ächzte Dschamila. "Ich habe ihn erwählt, er ist jetzt mein."

"Vater, ich wollte das nicht", wimmerte Kadir. In dieser so innigen Lage mit einer Frau, die ihm nicht angetraut war errwischt zu werden verdarb seine gerade erst aufgekommene Erregung.

"Ich werde dich töten, Scham einer Hyäne", schrie der untersetzte Zauberer. Da flutete noch mehr silbernes Licht zum Fenster herein und umhüllte die beiden in ihrem Netz gebundenen. Schlagartig verschwanden sie wie disappariert.

Harun Al Omani iben Iskandar al Bassam stieß einen lauten Schrei aus. Dann versuchte er, der Spur der Verschwundenen durch eigenes Apparieren zu folgen. Doch er landete nur auf dem Dach des Hauses, eingehüllt in den Silberschein des immer noch steigenden Mondes. Jemand lachte, eine tiefe Frauenstimme. War das diese Dirne, die seinen Sohn in sündhafter Weise an sich genommen hatte?

"Ist nicht angenehm für einen Familienvater, wenn sein unberührter Sohn vor der vorbestimmten Zeit zum Mann wird, nicht wahr?" fragte die Unbekannte. Harun al Omani fuhr herum und sah niemanden. "Bist du auch eine von diesen Höllendirnen, die der von Allah verfluchte auf diese Erde geschickt hat?" fragte er.

"Das können wir ja ausprobieren", schnurrte die andere. Harun feuerte einen ungesagten Zauber auf die unsichtbare ab. Doch diese lachte nur. Dann erschien vor Harun eine Gestalt, wie sie nur einem Dämon aus den tiefsten Höllenregionen eigen sein konnte. Es war eine zwei meter große, schwarze Spinne. Er stieß einen lauten Schrei aus. Denn Spinnen machten ihm Angst, egal in welcher Größe. Deshalb hätte er fast die Prüfung des Meisters der wilden Tiere verfehlt, als der ihm eine Horde handgroßer Spinnen entgegengeschickt hatte, um ihn seiner schlimmsten Angst auszuliefern. Nur wer die Angst zu meistern wusste, würde nicht mehr von der Angst unterworfen werden, hatte der Meister nach der Prüfung gesagt. Doch dieses Ungeheuer ... Der Schrecken lähmte ihn so sehr, dass er keine Zeit für Gegenwehr hatte. Die Spinne schleuderte ihre Fäden gegen ihn und umwickelte ihn von den Füßen bis hoch zum Hals. Sie schnürte seine Arme fest an seinen Körper. Dann befestigte sie den halben Kokon an einem der Dachgiebel. Die Spinne löste das aus ihrem Hinterleib dringende Fadenende und baute sich vor dem Gefesselten auf. Dann wurde sie innerhalb von nur einem Atemzug zu einer sündhaft schönen Frau in einem kurzen Kleid. In der Hand hielt sie einen silbergrauen Zauberstab.

"Die schwarze Spinne, die mit einer alten Dämonin vereinte Dirne der Sünde und der ..."

"Dein scheinheiliges Getöse widert mich an, Harun", schnitt ihm die Frau das Wort ab und belegte den Gefangenen mit einem Silencius-Zauber. "Du bleibst jetzt hier. Ich wollte nicht mit dir reden, sondern mit der Mutter deines ersten Enkelkindes, wenn sie dieses erfolgreich empfangen hat. Aber du hast es mir verdorben, sie hier im Haus zu finden. Deshalb bleibst du jetzt hier oben auf dem Dach unter dem Mond, während ich dorthin reise, wo der Zauber der Mondhochzeit sie hingetragen hat. Leb wohl!" Mit diesen Worten drehte sie sich auf der Stelle und verschwand mit leisem Plopp.

Irgendwo auf freiem Gelände wurden Dschamila und Kadir wieder abgeladen. Kadir wollte sich losmachen. Doch das Netz hielt ihn an Dschamila gebunden. "Es gibt dich nicht frei, bevor ich bekommen habe, was ich will", schnarrte Dschamila und erzwang die Fortsetzung der eigentlich sehr beglückenden Betätigung.

Trotzdem sie eigentlich nur ihre Sinne für Kadir und sich hatte bemerkte sie, dass sie nicht alleine waren. Jemand war auf den vom grünen Mond geheiligten Berg gekommen. Daran, dass die unbekannte Person nicht sofort abgewisen wurde erkannte Dschamila, dass es eine andere Hexe sein musste, noch dazu eine, die ebenfalls schon die direkte Berührung eines Mannes genossen hatte. Doch im Moment konnte sie nicht auf die Fremde reagieren, weil der eigene Zauber sie und Kadir aneinanderband, bis er und sie neues Leben gezeugt hatten. So konnte sie nur hoffen, dass die andere ihr wohlgesonnen war und die Mondhochzeit nicht ein weiteres Mal unterbrechen würde.

Erst als Kadir sich verausgabt hatte und Dschamila sicher war, genug seiner Saat in sich aufgenommen zu haben, erlosch das Netz um sie beide herum. Kadir wollte nach Dschamila schlagen. Doch diese fing seinen Arm ab und hielt ihn fest. "Hier auf dem Berg des grünen Mondes darf ein Mann keine Frau schlagen, schon gar nicht die, die ihn zum Vater ihres Kindes gemacht hat. Tut er es doch, stirbt sein Leib, und seine Seele vereint sich mit dem nächsten neu zur Welt kommenden Tier, dass seinem inneren Wesen entspricht. Da ich nicht weiß, welches Tier dein inneres Wesen verkörpert will ich dich doch besser von irgendwelchen Dummheiten abhalten", keuchte Dschamila noch erhitzt und berauscht von der von Kadir erzwungenen Vereinigung.

"Duhast mich entehrt, einen Zögling des Ordens der weißen Falkenfeder, der gelobt hat, erst die Mannesfreuden zu kosten, wenn er mit der Frau zusammen ist, die seine Eltern und deren Eltern ihm bestimmt haben. Stirb, Tochter einer stinkenden Schakalin!" Er packte den Hals der immer noch erschöpften Frau. Als er fest zudrückte durchfuhr ihn ein greller Schmerz. Er schrie auf und fiel um. Im gleichen Moment entwich ein silbrig schimmernder Hauch seinem Körper und schwirrte wie ein mondlichtfarbener Kugelblitz davon.

"Ich habe ihn gewarnt", grummelte Dschamila.

"Ja, hast du, Schwester", sagte eine ihr unbekannte Frauenstimme in jenem Arabisch, dass in Algerien gesprochen wurde. Dann stellte sich Anthelia/Naaneavargia vor Dschamila und entbot ihr einen aufrichtigen Gruß.

"ich hörte von dir. Wir Schwestern des grünen Mondes kennen deine Geschichte, Unersättliche, dass du den geschwächten Körper der Schlächterin aus dem Frankenland in dich aufgenommen hast und nun ihr Werk mit deinem Willen fortsetzt. Sei mir gegrüßt, Schwester im Geiste der Freude und Freiheit."

"Ich musste Wüsten durchqueren und das rote Meer und das afrikanische Meer, um von euch zu erfahren. Auch wenn euer Orden schon mehr als drei Jahrtausende besteht konnte ich erst mit einer von euch Kontakt aufnehmen, als ich erfuhr, dass eure Rituale die Mondhochzeit mit einem unberührten Zauberer im Tierkreis des Widders geboten, der selbst im Tierkreis des Widders geboren wurde. So bekam ich heraus, wen ihr oder besser du erwählt habt."

"Kadir und ich waren eigentlich füreinander bestimmt. Doch sein Vater wollte ihn in diesen Orden einführen, in dem er selbst groß wurde. Seine Großmutter mütterlicherseits ist eine von uns, hat es ihren Verwandten gegenüber jedoch gut verheimlicht. Sie hat ihn mir gestattet, sofern ich mich an unsere Regeln halte. Und jetzt ist sein Leib tot und sein Geist wird wohl in dieser Minute in niederer Gestalt wiedergeboren, weil er mich zu sehr gehasst hat."

"Was erwartest du von einem Mann, der sich seine erste Geliebte nicht selbst erwählen darf. Vertraue darauf, dass ich in dieser Hinsicht sehr erfahren bin, Schwester."

"Kadirs Vater wird versuchen mir nachzustellen. Doch durch den Segen des grünen Mondes bin ich solange vor jeder Rache sicher, solange ich sein Fleisch und Blut im Leibe trage."

"Ich kann die Angelegenheit dauerhaft für dich erledigen, Schwester. Allerdings erbitte ich dafür deine Fürsprache bei der grünen Mutter, dass sie mich zu einer von euch erklärt.

"Woher weißt du von unserer grünen Mutter?" fragte Dschamila argwöhnisch. Anthelia deutete auf sich und erwiderte, dass deren Vorgängerin damals wirkungsvoll gegen Sardonia Widerstand geleistet hatte.

"Wenn du Kadirs Vater tötest wird die grüne Mutter dich nicht einmal anhören, geschweige denn willkommen heißen. Denn er ist der Großvater eines Kindes einer ihrer Mitschwestern und damit solange geschützt, wie sein Sohn nicht Hand gegen seine Angetraute erhebt."

"Dann gilt dieser Schutz doch jetzt nicht mehr, wo Kadir dich töten wollte", wandte Anthelia ein. Dschamila überlegte und nickte dann. Sie sagte aber sofort, dass es auffallen würde, wenn der achso ehrenwerte Harun Omani und sein Sohn in derselben Nacht verschwanden.

"Aber seine Erinnerung darf ich verändern, dass sein Sohn sich von ihm und seinen Zielen losgesagt und sich davongemacht hat?" fragte Anthelia. Dschamila überlegte und nickte. "Dies ist dir gestattet", sagte sie dann. Anthelia nickte und verschwand.

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Als Arion Vendredi am nächsten Morgen in sein Büro zurückkehrte spukte ihm immer noch die wilde Nacht durch den Kopf. Er hatte es sich richtig gutgehen lassen und in einem ganz geheimen Club gleich mit vier leichten Mädchen eine halbe Nacht abgefeiert. Davon durfte keiner was wissen. Als er dann erfuhr, dass es gestern zu magischen Angriffen auf Nathalie und Belle Grandchapeau sowie Ornelle Ventvit gekommen war ließ er sich die Akten kommen und las, was gestern in seiner Abwesenheit besprochen worden war. Auch dass alles unter Geheimhaltungsstufe S0 abgelegt worden war verunsicherte ihn. Wie viel Glück mochte er gehabt haben, dass er gestern nicht aufzufinden gewesen war? Er wusste nicht, was er von der Sache halten sollte und beschloss daher, die Anregung des Ministerehepaares zu befolgen und sich so zu verhalten, als sei alles ein großer Bluff der Viertelveela. Was Colberts Anregung einer Mischrassenangehörigensteuer anging pflichtete er Pygmalion Delacour bei, dass sowas schnellstmöglich zu vergessen war. Sowas brachte nur Ärger ein.

Er bestellte die Beteiligten in sein Büro ein und ließ sich von jedem noch einmal erzählen, was passiert war. Bei Julius Latierre musste er unbedingt die Frage anbringen, ob seine achso gerne zum Vorwand genommenen Kinder Ashtarias ihm dafür nicht was beigebracht hatten. Er antwortete jedoch ganz ruhig:

"Sie haben mir vor allem beigebracht, nicht gleich alles auszuprobieren, was ich gelernt habe. Daher musste ich genauso recherchieren wie alle Kollegen und auf Madame Létos Erklärung warten. Ich selbst bin zwar der Ansicht, dass die ganze Zauberei für ein verspätetes April April zu aufwendig gewesen wäre. Aber ob es nicht doch ein Täuschungsmanöver war wird die Zukunft zeigen."

"Och, und ich dachte ernsthaft, diese Kinder Ashtarias hätten Ihnen einen universellen Fluchumkehrzauber oder dergleichen beigebracht", feixte Vendredi.

"Sie wissen, dass ich auf diese Fragen keine Antworten geben darf. Falls Sie mir deshalb weiterhin misstrauen steht es Ihnen trotz der Intervention Madame Grandchapeaus frei, mir die Entlassung auszusprechen", sagte Julius unerschüttert.

"Damit Sie in der grünen Gasse zwischen dem ganzen Grünzeug verschwinden und ich mir vom Minister anhören muss, Sie mutwillig von uns abgebracht zu haben? Der Minister ist schon schlecht genug gestimmt, weil er nicht weiß, was jetzt mit den Mesdames Grandchapeau geschehen ist. Da werde ich mir nicht den Zorn des Ministers zuziehen. Glauben Sie mir, Sie werden hier noch lernen, Zurückhaltung und Bescheidenheit zu üben."

"Da bin ich sehr zuversichtlich", konterte Julius. Dann durfte er gehen.

Der Rest des Tages war für Vendredi ein Routinetag mit viel Schreibkram. Er freute sich schon auf seinen nächsten freien Tag nach Walpurgis.

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Euphrosyne Lundi fühlte, dass ihre Aktion über diese große Entfernung hinweg doch viel Kraft gekostet hatte. Doch sie war verdammt stolz, das hinbekommen zu haben. Im Grunde brauchte sie jetzt nur noch abzuwarten, , bis die französischen Ministerialzauberer ihr einen Brief schickten, dass sie in der alten Heimat willkommen war. Sicher, sie ging davon aus, dass die Grandchapeaus erst einmal an blutige Vergeltung dachten. Vielleicht hätte sie Armand Grandchapeau ebenfalls segnen sollen, womöglich mit einem anderen Segen. Doch ihn und Vendredi wollte sie nur "beschenken", wenn diese sich sturstellten und tatsächlich noch einmal zur Jagd auf sie bliesen.

Aron Lundi sah seine Frau, wie sie etwas schwerfälliger als vor zwei Tagen noch über die Wiese ging. Die von ihr auf die Insel geholten Unterworfenen standen an der Grundstücksgrenze postiert da. Euphrosyne hatte mit ihm gestern noch einen Zauber ausgeführt, dass nur sie mit ihm an ihrem Bungalow apparieren konnten, wie sie den zeitlosen Ortswechsel nannte. Sie hatte dann gesagt, dass sie jetzt nur noch auf einen Brief warten mussten, der im Mai oder im Juni sicher eintreffen würde.

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Julius Latierre hatte auf Madame Nathalie Grandchapeaus Anweisung hin alle Leiter der Büros für friedliche Koexistenz zu besuchen, weil sie das nicht per Posteulen klären wollte, was passiert war. So musste er gleich am Morgen des 23. Aprils nach England reisen, um die Ministerialabteilungsleiter Abrahams und Diggory zu informieren, dass die Computeranlage in Paris derzeit unbrauchbar war und dass dies durch einen von Nathalies Seite aus als lächerlich bezeichneten Versuch, sie einzuschüchtern geschehen sei. Da Julius die Konferenz mit Léto nicht weiterberichten durfte beließ er es nur bei dem, was im Ministerium herumgereicht werden konnte. Tim Abrahams wiegte den Kopf und sagte:

"Sie sind Veelabeauftragter, Julius, finden Sie besser raus, ob das wirklich nur ein harmloser Gruselscherz war, den Euphrosyne da ausgeführt hat. Ich kenne mich mit Veelas nicht so aus wie beispielsweise meine Schwiegermutter. Aber Veelas gelten als besonders rachsüchtig, wenn man sie beleidigt. Sie könnte meiner Kollegin in Kombination mit fernwirksamen Flüchen etwas aufgehalst haben, was sie nicht umbringt aber sich wünschen lässt, besser tot zu sein, vielleicht einen Alterungsverzögerungszauber, der sieund ihr ungeborenes Kind betrifft. Falls Mr. Diggory mir zustimmt könnten Sie auch Mrs. Fleur Weasley befragen."

"Die Angelegenheit wurde der Geheimhaltung S1 zugeordnet", sagte Julius. Aber wenn wirklich sowas vorliegt wie Sie sagen gilt dann sicher eine wesentlich höhere Geheimhaltungsstufe, wenn Sie verstehen."

"Natürlich verstehe ich", sagte Tim und wirkte so, als habe er wirklich schon verstanden. "Wann sollte Madame Belle Grandchapeau die Leitung des Büros übernehmen?" Julius gab ihm den Termin an. "Bis dahin werden die Damen wohl wissen, ob es nur ein Streich war", sagte Tim leise.

Am Nachmittag besuchte er noch den deutschen Büroleiter Weizengold und sagte seinen Spruch auf. Weizengold erwiderte, dass man die Kollegen in Frankreich informieren würde, wenn der berühmte Ex-Fußballspieler Aron Lundi in ihrem Hoheitsgebiet unterwegs sei.

Erst gegen acht Uhr abends kehrte er aus Belgien zurück, von wo er den Betroffenen die besten Wünsche für nicht bleibende Auswirkungen mitbrachte.

Am 24. April zitierte ihn Belle nach der 10-Uhr-Konferenz in ihr eigenes Büro. Sie bat ihn, sich zu setzen. dann sprach sie:

"Meine Mutter verbeißt sich in die Vorstellung, nur eine unverletzliche Haut bekommen zu haben und sonst nichts von diesem Zauber abgeblieben sei. Aber ich habe gestern, wo Sie unterwegs waren, verschiedene Tränke ausprobiert, unter anderem Vielsaft-Trank. Keiner davon hat angeschlagen. Im Gegenteil. Den Vielsaft-Trank musste ich gleich nach der Einnahme wieder erbrechen. Felix Felicis bescherte mir eine halbe Stunde lang intervalartiges saures Aufstoßen und der Wachhaltetrank bereitete mir übelriechende Blähungen und Durchfall. Dann hat mich unsere derzeitige Heilerin vom Dienst dabei erwischt, wie ich aus dem Zaubertranklabor eine Dosis Eisenhutsaft eingenommen habe und wollte mich schon mit einem Gegengift behandeln. Doch ich verspürte keine Auswirkungen. Selbstverwandlungen und Fremdverwandlungen gelingen auch nicht mehr. Ich dürfte eine PTR von 999 oder sogar 1000 haben und muss davon ausgehen, dass meine Vorgesetzte und Ihre direkte Vorgesetzte ähnlich konditioniert sind. Durch die Verwandlungs- und Trankbeschränkungen sind wir jedoch für verdeckte Außeneinsetze untauglich, abgesehen davon, dass wenn das mit diesemSegen wirklich stimmt, mein Bruder erst 2036 oder 2056 geboren wird, wenn die vierzehn-Tage-Toleranz bei Geburtsterminen greift und vierzehn Tage mit zweihundertvierundsechzig malgenommen etwas mehr als zehn Jahre und siebenunddreißig Tage ergeben. Jetzt mal ganz unter uns vom stillen Dienst: Besteht die Möglichkeit, durch den Fluchumkehrer diese Bezauberung rückgängig zu machen?" Julius schüttelte den Kopf. Er erwähnte, dass er sich diesbezüglich erkundigt habe, bei wem musste er nicht sagen, zumal Belle ja wusste, was es mit der geflügelten Riesenkuh Artemis vom grünen Rain auf sich hatte. Er erwähnte auch, dass seine Quelle einen ähnlichen Zauber gekannt hatte, der allerdings nur zum Heilen schwerer Verletzungen benutzt wurde. Belle seufzte.

"Gut, anders als die andere Madame Grandchapeau halte ich diesen so genannten Segen des Sonnenatems für erteilt und wirksam und werde mich diesbezüglich geistig-seelisch darauf einstellen lernen, dass ich ihr ab dem Zeitpunkt, an dem ihre Schwangerschaft offiziell ausgetragen sein sollte, beistehe, um mit ihr alles kommende durchzustehen. Vielen Dank für Ihre Unterstützung."

"Es hätte mich ja auch erwischen können", sagte Julius. "Immerhin habe ich auf Ihre Anfrage hin die nötigen Angaben zusammengetragen, um Monsieur Lundi von einer steilen Fußballkarriere abzubringen, auch wenn Sie mich nicht in dieses Vorhaben einbezogen haben."

"Was vielleicht Ihr Glück ist, Monsieur Latierre", sagte Belle. "Oder wollen Sie erst ihre Frau, dann ihre Kinder, dann Ihre Enkelkinder und so weiter überleben, bis es niemanden mehr gibt, mit dem Sie in Liebe verbunden sind, durch die Zeit fortdauern, immer auf der Suche nach einem neuen Halt? Ob ich das kann weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass ich das Leben meiner beiden Kinder nicht gefährden darf. Und ich muss mich wohl damit abfinden, dass ich kein drittes oder viertes Kind bekommen werde, es sei denn, deren Entwicklung verläuft wie bei unmanipulierten Schwangeren. Mehr muss Sie hier im Dienst nicht betreffen. Bis dann morgen wieder."

Julius verabschiedete sich für's erste von Belle Grandchapeau, der Hexe, mit der er einmal vier Tage Lebenszeit verbracht hatte. Einem anderem als ihm hätte sie wohl nicht so bereitwillig ihre Gedanken offenbart. Deshalb wusste er, dass er ihre Erläuterungen nicht an Leute weitergeben würde, von denen er nicht wusste, wie sie damit umgehen würden.

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Als in Millemerveilles die Walpurgisnacht gefeiert wurde, ließen sich Millie und Julius nicht anmerken, wie angespannt sie beide waren. Nur Aurore, die zwei Tage später ihren zweiten Geburtstag feiern durfte und dazu alle Kinder, mit denen sie schon gut auskam und deren Eltern, mit denen ihre Eltern gut auskamen im Garten des Apfelhauses zu Gast hatte merkte, dass ihr Papa nicht mehr gerade so fröhlich war wie sonst. Sie konnte nicht wissen, dass seine Mutter, ihre Oma Martha, am 28. April eine aus England geschickte Geheimnachricht an ihn weitergeleitet hatte, die vom Auftauchen und dann wieder verschwinden von Aldous Crowne hanlte. Aldous war demnach unbemerkt von Reise- und Zollstellen nach Ägypten gelangt, von wo er eigentlich zurück nach London gebracht werden sollte. Doch unterwegs war er wieder verschwunden, zusammen mit dem Agenten des MI6, von dem sie nur den Codenamen Läufer herausbekommen hatte, weil dessen Klardaten im abgeschotteten Netzwerk des MI6 aufbewahrt wurden. Julius gab dies zu denken. In Ägypten mochte eine der noch schlafenden Abgrundstöchter sein. Dann war die Frage, hatte Aldous sie erweckt oder schlief sie immer noch? Er wusste nur, dass er im Moment nichts ausrichten konnte.

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Aus dem Logbuch der USS Maxwell Stephord

12. Mai 2002

Haben heute befohlene Warteposition für Treffen mit Uss Hammerhead 52 Grad 22 Minuten und 33 Sekunden s 50 Grad 32 Minuten und 10 Sekunden w erreicht. Wetter diesig mit Wind aus Ostnordost mit 7 bis 8. Sichtweite morgens ca. 1 Seemeile, gegen Mittag ca. 4 Seemeilen. Mannschaft wohlauf, Schiff in sehr gutem Zustand. Funker meldet: Treffen mit USS Hammerhead um 32 h verschoben wegen letzter Wartung vor Übung. Um 13:54 Sichtung eines Fremdkörpers zehn Grad Steuerbord voraus. Kein Radarkontakt! Fremdkörper weist vollendete Kugelform auf. Durchmesser 5 m. Haben Boot zur Bergung ausgebracht. Als Minenräumtrupp keine Gefahr meldete wurde Fremdkörper geborgen und an Bord geholt. Körper besteht offenbar aus tiefschwarzem Eis und erweist sich bei Untersuchung mit Handecholot als Hohlkugel. Haben Befehl von Kommando Atlantikflotte erhalten, Fremdkörper zur Übergabe an USS Constitution tiefgekühlt zu lagern. Übung mit USS Hammerhead bis Eintreffen USS Constitution bis 19. Mai verschoben. Zeitplan für Übung gefährdet. Erwarte neue Anweisungen.

Cpt. Ian Flanigan

ENDE

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