Die Turbulenzen um die Neuwahl des französischen Zaubereiministers, sowie die zeitweilige Dienstunfähigkeit der Zaubereiminister aus den USA und Deutschland haben sich noch nicht ganz gelegt. Immer noch wird fieberhaft nach den Angehörigen der auf magisch erzwungene Fortpflanzung abzielenden Gruppe Vita Magica, sowie nach Lord Vengor und seinen Helfern gesucht. Doch auch die Vampire der sogenannten schlafenden Göttin sind weiterhin unterwegs, um ihrer Herrin Macht zu verschaffen. Dieses und die Gefahr, die durch den wiedererweckten Wächter von Garumitan und den langsam aus tiefem Schlaf erwachenden Schattenlänker Kanoras droht, veranlasst die Sprecherin der Sonnenkinder, einen Vorschlag ihrer Volkszugehörigen Gwendartammaya umzusetzen.
Die Schenke zur blutroten Fledermaus war ein nur ganz wenigen bekannter Ort. mehr als hundert Meter unter der Nokturngasse gelegen besaß sie kein Fenster. Kein Funken Sonnenlicht drang bis dorthin vor. Ihr Zugang war durch einen besonderen Zauber vor unerwünschten Besuchern verborgen. Hierher kamen nur die, die das Tageslicht meiden mussten, die in den Nächten auf Tier- und Menschenblut ausgingen: Die Kinder der Nacht. Die blutrote Fledermaus war die einzige reine Vampirschenke Westeuropas. Daher galt sie auch gleichzeitig als heiliger Boden, an dem alle bestehenden Feindschaften ruhten. Wer mit einem anderen Gast in Fehde lag musste dieses Bestreben genauso vor der geheimen Zugangstür zurückstellen, wie sein Feind es tun musste. So war das seit vierhundert Jahren, seitdem die aus Südosteuropa verjagte Vampirsippe Lunescu die geheime Grotte gefunden hatte und mit befreundeten Zauberern den nur für ihre Art durchschreitbaren Zugang eingerichtet hatte. Wer eine weite Reise machen musste übertagte in einer der zwanzig kleinen Schlafkammern. Länger als eine Woche durfte er oder sie aber nicht verweilen. Auch das war eine eherne Regel, die die Lunescus aufgestellt hatten, um verfehdete Brüder und Schwestern nicht zu lange unter demselben Dach wohnen zu haben. Natürlich konnte jemand, der verfolgt wurde um Schutzrecht bitten, musste dann aber einen neutralen Unterhändler bestellen, der den Streit mit den Verfolgern besprach.
Für die erst vor einem Jahr wiedererweckte Vampirin Silver Gleam war es wie eine Heimkehr, als sie durch drei Tropfen ihres eigenen Blutes an einem versteckten Stein den magisch verborgenen Zugang öffnete. Eine scheinbar massive Granitwand bekam einen senkrechten Riss, der sich lautlos verbreiterte. Als er weit genug klaffte durchschritt die noch jung aussehende Vampirin den Spalt. Dabei fühlte sie das Prickeln in ihrem Körper. Ihr Vampirblut wechselwirkte mit der Barriere, die Roman Lunescu im Jahre 1601 hatte einrichten lassen. Sie kannte dieses Prickeln so gut, dass ihr der Wärmeschauer auffiel, der nun ihren Leib durchflutete. Dann war sie durch die Barriere hindurch. Sie wusste jetzt, was dieser Wärmeschauer war: Sie war durch das Blut eines Kindes, einer Jungfrau vor Eintritt in die Reife, wiedererweckt worden. Das kleine Mädchen hatte ein wenig von seinem Blut ganz bewusst und freiwillig geopfert, um Silver Gleam aufzuwecken.
Wie alle Kinder der Nacht konnte Silver Gleam in völliger Dunkelheit so sehen wie gewöhnliche Menschen bei hellem Tag. So konnte sie zwanzig andere Kinder der Nacht erkennen, die im für Menschen gerade flüsterleisen Ton miteinander sprachen oder, wenn es durch Blutaustausch verbundene waren, durch Blickkontakt Gedankenbotschaften austauschen konnten, wenn wirklich niemand mithören sollte. Sie erkannte Nightfang, einen bereits vierhundert Jahre alten Vampir aus dem schottischen Hochland, der mit zwei körperlich jungen Frauen zusammensaß und immer wieder zum Gedankenwechseln Blicke tauschte. Sie sah an einem der Steintische fünf männliche Artgenossen, von denen sie unverkennbar jene Schwingungen verspürte, wie sie die durch den Mitternachtsdiamanten in die Nacht geborene aussandten. Die waren sicher Diener jener bei den Nachtkindern häufig besprochenen schlafenden Göttin und außerhalb dieser Räume ihre erklärten Feinde. Dass die fünf sie sahen konnte sie nicht verhindern. Doch zum einen wussten die nicht, dass sie mit zwei Hexen in Amerika zusammenarbeitete und auch nicht, dass sie durch das wenige in ihrem eigenen Blut aufgegangene Blut eines kleinen Mädchens eine besondere Ausstrahlung besaß, die alle, die sie als Feinde ansah, sofort wieder vergessen ließ, dass sie im Raum gewesen war, wenn sie den Raum verlassen hatte. Sie sah ihre Blutmutter Erythrina Lunescu, Blutenkelin des ersten Besitzers der blutigen Fledermaus. Sie dirigierte gerade durch Gesten und Blicke ihre vier Bediensteten, die dampfenden Krüge frischen Tierblutes zu servieren. Silver Gleam hörte in der Ferne das klagende Meckern von Ziegen und gepeinigte Blöken von Kälbern.
Erythrina sah die neue Besucherin, die sich nach einem einzelnen Tisch nicht zu nahe bei den fünf Mitternachtsdiamantvampiren umsah. "In der Südnische ist ein Zweiertisch frei", hörte sie die Stimme ihrer Blutmutter im Geist, als diese sie genau ansah. Silver Gleam nickte und ging wortlos zum benannten Tisch. Als sie saß rief Nightfang gerade: "Ey, Hutzelweib, schaff eins von den Kälbern her. Ich will direkt trinken!"
"Nur wenn du das Hutzelweib zurücknimmst, Nightfang", sprach Erythrina mit halblauter Stimme. Ein anderer Gast meinte, ihm sei nach dem frischen Blut eines neugeborenen Jungen. Die Tierplörre, die sie hier ausschenkten sei nichts für einen wahren Sohn der Nacht. Darauf antwortete die Schankwirtin, dass Daggermouth genau wisse, dass seit zweihundert Jahren keine lebenden Menschenkinder mehr für die Gäste herangeschafft würden. "Wenn wir das wieder einführen sind wir morgen alle tot. Das britische Zaubereiministerium duldet uns doch nur solange, wie es davon ausgeht, dass die meisten von uns mit Menschen gut auskommen können und nicht die mordgierigen Monster sind, als die uns die Magieunfähigen immer gerne darstellen."
"Wenn keiner rauskriegt, wer das Balg geschnappt hat kommt dir doch keiner drauf. Ich habe fünf Barren Gold. Vier davon kannst du haben, wenn dein Sohn mir aus einem der Krankenhäuser ein Menschenjunges besorgt", erwiderte Daggermouth. Doch Erythrina grinste darauf nur und zeigte ihre Fangzähne. Dann wies sie einen ihrer Bediensteten an, aus dem unterirdischen Stall eins der Kälber zu holen. Als sie das getan hatte blickte sie wieder Silver Gleam an:
"Ich weiß, warum du hier bist, Mädchen. Du willst dich umhören, ob jemand was von dieser schlafenden Göttin erzählt. Dafür bist du ja wohl aufgeweckt worden", hörte sie ihre Stimme im Geist hallen.
"Können du oder ich da einfach zusehen, wenn eine Sekte von Nachtkindern meint, uns und dann die ganze Welt zu beherrschen?" gedankenfragte Silver Gleam zurück. Dann musste sie den Blickkontakt unterbrechen, weil ein anderer Gast die Hand hob, was hieß, dass er was bestellen wollte und nicht so ungehobelt auftrat wie Nightfang und Daggermouth. So dauerte es eine Minute, bis Erythrina ihre Bluttochter wieder ansehen konnte und damit einen geheimen Gedankenwechsel ermöglichte.
"Du hast sicher die fünf Burschen gesehen, die am Nordwesttisch sitzen. Die sind Handlanger einer gewissen Nyctodora, die als Hohepriesterin der schlafenden Göttin gilt. Ich weiß, die würden mich deshalb sofort töten, aber nicht, solange ich in diesen heiligen Räumen bleibe. Denn was ich von denen mitbekommen habe ist heftig genug ... Bis gleich wieder." Nightfang jubelte gerade, weil einer von Erythrinas Söhnen ein laut und ängstlich blökendes Kalb durch die Tür zu den Vorratshöhlen hereintrug. Daggermouth bemerkte dazu: "Wer Kälberblut säuft kann auch gleich Kuhmilch trinken."
"Gilt das dann auch für Leute, die sich an neugeborenen Kindern sattsaufen?" wollte Nightfang wissen. Alle anderen lachten. Diesen kurzen Aufruhr nutzte Erythrina aus, um noch mal Blickkontakt mit Silver Gleam aufzunehmen:
"Sage der Jungfrau, die dich mit ihrem Blut geweckt hat und wem die auch immer noch vertraut, dass Nocturnia wieder ein Mittel sucht, unser Dasein wie die Pest durch reine Ansteckung zu übertragen und nicht durch unsere erhabene Sitte des Bluttausches."
"Wie bitte?! Nocturnia soll was herstellen, dass Rotblütler zu unseren Artgenossen macht, ohne dass dabei Blut getauscht wird?" gedankenfragte Silver Gleam. Doch da musste Erythrina wieder anderswo hinsehen. Diesmal sah sie eine der jungen Frauen an, die bei Nightfang waren und die mit Bewunderung auf ihren Begleiter sahen, der gerade seine Fangzähne in die Halsschlagader des nur wenige Wochen alten Kalbes schlug. Da Silver Gleam nicht für alle hörbar reden wollte musste sie warten, bis ihre Blutmutter den Blickkontakt wiederhergestellt hatte.
"Die Anhänger der schlafenden Göttin teilen ihr Wissen nur mit anderen Anhängern. Aber ich konnte hören, dass diese Gruppe einen Stoff machen will, der durch die Luft und durch Trinkwasser übertragen werden kann. Wenn das gelingt können Millionen von neuen Nachtkindern entstehen, die dann aber alle Abhängige der Bluttochter oder des Blutsohnes sind, von dem etwas zur Wirksamkeit dieses Stoffes gegeben wird. Sage deiner Erweckerin, dass fünf Menschen in Gefahr sind!"
Nach fünf weiteren Minuten, in denen Silver Gleam einen halben Liter Ziegenblut trank, erfuhr sie die fünf Namen, alles Leute, von denen sie noch nie was gehört hatte, die aber wohl allesamt wichtige Forscher der magieunfähigen Rotblütler waren.
Um nicht als eilig aufzufallen blieb Silver Gleam noch solange in der Schenke zur blutroten Fledermaus, bis die fünf Anhänger der schlafenden Göttin sie verließen und die beiden Übertagungsgäste in eine der Schlafkammern hinübergingen. Dann sah sie auf die große Wanduhr, deren Zifferblatt in einen hellen und einen dunklen Abschnitt eingeteilt war. Der kleine Zeiger stand nur noch fünf Minuten vor der hellen Hälfte. Das hieß, dass in fünf Minuten die Sonne aufging. Weil Silver Gleam nicht zu Nocturnia gehörte trug sie keinen wirksamen Sonnenschutz. Deshalb fragte Erythrina, ob sie nicht besser die Tagesstunden hier verbringen sollte. Doch Silver Gleam schüttelte den Kopf. "Ich habe was mit, das mich schnell dorthin bringt, wo ich die Tagesstunden überdauern kann, Mutter meines Blutes. Aber dafür muss ich erst aus der Schenke hinaus."
"Du trägst einen Blaulichtwirbelmacher bei dir?" fragte Erythrina rein geistig.
"Ja, ein Geschenk zu meinem Erweckungstag", erwiderte Silver Gleam. Ihre Blutmutter nickte. So recht gefiel ihr nicht, dass ihre Bluttochter eine Spionin für ihr unbekannte Rotblütler war. Andererseits hatte sie schon nicht mehr damit gerechnet, Silver Gleam in ihrem Leben noch einmal wiederzusehen. So gedankensprach sie nur:
"Bedenke bei allem, was du über uns weitererzählst, dass deine Worte einen von uns töten könnten. Sei dir immer dieser Gefahr bewusst, und auch, dass du außerhalb unserer Räume leicht zur Gejagten werden magst, wenn sich doch herumspricht, dass du für Rotblütler auskundschaftest." Silver Gleam bestätigte, dass ihr das durchaus bewusst war. Dann durfte sie die Schenke verlassen.
Eine Minute vor Sonnenaufgang - Silver Gleam fühlte bereits ein unangenehmes Pieksen auf ihrer Haut - sagte sie zu einem kleinen Bronzebecher, den sie aus ihrer Handtasche geholt hatte: "Nach Hause!" Sie schloss die Augen. Denn der sie nun davonreißende Zauberwirbel war so bunt und wild, dass sie meinte, ihren Verstand zu verlieren, wenn sie ihn zu lange betrachtete. Erst als sie festen Boden unter den Füßen fühlte und hörte, dass sie in ihrer unortbar gezauberten Kammer mit ihrem silbernen Sarg angelangt war, öffnete sie ihre Augen wieder. Die Kraft der nun aufgehenden Sonne spürte sie nur als bleierne Müdigkeit. Sie legte sich hin, um den Tag zu verschlafen. Am Abend musste sie eine ihrer drei Fledermäuse losschicken, um ihre Erweckerin und deren Mutter zu warnen. Sie hoffte nur, dass die Warnung nicht zu spät eintreffen würde.
Dardaria blickte besorgt auf ein am Ende einer fünf Manneslängen langen Schnur aus Sonnenglanz baumelndes Pendel. Dabei handelte es sich nicht um eine waagerecht aufgehängte runde Scheibe aus Sonnenglanz, einer Mischung aus Gold und Orichalk. Auf der Scheibe waren wirksame Zeichen der Kraft eingetrieben. Seit der letzten Ortsversetzung des Sonnenturmes schwang das Pendel ohne ein zusätzliches Gewicht zu benötigen über einem Feld aus fünf gleichmittigen Kreisen, die wiederum in sechzehn weiße Striche unterteilt waren, die alle dem gemeinsamen Mittelpunkt entsprangen. Das Pendel war mit Liedern der Macht von Licht und Schatten besungen worden und wurde von Strömen der mitternächtigen Kraft angezogen. Wo die stärkste Strömung herkam zielte es bei jedem Schwung hin, ähnlich wie das Weiseeisen, dass mit den Eisenfanglinien der großem Mutter Erde zusammenwirkte, auch ganz ohne übergeordnete Kraft.
"Yantulian, ich fürchte, ein mächtiger Feind sammelt seine Kräfte in Ein Viertel Mittag und drei Viertel Morgenrichtung", gedankensprach sie zu ihrem Gefährten, der mal wieder in der Kammer des bewahrten Wissens saß, während sie ihre Aufgabe darin sah, für das gemeinsame Kind genug Nahrung zu sich zu nehmen und die Verbindung mit Faidaria und den auf der Sonneninsel wohnenden Brüdern und Schwestern aufrechtzuhalten.
"Ich bin gleich bei dir, Dardaria. Ich will nur die letzten Anweisungen zum Bau des Schwingungsohres in mich aufnehmen."
"Willst du wirklich ein solches nachbauen, um zu hören, was der Wächter von Garumitan seinen Untergebenen sagt oder von diesen hört?" fragte Dardaria überflüssigerweise. Denn sie wusste genau, wie wichtig es war, zu erfahren, was der aus seiner viele tausend Sonnen dauernden Ruhe geweckte Wächter der einstmals so schöpferischen Stadt Garumitan unternahm. Die Welt gehörte nicht mehr den Trägern der Kraft. Er war jedoch erschaffen worden, um den Trägern der Kraft bei der Herrschaft über die Welt zu helfen. Wenn er alles erfahren hatte, was er wissen musste, um die istzeitige Welt zu verstehen, dann mochte er befinden, die unberechtigt vorherrschenden Menschen bestrafen und in die Untergebenheit den Trägern der Kraft gegenüber zurückzwingen zu müssen.
"So, jetzt habe ich alle Anweisungen und alle Bedarfslisten in mich aufgenommen. Ich bin gleich da.
Als Yantulian sah, wie das Pendel bei jedem Schwung immer wieder an der weißen Linie, die direkt neben der Morgenrichtungslinie und drei Striche von der Mittagsrichtungslinie entfernt war seufzte er: "Das ist von uns aus die Richtung, in der der Erdteil Vormittagsland liegt, auf dem die wegen der Sonne dunkelhäutigen Menschen wohnen und wo allen Beschreibungen der Geschichtsforscher und Ausgräber nach wir alle unsere gemeinsame Wiege haben. Dort irgendwo soll er wohnen, Kanoras, der Schattenträumer, einst als Geschwisterpaar den Mitternächtigen dienend, um dann in einem sehr gewagten Versuch zu einem einzigen Gehirn mit einem vereinten Geist zu verschmelzen. Der Schattenträumer kann in den Blauen Flammen von Gargordoyan lebende Wesen zu reinen Schatten ihres Daseins wandeln und diese dann durch seine Gedanken knechten und lenken."
"Gardordoyan, der Abtrünnige", schnaubte Dardaria. Denn sie wusste, dass jener Träger der Kraft damals beinahe eine Blutfehde innerhalb der Feuervertrauten angefacht hätte, weil er von Iaxathans Vater den Vorsitz der Feuervertrauten und damit Aussicht auf die Königswürde erhalten hatte. Der hatte dieses blaue Feuer ersonnen, in dem lebende Wesen ihr Fleisch, Blut und Knochengerüst verloren, um dann als gefangene Seelen solange mit ihren schlimmsten Erinnerungen gepeinigt zu werden, bis die Flammen erloschen oder sie dem Entzünder alles preisgegeben hatten, was dieser wissen wollte. Jeder Feuervertraute konnte danach diese Flammen entzünden, und Gargordoyan war einer derjenigen, die darin verbrannt wurden, um alles über sein Bündnis mit Iaxathans Vater zu erfahren, um dessen Schergen zurückzuschlagen und den Aufruhr im Orden des Feuers zu ersticken. So rächte sich eine böse Erfindung immer an ihrem Erfinder, hatte Dardarias Mutter geseufzt, deren Geist im Sonnenturm überdauerte, um das alte Erbe und Wissen zu bewahren.
"Aber als wir diese Kammer zum ersten mal betraten hat das Pendel nicht in diese Richtung gezeigt", wusste Dardaria noch. Yantulian nickte und vermutete, dass Kanoras da wohl geschwächt gewesen sei. Womöglich hatte jemand ihn in den tiefen Schlaf der Überdauerung versenkt, das einzig nichttödliche Mittel, einen Feind über Tausendersonnen hinweg kampfunfähig zu halten. Dardaria stimmte dem zu. Doch nun nun hatten sie einen weiteren Feind neben den Nachtkindern, die versuchten, wieder mehr Macht zu erhalten, den Knecht Iaxathans, der danach trachtete, im Dienste für seinen Meister dessen Willen auf der Welt zu vollstrecken und den vaterlos empfangenen Töchtern, die in den Sonnenkindern auch eine Gefahr sahen. Das alles wäre mit den lebenden Trägern der Kraft zu bewältigen. Doch jene hegten eine Mischung aus Argwohn und Begierde, was die Möglichkeiten der Sonnenkinder anging. Das hatten sie schließlich erleben müssen, als es gegen die dem dunklen Feuer verbundene Tochter ohne Vater gegangen war.
"Wenn Kanoras wirklich wieder seine alte Kraft zurückgewinnt und sich mit dem Knecht des Königs der Mitternacht vereint wird die Welt in Angst und Trümmer zerfallen. Wenn dazu noch die Vergeltungswut des Wächters von Garumitan auflodert wird die gesamte Menschheit bald ausgelöscht sein", seufzte Dardaria. Yantulian konnte ihr da nur beipflichten. Sie brauchte es auch nicht auszusprechen, was ihr durch den Kopf ging. Das gerade in ihr heranwachsende Kind würde dann in eine Welt aus Asche und Dunkelheit hineingeboren. Nein, das durfte sie nicht zulassen. Auch Yantulian wusste, dass die Sonnenkinder nicht mehr lange in selbstgewählter Abgeschiedenheit bleiben durften. Auch wenn zu viele Istzeitler zu gerne die Mittel und Kenntnisse des alten Reiches haben wollten mussten sie einen Weg finden.
"Ich werde eine der zwei verbliebenen Barken nehmen und mit unseren überlebenden Brüdern zusammen die Teile suchen, um das Schwingungsohr zu bauen. Wissen wir dann, was der Wächter plant, haben wir zumindest eine Ungewissheit getilgt."
"Was für Teile brauchst du? Nicht, dass wir sie stehlen müssen", warf Dardaria ein.
"Sagen wir so, wir müssen ein ungeschlüfptes Junges eines in Mittagsrichtung lebenden Feuerbläsers opfern und einiges an Silber, Gold, Kupfer und Hartkristall zusammentragen, um die entsprechenden Kräfte zu wirken. Dazu ist auch nötig, Blut eines mit Kraft angefüllten Wesens aus den Meeren zu nehmen, wobei wir dieses Wesen nicht töten müssen, wenn es zu vermeiden ist. Da diese Dinge einen gewissen Wert haben und nicht wie pflückreife Kräuter und Baumfrüchte zu finden sind werden wir wohl einiges ohne Erlaubnis der Eigentümer an uns bringen müssen. Doch es wird kein Diebstahl sein. Denn wir zahlen die Aneignung durch die Bewahrung der Menschen zurück, und die wiegt tausend Berge reines Orichalk auf", beruhigte Yantulian das Gewissen seiner Gefährtin. Diese fragte sich jedoch einmal mehr, ob die Menschheit, wie sie jetzt lebte, überhaupt so viel wert war, um jeden Preis vor dem Untergang bewahrt zu werden. Weil sie jedoch wie alle ihre Artgenossen dazu erzogen war, gegen alle die Menschen bedrohenden Mächte zu kämpfen, sah sie ein, dass Yantulian recht hatte.
"Sprich mit Faidaria und erzähle ihr, was du und ich gesehenund beredet haben!" bat Yantulian. "Ich werde gleich mit einer Barke aufbrechen und nach Ashtaraiondroi fliegen."
"Dann ist nur noch eine da, wenn eine Übermacht uns zum verlassen unseres Erbes zwingen sollte", wies Dardaria hin.
"Ja, ich weiß, es war der größte Fehler unseres Daseins, diese uns damals noch völlig unbekannten Verbreiter von Dunkelheit und Angst ohne Gnädig auf uns einströmende Kraft unseres großen Vaters Himmelsfeuers zu bekämpfen und deshalb gleich zwei Barken verloren zu haben", schnaubte Yantulian. "Aber solange wir nicht offen mit den istzeitigen Trägern der Kraft zusammenwirken können, ohne Angst vor Raub und Hintergehung haben zu müssen, können wir keine neuen Barken bauen. Auch wenn die Baupläne wie vieles andere in der Kammer des bewahrten Wissens vorhanden sind. Aber das müssen die ältesten von uns beschließen, da vor allem Faidaria. So, ich lege nun meine Rüstung an und fliege los. Gib meine Ankunft bekannt und welches Ziel ich verfolge, Trägerin meines ersten Kindes!"
"Faidaria und du mögt die Istzeitler für geistig zurückentwickelt ansehen. Doch eines haben sie sich bewahrt", erwiderte Dardaria. Yantulian fragte, was sie meine: "Dass sie "bitte" sagen, wenn sie von jemandem etwas erwarten oder haben möchten. Alles andere ist ein Befehl, und du und ich sind gleichrangig. Also bitte mich bitte um das, was ich für dich sagen soll!" Yantulian starrte seine Gefährtin verdrossen an. Doch weil sie unerbittlich zurückstarrte gab er sich einen Ruck und sagte: "Dardaria, bitte teile unserer großen Fürsprecherin mit, dass ich nun losfliege, um mit unseren verbliebenen Brüdern, sofern sie nicht noch neues Leben erzeugen müssen, auf die Jagd nach edlen Metallen, Steinen und mächtigen Wesen von Feuer und Wasser zu gehen!" Dardaria bejahte es.
Macht die sich mit unserem Kind im Bauch noch Gedanken um angemessenes Verhalten", dachte Yantulian und war sorgsam darauf bedacht, dass seine Gefährtin das nicht mitbekommen konnte.
Martha Merryweather hatte am 23. September beschlossen, Chloe Palmers Vorschlag umzusetzen, weil eine schmerzhafte Vorwehe ihr deutlich machte, dass sie bald die drei Kinder Luckys bekommen würde. Das letzte was sie tat war, über die gemalte Ausgabe von Viviane Eauvive weiterzumelden, dass sie nun ins Krankenhaus gehen und dort auf ihre Niederkunft warten würde. Für ihren Mann hinterließ sie einen Brief, indem sie ihn darum bat, jeden Tag zu Besuch zu kommen, solange Chloe Palmer dies genehmigte. Dann ließ sie sich in jenen gegen Beharrungskräfte bezauberten Transportsack legen und durch Flohpulver aus ihrem Haus Zwei Mühlen in das Patientenfoyer des HPKs bringen. Chloe Palmer begleitete sie, als sie, dem Transportsack wieder entstiegen, mit einem geschlossenen Fahrstuhl nach oben fuhren. Martha hörte dabei, dass hier die selbe weiblich klingende Zauberstimme zur Stationsansage wie im US-amerikanischen Zaubereiministerium benutzt wurde. Auf der dritten von sechs Etagen lag die "Megan-Morehead-Abteilung für werdende Mütter und Wöchnerinnen".
Im Büro der Station saß eine junge Heilerin in hellgrüner Tracht. Auf der Vorderseite war ein dunkelgrüner Kreis aufgestickt, in dem ein Dreieck aus den golden glänzenden Buchstaben HPK zu erkennen war. "Hallo Tilly, hat Großheilerin Greensporn zu tun?" wollte Chloe Palmer wissen.
"Ja, Chloe. Diese vielen Geburten wegen dieser Silvesterparty. Öhm, deine Patientin ja auch. Hallo, ich bin Mathilda Blueberry, Heilerin im Praktikum und zur Zeit als Aufnahmebeauftragte", sagte die junge Heilerin, die Martha auf gerade Mitte zwanzig schätzte. Sie dachte an Aurora Dawn, die ja auch mal als junges Mädchen in diesen Beruf eingestiegen war.
Nachdem Chloe ihre Patientin und den berechneten Geburtszeitraum angegeben hatte musste Martha von jeder Hand einen Abdruck auf einer Silberplatte aufzeichnen lassen. "Das ist völlig schmerzlos, nur für die Identifizierung und Lebensschwingungskennzeichnung, wenn Ihre Kinder geboren sind."
"Dann sollte ich langsam zusehen, mein Zimmer zu beziehen, bevor ich die Ihnen noch vor die Füße fallen lasse", sagte Martha und erntete dafür ein leicht verstimmtes Gesicht Chloe Palmers und ein vergnügtes Grinsen der jungen Heilerin. "Och, auf dieser Station kann jeder Raum mit Fingerschnippen zum Geburtszimmer werden, auch Großheilerin Greensporns Büro", sagte Heilerin Blueberry. Dann gab sie Martha und Chloe zwei silberne Schlüssel in die Hand und beschrieb ihnen den Weg zum reservierten Zimmer.
Martha sah auf dem Weg durch den Trakt mit den Zimmern ein goldgerahmtes Gemälde von einer Hexe mit silbernen Haaren, die eine goldene Brille trug. Das war Eileithyia Greensporn, die Chefin dieser Station und gleichzeitig wegen ihres gesegneten Alters von 121 Jahren und damit verbundenen Erfahrung auch Sprecherin aller Nordamerikanischen Heiler. Als die beiden Hexen das Bild passierten winkte die gemalte Heilerin ihnen einladend zu und schenkte der künftigen Drillingsmutter ein sehr warmherziges Lächeln. Martha wunderte sich über den in warmen, hellen Farben gehaltenen Teppich und den ebenso in einem warmen Gelbton gestrichenen Gang mit den vielen Zaubererbildern, die bunte Motive zeigten, wohl für die werdenden Mütter zur Beruhigung. Martha fragte, ob ein Teppich nicht Bedenken wegen der Hygiene machte. Darauf erfuhr sie, dass hier jede Nacht Punkt zwölf fleißige Geister, also Hauselfen, den Teppich staubfrei machten und dann mit Keimfreilösung imprägnierten, die einen ganzen Tag vorhielt.
Im Zimmer gab es neben einer Waschgelegenheit und einem großen Bett auch einen Kleiderschrank und einen blütenweiß gedeckten Tisch mit drei hellen Stühlen. "Ihr Reich, Martha. Wenn Sie die drei Racker erfolgreich ans Licht gebracht haben stellen wir Ihnen noch drei entweder drei Einzelwiegen oder eine Drillingswiege, einen Wickeltisch und eine kleine Badewanne hier rein, solang die Wochenbettphase dauert", sagte Chloe Palmer. Dann wünschte sie ihrer Patientin eine erholsame Eingewöhnung und sicherte ihr zu, dass sie sofort Hilfe bekommen würde, wenn es losging.
Chloe zeigte ihr dann noch, wie sie ihre natürlichen Bedürfnisse verrichten konnte, wobei sie auch eine kupferne Bettpfanne benutzen konnte, was Martha einen Moment daran denken machte, was Julius mal erzählt hatte. Chloe wusste das wohl und sagte beruhigend: "Sie wissen hoffentlich mittlerweile, dass nirgendwo auf der Welt heftige Bestrafungen in dieser Form ausgeführt werden." Martha nickte. Dann bedankte sie sich bei Chloe für die Begleitung und legte sich hin.
In der Nacht zum 23. September wachte Selene Hemlock von einem leisen Kratzen an ihrem Fenster auf. Sie setzte sich in ihrem Kinderbett auf und sah zum Fenster ihres bunt ausgestatteten Zimmers. Wieder kratzte es am Fenster. Das klang ganz nach Krallen, die an Holz und Glas schabten. Das konnte nur eine Fledermaus sein, die in ihr Zimmer wollte. "Mom, da ist eine Fledermaus an meinem Fenster!" rief Selene. Da ging die Zimmertür schon auf, und Theia Hemlock trat in einem geblümten Morgenrock ein. Mit einem Zauberstabwink ließ sie die Deckenlampe aufflammen. "Kleines, du weißt doch, dass wir einen Annäherungsmeldezauber haben, besonders für Nachttiere. Deshalb wusste ich das schon vor einer Minute. Dann lassen wir das Flattertier mal rein und sehen, was es uns mitgebracht hat!" säuselte Theia ganz im Stil einer jungen Mutter. Doch was die ins Zimmer hineingelassene schwarze Fledermaus dann in ihrem kleinen Lederbeutel überbrachte war alles andere als fröhlich.
"Deine grünäugige Verehrerin warnt uns hier, dass die neuen Nocturnianer Muggelwissenschaftler dazu kriegen wollen, für sie nach einer Neuauflage dieses Vampirwerdungsgiftes zu forschen." Sie gab ihrer Tochter den Brief, damit sie ihn selbst las. Nachdem sie das getan hatte knurte sie:
"Auch wenn sie es ohne den Mitternachtsdiamanten nicht so hinbekommen können ist der Versuch schon schlimm genug. Aber woher kennen diese Nachtkreaturen diese fünf Leute?"
"Du weißt doch noch, wer Königin Lamia früher gewesen ist, Selene", sagte Theia. Selene wusste es in der Tat. Natürlich kannte die im ersten Leben Elvira Vierbein heißende Vampirkönigin alle Wissenschaftler, die sich gut in den Bereichen auskannten, die Biochemie und Molekulargenetik genannt wurden und im Grunde eine magielose Weiterführung der klassischen Alchemie und besonders der Abläufe in lebenden Wesen war. Sie musste einmal mehr erkennen, wie weit sich die sogenannten Muggel entwickelt hatten und vor allem, dass sie den im winzigkleinen ablaufenden Vorgängen der Natur wesentlich mehr Beachtung geschenkt hatten als die Alchemisten und Thaumaturgen in der magischen Welt. Deshalb hatten die viel mehr Wissen über Krankheitserreger, als einfach nur, wie sie wegzuzaubern oder wegzutrinken waren und hatten Dinge wie Computer und eben auch den Schrecken schlechthin, die Atombombe erfinden können. Es war also schon ein vielversprechender Ansatz, die Eigenschaften eines Vampirs durch künstlich gezüchtete Viren auf unbefallene Menschen zu übertragen, ohne mehr Magie anzuwenden, als durch das einbezogene Vampirblut bereitgestellt wurde. Ob das Zaubereiministerium diese Gefahr bedachte?
"Deine Bundesschwestern, Mom, sollten das hier besser lesen und irgendwie irgendwem weitergeben, damit die fünf Leute beschützt werden", sagte Selene mit einer für eine gerade erst drei Jahre alten Junghexe ungewohnt ernsten Betonung.
"Ich reiche das an die richtigen Stellen weiter, vor allem an Oma Thyia", sagte Theia Hemlock. Dann schrieb sie schnell noch eine Antwort für die Absenderin der Fledermaus.
"Dann kommen die kleinen Merryweathers also innerhalb der nächsten zwei Wochen zur Welt", sagte Ursuline Latierre mit einem erfreuten Gesichtsausdruck, als Millie und Julius ihr erzählt hatten, dass Julius' Mutter nun im Honestus-Powell-Krankenhaus war. "Trotzdem willst du morgen früh in diese Stadt, wo Julius, Camille und du schon wart?" fragte Millies Oma mütterlicherseits. Im Moment saßen sie drei in einem als Dauerklangkerker bezauberten Arbeitszimmer. So konnte Millie sicher vor unerwünschten Mithörern erzählen, was sie dort suchte. Ihre Großmutter war einverstanden, Aurore und Chrysope in der Zeit zu beherbergen. Denn Julius konnte keinen Tag mehr freinehmen, weil der gesamte Jahresurlaub schon ausgeschöpft war.
"Ich lagere genug von mir aus, damit die kleine Chrysie weiter genug zu essen hat, Oma Line. Außerdem kann sie schon mit einfachen Breien gefüttert werden, am liebsten mit solchen, wo frisches Obst und Honig drin verrührt sind", sagte Millie und sah ihre Großmutter dabei sehr entschlossen an. Julius wusste auch warum. Denn Ursuline hatte bei der Ankunft der beiden Urenkel vor allem Chrysope so angestrahlt, als sei es ihre eigene, gerade erst geborene Tochter. Er wollte dazu aber nichts sagen.
"Du kommst dann nach der Arbeit zu uns und übernachtest dann auch bei uns, oder?" fragte Oma Line ihn. Er schüttelte behutsam den Kopf und erwähnte, dass es im Dorf eh schon Gerede geben mochte, wenn Millie wegen eines Rechercheauftrages von Gilbert mehrere Tage nicht im Haus war. Zumindest konnte Julius mit Camille klären, wie es in Millemerveilles gehandhabt würde. Aber jetzt selbst tagelang nicht im Haus zu sein würde wirklich unnötiges Gerede geben. Außerdem wollte er gerade jetzt, wo das Arkanet richtig in Gang war und seine Mutter wegen der anstehenden Drillingsgeburt nicht selbst an einen Rechner konnte, die Nachrichtenlage im Blick behalten. Aber weil er verstand, dass seine Kinder ihn vermissen würden, wenn ihre Maman schon nicht da sein konnte, würde er zumindest nach der Arbeit kurz vorbeischauen, so für eine Stunde. Damit konnte sich Ursuline Latierre zufriedengeben.
Millie verabschiedete sich noch von ihren zwei Prinzessinnen und nahm Aurore das Versprechen ab, keine Schwierigkeiten zu machen. Julius versprach seiner Erstgeborenen, dass er jeden Tag nach der Arbeit vorbeikommen würde, um mit ihr zu spielen und Musik zu machen. Dann kehrten Millie und er ins Apfelhaus in Millemerveilles zurück.
"Nimmst du den Lotsenstein um hinzukommen?" gedankenfragte Julius seine Frau. Diese erwiderte auf dieselbe Weise: "Nein, ich ziehe das Kleid an. Zum einen kann ich damit direkt vor den Turm von Khalakatan hinfauchen, ohne an den ganzen Elementarbiestern vorbei zu müssen. Außerdem weiß ich nicht, ob du den Stein nicht selbst nötig haben könntest. Mit dem Kleid kann mir nichts passieren."
"Natürlich nicht, Mamille", gedankenantwortete Julius ihr zuversichtlich. Dann fiel ihm noch was ein: "Bleibt es bei dem, was wir im Fall, dass du mehr als die drei geplanten Tage wegbleibst, besprochen haben?"
"Sollte Kailishaia meinen, ich müsste auch mal das Leben einer Bewohnerin des alten Reiches nachleben, um das alles zu lernen, was sie mir beibringen will, bleibt es dabei, dass du Gilbert zumindest erzählst, dass du mich in gewisse Sachen eingeweiht hast und mir die Möglichkeit eröffnet hast, mehr zu erfahren, aber eben nichts davon weitersagen darfst. Ich finde es ja schon großartig von ihm, dass er mich dieses Rechercheding durchziehen lässt, ohne nachzuhaken, wann ich was darüber in die Temps bringen kann oder darf", erwiderte Millie auf die unhörbare Weise. Julius stimmte ihr zu. Damit war soweit alles von hier aus planbare besprochen und geregelt. Jetzt konnten sie dem nächsten Morgen entgegenschlafen, dem 24. September 2002, an dem Julius noch einmal mit den Marceaus über die anstehende Hochzeit ihres Sohnes mit der Viertelveela Gabrielle Delacour sprechen sollte.
Wie viele Tage er noch hier feststecken musste wusste er nicht. Am besten fand er sich jetzt langsam damit ab, eine "Sie" zu sein. Er hörte das Herz seiner künftigen Mutter über sich schlagen. Er fühlte, wie es ihn am Leben hielt. Aber was für ein Leben würde das sein? Erst mal musste er die Babyzeit überstehen, dann mit seiner halb unter und halb neben ihm in der immer engeren Behausung zusammenliegenden Zwillingsschwester Pandora auf einer abgeschiedenen Insel aufwachsen, die er, damals noch ein junger Mann, mit Computertricksereien und abgezweigtem Mafiageld für die Sonnenkinder gekauft hatte. Vor einem Leben als heranwachsendes Mädchen gruselte es ihn irgendwie, weil er an seinen Schulkameradinnen mitbekommen hatte, wie gefühlsüberladen die sein konnten. Aber das hatte er bei seiner ehemaligen Gefährtin Gisirdaria auch erlebt, als die mit Laura schwanger war. Ja, und jetzt wurde er heute oder in zwei Monaten Lauras Cousine. Wer ihm das vor sieben Jahren vorhergesagt hätte wäre von ihm ausgelacht worden.
"Und dafür hat sich dieser alte Wicht selbst zur Bombe gemacht", hörte er die Gedanken seiner werdenden Mutter Patricia Straton. Er fühlte ihre Verärgerung. Zum einen verkrampfte sich ihr Bauch und damit die sonst so weiche Gebärmutter, in der er steckte, Zum anderen kam wohl von ihrem Hormoncocktail was zu ihm durch und machte, dass er sich gut oder schlecht fühlte, wie gerade seine Mutter gestimmt war.
"Bist du wieder am Rechner, Mom? Geht denn das überhaupt noch mit den Armen?" gedankenfragte Phoenix Straton.
"Du bist wach. Wundert mich nicht, so aufgeladen ich gerade bin", gedankensprach Patricia. "Hier hat eine gewisse Nancy Gordon ins Arkanet geschrieben, dass sie über Umwege einen Brief erhalten hat, in dem jemand vor einer Neuauflage des Vampirwerdungsvirus warnt und empfiehlt, fünf Wissenschaftler unter magischen Personenschutz zu stellen. Wer den Brief geschrieben hat erwähnt die Hexe nicht. Könnte sein, dass es ein Spion bei den Nachtkindern ist, der nicht auffliegen darf. Öhm, schon ein witziger Begriff für einen Vampir."
"Mist! Dann hat sich der alte Darfaian für nichts und wieder nichts von dieser Vampirkönigin umbringen lassen, um die auszuradieren?" wollte Phoenix Straton wissen. Ihre Mutter bestätigte das, falls es nicht gelänge, diese Pläne zu vereiteln.
Ja, und jetzt waren auch noch die gerade nicht mit dem Hinkriegen neuer Sonnenkinder beschäftigten Jungs alle unterwegs, weil Yantulian aus dem Sonnenturm für eine Art Mithörgerät für diesen Superroboter aus dem alten Reich Sachen suchte. Hätte der besser mal Pippi Langstrumpf fragen sollen. Die war ja ganz wild aufs Sachensuchen, dachte Phoenix Straton verdrossen. Ihre Schwester Pandora wachte von der auch ihr zufließenden Missstimmung auf und bewegte sich, wobei sie ihre Zwillingsschwester gegen Patricias Magenunterseite drückte. Als sie auch erfuhr, was los war erwiderte sie: "Was für ein Tag ist denn heute? Ich bin wirklich schon auf Baby gestimmt, dass ich so viel und gut schlafen kann."
"Heute ist der 25. September 2002, ihr zwei Hübschen", gedankenantwortete Patricia Straton.
"Woher willst du da oben denn wissen, dass wir hübsch sind.
"Weil ihr zwei meine Babys werdet und damit meine Erbanlagen kriegt. So einfach ist das", erwiderte Patricia überzeugt.
"Toll, in drei Wochen bis einem Monat", gedankengrummelte Phoenix. Doch ihre Zwillingsschwester stupste sie sacht an und schickte ihr zurück: "Tröste dich, die anderen müssen noch drei Monate in ihren Müttern aushalten, bevor sie an die Luft zurückdürfen."
"Auch wieder richtig", dachte Phoenix mit einer gewissen Schadenfreude, weil Patricias Angetrauter, der leibliche Vater der Zwillingsschwestern, selbst zum Ungeborenen geworden war und nun als Brandon Rivers leiblicher Sohn auf die Welt zurückkehren sollte, aber das eben erst in zwei bis drei Monaten, weil die Sonnentöchter länger an ihren Kindern trugen als die Leute aus Ben Calders Zeit.
"Gwendartammaya und Gisirdaria, bitte kommt zu mir, damit wir mit hörbarer Stimme besprechen, was ich gerade beschlossen habe", hallte Faidarias Gedankenstimme durch Patricias, Pandoras und Phoenix' Geist. Phoenix dachte daran, dass Faidaria auch einen Sohn von brandon Rivers austrug und dass in dem auch ein beim Angriff auf das Luxuskreuzfahrtschiff entkörperter Sonnensohn wiedergeboren werden würde. Ja, hatte Brandon Rivers kurz vor seinem viel zu frühen Abgang noch gut hinbekommen, dachte Phoenix mit gewisser Ironie.
Die beiden Ungeborenen Mädchen hörten nun durch Patricias Bauchdecke mit und nahmen es auch über die Gedanken ihrer Mutter wahr, dass Faidaria beschlossen hatte, in dem Moment zu Julius Latierre zu reisen und sich ihm zu offenbaren, wenn sie von Yantulian alles erfahren hatte, was der Wächter von Garumitan mit seinen Untergebenen besprach. Denn falls diesem Wächter einfallen sollte, eine Vergeltung gegen die gerade lebenden Menschen ohne Magie zu üben, sollten sie das vorher wissen. Außerdem hatte Faidaria beschlossen, dem jungen Zauberer, der offenbar zu einem Boten der alten Meister von Altaxarroi geworden war, sowie seiner Zugesprochenen je eine Sonnenkeule und einen Mondschildgürtel zu übereignen, damit sie im Kampf gegen die aufkommenden Bedrohungen besser ausgestattet waren als der Rest der Menschheit. "Ich habe dies trotz aller bekannten Begehrlichkeiten der istzeitigen Träger der Kraft beschlossen, weil wir diesen jungen Träger der Kraft als Vermittler zwischen uns und den Altmeistern benötigen, ja durch ihn vielleicht auch eine Erlaubnis und einen Weg erhalten, die ewige Stadt zu betreten, um selbst unser Wissen zu erweitern, wenn es uns gestattet wird."
"Wenn sie nach Rom will braucht sie doch nur zum nächsten internationalen Flughafen und da eine Maschine buchen, die da hinfliegt", gedankenfeixte Phoenix Straton. Doch Faidaria hatte das wohl vernommen.
"Ich meine nicht die sich selbst als ewige Stadt bezeichnende Hauptstadt eines vergangenen Reiches, dessen Erbe und Erblasten bis heute deine ehemaligen Landsleute begleitet, sondern Khalakatan, die Stadt der Verwahrung, die Hüterin alles Wissens und aller Künste", gedankenantwortete Faidaria und ergänzte diese Richtigstellung noch mit: "Aber das habe ich Brandon erzählt, als wir nach sehr erquicklichem Beilager Atem geschöpft haben und er von mir wissen wollte, wie wir "Mädchen aus Atlantis" damals so gelebt haben." Phoenix verstand und gedankenerwiderte, dass es auch eher ein Scherz gewesen sei. Darauf bekam sie zurück: "Das weiß ich doch, erwartete Mitschwester." Phoenix hörte durchaus die gewisse Anstrengung heraus, wie sie "Erwartete Mitschwester" gedankensprach.
"Ich habe gehofft, dass du es gestattest, zu Julius Latierre hinzureisen. Aber bedenke, dass wir zwei gerade Kinder tragen! Am Ende müssen wir sie dort wo er wohnt zur Welt bringen. Es könnte dann passieren, dass deren Zaubereischule sie als künftige Schüler verzeichnet und dadurch ans Licht kommt, dass wir bei ihm sind."
"Ich erkenne deine Bedenken an, möchte dich aber darauf hinweisen, dass du es schließlich warst, die auf die Dringlichkeit dieser Reise und das Gespräch mit diesem jungen Zauberer verwiesen hast", erwiderte Faidaria. Patricia Straton sagte dazu nichts. Das übernahm Phoenix' Zwillingsschwester.
"Du wolltest schon im Juni zu ihm hin, Mom Patricia. Sollte es bei ihm wirklich soweit sein, dass Phoenix und ich deinen langsam zu klein werdenden Schoß verlassen müssen, werden die, die dem Jungen von Beauxbatons aus immer beigestanden haben, mit dir und ihm reden, ob wir zwei dort in die Schule zu gehen haben oder nicht. Aber nur dann, wenn dieser Yantulian vor unserer Geburt noch mit den ganzen Sachen fertig wird, die er machen will." Dagegen konnte nun niemand mehr was einwenden, auch Faidaria oder ihr ungeborener Sohn nicht.
Der 26. September war ein reiner Schreibtag für Julius. Sowohl über durchs Flohnetz versendbare Posteulen wie auch über das Arkanet tauschte er im gemeinsamen Auftrag von Monsieur Delacour und Madame Belle Grandchapeau Anfragen und Antworten aus. Die von irgendwem den Amerikanern zugespielte Warnung vor einem neuen Vampyrogen hatte doch einigen Staub aufgewirbelt. Panik lag zwar noch nicht in der Luft. Doch es gab mehr Fragen als Antworten. So war eben nicht bekannt, wer genau diese Warnung in Umlauf gesetzt hatte. Nancy Gordon hatte nur geschrieben, dass sie der Quelle vertraute. Da Minister Cartridge immer noch nicht auf sein natürliches Alter zurückgeführt werden konnte und gegen viele Bedenken in der Obhut seiner Frau eine zweite Babyzeit verlebte, war das Zaubereiministerium in den Staaten eh auf Daueralarm gepolt. So konnte es durchaus sein, dass die Warnung vor einem neuen Vampyrogen eine gezielte Verunsicherung war, die von Feinden wie der Vita Magica, den Spinnenhexen oder den Vampiren selbst in die Welt gesetzt worden war. Falls die Warnung berechtigt war, so ging es darum, wer die Überwachung und falls nötig den Schutz der erwähnten Wissenschaftler durchführen sollte. Am Ende mochte das ganze ein gezieltes Manöver von Vita Magica sein, um herausragende Mediziner und Biologen der Muggelwelt von ihren Forschungen abzuhalten, damit die nicht ganz unbewusst dieser obskuren Gruppierung ins verruchte Handwerk pfuschten. All das musste geklärt werden, bevor irgendwer irgendwas anleierte, was am Ende als übereilt oder von falschen Voraussetzungen ausgehend zu erkennen sein mochte.
Endlich war Feierabend. Julius hatte mal wieder eine Stunde länger gearbeitet als sonst. Im Moment warrtete keiner im Apfelhaus auf ihn. Doch seine Kronprinzessin würde vielleicht jammern, warum ihr Papa nicht zur versprochenen Abendspielstunde kam. Aber auch nur vielleicht, dachte Julius. Denn wenn Aurore mit anderen Kindern zusammen war vergaß sie alles, Hunger, Durst, Müdigkeit, ja und bei ganz aufregenden Spielen sogar noch, dass sie schon ein etwas größeres Mädchen war und zum Pipimachen ein Töpfchen oder einen Zwischensitz benutzen sollte. Aber das war ihr selbst schon ziemlich peinlich, vor allem, wenn ihr größere Kinder wie Chloé Dusoleil oder deren Nichte Viviane dabei zusehen konnten. Dennoch wollte Julius endlich hier weg.
Per Flohpulver ging es erst ins Apfelhaus. Die Kollegen mussten ja nicht mitkriegen, dass er abends immer ins Sonnenblumenschloss reiste.
"Julius, gut dass du da bist. Bei deiner Mutter haben vor einer halben Stunde die Senkwehen eingesetzt. Deine drei Halbgeschwister werden wohl heute oder ganz früh am Morgen unserer Zeit geboren", rief ihm die gemalte Ausgabe von Viviane Eauvive zu. Offenbar hatte eine ihrer weltweiten Kopien diese Nachricht aufgefangen und weitergereicht. Julius stand einen Moment da, in Gedanken verfallend. Bis heute hatte er sich mit der Tatsache, drei Halbgeschwisterchen zu bekommen, immer damit zurechtgefunden, dass die ja mehrere tausend Kilometer weit von ihm entfernt wohnen würden und er sie immer nur als Besucher zu sehen bekam oder wenn sie zu ihm zum feiern kommen sollten. Doch jetzt, gerade weil Vivianes Bild-Ich diese Nachricht überbracht hatte, erkannte er, dass sie eben nicht so weit von ihm weg sein würden, dass er von ihnen nur sehr wenig mitbekommen würde. Außerdem würden die drei genausoviel Anrecht auf die Aufmerksamkeit, Zuwendung und Liebe seiner Mutter haben wie er. Das war für jemanden, der ohne Geschwister groß geworden war, schon eine heftige Umstellung. Sicher, er hatte bei der Hochzeit seiner Mutter für sich selbst klargestellt, dass er ihr jedes Kind gönnte, was ihrem Leben neuen Sinn und neue Freude gab. Doch nun war es bald soweit, dass es eben keine reine Vorstellung mehr war. Ja, und er machte sich auch Sorgen um seine Mutter. Zwar war sie in einem magischen Krankenhaus, und er hatte genug gelernt, um zu wissen, dass Hebammenhexen eine Menge machen konnten, um Kindern gesund auf die Welt zu helfen und ihre Mütter danach auch wohlauf waren. Doch eine Drillingsgeburt war immer noch einiges heftiger als eine Einzelgeburt. Dann dachte er daran, wie die drei neuen in der Welt zurechtkommen würden. Die mit ihnen lebenden Erwachsenen, er eingeschlossen, würden immer mal wieder daran denken müssen, dass sie eigentlich nicht gewollt waren, sondern von einer gewissenlosen Gaunerbande auf den Weg gebracht worden waren. Diese und all die anderen Kinder, die auf diese Weise gezeugt wurden, mochten in der Zukunft Probleme kriegen, weil ihre Väter sie vielleicht nicht lieben konnten oder weil sie ihre leiblichen Väter nicht kennenlernten, da es um durch diese verflixte Partydroge aufgezwungene Einzelnachtbeilager ging, wo die darin verwickelten Zauberer womöglich nicht erfahren hatten, dass sie bei der Gelegenheit ein paar neue Hexen und Zauberer auf den Weg gebracht hatten.
"Es sind Mums Kinder. Sie will sie haben. Sie wird sie lieben. Ich muss das respektieren, wenn ich die drei nicht auch noch irgendwann ganz süß finde", dachte sich Julius eine Art Hilfsgerüst, um mit der neuen Lage zurechtzukommen. Erst als er sicher war, dass er mit sich im Einklang war, benutzte er den Verschwindeschrank, um ins Château Tournesol überzuwechseln.
Aurore hatte wahrhaftig nicht daran gedacht, dass er auch noch herüberkommen wollte. Zu schön war es, dass sie mit ihren gleichaltrigen Großonkeln und -tanten spielen konnte. Die auch schon sechs Jahre alten Zwillinge Esperance und Félicité beaufsichtigten die fünf kleineren Verwandten. Chrysope schlief im Arbeitszimmer von Béatrice. Weil er übergangslos mit ins Spiel einbezogen wurde vergaß auch er die Zeit. Erst als um acht Uhr zum Abendessen gerufen wurde wollte er eigentlich los. Doch Ursuline riet ihm mentiloquistisch, bis zur Bettgehzeit seiner älteren Tochter im Schloss zu bleiben. Außerdem hatte Ursuline schon erfahren, dass seine drei Halbgeschwister wohl heute oder morgen zur Welt kommen würden und wartete, bis die Kinder müde genug waren, um sie in Ruhe schlafen zu lassen, um mit ihm und Béatrice darüber zu sprechen, wie er sich nun fühlte. Er erwähnte das, was ihm kurz vor seiner Reise ins Sonnenblumenschloss durch den Kopf gegangen war. Darauf sagte Béatrice:
"Ja, ich bin mit größeren Geschwistern aufgewachsen und dachte, dass nach mir keiner mehr dazukommt. Aber ich habe es irgendwie gelernt, dass meine sehr fruchtbare Frau Mutter das als ihren persönlichen Lebenssinn sieht, solange es geht neue Latierres in die Welt zu setzen. Ja, und mit den kleineren Mädchen kam ich dann ja auch irgendwie klar, weil ich da immer mal wieder die große Schwester rausgekehrt habe. Ist nicht immer gut gegangen, aber irgendwie habe ich meinen Frieden mit Patricia, Mayette, Esperance, Félicité, Blanche, Linda, Faunus und Adonis gemacht. Sieh das am besten so, dass die drei neuen dir nichts wegnehmen. Denn was du jetzt hast hast du dir selbst erarbeitet. Sicher wird deine Mutter jetzt ganz und gar für die drei da sein, vor allem weil dieses indiskutable Gebräu dieser Verbrecherbande sie darauf eingestimmt hat, diese Kinder unter keinen Umständen zu verlieren oder loswerden zu wollen. Sei also bitte nicht sofort verärgert, wenn deine Mutter harsch reagiert, wenn irgendwas über die Kleinen gesagt wird, was ihr wie eine Missachtung oder Bedrohung klingen könnte! Ich habe mittlerweile mit Hera und einigen anderen Hebammenhexen Erfahrungen ausgetauscht, wie die Mütter von den Kindern, die ihnen diese Verbrecherbande zugelegt hat, reagieren. Du kennst ja schon eine Mutter, die derartig vereinnahmt wurde." Julius nickte, ohne den Namen Sandrine Dumas auszusprechen.
"Also, freu dich, wenn deine Mutter die drei neuen bekommen hat. Sie wird nicht aufhören, deine Mutter zu sein", sagte Ursuline Latierre. "Und wenn du ihr gratulierst, frage sie auch gleich, wann und wo wir ihre Ankunft feiern. Das gehört sich so und das wird auch stattfinden. Das darfst du ihr genauso unbestreitbar sagen, wie ich das dir gerade gesagt habe", fügte Ursuline Latierre noch hinzu. Julius erwiderte, dass er das weitersagen würde, wenn er seine Mutter direkt sprechen durfte. Dann verabschiedete er sich von den beiden Schwiegerverwandten und kehrte durch die Verschwindeschrankverbindung in sein eigenes Haus zurück.
Als er noch einmal zu seinem Rechner hin wollte, um die neuesten Sachen aus dem Arkanet zu lesen, rief ihn Vivianes Bild-Ich zu, er möge bitte in das Wohnzimmer kommen, wo das Bild der Mitgründerin von Beauxbatons hing. Als er hinsah fiel ihm sofort die neben Viviane im Bild stehende Frau im geblümten Kleid und dem Strohhut auf den graublonden Locken auf. "Hallo, Honey, ist deine Frau immer noch unterwegs?" Julius nickte. Es war schon einige Monate her, dass er die scheinbar nur gemalte Hexe zum letzten mal gesprochen hatte. Wenn sie jetzt hier auftauchte war es wohl sehr wichtig oder dringend. "Im Moment ist niemand außer mir hier. Die Kleinen sind bei meinen Verwandten im Stammschloss der Latierres. Falls Sie möchten, Madame Reichenbach, können Sie ganz herüberkommen."
"Ich habe gehofft, dass du das sagst", erwiderte die Frau neben Viviane Eauvive. Sie zwinkerte ihm zu. Dann hob sie ihren Zauberstab und hielt einen scheibenförmigen Gegenstand vor sich. "Per Intraculum excedo!" rief sie. Darauf erstrahlte Vivianes Gemälde im hellen Licht. Das Licht wuchs aus dem Bild heraus zu einer schnell rotierenden Leuchtspirale. Aus diesem Licht bildete sich ein erst nebelhafter und dann fester Körper heraus, der Körper einer untersetzten Frau im geblümten Kleid und mit Strohhut auf graublonden Locken. Jane Porter, alias Madame Reichenbach, alias Araña Blanca, war in die natürliche Welt eingetreten.
Zuerst umarmte sie Julius wie eine Großmutter, die nach langer Zeit ihren geliebten Enkel wiedersieht. Dann bat sie ihn darum, mit ihr in ein unabhörbares Zimmer zu gehen. Dort bot ihr Julius einen Platz an und setzte sich dann ihr gegenüber hin. Sie fragte ihn erst, wie er sich fühle, wo er bald drei kleine Geschwisterchen bekommen würde. Er erwähnte, dass er das erst genau sagen konnte, wenn er die drei mit eigenen Augen gesehen hatte. Jane Porter schenkte ihm dafür ein kurzes Lächeln. Doch dann wurde sie ernst.
"Julius, ich weiß, dass ihr im Ministerium auch an dieser Sache mit dem neuen Vampyrogen dran seid. Hat zumindest euer Ministerium schon konkrete Pläne, wie es damit umgeht?" Julius schüttelte den Kopf. Er setzte schon an, die Gründe zu nennen, warum noch nichts eindeutiges geplant war. Doch Jane Porter schnitt ihm mit einem strengen Blick das Wort ab. "Habe ich befürchtet. Bürokraten wollen immer erst prüfen und prüfen und befinden und beraten und dann erst handeln. Nimm das bitte nicht persönlich, Julius, aber das sind leider meine Erfahrungen, die ich mit Leuten aus diversen Zaubereiministerien machen musste. Das ging schon damit los, dass ich wegen Livius' Auslandsarbeit Geraldine und Plinius in Großbritannien bekommen habe und sie dort für Hogwarts registriert wurden und was für ein Akt das mit der Staatsangehörigkeit der beiden war, was erst durch Geris und Plinius' Heirat endgültig aufgelöst wurde. Aber zu den Vampiren: Die gute Nancy Gordon hat die Meldung in euer Rechnernetz geschrieben?" Julius nickte. "Dann geh du wenigstens davon aus, dass sie der Quelle vertrauen kann. Ich weiß, mit wem sie um drei Ecken verwandt ist und dass die betreffende Person nicht ohne Absicherung so eine Nachricht unters Volk wirft. Die Person gehört nämlich einem sehr diskreten Club an, dessen Mitglieder Wert auf Unauffälligkeit legen, was die Mitgliedschaft angeht. Du verstehst."
"Die schweigsamen Schwestern", erwiderte Julius. Jane Porter nickte. Dann erzählte sie ihm, dass es wohl einer von denen gelungen sei, einen Vampir oder eine Vampirin zur Spionage in der Vampirwelt zu gewinnen. Als sie erwähnte, dass es womöglich Theia Hemlock sei, die wie aus dem Nichts aufgetauchte Tochter Daianira Hemlocks, nickte Julius. Jane Porter sagte dazu, dass die bis vor drei Jahren unbekannte Tochter Daianiras wohl sehr schnell und sehr gut in das Nachrichtennetz des diskreten Clubs einbezogen worden war. Offenbar hatte der Vampir, den sie zum Kundschafter gewinnen konnte die betrübliche Nachricht ergattert, dass die sogenannte schlafende Göttin, von der andere Vampire immer wieder sprachen, hinter Muggeln her war, die eine Veränderung des menschlichen Erbgutes erforschten und sich auch mit der Züchtung von Krankheitskeimen auskannten.
"Jedenfalls werden meine Kollegen vom Laveau-Institut den Amerikaner auf der Liste heimlich betreuen. Das was damals mit deinem Vater und dir passiert ist darf sich nicht wiederholen."
"Sie wären nicht hier, wenn Sie nicht den Namen des europäischen Immunologen mitbekommen hätten, der vor allem in der Virenforschung arbeitet, Doktor Henri Legras aus Brüssel, der gerade in Paris eine Gastprofessur erhalten hat, richtig?"
"Kuck mal, hast du dich schon schlaugelesen. Sehr löblich, gleich alles nachzuschlagen, was wichtig ist", sagte Jane Porter. Dann bestätigte sie, dass er richtig vermutete. Doch das war nicht der einzige Grund für ihren abendlichen Besuch.
"Vor allem bin ich hier, damit du über das Bild von Aurora Dawn die australischen Ministeriumsleute in Gang setzen kannst, eine Professor Dane zu bewachen, die sich mit Erbgutveränderungen befassen soll, wozu das auch gut sein soll."
"Die ist im Moment nicht in Australien. Die macht eine Vorlesungsreise durch die Universitäten dieser Welt wegen ihres neuen Buches "Humane Parthenogenese - Hoffnung oder Irrweg für die postapokalyptische Menschheit". Die war vor drei Wochen in der Sorbonne und vor zwei Wochen in London. Ich habe heute wegen der fünf Namen eine Menge Internetnachforschungen betrieben", erwiderte Julius. "Im Moment ist sie wohl in New York, wo sie um 14:00 Uhr Ostküstenzeit ihren Vortrag über postnatale Genveränderungen halten wollte. Nach unserer Zeit war das um acht Uhr abends.
"Moment, das heißt, die ist auch bei uns, wie dieser Desmond Greyman, der das macht, was Nanotechnik heißt, wozu das immer gut oder schlecht sein soll?" fragte Jane.
"Laut Internet steht sie da für heute auf der Referentenliste im großen Hörsaal, wo Leute aus allen Studienrichtungen und Fachjournalisten zu Gast sein sollten. Der Vortrag sollte auf anderthalb Stunden einschließlich Fragerunde angesetzt sein. Aber bei wissenschaftlichen Veranstaltungen können sich die Zeiten leicht nach hinten verschieben, hat mein Vater mir immer wieder erklärt, wenn er zu solchen Weiterbildungsvorträgen hingemusst hat. Die will auf jeden Fall noch am Abend weiter nach Philadelphia, wo sie morgen an der Carnegy-Universität ihren Vortrag halten will."
"Columbia-Universität hast du gesagt?" Julius nickte. "Gut, dann muss ich schnell wieder zurück in die Staaten und meine Kontaktperson zum LI anheizen, denen einzuschärfen, diese Frau zu überwachen und diesen Greyman gleich mit. Auch wenn ich längst nicht alles begreife, was diese Forscher für uns so gefährliches erkunden sind sie für die Vampire offenbar ein sehr lohnendes Ziel."
"Okay, würde jetzt auch zu lange dauern, Ihnen was über die DNA oder über Maschinen so klein wie Blutkörperchen zu erzählen. Aber ich habe so einen dumpfen Schimmer, warum die Vampire so erpicht auf die beiden und die drei anderen sind", erwiderte Julius.
"Wie, das können die Muggel bauen, Maschinen, die so klein sind wie ein rotes oder weißes Blutkörperchen?" fragte Jane Porter.
"Sie arbeiten zumindest daran. Soll die Revolution in Medizin und Gerätebau sein, wenn es mal funktioniert. Andererseits gibt es auch genug Geschichten über außer Kontrolle geratene Winzmaschinen, sogenannte Nanobots oder Naniten ..."
"Danke, reicht schon, um mir die nächsten Nächte genug neue Albträume zu bereiten, wenn ich mir vorstelle, dass diese Langzähne damit herumfuhrwerken wollen", zischte Jane Porter und hastete aus dem kleinen Gästezimmer. Das ockergelbe Klangkerkerlicht erlosch in dem Moment, wo sie die Tür aufriss.
Ohne weiteres Abschiedswort warf sich Jane Porter förmlich gegen Vivianes Bild und beschwor die Kraft ihres Intrakulums. "Nach Viento del Sol bitte, Viviane. Ich habe es verdammt eilig", hörte er die für tot erklärte Hexe noch rufen. Dann verschwand sie mit Vivianes Bild-Ich aus deren Stammgemälde.
"Na, ob sie mit den Swanns auch Kontakt hält?" fragte sich Julius. Doch dann dämmerte ihm, warum die meistens sehr gemütliche Hexe so eilig aufbrechen musste: Wer alle fünf Wissenschaftler dazu brachte, nur noch für eine bestimmte Anwendung zu forschen, die dann durch das wohl nötige Quäntchen Magie ergänzt wurde, konnte auch ohne Mitternachtsdiamanten ein neues Vampirwerdungsmittel herstellen, auf die rein biologische oder rein mechanische Weise. Dann dachte er wieder an seine Mutter, die gerade in einem Geburtszimmer auf einem vorne ausgeschnittenen Stuhl saß und bestimmt gerade höllische Schmerzen durchleben musste. Ja, er würde die drei wohl irgendwie als zu seinem Leben dazugehörend sehen müssen. Vielleicht gelang es ihm sogar, die Geburt der drei im Traum mitzuerleben. Bisher hatte er das noch nie gezielt gewünscht. Aber er hatte schon viele Geburten von Kindern im Traum mitbekommen, die irgendwie mit ihm zu tun hatten. Die Wahrscheinlichkeit war also nicht so klein, dass ihm das bei der eigenen Mutter gelingen mochte. Dafür musste er aber eben sofort schlafen. Am Ende waren die drei schon auf der Welt.
Martha hatte es im Lauf der Jahre verdrängt, wie weh das tat, wenn sich der Unterleib zusammenzog. Die erste Wehe hatte sie beinahe von den Füßen gerissen, wenn sie da nicht gerade in der Nähe ihres zugeteilten Einzelbettes gestandenhätte. Ein kurzer Aufschrei war ihr entfahren. Sie wusste aber jetzt, dass es erst der Anfang war. Sie wollte gerade nach dem kleinen Silberglöckchen greifen, dass auf ihrem Nachttisch bereitstand, als schon die Tür aufschwang und eine kleine, zierliche Hexe in hellgrüner Tracht hereinkam. Erst dachte Martha an eine junge Heilerin, die für ihre Ausbildung das machte, was bei den Magielosen Krankenschwestern und -pfleger zu tun hatten. Zumindest war ihr das in den letzten beiden Tagen so aufgefallen. Doch jetzt erkannte sie durch die von der ersten heftigen Senkwehe tränenden Augen, dass die Hexe silbernes Haar besaß und eine goldene Brille trug. Sie sah das beruhigend lächelnde Gesicht, das nur wenige Falten aufwies.
"Ah, ist es auch bei Ihnen schon so weit?" fragte die hereingetretene Hexe. Martha Merryweather nickte schwerfällig und erwiderte: "Madam Greensporn? Öhm, ich wollte gerade nach Madam Palmer läuten. Oder ist sie gerade nicht im Haus?"
"Doch, sie ist gerade im Haus. Aber bei einer anderen Patientin haben vor einer Stunde die Eröffnungswehen eingesetzt. Gemäß der Heilerinnentradition bleibt eine Hebamme von der ersten verzeichneten Wehe bis zum Ausstoß der Nachgeburt bei der Gebärenden. Deshalb werde ich Ihnen beistehen, Mrs. Merryweather."
"Oha, ich dachte, Sie hätten hier als Leiterin dieser Station mehr mit der allgegenwärtigen ... Auuua! ... Bürokratie zu tun", stöhnte Martha und ärgerte sich, nicht wesentlich tapferer die gerade peinigende Kontraktion zu überstehen.
"Das mache ich nur, weil die jungenLeute lieber praktisch arbeiten und den Schreibkram nicht so gerne machen. Aber ansonsten bin ich hier auch als diensthabende Hebamme geführt. Dann wollen wir mal, bevor uns Ihre Kinder hier noch auf den Boden fallen.""
"Sie kennen also meine Akte auswendig?" fragte Martha Merryweather.
"Sie sind Martha Merryweather geborene Holder, verwitwete Andrews, adoptierte Eauvive und tragen von ihrem zweiten Mann gerade soeben noch drei Kinder, die sie beide um den Neujahrstag herum gezeugt haben. Sie sind eine für Heilerinnen sehr interessante Hexe, weil sie einen Großteil Ihres Lebens keine nach außen wirksamen Zauberkräfte besessen haben. Sie haben von Ihrem ersten Mann einen Sohn namens Julius, der seit fünf Jahren mit Mildrid Latierre verheiratet ist und deren althergebrachter Nachnamensvereinbarung ihren Familiennamen angenommen hat. Der hat Ihnen auch schon zwei Enkeltöchter beschert. Reicht das aus, um mich mit Ihnen sehr gut vertraut auszuweisen?" Bei der Frage lächelte sie sehr freundlich. Martha Merryweather nickte. "Dann wollen wir mal. Nein, Sie legen sich nicht aufs Bett. Sie tragen Ihre Kinder bis ins Geburtszimmer auf eigenen Beinen", sagte Madam Greensporn unvermittelt ernst dreinschauend und half Martha auf die Beine. "Wir gehen erst in das Zimmer. Dort mache ich Sieund mich soweit keimfrei, dass Sie sich nichts unangenehmes einhandeln werden."
"Und wenn ich wegen der Kontraktionen das Gleichgewicht verliere?" wollte Martha wissen.
"Werden Sie nicht. Ich halte sie gut genug fest, dass Sie nicht umkippen", erwiderte Madam Greensporn.
"Ich sollte vielleicht noch mal zur Toilette und ..."
"Kriegen wir alles noch vor der großen Stunde geregelt", erwiderte die altgediente Heilerin.
Martha stutzte, als sie auf der Tür des für sie freien Zimmers die Nummer 101 lesen musste. "Öhm, Zimmer einhunderteins?" fragte sie mit besorgter Stimme, weil ihr die Folterszene aus dem Roman 1984 durch den Kopf spukte.
"Ach, Sie haben auch diesen düsteren Zukunftsroman gelesen? Sie werden dort drinnen die größten Schmerzen auszuhalten haben, die eine Hexe auf natürliche Weise erleiden kann. Aber Ratten lassen wir in unseren Geburtszimmern nicht zu", erwiderte die Heilerin. Das genügte Martha, um doch beruhigt hineinzugehen.
"Sie kennen sicher nur die Verfahrensweise, wie magielose Geburtshelfer einer Gebärenden beistehen, richtig? Sie dürfen beruhigt sein, dass wir Heilhexen eine Menge mehr aufbieten können, um neues Leben sicher ans Licht zu bringen." Martha sah sich in dem kleinen Zimmer um. Die Bezeichnung Kreißsaal würde hier nicht hinpassen. Außerdem hingen in dem Zimmer auch mehrere Bilder mit bunten Motiven, jedoch keine Porträts von einstmals oder immer noch lebenden Leuten.
"Ich durfte vor vier Jahren einer guten Bekannten zusehen, wie sie ihr viertes Kind zur Welt gebracht hat. Das und weil Madam Palmer mich in den letzten Monaten mehr als gut betreut hat kenne ich die Möglichkeiten, die Sie haben."
"Das beruhigt mich sehr. Denn so ist es leichter für Sie, meinen Anordnungen zu folgen", sagte die Heilerin. Dann bat sie die Patientin, eine Sekunde ruhig stehen zu bleiben. Martha gehorchte und fand sich unvermittelt ohne Kleidung und Unterzeug wieder. "Ich habe ihre Kleidung in Ihr Zimmer zurückversetzt. Hier drinnen ist es warm genug", sagte Madam Greensporn. Daraufhin loderte ein brennstofflos flammendes Feuer im kleinen Ofen auf, der zur Ausstattung des Zimmers gehörte. Auch die vier an der Decke hängenden Leuchtkristallsphären schienen eine Spur heller.
"So, weil sie noch Bedenken wegen möglicher Bedürfnisse haben", setzte Madam Greensporn an und zog einen großen, blauen Henkeltopf aus einem Regal hervor und stellte ihn vor Martha hin. Dann berührte sie mit der Zauberstabspitze den Unterleib und murmelte "Purgato Rectum!" Martha Merryweather meinte, etwas würde ihre Gedärme zusammemdrücken, nicht schmerzhaft, aber spürbar. Gleichzeitig hörte sie es im verschlossenen Topf laut ploppen. "Purgato Vesicam!" murmelte die Heilerin. Jetzt meinte die Patientin, jemand drücke ihr mit einer warmen Hand die Blase zusammen. Aus dem Topf erklang ein leises Plätschern. "Das geht nur, wenn der zu behandelnde keine drei Schritte vom Auffangbehälter entfernt steht. Den habe ich mir vor zwanzig Jahren patentieren lassen", erklärte die Heilerin, bevor sie aus einer aus dem Nichts auftauchenden Sprühflasche Keimfreilösung über Marthas Körper verteilte und sich dann selbst was auf die Heilertracht, die hochgekrempelten Ärmel und ihre freiliegenden Arme und Hände sprühte. Dann nebelte sie noch den bereitstehenden Gebärstuhl ein. Jetzt durfte Martha sich hinsetzen. "Mal nachsehen, wo die drei kleinen jetzt schon sind", erwähnte Eileithyia Greensporn.
"Öhm, ich will nicht indiskret sein, aber wie viele Kinder haben Sie bereits auf die Welt geholt?"
"Zweitausendzweihundertsiebenundneunzig muntere Hexen und Zauberer, einige von denen waren sogar schon die Enkel von denen, die ich auf unsere nicht immer schöne aber kurzweilige Welt geholt habe", erwiderte die Heilerin, während sie mit einem Einblickspiegel in Marthas Unterleib hineinsah. "A ja, kann noch ein wenig dauern. Aber die drei sind eindeutig auf dem Weg zu uns und müssen jetzt da durch."
"Ja, in jeder Bedeutung des Wortes", erwiderte Martha Merryweather.
Malorie Dane war sichtlich erschöpft, als sie ihren nun doch auf zwei Stunden ausgedehnten Vortrag mit Fragerunde überstanden hatte. Die Genforscherin hatte über ihre Arbeit an Eizellen kleiner Säugetiere geredet, wo es ihr durch Bestimmte Genveränderungen gelungen war, eine weibliche Maus alle vier Wochen zur Geburt genetisch identischer Töchter zu bekommen. Damit sei sie dem Geheimnis der Blatt- und Kopfläuse auf der Spur und müsse wohl erkennen, dass auch der Mensch irgendwann zur fortpflanzungslosen Vermehrung, der Jungfernzeugung oder Parthenogenese, fähig sei. Natürlich hatte es erregte Zwischenrufe gegeben, sie versündige sich an der Natur, betreibe unter dem Deckmantel wissenschaftlichen Forschungsdranges schwarze Magie oder wolle Werte wie die Liebe zwischen Mann und Frau in Frage stellen. Eine blondhaarige Frau hatte sie während der Fragerunde doch glatt gefragt, ob die von ihr beschriebenen Aktivierungsstoffe nicht auch eine Veränderung der Erbsubstanz hin zu neuartigen Wesen bewirken könne, sodass Vampire oder Werwölfe entstehen könnten. Sie hatte darauf sachlich geantwortet, dass es diese Ungeheuer im Volks- und Aberglauben wohl wegen bestimmter Krankheiten wie Tollwut oder hochgradiger Lichtallergien gab, und dass es gerade bei jüngeren Leuten ein fragwürdiger Spaß sei, Vampir zu spielen und sogar Blut voneinander zu trinken. Ein Virus oder Hormon, das Menschen in solche Wesen verwandeln würde gehöre dann aber wirklich in den Bereich der Magie, und das sei eben doch nicht ihr Fachgebiet.
Nach der Fragerunde hatten sich noch Leute aus dem Publikum angestellt, um ein Autogramm von ihr zu bekommen. Dabei war auch die blonde Frau, die wegen der Vampire und Werwölfe gefragt hatte. Malorie Dane hatte das Buch wie erbeten auf der letzten Seite signiert. Dabei hatte sie einen Moment das Gefühl, ein warmer Schauer würde ihr durch die Hand, den Arm und dann den ganzen Körper fließen. Doch eine Sekunde später war das Gefühl schon wieder weg. Vielleicht war es die Belastung ihrer Schreibhand gewesen, dachte die Spezialistin für Erbgutveränderungen und natürlichen Metamorphosen im Tier- und Pflanzenreich.
Jetzt saß sie mit den wichtigsten Angehörigen der Columbia-Universität zusammen. Ihr Gastgeber, Dekan van Buren, versuchte die unterschiedlichen Meinungen zum Thema gentechnische Beeinflussung des Menschen in einer sachlichen, im gegenseitigen Respekt erfolgenden Balance zu halten. Als aber Professor Carrigan, glühender Anhänger des Kreationismus, die Referentin ansah und ungebürlich laut ausstieß: "Sie maßen sich wohl Ihres Geschlechtes wegen an, an Gottes Statt neue Menschen zu erschaffen, wobei Sie hier natürlich nicht aus der Rippe Adams, sondern gleich im Schoß Evas neue Menschen machen. Als wenn die Welt nicht schon zu weit genug von ihrem gottbestimmten Weg abgekommen wäre."
"War sie das nicht schon in dem Moment, wo Adam und Eva vom Baum der Erkenntnis gegessen haben?" fragte Professor Wilson,ein Zoologe mit Spezialisierung auf Amphibien und Reptilien. Carrigan erwiderte darauf, dass der Mensch damals schon vom Bösen verführt worden sei. Darauf sah Professor Dane alle an und sagte ganz ruhig:
"Da Sie, Kollege Wilson, dem wiedererstarkten Glauben an die tatsächlich erfolgte Schöpfung gemäß dem Buch Genesis folgensind Sie ja wohl auch von der Allmacht und Allwissenheit Gottes überzeugt, richtig?" Der Angesprochene nickte. "Dann werden Sie mir sicher beipflichten, dass jener Schöpfungsgott auch die logischen Gesetze von Ursache und Wirkung kannte und in seiner Allwissenheit auch Ereignisse voraussehen konnte. Wenn er also nicht gewollt hat, dass die ersten Menschen vom Baum der Erkenntnis essen sollten, dann hätte er entweder die Schlange aus dem Paradies ausgesperrt, einen Ring aus Feuer um den Baum gelegt oder den Baum erst gar nicht in den Garten Eden gepflanzt. Da er den Baum aber eben doch gepflanzt hat und es auch zuließ, dass jemand wie der Leibhaftige die Menschen dazu bringen konnte, doch davon zu essen, wollte er eben haben, dass wir Menschen keine unbedarften, sich wie friedlich grasende Schafe benehmende Geschöpfe bleiben. Außerdem hätte ein auf paradiesischen Müßiggang und kleinkindhafter Unbedarftheit verbliebener Mensch sich wohl kaum die Erde Untertan machen können, wie es Gott laut dem Buch Genesis dem Menschen aufgetragen hat. Um sowas umfangreiches wie die Welt mit allen ihren Geschöpfen und Vorgängen zu unterwerfen, muss man sie verstehen. Davon, da gebe ich Ihnen recht, sind wir Menschen aber gerade im Bereich der belebten Natur noch zu weit weg, um angemessen damit umzugehen. Das ist ja gerade der Grund, warum wir uns weiterentwickeln, und das ganz mit Ihres Herren eindeutiger Erlaubnis, also keine Erbsünde, sondern ein nur durch Erweckung der Neugier möglich gewordener Initialfunke."
"Das glaube ich jetzt nicht", stöhnte Carrigan, während alle anderen verschmitzt grinsten. Dabei hätte dieser Prediger es doch wissen müssen, dachte Professor Dane. Denn dieses Argument hatte sie bereits in Rom angeführt, wo wahrhaftig jemand vom Vatikan im Publikum gesessen hatte und ihre Ausführungen als Anstiftung zur Gotteslästerung und Teufelsbündnerei bezeichnet hatte.
"Genau das denke ich auch im Bezug zu Ihrer Haltung, die Welt sei in sechs Tagen entstanden und der Mensch als solcher aus einem Klumpen Erde gemacht worden wie ein Golem", erwiderte die Gastreferentin. Professor Wilson musste dem noch einen draufsetzen und sagte:
"Ja, und weil Gott kein Gewerkschaftler war hat er sich nicht an die Fünf-Tage-Woche gehalten. Deshalb haben wir jetzt die ganze Last mit der Menschheit." Carrigan warf daraufhin wütend sein Besteck und seine Serviette auf den Teller und verließ ohne weiteres Wort den Speisesaal für Universitätsangestellte.
"Wenn Sie das morgen in der Puritanerstadt Philly machen werden Sie am Ende noch auf den Scheiterhaufen geschleppt und verbrannt, werte Kollegin", sagte van Buren über diesen Zwischenfall.
"Die meinen Vortrag für Teufelswerk halten kommen da nicht hin, es sei denn, sie werden von ihren Vorgesetzten dazu gezwungen. Reden wir also von was anderem, geschätzte Kollegen", sagte Malorie Dane ganz ruhig.
Die Wissenschaftlerin war froh, noch den letzten nach Philadelphia fahrenden Zug zu erwischen. Dort stieg sie im Regent-Hotel ab. Morgen würde sie wieder vor einem vollbesetzten Hörsaal stehen. Sie stellte den zum Zimmer gehörenden Radiowecker erst auf sieben Uhr Morgens und dann noch den Einschlafausschalter auf eine halbe Stunde. Dann legte sie sich hinund ließ sich von sanften Jazzklängen in den Schlaf tragen.
Sie hielt seine Hand. Ihre andauernde Berührung war wie ein warmer, leicht prickelnder Schauer durch seinen Körper, oder besser das, was sich wie ein solcher anfühlte. Julius' heimlicher Wunsch, im Traum die Geburten seiner Halbgeschwister mitzuerleben, erfüllte sich. Ammayamiria hatte ihn kurz davor abgefangen, in das Geburtszimmer 101 einzuschweben. Die rotgolden leuchtende Erscheinung hatte ihn mit einem leisen "Vorsicht, nicht zu nahe!" aufgehalten und dann seine gerade grün-golden leuchtende Hand ergriffen. Wie Gespenster waren sie dann durch die verschlossene Tür geschwebt. Julius' Verwunderung darüber, wer seiner Mutter bei der Niederkunft beistand verging nach nur wenigen Sekunden. Gerade war seine erste Halbschwester aus dem Mutterleib freigekommen. Sie glitzerte in einem ungesunden Blauton. Doch das schien die ältere Hebamme mit den unter einer grünen Haube zusammengelegten Silberhaaren nicht zu stören. Jetzt konnte er auch sehen, warum nicht. Sie hatte seine Mutter mit jener magischen Lotion eingerieben, die Hohlmuskeln auf den drei- bis vierfachen Wert ihrer Leistungsgrenze dehnbar machte. "Linda Estrella Merryweather", nannte seine Mutter ihre erste Tochter. Die Hebammenhexe, deren Stimme Julius auch schon kannte, erwiederte: "Hübscher Stern. Netter Name für eine kleine Hexe. Sprechen Sie Spanisch, Martha?"
"Ja, kann ich", keuchte Martha Merryweather. Doch dann musste sie sich wieder anstrengen, um ihr zweites Kind ans Licht zu bringen. Die zweite Tochter sollte Hillary Camille heißen, womit sich Martha bei Camille revanchieren wollte. Ammayamiria lächelte Julius an. Für die Augen der zwei Hexen und der beiden Neugeborenen waren sie unsichtbar.
Louis Eurypides Merryweather, Julius Kleiner Halbbruder, nahm sich ganze zehn Minuten für seine Ankunft Zeit. Doch als er auch den Ärger über die so abrupte Helligkeit und Kälte in die große, weite Welt hinausschrie, lachten Mutter und Geburtshelferin.
Als die drei gemessen und gewogen wurden konnte Julius seiner Mutter deutlich ansehen, wie misstrauisch sie den Vorgang beobachtete. Linda Estrella maß 45 Zentimeter und brachte gleich nach der Geburt 3000 Gramm auf die Waage. Ihre jüngere Schwester Hillary war gleichgroß, aber 200 Gramm leichter. Louis Eurypides maß 47 Zentimeter und wog wenige Minuten nach seiner Geburt 2900 Gramm. Eileithyia Greensporn, die altgediente Heilerin und Hebamme, beglückwünschte die Drillingsmutter zu ihren drei Babys. Dann legte sie ihr ein Kind nach dem anderen in die Arme. "So, jetzt hast du ihre Ankunft gesehen, Juju", sagte Ammayamiria. "Wenn ich dich nicht früh genug erwischt hätte wärest du womöglich mit dem Körper deines kleinen Bruders verschmolzen und hättest deinen natürlichen Körper leblos bei euch im Bett liegen gelassen. Das wolltest du sicher nicht wirklich."
"Bist du dir da sicher, Ammayamiria?" fragte Julius. Die transvitale Entität nickte ihm zu. Dann verstärkte sie ihren Händedruck. Ein Energiestoß wie ein Stromschlag durchzuckte ihn. Er riss den Mund auf und holte laut zischend Luft. Er war wieder im Apfelhaus von Millemerveilles, auf seiner Seite des Ehebettes. Schnell sah er auf seine Weltzeitarmbanduhr. In Frankreich war es halb vier am Morgen des 27. Septembers. Doch weil es an der Ostküste der USA sechs Stunden früher war war dort immer noch der 26. September. Das war also der Geburtstag seiner Drillingshalbgeschwister. Sollte er Camille nun informieren, dass seine kleine Schwester ihren Vornamen als zweiten Namen bekommen hatte? Nein, dass sollte die glückliche junge Mutter ihr selbst schreiben oder anderswie mitteilen, fand Julius. Auch wenn die Dusoleils mittlerweile wussten, dass er, wenn er zu dem Zeitpunkt schlief, im Traum die Geburten mit ihm irgendwie verbundener Menschen mitbekam musste er Camille nicht auch noch erzählen, dass Ammayamiria ihn die Hand gehalten hatte, damit er nicht ganz unbeabsichtigt in den zwischen Mutterleib und freier Umgebung wechselnden Körper seines Halbbruders eindrang und womöglich wegen der starken Beziehung dauerhaft mit ihm verschmolz. Ja, dann hätte er dasselbe Schicksal wie Claire Dusoleil gehabt, körperlich tot und geistig immer noch in der Welt.
Julius dachte kurz, ob er jetzt schon aufstehen sollte. Doch wozu? Er brauchte sicher noch seine Ausdauer, um den nächsten Tag durchzustehen. Er griff unter seine Schlafanzugjacke. Doch das rubinrote Herz an der Silberkette war hart und reglos, wie seit Tagen. Wann würde Millie wiederkommen? Mit diesem Gedanken drehte er sich noch einmal um, um die noch verbleibenden drei Stunden bis zum Wecken zu schlafen.
Justine Bristol staunte nicht schlecht, Jane Porters gemaltes Ich in einem Bild ihrer Großmutter Jennifer zu sehen, von der sie die metamorphmagischen Eigenschaften geerbt hatte. Eigentlich hatte Justine sich vom Außendienst beurlauben lassen, um das in ihr wachsende Kind nicht zu gefährden. Doch als die bildhafte Version von Jane Porter sehr erregt, ja gehetzt sagte, dass wohl Gefahr im Verzug sei, was eine Muggelfrau namens Malorie Dane anging, hatte Justine keinen Moment gezögert, darauf einzugehen. Denn weil außer Elysius Davidson niemand von Janes und Justines Kollegen im Laveau-Institut selbst anzutreffen war und die meisten auch nicht in ihren eigenen Häusern war nur Justine verblieben. Davidson hatte nämlich mit Berufung auf die noch ausstehende Entscheidung des Zaubereiministeriums eine sofortige Aktion in New York abgelehnt. Justine hatte sogar den Vorteil, nicht weit vom Einsatzort, der Columbia-Universität, entfernt zu sein.
"Und du bist dir völlig sicher, dass diese Frau von den Vampiren bedroht wird, Jane?" hatte sie gefragt. Darauf hatte Jane ihr erzählt, woran diese Malorie Dane arbeitete. Justine kannte sich gut genug in allen Bereichen nichtmagischer Umwandlungsvorgänge aus, um zu begreifen, dass hier wirklich Not am Mann beziehungsweise der Frau war.
Um zum einen ihre Beweglichkeit voll ausnutzen zu können und zum anderen jede überstarke Erschütterung ihres Unterleibs zu vermeiden hatte sie sich vor zwei Monaten aus Millemerveilles teilinnertralisierte Unterkleidung beschafft. Zudem nahm sie noch die kleine Handtasche mit der immer umfangreicher werdenden Standardausrüstung für Feldeinsätze mit, zog sich Lautloslaufschuhe an, nebelte sich von Kopf bis zu den Schuhspitzen mit Geruchloselixier ein und hängte sich zum Schluss die Fremdzauber-Aufspürkette um, die Quinn für alle LI-Mitarbeiter hergestellt hatte. Am Ende der Kette war eine kleine Silberkugel angebracht, die mit Ingredentien gefüllt war, die unterschiiedlich auf magische Ausstrahlungen reagierten. Einen Moment erwärmte sich die Kugel. Dann war sie auf die von Justine an sich vorgenommenen Zauber abgestimmt. Jetzt würde sie nur auf die Kräfte ansprechen, die außerhalb von Justines Lebensaura entstanden.
Auf einem unsichtbar machenden Flugbesen der neuen Harvey-Generation ging es im Hui über die gigantomanischen Gebäude von Manhattan hinweg zum Campus der Columbia-Universität. Jetzt war es hier fünf Uhr am Nachmittag. Würde sie Malorie Dane noch erwischen, bevor sie das Gelände verließ? Wichtiger war, zu prüfen, was sie hier schon getan hatte. So landete Justine im Hinterhof des großen Hörsaalgebäudes, wo das laute Rauschen der Abluftanlage viele Geräusche überlagerte. In einer von keiner der heutzutage allgegenwärtigen Überwachungskameras einsehbaren Ecke stieg sie vom Besenund wurde somit erst einmal wieder sichtbar. Sie ließ den Besen in einem Verstaufutteral verschwinden, das eigentlich nur ein zehntel so lang wie der ganze Besen war, diesen jedoch dank Rauminhaltsbezauberung förmlich verschluckte und sich sogar verschließen ließ. Mit einem Körperspeicherkarabiner, der nur von ihr betätigt werden konnte, klickte sie das Futteral an den Henkel ihrer Handtasche. Dann belegte sie sich mit dem Unsichtbarkeitszauber, nahm einen kleinen Stift aus der Tasche, der als Durchdringungsschlüssel bezeichnet wurde und eine Weiterentwicklung des Porta-Urgenta-Schlüssels war. Mit ihm konnte sie gespenstergleich durch bis zu fünf Meter dicke Mauern hindurchgehen wie durch dichten Nebel. So umging sie das Öffnen und Schließen von Türen. Wegen ihrer bezauberten Schuhe völlig unhörbar eilte sie durch das Gebäude und fand den großen Hörsaal. Die Tür war zu. Von drinnen klang die Stimme eines Mannes, der etwas vortrug. Sie berührte die Tür mit ihrem Durchdringungsschlüssel und glitt unbemerkt hindurch.
Auch wenn sie wie ein Gespenst unerkannt durch feste Hindernisse dringen konnte musste sie aufpassen, keinen hier zu berühren oder berührt zu werden. So bewegte sie sich langsam und bedächtig die Stufen an der von der Tür aus rechten Wand hinab an den Sitzbänken vorbei nach vorne. Der Mann, der die Vorlesung hielt, trug einen dunkelblauen Anzug mit weißem Hemd und grauer Krawatte. Er sprach von der Geschichte des amerikanischen Bürgerkrieges. Das interessierte die heimliche Besucherin nicht. Für sie war nur wichtig, dass sie den Punkt fand, wo die Gastreferentin ihren Vortrag gehalten hatte. So gelangte sie keine zwei Meter von dem Geschichtsprofessor entfernt, der gerade mit Hilfe einer Computermaus die Landkarte auf eine Großleinwand brachte, wo die konföderierten Staaten gelegen hatten. Jetzt setzte sie ganz behutsam ihre Rückschaubrille auf und stellte schnell die beiden Gläser auf Nachbetrachtung der Zeit vor drei Stunden ein. Jetzt konnte sie Malorie Dane sehen, wie sie ihren Vortrag über mögliche Jungfernzeugung beim Menschen abhielt. Da sie gelernt hatte, von den Lippen zu lesen konnte sie einzelne Ausschnitte aus dem Vortrag nachverfolgen. Unvermittelt reagierte ihre Aufspürkette. Es war nur ein kurzer, kalter Schauer. Doch er rief sie in die Gegenwart zurück. Das war auch gut so, denn gerade wollte der Geschichtsprofessor nach links, um mit seinem Laserzeigegerät auf den westlichsten Punkt der damaligen Konföderation deuten. Dabei hätte er sie fast angestoßen. Was das für einen Aufruhr verursachen konnte hatte ein Kollege von ihr vor Jahren erleben müssen. So beeilte sie sich, wieder abstand zu nehmen und prüfte erst dann, ob sie noch einmal einen Fremdzauber aufspüren konnte. Doch an dieser Stelle war keine nicht von ihr ausgehende Magie wirksam. So verfolgte sie die bereits vor Stunden abgelaufene Veranstaltung. Als sie die blondhaarige Zuhörerin sah, die eine Frage stellte erschauerte sie. Das war Noctaurea, eine im LI registrierte Neumondvampirin, die vor hundert Jahren noch ein junges Mädchen namens Marianne Benson gewesen war und als muggelstämmige Zauberschülerin in der Thorntails-Akademie gelernt hatte, bis sie in einer Neumondnacht auf der Farm ihrer Eltern einen attraktiven Fremden getroffen hatte, der sie in das verbotene Leben als Kind der Nacht eingeführt hatte. Nur die Augen der Zuhörerin waren dunkler als aktenkundig. Das mochte aber eine Auswirkung von stark getönten Kontaktlinsen sein, um sie schmerzlos das Tageslicht ertragen zu lassen. Vor Justines geistigem Auge blinkte gerade ein gelbes Alarmlicht. Konnte es sein, dass sie vielleicht schon zu spät dran war?
Als sie mitbekam, dass Noctaurea alias Marianne Benson die Referentin nach möglichen Viren fragte, die aus Menschen Vampire und Werwölfe machte hatte Justine das gelbe Alarmblinken wieder kurz vor dem geistigen Auge. Sie bewunderte die Vortragende, wie sachlich sie mit der für Muggel im allgemeinen und deren Wissenschaftler im besonderen unerhörten ja lächerlichen Frage umging. Dann ließ sie die nachbetrachtete Zeit mit vierfacher Geschwindigkeit weiterlaufen, bis zur Autogrammrunde. Dabei erlebte sie, wie die wohl mit Solexkunsthaut und Verdunkelungskontaktlinsen geschützte Blutsaugerin der Professorin ein Buch in die Hand drückte, in dass die Referentin ihre Signatur einschreiben sollte. Justine bemerkte dabei sehr genau, wie Malorie Dane einen Moment erschauerte und einen leicht weltentrückten Blick entbot. So sah jemand aus, der von einem Geistesbeeinflussungszauber betroffen wurde. Hatte die doch glatt mit ihrer Unterschrift einen auf sie zugreifenden Zauber ausgelöst, dachte Justine. Sie kannte neben magischen Verträgen noch zwei Zauber, die durch das Aufbringen von persönlichen Kennzeichen oder Auftragen von Körperfragmenten Gedanken oder Erinnerungen einer Person verändern konnten. Die Vampirin musste den Zauber nicht selbst gewirkt haben. Doch dass Professor Dane nun unter einem Zauber stand war Justine sonnenklar. Sie brauchte nun nicht mehr mitzuverfolgen, wie die Autogrammstunde zu ende ging. Sie ließ die zu betrachtende Zeit so schnell weiterlaufen, dass Malorie Dane innerhalb von nur zehn Sekunden die ganze Reihe Leute mit ihren Autogrammen bedachte. Dann erst verzögerte sie die Nachbetrachtungsgeschwindigkeit wieder und folgte der den Saal verlassenden Gelehrten, wobei sie immer wieder Ausschau nach möglichen lebenden Hindernissen hielt. Das war nicht so einfach und bereitete ihr einen gewissen Schwindel. Wenn sie das noch länger so machen musste konnte es ihren Gleichgewichts- und Orientierungssinn durcheinanderbringen, dachte sie. Doch als die Gelehrte in einem Speiseraum für höhere Mitarbeiter der Universität ankam und dort ein verspätetes Mittagessen einnahm konnte Justine den Wechsel zwischen Echtzeit und Nachbetrachtung erst einmal unterbrechen. In beschleunigter Ansicht schaffte sie es, das über eine Stunde dauernde Essen auf nur fünf Minuten zu verringern. Denn sie musste ja unbedingt mitbekommen, wann Professor Dane wieder ging. Als sie das wusste folgte sie ihr wieder, zwischen Nachbetrachtung und wirklicher Umgebungsansicht wechselnd. Endlich war sie wieder vor dem Hörsaalgebäude. Dort stieg Professor Dane in ein Taxi ein, um zum Bahnhof Grand Central zu fahren, von wo aus sie nach Philadelphia weiterfahren würde. Also musste Justine nach Philadelphia, um die Beobachtete weiter zu verfolgen. Doch vorher musste sie unbedingt klären, woher Noctaurea gekommen war und wohin sie nach ihrem magischen Angriff auf die Gelehrte aus Melbourne wieder abgereist war.
Um nicht noch mal in den Hörsaal zu müssen bezog sie vor der Hauptzugangstür Posten und ließ die Rückschaubrille bis zu einem moment zurücklaufen, bis sie die Vampirin sah, wie sie mit den anderen Autogramminteressenten den Hörsaal verließ. Sie folgte ihr, wobei sie anders als vorher die Geschwindigkeit der Nachschau verringern musste, um mit der weit ausschreitenden Verdächtigen schrittzuhalten. Vor der Tür sah sie, wie Noctaurea um eine Ecke bog und sich eine uneinsehbare Ecke suchte. Dann konnte Justine sehen, wie die Vampirin von einem Strudel aus schwarzer, schattengleicher Substanz ergriffen, umschlungen und aufgelöst wurde und wie der schwarze Wirbel danach in sich zusammenfiel, bis nur noch ein winziger schwarzer Punkt verblieb, der eine Sekunde später verschwand. Justine hatte von dieser Art des dunklen Portschlüssels schon gehört. Die Berichte über den Tod von Vesta Moran und ihres Sohnes Aidonius waren auch dem LI bekannt. Justine ging zu der betreffenden Stelle hin und wirklich, ihr Fremdzauberaufspürer reagierte auf eine starke, dunkle Zauberkraft, die hier vor einiger Zeit gewirkt hatte. Es war ein wildes Vibrieren, verbunden mit einer starken Abkühlung der Kette. Die kleine Silberkugel gab ein schwaches, wie verängstigt klingendes Wimmern von sich. Wäre Justine sichtbar gewesen hätte die Kette wohl auch durch violettes Licht die Wirkung dunkler Kräfte angezeigt. Jetzt stand aber eindeutig fest, dass die neue Vampirsekte der schlafenden Göttin Malorie Dane mit einem unerwünschten Zauber belegt hatte. Wie dieser sich auswirken sollte musste sie herausfinden. Ihr fiel jedoch ein, dass es womöglich nicht gut war, ihr ungeborenes Kind der Gefahr eines magischen Gefechtes auszusetzen. So mentiloquierte sie mit ihrem Mann Jeff und ihrer Cousine und Kollegin Brenda Brightgate. Brenda kam im Moment nicht aus ihrem Büro in Langley heraus, weil wohl wegen einer Lagebesprechung zur weiteren Vorgehensweise gegen Al-Qaida alle Innendienstmitarbeiter am Arbeitsplatz zu sein hatten. Jeff erklärte sich jedoch bereit, statt nach Hause zu fahren gleich nach Philly durchzufahren, um zu prüfen, was los war. Auch er hatte schließlich die Standardausrüstung mit. Doch dann fiel Justine ein, dass er womöglich auch sichtbar an die Gelehrte herantreten musste und dazu womöglich in nur für Damen betretbare Räume zu gehen hatte. Er mentiloquierte dann zurück: "Danke, dass du mich dranerinnert hast, dass Quinns Wechselarmbanduhr auch zwei Ladies gespeichert hat. Du fliegst bitte nach Hause und wartest drauf, dass Brenda aus der Firma rauskommt. Wenn das soweit ist soll die zu mir." Justine bestätigte das. Sie vermerkte für sich selbst, dass durch das gemeinsame Kind das Mentiloquieren mit Jeff immer besser klappte.
Jeff Bristol war sichtlich beunruhigt, dass seine Frau die einzige gewesen war, die die Wissenschaftlerin Dane überprüfen konnte. Warum waren von den anderen Kolegen außer Davidson und Quinn Hammersmith keine im Institut gewesen? Warum hatte die gemalte Version von Jane Porter so darauf gedrängt, nicht mehr länger auf eine Entscheidung des Zaubereiministeriums zu warten? Dass sie damit goldrichtig gelegen hatte war eher ein Grund zur Besorgnis als zur Beruhigung. Jeff war nur froh, dass seine wandlungsfähige Frau nicht auf die Idee gekommen war, selbst nach Philadelphia zu fliegen, um zu prüfen, wie es mit Professor Dane weiterging. Am Ende war die schon von diesem fremden Zauber dazu getrieben worden, ganz woanders hinzureisen. Oder es war ein Markierungszauber, der sie für ihre möglichen Verfolger auffindbar machen sollte. Sowas kam auch immer wieder vor.
Weil er gerade offiziell Feierabend hatte - als Kriminalreporter war er ja irgendwie immer einsatzbereit - konnte er die Spur der beeinflussten Professorin aufnehmen. Er wusste zwar, dass er sich für diese Tour eine Genehmigung von Mr. Davidson geben lassen musste, sah hier jedoch den klassischen Fall von Gefahr im Verzug. Womöglich hatten sie sowieso schon zu viel Zeit verloren.
Um nicht als rasender Blitzreporter Jeff Bristol in Philadelphia aufzufallen benutzte er die Wechselbanduhr, um erst seine Identität in die eines athletischen Burschen namens Howard Livingston zu ändern und dann noch den schwarzen Ford Mustang mit den für Livingston aus Detroit gültigen Kennzeichen zu versehen. Dann schaltete er die von Hammersmith eingebauten Leistungsverstärker für den auch so schon kraftvollen Motor ein, dass dieser die dreifache PS-Zahl auf die Straße bringen konnte. Sicher vor Radar und Lasermessgeräten jagte er mit mehr als 300 Stundenkilometern über die Autobahnen, überholte mal links und mal rechts, ohne dass wer in den Personenwagen und Lastern richtig mitbekam, was da gerade wie ein Geschoss an ihnen vorbeigezischt war. So schaffte er die Strecke New York City - Philadelphia in nur zwanzig Minuten. Schneller wäre da nur ein Bronco Millennium oder ein Hubschrauber gewesen. In der Innenstadt von Philadelphia musste er jedoch behutsamer fahren. Dazu schaltete er auf gewöhnliche Motorleistung zurück. Weil hier gerade noch Berufsverkehr herrschte dauerte es, bis er den Hauptbahnhof erreichte. Hier parkte er seinen Ford Mustang, sicher, dass den niemand klauen konnte. Er ließ die Scheiben verspiegeln und zog sich im Wagen Lautloslaufschuhe an und entnahm dem Handschuhfach eine Umhängetasche. Aus dieser holte er Dinge, die er für seinen möglichen Einsatz brauchte. Da Justine ihn über eine Vampirin berichtet hatte steckte er sich auch eine Luftpistole ein, die kleine, massivgoldene Kugeln verschießen konnte, von denen jede mit drei Sonnensegen bezaubert war. Menschen konnte er damit gerade einmal verletzen, falls er nicht gezielt in die Augen schoss. einen üblichen Vampir konnte er jedoch durch den bloßen Aufschlag einer Kugel einen Großteil seiner Kraft rauben, ja und ihn bei mehrfachen Treffern wie einen Silvesterböller explodieren lassen. So konnte er sicherstellen, entweder einen Gefangenen zu machen oder einen tödlichen Gegner ein für allemal zu erledigen. Um selbst vor Vampiren sicher zu sein zog er sich das mit drei Mondfriedenszaubern belegte graue Hemd mit eingewirkten Silberfäden an, das vor allem am Kragen reiß- und somit bissfest verstärkt war. Dann besprühte er sich auch mit der Geruchlosigkeitslösung und hängte sich die Fremdzauberaufspürkette um. Der kleine Kragenknopf, der als Gasvorgreifer bezeichnet wurde, würde ihn bei einem leichten Hauch von Betäubungs- oder Giftgas mit einer Kopfblase ausstatten. Zumindest würde das gegen Atmungsgifte schützen, wusste Jeff. Quinn Hammersmith arbeitete bereits an einer Schutzvorrichtung, die vor über Hautkontakt wirkenden Gasen schützen sollte. Doch im Moment musste er mit dem auskommen, was er hatte.
Da Jeff eine weitere der vier für das LI verfügbaren Rückschaubrillen besaß konnte er die Zeit vor seiner Ankunft nachbetrachten und so jeden aus New York eintreffenden Zug der letzten drei Stunden überprüfen. So konnte er teilweise erleichtert feststellen, dass Professor Dane wirklich mit einem Expresszug angekommen war. Um ihr ohne einen Verkehrsunfall zu verursachen folgen zu können zog er einen Harvey-8-Besen aus dem dafür erfundenen Verstaufutteral und flog ihr unsichtbar nach, bis sie im Regent-Hotel eintraf. Unsichtbar bekam er mit, dass sie die Schlüsselkarte für ein Zimmer im zehnten Stock erhielt. Er bezog Stellung vor dem Zimmer und wartete. Um nicht einzuschlafen trank er eine für vierzehn Stunden vorhaltende Dosis Wachhaltetrank und mentiloquierte mit seiner Frau, bis diese sich zum schlafen hinlegte. Mit Brenda Brightgate konnte er trotz eines Tages mit ihr getauschter Identitäten nicht so gut gedankensprechen. Jedenfalls nahm er sich vor, zumindest diese Nacht zu wachen. Mit dem Lupaures-Zauber verstärkte er sein Gehör, dass ihm nichts entging. So war das um drei Uhr trällernde Telefon im Zimmer der Gelehrten wie ein heftiges Schrillen in seinem rechten Ohr. Doch dann lauschte er aufmerksam, was passierte.
Zunächst wollte die Bewohnerin des Zimmers wohl den Anrufer hinhalten, bis der aufgab. Doch nach dem neunten schrillen Trällern kapitulierte sie. Er hörte, wie sie den Hörer abnahm und "Hallo!" sagte. Darauf erklang für sie und den mit magisch verstärktem Gehör vor der Zimmertür lauernden LI-Mitarbeiter eine tiefe Frauenstimme:
"Entschuldigung, spreche ich mit Professor Malorie Dane?"
"Ja, tun Sie. Wer sind Sie bitte?" fragte die Angerufene.
"Bist du erwacht in finsterer Nacht, genieße ihre ganze Macht", antwortete die Telefonstimme. Jeff schüttelte den Kopf. Hatte er richtig gehört? Dann antwortete Professor Dane: "Ich erwarte deine Anweisungen, Meisterin!" Ihre Stimme klang eindeutig verändert, wie in einer Art Trancezustand, erkannte Jeff.
"So höre mein Wort, Malorie. Sage deinen Vortrag morgen in der Carnegy-Universität ab! Erwähne, einen dringenden Anruf aus deinem Labor in Melbourne erhalten zu haben, der dich zurückbeordert, um ein gerade laufendes Projekt, über das du nicht sprechen darfst, vor dem drohenden Scheitern zu bewahren! Wiederhole meine Anweisungen!" Diesem Befehl kam Professor Dane nach. "So lege dich wieder hin und schlafe, bis du wieder geweckt wirst. Dann führe meine Befehle aus. In Melbourne werde ich wieder mit dir sprechen."
Es klickte im Hörer, dann kam nur noch das kurze, rauhe Tuten, dass die Verbindung getrennt war. Malorie Dane legte den Hörer wieder auf.
Jeff Bristol musste erst einmal Atem holen. Da er durch den Trank nicht weggenickt sein konnte hatte er auch nicht geträumt. Also war das gerade echt passiert. Diese Blutsaugerbanditen hatten die Wissenschaftlerin durch den Zauber wie mit Imperius gefügig gemacht, auf einen bestimmten Anruf zu warten und bei Nennung der Parole oder besser des Auslösersatzes bereitwillig die Anweisungen entgegenzunehmen und wohl auch zu befolgen. Also sollte Malorie Dane zurück in ihre australische Heimat und dort für weitere Anweisungen bereit sein. Sollten sie es darauf anlegen, dass Malorie Dane diesen Anweisungen folgte? Am Ende wurde sie noch zu einem Ort hingelockt, von dem aus sie auf magische Weise entführt werden sollte. Auch das hatte es schon gegeben. Zumindest war nicht geplant gewesen, sie hier in Philadelphia verschwinden zu lassen. Womöglich fürchtete die Gegenseite ein zu schnelles Eingreifen des Zaubereiministeriums oder des Laveau-Institutes. Aber mussten die dann nicht auch in Australien damit rechnen, dass einer verschwundenen Professor Dane nachgespürt wurde? Offenbar taten die anderen das nicht, erkannte Jeff. Das ließ ihn vermuten, dass die Gegenseite nicht damit rechnete, dass die Zaubereiministerien der ganzen Welt vorgewarnt worden waren. Wahrscheinlich war auch, dass Professor Dane in Melbourne irgendwas tun oder beschaffen sollte, bevor eine Entführung Sinn machte. Auch darauf sollte er es nicht ankommen lassen. Aber was tun? Wenn sie wussten, wie der Zauber wirkte konnten sie ihn wohl aufheben. Doch dafür mussten sie die Vampirin erwischen, die das verhexte Buch mitgeführt hatte. Doch die war in diesem unheimlichen Schattenstrudel verschwunden, den kein Portschlüsselüberwachungszauber orten konnte. Vielleicht würden sie Professor Dane auf dieselbe Weise verschwinden lassen, wenn sie in Melbourne ihren neuen Auftrag erledigt hatte. Da kam Jeff eine Idee: Wenn die mit Geistesbeeinflussungszaubern herumhantierten, dann konnte er das doch auch. Er musste nicht gleich den Imperius-Fluch bemühen, um den erteilten Befehl außer Kraft zu setzen.
Lautlos drang er mit seinem Durchdringungsschlüssel in Professor Danes Zimmer ein. Die Wissenschaftlerin hatte sich gerade wieder hingelegt, um wie befohlen weiterzuschlafen. Doch dazu durfte Jeff es nicht kommen lassen, bevor er seine Aktion ausgeführt hatte. Er zog so leise und bewegungsarm er konnte den Zauberstab frei, zielte auf die im Bett liegende und murmelte: "Mikramnesia!" Die Wissenschaftlerin schrak bei dem geflüsterten Zauberwort zusammen. Dann blitzte es auf Kopfhöhe bläulich-rot auf. Das war eindeutig nicht die übliche Wirkung des Zaubers, erkannte Jeff in dem Moment, wo die Gelehrte den Mund zum Schrei aufriss. "Stupor!" rief er. Der Schockzauber fand sein Ziel und wirkte auch, wie er wirken sollte. Da Brenda auf Justines Anraten auch wach geblieben war konnte Jeff sie zu Hause anrufen. Um die möglichen Telefonüberwacher ihrer Firma oder den Brüdern von anderen Behörden keinen Verdacht zu geben wecchselte er zunächst in seine angeborene Gestalt zurück. Denn nur so konnte er den Varivoxzauber benutzen, um mit Justines Stimme zu sprechen. "Hi, Bren, bin jetzt in Philly, wo ich eigentlich dem Vortrag von Professor Dane zuhören wollte. Aber die hat aus Aussiland einen Anruf gekriegt, sie soll ein im Dreck steckendes Projekt retten. Offenbar hat jemand mit der einen Erkennungscode ausgehandelt: "Bist du erwacht in finsterer Nacht, genieße ihre ganze Macht!" lautet der. Dann wird das wohl nichts mit dem Vortrag."
"Öhm, Just und du konntest nichts machen, um sie umzustimmen, was noch legal wäre?" fragte Brenda.
"Ich wollte zwar was machen, dass sie vergisst, dass da in Melbourne wer auf sie wartet. Aber dabei ist mir ein Fotoblitz ausgerutscht. Jedenfalls hat es nicht geklappt. Jetzt schläft sie eerst einmal tief. Aber das wird nicht so bleiben."
"Wo bist du jetzt genau, Just?" fragte Brenda. Jeff erwähnte in einer mit ihr vereinbarten Geheimsprache, wo er war. "Gut, ich geb das weiter und komme dann zu dir. Wenn die Dame nicht über ihre Bücher reden will machen wir in Philly einen drauf. Nacht!"
"So, jetzt kann die Muggelwelt und damit auch das Zaubereiministerium rotieren, wieso Justine Bristol aus dem Hotelzimmer von Professor Dane angerufen hat", dachte Jeff. Er widerrief den Varivox-Zauber. Danach nahm er wieder die Gestalt von Livingston an und zog sich vor die Zimmertür zurück, um die unter Schockzauber stehende Professor Dane zu bewachen.
Es dauerte nur fünf Minuten, da ploppte es leise neben ihm. Sehen konnte er jedoch niemanden. Erst als Brendas Gedankenstimme fragte, wo er sei machte er erst sich wieder sichtbar und sah dann, wie sie ihre Unsichtbarkeit aufhob.
"Ich hab' sie schocken müssen. Mikramnesia ist förmlich um ihren Kopf herum in reinem Licht verpufft", zischte Jeff. Brenda nickte ihm zu und deutete auf die verschlossene Tür. Er nickte und durchdrang diese mit jenem kleinen, stiftartigen Gegenstand, den Quinn für jeden LI-Mitarbeiter gebaut hatte. Brenda folgte ihm keine Sekunde später.
"Just hat sowas befürchtet. Sie meinte, so wie die geguckt hat wurde sie mit dem Fluch der bedingungslosen Befolgung belegt. Das ist eine Steigerung des magischen Vertrages auf schwarzmagischer Ebene", sagte Brenda. Jeff winkte ab. Den Zauber kannte er auch. Jetzt war ihm auch klar, wieso der Kurzzeitgedächtnislöschungszauber nicht klappen konnte. Denn der Fluch panzerte seine Opfer gegen jede Form von Gedächtnisbezauberung, eben um zu verhindern, das unter seinem Einfluss erteilte Befehle vergessen gemacht werden konnten. Doch gegen den Zauber gab es was neues, den Freispüler. Dieser mit einer Kombination aus Tarnzaubern und Entfluchungszaubern belegte Gegenstand konnte niedere bis mittelstarke Flüche aufheben, wenn das Opfer an diesem Gegenstand die Handlung nachvollzog, die ihm vorher den Fluch an sich auferlegt hatte. Allerdings musste die betroffene Person ganz freiwillig diese Aufhebungshandlung vollbringen. "Unter Zwang darf sie nichts unterschreiben, Jeff", flüsterte Brenda. Jeff erwiderte, dass sie aber gleich am Morgen nach Australien zurückkehren sollte. Da würde sie höchstens die Auscheckbestätigung und eine Flugbuchung unterschreiben. Brenda wusste, dass es Hotelpersonal verboten war, von berühmten oder wichtigen Gästen Autogramme zu erbitten. Wer dies doch tat konnte je nach Arbeitsvertrag eine schriftliche Abmahnung bishin zur fristlosen Entlassung kassieren. Aber Brenda hatte eine brauchbare Lösung parat. "Wir informieren das Institut, dass jemand Danes Rolle übernimmt. Wir nehmen Sie in Gewahrsam und sichern sie solange ab, bis die Vampirvereinigung versucht, sie wieder zu kontaktieren oder gleich zu entführen."
"Vergiss es, dass Justine das macht", zischte Jeff Bristol gereizt. Brenda schüttelte den Kopf und beteuerte, Justine damit nicht zu behelligen. Dann zog sie aus ihrer Handtasche eine kleine Silberdose hervor. "Lagemeldung! Professor Malorie Dane durch Erfüllungsfluch unter Einfluss von Vampirvereinigung Nocturnia. Soll in ihre Heimat zurückkehren, um dort auf weitere Anweisungen zu warten. Vorschlag: Begabte Kollegin mit Muggelweltkenntnissen, die derzeitig nicht durch Krankheit oder Schwangerschaft eingeschränkt einsatzfähig ist, übernimmt Identität von Malorie Dane und verhält sich so, wie die echte sich ohne den Erfüllungszauber verhalten hätte. Erwarteter Angriff oder neuerliche Kontaktaufnahme Seitens Vampirvereinigung Nocturnia. Möglichkeit zur Gefangennahme eines Agenten von Nocturnia erhofft. Erbitte Freigabe für vorgeschlagene Handlung!"
"Wo zum Chor der tausend Todesfeen sind Sie, Brenda?" hörte Jeff die Stimme einer älteren Hexe mit ihrischem Akzent. Das war Sheena O'Hoolihan, Davidsons Stellvertretung und dienstälteste lebende Laveau-Mitarbeiterin. Brenda erwähnte es. "Mädchen, dir ist klar, dass du dafür erst einmal eine Erlaubnis hättest einholen müssen. Das Ministerium ist wegen Caartridge sowieso schon empfindlicher als eine Blütenelfe. Wenn die das rauskriegen tanzen die Drachen. Aber ich muss leider Gefahr im Verzug erkennen und dass Justines und deine Nachforschungen ja tatsächlich was aufgedeckt haben. Ich kann dir Ellen McDuffy schicken, die ist gerade aus Miami zurück, wo sie einen vermeintlichen Bokor überprüft hat. Schneide der betreffenden Dame schon mal ein paar Haare ab und bring sie dann zu uns. Wir sehen zu, für Ellen wichtige Informationen zu ergattern. Aber ganz schnell, bevor noch wer vom Zaubereiministerium was mitkriegt!"
Brenda nahm Professor Dane beim Arm und disapparierte einfach mit ihr. Jeff tat es ihr eine Sekunde später nach. Er landete jedoch in der Nähe seines geparkten Mustangs. Denn von ihm war in O'Hoolihans Anweisung ja keine Rede gewesen. So bestieg er seinen Wagen, setzte die Nachtsichtbrille aus dem Standardzubehör für Außendienstmitarbeiter auf und fuhr ohne Licht im Flüstermodus, aber dreifacher Motorenleistung in die Nacht zurück, um über nicht ganz so dicht befahrene Verbindungsstraßen von Philadelphia nach New York zurückzukehren.
Noctaurea fühlte, das irgendwas nicht stimmen konnte. Sie hatte befehlsgemäß in Philadelphia am Bahnhof gewartet und aus einem Versteck heraus mitgehört, dass Professor Dane zum Regent-Hotel wollte. Das hatte sie ihrer Herrin, der schlafenden Göttin, auf Gedankenwege mitgeteilt. Danach hatte sie den Befehl erhalten, in der Nähe des Hotels zu verbleiben und die mit dem Zauber der Hohepriesterin belegte Zielperson mit dem kleinen grünen Stein zu überwachen, der auf den Erfüllungszauber abgestimmt war und in der Nähe der Zielperson sanft summte, was nur jemand mit dem Gehör eines Wolfes oder eben Vampirs hören konnte. Sie hatte sich in die Vorratsräume des Hotels eingeschlichen und dort zwei blutige rohe Steaks gegessen, um die über den Tag trotz Solexfolie verbrauchte Kraft zurückzugewinnen. Vielleicht sollte sie sich nach jungen Männern umsehen, die hier logierten, um denen ein wenig Blut abzunehmen. Doch die Göttin hatte befohlen, nicht aufzufallen. So musste sich Noctaurea eben mit dem zufriedengeben, was sie erbeutet hatte.
"Die Hohepriesterin hat sie angerufen, Noctaurea. Bewache ihre Abreise!" hatte die Göttin befohlen. Noctaurea hatte bestätigt und wollte auf den Morgen warten. Doch unvermittelt erzitterte der grüne Spürstein für den Fluch der bedingungslosen Gefolgschaft. Dann summte er leiser als vorhin, wo Dane wohl tief geschlafen hatte. Knapp fünf Minuten später hörte das Vibrieren völlig auf. Entweder war der Zauber erloschen oder die Zielperson eines schnellen Todes gestorben oder mal eben aus der Reichweite des Spürzaubers geschafft worden. Noctaurea verwünschte alle diese Möglichkeiten. Wenn der Zauber erloschen war wurde es nichts mit der Reise nach Melbourne. Wenn Dane woran auch immer gestorben war war sie nutzlos. War sie mal eben aus der Reichweite des Steines verschwunden war klar, dass die Zauberstabschwinger dahintersteckten. Das aber konnte nur heißen, dass der Plan der schlafenden Göttin aufgeflogen war. Sie musste Gewissheit haben.
Da sie technischen Transportmitteln nicht über den Weg traute und auch nicht von irgendeinem Überwachungsgerät registriert werden wollte benutzte sie das Treppenhaus. Da sie schneller als ein Mensch laufen und dabei trotzdem so geräuschlos wie irgendmöglich bleiben konnte war sie für die anderen Hotelgäste nicht zu erahnen, als sie den zehnten Stock erstieg und dann den mit dämpfenden Teppichen ausgelegten Gang entlang zur festgestelltenZimmernummer lief. Sie fühlte keine Vibration in dem grünen Stein. Durch die Tür hörte sie auch niemanden atmen. Ihrem Geruchsinn konnte sie nicht weit trauen. Hier im Gang hingen viele Geruchsspuren in der Luft. "Sie ist nicht im Zimmer und atmet auch nicht", schickte sie ihrer Göttin zu. Daraufhin wurde sie vom schwarzen Schattenstrudel erfasst und über den Umweg an ihrer im Mitternachtsstein eingeschlossenen Herrin vorbei hinter der verschlossenen Tür im Zimmer wieder in die stoffliche Welt zurückversetzt. Das Zimmer war leer. In der Luft hing nur der frische Geruch von Professor Dane. Wie konnte das angehen? Sie blickte sich um. Doch von der eingemieteten Bewohnerin war nichts zu erkennen.
"Große Mutter der Nacht, sie ist verschwunden, einfach so. Aber ihre Sachen hängen noch über dem Stuhl", meldete Noctaurea. Daraufhin fühlte sie das Tasten in ihrem Kopf, das zu einem sich ausbreitenden Kraftpotenzial wurde. Jetzt betrachtete die schlafende Göttin das Zimmer durch ihre Augen, witterte mit ihrer Nase und hörte mit ihren Ohren.
"Bei allen Mittagssonnen, wir sind aufgeflogen", schrillte die Gedankenstimme der schlafenden Göttin. Unverzüglich erfasste der schwarze Strudel die Kundschafterin wieder, um sie in Sicherheit zu bringen.
Als Noctaurea in ihrem eigentlichen Versteck war erfuhr sie, dass es den Zauberern vom Laveau-Institut wohl gelungen war, ein Geruchlosmittel zu entwickeln, das jede Körperausdünstung in reine Luft umwandelte, wenn es getrunken oder auf alle Körperpartien aufgetragen wurde. Wie genau das ging wusste die schlafende Göttin nicht. Aber dass Professor Dane wohl durch Zeitlosen Ortswechsel fortgeschafft wurde war durch das Ausbleiben des Spürsteinsummens klar, und dass es Leute waren, die vorsorglich ihre Körperausdünstungen verborgen hatten deutete auf das Laveau-Institut hin und auch darauf, dass sie Malorie Dane wohl auch schon unter Beobachtung gehabt hatten.
"Gut, denen werde ich eine böse Überraschung bereiten", dachte die schlafende Göttin. Danach veranlasste sie alle in Stellung gebrachten Agenten, ihre Zielpersonen gemäß Ausweichplan Morpheus zu behandeln, sobald diese von anderen Menschen getrennt waren. Sie ärgerte sich, dass sie nicht gleich darauf gekommen war, es so zu tun. Aber die Aussicht, die Zielperson Dane erst in ihr Labor zu schicken und dort die für die Gesandten der schlafenden Göttin wichtigen Stoffe und Aufzeichnungen zusammenzubringen war durchaus erfolgversprechender. Gut, Professor Dane war offenbar in Gewahrsam genommen worden. Aber sie hatte ja noch vier Möglichkeiten in Petto.
Ellen McDuffy war dreißig Jahre alt, seit zehn Jahren im Laveau-Institut angestellt und von Sheena O'Hoolihan persönlich ausgebildet worden. Daher kam sie der mentiloquierten Bitte unverzüglich nach, sich für einen Einsatz gegen die neue Vampirvereinigung vorzubereiten. Zwar dachte sie erst, einen Vampirblutresonanzgürtel umzulegen, bedachte jedoch, dass dieser auch in der Nähe befindlichen Vampiren verriet, dass jemand gegen sie vorging. So beließ sie es bei der mit mehrfachen Mondfriedenszaubern belegten Kleidung. Dazu zog sie sich noch eine aus hauchdünn geraspelter Seeschlangenhaut und auf dem Kautschuck auf Einhorndungboden gewachsener Gummibäume erstellte Antwort auf die Solexfolie an, die mit entsprechenden Zauber vorbehandelt war und bis zu zwanzig Sonnensegen pro Tag aufnehmen konnte und dabei reiß- und bissfest war. Denn anders als Brenda musste Ellen mit einem direkten Angriff eines Vampirs oder mehrerer rechnen.
Zum schluss trank sie eine für zwölf Stunden vorhaltende Menge Vielsaft-Trank, in dem zur Aktivierung Haar von Malorie Dane gelöst worden war. Anschließend nahm sie ihren Zauberstab und die üblichen Standardausrüstungsstücke an sich, zog das Nachthemd der im Schockzauber liegenden Gelehrten über und apparierte nach Brendas genauen Angaben erst vor der Zimmertür und dann direkt im Zimmer.
In dem Moment, wo sie in den Hauptraum des Einzelzimmers eintrat fühlte sie, wie sich ihre besondre Schutzhaut deutlich erwärmte und um sie ein rötliches Glühen entstand. Da sprang es sie auch schon an, ein mindestens zwei Meter großes, menschenähnliches Unwesen, das mit stählernem Griff zupackte. "So, du miese kleine ... Arrg. Aber das hilft dir nichts. Gleich wirst du meine Schwester. Denn die Göttin will dich haben", knurrte eine tiefe, unheilverkündende Stimme. Ellen fühlte, wie das Ungeheuer in Menschengestalt sie mit seinen Armen umklammerte. Beide wurden in ein flackerndes gelb-rotes Licht gebadet. Die Sonnensegen hielten gegen das Geschöpf, von dem sie gerade so das aschgraue Gesicht und die zum zubeißen entblößten silbernen Zähne sehen konnte. Das war einer dieser Supervampire, die die schlafende Göttin irgendwie gezüchtet hatte. Ellen war klar, dass sie erwartet worden war. Ihr war auch klar, dass ihre Schutzvorkehrungen nicht mehr lange gegenhalten würden. Wenn der Vampir alle Sonnensegen und Mondfriedenszauber ausgebrannt hatte würde er zubeißen. Ob ihre Schutzfolie das abhielt wusste sie nicht. Sie sollte sein Blut trinken, damit er und sie miteinander verwandt wurden. Aber das konnte diesem Monster so gefallen.
Ellen hatte die rechte Hand noch frei und drosch dem grauen Supervampir die Faust auf die Nase. Es blitzte gelb-rot auf. Doch der Schlag hätte genauso in ein prallgefülltes Daunenkissen gehen mögen.
"Na, Süße, wartest du schön darauf, dass du und ich uns näher kennenlernen?" fragte der Vampir, der trotz der ihm entgegenwirkenden Zauber seinen Griff nicht lockerte. Womöglich hinderten ihn die Zauber nur daran, sein Opfer zu zerquetschen. Da sagte Ellen:
"Süßer, was ich von einem Mann will kannst du mir nicht mehr bieten."
"Was sollte das sein, Hexe? Wenn ich dich zu einer von uns gemacht habe steht dir danach nicht mehr der sinn", schnaubte der Vampir leise. Ellen lächelte. Dann dachte sie ein Wort: "Kindersegen!" In dem Moment fühlte sie etwas in ihrem Unterleib ruckeln. Dann stürzten beide in einen buntenFarbenwirbel. Der Vampir erkannte, dass er gerade auf eine ungewünschte magische Reise mitgenommen wurde und versuchte, Ellen zu beißen. Doch die noch wirkenden Zauber und der rein alchemistische Reißfestigkeitsstoff waren zu viel auf einmal für die Zähne des grauen Vampirs. Dann war die Portschlüsselreise zu ende. Sie standen in einem großen, abgedunkelten Raum, einem Saal. Im gleichen Moment stieß Ellen einen schrillen Pfiff aus. Der Vampir blickte sich mit schmerzenden Ohren um. Hier standen viele kleine Betten, in denen winzige Menschen lagen, dem Geruch nach schlafende ....
"Uäääääää! - Uäääää!" Ellens schriller Pfiff hatte an die zwanzig Neugeborene auf einen Schlag wachgemacht. Diese schrien ihren Schrecken in die Dunkelheit hinaus. Der graue Vampir ließ unvermittelt von seiner Beute ab und stürzte kraftlos zu Boden. Einmal zuckte sein Körper noch. Dann zerbarst sein Körper mit einem dumpfen Knall zu silbergrauem Staub.
Im nächsten Moment flog die große Zugangstür zum Neugeborenenschlafsaal weit auf und zwei höchst alarmierte Frauen in weißer Tracht stürmten herein. Ellen ließ beide in schneller Folge erstarren. Dann belegte sie jede einzelne mit einem Gedächtniszauber, dass jemand unbefugtes versucht habe, eines der Neugeborenen zu entführen und dabei alle anderen geweckt habe. Als sie damit fertig war hob sie den Erstarrungszauber auf und disapparierte, ehe die beiden Säuglingsschwestern wieder klar denken konnten.
"Okay, Sheena, wir können Plan Tauchstation jetzt schon anlaufen lassen. Unsere mächtige Gegnerin hat wohl gedacht, uns eins auswischen zu können. Offenbar hat sie die Zielperson überwacht und vielleicht ihr Verschwinden bemerkt. Da hätte die gute Brenda mit rechnen sollen. Jedenfalls hat mich eines dieser grauen Vampirmonster angegriffen, als ich im Zimmer war. Die Schutzzauber drohten zu versagen. Da blieb mir nur Notausgang Kindersegen. Die Wirkung war schlagartig. Der Graue ist beim Chorgeschrei der Muggelbabys glatt explodiert. Ich musste zwei besorgte Säuglingsschwestern mit Gedächtniszaubern belegen, dass jemand versucht haben soll, eines der Kinder zu entführen", berichtete Ellen, als sie keine zwei Minuten nach diesem Zwischenfall in Sheenas Büro saß. Sheena O'Hoolihan besaß feuerrotes Haar und kleegrüne Augen. Darauf war sie stolz. Denn so wusste jeder, der sie sah, dass sie irische Vorfahren hatte. Sie trug einen limonengrünen Umhang und schrieb gerade mit einer goldenen Falkenfeder an einem Bericht für Davidson.
"Das möchte ich schriftlich und den Staub, den du mitgebracht hast kriegen Quinn und Larry zur Untersuchung. Wir haben noch keine Probe davon."
"Geht klar, Sheena", sagte Ellen. "Öhm, verschwunden oder tot?"
"Entführt und versteckt. Wir kriegen das hin, dass eine ausländische Macht sie entführt hat. Brenda kann das dann mit ihren Muggelkollegen vom CIA so richtig ins Rollen bringen."
"Und die anderen vier von der Liste?"
"Den Landsmann hat Brenda in dem Moment wo du bei mir bist sichergestellt. Wir prüfen, ob der auch schon bezaubert wurde. Am Ende drehen wir das so, dass diese Wissenschaftler wirklich wegen ihrer Kenntnisse auf dem Gebiet der Winzlebewesenforschung entführt wurden. Das wird die Muggelbehörden in den Ländern der drei anderen hochscheuchen und die zuständigen Zaubereiministerien ebenfalls auf Trab bringen", sagte Sheena.
"Selbst Schuld, die hätten die Liste von Nancy Gordon ernster nehmen sollen", erwiderte Ellen McDuffy.
"Öhm, sage derjenigen, die der guten Nancy die Informationenzugespielt hat, vielleicht wäre es günstiger für die Unauffälligkeit solcher Flüge auf brennenden Besen, wenn wir das zuerst wissen, wer wo in der Welt von schwarzen Einhörnern auf die Hörner genommen werden soll. Dann hätten wir Malorie Dane besser schützen können als sie nur schnell und sicher zu verstecken. Jetzt ist nämlich fraglich, ob wir sie wieder zurückschicken können. Am Ende müssen wir sie doch sterben lassen. Aber das soll dann Elysius mit uns abklären. Der will ja jetzt immer dem Ministerium berichten, was wir warum gemacht haben."
"Ich kann immer noch zurück in das Zimmer, wenn du das für unbedenklich hältst. Noch wird keiner bemerkt haben, dass Professor Dane nicht mehr dort ist."
"Hmm, stimmt, vielleicht sollten wir Tauchstation doch noch nicht anlaufen lassen. Aber das mit dem zweiten Wissenschaftler ziehen wir so durch wie erwähnt. Aber gegen diese Supervampire ..." Sheena überlegte. Dann lachte sie. "Warum nicht gleich so?" erwiderte sie. Dann nahm sie eine von drei silbernen Sprechdosen von ihrem Tisch, klappte sie auf und rief hinein: "Quinn, wir testen jetzt im großen Stil die Supervampirschreckschleudern. Wie viele hast du vorrätig?"
"Öhm, dir ist klar, dass die Herstellung teuer ist, Sheena?"
"Nicht so teuer wie die Ausbildung eines neuen Mitarbeiters oder die Gefahr, die durch einen vampirisierten Mitarbeiter für unsere Sicherheit besteht", konterte Sheena O'Hoolihan.
"Okay, zwanzig gerade lieferbar, weitere zwanzig in Arbeit, Material für weitere zwanzig bestellt, aber noch nicht vollständig geliefert, weil eben nicht zu auffällig vorgehen", klang Quinn Hammersmiths Stimme aus der Sprechdose.
"Gut, ich schicke meine Mentantin mit einer schriftlichen Aushändigungserlaubnis runter."
"Ja, aber dann soll die mir unterschreiben, dass sie die Stücke nur bei direkter Gefahr für ihr eigenes Leben oder anderer Menschen verwendet, weil ich ja nicht davon ausgehe, dass die Dinger unversehrt vom Einsatz zurückgebracht werden."
"Ich komm runter, Bastelonkel", sagte Ellen McDuffy mit Professor Danes Stimme. Darauf erfolgte nur ein "Häh?!"
Wenige Minuten später war Ellen wieder im Hotelzimmer von Professor Dane. Sie hatte neben der neuen Spezialausrüstung auch Vampirblutresonanzkristalle an einem feuerfesten Gürtel mitgenommen. Wo die Fronten jetzt geklärt waren konnte sie auch auf direkte Vampirabwehr bis zu einhundert Metern Reichweite achten. Doch den Rest der Nacht blieb es ruhig. Womöglich musste die große geheimnisvolle Herrin der Supervampire erst einmal verdauen, was passiert war. Vielleicht war es ihr jetzt, wo sie einen ihrer Supervampire direkt in einer Neugeborenenstation entsorgt hatte aufgegangen, was die Schwachstelle der Superblutsauger war, das Kryptonit für diese Sorte Blutsauger sozusagen.
Julius kam gut durch den Tag nach der Geburt seiner Halbgeschwister. Erst in der Mittagspause kam er nicht drum herum, sich von Barbara und ihrer Schwester Hippolyte gratulieren zu lassen. "Heute abend im Schloss. Ma ist schon ganz wild darauf, die Ankunft im kleinen Rahmen zu feiern", sagte Julius' Schwiegermutter. Er fragte, wer denn da geplaudert hatte. "Orion hat's von Viviane und es Mutter heute morgen zum Frühstück serviert", sagte Barbara Latierre. Julius nickte. Darauf hätte er doch kommen sollen.
Am Abend wurde dann die Ankunft von den dreien gefeiert. Wie sie hießen hatte Viviane Orion und Julius auch mitgeteilt, obwohl Julius das schon längst wusste. "Schade, dass Millie immer noch unterwegs ist. Sonst könntet ihr vier gleich am nächsten Wochenende los, um die drei zu besuchen", meinte Ursuline Latierre. Julius erwiderte, dass das wohl von der Erlaubnis der Heilerin abhängig sei, die seiner Mutter geholfen habe. Darauf meinte Béatrice:
"Auch wenn ich meine Schwester Barbara und meine eigene Mutter fast schon ans Bett gebunden habe habe ich den anderen doch erlaubt, die neuen Verwandten zu besuchen. Wer hat die kleinen jetzt auf die Welt geholt?"
"Madam Greensporn. Die eigentliche Hebamme für meine Mutter hatte da schon mit einer anderen Gebärenden zu tun", sagte Julius.
"Die wird sich sehr ärgern, wenn ihre Patienten nicht gleich einen Tag nach dem Ereignis Besuch bekommen. Mit der Keimfreilösung kannst du doch das meiste vor der Tür lassen", sagte Béatrice. Ihre Augen leuchteten. Julius fragte sie deshalb, was sie so begeistert machte. Sie erwähnte, dass sie zu gerne einmal direkt mit Eileithyia Greensporn sprechen wolle. Julius überlegte, ob er danach fragen könnte, wenn er seine Mutter besuchte. Da fühlte er, wie der seit Tagen steinharte und reglose Herzanhänger sich regte und unvermittelt wieder warme, belebend pulsierende Kraftströme in seinen Körper schickte. Im selben Augenblick fühlte er auch eine sehr große Erleichterung von außen in sich einströmen. Er zog den nun wieder weichen, warmen Herzanhänger frei und zeigte ihn den anderen. "Millie kommt wieder. Rorie, Chrysie, eure Maman kommt wieder."
"Monju, wo bist du?" vernahm er die Gedankenstimme seiner Frau.
"Ich bin im Château bei allen anderen. Wir feiern eine kleine Feier für die drei kleinen Merryweathers. Die sind in der Nacht unserer Zeit angekommen."
"Ich weiß, ich durfte mir das ansehen. Ich habe dich auch gesehen, mit Ammayamiria Händchenhaltend. Hat ihr sicher sehr gefallen", gedankenantwortete Millie. Julius fühlte eine gewisse Ertapptheit. Ihm hatte es nämlich auch gefallen, Hand in Hand mit Ammayamiria im Geburtszimmer 101 zu schweben, auch wenn er dabei nicht alten Zeiten nachgetrauert hatte. "Öhm, dann ziehe ich mir einen nicht zu exklusiven Stoff über und komme dann durch die Schränke. Sage Oma Line, dass ich das mitbekommen habe, dass sie Chrysie zwischendurch auch mal angelegt hat. Wusste nicht, dass sie noch so spendabel sein kann."
Julius gab Millies letzten Satz per Gedankensprechen an seine Schwiegergroßmutter weiter. Diese sah ihn an und mentiloquierte zurück: "Eine Frage von Übung und Hingabe."
Als Millie in ihrem jadegrünen Festumhang dazukam und sah, dass Julius ebenfalls seinen besonderen Festumhang trug strahlte sie ihn an. Dann hatte sie ein Problem. Wen sollte sie jetzt zuerst begrüßen? Aurore flog nämlich förmlich auf sie zu und warf sich ihr in die Arme. Doch sie steuerte auch auf Julius zu. So überließ dieser es erst seiner Tochter, von ihrer Mutter geknuddelt zu werden. Dann war er dran. Am Ende knuddelten sie beide Aurore.
"Wir schicken nachher noch eine Expresseule von Millemerveilles los und gratulieren. Ich hoffe, wir können am Wochenende auch hin", sagte Millie für alle hörbar. Dann langte sie beim Essen zu.
Wieder zu viert im Apfelhaus sagte Millie: "Ich kann dem guten Gilbert mehrere Artikel anbieten, die ich schreiben kann. Das wird ihm recht sein." Rein Gedanklich fügte sie hinzu: "Ich soll dich schön von Kailishaia grüßen und ausrichten, dass sie bedauert, dir nichts neues mehr beibringen zu dürfen. Aber die ist echt heftig als Lehrerin, eine Mischung aus Professeur Dirkson und Madame Faucon. Aber dafür habe ich auch gleich ein ganzes erlebtes Jahr bei der gelernt und dabei auch ihre Sprache gelernt. Öhm, wir kriegen wohl demnächst besuch."
"Von wem? fragte Julius auf reiner Geistesebene.
"Drei von den Sonnentöchtern wollen zu uns, weil sie mit uns über einen gewissen Wächter und einen uns zweien auch nicht mehr unbekannten Schattenspieler namens Kanoras reden wollen. Sie warten nur noch darauf, dass sie wissen, was der Wächter von Garumitan vorhat. Ach ja, eine von denen ist eine alte Bekannte von dir."
"Patricia Straton, also doch. Ich weiß auch, dass sie zwei Töchter austrägt, die die beiden von Ashtaria erwähnten Zwiegeborenen sein werden", schickte Julius zurück. Seine Frau verzog ihr Gesicht, weil er sie wohl um eine tolle Überraschung gebracht hatte. Deshalb fragte sie auf unhörbare Weise: "Hat dir das Madrashmironda damals gezeigt?"
"Ich war sozusagen mal kurz bei der wundersam dem Tod entronnenen Ex-Anthelianerin im Unterbau und habe ihren zwei noch zu kriegenden zuhören dürfen. Deshalb weiß ich das." Millie erwiderte darauf nichts. Dann wollte sie wissen, was sonst noch nicht zu geheimes passiert sei. Julius erzählte ihr von der Bedrohung durch Nocturnia und dass er deshalb auch eine längere Unterhaltung mit Madame Araña Blanca Reichenbach gehabt habe. Er mentiloquierte auch, dass der Tipp wohl vom Mutter-Kind-Gespann Hemlock gekommen sein mochte.
"Was ist an diesen Forschern so heftig, dass die von diesen Langzähnen bedroht werden?" wollte Millie wissen. Julius erwähnte die Forschungsarbeiten und was sich mit einem gewissen Quantum Magie darauf weiterentwickeln lassen mochte."
"Oha! Soll noch mal wer behaupten, dass die Muggel nicht langsam doch mehr Unfug anstellen können als wir Hexenund zauberer."
"Unfug klingt noch harmlos", grummelte Julius. "Unheil trifft es da wohl leider besser", fügte er noch hinzu. Millie konnte das nicht bestreiten. Aber sie tröstete ihn und sich damit, dass auch viele Sachen erfunden worden waren, die auch die Zaubererwelt anspornte, etwas ähnliches zu entwickeln, weil vorher noch keiner darauf gekommen war, dass sowas auch nützlich sein konnte, wie eben Fernbildkopierer oder die silbernen Sprechdosen."
"Ja, und wenn Mum wieder aus dem Wochenbett darf gibt es bestimmt irgendwann eine magische Abwandlung des Computers, vielleicht aus mehreren zusammengeschalteten Denkarien", vermutete Julius. Millie konnte und wollte dazu erst einmal nichts sagen.
"Ich war erst wütend, dass Oma Line sich doch über meine Bitte hinweggesetzt hat, die kleine nicht zu stillen, wo ich genug von mir ausgelagert habe", wisperte seine Frau, als sie beide nach dem langen Tag wieder im gemeinsamen Bett lagen. "Aber als ich mitbekam, dass die Kleine damit so glücklich war habe ich nicht mehr daran gedacht, Oma Line deshalb auszuschimpfen, wenn ich wiederkomme. Kailishaia, die dabei neben mir gesessenund mich halb im Arm hatte meinte, dass ein Kind, das geliebt wird von jeder Liebe gut gedeiht und wächst. Das ist mir ja auch sehr wichtig." Julius erwiderte darauf, dass seine Mutter das jetzt sicher anders sehen würde. "Ja, weil dieses Sauzeug, was ihr die VM-Banditen verpasst haben eingemeißelt hat, dass sie und nur sie sicherstellen kann, die Kinder auch am leben zu halten. Habe ich doch bei Sandrine erlebt, wie das anfing, als die zwei auf der Welt waren."
"Apropos, ist Gérard wieder im Lande?" fragte Millie.
"Sandrine meinte, er habe ihr Briefe geschickt und angekündigt, Ende Oktober wiederzukommen. Ganz glücklich ist sie darüber nicht", erwiderte Julius. Er war auch nicht so beruhigt. Ob Gérard es wirklich aufgegeben hatte, hinter den Leuten von Vita Magica herzujagen wusste er nicht wirklich.
"Wieso wissen die, wie sie meine Kristallkrieger töten können?" dachte die schlafende Göttin. Sie hatte nur kurz durch die Augen ihres Kämpfers gesehen. Sie waren in einer großen Halle oder einem Saal gelandet, einem Schlafsaal? Dann hatte dieses Frauenzimmer, dass sich Professor Danes Körperform angeeignet hatte gepfiffen. Ab da war die Verbindung zu ihrem Krieger ganz und für immer abgerissen. Sie überlegte und holte sich die letzten zwei Sekunden der Verbindung wieder und wieder in ihr Bewusstsein zurück. Was für ein Schlafsaal war das. Die Betten sahen irgendwie kleinn aus und die darin liegenden hatten vergrößerte Köpfe - wie Babys. Konnte das angehen, dass dieses Hexenflittchen ihren Kristallkrieger, der sie trotz einer sehr starken Abwehrbezauberung fast niedergerungen hätte, im letzten Moment in eine Säuglingsstation verschleppt hatte, damit er dort starb? Aber wie und vor allem warum? Sie erkannte, dass sie offenbar längst nicht alles über die Macht und wohl auch Schwächen des Unlichtkristalls wusste. Sie musste noch einmal den in ihr gefangenenWächter des Steins befragen. Der hatte ihr die Vorteile des Kristallstaubs beschrieben, aber keine Schwächen genannt. Das musste er aber.
"Gib mich frei und erhalte alles Wissen, dass ich in mir berge. Halt mich fest und verzichte auf mein gesamtes Wissen!" hörte sie die gequälte, gebrechlich klingende Gedankenstimme des in ihrem Vielfachbewusstsein eingeschlossenen Wächters. "Damit du den letzten Befehl deines Erbrüters befolgst und uns alle vernichtest? Das hättest du gerne. Du bleibst dort, wo du bist und wirst mir dein Wissen preisgeben oder endgültig erlöschen", drohte die schlafende Göttin.
"Niemals, du Unzüchtige. Die letzten Geheimnisse meines Herren gebe ich nicht frei. Da wirst du mich schon vernichten. Doch dann stirbt auch der letzte Halt, der den Stein der Mitternacht in der Welt hält. Denn wenn ich nicht mehr bin wird seine ganze Kraft frei und zerstört ihn und alles, was in ihm ist."
"Gib dein Wissen preis!" befahl Gooriaimiria und wirkte einen steigenden Druck auf die verbliebene präsenz des Wächters, den sie beim Einfahren in den Mitternachtsdiamanten erst niederrang und dann vollständig umschloss, dass keiner seiner Gedanken mehr an die im Stein gebündelte Zauberkraft rühren konnte.
"Nein, Weib! Du hast kein Recht, alles zu wissen, was mein Meister wusste. Ich werde ... Aarg!"
"Ah, ich sehe einen Knaben, der einen dunklenKristall berührt, und der zerfällt. Also ist es die unverdorbene Unschuld von Körper und Seele, die diesen Kristall zerfallen lassen", triumphierte Gooriaimiria und erntete ein geistiges Jammern der gefangenen Seele. "So falle zurück in deine Starre und verweile da, wo du damals so gerne und solange gewohnt hast, in meiner innersten Tiefe!"
"Nein, gib mich fr...", flehte der geschwächte Wächtergeist, bevor seine Gedanken erlahmten. "Also ist es die Nähe oder das Geschrei von Neugeborenen, die meinen Kriegern zusetzen", gedankengrummelte Gooriaimiria. Sie erkannte, dass die Feinde das längst wussten. Sie erfasste, wie hinfällig ihre Kristallkrieger in Hörweite schreiender Babys waren. Welche Ironie der Natur, dass ein hundertfacher Tod durch den einzigen Schrei eines neuen Menschenlebens zu Staub zerblasen wurde. Ja, und wenn ein Baby schon reichte, einen Kristallkrieger zu schwächen oder zu töten, dann war ein ganzer Saal voller Bälger gleichbedeutend mit einer Bombenexplosion direkt in seinem Körper. Jetzt wusste sie, dass sie ihre Kristallvampire nur noch gegen die auch von Kristallstaub erfüllten Handlanger von Iaxathans angehendem Chefsklaven einsetzen würde. Sicher, ihre Feinde liefen nicht immer mit schreienden Plärrbälgern auf den Armen herum. Doch die Sache mit dem Portschlüssel, die sie zu schmerzhaft an ihr erstes körperliches Ende erinnert hatte, zeigte ihr zu deutlich, wie schnell gut vorbereitete Feinde ihnen beikommen konnten.
Offenbar hatte sie nicht ganz auf ihre geistige Absicherung geachtet. Denn unvermittelt erscholl durch die Schichten ihres Bewusstseins triumphierendes Gelächter. "Danke, du niedere Dirne, dass du mir endlich einen Weg aufgezeigt hast, wie mein Knecht deine unrechtmäßig mit Unlichtkristallstaub verstärkten Bluthunde zu Staub zermalmen kann. Ja, wohl wahr. Von Gewinnstreben und Tötungswillen unberührte Kinderseelen lösen den reinen Kristall wieder auf. Aber trotzdem werden meine treuen Diener bald über die Welt regieren und deine Brut hinwegfegen. Es sei denn, du gibst den Wächter wieder frei und unterwirfst dich ihm. Dann will ich noch mal Gnade üben."
"Komm, Flaschengeist, tu du jetzt nicht so, als ob du wüsstest, was das überhaupt ist, Gnade!" erwiderte Gooriaimiria wütend, weil sie ihrem Erzfeind ihre eigene Schwachstelle offenbart hatte. "Auch wenn das Projekt mit den Kristallkriegern offenbar gegen Menschen ein halber Erfolg war werde ich sie gegen deine Handlanger immer noch gut einsetzen. Denn was meine Krieger schwächt wird auch deinen Kriegernzusetzen, sobald sie den Staub in ihrem Blut haben. Die dürfen sich dann noch weniger an schreiende Bälger herantrauen als meine Diener." Keine Antwort. Stille, lange Zeit nur Stille. Dann erfolgte eine von Wut getragene Erwiderung:
"Bald ist der Tag der längsten Nacht angebrochen. Und wer dann nicht unter meinem Befehl zu leben hinnimmt wird den Tod empfangen, so wahr die Dunkelheit das All regiert."
"Von den vielen Sternen mal abgesehen, die fleißig dagegen anleuchten", bemerkte Gooriaimiria dazu. Doch leider hatte er ja recht. Ein Großteil des Universums bestand aus Leere und Dunkelheit, und wenn der noch was von den schwarzen Löchern erfuhr, die von der Zaubererwelt auch als schwarze Sonnen bezeichnet wurden, würde er noch mehr daran denken, dass der Kosmos eher der Dunkelheit gehörte.
"Herrin, Morpheus war bei meinem Ziel nicht möglich. Eine Hexe mit starkem Abwehrschild bemächtigte sich seiner und hätte mich fast getötet", hörte sie die Gedankenstimme eines Dieners, der den Nanotechniker Greyman überwältigen und in die von den neuen Nocturnianern gegründete Festung unter den Bergen Afghanistans verbringen sollte. Dort hatte Eleni aus dem, was die aus den Höhlen verjagten oder getöteten Taliban zurücklassen mussten, mehrere große Labore gebaut. Dort sollten die einzusammelnden Wissenschaftler hingebracht und unter hypnotischer Kontrolle zur Erstellung eines neuen Vampyrogens gezwungen werden.
Die schlafende Göttin stellte sich auf Nachtwind ein, eine deutsche Vampirin, die den belgischen Wissenschaftler Henri Legras in Gewahrsam nehmen sollte. Bisher hatte sie sich gut als Projektmitarbeiterin bei seiner Arbeitsgruppe zur Antikörpererforschung eingearbeitet, von ihr, der Göttin, mit zusätzlichem Wissen über biochemische und medizinische Angelegenheiten versorgt. Sie hoffte, zumindest ihn sicherstellen zu können.
Gerade waren Nachtwind und ihre rotblütigen Kollegen in einem hermetisch abgeschotteten Labor, in dem ständiger Unterdruck herrschte, wohingegen in den drei Zugangsschleusen ein leichter Überdruck aufrechterhalten wurde. So konnte ein möglicherweise freigesetztes Virus nicht aus den Laborräumen entweichen, bis es von den Nanofiltern in der Belüftung abgesaugt und festgehalten wurde.
Henri Legras war in seinen Studententagen sicher ein sehr umschwärmter Bursche gewesen, bemerkte Gooriaimiria und verwünschte ein wenig den Umstand, dass sie keinen lebenden, fühlenden Körper mehr hatte. So musste Nachtwind ihr Körper sein, mit dem sie Legras eroberte und dorthin lockte, wo Gooriaimirias Getreue ihn in ein Flugzeug laden und nach Afghanistan bringen konnten. Durch Nachtwinds Augen sah sie auch Angelique Dubois, eine Doktorin der Physik und Expertin für Rasterelektronenmikroskopie. Vielleicht, dachte die Göttin, sollte sie diese Frau auch in ihre Dienste nehmen, ja von einem ihrer treu ergebenen Helfer zu einer Tochter der Nacht machen lassen, um ihr Wissen dauerhaft und unentreißbar für sich zu nutzen. Jetzt betraten Nachtwind, die sich hier Helga Kiesinger nannte und ihr gemeinsamer Projektleiter das Allerheiligste, das Hochsicherheitslabor, wo an den gefährlichsten Viren der Welt geforscht wurde. Gooriaimiria amüsierte der Gedanke, dass die Menschen sich selbst die größten Feinde und Gefahrenherde waren. Die Bürger im Süden von Paris wussten nichts von dieser Anlage. Wenn Legras auftrat, dann nur als Professor an der Universität oder als Forschungsleiter eines Heilmittelunternehmens.
Die Innentür der letzten Schleuse öffnete sich. Nachtwind fühlte den plötzlichen Druckabfall in den Ohren und schluckte, sodass der Druck mit einem lauten Knacken ausgeglichen wurde. "Außer ihr sind keine anderen hier. Soll ich?" fragte sie ihre Göttin.
"In diesen Raum fällt kein Sonnenlicht. Nimm die Kontaktlinsen heraus und unterwerfe beide deinem und meinem Willen. Ich schenke dir mehr Kraft, um sie beide zu binden", erwiderte die Stimme der Göttin. Nachtwind bestätigte den Befehl und die dafür gewährte Zusatzbefähigung. Sie deutete auf das eingeschaltete Elektronenmikroskop.
"Ist das Probe sieben, Professeur Legras? Irgendwie kommt mir die Oberfläche grobkörniger vor als beim letzten Mal", sagte Nachtwind. Der Wissenschaftler blickte auf den Bildschirm, auf dem etwas wie eine exotisch wirkende Landschaft zu sehen war. Das war die gerade abgetastete Oberfläche eines wenige Nanometer großen Körpers, eines gefährlichen Virusses. Die Probe befand sich hinter einer mehrere Zentimeter dicken Glaswand in einem Vakuumbehälter. Legras studierte die Darstellung. Ihm wurde nachgesagt, ein Virus an der kleinsten Oberflächenerhebung erkennen zu können. Aber grobkörnig sah das Bild nicht aus.
Nachtwind deutete von Angelique auf den Bildschirm und fragte, ob an der Bündelung für den Abtaststrahl noch was verbessert werden könnte. Die junge Physikerin blickte nur kurz auf die Anzeigen für die Betriebsart des Untersuchungsgerätes. Den Moment nutzte Nachtwind, um sich die zwei gegen Sonnenstrahlung schützenden Kontaktlinsen aus den Augenhöhlen zu pflücken. Einen Moment war sie vom grellen Licht geblendet. Doch es war nur wie ein Blitz, der eine dunkle Gewitternacht erhellt. Dann konnte sie wieder klar sehen, wenn eben auch bei hellerem Licht als vorher. Sie wandte sich der anderen Frau zu, um ihr mit einem nun unverstellten Blick in ihre Augen ihren Willen aufzuzwingen. Dubois blickte sie erstaunt an, weil ihre Augenfarbe sich verändert hatte. "Bleib wo du bist und ..." dachte Nachtwind. Gooriaimiria sandte ihr zusätzliche Kraft. Doch da strahlte ein silberweißes, alle Konturen verschlingendes Licht auf, das aus Angeliques Augen zu strömen schien. Der magische Blick der Vampirin prallte dagegen wie ein Vogel gegen eine Panzerglaswand. Nachtwind stemmte sich dagegen. Doch das Licht wurde nicht weniger. Dann hörte sie was, das Gooriaimiria nur all zu gut kannte. Es waren zwei laut und entschlossen gerufene Worte: "Avada Kedavra!" In dem Moment erkannte die Göttin, dass ihre Kämpferin in eine Falle getappt war. Das silberne Licht färbte sich gleißend Grün. Gooriaimiria versuchte, die bedrängte Helferin noch mit dem Schattenstrudel einzufangen, da traf diese schon der alles Leben auslöschende Schlag. Der Strudel war nicht rechtzeitig entstanden, um diese Wucht von Nachtwind abzuhalten. Ihre Seele wurde aus dem Körper gesprengt und schoss mit Gedankenschnelle auf Gooriaimirias geistige Daseinsform zu, um mit einer Mischung aus Entsetzen, Versagensangst und unendlicher Euphorie mit der Göttin zu verschmelzen. Dadurch erhielt diese in einem Sekundenbruchteil Nachtwinds gesamte Erinnerungen. Sie erkannte, dass jemand den Professor in Brüssel schon überwacht hatte und nur auf den Moment gewartet hatte, den Feind anzugreifen. Gooriaimiria empfand eine gewisse Verärgerung. Denn jetzt war Legras der Hexe, die den Todesfluch gerufen hatte, ausgeliefert. Würde sie ihn auch töten, um endgültig zu verhindern, dass er den Abgesandten in die Hände fiel? Wichtiger war jedoch, die anderen Agenten sofort zu warnen. So rief sie in Gedanken: "Vorsicht, ihr werdet vielleicht schon erwartet!" an alle aus, die ihren Ruf verstehen konnten.
Schnell stimmte sie sich auf Nightgazer ein, einen Neumondvampir, den sie nur deshalb so leicht beherrschen konnte, weil er von einem Besitzer des Mitternachtsdiamanten zum Sohn der Nacht gemacht worden war. Nightgazer befand sich gerade in einem Hörsaal, in dem Professor Malcolm Evans, der in Oxford Molekulargenetik unterrichtete, über die Beziehungen der Basenpaare in der DNS referierte und davon sprach, dass die gegenwärtigen Forschungen darauf abzielten, bestimmte, gewünschte Veränderungen hervorzurufen, wenn klar war, wo bestimmte Basenpaare verändert werden mussten. "Morpheus jetzt durchführen mit Patrone!" befahl Gooriaimiria. Denn ihr war klar, dass innerhalb dieser Menschengruppe durchaus jemand sichtbares oder unsichtbares lauern konnte. Behutsam tastete der gerade wie ein X-belibiger Student auf einem Platz sitzende Neumondler nach seinem Notizblock, an dem noch ein Füllfederhalter steckte. An diesem Füller nahm er ganz behutsam eine gewisse Veränderung vor. Dann wartete er einige Sekunden. Als er sicher war, dass alle Zuhörer auf die große Leinwand blickten, auf der das Computerbild der Doppelhelix menschlicher DNS zu sehen war, wo verschiedene wie Leitersprossen wirkende Elemente blinkten. Dann drückte er eine winzige Erhebung in den Griff ein. Es zischte leise und so hoch, dass es fast schon ein Pfeifton war. Für Nightgazer war der Ton sehr laut. Und auch der Professor vorne am Vorführcomputer hörte ihn wohl. Zumindest gehörte der Ton nicht zum leisen Gesäusel der Klimaanlage.
"Entschuldigung, wer von Ihnen macht dieses Geräusch?" fragte er in die Runde. Doch keiner antwortete ihm. Erst als die hinter Nightgazer sitzenden Studenten in alle Richtungen gelauscht hatten meinte einer: "Kommt irgendwie von der Bank vor mir." Da saßen aber nur Nightgazer und zwei junge Männer, die sich nun gegenseitig anstarrten. "Ist vielleicht die Klimaanlage", sagte Nightgazer frei heraus, während sein Füller weiterzischte. Doch nun rückten die anderen näher an ihn heran, um zu lauschen. Dabei fiel wohl einem auf, wo das Zischen herkam. Er wollte gerade was sagen, als alle hier im Raum von heftigen Schwindelanfällen betroffen wurden. Auch Evans fühlte wohl, dass was nicht stimmte. Ihm wurde wohl klar, was passierte, und er wollte auf einen Alarmknopf drücken. Da erwischte ihn die volle Wirkung des geruchlosen und sehr starken Betäubungsgases, das nur auf alchemistische Weise hergestellt werden konnte. Er verlor den Halt und fiel um. Die noch im Saal sitzenden Studierenden kippten schlaff vorne über und schlugen mit den Köpfen auf die ausklappbaren Mitschreibtischchen. Nightgazer wartete drei Sekunden. Dann erhob er sich vom Gas völlig unbetroffen und stieg nach vorne über die nächste, ganz leere Sitzbank, um von dort aus die Treppen hinunter zum Vorleser zu nehmen. Da stutzte er. Er meinte, dass nicht alle hier im Raum ohnmächtig geworden waren. Er schnüffelte und lauschte. Das Gesäusel der Klimaanlage und das erst langsam verebbende Zischen seiner Gaspatrone störten sein besonderes Gehör. Dennoch konnte er Atmung und Herzschlag der ihm nächsten Zuhörer vernehmen. Gooriaimiria erkannte, dass Nightgazer wohl eine Falle witterte und half ihm, indem sie seinen Hörsinn noch mehr verstärkte, sodass das Säuseln zu einem lauten Tosenund die Herzschläge zu dumpfen Schlägen wie rhythmisch gespielte Basstrommeln wurde. Ja, und da war ein Herzschlag, der immer noch kräftig war und mit üblichem Takt eines Wachen, gesunden Menschen klang. Es kam von rechts vorne. Nightgazer drehte sich blitzartig in die entsprechende Richtung. Doch da war niemand zu sehen. Ein unsichtbarer Gegner! Das war die Falle!
Gooriaimiria überlegte, ob sie die letzten zwei Kristallstaubvampire schicken sollte, um Nightgazer zu helfen. Vielleicht wusste der Gegner noch nicht, wie diesen beizukommen war oder hatte nicht das Mittel, diese widerwärtige und doch so natürliche Kraft an diesem Ort anzuwenden oder die Kristallstaubkrieger dort hinzuschaffen. "Mach dich sichtbar, ich hör dich", knurrte Nightgazer völlig ohne Erlaubnis seiner Herrin.
"Grüß deine Göttin von den Kindern des Mondes", schnarrte eine entshlossene Frauenstimme. Dann Zischte es kurz und laut, und wie aus dem Nichts schwirrte etwas heran, was wie ein viertellanges Streichholz mit glitzernder Spitze aussah. Gooriaimiria beschloss, den Agenten sofort zurückzuholen. Sie baute den Strudel auf. Da fühlte sie durch Nightgazer, wie etwas spitzes wuchtig in seinen Körper eindrang und sein Herz durchbohrte. Der Schmerz explodierte in seiner Brust. Das war alte Eiche. Dennoch wollte sie ihn zurückholen. Ihr Schattenstrudel umschlang ihn. Da war ihr, als berste ein metergroßer Feuerball direkt aus der Brust des Getroffenen. Die Wucht war so groß, dass die schwarzen Spiralarme davon zerrissen wurden. Außerdem fühlte sie, wie Nightgazers Seele in einem gleißenden Blitz von ihr fortgeschleudert wurde. Obwohl selbst ohne Körper fühlte sie nun einen feurigen Stich in sich, der tief bis in die innersten Bereiche ihres Vielfachbewusstseins drang und da etwas zu einer kurzen Nachschwingung anregte. Dann war es vorbei. Der körperlich-geistige Kontakt zu Nightgazer war endgültig unterbrochen. Gooriaimiria hatte zwei Agenten innerhalb von nur drei Minuten verloren und davon nur einen in ihr Seelengefüge einverleiben können. Die Gegner waren auf der Hut. Bevor sie sich auf die weiteren am Ziel bereitstehenden Agenten einstimmen konnte, durchraste sie deren Todesschrei. Sie bekam gerade noch die ihrer Körper entwundenen Seelen zu fassen und konnte sie in sich einsaugen. So erfuhr sie, dass der Sohn der Nacht, der den japanischen Genforscher Hiromitsu in einer asiatisch getönten Sonnenschutzfolie angehen und ergreifen sollte, von einem glühenden Schwert enthauptet worden war. Der Agent, der den Nanomaschinenexperten Greyman ergreifen sollte, war wie Nightgazer von einem Eichenholzgeschoss ins Herz getroffen worden und daran verstorben. Allerdings hatte das Geschoss nicht diesen totalvernichtenden Zusatzzauber entfesselt wie jenes, das Nightgazer so gnadenlos ausgelöscht hatte. Damit war Operation Morpheus gescheitert, bevor sie richtig beginnen konnte. Den Gedanken, ihre beiden letzten Kristallstaubkrieger zu entsenden verwarf Gooriaimiria. Denn sie musste nun davon ausgehen, dass die Gegner die vor ihren Agenten geretteten Forscher schleunigst in die Nähe einer Neugeborenenstation bringen würden, wo die Kristallstaubkrieger vollkommen versagen und vergehen würden. Doch nun war ihr auch klar, dass ihr Ziel, die fünf besten Forscher auf dem Gebiet der Mikrobiologie, Medizin und Nanotechnologie in ihre Gewalt zu bringen, verraten worden sein musste. Die bohrende Frage war nun, von wem?
"Für das Protokoll: Heute ist der achtundzwanzigste September 2002. Es ist jetzt zehn Uhr Ostküstenstandardzeit. Ich, Elysius Davidson, habe sämtliche Außen- und Innendienstmitarbeiter des Marie-Laveau-Institutes zusammengerufen, um zu erörtern, inwieweit die Mitarbeiter Justine und Jeff Bristol und Brenda Brightgate ohne Rücksprache mit der Institutsleitung die Muggelfrau Professor Malorie Dane überwacht und in Gewahrsam genommen haben. Hierzu liegt ein schriftlicher Bericht vor, der dem Protokoll beigefügt wird. Ich möchte hier und vor allen anderen nun erfahren, wie genau und warum dieses Unternehmen ohne Rücksprache durchgeführt wurde. Hierzu rufe ich Justine Bristol auf, zu berichten, wieso sie so vorbehaltslos einen Einsatz durchgeführt hat, der durchaus auch sie und ihre Leibesfrucht hätte verletzen oder töten können."
Justine erhob sich von dem bequemen Stuhl im Konferenzraum des Marie-Laveau-Institutes. Davidson gebot ihr mit einem Wink, sich wieder hinzusetzen. So sprach sie im sitzen und erwähnte den Besuch der gemalten Jane Porter. fast alle sahen sie verstört an. Nur Jeff und Brenda nickten ihr zu. Als Justine der mitschreibenden Feder alle ihre Erlebnisse diktiert hatte rief Davidson Brenda Brightgate auf, zu berichten. Sie erwähnte ihre Erlebnisse und schloss damit, dass im Einvernehmen mit Mrs. O'Hoolihan ein Austausch der Wissenschaftlerin zum Zwecke der Bekämpfung der sie bedrohenden Gefahr durchgeführt werden sollte. Dazu äußerte sich nun Ellen McDuffy und beschrieb ihren Kampf mit dem grauen Vampir und dass es stimme, dass solche Kreaturen beim Schrei mindestens zweier Säuglinge geschwächt würden und starben. Aber das wussten sie schon durch Berichte von Justine und Jeff Bristol.
"Ich weiß derzeit nicht, wo sich das gemalte Abbild unserer selig ruhenden Kollegin Jane Porter gerade befindet. Mich würde interessieren, woher es den Antrieb hatte, Sie derartig zu bedrängen", sagte Davidson für das Protokoll. Sheena O'Hoolihan, die dann noch was zu ihrer Rolle in der Angelegenheit sagen wollte schickte voraus, dass Jane wohl wie sie davon ausgegangen war, dass die Entführung oder Unterwerfung der Wissenschaftler in Kürze stattfinden würde. So sagte Sheena noch: "Es ist jetzt aber schwierig, den Spion weiterhin zu nutzen. Denn es wird sich früher oder später herumsprechen, wer alles Kenntnis von dieser Aktion haben musste."
"Ich werde wohl demnächst dem stellvertretenden Minister Rede und Antwort stehen, dass wir die australische und den amerikanischen Forscher gerade noch rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten. Er wird dann natürlich wissen wollen, warum Sie, Mrs. O'Hoolihan, bei Erhalt der Ankündigung seitens Mrs. Bristol nicht versucht haben, mich zu erreichen", sagte Davidson.
"Nun gut, weil diese Feder da mitschreibt und somit ja immerhin die Möglichkeit bestehen bleiben wird, dass außerhalb des Institutes jemand zu lesen bekommt, was wir hier besprechen", holte Sheena O'Hoolihan aus. Dann sagte sie: "Zum einen haben wir uns damals, wo wir die Rundumbesetzung der Einsatzzentrale beschlossen haben festgelegt, dass der oder die diensthabende für die Zeit des zugeteilten Dienstes alle Befugnisse eines Institutsleiters inne hat. Zum anderen erschien mir die Sachlage sonnenklar, um mal ein vampirfeindliches Bild zu gebrauchen, dass ich Mrs. Bristol und Mrs. Brightgate die nötigen Handlungsvollmachten gab, ja auch Ellen McDuffy zur Unterstützung schickte. Nur weil die Damen und Herren im Ministerium außer Nancy Gordon nicht ihre Gesäße von den eingesessenen Stühlen zu lüften vermögen muss es doch nicht heißen, dass wir im bewährten Marie-Laveau-Institut seit neuestem nur noch dann handeln, wenn das Ministerium uns das erlaubt, bei Merlins Unterhosen. Wir müssen unsere Eigenständigkeit nicht nur erklären, sondern immer wieder beweisen. Das haben wir gestern getan, und dass wir Professor Dane und Professor Greyman dem Zugriff der neuen Vampirvereinigung entreißen konnten zeigt, dass das schnelle, klar entschiedene Eingreifen die einzig rrichtige Lösung war. Deshalb sah ich keinen Sinn darin, Sie, Mr. Davidson, aus dem wohlverdienten Schlaf zu reißen. Mehr ist von meiner Seite nicht dazu zu sagen. Wenn die anderen hier noch was einwerfen möchten ..." Alle schüttelten die Köpfe. "Für das Protokoll, keiner der Anwesenden wünscht einen weiteren Wortbeitrag zu leisten", diktierte Elysius. "Damit erkläre ich diese Dringlichkeitsvollversammlung für beendet. Bitte kehren Sie an Ihre Arbeitsplätze zurück!"
Der Leiter des Laveau-Institutes nahm die Flotte-Schreibefeder vom Pergament und räumte es fort. Kaum war es in seiner Aktentasche verschwunden klopfte es an die Tür. Davidson erstarrte. Alle Mitarbeiter waren hier, und nur wen Marie Laveaus Geist berührt hatte war im Stande, das Institut zu betreten. Aber der einzige nicht mitarbeitende Zauberer, der das Institut einmal betreten hatte war Julius Latierre. War der die ganze Zeit draußen vor der Tür gewesen? lauschen hatte er nicht können, weil der Raum ein dauerhafter Klangkerker war. Doch dass er offenbar den Weg zum Institut gefunden hatte verwunderte und beunruhigte Davidson.
"Kommen Sie herein, Mr. Latierre!" rief er. Alle wandten sich der Tür zu. Doch die blieb verschlossen. "Natürlich", knurrte Davidson und winkte mit dem Zauberstab. Jetzt würde an der Tür außen das Schild "Besprechung, nur bei dringenden Fällen klopfen" gegen "Herein!" ausgetauscht. Da ging die Tür auf. Auf der Schwelle stand eine mittelgroße, leicht untersetzte Hexe im geblümten Kleid und einem Strohhut auf dem Kopf. Alle kannten diese Hexe. Alle hier hatten in den letzten Monatenund Jahren mit ihrer gemalten Version gesprochen. Doch alle hier hatten gedacht, dass das Original mit der Verräterin Ardentia Truelane zusammen im damals fast sicheren Haus verbrannt war.
"Guten Morgen zusammen", grüßte Jane Porter in die ihr entgegenschweigende Grabesstille hinein. Die Anwesenden starrten sie an wie einen Geist, und womöglich dachte so mancher, es sei auch einer. Doch als Jane Porter einen Schritt in den Raum tat fiel ihnen auf, dass ihr Körper nicht perlweiß und größtenteils durchsichtig war wie bei einem Geist. Jane lupfte den Strohhut und winkte damit allen zu. Erst jetzt lösten sich die ersten Kollegen aus der Erstarrung. Zu ihnen gehörten Justine und Brenda. Jeff Bristol starrte weiterhin die Hexe im geblümten Kleid an. Diese ging nun langsam und mit Blick auf den hier anwesenden Viererrat und den Direktor auf den großen, rechteckigen Konferenztisch zu. Davidson ergriff als erster das Wort:
"Guten Morgen, Mrs. Porter. Für eine, die seit fünf Jahren tot ist sehen Sie sehr frisch und wohlgenährt aus", sagte er. Jeder hier konnte den Sarkasmus in seiner Stimme hören. Jane nahm das als wohl erwartete Begrüßung hin und sagte: "Ich erfuhr, dass Sie erst die Besprechung beenden wollten, weil das Thema zu wichtig ist, um noch länger unbeachtet zu bleiben."
"Mr. Hammersmith, prüfen Sie bitte die Identität dieser Hexe, bevor ich noch irgendwas sage, was unpassend erscheint", grummelte Elysius Davidson. Quinn Hammersmith erhob sich und entnahm seiner ihn auf allen Wegen hinterdreinfliegenden Ausrüstungstasche drei kleine Geräte und eine Pergamenttrommel. Mit den Geräten bildete er ein Dreieck und stellte mit einem Schlüssel etwas ein. Dann bat er die anderen, sich zu überzeugen, dass alle Zeiger auf 0 standen. Schließlich winkte er Jane Porter in das Zentrum des Dreiecks und stupste von außen eines der Geräte an. Es klickte, surrte, schnarrte und tickte. Dann, nach nur einer halben Minute, entglitt dem Schreibautomaten ein kurzer Pergamentstreifen. Quinn nahm ihn auf, las ihn und gab ihn seinem Chef zu lesen. Der gab den Zettel an die anderen Mitglieder des Viererrates. Sheena O'Hoolihan nickte verstehend. "Sie sind also wahrhaftig dem Tod durch die magische Feuersbrunst entronnen. Somit frage ich sie, Jane Porter: Wie gelang Ihnen das, wieso haben Sie Ihr Weiterleben vor uns verheimlicht und warum befinden Sie jetzt, Ihre scheinbare Totenruhe beenden zu müssen?"
Jane bestand darauf, dass nichts aufgeschrieben wurde. Als Davidson Anstalten machte, Feder und Pergament hervorzuholen schüttelte sie den Kopf. "Über mein Fortleben soll im Moment kein schriftliches Zeugnis abgelegt werden. Acdcio Identigrafstreifen!" Quinn wolte gerade den beschriebenen Pergamentstreifen fortpacken, als ihm dieser aus der Hand gerissen und zu Jane Porter hinübergewirbelt wurde. "Ich habe fundamentale Gründe für mein Totstellen und einen ebensolchen dafür, mich hier und heute wieder bei Ihnen zu zeigen, Ladies und Gentlemen", fuhr sie fort und versenkte den Pergamentstreifen in einer verschließbaren Tasche an ihrem Kleid. Als Davidson versuchte, es zurückzubeschwören blitzte es nur kurz rot und knackte. Mehr geschah nicht. "Elysius, Sie wissen doch, dass mein Kleid und mein Hut von niemandem per Aufrufe- oder Apportationszauber von mir weggeholt werden kann. Das gilt auch für alles, was ich im Kleid oder unter dem Hut aufbewahre", tadelte Jane Porter ihren Chef. Dann fuhr sie rasch fort, zu berichten, wie sie ihren Tod vorgetäuscht hatte und warum sie dies tat, vor allem, um ihre Angehörigen vor der Vergeltungswut der Wiederkehrerin zu schützen. Sie erwähnte, dass sie ein Intrakulum besaß und damit über Jahre hinweg als angeblich gemalte Kundschafterin wichtige Informationen ergattert hatte, Informationen, die ihr nicht gegeben worden wären, hätten alle gewusst, dass sie noch lebte. Dann beschrieb sie die neue Lage, dass in der Welt fünf mächtige Quellen der Dunkelheit an Macht gewönnen, die Abgrundstöchter, Vengor und seine Mörderbande, Die Vampire um die sogenannte schlafende Göttin, die Wergestaltigen und die Gruppierung Vita Magica. Die Wiederkehrerin und ihre Schwestern stufte sie als im Moment zu vernachlässigende, weil mit denselben Feinden und Problemen belastet ein. Was die Vampire und Vengor anging, so habe sie Kenntnisse erhalten, dass diese sich gegenseitig bekämpften, weil es um das Geheimnis der Unlichtkristalle ging, die durch vielhundertfachen, gewaltsamen Tod erzeugt wurden. Vengor sammele derweil weitere noch nicht enttarnte Todesser und Zauberer, die Tom Riddle alias Voldemort immer noch nachfolgen wollten, wäre er noch am Leben. Die Wertiger hielten sich zwar in ihrem indischen Dschungel zurück, stünden aber wohl mit gewöhnlichen Schwerverbrechern und den Werwölfen um die Mondbruderschaft in Verbindung. Die Abgrundstöchter hatten dadurch, dass vier von ihnen wiedererwacht waren erheblich an Macht hinzugewonnen. Ja, und dann sei da noch jenes goldene Wesen, das wie das Feuerschwert, mit dem Drachen beschworen werden konnten, aus dem alten Reich stammte und wohl darauf eingestimmt sei, die Weltordnung zu Gunsten der magisch begabten Menschen umzustoßen, wobei er Gewalt als legitimes Mittel dazu betrachtete. Sie schloss damit, dass die Vernichtung vieler Dementoren und deren Todesschrei nicht nur die jüngste schlafende Abgrundstochter und den goldenen Riesen geweckt hatten sondern noch andere davon aus tiefem Schlaf oder einem magischen Bann gerissen worden sein mochten. Zumindest hatte sie entsprechende Gerüchte über einen sogenannten Schattenträumer gehört, über den es womöglich im Orient noch niedergeschriebene Berichte gab. "Ich bin, falls Sie es so nennen möchten, von den Toten auferstanden, um mit Ihnen und den wenigen, die ich in mein Vertrauen ziehen konnte, gegen diese ganzen Bedrohungen vorzugehen. Ich riskiere einiges, dass ich jetzt hier bin, vor allem das Leben meiner Verwandten. Ich möchte deshalb keine schriftlichen Berichte über mein Weiterleben und bitte alle, von denen ich weiß, dass sie im Sinne des Institutes Kontakte zu magischen Gruppierungen und Behörden pflegen, keinem von denen zu sagen, dass ich nicht wirklich gestorben bin. Ich sehe es vor allem Ihnen an, Mr. Davidson, dass Sie mir jetzt alle Vorwürfe der letzten fünf Jahre auf einmal machen möchten. Aber dafür habe ich heute keine Zeit und Sie auch nicht. Was ich hier und jetzt möchte: Ich bitte Sie alle, mir zuzustimmen, dass der um Weihnachten 2000 kurzzeitig gepflegte Kontakt mit den Sonnenkindern wiederbelebt wird und dass wir ernsthaft danach trachten sollten, mit Gruppierungen wie der Bruderschaft des blauen Morgensterns oder den Töchtern des grünen Mondes in Verbindung zu treten, da diese Gruppen wesentlich älter sind als unser Institut und somit mehr Wissen und Erfahrung besitzen. Ich kenne die Vorbehalte auf allen Seiten, dass wir jungen Westler uns nicht in die Vorgänge aus uralten Zeiten einzumischen hätten und die nicht unsere Probleme lösen wollen und dass es immer noch eine Ablehnung von Hexen seitens der arabischen und persischen Zauberer gibt. Da sind die Chinesen und Japaner wesentlich aufgeschlossener. Wir müssen gegen eine weltweite Bedrohung mit einem weltweiten Bündnis vorgehen. Denn immer noch sind drei Wissenschaftler im Bereich der Lebenskunde und Züchtung und Bekämpfung von Krankheitserregern bedroht. Da wir laut internationaler Verträge außerhalb der USA und ihrer Schutzgebiete nur dort tätig werden dürfen, wo wir offiziell um Hilfe gebeten werden, brauchen wir ein weltweites Bündnis mit allen, die wie wir gegen dunkle Mächte kämpfen. Wenn Sie jetzt sagen, dass die Liga gegen dunkle Künste dieses Bündnis ist, so darf ich daran erinnern, dass in dieser auch Ministerialbeamte tätig sind, die nur dann offen gegen Bedrohungen vorgehen dürfen, wenn ihre jeweiligen Arbeitgeber die Gefahr dafür klar erkannt und alle dagegen wirksamen Mittel freigegeben haben. Sicher treten von ihnen auch viele gegen dunkle Bedrohungen an, wenn sie diese unmittelbar erkannt haben. Doch dabei müssen sie immer darauf achten, nicht erkannt zu werden. Die wenigen freischaffenden, die es gibt, können dann auch nur tätig werden, wenn sie von Auftraggebern oder Bundesgenossinnen und -genossen informiert werden, wie es bei Catherine Brickston aus Paris der Fall ist. Außerdem müssen wir endlich die Tatsache anerkennen, dass uralte Kreaturen und mächtige Zauberartefakte zum Vorschein kommen oder bereits aufgetaucht sind. Deshalb bin ich wiedergekommen, weil ich vor meinem Abschied von der Welt und während meines Exils in der Bilderwelt Leute kennenlernte, die Möglichkeiten haben, an altes Wissen zu kommen und die alten Straßen benutzen können." Alle sahen sie perplex an. Sheena O'Hoolihan blickte ihre Kollegin skeptisch an und wandte ein:"
"Jane, wir haben alle nach diesen alten Straßen von Atlantis gesucht und deshalb alle Orte geprüft, an denen natürliche Magie wirkt oder von Menschen magische Rituale durchgeführt wurden und teilweise noch werden. Es ist nichts dabei herumgekommen, was auf ein uraltes und weltumspannendes Wegesystem hindeutet. Gut, Die Anangu behaupten, dass an ihrem heiligen Berg Uluru so ein Tor sein soll. Aber es ließ sich nicht finden, geschweige denn öffnen, zumal die dort lebenden Anangu etwas gegen fremde Zauber haben, die ihre Götter und Wesen aus der Traumzeit verjagen oder erzürnen können."
"Gut, aber das Feuerschwert, die Schlangenmenschen und die grauen Riesenvögel, die schneller als der Schall fliegen können, gab oder gibt es. Also gab es wohl doch ein Reich vor Suma, Ägypten oder den Minoern. Ich kenne wenige Personen, die Zugang zu den alten Straßen haben und sie auch schon benutzt haben, um uns vor altem Übel zu bewahren, das wider aufleben wollte. Sie werden verstehen, welche Macht dieses Wissen birgt und dass die entsprechenden Leute daher keinen Wert auf große Öffentlichkeit legen." Davidson sah Jane jetzt sehr fordernd an.
"Wir wissen, dass die Sonnenkinder wohl auch Überbleibsel aus dieser Zeit sind und auch der Mitternachtsdiamant im alten Reich erschaffen wurde. Auch können wir nicht bestreiten, dass die neue Führerin der Spinnenshwestern wohl zu denen gehört, die dieses alte Wissen erworben haben."
"So ist es wohl", antwortete Jane Porter. "Daher ist es ja gerade wichtig, mit Ihnen unabhängig von irgendwelchen Turbulenzen im Zaubereiministerium zusammenzuarbeiten."
"Sie wissen, dass wir hier in den Staaten als eigenständige Institution nur solange weiterbestehen, solange wir dem Zaubereiministerium nachweisen können, dass unsere Tätigkeiten allen magischen Menschen in dessen Machtbereich nützen, Mrs. Porter. Außerdem will mir nicht in den Kopf, was dagegenspricht, uns oder zumindest einem von Ihnen auserwählten Kreis von Kollegen hier mitzuteilen, wer die Quellen zum alten Wissen kennt oder wo sie selbst zu finden sind."
"Natürlich will es Ihnen nicht in den Kopf, weil Sie nicht über den amerikanischen Tellerrand hinausdenken möchten, Mr. Davidson. Diese Leute haben erfahren, dass ihr Wissenund ihr Handeln den Lauf der gesamten Menschheit betrifft, nicht nur die Bürger der vereinigten Staaten von Amerika. Abgesehen davon ist es mir noch sehr gegenwärtig, dass Sie, Elysius, mich damals daran hindern wollten, wirksam gegen Hallitti vorzugehen. Sie nötigten mir ab, im Namen der Geheimhaltung keinem weiterzuerzählen, was ich über dieses Wesen herausbekommen habe, schon gar nicht diejenigen zu informieren, die unmittelbar davon betroffen waren. Damals ging ich noch davon aus, dass Sie nur deshalb so auf Poles Kurs waren, weil dieser Ihnen vorgehalten hat, die gesamte Zaubererwelt könnte aus den Fugen geraten, wenn das die Runde macht, dass eine uralte, machtvolle Kreatur zwischen den Menschen wütet und sich nicht vom Zaubereiministerium verwalten oder gar entsorgen lässt. Natürlich wäre Hallitti nicht vor dem Ausschuss zur Beseitigung gefährlicher Geschöpfe erschienen oder hätte sich diesem vorführen lassen. Aber ich war damals der Ansicht, dass es wichtig sei, möglichst alle zu informieren, die entweder unmittelbar betroffen waren oder tatsächlich wirksame Gegenmaßnahmen hätten anwenden können. Warum ich damals diesen Schweigeeid geschworen habe kann ich nur damit entschuldigen, dass mir zu dem Zeitpunkt das seelische Wohl des jungen Zauberers Julius Andrews am Herzen lag und ich nicht wollte, dass er sich wegen seiner Zauberkräfte schuldig fühlen muss. Erst Marie Laveau, der wir alle unsere Berufung verdanken, hat mich darauf gestoßen, dass es so nicht geht. Heute sind wir alle froh, dass der Spuk der Abgrundstochter Hallitti vorbei ist und sorgen uns, weil ihre damals noch schlafenden Schwestern mittlerweile wieder aufgewacht sind."
"Wo wir schon dabei sind, Mrs. Porter, wenn Sie wahrhaftig in den letzten fünf Jahren so viel erfahren haben, so sind Ihnen die Kinder Ashtarias wohl auch ein Begriff", setzte Davidson an. "Darf ich also schlussfolgern, dass Sie diese meinen, wenn Sie von Personen sprechen, die über das alte Wissen verfügen?"
"Über altes Wissen auf jeden Fall", sagte Jane. "Doch das bezieht sich wohl auf das von ihren Vorfahren überlieferte Erbe, das durchaus mehrere Jahrtausende zurückreicht, weiter als die Kulturen der Mayas und Inkas hier in Amerika."
"Wir haben seit Jahren versucht, mit diesen Kindern Ashtarias Kontakt zu bekommen. Wir sind aber immer daran gescheitert, dass diese sich und vor allem ihr Wissen nicht landesweiten Institutionen anvertrauen wollen, weil sie sich als Hüter eines alten, guten Erbes sehen, dass allen bedrohten Menschen gehört und nicht einem einzigen Volk. Ich weiß, dass der von Ihnen erwähnte junge Zauberer Julius Latierre, damals noch Andrews, durch seine Begegnung mit Hallitti in den Kreis dieser Kinder Ashtarias aufgenommen wurde. Er will das dabei erworbene Wissen jedoch nicht weitergeben, weil ihm ein magischer Eid abgenommen wurde, nichts von dem, was er weiß von sich aus an andere weiterzugeben, ohne dabei sein vollständiges Gedächtnis zu verlieren. Jetzt will niemand nachprüfen, ob dies stimmt, weil der junge Zauberer mit dem, was er weiß und kann im Vollbesitz seiner Erinnerungen nützlicher ist als ohne seine Erinnerungen. Gilt das dann auch für die anderen, uns nicht bekannt gewordenen Kinder Ashtarias?" wollte Davidson wissen. Jane Porter wiegte den Kopf und schien zu überlegen. Dann sagte sie: "Womöglich mussten sie alle bei ihrer Initiierung schwören, eher das Leben zu lassen als jemandem, der nicht das Vertrauen ihrer Urmutter hat, ihr altes Wissen zu verraten. Bei Julius Latierre ist wohl nur deshalb das bisherige Gedächtnis betroffen, weil er kein geborener Sohn aus dieser alten Blutlinie ist. Er könnte dann im Zweifel durch den Infanticorpore-fluch oder einen Verjüngungstrank auf die körperliche Stufe eines Neugeborenen zurückgeführt werden und erneut aufwachsen. Das ist wohl der Gnadenakt, den ihm die Kinder Ashtarias zugebilligt haben." Alle hier sahen sie erst verunsichert an, mussten dann aber nicken. Jane blieb nach außen hin ungerührt. Nur sie wusste, wie sehr sie sich beherrschen musste, ihre Überlegenheit nicht zu zeigen, diesen genial zugepassten Quod in den Pot gebracht zu haben oder noch besser, einen hartnäckigen Gegner durch Quodexplosion in seinen Händen aus dem Spiel hinausgeknallt zu haben.
"Sie erwähnten aber nicht die Kinder Ashtarias als die Personen, die über das uralte Wissen verfügen, weil Sie sie gleich vorhin auch als solche benannt hätten", erwiderte Davidson nach kurzem Überlegen. "Dann kennen Sie noch mehrere Leute, die Zugang zu diesem alten Wissen haben?"
"Das erwähnte ich", erwiderte Jane ruhig. Offenbar hatte sich Davidson doch nicht aus der Partie knallen lassen. "Dann verstehe ich es nicht, warum diese Leute nicht mit den für solche Sachen zuständigen Ministerialbeamten in Verbindung treten."
"Wer sagt Ihnen, dass dies nicht passiert? Oder gehen Sie davon aus, dass die betreffenden Personen alle US-Amerikaner sind?" konterte Jane Porter. Das rief ein erheitertes Grinsen auf alle Gesichter. "Die Zaubereiministerien in anderen Ländern haben genauso ihre obersten Geheimhaltungsstufen wie das von uns und hüten ihnen zugegangene Informationen entsprechend. Wie anfangs erwähnt gelangte ich auch nur deshalb an diese Informationen, weil alle Welt mich für tot und begraben hält. Wenn Sie jetzt losziehen, um entweder nach diesen Leuten zu suchen oder gar dem Zaubereiminister auf die Nase binden, dass ich noch lebe und dass ich den Schlüssel zum Tor von Atlantis in der Hand habe, was meinen Sie dann, was dann passiert? Das kann ich Ihnen sagen, Sie werden sich wünschen, sich ebenfalls für tot erklären zu lassen, weil Sie nirgendwo in der Welt mehr sorglos herumlaufen können, ohne Furcht zu haben, dass irgendwelche Ministerialzauberer oder die Hüter des alten Wissens Ihnen nach Freiheit oder Leben trachten. Gut, wir alle hier haben uns verpflichtet, gegen das Böse zu kämpfen und leben deshalb alle in ständiger Gefahr, gefoltert, verstümmelt oder getötet zu werden. Aber wir alle hier haben mehr Angst um das Wohl unserer Angehörigen. Ich hoffe sehr, dass Sie bedenken, was Sie Ihren Geschwistern und deren Kindern zumuten, wenn Sie als der am meisten gejagte Zauberer auf den Fahndungslisten aller Ministerien stehen. Weil ich nicht will, dass das passiert, behalte ich mein Wissen für mich. Einer Toten kann man nichts mehr antun, was auch heißt, dass ihre Angehörigen in Ruhe gelassen werden. Ach ja, und bevor Sie mir jetzt entgegenhalten, dass Sie alle hier von meinem Weiterleben wissen und so mich hier und jetzt mit dem Leben oder der Freiheit meiner Angehörigen bedrohen möchten weise ich Sie auf unseren Eid hin. Der sagt, dass jeder von uns sich verpflichtet, das Wohl und den Frieden aller unschuldigen Menschen gegen alle dunklen Kräfte, Geister oder Lebewesen zu schützen und zu verteidigen. Bedrohen Sie mich oder meine Angehörigen, brechen Sie diesen Eid. Lassen Sie sich von einem Zaubereiministerium einspannen, in seinem Interesse nach altem Wissen zu suchen, ohne sicherzustellen, dass es damit keinen Missbrauch treiben kann, brechen Sie diesen Eid. Deshalb bestand und bestehe ich im Namen meiner noch lebenden Angehörigen und Freunde darauf, niemandem von meinem Besuch zu erzählen." Jane ließ sich nicht anmerken, ob sie es genoss, dass die Anwesenden außer Davidson betroffen bis abbittend dreinschauten. Der Direktor sah Jane wieder anund sagte:
"Sie wollen, dass wir mit den Sonnenkindern Kontakt aufnehmen und mit Ihnen zusammen gegen die bestehenden Bedrohungen kämpfen, ohne das Ministerium einzuweihen. Wir haben dies nur gemacht, weil die Sonnenkinder uns ihre Mithilfe angeboten haben. Und ich persönlich hatte sehr starke Bauchschmerzen, als mir bekannt wurde, dass Patricia Straton nicht gestorben ist, sondern dieser Gruppierung beigetreten ist. Welchen Preis sie dafür zu entrichten hatte weiß ich nicht. Doch dass ihr Täuschungsmanöver einem Ministeriumsbeamten das Leben gekostet hat dürfte sich auch bis in Ihr Exil herumgesprochen haben, werte Mrs. Porter. Ich kann und werde nicht gegen das Ministerium konspirieren, indem ich eine Person als verlässliche Partnerin akzeptiere, deren Vorleben sehr zweifelhaft war und deren Täuschungsmanöver ein unschuldiges Menschenleben gefordert hat. Nein, das fällt mir nicht ein, und noch bin ich hier der Direktor."
"Ja, sie hat sich totgestellt, so wie ich. Vielleicht war sie damals schon im Zweifel, was ihr Vorleben angeht. Vielleicht wurde sie auch von ihrer damaligen Anführerin gefangengehalten, die wohl dachte, sie habe nützliches Wissen ihrer verstorbenen Mutter geerbt. Womöglich wollte jemand gegen ihren Willen in die Welt setzen, dass sie tot ist, weil wir damals nach einer Schwester Patricia gesucht haben, die für die Spinnenschwestern gearbeitet hat. Durch das Täuschungsmanöver wurde uns allen die Suche erleichtert und gleichzeitig für sinnlos verkauft. Wie und wann sich Ms. Straton von den Spinnenschwestern lossagen konnte oder gar von ihnen verstoßen wurde weiß ich auch nicht. Ich weiß, dass Anthelia eine geraume Zeit nicht in den Staaten war und dass sie jetzt mit dieser Magierin verschmolzen ist, die fast ein Jahr lang als schwarze Spinne in Australien herumgelaufen ist. Wir hatten es ja schon davon, dass diese Verschmelzung uralte Kenntnisse besitzt. Da Patricia Straton zu dem Zeitpunkt schon für tot erklärt war hat diese wohl die Gunst der Stunde genutzt, um ihr bisheriges Verhalten zu überdenken. Ja, und welchen Preis ihre Abkehr von Anthelia und ihre Hinwendung zu den Sonnenkindern kostete oder noch kostet weiß ich ebensowenig wie Sie alle hier. Ich weiß nur, dass längst nicht jeder, der oder die den eigenen Tod vortäuscht, dies freiwillig tut, sondern immer einen gewichtigen Grund hat, nicht wahr, Mr. Bristol?"" Dabei sah sie Jeff Bristol an, der schlagartig rot anlief. "Kommen Sie mir jetzt also bitte nicht weiter damit, dass wir nur deshalb nicht mehr mit den Sonnenkindern zusammenarbeiten dürfen, weil Sie sich nicht gegen das Ministerium verschwören möchten. Wenn Sie wirklich für die Eigenständigkeit unseres Institutes eintreten, dann müssen Sie auch für die Selbstständigkeit dieses Institutes eintreten. Selbstständigkeit heißt, dass Sie befinden, was richtig und wichtig ist, um den von uns allen geleisteten Schwur zu erfüllen, für alle unschuldigen Menschen, nicht nur Zauberer und Hexen und nicht nur jenen in den vereinigten Staaten von Amerika."
"Ich gebe Ihnen eine Chance, mir zu beweisen, dass Ihre Loyalität dem Institut gegenüber ungebrochen ist, Jane. Schreiben Sie mir eine Liste mit den Namen derjenigen, von denen Sie wissen, dass Sie zugang zum Wissen aus dem alten Vorreich haben und geben Sie sie mir, wenn Sie schon nicht allen hier im Raum vertrauen", sagte Davidson.
"Ich habe Ihnen allen erklärt, warum ich dies nicht tun werde. Ich bin durchaus bereit, für das LI mit diesen Leuten in Kontakt zu bleiben. Aber die Namen werden Sie nicht von mir erfahren, Mr. Davidson."
"Dann kann ich dies nur als letzten und entscheidenden Akt der Insubordination werten, nachdem Sie damals schon gegen meine Anweisungen verstießen und den jungen Zauberer Julius Andrews in ein streng gehütetes Geheimnis einweihten und offenbar, wie aus den Berichten über das letzte trimagische Turnier in Beauxbatons hervorgeht, auch hier erlernte und nur für das Institut verfügbare Zauber an Ihre Enkeltochter Gloria Porter weiterverrieten", schwang Davidson nun die schwerste Keule die er schwingen konnte. Alle hier sahen Jane Porter vorwurfsvoll an. "Daher verbleibt mir nur, Ihnen die fristlose Entlassung aus den Diensten des Marie-Laveau-Institutes auszusprechen. Ihre Rechte an Eigentum, Wissen und Personal dieses Institutes werden Ihnen hiermit entzogen. Ihren Zauberstab bitte!""
"Weder den Stab, noch mein Gedächtnis, Elysius Davidson", sagte Jane Porter und hielt unvermittelt ihren eigenen Zauberstab fest in der Hand. "Abgesehen davon darf nur Marie Laveaus Geist befinden, ob ich noch Zutritt zu diesen Räumen haben darf oder nicht. Das wissen Sie. Ich erinnere da an Mario Dinoso, der von Ihrer Vorgängerin Eloise Glabion entlassen und seines Gedächtnisses beraubt wurde, dieses aber von Marie Laveaus Geist wiedererhielt, weil er noch was wichtiges hier zu tun hatte. Also werde ich jetzt in Ruhe nach New Orleans reisen und dort am Grab von Marie Laveau warten, ob sie mich wahrhaftig nicht mehr hier haben will. Falls sie mich entlassen will sehen wir uns danach nicht wieder. Denn mein Gedächtnis behalte ich." Davidson riss blitzschnell seinen Zauberstab hoch. "Obleviate Totalum!" doch zwischen ihm und Jane stand unvermittelt eine weiße Lichtwand, die wie ein großer Gong dröhnte, als Davidsons Zauber daraufprallte. Er zuckte zusammen wie von einem unsichtbaren Blitz getroffen. Dann fiel er zu Boden und konnte von Glück reden, dass hier ein weicher Teppich lag. Alle starrten ihn an, während die weiße Wand zu einer weißen Säule wurde, die sich um Janes Körper bog und sie vom Boden bis zur Decke einschloss. Die anderen standen von ihren Stühlen auf und eilten zu Davidson, der gerade die Beine anzog und die Knie fast bis zum Kinn brachte. Seine Arme legten sich über Bauch und Brust. Sein Gesicht war völlig entspannt. Sein Atem schien langsamer zu gehen. Seine Augen öffneten und schlossen sich, ohne dass sie irgendwas oder irgendwen genau anblickten. Sheena sprach ihn an. Er reagierte nicht. Louis Anore, der Inuitschamane, baute sich neben Davidson auf und begann einen Singsang aus der magischen Welt seiner Heimat. Sandy Clackton, eine mit hoher Intuition begabte Hexe aus Miami, deren Mutter eine mächtige Mambo war, betrachtete ebenfalls den Direktor und horchte in sich hinein. Dann nickte sie mit einem erleichterten Lächeln auf dem dunkelbraunen Gesicht. Foster Douglas, Halbmuggelstämmiger Sohn eines im zweiten Weltkrieg gefallenen Piloten, nahm behutsam seinen Zauberstab zur Hand. Louis sagte dann: "Ihm geht es gut. Aber offenbar macht seine Seele gerade eine schnelle Reise durch sich selbst. Mehr kann ich nicht sagen, weil hier kein Legilimentikzauber geht."
"Ich merke auch, dass er nicht verletzt ist, sondern ganz jung. Er wächst aber wieder", sagte Sandy Clackton. Sheena seufzte. Dann nickte sie und deutete auf Jane:
"Sie haben den Weißen Spiegel beschworen und zu einer Säule um sich geformt. Alle Achtung, Jane. Das kann ich leider nicht, auch wenn ich als Mutter und Großmutter schon genug Leibes- und Seelenkraft in diese Welt gebracht habe, um ihn wirken zu dürfen."
Aus dem inneren der weißen Lichtsäule sprach Jane mit leicht umgekehrt widerhallender Stimme: "Das war ich nicht allein, Sheena. Offenbar haben die von Marie und unseren Vorgängern in diesem Gebäude errichteten Zauber mitgeholfen, mich vor Angriffen von Kollegen zu schützen. Ihr wisst ja alle, dass kein Kollege einen anderen Kollegen in diesem Raum mit einem Fluch angreifen kann. Dass ich da schon den weißen Spiegel vorbereitet hatte verstärkte diesen Schutz noch mehr. So wie das aussieht stecke ich aber jetzt in dieser weißen Säule fest, bis mein Gegner mindestens außer Sicht ist, wenn nicht sogar außer Rufweite. Auch keine feine Sache."
"Jetzt könnten wir Sie dort hübsch eingeschlossen stehen lassen, bis Sie uns verraten, was Elysius Davidson wissen wollte", sagte Sheena O'Hoolihan mit verschmitztem Grinsen. "Aber ich fürchte, dann würden Sie hier verhungern und damit Maries gerechten Zorn über uns alle hereinbrechen lassen. Da ich jedoch verstehen kann, was Sie umtreibt verzichte ich darauf. Mia, kannst du Mr. Davidson untersuchen?" wandte sie sich an eine zierliche Hexe mit flachsblondem Haar. Diese trat vor und zielte mit dem Zauberstab auf den Direktor. "Vitalis revelio!" murmelte sie. Nun konnten sie und alle anderen eine bläulich-grüne Aura erkennen, die jede Stelle und jedes Körperanhängsel des Direktors umgab. Sie zeigte auch, wo die Lebensvorgänge abliefen und wie stabil und stark sie waren. So konnte jeder erkennen, dass Davidsons Herz gerade mit 200 Schlägen pro Sekunde schlug, er aber nicht davon gefährdet wurde. Sein Atem ging flach und langsam. Was wirklich außergewöhnlich war war die zu einem weit in den Raum reichenden Strahlenkranz geformte Zone um seinen Kopf. Es sah so aus, als entlüden sich in seinem Gehirn hunderte von Blitzen. Jane ahnte, was passiert war, und die anderen auch. So hatte sie das eigentlich nicht gewollt, dachte Jane.
"Der weiße Spiegel hat den Totalen Gedächtnislöscher zu einem totalen Gedächtnisverstärker gemacht. Offenbar muss er jetzt das ganze bisherige Leben vom Mutterschoß bis heute nacherleben, bevor er wieder frei denken kann", sagte Mia Silverlake, deren Vater aus Australien stammte. Sie war aprobierte Heilerin und hatte vor zehn Jahren die Nachfolge des residenten Heilers angenommen."
"Deshalb die Fötushaltung. Öhm, sein Herz hält das Tempo aber nicht mehr lange aus", meinte Justine Bristol.
"Er hat keinen überhöten Blutdruck. Sein Herz dehnt sich gerade soweit, dass es den üblichen Blutfluss regelt. Womöglich ist das ähnlich dem Velociactus-Zauber, der die eigene Körpergeschwindigkeit vervierfacht", sagte Mia Silverlake. "Um Sicherzugehen, dass ihm nichts weiteres passiert möchte ich ihn aber ins HPK bringen."
"Erlaubnis erteilt", sagte Sheena O'Hoolihan, die nach Davidson Dienstälteste hier.
Als Mia zusammen mit Jeff und zwei weiteren Kollegen den Direktor aus dem Konferenzraum befördert hatte sagte Sandy Clackton: "Der weiße Spiegel hat den Gedächtnislöschzauber wie einen Fluch zurückgeworfen. Dabei geht Obleviate doch im Haus."
"Obleviate Totalum ist heftiger, Sandy. Er löscht das komplette Gedächtnis einer Person aus, ist also so zu sehen wie Avada Kedavra gegen den Körper, also ein Vernichtungszauber gegen den entwickelten Geist eines Menschen. Je länger sich das Gedächtnis hat bilden können, desto schwerwiegender ist dieser Zauber."
"Leute, ihr dürft mir glauben, dass ich das auf keinen Fall wollte. Aber mich verfluchen zu lassen fiel mir auch nicht ein", sagte Jane.
"Was wäre passiert, wenn er den Todesfluch gemacht hätte, Sheena?" fragte Brenda Brightgate die im Moment amtierende Leiterin.
"Das weiß keiner, weil das noch keiner gewagt hat. Aber weil der weiße Spiegel alles fünffach zurückwirft, was den vom ihm beschützten schaden soll, könnte sich jemand damit wie mit fünffachem Infanticorpore-Fluch selbst aus der Welt fluchen aber irgendwo von irgendwem wiedergeboren werden, wobei die Frage ist, ob in vierzig Wochen oder in der fünffachen Zeit des eigenen Lebens. Aber wie erwähnt weiß das keiner und wird auch niemand mit gesundem Verstand ... Ja, wird keiner ausprobieren."
In diesem Moment erlosch die weiße Lichtsäule. Offenbar war Davidson jetzt weit genug fort. Jane trat einen Schritt nach vorne. Sie nickte allenzu und wandte sich dann an Sheena O'Hoolihan: "Sheena, wenn du Elysius beipflichtest, dann suche ich jetzt Marie Laveaus Grab auf. Oder soll ich sie herrufen?"
"Das mache ich", erwiderte die irischstämmige Hexe. Sie verfiel in eine konzentrierte Haltung und blieb einige Zeit so. Dann schrak sie heftig zusammen und erbleichte. Dann lief sie knallrot an. Erst nach fünf Sekunden hatte sie sich wieder soweit im Griff, dass sie was sagen konnte. "Marie hat mir regelrecht in den Kopf geschrien, was uns einfiele, eine so wertvolle Gelegenheit zu vergeben und gegen die von ihr schon lange vorhergesehenen Bedrohungen ankämpfen und dass Elysius zu weit gegangen sei und er deshalb die gerechte Strafe erhalten habe und ich selbst von ihr geholt und in den Körper einer Straßendirne eingeschlossen würde, bis die mich als Tochter von einem englischen Seemann wiedergebiert, wenn ich Jane zumindest nicht die Möglichkeit ließe, den Schaden zu verringern, den Elysius angerichtet hat."
"Was heißt das nun für mich, Sheena?" fragte Jane. "Kann ich mit euch die Sonnenkinder kontaktieren oder nicht?"
"Ich fürchte, in zwei Punkten hat Elysius recht, Jane. Da wir nicht wissen, ob und wie genau Patricia Straton sich den Sonnenkindern zugewendet hat und ob das Ministerium nicht doch dahinterkommen würde, wenn wir den Kontakt dauerhaft erhalten kann ich nur soweit gehen, dich zu bitten, mit denen, deren Namen du nicht sagen willstt und mit den Sonnenkindern in Kontakt zu bleiben. Öhm, wissen die betreffenden, dass du noch lebst?"
"Einige ja, andere nicht", erwiderte Jane. Das schien Sheena zu missfallen, dass Jane sich ihnen jetzt erst offenbart hatte. Doch dann beruhigte sie sich wieder. "Gut, entlassen dürfen wir dich nicht. Aber wir dürfen im Moment von uns aus keinen Kontakt mit den Sonnenkindern suchen. Wenn die uns kontaktieren wollen könnten wir es aber einrichten, dass wir uns an einem neutralen Ort treffen. Das aber nur unter dem Vorbehalt, dass Direktor Davidson nicht wieder zurückkehrt oder dem seine Zustimmung geben muss, wenn er wieder da ist." Jane verstand. "Gut, Sheena, dann werde ich einstweilen weiterhin auf Solopfaden wandeln. Hat mich gefreut, euch alle noch mal wiederzusehen. Öhm, und euch zweien wünsche ich ein schönes langes Leben und mehr freude als Leid mit dem kleinen Bristol, Just!" wandte sie sich an Justine.
"Danke, Jane, ich bin erleichtert, dass du doch noch da bist", sagte Justine ohne Anflug von Heuchelei. "Wenn ihr das Ivy, Paolo oder Tessa weitergebt kommt es bei mir an, was mit Elysius wird. Ich hoffe mal nicht, dass er Anzeige gegen mich erstattet."
"Dann werden wir alle bezeugen, dass du in Notwehr gehandelt hast, weil der totale Gedächtnislöschzauber echt ein unumkehrbarer Schadenszauber ist", sagte Sandy Clackton.
Jane winkte allen zum Abschied und verließ den Konferenzraum. Brenda wartete, bis die Tür zuging und sagte: "Ich weiß nicht, was ihr jetzt vorhabt, aber ich schreibe jetzt einen Bericht über die Sache mit den zwei Wissenschaftlern und dass wir die drei anderen unbedingt schnellstens absichern müssen. Ich hoffe nur, die wurden nicht schon kassiert. Dann hätte Jane die durch ihren Auftritt auf dem Gewissen."
Julius las am 29. September drei Berichte im Arkanet, die ihn sichtlich erschütterten.
Der eine Bericht stammte von Brenda Brightgate, die erwähnte, dass die Unentschlossenheit des amerikanischen Zaubereiministeriums dazu geführt habe, dass beinahe zwei hochrangige Wissenschaftler entführt oder gegen ihren Willen zur Preisgabe von Geheimnissen getrieben werden sollten. Die für das Laveau-Institut und für die CIA tätige Hexe erwähnte in dem Zusammenhang auch, dass es nun amtlich sei, dass die neue Vampirvereinigung einen Weg suche, auch mit magielosen Methoden das Vampyrogen neu zu erstellen und daher anzuraten sei, sämtliche Wissenschaftler unter magischen Schutz zu stellen. Das LI böte hierfür die bereits erprobten Vampirblutresonanzkristalle an. Die Kristallstaubvampire seien durch die Schreie auf natürliche Weise geborener Menschenkinder zu schwächen, was aber auch bei mehr als fünf schreiender Babys zugleich eine schlagartige Zersetzung eines Kristallstaubvampirs bewirken könne.
Bericht Nummer zwei war eine beinahe zeitgleich ins Arkanet gestellte Mitteilung, dass jene Quelle, die von der Bedrohung der fünf Wissenschaftler berichtet hatte, nicht tatenlos abwarten wollte, bis jemand aus einem der betroffenen Zaubereiministerien bereit sei, die bedrohten Muggel zu beschützen. Daher hätten die außerhalb der Ministerien in diesen Vorgang eingeweihten ihre weltweiten Verbindungen bemüht, die bedrohten Wissenschaftler zu schützen. Wegen der Unentschlossenheit der Ministerien wäre das beinahe nicht mehr möglich gewesen. So seien Henri Legras, Malcolm Evans und Takeshi Hiromitsu nur deshalb noch am Leben und würden so schnell nicht zum Instrument einer neuen Vampirifizierungspest werden, weil die Vertrauten jener Quellen sich ihrer angenommen und sie an einen sicheren Platz gebracht hatten. Wo dies sei werde den zuständigen Zaubereiministerien dann bekanntgegeben, wenn die Bedrohung beseitigt war. Für die Welt der Magielosen lebten die betrorfenen Forscher weiter, da ihnen das Marie-Laveau-Institut dankenswerter Weise aufgezeigt habe, wie dies vollbracht werden könne. Unterschrieben war dieser Bericht mit "die Entschlossenen". Julius fügte dieser Signatur noch den Begriff "Schwestern" hinzu. Denn so nannten sich die sogenannten Nachtfraktionärinnen aus dem Hexenorden der schweigsamen Schwestern.
Der dritte Bericht drehte sich um den durch Vita Magica körperlich wiederverjügten Milton Cartridge. Hierzu hatte das US-amerikanische Zaubereiministerium ein Schreiben erhalten, das nicht von Hand, sondern auf einer echten Schreibmaschine verfasst worden war. Das Schreiben war dann vom Schreibknecht in der Computerabteilung des Zaubereiministeriums, also einem direkten Berufsgenossen von Julius, abgetippt worden. Es bestand aus drei Seiten Text, wo die Gruppierung ihre uralte Tradition der Wahrung magischen Lebens erläuterte, dass sie an sich keine Bedrohung für magische Menschen darstelle und muggelstämmige Hexen und Zauberer ausdrücklich als willkommene Auffrischung des magischen Erbgutes begrüßte, aber eben gegen den Wildwuchs der nichtmagischen Bevölkerung vorgehen müsse und hierfür die willigen unter den magischen Menschen unterstützt wurden, Kinder zu bekommen, wo sie vorher oder seit langer Zeit keine Kinder bekommen hatten und die unwilligen, die sich ihrer arterhaltenden Verpflichtung entziehen wollten, durch größtenteils gewaltlose Mittel zur Mitwirkung am Fortbestand und der Vermehrung der magischen Menschheit geleitet würden. Dies, so die Gruppierung, sei kein Verbrechen, sondern eine "heilige Pflicht", eine "das magische Leben bewahrende Notwendigkeit". Nach dem ganzen Rechtfertigungstext ging es dann endlich um Cartridges Verwandlung und dass er, wenn er es wage, sich wieder erwachsen zaubern zu lassen, bald schon wieder in Windeln und Wiege liegen würde, aber dann keine fürsorgliche Ehefrau ihm Milch und Geborgenheit geben würde, sondern eine der "altehrwürdigen Gesellschaft" treu ergebene Amme und Ziehmutter. Gleichzeitig stellten sie dem amtierenden Minister oder seinem Nachfolger in Aussicht, ihm oder ihr diese Ehre angedeihen zu lassen, wenn nicht endlich alle gegen die "es nur gut meinende Gesellschaft" gerichteten Handlungen und Vorhaben beendet würden. Da der Gruppe bekannt war - woher auch immer -, dass das Zaubereiministerium mit anderen Zaubereibehörden in magielosem Wissensvermittlungsnetzwerkkontakt stand dürfe dieses Schreiben gerne auch an diese weitergeleitet werden. Die im Falle einer Fortsetzung der Fahndung oder gezielter Aktionen gegen Vita Magica verhängte Rückverjüngungsankündigung sei dann eben auch für die anderen Zaubereiminister und -ministerinnen gültig. Unterschrieben war der Brief mit Mater Vicesima und Pater Decimus Sixtus. Dem fügte die den Brief für das Arkanet einstellende Nancy Gordon noch hinzu: "Offenbar zeigen unsere Bemühungen Wirkung, den Einfluss und die Machenschaften von Vita Magica einzudämmen, weil sonst keine so deutliche Drohung erhoben worden wäre. Zwar müssen wir sie wohl ernstnehmen, sollten aber im Sinne einer freien und eigenständig lebensberechtigten Zauberer- und Hexengemeinde nicht nachgeben, diesen Umtrieben Einhalt zu gebieten. Selbst wenn ich nach dem Schreiben dieser Zeilen morgen schon mit Schnuller im zahnlosen Mund herumkrakehlen mag rufe ich Sie alle da draußen im Arkanet dazu auf, kein Raum für Vita Magica!"
Julius druckte alle drei Berichte für die Akten aus, wobei er sowohl für Belles Büro, die Strafverfolgungsbehörde und die Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit Kopien machte.
"Darf Frau reinkommen?" fragte eine ihm bekannte Stimme vom Eingang zum Computerraum her. Julius gestattete es. Nathalie Grandchapeau trat unsichtbar ein, da sie im Moment ja nicht im Ministerium gesehen werden durfte. Sie schloss die Tür und verriegelte sie, auch wenn die Tür durch einen simplen Öffnungszauber wieder aufgesperrt werden konnte. Julius deutete auf einen freien Schreibtischstuhl. Gerade spuckte der Laserdrucker Nancy Gordons Bericht und den Brief von VM aus. Der Stuhl rollte einige Dutzend Zentimeter zurück. Die Sitzfläche wurde nach unten gedrückt. Dann rollte der Stuhl ein wenig nach vorne. Jetzt wurde Nathalie sichtbar. Sie trug ein scheinbar enges Kleid. Aber das war sicher jenes Umstandsverhüllungsgewebe. "Schön, darf ich wieder ein paar minuten schlafen, wo Maman den Bauch wieder dunkel gemacht hat", quäkte die Stimme eines kleinen Jungen von Nathalie her. Die erwähnte grinste. Dass sie eigentlich ein mondrundes Gesicht hatte sah ihr im Moment keiner an, nur die Kette, die sie fortsteckte war gerade zu sehen.
"Dann schlaf gut, Kleiner", sagte Nathalie mit tiefer Stimme und löste das um ihren Unterbauch gebundene Cogison.
Als sie alle Berichte gelesen hatte meinte sie: "ich gebe dieser Nancy Gordon recht. Offenbar haben diese Leute tatsächlich Probleme, ihre Machenschaften ungestört fortzusetzen. Und was hältst du von der Sache mit den Wissenschaftlern?"
"Dass wir, also die Ministeriumsmitarbeiter, echt voll blamiert sind. Die haben uns diese Liste mit den fünf Namen zugespielt und damit riskiert, dass deren Kontakt bei den Vampiren auffliegt. Wir hätten dem nachgehen und zumindest Sicherungsmaßnahmen ergreifen können. Hat Ihre Tochter übrigens vor drei Tagen noch laut verkündet, dass sie endlich die nötige Freigabe haben will, wenn es um den Belgier geht. Aber der belgische Zaubereiminister hat das ganze für einen Fake, öhm, eine bewusste Täuschung gehalten. Kennt man im Internet übrigens auch. Da wird dann behauptet, eine Nachricht mit dem Betreff XY enthalte ein Virus oder einen Wurm, der sich durch sämtliche Rechner ... Moment mal! Da fällt mir doch glatt was ein. Unsere gemeinsame Kollegin Martha Merryweather hat denen, die ein wenig mehr Ahnung von Rechnern und dem Internet haben ein nettes Werkzeug zugedacht: IP-Du. Damit können anhand der Internetprotokolladressen, also der Anschriften eines im Internet laufenden Rechners, die echten Adressen ermittelt werden, also an welchem Netzwerkknoten der betreffende Rechner hängt. Der kann vor allem prüfen, wer sich in unser Arkanet eingehackt hat. Denn das ist wohl klar, dass jemand echte Zugangsdaten benutzt hat. Gleich kriege ich euch."
Julius rief noch einmal den Brief der sogenannten Entschlossenen auf und wählte im Kontextmenü das Symbol eines roten Fragezeichens auf einem weißen Haus mit rotem Dach an. Dann ließ er das Programm durchlaufen. Es ermittelte innerhalb von Millisekunden die Arkanetschnittstelle und davon ausgehend die Internetprotokolladresse. Dann erschien ein Globus im Bildschirmfenster, der sich erst schnell drehte, dann immer langsamer wurde und dann immer größer wurde, bis mit einem vernehmlichen ZweitonPling eine Häuserzeile zu sehen war, über deren mittlerem Haus ein rotes Schild schwebte: "Hotel zum heißen Draht, Essen, Trinken, Bett und Internet für Welt- und Geschäftsreisende John-F.-Kennedy-Flughafen New York" Julius nickte verdrossen. Doch dann las er noch, dass der Zugriff über die Arkanetadresse eines Randolph Sandhearst erfolgte. Sandhearst, der kommissarische Zaubereiminister? Julius musste den Namen mehrmals lesen. Hatte der echt Zugangsdaten?
"Öhm, wusste nicht, dass der kommissarische Zaubereiminister der USA eine schweigsame Schwester ist", grummelte Julius. Nathalie, die seine Computerzauberei schweigend und interessiert verfolgt hatte fragte halblaut:
"Vergibt deine Mutter die Zugangsschlüssel?" Julius verneinte das. Wenn das Arkanet einmal eingerichtet war konnte der zuständige Systemadministrator nach seiner Anmeldung den Nutzer festlegen. Also brauchte jemand entweder die Administratorberechtigungen oder die Zugangsdaten des Nutzers persönlich. Er erinnerte sich daran, dass am 26. April jemand mit Nathalies Zugangsberechtigung ins Arkanet gewollt hatte, die da aber schon wegen Euphrosynes Supersegens nicht mehr gültig war. Er wollte Nathalie nicht direkt darauf ansprechen, räumte jedoch ein, dass die von seiner Mutter entwickelten Sicherheitsvorkehrungen leider mal wieder am größten Unsicherheitsfaktor scheitern würden, dem Umgang des Nutzers mit seinen oder ihren Daten.
"Will sagen, das Arkanet ist nicht so sicher wie deine Mutter es sich vorgestellt hat?" fragte Nathalie.
"Sicher vor zufälligem Auffinden aus dem freien Internet heraus schon. Wer da rein will muss erst einmal wissen, dass es existiert. Dann muss er oder Sie wen kennen, der oder die entweder die Administratorzugangsdaten und die rechnerinterne Bezeichnung besorgen kann oder die entsprechenden Einzelnamen und Passwörter der angeschlossenen oder noch anzuschließenden Nutzer. Dann müssen dem Nutzer noch seine Rechte zugewiesen werden, also ob er das Recht hat, Daten zu lesen, ob er sie verändern darf oder ob er Kopien davon machen oder sie löschen, also vernichten darf. Ist das alles geklärt kann jemand im Arkanet wie auf einer kleinen Insel im weltweiten Internet herumwerkeln. Gut, ich mach mal eine Logbuchdatei aus den ermittelten Daten und schicke die mit Hoher Wichtigkeitsstufe an Nancy Gordon", erwähnte Julius und führte die entsprechenden Mausklicks und Tastatureingaben aus. Er dachte dabei daran, dass auch die Sonnenkinder irgendwie einen gültigen Arkanetzugang benutzten. Doch die waren wohl zu gescheit, den noch mal zu verwenden, nachdem ihr Versuch mit Nathalies Zugangsdaten Alarm ausgelöst hatte. Zumindest schrieben die keine Artikel oder stellten Dateien ins Netz ein.
"Das könnte die zum rotieren bringen", meinte Julius, als er die E-Mail mit dem zusätzlich erhaltenen Schlüssel nur für Nancy Gordon gesichert und abgeschickt hatte.
"Wie geht es Minister Cartridge jetzt?" wollte Nathalie wissen. Julius erwähnte nur, dass er wohl immer noch ein Säugling sei, sich aber weiterhin auch noch an alles vor dem Fluch erinnern könne. Da trudelte eine weitere Mitteilung von Brenda Brightgate ein, diesmal als nur für ihn bestimmte E-Mail.
Von: Brenda Brightgate <brebrightgate@arkanet.net>
An: Julius Latierre <jullatierre@arkanet.net>
Betreff: Interimsdirektrice Marie-Laveau-Institut
Sehr geehrter Mr. Latierre
bei unserer Sitzung am 28. September 2002 ergab sich die für Sie nicht unwichtige Frage, ob das Laveau-Institut wegen Ihrer Erklärungen, zu den Kindern Ashtarias zu gehören, von Ihnen nähere Einzelheiten zu für uns wertvollem Wissen zu erfragen, obwohl uns bekannt ist, dass Sie im Falle einer unbefugten Preisgabe solcher Kenntnisse unverzüglich ihr bisheriges Gedächtnis verlieren würden. Darüber kam es zu einem kurzen Streit, bei dem unserem enthusiastischen Direktor Davidson ein Zauber entrutschte, der irrtümlich auf eine der anwesenden Personen zuflog und deshalb von unserer Sicherheitsvorkehrung gegen Fremdbezauberungen abgewiesen wurde. Leider wurde der Zauber voll auf Direktor Davidson zurückgeworfen, weshalb er sich jetzt im HPK einer stationären Behandlung unterziehen muss, die, so unsere residente Heilerin, unter Umständen mehrere Monate andauern kann. Deshalb ist derzeitig die dienstälteste Mitarbeiterin von uns, Madam Sheena O'Hoolihan, die stellvertretende Direktrice des Marie-Laveau-Institutes. In dieser Eigenschaft hielt sie Rücksprache mit der für unser Institut wichtigsten Instanz, um auszuloten, inwieweit wir die Befragung mit Ihnen durchführen dürfen oder es bei Ihren Angaben belassen sollten. Ihr wurde nachdrücklich aufgetragen, Sie in Ruhe zu lassen, um keinen Schaden innerhalb der Zaubererwelt anzurichten. Daher lässt Madam O'Hoolihan durch mich mitteilen, dass das Marie-Laveau-Institut weiterhin auf jede direkte oder schriftliche Befragung über Ihr von den Kindern Ashtarias erworbenes Wissen verzichtet. Dies wird auch Direktor Davidson mitgeteilt werden, wenn er sich von seinem Unfall wieder gänzlich erholt haben wird.
In der Hoffnung, dass Sie weiterhin unser Institut in guter Erinnerung behalten und wir auch weiterhin erfolgreich zum Wohl aller Menschen mit und ohne Zauberkraft zusammenarbeiten verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
Brenda Brightgate, Außendienstmitarbeiterin Marie-Laveau-Institut>
Julius antwortete Brenda, dass er Direktor Davidson eine erfolgreiche Genesung wünschte und er hoffe, dass er mit Madam O'Hoolihan und den anderen Institutsmitarbeitern weiterhin gut zusammenarbeiten könne, zumal sie ja seiner Mutter die erweiterten Sicherheitsvorkehrungen ermöglicht hätten.
Die nächsten Stunden ließ sich Nathalie die Nachrichten aus aller Welt zeigen, die nach Kriterien für die Zaubereiministerien gefiltert wurden. Da stand auch wirklich was von einer mit Betäubungsgas versuchten Entführung, die nur vereitelt werden konnte, weil in dem Hörsaal entsprechende Meldevorrichtungen installiert waren und die Sicherheitskräfte und die Polizei sehr schnell vor Ort waren. Die Täter seien jedoch flüchtig. Professor Evans sei zu den Tätern befragt worden, seine Aussagen dürften aber wegen Gefährdung laufender Ermittlungen nicht veröffentlicht werden. Weil einer der Studenten, der bei diesem Angriff betäubt wurde was von einem explodierenden Mann erzählt hatte, wobei er selbst einräumte, es könne eine vom Gas bewirkte Halluzination sein, war die Nachricht überhaupt im Arkanet gelandet. Zu einem gewissen Takeshi Hiromitsu musste er schon die Suchmaschine bemühen und fand dort wahrhaftig etwas, dass dieser wohl von einem weißen Fremden angegriffen worden sei und nur durch das mutige Eingreifen dreier Karatemeister aus einer nahebei liegenden Schule vereitelt werden konnte. Hiromitsu sei dann nicht mit der U-Bahn, sondern lieber mit einem Taxi zu seinem Haus gefahren und habe von unterwegs Polizeischutz beantragt. Über die Gründe für den Angriff wolle die Tokioter Polizei derzeit keine Angaben machen. Julius spornte diese Meldung an, den E-Schnüffler auf die Sache anzusetzen, der nicht nur die allgemein zugänglichen Suchmaschinen, sondern auch die seiner Mutter über nicht so ganz offene Kanäle zugespielten Zugangsdaten Geheimdienste und FBI absuchen konnte. Auf die japanischen Geheim- und Sicherheitsdienste hatte der E-Schnüffler zwar keinen direkten Zugriff, aber auf die von der CIA, die doch allen Ernstes Hintertüren ins japanische Sicherheitsministerium platziert hatten, um wegen möglicher Revanchisten, die die Kapitulation Japans widerrufen und Amerika Vergeltung für die Atombomben androhten, auf dem laufenden zu bleiben. Und hier kam zu Tage, dass der Überfallene an einem postnattal wirksamen Humangenommutagen forschte, einem Mittel, dass wie ein Umwandlungstrank Menschen weit nach der Geburt genetisch komplett verändern sollte. So könnten aus Japanern weiße oder schwarze Menschen, aus Männern Frauen oder Frauen Männer gemacht werden, so ein ziemlich phantasievoller Kommentator der Firma. Julius fügte den vollständigen Bericht mit "Zum Artikel über die drei Wissenschaftler" ins Arkanet ein und schloss mit der Bemerkung, dass besser sämtliche Forschungsprojekte von Fachleuten der Erbgutforschung, Virenkunde und ähnlicher den menschlichen Körper verändernden Mittel überwacht werden sollten, um mögliche Angriffsziele von Nocturnia zu ermitteln und besser gleich als nie entsprechende Schutzvorkehrungen mit minimaler Magieausstrahlung zum Einsatz zu bringen. Diese Mitteilung schrieb er dann auch auf Französisch und mit Nathalies Hilfe auch in druckreifem Spanisch. Die Deutschen konnten sowohl Französisch als auch Englisch, wusste Julius.
Als es Mittag war tauchte Belle persönlich im Computerraum auf. Da sie wusste, dass ihre Mutter hier war hatte sie gleich entsprechend viel von den Hauselfen mitgebracht. "Lassen Sie es bitte nicht zur Gewohnheit werden, die nicht ohne Grund gewährten Mittagspausen mit Arbeit zu füllen, Monsieur Latierre. Ich wünsche keinen Streit mit Ihrer Gattin oder deren Anverwandten. Außerdem habe ich eine Posteule aus den Staaten erhalten, dass Ihre Frau Mutter sich gut von der dreifachen Niederkunft erholt und mich darum bittet, ihr mitzuteilen, was sich bei uns in den letzten Tagen ereignet hat. Da sie sich jedoch noch im Honestus-Powell-Krankenhaus aufhält steht zu befürchten, dass alle Briefe, die einen dort aufgenommenen Rekonvaleszenten oder eine Wöchnerin unnötig erregen könnten nicht durchgelassen werden, möchte ich erst abwarten, bis sie wieder in ihrem eigenen Zuhause eingetroffen ist. Ich kenne schließlich die Hartnäckigkeit von Hebammen, was die Befolgung ihrer Anweisungen angeht."
"Rat mal wer noch, Belle", erwiderte Nathalie grinsend.
"Wie geht es Vettius?" fragte Belle.
"Er schläft wohl und erfreut sich seines Rundum-Sorglospaketes."
"Ist offenbar das beste, was er tun kann", antwortete Belle.
So unterhielten sich Mutter und Tochter Grandchapeau über die Familie, während sie das leckere Mittagessen genossen. Julius überlegte, ob er Brittany am Abend über das übliche Internet oder über das Armband noch eine Nachricht zukommen lassen sollte.
Nach der Pause ging es darum, weitere für alle lesbaren Arkanet-Artikel zu sichten, soweit er die Sprachen konnte. Bärbel Weizengold hatte auf Deutsch, Englisch und Französisch erwähnt, dass weiter nach den Handlangern Vengors gesucht werde, weil dieser über einen seiner Handlanger die Behauptung in Umlauf gesetzt habe, er habe den Zaubereiminister wahrhaftig ermordet. Doch dieser hatte einen Tag später zurückgeschrieben, dass er immer noch lebe und sich eben solange verbergen müsse, wie die für den Mörder wichtige Zeitspanne noch nicht verstrichen sei. Nancy Gordon hatte auf Julius Mitteilung reagiert und selbst den IP-Du-Test durchgeführt. Daraufhin hatte sie den kommissarischen Minister Sandhearst informiert und der habe seinen Arkanet-Zugang gekündigt. "Wenn wer mit meinem Namen als Absender so einen Unfug in Ihrem Arkanet verbreiten kann will ich mit diesem Lügenlabyrinth nichts mehr zu tun haben", wurde er zitiert. "Mission erfüllt, Tür verschlossen und zugemauert", dachte Julius. Nathalie lag auf dem breiten Sofa, dass auch ohne Magie zu einem Doppelbett umgeklappt werden konnte. Die traute sich echt was, in ihrem Zustand mit einem ihr nicht verwandten Mann im selben Raum einfach zu schlafen. Aber offenbar war es hier für sie spannender und abwechslungsreicher als in ihrem geheimen Haus, wo sie außer ihrem kleinen Dauergast niemanden hatte, mit dem sie reden konnte. Als sie wieder aufwachte und sich im nebenan gelegenen Waschraum frischgemacht hatte sagte sie zu ihm: "Danke, dass du meinen Schlaf bewacht hast. Zu Hause fällt mir die Decke auf den Kopf. Und ich habe schon genug im Bauch, um mich schwer genug zu fühlen."
Um nicht einfach nur hier herumzusitzen unterstützte Nathalie ihn bei der Auswertung für ihn unverständlicher Texte, wobei er natürlich nicht ins Netz stellen durfte, dass ihm jemand mit mehr Fremdsprachenkenntnissen geholfen hatte. Es ging einfach um die Einordnung von Vorkommnissen und aus bereits durchgeführten Aktionen folgender Ereignisse für das Zaubereiministerium.
"Ah, das ist für deinen anderen Vorgesetzten. Hier geht es um die nach Deutschland eingeheiratete Halbveela. Womöglich wirst du als Veelabeauftragter demnächst eine offizielle Eule bekommen." Julius ließ sich den Text übersetzen und schrieb in seinem eigenen Verzeichnis eine Stichpunktdatei, die er ausdruckte. Falls keine Eule kam hatte er als Veelabeauftragter jedenfalls schon die nötige Info, dachte er.
Abends probierte er, ob er Brittany über das Armband erreichen konnte. Er konnte.
"Ich wollte dir nachher noch eine Mail schicken, dass Venus jetzt zwei kleine Schwestern hat. Aber dann brauche ich nicht auf dem Vorsicht-gefüllte-Hexe-Besen zum Internetcafé hinzufliegen, den Chloe mir bis Ende der Wochenbettzeit gestattet hat. Der hat einen Superpolsterungs- und Bergezauber, kann aber nur 90 Stundenkilometer. Flohnetz ist mir ohne Innertralisatus-Sack verboten, Apparieren schon seit dem vierten Monat. Aber wenn du und deine Familie Zeit und Lust habt, rüberzukommen kann Venus' Daddy das im HPK anmelden." Julius bedankte sich und bat darum, seine und Millies Glückwünsche an die Familie Partridge weiterzugeben.
"Hat Glo Porter mal wieder was von sich hören lassen?" fragte Brittany. Julius schüttelte den Kopf.
"Okay, dann kriegst du es von mir, weil Mel das erlaubt hat. Sie wird sich im Dezember verloben und im Juni nächstes Jahr heiraten. Sie wird demnächst Einladungen herumschicken, darf ich allen ausrichten, die das was angeht."
"Ui, du kennst das ja. Wer verheiratet ist darf danach neue Sachen kaufen", sagte Millie. "Wer ist denn der glückliche?"
"Das darf ich dir nicht sagen, weil sie das sich und ihm vorbehält, es in die Einladungen zu schreiben."
"Dann lassen wir ihr den Spaß", sagte Julius. Dann stellten Millie und er klar, dass sie am erstenOktoberwochenende in die Staaten reisen würden, wenn nichts dazwischenkäme."
"Wo zwischen?" fragte Brittany und deutete sehr undamenhaft auf Millies Körpermitte.
"Daran arbeiten wir schon wieder, Britt, wäre doch lustig, wenn Chrysies Geschwisterchen ihre ersten Worte schon hören kann, bevor es geboren wird." Beide Hexen lachten. Julius musste auch lachen. Brittany hatte sich durch die im November endende Schwangerschaft wieder zu der unbekümmerten, ja frei heraus redenden Junghexe zurückverwandelt. Offenbar war ihr der Druck der Quodpotzeit und der Druck von ihren Anverwandten, dann auch bitte bald einen kleinen Brocklehurst auszuliefern zu groß gewesen, vermutete Julius nur für sich.
"Könnte gerade das Wochenende klappen, wenn wir in die Staaten wollen, Monju. Vorausgesetzt, unser Besuch trudelt nicht genau dann ein." Julius nickte. Wer mit dem Besuch gemeint war brauchte er nicht zu fragen.
"Sehr fein, Schwester Romina. Jetzt werden die in den Ministerien hoffentlich schneller reagieren, wenn unsere werten Mitschwestern wichtige Neuigkeiten an sie weiterreichen", sagte Anthelia, als Romina ihr den Artikel zu lesen gegeben hatte. Sie erwähnte, dass Randolph Sandhearst wohl seinen Arkanetzugang gekündigt hatte. Aber das würde dem nicht viel helfen, weil sie noch zwei andere Zugangspakete erhalten habe, unter anderem das von Nancy Gordon, weil der dort arbeitende Systemadministrator sie nicht leiden könne und seine Möglichkeiten nutzte, um ihr eins auszuwischen.
"Soso, die größte Schwäche einer Festung ist nicht das Hintertor, sondern der Torwächter", sinnierte Anthelia. "War damals schon so und ist es heute also immer noch. Dann erzählte sie Romina, dass sie gerne eine Antwort auf den Vita-Magica-Artikel verfassen würde, damit diese Bedränger freiheitsliebender Hexen verstanden, wie gefährlich sie lebten, wenn sie einer Hexe aufzuzwingen wagten, wann und von wem sie ein Kind empfing und dann gleich noch mehrere auf einmal. "Vielleicht sollten wir dieser werten Ms. Gordon die Mitgliedschaft bei uns anbieten. Natürlich wird sie es lautstark zurückweisen und versuchen, mich und alle, die ihr dieses Angebot machen nachzustellen. Schlimmstenfalls werden wir sie dannin Windeln und Wiege zurückschrumpfen."
"Sie hat uns noch nichts getan, und du hast immer gesagt, dass eine Hexe nicht von uns aus angegriffen werden darf, höchste Schwester."
"Deshalb sagte ich ja schlimmstenfalls, Schwester Romina. Apropos Hexen, die unsere Gegenspielerinnen sein möchten: Was weißt oder hast du über Sheena O'Hoolihan."
"Habe ich noch nicht gehört. Eine Irin oder eine Iroamerikanerin?"
"Wohl letzteres. Schwester Beth hat mir zukommen lassen, dass diese Hexe wohl für gewisse Zeit das Laveau-Institut leitet, weil deren Direktor ein auf ihn selbst zurückprallender Zauber entglitten sein soll."
"Öhm, sowas kann passieren", erwiderte Romina unvorsichtig und erkannte mit Schrecken, was ihr da herausgerutscht war. Anthelia zog ihr kräftig am rechten Ohr und schnaubte nur:
"Es gab Stunden, da habe ich mich unter Daianiras Herzen sehr wohl gefühlt. Soll ich dir eine neue Mutter aussuchen, damit du diese Erfahrung mit mir teilst?"
"'tschuldigung, so war's nich' gemeint", stammelte Romina. Da ließ Anthelia von ihr ab und strich ihr statt dessen durchs Haar.
"Immerhin hat das uns die Liste der Wissenschaftler gebracht, die diese in ihrem Steinchen eingebackene Möchtegernnachtgöttin gerne für sich gehabt hätte. Was für merkwürdige Zufälle es doch gibt." Darauf erlaubte sich Romina keine Antwort.
Es hatte nicht so lange gedauert wie Yantulian befürchtet hatte. Mit hilfe aller verbliebenen männlichen Sonnenkinder hatte er die Bestandteile eines Schwingungsohres zusammengetragen. Dazu gehörte auch das angebrütete Ei eines peruanischen Vipernzahns. So hatte Gwendartammaya diese Art der Feuerbläser genannt. Es war eigentlich gegen die Regeln der Sonnenkinder, lebewesen ohne Ernährungsgründe zu quälen oder zu töten. Doch in diesem Fall ging es um alle menschlichen Wesen, und das Weibchen hatte weitere zwölf Eier zum Ausbrüten, von deren Schlüpflingen wohl nur drei oder vier die ersten zwölf Mondwechsel überstehen würden, hatte er aus einem Buch über Drachen, wie die Feuerbläser bei den Istzeitmenschen hießen.
Es dauerte einen Tag, bis er das Schwingungsohr fertiggebaut hatte. Jedes Teil musste mit einem Zauberlied in Kraft gesetzt werden. Als dann die aus einem Netz dicker stränge gebildete Kugel, in deren unterer Polregion das von Silber umschlossene Ei des Feuerbläsers eingebunden war, fertig war, bestieg er durch einen verschließbaren Spalt die Konstruktion und steckte seinen Kopf in eine aus hauchdünn gewalztem Gold geformte Haube. Dann belegte er sich und die Konstruktion mit weiteren Zaubern, dazu ein Lied von Mond und Erde und eines über Worte und schnelle Reisen. Dann erstarrte er. Ein leises Singen ging durch das Gebilde. Dardaria, die wehmütig auf das in Silber eingeschlossene Drachenei blickte, weil sie selbst ja auch gerade ein ungeborenes Kind trug, blickte nun wieder auf ihren Angetrauten. Dieser begann mit derselben Schwingungszahl wie die Vorrichtung zu beben. Doch Schmerzen fühlte er offenbar keine. Dann sank der Ton in der Höhe ab, wurde dabei ein wenig lauter, bis aus dem anfänglichen Singen ein warmes, schwebendes Summen wurde. Das in Silber eingeschlossene Ei leuchtete im Rotsteinfarbenen Licht. Dardaria konnte nun deutlich das ungeborene Feuerbläserjunge erkennen, wie sein Herz schlug und es sachte Atemzüge tat. Würde es jetzt leiden oder nur als Hilfe für die Verbindung dienen?
Über die Berührung ihrer Blicke stellte sie eine geistige Verbindung zu ihm her. So sah und hörte sie, was er gerade sah und hörte. Offenbar suchte er noch nach etwas, dass künstliche Schwingungen waren. Dann hörte und sah sie es auch.
"Helfer Halbabendrichtung, gib Bericht 1009!" vernahm sie die hallende Stimme eines Mannes. Gleichzeitig sah sie ein blau-rotes Flackern im Klang der einzelnen Silben.
"Helfer Halbabendrichtung berichtet: Viele kraftlose, mit Druckfeuer getriebene Eisenvögel, kleine und große. Ansiedlung in der Nähe noch ohne Arg, was mein Hiersein angeht. Erhalte weiterhin Schnellshwingungen auf Blitz-Eisenfang-Wechselwirkung. Habe jetzt alle Wörter der Hauptsprache gelernt. Wenn erwünscht sende Berichte und Klangkunstbeispiele der Istzeitler." erwiderte eine andere, mittelhohe und nicht so hallend klingende Männerstimme, wobei jede gesprochene Silbe ein blau-violettes Flackerlicht erglühte.
"Bewohner der Stadt?" fragte die hallende Stimme. Die etwas kleiner und leiser klingende Stimme erwähnte die Einwohnerzahl. Auf die Frage nach der Verteilung der Kraft gab Helfer Mittagsrichtung "Kraftverteilung kaum erfassbar. wenige Quellen der Kraft, der Form nach ausgehend von Istzeitbewohnern. Nur zwei von zwölftausend Tausender.""
"Weiteres?" wurde der Helfer gefragt. Es kam dann nur "Bericht ende".
"Das Ohr muss auf ein Tausendstel verzögern, sonst wäre es zu schnell und zu hoch für uns", dachte Yantulian, der gerade in einer Art Lebensverbundenheit mit der Vorrichtung und dem ungeborenen Feuerbläser stand. Dieser erzitterte jetzt regelrecht. Sein kleines Herz hämmerte wild. All zu oft durften sie diese Vorrichtung wohl nicht benutzen", vermutete Dardaria. Dann hörte sie den Lagebericht 1010 von Helfer Halbmitternachtrichtung. Dieser war offenbar zwischen mehreren größeren Ansiedlungen und überwachte fliegende Eisenvögel, die laut und mit Rauch und langen weißen Dunststreifen wirkenden Antriebsvorrichtungen am Himmel entlangzogen. Seine Stimme klang ebenfalls höher als die des Fragers, aber eine Spur Höher als die von Helfer Halbabendrichtung. Seine Worte wurden von silberweißem Flackern begleitet. Er hatte sogar die zwischen solchen Eisenvögeln und dem Erdboden getauschte Botschaften auf Blitz-Eisenfang-Wechselschwingung aufgenommen. So hörten Dardaria und Yantulian, die von ihren Istzeitartgenossen Englisch gelernt hatten, wie ein Eisenvogel namens LH 202 einen Zielhafen namens Los Angeles rief, um seine Ankunft zu melden. Ebenso hatte Helfer Halbmitternachtrichtung mehrere Botschaften von offenbar bewaffneten Eisenvögeln erfasst, die eine Kampfübung machten. Weiterhin sahen sie übertragene Bilder von den Fahrzeugen, die die Istzeitler Autos nannten und hörten die Klangkunst der jetzt lebenden Leute sowohl aus den Wechslschwingungsübermittlungen als auch aus den Fensteröffnungen der am Helfer vorbeibrummender Autowagen. Sie bekamen auch die Nachrichten für die Bevölkerung mit, wo es um die Unzufriedenheit eines Menschen namens Präsident Bush mit einer Ansiedlung oder Provinz namens Irak ging. Überhaupt spulte sich in wenigen Tausendsteltagen eine Menge ab. Yantulian keuchte, weil er diese ganze Nachrichtenflut nicht so recht fassen konnte, zumal hier der Verzögerungswert des Schwingungsohres nicht ausreichte, um wirklich alles mitzuhören. "Der muss mit mehr als hunderttausendfacher Sprechgeschwindigkeit hören und sprechen können", gedankenseufzte Yantulian. Dardaria hielt die Blickverbindung aufrecht. Erst als der doch sehr lange Bericht beendet war wagte sie, kurz nach dem Feuerbläserjungen zu sehen. Das ungeschlüpfte Junge erbebte immer noch. Sein Atem ging jetzt so schnell, dass seine halbausgereifte Brust flatterte. Sein kleines Herz klopfte schnell, aber nicht schneller als vorher. "Wird es sterben, wenn wir es weiter so quälen?" Wollte Dardaria wissen.
"Es war in dem Moment schon tot, als ich die Vorrichtung in Gang setzte. Was du noch siehst sind die Regungen, die die Vorrichtung in ihm auslösen. Wenn ich die Verbindung löse wird es leblos sein. Ja, ich weiß, für dich als Trägerin eines wachsenden Kindes ist das grauenvoll. Doch bitte bedenke, dass wir nur so erfahren, was der Wächter vorhat oder schon unternimmt. Es ist ein Feuerbläser. Wäre er entschlüpft und gewachsen würde er dich und unser Kind sehr schnell fressen."
"Trotzdem stört es mich, dass ein ungeborenes Geschöpf für diesen Versuch sein Leben geben musste, auch wenn es nach der Geburt mein tödlichster Feind geworden wäre", schnaubte Dardaria.
"Wie gesagt, ich fühle deine Qual, meine Angetraute. Aber es geht leider nicht anders." Sie sagte darauf nichts.
Einen Zwölfteltag mussten sie warten, bis sie von "Helfer Halbmorgenrichtung" einen Lagebericht erhielten. Der unterschied sich in dem seines Artgenossen in Halbmitternachtsrichtung nur dadurch, dass die Sprache eine andre war. Doch weil der Helfer diese wohl erlernt hatte gab er eben auch Bemerkungen dazu ab, damit sein Meister alles erfasste. Die Stimme war eine Spur niedriger als die von Helfer Halbabendrichtung, und die seine Worte begleitenden Leuchterscheinungen waren orangerot gefärbt. Einen Zwölftelzwölfteltag später kam dann noch von gelb-weißem Flackern begleitet der Bericht 1012 von Helfer Halbmittagrichtung. Dieser enthielt Wort- und Klangaufzeichnungen aus Landesabschnitten, die Syrien, Iran, Irak und Saudi-Arabien hießen und behandelte die Unzufriedenheit des in Abendrichtung herrschenden Namens Präsident Bush. Hier ging es aber um trotzige Gegenreden. Alles deutete auf einen möglichen Kriegszug hin. Damit beendete der Helfer seinen Lagebericht. Es verging ein weiterer Zwölfteltag, bis der Helfer Landesmitte von weißem Flackerlicht begleitet seinen Bericht sendete. Der hatte aber nicht viel zu sagen. Er befand sich unter Wasser. Der Druck war dreihundertfünfzigmal so groß wie über Wasser. Er hatte Geräusche von Fischen und Säugern aufgefangen. So hörten sie sehr gebannt der schon als eigene Klangkunst zu wertschätzenden Reviergesängen großer Meeressäuger zu, die merkwürdigerweise nicht in überhöhter Geschwindigkeit übermittelt wurden. Offenbar stufte der Helfer diese Gesänge als unbedingt in allen Einzellauten zu übertragene Quelle ein. Auf die Frage, ob er die Kraft bei den Tieren erfassen konnte oder ob in dem "erhabenen Heimatland" noch Träger der Kraft wohnten bekam er die Antwort, dass er immer noch den Himmelsberg in der Mitte erfassen und die Reste einst starker Kräfte erfassen konnte. Dann hörten sie noch die Geräusche eines künstlichen, regelmäßigen Etwas. Der Helfer hatte es mit seinen Ferntastaugen erblickt und als von einer mit immer wieder ausdehnenden und zusammenschrumpfenden Behältern getriebenes Schiff der Istzeitler eingestuft.
"Als der Bericht ordnungsgemäß beendet war erfolgte noch der Befehl: "Sammeln und zusammenfassen für die Berichte in einem Tag. Dies sagt euer Lenker und Vorsprecher."
"Da haben wir wohl Glück gehabt, dass wir diese Botschaften noch erwischt haben", sagte Dardaria.
"Ich habe bewusst diesen Zeitraum gewählt, weil ich bei meinen Unterweisungen erfuhr, dass der Wächter immer zum reinen Morgen- oder Abendstand der Sonne seine Helfer unterweist. Es sei denn, er will sie einsetzen."
"Es wird von einem Krieg erzählt. War er nicht dazu bestimmt, Kriege zwischen den Mächtigen zu beenden, wenn sie sein Bestehen bedrohten?" fragte Dardaria. Yantulian überlegte. Dann bestätigte er das. "Soll ich dir helfen, da rauszukommen?" fragte sie. Er keuchte merklich, wohl weil die Flut der ganzen Kenntnisse seinen Geist sehr stark beansprucht hatte. "Ich muss das Ohr erst wieder auf Ruhezustand bringen. Wenn ich mich jetzt davon losmache könnte ich auf ein Tausendstel der üblichen Geschwindigkeit verzögert werden. Ich bin gleich wieder frei." Das Summen wurde ein wenig leiser und stieg in der Tonhöhe wieder bis zu jenem hohen, schwingenden Singen an. Das Feuerbläserei wurde wieder undurchsichtig. Dardaria dachte an das Feuerbläserjunge, das jetzt in seiner Schale ruhen konnte, ohne von selbst wieder aufzuwachen. Endlich konnte Yantulian die Haube abnehmen. Er atmete tief Durch und löste die in die vielen Zeichen und Verbindungslinien eingefügten Verriegelungen. Dann entstieg er dem Schwingungsohr, das so gar nicht wie ein Ohr aussah. Er schloss die Vorrichtung von außen. Sie glitzerte silbern. "Hat was für sich. So können wir es für die nächste Belauschung ausruhen lassen", sagte Yantulian.
"Was soll ich Faidaria berichten?" wollte Dardaria wissen, als sie ihrem Angetrauten zu einem Tisch geholfen hatte, an dem er sitzen und essen sollte.
"Wenn Gwendartammaya durch den Wissenssammler Ilangardians nicht erfährt, dass zwei größere Landesabschnitte einen Krieg vorbereiten, so ist das eine wichtige Botschaft. Außerdem sollten wir wirklich bald mit Istzeitträgern der Kraft sprechen. Denn wenn die Kraftlosen Krieg mit ihren Vorrichtungen führen, wird der Wächter seine Helfer anweisen, die Herrschaft der Träger der Kraft wieder herzustellen, damit die seiner Prägung nach unerwünschten Herren entthront und getötet werden. Vielleicht haben wir nur wenige Tage, vielleicht auch einen Sonnenkreis. Handeln sollten wir auf jeden Fall." Dardaria stimmte zu.
"Wenn wir uns nicht im Schlaf nach unten gedreht hätten hätte ich keinen Schimmer, wie nahe wir an unserer Veröffentlichung sind, Schwesterchen", dachte Phoenix ihrer wie sie noch nicht geborenen Schwester zu.
"Ja, jetzt liegen wir richtig herum, damit Patricia uns rauslassen kann, falls du nicht doch lieber in ihr bleiben und dich bis zu eurem gemeinsamen Lebensende von ihr herumtragen lassen möchtest."
"Schon ein interessanter Gedanke, wenn du rausgerutscht bist wieder mehr Platz zu haben. Aber ich will auch nicht mein ganzes Leben in deiner ehemaligen Tochter abhängen. Es gibt angenehmere Arten, in einem Frauenkörper ... Oh, Mist!"
"Jajaja, da ist der Kleinen doch glatt ihr früheres Leben ins Gehege gekommen", gedankenfeixte Pandora. "Aber vielleicht merkst du es dir so herum: Es gibt wirklich herrliche Arten, mit dem Körper eines anderen verbunden zu sein, zu fühlen, wie er eins mit dir wird und die Erregung langsam steigt, bis dein Leib in Wonne bebt und in herrlichen Explosionen erzittert. Wir werden bestimmt zwei süße kleine Mädchen. Wie wir mal groß aussehen haben wir ja schon gesehen. Dann wird auch jede von uns beiden den richtigen finden, um das zu erleben, was ich gerade beschrieben habe."
"Oha, will mir das lieber noch nicht vorstellen, dann selbst wen im Bauch herumzutragen", dachte Phoenix.
"Wir haben noch eine Menge Zeit bis dahin", tröstete Pandora ihre mit ihrer bald angeborenen Natur hadernde Zwillingsschwester. Dann verfielen sie beide wieder in jenen Zustand zwischen Schlaf und Ruhe, begleitet vom Pochen ihrer Herzen und dem weiter über ihnen schlagenden ihrer Mutter.
Sie erwachten, als Faidarias Gedankenstimme alle Sonnenkinder rief. Sie verkündete: "Der Wächter erwartet einen Kriegszug der Istzeitmenschen unter Führerschaft jenes hellhäutigen Mannes, der sich Präsident Bush nennt. Noch weiß keiner der Helfer, wann der Krieg ausbrechen wird. Doch wir werden aufbrechen, wenn Yantulian die weiteren Berichte seiner Helfer empfangen haben wird."
"Mit wem will Bush sich jetzt anlegen, Iran oder Irak oder Nordkorea?" fragte Phoenix, die hoffte, dass Faidaria ihre Gedankenstimme hören konnte.
"Das bedrohte Land heißt Irak und soll wegen Nichteinhaltung von Waffenbewahrungsregeln aufgefordert werden, sich zu ergeben und die Überprüfungen duldsam hinzunehmen, Olarammaya."
"Ich wusste doch, dass dieser texanische Trampel echt noch mal die ganze Welt kaputthaut. Sollen wir nicht doch besser in Mom Pattys warmem Uterus bleiben, Schwester Pandora?"
"Jetzt erst recht nicht. Oder denkst du, ich will im Bauch meiner eigenen Tochter begraben werden", gedankenzischte Pandora. Patricia erwiderte darauf:
"Heute ist der dritte Oktober. Wenn ihr so weiterplärrt dürft ihr zwei bald mit körperlichen Stimmen plärren. Ende der Durchsage."
"Da haben wir's jetzt aber gekriegt", erwiderte Pandora. "Was habe ich dir damals gesagt: Das Kind sagt, wann es raus muss, nicht Mom."
"So ist es, Geranammaya", erwiderte Faidaria. Phoenix fragte:
"Du hast uns schon Namen aus deiner alten Heimat gegeben, Faidaria. -ammaya heißt Tochter oder Jungfrau. Aber die beiden Voranstellungen, was heißen die bitte?"
"Olaran ist die gewährte Gnade, mein Erwecker und Vater meiner beiden Kinder", hörten sie Gisirdarias Gedankenstimme. Genaran ist die Wiederkehr, meistens der Name des Gründungstages, erwartete Brudertochter."
"Gnadentochter und Wiederkehrtochter. Klingt passend", erwiderte Phoenix Straton. Ihre Zwillingsschwester und ihre Mutter stimmten dem durch einen Gedanken zu.
Julius wusste, gleich würde er sie leibhaftig, ganz offiziell zu sehen kriegen, seine drei Halbgeschwister. Als er mit seiner Frau und den beiden Töchtern mit dem Überschallzeppelin über den Atlantik gebraust war fühlte er sich irgendwie zwischen Aufbruch und Verlust, zwischen der Beruhigung, dass es für ihn auf jeden Fall weiterging und der Erkenntnis, dass seine Mutter nun nicht mehr nur für ihn da sein würde. Er hatte Millie gefragt, ob sie das auch so empfunden hatte, als Miriam geboren war.
"Da solltst du eher Pina fragen, weil die keine große Schwester hatte. Aber Dann kannst du auch gleich Rorie fragen, wie das für die war, als Maman immer runder wurde und da auf einmal ein kleines, schreiendes Wesen war, dass an Mamans Nippeln nuckeln durfte und überhaupt vieles machen durfte, was sie nicht mehr darf."
"Ja, nur Rorie kann es mir noch nicht so gut erklären wie du oder Pina", erwiderte Julius und sah auf seine auf einem Sofaa schlafenden Tochter. Weil sie schon so oft mit dem Luftschiff gefahren waren hatte sie wohl diesmal keine Lust gehabt, sich von ganz weit oben die ganzen vielen Inseln anzugucken.
Nun waren sie in Viento del Sol und wurden von der nun sichtlich umfangreichen Brittany Brocklehurst, Mr. Partridge und seiner im Vergleich zu Brittany gertenschlanken Tochter Venus begrüßt. Julius schaffte es schon fast nicht mehr, Brittany richtig zu umarmen, aus Angst, den kleinen Brocklehurst zu zerdrücken. Doch Brittany bestand auf eine innige Umarmung und schmatzte ihm noch auf jede Wange einen Kuss. Er tat es ihr nach. "Wir sehen uns dann nachher bei mir. Ihr bleibt ja über das Wochenende, richtig?"
"Nur wenn ihr drei nichts dagegenhabt", sagte Julius und meinte als dritten Linus. Wo war der eigentlich? Die Frage stellte er Brittany.
"Sagen wir es mal so, Linus ist vor Chloe Palmer in eine Auslandsreise geflüchtet, die noch zwei Wochen dauert. Aber wenn der kleine hier genug von meinem Gerumpel und Geglucker hat will Linus da sein."
"Ui, dann bist du armes Wesen jetzt allein zu Hause?" wollte Julius wissen.
"Nöh, nicht immer. Mal waren Mel und Myrna da. Dann war Mandy mal auf einer Reise durch die Staaten hier und hat bei mir gewohnt, weil Dad sich seit Mom wieder in Thorny ist nur noch mit seinem Garten befasst. Wenn die kleine Swann nicht immer wieder zu ihm hinflöge käme der gar nicht mehr auf die Idee mit wem zu reden. Der hat Krach mit Chloe, weil die ihm an den Kopf geknallt hat, er hätte essenstechnisch auf mich einen schlechten Einfluss. Dem habe ich versucht zu widersprechen. Aber Hebammen sind manchmal stur wie Knochenschädel", erwiderte Brittany.
"Oh, sag das nicht, wenn die oder ihre große Meisterin Greensporn das hören können", sagte Venus.
"Schon mal in einem Zaubererweltkrankenhaus als Besucher gewesen?" fragte Mr. Partridge. Julius verneinte, als Besucher dort gewesen zu sein, aber als Patient schon mal in der Delourdesklinik gewesen zu sein. Millie bestätigte es. "Na ja, wir brauchen nicht extra nach New Jersey zu fliegen, um wie alle anderen durch den Besuchereingang einzutreten. Ich melde uns sechs gleich bei meiner Kollegin im Zunftbüro an. Wenn wir ganz freundlich sind dürfen wir dann wohl den Zunftkamin benutzen. Da Millie und du zertifizierte und ausgezeichnete Pflegehelfer seid und Venus meine Tochter ist geht das klar, hat Chloe mir gesagt."
So war es dann auch. Silvester Partridge steckte seinen Kopf in smaragdgrünes Flohpulverfeuer. Dann rief er "Cosimas Küche!" Sein Kopf verschwand in den Flammen. Wie aus einem Brunnenschacht klang seine Stimme: "Hallo, Cosima. Ich habe den angekündigten Besuch für Mrs. Merryweather bei mir. Außerdem möchte meine Kronprinzessin ihre beiden Blutsverwandten begrüßen. Dürfen wir bei dir durch den Kamin?"
"Der oberste vom Haus und die Herrin der neuen Leben haben es genehmigt, Silvester. Die Sperre ist schon raus, du kannst gleich durchspringen."
"Venus kennt die Adresse. Dann steige ich zu dir durch", sagte Mr. Partridges Stimme. Daraufhin stemmte sich sein gerade kopflos wirkender Körper nach oben in den Kamin hineinund wurde in einem Flammenwirbel davongerissen. Julius fand es immer noch unheimlich, wie ein Mensch mal eben im Kamin verschwand.
"Ich mache den Abschluss, weil ich die Flammen nach dem Flohsprung erlöschenlassen muss. Wir brauchen ja keine Aschwinderinnen im Haus", sagte Venus. Millie hätte ihr fast angeboten, einen Feuerwesenfernhaltezauber auf das ganze Haus zu sprechen. Doch sie ließ es besser bleiben. "Der Zielkamin heißt Cosimas Küche. Die hat damals auf diesen Eintrag bestanden. Außerdem kriegt so keiner ohne weiteres mit, dass das der Zunftkamin vom HPK ist", fügte sie noch hinzu.
Julius nahm Aurore in die Arme und kletterte freihändig in den Kamin. Dann rief er "Cosimas Küche!" Vorbei ging es an aberdutzend Kaminen, wild herumgewirbelt. Aurore hielt sich ganz fest an ihren Papa gedrückt, ihr kleines Gesicht an seine Brust gedrückt. Noch war sie wohl zu klein, um den Anblick dieser Welt zwischen den Kaminen zu vertragen. Julius dachte an seine allererste Flohpulverreise, die gleich von Australien nach England geführt hatte. Dann waren sie endlich am Ziel. Julius federte den Aufprall ab, pendelte sein Gleichgewicht schnell aus und hüpfte dann aus dem Kamin in einen großen Raum, der wirklich eher einer großen Küche entsprach. Hier standen mehrere Tische, ein Herd mit mehreren Feuerungen. Ein dickbäuchiger Backofen und jede Menge Schränke und Regale. an den Tischen konnten zusammengenommen zwanzig Leute sitzen. Für ein Büro war das hier eigentlich nicht anzusehen. Dann sah er die kleine, schwarzgelockte Hexe mit der kaffeebraunen Haut. Er dachte an Claudia Torrinha, die heißblütige Hexe aus Brasilien, die bei der Quidditch-Weltmeisterschaft mit ihm getanzt hatte. "Guten Tag und danke für die Erlaubnis, einzutreten", begrüßte Julius die Hexe, die gerade am Herd stand und in einem großen Suppentopf rührte. Julius erschnupperte frische Gulaschsuppe.
Sie sind also Aurore Latierre und der kleine ist Julius?" fragte die Hexe. Vater und Tochter Latierre machten "Häh?" Dann mussten sie lachen. "Cosima Arabella Tripontes, Heilerin und, weil das sonst keiner gerne macht, Empfangsdame und Teeküchenchefin", stellte sich die Hexe vor und drehte sich nun ganz um. Der große Löffel rührte derweil von alleine die Suppe weiter um. Jetzt konnte Julius sehen, dass die Hexe auf dem Bauchteil ihrer Tracht einen grünen Kreis mit darin zum Dreieck gruppierten Großbuchstaben HPK trug.
Als dann noch Millie mit der gut verstauten Chrysope und Venus herausgerauscht kamen betrachtete Cosima Tripontes das fast ein halbes Jahr alte Baby. Millie, die stolze Mutter, ließ es zu, dass die Heilerin die kleine Chrysope genauer betrachtete. "Sie haben sie wirklich sehr gut in Pflege", sagte die Hexe, die Julius altersmäßig nicht einschätzen konnte. Ihm fiel nur der leicht spanische, melodisch betonende Akzent auf. Millie fragte sie, ob sie gebürtige US-Bürgerin sei oder aus einem anderen Land eingewandert sei.
"Sagen wir es so, aber psst! Ich bin in meiner Mutter eingewandert. Eine Woche nach ihrer Grenzüberquerung kam ich zur Welt. Deshalb durfte ich nach Thorntails und habe hier als Heilerin angefangen", sagte Cosima Arabella Tripontes. Julius hätte fast gefragt, ob ihre Mutter eine Hexe war. Denn solche Geschichten kannte er eigentlich eher von Magielosen, die in den USA das gelobte Land vermuteten und keinen Monat später wussten, dass dem doch nicht so war.
"Silvester, Chloe erwartet dich und Venus schon auf der Station in Zimmer P-0319. Die Eheleute Latierre möchten bitte warten, weil Großheilerin Greensporn sie hier unten begrüßen möchte. Nur wenn sie in den nächsten zwanzig Minuten nicht fertig wird gerät sie voll in den Ansturm auf das Abendessen. Da werden dann nämlich diverse Kollegen hier einfallen wie die hungrigen Bären."
"Kann ich mir vorstellen", sagte Julius und schnupperte vernehmlich.
Venus und ihr Vater winkten kurz und verabredeten sich für die Zeit so in einer Stunde. Dann sollte wohl das größte Aufkommen vorbeisein, fand Silvester Partridge.
Es dauerte noch fünf Minuten, bis jemand die Tür einfach öffnete und eintrat. Es war jene kleine, silberhaarige Hexe mit der goldenen Brille, die Millie und Julius vor wenigen Tagen bei ihrer Arbeit beobachtet hatten, von einer Warte aus, die den meisten Menschen zu Lebzeiten unerreichbar war. Außerdem hatten sie ja ihr umfangreiches Buch über vorgeburtliche Themen und Kinderkrankheiten in der Bibliothek. Sie trug auf Ihrer Tracht einen silbernen Kreis, in dem die drei Buchstaben HPK gruppiert waren und daneben noch eine vergoldete Äskulapschlange, die sich um einen Stab wand. "Ah, schön, den Bruder der drei kleinen und seine Familie zu sehen. Ich bin Eileithyia Greensporn, Leiterin der Megan-Morehead-Station für Gebärende und Wöchnerinnen."
"Angenehm, Großheilerin Greensporn", machte Julius den Anfang. Millie war in Ehrfurcht erstarrt. Doch nachdem Aurore der netten Tante Heilerin auf Französisch und dann noch auf Englisch einen guten Tag gewünscht hatte stand Millie ihr nicht nach. Auch Madam Greensporn betrachtete die kleine Chrysope, aber auch Aurore, die ihr gerade bis zur Unterkante Kniegelenk reichte. Sie lobte die beiden Eltern, dass sie die beiden so gut nährten, nicht zu viel und nicht zu wenig. Dann fragte sie Julius, wie er sich fühle. Er schluckte. Er brauchte knapp eine Viertelminute, um zu antworten.
"Körperlich geht es mir sehr gut. Geistig bin ich auch wohl auf. Wenn Sie wissen wollen, wie es gefühlsmäßig in mir zugeht kann ich nur sagen, dass ich jetzt vor einer komplett neuen Lage stehe und damit erst mal zurechtzukommen lernen muss. Sicher, ich bin jetzt vierzig Wochen um den Dreh darauf vorbereitet worden. Aber weil meine Mutter ja mit ihrem Mann in den Staaten wohnt und ich mit meiner Familie in Frankreich ist das ja doch ein gewisser Abstand."
"Ich frage deshalb, weil Sie nicht der einzige bereits erwachsene Zauberer sind, der sich damit zurechtfinden muss, dass seine Mutter noch einmal ein Kind oder mehrere auf einmal bekommen hat. Das ist für keinen eine leicht zu verdauende Kost. Aber ich denke, Sie haben da eine sowohl einfühlsame wie entschlossene Frau an Ihrer Seite, die Ihnen sicher hilft, mit dieser neuen Lage umzugehen. Ich darf auch in meiner Eigenschaft als Ihre Mutter betreuende Heilerin nicht vergessen, Sie beide darauf hinzuweisen, dass sie durch die Umstände, denen sie die drei Kinder verdankt, entsprechend angespannt ist und vor allem sehr leicht reizbar ist, wenn sie findet, dass ihr jemand auch nur eines der Kinder fortnehmen möchte. Ich habe das selbst erlebt, als ich die drei nach einem Tag noch einmal wiegenund vermessen wollte. Sicher ist mir bekannt, dass Sie diese besonderen oder besser sehr zweifelhaften Umstände Kennen, unter denen Ihre Mutter Ihre drei Halbgeschwister empfing. Doch jezt sind die drei auf der Welt, und wir alle müssen mit ihnen und allen anderen in den nächsten Wochen oder gar Jahren dazukommenden Kindern dieser schwerwiegenden Umstände leben und dürfen sie nicht als Schuldige sehen. Die Kleinen können gar nichts dafür, dass es sie gibt. Das müssen Sie beide sich immer wieder klarmachen. So, und jetzt, wo wir über Sie und Ihre Mutter gesprochen haben, sollten Sie mit Ihrer Mutter sprechen und sich die drei kleinen Schreihälse selbst ansehen und anhören. Kräftige Stimmen haben die allemal", sagte die Heilerin und öffnete wieder die Tür.
Julius verglich nach dem Verlassen der großen, geschlossenen Fahrstuhlkabine die Ausstattung mit der in der Delourdesklinik. Ihm gefiel vor allem, dass an den Wänden bunte Bilder hingen, die Schmetterlinge, frei schwebende Luftballons, Paradiesvögel oder Papageien zeigten. Als einer der tropischen Piepmätze den krummen Schnabel öffnete und ein lautes Krächzen vernehmen ließ meinte die Heilerin: "Gut, dass unsere Zimmertüren drei Viertel vom Schall schlucken." Aus einem gemalten Teich hüpften vier flinke Fische und klatschten nach einem kurzen Flug wieder ins Wasser zurück.
Eileithyia klopfte an die Zimmertür. Als die Julius' sehr vertraute Stimme "Herein" sagte traten sie nacheinander ein.
Das erste, was Julius auffiel, war seine auf dem Bett liegende Mutter. Sie war immer noch sehr füllig. Ihr leichtes Nachthemd verbarg nicht all zu viel von ihrem Körper. Ihr Gesicht war etwas blasser als sonst und an Kinn und Wangen sehr gepolstert. So wie sie da lag wirkte sie übergewichtig, aber auf eine gewisse Weise auch sehr anziehend. So hatte er seine eigene Frau auch immer empfunden, wenn sie kurz vor und kurz nach der Geburt ihrer gemeinsamen Kinder im Bett gelegen hatte.
Das zweite, was ihm in die Augen sprang war die besonders große Wiege, die mit Daunenkissen und einer weichen Unterlage ausgelegt war. Alle drei Neugeborenen lagen fast noch so wie im Mutterleib zusammengekuschelt und schliefen offenbar. Julius erkannte im Moment nur die flaumartigen Haarschöpfe auf den im Verhältnis zum restlichen Körper großen Köpfen. Sie waren hellblond wie sein eigener.
"Hallo, Mum. Ich freue mich, dich zu sehen", begrüßte Julius seine Mutter. Diese stemmte sich langsam in eine aufrechte Sitzhaltung und angelte nach zwei Kissen, die auf dem Kopfende des breiten Bettes lagen. Als sie diese so hinter sich zurechtgelegt hatte lehnte sie sich dagegen und lächelte ihren Sohn und ihre Schwiegertochter an. Dann sah sie die kleine Chrysope, die gerade aufwachte und mit ihren großen, hellblauen Augen in das freundlich beleuchtete Zimmer mit dem ganz großen Bett blickte. Millie sah sich inzwischen die schlafenden Drillinge an. Sie fühlte sich ein wenig enttäuscht. Julius bekam das über die Herzanhängerverbindung mit. Offenbar hatte sie gehofft, die drei wach zu erleben. Aurore trippelte über den weichen Teppich auf das Bett zu und guckte sehr genau, ob die Frau da auf dem Bett wirklich ihre Mémé Martha war. Als sie fand, dass sie das echt war, wetzte sie los und hätte dabei fast die große Dreierwiege angestoßen. Doch gerade so wuselte sie rechts an dem Babyschlafmöbel vorbei und hüpfte ihrer sehr molligen Großmutter auf den Schoß. "Ui, Rorie, nich' so doll", stieß Martha aus, weil ihr das quirlige Hexenmädchen voll gegen den noch runden Bauch geprallt war. Dann schlang sie sie in die ebenfalls üppiger gewordenen Arme und knuddelte sie. "Mémé Martha ganz rund", kicherte Aurore. Dann sah sie genau in die große Wiege und sah da drei kleine Menschen, kleiner als ihre kleine Schwester Chrysie und schnitt eine Grimasse. Chrysope sah jetzt auch die drei ganz kleinen Menschen und gluckste fröhlich. Julius erkannte mal wieder, wie Kinder von anderen Kindern fasziniert waren. Er freute sich für seine Töchter, aber auch dass es seiner Mutter nach dieser anstrengenden Drillingsniederkunft besser ging. Trotzdem sagte er:
"Wenn die schlafen sind sie wirklich süß."
"Witzbold", knurrte Martha Merryweather. Doch dann hellte sich ihre Miene wieder auf. Immerhin war Julius zu ihr gekommen, hatte einen weiten Weg gemacht, um sie zu besuchen und auch die drei Halbgeschwister zu sehen.
Nachdem auch Julius und dann Millie die junge Drillingsmutter umarmt hatten durften sie sich setzen. Aurore stupste die Wiege an, wobei sie etwas zu wild vorging. Das Möbelstück wackelte wild nach links und rechts. Die drei Insassen schraken aus ihrem Schlummer auf, entkuschelten sich und rissen die zahnlosen Münder zu einem gemeinsamen Schrei auf. Ihre Augen gingen auf, um zu sehen, was sie da so heftig angestoßen hatte. "Rorie, nicht so wild. Die wollen schlafen!" schimpfte Aurores Großmutter laut. Dann beugte sie sich schnell vor. Doch Eileithyia eilte zur Wiege und pflückte zwei der drei Babys heraus. Sie wiegte sie sanft in den Armen. Martha Merryweather starrte sie verärgert an und öffnete wieder den Mund, um was zu rufen. Da legte ihr die altgediente Hebamme die beiden Kinder in die Arme, während Aurore sichtlich verstört in die Arme ihres Vaters flüchtete. Er hob sie hoch und hielt sie sicher. "Deine Oma wollte nicht, dass die drei aus ihrem Schaukelbett fallen. Deshalb war sie so laut", wisperte er ihr ins Ohr. Das beruhigte die kleine Hexe sichtlich. Sie sah abbittend zu ihrer Großmutter hinüber, die die beiden Kinder, den Jungen und eines der Mädchen, in den Armen hatte. Das zweite Mädchen schrie immer noch. Millie ging zu der Wiege, beugte sich darüber und summte ein französisches Wiegenlied, um die immer noch erschreckt schreiende zu beruhigen. Das Schreien ging in ein Quängeln über, das noch eine Minute anhielt. Dabei schaukelte Millie die große Wiege sanft und langsam hin und her. Die kleine Merryweather quängelte aber noch und streckte ihre kurzen Arme nach oben. Dabei hätte sie fast der kleinen Chrysope an die Nase gehauen. Millie wandte sich Julius zu. Der kam mit Aurore herbei. Sie deutete von ihrem zweiten Kind auf ihn. Er verstand. Ganz schnell lud er sich Aurore auf die Schultern, um aus Millies Armen seine jüngere Tochter zu übernehmen. Dann zog er sich zwei Schritte zurück. Millie beugte sich wieder über die Wiege, wo die kleine Merryweather, Linda Estrella oder Hillary Camille, wild suchende Armbewegungen machte. Als sie die andere Frau über sich sah kamen ihre Händchen zur Ruhe. Millie streckte ihre Hände vor, um sie aus der Wiege zu heben. "Eh, lass sie da oder gib sie mir auch!" fauchte Martha Merryweather. Millie verzog kurz das Gesicht. Dann nickte sie ihrer Schwiegermutter zu und hob das kleine Bündel Menschenleben aus der Wiege. Sie drückte sie sanft an sich. Das neugeborene Mädchen sah nun, dass es auch eine war, die pralle Brüste hatte und machte mit dem Kopf eindeutige Suchbewegungen. "Wenn sie trinken will gib sie mir gefälligst, Mildrid!" fauchte Martha. Millie nickte und wandte sich ihrer Schwiegermutter zu. Diese hatte ihr Nachthemd oben aufgeknöpft, so dass eines der Kleinen bereits an ihr nuckeln konnte. Das zweite war beruhigt, nicht weiter wild angestoßen zu werden und schloss die Augen. Martha legte das schlafende Baby rechts neben sich aufs Bett. Millie verstand und übergab ihr das dritte Kind, das eben ansetzen wollte, Millies Bluse anzusaugen.
"Du hast deine eigenen Kinder, Mildrid. Ich kann die drei satthalten", meinte Martha Merryweather. Millie erwiderte, dass sie das wusste, aber Martha immer noch nur zwei Arme hatte. Eileithyia musste über diesen frechen Konter hinter vorgehaltenen Händen grinsen.
"Komm mir jetzt nicht mit sowas", grummelte die junge Drillingsmutter. Julius befan, die unnötige Anspannung endlich zu beenden und erzählte, dass alle in Frankreich lebenden Verwandten sich über die drei freuten und der Mutter alles gute wünschten. Er zog einen Packen Briefe aus einer Tasche. Doch Eileithyia baute sich zwischen ihr und ihm auf und sagte: "Die müssen wir mit trockener Keimfreisubstanz behandeln, weil die wohl von Eulen getragen wurden. Legen Sie die Bitte da in den Korb!" Julius verstand. Er legte den großen Packen Briefe in den Korb. Dann fragte er Millie, ob sie die Geschenke für Mutter und Kinder auch in den Korb legen möge. Millie nickte und holte aus ihrer Practicus-Handtasche zwei Planschnixen, einen Schlummerdrachen, und eine wie eine extragroße Pergamentrolle zusammengedrehte bunte Unterlage. An dem elastischen Band, was die Rolle zusammenhielt stand in bunten Lettern: "Pirot & Pirot Teppich bunter Träume. Als sie die Sachen für die Kleinen in den Korb gelegt hatte holte sie noch drei dicke Bücher aus ihrer Handtasche, einen Bildband über die wichtigsten Hexen und Zauberer der vereinigten Staaten seit ihrer Gründung, einen Roman über eine Zaubererfamilie, die von Frankreich in die Staaten ausgewandert war und was sie da so erlebte und ein Buch über eintausend Spiele für Kinder von null bis zwölf Lebensjahren. Auch diese Bücher legte sie in den Korb. Als sie sich zurückzog klappte der Korb zu. Es klang, als würde nun Sand durch den Korb Rieseln. In der Zeit, wo die Entseuchungsprozedur ablief sprachen die Eheleute Latierre mit Martha über den Ablauf der Geburt, verschwiegen ihr natürlich dabei, dass sie den Vorgang mitverfolgt hatten. Sie erzählten von den europäischen Verwandten. Da die Briefe ja noch im Trockenreinigungsvorgang waren gab Julius eine kurze Zusammenfassung der Glückwünsche und Vorschläge für eine angemessene Willkommensfeier. Dann sagte seine Mutter:
"Die wollen mir hier nicht erzählen, was sich so in der Welt tat. Aber ich habe die nette Dame hier schon einmal sehr angespannt hereinkommen gesehen. Erzähle mir also bitte, worauf ich mich gefasst machen muss!"
Julius wollte gerade ansetzen, da materialisierte sich mit lautem Plopp ein himmelblauer Schnuller genau passgerecht in seinem Mund. Seine Zähne vergruben sich darin und kamen nicht mehr frei. Seine Zunge stieß unbeholfen gegen das Nuckelende. Er versuchte, das ihm ungebeten in den Mund gezauberte Beruhigungsteil an seinem Ring wieder freizuziehen, doch es saß wie angewachsen fest.
"Ich weiß, Sie würden Ihrer Mutter jetzt all zu gerne alle Nachrichten der Zaubererwelt der letzten zwei Wochen berichten. Aber ich habe verfügt, dass sie die ihr verordnete Wochenbettzeit zur vollen Erholung an Körper und Geist nutzt, junger Mann. Stimmen Sie mir darin zu?" Julius wollte was sagen, konnte es aber nicht. So nickte er nur. "Dann ist es ja gut. Kind, spuckdeinen Schnuller aus!" erwiderte Eileithyia Greensporn. Da lösten sich Julius' Zähne aus dem Schnuller. Dieser fiel ihm aus dem Mund und löste sich beim Fallen in Luft auf.
"Ich bin im Grunde seine dienstältere Kollegin und habe ein Anrecht, mich über die gerade anstehenden Dinge zu informieren, Madam Greensporn. Diese Maßnahme war daher sehr unangemessen", sagte Martha.
"Martha, wir hatten bisher keinen Ärger, und Sie wollen mit mir auch keinen Ärger. Daher sehen Sie gütigst ein, dass Sie, solange Sie in meiner Obhut sind, die von mir erteilten Anordnungen befolgen, wenn Sie bald wieder in ihr Haus zurückkehren möchten. Wenn ich Ihrem Sohn, der nur als Ihr Verwandter herkam anordne, er soll keinerlei berufliche Dinge berichten, die Sie derzeit nicht betreffen und daher auch nicht erregen sollen, so gilt das was ich anordne. Haben Sie das verstanden?" warf die Heilerin ihre Autorität in die Waagschale. Martha Merryweather nickte verdrossen. "Sagen Sie es bitte", raunte die Heilerin. "Ja, ich habe es verstanden", presste Martha die Worte hervor und ließ sich mit den zwei selig nuckelnden Babys in die aufgetürmten Kissen zurücksinken.
Es klopfte an die Tür. Martha meinte: "O, könnte Lucky sein. Er wollte zusehen, auch um die Zeit herzukommen. Komm rein!" rief sie. Die Heilerin ließ ihren Blick zwischen der Patientin und der Tür schweifen. Als die Tür aufging trat aber nicht Lucky Merryweather ein, sondern Venus Partridge. Diese trug in jedem Arm ein Baby, das mit dem Großen Kopf an Ihren Oberkörper lehnte.
"Hallo, Millie und Julius. Dass hier sind meine kleinen Schwestern Vesta und Ceres. Die wollen nur mal guten Tag sagen." Martha funkelte Venus unerbittlich an, während Millie und Julius die kleinen Partridge-Mädchen anstrahlten wie einen leuchtenden Weihnachtsbaum. Die zwei glucksten, weil ihre große Schwester sanft wiegende Bewegungen machte. Aurore, die immer noch auf Papas Schultern thronte, sah sich die zwei anderen Babys an. Die waren ein bisschen größer als die drei, die bei ihrer Oma Martha aus dem Bauch gezogen worden waren. Jedenfalls hatten sie dieselben Augen wie ihre Große Schwester. Diese schnitt Aurore eine Grimasse, dass sie lauthals loslachte.
"Hat deine Mutter dir die zwei gegeben?" fragte Martha Merryweather."Meine Mutter schläft tief und fest. Ich bring die kleinen gleich wieder rüber, damit die auch weiterschlafen, Mrs. Merryweather", erwiderte Venus unbekümmert.
"Das ist doch nicht wahr, dass du deiner Mutter einfach die Kinder wegnimmst", entrüstete sich Martha Merryweather. Jetzt sah Venus, dass auch die silberhaarige Geburtshelferhexe sie sehr ungehalten ansah.
"Okay, ich kapier's", schnarrte Venus. "Bis dann nachher, Millie, Julius und Rorie." Sie zog sich durch die immer noch offene Tür zurück. Julius half ihr, die Tür von außen zu schließen.
"Ui, ganz viele kleine Babys", staunte Aurore.
"Sind sicher ganz ganz viele hier in dem großen Heilerhaus", sagte Julius, der durchaus mitbekommen hatte, dass seine Mutter sehr zornig auf Venus gewesen war. Um diese wieder ungehaltene Stimmung wieder aufzuhellen wollte er von den Dusoleils erzählen, dass Jeanne jetzt ganz sicher wusste, dass sie das vierte Kind erwartete und wie groß Blanche Berenice, Linda Laure, Faunus Ferdinand und Adonis schon waren. Doch seine Mutter schien keine Lust mehr auf Babygerede zu haben. Eileithyia sagte deshalb noch:
"Martha, wenn Sie es für wichtig halten, dass Ihr Sohn und seine Familie Ihre Kinder als neue Verwandte annehmen, dann sollten wir die drei anständig vorstellen."
"Nein, die zwei sind nochnicht satt. Und wenn die fertig sind lege ich noch Hillary an. Vorher kriegt Millie die nicht noch mal in die Arme."
"Mum, ist gut jetzt", sagte Julius unvermittelt streng klingend, weil er genau fühlte, wie heftig das bei Millie gerade eingeschlagen hatte. "Du musst meine Frau nicht dumm anmachen, weil du jetzt Panik schiebst, dass jemand dir die drei im Schlaf wegnehmen könnte. Was Venus gemacht hat war wohl unüberlegt, aber kein Regelfall hier. Sie hat's gut gemeint, was leider mal wieder zeigt, dass es nicht reicht, was gut zu meinen, wenn es dann schlecht gemacht wird. Du musst weder mir noch Millie die Babys in die Arme legen, wenn du das nicht willst. Aber versuch dich bitte zu beherrschen, nicht gleich auszurasten, wenn jemand den Kleinen näher als Armreichweite kommt. Millie kann nichts dafür, dass du gleich drei Babys kriegen musstest, Madam Greensporn kann nichts dafür, ich kann nichts dafür, Rorie, Chrysie und die drei kleinen Merryweathers können am wenigsten dafür. Also krieg dich bitte bitte wieder ein und lass dich nicht von den Nachwirkungen dieses Sauzeugs aus der Spur werfen, dass diese Banditen dir damals verpasst haben!"
"Wie redest du denn mit mir?" knurrte Martha Merryweather.
"Wie ich gelernt habe, mit einer Kranken zu sprechen, die Gott und die Welt für ihre Krankheit verwünscht und meint, deshalb jeden in der Umgebung tyrannisieren zu dürfen, auch wenn der oder die ihr wirklich nur gutes will", konterte Julius. "Also wie gesagt: Wir hier alle können nichts dafür, dass du die drei jetzt hast. Ich bin bereit, sie als meine Blutsverwandten anzuerkennen. Das bin ich aber nur solange, solange ich nicht fürchten muss, bei jeder Berührung oder jedem Blick von dir angefaucht oder angekratzt zu werden wie von einer wütenden Katze. Das gleiche gilt für Millie. Die erkennt an, dass du die Mutter bist und die drei deshalb nur deine Milch kriegen, solange du ihnen welche gibst. Sie ist da ja genauso festgelegt." Millie funkelte ihren Mann an, musste dann aber nicken. Sie stellte sich neben ihn. Aurore fragte wimmernd:
"Mémé böse?"
"Nein, deine Mémé muss nur viel schlafen und hat noch Bauchweh, weil sie die drei kleinen bekommen hat. Deshalb hat sie ein bisschen Angst, dass denen was passiert", sagte Julius auf Französisch.
"Was erzählst du Rorie für einen Unfug? Ich habe keine Angst. Ich bin nur wütend, weil hier alle meinen, mit mir umspringen zu können, als sei ich selbst noch ein Kleinkind, verdammt noch mal. Ja, und es hat sehr weh getan und ich hatte große Angst, als die Kleinen zur Welt kamen. Deshalb mag ich es nicht, dass jeder meint, sie mal eben hochheben oder aufwecken zu können, nur um zu sehen, wie sie mit offenen Augen aussehen."
"Mum, ich freue mich, dass du bald wieder nach Hause darfst. Da wirst du dann auch wieder zur Ruhe kommen", sagte Julius, der sich gerade an seine Zeit an Madame Maximes Seite zurückerinnerte.
"Was soll denn das jetzt heißen, Jungchen?" fragte die Heilerin.
"Entschuldigung, ich wollte Ihnen nichts unterstellen, Madam Greensporn. Ich wollte nur feststellen, dass meine Mutter sich hier nicht zu hause fühlt und erst dann wieder beruhigt ist, wenn sie nach Hause darf."
"So ist das", schnarrte Martha. "Wenn hier Leute anderen Müttern die Kinder aus der Wiege holen können, sobald sie schlafen ..."
"Ja, ich sehe es ein, dass Sie noch viel Erholung brauchen. deshalb werden wir Sie jetzt auch wieder in Ruhe lassen. Falls Sie wollen kann ich dafür sorgen, dass außer mir keiner zu ihnen hereinkommen kann und dass die drei nur hinausgetragen werden, wenn Sie sie auf denArmen haben. Ist das Ihnen recht?"
"Ph, dann hätten Sie das gleich so machen müssenund bei Mrs. Partridge auch", fauchte Julius' Mutter.
"Werde ich der Kollegin Palmer mitteilen. Achso, auch wenn ich gemäß der Absprache mit ihr bis zu Ihrer Entlassung weiter für Sie zuständig bleibe wird sie Sie demnächst besuchen. Ich hoffe, das ist Ihnen recht."
"Ihr macht hier doch eh, was ihr wollt", erwiderte Martha verdrossen.
"Vor allem das, was wir müssen", erwiderte die Heilerin ruhig. Dann winkte sie den Besuchern, vor ihr aus dem Zimmer zu gehen.
"Also, für die Tochter eines Heilers hat sich die junge Ms. Partridge sehr töricht und verantwortungslos verhalten", grummelte Großheilerin Greensporn, als sie in ihrem stationseigenen Büro saßen. Julius und Millie nickten. "Das werde ich ihr gleich noch entsprechend rückmelden. Aber zumindest haben Sie einen klaren Eindruck erhalten, wie sich Ihre Mutter und Schwiegermutter gerade befindet. Ob das so gut war, ihr klar zu attestieren, dass sie Angst hat muss ich mir noch überlegen. Leider haben Sie damit ja recht gehabt. Aber nicht immer ist es heilfördernd, dem Patienten auf den Kopf zuzusagen, was jemand an ihm erkannt hat."
"Mag sein, weil ich meine Mutter nicht als Patientin sehe, sondern als gerade in einer Ausnahmelage befindliche Anverwandte. Und was ich ihr an den Kopf geworfen habe halte ich aufrecht. Nur weil sie durch dieses VM-Gesöff oder Pulver oder was immer eingeimpft bekommen hat, die ihr dadurch aufgeladenen Kinder unter allen Umständen kriegen und großziehen zu müssen rechtfertigt das keine Biestigkeiten gegenüber denen, die mit ihr friedlich auskommen wollen. Da musste ich ihr das sagen, dass ich finde, dass sie gerade viel Angst hat, auch damit ihre Enkeltochter das versteht, dass ihre Großmutter nicht böse geworden ist. Ich hatte einen Großvater, der ist relativ jung gestorben, gerade mal vierundsechzig Jahre alt geworden. Der war bis zu meinem siebten Lebensjahr ein liebenswerter Opa, der mir viele wahre Abenteuer aus seiner Seemannszeit und natürlich auch jede Menge Seemannsgarn erzählt hat. Dann fing es bei ihm an, im Kopf unklar zu werden. Er vergaß das, was drei Tage zurücklag und wurde immer rammdösiger, also verunsicherter und verärgerter. Das hat darin geendet, dass er mich für einen Bankert also Bastard gehalten hat, weil er nicht mehr auf dem Schirm hatte, öhm, nicht mehr wusste, dass er bei der Hochzeit meiner Eltern, während der Schwangerschaft meiner Mutter und bei meiner Taufe dabei war. Der wusste einfach nicht mehr, dass sein Sohn, mein Vater, die Frau geheiratet hat, die mich zur Welt gebracht hat. Einige von seinen ehemaligen Mannschaftskameraden, die bei der Beerdigung dabei waren haben, weil sie meinten, ich hätte das nicht mitgekriegt, behauptet, dass ich wohl eine Menge Onkel und Tanten in der Welt herumlaufen hätte. Ob das stimmt haben meine Eltern nie nachgeprüft. Dann kam ich nach Hogwarts, und von da an war das sowieso eine total andere Geschichte. Ja, und meine Mutter habe ich immer als überlegt, logisch handelnd und selbstbeherrscht erlebt. Wenn ich nicht an jemand anderem mitbekommenhätte, wie diese Vita-Magica-Manipulation einen verändert hätte ich jetzt glatt behauptet, dass die Frau mit den Drillingen nicht meine Mutter sein kann."
"Moment, Chloe hat mir eigentlich eine umfangreiche Anamnese zukommen lassen, nachdem ich Ihre Mutter von den Drillingen entbunden habe. Aber was Sie mir gerade erzählen war da nicht erwähnt. Könnte es auch an den weit nach der Geburt geweckten Zauberkräften liegen und dass sie verständliche umstellungsschwierigkeiten hatte, nun nicht mehr die Frau zu sein, die einen Zauberer geboren hat, sondern eine Hexe wie Ihre Frau oder ich?" Julius wiegte den Kopf und räumte ein, dass er nicht genug Heilerwissen habe, um das sicher bestätigen oder ausschließen zu können. Er wusste nur, dass sie wohl in der Tat mit der neuen Lage erst mal fertig werden musste.
"Ja, und dann heiratet sie und wird mit gleich drei Kindern schwanger. Sie erfährt, dass diese Zeugung nicht wirklich nur eheliche Liebe war und erfährt auch, dass viele andere dieses Schicksal ertra.., öhm, erdulden müssen. Natürlich hat sie sich in dem Moment ausgenutzt und missbraucht gefühlt. Und genau darum trete ich ja auch gegen diese unzulässige Vorgehensweise dieser sogenannten Vereinigung zur Erhaltung magischen Lebens an", sagte die Heilerin und fischte nach einem Notizblock. Sie bat Julius, ihr noch mal die für eine Ergänzung der Anamnese nötigen Angaben zu machen. Millie wandte schon ein, ob das jetzt nicht sehr gemein sei. Doch die Heilerin winkte ab und sagte, dass jede Möglichkeit ihrer Schwiegermutter zu helfen genutzt werden sollte. Millie müsste sich damit anfreunden, dass ihre Schwiegermutter gerade mehr Hilfe nötig habe als sonst. Millie stieß aus: "Den Spruch hat meine Tante Béatrice auch gebracht, als Mémé Line die vier ganz kleinen im Bauch hatte."
"Ja, und da hatte Ihre Tante vollkommen recht, junge Dame", erwiderte Eileithyia Greensporn. Julius musste sich sehr beherrschen, nicht schadenfroh zu seiner Frau hinüberzusehen. Dass sie das aber mitbekam war ihm klar.
"Was erzählt ihr da immer?" fragte Aurore auf Französisch. Nochkonnte sie nur wenige englische Sätze sprechen und verstehen. So erzählte ihr Vater nur, dass sie darüber sprachen, was mit ihrer Oma Martha los sei und dass sie machen wollten, dass es ihr wieder ganz gut ginge.
"Die Partridges werden vielleicht noch warten, bis die glückliche Mutter wieder aufwacht. Hunger auf Muffins?" fragte die Heilerin. Julius übersetzte das für seine Tochter. Die kannte das schon vom letzten Besuch in den Staaten. Deshalb freute sie sich. Die Heilerin nahm eine jener silbernen Schallverpflanzungs-Sprechdosen und klappte den Deckel auf. "Cosima, schon viel bei euch los?"
"Crake, Pia und Hannah sind schon da. Pia wollte dich noch mal wegen der VM-Geburten aus Cloudy Canyon sprechen."
"Wenn Sie heute nichts anderes mehr zu tun hat möchte sie bitte warten. Ich bin noch mit denBesuchern von Mrs. Merryweather im Büro und warte auf die Partridges. Hat Hannah schon alle Schokomuffins weggefuttert, die du gebacken hast?"
"Neh, aber sie kommt sicher noch drauf", erwiderte Cosima Tripontes' Stimme. "Gut, dann schick bitte neun Stück zu uns rauf und eine große Kanne Kakao und vier Becher!"
"Du meinst runter. Die Cafeteria ist ganz oben", erwiderte die Heilerin im Zunftbüro.
"Die schicken nichts runter, weil die das gleich bezahlt haben wollen. Deshalb möchte ich die Latierres und ihre erstgeborene auf Zunftkosten einladen."
"Geht klar", erwiderte Heilerin Tripontes.
"Haben Sie hier Hauselfen?" fragte Julius. Da krachte es schon, und ein kleines Wesen mit fledermausartigenOhren, einer tomatenroten Knollenase und wasserblauen Kugelaugen groß wie Tennisbälle stand im Raum. Es war nur mit einer Art Geschirrtuch mit dem Wappen des HPKs bekleidet. Mit Kopf und Händen stützte es ein Tablett, auf dem ein großer Teller mit Muffins, eine mächtige Porzellankanne und vier Becher standen. "Heilerin Cosima wünscht guten Appetit und noch schöne Zeit hier in der HPK", piepste das Wesen.
"Danke, Witty! Grüß schön zurück!" Das Wesen, das Julius jetzt als Hauselfe erkannte, verbeugte sich und verschwand wieder mit lautem Knall im Nichts.
Während sie den Muffins und der Kakaokanne zusprachen sprachen sie über Viento del Sol, Millemerveilles oder die Unterschiede zwischen Thorntails, Hogwarts und Beauxbatons. Dabei kam heraus, dass die Heilerin Französisch konnte, wobei sie kanadischenAkzent sprach. Sie bedauerte, nicht zur Quidditchweltmeisterschaft gekommen zu sein, aber in der Zeit hätten mehrere Hexen kurz vor der Niederkunft gestanden, darunter ihre Enkeltochter. Millie und Julius nickten. Die Heilerin schaffte es, Aurore ohne aufdringlich zu werden nach ihren ersten richtig gut erinnerten Erlebnissen zu befragen. Dann meinte sie noch: "Ich hoffe, ihr vier werdet weiterhin mehr Spaß als Ärger miteinander erleben." Millie fand jetzt die Stimmung locker genug, um zu fragen, obb Eileithyia ihr das Buch signieren könne, dass sie selbst geschrieben habe. Sie tat es gerne. Julius fragte nun, wie viele kleine Hexen und Zauberer sie mit den dreien auf die Welt geholt hatte, die sie gerade besucht hatten.
"Genau zweitausendunddreihundert stramme Kinder, davon eintausendzweihundertachtzig kleine Hexen und eintausendundzwanzig kleine Zauberer", erwiderte Eileithyia Greensporn. "Und wie ich das sehe werde ich in den nächsten drei Wochen noch zehn weitere neue Zaubererweltbürger auf dieser schönen Welt begrüßen." Aurore fragte, was ihr Papa jetzt hatte wissen wollen. Er erklärte, dass die silberhaarige Tante Heilerin auch kleine Kinder aus den Bäuchen ihrer Mamans herausholte wie ihre Tante Béatrice und er halt wissen wollte, wie viele das bei ihr schon waren.
Als dann Vater und älteste Tochter Partridge ins Büro kamen schaltete die gerade erst in der Betriebsart Nette Oma plaudernde Heilerin wieder auf gestrenge Großheilerin um. Sie bat die beiden Partridges, sich zu setzen. diese hatten wohl mitbekommen, dass hier gerade Kakao und Kuchen vertilgt worden waren. Dann brach Madam Greensporns Tirade über Venus herein, was ihr denn eingefallen sei, ohne ihre Mutter zu fragen einfach mit den beiden Kleinen das Zimmer zu verlassen, ja sie ihr Vertrauen missbraucht habe, die beiden während ihres Schlafes wegzutragen und dass sie damit nicht nur das Vertrauen ihrer Mutter missbraucht, sondern auch das Vertrauen aller hier auf Station liegenden Patientinnen in den Schutz und Sicherheit des HPK erschüttert habe. Martha Merryweather müsse womöglich eine Woche länger im Wochenbett liegen, um ihr seelisches Gleichgewicht wiederzufinden, weil sie jetzt fürchten müsse, jemand könne ihr im Schlaf alle Kinder wegnehmen und dass gerade jene Mütter, die durch den unzulässigen Cocktail von VM ihre Kinder zu verdanken hätten noch empfindlicher und misstrauischer auf alles reagierten, was mit ihren Kindern passierte. Als Venus das alles mit gewisser Ruhe über sich hatte ergehen lassen antwortete sie:
"Das war mir in dem Moment klar, wo Julius' Mom mich so angestarrt hat, als hätte ich ihr gerade einen Fluch aufgehalst. Mein Vater hier meinte ja auch schon, ich hätte die beiden nicht aus dem Zimmer tragen dürfen. Aber er wollte nicht hinter mir herrennen, weil er ja auch aufpassen musste, dass meine Mutter nicht aus dem Schlaf schreckte."
"Ich habe zwischen zwei gravierenden Dingen abwägen müssen. Das eine ist das von Ihnen erwähnte Misstrauen und das andere war die Anerkennung meiner spät dazugekommenen Kinder durch meine Erstgeborene", setzte Silvester Partridge an. "Ich befand dann zu gunsten der Anerkennung und habe deshalb sichergestellt, dass meine Frau nicht zu früh erwacht, um keinen Schock zu kriegen. Natürlich ist es eine unbedachte und damit auch verantwortungslose Handlung gewesen, dass Venus die beiden anderswo hingetragen hat. Doch es ist jetzt nun einmal passiert, und ich gehe sehr davon aus, dass Sie die zweifellos entstandene Unstimmigkeit mit Mrs. Merryweather wieder beheben können, Kollegin Greensporn."
"Soll mich das jetzt ehren, dass du mir derartig große Leistungen zutraust, Silvester. Am Ende bleibt mir vielleicht nur, das Gedächtnis von Mrs. Merryweather dahingehend zu verändern, dass deine Tochter mit den beiden kleinen Schwestern nicht hereingeplatzt ist."
"Ey, das verbitte ich mir jetzt aber. Ich habe nicht die Tür aufgerissen und bin reingestürmt, sondern habe höflich geklopft. Abgesehen davon müssten Sie dann auch Mr. Merryweather das Gedächtnis umformen, weil der gerade aus dem zimmer von Mrs. Merryweather kam, als Dad und ich auf dem Weg zu Ihrem Büro waren."
"Moment mal, der war hier und ist schon wieder weg?" fragte Heilerin Greensporn. "Und der hat es weder für nötig gehalten, sich bei mir anmelden zu lassen oder zumindest kurz bei mir anzuklopfen, um zu fragen, was passiert sei und seinen Verwandten aus Frankreich ein höfliches "Bonjour" zu wünschen?"
"Der war sicher froh, schnell wieder hier weg zu kommen", meinte Venus ungerührt von dem heftigen Tadel, den sie sich gerade eingehandelt hatte. Mr. Partridge räusperte sich und ergänzte sachlich:
"Nun, er wirkte auf jeden Fall so, als habe er einen unaufschiebbaren Termin und müsse sich beeilen, pünktlich zu sein."
""Gut, weil er der Kindsvater ist kann ich ihm da nicht dieselben Beschränkungen auferlegen wie anderen Besuchern. Aber seine Frau benötigt die Ruhe, die ich ihr verordnet habe. Sonst bleibt sie eben noch eine Woche länger hier."
"Das liegt in Ihrer Zuständigkeit, Kollegin Greensporn", erwiderte Silvester Partridge. Öhm, möchtet ihr noch hier bleiben, oder möchtet ihr mit uns wieder nach VDS zurück, Mildrid und Julius?"
"Hmm, gibt es noch was zu besprechen?" fragte Julius die Heilerin.
"Nein, ich denke, wir haben jetzt alles vollständig besprochen, Mr. Latierre. Reisen Sie heute noch nach Millemerveilles zurück?"
"Wir bleiben noch das restliche Wochenende in VDs", sagte Julius.
"Gut, dann kann ich Sie dort über die Kollegin Palmer erreichen, die Sie sicher auch noch mal sprechen möchte", sagte Madam Greensporn. Dann bedankte sie sich bei den Latierres für den Besuch und ihr Verständnis für die Ausnahmelage von Martha Merryweather.
Cosimas Küche war mit fünf Leuten besetzt, darunter eine zwei Meter große, hellhäutige Hexe mit pechschwarzem glatten Haar und dunkelbraunen Augen. Millie musste feststellen, dass es auf dieser Welt auch außerhalb der Latierre-Sippe überdurchschnittlich große Hexen gab. Silvester Partridge begrüßte die Leute, allesamt Kollegen. Die 2-Meter-Hexe stellte sich den Latieres als Pia Goldfield vor, die residente Heilerin und Hebamme in Cloudy Canyon. Sie wusste natürlich , dass Julius die Brocklehursts kannte und bat die Latierres, Linus Brocklehurst zu grüßen, wenn sie ihn in VDS trafen. Sie versprachen es, obwohl sie wussten, dass er bis zu ihrer Abreise nicht wiederkommen würde.
Wieder zurück in Viento del Sol trennten sich die Partridges und die Latierres vorerst. Venus lud die beiden jungen Eltern ein, morgen noch einmal über dem Quodpotstadium zu fliegen.
"Mrs. Goldfield habe ich auch kennengelernt. Die hat Linus auf die Welt geholt", sagte Brittany, als die Latierres wieder bei ihr im Haus Buchecker saßen. "Hat mir schon imponiert, dass es noch andere große Hexen gibt." Millie bestätigte das.
"Ja, das ist das, was Onkel Lucky im Moment auch so runterzieht, was schon eine Menge heißen will. Wenn Tante Martha das nicht hinbekommt, diese ständige Belauerungshaltung wegen der drei Babys runterzukühlen könnte das der erste echte Krach zwischen den zweien werden. Öhm, habt ihr nicht erzählt, dass Sandrines Mann sich auch immer um längere Dienstreisen bemüht, seitdem die Sache mit dem gemeinsamen Haus überstanden ist?" Julius bestätigte das. "Dann bin ich ja froh, dass der kleine Brocklehurst keine so übermisstrauische und eifersüchtige Mom kriegt. Hoffentlich kriegt Venus' Mom nicht raus, dass ihre eigene Tochter ihre beiden Spätankömmlinge kurz entführt hat. Dann tanzen hier noch hundert Donnervögel. Aber in gewisser Weise stimmt's schon, dass es nicht fair ist, einer schlafenden Mutter mal eben das Kind aus der Wiege zu pflücken und damit herumzulaufen. Sehe ich zumindest ein, weil ich gerade die Wiege für den Kleinen hier bin."
"Das es ein Junge ist ist euch also schon klar. Hast du für den schon einen Namen?" fragte Julius, damit er nicht doch noch aus Versehen damit rauskam, dass er den Namen schon mal gehört hatte.
"Wie zwischen Linus und mir festgelegt kriegen die Jungen einen L-Namen und die Mädels einen B-Namen. Deshalb heißt mein quirliger Bauchturner Leonidas, wenn er es schafft, da durchzukrabbeln", sagte sie und deutete ungeniert auf ihre Körpermitte.
"Und das mit dem veganen Essen haut noch gut hin?" fragte Millie.
"Aber sowas von. Falls ihr nicht doch zu sehr auf Tierstücke eingestellt seid kriegt ihr nachher was ganz feines mit allem, was für junge Mütter und solche, die's werden wichtig ist."
Bis zum angekündigten veganen Essen spielten die Latierres und Brittany mit Aurore. Diese war jedoch nach anderthalb Stunden total müde. Als sie auf Brittanys Schoß saß legte sie ein Ohr an den in freudiger Erwartung angeschwollenen Bauch und lauschte. Da stupste sie wohl wer. Sie erschrak. Doch Brittany beruhigte sie und legte Aurores Hand unter ihren Bauchnabel. Jetzt fühlte sie die kleine Faust, die gerade groß genug war, um in Aurores Hand zu passen. Sie stupste vorsichtig zurück. So entspann sich ein gegenseitiges Händestupsen durch Brittanys warme Bauchdecke hindurch. Aurore fand das ganz lustig, dass so ein Bauchkind nicht nur schlief. Dann fragte sie, ob es dem Baby keine Angst machte, da drinnen zu hängen."
"Das ist im Moment das einzige, was der kleine kennt, und er fühlt, dass es ihm alles gibt, was ihn glücklich macht", erwiderte Brittany, wobei Millie als Übersetzerin aushalf. Julius hielt sich in zwei Schritten Abstand. Als Aurore dann noch das Köpfchen des Ungeborenen ertasten konnte streichelte sie behutsam darüber. "Das hat er gern, vor allem, wenn ich gerne schlafen möchte und er noch zu wach ist", ließ Brittany übersetzen. Sie empfand es offenbar als völlig normal, dass eine Zwei ein Viertel Jahre alte Junghexe schon so früh so viel über denOrt lernte, von dem die Babys kamen.
"Vielleicht hast du gerade deine Schwiegertochter auf dem Schoß sitzen, Britt", scherzte Millie.
"Hmm, müsste ich nachprüfen, ob das geht, dass die Kinder von Cousins und Cousinen heiraten dürfen."
"Kommt auf den Grad der Blutsverwandtschaft an", meinte Julius dazu. Die beiden erwachsenen Hexen grinsten darüber nur. Hatten die echt jetzt überlegt, dass Aurore irgendwann mal Brittanys noch nicht geborenen Sohn heiraten könnte? Millie traute er das zu - ja, und Brittany auch. Aber vielleicht legte sich das, wenn Aurore älter war und der kleine Brocklehurst ein plärrender, sabbernder Windelpupser war und kein interessantes, weil noch unsichtbares Wesen, dass im Gluckerbauch einer ganz großen Hexe wohnte. Aber die Vorstellung war schon interessant, fand er nun auch.
Das Abendessen, dass Brittany auftischte bestand aus sieben Gängen, zu denen Salat, Maisnachos mit Avocadotunke, eine chinesische Gemüsesupe ohne Fleisch oder Ei, ein großer Auflauf ohne Käse und Reisbällchen im Maismehlteigmantel gehörten. Julius stellte fest, dass die Reisbällchen mit Currygewürzen und exotischen Kräutern gespickt waren. Zum Nachtisch gab es einen tropischen Obstsalat, von dem Aurore zwei Portionen nahm, weil sie beim Auflauf nicht so heftig zugelangt hatte.
Als Aurore und Chrysope in den mitgebrachten Reisebetten lagen unterhielten die erwachsenen im Bucheckernhaus sich noch über die ganzen Vita-Magica-Kinder. Julius fühlte sich schwummerig, weil er daran dachte, wie viele Leute die Kinder derartig abstempeln würden. Kurz vor dem Schlafengehen meinte Brittany noch zu ihm, dass sie selbst wohl auch erst mal damit fertig werden müsste, wenn ihre Mutter ihr auch noch ein Geschwisterchen vorstellen würde.
"Schönes breites Bett", meinte Millie, als sie nach Julius aus dem an das Gästezimmer angrenzenden Badezimmer gekommen war. Sie deutete auf die breite Matratze und die einzige große Bettdecke. Nur von den Kissen gab es für jeden zwei. Julius grinste. Dann fragte er: "War da nicht was mit dem Wochenende?"
"O ja, da war was. Moment, muss nur dafür sorgen, dass wir keinen aufwecken", mentiloquierte sie und baute mal eben einen provisorischenKlangkerker auf. Dann wandte sie sich der Wiege mit Chrysie und dem kleinen Reisebett mit Aurore zu. Julius empfand eine seltsame Beruhigung, seine Töchter friedlich schlafen zu sehen. Dann hörte er Millie mit behutsam in Sonnenlaufrichtung über der Wiege pendelndem Zauberstab murmeln: "Naantavorakarti o tosakartu Ashtardari! Diesen Zauber wiederholte sie nun noch an Aurore. Julius kannte die Sprache und verstand: "Erwache nicht, bis dich weckt der Sonne Licht!" Den Zauber kannte er sogar aus Madrashainorians Leben. Das war einer der wenigen allen Elementarvertrauten zustehende Spruch, um kleine Kinder in tiefen, ruhigen schlaf zu versenken, vor allem dann, ... ja, vor allem dann. Julius sah Millie an, wie sie ganz ruhig den Zauberstab auf ihrer Bettseite auf den Nachttisch legte und sagte: "Wir haben eine ganze kalifornische Nacht lang Zeit, Monju. Fühlst du dich dem Gewachsen?"
"Du willst eine Revanche für den kleinen Brocklehurst, wie?" fragte Julius mit tiefer Stimme.
"Aber sowas von", erwiderte Millie mit verheißungsvoller Körperdrehung in seine Richtung. "Ja, und wenn hier ein Erdbeben passiert waren wir das", erwiderte Julius schon an Übermut grenzend. So dauerte es lange, bis beide endlich müde genug waren und Julius meinte, mindestens vier Regenbogenvögel gerufen zu haben, bis sie endlich nebeneinander einschliefen.
"Sie werdenihn nicht wieder zurückvergrößern können", sagte Pater Decimus Sixtus mit unüberhörbarer Schadenfreude. Neben ihm stand seine Nichte, die vor bald einem Monat Milton Cartridge zu entführen versucht hatte. "Immerhin habt ihr mich wieder großmachen können. Dieser verdammte Veelazauber."
"Tja, dafür muss er jetzt mit allen Erinnerungen ganz neu aufwachsen."
"Du weißt, Onkel, dass ich ihn gerne neu großgezogen hätte, aber nicht als Milton Cartridge."
"Ich weiß. Aber vielleicht kriegst du ja deine Chance, ein ganz neues Kind hervorzubringen. Das Ultimatum in England läuft bald ab. Wenn die schwarze Billardkugel bis zum festgelegten Tag nicht nachweist, dass er erfolgreich einen Nachkommen gezeugt hat, Holen wir ihn her und stecken ihn ins Karussell."
"Der kann sich verdammt gut wehren. der hat gegen den Reinblutfanatiker Riddle gekämpft und überlebt."
"Riddle war ein armseliger, weil hochgradig geisteskranker Tropf, der nur insofern Glück hatte, nicht mit uns zusammengestoßen zu sein, weil er diesen verflixten Fluch Clingsors über seine Heimat gespannt hat, dass wir nicht an ihn herankamen."
"Ich wollte auch nicht seine Kinder kriegen. Wenn da wirklich Slytherinblut in seinem Stammbaum war dann nicht. Dann lieber das von einem Rainbowlawn oder Montague."
"Ich weiß", sagte Pater Decimus Sixtus. "Was sagt Evangeline über diesen unzufriedenen Burschen Dumas, der meint, uns suchen zu müssen?"
"Dass er knapp davor war, einen von uns zu enttarnen. Er ist gerade auf Réunion und hat da wohl die Spur unserer letzten Party aufgenommen, aus der zwanzig neue Zaubererweltkinder hervorgehen werden."
"Wissen wir, wie lange er da noch bleibt?"
"Bis zum fünfzehnten."
"Gut, ich kläre das im Rat. Wenn er bis dahin keine Spur von uns hat kann er zurück zu seiner Frau und endlich annehmen, was wir ihr und ihm ermöglicht haben. Wenn er doch was findet soll Mater Vicesima entscheiden."
"Die Sache mit den Wissenschaftlern, die von den Vampiren gesucht wurden hat sich als echt herausgestellt. Das Laveau-Institut und die achso ihre eigene Freiheit liebenden Hexen aus der Nachtfraktion haben die Forscher gerettet und denen wirksame Vampirvorbeugungsmittel untergejubelt."
"Und was ist mit diesem Vengor?"
"Da bist du bei mir falsch. Das musst du mit anderen aus dem Rat klären."
"Solange er die ganzen Unfähigen abmurkst, um seine Todeskristalle zu züchten sollte es uns egal sein. Aber andere Hexen und Zauberer umzubringen, ja eine ganze Blutlinie mit allen Nebenzweigen auszulöschen dürfen wir ihm nicht durchgehen lassen."
"Ich bleibe mit meinen arglosen Zuträgern weiter an seinen Leuten. Haben wir einen, kriegen wir vielleicht auch den großen, grünen Meister."
"Wird sich zeigen. Öhm, diese Nancy Gordon. Sorge dafür, dass sie an unserer Halloweenparty in Miami teilnimmt! Die hat unseren Brief so frech beantwortet."
"Verstehe. Sie darf aber nicht wissen, dass da nur Hexen und Zauberer zu eingeladen werden", sagte Betsy.
"Das versteht sich", sagte pater Decimus Sixtus. Dann fiel ihm noch was ein: "Wenn die Blutsauger finden, sich durch magielose Panscherei an Erbverändernden Mitteln vermehren zu müssen, vielleicht wird es dann Zeit, ein Vampyrozid zu entwickeln und hierzu auch Wissenschaftler aus der Welt der Magieunfähigen heranzuziehen."
"Das besprichst du besser auch im Rat. Ich halte mich bereit für einen Einsatz, um entweder Cartridge oder Sandhearst herzuholen oder biete meinen Leib an, weitere Kinder darin auszureifen", antwortete Betsy
"Er durchlebt sein Leben mit hundertfacher Geschwindigkeit", sagte Großheiler Arcaureus Springwater, als er mit der im Laveau-Institut arbeitenden Kollegin Mia Silverlake vor dem Bett von Elysius Davidson stand. Das Zimmer war abgedunkelt, und der Patient zuckte mit Armen und Beinen. Seine Augen bewegten sich schnell hin und her, und aus seinem Mund drangen verstümmelte Silben. "Ich würde ihm gerne den Sanasomniustrank geben. Aber weil sein Körper gerade in einer intensiven Bewegungsphase ist traue ich mich das nicht."
"Immerhin ist er jetzt schon wieder auf der Welt", sagte Mia.
"Ich fürchte, wir werden das tun müssen, was die Muggel in ihren Heilstätten machen, ihm eine Hohlnadel in den Arm stecken und über einen Schlauch wichtige Nähr- und Schutzstoffe direkt ins Blut eintropfen lassen."
"Kann man diesen Prozess nicht doch vorzeitig beenden?" fragte Mia.
"Könnten wir wohl, aber ich fürchte dann um die geistige Gesundheit von Mr. Davidson."
"Gut, dann machen Sie das, was nötig ist, um ihn körperlich gesund zu halten, bis er wieder an dem Punkt ist, wo er den Zauber versucht hat."
"Und sie wollen mir nicht erzählen, gegen wen er diesen Zauber versucht hat?"
"Nein, weil die betreffende Person gerade unabkömmlich ist", sagte Mia. "Wichtig ist erst, dass es ihm soweit gut genug geht, dass er nicht stirbt."
"Ja, wenn er je wieder richtig ins Leben zurückkehrt. Am Ende hat der Zauber eine Lebensschleife ausgelöst, dass er immer und immer wieder von vorne sein bisheriges Leben durchläuft", sagte Springwater. Mia nickte betroffen. Dann verabschiedete sie sich von ihrem Kollegen und den im Bett ruckenden und zuckenden Elysius Davidson.
Julius und Millie fühlten sich so, als hätten sie ein mehrtägiges Trainingslager durchlaufen. Doch es war eher ein mehrnächtiges Training gewesen. Tagsüber hatten sie nur dank ihrer guten Kondition ohne Tränke ausgehalten.
"Dieser Schlafzauber sollte nur eine Woche lang oder jeden Monat nur sieben Mal benutzt werden, habe ich gelernt", sagte Millie. "Sonst stellt sich der Körper irgendwann darauf ein, bei Einbruch der Dunkelheit sofort in tiefen Schlaf zu sinken." Julius verstand das. Auch er hatte Zauber erlernt, die nicht andauernd angewendet werden durften, ohne dass sich Mutter Natur irgendwann rächte.
Sandrine hatte ihnen geschrieben, dass Gérard auf Réunion sei, weil er dort was für seine Firma erwerben sollte, das aber wegen der Zeit erst Mitte Oktober verfügbar sei. Julius war die Sache nicht geheuer. Gérard nutzte jetzt jede Gelegenheit, Sandrine alleine mit den Zwillingen Estell und Roger zu Hause zu lassen. Am Ende jagte er doch noch hinter den Leuten von VM her. Wie übel das ausgehen konnte hatte er mehr als einmal zu sehen bekommen.
Was ihm auch gewisse Sorgen bereitete, ohne direkt davon betroffen zu sein, war, dass Joe Brickston sich immer mehr in seiner Arbeit verbuddelte. Ging der jetzt darauf aus, möglichst bis zum 40. Lebensjahr drei oder vier Stufen auf der Karriereleiter nach oben zu steigen? Oder hatte sein Chef befunden, dass ein Engländer für dieselbe Anerkennung die dreifache Arbeit zu leisten habe? Gut, was Joe für sich anstellte war ihm egal. Doch dass Catherine und Claudine darunter litten und Laurentine Hellersdorf die kleine Brickston mehr als einmal pro Woche bis zum Abendessen in der Wohnung hatte war schon alarmierend. Aber außer vielleicht Madame Faucon und den Eltern von Joe konnte ihm da wohl keiner dreinreden, ohne Magie zu gebrauchen. Er hoffte nur, dass er nicht in so einen Arbeitsdrang verfallen würde. Die Recherchen und Schreibarbeiten am Computer ließen einen leicht vergessen, wie schnell die Zeit verging. Er wollte nicht so werden wie sein Vater. Er wollte seine Kinder beim Aufwachsen miterleben und auch mal sagen, dass er jetzt nicht irgendwas berufliches machte.
Als er und Millie am 12. Oktober eine Eule von Melanie Redlief erhielten vergaß er erst einmal die Sorgen.
Hallo Millie und Julius.
Womöglich haben es Gloria oder Brittany schon erwähnt, dass ich vorhabe, im Juni in den Club der verheirateten Hexen einzutreten. Nein, ich bin nicht schwanger! Ich habe auch nicht die Absicht, es vor Eintritt ins Eheleben zu werden. Das nur, weil ja in den letzten Monaten zu viele Hexen jeden Alters unverhofft zu Kindern gekommen sind, manchmal als Jungfrau, manchmal als liebenswerte Großmutter. Ich möchte hoffen, dass mir dieses Unding nicht passiert, was Britt beinahe und deiner Mutter, Julius, passiert ist. Da es meinen künftigen Schwiegerverwandten wichtig ist, dass ihr Sohn vor Zeugen bestätigt, sich bald zu verheiraten, haben wir am 20. Dezember eine Verlobungsfete geplant. Und hier nun noch der offizielle Text:
Sehr geehrte Familie Latierre,
hiermit möchten wir, Melanie Redlief und Titonus Chimer, euch mitteilen, dass wir uns entschlossen haben, am 20. Juni 2003 vor einen Zeremonienmagier zu treten und uns von diesem in den geheiligten Bund der Ehe einführen lassen möchten. Wir gedenken dieses großartige Versprechen, dass wir uns geben werden, mit einer Verlobungsfeier im kleinen Kreis zu begehen und möchten hierzu alle guten Freunde, lieben Kollegen und enge Verwandte dazu einladen, am 20. Dezember 2002 gegen 17:00 Uhr Ortszeit in den Räumlichkeiten des Glashutturms zu erscheinen und mit uns zu feiern. Falls ihr, Millie, Julius, Aurore und Chrysope an diesem Tag Zeit, Lust und Laune habt, seid ihr herzlich eingeladen, dieser Festgesellschaft beizuwohnen. Bitte schreibt uns möglichst bis zum 20. November 2002, ob ihr mitfeiern könnt oder aus wichtigeren Gründen nicht an der Feier teilnehmen dürft.
Natürlich werde ich mich riesig freuen, wenn ihr alle vier dabei sein könnt. Mein Zukünftiger stammt ebenfalls aus einer Kinderreichen Familie, die sogar eine Verbindung zu den Southerlands hat, aber auch zu Brittanys Urgroßmutter mütterlicherseits. Also würde es Aurore nicht zu langweilig werden. Meine Großmutter Patricia hat ausdrücklich die Genehmigung für das Mitbringen von Kindern zwischen Ungeboren bis Thorntails-abschlussjahrgang gestattet. Für Übernachtungsmöglichkeiten wird gesorgt. Ihr braucht also keine nächtliche Rückreise antreten, auch wenn es dann bei euch schon sechs Stunden später ist als der Abreisezeitpunkt. Wir freuen uns auf jeden Fall, wenn ihr zusagt. Falls nicht, dann nehmt euch schon mal nichts für den 20. Juni vor. Denn den Termin werden wir dann garantiert einfordern. Aber nur, wenn ihr da nicht auch wieder was ganz wichtiges zu tun habt.
Bis dann
Melanie (noch) Redlief
Chimer?" fragte Julius Millie. "Wenn der mit den Southerlands verwandt ist, wie da genau?"
"Kann ich dir sagen, das war Flavius Chimer, der am 4. Juli 1876 die junge Bellona Southerland geheiratet hat, die dritte Tochter von Cepheus Southerland, und das nur deshalb, weil Cepheus sie dabei erwischt hat, wie sie miteinander Liebe gemacht haben. Um die Diskussion gleich abzuwürgen, wer da wohl wen rumgekriegt hat hat er gleich für den nächsten Monat den Zeremonienmagier bestellt. Bellona und Flavius haben stolze acht Kinder hingekriegt. Das war aber nicht der Rekord in den Staaten. Den hält das Ehepaar Ophelia und Laertis Southerland mit dreizehn Kindern zwischen 1852 und 1880.""Ja, dass die Southerlands immer schon eine furchtbar fruchtbare Familie waren haben wir ja schon mitbekommen dürfen", sagte Julius. Das heißt, bei denen in den Staaten könnte jeder dritte Zauberer oder jede dritte Hexe von denen abstammen", meinte Julius.
"Deshalb habe ich Britt ja beim Abschied gefragt, ob ich den Stammbaum der Merryweathers kriegen kann, um zu sehen, ob meine Familie bei denen schon mal irgendwie eingeheiratet hat."
"Wegen der Bauchklopfereien vonRorie und Leonidas?" mentiloquierte Julius, weil Aurore gerade über die Wendeltreppe nach oben jagte.
"Man muss sich bei Zeiten umsehen, Monju", schickte sie zurück, bevor Aurore in die Wohnküche stürmte. "Och nöh, du hast ja das halbe Herbstlaub vom angrenzenden Wald mitgebracht", meinte Julius nicht so verbittert. "Das müssen wir erst mal aus Haaren, Kleidung und Schuhen kriegen. Sonst musst du draußen essen."
"Blöde Blätter, hängen an Rorie dran."
"Dann machen wir die eben von der Rorie wieder ab", sagte Julius und griff sich seine Tochter, um mit ihr im Badezimmer zu verschwinden.
Als er dann nach nur zehn minuten mit einer entlaubten Aurore Latierre wiederkam hatte Millie gerade eine Pappostillon-Nachricht zu lesen. Martine lud alle zur längst fälligen Willkommensparty für die kleine Héméra ein. Die sollte am Tag vor Halloween steigen, weil Alon an Halloween selbst nach Kanada musste, weil die dort eine Geschäftsbeziehung mit den Ganymedwerken knüpfen wollten.
"So geht's", sagte Quinn Hammersmith, als er eine elektrische Deckenlampe montierte, die neben Licht auch ein schwaches, für Elektronikgeräte noch ungefährliches magisches Feld erzeugte. Betrat jedoch ein Vampir eine kugelförmige Zone mit 400 Metern Durchmesser, fing ein kleiner Kristall in der Lampe zu vibrieren an. Je näher der Blutsauger dann kam, desto stärker wurde die Vibration. Die allermeisten Vampire schafften es nicht, näher als hundert Meter an einen solchen Kristall heranzukommen, weil dann ihre eigenen Körper so unerträglich zitterten und sich sogar langsam erhitzten, dass sie lieber wieder zurückwichen. Deshalb hieß diese Kristallart Vampirblutresonanzkristall oder VBR-Kristall.
"Sind Sie jetzt fertig. Heute sind hier noch Vorlesungen", raunzte der Hausmeister des Massachusetts-Instituts für Technologie (MIT).
"Bin gleich hier raus, dann können die Leute bei bester beleuchtung ihren Geist erhellen, Mr. Trott", antwortete Quinn und stieg die Leiter hinunter. Er testete kurz die Beleuchtung und winkte dann dem Hausmeister. "Ihre Buchhaltung kriegt von meiner die Rechnung. Angenehmen Tag noch, Sir", sagte er.
"Tag", grummelte der Hausmeister und schloss den Hörsaal von außen ab, bis die nächste Vorlesung angesetzt war.
"Jetzt auf jeden Fall noch die ganzen Viruspanscherinstitute", dachte Quinn, der sich außerhalb seines eigenen Labors nicht sonderlich frei und beweglich fühlte. Aber Operation Brummkreisel musste unbedingt durchgeführt werden, bevor es den Blutsaugern einfiel, eine neue Liste zu erstellen und der Spion von den Schweigsamen dann nicht rechtzeitig was mitbekam oder schlimmer, auf die falsche Fährte gelockt wurde. Vorbeugen war alles. Und weil sie nicht überall Knoblauchschnüre ausspannen konnten ging eben nur das. Gut, dass er vorsorglich 100 Kristalle hergestellt hatte. Gut, dass die vom LI mit mehreren Vampiren ein Abkommen hatten, etwas von deren Blut zu nutzen. Sheena O'Hoolihan hatte bei einer Sondersitzung vor zwei Tagen festgelegt, dass das LI nun ohne Einbeziehung des Zaubereiministeriums die Nocturnianer von Forschungslaboren und Universitäten abhalten wollte. Gegen Wissenschaftler, die auf Reisen gingen, hatten sie aber noch nichts. Aber zumindest kamen die jetzt nicht mehr an die Hochschulen der Muggel ran.
"Es wird wohl in diesem Monat noch keinen Krieg geben, aber der Wächter lässt jetzt auch die Zahl der Transportvorrichtungen und Fahrzeuge vergleichen. Offenbar liegt ihm daran, herauszufinden, wie schnell die Istzeitmenschen ohne die erhabene Kraft die Welt umreisen können. Außerdem, so Yantulian, will er wohl die einzelnen Länder genauer studieren, um zu befinden, wer zuerst von den unrechtmäßigen Herrschern befreit werden muss. Er plant dazu auch eine Verlegung aller Helfer in andere Wachstellungen. Der im Heimatland soll derweil die Meere untersuchen, welche Spuren die Träger der Kraft und die Unbegüterten dort hinterlassen haben und ob es möglich ist, Altaxarroi wieder auftauchen zu lassen", berichtete Faidaria ihren Sonnenbrüdern und -schwestern.
"Ups! Atlantis wieder auftauchen lassen?!" gedankenrief Phoenix alias Olarammaya.
"So nannte dein früheres Volk unser erhabenes Reich, Olarammaya. Wie geht es dir und deiner Schwester Genarammaya?" wollte Faidaria wissen.
"Wird langsam ziemlich bedrückend hier in Mom Pattys molligwarmer Unterstube", erwiderte sie.
"Leg dich nicht mit mir an, Kleines. In spätestens zwei Wochen wirst du dir wünschen, immer bei mir unten drin geblieben zu sein."
"Aber recht hat sie, Mom. Für uns beide ist der Platz langsam zu wenig", erwiderte Pandora Straton alias Genarammaya.
"Wenn es euch gerade gut genug geht, eine Flugreise zu machen, dann werdet ihr, Gisirdaria und ich mit dem kleinen Ilangammayan aufbrechen, um den zu treffen, der zu den Altmeistern gehen und mit ihnen sprechen kann."
"Wird auf jeden Fall interessanter als das nur hier zu warten, bis ich ausgereift bin, um ans Licht zurückzukommen", grummelte Faidarias ungeborener Sohn, den sie Ilangammayan, Brückensohn, nennen wollte.
Dann möchte mir Yantulian alle Erinnerungen an die Berichte der Helfer übermitteln, damit ich sie für die heutigen Hexen und Zauberer nachvollziehbar auslagern kann", sagte Patricia alias Gwendartammaya.
"Ups! Wie komme ich denn zu der Ehre?" fragte Julius laut, als er am morgen des 13. Oktobers eine Überseeeule aus New Orleans in den Händen hielt. Eine gewisse Sheena O'Hoolihan hatte den Brief geschrieben, ihres Zeichens Interimsdirektrice des Marie-Laveau-Institutes. Sie stellte sich kurz vor und erwähnte dann, warum sie ihn als engglischsprachigen Kontakter in der Behörde für Zauberwesen in Frankreich direkt anschrieb. Es ging um eine internationale Schutzmaßnahme, die sich aus den versuchten Entführungen von Wissenschaftlern ergeben hatte. Er möge seinen Vorgesetzten fragen, ob er die Einreise eines Laveau-Mitarbeiters genehmigen und ihm eine Liste mit Forschungsstätten im Bereich der Erbgut- und Lebensvorgänge aushändigen möge. An diesen Forschungsstätten wollte er für die Nichtmagier unauffällige Veränderungen vornehmen, bei denen er Vampirblutresonanzkristalle einbauen könne, die Vampire tausendmal besser als ausgespannte Knoblauchketten und hundertmal besser als fließendes Wasser auf Abstand halten konnten. Sie erklärte die Funktion der Kristalle, ohne ihre Herstellung zu beschreiben. Julius las den Brief Pygmalion Delacour vor, der genug Englisch konnte. Dieser sah ihn an und bat darum, den Brief selbst zu lesen. Mit dem Scriptorvista- und dem Scriptum-Audietur-Zauber beschwor er ein räumliches Abbild einer eindeutig irischstämmigen Hexe mit roten Haaren herauf und lauschte wie Julius der ebenso heraufbeschworenen Stimme der Schreiberin. Dann sagte er:
"Das muss auch Ihre zweite Vorgesetzte Grandchapeau und vor allem die Leitung der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit befinden. Wenn es nach mir ginge würde ich in diesen Muggelwelt-Forschungsgebäuden sich selbst abfeuernde Armbrüste mit Bolzen aus alter Eiche einbauen, die auf magische Ausstrahlung eines Vampirs abgestimmt sind. Mag mir nicht vorstellen, dass Gabrielle und Pierre ihre Kinder in einer Welt voller Vampire großziehen sollen. Aber es können sich auch nicht viele vorstellen, dass Veela vernünftige Leute sind, schon gar nicht nach Euphrosynes Untaten."
Julius machte nun eine Runde durch die empfohlenen Abteilungen. Dies führte dazu, dass sich die angefragten Abteilungs- und Büroleiter nach der Frühstückspause im kleinen Konferenzsaal auf der Ministeretage trafen. Julius durfte dabei sein. Zwei Flotte-Schreibefedern schrieben das Gespräch mit, die eine auf Französisch, die andere auf Englisch. Das Ergebnis war, dass das Laveau-Institut die Genehmigung erhielt, die entsprechenden Vorkehrungen in französischen Universitäten und Forschungsstätten zu treffen. Julius musste dazu aber dann eine vollständige Liste dieser Einrichtungen vorlegen.
Dank des allwissenden Internets und der es durchratternden Suchmaschinen hatte Julius bis zum Mittagessen alle wichtigen Studienplätze und Forschungseinrichtungen Schwarz auf Weiß. So durfte er nach dem Mittagessen die entsprechende Antworteule verschicken, wobei alle Abteilungsleiter unterschrieben hatten.
Julius wunderte sich nicht schlecht, bei seiner Rückkehr ins Apfelhaus Jane Porter anzutreffen. Diese war mit Millies Genehmigung aus dem Bild Vivianes herausgetreten, weil Aurore zu dem Zeitpunkt draußen im Garten mit ihrem Spielzeugbesen herumfegte. Julius erwähnte den Brief und wie dieser gewürdigt worden war.
"Ihr zwei seid nicht uneingeweiht, was alte Gefahren angeht. Ich bin auf jeden Fall froh, dass Mrs. O'Hoolihan derzeit keine Jagd auf das alte Wissen veranstalten wird. Womöglich setzt sie darauf, dass das alte Wissen zu ihr kommt, wenn es dies für richtig hält, wie damals, wo es darum ging, Hallittis Wiedergeburt zu verhindern. Möchtest du die Geschichte hören, Julius? Es geht auch darum, wer dein Vater jetzt ist."
"Dann möchte ich sie nicht hören, Mrs. Porter. Ich will, dass er ganz ohne irgendeine Verbindung zu mir sein Leben führen kann. Die Chance hat er verdient", sagte Julius.
Als Aurore wieder im Haus war stellte er die ältere Hexe als Madame Araña Blanca Reichenbach vor. Jane Porter begrüßte Aurore in fließendem Französisch und nahm sie nach Landessitte in die Arme. "Madame Reichenbach ist von sehr weit hergekommen, weil sie mit Papa über ganz alte Sachen reden muss, die ihre Firma und das Zaubereiministerium zusammen suchen", sagte Millie ihrer Tochter. Damit war klar, dass die allgemeine Abendspielstunde mit Papa und Maman heute ohne Papa stattfinden würde. Aurore glubschte die Besucherin nun ungehalten an. Da sagte diese: "Ich muss erst um ganz spät abend eurer Zeit wieder zu meinen Leuten zurück. Da können wir das wichtige ja auch bereden, wenn die Mademoiselle das Stelldichein mit Monsieur Sandmann hat."
"Was?!" stieß Aurore aus.
"Madame Reichenbach sagt, dass sie warten wird, bis du ins Bett musst, kleine Prinzessin", erwiderte Julius. Dann mentiloquierte er: "Im Zweifelsfall sprechen wir dann Englisch. Das kann sie noch nicht."
"Vergiss es, damit die hört, wo ich genau herkomme?" schickte Jane Porter zurück. Es ging also immer noch, wie damals, als sie es ihm beigebracht hatte. "Auch wieder wahr", schickte er zurück.
So aßen die gerade im Apfelhaus anwesenden um acht Uhr zu Abend. Draußen war es schon fast dunkel. um halb zehn war Aurore müde genug, um endlich zu schlafen. so konnten die Hausbesitzer und ihr Gast sich in einem kleineren Raum hinsetzen und in einem provisorischen Klangkerker über alles reden, was so seit den letzten drei Monaten passiert war. Julius erwähnte dabei auch, dass er über seine Quellen auch schon von Kanoras gehört hatte. Wenn der wirklich wieder aufwachen sollte, dann war auf der Erde wirklich der Teufel los. Wenn Vengor und der sich dann noch zusammentaten konnte das sogar das Ende der Welt einläuten. Dabei wussten sie noch nicht, warum Vengor die Abkömmlinge einer bestimmten Blutlinie umbringen wollte oder musste. Julius wollte nicht zu heftig mit der Tür ins Haus fallen, dass Temmie ihm mehr darüber erzählt hatte, dass Vengor wohl zu Iaxathan vorstoßen wollte und dazu wohl Menschenopfer bringen musste. Das würde er sich für später aufheben.
"Jedenfalls ist euer Haussegen sehr mächtig", sagte Jane Porter und präsentierte eine Zauberkraftaufspürkette, die sie vor drei Tagen von der Interimsdirektrice erhalten hatte, wohl auf Anweisungen von Marie Laveaus Geist. Die Kette und vor allem der an ihrem Ende hängende kleine Kristalltropfen strahlten im warmen, rot-goldenen Licht. Julius erwähnte, dass er froh sei, dass seine Familie in diesem Haus vor Wesen wie den Kristallstaubvampiren, Vengors Leuten oder den Abgrundstöchtern geschützt sei. Da flackerte die Kette kurz im bläulich-grünen Licht. Julius und Millie erschraken. Irgendwas störte die gleichmäßigen Wellen von Ashtarias atmendem Zauber. Fünf Sekunden leuchtete die Kette wieder rot-golden. Dann flackerte sie wieder in jenem Blau-grünen Licht, aber nur für eine Sekunde.
"Nein, Kinder, das ist kein Angriff. Das ist der Ferntastzauber, wie er auch in euren Luftschiffen verwendet wird. Vielleicht kommt gerade eins davon zurück", sagte Jane.
"Keine schwarze Magie?" fragte Millie. Julius erinnerte sich und sie, dass wahre dunkle Zauber schon an der über Millemerveilles stehenden Glocke abprallten. Dann war es wieder zu sehen, jenes Flackern. Diesmal war es stärker und dauerte länger. Julius erinnerte sich, dass um die Zeit kein Luftschiff startete oder landete. Dann erfolgten die Flackerphasen in kürzeren Abständen. Jetzt machte sich Julius doch langsam Gedanken.
"Keine Angst, Julius, das sind nur wir, die Sonnenkinder. Wir wünschen mit dir und deiner Angetrauten zu sprechen. Wo können wir landen, ohne deine Computersachen zu beschädigen, möglichst 50 Meter davon weg." Julius erstarrte erst, als er diese Gedankenbotschaft hörte. Die Stimme kannte er. Er hatte sie vor kurzem erst auf seiner Reise zu den Altmeistern gehört. Das war die für tot erklärte Patricia Straton.
"Ich denke, wir kriegen gleich einen höchst interessanten Besuch", sagte Julius an Millie und Jane gewandt. Millie zugewandt sagte er: "Der Besuch, Millie."
"Okay, Julius", mentiloquierte Millie.
"Ah, wir wurden schon angekündigt. Aber wo sollen wir runter, ohne was kaputt zu machen?" Julius gab einen Punkt an, der auf der dem Geräteschuppen gegenüberliegenden Seite lag. Mindestens 50 Meter Abstand sollten das sein? War diese Radaranlage der Sonnenkinder so heftig stark?
"Kannst du bitte rauskommen und den Punkt zeigen, damit unsere Sprecherin sicher landen kann?" hörte er Patricias Gedankenstimme. Er disapparierte einfach aus dem Raum. Millie stierte auf den leeren Punkt. Dann blickte sie zum Fenster hinaus.
Julius stand nun auf der großen, auf der dem Gerätepilz genau entgegengesetzten Seite liegenden Wiese und hob den Zauberstab. "Alberilumos!" dachte er. Sein Zauberstab strahlte weißes Licht aus. Er kam sich gerade vor wie der Landesignaloffizier eines Flugzeugträgers. Dann fiel ihm ein, dass Patricia genau wie Anthelia Gedanken hören konnte, ja, dass sich die Sonnenkinder wohl untereinander rein geistig verständigen konnten. Er hoffte nur, dass der von den Altmeistern eingeprägte Schutz wirklich dagegen schützte. Dann sah er am Himmel etwas im Widerschein von Mond und Sternen.
Auf den ersten Blick wirkte es winzig wie ein Käfer. Doch beim herabsinken erkannte er die Form einer großen Muschel, von der sich links und rechts vier Flügel zur Seite spannten. "Ui, euer Schutzdom ist nicht gerade angenehm für werdende Mütter. Aber wir sehen dich gerade mit dem Zauberstab."
"Wenn Sie nicht von unserem weißmagischen Haussegen abgewiesen werden, Ms. Straton. Willkommen unter den Lebenden!" schickte Julius zurück, der sich erstaunlich schnell auf die Gedankenstimme der Totgesagten eingestimmt hatte.
"Wir spüren den schon. Ein warmes Gefühl, das uns umspült."
"Ich sehe eine geflügelte Silbermuschel. Sind Sie das?"
"Ja, das sind wir. Ich sehe dein Licht. Kannst du den Strahl bündeln?"
"Öhm, habe jetzt keine Vergrößerungslinse mit", sagte er. Da apparierte Millie keine zwei Meter rechts neben ihm.
"So wie du in den Himmel leuchtest streut es zu sehr. Ich mach das", sagte sie und hob ihren eigenen Zauberstab. Dann beschwor sie zuerst auch das ganz weiße Licht. Julius senkte seinen Zauberstab. "Ata Yandaran moridu!" wisperte sie dann. "Höre, Feuerlicht, verdichte", verstand Julius.So löschte er mit "Nox" sein Zauberstablicht. Millies Licht war zu einem nadelfeinen Lichtbündel, beinahe einem Laserstrahl gleich geworden,.
"Meine Sprecherin lobt die Kunst deiner Frau. Das kommt fast an die Verdichtungskraft der Sonnenkeulen heran", gedankenlobte Patricia.
"Temmie hängt mit drin, Julius. Sie meint, dass die da oben nur das mitkriegen, was wir laut aussprechen wollen. Dann hielt sie ihr Lichtbündel so, dass die geflügelte Muschel wie auf einem Leitstrahl darauf zuhalten konnte. "Hoffentlich blendet Sie das Licht nicht, so stark wie das gebündelt ist", gedankensprach Julius.
"Wir sind Sonnenkinder, wir können selbst in zehnmal so helles Licht reinsehen, wie es von der Sonne kommt. Gleich sind wir da. Okay, schönes pausbäckiges Haus. Hat sich doch einiges getan, seitdem ich mich aus der Zivilisation rausgezogen habe."
Die fliegende Muschel landete lautlos. Kaum stand sie auf sechs ausgefahrenen Landebeinchen klappten die vier Flügel sich mehrfach zusammen und verschmolzen scheinbar mit dem Rumpf. Für Millie und Julius war dieses Fluggerät nichts neues und überwältigendes mehr. Jetzt sah er, dass an der Oberseite eine durchsichtige Abdeckung drei Insassen überspannte. Dann klapte die Abdeckung nach hinten zurück und verschwand völlig lautlos im Rumpf der Flugbarke.
Die drei Insassen stiegen aus, alle drei Frauen, alle drei im fortgeschrittenen Stadium schwanger. Patricia Straton erkannte er sofort, weil sie zum einen die größte der drei war und zweitens im Schein einer orangeroten, dunstigenAura klar am Gesicht zu erkennen war. Auch wenn die Schwangerschaft, die sie gerade austrug, ihr Gesicht hatte rund werden lassen, konnte er immer noch die schlanke Nase und die Augen erkennen. Das Gesicht würde er immer wieder erkennen.
Die zweite, ebenfalls von einer schwach schimmernden, orangeroten Aura umflossene Frau war ein wenig kleiner als Patricia und trug ein langes Gewandt, dass ihren Umstandsbauch überspannte. Sie schritt sehr würdig einher. "Wie eine Königin", dachte Julius.
Die dritte Frau schien auch ohne erwartetes Kind eine kugelrunde Form zu haben. Sie war mit Abstand die kleinste der drei und blickte vor allem Millie an, deren üppiger Brustumfang trotz züchtig verhüllendem Gebrauchsumhang verriet, dass sie auch gerade ein Kind im Säuglingsalter hatte.
Sie warteten, bis die drei auf normale Sprechweite heran waren. Julius fiel dabei auf, dass die orangerote Aura immer weiter ausstrahlte. Entweder wehrte sich ihre Natur gegen Ashtarias Zauber oder lud sich in diesem sogar auf. Julius begrüßte die drei Ankömmlinge, wobei er die alte Sprache benutzte. Was sollte es noch?
"Du kannst die erhabene Sprache unserer verlorenen Heimat", freute sich die mittelgroße. Die ganz kleine sagte dann in der Hauptsprache des alten Reiches: "So waren wir auf dem richtigen Weg, zu denken, dass du einer derjenigen bist, die das alte Wissen gefunden haben. Ich bin Gisirdaria, die jüngste zur Frau gereifte Sonnentochter." Julius schluckte. Gisirdaria? Sollte er wirklich noch an Zufälle glauben? Nicht bei den Altmeistern.
"Ich bin Faidaria, die älteste der Sonnentöchter und nach dem viel zu frühen Tod Darfaians Sprecherin unseres Volkes", sagte die Mittelgroße. Patricia Straton und Millie tauschten derweil Blicke. offenbar occlumentierte Millie oder machte was, was Patricias Aufmerksamkeit forderte. Julius merkte, wie die mittelgroße Frau ihn genau begutachtete, als wolle sie wissen, ob sie ihn erwählen oder einer ihrer Töchter vorstellen sollte. Das behagte ihm irgendwie nicht so recht.
"Öhm, mich kennst du ja noch, Julius. Früher hieß ich mal Patricia Straton. Doch bei den Sonnenkindern bin ich Gwendartammaya. Aber wenn ich einen Teil meiner noch ausstehenden Schulden bei den Sonnenkindern beglichen habe, erhalte ich wohl einen neuen Namen."
"Öhm, hier draußen sind wir nicht abhörsicher. Besser, wir gehen rein. Ich mach die Tür von innen auf", sagte Millie und disapparierte einfach.
"Euer Schutz vor bösen Wesen ist sehr mächtig und schön", lobte Faidaria, Himmelslicht, den Segen Ashtarias. Dann fragte Patricia: "Ich hörte, du hast auch einen eigenen Computer, wie nahe kommen wir dem, wenn wir zur Tür wollen?"
"Auf Hundert Meter", sagte Julius und verstand nun, warum sie das wissen wollte. "Ist Ihre eigene Ausstrahlung so stark, dass davon elektrische Geräte gestört werden?" Patricia bestätigte das. Offenbar musste sie dann auf etwas lauschen, eine Melobotschaft wahrscheinlich, nur von wem?
""So, die Tür ist offen. Kommt. Unsere Besucherin will es jetzt wissen", mentiloquierte Millie ungeachtet, dass Patricia das mithören konnte. Dann musste sie grinsen. "Oh, das ist ein historischer Tag", sagte sie. Doch dann schien sie wohl mit irgendwas zu ringen. Doch schließlich gab sie sich einen Ruck.
Um die drei nicht aus dem Gleichgewicht geraten zu lassen führte Julius sie so um das Apfelhaus herum, dass sie nicht stolpern mussten. Dann traten sie durch die von Millie offengehaltene Tür.
Im kleinen Zimmer war nicht nur Jane Porter, sondern auch Aurore, die wohl wegen der Appariergeräusche aufgewacht war und Chrysie gleich mit geweckt hatte. Millie übernahm es, Chrysope zu beruhigen, während Julius Aurore die drei Besucher mit ihren Sonnenkindnamen vorstellte und gleich sagte, dass die drei kein Französisch sprachen. Dann bat er Aurore, wieder ins Bett zu gehen. Sie würden wohl heute nicht mehr das Wegknallen machen. "Maman und Papa bleiben jetzt hier. Vielleicht sind die drei Damen morgen früh noch da, vielleicht auch schon wieder unterwegs. Also schlaf gut, Rorie."
"Was die hier wollen?" fragte Aurore neugierig.
"Die sind auch von ganz weit hergekommen, weil die uns helfen wollen, dass keiner dir und Chrysope weh tun kann", sagte Julius. Patricia nickte. Offenbar konnte sie doch Französisch.
Es dauerte knapp eine Minute, bis Aurore zu bewegen war, zurück ins Bett zu gehen. Gisirdaria sagte dann, als Julius zurückgekehrt war: "Sie hat uns so angesehen, als wenn werdende Mütter für sie ganz vertraute Sachen sind." Dabei lächelte sie Julius an, als sei das allein sein Verdienst.
"Ist so. Durch eine gewisse, sehr von sich überzeugte Geheimtruppe laufen in den letzten Monaten viele Hexen mit Umstandsbäuchenherum", sagte Julius. Jane fragte auf Englisch, ob die beiden wegen ihrer goldenen Hautfarbe als Sonnenkinder zu erkennenden nur die ihr unbekannte Sprache sprachen. Da wandte sich Gisirdaria an sie und erwähnte, dass sie auch Englisch sprechen könne, zumal ihr leider zu früh der Welt entrissener Anvertrauter ihr seine Muttersprache beigebracht habe. Faidaria erwähnte, dass sie auch die auf der Welt sehr weit verbreitete Sprache konnte, die die Hexe mit dem Strohhut konnte. So bat Julius darum, die wohl erwünschte Unterredung auf Englisch zu führen. Millie kam noch dazu und sagte: "Die beiden schlafen tief und friedlich."
Erst einmal ging es um die Sonnenkinder als solche, wann sie gezeugt worden waren, wie viele es genau gab und was sie so zur Verfügung hatten. Auf dieses Stichwort apportierte Patricia eine silbern beschlagene Truhe, in der zwei Paare Gegenstände lagen, zwei wie umgedrehte Fernrohre wirkende Geräte und zwei Gürtel mit kugelförmigen Anhängern. Julius kannte die Gegenstände und bekam große Augen. "Das dürfen wir euch beiden als Gastgeschenke und unbedingten Vertrauensbeweis übergeben. Die sie als erste anfassen prägen sie auf sich alleine", sagte Patricia. Millie und Julius wussten sofort bescheid, sprangen vor und legten ihre Hände an die Rohre und an die Gürtel. Jane Porter starrte perplex darauf. Dann nickte sie. Patricia schloss die Truhe. "Faidaria wird euch beiden nachher noch die Verwendungsweise erklären. Doch zunächst möchte sie den Bericht beenden", sagte Patricia Straton.
"Jane hörte sehr aufmerksam zu, als Faidaria von den 50 sprach, zu denen sie gehörte. Als sie dann erwähnte, dass Patricia und ein noch weniger als zwei Zehnersonnen junger Mensch ohne nach außen wirksame Kraft die schlafenden Sonnenkinder aufgeweckt hatten. Dann sprach sie von der Zeit bei den gegenwärtigen Menschen. in der Patricias Sohn Prunellus und die Gisirdarias erste Tochter Laura geboren worden waren. Schließlich kam, was Jane Porter innerlich so anspannte.
"Da Sie hier sind, obwohl Sie wie ich schon längst für tot und begraben erklärt wurden vermute ich stark, dass Sie damals auch nach Ben Calder gesucht haben, seit er aus Seattle verschwinden musste, richtig."
"Ja, die Frage war schon in meinem Kopf, ob Ihre damalige Anführerin und ihre Ex-Schwestern was mit diesem Jungen angestellt haben. Also, dürfen Sie mir jetzt, wo Sie offenbar frei von jeder dunklen Kraft und Absicht sind, verraten, was mit Ben Calder passiert ist? Lebt er noch?" Fragte Jane zurück.
"Der Körper, der mal Ben Calder beherbergt hat, wurde wie ich zum Sonnenkind geweiht. Gisirdaria wurde seine Angetraute. Unser Preis für den Beitritt war bei ihm einfacher als bei mir. Er musste nur ein Kind mit der jungfräulichen Sonnentochter zeugen. Ich musste alle Taten und Angriffe durchleben und schmerzhafte Reue durchleiden, damit ich frei von diesen dunklen Kräften wurde. Ja, und dann habe ich mich bereitgefunden, die erste Geschlechtspartnerin von Gooardarian zu sein und dessen erstes Kind zu empfangen." sagte Patricia.
"Dann ist Ben Calder jetzt einer von Ihnen?" fragte Jane Porter. Die drei nickten erst. Dann erwähnte Faidaria sowohl den Kampf gegen Nocturnia, den gegen Hallitti und zum Schluss den gegen die dementoren. Julius atmete auf, als sie nicht sagten, wer sein Vater jetzt war. Offenbar hatte Patricia Straton das mit den anderen so vereinbart. Beim Kampf gegen die Dementoren von der "Paradiso di Mare" seien alle am Kampf beteiligten ausschließlich männlichen Sonnenkinder getötet worden, darunter Brandon Rivers alias Ben Calder, alias Ilangardian, der Brückenbauer. Jane verzog das Gesicht. Doch dann landete Faidaria den nächsten Treffer. "Die Seelen der Getöteten wurden nicht in die Nachwelt geschickt, sondern wurden gemäß einer alten Vorkehrung in zu ihrem früheren Leben passende neue Körper versetzt und dort wiedererweckt. So fand sich ein Getreuer von mir als mein gerade heranreifendes Ungeborenes wieder. Gisirdaria, die da schon Ilangardians Sohn in ihrem inneren Nest beherbergte, fing die Seele ihres Bruders in ihrem Schoß auf. Er wird nun ihr erster Sohn werden, ohne vergessen zu haben, was und wer er vorher war. Beide Söhne stammen von Ilangardian. Die Körper von Gwendartammayas Töchter wurden die neuen Hüllen für Gwendartammayas Mutter und für Ilangardian, dessen körperliches und seelisches Leben so eng mit ihr verbunden war, dass er trotz des anderen Geschlechtes in ihrer zweiten Tochter halt fand und nun ein Leben als Sonnentochter vor sich hat."
"Jane Porter starrte die drei an. Natürlich ging sie davon aus, dass die drei Sonnenschwestern ihr was vom Pferd oder zaubererweltsprachlich vom grünen Einhorn erzählten. Doch Julius sah sie an und sagte: "Meine besonderen Quellenhaben mir angekündigt, dass Ms. Straton wahrhaftig zwei bereits ausgeprägte Persönlichkeiten in ihrenUngeborenen Kindern beherbergt. Das trifft also zu. Dann wird das mit den beiden anderen wohl auch stimmen."
"Iterapartio?" fragte Jane Porter Patricia.
"Nicht ganz, eben eine Vorkehrung, dass alle aus ihren Körpern gerissenen Seelen von Sonnenkindern in unsere geheime Festung versetzt und dort in Überdauerungsgefäßen aufgefangen und bewahrt werden, bis ein geeigneter Körper für sie im Mutterleib einer Sonnentochter heranwächst."
"Ach, Seelenwanderung, also Samsara, Reinkarnation", sagte Julius. Mit den Begriffen konnte Jane wahrhaftig was anfangen. "Könnte wahrhaftig sein", grummelte sie. "Sabberhexen können auch ihre eigene Seele in den Körper ihrer letzten Tochter übertragen, wenn sie diese zur Welt bringen."
"Ich weiß, dass dies für die Menschen der Istzeit sehr fremdartig und unwirklich klingt. Auch wir mussten uns erst damit abfinden", sagte Faidaria ruhig. Jane Porter fragte, ob sie auch mit ihren ungeborenen in Verbindung standen. Die drei nickten. Millie lauschte höchst aufmerksam. Julius fühlte, dass sie bei der Erwähnung, dass jemand als Sohn der eigenen Schwester zurück auf die Welt sollte und jetzt schon alles mitbekam etwas verunsichert wirkte. So sagte er:
"Ist das der Preis für die Macht der Sonnenkinder, niemals wirklich sterben zu dürfen, von Leben zu Leben weiterzuspringen, immer wieder als Ungeborener aufwachend, die Enge des Mutterleibes bewusst erlebend, von der Geburt mal ganz zu schweigen?"
"So wie ich es verstanden habe ja. Das heißt, Julius, dass auch ich eines Tages von einer der lebenden oder noch zu gebärenden Sonnentöchter wiedergeboren werde, vielleicht von einer meiner jetzt gerade auf den letzten Zentimetern Weg wartenden. Gefällt mir nicht wirklich und denen da unten auch nicht", schnaubte Patricia und legte sich kurz die Hand auf den vorgetriebenen Bauch.
"Für mich wäre das eine vertraute Sache, sie noch mal zu kriegen, wo ich vorher ihre Mutter war", fing er eine Gedankenbotschaft von einer Frauenstimme auf, die er kannte und doch hier nicht gleich erwartet hätte. Doch dann wurde ihm klar, wer das war. Er tat so, als habe er es nicht gehört und bat die Sonnenkinder darum, ihr Anliegen vorzubringen.
"Wir haben erfahren, dass es jemanden gibt, der den Schlüssel nach Garumitan gefunden hat", sagte Faidaria. "Diesen Schlüssel konnte nur erlangen, wer einen der alten Meister befragen konnte. Denn um in die Stadt zu kommen musste der oder die ja an dem Wächter vorbei." Darauf nickte Julius. Millie setzte an, ihm in die Seite zu stupsen. Doch jetzt war es heraus. Außerdem wusste es auch Anthelia längst, weil sie mit Naaneavargia verschmolzen war.
Es ging nun darum, dass der Wächter sich über fünf Helfer Nachrichten aus aller Welt beschaffen ließ und davon ausging, dass die Magiefähigen die Welt zu beherrschen hatten. Hierfür hatte Patricia die Aufzeichnungen der letzten Lageberichte mitgebracht, die ihr Sonnenbruder Yantulian mit Hilfe eines Schwingungsohres aufgenommen hatte. Julius ließ sich nun noch mehr über den Wächter berichten, was er bis heute trotz Madrashainorian nicht gewusst hatte. Er wusste aber schon, dass der Wächter die Welt erforschen würde und irgendwann wieder auftauchen würde. Dann ging wirklich eine große Gefahr von ihm aus. Doch auch Kanoras sei wieder erwacht, erwähnte Faidaria und wunderte sich ein wenig, dass die Jetztzeitmenschen nicht fragten, wer das sei, sondern nickten. "Wie kann man den aufhalten, ohne ihn zu töten?" fragte Julius.
"Töten lässt er sich einfach. man muss ihm nur die lebenden Säulen entreißen, die ihn erhalten", sagte Faidaria. "Aber dir liegt das töten offenbar fern, Julius. So bleibt nur, die lebenden Säulen in unaufweckbaren Schlaf zu versenken und die seine Macht speisenden Flammen von Gargordoyan zu löschen, auf dass sie keine neuen Leben mehr fressen und die Seelen andderer Wesen zu den Schattenbildern seiner Träume werden können. Doch das wiederum könnte einen Vernichtungsvorgang auslösen, der den, der dies tut und Kanoras zugleich vernichtet." Millie nickte wie Julius. Doch irgendwie musste dieser Schattenlenker aufgehalten oder eben in einen neuen Tiefschlaf gezwungen werden. Was die Vampire anging, so blieben sie die Feinde der Sonnenkinder. Jane erwähnte darauf, was in den letzten Tagen vorgefallen war. Patricia nickte. "Das sieht denen ähnlich, wieder mit dieser Pest anzufangen", bemerkte sie dazu.
Faidaria übernahm es dann, Millie und Julius im Gebrauch der mitgebrachten Sonnenkeulen und Mondschildgürtel zu unterweisen. Jane Porter sah dem ganzen zu, wissend, dass sie mit den mitgebrachten Waffen nicht würde arbeiten können. Damit Pflanzen und Landschaftsmerkmale von Millemerveilles nicht beschädigt oder zerstört werden mussten beschworen Faidaria und Patricia außerhalb an der Hinterseite des Apfelhauses mehrere Meter über dem Boden frei schwebende Steinbrocken, die wie beim Tontaubenschießen mit den ultraheißen Energiebündeln aus den Sonnenkeulen getroffen und zerstrahlt wurden. Julius empfand beim Abfeuern jener uralten und doch jeder irdischen Waffentechnik um Jahrhunderte vorauseilenden Abschussvorrichtung sowohl das jungenhafte Hochgefühl von Stärke durch eine mächtige Waffe, als auch das durch seine Erfahrungen gereifte Gewissen, eine tödliche Waffe in den Händen zu halten, die nur dem Zweck diente, ausgewählte Feinde zu vernichten. Auch musste er an die Rebellion in der Himmelsburg denken, bei der diese Energiestrahlwaffe eingesetzt worden war. "Es gibt die Zeit für Worte, und es gibt leider auch die Zeit für Kämpfe", hörte er Temmies celloartige Stimme in seinem Geist seufzen. "Doch die Worte sind der Gewalt des Kämpfens immer vorzuziehen. Doch leider überlässt einem ein Widersache nicht die Möglichkeit, mit ihm oder ihr friedlich zu unterhandeln und bestehende Unterschiede auszuräumen oder als für jeden hinnehmbar anzuerkennen", fügte sie noch hinzu.
Nach der kurzen Demonstration von Handhabung und Wirkungsweise der Sonnenkeulen und Mondschilde kehrten sie in den kleinen Besprechungsraum zurück. Julius verstaute die Sonnenkeulen und die Mondschildgürtel in der mitgebrachten Truhe und verschloss diese sorgfältig.
"Wir können euch helfen, alle wichtigen Menschen der Istzeit vor diesen fehlgeleiteten zu schützen", sagte Faidaria. Julius ahnte, dass jetzt das Preisschild hochgehalten wurde. "Wir können und werden jedem, der wichtig ist unseren Segen aufprägen, dass niemand seinen Willen unterwerfen kann. Die Häuser ihrer Angehörigen können wir ebenfalls mit machtvollen Mauern aus der Kraft der Sonne umfrieden, und unsere Sonnenkeulen vermögen in einer Sekunde zwei Stunden gesammeltes Sonnenlicht auf eine kleine Fläche zu bündeln, so dass diese wie ein überheißer Feuerstrahl durch alles irdische Material dringt und damit auch die Kinder der Nacht vernichtet. Da der Wert von Gewähren und erbitten bis heute noch bestand hat bitten wir darum, dass du, Julius, für uns mit den Altmeistern von Altaxarroi unterhandelst, damit wir ebenfalls Zutritt zu ihnen erlangen, zumindest die ältesten von uns. Es geht uns nicht um unzustehendes, sondern um uns bestimmtes Wissen, das unseren Bestand und unseren Sinn auf dieser Welt erhält", sagte Faidaria. Wir können dies nur von dir erbitten, weil alle anderen in neuen Gemeinschaften und Gesetzen vereinten Träger der Kraft in uns Eindringlinge in ihre Welt sehen, die entweder Gefahr oder große Verheißung bedeuten. Da wir euch gezeigt haben, welche Waffen und Gerätschaften wir benutzen können ist euch das sicher bewusst. Um dies gleich zu klären: Wir möchten nicht in amtliche Beziehungen hineinwirken, aber auch nicht von solchen zu Werkzeugen eigener Begehrlichkeiten gemacht werden."
"Will sagen, meine Arbeitgeber dürfen weder was von dem Besuch wissen, noch dass Sie weiterhin existieren", sagte Julius. Die drei Sonnentöchter nickten. Jane entgegnete:
"Das ist genau das, was ich meinen Kollegen vorgeschlagen und angeraten habe. Aber die wollten ja nicht hören."
"Wenn ich eine von euch zu den Altmeistern brächte, Faidaria zum Beispiel, wäre damit die Bedingung erfüllt, sofern sie euch vorließen?"
"So einfach ist es leider nicht. Um Zutritt zu erhalten muss erst jemand, der zu ihnen hin darf, für uns um Erlaubnis bitten, sie anzuschauen und zu hören. Außerdem werde ich bis zur Ankunft meines Sohnes keine Reisen über die alten Straßen machen. Unser Volk muss wachsen."
"Netter Versuch, Honey", knurrte Jane Porter. Da gähnte Gisirdaria, die in den letzten Minuten schon sehr schläfrig geworden war. Julius sah Millie an, die wiegte den Kopf. Dann sagte sie erst auf Englisch:
"Die Damen, ich fürchte, wir kriegen das heute nicht fertigberedet." die drei nickten. Dann sagte sie in der Sprache des alten Reiches: "Ich, die Mutter des Hauses, gewähre euch müden Gästen Rast und Erholung unter diesem Dach." Und Julius fügte ebenfalls in der alten Sprache hinzu: "Ich, der Vater des Hauses, gewähre euch müden Gästen Schutz und Frieden unter diesem Dach." Darauf antwortete Faidaria als Gesamtsprecherin der Dreiergruppe: "Ich, Faidaria, Mutter der lebenden Sonnenkinder, entbiete euch Dank für die gewährte Rast, Erholung, Schutz und Frieden und nehme diese Angebote an. Dafür gelobe ich Frieden und Achtung den Gastgebern und Unversehrtheit ihrem Hause und allen Wesen und Gütern die es birgt. " Dann reichte sie Julius die rechte und Millie die Linke Hand. Dann vollendeten alle drei: "So wie gelobt, so soll es sein im Reigen des großen Vaters Himmelsfeuer, der wachenden kleinen Schwester am Himmel und der großen Mutter Erde, aus deren Schoß wir geboren wurden." Unvermittelt leuchteten die orangeroten Auren um die Sonnenkinder golden auf und vereinten sich. Auch um Julius' Körper erstrahlte eine goldene Aura, von smaragdgrünen Schlieren durchsetzt und verschmolz mit jener vereinten Kraft der Sonnenkinder. Julius konnte nun wie durch einen Einblickspiegel die vier Föten sehen, die in den drei Sonnentöchtern schwebten. Die Zwillinge lagen bereits mit den Köpfen tief im Becken Patricias. Dann verebbte die Leuchtkraft. Nun waren die vier frei von jeder sichtbaren Aura. Doch Jane spürte, dass hier eine mächtige Magie wirksam geworden war. Sie dachte an einen magischen Vertrag, der unbedingt einzuhalten war. Dann fragte sie, ob auch für sie ein kleines Zimmer frei sei. Millie nickte ihr lächelnd zu und machte mit drei Zauberstabschwüngen ein Ausklappsofa zum Bett, ließ erst ein Bettlaken darüber niedersinken und sich stramziehen, um im dritten Akt eine frisch bezogene Bettdecke und ein dito Kopfkissen auf dem Sofa niedersinken zu lassen.
Ebenso verfuhr sie im erwähnten Gästezimmer, wo Faidaria das Bett bekam und die beiden anderen das Schlafsofa nutzen durften. Da meinte Faidaria, dass das Bett breiter sei und daher für die zwei Gefährtinnen richtig sei. Danach zeigten Millie und Julius den Gästen das Badezimmer auf dem zweiten Stockwerk. Millie holte noch vier Gläser und verdoppelte zwei frische Zahnbürsten. Patricia grinste. Sie öffnete ihren Mund weit und hielt ihren Zauberstab davor. Unvermittelt wurden ihre Zähne von einem feinen, weißen Schaumstrahl überstrichen, der den Belag der letzten Stunden restlos entfernte und dann mit leisem Plopp einfach im Nichts verschwand. Julius nickte. Den Zauber kannte er auch, der stand in dem Zauberkunstbuch über Alltagszauber, "Purificato Dentes", sagte er, bevor er schnell den Mund öffnen musste, weil der weiße Schaumstrahl aus dem Zauberstab schon hervorsprühte. Er fuhrwerkte mit dem Strahl dreimal durch den Mund, bevor er den Stab wieder wegzog, worauf alles davon weggeputzte mit leisem Plopp verschwand. Er hatte sich noch nicht mal bekleckert.
"Wieso lerne ich das erst jetzt von dir, Familienvater, wo es immer so ein Gerangel ist, unserer Tochter die Zähnchen zu putzen?"
"Weil ich davon ausging, Familienmutter, dass du den schon längst kannst."
"Den zeigst du mir jetzt noch mal richtig. Und dann gehen wir schlafen", bestimmte millie. Patricia grinste und winkte zur Nacht. "Danke, dass du mir Vertraust. Madam Porter ist da noch nicht so überzeugt."
"Schlaft gut ihr drei. Ich kann ja leider nicht mit den beiden Mentiloquieren."
"Glaub mir, sei froh!" erwiderte Patricias Gedankenstimme. "Du könntest zumindest mit mir, wenn du wolltest. Kam dann noch die andere Gedankenstimme, die von Pandora Straton. Julius reagierte mit: "Ja, aber mit deiner Schwester nicht. Das ist voll unfair. Darauf kam keine Antwort. "
Nachdem Julius seiner Frau den praktischen Zahnputzzauber gezeigt und erklärt hatte, dass der nicht nur bei einem selbst ging, sondern überall da, wo mindestens ein natürlicher Zahn in einem Mund war in Kraft trat und dass man dabei an einen weißen Fluss denken musste, der das Moos von Baumstämmen wusch, schaffte es Millie im dritten Ansatz auch, den Zauber zu benutzen. Dann sagte Julius: "Ich habe den bei Rorie immer wieder benutzt. Aber sie will ja gerne die singende Zahnbürste benutzen, die Camille ihr zum Geburtstag geschenkt hat."
"Bist noch nicht furtig, putz weiter hurtig", sang Millie nach. Dann ging sie mit ihrem Mann in das eigene Schlafzimmer.
Als sie beide die schallschluckendne Vorhänge zugezogen hatten wandte sich Millie an ihren Mann. "Ich habe die zwei noch mal mit dem Schlaf bis Sonnenaufgang bezaubert. Das war mir viel zu spannend, als dauernd dran zu denken, dass Chrysie wieder was will. Aber mach dich auf ein Schreikonzert gefasst, wenn sie morgen aufwacht!" Julius nickte. Dann sagte seine Frau noch: "Ich habe auch mitgekriegt, dass die Matriarchin von denen dich so angeguckt hat, als suche die wen für sich. Auch wenn du mich vielleicht für überdreht oder paranoid hältst, Monju, pass auf, dass du mit der nicht allein in einem Raum bist, sobald die den Kleinen ans Licht geschubst hat, der noch unter ihrem Umhang steckt!" Julius überlegte, ob und falls ja was er darauf antworten sollte. Schließlich sagte er: "Du kennst die Lebensweise des alten Reiches. Wenn ein Paar von jedem Geschlecht gleich viele Kinder hat dürfen sich die Männer andere Frauen oder die Frauen andere Männer suchen. Sogesehen ist Faidaria Witwe, genauso wie Gisirdaria. Aber dass Patricia mich nicht so angesehen hat wie Faidaria. Ich meine, ich weiß nicht, wie alt Faidaria ist."
"Sie ist die ranghöchste, Monju, die Alphawölfin, wenn du es so willst." Julius begriff. Bei Wölfen war es festgelegt, dass nur das Leitwolfpaar Nachwuchs bekommen durfte. Deshalb erwiderte er: "Ich habe nicht vor, mit der neue Sonnenkinder aufzulegen, Mamille. Bitte nimm das als Versprechen."
"Muss ich nicht, weil du mir vor dem Zeremonienmagier versprochen hast, nur mit mir zusammenzuleben und nur mit mir Kinder zu haben", erwiderte Millie pickiert. Julius verstand sie. Dann fiel ihm was ein, was er ihr noch zur Beruhigung sagen konnte: "Nachdem wir mitbekommen haben, wie Hexen ihre ungeborenen Kinder missbrauchen können, um deren väter an sich zu ketten, steht mir nicht der Sinn danach, mich auf eine einzulassen, die das bedenkenlos tun würde, wenn es ihren Zielen dient." Millie atmete auf. Mit der Antwort hatte sie offenbar nicht gerechnet.
Es musste gegen halb Fünf sein, als Julius und Millie von einem kurzen aber heftigen Aufschrei geweckt wurden. Millie grummelte erst. Doch als der nächste halbunterdrückte Schrei erklang war sie hellwach. "Genau das, was ich angedeutet habe, Monju, deine Lebensretterin von damals beehrt unser Haus mit ihren neuen Kindern."
"Hera kann ich nicht rufen, die will zu viel wissen und kennt Patricia bestimmt noch", erwiderte Julius. Dann sagte er: "Du hast doch ein Schreikonzert angekündigt, Mamille."
"Ich rufe Tante Trice. Das können wir dann zum Familiengeheimnis erklären. Aber wenn die ihre beiden hier kriegt und beim Namen ruft klimpert in Königin Blanches Büro das nette Lied, dass wir damals gehört haben, als Chloé auf die Welt gekrabbelt ist."
"Es sei denn, sie nennt die Namen nicht laut. Sie weiß ja schon, wie sie die zwei nennen will. Ich gehe hin und gucke, ob wir wirklich wen rufen sollen."
Julius sprang aus dem Bett und griff sich seinen Alltagsumhang. Millie fischte nach ihrem Pappostillon. Die zwei Mädchen schliefen tief und Fest im Bann des Schlafes bis Sonnenaufgang. So konnte man Babys auch zum Durchschlafen kriegen, dachte Julius. Andererseits holte sich Mutter Natur immer ihr Vorrecht zurück, wenn zu häufig mit Magie gefuhrwerkt wurde. Am Ende konnten die nur noch schlafen, wenn der Zauber auf sie gesprochen wurde oder wurden schlagartig müde, wenn sie in einem dunklen Raum waren.
"Achtung, ein Mann betritt das Deck!" rief Julius, als er vor dem Gästezimmer stand. "Macht nichts, wir sind in der Überzahl", stöhnte Patricia. "Willst du mir helfen, die zwei aus mir rauszukriegen? Das ist aber nett!"
"Ich habe dafür keine Lizenz. Aber meine Schwiegertante hat eine", sagte Julius.
"Bei Gwendartammaya ist es soweit", sagte Faidaria, die aus dem Zimmer wankte. Julius nickte wohl.
"Öhm, In Ihrem Zustand?" fragte Julius. Faidaria glubschte ihn an. Darauf hörte er eine ihm noch fremde Kleinjungenstimme: "Da hast du recht. Nachher falle ich einen Mond zu früh aus ihr raus, und das will die nicht wirklich."
"Das habe ich gehört", grummelte Faidaria.
Jane Porter tauchte in ihrem geblümten Kleid auf. Mit einem Blick erkannte sie, dass sie hier wohl eine zu viel war. Sie mentiloquierte Julius: "Wenn es sein muss, lass sie die beiden halt hier kriegen. Aber wenn sie schreien und Patricia sie benennt darfst du der guten Bläänch erklären, wer die zwei sind und warum sie bei dir geboren wurden."
"Für sowas habe ich meine Bilder", sagte Julius, dem eine Idee gekommen war. Nachher wusste Blanche Faucon schon längst bescheid.
"Wie leuchtet mir der Apfelbaum!" spielte das magische Glockenspiel, das einen Besucher vor der Tür verkündete. Julius erstarrte. War das der berühmte Wolf in der Fabel? Er apparierte kurzerhand in den Empfangsraum und machte sich bereit, Blanche Faucon einen Ultrakurzbericht zu erstatten. "Patricia Straton lebt als Sonnentochter und kriegt gerade die für diese zugesagten Kinder bei uns."
Er öffnete die Tür und sah eine sichtlich ernst dreinschauende - "Camille?!"
"Meine Tasche hat mich aus dem Schlaf geklatscht, weil irgendwas ist, wofür ich sie habe. Als ich dann mit der Hand an der Tasche appariert bin stand ich vor eurer Tür. Also wenn du mir jetzt erzählst, dass Millie innerhalb von einem Tag von dir ein Kind ausgetragen hat darf Hera noch mal in die Adeptenklasse."
"Komm bitte rein. Deine grüne Tasche lässt dich ja eh nicht in Ruhe", sagte Julius. Dann mentiloquierte er: "Wir haben eine nächtliche Besucherin, die sich im Datum verrechnet hat. Sie trägt Zwillingstöchter, zumindest noch. Es ist Patricia Straton, Camille."
"Die Tochter von Pandora, der Anthelianerin, die zu den Sonnenkindern gewechselt ist?" fragte Camille zurück. Julius klappte die Kinnlade runter. Camille drückte sie wieder hoch. "Ich habe auchmeine Kontakte, Freundchen", mentiloquierte sie.
In dem Moment, wo sie vor dem Gästezimmer der Sonnentöchter ankamen strahlte es unter Camilles grasgrünem Umhang auf. Eine orangerote Aura umflutete sie, durchdrang die Tür und schien drinnen etwas mit Patricia anzustellen. Denn ihr leises Quängeln erstarb. Faidaria erkannte nun, was an dieser Frau in Grün so besonderes war.
"Du entstammst der großen Linie des Lichtes. Du bist die Tochter Ashtarias, die die grünen Kinder der großen Mutter kennt und hegt, richtig?"
"Ja, das passt. Julius, stellst du uns beide mal anständig vor, bevor ich einer für tot erklärten Sardonia-Anbeterin helfen muss, zwei Kinder zu kriegen?< Julius tat es. Da kam dann noch Beatrice. Als sie Camille sah stutzte sie erst. Dann sah sie die Tasche. "Ach, hat die mit ihrer Tasche verschmolzene Geneviève dich angestachelt, zwei Sonnentöchter auf die Welt zu holen? Gut, für jede eine. Aber keimfrei müssen wir doch sein." Camille griff in die erwähnte Umhängetasche und zog eine Magnumflasche mit jener Flüssigkeit hervor, die Bakterien, Viren und Pilzsporen von Oberflächen, lebender Haut und aus Kleidung entfernte.
Julius wusste nicht, ob er hierbei zusehen sollte. Sonst hatte er sich immer gefreut, einer Geburt zusehen zu dürfen, auch als es die seiner drei Halbgeschwister war. Doch irgendwie empfand er das Zimmer, in dem es passierte, zu eng für vier Leute. . So überließ er es Béatrice und Camille, sich gegenseitig keimfrei zu sprühen und zu waschen. Dann betraten die beiden das Zimmer.
"Komm zu uns und sie mir und meiner Schwester zu. Immerhin hast du uns eingeladen", hörte er Pandora Stratons Kleinmädchenstimme im Kopf. Er sah Béatrice an. Diese nickte ihm zu. So wurde er genauso keimfrei gespült wie Camille es mit Béatrice anstellte.
"Monju, Viviane steckt es unserer Nachbarin in Beaux, was los ist. Macht euch aber dann drauf gefasst, dass entweder ein Heuler anflattert oder die bewusste Dame selbst", mentiloquierte Millie ihrem Mann. Sie wollte nicht bei der Zwillingsgeburt zusehen.
"Tja, kleine Schwester, jetzt ist es soweit. Mom Patricia will uns nicht mehr länger mit sich rumtragen", gedankenseufzte Pandora, die bereits halb im Geburtskanal hing. Phoenix lag mit ihrem Kopf fast auf dem Bauch der nun doch ihren verdammten Willen kriegenden.
"Die kriegt mich echt als Kind. Und dann muss ich noch ein Mädchen sein", dachte Phoenix' Ich, das früher mal Ben Calder oder Cecil Wellington gewesen war. Das Stöhnen ihrer Mutter klang um ihn herum. Doch zwischendurch bekamen die beiden noch eine Gedankenbotschaft: "Ich werde euch beide liebhaben, auch wenn ihr mir jetzt den halben Unterleib zerreißen wollt."
Irgendwie wirkte Camilles Heilsstern offenbar geburtsfördernd. Denn es dauerte nur eine Stunde, wähhrend Camille und Béatrice nicht viel zu tun hatten. Dann kam erst eines und dahinter gleich das zweite Zwillingsschwesterchen ans helle Licht, dass Camille auch irgendwo aus den unergründlichenTiefen der Zaubertasche befördert hatte. Patricia lächelte zwischen den schmerzhaften Phasen und winkte Julius immer wieder zu, nicht zu weit abseits zu stehen. Schon merkwürdig, die Frau beim Gebären zu beobachten, die seinen Vater mit einem Zauber vom Greis in einen Neugeborenen zurückverwandelt hatte. Doch damals hatte sie ihm damit das Leben gerettet und seinem Vater ebenfalls. Jetzt bekam sie zwei Kinder, die auch schon mal ein eigenes Leben geführt hatten.
Womöglich hatten sich beide abgestimmt, genau dann loszuschreien, wo beide aus dem schützenden Leib ihrer Mutter freigekommen waren. Patricia Straton lachte. Dann forderte sie von Julius, die Nabelschnüre zu durchtrennen.
"Dieses Medaillon, werte Aushilfskollegin, hat dir das selbst geholfen?" fragte Béatrice Camille.
"Das hat deine behördlich zugelassene Kollegin mich nicht ausprobieren lassen, weil sie unbedingt alle magischen Kraftquellen von mir fernhalten wollte, bis Chloé auf der Welt war", entgegnete Camille.
"Wer von euch ist jetzt wer?" fragte Julius die beiden Neugeborenen, als Béatrice sie wog und vermaß.
"Ich bin und bleibe die große Schwester von Phoenix", gedankenschnurrte eines der beiden Mädchen und versuchte, den rechten Arm anzuheben. "Warum bin ich auf einmal so schwer, zum Donnervogel noch mal!"
"So'n komisches Zeug, es heißt Schwerkraft", erwiderte Julius in Gedanken. darauf gluckste das zweite Mädchen. Julius bewunderte die rotleuchtenden Haarstoppeln der beiden. Als die zweite ihre Augen öffnete staunte er. Sie waren nicht blau wie bei den meisten europäischstämmigen Babys, sondern dunkelgrün wie die von Patricia Straton.
"Also für einen Phönix hast du eigentlich zu grüne Augen, kleine, öhm, Lady", säuselte Julius. Da tat auch die andere ihre Augen wieder auf. Auch ihre Augenfarbe war dunkelgrün.
"Ich hatte auch schon grüne Augen, als ich geboren wurde", sagte Patricia leise, während Béatrice wohl darauf lauerte, die Nachgeburt freizulegen.
"Meine Frau wird eifersüchtig, wenn ich der erzähle, dass jemand in einer Stunde zwei Babys ohne viel Schmerzenslaute veröffentlicht."
"Immerhin ist der Name für euer Haus passend", meinte Camille dazu. Julius legte die zwei Neugeborenen in die Arme ihrer neuen Mutter. Dann wandte er sich zum gehen. "Falls ihr könnt, schlaft noch ruhig, Für meine Frau und mich fängt nachher der Arbeitstag an. Und womöglichkriegen wir noch Terz mit einer gewissen saphiräugigen Hexenkönigin."
"Höchstens ich, weil ich es gewagt habe, nicht nur nicht tot zu sein, sondern auch noch in deinem heiligen Zuhause meine Zwillingsmädels zu kriegen", scherzte Patricia. Offenbar hatte sie die Geburt wirklich nicht angestrengt.
Julius traf seine Frau in der Wohnküche an. Sie wirkte sehr ernst. Julius ahnte, dass sie das nicht verwinden wollte, dass wegen ihm diese Hexe in ihrem Haus Mutter werden durfte. Doch ihre Begrüßung verjagte diesen Gedanken:
"Sind die drei totgesagten jetzt alle zu sehen? Offenbar hat Camilles Sternchen und die Sonnenkindnatur der Totstellerin geholfen, die zwei ohne anzuecken rauszuwerfen. Ich möchte auch nicht unbedingt neun Monate in einer Ex-Sardonianerin herumliegen. Aber jetzt haben wir ein Problem, Blanche könnte uns das ziemlich übelnehmen, dass wir das mit den Sonnenkindern nicht früher erwähnt haben."
"Das ist wohl wahr. Aber wie geht's dir. Ich habe dich jetzt eine volle Stunde lang nicht beachtet."
"Monju, du hast mir geholfen, zwei ganz süße Brötchen durchzubacken und hilfst mir, daraus anständige Hexen zu machen. Dieses Frauenzimmer hat keinen, der ihr dabei hilft, außer denen, die selbst gerade wen neues tragen."
"Der Vater konnte nicht kommen, weil er unbedingt bei seiner Schwester im Unterbau bleiben wollte", sagte Julius.
"Bring Tine nicht auf Ideen, sowas bei einer Familienfete anzudeuten. Aber mir geht's gut. Ich denke nur, dass die drei Sonnenprinzessinnen uns jetzt nicht mehr vom Haken lassen werden, wo wir denen gezeigt haben, dass wir gewisse Kontakte haben. Die halten sich doch für die Erben des alten Reiches."
"Das könnte sein. Aber ich fahre nicht mit denen auf ihre Insel. Ich bleib bei dir und allen anderen", beteuerte Julius. "Ich auch bei dir, Monju", erwiderte Millie.
"Hömm-ömm, die Herrschaften Latierre. Folgendes, die Mesdames Faucon und Brickston haben verbindlich um einen Gesprächstermin im Verlaufe des Tages gebeten, bei dem du, Julius, bitte anwesend sein möchtest. Madame Faucon klärt gerade die Sache mit der Geburtsanzeige. Das sei eine Angelegenheit des stillen Dienstes und werde im Einvernehmen mit Belle Grandchapeau und auch mit der neuen Zaubereiministerin geklärt. Sollte der Neotokograph in Beauxbatons die beiden vormerken haben die beiden Anspruch auf eine Ausbildung in Beauxbatons, sofern sie magische Kräfte entwickeln. Näheres will Madame Faucon euch selbst sagen."
"Ich soll heute für die Delacours noch mal zu den Marceaus hin", sagte Julius. "Stimmt, das solltest du tun, damit kein Gerede aufkommt", sagte Viviane.
Millie gab sich einen Ruck und machte der jungen Mutter ihre Aufwartung zusammen mit Julius. Patricia lachte gerade, weil Béatrice ihr den genauen Geburtszeitpunkt für beide vorgelesen hatte. "Meine kleine Tochter Phoenix merkt an, dass wenn sie gewusst hätte, dass sie am 14. Oktober Geburtstag haben wird, sie lieber Lurdes Maria oder Nonnie hätte heißen wollen."
"Warum nicht gleich Evita?" fragte Julius, der den Gag verstand. Ein leises Glucksen von einer der zwei Neugeborenen war die Antwort. "Phoenix ärgert sich, dass sie nicht mit dir mentiloquieren kann wie Patricia oder ich", hörte er Pandoras Stimme im Kopf. Millie fragte Julius, was an dem Witz eben witzig war. "Das die kleine Tochter der Sängerin Madonna heute genau sechs Jahre alt wird. Und die heißt Lourdes Maria. Little Nonnie war Madonnas Kosename, als sie Kind war, so eine Fanseite, und Evita war ein Rollenname von ihr."
"Ach, wo sie diese argentinische Lebedame gespielt hat, die mit diesem Politiker zusammengekommen ist?" fragte Millie. Julius nickte und fragte zurück, woher sie das wusste. "Marc Armand, kennst du sicher noch. Der istneuerdings Fan. Daher hat seine Freundin auch alles über dieses Frauenzimmer gelernt um mitzuhalten. Tja, und wegen Callie und Pennie und Bine und San ist das nun alles Latierre-Grundwissen. Und da du das auch alles weißt bist du folglich auch ein echter Latierre."
"Quod erat demonstrandum", lachte Julius.
Um wachzubleiben verordnete die gerade vor Ort befindliche Heilerin den beiden Eheleuten eine kleine Dosis Wachhaltetrank.
Julius musste sich sehr anstrengen, nicht erkennen zu lassen, was in den letzten Stunden in seinem Haus so passiert war. Das Gespräch mit den Marceaus wegen der anstehenden Hochzeitsfeier ihres Sohnes verlief in ruhiger Atmosphäre. Endlich hatten sie sich auf einen neutralen Ort zum Feiern geeinigt. Monsieur Marceau gab nur zu bedenken, dass seine konservativen Onkel Väterlicherseits beklagen würden, dass keine kirchliche Trauung geplant war. "Da kann man nur sagen, dass Gabrielle und ihr Sohn sich heiraten, nicht den Vatikanstaat."
"Das sagen Sie, weil Sie anglikanisch getauft sind und durch Ihre Integration in die Zaubererwelt jeden Bezug zu christlichen Zeremonien verdrängt haben", sagte Monsieur Marceau. Julius konnte das nicht von der Hand weisen. Andererseits hatte er schon genug Hochzeiten in der Zaubererwelt mitgefeiert um zu wissen, dass eine Ehe nicht von einem Amen in der Kirche abhängig war. Er bot jedoch an, Gabrielle persönlich zu fragen, ob sie im Namen des Friedens mit ihren Schwiegerverwandten einer kirchlichen Trauung zustimmen würde. Er war sich aber schon sicher, dass Gabrielle das ablehnen würde. Doch Madame Marceau sagte: "Nein, das tun Sie bitte nicht. Am Ende werden wir noch als potenzielle Hexenverfolger hingestellt, und ich habe beschlossen, dass ich meinem Sohn keinen Stein in den Weg zu einem erfüllten Leben legen möchte. Und die beiden erwähnten Onkel sind auch keine Unschuldslämmer, die bedenkenlos den ersten Stein werfen können, falls Sie dieses Zitat kennen."
"Bevor ich mit Zauberei angefangen habe habe ich auch Religion in der Schule gehabt. Das hieß damals nur Glaubenskunde, und wir hatten eine wandelnde Bibel als Lehrer."
"Auf jeden Fall bedanken wir uns für Ihre Hilfe, diese für uns doch sehr gewöhnungsbedürftige Angelegenheit zu einem für alle einvernehmlichen Abschluss zu bringen", sagte Monsieur Marceau. Julius erwiderte den Dank und kehrte in das Ministerium zurück.
Dort angekommen fand er ein Memo vor, dass ihm seitens Madame Belle Grandchapeau für den Nachmittag von allen Schreibarbeiten freistellte, da Madame Faucon ihn um Amtshilfe in einer Beauxbatons-Angelegenheit ersuchen wollte. Julius hatte also nach der Mittagspause offiziell einen Außentermin.
Madame Faucon trug heute einen veilchenblauen Umhang. Sie erwartete Julius bereits in der Wohnküche seines Hauses zusammen mit Jane Porter, Catherine Brickston, Patricia Straton und Faidaria. Millie war mit Aurore und Chrysope bei den älteren Eheleuten Dusoleil, wo auch Jeannes Kinder hinkamen. Julius und Jane durften erst einmal erzählen, wie sie mit den Sonnentöchtern zusammengetroffen waren. Dann ging es um Patricias zweites Leben. "Ihnen ist bekannt, dass Ihre ehemalige Anführerin durch das Täuschungsmanöver einen honorigen Mitarbeiter des US-amerikanischen Zaubereiministeriums zu Tode gebracht hat?" fragte Blanche ungeachtet, mit einer Wöchnerin zu sprechen. Patricia nickte. "Er hätte den Brief einfach nur lesen müssen. Dass Anthelia den Dinocustos-Fluch auf ihr Siegel gelegt hat erfuhr ich erst Tage später, als schon niemand mehr nach mir gesucht hat", erwiderte sie scheinbar ungerührt von dem Vorwurf.
"Dann interessiert es mich doch als Schulleiterin einer integren Zauberei-Lehranstalt, an welchem Ort oder welchen Orten die Mutter von dort zur Aufnahme vorgemerkter Kinder zwischen ihrer offiziellen Beisetzung und ihrem wundersamen Wiederauftauchen gelebt hat!"
"Anthelia hat mir einen Fidelius-bezauberten Zufluchtsort angewiesen. Da sie die Geheimniswahrerin ist kann ich diesen Ort nicht verraten", sagte Patricia. Blanche Faucon verzog erst das Gesicht, musste dann aber nicken. Hatte sie echt erwartet, dass Anthelia zuließe, dass jemand ihre Machenschaften weiterverraten und das noch überleben würde?
"Jetzt kommen wir zu Ihren Kindern. Ich erfuhr von meiner kongenialen Mitstreiterin gegen dunkle Kräfte, dass es sich hierbei um Wiedergeburten handelt. Die eine ist Ihre eigene Frau Mutter, die sich auf einen Pakt mit einer als Geist überdauernden Inkapriesterin eingelassen hat und Ihrer ehemaligen Mitstreiterin Daianira Hemlock das Sonnenmedaillon abringen sollte. Aber wer ist die andere? Das muss ich wissen, weil ich davon abhängig mache, inwieweit wir in Beauxbatons erzieherisch auf ihre Wiedereingliederung im Erwachsenenleben hinwirken dürfen, sollen oder gar müssen."
"Gut, dass die zwei bei Ihnen vorgemerkt wurden bedauere ich, will sagen, ich bedauere den bürokratischen Aufwand, den dies ergibt. Da wo ich jetzt lebe werden die beiden umfassend in allen magischenBelangen ausgebildet, und da beide, wie Sie erfahren haben, bereits ausgereifte Persönlichkeiten sind, besteht keine Notwendigkeit mehr, sie in irgendeiner Weise in bestimmte Richtungen zu lenken", erwiderte Patricia.
"Moment mal, wagen Sie es jetzt allen Ernstes, meine Sorgfaltspflicht abzustreiten?" fragte Blanche Faucon sehr ungehalten.
"Ich werde meine Töchter nur solchen Leuten anvertrauen, die unvoreingenommen gegenüber ihnen und mir auftreten. Sie tun dies leider nicht, Madame Faucon", sagte Patricia Straton völlig unbekümmert. Faidaria sah die schwarzhaarige Hexe sehr ernst an und sagte:
"Blanche Faucon, ich erkenne Ihren Eifer an, junge Menschen im rechten Umgang mit der erhabenen Kraft zu unterweisen. Doch Patricia Straton ist offiziell tot, ebenso wie diejenigen, deren inneres Selbst in den Körpern ihrer Töchter neuenHalt gefunden hat. Damit sind sie zum einen keine jungen Menschen im Sinne Ihrer Unterweisungsstätte und zum anderen keine Bürger eines von Ihrer Zuständigkeit betroffenen Landes. Das sie hier in ihr zweites Leben hineingeboren wurden und dies fälschlich als Ankunft völlig neuer Bürger Ihrer Welt verzeichnet wurde, ändert nichts an diesem Umstand. Gwendartammaya und ihre Kinder werden bei uns Ashtarsirin aufwachsen, lernen und ihnen weiterhin beistehen und dienen, wie sie es in ihren ersten Leben schon taten. Unser Gastgeber hier", wobei sie auf Julius deutete, "beschrieb Sie als gestrenge, aber auch sehr vorausschauende Frau. Deshalb kann ich die fehlende Einsicht, dass die zwei Töchter Gwendartammayas nicht von Ihnen und Ihren Berufsgenossen unterwiesen werden, nur so Erklären: Ich erkenne wiedereinmal mehr die Begehrlichkeiten, mehr über uns und unser ererbtes Wissen zu erfahren, welches ich auch bei anderen Istzeitträgern der Kraft erkennen musste. Meine beiden Großnichten werden nicht in eine auf solche Begehrlichkeiten und Argwohn verfallene Unterweisungsstätte gelassen."
"Sind Sie die Sprecherin der Sonnenkinder? schnarrte Madame Faucon."
"Das haben meine Gastgeber Ihnen vorhin bereits gesagt, Blanche Faucon. Wir werden noch heute in unser Land aufbrechen. Was wir Ihnen an Wissen überlassen wollten werden Julius und seine Angetraute Ihnen berichten. Mehr werden Sie von uns erst dann erfahren, wenn wir erneut gefordert sind, Ihnen beizustehen."
"So, und was soll ich dann mit der Geburtsmitteilung machen?" fragte Blanche Faucon.
"Verbrennen, zerreißen, wegschmeißen", schlug Patricia vor. Dafür wurde sie wieder saphirblau angefunkelt. Julius kannte Blanche Faucon gut genug. Sie war jetzt wieder kurz vor einer Wutexplosion. Da wandte sich Catherine den Anwesenden zu und sagte:
"Wenn sie es so sieht ist sie keine französische Staatsbürgerin und war es nie. Da wir hier Blutsrecht haben sind die zwei auch keine Französinnen. Das der Geburtsmelder von Beauxbatons sie registriert hat liegt einfach daran, dass er alle von Hexen geborenen Kinder registriert. Vielleicht solltest du das in deiner Eigenschaft als erste zu informierende bei solchen Dingen als tatsächlich nicht geschehen abhandeln." Blanche Faucon starrte ihre Tochter verdrossen an und musste erst einmal durchatmen. Dann erwiderte sie: "So, du meinst also, dass diese beiden einfach auf einer einsamenInsel großwerden, womöglich wie die Mutter sardonianische Ansichten pflegen und sozusagen eine neue Gelegenheit erhoffen, Sardonias Abwege zu beschreiten?"
"Wir helfen keinem der von dunklen Regungen bewegt wird", schnarrte Faidaria. "Und bevor Sie mich noch dazu treiben, zwei Monde vor der günstigsten Zeit meinen in mir wachsenden Sohn vor Ihre Füße fallen zu lassen stelle ich noch einmal fest, dass Sie kein Recht auf meine Blutsverwandten haben, junge Frau."
"Moment, sie sehen nicht so alt aus wie meine Mutter", sagte Catherine.
"Und dennoch könnte ich deren Muttermutter sein. Mein Leben zählt bereits an die zweihundert Sonnenumläufe. Und da wagt es Ihre Mutter, mir vorzuschreiben, wie wir unsere Kinder zu erziehenhaben und was wir mit jenen tun sollen, deren inneres Selbst in neuen Kindern Halt fand, wie es bei uns Sonnenkindern verfügt ist? Wie gesagt werden Gwendartammaya, ihre hier geborenen Kinder, meine Nichte Gisirdaria und ich noch vor Tageslichtende von hier wieder abreisen. Bedenken Sie gütigst die Wahl, die Sie haben. Oder wünschen Sie zum Mittelpunkt hundertfacher Begehrlichkeiten zu werden, weil Ihnen Dinge offenbart wurden, die andere zu gerne erlangen oder wissen möchten? Ich sehe, daran sind Sie gewöhnt. Doch alles müssen Sie nicht wissen, Jjunge Frau. Seien Sie froh, dass ich Sie schon als erwachsene Frau anerkenne. In meiner erhabenen Heimat waren Menschen Ihres Alters noch im Reifevorgang."
"Julius, du bist hier der Hausherr. Da meine Meinung von dieser Dame nicht gewürdigt wird und ich es mir nicht zu einfach machen und es auf ihre anderen Umstände schieben will, erbitte ich nun von dir eine Antwort, mit der wir alle leben können", wandte sich die offenbar mit ihrem Latein am Ende stehende Schulleiterin an Julius.
"Madame Faucon, Gwendartammaya hatte nicht beabsichtigt, hier niederzukommen. Insofern ist es für alle Seiten günstiger, den Vorgang als nicht stattgefunden zu vermerken. Das schließt natürlich auch ein, dass die beiden kein Recht mehr haben, in Beauxbatons aufgenommen zu werden. Denn ein Mensch, den es nicht gibt, kann ja nirgendwo hingehen."
"Ich reiß mir gleich die Windel vom Podex und klatsch sie dir ins Gesicht, Bursche", protestierte Pandoras Gedankenstimme.
"Gut, dann werde ich mit Madame Grandchapeau erörtern, dass es zum ersten mal in der Geschichte der Geburtsmelder zu einer Fehlmeldung kam und wir diese unverzüglich aus den Akten entfernen müssen. Ja, und es stimmt, wer nicht von Beauxbatons, Hogwarts oder einer anderen magischen Lehranstalt vermerkt oder bereits beschult wurde, kann nirgendwo anders hingehen. Und was die Begehrlichkeiten angeht, werte Madame, so haben die Latierres oder meine Mitstreiterin Jane Porter Sie nicht darum gebeten, herzukommen. Sie wollten was von uns, weil Sie durch den übereiltenSturm auf das von Dementoren besetzte Schiff zur falschen Tageszeit Ihre halbe Bevölkerung in den Untergang gestürzt haben. Auch wenn die Verstorbenen in den Körpern Ihrer künftigen Kinder entbunden werden, entbindet sie das nicht von der Tatsache, dass Sie sich und ihre altehrwürdige Kultur unverzeihlich überschätzt haben. Allein schon, dass Sie darauf angewiesen waren, durch Menschen aus der Gegenwart aus Ihrem Überdauerungsschlaf geweckt zu werden zeigt, dass es genug Situationen gibt, wo Sie auf unseren Beistand und unser Wissen angewiesen sind. Da Sie ja behauptet haben, mir geistig weit vorauszusein, werden Sie diesen Denkanstoß sicherlich beherzigen. Ich darf mich also empfehlen. Meine offiziellen Obliegenheiten verlangen nun nach meiner Aufmerksamkeit. Ich möchte nur bekunden, dass es mir für euch zwei leid tut, Mildrid und Julius, dass ihr in dieses unschöne Geplänkel hineingezogen wurdet."
"Wir hätten das auch lieber anders gelöst, Madame Faucon", sagte Julius ruhig. Darauf flohpulverte sich die Schulleiterin von Beauxbatons zurück an ihren Arbeitsplatz.
"Dass ihr das fünf oder sieben Jahre mit ihr ausgehalten habt muss ich wohl als große Leistung anerkennen", sagte Patricia. Dann wandte sie sich der Matriarchin der Sonnenkinder zu. "Möchtest du immer noch, dass die Liga gegen dunkle Künste unsere Erkenntnisse bekommt?"
"Sie mag eine von ihren Aufgaben getriebene, teilweise ungeduldige junge Hexe sein, aber leider hat sie recht, dass wir gerade nicht stark genug sind, alleine gegen die Bedrohungen zu kämpfen, die es gibt. Deshalb ziehe ich mein Angebot nicht zurück. Aber wir sollten jetzt aufbrechen, bevor wir noch weitere Ausscheidungsauffangpolster von unseren Gastgebern erbitten müssen."
"Und dir werde ich das noch mal beweisen, dass es mich gibt, Julius Latierre", stieß Pandora eine rein geistige, vielleicht nicht zu ernste Drohung aus.
Julius verabschiedete sich noch von Gisirdaria, wobei er feststellte, dass er beim direkten Blickkontakt auch mit ihr und ihrem Ungeborenen mentiloquieren konnte. "Passt gut aufeinander auf. Ich bin froh, dass es euch gibt. Dann stehe ich mit meiner Frau nicht ganz so allein da mit dem ganzen alten Zeug."
"Wenn ich aus diesem kleinen Kugelmädchen rauskomme frage ich ganz lieb, ob ihr uns nicht auch mal besuchen kommt. Aber dann lasst bitte diese Schulmeisterin zu Hause. Hat meiner Schwester voll das innere Nest zusammengezogen, dass sie die ganze Wut von Faidaria mitgekriegt hat", vernahm Julius die leise, leicht abgedumpfte Gedankenstimme von Gisirdarias künftigem Sohn.
"Wir sehen uns", sagte Julius und tätschelte ungefragt Gisirdarias Bauch. "Vorsicht, wer eine nicht mit einem Angetrauten lebenden Frau so die Hand auflegt bietet ihr an, der Vater eines Sohnes und einer Tochter zu werden", grinste Gisirdaria.
"Der alten Regeln nach hat Mildrid das Recht, nach zwei Töchtern mindestens noch zwei Söhne von mir zu bekommen", sagte Julius. Zur Antwort gab ihm Gisirdaria einen dicken Kuss auf die Wange und knuddelte ihn kurz. Dann ging sie.
Als Julius der kleinen Phoenix in die grünen Augen sah konnte er auch mit ihr mentiloquieren: "Ich werde mich wohl dran gewöhnen, mal so auszusehen wie Mom Patty."
"Man kann sich dran gewöhnen, als Frau zu leben", mentiloquierte Julius und verriet Phoenix, dass er das auch mal eine volle Stunde lang ausprobiert habe. Das rang der kleinen, noch leicht gerötet aussehenden Sonnentochter das erste Lächeln ihres Lebens ab. Patricia sah dies wohl. Auch hatte sie wohl mitbekommen, was Julius mentiloquiert hatte und legte ihm die Hand auf die Schulter.
"Ich kriege sie dazu, sich über ihren Körper zu freuen. Im Nachhinein hat mir das auch sehr gefallen, sie auf die Welt zu bringen. Grüße an eure Pflanzengöttin."
"Wir werden uns wiederbegegnen, Julius Erdengrund. Sei weiterhin aufrecht, neugierig und bejahe dein Leben. Du hast eine starke aber auch warmherzige Gefährtin und wirst sicher auch bald einen Sohn mit ihr haben. Wenn meiner auf der Welt ist werde ich einen Weg finden, euch dies wissen zu lassen", sprach Faidaria mit körperlicher Stimme.
"Sie sind die erste zweihundertjährige Frau, der ich alles gute für eine schmerzarme Niederkunft wünschen darf", sagte Julius. Dabei dachte er jedoch an Madrashainorians Gefährtin, die im Grunde genommen immer noch auf dessen Rückkehr wartete.
"So heftig hat die gute Bläänch aber lange keiner mehr zurechtgestutzt. Das hätte ich mich nicht mal getraut",. sagte Jane. Dann meinte sie: "Lasse dich von ihr nicht damit runterziehen, dass du das früher hättest weiterreichen müssen. Die ärgert sich doch nur jetzt, dass sie mitbekommen hat, dass ihr diesen hohen Besuch hattet und sie nichts damit anfangen kann, wenn ihr das nicht wollt."
"Ich bedauere es, Mel, Myrna und Gloria weiter so anzuschwindeln, Mrs. Porter. Gibt es echt keine Möglichkeit, ihnen das schonend beizubringen?"
"Wenn es eine gibt, dann liegt es nur bei mir, dies zu tun, Honey. Mach dir nicht meinen Kopf, du hast deinen eigenen. Habt noch einen schönen Tag", sagte sie, umarmte Julius innig und wandte sich dann Vivianes Gemälde zu. Als sie mit ihrem Intrakulum darin verschwunden war sagte Catherine:
"Ich bin nicht meine Mutter und muss dich deshalb auch nicht maßregeln, Julius. Wir haben dieses alte Erbe, du im besonderen, weil du Darxandrias Haube auf hattest. Meine Mutter ist dir auch nicht böse, weil sie genau weiß, wie schnell was in der magischen Welt herumgeht, wenn es an einer Stelle zu viel ankommt. Und dein Vorschlag war genau richtig. Was nicht in den Akten steht ist auch nicht passiert. Ich verstehe auch nicht, wie sie darauf kommen konnte, dass die Sonnenkinder ihre Nachkommen bei uns in die Schule schicken. Ich habe den Eindruck, dass Faidaria und ihre noch verbliebenen Geschwister unser Zeitalter für sehr degeneriert ansehen. Wenn ich dann noch gezwungen bin, mit jemandem zu unterhandeln, den ich für primitiv ansehe gehört da schon eine Menge Entschlossenheit zu, eine solche Angewidertheit oder Überheblichkeit zu vergessen, wenn es dann doch sein muss. Andererseits habe ich gesehen, wie Faidaria dich angesehen hat. Offenbar hat sie Gefallen daran gefunden, die Kinder jetztzeitiger Männer zu empfangen. Soweit ich von Patricia Straton erfahren habe ist Faidarias ungeborener Sohn körperlich von diesem Jungen Benjamin Calder, der jetzt Phoenix heißt wie die Tochter von Melanie B. Darfst du Babette auch nicht erzählen, dass du eine echte Phoenix kennengelernt hast."
"Ja, dabei lernen Millie und ich im nächsten Juni eine Melanie C kennen, Catherine. Grüß mir deine kleine Prinzessin Claudine. Laurentine erwähnte, sie könne schon das halbe Alphabet schreiben."
"Nicht ganz. Aber ihren Namen in Druckbuchstaben kriegt sie schon hin. Bedauerlich, dass Joe dafür keine Zeit hat. Aber er wird sie wiederfinden und mitbekommen, dass er noch eine aufgeweckte Tochter hingekriegt hat. Apropos, Hast du Babette nicht mehr gern? Sie würde gerne den nächsten Teil des Chrysie-Reports lesen."
"Das macht Millie, weil sie das als Von Hexe zu Hexe abhandelt. Ich habe ihr nur die neusten Sachen aus der Musikwelt geschrieben. Aber das stimmt, das kann ich wieder anfangen", sagte Julius, froh, was zu haben, was nicht so heftig auf seine Seele drückte wie das alte Erbe.
Als auch noch Catherine verschwunden war apparierte Julius auf das Grundstück der Dusoleils, wo er gleich von allen Kindern im Umkreis von fünfzig Metern bestürmt wurde. Nur die kleine Chrysope schlummerte friedlich in der Bauchtragetasche ihrer Mutter, wie ein Känguruh in Mamans Beutel.
Ob Königin Blanche das so wegsteckt, dass sie kurz an zwei echten Sonnenkindern hat schnuppern dürfen?" fragte Millie.
"Immerhin waren sie da frisch gewickelt", erwiderte Julius darauf. Millie musste darüber lachen. Aurore wollte wissen, wo die drei runden Frauen hingefahren waren. Julius erzählte ihr, dass die eine ganz eigene Insel hatten, wo immer die Sonne schien. Da würden die ganz kleinen Mädchen jetzt groß werden. Er malte ihr diese Insel, die er selbst noch gar nicht besucht hatte mit weißem Sand und blauem Meer und grünen Palmen und darüber eine zwanzigstrahlige, goldgelbe Sonne mit einem pausbäckigen Babygesicht, in das er große grüne Augen hineinmalte. Er hängte das unbezauberte Bild bei Aurore ins Zimmer und setzte sich dann wieder zu Millie, die gerade an der nächsten Folge des Chrysie-Reports schrieb. Offenbar hatte sie gerade durch den Zwischenstop der Totgesagten den Antrieb bekommen, ihr Leben als Mutter und Reporterin zugleich so gut es ging auszuschöpfen. Das freute Julius.
Als Aurore und Chrysope schliefen begutachtete Julius noch einmal die kleine, auf Millies und sein lebendes Fleisch abgestimmte Reisetruhe, die die Sonnentöchter hiergelassen hatten. Darin lagen zwei jener Waffen, die Julius in der Himmelsburg in Aktion erlebt hatte, sowie stabile Ledergürtel, an denen faustgroße, silberne Kugeln hingen. Diese, so hatte Faidaria am vorigen Abend noch erklärt, könnten einen wirksamen Schild aus verdichteter Mondkraft um den Träger errichten, der alle körperlichen und magischen Gewalten zurückwarf, bis die gespeicherte Kraft erschöpft war. Kein wunder, dachte Julius. dass Leute wie Blanche Faucon und diverse Zaubereiminister zu gerne an diese magischen Gerätschaften und wie sie gemacht wurden kommen wollten. Er probierte den Mondschildgürtel aus und erschuf so eine silberne Aura um sich herum. "Das sind genau die tragbaren Schutzschilde, mit denen die Rebellen und die Wachen in der Himmelsburg sich abgeschirmt haben, Mamille", sagte er und ließ die silberne Schildaura wieder verschwinden. Die Mondschilde wurden durch die Bewegungen von Erde und Mond aufgeladen.
Nachdem Millie und er darüber gesprochen hatten, die Waffen nicht im Haus, sondern im gemeinsamen Gringottsverlies aufzubewahren schlossen sie die Truhe vorübergehend in ihrem Vorratsraum ein.
Nächste Story | Verzeichnis aller Stories | Zur Harry-Potter-Seite | Zu meinen Hobbies | Zurück zur Startseite
Seit ihrem Start am 1. November 2017 besuchten 2607 Internetnutzer diese Seite.