Als in der Nacht vom 28. auf den 29. Oktober 2002 die Expedition einer deutschen Universität mit den schattenhaften Dienern des seit alters her gefürchteten Wesens Kanoras zusammenstieß überlebten nur zwei Frauen und zwei Männer den Überfall der Nachtschatten. Sie konnten sich bis zur marokkanischen Hauptstadt durchschlagen, wo erkannt wurde, was ihnen widerfahren war. Um die magielose Welt im Unwissen zu halten, dass da eine wahrhaft dämonische Macht erwacht war wurde den vier jungen Menschen die grausame Erinnerung daran genommen und ihnen statt dessen eingepflanzt, Opfer und Überlebende eines terroristischen Überfalls geworden zu sein, an dem kein übernatürliches Wesen beteiligt war. Damit, so glaubten die Verantwortlichen in den zuständigen Zaubereibehörden, seien die vier sicher vor möglichen Nachstellungen aus der magischen Welt. Doch auch die neu auferlegten Erinnerungen hielten die vier jungen Leute davon ab, einen friedlichen, unbeschwerten Alltag wiederzufinden. Nur für zwei von ihnen, Arne Hansen und seine Freundin Erna Grabowsky, geriet die neue Lage zum privaten Glück. Doch sind sie wirklich sicher vor weiteren Nachstellungen?
In der Nacht, als der Zauberer, der sich Lord Vengor nannte darauf ausging, zu Iaxathans Versteck vorzudringen, musste er miterleben, wie sein Verbündeter Kanoras von einer ihm unbekannten Macht vernichtet wurde. Um durch die Barriere aus starker Magie zu brechen, die jemand vor Iaxathans Höhlenversteck errichtet hatte, beschoss er diese mit den von Kanoras mitgegebenen Ankerartefakten, an denen ausgewählte Schattendiener gebunden waren. Dadurch löste er jedoch eine Rebellion der nun aus Kanoras' Bann gelösten aber immer noch als Nachtschatten bestehenden Seelen aus. Um sich die zwei einzig weiblichen Diener, die Kanoras ihm mitgab, vollständig zu unterwerfen verschmolz er deren Ankerartefakte. Doch damit beschwor er nicht nur sein eigenes Verhängnis herauf.
Rico Kannegießer hatte sich seit der Rückkehr aus Nordafrika nur wenige male richtig gefreut. Denn immer noch spukten die vor Angst und Schmerzen schreienden Kameraden durch seine Träume, die im Atlasgebirge von fanatischen Banditen niedergemetzelt worden waren. Danach war ihm irgendwie die Lust vergangen, ein zweiter Alexander von Humbold oder Dr. Livingston zu werden. Jedesmal, wenn er nach der Rückkehr in die Vorlesungen ging sah er die leerbleibenden Plätze, auf denen seine Komilitonen sonst gesessen hatten. Man hatte ihm psychologische Unterstützung angeboten und sogar einen Seelsorger empfohlen, mit dem er sich über seine Erlebnisse und die davon kommenden Angst- und Schuldgefühle unterhalten konnte. Doch zum einen hielt er nichts von religiösem Gerede, und mit Psychologen hatte er in seiner Jugendzeit auch mehr Last als Erleichterung empfunden. Irgendwie war das hier an der Uni nicht mehr so ganz seins. Arne und Erna, die hatten das ganz lustig gemacht. Die waren in den Weihnachtsferien zusammen über die Feiertage in die Staaten rübergeflogen und meinten wohl, da bleiben zu müssen. Er hatte am zweiten Januar eine Postkarte aus Las Vegas bekommen, die mit Arne und Erna Hansen unterschrieben war. Die Karte hatte eine der berühmt-berüchtigten Hochzeitskapellen gezeigt, vor der ein Hochglanzbrautpaar in einem Regen bunter Blumen badete. Hatten die echt mal eben geheiratet? Rico musste das wohl glauben. Ob das den Eltern von Erna passte, die meinten, ihre Tochter würde nach dem Gastsemester in Hamburg wieder in ihre Heimat im Ruhrgebiet zurückkehren? Soweit er von Erna mitbekommen hatte waren ihre Eltern erzkatholisch, wegen polnischer Vorfahren. Das war garantiert für die ein heftiger Tritt in den Unterleib, wenn deren Töchterchen mal eben in der Sündenstadt Las Vegas einen Typen geheiratet hatte, der nicht den Papst anbetete, womöglich noch nicht mal mehr Jesus Christus. Er selbst war sich auch nicht mehr sicher, ob er noch an irgendwas außerhalb von messbaren Dingen glauben sollte. Die ihn und die anderen überfallen hatten meinten ja, für ihre Version von Gott mal eben andere Leute abknallen zu dürfen. Natürlich standen die nicht für die Mehrhheit der Leute, die Mohammed als ihren Propheten verehrten. Aber dass wer meinte, für irgendeine nicht greifbare und auch nicht direkt ansprechbare Erscheinungsform zum Massenmörder werden zu dürfen stieß ihm immer wieder übel auf.
Wofür er eigentlich einen psychologischen Beistand hätte nehmen können war die seit der Nacht im Oktober bestehende Angst vor völliger Dunkelheit, von den Fachleuten auch Scotophobie oder Nyctophobie genannt. Deshalb brauchte er immer ein wenig Restlicht in seinem Schlafzimmer und ließ zum Einschlafen immer eine CD mit sphärischer elektronischer Musik laufen, um davon in den nötigen Schlaf gespielt zu werden. Von Schlafmitteln hatte er wegen eines Suchtfalls in seiner Verwandtschaft die Finger gelassen. Zumindest half die sich selbst verordnete Behandlung beim Einschlafen. Gegen die immer wieder aufkommenden Albträume half es nichts. Doch er war immer froh, wenn er aufwachte und die kleinen, rot glimmenden Leuchtdioden an der Decke sah, die sein Schlafzimmer nicht in völlige Dunkelheit fallen ließen.
Im Januar hatte er dann seine erste Freundin Jenny Horten wiedergetroffen, die wegen einer Angelegenheit in Hamburg war und mit der er bis dahin noch einen lockeren Kontakt gepflegt hatte. Es war super gewesen, mit einer Frau zusammenzutreffen, die auf dem festen Boden erlernten Handwerks geblieben war und nicht gemeint hatte, mehr rausholen zu können als nötig war. Gut, Rico hatte ja auch nur deshalb zu studieren angefangen, um nicht für seine Ausbildung angelegtes Geld an die Gläubiger seines Vaters zu verlieren, auf dessen Konto es geparkt war. Er hatte es ja auch schon weit gebracht. Doch als er Jenny getroffen hatte wurde ihm klar, dass er eigentlich nur wegen irgendeines Stücks Papier studierte, aber nicht, weil er wirklich noch was weltbewegendes erreichen wollte. Jenny hatte ihm erzählt, dass sie mit drei anderen zusammen den kleinen Radiosender Nordsand auf der zum Hamburger Hoheitsgebiet gehörenden Nordseeinsel Neuwerk betrieb. Sie hatte durch einen großen Blumenstrauß mitgeteilt, dass sie für eine Musiksendung noch einen Moderator suchten, der sich sehr gut mit elektronischer Musik auskannte, weil sie damit einmal in der Woche abends auf Sendung gehen wollten. Da Rico sich seit seiner Kindheit für alles interessierte, was aus reinem Strom Musik machen konnte, hatte er das schon als gewisse Einladung verstanden. Dann, als er von diesen Dumpfen Gefühlen, die ihn immer mal wieder heimsuchten getrieben wurde, sich nachts das Album "Equinoxe" von Jean Michel Jarre anzuhören, hatte es bei ihm im Kopf geklickt. Er hatte probeweise einzelne Stücke des Albums leise an- und wieder abmoderiert und dabei so leise und locker er konnte näheres über die Entstehung des Albums und den Künstler hergesagt. Das hatte sich besser angefühlt als die Referate über das Atlasgebirge und die Ausbreitung der Sahara, die er in den Seminaren zur Entwicklung des afrikanischen Kontinentes und seiner Bewohner gehalten hatte. Noch am selben Morgen hatte er Jenny angerufen, um ihr zu sagen, dass er sich am Monatsende exmatrikulieren würde, wenn sie ihm erzählte, mit wie viel Geld er denn rechnen dürfe. Denn rein ehrenamtlich wollte er das nicht machen.
Als er sich mit Jenny Horten am 29. Januar getroffen hatte, um das alles abzuklären, hatte er auch die Sendeanlage besichtigen dürfen. Das hatte die blondgelockte Jenny und ihn dazu veranlasst, ihn auch als Wartungstechniker einzustellen, statt dass er seine Mods, wie sie das nannte, nur als vorbereitete Aufnahmen per Datenübertragung verschickte. Da Radio Nordsand ja auch ins Internet wollte und er sich neben seinen eigentlichen Studien auch mit Bild- und Klangübertragung per Datenautobahn beschäftigt hatte, war die Sache nach nur einer weiteren Stunde und einer großen Flasche Bier geregelt. Der Student Rico Kannegießer würde am 12. Februar zum Radiomann mutieren. Da seine Eltern ihm die noch verbliebene Summe für den Rest seines Studiums überwiesen hatten und die Geldanweisung nicht zweckgebunden war, hatte er sogar ein gewisses Startgeld, um bis zum ersten Lohn durchzuhalten. Was die Unterbringung anging wollte er nicht mit Jenny zusammenziehen, zumindest nicht sofort.
"Junge, ich weiß, dass wir das mit der Uni nur gemacht haben, um die ganzen Aasgeier und Gierhälse abzuschütteln", hatte sein Vater am Telefon gesagt. "Ich will nur sicher sein, dass du dir sicher bist, nicht einer alten, scheinbar neuen Chance nachzujagen, mit der kleinen Horten noch mal zusammenzukommen und du nicht enttäuscht wirst."
"Du hast mir mal gesagt, dass ich mein Leben selbst zu regeln lernen muss, Vater. Ich denke mal, in meinem Alter sollte ich das langsam mal kapieren. Außerdem ist Jenny wohl mit Fred, einem meiner drei zukünftigen Kollegen, verbandelt., der im Sender für Nachrichten, Wetter und Lokalpolitik zuständig ist. Wir sind nur beruflich zusammen."
"Na, hoffentlich merkst du dir das, was du gerade gesagt hast, mein Junge", hatte Ricos Vater gesagt.
Karin Maurer hatte die Ereignisse im Atlasgebirge nicht so gut weggesteckt wie die drei anderen, die mit ihr gerade so noch vor den schießwütigen Banditen hatten fliehen können. Die Dunkelheit machte ihr immer Angst. Irgendwie meinte sie immer, jemand oder etwas könne gleich daraus hervorstoßen und sie angreifen. Ihre Leistungen an der Uni hatten heftig nachgelassen. Dann hatte ihr Roger, der Cousin eines Komilitonen, was von einer genialen, nebenwirkungsfreien Aufputschdroge erzählt, die besonders bei Soldaten oder Fernfahrern sehr beliebt war. Erst hatte sie abgelehnt, sich mit irgendwelchem Zeug über Wasser zu halten. Doch als der Nachfolger des in Marokko getöteten Professors Gruber sie drei Wochen nach ihrer Rückkehr aus Marokko zu sich bat hatte sie erkannt, wie heftig sie gerade an einer Ehrenrunde entlangschrammte. "Mit Ihren Leistungen kann ich trotz der mir bekannten Umstände nicht zufrieden sein, Frau Maurer. Entweder sie vertrauen sich professioneller Hilfe an und pausieren solange, bis Sie wieder auf dem Damm sind oder machen sich mit der Vorstellung vertraut, das Semester vollständig zu wiederholen, wenn ich nicht befinden muss, dass Sie wegen möglicher seelischer Probleme nicht mehr im Stande sind, das Studium fortzusetzen", hatte Professor Kling ihr offenbart. Da sie nur solange das Geld ihrer Eltern bekam, solange sie mit dem Studium vorankam hatte sie nach Auswegen gesucht, ihre Lage auch ohne langwieriges Psychogequatsche zu verbessern. Tja, und deshalb hatte sie Anfang November die erste kleine Packung dieses Muntermachers besorgt, für zweihundert Euro die hundert Gramm. Davon hätte sie einen halben Zentner Schokolade kaufen können. Die in Bonbonform verpackte Wunderdroge mit dem Namen Kreativschokolade konnte laut Roger die Leistungskraft und die seelische Balance für mehr als einen Tag in Topform bringen. Da sie nach ihren ersten Versuchen mit Ecstasy vor fünf Jahren keine Lust auf einen sie total aus dem Tritt bringenden Rausch hatte begnügte sie sich zuerst mit einem halben dieser Kreativbonbons. Ihren Eltern durfte sie um Himmels Willen nicht sagen, dass sie sich einer neuen, wohl im Labor gemachten Droge auslieferte, die angeblich keine Nachwirkungen hatte. Auch in dieser Dosierung war das Zeug genial, besser als das Ex, dass sie damals in der Disco ausprobiert und wegen dem sie sich beinahe total nackt auf die Tanzfläche gestellt hatte, weil das so reingedröhnt hatte. Jedenfalls half ihr das Zeug über den Tag. Sie hatte keine Depressionen, und geistig war sie fitter als vorher. Gut, sie wusste, dass sie das Zeug nicht dauernd schlucken durfte. Aber vor Klausuren oder wichtigen Seminarstunden behielt sie sich die Möglichkeit vor, es zu nehmen. Es durfte eben nur keiner mitkriegen.
Der gute Vorsatz war bereits vor dem Silvesterfeuerwerk mit leisem Knall in Rauch aufgegangen. Denn gerade dann, wenn sie sich sehr auf die noch zu schaffenden Aufgaben und Lerneinheiten stürzte, kam sie ohne dieses Zeug nicht mehr aus. Als dann im Januar rumging, dass Roger spurlos verschwunden war hatte sie schon befürchtet, bald wieder komplett ihren eigenen Zweifeln und Ängsten und vor allem der nach Abklingen der Wirkung zurückkommenden Konzentrationsschwäche ausgeliefert zu sein. Warum Roger den Abflug gemacht hatte oder ob er von der Drogenfahndung oder Konkurrenten hochgenommen worden war wusste sie nicht. Denn in den Nachrichten war davon nichts erwähnt worden.
Mitte Januar hatte sie dann das letzte der bunten Bonbons aufgebraucht. Wenn das Zeug doch illegal war und es deshalb keinen Nachschub geben würde hätte sie eigentlich einen Tag später total abgebaut. Doch ihr Komilitone Rolf hatte von Roger wohl schon einen ganzen Posten des Zeugs abgezweigt. Allerdings wollte der dann dafür vierhundert Euro für hundert Gramm. Karin hatte ihm darauf gesagt, dass sie sich dann ja gleich an die Nadel hängen und auf dem Kietz anschaffen gehen könne. Rolf hatte darauf nur geantwortet, dass auf dem Kietz schon andere Komilitoninnen herumliefen, die auch ohne an der Nadel zu hängen anschafften. Sie hatte Rolf dann auf 300 Euro für hundert Gramm heruntergehandelt, dafür aber den kompletten Restbestand von hundert Bonbons bekommen können. Irgendwie schien es Rolf verdammt eilig zu haben, das Zeug loszuwerden. Das kapierte sie erst, als sie das erste Bonbon eingeworfen hatte und wieder total am Anschlag ihrer Konzentrationsfähigkeit nachdenken konnte. Der hätte ihr das Zeug auch überlassen, wenn sie ihm fünfzig Euro gegeben hätte. Wieso sie die einzige war, die das Zeug angeboten bekommen hatte war ihr nie durch den Kopf gegangen. Aber jetzt, wo Rolf ihr seinen Restbestand vertickt hatte fragte sie sich schon, weshalb Rolf nur ihr den Draht zu Roger und diesen Bonbons verschafft hatte. Mit dem Zeug ließen sich Kriege führen und Marsmissionen fliegen, hatte sie mal gedacht. Irgendwie putschte das auf wie Adrenalin und machte gleichzeitig so ruhig wie eine dieser Beruhigungstabletten, die ihre Oma einwarf, wenn sie und ihre wesentlich jüngeren Vettern zu Besuch waren.
Dann war Ende Januar auch Rolf spurlos verschwunden. Das hatte ihr schon eine gewisse Angst gemacht. Denn ihr war auch unter der Wirkung dieser sogenannten Kreativschokolade bewusst, dass es wohl doch was mit der Wunderdroge zu tun hatte. Seltsamerweise war die Kripo nach Rolfs Verschwinden nie in der Uni aufgetaucht um zu fragen, wer da was mitbekommen hatte oder wer über Rolfs Drähte zu irgendwelchen Drogenköchen gewusst haben mochte. Es schien so, als hätten die von der Kripo schon genug Sachen zusammenbekommen oder nichts bei ihm gefunden, was weitere Nachfragen anging. Dann war sowas rumgegangen, dass Rolf wohl unter Zeugenschutz genommen worden war, weil er irgendwas mitbekommen hatte, was ihm und seinen Verwandten sehr übel bekommen konnte.
Arno Kröger hatte sich das jetzt drei Wochen angesehen, wie seine Zimmernachbarin Karin Maurer mal total aufgedreht und dann wieder total abgekämpft von ihren Seminaren oder AGs zurückkam. Der sich auf sein im Sommer stattfindendes Medizinexamen vorbereitende Student hatte sofort Drogen im Verdacht, mit denen sich Karin die seit Oktober sichtbaren Depressionen und Durchhänger vom Hals zu halten meinte. Als er am 12. Februar abends nach 22:00 Uhr die fünfte Etage des für alleinstehende Studenten errichteten Mietshauses betrat sah er gerade noch, wie seine Nachbarin mit vor Energie strotzenden Schritten um die Ecke kam. Die hatte also die Treppen genommen und nicht den Aufzug. Eigentlich war das die gesündere Art, sich in diesem Haus zu bewegen, fand Arno. Aber mal eben fünf Stockwerke raufzuklettern und dann noch so kraftstrotzend auszusehen gefiel ihm nicht. Er trat im Neonlicht zu ihr hin und grüßte. Sie erwiderte den Gruß. Dann fragte er, ob sie sich auch ganz sicher sei, worauf sie sich eingelassen habe. Auf die natürlich erfolgende Gegenfrage, was er meine sagte er ihr, dass er schon einige Leute gesehen hatte, die sich durch irgendwelche Aufputschmittel über Wasser gehalten und dann doch als körperlich-seelische Wracks geendet hatten. Vor allem jetzt, wo kristallines Metamphetamin so auf dem Vormarsch war, dass viele Ärzte und Psychiater davor warnten, bald mit tausenden von schwergeschädigten zu tun zu bekommen, hatte sie ihn sehr zornig angestarrt, dass er meinte, gleich von tödlichen Laserstrahlen getroffen zu werden. "Eh, Arno, wenn du dein Examen packst darfst du den Arzt raushängen lassen, aber nur bei denen, die deine Patienten sein wollen oder dir vom Staat zugeschustert werden. Also hör bloß auf, deine ganzen Medikenntnisse an mir zu testen, klar! Ich hab kein Crystal und auch kein Koks eingeworfen. Ich habe nur rausbekommen, wie ich über das alles wegkommen konnte, was mir passiert ist. Wie und von wem genau geht dich nichts an. Spiel den Onkel Doktor bei deiner Freundin, die schon seit zehn Monaten so aussieht, als sei sie im neunten!"
"Entschuldigung, die Frage muss doch erlaubt sein, ob du dir irgendwas hast aufschwatzen lassen, was erst supertoll stark oder fröhlich macht aber dich am Ende komplett kaputt macht, Karin."
"Eh, nur weil wir beide an der Uni sind und uns deshalb nicht siezen bist du nicht mein großer Bruder oder sowas. Und was deine Diagnostikübungen angeht such dir wie erwähnt gütigst wen anderen. Ich hatte heute schon genug Stress. Oder meinst du, nur ihr Medis werdet hart rangenommen?"
"Ich wollte nur fragen", erwiderte Arno Kröger, der mit seinen gerade mal 1,70 Metern und knapp 60 Kilo nicht gerade das Bild eines athletischen Helden bot.
"Neh, du hast nicht gefragt, sondern gleich und ohne dazu die Genehmigung zu haben drauf los diagnostiziert, dass ich Meth oder Koks einschmeiße, Kandidat Kröger. Wenn das wer bei dir machen würde würde dich das sicher auch annerven. Wie gesagt, wenn du wen zum herumdiagnostizieren brauchst geh zu deiner kleinen runden Freundin!"
"Gut, ich will dich nicht bedrängen, Karin. Ich wollte nur ... Aber lassen wir das!" erwiderte Arno Kröger, der sich immer noch diesem entschlossenen, sehr wütenden Blick ausgesetzt fühlte. Seine erworbenen Kenntnisse rieten ihm, nicht mehr zu wagen als er schon gewagt hatte. Denn mit einem hatte Karin ja recht: Noch war er kein Arzt. Und einfach auf Verdacht hin wen anzuzeigen, weil er oder sie seiner Meinung nach mit Drogen hantierte mochte ihm an Ende noch einen Gerichsprozess einbrocken, falls sich der Verdacht nicht bestätigen ließ. Er hatte echt schon genug Stress mit den Vorbereitungen, wo es vor allem bei Stoffwechselprozessen und den ganzen einzelnen Muskeln noch heftig knirschte und er sich dabei ertappt hatte, beinahe selbst einen Nachbrenner für sein Gehirn einzuwerfen, um das ganze überstehen zu können. Dass er dieser Versuchung widerstanden hatte durfte er sich nicht als Freibrief herausnehmen, anderen zu dem einen oder anderen zu raten. Er war eben noch kein Arzt und erst recht kein Polizist.
nach einem kurzen und kühlen Gruß zur guten Nacht zog sich Karin in ihr 20-Quadratmeter-Zimmer zurück. Zumindest lag ihres und seines zum abgesperrten Parkplatz hin, so dass der nächtliche Straßenverkehr nicht mehr so laut war, wenn man bei nicht ganz geschlossenem Fenster schlafen wollte. Jetzt im Winter schlief jedoch jeder mit geschlossenen Fenstern.
"Die hätten ihr damals sagen sollen, dass sie ein Jahr pausieren kann, um psychisch wieder in die Idealspur zu kommen, nachdem die diesen Banditenüberfall überlebt hat", dachte Arno Kröger, während er in seinem eigenen Zimmer nachsah, ob er noch was über den Nachweis von Entzündungsherden im menschlichen Urin oder über die Aussagekraft von HCG-Tests bei möglichen Schwangerschaften nachlesen sollte. Vielleicht, so dachte er, war das mit seiner Nachbarin auch ein rein gynäkologisches Problem, eine Überfunktion der Geschlechtsorgane. Dann hatte er sie wahrhaftig ziemlich übel verdächtigt. Andererseits hatten viele Komilitonen von ihm immer mal wieder Symptome jener Krankheiten geäußert, über die sie sich in den Seminaren und Praktika schlau gemacht hatten. Ja, es stimmte, er hatte noch einiges zu lernen, bevor er sich anderen gegenüber als Arzt aufspielen durfte.
Weil er mit den Gedanken nicht zum Lernen zurückfand zog Arno Kröger die unterste verschließbare Schublade heraus, wo er mehrere Musikcasetten und seinen guten alten Walkman versteckt hatte. Wenn er eh nicht mehr lernen konnte, so wollte er sich mal wieder ins Reich der Dämonen begeben, wo klar war, wer die Guten und die Bösen waren.
Nachdem er sich seine "Gutenachtgeschichte" für diesen Abend ausgesucht und den Walkman darauf geprüft hatte, ob der die Geschichte auch batteriemäßig durchhalten konnte, verschwanden seine Ohren unter den Kopfhörern. Karin und die Uni waren für eine Stunde völlig abgemeldet.
Karin hakte die kurze Auseinandersetzung mit Arno Kröger schnell ab. Sie las noch einen Artikel über die DNA-Analyse als Unterstützung zur Bestimmung von Stammesbewegungen in den letzten dreitausend Jahren. Als um halb elf die Wirkung des geschluckten Aufputschbonbons nachließ legte sie sich ins Bett. Sie wusste, dass der Körper nach Abklingen der Wirkung ziemlich schnell Schlaf brauchte. Jedoch ließ sie die kleine Nachttischlampe brennen. Die hatte eh eine Energiesparbirne drin. Nachts ohne Licht schlafen konnte sie seit dem 28. Oktober 2002 nicht mehr. Sie sah noch auf ihren Radiowecker. Radio Hamburg, der auf lockerflockige Unterhaltung mit den aktuellsten Radiohits getrimmte Stadtsender, würde sie morgen um sieben Uhr wecken. Da sie morgen nur eine Vorlesung über Kolonialgeschichte und ihre Auswirkungen auf die Völker Nordafrikas hatte brauchte sie morgen wohl keine Kreativschokolade.
Sie wollte sich gerade hinlegen, als das Licht ausging. Gleichzeitig wurde es merklich kälter, trotz der bis zum Kinn hochgezogenen Decke. Dabei sollte die Heizung erst um elf Uhr in den Nachtruhebetrieb umschalten. Ihr war, als sei sie nicht mehr allein im Zimmer. Hektisch blickte sie sich um. Ihr Körper zitterte, wohl nicht nur wegen der nachlassenden Wunderdroge. Die Dunkelheit war nun so vollkommen, und es war draußen so still, wie sie es seit ihrer Rückkehr nach Hamburg nicht mehr empfunden hatte. Sie meinte, die Zimmerwände würden irgendwie in unerreichbare Ferne rücken. Dann erschrak sie. Denn mitten im Raum schwebten zwei dunkelblaue Lichter nebeneinander, als wenn sie von zwei schwach glimmenden Augen beobachtet würde. Dieser Anblick ließ etwas in ihrem Kopf anspringen wie einen Hochleistungsmotor nach Drehen des Zündschlüssels. Irgendwas kämpfte sich in ihr Bewusstsein hoch, das mit der Sache von damals zu tun hatte. Sie kniff ihre Augen zu, blieb einige Sekunden immer wilder zitternd liegen und sah wieder hin. Sie schrie auf. Denn die beiden blauen Lichter rückten auf sie zu. Gleichzeitig huschten mehrere grauenvolle Bilder durch ihren Kopf, Bilder von dämonischen Schatten, die das Zeltlager ihrer Expedition überfielen. Es tat im Kopf weh, diese Bilder zu sehen, als habe jemand einen kleinen Kompressor in ihrem Gehirn eingeschaltet, der es nun immer mehr aufblies. Doch der Anblick der auf sie zuschwebenden Lichter machte ihr die meiste Angst. Dann hörte sie noch das leise Knistern und Knacken von ihrem Fenster her. Sie konnte nicht an sich halten und schrie wieder los.
Unvermittelt fand sie sich in völliger Dunkelheit. Trotz der dicken Federdecke meinte sie, schlagartig in eine eiskalte Flüssigkeit getaucht worden zu sein. Gleichzeitig meinte sie, etwas hauchzartes würde sich wie eine andere Decke über ihren Körper legen und ihn schlagartig einfrieren. Ihre Schreie erstickten unter dieser grimmigen, gnadenlosen Kälte.
Arno riss den Kopf hoch. Gerade hatte er mitverfolgt, dass der Held seiner heutigen Geisterstunde kurz davor war, seinem Widersacher zum Endkampf entgegenzutreten, als er die schrillen Schreie durch die Kopfhörer in die Ohren bekam. Er kannte die Geschichte gut genug um zu wissen, dass diese fernen Schreie nicht dazugehörten. Er drückte schnell die Stoptaste seines Walkmans, pflückte den Kopfhörer von seinen Ohren herunter und setzte sich kerzengerade auf. Er lauschte. Ja, noch einmal hörte er einen Schrei, der dann jedoch wie unter einem dicken Kissen oder einer auf den Mund gepressten Hand erstickte. Das war bei Karin Maurer!
Arno sprang von seinem Bett herunter und ließ den Walkman darauf liegen. Er drückte den Lichtschalter. Kein Licht flammte auf. Offenbar hatten sie Stromausfall. Er wusste, dass Karin bei ihrer Expedition einen nächtlichen Überfall überlebt hatte und deshalb wohl unter Scotophobie litt. War das der Grund für ihre Schreie! Aber wieso meinte er, dass es irgendwie kälter in seinem Zimmer war? Er hatte das Fenster doch nicht noch mal aufgemacht. "Die nimmt Drogen und ich kriege die Halluzinationen", dachte er erst. Doch dann siegte das Gewissen. Er musste zumindest prüfen, ob Karin Hilfe brauchte, auch wenn sie keinen deutlichen Hilferuf ausgestoßen hatte.
So schnell er konnte zog er sich Hose und Pullover über seinen Schlafanzug und schlüpfte in die Pantoffeln. Er eilte über den zum Zimmer gehörenden kleinen Flur mit Waschbecken und Kleiderschrank zur Tür und schloss sie auf. Keine fünf Sekunden später stand er vor Karin Maurers Zimmer. Durch Türspalt und Schlüsselloch drang eisige Kälte, als bliese jemand polarkalte Luft in das Zimmer ein. Das war doch nicht normal. Er bollerte gegen die Tür und rief nach Karin. Im Moment waren sie und er die einzigen Bewohner dieses Zimmertraktes. Die anderen zwei Studenten waren entweder in einem Auslandssemester oder hatten eine bezahlbare, größere Wohnung mit eigenem Bad und Schlafzimmer gefunden. "Karin, ist was passiert?!" rief er nach dem zweiten Klopfen. Doch von drinnen klang keine Antwort. Er lauschte angestrengt in das Zimmer hinein. Dann glaubte er endgültig, die von ihm gerne aber heimlich gehörten Horrorgeschichten würden auch in Echt passieren. Denn er hörte ein erfreutes Lachen und eine wie aus weiter Ferne schwebende Frauenstimme rufen: "Ja, komm zu mir und wachs in mir!"
Arno dachte einen Augenblick daran, die Tür mit Gewalt aufzumachen. Doch zum einen war er kein sonderlich muskulöser Typ. Zum zweiten hatte Karin eines der sogenannten Frauenzimmer, bei denen die Tür durch innere Verriegelungen noch extra verschlossen werden konnte. Außerdem waren die Türen durch eingesetzte Eisenplatten verstärkt, gerade um gewaltsame Einbrüche zu erschweren. Also blieb nur die Polizei.
Karin konnte weder schreien noch atmen. Sie hörte einen Moment lang noch ihr wild schlagendes Herz in den Ohren pochen. Dann setzte auch dieses mit einem kurzen Rumpeln aus. Eisige Kälte war das letzte, was sie fühlte. Die zwei blauen Lichter, die wie Augen in der Dunkelheit waren, glommen ihr erneut entgegen. Doch dann zogen sie sich schneller als ein Lidschlag zurück. Karin war in völliger Dunkelheit allein, allein mit einem Knistern und Knacken, das unvermittelt zu einem kurzen, scharfen Knacklaut wurde und in einem Geräusch wie auf den Boden rieselnder Sand auslief.
"Komm zu mir und wachs in mir!" hörte sie eine eindringliche Frauenstimme säuseln. Sie fühlte, wie sie sich bewegte, ohne Arme oder Beine zu bewegen. Sie fühlte nicht einmal, ob sie noch arme und Beine hatte. Sie hörte nur die Stimme, die ihr befahl, zu ihr hinzukommen, um in ihr zu wachsen. Dann mischte sich noch was in diese unheimlichen Laute. Schnelle Schritte auf dem Gang, ein wildes Bollern mit den Fäusten an die Tür. Die sie beschwörende Stimme verstummte einen Moment. Dann hörte Karin Arno Kröger nach ihr rufen. Sie wollte ihm antworten, um Hilfe rufen. Doch sie fühlte nicht einmal mehr, ob sie noch einen Mund hatte. Dann hörte sie das laute, überlegene Lachen einer Frau, deren Stimme ihr irgendwie vertraut und doch unbekannt war. "Komm zu mir und wachs in mir!" Sie fühlte, wie diese Worte sie anzogen, ja wie sie von ihrem Bett wegtrieb, auf das Fenster zu, in dem die dreifachverglaste Scheibe fehlte. Die Vorhänge wehten in der Nachtluft, und hinter dem Fenster lag völlige Dunkelheit. Jemand von weiter unten rief: "Eh, poppt gefälligst leiser!"
"Komm zu mir! Wachs in mir!" hörte sie die sie beschwörende Stimme. Der auf sie wirkende Sog verstärkte sich. Sie versuchte, dem zu widerstehen. Doch es gelang ihr nicht. Dann meinte sie, kopfüber in eine um sie gleitende dunkle Behausung hineinzugleiten. Sie stieß gegen eine feste Wand und fühlte unmittelbar, dass sie wieder einen Körper hatte. Als sie versuchte, ihre Umgebung zu ertasten fühlte sie nur eine feste, glatte Wand, die irgendwie merkwürdig regelmäßig pulsierte. Sie versuchte sich abzustoßen, dem um sie geschlossenen Etwas zu entgehen. Doch das gelang ihr nicht. Sie stieß mit den Füßen auf Wiederstand. "Gib dich in meine Obhut, Mädchen. Du wirst mir erst wieder entschlüpfen, wenn du ganz mein Sein und Wirken geworden bist", hörte sie die vorhin noch beschwörende Frauenstimme aus allen Richtungen wispern. In ihrem Geist explodierten derweil die Bilder, was damals wirklich geschehen war. Doch es zu wissen, was wirklich passiert war, machte ihre Lage nicht erträglicher. Denn nun wusste sie, was ihr zugestoßen war. "Nein, ich will das nicht! Lass mich raus, du Unwesen!"
"Sicher werde ich das, aber nicht jetzt, wo du noch so ungebärdig bist, kleine Karin Maurer, die sich von ein paar überfürsorglichen Zauberstabschwingern das Gedächtnis verdrehen ließ und wegen ihrer überempfindlichen Seele auf gepanschtes Zeug zurückgegriffen hat. Du gehörst jetzt mir und wirst so wie ich, und das wird das beste sein, was du je erreichen konntest", klang die unheilvolle Stimme um sie herum.
Karin schrie. Doch ohne eine körperliche Stimme war das nur ein reiner Gedanke. Sie fühlte, wie sie von etwas durchdrungen wurde, das im selben Rhythmus pulsierte wie die glatte, runde Wand ihres unheimlichen Gefängnisses.
Arno hatte nach der merkwürdigen Stimme, die beschwörerisch geklungen hatte, über Festnetzanschluss die Polizei zu rufen versucht. Doch der immer noch bestehende Stromausfall wirkte sich auch auf das Telefon aus. Ein Mobiltelefon hatte Arno nicht. Er griff seine Taschenlampe, um im dunklen Flur zum Treppenhaus zu finden. Immerhin ging die noch, dachte er. Gerade wollte er sein Zimmer abschließen, um zum Pförtner hinunterzulaufen, als auch die Taschenlampe erlosch. Sofort drückte er auf die Beleuchtung seiner Armbanduhr. Doch auch die blieb dunkel. Gleichzeitig nahm die Kälte wieder zu, die er schon die ganze Zeit gefühlt hatte. Dann sah und hörte er, wie sein eigenes Fenster von etwas behutsam aber unaufhaltsam durchbrochen wurde. Er meinte schon, jemand habe die dreifache Verglasung mit mehreren Diamanten zugleich bearbeitet. Doch als die Eiseskälte zunahm verstand er, dass jemand mit extremen Tieftemperaturen das Fenster heruntergekühlt und dann das spröde gewordene Glas einfach eingedrückt hatte. Dann sah er die zwei blauen Lichter auf sich zufliegenund wurde von einem wahren Kälteschock zu Boden geworfen. Zwei Sekunden lang meinte er, etwas würde auf ihm liegenund ihm Atem und Beweglichkeit rauben. Dann fühlte er seinen Körper nicht mehr. "Zwei zum Preis für eine. Also komm du auch zu mir, du neugieriger kleiner Halbmediziner!" säuselte diese unheilvolle Frauenstimme. "Komm zu mir! Wachs in mir!"
Arno Kröger dachte an alles, was ihm aus den ganzen Gespenster - und Dämonengeschichten als Abwehr gegen böse Geister bekannt war. Er versuchte, einen der bruchstückhaft nachgestellten Bannsprüche zu denken, denn richtig sprechen konnte er gerade nicht. Das verursachte bei der Unheimlichen nur ein spöttisches Lachen. Dann wiederholte sie ihre beiden Befehle: "Komm zu mir! Wachs in mir!"
Wie von einem Magneten angezogen fühlte sich Arno durch den Raum fliegen, jedoch ohne die vorbeiströmende Luft zu spüren. Dann prallte er mit dem Kopf gegen einen festen Widerstand. Keine Sekunde danach bekam er einen Stoß in die Seite. "Nein, was soll das noch?" hörte er eine andere Frauenstimme, die von Karin Maurer. Da konnte er Karin Maurers Körper sogar sehen, der in einem blutigroten Licht leuchtete. In dieses Licht wanderten in einem unhörbaren Rhythmus schwarze Schlieren ein. Da ahnte er, was das hier sollte und versuchte, dem ihm zugedachten Schicksal zu entrinnen. Doch wie vorhin auch Karin konnte er nicht mehr entkommen. Er fühlte auch, wie etwas fremdes, pulsierendes in ihn eindrang. Er versuchte noch einmal, die ihm bekannten Anrufungen höherer Mächte auszusprechen. Doch das blieb ohne jeden Erfolg.
"Als wenn du jemals an diese ganzen Phantasiegestalten geglaubt hättest, Arno Kröger", hörte er die triumphierende Stimme der Unheimlichen, die ihn wie Karin eingefangenund in einer art schwarzmagischer Verfremdung eines Mutterschoßes aufgenommen hatte. Ja, es konnte nur Magie aus finsteren Quellen sein, wusste Arno. "Ja, und die ist viele Jahrtausende älter als die Geschichten aus der Bibel", bemerkte die Unheimliche dazu. Sie konnte seine Gedanken verstehen.
"Mutter, hast du unsere neue Schwester in dich aufgenommen?" hörte die aus einer bösartigen Verschmelzung entstandene, schattenhafte Daseinsform, die sich als Endprodukt dieser Zusammenfügung Birgute Hinrichter nannte. Der da auf rein gedanklichem Weg zu ihr gesprochen hatte war einer ihrer damaligen Leidensbrüder, mit dem sie sich zusammen abgesetzt hatte, bis sie herausgefunden hatte, wie sie ihn und die anderen endgültig unter ihre Herrschaft zwingen konnte. "Ja, Karim, ich trage eure neue Schwester und gleich noch einen neuen Bruder. Es ist herrlich. Sie wehren sich noch. Aber morgen werden sie schon ausgereift sein und mein Sein und Denken sein. Dann werde ich sie in die Welt zurück schicken, zusammen mit den drei anderen, die ich mir diese nacht noch einverleiben werde", erwiderte Birgute Hinrichter. Dann bestrich sie noch einmal ihren sich leicht wölbenden, pulsierenden Unterleib. Ja, die zwei wehrten sich noch. Aber es wurde schon weniger. Sie fühlte, wie sie langsam von ihrer übernatürlichen Kraft durchdrungen wurden. Morgen um Mitternacht würde sie sie wieder freisetzen können. Das einzige, das ihre Freude ein wenig eintrüben konnte war, dass die Zauberstabschwinger ihr bald auf die Schliche kommen und sie dann wie ein Stück Wild jagen würden. Doch wenn sie sich beeilte, die vier Überlebenden zu ihren vier neuen Schattenkindern zu machen, dann konnte sie sich mit denen, die ihr schon folgten weit genug aus Deutschland zurückziehen. Zuschlagen und abhauen hieß die Taktik. Die Strategie hieß: Möglichst viele neue Schattenwesen, die eines Tages auch gegen die Hexen und Zauberer kämpfen konnten.
Heiner Grote war der Nachtportier im Studentenwohnheim einen halben Kilometer vom Hörsaalgebäude entfernt. Als auf seiner Überwachungstafel mehrere rote Lampen blinkten guckte er erst verdrossen. Stromausfall in der fünften Etage! Waren die Sicherungen herausgesprungen oder was? Er prüfte erst die Schaltkreise von seiner Loge aus. Es war merkwürdig. Eine Unterbrechung als solche lag nicht vor. Es war vielmehr so, als sei der elektrische Widerstand um ein vielfaches gestiegen. Grote verschloss das bruchsichere Fenster seiner Loge und nahm den nur ihm erlaubten Zugang zum Treppenhaus. Mit einer leuchtstarken Handlampe und seinem Mobiltelefon bewaffnet stürmte er nach oben. Fünf Stockwerke im Geschwindschritt hochzujachern ging aber gut auf die Kondition, dachte der Pförtner, der vor zwanzig Jahren selbst einmal in diesem Haus gewohnt hatte und sich mit dem Hausmeister Fredericksen die Obliegenheiten teilte. Wer hier wohnte hatte schon mehr Geld als ein durchschnittlicher Student. Da musste alles im Topzustand sein und auch was die Sicherheit anging gut vorgesorgt werden.
Kaum erreichte Grote die fünfte Etage, verlosch auch seine Handlampe. Um ihn war es gerade stockdunkel. Er fühlte einen leichten Hauch von Kälte auf Gesicht und Händen. Das durfte nicht angehen. Die Flurfenster waren so dicht, dass kein Lüftchen durchdrang und konnten nur von ihm oder dem Hausmeister geöffnet werden. Doch warum die Lampe aus war machte ihm mehr Sorgen. Das konnte nicht angehen, dass tragbare Stromquellen auch von diesem seltsamen Stromausfall betrofffen wurden.
Grote ging an den Sicherungskasten. Zum Glück kannte er sich gut genug aus, um sich blind zurechtzufinden. Er schloss den Kasten auf und prüfte mit den Fingern, ob alle Sicherungen hochgedrückt waren. Dem war so. Also war es tatsächlich eine ganz andere Ursache. Er schloss den Kasten wieder zu und knipste an der Lampe herum. Doch die wollte erst einmal nicht mehr angehen. Dann flammte auf einmal die Notbeleuchtung im Flur auf, die auch bei Stromausfall zu funktionieren hatte. Jetzt ging auch wieder Grotes Handlampe an. Sofort klopfte er an die zwei Zimmertüren, hinter denen er die auf seiner Liste stehenden Bewohner vermutete. Doch die meldeten sich nicht. Natürlich hatte er einen Generalschlüssel mit. Doch den bekam er nicht in das Schloss, weil da schon ein schlüssel steckte. Das war auch beim anderen Zimmer der Fall. Vielleicht schliefen die beiden so fest, dass sie den Stromausfall nicht mitbekommen hatten. Er bollerte kräftig gegen die Türen. Doch niemand regte sich. Er rief nach Frau Maurer und Herrn Kröger. Doch die beiden antworteten nicht. Zumindest funktionierte seine Ausrüstung wieder, auch wenn er erst einmal die PIN seines Mobiltelefons eingeben musste und sah, dass das Gerät auf den 1. Januar 2000 zurückgesprungen war. Also hatte es auch einige Zeit lang keine Energie bekommen. Zumindest konnte er die Polizei anrufen und Meldung machen, dass zwei eindeutig ins Haus gekommene Bewohner nicht auf seine Rufe und sein Klopfen reagierten, nachdem es für mehrere Minuten einen Stromausfall nur auf dieser Etage gegeben hatte. Davon, dass auch seine Handleuchte ausgefallen war, erzählte er dem Notrufbediensteten nichts. Das kam ihm selbst ja schon unheimlich genug vor.
Wenige Minuten später waren zwei Schutzpolizisten aus dem nächsten Revier da und ließen sich von Grote erzählen, was passiert war. Polizeihauptmeister Klaasen stimmte sich mit seinem Revierleiter per Funk ab, ob eine der Türen geöffnet werden sollte. Als die Genehmigung vorlag brachen sie die Tür zu Arno Krögers Zimmer auf. Offenbar war der nicht da. Denn das Erbrechen der Tür dauerte eine Minute und war laut genug, dass er das auf keinen Fall hätte überhören können.
Als sie im Wohn- und Schlafzimmer des Studenten standen sahen sie auf dem Kunstfaserteppich einen menschenförmigen Eisblock liegen. Die zwei Polizeibeamten blickten mit großen Augen auf das Etwas und sahen dann einander an, als hätten sie gerade einen Geist oder dergleichen gesehen. Grote stierte nur auf das Eisgebilde auf dem Teppich. Von Größe und Form her war das Arno Kröger. Doch sowas ging doch nicht. Der konnte doch nicht innerhalb von nur einer Stunde derartig abgekühlt worden sein.
"Jo, wir lassen am besten gleich die Schlipsträger anrücken. Die sollen ihre Schlauköpfe mitbringen. Das hier ist drei Nummern zu groß für uns", sagte Polizeihauptmeister Klaasen zu seinem Kollegen.
"Sieht aus, als wäre der in einen Tank mit Flüssigstickstoff gelegt und dann hier wieder abgelegt worden", meinte Polizeimeister Ludwigs.
"Gibt es in der Umgebung Tiefkühlanlagen, wo mit flüssigem Stickstoff oder Helium gearbeitet wird?" wollte Klaasen wissen.
"Aus dem Kopf weiß ich das nicht, Herr Klaasen. Aber ich kann Ihnen sagen, dass keiner mit ihm hier ungesehen an mir vorbeigekommen wäre. Ich habe die Überwachungsmonitore vom Parkplatz, dem Haupt und den zwei Seitenzugängen immer im Blick. Da die durch Öffnen der Schlösser oder Öffnen der Türen einen leisen Alarm bei mir auslösen kriege ich das sofort mit, wenn wer reinkommt und ich sehe dann auch, ob der oder die bei uns reinkommen darf. Es hat schon Versuche gegeben, dass ein paar Schlauberger sich Mädchen von St. Pauli ins Haus mitbringen wollten. Aber das ging gar nicht, und denen habe ich dann auch ganz schön eingeheizt."
"Ja, aber wie kommt dieser Körper oder dieses Gebilde da in das Zimmer, Herr Grote?" wollte Klaasen wissen.
"Wie gesagt, nicht durch die Türen."
"Klar, die haben den erst in den Weltraum hochgebeamt, da total tiefgefrieren lassen und dann wieder zurück in sein Zimmer gebeamt", versetzte Ludwigs. Dann sah er den Walkman auf dem Bett liegen und deutete darauf. "Wird von den Kollegen der Kripo untersucht. Liegen lassen!" sagte Klaasen. Grote sah noch mal auf den Körper aus Eis. "Sehe ich richtig oder nicht? Das eis wird immer noch dicker. Muss ja bannig kalt sein."
"Was Sie nicht sagen", erwiderte Ludwigs. Dann rief er per Funk nach dem kompletten Kommando, Spurensicherung, Polizeiarzt und wen von der Kriminalpolizei. Denn womöglich lag hier ein wahrhaftig eiskalter Mord vor.
Als so dezent es ging mehrere Männer und Frauen durch das Foyer zu den Fahrstühlen gelotst worden waren dachte Grote bei sich, dass die Sache ziemlich unheimlich war. Wer oder was hatte da seine Finger im Spiel?
Als Kriminalhauptkommissar Moritz Cramer den Körper aus Eis betrachtete wusste er auch nicht, was er davon halten sollte. Wer hatte was davon, einen Menschen erst tiefzukühlen und ihn dann in sein eigenes Zimmer zurückzulegen? Zeitgleich machten seine Kollegen die andere Zimmertür auf, was nicht so einfach ging, weil die zusätzlich verstärkt und mit inneren Rigeln gesichert war. Als die Tür dann nach zehn Minuten doch noch den Weg freigab fanden sie einen zweiten eisigen Körper, den Formen nach den einer Frau auf dem Bett liegen. Außer dieser Gemeinsamkeit war da noch, dass die Fenster völlig entglast worden waren und statt Scherben nur ganz feiner aber ausreichend viel Sand auf dem Boden lag. Der oder die Täter verstand oder verstanden sich offenbar auf einen Trick, ein bruchsicheres Fenster ohne Geräuschentwicklung zu entglasen. Kampfspuren fanden sich in den zwei Zimmern nicht, ebensowenig Spuren, dass außer den Bewohnern noch jemand da gewesen war. Es machte wahrhaftig den Eindruck, dass der oder die Täter die Fenster zum Einbruch benutzt hatten. das jedoch hieß auch, dass sie am Haus hochgeklettert sein mussten, und das mit einer aufwendigen Tiefkühlvorrichtung?
Cramer wollte gerade sein Mobiltelefon zücken, um in seiner Dienststelle anzurufen, als aus dem Nichts heraus drei Personen, zwei Männer und eine Frau, im Zimmer von Arno Kröger standen. Cramer sah die drei so plötzlich erschienenen an und konnte nicht reagieren, als die Frau einen dünnen Holzstab auf ihn richtete.
Albertine Steinbeißer lebte seit Monaten mit der Befürchtung, dass das Kapitel Vengor alias Wallenkron noch nicht abgeschlossen war. Zwar hatte Vita Magica den auf Iaxathans Spuren wandelnden Schwarzmagier einkassiert und mit deren Radikalmethode in ein neues Leben zurückgeschickt, sozusagen zurück auf Anfang. Doch sie wusste, dass die Sache mit den Nachtschatten noch nicht durch war. Ebenso wusste sie, dass dieser Geist Iaxathan noch irgendwo in den himmelhohen Bergen versteckt war. Der hatte Jahrtausende Zeit, sich neu zu regen und einen neuen Dummen oder eine Vollidiotin zu finden, der oder die ihm dienen wollte. Was ihr jedoch im Moment eher Sorgen machte waren die vor Vita Magica und den Ministeriumszauberern geflohenen Nachtschatten. Vor allem diese über sechs Meter große Schattenfrau, die etwas wie eine steinerne Gebärmutter in ihren feinstofflichen Leib aufgenommen hatte, gab Albertine zu denken. Wenn die jetzt frei über ihr Dasein verfügen und sogar eigene Diener um sich sammeln konnte würde sie vielleicht gefährlicher als dieser Volltroll Wallenkron sein. Ja, am Ende hatten sie einen Spiegelknecht gegen eine Spiegelmagd eingetauscht, die irgendwann Kanoras und Wallenkron beerben und rächen mochte.
Was Albertine dabei wütend machte war, dass sie nach der Flucht dieser Schattenriesin versucht hatte, ihre Kollegen und Vorgesetzten davon zu überzeugen, die vier Überlebenden von Kanoras' Überfall in Marokko und deren Angehörige unter Bewachung zu stellen. Für drei Wochen hatte das auch geklappt. Doch weil in der Zeit keine bitterböse Schattenriesin aufgetaucht war hatte sowohl ihr direkter Vorgesetzter Armin Weizengold wie auch der oberste Lichtwächter Eisenhut die ständige Bewachung für beendet erklärt. Die Nachtschichten zögen Personal von wichtigeren Einsätzen ab, hieß es. Womöglich sei die schattenriesin wegen ihrer so plötzlichen Entstehung zu sehr mit ihrer eigenen Selbstfindung beschäftigt, so eine andere Begründung. So waren gleich nach Weihnachten alle zwanzig abgestellten Wächter wieder zurückbeordert worden. Denn es galt, gegen das in den Staaten befürchtete Wiedererstarken der Mondbruderschaft, die Anhänger der neuen Vampirgötzin, die Hexenschwesternschaft der schwarzen Spinne und die Machenschaften von Vita Magica vorzugehen. Minister Güldenberg hatte vor allen Abteilungsleitern und deren verdiente Außendienstmitarbeiter klargestellt, dass es in Deutschland keinen Stillhaltepakt mit Vita Magica geben würde. Außerdem hatte Güldenberg sowas angedeutet, dass jene Leute, die ihn und viele von Wallenkron ausgesuchten Opfer vorzeitig in Sicherheit gebracht und durch Doppelgänger ersetzt hatten, auch nicht gerade als vollkommen vertrauenswürdig einzustufen seien. Denn wer sich hinter goldenen Masken versteckte und eigene Ziele verfolgte, zu denen auch die Erschaffung von Doppelgängern verdienter Bürger der Zaubererwelt gehörten, durfte nicht unterschätzt oder gar verharmlost werden. Albertine hörte Güldenbergs Stimme noch sagen: "Deshalb ist es unter allen Umständen erforderlich, dass Sie die Augen offenhaltenund unverzüglich handeln, wenn sie Hinweise auf die Aktivitäten dieser geheimen Gruppen haben, ja sofort melden, wenn sie wen als Mitglied einer geheimen Gruppierung enthüllen, seien es Werwölfe, Mitglieder dieser Vampirsekte, Schwestern dieser Spinnensororität, Leute von Vita Magica oder jene, die mir und den anderen das Leben gerettet haben. Ich weiß, dass ich Ihnen damit eine Menge Arbeit aufhalse und auch, dass ich damit die Saat eines gewissen Misstrauens lege, weil jeder oder jede mit magischen Fähigkeiten in geheime Machenschaften verwickelt sein könnte. Aber wenn wir aus der Sache Wallenkron etwas lernen müssen, so ist es, dass frühzeitig auf neuerliche Bedrohungen durch das Ministerium ablehnende Kräfte reagiert werden muss. Ja, ich sehe es einigen von Ihnen an, dass Sie mir gleich unterstellen möchten, genauso paranoid mit haltlosen Verdächtigungen zu hantieren wie die Verfasser des Malleus Malificarum, deren Wahn unter anderem die internationale Geheimhaltung der Magie erforderlich machte. Auch wird es den einen oder die andere geben, der oder die mir vorhalten mag, diesen unbekannten Dank zu schulden, die mein Leben beschützt haben. Ich weiß auch, dass es einige von den mit mir vor Wallenkrons Mordplan geschützte gibt, die ihren Lebensrettern heimlich oder offen beistehen möchten. Ich persönlich werde mich nur dann bei jenen Leuten bedanken, wenn sie sich uns und anderen Ministerien vollständig offenbaren, ihre Mitglieder, Ziele und bereits vollzogenen Aktionen verraten. Doch im Moment ist das wohl nur ein gewisses Wunschdenken von mir."
Weil Güldenberg so beharrlich gegen alle nicht vom Ministerium anerkannten oder diesem völlig unbekannten Gruppen vorgehen wollte hatte Albertine es bisher nicht gewagt, ihre heimlichen Mitschwestern um die höchste Schwester um Unterstützung zu bitten. Das ärgerte sie, dass Güldenberg eine Politik der Belauerung und des Argwohns betrieb. Gut, wer einmal das Feuer eines Drachens miterlebt hatte schrak schon beim leisen Zischen einer Ringelnatter zusammen oder misstraute jeder flackernden Kerzenflamme. Doch wie zu Himmel und Erde sollte dann ein gegenseitiges Miteinander laufen? Natürlich wusste Albertine, dass sie unverzüglich aus diesem Leben verschwinden würde, sollte jemand herauskriegen, dass sie eigentlich der höchsten Schwester folgte und nicht Weizengold oder gar Güldenberg. Deshalb kochte in ihr die Wut, dass sie die vier jungen Menschen, die damals gerade so vor Kanoras' Schattendienern fliehen konnten, nicht weiter beschützen konnte. Am Ende würde Güldenberg noch damit argumentieren, dass vier Opfer besser seien als eine neue Tyrannei durch jemanden wie Vengor, seinen Vorgänger Voldemort oder gar eine Hexe wie Anthelia.
Als sie im Januar von Anthelia noch erfahren hatte, dass eine weitere mächtige Hexe aus jahrhundertelanger Vergessenheit erwacht war wurde ihr klar, dass es irgendwann zu einer schwerwiegenden Auseinandersetzung kommen würde, bei der sie vielleicht draufgehen mochte. Nur wenn sie die Auswirkungen der magielosen Technik betrachtete fühlte sie sich bestätigt, dass Anthelia die für alle Menschen bessere Wahl war, auch wenn dabei erst einmal eine Menge Leute Hab, Gut oder Leben einbüßen mochten, weil sie Anthelias Weg nicht mitgehen wollten. Doch noch war die Spinnenschwesternschaft nicht stark genug, sich gegen die ganze Welt zu stellen. Und seitdem Anthelia mit jener Magierin verschmolzen war, deren Zweitgestalt jene unverwüstlich erscheinende, menschengroße schwarze Spinne war, war sie sogar noch zurückhaltender als vorher. Albertine wusste bis heute nicht wirklich, wer die andere war und ob diese mehr Einfluss auf Anthelia hatte als diese auf die andere. Ein Fall wie dieser war bisher nicht verzeichnet worden.
Wegen all dieser als wichtiger erklärten Sachen lebten die vier Überlebenden von Kanoras' Überfall ohne magische Bewachung. Immerhin hatte Albertine durch eigene Nachforschungen herausbekommen, dass Arne Jansen und Erna Grabowsky für ihre Familien völlig unerwartet in die Staaten ausgereist waren und dort in der Sündenstadt Las Vegas geheiratet hatten. Die waren dann auch gleich dageblieben, wohl auch, um sich das Gemecker ihrer Anverwandten nicht anhören zu müssen. Telefone konnte man schließlich ignorieren oder Rufnummern blockieren. Gleiches galt für elektronische Briefe. Auch fragte sich Albertine, ob ihhre Furcht, die Schattenriesin könnte auf die Idee kommen, die vier jungen Leute heimzusuchen, noch immer begründet war. Wenn diese Schattenfrau wirklich eine Verschmelzung aus zwei Seelen war wie Anthelia, dann mochte sie wirklich erst mal ihr weiteres Dasein überdenken. Außerdem würde sie sich wohl nicht mal eben in eine von Menschen überlaufene Gegend wie Hamburg wagen, wo zu viele Zeugen wohnten, die sie nicht mal eben umbringen konnte. Denn Albertine ging davon aus, dass sich die Schattenriesin mit der Muggelwelt auskannte, weil sie ja selbst darin aufgewachsen war. Somit mochte die ganze Furcht vor einem Rachefeldzug unbegründet sein, hoffte Albertine.
"Wie, der ist nicht da?!" stieß Birgute Hinrichter einen erzürnten Gedanken aus. "Der wohnt da, das weiß ich von Mätti Brauer. Dann bleib solange in der Dunkelheit versteckt, bis du die ersten Funken Morgenlicht fühlst! Dann ruf mich. Ich sammel dich dann ein", schickte sie noch nach. Dann rief sie in Gedanken nach ihrem Schattensohn Matthias Brauer, der in einer dunklen Ecke des stillgelegten U-Bahn-Tunnels wartete.
"Hast du mir nicht erzählt, dass dieser Rico Kannegießer in einem Studentenwohnheim wohnt? Dein Bruder Amir hat ihn dort nicht gefunden, und wir können nicht alle zusammen dort einfallen."
"Die Adresse stimmt, meine Mutter und Königin. Das Semester läuft auch noch. Der muss da sein."
"Ist er aber nicht. Amir hat alle für ihn zugänglichen Stellen der Wohnung durchsucht und nur die Lebensausstrahlung der Wohnungsnachbarn gespürt. Er wollte schon los, wen von denen ausforschen. Doch nachdem ich mir die zwei hier zugesteckt habe müssen wir davon ausgehen, dass bald schon magische Hetzhunde hinter uns allen her sind. Ich wollte den Typen kriegen, bevor die darauf kommen, den und die zwei anderen zu beschützen, verdammt noch mal!"
"Die zwei anderen sind doch schon länger weg, hat Gunnar erzählt, der vor zwei Tagen die Vorhut gebildet hat", sagte Mätti Brauer.
"Gut, dann holen wir uns die Eltern von Kannegießer und von den beiden anderen. Vier kann ich noch inkubieren und ausreifen. Also los! Wir müssen schnell machen, bevor die Zauberstabbande es kapiert, wen sie zu suchen haben!"
"Und, wie gefällt euch Aloaland?" fragte Rico über Internetchat. Seine Eltern waren wegen einer unverhofften Erbschaft um Weihnachten alle Schulden losgeworden, die sie noch hatten. Deshalb hatten sie sich zum 70. Geburtstag seines Vaters dessen Lebenstraum erfüllt, die Hawaiiinseln zu bereisen. Außer ihm wusste auch niemand aus deren Bekanntenkreis, dass sie nicht im Schwarzwald oder im Sauerland zum Winterurlaub waren.
"Deine Mutter und ich haben heute den Kilauea besichtigt. Schon ein imposanter Anblick. Vor zwei Monaten hätte ich nicht gedacht, das doch noch mal mit allen Sinnen und vor Ort mitzukriegen. Und wie läuft das Projekt Radiomann?" wollte sein Vater wissen. Er tippte die Antwort zurück: "Bin gerade wieder auf Neuwerk. Morgen kriegt die Uni meinen Exmatrikulationsantrag. Übermorgen fängt mein erster Arbeitstag an. Mit dem Finanzamt und dem Arbeitsamt ist das auch schon geklärt. Die waren echt superfix mit einer Lohnsteuerkarte dabei, und die Landesversicherungsanstalt hat mir auch schon eine Rentenbezugsnummer zugeschickt. Sage noch mal wer, dass wir in Deutschland von unserer eigenen Bürokratie gelähmt werden."
"Gut, dann kann und will ich dir nur noch mal alles gute wünschen und dass das mit Jenny Horten und ihrem Inselfunk die richtige Wahl war, Rico. Schlaf gut, bei euch ist ja gerade ein Uhr Morgens."
"Stimmt. Ihr könnt ja jetzt Mittag essen", tippte Rico zurück. "Haben wir schon", tauchte der Antworttext unter seiner letzten Textzeile auf. So verabschiedete sich Rico von seinen Eltern. Eigentlich würde er sie gerne noch einmal richtig sprechen. Doch seine Mutter hatte darauf bestanden, kein Handy in den Urlaub mitzunehmen. Die Amerikaner waren eh noch so paranoid wegen des elften Septembers.
Rico beendete das Chatprogramm, dessen Macher garantierten, dass die damit verschickten Texte nur vom jeweiligen Empfänger gelesen werden konnten. Immerhin stand der Hauptrechner dieser Dienstleistung nicht in den USA oder der europäischen Union, sondern auf einer Pazifikinsel ohne staatliche Hoheit, so eine Privatrepublik ohne Bananen aber mit sehr vielen Briefkästen.
Rico schaltete Rechner und Bildschirm aus. Jetzt glommen nur noch die an einem Kabel hängenden dunkelroten Leuchtdioden von der Decke. Seit der Sache in Marokko musste er immer ein wenig Licht haben, ob er wach war oder schlief. Denn sobald es dunkel wurde meinte er, jemand belauere ihn. Auch in seinem Schlafzimmer glommen die roten Lichter, die seinen Schatten geisterhaft gegen eine wie von innen her glühende Wand abzeichneten. Morgen war sein letzter Tag als Student. Er würde noch mal in die Hamburger Uni rüberfahren und bei der Gelegenheit auch die letzten Meldeformalitäten erledigen. Jenny hatte es genial schnell gedeichselt, dass er eine 3-Zimmer-Wohnung auf Neuwerk bekommen konnte. So musste er nicht dauernd zwischen Hamburg und der Insel pendeln. Was im Winter besonders angenehm war, wo die Nordsee immer mal wieder vom Sturm aufgewühlt wurde. Er war kein Küstenjunge oder gar Seemann. Aber er war auch keine wasserscheue Landratte, die von Luv oder Lee keine Ahnung hatte.
Noch einmal blickte er zum Fenster hinaus, nachdem er sich zum Schlafengehen umgezogen hatte. Sein Schlafzimmer lag nach Osten. Er würde also von der rosenfingrigen Eos selbst aus seinen Träumen gekitzelt, dachte er. Er legte sich hin und gab sich dieser unbeschreiblichen Ruhe hin, die nur auf einer Insel oder in der Wüste zu finden war.
"Und ich kann den ganzen Horrorschund ins Altpapier schmeißen?" hörte Arne Hansen die Stimme seiner Mutter durch den Telefonhörer. Bei ihm und Erna war es gerade vier Uhr am Nachmittag. Sie waren heute in Berkeley gewesen, um den Uniwechsel nach dem laufenden Semester klar zu machen. Zum Glück hatten sie die leidigen Formalitäten in Deutschland schon Anfang Januar erledigt. Dann standen im März noch ein paar Seminarabschlüsse an, die er auf jeden Fall mitnehmen musste. Auch Erna musste das mit ihrer eigentlichen Uni in Bochum klären, dass sie ab März in den Staaten studierte.
"Du kannst die alten Hefter alle ins Altpapier schmeißen. Die habe ich seit Monaten nicht mehr angerührt, seitdem wir in Marokko echten Horror erlebt haben, Mutti."
"Wird mir ein Vergnügen sein, Arne. Aber in einem Stück tu ich die nicht in den Altpapiercontainer. Da laufen immer zu viele neugierige Leute dran vorbei, um zu schnüffeln, wer was interessantes in der Post hatte oder was jemand mal gelesen hat. Ich habe vor kurzem zwei gerade zwölf Jahre alte Burschen gesehen, die müssen diesen Krempel nicht auch noch lesen, wo ich dich schon nicht rechtzeitig davon abgebracht habe."
"Mutti, ich weiß, dass alle Stories, die ich gelesen habe, nichts echtes sind. Deshalb konnte ich die auch lesen. Wenn so'n Pimpf nicht blickt, dass es keinen echten Teufel oder keine blut- und Mordgierigen Dämonen gibt haben andere was bei dessen Erziehung verbockt, nich du oder ich. Aber hier in den Staaten geistern auch Sekten herum, die echt glauben, schwule Männer und lesbische Frauen seien von Dämonen besessen. Abgesehen davon, wieso ist Vati noch nicht bei euch zu Hause? Ist er mal wieder mit seinen Kollegen auf einer Köhm- und Biervernichtungstour? Das sollte dir eher Sorgen machen als ob ich jemals irgendwelche Albträume wegen irgendwelcher Vampire, Dämonen, Werwölfe und bösen Hexen gehabt haben könnte."
"Vati ist noch unterwegs", grummelte seine Mutter. "Deshalb guck ich noch ein wenig Fernsehen. Er muss mich nicht aus dem Schlaf reißen, wenn er nach Hause kommt. Ja, und als ich einige von diesen Blutrunstheften gelesen habe hatte ich die Albträume, nur weil ich wissen wollte, was für Zeug du liest."
"Tja, da ist doch so eine Telenovela im Fernsehen oder eure Lindenstraße ein richtig erholsames Zeug gegen, nur mit Intrigen, Seitensprüngen, Familienstreitigkeiten und so weiter, das einzig wahre Leben", spottete Arne Hansen.
"Jedem das seine oder Suum cuique, wie meine Lateinlehrerin zu sagen pflegte. Grüß das Mädchen von mir und sie soll nicht vergessen, dass sie ihre Eltern mitbringen möchte, wenn wir am 20. März Vatis sechzigsten feiern. Schließlich habt ihr uns ja um eure Hochzeit betrogen."
"Amen", stieß Arne aus. Dass seine Mutter die Akademikertochter rauskehrte, wenn ihr Mann schon sein halbes Gehalt in den hamburger Kneipen ließ und ihr Sohn sein Taschengeld für einfache Unterhaltungsliteratur ausgab kannte er schon ausgiebig. "Oder du gibst mir die Adresse von den Eltern von dem Mädchen, damit wir sie selbst einladen können, falls die mit uns überhaupt was zu schaffen haben wollen, wo wir keine Vatikanbürger sind."
"Sie heißt erna und ist kein Mädchen, Mutti, zumindest nicht mehr, seitdem wir uns am Strand von Malibu eine stille Ecke gesucht haben", musste Arne unbedingt loswerden, weil ihm das Getue seiner Mutter langsam auf die Nerven ging. Und die wollte Ernas Eltern, einen Bergmann mit polnischen Eltern und eine Krankenschwester in einem katholischen Krankenhaus, unbedingt zu seines Vaters sechzigstem einladen. Na, ob der sich freute oder wie dem seine Kollegen und Freunde das wegsteckten, dass sie um Arnes Hochzeit gebracht worden waren?
"Junge, du darfst nicht davon ausgehen, dass dein Vater oder ich das so einfach hinnehmen, dass du mal eben dieses Frauenzimmer aus Bochum geheiratet hast und jetzt auch noch meinst, mit der weit weg von zu Hause leben zu müssen, weil Deutschland dir angeblich zu wenig zu bieten hat. Da alles schön zu reden und so zu klingen, als wäre das für uns kein Thema wäre die blanke ..." Arne lauschte. Unvermittelt hatte es im Hörer geknackt. Nun knisterte es einige Sekunden. Dann klang das unerbittliche rauhe Tutt-tutt-tutt, das die Verbindung weg war. Womöglich wollte seine Mutter noch von Heuchelei oder Scheinheiligkeit reden. Doch warum hatte sie auf die Gabel gedrückt? Da er über einen Billiganbieter nach Deutschland angerufen hatte und seine Mutter jeden Cent umdrehte, der für Telefongespräche anfiel musste er wohl noch mal wählen. Das tat er dann auch. Denn er wollte sich zumindest anständig von seiner Mutter verabschieden, auch wenn die das als Heuchelei empfinden mochte. Außerdem sollte sie seinen Vater grüßen, wenn der den Rausch ausgeschlafen hatte, den er sich gerade ansoff.
Doch als er die Telefonnummer mit der entsprechenden Vorvorwahl für verbilligte Auslandsgespräche gewählt hatte kam statt der bei diesem Anbieter hinzunehmenden Werbung die im besten New-York-Englisch klingende Ansage: "Die Verbindung konnte nicht hergestellt werden. Prüfen Sie die Telefonnummer oder drücken Sie die eins für einen unserer Operatoren für weitere Auskünfte! Global Phone bedauert, Sie nicht wunschgemäß verbinden zu können."
Nachdem er die Festnetznummer seiner Eltern ein zweites und drittes Mal gewählt hatte versuchte er es mit der Mobilfunknummer seiner Mutter, auch wenn das garantiert ins Kontor schlagen würde. Doch natürlich hatte seine Mutter ihr Handy ausgeschaltet, weil es in Deutschland schon eins durch war und sie ja eh zu Hause war. So probierte er die Nummer seines Vaters. Doch da ging nur die Mobilbox dran. Sollte er seinem gerade mit den Kollegen um die Wette trinkenden Erzeuger sagen, dass er seine Mutter nicht über Festnetz erreichen konnte? Nein, das war ihm doch zu teuer. Er drückte auf Auflegen und wandte sich Erna zu, die gerade die letzten Formulare für den anstehenden Hochschulwechsel ausfüllte. Die kam mit dem Bürokratenenglisch doch besser klar als er, was ihm eigentlich ziemlich zusetzen sollte. Doch im Moment machte er sich nur Gedanken über diese technische Störung.
"Mutti hat gesagt, dass wir deine Eltern zur Geburtstagsfeier meines Vaters einladen möchten", sagte er, als er mitbekam, dass sie einen weiteren wichtigen Punkt abgehandelt hatte.
"Mein Vatter kommt sicher gut mit deinem aus, wenn ich dat gerade richtich mitgekricht hab'", grinste Erna. Hier in den Staaten hängte sie gerne ihren Heimatdialekt raus, um klarzustellen, dass sie nicht nur aus dem Land der Sauerkrautesser kam und mit Mercedes Benz oder Porsche eh nichts an der Mütze hatte.
"Ich wurde aus der Leitung geschmissen, bevor meine Mutter was zu ende gesagt hat. Im Moment ist die Leitung nach Hause ... unterbrochen", sagte er. Eigentlich wollte er das Wort tot benutzen. Doch irgendwas in ihm schrie auf, als er auch nur dieses Wort dachte.
"Und dat Handy is' aus?" wollte Erna wissen.
"Von meiner Mutter oder von meinem Vater?" fragte Arne. Erna legte fest, dass das von seiner Mutter gemeint war. Sie kannte es von ihrem Vater, dass der auf einer Sauf- und/oder Kegeltour auch ungerne sein Handy anhatte. "Versuch noch mal in zehn Minuten, ob's geht, Arne", schlug Erna vor. Arne Hansen nickte schwerfällig. Wieso ging ihm diese Anrufunterbrechung so an die Nieren? Technische Störungen konnten bei der Entfernung immer passieren. Aber irgendwie hatte er ein verdammt mieses Gefühl und wusste nicht, warum, was dieses Gefühl noch verstärkte.
"Ich glauuuub ... ich m-muss m-mal ... Hicks!" lallte Benno Hansen, als er schon meinte, die Kneipe sei eine große Riesenradgondel und schaukele und drehe sich gemächlich um sich selbst. Sein Kollege Hein grinste mit glasigen Augen und meinte: "Der Lokus ist drüben. Doch Benno Hansen schüttelte den Kopf und meinte, gleich alles wieder ausspucken zu müssen. "N-neh, m-muss nach H-Hause. m-meine Sü-ß-ße hängt sicher vor'mm Fernseher und wartet ... Hicks!"
"Dann ab zu Mutti, bevor die das Nudelholz rausholt oder den Besenstiel", scherzte Hein und winkte Bob, dem Kellner. Der kam gleich mit dem schnurlosen Telefon an. "Willst du die übliche Karosse, Benno?" fragte er den schon sichtlich unter Seegang leidenden Zecher.
"Wenn die mich noch m-mal f-fahr'n, B-bob", quetschte Benno die Worte durch den immer dichteren Nebel in seinem Kopf. "Geht klar, Dicker! In fünf Minuten ist die Fuhre hier", erwiderte Bob und wählte die Taxinummer.
Tatsächlich war in fünf Minuten ein Wagen da. Bob hatte sich von Hein die Adresse von Benno aufschreiben lassen. Hein hatte dem Zechkumpan auch noch einen 50-Euro-Schein zugesteckt, damit der nicht erst nach Geld suchen musste, wenn er vor der Tür war. Auch war die Menge wohl für den Fall, dass Benno einen Teil seiner Tankfüllung schon auf dem Heimweg von sich schleuderte. Der Benno vertrug in seinem Alter nix mehr. Früher konnte der jeden kleinen Jungen unter jeden Tisch zwischen Altonar und Quickborn saufen. Und dem sein Sohn sollte mal eben in Vegas geheiratet haben, wohl damit sein Vater und die ganzen Kollegen dem nicht das Ausbildungsgeld für die geplanten Kinder wegsaufen konnten.
Benno schwieg. Trotz des in ihm wirkenden Alkohols wusste er noch, dass zu viel Reden seinen Magen noch mehr aufwühlen mochte. Zumindest war der Fahrer nicht so'n verhinderter Fluchtwagenfahrer wie beim letzten mal, wo er echt den Rücksitz vollgekotzt hatte, weil der den Zechbruder möglichst schnell abliefern wollte. Das hatte der dann davon gehabt, dachte Benno. Er fühlte auch, wie seine Gedanken immer träger wurden. Wenn der gleich noch einpennte gab's morgen zum Katerfrühstück noch bannigen Ärger mit seiner Frau, wenn die nicht die Drohung wahrmachte, zu leugnen, ihn zu kennen und deshalb von der Polizei abholen lassen würde. Auf jeden Fall hatte er sich seinen Frust von der Seele geschnackt und alle restlichen Sorgen zumindest wie kleine Goldfische in viel Köhm und Bier eingetaucht. Auch wenn die Biester schwimmen konnten ließen sie ihn zumindest für diese Nacht in Ruhe. Mit diesen für ihn beruhigenden Gedanken sank er in einen tiefen Schlaf.
Der Taxifahrer sah den Fahrgast, wie der trotz angelegtem Gurt auf die Rückbank kippte und dann selig schlummerte. Der Fahrer hatte Routine mit Kneipenbummlern und Nachtschwärmern und legte sich schon die passenden Sprüche für jeden zurecht, der oder die ihm gleich beim Ausladen helfen würde.
"Okay, der Herr, wir sind da!" rief der Fahrer, nachdem er vor dem Einfamilienhaus im Stadtteil Pöseldorf angehalten hatte. Doch sein Fahrgast schlief leise schnarchend weiter.
"Für den Job muss man echt geboren werden", dachte Toni Harmsen, bevor er seinem Fahrgast aus dem Sicherheitsgurt half. Er hoffte nur, dass der ihm nicht gleich seinen ganzen Kneipenbummel um die Ohren spuckte. Da Bob ihn vorgewarnt hatte und auch erwähnt hatte, dass der Fahrgast genug Geld mit hatte bediente sich Harmsen und war froh, dass der Betrag gerade so noch mit dem Stand der Uhr übereinstimmte und nicht zu wenig war. Auch fand er den Ausweis des Fahrgastes und erfuhr so, dass der wirklich hier wohnte. Auch hatte der sein Handy mit. Damit rief er unter der im Telefonbuchverzeichnis unter "meine Frau" gespeicherten Nummer an. Doch da ging nur die Kollegin Anrufbeantworterin dran. Kunststück, wo es schon halb zwei in der Nacht war.
"Ich klingel besser, damit ihre Frau mich nicht für'n Einbrecher hält", sagte Toni dem immer noch seinen Vollrausch ausschlafenden Fahrgast. Dann lief er zur Haustür und presste den Daumen auf die Klingel. Er wollte erst los lassen, wenn jemand Licht machte und wissen wollte, wer kam. Doch eine Minute verging, ohne dass jemand Licht machte. Im Gegenteil. Es wurde schlagartig dunkel. "Die da wohnt ist jetzt bei mir", hörte er eine geisterhaft sphärische Frauenstimme, während ihn gleichzeitig eisige Kälte umfing. Toni Harmsen blickte hoch. Er stand genau zwischen den in Hockstellung gekrümmten Beinen einer nachtschwarzen, riesenhaften Gestalt, deren Füße nicht den Boden berührten. "Du bist zwar nicht der, auf den ich gewartet habe. Aber einer mehr ist mir auch lieb", hörte er die fremde Stimme sagen. Dann fühlte er, wie es ihn klirrendkalt über Kopf und Nacken ging. Dann meinte er, von einer Art Ansaugrohr gepackt und eingesogen zu werden. Er versuchte, um sich zu schlagen. Doch dabei traf er nur auf einen pulsierenden Widerstand. "Hat Sie Sie auch in sich reingezogen", hörte er eine gequält klingende Frauenstimme neben sich. "So kriegt die ihre Kinder", hörte er dann noch eine Männerstimme unter gewissen Schmerzen stöhnen. "Das ist eine echte Dämonin, die sich Seelen in den Leib saugt, um die als ihre Kinder wieder auszubrüten."
"Verdammt, ich bin doch nicht besoffen oder auf'm Trip, verdammt noch mal! Was für'n billigen Horrorfilm dreht ihr hier, Leute?!" rief Toni. Er versuchte, sich zu bewegen. Doch er traf nur auf weitere pulsierende Körper.
"Amir und Gunnar, ihr könnt mit dem Wagen in die Garage. Ich kann diesen Säufer erst inkubieren, wenn der wieder wach wird. Sonst klappt das nicht", hörte Toni die Stimme der Geisterfrau von eben aus allen Richtungen. "Und ihr, meine kleinen, schlaft endlich mal. Ist zwar süß, wie quirlig und stark ihr seid. Aber wenn ich heute noch wen zu euch reinnehme wird's auch in meinem schützenden Schoß zu eng für wilde Partys", sagte die Unheimliche mit von Spott triefender Betonung.
Toni versuchte, weiter gegen dieses völlig absurde um ihn herum anzukämpfen, erst mit Gedanken, dann mit Bewegungen. Doch es gelang nicht. Als er sich in einen Arm kneifen wollte fühlte er keinen Schmerz. So glaubte er, vielleicht schon Feierabend zu haben und in seinem eigenen Bett einen ziemlich abgedrehten Albtraum zu durchleben. Mit dieser völlig irrigen Vorstellung glitt er tatsächlich in einen schlafartigen Zustand, in dem er von pulsierenden Kraftströmen durchflossen wurde, die auch ihn in das verwandeln würden, was dieses ihn umgebende Geschöpf war.
In Toni Harmsens Zentrale schrak Klaus Rudolfs auf, als ein alarmierendes Piepsignal aus dem dazu gehörigen Gerät kam. Auf dem Bildschirm, der die Standorte der im Einsatz befindlichen Wagen auf einer Karte von Hamburg und Umgebung zeigte, blinkte ein roter Kreis. Das hieß, dass da gerade der Standortsender ausgefallen war. Wagen T-702 war doch in der Gegend. Klaus Rudolfs griff zum Mikrofon und rief den Kolegen auf diesem Wagen an. Doch Toni Harmsen meldete sich nicht. Das blinkende rote Symbol zeigte nur, dass dies die letzte klar verzeichnete Standortangabe des Wagens war. Doch was, wenn jemand das Taxi überfallen und es trotz der ausgeklügelten Technik und vor allem weil der Sender gut versteckt war geschafft hatte, den Sender auszuschalten? Dann konnte der Wagen gerade wer-weiß-wo unterwegs sein. Rudolfs rief noch mal die Datenüber die Fuhre auf seinen zweiten Bildschirm. Ja, die Fuhre sollte genau an diese Adresse gehen, ein Haus in Pöseldorf. Noch einmal versuchte Rudolfs, den Fahrer anzufunken. Wieder gelang es nicht. Jetzt blinkte dieser rote Kreis schon mehr als eine Minute. Die firmeneigenen Vorschriften sagten, dass in einem solchen Fall umgehend die Polizei zu rufen war. Denn jetzt musste er auch von einem Verbrechen ausgehen. So wählte er gleich eine Durchwahl zur Polizeizentrale und meldete den Ausfall eines Standortsenders und den letzten damit ermittelten Standort, der zu der vom Fahrer durchgegebenen Zieladresse passte und auch mit dem internen Code für einen volltrunkenen Fahrgast versehen war. Die Zentrale der hamburger Schutzpolizei gab die Meldung gleich an das nächstgelegene Revier weiter und befahl mindestens zwei Streifenwagen dorthin. Ein Überfall war nicht auszuschließen, womöglich auch der Raub des Wagens selbst.
Elmo Kielholz, der sich unter Nichtmagiern Ernst Karstens nannte, war seit zwanzig Jahren Verbindungszauberer der Lichtwache zur Schutz- und Kriminalpolizei von Hamburg. Als an diesem 12. Februar zwei tiefgefrorene Leichen gefunden worden waren hatte er sofort erkannt, dass dieser Fall in seinen Zuständigkeitsbereich fiel. Er hatte seine Kollegen von der schnellen Eingreiftruppe alarmiert und erst im noblen Studentenwohnheim nördlich der Universität die Erinnerungen und Aufzeichnungen über diesen Vorfall umgeändert. Er erinnerte sich, dass die im Mukobü, was heute wegen der politischen Korrektheit BüfrieKoex abgekürzt wurde tätige Hexe Albertine Steinbeißer einen ähnlichen Fall befürchtet hatte. Die hatte beim Ausflug zum Himalaya wohl frei bewegliche Nachtschatten mitbekommen und daraus geschlossen, dass die von jener Quelle stammten, die auch eine Expedition der Universität überfallen hatte. Nur vier Teilnehmer hatten das überlebt und Albertine selbst berichtet. Doch Güldenberg und Eisenhut hatten gemeint, dass es wichtigere Leute gab, die zu überwachen seien. Das hatte Kielholz bisher auch für richtig gehalten. Doch als er nun die zwei tiefgefrorenen Leichen gesehen hatte und sich wieder daran erinnerte, dass Karin Maurer zu den vier Überlebenden von damals gehörte, war ihm klar, dass diese knochendürre Kesselschlürferin, die wegen eines Unfalls mit Lichtzauber ihre angeborenen Gucker verloren und deshalb zwei Superaugen mit allem Zipp und Zapp bekommen hatte, genau dieses Opfer vorausgesagt hatte.
"Okay, an die Lichtwache Hamburg und die in Dortmund, sofortige Schutzhaft unter Ausschaltung des Wachbewusstseins von folgenden Personen", sprach Kielholz in eine kleine Silberdose und gab Namen und Adressen durch. Als er die Adresse von Gabriele und Benno Hansen erwähnte kam gerade die Meldung rein, dass zwei Polizeiwagen keine Rückmeldung mehr gaben, die wegen eines möglichen Überfalls auf ein Funktaxi zu einer bestimmten Adresse gerufen worden waren. Als er die Adresse hörte stieß Kielholz einen wüsten Fluch aus. Dann rief er schnell nach der Eingreiftruppe.
Als sie vor Ort waren fanden sie die zwei Polizeiwagen mit weit geöffneten Türen. Die Streifenbeamten lagen zwanzig Meter davon entfernt, eiskalt, stocksteif und folglich mausetot. Mit einem Dunkelkraftspürer lotete Kielholzes Kollege Wattendorn die Gegend aus. Doch es fand sich keine frei bewegliche Quelle dunkler Magie in der Nähe, erst recht kein Nachtschatten. Denn auf Kielholzes Anraten war der Dunkelkraftspürer genau auf die Anwesenheit von Nyctoplasma kalibriert worden. "Wir haben hier Reststreuung, einen Schatten eines Nachtschattens sozusagen. Ui, die Restkraft hüllt das ganze Grundstück ein. Entweder sind hier mehrere auf einmal eingefallen oder der hier aufgetauchte hat eine sehr starke Aura."
"Rückschaubrille?" fragte Kielholz seinen ihn um zwei Köpfe überragenden Kollegen Wattendorn.
"Hat der Kollege Distelwurz schon in Arbeit. Nachtschatten sind ja wie normale Gespenster nicht unortbar. Gleich wissen wir, was hier abgegangen ist. Öhm, Moment, Eisenkessler hat noch eine Lebensquelle gefunden."
"Joh, Herr Distelwurz. Ah, der Kollege Kielholz ist auch da. Klar, wo die Stadtwachen da über die Klinge gesprungen sind ..." sagte ein anderer Lichtwächter, der wie Distelwurz eine Brille trug, aber eine, die nur auf Lebenskraftausstrahlung ansprach. "Oha, erwachsen, männlich, im tiefen schlaf oder betäubt oder voll wie ein Kessel der Normgröße 0."
"Öhm, hier war vor einer Viertelstunde was, dass nur dunklen Nebel produziert hat. Das hheißt im Klartext, die Brille ist wieder mal Schietkram, weil wer die mit Unortbarkeitszauber ausgetrickst hat. Normale Nachtschatten können sowas nicht", knurrte Distelwurz."
"Jau, dann ist das wohl entweder kein normaler Nachtschatten oder die haben sich wen für die Unortbarkeit mitgebracht", sagte Eisenkessler trocken.
"Drachendreck! Dann hat die Steinbeißer am Ende doch recht gehabt und unser Minister hätte die Leute hier besser unter Bewachung gestellt", stieß Kielholz aus. Er war wütend, dass sie genau eine Viertelstunde zu spät hier aufgeschlagen waren.
"Wieso, Elmo. Was hat die blonde mit den blauen Wunderaugen denn berichtet?" wollte Aldo Eisenkessler wissen. Elmo Kielholz erzählte es. "Ui, keine gute Reklame für unseren Verein, Herr Minister", meinte Eisenkessler darauf. "Wird dem ziemlich stinken, dass deshalb fünf Muggels auf Eis gelegt wurden und jetzt wohl ein paar dicke Nachtschatten durch die Gegend kugeln."
"Ja, und wir nicht zu lange rumschnacken, Jungs", sagte Kielholz. "Ich will nur wissen, wer der Mann ist, den du noch geortet hast, dann müssen wir sofort weiter zu zwei anderen Adressen, hoffentlich noch wen retten."
Sie fanden in der Garage das vermisste Funktaxi. Auf dem Rücksitz saß selig schnarchend ein Mann im hellgrauen Jeansanzug und verströmte eine unverkennbare Fahne erfolgreicher Alkoholvernichtung. Kielholz zog eine kleine Mappe mit völlig unmagischen und deshalb starren Fotos aus seiner Innentasche und prüfte die Bilder, die er nach der Meldung der beiden ersten Tiefkühlleichen mitgenommen hatte. "Das ist Benno Hansen, der Hausherr und der Vater von Arne Hansen, einem Geologiestudenten hier an der Universität. Wahrscheinlich hat sein Alkoholrausch ihn davor bewahrt, zum Opfer dieser Schattenbande zu werden", sagte Kielholz.
"Vielleicht mögen die keinen Köhm", meinte Aldo Eisenkessler in seiner trockenen Art. "Kriegen vielleicht den flotten Otto davon", legte er noch nach.
"Neh, du Döspaddel, die wollten haben, dass der wach ist, damit die seine Seele auch ja richtig in sich einsaugen können. Wer schläft oder berauscht ist kriegt das nicht mit und vergeht dann ungreifbar für die Biester, wenn der Körper erstarrt und tiefgefriert. Dann haben die zwar seine körperliche Kraft einverleibt, aber nicht seine Seele, seine Gefühle und da vor allem seine Angst. Nachtschatten sind Phobophagen", dozierte der Kollege Distelwurz.
"Eh, Bohnenstange, ich war in derselben Schule wie du", erwiderte Eisenkessler und baute sich mit seinem Wohlstandsbauch vor dem dünneren Kollegen auf, während der kleine schmächtige Elmo Kielholz nach Worten suchte, um die zwei vom unnötigen Streiten abzuhalten.
"Habt ihr schon das Haus durchsucht, ob diese Brut noch jemanden erwischt hat?" fragte er schließlich.
"Wollten wir erst machen, wenn Sie da sind, Kollege Kielholz. Wir müssen ja wissen, was wir den Muggels von der Schupo und Kripo auftischen müssen", sagte Eisenkessler. Elmo Kielholz nickte heftig.
Die Hausdurchsuchung ergab, dass Frau Gabriele Hansen mit dem Telefonhörer in der Hand zu einer Eisstatue erstarrt war. Ihr unter dem nachgewachsenen Eis schwer zu erkennender Blick verriet, dass sie in ihren letzten Lebenssekunden wohl sehr erschrocken sein musste. Mit behandschuhten Händen prüfte Kielholz, ob der Anrufbeantworter noch ging und fand eine Nachricht von Arne Hansen vor. Elmos gut geschulte Ohren fingen die im Hintergrund plappernden oder besser leicht quakig klingenden Stimmen auf. "Gut, müssen wir unbedingt wissen, wo der ist. Der könnte als nächster angegriffen werden", sagte er.
"Was machen wir jetzt noch hier?" wollte Distelwurz wissen.
"Das Taxi wurde entführt, die Polizeiwagen und deren Besatzungen hat es nicht gegeben und die Hansens sind ihrem Sohn Arne hinterhergereist, wenn wir wissen, wo genau der sich gerade aufhält", legte Kielholz die mögliche Verhüllungsgeschichte für die magielosen Nachbarn und Behörden fest.
"Moment mal, Sie können doch nicht einfach vier Schupos als nicht vorhanden ausgeben", sagte Aldo Eisenkessler.
"Ich habe das schon mal gemacht, also kann ich das. Was meinen Sie, was los war, als diese spukenden Bilder unterwegs waren. Da mussten gleich neun Polizeibeamte als nicht mehr vorhanden ausgegeben werden. Die Familienangehörigen von denen bekamen die Erinnerung, dass ihre Angehörigen schon vor zwei Monaten gestorben und beerdigt worden sind. So machen wir das hier auch. Was dagegen einzuwenden?" fragte Kielholz mit drohendem Unterton.
"Öhm, nöh", grummelte Eisenkessler. Dieser kleine dünne Sonderbeauftragte mit dem lustigen Namen Elmo Kielholz hatte Sonderrechte, unter anderem auch unmittelbare Befehlsgewalt auch über zertifizierte Einsatzgruppenleiter wie ihn.
"Dann hoffen wir mal, dass wir zumindest noch die Familien von Erna Grabowsky und Rico Kannegießer vor diesen total unnormalen Nachtschatten beschützen können. Auch wenn es keine Zaubererweltbürger sind werden uns die Feenstimme, der Feuerturm und womöglich noch die Wilde Jagd eine Menge Drachenfeuer unter den Füßen machen, wenn wir trotz frühzeitiger Vorwarnung vier Familien haben draufgehen lassen und dazu noch mehr als vier Polizisten."
"Wie heißt das noch, wenn jemand stirbt oder was kaputt geht, was nicht das Ziel des Angriffs war?" fragte Distelwurz.
"Kollateralschaden, Dünnerchen", erwiderte Eisenkessler.
"Nur kein Neid, Herr Eisenkessler", knurrte Distelwurz und deutete auf den Wohlstandsbauch seines dienstälteren Kollegen.
"wir zanken hier herum wie im Kindergarten und draußen spuken ein übergroßer weiblicher Nachtschatten und seine Zuträger herum. Mann, werdet doch heute noch erwachsen", knurrte Kielholz. Dass die Nachtschattenriesin und wohl noch einige ihrer Unterworfenen abgeschwirrt waren war kein Grund zur Beruhigung. Die hatte wohl erkannt, dass nach dem Taxifahrer gesucht würde und Benno Hansen vorher nicht aus seinem Rausch aufwachte. So zynisch das klang, in dem Fall hatte übermäßiger Alkoholkonsum echt mal was gesundheitsförderndes gehabt, dachte Elmo Kielholz. Ihm war nun klar, dass sie eine sehr mächtige Gegnerin hatten, die sowohl über eine gewisse Magie verfügte, sowie auch und vor allem intelligent und erfahren war. Da wohl als gesichert anzunehmen war, dass sie selbst in der magielosen Welt groß geworden war kannte sie sich in dieser besser aus als die beiden so unterschiedlichen Lichtwächter. Wenn die das nicht begriffen könnte an deren goldener Gedenkwand in der obersten Leitstelle unter den Straßen von Berlin bald ein paar weiterer Sterne auftauchen, neben denen ihre Namen in das Metall eingraviert wurden.
Zumindest reagierten die Lichtwachen schnell genug, um zwei einfachere Nachtschatten aufzustöbern, die sich um die Wohnhaäuser von Rico Kannegießer und dessen Eltern herumtrieben. Der Versuch, sie mit Patronuszaubern festzusetzen misslang, weil die sich blitzartig in kleine Kugeln verwandelten und unverzüglich in den Nachthimmel hinaufschossen, schneller als der gerade topaktuelle Donnerkeil 21. Und weil die Lichtwächter keinen Flugbesen mitgenommen hatten waren die aufgestöberten Nachtschatten auch nicht zu verfolgen. Deren Herrin war nun aber gewarnt, wusste Elmo Kielholz. Würde sie das von ihrem Plan abbringen, auch die Kannegießers und Grabowskys heimzusuchen, oder gab sich dieses Schattenungeheuer mit seinen bisherigen Erfolgen zufrieden?
"Irgendwas ist da draußen", hörte Aldous Crowne seine zweite Mutter wispern. Weil es an ihrem Standort Morgen war hatten sie sich in die Höhle zurückgezogen, in der sie übertagten, auch wenn Aldous als Mensch aus Fleisch und Blut kein Problem mit Sonnenbestrahlung hatte, solange er seine stark getönte Sonnenbrille trug.
"Ist es diese Ausstrahlung, die du vor einem Mond schon mal gespürt hast, Mutter?" fragte Aldous Crowne.
"Ja, ist es. Aber ich kann immer noch nicht hören, wo die andere ist."
"Aha, dass es eine "Sie" ist ist klar?" wollte Aldous wissen. Da fühlte er, wie seine Herrin und in gewisser Weise fleischliche Tante Thurainilla neben ihm erschien. "Mit dem von den zauberern erzwungenen Ende von Kanoras ist sein Erbe nicht getilgt. Wir müssen annehmen, dass er mindestens eine sehr mächtige Dienerin erschaffen hat, wohl aus der Seele einer starken Magierin. Aber auch ich kann nicht hören, wo genau sie ist. Aber wir werden sie finden. Ich muss wissen, ob dieses Wesen uns gefährlich werden kann."
"So gefährlich wie dieser Kanoras?" fragte Aldous Crowne, der Schattenreiter.
"Das ist die Frage, die unser Überleben bestimmt", seufzte Thurainilla. Auch wenn sie als Beherrscherin der Dunkelheit viele diesem Element unterworfene Wesen beeinflussen oder töten konnte hatte sie vor der Macht des Schattenträumers Kanoras schon eine starke Furcht. Bis heute wussten sie, ihre rein schattenförmige Zwillingsschwester Riutillia und der von ihnen beiden unterworfene Aldous Crowne nicht, wer oder was Kanoras' Diener und ihren Herren am Ende den Garaus gemacht hatte. Vielleicht war es eine Streitmacht der Zauberstabbenutzer. Vielleicht war es aber auch jene Lenkerin der Langzähne oder jemand, der mächtiger als alle zusammen war.
Da Thurainilla und ihre Schwestern in den letzten Wochen mehr mit der Suche nach der falschen Schwester beschäftigt waren hatten sie nicht weiter darauf geachtet, ob Kanoras' Macht restlos erloschen war oder nicht. Womöglich war das ein unverzeihliches Versäumnis, dachte Thurainilla. Doch sie hütete sich davor, es für ihre Schwestern und ihre wiederverkörperte Mutter zu enthüllen, was sie dachte.
"Es fühlt sich so an, als riefe dieses andere Wesen mal laut und dann wieder gar nicht", erwähnte Riutillia, die schattenhafte Zwillingsschwester Thurainillas.
"Vielleicht hörst du, aus welcher Richtung sie ruft. Dann können wir näher heran", sagte Aldous. "Vielleicht geht es, wenn wir drei uns bei den Händen nehmen und gemeinsam lauschen. Du als mein Sohn und Untertan meiner fleischlichen Schwester kannst sicher vermitteln", sagte Riutillia. Aldous Crowne fragte, ob er dafür selbst in die Schattenform wechseln sollte. Doch das sollte er gerade nicht tun, um die Kraft der beiden ungleichen Zwillingsschwestern zu verstärken.
So ergriffen sich alle drei bei den Händen. Die sie umgebende Dunkelheit sollte die nötige Energie liefern, auch wenn die Höhle kein Vergleich für die Dunkelheit des freien Weltraums war. Wie ein Trio Buddhistischer Mönche eine Meditationsformel summend standen die drei durch dunkle Magie verbundenen Wesen zusammen und stimmten sich aufeinander ein. Wie lange es dauerte war für die drei bedeutungslos. Wichtig war, dass sie Riutillias übernatürliche Sinne mehr und mehr verstärkten. So erfuhren sie, dass die fremde Wesenheit irgendwo im Westen sein musste. In der vagen Hoffnung, sie dort anzutreffen, wo es noch immer Nacht war verschwanden alle drei geräuschlos im Nichts. Ihr Ziel war das Höhlenversteck, dass Aldous Crowne vor seiner Wiedergeburt als Schattenreiter benutzt hatte. Von den britischen Inseln aus vernahmen sie die fremde Ausstrahlung noch deutlicher. Sie wagten es sogar, sich auf ihre Eigenschwingung abzustimmen, sozusagen nach ihr zu rufen. Tatsächlich reagierte das andere Wesen. Es schien nun selbst in die Ferne zu lauschen. Dadurch bekamen die drei anderen mit, dass es auf dem westeuropäischen Festland zu finden sein musste, ja, sogar in der Nähe der Nordseeküste. Da dort gerade tiefe Nacht herrschte wechselten die drei nach Belgien über, wo sie die ganze Kraft der kosmischen Dunkelheit in sich aufnahmen und weiter in die Nacht lauschten.
"Herrin und Mutter, wir sind ertappt. Müssen ganz schnell fligen, weil gemeine Silberlichtgestalten gerufen wurden!" hörte Birgute Hinrichter die Stimmen ihrer Diener, die vor dem Haus der Eheleute Kannegießer gelauert hatten, ob die noch in dieser Nacht nach Hause kamen. Auch vor dem Studentenwohnhaus, in dem laut Mätti Brauer Rico wohnen sollte waren diese verflixten Zauberstabschwinger aufgetaucht. Also war ihre Absicht erkannt worden. Womöglich waren die Kannegießers sogar schon in Sicherheit gebracht worden. Aber sie wollte diesen Rico und auch Arne Hansen haben, sie zu ihren Kindernund Untertanen machen, vor allem, wo die beiden maßgeblich gegen Kanoras' Diener gekämpft hatten. Morgen nacht würde sie zumindest Karin, Arno und Arnes Mutter wieder freisetzen. Dass sie Arnes Vater nicht in sich hatte aufnehmen können hatte der seinem überheftigen Alkoholpegel zu verdanken. Vielleicht sollte sie ihm seine eigene Frau zurückschicken, wenn er irgendwann wieder aufwachte. Doch halt, der wurde sicher jetzt von diesen Spitzhüten bewacht und am Ende noch als Lockvogel eingesetzt, um sie zu kriegen. Nix da, dachte Birgute Hinrichter.
Was ihr neben der verfehlten Inkubation von Rico Kannegießer und Arne und Erna Hansen noch zusetzte waren diese ganz leisen Rufe, die sie seit einer Stunde oder so hörte. Erst war das nur ein Flüstern gewesen. Doch jetzt war es ein gezieltes Rufen, wenn auch ohne ihren Namen zu erwähnen. Sie konnte hören, dass es zwei Frauenstimmen waren, die nach ihr, der Schattenkönigin, riefen. Womöglich waren das auch schon Zauberstabschwinger, die sie in eine Falle locken wollten. Vielleicht aber waren es auch andere Schattengeborenen, die sich ihr unterwerfen mochten oder sie als Konkurrenz betrachteten. Doch solange sie mit sechs noch zu neuen Schattenkindern auszureifenden Seelen schwanger ging konte sie das nicht herausfinden. Sie stufte diese Rufe als erst einmal zu ignorieren ein und zog sich mit allen ihren Dienern in jenen stillgelegten U-Bahn-Tunnel im Süden von Hamburg zurück, von wo aus sie ihren Feldzug gestartet hatte. In den beiden nächsten Nächten wollte sie Klarheit haben, ob sie die drei noch fehlenden Überlebenden von Kanoras' Erwachen auch noch zu ihrem kleinen Volk dazuholen konnte oder nicht.
"Sie hat uns gehört und schweigt jetzt", meinte Riutillia. Aber ich bin mir sicher, wie weit sie von hier fort ist."
"Gut, dann schicken wir Aldous los. Der kann auch bei Tag fahren. Vielleicht findet er ja eine Spur", sagte Thurainilla.
"So machen wir das", sagte Riutillia.
albertine Steinbeißer bekam am Morgen des 13. Februars gleich drei Eulen, eine von ihrem direkten Vorgesetzten Weizengold, eine von der Lichtwachenzentrale und eine von Elmo Kielholz, den Sonderbeauftragten, der in Hamburg die Polizeibehörden überwachte. Alle Briefe besagten, dass sie wohl doch recht gehabt hatte und es in der vergangenen Nacht insgesamt neun Tote gegeben hatte, die alle auf das Konto von plötzlich schockgefrierenden Kräften gingen. an zwei Häusern seien Nachtschatten aufgestöbert worden, die dort wohl als Beobachter abgestellt worden waren.
"Karin Maurer und Arne Hansens Mutter sind tot, weil diese Besserwisser nicht auf mich hören wollten", knurrte Albertine. Dann fiel ihr ein, dass sie jetzt Anthelia informieren sollte. Doch halt, bevor sie das tat musste sie alles wissen, was passiert war und zumindest einen Ansatz haben, wo diese Schattenfrau abgeblieben war. Denn die mochte jetzt erst mal wieder in ein sicheres Versteck geflüchtet sein, wo sie wartete, bis genug Gras über ihren Seelenraubzug gewachsen war. Allerdings würde Albertine jetzt kräftig den Kessel heizen, dass die noch auf der Liste stehenden jungen Leute und ihre Angehörigen bewacht wurden. Vor allem diesem Elmo Kielholz würde sie das drachenfeuerheiß ins Bewusstsein brennen, damit der bei Minister Güldenberg und Finanzabteilungsleiter Heller durchsetzte, dass die Bewachung nötig war, um auch klarzustellen, dass eine Grenze gezogen wurde, die nicht überschritten werden durfte. Non plus ultra, bis hierher und nicht weiter. Doch hielt sich dieses Riesenweib aus Nyctoplasma an dieses Gebot? Albertine bezweifelte das.
Zumindest ergaben die von Kielholz und anderen computerkundigen Zauberern durchgeführten Recherchen, dass Rico Kannegießers Eltern gerade auf Hawaii waren und dort wohl noch bis zum 1. März bleiben wollten, allein schon um dort den Geburtstag von Ricos Vater zu feiern. Da konnte Albertine also über die Schwestern was deichseln, dass denen da, wo die waren, nichts außer einem Sonnenbrand passierte. Rico bekam von Elmo Kielholz eine Leibwache aus gleich vier Lichtwächtern, nachdem bekannt war, dass er nun ganz auf die Insel Neuwerk umsiedeln würde. Doch wie lange sollte diese Wache auf ihn aufpassen? Daran war es ja schließlich gescheitert, dass die vier und ihre Eltern gleich nach ihrer Rückkehr aus Marokko einen magischen Personenschutz bekommen hatten, wie lange der dann zu bleiben hatte. Kielholz hatte bei der Gelegenheit auch herausgefunden, dass Arne Hansen wohl in Kalifornien war, wo er und wohl auch Erna Grabowsky weiterstudieren wollten. Das brachte Albertine auf die Idee, den Tod von Arnes Mutter vorerst geheimzuhalten. Denn wenn der was davon erfuhr würde er wieder nach Deutschland zurückkehren und damit dieser Schattenriesin in die Falle gehen. Alles in allem galt es, die nächsten Schritte dieser Kreatur aus dunkler Magie vorauszudenken und zu vereiteln.
"Wir sind mehr als du, Schattenmonster. Wir schaffen dich irgendwie irgendwann. Fühl dich nur nicht zu sicher!" dachte Albertine. Das konnte nicht sein, dass dieses Ungeheuer aus reiner Dunkelheit ihr weiteres Leben beanspruchen würde. Vielleicht sollte sie sich noch mal mit ihrer derzeitigen Geliebten Louisette darüber unterhalten, wie und für wie lange die Mitschwestern auf die anderen aufpassen sollten. Vielleicht war es auch nötig, sie offiziell sterben zu lassen und für eine gewisse Zeit im Zauberschlaf in einem Haus wie der Daggers-Villa zu verstecken, damit dieses Schattenluder nicht mehr darauf aus war, sie zu erwischen. Ja, das würde sie ihrer höchsten Schwester vorschlagen, wenn sie wusste, ob dieses nachtschwarze Unwesen noch unterwegs war oder sich auf unbestimmte Zeit zurückgezogen hatte. Diese Biester konnten auch ohne Angriffe auf Menschen leben. Die tranken förmlich die Dunkelheit der Nacht. Konnten die auch in eine Lauerstarre verfallen wie Vampire? Vielleicht sollte erwogen werden, dieses Schattenweib gegen die sogenannte schlafende Göttin und ihre Unlichtkristallstaubvampire aufzubringen. Dann wäre es zumindest möglich, dass dabei keine unschuldigen Menschen starben. Doch das erschien Albertine schon beim zweiten Nachdenken als ein unerfüllbarer Wunschtraum. Denn dann würden die beiden gegeneinander kämpfenden neue Helfer und Helfershelfer unterwerfen, um stark genug zu werden. So ging es also auch nicht. Albertine erkannte nun mit beinahe schmerzender Klarheit, warum Anthelia nicht mal eben die weltweite Vorherrschaft der Hexen an sich reißen konnte.
Aldus ärgerte es, diese hochgezüchteten Bonzenkarren links an sich vorbeibrettern lassen zu müssen. Doch seine Herrin Thurainilla hatte ihm eingeschärft, bloß nicht aufzufallen. Deshalb durfte er seinem Motorrad, das in der Schattenreiterform ein gewisses Eigenleben führte, nicht die Sporen geben. Wahrhaftig sah er auch den einen oder anderen Wachposten mit Radaranlage, der wohl auf all zu schnelle Fahrer lauerte. Zwar pflegten sie in Deutschland die freie Fahrt für freie Bürger, zogen aber dann doch den einen oder anderen Schnellfahrer aus dem Verkehr, weil wer starke Autos fuhr auch starke Strafgebühren zahlen konnte, dachte zumindest Aldous Crowne. Außerdem fiel es dem gebürtigen Engländer schwer, sich an diesen lästigen Rechtsverkehr auf dem Kontinent zu gewöhnen. Da konnte er locker mit wem oder was zusammenknallen. Er verwünschte die Sonne. Zwar war sie im Spätwinter noch nicht so stark wie im Hochsommer. Doch ihr Licht verhinderte, dass er und Sharon ihre machtvolle Erscheinungsform annehmen und wie ein schwarzer Blitz an allen vorbeisausen konnten, ohne auch nur das leiseste Geräusch zu machen.
Zu seinem Verdruss staute sich der Verkehr auf der Autobahn vor dem Elbtunnel derartig, dass vom kleinen Hausfrauenwagen bis zur hochgezüchteten Bonzenschleuder oder großräumigen Limousine alles zusammengestaucht und auf eine schon beinahe sozialistische Einheitsgeschwindigkeit heruntergebremst wurde. Jetzt musste Aldous doch grinsen, als er vier der sieben schnellen Wagen wiedersah, die ihn vorhin noch überholt hatten. Die waren nicht weitergekommen als er. Zwar konnte er auf seiner Maschine dreist zwischen den Wagen durchschlüpfen; aber er durfte ja nicht auffallen. So wurde er einer von vielen langsam durch den Tunnel dahintreibenden Verkehrsteilnehmern. Er ärgerte sich über die eingeschaltete Beleuchtung. Sonst hätte er mal eben in die Schattenreiterform überwechseln und innerhalb von einer Sekunde durch den Tunnel flitzen können. Doch endlich hatten sie den Ausgang erreicht und konnten wieder im trüben Wintersonnenlicht weiterfahren.
Laut seiner Schattenmutter Riutillia musste er irgendwo im Süden von Hamburg von der Autobahn runter und irgendwie in die Stadt rein. Allerdings wusste Riutillia noch nicht, wo genau das andere Schattenwesen war. Das ging wohl erst bei Dunkelheit wieder.
Was Aldous nicht bedacht hatte, weil seine beiden Gebieterinnen es nicht wussten: An beiden Enden des Elbtunnels waren kleine aber hochempfingliche Steine verbaut, die auf die Annäherung von magischen Kraftfeldern ansprachen und das augenblicklich an eine Überwachungsstelle weitermeldeten. Da diese Meldesteine keine eigene Zauberkraftausstrahlung hatten konnte Aldous auch nichts davon mitbekommen, dass er bei der Durchquerung des Elbtunnels erfasst worden war.
Andronicus Eisenhut, der oberste Verwalter der Lichtwachen des deutschen Zaubereiministeriums, sah die eher knöchern wirkende Hexe mit den blaugrauen Kunstaugen kritisch an. Die hatte doch gerade gewagt, ihm die Schuld an den Toten der Nachtschattenüberfälle zu unterstellen. Vor allem ärgerte er sich, dass diese Hexe aus dem BüfrieKoex damit sogar recht hatte. Schließlich hatte er mit Minister Güldenberg und Strafverfolgungsleiter Gleißenblitz ins selbe Horn gestoßen, dass eine ständige Bewachung der vier Überlebenden der unheimlichen Schattenwesen aus dem Atlasgebirge unsinnig sei, solange es keinen Hinweis gab, dass diese Muggels in Gefahr schwebten. Die Vampire, die Spinnenschwestern und die Babymacher von VM waren dagegen eine sehr akute Bedrohung, die mit allen verfügbaren Kräften bekämpft werden musste. Doch nun war genau das passiert, was diese Hexe da vor ihm vorausgesehen hatte.
"Ich lasse mir nicht die Schuld für diese Toten in die Schuhe schieben, Fräulein Steinbeißer. Weder Sie noch sonstwer hat das Recht, im Nachhinein so zu tun, es besser gewusst zu haben. denn wenn das stimmte müsste ich Ihnen zum Vorwurf machen, dass sie ja die Absichten dieser Nachtschatten kannten und selbst früh genug was hätten tun müssen", versuchte Eisenhut, seine in Frage gestellte Autorität zu behaupten.
"Sie erinnern sich ganz sicher, dass ich genau das vor Monaten versucht habe. Ich habe davor gewarnt, dass diese im Himalaya entstandene Schattenriesin durchaus darauf ausgehen würde, die vier ihrem früheren Herren entkommenen zu jagen, wo sie selbst offenbar von dessen Joch befreit wurde und durch Wallenkron zu einer mächtigen Einheitsform verbacken wurde. Es ist sogar protokolliert worden, dass ich bereits nach der Rückkehr der vier Hochschüler aus Hamburg darauf hingewiesen habe, dass dieser Schattenlenker selbst auf die Idee kommen mochte, die ihm entwischten Menschen zu jagen, um sie seinem Gefolge einzuverleiben. Am Ende versteht sich diese Schattenriesin, wie ich sie vorerst nennen möchte, als rechtmäßige Erbin dieses uralten Unheilswesens aus Afrika oder vielleicht sogar Atlantis. Aber der Minister, Herr Gleißenblitz, Herr Heller und Sie haben ja im seltenen Einklang dagegengehalten, dass eine ständige Bewachung von Zitat "nur vier Zauberkraftlosen" Zitat Ende zu viele Leute von wichtigeren Sachen abhält und Galleonen kostet. Jetzt ist meine Voraussage leider wahrgeworden, worüber ich am meisten betrübt bin. Also sollten wir jetzt zusehen, den Schaden nicht noch größer werden zu lassen als er nun ist."
"Ich habe keine schriftliche Bescheinigung Ihres Vorgesetzten und des Ministers gesehen, dass Sie mir Vorschriften machen dürfen, wofür ich meine Mitarbeiter einsetzen soll, Fräulein Steinbeißer. Ich habe Sie herzitiert, damit ich von Ihnen noch einmal erfahre, was genau Sie bei der Aktion gegen Hagen Wallenkron alias Lord Vengor beobachtet haben. Bei der Gelegenheit wurde mir auch noch vom Verbindungszauberer in der internationalen Zaubererkonföderation eine Anfrage meines chinesischen Kollegens vom Orden des goldenen Drachens überreicht, der auch gerne wissen möchte, was mit seinen Leuten passiert ist."
"Moment mal, die Chinesen bekamen von mir einen sehr ausführlichen Bericht, was mit ihrer fliegenden Dschunke passiert ist", erwiderte Albertine. "Was möchten die Herren denn noch wissen?"
"Ja, zum Beispiel, ob wir denen nicht was verheimlicht haben, was die unsichtbaren Besenbeißer anging und inwieweit wir aus Europa da nicht vielleicht einige sehr wesentliche Tatsachen unter dem Teppich gehalten haben. Der Kollege, dessen Namen ich gerade nicht im Kopf habe, sagte was von weinenden Witwen, die gerne wissen möchten, ob ihre Männer heldenhaft starben oder auf Grund einer voraussehbaren Falle wie Schlachtvieh niedergemacht worden sind. Könnte also sein, dass die Leute aus dem sogenannten Reich der Mitte da nachhaken, was wir sonst so alles vorher gewusst haben. Die könnten dann auch fragen, was Sie mir und anderen hätten mitteilen können."
"Nichts für ungut, aber Sie wollen sich nicht gerade hinter einer angeblichen gelben Gefahr verstecken, dass wir noch Ärger mit denen bekommen, nur weil Sie nicht einräumen möchten, dass es besser gewesen wäre, bestimmte Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Jetzt müssen wir womöglich mehrere unbescholtene Familien in magische Schutzhaft nehmen, nur weil wir zu lange gewartet haben. Sie merken es, ich sage wir, weil ich mich in gewisser Weise mitschuldig fühle, auch wenn ich rein rechtlich keine Schuld habe, dass es diese Nachtschattenriesin und ihr ergebene Unterschatten gibt. Deshalb sage ich ja, dass wir nun zusehen möchten, den Schaden nicht noch größer werden zu lassen."
"Ich weiß nicht, was Sie noch wollen, Fräulein Steinbeißer. Auf Grund der Berichte von gestern Nacht wurden für die noch in Deutschland befindlichen Betroffenen Schutzleute abgestellt. Dieser Ricardo Kannegießer und die Eltern dieser Erna Hansen geborene Grabowsky werden bis auf weiteres von getarnten Lichtwächtern überwacht und im Bedarfsfall vor neuerlichen Übergriffsversuchen beschützt. Da wir, womit Sie auch gemeint sind, nicht wissen, ob diese Nachtschatten tatsächlich noch auf Jagd nach diesen Leuten sind oder nicht kann ich diese Bewachung nur solange genehmigen, wie wir die dafür eingeteilten Leute nicht anderswo einsetzen müssen."
"Sie sind ein größerer Kundiger dunkler Mächte als ich, Herr Eisenhut. Deshalb muss ich Ihnen nicht erklären, dass solche Wesen viel Zeit haben, länger als ein Mensch lebt. Allerdings muss ich im Moment davon ausgehen, dass diese Schattenriesin ihren Feldzug möglichst bald zum Abschluss bringen will, weil ich davon ausgehe, dass es ein großes Anligen ist, die letzten Überlebenden ihres früheren Herrn und Meisters aus der Welt der Lebenden zu tilgen. Vergessen Sie bitte nicht, dass wir die Verantwortung für diese jungen Leute und ihre Familien übernommen haben, nachdem wir uns in deren Leben eingemischt haben, weil wir ihnen die Erinnerungen an den tatsächlichen Vorfall verfremdet haben, nur um die Geheimhaltung der Magie zu wahren. Deshalb sind die jetzt ahnungslos wie ein neugeborenes Kind, was die ihnen drohende Gefahr angeht. Also liegt es ganz bei uns, ihnen beizustehen, bis die Gefahr eindeutig beseitigt ist. Aber das habe ich auch schon mal erwähnt", erwiderte Albertine unerschütterlich.
"Wenn Sie mir den wahren Namen aller diese Leute bedrohenden Nachtschatten liefern ist das nur eine Frage der Zeit, bis wir die alle aus der Welt schaffen", zähneknirschte Andronicus Eisenhut.
"Also gut. Gehen wir davon aus, dass die Getöteten nur körperlich starben und ihre Seelen von den Nachtschatten am Übertritt in die Nachtodform gehindert wurden, so besteht die große Wahrscheinlichkeit, dass diese armen Seelen als neue Schattenwesen zurückkommen. Deren Namen haben Herr Kielholz und ich auf einer Liste vermerkt. Hier ist sie", sagte Albertine und zog eine Pergamentrolle aus ihrer taubenblauen Handtasche. Eisenhut stierte sie verdutzt an, versuchte sogar, sie im Vorbeigehen zu legilimentieren. Doch die magischen Augen der Hexe blockierten das. Das würde er bei einer Sitzung des Sicherheitstriumvirates noch mal anmerken, dass diese Augenprothesen eine Behinderung eingehender Befragungen darstellten. Doch vorerst musste er sich damit abfinden, mit der Pergamentrolle auszukommen.
Als er die auf der Liste stehenden Namen gelesen hatte nickte er seiner Gesprächspartnerin zu und grummelte: "Woher sollen meine Leute wissen, ob ein weiblicher Nachtschatten Karin Maurer oder Gabriele Hansen ist oder wer von denen Arno Kröger, Ludwig Gerstner oder Rudolf Harmsen sein soll? Oder sollen wir die jetzt einzeln beschwören, um sie dann mit Sonnenlichtzaubern zu zerstören?"
"Ich wusste doch, dass Sie von alleine draufkommen", sagte Albertine. "Das wäre zumindest eine Möglichkeit, sofern Sie genug Körperfragmente der Betroffenen haben. Ich kenne zwar die nötigen Rituale nicht, weiß aber, dass es sowas geben muss, weil es ja in der Geschichte der Magie genug Erwähnungen gibt, dass Hexen und Zauberer Nachtschatten oder andere Geisterwesen beschworen haben, was ja den Glauben an Diener der hellen und dunklen Mächte beflügelt hat", erwiderte Alberttine. Eisenhut konnte ja nicht wissen, dass Albertines wahre Führerin bereits einmal einen Nachtschatten zu sich hinbeschworen und dann ausgelöscht hatte.
"Werden Sie gütigst nicht unverschämt, Fräulein Steinbeißer!" knurrte Eisenhut. "Ich werde mit dieser Liste zu meinen Mitarbeitern gehen und die Möglichkeiten erörtern, ob wir einen derartigen Exorzismus durchführen können und wenn ja, ob damit die Gefahr beseitigt ist. Bei der Gelegenheit, hier stehen zwei Namen auf der Liste, die nicht mit den vier Überlebenden zusammenpassen: Doktor Birgit Hinrichs und Ute Richter. Die gehören doch nicht zu den erfassten Todesopfern."
"Laut Grabowsky, Hansen, Kannegießer und Maurer wurden ihre beiden Expeditionsbegleiterinnen zu Dienern des Schattenlenkers gemacht. Ich mutmaße, dass die im Himalaya zu einer Riesenform verschmolzene Erscheinung aus diesen beiden Dienerinnen entstand. Daher habe ich diese Namen noch mal aufgeschrieben."
"Ich muss einräumen, dass Sie mit der Entstehung recht haben können. Allerdings muss ich auch widersprechen, dass die beiden Namen für eine Beschwörung benutzt werden können. Denn bei einer Seelenverschmelzung werden die darin einbezogenen Persönlichkeiten ihrer wahren Namen entbunden und können somit nicht durch diese magisch beeinflusst werden. Wie auch immer sich diese Riesin nach ihrer Entstehung nennt, die Namen der beiden Ausgangsformen sind dadurch unbrauchbar geworden. Womöglich hat Wallenkron durch die Erzeugung dieser Verschmelzungsform den neuen Namen festgelegt. Dann wissen diesen nur die Schattenriesin oder die Halunken von Vita Magica. Tja, und die können wir erst fragen, wenn wir wissen, wer dazugehört, weshalb wir ja auch alle verfügbaren Kräfte brauchen, um sie zu entlarven. Denn Wallenkron wurde ja aller Erinnerungen beraubt, bevor er infanticorporisiert wurde."
"Ja, ich fürchte, da haben Sie recht. Es könnte auch sein, dass diese Schattenriesin sich selbst einen Namen zugelegt hat, ohne dass Wallenkron was damit zu tun hatte. Dann kennt nur sie den. Aber ich wollte die winzige Hoffnung nicht verwerfen, sie über die beiden Namen der Ausgangsformen erfassen zu können", antwortete Albertine Steinbeißer ganz ruhig. Sie durfte nicht verraten, dass sie genau darüber schon mit der höchsten Schwester des Spinnenordens gesprochen hatte.
"Jaja, die Hoffnung stirbt zuletzt", bemerkte Eisenhut bissig. Er wollte dann noch sagen, dass er die Bewachung der auf der anderen Liste als möglicherweise gefährdet aufgeführten Leute nur solange aufrechterhalten würde, solange die dafür eingeteilten Leute nicht anderswo gebraucht würden, als eine kleine Silberglocke über dem Schreibtisch bimmelte. Gleichzeitig klopfte es an der Tür. Als Eisenhut "Herein!" rief betrat der kleine, schmächtige Elmo Kielholz das Zimmer.
"Wir haben eine von dunkler Magie getränkte Präsenz auf dem Weg durch den Hamburger Elbtunnel erfasst. Ich erbitte einen Einsatztrupp zur Aufklärung und gegebenenfalls Festsetzung dieser Wesenheit", sagte Kielholz und sah Albertine Steinbeißer mitverschwörerisch an. Andronicus Eisenhut wusste nicht, was dieser Blick bedeuten sollte. Doch er wollte erst mal nur wissen, was genau anlag. Da kam noch ein Memoflieger in sein Büro gesegelt, der die genaue Erfassung der fremden Präsenz bestätigte. Den Eigenschwingungen dieser von den Meldeartefakten wahrgenommenen Aura nach war es ein Mann mit einem jedoch irgendwie weiblichen Strahlungsmuster, als wenn dem Mann die Lebensaura einer Hexe übergestülpt worden sei oder einer anderen magischen Kreatur weiblichen Geschlechtes. Das ließ bei Eisenhut sofort mehrere innere Alarmglocken läuten.
"Oha, offenbar sind noch andere auf die Vorfälle der letzten Nacht aufmerksam geworden. Gefahr im Verzug, Herr Kielholz. Es ist jener bedauernswerte Mensch, der von dieser Abgrundstochter der Dunkelheit vereinnahmt und mit ihrer Magie angereichert wurde."
"Ui, am hellichten Tag? Der ist aber wirklich dreist", erwiderte Albertine Steinbeißer. Sie erinnerte sich auch noch zu gut an das Zusammentreffen mit diesem zwischen fester und schattenhafter Daseinsform pendelnden Menschen, der früher mal Aldous Crowne geheißen hatte.
"Kriegen Sie das hin, dass die magielosen Ordnungshüter nicht in dessen Nähe geraten, Herr Kielholz! Und Sie, Fräulein Steinbeißer beauftrage ich, den Einsatz meiner Leute aus sicherer Entfernung zu beobachten, um gegebenenfalls darüber zu berichten, welchen Erfolg sie hatten! Ich kläre das sofort mit Ihrem direkten Vorgesetzten", sagte er und griff nach einem goldenen Glöckchen auf dem Tisch. Er läutete es, ohne dass ein Ton zu hören war. Dann rief er Befehle in den Raum hinein, ohne dass Albertine und Elmo sie mit den Ohren wahrnahmen. Nur weil Albertine nach dem Erhalt ihrer neuen Augen einen Kurs in Lippenlesen besuchte verstand sie, dass Eisenhut zehn in der Bekämpfung von Nachtschatten erfahrene Lichtwächter aus ganz Deutschland nach Hamburg beorderte. Offenbar stellte die Glocke eine magische Sprechverbindung in alle Lichtwachen her, erkannte Albertine. Denn erst als er das goldene Glöckchen wieder auf den Tisch legte und sich an die zwei Besucher wandte, konnten Albertine und Elmo ihn auch wieder sprechen hören.
"Bitte sofort zum Einsatzort! Ich habe zehn meiner Leute zwei Kilometer südlich des Elbtunnels beordert. Bitte holen Sie sich einen Besen und apparieren einen Kilometer südlich des Elbtunnels, Fräulein Steinbeißer!" Albertine nickte und eilte ohne Abschiedswort aus dem Büro.
Aldous Crowne alias Schattenreiter verwünschte dieses Gedränge von Fahrzeugen und die Sonnenstrahlen, die ihn nicht seine ganze Kraft ausspielen lassen konnten. So kam er garantiert nicht vor dem Dunkelwerden dahin, wo er auf weitere Angaben Riutillias warten sollte. Als er dann etwas wie über seinen Körper krabbelnde Käfer zu spüren meinte, ohne diese zu sehen hörte er die Stimme seiner Herrin im Kopf: "Verwünscht, diese Kurzlebigen haben einen Kraftspürhauch über dich geworfen um zu wissen, wo du bist. Woher wissen die, wo du gerade bist?"
"Echt, die suchen mich?! Mist!" dachte Aldous zurück. Dann fühlte er auch schon die plötzlich dazugekommenen Lebensquellen, die nur deshalb so besonders waren, weil sie eine eigentümliche Ausstrahlung hatten. Das kannte er von den Leuten, die magische Kräfte benutzen konnten. Die hatten ihn also echt aufgestöbert. Und jetzt konnte er nicht mit voller Kraft zulangen.
"Runter vom Schnellfahrweg und ins unbebaute Land! Oder sieh zu, irgendwo zu halten, damit ich dir beistehen kann!" hörte er Thurainillas Anweisungen im Geist. Allerdings konnte er die Anweisung nicht ausführen, weil die von ihm befahrene Autobahn zu den anderen Straßen abgegrenzt war. Ohne vom Boden abheben zu können kam er so nicht von der Bahn runter. Blieb also nur die Flucht nach vorne.
Er schlüpfte todesmutig zwischen zwei Wagen hindurch und wechselte auf die Überholspur. Dann gab er Vollgas. Gleichzeitig schaltete er noch den Elektromotor im Hinterrad ein, um zu seiner ausgetesteten Höchstgeschwindigkeit noch 20 Meilen pro Stunde mehr herauszuholen. Natürlich war es dann mit der Unauffälligkeit vorbei.
Ein aufgebrachter Lastwagenfahrer hupte ihm kräftig ins rechte Ohr. Dafür hätte Aldous dem am liebsten eine reingehauen. Doch da kam ihm eine bessere Idee. Die Räder des Lasters waren so hoch, dass sie ihm im Stehen bis zu den Schultern reichten. Er grinste und nahm sofort Gas weg. Als der Lastwagen dann an ihm vorbeiglitt zog er nach rechts und beugte sich so weit er konnte über Sharons Lenkstange. Ja, es ging. Er passte gerade so unter den Auflieger des LKWs. Er bekam gerade noch mit, wie die ihm nächste Achse ihn beinahe am Kopf traf. Sofort beschleunigte er, bis er die ihm nächste Achse vor sich hatte und glich dann die Geschwindigkeit an. Wenn der Fahrer jetzt voll in die Eisen stieg krachte er gegen die Radachse. Trotz Helm würde er das sicher nicht überstehen, dachte Aldous. Tatsächlich musste er blitzschnell reagieren, weil der Fahrer von sich aus bremste, wohl weil er den an ihm vorbeigedonnerten Motorradfahrer nicht mehr sah. Dass andere Autofahrer das unter dem 40-Tonner mitfahrende Motorrad sahen bedachte Aldous nur am Rande. Ihm war wichtig, kein freies Schussfeld zu bieten. So konzentrierte er sich darauf, jede Bewegungsänderung seines fahrenden Schutzschildes mitzumachen, ohne gegen eine der Achsen zu prallen. An und für sich war das eine herrliche Herausforderung für Aldous. Doch lieber wäre es ihm, wenn es schon Nacht wäre und er ohne Angst vor Verletzungen in Schattenform fahren konnte. Außerdem fragte er sich, ob diese Zauberer und Hexen, an die er vor seiner Flucht aus England nicht geglaubt hatte, skrupellos genug waren, den Laster mit einem Zauber zu beharken, dass der anhielt. Doch offenbar hatte er die richtige Taktik gewählt. Denn nichts und niemand versuchte, ihn anzugreifen oder dem Lastwagen zuzusetzen.
Albertine sah vom fliegenden Besen aus, wie ein Motorradfahrer in schwarzer Kluft erst mit wahnwitziger Geschwindigkeit dahinjagte, dann stark verzögerte und dann mal eben unter einen Lastwagen schlüpfte. sie sah auch vier auf Besen fliegende Kollegen aus der Lichtwache, die ihre Zauberstäbe schwangen und dann abrupt nach oben rissen, um farbige Lichtentladungen in den Himmel zu schleudern. Offenbar hatten sie versucht, den Motorradfahrer zu treffen, wollten aber nicht riskieren, den unbescholtenen Lastwagenfahrer zu gefährden.
Da Albertine nur beobachten sollte hatte sie kein Fernverständigungsartefakt mit, um mit den anderen Lichtwächtern zu reden. Sie durchblickte mit ihren magischen Augen den Lastwagen, der mit großen Kartons vollgestopft war. In den Kartons waren diese bunten Bausteine verpackt, mit denen viele Muggelkinder gerne Häuser und andere Sachen zusammenbauten. Der Fahrer war ein hellblonder Mann um die 1,70 Meter Größe und sportlicher Statur. albertine blickte schnell zu den Kollegen, die sich in für sie silbern flimmernde Ich-seh-nicht-recht-Zauber eingehüllt hatten, um nicht von den anderen Muggeln erkannt zu werden. Sie umschwirrten den Lastwagen wie ein Rudel Wölfe einen Hirsch, den sie anfallen wollten, aber vor seinem Geweih und seinen Hufen auf der Hut sein mussten. "Tja, mit Imperius könntet ihr den Blondschopf zum bremsen bringen", dachte Albertine. Anthelia hätte das unverzüglich gemacht, dachte sie weiter. Sie ärgerte sich jetzt, ihre Anführerin nicht längst informiert zu haben. Doch im Moment war sie zu sehr eingespannt, um ein heimliches Treffen hinzukriegen.
Die Fahrt ging zwei Kilometer lang so weiter. Dann tauchte urplötzlich eine tiefschwarze Sphäre von dreißig Metern Durchmesser auf und fiel blitzartig über den Lastwagen und die ihn umkreisenden Zauberer. Die schwarze Kugel erzitterte heftig. Dann sah es für Albertine so aus, als gebäre dieses plötzlich aufgetauchte Ungetüm vier golden gleißende Töchter. Albertine konnte durch die golden strahlenden Lichtsphären die Umrisse von vier Männern auf fliegenden Besen erkennen. Dann zog sich die schwarze Kugel ruckartig auf zwei Drittel ihres Durchmessers zusammen und stieß vom Boden ab wie von unsichtbaren Raketen angetrieben. Die vier goldenen Sphären erloschen, als sie mehr als zwanzig Meter von der schwarzen entfernt waren. Jetzt flogen die vier Lichtwächter frei und unverändert auf ihren Donnerkeil-Besen. Doch sie schinen gerade nicht recht bei Bewusstsein zu sein. Denn ihre schnittigen Besen jagten unverändert weiter von der dunklen Sphäre fort.
Die noch handlungsfähigen Lichtwächter nahmen unverzüglich die Verfolgung auf und jagten im Rosselini-Raketenaufstieg der dunklen Riesenkugel nach. Doch diese beschleunigte besser als die Donnerkeile der Version 20. Nur einer der Lichtwächter, der auf dem Donnerkeil 21 flog, hielt mit der aufwärts schießenden Sphäre mit, holte sie sogar ein. Er feuerte aus freiem Flug hell gleißende Sonnenlichtspeere ab. Doch diese bogen sich beim Aufschlag auf die Umhüllung aus purer Dunkelheit und zerbarsten nach einer Sekunde zu goldenen und roten Funken. Dann wehrte sich das kugelförmige Etwas. Blitzschnell schossen tiefschwarze Auswüchse wie zustoßende Lanzen hervor. Sie überwanden die hundert Meter bis zu dem mit Sonnenzaubern auf das Gebilde haltenden Lichtwächter. Dieser wurde getroffen. Für einen Augenblick umstrahlte ihn eine ähnliche Goldsphäre wie seine Kollegen zuvor. Der Schlag reichte jedoch aus, ihn mit Urgewalt von seinem Besen zu werfen und im hohen Bogen davonzuschleudern. Der Besen selbst wurde von einem zweiten schwarzen Auswuchs getroffen und verschwand in einem silbernen Feuerball.
Albertine prüfte schnell, wo die anderen fünf Lichtwächter abblieben. Sie versuchten, mit ihren Lichtspeeren auf die Sphäre zu schießen. Doch die war bereits außerhalb der Reichweite. Die Beobachterin blickte mit dem linken Auge zu Boden und suchte den Lastwagen und das schwarze Motorrad. Beide waren nicht mehr auf der Straße. Nur viele Autos hatten angehalten. Einige waren in die vor ihnen fahrenden Fahrzeuge gekracht, weil deren Fahrer so plötzlich gebremst hatten und die folgenden Wagen zu dicht an ihnen fuhren, um noch unfallfrei anzuhalten. Das war an sich schon ein schweres Unglück, erkannte die Hexe aus Weizengolds Büro. Dann beobachtete sie weiter, was ihre Kollegen taten.
Die vier in goldenen Sphären aus der dunklen Kugel hinausgesspienen Lichtwächter jagten immer noch ohne Ansatz von eigener Handlung in die Richtungen davon, in die sie der schwarzen Sphäre entfahren waren. Der von seinem Besen geschleuderte fiel bereits frei auf den eintausend Meter unter ihm liegenden Boden zu. Seine Kollegen erkannten, dass sie die dunkle Sphäre so nicht mehr einholen konnten und ihre Lichtzauber nicht mal mehr die halbe Strecke zu ihr überwinden konnten. Einer von ihnen nahm sofort Kurs auf den stürzenden Kollegen. Die vier anderen folgten ihren immer noch ohne irgendeine Regung auf den Besen sitzenden Kollegen nach. Weil deren Besen jedoch gleich schnell waren wie die ihrer Kameraden blieben sie uneinholbar vorne.
Albertine versuchte, die dunkle Sphäre mit ihren magischen Augen zu durchdringen. Doch das gelang nicht. Sie war einfach zu weit weg. Und was jemandem blühte, der oder die weniger als hundert Meter an die finstere Kugel herankam wusste sie und legte es nicht darauf an, es am eigenen Leib nachzuerleben. So sah sie nur zu, wie diese Kugel wie ein zwanzig Meter großer Ball aus purer Nachtschwärze ohne Sterne höher und höher in den Himmel hinaufjagte, ja scheinbar hineinstürzte, als sei die irdische Schwerkraft für dieses dunkle Ding umgekehrt worden. Mit ihrer Fernblickfähigkeit konnte sie den kugelrunden Körper aus dunkler Magie weiterverfolgen, bis er auch für ihre neuen Augen zu klein wurde, um noch irgendwelche Einzelheiten zu erkennen. Sie bemerkte jedoch, dass sich das Ding genau in die der Sonne entgegengesetzte Richtung bewegte. Dann war sie auch für die scharfäugige Hexe nicht mehr zu sehen. Was das auch immer war hatte den LKw und das Motorrad davongetragen.
Sie wollte gerade nach den Lichtwächtern sehen, als ihr ein winziger Punkt am Himmel auffiel, der wieder größer wurde. Für natürliche Menschenaugen war der sicher noch unsichtbar weit weg, mindestens zehntausend Meter über Grund. Doch das blieb nicht so. Der Punkt wuchs zu einem dünnen, kurzem, im Sonnenlicht widerscheinenden Strich. Albertine rang ihrem Besen die höchste Steigbeschleunigung ab. Sie merkte jedoch, dass sie schon so hoch flog, dass sie bald Atemprobleme bekommen würde. Doch dagegen hatte sie ein Mittel. "Atemschutz an!" befahl sie hörbar. Mit leisem Plopp entstand um ihren Kopf die magische Sphäre, in der Luftatmer unbeschwert weiter frische Luft erhielten, egal ob unter Wasser, in dichtem Rauch, einer giftigen Gaswolke oder eben in großer Höhe. Sie hatte sich diesen gespeicherten und auf wörtlichen Befehl entstehenden Kopfblasenzauber eingerichtet, nachdem das Unglück der Eheleute Redrobe aus Australien durch die Besensportpresse gegangen war. Jetzt konnte sie ohne weitere Angst vor Atemnot nach oben steigen, zumindest bis ihr Besen die für ihn erträgliche Maximalhöhe von sechstausend Metern erreichte. Zumindest flog hier im Moment kein Flugzeug herum.
Das Ding, dass nun aus dem Himmel fiel war für Albertine nun als abstürzender Lastwagen zu erkennen. Das war der LKW, unter dem dieser Motorradfahrer eine Zeit lang mitgefahren war. Doch das Motorrad war nicht mehr da. Der Laster stürzte immer wilder um mehrere Achsen trudelnd herunter. Albertine jagte dem knapp 17 Meter langen Fahrzeug entgegen. Sie fühlte, wie ihr Donnerkeil bereits erste Höhenermüdungserscheinungen zeigte. Doch sie musste unbedingt sehen, ob noch jemand im Führerhaus saß.
Als sie mit ihrem bereits heftig erbebenden Besen auf fünftausend Metern Höhe war konnte sie das Motorkraftfuhrwerk genauer beobachten. Da es nicht mehr von einer magischen Verhüllung umschlossen wurde konzentrierte sie sich darauf, durch die Wände des Führerhauses zu blicken. Je weiter sich Hexe und Lastwagen annäherten desto besser konnte sie das Innere des Führerhauses erkennen. Was sie sehen wollte war, ob der Fahrer noch darin saß und noch lebte. Doch der LKW war menschenleer. Nicht mal eine Leiche war im Führerhaus zu sehen. Was auch immer diese dunkle Sphäre war, sie hatte den unbekannten Muggel restlos verschwinden lassen. Damit würde albertine niemanden mehr gefährden, was auch immer sie mit dem abstürzenden Frachtbeförderungsfahrzeug anstellte, um eine weitere Katastrophe am Boden zu verhindern. Denn es war klar, dass das mindestens 40 Tonnen schwere Vehikel beim Aufprall mehrere Menschen auf einmal töten konnte, wenn es nicht auf völlig freiem Gelände aufschlug.
Weil Albertine eben kein Verständigungsartefakt für die Lichtwächter mithatte konnte sie nicht nachfragen, was sie tun durfte. Sie brachte ihren nun unangenehm ruckelnden Flugbesen so nahe sie konnte an den abstürzenden Laster heran. Dann zielte sie mit dem Zauberstab darauf. Sollte sie ihn schrumpfen lassen? Bei der Größe und Menge an Metall ein ganz schwieriges Vorhaben. Sollte sie ihn mit Sprengzaubern zerstören, damit er nicht als kompaktes Himmelsgeschoss in den Boden einschlug? Dann würden die winzigen Trümmer vielleicht weit gestreut einzelne Menschen töten. Aber vielleicht ging das, das Fahrzeug abzufangen und sicher zu landen. Sie schaffte es, bis auf unter fünfzig Meter an das Fuhrwerk heranzukommen und ihren Flug dem Absturz anzupassen. Mit dem Aufhaltezauber würde das nichts, so groß der Wagen war. Weil der auch noch aus Metall bestand wäre es ungleich schwerer, dass der Zauber den Laster völlig durchdringen und auf der Stelle anhalten konnte. Pinkenbach, der Zauberkunstexperte, hatte da so seine Erkenntnisse gewonnen und an mehr oder weniger lernbegierige Schüler weitergegeben. Verwandlungszauber waren bei diesem großen Objekt auch eher schwierig anzubringen. Das gleiche galt für Verschwindezauber. Da kam ihr ein Einfall. Sie rief laut: "Portus!" wobei sie dachte, dass der Wagen in einer halben Minute zehn meter neben der südwärts verlaufenden Fahrspur der Autobahn nur fünfzig Meter über dem Boden sein sollte. Da würde er hoffentlich keine weiteren Menschen gefährden. Der Wagen erstrahlte für drei Sekunden im blauen Licht. Solange dauerte es, bis der Zauber die gesamte Materie durchdrungen und verändert hatte. Albertine merkte jedoch, dass dieser Zauber ihr eine Menge Kraft entzog. Trotz ihres Kopfblasenzaubers rang sie um Luft und zitterte am ganzen Körper. Doch sie fühlte auch einen gewissen Stolz auf sich, dass ihr diese Idee gekommen war.
Sie folgte dem immer noch nach unten stürzenden und trudelnden Wagen, bis dieser von einer Sekunde zur anderen in einer blauen Lichtspirale verschwand. Es knalte dumpf wie ein Kanonenschuss, als die Luft in das so plötzlich entstandene Vakuum hineinstürzte.
-Albertine fing den Besenflug ab und sah schnell nach unten. Ja, da krachte gerade etwas mit großer Geschwindigkeit voll neben die Böschung der Autobahn auf den Boden. Grassoden, Erde, Metallsplitter und Funken umwirbelten das nun eine viele Meter lange Schneise ffräsende Fuhrwerk. "Geschafft!" dachte Albertine. Jetzt wollte sie nach ihren Kollegen sehen.
Jener, der von seinem Besen abgeschossen worden war hing mehr als er saß vor dem Kollegen auf dem Besen, der ihn aus dem freien Fall herausgefangen hatte. Die acht anderen waren im Moment nicht zu sehen. Offenbar waren sie selbst aus Albertines Sichtweite verschwunden. Sie flog ihrem Kollegen entgegen und fragte, ob er Hilfe brauche.
"Die Dunkelsphäre, das war sicher ein Fragment aus der Dunkelheit zwischen den Sternen. Denn sonst hätten die in unserer Einsatzkleidung verwobenen Sonnenschilde nicht so überheftig darauf reagiert. Der Kollege Huber hier kann froh sein, dass wir Gelenk- und Genickschutz in unserer Unterkleidung tragen müssen. Aber der Stoß hat ihm die Besinnung geraubt. Das wird ein Fall für die Heiler. Öhm, habe ich das noch richtig gesehen, dass diese Dunkelsphäre den Lastwagen verschluckt und weggetragen hat?"
"Ja, und in so zehntausend Metern über Grund wieder freigesetzt hat, aber ohne den Fahrer. Der Motorradfahrer ist mit seiner Maschine auch restlos verschwunden, besser, aus unserer Reichweite gerettet worden", sagte Albertine.
"Was ist mit dem Frachtfuhrwerk passiert?" wollte der seinen Kollegen auf dem Besen transportierende Lichtwächter wissen. Albertine deutete nach unten und zeigte auf die Stelle, wo sie den führerlosen LKW hatte aufschlagen lassen.
"Doller Einfall, Fräulein Steinbeißer", lobte der Lichtwächter und setzte den bereits eingeleiteten Sinkflug fort.
"Erschien mir als einziges richtig, um nicht noch mehr Leute zu verletzen oder ... Oha, vier Wagen brennen. in dreien sitzen schwerverletzte Menschen. Insgesamt sind zehn Wagen ineinandergefahren. Die hatten alle Glück, dass wegen des Tunnels kein so schnelles Vorankommen war. Womöglich hatten die auch Glück, dass diese dunkle Sphäre nur den Laster und das Motorrad eingeschlossen und nicht noch mehr unbeteiligte Menschen auf dem Gewissen hat."
"Ich gebe das gleich an die Vergissmichs weiter, dass diese Karambolage wegen des außer Kontrolle geratenen Lastwagens passiert ist. Und der Lenker dieses Gefährtes war nicht mehr drin?"
"Ich konnte genau in das Führerhaus hineinsehen. Da war kein Mensch mehr drin, weder lebendig noch tot. Da müssen Sie den Leutenirgendwie vortäuschen, dass der aus seinem Wagen geklettert und geflüchtet ist oder sowas."
"Wenn er verschwunden ist wie dieser Mensch-Schatten-Pendler auf dem Motorkraftzweirad ist der arme Muggel sicher tot oder so gut wie oder er wäre besser tot", seufzte der Lichtwächter, dessen Name Wilhelm Lauterbach lautete.
"Kriegen Ihre Kollegen die auf ihren Besen treibenden irgendwie alleine ein?" wollte Albertine wissen. Der Lichtwächter nickte. "Irgendwann werden sie auf die Idee kommen, den HöchstleistungsAuslöser zu wirken, um die treibenden Besen einzufangen. Die sind womöglich schon längst in der Zentrale bei Herrn Eisenhut und machen Meldung."
Albertine wollte gerade was erwidern, als sie einen Schwarrm von Hexen und Zauberern auf Besen sah, die wie zum Angriff niederstoßende Greifvögel über den verunfallten Kraftfahrzeugen niedergingen. Auch am Boden waren mehrere Leute in Dienstumhängen aufgetaucht und schwangen bereits ihre Zauberstäbe. Das brachte Albertine darauf, ebenfalls schnellstmöglich zu landen.
Als sich alle bei Bewusstsein gebliebenen Beteiligten der Aktion im Hauptquartier der Lichtwachen trafen erfuhr Albertine, dass die besinnungslos gewordenen Zauberer einen Gutteil ihrer Lebenskraft eingebüßt hatten. Nur die in ihrer Kleidung verwobenen Sonnenschildzauber hatten sie davor bewahrt, von der dunklen Energie in der Sphäre restlos ausgezehrt zu werden. Allerdings hatten diese Schilde eine Zehntelsekunde nach Kontakt mit der dunklen Sphäre eingesetzt. Dies mochte an den in den Speicherartefakten eingewirkten Zauberformeln liegen, die ausgesprochen um die zwei Sekunden benötigten. Damit war sicher, dass auch der Lastwagenfahrer nicht mehr leben konnte.
"Damit steht fest, dass diese Abgrundstochter der kosmischen Dunkelheit mächtiger ist als wir wahrhaben wollten", seufzte Andronicus Eisenhut, der Gesamtleiter der Lichtwache, deren General, wie Albertine heimlich dachte.
"Dann möchte ich gerne fragen, wie es dann überhaupt ging, dieses Luder in Tiefschlaf zu zaubern", wandte Wilhelm Lauterbach ein.
"Das haben die, die das geschafft haben mit in ihre Gräber genommen", grummelte Lauterbachs Kollege Wiesengrün.
"Ich erwarte von jedem und jeder einen schriftlichen Bericht, was genau vorfiel und was Sie deshalb unternahmen!" befahl Eisenhut und sah dabei auch Albertine Steinbeißer an. Diese nickte.
"Öhm, darf ich eine Vermutung äußern?" wandte sich Albertine an Andronicus Eisenhut. Dieser murrte: "In ihrem schriftlichen Bericht, Fräulein Steinbeißer." Albertine nickte bestätigend.
Als sie für ihre eigene Abteilung, sowie das Archiv, die Katastrophenumkehrtruppe und die Lichtwachen ihre Beobachtungen aufgeschrieben hatte schloss sie mit dem Absatz:
Ich erlaube mir die Hypothese, dass der von der erwähnten Kreatur beherrschte Mensch Aldous Crowne nur deshalb in Hamburg auftauchte, weil seine Beherrscherin die Aktivitäten jener Nachtschatten in der Nacht vom 12. zum 13. Februar erfasst haben mag. Vielleicht gelang ihr das, weil sie und ihr Abhängiger zu diesem Zeitpunkt in der Nähe waren. Ich gehe im Moment nicht davon aus, dass die oben erwähnte Verschmelzung aus zwei weiblichen Nachtschatten und die Abgrundstochter der kosmischen Dunkelheit natürliche Verbündete sein werden, sondern sich eher als Rivalinnen erweisen. Doch dies kann auch nur eine trügerische Hoffnung sein.
Aldous fühlte das plötzliche Verlöschen des Tageslichtes wie zehn Tassen Kaffee intravenös. Auch regte sich die nach dem Verschlingen von Dunkelheitverbreitern und Glückssaugern erwachte Seele Sharons. "Ich bring euch gleich weg. Bleibt ruhig!" hörte er seine Gebiterin. Sie war irgendwie im Führerhaus des Lasters aufgetaucht. Außerdem merkte Aldous, wie er schwebte, als treibe er im leeren Weltraum, nur dass er keinen einzigen Stern sehen konnte. Er hörte laute Aufschreie, die sich jedoch schlagartig entfernten und fühlte, wie alles um ihn herum erbebte. Dann meinte er für einen Moment, dass ihm die so bestärkende Kraft versiegte, bevor sie nur noch halb so stark wie zu Beginn zurückkehrte.
"Diese Lichtstöße sind widerlich", hörte er seine Gebieterin in Gedanken schimpfen. "Aber gleich erreichen die uns nicht mehr. Hmm, einer kommt doch noch an uns ran. Na warte!" Aldous lauschte und hörte einen kurzen, dumpfen Aufschrei.""Ach, vertückt, der hatte auch diesen widerlichen Schutzzauber an sich. Konnte ihm den Speer der ewigen Nacht nicht in Leib und Seele rammen. Aber dafür ist der jetzt seinen fliegenden Holzstecken los", gedankenknurrte seine Gebieterin. "Bleibt auf jeden Fall ruhig! Wir fliegen noch etwas dem Ursprung meiner Schutzkugel entgegen."
Aldous gehorchte. Auch Sharon machte keine Anstalten, sich aus eigener Kraft von der Stelle zu bewegen. Dann fühlte er jene Kraft, die ihn zeitlos an einen anderen Ort trug. Da er gerade unbewusst in die Schattenform gewechselt war kam Sharon mit auf diese Reise.
Unvermittelt verschwand die wohltuende Dunkelheit um ihn und Sharon herum. Seine nicht wirklich lebende Gefährtin stöhnte enttäuscht auf, bevor ihre reine Gedankenstimme wie abgeschaltet verklang. Er stand mit seinem Motorrad wieder in jener Höhle, in der seine eigene Zuflucht lag. Vor ihm stand seine Herrin Thurainilla und grinste ihn überlegen an. "Selbst auf ihren fliegenden Stecken können sie die Hülle der ewigen Dunkelheit zwischen den Sternen nicht einholen. Schade, dass ich damit keinen von denen auszehren und für dich und mich einverleiben konnte. Aber dafür haben wir bald einen weiteren nützlichen Helfer", sagte sie. Sie deutete auf den reglosen Körper eines blonden Mannes in einem blauen Jeansanzug. Aldous vermutete, dass es der Lastwagenfahrer war, dessen Fahrzeug ihm als fahrender Schutzschild gedient hatte. Thurainilla meinte dann noch: "Auch wenn ich dich vorzeitig wieder zurückbringen musste war deine Fahrt ein Erfolg. Dadurch, dass Riutillia und ich deinen Weg überwacht haben konnten wir erspüren, wie weit du noch von der Stelle entfernt warst, wo die andere sich wohl aufhält. Du kannst also die Nacht hier bleiben und deine Kräfte selbst auffrischen. Ich werde mit deiner Wiedergebärerin die andere aufsuchen und auffordern, sich zu unterwerfen. Dann wird es sich erweisen ..."
"Sie ist geflohen. Sie hat unsere Suche bemerkt und vor allem deine Schale der Dunkelheit erspürt, Thurainilla", hörten Thurainilla und Aldous die Gedankenstimme Riutillias.
"In den glutheißen Bauch der Erdmutter mit diesem Weib! Wo ist es hin?"
"Ich habe ihre Spur verloren, nachdem sie wohl eine starke Kraft benutzt hat, um zu flüchten. Jetzt fühle ich überhaupt nichts mehr von ihr", erwiderte Riutillia. Dann erschien diese aus dem Nichts heraus neben Aldous Crowne.
"So müssen wir warten, wann sie sich sicher genug fühlt, um wieder frei zu handeln", schnaubte Thurainilla.
Birgutes neue Kinder trieben in einem Zustand der Teilnahmslosigkeit dahin. Die Umwandlung war also bald geschafft. Allerdings fühlte die Mutter der neuen Schattenkinder, dass diese dunkle Schwangerschaft nicht wie erhofft in der kommenden Nacht ausgetragen sein würde. Sechs empfangene Seelen, die zu unterschiedlichen Zeiten in ihren kalten Schoß eingebettet worden waren, verzögerten den Vorgang der Neuwerdung. Das ärgerte die sich selbst als Urmutter einer neuen Daseinsform empfindende. Denn solange sie ihre dunklen Leibesfrüchte austrug konnte sie ihren von lebensraubenden Zauberkraft durchflossenen Uterus nicht aus ihrem feinstofflichen Körper auslagern und schnell und stark kämpfen, wenn es sein musste.
Als sie um die Mittagszeit eine unvermittelte Nähe von anderer dunkler Kraft fühlte bekam sie mit, dass diese Kraft sich aus mehreren fremden Leben bildete. Sie konnte auch erfassen, dass sie von einem anderen weiblichen Wesen erzeugt wurde. Allein dass dieses andere Geschöpf ihr so nahe war gefiel ihr nicht. Womöglich hatten die Zauberstabschwinger dieses Wesen damit beauftragt, sie zu finden und entweder zu unterwerfen oder zu vernichten. Mit sechs ungeborenen Schattenkindern im Leib wollte sie nicht riskieren, gefunden zu werden. So sammelte sie alle ihre Diener um sich, berührte sie und schaffte es mit großer Anstrengung, den Sprung durch die Dunkelheit zu machen. Gut dass sie sich bereits ein Ausweichquartier ausgesucht hatte, eine für Menschen ohne Magie unzugängliche Tropfsteinhöhle in Süddeutschland. Dort vollführte sie mit ihren Dienern den Gesang der Verheimlichung, etwas, von dem sie unter dem Willen von Kanoras gehört hatte. Er ermöglichte es, eine Mauer aus Unauffindbarkeit zu errichten. Die hielt solange vor, bis sie von sich aus beschloss, den sicheren Ort wieder zu verlassen. Jetzt konnte die andere suchen bis die Sonne gefror. Doch solange wollte Birgute nicht warten. Sie wollte bald die drei ihr noch fehlenden Überlebenden, die es gewagt hatten, ihre Ausgangsseelen mit Magnesiumfackeln festzusetzen in sich aufnehmen und zu ihren weiteren Kindern werden lassen. Doch weil diese Zauberstabschwinger das nun wussten konnte sie das nicht gleich in der nächsten Nacht tun. Sie musste anders vorgehen, da zuschlagen, wo diese Leute es nicht vermuteten, im Bedarfsfall bisher unwichtige Leute zu wichtigen Dienern machen, bis sie genug Helfer hatte, offen anzugreifen oder ein wirksames Ablenkungsmanöver zu veranstalten, um sich die noch fehlenden Ex-Kameraden zu holen. Doch wenn diese andere so mächtig war, dass sie aus fremden Leben diese starke Kraft der Dunkelheit rufen konnte musste sie vielleicht erst an der vorbei. Keine wirklich erfreulichen Aussichten. Dann fiel ihr noch was ein: Kanoras hatte Macht über sie gehabt, weil er ihren wahren Namen gekannt hatte. Auch dieser Vengor, der gemeint hatte, ihre Artgenossen wie kleine Sprengbomben zu verheizen, um diese Mauer aus starkem Lebenszauber zu durchbrechen, hätte ihre beiden Ausgangsseelen so wie Nutzvieh oder wehrlose Sklaven befehligen können. Auch wenn sie sich nie für diese Geschichten über Geisterjäger und Dämonen interessiert hatte wusste sie doch, dass diese Wesen über ihre wahren Namen gerufen und gebannt werden konnten. Da nur sie ihren neuen einzigen Namen kannte würde niemand mehr sie unterwerfen können, wenn er oder sie nicht bereit war, sie dabei zu töten oder selbst zu sterben. Aber ihre neuen Kinder. Wer wusste, wer sie vorher waren mochte sie gleich nach ihrer Wiedergeburt zu sich hinzwingen und gegen sie einsetzen. Also musste sie ihnen unter der anstehenden Geburt ihre neuen wahren Namen geben, damit sie nicht von ihr weggeholt werden konnten.
"Was war denn da los, Mutti?" fragte Arne Hansen, als er die Freude, ihre Stimme zu hören überstanden hatte. "Du warst gestern plötzlich weg, und als ich zurückgerufen habe war eure Festnetzleitung tot."
"Stimmt, die Leitung war weg. Mein Handy hatte keinen Akkustrom mehr, sonst hätte ich dich sofort zurückgerufen. Dann hat ein Taxifahrer deinen Vater bei uns abgeladen. Der war völlig betrunken. Als du dann den Anrufbeantworter besprochen hast habe ich noch mal versucht, zurückzurufen. Aber irgendwie war es nicht möglich, dich zu erreichen. Aber jetzt ist erst mal alles in Ordnung", hörte er die Stimme seiner Mutter.
"Bist du dir sicher, dass alles in Ordnung ist?" wollte Arne wissen. "Ist Vati wieder an Deck oder kuriert der den Swutsch aus?"
"Bitte was? - Achso, der hat um sieben Uhr wieder das Haus verlassen, nachdem er mindestens vier Schmerztabletten geschluckt hat. "Wer säuft kann auch arbeiten", hat er ja immer gesagt."
"Dann ruf ich in vier Stunden noch mal an, wenn's bei euch neun Uhr abends ist", sagte Arne Hansen.
"Neh, lass das besser. Du weißt, dass er da immer Fernsehen gucken will", hörte er die Stimme seiner Mutter antworten.
"Häh, Fernsehen? Macht der doch nur, wenn Fußball ist. Sonst hängt der doch nur noch im Internet oder in der Kneipe", erwiderte Arne verwundert.
"Der hat was erzählt, dass er heute Abend was im Fernsehen sehen will, irgendein Dokumentarfilm, der was mit seiner Arbeit zu tun hat", erwiderte die Stimme am anderen Ende.
"Gut, dann sage ihm bitte, er möchte mir eine Mail schicken, wenn er mit mir telefonieren möchte. Ich rufe ihn dann über den kostengünstigen Anbieter von hier aus an. Der kennt ja denZeitunterschied."
"Ja, so geht es. So, bevor dein Vati mir die Hölle heiß macht wegen der Kosten sage ich mal besser bis dann, Arni."
"Öhm, ja, bis dann, Mutti", antwortete Arne Hansen. Dann war das kurze Telefongespräch zu Ende. Er legte das schnurlose Festnetztelefon in die Ladeschale zurück und drehte sich zu Erna um, die ihm Hintergrund gestanden und zugehört hatte.
"Irgendwas ist da nicht in Ordnung, Erna. Mein Vater guckt sich im Fernsehen nur Fußballspiele oder die Sportschau an, aber keine Krimis, Beziehungsschnulzen oder Dokus. Und dann nannte meine Mutter mich noch Arni. Die weiß genau, dass ich das nicht ab kann, so genannt zu werden, seitdem ich sieben bin. Entweder hat die auch was getrunken oder sich was anderes eingeworfen oder die wollte mir mitteilen, dass irgendwas nicht stimmt."
"ich weiß, dein Bauchgefühl, dat wat nich' richtig is'", erwiderte Erna. "Aber ich kenn dat von meiner Mutter, dat die mal vergessen, dat ihre Kinder erwachsen sind. Vor allem, wenn die noch mal nache Eltern zu Besuch kommen. Sei doch froh, datse angerufen hat, wo dat von Deutschland aus so teuer is'!"
"Beim nächsten mal stelle ich der Fragen, die nur sie beantworten kann, oder wenn ich mit meinem Vater reden kann frage ich den was, dass nur der mir richtig beantworten kann."
"Ach du meinst, irgendwer hätte deine Eltern kassiert und will nich' datte dat rauskrichst?"
"Erna, nichts für ungut, aber im Moment ist mir nicht nach Regionalpatriotismus. Können wir nicht wieder hochdeutsch reden? Sonst muss ich anfangen, Hamburger Platt zu reden. Und da steigst du garantiert nach dem ersten Satz aus oder willst, dass wir nur noch Englisch reden."
"Ey, du bis ja wirklich ziemlich unten", grummelte Erna. Dann grinste sie und sagte: "Du kannst doch gar kein Hamburger Platt, dat haben Rico und Ute doch rausgekricht." Arne grummelte verdrossen und antwortete auf Englisch:
"Okay, dann eben bis auf wweiteres auf Englisch, bis ich klar bin, was zu Hause los ist. Wir müssen das ja eh ständig üben, wenn wir hier nicht verhungern wollen." Erna nickte ihm zu und erwiderte ebenfalls auf Englisch:
"Verstehe, du bist so weit von zu Hause weg. Bin ich ja auch. Und wenn ich irgendwie das Gefühl hätte, dass mit meinen Eltern was wäre, wäre ich sicher auch ganz unten."
Sie erwachte aus einer Flut von Bildern und Geräuschen. Dabei hatte sie alles durchlebt, was ihr in den letzten zwanzig Jahren passiert war. Dabei war immer wieder dieser schwebende Ton erklungen, der sanft wie eine angeblasene Bassklarinette erst lauter und dann wieder leiser wurde. Mit jedem verklingenden Ton verschwanden die durchlebten Ereignisse. Jetzt war sie wach und wusste nur, dass sie eine Tochter der Mutter aller Schatten war, der wahren Königin der Nacht. Sie freute sich, dazuzugehören. Doch sie wusste nicht, wie sie hieß. Sie wusste nichts aus der Zeit, wo sie klein war. Sie wusste nur noch, dass sie mit drei anderen gegen den Herrn der Schatten gekämpft und dessen Diener überlebt hatte. Danach hatte sie wohl noch einige viel zu helle Sonnentage in einer Stadt namens Hamburg gelebt und da irgendwelchen Leuten zugehört, die ihr was über die Entwicklung der Menschen und ihrer Lebensweisen erzählen wollten. Deren Namen kannte sie komischerweise. Ihren hatte sie entweder vergessen oder nie einen Namen gehabt. Außerdem ärgerte sie sich, weil sie sich nicht frei bewegen konnte. Warum war sie eingesperrt? Sie wollte raus, die Nacht sehen und ihre Dunkelheit atmen und trinken.
"Du bist soweit, meine Tochter. So entschlüpfe mir, Remurra Nika!" hörte sie die von einer unbändigen Kraft getragene Stimme ihrer Mutter. Da fühlte sie, wie etwas sie an Kopf und Armen zog und in einen immer engeren Durchgang hineinzerrte. Sie fühlte Schmerzen, doch gleichzeitig eine starke Glückseligkeit. Sie durfte auf die Welt, zurück in die Dunkelheit, die wohltuende Dunkelheit der Nacht. Doch dieser Durchgang wurde immer Enger. Irgendwie meinte sie, gleich steckenzubleiben. Angst kam auf. Dann stieß etwas ihre Beine in Richtung ihres Oberkörpers, und sie wurde durch den Durchgang gestoßen und fand sich frei schwebend über einem himmelsfarben leuchtenden Boden. Sie fühlte sich wie in warmem Wasser treibend und sog dieses so belebende Etwas in sich auf. Sie fühlte, wie es sie stark machte. Sie Fühlte, dass sie sich wohl irgendwie zusammengekrümmt hatte und streckte ihre Beine aus. Sie erkannte nun über sich den in einem warmen, rotgoldenen Licht schimmernden Körper, von dem eine überragende Kraft ausging. Das war ihre Mutter, ihre Herrin und Königin. Remurra Nika wollte sich rühren, sich bewegen. Doch sie trieb in dieser wie warmes Wasser wirkenden Dunkelheit, ohne von der Stelle zu kommen. Da ergriff sie ein Paar Hände und half ihr, sich aufrecht zu stellen. Doch sie fühlte keinen Boden. Sie schwebte. "Halte sie noch, bis eure anderen Geschwister angekommen sind!" hörte Remurra Nika die Stimme ihrer Mutter.
Sie konnte nun sehen, wie aus dem Unterleib ihrer Mutter ein sich drehender dunkelvioletter Nebelstreifen kroch und hörte gequältes Stöhnen eines Männlichen. "Entschlüpfe mir, Garnor Reeko!" Remurra Nika hörte ihren gerade auf die Welt kommenden Bruder stöhnen: "Arg, zu eng! Komme nicht frei! Nein!" Doch dann sprang eine Kugel aus dunkelviolettem Schimmern hervor, sog den bereits ausgetretenen Nebel in sich auf und trieb davon, bis er bei Remurra war. Die Kugel wurde zu einem schwebenden männlichen Artgenossen Remurras. Auch ihn fing ein Mitbruder auf, der jedoch im dunkelroten Licht schimmerte. Nur die Augen waren strahlendhell.
"Ich bin draußen. Ey, ich bin frei!" rief der aus dem Schoß der Königin hinausgeschlüpfte. "Wenn ich das wem erzähle, dass es echte Geisterwesen gibt glaubt mir das keiner."
"Deshalb wirst du das auch niemanden sagen", hörten sie nun beide die Stimme ihrer Herrin und Mutter. Dann stieß sie die neue Schwester aus, Hirabeela Senga. Sie schimmerte in einem schwachen, rosaroten Licht, als sie erst als Nebel, dann als Kugel und dann als weibliche Artgenossin freikam. Danach kam der dunkelorange schimmernde Mitbruder Thanor Mennas aus dem Leib der mächtigen Königin frei. Ihm folgten zwei weitere neue Brüder, alle in unterschiedlichen Farben glimmend, alle mit für Remurra Nika merkwürdig klingenden und doch so verbindenden Namen bedacht. Jedem ihrer Geschwister wurde ein bereits länger auf der Welt befindlicher Beschützer zugeteilt. Dann sprach ihrer aller Mutter, die von ihnen allen am hellsten leuchtete und sie alle um das dreifache an Größe überragte.
"Somit habe ich alle, die in mir wuchsen und gediehen, an die Dunkelheit der Nacht zurückgegeben, die unser aller Mutter ist. Damit ihr nicht vom Licht der Sterne geblendet werdet musste ich euch in dieser vor allen Himmelslichtern beschützenden Heimstatt gebären. Auch seid ihr noch nicht stark genug, um frei in der uns alle tragenden Dunkelheit zu gleiten oder euch so zu formen, dass ihr selbst durch die kleinsten Spalten kommt, durch die Dunkelheit oder Sonnenlicht gerade so noch dringen können. Die Sonne ist unser aller Feindin. Ihr licht kann uns festhalten und verbrennt unsere Körper, so dass wir zu Nichts als Wehklagen und Hilflosigkeit zergehen. Merkt euch das, meine neugeborenen Kinder! Auch das offene Feuer ist unser Feind, weil es ein freigesetzter Teil eingelagerten Sonnenlichts ist. Künstliches Licht kann uns bewegungslos machen oder wenn es so stark wie die Sonne selbst leuchtet zersetzen, vor allem, wenn es auf die Breite eines Haares gebündelt wird. Also hütet euch genauso vor Laserstrahlen wie vor dem Sonnenlicht selbst."
Nach einer gewissen Zeit konnte sich Remurra Nika völlig frei und eigenständig bewegen. Sie konnte durch reine Willenskraft ihre Bewegung im Raum steuern. Da sie nicht den winzigsten Krümel Materie im Körper hatte galt die Schwerkraft nicht mehr für sie. Für sie galten nur noch die Barrieren gegen Licht oder Dunkelheit als Hindernisse. So erging es auch Remurras Geschwistern.
"Hirabeela, erzähle mir, wo ist Gabi Hansens Sohn Arne jetzt?" wandte sich die mächtige Mutter der Schattenkinder an Remurras Mehrlingsschwester.
"Der ist in Berkeley, Kalifornien, weil er da mit dieser Bergmannstochter aus dem Ruhrgebiet meint, besser leben zu können", sagte Hirabeela Senga ohne zu zögern. "Du hast seine Anschrift?" wurde sie noch gefragt. "Ja, die habe ich und auch die GPS-Daten."
Als alle neugeborenen Schattenwesen ihre eigenständige Beweglichkeit erprobt hatten erzählte deren übermächtige Mutter ihren alten und neuen Kindern, was sie mitbekommen hatte, dass es da draußen noch eine andere gab, die wohl ähnlich wie sie war, sie aber nicht wusste, ob es eine Feindin oder Mitstreiterin sein würde. Dann erwähnte sie noch die Zauberstabschwinger, echte Hexen und Zauberer. Die konnten Sonnenlichtzauber machen oder aus ihrer eigenen Lebenskraft und Entschlossenheit Hilfsgeschöpfe machen, die so stark waren, dass sie die waren Kinder der Nacht schwächen oder ganz auffressen konnten. Gegen sie zu kämpfen war nur angeraten, wenn ihre Kinder vorher genug Leben aus Menschen aufgenommen hatten. Da fragte Garnor Reeko: "Das heißt, wir leben wie Vampire, oder was sind wir für die anderen?"
"Für die fleischlichen Menschen, die die Sonne anbeten, weil sie deren Licht brauchen, sind wir besonders böse Nachtgespenster, für die nur als dunkle Schatten zu sehen, Garnor."
"Und wenn wir denen das Leben ausgesaugt haben werden die so wie wir?" wollte Garnor wissen.
"Nein, die sind dann tot, weil ihr alles von denen in euch aufsaugt, auch deren Erinnerungen und ihre Willenskraft, ihre Seele, wenn du das besser verstehst. Nur wenn ich den durch eure oder meine Kraft aus dem Körper losgelösten Geist in meinen Schoß hineinrufe und dort wie dich und die anderen eine volle Erddrehung lang trage werden sie zu euren neuen Brüdern und Schwestern. Wer diese Ehre erhält sage ich euch dann, wenn ich weiß, wie wir weitermachen. Denn wir haben da draußen zu viele Feinde, die unser Leben verachten und uns vernichten wollen, weil wir sie als zusätzliche Nahrung nutzen können, wenn wir größer und stärker werden wollen."
"Kapiere ich", sagte Garnor Reeko. Dann wollten die beiden zuletzt geborenen Mitbrüder wissen, wie viele von den Zauberern und Hexen es gab. darauf konnte ihre Mutter und Königin keine Antwort geben. Sie wusste nur, dass es wesentlich mehr Menschen ohne Zauberkraft gab. Dann erwähnte sie jene Geschöpfe, die sich nur vom Blut der Menschen ernährten und sich wohl unrechtmäßig als Kinder der Nacht bezeichneten, nur weil sie auch von der Sonnenstrahlung verletzt oder getötet werden konnten. Unter denen gab es welche, die durch kristallisierten Tod vieler Menschen besonders stark gemacht worden waren. Auch diese Wesen, die echten Vampire, gehörten zu ihren Feinden, so hatte sie es gelernt und in einem Kampf schon erfahren müssen.
"Was ist dann an unserem Leben lebenswert, wenn wir nur Feinde haben und keine Freunde haben?" wollte Tharnor Mennas wissen.
"Das wir auch Artgenossen da draußen haben, die mit uns zusammen diese Welt bevölkern und wir die Welt beherrschenkönnen, wenn wir uns nicht töten lassen", erwiderte ihrer aller Mutter und Herrin. "Womöglich könnt ihr, meine Töchter, auch neue Kinder gebären, wenn ihr groß genug seid und einen Weg findet, einen Teil von euch mit einem Teil von einem Mitbruder oder eine Mitschwester zu einem neuen Leben zu vereinen. Doch das weiß ich noch nicht, wie das gehen soll. Wenn ja, dann werden wir das neue, vorherrschende Volk auf diesem Planeten, unverwüstlich durch feste Materie und unbeeindruckt durch Gift oder Strahlung. Solange wir genug Dunkelheit und Lebenskraft anderer in uns einsaugen vergehen wir auch nicht. Wir sind relativ unsterblich."
"Und was ist dein erster Auftrag an uns?" wollte Garnor Reeko wissen. "findet und bringt mir die Geistkörper von Arne Hansen, Rico Kannegießer und Erna Grabowsky. Wer euch dabei in den Weg gerät kann von euch ausgesaugt werden. Aber die erwähnten gehören mir. Denn sie sollen eure weiteren Geschwister werden. Doch seid gewarnt: Die Zauberer und Hexen vermuten schon, dass ich diese Menschen zu mir nehmen will. Deshalb bewachen sie die schon. Wir werden einen Weg finden, sie trotzdem zu erreichen und mir zu übergeben. Auch muss ich vorher wissen, wer die andere ist, die so sein mag wie ich. Dann werden wir meinen Weg weitergehen, bis alle die, die damals dem entkommen sind, der mich und andere zu seinen Dienern gemacht hat, entwischen konnten." Da sämtliche hier anwesenden dem Willen der Königin unterworfen waren erhob niemand Widerspruch.
Am 15. Februar morgens um neun Uhr hatte der Leiter der Finanzverwaltung und für magischen Handel endlich einen freien Termin, um die Vorgänge der letzten Tage von der Kostenseite her zu besprechen.
"Und für wie lange soll die Bewachung dieser Personen aufrechterhalten bleiben", wollte der kleinwüchsige, durch seine spitzen Ohren als Koboldstämmiger erkennbare Giesbert Heller von Andronicus Eisenhut, Armin Weizengold und Albertine Steinbeißer wissen.
"Bis wir wissen, woher diese Nachtschattenriesin kommt, wie wir sie überwältigen oder vernichten können und alle von ihr gelenkten Schattendiener gleich mit", sagte Eisenhut. "Ich war damit schon beim Minister. Der hat nach den Berichten von meinen Leuten und von Fräulein Steinbeißer gesagt, dass wir dafür den Notfallstatus Stufe zwei ausrufen können, also wie bei Wallenkrons aktivitäten. Solange der Gilt, so Minister Güldenberg, dürften mindestens ein Drittel aller Außendienstmitarbeiter für Bewachungs- und Hilfsaktionen eingeteilt werden und mit Zusatzbesoldungen entlohnt werden."
"Ja, ist klar, und im Keller des Ministeriums steht ein nie versiegender Goldbrunnen oder was. Oder hat vielleicht doch mal wer aus der Zaubertierabteilung diesen bei den Gebrüdern Grimm erwähnten Goldesel züchten können?" stieß Giesbert Heller aus.
"Da gibt es einen schönen Spruch: Der Friede und die Sicherheit hat keinen Preis", sagte Weizengold. "Oder was meinen Sie, warum die Amerikaner, Russen und Chienesen so viel ihres Geldes für Soldaten und Kriegsgerät ausgeben, wo das an und für sich totaler Schwachsinn ist, solange keine akute Bedrohung besteht?"
"Ich habe das glaube ich schon mal gesagt, wo der Minister auch dabei war, dass wir den Unfug der Muggel nicht nachmachen sollten", knurrte Giesbert Heller. "Ich erbitte von Minister Güldenberg eine schriftliche Begründung für diese andauernde Notlage und auch, für wie lange die gelten soll. Bedenken Sie gütigst, dass ich wegen sowas die anderen Abteilungen und Unterbehörden mit weniger Gold ausstatten muss, wenn wir über Monate dieses Schattenweib jagen wollen. Also sollten Sie, um nicht noch Ärger mit Ihren Kollegen aus anderen Abteilungen zu kriegen zusehen, dass diese Angelegenheit zeitnah zum Abschluss kommt."
"Oder sonst?" fragte Armin Weizengold herausfordernd.
"Sonst überlege ich mir, welche Behörde am wenigsten sinnvoll für die Verwaltung der Zaubererwelt ist und kürze deren Zuwendungen und lehne neue Projekte ab, Herr Weizengold. Diese ganzen Computersachen und den Elektrostrom, den diese Dinger brauchen um zu laufen könnte ich dann für nicht weiter notwendig einstufen."
"Da unterhalten Sie sich vielleicht mal mit Ihren Amtskollegen in London, Paris und Washington, für wie wichtig die diese Computersachen und den dafür gebrauchten Strombedarf halten", erwiderte Armin Weizengold ganz gelassen.
"Fällt mir im Traum nicht ein, mir von diesen Vollmenschen arrogante Sprüche anzuhören, warum die meinen, was für die wichtig oder unwichtig ist. Ich wurde als Hüter der ministeriellen Vermögenswerte und Überwacher des magischenHandels in Deutschland vereidigt. Wie ich diese Aufgabe bewältige weiß ich sehr gut, Herr Weizengold."
"Gut, dass Rosenquarz oder Goldfidler das jetzt nicht gehört haben, dass Sie bedenkenlos die Geheimhaltung der magischenWelt gegen die Leben von Menschen mit und ohne Zauberkraft abwägen", sagte Armin Weizengold. Andronicus Eisenhut nickte verhalten. Er war sich auch nicht so sicher, ob das mit den ganzen Elektrorechnern wirklich so wichtig war, wo die Zaubererwelt bisher ohne dieses Muggelzeug ausgekommen war.
"Die sind aber jetzt nicht hier, Herr Weizengold. Und da diese Unterredung ja als Geheimstufe 6 geführt wird dürfen die das auch nicht erfahren, damit keine Missverständnisse aufkommen, die Dame und die Herren", erwiderte Heller.
"Dürfen wir dann an unsere Arbeit zurückkehren, um den von Ihnen erbetenen zeitnahen Abschluss der Angelegenheit mit der Schattenriesin anzugehen?" wollte Andronicus Eisenhut wissen. Giesbert Heller grummelte, nickte aber dann. Er konnte zwar festlegen, wer für was wie viel Gold bekam. Aber über die Aufgabenverteilung in den Abteilungen hatte er nicht zu bestimmen. Das oblag dann doch nur dem Zaubereiminister.
"Sind Sie sicher, dass Arne und Erna Hansen nicht unverhofft aus ihrem neuen Zuhause zurückkommen, Albertine?" fragte Weizengold.
"So ganz sicher ist Hilde da nicht. Sie meint, sie müsste vielleicht doch mit dem vorsorglich in Zauberschlaf versenkten Benno Hansen reden, was seine Frau und er so mit ihrem Sohn beredet haben oder nicht. Am Ende verplappert die sich doch noch, falls sie es nicht schon getan hat."
"Das war Ihre Idee, Benno Hansen gleich nach seiner Ausnüchterung in Zauberschlaf zu versenken, damit er möglichst wenig von uns mitbekommt", sagte Armin Weizengold. Albertine nickte. "Aber weil wir jetzt NFS zwo haben kann ich unsere Ausrüstungsabteilung um eine kleine Menge Felix Felicis erleichtern. Wenn Hilde Kienspan wieder mit Gabriele Hansens Stimme telefoniert kann sie so intuitiv erfassen, welche Antwort unverdächtig genug ist. Öhm, und die Nachbarn von den Hansens sind alle darauf abgestimmt, dass die beiden zu ihrem Sohn in die Staaten gereist sind?"
"Ja, sind sie", sagte Albertine. Armin nickte ihr zu.
Albertine überlegte am Abend, ob jetzt doch der Zeitpunkt war, ihre Höchste Schwester zu informieren, auch darüber, dass der Abhängige der Abgrundstochter der kosmischen Dunkelheit in Deutschland aufgetaucht war. Doch sie wollte erst sichergehen, dass Anthelia die eine oder die andere auch erwischte, wenn diese es für geboten und erfolgreich ansah.
Fritz Kastner arbeitete schon seit zehn Jahren im Club Vanished Village oder auch Club 2V zehn Kilometer von der Baden-Württembergisch-Bayerischen Landesgrenze entfernt. Unter dem Dienstnamen DJ Perfusion bediente er allwerktäglich zwischen 20:00 Uhr und 03:00 und am Wochenende von Samstag abends 19:00 Uhr bis Sonntagmorgens 06:00 Uhr die tanzbegeisterten Leute aus den beiden Bundesländern. Seine Spezialität war das Verschmelzen von neuen Cluberfolgen mit Hits aus der Disco- und Elektronikära der 1970er und 1980er. Dafür bediente er über sein Mischpult einen Computer und drei altbewährte Plattenspieler. Manchmal kam er sich dann doch vor wie ein Astronaut, als der er eigentlich sein Leben bestreiten wollte.
In wenigen Minuten war es 22:00 Uhr. Da hatten alle unter achtzehn den Club zu verlassen. Deshalb spielte er bei diesem Anlass immer gerne die Sandmännchenmelodie aus dem DDR-Fernsehen, die auch im Westen zum Kult geworden war. "So, liebe Kinder, jetzt müsst ihr leider nach Hause, weil der Onkel Perfusion sonst Krach mit den Herren von der Polizei kriegt und dann nicht mehr für euch auflegen kann", sagte er, während die letzten Flötentöne des Stückes über die mannshohen Lautsprecher fiepten. Natürlich wollten viele der unter achtzehn Jahre alten Besucher nicht gehen. Doch die Clubleitung war in der Hinsicht echt spießig. Wenn der Club schon auf dem Boden eines verschwundenen Dorfes stand wollte der Clubmanager keinen Stress mit Polizei und Jugendamt haben.
""Jungs und Mädels, ihr könnt doch morgen wiederkommen", sagte DJ Perfusion, als immer noch viele jugendliche Gäste versuchten, sich unter die anderen zu mischen, um den Ordnern zu entgehen, die sie zum Ausgang eskortieren wollten. Um die Teenager noch ein wenig zu foppen legte er dann noch das Lied "La le lu" aus einem Film mit Heinz Rühmann und Oliver Grimm auf, was wie zu erwarten war nicht wirklich begeisterte. Aber auf diese Weise enttarnten sich die noch in der Menge der anderen tanzenden stehenden u-18er und konnten von den Ordnern in schillerndroten Glitzerjacken herausgepickt werden. Die bereits volljährigen Gäste schmunzelten und sangen schadenfroh das Lied mit.
Die Ordner wollten die zum verlassen aufgeforderten Mädchen und Jungen gerade durch die vier Zugangstüren zum Tanzraum hinausführen, als unvermittelt das Licht und die Musik weg waren. Eigentlich mussten noch die batteriegepufferten Lichter über den Türen und den zwei weiteren Notausgängen leuchten. Doch es war zappenduster. Außerdem strömte eine immer stärkere Kälte in den Raum ein. Das durfte eigentlich nicht sein. Denn der Club wurde von starken Klimaanlagen auf einer erträglichen Temperatur gehalten, zumal so viele Gäste den Raum eher aufheizten.
"Eh, wo ist das Licht?!" stieß ein junger Mann aus. Eine Frau rief nach ihrem Begleiter. Weitere Gäste gerieten in gewisse Unruhe. DJ Perfusion griff zum Mikrofon. Die Sprechanlage müsste eigentlich auch Notstrom haben, genau wie die automatische Feuerlöschanlage. Er rief ins Mikrofon. Doch seine Stimme kam aus keiner der verteilten Notfallboxen.
"Leute, keine Panik. Der Strom ist sofort wieder da. Wir haben mehrfachredundante Notstromaggregate!" Doch er merkte selbst, dass die wohl alle gerade in einen unangekündigten Streik getreten waren. Der DJ hob den linken Arm und wollte auf seine Uhr sehen. So dunkel es war ging das aber nicht. Er drückte mit der rechten Hand auf den kleinen Knopf für die Kurzzeitbeleuchtung. Die ging aber auch nicht an. Dann hörte er die ersten Schreckenslaute. "Eh, was ist jetzt los! Nein! Hil...!"
Der DJ blickte sich um. Es war nicht mehr stockfinster. Er konnte paarweise angeordnete schwache Lichter schimmern sehen, eisblaue Lichter, die von der Decke her nach unten fielen. War das eine Sinnestäuschung, weil sein Gehirn verzweifelt Licht haben wollte? Doch die Entsetzenslaute und plötzlich abreißenden Angstschreie waren keine Sinnestäuschung. Auch die immer stärkere Kälte bildete er sich nicht ein. Irgendwas unbekanntes, ja unheimliches war in der Disco. Er sah, wie die paarweisen Lichter mal über einer Stelle verharrten, dann für wenige Augenblicke ausgingen und dann wieder auftauchten. Er vermeinte sogar, dass die Lichter jetzt etwas größer waren, wenn auch nicht heller.
"Scheiße! Ich will raus hier!" rief ein Junge, der wohl gerade erst den Stimmbruch überstanden hatte. "Für eine Horrorshow hab' ich nicht geblecht, ihr Saftsäcke!" rief er dann noch. Dann verstummte er. Überhaupt wurde es immer leiser. DJ Perfusion dachte, dass alle Richtung Ausgänge drängten. Doch da lauerten förmlich die von oben niedersausenden Paarleuchten oder was es war. Dann sah er, wie sich über ihm etwas bläuliches aus dem Gitter der Belüftungsanlage löste und dann zu zwei kreisrunden blauen Lichtern wurde. Das waren leuchtende Augen, erkannte der Diskjockey. Dann traf es ihn ohne weitere Vorwarnung. Schlagartig meinte er, in einen Eisblock eingebacken worden zu sein. Dann fühlte er, wie etwas seine Sinne aufzehrte, wie erst bunte Lichter vor seinem geistigen Auge tanzten und dann alles, was er bisher erlebt hatte förmlich um ihn herumflog, bis er mit einem lauten Schmerzensschrei in ein unendliches Nichts hineinstürzte.
"Mark, wieso bleibt der Strom weg? Die Aggregate müssten doch sofort anspringen!" rief Karl Hasenklee, der Eigentümer der Discothek Vanishehd Village. Doch sein Techniker, von ihm auch immer gerne als LI bezeichnet, hantierte ganz umsonst an den Schaltanlagen herum. "Chef, alle elektronischen Schaltungen sind aus. Auch die batteriegepufferten Notfallsysteme sind tot. Ich kriege nichts zum laufen."
"Das darf doch nicht sein. Die Notfallanlagen sind dreifach redundant. Außerdem laufen die Notleuchten auf Batterien. Das kann doch nicht alles gleichzeitig ausgefallen sein!" schimpfte Hasenklee.
"Doch, ging ganz gut, Meister", hörte er unvermittelt die seltsam sphärische Stimme eines jungen Mannes. Hasenklee drehte sich um und starrte in zwei aus der Dunkelheit auf ihn zufliegende blaue Lichter. Dann traf ihn der volle Kälteschock. Das letzte, was er noch mitbekam waren die an ihm vorbeijagenden Bilder aus seinem Leben, bis hin zu seiner eigenen Geburt, die er mit einem letzten Schmerzensschrei durchlebte, bevor er gar nichts mehr empfand.
Nebenan versuchte Hasenklees Büromanagerin Susanne Reuter, über ihr Mobiltelefon den Notdienst anzurufen. Denn sie fürchtete, dass in der Disco ein Feuer ausgebrochen sein musste, weil alles ausgefallen war. Doch ihr Telefon war nur noch ein lebloses Stück Plastik in ihrer Hand. Sie konnte nichts auf der Anzeige sehen. "Na, geht dein Spielzeug nicht, Süße? Brauchst du gleich auch nicht mehr", hörte sie von der Decke her eine geisterhaft sphärische Frauenstimme mit norddeutscher Färbung. Dann traf sie ein alle Fasern durchdringender Kältestoß. Mit dem Handy in der Hand blieb sie auf ihrem Stuhl sitzen, durch eine unirdische Macht zu einer neuzeitlich wirkenden Eisstatue gefroeren.
Remurra Nika fühlte diese unbändige Stärke, diese belebende Kraft, während sie den Körper der jungen Frau mit ihrer eigenen, nichtstofflichen Form überdeckte. Sie brauchte nicht mit dem Mund zu saugen. Es reichte schon, zu wollen, dass das Leben und die Seele aus dem anderen Körper in sie einströmte. Ja, das war herrlich. Das war wie ein Rausch von drei Kreativbonbons auf einmal. Sie hörte noch die letzten schmerzvollen Gedankenihres Opfers, bevor dieses restlos in ihr aufging und ihr seine Erinnerungen und die gesamte Lebenskraft überließ. Ja, das war schon eine gute Idee gewesen, dass Garnor Reeko nach einem jungen Mann gesucht hatte, der wusste, wo es in der Umgebung eine Discothek oder einen Nachtclub gab. Hier, im Club Vanished Village, hatten sie ihre ersten Opfer gefunden. Dabei sollten sich die fünf wahren Töchter der Nacht nur die Leben weiblicher Besucher und Mitarbeiter einverleiben und die Söhne nur männliche. Warum ihre Mutter und Königin das so festgelegt hatte begriff sie erst, als sie die ersten in ihr eingeströmten Erinnerungen empfand. Sie konnte das Leben der Frau, deren Leben sie ausgesaugt hatte, nachempfinden. Sicher wäre sie durcheinandergekommen, wenn sie erst einen Mann vertilgt hätte. Doch sie wollte jetzt noch mehr. Die Saat der Schattenriesin, Kanoras' Erbe, war nun vollkommen in ihr aufgegangen.
"Irgendwas ist da wieder, dass die Dunkelheit aufwühlt", meinte Riutillia, die mit Aldous vor der Höhle stand und in die Nacht hinauslauschte. "Ich kann aber nicht sagen, ob sie das ist oder etwas, das von ihr gemacht worden ist."
"Von ihr gemacht? Du meinst, sie kann wie du Kinder bekommen oder andere Leute durch ihre Berührung zu Artgenossen machen?" wollte Aldous wissen.
"Darauf bin ich nicht gekommen. Interessante Vermutung. Falls die richtig ist ist die andere wahrlich sehr stark und womöglich auch für uns eine Bedrohung", erwiderte Riutillia.
"Wollen wir deine fleischliche Schwester rufen, um ihr das zu sagen?" fragte Aldous.
"Nein, die will sich genug Kraft einverleiben. Dabei darf sie nur bei unmittelbarer Gefahr gestört werden, wie du ganz sicher weißt."
"Die hat's gut", grummelte Aldous Crowne. Auch er wäre jetzt gerne wieder in einen dieser Swingerclubs, wo die bevorzugte Jagdbeute frei verfügbar war, wie eine eingepferchte Schafherde für die Wölfe. Doch Thurainilla hatte ihm klare Anweisungen erteilt, mit seiner zweiten Mutter auf neue Anzeichen zu lauschen, wo und vielleicht auch wer die andere der Dunkelheit verbundene war.
"Es sind mehrere, weiter weg von da, wo du vor einiger Zeit warst. Deshalb kann ich das nicht genau erkennen, wo genau. Ich merke nur, dass die anderen sich stärken. Sie nehmen andere Leben zu sich."
"Um noch stärker zu werden?" fragte Aldous Crowne. Riutillia schloss das nicht aus. "Stärker zu werden oder sich zu vermehren", erweiterte sie die Vermutung, was ihre Wahrnehmung bedeuten mochte.
"Sollen wir alleine nach ihr suchen?" fragte Aldous.
"Ich kann dich in der erhabenen Form mitnehmen, wenn es da dunkel ist, wo ich diese anderen finde. Aber wir müssen die erst finden. Doch wir dürfen nicht mehr so einfach durch die Lande, wenn wir kein genaues Ziel haben. Du weißt, wie verärgert Thurainilla war, dass sie dich vor den Verwendern der höheren Kräfte retten musste?"
"Ja, deshalb ist sie ja gerade auf Jagd", grummelte Aldous Crowne. "Also erst mal hier bleiben und weiterhorchen?"
"Das kann uns zumindest nicht gleich in Schwierigkeiten bringen", erwiderte Riutillia. Aldous hörte der schattenhaften Zwillingsschwester Thurainillas an, dass sie sich unsicher fühlte. Offenbar fürchtete sie, dass es doch wen gab, der sie und Thurainilla ernsthaft gefährden konnte und damit auch ihn, Aldous Crowne, den gekauften Sohn und als Schattenreiter wiedergeborenen Diener Thurainillas.
Gitta Holzer blickte andauernd zwischen der Wanduhr, dem Telefon und der Wonzimmertür hin und her. Jetzt war es schon halb zwölf, und ihr Sohn Thomas war immer noch nicht zu Hause. Dabei hatten sie klar abgemacht, dass er um elf aus der Disco zurück sein sollte. Sie wusste auch, dass in diesem Club eine Altersgrenze galt. Alles unter achtzehn musste um 22:00 Uhr die Discothek verlassen. Vor dem Club pendelten Kleinbusse, die Besucher ohne Auto zum nächsten Bahnhof brachten. Sie ärgerte sich, dass ihr Sohn sein Handy zu Hause gelassen hatte. Aber nachdem in den letzten Monaten so viele Berichte über Diebstähle in Discotheken in den Nachrichten waren hatte sie ihrem Sohn nur eine Telefonkarte zugebilligt. Hoffentlich hatte er die mitgenommen. Denn falls was passierte musste er telefonieren können.
Gitta Holzer dachte auch daran, dass ihr Mann Günter erst übermorgen von seiner Geschäftsreise nach Shanghai zurückkehren würde. Natürlich machte sie sich auch Gedanken um ihn, in dieser fernen Stadt, die so überlaufen war. Zwar misstrauten sie beide den guten Absichten der chinesischen Staatsführung, ihr Land für westliche Waren zu öffnen. Aber was, wenn es nur darum ging, westliche Produktionsverfahren zu studieren und dann billige Kopien davon zu exportieren? Davon wollte Günter aber nichts hören. Sein Chef hatte ihn nach Shanghai geschickt und fertig.
Die Wanduhr zeigte jetzt zwölf Uhr Mitternacht. Gitta Holzer hielt es nicht mehr aus. Sie suchte die Nummer von diesem Club mit dem mysteriösen Namen Vanished Village. Thomas hatte ihr das so erklärt, dass der Club auf ehemaligem Ackerland eines vor zehn Jahren ausgestorbenen Dorfes namens Weierling stand. Die allgemeine Landflucht hatte viele kleine Orte entvölkert und tat es immer noch, wusste Gitta Holzer, die als Grundschullehrerin zwei Jahre lang in einer Dörfergemeinschaftsschule unterrichtet hatte, bis die letzten Kinder auf die weiterführenden Schulen gewechselt waren und keine mehr nachwuchsen.
"Hoffentlich ist der Name kein Omen", dachte Gitta Holzer, bevor sie die Telefonnummer wählte, die sie unabhängig von ihrem Sohn herausgefunden hatte. Doch statt eines Freizeichens bekam sie die Meldung: "Dieser Anschluss ist zur Zeit nicht zu erreichen. Bitte versuchen sie es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal!" Das konnte nicht sein, dachte Gitta Holzer. War da was passiert? Sie konnte sich noch gut an Berichte über Brände in Discotheken oder Restaurants erinnern. Sie musste die Polizei anrufen. Wenn ihr Sohn irgendwo unterwegs war sollten die ihn finden, hoffentlich bei Gesundheit.
Hauptkommissar Klinker klappte das Notizbuch zu, als sein Assistent und gerade auch Chauffeur den Dienstwagen bremste, um die letzte Kurve zu durchfahren, die vor dem Tanzlokal Vanished Village lag. Seitdem dieser Club vor zehn Jahren auf dem Gelände eines verlassenen Dorfes errichtet und feierlich eröffnet worden war, hatte der sich zu einem beliebten Treffpunkt für junge Leute aus dieser Region, ja sogar aus Stuttgart, Thübingen und sogar München entwickelt. Das wollte schon was heißen, wo dort ja selbst genug dieser Clubs bestanden.
"Bisher ist diese Lokalität nicht aufgefallen", sagte Klinker seinem rangniederen Kollegen Büttner. "Der Eigentümer hat es geschafft, alle Drogen und sonstigen Unerwünschtheiten fernzuhalten."
"Bis auf den Alkoholausschank", antwortete Büttner.
"Na ja, der wird wissen, dass sein Geschäft zu sehr auf freiem Gelände steht, als sich mit der Polizei anzulegen", erwiederte Kommissar Klinker.
Das mehrere hundert Quadratmeter große Gebäude lag in völliger Dunkelheit da. Drei Tanzräume bot es an, einen für die Technojünger, einen für Gäste, die zu ruhiger Musik tanzen wollten und einen für Freunde der Discozeit der 1970er und 1980er. Klinker betrachtete die von vier weitläufigen Parkplätzen flankierte Vergnügungsstätte. Die Stellflächen waren zu mindestens zwei Dritteln besetzt. Nur wer in die Disco wollte durfte dort parken. Also waren diese Kraftfahrzeuge alles Kundenfahrzeuge.
Klinker lauschte, nachdem Büttner den PS-starken Motor abgestellt hatte. Klinker vermisste das dumpfe schnelle Wummern der Bässe, dass trotz guter Schalldämmung nach draußen zu dringen vermochte. Doch es war völlig still. Auch die Beleuchtung war vollständig ausgeschaltet, als habe der Eigentümer dieses Tanztempels seine Stromrechnung nicht bezahlt. Das war schon verdächtig. Ebenso war es sehr auffällig, dass vor den beiden Haupteingängen kein Türsteher postiert war. Die Discotheken, die er schon dienstlich aufgesucht hatte beschäftigten mindestens zwei Türsteher, die einem nur denen und dem Eigentümer verständlichen Katalog nach Kleidung und Erscheinungsbild der Besucher prüften. Wo waren die hier?
"Büttner, ich fürchte, das wird noch eine lange Nacht", bemerkte Klinker zu seinem Partner. Die Besatzung des mit ihnen eingetroffenen Mannschaftswagens verteilte sich bereits vor den Eingängen. Denn wenn dreißig besorgte Erziehungsberechtigten ihre minderjährigen Kinder als vermisst meldeten und die alle hier in dieser Vergnügungsstätte sein sollten, dann wurde schon ein wenig mehr Aufwand betrieben als nur mit zwei Mann anzurücken.
"Der Laden ist total unbeleuchtet und still. Aber ein Brand liegt offenbar nicht vor", erwähnte einer der sechs Schutzpolizisten.
"Wir gehen rein!" befahl Klinker und machte Handzeichen, wer durch welche Tür gehen sollte. "Eigensicherung beachten!" fügte er noch hinzu und prüfte selbst, ob seine Dienstwaffe griffbereit im Holster steckte. Zwar hoffte er immer, niemals davon Gebrauch machen zu müssen. Aber besser war es doch, wenn er sich wehren konnte.
"Wir haben hier noch drei Notausgänge", erwähnte einer der Uniformierten und deutete auf die beiden Seitenwände.
Im Schein starker Handlampen eilten die angerückten Polizisten durch die beiden Haupteingänge vor, während Büttner den Auftrag hatte, auf die Wagen aufzupassen und einen ersten Lagebericht durchzugeben. Möglicherweise benötigten sie noch mehr Beamte und vielleicht sogar Rettungskräfte.
Das erste, was den Polizisten neben der völligen Dunkelheit und Stille auffiel, war die etwas kühlere Temperatur innerhalb des Vorraums. Dann betraten sie den Garderobenraum, wo über hundert Übermäntel hingen. Klinker leuchtete den Garderobentresen an. Im Lichtkegel seiner Lampe entdeckte er drei große Körper, die das Licht schneeweiß zurückwarfen. Klinker hielt den Lichtstrahl seiner Handlampe auf einen der drei Körper und erkannte die Umrisse eines erwachsenen Menschen. Sofort schickte er einen der Schutzpolizisten vor, die drei gefundenen Körper genauer zu untersuchen, aber bloß nicht anzufassen. Dabei stellte es sich heraus, dass es sich um die tiefgefrorenen Körper von erwachsenen Menschen handelte. Klinker fröstelte es nun noch mehr als durch die Temperatur. Er erkannte, dass es zwei Männer und eine Frau waren, die irgendwer hier in diesem Zustand abgelegt hatte. "Büttner, geben Sie durch, wir brauchen die Spusi und Kollegen vom Morddezanat! Wir haben hier drei Tote im Zustand vollständiger Vereisung im Garderobenraum."
"Tiefkühlleichen, Herr Klinker?" fragte Büttner über Funk.
"Wenn Sie das so volkstümlich nennen wollen, ja."
Die drei tiefgefrorenen Toten im Garderobenraum waren nicht die einzigen. Als die Polizisten den völlig dunklen Tanzsaal für schnelle Rhythmen betraten fielen sie fast über an den Türen aufgestapelte Leichname, die wie jene im Garderobenraum völlig vereist waren, als hätte jemand sie erst vor kurzem nach langer Zeit aus einer Tiefkühltruhe geholt und hier abgelegt. Klinker zog sein digitales Diktiergerät hervor und schaltete es auf Aufnahme, während ein Uniformierter bereits eine Digitalkamera freizog und auf die Toten richtete. "Achtung, es blitzt gleich!" warnte er vor. Dann ging er behutsam an den Wänden entlang und machte mit lichtstarkem Blitzlicht Fotos der hier regelrecht aufgestapelten Eisleichen. Klinker diktierte: "Bei betreten der großen Tanzhalle fanden wir mindestens einhundert vollkommen tiefgefrorene Körper von Männern und Frauen vor. Die Anordnung der offenkundig getöteten deutet darauf hin, dass sie versucht haben, aus dem Raum zu entkommen, dies jedoch nicht mehr vermochten. Ich erkenne einen ebenfalls tiefgefrorenen Mann hinter der vollkommen von der Stromversorgung getrennten Steuerungsanlage für die Musikeinspielung, womöglich der hier ansässige Diskjockey. Der Kollege Kohlhas verfertigt elektronische Lichtbilder von diesem Ort, von dem noch zu klären ist, ob er ein Tat- oder Fundort ist."
Büttner saß derweil im Dienstwagen Kommissar Klinkers und sprach über Funk mit der Leitstelle. Dabei dachte er daran, wie heftig das sein mochte, alle Menschen in diesem Tanzschuppen umzubringen und dann auch noch tiefzugefrieren. Abwegigerweise spukte ihm dann auch noch ein alter Hit von Foreigner durch den Kopf und dann noch ein Hit seiner Kindertage von einem, der gerne ein Eisbär sein wollte, weil die nie weinen müssten.
"Moment, wir haben hier eine Vorrangmeldung aus Wiesbaden, dass dort eine Akte zu Tötungsfällen unter Verwendung von Tiefgefrierverfahren verzeichnet ist. Wenn derlei anderswo gemeldet wird soll das umgehend zum BKA weitergemeldet werden", hörte Büttner über Funk. "Anfrage: Heißt dass, die von uns vorgefundenen Toten sind nicht die ersten dieser Art?"
"Der Vorrangmitteilung aus Wiesbaden nach nicht", bekam er zur Antwort. Er nahm sein Handfunkgerät, dass auf die vereinbarte Frequenz für die hier angerückte Truppe eingestellt war und gab die erhaltene Information an Klinker weiter.
"Wie, und ich habe diese Dringlichkeitsmitteilung nicht auf dem Tisch gehabt? Da werde ich aber nachher mal einigen Leuten einen sehr unruhigen Morgen bereiten", kündigte Kommissar Klinker an.
Auch in den anderen Tanzräumen wurden mehrere tiefgefrorene Menschen gefunden. In den beiden Büros saßen eisgekühlte Menschen vor den nicht in Betrieb befindlichen Rechnern. Eine Frau hielt sogar noch ein Mobiltelefon in der rechten Hand, das ebenfalls von Eis überzogen war.
Gerade wollte Büttner nach der angeforderten Verstärkung und Spurensicherung fragen, als drei fremde Männer in dunklen Anzügen mit scharfem Knall direkt aus dem Nichts heraus erschienen. Büttner wollte schon zur Waffe und zum Funkgerät greifen. Doch da richtete einer der Männer einen dünnen Holzstab auf ihn. Ein Gefühl, wie von einer unsichtbaren Decke umschlungen zu werden und dann keinen Finger mehr rühren zu können überkam Büttner. Er konnte nur zusehen, wie die drei Männer mit ihren dünnen Holzstäben vor dem Gebäude Schwenkbewegungen ausführten und dann genauso plötzlich wieder verschwanden, wie sie aufgetaucht waren. Büttner war Science-Fiction-Fan und kannte natürlich Geschichten über Versetzungsmaschinen oder sogenannte Mutanten, die sich durch reine Gedankenkraft an beliebig weit entfernte Orte versetzen konnten. Doch dass es wirkliche Teleporter gab hatte er nicht geglaubt. Aber wieso konnte er sich nicht mehr bewegen, nicht mal um Hilfe rufen? Dieser eine hatte ihn mit irgendwas getroffen, ihn in einen Bann geschlagen. Verflixt noch mal, es gab doch keine echten Zauberer? Aber Büttner fand im Moment keine bessere Erklärung für das, was mit ihm passiert war und jetzt sicher auch mit allen Kollegen im Gebäude passierte. Er hörte nicht einmal mehr was aus dem Funkgerät. Aber wenn das echte Zauberer wie Gandalf oder Merlin waren, dann hieß das doch, dass die Toten in der Disco durch Zauberei umgekommen waren, durch eine sehr böse Form von Zauberei, volkstümlich als schwarze Magie bezeichnet. Dann war die Frage, waren das die Täter oder klammheimliche Kollegen von ihm, eine streng geheime Polizeitruppe aus echten Zauberern und vielleicht auch Magierinnen, Feen oder Hexen.
Die Vorstellung, dass es echte Magie geben sollte wühlte Büttners Verstand so heftig auf, dass er keine Augen mehr für seine Umgebung hatte. Erst als er mehrere laute Knälle hörte fand er in die Gegenwart zurück. Sein erster Gedanke war, dass jemand geschossen hatte. Doch dann erkannte er gleich dreißig aus dem Nichts gekommene Leute, Männer und Frauen. Die meisten von denen trugen lange, helle Umhänge. Einer von denen holte ein merkwürdiges Ding aus einer Umhängetasche, das im Mondlicht blinkte wie aus Metall. Dieses Instrument richtete er auf die Disco. Ein anderer setzte sich gerade eine Sonnenbrille auf und fingerte an den Bügeln herum. Dann sah er noch eine Frau im Hosenanzug, die auch einen Holzstab in der Hand hielt. Unvermittelt klappte die Fahrertür auf, wie von einer unsichtbaren Hand bedient. Dann traf ihn ein roter Blitz aus dem Holzstab und raubte ihm die Besinnung.
"Diese Funkerei lässt uns alle noch auffliegen", schimpfte Kuno Emsenbein, Mitglied der süddeutschen Gruppe der Unfallumkehrtruppe des Zaubereiministeriums. Gerade war er mit dem stuttgarter Polizeikontakter Theo Reiserle zusammen aus der Discothek Vanished Village herausgekommen.
"Ich gebe Ihnen da völlig recht. Wenn unsere Leute nicht so schnell auf diese Meldungen reagiert hätten würde gleich noch die Presse hier anrücken und die Disco der Eisleichen fotografieren", sagte Reiserle.
Nur weil der in Wiesbaden tätige BKA-Kontaktzauberer eine Warnung über den Fund von vereisten Leichen auf dem Gelände eines vor zehn Jahren restlos verlassenen Dorfes namens Weierling gemeldet hatte waren alle schnell erreichbare Lichtwächter aus Stuttgart und Umgebung zusammen mit Kunos Einsatzgruppe hier aufgetaucht. Es galt, den Vorfall muggeltauglich darzustellen und die bereits Augenzeugen gewordenen Polizisten mit entsprechenden Erinnerungen zu versehen.
An die zweihundert tiefgefrorene Leichname hatten sie aufgefunden und sieben magielose Ordnungshüter mit Schock- und Gedächtniszaubern belegt. Danach hatten sie die Polizisten auf magische Weise aus dem Haus herausgeschafft, bevor einer der angerückten Zauberer und Hexen eine Vorrichtung in jedem Raum installierte, die durch einen rein chemischen Zünder ein tödliches Gas freisetzen würden, sobald die hier aufgelaufenen Lichtwächter und Unfallumkehrtruppler ihre Spurensicherungsarbeit beendet hatten. Die eilig zusammengestellte Verhüllungsgeschichte lautete: Jemand hat einen Anschlag auf die Disco Vanished Village verübt, weil er oder sie die Ruhe der Toten von Weierling bedroht sah. Erst sollte ein geruchloses Gas freigesetzt werden, dass ähnlich wie Kohlenmonoxyd die Sauerstoffaufnahme im Blut unterband. Dann sollten noch Brandsätze mit hochbrennbarem Inhalt das Gebäude abbrennen. Die Stromleitungen und die Notstromaggregate wurden durch die angerückten Zauberer dermaßen unbrauchbar gemacht, dass sie nicht in Betrieb gegangen wären. Das würde der Polizei genügen, um die vielen Toten zu erklären, die nicht mal eben vertuscht werden konnten. In der Einsatzleitung dieser Beamten wurden gerade die Funkaufzeichnungen und bereits getippten Berichte zu diesem Vorfall umgeändert.
"Sie schimpfen auf die Funktechnik, Kollege Emsenbein. Ich fürchte eher, dass wir in nicht all zu ferner Zukunft durch diese verflixten Computersachen unsere Geheimhaltung einbüßen, Arkanet und gezielte Desinformationsberichte hin oder her. Am Ende bleibt uns nur der Verbotene Weg."
"Fürchte, Sie haben recht, Kollege Reiserle. Am Ende muss eine Art Korrekturtruppe mit Zeitumkehrern die vergangenheit berichtigen, zumindest nach dem Zeitpunkt des Vorfalls. Auch das wäre schon eine sehr große Gefahr für das Raum-Zeit-Gefüge."
"Oder unserem Minister fällt ein, dass dieser ganze Elektronikkrempel mit weitreichenden Unbrauchbarkeitszaubern ausgeschaltet werden muss, um unsere Geheimhaltung aufrechtzuhalten."
"Dann soll sich Minister Güldenberg an diese Fanatiker wenden, die das liebend gerne machen würden", erwiderte Emsenbein und machte sofort eine Geste, dass er diesen Satz nicht wirklich ernstgemeint hatte.
"Also, wir können sagen, es ist amtlich, die Damen und Herren. Das waren zwölf Nachtschatten, die wohl durch die Luftaustauschanlage in dieses Gebäude eingedrungen sind und sich über die Besucher hergemacht haben. Einer von denen ist wohl gleich in die Kellerräume und hat die Elektrizitätserzeugungsvorrichtungen unbrauchbar gemacht. Jedenfalls haben diese Unwesen sich an den Besuchern größer und stärker gefressen."
"Ach, diesmal kein Unortbarkeitszauber?" fragte die Lichtwächterin Klothilde Ährenhalm, die gerade den vor der Disco postierten Polizisten Gedächtnisbezaubert hatte.
"Nein, nicht wie bei den Kollegen in Hamburg", bestätigte Theo Reiserle.
"Das kann doch nicht sein, dass gleich zwölf von den Biestern über so einen neumodischen Tanzpalast herfallen. Die treten doch sonst nie in Rudeln auf, weil die zu sehr auf ihre eigenen Reviere achten."
"Offenbar ist die Sache in Marokko, wo ein uralter Lenker von Schattenwesen gehaust haben soll, noch nicht ausgestanden. Jemand hat ihn beerbt und lenkt jetzt mehrere von ihm unterworfene oder gar erschaffene Nachtschatten wie eine Meute Jagdhunde", erwiderte Emsenbein.
"Dann dürfen wir uns alle wortwörtlich warm anziehen, falls Sie recht haben, Kollege Emsenbein", erwiderte die Kollegin Ährenhalm. Dem konnte Kuno Emsenbein nichts hinzufügen. Vor allem die Grausamkeit, mit der diese Nachtschatten vorgegangen waren verhieß nichts gutes. Am Ende vermehrten sich diese stofflosen Biester wie Blattläuse, wenn sie genug zu Fressen bekommen hatten. Dann würden bald hunderte, dann tausende von denen das Land und später die Welt unsicher machen. Emsenbein beschloss, mit den Zaubereiminister und allen mit der Sicherheit vor magischen Übergriffen zuständigen Abteilungsleitern zu besprechen, ob wieder ein Notstand ausgerufen werden musste, wie bei den spukenden Bildern von München und Hamburg.
Als die Discothek lichterloh brannte disapparierten die Hexen und Zauberer. In dem Gebäude lagen an die zweihundert unschuldige, arglos dahingeraffte Menschen. Vor der Disco lagen unter Schockzauber stehende Polizisten, die erst in einer halben Stunde wieder aufwachen sollten.
"Diese Sache mit den Nachtschatten nimmt langsam epidemische Ausmaße an", stellte Andronicus Eisenhut fest. "ZwölfNachtschatten, in Kugelgestalt aus nordwesten angeflogen und durch Abluftschlitze und Bürofenster in das Gebäude eingedrungen und dann zum Angriff auf die dort befindlichen Menschen übergegangen. Die haben sich regelrecht mit Lebenskraft vollgesogen und sind dann disappariert oder wie das bei denen heißt. Das spricht für drei Faktoren: Zum einen handelte es sich nicht um die üblichen Nachtschatten, die durch ein schwarzmagisches Selbsttötungsritual entstehen. Denn die sind erpicht darauf, die einzigen im Umkreis von mehreren hundert Metern zu bleiben, sofern sie nicht durch einen Ankergegenstand an einen Standort gebunden werden. Zweitens gibt es mindestens einen Lenker dieser Geschöpfe, der beziehungsweise die bei eigener Anwesenheit eine Aura der Unortbarkeit verbreitet. Drittens müssen wir festhalten, dass die bisherigen Annahmen unzureichend sind, diese Lenkerin konzentriere sich ausschließlich auf jene vier jungen Leute, die das erste Auftauchen der im Atlasgebirge eingenisteten Nachtschatten überlebt haben. Es darf also nicht dabei belassen werden, nur diese noch lebenden Menschen zu bewachen, wenn an anderer Stelle diese neuen Schattendiener ihre Opfer suchen."
"Ja, und wenn die jetzt sozusagen Blut geleckt haben wird dieser Club Vanished Village nicht das Letzte große Ziel bleiben", sagte Armin Weizengold. Er fürchtete bereits, dass die von Albertine Steinbeißer vor Monaten erwähnte Nachtschattenriesin jetzt meinen könnte, die Menschen in Deutschland oder anderswo seien wie pflückreife Erdbeeren mal eben im Vorbeigehen abzuernten. Jetzt, wo mindestens zwölf Nachtschatten durch einverleibte Lebenskraft und Menschenseelen so stark waren, dass sie sich von einem dunklen Ort zum anderen versetzen konnten, konnten die auch jederzeit überall auftauchen. Emsenbeins im Bericht erwähnte Befürchtung, die Nachtschatten könnten sich auch ähnlich vermehren wie Kopf- und Blattläuse, wenn sie genug ihrer schauerlichen Nahrung aufgenommen hatten, stand auch noch im Raum. Am Ende standen sie wirklich vor einer wahren Nachtschattenflut, gegen die dann alle bisherigen Gefahren verblassen würden, selbst die Terrorherrschaft von Grindelwald, Riddle und Wallenkron. Und noch etwas stand fest: Diese Schattenwesen brauchten sich an keine Landesgrenzen zu halten. Sie mussten nur darauf achten, möglichst wenig Licht an ihren Ankunftsorten vorzufinden. Somit hatten sie hier alle gerade mal am Tag ruhe. Dann kam Andronicus Eisenhut noch ein sehr bestürzender Gedanke, den er aussprach, als ihm das Wort erteilt wurde.
"Wir wissen immer noch nicht, wo sich die letzten überlebenden Dementoren verstecken. Am Ende verbünden die sich noch mit diesen neuen Nachtschatten, um alle ihre Feinde auch bei Tag anzugreifen. Die Nachtschatten könnten - man verzeihe mir das Wortspiel - im Windschatten der Dementoren ihre Beute machen."
"Das ist zwar eine sehr beängstigende Vorstellung, hat sich aber durch die bereits gemachten Beobachtungen als unwahrscheinlich erwiesen, Andronicus", sagte Eilenfried Wetterspitz. "Die von Dementoren verbreitete Dunkelheit und Eiseskälte wird zwar von den Nachtschatten als Nahrung genutzt, aber genau deshalb sind Dementoren und Nachtschatten natürliche Fressfeinde, vergleichbar mit Löwen und Hyänen, Ratten und Mäusen, Wespen und Hornissen. Das heißt, die werden sich nicht zusammentun, wenn dem einen andauernd Kraft abgesaugt wird und der andere danach trachtet, die Nahrungsgrundlage des einen zu vernichten, indem er fühlende Lebewesen restlos aussaugt und dadurch jeden Glücksmoment eines Menschen zum Erlöschen bringt. Da Nachtschatten körperlose Seelen wie die uns eher friedlich gesinnten Gespenster sind, können sie von Dementoren so eingesaugt werden wie wir unsere Atemluft in die Lungen einsaugen. Nein, dieses Schreckensszenario ist höchst unwahrscheinlich. Ich würde es gerne für gänzlich unmöglich erklären. Aber was die Dementoren angeht hat sich der britische Zaubereiminister damals zu weit aus dem Fenster gelehnt, als er vollmundig deren restlose Ausrottung verkündete. Ebenso dürfen wir ausschließen, dass die Nachtschatten und/oder die Dementoren ein Zweckbündnis oder gar eine Art Symbiose mit den Jüngern dieser schlafenden Göttin eingehen. Vampire können nur warmes Blut trinken, während die Nachtschatten ihre Opfer bei vollständiger Bedeckung jeder Wärme berauben. Außerdem hat der Kampf zwischen Wallenkron und den grauen Übervampiren gezeigt, dass diese und die dort anwesenden Schattendiener erbitterte Feinde sind", sagte Andronicus Eisenhut.
"Und was ist mit dieser Abgrundstochter der Dunkelheit? Wie müssen wir diese in die Überlegungen einbeziehen?" wollte Albertine Steinbeißer wissen, die dieser Unterredung beiwohnte.
"Dass sie unter Umständen um die Vorherrschaft aller schattenhaften und der Dunkelheit verbundenen Zauberwesen kämpfen wird, sollte sie sich mit dem Verlust ihrer Macht oder gar Existenz bedroht fühlen, Fräulein Steinbeißer. Unabhängig davon, wer diesen Machtkampf am Ende gewinnt, besteht für uns so oder so kein Grund zur Freude. Denn wir sollten nicht dem Irrglauben verfallen, dass die beiden sich gegenseitig so sehr schwächen, dass die Siegerin am Ende derart kraftlos ist, dass wir sie nur noch vernichten müssen, um auch sie loszuwerden", sagte Eisenhut.
"Aber dass wir darauf achten, ob sich diese beiden Konkurrentinnen über den Weg laufen oder bereits gegeneinander Front machen ist richtig?" fragte Armin Weizengold.
"Die Sache mit diesem Schattenreiter, der auf der Autobahn bei Hamburg aufgespürt wurde beweist, dass eine derartige Auseinandersetzung bald bevorsteht. Vielleicht bekommen wir mit, wo das passiert. Wahrscheinlicher aber wird sein, dass wir erst die Auswirkungen davon bemerken werden, und die werden sicher genauso verheerend sein wie das Gemetzel in diesem neumodischen Tanzhaus", sagte Eisenhut. Dem konnten die Anwesenden nicht widersprechen.
Als Albertine endlich einen gewissen Freiraum für sich fand beschloss sie, jetzt doch ihre heimliche Anführerin zu unterrichten, welche Gefahr in Deutschland gerade wucherte.
Sie apparierte über zwanzig Etappen, wobei sie von den schweigsamen Schwestern eingerichtete Ankunftsorte wählte, die gegen das Auspüren von Apparatorinnen abgesichert waren. Der letzte Sprung führte sie in die Empfangshalle der Daggers-Villa, fünf Meilen oder auch acht Kilometer von der kleinen, wiedererrichteten Stadt New Dropout entfernt.
Erst war die höchste Schwester des Spinnenordens ungehalten, weil Albertine sie nicht gleich nach Auffinden der gefrorenen Leichname von Karin Maurer und Arno Kröger unterrichtet hatte. Doch dann erkannte sie, dass zunächst erst geklärt werden musste, ob es sich wirklich um jene Schattenriesin handelte, die laut Albertine beim Kampf von Wallenkron gegen die Kristallstaubvampire und die Leute von VM entstanden war.
Nachdem Anthelia sich die bisherigen Ereignisse hatte beschreiben lassen meinte sie: "Ich gebe diesem Kuno Emsenbein recht, dass zu prüfen ist, ob diese neue Form von Nachtschatten sich nicht aus sich selbst heraus vermehren kann, wenn sie genug fremde Lebenskraft aufgesogen haben. Früher sind Nachtschatten nur größer und zaubermächtiger geworden, je mehr Lebens- und Seelenkraft sie sich einverleibt haben. Wenn da wirklich eine weiterexistierende Dienerin von Kanoras mit weiteren seiner Diener in der Welt umgeht muss ich befürchten, dass diese Diener andere Menschen zu ihresgleichen umformen können, ihre Seelen verschlingen und dann nach einer gewissen Zeit als ihre Abkömmlinge wieder ausstoßen, in Form einer finsteren Geburt. Vielleicht ist es aber auch wie mit den Dementoren, die mindestens zwei Artgenossen zusammenbringen müssen, um aus verrottenden Fleisch- und Pflanzenresten und ausgeatmeter Seelenkraft einen Nachkommen erbrüten."
"Ich muss befürchten, dass diese Schattenriesin immer noch hinter den drei weiteren Überlebenden herjagt. Diesen Rico Kannegießer haben wir unter ständige Bewachung gestellt. Aber die beiden Hansens sind in Kalifornien", sagte Albertine. "Öhm, unsere Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit und mein Büro haben bereits entsprechende Meldungen und Anfragen an die Kollegen in den Staaten übermittelt."
"Dennoch werde ich vier oder fünf der hier lebenden Mitschwestern abstellen, die beiden zu bewachen. Im Zweifelsfall können wir nämlich was tun, was ihr Ministeriumsleute nicht tun dürft."
"Sie töten?" fragte Albertine. Anthelia grinste. Diese blassgoldene Frau sah einfach zu gut aus. Albertine fühlte eine lange zurückgedrängte Begierde in sich aufsteigen.
"Wir können sie mal eben in was für Nachtschatten unangreifbares verwandeln oder sie wie Minister Dimes Frau hier in unserem geheimen Stützpunkt verstecken. Selbst eine von Kanoras freigekommene Dienerin dieses Unwesens kann den Fidelius-Zauber nicht durchdringen."
"Apropos Minister Dime: Willst du seine Frau solange hier verstecken, bis dieser Fluch ihn tötet?" wollte Albertine wissen.
"Wenn es absolut nicht anders zu lösen geht ja, Schwester Albertine", sagte Anthelia. "Ich werde auf jeden Fall nicht zulassen, dass diese Hexe, die ihn dazu verleitet hat, mit ihr Kinder zu zeugen, im Namen dieser Hexenverächter von Vita Magica weiterhin mit ihm verfährt wie ein Puppenspieler mit seinen Marionetten. Sollte er nicht anders von dem Fluch zu lösen sein als durch den Tod, dann stirbt auch die von ihm gezeugte Brut und nimmt ihre Trägerin womöglich mit in die Nachtodwelt. Das sollte dann eine sehr bittere Lehre für diese Nachkommenschaftserzwinger sein."
"Ja, und genau deshalb werden die alles daran setzen, dass Dime nicht vorzeitig stirbt, höchste Schwester. Ich weiß, dass du das ganz sicher schon bedacht hast. Ich möchte nur, dass du weißt, dass ich mit weiteren Angriffen auf dich rechne. Am Ende darfst du dich nicht einmal vor die Tür dieses Hauses wagen."
"Ach du meinst, sie könnten einen Zauber ähnlich der Hexenacht Sardonias wirken. Ja, damit muss ich wohl rechnen. Aber das soll und wird mich nicht davon abhalten, dort einzugreifen, wo mein persönliches Handeln geboten ist. Abgesehen davon ..." sprach Anthelia und wurde ohne Vorwarnung zur menschengroßen schwarzen Spinne, ihrer durch die Verschmelzung mit der anderen gewonnenen Zweitgestaltt "Bin ichch in diesser Form gegen alle Zzzauber gefeit", hörte Albertine eine zischelnde Gedankenstimme, die ähnlich der von ihrer Anführerin klang. "Na, möchchtessst du immer noch mit mir dassss Lager teilen, Schschschwessster Albertine?" hörte die Hexe mit den magischen Augen noch eine sehr amüsierte Gedankenbotschaft. Albertine shrak zurück und lief rot an. Dann schüttelte sie den Kopf. "Dann eben nichchcht", drang noch eine Gedankenbotschaft in ihren Geist ein. Keine zwei Sekunden später stand an Stelle der schwarzen Spinne wieder die sehr attraktive Gestalt der höchsten Schwester in ihrem hautengen scharlachroten Kostüm da.
"Ich seh besser zu, wieder in meine eigenen vier Wände zu kommen", grummelte Albertine.
"Grüße mir unsere gemeinsame Schwester in Frankreich!" gab Anthelia ihrer deutschen Mitstreiterin noch auf den Weg mit. Dann verschwand Albertine wieder.
Dass sie mal eben über mehrere tausend Kilometer appariert war merkte sie, als sie in ihrem eigenen Haus sichtlich erschöpft auf die Couch plumpste. Dieses gemeine Weib wusste genau, wie sie Albertine piesacken konnte. Doch sie konnte und wollte sich nicht mehr von ihr lossagen, zumal sie das dann sicher keine Minute überlebt hätte. Allein schon, dass Anthelia die schwarze Spinne sein konnte verriet, dass sie wohl kaum etwas von einer Abtrünnigen übriglassen würde. Albertine erschauerte bei den zwei widerstreitenden Gefühlen, sich vorzustellen, wie Anthelia in der Spinnenform ihren Körper in sich einverleibte und dann in ihrer Menschenform etwas von ihr weitertrug bis zu ihrem irgendwann fälligen Ende. Das hatte sowohl was erotisches wie anekelndes für sich, fand Albertine Steinbeißer.
"Jetzt sind die auf jeden Fall am rotieren", gab Garnor Reeko mit einer unüberhörbaren Schadenfreude von sich, als er und die von seiner Mutter und Königin ausgesandten wieder zurückgekehrt waren. Birgute fühlte, dass sie alle sehr stark geworden waren, aber nicht so stark wie sie, die sie die Dunkelheit der Nacht und der Hohlräume unter der Erde wie reinen Sauerstoff veratmen konnte. Außerdem waren die alle mit einem winzigen Bruchstück ihrer Daseinsform imprägniert und konnten ihr nichts antun.
"Sie werden sicher Jagd auf uns machen, wenn die wissen, wie sie uns anpeilen können", meinte Remurra Nika. Ihre Mehrlingsschwester Hirabeela Senga fügte dem hinzu: "Im Grunde haben wir denen den Krieg erklärt. Wir sollten vielleicht einen anderen Unterschlupf finden. Arne und Erna sind ja sowieso in Amerika. Vielleicht können wir uns da besser verstecken als hier."
"Wir werden in die Staaten reisen, Hirabeela. Das mit der Discothek war ein gelungener Test, um unsere Schlagkraft zu erproben. Beim nächsten Mal werden wir dafür sorgen, dass diese Zauberstabschwinger alarmiert werden und versuchen uns zu vernichten. Keine Angst! Jetzt könnt ihr wie ich durch reinen Wunsch den Standort wechseln und früh genug verschwinden, wenn es zu brenzlig wird."
"So besoffen kann mein Vater nicht gewesen sein, dass der mich nicht anmailt oder anruft", schimpfte Arne Hansen, als er am Morgen des 19. Februars seinen Rechner auf neue Nachrichten prüfte. Seine vor wenigen Wochen erst angetraute Frau sah ihn verstört an und fragte ihn auf Englisch, warum er sich so aufregte. Schließlich seien sie beide doch gerade deshalb von den Eltern weg, um nicht ständig von denen mit irgendwas beladen zu werden. Arne erwiderte, dass er sich wegen des letzten Telefongespräches Gedanken machte, ob bei ihm zu Hause alles in Ordnung sei. Zwar bekam er nichts über die üblichen Nachrichten, dass irgendwas passiert sei. Aber das genau machte ihn erst recht stutzig. Dann kam er auf eine Idee. Er öffnete das auf dem Rechner gespeicherte Telefonbuch von ganz Deutschland und suchte nach zwei bestimmten Namen. Dann blickte er noch mal auf die rechts oben angezeigte Uhrzeit, die die Pazifikstandardzeit angab. Zu der zählte er neun Stunden dazu und kam auf 17:40 Uhr. Er nahm sein Mobiltelefon, wählte die Vorvorwahl des Anbieters für kostenarme Überseegespräche und wählte die erste Nummer.
"Moin Frau Petersen! Hier ist Arne. Ich wollte mal fragen, ob sie mit meiner Mutter immer noch ihre wöchentlichen Bridgerunden spielen?" sprach er in sein Telefon.
"Ach, ich dachte, deine Eltern sind bei dir. Die sind doch am 15. von hier los. Hannes und ich dachten, die wollten zu dir, wohl um dir die Ohren langzuzihen, was dir denn einfiel, mal eben so in dieser Spielerhölle Las Vegas zu heiraten und dann noch keine Party zu geben", sprudelte es aus dem Telefonhörer.
"Ganz spontan. Kenne ich von meiner Mutter gar nich'", sagte Arne. "Na, dann sind die wohl noch in New York hängengeblieben, weil mein Vater so gerne mal auf das Empire-State-Building rauf wollte. Tja, und damit ich nicht vorher die Biege mache haben die das nicht angekündigt. Danke für die Vorwarnung, Frau Petersen."
"Neh, die wollten direkt zu dir hin, gerade damit du dich nicht vom Acker machst, bevor sie da sind. Sind die echt nicht bei dir?"
"Neh, sind die nich'", erwiderte Arne Hansen. "Nich' dass die wegen unkorrekter Touristenvisa statt am Flughafen in Santa Fu gelandet sind."
"Da sollten die dich hinstecken, Flegel, die eigenen Eltern derartig über'n Tisch zu ziehen und dann noch mit so'ner Deern aus Dortmund oder Gelsenkirchen durchbrennen", schimpfte Frau Petersen.
"Bochum, Frau Petersen. Die haben zwar auch 'n Fußballverein da, aber der ist nicht so reich wie der aus Dortmund", sagte Arne ohne sich anmerken zu lassen, wie er gestimmt war. Dann verabschiedete er sich mit dem Hinweis auf die teuren Auslandsgebühren und wünschte Frau Petersen und ihrem Mann noch einen schönen Abend.
"Mit der Frau brauchte ich damals echt keine Gouvernante und keine Überwachungskamera", grummelte Arne. Dann wählte er die zweite herausgesuchte Nummer. Mit Herrn Bolte aus dem Haus neben dem seiner Eltern sprach er kurz über die Staaten und die neuesten Fußballergebnisse. Dann fragte er, ob sein Vater ihm was gesagt hätte, dass er und seine Frau in die Staaten reisen wollten.
"Ich dachte, du rufst mich an, weil du mir deinen alten Herrn mal ans Rohr geben möchtest", sagte Herr Bolte mit leicht verdrossenem Unterton. "Die wollten auf jeden Fall zu dir hin, mal gucken, wo du vor Anker gegangen bist. War ja schon eine bannige Breitseite, die du denen verpasst hast, mit dieser Deern aus dem Ruhrpott abzuhauen. Die hält doch sicher zu dieser neuen Aktiengesellschaft da aus Dortmund, die meinen, die Chiqueriatruppe aus München in Sachen Überheblichkeit und Geldmacherei einholen zu können."
"Die kommt aus Bochum wie Grönemeyers Herbert und hält natürlich auch zum VFL", sagte Arne. "Aber das meine Eltern zu mir hinwollten haben die mir nicht gesagt. Kann sein, dass mein Vater erst mal New York unsicher macht, um die Wolkenkratzer zu besichtigen, die da noch stehen. Nur wenn die mir nicht sagen, wann sie zu mir kommen kann das passieren, dass ich dann mit meiner Frau gerade in San Francisco oder Los Angeles bin. Kalifornien ist ein büschen größer als Hamburg, und selbst da kann man sich prima verpassen, wenn einer von Altonar nach Finkenwerder will und dabei über Blankenese fährt und der andere über Poppenbüttel", sagte Arne.
"Wenn ich deinen alten Herren und deine Mutter verstanden habe wollten die direkt bis zu dir durch nach Kalifornien. Abgestürzt ist kein Flugzeuch. Wo sind die denn dann?"
"Die Frage ist durchaus berechtigt, Herr Bolte. Öhm, beide waren bei Ihnen. Ich dachte, meine Mutter redet mit Ihnen kein Wort mehr, seitdem Sie ihre Wildblumenwiese gepflanzt haben und meine Mutter das angebliche Unkraut aus ihrem Garten rausharken musste."
"Die waren am Abend vor ihrem Abflug beide bei mir und haben gesagt, dass sie zu dir hin wollten und ich zwischendurch mal gucken soll, ob noch alle Fenster und Türen dicht sind, trotz der teuren Alarmanlage."
"Das ist nett von Ihnen. Dann weiß ich bescheid. Meine Eltern hängen sicher irgendwo an der Ostküste rum und hoffen, dass mir vorher keiner was erzählt. Danke für die Vorwarnung", sagte Arne noch.
"Da nich' für, min Jung", erwiderte Herr Bolte. Dann war auch dieses Gespräch vorbei.
"Warum soll ich den Geheimdienst meiner Eltern nicht auch mal in Anspruch nehmen", grummelte Arne, als er sein Telefon wieder weggesteckt hatte. Dann überzogen Sorgenfalten sein Gesicht. "Ich habe mit meiner Mutter am Tag nach dieser Telefonstörung noch geredet. Wenn die da schon losgefahren sein sollen, wer war das dann bitte? Außerdem ist meine Mutti ganz eigen, was einmal geschlossene Freund- und Feindschaften angeht. Und das mit den Wildblumen hat ihr echt heftig die Laune am Garten verhagelt. Die wollte den Fiete Bolte sogar schon wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch anzeigen. Aber mein Großonkel, der Anwalt ist, hat ihr das ausgeredet, weil das mehr Geld und Nerven gekostet hätte als die Sache wert war. Aber dass die mal eben eine Menge Geld ausgeben, nur um mal zu mir rüberzujetten, ohne mir das zu sagen ... ich meine, das Risiko, mich hier nicht zu treffen, wenn ich das nicht weiß ist doch größer, als wenn wir den Abflug gemacht hätten, nachdem wir vorgewarnt wurden. Irgendwas stinkt da voll zum Himmel, angefangen bei dieser Telefonunterbrechung über die Sachen, die meine Mutter oder wer immer das war mir später gesagt hat bishin dass meine Eltern beide zusammen bei Fiete Bolte waren, um sich anständig abzumelden, damit sie bloß niemand ... damit sie bloß keiner vermisst." Arne wurde bleich. Die soeben in seinem Kopf aufgekommene Vermutung war heftig.
"Erna, ich fürchte, wir müssen nach Hause, beziehungsweise, nach Hamburg. Irgendwas ist da ganz gehörig im Argen. Nachher hat irgendwer meine Eltern einkassiert und die vorher dazu gezwungen, sich zu verabschieden. Das könnte gegen irgendwen aus meiner Verwandtschaft gehen, der nicht gerade arm ist oder gegen mich, weil irgendwas laufen soll, dass ich später mal nichts erben kann oder dergleichen. Ich weiß nicht, was stimmt, Erna." Seine Frau wollte gerade was einwenden. Doch er hatte ihr mit seinem letzten Satz den Grund dafür genommen. So sahen sich beide erst einmal schweigend an. Dann sagte Erna: "Dann is' dat mit L.A. in einer Woche aber nich' mehr drin, Arne."
"Ja, ich weiß, du wärest da gerne hin. Ich auch. Aber ich muss das jetzt wissen. Jetzt ärgere ich mich, dass ich mich so heftig weit vom Schuss abgeseilt habe. Aber wir kriegen das hin, Erna. Wir haben schon heftigere Sachen überstanden", sagte Arne. Erna nickte ihm zustimmend zu.
Eine Stunde später hatte Arne zwei Karten für einen Flug über New York, London, Hamburg. Morgen wollten sie los.
Albertine Steinbeißer traute ihren magischen Augennicht, als sie am Nachmittag des 19. Februars eine Nachricht des ihr zur Verfügung gestellten Suchdämonen erhielt, dass Arne und Erna Hansen einen Flug nach Hamburg gebucht hatten, der am 20. Februar um 08:00 Uhr Pazifikstandardzeit von Los Angeles starten sollte. Irgendwas hatte die beiden veranlasst, ihre sichere Zuflucht zu verlassen. Ihr blieb nur, die von ihren Mitschwestern aufgebaute Mentiloquismuskette zu nutzen, um zu klären, was vorging. Denn trotz über Internet gestellter Anfrage beim US-Zaubereiministerium war bisher keine Antwort gekommen, ob die Hansens bewacht werden sollten oder nicht.
Anthelia schickte über die Kette der zwischen Amerika und Europa postierten Gedankensprecherinnen eine Nachricht an Albertine Steinbeißer zurück, dass sie sich persönlich der Sache mit den Hansens annehmen würde. Die durften auf keinen Fall nach Hamburg fliegen. Im Zweifelsfall musste sie die zwei ebenso in ihre Obhut nehmen wie Argentea Dime. Doch dann würde das von der selbsternannten Gruppe zur Mehrung magischen Lebens gegängelte Zaubereiministerium sich fragen, wie wichtig die zwei für den Spinnenorden waren und dann wohl auch, dass jemand im deutschen Zaubereiministerium mit dem Spinnenorden zusammenarbeitete. Das würde Albertine Steinbeißers Arbeit und womöglich auch ihre Freiheit gefährden. Also musste sie was anderes machen. Was genau wollte sie entscheiden, wenn sie wusste, warum die zwei wieder nach Hamburg wollten.
Unsichtbar flog sie auf ihrem Harvey-Besen auf das vielstöckige Haus zu, in dem die Hansens Albertines Informationen nach untergekommen waren. Sie musste sich sehr anstrengen, aus der Flut daraus dringender Gedankenfluten Gedanken in deutscher Sprache herauszufiltern. Endlich vernahm sie die Gedanken einer jungen Frau, die sich mit einem Mann auf Englisch unterhielt, aber auf Deutsch dachte. Dann konnte sie auch die Gedanken des Mannes erfassen und erkennen, dass es Arne Hansen war. Der sorgte sich um seine Eltern, weil die angeblich zu ihm hinreisen wollten, aber bis heute nicht bei ihm angekommen waren. Anthelia erkannte, welchen Fehler die deutschen Vergissmichs begangen hatten. Sie hatten schlicht vergessen, den Nachbarn der Hansens bei der Erinnerungsumformung einzugeben, dass Arnes Eltern auf gar keinen Fall wollten, dass Arne von ihrer Abreise erfuhr. Sie verwünschte einmal mehr diese Fernsprechgerätschaften der Magieunfähigen, wegen der Arne nun wusste, dass etwas nicht stimmte. Dann musste sie halt die Versäumnisse der deutschen Gedächtnisumformer ausbügeln.
Um nicht beim Zaubern aufgespürt zu werden zog Anthelia um das Haus einmal mehr einen Kreis, der alle darin gewirkten Zauber und Vorgänge von außen unerfassbar machte. Früher hatte sie das mit einer Menge von Steinen und einem ganzen Tag vorhergehender Bezauberungen anstellen müssen. Naaneavargias Wissen um die hohen Kräfte der Erdmagie verkürzten das ganze auf nur zehn Minuten. Als dann eine für Menschensinne unsichtbare Kuppel aus Erdzauberkraft über dem Haus stand und jetzt womöglich einige der elektrischen Geräte verwirrte drang Anthelia zu Fuß in den von ihr geschaffenen Absperrbereich ein. Erst dann apparierte sie.
Sie stand unvermittelt im Wohnzimmer der Hansens, wo Arne gerade auf seinen tragbaren Rechner schimpfte, weil der mitten im Betrieb ausgefallen war und sich nicht mehr in Gang bringen ließ. Erna war noch in der Küche. Doch weil sie das vernehmliche Plopp der von Anthelia verdrängten Luft mitbekommen hatte kam sie herüber. "Eh Arne, hasse 'ne Sektflasche aufgemacht oder ..." Anthelia belegte sie unverzüglich mit einem Erstarrungszauber, damit sie nicht losschreien konnte. Als Arne sich umdrehte und sie sah klappte seine Kinnlade herunter. Anthelia ließ ihn ebenso mit einem Erstarrungszauber bewegungslos auf seinem drehbaren Stuhl hocken. Dann drückte sie mit ihrer telekinetischen Kraft den nach unten geklappten Unterkiefer wieder hoch, damit Arne nicht die ganze Zeit mit weit offenem Mund dasitzen musste.
Mit Legilimentik durchforschte sie erst seine ganzen Erinnerungen, um zu erkennen, wo sie ansetzen musste. Dann belegte sie ihn mit einem Gedächtniszauber, dass die von ihm angerufenen Nachbarn deutlich erwähnt hatten, dass seine Eltern wegen der trüben Wintertage noch nach Gran Canaria geflogen waren und dort mindestens vier Wochen aushalten wollten. dass er für sich und Erna einen Flug nach Hamburg gebucht hatte ließ sie ihn einfach vergessen. Gleichermaßen verfuhr sie mit Erna Hansen. Dann gab sie den beiden noch die Erinnerung ein, dass sie heute nichts besonderes erlebt hatten und belegte sie mit einem Schlafzauber, der erst beim nächsten Sonnenaufgang abklingen sollte. Behutsam bezauberte sie die zwei so, dass sie in ihrer Nachtwäsche im gemeinsamen Bett zu liegen kamen. Sie bedauerte, dass es keinen wirksamen Personenschutzzauber gegen reine Schattenwesen außer dem Patronus und Sonnenlichtzaubern gab. Denn sonst hätte sie die zwei damit ausstatten können. So schrieb sie nur noch die Zugangsdaten Arnes für die Flugbuchung auf. Anschließend verließ sie das Haus und bewirkte, dass der Abschirmdom über dem Haus in einem halben Tag ohne freisetzung von Streustrahlung im Boden versinken würde.
Romina Hamton erledigte für Anthelia die Stornierung des gebuchten Fluges und die über Kreditkarte vollzogene Reisepreisbuchung. Damit war die Gefahr abgewendet, dass Arne und Erna der dämonischen Schattenriesing in die Falle gingen. Das hieß aber nicht, dass die beiden ganz außer Gefahr waren. Immerhin hatte die Schattenriesin die Entfernung zwischen dem Himalayagebirge und Deutschland überwunden. Dann konnte sie auch über den atlantischen Ozean, solange es darüber Nacht war.
Als Anthelia/Naaneavargia wieder in ihrer eigenen Zuflucht war überlegte sie, wie eine Erdvertraute Wesen wie die Schattendiener Kanoras' bekämpfen konnte. Gewöhnliche Nachtschatten flohen vor dem Patronus, wie es Dementoren und Letifolden taten. Doch würde das allein reichen, gegen eine aus zwei einzelnen Nachtschatten zusammengefügte Erscheinungsform zu gewinnen? Außerdem erinnerte sie sich an das, was Albertine ihr über das Zusammentreffen zwischen Vengor, den Nachtschatten, den Kristallvampiren und den Leuten aus den verschiedenen Zaubereiministerien berichtet hatte. Vielleicht ging da was, dachte die zu einer einzigen mächtigen Magierin vereinigte Endform aus zwei Hexen aus unterschiedlichen Zeiten und Kulturen.
"Und ihr habt echt keinen Hinweis, wer die Hexe ist, die Minister Dime mit dem Catena-Sanguinis-Zauber belegt hat?" wollte Anthelia/Naaneavargia von den Mitschwestern wissen, die Kontakte in die Heilerzunft und außerministerielle Institutionen hatten. Beth McGuire erwiderte, dass sie das auch liebendgerne wüsste. Denn wenn VM wirklich den Minister am langen Gängelband führte konnten die demnächst noch öffentliche Aufrufe zur Empfängnis neuer Zaubererweltkinder veranstalten, auch wenn sie wohl zugesagt hatten, keine amerikanischen Mitbürger zu behelligen. Auch waren die von VM sicher gerade sehr vorsichtig, weil Eileithyia Greensporn es geschafft hatte, ihren Enkelsohn Chrysostomos aus deren Versteck herauszutranslokalisieren. Dafür zollte Anthelia der obersten Sprecherin der nordamerikanischen Heilerzunft Hochachtung.
"So bleibt uns nur, so leid es mir persönlich tut, solange zu warten, bis feststeht, ob die Lossprechung von seiner Frau ihm das Leben erhalten hat oder er stirbt, weil er es nicht geschafft hat, sie zu töten", sagte Anthelia.
"Wir müssen sehr stark aufpassen. Die vom Ministerium haben jetzt neue Aufspürgeräte, mit denen sie die geistige Reaktion auf bestimmte Fragen noch besser erfassen können. Wenn die rauskriegen, dass wir wissen, dass du die Frau von Dime versteckt hältst ..." sagte die Mitschwester Melonia.
"Schwester, das wissen sie doch schon längst. Durch die neuen Erinnerungsverbergezauber, die ich euch gab könnt ihr auch keinen unbewussten Verrat begehen. Sollte mir aber doch jemand zu Leibe rücken werde ich in dem Moment, wo dies geschieht wissen, wem ich das zu verdanken habe und glaubt mir, so leicht lasse ich mich nicht einfangen oder gar töten", sagte Anthelia/Naaneavargia. Dann kam sie auf ein anderes Thema zu sprechen:
"Ihr wisst, dass gerade zwei Menschen in den Staaten wohnen, die von einer neuartigen Form von Nachtschatten bedroht werden. Sie haben damals Kanoras' erste Übergriffe nach langem Schlaf miterleben müssen und konnten nur Dank besonderer Lichtbündelungstechnik und Überlebenswillen entkommen. Doch diese Schattenkreatur hat sich wohl darauf besonnen, alle die heimzusuchen, die ihre Entstehung mitbekommen haben und somit wissen, wer sie vorher war. Da an der fraglichen Expedition, die Kanoras zum Opfer fiel zehn Frauen Teilgenommen haben ist es nicht so leicht, den wahren Namen jener zu ermitteln, die nun unsere weitere Feindin ist, zumal sie aus zwei Einzelseelen zu einer vereinten Daseinsform zusammengefügt wurde und somit zwei wahre Namen oder einen völlig unbekannten trägt. Ich habe hier einen Plan erstellt, wer von euch unauffällig die zwei Menschen beobachten kann, die gerade am meisten bedroht sind."
"Und was passiert, wenn echt diese Nachtschatten auftauchen?" wollte Schwester Portia wissen.
"Ich habe jene von euch eingeteilt, die meines Wissens nach den Patronus-Zauber am besten können. Außerdem bekommt ihr von mir ein paar hoffentlich sehr nützliche Artefakte mit. In jedem Fall, wenn ein ungewöhnlich großer Nachtschatten weiblicher Form dort auftaucht, ruft ihr mich sofort. Ich will dieses Unwesen selbst sehen, es mit meinen Sinnen erspüren um zu wissen, ob es überhaupt zu besiegen ist."
"Du gehst davon aus, dass diese Nachtschatten erfahren, wo ihre ausgesuchten Opfer sind, höchste Schwester?" wollte Beth McGuire wissen.
"ich wäre sehr einfältig, wenn ich das nicht täte, Schwester Beth. "Eine junge Frau ist bereits Opfer dieser Kreatur geworden, wohl weil diese wusste, wo sie wohnt. Außerdem hat sie die Mutter des jungen Mannes, der hier in den Staaten wohnt, getötet oder töten lassen. In jedem Fall saugen Nachtschatten ihren Opfern auch alle Erinnerungen aus. Wenn die Mutter des jungen Mannes genau wusste, wo er wohnt, dann ist es nur eine Frage der Zeit, wann dieses nachtschwarze Spukwesen dort auftaucht, um ihn sich auch noch einzuverleiben."
"Keine netten Aussichten", meinte Portia dazu.
"Sechs von euch kommen mit mir!" legte Birgute fest, als sie sicher war, dass im Moment keiner damit rechnen mochte, dass sie in den Staaten zuschlagen wollte. "Hirabeela, du stellst die Verbindung zu ihm her, weil er deine Stimme besser vernehmen und auch darauf antworten wird", stellte sie klar. Die erwähnte Tochter Birgutes bestätigte diese Anweisung.
"so fliegen wir in der nächsten Nacht so weit wir in einer Nacht kommen. Wenn der Morgen graut finden wir ein Versteck zum übertagen", legte die Königin der Schattenwesen die Marschrichtung fest. Die von ihr auserwählten Begleiter bejahten es im Chor.
"Sie regt sich wieder", frohlockte Riutillia. Ihre fleischliche Schwester Thurainilla erschien unverzüglich aus dem Nichts heraus. Aldous Crowne erwachte aus einem wohltuenden Schlaf.
"Kannst du spüren, wo sie ist und ob sie an dem Ort bleibt oder sich bewegt?" fragte Thurainilla. "Wenn du und Aldous mir wieder helft ja", erwiderte die schattenhafte Zwillingsschwester Thurainillas.
So bildeten sie ein Dreieck und sangen ein von Thurainilla angestimmtes Lied, dass die Wogen der Dunkelheit beschwor. Deren Echos erfühlten sie nun und wo sie auf sie einsaugende Kräfte trafen. Dann wussten sie, dass die Schattenfrau und wohl einige niedere Gehilfen im hohen Tempo richtung Westen flogen.
Aldous saß auf seinem Motorrad Sharon auf und wechselte in die Schattenform über. Dann kletterte seine Wiedergebärerin Riutillia hinter ihn auf den Soziussitz. Sharons Gedankenstimme schnurrte behaglich, als Aldous ihr sagte, dass sie wohl gleich auf Jagd gehen würden.
"Schwester, sei erst friedlich zu der anderen! Finde heraus, wer sie ist und was sie vorhat! Nur wenn sie dich angreift wehre dich. Und falls sie stärker als du sein sollte, dann verschwindet da wieder!" sagte Thurainilla.
"Sie kann nicht stärker sein als ich, Schwester. Ich kann die Dunkelheit einatmen und habe genug Kraft in mir, um zweimal so groß wie ein Sterblicher zu werden", sagte Riutillia. Dann stellte sie eine Gedankenverbindung zu Aldous und Sharon her. Diese benutzten sie, um sich zeitlos an den Ort zu versetzen, an dem die dahinjagende Unbekannte gerade war.
Um sie herum war die Nacht, die mit ihrer wohltuenden Dunkelheit auf sie einströmte. Nur das Mondlicht verhinderte, das Aldous auf maximale Flughöhe steigen konnte. Doch das musste er auch nicht. Vor ihm flogen sieben Kugeln, davon eine, die an die zwei Meter Durchmesser besaß. Die anderen waren gerade einmal fußballgroß. Sie glitten mit der Geschwindigkeit eines Orkans durch die Nacht. Von unten mochte jemand sie als kleine schwarze Punkte am Himmel erkennen. Aldous fühlte die artverwandte Ausstrahlung, die von den vor ihm fliegenden Kugeln ausging. Doch die größte Kugel strahlte noch etwas wesentlich stärkeres aus, das beinahe alle anderen überlagerte. Das Schattenmotorrad Sharon erbebte. Erst dachte Aldous, dies sei aus Angst vor der Unbekannten. Doch dann preschte sie vor. Gleichzeitig fiel aus ihrem Scheinwerfer jenes alles Licht schluckende, die pure Dunkelheit. Damit traf Sharon den weiter hinten fliegenden Kugelkörper, der erst erbebte, dann ruckelte und dann wie von einer Angel eingeholt auf Sharon zuflog.
"Nein, Sharon, nicht dieses Wesen einsaugen!" befahl Aldous. Doch da war es schon passiert. Die schwarze Kugel drang laut aufschreiend in den Dunkelheitswerfer ein und verschwand darin. Sofort stoppten alle weiterfliegenden Schattenkugeln. Das nutzte Sharon, um sich noch eine der kleineren davon einzuverleiben.
"Wer wagt das? Meine Kinder! Das werdet ihr büßen!" schrillte eine sehr zornige Frauenstimme durch die Nacht. Aldous verstand genug Deutsch, um zu wissen, was jetzt anstand. Sie hatten dieser Kreatur den Krieg erklärt, mal eben zwei ihrer Kinder ausgelöscht. Und Sharon schien erst so richtig auf den Geschmack zu kommen. Sie versuchte, weitere Kugeln einzufangen. Doch die größte, die Mutterkugel, verlegte ihr den Weg. Sie stieß eine schwarze Nebelspirale aus. "Dir Stück toter Seele werde ich helfen. Spuck meine zwei Söhne sofort wieder aus!"
"Mmnein. Habe noch Hunger", klang Sharons metallische Gedankenstimme. Da wuchs sich die schwarze Kugel zu einer an die sechs Meter großen, frei schwebenden Form eines menschlichen Schattens aus, von der Breite der Hüften her womöglich weiblich. Mit ihrer lichtschluckenden rechten Hand griff sie gezielt in den dunklen Strahl aus Sharons Unlichtwerfer. "Dir werde ich helfen, meine Kinder einsaugen, als wenn es alte Brotkrümel wären, du Stück Schrott."
"Eh, du bist ja richtig stark. Habe echt Hunger. Du passt noch in mich rein!" erwiderte Sharon, obgleich sie nun selbst immer näher auf die unheimliche Schattenform zugezogen wurde. Riutillia erkannte, dass ihr Sohn gerade dabei war, mit dieser Riesengestalt aneinanderzugeraten. "Oh, du hast sie wirklich schon verdaut, du verhextes Stück Blech! Dann kriege ich eben deinen Fahrer als Ersatz für einen meiner von dir zersetzten Söhne."
"Sharon, lass sie. Mach's Unlicht aus und zurückziehen!" befahl Aldous, der schon ahnte, was gleich passieren würde, wenn Sharons Unlichtstrahl noch weiter auf die andere gerichtet blieb. "Lass sie in Ruhe!" hörte Aldous Riutillias Stimme. Da erlosch der Unlichtstrahl. Doch die andere war nur noch zehn Meter entfernt. Sie streckte sich aus wie ein Wettkampfschwimmer und jagte nun auf Aldous und Sharon zu, die sichtlich verärgert schien, dass ihr jemand den Spaß verdorben hatte. Aldous riss am Lenker und brach nach links aus. Doch die andere wechselte mal eben ohne Zeitverlust in die Richtung, wo Sharon gerade hin wollte. "Deinen Reiter stopf ich mir jetzt rein. Vielleicht kann ich den zu einem neuen Sohn von mir werden lassen. Komm zu mir! Wachs in mir!" Doch dieser Befehl wirkte auf Aldous eher abschreckend als anlockend. Er widerstand dieser Aufforderung. Da sprang die andere durch die Luft auf ihn zu, bereit, ihre nachtschwarzen Arme nach ihm auszustrecken.
"Nein! Er ist mein Sohn!" rief Riutillia und sprang vom Soziussitz. Keine Viertelsekunde später schwebte sie als fünf Meter große Schattenriesin zwischen Aldous und der anderen. Doch jetzt konnte Aldous erkennen, dass die andere wahrhaftig einen Meter größer war als seine Wiedergebärerin. Dann prallten beide aufeinander. "oh, das geht schief!" dachte Aldous.
"Du bist stark, aber nicht so stark wie ich, die Erbin von Kanoras, dem Herren der Schatten", hörte er die Stimme der anderen.
"Ich bin die wahre Schattenherrin. Ich sauge die reine Dunkelheit aus Nacht und Seelen", hörte er seine zweite Mutter dagegen ansprechen. Doch sie klang nicht so überlegen, wie sie das wohl sein wollte. Aldous bremste mitten in der Luft. Da für ihn und Sharon gerade keine Schwerkraft galt und der hier wehende Wind durch ihn hindurchblies war es kein Akt, die Position zu halten.
"Stimmt, du bist zu stark, um eine gehorsame Tochter von mir zu werden. Aber ich werde deine Substanz aufsaugen und deinen Geist in mir aufgehen lassen, damit ich deine ganze Kraft habe. Dann weiß ich auch, wer ihr seid!"
"Das werde ich gleich wissen, wenn ich dich restlos in mich ..." erwiderte Riutillia. Doch sie schien heftig gegen etwas anzukämpfen. Aldous fühlte ihre Schmerzen. Eine Schattenfrau, die Schmerzen fühlte? Das war nicht gut.
Riutillia erkannte, dass sie in ihrer menschenähnlichen Form nicht gewinnen würde. Sie verwandelte sich in einen metergroßen Nachtfalter, der versuchte, mit seinem Saugrüssel in die andere vorzustoßen, um sie leerzusaugen. Das schien für einige Sekunden tatsächlich zu gelingen. Doch dann zerfloss die andere zu einer schwarzen Wolke und hüllte Riutillia vollkommen ein. Aldous hörte noch ihre höchst erschrockenen Aufschreie, die in der Tonhöhe immer weiter nach oben glitten und dabei verwaschener und leiser wurden. Da begriff er, dass die andere seiner zweiten Mutter eine verdammt geniale, leider auch tödliche Falle gestellt hatte. Wie gelähmt schwebten er und Sharon auf dem Punkt. Die noch verbliebenen Schattenkugeln kamen näher und umschwirrten die beiden. Dann erscholl ein langgezogener, wie aus einem engen, tiefen Schacht klingender Aufschrei wie von einem kleinen Mädchen. "Neiin!!" Dann fühlte Aldous etwas wie ein Zerreißen. Es war, als habe ihm jemand etwas aus dem Körper herausgerissen, das nun wie ein durchgerissenes Gummiband zurückschnurrte, sowohl in seine, wie auch in die andere Richtung. Das geistige Band zu seiner zweiten Mutter war gerade durchtrennt worden. Seine zweite Mutter war vergangen, erloschen, in diesem dunklen, wabernden Etwas verschwunden. Diese andere hatte seine zweite Mutter vertilgt wie eine Amöbe eine Mikroalge. Und ihm wurde klar, dass Sharon und er die Nachspeise dieser unheilvollen Ausgeburt der Nacht sein würden.
"Kommt sofort zurück! Ich befehle es euch!" hörte Aldous Thurainillas höchst erregte Gedankenstimme. Da trieb dieses Zwischending zwischen einer Gewitterwolke und einem Freiballon auf ihn zu. Er fühlte schon die Begierde, die dieses Wesen ihm entgegenbrachte. "Wenn du schon nicht mein süßes Baby sein willst, dann vereinige ich dich mit dieser halben Schwester", hörte er die Gedanken der anderen. Sharon begriff nun, dass da wer war, der ausnahmsweise mal sie aufsaugenund verdauen wollte. Ohne dass Aldous es befehlenoder durch Lenkbewegungen einleiten musste wendete sie auf dem Punkt und jagte davon, schneller als der Schall. Aldous konnte noch hinter sich sehen, wie das Schattenmonstrum, dass Riutillia in sich eingeschlossenund verdaut hatte, versuchte, ihm zu folgen. Doch es konnte nicht so schnell wie er. Nur die sie begleitenden Schattenkugeln erreichten die halbe Geschwindigkeit. Er flog weiter. Da fühlte er den kurzen Stoß in der ihn umfließenden Dunkelheit. Es war, als würde eine Welle von hinten gegen ihn und an ihm vorbeibranden. Dann hatte er die unheimliche Gegnerin keine zwei Kilometer weit voraus. Sie begann, sich auszudehnen, wurde dabei lichter. Doch Aldous gab sich keinen falschen Hoffnungen hin, dass dieses Biest da gerade ansetzte, auch ihn zu umschließen und dann im Stil einer Amöbe zu vertilgen. Wie war der dafür gebräuchliche Fachausdruck noch mal?
"Phagozytose, kleiner Schattenreiter. Gleich bist du wieder bei Mutti", hörte er die Gedankenstimme der anderen. Verdammt! Die konnte seine Gedanken lesen.
"Spring zu mir!" hörte er Thurainillas Stimme. Er fühlte noch, wie Sharon wieder abrupt die Richtung wechselte. Ihre Gedanken konnte die andere wohl nicht erfassen. Dann dachte er: "Nach Hause!" Keinen Moment später befand er sich bei Thurainilla in der Höhle, in der er sonst sein Motorrad versteckt gehalten hatte. "Schnell in deine fleischliche Form zurück, damit sie nicht länger weiß, was du denkst!" zischte Thurainilla. Aldous konzentrierte sich und schaffte es, seine fleischliche Form zurückzugewinnen. Sharons gedankliches Aufstöhnen war die letzte Regung, die er von ihr empfing, bevor sie wieder zu einer PS-Starken, ansonsten gewöhnlichen Yamaha verstofflichte.
"Ihr schuldet mir zwei Söhne. Entweder wird dein Abhängiger einer davon, Thurainilla, oder ich werde mir zwei von seinen früheren Freunden holen, such es dir aus!" hörten sie beide die sehr aufgebrachte Gedankenstimme der anderen. Dann fühlten beide, dass sie geradewegs in ihr Versteck eingedrungen war.
Sofort versuchte die Andere, ihre beiden Gegner wie eine dichte Wolke zu umgeben. Da schloss Thurainilla sich und ihren Abhängigen in eine Halbkugel aus verdichteter Dunkelheit ein. Aldous hörte sich darin wie in einem großen Metalltank. Er sah, wie dunkelrote und violette Blitze über die Kuppel zuckten. "Verwünscht! Sie ist stärker als ich hoffte. Ich kann ihr nicht einen Funken Unlicht entreißen", hörte er Thurainillas Gedankenstimme.
"Ja, recht ordentlich und sehr lecker. Aber gleich verputz ich euch und kriege alles von euch, was ihr noch in euch habt", hörten sie wie durch eine dicke Wand die andere Stimme. Thurainilla erzitterte, sie machte Handbewegungen, die den um sie aufgestellten Dom aus Dunkelheit verstärken sollten. Dann beulte sich die Halbkugel an einer Seite ein. Dann stieß etwas wie ein nachtschwarzer Dorn hindurch, an dessen Spitze es wie violettes und goldenes Elmsfeuer flackerte. Der Dorn schob sich langsam auf Thurainilla zu, die nicht wagte, in eine andere Richtung auszuweichen. Sie vollführte Faustschläge, die violette Blitze zwischen sich und dem auf sie zustrebenden Auswuchs aufstrahlten. "Bringt dir auch nichts mehr. Gleich habe ich dich und ziehe dich in mich rein. Ich freu mich schon drauf, wie du schmeckst, Dunkelmeisterin!"
"Wieso kannst du das?" stöhnte Thurainilla. "Ich beherrsche die Kosmische Dunkelheit. Mir ist alles von ihr abhängige Untertan!"
"Tja, weil du gerade nicht unter freiem Himmel bist und ich auch die Dunkelheit der tiefen Erdhöhlen verdauen kann. Nimm es hin, Tochter der Lahilliota oder gib mir deinen wiederverfleischlichten als meinen Sohn! Dann darfst du auch weiterleben."
"Wie du meinst, Thurainilla", stieß die Stimme der anderen aus. Da zog sich die Halbkugel noch enger zusammen. Der dorn aus Dunkelheit stieß mit der flackernden Spitze vor. Doch da hatte Thurainilla ihren Abhängigen schon beim Arm gepackt. Der hielt sich noch an Sharons Lenkstange fest. Keinen Moment später waren sie wieder woanders.
Diesmal waren sie in jener Höhle, in der Thurainillas magischer Krug stand. Aldous fühlte, wie ein Gutteil der Kraft aus seiner Herrin entwich. Sie fiel ihm regelrecht entgegen. Da flog aus dem offenen Krug eine Wolke aus orangerotem Stoff zu ihr hin, drang ihr in Kopf und Brustkorb ein und stärkte sie.
"Verwünschtes Ding. Meine Kraft prallte an ihr ab. Und die konnte die Dunkelheit aus der Höhle wirklich besser in sich aufsaugen als ich und meine Schutzkuppel zersetzen. Jetzt hat sie meine Schwester in sich eingeschlossen und damit meinen Teil der großen Kraft in sich eingefügt", zeterte Thurainilla. Aldous sah sie abbittend an. "Da sie über dich Verbindung zu mir halten kann schläfst du erst mal. Denn aus dieser Höhle kommt kein Gedanke hinaus, den ich nicht hinauslassen will", schnaubte sie. "Hinlegen und schlafen! Ganz tief schlafen!" befahl sie. Aldous fühlte, wie dieser Befehl ihn wie ein chloroformgetränktes Tuch ins Gesicht traf. Er glitt von Scharon herunter und landete auf seinem Rücken. Dann fiel er in die tiefe Ohnmacht des ihm befohlenen Schlafes.
Thurainilla erbebte. Sie hatte die geballte Macht der widerwärtigen Anbeter dieser tierköpfigen Gottheiten zu spüren bekommen und hatte ihre Schwester Riutillia da gerade so noch in sich selbst aufnehmen können, bevor sie in ihrem Lebenskrug eingeschlafen war. Doch was dieses Schattenwesen da gerade in wenigen Minuten erreicht hatte übertraf diese schwere Niederlage noch. Sie hatte Riutillia einfach so ausgelöscht, sich all ihr Wissen und ihre Kraft einverleibt, diese gnadenlos in ihrer eigenen, überlegenen Daseinsform aufgehen lassen. Thurainilla hatte dabei nicht einmal den Namen ihrer Feindin mitbekommen. Die Tochter der kosmischen Dunkelheit hatte die zweite, noch größere Niederlage in ihrem Leben erfahren. Sie musste irgendwas tun, damit sie und ihr Abhängiger nicht gleich nach Verlassen der Zuflucht über sie herfallen konnte.
Erst einmal musste sie sich erholen. Sie hatte fünf Menschenleben aus ihrem Körper opfern müssen, um den Kampf zu führen. Eigentlich hätte die andere da nichts gegen machen können. Es sei denn, sie konnte gleichviele Menschenleben als Kraftquelle ausschöpfen. Sie dachte an Kanoras. Die andere hatte sich als dessen Erbin bezeichnet. Ja, Kanoras war sehr mächtig gewesen, und sie war froh gewesen, als sie seinen gedanklichen Todesschrei gehört hatte, der sich in zwei Stimmen aufgespalten hatte. Eine wohlige Erschütterung der Dunkelheit hatte sie verspürt, als er nicht mehr da war. Und jetzt war da die andere, seine Erbin, frei beweglich, offenbar fähig, aus Menschenseelen eigene Kinder zu erbrüten. Doch sie hatte einen winzigen Moment gefühlt, dass da etwas war, dass die Kräfte noch stärker bündelte, etwas pulsierendes. Doch wegen ihres harten Abwehrkampfes hatte sie nicht genauer darauf achten können, was das gewesen sein mochte. Sie wusste nur, dass sie eine Feindin bekommen hatte, die ihr womöglich den Garaus machen und ihre Seele verschlingen konnte, ohne dass sie in den Leib einer ihrer Wachen Schwestern überwechseln konnte, um dort in einem neuen Körper heranzureifen und wiedergeboren zu werden. Diese Aussicht machte ihr, die sie sonst das Grauen und die Gnadenlosigkeit verbreitete, die größte Angst, die ein lebendes Wesen verspüren kann, die höchste Todesangst.
Birgute Hinrichter hatte die Todesschreie ihrer beiden Söhne Karanor und laluhekan wie Feuerspeere in den Unterleib verspürt. Die von diesem Vengor erzeugte Nachbildung einer großen Gebärmutter, die ihr als feststofflicher Anker in der Welt diente, hatte heftig gebebt. Doch sie hatte die Feinde bekämpft und die mächtigere von denen sogar wie ein weißes Blutkörperchen in sich eingeschlossen und verdaut. Jetzt wusste sie, dass es eine Wesenheit gab, die ohne Vater gezeugt worden war, Thurainilla mit Namen. Die konnte aus Dunkelheit Angst und Tod machen. Tatsächlich hatte ihr die von dieser Thurainilla erzeugte Dunkelkuppel erst zugesetzt. Doch dann hatte sie alle in der Höhle enthaltene Dunkelheit an sich gerissen und die ihr feindliche Kraft in nahrhafte Kraft umgewandelt. Deshalb war diese Thuranilla geflohen. Doch sie würde sie wiedertreffen und dann all ihre Macht über die völlige Dunkelheit in sich aufnehmen. Erst dann würde sie unaufhaltsam sein, wusste sie nun.
Vonwegen aufhalten. Dieser kurze, aber heftige wie erfolgreiche Kampf hatte sie von ihrem Weg abgebracht. Sie wollte noch bis zur europäischen Westküste, sich dort in einer Höhle in der Sierra Nevada verstecken, um dann in der nächsten Nacht den Atlantik zu überfliegen. Denn solange sie nicht wusste, wie der Ort aussah, an dem die Hansens wohnten, konnte sie mit ihrem machtvollen Uterus nicht unvermittelt an einem bestimmten Ort auftauchen, so gern sie das wollte. Aber übermorgen, am 25. Februar 2003, würden Arne und Erna ihre nächsten Kinder. Und dann würde sie sich auch noch Rico Kannegießer holen. Vielleicht konnte sie bis dahin Thurainilla vertilgen. Ihre schattenförmige Schwester prickelte noch angenehm in ihrem Körper. Sie hatte sich gut gewehrt. Doch der Trick mit der Schmetterlingsform hatte ihr die Idee eingegeben, sie amöboid einzuverleiben. Das hatte die also davon.
Lahilliota hatte es mitbekommen, was ihrer Tochter beinahe widerfahren war. Die bei ihrer Geburt aus ihrem Geist aufgekeimte Zwillingsschwester aus Dunkelheit war vernichtet und damit ein Teil von Thurainillas Kraft. Die Mutter der neun mächtigen Töchter erkannte, dass es wahrhaftig jemanden gab, der oder besser die ihren Töchtern den endgültigen Garaus machen konnte. Das erschreckte sie. Vor allem sah sie im Moment keine Möglichkeit, wie sie die andere bekämpfen konnte.
"Na, Mutter! Hat meine ach so die Nacht beherrschende Schwester jemanden getroffen, die stärker ist als sie?" hörte sie die spöttisch klingende Gedankenstimme ihrer Tochter Errithalaia. Der hielt sie entgegen:
"Na, kleines Mädchen. Bist du mittlerweile aus den Säuglingssachen rausgewachsen oder brauchst du Mamis Milch, um wieder groß und stark zu werden?"
"Das wird dieser Bursche noch bereuen, der dich von mir losgerissen hat und mich deshalb so klein gemacht hat. Aber ich wachse schon wieder, Mami. Bald habe ich meine gewohnte Größe wieder. Dann hole ich dich wieder in mich zurück und auch die anderen, einschließlich Thurainilla."
"Da musst du dich wohl jetzt in einer Reihe anstellen, wer sie einverleiben darf, kleine, widerspenstige Tochter. Denn diese andere, diese Schattenkönigin, könnte sie genauso unrettbar in sich vergehen lassen wie Riutillia. Sicher würde mich das ganz traurig machen. Aber dann würdest du sie dir nicht holen können. Vergiss es, mich beerben zu wollen!"
"Wenn ich wieder meine übliche Größe habe begint die große Abrechnung", gedankenzeterte Errithalaia.
"Eher töte ich dich eigenhändig und sperre deine Seele mit einem Verharrungsbann in meinem eigenen Schoß ein", dachte Lahilliota. Doch dann dachte sie daran, dass sie dann keine Gelegenheit haben würde, Ashtarias jüngsten Sohn dazu zu bekommen, mit ihr eine gemeinsame Nachkommenschaft zu zeugen. Das war eines ihrer Ziele. Das andere war, endlich genug willfährige Diener zu haben. Wie sie die kriegen würde hatte sie lange überlegen müssen. Doch nun konnte sie es angehen. Auch musste sie noch die falsche Tochter aus der Welt schaffen, diese Alontrixhila.
Arne und Erna Hansen bekamen nicht mit, dass fünf sehr aufmerksame Frauenzimmer um sie herumschlichen, sie durch besondere Gegenstände fernbeobachteten oder ihnen auf unsichtbar machenden Besen hinterdreinflogen, solange sie kein Flugzeug bestiegen. Arne lebte mit der beruhigenden Gewissheit, dass seine Eltern sich sicher auch gerade amüsierten und es wohl endlich hingenommen hatten, dass er Erna geheiratet hatte und mit ihr in Amerika bleiben wollte.
Die Nacht vom 25. zum 26. Februar war für jemanden der das norddeutsche Wetter gewohnt war sehr mild. Deshalb schliefen Arne und Erna bei offenem Fenster. Sie hatten den Abend wieder genutzt, sich einmal mehr so richtig miteinander auszutoben. Im Moment, so Erna, war sie nicht empfängnisbereit. Darauf hatte Arne den Spruch gebracht: "Knaus Ogino ergo sum!"
"Und wenn schon. wir sind doch verheiratet, und ich kann Barbara oder Alexander auch hier in den Staaten kriegen. Eh, dann würden die gleich bei der Geburt US-Bürger, Arne."
"Du meinst Heidi oder Boris", hatte Arne gesagt.
"Boris? Neh komm! Gibt es schon zu viele", hatte Erna darauf geantwortet, während sie noch die Nachwirkung der herrlichen Explosionen in ihrem Körper fühlte.
Die Frage nach dem Namen für das erste Kind hatten sie dann vertagt, weil sie zu müde waren.
Mitten in der Nacht schrak Arne aus einem Albtraum auf. Er hatte sich bei dem Atlasgebirge gesehen und dabei mitbekommen, wie seine Mutter selbst zu einer pechschwarzen Riesin geworden war. "Arni, wo bist du?!" hatte sie gerufen, während er mit Erna, Karin und Rico im Geländewagen geflohen war. "Arni, komm zu mir! Ich mach dich genauso groß und stark wie mich", hatte sie gesäuselt. Dabei hatte sie mit ihren Füßen Felsbrocken losgetreten und dann auch noch einen halben Hang abrutschen lassen. Deshalb war der Geländewagen in die Tiefe gestürzt. Er war in eine unendlich weite schwarze Leere gestürzt, in der nur noch die Rufe seiner zur schwarzen Riesin mutierten Mutter erklungen waren. Das hatte ihn aufgeschreckt. Neben ihm lag Erna, selig schlafend, wohl noch total erschöpft von den zwei Runden Liebe. Dann hörte Arne die Stimme wieder: "Arni, wo bist du? Wo bist du? Antworte mir!"
"Verdammt, das gibt's nicht", dachte Arne. Dann fiel ihm ein, wie oft er nach einem wilden Traum noch irgendwelche Stimmen oder angstmachenden Geräusche gehört hatte, weil er eben noch nicht ganz aufgewacht war. Das war es hier wohl auch.
"Arni, mein süßer kleiner Spatz! Wo bist du?" Das konnte nicht sein. Das war echt die Stimme seiner Mutter in seinem Kopf, als hätte der jemand einen Telepathiesender gegeben oder sowas. Als die Stimme ein weiteres mal und mit größerer Lautstärke aufklang antwortete er reflexartig: "Ich bin hier, Mutti! Ich bin ..." Da erst fiel ihm auf, dass sowas eigentlich nicht gehen konnte. Doch wenn es ging, dann konnte das auch eine Falle sein. Doch für weitere Überlegungen war es schon zu spät.
Unvermittelt wurde es eiskalt und dunkel. Als wenn jemand einen pechschwarzen, mit der Hauswand abschließenden Ventilator vor das Fenster gesetzt und auf Gefrierstufe gestellt hatte. Allerdings war weder ein Luftstrom zu spüren noch ein Arbeitsgeräusch zu hören. Es war nur kalt und dunkel. Dann sah Arne die zwei blauen Lichter auf sich zukommen. "Bleib still liegen, dann geht's schnell, und meine Mutter kann dich schnell zu meinem Bruder werden lassen", hörte er eine wispernde Stimme, die Stimme seiner Mutter. Er fand keine Erklärung für das alles. Und diese Verwirrtheit lähmte ihn. Erna, die gerade erst aufwachte, bibberte vor Kälte.
"Sie ist echt da, aus dem Himmel runtergestürzt wie eine schwarze Sternschnuppe!" hörte Anthelia die Gedankenstimme ihrer Schwester Naomi. Sofort war die Führerin des Spinnenordens auf den Beinen. Mit einem Griff hatte sie ihren Zauberstab gepackt und disapparierte. Keinen Moment später stand sie neben Naomi, die ein magisches Fernrohr in der Hand hielt.
"Okay, Portia und ich gehen rein und versuchen sie aufzuhalten", sagte Anthelia und wechselte zu Portia hinüber, die bereits die zwei dunklen kiesel in der Hand hielt, die Anthelia ihr gegeben hatte. "Erst benutzen, wenn wir die Schattenriesin als solche vor uns haben! Und los!" befahl Anthelia.
Arne sah die schattenhafte Erscheinung, die über ihm herunterschwebte, während sich eine zweite Schattenform Erna näherte. Dann hörte er ein lautes Ploppen und dann zwei Frauenstimmen: "Expecto Patronum!"
Im nächsten Augenblick sah Arne nur noch zwei armdicke Strahlen aus silberweißem Licht, die über ihn hinwegfuhren und die beiden Schattenwesen förmlich hinwegfegten, bevor sie zu zwei total überirdischen Gebilden wurden, eine große Spinne und eine Stute mit filigranem, leuchtendem Schweif. Außerdem hörte er Aufschreie wie aus Wut und Schmerz zugleich. "Ihr bleibt liegen!" hörte Arne eine tiefe, befehlsgewohnte Frauenstimme. Er wollte sich aufsetzen. Da traf ihn etwas, dass seinen Körper erstarren ließ. Erna lag immer noch neben ihm. Sie konnte sich offenbar auch nicht mehr rühren.
"Wer seid ihr, dass ihr es wagt, mich, die Königin der Nachtkinder, zu beleidigen?"
"Die Königin der Nachtkinder? Da wirst du aber sehr großen Ärger mit den Vampiren bekommen. Die nennen sich auch so", hörte Arne die fremde Frauenstimme.
"Wer bist du? Sage es mir, deiner neuen Herrscherin!" erwiderte die andere. Arne hatte irgendwie den Eindruck, dass er die Stimme kannte. War es Birgit Hinrichs oder Ute Richter, die beide bei dem Überfall am Atlasgebirge umgekommen waren? War eine von denen zu einer Art Geist oder Dämon mutiert?
"Birgit Hinrichs soll schweigen. Ute Richter soll sich unterwerfen", hörte er die andere Frauenstimme rufen. Darauf folgte ein schallendes Gelächter. "Die beiden gibt es nicht mehr, du kleine miese Hexe. Aber jetzt geh aus dem Weg oder werde du die erste, die ich in dieser Nacht empfange."
"Soso, du meinst, ich wollte deine gehorsame Tochter werden? Wie soll denn das gehen, wo meine Mitschwestern und ich unsere Schutzwesen aufgerufen haben?" fragte die unbekannte.
"Das werden wir gleich haben!" brüllte die Frau, die entweder Birgit Hinrichs oder Ute Richter war. Irgendwie klang die aber wie beide zusammen, dachte Arne.
Es krachte laut, als silberne Funken stoben. "Die sind stark, vor allem dieses Spinnenvieh. Aber ich bin stärker. Ich bin stärker", hörte Arne die Geisterhaft klingende Frauenstimme. Im Moment war es nicht so kalt. "Eh, bleibst du da weg, du Ungeziefer!" hörte er die andere fluchen. "Verdammt, du sollst da wegbleiben. Ah, habe ich dich!" Die Frau von eben stöhnte. Offenbar war irgendwas übles passiert. Doch dann sagte sie was, das Arne nicht verstand. Die unheilvolle Geisterstimme lachte. Dann rief sie: "Dein Spinnentier habe ich zwischen meinen starken Beinen zerquetscht. Jetzt bist du wehrlos, kleine Hexe. Dabei bist du wohl nochkeine 127 Jahre alt."
"Ich verrate mein Alter doch keiner Sklavin von Kanoras und aus Vengors Dummheit erbrüteten Missgeburt."
"Gleich habe ich auch die andere. Eh, und weg damit", hörte Arne noch. Dann stöhnte auch die andere auf.
Wieder wurde es stockdunkel. Wider leuchteten blaue Lichter auf. Da lachte die Frau mit der unheimlich anregenden Stimme. "Du hast dich so mit Dunkelheit vollgesogen, dass du selbst meinen Patronus zerdrücken konntest. Aber damit habe ich gerechnet", sagte sie. "Außerdem weiß ich jetzt, dass du eine stoffliche Gebärmutter hast. Daraus erbrütest du deine Kinder und ..." Unvermittelt knallte es. Ein sonnenheller Lichtspeer fegte durch den Raum und traf auf ein Ziel. Arne hörte einen Aufschrei, der ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Es war der Schmerzensschrei seiner eigenen Mutter. "Du Flittchen, du Hure!!" brüllte diese dann noch. "Aber ich bin noch stark genug. Ich mach dich kalt."
"Nur den Körper, meine Tochter. Ihre Seele gehört mir!" schrillte die Stimme der Geisterfrau dazwischen. Das war irgendwie Birgit Hinrichs und Ute Richter. Wenn die echt zu einem einzigen Gespensterwesen geworden waren ... Birgute Hinrichter. Das wäre echt ein genialer Dämonenname, fand Arne Hansen.
"Bevor ich eine von deinen Nachtgespenstertöchtern werde nur noch eine Weisheit eines großen Heilers!" rief die Frau mit der tiefen Altstimme. "Welche soll das sein, du Hure?" fragte die geisterhafte Frauenstimme von draußen zurück.
"Selbst reines Wasser kann ein Gift sein, wenn es in der entsprechenden Dosis verabreicht wird."
"Paracelsus?! Ach, den kennt ihr Hexenvolk auch, wo der doch von der Magie nichts wissen wollte", lachte die Geisterstimme.
"Er wollte schon. Aber weil er wusste, dass seine Zeitgenossen die Magie verachteten, beschränkte er sich selbst auf die reine Kräuterkunde und Therapie mit pflanzlichen Heilstoffen", errwiderte die eine. "So schluck und zerplatze, Schattenkönigin!" Arne sah noch, wie zwei blaue Lichterpaare durch das Zimmer flogen, aber von einer unsichtbaren Wand abprallten. Dabei meinte Arne, einen kurzen Schmerzenslaut aus zwei Kehlen zu hören. Die eine Stimme gehörte seiner Mutter.
"Unsichtbares Licht, eh? Ultraviolett oder Infrarot? Kennt ihr das also auch", lachte die Geisterstimme. Dann krachte es laut wie ein Donnerschlag. "Gleich ist deine unsichtbare Lichtwand weg und du steckst in meinem gemütlichen Bauch und wirst meine nächste Tochter, genau wie deine Komplizin. Dann stecke ich noch die zwei Weltenbummler da zu euch beiden rein und bringe euch als süßes Vierlingsquartett an die Dunkelheit der Nacht zurück." Währenddessen krachte es und prasselte es. Dann gab es einen scharfen Knall, der Arne in den Ohren weh tat.
"So koste die Weisheit des Paracelsus", hörte Arne. Unvermittelt meinte er, ein Dampfhammer träfe ihn am ganzen Körper. Es wurde noch dunkler als vorher. Seine Lungen schmerzten, weil ein ungeheurer Druck auf ihnen lastete. Doch merkwürdigerweise hörte er dafür viel besser. Er hörte Atemzüge von drei Leuten, drei Herzen schlugen einige Meter entfernt und eines kanonendonnerlaut in seinem eigenen Körper. Dann hörte er die Aufschreie von zwei Frauen, die sich schneller als mit Laufgeschwindigkeit entfernten. Er hörte ein Ächzen und Keuchen. Ein angestrengtes Pressen, wie von jemandem, der ein großes Gewicht stemmen muss oder eine hartnäckige Verstopfung loswerden musste. "Das kann nicht ... arg.. zu viel ... zu ... Uuuaaarg!" Die letzten Laute klangen wie von einer Walkuh mit Bauchkrämpfen. Doch sie wurden schnell leiser, erstarben dann in einem kurzen Augenblick. Arne meinte, eine leichte Welle über sich hinwegbranden zu fühlen.
"Madrash katunatori!" hörte er Worte, die er nicht verstand. Da berührte ihn etwas am Arm. Sofort wurde ihm das Atmen leichter. Er konnte jedoch noch immer nichts sehen. Er hörte, wie jemand um das Doppelbett herumging, kurz stehenblieb und dann weiterging. Dann meinte er, ein Geräusch wie das Ploppen eines 4-Liter-Flaschen-Sektkorkens zu hören. Dann hatte er den Eindruck, dass außer Erna und ihm nur noch eine atmende Frau im Raum war.
Sie wird wiederkommen. Nicht in den nächsten fünf Minuten, weil der Ausbruch beschleunigter Dunkelheit aus tiefer Erde sie zurückdrängt. Aber in der nächsten Nacht wird sie wiederkommen. Ich habe die Pflicht, euch zu beschützen, bis ein Weg gefunden ist, sie zu vernichten oder vollkommen zu unterwerfen oder einzukerkern. Schlaft erst einmal weiter. Schlaft und erholt euch!" Arne fühlte, wie seine Beweglichkeit zurückkehrte. Dann hörte er die eine Frau leise ein Lied anstimmen, das ihm Ton für Ton wie ein heilsames Schlafmittel in das Gehirn drang, ihn immer müder machte und ihn dann wahrhaftig einschlafen ließ.
Anthelia/Naaneavargia hätte es fast darauf ankommen lassen, den von Arne Hansen zusammengesetzten Namen auszuprobieren. Doch sie wusste, dass die Schattenfrau dann keinen Moment gezögert hätte, sie und alle in Hörweite umzubringen, falls dieser Name wahrhaftig ihr neuerwählter war. Deshalb hatte sie gerade soeben noch darauf verzichtet, dieses Unheilsgeschöpf mit Birgute Hinrichter anzusprechen. Auch musste die andere nicht wissen, dass sie die Gedanken von lebenden Wesen erfassen konnte.
Der Versuch mit dem konservierten Wall aus unsichtbarem Sonnenlicht war gegen mittelstarke Nachtschatten sehr erfolgreich. Das konnte sie also ihren Schwestern weitergeben. Allerdings hatte diese Übermutter der Nachtschatten enorme Kräfte. Sie hatte den Lichtwall einfach mit drei Schlägen zertrümmert. Dann kam eben die letzte Möglichkeit vor einem Rückzug zum Einsatz. Anthelia hatte in den letzten beiden Tagen vier bezauberte Steine in einer weitläufigen Höhle abgelegt und sie mit einem Auslösewort dazu gebracht, die um sie herrschende Finsternis in sich aufzusaugen. Ähnlich musste damals iaxathan den Mitternachtsdiamanten erschaffen haben, nachdem er einen Kern aus Unlichtkristall erzeugt hatte, um den er die Dunkelheit von drei Polarnächten zu festem Stoff verdichtet hatte. Anthelia hoffte, dass die Dunkelheit von zwei Tagen Dauer für ihre Aktion ausreichen würde. Dies gelang. Die Schattenriesin bekam nun Dunkelheit von zwei Tagen in nur fünf Minuten verabreicht. Für Menschen war das nur wie ein vielfach erhöhter Druck und völlige Dunkelheit. Doch für von Dunkelheit zehrende Wesen war das wie ein brennender Fidibus an einer mit Spiritus getränkten Holzplatte. Ihre Schattendienerinnen waren von der ausbrechendenWelle davongeschleudert worden. Die Schattenriesin selbst drohte unter der Kraft der in sie einschießenden Dunkelheit zu zerplatzen. Nur die sofortige Flucht durch die Apparierart der Nachtschatten bewahrte sie davor, restlos zerfetzt zu werden. Die hier noch wohnenden Menschen schliefen wie die Hansens ein, als Anthelia Sardonias Schlaflied sang.
Anthelia ging nun daran, ihre Schutzvorkehrung zu treffen. Hierfür holte sie aus einer silbernen Schatulle die zwei noch nicht eingesetzten Dunkelheitfreisetzersteine. Sie betrachtete erst die beiden schlafenden und dann deren Eheringe. Diese bestanden aus vergoldetem Silber. Die Metalle von Sonne und Mond verbunden, besser mochte es nicht sein, dachte Anthelia/Naaneavargia.
Sie zog den beiden die Ringe vom Finger und gravierte mit einem winzigen Griffel aus Diamanten die Zeichen für Sonne, Mond und Erde ein. Dann piekste sie erst Arne in den Finger, um dessen Blut an den Griffel zu bekommen. Damit bestrich sie die von ihr gravierten Zeichen. Dann drückte sie einen der Steine, die gerade mal so groß wie ein Erdnusskern waren, auf den Ring und sprach eine alte Litanei, die eine Verbundenheit und den Schutz durch die großen Wesenheiten Vater Himmelsfeuer, die kleine Himmelsschwester und die große Erdmutter erbaten. Dann sprach sie noch einen erweiterten Diebstahlschutz, den Sardonia erfunden hatte, wenn sie jemandem etwas übergeben wollte, dass die betreffende Person immer am Körper tragen sollte. Danach steckte sie den Ring an Arnes Finger und sprach: "In praeseintia inimicae maximae agito!" wobei sie sich die Schattenriesin vorstellte und an Tod und Vernichtung dachte. Der Ring glühte kurz in einem warmen roten Licht auf. Dann war er wieder wie sonst. Der auf ihn gesteckte Stein war mit dem Schmuckstück verbunden und würde ab nun immer dann, wenn die Schattenriesin in der Nähe war die gespeicherte Dunkelheit freisetzen, solange bis die Feindin davon vertrieben oder vernichtet war. Wenn die Schattenriesin außer reichweite war würde die Kraft wieder einschlafen. Was dann noch an gespeicherter Dunkelheit enthalten war blieb bis zum nächsten Angriff gespeichert. Insgesamt fünf Minuten Dunkelheitsfreisetzung standen Arne nun zur Verfügung. Das gleiche bereitete Anthelia auch Erna Hansen. Dann belegte Anthelia die beiden mit einem Gedächtniszauber, der sie daran denken ließ, dass sie ihre Ringe schon so erhalten hatten und ihnen gesagt worden war, gegen die Gefahren der Nacht zu schützen.
Von den Zaubern sichtlich angestrengt verließ Anthelia/Naaneavargia die Hansens wieder. Wenn ihre Schutzbanne noch hielten hatte niemand aus der amerikanischen Zaubererwelt mitbekommen, dass die beiden beinahe die nächsten Opfer der Nachtschattenkönigin geworden wären. Die oberste Führerin des Spinnenordens rief in ihrem Hauptquartier noch einmal die an dieser Aktion beteiligten Mitschwestern zusammen und bedankte sich für deren Mithilfe. Dann zog sie sich in ihr Schlafzimmer zurück.
Die höhste Schwester des Spinnenordens schlief bis in den Nachmittag hinein. Da wurde sie von ihrer Schwester Beth McGuire geweckt. "Höchste Schwester, es ist was passiert, das glaubst du mir nicht."
Es war wie in sie hineinschießendes Wasser über sie gekommen. Erst hatte sie einen erheblichen Kraftschub verspürt. Sie wollte schon frohlocken, dass die andere sich wohl verschätzt hatte. Doch dann hatte es sie immer mehr aufgebläht, ihr immer mehr Druck gemacht. Sie hatte ihren Unterleib in einem wilden Ruckeln und Beben gefühlt. Sie konnte sich nicht mehr frei bewegen. Um sie herum schrumpfte alles zusammen. Sie fühlte, wie sie ihre Form verlor, immer mehr zu einer immer größeren Kugel anschwoll. Nein, sie würde platzen, wenn sie nicht von hier floh. So war sie über den Ozean hinweg in ihr deutsches Versteck geflüchtet. Doch sie fühlte, dass sie dem inneren Druck nicht mehr lange widerstehen konnte. Wenn die Höhle das nicht aushielt verging sie noch. So wechselte sie schnell noch nach draußen. Dann konnte sie sich endlich darauf konzentrieren, die in sie hineingepumpte Dunkelheit freizusetzen. Als wenn sie eine mit mehreren hundert Bar aufgefüllte Blase habe ließ sie die überschüssige Kraft in die freie Nacht hinaus und sah, wie um sie herum Wilde Wogen aus völliger Dunkelheit davonjagten. Womöglich würde dieses Zeug in einiger Entfernung alles Licht verschlucken. Aber das war ihr jetzt egal. Minutenlang ließ sie den in ihr angestauten Druck ab, wobei sie endlich wieder auf ihre übliche Größe zusammenschrumpfte. Auch das Rumpeln und Kullern ihres stofflichen Uterus' ließ nach. Jetzt fühlte sie sich wieder so wie vor diesem Ausflug. Hirabeela Senga und die anderen waren von der Dunkelheitswelle mit vielfacher Schallgeschwindigkeit davongeschleudert worden. Doch sie existierten noch. Sie flogen in alle Richtungen davon und hatten dabei auch ein Übermaß an Dunkelheit in sich aufgenommen. Einem ihrer Kinder widerfuhr es, dass es in die aufgehende Sonne hineinflog und laut aufschreiend verging. Die anderen konnten sich mit dem Sprung durch die Dunkelheit in Sicherheit bringen. Als sie alle von hundertfacher Fülle auf ihr beherrschbares Größenverhältnis zurückgeschrumpft waren sagte Birgute:
"Sie hat mir, einer Ärztin, Paracelsus in den Leib gerammt, wie ich das nie zuvor gedacht hatte. Dieses Weib ist gefährlicher als diese Thurainilla. Und genau deshalb werde ich mir dieses Flittchen als eure künftige Schwester verschaffen. Wer sie wo auch immer vorfindet soll sie eines Teils ihrer Körperkraft berauben und dann zu mir treiben. Erst dann will ich ihre Seele in mich reinziehen und neu austragen. Wer immer du bist, Dunkle Hexe, du wirst einmal meine treueste Tochter werden. Das schwöre ich bei Nacht, Meerestiefe und ewig unberührten Höhlen."
"Und was ist mit Rico Kannegießer, wollte Remurra Nika wissen.
"Er wird bereits zu gut bewacht", schnaubte Birgute Hinrichter. "Erst wenn wir viele und stark genug sind, die Wache zu überwältigen, werde ich ihn mir nehmen und als euren neuen Bruder zurückbringen. Und was die zwei Ausreißer angeht, die kriege ich auch noch. Aber nicht heute und auch nicht morgen", fügte sie mit einer unüberhörbaren Verdrossenheit hinzu.
"Was sollen wir dann für dich tun, Mutter und Königin?" wollte Remurra Nika wissen.
"Wir vermehren uns und verfolgen gleichzeitig die Idee, die dein Bruder Garnor hatte. Wenn die echt umgesetzt werden kann kriegen wir dieses Zaubererpack an zwei oder drei Fronten unter", erwiderte die in dieser Nacht an ihre Grenzen getriebene Erbin des Kanoras.
"Dieses andere Wesen, von dem du gesprochen hast, Mutter und Königin, wie stark ist das?" wollte Garnor Reeko wissen.
"Ich denke, ich habe der anderen schon einen großen Anteil Kraft weggenommen", grinste Birgute Hinrichter. "Aber die hat noch Schwestern, und sie kann die Dunkelheit des Weltraums als Kraftquelle benutzen. Das will ich garantiert nicht unterschätzen, schon gar nicht, wo mich dieses Hexenflittchen mit einer Art Dunkelheitskompressor fast zum platzen aufgeblasen hat. Am Ende kann die fleischliche Zwillingsschwester von der, die ich mir einverleibt habe, sowas auch noch machen. Im Moment weiß ich echt nicht, was ich dagegen machen kann, weil wir alle ja von reiner Dunkelheit leben. Stellt euch mal vor, jemand setzt euch eine Atemmaske auf und pumpt mit hundert Bar Luft in euch rein. Das würdet ihr keine halbe Minute überleben, oder jemand flößt euch über eine Magensonde fünfzig Kilo fetthaltige Flüssignahrung ein. So war das gerade für uns."
"Öhm, was für Schwestern hat die, von der du sprichst, Mutter?" wollte Garnor noch wissen, der wohl meinte, einiges über Zauberwesen zu wissen. Birgute erzählte ihm und den anderen, was sie durch die Vertilgung der schattenhaften Gegnerin erfahren hatte. Dann sagte sie: "So bleibt es dabei, dass wir uns Leute aussuchen, die für uns nützlich sind. Die einfach nur gut draufhauen können oder nur skrupellos sind werden meine leiblichen Kinder oder euer Futter. Die welche an wichtigen Stellen sitzen versuchen wir zu lebenden Handlangern zu machen."
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