Die von vielen Hexen und Zauberern gehegte Hoffnung auf den Beginn einer wirklich friedlichen Zeit vergeht bereits zu Beginn des Jahres 2003. Vengors dunkler Verschmelzungszauber erzeugt aus den zwei Schattendienerinnen Birgit Hinrichs und Ute Richter die eigenständige wie mächtige Schattenriesin Birgute Hinrichter, die danach trachtet, die letzten vier Zeugen ihrer Entstehung in untergeordnete Artgenossen, ihre Schattenkinder, zu verwandeln. Hierbei scheut sie nicht davor zurück, ihr bereits unterworfene Nachtschatten gegen arglose Menschen einzusetzen. Außerdem beschäftigt die europäische Zaubererwelt die offenbarte Wiederkehr der einstigen Dunkelhexe Ladonna Montefiori, welche sich in Italien einen magisch gesicherten Unterschlupf verschafft und gegen ihre Verwandten aus dem Volk der Veelas kämpft, um ihre Freiheit zu bewahren. Zudem sorgt ein fragwürdiger Vertrag zwischen dem US-Zaubereiminister Dime und der weltweit tätigen Gruppierung Vita Magica für Unmut bei den in den Staaten lebenden Hexen und Zauberern. Vor allem die durch Vita Magica zu späten Vaterfreuden gelangten Zauberer begehren gegen das Stillhalteabkommen des Zaubereiministeriums auf. Sie beschließen, einen von ihnen zu Minister Dime hinzuschicken, um zu klären, was sie von diesem noch zu erwarten haben. Als Bote will der kalifornische Heiler Silvester Partridge auftreten. Der hegt den Verdacht, dass Chroesus Dime durch den verwerflichen Catena-Sanguinis-Zauber zur Unterzeichnung des Vertrages gezwungen wurde. Doch um zu klären, ob sein Verdacht stimmt muss er den Minister persönlich aufsuchen.
Julius Latierre saß am 25. Februar halbwach in seinem Büro. Chrysope hatte sich irgendein Magen-Darm-Virus eingefangen und die ganze Nacht lang geplärrt und gequängelt. Gut, dass sie ihr eine frische Wochenwindel angezogen hatten. Doch an Schlaf war für Millie, Aurore und Julius nicht zu denken. Außerdem schien sich die kleine Clarimonde langsam immer mehr in ihrer warmen Unterbringung auszutoben. Deshalb reagierte Millie ein wenig empfindlicher als sonst. So hatte Julius sich zu seiner erstgeborenen Tochter ins Zimmer gesetzt und sie im Arm gehalten und ihr dabei aus dem Buch von Purrly, dem lilanen Knuddelmuff vorgelesen, bis Aurore in seinen Armen eingeschlafen war. Um sie nicht wieder aufzuwecken hatte er die restliche Nacht mit ihr zusammen im Sessel zugebracht, bis das kleine Mädchen, dass in dieser Nacht am liebsten keine große Schwester gewesen wäre, zur Toilette musste.
Ein Brief von Tim Abrahams war zu ihm weitergeleitet worden. Der Leiter des britischen Büros für friedliche Koexistenz zwischem Menschen mit und ohne Magie hatte ihn angeschrieben, um seine Meinung zu hören, ob das Ministerium wegen einer Forderung der Kobolde nach besserer Beteiligung beim Bargeldumtausch mit Muggelweltbanknoten mehr Provision kassieren konnte und deshalb eine ministeriumseigene Umtauschbörse eingerichtet werden sollte, wo die Banknoten der nichtmagischen Welt zum reinen Goldkurs umgetauscht werden konnten. Julius schrieb zurück, dass die Kobolde nicht dumm waren und nicht nur wegen ihrer spitzen Ohren sicher logisch folgern konnten, warum das Ministerium immer dann, wenn das Schuljahr bevorstand, größere Galleonenbeträge in Bar ausbezahlt bekommen wollte und die Türsteher von Gringotts sicher mitbekamen, wenn leute aus der unmagischen Welt in der Winkelgasse unterwegs waren und ohne vorher bei Gringotts reinzugehen in den Läden einkauften.
Ein Brief aus Deutschland beunruhigte ihn sehr. Bärbel Weizengold schrieb im Auftrag ihres Vaters, dass es vor einigen Tagen zu mehrfachen Vorfällen mit Nachtschatten gekommen sei. Besonders unheimlich sei daran, dass mehrere Nachtschatten gleichzeitig unschuldige Menschen getötet hätten, wo Nachtschatten sonst nicht ohne einen magisch bindenden Auftrag und damit verbundenes Ankerartefakt näher als hundert Meter aufeinander zugingen, ohne um ihr Revier zu kämpfen. Außerdem habe sich eine der Abgrundstöchter wohl wieder aus ihrem Versteck getraut, jene, die diesen Abhängigen kultivierte, der zwischen fester und Schattenform wechseln konnte. Bärbel erwähnte, dass sie deshalb gerne am 28. Februar mit Julius persönlich über diese Vorfälle sprechen wolle, um eine abgestimmte Zusammenarbeit zwischen den europäischen Zaubereiministerien zu erreichen. Sie stand in dem Zusammenhang schon mit den Kollegen aus Österreich, der Schweiz, Belgien und Großbritannien in Verbindung.
Um neun Uhr schwirrte ihm ein bunter Memoflieger ins Büro. Er brachte ein Rundschreiben der Zaubereizentralverwaltung, dass zwischen ein und drei Uhr nachmittags die magischen Fenster außer Betrieb sein würden, um die Fehldarstellungen der letzten Tage zu beheben. Da jedes Fenster dann einzeln geprüft werde wurden alle Mitarbeiter gebeten, im fraglichen Zeitraum in ihren Büros zu sein und sich von den ministeriumseigenen Küchenelfen das Mittagessen bringen zu lassen. Julius dachte grinsend zurück an die erwähnten Fehldarstellungen. Auf dem Kopf stehende Bilder auf den Straßen von Paris fahrender Pferdekutschen, an den Fenstern vorbeisegelnder bunter Seifenblasen und Helligkeitsverkehrte Darstellungen waren noch das harmloseste an Fehldarstellungen. Wirklich heftig waren da die sich paarenden Einhörner oder die völlig unbekleidet um ein großes Feuer herumspringenden Hexen, die eindeutig einladende Posen darboten. Er vermutete einen Scherzbold, der mit der Ausblickillusion herumspielte.
Gegen halb zehn klopfte jemand an seine Tür. Er hatte noch eine Viertelstunde bis zur Kaffeepause. Hoffentlich musste er die nicht auslassen. "Herein, bitte!"
Auf seinen Ruf hin betrat eine zierliche Frau im dunkelgrünen Samtkleid das Büro. Ihr nachtschwarzes Haar fiel in weichen Wellen bis auf ihre Schultern herab. Julius musste beim Anblick dieser Frisur an die Dusoleil-Hexen denken, vor allem Claire. Doch hier durfte er sich nicht in irgendwelchen Erinnerungen verlieren. So betrachtete er die andere weiter. Vom Gesicht her hätte Julius nicht einschätzen können, wie alt die Besucherin war. Stutzig wurde er, als er ihre silberne Besucherplakette las: "Celestina Warbeck, britische Rundfunksängerin, Klärung von Verwandtschaftsfragen"
"Guten Morgen, junger Sir. Sind Sie Julius Latierre?" Julius erwiderte den auf Englisch ausgesprochenen Gruß und bestätigte seine Identität. "Schön, dann bin ich doch gleich richtig. Warbeck der Name, Celestina Warbeck", erwiderte die andere. Celestina Warbeck war Julius bekannt, eine sehr beliebte Sängerin, die vor allem im Rundfunk für Hexen zwischen dreißig und siebzig Jahren sehr häufig auftrat und sehr schnulzige bis an Frivolität grenzende Lieder zum besten gab. Ein Bild hatte er von ihr noch nie gesehen. Doch die am Empfang mussten sicher die Identität geprüft haben.
"Sie kommen aus der Gegend von York, höre ich. Dann haben sie eine Weite Reise gemacht. Öhm, und sie wollten zu mir, Miss oder Mrs. Warbeck?" fragte Julius. Die Besucherin nickte zweimal. Dann schloss sie die Tür von innen. Julius deutete auf den bequemsten Besucherstuhl, wo er vorzugsweise weibliche Besucher platznehmen ließ. Als die Besucherin sich mit einem dankbaren Lächeln hingesetzt hatte sagte sie: "Ich habe es Ihnen angesehen, junger Mann, dass sie erst mal damit fertigwerden mussten, dass ich Celestina Warbeck bin, und zwar die aus Radio zauberhafte Radiostunden für junggebliebene Hexen und Zauberer. Aber ich kann Ihnen gerne eine Probe meiner Echtheit geben", sagte sie. Julius fragte sich, wie so eine tiefe Stimme aus so einem schlanken Körper kommen konnte. Als die andere dann nach kurzem Einsummen den Kehrreim von "Du zaubertest mein Herz aus mir" zum besten gab nickte er. Die Stimme kannte er tatsächlich.
"Schön, Ihrer Stimme geht es wohl noch sehr gut, dafür, dass Sie das Lied vor zehn Jahren eingesungen haben", meinte Julius.
"Junger Sir, wo ich das Lied zum ersten Mal gesungen habe waren Ihre Eltern noch nicht geboren, denke ich mal. Das war vor vierzig Jahren."
"Ui, dann haben Sie sich aber ausgezeichnet gehalten, Miss oder Mrs. ..." sagte Julius. "Celestina. Keiner sagt Mrs. Warbeck zu mir", unterbrach ihn die Besucherin. "Aber ich nehme Ihr Kompliment sehr gerne an, Mr. Latierre. Und da sind wir auch schon bei dem Grund, weshalb ich den weiten Weg von York in England nach Paris in Frankreich gemacht habe. Es geht um meine Verwandtschaft, genau um meine Ururgroßmutter väterlicherseits. Darf ich dazu etwas aus meiner Tasche holen, oder gehen hier gleich irgendwelche Sicherheitszauber los?"
"Besucher dürfen Zauberstäbe und Handgepäck mitbringen. Nur bei der Ministerin und den Abteilungsleitern müsste jemand vorher den Inhalt prüfen, um unerlaubte Sachen aufzuspüren." sagte er und horchte auf sein besonderes Armband, was er vom Ärmel seines Umhanges wohl verborgen am rechten Arm trug. Doch es gab keine Reaktion von sich, ob da was gefährliches in der Nähe war. Es waren zwei gerahmte Zaubererweltfotos und eine kleine Phiole, in der ein einzelnes nachtschwarzes Har steckte. "Die Fotos zeigen meine Großtante Caecilia und meine Urgroßmutter Claraluna. Meine Urgroßmutter wurde soweit ich weiß 1890 fotografiert, da war sie laut eigenen Angaben schon hundertneunzig Jahre alt", sagte Celestina Warbeck. Julius besah sich die Fotos und bekam große Augen. Das Foto der in ein langes, mitternachtsblaues Kleid gehüllten Claraluna ähnelte sehr stark der Veela Sternennacht, mit der er wegen Ladonna Montefiori Bekanntschaft gemacht hatte. Wenn das stimmte war klar, warum die Besucherin aus England bei ihm war.
"Öhm, und das Haar in der Phiole? Soll ich das auf die Abstammung von einer Veela überprüfen lassen, M..., öhm, Celestina?"
"Schön, dass ich nicht drum herumreden muss. Ja, darum bitte ich. Sie dürfen gerne ein Zoll, oder auch zweieinhalb Zentimeter davon abschneiden. Die Haarprobe ist dreißig Zoll lang. Ich habe es erst vor wenigen Tagen von meiner noch lebenden Großtante Caecilia erfahren, dass dieses eine Haar seit ihrer Großmutter, die angeblich oder wahrhaftig Nachtlied geheißen haben soll, im Besitz aller weiblichen Nachkommen von ihr ist, damit die sich daran erinnern, dass besonderes Blut in ihren Adern fließt."
"Und ich darf dieses Haar untersuchen lassen? Wenn das ein Erbe Ihrer Großtante ist, dann wäre es vielleicht günstiger, wenn Sie mich darum bittet. Nicht dass wir zwei Ärger bekommen, Madam."
"Ich habe eine handgeschriebene Erlaubnis meiner Großtante väterlicherseits, dass Ihr Büro das untersuchen darf", sagte Celestina und holte noch ein Pergamentblatt heraus. Julius las die schöne, runde Handschrift und unterzog es dem Scriptorvista-Zauber. Als er sah, dass der Brief von derselben Frau wie auf einem der Fotos geschrieben worden war sagte er:
"Sie sagen, Ihre Vorfahrin habe Nachtlied geheißen. Wissen Sie mehr über sie, vor allem, wo sie herkam und wann sie Ihren Ururgroßvater traf?" wollte Julius wissen. So erfuhr er die Geschichte, dass Nachtlied vor über dreihundert Jahren von einem durch ihr Land reisenden schottischen Zauberer begeistert war, weil der so gut Harfe spielen konnte. Daraus sei dann ein sehr leidenschaftlicher Monat der Liebe geworden. Als dann Celestinas Urgroßmutter Claraluna, wobei das nur ihr Menschenweltname sein sollte, die Angehörigen ihres Vaters besuchte und dabei Gefallen an einem englischen Besenflieger gefunden habe, sei sie mit ihm nach Gretna Green zum Kesselschmied Ignamicus Tinmolder gegangen, weil der auch zugelassener Zeremonienzauberer war, und der habe sie dann über dem über dem Feuer der Liebe erhitzten Kessel voller flüssigem Bienenwachs und Honigtau zu Mann und Frau erklärt. Julius musste grinsen, weil er natürlich auch die Geschichten um den schottischen Ort Gretna Green kannte, wo früher viele kurzentschlossene oder von den Eltern ungewollte Paare bei den Schmieden hatten heiraten können.
"Das kann und werde ich gerne prüfen. Und was, wenn die Prüfungen bestätigen, dass Sie mit einer reinrassigen Veela verwandt sind, Celestina?"
"Dann fallen meine Großtante und ich unter Ihre Zuständigkeit, weil Sie laut meiner Kenntnisse der Verbindungszauberer zwischen den in Europa lebenden Veelastämmigen und der Zaubererwelt sind. Abgesehen davon erklärt das auch, warum meine Großtante und ich dieselben merkwürdigen Träume hatten."
"O, das klingt interessant", erwiderte Julius offen und ehrlich. "Welcher Art waren diese Träume? Nun erfuhr er, dass Celestina und ihre Großtante in denselben Nächten Träume von anderen schönen Frauen hatten, die sich in große Vögel verwandeln konnten und über Länder hnwegflogen, um nach einer Ladonna zu suchen. Am Ende des letzten traumes seien viele von ihnen in blutroten Flammen verbrannt. Irgendwie meinte Celestina, noch eine Drohung verstanden zu haben, bevor sie aufgewacht sei.
"Nun, solange ich nicht absolut sicher weiß, dass Sie Veelaverwandtschaft haben kann ich keine stichhaltigen Aussagen machen, Celestina. Aber ..." Julius musste gähnen und entschuldigte sich sofort dafür. "Aber ich werde mich gerne umhören, ob es diese Nachtlied bei den Veelas gibt oder gab und ob das zutrifft, dass diese mit einem schottischen Zauberer Ihre Urgroßmutter Claraluna gezeugt haben mag. Andererseits verspüre ich bei Ihnen nicht die für Veelastämmige typische Aura von Betörung. Öhn, ich meine nicht, dass sie nicht attraktiv aussehen, Madam ... und ... ÖHm, Erledigt", sagte Julius. Unvermittelt traf ihn jene ihm wohlvertraute Kraft, die ihn und wohl auch jeden anderen Mann sehr stark berauschte und betörte, dieser Frau da jeden Gefallen zu erweisen, sich möglichst stark und Einsatzbereit zu geben und noch dieses oder jenes mehr zu tun. Dann ließ dieser Einfluss auch schon wieder nach.
"Ich kenne die junge Mrs. Weasley geborene Delacour von einigen Treffen. Außerdem stehen zwischen mir und meiner Urgroßmutter ein Großvater und ein Vater. Offenbar lässt die natürliche Ausstrahlung der Veelas nach, wenn zwischen den geschlechtsgleichen Blutsverwandten noch ein Verwandter des anderen Geschlechtes steht. Ich kann diese Ausstrahlung auch nur dann entfalten, wenn ich mir selbst etwas sehr erotisches vorstelle, falls Sie verstehen, was ich meine."
"Ui, die Frau quatscht echt nicht um den heißen Brei", dachte Julius. Dann sagte er laut: "Gut, ich prüfe es nach, inwieweit die Schilderungen Ihrer Großtante und dieses Haar zusammenpassen. Ich trenne dann mal eben eine kurze Probe ab. Vielleicht kann ich Ihnen dann auch was zu Ihren Träumen erzählen. Denn wenn das wirklich mit Ihrer Herkunft zu tun hat, dann kann und darf ich das nicht einfach ohne Rücksprache mit dem Ältestenrat der Veelas besprechen. Bei der Gelegenheit: legen Sie Wert darauf, dass der Ältestenrat der Veelas davon erfährt, dass Sie eine reinrassige Veela als Ururgroßmutter haben?"
"Öhm, müssten Sie das denen erzählen, falls die das noch nicht wissen sollten?"
"Sagen wir es so, wenn ich nach irgendwelchen Sachen von Nachtlied frage werde ich sicher gefragt, warum es mich betrifft, beziehungsweise wer sich dafür interessiert."
"Dann prüfen Sie das bitte mal nach, Julius! Ich bin bis morgen Abend in Paris, weil ich noch einiges berufrliches zu regeln habe. Näheres nur dann, wenn die Prüfung ergibt, dass ich wirklich eine reinrassige Veela als Ururgroßmutter hatte oder habe. Veelas können ja doch sehr alt werden."
"Ich prüfe das gerne nach, Celestina", erwiderte Julius. Dann trennte er mit einer goldenen Schere zweieinhalb Zentimeter des einzelnen Haares ab, das Celestina aus der mit Körperspeicherschloss versiegelten Phiole hervorgezogen hatte. Julius protokollierte das alles sorgfältig. Dann sagte er:
"Ob ich die Prüfung heute noch durchbekomme weiß ich noch nicht. Bis wann sind Sie noch in Paris?"
"Ich werde bis übermorgen in Ihrer schönen Hauptstadt sein und da einige Gastauftritte in den Rundfunksendern Radio freie Zaubererwelt und Radio Heim und Herd haben."
Es klopfte wieder an der Tür. Julius bat kurz, nachzusehen, wer vor der Tür stand. Es war Primula Arno, seine Schwiegertante von Albericus' Seite her.
"Julius, die Zehn-Uhr-Besprechung heute findet nicht statt, dafür sollen wir zwei bei Madame Grandchapeau alleine vorsprechen. Oh, du hast gerade Publikum. Ui, die sieht aus wie ..."
"Ja, wie Celestina Warbeck", sagte Julius ganz trocken.
"Gut, geht mich wohl nichts an, ob oder ob nicht. Ich sage dann mal bis gleich!"
"Bis gleich, Madame Arno", sagte Julius.
"Ich versuche, die Prüfung schnellstmöglich durchführen zu lassen. Findet eine Eule Sie auf Namensnennung?"
"Ja, und wenn Sie ihr sagen, dass ich in der Maison des Étoiles wohne findet sie mich noch schneller", sagte Celestina Warbeck.
Julius nickte. Dann fragte er die Besucherin noch, ob sie noch kurz eine Tasse Tee mit ihm trinken wolle, da er jetzt seine übliche Kaffeepause habe. Doch Celestina schüttelte behutsam den Kopf. "Ich muss bis zehn in Millemerveilles sein. Da komme ich ja nur mit Flohpulver hin", sagte sie. Julius nickte./p>
Als die Besucherin wieder gegangen war notierte er sich rasch die wichtigsten Punkte und schickte das in einem kleinen Glasröhrchen eingeschlossene Stück Haar in das Labor des Ministeriums. Er wollte demnächst bei Sternennacht um eine weitere Haarprobe bitten lassen, um die Verwandtschaft zu bestätigen. Allerdings wusste er, dass Sternennacht immer noch sauer war, weil Anthelia sie bei der von ihm heimlich arrangierten Begegnung derartig fertiggemacht hatte. Also ging es nur über Léto.
Die Besprechung drehte sich wirklich um Ladonna Montefiori. Irgendwie war es bei den Italienern angekommen, dass die einstige Erzfeindin Sardonias irgendwie wiederauferstanden war. Vor allem ein offiziell als Vulkankundler arbeitender Signore Pontidori hatte ein Schreiben herumgeschickt, alle möglichen außergewöhnlichen Vorkommnisse mit Feuermagie weiterzumelden und wünschte hierzu ein Einverständnis der damit befassten Abteilungen. Weil Pontidori ein Verwandter Primulas und somit auch um ein oder zwei Ecken auch von Julius war meinte die Halbzwergin: "Ich schlage vor, Nathalie, wir nutzen auch private Verbindungen in andere Länder, um schnellstmöglich rauszukriegen, ob diese Ladonna da unten auf Sizilien wirklich aufgetaucht ist. Seitdem Julius uns ja von der Rückkehr dieser Dame erzählt hat warten wir ja drauf, dass die sich rührt."
"Gut, Sie beide dürfen inoffizielle Verbindungen nutzen, aber nur dann, wenn Sie zum einen nicht verraten, dass es mit dem massiven Ausfall von Zauberkraftspürsteinen in Italien zu tun hat und zweitens darauf beharren, ministeriell nutzbare Aussagen zu erhalten. Wenn wir tätig werden müssen, möchte ich ein rechtlich einwandfreies Fundament haben, auf dem ich unsere Aktionen bauen kann." Primula und Julius nickten. Dann sagte Nathalie noch: "Und Julius, auch wenn die Veelas Ihnen mitteilen sollten, die mit Ladonna Montefiori zusammenhängenden Angelegenheiten in Eigenverantwortung regeln zu wollen bedenken Sie bitte, dass die Umtriebe dieser Hexe bereits französischen Bürgern der nichtmagischen Welt das Leben gekostet haben mögen, von denen in Italien abgesehen. Also lassen Sie sich ja nicht auf irgendwelche außerministeriellen Abkommen ein, junger Mann!"
"Verstanden und bestätigt", erwiderte Julius und musste einen neuerlichen Gähnanfall niederkämpfen. Die eine große Tasse Kaffee wirkte offenbar nicht so, wie sie sollte.
"Am vierzehnten März feiere ich meinen fünfzigsten Geburtstag, Julius. Da ich nicht in eurem Schmetterlingsnetz mitschreiben und mitlesen kann kriegt ihr noch eine offizielle Einladungseule", sagte Primula, als sie Julius in sein Büro zurückbegleitete. Dann wollte sie von ihm wissen, warum er so unausgeschlafen aussah. Als er ihr das erzählte meinte sie: "Tja, ich weiß schon, warum ich mir keine eigenen Bälger zugelegt habe. Meine Mutter ist da zwar nicht so begeistert, aber kann nichts dagegen machen."
"Jedem und jeder das seine oder ihre, Tante Primula", sagte Julius kurz und war froh, dass seine kleine, quirlige Schwiegertante wieder ging.
Die Leute von der Zaubereizentralverwaltung prüften bei ihm um halb zwei, ob die Aussichtsdarstellung nun wieder korrekt arbeitete und ließen in schneller Reihenfolge Naturlandschaften, eine Ansicht von Paris im Mittelalter oder der Zeit vor Napoleons großen Umbaumaßnahmen auf seinem magischen Fenster auftauchen. Julius fragte scherzhaft, ob die sehr freizügigen Walpurgisnachthexen bei weiblichen Mitarbeitern Zauberer gewesen seien. Monsieur Barnard, der bei ihm die Fensterabstimmung nachprüfte erwiderte verhalten grinsend: "Stimmt, bei den Damen im Haus sind dann athletisch gebaute Zauberer vor beleuchteten Wänden aufgetreten, die ihre Umhänge abgelegt und dann - öhm - sehr erregt vor den Betrachterinnen posiert haben. Könnte sein, dass Monsieur Renard demnächst noch drachenstarken Ärger mit der Ministerin kriegt. Wir wissen aber nicht, wer die Fehldarstellungen verzapft hat. Die Suche läuft noch. Bei Ihnen ist auf jeden Fall wieder alles im Lot, Monsieur Latierre."
"Gut, meine Frau wird nicht auf zehn mir selbst total unbekannte Hexen eifersüchtig, die nur in einem Fensterbild aufgetaucht sind", erwiderte Julius.
Die noch an diesem Tag von Celestina Warbeck erbetene Prüfung ergab, dass die Haarprobe wirklich von einer Veela stammte. Damit hatte er es amtlich, dass Celestina Warbeck und Ladonna Montefiori entfernte Verwandte waren. Somit ergaben auch Celestinas Träume einen Sinn. Denn von der vergeblichen Verfolgung Ladonnas hatte Sternennacht ihm berichtet.
Silvester Partridge hatte die letzten beiden Tage damit zugebracht, sich möglichst entspannt zu halten. Denn er durfte niemandem zeigen, wie erfreut und entschlossen er war, dass er wahrhaftig den Minister sprechen durfte. Trotz der vor sieben Tagen verübten Entführung von Eartha Dime hatten die Vertreter der ISVOAK es hinbekommen, dass ein Abgesandter ihrer neuen Gruppe den Minister persönlich sprechenund um Auskunft über Grund und weitere Möglichkeiten auf Grund des Friedensvertrages bitten konnte. Silvester Partridge und Paul Dryfall hatten die erhitzten Gemüter beruhigen müssen, die eine sofortige Aufkündigung des Vertrages verlangten. Auch das Treffen mit den anderen Fürsprechern hatte eine wilde Debatte aufgeworfen, ob Dime nicht über die bereits und wohl aus VMs Gnaden zugesagten Galleonen hinausgehen sollte. Vor allem die Aussicht, bald wieder Mora-Vingate-Partys überstehen zu müssen behagte vielen vor allem auf althergebrachte Familienwerte schwörenden Zauberern nicht. Deshalb hatten sie sich am Ende doch dazu entschlossen, jemanden zu schicken, der von Berufswegen dazu verpflichtet war, keine Gewalt anzuwenden.
Der Termin mit dem Minister war auf diesen Tag, den 26. Februar um zehn Uhr morgens angesetzt worden. So war er nun unterwegs und würde bald schon wissen, ob seine Befürchtung zutraf und falls ja, ob das ging, was er für diesen Fall beschlossen hatte. Er hoffte darauf, dass die im New Yorker Ausweichbüro des Zaubereiministers noch keine Schutzmaßnahmen wie im früheren Zaubereiministerium eingerichtet hatten. Ebenso hoffte er, dass seine Vorbereitungen ausreichend waren, falls er zum Gefangenen jener Mächte werden sollte, die er hinter Dimes möglicher Veränderung wähnte.
"Ah, Mr. Partridge, Sie kennen das Procedere ja", sagte der schlanke Zauberer am Tresen für Besucher, als der Heiler aus Viento del Sol vor ihm stand. Silvester Partridge nickte. Er trug die von den Dexters erfundene Dunkelkraftsichtbrille. Durch sie sah er jedoch im Moment nichts anderes als den Zauberer hinter dem Thresen. Ihm legte er seinen Zauberstab vor. Der wurde auf die Zauberstabwaage gelegt und die damit ermittelten Werte ausgedruckt. Ebenso legte Silvester Partridge sowohl die schriftliche Auftragsbestätigung der ISVOAK als auch die Terminzusage aus dem Ministerium vor. "Wusste gar nicht, dass Sie neuerdings eine Brille brauchen", sagte der Empfangszauberer. Partridge grinste und sagte: "Ich komme langsam in das Alter, wo ich die Sparschrift von manchen Zeitgenossen nicht mehr ohne Brille entziffern kann. Es gibt Leute, die meinen, auf einen Pergamentbogen den Inhalt von zwei oder drei Bögen unterbringen zu müssen."
"Ja, kenne ich auch ein paar Spezialisten. Da muss dann sogar ein Vergrößerungsglas her, weil die meinen, alles von zwei Bögen auf einem Viertelbogen unterkriegen zu können", erwiderte der Empfangszauberer. "Ihnen ist klar, dass Sie sämtliche für die Unterredung nicht benötigten Gegenstände im Vorzimmer abgeben müssen?" fragte der Zauberer hinter dem Tresen zur Sicherheit.
"Wie Sie schon sagten, ich kenne die übliche Prozedur", erwiderte Silvester Partridge.
Mit einer Besucherplakette "Silvester Partridge, ISVOAK-bevollmächtigter mit Termin bei Minister Dime" fuhr er in die oberste Etage hinauf. Dabei sah er sich gründlich um, ob irgendwas an den Leuten hier schwarzmagisch war oder nicht. Zu seiner Beruhigung sah und hörte er nichts, was auch nur den Hauch dunkler Kräfte hatte. Dann betrat er das Vorzimmer. Dort wurde er von gleich drei Sicherheitszauberern erwartet, die mit gezückten Zauberstäben und Seriositätssonden bereitstanden. Die Namensschilder auf den blau-weiß-roten Umhängen wiesen sie als A. Pancroft, T. Mallard und X. Brewbaker aus. Partridge fragte sich, ob seine Vermutung nicht doch falsch war. Denn jemand, der verflucht war konnte diese Sonden auch auslösen. Dann fiel ihm wieder ein, dass diese Sonden nur bei toten Objekten klar erkannten, ob sie gut-oder bösartig bezaubert waren.
"Bitte legen sie alles ab, was Sie an Gegenständen mitführen, Mr. Partridge! Den Zauberstab müssen wir für die Dauer Ihres Besuches einbehalten, so Sicherheitsvorschrift zwei null neunzehn", sagte X. Brewbaker und fuhr bereits mit seiner Seriositätssonde an Partridges Körper entlang. Der Heiler legte seine neue Umhängetasche ab, sowie die Brille als auch den Zauberstab. Die Tasche wurde geöffnet. Darin steckte eine Pergamentrolle mit den Zielen und Anfragen der ISVOAK. Die Pergamente wurden von Mallard sondiert, während Brewbaker seine Sonde in die Umhängetasche hineinhielt und nach einer halben Minute wieder herauszog. Die Brille wurde von Sicherheitszauberer Pancroft begutachtet. Silvester musste sich sehr anstrengen, seine Anspannung nicht zu zeigen. Hoffentlich stimmte es, dass die Brille keine eigene Zauberkraftausstrahlung preisgab.
"Seit wann sind Sie Brillenträger?" wollte Pancroft wissen. "Seitdem ich merke, dass ich ganz kleine Buchstaben nicht mehr einwandfrei entziffern kann und ich mit Leuten zu tun habe, die den Inhalt von zwei Pergamentbögen auf einen einzigen unterbringen wollen", erwiderte Partridge ganz ruhig.
"Nichts zu beanstandendes. Kein Portschlüssel, kein böswilliges Artefakt, keine Mithörartefakte und keine fremdverwandelten Wesen", sagte Pancroft. "Bitte entnehmen Sie der Tasche, was Sie für die Unterredung benötigen und lassen Sie diese zusammen mit dem Zauberstab in unserer Obhut!" Silvester Partridge nickte. Er zog die Pergamente heraus, die er zum Minister mit hineinnehmen wollte und legte seinen Zauberstab auf den Tisch vor Mallard.
"Sie haben genau zehn Minuten ab jetzt", sagte Pancroft und zeigte eine handtellergroße Uhr mit goldenem Zifferblatt vor. "Wenn die um sind werde ich Sie gnadenlos unterbrechen, egal wie weit Ihre Besprechung ist. Viel Erfolg!" Mit diesen Worten deutete er auf die Tür zu Dimes eigentlichem Arbeitszimmer. Partridge ging schnell darauf zu, um bloß keine Sekunde zu verschenken. Jetzt galt es.
Phoebe Gildfork blickte auf ihre gerade wieder im Zauberschlaf liegende Doppelgängerin. Es war ihr manchmal unheimlich, wie diese ihre Erinnerungen in sich aufnahm und dann so handelte wie sie selbst. Hätte ihr der Lebenspfuscher Bokanowski nicht die Codewörter verraten, um diese perfekte Kopie zu beherrschen, Phoebe hätte sich keinen Moment mehr sichergefühlt. Sie würde diese Zwillingsschwester aus der Retorte wohl bald wieder aufwecken, damit diese die weiteren Vorführungen des neuen Besens präsentierte. Außerdem galt es, die Unterstützung der Rossfield Ravens zu verstärken, nachdem die Bayoo Bugbears es geschafft hatten, Willy den Wirbelwind Kenworthy zu verpflichten. Da musste sie dann auch anwesend sein. Das war der Nachteil, dass sie für Vita Magica neues Leben austrug, ihre ersten eigenen Kinder. Zwar fühlte sie immer, wie diese unter den körperlichen Befindlichkeiten ihres Vaters mal mehr und mal weniger stark zu leiden hatten. Aber nur so hatte sie diesen Goldhamster zähmen und für das große Ziel ins Geschirr legen können.
Dass Eartha Dime jetzt in einem der sicheren Verstecke der Gesellschaft war hatte sie mitbekommen. Dass den Sardonianerinnen die Schuld daran zugeschustert worden war amüsierte sie einerseits. Andererseits wusste sie zu gut, dass falsche Beschuldigungen leicht zu blutigen Racheakten werden konnten. Aber was sollte es? Dann würden diese angeblichen Weltherrinnen eben noch mal in Windeln und Wiege zurückgeschickt, ihre Anführerin inbegriffen.
Was Phoebe und den Rest von Vita Magica mehr beunruhigte war die Aufsässigkeit jener Zauberer, die mit Hilfe von VM neue Kinder gezeugt hatten. Die nahmen das nicht dankbar hin, noch einmal oder zum ersten mal eigene Kinder zu haben, sondern verlangten, dass diese Praxis beendet wurde.
Was ihr jedoch wirklich zusetzte war der Umstand, dass Chroesus Dime nicht mehr an seine Frau herankam, Wenn die Lossprechung nicht gelungen war würde Chroesus Dime am ersten März tot umfallen, und sie würde dann wohl entweder zwei tote Föten im Bauch herumtragen, bis ihr Körper sie wieder ausstieß, oder sie würde die beiden in einer schmerzvollen Fehlgeburt ausstoßen, ja womöglich selbst an den Rand des Todes getrieben. Diese verdammten Hexen aus dem Spinnenorden hatten genau das gemacht, was ihr am gefährlichsten werden konnte.
Sie lauschte in sich hinein. Mittlerweile konnte sie sogar über die in ihr wachsenden Kinder mithören, was deren Vater hörte, so mächtig wirkte die geschmiedete Blutkette. Sie schloss die Augen und lehnte sich zurück, während sie den leisen Stimmen in ihrem Bauch zuhörte, als sei dieser das Sprechzimmer des Zaubereiministers.
Der Minister begrüßte Silvester Partridge sehr freundlich. Heute trug er einen blau-bronzenen Umhang. Silvester dachte an Tessa Hazelwood, eine Austauschschülerin aus England, die vor zwölf Jahren bei ihm die Ferien zugebracht hatte. Die hatte in Hogwarts für das Haus Ravenclaw Quidditch gespielt und einen ähnlichen Umhang benutzt, wie sie Venus und Oberon vorgeführt hatte.
"Ich freue mich, dass Sie einen kleinen Platz in Ihrem Terminkalender hatten. Ihre Schutzbeauftragten wiesen mich auf das enge Zeitfenster hin, Sir. Daher möchte ich unverzüglich auf die Gründe meines Besuches kommen", begann Partridge.
Er setzte die Brille wieder auf und legte die aus der Tasche gezogenen Pergamentbögen vor sich auf den Tisch. Der Minister schloss die Tür.
"Wie Ihrem Sicherheitsbeauftragten gegenüber erwähnt ist die Schrift von Mr. Cobbley und Mr. Silverridge derartig klein ..." setzte er an und tat, als ob er lese. Dabei hob er kurz den Kopf und sah den Minister genau an. Unvermittelt begann es in seinen Ohren zu summen und zu wummern, als wenn zwei winzige Herzen im schnellen Takt schlügen. Gleichzeitig sah es für ihn so aus, als stecke der Minister im Bauch einer riesenhaften Frau aus blutrotem Licht, wobei er über eine pulsierende, sich wie eine ständig an- und entspannende Sprungfeder wirkende Nabelschnur mit ihr verbunden war. Silvester hatte bereits genug Selbstbeherrschungstraining hinter sich, um sich davon nicht aus der Fassung bringen zu lassen. Er sprach ruhig weiter, dass die ihn beauftragende Interessengruppe drei grundlegende Fragen und zwei hoffentlich erfüllbare Wünsche habe.
"Wir möchten gerne den genauen Inhalt des von Ihnen mit Vita Magica geschlossenen Vertrages zur Kenntnis nehmen. Dann möchten wir höflich anfragen, inwieweit das Ministerium davon ausgeht, dass wir weiterhin darauf beschränkt werden sollen, vordringlich Nachwuchs zu zeugen. Tja, und was ich beim besten Willen nicht aus meinen Interessensgleichgesinnten herauskriegen konnte: Sind Sie bereit, für alle ungewollt gezeugten Kinder mehr als die siebzehntausend Galleonen pro Kind zu zahlen, sollte sich als richtig erweisen, dass der Vertrag von Ihrer Seite unkündbar ist?"
"Den Vertrag kann ich Ihnen zeigen, Silvester", sagte der Minister. Seine Stimme klang durch die Brillenbügel irgendwie so, als käme sie aus einem Brunnenschacht. Partridge hatte sich bereits an die überdimensionale Aura gewöhnt, die sicher der magische Abdruck der Hexe war, die den Fluch auf Chroesus Dime gelegt hatte. Tja, er konnte sogar an der Leibesfülle und den scharf umrissenen Gesichtszügen der magischen Projektion erkennen, wer es war. Doch das konnte nicht sein, wusste Partridge. Die war doch vor einigen Tagen erst öffentlichkeitswirksam auf dem Prototypen eines neuen Besens herumgehüpft und danach genau untersucht worden. Dann klickte es bei ihm. So ging das natürlich, wenn die Kollegin, welche die Untersuchung gemacht hatte, offenbar nicht richtig aufgepasst hatte.
Dime legte seine linke Hand an einen Metallschrank. Es rasselte leise. Dann sprangen dessen zwei Türen auf. Dime griff in ein Fach hinein, wartete einige Sekunden und zog dann ein Bündel Pergament aus dem schwarzen Dunst, der jedes Fach ausfüllte. Durch seine Brille konnte Partridge sehen, dass diese Pergamente völlig frei von bösartiger Bezauberung waren. Wenn das der Vertrag war, dann war das nicht das Original, erkannte er. Dann konnte er seine persönliche Aufgabe nicht zu Ende führen. Denn was brachte es, wenn er den Minister aus seinem Bann löste, ohne die magisch bindende Grundlage für das weitere Verhalten zu Vita Magica zu neutralisieren?
"Woher weiß ich, dass dieser Vertrag wirklich magisch bindend ist?" fragte Partridge, nachdem er erst einmal einige Absätze davon gelesen hatte. Noch hatte er sieben Minuten Zeit, bevor er aus dem Büro gebeten würde.
"Achso, das ist eine schrift- und wortgetreue Kopie", sagte der Minister. "Das Original liegt in einem sicheren Schrank. Es gab seit dem Inkrafttreten zu viele Anfeindungen. Daher habe ich nur diese Kopie bei mir im Büro."
"Dann, werter Herr Minister, können Sie mir und meinen Interessensgefährten viel vom grünen Einhorn erzählen, dass Sie und VM an diesen Vertrag gebunden sind", preschte Partridge ungestüm vor. "Da Ihre Leute mir ja alles magisch wirksame abgenommen haben besteht doch keine Sorge, mir das Original vorzulegen, dass ich durch eine Seriositätssonde und/oder ein Incantimeter Ihrer Schutzmannschaft auf magische Wirkung prüfen kann. Denn solange Sie mich nicht davon überzeugen können, dass das da ein magisch bindender Vertrag ist, besteht unsererseits sogar die Möglichkeit, im Rahmen der Eigenschutzrechte jeden Vorstoß von Vita Magica zurückzuschlagen, seien es obskure Verpaarungsfeste oder andere von VM in den Staaten angestrebte Vorhaben. Also, entweder beweisen Sie mir, dass es diesen magisch bindenden Vertrag gibt, oder ich kehre zu meinen Interessenspartnern zurück und rate diesen dazu, jeden sich als Mitarbeiter von VM offenbarenden festzunehmen oder bei Gegenwehr aus Notwehr heraus dauerhaft kampfunfähig zu machen, von Anklagen gegen die sich offenbarenden VM-Mitarbeiter ganz zu schweigen."
"Sie misstrauen mir?" fragte Dime. Partridge sah ihn an, sich sehr beherrschend, nicht wegen der roten, leichpulsierenden Aura einer übergroßen Frau sein Unbehagen zu verraten. "Sagen wir es so, Herr zeitweiliger Zaubereiminister, Sie haben uns bisher keinen Beweis geliefert, dass ein Vertrauen zu Ihnen gerechtfertigt ist. Denn Ihre Aufgabe war es, Vita Magica von weiteren Übergriffen abzuhalten, ohne dieser Bande aus der Hand zu fressen. Also glaube ich nur dann, dass es diesen Vertrag gibt, wenn ich durch eigenen Augenschein geprüft habe, dass er magisch bindend ist. Wie das gehen soll habe ich ja gerade angeregt."
"Ihnen fehlt es an Respekt vor hohen Beamten, Mister. Was glauben Sie denn, mit wem Sie gerade reden?"
"Mit einem, der behauptet, einen Frieden mit Vita Magica ausgehandelt zu haben und dafür einige von deren Bedingungen erfüllen will, ohne zu beweisen, dass er nicht anders kann", sagte Partridge ruhig. Noch hatte er Zeit. Er musste nur den Originalvertrag vor sich sehen. Dann wusste er, ob seine private Mission erfolgreich oder undurchführbar sein würde.
Der Minister verfiel für zehn Sekunden in eine nachdenkliche Haltung. Partridge sah durch seine Brille, dass jene unheimliche Aura, die Dime umfloss, heller schien und ein wenig pulsierte. Der Heiler vermutete, dass der Minister mit der Hexe mentiloquierte, die ihn durch die gemeinsamen Kinder an sich gekettet hatte. Dann nickte Dime. "Wie Sie meinen", stieß der amtierende Zaubereiminister aus und rief nach seinem Schutzbeamten Mallard. "Holen Sie das Original des Friedensvertrages aus Sicherheitsschrank Sigma Alpha drei und bringen Sie es her. Sie haben die Erlaubnis, den 30-Sekunden-Durchlass zu nutzen."
"Den Originalvertrag? Okay, wie Sie wünschen, Herr Minister", sagte der Sicherheitsbeamte Mallard. Der Minister vollführte mit seinem Zauberstab schnelle Bewegungen. "Durchlass geöffnet. Schnell!" sagte er noch. Da disapparierte Mallard.
Es vergingen nur zwanzig Sekunden, da reapparierte Mallard mit einer Pergamentrolle, die von einem silbernen Ring zusammengehalten wurde. Silvester Partridge sah sofort eine blutrote Aura, welche die Rolle auf ihrer Gesamtlänge umhüllte. Damit stand fest, dass die Rolle oder der Ring magisch wirksam waren.
"Der Ring wirkt als Schutz gegen Fernzauber und Angriffe mit alchemistischen Mitteln wie Drachengalle oder Brenngebräu", sagte der Minister. "Nur organischer Kontakt vermag den Ring von der Rolle zu lösen." Mit diesen Worten pflückte er den Ring von der Rolle herunter und legte ihn vor sich auf den Tisch. Dann legte er die drei Pergamentseiten ausgerollt vor Partridge hin. Sofort sah der Heiler aus Viento del Sol, dass die Pergamente in einer blutroten Sphäre zu schweben schienen. In dieser Sphäre konnte er sogar kleine Buchstaben herumtreiben sehen. Also war dieses Dokument wahrhaftig verwunschen, aber nicht so heftig wie der Minister selbst. Damit stand Partridges Mission unmittelbar vor der Entscheidung. Er durfte sich jetzt nichts anmerken lassen.
Silvester Partridge erbat sich von Mallard die Seriositätssonde, mit der er vorhin überprüft worden war. Diese summte sofort in der Hand des Heilers. Auf den kleinen Messanzeigen tanzten die Zeiger, bis sie sich sanft vibrierend auf einer bestimmten Stellung einpendelten. Das waren die Anzeigen für blutgebundene Zauber, Bindungsmagie und schlummernde Zerstörungskräfte, die bei Vertragsbruch oder der versuchten oder vollendeten Zerstörung des Schriftstückes einen Strafzauber auslösten. Partridge nickte und legte die Sonde bei Seite. "Ist wahrhaftig ein mehrfach bindender Vertrag", sagte er. "Allerdings möchte ich den jetzt auch gerne durchlesen, solange ich Zeit habe", sagte er. Ohne eine ausdrückliche Erlaubnis abzuwarten nahm er den Vertrag und überflog die Passagen, wobei es schwer war, die vor seinen bebrillten Augen tanzenden Buchstaben festzuhalten.
"Auch wenn Sie den Vertrag vollständig lesen wird es nichts daran ändern, dass er magisch bindend ist. Vita Magica ist dazu verpflichtet, jeden US-Amerikaner in Ruhe zu lassen, es sei denn, er oder sie nimmt an öffentlich ausgelobten Veranstaltungen teil", erwähnte der Zaubereiminister.
"Ja, sofern gerade zwischen siebzehn und fünfundzwanzig, Sir", grummelte Partridge. "Ich kann mich selbst noch zu gut erinnern, wie meine Tochter Venus fast von diesen Leuten bei der Mora-Vingate-Party zur Unkenntlichkeit verflucht wurde. Glauben Sie wirklich, den Wölfen so viel Fleisch vorzuwerfen würde deren Hunger auf lebende Beute stillen?" fragte Partridge bewusst herausfordernd.
"Ja, das glaube ich", erwiderte der Minister. "Und wenn diese Spinnenhexen nicht wären hätten wir einen dauerhaften Frieden", entgegnete Dime mit unüberhörbarer Verachtung.
"Und wenn wir nicht wären, nicht wahr, Herr Minister?" wagte Partridge eine provokante Frage.
"Hängt davon ab, ob die Mitglieder Ihrer Interessensgemeinschaft erkennen, wie unvernünftig es wäre, Vita Magica weiter zu dreisten Aktionen zu treiben. Somit schützt der Vertrag auch Ihre Töchter Venus und Callisto vor ungewolltem Nachwuchs", erwiderte Dime.
"Steht hier, stimmt", grummelte Silvester Partridge. "Es steht aber auch hier, dass wir alle Mitglieder von VM auf dem Boden der Staaten frei leben lassen müssen. Will sagen, wir machen die vereinigten Staaten von Amerika zum Rückzugsgebiet dieser Gruppierung. Wird meinen Interessensgleichgesinnten nicht gefallen, und mir gefällt das auch nicht, demnächst eine Anlaufstelle in VDS erwarten zu dürfen."
"Davon steht nichts in dem Vertrag", erwiderte Minister Dime. Doch Partridge blieb beharrlich. "Es steht drin, dass Sie alle auf freiwilliger Basis erfolgenden Tätigkeiten von Vita Magica zulassen. Da sehe ich eben auch eine Niederlassung vor meiner Haustür, so platt dies für Sie klingen mag. Ebenso fürchte ich, dass die Antworten auf die beiden anderen Fragen uns nicht gefallen. Auch wenn hier steht, dass US-Bürgerinnen und -bürger nicht behelligt werden, so kann diese Vereinigung doch locker Werbung für ihre ganzen Mittel und Wege machen, damit Hexen sich mit den ihnen genehmen Zauberern ein Kind zulegen oder Zauberer bisher für sie unempfängliche Hexen betören können, Mütter ihrer Kinder zu werden. Da höre ich schon unseren neuen Alterspräsidenten Warren Benchwood, der Sie des Verkaufs unserer Familienwerte bezichtigt hat."
"So, hat er das?" fragte Dime verdrossen. "Dann richten Sie ihm bei Ihrer Rückkehr gütigst aus, dass ich mich zu Ihren Anfragen gerne auch schriftlich äußern werde. Aber sie haben noch was von zwei Anliegen erzählt. Sechs Minuten sind ja schon um."
"Das erste Anliegen ist, dass Sie die Unterstützungssumme für jedes Kind zumindest verdoppeln. Das zweite ist, dass die Zauberer, die bisher noch nicht erfahren haben, dass sie Väter geworden sind, eine Befreiung der Einkommensabgaben erhalten, wenn sie sich bereiterklären, mit den Müttern ihrer Kinder zusammenzuleben, sofern diese das wollen." Partridge wusste, dass dies der früheren Krämerseele Dime sehr stark zusetzen mochte, noch mehr Gold herauszurücken. So überraschte ihn das überhaupt nicht, dass Dime lospolterte:
"Sagen Sie mal, halten Sie und ihre aufgebrachten Mitstreiter das Zaubereiministerium für einen Goldbrunnen, der beliebig ausgeschöpft werden kann? Sie dürfen froh sein, dass ich für Sie alle das Recht auf eigenständige Nachwuchsplanung gesichert habe."
Partridge tat so, als stecke ihn die Wut des Ministers an. Er ließ seine Kieferknochen mahlen und straffte sich, als wolle er gleich jemanden angreifen. Sofort zielte Mallard mit seinem Zauberstab auf den Besucher. Als Partridge den Mund zur Antwort öffnete, sprach er besonders laut. "Ja, und diese Entschädigungszahlung ist dann wohl nicht auf Ihrem Mist gewachsen, Sir, sondern auf dem von Vita Magica, oder? Ich erbitte zumindest das Recht auf Kopien des Vertrages. Wie wir dann damit umgehen erfahren Sie dann von uns, wenn wir Ihre Antwort haben, zur dreigeschwänzten Gorgone!"
"Es besteht kein Grund, ausfällig zu werden, nicht in meinem Büro", schnaubte Minister Dime. Doch Partridge überhörte das.
"Wie gesagt, Sir, wir fordern mindestens drei Kopien dieses Vertrages hier, um klarzustellen, ob wir nicht doch noch rechtliche Mittel dagegen einlegen können, hier als Zuchtvieh für Vita Magica abgefüttert zu werden. Wollen Sie uns zumindest dieses Anliegen erfüllen?"
"Das ist das einzige, was ich für Sie tun werde, Mr. Partridge. Alle anderen Punkte werde ich Ihnen schriftlich erläutern. Haben Sie sonst noch eine Frage, die ich beantworten kann, bevor die Zeit um ist?"
"Was ich wissen wollte weiß ich jetzt, und was ich nicht wissen wollte weiß ich auch", schnaubte Partridge und stieß besonders laut Luft aus. Er musste mindestens noch zehn Sekunden aushalten, ohne eine zu aggressive Haltung einzunehmen. So sagte er ein wenig lauter als angemessen war: "Als Sandhearst damals das Zaubereiministerium bei Washington durch seinen Alleingang gegen Vita Magica in einen giftigen Pfuhl verwandelt hat haben wir alle gedacht, dass sein Nachfolger wesentlich behutsamer mit unser aller Freiheit und körperlicher Selbstbestimmung umgehen würde. Aber offenbar haben Sie lieber daran gedacht, um des lieben Friedens Willen mit einer unseren Gesetzen und Wertvorstellungen abgeneigten Gruppe zu konspirieren und damit die Zaubererwelt der vereinigten Staaten verkauft. Gegen diesen Vertrag können wir scheinbar nichts ausrichten. Aber ob Sie noch lange Minister bleiben werden ist fraglich. Denn im Vertrag hier stand nichts, dass Sie ihr ganzes Leben Lang Minister bleiben sollen. Ich werde das prüfen, ob es nicht geht, dass Sie mit ihrem Privatvermögen haften, falls die Kosten für die Einhaltung dieses Vertrages über das Maß steigen, wo noch ohne Erhöhung von Abgaben bezahlt werdenkann." Partridge sprach wirklich so laut, dass auch der noch im Vorzimmer wartende Brewbaker hereinkam, um bei einer Handgreiflichkeit oder einem versuchten Zauberangriff sofort einzuschreiten.
Der Minister sah seinen scheinbar aufgebrachten Besucher merkwürdig an. Dann hörte er das leise Zischen und argwöhnte eine Falle. Doch diese Einsicht kam genau drei Sekunden zu spät. Denn unvermittelt verlor Dime sämtliche Beweglichkeit. Auch sprechen konnte er nicht mehr. Er hatte keine Macht mehr über seinen Körper. Auch war ihm, als gleite er in einen wohligen Rausch, wie nach mehreren Gläsern Feuerwhisky. Partridge sagte noch: "Wann darf ich mit Ihrer Antwort rechnen, Sir?" Doch Dime konnte nicht antworten. Er musste untätig zusehen, wie der hinterhältige Heiler sich nun ganz ruhig umdrehte, auf die Tür zuging undmit weit offenem Mund den Knauf drehte. Die Tür ging auf. Pancroft trat ihm entgegen. "Ist ihr Termin erfolg..." hörte der nur am Körper gelähmte Minister Pancroft sagen, bevor dieser selbst wohl dem Betäubungsgas erlag. Dime versuchte, zu mentiloquieren. Doch die ihm verpasste Droge lähmte seine Konzentration. Er konnte im Grunde nur noch ganz untätig verfolgen, wie es weiterging.
Offenbar hatte dieser Heiler was eingenommen, um gegen sein eigenes Mittel immun zu sein. Die drei Sicherheitsleute bekamen jedoch das Gas voll zu spüren. Dime sah, wie Partridge seine Umhängetasche und den Zauberstab wieder an sich nahm und in das Ministerbüro zurückkehrte. Wieso ging der Alarm nicht los?
Dime versuchte noch mal, zu mentiloquieren. Doch der ihn benebelnde Rausch vereitelte das immer mehr. Er fühlte jetzt auch keine Angst oder Verärgerung mehr. Was immer dieses Gas machte, es lähmte zuerst den Körper und dann die Sinne. So wusste Dime auch nicht, ob das folgende nur eine Halluzination war oder wirklich passierte.
Er sah Partridge auf sich zukommen. Der stellte sich vor den Minister und zielte mit seinem eigenen Zauberstab auf ihn. "Angarte Kasanballan Iandasu Janasar!" hörte er den Heiler aus Viento del Sol rufen. Im nächsten Augenblick explodierte vor ihm eine silberweiße Lichtentladung, die ihn einhüllte und molligwarm umschloss, sich immer stärker auf ihn legte und dann mit einem Hitzeschauer in ihn eindrang, ihn ausfüllte und in wohligen Schauern durchpulste. Er meinte zu schweben. Danach durchbrauste ihn eine wilde Kraft, die ihm von den Haarspitzen bis in die Finger- und Zehenspitzen strömte. Er fühlte, dass irgendwas mit ihm geschah, sich sein Körper irgendwie anders anfühlte. Dann glaubte er, von einer Urgewalt davongerissen zu werden, bis er mit einem starken Aufprall wie auf eine sonnenhelle Lichtwand gestoppt wurde. Von da an war er sich nicht mehr sicher, ob er das alles erlebte, was auf ihn einstürmte.
Es waren Bilder aus seinem Leben und auch die aus dem Leben einer anderen, jener, die ihn an die Blutkette gelegt hatte. Ihrer beider Leben lief um ihn herum in umgekehrter Richtung ab, vom Valentinstag an, wo er auf ihre Aufforderung für jeden ihrer Hauselfen eine Stickerei mit dem Namen des Elfen und seinem Blut und dem Zutrittsgewährungszauber zu jeder Zeit unbeschränkten und ohne Weitermeldung erfolgenden Zugang zu seinem Büro und seinen Privaträumen gestattete, über jenen verhängnisvollen Besuch, bei dem sie ihn dem Catena-Sanguinis-Zauber unterworfen hatte, den Nachmittag mit ihr, wo er die zwei Kinder gezeugt hatte, die sie von ihm trug und so vieles mehr.
Phoebe Gildfork hatte bisher alles quasi mitgehört. Als Dime sie fragte, ob er dem aufdringlichen Heiler aus VDS das Original des Vertrages zeigen sollte hatte sie geantwortet, dass der es ruhig sehen sollte, dass da nichts gegen zu machen war und dass Partridge ja alle magischen Gegenstände vor der Tür hatte abgeben müssen. Sie lächelte, als ihr zukünftiger Gefährte diesem Wohlmeiner Partridge die passende Antwort auf dessen Forderungen sagte. Der konnte auch nichts mehr machen. Der Vertrag galt und blieb wie er war. Dann meinte sie, dass jemand lauter atmete. Sie fühlte auf einmal eine Anspannung in ihrem Unterbauch und wollte schon mentiloquieren, was Chroesus gerade wieder anstellte. Als sie auch noch mitbekam, dass Chroesus Dime eine Frage des Besuchers nicht beantwortete wurde ihr klar, dass irgendwas nicht stimmte.
"Rookie, Chroesus Dime herholen! Schnell!" stieß sie einen Ruf aus. Irgendwo in ihrem Haus krachte es wie ein kleiner Knallfrosch. Ihr Elf hatte ihren Befehl verstanden und ohne ihn zu bestätigen befolgt.
Sie lauschte weiter, ob sie gleich den von ihr geschickten Hauselfen hören konnte. Doch in ihrem Leib herrschte geistiges Schweigen. Sie bekam nur die ganz leisen Herzschläge ihrer Ungeborenen mit. Dann hörte sie eine merkwürdige Litanei aus ihrem Unterleib heraus: "Angarte Kasanballan Iandasu Janasar!" Das war Partridges Stimme. Doch wieso konnte der einen Zauber ausrufen, wo der doch keinen Zauberstab dabeihaben durfte?
Ein heftiger Wärmeschauer aus ihrem Unterleib ließ sie zusammenfahren. Dann sah sie den silberweißen Lichtstrahl, der unterhalb ihres Bauchnabels entsprang und hell wie Tageslicht durch die Wand ging und im Rhythmus der zwei kleinen Herzen ihrer ungeborenen Kinder pulsierte. Der Strahl wurde breiter und breiter. Dann fühlte sie sich selbst völlig schwerelos und meinte, wie ein Ballon zur Decke aufzusteigen. Ihr ganzer Körper pulsierte nun im Takt der zwei ungeborenen Herzen. Sie wollte rufen, ihre Hauselfen um Hilfe anflehen. Doch sie konnte ihren Mund nicht öffnen. Sie fühlte ihren Körper nur im schnellen Takt der beiden kleinen Herzen pulsieren. Wie mit dem Impedimenta-Zauber gelähmt konnte sie nur in die eine Richtung sehen, in der jener breite Lichtstrahl zielte. Dann hörte sie wie aus weiter Ferne einen lauten Schreckensschrei und sah, wie der die Wand durchbrechende Strahl sich zu einer immer größeren Kugel aus Licht bündelte. Als die Lichtkugel so groß wie ein erwachsener Mensch war schrie ihr Geist in derselben Weise wie die sich rasend schnell nähernde Stimme. Dann schnellte die an der Wand aufgetauchte Lichtkugel zu ihr hin und traf sie mit solcher Wucht, dass sie meinte, mit einem Besen gegen eine Wand aus gleißendem Licht geprallt zu sein.
Silvester Partridge sprach gerade seine Formel, als es scharf knallte. Doch weil er voll auf die Ausführung seines Zaubers konzentriert war und jetzt bloß nicht aufhören konnte beachtete er dieses Geräusch erst einmal nicht. Als er sah, was nach Ausruf seiner Formel geschah vergaß er den kurzen Knall auch erst einmal.
Er war gewarnt, dachte der Heiler aus Viento del Sol. Die Schriften seines Urahnen Valerius Vulpius Perdiculus aus dem vierten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung hatten es klar und deutlich dargestellt:
So sei stets in Gewissheit und Erwartung, dass der mächtige Bann, der alles Übel zum Wohle wenden kann, auch wirklich alles Übel zum Wohle wendet. Doch eben solches Wohle mag dem Ursprunge grundverschieden sein und dann nicht mehr in den Ursprung zurückgeführt werden können. Denn wahrlich ist der mächtige Bannspruch, der übles zum wohle wendet, nicht zurücknehmbar, da sein Wirken das vollbrachte Wohl nicht wieder in Übel wenden will, solange Körper oder Ding, das damit besprochen wurde, seine natürliche Zeit bestehet und nicht durch rein körperliche Gewalt zum Ende gebracht wird. Doch wer solches Werk tut verliert die Macht über die großen Zauber der hellen Mächte.
Wohl wahr, dachte Silvester Partridge, als er mit angesehen hatte, wie sein Zauber erst ein silberweißes Licht heraufbeschworen hatte, welches den Minister völlig einhüllte und ihn dann in eine wabernde Kugel aus diesem Licht verwandelte. Dann schrumpfte diese Kugel schlagartig in sich zusammen und löste sich einfach auf. Kein Geräusch war zu hören. Silvester Partridge starrte mit großem Unbehagen auf den Punkt, an dem der von ihm bezauberte Minister gerade noch zu sehen gewesen war. Dann erkannte er, was er angerichtet hatte. Er hatte den Blutkettenzauber unterschätzt. Offenbar hatte die Hexe, deren Aura den Minister umhüllt hatte, zwei Kinder von ihm empfangen und alle beide als Ausgangspunkt für den Zauber benutzt. Dann war der Zauber auch viermal so stark wie bei einem einzigen Kind. Entsprechend heftig musste dann die Wirkung seines Übelwenderzaubers ausfallen. Offenbar hatte die Blutkette den Minister zum Standort der Kindesmutter zurückgezogen und dann?
"Das glaubt mir doch kein Mensch, dass ich den Minister nicht vernichten wollte", dachte Silvester Partridge. Dann überkam ihn eine starke Erschöpfung. Er musste sich auf den Besucherstuhl setzen und mindestens eine halbe Minute lang tief ein- und ausatmen.
Erst als er sich wieder einigermaßen kräftig fühlte dachte er daran, dass er nicht mehr viel Zeit hatte. Er sah sich hektisch um und entdeckte einen Hauselfen im grün-goldenen Kissenbezug, der mit ausgestreckten Gliedern auf der mohrrübennase lag und sich nicht rührte. Den hatte das von Partridge ausgeblasene Gas erwischt, bevor der kleine Kerl irgendwas unternehmen konnte. Dann hatte die Hexe, die den Fluch auf Dime gelegt hatte, blitzschnell einen ihrer Elfen losgeschickt, um einen Angriff auf ihren Abhängigen zu verhindern. Das hatte jedoch nicht geklappt, dachte Silvester. Einen winzigen Moment lang wünschte er sich, der Hauself hätte ihn noch davon abgehalten, seinen Zauber korrekt auszusprechen. Er war nur davon ausgegangen, dass der Blutkettenfluch aufgehoben und dessen Verbindung zu seiner Urheberin zurückschnellen würde. In gewisser Weise war das auch passiert. Nur war Dime von dieser Magie derartig erfüllt gewesen, dass sie ihn gleich mitgenommen hatte. Die Frage war, ob das schon alles war, was mit Dime passiert war. Am Ende hatte der mit einem seiner Kinder den Platz getauscht oder war zum dritten Kind dieser Hexe geworden und musste sich von der nun wieder austragen und neu zur Welt bringen lassen. Er schalt sich einen nachlässigen, ja fahrlässigen Stümper, weil er das nicht vorher genauer geprüft hatte. Ja, und dass ihn der eine Zauber derartig auslaugen würde war ihm nicht in den Sinn gekommen. Aber das konnte auch an einer anderen Vorkehrung liegen, die er vor seinem Besuch hier getroffen hatte. Jedenfalls hatte er mindestens eine Minute Zeit vergeben, weil seine Aktion derartig auf ihn eingewirkt hatte. Wohl war, er war gewarnt worden.
Phoebe erlebte Bilder und Geräusche, Empfindungen und Ereignisse aus ihrem Leben. Aber es war nicht nur ihr Leben, was in rasanter Abfolge um sie herum abgespult wurde.
Sie sah sich mit Chroesus Dime am Valentinsabend. Dann erlebte sie nach, wie sie ihm den Blutkettenzauber auferlegte. Danach sah sie ihn, wie er wegen Sandhearsts katastrophalem Fehlschlag Zaubereiminister geworden war. Dann durchbrauste sie die Erinnerung, wie sie mit ihm viermal leidenschaftlichen Sex erlebt hatte, wobei sie einmal ihre eigene und dann auch mal seine Empfindungen erlebte, als hätten sie dabei immer wieder ihre Körper getauscht. Sie bekam mit, wie er in seinem Büro mit Kobolden und seiner ziemlich aufreizend gekleideten Tochter Eartha gesprochen hatte, dann wie sie den Liebestrank mit ihren Tränen und ihrem Monatsblut vermischte, der dann farb- und Geschmacklos wie reines Wasser umgeschlagen war, so dass sie ihn bedenkenlos in die Getränke mischen konnte, aus denen sich Dime eines aussuchen konnte. Im immer schnelleren Wechsel erlebte sie nun Ereignisse aus ihrem und seinem Leben, vor allem jene, welche die stärksten Gefühle hervorriefen. So fand sie sich mal als er mit Argentea Dime in geschlechtlicher Vereinigung, mal als sich selbst mit Tommy Deepwater, einem Quodpod-Champion, dessen dunkelblondes Lockenhaar ihr genauso gefallen hatte wie sein athletischer Körperbau. Sie fand sich in Mitten einer hitzigen Diskussion mit der Vereinsführung der Rossfield Ravens. Von Dime erlebte sie eine nicht minder aufreibende Debatte mit dem Koboldverbindungsbeauftragten, die fast in einem Zaubererduell ausgeartet wäre. Dann überkamen sie Bilder und Gefühle von einem Treffen mit einem Beauftragten des US-amerikanischen Quidditchverbandes, dessen Gremium es gewagt hatte, ihre großzügige Spende für eine bundesweite Bildungseinrichtung abzulehnen, weil sie unbedingt neutral sein wollten. Sie fand sich bei einer Veranstaltung, auf der Chroesus Dime das Außenhandelsverzögerungsgesetz gegen alle Vorhaben verteidigte, die 20-Jahre-Frist abzuschaffen. Sie durchlebte noch mal die heftigen Anfeindungen beim Endspiel der Quodpotliga in der Saison 2001-2002, wo die Spieler der Rossfield Ravens gemeint hatten, gegen ihre Hauptsponsoren aufzubegehren. Der Streit mit ihrem Mann Arbolus wäre beinahe in einer handfesten Zerrüttetheit ausgeufert. Chroesus Dime hatte in diesem Zeitraum mit der Zuteilung von Ausrüstungsgütern zu tun, um gegen die Mondbruderschaft zu kämpfen, vor allem der Ankauf von Silbererz zur Herstellung von Mondsteinsilber hatte den damaligen Finanz- und Handelsleiter sehr umgetrieben. Was ihr selbst sehr zugesetzt hatte war, dass Cyrus Stark, ihr Sohn aus der Ehe mit dem Gringotts-Edelmetallsucher Vincent Stark, öffentlich gegen die Neuanschaffung von ausschließlichen Bronco-Besen Front gemacht hatte. Sie wurde wieder daran erinnert, dass sie ihm sowohl Verrat an den Ravens als auch an seiner Mutter vorgehalten hatte, worauf der Bengel doch glatt behauptet hatte, dass sie ja nur an ihm interessiert sei, weil sie an den Gewinnen der Ravens mitverdiene. Sie bekam mit, wie Dimes Kinder immer jünger wurden, bis sie nur als ausgeprägter Umstandsbauch Argenteas zu erkennen waren. Jedenfalls verliefen diese ineinandergreifenden Lebensbetrachtungen rückwärts, als habe jemand beschlossen, dass sie von ihm alles bis zum Zeitpunkt der Geburt mitbekäme.
Das ihr erster Mann Vincent beim Versuch, in ein altes Goldversteck der Apachen einzudringen von dort wachenden Geistern getötet wurde hatte sie zwar traurig gemacht, weil er einer der wenigen war, den sie mehr als zehn mal hatte lieben können, ohne den Eindruck zu haben, nun alles von ihm zu kennen. Auch da hatte sie sich mit dem gemeinsamen Sohn in der Wolle gehabt, der damals gerade das UTZ-Jahr in Thorntails bestehen musste. Dime hatte in der Zeit gerade durch einen sehr geschickten, wenn auch nicht gerade anständigen Schachzug daafür gesorgt, dass sein damaliger Vorgesetzter in der Materialbeschaffung über unbezahlte Schulden bei den Kobolden stolperte, welche ihn dazu erpressen wollten, ihnen bestimmte Konditionen einzuräumen.
Die Reise durch zwei Leben verlief dann durch ihre eigenen Thorntails-Jahre, wo sie mit Dom Delaney aus der Quodpotmannschaft von Durecore und festem Freund ihrer Schlafsaalkameradin Bellona Hoover das berühmte erste Mal erlebt hatte, weil sie damals schon gut mit Liebestränken hantieren konnte. Leider musste sie dann auch die unangenehmen Unterredungen mit der damaligen Zaubertrank- und Kräuterkundelehrerin Daianira Hemlock nacherleben, die sie immer als verzogenes und auf den Ruhm der eigenen Eltern setzendes Geschöpf bezeichnet hatte. Dimes erste körperliche Liebe mit seiner Frau Argentea hatte ganz gutbürgerlich in der Hochzeitsnacht stattgefunden.
Phoebe sah sich unter der Auswahlglocke, die bestimmte, für welches der fünf Häuser von Thorntails sie geeignet war, damals noch eine zierliche, zopfharige Junghexe, aber als Kronprinzessin ihrer Familie darauf ausgehend, möglichst bald die erfolgversprechendsten Leute kennen zu lernen. Dime hatte zu dem Zeitpunkt gerade die Anstellung als Beauftragter für den Ankauf von Schreibmaterial erhalten. In dem Moment, wo Phoebe sich selbst als Baby im Leib ihrer Mutter Nioba verschwinden sah machte Chroesus gerade die UTZs. Sie erheischte noch einen winzigen Ausschnitt aus der Zeit im Mutterleib und bekam dann mit, wie Chroesus Dime von mehreren jungen Hexen aus anderen Häusern umschwärmt wurde. Dann erlebte sie nur noch ihn als immer kleiner werdenden Jungen mit, bis auch er mit einem Ruck in den weit geöffneten Unterleib seiner Mutter hineinschnellte. Dabei fühlte sie, wie sie ihm nachfolgte und für wenige Sekunden wie ein Zwilling mit ihm zusammenlag. Dann wurden beide mit einem Ruck ausgestoßen. Es wurde schlagartig hell um sie. Beide schrien laut auf. Dann gab es noch eine Flut von Bildern, die mit einem grellen Blitz endete. Dabei fühlte sie einen heftigen Schmerz durch ihren Körper gehen, als habe ihr jemand den Bauch zusammengequetscht. Dann meinte sie, von jemandem weggestoßen zu werden und fand sich von vier kleinen Händen aufgefangen halb auf ihrem breiten Stuhl sitzend wieder.
"Verfluchter Kurpfuscher! Was hat der mit mir gemacht?!" hörte sie eine mittelhohe Frauenstimme rufen, die sie nicht kannte, und die ihr doch irgendwie vertraut war. Dann sah sie keine zwei Meter von sich entfernt die andere, eine Frau, die ihr sehr ähnlich sah und doch irgendwie auch Merkmale eines anderen hatte, die von Chroesus Dime, als sei die andere eine Gemeinsame Tochter von ihr und ihm.
"Meisterin Phoebe! Was ist mit euch passiert?" hörte sie die sehr aufgeregte Stimme ihres Hauselfen Tipsy. Der hielt sie zusammen mit Witty, der weiblichen Artgenossin, bis sie sich wieder richtig hinsetzte. Nun sah sie, dass die andere Frau oder Hexe einen leicht vorgewölbten Bauch hatte und griff sich aus reinem Reflex an ihren eigenen Unterbauch. Sie fühlte eine gewisse Rundung. Doch sie hatte das Gefühl, dass irgendwas nicht stimmte. Sie fühlte sich so, als sei sie nicht mehr so umfangreich wie vorhin. Auch ihr sehr teures grünes Seeschlangenkleid war irgendwie weiter als vorhin. Doch es begann, sich immer mehr zusammenzuziehen, bis es sich wieder figurbetont um sie schmiegte. "Verdammt, was hat der mit uns beiden gemacht. Oh, Mist, der hat mich mit unseren Kindern ..." sagte die andere.
"Was hat dieser selbsternannte Wohltäter dir aufgeladen, Chroesus. Du siehst aus wie unsere gemeinsame Tochter", sagte Phoebe und erschrak, weil ihre Stimme anders als vorher klang. Ja, sie meinte, dass ihre Stimme ähnlich klang wie die des verwandelten Chroesus Dime.
"Meisterin Phoebe und die andere sehen aus wie zwei Schwestern", sagte Witty. Dann bat sie die Hexe im grünen Kleid, sie untersuchen zu dürfen. Dabei kam heraus, dass Phoebe nur ein Kind in ihrem Bauch trug. Als die andere das wissen wollte, ob sie jetzt die Mutter der zwei wurde stellte Witty fest, dass die andere auch ein einzelnes Kind in sich trug. Daraufhin sahen sich beide sehr genau an. Phoebe ließ sich einen Spiegel bringen und erstarrte. Denn sie und die andere waren vom Gesicht, Figur und Körpergröße her identisch, nur dass Phoebe noch ihr schulterlanges Haar trug, während die andere kurzgeschnittenes Haar besaß. Dennoch stand fest, sie beide waren zu schwangeren Zwillingsschwestern geworden, die so aussahen, als seien sie die Töchter von Chroesus Dime und Phoebe Gildfork. Als beiden klar wurde, was passiert war überkam Phoebe ein wilder Weinkrampf und Chroesus Dime lief wutrot an. "Wenn ich diesen Auswurf einer reudigen Werwölfin erwische röste ich den eigenhändig am Spieß", zeterte Dime und erschauerte, weil die Stimme nicht mehr seine war.
"Tipsy, Morty, Atemschutz aufsetzen und mir Rookie und diesen Kerl herbringen! Bringt auch jedes Stück Pergament mit, was offen auf dem Tisch liegt oder der in den Händen hält!" befahl Phoebe Gildfork, die ihre Verwandlung und den Verlust eines ihrer ungeborenen Kinder offenbar etwas schneller überwand als Dime seine Verwandlung.
Silvester erkannte, dass er weniger Zeit hatte als erst gedacht. So beeilte er sich damit, was er eigentlich noch tun musste, bevor die Wirkung des nur den Heilern bekannten Betäubungsgases verflog, das in einer vorbehandelten, rauminhaltsbezauberten Patrone verborgen gewesen war und nur durch mehrmaliges aufeinanderreiben seiner zähne freigesetzt wurde. Wichtig war, dass es den Körper und die Konzentrationsfähigkeit lähmte, aber nicht zur vollständigen Besinnungslosigkeit führte. Denn in dem Fall hätten die Sicherheitszauber gegriffen. Auch schienen die Sicherheitszauber auf ausdrücklich bösartige Zauber abgestimmt zu sein. Sein Übelwender entsprach nicht diesen Voraussetzungen. Eigentlich hatte er noch zwei Minuten, bis die Körper- und Geisteslähmung verging und die Sicherheitsleute über ihn herfallen würden. Doch der kurz vor Auswirkung seines Zaubers apparierte Elf gemahnte ihn, in den nächsten Sekunden fertig zu werden.
Er zielte mit seinem Zauberstab auf dem immer noch auf dem Tisch liegenden Vertrag. Der erschien für ihn immer noch in eine blutrote Sphäre eingehüllt. Noch einmal rief er die mächtige Zauberformel: "Angarte Kasanballan Iandasu Janasar!" Unverzüglich flirrte silbernes Licht aus seinem Zauberstab herausund traf den Vertrag. Dieser glühte in bläulich-weißem Licht auf, um dann in einer Wolke aus blauen und weißen Buchstaben auseinanderzufliegen. Es dauerte keine drei Sekunden, da war von dem Vertrag nichts anderes übrig als drei blitzblanke, jungfräuliche Pergamentseiten, die noch einmal erzitterten und dann auf dem Tisch liegenblieben. Silvester Partridge nickte. Sein Werk war getan, auch wenn sie gleich alle über ihn herfallen und ihn womöglich wegen des Angriffes auf den Minister verurteilen würden. Doch würde es dazu kommen? Er sollte besser seine Nachricht hierlassen und abhauen, bevor noch wer ganz anderes zurückschlug. Er spürte jedoch, dass die von ihm gewirkten Zauber ihn gut ausgezehrt hatten.
Silvester Partridge zog den Zettel aus seiner Umhängetasche, auf dem seine Erklärung für seine unerlaubte aber doch so nötige Tätigkeit stand. Er legte ihn auf die von ihm mit dem Übelwender bezauberten Pergamentblätter. Er steckte seinen Zauberstab in die Umhängetasche. Er wandte sich der Tür zu, um ganz ruhig hinauszugehen. War er erst mal unter vielen anderen Leuten konnte ihm ein möglicher Gegenschlag der nicht mehr unbekannten Widersacherin nur großen Aufruhr verursachen.
Ein lauter, scharfer Knall ließ ihn zusammenfahren. Er fühlte, wie er von einer unsichtbaren Kraft ergriffen und in das Büro hineingezogen wurde, um knapp vor einem heftigen Aufprall abgebremst zu werden. Er hatte das Gefühl, als würde ihn etwas wie mit unsichtbaren Ketten einschnüren. Dann fühlte er, wie er in jenen alles zusammenstauchenden und völlig dunklen Zustand zwischen Ausgangsort und Zielpunkt eines Appariervorgangs hineingezwengt wurde. Er erkannte, dass ihn mindestens zwei Hauselfen entführten. Er hatte die Hauselfen seiner bis vor wenigen Minuten unbekannten Widersacherin nicht eingeplant. Doch seine eigentliche Mission war erfüllt. Außerdem hatte er mehrere Vorkehrungen getroffen, sofortigen oder späteren Gegenaktionen zu begegnen.
Die Welt um ihn gewann wieder an Raum und Licht. Er konnte drei Hauselfen mit grün-goldenen Kissenbezügen mit einem goldenen, aufgestickten Bäumchen auf dem Brustteil erkennen. Zwei der kleinen Zauberwesen trugen silbrig schimmernde Gebilde vor ihren Gesichtern, die wie kegelförmige Netze aussahen. Silvester dachte erst an filigrane Maulkörbe, wie sie bissigen Tieren umgeschnallt wurden. Doch als er verstand, wozu diese Vorrichtungen dienten war es eh schon zu spät. Mit einem dumpfen Plopp, gefolgt von einem lauten Zischen, flutete ein weißer Nebel in den fenster- und scheinbar türlosen Raum hinein, in dem Partridge gerade noch eine kugelförmige Lichtquelle erkennen konnte. Bevor ihm die Sinne schwanden fühlte er Verärgerung, weil er auf diese Gegenaktion mit einem schnell wirkenden Betäubungsgas nicht vorbereitet gewesen war.
Phoebe Gildfork starrte durch ein Türfenster in den Raum, wo ihre Hauselfen mit Partridge gelandet waren. Sollte sie es damit auf sich beruhen lassen, den Kerl eingefangen zu haben, der sie und Dime zu Zwillingstöchtern von sich und ihm gemacht hatte? Nein, sie musste zum einen ihre Spuren verwischen und zum zweiten herausfinden lassen, ob Partridges gemeiner Zauber umgekehrt werden konnte, damit sie alleine ihre beiden Kinder wieder in sich trug. Jedenfalls musste der in ihre schwangere Schwester verwandelte Minister sicher an einem Ort sein, von dem aus er nicht mentiloquieren konnte. So schickte sie ihren Hauselfen Ronny zu Pater Duodecimus Occidentalis, um ihm die Mitteilung zu machen, was passiert war. Danach befahl sie Morty: "Bring den Auslöscher in Chroesus' Büro und drücke den Knopf daran. Dann mach, dass du wieder zu mir hinkommst!" Morty nickte und verschwand mit lautem Knall.
Er war eine Frau geworden, noch dazu eine mit einem Baby im Bauch. Als er sich behutsam betastete fühlte er, dass das kein Traum war. Als er dann noch erkannte, dass er in Phoebes Haus gelandet war und dass Phoebe sich verändert hatte wurde ihm klar, was passiert war. Dieser Volltroll von einem Dorfheiler hatte ihn allen Ernstes durch eine Art Fluchverkehrerzauber, den er selbst noch nicht kannte, an der Blutkette entlang gegen Phoebes Körper prallen lassen. Dann waren beide miteinander vermengt und dann als zwei mit je einem von zwei Kindern schwangere Schwestern wiederverkörpert worden. Sie hatte jetzt seine Augen, während er ihre Haarfarbe abbekommen hatte. Nur Kleidung und Frisur hatten den Körpervermischungs und -verdopplungszauber unverändert überstanden. Aber was nützte das? Partridge hatte ihn, den Zauberer, durch eine total irrsinnige Verdrehung des Blutkettenzaubers in Phoebes Zwillingsschwester verwandelt und ihr Merkmale von ihm aufgeprägt. Allerdings sah sie nun etwas schlanker aus als vorher. Kunststück, wo er einige Pfunde ihres Körpergewichtes abbekommen hatte. Oder war es eher so, dass beide auf das gemeinsame Durchschnittsgewicht gebracht worden waren? Das war doch jetzt auch egal. Jedenfalls war die Wirkung dieses Betäubungsmittels abgeklungen, mit dem Partridge ihn überrumpelt hatte.
Immer noch damit hadernd, was ihm angetan worden war überließ er es Phoebe, die nächsten Schritte zu tun. Bis er sich mit dem gerade aufgeladenen Zustand zurechtfand und wieder das Heft des Handelns in die Hand nahm hatten die Hauselfen diesen Dorfheiler sicher schon sicher und konnten den ausforschen, wie der das gemacht hatte. Hoffentlich ließ sich der Zauber wieder umkehren, auch wenn das hieß, dass er dann wieder an Phoebes Blutkette hing und ihre Launen und Wünsche auszuhalten hatte. Doch als Hexe am Ende des ersten Schwangerschaftsdrittels wollte er nicht weiter herumlaufen. Das sollte ihm dieser Möchtegernwundertäter büßen.
Er bekam mit, wie Phoebe Partridge herbeiholen ließ. Der hatte wahrhaftig Pergamentblätter dabei. Doch die waren bis auf einen kleinen Zettel völlig unbeschrieben. "Chroesus, hast du außer dem Vertrag noch andere Pergamente auf deinem Tisch liegen gehabt?" wollte Phoebe wissen. Ihre Stimme klang anders als vorher. Doch ihre Entschlossenheit war unverändert.
"Ich habe diesem Kerl den Vertrag gezeigt, damit der erkennt, dass der echt bindend ist, Phoebe. Hat der ihn nicht mitgebracht?" erwiderte Chroesus Dime.
"Wenn das der Vertrag war, dann hat der den auch verzaubert, dass die Pergamentblätter jetzt total jungfräulich sind", zischte Phoebe Gildfork verärgert.
"Zum roten Donnervogel, wie hat der das gemacht?" stieß Chroesus aus und erschrak einmal mehr, wie anders seine Stimme klang. Dass er nun eine "Sie" war verärgerte und beängstigte ihn gleichermaßen. Und er wollte keine "Sie" bleiben. Sollte das gehen, dann sollte dieser Dorfheiler seinen Körper für ihn hergeben und dessen Seele in diesem von ihm zusammengezauberten Leib Phoebes eines der zwei Brötchen durchbacken. Ja, wenn das ging, also nicht den nur einen Tag anhaltenden Körpertausch-Zauber, dann sollte das Partridges Bestrafung sein.
Clark Rivergate war der Leiter des Sicherheitszentralbüros im US-Zaubereiministerium. Ihm unterstanden die Feuerschutzeinrichtungen und Brandbekämpfungstruppen, die Zaubereizentralverwaltung, die die magischen Einrichtungen im Ministeriumsgebäude warteten und steuerten, sowie die Sicherheitsmannschaft, die bei Eindringlingen oder aufkommenden Gewalthandlungen im Ministerium eingriff.
Die silberne Wanduhr vor Rivergate zeigte gerade sieben Minuten nach zehn Uhr, als ein rhythmisches Schnarren und ein hektisches Bimmeln ertönte. Gleichzeitig surrte aus einem silbernen Kasten ein Pergamentstreifen heraus. Rivergate sah schnell auf eines der magischen Fenster, dass im Alarmfall zu einer Darstellung eines betroffenen Bereiches im Ministerium wurde und erkannte am rechten oberen Rand die rote Blinkschrift: "Massiver Zauberkraftabfall auf Stockwerken 5-7"
Rivergate schnappte mit der rechten Hand nach dem Pergamentstreifen und las, dass um 10:08 Uhr Ostküstenzeit ein plötzlicher Ausfall aller Komfort- und Überwachungszauber auf den Etagen 5 bis 7 im Bereich Nordost des Gebäudes verzeichnet wurde und der Alarmzauber wegen ausgefallener Melde- und Alarmzauber ausgelöst worden war. Rivergate erbleichte, weil er wusste, dass in dem Bereich auch ein Teil der Sicherheitsüberwachungen lag. Da plärrte auch schon der nächste Alarm los, der im Falle eines mehrmaligen Anregungsversuches des Bereitschaftsmeldezaubers losging, wenn niemand darauf antwortete. Rivergate ließ den Pergamentstreifen auf den Tisch fallen und zückte seinen Zauberstab. Mit "Omnes audite!" löste er den Rundrufzauber aus, der nur auf wenige ranghohe Mitarbeiter vom Minister abwärts abgestimmt war.
"Achtung, schwerer Zauberkraftabfall auf den Stockwerken fünf bis sieben. Dortige Sicherheitseinrichtungen ausgefallen. Personal im betroffenen Bereich antwortet nicht auf Rückfragen. HVD und Truppen S-3 und F-5 unverzüglich zum Ministeriumsbüro. Minister Dime falls möglich aus Gefahrensituation retten. Maximaler Eigenschutz! Ausführung!"
Mittlerweile bimmelten und tröteten noch mehr Alarmzauber und -vorrichtungen los, angefangen von der Aufzugsteuerung über die Ausblickzuteilung der magischen Fenster bis zum Meldezauber für einen teilweise unterbrochenen Apparierwall und Portschlüsselspürer. Insgesamt gerieten mehr und mehr der sorgsam ausbalancierten Schutz- und Komfortzauber aus den Fugen und lösten damit eine Kettenreaktion weiterer Alarmzauber aus. Die bezauberten Fenster zeigten wild wirbelnde Farbmuster oder auf dunkelrotem Hintergrund dahinjagende hellrote Schlierenmuster. Ein Fenster ließ den Tagesablauf mit tausendfacher Geschwindigkeit durchlaufen, so dass sich Tag und Nacht im 2-Minuten-Rhythmus abwechselten. Die Lichtkristalle begannen zu blinken und dabei mal in Grün, Blau oder Dottergelb zu leuchten, falls sie nicht vollständig erloschen. Rivergate wollte besser nicht daran denken was passiert wäre, wenn jemand die Magieauslöschung in einer der drei Sicherheitsüberwachungszentralen ausgelöst hätte. Er war mit seinen Leuten dabei, die von der Unterbrechung betroffenen Räume zu untersuchen. Es stellte sich heraus, dass sämtliche Mitarbeiter in den betroffenen Büros und Aktenräumen bewusstlos unter Bergen aus den Rauminhaltsschränken herausgeschleuderter Pergamentrollen und Aktenordner begraben waren. Weil diese Unterlagen um keinen Preis der Welt beschädigt werden durften mussten die noch einsatzfähigen Sicherheitskräfte jeden Aktenberg und jeden Pergamentrollenhaufen erst von Hand abtragen und dann mit Bewegungszaubern an sichere Orte zaubern, wo sie keinem im Weg herumlagen. Erst nach zwanzig Minuten war soweit alles freigeräumt, um das Ministerbüro selbst zu untersuchen. Dort wurden die drei Schutzzauberer Pancroft, Mallard und Brewbaker gefunden, wie sie unter bis zur Decke reichenden Aktenbergen dem Erstickungstod nahe waren. Womöglich waren sie nur deshalb noch am Leben, weil sie sofort umgefallen waren, als sie ohnmächtig wurdenund in ihrem Zustand nur einen Bruchteil der üblichen Atemluft gebraucht hatten. Der Minister jedenfalls war nicht aufzufinden, ebensowenig sein letzter Besucher, Silvester Partridge.
"Wie immer der das hinbekommen hat. Partridge muss den Minister überwältigt und auf eine noch zu klärende Art entführt haben, bevor ein von ihm eingeschmuggelter IVK ausgelöst wurde, vermutete Archimedes Peasegood, einer der nicht in den Wirkungsbereich der Entladung geratenen Thaumaturgiefachzauberer. Er schwenkte gerade ein von ihm selbst gebautes Instrument, das wie eine flache, schwarze Schachtel mit einem silbernen Deckel aussah. In dem Deckel waren mehrere runde und rechteckige Messanzeigen eingearbeitet. An der Peasegood abgewandten Schmalseite bewegten sich haarfeine silberne Gebilde wie Insektenfühler und spreizten oder verengten sich. Das Gerät summte und zirpte leise, als seien in ihm kleine Fliegen und große Grillen eingesperrt. Dann blinkten kleine gelbe Lichter zwischen den Messanzeigen auf.
"Oha, ich habe hier reste einer Gasmischung, die von unseren Alchemialarmzaubern offenbar nicht als bedenklich eingeordnet wurden", sagte Peasegood und zielte auf den von den aus den geborstenen Schränken gequollenen Akten umgestürzten Schreibtisch. "Offenbar hat da jemand ein Aerosol entwickelt, das erst im Blut eines lebenden Menschen zu einer wirksamem essenz mutiert ist. Ich ziehe mal eine Probe für die Eierköpfe im EAL. Wo sind die Kesselrührer eigentlich?"
"Erstens selber Eierkopf und zweitens hier", sagte eine Hexe im rosafarbenen Duotectus-Anzug. "Und die Proben kann ich auch ziehen, weil ich dabei auch gleich die üblichen Luftanteile ausfiltern und nur die zu prüfenden Substanzen konzentrieren kann", sagte sie noch und hielt ein dünnes Ansaugrohr an einem nur wenige Zentimeter langen Schlauch in das Büro.
"Ah, Bromelia. was hat dich aus eurem Blubberbunker getrieben?" wollte Peasegood wissen.
"Das der Zauber zur Atemluftreinhaltung heftig aus dem Tritt geraten ist und wir sicherstellen müssen, dass hier in dem Bereich keine schädlichen Stoffe durch die Luft fliegen, Uhrmacherlehrling", erwiderte die Hexe im rosaroten Schutzanzug.
"Apropos Uhr, wegen der IVK-Entladung kann ich alles was davor war nicht mehr auslesen. Die Entladung hat jede thaumaturgische Restenergie absorbiert. Somit kann ich weder sagen, was hier in letzter Zeit gezaubert wurde, noch wie der Minister abhanden kam, nur falls jemand das jetzt schon wissen möchte", erwiderte Peasegood ruhig.
"Mrs. Stirwell, kriegen Sie möglichst schnell raus, was für ein Gas das war und vor allem warum zum feuerroten Donnervogel das nicht vom Alchemiealarm erfasst wurde", stieß Rivergate aus, der dem neckischen Streit der beiden unterschiedlichen Fachleute ein Ende machen wollte.
"Wird erledigt", sagte Bromelia Stirwell, die Hexe im rosaroten Duotectus-Anzug, die im Elixierauswertungslabor tätig war. Da rasselte das Gerät von Peasegood, und die kleinen gelben Lichter färbten sich orangerot. "Soviel vom Uhrmacherlehrling, werte Mrs. Stirwell", lachte Peasegood. der Lebenswirkungsvorprüfer meines Vieltasters meldet, dass das Gas zu einem rauschartigen Zustand führt, sobald es im Blutkreislauf landet. Gleichzeitig scheint es wohl willentliche Bewegungen einzufrieren wie der Bewegungsbann. Das den die Gasschnüffelvorkehrung nicht als Bedenklich eingestuft hat liegt an wohl fünf Bestandteilen, die nur durch die Wechselwirkung mit Blut, wohl genauer magisch wirksamem Blut, ihren erstarrenden Effekt haben. Sowas erfindet man nicht mal eben von morgens bis mittags."
"Das werden wir sehr genau überprüfen", knurrte Mrs. Stirwell.
Die im mintgrünen Duotectus-Anzug geschützte Heilerin vom Dienst Kendra Honeydew zog ebenfalls eine Luftprobe, wobei sie nicht auf die Luftauslassungsfilter der Alchemiefachhexe zurückgreifen konnte. "Ich schicke das zur Verifikation in die Wirkstoffuntersuchungsabteilung unserer Zunft ein. Aber nach der Andeutung von Mr. Peasegood hier könnte es tatsächlich die alchemistische Entsprechung des Bewegungsbanns sein, das Einhaltegas, dass bei Massentobsucht verwendet wird, um die betroffenen Menschen schnellstmöglich vor Verletzungen zu schützen. Sollten die Untersuchungen auf dieses Aerosol hinauslaufen wird dies wohl auf eine Ausweitung alchemistischer Vorwarnmaßnahmen hinauslaufen."
"Moment, ein Gas, das Menschen handlungsunfähig macht? Betäubt das?" wollte Rivergate wissen.
"Wenn es das wirklich sein sollte führt das zu einer vorübergehenden Bewegungslosigkeit und einer Schwächung der eigenen Willenskraft, was gleichbedeutend ist mit einer gewissen Abstumpfung, aber ohne Bewusstseinsverlust, eben weil die betroffenen möglichst bald zu den Ereignissen befragt werden sollen", sagte Heilerin Honeydew.
"Prüfen Sie das bitte sorgfältig nach und erstatten Sie schnellstmöglich Bericht an mich und, wenn er wieder einsatzfähig ist, bei Vicezaubereiminister Buggles!" befahl Rivergate. Doch dann musste er noch eine Frage loswerden, die sich förmlich aufdrängte:
"Muss ein Heiler, der dieses Mittel einsetzt Atemschutz tragen, um nicht selbst betroffen zu sein?"
"Nein, muss er nicht, wenn er von zehn Sekunden bis eine halbe Stunde vorher das dafür entwickelte Immunelixier trinkt", erwiderte Heilerin Honeydew.
"Damit haben Sie gerade Ihren Kollegen Partridge zum Hauptverdächtigen eines Entführungsfalles erklärt, Ms. Honeydew", sagte Rivergate mit gewissem Unbehagen in der Stimme.
"Wobei das zu klären ist, wie der dann vor der IVK-Auslösung ohne Aufhebung des Aparierwalls und ohne Portschlüsselalarm auszulösen mit dem Minister abgehauen ist", sagte Peasegood, der das wohl für in seine Fachrichtung gehend ansah.
"Das überlassen Sie dann bitte mir und den Sicherheitsüberwachern", sagte Rivergate. Doch Peasegood war wohl gerade richtig in Schwung.
"Also, Apparieren negativ, Portschlüssel negativ, Flohpulver wegen zu kleinem Kamin auch negativ. Durch das Gebäude hat er den Minister nicht getragen. bleiben nur noch zwei Möglichkeiten, Translokalisation - die hätte aber Alarm ausgelöst - oder zutrittsberechtigte Hauselfen. Deren Apparierfähigkeit kann durch Wallzauber nicht unterbunden werden."
"Öhm, welchen Teil von "Bitte überlassen Sie das mir und den Sicherheitsüberwachern!" haben Sie nicht verstanden, Mr. Peasegood?" entrüstete sich Rivergate. Doch weil ihn jetzt alle so ansahen, als sei das was der Thaumaturgieexperte angeführt hatte die Erklärung räusperte er sich nur und fügte hinzu: "Sie alle, die Sie hier sind können in Ihren Einsatzberichten zu diesem Fall Stellung nehmen. Zurück zu den zugeteilten Arbeitsplätzen! Ms. Honeydew, bitte sorgen Sie für eine schnellstmögliche Verbringung der durch die IVK-Entladung bewusstlos gewordenen Kollegen in die magischen Heilstätten! Danke!"
Pater Duodecimus Occidentalis alias Valeriius Boddington funkelte den Hauselfen verärgert an, der ihm gerade eine Nachricht seiner Herrin übermittelt hatte. "Was soll dieser Heilzauberer gemacht haben? Das ist unmöglich", schnaubte Valerius Boddington. Dann sagte er dem Hauselfen: "Kehr zu deiner Meisterin zurück und richte ihr aus, dass sie den Minister und diesen Partridge auf jeden Fall betäuben lassen soll. Die dürfen nicht mitbekommen, wo wir sie hinschaffen, bis wir sie unter Kontrolle haben! In fünf Minuten schicke ich drei Leute zu ihr und lasse sie und die von euch beigebrachten einsammeln. Sag ihr das!"
"Ja, Pater Duodecimus", erwiderte der Hauself mit unterwürfiger Verbeugung. Danach verschwand das kleine Wesen wieder.
"Das ist unmöglich. Ein Heiler kann unmöglich zwei räumlich getrennte Menschen mit einem Zauberspruch zusammentreiben und dann noch zu identischen Wesen verwandeln", dachte Pater Duodecimus Occidentalis. Dann setzte er den Rufzauber in Gang, über den er die schnelle Einsatztruppe rufen konnte. In nur drei Minuten waren die entsprechenden Portschlüssel eingerichtet, dass die drei an der Grenze zu Phoebe Gildforks Grundstück auftauchen konnten. Denn auf das Grundstück selbst konnte auch kein Portschlüssel gerichtet werden, weil dieses dicke Weib Mater Vicesima und ihren kleinen Helfer Perdy bekniet hatte, nicht von unerwünschten Portschlüsseln erreicht werden zu können.
"Schafft die Gefangenen und Phoebe nicht in die chilenische Zweigstelle. Die ist zu bekannt. Wenn die vom Ministerium einen Gegenschlag wagen sollten dürfen die sich zwar gerne drauf konzentrieren, aber keinen Erfolg haben", hörte Pater Duodecimus Mater Vicesima. "Öhm, vor allem stell sicher, dass Phoebe Gildfork selbst im Unklaren belassen wird, wo sie genau hingebracht wird!"
"Du musst mir nicht vorschreiben, was ich zu tun habe, Véronique", knurrte Pater Duodecimus Occidentalis. "Die Sache ist schon aufregend genug", fügte er noch hinzu.
"Bitte machen Sie eine Bestandsaufnahme aller zur Ruhigstellung oder vollständigen Betäubung geeigneter Gebräue mit ätherischer Wirkung!" erhielt Ambrosius Silverspoon vom Honestus-Powell-Krankenhaus eine Anweisung der im Ministerium tätigen Heilerin Kendra Honeydew.
"Was ist passiert, Gwen?" wollte der Direktor des HPK wissen.
"Was unglaubliches", grummelte Kendra Honeydew. "Der Zaubereiminister ist aus seinem Büro verschleppt worden, und wir haben Spuren von Wirkstoffen gefunden, die zum Einhaltegas gehören könnten. Näheres wird noch untersucht."
"Das Gas kennen und können nur heilmagisch ausgebildete Zaubertrankbrauer herstellen und die nötigen Bestandteile erwerben", sagte Silverspoon.
"Ach ja, guter Hinweis. Bitte auch alle Ausgaben von für dieses Gas nötigen Bestandteile und für das prophylaktische Antidot überprüfen, wer wann was und wie viel davon bezogen hat. Ihr habt ja mittlerweile Buggles und zwanzig andere Ministeriumsmitarbeiter aufgenommen."
"IVK-Schocks. Wird mindestens zwei Stunden dauern, die wieder hinzubekommen, wenn die bei Auslösung des Kristalls bei Bewusstsein waren."
"Buggles sollte so schnell wie ihr könnt wieder einsatzfähig gemacht werden, am besten durch TFV-Zauber."
"Du möchtest mir und meinen Kollegen nicht befehlen, was wir zu tun haben, Kendra? Vertraue bitte darauf, dass wir das tun, was angezeigt und in der vorliegenden Lage angeraten ist! Danke!"
"Wie du meinst, Ambrosius. Ist die Sprecherin zumindest ansprechbar?"
"Du kennst die gute Eileithyia. Solange genug Hexenmütter in unserem Hause niederkommen ist sie eher in den Entbindungszimmern als in ihrem Büro. Soweit ich weiß leistet sie auch jetzt Geburtshilfe."
"Dann übermittel ihr bitte meine Grüße und Befürchtungen, dass einer aus unserer Zunft Haupttäter oder Mithelfer einer Entführung gewesen sein kann. Näheres möchte sie bitte aus dem Bericht entnehmen, den meine Eule ihr gerade in den Bürobriefkasten gesteckt haben mag. Danke dir!"
"Ich hoffe, ihr findet heraus, was passiert ist und auch, dass keiner von uns damit zu tun hat", sagte Ambrosius Silverspoon.
Chroesus Dime erwachte wieder aus einer plötzlichen Betäubung. Diese verflixten Hauselfen Phoebes hatten ihn doch wahrhaftig mit einem mit irgendwas betäubendem getränkten Lappen voll ins Gesicht getroffen, ohne Vorwarnung. Offenbar hatte Phoebe, die gerade wie seine Zwillingsschwester aussah, den Auftrag oder die Einladung bekommen, ihn irgendwo hinzuschaffen. Jetzt fand er sich mit Händenund Füßen sicher angeschnallt völlig nackt auf einem warmen Polsterstuhl mit zurückgeklappter Lehne. Seine Beine waren so weit gespreizt, dass er schon meinte, Schmerzen in den Oberschenkeln zu fühlen. Eine Gestalt in einem rosaroten Strampelanzug mit einem überlebensgroßen Babykopf zwischen den Schultern fingerte gerade zwischen seinen Beinen und berührte das, was er eigentlich nicht haben sollte. Er zuckte zusammen, weil er die Berührung sehr deutlich fühlte. "Tatsächlich eine vollständige Körperwandlung. Womöglich wurden Sie deshalb zur Hexe, weil Mrs Gildfork zwei Kinder trug und diese gleichmäßig auf zwei Trägerinnen verteilt wurden. Könnte Ihr Glück sein, Chroesus. Denn wenn Phoebe nur ein Kind getragen hätte, so hätten sie vielleicht mit diesem den Platz getauscht."
"Was genau sie bei dieser Bande Vita Magica machen, hören Sie auf, an mir rumzufingern, als wäre ich sowas wie eine lebende Puppe! Wenn Sie wollen, können sie dieses kleine Früchtchen da in meinem Bauch in ihr eigenes Unterstübchen reinzaubern. Vielleicht kann ich dann wieder meinen eigentlichen Körper haben."
"Habe ich schon probiert, als sie noch bewusstlos waren, ... ähm, ... Chroesus. Hätte mir fast den Zauberstab zerbrochen. Irgendwie wurden sie mit einer sehr starken und vielfältige Zauber abweisenden Schutzaura versehen. Wenn wir nicht von meinem sehr eigensinnigen und voreiligen Kollegen erfahren, was er genau gemacht hat, sollten Sie sich vielleicht daran gewöhnen, in fünf bis sechs Monaten Mutter zu werden."
"So wie mich das gerade durchgeschüttelt hat, wie sie mir an diese mir aufgedrängte Pullerdose gelangt haben, ähm, wie heißen Sie eigentlich?"
"Für Sie Mater Quinta Canadensis. Wenn ich gewollt hätte, dass Sie meine allgemein bekannte Identität erfahren hätte ich mich nicht verkleidet."
"Ich will dieses Balg da in meinem Bauch nicht kriegen", stieß Dime wütend aus. "Wenn Phoebe Gildfork unbedingt Mutter werden will soll die das zweite Balg auch weiter mit sich rumschleppen."
"Nachdem ich beinahe meinen eigenen Zauberstab eingebüßt habe warten wir zwei süßen erst mal, was Partridges Befragung erbringt. Sollte das ganze wieder umgedreht werden können steht einer Hochzeit mit Phoebe Gildfork nichts im Weg."
"Das gefällt euch Gangstern, dass dieses Weib mich mit diesem Fluch dabeigekriegt hat. Hah, ichkann ja wieder abfällig von der reden, ohne Schmerzen zu haben. Vielleicht doch keine so üble Sache, was Partridge gemacht hat", erwiderte Dime.
"Also, wir haben drei Möglichkeiten: Partridge verrät unserer Gedächtnisergründungsexpertin, wie er das gemacht hat und ob das auch wieder umgekehrt werden kann und Sie werden wieder der Minister. Aber dann bekommen Sie von uns einen Gedächtniszusatz, dass Sie das alles nicht erlebt haben und weiterhin davon ausgehen, dass Mrs. Gildforks Zauber sie bindet. Die zweite Möglichkeit ist, dass Partridge nicht weiß, wie der Zauber umzukehren ist. Dann verbleiben Sie mit dem einen Kind hier und bringen es hier zur Welt, damit Sie oder sonst jemand es nicht umbringt. Dann kann es gerne hier aufwachsen und sie dürfen dann als Phoebes Zwillingsschwester versuchen, wieder Zaubereiminister zu werden. Die dritte Möglichkeit ist, dass Partridge den Zauber nicht umkehren kann. Dann bleiben Sie auch hier, tragen das Kleine zu ende aus und kriegen es hier. Wenn Sie sich bis dahin damit abfinden, Mutter zu sein dürfen Sie das Kind dann selbst großziehen, allerdings dann nur in einer unserer Niederlassungen. In dem Fall würden Sie für tot und begraben erklärt."
"Möglichkeit vier ist, ich hungere mich tot und das Balg da in meinem Bauch verreckt auch. Ätsch!" stieß Dime aus.
"Ich bin ausgebildete Heilerin und eine von vieren, die in dieser Niederlassung wohnen. Das werden wir nicht zulassen, dass ein ungeborenes Kind von seiner es ablehnenden Mutter zu tode gehungert wird. Ich lasse Sie jetzt mal alleine. Öhm, wir haben Ihre Blase und den Enddarm entleert. Sie müssen also im Moment keine Sorge wegen natürlicher Bedürfnisse haben. Aber wir werden Ihnen bald zu essen und zu trinken geben. Nehmen sie das nicht freiwillig zu sich flößen wir es Ihnen problemlos ein. Sie leben im Moment für das Kind in Ihrer Gebärmutter und sind deshalb im Zweifelsfall selbst wie ein unmündiges Kind zu behandeln, so die Heilerdirektiven. Bis dann!" sagte diese Babykopfträgerin mit der wohl magisch erzeugten Kleinmädchenstimme und verließ den verwandelten Zaubereiminister.
"Ich will alle beiden Babys wieder in meinem eigenen Bauch haben, Mater Vicesima!" knurrte Phoebe. Mater Vicesima, eine ranghohe Hexe aus dem hohen Rat von Vita Magica, sah die um einige Kilogramm abgemagerte Hexe im grünen Seeschlangenhautkleid tadelnd an. "Das hat eine unserer Heilerinnen schon versucht, den einen Fötus in den eigenen Körper zu übernehmen und hat dabei beinahe ihren eigenen Zauberstab eingebüßt. Auch andere Zauber wie der Schockzauber führten zu unliebsamen Rückpralleffekten. Partridge hat irgendwas gemacht, dass die Wirkung deines Zaubers nicht nur aufgehoben, sondern in jeder Hinsicht umgekehrt hat. Selbst wenn Chroesus Dime bewusstlos ist wirkt dieser Schutz, wo andere Schildzauber erlöschen würden", erwiderte Mater Vicesima darauf.
"Wie soll das bitte gegangen sein. Es ist kein Zauber bekannt, der den Catena-Sanguinis-Zauber aufheben kann. Nur eine vorzeitige Transgestatio-Bezauberung der Mutter hätte die Bindung unterbrechen können. Aber ich war doch viele hundert Meilen vom Ministerium entfernt", schnarrte Phoebe Gildfork.
"Offenbar verfügt unser neuer Gast aus Viento del Sol über Kenntnisse mächtiger Zauber, womöglich sogar aus einer weit zurückreichenden Zeit", grummelte Mater Vicesima. "Damit hat er auch unseren Vertrag mit dem Ministerium unwirksam gemacht."
"Moment, dann hat Morty wirklich den Originalvertrag sichergestellt und zu euch hingeschafft,?" fragte Phoebe mit gewissem Unbehagen.
"Drei leere Pergamentseiten, die eine starke Aura der Zaubereiresistenz tragen. Deine Hauselfen waren zu spät. Partridge hat den Vertrag durch einen Zauber unwirksam gemacht."
"Wie, den hat der noch bezaubern können? Aber der war doch gegen die meisten Lösch- und Zerstörungszauber abgesichert, dass jeder hätte sterben müssen, der die Pergamente zu zerstören versucht", stieß Phoebe mit unüberhörbarer Beklemmung aus. Ihrer bleichen Miene nach machte ihr die Vorstellung Angst, auf ganzer Linie versagt zu haben. Denn ohne den unbrechbaren Vertrag war der ganze Plan von VM, in den USA eine sichere Ausgangsbasis zu halten, vollkommen zerstört. Jetzt wusste sie auch, wieso Partridge darauf bestanden hatte, die Originalpergamente zu prüfen.
"Wir, die wir den Vertrag unterschrieben haben, konnten um den Zeitpunkt herum, wo Partridge den Minister von deinem Zauber gelöst und in deine mit einem Kind von euch schwangere Schwester verwandelt hat, einen schmerzhaften Hitzestoß fühlen. Fast hätte ich dadurch meine eigenen ungeborenen Kinder verloren", schnaubte Mater Vicesima. "Als wir dann nachprüften, was passiert war fanden wir statt des bezauberten Vertrages nur noch leere, leicht silbrig glitzernde Pergamentseiten vor, die eine körperlich spürbare Aura besitzen. Offenbar hat er den Vertrag mit einem Entfluchungszauber belegt, der mindestens doppelt so stark wie der Bindungszauber selbst gewirkt hat oder diesen einfach nur in sein Gegenteil verkehrt hat, wie er deinen Fluch sozusagen verkehrt hat. Genau deshalb vermute ich einen Zauber aus der Vorzeit, den längst nicht jeder kennt. Ich weiß nämlich, dass eine winzige Gruppe von Leuten diese alten Zauber erlernt hat oder damit ausgestattete Gegenstände benutzen kann. Aber dass Silvester Partridge zu dieser Gruppe gehört war mir leider nicht bekannt, sonst hätte ich dich vorgewarnt, dass Chroesus Dime ihn ja nicht auf Zauberstabreichweite an sich heranlässt und schon gar nicht in die Nähe des Originalvertrages zwischen ihm und uns kommen lässt", grummelte Mater Vicesima.
"Fluchumkehrer? Sowas geht?" knurrte Phoebe Gildfork.
"O große Urmutter aller Hexen, lass Hirn vom Himmel fallen", schnaubte Mater Vicesima auf Französisch. Weil Phoebe die Sprache konnte funkelte diese die ranghohe Hexe aus der Gesellschaft zur Wahrung und Mehrung magischen Lebens wütend an. Doch Mater Vicesima funkelte sie mit ihren meergrünen Augen gleichermaßen an und sagte auf Englisch: "Du bekommst das Endergebnis dieses Zaubers mit und hast vorher noch erwähnt, dass du Partridge sozusagen über den Verbindungskanal zu Dime und deinen Kindern gehört hast. Der an das Leben seiner Kinder und ihrer Mutter gebundene Zauberer wurde zur Hexe und empfing eines der von ihm gezeugten Kinder im eigenen Schoß. Außerdem wurde er dadurch sogar immun gegen alle seinen Körper oder Geist berührenden Zauber. Also ist das eine vollständige Umkehrung des Catena-Sanguinis-Zaubers. Da fragst du noch so einfältig wie ein Schulmädchen in der ersten Klasse, ob sowas geht? Am besten solltest du dich von jetzt an besser ganz ruhig verhalten, bis dir das Schreien wieder erlaubt wird", zischte Mater Vicesima. Phoebe Gildfork verstand die Drohung. Doch sie war zu sehr von sich und ihrer Macht über die Hauselfen ihres Landhauses überzeugt, dass sie keine derartige Strafaktion zu fürchten hatte. Außerdem kam ihr der Gedanke, dass dieser Schutz ja dann auch sie umgab, weil sie ja das andere Kind trug und ja wie die eineiige Zwillingsschwester des verwandelten Ministers aussah. So sagte sie nur: "Ich habe Chroesus empfohlen, Partridge den Originalvertrag zu zeigen, damit der endlich Ruhe gibt und weiß, dass alles unumkehrbar ist. Ich konnte nicht wissen, dass dieser hinterhältige Kurpfuscher irgendwelche Vorrichtungen an den Sicherheitsleuten vorbeischmuggeln konnte, um den Minister und seine Schutzmannschaft handlungsunfähig zu machen. Auch hatte ich absolut keine Ahnung, dass der was kann, verfluchte Wesen oder magisch bindende Gegenstände zu entzaubern." Mater Vicesima seufzte wegen Phoebes armseligem Versuch, die Schuld für ihr Versagen abzustreiten. "Außerdem weiß außer Dimes drei Schutzleuten keiner, dass es der Originalvertrag war. Und die haben ja von meinen Dienern den Incantivacuum-Schock abbekommen, der das Kurzzeitgedächtnis auslöscht. Wenn Dime den Vertrag bei sich zu Hause untergebracht und gut verschlossen hat müssen die im Ministerium davon ausgehen, dass der Vertrag weiterhin seine bindende Kraft ausübt.""
"O, die große Mutter aller Hexen hat mich schon erhört", feixte Mater Vicesima. "Solange weder Partridge noch Chroesus Dime oder wie er dann als eine "Sie" heißen wird an die Öffentlichkeit zurückkehren kann und klar beweisen kann, dass der Vertrag zerstört wurde gilt er noch", sagte Mater Vicesima.
"Ich will beide Babys wieder in mir haben und Chroesus Dime am liebsten wieder an die lange Kette legen", schnaubte Phoebe Gildfork.
"Ich hab's dir schon gesagt, dass du das wohl vergessen darfst, beide Kinder zusammen wieder in deinem warmen Schoß herumstrampeln zu fühlen, Phoebe. Was dir genau bevorsteht klärt der hohe Rat des Lebens, wenn ergründet ist, ob wir in den Staaten noch weiter frei agieren können oder nicht. Bis dahin bist du unser Gast. Ich gehe davon aus, deine Doppelgängerin wird solange deine öffentlichen Angelegenheiten erledigen."
"Das wird sie", erwiderte Phoebe. Sie dachte dabei, dass sie eine selbst durch melosperren nicht zu trennende Verbindung mit ihrer Doppelgängerin hielt. Sollte ihr was bevorstehen, was ihr nicht gefiel würde sie über ihre Doppelgängerin veranlassen, Hauselfen zu ihr zu schicken, um sie zu befreien, auch wenn sie selbst nicht wusste, wo sie genau war.
Die Überprüfung des Vorfalls ergab, dass tatsächlich keine magische Ortsversetzungsmethode verwendet worden sein konnte, die von Hexen und Zauberern benutzt werden konnte. Also blieben nur zutrittsberechtigte Hauselfen übrig. Das nährte jedoch den Verdacht, dass die Küchenelfen und Botenelfen von irgendwem außerhalb des Ministeriums zu dieser Beihilfe angestiftet worden sein mussten. Dieser Verdacht musste schnellstmöglich geprüft werden, wusste Rivergate.
Nachdem sämtliche im Ministerium tätigen Elfen unter Verwendung von Legilimentik befragt worden waren stand jedoch fest, dass alle Elfen im fraglichen Zeitraum an ihren Arbeitsplätzen gewesen waren. Aber Elfen, die keine von einem ranghohen Mitarbeiter der Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe, dem Zaubereiminister oder dessen Stellvertreter persönlich eine mit eigenem Blut und Zutrittsbestätigungszauber erwirkte Zutrittsberechtigung hatten, lösten sofort Alarm aus, wenn sie im Ministeriumsgebäude apparierten oder zu Fuß hineingingen. Somit konnten es nur zutrittsberechtigte Elfen sein. Doch die hatte dann niemand anderes als der Minister persönlich ermächtigt, ungemeldet in das Zaubereiministerium kommen zu können. Dann hätte Minister Dime seinen Entführern ja geholfen oder war dazu gezwungen worden, einen oder mehrere Elfen den freien, nicht zu meldenden Zutritt zu gewähren.
Rivergate verwünschte den Umstand, dass durch die Benutzung des Incantivacuum-Kristalls jede magische Rückschau verdorben wurde. Selbst mit dem zunächst so gelobten Retrocular aus Frankreich war der Zeitraum von einer Stunde vor und nach der Incantivacuum-Entladung für den davon betroffenen Umkreis unmöglich. Also war die Entladung aus drei Gründen erfolgt: Meldezauber auszuschalten, die noch am Ort aufgefundenen Sicherheitsleute zu betäuben und zu gleich deren Kurzzeitgedächtnis auszulöschen und schlußendlich die Vereitelung einer magischen Nachbetrachtung der Ereignisse in Dimes Büro.
Die Nachricht von einem Überfall von Hauselfen mit Incantivacuum-Kristallen und der davon überdeckten Entführung des Zaubereiministers verbreitete sich so schnell, wie Flohpulver und Posteulen die Worte tragen konnten. Nur anderthalb Stunden nach den ersten Aufräum- und Spurensicherungsarbeiten trat ein vom gerade überstandenen Incantivacuum-Schock geheilter Viceminister Lionel Buggles vor die Presse- und Rundfunkvertreter der nordamerikanischen Zaubererwelt."Wir müssen zum jetzigen Zeitpunkt von zwei Möglichkeiten ausgehen: Zaubereiminister Dime wurde entführt, um uns zu irgendwelchen Zugeständnissen zwingen zu können. Oder der Minister wurde entführt, um ihn außerhalb unserer Schutzvorkehrungen ermorden zu können, wenn die Attentäter alles von ihm erfahren haben, was sie von ihm zu erfahren erhoffen. Wir müssen ebenfalls davon ausgehen, dass der renommierte Heiler Silvester Partridge entweder Opfer oder Mittäter dieser heimtückischen Aktion ist. Er war der letzte, der den Minister aufsuchen wollte. Das Hauselfenzuteilungsamt betonte zwar auf die entsprechende Anfrage, ob Partridge Zugriff auf bedingungslos gehorsame Elfen habe, dass er nur die in den magischen Hospitälern dienenden Elfen befehligen könnte und diese den dortigen Chefheilern unterworfen seien und von diesen sicherlich nicht zu Mordanschlägen missbraucht würden. Doch wir müssen davon ausgehen, dass Silvester Partridge zumindest Beihilfe zu diesem Anschlag geleistet hat, vielleicht dadurch, dass er sichergestellt hat, dass der Zaubereiminister zu einem bestimmten Zeitpunkt in seinem Büro und nur mit ihm, Partridge alleine war. Jedenfalls werden weiterführende Sicherheitsvorkehrungen getroffen, damit eine derartige Untat nicht noch einmal verübt werden kann."
"Hauselfen als lebende Bomben? Das hat Wishbone schon mal versucht, um die Entomanthropen der Sardonianerin zu töten", warf Randolph Woodnail ein, der für den Kristallherold schrieb. "Wieso hat das Ministerium nicht schon gleich nach der Sprengung des ehemaligen Ministeriumsgebäudes alles unternommen, um solche Anschläge zu verhindern?"
"Diese Frage wartet noch auf ihre Beantwortung. Sollte die Antwort nicht die interne Sicherheit des Zaubereiministeriums betreffen gebe ich sie an Sie weiter, sobald ich sie selbst gehört und ausgewertet habe", sagte Buggles.
"Sie erwähnten Incantivacuum-Vorrichtungen", setzte Randolph Woodnail zu einer Frage an. "Wie kann es sein, dass Heiler auf diese Mittel zurückgreifen können, wo deren Grundsätze jede Gefährdung von Menschenleben verbieten?"
"Keine Regeln ohne Ausnahme, Mr. Woodnail. Das werden wir noch mit der Heilerzunft besprechen", sagte Lionel Buggles.
"Mr. Buggles, könnte es sein, dass es eine Gruppierung war, die den Friedensvertrag zwischen dem Ministerium und Vita Magica ablehnt?" wollte Linda Knowles von der Stimme des Westwinds wissen.
"Die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, dass es eine solche Gruppierung war. Immerhin traf der Minister die Übereinkunft mit jener Gruppe namens Vita Magica auf Grund besorgniserregender Aktivitäten krimineller Lykanthropen. Die könnten sich genauso zu einem derartigen Anschlag berufen fühlen wie die ministeriumsablehnenden Gruppierungen postsardonianischer Hexen oder Anhänger dunkler Zauberer vom Schlag des britischen Massenmörders, dessen Namen Sie sicher alle noch kennen oder dessen Nachfolger, der da selbst von Vita Magica gefangengenommen und unschädlich gemacht wurde. Wir müssen in jede Richtung ermitteln, und auch wenn Sie das nicht gerne hören, nicht jede dabei zu Tage tretende Erkenntnis wird von uns an die Öffentlichkeit gebracht, auch und vor allem um Ihrer aller Sicherheit nicht noch mehr zu gefährden, als sie durch die bloße Existenz von Gruppen wie der schwarzen Spinne und den Mondgeschwistern bereits bedroht ist."
"Will sagen, sollten Sie bei Ihren Ermittlungen herausfinden, dass es an internen Sicherheitslücken liegt, so werden wir von der freien Presse davon sicher rechtzeitig erfahren", feixte Woodnail und erhielt ein zustimmendes Nicken seiner Kollegin von der kalifornischen Konkurrenz. Auch die im Presseraum anwesenden Rundfunkreporter mussten über diesen ironischen Einwurf grinsen.
"Ladies und Gentlemen, Sie sind bisher sehr gut damit gereist, dass wir vom Zaubereiministerium großen Wert auf eine gedeihliche Zusammenarbeit mit Ihren Nachrichtenverbreitungsmedien legen. Bitte vergiften Sie dieses gedeihliche Verhältnis nicht durch billigen Sarkasmus. Den können und werden wir von unser aller Feinde erhalten", schnaubte Lionel Buggles und versuchte, sich länger zu straffen als die gerade mal einen Meter und sechzig Zentimeter, die er maß. Lautes Lachen war die Antwort.
"Soweit ich mich erinnere ist die Übereinkunft mit Vita Magica nicht an die Person Chroesus Dimes gebunden, sondern nur von ihm als Vertreter des Zaubereiministeriums unterzeichnet worden. Somit hätten seine Entführung oder seine Ermordung doch keinen Zweck", warf Linda Knowles ein. "Oder haben die Attentäter den originalen Vertrag erbeuten oder vor Ort zerstören können?" Alle sahen erst die Fragerin und dann den vor sie alle stehenden Beamten an. Dieser sah in die Runde, als hoffe er darauf, dass jemand von den anderen die Antwort geben könnte. Dann sagte er:
"Ich schicke Ihnen gerne eine schnelle Eule, wenn ich selbst die Antwort habe, ob der Vertrag noch bei uns ist oder es Hinweise gibt, dass er entweder gestohlen oder vernichtet wurde. Sollte er vernichtet worden sein steht zu befürchten, dass Vita Magica versuchen wird, selbst die Attentäter und ihre Hinterleute aufzuspüren und nach ihren von der Zaubereigesetzgebung entkoppelten Rechtsprechung abzuurteilen. Auch Deshalb möchte ich zu dieser Frage keine weitere Stellung nehmen, welchen Sinn es hatte, Minister Dime anzugreifen und gleichzeitig sieben Büros zu verwüsten und deren Insassen, mich eingeschlossen, zu Fällen für die Heiler zu machen."
"Bis wann werden Sie davon ausgehen, dass Minister Dime noch am Leben ist?" wollte Woodnail wissen.
"Solange es keine klaren Anzeichen gibt, dass er bereits tot ist", erwiderte Dimes derzeitiger Stellvertreter. "Und jetzt möchte ich Sie bitten, uns weiter unsere Arbeit verrichten zu lassen, um diese höchst verwerfliche Angelegenheit schnellstmöglich aufzuklären. Vielen Dank für Ihr Interesse und ihre Aufmerksamkeit!"
"Mr. Buggles, werden Sie im Rahmen zu treffender Sicherheitsmaßnahmen auf die Beschäftigung von Hauselfen verzichten?" wollte Linda Knowles wissen. Doch darauf bekam sie schon keine Antwort mehr, weil der Vicezaubereimiminister bereits durch die Tür für Ministeriumsmitarbeiter den Presseraum verließ.
Tony Summerhill hörte von seiner Mutter, dass jemand wohl mit einem Hauselfen einen Anschlag auf Minister Dime verübt hatte. Dass der Minister verschlept worden war trieb die Sicherheitsleute im Ministerium nun um.
"Haben die beim Umzug echt vergessen, die Hauselfenabsperrung reinzumachen, die ich ... öhm, Lucas Wishbone damals im Ministeriumsgebäude eingerichtet hat?" fragte er seine Mutter, als sie beide die Pressekonferenz im Ministerium im Radio verfolgt hatten.
"Das war denen offenbar zu brutal, die dafür nötigen Maßnahmen zu ergreifen", sagte Tracy Summerhill mit unverhohlener Schadenfreude. "Die hätten außerdem auf alle Bequemlichkeiten verzichten müssen."
"Tja, Leute, nur wer noch in Windeln macht braucht keinen Abwasserkanal", grinste Tony, selbst froh, dass er aus dem Windelalter heraus war und feste Nahrung zu sich nehmen konnte.
"Ich glaube nicht, dass die Wiederkehrerin das gemacht hat, und auch nicht die Werwölfe. Hauselfen lassen sich von Werwölfen keine Befehle erteilen, und die Wiederkehrerin hätte das ganz sicher anders gelöst, um Chroesus Dime in ihre Gewalt oder unter die Erde zu kriegen.""
"Was du nicht sagst, Mom", grummelte Tony Summerhill. Denn er war ja das beste Beispiel, wie gnadenlos und hinterhältig Sardonias Erbin sein konnte. "Falls wer so blöd ist, ihr diesen Angriff in die Schuhe zu schieben wird der oder die bald selbst wohl verschwinden", sagte er dann noch.
"Diese neue Vereinigung erzürnter Väter könnte Partridge dazu missbraucht haben, Chroesus Dime kassieren zu können. Das mit dem incantivacuumisierten Büro ist dann nur ein Ablenkungsmanöver. Und Lionel Buggles baut darauf, dass die meisten Leute keine Ahnung haben, was bei einer Incantivacuum-Entladung passiert."
"Wird Zeit, dass ich wieder einen Zauberstab führen kann, um gegen diese Bagage vorzugehen", grummelte Tony Summerhill.
"Och, und ich dachte, du genießt es immer noch, mein kleiner, süßer Frühlingswichtel zu sein", erwiderte Tracy Summerhill. Darauf gab ihr für seine äußerlich gerade mal drei Jahre und neun Monate überragend entwickelter Sohn keine Antwort. Denn er wollte sich nicht mit dieser Frau anlegen, die ihn gegen viele Widerstände als ihren Sohn bekommen hatte und für ihn da war. Er dachte vielmehr daran, dass die Behauptung mal wieder stimmte, dass der Stuhl des Zaubereiministers von Amerika ein brennender Besen mit wildem Schleuderfluch war, auf dem sich niemand lange halten konnte. Da wollte er es doch echt genießen, dass sich im Moment keiner mehr für den Sohn und gleichzeitigen Vetter von Lucas Wishbone interessierte.
Anthelia hatte wegen des Anschlags von Kanoras' Erbin auf die beiden jungen Leute Arne und Erna Hansen nicht mitbekommen, was im Ministerium passiert war. Erst als sie von ihren Mitschwestern darüber informiert worden war, dass vor fünf Stunden ein Anschlag unter Benutzung mindestens eines Hauselfens stattgefunden hatte sagte sie: "Da wollte wohl jemand klarstellen, was er oder sie von diesem verächtlichen Friedensvertrag hält. Zumindest sollte es wohl so aussehen."
"Wie meinst du das, höchste Schwester?" wollte ihre Mitschwester Portia wissen.
"Nun, da die Heilerzunft und damit unbeabsichtigt auch wir wissen, dass Dime unter dem Catenasanguinis-Fluch stand und wir auch unterstellen müssen, dass diese sogenannte Gesellschaft zur Wahrung des magischen Lebens Spione bei den Heilern hat, so könnte denen eingefallen sein, Dime nach Erfüllung seiner Pflichten aus der Welt verschwinden zu lassen. Töten oder infanticorporisieren dürfen sie ihn nicht, weil sein Leben das des unfreiwillig gezeugten Kindes erhält und der Fluch diverse Zauber vereitelt, darunter, wie ich selbst rausgefunden habe, auch Infanticorpore. Womöglich haben die schnell reagiert, weil Partridge als Heiler darauf gekommen ist, den Minister sicherzustellen, um herauszufinden, wer die Mutter seines oder seiner Kinder wird. Das ist dann so ähnlich gelaufen wie die Sache mit diesem dummen Mädchen Bernadette Lavalette, die noch so töricht war, ihre Beweggründe und Vorgehensweise in einem Brief darzulegen, wodurch Blanche Faucon damals von jedem Verdacht der Pflichtverletzung freigesprochen werden konnte. Geht davon aus, meine Schwestern, dass die Bande von VM Dime einkassiert hat, um seine ungeborenen Kinder zu schützen und sicherzustellen, dass die, welche sie austrägt, nicht gefunden werden kann, auch nicht von uns!"
"Öhm, und wenn du recht hast, dass er bis zum März oder April eindeutig von seiner Frau losgesprochen sein muss, um nicht zu sterben?" wollte Portia wissen.
"Natürlich, das könnte auch der Grund sein, warum sie ihn eilig in ihre Obhut genommen haben und diesen Heiler gleich mit. Wenn sie ihn in einen alchemistisch ausgeführten Zauberschlaf versenken, der solange hält, wie die seinen Körper in Schlaf haltende Substanz verfügbar ist, kann er bis zur Geburt seines Nachwuchses durchschlafen, ohne zu wissen, welcher Tag ist. Wenn er nicht weiß, welcher Tag ist wirkt der Fluch nicht über seinen Geist auf seinen Körper. Dumm sind die wahrhaftig nicht, diese Verächter freier Hexen", grummelte Anthelia. Somit war es im Grunde egal, ob sie die in ihrem Versteck in Zaubertiefschlaf gehaltene Argentea Dime wieder freigab oder weiterhin beherbergte. Dann konnte sie sie auch wirklich freigeben, wenn ihr keine weiteren Nachstellungen drohten, beschloss Anthelia.
Er hatte damit gerechnet, dass sie ihm alles abnahmen, was er am Körper trug. Er hatte auch damit gerechnet, dass sie ihn auf einen Stuhl gesetzt hatten und sein Kopf unter einer metallischen Haube steckte. Er hatte schließlich die Berichte über Gerard Dumas mitbekommen. Er wusste auch, wozu diese Vorkehrung getroffen worden war. Dennoch fühlte er weder Angst noch Widerwillen. All das, was ihm bisher widerfahren war, hatte er größtenteils einkalkuliert. Das einzige, wo er nicht drauf gefasst gewesen war, das war die blitzartige Reaktion von Hauselfen und dass sie ihn gleich bei seiner Ankunft am Zielort der Entführer ein Betäubungsgas verpasst hatten. Hoffentlich kam die Bande jetzt nicht darauf, ihn nur auf diese Weise außer Gefecht zu setzen.
Im Moment war Silvester Partridge allein in diesem Raum. Sicher wurde er magisch beobachtet, weil wer auch immer wissen wollte, wie er sich verhalten würde. Da er keine Uhr mehr bei sich hatte wusste er auch nicht, wielange sie ihn schon gefangenhielten. Womöglich hatte diese Bande bereits in Umlauf gesetzt, dass er den Minister angegriffen und entführt hatte. Vielleicht hatten die sogar seinen Tod fingiert. Denn sie hatten ihm sämtliche Körperbehaarung abgeschnitten. Mit Haaren oder Fingernägeln ließ sich nicht nur Vielsaft-Trank ansetzen, sondern auch ein trefflicher Similicorpus-Zauber ausführen, der unechte Leichen erschaffen konnte, deren Originale noch lebten. Zumindest ging der Gefangene von Vita Magica davon aus, dass seine Gegenspieler sowas anstellten. Dann würde ihn auch niemand mehr vermissen.
Silvester Partridge verdrängte die Versuchung, laut nach jemandem zu rufen. Er hatte nichts mehr zu verlieren, außer seiner Würde und seinem Verstand. Innerlich belächelte er seine Überwinder sogar, dass sie ihm die nötige Ruhe ließen, dass er sich ausgiebig auf seinen Atem und seinen Herzschlag konzentrieren und dabei eine fremdartige Litanei durch seinen Kopf gehen lassen konnte, die wie ein beruhigendes, Sicherheit und Stärke vermittelndes Lied in seinem Geist hallte. Die Benutzer dieser Haube würden heute noch eine gewaltige Überraschung erleben.
Das einzige, was ihn ein wenig bedrückte war ein vernehmliches Grummeln in seinem Magen. Auch wenn er sehr reichlich gefrühstückt hatte war es eigentlich bald Zeit, ebenso reichlich zu Mittag essen zu können. Doch falls ihm das nicht vergönnt wurde musste er eben die erlernten Hungerverdrängungsmeditationen benutzen. Denn er durfte auf keinen Fall irgendeinen Schwachpunkt offenbaren.
Eine gut getarnte Tür ging auf, und eine erwachsene Frau, die als Riesenbaby im rosaroten Strampelanzug verkleidet war, betrat den Raum. Mit einer glockenreinen Kleinmädchenstimme sprach die Unbekannte: "Ah, Sie sind wieder wach, Mr. Partridge. Sie haben uns allen durch Ihre Aktion einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Wissen Sie das?"
"Darauf antworte ich nur, wenn Sie mir sagen, mit welchem Namen ich Sie ansprechen darf, werte Dame. Ich erwarte nicht, dass Sie mir Ihren wahren Namen nennen. Dann hätten Sie sich ja nicht den Strampelanzug und den künstlichen Babykopf anziehen müssen", erwiderte Silvester Partridge und stellte klar, dass seine innere Vorkehrung vollständig war.
"Mater Vicesima", erwiderte die als Riesenbaby verkleidete Frau. Partridge grinste. Also hatte ihn jene graue Eminenz von Vita Magica höchst selbst aufgesucht, um ihn zu verhören. Oder jemand wollte, dass er das glaubte.
"Und jetzt möchten Sie gerne von mir wissen, wie ich das hinbekommen habe, Minister Dime von der ihm aufgezwungenen Blutkette zu lösen, nicht wahr? Oder was hat sie so erschreckt?"
"Gehen Sie davon aus, dass Sie sich gut gegen eine Befragung wehren können?" bekam er als Gegenfrage. Er bedachte diese mit keinem Wort und keiner Geste. "Da wo Sie jetzt sitzen haben schon Großmeister der Okklumentik ihre Grenzen erfahren müssen. Einige von denen durften mittlerweile neu aufwachsen und sind unsere treusten Mitstreiter, andere liegen noch in Wiege und Windeln und sind auf die Fürsorge unserer Ammen angewiesen. Der einzige Grund, der uns bisher daran gehindert hat, auch Ihnen eine fürsorgliche Amme zuzuteilen und Ihr Wiederaufwachsen zu begleiten ist, dass wir gerne über alles informiert sind, was gegen die dunklen Kräfte der Magie wirkt, ob es uralt oder taufrisch ist. Je danach, wie kooperativ Sie sich verhalten besteht unsererseits kein Verlangen, Ihre Einmischung dadurch zu vergelten, Ihre Töchter Venus und Callisto zur Erfüllung ihrer körperlichen Pflichten anzuhalten. Außerdem könnten wir Sie zu Ihrer geliebten Gattin zurücksenden, damit diese Sie zusammen mit Ihren Töchtern aufzieht, so wie sie das für richtig hält. So oder so wird sie wohl bald als Witwe geführt werden. Wir könnten aber auch auf den Wunsch diverser Mitglieder eingehen, ihr wertvolles Erbgut an andere Hexen mit Kindeswunsch weiterzugeben. Einige Anfragen dazu haben wir schon erhalten."
"Halten Sie mich für so unbedarft, dass ich es wage, Ihnen in den Kessel zu urinieren, ohne vorher klargestellt zu haben, dass meine Verwandtschaft nicht von Ihrer Rache bedroht wird? Außerdem haben Sie immer behauptet, keine Kriminellen nach der gültigen Rechtsprechung zu sein. Warum benutzen Sie also Gangstermethoden, um meinen Willen zu brechen?" fragte Silvester Partridge die Frau im rosaroten Strampelanzug.
"Weil wir wie erwähnt alle Möglichkeiten kennen möchten, die gegen Zauber wie den Catena-Sanguinis-Fluch wirken. Oder glauben Sie, wir hätten es mit großem Beifall beschlossen, dass Ihr Zaubereiminister dadurch gefügig gemacht werden sollte. Immerhin stellt dieser Fluch eine große Gefährdung ungeborenen Lebens mit magischem Blut dar. Dieses Leben zu schützen ist auch eines unserer hohen Ziele."
"Ich habe im Moment nicht genug Tränen in den Augen, um sie für diese Ansprache zu vergießen", erwiderte Silvester Partridge mit spöttischem Tonfall. "In dem Moment, wo Sie oder Ihre Mitriesenbabys meinen, meine Töchter oder meinen Sohn entführen zu wollen oder Ihnen das gelingen sollte wird jeder wissen, dass ich noch lebe und dass ich nicht für die Entführung des Ministers verantwortlich bin. Ich denke, das ist das, was im Schach als Patt bezeichnet wird."
"Soso, Sie spielen Schach?" fragte die Hexe im Babykostüm. "Dann sollten Sie aber wissen, dass ein Spieler, der ein Patt vorhersieht, lieber erst einmal auf Rückzug spielt, um eine bessere Ausgangslage zu schaffen. In unserem Fall wäre das, dass wir Ihre erwachsene Tochter in unsere Obhut nehmen und ihr durch Gedächtniszauber die Erinnerung an ihr bisheriges Leben nehmen, ohne sie gleich völlig neu aufwachsen lassen zu müssen. Denn als Heiler haben Sie sicherlich mitverfolgt, wie wir die sträfliche Zeugungsverweigerung eines gewissen Mr. Bluecastle geahndet haben. Am Ende könnte es Ihnen widerfahren, mit Ihrer eigenen Tochter zusammengebracht zu werden, ohne dass diese daran denkt, Inzucht zu treiben. Das schlechte Gewissen dass Sie dann haben werden dürfte dann schlimmer sein als der Cruciatus-Fluch."
"Wie gesagt, für jemanden, die laut gewisser Aussagen keine Kriminelle sein will argumentieren Sie gerade sehr verbrecherisch", sagte Silvester Partridge. Wieso kam dieses Weib noch nicht darauf, diese vermaledeite Erinnerungsaussaugvorrichtung auf seinem Kopf in Gang zu setzen? Offenbar liebte sie es, mit ihren Opfern zu spielen, wie die Katze mit der Maus. Und ein Punkt nagte wirklich an Silvesters nach außen gezeigter Unerschütterlichkeit: Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Außerdem wusste er nicht, was mit dem Minister passiert war. Sollte Dime in welchem Zustand auch immer getötet werden, bevor ein ganzer Tag nach Ausruf des Fluchumkehrers verstrichen war, dann war das auch seine Schuld. Dann würde er die Gewalt über vier starke Zauber verlieren. Aber nein, das durfte und wollte er jetzt nicht überlegen. Hier und jetzt hieß es: Er gegen Mater Vicesima und ihre mnemoplastische Höllenmaschine.
"Ich gebe Ihnen hier und jetzt die Chance, uns Ihr besonderes Wissen auszuliefern und damit zu helfen, dass wir von solchen Kreaturen wie der schwarzen Spinne oder Nachahmern dieses Narren Wallenkron nicht mehr viel zu fürchten haben und viele magische Menschen vor deren Mordplänen schützen können. Denn ich muss ehrlich zugeben, dass der Zauber, den Sie ausführten, schon sehr mächtig ist. Unsere Mitstreiterin würde Sie zwar am liebsten filettieren oder sich zur Entschädigung von Ihnen zwei neue Kinder in den Leib legen lassen. Aber meine Kollegen und ich denken ein wenig weiter. Sie helfen uns und schützen dadurch weiterhin das Leben anderer Menschen, wie Sie es geschworen haben und wir stellen klar, dass Sie mit der Entführung des Ministers nicht weiterhin in Verbindung gebracht werden und zu Ihrer Gattin und den beiden Kleinen zurückkehren können."
"Oder sonst?" provozierte Silvester Partridge die andere.
"Oder sonst extrahiere ich alles was ich wissen will und pflanze Ihnen das Gedächtnis ein, den Minister mit Hilfe eines Hauselfens ermordet zu haben, weil Sie und die anderen undankbaren Zauberer, die es nicht würdigen wollten, noch einmal Vater zu werden, Unruhe und Verdruss stiften wollten. Ja, das steht Ihnen bevor."
"Wenn Sie mir sowieso einen Gedächtnisveränderungs- oder -auslöschungszauber überbraten wollen, Mylady, dann frage ich mich, wieso Sie in dieser albernen Halloweenmaskerade herumlaufen."
"An dieser Verkleidung können Sie erkennen, dass ich nicht grundsätzlich vorhatte, Ihnen ein anderes Gedächtnis aufzuerlegen. Aber wenn Sie meinen, immer noch die ebenso lächerliche Maskerade aufgesetzter Unerschütterlichkeit tragen zu müssen, so gilt wohl der Grundsatz: Wer nicht hören will muss eben fühlen."
"Aha, jetzt wird es also erst ernst", dachte Silvester und lehnte sich scheinbar unbeeindruckt zurück. "Schon mal was von Divitiae Mentis gehört, Gnädigste? Was damit versiegelt wurde kann kein Legilimentor hervorzerren. Ich habe die für Sie so interessanten Zauberformeln und Rituale natürlich damit vor unfreiwilligem Verrat geschützt. Oder denken Sie, ich laufe mit dem Wissen um wirklich hochpotente Zauber herum, wo es zu viele Leute gibt, die das gerne auch können wollen?" Er sah Mater Vicesima nun sehr gefasst an. Diese zuckte wahrhaftig mit einer Schulter. Doch dann straffte sie sich.
"Dann werden Sie uns diese Zauber irgendwann ausliefern, wenn Sie diese in der festen Überzeugung, ganz auf unserer Seite zu stehen, aus ihrem Gedächtnis abrufen können. Denn Divitiae Mentis kann durch Schlüsselworte auch nach einer vollständigen Gedächtniskorrektur damit verhüllte Geheimnisse preisgeben. Also wünschen Sie wahrhaftig die Auslöschung Ihrer bisherigen Existenz, Mr. Partridge."
"Das wurde ich auch schon mal von wem anderen gefragt, so vor zwanzig Jahren. Die Person, die damals gefragt hat kann sich selbst nicht mehr daran erinnern, meine geistige Unversehrtheit bedroht zu haben."
"Ich könnte Sie auch foltern", sagte Mater Vicesima.
"Wenn das Ihr Stil ist", erwiderte Silvester Partridge.
"Gut, es hat wahrhaftig lange genug gedauert. Ich ging davon aus, Sie werden Ihrer Verantwortung folgen, wenn Sie schon einen gestandenen Zauberer dazu gezwungen haben, unvermittelt zur Hexe zu werden und dann auch gleich ein Kind austragen zu müssen. Wäre vielleicht auch noch eine Möglichkeit: Wir könnten Ihnen ein anderes Geschlecht geben und Sie mit Ihrem Sohn Oberon oder Ihrem Neffen Atlas zusammenzubringen. Aber da es zu erhaben ist, neues Leben in sich heranreifen zu fühlen und es keine Strafe, sondern eine Ehrung ist, dies erleben zu dürfen, so werden Sie eben ihre bisherige Existenz verlieren."
Nun begann die auf Silvesters Kopf sitzende Haube zu brummen und zu vibrieren. Jetzt galt es, dachte Silvester. Er hatte die von ihm vollzogene Vorkehrung schon mehrmals angewandt, um gegen Angstfresser oder böswillige Legilimentoren zu bestehen, ja sogar schon um eine auf sein Blut ausgehende Vampirin zurückzudrängen. Diese Haube auf dem Kopf war eine echte Herausforderung.
"Verdammt noch mal, ich will endlich wieder ich selbst sein und diese Brut aus meinem Bauch raushaben", krakehlte Chroesus Dime und erschauerte, wie schrill eine wütende Frauenstimme klingen konnte, wenn sie aus dem eigenen Hals tönte.
"Denken Sie, uns gefällt das, dass wir Sie bei uns haben und Sie das Kind einer anderen Hexe in sich tragen, wo Sie doch eigentlich nicht darauf eingestellt sind, eine Schwangerschaft auszuhalten, von der Geburt mal ganz abgesehen", schimpfte eine Kleinmädchenstimme zurück, die aus einer Ecke des quaderförmigen Raumes kam, in dem der Minister in einem bequemen Sessel mit breiten, gepolsterten Riemen angeschnallt war, um sich und dem Ungeborenen nicht etwas antun zu können. Wieder fühlte er die Bewegungen des Fötus. Das war für ihn erschreckend und zugleich auch merkwürdig erschauernd. Er trug neues Leben in seinem Körper. Doch er war keine Hexe. Er war ein Zauberer und wollte garantiert kein einziges Kind gebären, wo seine Frau ihm mehrmals erzählt hatte, wie weh ihr die letzten Stunden vor der Geburt der gemeinsamen Kinder getan hatten. Außerdem wusste er immer noch nicht, wo er war. "Kriegen Sie das mit Phoebe Gildfork hin, dass die dieses eine Balg auch noch in sich zurückgesteckt kriegt! Ich will dieses Balg sicher nicht zu Ende ausbrüten, zur dreigeschwänzten Gorgone noch mal!"
"Was immer Partridge mit Ihnen angestellt hat, wir können Ihnen das Ungeborene nicht durch Magie aus dem Körper herausholen. Auf Muggelart herausschneiden wollen wir es in diesem Abschnitt der Reifung auch nicht, weil wir jedes ungeborene Kind unbedingt am Leben erhalten müssen. Also hoffen Sie lieber darauf, dass wir von Partridge erfahren, was er mit Ihnen angestellt hat. Womöglich dürfen Sie dann wieder Chroesus Dime werden und in ihr Büro zurückkehren."
"Ja, und wieder eine treue Marionette an Ihrem Gängelband sein, wie? Gut, dass dieser Halunke auch gleich den Vertrag zerstört hat, der mich und das Ministerium an Ihre Bedingungen bindet."
"Das würden Sie nicht einmal denken, wenn Sie gerade erst einen Monat auf der Welt wären und davon abhängig wären, dass ihre Fürsorger gesund und ungehindert um sie herum sein könnten."
"Haha, wie witzig", grummelte Chroesus Dime und verdrängte das gewisse Unwohlsein, weil ihm jemand, der noch nicht alleine atmen konnte, mal eben den Magen nach oben eindellte. War das da in seinem Bauch ein Junge oder Mädchen? - Halt, das war doch völlig unwichtig. Er wollte dieses Balg nicht, schon gar nicht selbst ausbrüten und dann aus sich rauspressen wie eine besonders hartnäckige Verstopfung.
Mater Vicesima blickte auf die Überwachungsgeräte ihrer besonderen Haube. Schon eine Minute lang wirkte deren Kraft auf Silvester Partridge ein. der saß ganz ruhig da, schien sich nicht einmal auf Widerstand konzentrieren zu müssen. Die Haube zitterte nun immer wilder. Bisher war nicht ein Funke silberweißer Erinnerungssubstanz über die angeschlossenen Schläuche in die Auffangbehälter geraten. Kingsley Shacklebolt hatte der Haube zwei Minuten widerstanden, bevor sein okklumentischer Widerstand zusammengebrochen war. Doch der hatte in der Zeit bis dahin sehr angestrengt dreingeschaut und gekeucht, als müsse er einen steilen Bergpfad hinauflaufen. Mittlerweile hatte die Ansaugvorrichtung die höchste Stufe erreicht und gleichzeitig lief der Mentaloszillator auf höchste Kraft, um jeden noch so auf Beharrlichkeit und ein stehendes Bild haltenden Gedanken zu durchbrechen und aufzulösen. Doch mit jeder Steigerung der Zugriffsleistung stieg auch der an einer uhrenartigen Anzeige ablesbare Widerstand. Es war, als habe jemand Partridge eine Schädeldecke aus mehrere Zentimeter dickem Stahl eingesetzt. Wollte dieser Mensch da wirklich sein eigenes Gehirn zerstören lassen? Oder war das schon das Ergebnis seiner angekündigten Divitiae-Mentis-Bezauberungen. Fünf unbedingt zu schützende Geheimnisse konnten damit verhüllt werden. Doch die anderen Erinnerungen blieben frei abrufbar, sobald der geistige Widerstand erlahmte. Die Vorrichtung konnte nicht einmal einen Ansatz eines Erlahmens feststellen. Vielmehr staute sich die auf Partridge wirkende Kraft immer mehr zurück, hob sich selbst an einigen Stellen sogar selbst wieder auf und entlud sich in ungerichteten Kraftstößen, die dem Träger selbst körperliche Schmerzen bereiten mussten. Doch Partridge zuckte nicht einmal mit einer Wimper. Er hielt die Augen geschlossenund atmete ruhig. Hatte er sich etwa in eine besondere Trance versetzt, die seinen Geist vor jeder magischen Bedrängnis abschirmte?
Ein leises Pipen und dann ein beklemmendes Summen brachten Mater Vicesima darauf, die Anzeigen genauer abzulesen. Alle Kraft war auf dem Höchststand, ja einige Messzeiger standen bereits im roten Bereich, der ein bevorstehendes schlagartiges Überreizen des Gehirns ankündigte. Sie wusste, dass ihre Haube nur bei vollem Bewusstsein des Probanden arbeiten konnte. Ihr wurde klar, dass sie wohl vorhin einen entscheidenden Fehler begangen hatte, Partridge zu lange in ein Gespräch verwickelt zu haben. Sie hätte ihn gleich ausforschen müssen. Doch für diese Einsicht war es nun zu spät, erkannte die Hexe, die sich derzeit noch Mater Vicesima nennen ließ.
Unvermittelt piepte es lauter, und die angeschlossenen Erinnerungsauffangschläuche glühten rot. Die auf Partridges Kopf sitzende Haube ruckelte ganz wild. Dann sprangen die ersten roten und blauen Funken aus den Schnittstellen der magischen Apparatur heraus. Ein unmissverständliches metallisches Springen verriet Vicesima, dass gerade eine der Messvorrichtungen überlastet worden und gebrochen war. Dann krachten blaue und rote Blitze aus der Vorrichtung. Einer der beiden Schläuche wurde von einer Funkenentladung regelrecht perforiert und riss durch. Mit einem verhängnisvollen Fauchen entfuhr eine blaue Stichflamme dem Hauptwerk und brannte einen schwarzen Fleck in die Decke, bevor sie wieder zusammenfiel. Mit einem letzten schrillen Ton fiel auch die Alarmvorrichtung aus. Die Haube auf Partridges Kopf sprühte noch einmal Funken. Dann lag sie ohne jedes Zittern auf seinem Kopf an. Partridge indes fiel nach Vorne, als habe er bis dahin gegen eine verschlossene Tür gedrückt, die urplötzlich aufgezogen wurde. Doch er war nicht bewusstlos. Er sah seine Gegenspielerin an und lächelte, während die magische Gedächtnismanipulationsmaschine spotzend, qualmend und knisternd auseinanderfiel.
"Gut, dass dieses Ding so wild gezittert hat. Sonst hätte das sich glatt noch in meine Kopfhaut eingebrannt. Auch so kann ich meine Frisur sicher voll vergessen", bemerkte Partridge.
"Ihre Frisur wird Sie bald nicht kümmern. Ich werde mich nun mit dem Hohen Rat des Lebens treffen und Ihren Fall beraten. Je danach, wie gut gelaunt meine Kollegen und Kolleginnen sind werden wir dann befinden, was mit Ihnen zu geschehen hat. Solange bleiben Sie bei uns in Verwahrung!" schnaubte sie und zog ihren Zauberstab. "Stupor!" rief sie. Sie sah, wie Silvester Partridge in seinen Fesseln zusammenzuckte. Dann mentiloquierte sie nach ihren Helfern, die wie übergroße Babys in blauen Strampelanzügen aussahen und sich mit irrwitzig hoher Geschwindigkeit bewegten. Sie machten den schlaff in den Fesseln hängenden von den Halteriemen los und zogen die angerußte Haube von seinem Kopf. Tatsächlich war die von allen Haaren entblößte Kopfhaut so stark gerötet wie bei einem schweren Sonnenbrand und wies große Brandblasen auf. Das mussten doch unheimliche Schmerzen sein, dachte Vicesima. Doch Partridge hatte nicht mit einem Wimpernzucken verraten, dass ihm was weh tat. Dann fiel es ihr wieder ein, was sie über ihn gelesen hatte. Zu den der Heilerzunft bekannten Tatsachen gehörte es, dass Silvester Partridge eine angeborene Schmerzunempfindlichkeit besaß. Das mochte einerseits verheißungsvoll klingen, dass jemand durch nichts zu leiden hatte. Andererseits konnte jemand mit dieser Unempfindlichkeit auch nicht die Warnzeichen des Körpers fühlen, wenn eine Krankheit oder Verletzung bestand.
"Die Kopfhaut mit Diptam einreiben! Ich will nicht, dass er deshalb irgendwelche Folgeschäden erleidet!" befahl Mater Vicesima ihren Gehilfen. Denn durch eine geheime Berührungsart mit den Fingern hatte sie sich auf die von diesen gerade besessene Schnelligkeit eingestimmt.
Auf einer schwebenden Trage wurde Silvester Partridge fortgeschafft. Vielleicht, so dachte Mater Vicesima, sollten sie ihn auch im bewusstlosen Zustand reinitiieren. Aber das sollte der Rat beschließen.
Venus Partridge hatte sich umgehend vom Quodpot-Training freistellen lassen, als sie vom Verschwinden ihres Vaters gehört hatte. Kaum war sie bei sich zu Hause angekommen, da klingelte auch schon Linda Knowles an ihrer Tür. Venus' Bruder Oberon war noch in der Grundschule, wo sie heute eine Arbeit über das Rechnen mit verschiedenen Maßeinheiten zu schreiben hatten.
"Nur drei Aussagen, Ms. Knowles: Erstens: Ich wusste nur, dass mein Vater wegen dieser ISVOAK-Geschichte zu Minister Dime wollte. Zweitens: Ich halte ihn nicht für einen Mörder oder gar Selbstmörder. Drittens: Ich hoffe, dass er noch lebt und es eine Möglichkeit gibt, ihn wieder zurückzuholen. sagte Venus auf der Türschwelle.
"Öhm, ja, diese Aussagen nehme ich gerne zur Kenntnis. Aber wie fühlen Sie sich, Venus?" wollte die scharfohrige Reporterin vom Westwind wissen.
"Wie sich eine Tochter fühlt, die zwischen zwei Trainingseinheiten zugesteckt bekommt, dass ihr Vater von wem auch immer entführt wurde oder angeblich selbst eine Entführung begangen haben soll", erwiderte Venus. Mittlerweile hatte die blonde, athletische Quodpotspielerin genug Erfahrung mit Stegreifinterviews à la Linda Knowles, um dieser nicht zu viel gefühlsmäßiges oder zu privates zu erzählen.
"Hat Ihr Vater irgendwas erwähnt oder angedeutet, was er vorhat?" fragte Linda Knowles.
"Das habe ich gerade erwähnt, dass ich nur weiß, dass er wegen dieser von ihm und anderen noch mal Vater gewordenen Zauberer zu Minister Dime geschickt wurde, um zu klären, ob nicht wegen der von VM angeregten Zeugungsakte mehr für die späten unverhofft noch mal Eltern gewordenen bezahlt wird und dass klargestellt werden soll, dass kein Amerikaner mehr von dieser Bande Vita Magica zu unfreiwilligen Liebesakten getrieben werden soll, wovon ja auch Sie und ich profitieren würden, Linda."
"Wenn er entführt wurde, haben Sie Angst, dass auch Sie oder ihre Geschwister angegriffen werden?" wollte Linda Knowles wissen. Venus sah sie äußerlich ganz ruhig an. Doch die Reporterin konnte sicher hören, dass ihr Herz einige Schläge pro Minute schneller pochte. Doch mit ruhiger Stimme antwortete sie: "Falls mir oder meinen Geschwistern was passieren sollte wäre das der Beweis für die Unschuld meines Vaters. Wer auch immer ihn und den Minister angegriffen hat ist bestimmt nicht so dumm, die Inobskuratoren und Strafverfolgungsleute mit der Nase drauf zu stoßen, dass mein Vater nichts mit diesen Leuten zu schaffen hat. Ob und wie ich mich und meine Geschwister im Falle eines doch noch erfolgenden Angriffs schützen kann behalte ich für mich, weil ich keinen in Versuchung führen möchte, das auszutesten. Wie erwähnt wollte ich nur die drei Aussagen vom Anfang machen. Weitere Fragen werde ich nicht beantworten, Linda. Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür, dass ich mit der Lage erst einmal selbst zurechtkommen möchte. Und ich bitte Sie eindringlich, dass Sie meinen Bruder und meine Schwester nicht behelligen. Die sind noch minderjährig und dürfen nur mit Genehmigung meiner Eltern oder wenn ich dabei bin auch von meiner Seite interviewt werden. Ich sage das nur noch mal, damit Ihre Redaktion Sie nicht hinter meinen Geschwistern herschickt. Haben Sie noch einen schönen Tag, Linda!"
"Ja, Sie auch, Venus", erwiderte Linda Knowles, die am Gesicht der Star-Eintopferin der Viento del Sol Windriders ablesen konnte, dass von dieser nicht mehr zu erfahren war. Außerdem hatte die Reporterin mit den fast schwarzen Kulleraugen und den magischen Ohren noch genug andere Anlaufstellen, die sie noch in diesen Stunden abhandeln wollte. Die nächste war die Sprecherin der Heilzunft, Eileithyia Greensporn.
"Ach, dann hat doch mal wer deine so praktische Trockenhaube ausgekontert, Véronique?" fragte Perdy, der sich in der Rolle des gerade zehn Jahre alten Jungen richtig wohlfühlte. Außer ihm waren noch alle anderen Mitglieder des hohen Rates des Lebens in der geheimen Versammlungshalle von Vita Magica zusammengekommen, um über die Entwicklung der letzten Stunden zu sprechen.
"Womöglich hat er sich nicht nur mit Divitiae-Mentis-Zaubern vor ungewollter Erinnerungspreisgabe geschützt", schnaubte Mater Vicesima. "Das bestätigt nur einmal mmehr, dass er wie Julius Latierre oder die Kinder Ashtarias Zugriff auf mächtiges Wissen hat. Ihn zu töten wäre also eine Verschwendung, selbst wenn er eine potentielle Gefahr für uns ist."
"Reinitieren wir ihn doch", sagte Pater Decimus Sixtus Gallicus, ein langjähriger Mitstreiter Mater Vicesimas und Vater von zweien ihrer Kinder.
"Ja, aber dazu müsste er bewusstlos bleiben. Im Moment liegt er unter Schockzauber im Gästeraum drei. Denn nur dann besteht die Möglichkeit, den von ihm errichteten Gedächtnisschutzzauber zu durchbrechen."
"Und wenn wir ihm sein Gedächtnis belassen und nur seinen Körper umwandeln?" fragte Pater Duodecimus occidentalis.
"Dann stellt sich die Frage, wer ihn aufziehen soll. Sicher würde er versuchen, durch Hungerstreik den eigenen Tod herbeizuführen."
"Wie damals dieser Bryan Winterford, der meinte, mich an die kanadische Strafverfolgung verraten zu können, weil meine Tochter ihn nicht haben wollte?" fragte Mater Decima Quarta Canadensis. "Dann wurde er halt zum Milchbruder meiner Tochter. Der konnte sich auch nicht lange gegen meine Fürsorge wehren, weil ich ihn mit dem Ravenosus-Zauber belegt habe."
"Ja, nur wirkt dann kein anderer körperliche und seelische Zustände beeinflussender Zauber, wenn Ravenosus gewirkt wurde", sagte Mater Vicesima.
"Dann schicken wir ihn eben für hundert Runden ins Karussell", sagte Pater Duodecimus Occidentalis."
"Phoebe Gildfork will von ihm selbst neu empfangen, wenn sie das eine Kind, dass sie noch trägt, zur Welt gebracht haben wird", warf Mater Vicesima ein.
So erörterten sie mehrere Möglichkeiten, wie mit Silvester Partridge umzugehen war. Da sie alle das besondere Wissen von ihm haben wollten, wie selbst Catena Sanguinis umgekehrt werden konnte, mussten sie einen Weg finden, seinen Widerstand zu brechen. Das ging aber wohl nur, wenn seine Angehörigen bedroht waren. Doch dazu müssten sie seine Kinder in ihre Gewalt bringen. An Silvesters Frau durften sie nicht rühren, solange sie die beiden Zwillingstöchter stillte, so ein Gesetz der außerhalb der üblichen Zaubereigesetze stehenden Gemeinschaft. Allerdings hatte Silvester Partridge leider recht, dass eine Entführung seiner Kinder darauf hinwies, dass er noch lebte und vor allem, dass er unfreiwillig verschwunden war und nicht als Mittäter am Verschwinden des Ministers beteiligt war. Außerdem musste dringend klargestellt werden, dass der magisch bindende Vertrag noch unversehrt war. Das hatten sie aber schon kurz nach der Entführung von Partridge und Dime in die Wege geleitet. Lionel Buggles würde noch am Nachmittag verkünden, dass der Originalvertrag in einem anderen Geheimschrank des Ministeriums gefunden worden und auf seine Wirksamkeit geprüft worden war. Dann sagte Mater Undecima Borealis, eine schlanke Hexe aus Norwegen: "Wenn du mir diesen Zauber beibringst, mit dem du diesen Agenten von Louvois gefügig gemacht hast, Mater Vicesima, dann kann ich Partridge dazu kriegen, mir seine Geheimnisse zu verraten. So wie ich meinen Körper einschätze bin ich ab morgen dazu fähig."
"Ach, dann hat es nicht geklappt, dass du von Tjure empfangen hast, Inga?" fragte Mater Vicesima.
"Er hat es irgendwie gemerkt, dass ich mir ein Kind von ihm in den Leib legen lassen wollte und wohl einen vorübergehenden Unfruchtbarkeitszauber auf sich gelegt. Bekam ich auch erst raus, als ich von ihm weg war und er sich wohl in ein uns noch unbekanntes Versteck abgesetzt hat", knurrte Mater Undecima Borealis.
"Gut, dann bringe ich dir den Zauber bei, den ich eigentlich keiner anderen Hexe beibringen wollte. Aber ich verlange den unbrechbaren Eid von dir, dass du ihn nicht gegen mich oder einen meiner Blutsverwandten verwenden wirst, und von denen gibt es ja doch eine Menge", sagte Mater Vicesima. Inga Lund alias Mater Undecima Borealis nickte verhalten. Nachdem, was sie gehört hatte, war dieser Zauber so mächtig, dass niemand, der damit belegt wurde, gegen ddiejenige ankämpfen oder ihr was verweigern konnte, die den Zauber gemacht hatte. Eigentlich, so dachte Mater Vicesima, hätte sie den Zauber auch gut in "Potentia Matrium", dem Buch über alle von Hexen vor und nach der Geburt eines Kindes wirksamen Zauber und Flüche, unterbringen können. Aber das war dann doch zu heikel, ohne sicherzustellen, dass sie selbst nicht davon beeinflusst werden konnte.
Zusammen mit der Kollegin Mater Decima Tertia Mediteranis, die als Matriarchin eines spanischen Clans ebenso hohes Ansehen genoss wie in Frankreich Ursuline Latierre, führte sie den Unbrechbaren Eid durch. Dabei nahm sie Inga auch den Schwur ab, niemandem den Zauber zu verraten, egal wer es war. Erst als sich drei feurige Schlangen um die Arme von Mater Vicesima und Mater Undecima Borealis gelegt hatten nickte die zur Zeit noch zwanzigfache Mutter.
Nachdem geklärt war, wie Silvester Partridges Widerstand doch noch gebrochen werden mochte ging es um Phoebe Gildfork. Diese hatte gefordert, mindestens die sieben Kinder von Silvester Partridge zu bekommen, die sie Chroesus Dime abverlangt hatte und zugleich eine einflussreiche Identität in der Gruppe zu erhalten, wo sie doch dafür gesorgt hatte, dass der Vertrag zwischen dem Zaubereiministerium und Vita Magica zustande gekommen war.
"Sie hat irgendwie anklingen lassen, dass sie jederzeit einige wichtige Dinge über uns ans Licht bringen kann, sollte ihr was passieren. Ihre Doppelgängerin habe entsprechende Instruktionen erhalten", erwähnte Mater Vicesima.
"O, möchte die einstmals so pompös auftretende Dame uns etwa erpressen?" fragte Pater Dodecimus Occidentalis, der unter vier Namen seine zwölf Kinder auf vier Kontinente verteilt hatte.
"Wahrscheinlich geht sie davon aus, dass ihre treuen Hauselfen sofort kommen, wenn sie sie ruft", sagte Mater Vicesima. "Perdy, hat sie noch die Möglichkeit dazu?"
"Wird sie erleben, sollte sie es versuchen. Aber ich schlage vor, wir beenden dieses Klonspiel von ihr. Am Ende schickt die ihre Doppelgängerin echt los, um uns alle hinzuhängen. Immerhin kennt sie dich, Véronique, sowie mich, den wackeren Jerimy und auch Charleen. Außerdem könnte sie was wegen Eartha Dime rausposaunen. Dann wäre die ganze Schau mit dem angeblichen Sardonianerinnenüberfall ein reiner Drachenfurz. Ich habe da auch schon eine Idee, wie das gehen soll, dass wir da nicht mit in Verbindung gebracht werden."
"Und was passiert mit dem Original? Immerhin hat sie bisher noch keine eigenen Kinder bekommen. Und trotz ihrer Völlerei und Verschwendungssucht trägt sie immer noch Nioba Greengrasses Erbgut in sich. Das darf nicht erlöschen", warf Pater Duodecimus Occidentalis ein."
"Hast du nicht nachgeforscht, mit wem ihr Erbgut außer mit den Greendales am besten zusammenpassen würde?" fragte Perdy.
"Ja, mit deinem, Perdy", erwiderte Mater Vicesima. "Öhm, ich soll diese wandelnde Seekuh ..."
"Partridges Zauber hat sie um mindestens fünfzig Kilo leichter gemacht, warum auch immer", feixte Mater Vicesima. "Außerdem trägt sie ja noch eines der Kinder von Chroesus Dime. Abgesehen davon würde selbst der Hauch der hemmungslosen Lust im Karussell sie nicht wirklich auf einen zehnjährigen einstimmen. Aber sei es. Wenn sie wieder siebzehn ist und du wieder einen achtundzwanzig Jahre alten Körper haben wirst ..."
"Das meinst du nicht ernst, Véronique. Da warte ich lieber, bis Jenny Cobbles die zwei kleinen Jungs abgestillt hat, die sie von Gérard Dumas in den Bauch geschubst bekommen hat."
"Das dauert aber noch mindestens zwei Jahre, Kleiner", erwiderte Pater Duodecimus Occidentalis. Perdy wandte ein, dass er da ja auch erst wieder zeugungsfähig sein würde.
"Gut, ich regel das mit ihrer Doppelgängerin, wo ja schon morgen die nächste Präsentation dieses neuen Bronco-Besens ansteht", sagte Perdy.
"Gut, dann lasst uns das als beschlossen und verkündet verzeichnen", sagte Pater Decimus Octavius, neben Mater Vicesima einer der ältesten und was Nachwuchs anging zweiterfolgreichsten Zauberer im Rat. Er ergriff eine kleine Silberglocke, um das Ende der Ratssitzung einzuleiten.
Gerade als er die Glocke läutete erschien aus einem smaragdgrünen Lichtwirbel heraus ein kleiner Pergamentzettel und sauste wie mit unsichtbaren Flügeln zu Perdy hinüber. Dieser fing den auf magische Weise eingetroffenen Zettel aus der Luft und las ihn. Unvermittelt weiteten sich seine Augen. Sein Gesicht wurde kreidebleich, als habe ihm ein superhungriger Vampir in einer Sekunde alles Blut aus den Adern gesogen. Er starrte noch einmal auf dem ihn zugeflogenen Zettel und hielt ihn dann Pater Duodecimus Occidentalis und Mater Vicesima hin.
"Das haben Sie sehr gut gemacht, Jessie", lobte Eileithyia Greensporn die junge Hexe, die gerade laut keuchend und schweißgebadet auf einem hochlehnigen Stuhl saß und den gerade vor zehn Minuten erst geborenen Sohn Brandon in den Armen liegen hatte. "Mit diesem blauen Dehnbarkeitsschleim haben Sie mir auch gut geholfen, Eileithyia. Wie lange muss ich hier jetzt noch hocken, bis die Nachgeburt aus mir raus ist?"
"Das kann ich Ihnen nicht auf die Sekunde genau sagen. Bei manchen Gebärenden löst sie sich gleich fünf Minuten nach Vollendung der Geburt, bei anderen habe ich auch schon eine Stunde und mehr danebensitzen dürfen, bis die Placenta ausgetrieben war."
"Großheilerin Greensporn, Ms. Linda Knowles vom Westwind möchte gerne mit Ihnen über das Verschwinden von Silvester Partridge sprechen", drang die Stimme einer Kollegin in der Rezeption des Honestus-Powell-Krankenhauses direkt in Eileithyias Ohren. Die altehrwürdige, körperlich und geistig immer noch voll arbeitsfähige Hebammenhexe berührte mit dem linken Zeige- und Ringfinger ihre linke Schulter, wodurch sie eine Schallverpflanzungsbezauberung zu der gerade vernommenen Kollegin aufrief und antwortete für die gerade erst Mutter gewordene Hexe völlig unhörbar: "Wenn Sie Zeit hat möchte sie bitte erst in einer Stunde wiederkommen, da ich noch bei einer Patientin bin. Aber Sie dürfen ihr gerne sagen, dass ich den Kollegen Partridge weder für einen Mörder noch für einen Selbstmordattentäter halte. Falls sie mehr von mir zu hören wünscht möchte sie wie erwähnt in einer Stunde noch mal anfragen. Danke!"
"Werde ich ausrichten", erklang die Stimme der Kollegin vom Empfangsraum wieder direkt in ihren Ohren, ohne dass sonst jemand das mithören konnte.
"Öhm, ich will nicht neugierig sein. Aber haben Sie eine dringende Anfrage bekommen?" wollte die von den Auswirkungen der Niederkunft erschöpfte Hexe wissen.
"Keine heilmagisch relevante. Ich bin bei Ihnen und bleibe auch, bis Sie alles überstanden haben und mit dem kleinen Brandon in ihr Zimmer zurückkehren können. Ui, wie auf's Stichwort!" erwiderte Eileithyia und ging schnell in die nötige Stellung, um der Patientin bei der Austreibung der Nachgeburt zu helfen. Jessie McFee schloss die Augen, als Eileithyia sich mit dem nicht mehr benötigten Hilfsorgan erhob. "Nein danke, ich möchte das nicht sehen, Eileithyia. Schon eine komische Vorstellung, dass ich sowas auch im Bauch hatte."
"Wie Sie wünschen, Jessie. Ich versorge Sie dann noch, damit es keine Nachblutungen gibt und geleite Sie dann in ihr Zimmer." Der kleine Brandon hatte bereits herausbekommen, wie er die nächsten Monate überleben konnte. Deshalb ging Eileithyia ganz behutsam vor, um Mutter und Kind nicht zu stören.
"... Sie schließen also kategorisch aus, dass Silvester Partridge nicht Beihilfe zur Verschleppung des Ministers geleistet hat, Heilerin Applebloom?" hörte Eileithyia in ihrem Büroradio die sonore Bassstimme von Frank Sunnydale, dem Starreporter und Gesellschaftskommentator vom Zauberrundfunksender HCPC 2623, der hauptsächlich über die Zaubererweltpolitik und Gesellschaftsthemen berichtete.
"Nun, da der Minister verschwunden ist besteht für ihn wohl derzeit keine unmittelbare Lebensgefahr, wenn ich erwähne, dass er seine Politik der letzten Monate wohl unfreiwillig ausgestaltet hat. Womöglich ist mein Kollege aus VDS darauf gestoßen, woran das liegt und hat wohl deshalb darauf bestanden, als Vertreter der neuen Interessensgemeinschaft später Väter ohne ausdrücklichen Kinderwunsch zu Minister Dime vorgelassen zu werden, um ihm zu helfen. Wahrscheinlich hat die Person, die für Dimes Zustand verantwortlich ist, das mitbekommen und sofortige Gegenmaßnahmen veranlasst. Ich halte den Kollegen Partridge zumindest nicht für einen Mörder oder Suizidattentäter", erklang die Stimme der noch jungen Heilhexe Savanna Applebloom. Eileithyia Greensporn funkelte den Radioapparat an, als habe der ihr gerade was böses getan. Ihre Laune wurde nicht besser, als Sunnydale die Heilerin fragte, was denn ihrer Meinung nach dem Minister passiert sei.
"Es ist wohl eindeutig, dass er, als er seine eigene Frau zur Geheimnisverräterin erklären lassen wollte, unter einem Zwang gehandelt haben muss. Womöglich hat ihn eine Hexe, die gerade von ihm schwanger ist, mit einem verwerflichen Fluch unter Ausnutzung des gemeinsamen Kindes dazu gezwungen, ihr hörig zu sein, wenn er nicht sterben will. Da dieser Fluch den Betroffenen sofort tötet, sobald der Betroffene von einer anderen Person als der, die ihm den Fluch auferlegt hat erfährt, dass er von diesem Fluch betroffen ist, konnten meine Kolleginnen und ich nichts veranlassen, um dem Minister zu helfen. Denn auf dem Boden der Staaten gab es keine derzeit schwangere Hexe, die einen Dunklen Zauber verwendet hat. Nur wenn wir diese ermittelt hätten wäre es möglich gewesen, den Fluch für den Minister und sein ungeborenes Kind unschädlich aufzuheben."
"Das glaube ich jetzt nicht", zischte Eileithyia Greensporn und machte sich schon darauf gefasst, demnächst noch vor dem Gamot aussagen zu müssen, seit wann die Heilzunft wusste, dass der Minister unter dem Catena-Sanguinis-Zauber stand. Außerdem mochte es sein, dass der Minister die gerade übertragene Sendung ebenfalls hörte und deshalb sofort tot umfiel. Das erwähnte auch Sunnydale, der offenbar verstanden hatte, worauf Savanna Applebloom anspielte.
"Oh, Sie meinen diesen verwerflichen Fluch, der ein ungeborenes Kind als Verbindungselement missbraucht, wie es dem Thorntails-Schüler Cyrill Southerland widerfuhr, als die von ihm außerehlich in andere Umstände versetzte Schülerin Bernadette Lavalette erfuhr, dass er sie nur als Objekt für eine Wette benutzt hatte? Hmm, und Sie haben keine Angst, dass Minister Dime das hier jetzt mithört und deshalb sofort tot umfällt?"
"Ich denke, sie werden den Minister genau deshalb an einem von der restlichen Welt abgeschirmten Ort verbracht haben, weil sein Geheimnis enthüllt wurde und diese Leute sicherstellen wollten, dass er und das von ihm gezeugte Kind überleben. Ich erwähne es deshalb jetzt, weil offenbar jetzt die Möglichkeit besteht, den von Dime unfreiwillig angerichteten Schaden für unsere freiheitliche Zaubererwelt einzudämmen oder gar zu beheben."
"Aber der Vertrag soll doch für jeden Zaubereiminister bindend sein, nicht nur für Minister Dime", sagte Sunnydale.
"Ja, falls das bezauberte Originaldokument noch existiert. Und selbst wenn ja, dann sollte die magische Öffentlichkeit zumindest wissen, dass diese Verbrecherbande namens Vita Magica darauf ausgeht, eine unangreifbare Basis in unserem Land zu errichten. Ich habe drei Töchter in Thorntails und will als Heilerin und Mutter verhindern, dass diese gegen ihren Willen zum Beischlaf mit ihnen nicht genehmen oder völlig zu wider liegenden Zauberern genötigt oder durch irgendwelche Partydrogen dazu gedrängt werden könnten. Wenn der Minister fortgeschafft wurde, weil der ihn beherrschende Fluch erkannt wurde, vielleicht sogar vom Kollegen Partridge, dann haben wir jetzt die Chance, die von Vita Magica ausgeübte Herrschaft über das Zaubereiministerium zu überwinden, selbst wenn das Ministerium weiterhin an diesen sogenannten Friedensvertrag gefesselt sein sollte."
"Moment, Heilerin Applebloom, Sie rufen hier gerade zum Widerstand gegen die Beschlüsse und Handlungsweisen des Zaubereiministeriums auf. Gleichhzeitig behaupten Sie, dass der Minister seit längerem von diesem verwerflichen Zauber unterworfen war und Sie und Ihre Kollegen von der Heilzunft nichts dagegen unternahmen, weil sie sein Leben und das eines ungeborenen Kindes nicht gefährden wollten. Das könnte sehr ernste rechtliche Folgen für Sie haben. Warum riskieren Sie das?" wollte Sunnydale wissenund stellte genau die Frage, die Eileithyia Greensporn im Kopf herumschwirrte.
"Das habe ich gerade gesagt. Ich will nun, wo die Gelegenheit gegeben ist, den von Vita Magica angerichteten Schaden zu erfassen und einzudämmen, diese Gelegenheit nutzen. Gemäß den internationalen Übereinkünften zwischen der magischen Heilzunft und den landeseigenen Zaubereiministerien und der internationalen Zaubereikonföderation können Heilerinnen und Heiler nicht gerichtlich belangt werden, wenn Sie ihren zehn Direktiven folgend alles unternommen haben, um auch nur ein Menschenleben zu schützen oder vermieden haben, auch nur ein Menschenleben zu gefährden. Sicher werden die durch diese Fruchtbarkeitselixiere zu nicht unbedingt erwünschten Zeugungsakten gedrängten Hexen und Zauberer jetzt laut aufschreien, dass wir das hätten verhindern müssen. Aber so wie es sich darstellt ist das mit Minister Dime erst nach der ominösen Halloweenfeier in Miami passiert. Wenn dann wirklich noch dieser Vertrag weiterhin bindend sein sollte heißt dies für Vita Magica auch, dass Sie von sich aus keinen US-Zaubererweltbürger zu neuerlicher Fortpflanzung zwingen dürfen."
"Ja, auf dem Boden der vereinigten Staaten. Aber wenn ein Mitbürger in einem anderen Land einer dieser Verpaarungs- und Massenzeugungspartys beiwohnt kann auch eine amerikanische Hexe oder ein Zauberer aus den Staaten betroffen sein. Doch falls Ihre Behauptung nicht stimmt und der Minister nur deshalb den Friedensvertrag unterschriben hat, weil er für sich und seine eigenen Kinder Frieden haben wollte, ohne gleich mit einem üblen Fluch belegt werden zu müssen, was dann? Dann bestünde doch die Möglichkeit, dass Silvester Partridge ihn genau deshalb umbrachte, weil er wütend auf den Minister war."
"Jetzt behaupten Sie was, was Ihnen rechtliche Folgen einbringen könnte", erwiderte Heilerin Applebloom darauf schlagfertig. "Ich bleibe jedenfalls bei meinen Aussagen, dass der Kollege Partridge von sich aus keinen Mord oder einen erweiterten Suizid verüben würde und dass der Minister durch den erwähnten Catena-Sanguinis-Fluch zur Befolgung für ihn und uns alle unerträglichen Bedingungen gezwungen wurde."
"Ihnen ist bewusst, dass dieses Interview direkt übertragen wird?" fragte Sunnydale hörbar beklommen. Offenbar war das für den sonst so gemütsruhigen Moderator und Reporter sehr unverträgliche Kost, die ihm Savanna Applebloom zugeführt hatte.
"Genau aus dem Grund, dass Sie oder Ihre Vorgesetzten meine Aussagen nicht unterdrücken können habe ich mich auf diese direkte Übermittlung eingelassen", erwiderte die Heilerin.
"Ava, bitte übernimm die Geburtshilfe bei Laura Gladstone und Anna Halligan, sollten sie heute noch niederkommen wollen. Ich muss da unbedingt einiges aufräumen, einen Aufruhr beheben, den eine Kollegin in Baltimore verursacht hat", wies Eileithyia über den im HPK eingewirkten Direktrufzauber ihre jüngere Kollegin Ava Gardener an. Dann rief sie noch Ambrosius Silverspoon, den Direktor des HPK und erwähnte, dass Frank Sunnydale gerade ein weder von ihr noch ihm autorisiertes Interview erhalten habe, auf das sie unbedingt sofort reagieren müsse. Dann rief sie noch in der Rezeption an und fragte, ob Linda Knowles noch im Haus sei.
"Die ist in die Cafeteria hochgefahren, weil sie die Stunde gerne abwarten wollte", erfuhr Eileithyia.
"Gut, vielleicht hat sie mitbekommen, was ich gerade habe hören müssen. Sollte sie wieder bei dir vorsprechen schicke sie sofort zu mir ins Büro. Ich werde versuchen, auch den Traum vieler alleinstehender Hexen aus New York dazuzubitten und womöglich auch die Herren Woodnail und Chiemers."
"Gut, richte ich aus. Und wenn die erwähnten Herren bei mir auftauchen schicke ich sie auch gleich zu dir hin", erhielt sie die Antwort aus der Rezeption.
"Lady Sevenrock, ich glaube, eine meiner Kolleginnen hat gerade einen Riesenschwarm Wichtel auf alle Dächer im Land gescheucht. Näheres so in zwei Stunden. Es geht um das Verschwinden von Minister Dime und Silvester Partridge", mentiloquierte sie Roberta Sevenrock.
"Ich habe mich schon gewundert, dass du dieses Radiointerview genehmigt haben solltest, Schwester Thyia. In zwei Stunden dann bei mir", gedankenantwortete die Sprecherin der schweigsamen Schwestern Nordamerikas.
"Ich komme dann womöglich zusammen mit Schwester Linda, um das zu bereden, wie wir uns weiterhin verhalten sollen. Könnte sein, dass meine Kollegin Applebloom VM gerade den totalen Krieg erklärt hat."
"Hmm, und die gehört nicht zu uns oder den Anthelianerinnen. Merkwürdig", mentiloquierte Roberta Sevenrock zurück.
"Zumindest hat sie Anthelia nun mit der Nase darauf gestoßen, was mit Minister Dime los ist, zur Mutter aller Sabberhexen", schickte Eileithyia noch zurück, bevor es bei ihr an der Tür klopfte. Sie rief: "Herein, Linda!"
"Ui, haben Sie neuerdings auch so gute Ohren wie ich, dass sie mich schon vor der Tür atmen hören konnten, Heilerin Eileithyia?" fragte Linda Knowles mit verschmitztem Grinsen.
"Sagen wir es so, wenn Sie hören konnten, dass jemand freiwillig mit ihnen sprechen will, waren Sie immer schon schnell zur Stelle", erwiderte Eileithyia Greensporn. "Ich möchte aber noch Frank Sunnydale und Ihren Kollegen vom Kristallherold dazubitten. Sie dürfen sich schon mal setzen und gerne aus der Obstschale naschen, falls die Preise in der Cafeteria ihr Spesenkonto zu sprengen drohten."
"Mein Chefredakteur hat mir für Interviews mit hochrangigen Personen immer ein großzügiges Spesenkonto genehmigt. Aber die Mangoscheiben da lachen mich sehr verführerisch an. Kaffee hatte ich auch schon", sagte Linda Knowles und setzte sich auf einen der vier Besucherstühle.
Eileithyia verschickte über das hauseigene Rohrpostsystem mehrere Briefe, die mit Expresseulen per Flohnetz an die Adressaten versandt werden sollten.
"Vielleicht hast du es ja mitgehört, was dein Kollege in New York gerade über seinen Sender gelassen hat, Schwester Linda. Deshalb möchte ich gerne, dass du mich nachher zu Lady Sevenrock begleitest, um mit ihr zu klären, wie wir auf diese verbale Clamp'sche Kommotion reagieren sollen", mentiloquierte Eileithyia der Reporterin. Sie hätte zwar auch flüstern können, aber wollte nicht riskieren, dass irgendwo eine der für Spontanprotokolle bereitgemachten Schreibefedern mitschrieb. So gedankenantwortete Linda Knowles:
"Ich fürchte, entweder ist der Minister tot, weil er auch die Sendung gehört hat, oder wird nicht mehr freigelassen, weil jetzt die ganze Zaubererwelt weiß, dass er verflucht ist. Für die Spinnenschwestern wäre das ein geniales Mittel, ihn loszuwerden und zugleich die Hexe zu bestrafen, die ihm den Fluch aufgehalst hat. O mann, was hat den Traum einsamer Hexen in mittleren Jahren geritten, dieses Interview zu machen? Da bin ich doch echt froh, dass ich das noch mal durchdenken kann, was in meine Ohren kommt, bevor ich das in meine Zeitung setze."
"Ich hätte der Kollegin Applebloom gerne einen Heuler geschickt. Aber so wütend ich auf die bin hätte die womöglich einen schweren Gehörschaden erlitten, und das hätte mich in Konflikt mit den Heilerdirektiven gebracht", sprach Eileithyia laut aus, weil das harmlos genug war, um von anderen mitgehört oder nachgelesen werden zu können.
"Haben Sie die Heilerin auch zu dieser Unterredung dazugebeten?" fragte Linda Knowles ebenfalls mit hörbarer Stimme.
"Nein nein, die Dame werde ich zu einem späteren Zeitpunkt zu mir hinzitieren und befragen, was ihr da eingefallen ist. Und dann kann die Dame froh sein, wenn ich sie nur zum Windelnwaschen verdonnere."
"Aber was hätten Sie denn gesagt, wenn Sie jemand gefragt hätte, ob Silvester Partridge einen Mord begehen oder einen Mordanschlag ermöglichen würde?"
"Das Silvester Partridge niemals freiwillig ein Menschenleben gefährden würde, auch nicht das eigene und wir hoffen, dass er noch lebt und wir bald wissen, ob er wieder zu uns zurückkehren kann und hoffen, dann noch bei körperlich-geistiger Unversehrtheit zu sein. Aber nach diesem Interview jetzt können wir froh sein, wenn wir Silvester frisch gewickelt und in einem blauen Strampelanzug vor die Tür gelegt bekommen. Vielleicht wird uns dann auch Minister Dime dazugelegt, sofern diese Bande nicht ausprobiert, ob der Infanticorpore-Fluch nicht auch gegen Catena-Sanguinis wirkt und der Minister mit seinem außerehelichen Kind neu aufwachsen soll."
"Bevor ich Venus Partridge interviewt habe konnte ich noch was über die unbefugten Hauselfen mithören, Schwester Eileithyia", mentiloquierte Linda Knowles der Großheilerin. "Das Ministerium hat nicht rausposaunt, dass sie einen Fremdelfenalarm haben, der jeden unbefugten Elfen meldet, der länger als eine Sekunde auf dem Ministeriumsgrundstück verweilt. Also können das nur zutrittsberechtigte Elfen gewesen sein, die sogar eine Eintrittserlaubnis für das Büro des Ministers hatten."
"Danke für den Hinweis, Schwester Linda. Aber bitte kein Wort zu deinem Chefredakteur, bevor wir nicht wissen, was wir Sorores unternehmen sollen", gedankenantwortete Eileithyia Greensporn.
Als nach zwanzig Minuten alle von Eileithyia eingeladenen Presse- und Rundfunkvertreter in ihrem Büro zusammensaßen straffte sich die Sprecherin der nordamerikanischen Heiler und sprach sehr entschlossen in die drei hihr hingehaltenen Schallansaugtrichter: "Meine Damen und Herren, da vorhin meine Kollegin Savanna Applebloom in einer mir noch nicht erläuterten Absicht eine sehr erschütternde Stellungnahme abgegeben hat möchte ich als amtliche Sprecherin aller Heilerinnen und Heiler der vereinigten Staaten von Amerika eine Erklärung abgeben, die auch die Folgen der von der Kollegin Applebloom gemachten Aussagen und Andeutungen beinhaltet.
Wir Heilerinnen hegten schon seit einigen Wochen den starken Verdacht, dass die Übereinkunft des Ministers mit Vita Magica nicht aus reiner Vernunft oder dem Wunsch nach einer friedlichen Koexistenz zwischen dem Ministerium und dieser Gruppierung erfolgte, sondern durch verbrecherische Methoden unter Ausnutzung und Missbrauch der Magie erzwungen wurde. Die Kollegin Applebloom äußerte, dass er einem Fluch unterworfen wäre, und Sie, Mr. Sunnydale, vermuteten den Catena-Sanguinis-Zauber, was von meiner Kollegin ein wenig voreilig bestätigt wurde. Ja, dieser Zauber erschien uns Heilerinnen als sehr wahrscheinliche Methode, Einfluss auf den Zaubereiminister zu gewinnen, den er nicht wie bei Imperius oder einem ihm eingeflößten Fügsamkeitstrank nach einer gewissen Zeit hätte abschütteln können. Da Sie damals ja auch meine Stellungnahme zum Fall Lavalette-Southerland mitbekommen und Ihren Nachrichtenverbreitungseinrichtungen weiterleiten durften möchte ich nur wiederholen, dass bei Verdacht oder klarer Bestätigung, dass jemand mit diesem Fluch unterjocht wurde, der Betroffene unter keinen Umständen davon erfahren darf, dass jemand außer der den Fluch wirkenden und ihm selbst davon erfahren hat. Da unsere Heilerdirektiven ausdrücklich verbieten, menschliches Leben zu gefährden oder absichtlich zu beenden, ob noch im Mutterleib oder bereits seit mehr als hundert Jahren auf der Welt weilend, durften wir niemandem davon Mitteilung machen, dass der Minister diesem Fluch unterworfen sein mochte. Dass er diesem Fluch unterworfen wurde bestätigte sich für uns, als er seine eigene Frau in den Verdacht brachte, ministeriale Geheimdokumente entwendet und unbefugten Personen zugespielt zu haben. Eine auf jeden Fall zu formulierende Bedingung, die unter dem Fluch zu erfüllen ist lautet, jede bisherige Partnerschaft innerhalb eines kurzen Zeitraumes zu beenden, um nur noch für die Hexe da zu sein, die über ihr ungeborenes Kind oder ihre Kinder den Zauber auf den Kindsvater legte. Vielleicht hätten wir in wenigen Monaten erfahren, mit wem der Minister sein weiteres Leben zu verbringen hat. Vielleicht wäre Minister Dime aber auch von selbst verschwunden. Womöglich hat der Besuch des Kollegen Partridge ihn sogar veranlasst, früher als geplant die schnelle Flucht anzutreten, um mit der Verbrecherin - ich kann und will für diese Hexe keine andere Bezeichnung verwenden - an einem geheimen Ort weiterzuleben, wie es dem Schüler Southerland widerfuhr, als der auf ihn gelegte Zauber einer wütenden und von ihm in jugendlicher Einfalt und unreifen Überlegenheitsanwandlung in andere Umstände versetzten Schülerin Bernadette Lavalette offenbart wurde. So wie Cyrill Southerland wird wohl auch Minister Dime an einem gegen Nachrichten von außerhalb abgeriegelten Ort verweilen müssen, um das Leben des von ihm gezeugten Nachwuchses zu erhalten.
Natürlich haben wir Heilerinnen darauf geachtet, ob eine von uns untersuchte Hexe, die derzeitig schwanger ist, einen dunklen Zauber benutzt. Die von uns untersuchten Hexen erwiesen sich jedoch als unschuldig, was die Benutzung höchst verwerflicher Flüche angeht. Somit sind sämtliche in unserem Hoheitsgebiet Mutter werdenden Hexen unschuldig. Sicher mussten wir auch davon ausgehen, dass die Verbrecherin davon ausgehen musste, dass ihre dunkle Tat erkannt würde und wir Heilerinnen dann die einzige Möglichkeit angewendet hätten, um das Leben des Kindsvaters und des oder der Ungeborenen zu erhalten und gleichzeitig die dunkelmagische Verkettung aufzulösen. Solange wir das nicht durchführen konnten galt der bereits erwähnte Grundsatz, den Minister nicht davon erfahren zu lassen, dass wir um sein dunkles Geheimnis wussten, ja auch sicherzustellen, dass keine ihm feindliche Machtgruppe davon erfuhr. Denn wir mussten und müssen davon ausgehen, dass skrupellose Zeitgenossen wie die Mondgeschwister oder die Schwesternschaft der schwarzen Spinne dieses Wissen als veritable Mordwaffe benutzt hätten. Soviel dazu, warum es mich sehr erschüttert hat, dass meine Kollegin Applebloom diesen Punkt öffentlich gemacht hat. Sie, Mr. Sunnydale, haben zurecht darauf hingewiesen, dass Minister Dime Ihre Sendung hätte mithören können und bei Erwähnung, dass er dem Catena-Sanguinis-Fluch unterworfen sein könnte, unmittelbar verstorben wäre, als hätte ihm jemand den unverzeihlichen Todesfluch entgegengeschleudert. Da die Wichtel nun auf allen Dächern sind und der große Kessel umgekipptund sein Inhalt unwiederschöpflich verschüttet wurde kann ich nun erwähnen, dass ich hoffe, dass es Mrs. Dime und ihrer Tochter Eartha gut geht und sie hoffentlich bald wieder zu uns zurückkehren können. Allerdings befürchte ich, dass der Minister auf lange Zeit in einem traumtoleranten Zauberschlaf gehalten werden muss, damit er nicht mitbekommt, wie viel Zeit verstrichen ist, sofern die Lossprechung von seiner Frau wegen des Fluches nicht gelungen sein sollte. In wessen Leib sein Kind oder seine Kinder gerade heranwachsen, sie dürfen nicht dafür bestraft werden, dass seine oder ihre Mutter derartig grausam ist. Ja, ich sage grausam, weil ich als viele Jahrzehnte lang tätige Hebamme gelernt habe, dass es zu den erhabensten Vorgängen im Leben einer Hexe gehört, ein eigenes Kind auszutragen und mit einem liebenden Partner, der das Kind ebenso liebt wie dessen Mutter, in Geborgenheit und unter Beachtung einer vernünftigen und menschenfreundlichen Erziehung großzieht. Wer das eigene ungeborene Kind mit einem dunklen Zauber zum Fokus eines Unterwerfungsfluches macht und dadurch dessen Leben aufs Spiel setzt hat das Recht auf Mutterschaft verwirkt und gehört lebenslänglich inhaftiert.
Ich erwähnte auch, auf die sich aus dem Interview mit der Kollegin Applebloom ergebenden Folgen einzugehen: Zum einen werde ich als Zunftsprecherin der Heiler und als Leiterin der Mutter-Kind-Station des Honestus-Powell-Krankenhauses eine ernste Unterredung mit der Kollegin Savanna Applebloom führen, über die ich Ihnen erst dann näheres mitteilen werde, wenn ich weiß, was davon für die Öffentlichkeit geeignet ist und was nur innerhalb der Heilzunft verbleiben soll. Sollte der Kollegin Applebloom eine Anklage und ein Gerichtsverfahren drohen und dieses auch mir als Heilzunftsprecherin bevorstehen, so kann und werde ich mit bestem Gewissen vor den Gamot oder den Zwölferrat der obersten Richter treten, dass die Heilerdirektiven vor allen anderen Gesetzen der Zaubererwelt zu beachten sind und in diesen schon sehr viele das Leben von Menschen schützende Verhaltensregeln festgelegt sind. Sollte der Zaubereiminister Chroesus Dime wegen Heilerin Appleblooms Aussage an einer Rückkehr in die Öffentlichkeit gehindert werden, so müssen wir Heiler und Dimes mögliche Nachfolge erörtern, ob er formal für tot erklärt werden soll oder ob etwas unternommen werden kann, um ihn und seinen Nachwuchs zu finden und am Leben zu halten. Sollte das von ihm gezeugte Kind oder die Kinder jedoch bis zur endgültigen Klärung dieser Frage bereits geboren worden sein, so kann der Fluch nicht mehr aufgehoben werden. In diesem Falle müssen wir sehr schweren Herzens zulassen, dass Chroesus Dime mit der Mutter seines unehelichen Nachwuchses zusammenbleibt und deren weitere Bedingungen erfüllt, sofern diese nicht seine Arbeit als Zaubereiminister betreffen. Was den Kollegen Partridge angeht, so hege ich die geringe Hoffnung, dass seine Entführer ihn wieder freigeben, weil er ihnen nicht weiter gefährlich werden kann. Allerdings hängt es von den Tätern ab, ob sie ihn an Körper und Geist unverändert freigeben oder ihn seines bisherigen Erinnerungsschatzes berauben und/oder ihn durch Rückverjüngungszauber dazu zwingen, ein völlig neues Leben zu beginnen. Sollte es sich bei den Entführern nicht nur um die Hexe handeln, die den Minister durch den Catena-Sanguinis-Fluch unterworfen hat, sondern deren Hinterleute der Vita-Magica-Gruppierung angehören, so steht zu befürchten, dass der Kollege Partridge zur Strafe für seine Handlungen mehrere neue Kinder zeugen muss, weil dies in den Augen von Vita Magica eine angemessene Bußleistung für gegen sie gerichtete Handlungen darstellt. Da mein Enkelsohn Chrysostomos da selbst wegen meiner öffentlich bekundeten Abneigung gegen Ausrichtung und Vorgehensweisen dieser obskuren Gruppe dazu gezwungen wurde, mmehrere Hexen zu beschlafen, mit denen er keinerlei Beziehung pflegte, weiß ich, wie schwer das für jemanden sein muss, wenn er oder sie zum Angriffsziel dieser angeblichen Wahrer magischen Lebens wird. Dennoch und gerade aus den meinem Enkelsohn zugefügten Demütigungen rufe ich alle gesetzestreue, die Freiheit und Selbstbestimmung jedes Menschen mit und Ohne Magie achtenden Mitbürger und jede Mitbürgerin auf, sich nicht einschüchtern zu lassen. Allerdings muss ich, so ungern ich dies tue, den Aufruf meiner Kollegin Applebloom widerrufen, dass wir alle nun alle ministeriellen Maßnahmen ablehnen und die vom Ministerium ausgeführten Maßnahmen verweigern oder größtmöglichen Widerstand dagegen leisten. Wir alle leben und arbeiten seit Jahrhunderten in der Gewissheit, dass wir nur größtenteils Frieden haben, weil es eine Institution gibt, die dafür sorgt, dass wir uns nicht gegenseitig das Leben verderben und um eigener Vorteile wegen rücksichtslos und grausam zu unseren Mitmenschen sind. Das Zaubereiministerium war und ist die von uns allen zu achtende Institution, die diesen Frieden gewährleisten kann und muss. Wir können es nur dazu auffordern, dieser Aufgabe weiter nachzukommen, indem wir bereit sind, die für uns nicht als Demütigung oder Unterdrückung empfundenen Gesetze und Maßnahmen anzuerkennen und zu befolgen. Selbst wenn der von Minister Dime geschlossene Vertrag auf einen magischen Zwang beruhen sollte, so gelten die darin erfassten Vereinbarungen auch für Vita Magica. Wir müssen nicht zu Mora-Vingate-Partys hingehen. Wir dürfen unseren Kindern und Kindeskindern davon abraten, Feste zu besuchen, auf denen möglicherweise Fruchtbarkeit und Fortpflanzung fördernde Tränke angeboten werden. Was die Entschädigung der unfreiwillig Vater und Mutter gewordenen Mitbürger angeht, so besteht durchaus noch die Möglichkeit, über eine Erhöhung dieser Zahlungen zu verhandeln. Alles andere war und ist für unser aller Frieden unverzichtbar und sollte deshalb weiterhin befolgt werden. Eine Anarchie, in der jeder gegen jeden kämpft, wäre unser aller Untergang. Das wollte und musste ich in meiner Verantwortung für alle in den Staaten lebenden Hexen und Zauberer eindeutig bekunden und bedanke mich bei Ihnen von Presse und Rundfunk, dass Sie meine Erklärung und Stellungnahme möglichst schnell veröffentlichen."
"Dürffen wir noch Fragen stellen?" wandte sich Sunnydale an die Großheilerin. Diese deutete auf die messingfarbene Wanduhr und erwähnte, dass sie demnächst weitere Termine wahrzunehmen habe und daher keine weiteren Fragen beantworten könne.
"Ja, aber eine möchte ich doch noch stellen", warf Sunnydale ein: "Was hätten Sie gemacht, wenn der Minister unter dem Zwang dieses Blutkettenzaubers dazu veranlasst worden wäre, Vita Magica oder das Ministerium ablehnende Menschen zu töten? Sie erwähnten ja auch, dass er seine Frau loszuwerden hatte. Wenn er die nicht in die Flucht getrieben hätte, hätte er sie wohl auch getötet. Was hätten Sie dann gemacht?"
"Auch wenn ich das sicher schon hundertmal klargestellt habe: Jedes einzelne Leben zählt für uns Heiler. Eine Abwägung, tausend Leben dadurch zu retten, in dem ein einziges Leben beendet wird, widerspricht unseren zehn Heilerdirektiven. Darauf aufbauend hätten wir, um Ihre drängende Frage noch zu beantworten, den Minister selbst wohl mit einem Schlaftrank handlungsunfähig gemacht und unsererseits an einem vor allen anderen Einflüssen abgeschirmten Ort verwahrt, bis wir erfahren hätten, ob die Blutkette für seinen Nachwuchs gefahrlos aufgelöst werden kann oder nicht. Im schlimmsten Fall hätten wir den Minister dauerhaft in traumtolerantem Zauberschlaf halten müssen, damit er kein Gefühl für die Wirklichkeit hat, aber nicht zu tief schläft, um die Entwicklung des von ihm gezeugten Lebens zu verzögern oder gar vorzeitig zu beenden. Ich hoffe, diese Antwort reicht Ihnen allen aus."
"Öhm, könnte es sein, dass Ihr Kollege Partridge genau das vorhatte, den Minister in Tiefschlaf zu versetzen und an einen sicheren Ort zu schaffen, bis klar war, wer die bitterböse Hexe war, die sich von ihm hat schwängern lassen, um ihn zu unterwerfen?" fragte Woodnail.
"Mr. Woodnail, vorhin bei Viceminister Buggles haben Sie sich eines erwachseneren Wortschatzes befleißigt. Sie wollen mich doch nicht ernsthaft an Ihrer guten Erziehung oder geistigen Reife zweifeln lassen?" erwiderte Eileithyia Greensporn.
"Dann wollen Sie nicht rausrücken, ob Silvester Partridge sozusagen als Erfüllungsgehilfe von Ihnen losgezogen ist?" fragte Woodnail.
"Silvester Partridge ist in Befolgung einer an ihn ergangenen Bitte der Interessensgemeinschaft später Väter ohne ausdrücklichen Kinderwunsch zu Minister Dime gegangen und nicht als von uns auserkorener Vollstrecker. Derartige Unterstellungen verbitte ich mir auch im Namen aller Heilerinnen und Heiler der vereinigten Staaten, ja weltweit", schnarrte Eileithyia Greensporn.
"Dann hat Partridge eben für die späten Väter gearbeitet und sein Heilerwissen ausgenutzt und wurde dabei erwischt, wie er den Minister selbst bezaubern oder anderswie außer Gefecht setzen wollte", blieb Woodnail hartnäckig.
"Nun, da mir weder Aufenthaltsort noch Zustand des Kollegen Partridge bekannt sind und damit auch meinerseits keine Möglichkeit besteht, ihn zu befragen muss ich diese Frage als unbeantwortbar betrachten. Hoffen Sie mit mir zusammen darauf, dass Heiler Partridge im Vollbesitz seiner körperlich-geistigen Gesundheit und Erinnerungen zurückkehrt. Dann dürfen Sie ihn gerne fragen, was sein Auftrag war und wie er ihn ausführen wollte."
"Toll! Und wenn der als Leiche oder gehirnentleerter Windelpupser wiederkommt können Sie sich schön darauf ausruhen, von nichts gewusst zu haben, wie, Madam Greensporn?" fragte Woodnail sehr herausfordernd.
"Junger Mann, wenn ich Sie so frech und unterentwickelt reden höre frage ich mich ernsthaft, ob es wirklich schon vierzig Jahre her ist, dass ich Sie aus dem Schoß Ihrer Mutter herausgehoben habe oder ob es gerade nur vier Jahre her sind, dass ich diese Ehre hatte, Ihnen auf die Welt zu helfen. Zumindest werde ich auf eine derartige Unterstellung nicht weiter eingehen, Randolph." Alle anderen lächelten.
"Vielleicht werden Sie das bald von wem gefragt, der mehr Recht darauf hat, die Antwort zu hören. Dann habe ich echt keine Fragen mehr", grummelte Woodnail, weil ihn alle so ansahen, als stimmten sie der Heilerin in ihrer Einschätzung zu.
Als alle das Büro verlassen hatten mentiloquierte Linda Knowles. "Ich bin dann in einer Stunde bei Lady Roberta. Ich muss dein Interview noch in die Redaktion bringen, damit das nicht auffällt, was du noch von mir möchtest."
"Verstehe ich, Linda. Dann bis nachher, und hoffen wir, dass Lady Roberta heute einen guten Tag erwischt hat."
"Also, entweder arbeitet diese Savanna Applebloom für Vita Magica und will haben, dass der Minister nicht mehr zurückkommen kann oder sie arbeitet für eine andere Gruppe, die genau wie wir Vita Magica ablehnen", vermutete Anthelia, als sie zusammen mit ihren nordamerikanischen Schwestern das Radiointerview mit Savanna Applebloom gehört hatte. Beth McGuire erwähnte, dass da sicher heute noch ein Treffen mit Roberta Sevenrock anstand, um zu klären, wie die zögerlichen Schwestern damit umgingen.
"Ich warte auf jeden Fall noch bis zum zweiten März, bevor ich Argentea Dime wieder freigebe. Entweder ist ihr Mann bis dahin tot oder liegt im Zauberschlaf, damit die Hexe, die sich von ihm hat befruchten lassen ihre Brut ungefährdet zur Welt bringen und großfüttern kann."
"Soll ich dir dann umgehend berichten, was die Sitzung mit Lady Sevenrock ergeben hat, höchste Schwester?" wollte Beth McGuire wissen. "Aber umgehend, sofern diese Lady dich nicht gleich für irgendwelche anderen Sachen einteilt, um die Nachrichtenweitergabe an mich hinauszuzögern", erwiderte Anthelia.
"Ui, Oma Thyia ist aber sehr wütend", grummelte Selene Hemlock, als sie mit ihrer Mutter die spontan einberufene Pressekonferenz von Eileithyia Greensporn im Radio mithörte. "Wohl wahr. Könnte sein, dass diese Heilerin Applebloom dieser Bande Vita Magica nun allen Grund liefert, noch mehr Hexen und Zauberer wie Zuchtvieh aufeinanderzujagen", sagte Theia Hemlock. "Jedenfalls gehe ich davon aus, dass ich nachher wohl zu einer Sondersitzung muss."
"Was wollt ihr dann machen?" wollte Selene wissen.
"Werde ich dir gerne sagen, wenn ich das selbst weiß. Jetzt muss erst einmal Ruhe bewahrt werden. Jedenfalls liegt es vordringlich an uns Hexen, ob Vita Magicas Saat weiter auf fruchtbaren Boden fällt. Es sei denn, du wünschst dir ein kleines Geschwisterchen."
"Danke nein, ich erinnere mich noch gut daran, wie oft sich Austère Tourrecandide mit ihrer Schwester gezankt hat. Und einen kleinen Bruder wollte ich auch nicht haben, es sei denn, du möchtest gerne ein richtiges Baby bekommen", sagte Selene.
"Ich habe dich als richtiges Baby bekommen, Kleines. Du bist neun Monate in mir gewachsen, hast mir einige schmerzvolle aber auch erhabene Stunden bereitet und mindestens hundert Liter Milch aus meinen drallen Brüsten getrunken und das was davon übrig blieb ordentlich in etliche Windeln reingemacht. Aber du hast recht, von einem von Vita Magica gedungenen oder unfreiwillig auf mich angesetzten Burschen noch mal dick zu werden und das ganze mit der Windelei und Mundabputzerei noch mal durchzumachen kann ich getrost drauf verzichten. Das wir zwei miteinander aufwachsen dürfen ist schon erhaben und außergewöhnlich genug. Ich muss da nicht so werden wie diese Ursuline Latierre oder ihre spanische Entsprechung Rosana Elena Gotaplata Carmenaza, die sich im Lauf ihres Lebens dreizehn Kinder von zwei Männern zugelegt hat."
"Deren Enkelsohn war mal als Austauschschühler in Beauxbatons im ZAG-Jahr. Der wollte auch alles umarmen und abküssen, was nicht über sechzig Jahre alt war. Das das schon wieder zwanzig Jahre her ist ist heftig."
"Ist ja schön, wie viel du noch von Austère Tourrecandide behalten hast, Selene. Aber das muss wirklich kein anderer wissen", sagte Theia Hemlock.
"Julius, kommst du bitte auch zu uns rüber!in den Staaten ist gerade ein riesengroßer Kessel mit kochendem Drachenpipi umgefallen", mentiloquierte Béatrice Latierre ihrem Schwiegerneffen, der gerade erst von der Arbeit zurückgekommen war. Die Sache mit der Nachtschattenriesin in Deutschland und ein Ausflug zu Mademoiselle Maxime und ihrer nun sichtbar mit zwei Cousinen von ihr schwangeren Tante hatten seinen Tag richtig aufregend gemacht. Gut, dann konnte er seiner Frau gleich noch auftischen, dass Bärbel Weizengold ihm übermorgen einen Besuch abstatten wollte, weil eine der Abgrundstöchter in der Nähe von Hamburg aufgetaucht war.
"Hat das was mit einer sechs Meter großen Nachtschattenfrau zu tun, Tante Trice?" wollte Julius wissen. "Was? Nein, mit dem dortigen Zaubereiminister und einem Kollegen von mir, Silvester Partridge. Ma will das mit Millie, mir und dir besprechen, inwieweit uns das angeht. Vielleicht kriegen wir noch eine Botschaft aus VDS", gedankenantwortete Béatrice Latierre.
"Und was ist mit den beiden größeren Mädchen?" fragte er auf die unhörbare Weise. "O, gut, dass du es sagst. Bring deren Schlafzeug mit und am besten auch das von dir und Millie, bekam er zur Antwort."
"Nur wenn ich Millies Schlafanzug anfassen darf", erwiderte Julius. Es vergingen einige Sekunden. Dann meldete sich die Gedankenstimme seiner Frau: "Monju, wenn du regelmäßig das anfasst und noch so nette Sachen damit machst, was in dem Schlafanzug drinsteckt, darfst du den Schlafanzug von mir auch gerne anfassen und streicheln und ganz lieb zusammenfalten. Wenn das stimmt, was Chloe Palmers grüne Fee gerade gezwitschert hat, haben die in den Staaten gerade echt heftigen Krach im Haus."
"Silvester Partridge? Venus' Vater, der uns das damals mit der Bettpfannenstrafe verklickert hat, Mamille?" gedankenfragte Julius zurück. "Ja, der, Monju. Weiteres dann bei uns", bestätigte seine Frau über die durch Herzanhänger verstärkte Verbindung.
Darauf gespannt, was die so heftige Botschaft sein würde packte Julius das Nachtzeug zusammen und fragte im Sonnenblumenschloss an, ob er auch Nachttöpfe mitbringen sollte. "Ich kann mit Töpfchen und Schnullern einen eigenen Großhandel aufmachen", bekam er dafür von seiner Schwiegergroßmutter zurück. So benutzte er den in der Bibliothek aufgestellten orangeroten Verschwindeschrank, um unverzüglich und ohne die übliche Herumwirbelei im Flohnetz ins Château Tournesol zu wechseln. Dort erfuhr er dann von seiner Schwiegertante Béatrice, dass der US-amerikanische Zaubereiminister und der Heiler Silvester Partridge entführt worden waren.
"Und wenn das nicht schon ausgereicht hätte hat Chloe uns noch was von einem Radiointerview einer gewissen Savanna Applebloom berichtet, dass der Minister womöglich durch den Catena-Sanguinis-Fluch dazu gezwungen worden sein soll, diesen Friedensvertrag mit Vita Magica abzuschließen. Wenn das echt stimmt dann gehören diese aufrechtgehenden Nogschwänze selbst in flauschige Windeln verwandelt und einmal von jedem von denen aufgedrängtem Nuckelzwerg vollgemacht", knurrte Ursuline Latierre. Béatrice, die Julius nur dann Tante nannte, wenn sie mit ihren größeren Geschwistern zusammen war, antwortete darauf: "Würde mich jetzt nicht mehr wundern, wenn eure damalige Musterschülerin Bernadette auch von VM die Anleitungen für ihren Catena-Sanguinis-Zauber mit Cyrill Southerland erhalten hätte. Jedenfalls sind die sich in den Staaten sehr unklar, wie es jetzt weitergehen soll." Julius ließ sich dann von der geflügelten grasgrünen Fee auf einem kleinen Bild, das mit einem Gegenstück bei Chloe Palmer in Viento del Sol verbunden war, erzählen, was die Heiler genau erfahren hatten und fragte, was Silvester Partridge beim Minister gewollt hatte. Auch interessierte er sich dafür, wie es Venus ging, was Millie verdrossen grummeln ließ. Julius entschuldigte sich, dass er in Hörweite seiner schwangeren Frau von einer anderen athletischen Hexe gesprochen hatte.
"Das hat Chloe noch nicht gefragt", zwitscherte die kleine grüne Fee. "Aber ich frag nach", trillerte sie noch. Dann sauste sie mit leise summenden Flügeln aus ihrem Bild.
"Die haben echt niedliche Ideen für ihre Bilderboten", sagte Julius. Béatrice wollte dann noch wissen, was Julius mit einem weiblichen Nachtschatten gemeint hatte. "Offenbar hat der Spinner Wallenkron es vor seinem Abtransport ins Vita-Magica-Babywunderland hinbekommen, zwei von Kanoras' mitgelieferte Nachtschatten zu einem einzigen zusammenzufluchen. Daraus ist wohl ein weiblicher Riesennachtschatten entstanden, der jetzt in Deutschland die Zaubererwelt und eine Disco der Muggel heimgesucht hat. Weil dieses Dämonenweib wohl durch irgendwas den Abhängigen von Thurainilla auf sich aufmerksam gemacht hat, möchte Bärbel Weizengold mich übermorgen in Paris besuchen und sich noch mal auf den neuesten Stand bringen lassen, was ich über diese Abgrundsschwester und ihren Abhängigen weiß."
"Das freut die wandelnde Weizenähre ganz bestimmt, dass sie auf Ministeriumskosten zu dir hinreisen darf", ätzte Millie.
"Millie, du hast das damals erlaubt, dass ich mit Bärbel tanzte, wo du unsere Rorie im kleinen Wartehäuschen hattest. Die will nur mit mir reden, nicht tanzen", sagte Julius. "Abgesehen davon hast du gestern nicht so angenervt reagiert, als Celestina Warbeck unangekündigt bei mir aufgeschlagen ist."
"Die könnte ja auch meine Oma sein", meinte Millie dazu. "Dass sie von 'ner Veela abstammt hat ja echt keiner gewusst."
"Ja, und eigentlich hätte Julius dir das auch nicht erzählen müssen, weil das sicher eine C5-Sache ist, meine hoffnungsvolle Enkeltochter", sagte Ursuline dazu. Aus einem der Nebenräume drang das fröhliche Singen von fünf Kinderstimmen. "Félicité geht richtig darin auf, die große, auf alle aufpassende Schwester zu sein", hörte er Ursulines Gedankenstimme. Dann sagte sie laut: "Und wenn du meinst, dass eine Hexe, die deine Oma sein könnte deinen Mann nicht mehr attraktiv finden dürfte könnte ich mir glatt überlegen, mir deinen Süßen für zwei Nächte auszuborgen um zu sehen, was die Jugend dem Alter noch für schöne Zeiten bereiten kann."
"Ich möchte bestimmt keinen Ärger mit deinem Mann und deinen älteren Töchtern kriegen", meinte Julius dazu, bevor Millie was sagte. Doch offenbar deutete Millie das nun so, dass wenn da nicht noch ein Ehemann und mehrere ältere Hexen, darunter ihre eigene Mutter im Spiel wären, vielleicht doch was zwischen ihrer Großmutter und Julius laufen konnte. Denn sie sagte: "Dann hättest du ihn vor mir heiraten sollen, Oma Line. Vielleicht wären Rorie, Chrysie und Clari dann auf einen Sprung bei dir eingezogen."
"Deine Oma wollte dir wohl nur sagen, dass sie denkt, dass wir auch dann noch viel Spaß haben, wenn du und ich so alt wie sie sind", sagte Julius. Dafür kniff ihm seine Schwiegeroma kräftig in die Nase. "Frechling! Aber ich mag freche Burschen, vor allem die, die in mir dringesteckt haben."
"Oma, jetzt ist aber gut", knurrte Millie. Ihre Tante grinste verhalten. Dann sagte sie:
"Millie, keiner will dir Julius wegnehmen. Weil sonst hätte ich ihn garantiert nicht herüberkommen lassen, wo Rorie, Chrysie und du heute eh hier bleiben wolltet."
"Du wolltest von ihm doch nur wissen, ob Silvester Partridge irgendwas gedreht hat, das mit diesem Blutkettenfluch zu tun hat", murrte Millie. Julius überlegte, wieso ausgerechnet er das wissen sollte. Ihm fiel wieder ein, wie er am Tag nach der letzten Mora-Vingate-Party bei den Partridges gewesen war und Venus da in einem mit magischem Goldlicht ausgekleideten Raum gesessen hatte, der genauso wie der Friedensraumzauber aussah, den Julius von Ianshira in Khalakatan gelernt hatte. Damals hatte er sich schon gefragt, ob Venus' Vater auch Zugang zu den alten Zaubern hatte. So sagte er: "Wenn du damit meinst, dass Venus' Vater damals nach der letzten Mora-Vingate-Party einen Zauber gemacht hat, der mir beim Durchqueren eine goldene Aura verliehen hat, dann könnte es sein, dass Silvester Partridge irgendwelche Quellen hat, aus denen er auch heftige Zauber gelernt hat, mit denen er wohl davon ausging, den Minister entfluchen zu können, falls er echt mit dem Catena-Sanguinis-Fluch belegt war oder ist, wobei das dann ziemlich spannend wäre, wie der Fluchumkehrer dann auf so einen Zauberer wirkt."
"Oha, wenn der so wirkt wie bei Hanno Dorfmann und seiner Mutter könnte Venus' Vater sich fragen, ob er das nicht besser hätte lassen sollen", erwiderte Millie.
"Stimmt, am Ende tauscht der Minister noch mit dem Kind, an das er gekettet wurde den Platz. Ich wollte das nicht."
"Hallo Julius! Laurentia?" fragte Felicité, die ohne anzuklopfen hereingestürmt war, die jüngeren Kinder im Gefolge.
"Okay, bevor deine vier kleinen Geschwister und Millies und meine zwei größeren schlafen müssen einmal durch alle Wochentage", sagte Julius und bildete mit den Kindern einen Kreis.
Beim Abendessen erfuhren sie von der grünen Zwitscherfee, dass Eileithyia Greensporn auf das Radiointerview geantwortet hatte und dass mittlerweile bekannt war, dass der Originalvertragzwischen dem Minister und Vita Magica noch da war. Falls Silvester Partridge den hätte unwirksam machen wollen war es ihm scheinbar misslungen. Allerdings könnte Minister Dime, sofern er noch lebte, wohl nicht mehr nach New York zurückkehren, wo das mit dem Fluch nun in allen möglichen Nachrichtenverbreitern ausgewalzt worden war.
Dieses Gefühl war unangenehm. Diese immer deutlicheren Bewegungen im Unterleib irritierten ihn ein wenig. Doch er musste erkennen, dass er sie so schnell nicht mehr loswerden würde, ja diese Regungen immer stärker werden würden. Dann knurrte jetzt auch sein Magen unüberhörbar laut, und er fühlte eine zunehmende Trockenheit in Mundraum und Kehle, als wenn er von innen her austrocknete. Lange würde er so nicht mehr aushalten. Dann waren da noch diese prickelnden Hitzeschauer gewesen, als sie ihn berührt hatten. Natürlich wusste er, was das bedeutete.
Sie wollten darüber beraten, wie es mit ihm weitergehen sollte. Doch er wollte nicht warten, bis sie ihr Urteil gefällt hatten. Dafür hatte er nicht sein Leben, seine Freiheit und ja auch seine Gesundheit in die Waagschale geworfen. Dass er diese ungewohnten, ja unheimlichen Bewegungen fühlte war der Tribut dafür, dass er überhaupt noch bei Bewusstsein war und alles spüren konnte. Vorhin hatten sie ihn mit einem Schlafgas betäubt, gegen das er kein prophylaktisches Mittel hatte einnehmen können, weil er schon gegen das von ihm freigesetzte Gas ein Schutzelixier geschluckt hatte. Mehr durfte er sich jedoch nicht zumuten, wenn er sich frei bewegen wollte.
Silvester Partridge lauschte, ob noch jemand im Raum war. Doch die mit einem Körperbeschleunigungszauber versehenen Handlanger dieser Mater Vicesima hatten ihn in diesem Raum zurückgelassen, weil sie dachten, der Schockzauber habe ihn betäubt. Wurde der Raum überwacht? Falls ja würden sie sicher sofort Alarm geben und ihn zu überwältigen trachten. Er musste unbedingt erst einmal sicherstellen, dass er nicht beobachtet wurde.
Wie er es gelernt hatte konzentrierte er sich auf seinen Unterleib, spannte behutsam alle Bauchmuskeln an und entspannte sie wieder. Dies tat er dreimal hintereinander. Unvermittelt meinte er, jemand habe ihm einen daumendicken Stock durch den Enddarm bis zum Dickdarm geschoben. Doch schmerzen fühlte er keine. Es war nur so ein befremdliches Gefühl. Nun konzentrierte er sich auf eine uralte Litanei, die sein Vorfahre Valerius Vulpius Perdiculus als "Hochzeitslied von Mensch und Wind" bezeichnet hatte. Hierbei galt, dass er bei bestimmten Silben ein- und bei anderen Silben ausatmete, auch wenn er die uralte Formel, die er wirklich wie ein oft gehörtes Lied im Kopf erklingen ließ, nicht mit dem Mund aussprach. Er fühlte, wie um ihn herum die Luft in Bewegung geriet. Jede von ihm ausgeatmete Luft schien zu einer lauen Böe zu werden. Jede von ihm eingeatmete Luft ließ seinen ganzen Körper wogen wie Grashalme im Wind. Dann fühlte er, wie um ihn herum ein warmer Luftwirbel zu kreisen begann. Das Lied, besser, der davon hervorgerufene Zauber, wirkte.
Silvester Partridge wusste, dass er unbedingt seinen eigenen Zauberstab brauchte, um das, was er sich selbst zugefügt hatte, nicht in eine wilde Angstreaktion zu treiben. Aber jetzt, wo das Hochzeitslied von Mensch und Wind wirkte, zumindest für die halbe Zeit, die es bei mit der die Luft selbst anregenden Stimme vorhalten würde, konnte er zwei weitere Sachen zaubern. Er machte wieder diese Pumpbewegungen mit den Bauchmuskeln, als wolle er sich auf einen schwer absetzbaren Stuhlgang einstimmen. Wieder fühlte er, wie sich etwas in seinen Gedärmen versteifte. Dann dachte er das Lied des freien Erdenkindes, den wirksamsten Entfesselungszauber, den er je kennenlernen durfte. Unvermittelt lösten sich die magisch gehaltenen Lederriemen um seine Arme und Beine einfach in Nichts auf, ebenso die zwei breiten Riemen, die sie um ihn und die Trage geschnürt hatten. Er bewegte kurz die Arme und Beine. Er hörte weder einen Alarm noch irgendwas anderes, was ihm verriet, dass seine Gefängniswärter etwas mitbekommen hatten. Sofort wiederholte er die kurzen Anspannungs- und Entspannungsübungen mit den Unterleibsmuskeln. Als er zum dritten mal meinte, jemand habe ihm eine unbiegsame Stange in den Darm geschoben wisperte er: "Sanguis vivus sanguitactus advocato!" Ein heftiger Hitzestoß durchfuhr seinen Körper. Im selben Augenblick fielen mit lautem Knall mehrere Dinge aus der Luft auf ihn und landeten blutrote Funken sprühend auf ihm. Sofort griff er nach dem ihm wörtlich zugeflogenen Zauberstab, fühlte, ob er sich gerade frei von irgendwelchen Fremdbewegungen aufsetzen konnte und sprang dann von der Trage herunter. Mit einer schnellen Drehung um die eigene Achse führte er den Schnellankleidezauber an sich aus, um endlich wieder anständig angezogen herumzulaufen, auch wenn, wie er hoffte, erst mal keiner sehen würde, dass er wieder in seinem Ausgehumhang steckte. Die Umhängetasche mit der Vielraumbezauberung musste er mit den Händen nehmen und sich umhängen, da sie gegen die meisten Bewegungszauber abgesichert war, gegen alle bis auf jenen, den er von einem Kollegen aus dem 18. Jahrhhundert erlernt hatte, dem er heute wohl gerne dankend auf die Schultern klopfen würde, dass dieser Zauber wahrhaftig funktionierte. Er fühlte ein wildes Ruckeln in seinem Unterleib, als wollten seine Gedärme sich mit Gewalt aus ihrer angestammten Anordnung lösen. Doch er ignorierte das, besser, er nahm es als notwendige Begleiterscheinung hin, als bekannte, wegen der Gesamtvorteile zunächst einmal vernachlässigbare Nebenwirkung.
Nun sang er das Hochzeitslied von Mensch und Wind leise mit körperlich hörbarer Stimme, wobei er nicht nur wie vorhin bei bestimmten Silben ein- und ausatmete, sondern jetzt auch den Zauberstab in vorgegebene Richtungen auspendelte. Diesmal umfloss ihn der laue Luftwirbel stärker und schien sogar die unmittelbare Umgebung anzurühren. Er hatte jetzt genau einen Zwölfteltag zeit, um zu tun, was er tun musste. Mit lautem Grummeln meldete sich sein Magen wieder. Sollte er zuerst essen, damit dieses Hungergefühl weg war? Am Ende passierte ihm das, was seine Kollegen für einen Fall wie ihn schon ausführlich dokumentiert hatten. Er würde zu einem vom wilden Hunger getriebenen Berserker, der ohne Sinn für Gefahr allem nachjagte, was essbar war und dabei alles und jeden aus dem Weg stoßen, was immer ihn davon abhalten wollte. Doch er hatte vorgesorgt. Er griff an seine Vielraumumhängetasche und dachte an etwas rosarotes. Die Tasche vibrierte kurz. Schnell öffnete er sie und fischte mit Daumen und Zeigefinger etwas aus dem Innenraum, einen eingewickelten Sättigungskeks. Dieses Zaubergebäck war genial, wenn jemand einen Tag lang kein übliches Essen bekommen konnte. Er riss die Verpackung auf und mampfte den Keks in nur zehn schnellen Bissen weg. Er fühlte, wie dessen für einen Tag vorhaltende Sättigung einsetzte. Aber er würde wohl weniger als einen Tag haben, bis er wieder Hunger fühlte, wusste er. Im Moment war er in einer ähnlichen Lage wie Minister Dime es wohl gerade war, nur dass er genau gewusst und gewollt hatte, was gerade mit ihm vorging.
Die Erfahrung mit den Hauselfen und ihrem Betäubungsgas hatten ihn gelehrt, dass er von alchemistischen Mitteln immer noch betroffen werden konnte. Deshalb erschuf er um seinen Kopf die schützende Blase, in der er immer frische Luft atmete, ob unter Wasser oder in giftigem Rauch oder großen Höhen. Der Kopfblasenzauber hielt normalerweise vor, bis sein Verwender einschlief oder ihn selbst aufhob oder ein anderer Zauberkundiger das tat. Doch Silvester Partridge ging davon aus, dass seine Kopfblase vielleicht nur die Zeit vorhielt, die sein Lied der Hochzeit zwischen Mensch und Wind bestehen würde. Das war eben einer der Nachteile seiner ganz persönlichen Schutzvorkehrung.
Da er davon ausging, dass er nicht disapparieren konnte und das von ihm angestimmte alte Lied bei jedem willentlichen Appariervorgang seine Wirkung verlor, untersuchte er mit Hilfe seiner neuen Brille die Tür. Ja, da war ein für ihn dunkelrot pulsierender Fleck, der bei näherem Hinsehen wie ein Schlüssel mit langem Bart aussah, eine magische Türverriegelung, die nur von darauf abgestimmten Wesen oder Gegenzaubern aufgehoben werden konnte und von der Natur her ein Fluch sein musste, der jeden Ausbruchsversuch grausam bestrafte. Wenn das ein Verschließungsfluch war, dann war er gleich frei, dachte Silvester Partridge grinsend.
Wie bei Minister Dime und den Vertragspergamenten raunte er halblaut die Formel, von der er glaubte, dass sie keiner außer ihm und vielleicht die ominösen Kinder Ashtarias noch kennen mochten. "Angarte Kasanballan Iandasu Janasar!"
Wie ein Vorhang aus Silbernem Licht wogte es für eine halbe Sekunde vor der Tür. Dann löste sich die Tür einfach in Nichts auf. Spätestens jetzt, so vermutete Silvester Partridge, mochte irgendwo in diesem Versteck ein Meldezauber losgehen. Doch für ihn war im Moment der Weg frei.
Eingehüllt in den immer noch um ihn kreisenden Luftwirbel eilte Silvester Partridge auf einen Gang hinaus. Leuchtkristallsphären hingen von der steinernen Decke herunter. Er sah sogleich, dass er aus einem von vier Räumen herausgetreten war. Über der nun Türblattlosen Türöffnung hing ein Schild: "Gastunterbringungsraum 3". Silvester verzog das Gesicht über diese zynische Bezeichnung dessen, was für ihn eine Gefängniszelle war. Jetzt aber wollte er zusehen, aus dem ganzen Gefängnis freizukommen. Er überlegte kurz, ob das von ihm gesungene Lied auch den Rückgriff auf das überstand, was seine Wächter ihm unfreiwillig mitgegeben hatten. Dann fiel ihm wieder ein, dass der Zauber sich an seinen Körper und seine Gedanken angeheftet hatte, mit seiner Lebensaura verschmolzen war und ihn für alle Außenstehenden unbemerkbar wie leere Luft erscheinen ließen, solange kein anderes Lebewesen länger als zwei Atemzüge in diesen Wirkungsbereich eindrang oder von ihm diese Zeitspanne lang berührt wurde.
Er lief den Gang entlang und sah durch seine Wunderbrille, die offenbar jede Untersuchung überstanden hatte, wo weitere Meldezauber waren, ja erkannte sogar Barrieren aus scheinbar vibrierenden, rot-blau flirrenden Quergattern, wie aus reiner Zauberkraft geschreinerte Zaunlatten. Er behob eines der Hindernisse mit dem Übelwender. Jetzt konnte er tatsächlich ein wildes Wimmern hören, das aus großer Ferne erklang. Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn er einfach so alle Hindernisse hätte aus dem Weg zaubern können, dachte der Heiler von Viento del Sol.
Als ihn unvermittelt aus der Decke grünes Licht umfloss und auf der Stelle festhielt und er meinte, sich in schimmerndem Nebel windende Pflanzenranken zu sehen, fühlte er, wie etwas in seinem Unterleib pulsierte. Er fühlte, wie die ihn einschnürenden Leuchtranken an Kraft verloren, wobei sie regelrecht von seinem Körper eingesaugt wurden. Also schluckte seine gewisse Vorkehrung auch den Zauber, gegen den die Ministeriumsleute bei ihrem Sturm auf das chilenische Versteck von Vita Magica nur sehr schwer angekommen waren und einigen magischen Materialaufwand hatten betreiben müssen.
Noch hielt die Kraft des Hochzeitsliedes von Mensch und Wind. Zu dieser nutzte er nun auch jene uralte Fertigkeit, die ihn Vicesimas Erinnerungsabsaug- und Umformungshaube hatte überstehen lassen, das Lied des inneren Friedens, einen von sechs rein gutartig ausgerichteten Zaubern aus dem versunkenen Reich, die sein Urahn Valerius seinen Erben durch alle Jahrhunderte weitergegeben hatte.
Rosarote Wolken trafen auf ihn und umflossen ihn. Amatas Ruhestatt. Doch gegen das Lied des inneren Friedens kam dieser Einlullungszauber nicht an. Das war Partridges persönlicher Vorkehrung jedoch unwichtig. Wieder fühlte er, wie etwas in ihm pulsierte und dabei immer stärker oder größer wurde, bis die letzten Fetzen der rosaroten Wolken ganz und gar in ihm verschwunden waren. Partridge wusste, dass er diesen Zauber jetzt wortwörtlich im Bauch hatte und daraus freisetzen konnte, wenn er eine bestimmte Handlung an sich vornahm. Doch das konnte noch warten.
"Er hörte eine plärrende Kleinjungenstimme aus dem Gang hinter sich: "Das gibt's nicht! Der Kerl ist getürmt! Großalarm!"
Jetzt tröteten unnd schepperten weitere Meldevorrichtungen los, und Silvester konnte über den Gang zuckende Blitze sehen, von denen er nicht wusste, ob er die nur wegen seiner Brille sah oder sie auch für unbebrillte Augen sichtbar waren.
Vor ihm tauchten vier Babykopfträger in blauen und rosaroten Strampelanzügen auf. Silvester hielt seinen Zauberstab fest in der Handund dachte an das Gesicht und den Namen seines Sohnes Oberon Calliban Partridge, hörte sein fröhliches Lachen und fühlte, wie es ihm Wärme gab. Ja, die zweite von ihm vorgenommene Vorkehrung wirkte noch, auch wenn sie sicher nicht den vollen Monat vorhielt, wie er es ohne die andere, ihn gerade durch einen weiteren Fangzauber dringende Vorkehrung tat.
"Der muss im Gang sein. Notfallorder vier!" schrillte eines der männlichen Pseudoriesenbabys. Silvester drückte sich an die Wand, als er sah, wie seine Gegner jene goldenen Vorrichtungen freizogen, von denen er von der Kollegin aus dem Ministerium gehört hatte. Doch die Babykopf-Banditen machten keine Anstalten, ihn damit anzugreifen. Den Grund konnte er erkennen, weil der innerhalb des um ihn kreisenden Luftwirbels gräuliche Dunstfetzen wabern sehen konnte. Er vermutete einen weiteren Schlafgasangriff. Offenbar waren die vor ihm lauernden Widersacher genauso dagegen abgesichert wie er. Denn keiner von denen taumelte oder machte irgendwelche Bewegungen, die auf eine Gasattacke hinwiesen.
Einer von denen hielt neben seiner goldenen Infanticorpore-Waffe einen Gegenstand aus bläulich glimmendem Material in der Hand, der wie ein Pinsel mit besonders langen, aus vibrierendem Draht bestehenden Haaren aussah. Der Gegenspieler im blauen Strampelanzug bewegte die Lippen. Doch Silvester konnte kein Wort hören. Offenbar hatten diese Leute sich auf eine Art Vocamicus-Zauber eingestimmt, der gesagte Worte nur für die hörbar machte, die in den Zauber einbezogen wurden. So konnten sie sich natürlich für ihn unhörbar absprechen, ohne andauernd angestrengt zu mentiloquieren. Das Ergebnis dieser unhörbaren Unterredung bekam er jedoch unverzüglich mit.
Die Widersacher postierten sich so, dass sie leicht versetzt einander gegenüberstanden und zielten mit ihren goldenen Apparaturen so, dass was immer damit ausgelöst wurde zwischen den Gegenüberstehenden hindurchging. Auf ein für Silvester nicht bemerkbares Signal hin entließen die zwanzig Widersacher goldene Lichtstrahlen, die für eine volle Sekunde ein knapp über dem Boden verlaufendes Gitter bildeten. Einer der Lichtstrahlen traf Silvester am rechten Bein. Er sah für einen Moment, wie er von goldenem Licht umhüllt wurde. Doch dieses Licht erlosch nach nur einer Zehntelsekunde wieder. Dabei fühlte er jedoch, wie sein Unterbauch sich kurz aufblähte und dann zusammenzog. Offenbar hatte seine ganz geheime Vorkehrung versucht, die volle Kraft des auftreffenden Zaubers zu schlucken. Doch der Zauber war bereits an der Körperoberfläche erloschen, weil Silvester Partridge noch am letzten Abend das Lied vom Licht der Beständigkeit sooft gesungen hatte, wie es Mondmonate im Jahr gab.
Allerdings hatte der abgewehrte Zauber Silvesters Standort verraten. Sofort setzten sich die ihm nächsten Gegner in Bewegung, um ihn einzukreisen.
"Jetzt doch das kleine Geschenk der vier Banditen", dachte Silvester, als mehrere dieser goldenen Schussvorrichtungen auf seinen ungefähren Standort eingeschwenkt wurden. Er piekte sich mit dem Zauberstab genau in den Bauchnabel und dachte "Iovis!" Er fühlte, wie er von einem starken Stoß durch den Körper erschüttert wurde und merkte, dass etwas in ihm wild aufbegehrte. Dann dachte er mit immer noch in seinen Nabel pieksenden Zauberstab: "Beschleunigung freisetzen!" Etwas in ihm zog sich sehr deutlich spürbar zusammen wie eine sich anspannende Sprungfeder und entspannte sich noch ruckartiger, so dass Silvester Partridge förmlich in die Luft sprang. dann sah er, wie seine Widersacher schlagartig auf ein Achtel der üblichen Geschwindigkeit verlangsamt wurden und sah mit gewisser Faszination, wie die nächsten ihm geltenden goldenen Lichtstrahlen mit auf- und abwogenden Bewegungen auf ihn zueilten, gerade so, dass er unter den meisten von ihnen wegtauchen konnte. Der eine Strahl, der ihn doch noch am Schopf streifte erlosch sofort wieder. Silvester rannte los. Um sich hörte er ein leises Heulen wie Sturmwind, der von außen unter dem Dachrand wütet und durch die feinsten Ritzen drängt. Sein Schutz gegen Entdeckung wechselwirkte also mit der üblichen Umgebungsluft. Aber der von ihm beschworene Luftwirbel blieb bestehen.
Mit dem nötigen Quantum Unverfrorenheit schlüpfte Silvester zwischen den zwei ihm nächsten Gegenspielern hindurch. Dabei pflückte er wie beiläufig eine der goldenen Abschussvorrichtungen aus den Händen eines Mannes im blauen Strampelanzug mit rosaroter Babykopf-Vollmaske. Sollte er dieses verflixte Ding mal gegen einen seiner Gegner ausprobieren? Doch im Moment war eine gelingende Flucht wichtiger als ein Experiment, ob er das Ding bedienen konnte.
Er sah eine grün-blaue Lichtwolke auf sich zujagen und ihn einschließen. Sofort meinte er, sich nicht mehr von der Stelle bewegen zu können. Doch dann erzitterte sein Gedärm, dass er meinte, es weithin brummen zu hören. Die ihn umschließende Lichtwolke bekam immer größere Lücken, bis er durch eine davon hindurchschlüpfte und den noch bestehenden Lichtfetzen mit dem eigenen Bauch berührte und so in sich einsog. Immer mehr der aus der Gesamtwolke gelösten Lichtfetzen schwirrten auf ihn zu und drangen in ihn ein. Jedesmal fühlte er Pumpbewegungen in seinem Unterleib. Die wurden immer stärker. Da wusste er zum einen, was ihn hatte treffen sollenund zum anderen, dass er wohl weniger Zeit haben würde, als er meinte, wenn diese Leute diesen besonderen Zauber nun in allen Gängen ausdehnten, um sicherzustellen, dass er nicht mehr vorankam. Die hatten jenen Festhaltezauber benutz, mit dem sowohl Julius Latierre, Gérard Dumas als auch die Einsatzgruppe gegen Lord Vengor alias Hagen Wallenkron an einer Verfolgung oder freiem Flug gehindert wurden. Doch er trug den offenbar ultimativen Alle-Zauber-Schlucker in sich. Und je mehr der an fremder Zauberkraft in sich aufnahm, desto größer und gieriger würde der werden. Silvester erkannte, dass er die Auswirkungen seiner besonderen Vorkehrungen nicht ganz korrekt vorhergesehen hatte. Er war von ein paar direkten Angriffszaubern ausgegangen. Doch mit dem stationären Fesselzauber hätte er auch rechnen müssen. Das mochte sich nun rächen. Denn so würde es für ihn bald sehr schwierig und vor allem lebensbedrohlich werden, was er getan hatte. In ihm pulsierte das, was Muggel eine Zeitbombe nannten. Und er wollte sich nicht ausmalen, was geschah, wenn diese explodierte.
"Ich muss mit dem Minister hier raus, irgendwie! Dieser Portschlüsselrückhaltezauber, wo kann der sein?" dachte Partridge.
In ihm pumpte und wand sich das, was er sich freiwillig zugeführt hatte, um gegen fremde Zauber geschützt zu sein. Doch er fühlte, wie es seine Eingeweide immer stärker zusammenstauchte oder anspannte. Sicher mochte seine Vorkehrung jetzt auch direkt in seinen Geist zielende Hungergefühle auslösen, sich noch mehr von fremden Zaubern treffen zu lassen oder feste Nahrung zu suchen. Nur sein Lied des inneren Friedens bewahrte ihn noch davor. Das war eine der Gefahren, der sich jemand aussetzte, der jene Vorkehrung traf, die Silvester an sich vorgenommen hatte. Er wusste, dass jeder andere Mensch jetzt Höllenqualen zu erleiden hätte und zu dem noch von einem überstarken drang getrieben würde, sich möglichst schnell starken Zaubern auszusetzen oder die nächste wahrnehmbare Nahrungsquelle zu erreichen.
Silvester Partridge schaffte es, aus der ihn bestürmenden Lichtwolke freizukommen. Im Moment kam keine neue Zauberkraft nach. Sein Innenleben beruhigte sich ein wenig. Womöglich war es auch erst einmal satt. Doch so würde es wohl nur wenige Minuten lang bleiben.
Partridge wusste, dass er unter dem Schutz des Liedes des inneren Friedens jenen geistigen Suchzauber nur unter vierfacher Anstrengung wie üblich machen konnte, um Minister Dime beziehungsweise seine derzeitige Erscheinungsform, zu finden. Zumindest hatte ihm diese Mater Vicesima verraten, dass Dime zu einer Hexe geworden war, die eines der beiden Kinder Phoebe Gildforks weitertrug. Vielleicht sollte er auch ohne ihn fliehen, wenn er herausfand, wie diese Portschlüsseleinfang und -fesselungsvorrichtung zumindest lange genug lahmgelegt werden konnte, damit er einen eigenen Portschlüssel machen und sich damit absetzen konnte. Andererseits hatte er den Minister in diese unangenehme Lage versetzt, auch wenn es für diesen ziemlich sicher der Tausch eines größeren gegen ein kleineres Übel sein musste. Also musste er ihn finden und dann zusehen, mit ihm zusammen zu verschwinden.
Als er sich kurz umsah erkannte er, wie sich hinter ihm eine neuerliche Lichtwolke bildete. Er lief schnell weiter vorwärts, um nicht erneut eingehüllt zu werden und bog schnell in einen Seitengang ab. Hier erwartete ihn kein Fang- oder Überwältigungszauber. Er ging davon aus, dass sein Lied des inneren Friedens die Abschirmung gegen Ortungszauber vervollständigt hatte und die jetzt keine Ahnung mehr hatten, wo genau er hingelaufen war. Das Alarmwimmern, dass er vorher noch gehört hatte, klang für seine auf achtfache Geschwindigkeit beschleunigten Sinne nun wie ein in der Tonhöhe auf- und absteigender Dauerton von drei halbtonversetzt geblasenen Posaunen. Für einen Musikliebhaber klang das nicht erbaulich. Dann klang noch sowas wie ein leicht ramponierter Gong, dessen Ton sich alle zwei für ihn gerade gültigen Sekunden wiederholte. Noch ein Alarm? Womöglich war das jetzt der Generalalarm der Niederlassung, dass der so sicher geblaubte Gefangene sich seinen Bewachern entzogen hatte und nun wohl alle Zugänge versperrt wurden, damit er nicht fliehen konnte.
Eileithyia Greensporn sah den kleinwüchsigen, rotgesichtigen Zauberer an, den ein Hauch von Tierdung umwehte wie einen redlichen Stallknecht nach getaner Arbeit. "Eileithyia, ich bin deshalb sofort zu dir hin, weil das nicht zu lange warten darf. Wir haben einen Fehlbestand in der Gemeinschaftszoothek in Kalifornien. Uns fehlt eine in Ruhestadium gehaltene Larve von Cyanotaenia incantivora. Du weißt sicher, dass wir in Kalifornien die letzten vier Larvenstadien der letzten Epidemie vor hundert Jahren aufbewahren."
""Was?!" stieß Eileithyia mit einer Mischung aus Schreck und Verärgerung aus. "Seit wann ist der Fehlbestand bekannt?"
"Haben meine Leute erst heute Mittag festgestellt, weil du ja angeordnet hast, dass nach allen Hinweisen auf Tätigkeiten des Kollegen Partridge geforscht werden soll. Dabei kam raus, dass er vor drei Tagen ja auch bei uns war, um Extrakte von Purpurschnecken und anderen Zaubertieren zu erwerben. Der muss dabei auch bei den gesicherten Beständen von aufbewahrten Parasiten gewesen sein. Wie das möglich war wird noch geklärt. Feststeht nur, dass er wohl ein Exemplar dieser ziemlich üblen Art entwendet hat."
"Das darf doch nicht wahr sein", entrüstete sich Eileithyia Greensporn. Sie erinnerte sich an jene unheilvollen Tage im Jahre 1903, wo sie erst seit zwei Jahren vollaprobierte Heilerin war,, hatte mithelfen müssen, eine Epidemie dieser seltenen aus den südostasiatischen Tropen stammenden Art von nur Zaubertiere und magische Menschen befallenden Parasiten zu bekämpfen. Immerhin war das mit dem neuen Ausspülungselixier und genug Schlafgas möglich gewesen, die frühen Stadien des Befalles zu kurieren. Aber die Erstpatienten, die den Parasiten aus Südostasien in die Staaten eingeschleppt hatten, wurden erst gefunden, als der Parasit bereits so groß und mit seinem Wirt verwachsen war, dass er wie ein kopf- und gliederloser Fötus den Bauchraum der ansonsten lebendig skelettiert wirkenden beiden Zauberer aufgetrieben hatte. Wenn Silvester Partridge eine der vier für weiterführende Forschungen zur Prophylaxe gesicherten Larvenstadien entwendet haben sollte ... "Wenn ich den noch mal vor die Augen und vor den Zauberstab kriege ..." zischte Eileithyia. Dann war ihr klar, was Silvester Partridge getrieben hatte, diese unerlaubte "Entnahme" zu begehen.
"Womöglich kriege ich heute noch Bescheid, dass der Kollege das vor neunzig Jahren entwickelte Inhibitorelixier gegen diesen Parasiten beschafft oder die nötigen Zutaten dafür zusammengetragen hat, um seine Familie vor dem Befall zu schützen. Ich hoffe das zumindest. Jedenfalls werde ich sofort die Kollegen in VDS anweisen, seine Angehörigen zu untersuchen. Und wehe ihm, da ist auch nur einer bei, den diese Biester erwischt haben ..."
"Moment mal. Der hat sich doch nicht etwaa die Larve selbst ... Öhm, neh, hat der doch nicht, oder?" Erwiderte Heilmagier Ignatius Bluecotton. Sein hochrotes Gesicht war auf einen Schlag kreidebleich geworden.
"Das muss noch geklärt werden", grummelte Eileithyia. Dann fragte sie sich selbst, welche Aussichtslosigkeit den bisher so disziplinierten und auch einfühlsamen Heiler dazu gedrängt haben mochte, sich auf sowas einzulassen. Sicher war, dass er wohl seine angeborene Schmerzunempfindlichkeit ausnutzte. Aber das war zum feuerroten Donnervogel keine Entschuldigung dafür, falls er sich wirklich selbst diese hartnäckige Kreatur im eigenen Körper herangezüchtet hatte, nur um deren externe Zauberkraft aufsaugende Kraft zu nutzen.
"Öhm, sollen wir allgemeinen Gesundheitsnotstand verkünden? Am Ende hat der Kollege ganz unbeabsichtigt eine neue Epidemie ausgelöst", merkte Ignatius Bluecotton an.
"Zumindest halte ich den Kollegen für kundig und gewissenhaft genug, dass er vorgesorgt hat, dass es keine Epidemie gibt. Aber was unbedingt geklärt werden muss ist, wie er unbemerkt an die aufbewahrten Larben kommen und eine davon mitnehmen konnte, wo gerade die gefährlichen Wirbellosen und Endoparasiten von zusätzlichen Einschließungs-und Diebstahlschutzzaubern eingeschlossen sind."
"Öhm, Incantivacuum-Kristalle?" fragte Bluecotton.
"Sollte das jetzt eine Vermutung oder eine freche Antwort sein, junger Mann? Falls erstes, dann hätte deine Zoothekverwaltung aber sehr tief geschlafen, wenn da mal eben eine derartige Magieaufhebung stattgefunden hätte. Zweites verbitte ich mir. Immerhin verdanken dein Großvater mütterlicherseits, deine Mutter und du mir, dass ihr alle drei gut auf die Welt gelangt seit. Da muss ich mir bestimmt keineFrechheiten zumuten lassen."
"Das war eine Vermutung. Aber du hast recht. Das hätte erstens mehr von den gefährlichen Kreaturen befreit oder gleich abgetötet und zweitens einen Alarm wegen Unterbrechung von magischen Sicherungen ausgelöst. Wir kriegen das raus, wie der das gemacht hat. Aber die Frage ist doch, warum er das gemacht hat."
"Weil er für eine nur ihm bekannte oder ihm selbst nicht gewisse Zeit sowohl gegen schwache bis mittelstarke Fremdbezauberungen immunisiert sein wollte und zugleich die Nebenwirkung ausnutzen wollte, ein ausreichend weit entwickeltes Individuum als eine Art inneren Zauberstab zu benutzen, weil die dabei freigesetzten Schmerzwellen ihm selbst nicht zusetzen. Silvester Partridge hätte, vorausgesetzt er hat sich diese Larve freiwillig in den eigenen Körper getrieben, einen von keiner Sonde und keinem Zauber auffindbaren Zauberkraftverstärker dabei gehabt, mit dem er für eine gewisse Zeit ohne eigenen Zauberstab zaubern kann."
"Stimmt, das war ja auch einer der Gründe, warum Selma Goldsand damals darauf bestanden hat, den in ihrem Gedärm habitierenden Parasiten nicht entfernen zu lassen, bis unsere Kollegen sie doch mit genug Schlafgas ruhig genug stellen konnten, um das Exemplar und jede von ihm erbrütete Larve abzutöten. Offenbar kann jemand mit genug Schmerzunterdrückungstränken wunderbar mit diesem Schmarotzer im Leib leben."
"Ja, ich weiß, und ich selbst musste der guten Dame damals sagen, dass es schon einen Unterschied macht, wenn eine Hexe auf ein Kind wartet oder unter den Auswirkungen eines exotischen Parasiten zu leiden hat. Offenbar machen diese Geschöpfe ihre Wirte von sich abhängig, bis sie genug Larven erbrütet haben, um ihren Fortbestand zu sichern. Ich werde mich über dieses Gewürm noch mal genauer informieren", knurrte Eileithyia und legte nach: "Als wenn ich wegen dieser VM-Banditen nicht schon genug zu tun hätte. Öhm, Ignatius, das bleibt erstmal in deiner Abteilung und bei mir, dass da eine Larve von Cyanotaenia incantivora verschwunden ist. Wir haben echt schon mehr als Genug Ärger um die Ohren wegen des nachgewiesenen Einhaltegases und Savannas Mitteilsamkeitsbedürfnis."
"Deshalb bin ich ja gleich zu dir und nur dir hin. Wenn du Alarm geben willst kein Problem. Wir haben genug von der Ausspülungslösung vorrätig und auch von dem Larventodelixier", sagte Bluecotton, dessen Gesicht gerade erst wieder seine natürliche Farbe wiederfand.
"Wollen wir hoffen, dass wir nichts davon werden nachbrauen müssen", grummelte Eileithyia Greensporn.
Phoebe Gildfork verwünschte den Umstand, dass sie keinen sorgfältigeren Schutz für Chroesus Dime getroffen hatte, um ihn und damit sich vor Partridges verdammenswürdigem Zauber zu bewahren. Als ihr dann noch gesagt wurde, dass sie solange hierbleiben müsse, bis der hohe Rat des Lebens befunden hätte, was genau mit ihr zu tun war, musste sie erst einen inneren Wutanfall überstehen. Am Ende konnte sie nach der Geburt des einen noch in ihr wachsenden Kindes mit diesem zusammen neben Partridge und wem sonst noch in einem Schlafsaal für Säuglinge neu aufwachsen. Wenn sie Glück hatte würde sie bei der Rückverjüngung ihre ganzen Erinnerungen einbüßen. Doch das würde ihren bisher so sicher geglaubten Verbündeten übel bekommen. Also würde es ihr wohl passieren, dass sie die zweite Säuglingszeit, die Kleinmädchenjahre und die Reife zur erwachsenen Frau mit allem nochmals erlebte, was sie bisher in ihr Gedächtnis aufgenommen hatte. Nein, diese Demütigung wollte und würde sie sich nicht antun lassen. Sie wollte nicht auf die Gnade von Vita Magica hoffen. So verfiel sie in eine entspanntere Haltung und konzentrierte sich auf ihre Doppelgängerin. Ja, jetzt fühlte sie, wie zwischen ihrem Geist und der verdoppelten Persönlichkeit die Gedankenströme flossen. Selbst die Melosperre in der Niederlassung konnte diese Verbindung nicht unterbinden. Dann sah sie sich selbst im üppig eingerichteten Salon ihres pompösen Landhauses im Sessel sitzen, obwohl sie doch gerade irgendwo anders auf der Welt in einem kleinen Raum mit einer schmalen Bettstatt auf einem für sie viel zu schmalem und hartem Stuhl saß. Da wusste sie, dass die Verbindung zu ihrer von Bokanowski erbrüteten Doppelgängerin vollendet war. "Melderuf Blaue Morgensonne", dachte sie. Dann konzentrierte sie sich darauf, den Körper ihres Ebenbildes wie den eigenen zu benutzen. Sie rief mit der Stimme der Doppelgängerin: "Morty, Tipsy, Rookie und Ronny, zu meinem Original hin, aber nicht direkt da, wo es ist, sondern gleichmäßig in die Räume eindringen, die darum herumliegen! Atemschutz und Eigentarnung. Sucht nach starken Zauberkraftquellen und wendet die Kristalle an. Witty und Ronny, sobald die anderen weg sind zehn Sekunden warten und dann zu meinem Original und dem gerade wie ich aussehenden Minister hin. Hol mich und den da raus wo wir sind!"
"Verstanden, Herrin", bestätigten alle genannten Hauselfen im Chor.
Phoebe hörte noch, wie die Elfen bestätigten. Sie dachte jene Worte, die die Gedankenverbindung zu ihrer künstlichen Doppelgängerin aufrechterhielten. An dieser Verbindung entlang konnten die aufgerufenen Elfen zu ihrer Herrin hinüberwechseln, ohne dass sie sie laut rufen musste, wie es sonst üblich war, um an jedem Ort der Welt die zugeteilten und magisch gebundenen Hausdiener bei sich erscheinen zu lassen. Wer nicht so blöd war, ein Kleidungsstück an einen Elfen abzugeben hatte sein oder ihr Leben lang einen sehr mächtigen aber auch höchst unterwürfigen Helfer zur Verfügung.
"Der hat es geschafft, den Schockzauber abzuschütteln, den Captimurus-Fluch vor der Tür zu überwinden und sich gegen drei der stärksten Fangzauber behauptet. Außerdem hat er wohl eine Form von Unauffindbarkeitszauber aufgerufen, um nicht mal von meinen Lebensquellenüberwachungszaubern in den Wänden erfasst zu werden", stöhnte Perdy, als seine beiden Mitstreiter Mater Vicesima und Pater Duodecimus Occidentalis die ihm zugeflogene Alarmbotschaft gelesen hatten. "Wie kann der sowas? Ich habe in jeden Raum drei sich ergänzende Wach -und Rückhaltezauber eingewirkt. Kommt der etwa von Luna V?"
"Von welchem fünften Mond bitte?" fragte Mater Undecima Borealis. Mater Vicesima stöhnte angenervt. Denn sie hatte da so eine gewisse Ahnung.
"Ein angebliches Hochsicherheitsgefängnis auf dem Mond eines nun ja, rein fiktiven Planeten. Die dort einsitzenden Gefangenen waren eigentlich nur die Veteranen eines beendeten Krieges, die dort einsaßen, weil sie zu schier unbesiegbaren Supersoldaten umgewandelt wurden und ... Gut, ich erkenne, dass das im Moment nicht wirklich wichtig ist", grummelte Perdy und sah Mater Vicesima abbittend an, weil sie so verdrossen dreinschaute. Da lächelte sie auch schon wieder.
"Öhm, gehörte zu diesem Umwandlungsvorgehen auch eine Form von Unsichtbarkeit?" fragte Pater Duodecimus Occidentalis. Perdy nickte und erwähnte, dass diese rein erdichteten Kriegsveteranen nicht von Fernerfassungsgeräten erkannt und überwacht werden konnten. Dazu waren die noch superschnell, superstark und gegen viele Arten der Gewalt immun.
"Sollte der wahrhaftig etwas in dieser Richtung mit sich angestellt haben erklärt das auch, wie er die Haube der Erinnerungen überwunden hat", knurrte Mater Vicesima. "Gut, wir müssen ihn festsetzen, irgendwie, und vor allem, am Leben halten, und sei es, dass wir ihm Arme und Beine abtrennen müssen, damit er uns nicht davonlaufen kann. Auf, Perdy, zurück in die Niederlassung!"
Silvester Partridge hatte es geschafft, trotz des in seinen Gedärmen tobenden Aufruhrs konzentriert genug zu bleiben und an weiteren ihm entgegengeschickten Wachen vorbeizuschleichen. Er musste einen Ort finden, wo er mindestens eine halbe Minute in Normaler Zeit hatte. Wenn er wissen wollte, ob der Minister in der Nähe war musste er ihn mit einem Zauber berühren, der eine Art Echo seines Fluchumkehrers hervorrief. Befand sich der Minister nicht in weniger als eintausend Schritten entfernung, so musste Partridge zusehen, wie er aus dem Unterschlupf von Vita Magica entwischen und berichten konnte, was ihm widerfahren war und dass der Minister wohl von diesem verwerflichen Fluch befreit worden war, dem ihn Phoebe Gildfork auferlegt hatte. Doch wollte er wirklich wieder nach VDS zurück, wo er garantiert ein heftiges Donnerwetter von der Heilerzunft zu erwarten hatte? Wenn das alles einen Sinn haben sollte musste er diesen Ritt auf brennendem Besen zu Ende bringen und Meldung machen, sonst konnte er sich gleich ergeben und hinnehmen, was VM sich für ihn ausgedacht hatte. Allerdings beschlich ihn eine gewisse Schadenfreude, wenn die feststellten, dass er sich einen blauen Bandwurm aus Südostasien einverleibt und herangefüttert hatte, der bei Menschen mit gesundem Schmerzempfinden ein quälendes bis tödliches Übel war.
Seine besondere Brille ermöglichte ihm, Barriere- und Meldezauber zu erkennen. Die Meldezauber durchschritt er problemlos, da sein Hochzeitslied von Mensch und Wind alles von ihm abhielt, was ihn für andere erkennbar machte. Die Barrieren standen mit anderen Zaubern in Wechselwirkung. Sie aufzuheben oder ins Gegenteil umzukehren würde wohl die zusetzlichen Zauber auslösen, auch wenn die meisten von denen sicher von Partridges persönlichem Untermieter geschluckt wurden. Er wusste jedoch, dass der tödliche Fluch ihn immer noch umbringen konnte, und er gab sich keinen falschen Hoffnungen hin, dass seine Widersacher ausschließlich darauf ausgingen, ihn lebend zu erwischen. Zu schnell wurde dann beschlossen, den Feind, der nicht zu halten war, zu töten, um die von ihm ausgehende Bedrohung zu beseitigen. Selbst eine Mater Vicesima, die offenbar alles wissen wollte, was er so konnte, mochte sich am Ende damit abfinden, lieber etwas nicht erfahren zu haben, aber dafür einen gefährlichen Gegner losgeworden zu sein.
Von derlei Gedanken begleitet erreichte der Heiler von Viento del Sol immer noch im Schutze seiner Verbergezauber und der ausgeborgten Selbstbeschleunigung einen unblockierten Raum, eine Besenkammer. Nachdem sich Silvester Partridge vergewissert hatte, dass hier auch kein dauerhaft bezauberter Gegenstand lauerte und es auch keine Anzeichen für mechanische oder alchemistische Fallen gab, zog er sich so leise er konnte in die Besenkammer zurück. Er hörte in der Ferne das für ihn posaunenartige Gedröhn des einen Alarmzaubers und den alle zwei Subjektivsekunden tönenden Gongschlag des anderen Alarms. Noch hatten sie ihn nicht abgeschrieben.
Zunächst hob er den Beschleunigungszauber an sich auf, indem er einfach ein erst schnell und dann immer langsamer ausschwingendes Pendel vor dem geistigen Auge behielt. Der in ihm nistende Bandwurm wand und versteifte sich mehrmals spürbar. Doch dann hatte sich Silvester wieder auf die Normalgeschwindigkeit zurückversetzt. Jetzt hörte er den einen Alarm als ständiges Wimmern auf hoher Tonlage und den angeblichen Gong als kleine, jede Viertelsekunde bimmelnde Glocke.
Unvermittelt zitterte die Erde für einen winzigen Moment, und das Alarmgewimmer erstarb mit einem absackenden Pfeifton. Die Alarmglocke bimmelte dafür mit doppelter Geschwindigkeit weiter. Was hatte das zu bedeuten? Hatten sie ihn doch geortet, weil er die Tür geöffnet und hinter sich geschlossen hatte? Er lauschte einige bange Sekunden. Dann sah er eine um sich herum wirbelnde silberne Funkenwolke. Dann war auch die Alarmglocke stumm. Irgendwie hatte er sogar den Eindruck, jetzt ein wenig freier atmen zu können als vorher. Doch das mochte eine Sinnestäuschung sein. Er musste schnell seine Aufgabe erledigen und zusehen, wo der Minister war.
Mit einem Lied, das Lied des wirkenden Heils hieß und das er mit der in umgekehrter Reihenfolge gewisperten Fluchumkehrformel ergänzte, suchte Partridge nach allem, wo vor weniger als einer Erddrehung der Übelwender gewirkt wurde. Er fand einen schwachen Widerhall in der Richtung, aus der er geflüchtet war. Das war die Tür, die er weggezaubert hatte. Eine wesentlich stärkere Rückmeldung bekam er von weiter oben und nach dem ihm vertrauten Zeitabstand etwa hundert Meter entfernt, ein überdeutlicher Hall, wie eine große Glocke, die durch das Läuten einer nur wenige Meter entfernten Glocke zum Schwingen angeregt wurde. Ja, da pulsierte etwas in ähnlicher Weise wie ein menschliches Herz. Als er genauer darauf achtete, meinte er sogar, einen leiseren, doppelt so schnellen Pulsschlag zu hören. Ja, das war eindeutig der von ihm durch den Übelwender in seine eigene, schwangere Schwester verwandelte Zaubereiminister Chroesus Dime. Doch wie sollte er zu ihm hin? Oder sollte er zunächst den sicheren Fluchtweg erkunden oder schaffen? Was nützte es ihm, den Minister in dessen Zustand mit sich herumzuschleppen, wenn sie am Ende in einer Sackgasse standen und hundert VM-Vollstrecker mit ihren goldenen Babymachervorrichtungen auf sie zielten. Sicher würden sie Dime nichts antun, solange der unfreiwillig Phoebe Gildforks Kind trug. Aber ihn würden sie bedenkenlos damit beballern, bis sein Lied des beständigen Lichtes seine Wirkung verlor und er doch in den fragwürdigen Genuss kommen musste, bei diesen Leuten neu aufzuwachsen. Nein, zuerst musste er das Herz dieser Niederlassung finden und genug Verwirrung stiften, ja wenn es ging alle Apparier-und Portschlüsselbeschränkungen aufheben. Dann konnte er den Minister holen und sich endlich absetzen.
Mit einem Lied, das sein Urahne den Aufzeichnungen nach den Kundigen der Erde abgelauscht und niedergeschrieben hatte, sondierte er im Schutze seiner eigenen Vorkehrungen die Umgebung nach einem besonders starken Zauber, der sich als beständiges, alles ausfüllendes Feld darstellte. Tatsächlich fand er sowas. Es war jedoch keine gleichbleibende Kraft, sondern etwas wie eine turmhohe, keine zweihundert Meter entfernt wild kreisende Säule aus Kraft. Für Partridge hörte es sich wie ein Akkord von großen Orgelpfeifen an, wobei er nicht bestimmen konnte, ob es eher ein Dur- oder Mollakkord oder eine der Sonderformen war. Diese turmhohe Säule, die wie ein feststehender Wirbelsturm war, saugte alle gleichartigen Kraftströme zu sich hin. So mochte wohl die Portschlüsselfalle funktionieren, der Minister Sandhearsts Einsatzkommando zum Opfer gefallen war. Wo ihre Kraftquelle zu finden war konnte Partridge jedoch nicht herausfinden. Denn die turmhohe Strudelsäule übertönte alles, was irgendwie mit ihr gleichschwang. Somit stand fest, dass es nicht möglich war, eine bestimmte Kraftquelle zum versiegen zu bringen, zumal Partridge hierfür sowas wie einen Incantivacuum-Kristall hätte haben müssen. Und das hatte er bei aller Vorbereitung dann doch nicht hinbekommen. Sandhearst sollte versucht haben, eine Vorrichtung mit mindestens zwei sich gegenseitig verdrängender Zaubertränke nach Chile zu schicken. Der hatte die ganze Niederlassung dort in die Luft sprengen wollen. Das wollte Silvester Partridge auf gar keinen Fall wiederholen. Doch was musste er machen, um sich und den Minister und womöglich noch andere Gefangenen zu befreien?
Er lauschte immer noch auf die für ihn wie ein hörbarer Akkord klingende Ausprägung der kreisenden Säule. Dann, ohne Vorwarnung, meinte er, einen wie umgekehrter Widerhall klingenden Knall zu hören, der so laut wurde, dass es ihn regelrecht durchschüttelte. Ein Normalempfindungsfähiger hätte jetzt garantiert Kopfschmerzen bekommen, dachte Partridge und hörte, wie etwas wie ein immer leiser werdendes Säuseln aus der Richtung klang, wo er die Säule gefunden hatte. Dann war da nichts mehr, keine Säule aus Magie, aber auch nichts anderes. Hatte jemand diesen Zauber aufgehoben?
Offenbar war was auch immer nicht von den Erschaffern der kreisenden Zauberkraftsäule vorgenommen worden. Denn unverzüglich ging ein Meldezauber los, der aus einem schnell aufsteigenden Ton bestand, der nach einer Pause von einer Sekunde wiederholt wurde. Irgendwoher kannte Silvester diesen Warnton, wenngleich er im Moment nicht darauf kam, woher.
Beinahe hätte er den Zeitpunkt verpasst, an dem sein Lied des inneren Friedens versiegt wäre. Nur ein merkwürdiges Kribbelnunter seiner Schädeldecke warnte ihn noch rechtzeitig, dieses wirksame Gegenmittel gegen geistige Aufspür- und Beeinflussungszauber aufzufrischen. Wenn die ihn jetzt geortet hatten ... Da drang durch die verschlossene Tür nur für ihn sichtbar jene Lichtwolke herein, die mit dem Rückhaltezauber identisch war. Er musste noch einmal versuchen, den Beschleunigungszauber aufzufrischen. Hoffentlich hatte sein kleiner und meistens auch gemeiner Untermieter noch genug davon vorrätig. Der erfasste irgendwie, dass sein Wirt wieder von diesem starken Festhaltezauber betroffen wurde und sog die ihn erreichende Zauberkraft in sich ein. Als Silvester dagegen die Beschleunigungsmagie aus seinem Untermieter herauskitzeln wollte ruckelte und stieß dieser so heftig gegen seine Gedärme, dass sein Unterbauch bedrohlich stark ausgebeult wurde. Ebenso fühlte Silvester, wie dabei ein nicht unerhebliches Quantum Körpergase und Stuhl aus ihm hinausgedrückt wurde. "Na wunderbar", dachte Silvester. Das letzte mal, wo er sich in die Hose gemacht hatte war auch wegen eines Durchfallanfalls und dass schon vor zwanzig Jahren. Er wusste, dass der Wurm seine bereits eingekapselten Larvenstadien im Stuhl abschied. Also musste er das etwas größere Malheur erst einmal restlos beseitigen, um nicht unfreiwillig zum Überträger dieses eigentlich rein parasitischen Körperuntermieters zu werden. So zog er sich schnell alles aus und dankte der noch bestehenden Kopfblase, dass er nicht riechen musste, was er da unter sich gelassen hatte. Ohne großes Federlesen ließ er die Ausscheidung mit einem Feuerstrahl restlos verdampfen und zu Asche werden. Zurück blieben fünf ovale, dunkelblaue Objekte, nur so groß wie einzelne Sonnenblumenkerne, aber ungleich gefährlicher als solche. Zauberfeuer konnte diesen Objekten nichts anhaben. Doch er holte schnell aus seiner Umhängetasche eine winzige Phiole, in die er mit einer Pincette die blauen Kapseln einfüllte. Dann verbrannte er noch seine Unterhose und legte damit noch eine der dunkelblauen Larvenkapseln frei. Diese ließ er ebenso in der Phiole verschwinden. Zynisch dachte er daran, dass er für die eine Kapsel, die er sich selbst einverleibt hatte, sechs neue Kapseln erbrütet hatte. Für die Heilerzunft war das ein Gewinn von fünfhundert Prozent.
Er lauschte, ob jemand draußen seine Feuerzauberei mitbekommen hatte. Doch außer den neuen Warnton, der ihm immer noch bekannt vorkam, war nichts zu hören.
Aus seiner Vielraum-Umhängetasche holte er nach Denken an die Farbe Hellblau einen Satz frischer Unterwäsche und zog sich die frische Unterhose an. Hoffentlich musste er diese Übung nicht noch mal machen, dachte Silvester Partridge.
Wieder piekste er sich in den Bauchnabel und dachte "Iovis!" Dann dachte er wieder: "Beschleunigung freisetzen!" Wieder tobte das, was er sich freiwillig einverleibt hatte, weil es durch den Stromstoßzauber dazu gezwungen wurde, gespeicherte Zauberkraft freizusetzen. Diesmal rächte sich das gliederlose Geschöpf damit, dass es Silvesters Gedärme wild erbeben und sich mal ausdehnen und wieder zusammenziehen ließ. Schnell riss Silvester sich die frische Unterhose vom Hinterteil. Doch diesmal kam kein unverdaulicher Rest seiner letzten Malzeit ans Licht. Es dauerte einige Sekunden, bis sich sein Untermieter beruhigt hatte. Dann versuchte er es erneut. Immerhin gelang die Beschleunigung wieder. Der bisher stetige Warnton von draußen wurde zu einem tiefen, langsam in der Tonhöhe steigenden Ton. Die Pause zwischen den einzelnen Tönen dehnte sich auf acht gefühlte Sekunden.
Als Partridge im Schutze seiner Verberge- und Kopfblasenbezauberungen den Besenschrank verließ sah er zwanzig dieser Babykopfbanditen, darunter auch fünf Hexen in rosaroten Strampelanzügen, die aus drei Richtungen zugleich in den Bereich eindrangen, in dem er sich versteckt hatte. Die hatten sich ganz ohne Zusatzalarm an ihn herangemacht, erkannte er. Damit hatte er Gewissheit, dass selbst für seine Brille unerkennbare Zauber wirkten, die ihn als feindlichen Eindringling erkannten, wenn seine Gedanken frei nach außen wirken konnten. Womöglich hätten sie ihn sogar genau geortet, wenn er nicht rechtzeitig dieses sachte Vibrieren gespürt hätte.
Mit der ihm bisher so treu zur Seite stehenden Unverfrorenheit schlängelte er sich zwischen den ihn suchenden VM-Vollstreckern hindurch. Unterwegs fragte er sich, ob die Kraftsäule wirklich unschädlich gemacht worden war. Wenn ja konnte er jetzt genau zu dem Minister hin und ihn mit einem eigenen Portschlüssel in Sicherheit bringen.
Es hätte so schön sein können, dachte Silvester, als er keine fünfzig Meter von dem vorbestimmten Punkt auf eine den ganzen Gang ausfüllende Barriere traf. Er erkannte sofort, dass sie mit mindestens vier Zaubern verknüpft war. Also musste das, was dahinter lag, ungemein wichtig sein. Doch die Barriere zu durchbrechen war sicher schwierig. Dann sah er noch was, das ihn beinahe in Wut über seine eigene Kurzsichtigkeit ausbrechen ließ.
"Verfluchter Drachenmist! Irgendwer hat genau gewusst, wo er oder sie zuschlagen muss, um das Portschloss mit Incantivacuum-Kristallen zu zerstören! Verteidigungszustand eins! Ich wiederhole, Verteidigungszustand eins!"
"Die Sicherheitszentrale wurde außer Gefecht gesetzt, möglicherweise auch durch IVKs", schnaubte Pater Sixtus Mexicanus, der residente Überwachungszauberer. "Unsere Hauselfensperre war noch nicht eingerichtet, weil die dafür nötigen Basisexemplare noch durch das Ritual mussten. Ich dachte, ihr hättet die dicke Gildfork vertröstet, erst mal abzuwarten."
"Eh, Alfredo, mach mich jetzt bitte nicht auch noch dumm an, weil wir die Hauselfenabsicherung erst nach Phoebes Eintreffen einrichten wollten. Schon schlimm genug, dass unsere Sicherheitszentrale ausgeschaltet wurde und nur noch der Rotalarm läuft. Dann müssen wir eben von hier aus alles leiten. Hier kommt kein Hauself rein, weil ich den für alle Lebewesen geltenden Bann gegen Unbefugte dreifach gewirkt habe. Also hol alle her, die bei uns nicht direkt kämpfen müssen! Die sind alle zugelassen!"
"Ich lasse mir von einem Bengel von zehn Jahren nicht sagen, was ich zu tun habe", begehrte Pater Sixtus Mexicanus auf. Da trat Pater Duodecimus Occidentalis dazu und sagte:
"Willkommen im Heute, Alfredo. Womöglich hast du es noch nicht mitbekommen, dass das hier einer von unseren ältesten Mitstreitern überhaupt ist, der nach gelungener Wiederverjüngung gerade körperliche zehn Jahre voll hat. Also gib Ruhe und mach, was er dir sagt. Unsere Niederlassung steht gerade halb über einem Abgrund voller glühender Lava. Jede unbedachte Bewegung kippt sie ganz hinüber, klar?!"
"Ja. Aber Wieso dieses dämliche Alarmsignal. Wir hatten sonst immer den Katzenjammer und die Feindesglocke."
"Tribut an die Modernen Zeiten, Freddy", erwiderte Perdy. Dann konzentrierte er sich wieder auf seine eigentliche Aufgabe und hoffte, dass die eingedrungenen Hauselfen ihre Mission schon erfüllt hatten. Denn gegen in der Niederlassung herumapparierende Hauselfen halfen auch die Festhaltezauber nichts, weil die Elfen durch reine Gedankenkraft den Standort wechseln konnten, ohne einen Zauberstab benutzen und sich in den Transit hineindrehen zu müssen.
"Frage, Véronique, ist unsere wohlhabende Besucherin noch da wo sie sein soll?" mentiloquierte er seiner großen Mentorin und Weggefährtin.
"Habe ich gerade überprüft. Sie ist weg. Trotz der sofort ausgeblasenen Menge Schlafgas hat sie wohl ein Hauself gefunden und weggetragen. Ich prüfe gerade, ob der verwandelte Minister noch da ist. Moment, bin gleich wieder da. Such du weiter nach Partridge, falls das geht."
"Ich kriege den nicht mehr geortet, nicht durch Körperausstrahlungen, noch durch Feindgedankenwarner", grummelte Perdy, der vor einer hufeisenförmig angeordneten Ansammlung von Messgeräten und anderen Instrumenten stand, die sich auf drei Höhenstufen gliederten. Es tickte, klickte, rasselte, zirpte, blinkte und vibrierte. Links, rechts und vorne waren leuchtende Flächen an den Wänden zu sehen, die Übersichtsdarstellungen der Niederlassung in Südwestmexiko zeigten. Allerdings waren einige Teile dunkel, was hieß, dass die damit verbundenen Überwachungszauber ausgefallen waren. Außerdem stand vor Perdy noch eine kleinere Ausgabe jener von Alastor Moody vor dreißig Jahren erfundenen Vorrichtung, die die Nähe und das Aussehen tatsächlicher Feinde zeigte. Im Moment waren darauf nur der wie eine gemeinsame Tochter von Phoebe Gildfork und Chroesus Dime aussehende Zaubereiminister in einem breiten Sessel und weit entfernte Schatten zu erkennen. Dann tauchten zwei schemenhafte Figuren mit hellblau leuchtenden Augen auf. Das waren die Hauselfen, die unmittelbar bei dem Minister angekommen waren. Doch es dauerte nur drei weitere Sekunden, da verschwanden sie zusammen mit dem verwandelten Minister.
"Die hat es echt gebracht, sich und ihre zeitweilige Zwillingsschwester hier rauszukriegen", stöhnte Perdy.
"Kriegst du das auch mit, dass da jemand einen Suchzauber macht, Perdy?" wollte Mater Vicesima wissen.
"Echt? Was für ein Suchzauber ist das?" wollte Perdy wissen.
"Auf jeden Fall ein hermetischer Zauber, nicht so ein afrikanisches Ritual wie der Blutrufzauber", erwiderte Mater Vicesima."
"Dann ist das dieser Sabberhexensohn. Der sucht den Minister oder Phoebe", knurrte Pater Duodecimus Occidentalis.
"Hoffentlich kriegt der nicht raus, dass wir unser Portschloss verloren haben, verdammtes Weib. Wenn der spitzkriegt, dass unser Schutz gegen unerlaubtes Portschlüsseln weg ist macht der sich locker einen eigenen Portschlüssel hin, wo Fidelius oder genug Feindabwehrflüche wirken, um ihn in Ruhe aussagen zu lassen, was wir für ihn vorgesehen haben. Dann kannst du deiner Familie schon mal mitteilen, dass ihr bald den Staat wechseln dürft", wandte sich Perdy an Pater Duodecimus Occidentalis.
"Ui, da ist er!" rief der äußerlich nur zehn Jahre alte Mitstreiter von Vita Magica aus. Er deutete auf ein durchscheinendes Abbild des Gesuchten auf dem Feindglas. Doch so schnell es aufgetaucht war verschwand es auch wieder. Aber jetzt wussten sie zumindest, wo er war. Denn das mit dem Feindglas abgestimmte Ortsanzeigegerät brachte sofort die entsprechende Ansicht auf die vordere der drei Leuchtwände.
"Na, bin ich gut oder bin ich gut?" wollte Perdy wissen, als er den Besenschrank erkannte und mit einem schnellen Druck auf einen Hebel eine magicomechanische Ortsangabe an seine Leute schickte.
Doch als nach nur einer Minute klar war, dass der Besenschrank und dessen Umgebung leer war musste sich Perdy wieder darauf besinnen, dass sein Gegenspieler sich entweder erst das Portschloss und dann seinen eigenen Portschlüssel vornehmen würde. In jedem Fall beorderte er durch von der Hausüberwachung unabhängige Einzelanrufzauber genug Leute an die Zugänge zum Portschlossraum und vor die Tür, wo der Minister gewesen war. Zumindest konnte Perdy so auch wieder eine brauchbare Klang-Bild-Verbindung einrichten. Leider hatte er wegen des Ausfalls der Sicherheitstruppenzentrale im Moment keinen Zugriff auf die alchemistischen Gegenmaßnahmen. Zu gerne würde er Partridge mit einer Ladung von Mrs. Dizwings süßem Schlummerhonig empfangen. Da würde ihm auch sein exzellenter Verbergezauber nicht gegen helfen. So half im Moment nur Mannstärke. Eine vierzigfache Übermacht war auch durch noch so abgedrehte Zauber nicht mal eben im Vorbeigehen zu kontern.
An die dreißig von diesen Babykopfbanditen standen vor Silvester Partridge. Sie bildeten fünf Reihen, die quer über den Gang verliefen, der hinter der von ihm gesehenen Barriere lag. Sie hielten sich bei den Händen und hatten ihre Füße so gestellt, dass kein erwachsener Mensch dazwischen durchschlüpfen konnte, ohne bei dem einen oder der anderen anzuecken. Sie hatten ihn erwartet und den einzigen Weg gefunden, einen unsichtbaren am Vordringen zu hindern, erkannte Silvester Partridge. Auch wenn er die Barriere da vor sich niederreißen konnte und dadurch keine weiteren Fallen auslöste würden sie ihn sofort zu fassen kriegen, wenn er in die aus diesen Banditen gebildete Barriere hineinlief. Er wollte ja unbedingt den Zaubereiminister befreien. Aber halt, diese magische Säule, die vernichtet worden war. Wenn das die Portschlüsselfalle gewesen war, dann ... Er musste es versuchen.
"Wolltest du nicht noch die schwarze Spinne fragen, ob sie für uns nicht noch ein paar Netze über die Gänge spannt, Kleiner?" fragte Pater Sixtus Mexicanus alias Alfredo Gotaclara.
"Werden Sie nicht frech, junger Mann, oder weil Sie es schon sind, überlegen Sie sich sehr gut, mit wem Sie Streit suchen", erwiderte Perdy. Gerade hatte er die Aufstellung der Truppe koordiniert. Wenn Partridge es echt wagen würde, durch die Barriere zu brechen würden sie ihn auf jeden Fall kriegen.
"Dann sagen Sie mir mal, wann dieses Portschloss wieder in Betrieb gehen kann. Die bösen Elfen der fetten Phoebe haben ja wohl ganze Arbeit geleistet."
"Die Frau will nach dem, das sie gerade hat, sicher noch ein paar neue Kinder haben. Mater Vicesima und ich könnten das arrangieren. Aber ich will dann nicht in Hörweite sein, wenn deine Angetraute das rausfindet, Freddy."
"Nenn mich nicht Freddy. Ich heiße Alfredo Tertio oder für so Pimpfe wie dich Señor Gotaclara oder Pater Sixtus Mexicanus, comprendes?"
"Raus aus meinem Kommandostand!" rief Perdy. Unvermittelt verschwand Alfredo mit lautem Knall aus dem Raum mit den Überwachungsgeräten, die noch nicht den Incantivacuum-Kristallen zum Opfer gefallen waren. "Noch wer, der frische Luft braucht?" fragte Perdy die noch bei ihm stehenden. Doch keinem war offenbar danach, auch so aus dem Kommandoraum verstoßen zu werden. Denn immer noch war das Portschloss außer Kraft und Phoebes Hauselfen apparierten in der Niederlassung herum.
"Perdy, Hilfe!" klang unvermittelt Mater Vicesimas Gedankenstimme in seinem Kopf.
Silvester Partridge umging die nur für ihn sichtbaren Meldezauber und niederen Barrieren. Er merkte sich jedoch gut, in welcher Himmelsrichtung der Raum lag, in den er hineinwollte. In einem Seitengang entschleunigte er sich zunächst einmal. Jetzt klang dieser seltsame Warnton wieder so wie vorhin. War das nicht der Alarmton aus einer Geschichte im Muggelfernsehen? Das musste jetzt auch erst mal egal sein. Wichtiger war, dass er seine Umhängetasche nahm und sich konzentriert einen orangeroten Sonnenaufgang vorstellte. Als das klappte und die Tasche vibrierte öffnete er sie. Jetzt konnte er einige Alltagsgegenstände hervorholen, ein Paar Handschuhe, einen Malpinsel und eine knallrote Marienkäferhaarspange, die seine Tochter Venus als sechsjähriges Mädchen getragen hatte. In der Hoffnung, dass niemand ihn wirklich dabei beobachten konnte, bevor er hinbekam, was er hinbekommen wollte, konzentrierte er sich zuerst auf die Richtung, in die er wollte, den Bereich vor dem Zugang für Heilzunftangehörige des Honestus-Powell-Krankenhauses. Dort wollte er ankommen. So ähnlich lief das beim Apparieren auch. Allerdings kam jetzt der Zauber, dass in einer bestimmten Zeit, bei direkter Berührung oder auf ein bestimmtes AuslöseWort die Versetzung stattfand. Er führte die nötigen Schritte mit der Disziplin eines langjährigen Heilers aus. Dann wählte er eine Minute, wobei er sich ein sechzigmal schwingendes Uhrenpendel vorstellte. Dann murmelte er "Portus!" Die Haarspange glühte kurz blau auf. Dann war sie wie sonst. Danach bezauberte er einen Handschuh so, dass er damit in zwanzig Sekunden hinter die Tür wollte, die er vorhin noch gesehen hatte. Ab jetzt hieß es warten.
Dann endlich setzte die Wirkung seines Handschuh-Portschlüssels ein. Es geschah so plötzlich und dauerte keine Sekunde, dass Silvester nur meinte, nur nach vorne von dem Gang in den anderen Raum hineingerissen worden zu sein. Was er dort vorfand hatte er nicht erwartet.
Mater Vicesima lauerte darauf, dass Silvester Partridge in den Raum eindringen würde, in dem der Minister bis vor zwei Minuten noch gewesen war. Woher Silvester Partridge nun wusste, wo das war würde sie den sicher fragen, falls er sich echt hier hereintraute.
Sie wollte gerade noch eine Statusmeldung von ihren Mitstreitern abfragen, als etwas mit ihr und den beiden anderen passierte, was sie an den Rand der Bewusstlosigkeit trieb.
Perdy versuchte, Mater Vicesima noch mal anzumentiloquieren. Doch das gelang nicht. Also war sie durch eine Melosperre abgeschirmt, bewusstlos oder ... oder sie war tot. Doch das wollte er nicht glauben. Sofort stellte er die Bilddarstellungsansicht der vorderen Leinwand auf die Bezugspunkte des Sondergastraumes 1 ein. Dort befand sich eine für Menschenaugen unsichtbare Bildaufnahmevorrichtung, vergleichbar einer muggelweltmäßigen Fernsehkamera. Als er den ausgewählten Raum sah verzog er das Gesicht.
Gerade erschien Silvester Partridge aus einer Portschlüsselspirale heraus. Er sah sich mit seiner besonderen Brille um. Er riss den Zauberstab hoch und rief "Sensofugato! Das wirkte jedoch nicht auf die dort lauernden Mitstreiterinnen von Vita Magica. Sie griffen ihn mit den Reinitiatoren an. Doch alle goldenen Strahlen gingen durch Partridge hindurch. Der hatte offenbar den Dislocimaginus-Zauber gewirkt und seine wahre Position damit verschleiert.
"Also, wenn ich ein Mädchen wäre wollte ich jetzt spätestens ein Baby von dem", feixte Perdy.
"Dann bohr dir das entsprechende Loch, pump dir zwei dralle Dutteln zurecht und hol ihn dir, bevor der sich wegportschlüsselt", erwiederte Pater Duodecimus Occidentalis.
"Okay, Leute reinportschlüsseln, bevor der sich wegbeamt", stieß Perdy aus. Dann merkte er, dass sein Wortwechsel mit dem Mitstreiter und der Befehl die Zeit gekostet hatten, die Partridge benötigte, um noch einen völlig fremden Zauber zu bringen. Er rief wohl irgendwas, worauf eine Silberflamme aus seinem Zauberstab fuhr, die Decke traf und sich daran ausbreitete, bis über den ganzen Raum verteilt silberne Flammen wie feurige Fallgitter niedersausten. Als die ersten Portschlüssel der vor der Tür lauernden Weggefährten von Perdy und den anderen im Raum auftauchten standen die Einsatztruppler gleich in den Silberflammen. Blaues Licht umflimmerte ihre Körper. Sie konnten sich nicht mehr bewegen, als sei das Licht ein Mantel aus Stein.
"Der macht uns echt noch fertig, dieser Gesundbeter", stieß Pater Duodecimus aus.
Partridge griff in seine Umhangtasche und wollte gerade einen roten Gegenstand hervorholen, als ein orangeroter Feuerball in den Raum hineinplatzte und die Silberflammen regelrecht zur Seite fegte. Dabei wurden auch alle von ihnen eingekeilten zu den Wändenhingedrückt.
Aus dem Feuerball trat eine an die vier Meter große Erscheinung, die ein körperenges Gewand aus einem fließenden, blutroten Material trug. an den Füßen trug sie silberne Sandalen. Die frei sichtbaren Hautpartien glänzten wie pures Gold. Perdy und die anderen sahen sofort, dass die überlebensgroße Erscheinung weiblich gestaltet war. Perdy erstarrte in Unbehagen und Faszination. War die Unbekannte eine Frau mit einer besonderen Haut oder ein magicomechanisches Automaton, was Muggel Roboter oder Androiden nannten? Jedenfalls besaß sie ein lebendig wirkendes Gesicht. Vor allem die großen, apfelgrünen Augen beeindruckten Perdy und wohl nicht nur ihn.
Silvester Partridge sprach die Unbekannte wohl an. Sofort rief Perdy den Mithörzauber für diesen Raum auf und bekam gerade noch die letzten Worte mit. Die Antwort der Fremden hörten sie dann alle zusammen.
Wie nützlich war es doch gewesen, sich nicht nur auf das Lied der Hochzeit zwischen Mensch und Wind zu verlassen. Der Zauber war ja beim Portschlüsselvorgang erloschen. Dafür hatte sein vorsorglich mit dem Dislocimaginus-Zauber belegtes Unterhemd seine Gestalt um zwei Meter weiter rechts und vorne abgebildet, als er angekommen war. So hatte er die ihm geltenden Infanticorpore-Flüche ganz lässig an sich vorbeigehen lassen. Da war ihm eingefallen, dass der Raum vielleicht unter Beobachtung stand. So hatte er den Friedensfeuerzauber gewirkt, der alle ihm böse gesinnten Wesen schwächte, so dass sie ihm nichts tun konnten, sobald sie mit den Flammen in Berührung gerieten. Der Zauber war vergleichbar dem Mondfeuerzauber gegen böse Geisterwesen, wirkte aber auch auf lebende Wesen.
Gerade als er Venus' Haarspange greifen wollte, um den zweiten Portschlüssel abzuwarten war aus einem orangeroten Feuerball diese Gigantin aufgetaucht, die ihn sofort an die Berichte seines Vorfahren denken ließ. Die Zauberschmiede des alten Reiches hatten solche Dienerinnen und Diener aus dauerhaftem Zaubermetall erschaffen. Doch dass diese Wesen den Phönixfeuersprung beherrschten war ihm neu. Auf jeden Fall wusste er jetzt, dass es von den alten Wesen doch noch welche geben musste.
"Stammst du aus dem alten Reich? Warum bist du gekommen?" fragte er in seiner Muttersprache.
"Ich kam, um dich abzuholen, Heilgebender doch unentschlossener Rufer der Kraft", sagte die unbekannte mit einer Stimme so laut und hallend wie eine mittelgroße Bronzeglocke.
"ich bin auf dem Weg in die Freiheit", sagte Partridge und zeigte die Haarspange seiner Tochter vor. Da wischte die Unbekannte mit ihrer linken Hand durch die Luft, und die silbernen Flammen erloschen. Dadurch kamen die erstarrten VM-Angehörigen wieder frei. Doch sie kamen nicht mehr dazu, irgendwas zu unternehmen.
Innerhalb weniger Sekunden drückte die riesenhafte Unbekannte je einem von ihnen die Hand auf den Rücken. Orangerote Blitze zuckten auf. Dann fielen die von ihr berührten schlaff und kraftlos zu boden. Die beiden anderen wollten gerade ihre Zauberstäbe ausrichten, da erwischte sie die Fremde ebenfalls mit ihren Händen. Nach nur einer Sekunde in orangerotem Blitzgewitter sanken die beiden anderen zu Boden. Dann schnellten ihre schlanken, aber kinderkopfgroßen Hände vor und rissen Silvester Partridge nach oben. Dieser fürchtete schon, gleich ebenfalls aller Kraft ledig zu sein. Doch etwas in ihm kämpfte gegen die Schwächung an, jenes eigentlich parasitäre Wesen, das er sich selbst einverleibt hatte. Dennoch fühlte er, dass seine Arme und Beine schwach wurden. Er ließ die Haarspange fallen. Sie rutschte zu Boden. Damit war seine so sichere Fluchtchance dahin, erkannte Partridge. Und noch was erkannte er. die andere hatte sich nicht durch seinen Dislocimaginus-Zauber austricksen lassen.
Zwei weitere Portschlüssel trafen mit je zwei Mitstreitern von Vita Magica ein. Die riesenhafte Unbekannte brauchte die neuen Angreifer nur mit ihren Fingern zu berühren, um ihnen die Kraft zu nehmen. Diesmal reichte es ihr offenbar, sie so sehr zu schwächen, dass sie sich nicht mehr schnell genug bewegen konnten.
Silvester Partridge konnte nichts tun, als die andere sich wieder zu ihm bückte und ihn mit den Händen aufhob. Dann hob sie ihn auf Höhe ihres Gesichtes. Die großen, apfelgrünen Augen blickten ihn sehr entschlossen an. Er sah, dass die Unbekannte nicht atmete. Dennoch wirkte sie sehr lebendig auf ihn. Dann bekam er mit, wie sie mit der Linken Hand mal eben ihr Gewand hochschob und ihren Unterkörper freilegte. Ehe es sich Silvester Partridge versah klappte unter ihm die Bauchdecke der Fremden wie eine Luke nach außen. Er fühlte sich trotz des in ihm wirkenden Zauberkraftverschlingers immer noch zu schwach, um sich zu wehren, als die Unbekannte ihn in nur einer Sekunde den Kopf voran in die Aushöhlung ihres Bauches hineinschob. Er fühlte noch, wie sie seine Beine zu ihm hindrückte und ihn quasi zusammenfaltete. Dann hörte er ein metallisches Klong, gefolgt von einem sehr kurzen Rasseln. Es wurde dunkel um ihn. Er trat mit dem linken Fuß nach hinten und traf auf Widerstand.
"Ich, die von Wahrern des alten Wissens gesandt wurde, diesen Mann vor euch, die ihr nicht für das von ihm gehütete Wissen bestimmt seid, zu verbergen, verkünde euch die Botschaft jener, die mich sandten: "Verlangt nicht nach dem alten Wissen! Es steht euch nicht zu. Tut ihr es dennoch, so wird unsere Abgesandte und die ihr zur Seite gestellten Krieger eure Heimstätten bestürmen und euch gefangensetzen oder töten. Denn wir wissen wer ihr seid. Wir wissen, wo ihr lebt. Wir wissen, was ihr tut. Das alte Wissen ist für euch verboten. Verzichtet also um euer Leben und euer Freiheit Willen darauf!" Das ist die Botschaft. Jetzt gehe ich fort. Ich bin nicht aufzuhalten."
Silvester Partridge fühlte die Bewegung, die ihn in seinem exotischen Gefängnis herumkullerte. Er versuchte noch einmal, die Luke zu öffnen. Doch das gelang nicht. Dann sah er ein orangerotes Leuchten um sich herum.
Perdy und die anderen mussten mit ansehen, wie die überlebensgroße Unbekannte ihre Mitstreiter durch bloße Berührung zu Boden brachte. Perdy fürchtete schon, dass seine Kameraden tot waren. Als er dann sah, wie Silvester Partridge von der riesenhaften Frau aus Gold ergriffen und förmlich von ihr in ihren Bauch hineingestopft wurde wie in einen besonderen Schrank, erschauerte er noch mehr. Dann hörten sie die Botschaft der Unbekannten. Daraufhin verschwand sie einfach in einem zweiten orangeroten Feuerball.
"Ihr habt das auch alle gesehen, oder?" fragte Perdy in die Runde der Anwesenden. Alle nickten verwirrt. "Mater Vicesima hatte recht, dass Partridge über Kenntnisse aus einer anderen Zaubereihochkultur verfügt. Und uns allen hier sollte klar sein, dass wir von den Erben dieser alten Zeit beobachtet werden. Losiras große Schwester hat sicher noch ein paar Schwestern mehr oder den einen oder anderen Bruder. Der Rat soll das klären, wie wir damit umgehen sollen."
"Wer bitte ist Losira?" fragte ein Mitstreiter, dessen Namen Perdy gerade nicht kannte und der auch nicht in der Außeneinsatzverkleidung herumlief.
"Hmm, dauert zu lange, das zu erzählen, zumal es auch nur auf einer erfundenen Geschichte beruht, Leute. Also nicht so wichtig.
Während die anderen Mitstreiter die von der Fremden niedergeworfenen untersuchten und zu Perdys großer Erleichterung feststellten, dass sie nur bewusstlos geworden waren sagte Perdy zu Pater Duodecimus: "Wo immer die Riesenandroidin Partridge hingeschafft hat. Geh mal davon aus, dass wir hier die längste Zeit einen sicheren Stützpunkt hatten."
"Willst du Krach mit Pater Sixtus Mexicanus? Das ist sein Heimatstützpunkt hier. Der hat dir nur erlaubt, deine Überwachungs- und Zusatzzauber zu installieren. Aber wer von seinem Revier Schutz sucht kommt hierher."
"Wir wissen nicht, ob dieses risige Goldmädchen diesen Wunderheiler Partridge wieder rauslässt oder ob Phoebe Gildfork uns wegen Partridges Zauber Ärger macht. Denn Ärger machen kann die uns, wenn wir nicht schleunigst dafür sorgen, dass sie für den Rest der Zaubererwelt tot und begraben ist. Auch wenn Phoebe nicht weiß, wo sie die ganze Zeit war. Die Hauselfen haben ein verflixt gutes Standortgefühl, weil sie neben der Luft und dem Wasser auch gut mit der Erde verbunden sind. Die braucht die nur nach unseren Koordinaten zu fragen, und Buggles beamt uns gleich in einer Stunde seine hundert besten Leute mit allem Zipp und Zapp in diese Basis und mischt uns alle gründlich auf. Willst du nicht wirklich, ich nicht und der mexikanische Kampfstier garantiert auch nicht. An und für sich müssten wir jetzt schon alles zusammenpacken und den schnellen Abflug machen."
"Das soll der Rat entscheiden, Kleiner", grummelte Pater Duodecimus. Da ploppte es, und Mater Vicesima stand in ihrer Verkleidung im Kommandoraum. Pater Duodecimus blickte sie total verstört an. "Ich darf hier apparieren, haben Perdy und ich ausgearbeitet, Valerius. Also guck nicht so irritiert!" sagte sie mit der für die Verkleidung typischen Kleinmädchenstimme. Dann hantierte sie am Halsansatz des überdimensionalen Babykopfes und löste diesen wie eine etwas dickere Gummimaske von Gesicht und Hinterkopf. Dann sagte sie mit der ihrem Alter entsprechenden Stimme: "Wo ist Alfredo?" Valerius blickte vorwurfsvoll auf Perdy, der nur mit den Schultern zuckte und erwiderte, dass er den Mexikaner des Kommandoraumes hatte verweisen müssen, weil der ihn unverschämt angeredet hatte. "Hmm, dann sage dem bitte, dass der Rat sich in zehn Minuten im Stammsitz trifft. Ihr zwei bereitet bitte alles für eine schnellstmögliche Evakuierung mit anschließender Vernichtung aller nicht zu transportierenden Einrichtungen vor!"
"Das klärst du aber mit Alfredo", grummelte Pater Duodecimus. Véronique nickte und sah alle hier entschlossen mit ihren nun wieder meergrünen Augen an.
"Leute, Silvester Partridge mag vielleicht nicht mehr in seine Welt zurückgelassen werden. Falls doch, dann haben wir wirklich keine Zeit mehr zu verlieren. Also bitte sucht schon mal zusammen, was ihr mitnehmen müsst!"
"Ich bau schon mal meine Anlage ab", sagte Perdy.
"Dann bring bitte vorher diesen unnatürlichen Alarmton zum schweigen", grummelte Pater Duodecimus Occidentalis. "Mach ich!" sagte Perdy und kippte einen kleinen Hebel drei Kerben nach hinten. Der bis dahin ständig wiederholte Warnton verstummte. "Für Notfallplan Exodus habe ich einen eher traditionelleren Alarmton, die Schicksalsposaune", wandte er sich an Pater Duodecimus. Dieser verzog nur das Gesicht und stierte nur auf die noch eingerichteten Bildverpflanzungszauber.
Silvester Partridge fühlte sich unwohl in dieser kleinen runden, fensterlosen Behausung. Auch sein einverleibter Untermieter ruckte und zuckte sehr unruhig, als könne das gliederlose Tier die es umfließende Magie nicht vertragen. "Heh, soll ich jetzt den Rest meines Lebens hier eingeschlossen bleiben?!" rief Silvester Partridge und griff sich an die vom metallischen Widerhall schmerzenden Ohren.
"Nicht bei mir", sagte die glockenklare Stimme der unverhofft und wohl auch ungebeten erschienenen Riesengestalt. Dann ruckelte es rhythmisch. Silvester spreitzte Arme und Beine, um nicht herumgeworfen zu werden. Diese Tortur dauerte gefühlte zwei Minuten. Dann war erst einmal Ruhe. Danach meinte er, in einen Schlund aus blauem, rotem und silbernen Licht hineinzustürzen. Diese Empfindung hielt jedoch nur eine Sekunde vor. Dann klappte die ihn einschließende Abdeckung wieder auf. Zwei übergroße Hände ergriffen Silvester bei den Hüften und zogen ihn frei. Er wurde kurz in die Höhe gehoben, bis sich die goldene Bauchdecke der Riesenfrau wieder verschlossen hatte. Dann stellte sie ihn auf die eigenen Füße.
Er stand am Fuße einer sehr hohen Treppe in einer Halle, deren Decke mehr als hundert Meter über ihm verlief. Aus der Seitenwand am Fuß der Treppe traten vier Frauengestalten hervor, eine in Gelb und drei in Blutrot. Sie waren in etwa so groß wie Silvester Partridge und von makelloser Schönheit. Ihre Augen glitzerten silbern. Silvester Partridge verwünschte den Umstand, keinen Zauberstab mehr zu haben. Dieses Riesenweib hatte ihn entwaffnet.
"Das ist der Unentschlossene, der dachte, er könne aus den Quellen von Licht, Feuer, Erde und Wind schöpfen und so zum Allheiler seiner Zeit aufsteigen. Doch die mit ihm lebenden sind nicht für seine Künste bereit", sagte die vier Meter große Frauengestalt. Da erwiderte eine der in Blutrot gekleideten: "Ja, er vermag die Kraft des Windes sehr gut zu lenken. Doch er hat auch mit den Kräften des Lichtes des Heils Erfahrung gesammelt."
"Ja, aber ohne von einer meiner Meister unterworfen worden zu sein", erwiderte die goldene Frau in sonnengelbem Gewand. "Denn sonst hätte er gewusst, dass der Übelwender nur dort kein neues Übel schafft, wo er nur auf eine Quelle alleine wirkt. Hier waren aber vier Quellen berührt, die der Mutter, die ihre eigenen Kinder zu Ausgangsorten dunkler Bindung gemacht hat, die beiden Kinder selbst und deren Vater, der durch die verderblichen Kräfte der Machtgier und Begehrlichkeit an das Wohl seiner Kinder gefesselt wurde. Deshalb wird er mir beschreiben, woher er genau dieses Wissen erhielt."
"Die Damen, ich lehne es ab, dass künstliche Wesen über mich zu gericht sitzen", stieß Silvester Partridge aus. Ihm kam diese Szene sowohl lächerlich wie anwidernd vor. Außerdem fühlte er sich sehr beklommen, weil er daran dachte, dass diese goldenen Frauenzimmer da beschließen konnten, ob er je wieder in sein eigenes Leben zurückkehren durfte und ob er dies mit allem tun durfte, was er bis heute erlernt und erlebt hatte. Am Ende hätte er doch lieber eine Rückverjüngung und Wiederaufzucht bei Vita Magica hinnehmen sollen.
"Nicht wir beraten und beschließen über dich, Silvester Braunvogel, sondern unsere Meisterinnen und Meister", sagte die in Gelb. Und die alle überragende Frau in Blutrot, die Silvester in ihrem aufklappbaren Bauch hergeschafft hatte, nickte. "Du bist hier, weil du Begehrlichkeiten geweckt hast und die Menschen deiner Zeit ungewollt auf Dinge gestoßen hast, die sie bis dahin nicht für möglich hielten und daher ruhen ließen. Deshalb wird Ashmiridia dich jetzt erforschen um zu erfahren, woher du die Kenntnisse ihrer Meister hast."
"Die soll mir bloß vom Leib bleiben", dachte Silvester. Doch wie sollte er dieses goldene Automatenmädchen da von sich fernhalten. Wenn die auch nur die Stärke biomaturgischer Arm- und Beinprothesen besaß war sie ihm mindestens sechsfach überlegen. Also konnte er ihr nicht wegrennen und sie auch nicht mit bloßen Fäusten niederschlagen, ganz abgesehen davon, dass er sich nur soweit körperlich fit hielt, um nicht so leicht zu ermüden und längere Dauerläufe zu schaffenund auch mal mit bloßen Händen anzupacken. Er wirkte schnell das Lied des inneren Friedens.
Als die Frau in Gelb dann wahrhaftig mit drei schnellen Schritten bei ihm war riss er die Arme reflexartig vor Kopf und Brustkorb. Doch die übermenschlich makellos gestaltete drückte seine Arme wie beiläufig nieder. Dann legte sie ihm ihre schlanken Hände an die Schläfen. Sie fühlten sich merkwürdig warm an, nicht wie blankes Metall. Dann fühlte er seine Schädeldecke pulsieren. "Gib dein Wissen frei. Schließe es nicht vor mir fort", zischte die Frau in Gelb ihn an. "Ich will es dir nicht mit Gewalt entreißen, sondern nur erfahren", sagte sie noch. Doch Silvester wehrte sich weiter mit dem Lied des inneren Friedens. Dann sagte er: "Ich erbitte ein Gespräch mit einem eurer lebenden Meister. Meine Würde und mein Stolz verbieten es, mit niederen Dienern ohne eigene Seele zu unterhandeln."
"Unsere Meister werden dich zu sich rufen, wenn sie mit dir unterhandeln wollen. Doch wir erforschen, welche von ihnen dich zu sich rufen werden. Also gib nun dein Wissen frei oder verharre alle Zeit in unserer Obhut!" sagte die Frau in Gelb. Doch Silvester Partridge behielt seinen inneren Schutz aufrecht.
"So hast du dich entschieden, bis auf den Widerruf durch unsere Meister bei uns zu verbleiben", sagte die Frau in Gelb. Dann zog sie ihre Hände von Partridges Schläfen. Sie betastete ihn nun vom Kopf bis hinunter zum Bauch. Unvermittelt versteifte sich etwas in seinen Gedärmen und erzitterte wild. Dann bebten seine Eingeweide förmlich. "Du trägst ein sich an deinem Leib und fremder Kraft mästendes Wesen in dir. Das ist nicht gut für deinen Leib und deinen Geist. Ich werde es entfernen müssen, bevor du auf Dauer bei uns bleibst", sagte die Unbekannte. Dann wandte sie sich um und ging davon. Silvester peilte zur Treppe hin. Doch da standen die vier anderen Frauen, von denen die eine diese Riesin war. Abgesehen davon wusste er nicht, wo genau die Treppe hinführte und ob er ohne Zauberstab von hier fliehen konnte. Doch dann musste er grinsen. Er hatte noch seine Umhängetasche dabei. Er griff danach und stellte sich die Farbe Blutrot vor. Als er sie öffnen wollte war eine von den drei anderen kleineren Frauen bei ihm. Er fühlte einen heftigen Windstoß, so schnell war sie gelaufen. Mit einem schnellen Griff entriss sie ihm die Tasche und eilte in Windeseile damit auf ihren Ausgangspunkt zurück. Die ganze Aktion hatte nur vier Sekunden gedauert. Silvester Partridge erkannte, dass die magicomechanischen oder besser Ultrabiomaturgischen Geschöpfe schnell vorausberechnen konnten, was jemand gegen sie unternehmen mochte. So konnte er die allerletzte Rückversicherung nicht mehr nutzen, den wörtlich auslösbaren Portschlüssel.
Dann kam die in Gelb wieder zurück und zog eine auf sechs Rädern rollende Trage hinter sich her. "Leg alles ab, was dich verhüllt und lege dich auf das Heilungslager!" befahl die in Gelb. Doch Silvester Partridge tat so, als habe er sie nicht verstanden. Da lief dieses goldene Geschöpf auf ihn zu, hob ihn wie einen Sack Daunenfedern vom Boden, schwang ihn herum und jagte mit ihm zu der rollenden Bettstatt. Ehe er es sich versah hatte sie ihn darauf niedergelegt. Mit einem vernehmlichen Ratschen zerteilte sie seine Ober und Unterkleidung, zog ihm alles aus und entblößte ihn vollständig, schneller als es der Nudatus-Zauber vermochte. Dann streckte sie seine Arme nach vorne und drückte sie in den weichen Matratzenstoff. Er versuchte, sie wieder anzuheben und musste erkennen, dass seine Unterarme und Hände regelrecht in das Material eingebacken worden waren. Er versuchte nicht erst, durch Anspannung seiner Beinmuskeln zu verhindern, dass die mal eben anihm herumhantierende seine Beine weit auseinanderspreitzte und in die Unterlage drückte. Sein fehlendes Schmerzempfinden ließ ihn im unklaren, ob seine Weichteile zusammengequetscht wurden oder weich und unbedrückt auflagen. Was er jedoch fühlte war der in seinen Enddarm hineingleitende Gegenstand, der sich regelrecht in ihn hineindrehte. Dann fühlte er wie etwas in ihn hineingepumpt wurde. Sein bisher so geduldeter Untermieter wand und drehte sich, zog sich zusammen, kämpfte um seinen Verbleib. Dann schien er sich verkeilt zu haben. Doch da legte die Unbekannte ihre Hände auf Silvesters Gesäß und oberen Rücken. Ein heftiger Stoß durchfuhr den Heiler, und er sah kurz eine Galaxie voller Sterne vor seinen Augen. Er keuchte und rang um Luft. Dann fühlte er, wie es in ihm pumpte, vor und zurück. Schließlich saugte etwas ihm alles aus dem Körper, was nicht angewachsen war. Er hörte ein sehr unangenehmes Glucksen und Gurgeln. Dann klatschte es mehrmals.
"Das sich an deinem Leib und fremden kräften mästende Wesen wurde dir entwunden. Es wurde wohl auch Zeit. Offenbar bist du mit dem Fehlen von Schmerzempfindung geboren worden, dass du seine Tätigkeiten nicht als Qual empfunden hast", sagte die Frau in Gelb, die nun noch irgendwas warmes in ihn hineinpumpte und gründlich durchspülen ließ. "Ich werde alle bei der Entnahme entstandenen Verletzungen heilen. Dann wirst du noch getrocknete Verdauungsnützlinge hinunterschlucken, weil ich jene, die du in dir trugst, mit dem Missgünstling entziehen musste. Erst dann wirst du von mir in dauerhafte Obhut genommen, sofern du nicht doch bereit bist, mir dein Wissen zu offenbaren, damit ich weiß, ob einer meiner Meister dich weiter unterweisen wird oder nicht.
"Dann sei es in Dreigorgonennamen", grummelte Silvester Partridge, während noch einmal etwas durch seinen Enddarmund die unteren Reggionen seiner Verdauungsorgane fuhrwerkte. Als das endlich überstanden war gab ihn die merkwürdige Trage frei.
Es war wie eine Flut von Bildern, was Silvester Partridge vor seinem geistigen Auge sah, als ihm die Goldene in sonnengelbem Gewand die Hände auf die Schläfen legte. Der Vorgang dauerte nur dreißig Sekunden. Dann sagte sie: "Meine Meisterin Ianshira wird dich empfangen. Du brauchst keine Kleidung anzulegen. Sie kennt wie wir hier alle den Anblick unverhüllter Männerkörper."
"Und wo soll diese Meisterin Ianshira sein?" fragte Silvester Partridge. "Ich werde dich bis zur Halle unserer Meister bringen. Dort wird Garoshan, der Hüter des Tores, dir den Weg weisen."
Phoebe Gildfork grinste, als sie über die heimlich von einem ihrer Elfen installierten Mitspähsteine überwachte, was in dieser Niederlassung vorging. Den hatte sie dort hinlegen lassen, wo der verwandelte Minister gewesen war. So hatte sie mitbekommen, wie Partridge von dieser goldenen Frau entführt worden war. Eigentlich hatte sie vorgehabt, ihn von ihren Elfen entführen zu lassen, um ihn zu verhören, was genau er gemacht hatte. Doch dann erkannte sie, dass jemand anderes wohl beschlossen hatte, Partridge zu verstecken, damit eben genau das nicht passierte. Ob wer auch immer ihn wieder freigeben würde wusste sie nicht. Doch bis das passierte würde sie ihre Machtstellung gegenüber Vita Magica verstärken.
Phoebe Gildfork musste sich sehr beherrschen, nicht in Wut oder Tränen auszubrechen. Doch dann empfand sie sogar eine gewisse Genugtuung. Denn sie hatte den Leuten von VM etwas vorenthalten, das Geständnis und die Begründung von Silvester Partridge, warum er was und wie mit dem Minister angestellt hatte. Außerdem kannte sie mehrere von denen persönlich und hatte bereits genug Vorkehrungen getroffen, dass es ihnen übel bekommen würde, wenn sie ihr Gedächtnis oder ihr bisheriges Leben verlor. So schrieb sie noch:
... Da ich bisher mit euch gut auskommen wollte hoffe ich nun darauf, dass dies auf Gegenseitigkeit beruht. Daher versteht es sich von selbst, dass keiner und keine von euch mir oder meinem Doppelkörper nach Freiheit oder Leben trachtet. Sollte ich oder meine vollkommene Doppelgängerin einen bedauerlichen Unfall mit tödlichem Ausgang erleiden, so wird fünf Minuten nach ihrem oder meinem Tod an mehreren Stellen der vereinigten Staaten je eine Kopie meines geheimen Tagebuches und eine ausreichend große Zahl von Dokumenten auftauchen, die mein Leben, Schaffen und euer Wirken soweit es mir bekannt wurde beschreiben. Dies nur, falls es einige sehr kurzentschlossene und hitzköpfige Vertreter bei euch gibt, die meinen baldmöglichen Tod oder meine vollständige Rückverjüngung an Körper und Geist befürworten oder gar fordern sollten. Ich bin in einem durch Fidelius-Zauber geschütztem Versteck. Nur meine Elfen, meine Doppelgängerin und ich wissen wo das ist, und ich bin die Geheimniswahrerin.
In der Hoffnung, dass wir uns alle damit anfreunden können, weiterhin friedlich miteinander zu leben verbleibe ich
mit hochachtungsvollen Grüßen
Phoebe Rhea Gildfork
Mit dem Brief schickte sie ihren Hauselfen Tipsy dorthin, wo sich Pater Duodecimus Occidentalis alias Valerius Boddington gerade aufhielt.
Silvester Partridge fühlte sich beklommen. Denn alles, was er auf dem Weg zu jener ihn erwartenden Ianshira zu sehen bekam war so unglaublich und außergewöhnlich, dass es unbefugte Leute sicher nicht wissen oder gar verwenden durften. Deshalb ging er davon aus, es wohl niemandem mehr berichten zu können, was er gerade erlebte.
Nun stand er im unteren Scheitelpunkt einer gar gigantischen Hohlkugel von wohl zweihundert Metern Durchmesser. Ein silbernes Leuchten und ein leises Singen erfüllten diesen gewaltigen Hohlraum. Ashmiridia, jene goldene Frau in sonnengelbem Gewand, war am Zugang zu dieser riesigen Halle zurückgeblieben. "Uns ist kein Zutritt gestattet", hatte sie mit einer Kälte in der Stimme gesagt, die ihrer künstlichen Natur entsprechen mochte.
Silvester Partridge fühlte den Boden unter seinen nackten Füßen. Er trug wahrlich nichts mehr an oder in sich, was nicht auf natürliche Weise entstanden war. Der Boden fühlte sich warm an. Überhaupt fühlte er keine Kälte, keinen Luftzug am Körper.
Als er sich genauer umsah stellte er fest, dass das silberne Leuchten und wohl auch das leise Singen aus unzähligen, gläsernen Zylindern drang. Als er dann einen der ihm nächsten genauer ansah wechselte das diesen ausfüllende silberweiße Licht zu goldenem Schein und verdichtete sich zu einer Gestalt in einem aus sich selbst leuchtenden Gewand. Es war ein Mann. Das runde Mondgesicht und die leicht abstehenden Ohren verliehen der aus dem Zauberlicht verstofflichten Gestalt ein komisches Aussehen. Doch Silvester Partridge fühlte eher erhabene Erwartung als Belustigung. Dann sprach die im Zylinder steckende Gestalt mit einer sphärischen, nicht hohl wie aus einem geschlossenen Behälter klingenden Stimme:
"Tritt heran und erfahre von mir, Garoshan, dem Hüter des Eingangstores, den Weg zu Ianshira!"
Die nächsten Minuten erfuhr Silvester Partridge, dass ihm Zutritt zum gläsernen Konzil der überdauernden Altmeister des erhabenen Reiches Altaxarroi gewährt worden sei, da er sein von einem Vorfahren erworbenes Wissen zu begehrlich darauf ausgehenden Leuten offenbart habe und nun erfahren solle, wie er künftig damit umgehen sollte. Nur deshalb sei er nicht wie zunächst angedacht in einen langen Überdauerungsschlaf versenkt worden, so Garoshan. Außerdem lernte Silvester Partridge einen nur mit Gedanken wirkbaren Zauber, der ihm das Fliegen ohne Flügel und Fluggerätschaften ermöglichte. Er musste es dann mehrmals ausprobieren, bis der Hüter des Eingangstores zufrieden war und ihm dann erklärte, wie er zu Ianshira hinfinden konnte. Silvester Partridge probierte erst noch ein wenig mit der neuen Kenntnis herum. Dann dachte er daran, dass er nicht alle Zeit der Welt haben mochte. Sie wollten ihn nicht in einen ewigen Überdauerungsschlaf versenken. Wenn das bedeutete, dass er wieder in seine Welt, sein Leben, zurückkehren durfte, dann wollte er nicht zu viel Zeit vertun. So nutzte er die neue Kenntnis aus und suchte frei im weiten Raum der großen Hohlkugel nach jenem der myriaden Glaszylinder, in dem sich die in reiner Geistform bestehende Ianshira aufhalten sollte, eine Meisterin der die Schöpfungen und des Schöpferischen bewahrenden Künste. Überhaupt schon eine sehr heftige Enthüllung, dass unzählige Großmeister und -meisterinnen der alten Zeit ihren körperlichen Tod überdauert hatten, um die Zeiten zu überdauern. Dass sie von dem, was in der Welt außerhalb ihrer exotischen Heimstatt vorging erfuhren hatte Garoshan ihm offenbart. Auch hatte er ihm nicht ganz ohne gewissen Unmut in der Stimme erklärt, dass die Altmeister bis heute niemanden zu sich hingerufen hatten, der oder die nicht auf eine andere Weise den Weg zu ihnen gesucht und gefunden hatte. Dass er nun hergebracht worden war sei kein Vorrecht des Wissenden und Wagemutigen, sondern eher eine Vorführung vor ein Gericht, so Garoshan. War diese Ianshira somit seine Richterin oder seine Verteidigerin? Denn er hatte bisher das von ihm erworbene alte Wissen nur zum Schutz anderer Menschen eingesetzt. Er hatte sich also nichts vorzuwerfen.
Nach einer nicht genau empfundenen Zeitspanne näherte er sich einem der vielen Glaszylinder. Das silberweiße Licht, das jeden Kubikzentimeter wie leuchtendes Gas ausfüllte, zog sich zusammen und verdichtete sich zu einem festen Körper. Als der Vorgang vollendet war hörte er eine glockenhelleStimme rufen: "Da bist du, Silvester, Sohn des Martinus und der Titania. Ich bin Ianshira, Meisterin der schöpferischen und bewahrenden Kräfte."
Silvester schwebte näher heranund betrachtete die ihn begrüßende. Ianshira war klein und kugelrund, besaß tiefschwarzes Haar und hellgrüne Augen. Sie trug ein sonnengelbes Gewand mit goldenen Halbmonden an den Säumen. Er schwebte bis knapp vor die gläserne Wölbung ihres Aufbewahrungsgefäßes und erwiderte den Gruß. Dann sagte Ianshira:
"Da du deinen Widerstand gegen die schnelle Erkundung deines inneren Schatzes aufgegeben und dich somit bereitgefunden hast, dein Tun und Wissen mit uns zu teilen, habe ich nach kurzer Beratung mit den meinen beschlossen, dich zu empfangen. Damit du erfährst, was dein Tun bewirkt hat und wie es sich weiterhin auswirken mag wirst du erfahren, was weiterhin geschieht, bevor du erlernst, was dein Wissen und Können bewirken können und du daran wachsen kannst, was ich dir geben kann. So berühre meine Heimstatt, auf dass wir beide uns berühren können!"
"Ich möchte erst wissen, was mit mir geschehen soll. Ich habe eine Familie, die in Sorge ist und einen Beruf, der wichtig ist. Was immer du und die anderen in ihren Aufbewahrungsgefäßen ruhenden beschlossen habt, ich möchte es zunächst erfahren, bevor ich mich dir anvertraue, Ianshira", erwiderte Silvester Partridge.
"Es wurde beschlossen, dass jene, denen du dein überragendes Wissen zeigtest, nicht mehr daran denken werden, es von dir erlangen zu können. Deine Familie wird dadurch davor bewahrt, zu Zielen böser Taten zu werden, welche dich dazu treiben sollen, das dir auf einem anderen als dem vollständigen Weg zugefallene Wissen preiszugeben. Doch damit dies auch wirklich vollbracht wird musst du mit mir zusammenfinden und von mir erhalten, was dazu nötig ist, dass du alles weißt, was wichtig ist, um in die Welt außerhalb unserer erhabenen Halle zurückzukehren."
"Und was, wenn ich nicht darauf eingehe?" fragte Silvester Partridge.
"Dann wirst du wohl auf Ewig hier bei uns in dieser Halle herumwandern, bis Hunger und Durst deinen Leib vertilgen und dein inneres Selbst unverrichteter Dinge in die Nachwelt übergehen muss oder auf ewig mit einer oder einem von uns verschmolzen und ihm oder ihr für den Rest der Zeiten unterworfen bleibt. Wähle also deine Zukunft!"
"Gut, ich habe jetzt erfahren, dass das, was ich gelernt habe, vielleicht unvollständig war und ich deshalb nicht wusste, was der Übelwender bewirkt, wenn er auf ein durch den Blutketten-Fluch verbundenes Paar wirkt. Doch welche Versicherung erhalte ich, dass ich auch wirklich wieder zu meiner Familie zurückkehren darf?"
"Jene, dass unser Wissen in der Jetztzeit gebraucht wird, wo Vermächtnisse der schöpferischen und zerstörerischen Mächte aus dem tiefen Meer des Vergessens an die Oberfläche der erkennbarkeit und vor allem Verwendbarkeit zurückgekehrt sind. Du wirst auch erfahren, wer außer dir dieses alte Wissen ergründet und bereits verwendet hat und warum es einen Unterschied macht, dass diese Jetztzeitigen sich ihrer Verantwortung und der Auswirkungen bewusst sind oder einfach nur den Schlüssel zum Ruf der alten Kräfte verwenden, ohne zu erahnen, welche Türen damit aufgeschlossen werden. So wähle nun deine Zukunft: Verhungern und verdursten, oder das Vertrauen in meine Güte, Stärke und Liebe!" erwiderte Ianshira. /p>
Silvester Partridge überlegte kurz, wieder nach unten zu sinkenund den Ausgang aus dieser Kugelhalle zu suchen. Doch der Zugang hatte sich hinter ihm auf magische Weise verschlossen. Ohne Zauberstab und ohne die nötigen Kenntnisse, den Zugang wieder zu öffnen, war er gefangen. Das begriff er jetzt erst, nachdem er zunächst neugierig gewesen war, was in dieser Halle auf ihn wartete. So fragte er noch:
"Und wenn ich mich nicht dir, sondern einem oder einer anderen hier anvertraue?"
"Dann hängt es davon ab, wem genau. Bestenfalls wirst du von den anderen nicht beachtet. Schlimmstenfalls könnte dich jemand von uns dauerhaft an sich binden und dich so der Welt vorenthalten, ohne dass du in die von dir verdiente Nachlebensform übertreten kannst. Das wäre dann ähnlich wie das, was ich dir als eine dir zur Entscheidung stehende Auswirkung beschrieben habe", erwiderte die über Jahrtausende bestehende Erscheinungsform Ianshiras. Silvester Partridge wiegte den Kopf, als müsse er ein darin bestehendes Ungleichgewicht ausbalancieren. Dann nickte er Ianshira zu und streckte seine Hände vor.
Der gläserne Zylinder fühlte sich warm an, wie eine Porzellankanne mit heißem Kaffee. Doch Silvester hatte diese Empfindung nur eine Zehntelsekunde lang. Dann meinte er, kopfüber in einen dunklen Schacht zu stürzen, an dessen Ende er unvermittelt schwebte. Dann drangen Geräusche und Empfindungen zu ihm durch. Er fühlte sich vollkommen in warmes Wasser eingetaucht. Dunkelheit umgab ihn. Er hörte ein regelmäßiges lautes Pochen und ein wesentlich schnelleres Wummern unmittelbar von sich ausgehend. Ebenso hörte er ein lautes, in langsamem Rhyhtmus klingendes Fauchen. Irgendwas gluckerte um ihn herum. Er fühlte etwas an seinem Bauch pulsieren und bewegte seine Arme schwerfällig durch das ihn umhüllende Wasser. Da begriff er, welche Eindrücke er gerade empfand. In seiner Heilerausbildung und während der vier Schwangerschaften seiner Frau hatte er durch magische Hilfsmittel seine eigene Reifung wie die Entwicklung seiner Kinder im Mutterleib nachbetrachtet oder zeitweilig mitgefühlt. Was sollte das jetzt? Wo war Ianshira?
"Ich umgebe, trage und nähre dich, mein künftiger Sohn", hörte er eine laute, sehr dumpfe Stimme, die jedoch in seinen Gedanken als Ianshiras Stimme nachhallte. "Du wirst neu reifen und werden und lernen, was du zu wissen und zu können hast."
"Moment, du woltest mir erklären, was ich zu beachten habe", erwiderte Silvester rein gedanklich. Denn sobald er den Mund öffnete strömte das ihn umgebende Wasser in seinen Mund. Er fühlte jedoch keine Anzeichen zu ersticken.
"Ashmiridia hat dir gesagt, dass ich dich empfangen will. Das habe ich, auch wenn du dich erst verweigern wolltest. Jetzt trage ich dich und lasse dich zu meinem ersten und einzigen Kind heranreifen, auch wenn ich in meinem körperlichen Leben den Eid der Kinderlosigkeit geschworen habe. Doch eine andere Altmeisterin hat mir den Weg eröffnet, mein Wissen und vor allem die gebotene Umsicht wesentlich einprägsamer zu vermitteln als früher. Du hast zu viel von unserem Wissen bereits verinnerlicht. Jetzt wirst du mit ihm zusammen in gedeihlicher Verbundenheit ausreifen, bevor du es verwenden kannst, um in der Welt außerhalb meines schützenden Schoßes wirken und bewirken zu können. So reife und werde, und erfahre, was du bis jetzt bewirkt hast, bevor du wieder auf die Welt gelangen kannst!"
Unvermittelt meinte Silvester Partridge, über einem Tisch zu schweben, um den herum mehrere Männer und Frauen mittlerer Altersstufen saßen. Deshalb empfand er den gerade mal zehn Jahre alten Jungen als besondere Ausnahme. Die gerade noch empfundenen Sinneseindrücke eines Ungeborenen waren fort. Doch Silvester Partridge dachte sowieso, dass es sich um eine reine Illusion handelte, was ihm direkt nach der Berührung des Glaszylinders eingeflößt wurde.
"Nehmen wir es zur Kenntnis, dass uns Partridge von einer Macht entzogen wurde, die irgendwo auf der Welt gut versteckt mitverfolgt, was in der Welt passiert", sagte einer der Männer, dessen Name Valerius Boddington lautete. Eine Frau, die Silvester jetzt mit ihrem wahren, ursprünglichen Namen erkannte, antwortete:
"Dann wird Phoebe Gildfork auch nicht erfahren, ob und wenn ja wie ihre Verwandlung umgekehrt werden kann. Sie kann dann vorerst nicht selbst an die Öffentlichkeit gehen."
"Lustig, Véronique, wo die eh darauf spekuliert hat, dass sie mit gleich zwei Ungeborenen im Bauch nicht mehr an die Öffentlichkeit darf", sagte Valerius Boddington.
"Öhm, Perdy, hast du das mit Phoebes neuem Besen schon in die Wege geleitet?" wollte Véronique alias Mater Vicesima wissen. Der äußerlich zehn Jahre alte Bursche schüttelte den Kopf. "Durch den ganzen Aufruhr hier kam ich noch nicht dazu, Véronique", antwortete er.
"Gut, dann warten wir erst einmal ab, wie sich die Dinge entwickeln", erwiderte Mater Vicesima. "Die zwei Schwestern können jedenfalls nicht ohne weitere Nachfragen ins Ministerium hinein."
"Ja, aber Phoebes Doppelgängerin könnte das und ..." sagte Perdy. Da erschien ein Hauself im grün-goldenen Kissenbezug und überreichte Duodecimus einen Briefumschlag. Keine Sekunde danach war der Elf wieder weg.
Als der Adressat den Umschlag öffnete und den Brief von Phoebe Gildfork las bekam auch Silvester Partridge mit, dass die von ihm unbeabsichtigt verwandelte sich einiges an Rückversicherungsmaßnahmen ausgedacht hatte. Ja, dekadent mochte sie sein, aber dumm war sie leider nicht, musste Partridge feststellen. Denn sonst wäre er auch wohl nicht in dieser merkwürdigen Lage.
"Ich könnte den Besen von ihrer Doppelgängerin doch noch bezaubern", schlug Perdy vor.
"Nein, lass das bleiben, Perdy. Ich traue dieser fetten Trulla durchaus zu, dass sie genug Material über uns gesammelt hat. So dekadent die auch ist, dumm war die nie. Sonst hätte die sicher nicht Arbolus Gildfork an Land ziehen und während der Ehe noch an die hundert Affären haben können, ohne dass der auch nur eine hätte nachweisen können, um sich von ihr lossprechen zu lassen. ", sagte Boddington.
"Dann wollen wir uns echt von der erpressen lassen? Véronique, sag doch da bitte was zu", grummelte ein gewisser Pater Sixtus Mexicanus.
"Solange wir nicht herausfinden, wie wir die posthume Freigabe ihrer geheimen Unterlagen vereiteln können müssen wir erst einmal mitspielen. Sie wird nicht von sich aus zum Ministerium gehen und uns anzeigen oder Silvester Partridges Familie belangen. Dann müsste sie ja einräumen, dass sie mit seinem Verschwinden zu tun hat. Das wird sie also nicht wagen. Patt!" erwiderte jene, die sich außenstehenden als Mater Vicesima vorstellte. "Wenn ich das den Heilern und der Liga gegen dunkle Künste erzählen kkönte", dachte der wie ein unsichtbarer Geist über dem Tisch schwebende Silvester Partridge.
"Gut, dann bleibt eben nur die Frage, wie wir mit Chroesus Dime umgehen sollen. Wenn wir seine Tochter in die Zivilisation zurückschicken könnte sie dazu benutzt werden, ihn zu suchen."
"Eben, ihn", erwiderte Perdy. "Dieser vertrackte Blutrufzauber wirkt auf den vom Namen und Gesicht her bekannten Blutsverwandten. Ob der bei einem Verwandelten noch anschlägt wissen wir nicht. Und bevor das hier einer auf den Tisch knallt: Ja, wir wissen noch zu wenig über diesen Blutrufzauber, um das sicher ausschließen zu können, dass auch ein Verwandelter damit gefunden werden kann. Aber soweit ich unsere afrikanischstämmigen Weggefährten und Mitstreiter verstanden habe sind jetzt alle Niederlassungen von uns dagegen abgesichert, richtig?" Ein dunkelhäutiger Zauberer mit grauem Kraushaar und dito Vollbart nickte und erwähnte, wie die Absicherung gegen diesen Zauber vollzogen wurde, nicht wirklich was für menschenfreundliche und zartfühlende Zeitgenossen. So wurde beschlossen, Eartha Dime nur dann wieder zu ihren früheren Freunden und Angehörigen zurückzulassen, wenn ihre Mutter wieder auftauchen sollte. Dann könnten sie es so drehen, dass die Spinnenschwestern oder die verschwiegenen Schwestern sie beide nicht mehr festhalten mussten, weil sie nicht mehr als Druckmittel gegen Chroesus Dime verwendet werden konnten.
"Wie werden die zwei Süßen sich vertragen, wenn Phoebe ihre Zwillingsschwester gut bei sich untergebracht hat?" wollte Perdy wissen.
"Vielleicht bringen die sich gegenseitig um", ätzte Pater Duodecimus Occidentalis alias Valerius Boddington.
"Ja, und die Kinder sterben deshalb", erwiderte Mater Vicesima. "Aber solange sie beide an einem mit Fidelius-Zauber verborgenen Ort sind kommen wir auch nicht an die zwei heran."
"Also die Doppelgängerin. Aber wenn wir die angehen könnte deren frühere Vorlage echt auspacken, auch wenn sie dafür selbst nach Doomcastle einfährt", meinte Perdy.
"Nenn diesen Namen nicht zu laut, Jungchen!" raunte Valerius Boddington. "Nicht, dass wir alle hier uns eines tages da wiederfinden."
Unvermittelt fand sich Silvester Partridge wieder in der Welt eines Ungeborenen und hörte die Herzschläge jener, die ihn scheinbar in sich aufgenommen hatte.
"So wird die Saat dieser Jetztzeitler doch noch weiterreifen. Denn du darfst nicht zurück, ohne dich und die deinen der Verfolgung auszuliefern", seufzte Ianshiras Stimme.
"Ich wollte das nicht, dass Dime seine eigene Schwester wird und jetzt eins von den zwei Kindern von Phoebe Gildfork austragen soll", beteuerte Silvester Partridge.
"Aber du wolltest den unheilvollen Zauber brechen, mit dem Phoebe Gildfork Chroesus Dime an sich gebunden hat. Der Übelwender wirkt bei mehr als einem im selben Moment davon betroffenen Ding oder Wesen immer sehr überraschend", legte Ianshiras Stimme noch nach.
"Das wollte ich so nicht", wiederholte Silvester Partridge. "Bitte gib mich wieder frei und schicke mich zu meinen Leuten zurück,, damit ich dieses Chaos erklären kann."
"Nein, du bist noch nicht ausgereift, um von mir freigegeben zu werden. Du musst wachsen und reifen, erstarken und gedeihen, mein Kind. Erst dann kannst du mir entschlüpfen, atmen und schreien, in Sonnenschein und Wind", erwiderte Ianshira. Silvester fühlte, wie diese Worte seine Schuldgefühle verdrängten und ein Gefühl der vollkommenen Geborgenheit in ihm erzeugten. Er versuchte noch, sich mit dem Lied des inneren Friedens zu wehren, sich nicht von dieser ihm zugeführten Illusion vereinnahmen zu lassen. Doch es gelang nicht.
Wieder wechselte Silvester Partridge den Standort, ohne wirklich körperlich anwesend zu sein. Er schwebte mitten im Wohnzimmer seiner Tochter Venus. Diese besprach sich gerade mit zwei anderen Hexen, Chloe Palmer und Eileithyia Greensporn.
"Ich habe nur bei meiner Rückkehr auf dem Tisch einen Briefumschlag gefunden, der heute Morgen noch nicht da war. Den Brief konnte ich nur durch einen Blutstropfen von mir lesbar machen. Mein Vater entschuldigt sich dafür, dass er Mom, mir und meinen Geschwistern vielleicht großen Ärger bereitet hat. Aber wenn er bis um fünf Uhr Nachmittags nicht wieder da gewesen ist, sollte ich diesen Brief kriegen. Mom hat den auch bekommen. Er erwähnt, dass er vermutet hat, dass Minister Dime von diesem Catena-Sanguinis-Fluch getroffen worden sein soll und wollte versuchen, den mit einem nur ihm bekannten Zauber aufzuheben. Falls er dabei gefangengenommen oder getötet wird sollte ich diesen Brief kriegen und Vorkehrungen treffen, damit niemand mich gegen meinen Willen fortschaffen kann oder ich jemanden, der oder die mir ans Leben will früh genug mitbekomme , um mich abzusetzen. Ich habe den Brief abgeschrieben, weil der eben nur durch mein Blut lesbar wird. Wenn den wer anderes anfasst zerbröselt der zu Staub." Sie gab Eileithyia einen Pergamentzettel. Die silberhaarige Hebammenhexe und Sprecherin der Heilerzunft verglich Original und Abschrift durch bloßen Augenschein, nickte und sagte dann:
"Wollen wir hoffen, dass dein Vater noch lebt, Venus. Allerdings könnte der sich wünschen, mir besser nicht noch mal zu begegnen. Ich habe da einiges mit ihm zu bereden. Unter Umständen droht ihm ein Ehrengericht der Heilerzunft und der Ausstoß aus derselben, weil er sich bewusst gegen mehrere der zehn Heilerdirektiven vergangen hat. Umbringen werden wir ihn dafür nicht, aber tätscheln werden wir ihn garantiert nicht. Also bitte sage es Chloe, wenn er mit dir Kontakt aufnimmt! Vielleicht kannst du ihm dadurch sogar helfen, aus der Lage rauszukommen, in die er sich sicher hineinmanövriert hat. Das gilt vor allem für gewisse ganz unzulässige Vorkehrungen, die er an sich vorgenommen haben mag, weil er meint, dadurch besser gegen Angriffe geschützt zu sein. Sollte er wirklich wieder freikommen möchte er sich umgehend in das HPK zu einer gründlichenUntersuchung und falls nötig Behandlung begeben. Das darfst du ihm bitte auch ausrichten, falls er einen Weg findet, mit dir in Kontakt zu treten."
"Und falls er schon tot ist?" fragte Venus mit sehr großem Unbehagen.
"Hängt es davon ab, ob sein Tod an einem magisch verborgenen Ort stattfindet oder unter freiem Himmel. Bei erstem müssen wir dann ein Jahr verstreichen lassen, um ihn für tot zu erklären. Bei zweitem wird wohl sein Testament, falls er eines hinterlassen hat, nach einem vollen Monat im Ministerium auftauchen", sagte Chloe Palmer. Das waren dann auch die letzten Worte, die Silvester von ihr und seiner Tochter mitbekam.
Silvester wollte gerade ausrufen, dass er das gesehen hatte, als er sich selbst wieder als ungeborenes Kind in einem warmen Mutterschoß wiederfand. "So, und da, wo du jetzt bist, verbleibst du jetzt und reifst zu meinem einzigen Sohn, bis ich dich gebären kann", hörte er Ianshiras Stimme dumpf um sich herum und leise in seinem Geist nachhallen.
"Vergiss das, Ianshira. Ich werde nicht vergessen wer ich bin und werde mich deinen Illusionen entziehen", dachte Silvester Partridge und versuchte noch einmal, das Lied des inneren Friedens zu denken. Doch er bekam die Worte nicht mehr zusammen. Er hatte dieses so wichtige Lied vergessen. Eine gewisse Furcht stieg in ihm auf. Er begann zu vergessen? Er trat und schlug um sich. Doch offenbar war er noch zu klein, um die Wände der ihn umschließenden Gebärmutter zu erreichen. Seine Anstrengungen brachten ihm nur ein, dass er immer müder wurde und er unter einem beruhigenden, Geborgenheit vermittelnden Summen Ianshiras einschlief.
Sie standen einander gegenüber. In der Nähe saßen vier Hauselfen in den grün-goldenen Kissenbezügen mit den kleinen Baumsymbolen darauf. Chroesus Dime starrte die Hexe an, die sein ganzes Leben umgestoßen und unumkehrbar ruiniert hatte. Diese erwiderte seinen bitterbösen Blick mit einem überlegenen Lächeln. Da ergriff Chroesus Dime das Wortund verwünschte einmal mehr Silvester Partridge, der ihm diese Stimme zugefügt hatte:
"Sie glauben doch nicht im Ernst, Mrs. Gildfork, dass ich in diesem Körper mit einem dieser Bälger, die ich nicht zeugen wollte, herumlaufe, bis diese Brut ausgereift ist? Abgesehen davon wird Ihre Doppelgängerin irgendwann auf die Idee kommen, dass nur noch sie öffentlich auftreten kann. Wer immer Partridge fortgeschafft hat wollte nicht, dass seine Geheimnisse aufgedeckt werden. Wir beide sind ein klarer Beweis für seine besonderen Künste. Falls Sie wirklich meinen, unbedingt Mutter werden zu wollen, dann bitte. Aber ohne mich. Das zweite Balg von Ihnen nehme ich mit in die Nachwelt."
"Zum einen hast du mich bis zu diesem verfluchten Auftritt von Silvester Partridge mit Vornamen angeredet", erwiderte Phoebe Gildfork scheinbar unerschüttert. "Zum anderen kannst du dich nicht selbst töten, solange du in meinem geheimen Landhaus bist. Meine Diener verhindern das. Denkst du, ich wollte das, dass eines von den beiden Kindern von dir weitergetragen wird? Aber jetzt ist das so, und jetzt sollen eben beide auch zu ende wachsen und zur Welt kommen. Du bleibst bei mir und stehst das mit mir zusammen durch, Schwester."
"Ach ja, Ihre Diener hindern mich?" fragte Chroesus Dime und rannte auf eines der Fenster zu. Doch bevor er sich mit seinem neuen Körpergewicht dagegenwerfen konnte wurde er von unsichtbaren Kräften abgefangen wie von zwanzig Daunenkissen auf einmal. Da der verwandelte Zaubereiminister wegen Vita Magica weder seinen Zauberstab noch sonst was bei sich trug, womit er sich ernsthaft was antun konnte wäre nur der Sprung durch das geschlossene Fenster eine Möglichkeit gewesen. Doch Dime überlegte nicht lange. Er warf sich herum und wollte auf Phoebe Gildfork zurennen. Da hob ihn etwas vom Boden auf. Seine Füße traten in leere Luft.
"Wir zwei haben die zwei Babys auf den Weg gebracht, und die zwei kommen auch zur Welt, meine liebe. Danach kannst du dir gerne das Leben nehmen. Denn ich brauche keine mich hassende Schwester. Aber das Kleine da in deinem Bauch gehört anständig geboren. Du musst es ja nicht stillen. aber vielleicht gefällt dir das ja doch noch irgendwann, sowas quirliges erst im Bauch und dann in den Armen zu haben. Als ich meinen Sohn Cyrus bekam habe ich das zumindest so empfunden, und wir zwei sind ja jetzt baugleich."
"Womöglich vermisst das Kleine sein Zwillingsgeschwisterchen und ärgert sich, dass es nun in so einem Motzkopf von Mutter weiterwachsen muss", lästerte Phoebe. Darauf erwiderte Chroesus Dime:
"Ach ja, und wenn mir doch wer was getan hätte wären die zwei auch schon tot. Wer hat denn da wohl das Leben dieser zwei so derartig eigensüchtig aufs Spiel gesetzt, eh?"
"Nachdem, wie Mater Vicesima mit mir umspringen wollte frage ich mich das auch", knurrte Phoebe Gildfork. "Aber jetzt sind die zwei unterwegs und ... Aber ich will mich nicht widerholen. Wir bleiben jedenfalls zusammen und stehen das durch. Wenn die zwei draußen sind kannst du ja gerne von Witty oder Rookie einen Gifttrank kriegen, um dich aus der Welt zu schaffen, aber erst bringst du das in dir eingezogene Kind von uns auf die Welt."
"Verreck, du Sabberhexe", stieß Chroesus Dime aus und wollte wieder loslaufen. Doch wieder hielt ihn eine unsichtbare Kraft davon ab. Da quiekte einer der Hauselfen: "Sie werden Meisterin Phoebe nichts antun."
"Heute nicht", dachte Chroesus Dime. Doch die Aussichten, dass sein ganzes bisheriges Leben untrennbar mit dieser Hexe verwoben bleiben sollte und er womöglich nie mehr sein altes Leben weiterführen konnte ärgerte ihn. Hoffentlich passierte der bisherigen Doppelgängerin dieser Giftkröte was, dass auch sie keinen Grund mehr zum Weiterleben hatte!
Jeannette Beaurieu wollte eigentlich nur ihre Enkelkinder in Viento del Sol besuchen. Doch als sie erfuhr, dass ihr Schwiegersohn Silvester während eines Termins mit dem Zaubereiminister der Staaten verschwunden war und zunächst sogar verdächtigt wurde, den Minister mit einem Betäubungsgas außer Gefecht gesetzt zu haben, hatte sie beschlossen, zumindest bis zum zehnten März bei ihrer Tochter und den Enkeln zu bleiben. Denn gerade jetzt, wo die beiden kleinen Enkeltöchter sehr viel Aufmerksamkeit brauchten, war es sehr schlimm, dass ihr Vater nicht da war.
Am Morgen nach den Turbulenzen im Zaubereiministerium betrachtete Anthelia den noch schlafenden Körper von Argentea Dime. "Ob du glücklich wirst, wenn du wieder zu den Deinen zurückkehren darfst, Schwester?" fragte sie leise. "Aber ich sehe wohl ein, dass es dir und mir nichts nützt, dich weiterhin bei mir zu haben. Sicher wirst du mich hassen, weil ich dich in Gewahrsam genommen habe. Aber wenn sie dir erzählen, wieso das passiert ist könntest du nach deiner ersten Wut vielleicht daran denken, dass ich keiner Hexe was böses will, die mir selbst nichts böses wollte. Schlaf noch einige Tage, meine unwillige Schwester. Dann darfst du wieder nach Hause", wisperte sie und gab der im scheintodartigen Zauberschlaf liegenden einen Kuss auf die Wange. Danach zog sich Anthelia/Naaneavargia aus dem Schlafgemach zurück.
"Noch immer nichts, wo Partridge oder Chroesus Dime verblieben sein mögen, Schwester Beth?" gedankenfragte sie ihre mit Zwillingen schwangere Mitschwester.
"Wenn VM den kassiert hat hat der vielleicht schon die zwanzigste Windel vollgemacht, höchste Schwester. Und was Dime angeht, der ist bisher auch nicht irgendwo gefunden worden. Partridges Tochter hat Eileithyia Greensporn und Lino erzählt, dass ihr Vater versucht haben soll, den Minister von diesem Fluch zu befreien und dabei wohl gefangengenommen oder getötet wurde. Oha, langes Meloen macht echt Hunger. Bis dann wieder, höchste Schwester!"
"Ja, stärke dich und deinen Nachwuchs! Immerhin werden es ja zwei neue Hexen", gedankenerwiderte Anthelia
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