WILLKOMMENSFEIERN

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Die Hoffnung, dass es nach dem Scheitern Vengors, mit dem Geist des dunklen Erzmagiers Iaxathan ein Bündnis zu schließen, eine friedliche Zaubererwelt gibt erweist sich sehr rasch als trügerisch. Verschiedene Gruppen von Magiern und Zauberwesen versuchen, ihre Vorstellung von einer eigenen Weltordnung durchzusetzen und geraten dabei immer wieder mit den Zaubereiministerien der Welt in mehr oder weniger offene Auseinandersetzungen.

Da sind zum einen die Werwölfe der Mondbruderschaft, die trotz herber Niederlagen und dem Versuch eines Ungeduldigen, ein Königreich der Werwölfe zu gründen, noch nicht völlig entmachtet sind. Auch unterhält die im mächtigen Mitternachtsdiamanten eingesperrte aber durch die Kraft von mehr als tausend Einzelseelen mächtige Vampirin Nyx alias Lamia einen Kult, in dem sie als schlafende Göttin Gooriaimiria wirkt und über ihre Hohepriesterin Nyctodora die Vorherrschaft über alle Vampire und am Ende ein Weltreich der blutsaugenden Geschöpfe anstrebt. Dann ist da noch die geheime Gruppierung Vita Magica, die mit allen Mitteln, auch ungesetzlichen, die Vermehrung magischer Menschen vorantreibt und durch einen mit magischer Gewalt erschlichenen Friedensvertrag das US-amerikanische Zaubereiministerium unter Kontrolle bringt, bis der Heiler Silvester Partridge den durch den tückischen Blutkettenfluch gegängelten Minister voreilig mit dem altaxarroischen Fluchumkehrer behandelt und damit ein von ihm unerwartetes Ergebnis erzielt.

Vengors Versuche, sich zum Herrn der dunklen Magier aufzuschwingen, sowie die Vernichtung des Nachtschattenlenkers Kanoras durch die Vampire der schlafenden Göttin haben eine mächtige Schattengestalt hervorgebracht, die aus zwei Opfern Kanoras zu einer mächtigen Königin und Urmutter verschmolzene Birgute Hinrichter. Diese will zunächst die überlebenden Zeugen von Kanoras' Wiedererwachen heimsuchen. Sie will jedoch auch aus den Seelen von ihren Handlangern getöteter neue Abkömmlinge erbrüten, die ihr allein gehorsam sind. Ihre Erzfeindin wird die aus langem Zauberschlaf erweckte Abgrundstochter Thurainilla, deren schattenförmige Zwillingsschwester von Birgute vertilgt wird. Nicht nur in Deutschland sind sie in Sorge, was diese Daseinsform als nächstes unternimmt.

Von der westlichen Zaubererwelt unbemerkt trachtet der Dschinnenkundler Omar Al-Hamit danach, durch die Verschmelzung orientalischer Geisterkunde und moderner Kriegstechnik, erst den Irak und dann die restliche muslimische Welt zu unterwerfen, indem er dem Regime Saddam Husseins eine unbesiegbare Streitmacht anbietet. Sein Streben scheitert jedoch an den Geheimdiensten des Irans und der von seinen Taten Kenntnis erhaltenden Bruderschaft des blauen Morgensterns. Diese Bruderschaft ist vor allem besorgt, weil vier Abgrundstöchter wiedererwacht sind, darunter die mächtige Tochter der fliehenden Zeit. Sie wissen noch nicht, dass es bei einem Kampf zwischen dieser und ihrer Schwester Itoluhila zu einer Abspaltung der Seele Lahilliotas kam, die im von Itoluhila magisch manipulierten Körper Alison Andrews' eine neue Erscheinungsform findet.

Nach Jahrhunderten in magischer Versteinerung wird die ehemalige Rivalin Sardonias, die veelastämmige Ladonna Montefiori, wiedererweckt und will dort anknüpfen, wo der Kampf mit Sardonia sie unterbrochen hat. Damit ist sie zum einen eine neue Feindin der Spinnenschwestern um Anthelia/Naaneavargia, aber auch eine Bedrohung für alle anderen Menschen mit und ohne Zauberkraft. Da sie veelastämmig ist darf sie nicht getötet werden, weil dies eine unverzügliche Blutrache ihrer noch lebenden Blutsverwandten entfachen würde. Deshalb gehört sie zu den Angelegenheiten, um die sich der Menschen-Veela-Beauftragte Julius Latierre kümmern muss. Ebenso hat er immer noch mit der auf sehr raffinierte Weise unangreifbar gewordenen Veelastämmigen Euphrosyne Lundi zu tun, die mit für sich und ihren mit hoher Intuition begüterten Lebensgefährten Aron einen unbehelligten Aufenthalt in Frankreich erzwingt. Denn nur, wenn sie dort wo sie selbst geboren wurde eigene Kinder bekommen kann und diese wiederum unbehelligt aufwachsen und in Frankreich ihre Kinder bekommen können, kann der in den ungeborenen Körper seines Sohnes verbannte Armand Grandchapeau als sein Sohn Demetrius Grandchapeau zur Welt kommen.

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"Sie wird in den nächsten Tagen ankommen, Großmutter. Ob dir das behagt oder nicht, sie wird leben und ihren Weg machen, so wie ich", vernahm Himmelsglanz die leise singende Gedankenstimme ihrer Enkeltochter Euphrosyne. Bald ein Jahr trug diese bereits das erste von Aron Lundi empfangene Kind in ihrem Leib. Sie wusste, dass es eine Tochter sein würde und hatte die Frechheit besessen, ganz offen um den Familiensegen für ihr Kind zu bitten. Himmelsglanz, die Euphrosynes Verhalten zu tiefst missbilligte, ja zum Teil verachtete, musste nun entscheiden, ob sie, die älteste lebende Blutsverwandte, diesen Segen erteilen würde oder nicht. Sie hatte schließlich offen bekundet, ihrer Enkeltochter nicht mehr helfen zu wollen. Aber schloss das auch ihre Urenkeltochter ein? Natürlich konnte auch Euphrosynes Mutter die kleine Enkeltochter segnen, damit sie unter dem Schutz ihrer Familie stand. Und wenn sie, Himmelsglanz alias Léto, den Familiensegen erteilte, vereitelte sie damit zugleich die letzte Chance, ihre missratene Enkeltochter nachhaltig zu bestrafen. Doch nicht nur bei den Menschen galt das Wort, dass Blut dicker als Wasser war. Konnte sie die an sie herangetragene Bitte wirklich verweigern? Dann würde Euphrosynes Erstgeborene die erste aus Mokushas Volk abstammende, die ohne Mokushas Traditionen und Ehrerbietungen großgezogen würde. Konnte sie, eine Angehörige des Ältestenrates, dies zulassen?

"Ich nehme es zur Kenntnis, dass du die Ankunft deiner ersten Tochter fühlst, Euphrosyne. Ebenso muss ich wohl auch damit leben, dass du ihre Entstehung noch im Rahmen unserer Gesetze und Veranlagungen ermöglicht hast. Doch ob ich ihr meinen Segen erteile werde ich mir noch genau überlegen", sang Himmelsglanz zurück.

"Du wirst nicht darum herumkommen, Großmutter. Denn wenn du ihr den Segen verweigerst und sie nicht anerkennst bleibt diese Aktionistin Nathalie Grandchapeau bis zu ihrem Tod mit ihrem ersten Sohn schwanger. Denn ohne den Familiensegen erfüllt sich die Bedingung nicht, die ich Armand Grandchapeau auferlegte, damit er die Geburt seines Sohnes erleben kann."

"Das gefällt dir wohl, eine derartige Macht zu haben, wie?" sang Himmelsglanz zurück.

"Man hätte mich einfach mit Aron in Ruhe leben lassen sollen. Ich habe mich nur gewehrt und zugleich dafür gesorgt, dass uns keiner mehr behelligt. Dazu gehört auch, dass Arons und meine Kinder und deren Kindeskinder unbehelligt aufwachsen können, ohne von irgendwelchen Bürokraten wegen ihrer Herkunft geächtet zu werden. Ich habe ein Recht darauf, dass meine Nachkommen auf der selben Heimaterde in die Welt eintreten wie ich."

"Das Hängen an der Heimaterde ist eigentlich ein Grundbedürfnis der Nachtkinder", stieß Himmelsglanz erbost aus. Euphrosyne sang ihr zur Antwort zurück, dass auch die Kinder Mokushas den Boden schätzen, auf dem sie geboren wurden und nur weil ihre eigene Mutter einen Zauberer aus Frankreich geheiratet habe, sei sie, Euphrosyne, nicht darauf aus, Himmelsglanzes Heimatland als Wohnsitz zu beanspruchen. Außerdem verlachte sie den Vergleich mit den Nachtkindern, die vom Blut warmblütiger Lebewesen lebten. Denn diese hätten sich in den letzten Jahrhunderten auch zu Weltbürgern entwickelt, bei denen es nur noch wichtig war, unter welchem Mond sie zu Nachtkindern geworden waren. Weil Himmelsglanz das schon längst wusste musste diese zumindest einräumen, dass Euphrosyne sich nicht auf diese Weise überzeugen ließ, von ihrem eingeschlagenen Weg abzuweichen. Es war auch leider richtig, dass der in den Körper seines ungeborenen Sohnes gebannte Armand Grandchapeau nicht dem Leib seiner früheren Angetrauten verlassen und eigenständig leben konnte, wenn Euphrosynes Kinder und Kindeskinder nicht auf demselben Heimatboden zur Welt kamen wie sie selbst. Himmelsglanz dachte jedoch auch daran, dass dieses noch auf ihre Geburt hinwachsende Mädchen als Werkzeug missbraucht worden war, um den verbotenen Segen der Sonne zu erteilen, der Nathalie Grandchapeau, ihre Tochter Belle und die jetzt als Ministerin amtierende Ornelle Ventvit dazu verurteilte, ihre geliebten Freunde und Verwandten jahrhundertelang zu überleben. Das gefiel ihr auch nicht. Nur musste sie erkennen, dass das kleine Mädchen in Euphrosynes Schoß überhaupt nichts dafür konnte, dass es zum Schicksal von so vielen Leuten geworden war.

"Wie erwähnt werde ich mir das überlegen, ob ich deiner Tochter den Familiensegen erteile, Euphrosyne", sang Himmelsglanz noch einmal. Wie das Mädchen heißen würde durfte erst nach ihrer Geburt laut oder auf dem Weg des Einanderzusingens erwähnt werden, weil mit dem Namen und der Reihe ihrer weiblichen Vorfahren die Verbindung zu den Ahnen geknüpft wurde.

"Du wirst es mitbekommen, wenn sie geboren wird, Großmutter. Danach werde ich dir mitteilen, wann ich ihre Ankunft gemäß den Zaubererwelttraditionen feiern möchte. Spätestens dann wirst du sicher wissen, ob du ihr den Familiensegen zuerkennst oder nicht", sang Euphrosyne zurück. Dann beendete sie die über große Strecken reichende Geistesverbindung, die nur blutsverwandte Veelas oder Veelastämmige errichten konnten, ohne sich auf umständliche Vorstufen einstimmen zu müssen.

"Wenn ich das Mädchen segne kann ich den letzten Schnitt nicht vollziehen. Dann kann mir diese ungeratene Göre weiter an den Haaren ziehen, ohne dass ich sie dafür züchtigen darf", knurrte Himmelsglanz, als sie sich vergewissert hatte, dass Euphrosyne keinen ihrer Gedanken mehr auffangen würde. Sie dachte auch an Julius Latierre, dem mit ihrer Fürsprache und Hilfe zum Vermittler zwischen ihrem Volk und den Menschen gewordenen Jungzauberer. Auch dachte sie an Sternennacht, die ein ähnliches Problem mit ihrer Blutsverwandten Ladonna hatte, weshalb Sternennachts überlebende Blutsverwandte alle im Zauberschlaf lagen, um nicht von dieser völlig ungeratenen, durch grünes Waldfrauenblut verdorbenen aufgespürt und umgebracht zu werden.

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"Und Bärbel musste heute noch nach Hause zurück?" fragte Millie Latierre ihren Mann, als dieser am Abend des 28. Februars von der Arbeit nach Hause kam.

"Nicht direkt nach Hause, aber zumindest schnell weiter nach England, weil sie da mit dem Kollegen Tim Abrahams zusammentreffen will. Wegen diesem Supernachtschatten sollen sämtliche Zaubereiministerien koordinieren, wie der Bedrohung beizukommen ist", erwiderte Julius. Er vermied es, noch mal davon zu sprechen, was der als weiblich erkannte Supernachtschatten in Deutschland angestellt hatte. Für Millie und die in ihr heranwachsende dritte Tochter Clarimonde war das sicher keine verträgliche Sache.

"Dann trifft Bärbel wohl auch Pina, oder wird die aus dieser Nummer rausgehalten?" wollte Millie wissen.

"Ich kann mir vorstellen, dass Bärbel und Pina ein Gipfeltreffen der obersten Abteilungsleiter für Zauberwesen, Strafverfolgung und Koexistenz von Menschen mit und ohne Magie aushandeln. Außerdem darf ich mich mit den Mesdames Grandchapeau und Belles Schwiegervater noch darüber unterhalten, was gerade im Irak abgeht, beziehungsweise, ob es da demnächst wieder zum Krieg kommt. Könnte sein, dass unsere Tante Barbara da auch bei sein will, wegen der da lebenden Zaubertiere."

"Schon unheimlich, dass du und Laurentine bei der Verabschiedungsfeier in Beaux davon geredet habt, dass ausgerechnet der Sohn von diesem George Bush noch einen Krieg da führen könnte und deshalb eine Menge mesopotamischer Hexen und Zauberer zu uns herüberkommen könnten", sagte Millie und schnippte mit dem Zauberstab, dass mehrere Kartoffeln aus ihren Schalen heraussprangen.

"Wird Laurentine wohl auch unheimlich vorkommen", erwiderte Julius und ließ ein Messer bereits geschälte Zwiebeln in Scheiben schneiden. Aurore trällerte in ihrem Zimmer zur Musik aus einen kleinen Musikfass, dass sie zu Weihnachten bekommen hatte.

"Und von der schwarzen Dame, die das italienische Zaubereiministerium aufgescheucht hat ist nichts mehr rübergekommen?" wollte Millie wissen.

"Was genauso besorgniserregend ist, als wenn sie noch mehr ihrer Blutsverwandten ermordet hätte", sagte Julius. "Die muss sich jetzt erst mal orientieren, was sie will und mit wem oder gegen wen sie dabei gehen will. Ich denke, wir werden auf jeden Fall viel zu früh wieder von der hören", sagte Julius. Dann wechselte er das Thema und kam auf das, was Millie heute so erlebt hatte. Wo sie das dritte Kind erwartete hielt sie für ihren Arbeitgeber Gilbert Latierre die Stellung in Frankreich, während der immer noch mit Ministerin Ventvit durch die Welt reiste, um die alten Beziehungen zu pflegen und neue zu schaffen. Am zehnten März wollte die Ministerin wieder zu Hause sein und sich anhören, was in ihrer Abwesenheit so alles beschlossen wurde. Außerdem wusste Millie, dass Sandrine es geschafft hatte, ihren Sohn Roger Brian als Eigentümer des kleinen Hauses bestätigen zu lassen, dass sein Vater Gérard bei seiner Hochzeit zugesprochen bekommen hatte. Mit guten Verbindungen ihrer Mutter in die entsprechenden Abteilungen war das schnell erledigt worden, dass Gérard Dumas offiziell für tot erklärt wurde. Julius dachte dabei daran, dass jetzt irgendwo in England ein gewisser Stephen Moonriver aufwuchs, der in siebzehn Jahren die Entscheidung treffen musste, ob er wieder mit der Familie von Sandrine Dumas in Kontakt treten sollte oder es besser ließ.

Laurentine Hellersdorf stand vor der Entscheidung, ob sie nach den kommenden Sommerferien als Lehrerin für nichtmagische Lebensweise nach Beauxbatons gehen oder weiterhin als nun voll anerkannte Grundschullehrerin in Millemerveilles weitermachen sollte. Immerhin würde nach den großen Ferien auch Claudine Brickston hier in Millemerveilles eingeschult, zu der Laurentine ein eher familiäres Verhältnis hatte, wie eine Tante zu ihrer Nichte oder eine große Schwester zu ihrer kleinen Schwester. Andererseits hatte Laurentine immer betont, dass sie solange nicht als Lehrerin in Beauxbatons anfangen wollte, wie dort noch Leute zur Schule gingen, die sie als Schülerin mitbekommen hatten. Trifolio, der Kräuterkundelehrer, würde auf jeden Fall gehen, nachdem er doch noch ein Jahr länger gemacht hatte, weil ihm in Aussicht gestellt worden war, dass Camille Dusoleil eine ihrer besten Mitarbeiterinnen als Nachfolgerin schicken würde. Offenbar lag dem auf sein Fach fixiertem Lehrer was daran, dass sein Nachfolger mit der von ihm für einzig richtig gehaltenen Ernsthaftigkeit an das so umfangreiche Fach heranging und es nicht als eher spielerischen Zeitvertreib darstellte. Julius dachte, ob er nicht an Laurentines Stelle nach Beauxbatons zurückgekehrt wäre, um da den Leuten beizubringen, dass die sogenannten Muggel auch zu respektierende Menschen waren und ein sehr vielfältiges Leben führen konnten. Doch weil ein Zaubereiminister Louvois verhindert werden konnte gab es keinen Grund, das Ministerium zu verlassen, und jetzt sowieso nicht mehr, wo er eine verdammt verantwortungsvolle Stellung erreicht hatte, zwischen Veelas und Menschen und zwischen denen mit und ohne Zauberkraft zu vermitteln.

"Madame Araña hat sich heute mal in Vivianes Bild gezeigt und gefragt, ob du mal wieder was von den drei Damen gehört hast, die uns im Oktober besucht haben", griff Millie ein Thema auf, das Julius sehr berührte, wie sie durch die neue Herzanhängerverbindung mitbekam.

"Solange der große Goldene nichts neues anstellt kriegen wir von denen wohl nichts zu hören", sagte Julius. Millie fragte, was ihn an dieser Nachricht so in eine seltsame Stimmung versetzte. Er erwiderte darauf: "Das kommt daher, dass ich mich wegen Madrashainorian irgendwie noch stärker mit den Sonnenkindern verbunden fühle als wenn ich nicht bei Madrashmironda untergekommen wäre. Das ist irgendwie so, dass da noch was in der Welt ist, was aus einer ganz alten Zeit überlebt hat und nicht gleich darauf ausgeht, die Welt zu vernichten."

"Achso, und ich dachte schon, diese Ex-Anthelianerin und ihre Gönnerinnen hätten dich doch noch dazu gekriegt, nach den drei Söhnen, die ich noch von dir kriegen darf, noch ein paar süße Babys zu kriegen", erwiderte Millie mit einer gewissen Biestigkeit.

"Hmm, Faidaria könnte sich das sicher gut vorstellen", konterte Julius. Millie erkannte, dass sie da wohl gerade ein Eigentor fabriziert hatte. Denn insgeheim fragte sie sich schon, ob sie von Julius eben nur Mädchen kriegen konnte und er sich deshalb irgendwann nach einer anderen umsehen mochte, die ihm auch einen Sohn gebären konnte, wie es diese Lichtfrau Ashtaria von ihm verlangte, damit er als Erbe für den von arabischen Mördern umgebrachten Hassan Al-Burch-Kitab einspringen konnte. Schließlich hatte sie gehofft, das in Brittanys Bucheckernhaus empfangene Kind würde dieser erwünschte Sohn sein. Sicher würde sie dieses kleine Bündel Leben, das im Moment noch gut verpackt in ihr drinsteckte, genauso lieben wie Aurore und Chrysope, die gerade selig in der Wiege schlummerte. Doch diese verdammte Forderung Ashtarias hing jetzt über ihr und ihm wie eine immer dunkler werdende Wolke, von der keiner wusste, ob nur Regen oder doch eher Hagel oder ein tödlicher Blitz aus ihr herauskommen würde. Ja, so eine Schwangerschaft wühlte schon einiges an Gefühlen auf, und längst nicht alle waren angenehm, erkannte Millie einmal mehr.

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Jeff Bristol atmete erleichtert aus, als er lautes Babygeschrei aus dem Schlafzimmer hörte. Justine hatte es geschafft, heute, am ersten März 2003 um 20:00 Uhr hatte sie das gemeinsame Kind zur Welt gebracht. Die Heilerin, die zugleich auch im LI arbeitete, rief den bangenden Vater herein. Er prallte fast zurück, als er zum einen Justine mit immer noch weit klaffendem Unterleib und zum zweiten ein Baby mit quietschgrünen Locken sah, dessen Nase gerade knollenartig anschwoll, während es seinen ganzen Frust über diese blödsinnige Sache namens Geburt in die Welt hinausbrüllte.

"Das haben wir gerne, vor dem Anblick der eigenen Tochter schreiend zurückweichen", lachte die flachsblonde Heilhexe Mia Silverlake.

"Hmm, doch ein Mädchen. Oder ist das ein Junge, der gerade so tut, als wäre er ein Mädchen? Ich meine, der hat doch schon die Metamorphmagieeigenschaften und ..." Gerade wurde aus dem quietschgrünen Lockenhaar eine flachsblonde Löwenmähne, und die Knollenase schrumpfte zu einer niedlichen Stupsnase zusammen.

"Wer als Sie geboren wird bleibt eine Sie, solange sie nicht mit Vielsaft-Trank, Intercorpores Permuto oder Contrarigenuszaubern herumfuhrwerkt", sagte Mia Silverlake, die Heilerin, bevor sie das gerade erst wenige Minuten alte Baby in die Arme seiner erschöpften aber überglücklichen Mutter legte. Deren Haar hatte sich unter der Geburt zu einer wasserstoffblonden Kurzhaarfrisur verwandelt, die Jeff irgendwie an Kylie Minogue oder Madonna denken ließ. "Wieso bist du jetzt blond, Justine?"

"Vielleicht weil die da wollte, dass sie von einer Blondine geboren wird", keuchte Justine. "Übrigens, sie heißt Laura Jane Bristol."

"Laura, ist das nicht deine Urgroßmutter gewesen, die die stärkste Metamorphmaga in deiner mütterlichen Ahnenreihe war?" fragte Jeff Bristol.

"Eben jene, und Jane war ihre Zwillingsschwester, die dafür eine Auravisorin geworden ist, was mein Onkel Dave geerbt hat. Ich dachte erst daran, ihr den Namen deiner Großmutter mütterlicherseits zu geben. Aber als die, kaum, dass sie ihre Nase an die Luft gestreckt hat, anfing, ihre Haare umzufärben war klar, dass ich eine kleine Laura unter dem Herzen getragen habe. Du darfst sie gleich mal halten, wenn sie rausgekriegt hat, wo es für sie was zu essen gibt."

"Schade, dass ich das keinem meiner eigentlichen Verwandten erzählen darf", dachte Jeff Bristol. Dann dachte er einen kurzen Moment daran, dass er vor Jahren gerne mit einer anderen Frau zusammenleben wollte. Doch die hatte sich für einen anderen Weg entschieden und hatte jetzt selbst drei Kinder.

"Das ist aber nicht nett, an eine andere Frau zu denken, als an die, die dir gerade ein neues Kind geboren hat", klang eine sehr tadelnd klingende Frauenstimme mit britischem Akzent in Jeffs Kopf. Wer mentiloquierte ihm denn da? "Ich, Laura Jane Bristol. Schön, dass du mich auch verstehst, dann klären wir das gleich, Justine, also deine ordentlich angetraute Frau, in der ich neu Heranwachsen durfte, was nebenbei eine sehr interessante Erfahrung für mich war, könnt mich verstehen, weil ich mit euch beiden Blutsverwandt bin und du Jeff oder Zachary irgendwo in deiner Ahnenlinie einen Gedankenhörer hattest und meine Zwillingsschwester nicht nur Auren sehen und zuordnen konnte, sondern auch Gedanken hören konnte." Dann sah er, wie die Neugeborene ihr Haar und ihre Augenfarbe änderte und nun so aussah, wie eine gerade erst geborene Ausgabe von Martha Merryweather geborene Holder, verwitwete Andrews, adoptierte Eauvive. "Hätte die andere mich dann so hingekriegt?" hörte er die Neugeborene fragen. Justine, die sah, wie sich ihr Baby veränderte verzog ihr Gesicht. Sie funkelte ihren Mann an, der reflexartig einen Schritt zurückwich.

"Ach du meine Güte, das gibt's nicht. Das träume ich gerade doch", dachte Jeff Bristol.

"Das habe ich auch gedacht, als ich erst in dieses Helle Licht geflogen bin und mich dann im Bauch meiner eigenen Urenkelin wiedergefunden habe. Aber hab keine Angst. Ich kriege das hin, ein unschuldiges Baby zu sein. Aber dafür wickelst du mich bitte auch mal zwischendurch, ja?!" vernahmen Justine und Jeff Laura Janes Gedankenstimme.

"Das kann nicht wahr sein", dachte Jeff und wollte gerade die Heilerin rufen. Da hörte er die Gedankenstimme laut: "Vorsicht! Wer das verrät,dass ich das zweite Mal auf die Welt gekommen bin muss an meiner Stelle neu aufwachsen und ich kriege seinen oder ihren Körper zum weiterleben. Sei ganz ruhig, freu dich, dass du ein so süßes kleines Mädchen hingekriegt hast und kümmer dich so um mich wie um jedes andere Baby, dann kommen wir drei wunderbar klar. Aber jetzt habe ich wirklichen Hunger. Mal sehen. Wo hat die kleine Jenny zum ersten Mal genuckelt?"

"Ist was, Jeff?" fragte Justine ihn in Gedanken. Jeff sah sie und dann das kleine Mädchen an, dass sich gerade auf dem Bauch seiner Mutter nach oben schob. Jeff wusste nicht, was er antworten sollte. Da gedankensprach Justine: "Ach, sie hat dich schon erreicht. Weiß ich auch erst seit drei Wochen, dass sie in mir herangewachsen ist. Sie hat gemeint, wer das hörbar verrät muss den Körper mit ihr tauschen. Und von mir selbst geboren werden wollte ich dann doch nicht."

"Och, ich hätte dich aber auch ganz gerne angelegt, meine Große", hörten sie beide die Gedankenstimme der scheinbar wiedergeborenen Laura Brightgate. Jeff Bristol sah die Heilerin an, die dem Kennenlernen von Mutter und Tochter sehr aufmerksam zusah.

"An die Metamorpheigenschaften müsst ihr euch wohl gewöhnen. Die Kleine hat es ja immer wieder hingekriegt, ihren Geburtstag zu verlegen, weil sie mal kleiner und mal größer war. Unter der Geburt hatte sie einen nur halb so großen Kopf, weshalb sie gut ans Licht gelangt ist", sagte Mia Silverlake. Das kleine Mädchen, in dem offenbar der Geist einer vor fünfzig Jahren verstorbenen Hexe wiederverkörpert war, nuckelte gerade an Justines linker Brust.

"Oha, du musst doch mehr trinken, meine Große, sonst kriege ich nur Buttermilch zu trinken", gedankenfeixte das kleine Bündel Leben. Jeff konnte bald nicht mehr. Wenn er nicht bald hier herauskam wurde er noch wahnsinnig. Er kniff sich in den linken Arm ... und fand sich in dem Sessel wieder, den ihn Mia Silverlake hingestellt hatte, um ungestört mit seiner Frau die Geburt durchzustehen. Er hatte wahrhaftig nur geträumt. Er atmete auf, als er seine Frau stöhnen und schreien hörte. Offenbar war sein Kind noch nicht durch den engen Geburtskanal hindurch. Mann! Was Männer, die Väter wurden doch für abgedrehte Träume haben konnten! Als wenn irgendwelche Vorfahren wiedergeboren werden könnten und dann gleich von Geburt an oder schon davor wie Erwachsene mentiloquieren konnten. Sicher, es gab Geister und die Hindus glaubten eh an die Wiedergeburt. Irgendwie hatte er auch mal von einem Iterapartio-Zauber gehört, der jemanden vor einem schlimmen Fluch rettete, indem er oder sie von einer Hexe, der er oder sie vertraute, neu im Mutterleib empfangen und wiedergeboren wurde. Aber konnten die dann so gescheit oder gar vorlaut daherdenken oder mussten die dann auch wieder ganz neu zu leben anfangen, bis sie sich wieder an alles erinnern konnten, was sie vorher mal erlebt hatten? Er wusste das nicht und wollte es auch nicht darauf anlegen.

Ein lauter Schrei, diesmal der eines neugeborenen Kindes, durchdrang Jeffs Gedanken. Die über seinem Schoß liegende Decke löste sich von selbst und faltete sich im davonfliegen zusammen. Diese Heilerzauber waren schon interessant. Er wartete, bis Mia Silverlake ihn in das Schlafzimmer rief, in dem Justine gerade das Baby bekommen hatte.

Beinahe schrak er zurück, weil das Kind quietschgrüne Haare hatte. Seine Frau war wasserstoffblond. "Hallo, Jeff. Das hier ist Laura Jane, unsere kleine Tochter", keuchte Justine. Jeff sah nur das kleine Mädchen, dessen Nase gerade zu einer Knollennase anwuchs, bevor sie sich zu einer niedlichen Stupsnase zurückbildete.

"Ihr seid sicher, dass sie eine Sie ist und kein Junge, der wegen der Metamorphsachen auch ein Mädchen sein kann?" fragte Jeff Bristol.

"Da kann ich dich beruhigen, Jeff. Selbst meine Uroma Laura, die mir über Oma Jennifer ihre Fähigkeiten vererbt hat, konnte sich nur in einen Mann verwandeln, wenn sie entsprechende Tränke geschluckt hat." Jeff kniff sich sofort in den rechten Arm. Es tat weh. Er trat näher an Justine heran. Diese grinste ihn an. "Du hast eben so ausgesehen, als hättest du ein Gespenst gesehen. Es ist aber nur ein Baby, ein kleines, quirliges, ja auch lautes und sicher auch stinkendes Baby, das du in mich hineingestupst hast."

"Und du bist dir sicher, dass es keine -?" setzte Jeff an. Doch er wagte es nicht, es laut auszusprechen. Am ende musste er an Stelle des kleinen Mädchens neu aufwachsen, während sie mit seinem Körper frei herumlaufen und sich daran gewöhnen musste, ein Mann zu sein.

"Also, wenn du jetzt meinst, ich hätte wen aus deiner oder meiner Ahnenlinie wiedergeboren, Jeff, dann hast du echt zu viel in unserer Familienchronik gelesen", lachte Justine, während Mia sich zwischen ihre gespreizten Beine hockte und wohl auf die Nachgeburt wartete, während die kleine Laura Jane bereits auf Justines linke Brust zukroch. Jeff musste sich anstrengen, nicht wieder erschrocken dreinzusehen. . Dann erinnerte er sich, dass besagte Laura Brightgate kurz vor ihrem Tod behauptet hatte, dass sie eigentlich noch mal hundertzehn Jahre leben wolle und ob nicht eine ihrer drei Töchter sie noch mal neu austragen und zur Welt bringen wolle. Ja, deshalb und nur deshalb hatte er diesen abgedrehten Albtraum gehabt, seine Tochter wäre seine Schwiegerurgroßmutter.

"Ja, aber du hast ihr den Namen von deiner Urgroßmutter gegeben", sagte Jeff.

"Wenn die auch in den letzten drei Wochen immer wieder geschrumpft und gewachsen ist und sich unter der Geburt noch pummelig gemacht hat, dass ich sie fast nicht ans Licht bekommen hätte kann die nur Laura Jane heißen. Aber wenn du jetzt denkst, dass sie die Wiedergeburt meiner Urgroßmutter ist, dann hoffe mal drauf, dass sie mit dir als Vater einverstanden ist. Die ursprüngliche Laura konnte sich nämlich schon im frühen Kindesalter auf dreifache Körpergröße bringen, so wie ich das auf der Paradiso di Mare gemacht habe. Am Ende hätte sie dich dann selbst auf den Wickeltisch gelegt. Ach ja, sie war auch eine Exometamorphmaga, die durch Berührung Wesen und Gegenstände vergrößern oder verkleinern konnte. Deshalb habe ich die ja auch Laura Jane genannt. wir kriegen das hin, dass du sie auch lieb hast", sagte Justine und deutete auf den magischen Wandkalender. "Ich konnte Brenda gestern noch anmentiloquieren, dass die da gerade auf dem Weg nach draußen ist. Kannst du bitte alle anschreiben, die auf unserer Feierliste stehen, dass Laura Jane Bristol heute am ersten März um zehn Uhr zwölf Abends Ostküstenzeit geboren wurde und wir am dreißigsten März gerne ihre Ankunft feiern möchten?"

"Alles was du möchtest", sagte Jeff, froh, nur ein ganz normales Baby gezeugt zu haben. Obwohl, Laura Jane bekam gerade die flachsblonden Haare von Mia Silverlake und schien auch einen größeren Mund zu bekommen. Gleichzeitig legte Justine an ihrer Oberweite noch einiges Zu. Das war für jemanden, der keine Metamorphmagi gewohnt war schon sehr gruselig. Ja, er hatte keine normale Hexe geheiratet und deshalb auch keine ganz normale Tochter bekommen. Aber solange es nur bei diesen Metamorphkunststücken blieb konnte er damit leben, hoffte er.

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Die Zusammenkunft am nächsten Morgen war gut besucht. Wahrhaftig waren nicht nur Barbara Latierre, sondern auch Monsieur Alain Dupont, der Stellvertreter des Abteilungsleiters für internationale magische Zusammenarbeit, bei dieser Besprechung anwesend. Daher ging es zunächst um die Zuständigkeiten. Dupont beschwerte sich im korrekten Beamtenstil, weil seine Abteilung nicht über das Aufkommen der Nachtschatten in Deutschland informiert worden war. Die Beschwerde wurde von Nathalie und Julius zurückgewiesen, da die deutsche Entsprechung seiner Abteilung sicher frühzeitig genug mit Dupont oder seinem Vorgesetzten Chaudchamp konferiert hätte, wenn diese sich für zuständig erklärt hätte.

Des weiteren ging es um den drohenden Irakkrieg. Auch wenn Frankreich offiziell nicht daran teilnehmen würde musste zumindest damit gerechnet werden, dass wie beim letzten Mal magische Ansiedlungen in Gefahr geraten konnten. Damals hatte das französische Zaubereiministerium geflüchteten Hexen und Zauberern Asyl gewährt und/oder nach Beendigung des Kriegseinsatzes Schadensersatz für unwiederbringlich zerstörtes magisches Eigentum geleistet. Diesmal würde sich Frankreich nur darauf beschränken, geflüchteten Hexen und Zauberern eine vorübergehende Unterkunft zu gewähren und magische Hilfsmaßnahmen wie Heilereinsetze, Zaubertrankzutatenerwerb und technische Beratung beim möglichen Wiederaufbau zerstörter Zaubererweltgebäude zu leisten. Finanzabteilungsleiter Colbert stellte deutlich heraus, dass es in Frankreich keine Zustimmung geben würde, Gold in ein Kriegsgebiet zu schicken, mit dessen Zustand Frankreich diesmal nichts zu tun hatte.

Auf Nathalie Grandchapeaus Frage hin, ob mit einer möglichen Einmischung arabischer oder irakischer Zauberer und Hexen zu rechnen war erwiderte Dupont, dass er diese Frage tunlichst nicht stellen wollte, um das irakische Zaubereiministerium nicht zu beleidigen, es beherberge Zauberer, die sich am Elend eines blutigen Krieges bereichern oder eigene Macht erringen wollten. Darauf hielt Julius ihm mit Zustimmung Nathalies entgegen, dass es auch im kleinsten Staat magische Verbrecher geben mochte, die sich nicht an die Zaubereigesetze hielten und durchaus gefragt werden müsse, was die irakischen Kollegen im Falle einer magischen Einmischung taten. Dupont wurde beauftragt, die für ihn so unantastbar erscheinende Frage an den Kollegen in Bagdad zu richten.

Am Ende ging es noch um Pläne, im irak befindliche Zaubertiere in weniger gefährdete Regionen derselben Klimazone umzusiedeln. Julius erinnerte sich und alle anderen, dass beim Kuweitkrieg mehrere Felsenvogelpaare getötet worden und ihre Gelege unbebrütet verdorben waren, was einen erheblichen Einschnitt in die Gesamtpopulation bedeutet hatte. Deshalb sollte der irakischen Zaubereiverwaltung angeboten werden, gerade nicht brütende Paare nach Algerien umzusiedeln, wo noch genug Platz im magischen Wüstentierreservat war. Damit wurde Barbara Latierre beauftragt. Die geriet beinahe in große Wut, weil Dupont ihr vorhielt, dass arabische und persische Ministerialzauberer keine Verhandlungen mit Hexen führen wollten. Das brachte Julius dazu, zu fragen, wie denn die Kollegen im Orient mit einer Zaubereiministerin Ventvit zurechtkommen mochten. Darauf bekam er keine befriedigende Antwort.

Julius musste sich sehr beherrschen, als nach seiner Frage, ob denn auch an eine Kontaktaufnahme mit der Bruderschaft vom Blauen Morgenstern gedacht worden sei, vorgehalten bekam, er müsse die geltenden Regeln der Diplomatie achten. Außerdem wurde er dann noch gefragt, ob er, Julius, im Falle, dass man gegen orientalische Zauberer und von ihnen versklavte Golems und Dschinnen bereit sei, mit den Abgrundstöchtern zu verhandeln. Darauf sagte er gerade noch am Rande der offenen Wut:

"Messieursdames: Ich habe meinen Eid geleistet, alles zu tun, was Schaden vom Ministerium abwendet. Wenn mir Madame Grandchapeau oder Monsieur Vendredi den klaren Befehl erteilt, mit einer dieser Abgrundstöchter zu verhandeln, dann nur, wenn eindeutig klar ist, dass dadurch kein weiterer Schaden für unser Land entsteht, beispielsweise dadurch, dass ich von einer dieser Unheilsdamen unterworfen und gegen das Ministerium eingesetzt werden könnte. Nur mit fremder Hilfe bin ich den bisherigen Begegnungen entronnen. Das muss nicht immer gut ausgehen, Messieursdames. Das mögen Sie bitte zur Kenntnis nehmen." Madame Nathalie Grandchapeau bekräftigte für das Protokoll, dass die ihr bisher zugegangenen Kenntnisse ihr deutlich zu verstehen gaben, dass an eine friedliche oder gar nutzbringende Unterhandlung mit den Abgrundstöchtern nicht zu denken sei. Sie ging davon aus, dass auch Monsieur Vendredi dies so empfinde. Damit war dieser vfür Julius so brisante Teil auch abgehandelt.

Kurz nach zwölf, Julius wollte eigentlich gerade zum Mittagessen gehen, klopfte jemand bei ihm an. Es war Léto.

"Julius, bevor du es von ihr selbst in einer ihrem Überlegenheitsgefühl entsprungenen Mitteilung erfährst möchte ich dir sagen, dass Euphrosynes Kind wohl in den nächsten Tagen geboren wird und es eine Tochter sein wird. Sei bitte darauf gefasst, dass du als von uns und euch bestätigter Verbindungsmann einer möglichen Willkommensfeier beiwohnen könntest, sofern sie dich dazu einlädt. Ich möchte dich bitten, dass du dich nicht von ihr zu irgendwelchen gefühlsmäßigen Einlassungen hinreißen lässt. Die Angelegenheit ist für uns bereits demütigend genug."

"Nichts für ungut, Léto. Aber durch unsere Verbindung hat deine Enkeltochter trotz meiner Geistesabschirmung einen gewissen Einfluss auf mich. Wenn die sagt, ihr täte es weh, wenn ich nicht dieses oder jenes für sie tue, dann wird mir das sehr schwerfallen, es nicht zu tun."

"Das liegt daran, dass ich dich nicht als meinen vollständigen Zögling annehmen wollte, Julius. Aber ich habe damals schon gespürt, dass du von einer sehr starken Kraft erfüllt bist, die sich gegen die eigentliche Annahme gewehrt hätte. Denn um dich als vollwertigen Zögling von mir anzunehmen hättest du von meiner Milch kosten müssen, und das solange, bis du dreimal davon satt geworden wärest. Es hätte dir und mir sicher sehr weh getan, wenn die bereits in dier schlummernde Kraft sich dagegen aufgelehnt hätte", erwiderte Léto. Julius verstand. Natürlich meinte sie Ashtarias Magie, die in ihn übertragen worden war. Dann fragte er: "Ja, aber dann bin ich deiner Enkeltochter hilflos ausgeliefert."

"Nicht, wenn ich dir gleich beim eintreten durch eine Umarmung bekräftigt auferlege, nur die Dinge zu tun, die ich dir zu tun auferlege. Gegen diese stärkere Kraft kann die nur zu einem Viertel von Mokushas Blut erfüllte nichts aufbieten."

"Wenn du das sagst, Léto", erwiderte Julius etwas verhalten.

"Ich werde sicher zu dieser Willkommensfeier eingeladen, die Euphrosyne für ihre Tochter geben wird, sofern diese nicht unter der Geburt verstirbt. Wenn du dorthin eingeladen werden solltest gehen wir beide zusammen dorthin, nicht getrennt. Die soll wissen, dass ich im Zweifel deine und des Ministeriums Autorität anerkenne, auch wenn ich das nicht muss", erwiderte Léto. "Außerdem kann ich dir dann, wo sie dabei ist, die Anweisung geben, nur die Sachen zu tun, die ich dir und damit wem immer erlaube", wiederholte sie, was sie bereits gesagt hatte. Julius nickte nur. Was er dachte behielt er besser für sich.

"Wann ungefähr könnte die kleine Mademoiselle Lundi zur Welt kommen?" fragte er dann.

"Das kann heute passieren oder in zwanzig Tagen. Du weißt ja, dass wir Töchter Mokushas sehr lang an unseren Kindern tragen. Ich werde es auf jeden Fall mitbekommen, wenn meine neue Blutsverwandte selbstständig zu atmen anfängt und unter annderem mein Name für sie gesungen wird, um sie mit ihren Ahnen bekanntzumachen. Ich teile es dir dann mit. Aber schreibe sie nicht von dir aus an, sondern warte, bis entweder Blanche Faucon oder sie selbst es dir mitteilen!"

"Ja, mache ich, Léto", erwiderte Julius. Sein Magen grummelte.

"Ui, du hast Hunger. Dann sieh zu, dass du was in deinen Bauch kriegst, mein Junge", sagte Léto und tätschelte Julius' Bauchdecke. Er ließ sich das gefallen und grinste nur. "Solange ich nicht für zwei essen muss wie meine Frau oder deine Enkeltochter", erwiderte Julius darauf.

Nach der Mittagspause ging Julius in Nathalies Büro. Das erste, was sie machte, sie gab ihm einen silbernen Ohrring, den er sich an sein linkes Ohr hängen durfte und baute einen Klangkerker auf. Als Julius den Ohrring eingehängt hatte hörte er das rhythmische Pochen von Nathalies Herz, als wäre er mal eben in ihren Körper übergewechselt. Er hörte auch das Gluckern ihrer Verdauungsorgane und das Fauchen ihrer Atemzüge. Dann hörte er die wie von einem kleinen Jungen stammende Stimme Demetrius' in beiden Ohren gleichzeitig:

"Hallo, hörst du mich, Julius? Du brauchst nur worthaft zu denken."

"Ja, ich höre dich, Demetrius", dachte Julius und hörte seine Stimme dumpf nachhallen. Dann sagte Nathalie: "Schön, die Verbindung geht auch über drei Einbezogene. Ich habe den Klangkerker aufgebaut, damit keiner mitbekommt, wenn uns doch das eine oder andere laute Wort entschlüpft. Demetrius möchte dir gerne was erzählen, was ich nicht aufschreiben will, selbst dann nicht, wenn du es nach dem Lesen sofort vernichtest", klang Nathalies Stimme wie aus großen Basslautsprechern um Julius herum.

"Ich höre, Demetrius", dachte Julius und hörte es dumpf widerhallen.

"Entweder bin ich jetzt völlig auf Fötus zurückgedreht oder ich kriege mit, was mit anderen Bauchinnenraumturnern so passiert. Jedenfalls träume ich immer wieder davon, dass ich nicht bei Maman Nathalie unten drin liege, sondern bei dieser Veelabrütigen Euphrosyne und kein Junge sondern ein Mädchen sein soll. Jedenfalls höre ich die immer wieder daran denken, was für ein hübsches und vor allem zauberstarkes Hexenmädchen ich werde, wo ich die Erbanteile von ihr und diesem Balltreter Aron Lundi in mir drin hätte. Falls das keine blöden Träume eines im Mutterbauch geparkten Bengels sind sondern echte Außeneindrücke, wie kommt sowas dann bitte?"

"Hmm, zum einen hat mir Léto heute mitgeteilt, dass sie wohl bald eine Urenkelin bekommen wird. Zum anderen haben deine Maman und du eine Menge von Euphrosynes Veelazauber abbekommen und seid deshalb wohl mit ihr irgendwie verbunden. Wenn ich das damals richtig mitbekommen habe darfst du erst dann zu uns auf die Welt kommen, wenn Euphrosynes erstes Enkelkind ankommt. Deshalb vermute ich stark, dass du geistig mit jedem Kind verbunden bist, das kurz vor der Geburt steht. Möglicherweise wirst du das dann auch mitbekommen, wenn Euphrosynes Tochter geboren wird. Ob du danach weiterhin mit ihr verbunden sein wirst weiß ich nicht. Aber ich halte das leider für möglich."

"Öhm, soll heißen, wenn ich träume stecke ich dann in der Kleinen von dieser Kriminellen drin und kriege mit, wie die lebt?" wollte Demetrius wissen. Julius nickte. Nathalie erwiderte ungehalten, dass ihr Sohn das nicht sehen könnte. Deshalb antwortete er auf die durch das verbesserte Cogison ermöglichte Weise: "Ich weiß das nicht. Falls ja, bleibt diese Verbindung wohl nur solange, bis Euphrosyne ihr nächstes Kind erwartet, weil du vordringlich mit ihrer Magie verbunden wurdest, genau wie deine Maman."

"Danke für diese Einschätzung. Ob mir das gefällt, mitzukriegen, wie dieses Nuckelpüppchen gefüttert wird? Am Ende kriegt Euphrosyne ihr zweites Kind erst, wenn dieses Mädchen mit Beauxbatons durch ist oder gar selbst schon wen kleines ausbrütet. Oha, am Ende kriege ich das dann mit, wie das in der wächst."

"Hmm, ich kann und will das nicht komplett ausschließen, Demetrius", antwortete Julius leicht betrübt. Demetrius meinte dann noch: "Oha, dann könnte mir das sogar passieren, dass ich das voll spüre, wie die beim Liebemachen angeregt wird und ..."

"Hallo, nicht solche Sachen denken, mein Kleiner. Solange du deine Füße noch unter meinem Rock hast und ich für dich mitessen und mitatmen muss behältst du solche Gedanken bitte für dich, klar?!" schnaubte Nathalie Grandchapeau.

"Ui, wusste nicht, dass dich das immer noch sehr anregt, Nathalie", erwiderte die Kinderstimme aus dem Ohrring belustigt. Julius musste unwillkürlich grinsen. Offenbar wollte Demetrius seine in Dauerwartestellung steckende Mutter auf die Schippe nehmen. Oder meinte er das doch ernst?

"Demetrius Vettius Grandchapeau, ich habe mich damit abgefunden, sehr lange mit dir unter meinem Herzen herumzulaufen und allen vorzumachen, dass du schon längst auf der Welt bist und ich deshalb immer wieder in das sichere Haus muss, um dich satt und sauber zu halten. Bitte verschone mich also mit derartigen Vorstellungen, du könntest, dürftest oder müsstest miterleben, wie die Tochter dieses Frauenzimmers darauf hinarbeitet, dass du auch aus meinem schützenden Schoß hinausgelangen darfst. Abgesehen davon wissen wir dann immer noch nicht, wie lange ich dich wickeln und stillen muss, wenn du erst einmal ans Licht der Welt gelangt sein wirst. Ich habe das mit deinen Träumen nur weitergeben wollen, damit Julius seine Einschätzung dazu erwähnen kann. Außerdem gibt es noch andere Sachen, die wir drei besprechen wollten, nachdem das heute morgen in einer nicht ganz so angenehmen Atmosphäre verlaufene Gespräch vorbei ist", sagte Nathalie und setzte sich auf ihrem Bequemen Stuhl zurecht.

"Ach ja, dieser Einwand von Bartholomé Dupont wegen der Privilegien von Maman Nathalie und ob du dir das befehlen lassen würdest, eine von diesen Abgrundstöchtern zu suchen. Da hätte ich glatt mit Hammer und Nägeln zwei Bilder in Mamans Bauch aufhängen können, so hart wurde ihr Uterus, weil die sich heftig angestrengt hat, nicht voll wütend zu werden", erwähnte Demetrius.

"Genau, das war sehr provokant von ihm, nur weil er sich an dir und mir abreagieren wollte, weil wir die Angelegenheit mit den neuen Nachtschatten nicht mit seiner Behörde abgestimmt haben", sagte Nathalie, im Klangkerkerzauber und über die Cogisonverbindung die persönliche Anrede gebrauchend. "Dann klären wir das gleich: Von mir wirst du so einen Befehl nicht erhalten, eine dieser Abgrundstöchter aufzusuchen, eben weil ich weiß, was diese Biester für Kräfte haben und dass sie darauf lauern, wichtige Leute in ihren Bann zu ziehen. Und du bist insofern wichtig, weil du mit den Kindern Ashtarias und dem alten Reich in Verbindung stehst. Ich habe nach der Unterredung auch gleich Arion Vendredi angeschrieben, dass er dir einen solchen Befehl nicht erteilen möge, da die negativen Auswirkungen wesentlich schwerer wiegen als die möglichen Chancen. Zwar wird er das wohl erst nach seinem Urlaub lesen, aber zumindest kann er nicht behaupten, er sei umgangen oder außen vor gelassen worden. Ja, und ich verbiete es dir, wegen was auch immer freiwillig die Nähe einer solchen Kreatur zu suchen, selbst wenn du wüsstest, wo sie sich aufhält oder wie du sie zu dir hinrufen könntest. Im Grunde bin ich sehr froh, dass ..." Ein lautes Rumpeln und Gluckern übertönte ihre Antwort.

"Ui, sind die vier Würste mit Schlagsahne und die Erdbeeren mit Senf schon wieder durch, Maman", trällerte Demetrius' Cogisonstimme belustigt.

"Ganz ruhig da unten. Immerhin hast du von dem Essen die Hälfte in dich selbst eingesogen oder tust es noch", grummelte Nathalie. Dann vollendete sie den von ihrem Verdauungstrakt unterbrochenen Satz:"Ich bin sehr froh, dass deine Familie und du doppelt geschützt untergebracht seid, dass diese Biester dich nicht nachts heimsuchen können, wie sie es sonst bei alleinstehenden Männern oder Frauen tun."

"Das finden meine Frau und ich auch, Nathalie", sagte Julius. Dann rumpelte Nathalies Gedärm wieder so laut, dass keiner was sagen beziehungsweise cogisonieren konnte. Julius dachte daran, warum er Nathalies Körpergeräusche mithören musste. Offenbar war die neue Cogisonart auch mit dem Hörempfinden des damit versehenen gekoppelt.

"Ja, das war das eine. Das andere war, dass ich denke, dass Dupont deshalb so angepi..., öhm, gereizt war, weil deine Frage nach möglichen Dunkelmagiern und den Morgensternbrüdern ihn kalt erwischt hat. Der gute Bartholomé ... Moment, da will wohl was raus ..." Nathalie verzog ihr Gesicht und strengte sich wohl an, etwas zurückzuhalten, was sie hier und jetzt nicht freisetzen wollte. Doch Demetrius war da wohl anderer Meinung. Julius überhörte das unverkennbare Geräusch, dass sowohl wie lautes Posaunengedröhn wie auch über seine üblichen Hörwege zu vernehmen war. "Maman, der Junge kann sowas ertragen. Das muss dir nicht peinlich sein", kommentierte Demetrius das ganze noch, während Nathalie tomatenrot anlief. Als wenn Demetrius das noch mitbekommen hätte setzte der noch nach: "Fast hättest du es hingekriegt, das große D zu spielen, wie Demetrius. Müssen wir wohl noch üben."

"Ich nehm dich glatt beim Wort und verzehre heute noch drei Teller Zwiebelsuppe und zum Nachtisch Erdbeerpudding mit Zaziki", erwiderte Nathalie darauf. Julius wurde bei dieser Zusammenstellung beinahe übel. Doch weil Millie in seiner Gegenwart auch schon Sachen gefuttert hatte, die Menschen ohne Umstandsbauch ziemlich unwohl sein ließen, sagte er dazu nichts. Das übernahm der ungeborene Demetrius:

"Mir taten die Gedärme danach nicht weh, war nur laut, die ganzen Pubsblasen an mir vorbeiblubbern und aus dir rausknallen zu hören, Maman."

"Okay, ich muss das nicht alles wissen, und ich denke mal, auch wenn ihr zwei meine Urenkel noch überleben könnt habt ihr auch nicht alle Zeit der Welt, richtig?" warf Julius ein. Nathalie nickte, und Demetrius ließ das Cogison ein amüsiertes "Guck mal Maman, dem ist sowas noch unangenehmer als dir" ausgeben.

"Ja, aber recht hat Julius wohl", erwiderte Nathalie. Dann beendete sie den Satz, den ihre Verdauung so undamenhaft unterbrochen hatte.

"Was ich auf jeden Fall wolte, bevor mein auf unbestimmte Zeit in meinem Leib eingebetteter Sohn uns unterbrochen hat: Ich möchte, dass du alle Verbindungen bemühst, die du dir bisher erarbeitet hast, um herauszubekommen, ob es im Irak oder Umgebung Anzeichen gibt, dass jemand dort mit dunkler Zaubermacht versucht, einen Krieg auszulösen. Außerdem möchte ich, dass du unsere Rechner so programmierst, dass sie unverzüglich alle Nachrichten über einen bevorstehenden Krieg weitermelden, so dass wir auch dann was davon erfahren, wenn wir nicht gerade an diesen Geräten sitzen. Kriegst du das hin?"

"Hmm, dass der Rechner alle im Internet herumfliegenden Nachrichten überwacht und sofort was ausdruckt, wenn es für uns wichtig wird auf jeden Fall. Das Ausgedruckte müsste dann aber irgendwie aus dem magiefreien Bereich abgeholt und zu uns hingebracht werden. Deshalb geht sowas wohl nur, wenn ständig wer am Rechner sitzt."

"Und das andere?" wollte Nathalie wissen.

"Ich habe im arabischen Ausland keine Kontakte. Ich weiß aber von Jacqueline Richelieu, einer Klassenkameradin von Babette Brickston, dass deren Mutter wohl Verwandte in Algerien hat und deshalb auch arabisch kann. Aber inwieweit ich sie damit behelligen darf weiß ich nicht."

"Hmm, aber deine Schwiegertante, ich meine Madame Barbara Latierre hat Mitarbeiter. Bitte teile ihr in meinem Namen mit, dass die Aufgabenverteilung von mir dahingehend erweitert wurde, dass ihre Felsenvogelexperten auch mit möglichen Kontaktleuten über ungewöhnliche Vorkommnisse, die auf eine Einmischung in die Kriegsvorbereitungen hindeuten, aufmerksam machen!"

"Hallo, da fällt mir noch was besseres ein, Nathalie: Wenn im Irak gerade jemand in der falschen Tonart ... öhm, unverdauliche Rückstände in Gasform freisetzt ..., dann hört das sicher auch die CIA mit, wo die sicherstellen wollen, dass ihre Militärs auch das treffen, was wirklich wichtig ist und nicht wie in Afghanistan 20-Dollar-Zelte mit zehn Millionen Dollar teuren Raketen zerblasen. Ich habe über das Arkanet doch den Draht zu einer LI-Mitarbeiterin bei den Jungs und Mädels in Langley. Ich habe das heute morgen ja kurz angedeutet, dass wir über das Arkanet gut aufgestellt sind, was weltweite Kontakte angeht."

"Gut, du hast die genehmigung, derlei Anfragen weiterzuleiten, natürlich über die verschlüsselten Verbindungswege. Und was die erwähnten gasförmigen Ausscheidungen angeht, so habe ich bis heute keine richtige Tonart zu hören bekommen", erwiderte Nathalie.

"Weil sie nicht das absolute Gehör hat wie ich", giggelte Demetrius' Cogisonstimme.

"Das bringt dir auch erst wieder was, wenn du eine Gitarre anzupfen oder mit eigener Lungenkraft in eine Flöte reinblasen kannst", grummelte Nathalie. Dann schrieb sie für Julius entsprechende Dienstanweisungen aus und auch eine für Madame Latierre, Barbara.

Als Julius dann wieder in seinem Büro saß dachte er daran, was sich Euphrosyne selbst eingebrockt hatte. Wenn Demetrius wirklich im Traum bei ihrem Kind mithörte, ja miterlebte, was es tat oder sagte, dann würde Demetrius vielleicht mitbekommen, wie sie die weibliche Ahnenreihe für das Kind sang, während sie es zur Welt brachte. Gut, im Geburtskanal war das Hören nicht so gut, wusste Julius aus diversen Nacherlebnissen nicht nur seiner eigenen Geburt. Aber allein die Möglichkeit, dass ein Nichtveela eine ganze Ahnenreihe vorgesungen bekam verstieß im Grunde gegen die Gesetze dieser Zauberwesenrasse. Ja, und wenn das mit der Geburt nicht aufhörte und Demetrius wirklich in der kleinen Lundi mitwuchs, wenn er träumte, dann bekam er vielleicht noch so dies und jenes mit, was Euphrosyne nicht gefallen würde. Hoffentlich war es aber nicht genau das, was sie wollte, ihn über ihre Kinder und Enkel zu unterwerfen, dachte Julius. Sollte er Léto darauf bringen? Nein, am Ende kam Euphrosyne darauf, ihr eigenes Kind noch unter der Geburt umzubringen, damit ein solcher Kontakt nicht bestand und danach keine Kinder mehr haben zu wollen. Das hieße für Nathalie und Demetrius, dass sie über Jahrhunderte lang Nathalies Körper teilen mussten. Auch wenn er wohl nicht so alt würde, um zu erleben, was dann alles möglich war wollte er nicht Schuld sein, wenn Demetrius alias Armand Grandchapeau auf ewig im Bauch seiner früheren Ehefrau eingesperrt blieb, bis diese starb. Er dachte an Ashtarggayan, den zwei fiese dunkle Hexenschwestern dazu verurteilt hatten, bis eine Stunde vor dem Tod seiner Mutter ungeboren zu bleiben. Nein, das wollte er Demetrius sicher nicht antun, und Nathalie schon gar nicht, wo sie ihm heute Morgen geholfen hatte, sich selbst nicht in unnötige Schwierigkeiten zu reden. Doch dann fiel ihm was ein, was seine Stimmung schlagartig wieder aufhellte. Veelas durften sich nicht gegenseitig umbringen, vor allem dann, wenn sie miteinander verwandt waren. Dass hatte er doch schmerzhaft zu spüren bekommen, als er den irrsinnigen Diosan niederkämpfen musste. Gut, Ladonna Montefiori hatte ihre Veelaverwandten ermorden können. Doch die war ja auch wohl noch von einer anderen Zauberwesenart, die das ihr doch ermöglicht hatte, womöglich eine grüne Waldfrau oder Sabberhexe. Aber reinrassige Veelas oder Mensch-Veela-Abkömmlinge durften sich gegenseitig nicht verletzen oder töten. Also durfte und konnte Euphrosyne ihr Kind nicht umbringen, nur um Armand Grandchapeau auf immer und ewig im Leib seiner Frau Nathalie einzusperren.

Als Julius am Abend wieder bei seiner Familie im Apfelhaus war winkte Millie ihm mit zwei Briefen. "Die sind am Nachmittag mit zwei Eulen gekommen. Eine von denen gehört Pina. Ich dachte, die hätte heute noch zu arbeiten gehabt", begrüßte ihn Millie. Julius wünschte seiner Frau und der sich sofort wieder an sein Bein klammernden Aurore einen guten Abend und hob auch die immer flinker krabbelnde Chrysope hoch, die schon anfing, sich an Stühlen und Bänken entlang zu hangeln und schon die ersten Brabbellaute ausstieß.

"Pina hat sich von Tim freigeben lassen, um die Einladungen rauszuschicken", sagte er und las seiner Frau Pinas Brief vor.

"Hallo, Millie, Julius, Aurore, Chrysope und wer da demnächst noch bei euch einzieht.

Ich habe die ganz große Ehre, euch alle von meiner Schwester Olivia zu grüßen und euch für den 18. März zu einer fröhlichen Feier einzuladen. Ich bin seit dem 25. Februar Tante eines kleinen Jungen namens James Tiberius Fielding. Eigentlich war er für den siebenundzwanzigsten angekündigt, hat aber beschlossen, dass er nicht länger in so einer Nörgelhexe wie meiner kleinen Schwester herumhängen wollte. Ich bewundere dich, Millie, dass du dir das schon zweimal angetan hast. Ich meine, Mum und ich haben bei der Geburt zugesehen. Tom durfte auch zusehen, bis er meinte, seiner Frau fast zwischen die Beine brechen zu müssen. Patience hat ihn dann sehr schnell ins Nebenzimmer gepackt und ihm Magentrost- mit Schlaftrank eingeflößt. Gut, war schon heftig, was Olivia aushalten musste. Mir taten ihre Schreie weh, weil ich dabei an die Schmerzen denken musste, die sie hatte. Aber als der Kleine dann ganz draußen war hat sie nur noch gelacht und ganze Wasserfälle Tränen geheult. Aber sie war total glücklich.

Wie geschrieben heißt der Kleine James Tiberius und soll am 18. März allen vorgestellt werden, die seinen Eltern wichtig sind. Wir gehören auch dazu, hat Olivia geschrieben. Vielleicht kommt auch deine große Freundin aus Sydney mit der kleinen Rosey herüber. Zumindest wollte Toms Daddy das versuchen, ob sie da freikriegt. Tom selbst hat für die nächsten zwei Wochen frei. Den Muggelkundeunterricht schmeißt Megan Barley solange. Oh, ich habe echt "schmeißt" geschrieben. Das darf Lady Genevra aber nicht hören oder lesen. wie dem auch sei, bitte bitte bitte bekommt das hin, dass ihr am 18. März um halb vier Nachmittags in Godrics Hollow im Haus Preiselbeerwürfel seid. Toms Eltern wollten zwar die Fete bei sich machen, aber Olivia und Tom haben sich durchgesetzt, dass ihr Kind da gefeiert wird, wo es auch geboren wurde und wohnt. Seine Schwester kommt auch rüber, vielleicht zusammen mit Aurora Dawn.

Zumindest brauchen Melissa, Erica und ich uns nicht um die Patenschaft zu zanken. Weil es ein Junge geworden ist wird Mike der Pate. Die Willkommenszeremonie hält dann der Zeremonienmagier, der auch Roy und Dina getraut und Dumbledores Grabrede gehalten hat. Soweit ich von tom sowie aus der Ausbildungsabteilung weiß ist der kleine James Tiberius schon in Hogwarts vorgemerkt. Öhm, ich verstand erst nicht, warum Toms Vater so gegrinst hat, als der ihm den Namen seines ersten Enkels genannt hat. Tiberius ist schließlich der Vorname von Olivias und meinem Vater gewesen. Aber weil mein Vorgesetzter auch so merkwürdig gegrinst hat habe ich ihn gefragt, ob ich da was nicht mitbekommen habe. Der hat mir dann erklärt, dass es schon ulkig sei, dass ein kleiner Zauberer nach einem berühmten Weltraumhelden benannt sei und er deshalb wohl seinen nächsten Sohn Jean-Luc nennen müsste, um da mitzuhalten. Wie gesagt, er hat es mir erklärt und ich muss deshalb nicht dumm sterben, weil ich lieber Black Beauty und die ganzen Besenprinzessinnengeschichten gelesen habe. Aber zumindest kannte ich die Reihe um die Zwillinge von St.Clare, welche Tom und Mike nur vom Hörensagen kennen.

Bitte schickt mir als Festtagsbeauftragte, wann und wie ihr herüberkommt, falls ihr dürft oder Millie wegen dem dritten Baby kein Reiseverbot von ihrer Hebamme kriegt.

Ich freue mich!

Pina"

"Jean-Luc, den müssen wir machen, nicht der mit Ceridwen Barleys Tochter verbandelte Matrosensohn", grummelte Millie. "Immerhin war der, von dem Pina und er es hatten ja Franzose und kein Engländer."

"Und dir muss ich nicht verraten, wer James Tiberius mit Vornamen geheißen hat oder besser noch heißen wird, wo der laut Seriendaten erst so in zweihundert Jahren geboren wird?" fragte Julius mit verschmitztem Grinsen.

"Wenn du eine Tante hast ... Öhm, natürlich hast du diese Tante auch. Okay, Patricias Fang hat wie Gabrielles Auserwählter diese Raumschiffgeschichten aus dem 23. Jahrhundert so gerne. Deshalb kennen wir alle James T. Kirk oder seinen spitzohrigen Freund Spock, der ja noch logischer drauf sein soll als deine Mutter und du und auch seinen hundert Jahre später lebenden Nachfolger Jean-Luc Picard." Julius nickte. Natürlich gab es bei den Muggelstämmigen genug Jungs, die Star Trek kannten. Und Pierre Marceau hatte ja immer ein Poster von der Enterprise D in seinem Einzelschlafsaal in Beauxbatons hängen gehabt. Dann dachte Julius daran, dass Nathalie, Belle und Ornelle und wohl auch der noch ungeborene Demetrius Vettius die Jahre erreichen würden, in denen die Geschichten um die erste Enterprise spielten. Er hoffte, dass der Erfinder der Geschichten recht behalten würde und die Welt bis dahin zu einem lebenswerten, friedlichen Ort geworden sein würde und nicht in einem Weltuntergang vernichtet würde.

Der zweite Brief war von Mike Whitesand, der ihm auch die frohe Botschaft verkündete, dass er Pate von James Tiberius Fielding werden würde. Bei der Gelegenheit erwähnte er noch, dass der kleine Pythagoras auch alles und jeden im Griff hatte, bis auf seinen großen Bruder Perseus, der lieber bei seinen Großeltern war. Melissa hätte noch keinen gefunden, von dem sie auch mal was kleines haben könnte, dafür sei sie wohl zu sehr mit ihrem Beruf in der Tierwesenbehörde verheiratet. Mike hoffte jedoch, dass sie nicht deshalb mal Ärger mit "diesen Vita-Magica-Leuten" kriegen würde. Prudence wollte auf jeden Fall noch eine Tochter von ihm haben, wo sie Millies und Julius erste Tochter gesehen habe. Mike hatte aber getönt, er könne wohl nur Jungs. Da hatte sie ihm was von einer Hexensalbe erzählt, die nur die Samenzellen durchlassen würde, aus denen dann Jungen oder Mädchen würden. Wäre zwar nicht so ganz im Sinne natürlicher Familienplanung, aber wenn Frauen in der magielosen Welt andauernd die Pille nähmen dürften Hexen sich auch aussuchen, ob sie mal einen Jungen oder ein Mädchen ausbrüten würden. Jedenfalls würde es wohl am 18. März ein volles Haus geben, wenn alle kommen könnten, die auf der Liste von Olivia und Tom standen. Dann schrieb er noch, dass er froh sei, dass er mit "dem ganzen Irakkriegswahnsinn" nichts zu tun haben würde und er sich nicht vorstellen möchte, was seine früheren Schulfreunde, von denen einige zur Armee oder den Marinefliegern wollten, jetzt auszuhalten hätten. Das brachte Julius darauf, dass auch er sich im Grunde glücklich schätzen durfte, nicht bei diesem ausgemachten Irrsinn dabei sein zu müssen, zumal die französische und die deutsche Regierung Bush Junior eine klare Absage erteilt hatten und deshalb verächtlich als "altes Europa" bezeichnet wurden.

"Von dieser Nur-Mädchen-Paste hat mir Tante Trice auch erzählt. Gewisse Hexenschwestern haben damit sichergestellt, keine angeblich minderwertigen Jungen ausbrüten zu müssen, wo sie schon einen Zauberer so nahe an sich ranlassen mussten, dass sie von dem überhaupt was Kleines abbekamen", meinte Millie, als Julius ihr Mikes Brief geschildert hatte. "wir könnten sogar wetten, dass Lea Drakes kleine Schwestern auch auf die Weise gestrickt worden sind." Julius konnte das nur bestätigen. Allerdings fragte er sich gerade, ob er nicht nur Töchter zeugen konnte. Am Ende hatte ihm sein Vater ein beschädigtes Erbgut verpasst, oder er konnte wegen Mademoiselle Maximes Blutspende nur noch X-Chromosomen in seinen Samenzellen ausbilden. Vielleicht sollte er das nach Clarimondes Geburt mal prüfen lassen, bevor es wegen Ashtarias Aufforderung noch Stress mit Millie geben würde. Am Ende musste seine Schwiegertante Béatrice ihm auch sowas zusammenrühren. Aber das sollte noch warten.

"Und, können wir dahin oder hat Clarimonde beschlossen, dass du sie nicht aus Frankreich hinaustragen darfst?"

"Dann hätte ich im Januar wohl kaum den Anfang von der großen Weltreise mitmachen können, Wichtelschlucker", blaffte Millie. Dann deutete sie auf Pinas Brief: "Schreibe ihr bitte, dass deine und meine dritte Tochter beschlossen hat, vor ihrem ersten Schrei schon mal hören zu wollen, wie ein kleiner Junge schreit, damit sie weiß, wie sie als kleines Mädchen schreien muss. Hören kann sie sicher schon was in Millies warmer Backstube. Und schreibe der bitte auch, dass ich das mit Kirk und Spock schon gewusst habe und wir uns überlegen, ob wir nicht einen Jean-Luc bei uns hinrufen wollen, wenn mein kleiner Unterbau wieder frei ist."

"Ja, mache ich gerne, meine Holde", sagte Julius. "Das wird ihn ins Rotieren bringen. Abgesehen davon hatte ich den Eindruck, dass Prudence gerne alle möglichen P-Namen für Jungen durchprobieren möchte, Patric, Peter, Philipp oder Paul."

"Paul als Zauberer? Prudence dreht dir die Nase rum, wenn du ihr das vorschlägst, zumindest schätze ich sie so ein, nachdem, wie ich sie bei unserer Urlaubsreise vor einem Jahr erlebt habe."

"Stimmt, und weil der Name nicht mit den ganzen Altgriechen zusammenpasst. Da gingen eher Philemon, Poseidon, Pericles und Phaeton ... öhm, der dann wohl eher nicht, weil die Geschichte von dem ziemlich heftig ist."

"Phaeton Bouvier? Das war Tante Cynthias erster Freund in Beaux. Der hatte es mit Zaubertränken gehabt und dabei einmal einen großen Kessel in die Luft gejagt. Das ganze Klassenzimmer hat gebrannt. Damals hatte schon Fixie unterrichtet. Die hat dann mal eben Regen beschworen, um das Feuer zu löschen. Die Heilerin musste allen Diptam und Drachenruhtrank verpassen, um die Brandschäden zu kurieren. Seitdem war Tante Cyns Feuer für ihn erloschen. Aber sage ihr das bitte nicht, wenn wir sie wieder bei der nächsten Familienfeier treffen."

"Oha, das war dann ja fast wie die Sache mit dem Brenngebräu in Serena Delourdes Erinnerungsrückschau", meinte Julius. "Ja, und kommt auch an das heran, was ich mal von einem Phaeton gehört habe. Könnte sogar sein, dass ich das Buch mit den alten Sagen noch in der Kiste habe."

"Stimmt, das Ding mit dem Sonnenwagen oder wie?" fragte Millie. "Ja, dann hat Tante Cyns ehemaliger ja doch nur die Tradition bewahrt und Spaßbremse Fixie hat verhindert, dass sein Werk vollendet wurde, Ganz Beaux abzufackeln. Aber dann hätten wir zwei Süßen uns auch nicht getroffen, und die kleinen Prinzessinnen hier gäbe es dann überhaupt nicht", sagte Millie.

Julius brach die goldene Regel, nach der Heimkehr nichts mehr für die Arbeit zu tun und schickte noch eine E-Mail mit Nathalies Anfrage zu Brenda Brightgate. Die schien auf ihrem Rechner gesessen zu haben. Denn nur fünf Minuten später kam die Antwort, dass vor wenigen Tagen wohl was schwarzmagisches im Irak passiert sei, weil jemand wohl versucht hatte, Panzer und Flugzeuge magisch aufzurüsten und sie das eigentlich morgen noch ins Arkanet einspeisen wollte. Den vollständigen Bericht wolle sie dann gleich morgen früh senden.

__________

Julius Latierre las am nächsten Tag den Computerausdruck. Brenda Brightgate hatte ihm einen ganzen Stapel von Bildern und Texten zugeschickt und durch das Arkanetprogramm als harmloses Kochbuch getarnt, das sich nur auf ein bestimmtes Passwort hin in die eigentlichen Unterlagen zurückverwandelte, beinahe wie beim Mimicrius-Zauber, der Dinge in scheinbar unverdächtige Dinge verwandeln konnte, vorzugsweise Bücher oder Zeitschriften.

"Ach, und unser Kollege Dupont hatte diese Verbindung nicht, die ihm hätte mitteilen müssen, dass wohl ein Dschinnenmeister im Irak am Werk war?" hörte Julius Demetrius' Cogisonstimme, weil er wieder den Ohrring trug. So dachte er nur zurück:

"Ich habe auch noch Jeanne Dusoleil angespitzt, sich bei Mehdi Isfahani zu erkundigen, ob den Morgensternbrüdern was aufgefallen ist. Immerhin hält sie noch Kontakt zu ihm."

"Seitdem seine Mitbrüder Madame Odin umgebracht haben, nicht wahr?" fragte Demetrius. Nathalie blieb ruhig, als bekäme sie von dem was Julius und ihr mit Armands Geist beseelter Sohn austauschten nichts mit.

"Ja, ist wohl so", erwiderte Julius auf rein gedanklichem Weg. Dann fragte er Demetrius, ob er wieder von Euphrosynes Kind geträumt habe.

"Nein, diesmal habe ich von Armand Grandchapeaus Hochzeitsnacht geträumt. Ach schon komisch. Da steckst du selbst noch im Mutterbauch und träumst davon, eigene Kinder auf den Weg zu bringen."

"Da gebe ich jetzt mal keinen Kommentar zu ab", sagte Julius. Nathalie grinste und meinte: "Das würde deinen guten Eindruck beim mir auch nicht wirklich verbessern. Aber zumindest noch schön, dass er sich dran erinnert, was für einen ausdauernden Vater er hätte haben können, wenn der nicht gemeint hätte, eine unerhörte Veelastämmige provozieren zu müssen."

"Habe ich dir schon gesagt, dass ich froh bin, dass ich so gut verpackt bin, dass du nicht noch auf mich draufhaust, maman?" fragte Demetrius.

"Zweihundertmal mindestens", entgegnete Nathalie. Dann tätschelte sie sich ihren durch ein Tarnmieder kaschierten Bauch. Julius nahm das zum Anlass, zu erwähnen, dass seine Frau und er zu einer Willkommensfeier eingeladen worden seien. Nathalie kannte Pina Watermelon nur aus Briefen. Dass ihre jüngere Schwester jetzt Mutter war freute sie aber.

"Falls Monsieur Beaubois keinen Einwand hat dürfen Sie natürlich an diesem Tag in ihre alte Heimat reisen. Aber klären Sie das bitte mit der Vertrauensheilerin Ihrer Gattin, ob diese Flohpulver, Transitionsturbosprünge oder andere Reisemöglichkeiten nutzen darf", sagte Nathalie Grandchapeau ganz offiziell. Dann sprach sie mit Julius weiter über das Material, das Brenda Brightgate ihm zugeschickt hatte.

"Das ist unbedingt zu klären, ob die Vorfälle im Sinne ihres Urhebers erfolgten oder dessen Scheitern bezeichnen", sagte Nathalie. Demetrius bemerkte dazu:

"Wenn der mit Dschinnen herumgemurkst hat gnade denen ihr Allah. Denn wenn die aus solchen Objekten wieder freigesetzt werden sind die sicher sehr verärgert. Hubert Rauhfels hat den von ihm eingekerkerten Feuerdschinn ja auch ganz tief in einem Verlies verbuddeln lassen, nicht wahr?"

"Soweit ich das mitbekommen habe ja", sagte Julius. "Aber mir macht eher Sorgen, dass die USA jetzt wegen der angeschlagenen Armee meinen könnten, noch leichteres Spiel zu haben. Zwar hat Brenda Brightgate dazu geschrieben, dass sie nicht als Aasgeier rüberkommen wollen, die sich an wehrlosen Gegnern vergreifen. Aber ich denke, irgendwo im weißen Haus steht eine Sanduhr neben einem Bild von Saddam Hussein, die jemand nur noch anwerfen muss."

"Ihr habt das ja damals in eurer Abschlussfeier angedeutet", erinnerte sich Nathalie an das, was Julius und Millie mal erzählt hatten, bevor Demetrius Vettius und der Geist seines Vaters miteinander verschmolzen waren.

"Weil wir überlegt haben, was viele Leute aus dem Osten dazu treiben könnte, zu uns zu flüchten. Krieg war und ist da leider der wahrscheinlichste Grund. Und da die Bush-Familie in den Staaten schon sehr aktiv war haben wir das eben so gedreht. Ich ärgere mich selbst, sollte ich am Ende recht haben."

"Wäre zumindest ein guter Grund, warum es besser ist, nicht auf die Welt zu kommen", musste Demetrius dazu einwerfen.

"Das sieht unsere dritte Tochter anders. Die hat in den letzten Tagen richtig zugelegt. Könnte sein, dass Millie sie sogar drei Wochen vor dem berechneten Termin zur Welt bringt", erwiderte Julius. Das wirkte. Demetrius erwiderte Kleinlaut:

"Ich versteh's, draußen zu sein hat auch was für sich. Aber ich will nicht rummeckern. Ich wollte das ja offenbar so haben, und meine Trägerin ist die beste Hexe, die je unter dem weiten Himmelszelt gewandelt ist."

"Ist schön, dass du das wenigstens anerkennst", sagte Nathalie.

"Schreiben Sie Mademoiselle Brightgate, Ihre Sendung sei vollständig eingetroffen und wird an die zuständigen Behördenleiter weitergereicht! Dann geben Sie eine Kopie an Monsieur Beaubois von der Geisterbehörde, an den Kollegen Dupont von der internationalen Zusammenarbeit, sowie an die Strafverfolgungsabteilung, damit die sich damit befassen, wozu ein der orientalischen Zauber fähiger Magier oder eine Hexe fähig ist." Julius bestätigte das und fertigte die angeforderten Kopien an, auch eine für Arion Vendredi, der sich bis zum 21. März Urlaub gegeben hatte. So brachte er die Entsprechende Kopie zu dessen Stellvertreter Simon Beaubois von der Geisterbehörde.

Kurz vor der Mittagspause schwirrte ihm ein Memo aus Beaubois' Abteilung zu. Die dort arbeitende Adrastée Ventvit bat um ein direktes Gespräch. Ihr Vorgesetzter hatte bereits eine Unterredung mit Dupont und Madame Nathalie Grandchapeau beantragt, aber ohne die Untergebenen. Offenbar hatte das Simon Beaubois noch mehr erschreckt, was Brenda Brightgate gemeldet hatte.

Da Julius schon einige Male in der Geisterbehörde war empfand er die Geisterfratze auf der Tür nicht mehr als besonders beeindruckend. Auf sein Klopfen stöhnte diese: "Julius Latierre, tritt ein!" Er betrat das auf Geisterspuk und alte Burgen ausgelegte Büro. Schwarzsilberne Möbel, mehrere Bilder mit alten Burgen und gruseligen Hinrichtungsszenen an den Wänden und das Bild eines offenkundigen Geisterschiffes, das mit wie vom Sturm zerfetzten blutroten Segeln auf dem Meer trieb und an dessen Rahen blanke Skelette aufgehängt waren, als hätte man auf diesem Segler eine ganze Mannschaft Meuterer hingerichtet und das Schiff dann Wind und Wellen überlassen.

Im schwarzen Chefsessel saß Adrastée Ventvit. Sie war Simom Beaubois' offizielle Stellvertreterin und würde wohl, wenn er irgendwann in den Ruhestand ging oder noch höher befördert würde, seine Nachfolgerin sein. Da sie aber jetzt schon wie der Exekutivoffizier auf einem Marineschiff die ganze Ausführung der Aufgaben deligierte hatte sie im Grunde die Abteilung unter sich, vermutete Julius.

"Monsieur Latierre, ich bat Sie persönlich zu mir, da ich Ihnen sehr gerne von Angesicht zu Angesicht die Frage stellen möchte, wieso Ihre Kontaktperson in den USA diesen Vorfall erst jetzt an uns alle weitermeldet, wo er sich schon einen Tag davor zugetragen hat? Ich kann mir vorstellen, dass die Kollegen in den Staaten jetzt sehr alarmiert sind, weil sie vielleicht mit den magielosen Soldaten zusammen ausrücken müssen, um mögliche Dschinnenangriffe abzuwehren."

"Genau kann ich die Frage nicht beantworten, weil ich die besagte Dame nicht so gut kenne. Ich weiß aber, dass sie nicht im Ministerium, sondern im Marie-Laveau-Institut arbeitet. Das steht ja auch in ihrer Meldung drin. Womöglich wollten die nach dem Fiasco mit der VM-Niederlassung in Chile lieber erst mal selbst rausfinden, was da vorgeht, bevor sie ein übereifriges Zaubereiministerium in den nächsten Schlamassel reintreiben oder sich zumindest der Gefahr aussetzen, beschuldigt zu werden, das Ministerium voreilig in die nächste vermeidbare Katastrophe hineingetrieben zu haben."

"Das war einer der Gründe, warum ich auf eine direkte Unterredung bestand", sagte Adrastée Ventvit und deutete auf einen der fünf freien Plätze um den Schreibtisch. Julius nickte und setzte sich hin. "Des weiteren möchte ich gerne Ihre Meinung erfahren, ob sich nicht nur Dschinnen derartig manipulieren lassen, sondern auch die mittlerweile wiedererwachten Kreaturen, die zu den Töchtern des Abgrundes gehören. Sie gelten ministeriumsweit als Mitarbeiter mit der nun ja größten Erfahrung in direkten Kontakten mit diesen Unwesen."

"Wohl leider wahr", seufzte Julius. Zumindest war er als lebender Ministeriumsmitarbeiter hier mit der größten Erfahrung ausgestattet oder auch belastet, was diese bildschönen Bestien anging. Dann fuhr er fort: "Und genau aus dem Grund kann ich auch gleich sagen, dass wer sich darauf einlässt, mit diesen Wesen ein Bündnis einzugehen, am Ende deren Sklave sein wird. Ob es möglich ist, diese Wesen zu beschwören wie einen Dschinn oder wie es bei Dämonen aus erfundenen Geschichten möglich ist weiß ich nicht. Aber hier gilt dann die Warnung, die in den Gruselgeschichten, wo Dämonen gerufen werden können gilt: "Ruf niemanden, den du nicht beherrschen kannst, sonst wirst du am Ende der Sklave sein."

"Ja, oder das Gedicht von dem Zauberlehrling, der einen dienstbaren Geist in einen Besen beschworen hat, um Wasser zu holen und dann die Entlassungsformel nicht kannte, richtig?"

"Stimmt, davon hat mir eine Klassenkameradin in Beauxbatons erzählt, als es darum ging, dass wir aufpassen müssen, nichts zu tun, von dem wir nicht wissen, wie wir es auch wieder beenden können", erwiderte Julius.

"Monsieur Beaubois deutete an, das bei schweren Waldbränden auch ein Feuer mit Gegenfeuer bekämpft werden kann und wir deshalb auch zumindest darüber sprechen sollten, ob es nicht möglich sei, die mächtigsten Feinde von Dschinnen oder jenen Vampiren der sogenannten schlafenden Göttin zu unseren Verbündeten zu machen", sagte Adrastée. Julius hörte zu. Als sie nichts weiter sagte dachte er einige Sekunden nach, um was protokolltaugliches zu antworten. Dann erwiderte er:

"Auch wenn sich ein gelegter Gegenbrand immer mal wieder als noch verbleibendes Mittel zur Eindämmung eines unbeherrschbaren Feuers erwies hat das Gegenfeuer immer auch unversehrte Pflanzen zerstört, bevor es auf den vom ausgebrochenen Feuer verheerten Bereich traf und sich die beiden Brände damit die Nahrung entzogen und erloschen. Außerdem besteht bei einem gelegten Gegenfeuer auch die Gefahr, dass durch ungünstige Windverhältnisse oder ungeschickt gelegte Feuer der Gegenbrand auf den Brandstifter selbst zurückfallen und sein Hab, Gut und möglicherweise auch Leben vernichten kann. Ich und sicher auch Monsieur Beaubois durften in Beauxbatons lernen, dass die Anwendung schwarzer Magie am Ende auf den Anwender selbst zurückschlagen kann wie ein australischer Bumerang. Ich möchte das Protokollpergament nicht mit der Auflistung bekannter Beispiele verschwenden und nur darauf hinweisen, dass es mehr als genug davon gibt, die das bestätigen. Was die Abgrundstöchter angeht, so bezieht sich meine Erfahrung auf zwei grundlegende Sachen, zum einen wurde ich damals durch Anhängerinnen eines auch dunkle Künste verwendenden Hexenordens vor der Versklavung oder Vernichtung durch die Abgrundstochter Halliti gerettet. Die angewandten dunklen Künste, darunter der Todesfluch, reichten jedoch nicht aus, dieses Wesen dauerhaft zu entmachten. Deshalb begegnete ich diesem und seiner Schwester ja später noch einmal und konnte nur durch den Einsatz heller Zauberkünste mit Unterstützung der Kinder Ashtarias gerettet werden. Wer weder eine starke Beziehung zu den dunklen Künsten hat noch über das Wissen hoher Zauber der hellen Kräfte verfügt oder entsprechend vorbezauberte Gegenstände mitführt und anzuwenden versteht sollte sich von den Abgrundstöchtern fernhalten oder, falls das nicht möglich ist, ausschließlich Abwehrzauber gegen sie verwenden. Unterwerfungen wie durch Imperius erscheinen mir nach jetzigem Wissensstand unmöglich. Selbst wer den wahren Namen einer Abgrundstochter kennt kann sich eher ihren Unmut als ihren Gehorsam einhandeln. Sicher ist es möglich, sich mit einer oder mehrerer dieser Kreaturen zu verbünden, aber nur zu dem Preis, dass der menschliche Bündnispartner sein Leben und seine Seele dafür hergibt. Ich will das nicht wirklich und denke, dass dies auch für die meisten anderen Ministeriumsmitarbeiter gilt." Adrastée Ventvit nickte und sagte für das Protokoll:

"Sie raten also dringend von jedem auch ansatzweise unternommenen Versuch ab, die Abgrundstöchter zu Verbündeten im Kampf gegen mächtige Geisterwesen zu gewinnen?"

"Ich besitze nicht die Vollmacht, jemandem zu raten oder abzuraten. Ich empfehle daher lediglich, auf magische Mittel zuzugreifen, die ohne die Einbeziehung der erwachten Abgrundstöchter auskommen. Mehr steht mir nicht zu", antwortete Julius.

"Zur Kenntnis genommen", bestätigte Madame Ventvit. "Allerdings haben Sie sicher im Zuge Ihrer Recherchen zu diesem Feld auch von den Brüdern des blauen Morgensterns gehört. Sie erwähnten zumindest die Existenz dieser im Orient beheimateten Bruderschaft. Besteht Ihrerseits Kenntnis, ob und wenn ja mit wem von diesen Brüdern eine Vereinbarung getroffen werden kann, um mögliche Übergriffe von Dschinnen, Dibbukim oder anderen morgenländischen Erscheinungsformen der dunklen Kräfte abzuwehren?"

"Ich kann da nur die Mitglieder der Liga gegen dunkle Künste als mögliche Verbindungspersonen vorschlagen. Allerdings habe ich auch schon erfahren, dass dieser Orden sich ausdrücklich auf den arabisch-persischen Kulturkreis beschränkt und alle erworbenen oder aus alten Quellen geschöpften Kenntnisse für sich behalten möchte, was sicher auch heißt, dass sie bei ihren Zaubern unbeobachtbar bleiben wollen. Andererseits hörte und las ich davon, dass es in Frankreich außerministerielle Experten für morgenländische Magie gibt, die ihr Wissen in vertretbaren Mengen auch weitergeben, zum Beispiel als Bücher wie "Die Magie des Morgenlandes", in dem ja auch über Dibbukim und Golems berichtet wird." Adrastée bestätigte, dass dieses Lehrbuch auch im Bestand der Geisterbehörde enthalten war. Dann packte sie aus, wieso sie so hinter den Morgensternbrüdern her war: "Ich selbst durfte vor zehn Jahren auf einer Weiterbildungsreise nach Damaskus diverse Dschinnenbannzauber erlernen, wie ich Sie ja auch bei dem Einsatz verwendete, an dem Sie teilnahmen, Monsieur Latierre. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich, dass jene Morgensternbruderschaft existiert und dass sie über ein jahrtausende zurückreichendes Wissen verfügt, unter anderem über die Entstehung der Dschinnen und über deren bei Entstehung vergebenen Urnamen, die als magisches Element für eine erfolgreiche Beschwörung benötigt werden und sonst nur durch Bannzauber wie die weiße Flamme von Luxor oder die Ketten des Windes oder das Lied des stillen Wassers erzwungen werden können. Der Ausbilder, der uns, zu denen auch Delegationen aus England, Schottland, Spanien und Deutschland gehörten, die Grundlagen der Dschinnenabwehr vermitteln durfte, erwähnte, dass jemand, der einen wahren Namen eines Dschinns nicht durch magische Gewalt erfahren muss sondern schon kennt, diesen nach diversen Vorbereitungen an jedem Ort der Welt zu sich hinbeschwören könne, weshalb die Morgensternbrüder auch sehr darauf bedacht seien, diese Namensliste nicht herauszugeben. Die gegenwärtige Lage erzwingt jedoch förmlich die Anfrage bei dieser Bruderschaft, ob diese nicht bereit sei, zertifizierten Abwehrfachkräften diese Namensliste zugänglich zu machen. Es hieß nämlich auch, dass wie bei Menschen auch bei Dschinnen Familien bestehen sowie Freund- und Feindschaften entstehen können, wobei vor allem die Elementarverbundenheit ausschlaggebend ist. Im Klartext, wer einen Luftdschinn bekämpfen will, könnte einem diesem feindlich gesinnten Erddschinn zu Hilfe rufen, wenn er den Namen eines mindestens gleichstarken Erdschinns kennt. Ich unterstelle den Mitgliedern der Bruderschaft des blauen Morgensterns, dass sie diese Taktik verinnerlicht haben und deshalb darauf bedacht sind, ihre Kenntnisse nicht preiszugeben. Aber wie erwähnt ist die gerade offenbarte Lage im Irak ein gewichtiger Grund, dieses Verhalten zu hinterfragen und die Möglichkeit eines gegenseitigen Beistandspaktes zu verwirklichen.""

Julius musste jetzt genau überlegen, wie er antworten sollte. Denn dass er bereits auf Morgensternbrüder getroffen war gehörte zu seinen größten Geheimnissen, weil sie unmittelbar mit dem körperlichen Tod von Claire Dusoleil zu tun hatten. Dann hatte er die von ihm für vertretbar gehaltene Antwort parat: "Ich weiß von den Dusoleils, dass sie über die verstorbene Madame Odin, Aurélie mit iranischen Zauberern in Verbindung standen. Ob diese zu den Morgensternbrüdern gehören oder jemanden kennen, der dazugehört könnte ich nachfragen. Ich Kann und darf aber nichts versprechen, was einen erfolgreichen Kontakt zu diesen Leuten angeht."

"Öhm, Sie sprechen nur Englisch und Französisch, kein Arabisch, richtig?" fragte Adrastée Julius. Er bestätigte und ergänzte, dass er mittlerweile auch kastilisches Spanisch spreche und sich weit genug in klassisches Latein eingelernt habe, um Ursprünge oder Ausrichtungen von Zaubersprüchen zu erkennen, die in dieser Sprache gesprochen wurden, das habe er als Ergänzung zu seinen Qualifikationen schon vor einem halben Jahr an seine Vorgesetzten Vendredi und Grandchapeau weitergegeben.

"Ui, dann fehlt uns offenbar eine aktuelle Ausgabe der Qualifikationen aller in der Abteilung zur Führung und Pflege magischer Geschöpfe tätigen Mitarbeiter", stellte Madame Ventvit fest. "Zumindest steht in der mir zugänglichen Ausgabe, dass Sie einen UTZ in Runenkunde erworben haben. Vile hochgelehrte Zauberer der arabischen Welt beherrschen die Runenschrift und können daraus in ihre eigene Sprache übersetzen. Wären Sie zumindest bereit, bei einer möglichen Kontaktaufnahme als Korrespondenzpartner zur Verfügung zu stehen, auch weil Sie sozusagen Berührung mit den Abgrundstöchtern hatten?" Julius war schon lange genug im Ministerium, um die Antwort darauf zu finden:

"Da ich gemäß einer gedeihlichen und reibungslosen Verwaltung derzeit nicht über meine dienstlichen Tätigkeiten frei bestimmen darf ist es nötig, diese Anfrage an meine direkten Vorgesetzten, Monsieur Vendredi und Madame Grandchapeau zu richten. Sollte deren Antwort lauten, dass ich Ihnen mit meinen Kenntnissen zur Verfügung stehen soll werde ich das tun." Adrastée grinste, was die wohl irgendwo mitschreibende Feder nicht mitbekam, weil die nur auf gesprochene Worte reagierte. Für das Protokoll sagte sie dann:

"Ich bedanke mich für Ihre Ausführungen und werde die von Ihnen eingebrachtenEmpfehlungen zur weiteren Entscheidungsfindung durch meinen Dienstvorgesetzten weiterleiten. Ich wünsche Ihnen noch einen erfolgreichen Arbeitstag!"

"Den wünsche ich Ihnen auch, Madame Ventvit", erwiderte Julius. Damit war er aus diesem Gespräch entlassen. Er stand auf und wollte gehen. Doch die Geisterbehördenmitarbeiterin hielt ihn mit einer Geste davon ab und griff unter den Schreibtisch. Sie holte eine blaue Schreibefeder darunter hervor und legte das leicht zitternde Schreibgerät in eine silberne Schatulle. Dann verschloss sie diese und sagte dann: "So, was jetzt ansteht ist nicht für das Protokoll. Setzen Sie sich bitte noch einmal hin, Monsieur Latierre!" Julius setzte sich wieder hin. "Natürlich sind mir zwei Sachen klar, dass Sie zum einen bereits einmal Kontakt mit einem der Morgensternbrüder hatten, nämlich Mehdi Isfahahni und zum anderen über diese Kinder Ashtarias wohl auch Verbindungen zu diesen Morgensternbrüdern bestehen, weil einer oder mehrere von denen als Gründer dieser Bruderschaft gelten und deren Erben ihren Sitz in der Bruderschaft erhielten. Da mir jedoch auch klar ist, dass Sie von den Kindern Ashtarias auferlegt bekamen, deren Geheimnisse zu hüten und ich nicht die wilde Gorgone wecken will, die negativen Folgen einer Zuwiderhandlung zu testen, konnte ich für das Protokoll natürlich nicht darauf verweisen, dass Sie in dieser Hinsicht schon Kontakte haben, wenn vielleicht auch nur flüchtige. Ich sehe es jedoch nicht ein, dass irgendwelche Dschinnenmeister wie auch immer in die magielose Welt hineinfuhrwerken dürfen, ohne dass wir im alten Europa die Möglichkeit erhalten, uns dagegen zu wehren. Die Sache mit dem Luftdschinn, den wir zwei damals festgesetzt haben, hat mir sehr zu denken gegeben. Als wir dann heute den von Ihnen weitergeleiteten Bericht aus den Staaten erhielten kam alles wieder an die Oberfläche, was ich damals empfunden habe und was Monsieur Beaubois in diesem Zusammenhang beschlossen hat. Sie haben bei der leidigen Angelegenheit mit den vier Geisterschwestern und den Erben der Bonhamfamilie sehr gute Arbeit geleistet, auch wenn Monsieur Beaubois die Beschwerde der von unserer Seite zugeteilten Mitarbeiter zur Kenntnis nehmen musste. Ich gehe davon aus, dass die werte Madame Grandchapeau Sie schon dahingehend beauftragt hat und ergänze diesen Auftrag: Wenn Sie über die Ihnen zustehenden Verbindungswege Kontakt mit den Morgensternbrüdern bekommen können, dann fragen Sie bitte so behutsam es geht, ob es nicht im Sinne einer in Frieden und Freiheit lebenden Zaubererwelt sinnvoll sei, alle nichtmenschlichen Wesen gut genug zu kennen, die wer auch immer gegen Menschen instrumentalisieren kann. Die ruchbar gewordene Angelegenheit mit dem Luftdschinn im Irak dürfte der ausreichende Grund sein, dieses Anliegen vorzubringen. Dieses Wesen hätte ja schließlich auch nach Norden fliegen und dieses Beobachtungsflugzeug selbst angreifen und vernichten können. Dann wäre vielleicht nicht einmal etwas davon bekannt geworden, das es diesen Luftgeist gibt."

"Da Sie die Feder weggepackt haben sehe ich das als Generalerlaubnis, frei zu sprechen", setzte Julius an. "Ich gehe sogar davon aus, dass der Zauberer oder die Hexe, wohl doch eher ein Zauberer, nicht nur bereits bestehende Dschinnen unterworfen hat, weil das sehr anstrengend und gefährlich ist, sondern durch die Ermordung unschuldiger Menschen neue niedere Geister erschaffen hat, mit denen er dann machen kann, was er will. Dass der erste Ansatz gescheitert ist heißt ja nicht, dass er schon entmachtet ist. Dann nützt die ganze Namensliste nichts."

"Moment mal, Dschinnen entstanden, sowie ich das gelernt habe, weil uralte Zauberer, möglicherweise zur Zeit des legendären alten Reiches, zu höheren Geisterwesen werden wollten und sich hierfür mit den Elementen verbanden. Sie behielten deshalb auch die Fähigkeit, sich mit anderen Geisterwesen fortzupflanzen und Nachkommen zu erzeugen, wenn die für ihre Elemente kraftspendenden Planetenstellungen bestehen, so dass Sonne und Mars dem Feuer zugeordnet sind, Mond und Venus dem Wasser, Jupiter und merkur der Luft und die Erde der Erde. Als allen Elementen Kraft spendender Planet wurde der Saturn bezeichnet."

"Ach ja, Uranus, Neptun und Pluto kannte damals ja noch keiner, zumindest nicht in Babylon oder Ägypten", wusste Julius. Zwar kam ihm die Vorstellung sehr astrologisch vor, dass Dschinnen wegen bestimmter Planetenstellungen Kinder kriegen konnten. Doch er hatte gelernt, dass die Himmelskörper schon eine Bedeutung in der angewandten Magie hatten, hier aber vor allem Sonne und Mond. Dann sagte er noch: "In "Die Magie des Morgenlandes" steht aber auch drin, dass die in der Welt verbliebenen Seelen von Menschen oder intelligenten Tieren wie zum Beispiel Affen oder Rabenvögel unterworfen und in Tote Gegenstände gebannt werden können. Wenn dann noch jemand einen Zauber kann, mit dem Menschen rituell getötet und zum Geisterdasein gezwungen werden können, besteht wohl auch die Möglichkeit, sie mit den Grundkräften zu verbinden und so zu kleinen oder niederen Dschinnen zu machen, die dann, weil der Zauberer den Namen des Verstorbenen kennt, genauso versklavt werden können wie die älteren Dschinnen. Wohl gemerkt falls er das so gemacht hat, dann nützt eine Namensliste der bekannten Dschinnen überhaupt nichts, dann gehen nur Austreibungszauber, magische Zerstörungsmittel wie Dämonsfeuer, Schlingflut oder noch schlimmeres oder die Incantivacuum-Kristalle, wie sie zum Beispiel auch von den Spinnenschwestern verwendet wurden, die mich aus Hallittis Höhle befreit haben."

"Tja, aber deren Herstellung ist langwierig und benötigt natürlich gewachsene Kristalle bestimmter Form und vor allem Reinheit. Die können mal nicht soeben im Massenproduktionsprozess oder durch Multiplicus-Zauber erzeugt werden, und das ist auch ganz gut so", erwiderte Adrastée.

"Ach ja, die Wertiger gibt es ja auch. Wenn die ihre Tigerform haben legen die auch alle nach außen wirkenden Zauber lahm", wusste Julius. Adrastée erwiderte, dass aber genau deshalb genausowenig mit diesen Wesen zu verhandeln sei wie mit den Abgrundstöchtern. Das konnte Julius nur bestätigen.

"Wie gesagt werde ich unser protokolliertes Gespräch an Monsieur Beaubois weiterleiten. Aber jetzt habe ich Hunger. Möchten Sie auch was essen?"

"Hmm, stimmt, ist ja schon Pausenzeit", stellte Julius mit einem Blick auf seine Armbanduhr fest. So gingen sie beide in die ministeriumseigene Kantine, bevor noch irgendein Hauself befand, Julius was zu Essen hinterherzutragen.

Beim Essen unterhielten sich beide über die nicht ganz so privaten Sachen außerhalb des Ministeriums und da vor allem über Julius Töchter und die kleine Nichte, die ja denselben Namen wie Adrastées Tochter trug. Besagte Héméra auf Martinique war nach Louvois' Verschwinden um zwei Stufen in der Hierarchie nach oben geklettert und leitete nun das Zauberwesenbüro. Sie dachte immer noch gerne an die gemeinsamen Einsetze zurück und würde wohl im April noch einmal nach Frankreich kommen, um ihr Patenkind zu besuchen. Julius erwiderte, dass er das dann sicher mitbekommen würde.

Den Nachmittag verbrachte Julius im Rechnerraum, wo er den Suchdämonen fertigprogrammierte, der unmittelbar vor einem bevorstehenden Waffengang im Irak warnte. Nathalie Grandchapeau hielt wohl immer noch eine Unterredung mit den Abteilungsleitern ab. So war Julius mit den drei für die Standardprogramme ausgebildeten Kollegen im Rechnerraum, darunter Primula Arno, die ihn noch einmal an ihre Geburtstagsfeier am 14. März erinnerte.

Als Julius wieder ins Apfelhaus zurückkehrte erfuhr er, dass Aurore sich einen hartnäckigen Durchfall eingehandelt hatte und deshalb eine Windel tragen musste, weil sie nicht schnell genug zum Töpfchen konnte, um das Zeug anständig loszuwerden. Das gefiel ihr nicht. Gegen die Schmerzen im Bauch hatte sie zumindest was einnehmen können. Doch dass sie wie ihre kleine Schwester gewindelt herumlaufen musste verhagelte ihr die Stimmung. Julius erkannte einmal mehr, dass Kinder zu haben nicht nur schön und lustig war. Millie war zumindest froh, dass ihr Mann sich um Aurore kümmerte, bis diese endlich müde genug war, um sich hinzulegen.

"Gut, dass wir das bei Madame Rossignol gelernt haben, wie Dünnschiss weggeputzt werden kann", meinte Julius' Frau, nachdem auch Chrysope in ihrer Wiege eingeschlafen war. "Das schreibe ich mir auf jeden Fall alles auf, damit ich mir das merken kann, ob das echt so prickelnd ist, mit zwei oder mehr Kindern im Wickel- oder Kleinkindalter noch eins im Bauch zu haben."

"Dann musst du aber eine Bewertungsskala einbauen, was mehr plus oder mehr minus ist, Mamille", erwiderte Julius.

"Klar, dass du Zahlenjongleur das jetzt raushauen musstest", maulte Millie. "Aber sehr nett, dass du mir bei unserer Kronprinzessin geholfen hast. Ich konnte heute nichts anständiges für Gilbert zusammenschreiben. Aber ich wollte ja unbedingt Kinder und will immer noch welche, habe ich festgestellt, und das ganz ohne Mathematismus."

"Mathematik", korrigierte Julius seine Frau. "Suchst du heute noch Ärger oder hattest du schon genug?" fragte Millie verbittert. Julius erwähnte, dass er heute keinen Ärger hatte. "Dann such nicht welchen mit mir, bitte", knurrte Millie. Er nickte bestätigend.

Wegen Aurores Magen-Darm-Krankheit wurde es für Julius unruhiger, weil er Millie in ihrem Zustand allen Schlaf gönnen wollte, den sie und die kleine Clarimonde brauchten. Deshalb musste er wieder bei Aurore sitzen, die trotz umgelegter Reisewindel nachts nicht schlafen konnte, weil sie andauernd das Gluckern, Grummeln und Rumpeln im Bauch hörte. Zwar gab es Durchfallvertreibungstränke, diese wurden aber nur in größter Not und bei Kindern unter vierzig Kilo Körpergewicht nur in einem Viertel der Standarddosierung empfohlen, weil ihre Nebenwirkung war, dass an Stelle eines heftigen Durchfalls eine schmerzhafte Verstopfung eintreten konnte, so ähnlich wie bei dem WZZ-Produkt "Du scheißt nie mehr". Immerhin konnte Aurore bald wieder schlafen, nachdem sie gegen den Flüssigkeitsverlust genug Wasser mit ein wenig Kochsalz darin getrunken hatte. Weil sie fragte, warum sie Salz im Wasser haben musste erzählte ihr Julius, dass Menschen Salz brauchten, damit alles in ihnen so gut ablief, wie es sollte. Wer kein Salz mehr im Körper hatte konnte nicht mehr leben. Aurore verstand. Totgehen wollte sie dann doch nicht. Sie wollte schließlich das andere Baby sehen, dass ihre Maman im Bauch hatte. Julius dachte auch an die Star-Trek-Folge mit der wandelhaften Kreatur, die Erdenmenschen das Salz aus dem Körperzog wie ein Vampir Blut. Aber die Geschichte wollte er seiner bald drei Jahre alten Tochter ganz sicher nicht erzählen, wo das schon gruselig genug war, dass da was in ihrem kleinen Bauch so laut gluckerte, rumpelte und heftige Pubser und dünnes Kacka machte.

"Du trinkst gleich eine Dosis Wachhaltetrank. Tante Trice hat extra welchen für uns hiergelassen, falls unsere Nachtwachen zu anstrengend werden", sagte Millie am nächsten Morgen. Aurore schlief noch tief und fest. Julius sah keinen Grund, seiner Frau zu widersprechen und nahm eine für den Arbeitstag vorhaltende Dosis des Trankes. Er wollte gerade frühstücken, als er Létos Stimme im Kopf hörte: "Julius, Euphrosynes Tochter ist da. Sie heißt Belle Nathalie Marie Clementine Lundi, und wird wohl Belle gerufen, soweit ich das aus dem Ahnengesang mitbekommen habe. Ich werde es für dich auch noch aufschreibenund zuschicken, für den Fall, dass die werte Euphrosyne es vergessen sollte, den Namen bei dir anzumelden."

"Ob das Belle und Nathalie Grandchapeau gefallen wird, dass da eine kleine Achtelveela in der Wiege kräht, die ihrer beider Vornamen hat?" schickte Julius zurück.

"Das war wohl nicht das Ziel dieser Namenswahl", bekam er die prompte Antwort. Millie sah ihn an, während er diesen kurzen Gedankenwechsel durchführte. Als Léto ihm dann noch einen schönen Tag gewünscht hatte sagte er zu ihr: "Euphrosyne hat wohl diese Nacht ihre kleine bekommen. Wenn Aurore mich nicht wachgehalten hätte wäre ich vielleicht wieder auf dem Ungeborenenkanal unterwegs gewesen, um das mitzukriegen."

"Schön, noch so eine wegen ihrer angeborenen Schönheit selbstverliebte Trulla", knurrte Millie. "Und hat Fleurs und Gabrielles Mémé dir auch ins Hirn geflüstert, wie die kleine heißt?"

"Joh, hat sie, Belle Nathalie Marie Clementine, Rufname womöglich Belle, was ja auch zu einer Veelastämmigen passt", erwiderte Julius.

"Sag ich doch, noch so eine wegen der eigenen Schönheit selbstverknallte Trulla", erwiderte Millie. Julius dachte eher daran, ob Demetrius die Geburt der Kleinen mitbekommen hatte oder nicht. Aber jetzt wollte er erst mal frühstücken.

"Ich habe Tante Trice angeschriben, dass sie nach dem Frühstück rüberkommen und Aurore untersuchen soll, ob sie von diesem Anti-Dünnschiss-Trank was nehmen soll, Monju. Falls das zu riskant ist kann sie sie ins Schloss mitnehmen. Ich muss heute leider nach Avignon, noch was zusammentragen, was Gilbert unbedingt noch in der nächsten Ausgabe haben will."

"Öhm, wenn Tante Trice gleich vorbeikommt frage sie noch mal wegen der Reise nach England!" meinte Julius.

"Das ist schon durch, Monju. Ich darf, wenn ich die Innertralisatus-Sachen anhabe auch mit Papas Springbus hinfahren. Ich schreib Pina, ob Papa dann auch mitfeiern darf."

"Das müsste dann ja eher Pinas Schwester und ihr Mann entscheiden. Aber ich verstehe, was du meinst, Mamille." Er dachte an die Beerdigung von Laurentines Großvater mütterlicherseits.

"Was liegt bei dir an, was nicht so geheim ist?"

"Wenn mich niemand wegen was auch immer anfordert werde ich mich hinter meinen Schreibtisch setzen und darauf warten, wer von den beiden schneller mit der offiziellen Geburtsmeldung rüberkommt, Léto oder Euphrosyne", sagte Julius. Dass Demetrius vielleicht auch was mitbekommen hatte verschwieg er seiner Frau. Ebenso hielt er es noch zurück, was Léto und er wegen Euphrosynes Hang zur Gängelei besprochen hatten.

"Wie gesagt, ich bin in Avignon, wenn ich weiß, was mit unserer Kronprinzessin ist. Chrysie darf auf jeden Fall ins Schloss rüber, sich von ihrer Urgroßmutter betüddeln lassen. Zumindest braucht sie nicht mehr gestillt zu werden."

"Sag das mal nicht! Immerhin gab und gibt es Hexen ...", setzte Julius an, "Die ihren Kindern auch dann noch zwischendurch die Brust gaben, wo die schon selbst Brustansetze oder Bartflaum hatten", knurrte Millie. "Ich habe das auch gelesen, was Tante Trice und Hera Matine so an Geschichten aus der Welt der Hebammen rübergereicht haben. Muss aber nicht sein", grummelte Millie. Julius hätte ihr fast gesagt, dass Madrashainorian auch als mehrfacher Kindsvater noch einmal von seiner Mutter hatte trinken dürfen, ja müssen, um Julius Latierre in Ruhe weiterleben zu lassen. Tja, und womöglich musste sich Julius Latierre bald entscheiden, ob er auch in diesen exklusiven Club eintreten wollte.

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Aron Lundi war auf der Stelle verliebt, als er seine Tochter zum ersten Mal sah. Zwar war ihre Haut noch gerötet und ihr Kopf von der Durchquerung des Geburtskanals ein wenig deformiert, bildete sich aber schon wieder zu einem runden Kopf aus. Sie hatte bereits langes Haar, dass bis zu ihrem Nacken reichte. Das haar war genauso wie das ihrer Mutter. Doch Sie sah sich mit großen blauen Augen um. Jeder Schrei, den sie ausstieß klang für ihn wie ein Jubelschrei erfreuter Fans, wenn er mal wieder ein Tor geschossen hatte. Sie sang förmlich, dass sie endlich auf der Welt war, statt wie eine auf den schwanz getretene Katze zu schreien, wie er das von den ganzen Babys kannte, die vor das Waisenhaus gelegt worden waren, in dem er die Hölle auf Erden erlebt hatte. Wahrscheinlich wussten die armen Würmer da schon, dass sie in dieser Pinguinanstalt nichts zu lachen aber viel zu weinen oder zu schimpfen haben würden, dachte Aron. Aber er hatte eher gedacht, dass Babys sich beschwerten, weil sie aus dem so warmen und umsorgenden Mutterbauch herausgepresst wurden. Doch die kleine Belle Nathalie Marie Clementine freute sich darüber, endlich draußen zu sein, diese ganze große Welt um sich herumzuhaben. Am Ende war das noch eine wiedergeborene Seele irgendeines Vorfahren von ihm oder Euphrosyne. Er hielt das zumindest nicht mehr für unmöglich, nachdem er gelernt hatte, dass es echte Magie und echte Zauberwesen gab.

Er fühlte einen gewissen Hunger, als er zusah, wie seine Tochter - welch erhabener Begriff für ihn - die erste Nahrung ihres Lebens aufnahm. Euphrosyne grinste ihn an und sagte dazu nur: "Nicht so gierig glotzen, Aron. Das, was da drinsteckt kriegt nur, wer ganz in mir dringesteckt hat." Sie wirkte nicht im mindesten erschöpft oder niedergeschlagen, sondern hocherfreut und vor allem stark, als habe sie gerade einen großen Sieg errungen. So hatte er ausgesehen, als er mit dem HAC gegen Paris gewonnen hatte und mit den Jungs für das Siegerfoto Aufstellung genommen hatte. Natürlich hatte Euphrosyne einen Sieg errungen. Sie hatte es gegen die besserwisserische Hexen- und Zaubererbande durchgesetzt, dass sie beide jetzt drei - in Frankreich wohnen und leben durften, ohne von diesen Zauberstabschwingern behelligt zu werden. Wie genau sie das angestellt hatte hatte sie ihm nie erzählt. Vielleicht wollte er das auch nicht wirklich wissen, dachte Aron Lundi. Immerhin hatte sie es für ihn hingebogen, dass er zumindest in der Sportberichterstattung weiterarbeiten durfte, als Kokommentator bei Ligaspielen auf einem privaten Fernsehsender. Dass er damals nicht von sich aus gedopet hatte war zumindest bei den ganzen Medien angekommen. Er sah noch einmal seine Tochter an, sie trug die beiden Namen jener Nonne, die sein schlimmster Albtraum war. Die war jetzt von ihrer Zelle im Waisenhaus in eine Zelle eines Frauengefängnisses umgezogen, weil sie wegen mehrfacher Kindesmisshandlung und Körperverletzung verurteilt worden war. Da hatte auch die über alles und jedes Gesetz ach so erhabene katholische Kirche nichts gegen tun können, wohl weil die Kiste zu schnell und zu öffentlich ausgepackt worden war und sich die Handlanger vom Papst lieber mit einem abschreckenden Einzelfall abfinden wollten, statt die Sache unter den dicksten Teppich zu kehren und dann doch irgendwann wieder damit zu tun zu kriegen. Aron hatte mal gehört, dass Häftlinge, die sich in irgendeiner Form an Kindern vergriffen hatten, in vielen Gefängnissen wie Fußabtreter und Boxbälle behandelt wurden, weil sie als hinterletzte Feiglinge und Schwächlinge angesehen wurden. Ob das für den rechten Haken Gottes galt wusste er nicht. Aber dem wollte er gerne noch eins einschenken.

Nachdem er sich lange genug daran erfreut hatte, wie die kleine Belle Nathalie Marie Clementine ihre erste Nahrung außerhalb des Mutterleibes genoss, ging er aus dem schon imposant wirkenden Haus hinüber zu einem kleinen Haus, das weit genug von der dichten Magieausstrahlung entfernt stand. Dort hatte er seine Drähte zur normalen Welt, unter anderem einen PC. Diesen fuhr er hoch und schrieb dann einen Brief an seine frühere sogenannte Erzieherin:

Guten Morgen, Schwester Marie-Clementine, oder darf ich Sie endlich mit Mademoiselle Montpierre ansprechen?

Ich möchte Ihnen nur schreiben, dass ich, Aron Lundi, endlich über all Ihre Tiraden, Vorhaltungen und Angstmachereien hinweg bin und mein freies Leben führen darf. Gut, das wussten sie sicher schon länger, weil Sie sicher auch mitbekommen haben, dass ich eine Zeit lang beim HAC gespielt habe. Dass ich meine Erfolge da Ihnen und Ihren Hexengebräuen zu verdanken habe hat mich zwar erst runtergezogen. Aber durch meine Frau Euphrosyne konnte ich dann doch in ein für mich erfreuliches Leben reinfinden.

Ich habe geschrieben, dass ich Ihre ganzen Tiraden überwunden habe, darunter auch die von der Abscheu vor körperlichen Bedürfnissen. Ich weiß jetzt, dass Sex was ganz dolles ist und dass ich die richtige Frau dafür habe, um das immer wieder zu erleben. Und das habe ich schon erfahren, bevor wir in Las Vegas ganz ohne Halleluja-Priester geheiratet haben.

Tja, und ab heute habe ich ein eigenes Kind, wohl nicht das einzige. Aber ich werde zusehen, dass ich meiner kleinen Tochter mehr Liebe und Verständnis, Respekt und vor allem Freiheit gebe. Da ich ja von Ihnen und ihren bigotten Mitschwestern gelernt habe, wie das Gegenteil davon läuft, muss ich mich sogar noch bei Ihnen bedanken, dass ich weiß, wie ich Ihre ganzen Fehler, die Sie als anständige Erziehung verkauft haben, vermeiden kann.

Vielleicht lernen Sie da, wo Sie jetzt sind, dass es einen ziemlich runterzieht, wenn man ständig von anderen drangsaliert wird. Vielleicht finden Sie aber auch eine nette Freundin da, die Ihnen hilft, den Gefängnisalltag zu überstehen und dass Jungfräulichkeit stark überbewertet wird.

Gut, Sie werden sicher denken, ich sei verbittert. Ja, stimmt! Aber an diesem Rad haben Sie ja all die Jahre gedreht, wie ein Foltermeister der Inquisition an der Streckbank. Vielleicht kriegen Sie da, wo Sie jetzt sind, endlich einen Eindruck, dass Sie auch nur ein Mensch mit Ängsten und Bedürfnissen sind und nicht irgendein höheres Wesen. Zumindest wünsche ich Ihnen, dass die Zeit im Gefängnis keine reine Verschwendung für Sie und die Welt ist.

Leben Sie wohl

Aron Lundi

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Madame Faucon las die ganzen Angaben von dem rosaroten Zettel, der vor einer Viertelstunde aus dem Neotokographen geglitten war. Heute, am dritten März 2003, war ein kleines Mädchen namens Belle Nathalie Marie Clementine Lundi zur Welt gekommen, deren Mutter eine Hexe namens Euphrosyne Lundi und deren Vater ein Nichtmagier namens Aron Lundi war. Mit dieser Meldung hatte sie seit einigen Wochen gerechnet. Sie jetzt in Händen zu halten ließ noch mal alle Gedanken und Gefühle aufkommen, die sie im Zusammenhang mit Euphrosyne Lundi empfunden hatte. Es war also jetzt passiert. Dieses kriminelle, viertelveelastämmige Mädchen hatte ihren Willen bekommen und ein Kind auf französischem Boden zur Welt gebracht. Sie hatte sich diesen hochintuitiven Sportler aus der magielosen Welt gefügig und verfügbar gemacht und alle Nachstellungen des Zaubereiministeriums mit skrupelloser Entschlossenheit abgeschmettert. Den verheerendsten Racheschlag hatte sie gelandet, als sie den früheren Zaubereiminister Armand Grandchapeau durch einen scheinheiligen Segenszauber dazu verurteilt hatte, bis zur Geburt ihres ersten Enkelkindes auf französischem Boden im Leib seiner Frau zu verbleiben und als sein eigener Sohn wiedergeboren zu werden. Beinahe hätte dieser heimtückische Veelazauber dazu geführt, dass Frankreich einen auf die eigene Karriere bedachten, nicht vor Erpressungen zurückscheuenden Zaubereiminister bekommen hätte. Womöglich wäre das auch das Ende ihrer Karriere in Beauxbatons gewesen. Jetzt hatte dieses veelastämmige Frauenzimmer eine Tochter bekommen, die noch dazu die Vornamen jener Hexen trug, die ihrer Mutter nachgestellt hatten. Wer die beiden anderen Namen getragen hatte erschloss sich der Schulleiterin von Beauxbatons, als sie noch einmal die Akte zu Aron Lundi las, die ihr ihre Tochter Catherine überlassen hatte. Offenbar hatte dieses Frauenzimmer das Bedürfnis, allen Frauen und Hexen entgegenzurufen, die ihr und Aron die Beziehung verderben wollten, dass es nicht gelungen war.

Blanche Faucon hatte gerade die ganzen traditionell auf Latein niedergeschriebenen Angaben in einen Aktenordner mit möglichen Neuzugängen im Jahr 2014 abgeheftet, als es an der Tür ihres Büros klopfte. Da es gleich zum Frühstücken ging wunderte sie sich, wer da schon jetzt ein Anliegen vorbringen wollte.

"Hallo Quintilia, was kann ich für sie tun?" begrüßte Blanche Faucon ihre Kollegin Quintilia Laplace. Diese wirkte seit der Entführung und Wiederverjüngung ihres Sohnes Gérard immer leicht niedergeschlagen. Im Unterricht trat sie etwas strenger auf als früher. Das schlug sich in einigen Wertungsbüchern nieder, vor allem der von Schülern und Schülerinnen der Säle Himmelblau und Kirschrot.

"Ich möchte nach den Osterferien nur noch auf Halbzeitbasis arbeiten, Madame Faucon. Ich würde auch gerne eine psychomorphologische Therapie beginnen. Mir wird der Druck langsam zu groß, vor allem jetzt, wo mein Gatte beschlossen hat, sich von mir zu trennen."

"Sie erwähnten es vor zwei Tagen, dass das Verbrechen an Ihrem Sohn und dessen Folgen Ihre Ehe belastet", sagte Madame Faucon ruhig und mit einer Spur Anteilnahme in der Stimme. "Beharrt Ihr Gatte immer noch darauf, dass Sie eine maßgebliche Schuld an der unumkehrbaren Widerverjüngung Ihres Sohnes tragen?"

"Nicht mehr mit Worten. Aber wenn er Gérards Zimmertür ansieht und auch von Treffen mit seinen Freunden zurückkommt sieht er mich immer so vorwurfsvoll an. Gestern hat er es offen ausgesprochen, dass er die Lossprechung beantragen wird. Ich habe ihm dann noch einmal gesagt, dass weder er noch ich an diesem Verbrechen gegen Gérard schuldig sind, ja Gérard zu einem gewissen Anteil diese Kriminellen mutwillig provoziert hat. Da hätte er mich fast geschlagen. Er meinte dann nur, dass ich Ihnen nicht hätte einreden sollen, diesen Blutrufzauber zu machen, ohne vorher zu klären, ob dieser von diesen Schurken wahrgenommen werden kann oder nicht. Mit einem Sohn, der hundert Zwangspaarungen hätte überstehen müssen hätte er sich wohl noch abgefunden, so mein Mann. Aber jetzt keinen Sohn mehr haben zu dürfen, weil diese Fichtentalregel das verböte, ihn weiter zu besuchen, sei zu viel für ihn. Deshalb wolle er ausziehen und ganz woanders weiterleben. Wenn ich noch einen Funken Anstand im Leib hätte, so mein Mann, solle ich ihn ziehen lassen."

"Das klingt sehr niederschmetternd, Quintilia. Ich kann auch verstehen, dass Sie deshalb Ihr eigenes Leben hinterfragen und ordnen möchten. Benötigen Sie dafür heute einen freien Tag, um alles notwendige zu veranlassen?"

"Ich möchte nichts von Ihnen geschenkt bekommen, Madame Faucon. Wenn ich mich unwohl fühle gehe ich zu Madame Rossignol und lasse mich von ihr krankschreiben. Ich wollte Sie nur darum bitten, mein Ansinnen zu prüfen, nach den Osterferien weniger zu arbeiten, um genug Zeit für die angestrebte psychomorphologische Therapie zu erhalten. Natürlich werde ich auf die Hälfte des bisherigen Gehaltes verzichten."

"Ich werde ihr Anliegen prüfen und zeitnahe darüber befinden, wie ich dieser Bitte entspreche. Schließlich sind Sie und Professeur Cognito die einzigen Arithmantiklehrer in Beauxbatons."

"Vielleicht benötigen Sie im nächsten Schuljahr keinen mehr. Sie haben sicher von den Kollegen den unliebsamen Zwischenfall mit dem ZAG-Kandidaten Robert Bouvier und der Viertklässlerin Celestine Rocher mitbekommen, die trotz massiver Strafpunktezuteilung alle anderen dazu bekommen haben, meine Unterrichtsstunde zu verlassen. Diese Untergrabung von Lehramtsautorität darf sich nicht wiederholen."

"Und Sie behaupten, diese Respektlosigkeit der betreffenden Schüler herausgefordert und begünstigt zu haben, ich weiß. Sie wissen aber auch, dass ich Ihnen darin nicht beipflichte. Das unerlaubte verlassen einer laufenden Unterrichtsstunde ist ein massiver Verstoß gegen die bestehenden Regeln, unabhängig von der Befindlichkeit des erteilenden Lehrers. Die betreffenden Schüler werden bei einer neuerlichen Bestrafung von mindestens hundert Strafpunkten unsere Lehranstalt verlassen müssen."

"Ja, und genau deshalb bitte ich um eine Reduktion meiner Lehrtätigkeit. Ich will nicht auch noch Schuld daran tragen, diesen und anderen Schülern die Zukunft verdorben zu haben. Die sind schließlich noch minderjährig und somit nicht selbstverantwortlich, wie es mein Sohn war, bevor er in die Fänge dieser Babymacherbande geraten ist."

"Sie begeben Sich umgehend zu Madame Rossignol und erwirken eine heilerische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für heute! Am besten lassen Sie sich dann gleich auch eine Überweisung zu einem psychomorphologischen Experten aushändigen. Wenn sie von diesem oder dieser erfahren haben, ob eine Therapierung dieser massiven Schuldgefühle angezeigt ist und wie viel Zeit diese ungefähr andauern wird übergeben Sie mir und Madame Rossignol als für Beauxbatons eingetragener residenter Heilerin die entsprechenden Unterlagen. Ich kann auch Professeur Bellart als zeitweilige Vertretung abstellen und Professeur Delamontagne für heute die Zauberkunstklassen zwei und vier unterrichten lassen. Wie es dann weitergeht müssen wir dann im Kollegium erörtern. Bitte befolgen Sie meine Anordnung!"

"Wie Sie meinen, Madame Faucon", sagte Quintilia Laplace. Sie verließ das Büro der Schulleiterin. Diese blickte noch einmal auf den Aktenordner für 2014 und dachte daran, dass es Leute gab, die keine Probleme damit hatten, anderer Leute Zukunft von grund auf zu verderben und es dann auch hinbekamen, nicht dafür behelligt werden zu können. Das machte sie wütend. Aber wütend durfte sie jetzt nicht sein. Streng musste sie auftreten, entschlossen und vor allem zielstrebig. Aber wenn dieses Veelamädchen sie wütend machen konnte triumphierte die auch noch über sie. Es war schon eine mehr als unerträgliche Zumutung, dass dieses kleine Mädchen, dass heute früh zur Welt gekommen war, in elf Jahren in ihrer erhabenen Akademie aufgenommen werden musste, sofern sie eigene Zauberkräfte offenbarte.

Kurz vor sieben Uhr verließ Madame Faucon ihr Büro und wechselte durch das transpiktorale Tor auf die achte Etage des Hauptgebäudes über. Punkt sieben Uhr betrat sie den Speisesaal mit den sechs runden und dem einen rechteckigen Tisch. Sie war die erste, wie immer. Gleich würden die Schüler und ihre Kollegen hereinkommen, sie würden frühstücken und dann zum Unterricht gehen. Sie dachte daran, dass sie danach der Ausbildungsabteilung und auch dem Büro zur Vermittlung zwischen Menschen und Zauberwesen eine Abschrift der Geburtsmeldung zukommen lassen wollte. Sie dachte an Julius Latierre, dem sie auf seinem Weg in die Zaubererwelt geholfen hatte. Sie empfand die Wut, die sie wegen seiner Wahl einer Ehefrau empfunden hatte als lächerlich im Vergleich zu dem, was Quintilia Laplace jetzt durchmachte und was der in seinem ungeborenen Sohn im Leib Nathalie Grandchapeaus eingeschlossene Armand Grandchapeau durchmachen musste.

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Nathalie Grandchapeau saß auf einem Wartestuhl vor Julius' Büro. Er grüßte sie und fragte, ob sie gut geschlafen habe. Sie schüttelte ein wenig den Kopf und deutete auf die Tür. Er nickte und öffnete.

Erst als seine frühe Besucherin und Vorgesetzte saß und er auf ihre Geste hin einen zeitweiligen Klangkerker errichtet hatte, um unabhhörbar mit ihr sprechen zu können gab sie ihm den Cogison-Ohrring. Erst musste er sich wieder an das Gerumpel, Geglucker und das Pochen eines scheinbar übergroßen Herzens gewöhnen. Doch dann sagte Nathalie: "Er dort in meinem warmen Leib hat offenbar eine unruhige Nacht gehabt und ich damit auch. Ich habe sogar einmal eine leichte Wehe verspürt, als müsse ich ihn in wenigen Tagen oder Stunden gebären. Sage unserem Eingeweihten bitte, was dich umgetrieben hat!"

"Umgetrieben ist wohl das falsche Wort. Ich habe diese nacht geglaubt, ich würde ausgetrieben. Ich bin im Traum irgendwie in dieses kleine Mädchen reingeraten, dass diese Viertelveela sich herangefuttert hat, Julius. Ich konnte nicht aufwachen. Ich hing voll in deren ganzer Empfindung fest. Ich habe gedacht, jetzt die zu bleiben und als Tochter von dieser Schlampe groß werden zu müssen." Nathalie räusperte sich. "'tschuldigung, Maman, aber was stimmt sage ich jetzt so, wie es ist, wo ich eh noch nicht mit eigener Luft sprechen kann. Also ich habe gedacht, jetzt die Kleine von dieser in einer Vorführpuppe versteckten Sabberhexe zu sein. Aber da hat die mich mit ihrem ersten Schrei förmlich aus sich rausgeblasen, dass ich ohne Körper bis zur Decke geflogen bin. Dann musste ich mir noch angucken, wie sie sich bei Ihrer Mutter die erste Portion Milch einverleibt hat. Ich habe auch diesen armen Burschen gesehen, den sich dieses Flittchen gefügig gemacht hat. Ich habe schon befürchtet, jetzt die ganze Zeit bei der zu bleiben. Doch mit jedem Schluck, den dieses kleine Würmchen aus seiner Mutter rausgesaugt hat wurde es um mich immer nebeliger und dumpfer. Ja, und dann bin ich wieder in mir und Maman gelandet. Oha, ich glaube, das mit dem Geborenwerden überlege ich mir noch mal. War schon ziemlich heftig."

"Ich steige garantiert nicht mit dir im Bauch in einen Sarg oder lasse mich mit dir zusammen einäschern und in dieselbe Urne füllen", erwiderte Nathalie Grandchapeau darauf. Julius sah sie ruhig an und sagte:

"Ich habe während der drei Monate mit Madame Maximes Blut im Körper einmal unter einwirkung von Bicranius' Gedächtnisverstärkertrank meine eigene Geburt nacherlebt, zwei Stunden vor und zwei Stunden danach. Angenehm ist sowas nicht, aber froh war ich danach doch, dass ich aus dem viel zu engen Uterus meiner Mutter hinausgefunden habe."

"Merkst du es. Aber dir ist es offenbar noch nicht zu eng in mir", erwiderte Nathalie. Dann forderte sie von ihrem für lange Zeit ungeboren bleibenden Sohn, dass er auch erzählte, wie die Tochter von Euphrosyne heißen sollte. Als Demetrius das über die Cogisonverbindung mitgeteilt hatte sagte Nathalie: "Die pure Provokation ist das. Dieses Frauenzimmer hat die Namen jener weiblichen Personen gewählt, die ihr angeblich so übel mitgespielt haben. Die beiden letzten Namen gehören oder gehörten jener Ordensschwester, unter deren fragwürdigen Erziehungsmethoden Aron Lundi aufgewachsen ist."

"Der Sie und Madame Belle Grandchapeau unterstellt haben, Aron Lundi über Jahre hinweg mit Drogen behandelt zu haben, um dessen Spielerfähigkeiten zu erklären und ihm die Fußballkarriere zu versagen, damit er nicht gewollt oder ungewollt von der Magie seiner Gefährtin profitieren kann", stellte Julius fest.

"Sie möchten mir jetzt sicher nicht vorwerfen, dass meine Toch..., öhm, Mitarbeiterin und ich diese Ordensschwester unschuldig ins Gefängnis gebracht haben. Uns lag nur daran, dass die Angelegenheit für alle Nichtmagier verständlich geregelt wurde. Dass diese heuchlerische Papstdienerin wahrhaftige Verbrechen begangen hat war uns vorher nicht bekannt, wurde aber von uns als endlich aufgeklärt akzeptiert."

"Also habe ich auch dieser Klosterfrau zu verdanken, dass ich bis 2020 oder länger bei dir eingelagert bin, Maman?" fragte Demetrius. "Dann darf die Kleine gerne die Namen von der tragen."

"Ich glaube, ich gebe die Cogisonteile wieder zurück und behaupte, dass sie nichts taugen", knurrte Nathalie. "Und die täglichen Runden unsichtbar durch Wald und Wiesen lasse ich dann auch weg."

""Hallo, bitte nicht sowas. Ich bin doch froh, dass ich noch irgendwie mit euch da draußen Verbindung haben kann. Wenn du mich jetzt ganz in deiner Dunkelheit lässt werde ich sicher noch verrückt. Und einen Wahnsinnigen wolltest du sicher nicht auf die Welt bringen."

"Vielleicht oder ganz wahrscheinlich wirst du dich dann aber zu einem unschuldigen Fötus und später Säugling zurückentwickeln und es ganz in Ordnung finden, erst von mir getragen zu werden, deine Geburt als größten Schock deines noch frischen Lebens empfinden und das dann alles im Laufe des Aufwachsvorgangs vergessen, was du vorher erlebt und gewusst hast. Ich tu dir diese ganzen Gefallen nur, weil mir daran liegt, dass Armand Grandchapeaus Wissen und Können nicht einfach so aus der Welt verschwinden soll. Ich muss das nicht tun", stellte Nathalie klar. Darauf erfolgte ein sehr reuevolles Bitten um Gnade und dass Demetrius doch bitte weiterhin mitbekommen dürfte, was in der Welt, in die er ja noch nicht hinausgelassen werden konnte, so vorging und auch mithelfen wollte, dass nach den ganzen Wirrungen um seine Nachfolge wieder Frieden in der Zaubererwelt herrschte. Julius schwieg zu dem allem. Sich vorzustellen, auf Gedeih und Verderb über Jahrzehnte hinweg von einem einzigen Menschen abhängig zu sein, ja sich nicht mal frei bewegen zu können, empfand er als eine Horrorvorstellung. Wie hatten das Pandora und Phoenix Straton ausgehalten, als sie aufgewacht waren und erkannten, dass sie noch mehrere Monate auf ihre Wiedergeburt warten mussten? Sie hatten die meiste Zeit verschlafen, wie Föten das eben so taten, wusste er von den beiden.

"Ich habe heute Morgen eine Mentiloquistische Botschaft von Madame Léto empfangen, die mir die Geburt von Belle Nathalie Marie Clementine Lundi mitgeteilt hat. Womöglich bekomme ich noch schriftliche Bestätigungen."

"Davon hätte ich auch ganz gerne eine Abschrift für meine Akten. Immerhin habe ich ja wie der kleine Mann in meinem Bauch erwähnt hat eine gewisse Mitschuld an dem, was dem Vater des Mädchens widerfahren ist", sagte Nathalie mit unübersehbarer Verbitterung im Gesicht. Dann stand sie wieder auf. Julius erwähnte, dass der Suchdämon jetzt programmiert war. Er würde auch eine E-Mail zu seinem Rechner in Millemerveilles schicken. Aber praktischer wäre es, wenn mindestens einer im Rechnerraum sein würde, egal ob Tag oder Nacht.

"Gut, dann erarbeite ich einen Schichtplan und gebe Ihnen eine Kopie davon", sagte Nathalie. Dann verließ sie Julius' Büro.

Kaum war der Klangkerker erloschen, schwirrten gleich drei Memoflieger durch die offene Tür herein, die hatten wegen des Klangkerkers und der deshalb gesperrten Durchlassluken draußen Warteschleifen unter der Decke geflogen. Jeder der Memoflieger brachte einen Briefumschlag. Einer trug ein Wappen, das zwei gekreuzte Zauberstäbe zeigte, aus dem je drei Funken stoben. Der war also aus Beauxbatons und trug die Julius seit bald zehn Jahren bekannte Handschrift Madame Faucons. Der zweite Briefumschlag war veilchenblau und trug eine Anschrift, die Julius auch schon gut genug kannte, die von Euphrosyne und Aron Lundi. Der dritte Brief stammte auch von Euphrosyne Lundi, war jedoch in einem rosaroten Umschlag verstaut, auf dem mehrere pausbäckige Babygesichter aufgedruckt waren. So ähnlich hatte der Brief der Fieldings auch ausgesehen, nur dass der Umschlag himmelblau gewesen war.

Madame Faucon hatte ihm als offiziellen Menschen-Veela-Verbindungszauberer sowie Leiter des Büros zur Vermittlung zwischen Menschen und Zauberwesen eine Kopie der von ihr abgeschriebenen Geburtsanzeige geschickt. Der veilchenblaue Umschlag enthielt ebenfalls eine amtlich formulierte Mitteilung, dass Madame Euphrosyne Lundi um 06:40 Uhr des 3. März 2003 einer Tochter namens Belle Nathalie Marie Clementine das Leben geschenkt hatte und nun darauf hoffe, dass ihre Familie auch weiterhin gedeihlich mit dem Zaubereiministerium zusammenarbeiten und die Neugeborene alle Fürsorge und Anerkennung erfahren möge, die einer geborenen Hexe zustanden. "Heuchlerisches Aas", dachte Julius, als er was von der gedeihlichen Zusammenarbeit las. Stillhaltepakt, Gängelei und offene Verhöhnung nicht nur seiner Autorität trafen es wohl eher. Der Brief im rosaroten Umschlag überraschte ihn auch nicht wirklich:

Hallo Julius,

Da dies hier eher ein persönlicher Brief ist wirst du mir sicher gestatten, dass ich mit dir so rede wie es zwischen Verwandten üblich ist.

Ich freue mich sehr, dass heute die von meinem Mann Aron und mir schon lange erwartete Tochter zu uns gekommen ist. Sicher war das für sie und für mich ein anstrengender Akt und hat mir auch das eine oder andere mal sehr weh getan. Aber ich habe das alles durchgehalten, weil ich wusste, dass es das wert ist. Jetzt ist sie da, unsere kleine Kronprinzessin Belle Nathalie Marie Clementine, nur für den Fall, dass du die mit diesem Brief zusammen verschickte amtliche Mitteilung noch nicht gelesen haben solltest.

Weil mein Mann Aron und ich uns so freuen, dass die kleine Belle gesund und wohlbehalten bei uns angekommen ist möchten wir ein Willkommensfest feiern, wie es sich für neue Zaubererweltkinder gehört. Da es bei den Angehörigen meiner mütterlichen Vorfahren üblich ist, die Anverwandtschaft innerhalb der ersten zwanzig Tage nach der Geburt zusammenzurufen, um ihnen die neue Verwandte vorzustellen, findet die Feier am 20. März dieses Jahres auf dem von uns bewohnten Anwesen Palais des Rèves statt. Da wir von der direkten Verwandtschaft schon sehr viele Geschenke zur Erstausstattung unseres Kindes erhielten möchten wir es dir und jedem anderen, der von uns eingeladen wird überlassen, ob oder was ihr mitbringen möchtet.

Sicher wirst du erst denken, was das soll, wo du ja von den anderen gelernt hast, dass ich gegen so viele Zaubereigesetze verstoßen habe, ausgerechnet den Zauberer einzuladen, der zwischen meiner mütterlichen Abstammung und den Normalmenschen mit und ohne Magie vermitteln und die Gesetze ausüben muss. Doch wir zwei sind miteinander Verwandt geworden, weil meine Großmutter ja fand, dass du zu ihrem Blut gehören sollst. Wenn jemand von meiner Abstammung Nachwuchs hat, dann gehört es sich so, dass die lebenden Blutsverwandten, Geschwister, Eltern, Tanten und Cousinen, dem neuen Anverwandten vorgestellt werden sollen. Außerdem haben wir zwei noch keinen Streit gehabt, auch wenn deine Leute und meine Großmutter das ganz gerne gehabt hätten, uns aufeinander losgehen zu sehen. Weil ich finde, dass das jetzt alles endlich vorbei sein soll und wir jetzt durch die Ankunft meiner Tochter ein neues Universum haben, in dem wir leben dürfen, sollten wir es auch in Frieden erleben. Auch wenn du das jetzt deiner Erziehung und Ausbildung nach für pure Heuchelei hältst, was ich dir schreibe, so frage bitte unsere gemeinsame Großmutter, oder ist sie nicht eher deine Mutter? Sie wird dir bestätigen (müssen), dass es stimmt, was ich schreibe.

Bitte komm mit deiner Angetrauten mit oder ohne eure bereits geborenen Kinder am 20. März um 16:00 Uhr zu uns in den Palast der Träume, wie wir, Aron und ich, unsere Heimstatt genannt haben. Dann ergibt sich sicher die eine oder andere Gelegenheit, miteinander wie zwei erwachsene Anverwandte zu sprechen und um Belle Nathalie Marie Clementines Wegen friedlich miteinander auszukommen. Denn was immer deine Vorgesetzten oder gar unsere Großmutter behaupten, die Kleine kann nichts für das alles.

In der ganz großen Hoffnung, alle die am Willkommenstag meiner Tochter zu sehen, die mit ihr verwandt sind und mit ihr ein langes, friedliches Leben verbringen wollen wünsche ich dir und deiner Frau noch schöne Wochen. Ich freue mich, wenn sie auch zu uns kommen kann.

Euphrosyne Lundi

"Hallo Léto, ich hoffe, ich störe dich gerade nicht", schickte Julius eine Gedankenbotschaft zu Léto.

"Nein, ich bin nur gerade dabei, von einem heißblütigen Liebhaber so richtig doll beschlafen zu werden", kam Létos ziemlich biestig klingende Antwort zurück. Julius zuckte zusammen. Dann hörte er Létos glockenhelles Lachen in seinem Geist. "Ui, das war aber jetzt schön, zu fühlen, wie dich diese Vorstellung erschüttert. Nein, im Moment bin ich sogar froh, dass da jemand meine Grübeleien unterbricht. Wurdest du eingeladen, ein kleines, goldhaariges Mädchen kennenzulernen, das Belle Nathalie Marie Clementine heißt? Ich auch."

"Die beruft sich in dem Brief darauf, dass sie ja durch dich mit mir verwandt ist und dass ihr Kind allen Verwandten vorgestellt werden sollte", schickte Julius zurück.

"Ui, hat die Kleine schon im Mutterleib lesen und schreiben gelernt?" gedankenfeixte Léto. Julius fühlte ihren Unmut vollständig nach. Er antwortete: "Öhm, nein, ich meinte ihre Mutter, deine Enkeltochter. Aber von der Zeit her, die ihr eure Kinder tragt könnte jemand schon sprechen, der auf die Welt kommt. Elefanten und Latierre-Kühe können ja auch gleich nach ihrer Geburt aufstehen und mit der Herde mitlaufen."

"Gut, ich sehe es ein, dass ich mit dem Unsinn angefangen habe, mein Junge. Gut, ernst! Wir zwei sind ganz offen und gemäß der Tradition eingeladen worden. Wir zwei müssen dahin, auch wenn dir das nicht gefällt. Ja, ich habe dich zu einem halben Blutsverwandten von mir gemacht, um Diosan zu finden. Ja, Euphrosyne ist in gewisser Weise deine Base oder Cousine oder viel eher deine Großnichte, weil du ja in einer gewissen Beschränkung mein Blutzögling bist. Deshalb darf, ja muss sie dich einladen. Deshalb müssen wir auch allen Ärger verdrängen, den wir wegen ihr empfinden, um dieses erhabene Ritual nicht zu gefährden. Du hörst richtig, wir dürfen das Vorstellungsritual nicht gefährden, indem wir einen Groll gegen die Eltern des neuen Verwandten hegen. Wurdest nur du eingeladen oder auch Mildrid?"

"Millie wurde auch eingeladen", erwiderte Julius in Gedanken und stellte sich den Brief vor. Denn wenn sie wollte konnte Léto aus seinen bildhaften Erinnerungen schöpfen, wenn er die Augen schloss und mit Ihr Kontakt herstellte. "Oha, dann muss sie auch mitkommen, weil sie gerade dein Kind trägt. Da dieses nach dem Zusammentreffen mit Diosan gezeugt wurde gilt die Verwandtenpflicht auch für es, und weil es noch nicht alleine atmen und laufen kann muss deine Frau es dorthin tragen und an seiner Stelle am Ritual teilnehmen. Keine Sorge, es wird nichts blutiges oder noch demütigenderes sein. Es geht nur darum, dass wir das kleine Mädchen ansehen, ihm unseren Namen nennen und ihm ein langes und begütertes Leben wünschen, damit es aufwächst. Ich habe die undankbare Aufgabe, zu beschließen, ob ich ihm als ihre älteste noch lebende Verwandte den Segen der Familie erteile. Das ist diesmal kein verbotener, sondern sehr gerne erfahrener Segen, der eben nur zwischen dem geschlechtsgleichen ältesten Verwandten und dem neuen Mitgeschöpf ausgesprochen wird. Andererseits kann ich den Segen auch verweigern, wenn ich finde, dass die Kleine auf unerwünschte Weise zur Welt kam, beispielsweise durch eine Schändung der Mutter oder durch den Raub von männlicher Saat. Das ist ja Sarja fast passiert, als sie Diosan bekam. Da sie aber nachweisen konnte, dass dieser Grindelwald mit ihr den Zeugungsakt vollzogen hat und nicht im Schlaf um seinen Samen beraubt wurde, musste unsere damals noch lebende Großmutter den Segen erteilen. Hier kommt aber hinzu, dass Euphrosyne Armand Grandchapeau aus seinem Leben gestoßen hat, um die Geburt ihres Kindes in eurem Land zu erzwingen. Deshalb kann ich mir das bis zum Willkommenstag noch überlegen, ob ich diesen Segen erteile oder nicht. allerdings kann auch Euphrosynes Mutter den Segen erteilen, und das wird sie sicher tun."

"Und was passiert, wenn ich oder sonst wer dieses Ritual durch Wut oder Verachtung verderben?" fragte Julius, der eine unbestimmte Vorahnung hatte.

"Stimmt, das habe ich dir damals nicht erzählt, als du von mir unterwiesen wurdest", setzte Léto an: "Wer eine Blutsverwandte oder einen Verwandten mit Verachtung im Leben begrüßt oder Wut äußert darf nicht nach dem Tod in Mokushas warmen Schoß einkehren, um mit den vorausgegangenen im ewigen Frieden von ihr umsorgt zu werden. Er oder sie wird, sobald der Tod eintritt, als Kind des bisherigen Geschlechtes von jenem oder jener abstammend, den oder die er verachtet hat, gezeugt oder wiedergeboren und muss das ganze Leben in vollkommener Unterwerfung verbringen, bis die verachtete Verwandte oder der aus Wut verstoßene Verwandte stirbt. Für mich oder apolline würde das gelten, wenn wir aus Wut Euphrosynes Tochter zurückweisen. Ob das für dich gilt weiß ich nicht, weil du nur zum Teil Blutsverwandt bist. Du wurdest nicht in meinem Schoß ausgetragen und von mir geboren oder von einer meiner Töchter oder Nichten. Deine Nachtodform könnte dann doch eine andere sein als bei uns. Es könnte aber auch sein, dass du dann zu Lebzeiten verpflichtet sein könntest, den Nachkommen Belle Nathalies zur Verfügung zu stehen, beispielsweise Euphrosynes Enkelkinder zu zeugen, wenn ihre Tochter dich einfordert oder was auch immer. Vielleicht widerfährt dir auch nur große Reumut und Schuldgefühle, die dein Leben überschatten. Ich weiß es nicht und will auch nicht, dass du es darauf anlegst. Wir gehen mit deiner Frau dort hin, begrüßen die Kleine und wünschen ihr ganz offen und freundlich ein langes, glückliches und gedeihliches Leben. Am besten kommt ihr zwei vorher zu mir, um die korrekte Willkommensformel zu lernen."

"Und wenn meine Frau nicht will oder wenn wir vorher erkranken oder anderswie verhindert sind?"

"Halt, wisst ihr schon, ob deine Frau einen Jungen oder ein Mädchen in sich trägt?" mentiloquierte Léto zurück. Julius schickte zurück, dass sie sicher wussten, dass die dritte Tochter unterwegs war. "Oh, dann kann sie doch der Veranstaltung fernbleiben. Denn Jungfrauen dürfen dieser Willkommensfeier nicht beiwohnen, weil ihre Worte noch nicht wirken. Wenn Millie wirklich ein Mädchen im Leib hat gilt sie als Trägerin einer Jungfrau und kann die Einladung zurückweisen."

"Ja, und Euphrosyne kann mich dafür wegen der halben Blutsbindung herumkommandieren", sandte Julius eine verbitterte Gedankenantwort.

"Nicht, wenn ich dir unmittelbar vor dem Fest durch körperliche Berührung bestärkt die Anweisung gebe, nur die Dinge zu tun, die ich dir ausdrücklich erlaube oder auferlege. Dann kann sie dich nicht für ihre Zwecke einsetzen", erwiderte Léto. Julius bestätigte das. Dann verabschiedeten sich die beiden voneinander.

Als Julius mit seinen Gedanken wieder alleine war grübelte er, ob das wirklich so gut war, dass Léto ihn an sich gebunden hatte. Er war da nicht wirklich unabhängig, und als Beamter und für eine bestimmte Gruppe Leute zuständiger Verbindungszauberer war das schon übel, von dieser Gruppe unterworfen zu werden, nur in ihrem Sinne zu handeln. Doch was konnte er dagegen tun?

Es klopfte an die Tür. Julius verstaute schnell die Briefe im Schreibtisch und rief: "Herein!" Auf seinen Ruf betrat Nathalie Grandchapeau zusammen mit ihrer Tochter das Büro.

"Wir beide wurden eingeladen, einer Willkommensfeier beizuwohnen, die zu Ehren eines kleinen Mädchens namens Belle Nathalie Marie Clementine Lundi gegeben werden soll. Ist Ihnen dazu etwas bekannt, Monsieur Latierre?" kam Nathalie gleich auf den Punkt. Julius nickte und holte die ihm zugegangenen Schreiben aus der Schublade. "Ich habe bereits nachgefragt, ob ich dieser Veranstaltung fernbleiben kann. Ich darf das leider nicht, weil durch die Sache mit Diosan Sarjawitsch eine gewisse Verbindung zwischen mir und Léto und somit auch zu dieser Frau namens Euphrosyne Lundi besteht. Aber Sie beide könnten doch absagen, oder?"

"Mit dem Gedanken tragen wir uns wahrhaftig", grummelte Belle. "Das ist die pure Demütigung, was dieses Frauenzimmer da veranstaltet. Anstatt sie einfach sagt, dass sie ein Kind bekommen hat und gut ist muss sie uns auch noch dabei haben, wenn es von seiner Anverwandtschaft begrüßt wird."

"Wie gesagt, ich bin offen eingeladen worden und als Verwandter adressiert worden, was ich durch Létos Vorbereitungen auf die Begegnung mit Diosan leider auch bin, soweit Léto. Ich dürfte nur fernbleiben, wenn ich krank werde. Alles andere wird als Ablehnung der neuen Verwandten ausgelegt."

"Wir sind aber nicht mit dieser Person verwandt", knurrte Nathalie. "Gut, dieser Fluch oder Segen liegt auf uns beiden. Aber das verpflichtet uns gewiss nicht, mit dieser verhinderten Schwarzmagierin zusammenzutreffen und ihr unsere besten Wünsche für ihr Kind auszusprechen."

"Das möchte ich gerne noch mal hinterfragen, die Damen", erwiderte Julius. Da sagte Belle ganz harsch: "Julius, glaub bloß nicht alles, was diese Léto dir auftischt. Die will dich an ihrer langen Leine führen. Ja, Madame, ich weiß, keine persönlichen Anreden zwischen Kollegen."

"Madame Grandchapeau, Belle, ich vermag leider nicht klar zu erkennen, in welchen Angelegenheiten ich dem Wort von Madame Léto trauen oder misstrauen kann oder muss. Ich möchte jedenfalls nicht riskieren, mir den magisch aufgeladenen Unmut von Leuten zuzuziehen, mit denen ich bisher nicht in Feindschaft lag, womit hier vordringlich Madame Léto gemeint ist."

"Also, was mich angeht, ich werde dieser Zurschaustellung von Überheblichkeit und Missachtung von magischem Recht nicht beiwohnen", sagte Belle. Nathalie sah ihre Tochter an und dann Julius. Sie sagte: "Ich war auch erst skeptisch, was die Äußerungen Madame Létos anging. Aber der Umstand, das ich schon mehr als siebzehn Monate in anderen Umständen bin veranlasst mich leider, davon auszugehen, dass ihre letzten Aussagen zutreffen. Julius nickte schwerfällig. Dann nahm er nochmals Gedankenkontakt mit Léto auf.

"Sie beide können das verweigern, wenn sie eingeladen wurden. Der verbotene Segen ist keine Bindung an Euphrosynes Wünsche. Allerdings trägt Nathalie einen an Euphrosynes Nachkommenschaft gebundenen Sohn in ihrem Schoß. Er könnte nach seiner Geburt verpflichtet werden, die von seiner Mutter verweigerte Anerkennung durch eine Bußleistung zu tilgen, beispielsweise mit einer Tochter von Euphrosyne oder deren Tochter Nachwuchs zu zeugen, ja sogar keine andere Frau lieben, als eine von Euphrosynes weiblichen Nachkommen."

"Das erzählst du uns dreien bitte persönlich. Dann darfst du mir auch gerne das mit der Begrüßungsformel erklären, damit ich sie bis dahin auswendig kann. Ich schicke dir eine offizielle Einladung zu einem Gespräch", gedankensprach Julius.

"Hallo, ich lasse mich nicht vorladen. Wenn du mich bittest komme ich gerne zu euch. Aber eine ministerielle Vorladung von dir ist nicht nötig."

"Gut, bitte komm noch einmal persönlich zu uns und erzähle uns, was wir wissen müssen! Vielleicht kann ich auch meine Frau zu diesem Termin einladen."

"In Ordnung. Ich komme dann übermorgen zu euch. Versuche die beiden Damen erst einmal zu beruhigen, dass ich genauso ungehalten bin wie sie, dass sie derartig vorgeführt werden sollen!"

Julius berichtete nun, was er erfahren hatte. Nathalie Grandchapeau nickte und sagte: "Ich will ihr in die Augen sehen, wenn sie uns das erzählt. Also gut, in zwei Tagen."

Nach dem Besuch der beiden Grandchapeaus und wohl auch Demetrius setzte sich Julius wieder an den Schreibtisch und arbeitete die wenige Korrespondenz mit anderen Zauberwesenbehörden in Europa ab.

Zur Mittagspause wurde Julius von Millie über die Herzanhängerverbindung gefragt, was ihn am Morgen so wütend gemacht hatte. Als er es ihr mitteilte und auch, dass sie nicht zu dem Fest hingehen müsse, weil sie gerade mit einer neuen Jungfrau schwanger sei bekam er erst einmal keine Antwort zurück. Er fühlte jedoch, dass seine Auskunft Millie sehr erheitert hatte. Dann, so nach dreißig Sekunden, hörte er ihre höchsterheiterte Gedankenstimme:

"Das ist aber schön für mich, dass ich deshalb nicht dahingehen und mir das ansehen soll, wie die dich umgarnt, ihre ganzen Unverschämtheiten zu befürworten. Aber wieso musst du da unbedingt hin?" Julius erwähnte den Brief und schob ein, was er mit Léto besprochen hatte. Sofort fühlte er, dass seine Frau von ganz belustigt zu sehr ungehalten wechselte."Julius, die will dich nur noch stärker an sich binden als damals wegen Diosan. Die Frau ist nicht deine Blutsverwandte. Sie hat dich nicht im Bauch gehabt, dich nicht durch ihr kleines, rosarotes Vordertörchen auf die Welt geschubst und auch nicht an ihren prallen Nuckeltüten nuckeln lassen. Und wenn du dich noch mehr auf die einlässt, dann kann's sein, dass die dich eines Tages einfordert, ihr was kleines von dir in den Bauch zu legen. Am besten bleibst du von dieser Party Weg. Im Apfelhaus kann uns kein Fluch erreichen, hörst du?"

"Millie, ich muss da als Veela-Beauftragter hingehen. Da muss ich mich besser gegen Euphrosyne absichern. Ich sehe da im Moment keine andere Möglichkeit, als was Léto gesagt hat."

"Wieso, du könntest dich von der loslösen. Ich hörte bei Kailishaia, dass Leute sich von einer magischen Mutter-Kind-Bindung freimachen können. Das soll aber beiden sehr weh tun und vor allem die Mutter sehr wütend machen."

"Wenn Hexen wütend schon wie zehn Drachen sind, was sind dann reine Veelas?" fragte Julius schwermütig.

"Und das alles nur wegen diesem Irren Diosan", gedankenschnaubte Millie zurück. Damit verriet sie, dass ihr auch keine andere Möglichkeit einfiel.

"Ich werde wohl hinnehmen müssen, dass Léto mich bei der Party an ihr unsichtbares Gängelband nimmt und ihrer Blutsverwandtschaft klarmacht, dass keine von denen an ihr vorbeikommt, wenn wer was von mir will", gedankenseufzte Julius.

"Wie gesagt, wenn du dich noch mehr auf Fleurs und Gabrielles Großmutter einlässt könnten wir zwei noch mal richtig Ärger kriegen, wenn die was von dir will, das nur mir zusteht. Verstanden?"

"Das akzeptiert sie sogar", erwiderte Julius ganz ruhig.

"Wie gesagt, bleib besser bei mir und den beiden Prinzessinnen im Apfelhaus und lass diese blonde Trulla doch vor Wut explodieren!"

"Ja, und dann? Irgendwann muss ich ja wohl wieder ins Ministerium und dann?" schickte Julius zurück. Darauf bekam er nur ein verächtliches: "Mistposten!" zurück und fühlte, dass Millie jetzt keine Gedanken mehr mit ihm austauschen wollte. Das traf sich insofern gut, weil die Mittagspause gerade zu ende war.

Als Julius ins Apfelhaus zurückkehrte fand er dort noch niemanden vor. So wechselte er durch den Verschwindeschrank ins Sonnenblumenschloss hinüber. Dort war Aurore, der es jetzt schon viel besser ging. Sie trug auch keine Windel mehr. "Hallo, Rorie, haben die bösen Bauchschmerzen und das braune Dünnmachen aufgehört?" fragte er sie, während sie sich an ihn festklammerte. Sie sagte: "Ja, Bauchweh ist ganz weg. Hab schon Häufchen gemacht, nicht mehr brennendes Stinkzeug."

"Da freue ich mich richtig, dass es dir wieder gut geht, mein Schatz", sagte er noch und hob seine Erstgeborene hoch.

"Ich musste ihr nichts von dem Antidiarhö-Trank geben, Julius. Frische Milch und Magentrosttrank in Wasser aufgelöst haben schon geholfen. Sie hat mir gesagt, dass du ihr Wasser mit Salz gegeben hast und warum", sagte Béatrice. Julius nickte. "Aber heute abend darf sie noch nicht so viel essen wie sonst. Vor allem soll sie diese Nacht richtig durchschlafen und du auch."

"Klären wir, wenn meine Frau wieder bei uns ist", sagte Julius.

Der werde ich noch was erzählen. Ich habe über mehrere Umwege mitgekriegt, dass die mit den Montferre-Schwestern einen sehr wilden Besenausflug gemacht hat. Das ist ihr eigentlich nicht mehr erlaubt. Aber das kläre ich mit ihr alleine", sagte seine heilkundige Schwiegertante.

Millie meldete sich vor dem Abendessen per Pappostillon. Sie müsse doch bis morgen in Avignon bleiben und Julius könne die zwei schon geborenen im Schloss lassen und falls er wolle selbst dort übernachten. Julius schickte ihr zurück, dass er einverstanden war. Béatrice kündigte an, dass sie gleich nach ihrer Rückkehr mit ihr sprechen müsse.

"Ach, hat Bines und Sans Vetter gepetzt?" gedankenfragte sie Julius, wohl nachdem sie die Nachricht ihrer Tante und Hebamme bekommen hatte. Julius bestätigte das. "Gut, dann werde ich mich morgen wärmer anziehen als sonst und mir vielleicht noch Alraunenohrenschützer ausleihen. Aber ich wollte das jetzt wissen und bin eh auf meinem Zehner geflogen."

Nach dem Abendessen holte Julius durch den Verschwindeschrank noch Nachtzeug. Eigentlich, dachte er, könnte er schon einen kleinen Wäschevorrat für sich und seine Familie im Château Tournesol bunkern, so oft er unter der Woche dort übernachtete. Er verwarf die Idee, noch mal an den Rechner zu gehen und zu sehen, ob sein Irak-Suchdämon schon was zu vermelden hatte.

Nach dem Abendessen brachte er Aurore ins Bett und las ihr aus einem Bilderbuch eine Geschichte vom Frühling vor, wo er ihr Blumen und Vögel zeigen konnte. Die Vögel konnten sogar zwitschern, wenn er oder seine Tochter auf sie tippten. Das ließ Julius daran denken, dass es wohl bald Bildschirme mit Berührungsfunktion geben würde, wo einfach nur auf das Auswahlsymbol getippt werden musste, um das daran hängende Programm zu starten. Das war dann sicher wie die magischen Bilder- und Schulbücher, die er schon kannte.

Als Aurore schlief unterhielt er sich mit Ursuline und Béatrice noch über das, was er am morgen erfahren und was Millie ihm mittags zugedacht hatte. Ursuline sah ihn nachdenklich an und sagte: "Millie hat leider nicht recht. du bist zwar nicht von diesem Wesen ausgebrütet und auf unsere Welt gebracht worden, aber durch das, was die damals mit dir angestellt hast bist du doch halbwegs ihr Kind, aber nicht vollständig. . Trotzdem bist du gleichwertig wie ein Blutsverwandter. Was dir bisher mit ihr passiert ist liegt wohl daran, dass ihr Zauber damals und der Kampf mit Diosan dir etwas von ihrer eigenen Lebenskraftessenz aufgeprägt haben. Aber sogesehen gilt auch, wenn du mit irgendwem außer deinen Eltern blutsverwandt bist dann höchstens noch mit Mademoiselle Maxime, und wenn schon nicht vom Blut her, dann hast du durch ihre Blutgabe mehr Fleisch und Knochen aufgebaut, wo was von ihr drinsteckt. Aber durch das, was Léto dir aufgeprägt hat bist du zumindest mit ihrem Leben verbunden und somit in gewisserweise mit ihr verbunden wie ein Ungeborenes mit seiner Mutter. Weil ihr Zauber genauso gutartig ist wirkt er sicher mit meiner Lebensgabe zusammen und überwiegt in dem Moment, wo du in ihrer Nähe bist oder mit anderen Veelas oder ihrer Magie zu tun kriegst. Hmm, ja, wie ein ungeborenes Kind. Will sagen, solange du nicht rituell geboren und genährt wurdest kannst du dich gegen die anderen Blutsverwandten von ihr nicht wehren. Das hat Millie offenbar auch nicht bedacht. Gut, im Moment hat sie ja auch wirklich genug zu tragen. Da hätte dir diese Veelamatriarchin echt schon was von ihrem Blut oder ihrer eigenen Milch einflößen müssen, damit du auch wirklich vom Fleisch und Blut her mit ihr verbunden wirst." Julius musste unwillkürlich grinsen. Natürlich, wenn er jemandes Milch trank wurde die ja genauso verdaut und in etwas von seinem Körper umgewandelt wie jede andere Nahrung, ob das die Milch von Temmie oder Faidaria war. Das hatte Léto schließlich auch mitbekommen, dass er sich einer weiteren starken Kraft anvertraut hatte. Dann sagte sie noch: "Millie hat auf jeden Fall recht, dass sie bei uns oder im Schutz eures Apfelhauses sicher vor jeder Form magischer Vergeltung ist, wenn sie nicht mit zu diesem Fest geht. Und so ein Vergeltungszauber kann nur einmal ausgelöst werden. Verpufft er, ist die Zielperson nicht noch einmal damit angreifbar. Veelas können schließlich keine Zauberstäbe benutzen. Das geht nur bei deren Nachkommen, die mit reinrassigen Menschen gezeugt wurden", sagte Béatrice. "Ich habe mich nach deiner Geschichte mit Diosan auch sehr intensiv mit diesen Wesen befasst, für den Fall, dass sie dich vereinnahmen und meiner Nichte abspenstig machen könnten, um mit dir ihre eigene Zucht aufzulegen." Ursuline nickte und sagte:

"Wir Latierres haben schließlich eine sehr umfangreiche Bibliothek und noch dazu genug Anverwandte in aller Welt. Außerdem hat dir diese Schwanenkönigin sicher nicht alles erzählt, was ihr Volk so an Stärken und Schwächen hat, nicht wahr?" Julius nickte heftig. "Dann geh ruhig zu diesem Fest hin und mach diesen Zauber, mit dem du deinen Geist gegen Belauschung oder Beeinflussung verschließen kannst. Dann kriegt niemand von dir irgendeine Form von Wut oder Verachtung mit, wenn du das nicht offen zeigst."

"Den Zauber muss ich sowieso bringen, um mich gegen die Betörungsaura von denen zu sichern", erwiderte Julius. Béatrice und ihre Mutter lachten: "Da haben wir's doch", grinste Béatrice wie ein Schulmädchen. "Die können nicht spüren, wie du dich fühlst und damit irgendwie belangen, wenn du nicht das richtige fühlst. Millie kann den Zauber wohl noch nicht, oder?"

"Doch, ich habe ihn ihr beigebracht, nachdem du unser drittes Kind bei ihr gesehen hast. Ich wollte nämlich nicht, dass sie sich von Veelas oder anderen den Geist beeinflussenden Zauberwesen aus dem Gleichgewicht bringen lässt. Abgesehen davon hat sie ja einige Zauber gelernt, um gegen Feuerschäden zu schützen und ich kenne jetzt genug Erdschutzzauber."

"Na bitte, geht doch", erwiderte Ursuline Latierre.

Sie sprachen noch über das Willkommensfest bei den Fieldings, zu dem Millie auf jeden Fall mitgehen wollte. "Weil Temmie gerade in der letzten Trächtigkeitsphase steckt wird meine Schwester sie euch wohl nicht überlassen. Flohpulver und Besen sind auch mit Innertralisatus-Anzügen riskant. Bleibt nur Albericus' Automobil. Klär das bitte noch mit deiner früheren Schulkameradin, ob er auch mitfeiern darf!" erwiderte Béatrice. Julius nickte. Diese Empfehlung hatte er ja schon bekommen.

Um zehn Uhr schickte ihn Béatrice sehr nachdrücklich zu Bett. Er fühlte auch, dass der von ihm getrunkene Wachhaltetrank sichtlich nachließ. "Leg's bitte nicht darauf an, dass ich dich auch noch wickeln und an das Bett binden muss, bis du richtig durchgeschlafen hast, Julius", warnte sie ihn. Er versicherte ihr, dass das nicht nötig sei. So verrichtete er noch die anstehenden Sachen im Badezimmer auf der Etage des Gästezimmers und legte sich ganz leise ins Bett, damit er die zwei Mädchen nicht aufweckte. Er lauschte noch ein wenig Aurores ruhigem Atmen, bevor es ihn selbst in einen wohligen Schlaf trug.

In der Nacht fand sich Julius wieder auf der Blumenwiese, die er von seinem ersten Aufenthalt in Ashtarias astralenergetischem Mutterleib kannte. Hierhin hatte die aus ihrem Körper gerissene Seele Claires ihn geführt, um sich zu verabschieden. Er fragte sich, was er hier nun tun oder erfahren sollte. Er wollte gerade nach Ammayamiria rufen, da schritt sie schon auf ihn zu, eine Frauengestalt aus reinem, warmem, rotgoldenem Licht. Nur die leicht gewellten Haare waren dunkler. Dafür leuchteten kleine Funken darin wie winzige Sternschnuppen. Vom Aussehen her war sie eine Schwester von Camille Dusoleil. Von der Beziehung her war sie Julius' erstgeborene Zwillingsschwester, nachdem Ashtaria ihn als ihren Sohn in sich empfangen und wiedergeboren hatte. Jetzt stand sie vor ihm. Ihre nackten Füße berührten keinen der Grashalme und knickten keinen der Blumenstengel.

"Du machst dir Sorgen wegen deiner Beziehung zu den Veelas, Juju?" fragte sie mit Stimmlage und Wortwahl seiner ersten großen Liebe Claire sprechend. Er bejahte es. "Da hast du auch nicht völlig unrecht. Diese Veelas vereinnahmen dich, weil Léto dich zu ihrem halben Blutsverwandten gemacht hat. Sie hätte dich damals auch mit ihrer Milch ernähren sollen, um die Verbindung zu vervollständigen, dann könntest du dich gegen diese überschönen Mädels durchsetzen. Aber die hat wohl da schon gespürt, dass unsere gemeinsame Mutter Ashtaria dir ihre Lebensausstrahlung und Lebenskraft aufgeprägt hat. Da hätte sie dich wohl nicht so annehmen können wie einen echten Milchzögling."

"Aber was kann ich dann machen, wenn ich mich nicht von Léto losreißen kann?" Fragte Julius.

"Das ist der Grund, warum wir uns jetzt treffen, Juju, weil ich nämlich was für dich habe", erwiderte Ammayamiria. Julius fragte sie, was das sei: "Das Band des Lebens und der Elemente, Juju", erwiederte Ammayamiria. Er fragte zurück, was das sei. "Das ist nicht in drei Worten zu sagen", erwiderte Ammayamiria nun eher wie Aurélie Odin klingend. Dann erläuterte sie Julius, dass es im Zweistromland zur Zeit Babylons eine Gruppe von Magiern gab, die sich mit dem Ursprung des Lebens selbst befasst hatten. Sie hätten die Bezihung von lebendem Wesen und den damals als vier Elemente erkannten Urkräften von Feuer, Wasser, Luft und Erde erforscht und dabei herausbekommen, dass ein Mensch die eigene Lebensausstrahlung für einen gewissen Zeitraum auf den zwölffachen Wert steigern konnte und dadurch unerreichbar für unerwünschte Einflüsse über die Lebensausstrahlung anderer Wesen sei. Damit könne also auch die Kraft von Dementoren wie mit einem Schwarm von Patroni abgehalten werden. Allerdings könne dieses Band nur einmal seine Kraft aufwenden und nicht wieder regeneriert werden, anders als die Heilssterne oder das Intrakulum. Dafür sei es aber möglich, dieses Band beliebig oft abzulegen und nur dann anzulegen, wenn seine Kraft erwünscht war, eben dann, wenn es eindeutig gegen über ihre Ausstrahlung wirkende Gegner wie Dementoren, Gorgonen, Angstfressern oder eben auch Veelas ginge. Julius hörte genau zu und erfuhr, dass für dieses Band Zauber des Lebens, sowie der vier alten Elemente gewirkt werden müssten, und dass in einem Zeitraum von drei Tagen. Jeweils zum genauen Sonnenaufgang, Mittagsstand, Sonnenuntergang und Mitternacht mussten die entsprechenden Zauber auf dafür empfängliche Bestandteile gesprochen werden. Der letzte Akt bestand darin, das Band auf die eigene Lebensaura zu prägen. Dann konnte es als Halsband oder Armband getragen werden. Wurde es von dem getragen, auf den es geprägt war verzwölffachte es die Dichte der eigenen Lebensaura. Auravisoren mochten davon jedoch stark beeinträchtigt sein, als wenn jemand in die Sonne selbst blicke oder ständig von lärm umgeben war. Doch die auf Körper und Geist wirkenden Kräfte anderer Wesen kamen dann nicht mehr an den Träger heran. Julius wollte wissen, ob normalbegabte Menschen was davon mitbekamen. Ammayamiria erwähnte, dass der Träger eines solchen Bandes eine stärkere Wirkung auf andere habe und wenn er in den bereich einen Raum durchwirkender Zauberkräfte eintrete seine Aura auch für Nicht-Auravisoren sichtbar würde. Wesen, die bereits von fremden Zauber beeinflusst wurden, schafften es nicht, sich näher als eine Armeslänge an den Träger anzunähern. Die Schutzwirkung sei zudem abhängig von der Kraft, die auf den Träger einwirke. Wenn er das Band ohne direkte Beeinflussungsversuche trug, hatte er insgesamt drei volle Tage Wirkungsdauer zur Verfügung. Je nach Stärke der darauf einwirkenden Kräfte verkürzte sich die Zeit. War die Wirkung aufgebraucht, zerfiel das Band zu Staub.

Julius kannte viele Schutzzauber der Erde und auch einen, der ihm für einen Zwölfteltag eine stärkere Lebenskraftausstrahlung gab, nur zu dem Preis, dass er dafür einen halben Tag Ausdauer verlor. Von Millie wusste er, dass sie Feuerzauber kannte, die das innere Lebensfeuer vor fremden Kräften schützte, also alle den Körper betreffenden Zauber wie Lentavita oder den Schockzauber für eine gewisse Zeit abhalten konnten. Camille hatte sicher auch einiges an Wasserzaubern gelernt, und Catherine war von den Altmeistern als Vertraute der Windmagie angenommen worden. So konnte er sich von Ammayamiria die wichtigen Zauber erklären lassen.

Als er alles zweimal durchgesprochen hatte verabschiedete sich die transvitale Entität Ammayamiria wieder von ihm und wünschte ihm viel Erfolg.

Er fand sich übergangslos in seinem Bett wieder. Sofort dachte er daran, alles in sein Denkarium zu kopieren, auch dass nur ein Band des Lebens und der Elemente zur Zeit hergestellt werden konnte. Doch das stand im Apfelhaus. Ein Blick auf seine Uhr verriet ihm, dass er noch drei Stunden bis offizieller Weckzeit hatte. So stand er auf und schlich heimlich durch das Schloss in den Saal der Verschwindeschränke, der auch um diese Zeit nicht abgeschlossen war.

Über den mit dem Apfelhaus verbundenen Schrank wechselte er mal eben nach Millemerveilles hinüber, wo er den Traum von Ammayamiria nach zwei Tropfen Bicranius' Mixtur der mannigfachen Merkfähigkeit fehlerfrei in sein Denkarium übertrug. Danach wechselte er wieder ins Sonnenblumenschloss hinüber. Die Wirkung des Gedächtnisverstärkertrankes würde in einer halben Stunde nachlassen, dann konnte er auch wieder gefühlsmäßig am Leben teilnehmen.

Wieder im Gästezimmer stellte er fest, dass Aurore wirklich den letzte Nacht versäumten Schlaf nachholte und Chrysope es wirklich hinbekam, mal ganz durchzuschlafen. So konnte er sich wieder ins Bett legen, ohne dass jemand im Schloss mitbekommen hatte, dass er mal eben eine magische Bauanleitung in das weit entfernte Denkarium überspielt hatte.

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An den nächsten Arbeitstag hängte Julius zwei Überstunden dran. Wenn er vier Tage in Folge Überstunden machte hatte er einen freien Tag herausgearbeitet.

Abends kehrte seine Frau von ihrer Reise nach Avignon zurück. Sie landete aber nicht im Sonnenblumenschloss, sondern gleich im Apfelhaus, wo Julius mit Aurore und Chrysie auf sie wartete. Offenbar ging sie davon aus, dass ihre heilkundige Tante das nicht sofort mitbekam. Doch sie war gerade eine Minute zu Hause, als der Verschwindeschrank in der Bibliothek aufsprang und Béatrice Latierre herauskam.

"Hast du echt gedacht, mich austricksen zu können, Mädchen?" begrüßte Béatrice ihre Nichte. Diese sah sie nur verdrossen an und erwiderte: "Ich wollte erst nach Hause, bevor ich mir von dir oder wem auch immer einen anhören muss, ddass ich mit Clarimonde im Gepäck nicht mehr auf einen Besen steigen soll. Abgesehen davon, dass mir das klar ist und abgesehen davon, dass deine große Schwester, die mich selbst mal im Bauch hatte, auch noch im siebten und achten Monat Quidditch gespielt hat, wenn auch ein wenig langsamer als sonst, blieb mir keine andere Möglichkeit, um mich von den Montferre-Zwillingen zu dem Treffpunkt bringen zu lassen, wo ich Gilberts Informanten treffen sollte. Denn der hat vorsorglich einen Locorefusus-Zauber um sein Haus gezogen, damit keiner unangefochten bei ihm reinapparieren kann."

"Julius, ich möchte mit deiner Frau alleine sprechen. Geht das?" wandte sich Béatrice an den Hausherrn.

"Weiß ich nicht, ob du das hinkriegst, alleine mit ihr zu sprechen", sagte Julius.

"Möchtest du mir auch noch frech kommen? Kommt das von der Herzanhängerverbindung?" schnaubte Béatrice. Dann sagte sie: "Falls du meintest, mich irgendwie dabeikriegen zu wollen, hier eine logische Antwort für dich: Da du mitbekommen hast, dass ich durchaus mit deiner Angetrauten alleine sprechen kann, besteht kein Grund zur Annahme, dass es nicht mehr gehen sollte. Allerdings würde ich gerne haben, dass du uns alleine lässt, da ich solche Unterredungen immer als Vier-Augen-Gespräch sehe und deine zwei Töchter sicher nicht stören möchten."

"Sag doch gleich, dass ich mit Aurore und Chrysie gucken soll, wie draußen das Wetter ist", sagte Julius und winkte seiner ältesten Tochter, die eigentlich hören wollte, was ihre Großtante zu ihrer Maman sagen wollte. Doch Julius erwischte sie mit seinen großen Händen und hob sie einfach vom Boden. Chrysie lud er sich im Vorbeigehen auf die Schulter und verließ das Apfelhaus.

Draußen fühlte er die Anspannung seiner Frau und den Wechsel zwischen Verärgerung, Trotz und Beschämtheit. Dann war alles wieder gut. Béatrice kam aus dem runden Haus heraus und winkte ihm zu: "Sie hat mir ihren Besen gegeben, damit sie nicht noch mal in Versuchung geführt wird. Ich gehe davon aus, dass du ihr nicht deinen Besen leihen wirst, solange meine dritte Großnichte noch von ihr getragen wird. Trifft das zu?"

"Ich denke nicht, dass Millie jetzt noch einmal auf einen Besen hüpfen will, wo du sie sicher sehr heftig zusammengestaucht hast", erwiderte Julius. Er wusste aus den Jahren mit Millies Familie, dass Béatrice zwar Humor hatte, aber in beruflichen Sachen sehr streng war, vielleicht noch strenger als Madame Faucon.

"Auch wenn Millie meint, dass sie sich jetzt besser einschätzen kann, wo sie zum dritten mal schwanger ist, ist das eben keine Routine, vor allem, weil ihr ja so kurz hintereinander Nachwuchs auf den Weg gebracht habt. Na ja, ist jetzt nicht nötig, das dir auch noch mal aufzuzählen. Ich bin dann wieder im Schloss, falls noch was sein sollte."

"Danke für deine Geduld, dass du das mit uns und anderen so aushaltenkannst", sagte Julius ganz ehrlich.

"Wenn sie denn auch belohnt wird, meine Geduld", erwiderte Béatrice lächelnd. Dann winkte sie zum Abschied und ging durch die noch offene Eingangstür ins Apfelhaus zurück. Julius blieb mit seinen zwei Töchtern noch im Gartenund beobachtete die Kniesel.

Als nach fünf Minuten Millie mentiloquierte, dass sie gerne wieder hereinkommen durften brachte Julius seine Kinder in das gemeinsame Haus zurück. Beim Abendessenließ er sich dann erzählen, was sie in Avignon erlebt hatte. Er selbst erwähnte, was heute so los gewesen war.

Um Aurore vor dem Schlafengehen noch was schönes zu bieten machten sie drei noch ein wenig Hausmusik. Aurore durfte neben ihrer Maman am Klavier sitzen und die richtigen Töne anschlagen. Julius spielte dazu auf der Altflöte. Als Aurore nun jede halbe Minute gähnte und immer hibbeliger wurde konnte Julius sie dazu überreden, doch besser zu schlafen. Mit der singenden Zahnbürste schrubbte er ihre Zähne noch einmal sauber und deckte sie ordentlich zu. Wie es hier Brauch war las er ihr noch eine harmlose Geschichte zum Einschlafen vor. Dann zog er sich leise zurück.

"Also, ich habe Belles Mutter immer für eine überordentliche, nur auf die Anstandsregeln bedachte Oberklassendame gehalten. Aber dass sie das jetzt schon so lange durchhält, mit einem erwachsenen Mann im Fötuskörper unter ihrem Umhang herumzulaufen imponiert mir. Andererseits ärgert mich das dann auch immer wieder, weil ich dran denken muss, wer ihn dahingeschickt hat und warum, und deshalb gehe ich da auch nicht hin und küss der auch noch die Hände oder was immer, weil die jetzt ihren Willen bekommen hat", sagte Millie noch zu Julius.

Daraufhin eröffnete Julius ihr, was Ammayamiria ihm als Lösung präsentiert hatte. Millies Unmut wurde schlagartig zu einer in Glückseligkeit ausufernden Überlegenheit. Sie lachte lauthals, dass Julius schon fürchtete, Clarimonde würde völlig Taub zur Welt kommen. Erst als sie sich wieder gefangen hatte meinte sie: "Da rechnen diese überschönen Frauenzimmer nicht mit, dass sich wer gegen die so verschließen kann." Julius räumte ein, dass die schon nicht damit gerechnet hatten, dass er seinen Geist gegen ihre Ausstrahlung verschließen konnte. Aber um auch die körperlichen Auswirkungen ihrer Ausstrahlung abzuhalten sei noch mehr nötig. Millie sah das vollkommen ein und versprach, ihm als Feuervertraute zu helfen.

"Hallo, jemand zu Hause?!" rief die Stimme einer älteren Frau aus Viviane Eauvives Bild heraus. Millie und Julius sahen hin und entdeckten Jane Porter, die so aussah, als sei sie Bestandteil des magischen Porträts. "Hallo, Mrs. Porter. Haben sie bei Ihnen drüben eine Spur von Heiler Partridge oder Minister Dime?" fragte Julius.

"Das nicht, aber Argentea Dime ist wieder aufgetaucht. Sie wurde bewusstlos vor der HPK gefunden, mit einer Botschaft der schwarzen Spinne. Offenbar hält die ominöse Anführerin dieser Schwesternschaft es nicht mehr für nötig, Mrs. Dime gefangenzuhalten oder besser, in Schutzhaft zu behalten, da der Grund dafür sicher aus der Welt ist. Hoffentlich bezieht sich das nur auf den Zustand von Minister Dime, nicht auf seine Person an sich."

"Achso, weil Mrs. Dime hätte sterben müssen, damit der Minister weiterleben kann?" fragte Millie ungehalten.

"Zumindest ging das aus dem Begleitschreiben hervor, dass die Leute vom Honestus-Powell-Krankenhaus gefunden haben. Sie konnten Argentea wieder aufwecken. Sie trug keine Spuren magischer Misshandlung oder Fremdverwandlung am Körper. Aber jemand hat ihr das Gedächtnis verändert, was den Zeitpunkt ihres Verschwindens angeht. Das war zu erwarten. Aber einige Leute aus dem Ministerium wollen jetzt versuchen, diesen Gedächtniszauber aufzuheben.

"Oha, könnte ziemlich übel ausgehen", sagte Julius, der sich gerade mit solchen Sachen beschäftigt hatte.

"Na ja, aber es kann ihnen auch keiner verübeln, dass sie es versuchen", erwiderte Jane Porter. Dann erwähnte sie noch, dass Elysius Davidson immer noch in dieser Erinnerungswiederholungsschleife gefangen sei, diese aber offenbar langsamer ablaufe. Entweder würde er bald aus diesem Zustand erwachen oder das ganze bisherige Leben in der wirklichen Geschwindigkeit durchstehen müssen. Sie mussten da noch abwarten. Dann fragte sie noch, wer alles zur Feier für Olivia Fieldings Sohn kommen würde. Julius hatte da jedoch keine Gästeliste parat. Er wusste nur, dass Millie, Aurore, Chrysie und er eingeladen waren. Womöglich kamen auch Gloria und Kevin, sowie die Hollingsworths. Aber da Pina nicht die Gastgeberin war wusste er das nicht sicher.

"Gloria wurde auf jeden Fall eingeladen, genau wie Adrian Moonriver und seine Ziehmutter. Die hat ja gerade wieder einen Pflegling im Säuglingsalter", erwiderte Jane darauf. "Den wird sie wohl mitbringen", fügte sie noch hinzu. Julius wusste, dass Jane Porter wusste, wer der Pflegling war und dass er das auch wusste, dass sie es wusste. Aber sie verloren da kein weiteres Wort drüber. Da mischte sich noch Aurora Dawns Porträt in die Unterhaltung ein: "mein Original kommt mit Rosey auch hin, aber nur für zwei Stunden. Wenn ihr mit ihr sprechen wollt kann ich das gerne vorankündigen." Julius und Millie wollten gerne mit Aurora Dawn reden. Sie wollten schließlich wissen, wie es Rosey ging und dass Millie sich auf ihre dritte Tochter freute, die sie immer deutlicher spüren konnte.

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Selene Hemlock liebte es, auf ihrem rosaroten Spielzeugbesen durch das Haus zu schweben. Sie hatte es jetzt richtig gut heraus, auf der Stelle zu schweben oder ohne anzustoßen schneller als sie mit ihren für sie selbst unerträglich kurzen Beinen laufen konnte durch alle Räume zu schwirren. Ihre zweite Mutter Theia, die selbst ja auch schon eine Wiedergeborene war, ließ ihr das meistens auch durchgehen, weil sie wollte, dass Selene sich über ihre mit dem Bewusstsein einer Erwachsenen neu erlebte Kinddheit freute.

So fegte die kleine Hexe mit dem Wissen einer einst geachteten Hexenlehrerin durch das Wohnzimmer, sauste den Korridor entlang und machte eine beinahe punktgenaue Wende, um wieder zurückzukehren, als sie das sehr bekannte Rauschen eines Flohnetzbenutzers hörte. Sofort bremste sie den Besen und schwebte fast mit dem Kopf an der Decke zwischen der großen Truhe im Flur und einem Ölgemälde, dass die Hexenführerin Medea von Rainbowlawn zeigte. Über dieses Bild bekamen sie immer wieder Neuigkeiten aus der ganzen Welt zu hören.

"Theia, es steht nun fest, dass diese Spinnenhexe Argentea Dime mit einem neuartigen Gedächtniszauber bearbeitet hat, der keine Spuren hinterlässt und von unserer Seite nicht aufzuheben oder umzukehren ist", hörte Selene die Stimme ihrer Ururgroßmutter Eileithyia Greensporn aus dem Wohnzimmer. "Es ist auch anders als bei dieser Vorrichtung, mit der diese VM-Verbrecher George Bluecastle behandelt haben. Deshalb bin ich hergekommen, um deine kleine Mitbewohnerin zu fragen, ob der noch was einfällt, was sie uns doch erzählen darf und will."

"Selene, kommst du bitte! Oma Thyia ist da und möchte was von dir wissen!" rief Theia Hemlock. Selene ließ sich das nicht zweimal sagen. Sie trieb ihren Besen auf hohe Geschwindigkeit, so dass sie die zwanzig Meter bis zum Wohnzimmer in nur einer Sekunde schaffte. Sie warf sich dabei flach auf den Stiel, so dass sie nicht mit dem Kopf gegen die Türoberkante prallte und bremste den Besen knapp einen Schritt vor Eileithyia auf Stillstand. Dann landete sie und stieg von ihrem derzeitigen Lieblingsspielzeug herunter. "Selene, das war aber jetzt ungehörig schnell", tadelte Theia ihre ohne männliches Zutun bekommene Tochter.

"Hui, willst du mal Rennfliegerin werden, Kleine?" fragte Eileithyia, während sie ihre offizielle Ururenkelin in ihren Armen hielt.

"Das weiß ich wohl erst, wenn ich einen großen Besen fliegen darf, Oma Thyia", erwiderte Selene Hemlock und genoss es förmlich, wie ihre heilkundige Ururgroßmutter sie sich auf die Schultern lud. "Oma Thyia, muss das jetzt sein?" fragte Selenes Mom ein wenig verärgert.

"Muss immer alles sein, was jemand tut, Theia. Ich wollte einfach wissen, ob sie mir noch immer nicht zu schwer ist. Ist sie nicht", sagte Thyia.Selene fingerte derweil im silbernen Haarschopf der hochangesehenen Heilerin und streichelte es vorsichtig glatt. Das gehörte für sie irgendwie zum liebevollen Umgang mit der über hundert Jahre alten Hexe und entspannte sie irgendwie. "Wo du schon mal da oben bist, Selene, kannst du mir sagen, ob du was kennst, dass Erinnerungen aus jemandem herausholen kann, ohne dass das Spuren hinterlässt?" fragte Eileithyia und wehrte die tadelnden Blicke ihrer Urenkelin mit einem strahlenden Lächeln ab.

"Ich weiß, dass es das alte Reich gab. Wir wissen nicht, ob die Spinnenhexe, die sich für Anthelias Erbin ausgibt, auch alte Zauber von da gelernt hat. Aber ich kann mir denken, dass es sowas ähnliches wie den Unlichtkristall gibt, nur, dass der keine freigesetzten Schmerz- und Todesqualen verstofflicht, sondern Erinnerungen einfriert. Könnte ein uns verlorengegangener Erd- oder Wasserelementarzauber sein."

"So was in der Richtung habe ich befürchtet", grummelte Eileithyia. Ihre Urenkelin erwiderte: "Das hätte ich dir auch sagen können, Oma Thyia. Möchtest du meine Tochter nicht doch besser auf die Füße stellen. Nicht, dass du uns gleich noch umfällst, weil du schon solange gearbeitet hast."

"Meinen Beinen tut das mal gut, sich richtig anzustrengen, wo ich heute wieder mehr als zehn Stunden vor gebärenden Hexen gehockt habe, um deren Kinder sicher auf die Welt zu holen. Zumindest ist der ganze Schub der Neujahrsfeier erst einmal überstanden. Aber deer vom letzten Halloweenfest wirft auch schon seine Schatten voraus."

"Das kriegst du schon hin, Oma Thyia", sagte Theia. Sie musste das ja wissen, dachte Selene. Immerhin war sie damals als Lysithea Hemlock aus ihrer eigenen Cousine herausgehoben worden um dann einige Monate später sie, Selene, auf die Welt zu bringen. Beidemale hatte Eileithyia Greensporn Geburtshilfe gegeben.

"Dann will ich auch mal wieder. Öhm, das dieses Viertelveelamädchen in Frankreich jetzt auch eine kleine Tochter bekommen hat haben dir die anderen mitgeteilt?" fragte Eileithyia noch.

"Ich habe es von mehreren Seiten zugetragen bekommen. Wie immer die das gemacht hat, sich vor Bestrafung zu schützen und in Frankreich selbst Mutter werden zu dürfen, mir ist diese Euphrosyne Lundi egal, solange die nichts schlimmeres anstellt als sich von irgendwelchen Balltretern Kinder in den Bauch legen zu lassen."

"Hmm, ich muss ehrlich sagen, dass mir das nicht so egal ist, Theia, und der Dame, die gerade auf meinen Schultern trhont scheint das auch nicht unwichtig zu sein, wenn ich das leichte Zucken gerade richtig verstehe."

"Du hast recht, Oma Thyia. Diese Enkeltochter von Léto, der einzigen in Frankreich lebenden reinrassigen Veela, hat das Ministerium regelrecht ausgehebelt und es hinbekommen, dass ihr niemand nach Freiheit oder Leben trachten darf", antwortete Selene. "Womöglich hängt das mit diesen Langlebigkeitszaubern zusammen, die sie drei Hexen auferlegt hat. Womöglich kann Nathalie Grandchapeau, die dem Großteil der Welt vorgaukeln muss, schon ihr Kind bekommen zu haben, erst dann gebären, wenn diese auf Ruhm in der Muggelwelt abzielende Veelastämmige eine bestimmte Anzahl Kinder oder gar Enkelkinder auf der Welt hat. Ja, und das ihr Auserwählter mit ihrem Leben verwoben wurde hat uns die gemalte Lady Medea berichtet. Deshalb darf sie auch nicht eingesperrt oder gewaltsam getötet werden. Im Grunde kann sie in Frankreich anstellen was sie will, ohne Angst vor Verfolgung oder Bestrafung zu haben. Und das ist mir absolut nicht egal."

Apropos verbergen, noch schwanger zu sein", griff Eileithyia einen Punkt auf. "Es könnte sein, dass die betreffende Hexe, die Minister Dimes Kind oder Kinder empfangen hat und diese dazu missbrauchte, ihn ihrem Willen zu unterwerfen, vor der Empfängnis eine Doppelgängerin von sich hat erstellen lassen. Meine Kolleginnen und ich kommen zu keinem anderen Schluss, da es so oder so aufgefallen wäre, wenn eine ehegattenlose Hexe auf einmal schwanger ist und sich den nötigen Untersuchungen unterziehen muss, bei denen auch Catena-Sanguinis hätte aufgedeckt werden können."

"Ein Simulacrum? Wäre verdammt noch mal möglich", knurrte Theia. "Oder eine Replikandin nach der Methode Igor Bokanowski", vermutete Selene, die immer noch auf den Schultern ihrer Ururgroßmutter thronte, ohne dass jene Probleme bekam.

"Das heißt aber doch wohl, dass die Hexe, die so einen Doppelgänger von sich hat machen lassen, entweder für Bokanowski gearbeitet hat oder ihm großzügige Unterstützungen hat zukommen lassen", vermutete Selene. "Eine normalverdienende Hexe kann sowas sicher nicht bezahlen."

"Was du nicht sagst, da oben", erwiderte Eileithyia. "Aber das zeigt, dasss du auf jeden Fall von mir abstammst. Wir können nicht mal eben alle Hexen mit hohem Einkommen oder großem Vermögen vorladen und untersuchen, ob es die echten sind oder nicht. Abgesehen davon hat Silvester Partridge mit seiner Aktion sicher dafür gesorgt, dass die echte Hexe nicht so weiterleben kann wie zuvor, ob versteckt oder öffentlich. Womöglich ist sie selbst zur Ungeborenen zurückverwandelt worden, wenn ich das mit diesem Fluchumkehrer richtig verstanden habe, der aus Daianira Lysithea gemacht und Anthelia ohne schmerzvolle Wiedergeburt und langjähriges Wiederwachstum zu alter Macht zurückverholfen hat. Guck mich nicht so böse an, Theia! Sei froh, dass ich zu den wenigen gehöre, die das wissen und ganz gute Gründe habe, dass sonst keiner das weiß."

"Ja, aber wer trägt sie dann wieder aus?" fragte Selene und schalt sich im nächsten Moment eine Idiotin. "Och nöh, soll Dime jetzt die Mutter von dieser Hexe sein. Das ist aber dann noch heftiger als das, was du gerade erwähnt hast und was mir auch immer wieder die Laune vergellt."

Wohl wahr. Aber offenbar kann Chroesus Dime nicht von dort weg, wo er jetzt ist und das verkünden, was ihm widerfuhr. Also wird er womöglich mit Silvester Partridge zusammen gefangengehalten, ganz sicher von diesen VM-Banditen, damit die Wiedergeburt auf keinen Fall verhindert wird."

"Lohnt es sich dann noch, nach der Hexe zu suchen, die den Fluch gewirkt hat?" fragte Theia Hemlock. Eileithyia und Selene schüttelten ihre Köpfe. Selene sagte: "Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass bei vollem Bewusstsein und Wissen im Mutterleib zu stecken und daraus herausgetrieben zu werden keine Belohnung sondern Bestrafung ist. Wenn Chroesus Dime wirklich durch Partridge in eine Hexe verwandelt und die, die sein Kind trug selbst zur Ungeborenen wurde, dann sind beide jetzt bestraft. Aber was passiert dann mit dem eigentlichen Kind? Ist das der Zwilling von der Hexe oder kann es erst wieder heranwachsen, wenn sie gebärfähig ist?"

"Das werden wir wohl nur erfahren, wenn wir den Kollegen Partridge oder Dime befragen könnten", sagte Eileithyia Greensporn. Dem konnten die beiden anderen nur zustimmen.

Als alles soweit geklärt war, was die beiden Hausbewohnerinnen wissen durften und beisteuern konnten verschwand Eileithyia Greensporn wieder im Kamin.

"So, und weil du das eben mit dem Besen so ungestüm gemacht hast kommt der jetzt erst mal zwei Tage weg. Keine Widerrede, junge Dame!" bestimmte Theia und schnappte mit der linken Hand nach dem rosaroten Besen. "Ich habe dich nicht in mir herumgetragen und so weit großgefüttert, dass du wieder laufen und sprechen kannst, damit du mit irgendwem zusammenstößt oder selbst gegen eine Wand knallst", grummelte sie noch und ließ den Besen mit einem Zauberstabstupser im Nichts verschwinden. Sicher lag der jetzt in Theias Labor in einem der unaufzauberbaren Schränke, aus denen nichts herausgezaubert werden konnte. Selene sah ihre zweite Mutter verdrossen an, hielt es aber für unter ihrer Würde, jetzt herumzuquängeln oder bockig aufzustampfen. Sie sagte nur: "Dein Haus, deine Regeln, Mom." Dann machte sie auf ihrem Absatz kehrt und ging in Ruhe in ihr eigenes Zimmer.

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Anthelia/Naaneavargia erfuhrüber verschiedene Verbindungen ihres weitläufigen Spinnenetzes von der Geburt der Achtelveela Belle Nathalie Marie Clementine. Bis heute hatte sie es nicht ganz herausgefunden, wie sich Euphrosyne Lundi das Recht auf Freiheit und Wohnstatt in ihrem Geburtsland erkämpft oder erschlichen hatte. Für die Führerin des Spinnenordens war und blieb Euphrosyne ein bockiges Mädchen, dass meinte, nur wegen seiner Abstammung Sonderrechte oder Sonderhilfen beanspruchen zu können.

Über gleich zwei ihrer heimlichen Verbindungen erfuhr die mächtige Hexe, was sich wohl in den letzten Wochen im Irak, dem früheren Mesopotamien, zugetragen hatte. Zum einen bekam sie aus dem Zaubereiministerium die Meldung über elektronische Aufzeichnungen, die ein Überwachungsflugzeug an seinen Befehlsstand geschickt hatte. Zum anderen rief die arabische Hexe Dschamila über den smaragdgrünen Halbmondanhänger bei Anthelia an und berichtete ihr, dass wohl ein Dschinnenmeister versucht habe, ihm unterworfene Geister in Kriegsgeräte der Magielosen hineinzutreiben, um diese Waffen und Fahrzeuge damit zu überlegenen, selbstständig handlungsfähigen Waffen zu machen. Aber der Bruderschaft des blauen Morgensterns, die jede Zusammenarbeit mit Hexen aus Ost oder West ablehnte, konnte die Stätte finden, wo die Verschmelzung zwischen magielosen Kriegsmaschinen und versklavten Dschinnen vollzogen wurde. Die in den Fahrzeugen eingekerkerten Geister wurden durch ein Ritual namens Seelentor befreit und in die überfällige Nachtodform überführt. Offenbar hatte dies zu einer Kettenreaktion geführt, die alle anderen zwangsbeseelten Fahrzeuge zerstörte. Anthelia rief daraufhin alle ihre Schwestern zu sich, die es einrichten konnten, für sieben Stunden nicht vermisst zu werden. Die Zusammenkunft sollte am siebten März stattfinden. Es sollte darum gehen, wie sie alle sich gegen die orientalischen Geisterwesen wehren konnten, aber vor allem auch darum, was gegen neuerliche Verschmelzungen zwischen magielosen Maschinen und versklavten Geisterwesen zu tun war, wenn nicht herausgefunden werden konnte, wo die Verschmelzung stattfand.

Was Anthelia auch sehr beunruhigte war, dass nach dem Zusammentreffen mit der Nachtschattenherrscherin nicht mehr von ihr bekannt wurde. Einerseits mochte sie aus ihrem Fehlschlag mit den zwei in den Staaten lebenden Hochschülern gelernt haben, dass ihre Absichten zu klar erkannt worden und entsprechend abgewehrt werden konnten. Andererseits war dieses Schattenweib sehr intelligent. Sicher brütete dieses nachtschwarze Gespenst schon was neues aus, und das, so erkannte Anthelia, wohl im wahrsten Sinne des Wortes. Da beruhigte es sie auch nicht, dass diese Schattenfrau, die vielleicht Birgute Hinrichter hieß, eine mächtige Widersacherin hatte, die Tochter der kosmischen Finsternis. Tja, und weil von Errithalaia abgesehen alle Abgrundsschwestern zusammenhielten hatte diese Schattendämonin dann gleich die ganze Brut Lahilliotas gegen sich.

Gerade las sie in der Stimme des Westwindes, dass Chroesus' Dimes Frau Argentea aufgefunden worden war. Die bildschöne Hexenlady, die sich auch in eine gefährliche schwarze Riesenspinne verwandeln konnte, verfolgte die für die Öffentlichkeit zugelassenen Berichte. Argentea konnte sich nicht erinnern, wo sie gewesen war und wer sie beherbergt hatte. Anthelia hatte ihr nämlich vor der Freilassung durch einen mächtigen Erdzauber alle Erinnerungen der letzten Minuten vor ihrem Zauberschlaf entnommen und sie regelrecht kristallisiert, um sie jedem fremden Zugriff zu entziehen. Die würden sich nicht schlecht wundern, wenn ihre Gedächtniswiderherstellungszauber regelrecht ins Leere gingen. Sicher wussten die, dass die Spinnenschwestern Argentea Dime in ihre Obhut genommen hatten, um sie vor den Nachstellungen ihres vom Catena-Sanguinis-Fluch getriebenen Mannes zu schützen. Aber wo, wann und wie das passiert war würden sie nicht herausfinden.

Sie las gerade, dass der stellvertretende Zaubereiminister Lionel Buggles noch einmal die Einhaltung des mit Vita Magica geschlossenen Vertrages bestätigt hatte, als ihr Halbmondanhänger erneut vibrierte. Sie holte ihn unter ihrer hellblauen Seidenbluse hervor. Der in Halbmondform geschliffene Smaragd erwärmte sich, und vor Anthelias geistigem Auge erschien die in hellgrüne Tücher gekleidete Dschamila, die nicht mehr ganz so füllig wirkte, seitdem sie ihren Sohn Dschamal ben Kadir zur Welt gebracht hatte.

"Schwester Anthelia, wir suchen immer noch nach dem, der das mit den Todbringermaschinen der Magieunfähigen gewagt hat. Allerdings wissen wir nun, wer das ist und wissen auch, wie er aussieht." Mit diesen Worten zerfloss Dschamilas grüngewandete Erscheinung und wurde zu einem Mann mit dunklem Haar und Bart, der in blaue Tücher gekleidet war. "Er heißt Omar ben Faizal Al-Hamit und ist ein herausragender Meister der Dschinnenkunde. Offenbar haben die Morgensternbrüder durch die Freisetzung eingekerkerter Seelen noch mehr ausgelöst als die Vernichtung der anderen Kriegsmaschinen, oder besser, sie haben was ausgelöst, dass dann die Vernichtung aller beseelten Kriegsgeräte nach sich zog", hörte Anthelia Dschamilas Stimme im Geist. Dann sah sie auch wieder die sichtbare Erscheinungsform der Tochter des grünen Mondes vor ihrem geistigen Auge. "Wir, die Töchter des grünen Mondes, bitten dich und deine Schwestern vom Orden der Spinne, aber auch alle anderen Schwestern im Zeichen der hohen Mächte, uns bei der Suche nach diesem Zauberer zu helfen, bevor er seinen Fehlschlag verkraftet hat und neue Untaten ins Werk setzen will. Es könnte nämlich sein, dass er sich in ein westlich gelegenes Land flüchtet, wo keiner auf seine Magie vorbereitet ist. Vielleicht geht er auch zu denen, mit denen der Herrscher der Irakis verfeindet ist, um diesen seine widerwärtige Kunst anzubieten. Dass du wegen des Beschlusses der grünen Mutter nicht zu uns reisen darfst ist dir ja bekannt. Aber wenn Al-Hamit in deinem Land auftauchen sollte, so spricht die grüne Mutter, darfst du oder eine deiner Mitschwestern ihn fangen oder töten, bevor er es schafft, sich bei euch einzunisten. So sieh dir bitte noch einmal sein Bild an und präge es dir so gut du kannst ein!" Wieder wechselte die in Anthelias Geist sichtbare Erscheinungsform und wurde für mehr als eine Minute zu Omar ben Faizal Al-Hamit. Anthelia hielt derweil den Halbmondsmaragd fest in der rechten Hand und konzentrierte sich auf die sich ganz langsam um die eigene Achse drehende Darstellung. Dann, als sie sicher war, den Gegner gut genug zu erkennen, wurde die Abbildung wieder zu Dschamila, die nun mit einem Säugling im Tragetuch erkennbar war. "Solltet ihr von denen, die sich als Hüter der Zauberei bei euch betätigen ebenfalls eine Nachricht erhalten, wen wir im Morgenland verdächtigen, so verschweige bitte, was die grüne Mutter uns und euch gestattet hat! Ich werde mich nun wieder um meine höchst erfreulichen Pflichten kümmern. Möge die Sonne dir warme Tage bringen und unsere Mutter am nächtlichen Himmel dir Kraft und Erkenntnis auf allen Wegen bescheren!"

"Auch auf deine Wege möge das Licht der nächtlichen Mutter Leuchten", erwiderte Anthelia. Dann verschwand Dschamilas geistigeBildform wieder. Der Halbmondanhänger kühlte für einen Moment unter Handtemperatur ab und vibrierte nicht mehr. Anthelia verbarg ihn wieder unter ihrer Bluse. Sie musste grinsen. Hatten die grünen Mondtöchter doch glatt einen Zauberer in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Sicher, sie waren nicht grundsätzlich rein friedlich ausgerichtet. Aber sie verfolgten ihre Ziele doch eher mit Klugheit und Voraussicht und setzten dabei auf ihre weiblichen Fähigkeiten, sich zu verständigen und neues Leben hervorzubringen und zu nähren. Dass sie jemanden töten wollten, der auch einmal aus dem Schoß einer liebenden und fürsorglichen Mutter entschlüpft war war schon selten und somit auch seltsam. Doch sie erkannte, wie gefährlich dieser Zauberer war, wenn er mächtige Geister in zerstörerische Gerätschaften hineintreiben konnte.

Die erinnerungen Naaneavargias und die eigenen Erfahrungen mit beseelten Dingen machten ihr jedoch klar, wie gefährlich jemand war, der starke Geisterwesen in tote Dinge hineintreiben und sie dort einschließen konnte, damit diese Dinge um ein vielfaches stärker und auch in gewissen Grenzen eigenständig handeln konnten. Dschamila hatte ja auch erwähnt, dass wohl ein Dorf im Irak von einer zerstörerischen Macht niedergebrannt worden war. Waren diesem Al-Hamit am Ende die eigenen Werke entglitten und wollten sich weiter verstärken, in dem sie arglose Menschen töteten, um deren Seelen zu verschlingen, wie es bei Dschinnen üblich war? Das würde auch für die Gnadenlosigkeit der Mondtöchter sprechen, diesen Dschinnenmeister auszulöschen, wo immer sie auf ihn trafen.

Die Möglichkeit, dass Al-Hamit in den Westen floh und dort sein Unheil weitertrieb war auch nicht zu unterschätzen. Am Ende löschte er einen Gutteil der Menschheit aus. Vielleicht, so Anthelia/Naaneavargia, half dieser Zauberer aber dabei mit, die Menschheit auf ein überlebensfähiges, aber für die große Mutter Erde erträgliches Maß zurückzustutzen und ihr die Fähigkeiten zu nehmen, mit ihren magielosen Erfindungen Luft, Wasser und Erdboden zu vergiften. Vielleicht, so die Spinnenhexe, konnte sie diesem Al-Hamit einen Ausweg anbieten, der ihm und ihr gleichermaßen behagte. Doch dazu musste sie ja erst einmal wissen, wo er war.

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Belle, Nathalie und Julius hörten sich an, was Léto am fünften März zu berichten wusste. Sie hatte den dreien klargemacht, dass eine von einer Veelastämmigen oder gar reinrassigen Veela ausgesprochene Einladung nur dann abgelehnt werden dürfe, wenn die Eingeladenen durch Krankheit oder andere ebenso verbindliche Verpflichtungen eines Verwandten der Einladenden vom Besuch abgehalten wurden. Da Euphrosyne den beiden hexen ja den Sonnensegen erteilt und im Falle von Nathalie sogar das in ihr geborgene Kind mit dem Segen der Erde belegt hatte könnte Euphrosyne über diese beiden Zauber sogar eine legitime Vergeltung durchsetzen, beispielsweise, dass die beiden erst dann wieder glücklich sein konnten, wenn eine zur Abgeltung der Beleidigung auferlegte Bedingung erfüllt würde. Darauf sagte Belle:

"Das widerspricht aber dem, was Sie uns erzählten, als sie uns über die Natur dieses verbotenen Sonnensegens berichteten, Madame Léto. Demnach kann kein feindlicher Zauber an uns rühren, und wenn Euphrosyne uns für eine uns zustehende Ablehnung abstrafen will wäre sie ja eine Feindin."

"Selbst ich, die reinrassig dem Volke unserer großen Urmutter entstamme, muss mich bestimmten Regeln beugen, die mit meiner Blutsverwandtschaft zu tun haben, junge Dame. Und was den Sonnensegen angeht, so ist dieser allein schon eine Verpflichtung, der ihn erteilenden gegenüber keine Ablehnung oder Feindseligkeit zu äußern. Meine Enkeltochter muss also nichts bewirken, um sie beide in eine Stimmung immer größerer Schuldgefühle hineintreiben zu lassen. Wollen Sie nicht wirklich."

"Wann und wo ist denn so ein Fall schon mal passiert?" fragte Nathalie nach einigen Sekunden Bedenkzeit. Julius vermutete, dass eine leise Stimme aus dem Uterus ihr diese Frage zugeflüstert hatte.

"Vor zweihundert Sonnenumkreisungen hat es der Bruder einer reinrassigen Tochter unserer großen Urmutter gewagt, nicht zu ihrer Hochzeit zu erscheinen, obgleich sie ihm, damals mit seiner Nichte schwanger, durch den Sonnensegen zu einem noch längerem Leben verholfen hat als uns eh schon ermöglicht wurde. Er war mit ihrer Auswahl nicht einverstanden und lehnte es ab, als braver Befürworter ihrer baldigen Mutterschaft dazustehen. Ja, und dann hat er nach dem Hochzeitstag immer mehr schlechte Träume durchlitten und tatsüber nur noch in bedrückenden Gefühlen leben müssen, bis seine Nichte zur Welt kam. Das hat ihn dann in den selbstgewählten Tod getrieben. Er stieg in einen breiten Fluss und schaffte es wirklich, sich zu ertränken. Das erschütterte zwar seine lebenden Verwandten, und seine Schwester wurde für einen Moment ohnmächtig. Aber es war eine Warnung für uns alle, eine offene, nicht feindselig ausgesprochene Bitte um die Teilnahme an einer wichtigen Familienfeier nicht mehr abzulehnen.

"Will sagen, wenn wir nicht hingehen verfallen wir in Depression und werden zu suizidgefährdeten seelischen Wracks? Wollten Sie das sagen, Werte Madame Léto?" fragte Nathalie Grandchapeau.

"Ich wollte das nicht sagen. Sie haben mich dazu gedrängt, es Ihnen zu sagen, weil ich nicht daran schuld sein will, wenn Sie der Vergeltung meiner Enkeltochter ausgeliefert sind", erwiderte Léto verdrossen. Julius derweil hielt sich mit dem Lied des inneren Friedens verschlossen und von Létos Veela-Aura unberührbar.

"Monsieur Latierre, Sie als von beiden Seiten beauftragter Vermittler zwischen magischen Menschen und Veelas möchten bitte erklären, was Sie von dieser Aussage halten", sagte Belle Grandchapeau. Julius nickte und erwiderte:

"Öhm, Sie sagten mir, dass meine Frau nicht dort hingehen müsse, da sie eine Tochter trägt. Gilt das mit der Jungfräulichkeit nur bei Mädchen?" fragte Julius sehr interessiert.

"Solange Madame Grandchapeau ihren Sohn nicht geboren hat gilt er gleichermaßen als dessen Vater, der sich mit ihm den Leib teilt", erwiderte Léto sichtlich bekümmert. "Ansonsten könnten Sie genau wie Julius' Frau die Teilnahme am Fest wegen einer Schwangerschaft absagen, Madame Grandchapeau", erwiderte Léto. Nathalie schien wieder in sich hineinzuhorchen. Dann sagte sie sehr verdrossen: "Will sagen, solange ich ihn noch nicht geboren habe gilt er für Ihre Enkeltochter als mein Mann Armand? Dann hätte sie die Einladung ... Verflixt, hat sie ja auch." Belle fragte, was Euphrosyne denn auch getan habe. "Sie schrieb: "... Daher möchte ich Sie, Madame Grandchapeau, sowie jenen, den Sie gerade in sich tragen, zur Willkommensfeier meiner Tochter einladen." Sie schrieb nichts von meinem Sohn, sondern dem, den ich gerade in mir trage. Verfemtes Frauenzimmer!"

Julius überlegte kurz, was er jetzt noch sagen sollte. Dann sprach er:

"Im Falle von Nathalie Grandchapeau kann ich mir nicht vorstellen, dass Euphrosyne es darauf anlegt, dass sie und das Ungeborene Kind sich freiwillig das Leben nehmen oder den Tod geben oder sich entleiben oder wie auch immer dieser Vorgang umschrieben wird. Denn an dem Kind in Madame Grandchapeaus Schoß hängt auch Euphrosynes und das ihrer Kinder Leben. Stirbt der Ungeborene, stirbt sicher auch die gerade geborene Tochter Euphrosyne Lundis. Kein Schachspieler, und die beiden Damen und ich sind welche, würde einen Zug machen, der ihn selbst in nur zwei Zügen ins Schachmatt treibt, nur weil er durch den Zug eine wichtige Figur, zum Beispiel die Dame, schlagen kann. Deshalb denke ich schon, dass es nicht in Madame Lundis Sinne ist, es auf eine Selbsttötung Madame Nathalie Grandchapeaus anzulegen. Im Gegenteil, Madame Grandchapeau könnte ihrerseits mit Selbsttötung drohen, wenn Madame Lundi sie zu irgendwas zwingen will, was ihre ohnehin schon sehr stark angegriffene Ehre verletzt. In Japan gibt es eine uralte Tradition, dass jemand, dessen Ehre verletzt oder zerstört wurde, den rituellen Freitod sterben kann, ohne von seinen Verwandten deshalb verachtet zu werden. Ob das im modernen Japan immer noch möglich ist weiß ich jetzt nicht. Ich wollte nur sagen, dass eine Ehrverletzung zu so einer Handlung bewegen kann." Julius genoss es innerlich, wie Létos Gesicht stehenblieb und die beiden Grandchapeaus triumphirend zurückblickten. Belle nutzte diese Pause aus um zu sagen:

"Ja, und sollte ich befinden, mit dieser Demütigung von Ihrer Enkeltochter nicht weiterleben zu können und deshalb auch meinen selbstbestimmten Tod wähle - übrigens vielen Dank, dass Sie mir eine erfolgreiche Möglichkeit verraten haben -, dann entziehe ich Ihrer Enkeltochter doch auch die Energie, die nötig ist, um mir diesen Sonnensegen zu erteilen. Sie wird dann zumindest für eine Zeit ohnmächtig oder handlungsunfähig, verliert vielleicht ihre Veela-Kräfte und ist dann nur noch eine gewöhnliche Hexe. Wollen Sie es darauf ankommen lassen? Falls Sie und Ihre ohnehin schon sehr über viele Grenzen getretene Enkeltochter es nicht darauf anlegen, dass jede Form von Vergeltung gegen uns zu einem magischen Bumerang wird, dann bringen Sie ihr gütigst bei, dass wir dieser Einladung nicht folgen müssen. Wir, meine Mutter und ich, sind schon gedemütigt genug, dass sie ihrer Tochter, also Ihrer Urenkelin, Madame Léto, unsere beiden Namen verliehen hat. Damit zu leben reicht meiner Meinung nach schon aus."

"Meiner Meinung nach auch", sagte Nathalie. Dann horchte sie in sich hinein und fügte noch hinzu: "Und ich werde diese höchst ungesetzliche Angelegenheit nicht dadurch legalisieren, indem ich mit meinem ungeborenen Sohn dieser Festveranstaltung beiwohne. Ob meine Tochter dies tun wird überlasse ich ihr."

"Ich werde mir das gut überlegen, ob ich dorthin gehe", erwiderte Belle. "Immerhin hat Ihre Enkeltochter meinen Bruder dazu verurteilt, für lange Zeit ungeboren zu bleiben und meinen Vater quasi getötet. Klären Sie das am besten mit ihr, ob sie nicht da ein wenig zu viel riskiert! ich weiß, dass wir sie nicht einsperren oder töten dürfen. Aber das Zaubereiministerium hat noch genug Möglichkeiten an der Hand, fortgesetzte Gesetzesverstöße zu ahnden, wenn sie erwiesen sind."

"Das heißt, Sie beide werden nicht zusammen hingehen?" fragte Léto.

"Ich werde gleich eine entsprechende Antwort auf die Einladung formulieren und an Madame Lundi schicken. Da sie es ja zu einer amtlichen Sache gemacht hat erhält Monsieur Latierre eine Zweitschrift davon für seine Akten. Madame Léto, ich bedanke mich für Ihre umfassende Erläuterung, die hoffentlich dazu beitragen wird, dass die friedliche Koexistenz zwischen Ihrem Volk und meinem gewahrt bleiben kann, ohne weitere ehrverletzende Handlungen zu provozieren", erwiderte Nathalie Grandchapeau.

"Dann möchte ich Ihre bestimmt sehr wertvolle Zeit nicht weiter beanspruchen", knurrte Léto. Sie erhob sich und blickte Julius an. "Ich erbitte in meiner Funktion als Mitglied des Ältestenrates meines Volkes eine kurze Unterredung mit Ihnen, Monsieur Latierre."

"Gewährt", erwiderte Julius kurz und knapp.

Julius machte ganz demonstrativ eine Flotte-Schreibefeder einsatzbereit und begrüßte Madame Léto in seinem Büro. Wenn sie gehofft hatte, ihn irgendwie mit der Beziehung zwischen ihm und sich kommen zu wollen würde das jetzt mitprotokolliert.

"Ihnen ist sicher meine Absicht bekannt, ein friedliches Zusammenleben zwischen meinem Volk und Ihrem zu erhalten", setzte Léto an, die wohl wirklich gehofft hatte, nicht so förmlich reden zu müssen. Nach einer zweisekündigen Pause fuhr sie fort: "Ich habe gehofft, dass es im Sinne einer Beilegung der zwischen den Damen Grandchapeau und meiner Enkeltochter schwelenden Unstimmigkeit dienlich ist, dass wir uns alle bei ihr treffen und ein friedliches, fröhliches Willkommensfest feiern. Ich möchte zu diesem Vorgang aber gerne noch zwei Ihre Behörde betreffende Anmerkungen machen: Wenn Ihnen auch daran gelegen ist, unser friedliches Zusammenleben zu bewahren, ohne aus einem drohenden Zwang heraus handeln zu müssen, versuchen Sie bitte, die Teilnahme der beiden Eingeladenen zu sichern. Falls Ihnen das nicht gelingt entstehen Ihnen selbst sicher keine Nachteile daraus. Aber es wäre ein Beweis Ihrer Absicht, Frieden zwischen uns zu bewahren und würde zudem die Richtigkeit Ihrer Wahl für die Rolle des Vermittlers unterstreichen."

"Was diesen Punkt angeht kann und werde ich Ihnen da nichts versprechen oder verbindlich beschließen", sagte Julius. "Denn es entzieht sich der mir zugebilligten Befugnisse, in die Angelegenheiten der Behörde zur friedlichen Koexistenz von Menschen mitund ohne Zauberkräfte hineinzuwirken", erwiderte Julius und sah, dass seine Worte genauso mitgeschrieben wurden wie die Létos. Dann bat sie, gehen zu dürfen. Julius genehmigte es.

Als die Großmutter von Fleur und Gabrielle durch die Tür war hob er den Zauber Lied des inneren Friedens wieder auf und mentiloquierte: "Wollte deine Schwester nicht auch kommen?" "Julius, Sarja wird nicht zu dem Fest hinkommen, obwohl sie auch eingeladen wurde. Aber da sie wahrhaftig neues Leben in sich trägt darf sie gemäß der Regeln nicht zu der Feier hinkommen", schickte Léto zurück. Julius musste grinsen. Dann hatte er zumindest erst mal Ruhe vor Sarja, zumindest die nächsten zwei Jahre, wenn nicht sogar sechs, je nach Reinrassigkeit des Kindes.

Eine Stunde später betrat Belle Grandchapeau sein Büro. Sie wirkte etwas missmutig. Doch als sie sprach klang es eher kampfeslustig: "Also, ich habe mit meiner Vorgesetzten abgeklärt, dass ich zu dieser Veranstaltung hingehe, um zu prüfen, ob dieses kleine Wesen wirklich Euphrosynes Tochter ist und auch, ob es von Aron Lundi abstammt. Des weiteren gilt es, zu prüfen, ob diese Viertelveela neben ihrer sogenannten Segen auch andere illegale Zauber gewirkt hat. Sollte sich dies als richtig erweisen, kommen die entsprechenden Paragraphen aus dem Gesetz zur Benutzung des Zauberstabes, sowie zum Gesellschaftsstatus in unserer Welt zur Anwendung. Sie, Monsieur Latierre, haben ja bei der Angelegenheit damals berichtet, dass Euphrosyne sich mehrere nichtmagische Menschen möglicherweise unterworfen hat. Da wir dies bis heute nicht beweisen konnten gilt es, dies noch einmal genauer zu prüfen, und das geht nur vor Ort. Daher werden wir beide am 20. März zu dieser Willkommensfeier hinreisen, und zwar mit meinem eigenen Dienstfahrzeug."

"Hmm, es könnte sein, dass diese ganze Willkommensfeier auch dazu dinen soll, Sie und mich, ja und eigentlich auch ihre Vorgesetzte, noch mehr mit ihrer Tochter zu verbinden und somit zu sichern, dass wir den Lundis nichts mehr anhaben können. Léto erwähnte mal, dass die Begrüßung eines neuen Blutsverwandten gleichbedeutend ist mit einer Selbstverpflichtung, dessen Leben zu schützen und keine feindlichen Handlungen an ihm vorzunehmen. Ich denke, dass Madame Léto auch deswegen zu dieser Feier hingehen muss, weil sie das damals bei Euphrosynes Mutter und Euphrosyne selbst gelobt hat, also schon doppelt verpflichtet ist."

"Oh, das hat Ihnen Léto erzählt?" fragte Belle unvermittelt erfreut. Julius erwähnte nur, dass sie ihm das mit der Verpflichtung von Blutsverwandten erzählt hatte. "Ja, auch wenn diese Dame damals mit Ihnen eine fragwürdige Verbindung einging, um diesen Psychopathen Diosan aufzuspüren, und auch wenn diese fast ebenso irrwitzige Enkeltochter von ihr Ministerin Ventvit, meine Vorgesetzte und mich mit diesem Segenszauber erwischt hat, sind wir drei keine Blutsverwandten. Mit anderen Worten, was meine Vorgesetzte Madame Grandchapeau gesagt hat giltt", erwiderte Belle. Julius nickte.

Danach wollte Belle von ihm im weniger förmlichen Ton wissen, was wegen der angespannten Lage im Irak passieren würde. Er erwähnte es. Darauf sagte sie: "Gut, wir sehen uns dann am Nachmittag wieder bei uns im Rechnerraum. Dein sogenannter Suchdämon hat irgendwas von Atomwaffeninspektoren ausgespuckt, die in den Irak geschickt werden sollen. Kannst du bitte bis heute Nachmittag eine kurze Erläuterung schreiben, was diese Inspektoren tun sollen und ob dieser Saddam Hussein dazu berechtigt ist, sie abzuweisen oder er sie gewähren lassen muss?"

"Oh, da muss ich erst mal die entsprechende Nachricht lesen. Aber ich kann eine kurze und korrekt formulierte Antwort schreiben, solange ich nicht noch von anderen Veelas oder Mademoiselle Maxime beansprucht werde."

"Ach ja, für deren Tante bist du ja auch irgendwie zuständig. Sei es! Bis heute Nachmittag, Julius", erwiderte Belle und verließ das Büro. Julius musste das verdauen, dass Belle jetzt ganz locker und auf jede förmliche Anrede verzichtend mit ihm gesprochen hatte. Das tat sie zwar seit jenen vier Tagen im November 1995 immer wieder, aber nicht im Dienst. Offenbar witterte sie Morgenluft, dass sie sich die Demütigungen von Euphrosyne Lundi nicht weiterhin bieten lassen musste.

Weil er am Vortag schon das meiste abgearbeitet und nichts neues dazubekommen hatte konnte er die von Belle erbetene Kurzerläuterung über die Atomwaffeninspektoren aufschreiben und anfügen, dass es wohl auch eine von Präsident Bush erhoffte Möglichkeit sein mochte, einen Krieg zu beginnen, weil davon auszugehen war, dass Saddam Hussein keine neuen Waffeninspektionen in seinem Land erlauben würde. Klar, dann könnten die ja auch herausfinden, dass er fast eine unbesiegbare Armee bekommen hätte. Mit der Erläuterung ging er am Nachmittag zu Belle und verbrachte mit ihr die nächsten Stunden vor dem Rechner. Dabei sprachen sie wieder förmlich miteinander.

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Julius war froh, dass es mit dem herausgearbeiteten verlängerten Wochenende geklappt hatte. So konnte er gleich am Samstagmorgen zusammen mit Camille, Millie und Catherine darangehen, all die Zauber zu wirken, die zur Herstellung des Bandes des Lebens und der Elemente nötig waren. Er übernahm dabei die Erdzauber, Catherine die Luftzauber, Millie die des Feuers und Camille die des Wassers.

Wie es Ammayamiria vorgegeben und Julius nach mehreren Denkariumssitzungen korrekt abgeschrieben hatte wurde gleich bei Sonnenaufgang, dann am Mittag und bei Sonnenuntergang aus jeder der vier Elementarbereiche die bestimmte Anzahl von Zaubern auf dafür empfängliche Bestandteile gesprochen. Für Julius Element Erde war es Bergkristall, für Camilles Element Wasser war es auskristallisiertes Meersalz, Catherine hatte sich im Schreibwarenladen zwölf Vogelfedern unterschiedlicher Größen besorgt, sofern es um flugfähige Vögel ging. Für die Mitternachtszauber hatte sie Federn von drei unterschiedlich großen Eulen besorgt, vom Uhu bis zum Sperlingskauz. Die für Feuer empfänglichen Bestandteile waren der Goldanteile von zwei Galleonen, sowie pulverisierte Drachenschuppen und Phönixfedern, für die Julius einiges an Galleonen hatte ausgeben müssen, weil er das nicht vom Ministerium bezahlen lassen wollte, um nicht rechtfertigen zu müssen, wofür er das alles brauchte.

Das schwierigste Unternehmen war, es vor allen Nichteingeweihten geheimzuhalten, dass sie sich für den Zauber außerhalb von Millemerveilles trafen, um nicht durch Sardonias dunkle Schutzglocke oder den Schutzbann um das Apfelhaus verfälschte Ergebnisse zu kriegen.

Als dann um Mitternacht vom Montag zum Dienstag die letzten Zauber gewirkt wurden und am Ende ein schwach im Mondlicht schimmerndes Band wie aus winzigen Perlen und Fasern aus einem goldenen Licht heraus entstanden war, stellte Julius fest, dass es so lang wie sein eigener Arm war. Jetzt galt es, den entscheidenden Zauber darauf zu sprechen, der es auf seine Lebensausstrahlung festlegte. Hierzu mussten seine Helferinnen mindestens fünfzig Schritte entfernt warten, um nicht durch ihre eigene Lebensausstrahlung das Ergebnis zu verfälschen. Julius nahm das sehr geschmeidig und glatt in den Händen liegende Band, wickelte es sich mehrmals um den Hals, machte einen festen Knoten in die beiden Enden und berührte es mit dem Zauberstab. Dann sprach er die von Ammayamiria mindestens dreimal silbenweise vorgesprochenen Babylonischen Formeln, die übersetzt von der Kraft des Lebens vom Keimen bis zum Welken kündeten. Bei jedem Teil der vierteiligen Formel drehte er sich mit dem Gesicht in eine Haupthimmelsrichtung, erst nach osten, dann nach Süden, dann nach Westen und dann genau nach Norden. Als er dann den vierten und letzten Teil, den der Rückgabe des Körpers an die ihn erschaffenden Elemente vollendet hatte, fühlte er, wie das Band um seinen Hals erbebte. Dann meinte er, von schwachen aber durchaus unangenehmen Stromstößen gepiesackt zu werden. Dabei blitzte es um ihn herum immer wieder smaragdgrün mit goldenen Funken. Jeder dieser Blitze wurde heller und heller, bis er für zwei volle Sekunden in eine smaragdgrüne, mehr als zwei Meter weit ausgedehnte Lichtaura gehüllt dastand. Auch fühlte er, dass ihm irgendwas eine Menge Kraft entzogen hatte. Doch er war zuversichtlich, dass dies das gewünschte Ergebnis war. Als die ihn umfließende Aura sich wieder verdunkelt hatte pulsierte das Halsband im halben Takt seines Herzschlages. Ab jetzt hatte er 36 Stunden Wirkungsdauer, oder je nach Stärke der auf ihn einwirkenden Kraft zur Verfügung, um gegen über ihre Auren wirkende Wesen bestehen zu können. Um keine Sekunde zu vergeuden löste er vorsichtig das Halsband wieder. Es fühlte sich etwas wärmer an als seine Hände. Um es nicht zu verlieren barg er es in seinem Prakticus-Brustbeutel. Hoffentlich half es ihm wirklich, gegen Euphrosynes Kraft zu bestehen. Nur wie Léto darauf reagieren würde wusste er nicht.

Zusammen mit Camille, Catherine und Millie flog er auf den mitgebrachten Besen wieder zurück nach Millemerveilles, wo er sich sofort schlafen legte.

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"Eine Doppelgängerin von Bokanowski?" fragte Anthelia/Naaneavargia, als sie am siebten März von Beth McGuire einen Bericht über eine Sitzung der gesamten Schwesternschaft erhielt. Gerade saßen sämtliche amerikanischen Spinnenschwestern, sowie alle die ausländischen Hexen in der Daggers-Villa, die ohne Probleme für Anthelia in den Wirkungsbereich ihres Halbmondanhängers kommen durften. Beth erwähnte noch einmal, wieso Eileithyia Grensporn und ihre Urenkelin darauf gekommen waren.

"Ich hätte doch alle Unterlagen von diesem Pfuscher einsammeln und mitnehmen sollen", knurrte Anthelia. "Dann hätte ich diese Angelegenheit mit Dime regeln können und dieses Weib abgestraft. Aber die Vorstellung, dass die jetzt als ihre eigene Tochter in Dimes umgewandeltem Körper wachsen könnte stimmt mich erfreut, wenn ich auch nicht sicher weiß, dass das so ist. Es könnte ja auch sein, dass die Andere Zwillinge trug und die bei der Fluchumkehrung auf beide Erwachsenen verteilt wurden, und somit Dime und die Andere selbst zu Zwillingsschwestern wurden."

"Jedenfalls behauptet Buggles immer noch, dass der Vertrag gültig sei. Dann hat Partridge den Originalvertrag nicht zu fassen bekommen", meinte Romina Hamton. Anthelia überlegte und sagte: "Oder um des lieben Friedens willen wird weiterhin behauptet, dass der Vertrag noch bindend sei. Die Folge wäre ja, dass alle, die gegen den Vertrag aufbegehrt haben, Schadensersatz für ausgefallene Gehälter beanspruchen könnten oder der in Windeln und Wiege zurückgestoßene Milton Cartridge eine Fortzahlung seines Ministergehaltes beanspruchen könnte, weil Dime sich auf diesen Pakt eingelassen hat."

"Schwestern, es ist eigentlich gerade auch nicht wichtig, ob Buggles den Vertrag für weiter bindend ansieht oder nicht. Ich möchte euch daran erinnern, dass es diese Nachtschattenkönigin gibt und dass sie in der Zeit, wo wir hier reden, locker vier oder fünf neue Abkömmlinge ausbrüten kann. Mittlerweile steht sicher fest, dass sie die Seelen von ihr getöteter in sich aufnimmt und nicht vertilgt, sondernumformt. Das mag von dieser kristallinen Gebärmutter herkommen, die ich an und dann in ihr gesehen habe, als wir im Himalayagebirge waren. Auf diese Weise kann die schneller Nachkommen ausbrüten als diese schlafende Göttin neue Jünger kriegt. Ist es möglich, den Zauber von dir zu lernen, mit dem du sie von den Hansens weggejagt hast, höchste Schwester?"

"Das ist gut, dass du das erwähnst, Schwester albertine", setzte Anthelia an. "Ich werde euch allen diesen Zauber beibringen, mit dem Gegenstände zu Dunkelheitsspeichern und Spontanfreisetzern werden können. Vielleicht können wir damit sogar diese selbsternannte Königin der Schatten vernichten. Am besten machen wir das in Einzellektionen. Wer kann wann?" So entstand ein genauer Stundenplan, wann welche der Schwestern zu Anthelia kommen und von ihr unterwiesen werden sollte, um dieser Schattenfrau die Existenz streitig zu machen.

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Jeff Bristol hörte seine Tochter schreien. Offenbar war sie nass. Er rief nach Justine. Doch die meldete sich nicht. Natürlich, sie war gerade einkaufen geflogen, jetzt wo sie wieder auf einen Besen steigen durfte. Er ging in das geräumige Kinderzimmerund trat an die hellbraune Wiege heran. Die kleine Laura Jane Bristol schrie noch lauter. Er sah sofort, dass sie wohl nass war. Die Nase Rümpfend hob er seine Tochter aus dem wackeligen Bett. Tatsächlich konnte er riechen, dass sie volle Windeln hatte. Wie das ging, ein Kind zu wickeln hatte er während Justines Schwangerschaft zumindest in Ansetzen gelernt. Aber das jetzt in echt machen zu müssen behagte ihm nicht so sehr.

Widerwillig trug er die immer noch schreiende Laura Jane zum bereitstehenden und mit einem abwaschbaren Bezug überspannten Tisch hinüber. Um was immer sie da unter sich gelassen hatte nicht zu lange anfassen zu müssen nahm er den Zauberstab und versuchte, die volle Windel gegen eine frische zu translokalisieren. Das gelang jedoch nicht. So blieb ihm nur, selbst Hand anzulegen. Immerhin schaffte er es, seine Tochter von ihrer stinkenden Last zu befreien. Er schaffte es auch, eine kleine Wanne mit ausreichend warmem Wasser und Badeöl zu füllen und sie sauber zu bekommen. Ihre Hinterlassenschaft hatte er erst einmal in einen Bottich mit besonderer Lösung getan, die laut Hersteller jede Körperausscheidung in reines Wasser auflösen konnte. Als er seine Tochter soweit hatte, dass er sie neu wickeln konnte stellte er sich ziemlich ungeschickt an. Das war eben doch nicht sein Teil der Vereinbarung, dachte er.

"Und ob der das ist, mein Vater", hörte er jene Geistesstimme in sich, die er schon mal kurz nach Lauras Geburt gehört hatte. Sofort griff er sich an den Arm, um sich zu kneifen. Doch seine Finger rutschten wegen des Babyöls ab. "Bevor du andauernd an dir rumdrückst steck mich gütigst in neue Windeln, ich will wieder schlafen", hörte er die Gedankenstimme. Er versuchte es noch einmal, seine Tochter sorgfältig zu wickeln. Doch das gelang ihm immer noch nicht. Er dachte daran, das er gelernt hatte, Waffen auseinanderzunehmen und wieder zusammenzubauen, Schlösser zu knacken oder ein Auto zu steuern. Aber hier stellte er sich echt wie der letzte Volltroll an.

"Komm, da läuft mir beim nächsten Mal ja die Hälfte schon raus, bevor ich was brüllen kann", gedankenknurrte jene, die scheinbar im Körper seiner Tochter wohnte. Er erwiderte mit hörbarer Stimme:

"Nicht meckern, besser kriege ich das nicht hin. Musst du eben einhalten, bis Mom wieder da ist oder dich selbst wickeln, wenn du schon so übergescheit daherdenkst."

"Och Mann, muss ich echt alles selbst machen", quängelte die fremde Gedankenstimme. Dann begann das halbfertig gewickelte und angezogene Baby auf einmal zu wachsen. Es wurde doppelt so groß wie üblich, ja dreimal so groß. Nur der Kopf wurde nicht größer. Dann rutschte diese Riesenausgabe vom Tisch herunter und landete auf Händen und Knien. Jeff stand so starr da, dass er nichts machen konnte, als dieses Ungeheuer, das vorher noch ein Baby gewesen war und jetzt so groß wie er selbst war, nur dass Arme und Beine noch sehr kurz aussahen, ihm die rechte Hand auf den Kopf legte. Sofort meinte er, alles um ihn herum würde wachsen. Die Wände würden sich entfernen, ebenso die Decke über ihm. Dann erkannte er, dass er gerade auf ein Drittel seiner Größe zusammengeschrumpft war. Immer noch starr vor Entsetzen ließ er es sich gefallen, dass ihn zwei riesige rosarote Hände um die Hüfte packten und ihn auf den nun sehr großen Wickeltisch packten. "So, Kleiner. Ich zeig dir jetzt, wie das richtig geht. Dann bleibst du in meiner Wiege, bis du dich vollgemacht hast. Dann weißt du, wie ich mich fühle."

"Weiß ich nicht, bin doch kein Mädchen", begehrte der nun langsam wieder zu sich findende Jeff Bristol auf. Offenbar hatte er da noch was falsches gesagt, denn das nun drei mal so groß wie er selbst beschaffene Wesen mit den kurzen Babyarmen drückte ihm mal eben ihre Finger zwischen die Beine. Er fühlte, wie etwas von ihm immer weiter in den Bauch hineingedrückt wurde. "So, jetzt stimmt's. Sei froh, dass du noch ein Baby sein darfst und noch keine anständigen Rundungen brauchst oder gar selbst was Kleines austragen musst." Mit diesen Gedankenworten wickelte ihn die riesenhafte Ausgabe seiner eigenen Tochter in die Frischen Windeln und dachte ihm zu: "So, ich leg mich in die Badewanne, bis Mom wiederkommt. Sei Froh, dass ich dich nicht auch anlegen kann. Aber die kann das ja dann machen." Mit diesen nur in seinem Kopf klingenden Worten krabbelte sie davon. Er wollte was rufen. Doch er konnte nur laut schreien. "Vergiss nicht, dass du das nicht laut sagen darfst, dass ich, Justines Uroma, in deiner Tochter wiedergeboren wurde. Sonst wirst du ganz zum Baby und ich muss zusehen, mit diesem Gebaumel zwischen den Beinen und dem Gestrüpp am Körper zu leben."

Jeff schrie laut ... und fand sich in seinem Bett wieder. Er hörte auch eine andere Stimme schreien, die eines kleinen, wenige Tage alten Mädchens. Justine erwachte und sah ihn an. "Habe ich jetzt echt geträumt, dass ich Zwillinge hätte oder hast du Lauras Schreien nachgemacht, Jeff?"

"Öhm, ich habe nur einen blöden Albtraum aus meiner eigenen Kindheit gehabt. Deshalb habe ich wohl so geschrien", log Jeff. Denn irgendwie wollte er es seiner Frau nicht erzählen, wovon er wirklich geträumt hatte.

"Wenn sie schon wach ist kann ich auch nachsehen, ob sie sich vollgemacht hat oder was zu trinken will", grummelte Justine und stand auf. Da fiel Jeff ein, dass Laura gestern eine Wochenwindel bekommen hatte, weil er sich beim Wickeln schon so dämlich angestellt hatte wie im Traum. Vielleicht sollte er das doch noch mal richtig lernen, damit er aufhörte, so einen Unsinn zu träumen. Am Ende hatte er noch Angst vor seiner eigenen Tochter. Das fehlte noch.

"Achso, Jane will uns morgen im Institut die Aufwartung machen. Zu der eigentlichen Feier kann sie ja aus bekannten Gründen nicht hinkommen."

"Ist gut", sagte Jeff.

"Die soll sich eben auch noch mal zur Welt bringen lassen. Aber dann sollte die sich einen weniger trolligen Vater aussuchen", hörte er ein ganz leises, gehässiges Flüstern und schrak zusammen. Träumte er immer noch?

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Am zehnten März kehrte die Zaubereiministerin von ihrer bald dreimonatigen Weltreise zurück. Sie hatte mehrere Abkommen geschlossen und auch einige alte Kontakte nach Übersee verbessert. Mit einer für ihr Amt und Alter eigentlich unerwarteten Vergnügtheit verkündete sie vor allen Mitarbeitern, dass sie es geschafft hatte, das Besenausfuhrverbot der US-Amerikaner zu unterlaufen, indem sie die nach Brasilien verkäuflichen Harvey- und Bronco-Parsec-Besen vom brasilianischen Zaubereiministerium erwerben konnte, eben nicht gegen Galleonen, sondern europäische Zaubererwelterzeugnisse wie die Duotectus-Anzüge oder Herboskope. "Auf diese Weise, werte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, können wir hier in Frankreich die erste Hundertschaft weitreichender Besen aufstellen, auch wenn die Angelegenheit mit Chroesus Dime ein nicht zu unterschätzendes Erdbeben verursacht hat. Womöglich wird sein zeitweiliger Nachfolger Buggles versuchen, die Ausfuhr nach Brasilien zu stoppen. Aber dann müsste er das panamerikanische Beistandsabkommen aufkündigen, das ihn verpflichtet, hochwertige Zaubereiprodukte an unzureichend mit Material und Personal ausgestattete Ministerien in Südamerika zu vermitteln. Näheres zu meinen gelungenen Streichen dürfen Sie alle den freigegebenen Artikeln in der Zaubererweltpresse entnommen haben. Ich freue mich aber, dass das ursprünglich für unsinnig verschriene Projekt zu einem Erfolg geworden ist. Ich bedanke mich bei jedem von Ihnen, dass Sie in meiner Abwesenheit alles in Ordnung gehalten und auch den Frieden in der magischen Welt bewahrt haben. Vielen vielen Dank."

Julius war froh, dass Ornelle Ventvit wieder da war. Er schickte ihr ein Memo mit der Frage, ob sie auch zu einem Willkommensfest am 20. März eingeladen worden sei. Darauf erhielt er die Antwort, dass sie keine solche Einladung erhalten habe. Er musste kurz nachdenken, warum sie nicht eingeladen worden war. Als es ihm klar wurde hätte er sich fast vor die Stirn geschlagen.

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Am 14. März trafen sich alle Latierres und Arnos bei Primula Arno, Julius' Schwiegertante. Diese feierte ihren 50. Geburtstag. Julius hatte zu diesem Anlass den jadegrünen Festumhang angezogen, während seine Frau das ebenso jadegrüne Festkleid trug. Ihre beiden schon geborenen Töchter trugen bunte Kleider, die sie auch in vier Tagen bei der Willkommensfeier für Pinas Neffen tragen sollten.

Die Feier war eine Abfolge von Essen und Tanz, Musikdarbietungen und Geschichten, die verschiedene Gäste berichteten. Millie hatte im Namen ihrer Familie ein fünfstrophiges Gedicht verfasst, in dem sie die Größe der Familie besang und auch, dass die Arnos und Latierres wie Sonne, Regenbogen und meer waren, miteinander verwoben und doch jedes für sich gleichstark und wunderschön.

Erst als alle mitgenommenen Kinder vor lauter Müdigkeit nur noch gähnen oder quängeln konnten sagte das ein halbes Jahrhundert alte Geburtstagskind: "Meine lieben Freunde und Verwandten, ich erkenne, dass es wohl für einige von uns jetzt sehr spät ist und sie von einer weiteren feier nicht mehr viel haben werden. Daher bedanke ich mich jetzt bei allen, die gekommen sind und mit mir diesen so großartigen Abend verbracht haben. Ich danke dir, Maman, dass du mich trotz allem, was ich dir vor und nach meiner Geburt alles zugemutet habe, immer noch so liebst wie am ersten Tag. Euch anderen danke ich, dass ihr es bisher mit mir ausgehalten habt, ob Geschwister, Nichten, Neffen, Schulkameraden von damals und deren ganze Anhänge.

Wer noch bleiben möchte oder gar die Nacht hier zubringen möchte ist herzlich eingeladen, dies zu tun. Wer nach Hause möchte darf in der Gewissheit gehen, nichts mehr zu verpassen, was ihm oder ihr noch mehr Kopfschmerzen machen würde als der Feuerwhisky, der Schnepfeneierlikör und die wohltuenden Weine. Vielen vielen Dank an euch, dass ihr heute hier wart!"

Millie und Julius kehrten nur fünf Minuten nach dieser abschließenden Ansprache in ihr Apfelhaus zurück.

"Ich hab's wohl gemerkt, dass Tante Primula dich schon gerne für sich gehabt hätte, wenn du nicht mit mir verheiratet wärest, Monju. Pass also ja gut auf, dass ich dich nicht irgendwann an sie abgebe! Sie ist erst fünfzig. Das ist für Halbzwerginnen gerade mal wie zwanzig Jahre bei Hexenmädchen. Und komm mir ja nicht damit, dass du mit ihr nur den halben oder nur ein Viertel so viel Spaß wie mit mir hättest. Du hast ja gehört, was mein Vater bei der Beerdigungsfeier von Laurentines Großvater losgelassen hat. Dem konnte Julius nicht widersprechen. So blieb ihm nur, zu beteuern, dass er zusehen wollte, sich nicht an seine Schwiegertante verschachern zu lassen, nur weil Millie ihn nicht mehr haben wollte.

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Anthelia bekam von ihrer Mitschwester Romina Hamton mitgeteilt, dass der Präsident der vereinigten Staaten dem Herrscher des Iraks ein Ultimatum gestellt hatte. die Truppen der sogenannten Koalition der Willigen stand bereits in Angriffsstellung in den Nachbarländern. Anthelia fragte sich, was passiert wäre, wenn dieser Dschinnenmeister, von dem ihr Dschamila berichtet hatte, seine Pläne hätte ausführen können. Dieser George Walker Bush hätte doch keine 24 Stunden Krieg überstanden.

Was Anthelia/Naaneavargia mehr zu denken gab war, wie der goldene Wächter von Garumitan auf diese Entwicklung reagieren mochte. Denn der Wächter war ja dafür erschaffen worden, Frieden in der Welt zu sichern, nicht nur die Pforten der verborgenen Stadt zu bewachen. Es konnte also durchaus geschehen, dass die Morgensternbrüder zwar einen Drachen erschlagen hatten, aber womöglich mit einer von Skyllians großen Schlangen konfrontiert wurden, rein bildlich gesprochen. Auch kannte sie Erdd-Feuer- und Luftwesen, die sich von Angst, Hass und Tod anderer Lebewesen ernährten. Die waren zwar selten und verschliefen für gewöhnlich die Zeit ohne verfügbare Nahrung, wurden aber sehr schnell wach, wenn es in ihrer Reichweite Nahrung gab. Sie dachte da vor allem an die rastlos umherziehenden Geister, die wie die Dibbukim in lebende Wesen einfahren und sie zu wilden Untaten antreiben konnten. Dann kannte sie zu gut die Auswirkungen der Seelenschlingsteine, die frei wandelnde Geister anzogen wie Magneten und sie restlos in sich einverleibten oder lebende Wesen dazu trieben, einander umzubringen, um die aus den Körpern losgelösten Seelen einzusaugen. Dass es in Ägypten einen solchen Schlingstein gab hatte sie ja selbst herausgefunden, als sie gegen Lady Lamia ankämpfen wollte. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, solchen Hybriden zwischen Lebensform und totem Gegenstand fernzubleiben.

"Wie steht es mit dieser abtrünnigen Veelastämmigen, die sich darin sonnt, euer Zaubereiministerium ausgetrickst zu haben?" fragte Anthelia über ihre Gedankenkette bei ihrer Mitschwester Louisette Richelieu nach. Es dauerte natürlich, bis über die zwischen ihr und Louisette postierten Gedankensprecherinnen die Nachricht weitergereicht und die Antwort entgegengenommen worden war. Doch so war das immer noch die schnellste und sicherste Verbindung, um mit Schwestern auf anderen Erdteilen zu sprechen.

"Das von meiner Nichte Jacqueline gemalte Bild wurde an Gabrielle übergeben und bereits im Haus der Lundis aufgehängt. Keiner außer mir weiß, dass ich eine Kopie von dem Bild habe, auch Jacqueline nicht. Denn ich habe ihr per Gedächtniszauber die Erinnerung genommen, drei gleiche Bilder gemalt und bezaubert zu haben, als sie Weihnachten bei mir war. Sie soll nicht wissen, dass sie unsere Geheimagentin in Beauxbatons ist."

"Falls es doch herauskommen sollte sieh zu, dass du aus deinem Land verschwindest, bevor sie dir nachstellen!" wiederholte Anthelia eine Anweisung, die sie schon mehrmals erteilt hatte. Louisette grummelte, dass sie schon aufpasste, wann die Flöhe nur husteten oder lossprangen, um sich auf sie zu stürzen.

Und, was verrät das Bild?"

"Dass es bei den Lundis im Kinderzimmer aufgehängt wurde. Die haben zuerst überlegt, es in einen der größeren Räume zu hängen. Doch Aron Lundi hat sich durchgesetzt, dass die drei Schönheiten bei seiner Tochter im Zimmer sicher besser aufgehoben sind. Zumindest hatten die schon Besuch von so einem pummeligen Zauberer im lindgrünen Umhang, der einen ziemlich wilden, roten Bart und dito Haar hat. Das wird wohl ein anderer Bilderbote sein."

"Versuch bitte so heimlich es geht zu ergründen, wer dieser Zauberer ist und mit wem sein möglicher Doppelgänger in Verbindung steht", erwiderte Anthelia. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Euphrosyne Lundi, die auf ihre eigene Schönheit und Ausstrahlung stolz war, einen alten Zauberer mit wildem Bart als Bild bei sich hängen hatte. Womöglich war das ein Vorfahre ihres Vaters, mit dem oder dessen Verwandtschaft sie so in Verbindung stand. Veelastämmige unter sich konnten ihre Blutsverwandten wie mit Mentiloquismus erreichen, egal wie stark der Veelaanteil war und wie weit die zu erreichende Verwandte entfernt war.

"Wann genau soll die Willkommensfeier für die Tochter dieser ruhmsüchtigen Viertelveela stattfinden?" fragte Anthelia noch einmal.

"Jacqueline hat mir das vor zwei Wochen geschrieben, dass die Willkommensfeier am 20. März sein soll. Frankreich beteiligt sich ja diesmal nicht offiziell an diesem Unsinn am Golf."

"Wollen wir hoffen, dass dieser Unsinn nicht auch Wellen in unserer Welt schlägt. Ich erinnere daran, was der Vernichtungsschlag gegen diese Zwillingstürme in der Stadt New York für Folgen hatte", stellte Anthelia klar, dass es ihr nicht so gleichgültig war, was im Irak geschah. Auch Louisette wusste zu gut, dass der mittlerweile entmachtete Lord Vengor durch diesen Terroranschlag ein mächtiges Hilfsmittel in die Hand bekommen hatte, mit dem er ein Jahr lang die Welt verheert hatte.

"Wie erwähnt ist die Feier am 20. März. Da wird wohl auch der offizielle Menschen-Veela-Verbindungszauberer aus unserem Ministerium hinkommen", schickte die Anthelia nächste Gedankensprecherin Louisettes Nachricht weiter.

"Auch ein Grund, warum wir das in allen Augen und Ohren haben sollten, was dort vorgeht", sandte Anthelia eine Antwort.

"Die für dich bestimmte Kopie des neuen Bildes habe ich gestern von unserem Sicherem Ausgangspunkt aus mit einem Portschlüssel in die Nähe unseres Hauptquartieres befördert, da, wo du den Ankunftsort für Interkontinentalreisen eingerichtet hast, höchste Schwester", empfing Anthelia Louisettes nächste Nachricht. Die höchste Schwester des Spinnenordens bestätigte es. Immerhin beschleunigte diese neue Verbindung die Reisen ihrer Mitschwestern oder an sie gehender Briefe oder Pakete erheblich und konnte von den Ministeriumszauberern nicht zurückverfolgt werden, weil Anthelia/Naaneavargia jenen Zauber dauerhaft wirksam gemacht hatte, der jede davon umschlossene Wirkung von Magie verbarg, aber magische Ortsversetzungen zuließ, ob durch Apparieren oder eben Portschlüssel.

"Gib mir dann bitte über das Bild bescheid, wenn du es bei dir hast, höchste Schwester!" bekam Anthelia die nächste Mitteilung von Louisette. Sie bestätigte es und verabschiedete sich gleichzeitig.

Tatsächlich dauerte es nur noch zwei weitere Stunden, bis drei Waldohreulen mit einem flachen Paket die alte Daggers-Villa ansteuerten. Da sie unter Fidelius-Bezauberung lag musste Anthelia hinaustreten, um die Sendung entgegenzunehmen. Sicherheitshalber prüfte sie die zusammengefaltete Leinwand und den Rahmen auf ihr missfallende Zauber. Sie wollte nicht völlig ausschließen, dass eine ihrer Mitschwestern versuchte, sie zu verraten, auch wenn das für die betreffende Mitschwester tödlich enden mochte. Doch Anthelia/Naaneavargia spürte noch erkannte einen ihr missfallenden Zauber. Sie konnte nur die üblichen Zauber für sich bewegende Bildmotive erkennen, darunter den, der dieses Bild für andere Bilder öffnete und eine Verbindung zu seinem Doppelgänger hielt. Das Bild selbst zeigte drei junge Mädchen ohne Besen, die in bunten Kleidern herumliefen und fröhlich aus dem Bild herauswinkten. Jacqueline Richelieu hatte die drei als makellose Schönheiten zwischen Kind und Frau dargestellt, wohl nach eigenem Vorbild. Anthelia grüßte die drei und stellte sich als Annie vor, nur für den Fall, dass doch wer dahinterkam, dass es noch andere Bilder gab. Die drei Mädchen nannten sich Anemona, Bromelia und Chrysanthema. Ihre Kleider sahen auch aus wie die entsprechenden Pflanzen. Doch das eigentlich zauberische außer der eigenen Bewegungen und Sprachfähigkeit war, dass sich alle drei in menschengroße, bunte Schmetterlinge verwandeln und fröhlich im Bild herumfliegen konnten. Anthelia rief ihnen noch zu: "Sagt euren Schwestern, dass ihr bei mir, Annie, angekommen seid, aber nur bei der, die Louisette heißt", sagte Anthelia. Die drei Schmetterlingsmädchen flogen noch ein paar senkrechte Kreise, um dann in einer vollendeten Dreiecksstaffelung nach links aus dem Bild hinaus und verschwanden. Womöglich würden sie in wenigen Sekunden bei ihren Mehrlingsgeschwistern auftauchen und diesen somit direkt und ohne Übergang alles gehörte und gesehene übermitteln. Die Verbindung war hergestellt.

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"Jetzt ist es amtlich, Julius. Wenn dieser Saddam Hussein in 48 Stunden nicht alles macht, was Präsident Bush von ihm verlangt, gibt es Krieg", seufzte Belle Grandchapeau, als sie beide im Computerraum den in der Nacht ausgespuckten Ausdruck studierten, der Bushs Ultimatum enthielt. "Super, in zwei Tagen ist diese Feier bei Madame Lundi, wo ich echt nicht hin will, und gleichzeitig gibt es wieder Krieg im Nahen Osten", knurrte Julius. "Nur hoffen, dass dieser Zauberer, der die irakischen Panzer verstärkt hat, nicht doch noch mal irgendwo zuschlägt oder von dem nicht noch ein paar Sachen übriggeblieben sind."

Julius nutzte die Zeit im Rechnerraum, um Belle darauf hinzuweisen, was er aus "nicht weiter zu nennenden Quellen" erfahren hatte. Belle verzog erst das Gesicht. Dann fragte sie, warum dann nicht auch die Ministerin eingeladen worden war. Doch darauf konnte Julius eine Antwort flüstern: "Ornelle Ventvit: V.I. Positiv." Belle sah ihn dafür verdutzt an. Doch dann begriff sie. Die Begrüßung von Blutsverwandten zählte vordringlich für Erwachsene, die selbst schon neues Leben hervorgebracht hatten. Deshalb war Ornelle nicht eingeladen worden. Sie war halt damit "gesegnet", dass sie hunderte von Jahren leben musste und alle Freunde und Verwandte um sich herum sterbenund zu Staub oder Asche zerfallen sehen würde, auch heute noch ungezeugte Urgroßneffen und -nichten. Belle erinnerte das jedoch nur daran, dass ihr Mann Adrian, sowie ihre beiden Kinder Laetitia und Lothaire weit weit vor ihr selbst sterben mussten, wenn ihr kein tödlicher Unfall zustieß oder sie vom Todesfluch oder einem anderen verheerenden Zauber getötet wurde.

Nach dem verkürzten Arbeitstag half Julius seiner Frau noch, die Geschenke für den kleinen James Tiberius Fielding einzupacken.

"Jau, ist echt gelungen", stellte Millie fest, als sie das magische Mobilee vor dem Wegpacken noch einmal begutachtete. Florymont Dusoleil hatte mit seiner Schwester Uranie zusammen ein nur an einem goldenen Faden aufzuhängendes, durch schwache magische Wechselwirkung verbundenes Modell des Sonnensystems mit allen neun Planeten hinbekommen, dass er als Schmuck für Kinderzimmer oder astronomiebegeisterte Hexen und Zauberer entworfen und bereits in zehnfacher Ausfertigung nachgebaut hatte. Vor allem die klatschergroße Sonne war ihm wohl sehr gelungen. Denn sie leuchtete in einem nicht blendenden warmen Gelbton und beschien die sie langsam umkreisenden Planeten und ihre größten Monde. Wurde es draußen dunkel, verfärbte sich die kleine Sonne orangerot und dunkelte soweit ab, dass sie wie ein schwach glosendes Feuer glomm, die Planeten und Monde gut leuchteten. Schlief jemand im Raum, wo dieses magische Mobilee aufgehängt wurde, so wurden Sonne, Planeten und Monde dunkel, bis niemand mehr im Raum schlief. Dann hing es eben von der Tageszeit ab, ob die kleine Sonne gelb oder dunkelorangerot leuchtete. Julius hatte Florymont sehr dafür gelobt und wollte ihm die für den Handel ausgewiesenen fünf Galleonen und neun Sickel dafür zahlen. Doch Florymont hatte das sehr ernst zurückgewisen. "Auch wenn es nicht Pina, sondern ihre Schwester ist, die eine Maman geworden ist sehe ich das als meinen Beitrag zur Freude in dieser Familie. Meine Frau und meine Schwester sind ja immer noch hellauf von ihrer Sprachbegabung und ihren Kenntnissen begeistert, also von Pina. Also steck du gefälligst dein Geld weg oder wirf es in eure Truhe für die zwei schon laufenden und die noch herumgetragene Prinzessin! Glaub mir, dass ich weiß, wie viel Gold das sichere Aufziehen von drei oder vier Töchtern frisst."

Nachdem Millie das Mitbringsel sorgfältig verpackt hatte zogen die Latierres sich ihre Festgarderobe an. Millie und Julius freuten sich einmal mehr, die jadegrünen Festgewänder tragen zu können, wobei Millies Kleid sich nach kurzer Behandlung mit einem dafür entwickelten Mittel auf ihren mitelschwangeren Körper umstellte. Aurore und Chrysope bekamen bunte Kleidchen angezogen. Aurore durfte ihre bunte Perlenkette umhängen, die sie von ihrer Patentante zu Weihnachten bekommen hatte. Danach wechselten sie, ihr Mann, Aurore und Chrysope durch den Verschwindeschrank ins Sonnenblumenschloss über. Dort bekamen sie von Millies Großmutter Ursuline noch eingepackte Geschenke. Als Millie wissen wollte, was in den Paketen war sagte Ursuline nur: "eine Mappe für Bilder, sowie ein Sonne- und Regenzelt, dass über eine Wiege gespannt werden kann, ohne dass der oder die darin liegende Atemschwierigkeiten bekommt."

Durch einen anderen Verschwindeschrank ging es hinüber ins Haus von Albericus und Hippolyte Latierre. Pina hatte Olivias Einverständnis erwirkt, dass auch die beiden Eltern und die jüngste Schwester Millies mitfeiern durften.

Albericus und Julius saßen ganz vorne im veilchenblauen VW-Bus, der mit einigen magischen Extras ausgestattet war, darunter ein Selbstfahrzauber, der nach Einschlagen des Weges eine große Strecke selbst fahren konnte.

Der Bus fädelte sich scheinbar mühelos durch den Feierabendverkehr in Paris, ohne zu heftig zu schlingern, zu beschleunigen oder zu bremsen. Dann ging es über die Nordautobahn aus der Stadt hinaus, vorbei an den ringförmig angeordneten Vororten und auf die Strecke, die jeder Autofahrer nehmen würde, der in Richtung Callais fahren wollte. Allerdings übersprang der Bus mehrere Hundert Kilometer mit dem eingebauten Transitionsturbo. So waren sie in nur zwanzig Minuten soweit, den Sprung über den Kanal zu wagen. Nördlich von Dover landete der Bus auf einer Autobahn. Albericus hatte bei diesem Sprung bereits den Linksverkehr auf den britischen Inseln einbezogen. So konnte sein Bus ohne Kollisionsgefahr auf einem gerade nicht so stark befahrenen Autobahnstück auftauchen und weiterfahren.

"Was, das blaue Mädel hat es noch richtig gut drauf", freute sich Albericus, während er sich von Julius beschreiben ließ, wo Godric's Hollow zu finden war.

Unterwegs testete Julius einfach, ob er aurora Dawn erreichen konnte. Tatsächlich meldete sie sich auf seinen Gedankenruf: "Ich bin gerade mit Rosey vom Fliegenden Holländer weg in den Fahrenden Ritter umgestiegen und ruckel und rüttel mich gerade mit ihr durch. Kann sein, dass wir vor euch da sind. Kann auch später werden", schickte sie zurück.

"Millie, Aurora Dawn ist schon in ihrem Geburtsland. Sie nimmt den fahrenden Ritter, weil ja Godric's Hollow nicht bei Tag mit einem Besen angeflogen werden darf, weil da ja auch magielose Leute wohnen.

"Aber wir kommen in das reine Zaubererviertel rein, richtig?" wollte Hippolyte wissen.

"Wenn meine Landkarte keinen Fehler hat kann ich uns da sicher ranführen, ohne dass wir den Leuten da auffallen."

"Wie kommt denn Roseys Maman dahin?" wollte Millie wissen.

"Fahrender Ritter, Millie. Kennst du ja noch, nicht wahr?"

"Der Grund überhaupt, warum Tante Trice darauf bestanden hat, dass Pa uns mit dem Bus hinfährt und wir nicht mit dieser Hüpfschaukel auf Rädern fahren müssen."

Nach zwei sicheren Sprüngen fuhren sie bereits auf den Straßen von Godric's Hollow, wo der britischen Zaubererweltgeschichte nach der Hogwarts-Mitgründer Godric Gryffindor geboren worden sein sollte und wo das Haus von Harry Potters Eltern als Denkmal der dunklenZeiten besichtigt werden konnte.

Ah, da geht's rein, Beau-Papa", sagte Julius und deutete auf eine graue Mauer. "Ach, die Nebeltornummer", grummelte Albericus gelangweilt. Dann fuhr er den Bus auf die graue Wand zu. Wenn die echt und unverrückbar war würde der Bus gleich scharf bremsen. Doch er rollte auf die Mauer zu und glitt durch diese hindurch wie durch reinen Nebel. "Gut, dass in dem Mädel genug Magie steckt, um es durchzulassen", sagte er noch. Julius hatte ihm Pinas Beschreibung gegeben, demnach diese Mauer nur magisch begabte Menschen oder mit ausreichend Magie angereicherte Gegenstände durchlassen konnte. Für jeden anderen war sie eben eine feste Mauer.

Nun ging es über Kopfsteinpflasterstraßen an altmodischen Laternenpfählen mit dicken Kerzen in den Glasaufsetzen vorbei. Sie passierten das Potter-Haus, vor dem immer noch eine Menge Hexen und Zauberer schlangestanden und folgten einem ziemlich schmalen Weg, der Zimtstraße hieß. Eines der dort stehenden Häuser fiel Julius sofort auf. Es war völlig würfelförmig, an die vier Stockwerke hoch und leuchtete im Licht der Nachmittagssonne wie pflückreife Preiselbeeren. Ja, das war ihr Ziel, der Preiselbeerwürfel. Doch sie hätten wohl auch nicht vorbeifahren können, weil vor dem Würfelhaus im kleinen Vorgarten eine hochgewachsene Frau mit strohblondem Haar stand und ihnen mit einem großen, himmelblauen Fächer zuwinkte. Das war Pinas Mutter Hortensia Watermelon. Dafür, dass sie seit bald sechs Jahren Witwe war strahlte sie die Ankömmlinge sehr glücklich an. Albericus drückte den Knopf für die Hupe und ließ eine fröhliche Fanfare schmettern, die Julius als beschleunigte Fassung von "Kleines Kind, was bist du müd'" erkannte.

"Häh, ist das das übliche Signal?" fragte Julius seinen Schwiegervater. Der grinste und meinte, dass diese Fanfare nur da so klang, wo mindestens ein geborenes Baby in Hörweite war.

"Sehr schön, dass Sie und ihr da seid", grüßte die eine Großmutter des zu feiernden die Ankömmlinge und umarmte jeden und jede. "Ui, ihr lasst euch aber wirklich keine Zeit", meinte sie, als sie Millies stolzen Umstandsbauch bewunderte. Dann begutachtete sie auch die kleine Chrysope, die von ihrem Vater auf den Schultern getragen wurde, weil sie mit ihren kurzen Beinchen doch noch nicht so recht weit laufen konnte, schon gar nicht, wenn ihr Papa in Rufweite war.

Mit den Geschenken für den neuen Erdenbürger ging es ins Haus, wo bereits fröhliches Lachenund angeregte Unterhaltungen zu hören waren. Julius war bereits von der Empfangshalle begeistert. Viele Zimmerpflanzen, einige davon mehr als zwei Meter hoch, umstanden ein Quadrat aus hellem Parkettboden. An der Decke hing eine Sonnenlichtlampe, die ein warmes gelbes Licht verströmte, das so fiel, dass es keinen Schatten gab. In der Halle wartete Dina Fielding, die zweite Großmutter des zu feiernden. Neben ihr stand Aurrora Dawn. Sie strahlte Julius und Millie an und begrüßte dann alle.

"Wir haben für die ganz kleinen Gäste, die noch nicht mit dem Löffel oder der Gabel essen können ein Ausruhzimmer im dritten Stock, auch wo der kleine Sternenprinz sein Reich hat", sagte Olivia Fielding ganz stolz. Aurora Dawn sah Julius an und sagte: "Ich hab's doch noch hingekriegt, vor euch anzukommen, weil die Rappelschaukel noch fünf Leute mehr hier abliefern sollte. Rosey liegt im erwähnten Ausruhzimmer. Ich habe ein Mutter-Kind-Medaillon um, das zittert, wenn sie was nötig hat. Aber wenn sie wach ist kann ich sie nachher gerne noch mal rüberholen."

"Für meine Frau", grinste Julius und deutete auf Millie. "Und für unsere Kronprinzessin", fügte er noch hinzu, als Aurore auf ihre Fast-Namensvetterin lossprang und sich ihr in die Arme warf. "Rosey hici aussi?" fragte sie. Dina verstand kein Französisch. Aurora Dawn dafür um so besser. Sie bestätigte, dass ihre kleine Rosey auch hier war. Das führte dazu, dass Aurore mit Julius' großer Brieffreundin und Wegführerin an der Hand durch eine der vier Türen die Halle verließ. Millie sah den beiden aufmerksam aber nicht misstrauisch nach. Julius bewunderte inzwischen die Zimmerpflanzen. Dina verriet ihm voller Stolz, dass sie diese Pflanzen gezogen hatte und in Ordnung hielt. Zwar hatten sie hinter dem Haus noch einen Garten mit der zehnfachen Grundfläche des Hauses selbst. Aber sie hatte sich durchgesetzt, dass in die Eingangshalle auch Zierpflanzen kamen, die auch den Winter überstehen konnten.

"Und die Türen öffnen und schließen sich von selbst?" stellte Albericus fest, weil Aurora Dawn die eine Tür nicht hatte aufdrücken müssen.

"Ja, das wollte Tom so haben. Er meinte, dass ein Haus, dass wie aus der Zukunft aussah, auch entsprechende Komfortsachen haben müsste. Zumindest ist es hier grün genug und nicht so grau oder eintönig wie in den Zukunftsgeschichten", sagte Dina. Da kam noch jemand durch eine in der zweiten Tür von links verbauten Katzenklappe, ein orangeroter Kater mit besonders großen Ohren und einem Schwanz wie eine Flaschenbürste. Julius sah die goldbraunen Längsstreifen um die Pfoten des Kniesels. "Tigerssöckchen", grinste Dina Fielding, als der Kniesel gezielt auf Julius und Millie zulief und dann erst um Julius rechtes und dann um Millies linkes Bein strich. "Das war sozusagen das Einweihungsgeschenk von unserem eigenen Hauskniesel Sonnenglanz und seiner derzeitigen Angebeteten Kastanie. Er ist zwar nicht so begeisterrt, dass er nicht mehr die Nummer eins im Haus ist. Aber er hat sich mit unserem Kleinen schon gut angefreundet", verkündete die stolze Großmutter.

Durch eine weitere Tür ging es in ein Treppenhaus, wo die Treppe und die Wände waldgrün waren. "Zwei Treppenhäuser, eines in den rechten und eines in den linken Teil des Hauses", sagte Dina Fielding. Anders als in anderen Treppenhäusern wurde der Schall hhier so gut geschluckt wie in einem mit Polstern und Teppichen ausgelegten Wohnzimmer.

"Wir feiern im Aussichtsstockwerk, ganz oben", sagte Dina und führte die Gäste ganz nach oben.

Dass die oberste Etage von außen undurchsichtig mit ein paar Fenstern aussah aber von innen eine reine Glaskonstruktion zu sein schien beeindruckte Millie und Julius nur kurz. Sie hatten in ihrem Apfelhaus ja sowas ähnliches, dass ihre Fenster und Türen von außen nicht zu erkennen waren, um die Nachahmung eines überlebensgroßen Apfels zu erreichen. An der Decke ringelten sich kunterbunte Luftschlangen. Grüne und himmelblaue Leuchtballons schwebten rings umher, und auf den Tischen standen blütenweiße Kerzen, die mit goldenen Flammen brannten.

"Och, ihr seid noch vor den Whitesands da?" freute sich jemand, die Julius schon unten zu treffen gehofft hatte. Pina Watermelon, die junge Tante des neuen Mitbürgers, kam in ihrem wasserblauen Rüschenkleid auf Julius zugelaufen, stoppte dann und begrüßte erst Millie. "Ui, bist ja auch schon sehr hoffnungsvoll", meinte sie. "Wann kommt eures an?"

"Wenn nichts passiert im Juni", sagte Millie nicht ohne überlegenes Grinsen, weil sie zum einen größer als Pina war und durch die Schwangerschaft auch breiter war.

"Hallo Julius", grüßte Pina Julius und schmatzte ihm links und rechts einen Kuss auf die Wange. Dann grinste sie die kleine Aufhockerin an, die mit ihren kleinen Händchen nach Pinas strohblonder Mähne tastete. "Na, nicht an den Haaren ziehen", ermahnte Julius vorsorglich auf Französisch. Seine zweite Tochter zog ihre Hand zurück. "Schön, dass ihr da seid", sagte Pina noch einmal. Dann begrüßte sie Millies Eltern und ihre kleine Schwester Miriam.

Julius sah die fünf großen Tische, die auf der Westseite des gläsernen Stockwerks standen. Daran saßen bereits viele andere Gäste. Ihm fielen jedoch am meisten die zwei älteren Hexen auf, von denen die eine rotblond und die andere weißblond war. Sie trugen sehr teuer wirkende helle Kleider mit kunstvoll aufgenähten Verzierungen. Als die rotblonde seinen Blick bemerkte wandte sie sich an die Weißblonde. Diese wandte sich um und sah Julius durch ihre goldene Brille mit Halbmondgläsern erfreut an.

"Da sind ja wirklich viele gekommen", sagte Julius zu Pina und suchte ihre Schwester Olivia. Er fragte, wo sie sei und erfuhr, dass sie den kleinen James Tiberius wohl gerade noch stillte, damit er auch glücklich mitfeiern konnte.

Julius wollte gerade die beiden älteren Hexen ansteuern, um sie zu begrüßen, als ihm fast ein kleiner Junge die Beine wegrannte, der aus dem anderen Treppenhaus herausstürmte. Der Junge hatte flammenrotes Haar und trug einen Matrosenanzug, der irgendwie nicht in die Ansammlung von Umhängen und Kleidern hineinpasste.

"Na, vor wem läufst du denn weg?!" fragte Julius den Jungen mit einer Mischung aus Erheiterung und Tadel.

"Vor Ari. Wir Kriegen spielen. Ari ist zu langsam!" trällerte der Junge. Da kam noch ein Mädchen, das etwas kleiner war als der Junge im Matrosenanzug. Auch sie hatte flammenrotes Haar. Julius erkannte sie auch sofort. Arianrhod Barley, Ceridwens und Darrins Ziehtochter.

"Garwin zu schnell für mich", keuchte sie. Dann sah sie, wie Garwin, der Junge im Matrosenanzug, wieder davonwetzte. "Heh, Garwin, nicht hier oben rumrennen", hörte Julius eine strenge Männerstimme und sichtete den dazugehörigen Zauberer, der einen marineblauen Umhang trug. Er winkte ihm erst einmal nur zu. Dann ging er endlich zu den beiden älteren Hexen hin und begrüßte sie.

"Hallo Julius. Ihr seid gut angekommen. Das ist schön", sagte Sophia Whitesand, die weißblonde Hexe, eine Cousine des für seine Schule und ihre Schüler gestorbenen Albus Dumbledore. "Haben Sie deine Frau doch ins Ausland reisen lassen."

"Na ja, ihre Hebamme meinte, dass mindestens eine Heilerin dabei sein würde und sie meine Frau nicht in Watte packen oder an einer Walpurgisnachtkette hinter sich herlaufen lassen könne", sagte Julius. Dann Begrüßte er Lady Genevra Hidewoods, während der er damals die Party der Sterlings besucht und somit vielen im Raum hier das Leben gerettet hatte. Das sein riskanter Einsatz eigentlich Dumbledores Cousine zum Ziel hatte konnte er damals ja nicht wissen.

"Bleibt ihr auch die Nacht hier wie die Familie Whitesand?" wollte Sophia Whitesand wissen. Julius verneinte das. Sie würden um spätestens zehn Uhr wieder abreisen, weil er morgen schon wieder im Büro sein müsse.

"Kann man nichts machen", sagte Sophia Whitesand. Unvermittelt hörte er ihre Gedankenstimme in sich: "Wenn du die Möglichkeit hast, es Madame Nathalie unauffällig mitzuteilen, richte ihr bitte aus, dass es womöglich eine undichte Stelle in der Delourdesklinik gibt. Mir kamen sehr abenteuerliche Dinge zu Ohren, von wegen längerer Schwangerschaft." Julius schaffte es, sich zu beherrschen und keine Miene zu verziehen. Wieder einmal erkannte er, wie sinnvoll und nötig die Manieren des Mentiloquismus' waren. Er nahm Blickkontakt mit Madam Whitesand auf und schickte zurück:

"Tja, echte Schwestern sind eben doch überall. Ließ sich wohl auf Dauer nicht so ganz verheimlichen. Aber ich denke, es besteht kein Interesse, das groß rauszubringen."

"Nicht von mir oder Leuten, die ich unmittelbar kenne", gedankenantwortete Sophia Whitesand, während Garwin einen Aufstand machte, weil sein Vater ihn wieder auf "das Spieldeck" runterschicken wollte. "Wir trinken in einer halben Stunde Tee und Kakao, Bootsmann. Dann kannst du wieder zu uns rauf."

"Och mann, hier ist das richtig schön mit dem ganzen großen Fenster", quängelte der kleine Junge.

"Ihre zweite Tochter kann auch schon laufen oder?" fragte Genevra Julius, der gerade Chrysope auf den Schultern trug, ohne dass es für ihn eine spürbare Last war.

"Ja, wenn sie will und wenn Papa nicht gerade in Rufweite ist. Aber ich setz sie gleich ab, wenn auch die anderen Kinder da sind. Denn dann will sie ganz sicher zu denen hin", erwiderte Julius.

"Ah, Ceridwen ist auch da", sagte Genevra von Hidewoods. Tatsächlich kam eine ebenso flammenrothaarige Frau im grünen Kleid herein und suchte wohl nach wem oder was. Als sie die kleine Arianrhod sah winkte sie ihr zu. "Wollte Garwin wieder mit dier rumrennen?" hörte Julius sie fragen, während er auch sah, dass Millie Garwins Mutter Galatea getroffen hatte. An ihrer Seite saß ein kleines Mädchen, etwa so alt wie Arianrhod. Das war Kathleen, die Zweitgeborene der Abrahams-Familie.

Julius wechselte noch ein paar nette Worte mit den beiden altehrwürdigen Hexen und setzte seine Begrüßungsrunde fort, bis er bei Tom Fielding ankam.

"Wollte deine frühere Schulkameradin dich nicht durch das Haus führen?" fragte er Julius, nachdem er ihn beglückwünscht hatte. "Ihr war wohl wichtig, dass wir die anderen Gäste zuerst begrüßen, anstatt ihnen einzeln über den Weg zu laufen."

"Aber unseren Haushüter Tigersöckchen hast du schon getroffen, denke ich. Der begrüßt jeden, der hier reinkommt. Seid ihr auch mit dem Ruckelbus gekommen?" fragte Tom Julius. Dieser verneinte es und deutete auf Albericus Latierre, der gerade von Arianrhod entdeckt worden war, die ganz ruhig und ohne zu trippeln auf ihn zuging. Offenbar hatte sie noch keinen so kleinen Erwachsenen gesehen, der gerade mal so groß wie ein achtjähriger Junge war. Um so heftiger musste ihr dessen Frau vorkommen, die wie Millie 1,95 Meter maß und vom Körperbau sehr athletisch aussah, eine wahre Amazonenkönigin.

"Meine Mutter hast du ja schon getroffen. Die ist immer hier, wenn es was mit den Pflanzen gibt. Ich wollte kein Haus mit großem Garten. Aber meine Eltern haben uns das hier zur Hochzeit geschenkt und dann gemeint, dass nur Rasenfläche nicht wirklich grün sei. Außerdem müssten wir ja auch an die Vögel und die Bienen denken."

"Hmm, und die hat das nicht anders gemeint?" fragte Julius. Tom musste erst nachdenken und dann laut loslachen: "Ja, das auch, Julius. Tante Erica bringt die Whitesands her, Patience, Prudence und Verity mit jeweiligen Anhängen oder Pfleglingen. Patience hat ja gerade wieder einen Vollwaisen zur Pflege, der jetzt unter ihrem Namen aufwachsen darf", sagte Tom Fielding. Julius grinste und fragte: "Ein Junge, der Patience heißt?"

"Um Himmelswillen. Der Kleine müsste dann ja sein ganzes Leben lang jeden plattmachen, der ihn deshalb dumm anmacht. Neh, der heißt Stephen", sagte Tom Fielding.

Da kamen dann auch die erwähnten Whitesands, Prudences Cousine Verity, ihre Tante Patience, die jedoch gerade kein Baby bei oder gar in sich trug, sowie Mike, seine Schwester Melissa, früher auch Melanie genannt und Mikes und Prudences zwei Kinder Perseus und Pythagoras, der auf den Schultern seines Vaters ritt wie die kleine Chrysope auf den Schultern des ihrigen. Ebenso sah Julius Adrian Moonriver, der wie ein ganz normaler neunzehnjähriger Junge aussah. Doch Julius wusste es besser, und Adrian wusste das. Wohl auch deshalb war Adrian froh, erstmal von den ganzen Familienvätern und -müttern wegzukommen und sich mit Toms und Olivias ledigen Schulkameraden zu treffen, die ihn auch noch aus Hogwarts kannten.

Die Hexen trugen mehrfarbige Festkleider, die mit Motiven jungen Lebens wie Blütenblättern, Aus einem Ei schlüpfenden Küken und goldenen Phönixen bestickt waren. Vor allem Melissas Kleid fiel Millie auf. Denn es war in leuchtenden Regenbogenfarben gehalten und mit kleinen gelben Sonnen mit pausbäckigen, lachenden Gesichtern bedruckt. "Könnte sein, dass ihr da wer das Kleid angedreht hat, der oder die will, dass sie auch bald den kleinen, bunten Vogel ruft", flüsterte Millie ihrem Mann zu. "Im Grunde dürfen französische Hexen dieses Kleid nur tragen, wenn sie bekunden wollen, dass sie Kinder haben wollen, weiß ich von Oma Line." Julius wagte es nicht, die Richtigkeit dieser Begründung anzuzweifeln.

Oh, ihr seid vor uns hier angekommen?" fragte Prudence, als Julius sie begrüßte. "Weißt doch, Prudence, die mit dem längsten Weg sind am ehesten da, und die nur um die Ecke müssen kommen zum Schluss. Aurora Dawn ist schon vor uns angekommen, direkt aus Sydney."

"Wo ist sie denn?" fragte Prudence und deutete um sich. Julius erklärte es ihr.

"Dann bringe ich unseren Jüngeren mal runter und lasse mir das zeigen. "Öhm, Tante Patience, die haben hier einen Babyschlafsaal!" rief sie ihrer Tante zu. Diese grinste und sagte, dass sie das doch schon längst wisse.

"James T., bin ja mal gespannt, wie der aussieht", grinste Mike Whitesand, während seine Frau mit Pythagoras ins andere Treppenhaus ging.

"Wahrscheinlich hat er lange Spitzohren und lange Augenbrauen", sagte Julius.

"Öhm, ... Neh, ne? Hätte fast gedacht, du hättest da wen verwechselt. Aber das kann ich mir echt nicht vorstellen, wo wir ja eigentlich die gleiche Ausbildung haben."

"Stimmt, hast recht", sagte Julius.

"Mel, Ms. Dawn ist unten bei den Wickelwichteln", sagte Mike zu seiner Schwester. Diese nickte. "So dringend ist das nicht, zumal ich ja auch nicht groß über meinen Job reden will. Aber wenn das geht mit Hidden Grove wäre das voll toll", erwiderte Melissa Whitesand.

"Hidden Grove in Australien?" fragte Julius Melissa Whitesand. Diese strahlte ihn an und nickte. "Mein Vorgesetzter hat da was angeleiert, dass ich ein halbes Jahr auf dem fünften Kontinent Zaubertiere und -pflanzen studieren darf, weil die von sich wen zu uns rüberschicken wollen, um die europäischen Tiere und Pflanzen zu erforschen. Toms Mutter Dina hat mir dann über deren Schulkameradin Petula Woodlane eine Verbindung mit deiner großen Freundin Aurora Dawn gemacht. Die hat da schon was angeschoben, dass ich da ab April hin kann. Ich wohn dann in der Nähe von Canberra und darf die ersten vier Wochen in Hidden Grove als Tierpflegerin arbeiten. Wenn es da unten dann wieder Sommer wird komme ich wieder."

"Dann wünsche ich dir dafür alles gute und viel Erfolg. Aber komm nicht mit ungewolltem Extragepäck zurück!" erwiderte Julius.

"Ey, sag mal, hast du dich mit meinem Bruder und meiner Mutter abgesprochen?" schnaubte Melissa. "Die haben nämlich genau den gleichen Spruch gebracht."

"Und wahrscheinlich meinen die das auch genauso ernst wie ich, Mel. Du hast doch sicher mitbekommen, dass diese Gaunerbande Vita Magica Leute sogar aus anhaltenden Bussen raus entführt, um die in ihr Zuchtkarussell zu stecken", entgegnete Julius.

"Habe ich wohl gehört. Aber ich kann doch wegen denen nicht die ganze Zeit im Haus hocken. Außerdem kann mir das in England auch passieren, wo Minister Shacklebolt gerade so drauf ist, dass es doch eine friedliche Übereinkunft mit denen geben soll, so wie in den Staaten."

"Öhm, wie die in den Staaten getroffen wurde hast du sicher auch mitbekommen, oder?" fragte Julius.

"Habe ich von Mikes Schwiegertante Patience gehört, nachdem das auch hier in diesem Tagespropheten dringestanden hat und jetzt alles drauf aus ist, dass der amtierende Zaubereiminister nicht von diesem Fluch betroffen ist. Der hat sich extra untersuchen lassen und hat das Ergebnis für die Presse freigegeben. Er hängt nicht an diesem heftigen Fluch", erwiderte Melissa leise genug, dass nur sie und Julius es hörten.

"Wann geht's genau runter nach unten drunter?" fragte Julius. Mel nannte ihm den Termin. "Okay, kriege ich noch hin. Wir haben in Frankreich Antiportschlüssel-Armbänder oder Fußkettchen. Wer sowas trägt kann von keinem Portschlüssel weggebeamt werden", flüsterte er. Melissa sah ihn verstört an. Doch dann nickte sie. "Ich möchte nicht, dass du noch mal in so eine besch..., öhm, unerwünschte Sache reingerätst wie damals bei den Sterlings", wisperte Julius. Melissa blickte ihn erstaunt und dann sehr erfreut an.

Julius bekam mit, wie Gloria Porter und ihre Eltern hereinkamen. Sie machten abbittende Gesten und begrüßten dann die Gastgeber. Dann konnte Julius seine und Pinas Schulfreundin aus Hogwarts-Zeiten und den Austauschjahren in Beauxbatons begrüßen.

"Schön, hat doch noch geklappt. Mein Vater ist erst vor zehn Minuten nach Hause gekommen. Der war in Peru irgendwo. Musste erst den Wechselzungentrank und den Ortszeittrank trinken, sonst wären wir schon wesentlich früher angekommen", sagte Gloria. Dann sah sie Crysope an und meinte: "Oha, wie schnell die Zeit wieder umgeht. Aber ich möchte es immer noch nicht verstehen, wie Millie sich diese ganze Mühe so schnell hintereinander macht."

"Sie hat dazu mal gesagt, dass es anstrengender wäre, dazwischen immer fünf Jahre vergehen zu lassen und dann die unterschiedlich alten Geschwister friedlich zu halten. Na ja, ob sie das nach dem dritten Kind noch sagt weiß ich nicht. Aber ich bin gespannt, wie sich alle weiterentwickeln."

"Wenn ich mir Olivia ansehe ist das für eine Hexe wohl körperlich sehr verändernd", meinte Gloria dazu. Julius überhörte den leicht verächtlichen Unterton in ihrer Stimme. Er sagte nur, dass er sich bei ihr bedankt habe, dass er bei der Willkommensfeier dabei sein durfte und bei der Gelegenheit noch mal alte Schulkameraden sehen durfte.

"Die Hollingsworths konnten ja nicht herkommen, und Kevin wurde von Olivia nicht eingeladen, weil die ihm immer noch nachträgt, dass er sie immer wieder als "Pinas kleine Schwester" bezeichnet hat, auch wo sie schon mehr Frau als Mädchen war."

"Kevin ist jetzt selbst Familienvater und spuckt da nicht mehr so große Töne. Womöglich treffen wir ihn im Juni, wenn ich meinen Jahresurlaub nehme und unsere dritte Prinzessin dem warmen Gemach der Königin entsteigen will", sagte Julius.

"Seitdem er in Belgien wohnt höre und sehe ich von dem auch nichts mehr. Offenbar hat seine Frau ihn ziemlich vereinnahmt", sagte Gloria. Julius versuchte wieder, den verächtlichen Unterton zu überhören. Doch ganz schaffte er es nicht, weil er sich diesen Schuh auch anziehen konnte. Deshalb sagte er: "Gloria, es ist wahrhaftig eine anstrengende Sache, mit jemandem zusammen zu leben und dabei immer was neues zu erleben, um sich nicht gegenseitig wegen Langeweile zu verkrachen. Ich bin froh, dass ich das mit meiner Frau bisher hinkriege und wünsche es Kevin trotz seiner ganzen Sprüche, dass er das auch schafft. Aber wenn du wirklich Interesse hast, was gerade mit ihm los ist schreib doch seine Cousine Gwyneth an."

"Oh, 'tschuldigung, Julius. Ich glaube, ich habe mich da vorhin etwas unfein ausgedrückt", setzte Gloria an. "Natürlich ist es ein Unterschied, ob ich meine Zeit für mich selbst einteilen kann und ob ich meinen Interessen nachkommen kann oder meine Zeit mit jemandem teile und deshalb auch nicht mehr alles machenkann, was ich früher gemacht habe. Ich wollte weder Millie und dich noch Kevin und Patrice oder Olivia und Tom beleidigen." Julius nahm die Entschuldigung für alle erwähnten an. Dann begrüßte er Glorias Eltern. Dione Porter freute sich, dass Millie mit den Pflegeprodukten so zufrieden war und wünschte ihm für die Ankunft des dritten Kindes weiterhin die nötige Freude am Leben.

"Hallo, Julius. Schön, dich auch mal wieder direkt zu sehen", sagte Patience Moonriver und umarmte Julius. Er fühlte, dass sie ihre Ammenpflichten zur vollsten Zufriedenheit erfüllen konnte. "Hattet ihr es gerade von Melissas Auslandsdienst?" fragte sie ihn. Er nickte. "Australien ist ziemlich groß. Will hoffen, dass sie da nicht verlorengeht. mein Bedarf an Geburtshilfe ist für's erste gedeckt", sagte sie.

"Ich habe ihr schon angeboten, ihr was gegen unerwünschtes Verschwinden mitzuschicken", mentiloquierte Julius die Heilerin und Berufsamme an.

"Ach, habe ich auch schon von gehört. Ja, mach das bitte", schickte sie zurück. Dann fügte sie auf dieselbe unhörbare Weise hinzu: "Stephen schläft gerade selig. Ich soll dich von ihm grüßen. Da ich ihm hier keinen Sprechbalg umhängen kann kannst du ihn dir nur ansehen."

"Die Mutter seiner Kinder hat schon gefragt, ob ich ihn treffe", mentiloquierte Julius.

"Das vielleicht. Aber mehr geht gerade nicht. Grüß sie und sage ihr, dass er sich gut entwickelt."

"Öhm, legst du ihn an", schickte Julius an Patience. Sie grinste und mentiloquierte zurück: "Natürlich, und das gefällt ihm immer besser. Wird schwer sein, ihn wieder zu entwöhnen."

Unter dessen traf eine aus vier Musikern bestehende Band im Festsaal ein, um für die Gäste aufspielen zu können. Die drei Zauberer und die eine Hexe trugen unterschiedliche Umhänge. Die Hexe trug blattgrüne Kleidung und einen kleinen, sonnengelben Hexenhut, auf dessen Rand kleine bunte Blumen prangten. Einer der Zauberer trug sonnengelbe Kleidung und auf dem Kopf einen üblichen Spitzhut mit einer goldenen Sonnenscheibe auf der Spitze. Der zweite Zauberer der Band trug einen bunten Umhang, der Julius sofort an verschiedenfarbiges Herbstlaub und reife Früchte denken ließ. Sein Hut war nebelgrau mit einem winzigen orangeroten Kürbis auf der Spitze. Der dritte Zauberer des Quartettes trug einen schneeweißen Umhang mit Pelzkragen und auf dem Kopf einen schneeweißen Hut, von dessen Rand künstliche Eiszapfen herabhingen und auf dessen Spitze ein kleiner Schneemann balancierte. "die Combo quatro Stagioni", stellte Tom Fielding diese Band vor. Julius nickte. Er kannte eine Pizza, die so hieß und wusste, dass das "vier Jahreszeiten" bedeutete. Deshalb diese Aufmachung.

Die Musiker bauten zunächst ein Xylophon, ein Glockenspiel, einMetallophon und ein Sortiment von Blockflöten auf, wobei die den Frühling verkörpernde Hexe erst eine kleine Flöte nahm und das Zwitschern von Vögeln imitierte. Dann stiegen die anderen Musiker in ein beschwingtes Stück ein, dass Julius als Kinderlied vom erwachenden Frühling kannte. Er bewunderte es, wie die Musikerin zwischendurch die Trillerflöte gegen eine Altflöte tauschte, um einzelne Kuckucksrufe nachzuahmen.

"Julius, kommst du bitte, wir wollen gleich ein Gruppenfoto aller Gäste mit eigenen Kindern machen", rief Millie herüber, als das Begrüßungslied vorbei war.

So stellte sich Julius mit Chrysope zu seiner Frau. Aurora Dawn war mit ihrer Beinahe-Namensvetterin und Rosey Dawn zurückgekommen. So hielt Prudence ihren zweiten Sohn in den Armen, während Perseus an der Hand seines Vaters stand. Olivia kam zusammen mit ihrem Mann Tom und einer behutsam schwebenden Wiege herein. Alle klatschten. Julius sah, dass der kleine Junge in der Wiege einen sonnengelben Strampelanzug mit aufgestickten goldenen Sternchen trug. Alle applaudierten. Olivia lachte und erwiderte, dass sie noch einmal die Gelegenheit haben würden. Dann waren die Familien aufgestellt. Nur Patience Moonriver hatte ihren Pflegling nicht heraufgeholt.

Roy Fielding, der Großvater des Festtagskindes, brachte eine freischwebende Kamera in die richtige Ausrichtung. Dann stellte er sich links von seiner Frau Dina und rechts von seiner Schwester Erica. Dann rief er nur: "Brummselbienchen summen über blauen Blümchen!". Alle lächelten. Da löste die Kamera mit Blitz und rotem Rauch aus. Der jüngste Festgast hier erschrak sich und schrie laut und hell auf. Seine Mutter war sofort bei ihm und murmelte ihm beruhigende Worte zu, wobei sie seine nun auf dem Boden stehende Wiege behutsam schaukelte. Ihre Eltern strahlten mit allen Sonnen der Milchstraße um die Wette. Dann stellte sich Olivia, die immer noch sehr mollig aussah, neben die Wiege und winkte einer Tür, hinter der wohl noch jemand wartete.

Die Band spielte nun auf aus dem Nichts apportierten Streichinstrumenten eine Overtüre, wie sie Händel, Bach oder Vivaldi sie nicht besser hätten schreiben können. Da glitt die Tür von selbst auf. Hereinkam ein kleiner Mann mit weißem Stoppelhaar im goldenen Umhang mit Stehkragen und kleinen Glöckchen am Saum. Er trug schneeweiße Stiefel an den Füßen und wirkte sehr erhaben. Julius erkannte den Zauberer sofort. Er hatte ihn bei Dumbledores Beerdigung und bei Toms und Olivias Hochzeit gesehen. Und jetzt durfte er die erste Frucht dieser ehelichen Vereinigung im Leben begrüßen. Im Takt der für ihn allein gespielten Overtüre schritt der Zeremonienmagier in die Mitte des Festsaales, wo die Wiege mit dem neuen Erdenbürger stand. Als er auf seiner Position anhielt stoppte auch die Musik. Ein kurzer Tusch erklang.

"Darf ich allen, die ihn noch nicht kennengelernt haben sollten, Zeremonienmagier Logophil Nodberry vorstellen. Gut, die meisten von euch waren ja bei unserer Hochzeit dabei", sagte Tom Fielding und peilte kurz zu seinen Großeltern, die hinter seinen Eltern standen. "Er hat sich sehr gerne bereiterklärt, unseren Erstgeborenen in seinem neuen, hoffentlich sehr langen und noch hoffentlicher friedlichen Leben zu begrüßen. Somit erteile ich als Herr des Hauses Preiselbeerwürfel dem hochverehrten Magister Nodberry das Wort, um es an euch zu richten." Wieder erklang ein Tusch.

"Ich bedanke mich sehr für die Einladung von euch, Olivia und Tom, dass ihr mir, einem altgedienten Begleiter zu den wichtigsten Punkten im Leben, die große Ehre und noch größere Freude erwiesen habt, euren Erstgeborenen Sohn hier und heute in seinem Leben willkommen zu heißen. Denn nicht immer wird die Ankunft eines neuen Kindes in unserer reichhaltigen wie auch mächtigen Zauberergemeinschaft von einem Zeremonienmagier oder einer Zeremonienmagierin verkündet. Oftmals sind es dann doch die respektablen Hebammen, die die große Ehre haben, das von Ihnen auf die Welt geholte Kind offiziell zu begrüßen, abgesehen von der nüchternen und gefühllosen Apparatur, die ein Kind bereits als Geboren verzeichnet, wenn es zum ersten Mal bei seinem vollen Namen genannt wird. So weiß ich natürlich, dass er hier, der kleine Mensch in seinem Schaukelbett, bereits seinen Namen erhalten hat. Doch bin ich um so erfreuter, dass ich euch allen, die ihr zu seiner Begrüßung erschienen seid, noch einmal von mir hören möchtet, dass er wahrhaftig in dieser Welt angekommen ist.

Ich hatte bereits die Ehre, Tom, deine Eltern einander anzuvertrauen und war auch sehr erfreut, dass ich dich mit der Frau zusammensprechen durfte, die du als deine Begleiterin durch alle Lebenslagen erwählt hast. Olivia, ich habe mich auch sehr gefreut, dass ihr die alte Tradition der Willkommensverkündung beibehalten wollt.

Jedesmal, wenn sich ein Zauberer und eine Hexe, ein Mann und eine Frau, dazu entschließen, gemeinsamen Nachwuchs zu haben, übernehmen sie eine sehr große Verantwortung für sich, das neue Leben und dessen Umfeld. Daher ist es immer ein Zeugnis großen Mutes, diesen großen Schritt zu tun und ein Kind auf den Weg in sein Leben zu bringen. Vor allem für die werdende Mutter ist dieser Weg kein Rosenbett, nicht jeder Tag ein Jubeltag. Deshalb ist es gerade für die Mutter so ein großes Bekenntnis zu eigener Stärke und Entschlossenheit, die ersten neun Monate des neuen Lebens durchzustehen, bevor es unter großer Anstrengung für beide den warmen, schützenden Schoß verlassen und in unsere große, helle, laute und nicht immer schöne Welt hinausgelangen kann. Es bleibt trotz aller Kenntnis von den vielen Formen und Wegen der Magie immer noch eines der größten Wunder, ein neues Leben zu erschaffen, durch Liebe, Mut und Vertrauen auf die helfende Hand des jeweils anderen. Für den Vater eines neuen Kindes mögen die neun Monate der Erwartung ein wenig leichter aussehen, sind sie aber nicht. Sorge, Ungewissheit, ja auch Angst vor dem, was während dieser Zeit geschehen kann oder was dann am Ende zum Vorschein kommt sind der seelische Ausgleich der körperlichen Mühen und Schmerzen, die die Kindesmutter zu ertragen hat.

Dann endlich ist der große Tag gekommen, der neue Erdenbürger erreicht unsere Welt. Sie ist für ihn zu groß, zu laut, zu kalt. Er oder sie schreit den ganzen Unmut darüber hinaus und saugt die erste Luft in seinem oder ihrem Leben in sich ein. Jetzt gilt es, für das neue Kind, für seine Eltern und alle, denen es wichtig ist, den gemeinsam betretenen Weg zu begehen, wohin er auch immer führt, wie steinig er ist oder wie kurvenreich er verläuft. Sie alle müssen immer wieder Kraft und Mut aufbieten, die im Wege liegenden Hindernisse zu übersteigen und sich nicht von Irrwegen entmutigen lassen.

Jedes neugeborene Kind ist zunächst hilflos, ungeübt und ganz und gar ohne Wissen darum, was auf es wartet. Deshalb ist es immer sehr wichtig, aber auch sehr erfreulich, wenn es von zwei liebenden Eltern im Leben willkommengeheißen wird und alles erhält, was es benötigt. Mit einem Kind beginnt immer auch eine andere Welt, die es zu erfahren und zu erleben gilt. Und diese Welt beginnt damit, dass das neue Menschenkind einen Namen erhält, der fortan bis zu seinem hoffentlich viele Jahrzehnte später eintretenden letzten Atemzug sein ständiger Begleiter, sein unsichtbares Rüstzeug und der Ausdruck seines Seins ist.

Hier vor mir ist ein solches neues Menschenkind, das mit seinen Eltern und euch, seinen Verwandten und denFreunden der Eltern, viele abwechslungsreiche Jahre erleben wird. Es ist der lebende Beweis dafür, dass Liebe und Lebensfreude immer über Hass und Vernichtungswillen triumphiert. Denn leider muss das neue Menschenkindhier ohne ein Paar seiner Urgroßeltern aufwachsen, und einen Großvater hat es auch weniger. Schlimme Dinge rissen diese Menschen aus dem Leben. Doch sie sind trotzdem heute bei uns und freuen sich mit uns daran, dich im Leben zu begrüßen.

"So frage ich dich: Wer bist du?" Er deutete auf Olivia. Diese sprach laut und deutlich: "Ich bin Olivia, die Mutter dieses neuen Menschenkindes." Danach durfte Tom bekunden, dass er der Vater war. Danach wurde Mike Whitesand gefragt, wer er sei: "Ich bin Michael, der von den Eltern ausgewählte Pate dieses neuen Menschenkindes." Danach hob der Zeremonienmagier feierlich den Zauberstab, schwang ihn über Eltern und Paten hinweg zur Wiege und sprach sehr feierlich:

"So spreche ich nun für alle aus, was wir alle empfinden: Ecce dies vitam novam! Gaudete! Infans magicus est natus. Adoremus vitam! Laudetur amor vitaque! Sei uns aufs herzlichste Willkommen, James Tiberius Fielding!" Bei den letzten Wortenließ der Zeremonienmagier einen Regen aus goldenen Funken über der Wiege, den Eltern und den Paten niedergehen. Zwar schrie der neue Erdenbürger deshalb erst einmal. Doch dann beruhigte er sich wieder. Olivia hob ihr Kind aus der Wiege und stellte sich mit ihm in eine erhabene Pose. "Hier ist er, unser Sohn, James Tiberius Fielding, benannt nach seinem Ururgroßvater väterlicherseits und seinem Großvater mütterlicherseits. Schön, dass du bei uns bist." Alle Gäste applaudierten kräftig, während Roy Fielding noch einmal die Kamera auslöste, die seinen Sohn, die Schwiegertochter und seinen Enkel mit einem hellen Blitz erleuchtete. Die Musiker untermalten den Schluss der Zeremonie mit vierstimmigem Glockenspiel. Julius faszinierte das, wie schnell die vier Jahreszeitenmusiker ihre Instrumente tauschen konnten.

Nun klang ein Instrument, dass drei kleine Glocken naturnah imitierte. Das Spiel war sehr leise, so dass niemand laut brüllen musste, der wem was sagen wollte.

Olivia legte den kleinen James Tiberius in die Wiege zurück. Dann winkte sie ihrer Mutter und Toms Eltern, zuerst an die Wiege heranzukommen und ihren neuen Blutsverwandten hochoffiziell zu begrüßen. Als das geschehen war traten Dinas Eltern, die Urgroßeltern des neuen Erdenbürgers heran und wisperten ein paar Worte in die offene Wiege. Danach kamen die Onkel und Tanten, die der neue Erdenbürger nun sein ganzes Leben lang erdulden oder bewundern durfte, allen voran Pina und Melissa Whitesand. Dann kamen Prudence mit ihren beiden Kindern, bevor sie sich zu ihrem Mann, den Paten, stellte. Wieder blitzte die Kamera auf und fing diese Szene ein. Dann konnten die Freunde der glücklichen Eltern zur Wiege hintreten. Als Julius neben Millie auf die Wiege zuging trug Millie Chrysope und Julius führte Aurore an der linken Hand. Jetzt standen sie vor der Wiege. Millie beugte sich nach vorne und sagte auf Französisch: "Dein Leben soll lange dauern und immer spannend sein, ohne das dafür Blut fließen muss." Julius trat nach Vorne und sprach auf Englisch: "Greif nach jedem Stern, der dir leuchtet und erfreue dich an der ganzen Welt, ohne sie kaputtzumachen." Aurore sagte nur: "Feines Baby, ganz fein!"

Als schließlich auch Aurora zusammen mit Dinas und Roys Klassenkameraden Petula, Miriam und noch mehr, die Julius noch nicht mit Namen kannte, an dem neuen Kind vorbeigegangen und ihm ihre guten Worte zugeflüstert hatten erschinen auf den Tischen Gedecke für Tee, Kaffee und Kuchen. Millie und Julius durften mit ihren Kindern bei den Abrahams und Barleys sitzen. So konnte Julius ein lockeres Gespräch mit dem Leiter des Büros für friedliche Koexistenz von Menschen mit und ohne Magie in Großbritannien und Irland anfangen. Die Musiker wechselten nun alle zu verschieden großen Flöten und spielten - Julius erstaunte - den langsameren Teil aus Johann Sebastian Bachs viertem Brandenburgischem Konzert. Das hatte seine Mutter ja auch bei ihrer Willkommensfeier für die Kleinen Merryweathers aufspielen lassen, nur von der Stereoanlage. Offenbar hatte Pina das ihrer Schwester weitererzählt, und die hatte das als feine Idee aufgenommen, das auch bei ihrem Sohn spielen zu lassen.

"Wir haben unsere damals nicht so würdig begrüßt. Aber wir haben sie doch alle lieb", sagte Tim. Dann meinte er zu Julius: "Unser Finanzverwalter hat übrigens gefragt, wieso spitze Ohren für logisches Denken stehen sollen. Das musste ich ihm natürlich erklären. Er hat dann gemeint, dass die Muggel schon komische Ideen hätten und wir doch eigentlich auch ohne diese ganzen Erfindungen auskämen. Der Mensch aus dem Koboldverbindungsbüro hat jedoch gelacht und gemeint, dass die Kobolde das sicher sehr zu schätzen wüssten, dass ihnen logisches Denken zugestanden wird."

Es ging dann noch um die bisherigen Erfahrungen als Elternpaare in England und Frankreich. Aurore durfte sogar zu der kleinen Arianrhod hinüber und ein paar Worte mit ihr wechseln. Ceridwen Barley, die Ziehmutter, wollte von Julius wissen, ob er mit seiner neuen Stellung mehr Zeit oder mehr Stress hatte. Er erwähnte, dass er zwar mehr Zeit habe, aber er ja auch noch mit dem Büro für friedliche Koexistenz zusammenarbeite. Er erwähnte, dass er übermorgen schon auf die nächste Willkommensfeier eingeladen sei. Ceridwen Barley fragte, Freunde oder Verwandte. "Weder noch, eine Veelastämmige möchte ihr mit einem Mann aus der magielosen Welt gezeugtes Kind ihren ganzen Verwandten vorstellen und hofft auf deren Segen. Ich bin da sozusagen als Vermittler zwischen den Veelas und uns Zauberstabträgern."

"Ach diese Sache. Ich verstehe bis heute nicht, wieso ihr euch das habt bieten lassen, dass diese dreiste Hexe unbehelligt bei euch leben darf und sich von dem Mann, den sie sich wohl durch ihre besondere Kraft gefügig gemacht hat, ein Kind zeugen ließ." Julius fragte sich gerade, ob die rothaarige Hexengroßmeisterin ihn jetzt veralbern wollte oder ihn zu einer unbedachten Äußerung verleiten wollte. Sophia Whitesand, die bei den jungen Eltern mit am Tisch saß und als letztes an die Wiege getreten war, hatte ihm doch zumentiloquiert, dass die schweigsamen Schwestern wohl spitzgekriegt hatten, was mit den Grandchapeaus passiert war. So sagte er:

"Da diese Angelegenheit von meinen Vorgesetzten geregelt wurde kann oder darf ich dazu nichts sagen. Ich bin sozusagen derjenige, der die daraus entstandene Lage verwalten muss und sich dabei noch geehrt fühlen darf. Ich weiß, dass die Mutter dieses Kindes unentschuldbare Dinge getan hat. Aber meine Vorgesetzten haben beschlossen, dass ihrem Auserwählten nichts passieren darf. Deshalb darf sie weiterhin frei herumlaufen."

"Meine Schwiegermutter möchte wohl sagen, dass es irgendwie ein falsches Bild abgibt, wenn eine erwiesene Untäterin vom Ministerium auch noch dadurch geehrt wird, dass ein offizieller Vertreter zur Willkommensfeier für ihr erstes Kind geschickt wird."

"Deine Schwiegermutter möchte nur anmerken, dass bestimmte Sachen nicht ungeahndet hingenommen werden dürfen, es sei denn, es sind ganz besondere Umstände im Spiel, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind", sagte Ceridwen Barley. Julius hütete sich davor, zu nicken. Auch Millie tat so, als habe sie das jetzt nicht gehört. Er wiederholte nur, dass die Entscheidung, die betreffende Hexe nicht zu behelligen von seinen Vorgesetzten, allen voran der zeitweilige Zaubereiminister Montpellier, getroffen worden sei. Er dachte, dass die rothaarige Hexe ihn vielleicht testen wollte, was er genau wusste. Vielleicht wollte sie einfach auch nur sehen, wie er auf diese Vorhaltungen antwortete. Immerhin könnte auch jeder andere diese Vorhaltungen bringen.

"Das ist das schöne am Ministeriumsjob, Mum Ceridwen, du kannst dich entweder auf eine Anweisung deines Vorgesetzten berufen oder die Unfähigkeit eines Mitarbeiters anführen, wenn irgendwas nicht richtig läuft", sagte Tim Abrahams. Seine Frau meinte dazu: "Damit wollte sich die Kröte auch herausreden."

"Quak quak!" machte Julius, der natürlich wusste, welche Kröte gemeint war.

"Sind wir wegen der Arbeit hier oder weil wir heute einen neuen Zauberer auf der Welt begrüßen wollen?" fragte Millie und sah ihren Mann und dann auch Tim vorwurfsvoll an. So wechselten sie das Thema und sprachen über Hogwarts und Beauxbatons. Immerhin hatte James' Tante Pina da ja ein Jahr verbracht. Ceridwens Tochter Megan unterrichtete in Hogwarts Verteidigung gegen dunkle Künste.

Julius schaffte es kurz, mit Tim über die Lage in der magielosen Welt zu sprechen. Tim erwähnte, dass er sehr besorgt war, ob sein Vater diesen "Ausflug nach Bagdad" überstehen konnte. "Der ist nicht davon abzubringen, zwischendurch selbst noch einmal in einen Jäger einzusteigen und mitzumischen. Zwar hat die Admiralität ihm da klare Grenzen gezogen, dass ein Trägerkommandant immer bei seinem Schiff bleiben soll, aber sein erster ist da nicht so heftig auf die Vorschriften festgenagelt. Wird hoffentlich der letzte große Einsatz für ihn und er kommt mit seinem Schild zurück und muss nicht darauf getragen werden." Julius fragte, was dieses Bild bedeute. Tim erwähnte, dass im alten Sparta die Krieger mit diesen Worten verabschiedet wurden: "Mit dem Schild oder darauf." Da verstand er den Sinn dieser Umschreibung.

Nach der Teestunde trafen sich die Gäste in abwechselnden Gruppierungen zu weiteren lockeren Gesprächsrunden. Die Musiker unterlegten die Zeit mit leisen Stücken aus verschiedenen Jahrhunderten. So konnte Julius sich noch einmal mit Pina über ihre neue Rolle als Tante unterhalten. "Kann mir passieren, dass die zwei nach James noch wen dazuhaben wollen. Wenn dann doch ein Mädchen dabei herauskommt, öhm, auf die Welt kommt, dann könnten Erica, Mel und ich uns doch noch in die Haare kriegen, wer die Patin ist, wobei Toms Tante Erica ziemlich weit weg wohnt. Das mit Mel hast du gehört, dass sie für ein halbes Jahr nach Aussiland geht?" Julius bestätigte es. "Ob sie da wen trifft, mit dem sie das restliche Leben verbringen will?" Julius konnte das nicht ausschließen, es aber auch nicht garantieren.

Als Aurora Dawn ihn durch die Reihen der sich unterhaltenden Gäste gehen sah winkte sie ihm zu, obwohl sie gerade mit Patience Moonriver sprach. "Wir tauschen uns gerade aus, ob es einfacher ist, eine Pflegetochter oder einen Pflegesohn zu haben. meine Kollegin hier meint, du könntest da vielleicht mehr zu sagen, wo du schon zwei Töchter hast."

"Sagen wir es mal so, die Damen, es soll Männer geben, die sich darüber bestimmen, wie weit sie ihren Abwasserstrahl richten und wie gut sie dabei zielen können. Du brauchst Rosey das nicht beizubringen. Ms. Moonrivers Pflegling müsste das entweder gleich vergessen oder sich von anderen Jungs abgucken, wenn er in das entsprechende Alter kommt. Ich kann dazu, dass wir schon zwei Töchter haben nur sagen, dass das größere Problem wohl irgendwann aufkommende Eifersucht sein könnte, wen Papa mehr lieb hat."

"Zumal ihr ja zu zweit seid", sagte Aurora Dawn. Julius wollte schon sagen, dass sie im Moment eher zu dritt waren, doch Patience Moonriver sagte: "Ich denke schon, dass ich das mit meinen bisherigen Pfleglingen gut hingekriegt habe, wie sie welche Dinge verrichten können oder es besser lassen sollten. Ich denke auch, dass mein neuer Pflegling froh ist, wenn er mit mir keinen Streit um solche Sachen anfängt. Immerhin helfe ich ihm ja, nicht in der Weltverloren zu gehen." Julius nickte. Aurora, die ja wusste, wer Patiences Pflegling wirklich war meinte dazu: "Ja, und dass du ihn zugesprochen bekamst, Kollegin Moonriver und nicht irgendwer von Vita Magica ihn bei sich großzieht."

"Das auf jeden Fall", erwiderte Patience Moonriver.

Aurora stellte Julius dann noch die ehemaligen Schulkameraden vor, die heute herkommen konnten. Auch Olivias Schulkameraden lernte er kennen. Insgesamt waren es über hundert Gäste.

Vor dem Abendessen besichtigten die Gäste noch einmal das Haus. Es war wirklich wie aus der Zukunft gefallen mit den ganzen Komfortzaubern, vor allem der Innenbeleuchtung oder den Wasserhähnen, die sofort ansprangen, wenn jemand seine Hand darunter hielt. Sowas ging zwar in der rein technischen Welt auch schon längst über Lichtschranken oder Infrarotsensoren. Aber es in einem Zaubererhaus anzutreffen war schon was besonderes. Nur Tom Fieldings Großeltern mütterlicherseits beklagten sich über "den neumodischen Krempel". Ansonsten gefiel allen das Haus. Vor allem hatte Tom sich von einigen Komfortzauberern ein Unterhaltungssystem einbauen lassen, dass wie die Servicezauber im amerikanischen Gasthaus zum sonnigen Gemüt auf Zuruf reagierte, Musik einspielte oder bestimmte Wände als Bildprojektionswände aufleuchtenließ. "Wer braucht da noch Heimkino?" hatte Mike anerkennend gesagt.

Wie Aurora Dawn es über ihr Porträt angekündigt hatte verließ sie gegen halb Sieben das Fest. Julius bedankte sich bei ihr für die guten Wünsche für das neue Kind und wünschte ihr und Rosey eine entspannte und glückliche Zeit.

"Toll, Zähne kriegen und bis dahin mehrere Dutzend Windeln vollmachen", hörte er eine reine Gedankenstimme, die eher nach einer erwachsenen Frau klang als nach einem kleinen Mädchen, dass Rosey Dawn für alle hier war. Er schickte zurück: "Geht auch vorbei, genau wie die Zeit im Mutterbauch."

"Wenn's am Ende nicht so eng geworden wäre könnte Mum Aurora mich heute gerne noch herumtragen. Nicht laufen zu können, nicht sprechen zu dürfen ist irgendwie langweiliger als zuzuhören, wo gerade ihr letztes Abendessen steckt, bevor es rausfällt", kam die Antwort.

"Werd' Heilerin, wenn du groß bist. Dann kannst du das alles praktisch anwenden, was du bisher erlebt hast", schickte er noch an Roseys Adresse. Aurora sah ihn an und mentiloquierte ihm:

"Nicht mit meiner Tochter flirten, sonst musst du sie heiraten."

"Bigamie ist in Frankreich verboten und in Australien soweit ich weiß auch", schickte Julius zurück.

"Auch wieder wahr", schickte Aurora zurück. Mit hörbarer Stimme verabschiedete sie sich dann noch von ihm und allen anderen, bevor sie mit ihrer kleinen Mitbewohnerin das Preiselbeerwürfelhaus verließ. Jetzt war als Heilerin nur noch Patience Moonriver hier.

Weil die mitgebrachten Kleinkinder alle quängelten und wohl schlafenwollten übernahmen es Millie und Julius als erste, bei den Wiegen und Reisebettchen Wache zu halten. Später würde Prudence sie beide ablösen, da Mike ja als Pate des Neuankömmlings mit der restlichen Familie Fielding klarkommen musste. Dass er ursprünglich Olivias und Pinas Cousin war durfte ja keiner wissen.

Zwischen sieben und halb neun gab es noch ein mehrgängiges Abendessen. Dabei konnten sie durch die durchgehenden Glaswände der hereinbrechenden Nacht zusehen. Die vier Musiker spielten Tafelmusik, wobei die Hexe ein Spinett spielte und die Zauberer sie mit Triangel, Cello und Kontrabass begleiteten.

Gegen zehn Uhr verabschiedeten sich die Latierres von den Fieldings, Watermelons und Whitesands.

"Die kleine rothaarige, Arianot oder wie sie sich ausspricht, hat mich so angeguckt, als wäre ich ein besonderes Ausstellungsobjekt", meinte Albericus auf der Rückfahrt.

"Du bist der erste Zwergenstämmige, den sie sieht", meinte Julius dazu.

Wieder zurück in Paris wechselten Julius und Millie durch den Verschwindeschrank-Banhof Tournesol zurück in ihr Apfelhaus. Aurore war vollkommen erledigt, Chrysope schlief schon tief und fest. So konnten Millieund ihr Angetrauter die beiden kleinen Hexenmädchen in ihre Betten verfrachten, ohne dass es noch irgendwelches Gequängel gab.

"Das war das schöne Fest. Anstrengend wird's übermorgen", stellte Julius fest. Millie erwiderte darauf: "Ja, wenn unsere Vorkehrung der Gastgeberin nicht schmeckt."

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Aus dem Tagebuch Arianrhod Barleys

18. März 2003

Hallo Fulvia. Mum Ceridwen hat mir gestattet, den Schnuller zu lutschen, während wir in einem Gästezimmer wie aus dem 23. Jahrhundert übernachten. Heute war ich bei einer Willkommensfeier für einen kleinen Zaubererjungen, dem seine Eltern aus mir nicht erschlossenen Gründen James Tiberius genannt haben. Der Vater von dem Jungen kommt wohl wie mein früheres Ich aus der rein technischen Zivilisation. Aber ansonsten fällt mir nichts zu dem Namen ein.

Ich habe heute Julius Latierre wiedergesehen, den mein früheres Ich noch als Julius Andrews gekannt hat. Dass er ein geborener Zauberer ist will mir immer noch nicht so recht in den Kopf. Wie konnte er dies vor uns verheimlichen, und vor allem, woher wussten diese Leute, dass er diese Begabung hatte? Das stimmt mich schon nachdenklich. Julius' Schwiegervater ist, soweit ich das mit meinem auf Kleinkind beschränktem Wortschatz und meinen offiziell nicht vorhandenen Französischkenntnissen ergründen konnte ein halber Zwerg. Ich musste das wieder mal verdauen, dass es neben den Gespenstern, deretwegen ich jetzt eher mit dir als mit anderen normal reden kann, auch andere Wesen aus der Märchenwelt oder den Kerker-und-Drachen-Abenteuern gibt. Aber Julius' Frau ist keine Zwergin. Die ist bereits mit seinem dritten Kind in anderen Umständen. Dabei hatte ich nicht den Eindruck, dass der Junge, den ich noch als Julius Andrews kannte, so früh so viele Kinder haben wollte. Dem war doch erst mal wichtig, irgendwie durch Eton zu kommen. Na ja, dieses Hogwarts, wo er zuerst war und dann eine Französische Zauberschule, deren Namen ich im Moment nicht schreiben und deshalb auch nicht an dich weitergeben kann, waren sicher anders als Eton. Und wer weiß, vielleicht haben ihn die dort lernenden Mädchen darauf gebracht, erst mal eine Familie zu haben und dann Karriere zu machen. Für einen Mann ist dies ja möglich.

Die Zeremonie für den kleinen James Tiberius war sehr erhaben. Der Zeremonienmeister hat sogar Latein gesprochen, wie ein römisch-katholischer Priester vor dem zweiten vatikanischen Konzil. Also haben die schon eine gewisse Ehrfurcht vor wichtigen Ereignissen im Leben eines Menschen, auch wenn sie einen Säugling nicht mit Wasser sondern Lichtfunken taufen. Ansonsten konnte ich mich nur mit den ganzen anderen Kindern beschäftigen, darunter auch Julius' erster Tochter Aurore.

So, ich will jetzt besser Schluss machen, bevor Garwin noch meint, mich ärgern zu müssen und mir den Schnuller wegnimmt.

Gute Nacht, Fulvia!

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Die Familienfeier sollte am 30. März sein. Aber Jeff freute sich, dass sie jetzt schon im Kollegenkreis feierten. Vielleicht lag es auch daran, dass sie hier auch auf Marie Laveaus Hoheitsgebiet waren und der Geist der mächtigen Voodoo-Königin ebenfalls zur Begrüßung der kleinen Laura Jane erscheinen mochte. Nachdem Jef von Mia Silverlake an drei anderen Babys und vier Puppen gelernt hatte, volle Windeln gegen frische zu tauschen und einen Säugling anständig zu baden hatte er auch keinen abgedrehten Albbtraum mehr gehabt. Laura Jane war fast ein gewöhnliches Baby. Das einzig ungewöhnliche war ihre Metamorphmagie, mit der sie immer mal wieder nach Gefühlslage Haarfarbe, -länge, Augengröße oder Nasenform veränderte. Jetzt gerade bildete sie Jane Porters graublonde Lockenpracht nach. Die aus dem Totenreich zurückgekehrte Hexe im geblümten Festkleid lachte erheitert darüber. "So grau waren meine Haare aber nicht,als ich so klein wie du war, Lady Laura", lachte sie der Kleinen ins gesicht. Diese gluckste vergnügt und ließ sich noch ein wenig knuddeln, bevor sie an den nächsten Gratulanten weitergereicht wurde. Als Sheena O'Hoolihan das kleine Mädchen in die Arme nahm bekam es die flammenroten Haare und auch die kleeblattgrünen Augen der zeitweiligen Direktrice.

"Die merkt schon, wer ihr gutes will und freut sich dann auf diese Weise", sagte Mia Silverlake, die der Kleinen auf die Welt geholfen hatte zu Jeff Bristol.

"Ja, aber so richtig gewöhnt habe ich mich da immer noch nicht dran", sagte Jeff Bristol. "Aber ich bin froh, dass sie gesund ist und ich das langsam rauskriege, auch den ganzen Ekelkram zu machen, der bei ihr an- beziehungsweise abfällt."

"Ich musste mich auch immer überwinden, blutige oder mit Ausscheidungen besudelte Sachen anzufassen. Und trotzdem bin ich Heilerin geworden", sagte Mia. "Alles eine Frage der Übung und vor allem, der Zielsetzung."

"Zielsetzung?" fragte Jeff.

"Ja, natürlich, immer ein zufriedenes, sattes und sauberes Kind zu haben und die Gewissheit, ihm genauso helfen zu können wie Ihre Frau, die das ja auch erst mal lernen musste."

"Solange ich die Kleine nicht auch stillen muss ist das schon genug Zielsetzung", sagte Jeff Bristol.

"Oh, sag das mal nicht! Ich könnte dir den Nutrilactus-Trank geben, dass du das mal ausprobierst. Aber das ist für männliche Ammen erst mal sehr schmerzhaft. Aber ich habe schon mal vier Säuglinge auf diese Weise sattgehalten. Das hat irgendwas erhabenes und verbindendes. Aber du hast deine Vaterrolle und Justine macht, was eine Mutter tun kann und soll", sagte Mia.

"Wenn ich meine Mutter richtig verstanden habe hatte die das ganze Wickelzeug mit mir um die Ohren und als ich sie mal gefragt habe, wie das sich angefühlt hat, als ich bei ihr trinken durfte hat sie immer gemeint, dass "man" über sowas intimes nicht spricht. Später bekam ich dann raus, dass sie sich die Milch hat abpumpen lassen, weil sie keine Zeit hatte, mich in Ruhe anzulegen."

"Das hätte ich sehr gerne einige Wochen vor der Geburt der Kleinen gewusst", wisperte Mia. "Für eine Hebamme ist es nämlich auch wichtig, wie der Vater seine eigene Kindheit erlebt hat, um darauf aufbauend bei der Erziehung und Pflege mitzuwirken."

"Du hast mich nie gefragt, Mia", sagte Jeff. "Und du weißt ja auch, warum ich eigentlich nicht viel über mein früheres Leben erzählen wollte."

"Aber trotzdem. Du hast jetzt ein Kind und darfst und wirst mit ihm wachsen. Und wenn ihr noch ein zweites oder auch ein drittes hinbekommt wirst du froh sein, das alles erleben zu dürfen."

"Gut, du hast selbst zwei Söhne bekommen. Da werde ich dir nicht widersprechen", sagte Jeff Bristol. Mia nickte beipflichtend.

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"Wie? Armand Grandchapeau ist nicht tot, sondern hat sich von dieser Euphrosyne entkörpern und in den Leib seines ungeborenen Sohnes hineintreiben lassen?" fragte Selene Hemlock, nachdem ihre Mutter von einer Sitzung der anderen Schwestern zurückgekehrt war. Offenbar war das jetzt erst möglich geworden, die entsprechende Information zu erhalten.

"Ja, und weil dieser scheinheilige Sonnensegen dieser Veela das Kind genauso langsam altern lässt wie seine Mutter wird er wohl erst in vierzig Jahren wiedergeboren", erläuterte Theia Hemlock. "Insofern hatten wir zwei echt Glück, dass wir mit keiner beleidigten und wütenden Veela aneinandergeraten sind, sondern nur mit heuchlerischen, hinterhältigen Hexen ohne Veelablut in den Adern."

"Ja, das ist wohl warh. Öhm, hat Oma Thyia diese Neuigkeit von einer europäischen Mitschwester?" wollte Selene wissen.

"Nein, das wäre der in Frankreich lebenden Stuhlmeisterin sicher nicht entgangen. Nein, wir wissen das über eine Mitarbeiterin in der Delourdesklinik. Sie konnte vor zwei Wochen die Akten im Fall Grandchapeau einsehen und dadurch erfahren, dass Nathalie Grandchapeau wahrhaftig noch schwanger ist und ihren ehemaligen Ehemann als gemeinsamen Sohn trägt. Womöglich benutzen sie ein Cogison, um ihn nicht in ihrem Uterus verkümmern oder verrückt werden zu lassen."

"Ganz sicher tun sie das", grummelte Selene. Sie konnte sich auch noch sehr gut daran erinnern, wie sie in Theias Gebärmutter wiedererwacht war, nachdem sie gegen ihre zur Vampirin gewordene Schwester gekämpft hatte.

"Was fangen wir mit dieser Information an?" wollte Theia von ihrer Tochter wissen.

"Ich darf mit den anderen nicht sprechen oder Briefe austauschen, Mom. Ich nehme deine Nachricht nur zur Kenntnis. Mehr kann ich ja noch nicht", maulte Selene. Doch dann zuckte sie zusammen, weil ihr etwas siedendheiß eingefallen war: "Wenn wir das wissen, dann könnte auch die schwarze Spinne davon erfahren, sowie sie ja auch frühzeitig von der Catena-Sanguinis-Bezauberung von Chroesus Dime erfahren hat."

"Geh mal davon aus, dass die im französischen Zaubereiministerium davon wissen, die es betrifft und die verhindern können, dass es öffentlich wird. Jede von außen kommende Behauptung kann als böswillige Fälschung ausgegeben werden, vor allem, wenn diese Nathalie mit jenem praktischen Kleid herumläuft, dass die sichtbaren Anzeichen einer baldigen Mutterschaft durch eine einfache Illusion überdeckt", sagte Theia. Sie dachte daran, dass sie sowas auch ganz gerne gehabt hätte, als sie noch Daianira geheißen hatte.

"Wenn das auf Grund dieser Veelazauber passiert ist, Mom, dann weiß sicher auch der für Veelas zuständige Beamte Julius Latierre davon, vermute ich."

"Muss nicht unbedingt sein, es sei denn, dieses blonde Biest namens Euphrosyne Lundi hat es ihm selbst brühwarm erzählt, nachdem sie sichergestellt hat, dass ihr niemand was antun kann. Denn soweit wir erfahren haben kann Nathalie Grandchapeau ihren Sohn erst gebären, wenn dieses Flittchen den ersten auf französischem Boden geborenen Enkel begrüßen kann. Sonst würde Armand Grandchapeau wohl auf Lebenszeit im Leib seiner eigenen Frau eingesperrt bleiben. Durch den sogenannten Sonnensegen kann er dort nicht herausgeholt werden und muss auf eine natürliche Geburt hoffen."

"Ja, in der Magie ist wahrlich nichts unmöglich, wenn ein entsprechend gebildeter und bestrebter Geist seine Ziele verfolgt", seufzte Selene Hemlock. Sie und ihre Mutter waren ja sehr gute Beispiele dafür.

"Wir haben lange nichts mehr von Silver Gleam gehört", stellte Selene fest. "Hoffentlich ist ihr nichts zugestoßen", fügte sie noch hinzu.

"Ich denke, das hätten wir auf irgendeine Weise mitbekommen", erwiderte Theia Hemlock. "Immerhin hast du sie ja mit deinem Blut aufgeweckt. Könnte sein, dass du deshalb spüren wirst, wenn sie stirbt. Aber so weit wie wir von ihr fort sind ist das wohl sehr unwahrscheinlich. Aber über diverse Kanäle könnten wir mitbekommen, wenn ihr was zustößt. Sicher hält sie sich nun noch mehr bedeckt, nachdem das alte Kloster in Griechenland vernichtet wurde und das mit den fünf Muggelwissenschaftlern aufgedeckt wurde. Natürlich werden die Anhänger Nocturnias von Verrat ausgehen. Da muss unsere Verbindungsvampirin noch mehr aufpassen." Selene nickte. Vor Jahren hätte sie niemals einen Gedanken an die Unversehrtheit eines Vampirs verschwendet. Doch irgendwie war ihr wichtig, dass die von ihr und ihrer Mutter aufgeweckte Blutsaugerin noch lange ihre Aufgabe erledigen und sie rechtzeitig vor neuen Aktionen Nocturnias und seiner schlafenden Göttin warnen konnte.

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Den Tag vor dem ungeliebten Termin verbrachte Julius mit den Nachrichten aus dem nahen Osten. Angeblich habe der Irak Massenvernichtungswaffen, hieß es. Sicher, wenn das mit den Wunderpanzern dieses ihm unbekannten Geistermeisters auch in den Staaten irgendwie rüberkam war da schon einiges in Aufruhr.

"Morgen dieser Pflichttermin, Mamille, und dann hoffe ich, erst mal nichts mehr von Euphrosyne und ihrer Belle Nathalie hören zu müssen, bis die groß genug für Beauxbatons ist."

"Hoffentlich klappt das, was Léto und du angestellt habt", sagte Millie. "Ansonsten hast du ja noch den Schutzring mit meinem Feuerzauber. Du könntest aber noch Felix Felicis trinken, zumindest für den Zeitraum der Feier."

"Stimmt, vor allem wegen dem, was wir zwei ausgeheckt haben", erwiderte Julius.

Bevor er schlafen ging prüfte er noch, ob alles in seinem Brustbeutel war, was drin sein sollte: Das Breitbandgegengift von Aurora Dawn, die Goldblütenhonigphiole von Madame Faucon, die bereits angebrochene Flasche Felix Felicis von Ceridwen Barley, ein Vielzeug mit unter anderem Sonnenlichtfunktion, eine Centinimus-Bibliothek mit mehreren eingeschrumpften Zauberbüchern, sowie eine der ihm geschenkten Flöten aus dem Turm der Altmeister, nachdem er Madrashainorians bisheriges Leben miterlebt hatte und das für den kommenden Tag wichtigste Hilfsmittel, das Band des Lebens und der Elemente. An der linken Hand trug er den von Millie mit Schutzzaubern aus dem Elementarbereich Feuer besprochenen Ehering. So würde ihn niemand mit feindlichen Kräften was anhaben können. War nur zu klären, wie die Gastgeberin seine Vorkehrungen aufnahm.

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Der Morgen des 20. März bestand für Julius vor allem in der Entgegennahme der Nachricht, dass der angedrohte Angriff auf den Irak begonnen hatte und einer darauf folgenden Konferenz, an der die Leiter der Abteilungen für magische Geschöpfe, internationale Zusammenarbeit und das Büro für die friedliche Koexistenz von Menschen mit und ohne eigene Zauberkräfte teilnahmen. Für letztere Behörde war Belle Grandchapeau zusammen mit zwei Kollegen, die Arabisch und Farsi sprechen konnten vertreten. Julius war wegen seiner besonderen Rangstellung als Vermittler zwischen Menschen und intelligenten Zauberwesen dabei. Er schrieb sich auf, was er für sein Büro für wichtig hielt, vor allem die bestehenden Schutzmaßnahmen gegen die Inbesitznahme durch einen bösartigen Geist oder wie ein von einem bösen oder versklavten Geisterwesen magisch aufgeladener Gegenstand erkannt und unschädlich gemacht werden konnte. Da er offiziell nichts von dem Vorfall mit einem goldenen Riesen von vor einem Jahr wusste atmete er innerlich auf, als dieses Thema von einem anderen auf den Tisch gebracht wurde. Es entspann sich eine kurze Debatte, ob die Berichte, die "gnädigerweise" nach Europa weitergeleitet worden waren, nichts darüber aussagten, woher dieser goldene Riese gekommen war und wo er abgeblieben war, ja ob es ihn nicht mehr gab oder er in den Ruhezustand zurückgefallen war, aus dem er wohl erwacht war, da über die Jahrhunderte davor nichts von ihm erwähnt worden war.

Im Rechnerraum nutzte Julius die ihm zur Verfügung stehenden Verbindungen, um im Auftrag von Nathalie Grandchapeau nachzuforschen, was in den USA gegen eine erneute Einmischung von mächtigen Zauberern in den nun offen ausgebrochenen Krieg getan werden sollte. Nathalie hatte ihm hierfür sogar die Vollmacht erteilt, dass das französische Zaubereiministerium dem US-amerikanischen Hilfe in Form von Wissen und Ausrüstung leisten konnte, sofern diese erwünscht und erbeten sei. Er bedauerte, dass Nancy Gordon wegen dieses sogenannten Friedensvertrages mit Vita Magica ihren Job hingeworfen hatte, obwohl er sie vollkommen verstand. Aber so musste er mit Leutenunterhandeln, die er noch nicht persönlich kannte und die sich in der magielosen Medienwelt nicht so gut auskannten wie besagte Hexe, die von VMs Gnaden Drillinge erwartete. Zumindest bekam er eine halbe Stunde nach Absenden seiner Anfrage eine Antwort von Brenda Brightgate, die vor ihrem täglichen Innendienst in der CIA-Zentrale schrieb, dass sie die Anfrage an ihre Kollegen vom LI weiterleiten würde. Julius dürfe aber nicht enttäuscht sein, wenn von dort keine Hilfegesuche zurückkämen, da dort auch verschiedene Geister- und Dämonenkundler arbeiteten. Aber die Anfrage empfand sie als kollegial.

Bevor er mit Belle Grandchapeau abreiste, um der Willkommensfeier beizuwohnen trank er in einer Toilettenkabine des Ministeriums eine kleine Dosis Felix Felicis, um seine Reflexe, Ausdauer aber vor allem Intuition zu steigern. Dann zog er sich seinen lindgrünen Außeneinsatzumhang an. Er wollte garantiert nicht im jadegrünen Festumhang dort erscheinen, den er zu James Tiberius' Fieldings Willkommensfeier getragen hatte. Er hatte einen dienstlichen Auftrag, mehr nicht.

Nathalie Grandchapeau hatte auf Julius' und Catherine Brickstons Anraten hin beschlossen, bis zur Rückkehr ihrer Mitarbeiter Belle und Julius im vom Sanctuafugium-Zauber umhüllten Haus der Brickstons zu bleiben. Sollte doch irgendwas von Euphrosyne ausgehen, was sie treffen sollte, dann würde der Sanctuafugium-Zauber es garantiert aufhalten. Millie war da noch besser geschützt, weil sie in Millemerveilles im Apfelhaus saß. Aber sie war ja biologisch entschuldigt.

"Ich habe mit Madame Léto vereinbart, dass wir sie vor der Grundstücksgrenze treffen, Madame Grandchapeau", sagte Julius zu Belle. Sie möchte gerne mit mir zusammen zu ihrer Verwandten hintreten. Außerdem möchte ich wegen Euphrosyne noch eine wichtige Vorkehrung treffen, um nicht unter ihren Einfluss zu geraten"

"Sie erinnern sich ganz sicher an die Instruktion, dass wir einen dienstlichen Auftrag befolgen und nicht als reine Festgäste dort eintreffen?" fragte Belle zurück. Julius bestätigte das, merkte jedoch an, dass er genau deshalb als Veelabeauftragter neben der ältesten reinrassigen Veela Frankreichs die Gastgeberin begrüßen müsse, um diesen Zusammenhang zu verdeutlichen. Da konnte Belle nichts gegen sagen.

Julius kannte Belles kirschroten VW Käfer schon von verschiedenen Fahrten her. Dass dieses Auto wie die meisten Ministeriumsautos einen Transitionsturbo besaß und über eine Art unsichtbares Navigationssystem verfügte war ihm deshalb vertraut. Nachdem er Belle den Zielort und die dazu passenden Längen- und Breitenangaben mitgeteilt hatte wurde der Käfer auf einer magischen Hebebühne aus der Tiefgarage des Ministeriums emporgehoben. Oben angekommen flutschte das kleine, kirschrote Auto wie in einer mit besonders glitschigem Schleim bestrichenen Gummiblase zwischen allen Autos hindurch, die sich auf den Straßen von Paris drängten. Dann ging es auf die Autobahn in Richtung Westen. Euphrosynes sogenannter Palast der Träume sollte an der französischen Atlantikküste liegen, so die Angaben, die Julius von Euphrosyne erhalten hatte. Belle atmete auf, als sie endlich aus dem Wirrwarr des Stadtverkehrs heraus waren.

"Bevor wir den ersten Sprung machen, Monsieur Latierre, ich habe mich auch mit der möglichen unzulässigen Einflussnahme durch diese Person Euphrosyne Lundi befasst und eine Vorkehrung getroffen. Wieso kamen Sie darauf, auch eine Vorkehrung zu treffen und welche ist das?"

"Ich möchte nicht alleine auf Madame Létos Wohlwollen setzen. Daher habe ich auf Grund mir nach Erwähnung dieser Einladung zugegangener Kenntnisse ein magisches Halsband erstellt, dass meine Lebensaura vorübergehend verstärkt, wodurch alle anderen Ausstrahlungen mich schwerer bis gar nicht berühren können", erwiderte Julius und zeigte Belle das geschmeidige, im Sonnenlicht rotgolden leuchtende Band. Sie nickte und zeigte ihm im Gegenzug eine schnatzgroße, silberne Kugel an einer feingliedrigen Halskette, die sie "Wachsames Auge des Mondes" nannte und dass ebenso die Kraft fremder Auren abwies, aber nach spätestens fünf Stunden im frei darauf treffendem Mondlicht regeneriert werden musste. Julius nickte. "Und es ist mit diversen Geistes- und Körperschutzzaubern belegt, die mich hoffentlich gegen die Wechselwirkung zwischen dem mir unerwünscht aufgeprägten Sonnensegen und Euphrosynes Willen abschirmen", sagte Belle und verbarg die Silberkugel wieder unter ihrem Umhang.

"Tja, kann dann nur sein, dass die auravisorisch begabten Gäste, sollte es da welche geben, das nicht so sehr schätzen", räumte Julius ein und schickte sofort nach: "Aber nur so können wir beide unserem dienstlichen Auftrag nachkommen." Darauf nickte Belle.

Mit nur drei Sprüngen schaffte der Käfer die Strecke zum Atlantik in nur einer halben Stunde. Das Ziel sollte ein grüner Hügel mit einer weißen Umgrenzungsmauer und einem auf der Kuppe stehenden Bau sein, dem Palast der Träume. Julius fragte sich, ob der heutige Tag nicht zum Albtraum für jemanden werden mochte. Zumindest war er froh, dass Nathalie bei Catherine im Haus war und Millie zur Vorsicht im Apfelhaus.

"Léto, wir kommen mit dem kirschroten Fahrzeug. Wo bist du?" schickte er eine Gedankenbotschaft. "Ich habe euch schon im Blick. Ich bin zweitausend Körperlängen über euch und noch dreitausend meiner Schritte von der Begrenzungsmauer weg. Sage deiner Begleiterin bitte, sie möge das Fahrzeug vor dem Tor stehen lassen. auf das Grundstück kommt wohl nur, wer aus eigener Kraft fliegen kann."

Julius gab die Empfehlung weiter. Belle tippte kurz die Lenkradnabe an. Daraufhin leuchteten die Instrumente in einem gelben Ton, der sich immer mehr zu Orange hin verfärbte. "Wirklich, voraus ist eine gegen Bewegungszauber wirkende Kraft. Gut, Ich wollte den Wagen sowieso nicht bis vor dieses Haus heranbringen. Nicht, dass mir den jemand stehlen oder beschädigen kann. Aber rauskommen wollte ich dann ja doch noch irgendwie."

Julius imponierte es schon, einen von einer mehr als zwei Meter hohen Mauer umfriedeten Hügel zu sehen, der mit verschiedenen Bäumen bepflanzt war. Auf der Kuppe des Hügels gab es eine quadratische Ebene, auf der zwei Gebäude standen, ein größeres, wahrlich palastartiges Bauwerk mit sonnengelb gestrichenen Wänden und ein Bungalow, hundert meter westlich, auf dessen Flachdach eine Satellitenantenne das Licht der Nachmittagssonne spiegelte. "Ich lande vor dem Tor. Bitte bring deiner Begleiterin bei, dass du neben mir mit hineingehst. Sie darf gerne vorausgehen, wenn es ihr mehr Achtung verschafft", gedankensprach Léto. Julius gab das nicht an Belle weiter. Er wartete, bis sie den Käfer kurz vor dem Tor auf einer kleinen Stellfläche zum halten brachte. Julius fühlte keine Belauerung oder sonst was, was eine Vorahnung einer Falle sein mochte. Er nahm seinen Aktenkoffer, Belle ihre Handtasche. Dann stiegen sie aus und klappten die Türen zu. Mit einem Wink des Autoschlüssels ließ Belle den Käfer scheinbar verschwinden. Julius vermutete eine negative Illusion, die die Nichtexistenz von einem davon umgebenen Gegenstand vortäuschte. Er ging sogar davon aus, dass Belle die stärkstmögliche Form anwandte, die jedem, der das umhüllte Objekt zu berühren drohte, zielsicher darum herumführte oder daran vorbeigreifen ließ, so dass der Eindruck, da sei nichts, vollkommen war.

Schnell holte Julius das magische Halsband aus seinem Brustbeutel und wickelte es sich um seine Kehle. Als er es verknotet hatte summte es von Belle her, und er konnte ein smaragdgrünes Leuchten unterhalb ihres Brustkorbs sehen. "Ui, Ihre Vorkehrung versetzt meine in sehr starke Vibration. Aber wieso es so stark leuchtet weiß ich nicht."

"Das ist der Farbton meiner Lebensaura", erwähnte Julius. Belle nickte und trat zwei Schritte von ihm weg. Das Leuchten verschwand. Aber er konnte immer noch ein feines Summen wie von drei pianissimo angestrichenen Streichinstrumenten verschiedener Tonhöhe vernehmen. "Julius, was hast du gemacht. Du erstrahlst förmlich vor Leben", hörte er Létos Gedankenstimme. Er schickte ihr zurück, dass er in Befolgung einer Dienstanweisung eine Möglichkeit gesucht und gefunden hatte, seine eigene Lebensaura zu verstärken, um gegen andere Ausstrahlungen besser gewappnet zu sein, um weiterhin unabhängig handeln zu können.

"Mir behagt das, weil in deiner verstärkten Ausstrahlung auch meine Anteile mitschwingen. Aber ob es Euphrosyne behagt?" bekam er zur Antwort zurück.

Léto landete in der Gestalt eines weißen Schwans. Sie brauchte nur zwei Sekunden, um wieder zu jener überirdisch schönen, eine betörende Ausstrahlung verbreitenden Frau mit langen, silberblonden Haaren zu werden. Sie begrüßte erst Belle, die fast vor ihr zurückgewichen wäre und umarmte dann Julius. Der fühlte von seinem Ring wohlige Wärme durch den Körper strömen. "O, deine Behüterin und Mutter deiner Kinder hat dich wieder mit jenem Schutz gegen böse Berührungen versorgt", säuselte sie. "Und in deiner mit mir vereinten Lebenskraft zu baden behagt mir noch mehr. Ich lasse das besser mal, dich zu lange zu umarmen, sonst überkommt mich am Ende noch eine gewisse Begierde. Hoffe mal darauf, dass das meinen Töchtern und Enkelinnen nicht ebenso ergeht." Dann deutete sie auf das Tor. "Madame Grandchapeau, falls Sie möchten gewähre ich Ihnen den Vortritt. Ohne mich können die sowieso nicht anfangen", sagte Léto lächelnd. Doch Julius entging nicht, dass sie immer dann, wenn sie Belle anblickte, ein wenig angespannt wirkte. Belle merkte das wohl auch, sagte dazu jedoch nichts. Sie ging vor bis zur rechten Torsäule und fand dort einen messingfarbenen Klingelknopf. Als sie ihn drückte erschien auf dem rechten Torflügel ein glattrasiertes Männergesicht mit kritisch blickenden Augen. "Guten Tag, die Dame. Wer sind Sie bitte?"

"Belle Grandchapeau, Außendienstleiterin des Büros zur friedlichen Koexistenz von Menschen mit und ohne Zauberkräfte. Ich erhielt von den Eheleuten Lundi eine Einladung, mich heute hier einzufinden, um die Ankunft ihrer Erstgeborenen zu würdigen. In meiner Begleitung sind Monsieur Julius Latierre, Leiter des Büros für die Vermittlung zwischen intelligenten magischen Wesen und Menschen mit und ohne Zauberkräften, sowie Madame Léto, die Großmutter der Hausherrin."

"Haben Sie die Einladungen mit?" fragte das Gesicht auf dem Tor. Belle nickte und holte die an sie geschickte Einladung aus der Handtasche. "Die anderen da bitte vortreten und neben der Dame aufstellen!" brummte das Gesicht auf dem Torflügel. Léto und Julius traten vor.

"Spiel dich nicht auf, Ricardo. Du musst und wirst uns sowieso einlassen", sagte Léto sehr entschlossen, ja auch schon irgendwie abfällig.

"Ich darf nur die reinlassen, die gültige Einladungen dabei haben, hat Ihre Enkeltochter gesagt, Madame Léto", sagte das Gesicht auf dem Torflügel. Julius war sich sicher, dass an dem Gesicht jemand dranhing, von dem Léto gemeint hatte, er sei durch einen verwerflichen Zauber unter Benutzung von Veelahaaren unterworfen worden. Das amtlich zu beweisen war ein Punkt des erteilten Auftrages.

Um keine weitere zeitraubende Diskussion zu veranstalten holten Julius und Léto ihre Einladungen hervor und zeigten sie vor. Sie mussten sie in den lautlos entstandenen Briefeinwurfschlitz unter dem Klingelknopf einwerfen. Der Einwurfschlitz verschwand wieder. Es vergingen nur fünf Sekunden, da sagte das Gesicht auf dem Torflügel: "Alles klar, Sie können reinkommen. Öhm, wenn die zwei Herrschaften Sachen dabei haben, die irgendwelche unerwünschten Zauber machen können, sollen sie die bei Nadine an der Garderobe abgeben, hat Madame Lundi angeordnet.".

"Definiere unerwünschte Zauber?" fragte Julius im Stil eines Computers.

"Öhm, alles was macht, dass Madame und Monsieur Lundi in Schwierigkeiten kommen. Falls Sie sowas mithaben bitte abgeben."

"Wir haben unsere zur Befolgung unseres Auftrages, diese Feier ministeriell zu beobachten ausgegebene Ausrüstung dabei und werden sie nicht in fremde Hände geben, zumal wir sie ja brauchen, um unbeeinflusst und unbedrängt arbeiten zu können", sagte Belle. Das Gesicht auf dem Torflügel fragte, was sie meine. "Ausrüstung, die zur Mitschrift von Beobachtungen dient, sowie zum Schutz vor beabsichtigten oder unbeabsichtigten Bezauberungen durch dritte", erwiderte Belle. Julius sagte nur: "Wir haben die klare Order, die an uns ausgegebenen Ausrüstungsgüter nicht in fremde Hände zu geben und unbeschädigt zum Zaubereiministerium zurückzubringen. Sollte das nur gehen, indem wir umkehren und fortfahren, dann machen wir das eben so." Belle blickte ihn erst verdrossen an, musste dann aber lächeln. "Kommen Sie rein! Klären Sie das mit Nadine und meinen Kollegen!" sagte das Gesicht. Dann verschwand es übergangslos. Anschließend rasselte es leise im Tor. Dann schwangen die beiden Flügel nach innen.

Belle befahl Julius, mit Léto zusammen vor ihr zu gehen. Offenbar traute sie der Veela nicht über den Weg und argwöhnte Fallenzauber auf dem plattierten Weg. Julius horchte in sich hinein. Doch er fühlte nichts, dass eine Falle sein konnte. Zumindest hatte er jetzt eine gewisse Ahnung davon, wie Goldschweif und andere Kniesel das förmlich mit den Schnurrhaaren wahrnahmen, wo ein gefährlicher Weg verlief. Doch Goldschweif konnte Veelas nicht leiden, wusste er von ihr. Dass eine von denen ihn mit ihrem Hauch behaftet hatte hatte sie erst etwas verärgert. Doch sie hatte sich daran gewöhnt.

Dem Plattierten Weg folgend gingen Léto, die beinahe schwebte als ging, Julius und Belle Grandchapeau auf die Frontseite des weißen Palastgebäudes zu, dass Julius an den Londoner Buckingham-Palast erinnerte, nur dass das Original viermal so groß war. Er steuerte zielstrebig das Eingangsportal an. Davor standen zwei Männer, breit wie Kleiderschränke und trugen knallrote Motorradanzüge aus Leder. an der offenen tür lehnte eine Frau mit dunklen Haaren, die eine Hausmädchentracht trug. Sie hielt etwas in der Hand, das Julius an eine Taschenlampe erinnerte. Doch das war es garantiert nicht. "Ricky hat gesagt, alles Zauberzeug, was gegen unsere Herrschaft wirkt bitte bei mir abgeben", sagte die Frau, die vielleicht auch noch ein Mädchen war. Julius bewunderte zwar die athletische Erscheinung, hatte aber gleichzeitig das Gefühl, dass er diese Dame besser nicht zu Gewalthandlungen reizen sollte. Da fiel ihm gleich der passende Zauber ein, der sicher auch auf beeinflusste Leute wirkte, weil er die nicht direkt traf. Doch wenn er hier den Zauberstab rausholte konnte er gleich den Heimweg antreten. Außerdem stand Léto neben ihm. "Mädchen, Ricardo hat doch gehört, dass die zwei ihre Arbeitssachen keinem in die Hand drücken dürfen, wenn sie nicht vorzeitig wieder zurückfahren sollen. Also hör mit dem Getue auf, gib brav den Weg frei und führe uns dorthin, wo die anderen sind!"

"Ich, eh, ich ... Mann! Okay! Aber wenn ihr irgendwas reinbringt, was Madame Lundi nervt kriegt ihr den Ärger und nicht ich, klar?" sagte die Frau im Hausmädchenkostüm.

"Warum sollten wir Ärger bekommen, wenn doch jeder hier friedlich ist?" fragte Julius. Das Mädchen sah ihn abschätzend an und winkte ihm dann mit diesem taschenlampenartigen Ding zu. Sofort fühlte er, wie sein Ring, seine Uhr und sein Herzanhänger vibrierten. Dann sah er, dass auch das Messgerät der Hausdienerin zu vibrieren anfing.

"Ricky, check den mal. Der hat ziemlich heftige Sachen mit", hörte er sie flüstern. Doch Ricky blieb wo er war. Denn Léto baute sich gerade so zwischen Julius und ihm auf, dass er erst durch sie hindurchlaufen musste. "Niemand rührt meinen Zögling an! Sagt das eurer Herrin!" stieß Léto nun sehr entschlossen und vor allem befehlsgewohnt aus. Die zwei Männer in roter Motorradkombi und das Hausmädchen mit dem magischen Messgerät wichen vor ihr zurück und ließen sie und Julius, der hinter ihr herging, unangefochten passieren. Als jedoch das Hausmädchen Belle aufhalten wollte und sie zu fassen versuchte blitzte es orangerot auf, und Nadine flog wie von einer unsichtbaren Riesenhand geschubst drei Armlängen weit zurück. "Keiner rührt mich an!" stieß Belle aus. "Wenn Sie Wert auf meine Anwesenheit legen unterlassen Sie jede weitere unerwünschte Berührung."

"Das ist sehr unanständig", schnarrte Euphrosyne an Belles Adresse. Diese erwiderte: "Da pflichte ich Ihnen vollkommen bei, Madame Lundi. Einen Gast derartig anzufassen ist unanständig. Schön, dass Sie dies erkennen, Madame Lundi."

"Ich denke, Sie werden bald Gelegenheit haben, Ihre feindselige Art zu überdenken", entgegnete Euphrosyne. Für Julius klang das wie eine Drohung. Belle nahm das sicher genauso auf. Doch sie beherrschte ihre Mimik ausgezeichnet und verriet nicht, wie sie darüber dachte.

Nadine rappelte sich derweil wieder auf. Doch sie wirkte bei weitem nicht mehr so kraftstrotzend wie vor der blitzartigen Zurückweisung von Belle. Offenbar hatte der Zwischenfall Energie gekostet, dachte Julius.

"Wollen wir uns jetzt darüber streiten, ob Madame Grandchapeau Gründe für ihre Vorkehrungen hat oder nicht, Euphrosyne. Ich denke, du möchtest, dass wir deine Tochter noch vor Sonnenuntergang begrüßen, oder", schritt Léto ein, weil Euphrosyne und Belle sich gerade anblickten, wie zwei Katzen, die nicht wussten, ob sie gleich umeinander herumschnurren oder mit ausgefahrenen Krallen aufeinander losgehen sollten. Womöglich gefiel es Euphrosyne nicht, dass Belle so selbstsicher auftrat, dachte Julius. Dann blickte die Hausherrin auch ihn an und verzog für einige Sekundenbruchteile das Gesicht. Fast tat sie einen Schritt zurück. Doch gerade so unterdrückte sie diesen Impuls.

"Was hast du angestellt, Julius Latierre, Zögling meiner Großmutter?" knurrte sie ihn an. Er trat vor und genoss es, wie sie nun doch einen halben Schritt vor ihm zurückwich. Léto stellte sich direkt neben ihn und legte ihm den Arm um die Schulter.

"In Befolgung eines von Madame Nathalie Grandchapeau sowie Zaubereiministerin Ventvit an Madame Belle Grandchapeau und mich ergangenen Auftrages erkannten wir die Notwendigkeit, jede durch körperliche und geistige Ausstrahlung bestehende Form der Beeinflussung auf unsere Personen zu unterbinden. Wie genau dies geschieht werde ich nicht verraten. Des weiteren möchte ich darum ersuchen, mich als Ministerialbeamten anzusprechen, also mit Monsieur Latierre, wenn es Ihnen keine all zu großen Umstände bereitet."

"Auftrag! Ich habe euch beide zu mir gebeten, um mit mir meine Tochter zu begrüßen", stieß Euphrosyne aus. Darauf passierte Belle Léto und Julius, wobei es wieder kurz unter ihrem Umhang laut summte. Dann hielt sie einen Pergamentzettel in der Hand, den sie Euphrosyne entgegenstreckte.

"Ihr seid hier, weil ich euch hier haben wollte, nicht weil euer Ministerium meint, in mein Leben dreinreden zu dürfen", knurrte Euphrosyne wie eine wütende Katze. Doch sie nahm den Zettel, wobei Julius ein kurzes orangerotes Leuchten erkennen konnte, als sich die Viertelveela und die ehemalige Ministertochter auf weniger als Armeslänge näherten. "Du hast was an dir, was mich stört, Belle Grandchapeau. Du legst das sofort in Nadines Sammelkorb. Und du, Julius, wenn es was ist, was du am Körper trägst, machst das auch!" schnarrte Euphrosyne.

"Erstens heißt es "Sie" und zweitens lesen Sie bitte erst den schriftlichen Auftrag", sagte Belle. Euphrosyne grinste hinterhältig. Dann drückte sie sich den Zettel an die Stirn. Silberne Flammen umhüllten ihren Kopf und verbrannten den Zettel innerhalb einer Sekunde. Wild wirbelnde Leuchtbuchstaben umschwirrten Euphrosynes Kopf wie wildgewordene Glühwürmchen, bevor sie darin verschwanden. Euphrosyne blieb eine Sekunde mit scheinbar ins Nichts blickenden Augen stehen. Dann schnaubte sie: "Wie bitte?! Ihr sollt für Nathalie, die es irgendwie geschafft hat, sich um meine ausdrückliche Einladung herumzudrücken nachprüfen, ob meine Tochter wirklich meine Tochter ist und ob ich verbotenerweise Zaubereien an nichtmagischen Menschen ausgeführt habe? Diese Frau wagt es allen Ernstes, die Hand zu beißen, die sie so großzügig gefüttert hat. Entweder legt ihr das Zeug ab, mit dem ihr mich die ganze Zeit angreift, oder wenn ihr das nicht könnt, seht zu, dass ihr wieder verschwindet. In meinem Haus will ich keine aufdringlichen Bürokraten haben, nachdem ihr mir und Aron schon eine selbstbestimmte Zukunft verdorben habt. Mémé Léto, ist dir das bewusst gewesen, dass dein Zögling was macht, das mich derartig bedrängt?"

"Ich wusste, dass er und Belle nicht als dich verehrende Gäste herkommen würden. Dasss Ihnen doch was einfiel, um sich gegen deine Kräfte zu schützen bekam ich erst mit, als ich sie am Tor traf", erwiderte Léto, die Julius immer noch in einer halben Umarmung hielt. "Aber mich widert das nicht an, was er gemacht hat. Wieso dich?"

"Weil das mich niederstößt wie einen jungen Hund, dem jemand Gehorsam einprügeln will und dabei die schöne Verbindung zwischen ihm und mir stört", schnarrte Euphrosyne. "Und dann wagen die es noch, mir vorzuhalten, wen ich bei mir wie halte."

"Das mit dem zum Gehorsam geprügelten Hund können Sie gerne ganz für sich beanspruchen, Madame Lundi", nahm Julius den Ball auf und löste sich aus Létos halber Umarmung. "Denn was sie mit dem Mädchen und sicher auch mit dem Wächter angestellt haben ist eindeutig Missbrauch der Magie zum Zwecke der Unterwerfung. Nur weil Sie es hinbekommen haben, nicht inhaftiert werden zu können heißt das nicht, dass das Ministerium ihnen derartige Manipulationen durchgehen lässt. Also geben Sie uns gütigst die Gelegenheit, all unsere Aufgaben hier zu erledigen. Danach werden wir sehr gerne wieder verschwinden."

"Entweder, ihr legt euer Zeug bei Nadine in den Korb oder verschwindet", stieß Euphrosyne Lundi aus. "Ricky, Armando, herkommen!" rief Euphrosyne. Belle blieb noch ganz ruhig.

"Euphrosyne, was missfällt dir an der verstärkten Ausstrahlung meines Zöglings? Du müsstest dich doch genauso darin baden wie ich", erwiderte Léto.

"Sie stößt mich nieder, als wenn jemand deine Ausstrahlung verdreifacht hätte", schnaubte Euphrosyne. "Klar, dass dich das wohlig anregt", knurrte sie noch. Da kamen zwei kleiderschrankbreite Männer aus den Türen zur großen Empfangshalle. Julius dachte sofort daran, dass er keinen wirksamen Betäubungszauber auf diese Brocken anwenden konnte. Da war der erste auch schon auf eine Armeslänge an ihn heran, ein zwei-Meter-Mann mit sehr ausgeprägter Muskulatur. Er fühlte unvermittelt den Ring an seinem Finger warm werden und ein stärkeres pulsieren des umgebundenen Halsbandes. Der Muskelmann prallte wie auf ein unsichtbares Hindernis und stolperte einen Schritt zurück. Dann holte er aus, um Julius zu schlagen. Der tanzte den Schlag aus. Der Leibwächter traf jedoch auf ein unsichtbares Hindernis und zuckte in einem orangeroten Funkenregen zusammen. Vielleicht dachte der jetzt an einen tragbaren Energieschirm, dachte Julius. Unrecht hatte er ja damit nicht. Der Kleiderschrankmann versuchte es noch einmal, Julius zu packen und bekam wieder einen schmerzhaften Stoß durch den ganzen Körper. Wieder umflogen ihn dabei orangerote Funken. Auch dem zweiten Wächter, der sich auf Julius stürzen wollte, erging es nicht besser. Julius tanzte jeden Schlag aus und nahm zur Kenntnis, wie die Männer dabei von heftigen Energiestößen zurückgeworfen wurden. Dann fielen sie einfach um wie gefällte Bäume. Offenbar war bei denen die Kraft raus. Julius indes fühlte sich noch ganz wohl. Er sah schnell zu Belle, die von zwei Frauen in Hausmädchenaufmachung angegangen wurde. Doch auch die prallten wie von unsichtbaren Schilden zurück und erglühten dabei in orangeroten Blitzen. Léto sagte und tat derweil nichts. Erst als auch die zwei Hausmädchen einfach umfielen, als hätte ihnen jemand den Strom abgestellt, sagte Euphrosynes Großmutter: "Offenbar waren die Vorkehrungen nötig, Euphrosyne. Ich habe dich schon gewarnt, dass die Zauberer und Hexen sich was einfallen lassen werden, um gegen die von dir veränderten bestehen zu können. Aber du wolltest nicht hören." Julius sah Euphrosyne an, die keuchend dastand, als habe sie gerade einen halben Marathonlauf bestritten. Er fühlte, dass sie gleich den Zauberstab ziehen und was dummes anstellen würde. Deshalb sagte er schnell:

"Falls Sie den Zauberstab gegen uns verwenden ist das ein Grund, Ihnen diesen wegzunehmen und einzubehalten, Madame Lundi. Also geben Sie bitte den Weg frei, damit wir unseren Auftrag schnellstmöglich abschließen können."

"Wie konntest du den da zu einem Vermittler zwischen uns und den anderen machen, Mémé Léto?" fragte Euphrosyne, die in der Tat gerade mit der rechten Hand an ihr goldenes Kleid gegriffen hatte.

"Wo befinden sich Ihr Mann und Ihre Tochter?" fragte Belle nun im Stil einer Polizeibeamtin.

"Ich werde euch nicht zu denen hinlassen. Ihr dürft mir nichts tun, mich nicht einsperren und mir auch nicht meine Tochter wegnehmen", schnaubte Euphrosyne und sah auf ihre bewusstlosen Wächter und Hausmädchen. Das brachte Julius auf einen Gedanken, den er sofort umsetzte:

"Stimmt, Ihnen persönlich dürfen wir nichts antun oder Sie einsperren. Aber ihre nun unbestreitbar magisch manipulierten Diener, wohl alle aus der nichtmagischen Welt stammend, dürfen wir in Gewahrsam nehmen und erkunden, ob wir die an ihnen ausgeführte Bezauberung für diese unschädlich aufheben können."

"Das wagst du nicht, Julius. Du bist mit mir verwandt und .... Arrrg!"

"Sie haben aktiven Widerstand gegen einen ministeriell gültigen Auftrag geleistet, Madame. Selbst wenn mein Begleiter aus welchen Gründen auch immer nicht dem ihm erteilten Auftrag nachkommen sollte, werde ich Ihre Dienerschaft in Gewahrsam nehmen lassen", legte Belle Grandchapeau nach.

"Belle, du stehst unter dem von mir erteilten Segen der Sonne. Dein Bruder wächst unter zwei Segen von mir sicher heran und wartet auf seine Geburt. Du wirst mir ....", säuselte Euphrosyne, bevor es zwischen ihr und Belle orangerot und dann golden aufblitzte, und Euphrosyne wie von einer unsichtbaren Faust getroffen auf den Rücken fiel. "Du hast ... Arrg!" stieß die am Boden liegende aus und verursachte noch einmal einen orangeroten Blitz zwischen sich und Belle. "Raus mit euch! Ganz schnell raus mit euch!" brüllte sie dann. Julius merkte, dass sie gleich einen Verbannungszauber bringen würde. Doch sowohl Belle und er trugen seine Antiversetzungszauber-Fußketten, um nicht von Portschlüsseln entführt werden zu können. So nahm er es ganz gelassen hin, wie Euphrosyne ihren Zauberstab freizog und eine schnelle kreisförmige Bewegung machte. Es blitzte kurz grün und rot auf. Julius fühlte ein kurzes Stauchen an seinem Fußgelenk. Doch mehr passierte nicht. Belle und er standen noch da, wo sie standen. Dafür rief er nun: "Expelliarmus!" der scharlachrote Blitz seines Entwaffnungszaubers prellte Euphrosynes schlanken Zauberstab aus ihrer Hand. Dieser flog etliche Meter weit, bevor er mitten im Flug umdrehte und genau auf Belles freie Hand zuschwirrte. Sie fing den Stab auf und versenkte ihn in ihrer Handtasche. "Der Einsatz des Zauberstabes gegen uns genügt, um Ihnen die Benutzung eines Zauberstabes bis auf weiteres zu untersagen", sagte Belle. "Und nun möchten mein Kollege und ich nur noch Ihre Tochter sehen, um zu prüfen, ob diese wirklich Ihr Fleisch und Blut ist. Dann können und werden wir sehr gerne wieder gehen", sagte Belle. Julius bewunderte es, dass Belle den Aufrufezauber so genial hinbekommen hatte.

""Ich führe Sie. Ich war schon oft genug hier", sagte Léto unerwartet. Ihre entwaffnete und wohl auch sehr stark gedemütigte Enkeltochter versuchte aufzuspringen. Doch offenbar fehlte ihr dafür die Kraft. "Euphrosyne, du bleibst wo du bist!" befahl Léto, wobei sie ihrer Tochter ganz genau in die Augen blickte. Diese sank wieder in Rückenlage und blieb so.

Léto führte die zwei Ministeriumsmitarbeiter zu einer schneeweißen Tür. Dahinter lag ein Treppenhaus, dessen Wände eine erstaunlich klare, dreidimensionale Darstellung eines winterlichen Hochgebirges zeigten. Der boden war so weiß, fühlte sich so an und knirschte auch so, als läge frischer Schnee darauf. Julius gönnte sich beim Treppensteigen den Blick nach hintenund sah, dass sie echte Fußspuren hinterließen. "Sie kennt offenbar sehr auf sehr luxuriöse Einrichtungen bezogene Leute, die ihr dieses und drei weitere Treppenhäuser eingebaut haben. Da wir noch Winter haben können wir gerade nur durch das Wintergebirgs-Treppenhaus hoch", sagte Léto.

"Es scheint Sie im Moment nicht sonderlich zu stören, dass wir uns mehr oder weniger Gewaltsam Zugang zum Haus verschaffen", sagte Julius.

"Aus dem ganz einfachen Grund, weil es mich seit unserem Ausflug nach Le Havre zu tiefst anwidert, was meine Tochtertochter mit arglosen Menschen anstellt, nur um sie unter ihren Willen zu zwingen. Es wurde wirklich Zeit, ihr die Grenzen aufzuzeigen", schnaubte Léto.

Am Ende des zweiten Treppenabsatzes ging Léto auf eine weitere weiße Tür zu. Julius fühlte dank Felix, dass er die Tür wohl nicht hätte öffnen können, weil deren Klinke nur auf bestimmte Personen oder Ausstrahlungen geprägt war.

Durch einen nun mit gewöhnlichem Teppichboden belegten Korridor mit weißen Wänden ging es in einen sonnenfarbenen Festsaal, der mit sonnengelben und rosaroten Leuchtballons geschmückt war. Dort saßen an einer großen runden Tafel schon alle Julius bekannten Kinder und Kindeskinder Létos, sofern bereits in den Genuss von Vater- oder Mutterfreuden gelangt. Alle wandten sich sofort um und sahen die Eintretenden, die nicht so wirkten, als seien sie als friedliche und höchstwillkommene Gäste hier. Alle Veelastämmigen sahen Julius an und atmeten tiefer ein und wieder aus. Léto nickte den Anwesenden zu und fragte dann nach Aron Lundi. Der erhob sich von einem Platz in der Nähe seiner Schwiegermutter Églée, die Julius gerade genauer musterte und dann verdrossen dreinschaute. Belle hob den Zauberstab. Aron Lundi merkte, dass irgendwas nicht stimmen konnte und versuchte, auszuwweichen. Doch Julius traf ihn mit einem ungesagten Festhaltezauber aus Madrashainorians Wissensschatz. So konnte Belle an ihm einen Zauber ausführen, der seine besonderen Lebensschwingungen erfasste und für spätere Zauber vorübergehend als unsichtbare Sphäre einen Meter über dem Zauberstab konzentrierte. Julius hatte diesen Zauber im zweiten Halbjahr seiner Ministeriumslaufbahn erlernt, wenn fragwürdig war, ob jemand wirklich mit wem bestimmten Blutsverwandt war. Das war sozusagen die magische Version eines Blut- oder DNA-Tests. Als Belle den Zauberstab wieder herunternahm gab Julius Aron wieder frei. Dieser erkannte, was ihm passiert war und bellte los: "Das ist unverschämt. Ihr seid von meiner Frau eingeladen worden, und was macht ihr?" Alle Gäste sprangen auf, bis auf die Delacours und ihre Tochter Fleur Weasley. Belle sah Julius an und sagte: "Bitte zeigen Sie Monsieur Lundi eine Kopie unseres gemeinsamen Auftrages!" Julius nickte und holte aus seinem Aktenkoffer den betreffenden Pergamentzettel. Diesen warf er Aron zu, der ihn zielsicher aus der Luft fing. Während der Hausherr las füllte völlige Stille den Saal aus. Apolline und Pygmalion Delacour sahen Julius an, machten aber keine Anstalten, ihn anzusprechen oder sonst wie zu behelligen.

"Unverschämtheit. Ihr habt meine Karriere versaut und maßt euch jetzt noch an, mich und meine Frau auszuforschen, ob wir echt eine Tochter hingekriegt haben, weil ihr meint, meine Frau hätte die benutzt, um Leute von euch mit Langzeitzaubern zu verhexen? Das sind alles Lügen, um mich und meine Familie weiterhin drangsalieren und unterdrücken zu dürfen, wie es euch passt. Ich helfe euch nicht bei diesem Manöver. Sysyne, wo bist du!!"

"Deine Frau liegt im Empfangssaal", sagte Léto unerwartet trocken. Aron sah sie verdutzt an, nickte dann und lief dann aus dem Saal, aber nicht zum Korridor, aus dem die drei gerade gekommen waren, sondern in einen anderen Korridor. Julius verstand auch ohne Létos Handzeichen, dass dort die kleine Belle Nathalie Marie Clementine sein musste. So folgte er ihm. Belle sah ihn zwar erst verdrossen an, lief aber dann auch hinterher und holte Julius ein. Dabei summte und leuchtete es wieder von unterhalb ihres Umhanges her.

Der Gang besaß drei weitere Türen. Julius sah Léto, wie sie auf das zweite Zimmer zusteuerte. Da durchfuhr ihn eine schmerzvolle Furcht, gleich zu sterben, wenn er ungeschützt die Tür öffnete. "Léto, nicht reingehen!" rief er ihr zu. Diese wandte sich ihm zu und sah auf die Tür. Julius hob seinen Zauberstab und ließ die Tür von Zauberkraft aufspringen. Hinter der Tür stand Aron Lundi, und er hielt eine Pistole in der rechten Hand. "Katashari!" zischte Julius so leise er konnte, wobei er sich Aron als bärengroßes Monster mit Krallen und Reißzähnen vorstellte, dass von ihm zurückgestoßen wurde. Silberweißes Licht hüllte den ehemaligen Wunderspieler vom HAC ein. Jetzt verschwand das Gefühl von tödlicher Gefahr. Aron stand da, die Waffe in der Hand und wusste nicht, was er tun sollte. Dann ließ er die Pistole einfach zu Boden fallen.

Als Léto und Julius in das sehr bunt ausgeschmückte Zimmer traten sahen sie sofort, dass es sich um ein Kinderzimmer handelte. Fröhliche bunte Tapeten zierten die Wände, Mobilees schwebten unter der Decke, und Zauberbilder von ballspielenden Mäusen, grasenden Einhörnern und munter zwischen Baumwipfeln fliegenden Tropenvögeln zierten die Wände. Julius fiel vor allem ein Bild auf, dass drei Mädchen in bunter Kleidung zeigte, die ihn sehr interessiert ansahen. Sofort hatte er den Eindruck, es mit einem Bild zu tun zu haben, das mit anderen Bildern in Verbindung stand. Der Teppich war grasgrün. Mit bunten Blumen bestickte Vorhänge hingen vor den Fenstern. In einer Ecke stand eine weiße Wiege, in der Julius einen großen runden Kopf mit goldblondem Schopf erkennen konnte. Julius fühlte sofort, dass Aron Lundi es nicht verkraften würde, wenn ihm jemand dieses Wesen wegnehmen würde. Deshalb sagte er zu Léto:

"Ich verstehe, warum er uns mit einer Waffe angreifen wollte. Aber fast hätte er dich erschossen. Er liebt seine Tochter. Sie ist für ihn der Inbegriff von Freiheit und Erfolg, nachdem das mit dem Fußball für ihn vereitelt wurde."

"Woher weißt du das? Kannst du seine Gedanken vernehmen?" wollte Léto wissen. Julius schüttelte den Kopf und erwiderte, ddass er das in dem Moment so verspürt habe, als er Aron mit dem Todeswehrzauber getroffen hatte. Das stimmte so zwar nicht, aber er musste ihr nicht auf die Nase binden, dass Felix Felicis ihm das eingegeben hatte.

Behutsam traten Belle und Julius an die Wiege heran und betrachteten das kleine Menschenwesen. Beide hatten sie Töchter. Beide wussten, wie heftig das für jemanden sein mochte, so ein Geschenk der Natur zu verlieren. Jemand ohne einen Schutz vor fremder Ausstrahlung hätte sicher sofort alles um sich vergessen und nur noch den Einen Gedanken: Beschütze das Kind mit deinem Leben. Genau das hatte Aron wohl umgetrieben, nachdem er den Auftrag des Zaubereiministeriums gelesen hatte. Julius nickte Belle zu. "Ich mache den Blutsverwandtschaftsbestimmungszauber für sie, Madame", flüsterte er. Dann vollführte er den erwähnten Zauber so behutsam er konnte. Die kleine Lundi schlug die Augen auf und sah ihn an. Sie lächelte wohlig. Das war die reine Unschuld, und doch war sie bereits weit vor ihrer Geburt zu dunklen Taten missbraucht worden. Julius fühlte, wie die Wut in ihm hochkochte. Er konnte Léto und auch Ursuline total verstehen, dass sie jeden Hexenzauber verabscheuten, bei dem ungeborenes Leben als Quelle für Manipulationen an erwachsenen Menschen einbezogen wurde. Immerhin bekam er es dank seiner Erfahrung und wohl auch Felix Felicis hin, einen sphärischen Abdruck von Belle Nathalies Lebenskraft zu erzeugen. Er sah Belle fragend an. Diese nickte ihm zu: "Wir sind hier fertig", sagte sie mit einer ernsten Betonung. Dann verließen sie das Kinderzimmer wieder. Aron Lundi stand immer noch weltentrückt da. In ihm kämpften zwei gegensätzliche Triebe, die eigene Tochter gegen alle Feinde zu verteidigen und bloß keinen Menschen mit tödlicher Gewalt anzugreifen. Der zweite von Julius erzeugte Trieb hielt den ersten noch nieder. Doch nicht mehr lange.

"Accio Pistole", zischte Julius und klappte dabei seinen Aktenkoffer auf. Die Waffe schwirrte zielgenau auf seinen linken Arm zu und landete im Aktenkoffer. Julius klappte ihn schnell zu. "Ballistische Schusswaffe von Aron Lundi als Beweisstück für späteres Verfahren eingezogen und sichergestellt", sagte er Belle zugewandt. Diese nickte.

"Führen wir die beiden Proben zusammen!" sagte Belle und hob ihren Zauberstab. Julius konzentrierte sich auf einen Punkt genau vor Belle. Tatsächlich trafen sich die zwei unsichtbaren Sphären und verschmolzen zu einer. Sie leuchtete nun gelb. Es fehlte jetzt also noch die Blutverwandtschaftsabstimmung mit Euphrosyne.

"Du darfst ihm das Mädchen nicht wegnehmen, Léto", sprach er die Veela an, die bedächtig hinter ihnen herging. "Er würde sie entweder mit seinem Leben verteidigen oder sich danach umbringen, wenn jemand sie ihm wegnimmt, wer auch immer das sei."

"Das weiß ich doch", erwiderte Léto. Wer mit einer von Mokushas Töchtern Kinder hat wird sie solange mit dem eigenen Leben schützen, bis sie eigene Kinder haben. Das ist die Urkraft der Arterhaltung, nur vielfach stärker. Deshalb kann ich den beiden ihre Tochter nicht wegnehmen, so gerne ich dies wollte", schickte Léto noch als reine Gedankenantwort an Julius zurück.

"Wenn er stirbt stirbt auch Euphrosyne", sagte Julius zu Belle. Diese begriff. "Gut, wir können den beiden ihre Tochter nicht wegnehmen. Aber den Zauberstab Euphrosynes behalten wir ein und zerstören ihn, sollte der Zaubergamot befinden, dass sie zu viel Unfug damit angestellt hat."

"Liebe Anverwandte. Es ist sehr betrüblich, an diesem eigentlich als schöner Tag geplantem Tag, verkünden zu müssen, dass die Gastgeberin eindeutig alle Grenzen des verträglichen und erlaubten überschritten hat", sagte Léto, als sie im Festsaal wieder auf die versammelten Gäste blickten. "Ich werde die beiden Beamten hier jetzt wieder nach draußen geleiten, damit sie ihren Auftrag beenden können. Danach können wir gerne die Ankunft unserer neuen Verwandten feiern, und ich werde deine Tochtertochter segnen, Églée", wandte sich Léto an Églée Blériot, die Belle und Julius mit einer gewissen Feindseligkeit anblickte. "Was haben Sie noch zu tun?" fragte Léto dann Belle Grandchapeau und Julius Latierre.

"Wenn wir Beweise für unzulässige Bezauberung an menschlichen Wesen erkennen sollen wir diese Wesen zur weiteren Überprüfung in die Obhut der ministeriumseigenen Heiler verbringen, um Art und Auswirkung der Bezauberung zu entschlüsseln. Da offenbar alle Hausdiener derartig beeinflusst wurden sind das also vier Menschen, die unsere Kollegen gleich abholen werden. Wer das zu verhindern versucht begeht Widerstand gegen ministerielle Anordnungen und muss mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen", sagte Belle unüberhörbar. Die in diesem Raum versammelten Gäste nickten.

Léto führte die zwei Beamten wieder durch das Wintergebirgs-Treppenhaus. Hinter ihn kamen Pygmalion Delacour, seine Tochter Fleur und Didier Blériot die Treppen herunter.

"Wir helfen mit, die vier vor das Tor zu schaffen, sofern wir das aufkriegen", sagte Pygmalion, der wohl gerade eher Beamter als Gast sein wollte.

In der Empfangshalle lag Euphrosyne durch Blickkontakt und Wortbefehl gebunden am Boden. Sie zitterte am ganzen Leib. Tränenfluten strömten ihre rosigen Wangen entlang. Sie wimmerte andauernd: "Ich find die nicht mehr. Ich komme nicht an die ran. Die können doch nicht weg sein." Julius kapierte sofort, was sie meinte und trat sehr entschlossen vor. "Ach, haben Sie versucht, Madame Nathalie Grandchapeau oder meine Ehefrau aus der Ferne zu berühren? Die sind an gegen böswillige Zauber gesicherten Standorten. Und wenn Sie nur einen von ihnen oder weitere Mitglieder aus meiner Familie auch nur bedrohen, komme ich persönlich vorbei und schneide Ihnen alle Haare vom Kopf! Haben Sie das verstanden?"

"Wo sind die? Die können doch nicht tot sein", winselte Euphrosyne, jetzt alles andere als eine überlegene Veelastämmige.

"An sicheren Orten, wo keine ihnen feindliche Magie hinfindet", widerholte Julius. Dann half er den anderen, die vier immer noch bewusstlosen Hausdiener auf herbeigezauberte Tragen zu betten und mit Ketten Festzubinden. Belle vollführte derweil den noch ausstehenden Zauber zur Blutverwandtschaftsbestimmung. Jetzt leuchtete eine hellgrüne Sphäre in der Luft. "Für das Protokoll: Blutverwandtschaftsgradprüfung bei Euphrosyne Lundi, Aron Lundi und Belle Nathalie Marie Clementine Lundi ergaben Grün. Damit steht fest, dass die letztgenannte die leibliche Tochter der beiden erstgenannten ist", sagte Belle, die offenbar auch eine Art Diktiergerät oder auf Worteingaben ausgelegtes Notizbuch mithatte. Dann sprach sie noch, dass durch auf bösartig bezauberte Wesen abgestimmte Vorkehrungen vier menschliche Diener als von unterwerfender Magie durchdrungen angezeigt hatten und diese nun zur weiteren Untersuchungen fortgebracht würden.

"Ich bleibe hier, Julius", sagte Léto. "Ich möchte dieses Fest doch noch zu einem guten Abschluss bringen." Julius nickte ihr zu und bedankte sich. Sie umarmte ihn. "Ui, pass auf, dass Fleur oder andere junge Dinger aus meiner Verwandtschaft dich nicht so berühren, wenn du diese Vorkehrung an dir hast. Sie könnten leicht den Kopf verlieren."

Das Tor ging von alleine auf, als zwei der vier Hausdiener darauf zugetragen wurden. Offenbar hatte Euphrosyne es so bezaubert, dass die von ihr manipulierten ohne großes Zaubern vom Grundstück herunter konnten. Das kam den Ministeriumsbeamten nun zu Pass. Außerhalb der Grundstücksgrenze konnte Belle mehrere Kollegen mit einer silbernen Schallansaugdose aus ihrer Handtasche herbeirufen, welche die vier nun gegen ihre Ketten ankämpfenden Opfer Euphrosynes übernahmen und mit ihnen disapparierten.

"Wir sind dann mal weg, Léto. Noch einmal vielen Dank für deine Hilfe, dass es kein Blutvergießen gab", mentiloquierte Julius an Léto.

"Ich bespreche das in Ruhe mit den anderen, was Euphrosyne sich geleistet hat und dass wir dir deshalb keine Schuld an dem geben, was passiert ist, mein Zögling", bekam er zur Antwort. Also war es richtig gewesen, sich noch einmal bei Léto zu bedanken, dachte Julius.

Als Belle und er in ihrem Käfer unterwegs waren meinte Julius zu ihr: "Die Dame hatte echte Todesangst, die von ihr behexten könnten tot sein. Dann müsste sie selbst sterben oder ihr Kind. Das dürfte ihr stärker zugesetzt haben als der Entzug ihres Zauberstabes."

"Hoffentlich kommt keiner von den anderen da auf die Idee, ihr einen neuen Zauberstab zu geben. Sonst müssten wir den oder die glatt noch wegen Strafvereitelung belangen", sagte Belle. Sie musste jedoch überlegen grinsen, weil sie es geschafft hatte, Euphrosyne Lundi all die Demütigungen heimzuzahlen, die sie und ihre Eltern von dieser erfahren hatten.

"So, hier brauche ich das Band nicht mehr", sagte Julius und löste sein Halsband ab. Er sah auf die Uhr und erkannte, dass er es ganze zwanzig Minuten lang getragen hatte. Wenn er davon ausging, dass Euphrosyne und die anderen Veelas die eingewirkte Kraft stärker angefressen hatten nahm er die Zeit mit vier mal und kam auf eine Stunde und zwanzig Minuten, die von den 36 Stunden übliche Haltbarkeit abzuziehen waren. Das musste er sich gleich notieren, wenn er irgendwann wieder das Band des Lebens und der Elemente benutzen musste. Er dachte auch daran, dass es dann sicher gegen eine der Abgrundstöchter oder jene Nachtschattenkönigin zum Einsatz kommen mochte, von der Bärbel Weizengold ihm berichtet hatte.

"Wird meinen Hern Bruder sicher sehr freuen, dass das Auge des wachsamen Mondes wahrhaftig auch gegen Veelakräfte hilft", sagte Belle und deutete kurz auf die unter dem Umhang verborgene Kugel.

Wieder zurück im Ministerium schrieben Belle und Julius unabhängige Berichte über diesen Ausflug. Julius schrieb rot unterstrichen dass auf gar keinen Fall daran gedacht werden dürfe, die Tochter von den Eltern zu trennen, da dies entweder einen tödlichen Kampf mit den Eltern oder einen Suizid des Kindsvaters bewirken würde.

Als er abends wieder bei seiner Frau im Apfelhaus war erzählte die ihm, dass am Nachmittag bunte Lichter über dem Haus geleuchtet hätten, aber nach nur zwanzig Sekunden wieder erloschen waren. Offenbar hatte Euphrosyne da versucht, mit ihren reinen Veelakräften nach Millie und Clarimonde zu tasten und das wohl aus bösen Absichten.

"Und die Schnepfe hat jetzt Zauberstabverbot?" fragte Millie ihren Mann. Er nickte. "Es sei denn die veelastämmigen Hexen geben ihr ihre Zauberstäbe. Aber so wie ich Léto beim Weggehen eingeschätzt habe biegt die denen das bei, dass Euphrosyne gekriegt hat, was sie verdient hat."

"Und für Léto oder Fleur war dein Halsband nicht abstoßend?" fragte Millie.

"Also Léto hätte fast mit mir auf dem Rasen vor dem sogenannten Palast der Träume wilde Liebe gemacht, wenn Belle nicht in der Nähe gewesen wäre", übertrieb Julius die Wirkung. "Sie hat mir sogar nahegelegt, das Halsband nicht umzumachen, wenn Fleur oder andere jüngere Nachkommen von ihr mit mir allein in einem Raum sind."

"Echt? Drachenmist! Dann tust du das nur noch um, wenn keine von Létos Blutsverwandten weniger als einen Kilometer von dir entfernt ist, Monju. Klar?" Julius nickte seiner Frau beruhigend zu und bejahte das.

Tatsächlich erwies es sich, dass das Halsband auch auf Millie eine anregende Wirkung hatte. Sie wäre sicher auch bis zu einer leidenschaftlichen Vereinigung mit ihrem Mann gelangt, wenn Clarimonde sich nicht so ungestüm ausgetobt hätte. Deshalb nahm Julius das Halsband schnell wieder ab und steckte es wieder in seinen Brustbeutel. Er wollte garantiert nicht mit einer Frau schlafen, die gerade am ende des zweiten Schwangerschaftsdrittels war.

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Anthelia/Naaneavargia erfuhr am Abend des 20. März, was sich bei den Lundis zugetragen hatte. Das verursachte bei der höchsten Schwester des Spinnenordens erst einmal einen Lachanfall. Hatte da doch jemand dieser wegen ihrer Veelaabstammung überheblichen Göre kräftig die Suppe versalzen. Doch wie würde es nun weitergehen. Euphrosyne Lundi war immer noch mit Veelakräften begütert und konnte womöglich noch flohpulverreisen machen oder sich selbst in ein flugfähiges Tier verwandeln. Doch in gewisser Weise freute sich Anthelia, dass sie ohne direktes Mitwirken herausgefunden hatte, dass die Beamten des französischen Zaubereiministeriums Mittel entwickelt hatten, von bösartigen Zaubern getriebene Wesen auf Abstand zu halten. Zumindest hatten die Verwandten Euphrosyne Lundis das Willkommensfest noch so zu Ende gebracht, dass die kleine Belle Nathalie Marie Clementine von allen Anwesenden willkommengeheißen worden war.

Was die Spinnenhexe sich auch gut merken wollte war, dass Julius Latierre immer noch eine gute Beziehung zur reinrassigen Veela Léto besaß. Wenn die den als ihren Zögling angenommen hatte, wie es die drei Schmetterlingsmädchen über den wildbärtigen Zauberer herausbekommen hatten, dann umgab ihn eine gewisse Veelaaura. Deshalb hatte sie ihn wohl auch zum Vermittler gemacht. Deshalb hatte sie diese vergnüglichen Minuten mit dieser ebenso überheblichen Veela Sternennacht erlebt. Sicher bekam er dann auch mit, wenn Ladonna Montefiori wieder etwas anrichtete. Gut, dass sie jetzt auch bei den Lundis ihre ganz geheimen Spione hatte.

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Aus dem Tagebuch von Arianrhod Barley

20. März 2003

Hallo Fulvia. Die US-amerikanischen Truppen haben wahrhaftig einen neuerlichen Militäreinsatz im Irak begonnen. Die mit ihnen zusammengehenden Staaten, darunter auch Großbritannien, wollen Saddam Hussein entmachten. Doch was nach ihm kommen soll weiß entweder noch niemand oder will es noch nicht öffentlich machen. Tim macht sich Gedanken, weil sein Vater bei der Marine ist und auf einem am Kampfgeschehen beteiligten Flugzeugträger dient. Tim Meint, dass sein Vater immer noch gerne selbst in einem der Kampfjets ausschwärmen würde. Ja, das kann schon Anlass zur Besorgnis geben. Mum Ceridwen hat recht, dass ich mich da doch glücklicher schätzen kann, ein kleines, noch nicht mit der ganzen Last der großen Welt zu beladendes Kind sein zu dürfen.

Heute habe ich mal mein Ohr an Galateas Bauch gelegt. Es ist im höchsten Maße erhaben, dem schlagenden Herzen eines ungeborenen Kindes zuzuhören. Galatea ist schon im dritten Monat. Da wird es noch nicht zu ersehen sein, ob sie einen Jungen oder ein Mädchen austrägt. Auf jeden Fall werde ich dann wohl einen weiteren Spielkameraden bekommen, und vor allem Garwin, der von seinem Vater liebevoll Bootsmann genannt wird, wohl seitdem sein Großvater, der Marineoffizier, ihm eine kleine Bootsmannspfeife zum zweiten Geburtstag geschenkt hat. Eigentlich müsste er ja Murmeltier heißen. Denn zum einen ist er am US-amerikanischen Murmeltiertag geboren. Zum zweiten schläft er immer noch gerne lange, wenn er nicht gerade mir und Kathleen wegen unserer langen Haare nachstellt und ich nicht selten den Drang empfinde, ihm jedes Ziehen daran mit einer Ohrfeige zu vergelten. Aber dann fällt mir immer wieder ein, dass ich kein Gossenmädchen bin, dass sich durch hauen und Beißen den Weg ebnet. Außerdem liegt mir nichts daran, mit meiner Mum Ceridwen in Streit zu geraten, nachdem sie mir so eine gute Unterkunft und viel Freiraum ermöglicht hat, meine neue Welt zu entdecken und mich in sie hineinzuentwickeln.

Achso, ich wollte dir ja noch kurz berichten, dass mein Ziehvater Darrin ganz zufällig darüber gestolpert ist, dass Malcolm und Lester mittlerweile auch bei den Streitkräften sind. Offenbar hat deren Bewährungshilfe wohl die schlaue Idee gehabt, dass Dienst in der Army die zwei wieder in die richtige gesellschaftliche Spur bringt. Hoffentlich überleben sie dieses von George W. Bush ausgelöste Beben im nahen Osten. Denn auch wenn ich schon seit längerer Zeit Arianrhod heiße und als Kleinkind zu leben gewohnt bin empfinde ich doch noch sehr angenehme Erinnerungen an die Zeit, wo sie, Julius, damals noch Andrews und ich die schlimmsten Schurken und gefährlichsten Ungeheuer bezwungen haben. Schon aberwitzig, dass Julius und ich auf unterschiedlichen Pfaden in genau dieser Welt wandeln dürfen, während Lester und Malcolm nicht den Hauch einer Ahnung haben, dass vieles doch keine reine Fiktion phantasievoller Spieleautoren ist.

Ui, jetzt habe ich schon sehr viel aufgeschrieben. Der Verbindungsschnuller drückt mir gut auf die Kiefer. Mit ausgewachsenen Zähnen im Mund ist das nicht mehr so einfach, dir damit was zu schicken, Fulvia. Sei mir also nicht böse, wenn es vielleicht ein wenig länger dauert, bis ich dir wieder was erzähle!

Gute Nacht, Fulvia!

ENDE

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