DER SILBERNE KESSEL

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Die Ereignisse um die dunkle Zauberkraftkuppel Sardonias bestätigen den Experten für dunkle Zauberkräfte, dass die im April 2003 über die Welt hinweggebrandete Welle dunkler Magie weitere unerfreuliche Folgen haben mag. Auch wenn Sardonias letztes Erbe endgültig aus Millemerveilles verschwunden ist haben die dort lebenden Hexen und Zauberer eine Menge zu bewältigen. Durch ein tückisches Fortpflanzungsanregungsgas der Geheimgesellschaft Vita Magica sind 250 ungeplante Schwangerschaften herbeigeführt worden. Womöglich werden viele der unverhofft Mutter werdenden Hexen aller Altersgruppen Mehrlingsgeburten erleben. Deshalb gilt es, sowohl die Ankunft der vielen neuen Kinder als auch deren Aufwachsen und Schulbildung vorzubereiten. Die Familie Latierre, welche durch die Geburt von Clarimonde Esperance den letzten Beitrag zur Beseitigung von Sardonias Kuppel geleistet hat, wird in diese anstehenden Maßnahmen einbezogen.

Am 18. Juli 2003 bringt die Hexe Catherine Brickston ihr drittes Kind, den ersten Sohn namens Justin James zur Welt. Weil Catherines Mann ihr nicht ohne schwerwiegenden Übelkeitsanfall bei der Niederkunft zusehen kann wird er von der Heilerin Hera Matine behandelt. Julius wird unverhofft zum gerade so beobachteten Geburtshelfer für den kleinen Justin James. Neben Hera Matine beobachtet ihn auch die gemalte Version von Catherines Urgroßmutter Claudine Rocher, die ein Gegenstück bei Catherines Tante Madeleine hat, aber ziemlich sicher auch mit Leuten von Vita Magica in Verbindung steht. Julius macht sich deshalb Gedanken, wie Vita Magica auf die Nachricht reagiert, dass er wider alle Heilerinnentradition als männlicher Geburtshelfer so gut geholfen hat.

Weil der unverheiratete Quidditchspieler César Rocher im Rausch der Fortpflanzungsdroge mit der Mutter seines Mannschaftskameraden Bruno Dusoleil zusammenkam und diese deshalb seinen Nachwuchs austrägt bestehen Spannungen zwischen den einstigen Schulfreunden und eingeschworenen Mannschaftskameraden. Dies und die unerwartet überragende Mannschaftsform der US-amerikanischen Nationalmannschaft führt dazu, dass Frankreichs Mannschaft ohne ein einziges Tor gegen die supergut aufspielenden Nordamerikaner zu erzielen aus dem Turnier ausscheidet. Da die US-Amerikaner so unerwartet erfolgreich aufspielen werden sie auf Verwendung unzulässiger Mittel getestet. Die Prüfung verläuft negativ. Allerdings bekommt der durch seinen Alleingang im Februar zum vorübergehenden Dasein als neu auf die Welt kommendes Kind Ianshiras verurteilte Silvester Partridge alias Tondarammayan mit, dass an dem Erfolg der US-Mannschaft irgendwas nicht stimmt, kann es jedoch keinem mitteilen.

Viele Experten für die Abwehr dunkler Künste sind zurecht besorgt, dass die dunkle Zauberkraftwelle vom 26. April 2003 weitere unheilvolle Erweckungen und Wiedererstarkungen bewirkt haben mag. Besonders der Thaumaturg Waldon McCloud ist deshalb beunruhigt, denn er hütet im Auftrag seiner Verwandten vom Clan der McFustys ein machtvolles Erbe aus dem Besitz der frühmittelalterlichen Hexenmeisterin Morgause, Schwester von Morgana. McCloud fürchtet, dass Morgauses silberner Zauberkessel zum Ziel und Zankapfel heutiger Dunkelhexen werden und in deren Händen eine Katastrophe herbeiführen kann.

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In Gestalt einer schwarzen Störchin flog sie viermal so schnell wie ein natürliches Exemplar dieser Vogelart über die Landschaft der Toscana. Der letzte Funken Tageslicht war vor einer Stunde im Westen verglüht. Nur der Mond und die Sterne erleuchteten ihren Weg. Innerlich dankte sie dem, zu dem sie unterwegs war, dass er sein Wohnhaus weit ab von anderen Menschen hatte hinbauen lassen, weil er es ruhig und vor allem verborgen haben wollte. Was sie mit ihm vorhatte würde er, wenn sie schnell genug war, nie erfahren. Vielleicht konnte er sogar noch mehr als zehn Jahre leben, ohne dass ihm widerfuhr, was sie erhoffte, dachte jene, die gerade in Storchengestalt durch die Nacht brauste.

Als Ladonna Montefiori nur noch hundert Menschenlängen von einem auf einem Felsplateau gebauten kleinen Haus mit pilzhutförmigem Dach entfernt war fühlte sie, dass vom Haus eine starke, vielschichtige Kraft ausging, die sie wie ein Hauch aus grünlichen und bläulichen Funken umströmte. Also wirkte hier ein Annäherungs- und Feindesabwehrzauber. Sie tat also gut daran, ihren Geist durch Okklumentik so gut sie konnte zu verschließen. Alles andere erledigte ihre natürliche Unortbarkeit. Dennoch wurde sie langsamer. Denn sie kannte durchaus Zauber, die auf unnatürliche Luftbewegungen und ausgestrahlte Wärme ansprachen. Also flog sie gerade so schnell, wie der gerade hier vorherrschende Wind wehte. Die sie umfliegenden Funken wurden weniger. Dann hörte sie den ruhigen Herzschlag eines Mannes durch eines der angekippten Fenster. Sie flog so leise sie konnte auf eine halbe Länge an das Fenster heran. Ja, das Fenster war mit weiteren Schutzzaubern gesichert. Wenn sie es berührte würde sie sicher einen Meldezauber auslösen. Doch wozu steckten in ihr die Anteile einer grünen Waldfrau und einer Tochter Mokushas?

Zunächst stieg sie noch einige Meter weiter nach oben. Dann vollzog sie innerhalb von zwei Sekunden die Verwandlung in ihre makellos schöne Menschengestalt. Als die irdische Anziehungskraft sie wieder nach unten zog stemmte sie sich sachte mit ihrer angeborenen Freiflugmagie dagegen und bremste den Fall zu einem federgleichen Sinken, bis sie wieder auf der Höhe des Fensters war. Dort verharrte sie und atmete langsam ein und wieder aus. Dann begann sie ein weit hallendes, betörendes Lied zu singen, in dessen Text sie den Namen des Hausherren einwob.

Erst fühlte sie Schrecken, dann Verunsicherung. Dann immer stärkere Hingabe an ihre Stimme, vor allem, wenn sie den Namen Giacomo Pontevecchio sang. Es dauerte keine Minute, da tauchte auf der anderen Seite des Fensters ein Mann mit für Männer ungewöhnlich langen Haaren auf und berührte mit seinen Händen den Rahmen und das Fenster in einer Weise, dass der darauf aufgeprägte Schutzbann merklich nachließ. Dann öffnete er das Fenster mit der Trägheit eines Schlafwandlers oder in tiefer Trance treibenden. Genau das war es ja, was Ladonnas Gesang bewirkt hatte. Nun war der Weg zu ihm frei. Sie glitt mit unverminderter Klarheit und Kraft weitersingend durch das große Schlafzimmerfenster hinüber in die eher karge Schlafstube. Da sie selbst in nahe zu vollkommener Dunkelheit so gut wie bei hellem Tageslicht sehen konnte nahm sie alles war, was im Zimmer stand: Das schmale Bett ohne Baldachin und Vorhang, eine daneben aufgestellte Kommode, einen schmalen Stuhl mit Lehne, über der Kleidungsstücke hingen, sowie einen dreitürigen Kleiderschrank in der Ecke. Vor dem Bett standen zwei hinten offene Hausschuhe auf dem flauschigen Bettvorleger. Auf der Kommode lag ein schlanker Zauberstab. Mehr gab es hier nicht zu sehen.

Der von ihrem Gesang entrückte und willenlos gemachte Mann war schlank und klein. Sein Haar, das eine Winzigkeit heller als das Ladonnas war, hing ihm bis auf die Schultern herab wie bei einem Mädchen. Doch offenbar scherte sich der von ihr bezauberte Hausherr nicht um die üblichen Erscheinungsbildvorgaben für Zauberer. Das machte ihn ihr sogar gleich sympathischer. Doch sie durfte sich nicht von eigenen Gefühlen verleiten lassen. Der da sollte für sie nur als Köder dienen, an dem sich ihr sehr lästig gefallene Zeitgenossen verschlucken sollten.

Ladonna zog ganz behutsam ihren Zauberstab aus ihrem bei der Rückverwandlung verstofflichtem Kurzkleid aus nachtschwarzer Seide und bewegte den Stab im Takt ihres Gesanges. Das verstärkte die sowieso schon mächtige Wirkung ihres Zauberliedes. Sie wusste, dass ihr Opfer nun alles tun würde, was auch immer sie wollte. Doch sie wollte nur, dass er sich auf sein Bett legte, und zwar mit Gesicht und Bauch nach unten. Als er es tat verlor sie keine weitere Zeit mehr.

Nach nur zwei Minuten glitt Ladonna noch in Menschengestalt wieder durch das offene Fenster hinaus. Ihr Opfer schloss es hinter ihr soweit, dass es noch genug von der Nachtkühle hereinließ und stellte die darauf wirkenden Melde- und Schutzzauber wieder her. Leise singend glitt die unerwartete und auch ungebetene Besucherin in die Nacht davon. Erst hundert Längen weiter weg wechselte sie wieder in die Gestalt einer schwarzen Störchin. Als solche flog sie erst langsam weiter, bis sie aus der spürbaren Wirkung der Annäherungszauber heraus war. Dannn beschleunigte sie ihren Flug, bis sie schneller als ein Pfeil davonbrauste. Ihr Werk war getan. Jetzt hoffte sie, dass ihr Köder auch geschluckt wurde.

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Er wusste, dass er nicht hier sein durfte. Er wusste auch, dass es ihm schlecht ergehen würde, wenn sie ihn erwischten. Doch eine unwiderstehliche Kraft hatte ihn mit lautlosem Ruf und unsichtbarer Hand an diesen Ort geführt.

Der erst rötliche Schein eines in der Nacht brennenden Feuers hatte ihn angezogen wie die Motte das Licht. Jetzt stand er gerade noch im Schatten hoher Bäume am Rande einer Lichtung. In der Mitte der Lichtung brannte das Feuer. Haushohe Flammen tanzten laut knackend, prasselnd und knisternd über armdicke Holzstücke, zwischen denen, um das Feuer zu beschleunigen fingerdünne Reisigbündel steckten. Die Feuerstelle war mit kniehohen Steinen umfasst, um keinen Funken in den Wald entwischen zu lassen. Doch das wirklich bedrückende war nicht das seinen glutheißen Atem verströmende Feuer, sondern der Gegenstand, der in einem sanft glühenden Geschirr über den wild und heiß züngelnden Flammen hing. Es war ein gewaltiger, bauchiger Kessel, der das Licht der um ihn und unter ihm tanzenden Feuerzungen spigelte, als bestehe er aus versilbertem Glas. Violette Dampfspiralen ringelten sich aus dem gewaltigen Gefäß, in dem leicht eine ganze Kuh hätte gesotten werden können. Der Beobachter wusste, dass in diesem Braugeschirr wesentlich schlimmeres als Rindfleisch eingefüllt wurde. Doch warum hing dieses silbern spiegelnde Gefäß unbeaufsichtigt über den Flammen? Er fühlte, dass die Macht, die ihn hier hingelockt hatte von diesem riesenhaften Kessel ausging.

Der Beobachter wollte sich zurückziehen, der ihn lautlos rufenden Stimme aus dem siedenden Kessel widerstreben, das verfluchte Ding nicht weiter beachten. Doch wie einer der ihn umstehenden Bäume angewurzelt stand er da und sah in die hohen Flammen und das dunstige Treiben der Dampfspiralen aus dem silbernen Kessel. Ihm fielen die Geschichten ein, die von diesem Gegenstand erzählt wurden. Die mächtige Magierin Morgause aus den nördlichen Sümpfen sollte ihn von den kleinen, spitzohrigen Gesellen und einer Gruppe kunstbegabter Zauberschmiede erhalten haben, die ihn mit ihrer Schmiedekunst und ihrer Art, Bezauberung durch Berührungen zu wirken, zu einem besonderen Gegenstand gemacht hatten. Er wusste, dass Morgause immer wieder versuchte, aus dem Schatten ihrer Schwester Morgana und vor allem aus dem überlangen Schatten des großen Merlin herauszutreten. Doch ihr Pfad war der Pfad der dunklen Künste, der Zauberei mit Angst, Leid und Tod von Tier und Mensch. Der Beobachter entsann sich, dass Morgause den Schmieden ihres Zauberkessels einen üblen Dank abgestattet hatte, in dem sie den Überbringer dieses Gefäßes selbst getötet und sein Blut in diesem Kessel mit dem jeden Mond aus ihrem Schoß entströmenden Blut in einem Trank verrührt hatte. Dadurch war der Kessel unwiderruflich zum Gegenstand der bösen Künste geworden, der alles, was mit ihm angefangen wurde, in ein Werk aus Leid und Tod verwandelte. Es hieß, dass die Herrin der Sümpfe unschuldige Kinder lebendig in diesem Kessel gesotten hatte, um deren junges Leben zu ernten, es wie einen belebenden Trunk in sich einzusaugen. Und das, so entsann sich der heimliche Beobachter, war noch eine der harmloseren Geschichten um diesen gewaltigen Silberkessel da über dem Feuer.

Der zwischen den Bäumen stehende konnte seinen Blick nicht vom Feuer und dem Kessel abwenden. Wo war dessen Besitzerin? Wann hatte sie das Feuer entfacht und vor allem, was braute sich in ihrem Kessel zusammen? Der Beobachter fühlte, dass die Antworten auf diese Fragen ihn quälen würden, wenn er sie erfuhr. Doch bereits jetzt, wo er die Antworten nicht kannte, litt er, weil seine Vorstellungskraft ihm bereits die schlimmsten Dinge vorgaukelte, an die er je gedacht hatte. Deshalb wusste er auch nicht, ob es seine eigene Schreckensvorstellung oder wahrhaft böses Zauberwerk war, was er nun sah.

Aus den violetten Dampfspiralen über dem wild wallenden Zauberkessel formte sich eine gewaltige Erscheinung. Erst war sie wie eine aus sich glühende Nebelwolke, dann gewann sie immer mehr feste Formen. Es sah so aus, als würde der siedende Kessel ein unheimliches, sicherlich nicht wohlgesinntes Wesen gebären, aus lodernder Glut und wallendem Sud. Die aus dem Kessel herausquellende Erscheinung maß vom Standpunkt des Beobachters her die dreifache Länge eines erwachsenen Mannes. Je weiter ihre Entstehung voranschritt desto deutlicher prägten sich Kopf, Rumpf, Arme und Beine aus. Je mehr sich die Erscheinung verstofflichte, desto mehr erkannte der Beobachter den Körper einer Frau, leicht violett glühend, schlank und voll erblüht, ohne Faden eines Kleidungsstückes am Leibe. Jetzt schwebte die Erscheinung über dem wild wallenden Gebräu im Kessel und begann sich behutsam auf der Stelle zu drehen, so dass der ungewollte Zuschauer sie von allen Seiten sehen musste. Dann begann sie sogar, sich aus eigenem Antrieb zu bewegen. Sie streckte sich aus, warf den Kopf mit den langen Haaren in den Nacken und atmete deutlich sichtbar ein und wieder aus. Hatte Morgause in diesem Kessel ein unnatürliches Geschöpf erschaffen, ein aus den Lebenskräften arg- und schuldloser Wesen gewonnenes Unding? Jetzt kehrte ihm die Unheilsgestalt über dem siedenden Kessel wieder ihre Vorderseite zu. Die Augen der riesenhaften Erscheinung glommen im rotvioletten Schein, als hätten sie das Licht der Flammen in sich eingefangen. Der Blick der glühenden Augen traf den Beobachter. Dann riss die schwebende Erscheinung ihren linken Arm hoch und deutete mit ihrem Zeigefinger genau auf den am Rand der Lichtung stehenden. "Du da. Tritt ins Licht und empfange den Lohn deiner Neugierde!" dröhnte die Stimme einer Frau laut wie das Röhren eines Hirsches über die Lichtung.

Der Beobachter erkannte nun, wem die über dem Kessel schwebende Erscheinung glich. Das da vor ihm war eine unheilvolle Nachbildung von Morgause selbst. Die Sumpfhexe hatte ein riesenhaftes Ebenbild von sich erschaffen. Die Erkenntnis, welche dunklen Kräfte sie dafür verwendet hatte trieben dem Beobachter den Angstschweiß aus allen Poren. Doch noch mehr Furcht durchfuhr ihn, weil das widernatürliche Wesen wusste, wo er war, ja ihn gezielt angesprochen hatte. Der Drang, die Flucht zu ergreifen wuchs in dem Beobachter. Doch irgendwas hielt ihn immer noch fest. "Tritt ins Licht, Waldon McCloud! Zeige dich mir unverdeckt!" hörte er den Befehl der Unheimlichen, die vorhin nur aus Dunst bestanden hatte und nun frei über dem immer noch wallenden Kessel schwebte.

Die Macht ihres Befehls, unterstützt von der genau auf ihn deutenden Hand, löste die Erstarrung, die ihn bisher gefesselt hatte. Doch statt nun in den Schutz des dichten Waldes zu flüchten fühlte der Beobachter, wie er Schritt für Schritt aus der Deckung heraustrat. Nach nur drei Schritten stand er bereits im flackernden Lichthof des brennenden Feuers. Er fühlte dessen Gluthauch auf der Haut, sah die lodernden Flammen, die vor ihm tanzten und wie sich sein vom Widerschein des Feuers erleuchtetes Gesicht in der silbernen Wölbung des Braukessels spiegelte, wie das Angesicht einer rastlosen Seele, der der Weg in die Welt der Toten versperrt geblieben war. Immer noch wie an unsichtbaren stricken geführt setzte der aus der Deckung herausgerufene Beobachter einen Fuß vor den Anderen. Immer näher kam er den hoch auflodernden Flammen. Er bangte, dass er gleich in das mächtige Feuer hineingezogen würde und elendig verbrennen sollte. Aber er schaffte es nicht, dem Befehl der violetten Erscheinung zu widerstreben. Jetzt stand er nur noch zwei Schritte von der steinernen Abgrenzung der Feuerstelle entfernt. Da senkte die Unheilsgestalt ihre Hand wieder. Das war für ihn, der seinem Schicksal entgegentrat, wie ein Haltebefehl. Wie vorhin am Rand der Lichtung fing ihn eine unbrechbare Erstarrung ein und hielt ihn auf der Stelle.

"Du wolltest mein Geheimnis kennen, Waldon McCloud. Du hast mein Vermächtnis mit deinem widerwärtigen Zauberwerk durchforscht, wolltest dir Wissen aneignen, dass einem Mann nicht zustand. Ich konnte nichts dagegen tun, außer dir alles zu verweigern, was du wissen wolltest. Doch nun ist der Tag nahe, wo mich wahre Schwestern der großen Urmutter von Leben und Tod erreichen können. Mein Vermächtnis wird erwachen wie ein Kind, das mit lautem Schrei die Welt begrüßt, nachdem es in der Dunkelheit des Mutterschoßes gewachsen ist. Du wolltest mein Geheimnis kennen, Waldon McCloud. Doch das steht nur einer mit den hohen Gaben geborenen Frau zu. So sei dir die Entscheidung aufgetragen, ob du den Tod oder die Abkehr vom bisherigen Leben wählen willst, Waldon McCloud, Sohn der Annis McFusty, Tochter der Cliodna Galbraith."

"Du bist nicht Morgause. Du bist nur ein von ihr erschaffenes Gebilde, ein Geschöpf aus Angst und Nebeldunst", versuchte es der in den Schein des Feuers gerufene, gegen die ihm offenbarte Erscheinung anzugehen.

"Ich bin, wer ich bin, Waldon McCloud. Doch du wirst nie erfahren, was mein Sein ist und vor allem nicht, was mein Erbe offenbaren kann, wenn du dich mir verweigerst. Also triff deine Wahl. So wie du jetzt bist, wirst du jedenfalls nicht mehr von mir geduldet bleiben. Denn ich bin erwacht."

"Dein Werk ist das des Unheils, des Leides und der Vernichtung, Morgause aus den nördlichen Sümpfen. Ich werde mich ... nicht ..." versuchte es der Beobachter erneut, gegen die ihm erteilte Anweisung aufzubegehren. Doch mit jedem mühevoll ausgestoßenen Wort aus seinem Mund fühlte er, wie die Kraft der Unheimlichen ihn immer mehr niederrang. "Triff deine Wahl! Entweder die Abkehr vom bisherigen Sein oder deinen Tod, Waldon McCloud!" hörte er die übermächtige Stimme der violett glimmenden Riesengestalt über dem Kessel. Was sollte es heißen, vom bisherigen Leben abzukehren? Das hieß doch sicher, sich dieser dunklen Zauberin da als ihr williger Sklave, als lebendes Werkzeug ihrer dunklen Taten auszuliefern. Dann wollte er doch lieber den Tod erleiden.

Unvermittelt rannte er los, genau hinein in die vor ihm auflodernden Flammen. Er sah nur noch das helle Lichterspiel und fühlte die blitzartig zunehmende Hitze. Dann kam für einen Moment der Schmerz, als er genau in das Feuer hineinsprang. Er hörte noch das laute auflachen der über dem Feuer schwebenden Erscheinung, dann war da nur noch Feuer und Glut um ihn herum. Er schrie laut und lange.

Schlagartig fiel Dunkelheit über ihn. Die verzehrende Glut war fort, ebenso wie das ihn umtosende Feuer und das laute Brodeln des darüber hängenden Kessels. Er hörte noch den Widerhall seines letzten Schreis von gerade im dunkeln aufragenden Wänden, Boden und Decke. Dann waren da nur das wilde Hämmern seines Herzens und das Fauchen des davon durch seine Ohren gepressten Blutes. Keuchend rang er um Atem. Sein Schlafanzug und das Bettzeug klebten schweißgetränkt an seinem Körper. Waldon McCloud lebte noch. Es war nur ein sehr eindrucksstarker Albtraum gewesen. Doch Waldon McCloud wusste, dass dieser Traum kein Erzeugnis seiner eigenen Vorstellungskraft war, sondern eine greifbare Ursache hatte. Denn er hatte diesen Traum schon zweimal durchlitten. Doch das Ende war immer ein anderes gewesen. Einmal hatte ihn die Unheilsausgeburt Morgauses mit einem Blitzstrahl aus ihrer Hand zu Tode geröstet. Dann hatte sie ihm einen glühenden Dolch aus der Hand entgegengeschleudert, der seinen Brustkorb in blauem Feuer hatte auflodern lassen. Jedesmal hatte er sich in Gedanken dagegen entschhieden, sein bisheriges Leben zu beenden und sich Morgauses Willen zu unterwerfen, nur um die vollständige Enthüllung ihrer dunklen Erbschaft zu erfahren.

"Das nächste mal trinke ich Träumguttee", dachte Waldon, als er sich ein wenig beruhigt hatte. Doch dann erkannte er, dass dieser so praktische Trank gegen böse Träume sein Problem nicht lösen würde. Denn seit dem 26. April diesen Jahres wusste er, dass er etwas hütete, das nach vielen Jahrhunderten endgültig sein dunkles Wesen entfalten würde, seitdem eine weltweite Woge aus dunkler Zauberkraft alle dafür empfänglichen Wesen und Dinge erfüllt hatte. Waldon McCloud wusste, dass die Macht, die er tief in seinem Haus verbarg, nicht mehr lange eingesperrt bleiben würde. Er hatte seine Verwandten gewarnt und auch seine geistigen Weggefährten, dass diese Macht gewachsen war. Trotz der von ihm und seinen kundigen Weggefährten errichteten Sperren gegen dunkles zauberwerk drängte die dunkle Kraft immer weiter nach außen.

Als er das letzte mal in jenem großen Kerker gestanden hatte, dessen mit Silber beschlagene Eichenholztür mit starken Bannzeichen verziert war, wusste er, dass er das Ding nicht mehr lange im Haus halten durfte. Doch die anderen hatten es abgelehnt, es an seiner Stelle in Verwahrung zu nehmen. Auch der alte Angus, sein Großvater mütterlicherseits, hatte es abgelehnt, den gewaltigen Silberkessel der Morgause erneut in seinen eigenen Schatzgewölben einzustellen, wo vier hundertjährige Weibchen der schwarzen Hebriden alles bewachten, was dem McFusty-Clan wertvoll oder gefährlich war, dass es auf keinen Fall in fremde Hände fallen durfte. "Du bist der einzige, der diesen Unglückstopf aufbewahren kann, ohne dass wer von dem profitieren kann. Keiner weiß, dass du den bei dir hast. Alle suchen sie danach und meinen, wir hätten den. Das ist der wahre Schutz davor, dass der wieder irgendwelchen irrsinnigen Hexen in die Finger geraten kann, Laddy", hatte ihm dieser rotbärtige Patriarch der McFustys vor vier Wochen noch aufgetischt. Der wusste ja auch nicht, welcher anderen Mission sich sein Enkel verschrieben hatte und dass durchaus noch andere Hexen und Zauberer wussten, dass er den Kessel der Morgause im Besitz hatte. Doch nur wer vom Blut der McClouds oder McFustys war konnte in den gesicherten Kerker hinein, in dem der Kessel stand. Doch wielange würde sich Morgauses Zauberkessel noch halten lassen? Die dunkle Welle hatte ihn bestärkt. Waldon hatte eine starke Ausstrahlung von ihm verspürt, die jede andere Kraft die ihn umschloss mehr und mehr zu verdrängen trachtete. Diese Wahrnehmung war sogar so stark geworden, dass er für einige Sekunden das Gesicht einer ins Riesenhafte vergrößerten Frau mit flammenrotem Haar im wie eine ruhige Wasseroberfläche spiegelnden Boden des Kessels zu sehen gemeint hatte. Da es von Morgana und ihrer Schwester viele nach ihrem Tod entstandene Zeichnungen gab wusste Waldon, dass er wahrhaftig gemeint hatte, das Gesicht der ersten Besitzerin dieses Braugeschirrs gesehen zu haben. Ja, und die Erscheinung hatte gelächelt, als freue sie sich auf etwas, das nicht mehr lange auf sich warten ließ. Von dieser Erscheinung hatte er keinem was gesagt, weder seinen Verwandten, sowie auch nicht jenen, mit denen er die magische Welt vor einer Vorherrschaft übermoralischer Despoten oder das Chaos und die Zerstörung entfesselnder Irrwitziger vom Schlage Grindelwalds oder Riddles schützen wollte. Doch nach dieser Erscheinung hatte er den ersten Albtraum von einer aus dem Dampf des siedenden Kessels entstehenden Riesengestalt Morgauses geträumt. Deshalb wusste er, dass die dunkle Macht der alten Hexe die den Kessel umschließenden Zauber immer mehr durchbrach.

"Morgen werde ich dem alten Angus noch mal vorschlagen, dass er das Ding von seinen größten Drachen zerbrutzeln lassen soll", dachte Waldon McCloud und stand auf, um sich Träumguttee zu holen, damit er zumindest den Rest der Nacht angstfrei schlafen konnte.

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Giacomo Pontevecchio traute seinen Augen und Ohren nicht, als am Morgen des 23. Juli der Zaubereiminister Italiens persönlich bei ihm vorsprach. Den hatte er zuletzt bei der Lagebesprechung für die Durchführung aller nötigen Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen zu sehen bekommen, natürlich auch bei der feierlichen Eröffnung der Weltmeisterschaft. Doch seitdem hielt der Minister sich nur bei seinen Kollegen aus dem Ausland auf, wohl um mit denen für die Zaubererwelt wichtige Angelegenheiten zu regeln. Dann hatte ihm der Minister auch noch ansatzlos auf den Tisch geknallt, dass er, Giacomo Pontevecchio, von diesem Tag an der Leiter der Freiluftüberwachungstruppe im Bereich der Wohn- und Freizeitanlagen sein sollte. Er fragte den Minister, warum das nicht von Montebiancos Leuten schon erledigt werde, gerade weil die ja auch ausgebildete Abwehrfachleute gegen dunkle Magie seien.

"Eben gerade deshalb haben Signore Montebianco und ich in dieser Nacht beschlossen, dass seine Leute sich vordringlich an den Zugängen zu den Wohn- und Freizeitbereichen postieren sollen und ausdrücklich nur noch die Agenten Vita Magicas aufspüren und bestenfalls dingfest machen sollen. Die Aufrechterhaltung der Ordnung innerhalb der Wohnbereiche sollen dann die vom Unfallumkehrtrupp übernehmen. Allerdings benötigen diese eine klare Aufgabenzuweisung, wer wo wann und wie eingesetzt wird. Da Sie neben einer hervorragenden Endprüfung im Fach Abwehr dunkler Zauberei genug Wissen für einen wirksamen Eigenschutz besitzen als auch auf Grund ihrer langen Karriere bei den verschiedenen Spitzenvereinen der Liga ein exzellenter Besenflieger sind und diese antrainierten Eigenschaften weiterhin auf hohem Niveau halten, wie ich zuverlässig erfuhr, eignen Sie sich hervorragend als Oberaufseher der Sicherheitstruppe, die mit minimalem Aufwand die von uns ausgegebenen Gebote durchsetzen soll. Das Sie im Besenkontrollamt gelandet sind und nicht bei der Strafverfolgungsabteilung liegt sicher nicht an Ihren Kenntnissen von Abwehrzaubern."

"Darf ich das als eine Art Beförderung auffassen, oder ist es eher eine Notlösung, weil die Personalverteilung für diese Weltmeisterschaft andere Anforderungen hat als ursprünglich gedacht war?" wollte Pontevecchio wissen. Der Minister verzog zwar erst das Gesicht, nickte dann aber, was irgendwie die Antwort auf beide Fragen gleichzeitig sein konnte. Dann sagte er noch: "Ich würde den Begriff Notlösung nicht benutzen, da dieser zu leicht dazu führt, Hilflosigkeit und Handlungsunfähigkeit zu unterstellen. Ich bevorzuge den Begriff taktische Umverteilung von Fachkräften. Jene, die ausdrücklich zum Kampf mit magischen Verbrechern ausgebildet wurden sollen eben dies ohne Zusatzbelastungen erledigen."

"Sie sagten, dass ich diese Aufgabe ab heute übernehmen möchte. Was darf ich tun, wenn mir diese Liebesrauschgassprüher von Vita Magica auf den Leib rücken, weil sie die Überwachung der Freizeitbetätigungen behindern oder gar auslöschen wollen?"

"Sollten Sie von diesen Leuten persönlich angegriffen werden ergreifen Sie Eigensicherungsmaßnahmen und rufen über die Ihnen ausgehändigte Vocamicus-Pfeife nach Verstärkung. Sollte das alles nicht reichen ist Ihnen im Rahmen der Bewahrung ihrer körperlich-seelischen Unversehrtheit und eigenen Freiheit jedes offensive Mittel erlaubt, dass die Angreifer wirksam zurückschlägt, solange es nicht die drei unverzeihlichen Flüche sind. Will sagen, bloß keinen Foltern, dem eigenen Willen unterwerfen oder gar totfluchen, sofern die Lage noch mit nichttödlichen Mitteln beherrscht werden kann!"

"Diese Pfeifen, ich habe keine erhalten", sagte Pontevecchio. Wie auf Stichwort holte der Minister eine kleine goldene Pfeife an einer filigranen Gliederkette aus seiner Aktentasche. "Die australischen Heiler hatten einmal eine Übereinkunft mit ihrem Ministerium, als jemand dort lebende Tierwesen zu aggressiven, gemeingefährlichen Ungeheuern gemacht hat. Unsere Leute dürfen seit drei Jahren dieses Verständigungsverfahren nutzen, auch und vor allem bei Einsätzen über weitläufigem Gelände", erklärte der Minister und legte die Pfeife vor Pontevecchio auf den Tisch. Dieser nahm sie behutsam. "Nennen Sie laut und deutlich Ihren Namen, damit die in die Pfeife eingewirkten Zuordnungszauber in Kraft treten!" befahl der Minister. Pontevecchio tat es. Danach erhielt er die schriftliche Bestätigung für die Neutzuteilung und auch die Anordnung, seinen Stellvertreter herzubitten, um mit ihm die ordentliche Amtsübergabe zu vollziehen. Pontevecchio dachte dabei mit gewisser Schadenfreude daran, dass sein Stellvertreter sich dann mit so nervigen Leuten wie der Gildfork oder Gallorosso von der Gazetta di Giochi di Magia herumärgern musste.

Der Ablösungsvorgang lief Reibungslos ab. Pontevecchio erhielt von Giovanni Montebianco noch eine Liste und mehrere Karten des Geländes, wo neben dem Zentralstadion für die Spitzenspiele noch das Sonnenaufgangs- und das Sonnenuntergangsstadion betrieben wurden, so dass in der Anfangszeit des Turniers drei Spiele parallel ablaufen konnten. Die "Fünf Dörfer", wie sie auf der Karte betitelt waren, stellten die Gastbehausungen mit Freizeiteinrichtungen dar. Die mannschaftsunterbringungen lagen weit genug von den fünf Dörfern entfernt und waren extra gesichert, nicht nur durch Montebiancos Leute. "Diese Banditen haben nach der Drohung, das Turnier vorzeitig abzubrechen, wohl was gemacht, um die Mannschaften und ihre Betreuer vor ihren Machenschaften zu schützen. Wir suchen heute noch nach diesen Vorkehrungen, weil wir wissen wollen, wann und wie diese eingerichtet wurden. Zu viel deutet darauf hin, dass innerhalb des Ministeriums Spione dieser Verbrecherbande arbeiten. Das ist wohl auch ein Grund, warum der Minister Ihnen aus dem Besenkontrollamt die Überwachung der feierlustigen Besucher zugeschoben hat", sagte der Leiter der Strafverfolgungszauberer Italiens.

"Gut, dann soll ich mich nur auf die fünf Dörfer konzentrieren", sagte Pontevecchio.

"Ausschließlich", bestätigte Montebianco missmutig. Pontevecchio, der ebensowenig seine Gefühle unterdrückte wie Montebianco erwiederte: "Tja, dann hoffe ich mal, dass diese "taktische Umverteilung von Fachkräften" besser greift als die bisherigen Maßnahmen."

"Ach ja, soweit ich weiß sollen über den fünf Dörfern zusätzliche Fernbeförderungssperren errichtet werden. Es kann also soweit kommen, dass wir eine Antiapparierzone einrichten müssen, sollten die Leute nicht langsam mal vernünftig werden."

"Wie wäre es mit einem superstarken Magnetfeld über den Dörfern, damit unerlaubt teleportierte Güter von diesen abgelenkt werden?" fragte Pontevecchio, dem seine neue Aufgabe doch nicht so behagte, wie es sein sollte.

"Witzbold, dazu müssten wir erst einmal wissen, auf welchen der vier bekannten Fernversetzungszauber diese Dinger zugreifen, die schon mehrere hundert Leute wuschig gemacht haben. Es könnten Portschlüssel sein, Objektteleportationszauber, Hauselfen, die das Zeug an ihre Zielorte tragen oder Apparatoren. Abgesehen davon stören Magnetfeldzauber die Orientierung vieler Zauberwesen und Tierwesen. Da sind manche bei, die werden sofort rammdösig, wenn sie in ein starkes Magnetfeld geraten, vor allem Vogelwesen."

"War nur ein Vorschlag", erwiderte Pontevecchio. Montebianco grummelte nur unwirsch. Dann übergab er dem neuen Freiluftsicherungsbevollmächtigten die Schlüssel zu seinem neuen Büro und den Einsatzbesen, einen Cavalli di Sole 2020, der gerade erst seit einem halben Jahr auf dem italienischen Markt war und als Antwort auf den Donnerkeil 25 und den Ganymed 12 bezeichnet wurde, allerdings noch nicht an den Feuerblitz Plus Ultra heranreichte, der wegen seiner turmhohen Überlegenheit nicht für Quidditchturniere freigegeben worden war.

Um halb zwölf traf Pontevecchio auf die ihm unterstellten hundert Leute, alles ehemalige Quidditchprofis, die nach ihrer Spielerkarriere bei der Unfallumkehrtruppe angefangen hatten. Darunter war auch Michele Torrefino, der Ausnahmejäger der Milano Meteors, der mit seiner Mannschaft von 1978 bis 1988 zehnmal in Folge den Ligapokal geholt hatte. Deshalb wurde er auch von den Fans der Meteors heute noch um Autogramme auf Quaffel oder ausgedienten Rennbesen gebeten. Da Pontevecchio bis 1986 für die Latio Lightnings gespielt hatte bestand zwischen ihnen Beiden sowas wie eine durch Verlassen des Schlachtfeldes eingetretene Waffenruhe, aber kein richtiger Friede. Denn Pontevecchio konnte nicht vergessen, dass er als Hüter allein neunzig Tore von Torrefino kassiert hatte.

"Also, der Minister und sein oberster Ordnungshüter Montebianco haben uns zusammengebracht, damit wir den ordentlichen Strafverfolgern und Dunkelkraftauslöschern die Überwachung der Gäste von den Schultern nehmen. Wir sollen die Spaßbremsen der ganzen feierlaunigen Leute sein, damit die diesem Gas von Vita Magica nicht zum Opfer fallen", sprach Pontevecchio zu den hundert Mitarbeitern. "Das heißt leider, dass wir bei den Gästen bald sehr unbeliebt sein werden und es die einen oder anderen gibt, die uns das überdeutlich zu spüren geben, wie sehr sie uns verachten. Davon dürfen wir uns aber nicht verunsichern lassen. Wir sollen verhindern, dass noch mehr Leute diesem tückischen Gas zum Opfer fallen. Ich habe hier eine Aufteilung des zu überwachenden Geländes. Jeder und jede von Ihnen kommt gleich zu mir und erhält sein oder ihr Einsatzgebiet. Öhm, wir kriegen nachher noch besuch von der Zaubertrankabteilungsleiterin des Donatello-Pratofresco-Krankenhauses, die uns mit Contramorosus-Trank versorgen wird. Ich bitte in Ihrem ganz eigenen Interesse darum, diesen Trank zu den angeordneten Zeiten einzunehmen und dann, wenn sie und ich über unseren Einsatzgebieten Streife fliegen, durch nichts und niemanden dazu verleitet werden, zu landen. Unsere einzige Chance, nicht selbst zu Opfern von Vita Magica zu werden, liegt in unserer Besenfestigkeit und unserer Flugerfahrung. Bei der Gelegenheit darf ich Ihnen von Signore Montebianco Grüße von Marcello Angelli ausrichten, dass es ihn den Umständen entsprechend gut geht. Wir alle mussten ja lesen, dass er nach dem Spiel Irland gegen England von mehreren in unbeherrschbaren Fortpflanzungsrausch versetzten Hexen überwältigt und gegen seinen Willen zum Beischlaf gedrängt wurde. Das will ich nicht selbst erleben, und ich bin mir absolut sicher, dass auch keiner von Ihnen diese Erfahrung machen möchte." Pontevecchio konnte nicht ganz verhehlen, wie sehr er den Schrecken in den Gesichtern der Zauberer genoss, als er das erwähnte. "Also halten wir uns ganz genau an die Einsatzbestimmungen", beschloss er diese Einsatzbesprechung.

Nachdem er allen Mitarbeitern die Einsatzgebiete zugeteilt und ihre Ansteckplaketten übergeben hatte gingen sie alle zum Mittagessen. Danach konnte Pontevecchio in seinem neuen Büro ausruhen und schlief sogar auf Vorrat. Dabei träumte er davon, wie eine makellos schöne Frau mit langen schwarzen Haaren ihn besuchte und ihm zärtlich ins Ohr sang, während sie ihn mit ihren schmalen Händen von oben bis unten streichelte. Als sie dann auch noch neben ihm hinsank und Anstalten machte, ihn an sich zu ziehen wachte er vom Schrillen des voreingestellten Weckers auf. In drei Stunden würde es dunkel sein, die Zeit, wo diese Banditen üblicherweise ihre alchemistischen Anschläge verübten.

Doch in dieser Nacht geschah nichts. Die fünf Dörfer blieben von jedem Angriff verschont, auch wenn die neue Schutzmannschaft einige bereits gut angetrunkene Zauberer zur Ordnung rufen musste. Pontevecchios Einsatzplan griff aber zuverlässig. Die hundert Mitarbeiter konnten von ihren zugewiesenen Positionen aus innerhalb von zwanzig Sekunden jeden Punkt in dem zugeteilten Abschnitt erreichen. Als Patrouillenflughöhe hatten sich zweihundert Meter über Grund empfohlen. Allerdings hatte sich auch erwiesen, dass der eingenommene Zaubertrank die Durchsetzungsfähigkeit eintrübte. Offenbar war ein Trank, der die Fortpflanzungsbereitschaft unterband auch ein Aggressionshemmungstrank. Sollte sich bei den Leuten da unten herumsprechen, dass die neue Schutzmannschaft im Ernstfall nicht durchsetzungswillig genug war mochte das deren Arbeit erheblich beeinträchtigen. Das musste Pontevecchio seinem obersten Vorgesetzten unbedingt mitteilen.

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Angus McFusty deutete auf zwei dunkle Punkte in südlicher Richtung. "Taranis XIII. und Tara XVIII. haben sich entschieden, sich nicht gegenseitig aufzufressen", sagte der alte Zauberer, der vom Aussehen und der Kleidung her vollkommen das Bild eines uralten schottischen Clanhäuptlings bediente. Neben ihm flog sein Enkel Waldon McCloud auf einem Besen und schien vom Treiben der sicher einen halben Kilometer entfernt fliegenden Drachen nicht so beeindruckt zu sein.

Wie es die seit Jahrhunderten gepflegte Tradition gebot sprachen die McFustys und ihre schottischen Anverwandten untereinander den auf den Inseln gebräuchlichen Dialekt des Schottischen Gälisch, zur Wertschätzung ihrer langen Ahnenreihe, die bis weit vor die angelsächsische Inbesitznahme Britanniens zurückreichte.

"Großvater Angus, es mag dich freuen, dass Tara den Platz ihrer Mutter mehr als ausfüllt, seitdem diese Muggelkrieger Morrighan abgeschossen haben. Aber du weißt, welche Sorgen ich im Moment habe", sagte Waldon McCloud frei heraus. Für den üblichen Respekt vor dem Patriarchen des McFusty-Clans war hier und jetzt keine Zeit.

"Ach, willst du mich wieder fragen, ob ich Morgauses silbernen Nachttopf bei mir unterstelle, weil du meinst, der sei durch diese unheimliche dunkle Kraft, die uns im April beharkt hat irgendwie "aufgeweckt" worden? Wieso kannst du mein Nein nicht einfach hinnehmen, Laddy? Mir ist klar, dass Morgauses koboldgeschmiedetes Geschirr nur dunkle Kräfte duldet oder verstärkt und was vor allem die selbst den dunklen Wegen folgenden Hexen sich darüber so zutuscheln, dass Morgause ihre Seele in diesen Kessel hineingegeben hat, um ihn nur ihren Ideen zugänglichen Hexen dienstbar zu machen. Aber genauso deshalb werde ich den ganz sicher nirgendwo hinstellen, wo mindestens eins unserer starken Weibchen in der Nähe ist. Denn dann könnte ein Hebridenmädchen glatt anfangen, sowas wie zielgenaues Denken zu entwickeln, weil im Kessel starke Feuerkräfte und Unterwerfungszauber verbacken sein könnten. Nein, das Ding bleibt da, wo du es hingestellt hast. Die altdruidischen Bannzauber werden Morgauses Kraft sicher weiterhin einsperren, wenn du nicht so ungeduldig bist, andauernd nachzusehen, ob der Kessel noch da steht, wo er stehen soll."

"Großvater Angus, ich schätze deine Erfahrungen und dein Recht, die Geschicke des Clans zu bestimmen", erwiderte Waldon. "Doch ich muss dir leider widersprechen. Die dunkle Macht, von der weder du noch ich wissen, was sie entfesselt hat, wirkt auf jedes mit Flüchen oder dunklen Wesen verbundene Ding oder Geschöpf bestärkend ein. Ich weiß, dass die bekannten Nachtschatten dadurch ohne Zufuhr weiterer unglücklicher Menschenseelen stärker wurden, dass es hier und anderswo Gegenstände gibt, deren verfluchte Natur nach Jahrhunderten stärker als zuvor ausbrach oder noch ausbrechen wird. Ich weiß, dass es in Afrika, den beiden amerikanischen Kontinenten und auch in Europa zum Erwachen gebannter Unheilsgeister gekommen ist. Ich wage nicht, mir vorzustellen, was wir davon alles nicht mitbekommen, bevor es zu spät ist. Doch was den Kessel angeht bitte ich um deine Zusage, ihn mit Hilfe deiner stärksten Schützlinge zerstören zu lassen. Vielleicht müssen wir ihn sogar einem deiner schwedischen Bekannten aushändigen, damit einer seiner Drachen den zerschmilzt."

"Ja, oder wir werfen ihn in einen tätigen Feuerberg hinein und hoffen, dass uns der Berg dann nicht mit lautem Getöse um die Ohren fliegt, Laddy. Doch das wird nicht klappen, Laddy, weil dieses Unding auf allem flüssigem schwimmen kann. Wenn meine Tochter Annis, deine selig in den Gefilden der Vorausgegangenen wohnende Mutter, es mir mal richtig erzählt hat, dann haben die Kobolde, die den Kessel geschmiedet haben, das Ding gegen Drachenfeuer geschützt und vielleicht auch gegen Dämonsfeuer gehärtet, was schon sehr beachtlich wäre, wenn das ginge. Jedenfalls weiß ich, dass dieser silberne Pinkelpott sich gegen jeden Versuch wehrt, ihn zu zerstören und unter Umständen die Kraft, mit der er angegangen wird, gegen den Urheber zurückspiegelt wie ein schwarzer Spiegel. Und falls es stimmt, dass diese dunkle Welle, die unsere Drachen hier zum toben getrieben hat, den Kotzeimer Morgauses wirklich verstärkt haben soll, dann müssten wir den schon in die Sonne selbst reinwerfen, damit der auch nur schwarz anläuft. Könnte dann nur passieren, dass die Sonne dabei selbst ausgeht und wir dann alle in Dunkelheit und Eiseskälte verrecken müssen, sowie das fast den Franzosen in Millemerveilles passiert ist", erwiderte Angus McFusty.

"Allein schon, dass du den Kessel mit Schimpfnamen belegst, Großvater Angus, beweist mir, dass du genausoviel Angst vor ihm hast wie ich, was übrigens für deine Intelligenz und Erfahrung spricht, Großvater", erwiderte Waldon. "Nur fürchte ich, dass ich ihn nicht mehr lange werde hüten können. Selbst wenn die echt dunklen Hexenbräute nicht wissen, wo er ist, seitdem deine und meine Vorfahren ihn aus den Händen von Melanippa von Rainbowlawn gerissen haben, könnte er doch irgendwas aussenden, was mich und jeden, der in seiner Nähe ist, verdirbt oder in den Wahnsinn treibt. Gestern hatte ich schon zum dritten mal einen Albtraum, dass ich eine aus dem Kessel entsteigende Riesenform Morgauses zu sehen bekam, die von mir verlangte, mich ihr hinzugeben oder zu sterben."

"Und wie war es mit Morgause?" wollte Angus McFusty wissenund grinste dabei für sein hohes Alter unangebracht jungenhaft.

"Ich habe immer denTod gewählt, Großvater Angus. Denkst du, ich will Morgauses Marionette werden?" stieß Waldon aus und ärgerte sich, dass er seinem uralten Großvater überhaupt von diesem Albtraum erzählt hatte.

"Morgause ist tot. Und selbst wenn sie mit ihrem silbernen Pullertöpfchen das gleiche gemacht hat, was dem Spinner Tom Riddle nachgewiesen wurde kann sie dich nur dann zu was zwingen, wenn du das Ding zum Bierbrauen benutzt oder Haggis darin kochen willst. Solange dieses silberne Ding schön gut verschlossen in deinem tiefsten Keller steht kann es auch mit zusätzlicher Anreicherung dunkler Magie nichts anderes als herumstehen. Deshalb und auch genau darum wäre es total hirnverbrannt, ihn aus der um ihn geschlossenen Bezauberung herauszunehmen und ihn irgendwoanders hinbringen zu wollen. Denn das Ding ist unapparierbar und kann auch nicht zum Portschlüssel gemacht werden. Also lassen wir diesen übergroßen Spucknapf da stehen, wo er steht, du machst noch ein paar zusätzliche Tarn- und Abwehrzauber darum herum und fertig!" grummelte Angus McFusty.

"Habe ich alles schon gemacht, seitdem ich weiß, dass die dem Kessel eigene Aura stärker geworden ist, Großvater Angus. Doch diese Ausstrahlung schwächt alle Bannzauber langsam ab. Im Grunde könnte ich jetzt jeden Tag dagegen anzaubern. Aber ich habe den starken Eindruck, dass der Kessel um so stärker wird, je länger er von ihn abschirmenden Bannzaubern zehren kann. Das ist ja seine Natur, kräftigendes in Schwächendes, Heil in Unheil umzuwandeln, wie du ganz genau weißt, Großvater Angus."

"wie gesagt, der Pinkelpott bleibt in deinem Keller, bis du zu atmen aufhörst. Dann kann meinetwegen das ganze Haus im Boden versenkt werden, damit dieser silberne Kessel für alle Zeiten im Erdboden verbuddelt bleibt. Das Ding wurde von unseren Vorfahren und einigen denen dienstbaren Kobolden geschmiedet, weil es von denen einige gab, die einen weiblichen Ausgleich zum männlichen Excalibur haben wollten, was immer die damals geritten hat, sowas zu wünschen. Das Ding kann nicht mal eben zerstört werden, höchstens durch die Glut innerhalb der Sonne selbst oder durch diesen mythischen Allzerstörungsstoff namens Substantia non Grata."

"Nun, dann werde ich mich wohl an einen alteingesessenen Alchemisten halten, ob der diesen Stoff nicht herstellen kann", knurrte Waldon McCloud.

"Selten so laut gelacht", stieß McFusty aus, der jedoch nicht im Ansatz belustigt dreinschaute. "Falls es diesen Stoff gibt dann nie länger als einen Viertelaugenblick, weil er ja von allen anderen Stoffen abgewiesen und bekämpft wird."

"So wie bei der Vernichtung des nordamerikanischen Zaubereiministeriums, Großvater Angus?" wollte Waldon wissen.

"Wahrscheinlich genau so. Da dein Haus in nicht einmal zwei Meilen Entfernung zu einer Muggelsiedlung steht hättest du dann neben dir selbst so fünftausend Muggels, Männer, Frauen und Kinder auf dem Gewissen, wenn du das nachmachst, was sich die Yankees geleistet haben. Diese Muggels würden dich im Totenreich ständig anklagen, dass du deren Leben ausgelöscht hast. Willst du nicht wirklich."

"Das ist alles richtig, Großvater Angus. Doch ich will auch nicht, dass eben diese fünftausend unschuldigen Muggels durch das, was der Kessel von selbst entfaltet zu Schaden kommen, ob direkt oder nach und nach. Vielleicht kannst du auch was beschaffen, dass die Feuerstöße von mindestens vier Drachen einspeichern und auf ein bestimmtes Wort oder eine Handreichung wieder freisetzen kann", erwiderte McCloud.

"Du willst keinen Ärger mit mir, Laddy. Du weißßt ganz genau, dass die McFustys einen heiligen Eid geschworen haben, dass niemand von ihnen das Feuer auch nur eines Drachens mit irgendwelchen Vorrichtungen auffängt oder nachahmt. Es soll da zwar solche englischen Zeitgenossen geben, die meinen, Drachenfeuer thaumaturgisch einspeichern und bei Bedarf wieder freisetzen zu müssen, aber ob von denen keiner oder keine dabei ist, der oder die dann den Kessel für sich haben will weiß ich nicht und du auch nicht", blaffte der alte McFusty.

"Vielleicht sollte ich den Kessel mit unverdünntem Drachenharn füllen und so stehen lassen", sagte Waldon McCloud und fügte verächtlich hinzu: "Dann wäre er in der Tat ein Pinkelpott, Großvater Angus."

"Ja, und du müsstest den Kellerraum mit dreimal so dicken Wänden luftdicht zumauern, damit er dir nicht um die Ohren fliegt und vor allem hoffen, dass du nicht recht hast und Morgauses dunkle Macht alles in den Kessel eingefüllte nicht auf vielfache Zerstörungskraft verstärkt. Wenn unverdünnte Drachenpisse schon halb so stark wie deren Magensäure wirkt mal ich mir lieber nicht aus, was der Kessel daraus macht. Also vergessen wir das besser auch schnell wieder", grummelte McFusty, der erkannte, dass seine abfälligen Bezeichnungen für Morgauses Kessel zu sehr unliebsamen Ideen führten.

"Dann werde ich den Keller vollständig mit Granit auffüllen lassen und den Kessel darin einschließen müssen, damit nichts und niemand sich ihm wieder nähern oder ihn forttragen kann", erwiderte Waldon McCloud.

"Tja, falls diese Leute, mit denen du dich sonst noch so abgibst dir das erlauben, Laddy", schnarrte McFusty für Waldon unerwartet. Dieser verriss fast den immer noch frei fliegenden Besen und starrte seinen Großvater an, in dessen rotes Haupt- und Barthaar schon ein Hauch von Altersweiße schimmerte. "Meinst du denn, ich bekäme nicht mit, dass du seit schon fünfzig Jahren mit irgendwelchen ausländischen Leuten kungelst, die meinen, sie müssten die Welt bewachen. Wer das genau ist weiß ich nicht und will es auch nicht wissen. Aber du darfst ruhig wissen, dass ich schon mitbekomme, was du so treibst. Da es dir offenbar keine Angst macht, dass da ein paar Hexen bei sein könnten, die zu gerne Morgauses Kessel für sich haben könnten und sowieso nur wer, in dessen Adern McFusty- und McCloud-Blut fließt in dein Haus gelangen kann beunruhigt mich das nicht weiter. Ich gehe aber mal davon aus, dass du denen den Kessel nicht ausliefern willst, nur um ihn loszuwerden."

"Wen auch immer du meinst, Großvater Angus, würde ich niemandem diesen Kessel anvertrauen, wenn von ihm eine derartige Versuchung ausgeht. Aber genau deshalb wollte ich dich ja darum bitten, ihn zu zerstören, damit mich diese Versuchung nicht doch noch überwältigt und mich in Sachen reintreibt, die du genausowenig willst wie ich."

"Laddy, der Kessel ist genau deshalb bei dir und nicht bei deiner Tante Meaghan, weil diese Versuchung nur auf Hexen wirkt und du ja schon vor Jahrzehnten beschlossen hast, mit keiner Frau zusammenzuleben oder gar Kinder zu haben. Genau deshalb hast du von deinem Vater dieses Ding geerbt, bevor deine Mutter vielleicht doch was damit anfangen wollte."

"Also noch einmal, Großvater Angus, ich werde wohl den Kellerraum mit schweren Granitblöcken ausfüllen und diese noch mit dem Saxicrescozauber zusammenwachsen lassen, damit der Kessel unverrückbar und unerreichbar bleibt. Dann muss ich aber die bisher wirkenden Bannzauber aufheben, weil die eine derartige Elementarbezauberung stören."

"Ja, und genau dann dürfte die von dir erwähnte Ausstrahlung des Kessels freie Bahn finden und sich weit über dein Grundstück hinaus ausbreiten, Waldon. Die alten Zauber halten das verflixte Ding klein. Du kannst im Grunde nur einen männlichen Drachen vor die Tür setzen. Aber dafür ist der Zugangsweg zu klein, durfte ich ja selbst schon erfahren."

"Gut, Großvater Angus. Ich danke dir, dass du mich zumindest angehört hast. Dann werde ich eben hoffen, dass niemand unbefugtes den Unterbringungsort des Kessels erfährt und dass die von ihm ausgehende Kraft nicht weiter wächst. Werde ich eben häufiger Träumguttee trinken müssen", grummelte Waldon McCloud.

"Ja, und vor allem, halte dich von Hexen fern, die meinen, sie müssten Sardonias und Anthelias Erbschaft antreten, nachdem was in Millemerveilles passiert ist, Laddy!" erwiderte Angus McFusty. Waldon dachte einen Moment daran, dass seine entfernte Cousine Ceridwen sicher auch gerne den Kessel der Morgause gehabt hätte. Doch der alte Patriarch trieb ihm diesen Gedanken sofort aus, als ob er ihn wie ein gesprochenes Wort vernommen hätte.

"Wenn selbst meine Großnichte Ceridwen fürchtet, dass Morgauses Kessel jede Hexe verdirbt, je mächtiger um so deutlicher, so ist es die beste aller schlechten Lösungen, dass er weiter bei dir bleibt, mein Enkelsohn.

Ein lautes Brüllen drang mit vielfachem Nachhall verwaschen an die Ohren der zwei fliegenden Zauberer. Offenbar hatte Taranis die Gunst der Hebridin Tara gewonnen und sich mit ihr gepaart. Aus der Ferne sahen die zwei schwarzen Punkte nun wie ein einziger aus, der wie auf unsichtbaren Sturmwellen auf- und abwogend durch die Luft glitt.

"Dann wird die dralle Tara wohl bald wieder Eier legen", brummelte Angus McFusty zufrieden. Waldon McCloud sagte nichts dazu.

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Auch auf den britischen Inseln war der Sommer heiß. Als die erfreuliche Meldung vom Weiterkommen der englischen Quidditch-Nationalmannschaft die Runde machte und es die schon fast obligatorischen Spott- und Hämeschriften gegen die unterlegenen Iren gab, war Waldon McCloud froh, dass er in seinem gegen Hitze bezauberten Haus sein durfte. Gerade braute sich ein weiterer Gewitterschauer zusammen, um sich über dem schottischen Hochland zu entladen, als Angus' McFustys Kopf im Kamin seines Enkelsohnes auftauchte. Waldon sah seinem Großvater an, dass dieser höchst verunsichert war.

"Laddy, ich ärgere mich, dass dir sagen zu müssen, aber wir müssen davon ausgehen, dass doch wer außerhalb unserer Familie weiß, dass Morgauses Kessel nicht bei uns auf den Hebriden steht, sondern weit genug weg von einem Drachen aufbewahrt wird. Ceridwen hat da einen Besenschweif rascheln hören, dass die alte O'Casy es wohl mitbekommen hat, wo der Kessel sein könnte und dass die das vielleicht ausnutzen könnte, um sich gegen die beiden dunklen Ladies aus Italien und Amerika durchzusetzen, falls die nicht sogar für eine von den beiden arbeitet", sprach Angus' Kopf. In dem Moment strahlte der erste Blitz des aufziehenden Gewitters auf. Nur eine halbe Sekunde später krachte ein wuchtiger Donnerschlag über McClouds Haus hinweg. "Ui, fast wie auf Stichwort", grummelte Angus McFusty.

"Erin O'Casy, diese Verfechterin freier irischer Hexen?" wollte Waldon wissen. "Ja, von der habe ich gehört. konkurriert die nicht mit Ceridwen darum, wer die mächtigste Kennerin altdruidischer Hexenzauber ist?"

"Nimm die Lady besser ernst, Laddy. keiner aus der irischen Zaubererwelt legt sich mit der an. Ich kenne genug irische Frechdachse, die sonst nicht mal vor einem aufgerissenen Drachenmaul davonrennen, aber sofort zittern, wenn O'Casy nur hustet", Sagte McFusty. "Aber wenn die wirklich ihr eigenes Ding durchziehen will, um sich von den Engländern loszumachen - was durchaus verständlich ist -, könnte die nachforschen, wo genau der Kessel ist. Denn die kennt die Geschichte britischer Hexen und Zauberer besser als die alte Backshot, nur dass sie damit nicht so frei hausiert hat wie Bathy Backshot und deshalb wohl auch noch am Leben ist."

"Großvater Angus, wenn irgendwelche dunklen Schwestern wüssten..." Tschrackra-bumm-bumm! Der unmittelbar mit einem weiteren Blitz zusammenfallende Donnerschlag schnitt McCloud das Wort ab. Er wartete lieber noch ein paar Sekunden, bevor er weitersprach, "Wenn irgendwelche dunklen Schwestern wüssten, " dass ich Morgauses Kessel habe hätten die mich schon längst beehrt. Gegen unerwünschtes Pack habe ich das Haus wirklich so gut es geht abgesichert, vor allem gegen Hexen. Aber wer soll das bitte sein, diese dunkle Dame aus Italien?"

"Neh, das ist jetzt nicht dein Ernst, Laddy", knurrte Angus McFusty. "Du willst mir nicht echt erzählen, dass du es nicht mitbekommen hast, dass eine von Sardonias größten Rivalinnen nach über vierhundert Jahren aus einem von Sardonia verhängten Zauberbann befreit wurde und jetzt wohl da weitermachen will, wo Sardonia sie damals aufgehalten hat. Die soll eine Mischblüterin sein, nicht im Sinne von Muggelvorfahren, sondern dass die entweder eine Sabberhexe oder eine Veela in der Blutlinie hat und deshalb besondere Kräfte haben soll. Ladonna Montefiori heißt sie. Falls du allen Ernstes noch nichts von der gehört oder gelesen hast hol das am besten schnellstmöglich nach, Laddy! Selbst wenn die nicht zu dir reinkommen kann könnte sie zumindest eine Menge Ärger machen, der auch uns betrifft. Und dass diese Hexe aus den Staaten, die als schwarze Spinne herumlaufen kann, immer noch dieses Drachenschwert hat, dass der Irre Riddle einmal gehabt haben soll weißt du sicher auch noch." Angus' Worte wurden von einem nicht ganz so nahen Donnergrummeln unterlegt. Waldon beschloss, das Gewitter zu ignorieren.

"Ja, das erwähnst du ja auch immer bei jedem Clanfest, Großvater", erwiderte McCloud. Dann dachte er, dass die erwähnte Hexe sich für Sardonias oder Anthelias Erbin hielt. Wenn die erführe, dass Morgauses Kessel noch existierte und wo sie ihn finden konnte würde sie zwar auch nicht bis zu ihm vordringen können. Doch was er von Sardonias dunkler Kuppel gehört hatte ließ ihn zumindest daran denken, dass sie ihn solange aushungern könnte, bis er ihr freiwillig den Kessel herausgab. Insofern war es günstig, sich mindestens zwei Fluchtwege offenzuhalten und alle Meldezauber auf die erklärten Feindinnen einzustimmen. Deshalb fragte er noch, ob es Bilder von Ladonna Montefiori gebe. "Wie gesagt, Laddy, ließ dich schlau. Wir haben einiges über die Lady in der Bibliothek von Schloss Teinemore, auch mit Bild. War damals ein sehr hübsches Mädchen. Das kann von diesen angemerkten Veelaeigenschaften kommen. Aber dafür hat sie zu dunkles Haar."

"So, und du meinst nicht, dass es auch schwarzhaarige Veelas geben könnte, Großvater Angus?" wollte Waldon wissen.

"Wahrscheinlich so häufig wie einen weißen Hebriden, Frechling", knurrte Angus McFusty. "Am besten kommst du stehenden Fußes zu uns rüber und wühlst dich durch unsere Bibliothek, um dir einzuprägen, wie Ladonna Montefiori aussieht. Ich hätte gerne noch das Tagebuch von der, das vor kurzem übersetzt worden ist. Aber die Ministerien haben es zur Geheimschrift erklärt, diese Sausäcke. Soll mein verschwägerter Urenkel zusehen, ob er Shacklebolt nicht dazu kriegt, dass zumindest die ältesten Zaubererweltfamilien eine Abschrift davon kriegen dürfen."

"Ich bin in zehn Minuten bei euch im Schloss, Großvater Angus", sagte Waldon. "Zehn Minuten sind neun zu lange, Kleiner", knurrte McFustys Kopf verstimmt. "Wenn ich zehn Minuten sage brauche ich die auch, Großvater. Oder denkst du, ich will mich für zwei Stunden in eure Bibliothek einschließen, ohne dass ich das Haus mit zusätzlichen Sicherheitszaubern umspannt habe und vor allem den besagten Kellerraum noch mehr absichere, wenn ich den nicht mit Granit auffüllen kann?"

"Gut, ab jetzt eben neun Minuten", grummelte McFustys Kopf. Dann verschwand er mit lautem Plopp. Waldon erkannte, dass sein Großvater es sehr eilig hatte. Offenbar hatte der alte Inselhäuptling wirklich Angst vor dieser Ladonna Montefiori, genauso wie er wohl auch Angst vor der in Australien und später Nordamerika aufgetauchten Wergestaltigen hatte, die aus einem bisher unbekannten Grund zu einer menschengroßen schwarzen Spinne werden konnte, die selbst den Todesfluch überleben konnte, ohne dass eine selbstaufopferungsbereite Mutter sich schützend in die Zauberstabausrichtung stellte. Allerdings hatte die schwarze Spinne wohl bisher ganz andere Interessen verfolgt und sich wie ein Gutteil der restlichen zaubererwelt mit Tom Riddle und dessen selbsterklärtem Nachfolger herumschlagen müssen. Doch wenn die erfuhr, dass Morgauses legendärer Zauberkessel noch existierte könnte sie finden, ihn für die achso freien und herrschaftsbewussten Hexen einfordern zu müssen.

Waldon beeilte sich, die um sein Grundstück verlaufenden Bann- und Gegenbannzauber in Sonnenlaufrichtung mit zusätzlicher Kraft aufzufrischen. Dabei stellte er sich grimmige, mit zum Angriff vorgestreckten Zauberstäben heranjagende Hexen vor. Für diese Prozedur brauchte er schon fünf der neun Minuten. Er sicherte noch alle Türen seines Hauses, dass sie in seiner Abwesenheit unbrechbar mit den Rahmen verschmolzen. Doch wovor er sich nun die größten Sorgen machte war, dass er den fensterlosen Raum im zweiten Kellergeschoss betreten musste, um zu den dort wirkenden Bannzaubern noch vorübergehende Feindesverwirrungszauber einzurichten, die er auf acht kleine Granitsteine legen musste, und zwar dort, wo die Zauber wirken sollten.

Da die schwere Eichentür gegen magische Bewegungsarten abgesichert war musste er die massive Tür mit eigener Muskelkraft aufdrücken. Denn sie war so beschaffen, dass sie nach innen schwang, um bei einem plötzlichen Druck nach außen standzuhalten.

Lumos!" zischte Waldon McCloud. Das helle Licht an der Spitze seines Zauberstabes strahlte auf und riss eine Zone geisterhaften Scheins aus der ihm entgegengähnenden Dunkelheit. Beinahe vorauseilend kniff er seine Augen zu, als er den Stab anhob und das Licht vollständig von der gewölbten Außenfläche jenes Gegenstandes widerspiegelte, der in einen stählernen, im Drachenfeuer geschmiedeten Ring verankert auf einem tonnenschweren Granitsockel befestigt war. Aus der Nähe sah Morgauses silberner Braukessel wie ein handelsüblicher Braukessel aus, eben nur, dass er aus unveränderlichem, unbeschmutzbarem Silber bestand, das weder anlaufen noch mit Ruß befleckt werden konnte. Ein weiteres wortwörtlich überragendes Merkmal des Kessels war dessen Größe. Waldon erschauerte immer, wenn er sich vorstellte, dass drei erwachsene Menschen darin eingetaucht werden konnten. Oft genug waren finstere Braumeister und Giftmischer dadurch bestraft worden, dass sie in einem wallenden Kessel zu Tode gesotten wurden. Außerdem konnten in einem derartig großen Kessel hunderte von Zaubertrankzutaten vermischt werden und eine Menge eines sehr potenten Trankes hervorbringen. Waldon wusste, dass seine Verwandte Ceridwen Barley auch einen großen Braukessel besaß. Doch ob der an die Ausmaße dieses Braukessels heranreichte wusste er nicht. Was er wusste war, dass Morgauses Kessel eben alle in ihm gebrauten Tränke zu Unheilsgebräuen machte.

Waldon hatte gerade den ersten von acht kleinen Steinen unter Opferung von zwei Blutstropfen mit einem erweiterten Feindesabwehrzauber belegt, als er es fühlte. Es war wie ein warmer Luftstrom, der aus der Mitte des Raumes hervorwehte. Er fühlte, wie der Hauch ihn umgab und durchdrang. Dann fühlte er, wie seine Eingeweide immer stärker schmerzten. Vor allem seine Geschlechtsteile schienen von jener unheimlichen Kraft beeinträchtigt zu werden. Waldon musste darum kämpfen, nicht die Besinnung auf seine Zauber zu verlieren. So schaffte er es noch, den zweiten Feindesabwehrzauber in der dafür vorgesehenen Position anzubringen. Doch der ihn wie ein immer heißer wehender Wüstenwind umfließende Hauch und die Schmerzen in seinem Unterleib forderten ihm alles ab. Er schaffte es gerade soeben noch, den dritten von acht Abwehrzaubern aufzustellen, als die ihn quälenden Schmerzen unerträglich wurden. Er wich an die Wand zurück, wollte den Raum verlassen, als er sein von Schmerzen gezeichnetes Gesicht wie in einem nach außen gewölbten Spiegel verzerrt sah. Im Streulicht seines Zauberstabs wirkte es so, als sei er in jenem Schreckensreich der Muggel gefangen, dass sie als Hölle bezeichneten. Dann verschwamm sein Spiegelbild immer mehr und wich dem ins riesenhafte vergrößerten Abbild einer Frau mit roten Haaren. Das war Morgauses Gesicht. Bisher hatte er es nur einmal auf dem gewölbten Grund des Kessels gesehen. Es nun an dessen Außenseite auftauchen zu sehen jagte dem sonst so entschlossenen Waldon McCloud einen gehörigen Schrecken ein. Dabei war es noch nicht der Höhepunkt dieser gruseligen Erscheinung.

Unvermittelt erzitterte Waldons Zauberstab. Mit leisem Knacken erlosch das von diesem verströmte Licht. Nun hätte es stockdunkel sein müssen. Doch es war nicht dunkel. Drei blutrot glühende Körper und ein in eine grünlich-blaue Aura gehüllter riesenhafter Körper durchbrachen die Dunkelheit. Morgauses geisterhaftes Angesicht glomm im grün-blauen Licht noch heller. Dann hörte Waldon eine verärgerte Frauenstimme metallisch hohl nachhallend raunen:

"Waldy, du beleidigst mein Andenken, wenn du mein Erbe mit von deinem schwächlichen Blut besudelten Feindschreckern umzingelst. Nimm sie fort, oder ich tue es."

Waldon stand so angewurzelt da wie in seinen Albträumen. Er konnte weder etwas sagen noch tun. Als die spukhafte Erscheinung im Kessel eine schier unerträglich lange Zeit gewartet hatte flogen unvermittelt grüne Funken aus der Kesselwand und stoben wild knisternd durch den Kellerraum. Wo sie auf die Wände trafen zersprühten sie prasselnd zu grünen Blitzen ähnlich dem Elmsfeuer. Wo sie auf die drei nun aus sich selbst blutrot glimmenden Zaubersteine trafen fraßen sie sich in diese hinein, bis diese mit kurzen scharfen Knalllauten zu Staub zerbarsten. Jeder der drei zerplatzten Steine jagte Waldon einen schmerzhaften Hitzestoß durch den Körper. Doch nun war der Bann gebrochen. Waldon konnte sich wieder frei bewegen. Er verwarf die Idee, die weiteren Steine zu bezaubern, zumal der Ring dann unvollständig sein würde. Er hastete zur immer noch offenen Eichenholztür, die in ihren Angeln zitterte wie bei einem Erdbeben. "Verharre für ein Wort!" dröhnte ihm die metallisch nachhallende Stimme einer Frau entgegen. Er wirbelte herum, ehe er sich besann, dass er eigentlich keinem Befehl gehorchen wollte. Nun sah er Morgauses leuchtendes Gesicht vor sich und hörte sie sagen: "Mein Erwachen steht unmittelbar bevor. Du hast mich mit deinen Niederhaltezaubern lange genug unterdrückt. Doch bald werde ich frei sein und denen helfen, die mein Werk und meinen Willen würdigen werden. Du hast nur zwei Möglichkeiten zur Wahl, Waldon McCloud, schwächliches Kalb einer unterwürfigen Zuchtkuh: Kehre deinem bisherigen Leben den Rücken oder stirb einen gnadenlosen langen Tod! Bis zum nächsten vollen Lichte der Mutter der Nacht hast du Zeit. Hast du dich bis dahin nicht entschieden, sei es dein gnadenloser, langer Tod. und nun gehe. Aber wage es nicht, jemandem zu künden, was ich dir gekündet habe! Denn wem immer du es erzählst, dem werde ich nach dem Erwachen den Tod schicken."

"Dein Spuk kann mich nicht schrecken, Morgause. Du bist die Gefangene deiner eigenen bösen Taten", erwiderte Waldon und deutete auf den Kessel. "Außerdem werde ich mich nicht wie ein unterwürfiger Hund von dir befehlen lassen."

"Die Wahl ist dein, Waldon. Wähle ein besseres Leben oder einen schmachvollen und sehr qualvollen Tod!" erwiderte das im Kessel eingelassene Gesicht Morgauses. Dann erlosch die gespenstische grün-blaue Aura, und die geisterhafte Erscheinung der einstmals so mächtigen Hexe verschwand übergangslos. Gleichzeitig flammte Waldons Zauberstablicht wieder auf. Der heiße Hauch, der ihn bis zur Zerstörung seiner drei bereits gewirkten Feindesabschreckzauber gequält hatte, war verebbt. Jetzt stand da nur ein überlebensgroßer silberner Kessel auf seinem Sockel.

Waldon ärgerte sich, als er fluchtartig den Raum verlassen und die Tür von außen zugeschlagen und verriegelt hatte. Er war wie ein kleiner Junge vor einem lautem Buh davongelaufen. Andererseits hatte die Geisterfratze Morgauses mehr als nur Buh gesagt und vor allem hatte er die immer größer gewordene Ausstrahlung des Kessels sehr deutlich und schmerzhaft zu spüren bekommen, um ihr so schnell es ging zu entrinnen.

Auch wenn Wände, Decke und Boden des Kellerraums mit verschiedenen starken Abschirmzaubern belegt waren zweifelte Waldon nicht daran, dass Morgauses Warnung ernst war. Sie hatte wahrhaftig ihre eigene Seele mit dem Kessel verbunden und durch die dunkle Welle im April ein vielfaches an Kraft gewonnen. So konnte ihre Forderung, nichts zu verraten wie ein durch ihn übertragbarer Fluch wirken, der jeden ereilte, der von ihm erfuhr. Allerdings wusste Waldon nun noch weniger, wie er diesen Unheilskessel loswerden sollte. Denn ihm war nun auch klar, dass jeder, der Morgauses im Kessel gefangenen Geist missfiel, in tödlicher Gefahr schwebte, sobald er oder sie in den Wirkungsbereich seiner Ausstrahlung geriet.

Die letzte der ihm gewährten neun Minuten verbrachte Waldon nun damit, sich wieder zu beruhigen. Er würde seinem Großvater auftischen, dass er die von ihm beschlossenen Zauber ordentlich ausgeführt hatte und deshalb zwei oder drei Stunden Zeit hatte. Vielleicht sollte er sogar fragen, ob er die Nacht im Stammschloss des McFusty-Clans übernachten sollte, weit weg von der britischen Hauptinsel und damit auch vom silbernen Kessel der Morgause.

Als er mit Hilfe von Flohpulver aus dem Haus abreiste meinte Waldon, dass er einem grauenvollen Schicksal noch einmal entronnen war. Als er aus dem imposanten Marmorkamin im rot-schwarz-goldenen Ehrensaal von Schloss Teinemore, dem bald eintausend Jahre alten Familiensitz der McFustys heraustrat war es ihm, als sei er aus einer eiskalten in eine sommerlich warme Weltgegend hinübergewechselt. Das konnte aber auch an den frei in der Luft zwischen der viele Manneslängen messenden Tafel und der getäfelten Decke schwebenden Kerzen liegen. Der Patriarch des McFusty-Clans erwartete ihn schon mit seinem erstgeborenen Sohn und seinem ältesten Neffen. "Gerade so noch rechtzeitig, Laddy", knurrte Angus McFusty seinen Enkelsohn an. Doch dieser überhörte das.

Die Lektüre in der für Familienmitglieder betretbaren Bibliothek half jedoch nicht, seine Furcht zu vertreiben. Im Gegenteil. Er erfuhr, dass Ladonna Montefiori zu ihrer Zeit mindestens so gnadenlos mit Magie hantiert hatte wie Sardonia oder jener, der von den meisten anderen Zauberern und Hexen der Gegenwart immer noch nicht beim Namen genannt werden konnte. Allerdings hatte sie mehr Wert auf die Unterwerfung und Beherrschung von Menschen gelegt als sie einfach so umzubringen. Stimmte es, dass sie nicht getötet, sondern nur in Zauberschlaf oder Versteinerungsbann versetzt worden war, so konnte sie nun, wo sie offenbar daraus befreit worden war, zur neuen Geißel der Menschheit werden. Womöglich hatte Sardonia davon erfahren, dass Ladonna mit den Veelas verwandt war oder es zumindest für möglich gehalten. Denn Veelas pflegten jeden zu töten, der einem der ihren das Leben nahm und brachten sogar dessen Blutsverwandte um, um jede Spur der Familie des Untäters aus der Welt zu tilgen.

Natürlich kannst du die Nacht hier schlafen, Waldon", sagte Angus McFusty, als Waldon nach insgesamt drei Stunden die Bibliothek verließ und es draußen schon stockfinster war. Dabei hatte Waldon nichts dergleichen erwähnt. Doch offenbar fand der alte Patriarch, dass sein Enkelsohn in der Nacht nicht alleine bleiben sollte.

"Falls sie wirklich veelastämmig ist, Großvater Angus, so könnte sie gegen viele der von mir gewirkten Zauber gefeit sein oder mit Veelazaubern dagegenhalten. War es das, warum du wolltest, dass ich die über sie verfügbaren Texte nachlese?" wollte Waldon McCloud wissen.

"Unter anderem auch, Laddy. Und falls das mit der Waldfrauenabstammung auch kein Märchen ist könnte sie sogar die Kraft lebender Bäume ausnutzen, um ausdauernd und allen Menschen überragend zu zaubern. Nur kann ich jetzt immer noch keinen Antrag auf Zuteilung einer Kopie der Tagebuchübersetzung einreichen, weil ich dem von afrikanischen Kolonialvölkern abstammenden Ex-Auror Shacklebolt und diesem Muggelzeugbegeisterten Artuhr Weasley nicht aufs Butterbrot schmieren will, warum wir besonders viel Sorge wegen dieser Sabberhexe haben", grollte der Clanhäuptling der McFustys wie ein Drache, dem jemand das Fressen fortnehmen will.

"Ja, doch wie ich dir gesagt habe fürchte ich, dass der Kessel durch die dunkle Welle im April noch mehr Macht bekommen hat. Am ende wirkt er wie ein Leuchtfeuer auf jede Hexe, die in Morgauses Fußstapfen treten möchte", sagte Waldon McCloud und schickte sofort hinterher: "Deshalb verstehe ich, dass ich ihn nicht aus dem Kellerraum heraustragen darf, in dem er jetzt steht."

"Die Ideallösung wäre sicher jenes Ding, das als Incantivacuum-Kristall bezeichnet wird", meinte McFusty. "Doch die Dinger sind unter Verschluss im Zaubereiministerium."

Waldon wollte gerade was dazu sagen, als ein bohrender Schmerz in seinem Kopf jeden Gedanken an den Einsatz dieses Mittels verdrängte. Er erkannte, dass selbst hier, weit genug weg von seinem eigenen Haus, Morgauses Macht auf ihn wirkte. Jetzt wusste er auch, dass jede Form von Angriff auf den Kessel seinen Tod bedeutete, sofern es nicht gleich im ersten Ansatz gelang, ihn zu zerstören.

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"Wie, die feiern keine Party mehr? Nur wegen hundert Leuten auf fliegenden Besen?" ereiferte sich Pater Decimus Maris Nostri, als er am Abend nach dem Spiel Frankreich gegen die USA einen Bericht erhielt, dass die Fans der US-Amerikaner von Ministeriumszauberern auf fliegenden Besen nachdrücklich zum Rückzug in ihre Wohnhäuser gedrängt wurden. Auch die Franzosen, die zumindest einen gebührenden Abschied aus dem Turnier feiern wollten, hatten sich dieser Truppe gebeugt und ihre Frustfete in ein gegen den Regenbogenwind abgesichertem Zelt gefeiert. Somit hatte es keinen Sinn gemacht, die Gasladungen hinzuschicken.

"Offenbar ist dem Minister oder seiner Herrin eine neue Taktik eingefallen", meinte Perdy, der zusammen mit Pater Decimus Maris Nostri in einem Überwachungsraum saß.

"Ja, die Bluthunde jagen am Boden, während eine Truppe Hilfswächter wie die Geier über den fünf Gastdörfern kreisen. Offenbar gehen sie davon aus, dass wir unseren Regenbogenwind losschicken, ohne vorher zu prüfen, ob es sich lohnt oder nicht. Oder sie wollen wissen, wie wir das auskundschaften, wann es sich lohnt."

"Damit dürfte die Operation 1000 Quaffel geplatzt sein", meinte Perdy dazu. "Was, die Weltmeisterschaft ist noch nicht halb um. Da werden wir die Sache nicht aufgeben", polterte Pater Decimus Maris Nostri. "Wir haben die beste Möglichkeit, viele tausend Hexen und Zauberer aus aller Welt zusammenzutreiben und dadurch eine Vielfalt magischer Nachkommen zu bewirken. Das lassen wir uns nicht vermiesen."

"Ja, und was wollen wir machen?" fragte Perdy. >"Montebianco und den neuen Überwachungsbeauftragten einsacken", sagte Pater Decimus Maris Nostri. "Wir setzen die unter Mater Vicesima secundas Haube und kneten sie uns zurecht und schicken sie wieder zurück und ..."

"Eh, Vincenzo, geh bitte davon aus, dass Montebianco sicher schon von Ladonna Montefiori kontrolliert wird. Bist du ein hungriger Fisch, dass du ihren Köder schlucken willst?" fragte Perdy. "Das ist noch lange nicht bewiesen, dass diese Mischblüterin das italienische Zaubereiministerium übernommen hat. Du und Véronique unterstellt meinen Landsleuten, dass sie sich so leicht überrumpeln lassen", schnaubte Pater Decimus Maris Nostri.

"'tschuldigung, Vincenzo, aber wir haben die schon viermal ausgetrickst, deine achso erfahrenen Sicherheitsleute. Und die wissen, dass wir es immer wieder versuchen, sobald mehr als hundert Leute sich unter freiem Himmel treffen. Also kann deine wiedererwachte Mitbürgerin das auch, wenn sie heimlich genug vorgeht oder alle wichtigen Leute aus einem ganz wichtigen Grund zur selben Zeit am selben Ort zusammenbekommt, um ihre Version eines Beeinflussungsgases anzuwenden. Tja, und dass neben dem Minister der Finanzbeauftragte, der Straverfolgungsleiter und der Leiter der Überwachungsbehörde für magische Geschöpfe für sie sehr wichtige Ziele sind streitest du sicher nicht ab."

"Sag Mater Vicesima Secunda, dass sie bitte ihre Erinnerungsumformungsmaschine ölen und aufziehen soll. Ich schicke meine Leute raus und kassiere diesen Besenbändiger Pontevecchio. Oder hältst du den auch für wichtig genug, dass Ladonna Montefiori den schon für sich vereinnahmt hat?"

"Für sie selbst dürfte er nicht wichtig genug sein", sagte Perdy. "Aber genau deshalb gibt er einen genialen Köder ab. Oder isst du die Würmer selbst, nachdem ein Fisch sie geschluckt hat?"

"Ich angel nicht, ist mir zu langatmig und ekelhaft", grummelte Pater Decimus Maris Nostri verdrossen. Dann sagte er noch: "Ich bringe den in meine Niederlassung. Véronique möchte bitte ihre Wundermaschine dorthin bringen lassen."

"Nichts für ungut, aber zum einen sind in deiner Niederlassung vierzig Neugeborene und Wiederverjüngte mit ihren Müttern und Ammen. Abgesehen davon kannst du alleine nicht beschließen, was Mater Vicesima Secunda tut oder nicht tut."

"Kann ich wohl, Kleiner. Denn gemäß der von allen Ratsmitgliedern unterschriebenen Übereinkunft kann ein ranghohes Mitglied der Gemeinschaft die in seiner Heimat ablaufenden Unternehmungen, die gegen die gesamte Gemeinschaft zielen, nach seinem oder ihrem Gutdünken bekämpfen, sofern dabei ausschließlich Landsleute des betreffenden Ratsmitgliedes einbezogen werden. Außerdem könnte ich als einer von zehn italienischstämmigen Angehörigen des Rates bei der nächsten Sitzung einfordern, dass Véronique uns allen erzählt, wieso die Montaneras nicht wie ursprünglich geplant in einer weit von Italien entfernten Niederlassung ausharren, sondern gleich vollständig wiederverjüngt wurden, ohne dass sie darum gebeten hätten. Insofern hat die werte Véronique sich gegen Mitglieder unserer Gemeinschaft vergangen. Außerdem hindert sie drei fruchtbare Hexen für mehr als zwölf Jahre daran, weitere Kinder zu bekommen. Also wird deine Mentorin und zeitweilige Beilagergenossin meine Wünsche erfüllen und diesen Pontevecchio für unsere Ziele umstricken. Morgen früh um sieben sitzt dieser Besenbändiger unter dieser ominösen Haube, oder um zehn tritt der Rat zusammen und bespricht die mutwillige Störung der Operation 1000 Quaffel sowie die regelwidrige körperlich-geistige Wiederverjüngung von Cassandra, Claudia und Loredana Montanera."

"Öhm, wovon träumst du nachts?" fragte Perdy. "Denkst du allen Ernstes, Mater Vicesima Secunda hätte das mit der Wiederverjüngung durchgezogen, wenn es keinen wichtigen Grund dafür gegeben hätte? Sicher, die drei wussten davon nichts. Doch in der Übereinkunft steht auch drin, dass Mitglieder der Gemeinschaft, die absichtlich oder unabsichtlich die ganze Gemeinschaft gefährden, unschädlich gemacht werden dürfen, sofern dies ohne ihren Tod herbeizuführen möglich ist. Lies dich bitte noch mal schlau, Vincenzo! Die Übereinkunft und die Statuten unserer Gemeinschaft sind unter anderem auch auf Italienisch niedergeschrieben, ebenso auf Latein."

"Ich kenne diese Regel auch, Bambino sbagliato. Doch da steht auch drin, dass die Gefährdung durch ein Gemeinschaftsmitglied offenkundig und für alle Mitglieder nachvollziehbar sein muss und auch eben, dass die Betroffenen vorher darüber in Kenntnis gesetzt werden müssen, dass sie als Gefährder erkannt wurden, um entweder den bereits angerichteten Schaden zu korrigieren oder sich freiwillig wiederverjüngen zu lassen. Freiwillig heißt, dass sie wissen müssen, dass ihnen diese Maßnahme droht, wenn sie nicht helfen, die von ihnen ausgehende Gefahr einzudämmen. Tja, Maschinenspieler, da guckst du jetzt wohl sehr dumm aus der Wäsche."

"Klär das mit Véronique. Sie hat die Hoheit über die Erinnerungswandler. Wahrscheinlich wird sie dir erklären, warum wir die Montaneras nicht erwachsen lassen durften", grummelte Perdy.

"Braucht die nicht. Sie hat gegen die Übereinkunft verstoßen und basta. Wenn sie mir hilft, dass wir die 1000 Quaffel erfolgreich zu Ende bringen muss das keiner vom Rat wissen. Hilft sie mir nicht, kann die sich mit den von ihr so stolz in die Welt hineingestoßenen Bambine von diesem dicken Muggelweltvehikeldirigenten zusammen neu großfüttern lassen. Vielleicht lässt du dich aus purer Loyalität zu ihr in die Nachbarwiege legen."

"Wie erwähnt, klär das mit ihr selbst, sofern Ladonna Montefiori dich überhaupt noch dazu kommen lässt!"

"Ach, wollen wir jetzt noch mit bösen Leuten drohen, kleiner Mann?" feixte Pater Decimus Maris Nostri. "Ich habe es nicht nötig, mich hinter einer so gefährlichen und unberechenbaren Mischblüterin wie Ladonna Montefiori zu verstecken, falls du das andeuten möchtest. Im Gegenteil, ich warne dich ausdrücklich davor, auf ihr Spiel einzugehen. Wenn die den Minister sicher hat - und der hat diesen Pontevecchio zum Überwachungsaufseher gemacht -, dann spekuliert die darauf, dass wir uns das nicht bieten lassen und uns Pontevecchio oder seine Mitarbeiter einfangen. Erinnerst du dich noch an dieses Ding mit den Fernrufschnatzen am Silbernetz?"

"Dagegen sind wir jetzt abgesichert. Allels von Magie durchdrungene Metall kann bei der Ankunft unschädlich gemacht werden, das wir es gefahrlos zerstören können. Hat dir Diana das noch nicht gesagt, Herr Thaumaturgiegroßmeister?"

"Wann soll die mir das gesagt haben, Vincenzo? Ich habe sie seit der Erkundung von Ladonnas Räuberhöhle nicht mehr gesehen", erwiderte Perdy.

"Melo? - Ach neh, dazu müsste sie das ja mit dir gut genug können, und du bist ja kein Blutsverwandter oder Freund von ihr", erwiderte Vincenzo abfällig. Perdy steckte diese Bemerkung lockerer weg als die Vorhaltung, dass Mater Vicesima Secunda drei Gemeinschaftsmitglieder ohne ausdrücklichen Beschluss des Rates vollständig wiederverjüngt hatte.

"Ich habe meine Zeit jetzt lange genug mit dir Zukunftsmärchenfan vertan. Ich werde diesen Pontevecchio in fünf Minuten einkassieren und bis morgen früh um sieben mitteleuropäischer Sommerzeit in Zauberschlaf versenkt halten. Sitzt er dann nicht unter dieser Wunderhaube, tritt um zehn der hohe Rat des Lebens zusammen. Dixi!"

"War nett, dich gekannt zu haben, Vincenzo. Ähm, wenn du nicht davon abzubringen bist, sorge zumindest bitte dafür, dass dein Sohn nicht mit dirzusammen aus der Welt verschwindet oder gar von Ladonna zu ihrem persönlichen Deckhengst gemacht wird! Ach ja, und schaff ihn bitte nicht dahin, wo unschuldige Kinder aufwachsen!"

"Ruf deine Mentorin und zeitweilige Bettgenossin und gib ihr weiter, was ich von ihr erwarte!" fauchte Vincenzo und verließ den zehn Mal zehn Meter großen quadratischen Raum mit der hufeisenförmigen, dreistufigen Instrumentenanordnung.

Perdy saß einige Sekunden da und überlegte, ob er Véronique jetzt aufwecken sollte. Nach der Zwillingsgeburt brauchte sie immer noch viel Schlaf. Andererseits war es zu brisant, um es ihr erst nach dem ordentlichen Wecken zu servieren. So wagte er es, sie anzumentiloquieren.

"Was um Belenus', Merlins und Hermes Trismegistos' Willen ist so wichtig, dass du mich aufweckst, Perdy?" bekam er nach dem sechsten Versuch eine zu erwarten ungehaltene Rückmeldung von ihr unter seine Schädeldecke.

"Deine und vielleicht auch meine Zukunft, Véronique. Vincenzo will nicht warten, bis diese von Bernadotti aufgestellte Partyvermiesungstruppe es unmöglich macht, genug Leute unter freiem Himmel mit dem Regenbogenwind zu bestreichen. Der will sich den Überwacher dieser Truppe in seine Niederlassung ziehen und dort in unserem Sinne ummodellieren. Deshalb will er, dass du eine deiner Erinnerungsumformer zu ihm hinbringst und das für ihn durchziehst", setzte Perdy an und machte einige Sekunden Pause. Sein Kopf brummte schon heftig. Dann schlug er vor, das über die Zweiwegspiegelverbindung weiterzubesprechen.

"Du bist in der chilenischen Niederlassung, wo Karussell eins läuft?" wollte Véronique wissen. Perdy schickte ihr ein Ja zur Antwort. "Gut, ich komme mit Anne-Catherine und Berenice Sophie zu dir rüber und lasse mir das alles berichten. Hoffentlich können wir dann noch das schlimmste verhindern."

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"Halt dich von ihm fern!" diese überdeutliche Gedankenbotschaft stach wie ein Dolch durch seinen Geist. Er flog gerade zweihundert Meter über dem Boden über seinem zugeteilten Abschnitt des roten der fünf Dörfer. Es hieß so, weil hier die meisten Varanca-Reisehäuser rote Dächer hatten oder roten Früchten nachempfunden waren, Erdbeeren, Kirschen, Fliegenpilze und auch jene Apfelhäuser, von denen eines in Millemerveilles stand, wie er von der letzten Weltmeisterschaft wusste. Wer mit "ihm" gemeint war wusste der Überwacher, denn er hatte mit dem Absender der Gedankenbotschaft schon überlegt, wie es denn weitergehen konnte, jetzt wo er und 99 andere zu ministeriumseigenen Spaßbremsen gemacht worden waren, überwacht und dirigiert von dieser lahmen Ente Pontevecchio. Wieso der Minister ausgerechnet den und nicht jemanden wie ihn zum Capo dieser Überwachungstruppe gemacht hatte begriff er nicht. Denn dann hätte sich sicher eine Gelegenheit ergeben, die eine oder andere Party stattfinden zu lassen, um sie durch den Regenbogenwind zu einem unvergesslichen Erlebnis zu machen. So würde er sich selbst verdächtig machen, wenn er zuließ, dass sich junge Hexen und Zauberer ungehindert im Freien treffen und feiern konnten.

"Habe verstanden", schickte der Patrouillenflieger zurück, während er mit seinem Besen ein paar Kreisbahnen ausflog.

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Ladonna Montefiori saß in ihrem Labor im Keller der Girandelli-Villa. Sie summte eine nur grünen Waldfrauen vertraute Zaubermelodie, mit der sie entweder einen Blutsverwandten oder ein mit ihr durch Austausch von Körpersäften gefügig gemachtes Opfer finden und wie beim Exosenso-Zauber dessen Sinne wahrnehmen konnte. Eigentlich konnte sie das nur bei einer lebenden Person zur Zeit. Deshalb hatte sie sich gut überlegt, wem diese fragwürdige Ehre zu Teil werden durfte. Als sie dann die Möglichkeit sah, zumindest einen geheimen Unterschlupf von Vita Magica zu finden, wo ihr das über die Montanera-Hexen nicht gelungen war hoffte sie darauf, dass ihr ausgelegter Köder angenommen wurde. Der Zauberer, den sie dazu gemacht hatte, wusste nichts davon. Sie hatte ihm durch intensivenSpeichelaustausch und vier Tropfen von ihrem Blut und die entsprechenden Bindungszauber wie an einer beliebig langen Leine angebunden und konnte ohne dessen Wissen in seine Wahrnehmungen eintauchen und durch eine weitere Eigenschaft des Zaubers auch erfassen, wie weit er von ihr fort war. Jetzt sah sie durch seine Augen, wie er weit über fünf ringförmig angelegten Siedlungen auf einem Besen flog und dabei durch ein Fernglas sah, das das einfallende Licht auf für die Augen noch verträgliche Helligkeit verstärkte und zudem auch noch die für Menschenaugen unsichtbare Wärmeausstrahlung von lebenden Wesen oder Feuerstellen sichtbar machte. Ja, die Thaumaturgie hatte in den letzten vierhundert Jahren etliches praktische hervorgebracht. So konnte sie durch seine Augen mitverfolgen, wie fünf Hexen und sechs Zauberer die Fahne Norwegens schwangen und darum bemüht waren, zu einem von Bäumen umstellten Platz zu gelangen. Aus anderen Richtungen kamen weitere Hexen und Zauberer dazu. Wie alt sie waren konnte Pontevecchio von oben nicht sehen, bis eine der Hexen ihren Kopf hob und in seine Richtung sah. Sie war sicher gerade erst volljährig geworden. Da Pontevecchio es vermied durch die leuchtende Mondscheibe zu fliegen konnte sie ihn erst nicht erkennen. Doch das täuschte, erkannten Pontevecchio und Ladonna im selben Moment, als die Hexe ihren Zauberstab an die Khele hielt und wohl ein Zauberwort murmelte. Dann hörten Pontevecchio und seine heimliche Überwacherin sie mit einer unnatürlich lauten Stimme etwas rufen. Sogleich disapparierten die gerade erst eintreffenden Hexen und Zauberer und schließlich auch die Hexe, die gerufen hatte.

"Es ist doch erstaunlich, dass ein einzelner Beobachter eine ganze Meute junger Leute ins Drachenfeuer treiben kann, wenn er mit genug Befugnissen ausgestattet ist", dachte Ladonna Montefiori. Immerhin hatte Pontevecchio schon drei Versammlungen aufgelöst und die spontanen Festgäste zu schmerzhaften Geldbußen verurteilt. Das hatte sich in der Welt der jungen, feierlaunigen Hexen und Zauberer herumgesprochen. Ladonna würde wohl bald den Minister persönlich fragen, weshalb der nicht gleich so vorgegangen war. Doch zunächst galt es, Pontevecchio weiter zu überwachen.

Die nächsten zwanzig Minuten geschah nichts, außer das drei weitere heimliche Freilufttreffen von siegestrunkenen Norwegen-Fans entdeckt und im Keim unterbunden wurden. Dann jedoch passierte es so schnell, dass Pontevecchio es nicht begreifen konnte, Ladonna jedoch sofort wusste, was da passierte. Denn fast hätte die Bande namens Vita Magica sie auf dieselbe Weise verschleppt.

Schlagartig fiel etwas sackartiges über Pontevecchio nieder und zog sich um ihn zusammen. Dann war da ein wilder lauter Farbenwirbel, der ihn in ein schwarzes Nichts hineinriss, das wie der Trichter einer besonders starken Windhose wild wirbelte. Ladonna fühlte, dass Pontevecchio gerade nicht für sie erreichbar war. Sie brach den Kontakt ab, wollte ihn erst in einer Minute wieder aufnehmen.

Als die Minute vorbei war war es ihr, als schwimme Pontevecchio in einer milchigen Flüssigkeit und habe Wasser in den Ohren. Nur verschwommen und dumpf konnte er hören, dass mindestens drei Leute um ihn herum waren. Sofort besann sich Ladonna auf die Ortungseigenschaft ihres Bindungszaubers. Pontevecchio musste demnach irgendwie weiter südwestlich seines ersten Standortes sein. Dann drang an seine natürlichen und Ladonnas geistige Ohren das Zauberwort "Perithanasia!" Sofort löste sich jeder Laut und jeder Funken Helligkeit in einem Meer aus lautloser Dunkelheit auf. Sie hatten ihn wahrhaftig mit dem Schlaf der Todesnähe bezaubert. Jetzt konnten sie ihn wohl in Ruhe untersuchen, ob er für sie gefährliches Zauberwerk am Körper trug. Doch damit hatte Ladonna gerechnet und einen anderen Weg gewählt, den diese Banditen wie sie hoffte, noch nicht kannten und deshalb diese Entführung sehr bitter bereuen würden. Ein hinterhältiges, in Triumph umschlagendes Grinsen zeichnete Ladonnas überirdisch schönes Gesicht. Diese Narren hatten den Köder geschluckt. Sicher, sie hatte nicht genau erkennen können, wo sie ihn hingeschafft hatten. Aber sie musste jetzt auch nichts mehr tun.

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"Was hast du dem alten Vincenzo Torrefino erzählt?" wollte die Hexe wissen, die seit mehreren Jahrzehnten den Vornamen Véronique trug. Perdy rief die Aufzeichnung des Gespräches auf, die er heimlich gemacht hatte. Nur er und Véronique wussten, dass er heimliche Schallspeicherzauber in seinen Kommandostand eingewirkt hatte. Nachdem sie beide die kurze und heftige Unterredung einschließlich der an sie ergehenden Drohung gehört hatten verzog Mater Vicesima Secunda ihr Gesicht zu einer wütenden Grimasse.

"Du warst damals noch nicht in der Gemeinschaft, als das mit Alarica Felsenbein passiert ist", seufzte Véronique. "Das war genau am dritten Geburtstag meiner zweiten Enkeltochter. Ich weiß das noch, als wäre es gestern gewesen, wie ich mich mit meiner damaligen Schwiegertochter gestritten habe, weil sie unbedingt wollte, dass ihre zweite Tochter nach Beauxbatons mit einem der Marat-Zwillinge zusammengebracht wird und weil meine Schwiegertochter die fixe Idee hatte, Großmutter eines Kindes zu werden, dessen Ahnenlinie aus drei Zaubereiministern und fünf Großheilerinnen besteht. An und für sich hatte ich damals schon nichts dagegen, dass eine Hexe möglichst viele Kinder bekommt. Aber damals dachte ich auch, dass nur sie das bestimmen sollte, von wem und wie viele, weil ich es an mir gemessen habe, dass ich gerne Mutter wurde und deshalb nicht einsah, dass andere Hexen kinderlos bleiben könnten. Außerdem wusste ich damals, dass die Maratsippe erstens nur reinblütige Familien anerkannte, und die Ururgroßmutter meiner Schwiegertochter war eine Hebamme der Muggel. Das hätte den Marats nicht gefallen. Abgesehen davon galt eine in die Familie einheiratende Hexe eben nur als Blutlinienverlängerung, nicht als eigenständig arbeitsberechtigte Hexe. Nur unmittelbar in die Familie hineingeborene Töchter durften was werden, aber dann bitte nur im Heil- und Pflegefach. Aber ich vertue meine Zeit mit Rückschweifung", knurrte Véronique. "Jedenfalls war es an diesem Tag, dass Alarica Felsenbein als Spionin von Grindelwald enttarnt wurde und vor dem Rat des Lebens aussagen sollte, was Grindelwald ihr so schönes versprochen hatte. Der Kerl konnte ja wirklich sehr überzeugend auftreten. Alarica wollte nichts verraten, auch nicht, wer sie Grindelwald zugeführt hatte. Es hätte ja immerhin auch sein können, dass sie unter dessen imperius-Fluch gestanden hatte. Meine Erinnerungserkundungshaube war damals noch nicht ausgereift. Sie konnte noch zu leicht durch Okklumentik und gezieltes Denken an unbewegliche Objekte ausgekontert werden. Deshalb haben sie es wohl mit Veritaserum versucht. Resultat: Als Alarica wohl endgültig erkannte, dass sie verspielt hatte löste sie damit einen von Grindelwald auf sie gelegten Amokfluch aus, der sie fünfmal so stark wie sonst machte und ihr den Drang auferlegte, jeden Menschen in Reichweite zu töten. Zwanzig Ratsmitgglieder wurden dabei grausam zerstückelt. Kein Schockzauber konnte sie betäuben, kein Lähmzauber länger als zwei Sekunden binden. Incarcerus war zu schwach für die Überstarke. Einer der Überlebenden wendete den Infanticorpore-Fluch an. Die Reinitiatoren waren ja noch in sehr weiter Ferne. Doch auch als Säugling konnte sie weiter um sich schlagen, kratzen und mit ihren kleinen Händen böse Wunden reißen. Außerdem wurde ihr Körper immer heißer wie in einem auf dem Feuer stehenden Kessel. Erst als eine andere Hexe des Rates den Obleviate Totalum auf Alarica gezaubert hatte hörte ihr Amokanfall auf. Wie erwähnt, zwanzig Ratsmitglieder sind dabei gestorben. Und Deshalb ist in den Sessel unter der Haube ein dreifaches Maledictometer eingebaut, das auf Körper und Geist wirkende Flüche erkennt und bestimmt, damit sie vor der Sitzung mit der Haube zumindest unterdrückt werden können."

"Seitdem gilt dann wohl, das ein Gemeinschaftsmitglied, das im Verdacht steht, wissentlich oder unwissentlich zur Gefahr für die anderen zu werden, vorsorglich vollverjüngt wird, also Körper auf Neugeboren und Gedächtnis auf neugeboren", seufzte Perdy.

"Genau, Perdy. Und das hätte dieser sizilianische Bergbauernlümmel, der es immerhin auf zehn eigene Kinder gebracht hat längst nachlesen können, seitdem das mit den Montaneras gelaufen ist. Immerhin war Loredana in dieser Versammlungshöhle. Der Fluchtvereitelungsfluch war zwar durch die Wiederverjüngung getilgt, aber Ladonna konnte Verbindung zu ihr herstellen und sie damit zur unfreiwilligen Ortsmarkierung machen."

Eine kleine Silberdose vibrierte wild. Perdy klappte deren Deckel hoch. Aus der leeren Dose scholl es blechern: "Heh, Bambino sbagliatoo, wir haben Pontevecchio eingesackt und in meine Niederlassung geschafft. Wir sollten uns auf Netze verlegen, die groß genug sind, auch fliegende Besen einzuschnüren. Aber wir haben ihn jetzt bei uns. Damit er nicht unfreiwillig weitermeldet, dass er bei uns ist habe ich ihn gleich in den Schlaf der Todesnähe versenkt, der erst endet, wenn ich ein bestimtes Losungswort ausspreche. Öhm, falls du deine Mentorin und zeitweilige Konkubine noch nicht erreicht hast hast du noch fünf Stunden Zeit. Sitzt der Besenbändiger nicht unter ihrer Gehirndurchspülhaube ist sie drei Stunden später selbst ein Wickelkind, oder sagen wir mal vier Stunden, weil der Rat ja immer mehr als zwei Meinungen diskutieren muss."

"Kennst du den Fall Alarica Felsenbein, Vincenzo?" rief Perdy in die offene Silberdose. "Falls nicht lies dich in der von dir gesetzten Frist besser schlau, sonst plärrst du in drei Stunden in den Armen einer neuen Ziehmutter wegen Erpressung eines anderen Ratsmitgliedes", fügte er hinzu.

"Ach, du dreifach großer Mercurio, die alte Kamelle mit dem Amokfluch Grindelwalds", knurrte Vincenzo, und es klang nicht mehr entschlossen, sondern erschrocken. "Will deine frühere Bettwärmerin sich darauf herausreden?"

"Jetzt ist aber langsam mal gut hier", blaffte nun Véronique in die Silberdose. "Das mit der Konkubine habe ich noch überhört, weil aus dir die blanke Rachsucht spricht, dass ich deinen Großvater damals nicht rangelassen habe, wie du dich so gerne auszudrücken beliebst. Aber die Bettwärmerin war zu viel. Aber weil wir immer noch Kollegen sind nur so viel: Schick Pontevecchio zurück, von wo ihr ihn geholt habt. Meinetwegen lasst ihn im Zauberschlaf. Den kann ja jeder größere Schmerz oder eine vollständige Verwandlung und Rückverwandlung wieder aufheben. Aber schickt dieses schon tickende Basiliskenei wieder in sein Nest zurück!"

"Wusste doch, dass du sofort springst, wenn dir wer am Rock zieht, Madame Véronique. Aber das mit den Montaneras war keine Notwehr wie damals bei Alarica, auch wenn der Rat es danach als Grundlage bei ähnlichen Vorfällen empfiehlt. Deshalb kann und werde ich dich drankriegen, und du kannst dann froh sein, wenn du zumindest im Vollbesitz deiner Erinnerungen neu aufwachsen darfst und nicht als wiederverwendbare Windel für eine deiner eigenen Töchter benutzt wirst."

"Werde selbst erst mal erwachsen, Vincenzo. oder war was in deinem Abendtrunk, das dir nicht bekommt?" fragte Véronique.

"Wie dem auch sei, Mater Vicesima Secunda: Ich will von Pontevecchio wissen, ob er mit Ladonna Montefiori zu tun hatte oder nicht. Falls nicht gibst du ihm eben ein neues Gedächtnis und er landet wieder da, wo er herkam."

"Bei dir setzt wirklich was aus, Vincenzo. Wenn wir ihn nicht sofort zurückschicken könnte ein möglicher Fluch in ihm losgehen, wenn er nicht ständig mit wem in Verbindung steht. Wir hatten es doch schon davon, als Loredana uns ihre Erlebnisse in Ladonnas Versammlungshöhle geschildert hat. Schick den sofort wieder zurück!" blaffte Perdy.

"Von einem, der es toll fand, mal wieder in die Hosen kacken zu dürfen und an anderen Hexenbrüsten saugen zu dürfen muss ich mir nicht vorhalten lassen, dass bei mir was aussetzt, Bürschchen. Ich habe Pontevecchio jetzt hier und warte auf deine Ex-Lebensabschnittsgefährtin, wenn ihr das Wort besser gefällt."

"Ihr habt ihn hoffentlich auf blutgebundene Flüche untersucht, Vincenzo", sagte Véronique.

"War nicht nötig. Der hatte in seiner rechten Hinterbacke ein kugelförmiges Goldstück, vom Durchmesser her ein Zehntelsolicino oder eine Achtelgalleone, falls dir diese Währung geläufiger ist. Da steckte wirklich eine Menge dunkler Magie drin. Aber unser Fluchunterdrückungsapparat, der von meiner derzeitigen Holden Diana, hat den Fluch zerstreut. Sie vermutet, dass es ein gespeicherter Feuersbrunstzauber war, ähnlich dem, was diese Mafia-Baronessa in Catania aus der Welt gebrannt hat. Deshalb können wir jetzt ziemlich sicher sein ..."

"Dass ihr voll in Ladonnas Falle gerannt seid", stieß Perdy überlaut aus. Mit seiner Kinderstimme klang das noch schriller als es sein sollte. "Das Ding war eine Ablenkung und zugleich ... Schickt Pontevecchio sofort wieder weg, raus aus deiner Niederlassung, so weit es geht!"

"Was bitte sollte diese Goldkugel denn anderes sein als eine kleine Feuerbombe, die wir noch rechtzeitig entschärft haben du ...", sprach Vincenzo. In diesem Moment sprühten wild knisternd blaue Funken aus der Silberdose und schwirrten mehr als zwei Meter nach oben. Perdy und Véronique sprangen gerade noch zurück, um nicht davon getroffen zu werden. Gleichzeitig gab die Dose ein lautes, finales Fauchen von sich. Dann war es vorbei. Die letzten Funken zerstoben laut knackend in leerer Luft. Das unheimliche Fauchen verstummte. Perdy sah, dass die Dose inwändig schwarz angelaufen war. Im nächsten Moment summte eine andere Silberdose so laut, als habe jemand hundert Hornissen darin eingesperrt. Perdy klappte den Deckel auf und meldete sich mit seinem Namen.

"Perdy, gerade hat das Angriffshorn losgetrötet und auf meiner Karte aller Niederlassungen blinkt jetzt der Punkt für die Niederlassung auf Sizilien dunkelrot auf und ... Oha, jetzt steht an der Stelle "ISTE". Was bitte heißt das?" klang laut aber metallisch nachhallend die Stimme eines noch jungen Zauberers, der im Sicherheitshauptquartier der Gemeinschaft Dienst tat.

"Installatio secreta tota exterminata", seufzte Perdy. Véronique nickte. Da alle eingeschworenen Gemeinschaftsmitglieder klassisches Latein, Altgriechisch und fünf europäische Sprachen zu lernen hatten, bevor sie wichtige Aufgaben übernahmen brauchten sie dem jungen Zauberer am anderen Ende der Fernsprechdosenverbindung nicht zu übersetzen, was das hieß.

"Aber, wie geht das?" wollte Perdys jüngerer Fernsprechpartner wissen. "Ja, jemand hat gegen ausdrückliche Warnungen einen feindlichen Zauberer in diesen Stützpunkt hineingeholt, der eine starke Vernichtungswaffe an oder in sich trug", seufzte Perdy. "Weiteres, wenn ich den Stützpunkt mit den Fernerkundern untersucht habe, Guillermo."

"Soll der Rat informiert werden?" wollte die Stimme aus der zweiten Dose wissen. "Ja, soll er. Ich mache das, wenn ich vorführbare Angaben habe, was, wie und warum, Guillermo. Notirere aber auf jeden Fall Datum und Uhrzeit, damit wir das sicher protokollieren können!" sagte Perdy. "Si, Compadre", klang die Antwort aus der Fernsprechdose.

"Oha, diese Vernichtungskraft hätte fast auch uns erwischt, in mehr als sechstausend Kilometern entfernung, Véronique", seufzte Perdy. "Dieser von allen guten Geistern verlassene Narr", stieß Véronique aus. "Zumindest wissen wir nun, dass es wirklich nicht ratsam ist, Ladonnas neue Marionetten zu uns hinzuholen, solange wir keinen wirksamen Fluchumkehrer für alles haben. Doch frage ich dich jetzt auch, was genau das mit dem Goldklumpen sollte."

"Wie gesagt, ein Ablenkungsmanöver und vor allem Auslöser des wirklichen Todeszaubers. Aber näheres sollten wir im Rat besprechen, wenn wir wissen, ob von Vincenzos Niederlassung noch wer überlebt hat."

"Du hast ihn gewarnt, du hast versucht, was du von hier aus konntest. Er wollte nicht hören. Es ist nur sehr traurig, dass er womöglich dreißig fähige Mitglieder der Gemeinschaft und vierzig neu aufwachsende Zaubererweltkinder mit ins Verderben gerissen hat. Leite bitte die Erkundung ein! Aber bedenke dabei bitte, dass die Niederlassung ähnlich verseucht sein kann wie das in die Luft gesprengte Zaubereiministerium!" Perdy nickte. Dann fand er endlich zu der entschlossenen Haltung zurück, die ihn viele Jahrzehnte von Höhen und Tiefen, hunderte von vollen Windeln und die abfälligen Bemerkungen der großgebliebenen Mitstreiter hatte erdulden lassen.

"Ich schicke da eh nur meine Erkunderkugeln hin. Nicht dass da gerade ein neuer Vulkan ausbricht oder dass Ladonnas aufgeplatztes Basiliskenei das berühmte Tor aus Dantes Höllenbeschreibung aus den Angeln gesprengt hat."

"Soweit ich weiß kannst du die von den Kugeln eingefangenen Bilder räumlich darstellen. Mach das bitte für mich mit!" sagte Véronique. Dann verfiel sie in eine konzentrierte Haltung. Perdy ging davon aus, dass sie mit wem mentiloquierte. Inzwischen bereitete er die Erkundung der italienischen Niederlassung vor. Damit seine Erkunderkugeln dort überhaupt reinkamen musste er sie auf das dort wirkende Portschloss abstimmen, sofern es noch vorhanden war. Dann setzte er alle in seine neuen Ausspähvorrichtungen eingewirkten Erfassungs- und Weitermeldezauber in Kraft. In grünen Lichtspiralen verschwanden drei von vier Kugeln zeitgleich. Die vierte der zur Zeit fünf verfügbaren Kugeln stimmte Perdy darauf ab, fünfhundert Meter über der Erdoberfläche über dem Standort der Niederlassung von Pater Decimus Maris Nostri zu erscheinen. Dann winkte er jeder der vier Wände seines Kontrollraumes zu. Die weiße Oberfläche verschwamm und machte einer Ansicht wie durch ein blitzblank geputztes Panoramafenster Platz. "Die Ansicht mit Mond und Sternen ist Kugel vier, Véronique", sagte Perdy. Dann erstarrte er beim Anblick dessen, was die anderen drei magischen Wände zeigten.

Eine der Kugeln glitt dem vorab erteilten Auftrag folgend durch die Gemeinschafts- und Küchenräume der Niederlassung. Mit ihrem Vermögen, selbst den kleinsten Lichtfunken zu verstärken war zu sehen, dass die Wände dunkel angelaufen waren und bereits zu zerfallen begannen. Die von tiefen Furchen und halbkugelförmigen Kratern durchzogene Decke bog sich immer mehr nach unten durch. Außerdem konnten sie sehen, dass in den Gemeinschaftsräumen leicht angerußte Stühle standen, auf denen hellgraue Aschehaufen lagen. In einer der Küchen bot sich ein noch größeres Bild der Zerstörung. Die Herdstellen mussten regelrecht zerschmolzen sein. Auch hier waren die Wände schon zerfallen, und die Decke hing bereits bedrohlich tief durch. Perdy tippte ein ohrenförmiges Symbol an der Markierung an, die mit der gerade beobachteten Ansicht verknüpft war. Sofort hörten sie beide ein unmissverständliches Knirschen, Knarzen und Knacken. Es prasselte und rumpelte, als die ersten Stücke aus der herabsinkenden Decke brachen.

Perdy erschrak, als er am rechten Arm gepackt wurde. Sein Blick flog nach rechts und sah in das schreckensbleiche Gesicht seiner Mentorin Mater Vicesima Secunda. Sie keuchte hektisch und deutete mit vor Entsetzen starren Augen in Richtung einer Bildwiedergabewand. Perdy fragte nicht erst, was sie da sah, sondern blickte ebenfalls die Wand an. Er verstand sofort, was seine Mentorin derartig entsetzt hatte. Denn diese Darstellung zeigte die Sicht von Kugel drei, die gerade durch den Mutter-Kind-Trakt der Niederlassung flog. Er sah halbverkohlte Wiegen, in denen weißgraue Aschehaufen lagen, Kinderbetten mit verrußten und verbogenen Gittern, in denen ebenfalls kleine Aschehaufen lagen. Auf dem angesengten Kissen einer Wiege lag ein nur leicht angerußter Schnuller. Er sah noch drei hochlehnige leicht nach hinten gekippte Sessel, die von den Müttern und Ammen als Stillsessel benutzt wurden. Auf einem davon lag ein weiterer Aschenhaufen. "Martinella", seufzte Véronique sehr betroffen. Perdy verstand. Martinella war eine von Véroniques Enkeltöchtern. Auch sie hatte im letzten Jahr drei Kinder empfangen und erst vor wenigen Wochen in der italienischen Niederlassung geboren. Soweit er wusste waren es Kinder von Gérard Dumas, dem überneugierigen französischen Zauberer. Jetzt waren sie alle vier nicht mehr da, nur noch weißgraue Aschehaufen in einer von allem Leben leergebrannten, im Einsturz begriffenen geheimen Zuflucht.

"Es hat sie alle ohne Vorwarnung erwischt, Veronique. Der einzige Trost könnte sein, dass sie es nicht einmal gespürt haben", brachte Perdy mit einem großen Kloß im Hals heraus.

"Prüfe bitte nach, ob irgendwo noch jemand überlebt hat!" wisperte Véronique, die sicher mit aufkommenden Tränen rang. Perdy musste sich hierfür eine Vorrichtung aufsetzen, die wie ein Helm mit über die Ohren klappbaren silbernen Klappen aussah. Unter dem Helm war noch eine Brille mit froschaugenartigen Gläsern. Perdy setzte sich diese kybermentische Überwachungs- und Steuerungsvorrichtung auf und fädelte sich durch kurze Zauberstabstupser in die Übermittlungen einer Kugel ein. "Menschenfindezauber negativ. Tierische Lebensenergiequellen ebenfalls negativ. Pflanzliche Lebensquellen positiv. Moment, ich guck mir mal Kugel vier an", sagte er und tastete mit einer Hand auf einer der drei stufenartig übereinander angeordneten Instrumentenbänke herum wie ein Klavierspieler, der unvermittelt erblindet ist und erst lernen muss, wo die Tasten liegen. Als er die gewünschte Stelle gefunden hatte führte er den Zauberstab nach und berührte den gesuchten Punkt.

"Der karge Wald ist immer noch unversehrt", sagte Véronique, die sich wohl selbst mit einem Blick auf Kugel vier ablenken musste. "Die Bäume stehen so wie sie wohl schon seit Jahrzehnten stehen."

"Kugel vier erfasst pflanzliche Lebensformen, aber nichts tierisches, keine Insekten, keine Schlangen, keine Vögel und keine Säugetiere. Dunkles Feuer frisst jede Lebensform", sagte Perdy. "Aber Schmelzfeuer verbrennt ausschließlich Fleisch und Blut von Tieren, oder was bei den Insekten und Spinnen wie Blut sein soll." "Ja, aber es kann nur durch direktes Übergreifen neue Nahrung finden", fauchte Véronique. Die abgrundtiefe Trübsal war bereits einer gerade noch im Zaum gehaltenen Verärgerung gewichen. Perdy indes wiegte seinen behelmten Kopf und versuchte zu erkennen, was genau vorgefallen war. Dann knurrte er verdrossen: "Ich brauche unbedingt eine dieser Rückschaubrillen."

"Wenn du schon eine dieser Kugeln direkt steuerst, kannst du doch auch magische Nachwirkungen sicht- und hörbar machen, richtig?" grummelte Véronique ihren Zögling an. Dieser nickte ganz behutsam. Dann antwortete er: "Ich frag erst mal, was die eingebaute Magiestreuungserfassung zeigt und ... Ui, alle Bereiche voll in der Sättigung, wie die Messtechniker der Muggel sagen. Will sagen, alle eingearbeiteten Zauberkrafterfasser schlagen voll aus. Eine genaue Magieerkennung ist deshalb gerade nicht drin."

"Strahlung?" wollte Véronique wissen. Perdy hantierte wieder mit Zauberstab und freier Hand. Dann schüttelte er den Kopf. "Keine Radioaktivstrahlung. Überhaupt keine ... Das ist voll merkwürdig. Normalerweise kriegen wir ja sowohl aus dem Weltraum Strahlung auf die Erde, als auch durch natürliche Kernzerfallsprozesse eine gewisse Grundstrahlung aus der Erde selbst. Aber der Strahlenfinder nach Herbregis und Dawn wird nicht einmal gekitzelt. Das passt auch zu der Wärmeanzeige, die Kugel drei mir geliefert hat. In der nun langsam zusammenkrachenden Niederlassung herrscht gerade eisige Kälte wie am Nordpol im Winter."

"Das wäre bei dunklem Feuer auch üblich", erwiderte Véronique, die Perdys Konzentration auf seine neuen Spielsachen genutzt hatte, um sich Tränen aus den Augen zu tupfen. scheinbar beruhigte sie sich wieder. Doch Perdy kannte seine Mentorin. Ladonna hatte ihr persönlich den Krieg erklärt, eine unabwendbare Blutfehde, an deren Ende eine von beiden den Tod finden würde. Doch im Moment wollte er nichts sagen, um sie darauf anzusprechen oder ihr gar davon abzuraten.

"Seuchengefahr, Perdy?" wollte Mater Vicesima Secunda noch wissen. Ihr zeitweiliger Lebensgefährte und geistiger Zögling prüfte wohl was nach. "Luftprobe enthält keine uns bekannten Erreger. Aber ich lasse jede einzelne Kugel keimfrei spülen, wenn sie wieder auftaucht. Mist, ohne Rückschaubrille kriegen wir echt nichts mit!"

"Du könntest glück haben, Perdy. So wie es aussieht kommen da gerade welche an, die sicher sowas mithaben", sagte Véronique. Schnell wechselte Perdy auf die Ansicht von Kugel vier und nickte heftig. "Gut, wenn die welche mithaben hören wir mit. Ich stelle die Schallübermittlung von Kugel Vier auf direktweitergabe und nutze die Schallbündelungsfunktion, dass ich die Kugel nicht näherheranbringen muss", sagte Perdy.

Wenige Minuten später sahen sie zehn Hexen und vierzig Zauberer auf Besen über dem Waldstück herumfliegen, unter dem in mehr als hundert Meter Tiefe die italienische Niederlassung von Vita Magica verborgen lag. Die fünfzig Besenflieger trugen Umhänge, die bei Tageslicht sicher dreifarbig waren, im natürlichen Mondlicht aber gerade mal in drei Grautönen erschienen. Nun konnten sie mithören. Da beide sehr gut Latein und auch brauchbar italienisch konnten verstanden Véronique und Perdy, was gesagt wurde.

"Also, wenn es hier gewesen sein soll hat es keine physischen Auswirkungen gehabt", behauptete einer der Zauberer. "Außer, dass hier keine Tiere sind, Sergio?" fragte ein anderer. "Hier sind überhaupt keine Tiere, keine Vögel, keine Fledermäuse, keine Insekten", ergänzte eine der Hexen aus der Truppe. Die Hörqualität war ausgezeichnet, dachte Véronique.

"Magierückstände?" fragte einer der wohl älteren Zauberer. "Moment, muss gerade das Incantimeter ... Oha, alles auf Höchstwerten, als wenn hier gerade hunderte von uns ganz mächtige Zauber ausführen. Ich kriege keine Bestimmung hin", sagte ein anderer.

"Gut, alle mit Incantimetern und Maledictometern von hier aus in alle Himmelsrichtungen ausschwärmen und soweit fliegen, bis eindeutige Bestimmungen der hier gewirkten Zauberkraft möglich sind."

"Der Boden ist in Aufruhr, als wenn tief unter uns etwas verschoben oder zusammengedrückt würde", erwähnte ein weiterer Zauberer, der mit einer im Mondlicht glitzernden Wünschelrute herumging.

"Soviel zu den nicht erkennbaren physischen Auswirkungen", feixte eine ältere Hexe, die Véronique an der Stimme erkannte. "Valeria Monteleone", grummelte Véronique.

"Ach die, mit deren Mutter du dich damals über den Umgang mit den Muggeln gezankt hast, Véronique?" "Eben jene. Und die Tochter ist genauso eine Muggelhasserin wie ihre Mutter geworden. Würde mich nicht wundern, wenn sie bei den Nachtfraktionsschwestern Mitglied ist."

"Hier ist es zwei Zehntel kälter wie in zwei Kilometern entfernung", bemerkte eine weitere Hexe, die wohl sowas wie ein Wärmemessgerät geprüft hatte.

"Sag ich ja, soviel zu nicht erkennbaren physischen Auswirkungen", bemerkte die Hexe, die Véronique als Valeria Monteleone erkannt hatte.

"Geht die Wunderbrille aus Frankreich hier, Marco?" fragte der ältere Zauberer. Die Antwort hörte Véronique nur halb, weil gerade drei weitere Mitstreiter in den Überwachungsraum eintraten. "Jetzt wird's spannend", bemerkte Perdy noch, bevor Véronique ihm mitteilte, dass die von ihr einbestellten Ratsmitglieder eingetroffen waren.

"Hier hat es vor genau zehn Minuten einen Ausbruch blauer, sich windender Flammen gegeben, Signore Treventi. Die sind übergangs- und vorwarnungslos aus dem Boden geschlagen und haben sich blitzartig um die Bäume geschlungen oder sind dazwischen hindurch geschlagen. Ich gehe mal auf Zeitverzögerungsrückschau - Ui, sieht bei hundertfacher Verzögerung noch gruseliger aus. Die Flammen strecken sich wie lodernde hellblaue Krakenarme aus dem Boden und tasten genau in die Richtung, wo offenbar gerade Vögel und andere Baumbewohner waren. Die hüllen die Wipfel ein und erzeugen neue Flammen. Ich kann sehen, wie ein Nest mit zwei Vögeln regelrecht aufflammt. Die Vögel zerschmelzen. Sie fackeln nicht ab, sondern schmelzen wie Wachs in der Kerzenflamme. Wenn das Schmelzfeuer sein soll ist es eine Art, die viel stärker ist als der übliche Fluch. Dann ist klar, warum es uns wieder alle Spürsteine zerblasen hat."

"Ein Schmelzfeuerinferno?" fragte der älteste Zauberer der Truppe, der Anrede nach sicher Austrino Treventi, ein äußerst fähiger Thaumaturg und Leiter der Truppe gegen magische Unfälle.

"Dann stimmt es wohl, dass dieser Aufruhr von ihr hervorgerufen wurde. Also wahrhaftig ein Racheakt gegen Vita Magica wegen deren Rammelrauschgas-Angriffe", sagte der mit der Rückschaubrille. "Nur für's Protokoll: Die Flammen nähren sich von tierischem Leben, lassen aber Pflanzen völlig unversehrt. Sie werden von lebenden Tieren regelrecht angezogen wie von Magneten. Die nach oben ausgreifenden Flammen erreichten dreifache Baumwipfelhöhe. In der Flächenausbreitung dürften sie einen Bereich von vierhundert Metern Durchmesser überstrichen haben. Alle Flammen entsprangen einem gemeinsamen Ausgangspunkt. Emiliano kann das sicher korrekt ausrechnen, wo der ist."

"Klar, gib rüber die Rückschaugläser!" sagte ein untersetzter Zauberer mit hellem Haarkranz. Dieser hantierte gerade mit glänzenden Instrumenten, die mal rot und mal blau aufleuchteten. Offenbar konnte er jedoch nichts brauchbares davon ablesen. Sein Kollege Marco stellte die Rückschaubrille wohl wieder auf Jetztzeitansicht um und übergab sie dem Zauberer mit den leuchtenden Instrumenten.

"Das Zentrum des Flammenausbruchs ist etwa zwanzig Schritte in Richtung Nordnordwest. Der Bündelung nach könnte der Ausbruch in einer Tiefe von hundert Metern plusminus zehn Metern erfolgt sein. Aber das rechne ich euch nachher noch genauer aus. Ich fokussiere mich nur mal auf den unmittelbaren Ausbruchszeitpunkt. Bitte nicht ansprechen!" Emiliano verfiel in eine so konzentrierte Haltung, dass alle respektvoll Abstand zu ihm nahmen und bloß kein Wort zu viel sagten.

"Emiliano Fibonacci", brachte Perdy mit Ehrfurcht in der Stimme heraus. "Der hat bis vor zehn Jahren noch Arighmantik, Zauberkunst und Astronomie in Gattiverdi gelehrt."

"Ach der, der behauptet hat, wenn wir Magier nicht endlich eigene Rechenmaschinen erfinden würden könnten wir den Muggeln nur noch hinterherwinken?" fragte die hinzugekommene Nela Fargas, alias Mater Undecima Iberica, die sich auch sehr für Arithmantik und Sternenkunde interessierte.

"Ja, der ist das wohl. Jetzt kriegen wir endlich ein Bild von dem. Und die Magiesättigung blockiert seine Messsgeräte genauso wie unsere", grinste Perdy. "Ja, und recht hat er auch, dass wir endlich auch eigene Computer brauchen, die mit Magie laufen können. - Ups!" Unvermittelt war vor dem ersten Rückschaubrillenträger Marco ein Teil des Bodens weggesackt.

"Achtung, Leute, die Erde könnte nachgeben. Was immer dort unten war oder ist bricht zusammen!" warnte der, welcher mit der Wünschelrute herumging. "Was du nicht sagst, Paulo", schnaubte Marco und deutete auf die unvermittelt entstandene Kuhle, die immer breiter und immer tiefer wurde.

"Gut, alles auf die Besen und abheben! Emiliano, du guckst dir diese blaue Feuerhölle besser aus zwanzig Metern über Grund an!" befahl Treventi und ging mit gutem Beispiel voran. Alle hier versammelten stiegen auf ihre Besen und stießen sich vom Boden ab. Doch Emiliano Fibonacci hörte erst, als auch unter seinen Füßen der Boden ins Sinken geriet. "Ui, da stürzt offenbar was ein", meinte das von Perdy gepriesene Arithmantikgenie von Gattiverdi. Dann schwang auch er sich auf den Besen und startete noch schneller durch als seine 49 Kolleginnen und Kollegen.

"Ich hole die anderen Kugeln zurück", sagte Perdy und hantierte wieder mit seiner Steuerungsvorrichtung. Auf den anderen drei Bildwänden konnten die hier zusammengekommenen Ratsmitglieder sehen, wie immer größere Stücke aus der Decke brachen und immer mehr Wände immer schneller auseinanderbrachen und dabei Gesteinsbrocken durch die Gänge schleuderten. Die hier umherfliegenden Kugeln mussten den herausgesprengten Trümmern ausweichen wie direkt auf sie abgefeuerten Geschossen.

"Kollegen, sie meint, wir würden wohl beobachtet", sagte einer der Zauberer, der noch nicht mit Namen angesprochen worden war. "Hier ist kein Mensch und auch kein Spähgerät unterwegs, Pontio. Das hätten wir doch mit unseren Enthüllungslampen sofort erkennen müssen", widersprach einer der anderen und hielt einen zigarrenförmigen Gegenstand aus Silber hoch, der merklich zitterte.

"Bei der Reststreuung hier nützen die Dinger so viel wie Strohballen als Abwehrmauer gegen Drachen", schnarrte Valeria Monteleone und zeigte ebenfalls eine sichtbar schwingende Silberzigarre. Perdy grinste. Natürlich kannte er die in Italien erfundenen Enthüllungslampen, die aus Occamysilber, eingewirkten Demiguisenhaaren und einem Winzsplitter Sonnenquarz hergestellt wurden. da die Gemeinschaft dieses praktische Instrument zur Aufspürung getarnter Dinge und Wesen oder Sichtbarkeitserzwingung von unsichtbarkeitsfähigen Zauber- und Tierwesen schon vor fünf Jahren untersuchen konnte hatte Perdy seine Erkunderkugeln gegen dieses Aufspürwerkzeug abgesichert.

"Wenn die echt wen oder was unsichtbares hier herumfliegen haben wissen die Leute von Vita Magica jetzt, dass sie einen ihrer geheimen Stützpunkte ausgebrannt hat", sagte Treventi mit einer für einen Ministeriumszauberer unerwarteten Schadenfreude. Wenige Sekunden später befahl er: "Los, alle abrücken. Die Aufzeichnungen müssen in die zuständigen Abteilungen. Das gilt auch für Sie, Professore Fibonacci!" bellte Signore Treventi.

Die Zauberer und Hexen nahmen mehr Höhe und flogen davon. Auch die, die ausgeschickt worden waren, um die hier wirkende Magie anhand der Restwirkung zu bestimmen flitzten auf ihren Dienstbesen davon.

"Amtlicher geht es wirklich nicht", knurrte Véronique, als die fünfzig Ministeriumsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter wie der Wind davonbrausten. Perdy tippte derweil mit dem Zauberstab dreimal auf ein Symbol, das wie ein in einem roten Kreis eingezeichnetes umgekehrtes Ausrufezeichen aus Gold beschaffen war. In dem Moment erloschen alle vier fensterartigen Bilddarstellungen. Die Wände wurden wieder mattweiß. Dann erschienen aus grünen Lichtspiralen die vier nun mattblau glänzenden Kugeln, bei denen sich gerade noch die letzten Taster einzogen. Unverzüglich entstand um jede der Kugeln eine rote Lichtblase. "So, die sind im Quarantänefeld, Véronique. Ich beame mal eben genug Keimbannlösung zu denen rein, damit die gründlich abgespült werden", sagte Perdy noch. Tatsächlich tauchten unter der oberen Polwölbung jeder Leuchtblase glitzernde Tropfen der bekannten Keimabtötungslösung auf und ergossen sich über die Kugeln, die wie auf ein unhörbares Kommando alle eingezogenen Tastvorrichtungen ausfuhren und sich von der direkt in den roten Sphären erscheinenden Flüssigkeit vollständig umschließen ließen. Dann zogen sie die Vorrichtungen wieder ein, fuhren sie noch einmal ganz aus und zogen sie wieder ein. Das wiederholte sich zehnmal.

"Sterilisationsvorgang abgeschlossen", quäkte eine mädchenhafte Stimme aus leerer Luft. Dann zogen sich die roten Leuchtblasen noch einmal ganz eng um die umschlossenen Kugeln zusammen. Dabei schienen sie die in ihnen schwappende Flüssigkeit regelrecht einzusaugen. Dann umschlossen sie die Kugeln wie eine leuchtende Haut, blieben einige Sekunden so und erloschen dann.

"Gut, die Damen und Herren, ich schicke alles auf Pergament übertragbare an den Rat. Torrefino wollte doch eine Sondersitzung um zehn Uhr. Bis dahin dürften alle erfassten Daten präsentabel sein", sagte Perdy.

"Gut, die Bildaufzeichnungen wollen wir auch in Laufbilddarstellung sehen", sagte der von Véronique hinzubestellte Pater Undecimus Hibernicus alias Ryan O'Banon. Véronique nickte heftig, was für Perdy wie ein laut ausgesprochener Befehl war.

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"Du hast ihnen gesagt, dass ich das erwähnt habe, dass ihr beobachtet werdet? Es hätte völlig gereicht zu sagen: "Die Damen und Herren, wir werden sicher noch beobachtet". Wieso hast du das getan, Pontio?" herrschte Ladonna ihren ersten hörigen Kundschafter der italienischen Zaubererwelt an, als sie ihn auf ihre besondere Art nach der Besenrückgabe aus seinem Arbeitszimmer direkt zu sich hinbefördert hatte.

"Das waren doch alles deine treuen Untertanen, meine Königin", erwiderte Barbanera.

"ja, doch diese Nachwuchserzwinger müssen das nicht mitbekommen, wem ihr dient. Einfalt, dein Name ist Mann."

"O meine Königin, habe ich einen Fehler begangen? So bitte ich um deine Gnade", erwiderte Pontio Barbanera sichtlich erbleicht.

"Du hast nicht bedacht, dass wenn jemand unsichtbar beobachtet auch ein guter Lauscher ist oder etwas zum belauschen erfunden hat", knurrte Ladonna wie eine wütende Katze. "Deine Brauchbarkeit hebt an zu schwinden, mein treuer Untertan", fauchte sie noch eine unüberhörbare Drohung. Dann schickte sie ihn mit ihrem besonderen Personenversetzungszauber an seinen Arbeitsplatz zurück. "So haben diese Kuppler und Hexenverächter nun Gewissheit, dass ich mir dieses unsägliche Verwaltungsgebilde namens Zaubereiministerium unterworfen habe. Aber sie werden es wohl nicht verraten können, ohne ihre eigene Deckung aufgeben zu müssen", schnarrte die Rosenkönigin. Dann gewann das wunderschöne Gefühl der Genugtuung wieder Raum in ihrem Geist. Sie hatte Vita Magica einen schmerzhaften Schlag versetzt. Jetzt wussten die, dass sie sich mit ihr nicht befehden sollten. Sie dachte nicht im Ansatz daran, dass sie trotz ihres Feuerrosenordens und der unterworfenen Ministeriumsleute immer noch ziemlich schwach war im Vergleich zu langjährig und weltweit tätigen Gruppen und Zaubereiministerien. Sie sann vielmehr darauf, bald den legendären Kessel der Morgause in Besitz zu nehmen und dessen für entschlossene Hexen bereitgehaltene Macht zu gewinnen. Sollte es so sein, dass in dem Kessel ein Bruchstück von Morgauses Seele ruhte würde sie vielleicht mit dieser ringen oder besser noch verhandeln müssen. Doch sie wähnte sich völlig sicher, dass sie und nur sie diesen Kessel besitzen und verwenden konnte und damit endgültig über Sardonia und ihre Erbinnen triumphieren würde.

Sie dachte auch daran, dass dann, wenn sie den Kessel der Morgause in ihrem Besitz hatte, sie die Gesamtführung aller entschlossenen Hexen übernehmen würde. Einige der mächtigen Anführerinnen hatte sie ja bereits unterworfen. Bald würde sie die nicht ganz so entschlossenen Hexen aus dem Weg räumen. Mit Morgauses silbernem Braukessel würde ihr das sogar noch leichter fallen. Dann würde es nur noch den Orden der Feuerrose geben, der nach und nach jedes andere Zaubereiministerium übernehmen und somit die Geschicke aller Hexen und auch Zauberer der Welt lenken würde.

Ein kleiner Wehrmutstropfenin Ladonnas wohlig anregenden Herrschaftsphantasien war die Existenz dieses Spinnenordens, von dem sie bisher nur wusste, dass es ihn gab und dass dessen Anführerin sich als Sardonias Erbin aufführte, obwohl sie bisher nicht wirklich was erreicht hatte, was ihrer einsttigen Erzfeindin Ehre gemacht hätte. Gut, musste sie das halt übernehmen und diesen Spinnenorden da selbst zur Entscheidung zwingen, ihr zu folgen oder unterzugehen.

Jedenfalls würde es vom italienischen Zaubereiministerium her sicher weitergemeldet, dass irgendwas eine wohl aufgedeckte Geheimunterkunft dieser Nachwuchserzwinger zerstört hatte. Natürlich würden viele an sie oder die Spinnenhexen denken. Vielleicht geriet eben jene Spinnensororität dadurch in solche Bedrängnis, dass dessen Mitschwestern sich all zu gern einer stärkeren Führerin anschlossen.

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"Offenbar hat sie unseren einstigen Zweckverbündeten von Vita Magica ein Basiliskenei ins Nest gelegt, das noch dazu mit Erumpenthornflüssigkeit gefüllt war", raunte Tamara Warren nur eine Stunde nach dem heftigen Zauberfeuerausbruch auf Sizilien zu ihrem jüngsten, ohne Zeugungsakt in den Schoß gelangten Sohn Juri. Dieser deutete dann auf die aus einer silbernen Lichtspirale herausgefallene Pergamentrolle. "Gut, wir sind unter uns. Du darfst selbst lesen, falls du in deinem vorigen Leben Italienisch gelernt hast und den mit dem Agenten vereinbarten Schlüssel kennst", grinste Tamara Warren. Juri verzog das Gesicht und stampfte wahrhaft jungenhaft mit dem Fuß auf. "Ich habe gerade mal Englisch, Deutsch und Rumänisch gelernt, weil ich zwischenzeitlich im slavischen Bund der Blutreinheit mitgearbeitet habe", grummelte Juri. Dann bat er seine Wiedergebärerin, ihm den vollständigen Text zu übersetzen.

"Ui, und dieser Barbara Negra oder wie der heißt hat sich verplappert, wo er doch wissen musste, dass ein Beobachter auch lauschen könnte?" wollte Juri wissen.

"Barbanera, Juri. Aber ja, hat er wohl. Aber natürlich darf unser nun vor dem geschlossenen Maul eines schlafenden Drachens stehender Agent es nicht ausnutzen, solange es keine Möglichkeit gibt, den thaumaturgisch-alchemistischen Unterwerfungszwang von den anderen zu nehmen", erwiderte Tamara Warren.

"Geht das nicht so, wie er das gemacht hat?" wollte Juri wissen. "Oder wissen wir denn mit sicherheit, dass er nicht davon betroffen ist und so tut, als sei er es nicht?"

"Erstens, seine Methode geht nur vorbeugend und dauert Jahre. Zweitens, er hat es bisher keinem verraten, was genau er mit sich angestellt hat. Drittens haben wir es überprüft, ob er ihr unterworfen ist. Viertens hätte er uns dann garantiert nicht von dem Überfall der Mischblüterin und wie sie ihn durchgeführt hat berichtet, wenn das bloß niemand wissen sollte und wir sowieso weiter davon ausgegangen wären, er sei weiterhin frei von fremdem Einfluss. Aber mehr wirst du erst erfahren, wenn du als vollständig ausgebildeter Zauberer im Körper eines jungen Erwachsenen mit deinem eigenen Zauberstab in der Hand den Schwur auf unsere Gemeinschaft leisten darfst", erwiderte Tamara Warren.

"Moment, den habe ich doch schon vor zwei Jahren geleistet und ... Drachenmist", knurrte Juri. denn ihm fiel ein, dass der geschworene Eid bis zu seinem letzten Atemzug gelten solllte, und durch das Experiment mit Lady Tamara hatte er ja für Monate nicht mehr geatmet und somit die Austrittsbedingung erfüllt.

"Tröste dich, Juri. Du musst noch nicht alles wissen und bist deshalb nicht an allem Schuld, was so passiert", sagte Juris zweite Mutter, deren Nachnamen er erhalten hatte.

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Theia Hemlock hatte gerade das Abendessen für sich und ihre Tochter Selene auf dem Herd, als sie die Gedankenstimme ihrer offiziellen Urgroßmutter Eileithyia Greensporn vernahm: "Theia, Lady Roberta erbittet eine Dringlichkeitssitzung des Rates in zwei Stunden. Gib Selene was für sie annehmbares zu tun!"

"Hat sich eine der drei dunklen Damen wieder gemeldet oder die Verpaarungsverbrecher?" gedankenfragte Theia ihre Urgroßmutter.

"Womöglich die aus Italien, Kleines. Näheres dann im Rat. Lino kommt nicht, weil sie sonst auffällt."

"Soll mir recht sein", schickte Theia Hemlock zurück und sagte ihre Anwesenheit zu.

Selene gegenüber erwähnte sie nicht, dass sie eine Dringlichkeitssitzung besuchte. Sie erwähnte jedoch, dass es wohl um Maßnahmen gegen Übergriffe der Nachtschattenkönigin, der nun eindeutig bestärkten Vampirgötzin oder den Hexenladies Anthelia oder Ladonna ging. Selene nickte. Dass sie noch nicht in alles was die Schwesternschaft anging eingeweiht wurde störte sie zwar. Aber noch war sie körperlich ein Kindergartenkind und musste um der eigenen Sicherheit wegen diese Rolle durchziehen, bis sie mit einem bestandenen Abschluss aus Thorntails heraus war. Allerdings fragte die körperlich gerade vier Jahre und sechs Tage lebende Selene Hemlock: "Ach, dann wissen deine Mitschwestern, was die böse Ladonna macht, um ganz viele Leute machen zu lassen, was sie denen sagt?"

"Nichts genaues. Aber nur zwischen uns beiden: Wir fürchten, dass ihre teilweise Veelaabstammung ihr eine Möglichkeit gibt, Alchemie und schwarze Elementarzauberei zu verschmelzen, weil das zu einem "Duft der Feuerrose" passen mag.

"Das heißt, ihr müsst was hinkriegen, um diesenDuft nicht riechen zu müssen", sagte Selene. "Ja, und wohl gleichzeitig nicht die magische Stimme einer Teilveela hören zu müssen, und dennoch alles wichtige mitzubekommen", grummelte Theia. Dann wies sie ihre Tochter an, den Teller noch leer zu essen, sofern sie irgendwann mal eine starke und gesunde Hexe werden wolle. Selene verzog ihr Kindergesicht und nickte verdrossen. Zwischendurch musste Theia ihr immer wieder auf diese Weise kommen, damit sie bloß nicht vergaß, warum sie als ihre Tochter groß zu werden hatte.

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"Ich darf dich beglückwünschen, Schwester Beht. Deine beiden Töchter sind Kräftig und Gesund", sagte Anthelia, als ihre Mitschwester Beth am späten Abend noch zu ihr in das Haus Tyches Refugium kam und ihre beiden Töchter Claudia und Chloris in den Armen hielt, wodurch sie für's erste zutrittsberechtigt waren.

"Lady Roberta war zwar nicht sonderlich davon angetan, aber sie hat es mir erlaubt, dir von unserer Dringlichkeitssitzung zu berichten. Wortwörtlich sagte sie: "Teile es deiner anderen hohen Schwester mit, was hier erwähnt wurde, damit sie keinen grauenvollen Krieg mit dieser schwarzen Furie vom Zaun bricht, bei dem noch viele Unschuldige mehr sterben!"

"Ja, dann teil mir das mal mit, Schwester Beth. Öhm, besser gleich ganz direkt", sagte Anthelia und sah Beth an. "Nichts zurückhalten. Wie du unter deinen Kleidern aussiehst weiß ich eh schon", scherzte sie noch. Dann sprach sie das Zauberwort: "Legilimens!"

Unvermittelt strömten auf Anthelia alle Hör- und sichtbaren Eindrücke aus Beth McGuires Sicht ein, die sie bei der Ratssitzung in sich aufgenommen hatte. So erfuhr Anthelia, dass Linda Knowles mitbekommen hatte, dass mal wieder sämtliche Spürsteine Italiens zerstört worden waren. Als Quelle dieser neuerlichen Vernichtungskraft sei die Bergregion von Sizilien ermittelt worden. Ein Erkundungstrupp sei dort hingereist und habe alles dort mitbekommene als geheime Verschlusssache an den Minister gemeldet, natürlich in einem Klangkerker. Da Lino die von ihr magisch erlauschten Informationen an ihre italienische Kontaktschwester weitermentiloquiert hatte hätten die italienischenund maltesischen Mitschwestern eine eigene Truppe hingeschickt und dort die erst langsam abebbende Reststreuung einer Wärme- und tierisches Leben verzehrenden Feuermagie ermittelt. Als sie dann den Ursprung dieser Magie erfassen konnten fanden sie ein zusammengestürztes System aus unterirdischen Räumen und Gängen. Weil dieser Zusammensturz wohl mit dem nicht eindeutig bestimmbaren Zauberfeuer zu tun habe und sogar ein Zusammenhang mit dem Verschwinden des Freiluftsicherheitszauberers Pontevecchio bestehen konnte gingen die schweigsamen Schwestern von einer Entführung des Zauberers aus, höchstwahrscheinlich von Agenten Vita Magicas oder deren Verschleppungsartefakt, diesem pportschlüsselfähigen Fangsack. Lady Roberta wollte wissen, ob Pontevecchio vielleicht ein Köder oder gar eine lebende Falle gewesen sein mochte, um einen Stützpunkt Vita Magicas zu zerstören. Die Schwestern vermuteten, dass Ladonna diesen Zauberer bewusst ausgewählt habe, um ihn als Schmelzfeuerquelle zu benutzen und diesen Zauber auf eine nur ihr bekannte Weise abgewandelt habe, damit er einerseits um ein vielfaches so weit ausgriff wie üblich und noch eine Eigenschaft des dunklen Feuers enthielt, Magie als Nahrung zu verwenden. Die sich sehr gut mit dunklen Künsten auskennenden Schwestern räumten ein, dass ein solcher Zauber möglich war, aber für jede und jeden, der oder die ihn anwandte selbst zur tödlichen Gefahr werden konnte, wenn er nicht lange genug unterdrückt werden konnte. Theia Hemlock brachte die Idee an, es könnte ein auf zwei Körper verteilter Zauber gewesen sein. Die Hauptwucht sei in einem toten Gegenstand verankert worden, womöglich aus Gold und das Schmelzfeuer an sich sei in Pontevecchio eingelagert worden, um wie für diesen heimtückischen Fluch üblich bei einer bestimmten Bedingung freigesetzt zu werden und dabei die im toten Gegenstand gestaute Kraft als Vielfachverstärkung zu nutzen. Danach hatten die Hexenschwestern einige Zeit diskutiert, ob das nach allen bekannten Gesetzen Pinkenbachs und anderer Experten überhaupt ginge, bis Roberta Sevenrock erwähnt hatte, dass Ladonna schon einmal bewiesen habe, dass Pinkenbachs Gesetze für sie offenbar nicht galten, was die Beschränkung von Zauberkraft auf Materie anginge. Deshalb hielten die schweigsamen Schwestern Nordamerikas es für sehr wahrscheinlich, dass Ladonna Montefiori einen Vernichtungsschlag gegen Vita Magica gelandet habe und dies an jedem Ort mit jedem anderen wiederholen könnte. Warum das italienische Zaubereiministerium das zur obersten Geheimsache erklärt habe ergebe sich aus der neuerlichen Zerstörung aller miteinander verknüpften Spürsteine und weil die im Ministerium wohl selbst erkannt hätten, dass ein gewaltsames Vorgehen gegen Ladonna Montefiori hunderte von unschuldigen Opfern fordern mochte.

"Falls das Ministerium überhaupt noch ein Interesse hat, Ladonna zu bekämpfen", grummelte Anthelia/Naaneavargia, als sie alle für sie freigegebenen Erinnerungen Beth McGuires in sich aufgenommen hatte. Auf die Frage, wie die höchste Schwester es meine antwortete diese: "Wir wissen, wie Ladonna Montefiori eine Menge Leute zugleich gefügig machen kann. Sicher wird sie diese Methode auf ihre nächsten Feinde angewendet haben, also Mitarbeiter des italienischen Zaubereiministeriums. Das verschafft ihr einen freien Rücken und womöglich sogar schon einen großen Machtgewinn. Wen und wie viele sie auf diese Weise schon unterworfen hat will ich nicht mutmaßen. Ich selbst hätte zunächst versucht, mir den Zaubereiminister selbst und seine engsten Mitarbeiter gefügig zu machen, wie wir es ja auch schon mit Davenport geschafft haben und wie Bokanowsky es mit seinen Doppelgängern versucht hat. Also sollten wir tunlichst davon ausgehen, dass das italienische Zaubereiministerium zumindest schon unterwandert wird, schlimmstenfalls bereits Ladonnas Werkzeug ist. Ja, das mag ihrer würdig sein."

"Falls das so ist, höchste Schwester, können wir es im Moment niemandem verraten, ohne uns selbst auszuliefern", schnaubte Beth McGuire. Anthelia nickte. "Du darfst deiner anderen hohen Schwester gerne mitteilen, dass ich ihre Nachricht empfangen hätte und sie dahingehend beruhigen kann, dass ich von mir aus keinen Krieg mit einer Feuerhexe anfange, die womöglich schon ein ganzes Zaubereiministerium unter ihre Herrschaft gebracht hat. Ich bin gespannt, wie ihr diese Antwort gefällt", erwiderte Anthelia. "Ich werde eure Dringlichkeitssitzung sorgfältig konservieren und den anderen von uns die nötigen Punkte daraus weitergeben. Sag du bitte deinen anderen Schwestern, die sich noch nicht für mich oder Ladonna Montefiori entscheiden möchten, was ihr beraten habt. Und teile ihnen auch mit, sie mögen das kleine Übel wählen."

"Du meinst, dass sich alle dir anschließen sollen, die es bisher noch nicht getan haben?" fragte Beth.

"So deutlich würde ich das nicht erwähnen, aber so wie ich es gesagt habe kannst du es gerne weitergeben. "Ach ja, was ich wegen eurer Sitzung vermute kann Schwester Roberta auch gerne aus deinem Geist schöpfen, sofern du es ihr gestattest. Ich habe jedenfalls nichts dagegen." Beth nickte. Als für Legilimentorinnen beliebig hin- und herverschickbares Paket voller Erinnerungen behandelt zu werden gefiel ihr nicht, wie Anthelia mit ihrem Gedankenhörsinn erfasste. Doch Beth wusste auch, dass sie keine andere Wahl hatte, wollte sie nicht endgültig von den schweigsamen Schwestern fort und damit auf so vieles verzichten, auch gerade jetzt, wo sie die zwei ungewollt zugefallenen Kinder auf die Welt gebracht hatte. Anthelia erfasste auch, dass Beth eine gewisse Schadenfreude verspürte, dass Vita Magica einen sehr schmerzhaften Rückschlag erlitten hatte. Anthelia dachte jedoch schon wieder weiter. Diese Schmach würde sich Vita Magica nicht bieten lassen. Dort waren sehr kundige Hexen und Zauberer, die ganz bestimmt mehr über Ursache und Ablauf von Ladonnas Angriff wussten und nun daran gehen würden, sowas in Zukunft zu vereiteln oder wie ein schwarzer Spiegel vielfach stärker auf die Angreiferin zurückzuschleudern. Immerhin hatten die es geschafft, einen Vernichtungsschlag des US-Zaubereiministeriums abzuprellen. Doch da hatte das Ministerium selbst etwas auf eine Reise geschickt. Hier war jemand von Vita Magica ins eigene Haus geholt worden. So sagte sie noch schnell: "Öhm, teile den anderen bitte auch mit, dass keiner irgendwohin eingelassen oder hingeschafft werden darf, von dem oder der sicher ist, dass Ladonna Montefiori ihn oder sie schon unterworfen hat! Es könnte sein, dass der oder die mit einem besonders starken Schmelzfeuerfluch belegt ist." "Ja, mach ich, höchste Schwester", bestätigte Beth McGuire.

"Dann dürfen du und die zwei kleinen Schwestern gehen", sagte Anthelia. Beth bedankte sich und wünschte ihrer höchsten Schwester noch eine erholsame Nacht.

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Die Standuhr im Saal der Ratsversammlung schlug zehn mal. Tatsächlich waren jetzt alle Mitglieder des Rates anwesend bis auf Vincenzo Torrefino alias Pater Decimus Maris Nostri. Auch Perdys Geselle Guillermo Ranagorda war da, ein Zauberer Ende dreißig, klein, dünn, mit fast bis auf die Kopfhaut gestutztem schwarzem Haarschopf und dunkelbraunen Augen. Vier Jahre lang hatten Guillermo und Perdy sich nicht von Angesicht zu Angesicht getroffen. Deshalb ertrug Perdy den prüfenden Blick des aus Acapulco stammenden Zauberers.

Mater Vicesima Secunda gebot mit einem Rundblick über den großen, achteckigen Ratstisch Ruhe. Dann eröffnete sie die Sitzung auf Latein, der im Rat gültigen Sprache für wichtige Ankündigungen und Zeremonien. Dabei erwähnte sie auch, dass ihr aller Mitstreiter Pater Decimus Maris Nostri vor nun sechs Stunden durch eine äußerst heimtückische Zauberei zusammen mit allen Bewohnern der sizilianischen Niederlassung verstorben war, darunter vierzig Säuglinge und Kleinkinder. Betroffenheit trat in die Gesichter der Ratsmitglieder. "Un minutum de silencio pro comete nostro mortuo, Vincenzo Torrefino peto!" sagte sie dann noch. Alle senkten ihre Köpfe. Nun war nur noch das stetige Ticktack der Standuhr zu hören. Perdy zählte im Kopf die dadurch markierten Sekunden, bis er bei sechzig ankam. Offenbar hatte auch Véronique die Sekunden mitgezählt oder ein gutes Gefühl, wann eine Minute vorbei war. "In Memoriam Vincenzo Torrefino. Silencium exit", sagte sie dann. Alle hoben wieder ihre Köpfe.

Nach diesem traurigen Anlass präsentierten Perdy und Guillermo ihre Unterlagen. Véronique und die von ihr zur Erkundung des zerstörten Stützpunktes hinzugebetenen Ratsmitglieder bezeugten, dass dies die wahrhaftigen Bilder waren, die sie gesehen hatten. Guillermo legte sogar eine Aufzeichnung vor, die auswies, dass von der Angriffsmeldung bis zur Meldung der völligen Vernichtung nur sieben Sekunden verstrichen waren. Bei der Größe der Niederlassung und weil viele Wände dort magisch gegen viele Flüche abgesichert und gesondert gehärtet waren war das schon erschütternd, wie schnell und gründlich die Vernichtungskraft gewirkt hatte.

Perdy entging bei der Vorführung und Darlegung aller Aufzeichnungen nicht, dass es einige Ratsmitglieder gab, die skeptisch dreinschauten. Vor allem die irischstämmige Mater Nona Hibernica schien der Vorführung zu misstrauen. Doch sie wartete ab, bis die beiden Thaumaturgen ihre Unterlagen vorgestellt hatten.

"So, diese Schreckensbilder zeigen, dass die Niederlassung mit siebzig Bewohnern völlig entvölkert und größtenteils vernichtet wurde", sagte Mater Nona Hibernica. "Und das von deinem Schüler da vorgelegte Protokoll der Angriffsmeldung gibt an, dass es nur sieben Sekunden dauerte, einen unterirdischen Gebäudekomplex von zehntausend Quadratmetern Fläche und einer Gesamthöhe von fünf Stockwerken in nur sieben Sekunden zu vernichten. Sowas geht aber nur mit schlagartig freigesetztem Dämonsfeuer in Verbindung mit mehreren hundert Litern Sprengstoff", sagte Mater Nona Hibernica, als Mater Vicesima Secunda ihr das Wort erteilte. "Wie sollen denn bitte schön so viele Zerstörungsmittel auf einen Schlag in die Niederlassung hineingelangt sein, wo nur wir bestimmen können, wer und was in eine Niederlassung hineingelassen wird?"

"Das möchten wir gerade erzählen", sagte Perdy ganz ruhig. Seine Mentorin erteilte ihm das Wort. So erzählte er von seinem letzten Gespräch mit Pater Decimus Maris Nostri und dass er ihn ausdrücklich davor gewarnt habe, Pontevecchio in seine Niederlassung zu holen, da zu befürchten stand, dass er als Köder von Ladonna Montefiori eingesetzt wurde. Véronique ergänzte, was sie beim letzten Fernsprechdosengespräch mitbekommen hatte. Perdy erwähnte dann noch einmal seine offenbar zutreffende Befürchtung, ein kleiner Goldklumpen könnte von Ladonna zu einem Vernichtungszauberauslöser gemacht worden sein. Véronique erwähnte dann noch, dass bei diesem heftigen Schlag Ladonnas auch eine Enkelin und deren drei vor wenigen Wochen erst geborenen drei Kinder getötet worden seien.

"Und ihr habt nur diese Bilder und angeblichen Messangaben von deinen neuen Fernbeobachtungsvorrichtungen, Perdy?" wollte Mater Nona Hibernica wissen.

"Nicht angeblich, sondern eindeutig. Ich habe euch allen schon mehrmals gezeigt, dass meine Erkunder zuverlässig erkunden und aufzeichnen. Aber falls du möchtest kannst du gerne nach Sizilien und dich vor Ort umsehen. Nur dürfte die Niederlassung nun unter millionen Tonnen Gestein zerquetscht und begraben sein und darüber vielleicht noch Wächter aus Bernadottis Zaubereiministerium herumschwirren", antwortete Perdy. Doch er musste erkennen, dass einige der Ratsmitglieder nicht an das glauben wollten, was er vorgelegt hatte. Es wurde einige Minuten darüber debattiert, wie eine solche Vernichtungszauberei überhaupt in einer einzelnen Person geschmuggelt werden konnte. Perdy hätte dabei fast erwähnt, dass jeder Mensch ein ganzes Land entvölkern könnte, wenn seine Körpermaterie auf einen Schlag in reine Antimaterie umgewandelt würde. Doch das behielt er dann doch besser für sich. Es war auch so schon heikel genug.

Als sich abzeichnete, dass ein großer Teil des Rates den Angaben glaubte und ein kleiner Teil den Angaben misstraute warf Mater Nona Hibernica etwas ein, was die Auseinandersetzung verstärkte:

"Es ist doch sehr seltsam, dass Pater Decimus Maris Nostri nur wenige Tage nach dem fingierten Tod der drei Montaneras starb und alle Aufzeichnungen über diese Hexen gleich mitzerstört wurden, nicht wahr? Könnte es sein, dass er etwas darüber herausgefunden hat, was jemandem hier nicht gefällt?"

"Was bitte sollte wem nicht gefallen?" wollte Mater Vicesima Secunda wissen.

"Zum Beispiel, dass jemand die drei Montaneras nicht in Zaubertiefschlaf versenkt und an einen geschützten Ort geschafft hat, sondern sie vollständig reinitiiert hat, ohne dass sie darum gebeten hätten. Wie ihr hier alle wisst darf kein Mitglied unserer Gemeinschaft ein anderes Mitglied ohne Notlage reinitiieren und dann höchstens körperlich, um es im Vollbesitz aller bisher erworbenen Erinnerungen wieder aufwachsen zu lassen. Falls ihr das mit den Montaneras nicht so gemacht habt hätte Cassandras Schwiegergroßvater Pater Decimus Maris Nostri durchaus Gründe, Bedenken und ja auch offene Vorwürfe zu äußern, Mater Vicesima Secunda."

Nun musste sich Mater Vicesima Secunda dazu äußern, warum sie Cassandra, Claudia und Loredana Montanera nicht in einen befristeten Zauberschlaf hatte versenken lassen und auch, worin sie die Gefahr sah, die von allen dreien ausging. Sie erwähnte die offenbar noch nicht gänzlich durchschauten Blutrufzauber, mit denen Angehörige oder durch Blutpakt verbundene einander finden konnten und dass Ladonna sich offenbar auf die alten Getreuen berief, deren Nachfahrinnen die Montaneras waren.

"Ist das nicht praktisch, dass die wiedererwachte Ladonna Montefiori für so vieles herhalten kann?" ätzte Mater Nona Hibernica. Einige Ratsmitglieder nickten heftig. Andere wussten nicht, wie sie darauf reagieren sollten oder durften. Dann ging es darum, ob Mater Vicesima sich nicht doch gegen die bestehenden Regeln der Gemeinschaft vergangen habe und sie und ihre Helfer sich dafür vor dem Rat verantworten müssten. Diese Debatte dauerte dann eine knappe Stunde an, weil die einen Mater Vicesima Secunda zustimmten und andere sich und ihre in der Gemeinschaft lebenden Angehörigen gefährdet sahen, aus einem heute nicht erkennbaren Grund unvermittelt völlig neu aufwachsen zu müssen. Perdy wagte es nicht, sich in die immer hitziger ausufernde Debatte einzumischen. Allein schon, dass da einige waren, die seinen Unterlagen nicht trauten gefiel ihm nicht. Mater Vicesima hielt allen Skeptikern entgegen, dass sie bei einem Regelverstoß und ihr drohender Anklage sicher einen etwas unauffälligeren Weg gefunden hätte, Zeugen vergessen zu lassen und Beweise verschwinden zu lassen, als eine ganze Niederlassung der Gemeinschaft mit siebzig Bewohnern auszulöschen. Außerdem seien schließlich ihre Enkeltochter Martinella und die nur wenige Wochen alten Urenkel gestorben. Dass jemand ihr vorhielt, eine Kindesmörderin, ja eine Kindesmassenmörderin zu sein wies sie mit größter Entschiedenheit von sich. "Wer mir dergleichen auch nur ansatzweise unterstellt sollte sich ganz genau überlegen, ob er oder sie in dieser Gemeinschaft noch erwünscht sein will", sagte sie noch.

"Solltest du dir mal überlegen, wo dir dein Geburtenstatus offenbar vorgaukelt, dir gehöre diese Gemeinschaft und du seist sowas wie unser aller Königin oder gar Kaiserin, Véronique", erwiderte Mater Nona Hibernica, die hier geltende Anrede Pater oder Mater mit lateinischer Anzahl der in die Welt gesetzten Kinder missachtend.

"Jedem und jeder hier steht frei, weitere eigene Kinder zu haben", sagte Pater Decimus Sixtus, einer der älteren Weggefährten Véroniques und Perdys. "Oder bricht nun der blanke Neid aus dir hervor, dass der, dessen letzten fünf Kinder du bekommen hast, sich nicht mehr als williger Deckhengst hergeben möchte, Mater Nona Hibernica. Oder kann es sein, dass deine ersten vier Kinder sich von dir losgesagt haben, weil du ihnen nicht erklären darfst, warum du sie so häufig alleine gelassen hast?"

"Schließ gefälligst nicht von dir auf andere, wo du dreimal deinen Namen geändert hast, Pablo, früher Rodrigo und davor Nathanael", spie Mater Nona Hibernica dem älteren Zauberer entgegen. Die anderen Ratsmitglieder lauschten nun, wer diesen verbalen Schlagabtausch für sich entscheiden würde.

"Kann ich was dafür, dass du wegen deiner Herrschsüchtigen Base nicht deinen vorzeitigen Tod vortäuschen konntest, weil sie sicher was gemacht hat, um zu wissen, wann du stirbst, Lorna Mulligan?" verstieß nun Pater Decimus Sixtus gegen die gültige Regel, nur die Bezeichnungen für die Anzahl eigener Kinder zu benutzen.

"Jetzt bist du es, aus dem der Neid spricht, weil du es dreimal versucht hast, meine Base zur Ehefrau zu bekommen und dreimal sehr deutlich abgewiesen wurdest. Du hast sicher auch schon davon geträumt, sie in eines unserer Karussells zu locken, um sie dort zu entjungfern und mit deinem siebzehnten Kind zu schwängern, wie?"

"Das träumst du gerade, Mater Nona Hibernica. Deine Cousine würde ich nur begehren, wenn ich selbst einen großen Anteil Regenbogenhauch eingeatmet oder unsere neueste Anregungsmixtur eingenommen hätte. Kein Zauberer der Welt will freiwillig was von deiner Base. Gut, vor fünfzig Jahren war ich noch ziemlich einfältig und triebgesteuert, muss ich zugeben. Aber wenn wir vom Rat doch noch beschließen sollten, sie zur Vermehrung magischen Lebens aufzufordern würde ich mich ganz weit von dem Karussell fernhalten, in das sie dann hineingesteckt wird, Mater Nona Hibernica. Aber der Rat hat ja schon entschieden, dass eure Familie genug eigenes Fleisch und Blut in diese Welt setzt und wir deine Base dafür nicht brauchen."

"Sei froh, dass ich ihr nicht verraten will und darf, wie du über sie sprichst, Pater Decimus Sixtus", schnarrte Mater Nona Hibernica und sah dann wieder Mater Vicesima Secunda an. "Was dich angeht bleibe ich dabei, dass du dich demnächst vor diesem Rat verantworten musst, weil du drei Mitglieder ohne zwingende Notlage reinitiieren ließest."

"Gut, damit diese unsägliche Debatte endlich aufhört, meine hochverehrten Mitstreiterinnen und Mitstreiter: Ego Mater Vicesima Secunda hic et nunc confidentiam vostram peto!" Sprach Véronique einen Satz aus, der bei den Anwesenden sofort wirkte. Schlagartig wurde es still in der Versammlungshalle. Alle sahen die mehr als zwanzigfache Mutter an. Selbst jene, die ihr vor wenigen Sekunden noch unterstellt hatten, sie habe bewusst gegen bestehende Gesetze der Gemeinschaft verstoßen, staunten über Mater Vicesima Secundas entschlossenes Vorgehen. Dass ein Ratsmitglied das Vertrauen seiner oder ihrer Mitstreiter erbat kam so selten vor, weil eigentlich jeder hier darauf zählte, dass ihm jeder und jede andere vertraute. Wer diese Bitte vorbrachte war sich eigentlich nicht sicher, ob dieses Vertrauen noch bestand und wollte Klarheit.

Die drei ältesten Ratsmitglieder nickten Mater Vicesima zu. Pater Decimus Sixtus bestätigte die Anfrage und winkte kurz mit dem Zauberstab. Übergangslos erschienen vor jedem Ratsmitglied zwei handtellergroße Karten, eine hellblaue und eine dunkelrote. Wer das Vertrauen bekundete musste auf die Frage des die Abstimmung durchführenden die hellblaue Karte mit der Vorderseite zum Abzähler gewandt halten. Ein sonnengelbes C wies die Karte als Vertrauensbekundung aus. Wer dem das Vertrauen erbittenden Mitglied jedoch das Vertrauen verweigerte hielt die dunkelrote Karte mit dem hellroten D auf der Vorderseite hoch. Als die drei protokollgemäßen Abstimmungsüberwacher geprüft hatten, dass alle ihre beiden Karten vor sich hatten fragte Pater Decimus Sixtus auf Latein, wer Mater Vicesima Secunda weiterhin vertraute. Sofort hielten etliche Ratsmitglieder ihre blauen Karten mit dem Aufgemalten C in die Höhe. Die Abstimmungsüberwacher zählten durch, verkündeten aber noch kein Ergebnis. Nach einer Minute wurden die Ratsmitglieder gebeten, ihre Karten sinken zu lassen. Nun sollten die ihre Karten zeigen, die Mater Vicesima Secunda ihr Misstrauen bekundeten. Tatsächlich hielten außer Mater Nona Hibernica noch fünf weitere Ratsmitglieder die Rote Karte mit dem D in die Höhe. Als die Überwacher die Stimmen gezählt hatten fragte Pater Decimus Sixtus noch, ob wer sich der Stimme enthalten wolle. Dem war nicht so. Damit stand fest, dass eine überwältigende Mehrheit Mater Vicesima Secunda weiterhin vertraute. Die offiziellen Zahlen wurden noch für das Protokoll in den Raum gerufen. "Tenes confidentiam nostram, Mater Vicesima Secunda", beschloss Pater Decimus Sixtus. Mit diesen Worten verschwanden sämtliche Abstimmungskarten so übergangslos, wie sie aufgetaucht waren. Damit war dieses heikle Thema wortwörtlich vom Tisch.

Nun ging es in einer nicht minder aufwühlenden Debatte darum, wie auf die Vernichtung der sizilianischen Niederlassung reagiert werden sollte. Einige vom Rat schlugen eine Einstellung der bisherigen Unternehmungen vor, bis sämtliche Niederlassungen gegen diese Art von Vernichtungsfeuer gesichert waren. Wieder andere schlugen vor, nur die gerade laufende Operation "1000 Quaffel" zu beenden, so dass es aussehen mochte, dass diese von Italien aus geführt worden sei. Das jedoch brachte jene Ratsmitglieder in Wallung, die bloß keine Schwäche zeigen wollten und die bereits hier beschlossenen Unternehmungen sogar noch stärker durchzuziehen. Dem wiederum widersprachen Ratsmitglieder, die darauf bedacht waren, dass keinem außerhalb der Gemeinschaft auffallen sollte, dass die Gemeinschaft einen heftigen Schlag erhalten hatte. Jede noch verbissenere Betätigung würde die Zaubereiministerien denken machen, dass Vita Magica von irgendwem empfindlich getroffen worden sei. Eine fünfte Meinung lautete, dass eine Verbindung zwischen Ladonna und dem italienischen Zaubereiministerium nachgewiesen und dann veröffentlicht werden solle und deshalb alle Außendienstmitarbeiter hauptsächlich in Italien und in bestmöglicher Deckung operierten. Am Ende standen vier Anträge zur Abstimmung. Wie vorhin wurde in offener Wahl darüber abgestimmt, welcher Antrag beschlossen wurde. Es setzte sich der Antrag durch, alle bisherigen Unternehmen so weiterzuführen, wie sie begonnen worden waren und keinen Verdacht zu erregen, Vita Magica sei verwundet. Nach zwei Stunden konnten die Protokollführer die Ratsversammlung schließen.

"Was hättest du gemacht, wenn Lorna eine Mehrheit bekommen hätte, Véronique?" fragte Perdy seine Mentorin, als sie nach der Sitzung in den quadratischen Kontrollraum zurückkehrten.

"Dann hätte ich mein Stimmrecht verloren und hätte mich womöglich bald vor dem Tribunal der Gemeinschaft wiedergefunden", sagte Véronique leicht verstimmt. "Offenbar steht Lorna der Sinn nach einer internen Revolte. Doch heute haben wir ihr keine Grundlage dafür geboten. Sieh bitte zu, dass die Operation "1000 Quaffel" weitergeht. Wir müssen diese Freiluftwächter ablenken, wenn wir doch noch Erfolg haben wollen."

"Kriegen wir hin. Jetzt wissen wir, dass die meisten von denen immer mehr als hundert Meter über Grund fliegen. Ich habe da schon was in Arbeit, dass denen vorgaukelt, keiner sei auf freien Plätzen zu sehen, was sowohl Fernglasbeobachtungen wie Wärmesichtvorrichtungen standhält. Wenn die nur eine halbe Stunde pro Nacht nicht mitbekommen, was los ist reicht das locker, um in jedes Gastdorf eine Ladung Regenbogenwind zu blasen. Dann können wir auch das Prinzip Brennglas verwenden, dass Agenten von uns eine Party simulieren und möglichst viele Leute darauf aufmerksam machen. Je danach, wie die Mannschaften spielen kriegen wir so auch genug Adressaten für unsere Mixtur", grinste Perdy. Véronique nickte. Perdy sah ihr jedoch an, dass sie immer noch damit haderte, dass ihre Enkeltochter Martinella und die drei Urenkel einfach so ausgelöscht worden waren. Perdy wusste, dass Véronique schon daran dachte, wie sie Ladonna Montefiori für diese Gemeinheit zahlen lassen wollte. Falls sie ihn um Hilfe bat würde er nicht nein sagen, wusste er, auch wenn es hieß, dass möglicherweise noch viel mehr Mitglieder der Gemeinschaft sterben würden.

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Die Gerüchte ließen ihn nicht in Ruhe. Deshalb hatte Owan McCormack, der älteste aller schottischen Zaubererclanhäuptlinge, für den 29. Juli zu einer Versammlung der großen zwanzig geladen. Die Patriarchen der zwanzig wichtigsten und mächtigsten Zaubererweltclans und ihre Erstgeborenen und somit de facto Thronerben kamen alle in die gegen Hexen und Muggels abgesicherte Versammlungshöhle in der Westflanke des Ben Nevis zusammen. McCormack, ein bald 200 Jahre alter Zauberer mit schneeweißem Haar und bis zum Bauch hinabwallenden Bart, blickte die neunzehn anderen Häuptlinge durch die froschaugenartigen Brillengläser an, die ihm nicht nur einen Gutteil seiner im Alter geschwundenen Sehkraft zurücgaben, sondern auch einfallendes Licht ausglichen, dass selbst ein Glühwürmchen für ihn wie eine helle Lampe und die Sonne selbst wie ein fernes Lagerfeuer aussah. Er betrachtete vor allem die Oberhäupter der McFustys, McFursons und McGonagalls. Caledonicus McGonagall, der seit vierzig Jahren nur noch in seinem Stammschloss oder dieser Höhle anzutreffende Häuptling der McGonagall-Sippe, besaß ebenfalls helles Haar, aber nicht halb so lang und nur halb so hell wie der betagte McCormack. Angus McFusty wirkte dafür, dass er selbst schon 124 Jahre alt war richtig jung und kraftstrotzend unter den hier versammelten Patriarchen. Selbst die Stammhalter der Clans waren alle schon mehr als fünfzig Jahre auf der Welt und warteten wohl auf den Tag, an dem ihre Väter starben oder ihnen vorher die Herrschaft über ihren Clan übergaben. Einige der hier versammelten blickten sich belauernd an. Zwischen manchen Clans schwehlte eine seit Jahrhunderten bestehende Fehde, die an irgendwelchen Unstimmigkeiten immer mal wieder zu kurzen, blutigen Zusammenstößen aufflammte. Doch die Höhle der Versammlung war und blieb heiliger Boden, auf dem jede Feindschaft schlafen musste. Außerdem gab es etwas, das auch die grimmigste Blutfehde überwog, die eiserne Einigkeit gegen alle Bedrängnisse von außen, womit auch und vor allem das in London ansessige Zaubereiministerium gemeint war. Doch die heutige Zusammenkunft betraf ein anderes Thema.

Im Schein des Beratungsfeuers, dass in einer großen, steinernen Schale loderte warteten sie alle auf die Ansprache des Ältesten, dessen Erstgeborener Finley gerade noch zwei Eichenholzscheite von der Länge eines ganzen Mannes in das prasselnde Feuer hineinschob. Als McCormack sich der absoluten Aufmerksamkeit sicher war stand er auf und sprach auf seinen massiven Gehstock gestützt zu den hier versammelten.

"Ich bin sehr erfreut, meine Brüder, dass ihr alle es eingerichtet habt, hier und heute zusammenzutreffen. Auch wenn ich weiß, dass Bruder McFee mit Bruder McTavish gerade einen sehr hartnäckigen Streit wegen gefundener Silbervorkommen hat freue ich mich, dass ihr die Wichtigkeit der Lage erkannt und euch hierherbegeben habt. Denn wahrlich, eine alte Erblast droht, aus ihrer Verborgenheit hervorzudrängen und uns allen mit lautem Getöse auf Häupter und Füße zu fallen. Ich spreche vom Kessel der Morgause." McCormack sah, wie alle bei Nennung dieses Begriffes mit den Schultern zuckten und vor allen den Drachenhüter Angus McFusty ansahen. Deshalb wandte sich Owan McCormack direkt an den rothaarigen Drachenhüter der Hebriden: "Bruder Angus, natürlich wissen wir alle seit Jahren, dass deine Sippe dieses verwerfliche Artefakt aus der Übergangszeit der keltischen zur hermetischen Zaubererkultur hütet. Aber mir kam zu Ohren, dass der Kessel möglicherweise nicht so sicher aufbewahrt ist, dass ihn begehrende Hexenschwestern ihn nicht doch ergreifen und für ihre Zwecke einsetzen können. Deshalb bitte ich dich in mitbrüderlicher Besorgnis, uns aufzuklären, ob diese Gerüchte wahr sind und wenn nicht, wie wir weiterhin verhindern können, dass Morgauses Kessel einer dunklen Hexe in die Hände fallen kann."

"Bruder Owan McCormack", setzte Angus McFusty an. "Was auch immer da gerade in der Luft herumschwirrt, ich kann dir und allen hier versichern, dass der verfluchte Braukessel Morgauses an einem Ort verwahrt wird, an dem weder Hexen noch Kobolde hingelangen. Ich selbst habe vor kurzem noch einmal mit dem Hüter des Kessels gesprochen und klargestellt, dass er dort, wo er ist, sicher verwahrt bleibt, eingeschlossen von massiven Schutzzaubern gegen dunkle Einflüsterungen und andere in die Ferne wirkenden Schattenzaubern. Allerdings ist es leider auch wahr, dass die von Morgause in ihren Kessel gewirkten Zauber durch die dunkle Woge verstärkt wurden. Wie ihr ja alle mitbekommen habt sogen mit dunkler Magie besudelte Gegenstände und verfluchtes Blut im Körper tragende Wesen sehr begierig diese dunkle Kraft auf, die uns im Aprill überrollt hat."

"Wie, der Kessel liegt nicht mehr unter den Mauern von Schloss Teinemore?" stieß der Häuptling der McFees aus und bekam ein zustimmendes Nicken von Vespasianus McGonagall. McFusty bestätigte es. Er erwähnte, dass der Kessel schon seit zweihundert Jahren nicht mehr von den Drachen der McFustys behütet wurde, da sich erwiesen hatte, dass seine Ausstrahlung vor allem die Drachenweibchen zu sehr blutigen Kämpfen trieb. Um die Sicherheit des Kessels weiterhin zu gewährleisten hatten die McFustys nicht erwähnt, dass sie ihn längst nicht mehr bei ihren Drachen aufbewahrten.

"Ach, und ihr seit euch sicher, dass dieser Kessel weder von Hexen noch von Kobolden ergriffen werden kann?" wollte der Sohn von Rore McElroy wissen, einer der jüngsten hier zusammengetretenen Clansmänner. Sein Vater starrte ihn verdrossen an, weil er sich einfach so ohne Anfrage zu Wort gemeldet hatte. Doch weil McGonagall, McFee und McTavish dem jungen Zauberer zunickten entspannte sich auch Rore McElroys Gesicht und er nickte dem Versammlungsältesten zu, womit die Frage zur offiziellen Anfrage erhoben war.

"Ja, ich bin mir da absolut sicher, Ronin McElroy", knurrte Angus McFusty. "Um das Haus meines Enkelsohns Waldon liegen mehrere Ringe aus Abwehrzaubern, die den Körper und den Geist von Hexen dermaßen schwächen bis quälen, dass keine dunkle Schwester es schaffen wird, an das Haus heranzukommen. Und um das Haus und darunter liegen solide, geschmiedete Eisenspieße, die jeden Kobold, der versucht, unter der Erde dort hinzugelangen, sicher abwehren. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass die Koboldsippe Roughbacks immer noch meint, der Kessel sei zur Hälfte ihr Eigentum, weil die Vorfahren des alten Roughback damals an dem ollen Kessel mitgeschmiedet haben. Ausschließlich Zauberer, in deren Adern das Blut der McFustys oder McClouds fließt, können sich dem Haus nähern. Betreten können es aber nur diejenigen, die mein Enkel ausdrücklich zu sich eingeladen hat. Der Kessel kann also so viel dunkle Ausstrahlung haben wie er will. Keine dunkle Hexe kommt an den ran", sprach Angus McFusty so laut, dass seine Worte dreifach aus der weitläufigen Höhle widerhallten. Doch Ronin McElroy gab sich mit dieser Aussage nicht zufrieden. Da ja hier auch keine Hexen hineinkamen bat er darum, dass McFusty den hier versammelten Clanhäuptlingen die Zauber genau verriet, die den Kessel umschlossen. McFusty erwähnte nun, dass für jede Himmelsrichtung und jede der vier großen Elementarkräfte mehrere Zauber aufgeboten worden waren. Gegen Hexen wirkten hier auch noch das Lied der dunklen Mädchenträume, der Zauber Virgo Repulsa und die für Hexen so schmerzvollen Zauber Cunnicrematus und Plumbuterus.

"Gegen das Lied der dunklen Mädchenträume, das Lied der brennenden Hexenseele, die Worte der verstoßenen Mutter, den Virgo-Repulsa-Zauber und das Lied des versiegenden Hexenatems haben Sardonia und ihre Nichte Anthelia damals schon wirksame Gegenzauber entwickelt. Und Virgo Repulsa kann einfach durch den Praeservirgines-Zauber abgefangen werden, ebenso wie Cunnicrematus", wandte Ronin McElroy ein. "Wie könnt ihr euch da so sicher sein, dass die heute wirkenden dunklen Schwesternschaften nicht auch gegen die anderen Zauber wirksame Gegenflüche und Schutzzauber können?"

"Junger Mann, ich habe dir und deinem Vater und allen anderen hier diese Zauber aufgezählt, weil ich mir sicher bin, dass es gegen die keine spontan aufrufbaren Zauber gibt. Wenn eine Hexe in den Wirkungsbereich des Cunnicrematus-Zaubers gerät, kann die sich vor lauter Schmerzen nicht mehr auf irgendwelche Abwehrzauber konzentrieren. Und welche Hexe sich den Plumbuterus-Zauber einfängt fällt innerhalb einer Minute vom Besen und kann hoffen, dass ihr nicht die inneren Geschlechtsorgane aus dem Leib herausfallen, so schwer die werden", schnaubte McFusty. "Ja, und falls es gegen das alles Schutzzauber geben sollte, dann müssten die vorher gewirkt werden, was heißt, dass die betreffenden Hexen die Abfolge und Wirkung dieser Zauber vorher kennen müssten. Und ich sehe hier keinen, der denen sowas verraten würde. Selbst ich, der mehrere Hexen in der Sippe hat, werde denen bei Clingsors alten Latschen nicht verraten, welche Zauber mein Enkel um sein Junggesellenhäuschen gelegt hat, oder ich lasse mich freiwillig von Tara vom bebenden Felsen auffressen, sollte mir dergleichen herausrutschen", bellte McFusty wie ein um seinen Knochen gebrachter Hund. Ronin nickte bestätigend.

"Gut, du hast uns hier mit all deiner Sicherheit dargelegt, was dein Enkel angestellt hat", sagte McCormack und sah den Clanhäuptling der McClouds an. "Wenn Angus und du Ian es vor dieser Versammlung beschwört, dass Morgauses Kessel nicht aus seinem Versteck geholt und in die Hände dunkler Hexen geraten wird, so will ich euch gglauben", sagte McCormack.

"Was soll das heißen, Bruder McCormack?" fragte der Patriarch der McClouds. "Das du und Angus hier auf den Stein der Entschlossenheit und Eidestreue schwört, dass ihr völlig sicher seid, dass der Kessel der Morgause nicht von dunklen Hexen erbeutet werden kann."

"Das werden die zwei sich nicht trauen, weil im Fall, dass doch die Spinnenhexe oder die italienische Mischblüterin ihn sich verschafft die zwei nicht annähernd an dein Alter herankommen werden, Bruder Owan", ätzte der Häuptling der McTavishs.

"Ich werde an deinem Grab das Lied des in die seligen Höhen entschwebten Gefährten auf meinem Dudelsack spielen, Clayton McTavish", knurrte McFusty und stand auf. Er ging auf den großen, grauen Stein zu, in den altkeltische Zauberzeichen eingeritzt waren, die den Stein unverwüstlich machten und auch noch Zauber bestärkten, die dem, der mit Wort und eigenem Blut einen Schwur darauf leistete, bei Eidbruch innerhalb von sieben Tagen das Leben aussaugten, egal, wo der Eidbrecher sich aufhielt. McCormack nickte McFusty zu und ging auf seinen Stock gestützt auf den Stein zu. Er deutete auf den von McFusty am Gürtel getragenen Dolch, das Zeichen seiner Clanswürde. "Gib dem Stein dein Blut und schwöre mir, dem von euch anerkannten Ältesten, was du gerade bekundet hast, Bruder Angus!" befahl Owan McCormack.

Angus zog behutsam seinen Dolch und schnitt sich eine X-förmige Wunde in die Zauberstabhand. Dann drückte er die gezielt verletzte Handfläche in die Mitte einer mit Zauberzeichen verzierten Spirale auf der Oberseite des Steines und sprach: "Bei dem Stein von Glen Murdoch und dem Blute meiner Ahnen vom Clan der McFustys schwöre ich, Angus McFusty, Herr auf Schloss Teinemore, dass der seit Jahrhunderten von uns bewahrte Silberkessel der mächtigen Morgause an einem Orte ruht, an dem keine dunkle Hexe und kein Kobold hingelangen wird und dass keine dunkle Hexe ihn ergreifen und für ihre finsteren Vorhaben benutzen kann. Das schwöre ich bei meinem Leibe und meiner Seele." Der Stein erbebte und glomm in einem blutroten Schein, während Angus' Arm zuckte und zitterte, weil der Stein ihm Blut absaugte. Nach einer halben Minute erlosch der blutrote Schimmer. Das Beben verklang. Angus McFusty konnte seine Hand wieder fortnehmen. Die darin eingeschnittene Wunde war zu einer dunkelroten, X-Förmigen Narbe geworden, die als Mal des Eides bis zu McFustys Tod bleiben würde. Dieses Mal zeigte der Clanhäuptling der McFustys nun allen vor. Der Eid war geschworen. Der Stein hatte das Blut des Schwörenden getrunken. Das gesagte galt nun bis zum Tode.

Ian McCloud konnte nun nicht nachstehen. Die Ehre seines Enkels und damit auch seines Blutes musste vor dieser Versammlung gewahrt werden. Also schnitt auch er sich eine X-förmige Wunde in seine Zauberstabführungshand und presste sie in die mit Zauberzeichen verzierte Spirale auf dem Stein. Auch er schwor im Namen seines Blutes und Clans, dass sein Enkel den Kessel der Morgause schützte und keine dunkle Hexe ihn für sich benutzen würde. Auch bei ihm erbebte der uralte Eidesstein, der bereits von schottischen Druiden angefertigt und bezaubert worden war. Als das Beben und rote Glimmen verebbten zeigte auch McCloud das rote Mal an seiner Handinnenfläche vor. "So gilt, was ich schwor, meine Brüder", bekräftigte der alte McCloud. Das genügte den anderen hier versammelten. Die Zusammenkunft konnte somit von Owan McCormack offiziell für beendet erklärt werden.

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"Höchste Schwester, Schwester Bethany meldet: McCloud hat den Silberkessel! Ende der Mitteilung", empfing Anthelia/Naaneavargia am 29. Juli abends um Sechs Uhr ihrer Ortszeit eine sehr dringend klingende Gedankenstimme. Für die Hexen, die sie weitergeleitet hatten mochte die Mitteilung von einem Silberkessel wie eine Code oder wie eine nur eilig weitergereichte Bestätigung für was bereits erfragtes sein. Doch für Anthelia/Naaneavargia löste die aus nur vier Worten bestehende Botschaft eine wahre Flut an Gefühlen und Erinnerungen aus. Sie dachte daran zurück, wie sie als neue Führerin der entschlossenen Schwestern Britanniens überprüft hatte, was an den Legenden der dortigen Zaubererwelt dran war. Da sollte es Gegenstände und Gebäude geben, die je nach Gesinnung ihres Erschaffers Hexen oder Zauberer bevorzugten. Ein sehr altes Artefakt war ein übergroßer Silberkessel, der im Auftrag der im Schatten Morganas agierenden Morgause geschmiedet worden war, angeblich auch, um ein magisches Gegengewicht zum Schwert Excalibur zu schaffen. Die damaligen großen drei Britanniens, Morgana, Nimoe und Morgause, wollten unbedingt verhindern, dass der vom Erzmagier Merlin geförderte König die patriarchalische Denkweise der Christen zum Staatsglauben erhob und somit allen Hexen nur die Wahl blieb, sich zu verstecken, der Magie zu entsagen oder im Kerker oder auf dem Richtplatz zu enden. Das Problem war, dass Morgause sich von ihrer Schwester Morgana zurückgedrängt wähnte und daher den Kessel, der von Kobolden und menschlichen Zauberschmieden angefertigt worden war klammheimlich durch Blutopfer und finsterste druidische Rituale auf sich allein geprägt hatte. Angeblich sollte sie kurz vor ihrem Tod in den auf einem loderndenFeuer stehenden Kessel gestiegen sein und sich im siedenden Wasser selbst restlos zerkochen lassen, ohne dass jemand einen Schmerzenslaut von ihr gehört hatte. Doch andere Legenden behaupteten, dass sie den Kessel bereits vorher darauf eingestimmt hatte, im Falle eines gewaltsamen Todes ihre Seele aufzufangen und in sich einzuschließen, so dass wer auch immer diesen Kessel nur zu dunklem Zauberwerk benutzen konnte. Natürlich hatte Anthelia in ihrem ersten Leben diesen Kessel gesucht, auch um sich besser gegen ihre Tante Sardonia zu positionieren. Ebenso jagte Sardonia alle Artefakte auf der damals bekannten Welt, die von mächtigen Hexen erschaffen oder für solche hergestellt worden waren. Morgauses Silberkessel sollte die Macht Anthelias oder Sardonias steigern.

Anthelia hatte herausgefunden, dass der Kessel lange Zeit in Rainbowlawn aufbewahrt worden war, bis die Drachenhüter von den Hebriden ihn erobert und fortgeschafft hatten. So hieß es, dass der Kessel wohl in einem besonders tiefen Verließ von mehr als vier Drachen der Hebriden bewacht würde. Anthelias Versuche, das Versteck zu finden kosteten sie zwanzig treue Mitschwestern und drohten, ihre Herrschaft zu beenden. Und jetzt hörte sie diese Botschaft. Wer war dieser McCloud? Wo wohnte er? besaß er wirklich Morgauses Silberkessel? Wie hatte er diesen erhalten? Mochte es sein, dass der Kessel ähnlich in der dunklen Welle vom 26. April verstärkt worden war wie Sardonias Schutzkuppel über Millemerveilles? Anthelia wollte und musste mehr darüber erfahren. Deshalb nahm sie Gedankenkontakt zu jener Mitschwester auf, die ihr diese entscheidenden vier Worte weitergemeldet hatte. "Treffen morgen an deinem bevorzugten Platz!" So lautete die kurze und für Zwischenstellen nicht zu eindeutige Botschaft. Zwar traute Anthelia keiner ihrer Schwestern zu, sie zu hintergehen. Aber das mochte nicht heißen, dass die anderen alles wissen mussten, was sie gerade umtrieb.

Nur zehn Minuten später erhielt die höchste Spinnenschwester die Bestätigung und eine Uhrzeit, zu der es am Treffpunkt schon Nacht sein würde.

Auch wenn durch die Verschmelzung mit Naaneavargias Seele etliche Vorhaben aus dem Erbe Sardonias verdrängt worden waren fühlte die mächtige Hexenlady eine große Vorfreude, aber auch Besorgnis. Sollte jemand wahrhaftig den silbernen Kessel der Morgause hüten und dieser durch die Dunkle Welle mächtiger geworden sein, konnte die betreffende Person zur Gefahr für sie selbst aber auch für den Rest der Welt werden. Damals hätte Anthelia diesen Kessel gerne genutzt, um die letzten ihr noch verborgenen Geheimnisse der keltischen Hexen und Zauberer zu durchdringen. Auch wenn Sardonia und sie schon sehr viel über die Zeit der Hexen und Druiden gelernt hatten waren viele Dinge doch mit jenen, die sie kannten und beherrschten aus der Welt verschwunden. Anthelia hätte damals womöglich ihre Eigenständigkeit geopfert, um Morgauses Wissen in sich aufzunehmen, schlimmstenfalls mit der Seele der adelig geborenen Hexe eine vollständige körperlich-seelische Verbindung eingegangen. Würde sie das heute auch tun? Sie dachte nur kurz darüber nach und fand die für sie gültige Antwort: Nein, sie würde sich nicht auf einen Pakt mit Morgauses Geist einlassen, nur um noch mehr Wissen zu erlangen, wenn das hieß, dass sie dafür ihre körperlich-seelische Selbstbestimmung aufgeben musste. Sie dachte daran, dass Anthelia für sich all zu gerne das Wissen der zur schwarzen Spinne gewordenen Erdmagierin aus Altaxarroi in sich aufgesogen und die Seele Naaneavargias in ewiger Knechtschaft gehalten hätte. Doch die Tränen der Ewigkeit hatten das vereitelt und beide zu einer einzigen noch mächtigeren Magierin zusammengefügt. Noch einmal würde sich diese nicht auf einen gewagten Versuch einlassen, die Seele einer anderen Hexe zu unterwerfen.

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Am 30. Juli wurde Waldon McCloud von einer Mittels Phönixfeder überbrachten Botschaft in das ganz geheime Versammlungshaus seines heimlichen Ordens einbestellt. Die Nachricht riss Waldon aus seiner immer trübsinniger werdenden Stimmung. Bald war Vollmond. Wenn mit dem vollen Licht der Mutter der Nacht diese Mondphase gemeint war hatte er nur noch wenige Tage zu leben oder musste sich dazu hergeben, in Morgauses Namen zu handeln, ihr lebender Erfüllungsgehilfe zu sein und womöglich all die zu töten, die sich bisher noch auf ihn verließen. So sah er sichtlich besorgt in die Gesichter der Mitstreiter, vor allem jenen, die Zauberer waren, darunter den gerade erst vor bald fünfzehn Monaten neu zur Welt gekommenen Juri Warren, der mittlerweile auf seinen eigenen kurzen Beinen herumtapsen konnte und wegen der neu gewachsenen Milchzähne nun auch ohne Zuhilfenahme eines Dexter-Cogisons zu ihnen allen sprechen konnte.

Juris Wiedergebärerin Lady Tamara Warren hörte sich wie auch Waldon McCloud an, was die anderen Thaumaturgen und Zauberwesenkundler zu berichten hatten. Es stand nun fest, dass durch die dunkle Welle die neue Vampirgötzin nicht mehr als eine schlafende, sondern tätige Göttin zu verstehen war. Denn in den letzten drei Wochen war es immer wieder zu Sichtungen einer aus rotem Licht bestehenden Riesenfrau mit Vampirgebiss gekommen, die immer dort eingeschritten war, wo ein Verschwinden ihrer Jünger nicht die Lösung des Problems war. Auch die Berichte vom Einsturz der blutigen Fledermaus unter der Nokturngasse in London hatten alle Zweifel beseitigt, dass Gooriaimiria und ihre Sekte an Macht und Einfluss gewonnen hatten. Mittlerweile galt unter den Vampiren die Frage, ob sie lieber sterben oder sich der selbsternannten Nachtgöttin unterwerfen sollten. Ein Glaubenskrieg, ja ein Überlebenskampf unter den Vampiren schien unmittelbar bevorzustehen. Denn jene, die immer noch ihrer Freiheit huldigten wollten sich nicht kampflos vor Gooriaimirias Karren spannen lassen.

Ähnlich wie Morgauses Kessel zeigten auch die von anderen Mitstreitern beherbergten Zaubergegenstände immer mehr Kraft und auch ein unheimliches Eigenleben. Als Waldon hörte, dass der Hüter eines goldenen Opferdolches aus Indien in seinen Träumen dazu aufgefordert wurde, die Waffe im Namen Kalis zu benutzen, um dem im Golde wohnenden Dämon den Weg in die Welt zu öffnen, fühlte sich Waldon in die Enge getrieben. Denn eigentlich wollte er selbst schildern, dass auch Morgauses Kessel ihm üble Träume schickte und welche Entscheidung der im Kessel erwachte Geist der alten Hexe von ihm forderte. Doch die Drohung stand im Raum, dass jeder starb, dem oder der er es erzählte.

"Moment mal, Kali ist doch eine indische Göttin, die Rachegestalt Parvatis", warf Juri Warren ein. Darauf erwiderte der Mitstreiter, dessen Großvater Engländer und dessen andere Verwandten Inder waren, dass dies eine von an westliche Religionen glaubenden gepflegte Verwechslung war und hier wahrhaftig ein macht- und habgieriger Dämon gemeint sei, der auf den Beginn einer nach ihm benannten Zeit hinstreben würde und dass indische Zauberer, die sich den dunklen Künsten verbunden fühlten, ihn und andere für reine Glaubensvorstellungen gehaltene Dämonen verehrten, was im Zusammenhang mit angewandter Magie genauso verheerend sein mochte, als wenn diese Dämonen von Natur aus entstanden wären. "Will sagen, wer an etwas glaubt und durch Magie die Bedingungen schafft, dass sein Glaube zur Wirklichkeit wird, zeugt diese Götzenbrut", sagte Lady Tamara Warren. Ihr indischer Mitstreiter machte eine verneinende Geste und warf ein:

"So einfach lässt sich das nicht abtun, werte Weggefährtin. Immerhin ist erwiesen, dass es die Wiedergeburt gibt. Warum soll da nicht auch vieles andere, was in unserem menschlichen Unverständnis mit Bildern und Gottesbildern erklärt wird einen natürlichen Ursprung haben, sowie das Gefüge der Magie als solches?"

"Ja, nur dass meine zweite Mutter und ich gezielt auf meine Wiedergeburt hingewirkt haben und ich mich an mein erstes Leben noch ganz gut erinnern kann", warf Juri Warren ein.

"Nun, viele aus dem christlichen Kulturkreis stammende Magier streiten mittlerweile die Existenz eines großen Urdämonen ab, der früher zu den mächtigen Begleitgeistern ihres einen Gottes gehört haben soll. Früher glaubten auch viele Hexen und Zauberer an höhere Wesen, denen sie ihre Kraft und Macht verdankten und opferten ihnen. Wir aus Indien wagten es zu keiner Zeit, die Geschichten der Vorfahren als blankes Märchen oder unzureichende Erklärungsansätze abzutun, solange es genug Dinge gibt, die wir mit Menschengeist nicht durchdringen oder gar beeinflussen können. Zudem ist auch gerade in diesem Kreis enthüllt worden, dass es nicht nur rastlose Seelen gibt, die in der stofflichen Welt verblieben sind, sondern auch Wesen, die nach ihrem körperlichen Tod sehr mächtig wurden und in einem für uns unsichtbaren Zwischenreich zwischen der Welt der verkörperten und der der auf ein neues Leben wartenden Seelen bestehen, auch um die Blutsverwandten ihrer einstigen Körper zu beobachten. Diese Ashtaria war sicher nicht die einzige dieser Daseinsformen."

"Wir möchten auch nicht deinen Glauben verspotten, Surya, sprach Tamaras Ehemann beschwichtigend. "Im Gegenteil, womöglich können uns nur die deinen Landsleuten überlieferten Berichte helfen, die Ankunft dieses Dämons Kali zu verhindern, so hab-und Geltungssüchtig die modernen Menschen mittlerweile sind. Insofern dürfte der Dämon Kali mit dem römischen Pluto und dem jüdisch-christlichen Mammon vergleichbar sein, der Macht und Reichtum anbietet, wenn ihm dafür gehuldigt und gedient wird."

"Trotzdem bleibe auch ich bei meiner Einschätzung, dass viele aus einem reinen Glauben entstandene Dinge durch die Anwendung von Magie nachträglich zur Wirklichkeit werden können, wie eben auch eine Wiedergeburt." Dann sah Tamara Waldon McCloud an: "Und wo wir schon davon anfangen, Waldon. Was hast du mittlerweile über Morgauses Kessel herausgefunden? Stimmen die Andeutungen, die Schwester Morganas habe ihre Seele mit diesem Artefakt verschmolzen und könnte deshalb bestimmen, was mit dem Braugut im Kessel geschieht?"

"Ich weiß, dass er eine eigene Aura hat, Lady Tamara. Diese ist tatsächlich stärker geworden. Ich weiß auch, dass in ihn sicher starke Flüche eingewirkt sind, die ganz sicher von Morgause darauf abgestimmt wurden, nur ihren Willen zu erfüllen oder eben alles ins unheilvolle zu verkehren, ob es eigentlich dem Heil dient oder nicht. Da ich mich seit Jahren davor hüte, den Kessel zu benutzen kann ich es nicht mit Sicherheit sagen, dass Morgauses Seele oder ein Teil davon im Kessel steckt, zumal ich nach dem, was ich über die Art, Splitter der eigenen Seele an Gegenstände zu binden weiß, dass diese Gegenstände ein Eigenleben entwickeln, je länger sie auf lebende Menschen einwirken können. Wie genau das abläuft wurde ja gerade hier erwähnt. Insofern werde ich auch weiterhin den mir anvertrauten Kessel unverrückbar dort belassen, wo er nun schon seit vielen Jahrzehnten steht. Ich hoffe nur, dass nicht auch andere außerhalb dieser Gemeinschaft davon erfahren, dass ich ihn hüte. Denn dann, werte Mitbrüder und Mitschwestern, dürfte ein brutaler Wettlauf auf ihn einsetzen, bei dem wir alle zwischen die Fronten geraten dürften und ich womöglich das erste Opfer sein werde", sagte Waldon. Damit hatte er allen hier den Ernst erklärt, der sich in seinem Gesicht abzeichnete. So musste er weder über seine Albträume reden und schon gar nicht Morgauses Ultimatum erwähnen. Zumindest hoffte er das.

"Waldon, es tut mir leid, dich derartig bedrängen zu müssen. Aber das reicht mir als Aussage nicht aus", sagte Lady Parthenope und verwies darauf, dass gerade durch die Ereignisse um Sardonias Kuppel über Millemerveilles vieles noch ernster zu nehmen war, was vorher nur als Gerücht oder Gruselmärchen abgetan worden war. "Selbst wenn du sämtliche Wände und die Decke des Aufbewahrungsraumes mit Bannzaubern gegen böse Kräfte belegt hast besteht doch immer noch eine Möglichkeit für Morgauses Geist, sofern er wahrhaftig im Kessel eingefügt ist, Gedanken zu versenden, um nach willigen Wirten oder besser Wirtinnen zu forschen. Oder hast du den Raum auch gegen Mentiloquismus abgesichert, Mitstreiter Waldon?"

"Öhm, nein, weil ich ja von da aus um Hilfe rufen können sollte und ..." knurrte Waldon, bevor er merkte, weshalb die französische Mitstreiterin und Angehörige des hohen Viererrates diese Frage gestellt hatte. "Aber womöglich sollte ich das erwägen, meint Ihr, Lady Parthenope", fügte er noch hinzu.

"Falls es noch nicht zu spät dafür ist", sagte Parthenope. "Immerhin könnte Morgauses Seele, sofern sie wahrhaftig in ihrem Kessel eingesperrt ist, Traumbilder versenden, weil sie keinen körperlichen Schlaf benötigt und ein träumender Mensch für viele Dinge aus dem übernatürlichen freier zugänglich ist als mit wachem Bewusstsein." Dafür bekam sie Zustimmung derjenigen, die aus anderen Kulturkreisen stammten.

"Ja, ich werde zusehen, dass ich den Kellerraum noch gegen Mentiloquismus abschirme", sagte Waldon und hoffte, dass er damit vielleicht den entscheidenden Schlag gegen Morgauses wiedererwachende Kraft landen konnte. Zu seiner Verwunderung fühlte er keine bedrückenden Schmerzen wie bei dem Gedanken, die unheimliche Erscheinung von Morgauses Gesicht und Stimme zu verraten.

"Leute, wir sollten besser davon reden, was wir machen, wenn stimmt, was unsere Mitstreiterin Isobella gerade erwähnt hat, nämlich dass Ladonna Montefiori angefangen hat, die auf reine Hexenreiche hinarbeitenden Sororitäten zu infiltrieren", gemahnte Sir Polybios Warren. "Falls bei den Dunkelschwestern schon länger im Umlauf ist, dass jemand aus dem Umfeld des McFusty-Clans den alten Silberkessel Morgauses hat könnte nicht nur Ladonna Montefiori darauf verfallen, ihn sich zu holen, sondern auch die schwarze Spinne oder die Töchter des grünen Mondes oder wer sonst noch meint, dass nur die Hexen das Sagen haben sollten."

"So, wer bitte meint das denn nicht, Polybios?" fragte seine Frau Tamara.

"Öhm, nicht ohne meinen Anwalt", erwiderte Polybios Warren darauf.

"Also, ich habe nicht nur den Raum mit allen mir bekannten Abwehrzaubern gesichert, die sich nicht gegenseitig aufheben, sondern auch mein Haus und mein Grundstück weiträumig gegen Feindesannäherungen und nur für Leute meiner Blutlinien betretbar gemacht. Wer kein McCloud oder McFusty ist wird beim Apparierversuch fünf Kilometer weit zurückgeworfen. Wer auf einem Besen anfliegt wird von einer schlagartigen Ermüdung übermannt, und wer es schafft, die Grundstücksgrenze zu überschreiten bleibt dort stehen, wo er oder sie gerade steht, bis ich persönlich ihn oder sie bei einer Hand nehme und die festgelegten Worte der Lossprechung ausspreche, was auch dafür gilt, dass jemand mich zeitweilig in meinem Haus besuchen kommt. Ich wurde schon von meinem Großvater gefragt, ob eine veelastämmige Hexe diese Zauber durchdringen kann. Die Antwort lautet, dass ich es nicht sicher ausschließen kann, es aber vom Verwandtschaftsgrad abhängig mache, wie viel Veelablut in der betreffenden ist. Ach ja, Hexen, die in feindlicher Absicht zu mir hinwollen werden von albtraumhaften Schreckensbildern heimgesucht, die sie zur Flucht treiben. Und sollten sie doch willensstark genug sein, den Traumgespinnsten zu widerstehen, setzt es sehr heftige Körperbezauberungen, die vor allem Hexen betreffen. Ich gehe davon aus, dass Hiram McTavishs Hexenschreck hinlänglich bekannt ist", sagte Waldon noch.

"Der von Sardonia und ihrer Nichte Anthelia schon längst gekontert wurde", erwiderte Lady Parthenope unvermittelt. "Falls die Spinnenhexe wirklich auf Sardonias Erbschaft zugreifen kann und Ladonna Montefiori vielleicht ebenfalls weiß, wie McTavishs Hexenschreck durchbrochen werden kann reicht diese mentalmagische Abwehr leider nicht aus."

"So, Lady Parthenope, kennt ihr diesen Gegenfluch ebenfalls?" wollte Waldon nun wissen. Darauf antwortete Tamara Warren:

"Wenn er ähnlich ist wie der Morgengruß der Baba Yagas kenne ich den auch." Parthenope erwiderte, dass die Liga gegen dunkle Künste in Frankreich ihn durchaus kannte und die darin Mitglieder seienden Hexen ihn garantiert auch erlernten, um von dunklen Zauberern erbaute Festungen zu stürmen, die eindeutige Anti-Hexen-Zauber benutzten. "Und die slawischen Baba Yagas sind mit den grünen Waldfrauen Westeuropas verwandt", streute Polybios noch etwas mehr Salz in Waldons verwundete Selbstsicherheit. "Somit ist der beste Schutz der, dass diese Hexen nicht wissen, wo Morgauses Kessel ist. Aber dieses Wissen könnte ihnen früher oder später zufallen", sagte Lady Parthenope an Waldons Adresse. Der schottische Mitstreiter der geheimen Gesellschaft der goldenen Waage nickte.

Dann ging es noch um die neuen Umtriebe Vita Magicas und dass vor allem in Millemerveilles wohl darauf hingearbeitet werden musste, dass im nächsten Jahr viele hundert neue Kinder geboren wurden. "Es wird noch einige Tage dauern. Aber dann werden wir die genaue Rezeptur jenes Prokreationssteigerungsgases und die von den Heilern entwickelten Gegenmittel kennen", stellte Lady Parthenope sehr zuversichtlich in den Raum. "Oder legt eine der hier anwesenden Damen Wert darauf, an einer Zeugungslotterie à la Vita Magica teilzunehmen?"

"Öhm, hat es bei euch denn schon wen erwischt?" wollte einer der anwesenden Mitstreiter wissen. "Fast", knurrte Parthenope. "Eine halbe Stunde später in das Gästehaus zurückgekehrt hätte mir jemand wohl in neun Monaten mindestens ein Enkelkind vorgestellt. Aber die, die ich schon habe sind in ehelicher Liebe entstanden, und so sollte es auch sein."

"Gut, wir bekommen also das Rezept für das Gas und die entsprechenden Gegenmittel", wiederholte Tamara Warren, was ihre ranghohe Mitstreiterin in Aussicht gestellt hatte. Parthenope nickte bestätigend.

Als Waldon nach zwei Stunden Abwesenheit von seinem eigenen Haus wieder aus dem Flohnetzkamin heraustrat fühlte er sich unmittelbar so, als sei er hier nicht erwünscht. Dieses Gefühl war ihm in seinem Haus absolut fremd und im höchsten Maße alarmierend. Was wenn die Ausstrahlung von Morgauses Kessel es wahrhaftig geschafft hatte, die sie eindämmenden Zauber zu durchbrechen, ja sie als eigene Kraftquelle zu nutzen? Er musste sofort nachprüfen, ob die von ihm errichteten Bannzauber noch wirkten.

Als er vor dem Kellerraum ankam, in dem der silberne Kessel aufbewahrt wurde fühlte er, dass etwas oder jemand ihn regelrecht belauerte. Das Gefühl eines gejagten Tieres breitete sich in seinem Geist aus. Doch die Prüfzauber zur Erkennung wirkender Schutzzauber zeigten, dass seine magischen Vorkehrungen noch wirkten. Allerdings erkannte er auch, dass die aufgespannten Kräftefelder der Magie vibrierten, wie immer wieder angezupfte Saiten, deren Grund- und Obertöne einen gleichmäßigen Klangteppich woben. Da begriff Waldon, dass die dem Kessel innewohnende Kraft einen Weg gefunden hatte, durch die sie einschnürende Bezauberung hindurchzudringen, sozusagen zwischen Verklingen und Anzupfen der magischen Saiten. Also daher rührte Waldons Gefühl, hier nicht mehr erwünscht zu sein, wie auch das Gefühl der Belauerung unmittelbar vor dem Kellerraum. Er wusste nun ganz sicher, dass er den Keller nicht mehr betreten durfte, wenn er nicht dem Irrsinn verfallen oder zu Morgauses willenlosem Werkzeug werden wollte, nicht mehr als ein dressierter Hund, nicht weniger als ein durch dunkle Macht wiederbelebter Leichnam, der von seinem Schöpfer erhaltene Befehle befolgte.

Waldon umspannte sein Schlafzimmer mit einem Zauber, der das Gedankensprechen von draußen nach drinnen vereitelte und hängte zusätzlich noch ein paar wahrhaftige Traumfänger auf, die im Schlaf entstehende Angstgefühle erfassen und absaugen konnten, so dass der Schlafende ohne bedrückende Träume schlafen konnte. Allerdings brannten solche Traumfänger mit der Zeit aus und er kannte die Zauber oder Rituale nicht, um sie wiederzubeleben. Doch bis zum nächsten Vollmond würden sie sicher halten. Als er die Schlafzimmertür von innen geschlossen hatte fühlte er sich gleich wohler. Also stimmte es, dass Morgauses Kraft eine rein geistige Wirkung hatte. Doch was er an diesem Tag sonst noch erfahren hatte machte ihm immer noch Sorgen. Falls sowohl die schwarze Spinne als auch Ladonna erfuhren, wo ein mächtiges Hexenartefakt zu finden war, dann würden sie alles ihnen bekannte tun, um es sich zu holen, ja dabei auch ihn töten. Denn ihm fiel gerade ein, dass die ganzen Schutzzauber in dem Moment erloschen, wenn der, auf den sie geprägt waren, außerhalb seines schützenden Hauses starb. Hieß das, dass er von heute an nicht mehr vor die Tür gehen durfte?

Zwar hatte Waldon in der Nacht zum 31. Juli keinen ausgesprochenen Albtraum. Doch dafür träumte er, dass er selbst ein ungeborenes Kind war, dessen Mutter ihm leise und mit einer herrlich beruhigenden Stimme altkeltische Wiegenlieder vorsang. Als er dann durch Betasten seines Körpers erkannte, dass er ein kleines Mädchen werden würde machte ihm das keine Angst. Denn er dachte, dass er als sie dann die rechtmäßige Nachfolgerin der Mutter sein würde. Der Traum endete damit, dass er in einem weitläufigen Kaminzimmer geboren wurde und viele Frauen die Mutter und ihre Tochter beglückwünschten. Dabei erfuhr er, dass seine Mutter die mächtige Morgause war, die im ständigen Ringen um Anerkennung mit ihrer Schwester Morgana immer mehr Macht gewinnen wollte. Als Waldon vom eigenen Geschrei wieder aufwachte fühlte er sich einen Moment lang traurig, weil es eben nur ein Traum gewesen war. Doch dann erwachte eine gewisse Beklemmung in ihm. Wieso träumte er nun derartiges Zeug? War das nun eine Ausgeburt des eigenen Geistes oder eine Folge der von ihm getroffenen Sicherheitsvorkehrungen gewesen? Dann begriff er auf einmal, was Morgauses Ultimatum wahrhaftig bedeutete. Entweder sollte er sterben oder sein bisheriges Leben beenden, sein bisheriges Leben. Das es möglich war, weit nach der Geburt das Geschlecht dauerhaft zu wechseln, also nicht nur mit Vielsaft-Trank oder durch Selbstverwandlungen wusste er. Doch dass er sich darauf einlassen sollte, wenn er nicht sterben wollte wusste er noch nicht. Vielleicht war das auch nur ein Hirngespinnst, das die Angst vor Morgauses Kessel ihm verursachte. Dann fragte er sich, ob er wahrhaftig lieber sterben würde, als mit dauerhaft umgewandeltem Körper Morgauses willige Magd zu sein, ja womöglich sogar als eine Art Wirtskörper für ihre Seele herzuhalten, wenn diese es in der starren Form des silbernen Kessels nicht mehr aushielt? Das wiederum ließ ihn unpassenderweise schadenfroh schmunzeln. Denn wer immer den Kessel länger in Besitz nahm mochte dieses Schicksal erfahren, egal wie mächtig er und vor allem sie war. Sicher würde Morgause keinen Zauberer körperlich in Besitz nehmen, wie es das Seelenbruchstück des damals noch jungen Tom Riddle mit Ginny Weasley getan hatte, um die Kammer des Schreckens in Hogwarts zu öffnen. Also galt es für ihn nur, eine direkte Verwandlung seines Körpers zu verhindern, um vor einer unmittelbaren Inbesitznahme Morgauses sicher zu sein. Aber dieses Gefühl, von ihr in schützender Geborgenheit getragen zu werden und dass er sich so glücklich dabei gefühlt hatte piesackten den schottischen Zauberer, der seit seiner frühesten Kindheit darauf geprägt war, ein stolzer Zauberer zu sein. Doch wenn alle seine Vorkehrungen gewirkt hatten war das garantiert nur eine völlig hahnebüchene Vorstellung seines Unterbewusstseins gewesen und absolut keine Botschaft aus der Dunkelheit von Morgauses Kessel.

Als Waldon die von ihm eingerichtete Sicherheit seines Schlafzimmers verließ, um ins Bad zu gehen, überflutete ihn jenes Gefühl der Feindseligkeit wieder, das ihn gestern bei seiner Rückkehr empfangen hatte. Jetzt wusste er mit Sicherheit, dass sein Haus von Morgauses dunkler Ausstrahlung vergiftet war. Er wusste auch, dass er hier keine längere Zeit mehr wohnen konnte, wollte er nicht anfangen, in jeder Ecke und hinter jedem Möbelstück oder Vorhang einen Feind zu sehen und in einen Strudel aus Verfolgungswahn und Ablehnung zu ertrinken. Doch wenn er das Haus verließ würden die von ihm gewirkten Zauber innerhalb von einer Woche abklingen und nur noch der Blutsverwandtschaftszutritt bestehen bleiben. Dann hatte er als Hüter des silbernen Kessels versagt. Dennoch wusste er, dass er hier nicht mehr alleine bleiben durfte. Was er in der Nacht noch von sich hatte abhalten können kroch nun mit jedem Atemzug und jedem Gedanken immer mehr in seinen Geist hinein, das Gefühl von Unbehagen, einer Vorstufe zur Angst. Deshalb beeilte sich Waldon McCloud mit allen nötigen Verrichtungen und beschloss, den Tag nicht wie geplant in seinem thaumaturgischen Labor zu verbringen, um weitere Schutzzauber gegen unerwünschte Hexen zu entwickeln, sondern nach Godrics Hollow zu reisen, wo er seinen Cousin Malcolm besuchen würde. Der verstand sich auf Mentalmagie und hatte einiges zum Thema Widerstand gegen Fernflüche erforscht. Er durfte ihm nur nicht verraten, was ihn gerade so an diesen Arbeiten interessierte. Denn dass er Morgauses Kessel hatte wussten nur seine Mitstreiter von der goldenen Waage und der Häuptling der McFustys. Er hatte aber eine geniale Begründung für sein Interesse.

"Ach, das mit der Kuppel, die Sonnenlicht aussperrte und zugleich eine Art von Trübseligkeit verbreitete, ähnlich wie die Dementoren das anstellen?" fragte Malcolm seinen Vetter Waldon, als sie beide einen Schluck Tee mit Whisky genossen hatten. "Ja, gegen deren Trübseligkeitskraft hast du doch damals was erfunden", meinte Waldon dazu.

"Ja, und wenn ich nicht selbst in Askaban hätte landen wollen durfte ich das keinem auf die Nase binden, bis dieser Horror mit Du-weißt-schon-wem überstanden war. Aber es ist mir gelungen, einen auf eine bestimmte Person abgestimmten Talisman zu machen, der jede Kraft, die ihm glückliche Gefühle rauben will ähnlich heftig widerstrebt wie ein schwarzer Spiegel gegen zauberstabbasierte Flüche. Damit hätte ich so viele Galleonen machen können, wie in alle acht Türme von Schloss Teinemore hineingepasst hätte und dann noch zwanzig Verliese bei Gringotts anmieten müssen. Aber so habe ich nach dem dunklen Jahr beschlossen, dasss nur Träger von McFusty-Blut diese Glückswälle haben sollen, weil wir ja nie wissen, wen wir als nächsten Zaubereiminister kriegen. Ich meine, die Yankees haben da häufiger Personalwechsel als in Hogwarts, wo bis zum Ende von Du-weißt-schon-wem jedes Jahr ein neuer Lehrer gegen dunkle Künste eingestellt werden musste. Und das mit Shacklebolt und Weasley ist immer noch nicht ganz geklärt. Aber wenn Onkel Cole doch noch ein paar Jahre durchhält könnte erstmals nach 1740 ein McFusty Zaubereiminister werden. Dann dürfen die Kobolde schon mal anbauen."

"Wirkt dieses Ding denn auch gegen den Hauch der Feindseligkeit oder den Zauber Spiegel der Angst?" fragte Waldon McCloud um die Selbstbeweihräucherungsarie seines Vetters zu beenden.

"Ja, tut er, sobald ich die entsprechenden Gegenrunen eingeschrieben und ihre Kraft an die Macht des Glückswalls angekoppelt habe. Wieso, fürchtest du, dass du derartig beharkt werden könntest?"

"Nach der Sache mit der Kuppel Sardonias rechnet unser Großvater Angus damit, dass eine mögliche Erbin Sardonias das wiederholen könnte, jetzt wo bekannt ist, dass diese Kuppel eine schleichende Form der Dementorenkraft ausgeübt hat und nur durch entschiedene Lebensbejahung und natürliche Licht- und Wärmequellen abgeschwächt werden konnte", sagte Waldon.

"Ach, hast du Angst, Devina Paxton könnte auf die Idee kommen, dich doch noch für ihren Clan einzufordern und sich mit den Sardonianerinnen zusammentun?" wollte Malcolm McCloud wissen.

"Nein, gegen Hexen habe ich schon genug gezaubert. Mir geht's um Fernangriffe mit Gefühlsbeeinflussungen oder eben die Kraft von Dementoren. Bei der Gelegenheit, die Yankees vom Marie-Laveau-Institut könnten deine Vorkehrung auch gut gebrauchen und würden sicher fünf der von dir erwähnten Verliese bei Gringotts bis zur Decke füllen."

"Neh, die Yankees kriegen von mir nix, auch wenn die mir Schloss Teinemore im Maßstab eins zu eins aus Platinbarren nachbauen, innen und außen mit vierundzwanzigkarätigem Gold überziehen und mir vor die Tür stellen. Seitdem einer von diesen Voodootrommlern behauptet hat, Rore McElroy sei der einzige Engländer, der es je geschafft habe, einen wirksamen Zauber gegen fünf ihn bestürmende Nachtschatten zu bringen sind die Yankees für mich unten durch."

"Moment, McElroy, dessen Oma war doch aus Brighton", sagte Waldon verschmitzt grinsend. "Ey, pass bloß auf!" schnaubte Malcolm. "Sicher, Mara McElroy geborene McBrine ist in Brighton auf die Welt gekommen, hat aber urwüchsig schottische Eltern gehabt, also schottisches Blut in den Adern und nur solches an ihre Nachkommen weitergereicht. Dass die Yankees das nicht mitgekriegt haben zeigt, wie ungebildet oder taktlos die sind."

"Ja, wobei das Laveau-Institut bei New Orleans in Louisiana liegt und die meisten von denen, die da aus allen in den Staaten vertretenen und mit denen verwandten Volksgruppen stammen und somit nicht alle Yankees sind", musste Waldon noch unbedingt anbringen. "Außerdem gilt für die Amerikaner, dass der oder die dort geborene ganz von selbst Amerikaner ist, ob die Eltern gerade auf der Durchreise waren oder da ganz gezielt hingezogen sind. Sowas ähnliches wird doch schließlich auch vom allerersten Prinzen von Wales erzählt."

"Ähm, willst du jetzt meinen tragbaren Glückswall oder suchst du echt Streit?" wollte Malcolm wissen. Waldon entschuldigte sich, falls er den Eindruck gemacht habe, er wolle seinen Vetter beleidigen. So bekam er für die Heimreise eine silberne Kette, an der zwölf geschliffene Kristalle hingen, wobei er auf jeden von ihnen einen Tropfen Blut hatte träufeln müssen, um die Kristalle auf seinen eigenen Körper und Geist einzustimmen. Er erwähnte noch, dass er auch Traumfänger verschiedener amerikanischer Ureinwohner hatte. "Ja, die Glückslotterie der Amis, jeder zwanzigste verkaufte Traumfänger ist auch einer. Alle anderen sehen nur so aus", spottete Malcolm.

"Wie lange meinst du, dass die Kristallkette hält, wenn ich damit in einen Trupp aus Dementoren reinappariere?" wollte Waldon wissen.

"Solange es nötig ist, Waldon. Die Kette zieht ihre Kraft aus dem Mond, der Erde und deinem Blut. Kann dir also eher passieren, dass du schneller erschöpft bist als sonst. Aber wer anderen Glück absaugt oder gleich die ganze Seele entreißen will knallt beim Versuch gegen hundert Zoll dicke Granitwände. Und weil du denGlückswall mit deinem Blut belebt hast ist der auch gleichzeitig diebstahlsicher, ähnlich wie mit dem Mihisolus-Zauber."

"Wird Großvater Angus sicher freuen, falls die Dementoren, die Shacklebolt besiegt haben wollte doch noch mal zu uns kommen sollten."

"Der hat auch schon einen Glückswall", offenbarte Malcolm. Waldon meinte, dass er sich das schon gedacht hatte.

Tatsächlich fühlte er bei seiner Rückkehr keine Bedrohung oder Abweisung mehr. Doch er fühlte durchaus, wie die von ihm unter dem Hemd verstauten Kristalle im Takt seines Herzens vibrierten. Falls stimmte, dass sie ihn körperlich auszehrten, je länger oder stärker er einem bösen Einfluss ausgeliefert war, dann musste er jeden Tag mehr essen und schlafen, um nicht unfreiwillig abzuspecken oder unvermittelt einzuschlafen. Zumindest aber dachte Malcolm, dass er Morgauses dunklen Hauch damit auf Abstand hielt. Somit würde er in den Nächten auch nur noch das träumen, was seiner eigenen Vorstellungskraft entsprang und nichts von außen darin einsickerndes.

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Sie mochte die Sommernächte auf dem Gipfel des Mullach an Rathain im schottischen Hochland. Hier konnte Bethany McFurson in den klaren Nächten die Sterne beobachten, die sie in der Nähe der Großstädte wie London, Glasgow oder Edinburgh vor lauter elektrischem Streulicht nicht mehr sehen konnte.

Die Hexe, die von väterlicher Seite dem McFurson-Clan und von mütterlicher Seite dem McEthan-Clan entstammte würde zu gerne allen Muggels das elektrische Licht verbieten, damit die Sterne wieder überall gleich gut zu sehen waren. Wohl auch deshalb war sie vor 30 Jahren von ihrer Mutter den schweigsamen Schwestern vorgestellt worden und dann bei den Entschlossenen eingetreten, damals noch angeführt von Lady Laurentia Deepwater. Als dann aber Ursina Underwood Lady Laurentias Nachfolgerin wurde hatte Bethany fast einen offenen Hexenkampf mit der neuen Anführerin bestritten. Denn Ursina war die Tochter von Eugenia Underwood, welche vor vierzig Jahren Bethanys Großmutter Gladys McEthan getötet hatte. Angeblich hatte Bethanys Großmutter zusammen mit Bellatrix Lestrange einen Umsturz des Zaubereiministeriums geplant und Eugenia war damals Aurorin gewesen. Bei den entschlossenen Schwestern war jedoch bekannt, dass es um die Rivalität um die Nachfolge von Lady Laurentia gegangen war. Zwar hatte Eugenia es nicht geschafft, Laurentias Nachfolgerin zu werden, weil Eugenia sich kurz vor dem Verschwinden des Emporkömmlings Voldemort mit dessen Nachläuferin Alecto Carrow ein tödliches Duell geliefert hatte. Doch für die den Clantraditionen folgende Bethany war die Blutschuld von der Mutter auf die Tochter übergegangen. Um diese Schuld einzutreiben hatte Bethany sich vor sieben Jahren, als der Emporkömmling wieder zur Macht aufsteigen wollte, den Kontakt mit den Spinnenschwestern gesucht und war von deren höchster Schwester angeworben worden, wohl auch weil Bethany offiziell für den Tagespropheten aus dem A’Ghaidhealtachd berichtete und da vor allem über die öffentlichen Vorhaben der großen zwanzig schrieb, den zwanzig wichtigsten Clans der schottischen Zaubererwelt.

Auf diese Weise hatte sie es vor zwei Tagen mit einem höchst unerlaubten Trick geschafft, eine eher nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Zusammenkunft der zwanzig Clanhäuptlinge zu belauschen. Was sie dabei erfahren hatte trieb sie dazu, der höchsten Schwester des Spinnenordens Bericht zu erstatten, bevor andere mächtige Hexen wie Ursina Underwood auf ihre Weise erfuhren, was Bethany erfahren hatte.

Es war eine Stunde nach Mitternacht. Heute würden sie im Tagespropheten wohl wieder über "den Retter der Zaubererwelt" schreiben. Bethany hielt nichts von dem Getue um Harry Potter. Der hatte im Grunde zweimal Glück gehabt, einmal, dass seine eigene Mutter durch ihr Lebensopfer sein Überleben gesichert hatte und zum zweiten, dass sich der zurückgekehrte Schlagetot Voldemort ausgerechnet den Elderstab als neuen Zauberstab verschafft hatte, von dem es hieß, dass dieser nie wirklich lange bei seinem Besitzer blieb.

Bethany nutzte die Wartezeit, um den Himmel über dem Mullach an Rathain, ihrem Lieblingsberg, auszuspähen. Diese verflixten künstlichen Monde der Muggel glitzerten mit den natürlichen Gestirnen um die Wette, sobald sie von der hinter der Erde versteckten Sonne beschienen wurden. Bethany notierte eher aus Frustration als aus echtem Interesse die durch ihr Teleskop erkannten Flugkörper, mit denen die Muggel den erdnahen Weltraum vollmachten. Erst als ein leises, aber in dieser Stille unüberhörbares Plopp an ihre Ohren drang nahm sie das Gesicht vom Okular ihres Teleskops.

"Sei mir gegrüßt, höchste Schwester!" sprach Bethany die auf diesem Plateau des Mullach an Rathain apparierte Hexe an. Diese nickte ihr zu und bedankte sich für den Gruß. Dann sagte Bethany: "Besser wir gehen in mein Unfindzelt. DA sind wir unbeobachtbar und unbelauschbar."

"Wo soll das sein?" fragte die höchste Schwester, die einwandfreies Hochlandgälisch sprach. Bethany lächelte erfreut und deutete auf einen knapp zwei Meter hohen Felsbrocken. Mit ihrem Zauberstab machte sie zunächst grünes Licht. Dann schlug sie vor dem Felsen einen Kreis. Dessen Umrisse glommen nun selbst im grünen Licht und verschwanden. Jetzt stand da ein etwa zwei Meter hohes Zelt, dessen Wand halb so hell schimmerte wie das Zauberstablicht. "Habe ich mir vor vier Jahren besorgt, wenn ich mal ganz allein in den Bergen bleiben wollte, ohne dass mich Eulen oder andere Hexen und Zauberer finden. Du bist die erste außer dessen Erschaffern und mir, die es sehen darf", erklärte Bethany und deutete mit dem immer noch grün leuchtenden Zauberstab auf den unteren Bereich des magischen Zeltes. Eine Klappe tat sich auf und gab den Weg ins innere frei. "Lady Anthelia, Höchste Schwester, ich gestatte dir: Tritt über die Schwelle und betrete mein verborgenes Refugium!" sagte Bethany der höchsten Schwester zugewandt und deutete dann auf die offene Zeltklappe. die makellos schöne Hexe im hautengen Kostüm nickte und bückte sich, um durch die Klappe zu steigen. Bethany ließ das Teleskop zusammenfahren und trug es hinter Anthelia her. Hinter ihr schloss sich die Zeltklappe. Der Boden erzitterte einen Moment. Dann flammten im Inneren kleine Leuchtkristallsphären auf und beschienen einen mit hellen Teppichen ausgelegten Flur, als beträten die beiden Hexen eine Wohnung in einem Haus.

In einem Wohnzimmer, dessen Abmessungen größer waren als das Zelt von außen bot setzten sich die beiden Hexen. Bethany fühlte jedoch, dass in ihrem Körper irgendwas nicht so war wie üblich. Jeder Herzschlag ließ einen leichten Hitzeschauer durch Rumpf und Glieder strömen. Bethany überlegte, was dieses Gefühl bedeuten mochte. Doch im Moment galt es, der höchsten Schwester so schnell wie möglich zu berichten, was sie herausgefunden hatte.

"Ich gehe davon aus, dass du es ganz schnell wissen solltest, dass Waldon McCloud vom Clan der McClouds der Hüter von Morgauses Kessel ist. Ich habe dieses Geheimnis der McFustys und McClouds vorgestern bei einem geheimen Treffen der zwanzig Häuptlinge erfahren, als ich in der Gestalt von Ronin McElroy daran teilnahm, dem Sohn von Rore McElroy, dem selbsternanten König der Orkney-Inseln."

"Oh, Vielsaft-Trank?" fragte die höchste Schwester verschmitzt grinsend. Bethany nickte. Allerdings fühlte sie, wie ihr Herz immer wärmer zu werden schien und ihr Blut nicht nur besonders warm, sondern auch prickelnd durch ihre Adern strömte. Irgendwas stimmte mit ihr nicht.

"Ich habe vor einem Jahr Rores Kronprinzen mal klammheimlich einige Haare abgetrennt und ihn unter den Imperius-Fluch genommen, Denn mir war klar, dass die zwanzig Häuptlinge durchaus gegen das Ministerium konspirieren konnten und auch uns Hexen nicht besonders gut gelitten sind. Ich musste den Fluch jeden Monat erneuern, bis ich raushatte, wie ich den Sohn von McElroy an mein eigenes Leben ketten konnte, dass er nichts mehr gegen mich ausrichten konnte. So erfuhr ich auch von dem Treffen, zu dem alle Häuptlinge der großen zwanzig und ihre Erstgeborenen gerufen wurden. Eigentlich hätte ich ihn dort alleine hingehen lassen und später legilimentiert, wenn er in seinem eigenen Haus war. Doch in dem Fall war das Thema zu wichtig. Es sollte um einen silbernen Hexenkessel aus alter Zeit gehen. So eilte ich zu ihm, versenkte ihn in Zauberschlaf und nahm seine Stelle ein. Allein schon wegen der Vorkehrungen musste ich dauerhaft okklumentieren, was auch ganz gut als Ausrede galt, keine Melonachrichten empfangen oder beantworten zu können."

"Ja,klingt sehr überlegt. Aber wer soll das sein, dieser McCloud und vor allem, wo und wie wohnt er?" fragte die höchste Schwester. Bethany öffnete zur Antwort auf diese Frage eine Schublade des geräumigen Wohnzimmerschrankes und gab ihrer Besucherin eine mit einem silbernen Ring zusammengehaltene Pergamentrolle. "Ich habe das gesamte Treffen und was dort besprochen wurde nach dem Abklingen des Vielsaft-Trankes mit Hilfe von Bicranius Mixtur der mannigfachen Merkfähigkeit abgeschrieben. Waldon McCloud wohnt auch im Hochland und ..."

"Was hast du, Schwester Bethany?" fragte Anthelia besorgt und sah ihre Gastgeberin sehr aufmerksam an. Bethany meinte, ihr Herz würde gleich in Flammen aufgehen. Ihr Blut war so heiß, als wolle es in ihren Adern kochen. In ihren Ohren klang das Pochen ihres Herzens wie das lauter und wieder leiser werdende Flügelschlagen von hundert Hornissen zugleich. "Ich weiß es nicht, höchste Schwester. Seitdem wir im Zelt sind überkommen mich Hitzewallungen und irgendwie brennt und brodelt mein Blut."

"Könnte es ein Fluch sein, Schwester Bethany, einer, der dich ereilt hat, weil du an Dinge gerührt hast, die dir nicht zustehen?" fragte Anthelia. "Nein, dann hätte der mich sicher schon längst voll erwischt, als ich dich zu mir hinrief. Das ist jetzt erst, wo wir im Zelt sind. Aber es bleibt jetzt auf einer bestimmten Stärke. Es ist also kein unmittelbar tödlicher Fluch."

"Ich prüfe das", erwiderte Anthelia. Sie nahm ihren silbergrauen Zauberstab und vollführte vor Bethany einige magische Figuren, wobei sie leise Zauberworte murmelte. "Secretum in sanguine revelio!"

Unvermittelt meinte Bethany, ihr ganzer Körper sei ein Bienenstock, in dem sehr aufgeregte Honigsammlerinnen herumwuselten. Sie hörte das mit jedem Herzschlag laute Brummen noch lauter als vorher. Rote Funken umtanzten ihren bebenden Körper. Dann ebbte die Bezauberung Anthelias ab. Doch das Gefühl von einem fast brennenden Herzen erhitztes Blut durch die Adern gepumpt zu bekommen blieb.

"Nein, es ist kein Verratsunterdrückungsfluch, sondern Yunas Ritual geteilten Blutes und Atems. Ich fürchte, jemand hat dich mit diesem Zauber markiert, um ständig zu wissen, wo du bist und wie es dir geht", schnarrte die höchste Schwester.

"Wie genau?" wollte Bethany wissen, die sich schon was denken konnte. "Wenn er oder sie über einen Monat lang runde Stücke aus derselben gefällten Blutbuche mit seinem oder ihrem Blut benetzt und dann bis zu zwölf Auserwählte um sich schart, die alle auf diesen Sitzhockern sitzen müssen, bis hundert Atemzüge getan sind und die Ritualausführende da selbst auf einem Holzhocker in der Mitte sitzend jede Auserwählte mit vollem Namen angesprochen hat. Hast du an einer solchen Sitzung einmal teilgenommen, Schwester Bethany?"

"Nein, habe ich nicht. Zumindest erinnere ich mich nicht an eine solche", erwiderte Bethany. Anthelia nickte verstehend. Dann sah sie Bethany konzentriert in die Augen. Sofort wirbelten bunte Bilder aus Bethanys Erinnerungen vor ihrem Inneren Auge entlang. Dann sagte Anthelia: "Wohl wahr, jemand hat dir wohl einen Gedächtniszauber auferlegt, nachdem er oder besser sie dieses Ritual auf dich und andere angewandt hat."

"Ursina, die war das sicher", schnaubte Bethany. Anthelia wiegte den Kopf und nickte dann wieder. "Oh, dann hast du jetzt ein sehr großes Erklärungsproblem. Denn dein Blut versucht, mit dem mit ihr verbundenen Blut in Verbindung zu bleiben. Solange du in der Erfassungsreichweite von siebenhundert mal siebenhundert Schritten bist fühlst du nichts. Aber wenn du diesen Bereich verlässt oder in einen unortbaren Raum eintrittst will dein Blut die Verbindung wiederherstellen. Es ruft förmlich nach dem Blut, mit dem es durch die von der Ritualbezauberung angereicherten Holzhocker verknüpft worden ist."

"Kann sie herausfinden, wo ich in den unortbaren Raum eingetreten bin?" wollte Bethany wissen, die auch an etwas anderes dachte.

"Wenn sie mit demselben Holz, aus dem die für das Ritual genommenen Sitze gemacht wurden noch eine Vorrichtung gebaut hat, die ihr zeigt, wo du vorher warst und dass du nicht disappariert bist ja."

"Dann weiß sie, dass ich hier auf dem Mullach an Rathain verschwunden bin, zur dreigeschwänzten Gorgone", knurrte Bethany. Anthelia nickte.

"Ich fürchte, deine offizielle Anführerin Ursina dient bereits einer anderen Herrin, Schwester Bethany. Mir ist zu Ohren gekommen, dass die italienische Hexe Ladonna Montefiori neue Schwestern um sich schart und dabei nicht fragt, ob diese ihr folgen wollen oder nicht, sondern sie zur Gefolgschaft zwingt."

"Ach, und Ursina soll sich ihr ohne Gegenwehr unterworfen haben?" wollte bethany wissen.

"Womöglich hat sie es versucht. Aber diese Kanallie hat sie mit einem sehr üblen Zauber erwischt", sagte Anthelia und erwähnte die Feuerrose, von der auch Sardonia schon gehört hatte.

"Soll das heißen, diese mischblütige Wiedererwachte kann jede und jeden jederzeit mit diesem Zauber zu ihrer Marionette machen?" erschrak Bethany.

"Im Moment ja, wenngleich ich hoffe, dass es uns gelingen wird, diesen vertückten Zauber zu brechen oder von vorne herein von uns abzuhalten", erwiderte die höchste Schwester.

"Ja, und weil ich jetzt in meinem Unfindzelt bin weiß Ursina, dass ich was mache, was ihr nicht gefällt?" wollte Bethany wissen.

"Sagen wir es so, du hast sie ungewollt mit der Nase darauf gestoßen, dass es für sie was zu untersuchen gibt, Schwester Bethany. Der Überwachungszauber alleine macht dich nicht zur Außenstelle ihrer Sinneswahrnehmungen. Sie kann das Ritual jedoch nutzen, um einen viermal so starken Exosenso-Zauber auf dich und jeden anderen von ihr überwachten anzuwenden. Da dein Zelt jedoch eben gegen alle Fern- und Fremdbeobachtungszauber abgesichert ist dürften ihre Versuche fehlschlagen. Aber genau das dürfte sie erst recht darauf bringen, deine Abwesenheit zu untersuchen."

"Will sagen, sobald ich das Zelt verlasse hat sie mich wieder am Haken?" wollte Bethany wissen. Anthelia nickte verdrossen. Dann straffte sie sich wieder und sagte: "Es sei denn, du und ich wenden eine der drei einzigen Mittel an, den Überwachungszauber dauerhaft zu unterbrechen. Bethany sah ihre Besucherin an und fragte, welche drei Möglichkeiten sie meine.

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Ursina Underwood erwachte von eiskalten Schauern, die durch ihren Körper jagten. Zeitgleich hörte sie aus der Tiefe ihres Hauses ein wildes Klirren und Scheppern, als wenn alle Gesellen des Zwergenschmiedes Forin in schneller Abfolge auf ihre Ambosse hämmerten. Sie wusste, was beides bedeutete. Eine der zwölf Hexen, die sie vor einem halben Jahr unter eine besondere Überwachung gestellt hatte, musste sich dieser Überwachung durch Verlassen der Reichweite entzogen haben.

Innerhalb von nur vier Sekunden war Ursina für die Außenwelt passend bekleidet. Dann apparierte sie direkt in ihrem großen Labor, in dem sie Zaubertränke oder magische Gegenstände herstellen konnte.

In der Mitte des dreißig mal dreißig Meter messenden Felsenkellers stand ein zylinderförmiger Metallkörper auf einem Sockel aus Blutbuchenholz und dröhnte wild bebend. Ursina trat an den zum Teil aus Glas bestehenden Körper heran und legte ihre linke Hand in die Mitte der Oberseite, die aus gediegenem Silber bestand. Sofort stach ihr etwas in die Hand und erzitterte einen Moment. Dann hörte der überlaute Lärm auf. Sofort sah Ursina vor ihrem inneren Auge das Bild einer Hexe in einem Kleid, dass die Farben des McFurson-Clans zeigte. Sie erkannte sie. Das war Bethany McFurson, eine der zwölf von ihr überwachten Hexen.

"Der letzte Ort!" befahl sie in Gedanken und strich mit der rechten Hand über den berunten Rand der Silberscheibe. Nun war ihr, als flöge sie auf einem schnellen Besen durch eine Berglandschaft. Dann stürzte sie förmlich auf einen Berg zu, über dessen Gipfel himmelblau der Name Mullach an Rathain erstrahlte. Auf einem Plateau in der Westflanke sah Ursina nun eine kleine, blutrot leuchtende Abbildung jener Hexe, die sie suchte. Dann war es ihr, als stehe sie direkt neben ihr. "Hundert Atemzüge zurück!" befahl sie rein gedanklich. Der Zylinder unter ihren Händen ruckelte, während sie mit der rechten Hand den Rand gegen den Uhrzeiger entlangstrich. Nun konnte sie die von einer blutroten, pulsierenden Aura umflossene Bethany sehen, die auf dem Plateau stand. Leider konnte Ursina nur den Berg und die Gesuchte so sehen, nicht, was wirklich vor 100 Atemzügen dort geschehen war. Allerdings konnte sie beobachten, wie Bethany sich dem Berghang zuwandte und wohl darauf zuging und dann übergangslos verschwand. Wäre sie disappariert hätte ihre Erscheinung aufgeflackert wie eine unmittelbar vor dem Erlöschen stehende Kerzenflamme. Bei einem Portschlüssel hätte sich ihre Erscheinung in Funken aufgelöst. So hatte sie es zumindest während des einen Monat lang durchgeführten Rituals in das dazu erschaffene Überwachungsartefakt eingespeichert. Also war Bethany in einen unortbaren Bereich eingedrungen.

"Du wirst doch nicht gegen mich intrigieren, kleine McFurson!" knurrte Ursina. Doch die Anzeichen waren unmissdeutbar.

Mit weiteren Befehlen an die zylindrische Vorrichtung ließ sich Ursina Underwood die Bewegungen der Verdächtigen bis vor drei Tagen zeigen. Dabei bekam sie die Überwachte einmal statt mit einer blutroten in einer grünlich-blauen Aura zu sehen, die merklich flackerte. Ursina hatte diese Darstellung gewählt, falls Bethany McFurson in fremder Gestalt auftrat. Außerdem war sie zu diesem Zeitpunkt an der Westflanke des Ben Nevis, Großbritanniens höchstem Berg. Ob sie unter freiem Himmel war oder in einer Höhle konnte Ursina so nicht sagen. Sie wusste nur, dass Bethany sich selbst verwandelt hatte, womöglich mit Hilfe von Vielsaft-Trrank. Das war ganz sicher nicht, um Ursina zu täuschen, sondern um anderen eine falsche Erscheinung vorzugaukeln. Also war die Frage, wem und warum.

"O meine Königin, höre mich an!" rief Ursina in Gedanken. Denn ihr war eingetrichtert worden, bei verdächtigen Ereignissen ihre neue und wahre Herrin anzurufen. Fünfmal wiederholte sie den Gedankenruf. Dann erklang glockenrein und genauso laut die Stimme ihrer Königin in ihrem Geist: "Hoffe, dass es ein wichtiger Grund ist, der dich wagen ließ, mich zu wecken, Schwester Ursina! Was hast du mir zu verkünden?"

"Meine Königin, eine meiner dir noch nicht anvertrauten Schwestern, die wegen früherer Verdachtsgründe von mir unter eine besondere Überwachung gestellt wurde, hat sich der Überwachung entzogen. Entweder weiß sie, dass sie unter meiner Überwachung steht oder wurde von wem anderen dazu aufgefordert, sich mir zu entziehen", erwiderte Ursina Underwood.

"Sei der Endpunkt der Brücke!" befahl die dröhnende Gedankenstimme ihrer Herrin. Ursina fühlte unter diesen starken Geistesschwingungen ihre Schläfen pochen. Sie gab sich der Aufforderung hin und ließ sich gefallen, wie etwas in ihren Kopf hineintastete und dann mit einem leichten Ruck und einem kurzen Aufflackern von grünen, blauen und roten Blitzen vor ihrem inneren Auge einen festen Halt fand. Die Königin hatte ihre besondere Zauberei angewandt, die Zwei-Seelen-Brücke oder auch Pons duanimarum. Jetzt empfand die Herrin alles, was Ursina selbst empfand und durchdachte. Sofort flutete eine Reihe von inneren Bildern durch Ursinas Geist. Diese Art, aus großer ferne zu legilimentieren, konnte sonst keine Hexe und kein Zauberer. "Wecke die fünf dir nächsten Schwestern, die auch mir zu Diensten sind und ergreife die Verdächtige lebend! Falls sie mit wem zusammen ist, der uns zu wider ist, töte den Feind oder die Feindin!"

"Ich höre deine Worte und gehorche, o meine Königin", bestätigte Ursina den Befehl.

Wenige Minuten später hatte sie fünf ihr und der Rosenkönigin verbundene Schwestern geweckt und sich mit ihnen auf der Südseite des Mullach an Rathain verabredet. Von dort aus wollten sie auf Besen hinauffliegen und das verdächtige Plateau untersuchen. Der Befehl der Königin galt. Diese hielt weiterhin die Seelenbrücke zu Ursina aufrecht, um wie selbst anwesend mitzuverfolgen, wie es weiterging.

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"Entweder reist du mehr als siebenhundert mal siebenhundert Schritte weit fort von deiner Heimat und bleibst möglichst weit davon entfernt", begann Anthelia, die drei Möglichkeiten zu erklären, den auf Bethany liegenden Überwachungszauber zu unterbrechen. "Allerdings wird dein Blut dann in solche Wallung geraten, dass du wie mit gefährlich hohem Fieber glühst und dein Herz gefährlich nahe an die Überlastungsgrenze herankommt. Nur wenn du das einen vollen Tag lang überlebst werden sich dein Herz und dein Blut wieder beruhigen. Aber dann darfst du nicht wieder in die Reichweite des Zaubers zurückkehren, ohne ihm sofort wieder zu verfallen."

"Klingt anstrengend", erwiderte Bethany. "Und was sind die zwei anderen Möglichkeiten?"

"Tja, die eine ist dein oder Ursinas Tod, wodurch die über die erwähnte Reichweite wirkende Verbindung ihres und deines Blutes dauerhaft endet. Aber das wäre von mir sehr undankbar, dich für deine Dienste derartig zu entlohnen", sagte Anthelia, nachdem sie Bethanys erschrockene Gedanken vernommen hatte. "Die dritte Möglichkeit ist die, dass du dauerhaft kein schlagendes Herz und durch deinen Leib fließendes Blut hast."

"Ohnne zu sterben? Das geht nur ... Drachendreck!" stieß Bethany aus. Anthelia nickte, weil sie in Bethanys Geist las, dass sie nichts weiteres erklären. "Ja, und wenn du in einem solchem Zustand mehr als einen Tag außerhalb der Reichweite des Überwachungszaubers verbleibst und dann wieder dein schlagendes Herz und deinen Blutkreislauf zurückerlangst bist du ebenfalls vor dem Zauber sicher, solange du nicht wieder in dessen Reichweite zurückkehrst", beschloss Anthelia ihre Erläuterungen. Bethany, der bereits dicke Schweißtropfen auf der Stirn standen, weil ihr Körper sich immer weiter aufheizte, keuchte: "Ja, aber dann muss ich wohl für alle anderen tot und begraben sein."

"Das lässt sich sehr rasch einrichten", erwiderte Anthelia. "Überlasse mir bitte eine Handvoll deines Haares, Schwester Bethany!"

"Für Vielsaft-Trank?" argwöhnte Bethany McFurson. "Nein, für deine Leiche", erwiderte Anthelia knochentrocken. Bethany sah ihre Besucherin verdutzt an und fragte sich selbst, wie die höchste Schwwester das meinte. Diese erwiderte nur ein Wort: "Similicorpus-Zauber!" Doch mit diesem Begriff konnte Bethany nichts anfangen. Anthelia erklärte es ihr und auch, dass sie den so erschaffenen Scheinleichnam nachträglich mit einer schädigenden Zauberei entstellen müsse, um die schwache magische Restschwingung seiner Herstellung zu überlagern.

"Aber was wird dann aus mir?" fragte Bethany.

"Das darfst du dir aussuchen, ob du ein Kleidungsstück, ein Gegenstand oder ein Gefäß werden willst", sagte Anthelia. Bethany verzog ihr Gesicht und verfiel in einen inneren Streit, ob sie sich dieser Art ausliefern wollte. Ein leises, in kurzen Abständen aufklingendes Summen beendete ihren inneren Kampf. "Annäherung feindlicher Wesen!" dachte Bethany für sich. Doch sie hätte es ebenso laut ausrufen können.

"Oh, man will offenbar nicht warten", feixte Anthelia. "Accio Haarschere!" rief Bethany. Aus einem der Schränke flog eine silberne Schere auf sie zu und legte sich die Griffe voran in ihre freie Hand. Mit schnellen, nicht gründlich bedachten Bewegungen trennte sich Bethany Stücke aus ihrem hellroten Schopf ab. Dann ließ sie die Schere wieder im Schrank verschwinden. Als das passiert war legte sie ihren Zauberstab auf den Tisch und bot sich Anthelia mit ausgebreiteten Armen dar. Diese hob ihren silbergrauen Zauberstab und vollführte eine sehr rasche Bewegungsabfolge, wobei die Zauberstabspitze durch die Luft Pfiff. In einem violetten Blitz verschwand Bethanys Körper und machte einem rosaroten Taschentuch platz, das sich gut zusammenfalten und unter der Kleidung verbergen ließ.

Bevor Anthelia ausführte, was sie Bethany vorgeschlagen hatte ließ sie ihre geistigen Sinne nach draußen wandern. Ja, da erfasste sie in nicht einmal mehr hundert Schritten entfernung sechs andere Hexen, die auf fliegenden besen über dem Plateau kreisten wie die Aasgeier. Eine der Hexen erkannte sie an ihrer Geistesausstrahlung sofort. Doch irgendwie schien Ursina nicht mit sich alleine zu sein. Ihre Gedanken hallten mit anderer Stimmlage nach, als denke sie gerade für zwei. Dann sanken die sechs Hexen auf ihren Besen weiter herunter. Sie meinten, so leise zu sein, dass niemand sie hören würde. Doch für den passiven Annäherungszauber des Unfindzeltes hatten ihre zum Angriff bereiten Gedanken schon gereicht.

"Sie ist nicht für sich allein", dachte Anthelia und konzentrierte sich auf die Anführerin, während deren Mitstreiterinnen Such- und Enthüllungszauber ausführten. Hoffentlich stimmte, was Anthelia von Bethany mitbekommen hatte, und das Zelt gegen verschiedene Aufspürzauber abgesichert war. Denn für ihren nächsten Schritt brauchte sie mindestens eine Minute.

"Amtlicher geht's nicht", dachte Anthelia, als sie aus Ursinas Gedanken heraushörte, dass eine andere, wohl mächtigere Hexe sie unter Überwachung hielt. Also diente Ursina wahrhaftig einer neuen Herrin, und diese war so leichtsinnig, ihre Marionette ganz bewusst zu überwachen. Vielleicht wusste die sogenannte Rosenkönigin auch noch nicht, dass eine ihrer Hauptwidersacherinnen eine Gedankenhörerin war. Jedenfalls durfte sich Anthelia nicht aus dem Zelt wagen, ohne sofort gesehen zu werden. Sicher, sie konnte sich unsichtbar machen. Aber mit den entsprechenden Enthüllungszaubern und vor allem dem altaxarroischen Aufhebungszauber gegen alle magischen Täuschungen war gezauberte Unsichtbarkeit keine Sicherheit. Sie machte sich aber keine Sorgen, dass sie diesen fremdgesteuerten Hexen da draußen entwischen würde.

Zunächst las Anthelia das vor ihr liegende Stofftaschentuch auf und praktizierte es unter ihre sowieso schon sehr enge Bluse. Dann sammelte sie mit ungesagtem Anhäufungszauber alle von Bethany abgeschnittenen Haare zu einem Knäuel zusammen. Dieses bezauberte sie mit dem Similicorpus-Zauber, bis es in einem rosaroten Leuchten wuchs und zu einer menschlichen Gestalt mit Armen, Beinen und einem Kopf anwuchs. Nach einer halben Minute lag vor Anthelia eine völlig getreue, wenn auch leblose und unbekleidete Ausgabe von Bethany McFurson.

Als die falsche Leiche ihre Endform erreicht hatte klang von draußen stark gedämpft eine Frauenstimme: "Schwester Bethany. Ich weiß, dass du hier irgendwo bist. Komm aus dem getarnten Bereich hervor und tritt vor mich hin! Solltest du mit wem zusammen sein, so gewähre ich ihm oder ihr, dich zu begleiten. Dies ist die einzige Möglichkeit, dass ihr beide die nächsten Minuten überleben werdet."

"Heuchlerin", spie Anthelia aus, sich sicher, dass die da draußen sie nicht hörte. Sie konnte Ursinas Gedanken so deutlich verstehen, als riefe sie ihr alles zu, was in ihrem Kopf vorging. Sie sollte Bethany lebendig fangen, um sie zu verhören. Jeden und vor allem jede andere sollte sie töten, wer auch immer es war. Wusste Ladonna schon, dass sie es mit einer Hexenmeisterin zu tun hatte, die nicht ohne Folgen für ihren Mörder getötet werden durfte? Anthelia wollte es lieber nicht darauf anlegen, dass Ursina das noch nicht wusste. Sie zielte mit dem Zauberstab auf die falsche Leiche und gravierte mit dem Zauber "Inuro!" ein Symbol in Bethanys Stirn, eine Spinne in einem radförmigen Netz. Dann versetzte sie dem falschen Leichnam zwei Hitzezauber, die jeden lebenden Menschen vor Überhitzungsschmerz laut aufschreien ließen und bei ständiger Belegung tatsächlich zum zerkochen des Betroffenen führen konnten. Die falsche Leiche erbebte unter diesen Zaubern und übersprang sicher eine Stunde der begonnenen Verwesung. Das durfte genug magische Restkraft in den gefälschten Körper eingelagert haben, um den Fälschungsvorgang an sich zu überdecken. Zum Schluss zog Anthelia der gefälschten Toten noch Kleidung an, um die Tarnung zu vervollständigen. In die Kleidung jagte sie noch mehrere Brandzauber hinein, so dass der gefälschte Leichnam wie von glühenden Lanzen durchbohrt wirkte. Abschließend hielt sie ihren an Bethanys Zauberstab und jagte eine Kaskade von blauen und roten Blitzen hindurch, die am vorderen Ende von Bethanys Zauberstab als weiße, grüne und violette Funkenwolken austraten. Das wussten auch nicht alle, dass derartig behandelte Zauberstäbe die letzten drei damit ausgeführten Zauber "vergaßen". Sardonia hatte diesen Zauber damals erfunden, als es bekannt wurde, dass die letzten Zauber eines Zauberstabes nachbetrachtet werden konnten.

"Schwester Bethany, tritt aus dem getarnten Bereich hervor, oder ich muss meinen Schwestern befehlen, dich herauszuholen. Das könnte sehr unangenehm für dich werden", hörte Anthelia Ursinas Stimme. Dann empfing sie noch eine mentiloquierte Anweisung, das Plateau gezielt mit dem Horritimor-Zauber zu überstreichen, der in Tieren und denkenden Wesen eine panische Angst entfachte. So ähnlich hatte Anthelia damals die Werwölfe Rabiosos aus ihrem mit Fidelius-Zauber belegtem Versteck hervorgelockt. Noch zögerte Ursina wohl, weil sie nicht wollte, dass Bethany vor lauter Panik in den Tod rannte und damit für sie und ihre Königin wertlos wurde.

"Ankanurui Madrash!" zischte Anthelia und ließ den Zauberstab über dem Boden kreisen. Der Zeltboden färbte sich hellgrün. Dann verschwand die Farbe wieder. Also ging das, was sich Anthelia erhoffte. Sie musste nicht unsichtbar oder in Spinnengestalt das Zelt verlassen. Sie wollte nur alles mitnehmen, was auf sie hinwies und dann noch einen Zauber ausführen, der jede magische Nachbetrachtung erschweren bis vereiteln mochte.

"Du hast noch eine Minute um rauszukommen, dann kommen wir rein!" drohte Ursinas Stimme. Anthelia grinste nun überlegen. Sie hielt ihren Zauberstab hoch und rief: "Accio mich betreffendes!" Darauf flogen die Türen eines Wohnzimmerschrankes auf, aus dem Schlafzimmer sauste eine kleine Metallkassette herbei und eine aus einer Kommode hervorschießende Schublade spuckte drei Pergamentzettel aus, die zielgenau auf Anthelia zuflogen. Die höchste Schwester des Spinnenordens klaubte alles mit einem Arm auf und zielte dann erst nach unten. "Retardo Madrash Naanukurai Arikurai!" Dabei stellte sie sich die Zahl sechzig vor. Dann vollführte sie mit waagerecht ausgestrecktem Zauberstab eine Pirhouette und flötete: "Retardo Ailanorin Ankurai naanailanoruin!" Dabei stellte sie sich die Zahl dreißig vor. Schließlich wirkte sie den schon so häufig benutzten Zauber "Reise auf dem Weg der großen Mutter", stampfte kurz auf und sauste wie in einen endlosen Schacht stürzend nach unten, ohne dass der Boden aufgebrochen werden musste. Als sie innerhalb einer halben Sekunde unter dem Zeltboden verschwand zeigte nichts, dass sie hier in die Erde eingedrungen war. Nun völlig mit der Kraft der großen Mutter Erde verbunden jagte sie mit der im Gestein möglichen Schallgeschwindigkeit mehr als dreihundert Meter in die Tiefe. Dann wechselte sie die Richtung und raste mit mehr als einem Kilometer pro Sekunde in westlicher Richtung davon, weg vom Plateau auf dem Mullach an Rathain, Richtung schottische Westküste.

Als sie im Kopf dreißig weitere Sekunden gezählt hatte dachte sie daran, was nun weit hinter ihr geschah. Sie war sich auch sicher, dass sie in weiteren dreißig Sekunden weit genug fort war, um den verzögert aufgerufenen Aufruhr in der Erde nicht abzubekommen, der alle auf und in der Erde gewirkte Zauberkraft des letzten Tagesdrittels überlagerte und eine einen vollen Tag vorhaltende tiefe Schwingung in der Erde hervorrief. Das war die einzige Möglichkeit, um Befragungszauber der Erde zu vereiteln.

Als sie an der Westküste wie ein Korken aus einer viel zu oft geschüttelten Schaumweinflasche herausflog drehte sie sich in der freien Luft und disapparierte, um weit fort von den britischen Inseln eine Erholungspause einzulegen.

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Ladonna war unruhig. Ihre Gehilfin ließ der Verdächtigen mehr Zeit als gut war. Sollte sie ihr befehlen, sofort anzugreifen und mit Angstzaubern und Enthüllungszaubern das Plateau zu belegen? Ursina wechselte vom nur zwischen Vertrauten wirkenden Vocamicus-Zauber zum weithallenden Stimmverstärkerzauber Sonorus und rief Bethany zu, nur noch dreißig Sekunden Zeit zu haben. Ladonna war gespannt, was dann geschah. Doch was dann geschah überraschte sie genauso wie die von ihr ausgeschickte Greifertruppe.

Das erste, was geschah war, dass einer der großen Felsbrocken unvermittelt hellblau aufleuchtete und wilde Funkenwolken ausspuckte wie ein unter Dauerniesreiz leidender Drache. Dann schlugen blaue und silberne Blitze laut knatternd und prasselnd in den Himmel hinauf. Gleichzeitig war von unten ein wildes Geheul zu hören, als bliesen mehrere Riesen gleichzeitig durch eine Türritze. Dann barst der Felsen in Millionen blauer Funken auseinander und entblößte ein in silbernem Licht flackerndes Zelt, scheinbar nur so groß wie für eine Person. Dann flog das Zelt mit einem lauten Donnerschlag in einem silber-blauen Glutball auseinander. Der Glutball wurde zum Kugelblitz, der laut fauchend und knisternd himmelwärts raste. Die sechs Hexen gerieten voll in die sich austobenden Entladungen hinein. Ladonna fühlte, dass Ursina von starken Kraftstößen durchzuckt wurde und gleichzeitig ein Kälteschauer ihren Körper durchfuhr, als sei ihr Blut zu Eiswasser geworden. Die fliegenden Besen bockten und schlingerten. Besenschweife gerieten in Brand. Dann loderten die hölzernen Fluggeräte wie grellblaue Fackeln auf. Die Hexen mussten sehr schnell landen. Gerade so konnten sie sich von ihren Besen abschwingen, bevor diese wie Zunder verbrannten. Ladonna sah durch die Augen Ursinas eine stark verwüstete Wohnungseinrichtung auf dem Plateau. Schränke, Stühle, Sessel und Teppiche lagen weit verstreut und stark angerußt auf dem Boden. und das schlimmste kam jetzt erst.

Ohne jede Vorwarnung beulte sich die Stelle, wo eben noch das Zelt gestanden hatte zu einem Steinhügel auf, der mit lautem Dröhnen in vier grün, rot und braun glimmende Ringe auseinanderplatzte, die innerhalb einer Sekunde alles und jeden niederwarfen, was sich auf dem Plateau befand. lockeres Gestein wurde wie von riesigen Besen weggefegt. Die Kante des Plateaus bröckelte laut krachend ab. Doch das schlimmste war, dass die sechs ihrer Besen beraubten Hexen wie welkes Laub im Herbststurm von den sich ausbreitenden Steinringen fortgerissen und teils gegen die Bergflanke und teils in den Abgrund geschleudert wurden. Die zwei Hexen, die gegen die Bergflanke geworfen wurden mussten nicht lange leiden. Sie wurden mit einem Schlag zerschmettert. Jene vier, die von den entfesselten Erdkräften über die abbrechende Plateaukante gefegt wurden ahnten, dass sie viele hundert Meter tiefer aufschlagen und sterben würden. Zwei der auf diese Weise vom Plateau geworfenen hatten bei dem Ansturm der Erdkräfte die Besinnung verloren. Ursina und ihre Mitstreiterin Lynn Greyrock fühlten, wie sie frei fielen. Sie hörten und sahen die ausgelöste Steinlawine unter sich dahinjagen.

Ladonna jagte einen Gedanken durch Ursinas Geist, der ihr half, den einzig rettenden Zauber auszuführen. Völlig von Ladonna gesteuert zielte Ursina auf die niederstürzende Lynn Greyrock und vollführte schneller als sonst eine Bewegungsabfolge für eine Verwandlung. Dabei stellte sie sich einen Wanderfalken vor. In einem violetten Blitz verschwand Lynn Greyrock, um einem in die Tiefe sausenden Falken zu weichen. Dann zielte Ursina auf sich selbst und wiederholzauberte inerhalb einer Sekunde. Unvermittelt wechselte die Sicht und das Gefühl in Armen und Beinen. Ladonna bewegte die zu starken Falkenflügeln gewordenen Arme Ursinas so gekonnt, dass Ursina problemlos den Sturz abfangen und sich wieder aufschwingen konnte. Auch Lynn Greyrock schaffte es mit viel Flattern, knapp einen Meter über dem felsigen Boden den Absturz zu beenden und mit erst unbeholfenen Flügelschlägen etwas Höhe zu gewinnen. Dann landete sie.

Als Ladonna durch die mit der Weitsicht eines Falken begüterten Augen Ursinas sah, dass Lynn sicher gelandet war steuerte Ladonna ihre Gehilfin selbst so, dass sie wesentlich eleganter als Lynn zu Boden glitt und ohne Ruckeln auf ihre Füße kam. Mit einem starken Gedankenbefehl trieb Ladonna Ursina dazu, sich wieder zurückzuverwandeln. Als Ladonna wieder einen menschlichen Körper empfand steuerte sie diesen so, dass er die auf den mit messerscharfen Krallen bewehrten Füßen herumstaksende Lynn ebenfalls wieder in eine Hexe zurückverwandelte. Dann sah Ursina, dass ihre beiden anderen dem Absturz geweihten Mitschwestern einige hundert Meter weiter fort aufgeschlagen waren. Für sie würde jede Hilfe zu spät kommen.

Ladonna steuerte Ursina weiter, als stecke sie persönlich in Ursinas Körper. So ließ sie die zwei übel zugerichteten Leichen der Mitschwestern zu Asche zerfallen, trieb sie dazu, noch einmal auf das stark verwüstete Plateau zu apparieren, um dort auch die an der Bergflanke zerschmetterten Mitschwestern zu beseitigen. Dabei sah Ladonna durch Ursinas Augen eine weitere Leiche, die einer Frau in dunkler Kleidung. Mit dem Lichtzauber Lumos konnte Ursina erkennen, dass es die leicht angerußte und mit dunklen Brandwunden verunzierte Leiche von Bethany McFurson war. Ursina stampfte wütend auf den Boden, der von der heftigen Erderschütterung eben noch sehr bröckelig war. Sie war schlicht zu spät hier angekommen oder hatte viel zu lange mit einer Aktion gezögert. Dann erkannte sie, dass sie nicht mehr viel Zeit hatte, bis mögliche Spürtrupps hier auftauchen würden. Ursina griff nach einem lose herumliegenden Stein und wirkte darauf einen Zauber, der den Stein zum summen brachte, bis er rot glühte. dann apparierte sie zu ihrer überlebenden Mitschwester Lynn Greyrock. Dort nahm sie ebenfalls einen lose herumliegenden Stein und vollführte an dem jenen Zauber, der den Stein erst summen und dann immer heller erglühen ließ. "Das wird wie ein blitzartiger Unortbarkeitszauber wirken", sagte Ursina zu Lynn. Dann ergriff sie sie bei der Hand. "Wir beraten uns in meinem Haus", sagte sie noch. Dann disapparirten sie ohne Ladonnas Zutun. So bekam die Rosenkönigin nicht mit, wie die zwei zum Summen und glühen angeregten Steine immer heller erstrahlten und immer lauter summten, bis sie mit zwei weithallenden Donnerschlägen detonierten. Nur gelbglühende Staubwolken blieben von ihnen übrig. Damit hatte Ursina im Grunde was ähnliches getan wie jene, die den Aufruhr der Erde erzeugt hatte. Sie hatte eine mit wild schwingender Magie übersättigte Zone erschaffen, die jede magische Rückschau verderben würde. Das dies ging hatte Ursina erst vor einem Monat herausgefunden, als sie nach Alternativen zu den sonst so durchschlagkräftigen Incantivacuum-Kristallen gesucht hatte, um eine magische Rückschau zu vereiteln. Der Saxoszillus-Zauber, der jeden beliebigen nicht aus Metall, Holz, Tierhaut oder Kunststoff bestehenden Körper innerhalb von wenigen Sekunden derartig überhitzen konnte, dass er mit all der dabei angestauten Magie in alle Richtungen auseinanderplatzte, konnte die Nachbetrachtung durch Rückschaubrillen ebenso vereiteln wie die Tilgung aller in einer Kugelzone von 24 Metern Durchmesser vorhandenen Zauberkräfte. Dieses erfuhr Ladonna nun aus Ursinas Gedanken und Erklärungen, die sie Lynn Greyrock lieferte.

"Und die andere Leiche war Schwester Bethany McFurson?" wollte Lynn Greyrock wissen.

"Zumindest sah sie so aus. Ich habe zwar weiterhin keine Verbindung zu ihr, aber ich kann mir vorstellen, dass wer immer mit ihr gegen uns konspiriert den Similicorpus-Zauber verwendet haben mag, um uns eine falsche Leiche vorzusetzen. Sollen die vom Ministerium sich damit auseinandersetzen."

"Hätten wir schneller vorstoßen sollen, Lady Ursina?" wollte Lynn wissen.

"Ja, hätten wir wohl", erkannte Ursina mit gewisser Verärgerung und auch furcht, weil ihre Königin das als Versagen ansehen mochte. Doch Ladonna hielt sich mit ihren Gedanken zurück. Ihr ging es jetzt um etwas anderes. Was hatte Bethany McFurson in Vielsaft-Trank-Verwandlung in dieser Höhle am Ben Nevis getrieben?

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"Also, wir sollten unsere Bezahlung für die Dinger zurückfordern und sie diesem Franzmann mit Schmackes vor die Füße knallen", knurrte Jerimy Groover, einer der Auroren, die nach dem wilden magischen Aufruhr an Luft- und Erdmagie und dem Ausfall der im Hochland installierten Spürsteine das Plateau auf dem Mullach an Rathain besichtigte. Gerade hatte die von ihm getragene Rückschaubrille nur weißgelben Nebel, grüne Schlieren und blaue Blitze gezeigt. Erst die Rückschau auf einen vollen Tag vor den Ereignissen hatte das Plateau so gezeigt, wie es wohl von der Natur erschaffen worden war.

"Mittel und Gegenmittel, Gift und Gegengift, Jerry", meinte Castor Prowler, ein Kollege von Jerimy Groover.

"Ja, aber dass genug aufgewühlte und entladene Elementarmagie reicht, um diese Rückschaubrillen zu überlagern ist doch völlig abartig", knurrte Groover.

"Immerhin haben wir feine Asche gefunden, die wir untersuchen können", sagte Prowler, der sich auf alchemistische Untersuchungsmethoden spezialisiert hatte. Dann erstarrte er wie seine Kollegen.

Aus dem Nichts heraus erschien eine überragend schöne Frau. Sie war in ein langes, rubinrotes Gewand gehüllt. Sie besaß sehr lange Beine, war schlank, mit verheißungsvollen Rundungen. Dunkelbraunes, beinahe schwarzes Haar umwehte ihren Kopf und Oberkörper. Die zwei Zauberer griffen nach ihren Zauberstäben. Doch da blickte sie die beiden Ministeriumsbeamten aus nachtschwarzen Augen prüfend an. Groover und Prowler fühlten, wie der Blick dieser Augen sie schlagartig erstarren ließ und förmlich am Boden festheftete. Angst kam in den beiden auf. Doch sie konnten nichts mehr machen.

"Ihr wart das nicht, die das hier gemacht haben, nicht wahr?" fragte die Fremde mit einer unheimlich betörend klingenden Stimme. Dann sah sie Groover an, durch dessen Geist die Bilder der letzten Minute huschten. Er versuchte sich dagegen zu stemmen, doch die Kraft dieser Fremden war zu stark. "Na, nicht wehren. Das macht nur Kopfschmerzen!" lachte die andere, als sie Groover immer mehr seines Wissens aus dem Geist heraussog. Dann sagte sie: "Ihr zwei seid zwar zauberstark, aber körperlich nicht ausdauernd genug für meine Bedürfnisse. Aber ihr dürft euren Berufsgenossen gerne ausrichten, dass hier jemand mit großem Wissen über die Kräfte der Mutter Erde einen starken Aufruhr verursacht hat, der all zu leicht zu sehr unangenehmen Folgen führen kann. Denn wer die Erde zum Aufschreien zwingt kann irgendwann irgendwo ein heftiges Aufbegehren der großen Mutter hervorrufen, weil der erzwungene Aufschrei die Ströme der Erdkräfte verfremdet. Von der Art des Aufschreis her ist diese Kraft von einer Begüterten Kurzlebigen hervorgerufen worden, nicht von einem männlichen Kurzlebigen. Dann weiß ich auch, wer das war und wohl auch, warum sie das getan hat. Viel Vergnügen beim Nachforschen!" Sie blies den beiden erstarrten Zauberern noch einen Kuss zu und verschwand übergangs- und geräuschlos im Nichts.

Groover und Prowler konnten sich eine Minute lang nicht bewegen. Dann klang der Erstarrungsbann ab, mit dem die Unheimliche sie ohne Zauberstab belegt hatte.

"Wer oder was war das?" stieß Prowler aus. Groover sah den Kollegen an und sagte: "Das, lieber Castor, war ein Succubus, eine Tochter des Abgrundes, und zwar wohl die welche, die Erdmagie beherrscht."

"Moment mal, das war eine von denen? O Drachendreck, und die hat uns mal eben festgenagelt wie nix? Aber Dann hätte die uns beide locker vernaschen können."

"Du hast es sicher auch gehört, dass wir ihr dafür nicht ausdauernd genug waren. Außerdem hatte sie wohl im Moment keinen Hunger auf männliche Lebenskraft", grummelte Groover. Auch er war aus purer Angst sichtlich verärgert, weil ihn diese Kreatur so locker handlungsunfähig machen und dann noch seine Erinnerungen absaugen konnte, als wäre es die Haut auf heißer Milch.

"Und was wollte die dann hier?" stieß Prowler aus. "Nachsehen, wer hier außer ihr noch so mit heftigen Erdzaubern rummachen kann."

"Will sagen, wenn jemand einen starken Erdzauber aufruft kommt dieses Abgrundsflittchen vorbei?" wollte Prowler wissen.

"Öhm, sieht echt so aus", seufzte Groover. "Aber fvielleicht muss die Erdzauberei stark genug sein, dass die sie mitkriegt oder lange genug nachwirken, dass sie Zeit hat, sich darauf einzustimmen."

"Dann gibt es hier für uns nur noch aufzuräumen, oder könnten da noch mehr von diesen Biestern kommen?" wollte Prowler wissen.

"Frag mich bitte sowas nicht. Ich kann mich nicht in deren Gedanken reinversetzen", sagte Groover.

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Ladonna kannte keine Gnade. Sie ließ Ursina immer und immer wieder in den Erinnerungen durch die letzten zwei Tage gleiten und sie immer wieder daran denken, dass Bethany sich am Tag vor den Ereignissen auf dem Mullach an Rathain mit Vielsaft-Trank am Ben Nevis herumgetrieben hatte. Was zu allen wütenden Drachen war dort, weshalb eine Vielsaft-Trank-Verwandlung nötig war?

Ursina wehrte sich schon nicht mehr, als Ladonna sie ähnlich wie ein Dibbuk fast vollständig übernahm und dazu brachte, sich den Berg von außen anzusehen. Hierbei nahm Ursina eine der nützlichen Rückschaubrillen mit, die ein gewisser Florymont Dusoleil in Sardonias damaliger Heimat Millemerveilles erfunden hatte und die ohne entsprechende Abwehrzauber eine Rückbetrachtung der letzten zwei Tage ermöglichte.

Als Ursina unter Ladonnas Einfluss auf einem anderen Besen um den Ben Nevis herumfliegen ließ fühlte Ladonna es eher als ihre lebende Marionette, dass von der Westflanke eine Kraft ausstrahlte, die eine Hexe förmlich zurückdrängte, ja sie quälte, wenn sie zu nahe an einen Punkt heranflog.

"Deshalb hat sie sich einen anderen Körper verschafft", dachte Ladonna. Dann fühlte sie noch, dass Ursinas Blut scheinbar immer träger floss. Also betraf der Abwehrzauber nicht nur das Geschlecht, sondern auch das Blut eines magischen Menschen. Ursina schaffte es gerade so, auf fünfzig Meter an eine scheinbar nahtlos verschlossene und massive Felswand heranzusteuern, bevor sie fühlte, wie ihr Herz immer schwerfälliger arbeitete. Ihre Glieder prickelten, als würden sie nicht mehr ordentlich durchblutet. Ladonna fühlte, wie die so gut aufrechterhaltene Verbindung immer schwächer wurde. Sie sah wie durch immer dichteren Nebel, was Ursina sah und hörte wie durch immer dickere Wattepropfen in den Ohren, was Ursina hörte. Auch deren Gedanken wurden irgendwie verwaschen, als hallten sie immer häufiger von rein geistigen Wänden wider. Da war Ladonna klar, dass ihre Dienerin kurz davor stand, von dieser unerbittlichen Abwehrkraft ausgelöscht zu werden. Mit einem konzentrierten Gedankenbefehl schaffte sie es noch, Ursina zur Landung zu treiben. Ja, Ursina konnte sich von dem Berg entfernen und landen. Langsam kehrten ihre gewohnten Empfindungen zurück. Ihre Arme und Beine kribbelten nun wie unter tausend Nadelstichen. Ihr Herz holperte laut mehrere male. Dann schlug es wieder im gewohnten Takt und ohne Schmerzen.

""Der druidische Erbblutzauber", dachte Ursina, als ihr Geist sich von den Auswirkungen der Beinaheauslöschung errholt hatte. "Nur wer in der Region geboren ist, in der der Zauber gewirkt wurde, kann den davon betroffenen Steinkreis betreten, und nur wer ein erwachsener Mann ist kommt in die Nähe dieser Versammlungsstätte."

"So kehre in dein Haus zurück und erhole dich von dieser Anstrengung, meine Dienerin! Ich will dich nicht verlieren", befahl Ladonna Montefiori.

"Wie hat Bethany es geschafft, nicht geistig als Hexe erkannt zu werden?" fragte sich Ursina. Darauf antwortete Ladonna: "Sie hat ihr Geschlecht mit einem Bergezauber in ihrem Geist verhüllt, Divitiae Mentis. Im Männerkörper konnte sie, sofern mit dem Blut der Region in den Adern, unbehelligt dort eintreten, wohl in Erscheinung eines Zauberers, der zu einer Versammlung geladen wurde. Ich sende unsere Mitschwester Larna McFarlan aus, mit deiner Rückschaubrille diese Höhle zu betreten. Du hast ja sicher auch diesen formidablen Vielsaft-Trank vorrätig."

"Larna hat mit der Rückschaubrille keine Erfahrung", erwiderte Ursina. Doch Ladonna bestand darauf, dass unbedingt jemand mit schottischem Blut in Männergestalt in diese Höhle ging. Ladonna würde die geistige Abschirmung übernehmen, sollte dort ein Zauber gegen verkleidete Hexen wirken. Die Rosenkönigin argwöhnte, dass ihr die Zeit davonlaufen mochte, wenn sie nicht sofort prüfte, was Bethany McFurson in dieser Höhle getan oder erfahren hatte.

Aus Ursinas Erinnerungen erlernte Ladonna den Gebrauch der Rückschaubrille, welche Ursina sich über dunkle Kanäle aus dem Zaubereiministerium beschafft hatte, wo statt einer zwei Brillen bestellt hatte, aber die Lieferung am Ende nur als eine Brille verbucht worden war. So konnte sie Larna McFarlan zu Ursina dirigieren und mit einem Haar ihres Großvaters, der zu den großen zwanzig gehörte, den Vielsaft-Trank ansetzen.

Tatsächlich musste Bethany ihr wahres Geschlecht durch den Divitiae-Mentis-Zauber verhüllt haben. Denn Larna konnte trotz der körperlichen Gestalt ihres Großvaters erst dann in die weitläufige Versammlungshöhle eindringen, als Ladonna ihr immer wieder ins Bewussttsein strömte, dass sie Callum McFarlan war. Als Larna dann die Rückschaubrille auf die Zeit vor zwei Tagen eingestimmt hatte sah sie eine Versammlung der zwanzig wichtigsten Clanführer der schottischen Zaubererwelt zusammen mit ihren erstgeborenen Söhnen, also deren Kronprinzen. Sie sah auch ihren eigenen Großvater in der Höhle um eine große steinerne Schale mit darin brennendem Feuer sitzen. Da Ladonna in ihrem ersten Leben das Lippenlesen erlernt hatte konnte sie Larnas Beobachtungen zur vollsten Zufriedenheit ausschöpfen. Was sie dann mitbekam erstaunte und erregte sie. Die Clanführer hatten wahrhaftig über das Versteck von Morgauses Kessel gesprochen und dass Waldon McCloud dieses machtvolle Artefakt aufbewahrte und sich bereits darüber sorgte, dass dessen Ausstrahlung wegen dieser dunklen Kraft im April um ein vielfaches stärker würde. Da er um sein Haus ähnlich wirksame Hexenbannzauber errichtet hatte, wie sie auch die Höhle der Versammlung absicherten und zudem auch genug geschmiedete Eisenstücke um sein Haus herum vergraben hatte, damit keine Kobolde zu ihm vordringen konnten, wähnten die Clanoberhäupter den Kessel in Sicherheit.

"Plumbuterus? Diesen Zauber kennen die also immer noch", grummelte Ladonna in Gedanken, bevor sie wieder zusehen musste, dass Larna nicht als verkleidete Hexe auffiel. Ihr war bisher nicht gelungen zu sehen, als wer Bethany McFurson Zutritt erhalten hatte. Es war nur sicher, dass sie einer der vierzig nachbetrachteten Zauberer sein musste. Zumindest konnte es nicht McFusty sein, weil Bethany in dessen Gestalt sicher einen anderen Aufbewahrungsort für den Silberkessel der Morgause vorgeschlagen hätte, um ihn aus der gegen Hexen gerichteten Festung herauszuschaffen.

Ladonna half Larna noch, unangefochten aus der Höhle zu entkommen, bevor die Wirkung des Vielsaft-Trankes nachließ. Nicht auszudenken, wenn diese noch innerhalb der Höhle verklungen wäre.

"So steht nun außer Frage, wo der Kessel aufbewahrt wird und dass Bethany dieses Geheimnis genauso ergründet hat wie Larna. Ganz sicher wird sie es weitergegeben haben. Die Zeit drängt also", wandte sich Ladonna an Ursina.

"Wie sollen wir dir helfen, meine Königin?" fragte Ursina.

"In dem ihr euch möglichst weit vom Haus dieses McCloud fernhaltet. Den Kessel zu bergen vermag nur eine, die genug Macht und körperliche Unangreifbarkeit besitzt, also ich selbst. Gelingt es mir, den Kessel für unsere Sache zu gewinnen, so werde ich euch alle daran beteiligen, was ich damit hervorbringe", erwiderte Ladonna Montefiori. Dann baute sie behutsam die Seelenbrücke zu Ursina wieder ab und lehnte sich zurück.

Die erste Anregung, sofort zum Haus McClouds zu reisen, verdrängte sie. Sie musste erst wirksame Schutzvorkehrungen gegen dessen Hexenabwehrzauber herstellen. Vor allem gegen den Fluch des bleiernen Schoßes, den ein sehr hexenfeindlicher Zauberer namens Hector Eudoros Xylander von Syracus erfunden hatte, weil er es leid war, dass ihm die Hexen aller griechischen Inseln nachstellten, weil er einer der wenigen hellblonden Jünglinge seiner Zeit war und sie ihm immer wieder vorgeschwärmt hatten, seine Kinder bekommen zu wollen. Doch gegen dessen gemeinen Racheakt, der jede gebärfähige Hexe mit einem immer schwereren Unterleib belud, bis ihr die inneren Geschlechtsorgane durch die Bauchdecke drangen, gab es mittlerweile bei den kundigen Hexen ein probates Gegenmittel, einen eiförmig geschliffenen Bernstein, mit dem passenden Gegenzauber Leptometrius belegt und im eigenen Unterleib verstaut. Doch den Stein und den Zauber zusammenzubringen würde einen halben Tag dauern. Sie hoffte, dass die Gegenseite, wer immer dahinterstand, diese Vorkehrung entweder nicht kannte oder gleichfalls die nötige Zeit brauchte. Außerdem musste sie gegen weitere, Körper und Geist von Hexen betreffende Zauber anwirken, wollte sie sich nicht ständig darauf konzentrieren müssen, diese Zauber abzuschmettern. Sie setzte aber auch darauf, dass sie als Erbin von Veelas und Waldfrauen eine gewisse natürliche Immunität gegen einige der aufgelisteten Antihexenzauber besaß. Doch hundertprozentig darauf vertrauen sollte sie nicht.

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Anthelia/Naaneavargia hatte Bethany in ihrer selbstgewählten Gestalt in einen Conservatempus-Schrank eingeschlossen, so dass für sie die Zeit nur ein Hundertstel so schnell verging wie für alle anderen. Sie würde sie wieder freilassen, wenn sie geklärt hatte, ob sie den Kessel Morgauses erbeuten konnte oder ihn vernichten musste.

Sie ärgerte sich darüber, dass sie für die von Bethany aufgelisteten Zauber die entsprechenden Gegenzauber herstellen musste. Immerhin hatte sie seit der Herstellung eines neuen Entomolithen mehrere Dutzend Bernsteinbrocken angesammelt, so dass sie mit dem goldenen Messer, das sie zurückgewonnen hatte, einen eiförmigen Körper schnitzen und mit eigenem Blut und dem Leptometrius-Zauber behandeln konnte. Gegen die anderen Hexenabwehrzauber würden ihr Sardonias eigene Zauber gegen Hexenfeinde helfen, wie das Lied der freien Töchter und der Zauber gegen den zu Schmerzen werdenden Hexenhass und den Fluch der gejagten Hexen, der ohne Vorbehandlung albtraumartige Visionen erzeugen konnte. Zur Sicherheit fertigte sie von jedem in ein Stück Eisen oder Silber zu wirkenden Zauber mehrere Ausgaben an, um durch eine mehrfach gestaffelte Barriere dringen zu können. All die bezauberten Gegenstände hängte sie mit einer Schnur aus eigenem Haar zu einer Kette zusammen, die sie unter der Kleidung tragen und so Hals und Herz umschließen konnte. Sie überlegte auch, ob sie für den Ausflug zu McClouds Haus nicht mehrere Entomanthropen mitnehmen sollte, als persönliche Leibgarde, falls McCloud um Verstärkung rufen mochte. Doch dann verwarf sie diese Idee wieder. Die Entomanthropen wollte sie nur noch dort einsetzen, wo sie auf magieresistente Ungeheuer ähnlicher Prägung treffen mochte.

Als sie mit ihren Vorkehrungen fertig war schickte die Sommermittagssonne ihre glutheißen Strahlen zur Erde. In Europa war es schon sechs Stunden später, etwa um zehn Uhr am 2. August 2003. Sie hoffte, dass sie noch nicht zu spät dran war, als sie sich den Leptometrius-Bernstein sorgfältig tief in ihren Körper hineinschob und dabei daran dachte, dass sie ihrem Lebenskelch bald wieder anständiges williges Fleisch bieten wollte.

Eingehüllt in Sardonias Mantel gegen eine Vielzahl anderer Zauberflüche und neben ihrem Zauberstab und der Schutzkette gegen die ihr vermittelten Hexenbannzauber mit Yanxothars Schwert bewaffnet flog sie auf ihrem neuen Parsec-Besen über den Atlantik hinweg, wobei sie fünfmal die im Besen eingewirkte Raumsprungbezauberung aussnutzte.

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Waldon merkte, dass das Tragen der neuen Glückskette seines Vetters wirklich an seiner Ausdauer zehrte. Zwar fühlte er nicht mehr jene ihn einmal bedrückende Ablehnung und das Unbehagen. Doch dafür fielen ihm einfache Tätigkeiten so schwer, als müsse er mit doppelten Lasten oder doppelter Arbeitszeit hantieren. Auch fühlte er, dass sein Herz sehr wild gegen seinen Brustkorb hämmerte, als wolle es diesen sprengen. Doch in einigen Tagen, wenn der Vollmond passiert war, würde er verkünden können, dass er Morgauses Ultimatum überstanden hatte. Denn welche Art von Tod sie ihm zugedacht hatte, sie konnte ihn nur durch seine Vorstellungskraft herbeiführen, wohl durch etwas ähnliches wie das Traumruf-Syndrom, an dem manche Zauberer litten, deren geistige Balance von Magie aus dem Tritt geriet.

Was Waldon jedoch tunlichst vermied war in den fensterlosen Kellerraum zu gehen, wo Morgauses Kessel stand. Denn wenn er ganz leise war und in das völlig stille Haus hineinlauschte hörte er ein gleichmäßig an- und abschwellendes, tiefes Brummen, als würde in den Tiefen seines Hauses ein Hornissenvolk zeitgleich mit den Flügeln schlagen und dann für einige Momente wieder stillhalten. Er erkannte, dass das unheimliche Geräusch im selben Takt erklang, wie die unter seiner Kleidung getragenen Kristalle vibrierten. Ja, und diese vvibrierten im überdeutlich spürbaren Takt seines eigenen Herzens. Damit hatte er es tatsächlich amtlich, dass irgendwas großes im Haus mit seinem Blutkreislauf wechselwirkte, oder besser, versuchte, gegen etwas anzukämpfen, das seine Kraft aus dem regelmäßigen Blutkreislauf zog.

Um den von ihm getragenen Schutzzauber nicht doch noch zu überlasten unternahm Waldon längere Ausflüge in die malerische Landschaft des schottischen Hochlandes, wo er auch, um seine eigenen Einkünfte zu sichern, neuartige Ortsbestimmungszauber ausprobierte, um in nicht mehr all zu ferner Zeit ein gleichwertiges Konkurrenzprodukt zum Prazap-Naviskop anzubieten. Er wollte dabei auf den Umstand eingehen, dass das Naviskop nur dann zuverlässig den Standort anzeigte, wenn es Verbindung mit der festen Erdkruste hatte. Für längere Besenflüge oder Seefahrten taugte es nur bedingt. Die Muggels hatten da schon was wirklich allgegenwärtiges, das über künstliche Monde in der Erdumlaufbahn und von diesen ausgestrahlte unsichtbare Wellen an Empfangsgeräte funktionierte. Da die Zaubererwelt keine solchen künstlichen Satelliten nötig hatte wollte er die Beschaffenheit des irrdischen Magnetfeldes als Standorterfassungsgrundlage nutzen, wie es viele Zaubertiere und einige humanoide Zauberwesen konnten. Insofern waren die längeren Ausflüge sowohl eine gelungene Ablenkung von der Sache mit Morgauses Kessel als auch ein idealer Feldversuch, um Prazap bald den Rang abzulaufen.

Erst wenn er in sein Haus zurückapparierte wusste er wieder, warum er die Kette mit den zwölf Kristallen trug. Um nicht auch noch das unheimliche Brummen aus dem Keller ertragen zu müssen verbrachte er viel Zeit in seinem schalldichten Musikzimmer mit Harfe, Dudelsack, Fidel oder Flöte, um beim nächsten Familienkonzert im Schloss der McFustys die freie Wahl des Instrumentes zu haben. So hielt er es auch am Abend des 4. Augustes 2003.

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Ihr Wille, den in der Nähe herumlaufenden Zauberer sowohl im Wach- wie im Schlafzustand zu unterdrücken, schlug ihr wie Keulen aus glühendem Eisen zurück und rüttelte an ihrem starren Leib. Sie hatte diesen Wicht doch schon fast ganz für sich vereinnahmt. Er hätte sicher nicht mehr lange ausgehalten und darum gebettelt, entweder schnell zu sterben oder ihr als williger Hilfskörper zur Verfügung zu stehen, natürlich nur, wenn er ein Bad in ihrer Obhut genommen hätte, um von ihr nach ihrem Bild neugeformt zu entsteigen. Doch jemand hatte ihm etwas gegeben, dass ihre Kraft auf sie zurückwarf und seinen Geist für sie unberührbar machte. Sie wusste nur durch die ihr entgegenwirkende Kraft, dass er überhaupt da war. Sie wusste auch, dass diese Gegenkraft an sein Blut und damit an die Verbindung zwischen Leib und Seele gebunden sein musste. Damit war auch ihr Plan hinfällig, ihn langsam und widerstandsunfähig vertrocknen und abmagern zu lassen, bis er nur noch ein lebendes Knochengerüst war. Denn wenn sie die Verbindung zwischen seinem Leib und seiner Seele nicht verändern konnte verfiel ihre Drohung.

Die einst so mächtige Zauberin fühlte die Wut, die das für sie geschmiedete und von ihr beseelte Gefäß zum glühen brachte. Wenn sie es nicht schaffte, jenes Etwas zu zerstören, was diesen Bergvolksohn schützte, dann würde sie nicht erwachen und für undenkliche Zeit in ihrem eigenen mächtigen Braukessel eingesperrt bleiben. Doch sie wollte erwachen. Sie wollte wieder handeln können. Sie musste wissen, wer das Erwachen hervorgerufen hatte und in welcher Welt sie heute lebte. Weil Waldon nur in seinen Träumen für sie lesbar gewesen war hatte sie nur unbestimmte Bilder und Ereignisse erfahren, die Traumgespinnst oder Erinnerungsbruchstück sein konnten. Doch wer immer sie berührt und das Erwachen angestimmt hatte musste erfahren, dass sie wieder da war. Sie hoffte darauf, entweder in einem lebenden Körper weiterzuwirken oder dass die in ihr wachsende Kraft reichte, sich aus dem von Kobolden und Zauberschmieden gefertigten Kessel zu befreien und dabei als eigenständiges Wesen ohne fleischliche Form zu wirken. Außerdem fühlte sie, dass jener unhörbare Erweckungsruf, der sie erreicht hatte, auch andere Dinge oder Wesen durchdrungen und bekräftigt hatte. Auch deshalb musste sie erfahren, von wem und aus welchem Grunde dieser machtvolle Ruf ausgegangen war. Doch hierfür musste sie einen lebenden, atmenden Körper lenken, ob die darin eingeflochtene Seele dies wollte oder nicht. Sie fühlte auch, dass der nächste Vollmond ihrem Machtgefäß die größte Kraft geben würde. Dann würde sie die Entscheidung erzwingen: Freiheit oder Untergang!

Auch wenn die Strahlen des Mondes nicht in diesen Raum vordrangen fühlte Morgause, dass er fast vollständig am Himmel erschien. Vielleicht konnte sie jetzt schon den entscheidenden Befreiungsstoß führen. Gelang es ihr, Waldon McCloud von seinem Schutzzauber zu trennen, so sollte er noch in dieser Nacht seine Entscheidung fällen.

Wieder steigerte sie die in ihr fließende Kraft, um im Einklang mit dem über den Himmel wandernden Mond, der von ihr und ihren Zeitgenossinnen als Mutter der Nacht verehrt wurde, den im Gleichtakt von Waldons Herzen schwingenden Zauber zu brechen. Ihr starrer Körper, nur ein Gefäß, um ihr Überdauern in der Welt zu wahren, bebte und schwankte unter der Wucht der auf ihn zurückprallenden Kraft. Sie fühlte, dass sie den an Waldons Herz und Blut gebundenen Zauber brechen konnte, wenn sie es erreichte, zwischen den Herzschlägen alle Kraft zu wirken, die sie jetzt aufbieten konnte. Zwar hatte sie es in den Nächten davor auch schon versucht. Doch da war sie noch zu schwach gewesen.

Sie erkannte, wie sehr sie sich selbst gefährdete. Denn die auf sie zurückschlagende Kraft verstärkte sich in den Zaubern, die sie in der Welt hielten. Sollte ihr Behältnis dem nicht gewachsen sein und zerspringen, mochte sie selbst vergehen. Doch sie musste es versuchen.

Gerade als sie es so empfand, als würden die nächsten zehn Stöße die Entscheidung bringen fühlte sie die Annäherung von zwei mächtigen Seelen in nicht minder von großer Kraft erfüllten Körpern. Sie konnte sogar die ungesprochenen Regungen der beiden hören. Es waren beide Zauberkundige Frauen, wobei sie nicht wusste, ob es dunkle Druidinnen oder die fälschlich als Feen bezeichneten Heilbeterinnen waren. Dann erkannte sie mit nicht geringem Erstaunen wie Unbehagen, dass die beiden keine natürlichen Menschenfrauen waren. Auch erfuhr sie, dass jede für sich den silbernen Kessel, mit dem sie eins geworden war, für sich selbst und ihre Ziele haben wollte. Das störte sie nicht, wollte sie doch gerade jenen zauberkundigen Frauen beistehen, die das Joch männlicher Vorherrschaft abwerfen und selbst herrschen wollten. Doch wenn zwei um sie stritten konnte das für alle das Ende bedeuten, auch für ihre unddenkliche Zeit währende Daseinsform. Wem wollte sie sich dann überlassen? Hatte sie dabei überhaupt eine Wahl? Ja, die hatte sie, aber nur, wenn es ihr gelang, diesen widerspenstigen Hochlandburschen zu ihrem neuen Ausführungskörper zu machen, noch bevor die beiden mächtigen Frauen sie erreichten.

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Offenbar wollte sie es jetzt wissen, erkannte Waldon mit steigender Beklommenheit. Die Kristalle an der Kette erbebten immer stärker und begannen, sich zu erhitzen. Schlimmer jedoch war das Gefühl wie von glühenden Nadeln, die ihm ins Fleisch stachen und bis zu seinem immer stärker pochenden Herzen hindurchdrangen. Er erkannte, dass Morgauses im eigenen Kessel gefangener Geist eine neue, womöglich erfolgreiche Taktik gefunden hatte. Morgauses pulsierende Aura schlug als unangenehme Schmerzen und als Anreger für sein Herz immer höhere Wellen. Es mochte nur eine Frage der Zeit sein, wann entweder die Kette, der Kessel oder sein eigener Körper an dieser Belastung zerbrach. Er wusste jetzt auch, dass wenn er die schützende Kette jetzt wegwarf, dass er im nächsten Augenblick in einer Woge aus Ablehnung oder Unterwerfungszwang ertrinken würde. Sollte er die Kette weitertragen konnte sie unter den auftreffenden Kraftstößen zerbersten. Jeder Kristall hatte seine Eigenschwingungszahl. Wurde diese erreicht konnte er zerspringen, wusste McCloud aus eigenen Versuchen. Wenn die da unten, die im Moment noch ihre ganz persönliche Gefangene war, das auch wusste war es nun nur noch eine Frage von Minuten oder Sekunden, bis sie ihn besiegt haben würde. Die einzige kleine Hoffnung war, dass die auf sie zurückprallende Kraft den Kessel ebenso beschädigen oder gar zerschmettern konnte und damit Morgauses Halt in dieser Welt mit lautem Getöse vergehen würde. Dann passierte noch was, mit dem er zwar gerechnet, es aber nicht jetzt erwartet hatte.

Ein leises, schnelles Wimmern und aufgeregtes Pingeln klang in Waldon McClouds Ohren. Das war ein Annäherungswarnzauber, und nicht nur das, es war ein Zauber, der die Annäherung feindlicher Hexen meldete. Also hatten doch welche von den dunklen Orden erfahren, wo der lange Zeit für eine Legende gehaltene Kessel zu finden war. Doch die würden sich gleich blutige Köpfe holen, wenn sie nicht zu handlungsunfähigen Statuen erstarrten und den Rest ihres körperlichen Daseins als besondere Dekoration bei ihm blieben.

Dankbar für die Ablenkung von seinem immer wilder vibrirenden Talisman führte er die Zauber aus, die ihm verraten sollten, wie viele Feindinnen sich ihm näherten. Über seinem mit Silberblech verzierten Schreibpult entstand aus einer goldenrot flimmernden Wolke ein senkrecht stehendes Rechteck wie eine künstlich erschaffene Fensteröffnung. Es wuchs auf die halbe Breite und drei Viertel Höhe des Studierzimmers an. Nur eine Hexe?" fragte sich McCloud und blickte genau in die frei schwebende Darstellung. Er sah eine auf einem rot-blau umflimmerten Besen reitende Frau, die von einer strahlend hellen, weißgelben Aura umflossen wurde. Die magisch sichtbar gemachte Ausstrahlung pulsierte und schien dabei dauernd die Form zu wechseln. Während die auf dem Besen sitzende Hexe stetig menschliche Körperformen besaß meinte McCloud einmal eine riesenhafte Frauengestalt und dann eine auf den zwei hinteren Beinpaaren balancierende Abscheulichkeit mit haarigen Tastorganen, mehreren Augen und vor allem vier Beinpaaren zu erkennen. Im nächsten Moment wurde aus dem Ungeheuer wieder eine Frauengestalt. Da wusste McCloud es sicher, dass jene wergestaltige Hexe zu ihm vorstieß, die sich in eine schwarze Spinne verwandeln konnte. "Viel Feindin viel Ehr", knurrte McCloud. Doch ein weiteres Pingeln verhieß, dass die Spinnenhexe nicht alleine unterwegs war und zudem aus einer ganz anderen Richtung herankam. Doch der Feinddarstellungszauber sprach nicht auf die zweite an. Die löste offenbar nur den Hexenabschreckzauber aus, der wahrhaftig immer mehr zurückgedrängt wurde. Waldon hieb sich mit der flachen Hand vor die Stirn, weil er jetzt erst erkannte, was das hieß. Die zweite Hexe reiste in einem Unortbarkeitszauber, der sie für Bilddarstellungsmagie unerfassbar machte. Nur ihre körperliche und seelische Beschaffenheit wurde gemeldet, und das wohl auch nur, weil sie keine reinrassige Veela war, sondern zu einem gewissen Teil noch eine Menschenfrau. Damit war nun sicher, dass es gleich bei ihm zum Schlagabtausch der zwei gefürchtetsten Hexen der Gegenwart kommen würde, nachdem Sardonias letztes Vermächtnis aus der Welt getilgt worden war. Oder war es so, dass die beiden sich miteinander verbündet hatten, um den Kessel Morgauses für ein gemeinsames Ziel zu nutzen? So oder so würde er selbst dabei draufgehen.

Waldon McCloud wartete noch einige bange Sekunden, ob die von ihm aufgerufenen Hexenabschreckzauber die beiden Feindinnen doch noch abwehrten. Als dann in einem vielfarbigen Blitzgewitter und mit lautem Quieken wie von auf den Schwanz getretenen Mäusen jeder Abschreckzauber regelrecht pulverisiert wurde dachte McCloud, dass er ja gewarnt worden war. Und noch was wusste er jetzt sicher: Jemand hatte den beiden Hexen verraten, dass es bei ihm was für sie sehr bedeutsames zu finden gab. Als ihm das bewusst wurde ereilte ihn der nächste Schlag. Mit lautem Klirren barsten alle zwölf Kristalle an der Kette um seinen Hals. Diese zerfiel in ihre einzelnen Glieder. Gleichzeitig meinte Waldon, ein glühender Dolch sei ihm mit großer Wucht ins Herz gerammt worden. Für genau drei Sekunden konnte er weder atmen, noch fühlte er seinen Pulsschlag. Starr wie bewegungsgebannt saß er auf seinem Stuhl. Dann überflutete ihn die längst befürchtete Woge der bisher von ihm ferngehaltenen unerwünschten Gefühle. Doch es war keine von außen eingeflößte Angst, keine feindselige Ablehnung und auch kein Unterwerfungszwang. Es war großer Triumph und eine von ihm selbst nicht erwartete Glückseligkeit, als habe sich alles in den Kristallen eingeschlossene Glück auf einen Schlag entladen. Dann fühlte er, wie sein Herz unter stechenden Schmerzen zu schlagen begann, erst unregelmäßig und dann so schnell, als renne er gerade um sein Leben. "Triff deine Entscheidung, bevor die zwei Schwestern dich niedermachen!" hörte er unvermittelt die Stimme jener, die er für Morgause hielt in seinem Kopf. Sie wollte, dass er ihr gehörte oder starb. Doch er wollte nicht zum willigen Werkzeug werden, aber sterben wollte er auch nicht. "Feuersbrunst!" rief er laut, wobei er ein braunes Lederband an seinem linken Handgelenk umklammerte. Ein kurzes Vibrieren. Dann fühlte er, wie ihn etwas fortriss. Das letzte, was er in seinem Haus noch hörte war der gedankliche Wutschrei Morgauses, die jetzt erst erfasst haben musste, dass er sich auf diese Entscheidung sehr gut vorbereitet hatte.

Durch einen wilden Farbenwirbel raste McCloud dahin. Es galt, so weit es ging zu reisen, vielleicht sogar den entscheidenden Zeitraum zu überstehen, in dem Morgause ihm einen magischen Vernichtungsschlag hinterherjagen mochte, wie immer dies gehen sollte. Jedenfalls wunderte er sich nicht, als er nach ungezählten Sekunden voll in einen Sandhaufen einschlug und über sich die gleißend gelbe, heiße Strahlen versendende Sonne sah. Der nächste Sinneseindruck war der Geruch von warmer Seeluft. Dann hörte er ein lauter werdendes Rauschen und wusste, dass es von rechts kam. Dann hörte er das Brechen einer mittelhohen Brandungswoge und das ins Meer zurückfließende Wasser. Er hatte sein Ziel erreicht.

"Aloa heh!" rief Waldon McCloud vor Triumph und Glück aus. Seine Eingebung, im Schutze der Kristallkette einen wörtlich auslösbaren Portschlüssel zu fertigen und ihn auf den Südstrand der großen Hawaii-Insel auszurichten war Erfolgreich verlaufen.

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Ladonna Montefiori raste in der Gestalt einer schwarzen Störchin dahin. Den besonderen Bernstein gegen den Fluch des bleiernen Schoßes hatte sie erst nach der Verwandlung in die Tiergestalt eingeführt. Zwar würde sie in der Storchenform keine Auswirkungen des Zaubers zu spüren kriegen. Er konnte jedoch schon in ihren Körper einströmen und wirken, wenn sie wieder eine Hexe war.

Viermal schneller als ein natürlicher Storch raste Ladonna über die Insel Britannien. Die Furcht, doch die entscheidende Stunde zu spät zu kommen trieb sie zu bis dahin nie geahnter Geschwindigkeit. Dann sah sie das Haus vor sich. Um sie herum flirrte die Luft. Blitze umzuckten sie. Das waren die Abwehrzauber, die aber wohl nicht richtig trafen, weil ihr Körper unortbar war. Die Abwehrzauber waren jedoch auch auf die schwächsten Lebenskraftäußerungen abgestimmt. Demnach konnte McCloud schon mitbekommen, dass sich jemand seinem achso sicheren Haus näherte. Dann endlich sah sie das Haus vor sich. Sie bremste sogleich auf doppelte schrittgeschwindigkeit herunter und steuerte einen der beiden Kaminschächte an. Dabei fühlte sie, wie es in ihrem Hinterleib pochte und ruckelte. Also wirkte ihre Vorkehrung bereits gegen den Plumbuterus-Zauber.

Sie stoppte gerade noch rechtzeitig über dem Kamin, als sie mit ihren Sinnen für fremde Zauber witterte, dass der Kamin mit einer zusätzlichen Sperre versehen war, die sie wohl nicht durchlassen würde. Also musste sie sich ihren Weg nach drinnen freibrennen.

Die Störchin Ladonna landete nicht dort, wo die Vordertür oder die Hintertür waren. Dort waren sicher noch weitere Abwehrzauber in Stellung. Sie landete vor einer Backsteinwand mit zwei mit metallenen Läden verschlossenen Fenstern. Dort nahm sie wieder ihre makellos schöne menschliche Gestalt an. Sofort vibrierten die am und im Körper verstauten Träger von Gegenzaubern. Funken umtosten sie. Sie meinte ferne Aufschreie zu hören, Schmerzen und Wut. Vor allem der in ihrem Unterleib steckende Bernstein pulsierte. Er musste offenbar einen immer wieder aufflackernden Plumbuterus-Zauber zurückdrängen.

Ignis invictus!" zischte Ladonna Montefiori und zielte mit der linken Hand auf eine Stelle, die vom Boden bis zur Unterkante des mit roten Ziegeln gedeckten Daches reichte. Ein durchgängig leuchtender Strahl aus blutrotem Licht ging von ihrem magischen Ring auf die Wand über. Wo der Strahl hintraf zerbröckelte und zerschmolz der Backstein. Ladonna brauchte die beringte Hand nur sanft kreisen zu lassen, bis mit lautem Poltern ein schweres Stück Backstein aus der Wand herausfiel und nun einen Durchgang ins Haus freigab. Sofort hörte Ladonna das Wimmern eines Alarmzaubers und argwöhnte magische Barrieren. Deshalb schickte sie unmittelbar Fluchzerstreuer der verschiedenen Kategorien los. Es knisterte, prasselte, ploppte und knallte, als verschiedenfarbige Lichtentladungen hinter der aufgebohrten Wand erstrahlten. Erst als keine weitere Gegenwirkung mehr erfolgte tauchte Ladonna durch das freigebrannte Loch in der Wand und betrat McClouds Haus.

Sie stand kaum sicher im Wohnzimmer von Waldon McCloud, als sie auch schon die andere weibliche Ausstrahlung fühlte und eine ihr fremde aber schön tief und rein klingende Stimme Litaneien aus der Zeit der Druiden, aber auch Zaubersprüche einer ihr unbekannten Sprache singen hörte. Sie war also wirklich und wahrhaftig sehr spät dran.

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Sie frohlockte rein geistig, als der verhasste Widerstand brach. Zwar wusste sie, dass da zwei mächtige Hexen herankamen, die jede für sich den silbernen Kessel erbeuten wollten. Doch falls sie es schaffte, sich Waldon McCloud zu unterwerfen hatte sie einen handlungsfähigen Körper. Sie befahl ihm, sich zu entscheiden und hoffte, dass er lieber weiterleben wollte. Doch statt dessen machte er etwas, mit dem sie nicht gerechnet hatte. Er rief einen wohl heimlich gewirkten Zauber wach, der ihn aus dem Raum hinausriss und ihn so plötzlich aus ihrer Reichweite entfernte, dass ihr lauter Wutschrei ohne Widerhall im unendlichen Raum verwehte. Er hatte es wahrhaftig vollbracht, ihr zu entwischen, ein zauberer, ein kleiner Bergvolkssohn. Sie erkannte nun, wie viele Jahre doch verweht waren, in denen sie im selbstgewählten Tiefschlaf zugebracht hatte. In dieser Zeit waren Dinge erfunden worden, mit denen sie nicht gerechnet hatte. Eine dieser Erfindungen hatte ihr die Freude auf einen neuen Körper vergellt. Doch dafür sollten die zwei anderen ihre Dienerinnen werden. Sie würde beide zusammen mit ihrem erstarkten Geist packen und dazu zwingen, sich ihr durch eine Blutgabe und ein Bad in dem Kessel als ihre bedingungslos gehorsame Gehilfinnen zu verdingen. Das war doch wesentlich erfreulicher, als einen widerspenstigen Zauberer zum handelnden Körper zu erwählen.

Die eine der beiden war in fremder Gestalt unterwegs. Doch ihre geistige und magische Ausstrahlung verriet sie als Trägerin der hohen Kräfte. Diese erschien ihr als gerade nicht so leichter Angriffspunkt, zumal sie nicht wollte, dass die andere in ihrer Tiergestalt gefangenblieb. Die zweite indes ritt auf einem fliegenden Ast. Offenbar konnte sie sich nicht so sicher wandeln. Doch das dachte Morgause nur solange, bis sie versuchte, die auf dem bezauberten Stecken sitzende mit ihrem Geist zu ergreifen und im ersten Zug niederzuringen. Ihre gebündelte Macht prallte augenblicklich auf einen unnachgiebigen Widerstand und schlug auf sie selbst zurück. Als der von ihr beseelte Behälter durch den Rückschlag in seiner ringförmigen Verankerung erbebte und Funken sprühte nahm Morgause eine überragend schöne Frau war, um deren Körper sich ein aus goldgelbem Licht bestehender Körper formte, der einer gewaltigen Spinne glich. Dann war ihr Angriff endgültig verpufft. Die auf dem Stecken war weitaus mächtiger als Morgause geahnt hatte. Sie zu ihrem hilfreichen Körper zu machen würde sehr schwer werden. So versuchte sie nun, die andere zu packen.

Erst meinte sie, diesmal zum Erfolg zu kommen. Doch dann schlug ihre Angriffswucht wie ein orangeroter Feuerball auf sie zurück. Sie hörte mehrere Frauenstimmen einen ihr unverständlichen Ausruf ausstoßen. Die Sprache verstand sie zwar nicht. Doch sie erkannte sie als jene, die von den wiederwärtig schönen Weibsbildern benutzt wurde, die sich Mokushas Kinder nannten und die von den Stämmen im Osten des Festlandes Vilioi oder Velha genannt worden waren. Also hatten diese übermäßig schönen Biester es gewagt, sich mit anständigen Menschen zu paaren und Mischbrütige zu zeugen. Gab es auf dieser Welt keine anständigen Menschenkinder mehr? Wergestaltige Halbdämoninnen und mischbrütige Abkömmlinge von viel zu machtvollen Missgeburten. War das noch die Welt, die sie als Hexenkönigin regieren wollte? Dann wurde ihr klar, dass die beiden ja zwei gegeneinander wirkende Geschöpfe waren. Warum sollte sie es nicht abwarten, wer von den beiden diesen Streit überlebte? Sie wusste, dass sie gegen die meisten Gewalten geschützt war. Koboldgearbeitetes Silber und von mächtigen Zauberschmieden eingewirkte Runenzauber, hinzu ihr eigenes Blut und das ganze Leben eines Koboldes hatten diesen Behälter, der ihre Heimstatt war, zum mächtigsten Ding unter den Gestirnen gemacht. Wie beständig ihr Kessel war wurde auch gleich auf eine Probe gestellt.

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Anthelia stand vor einer Wand und fühlte, dass in dieser ein Steinhärtungszauber wirkte. Dahinter mochten noch weitere Flüche wirken. Sie lotete ungesagt den Boden aus und fand Bethanys berichtete Beschreibung bestätigt. Im Boden bis zu zwanzig Metern Tiefe lagen eng beieinander gegeneinander versetzt kleine aber spitze Eisenstücke, die zuverlässig jeden durch die Erde herannahenden Kobold abwehren konnten. Die oberste der Spinnenschwestern zielte mit ihrem zauberstab auf die Wand und sang ganz leise Aufhebungszauber der Erdmagie des erhabenen Reiches. Die Wand erglühte in Grün, Braun und Rot. Dann knisterte es, und größere Brocken fielen heraus. Anthelia schickte unverzüglich Breitbandfluchzerstreuer los. Denn die große reinigende Kraft der Erde wollte sie jetzt noch nicht anrufen, wo sie nicht wusste, wie viel Kraft sie noch nötig hatte.

Nun betrat sie die Vorratskammer des Hauses. Da fühlte sie die fremde Ausstrahlung, nicht von der anderen, von Ladonna und auch nicht von dem Zauberer, der gerade darum rang, genau dieser Macht zu widerstehen. Dann hörte sie die leicht metallisch klingende Stimme in ihrem Kopf: "Ah, eine sehr machtvolle Bundesschwester. Sei mir willkommen. Vertraue dich mir an und gewähre mir Einlass in deinen Leib, auf dass wir darin eins werden können!"

"Morgause?" fragte Anthelia in Gedanken, wohl auf der Hut, nicht zu sehr auf die in sie eindringenden Gedanken zu hören. "Ja, meine Schwester, so wurde ich gerufen. Endlich ist der Tag gekommen, wo eine Würdige mich aus meiner viel zu langen Untätigkeit befreien und sich mit mir verbinden wird. Also komm, lass mich ein und sei mein!"

"Nicht du und auch nicht auf diese Weise", dachte Anthelia/Naaneavargia und errichtete innerhalb einer halben Sekunde den inneren Schild, der ähnlich wie das Lied des inneren Friedens der Lichtfolger wirkte. Sie hörte noch das erboste Aufschreien der anderen, bevor sie sich vor den fremden Gedanken verschlossen hatte. Zwar konnte sie so nun auch nicht mehr hören, was Ladonna tat. Doch Morgauses ungestümer Vorstoß war ihr doch ein wenig zu beunruhigend gewesen. Am Ende würde sie ihr wirklich noch verfallen und musste dann als Morgauses fremdgesteuerter Körper weiterbestehen, falls sie nicht wahrhaftig mit ihrer Seele verschmolz und dann erneut eine Veränderung ihres Geistes hinnehmen musste. Dann dachte sie daran, ob Ladonna dieser Stimme ebenfalls widerstreben konnte oder bald schon selbst lernen musste, wie es sich anfühlte, von einer anderen fremdgesteuert zu werden. Zumindest wusste sie jetzt, wo der Kessel sein musste, unter dem Fußboden.

Wie vorhin auch musste sie einen Steinerhärtungszauber im Boden brechen. Außerdem waren im Boden ja mehrere geschmiedete Eisenstücke verbacken. Das Problem löste Anthelia/Naaneavargia einfach dadurch, dass sie den Boden so stark aufweichen ließ, dass die Eisenstücke vom eigenen Gewicht nach unten durchsackten und im Keller zu Boden schepperten. Dabei rissen sie natürlich auch Teile des aufgeweichten Bodens mit, bis Anthelia vor einem unregelmäßig geränderten Loch stand. Mit dem Freiflugzauber ließ sie sich einfach in das Loch hineinsinken und landete zwischen durcheinanderliegenden Eisenspitzen und -keilen, die zur Abwehr von Kobolden gedient hatten.

Hier unten war die Ausstrahlung Morgauses nun auch körperlich fühlbar. Sardonias Mantel vibrierte sanft. Um Anthelias Körper glomm eine silber-blaue Aura.

Weil sie hier unten auf Ladonna und ihren tödlichen Zauberring gefasst sein musste zog sie das Schwert Yanxothars aus der Drachenhautscheide auf ihrem Rücken frei und beschwor mit "Faiyanshaitargesh" die Kraft der Flammenklinge. Sofort begann das Schwert zu vibrieren, und die orangerote Flammenklinge streckte sich der Decke entgegen, als wittere sie dort eine starke Feuerquelle, die es ausschöpfen wollte.

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Ladonna nahm es mit einer gewissen Beunruhigung zur Kenntnis, dass die Gegenspielerin Zauber kannte, die sie noch nicht kannte. Also waren es keine Gerüchte, dass es eine Hexe gab, die Zugang zu verschüttetem Wissen erhalten oder dies von irgendwoher empfangen hatte. Gegen so eine Hexe zu kämpfen war sicher sehr riskant. Doch sie vertraute ihrer Veelakraft und dem von ihr gemachten Ring der Rosenkönigin, der ihr ins Leben zurückverholfen hatte.

"Willkommen, würdige Schwester. O, ich fühle, du bist stark. Doch fordere ich dich auf, nicht wider mich zu kämpfen. Sei mir willkommen und gewähre mir Einlass in deinen Körper und Geist, so dass wir darin eins werden!" vernahm Ladonna unmittelbar die metallisch nachhallende Stimme einer fremdenFrau, die auf Latein sprach. Ladonna fühlte, wie ihr Wunsch, mit Morgauses Geist zu verschmelzen immer größer wurde. Gerade noch rechtzeitig schaffte sie es, die beringte linke Hand gegen ihre Stirn zu pressen. Die dabei in ihrem Geist ausgelöste Erschütterung prellte die Gedanken Morgauses zurück. Doch Ladonna wusste, dass es wahrhaftig darum gehen würde, ob sie den Kessel oder die in diesem wohnende Seele Morgauses sie beherrschen würde. Falls die Andere ebenso von Morgauses Kraft ergriffen wurde konnte es sogar geschehen, dass die andere zu Morgauses williger Erfüllungsgehilfin oder ihrem neuen lebenden Körper wurde und ihr den Kessel vorenthielt.

Ladonna wandte eine Litanei der grünen Waldfrauen an, wenn diese gegen die Stimme einer Artgenossin bestehen mussten, um nicht unterworfen zu werden. Damit konnte sie die wieder auf sie einströmenden Gedanken Morgauses zurückdrängen, was diese wütend aufschreien ließ. "Ihr seid beide stark und ungebärdig. Doch wer nicht mein sein will wird vergehen."

Ladonna hörte das laute Klirren in der Tiefe aufschlagender Metallteile und wie die fremde Hexe geradewegs durch den Boden entschwand und dort ein weiteres ihr unbekanntes Zauberwort aussprach. Gleichzeitig hörte sie ein leises Fauchen, das ein mit wem zusammen verschwindender Portschlüssel erzeugte. Jetzt merkte sie, dass die schwache männliche Ausstrahlung in diesem Haus fort war. Dafür spürte sie, wie sich an allen Ecken etwas regte, eine Urkraft des Feuers, als wolle ein großer Drache noch einmal tief Luft holen, bevor er seinen glutheißen Atem gegen einen Feind oder ein Hindernis blies. "Ignis protectivus!" dachte Ladonna und ließ ihre beringte linke Hand einmal schnell vor sich im Kreis durch die Luft sausen. Mit einem leisen von Knistern unterlegten Plopp stülpte sich eine blutrote Lichtglocke über Ladonnas Körper. Keine Sekunde zu Früh. Denn wie auf einen unhörbaren Befehl stürzten ihr von allen Seiten weißblaue Flammen entgegen und schlugen über ihr zusammen. Im Lärm des tosenden Feuers hörte sie, wie alles aus Holz und Stein zerbarst, verbrannte und auseinandergesprengt wurde. Wegen der für sie zu grellen Flammen konnte sie nicht sehen, was genau um sie herum geschah. Doch sie war sich sicher, dass gerade McClouds Haus vom freigesetzten Feuer vernichtet wurde. Nur der ihren Körper umschließende Schild gegen alle Kräfte des Feuers schützte die Veelastämmige vor dem Flammentod.

Mit fast geschlossenen Augen musste sie warten und hoffen, dass ihre Körperausdauer reichte, um den Zauber ihres Ringes aufrecht zu halten. Brach sie zusammen, war sie verloren. Sie dachte an die Gegenspielerin. Wenn diese keinen so wirksamen Feuerschild wie sie besaß war sie wohl schon in der ersten Sekunde verglüht, auch wenn sie klar vernehmlich im Keller gelandet war.

Genauso schmerzhaft für die Augen und Ohren war es, als der weißblaue Flammensturm mit einem Schlag verebbte und tiefe Stille einkehrte. Ladonna keuchte, weil ihr die Luft knapp wurde. Das Feuer hatte einen Gutteil der Umgebungsluft fortgeblasen oder nach oben gerissen. Doch nun fauchte die kalte Luft der Umgebung wie ein Orkan heran und wirbelte alles auf, was die Summe aller Höllen irgendwelcher Eingottanbeter vom Haus übriggelassen hatte. Ladonna hielt sich schnell die Hände vor Mund und Nase, um den herumfliegenden Staub und die Asche nicht einzuatmen. Am Ende sog sie noch etwas von der anderen in sich auf und würde es bis zu ihrem Ende als Bestandteil ihrer Knochen weitertragen. Nein, danach war ihr nicht.

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Anthelia wagte es, sich umzuhören. Für einen winzigen Moment erfasste sie so, dass Ladonna sich gegen einen Feuerzauber sicherte und dass Waldon McCloud nicht mehr im Haus war. Dann hatte der ganz sicher was vorbereitet, um das Haus und vielleicht auch den Kessel Morgauses zu vernichten. "Madrash faidur kanor!" rief sie mit nach oben gerecktem Zauberstab. Eine hellgrüne Lichtkuppel bildete sich über ihr und schloss mit dem Boden ab. Dann zielte sie nach unten und rief: "Madrash Ghedonnai aldur!" Zwischen ihren Füßen strahlte grünes Licht auf, breitete sich aus und verband sich mit dem unteren Rand der gerade errichteten Lichtkuppel. Gleichzeitig vibrierte der Griff ihres Feuerschwertes noch heftiger, und die orangerote Flammenklinge dehnte sich pulsierend aus. Sie riss das Schwert nach oben. Jetzt würde es um sie einen Schutzbann mit einem Halbmesser von drei Metern schaffen. Doch reichten diese Vorkehrungen?

Als dann mit lautem Tosen und donnern die Decke erst hellgelb und dann weiß aufglühte und geschmolzenes Gestein wie vulkanische Lava auf sie herabregnete wusste Anthelia, dass ihr Leben nur noch in Sekunden zählen mochte. Doch dann sah sie, dass die glühenden Brocken von der grünen Kuppel abrutschten und ihre Glut zugleich verflog. Die Kraft der Erde und die von Yanxothars Schwert hielten ihr die Gesteinsschmelze vom Leib. Mehr noch. Innerhalb dieser beiden Schutzzauber konnte sie weiterhin frei und ohne Angst vor dem Ersticken atmen. Sie fühlte Erdstöße, wenn schwerere Brocken aus der weißglühenden Decke niederschlugen und vor ihr auf dem Boden zerplatzten. Dann sah sie ein Stück Himmel über sich. Doch es war kein klares, stetiges Blau, sondern ein blendendhelles Inferno aus weißblauen Flammen, die ineinandergriffen und zu einer lodernden Decke aus verzehrendem Feuer verschmolzen. Anthelia schloss die Augen und hoffte, dass Feuerschwert und Erdkraftkuppel sie vor diesem Aufeinandertreffen sämtlicher Höllenvorstellungen der Menschheit schützten. Als stehe sie mitten in einem unbändig ausbrechenden Vulkanschlot hörte sie das Donnern und Tosen um sich herum. Wie lange es tobte maß sie nicht ab. Als es schlagartig nachließ war es für Anthelia/Naaneavargia noch schmerzhafter, die plötzliche Stille zu verkraften. Doch diese hielt nur wenige Sekunden. Dann heulte und fauchten die vom Feuer zurückgedrängten Luftmassen in die entstandene Leere zurück und wirbelten wohl alles fort, was die Mutter aller Feuerzauber übriggelassen hatte. "Er hat den Glutatem von mindestens dreißig Feuerbläsern in Gestein eingeschlossen und durch seine Flucht freigelassen", hörte Anthelia die Stimme eines Mannes in ihrem Geist. Das war Yanxothar, der seine ganze Seele an sein Meisterwerk gebunden hatte, um es nur dem zu überlassen, der sich im geistigen Zweikampf gegen ihn behaupten konnte. Es war nach vielen Monaten das erste mal, dass Anthelia/Naaneavargia diese Stimme wieder hörte. Sie hörte deutlich die große Anerkennung des alten Großmeisters der Feuervertrauten heraus. Dann fiel ihr ein, dass sie ihren geistigen Eigenschutz vernachlässigt hatte. Da kam auch schon Morgauses machtvolle Gedankenstimme über sie."

"So, du bist noch da, sowie ich auch. So lass mich in deinen Körper und Geist ein und sei mein. denn so eine starke Dienerin behagt mir!" Anthelia/Naaneavargia fühlte, wie Morgauses geistige Macht mit ganzer Entschlossenheit in sie vordrang. Sie sah Bilder ihres eigenen Lebens vor und nach der Verschmelzung zwischen Sardonias Erbin und der Erdvertrauten aus Altaxarroi. Sie keuchte, weil sie fühlte, wie sich Morgauses Geist immer mehr in ihrem Kopf ausbreitete und schon versuchte, ihren Körper zu übernehmen. Mit aller letzter Kraft stemmte sie sich noch dagegen und schaffte es, den inneren Schutzwall wiederzuerrichten. Doch der pulsierende Druck auf ihren Kopf verhieß ihr, dass Morgause es nun wirklich wissen wollte.

Sie brauchte mehrere Sekunden, um sich zu erholen und ihren inneren Schutzwall noch mehr zu verstärken. Dann ließen die geistigen Angriffsversuche nach. Entweder hatte Morgause aufgegeben, ihre Kraft restlos verbraucht oder ein anderes, vielleicht leichteres Ziel gefunden.

Anthelia blickte nach oben. Durch die immer noch leuchtende Erdkraftkuppel sah sie nun wirklich den freien Himmel. Wäre das grüne Licht der Kuppel nicht, so hätte sie die Sterne sehen können. Das Haus war jedenfalls weg. Weder die Mauern, noch die Innenwände, noch Deckenbalken und auch nicht das Dach hatten das Inferno überstanden. Sie verstand Yanxothars Bewunderung für McClouds infernalischen Vernichtungszauber.

Sie zauberte sich eine Kopfblase, um keinen Rauch oder giftigen Staub einzuatmen. Dann hob sie die beiden Schutzzauber der Erde auf und stieß sich ab, um im Freiflugzauber über die nun rot glühenden Trümmer auf dem Boden hinwegzugleiten. Auch wenn sie ihren Geist versperrte fühlte sie etwas wie einen unhörbar klingenden, warmen Wind, der ihren Körper umstrich. Das war die beinahe stofflich gewordene Aura von Morgauses Kessel. Dann sah sie den Gegenstand, dessenwegen sie hergekommen war und sie sah auch diejenige, die aus demselben Grund hergekommen war.

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Mit einem für Menschenohren unerträglichem Getöse flogen die oberen Etagen des Hauses auf meterbreiten Feuersäulen reitend in die Luft. Die Decke über dem Raum, in dem der Kessel stand barst und krachte in unzähligen gelbglühenden Trümmern nach unten. Wären es gewöhnliche Steinbrocken gewesen, so hätten sie den Kessel wohl innerhalb eines menschlichen Atemzuges bis zum Rand gefüllt. So prallten sie jedoch von der über ihm wirkenden Schutzbezauberung gegen zerstörerisches Feuer ab und prasselten um den Kessel herum zu Boden. Was vom Haus des Waldon McCloud noch stand brach nun dumpf polternd und dröhnend in sich zusammen.

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Ladonna stemmte sich immer wieder gegen Morgauses Gedanken. Sie fühlte, dass sie immer mehr Lust bekam, eins mit dieser starken Magierin zu werden, wie in einer reinen, wilden Frauenliebe miteinander zu verschmelzen und dann zu einer einzigen, sehr viel stärkeren Hexe zusammenzuwachsen. Doch sie dachte immer daran, dass sie dann die Sklavin sein würde, nicht die Herrin. Die andere war nur ein Geist, ein an einen materiellen Fokus gebundenes, dämonenartiges Etwas, dass ihren Körper nur benutzen wollte, um ihr eigenes Werk zu vollbringen. Doch sie war Ladonna Montefiori, die wahre Königin der Hexen. Sie würde den Kessel ergreifen und dessen innewohnende Seele zwingen, sich ihr zu unterwerfen. Sie fühlte, wo das mächtige Gefäß stand, ja, dass es das gewaltige Inferno unbeschadet überstanden hatte. Sie musste nach unten. Doch dann stellte sie fest, dass sie bereits im Keller war. Die sie vor dem Ansturm der Feuerzauber schützende Aura ihres Ringes hatte sie in eine schützende Blase gehüllt und sie wie eine Feder im sanften Wind nach unten gleiten lassen. So fand sie sich in einem von hellrot glühenden, flirrenden Qualm verströmenden Trümmern übersäten Gang wieder. Sie wusste, dass sie zu Fuß auch nicht über die leise blubbernden und glucksenden Pfützen aus lavaartiger Gesteinsschmelze hinweglaufen konnte. Sie zog die Beine an und hob die an ihr ziehende Erdschwerkraft auf. Die Macht einer grünen Waldfrau stand ihr immer noch zur Verfügung. Da hörte sie Morgauses Gedankenstimme wieder:

"Ah, in deinen Adern fließt das Blut einer grünen Waldfrau. Schön, sehr schön. Diese Kraft wird mir behagen, wenn du endlich deinen Widerstand aufgegeben haben wirst. So komm, sei mit mir eins und sei meinem Willen folgsam!"

"Wie du merkst bin ich stärker als eine gewöhnliche Zaubermächtige, wie du eine warst, Morgause. So ist es an dir, dich mir zu fügen oder hinzunehmen, wie ich dich aus deiner selbstgewählten Heimstatt verstoße", erwiderte Ladonna in Gedanken.

"Wenn wir zwei erst körperlich zusammen sind wirst du bereuen, mich solange zurückgestoßen zu haben. Doch wenn du meinst, stärker als ich zu sein, so kämpfe um mein Erbe. Deine Widerstreiterin steht bereit. Auch sie ist stark und trägt etwas besonderes in sich. Aber wenn du sie nicht tötest und von ihr getötet wirst, so werde ich sie doch noch bekommen und zur Vereinigung mit mir bewegen."

"Die andere?!" Ladonna öffnete einen winzigen Moment ihren Geist und fühlte, dass da tatsächlich noch eine zweite Ausstrahlungsquelle war. Ja, das war die Gegenspielerin.

Nach einem kurzen Flug über die rotglühenden Trümmer erreichte Ladonna eine von aller Glut freigehaltene Stelle von mehr als vier Schritten Durchmesser. Da sah sie ihn, den mannshohen, drei Schritte durchmessenden Kessel aus blankem Silber, in dem sich das Licht der Nachtgestirne spiegelte, als läge der Mond selbst in ihm. Ebenso sah sie die andere, die wie sie selbst ohne Flügel und fremde Gestalt in der Luft schwebte und nun behutsam landete. Ladonna erkannte mit gewissem Neid, dass die andere eine sehr schöne Frau war, die sicherlich jeden Zauberer und Unfähigen betören und für ihre Zwecke nutzen konnte. Doch noch mehr als das reine Aussehen störte Ladonna die merkwürdige Lebensaura, die ihr entgegenwirkte. Es war die Aura von gleich zwei starken Frauen und etwas tief darin mitschwingendes, tierhaftes, dass von der menschlichen Kraft im Zaum gehalten wurde. Jetzt wusste sie, wem sie da gegenübertrat, und die andere wusste auch, wer ihr gegenübertrat. Mit ein wenig Unsicherheit sah Ladonna auf das orangerot lodernde Schwert in der linken Hand und den silbergrauen Zauberstab in der rechten Hand der Widersacherin. Dann erkannte sie noch jenen vertrackten Zaubermantel, den die andere am Körper trug. Das war genau der Mantel, den Sardonia bei ihrem ersten und einzigen Zweikampf wider sie getragen hatte und der ihre meisten Flüche abgeprellt hatte.

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"Sagt mal, haben wir diesen Monat den Monat der heftigen Elementarzauber!" wollte Craig Connerly wissen, der im Auftrag des Zaubereiministeriums die Spürsteine in der Region Schottland überwachte. Gerade hatten drei von denen zugleich einen kurzen, heftigen Ausstoß von Feuerelementarkraft erfasst, gerade noch unterhalb der Belastungsgrenze.

"Offenbar bahnt sich gerade was an, was uns genauso zu schaffen machen soll wie der Unnennbare oder sein selbsternannter Erbe", meinte Lee McFusty, Enkelsohn des Drachenhüters von den Hebriden. "Öhm, dieser kurze Feuerstoß sieht danach aus, als hätte jemand mal eben die Kraft von mindestens zwanzig Feuerstößen von Drachen freigesetzt. Wer sowas kann ist echt mutig oder verzweifelt. Öhm, Moment, das ist das McCloud-Haus. Ui, wird meinen Großpapa nicht freuen, wenn der davon mitkriegt."

"McCloud, der Einsiedler, Thaumaturg und Zauberwesenexperte Waldon McCloud?" fragte Craig Connerly. Lee McFusty bejahte es. "Hält dein Großpapa nicht seine schützende Hand über den?" wollte Craig noch wissen. Auch das bejahte McFusty. "Hmm, öhm, dann gehst du besser mit der Erkundertruppe raus und untersuchst das, was da passiert ist!" meinte Connerly behutsam, da er mit McFusty gleichrangig war.

"So wie das geknallt hat ist von dem Haus sicher nichts mehr da. Stell dir mal zwanzig schwarze Hebriden vor, die zugleich auf dasselbe Ziel lospusten. Da bleibt von Holz und Ziegelstein nichts mehr übrig."

"Ja, krieg das bitte raus. Ich schicke einen Bilderboten ins Ministerium und lass die entscheiden, ob ihr noch Verstärkung braucht."

"Öhm, bis die in London ihre altenglischen Ärsche hochkriegen sind wir locker wieder zurück oder müssen schon gegen die ganzenDrachen kämpfen oder was immer deren Feuer auf einen Schlag rausgeblasen hat."

"Falls McCloud noch lebt, bring ihn bitte mit, damit er uns erzählt, was da gelaufen ist!" bat Connerly seinen Kollegen.

"Glaubst du, der lässt mal eben zwanzig Feuerstöße auf einen Schlag los und bleibt da hocken, bis die verpufft sind? Der hat sich garantiert eine Sekunde davor in Sicherheit gezaubert. Aber sollte er noch in der Gegend sein lade ich ihn ein, mit uns einen auf seinen dollen Streich zu heben."

"Das macht der bestimmt, wo der so gerne feiert", stieß Craig Connerly aus. Lee McFusty grinste. Was wusste sein Kollege schon von den wilden Gelagen im Teinemore-Schloss der McFustys?

Ohne weiteres Wort holte er seinen Flugbesen und suchte sich fünf Leute aus der Unfallumkehrtruppe und zwei aus der Strafverfolgungsabteilung Sektion Schottland, um dem McCloud-Haus einen Besuch abzustatten.

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Waldon McCloud genoss für einige Sekunden die tropische Idylle. Er lag in warmem, weichem Sand. Über ihm erstrahlte die Sommersonne von Hawaii, und zu dem allen machten die an- und abbrandenden Wogen des Pazifiks ihre jahrmillionenalte Musik. McCloud dachte nun daran, welch überfaules Drachenei er denen gelegt hatte, die ihn aus dem Haus vertrieben hatten. Er hatte gegen die Gebote der McFustys, die für McClouds sowieso nicht galten, acht bezauberte Rubine versteckt, die er mit seinem Portschlüssel gekoppelt hatte. In jedem der Rubine hatte er fünf Feuerstöße walisischer Grünlinge eingeschlossen, gerade die Menge, die die roten Edelsteine noch halten konnten. Sie sollten bei einer unangekündigten Ortsversetzung von ihm nach einer Minute alles Drachenfeuer freisetzen, aus acht Richtungen zugleich. Wenn die beiden Hexen schon näher als einen Kilometer an das Haus herangekommen waren wurden die wohl gerade blitzgeröstet oder trieben als lebende Fackeln durch die Luft oder rieselten als Aschewolken auf das Trümmerfeld hinunter, das früher mal McClouds Haus gewesen war. Niemand, so hatte er mit den Mitstreitern der goldenen Waage beschlossen, durfte Morgauses mit zusetzlicher Magie aufgeladenen Kessel bekommen. Wenn er von überstarken Feindinnen, bestenfalls Ladonna oder der schwarzen Spinne, zur Flucht aus dem Haus getrieben wurde, dann würde dessen Zerstörung keine Unschuldige töten. Tja, und jetzt waren es gleich alle beide gewesen, die versuchten, ihm auf die Bude zu rücken. Wie unverwüstlich die schwarze Spinne auch gewesen sein mochte, das Ausmaß von zusammen 40 kraftvollen Feuerstößen walisischer Grünlinge zur selben Zeit konnte auch sie nicht überstehen. Wie feuerverbunden Ladonna als Veelastämmige auch gewesen sein mochte, die Gesamtwucht so vieler freigesetzter Drachenfeuerschläge mochte auch sie nicht überleben. Sicher, die Veelas mochten ihn jetzt für vogelfrei erklären, aber nur, wenn Ladonna noch Zeit hatte, ihren gewaltsamen Tod an ihre Verwandtschaft weiterzumelden. Tja, und der Kessel? Gegen die zeitgleich ausbrechenden Feuerschläge mochte auch er nicht bestanden haben. War er verglüht oder zerschmolzen war er diese Sorge endlich los.

Er stemmte sich aus dem nachgiebigen Sand hoch. Schnell schüttelte und klopfte er sich den Sand aus Kleidung und Haaren. Sicher würde noch was davon in Strümpfen und Schuhen hhängen bleiben. Aber das war das kleinste Übel, das ihm hier noch widerfahren konnte. Er konzentrierte sich auf ein Ziel, dass er nicht direkt ansteuern durfte, wenn er mit einem Portschlüssel reiste, weil dort Taranis' Riegel wirkte. Dann disapparierte er. Nur eine Spirale aus feinkörnigem Sand, sowie die tiefe Einbuchtung, die sein Körper hinterlassen hatte, bezeugten, dass er überhaupt hier war.

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Die in ihrem eigenen Kessel eingeschlossene Morgause war erstaunt, dass der Vernichtungsschlag nicht nur sie, sondern auch die zwei heranfliegenden verschont hatte. Offenbar hatte sich die Hauptwucht der Vernichtung in den Himmel über dem Haus entladen. womöglich gab es in dieser so unerforschten Zeit auch Zauber, die nicht nur das Fliegen auf Holzstecken, sondern auch den Schutz vor überheißen Feuern bewirkte, ähnlich wie der den Kessel schützende Zauber gegen die bekannten magischen Feuerkräfte.

Die zwei Rivalinnen näherten sich. Jetzt erkannten sie sich wohl und wussten nun, dass sie um den Silberkessel der Morgause kämpfen mussten, wollten sie ihn nicht gemeinsam nutzen.

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Sie flogen auf schnellen Besen. Direkt zum McCloud-Haus apparieren wollten sie nicht. Denn das hatte einen bis zu fünf Kilometer reichenden Abwehrzauber gegen alle, die nicht mit Waldon McCloud blutsverwandt waren. Auf direktem Weg anfliegen durften sie es auch nicht, weil im Umkreis von 3,2 Kilometern mehrere kleine Dörfer lagen, in denen insgesamt 5000 Muggel wohnten. Deshalb mussten sie sich einen Weg über die Berghänge und Wälder suchen, um von den Magielosen nicht gesehen zu werden. So würden sie noch zwanzig Minuten brauchen, um das Haus zu erreichen. Lee McFusty hätte die anderen locker abhängen können, weil er den neuesten Feuerblitz flog. Aber die hatten gerade mal die Sauberwisch 12 zwischen ihren Beinen und würden dann immer noch zwanzig Minuten brauchen, um am Haus anzukommen. Als Enkel McFustys war er mit Waldon McCloud teilweise Blutsverwand und könnte in den abgesicherten Bereich hineinapparieren. Doch dann wäre er alleine, was dort auch immer gerade passierte.

"Glaubt ihr, wir finden da noch wen oder was?" wollte Kendrick McWallace wissen, der sich auf Drachenunfälle verstand.

"Zumindest Spuren", erwiderte McFusty.

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"Mein Name ist Waldon McCloud. Erbitte Quartier und Schutzrecht für einen ganzen Mond", sprach Waldon McCloud in eine scheinbar vulkanisch entstandene Felsspalte. Daraufhin verbreiterte sich die Felsspalte so stark, dass er ohne sich durchzwengen zu müssen hineintreten konnte. Sofort danach schloss sich die Spalte hinter ihm bis auf wenige Zentimeter Breite. Er stieg die aus Basaltgestein gehauenen Wendeltreppen hinunter, bis er im fünften Untergeschoss einer in heimlicher jahrelanger Arbeit errichteten Wohn- und Forschungsanlage in einen Korridor abbog, der zu einer aus Mahagony gezimmerten Tür führte, an der ein Schild befestigt war, dass eine goldenfarbene Balkenwaage mit je drei weißen und drei schwarzen Kugeln auf jeder Seite zeigte. Waldon klopfte und sah auf dem Schild: "Waldon McCloud zum Raport eintreten!"

"Oha, zwei Hexen entwischt und dafür die größte Krawallhexe vom ganzen Hochland", dachte Waldon McCloud, als er die matronenhafte Hexe mit der rubinroten Mähne sah, die hinter einem eichbraunen Schreibtisch in einem thronartigen Sessel saß. Laut sagte er: "Oh, hätte ich gewusst, dass du heute die Stallwache hast hätte ich noch eine Flasche von McFustys Drachentränen mitgebracht und einen Kessel mit Haggis."

"So wie du vorgesprochen hast und dem, was dich hierhergetrieben haben muss solltest du lieber froh sein, dass keiner Haggis aus dir gemacht hat, Waldy McCloud", erwiderte die andere, ebenfalls jenen unverkennbaren Hochlanddialekt sprechend, den er benutzte. Eleanor McAleister, auch als Lady Eleanor bekannt, gehörte Waldons Wissen nach zu den schweigsamen Schwestern und zugleich zur goldenen Waage, war Mutter von fünf Töchtern, Großmutter von sieben Enkelsöhnen und vier Enkeltöchtern und Urgroßmutter von zehn jungen Zauberern und sieben jungen Hexen. Wo sie war galt ihr Wort, hatte Waldons Großvater mal gesagt, der mit ihr zusammen in Gryffindor gewohnt hatte.

"Hätte nicht viel gefehlt, und gleich beide Krawalldosen der Gegenwart hätten mich echt zu Haggis verarbeitet, Lady Eleanor. Na ja, fast hätte mich Morgauses Blubberkessel schon vorgekocht. Meine Sicherheitsvorkehrung hat doch nicht lange gehalten. Zu meinem Glück tauchten da gerade sowohl die Spinnenlady als auch die Veela-Mischblütige auf. Entweder haben die von irgendwem gehört, wo der Kessel war oder haben etwas gemacht, um ihn zu finden, was ich nicht mitbekommen habe. Jedenfalls musste ich den ganz schnellen Absprung machen, womit ich den Fall Drachenschlag ausgelöst habe. Wenn wir alle Glück haben sind die zwei Unheilsbräute und Morgauses silberner Rührbottich dabei aus der Welt gebrannt worden. Vierzig zeitgleich erfolgende Drachenfeuerstöße wird auch Morgauses Kessel nicht aushalten."

"Drachenfeuer. o, dann sollten wir dich besser gleich für tot und eingeäschert erklären, damit du nicht noch drachenheißen Krach mit dem alten Angus kriegst", erwiderte Eleanor McAleister.

"Ich habe das Feuer nicht von den schwarzen Lieblingen meines Großvaters, sondern war dafür in Wales", erwiderte Waldon McCloud.

"Ja, und wenn du wirklich die italienische Veela-Ausgeburt aus der Welt gebrannt hast könnten deren überschöne Blutsverwandte meinen, dich zu Gulasch, Cevapcici und Gyros zu verarbeiten, falls die deine Lebensaura mitbekommen haben sollten. Du bist wirklich gründlich darin, Sachen konsequent heftig zu machen."

"Das ist doch dass, was deine Enkeltochter Joana so an mir mag", erwiderte Waldon.

"Sei froh, dass sie mittlerweile wen verlässlicheren gefunden hat, sonst hätte sie dir die Haut abgezogen und einen Dudelsack daraus gemacht", schnaubte Eleanor McAleister.

"Dafür hat sie von Ian McBane drei stramme Dudelsäcke hintereinander ausgeliefert. Quääk!" erwiderte McCloud und dachte daran, dass seine Musikinstrumente ebenfalls in Asche und Rauch aufgegangen waren, darunter der geerbte Dudelsack seines Urgroßvaters aus der McCloud-Linie. Womöglich war es besser, gar nicht mehr zu sterben, weil er sich dann sicher noch was von dem alten Sturmpfeifer würde anhören müssen, dachte McCloud.

"Okay, du sprichst jetzt im ekelhaftesten Cambridge- oder Oxfordenglisch deine Erlebnisse, den Grund deiner Flucht und den Grund für eine Erteilung von Schutzrecht auf diese flotte Feder hier. Bitte nicht mehr als eine Pergamentseite. Unser Vorrat ist hier auf den Aloaa-Inseln nicht so unbegrenzt wie auf Britannien!" sagte Eleanor McAleister.

McCloud diktierte nun seine Erlebnisse angefangen von der Erstarkung des Silberkessels bis zu seiner Flucht ohne ausreichendes Gepäck. Dann legte er die Reste seines Lederarmbandes auf den Tisch, das vorhin noch ein wörtlich auslösbarer Portschlüssel gewesen war. Als Begründung dafür, dass er sich für wohl einen Monat lang totstellen musste gab er an, dass er vermutete, dass die veelastämmige Ladonna Montefiori bei der Vernichtung seines Hauses getötet worden sein mochte.

"Na ja, die könnten schon darauf kommen, deine noch lebenden Vettern und Onkel und Tanten und auch den alten Angus umzubringen, sofern diese Veelabrütige noch die Zeit hatte, dich als ihren Mörder weiterzumelden. Aber auch so werden sie wohl prüfen, ob du bei dieser Aktion gestorben bist. Denn nur dann, so haben wir mittlerweile erfahren, entfällt für die überlebenden Veelas die Pflicht zur Blutrache, weil es ja durchaus auch ein Unfalltod sein könnte, und Rückschaubrillen haben die überschönen Damen aus Südosteuropa sicher nicht zur Verfügung."

"Tja, weil dann, wenn die den zu prüfenden Ort erreichen alles was vor einer oder zwei Stunden passiert ist ebenso unrückschaubar wird, als wenn sie da schon vorher gewesen wären", wusste McCloud.

"Gut, soweit ich die russische Wiedergebärerin und die Dame aus Frankreich verstanden habe wurde dir diese Aktion als letzter Ausweg genehmigt, Waldon McCloud. Dann genieße mal für einen Monat den Traum britischer Bürger von einem Südseeparadies! Denk nur daran, dass du nie ohne Tarnumhang oder ausschließlich in Vielsaft-Trank-Verwandlungen an die Luft darfst. Sonst ist das ganze Schutzrecht für die Müllgrube."

"Versteht sich von selbst", sagte Waldon McCloud.

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Erst waren es zwei, dann drei, dann sieben, dann zwölf Ladonnas, die laut lachend und mit den Zauberstäben und beringten Händen auf Antehlia deuteten. "Am besten gibst du dir selbst den Tod, bevor eine von uns dich erwischt", schrillten drei oder vier der Ebenbilder durcheinander, während sie sich gleichmäßig im Raum verteilten. Anthelia riss ihren silbergrauen Zauberstab hoch und rief: "Katarash!" Ein weißer Blitz strahlte auf und erleuchtete den ganzen Raum. Das siegesgewisse Lachen und Drohen schmolz zu einem lauten Aufschrei. Dieser kam aus dem Mund der nun einzigen Ladonna Montefiori, die gerade ansetzen wollte, Anthelia von schräg hinten mit dem Ring das Leben auszubrennen. Anthelia fuhr so schnell herum, dass die lodernde Schwertspitze den silbernen Kessel streifte. Der Kessel erzitterte und sprühte funken. Das bekam Anthelia jedoch nicht sofort mit, weil sie gerade noch rechtzeitig die Klinge in die Ausrichtung des ihr entgegengestreckten Ringes bekam. Ein blutroter Strahl aus dem Ring fuhr lautlos auf Anthelia zu und traf leise klirrend die brennende Schwhwertklinge. Diese nahm denselben blutroten Farbton an und wuchs auf die anderthalbfache Größe. Rote Funken sprühten von der Spitze weg. Ladonna knallte laut aufschreiend auf den Boden.

"Für eine Königin bist du sowas von feige und hinterhältig wie eine billige zwei-Sickel-Wonnefee, die ihren Freier betäubt, um ihn auszuplündern", spuckte Anthelia ihrer Gegenspielerin entgegen.

"Wieso kannst du das. Wieso kann dieses verdammenswürdige Schwert dem unbesiegbaren Feuer widerstehen?"

"Mädchen, dein Gehör scheint echt durch das Drachenfeuergetöse über uns gelitten zu haben. lass dir erzählen, wer ich bin und dass dieses Schwert eine der mächtigsten Waffen des alten Reiches ist, die von einem wahren Großmeister des Feuers geschmiedet und bezaubert wurde. Am besten wirfst du deinen kleinen Goldring weg, bevor ich ihn dir mitsamt der Hand abhaue."

"Avada Kedavra!" spie Ladonna Anthelia entgegen und zielte mit dem Zauberstab auf sie. Doch sie hielt ihr wieder das Schwert hin. Dieses fing den grünen Blitz ab, flackerte für einen Sekundenbruchteil und loderte dann grüne Funken spotzend auf.

"Ich könnte jetzt dasselbe von mir geben, aber das wäre zu langweilig", erwiderte Anthelia.

"Der Kessel einer Hexenkönigin gehört einer Hexenkönigin, keiner selbsternannten Kronprinzessin!" rief Ladonna. Jetzt sah Anthelia, wie die andere mit der linken Hand etwas aus einer anderen Tasche zog und es zielgenau in den Kessel warf, wo es klirrend liegen blieb. "Ruhm und Erfolg!" rief Ladonna, die gerade noch einmal mit dem zauberstab auf Anthelia zielte. Dann verschwand sie in einer silbernen Lichtspirale.

Anthelia stampfte nun selbst mit dem Fuß auf. Dann blickte sie sich um. Der Kessel war noch da. Doch er wackelte. Silberne Funken sprühten aus seinem inneren empor, versuchten sich immer wieder zu einer Lichtspirale zusammenzufinden. Da begriff Anthelia, dass Ladonna noch einen gemeinen Trick gebracht hatte. Konnte sie die Gegnerin nicht töten wollte sie ihr wenigstens den Kessel klauen. Doch der wehrte sich. Offenbar wirkte seine Magie einem Portschlüssel entgegen, der versuchte, ihn an einen vorbestimmten Ort zu tragen. Anthelia stieg schnell mit dem Freiflugzauber nach oben und sah, wie im inneren des Kessels ein unregelmäßiger Silberbrocken in wilden, mondlichtfarbenen Funken sprühte wie eine Wunderkerze. Offenbar hatte Ladonna es vollbracht, nicht nur einen, sondern viele wörtlich auslösbare Portschlüssel zu zaubern. Natürlich, sie war ja darauf ausgegangen, den Kessel mitzunehmen. Sie wusste, wie groß der war und dass er nicht eingeschrumpft werden konnte. Anthelia musste sich nun selbst schelten, dass sie nicht auf diese Idee gekommen war. Doch als sie sah, dass sich die silberne Lichtspirale erst langsam formte erkannte sie, dass sie mit einem einzigen Portschlüsselzauber wohl keinen Erfolg gehabt hätte. Doch was, wenn der Kessel doch noch fortgetragen wurde? Entweder würde Ladonna ihn oder der Kessel sie unterwerfen. Beides war unbedingt zu verhindern.

"Accio Silberbrocken!" rief Anthelia. Sie wusste, dass Portschlüssel durchaus mit Aufrufezauber bewegt werden konnten ... solange sie nicht ausgelöst wurden. Dies erkannte sie, als der im Kessel fröhlich sprühende Silberbrocken sich keinen Millimeter bewegte. Außerdem füllte die silberne Lichtspirale den Kessel schon zur Hälfte aus. Wenn sie hoch genug wuchs konnte der vielleicht doch verschwinden. Außerdem musste Ladonna den Portschlüsselzauber auf den Mond selbst abgestimmt haben, um dessen Macht in der Nacht besonders stark zu entfalten. Dann sah Anthelia es.

An der bauchigen Außenwand des Kessels zog sich ein kohlschwarzer, etwa einen Zentimeter tiefer und zwanzig Zentimeter langer Riss. Dann erinnerte sie sich, dass sie bei ihrer blitzartigen Parade gegen den ihr hinterhältig entgegengestreckten Todesring mit der Schwertspitze den Kessel gestreift hatte. Bisher hatte sie geglaubt, der sei gegen alle Feuerarten gefeit. Gut, Dämonsfeuer hätte sie noch ausprobieren können. Aber so eröffnete sich ihr ein interessanter Gedanke. Sie stieg im Freiflugzauber noch weiter nach oben. Dann holte sie mit dem immer noch lodernden Schwert Yanxothars aus. Sie wusste, dass das Schwert auch seine Grenzen hatte. Doch vielleicht galten die nicht heute und an diesem silbernen Braukessel da. Sie schlug zu.

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Ladonna Montefiori war wütend. Sie war in die Flucht geschlagen worden, weil die andere zu schnell und ihr wenigstens ebenbürtig bewaffnet gewesen war. Die andere hatte nicht nur ihren Plurimagines-Zauber mit einem einzigen Wort zerstört und ihr damit augenblicklich einen Teil ihrer Körperkraft entrissen, sondern hatte auch mit diesem aus der Hölle dieser Vatikanjünger selbst stammenden Schwert die Feuerrose zerschlagen, die sie für den Fall mitgenommen hatte, um Waldon McCloud oder wen noch sonst zu unterwerfen, ihr den Kessel zu überlassen und sich selbst umzubringen. Diese elende, blassgoldenhäutige Metze hatte ihr in einer Minute drei empfindliche Schläge verpasst. Ja, und jetzt? Eigentlich müsste der Kessel auch hier im Keller der Girandelli-Villa sein, dem einzigen Ort, wohin ihr kein Feind folgen konnte. Doch der Zwilling des von ihr durch Runengravur vervielfachten und gekoppelten Portschlüssels hatte versagt. Der Kessel war nicht zu ihr hingetragen worden. Das war also offenbar der vierte empfindliche Schlag, den sie in dieser einen Nacht hatte hinnehmen müssen. Ja, und dieses Dreckstück wusste, dass Ursina Underwood ihre Dienerin war. Mit diesem Wissen konnte sie ihre Pläne, die englische Hexenheit zu erobern sehr stark gefährden. Sie brauchte nur schlüssig zu beweisen, dass Ursina von ihr unterworfen worden war, auch wenn ihr wohl keiner glauben würde, da sie selbst wohl sehr unerwünscht war.

Dann sah sie, wie dort, wo ihrer Planung nach der Kessel erscheinen sollte silberne Funken sprühten. Es wurden immer mehr. Die Funken bildeten langsam eine immer deutlicher erkennbare Spirale aus erst vereinzelten und immer dichter werdenden Lichtarmen, die im selben Farbton wie der Vollmond schimmerten. Ladonna riss ihre kreisrunden Augen so weit auf, dass ihre Pupillen wie tiefe schwarze Löcher glotzten. Sollte es sein, dass der Kessel doch noch zu ihr hinfand? Sie wusste, dass ein einmal ausgelöster Portschlüssel sich von keiner Zaubermacht und keiner körperlichen Kraft mehr bewegen ließ. Das hieß, dass dieses Weib im scharlachroten Zweiteiler nun zusehen musste, wie ihr der Kessel langsam entglitt. Ladonna kicherte erst wie ein Schulmädchen. Dann lachte sie laut auf, weil die silberne Lichtspirale immer klarer und höher vor ihr erschien, wenn sie doppelt so hoch wie der Kessel war musste der wohl folgen, auch wenn Morgauses Magie sich noch so sehr dagegen wehrte.

Immer deutlicher wurde die Lichtspirale. Gleich war der Punkt erreicht, an dem sie doch noch einen Triumph hinausrufen konnte. Dann flimmerte die Luft, und von einer Sekunde zur anderen tauchte etwas großes, glitzerndes auf. Der silberne Kessel der Morgause verstofflichte sich.

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Es mochte entwürdigend sein, die Beute der Siegerin sein zu müssen. Doch die in ihrem eigenen Kessel eingeschlossene Seele Morgauses genoss den wilden Kampf der Rivalinnen, der ihretwegen ausgefochten wurde. Die zwei kümmerten sich nicht darum, dass sie von glühenden und qualmenden Trümmern umringt waren und jederzeit jemand diesen Ort erreichen mochte. Die Frau mit der Ausstrahlung einer großen Spinne beherrschte sogar einen Zauber, um viele Trugbilder auf einen Streich zu zerstreuen. Dann hatte sie gefühlt, wie die, die mit einer kleinen auf ihren Geist geprägten Waffe Blitze und Feuerwände schaffende etwas in den Kessel hineinfallen ließ, das sich immer mehr in das von Kobolden gearbeitete Silber hineintastete. Morgause argwöhnte einen ähnlichen Zauber wie den, den der Feigling Waldon McCloud zur Flucht benutzt hatte. Dann bekam sie mit, wie die von Mokushas Brut abstammende einfach so verschwand. Hieß das, dass sie den Kampf aufgegeben hatte? Nein, denn das im Kessel immer stärker wirkende Etwas mochte ihn gleich davonreißen und zu ihr hinbringen. Das erkannte wohl auch die andere. Sie hob ihre das Feuer bündelnde Waffe und schlug zu.

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Es klirtte laut und zischte. Laut prasselnd sprühten orangerote Funken. Dann schepperte es silberhell. Ein lauter, metallisch nachhallender Aufschrei erklang aus dem von silbernen Lichtarmen erfüllten Kessel. Anthelia blickte schnell auf ihr Schwert. Es war unversehrt geblieben und loderte nun wieder in orangeroten Flammen.

Dann eben so!" rief Anthelia und holte erneut aus. Wieder traf die brennende Klinge den Kessel am oberen Rand. Erneut schnitt der Streich ein Stück heraus. Abermals erklang ein lauter, metallischer Aufschrei. Dann sah Anthelia eine nebelhafte Erscheinung, die aus dem Kessel quoll.

"Du Verräterin am eigenen Geschlecht. Du Hure! Du wirst dafür sterben!" schrillte eine geisterhaft verwaschene, metallisch nachallende Stimme aus dem nebelartigen Mund einer risenhaften Erscheinung jener Hexe, die sich damals den Kessel hatte schmieden lassen, um ein Gegengewicht zum Zauberschwert Excalibur zu bilden. "Wie kannst du es wagen, die Kräfte von Wasser, Blut und Mond zu verhöhnen?" schrillte Morgauses Stimme. Gleichzeitig fühlte Anthelia, wie der Druck auf ihren immer noch errichteten inneren Schutzwall anstieg. "Dafür töte ich dich, Frevlerin. Dein Fleisch soll den Vögeln und Würmern zum Fraße fallen und ..." Klong! Mit einem neuen Streich traf Anthelia den oberen Rand des Kessels und hieb ein noch größeres Stück heraus. Dann schlug sie in die bauchige Außenwand und trieb ein Loch in den Kessel. Funken sprühten, und die in seinem inneren aufstrebende Lichtspirale rotierte etwas schneller. Anthelia begriff, dass sie mit jeder Beschädigung dem Portschlüssel half. Wenn sie nicht schneller machte würde ihr der Kessel entgleiten. So hieb sie nun mehrmals zu, schlug vor allem dort Stücke aus der Außenwand, wo bereits Stücke fehlten. "In dir wird niemand mehr was brauen!" schnaubte Anthelia in altkeltischer Sprache und brach mit zwei sauber geführten Streichen ein weiteres Stück aus dem Kessel heraus. Doch nun sprühten die Funken noch schneller und mit einem Mal löste sich der Kessel in silbernem Licht auf. Auch Morgauses Erscheinung verschwand mit einem letzten schmerzhaften Aufschrei.

"Tja, mit diesem Kessel wirst du nichts mehr anfangen, Bambina mia!" knurrte Anthelia. Dann besah sie sich ihr Schwert noch einmal. Sie atmete auf, dass es selbst nicht schartig geworden war und die Flammen genauso loderten wie sonst auch.

"Du hättest dich nur hineinlegen müssen und sie im Kampf der inneren Daseinsformen besiegen müssen, so wie mich", wisperte Yanxothars Stimme in Anthelias Geist.

"Und du meinst, ich hätte gesiegt?" fragte Anthelia. Doch darauf erhielt sie keine Antwort. Das wunderte sie irgendwie nicht.

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Der Kessel erschien in einem Funkenwirbel. Doch wie sah er aus? Am oberen Rand fehlten große Stücke, in seiner Wand klaffte ein Loch, und er glänzte nicht mehr so blank wie vorhin. Ja er lief immer dunkler an. Ladonna starrte mit schreckgeweiteten Augen auf den beschädigten Kessel. Wie konnte das geschehen. Es hieß doch, dass nicht einmal Drachenfeuer ihn zerschmelzen konnte. Selbst ihr Rubinring hatte nur rote Blitze erzeugt, die vollständig von dem Kessel zurückgeworfen worden waren. Dieses verdammte Schwert. Ja, damit hatte die es getan. Dieses Schwert konnte Feuerzauber, welche dem Kessel schaden konnten. Und jetzt fing der auch noch an zu zittern und zu beben. Silberne, rote und violette Funken sprühten heraus. Ladonna fühlte mit den Sinnen einer Veelastämmigen, dass sich die Kräfte im Kessel gerade in wildem Aufruhr befanden. Sie riss die beringte Hand vor ihr Gesicht und zischte "ignis protectivus!" Wieder wurde sie in eine blutrote Lichtblase eingeschlossen. Nun sah sie, wie der Kessel unter immer mehr Funkenentladungen und einzelnen Blitzen auf und abhüpfte. Dann passierte es.

Mit einem für ungeschützte Ohren viel zu lauten Donnerschlag barst der Kessel in Millionen glühender Stücke, die laut pfeifend und sirrend durch das Labor schossen und wo sie in Regale einschlugen kleine Feuer entfachten, die jedoch nur eine Sekunde lang brannten. Dann hatte der Blutfeuernebel die Flammenbildung gestoppt. Wo die unzähligen Scherben auf Ladonnas Schutzaura trafen wurden sie als wimmernde und weißglühende Querschläger abgeprellt und schlugen ebenfalls in Wände, Decke und Regale ein. Mehrere von Ladonnas eigenen Zaubertrankkesseln wurden regelrecht durchsiebt und damit unbrauchbar. Dann war der Aufruhr vorbei. Morgauses silbernen Kessel gab es nicht mehr.

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Erst die Schmerzen der in ihren starren Leib eindringenden Feuerklinge. Das Entreißen von größeren Stücken aus ihr. Dann dieses befreiende Gefühl, frei im Raum zu treiben. Dann kam der Schmerz des berstenden Körpers und die dabei in sie selbst einschießende Urkraft. Das war wie eine Geburt, bei der sie zugleich Mutter und Tochter gewesen war. Nun konnte sie wieder mit Augen sehen, mit Ohren hören. Doch sie fühlte sich leicht und frei. Sie schwebte. Dann sah sie die andere, die mit dem glimmenden Ring an der linken Hand, die, die eine unerträglich kraftvolle Ausstrahlung besaß und Haare so schwarz wie die Nacht besaß. Doch der alten britischen Zauberin war auch klar, dass sie nun einen Großteil ihrer Macht verloren hatte. Denn ohne den Kessel konnte sie keinen ihr gefälligen Zauber mehr ausführen lassen.

"Mieses Dreckstück!" fluchte die Mischblütige im schwarzen Gewand in einer Sprache, die jener der römischen Eroberungsstreitmacht ähnelte. Dann sah die andere wohl sie. Also hatte sie eine sichtbare Erscheinung. "Verdammt, du bist ein Nachtschatten. Bleib mir ja vom Leibe, im Namen von Sonne und Feuer!" befahl die andere und streckte ihre beringte Hand aus. Morgause sah die zwei dünnen roten Strahlen, die auf sie zuschnellten und unerträglich schmerzvoll durch sie hindurchstießen. Sie fühlte, wie etwas von ihr bei diesem Angriff verzehrt wurde und erkannte, dass ihr diese Waffe gefährlich werden konnte, wenn sie nicht schnell genug war. Sie riss ihre Arme und Beine vor ihren Körper und ballte sich zusammen. Doch die andere führte ihre Hand mit dem verfluchenswerten Ring nach. Da rief Morgause: "Halte ein, Schwester! Willst du dich auch noch mit mir streiten und dabei alle Möglichkeit vergeben, mit mir die Herrschaft aller machtvollen Frauen zu erringen?"

"Du bist Morgauses Geist?" fragte die Frau mit den schwarzen Haaren nun gänzlich in der Sprache der Römer. "Dann warst du wahrhaftig in deinem eigenen Kessel eingesperrt. Glückwunsch, Schwester! Willkommen im Verein der ihre eigene Seele aufbewahrenden. Doch du hast dir die falsche Endform ausgesucht. Ich hätte dir sicher gerne einen lebenden Körper verschafft, in den du hättest schlüpfen können. Aber als niederer Nachtschatten schadest du mir mehr als du mir nützt, weil dein Hunger auf Seelen dich irgendwann doch überwältigen wird und du nach meiner Seele oder der einer Mitschwester gieren wirst. Deshalb kann ich dich leider nicht in dieser Welt belassen. Sei zumindest beruhigt, dass ich dein Ende rächen werde."

"Dein Ring ist mächtig. Aber du bist nicht schnell genug für mich", knurrte Morgause und jagte schneller als ein Faustschlag zur Decke hinauf, wo sie sich zu einer schwarzen Wolke aufblies und niederfiel. Doch die andere war schnell. Sie riss ihren tödlich gefährlichen Ring in Morgauses Flugbahn und löste dessen rote Nadelstrahlen aus. Morgause schrie auf, als sie von beiden Strahlen zugleich durchbohrt wurde. Wieder fühlte sie, wie etwas von ihr zerschmolz wie Butter in der Bratpfanne. Sie wich aus und bekam noch einmal beide Strahlen zugleich in ihren feinstofflichen Körper. Sie erkannte, dass sie diese Angriffe nicht mehr länger aushalten würde. Sie dachte an Flucht. Weil sie stark genug war reichte dieser eine Gedanke aus, sie schneller als ein Blitzschlag von diesem Ort fortzubringen, dorthin wo es gerade dunkel war und keine Sonne hingelangte.

Da sie nicht mehr atmen musste fand sie ganz lautlos wieder zu sich hin. Die andere hatte sie nicht verfolgt. Sie war ihr also entkommen. Doch das war kein Grund zum Triumph, sondern eine schmachvolle Erkenntnis. Denn sie hatte fliehen müssen, die andere nicht unterwerfen oder töten können. Sie war nun eine gehetzte, rastlose Seele, die alle Welt zum Feind hatte. Sie kannte die Natur der nachtschwarzen Seelen, die auch als Nachtschatten bezeichnet wurden. Wohl warh, sie gierten nach der Kraft von verkörperten oder ruhelosen Seelen und flohen großes Feuer und vor allem das Sonnenlicht, da es sie genauso verbrennen konnte wie die langzähnigen bleichen Blutsauger. Welch ein Abstieg war ihr widerfahren. Sie wollte einer neuen Herrin über alle Hexen beistehen, ja mit Hilfe eines von ihr gelenkten Körpers selber wieder wirken. Doch nun war sie nur ein Spuk, eine entkörperte Ausgeburt der Nacht, unfähig, einen Zauberstab zu führen oder in einem Kessel zu rühren. Doch dafür sollten die büßen, die sie in diesen Zustand versetzt hatten, die mit dem Feuerschwert, die ihren Kessel schwer beschädigt hatte und die mit dem Ring. Sie würde zur Herrin der ruhelosen Seelen werden, ja auch die langzähnigen Blutsauger in Furcht und Schrecken versetzen, bis diese ihr dienten. Vielleicht konnte sie sich im Körper einer solchen bleichen Kreatur einnisten, wo sie doch in gewisser Weise mit diesen Wesen artverwandt war. Doch dafür musste sie erst wieder mehr Kraft und Bestand haben, also arglose Seelen in sich einsaugen. Bei der Gelegenheit würde sie auch neues Wissen erwerben und mehr über die Zeit erfahren, in der sie aus ihrer selbstgewählten Abgeschiedenheit erweckt worden war. So wünschte sich Morgause aus ihrer vorübergehenden Zuflucht hinaus in die Länder der Erde, in denen gerade Nacht herrschte.

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Angus McFusty schrak aus dem Schlaf auf, weil seine rechte Handinnenfläche brannte. Mit Entsetzen sah er, wie das rote X wie ein Stück Kohle glühte. McFusty rang darum, nicht vor Schmerz aufzuschreien oder auch nur eine Träne zu vergießen. Das Mal des geleisteten Eides brannte wie Feuer in seiner Hand. Das hieß, dass sein Eid unmittelbar vor dem Bruch stand. Aber das konnte unmöglich sein! Sein Enkel hatte das Haus doch gegen dunkle Hexen abgesichert. Doch die erbarmungslose Glut in seiner Hand blieb bestehen. McFusty wusste, dass wenn der Eid wahrhaftig gebrochen wurde, dass er nur noch eine Woche zu leben hatte, gerade genug Zeit, um alle Würden und Bürden auf seinen Erstgeborenen zu übertragen. Neben der Pein und die Frage, wieso sein Eid nicht bestehen konnte quälte ihn auch die Frage, wer an seinem Sarkophag in der tief unter Schloss Teinemore angelegten Gruft das Lied von der Reise ins Licht aufspielen würde. Sein Erstgeborener hasste Dudelsackmusik. Immerhin spielte er Harfe und Flöte. Und was war mit Waldon? Lebte der noch oder war er schon tot? Eine kleine Genugtuung würde er jedoch haben, dass der alte McCloud, mit dessen zweitgeborenem Sohn er seine Tochter verheiratet hatte, um die alte Blutfehde mit den McClouds endlich auszuräumen, keine Sekunde länger als er auf dieser Erde weilen würde. dessen Erstgeborener würde sich dann mit seinem Bruder darum zanken dürfen, wer Schuld am Tod des alten Häuptlings haben mochte.

Jetzt begann das rotglühende Mal in Angus Hand wild zu pochen, glomm noch heller auf. Damit stand fest, dass der Eid gebrochen war. Der verhüllte Führer, wie die Zauberer Schottlands den Tod als Personifikation bezeichneten, würde also in einer Woche nach Schloss Teinemore kommen um ihn nach nur 124 erlebten Jahren abzuholen. Immerhin diese Gnadenfrist gewährte der graue Stein von Glen Murdoch.

Unvermittelt strahlte die X-Förmige Narbe in Angus Hand weiß auf und jagte ihm so wilde Schmerzen durch den Leib, dass er nicht mehr an sich halten konnte. Er schrie laut auf. Seine Frau Cliodna erwachte davon und drehte sich ihm zu. Er schaffte es nicht, etwas zu sagen. Doch sie sah das weißglühende Mal in Angus' Hand und verstand. Dann sprühten rote Funken aus dem glühenden Wundmal hervor und flogen leise knisternd im Schlafzimmer herum. Schlagartig verklangen die unerträglichen Schmerzen. McFusty meinte, dass jemand ein Stück Eis auf seine gezeichnete Handinnenfläche presste. Sein Arm schlenkerte von drei starken Krämpfen geschüttelt. Dann waren die Qualen verflogen. Das Wundmal sprühte keine Funken mehr und glühte auch nicht mehr. McFusty hob den Arm, der sich gerade dreimal so schwer anfühlte und führte ihn schwerfällig zu seinem Nachttisch, auf dem sein Zauberstab aus Eiche und der Herzfaser eines alten Männchens der schwarzen Hebriden lag. Er schaffte es, die stark geschwächten Finger um den Stab zu schließen und den Stab selbst anzuheben. "Lumos Maxima!" stieß Angus aus. Ein taghelles Licht erstrahlte an der Zauberstabspitze, so hell wie vorhin die Glut seines Wundmales. Er ließ den Zauberstab in die linke, noch gut bewegliche Hand gleiten und besah sich das Zeichen seines Schwures.

In der rechten Handinnenfläche erkannte er ein kohlschwarzes X. Dann sah er, dass feine Asche von dem Zeichen auf seine Leinenbettdecke rieselte. Als alle Asche von seiner Hand abgefallen war konnte er nur noch eine bleiche, kaum wahrnehmbare Narbe erkennen. Das rote Mal war zu einem beinahe verschwundenen weißen Mal geworden. Auch dieses Zeichen erkannte er. Sein Eid war gebrochen worden, jedoch sogleich unwirksam geworden. Das konnte nur heißen, dass der Grund des Schwures nicht mehr vorhanden war. Das wiederum konnte nur heißen, dass Morgauses Kessel in dem Moment zerstört wurde, als eine dunkle Hexe Hand auf ihn gelegt hatte. Somit hatte sie ihn nicht mehr für ihre Zwecke einsetzen können. Das hieß aber auch, dass sowohl er als auch Ian McCloud nicht sterben würden. Sicher, ihre Zauberstabarme waren wohl durch den Aufruhr der Eideszeichen geschwächt. Doch sicher ließ sich das mit den richtigen Heiltränken und der nötigen Übung wieder Beheben. Doch die nicht minder brennende Frage blieb, was mit seinem Enkel geschehen war. Hatte der sein Leben opfern müssen, um Morgauses Silberkessel zu vernichten? Das musste er schnell herausfinden, wenn er die nächsten Nächte friedlich schlafen wollte.

"Was ist dir passiert, Angy?" fragte Cliodna sehr besorgt und deutete auf Angus' rechte Hand. "Der Eid, den ich auf den Stein von Glen Murdoch geschworen habe, ist erloschen, Clio. Aber jetzt muss ich rausfinden, was mit Annis' Sohn passiert ist", sagte Angus McFusty.

"Wehe dir, Angus McFusty, du hast ihn in etwas hineingetrieben, dass ihm übel bekommen ist", grummelte Cliodna. Entgegen der von Angus gerne bei den anderen Clanhäuptlingen verbreiteten Behauptung, er habe die Ehe zwischen seiner Tochter Annis und Ians zweitem Sohn Bruce arrangiert war es eigentlich seine Frau Cliodna gewesen, die die Verbindung zwischen den McFustys, Galbraiths, McClouds und McLaggans gefördert hatte, nicht um eine alte Blutfehde zu beenden, sondern weil sie Enkelkinder mit den Gesichtern der McClouds und den Augen ihrer Mutter Gwiona auf der Welt haben wollte. Allerdings hatte Annis nach der Geburt von Waldon wohl die Lust am Kinderkriegen verloren und wohl was gemacht, um nicht noch einmal schwanger werden zu können. Ja, und in den Wirren des ersten Krieges mit den Todessern war Annis von dieser dicken Furie Alecto Carrow mit einem glühenden Messer aufgeschlitzt worden, weil Annis sich nicht auf die Seite des Unnennbaren stellen wollte. Falls also Waldon wegen irgendwas, dass ihr Mann Angus ihm aufgeladen hatte, gestorben sein sollte, durfte der demnächst in der Höhle einer seiner Lieblingsdrachen weiterschlafen.

Angus McFusty ärgerte sich, weil er seinen rechten Arm gerade nicht richtig gebrauchen konnte. Dennoch machte er sich mit seinen beiden Neffen auf, Waldons Haus anzufliegen. Die Wut wuchs noch mehr, Dann erfuhr er noch, dass sein Enkelsohn Lee mit einer Aufklärungs- und Katastrophenumkehreinheit ausgerückt war, das McCloud-Haus zu untersuchen. Er erteilte ihm per Gedankensprechen den Befehl, nicht zum Haus zu fliegen. Doch der Bursche verweigerte den Gehorsam. Das machte den Patriarchen der McFustys sehr zornig. So musste er also selbst hinfliegen.

als er eine halbe Stunde später erfuhr, dass Waldons Haus in einem Sturm aus freigesetztem Drachenfeuerkonzentrat vernichtet worden war und zu allem Übel noch ein Unortbarkeitszauber den Zeitpunkt überlagert hatte, zu dem dieses künstliche Höllenfeuer entfacht worden war. Das konnte nur heißen, dass die schwarze Hexe aus Italien, diese von Veelas und Sabberhexen abstammende Kreatur, Waldons Haus heimgesucht hatte. Woher zur Urmutter aller Drachen hatte die gewusst, dass sie dort was sehr interessantes finden konnte? Wie war die an den Kessel herangekommen? Hatte ihre Berührung des Kessels den Feuersturm ausgelöst, den Waldon garantiert für diesen ach so unwahrscheinlichen Fall vorbereitet hatte? Hatte Waldon dafür sein Leben geben müssen, um diese ultimative Zauberei auszulösen? Wieso hatte der es gewagt, Drachenfeuer einzulagern, wo das allen McFusty-Nachfahren streng verboten war? Dieser Bursche hatte allen ernstes gegen ein Gesetz des Clans verstoßen. Wenn er dabei wirklich gestorben war würde Angus' Vater Siomas dem aber nun gehörig die Meinung sagen und seinen Geist in den Körper eines Lammes hineinpressen, dessen Innereien zu Haggis verhackstückt werden würden. Ja, das würde diesem Frechling garantiert widerfahren, dachte Angus. Doch dabei fiel ihm drachenfeuerheiß ein, dass er selbst nun keine Ruhe mehr haben würde. Denn Waldon war Cliodnas Lieblingsenkel gewesen. Sie würde ihm das bis zu seinem nun doch nicht schon in einer Woche bevorstehenden Tod oder bis zu ihrem eigenen Tod um die Ohren hauen, vielleicht sogar deshalb nicht ins Totenreich hinübergehen, sondern als Geist in der Welt bleiben, um ihn immer und immer weiter damit zu bestürmen, dass er Waldons Leben auf dem Gewissen hatte. Sein Vater war vor dreißig Jahren mit 140 Jahren beim Schlichten einer Drachenrauferei gestorben. Angus war gerade erst 124 Jahre alt. Das hieß, er konnte noch mindestens vierzig oder noch mehr Jahre lang von seiner Angetrauten wegen Waldon beschimpft und gepiesackt werden. Da wäre es ihm lieber gewesen, dass diese Veela- und Sabberhexenbrütige den Kessel unversehrt in die Hände bekommen hätte.

Zwei Stunden später erfuhr er, dass Waldon noch leben musste. Denn auch wenn über dem Haus ein Unortbarkeitszauber gewirkt hatte konnten die nachträglichen Messungen feststellen, dass die 40 gleichzeitig losgelassenen Feuerstöße von Drachen erst bei Abwesenheit eines bestimmten Blutträgers erfolgten.

Angus traf sich am Abend dieses Schicksalstages noch mit Ian McCloud in der Beratungshöhle. Beide zeigten ihre gerade geschwächten Arme und die langsam verbleichenden Eidesmale vor. "Da sind wir dem verhüllten Führer aber noch so unter der Schlinge weggetaucht, Angus", scherzte Ian mcCloud. Der oberste Hüter der schwarzen Hebriden nickte verdrossen und erwiederte:

"Ja, und wenn wir das mit dem Zeitverzögerten Auslöser bei Abwesenheit bestimmten Blutes nicht mitbekommen hätten könnte ich mich glatt selbst ins Claymore stürzen."

"Wer sagt dir altem Drachenreiter, dass Waldon noch lebt? Soweit ich mitbekam war zum Zeitpunkt, wo diese höchst durchschlagende Drachenfeuerentladung stattfand ein Unortbarkeitszauber wirksam. Der überlagert meiner Kenntnis nach auch den Kraftstoß, wenn einer stirbt. Ich weiß wenigstens von meinem Sohn, dass er Waldon nicht mehr findet. Das kann auch heißen, dass er tot ist."

"Willst du etwa, dass dein Enkel tot ist, Ian?" schnaubte Angus.

"Natürlich nicht, beim Dudelsack meines Großvaters Evan, der in diesem Feuer auch vergangen ist, Angus. Aber ich will mich auch nicht zu lange an eine schwache Hoffnung klammern. Es gibt zu viel, was wir tun müssen, um zu lange auf jemanden zu warten oder ihm nachzutrauern."

"Dein Enkel hat McFusty-Blut in den Adern. Wenn er tot ist kommt er in die Familiengruft der McFustys, auch wenn nur noch Asche von ihm übrig ist", erwiderte McFusty.

"Blas dich nicht auf, Angus. Denn Waldon ist der einzige Sohn meines zweiten Sohnes und wird deshalb über dem Hochland verstreut, wie alle meine Vorväter und wie es mir auch einmal vergönnt sein wird."

"Das vergiss ganz schnell wieder! Denn sollte Waldons Asche die Wiesen düngen könnten die McTavishs und McEthans glatt noch ihre eigenen Rinder von dem mit ihm gedüngten Gras fressen lassen. Am Ende wird der noch von einer deren rot-schwarzen Langhaarviecher wiedergeboren. Nix da. Dessen Asche wird zur ewigen Ruhe in unserer Gruft gebettet, umgeben und behütet von den Geistern meiner Vorväter", erwiderte McFusty.

"Angus, vergeh dich nicht gegen die Gesetze der großen zwanzig! Dies ist die Höhle der Zusammenkunft und Beratung. Wenn wir uns hier streiten könnte uns die Erde verschlingen oder ein Blitz erschlagen, je danach, welchem der altdruidischen Götter wir als erstes auf die Nerven gehen. Deshalb shlage ich vor, dass deine und meine Leute die Brandstelle nach Asche von Waldon und wem sonst noch absuchen. Erst wenn wir welche finden, die eindeutig von Waldon stammen, können wir hier in der Höhle mit allen seinen Verwandten beraten, welches Beisetzungsverfahren ihm zu teil werden soll."

"Ja, Beisetzung. Will sagen, er wird bei etwas oder jemandem hingesetzt und nicht wie Düngemittel über Viehweiden verstreut", erwiderte Angus McFusty. Der Boden erzitterte. "Ui, ich sagte es doch", bemerkte Ian McCloud.

"Gut, lassen wir nach Waldon suchen. Wenn wir ihn finden kriegen wir raus, wie er bestattet wird. Dann sprechen die Schwerter."

"Ich schlage mich doch nicht mit einem alten Mann auf Leben und Tod", erwiderte Ian, der fünfzig Jahre jünger als McFusty war.

"Allein diese Frechheit darf nicht ungesühnt bleiben", knurrte Angus McFusty. Wider bebte der Boden in der Höhle. "Gut, dann werde ich deinen Kopf neben den Schädel von Aleister McTavish hinstellen, wenn du den unbedingt loswerden willst, wo ihr und die McTavishs doch so gut befreundet seid", grummelte Ian McCloud. Dann winkte er Angus mit der linken Hand zu und verließ die Beratungshöhle.

"Dein verdorbener Schädel kommt bei mir über den Kamin, falls Waldon tot ist", knurrte Angus. Dann verließ auch er die Beratungshöhle.

"Ceridwen hat mir gemelot, dass Schottland gegen Peru spielen wird", begrüßte Cliodna ihren Mann, als der zurück auf Schloss Teinemore war.

"Oha, die Südamerikaner sind immer noch gut. Hoffentlich haben unsere Leute an dem Tag genug Felix Felicis im Morgentee."

"Angy, du weißt genau, dass der Trank bei Wettkämpfen verboten ist", zischte Cliodna McFusty geborene Galbraith. Ihr Mann brummte nur verächtlich.

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"Echt, diese Brillen können jetzt voll an herrenlose Crups und Niffler verfüttert werden", schimpfte Lee McFusty, als er mit seinen Leuten außer angerußten Grundmauern und einem deckenlosen Keller voller erstarrter Schlacke nichts und niemanden mehr fand und mit der Rückschaubrille nichts als schwarzen Nebel zu sehen bekam, was für eine Unortbarkeit zum fraglichen Zeitpunkt stand. "Und wo ist eigentlich dieser McCloud. Der sollte uns mal gerne erklären, was er hier so getrieben hat. Hoffentlich ist er nicht tot. Denn ins Jenseits will ich nicht, um den zu interviewen", sprudelte es weiter aus Lee McFustys Mund.

Als dann noch sein Großvater mit zweien seiner Söhne anrückte und Lee vor seinen Kollegen herunterputzen wollte, dass der sich gegen den Befehl seines Clansoberhauptes vergangen hatte war für Lee McFusty der Tag schon gelaufen, noch ehe die Sonne überhaupt aufging.

"Jetzt mal zwei Dinge für gerade altgediente Zauberer von den Hebriden: Das Ministerium ist dafür zuständig, Unruhen, magische Vorkommnisse und Zauberkatastrophen zu untersuchen und auch zu erfahren, wenn jemand was ganz geheimes irgendwo im Keller hatte. Zweitens kann ich mich an keinen mit meinen Ohren gehörten Befehl erinnern, den du mir erteilt hast, als wir uns das letzte mal sahen, Großvater Angus. Also, wenn du was für die Akten ab Geheimstufe s7 zu sagen hast tu es bitte jetzt, bevor Minister Shacklebolt auf die unschöne Idee kommt, das vor dem Gamot verhandeln zu lassen, was hier heute Nacht los war!"

"Laddy, du willst mir nicht wirklich drohen, willst du nicht", schnaubte Angus McFusty. Dann tauchte noch der Leiter der Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe mit seinem Zauberwesenbehördenleiter auf.

"Leute, hier war eine natürliche Unortbarkeit. Also war hier entweder unsere neue Superfeindin, die sich als Göttin der Vampire ausgibt, oder hier war eine der Abgrundstöchter oder eine von den Veelastämmigen. und das geht das Ministerium auf jeden Fall etwas an, Mr. McFusty, Angus. Gerade was die Veelastämmigen angeht ist der Minister in letzter Zeit sehr hellhörig. Denn da läuft eine herum, die Veelablut in den Adern hat und auch eine verdammt mächtige Hexe ist. So, und jetzt darf sich der erhabene Clanshäuptling Angus McFusty überlegen, welches Schreckensszenario ihm lieber ist."

"Die kann hier nich' gewesen sein, Amos. Die konnte das nicht wissen, dass hier ... Neh, nur im Büro und unter Garantie der Geheimhaltung", schnaubte Angus McFusty.

"Dann mal los, wir sind beide wach genug", meinte Amos Diggory. "Ach ja, Mr. Waldon McCloud schreiben wir dann besser auch auf die Vermisstenliste. Wenn er irgendwo wieder auftaucht möchte er sich unverzüglich bei Mr. Weasley und mir melden."

"Wieso bei Ihnen, Amos?" wollte Angus McFusty wissen. "Wenn hier wahrhaftig ein unortbares Wesen herumgelaufen ist könnte es jetzt hinter ihm her sein, weil es vielleicht noch was von ihm wissen will oder ein Verwandter von ihm, weil es bei dem, was hier das Haus von der Landkarte gestrichen hat umgekommen ist. Veelas betreiben Blutrache, auch wenn es keine reinrassigen Verwandten sind. Also sollte Mr. McCloud, wenn er nicht tot ist, sofort zu uns kommen, bevor ihn wer auch immer erwischt", sprach Amos Diggory.

"Geht klar", grummelte Angus McFusty, der sich gerade nicht als der über allem stehende und alles regelnde Clanshäuptling fühlte. Denn wenn sein Enkel Waldon wahrhaftig die Blutrache der Veelas auf sich gezogen hatte, dann galt diese auch für den gesamten Clan der McFustys, McClouds, die Familie Galbraith und den Clan der McLaggans. Keine wirklich sommerlichen Aussichten.

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Anthelia betrachtete das dunkel angelaufene Bruchstück, das sie aus Morgauses mächtigem Zauberkessel herausgeschlagen hatte. Sie interessierte sich dafür, wie die Kobolde es zusammen mit menschlichen Thaumaturgen hergestellt hatten. Sicher war die scheinbar so unverwüstliche Magie entwichen. Aber zu prüfen, ob es nur blankes Silber war oder noch etwas anderes, vielleicht sogar Orichalk, machte sie als Erdvertraute neugierig. Was mit Morgauses im Kessel gebannter Seele passiert war wusste sie nicht. Sie konnte sich jedoch vorstellen, dass die Beschädigung des Kessels auch deren Kraft geschwächt hatte und Ladonna jetzt einen beseelten Kessel ohne praktischen Nutzwert bei sich hatte, sofern der Kessel nicht wegen der schweren Beschädigung restlos zerstört worden war. Denn sowas kannte sie auch aus Naaneavargias Ausbildung.

"Höchste Schwester, tut mir leid, dich zu stören. Doch du solltest es wissen. Vorhin haben Proserpina Drake und zwei andere der Entschlossenen den halb verkohlten Leichnam von Ursina Underwood gefunden", mentiloquierte eine der Relaismentiloquistinnen, die Nachrichten aus Europa entgegennehmen konnte.

"Nachricht an Schwester Fiona: Das geht wohl auf meine Rechnung, weil ich dieser schwarzen Möchtegernkönigin unter die Nase gerieben habe, dass ich von ihrer Dienerin Ursina wusste. Da hat sie sie wohl wie einen Eidechsenschwanz abgeworfen", schickte Anthelia zurück. Einerseits bedauerte sie es, dass eine fähige Hexe hatte sterben müssen. Andererseits war Ursina es auch selbst schuld, dass sie sich nach Daianiras Aufbegehren gegen das Bündnis der Schwestern nicht erneut zu ihr bekannt hatte. Außerdem hatte sich Ladonna Montefiori damit selbst einer wertvollen Dienerin beraubt. Doch Anthelia war nicht naiv. Sie wusste, dass die Rosenkönigin weiterhin dort draußen ihre Ziele verfolgte, weil sie, die Spinnenhexe, sie nicht getötet hatte, wo sie die Gelegenheit gehabt hatte. Doch was hatte sie selbst schmerzvoll lernen müssen: Mit einer schweren Niederlage leben zu müssen war oft qualvoller als ein schmerzvoller Tod. Zwar hatte Ladonna diese Lektion schon vor vierhundert Jahren von Sardonia erhalten. Doch jetzt hatte auch sie, die Erbin Sardonias, dieser selbsternannten Hexenkönigin die Grenzen ihrer Macht aufgezeigt. Allerdings mochte sie nun wie ein verwundetes Tier noch gefährlicher um sich kratzen und beißen. Ursina war sozusagen das erste Opfer dieser Verzweiflungstaten. Welche würden noch folgen?

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"Einerseits bin ich sehr froh, dass ich endlich aus dieser ständigen Erinnerungsschleife herausgefunden habe und wieder frei und eigenständig denken und weiterleben kann", sagte Elysius Davidson, als er am dritten August hochoffiziell seinen alten Posten wieder antreten konnte. "Andererseits bedauere ich es sehr, dass mir durch diesen unverzeihlichen Ausrutscher mit dem Gedächtniszauber so viel Zeit verlorengegangen ist und in dieser Zeit ein halber Weltuntergang stattgefunden hat. Ich möchte nur klarstellen, dass ich es der sich weiterhin nicht offiziell zurückmeldenden Kollegin Jane Porter verzeihe, dass sie meine Autorität angezweifelt hat, was ihr Fortbleiben und das Verhältnis zu den Sonnenkindern angeht. Ich muss mich ebenso dazu bekennen, dass wir unsererseits ebenfalls Kontakte zu dieser versteckt lebenden Volksgruppe einrichten und erhalten sollten, gerade jetzt, wo durch diese dunkle Welle im April und die ihr folgenden Ereignisse mächtige Verbündete mit weitreichenden Kenntnissen wichtiger sind als nationalstaatliche Interessen. Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, die dunklen Kräfte sind erstarkt. Was wir mitbekommen ist wohl nur die Spitze des Eisberges. Wir wissen immer noch nicht, was genau die dunkle Welle hervorrief und warum sie so stark war und ob sie einmalig ist oder durch einen ähnlichen Vorfall eine weitere dunkle Welle über unseren Planeten fegen kann. Auch deshalb brauchen wir Kontakte zu denen, die auf uns unbekanntes, ja in Vergessenheit geratenes Wissen zurückgreifen können. Mit eurem Einverständnis möchte ich deshalb auch als Zeichen meiner Anerkennung für Jane Porter, diese zur inoffiziellen Kontakterin zwischen uns und den ihr bekannten Hexen und Zauberern erklären, die Zugriff auf das alte wissen haben."

"Erst einmal möchte auch ich meine Freude darüber aussprechen, dass Sie wieder wohl auf und arbeitsfähig sind, Mr. Davidson", sagte Jane Porter. "Des weiteren bin ich beruhigt, dass Sie meine Einwände nicht als persönlichen Angriff auf Sie oder als Angriffe auf das Ihnen übertragene Amt erkennen. Was Ihr Vertrauen in mich angeht hoffe ich, dass ich es zur allseitigen Zufriedenheit rechtfertigen kann, damit meine ich auch, dass die mit mir in Kontakt tretenden keinen Grund haben mögen, ihre Entscheidungen zu bereuen."

Davidson sah seine offiziell tot und begrabene Mitarbeiterin verdutzt an. Deshalb sagte sie noch: "Es können jeden Tag Situationen eintreten, die eine Entscheidung, wer wem wieviel und was berichtet oder zugesteht erschweren. Deshalb ist es immer sehr wichtig, vorher zu klären, wie ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis bewahrt bleiben kann, egal, welche Entscheidung getroffen werden muss. So meinte ich das, Mr. Davidson, nicht anders."

"Abgesehen davon haben wir genug Indizien, die darauf hindeuten, dass die dunkle Welle durch die Vernichtung des Supervampirs Heptachiron ausgelöst wurde", sagte Louis Anore, der Inuitschamane im Dienste des Laveau-Institutes. "Ja, und des weiteren wissen wir, dass Ladonna Montefiori Heptachiron vernichtet hat", fügte Sheena O'hoolihan noch hinzu, die sich wesentlich lockerer damit abfand, wieder auf den zweiten Platz zurückversetzt zu sein.

"Diese Dame hat einiges an Aufruhr verursacht. Sorgen wir bitte dafür, dass sie nicht noch davon profitiert", äußerte Davidson eine klare Bitte.

"Ich würde gerne noch was einwerfen, was Ihnen als US-Bürger vielleicht als Beleidigung vorkommen könnte", sagte Cecilia Garmapak, eine halb europäisch und halb quechuastämmige Mitarbeiterin des Laveau-Institutes, die vor zehn Jahren aus Peru herübergekommen war. Alle lauschten der Hexe, die sich auch mit alten Zaubern der Inkas und Azteken auskannte. "Die grandiose Siegesserie, die die US-Quidditchnationalmannschaft bisher abliefert spricht nicht wirklich nur für ein besonders gutes Training und eine sehr gute Mannschaftsabstimmung. Sicher, die Franzosen hatten wohl innere Streitigkeiten und die Mexikaner hatten mit dem Ausfall von Rodrigo Burroverde zu kämpfen. Aber wenn ich mir diese ganzen so schnellen und vor allem überragenden Siege ansehe, komme ich leider nicht darum herum, eine Form von Betrug zu argwöhnen, die mit bisherigen Untersuchungsmethoden nicht nachgewiesen werden kann. Ich spreche das auch nur hier in diesem Kreis an, weil es ja den Institutsstatuten nach darum geht, dunkle Magie und auch den Missbrauch mit mächtigen Zaubern zu verfolgen. Ich fürchte, hier haben wir beides zugleich vorliegen."

"Okay, bevor ich mich wegen dieses Vorwurfes entrüste bitte ich Sie darum, ganz konkret zu schildern, warum Sie unsere Mannschaft des Betruges verdächtigen und wie dieser Betrug vollzogen wird. Immerhin wurden unsere Leute mehrmals auf unzulässige Tränke und Ausrüstungsmittel geprüft", sagte Elysius Davidson. Dann packte die Halbinkastämmige aus, was sie veranlasste, an einen ausgeklügelten und von langer Hand vorbereiteten Betrug zu glauben. Sie legte es so glaubhaft dar, dass viele, die wie Davidson erst "Neid" und "Verleumdung" rufen wollten nachdenklich dreinschauten. "Wie erwähnt, es ist mit den bisher gebräuchlichen Mitteln nicht zu beweisen. Wir sollten uns jedoch fragen, was wir tun können, dürfen oder gar müssen, um ein magisch vollzogenes Unrecht zu enthüllen und zu beenden. Denn es dürfte klar sein, dass wenn es wirklich diese Form von Betrug sein sollte, wir nicht mehr ruhig schlafen können, sollten die US-Nationalspieler damit nicht nur diesen Weltmeistertitel gewinnen, sondern auch den in vierr, acht oder zwölf Jahren. Abgesehen davon denke ich auch an die Folgen für die daran beteiligten, die, wie ich Ihnen gerade geschildert habe, sehr unangenehm sein können."

"Ich möchte diese Angelegenheit gerne noch weiter überprüfen, ob sowas wirklich vorliegt, Cecilia. Immerhin gilt in den USA die Unschuldsvermutung bis zum Beweis der Schuld."

"Eben genau deshalb musste ich dieses Thema heute schon ansprechen, Direktor Davidson. Sicher gibt es durch die schon häufig erwähnte dunkle Welle viel wichtigeres und drängenderes. Doch dürfen wir deshalb nicht jede Untat unter Verwendung der Magie als Nebensache abtun, weil dann sind wir wieder in der Situation, als die ihrer Herrin entflogene Entomanthropenkönigin ihre Nachkommen aus den Armenvierteln Südamerikas rekrutiert hat und wir erst warten mussten, bis diese selbsternannte Wiederkehrerin dieses Ungeheuer vernichtet hat."

"Ihr Standpunkt ist unmissverständlich dargelegt, Cecilia", grummelte Direktor Davidson. "Aber wo Sie von Folgen sprechen müssen vor allem wir, die wir vom Ministerium immer mit viel Argwohn beobachtet werden, auch die Folgen für den Quidditchsport an sich überdenken und nicht nur einen Betrug beweisen, sollte er stattfinden, sondern auch darlegen, wie ein solcher Betrug zukünftig verhindert werden kann und dass nicht jedes große Turnier, auch im Quodpot, künftig von mehr Misstrauen als Unterstützung begleitet wird. Leider gab und gibt es ja im Quodpot schon zu viele Fälle von Ergebnisabsprachen, vulgär auch Schiebung genannt. Die Quidditchmannschaften in unserem Land, die gerne aus dem langen Schatten von Quodpot heraustreten möchten, haben ein Anrecht darauf, als faire und sportliche Mannschaften anerkannt und gewürdigt zu werden. Auch das müssen wir bei allem bedenken, was wir in der von Ihnen dargelegten Angelegenheit unternehmen. Außerdem verbleibt bei mir immer noch ein gewisser Rest Unbehagen, weil es ja durchaus sein kann, dass unsere Mannschaft auf die Ihrer ehemaligen Heimat trifft."

"Genau deshalb wollte und durfte ich das auch nur hier ansprechen, ohne gleich an die Presse zu gehen", sagte Cecilia Garmapak. Und wo sie schon mal gerade die volle Aufmerksamkeit aller hatte wandte sie sich noch einmal an Jane Porter: "Ach ja, wenn Sie auf nur Ihnen bekannten Pfaden zu den legendären Sonnenkindern finden dürfen Sie ihnen mitteilen, dass der Stamm, der damals das Medaillon Intis behütet hat, gerne wissen möchte, ob es endlich bei seinem wahrhaftig berechtigten Besitzer angekommen ist."

"Das kann ich Ihnen jetzt schon mitteilen, Cecilia. Das Medaillon Intis Beistand hat eines der Sonnenkinder als seinen legitimen Träger erwählt und sich ihm bereits als verlässliche Unterstützung erwiesen. wer das Medaillon genau trägt möchte ich jedoch nicht erwähnen, da ich nicht ganz ausschließen möchte, dass es unter den sich als Erben der Inka-Priester verstehenden Landsleute auch Fanatiker gibt, die dieses Artefakt ausschließlich in ihren Reihen wissen wollen und unter Umständen versuchen könnten, es sich anzueignen, was derzeit nur in eine Katastrophe führen würde. Auch das dürfen Sie jenen ausrichten, die angefragt haben."

"Damit möchte ich diese Sitzung vom 3. August 2003 offiziell beschließen. Ich danke Ihnen, dass sie mich wieder in Ihrer Mitte aufgenommen haben", sagte Elysius Davidson. Beifall klang auf.

"Da werde ich wohl aufpassen müssen, dass mir der gute Elysius nicht doch einen Markierungszauber anklebt um zu erfahren, wo die Sonnenkinder wohnen", dachte Jane Porter, als sie zusammen mit den anderen den Sitzungsraum verließ.

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"Dein Herr Großvater war sehr, sehr erzürnt, als er das mit dem Drachenfeuer hörte. Allerdings hat Ladonna dir ohne es zu wollen den Gefallen getan, und den Zeitpunkt deiner Flucht unrückschaubar gemacht, so dass keiner mehr nachforschen kann, was mit deinem Haus passiert ist. Dein Recht auf Schutz wurde bestätigt", verkündete Eleanor McAleister Waldon McCloud am morgen des 6. August hawaiianischer Standardzeit, was in Schottland schon später Abend war.

"Öhm, dann kann auch nicht geprüft werden, ob Ladonna Montefiori mitverbrannt ist", sagte McCloud.

"Öhm, ja, das kann leider nicht bestätigtwerden. Ebensowenig wissen wir, ob die Spinnenhexe bei deinem heißen Abriss verbrannt ist. Wir fürchten nur, dass wenn sie das ominöse Feuerschwert dabei hatte, dass sie der Flammenwolke entwisht ist. Ähnliches unterstellen deine Kollegen aus Italien der schwarzen Lady Ladonna und ihrem magischen Ring."

"Och nöh! Ich habe mich so gefreut, der Welt verkünden zu dürfen, dass es jetzt ein wenig sicherer zugeht", grummelte McCloud.

"Klar, wo es nur noch die Vampirgötzin und ihre grauen Paladine, die Nachtschattenkönigin und ihre armee schattenloser Sklaven und eine noch unübersehbare Anzahl durch die schwarze Welle aufgeweckter Dinge und Wesen gibt ist die Welt jetzt sowas von friedlich", ätzte Eleanor McAleister. "Am Ende müssen wir sogar noch froh sein, wenn diese Spinnenlady noch lebt, weil die mit all den genannten Unheilsgeschöpfen genauso im Krieg liegt wie wir."

"Ich hoffe, du hast nicht recht, Eleanor!" fauchte McCloud.

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Dass die Jetztzeitmenschen den Tag den 7. August im Jahre 2003 nach diesem jüdischen Friedensprediger nannten hatte sie durch das Verschlingen von zehn jungen Frauen mit zweifelhafter Betätigung schon mitbekommen. Doch wie sehr sich diese Welt von ihrer gewohnten Welt unterschied war immer noch zu viel auf einmal für sie. Sicher, sie konnte nun problemlos an jeden dunklen Ort hinüberwechseln und würde einem weiteren Angriff mit dem Todesstrahlenring sicher besser widerstehen. Doch sie wusste nun, dass sie auf einem kugelförmigen Riesenklumpen wiedererwacht war, der nicht mehr als von allen Gestirnen umkreistes Land galt und dass die ohne die erhabene Kraft wirkenden Menschen dafür die Gewalten der Eisenfangkraft und der in Blitzschlägen fließenden Gewalt gezähmt und zu einem leider sehr magieähnlichen Dienstboten gemacht hatten. Menschen hatten es geschafft, den Mond anzufliegen und sogar die kleinsten Teile der stofflichen Welt in viel heller und heißer als die Sonne loderndes Feuer zu verwandeln gelernt. Doch wo war da noch Platz für sie, eine Großmeisterin der druidischen Braukunst und der Zauberei? Sie verstand zumindest jetzt, warum die noch lebenden Zauberkraftnutzer sich verbargen, um ihren trügerischen Frieden zu haben.

Weil sie keine feste Wohnstatt mehr hatte streifte die sich selbst als purpurfarben schimmernd sehende Spukerscheinung Morgauses durch die unter die Erde getriebenen Gänge, in denen mit der Kraft der gezähmten Blitzschläge getriebene Vielwagen mit grellen Lichtern wie übergroße Geisteraugen dahinfuhren. Hier konnte sie keine Beute mehr machen. Und die Stadt, in der sie war, ein gewaltiger Haufen aus grauen Häusern und so vielen Menschen, hüllte sich nachts in grelles flammenloses Licht, das ebenfalls aus der Kraft gebändigter Blitze erstrahlte. Licht war für sie wie eine brennende Mauer, hart und verzehrend, je heller es war.

Sie wünschte sich aus dem Wegesystem der Untergrundfahrbahn hinaus und fand sich am Rande eines in wohltuender Dunkelheit ruhenden Dorfes wieder. Sie war hier wohl in der Nähe ihrer alten Heimat. Denn mit ihren schärferen Sinnen hörte sie ferne Worte in der angelsächsischen Sprache, die sich wie eine sprachliche Pest über die ganze kugelrunde Welt ausgebreitet hatte. Immerhin konnte sie die nun verstehen, soweit es um Dinge ging, die sie begreifen konnte.

Sie trieb auf eines der im dunkeln liegenden Häuser zu. Sie hatte schnell gelernt, das sie nicht wie eine durchsichtige Erscheinung rastloser Seelen durch feste Hindernisse dringen konnte, sondern nur dort widerstandslos hindurchdrang, wo auch das Licht hindurchdrang. Also suchte sie eine der viereckigen Glasflächen, Fensterscheiben hießen die bei den Jetztzeitleuten und wollte gerade hindurchgleiten, als sie die Nähe einer anderen ruhelosen Seele fühlte. Sie merkte sofort, dass es keine durchsichtige Daseinsform war, die einfach nicht sterben wollte, sondern wie sie um eine Ausgeburt der Nacht. Sofort erwachten in ihr die Angst vor dem eigenen Vergehen und der drang, den anderen zu verschlingen, um noch mehr Kraft zu haben. Sie fühlte, dass der andere noch schwach war, wohl gerade erst zwei andere Seelen in sich aufgesogen hatte. Dann würde sie ihn gleich selbst vertilgen und dadurch noch stärker und wissender sein.

Der andere hatte sie ebenfalls bemerkt und wohl auch, dass sie stärker als er war. Für ihre feinstofflichen Augen war er ein grün leuchtender Jüngling, als wenn eine grüne Waldfrau aus sich heraus die Nacht erleuchten würde. Er versuchte davonzufliegen. Den zeitlosen Gedankensprung konnte er offenbar nicht. Morgause holte ihn ein, breitete sich aus, um ihn im ganzen zu umschließen. Sie hörte ihn im Geiste nach seiner Mutter rufen und vergnügte sich bei dem Gedanken, dass ein schon entkörpertes Wesen immer noch um mütterlichen Beistand flehen konnte. Sie vertat keine Zeit mit großen Ankündigungen oder Bitten um Verständnis. Sie stürzte sich von oben auf den noch jungen, schwachen Artgenossen. Da passierte es.

Es war wie eine riesenhafte Faust, die ganz ohne Vorwarnung auf sie niederfuhr und ihren Beuteschlag verhinderte. "Wer zur Sommermittagssonne bist du denn, Mädchen? Was fällt dir ein, im Revier meines Sohnes zu jagen, ja ihn selbst anzugreifen? Weißt du das noch nicht, wer eure Königin ist?" dröhnte eine sehr verärgerte Frauenstimme.

"Wer oder was bist du", drangen Morgauses verzerrte Gedanken nach außen. "Wie ich sagte, euer aller Königin und die leibliche Mutter von Goralan Ondro, den du dir widerrechtlich einverleiben wolltest. Die Frage ist also, wer du bist? Du fühlst dich so an, als seist du ausschließlich mit der Kraft aufgeladen, die uns alle verstärkt hat und fast einen Vernichtungskrieg aller Nachtkinder ausgelöst hat."

"Ich bin Morgause, Tochter der Igraine und des Gorlois, Meisterin der alten Kunst."

"Ja, ich merk's, in dir steckt echte Magie drin, nicht nur dass, woraus wir gemacht sind. Aber das gibt dir nicht das Recht, meine Kinder fressen zu wollen", zischte die andere wie ein ganzes Rudel wütender Schlangen.

"Deine Kinder? Seit wann können ...?" Morgause schaffte es jetzt erst, sich umzudrehen. Jetzt sah sie, was sie da in ihrer riesigen Faust hielt, ein mindestens dreimal so groß wie sie selbst geratenes Ungeheuer aus rotgoldenem Licht. Sie erkannte jedoch, dass es von ihrer neuen Daseinsart sein musste. Es verströmte eine Unmenge an Kraft und musste ebenso den zeitlosen Sprung beherrschen wie Morgause. Wohl wahr, wenn Königswürde an Größe und ausgestrahlter Kraft gemessen wurde war die da wirklich eine Königin.

"Ich kann gebären, wenn ich die Seelen meiner gewünschten Kinder kurz nach Verlassen ihrer fleischlichen Körper in meinen Unterleib einlasse und dort zu vollwertigen Nachtkindern austrage. Goralan hier ist erst seit einer Nacht auf der Welt und sollte mir als Kundschafter dienen. Dann kamst du und wolltest ihn einfach einverleiben. Dann krieg mit, wie sich das anfühlt", zischte die risenhafte Nachtgestalt. Morgause versuchte noch, sich mit einem rettenden Gedanken in Sicherheit zu bringen. Doch die dafür nötige Kraft floss aus ihr ab. Mit einem Sturm aus blanker Todesangst in ihrem Geist bekam sie mit, wie die andere sie an sich riss und sie mit einer gnadenlosen Kraft durch ihren lippenlosen Mund in sich hineinsaugte. Ihre letzte Regung in dieser Welt war ein letzter Aufschrei, der jedoch nur von jener gehört wurde, die sie zu ihrem Opfer gemacht hatte.

Als Morgause fühlte, wie ihre Gedanken in denen der Königin zerflossen erkannte sie, wem sie mit ihrer damals ausgeführten Tat wahrhaftig diente, nicht den Hexen, nicht der Vorherrschaft der Zauberkundigen, sondern einem geisterhaften Ungeheuer, das sich Königin Birgute nannte und nun immer mehr von ihr in sich aufsog, bis beide eins waren, aber Birgutes Gedanken und Willenskraft vorherrschte. Die grausame Verschmelzung zweier geisterhafter Wesen brachte für Morgause den Sinn ihres Daseins und für Birgute eine Unmenge von Erkenntnissen über die druidische Magie und die damals bekannten Zaubertränke, aber auch das Wissen um die beiden Hexen, die jede für sich für sie gefährlich waren und vor allem, dass es noch mehr in irgendwelchen verfluchten Dingen eingekerkerte Seelen geben mochte, die darauf warteten, einen nützlichen Idioten zu finden, der mit ihnen hantierte, um ihn dann zu unterwerfen.

Sichtlich gestärkt und bereichert winkte Birgute ihrem durch dunkle Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt in die Welt gesetzten Nachtsohn Goralan Ondo zu und befahl ihm: "Bevor du weiter mein Kundschafter bist such dir erst mal starke junge Männer, deren Lebenskraft und Seelen du in dich einsaugen kannst. Noch mal will ich nicht mitten aus einer Bekanntmachung heraus irgendwo hinspringen, um dich retten zu müssen. Denn so wie ich dich in die Welt geboren habe kann ich dich auch wieder daraus heraussaugen, wie du gerade mitbekommen hast."

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Die Wut darüber, dass Ianshira wahrhaftig diesen Kurzlebigen zu ihrem eigenen Sohn gemacht und den auch echt aus sich heraus geboren hatte war bei den Altmeisterinnen Kaliamadra und Iaighedonna schon fast verraucht. Denn zu herrlich war es, den jetztzeitigen Menschen dabei zuzusehen, wie die ihre eigene Welt immer mehr verdüsterten. Als Iaighedonna dann noch mitbekam, wie sich die Schattenkönigin Birgute eine mächtige Seele einverleibte und dadurch schlagartig stärker und wissender wurde musste sie laut auflachen. Ihre Zwillingsschwester Kaliamadra fragte, was sie so erheiterndes beobachtet habe. Als sie das innerhalb eines Zehntelaugenblicks erfuhr musste auch sie laut auflachen. "Wohl wahr, was die armseligen Menschen der Istzeit sagen: Wenn zwei sich streiten freut sich die dritte."

"Das wird sicher noch sehr aufregend, wenn es zum großen Zusammenstoß zwischen Iaxathans Bluttrinkern und den Nachtstofflichen kommt", feixte Iaighedonna. "Und da sage mir noch einmal wer, es sei öde, diesen istzeitigen Trägerinnen und Trägern der Kraft zuzusehen. Öhm, was macht eigentlich der Wächter von Garumitan?"

"Er weilt immer noch dort, wo kein anderes lebendes Wesen weilt", knurrte Kaliamadra. "Welche Pläne er auch immer verfolgt, wir werden es erst erfahren, wenn Lebende davon berührt werden."

"Als wisse er um unser Unvermögen, unbewohnte Landschaften zu beobachten", grummelte Iaighedonna. Dann stimmte sie sich auf einen anderen lebenden ein, durch dessen Augen sie die jetztzeitige Welt beobachten konnte.

"Unseren Lenker von mächtigen Geisterwesen bedrückt immer noch die Angst, weil seine Vorfahrin ihn derartig gestraft hat. Aber er hat Hoffnung, bald den zu finden, der ihm beim Einlösen der ihm aufgeladenen Verpflichtungen helfen soll. Das wird bestimmt auch sehr anregend, mitzuerleben, wie er als Braut des Ödlands die Hochzeitsnacht erlebt."

"Ich sehe mir gerade diese Flugbesenkampfsportler aus dem großen Bündnisstaat auf dem mitternächtigen Teil des Abendrichtungserdteils an. Die bangen darum, wie hoch der Preis für ihre bisherigen Erfolge ist. Oh, das könnte Ianshiras erstem und einzigem Sohn sicher nicht behagen, sollte sie ihm erlauben, das auch zu sehen, bevor sie ihn groß genug gefüttert hat, um ihn in die Istzeitwelt zurückzulassen, wenn sie den nicht besser in ihrem viel zu gutmütigen Schoß behalten hätte", meinte Kaliamadra. Iaighedonna fragte nicht, was ihre Zwillingsschwester meinte. Sie stimmte sich einfach auf das ein, was diese gerade beobachtete und grinste. "Ja, und dieses Geschöpf geht auch davon aus, was ach wie gutes zu tun."

"O meine Schwester, weißt du das nicht, dass das wirklich gut tut?" wollte Kaliamadra wissen.

"Bei der ersten Mutter, aus deren Schoß alles Licht und alles Stoffliche geboren wurde, das weiß ich immer noch ganz gut", raunte Iaighedonna verrucht klingend. Beide grinsten einander an.

ENDE

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