GLOCKENKLANG UND PAUKENSCHLAG

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Die dunklen Monate unter Sardonias verfremdeter Kuppel sind überstanden. Doch der in dieser Zeit gegen die Bewohner Millemerveilles verübte Anschlag der skrupellosen Gruppierung Vita Magica hat nachhaltige Folgen. Im März und April 2004 werden an die 250 Hexen neue Kinder bekommen, an die 50 davon von anderen als eigenen Ehemännern. Deshalb erbittet die residente Hebamme Hera Matine Unterstützung von der Heilerzunft und den Pflegehelfern, zu denen auch Millie und Julius Latierre gehören. Julius darf bei der Geburt von Catherines und Joes Sohn Justin James assistieren.

Währenddessen entbrennt ein heimlicher Kampf zwischen Anthelia und der wiedererwachten Ladonna Montefiori um den mächtigen, durch die dunkle Welle im April 2003 verstärkten Zauberkessel der britischen Hexe Morgause. Der Wettlauf zu diesem Artefakt dunkler Magie endet mit der Vernichtung des Hauses, in dem es aufbewahrt wurde und damit, dass Anthelia den vor ihren Augen zu verschwinden drohenden Kessel so oft mit Yanxothars Feuerschwert schlägt, dass der Kessel bei seiner Ankunft in Ladonnas Versteck in Stücke zerspringt. Die dabei freigesetzte und als Nachtschatten existierende Seele Morgauses gerät wenig später in die Nähe der Nachtschattenkönigin Birgute und wird von dieser verschlungen und somit zu einem Teil von dieser.

In Norditalien findet die Quidditchweltmeisterschaft statt. Titelverteidiger Frankreich verliert gegen eine unglaublich überragende Mannschaft aus den USA mit ihrem Starsucher Donovan Maveric. Auf was dieser Erfolg beruht wissen jedoch nur die Spieler der Mannschaft und ihre Sprecherin Phoebe Gildfork. Es ist ein schier unerhörtes Geheimnis.

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Er stand auf einer ihm wohlvertrauten Blumenwiese unter strahlendem Sonnenschein. Hieß das, dass eine seiner heimlichen Sorgen unbegründet war? Auch war er hier nicht alleine. Rechts von ihm stand seine Frau Millie. Sie trug das orange-goldene Kleid, das aussah wie in Wartestellung verharrende, zusammengenähte Feuerzungen. Dann sah er auch noch Camille Dusoleil. Diese trug jedoch keine grüne Kleidung, sondern ein ärmelloses, tief ausgeschnittenes Kleid aus einem luftigen, wasserblauen Stoff, der wie sanft geschwungene Wellen von den Schultern bis zu ihren Waden herabfiel. Er selbst trug jenes steingraue Gewand, in dem Madrashainorian seine Weihe zum Erdvertrauten erhalten hatte. Wenn stimmte, was er hoffte, was hatte jene, der diese Wiese gehörte damit bezweckt, sie drei so zu kleiden?

Wie lange die drei warteten konnte Julius nicht ablesen. Denn außer seinem Gewand trug er nichts bei sich, auch nicht seine praktische Armbanduhr, welche sowohl die geltende Ortszeit als auch die Zeit in seinem Geburtsland anzeigte. So mochten nur Sekunden oder vielleicht auch eine Stunde vergehen. Die über ihnen angenehm warm scheinende Sonne bewegte sich auch kein Grad über den Himmel. Doch endlich sah er, wie aus dem Boden ein rotgoldenes Licht erstrahlte und sich zu einer menschengroßen Erscheinung formte, der Erscheinung einer ungeniert unbekleideten Frau mit dunklem Haar, in dem goldene Funken wie Sterne am wolkenfreien Nachthimmel glitzerten. Ammayamiria, die aus den körperlich verstorbenen Hexen Aurélie Odin und Claire Dusoleil entstandene Zwei-Seelen-Tochter Ashtarias und Julius' astralenergetische Zwillingsschwester, hatte sich zu ihnen gesellt. Also gab es sie noch.

"Ich finde das immer noch sehr schön und auch lustig, wie eine einfache Blumenwiese jeden und jede von euch so andächtig macht, dass ihr kein einziges Wort herausbringt", sprach Ammayarmiria mit unüberhörbarer Erheiterung in der Stimme. Dann begrüßte sie jede und jeden hier mit einer angenehm warmen und innigen Umarmung. Danach stellte sie sich wieder so, dass die drei Besucher sie gleichgut ansehen und verstehen konnten.

"Julius, du hast dir Sorgen gemacht, ich hätte meine ganze Kraft bei der Vertreibung von Sardonias bemitleidenswertem aber unzweifelhaft gefährlichem Geist verbraucht und damit mein eigenes Dasein beendet. Camille, du fragst dich, wie du allen helfen kannst, die nun darauf hoffen, dass du, eine Tochter Ashtarias, sie an Stelle von Sardonias dunklem Vermächtnis vor Feinden schützen kannst. Mildrid, du hast dir Gedanken gemacht, wie du die ganzen Neidhammel, die euch meinen Schutz nicht so unbefangen gegönnt haben friedlich stimmen kannst, damit eure drei Töchter weiterhin in einer friedlichen Umgebung groß werden können. Deshalb habe ich euch drei hierher gerufen. Denn ihr könnt das in einer gemeinschaftlichen Anstrengung schaffen, die erloschene Kuppel durch ein ausreichend starkes Gefüge zu ersetzen, dass Angriffe aus der Ferne und das ungestüme Wüten feindlicher Wesen vereiteln kann. Immerhin seid ihr drei den Grundkräften Erde, Feuer und Wasser anvertraut worden. Du Camille trägst zudem das Erbe unserer gemeinsamen Urmutter und damit einen Kraftausrichter, der sich aus Liebe, Leben und Mitgefühl speist. Außerdem bekommt ihr ja demnächst Unterstützung von zwei weiteren Trägern von Ashtarias Erbe. So besteht die Möglichkeit, die vereinte Macht der Liebe, was bei den Kindern Ashtarias Focus Amoris genannt wird, auf dafür empfängliche Kraftquellen zu verteilen. So hört mir bitte zu, damit ihr alle Vorgaben richtig versteht und nicht so schnell vergesst!"

Nun erläuterte Ammayamiria, dass es möglich war, weitere Kerne aus jenen Äpfeln zu Trägern der schützenden Macht zu machen, die am Apfelbaum vor Claires ehemaligem Zimmerfenster wuchsen und aus denen auch die Kerne für die um Jeannes und Julius' Haus gepflanzten Bäume stammten. Es war so einfach, dass Julius meinte, dass es schon wieder weh tun mochte. Doch er gab keinen Laut von sich, um Ammayamirias Ausführungen nicht zu unterbrechen.

Im wesentlichen sollten dort, wo Sardonias dunkle Quellsteine im Boden geruht hatten je drei Bäume pro Standort eingesät und mit Rapicresdcentus-Tropfen auf halbe Endgröße hochgezogen werden. Die Samen dieser Bäume sollten zunächst im Wirkungsmittelpunkt der Apfelbaumpentagramme um die Häuser von Jeanne und Julius mit der Formel Ashtarias bezaubert werden. Neben je einem Apfelkern aus Früchten des Baumes, der vor Claires früherem Zimmer gewachsen war, sollten noch eine Esche und eine Eiche an jedem Quellsteinort gepflanzt werden. Also galt es, drei mal zwölf Bäume um das Dorf Millemerveilles neu zu pflanzen. Diese Bäume sollten dann natürlich weiterwachsen und sich so an ihre eigene Wachstumsgeschwindigkeit gewöhnen. Während den nächsten Wochen sollte noch eine Kugel aus drei verschiedenen Metallen hergestellt werden und zum Schluss unter dem Dorfteich im Boden versenkt werden. Die Kugel sollte einen Eisenkern enthalten, der von einer Schicht aus Gold, einer aus Silber und noch einer aus Gold umschlossen wurde. Julius sollte diese Kugel dann mit dem mächtigen Erdzauber Lied der starken Mutter Erde aufladen. Danach sollte Camille die Kugel mit dem Zauber Lied des lebendigen Wassers bezaubern, das alle von Wasser erfüllten Wesen schützen konnte, Millie das Lied des Lebensfeuers wirken, dass alle von Sonne und Erde gezeugten Wesen mit Ausdauer und Kraft erfüllen konnte. Anschließend sollten mindestens zwei Kinder Ashtarias mit der vereinten Kraft ihrer Heilssterne die Kugel mit der Macht von Schutz des Lebens aufladen. Durch die bereits darin eingewirkte Kraft der Erdmutter würden alle diese Zauber um das drei bis vierfache verstärkt und würden durch Ashtarias Magie, die ja im Wesentlichen auf weißmagische Kräfte aus dem alten Reich beruhte, Verbindung mit allen anderen davon durchdrungenen Lebewesen herstellen, also mit allen Bäumen, die mit Ashtarias Kraft erfüllt waren und durch ihr Wachstum diese Kraft verstärkten. Gelang es, das so entstandene Gefüge aus lebendiger Kraft und mächtigen Metallen mehr als einen Tag lang zu erhalten, ohne dass in dieser Zeit Hass und Gewalt im errichteten Wirkungsbereich aufkamen, so würde die Bezauberung so lange bleiben, wie es Menschen gab, die mit seinen Urhebern in Liebe und Eintracht, Fleisch und Blut verbunden waren.

Außerdem konnte in jedem Garten von Millemerveilles ein mit Ashtarias Kraft bezauberter Apfelbaum stehen, der das den ganzen Ort umspannende Gefüge bereicherte und das Grundstück vor feindlichen Zaubern und Wesen beschützte, sofern dessen Bewohnerinnen und Bewohner keine heimliche oder offene Feindschaft gegen Camille, Julius oder Millie hegten. Allerdings würden das Haus von Camille und Florymont, das von Jeanne und Bruno und das von Millie und Julius weiterhin die drei mächtigsten Säulen jener Kraft bleiben. Ebenso verstand es sich von selbst, dass die drei Eingeweihten es nur ihren unmittelbaren Verwandten weiterverraten sollten, was genau sie getan hatten. Gut, Ashtarias Kinder durften davon wissen, wenn sie bei ihren Erbstücken schworen, es auch nur ihren unmittelbaren Nachkommen weiterzuverraten. Mit diesen Bedingungen konnten die drei auf der Blumenwiese wunderbar leben.

"Julius, sicher wird dir deine Beschützerin aus dem Volk Mokushas dasselbe raten wie ich, aber ich denke, mich beachtest du immer noch am meisten", setzte Ammayamiria nach ihrer ausführlichen Anleitung an: "Erschaffe dir erneut ein Halsband, dass deine eigene Lebensaura so verstärkt, dass sie jede deinen Körprer und Geist bedrängende Zauberkraft abwehrt. Denn auch wenn der Rachedurst Euphrosynes in unschuldigen Milchdurst umgewandelt wurde gibt es genug Widersacher, die dich weiterhin bedrohen werden. Du weißt ja leider, dass nun sämtliche Töchter Lahilliotas erwacht sind. Auch mag dich ein solches Halsband vor dem Duft der Feuerrose schützen. Was damit gemeint ist darf dir gerne wer anderes berichten."

"Können Camille, Millie, Jeanne oder Catherine auch so einen Talisman machen?" fragte Julius. Ammayamiria nickte heftig. "Ja, das können sie. Wenn du es ihnen erklären möchtest habe ich nichts dagegen. Allerdings ist Camilles Heilsstern immer noch der stärkste Schutz gegen bösartige Wesen und Fernangriffe."

"Bis wann sollen wir das alles gemacht haben, was du uns gerade erzählt hast, Ammayamiria?" fragte Mildrid.

"So wie ihr das schon geplant habt, Bis Ende August", erwiderte die transvitale Entität. Dann sah sie Camille an und sagte: "Und es ist wichtig, dass die von dir und Julius gepflanzten Bäume nicht gleich auf volle Höhe hochwachsen dürfen. Denn ihnen muss erlaubt sein, die in sie eingeströmte Zauberkraft in ihrem eigenen Holz und Saft weiterzuvermehren, und das geht nur, wenn sie nach dem schnellen Anwachsen auf natürliche Weise weiterwachsen dürfen. Eigentlich wäre es am besten, wenn die ausgesäten Baumsamen ganz und gar natürlich keimen und in der naturgegebenen Geschwindigkeit zu Bäumen heranwachsen könnten. Doch ich erkenne, dass Millemerveilles möglichst schnell wieder einen wirksamen Schutz erhalten muss, bevor Leute wie Anthelia oder Ladonna Montefiori meinen, eure geliebte Heimatsiedlung zu ihrem neuen Machtzentrum zu machen."

"Kriegst du da, wo du bist denn mit, was die zwei Sabberhexen so machen?" wollte Millie wissen.

"Ich weiß von denen nur das, was ihr von ihnen mitbekommen habt. So allgegenwärtig wie einer der überdauernden Altmeister aus dem alten Reich bin ich nicht. Ich bekomme nur mit, was die erleben, die mir verbunden sind, also Camille, ihre Familie, Julius und durch die von ihm und dir erhaltene Verbindung auch du und eure Kinder", erwiderte Ammayamiria. Millie nickte. Also konnte und würde Ammayamiria ihnen nicht früh genug sagen, wenn Anthelia oder Ladonna was planten.

"Camille und Julius, am besten lagert ihr alles, was ihr hier und jetzt mitbekommen habt in den Denkarien ein, die euch gehören, damit ihr dann, wenn ihr fürchtet, was nicht mehr zu wissen, nachhören könnt, was ich euch gerade erzählt habe. Doch ich bin mir sicher, dass es einfach genug zu befolgen ist und ihr dadurch, dass ich euch diese Sachen erzählt habe sie besser im Gedächtnis behalten könnt als sonst schon. Ich wünsche euch die Beharrlichkeit, Ruhe und vor allem die Anerkennung jener, deren Wohl euch am Herzen liegt! Ich hoffe, ihr gebt mir so schnell keinen Grund mehr, irgendwas für euch tun zu müssen, vor allem ihr zwei, Camille und Julius. Öhm, und Julius, du kennst die Erwartung Ashtarias."

Noch ehe Julius was darauf antworten konnte fand er sich neben seiner Frau im Bett liegen. Er trug nun wieder seinen hellblauen Sommerschlafanzug, während Millie die ebenfalls gerade aufwachte, ihr kurzärmeliges sonnengelbes Nachthemd trug. Im nächsten Moment meldete sich Clarimonde mit einem fordernden Quängeln, dass in laute Schreie überging. Davon wurde auch Chrysope in ihrem eigenen Zimmer aufgeweckt und weinte los, weil jemand sie in dieser Dunkelheit geweckt hatte.

"Okay, ich die Nuckelhexe und du unsere Zweitgeborene, Monju", grinste Millie und setzte sich auf, um die jüngste Tochter aus ihrer Wiege zu heben.

Julius ging hinüber zu Chrysope und beruhigte sie, dass nur ihr kleines Schwesterchen aufgewacht war. Das rief auch Aurore auf den Plan, die wissen wollte, ob schon Aufstehzeit war. Julius erzählte ihr, dass es noch dunkel war und die Aufstehzeit noch einiges weg war. Dann brachte er seine Erstgeborene zurück in ihr eigenes Zimmer und versprach ihr, sie zu wecken, wenn die Aufstehzeit war.

Endlich konnte er in die Bibliothek, wo im mit Blutsiegelzauber gesicherten Schrank sowohl das magische Kleid Kailishaias hing, als auch die Conservatempus-Schatulle mit Ailanorars Stimme, der Lotsenstein aus der Festung des alten Wissens, das auf Julius' Erscheinungsbild geprägte Intrakulum, der Pokal der Verbundenheit, das alte Buch über die zehn alten Könige und das granitene Becken des von Julius selbst hergestellten Denkariums aufbewahrt wurden. Ohne Mühe hob Julius das aus seinem inneren silberweiß leuchtende Denkarium aus dem Schrank und stellte es auf den Boden. Dann kniete er sich davor hin und vollführte den Zauber, um seine eigenen Erinnerungen in eine silberweiße Substanz zu verwandeln, die in das Denkarium eingefüllt werden konnte. Als er sich gut genug auf den gerade mit Millie und Camille geteilten Traum von Ammayamiria konzentrieren konnte kopierte er die Erinnerung daran in das Denkarium. So würde jeder, der das magische Gefäß benutzen durfte nachbetrachten können, was Ammayamiria ihm vorgegeben hatte, ob Aurore, Chrysope oder deren irgendwann mal ankommende Kinder. Als er die Erinnerung an den gerade durchlebten Traum kopiert hatte begriff er, warum Ammayamiria ihm das vorgeschlagen hatte. Denn der von ihr beschriebene Schutzzauber würde solange halten, wie es Blutsverwandte von Camille und ihm in Millemerveilles geben würde. Also galt es, dass Aurore, Chrysope, Clarimonde und wer sonst noch dazukommen würde irgendwann erfuhren, dass mindestens einer oder eine von ihnen in Millemerveilles bleiben mochte, um den neuen Schutzzauber aufrechtzuerhalten.

Dass Ammayamiria ihm mal wieder mitgegeben hatte, dass Ashtaria was von ihm erwartete verstörte ihn ein wenig. Letztes mal hatte sie davon gesprochen, dass Ashtaria ihm zwei Jahre Zeit gab. Hatte die ebenfalls als transvitale Entität weiterbestehende Urmutter etwa ihre Meinung geändert, und er sollte schon viel früher darauf hinarbeiten, einen eigenen Sohn zu haben, damit es wieder sieben Blutlinien gab, die Ashtarias Erbe aufrechterhielten? Millie hatte keine Probleme damit, in zwei Jahren wieder ein Kind von ihm zu haben, wo sie an und für sich ja gehofft hatte, dass Kind Nummer drei jener erwartete Sohn war. Doch wenn Ashtaria ihn jetzt drängte, noch früher auf diesen hinzuwirken wusste er nicht, ob die im Moment noch so herrlich harmonische Partnerschaft das aushalten würde. Das wusste sicher auch Ashtaria.

Als Julius wieder neben Millie im Bett lag hatte Clarimonde gerade genug getrunken, um weiterschlafen zu können. Gewindelt musste sie im Moment nicht werden, weil Millie und Julius befunden hatten, dass zwei Wickelkinder zugleich ein klein wenig anstrengend waren und Clarimonde eine Wochenwindel trug, während Chrysope durch ständig vollgemachte Windeln langsam aber sicher darauf hinerzogen werden sollte, dass es angenehmer war, in ein Töpfchen und später in eine Toilettenschüssel hineinzumachen. Zumindest hatte das bei Aurore bisher gut geklappt, auch wenn die mal zwischendurch vergaß, dass sie erst zum Klo gehen musste und dann erst Pipi machen konnte.

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Sehr geehrter M. Latierre,

Ich hörte mit Freude, dass Ihre Genesungszeit erfolgreich verlief und Sie somit ab dem 27. Juli wieder in alter Stärke und Einsatzbereitschaft für das Wohl aller Menschen und menschenähnlichen Zauberwesen arbeiten werden. Sicherlich haben sie erfahren, dass es meinem Kollegen M. Delacour gelang, die Familie Marceau dazu zu bewegen, den Hochzeitstermin für Melle. Gabrielle Delacour und M. Pierre Marceau um einen vollen Monat nach hinten zu verschieben, da beide Familien einstimmig beschlossen haben, dass Sie die Vorbereitung und Durchführung der Hochzeitsfeierlichkeit vollumfänglich zu Ende führen. Weiteres zur Verlegung des Hochzeitstermins erfahren Sie dann, wenn sie nach Ihrer Rückkehr in das Zaubereiministerium Einblick in die Ihre Zuständigkeiten betreffenden Unterlagen und Briefe nehmen können werden.

Auch wenn Sie es als sehr große Belastung auf einmal empfinden könnten möchte ich Ihnen auch auf diesem Wege mitteilen, dass ich schon mehrere Bewerbungen auf eine freie Stelle im Büro für friedliche Koexistenz für Menschen mit und ohne Magische Kräfte vorliegen habe und meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereits vier Bewerbungsgespräche geführt haben, es aber noch zwölf viel versprechende Bewerberinnen und Bewerber gibt, die Interesse an einer Tätigkeit in der von mir geleiteten Behörde bekundet haben. Daher hätte ich Sie gerne bei den noch geplanten Bewerbungsgesprächen mit dabei, da ich sehr auf Ihre Fachkenntnisse und eigenen Erfahrungen in der nichtmagischen Welt zurückgreifen möchte. Diesbezüglich wurde mir von Ihrem hauptamtlichen Vorgesetzten M. Beaubois bereits beschieden, dass er sie für den Zeitraum der noch geplanten Gespräche für meine Behörde zur Verfügung stellen wird. Näheres möchte ich in einem direkten Gespräch mit Ihnen persönlich abstimmen und in die Wege leiten.

Sicher gelangte Ihnen zur Kenntnis, dass Mme. Belle Grandchapeau ab dem 24. Juli bis einschließlich dem 12. August an einer Zusammenkunft hochrangiger Mitarbeiter westeuropäischer und amerikanischer Zaubereiministeriumsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter teilnehmen wird, da sie sowohl mit ihren Englischkenntnissen wie mit ihren Spanischkenntnissen von großem Wert für unsere Behörde und ihre Interessen ist. einige Zaubereiverwaltungsbehörden Südamerikas meldeten ihr Interesse an, sich eingehender mit der Einrichtung und dem Betrieb eigener elektronischer Nachrichten- und Wissensaustauschabteilungen zu befassen. Mme. Belle Grandchapeau trug an mich die amtliche Anfrage heran, Sie, sobald Sie wieder vollumfänglich für das Zaubereiministerium tätig werden, darum zu bitten, die Dokumentationen unserer eigenen Erfahrungen mit den nichtmagischen Rechnersystemen und dem Internet so zu ordnen, dass Sie im unmittelbaren Bedarfsfall unterstützende Angaben und Vorschläge übermitteln können.

In der Hoffnung, Sie nicht über Gebühr mit zu vielen Aufgaben auf einmal betraut zu haben verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen

Mme. Nathalie Grandchapeau, Paris den 25. Juli 2003

"Na wunderbar, wie nach den Schulferien", grummelte Julius Latierre, als er Nathalies Brief gelesen hatte. Millie grinste ihn beim Frühstück an. "Was will denn Demetrius wandelnde Herberge schon alles von dir oder mit dir?"

Julius prüfte, ob was vertrauliches in dem Brief stand, fand nichts dergleichen und reichte ihn seiner Frau über den Tisch, während Aurore genüsslich mit einem Schokoladencroissantt krümelte und Béatrice erst ihm und dann sich einen leckeren Früchtetee eingoss.

"Stimmt, hast du gestern schon erwähnt, dass Gabrielle noch einen Monat länger auf die Hochzeitsnacht wwarten soll, weil sie dich unbedingt als Hochzeitsplaner dabeihaben wollen. Wann ist das also genau?"

"Am 18. August, also zwischen Callies und Pennies Zwillingsgeburtstag und Patties eigener Hochzeit. Ich komme also aus dem feinen Anzug für Hochzeiten nicht raus", sagte Julius. Millie nickte.

Um neun Uhr trompeteten alle gemalten Postschmetterlinge der Latierres, dass jeder und jede eine Nachricht erhalten hatte. Es war ein- und dieselbe Nachricht. Hippolyte Latierre kündigte die Heimreise mit der Nationalmannschaft für den Nachmittag an. Sie würden dann wohl um vier Uhr in der magischen Spiele- und Sportabteilung eine Pressekonferenz halten. Da Gilbert wohl noch in Italien bleiben würde, um mitzubekommen, wer am Ende den Titel holte hinge es wohl davon ab, ob Béatrice Millie für Arbeitsfähig erklärte.

Béatrice erlaubte Millie, die Heimkehr der leider nicht siegreichen Helden mitzuverfolgen, wenn sie die kleine Clarimonde bei ihr zurückließe. Darauf konnte Millie eingehen.

Gegen elf Uhr mentiloquierte Camille Julius, dass Almadora Fuentes Celestes ihre beiden Mitbewohnerinnen Maria Valdez und Marisol Valdez im Haus Jardin du Soleil abgeliefert habe und sie mit ihnen beiden nach dem Mittagessen zu ihm ins Apfelhaus kommen würde. Sie würde dann auch gleich zwölf Apfelkerne, ebensoviele Eschensamen und Eicheln mitbringen, um sie im Apfelbaumpentagramm der Latierres zu bezaubern. Julius gedankenfragte zurück, warum sie das nicht bei Jeanne machten, wo diese sicher durch die vier Kinder einen noch stärkeren Schutz aufbieten konnte. Darauf erwiederte Camille, dass es aber wichtig sei, eben vier unmittelbare Kinder Ashtarias zusammenzubringen und Julius ja durch die Wiedergeburt aus Ashtarias astralenergetischem Körper mehr Kraft hatte als Jeanne und deshalb sein Haus besser geeignet sei.

So geschah es dann, dass um zwei Uhr nachmittags ein Familienbesen und ein Sauberwisch 12 auf dem Grundstück Pomme de la Vie zusteuerten. Als die beiden Besen nur noch hundert Meter fort waren erkannten Millie und Julius die darauf sitzenden.

Auf dem Familienbesen saßen Camille Dusoleil, ein kleines Mädchen im Besentragekorb und Maria Valdez, die Julius schon einige Male getroffen hatte, vor allem nach seiner Entführung durch Ilithulas Dienerin und die Verbannung der Tochter des schwarzen Windes. Maria wirkte nicht wirklich glücklich, mal wieder auf einem echten Hexenbesen reiten zu sollen, während das kleine Mädchen, dass ihre Augen und Harfarbe hatte, freudig erregt war, sowas spannendes mitzuerleben.

Auf dem Sauberwisch ritt der dunkelblonde Zauberer Adrian Moonriver, der geistig mehr als hundert Jahre alt war, aber wegen einer Wiederverjüngung gerade einmal neunzehn Jahre alt aussah. Trotzdem Adrian ein Nachkomme Ashtarias war trat er mal wieder sehr verdrossen und verbittert auf, wohl um jedem hier zu zeigen, dass er sich immer noch nicht damit abfand, dass er von den meisten als halbausgegorener Jüngling betrachtet wurde.

"Und ihr habt euch echt schon das dritte Plärrbündel zugelegt?" fragte er, als Millie ihm und den beiden Valdez' voller Stolz die kleine Clarimonde vorstellte. Marisol, die selbst gerade fünf Jahre alt war, freute sich, das kleine Mädchen mit den rotblonden Haaren ansehen zu dürfen. Da Millie sowohl Englisch als auch Spanisch konnte verstand sie, was Marisol zu Clarimonde sagte.

"Bisher kommen wir damit ganz gut klar", erwiderte Julius. Dabei dachte er, dass auch Adrian mitbekommen hatte, dass Julius im Auftrag Ashtarias einen Sohn zeugen sollte, weil einer ihrer nachgeborenen Söhne von schlichten Auftragsmördern umgebracht worden war. Womöglich dachte Adrian daran, dass "der Auftrag" verpatzt worden war, weil Millie doch wieder eine Tochter ausgebrütet hatte. Doch das sollte Julius im Moment nicht kümmern.

"Soso, und Ashtarias Botschafterin hat euch beiden erklärt, wie die dunkle Kuppel Sardonias mit weißmagischen Kräften ersetzt werden soll?" fragte Adrian noch. Camille lächelte ihn an und sagte: "Ja, genau, das hat sie uns so erklärt."

"Ich verstehe das nicht, warum die nicht auch mich dabei haben wollte", grummelte Adrian Moonriver. Julius wollte dazu gerade was sagen, doch Camille kam ihm zuvor.

"Weil du schlicht und einfach nicht in Millemerveilles wohnst, Adrian Moonriver", sagte sie mit einem entwaffnenden Lächeln. Adrian starrte sie einen Moment lang verstört an. Dann nickte er schwerfällig. Dann meinte er: "Ja, doch um euch zu helfen bin ich hier. Dann hätte ich auch alles mitbekommen sollen." Darauf erwiderte Camille, dass er ja deshalb mit ihr hier war, um ihm alles zu erklären.

Béatrice Latierre beaufsichtigte Aurore, Chrysope und Marisol im Spielzimmer, während Maria Valdez, Camille, Millie und Julius in Julius' Arbeitszimmer saßen und darüber sprachen, wie die Schutzbezauberung durchgeführt werden konnte. War ja ursprünglich geplant, jedes wichtige Gebäude mit erweiterten Schutzzaubern zu umschließen, ergab sich durch Ammayamirias Vorschlag die Gelegenheit, ein den ganzen Ort umspannendes Sicherheitsnetz zu knüpfen. Wie Julius befürchtet hatte musste Adrian an dem Punkt, wo es um Zauber aus dem alten Reich ging mal wieder meckern, dass er, obwohl er ein legitimer Sohn aus einer Blutlinie Ashtarias war, keinen so gründlichen Zugang zum alten Wissen erhalten hatte. Sicher, er hatte einige wichtige Zauber des Lichtes gelernt, einiges von der alten Sprache erlernt und natürlich sehr viele Sachen über die hellen und dunklen Künste gelernt, doch einen direkten Zugang zu alten Wissensquellen hatte er nicht bekommen. Das musste er nun mal wieder kritisch anmerken. Julius sah ihn dafür bedauernd an. Er wollte gerade was darauf erwidern, als Maria Valdez auf englisch sagte: "Denkst du, dass er darum gebeten hat, dieses Wissen aufgeladen zu bekommen, Adrian? Ich habe auch nicht darum gebeten, zu einer Art Tochter des Lichtes erklärt zu werden und mich mit wirklich finsteren Gestalten der schwarzen Magie auseinandersetzen zu müssen und deshalb nicht so weiterleben zu können wie vorher. Ja, Auch hätte ich gerne darauf verzichtet, dass mein Mann von so einer Kreatur der Finsternis umgebracht wurde und seine und meine Tochter deshalb ohne ihren Vater aufwachsen muss."

"Mich hat es mehr oder weniger aus einer Verkettung unglücklicher Umstände auf dieses Alte Wissen gebracht. Ich habe nicht drum gebeten, vor allem nicht, weil dabei ein von mir sehr geliebter junger Mensch viel zu weit vor der Zeit sterben musste. Sie hatten doch Ihr ganzes Leben als Adamas Silverbolt Zeit, nach Möglichkeiten zu suchen, mehr über das alte Reich und dessen Magie zu erfahren und einen Weg dahin zu finden, wohin unter anderem ich hingelangen konnte. Ich denke auch, dass diejenigen, die mir von ihrem Wissen weitergegeben haben, durchaus auch Sie zu sich vorlassen würden. Aber womöglich mögen die keine mit ihrem eigenen Leben hadernden Meckerköppe", legte Julius nach.

"Ey, Moment mal! Das lasse ich so nicht auf mir sitzen", knurrte Adrian Moonriver. Doch Maria Valdez unterbrach ihn. "Du beweist gerade, dass der junge Mann recht hat, Adrian Moonriver. Wer neidisch und abfällig davon redet, was andere können und nicht zufrieden mit dem ist, was er oder sie kann hat sicher kein Recht, mehr Wissen zu bekommen als ihm zum eigenen Überleben zwingend nötig ist."

"Ich und neidisch?!" stieß Adrian aus. Da zuckte er zusammen. Er fasste sich an seine Brust und lief vom Hals bis zu den Ohrspitzen rot an. "Das gibt's nicht", keuchte er und tastete nun vorsichtig an die Stelle, wo er seinen eigenen Heilsstern unter der Kleidung verborgen hatte. Dann sagte Camille beschwichtigend: "Wenn Ashtaria und deine Vorfahren befunden hätten, dass du keinen Sinn mehr im Leben hast hätten sie dich sicher nicht weiter beschützt, als dieser tückische Fluch dich betroffen hat oder als du mit den Todessern in Hogwarts zu tun hattest. Also nimm das bitte erst mal hin, dass wir Zugang zu Wissen haben, das du noch nicht kennst und hoffe, dass du eines Tages auch davon was abbekommen kannst. Ja, und wir, also Julius und ich, haben hohe Preise dafür bezahlen müssen, um das wissen zu dürfen, was wir gelernt haben. Oder willst du noch behaupten, dass ich meine Mutter darum gebeten hätte, mir so früh ihr Erbstück zu überlassen?" Sie zog ihren Heilsstern hervor und hielt ihn Adrian entgegen. Das silberne Kleinod pulsierte in einem schwachen goldenen Licht. Adrian schüttelte den Kopf und sah Camille abbittend an. Sie nickte und steckte den Silberstern wieder unter ihren blattgrünen Umhang.

"Ich mach dir ein Angebot, Adrian", kündigte Julius an. "Wenn ich wieder in das Zentrum des alten Wissens reise, um was neues zu erfahren frage ich bei den Verantwortlichen, ob sie dir auch was beibringen möchten." Julius verriet nicht, dass die Altmeister von Khalakatan jeden Menschen genau erforschten, der zu ihnen hingelangen wollte, bevor der überhaupt wusste, wo das war. "Neh, lass erst mal. Ich werde nicht als Bittsteller da hingehen und mich dann womöglich noch auslachen und aus dem Haus jagen lassen, oder was immer das für ein Ort ist", knurrte Adrian Moonriver.

"Dann ist weiterer Unmut fehl am Platze", sagte Camille mit einer von ihr selten gehörten Ernsthaftigkeit und Wortwahl

Nachdem Adrian es endlich eingesehen hatte, dass sein Gemaule ihm mehr Verdruss als Erleichterung brachte konnten sie in der gebotenen Ruhe und Sachlichkeit weiterplanen, wie sie den von Ammayamiria beschriebenen Schutzzauber ausführen konnten. Was die Kugel aus drei Metallarten anging würde Florymont sie aus einem Stück Eisen, dem Gold von der Menge zweier Galleonen und dem Silber von drei Sickeln herstellen. Das würde bis zum fünfzehnten August erledigt sein. Am neunundzwanzigsten August konnte Julius dann wohl den Erdzauber darauf sprechen. Hierfür brauchte er jedoch noch ein Gefäß aus naturstein, in dem die Metallkugel während des Rituals liegen sollte. Falls der Zauber klappte konnten Camille, Millie und dann die drei Kinder Ashtarias die weiteren erforderlichen Zauber darauf sprechen. Bis zum ersten August sollten die geforderten Begrenzungsbäume bezaubert und gepflanzt werden, damit dann, wenn die als Kraftbündler oder Fokussierglobus gedachte Metallkugel im Zentrum des zu überdeckenden Gebietes verstaut war, die Kraftlinien von Ashtarias Magie darin einflossen und sich vereinen ließen. Wichtig war, dass die Bewohnerinnen und Bewohner Millemerveilles nicht genau mitbekamen, was gemacht wurde, solange ihnen klargemacht wurde, dass sie etwas taten, um einen brauchbaren und rein gutartig gezauberten Ersatz für die Kuppel zu erschaffen.

Um das Entbindungsheim für schwangere Hexen und die Schenke "Chapeau du Magicien" sollte genauso wie um die Grundschule und das Gemeindehaus ein Apfelbaumfünfeck wie bei den Latierres und bei Jeannes Haus gepflanzt werden, um sie zu einem noch besser gesicherten Zufluchtsort zu machen. Julius erwähnte, dass ihm die Idee dazu aus einer der vielen Weltraumserien im Fernsehen kam, wo die für alle Besatzungsmitglieder zugängliche Bordbar eines großen Sternenschiffes mit ihrer besonderen Barmaid als ausgewiesener Schutzraum eingerichtet war, also mit eigener Energieversorgung und Lebenserhaltungsanlage. Warum sollte dann nicht auch eine Dorfschenke ein solcher gesicherter Zufluchtsraum sein?

Die Bäume würden Camille, Maria, Jeanne und wohl auch Adrian pflanzen, während Julius das Steingefäß herstellte, in dem er die aus drei Metallarten bestehende Verstärkerkugel legen wollte. Zudem hatte Julius ja wegen der liegengebliebenen Arbeit im Ministerium genug berufliches zu tun.

Als das alles besprochen war entschuldigte sich Millie, weil sie ja noch zu der Heimkehr-Pressekonferenz der französischen Nationalmannschaft wollte. Vorher wollte sie ihrer Heilerin genug Milch für Clarimonde auslagern.

Als Millie das Arbeitszimmer verlassen hatte vollzogen Camille, Maria und Adrian nacheinander die Bezauberungen der Apfelkerne, Eschensamen und Eicheln. Julius musste dabei an die Asterixgeschichte von der Trabantenstadt denken, in der der Druide Miraculix einen abgeholzten Eichenwald innerhalb einer Stunde vollständig hatte nachwachsen lassen. Wenn die Begrenzungsbäume standen würde jeder private Haushalt in Millemerveilles je einen Apfelbaumsprössling erhalten, dessen Ursprung der vor Claires ehemaligem Zimmer stehende Baum war. Wichtig war dabei, dass die Grundstückseigentümer und Bewohner dies ohne Zwang zuließen, ja erlaubten. Wie mächtig ein Baum alleine sein konnte wusste Julius von den Brickstons und seiner Mutter, als die von Voldemort aufgeweckten Schlangenkrieger versucht hatten, in das Haus der Brickstons einzudringen. Da hatte der eine Apfelbaumschößling mit dem um Catherines Haus bestehenden Sanctuafugium-Zauber zusammengewirkt und den einen Schlangenmenschen, der sich vorgewagt hatte, aus dem geschützten Bereich zurückgeschleudert.

Noch im Licht der Sonne schafften es die Baumpflanzer unter Florymonts Anleitung, die vorgesehenen Dreiergruppen an genau den Stellen einzusetzen, wo vor dem 24. Juni 2003 die dunklen Quellsteine Sardonias gesteckt hatten. Die Kavernen, in denen die Steine geruht hatten, waren zwar alle zusammengebrochen und hatten tiefe Krater hinterlassen. Doch mit genug Erdreich und losem Gestein waren die unansehnlichen Löcher bereits wieder aufgefüllt worden. Außerdem hatten die Bau- und Gartenzauberer von Millemerveilles dafür gesorgt, dass genug Frischwasser durch den Boden floss. Denn es war ja eh so geplant gewesen, lebende Pflanzen an den betroffenen Stellen einzusetzen, auch und vor allem um zu bekräftigen, dass das Leben über Tod und Vernichtung erhaben war.

Florymont nahm Julius nach der Baumpflanzaktion kurz bei Seite und fragte ihn: "Bist du dir sicher, dass du hier in Millemerveilles keinen neuen Elektrorechner und die daran hängenden Geräte nutzen möchtest?"

"Jetzt, wo durch Clarimondes Geburt die Schutzbezauberung über die Apfelbäume das ganze Grundstück betrifft kriege ich sicher keinen Rechner mehr zum laufen, Florymont. Auch wissen wir nicht, wie sich das auswirkt, was wir demnächst hier anstellen wollen. Am Ende kann dann nirgendwo mehr was elektronisches laufen außer vielleicht einer elektrischen Taschenlampe mit alter Glühfadentechnik. Ich habe schon mit Laurentine geredet, dass ich auf dem Dachgeschoss der Brickstons einen Rechner hinstelle, der nach Möglichkeit an das schnellere DSL-Netz angeschlossen werden kann. Dann kann ich auf dem Heimweg vom Ministerium eine Stunde pro Arbeitstag dafür abzweigen, an dem alles zu machen, was anfällt, ohne Millie und die drei Prinzessinnen zu vernachlässigen."

"Ich meine nur, dass es für dich sicher schon wichtig ist, diesen Draht zur magielosen Welt nicht zu verlieren. Ich experimentiere gerade mit einem Verfahren, magische Streuungen aus einem Raum auszusperren, ohne die betreffenden Zauber selbst zu beeinträchtigen. Falls es klappt, in der Magie das hinzukriegen, was bei den elektrischen und magnetischen Sachen als Farraday'scher Käfig bezeichnet wird ist es vielleicht doch sinnvoll, wenn du deine elektronische Ausrüstung in Millemerveilles hast. Konnte ja auch keiner ahnen, dass Sardonias blutrote Geister auftauchen", erwiderte Florymont.

"Na ja, aber spätestens mit Clarimondes Geburt hätte ich das Problem mit der ausgedehnten Schutzbezauberung gekriegt, Florymont. Aber grundsätzlich interessiert mich das schon, ob ich in Millemerveilles einen Rechner betreiben kann. Ich gehe davon aus, dass du ja schon daran denkst, dass ich von irgendwoher Strom kriegen muss. Dein kleines Solarmodul klappt zwar noch. Aber bei einem vollständig gegen magische Streuwirkungen abgeschirmten Raum müsste ich ja irgendwie ein Stromkabel durchziehen, um alles an das Solarmodul anzuschließen."

"Stimmt, daran denke ich auch. Abgesehen davon dass ich durch die Studien von elektrischen Vorgängenund Geräten herausgefundenhabe, dass es im Bereich der Thaumaturgie noch unausgeschöpfte Möglichkeiten gibt und ich deshalb selbst eine Elektrizitätsversorgung bei mir einrichten werde interessiert mich das auch, wie ich eine magische Abschirmung bei gleichzeitiger unterbrechungsfreier Elektrostromversorgung hinbekomme. Also, ich arbeite dran."

"Das ist nett, Florymont. Aber solange werde ich wohl einen Klapprechner wie den, der mir von Sardonias Blutgeistern zerbröselt wurde, bei Laurentine unterstellen", sagte Julius. Florymont meinte dazu, dass diese Dinger aber einen leicht vergessen ließen, wie viel Zeit verging. Eine Stunde täglich mochte da womöglich nicht ausreichen, um wirklich wichtige Sachen mit anstellen zu können. Julius musste ihm da zustimmen. Aber er freute sich, dass Florymont ihm helfen wollte, möglichst bald wieder mit elektronischen Verständigungsmitteln zu arbeiten. Er hatte es auch noch sehr gut in Erinnerung, wie froh er war, als seine Mutter ihm Stunden nach dem Anschlag auf das Welthandelszentrum in New York angerufen hatte, um ihm zu sagen, dass sie noch lebte. Da war er froh gewesen, dass er nicht so weit von seiner eigenen Familie weg gewesen war. Sicher wusste Florymont das auch noch oder Camille hatte ihm das mal erzählt.

Als der letzte Baum mit einer kleinen Dosis Rapicrescentus-Tropfen auf halbe Endhöhe hochgezogen worden war sagte Camille Dusoleil: "Es macht sich schon bemerkbar, ob ein unbezauberter oder bezauberter Baumsamen damit behandelt wird. Aber ab heute dürfen die sechsunddreißig Bäume natürlich weiterwachsen."

Ja, und bis Maria wieder nach Cloudy Canyon reist können wir noch viele Dutzend auf diese Weise wachsende Bäumchen im Dorf verteilen", sagte Julius.

Während die Kinder Ashtarias und die Latierres vor dem Apfelhaus zu Abend aßen erzählte Millie, dass die Quidditchmannschaft von mehreren tausend Fans empfangen worden war. Nur wenige hatten wohl gebuht. Zumindest hatten die Ministeriumszauberer verhindern können, dass die eine oder andere faule Tomate geworfen wurde. Allerdings fragten die, die es noch nicht mitbekommen hatten, was da zwischen Bruno und César passiert sei, dass sie sich derartig angifteten. Maria Valdez fragte deshalb, ob sie das erfahren dürfe, während Adrian verächtlich grinste. So erwähnte Camille, dass es während der wilden Tage zwischen dem 11. und 16. Juni wohl zu vielen unbeabsichtigten Verpaarungen gekommen sei und César Rocher dabei gegen seinen eigenen Willen mit Brunos Mutter geschlafen hatte. Maria Valdez errötete, weil sie nicht auf eine derartig pikante Erklärung gefasst gewesen war.

"Tja, das passiert, wenn wer was fragt, was er oder sie nicht wirklich wissen will", erwiderte Adrian Moonriver und fing sich dafür von Camille und Maria einen tadelnden Blick ein. Millie musste nur verächtlich grinsen, während Julius sich fragte, ob er diesen wiederverjüngten Motzkopf da nun nervig oder bedauernswert finden sollte. Dann musste er innerlich grinsen, weil er daran dachte, dass Pinas Schwester Olivia den mal angehimmelt hatte. Vielleicht ärgerte sich Adrian nur, dass er wohl auf lange Zeit keine Sexpartnerin abbekommen würde, und je missmutiger er wurde desto länger auf so eine Gelegenheit warten müsse. Vielleicht war das die Begründung dafür, dass Adrian Millie und Julius zwischendurch so anglubschte, als wenn die ihm was weggenommen hatten oder was getan hatten, das er für unanständig hielt. Zumindest musste dieser Motzkopf nicht bei den Latierres übernachten.

Spät abends nahm Camille Maria und ihre Tochter mit zu sich nach Hause. Marisol hatte den ganzen Nachmittag mit Aurore Bilderbücher angeguckt, sowas ähnliches wie Musik gemacht und im Garten getobt und schlief schon ein, als ihre Mutter sie in den am Besen hängenden Kindertragekorb setzte.

"Also, ab morgen geht die Baumpflanzerei weiter", grummelte Adrian Moonriver. "Hoffentlich taugt das Frühstück in dieser Schenke was", fügte er noch hinzu. Die Dorfgemeinschaft von Millemerveilles hatte Adrian eingeladen, bis zum Abschluss der Schutzbezauberungsmaßnahmen im Chapeau du Magicien zu wohnen. Auch wenn die verwitwete Besitzerin genug damit zu schaffen hatte, die Trauer um ihren Mann und die Sorge um ihre immer noch unauffindbare Tochter Caroline zu verarbeiten wollte sie gerade durch den Betrieb der Dorfschenke einen Sinn im Leben haben. Gut, mittlerweile wussten sie alle, dass der junge Zauberkoch Laurent Beaufond mit ihr drei Kinder gezeugt hatte und jetzt überlegen musste, ob er seine eigene Chefin nicht heiraten sollte, damit die drei ehelich zur Welt kamen. Seine eigenen Eltern hatte es ja auch erwischt, und von seinem Vater wusste Laurent, dass dieser auch schon fünf Monate im Mutterleib herangewachsen war, bevor seine Mutter seinen Vater davon überzeugen konnte, dass eine offizielle Ehe ihm weniger Ärger einbrachte als für ein uneheliches Kind aufkommen zu müssen. Insofern hatte Laurent nur die väterliche Tradition gepflegt, erst Nachwuchs auf den Weg zu bringen und die werdende Mutter erst zu heiraten, wenn es amtlich war, dass er Vater wurde.

"Dieser auf halbe Hose zurückgeschrumpfte Typ sollte vielleicht mal ins Goldröschenhaus gehen und da Druck ablassen", knurrte Millie, als sie und Julius im mit Schnarchfängervorhängen gesicherten Ehebett lagen. Julius fragte sie, wieso sie darauf käme. "Weil der mich und Camille immer so angeglotzt hat, als wenn er im nächsten Moment fragen wollte, ob er nicht mit einer von uns den bunten Vogel rufen dürfte. Abgesehen davon kotzt mich an, dass er dir immer noch vorhält, du hättest was mitgekriegt, was dir nicht zusteht. Zumindest kommt das bei mir so rüber."

"Das hast du wohl leider richtig mitbekommen, Mamille. Der ärgert sich, dass er im Moment nicht richtig für voll genommen wird und meint wohl, dass auch die Hüter des alten Wissens ihn nicht echt für voll nehmen, obwohl er ja unstreitbar mehr als hundert Jahre Lebenserfahrung hat. Vielleicht ärgert er sich auch drüber, dass sie ihn damals nicht haben sterben lassen, als das mit diesem Fluch war, der ihn immer jünger gemacht hat. Aber das mit dem Druck könnte stimmen. Doch die Mädchen, die was von ihm gewollt haben waren dem alle zu klein, also zu jung", sagte Julius. "Doch ob er mit einer zusammen sein will, die Gold dafür nimmt weiß ich auch nicht. Aber sogesehen könnte ich mir vorstellen, dass die Magierinnen von den Altmeistern ihm da sehr gut helfen könnten, wenn ich oder sonst wer ihn bei denen anbringt. Du hast ja mitgekriegt, dass ich ihm das angeboten habe, dass er nach der ganzen Aktion von mir mitgenommen werden kann, um zu prüfen, ob sie ihn vorlassen. Das hat er aber abgelehnt, weil er nicht als "armseliger Bittsteller" rüberkommen will. Er hat Angst, dass sie ihn nicht vorlassen werden. Eine derartige Enttäuschung womöglich noch vor Zeugen wäre wohl noch übler als die gezielte Wiederverjüngung.""

"Wenn Clari abgestillt ist gehe ich für die dritte Unterweisungsrunde zu Kailishaia. Ich frage die mal, ob Adrian nicht auch eingeweiht werden soll, wo die schon Catherine, Camille und mich auch vorgelassen haben."

"Neh, lass mal, Millie. Wer nicht will der hat schon. Abgesehen davon könnten die ja jetzt locker wen herschicken, wo Ashtardarmiria deren Botschafterin geworden ist, wie du ja weißt."

"Auch wieder wahr, Monju. Also, wenn Adrian eines Tages von einer 4-Meter-Frau aus Gold aufgehoben und weggetragen wird wissen wir's, dass sie dem was mitgeben wollen."

"Ja, wobei er sich vielleicht nicht einmal aussuchen kann, wer von denen ihm was beibringt. Gut, Camille hat es ja auf die Sache mit den Wasserzaubern angelegt, du wurdest als meine Gefährtin zur Erbin von Kailishaias Sachen. Aber warum Catherine bei den Windmagiern gelandet ist weiß ich bis heute nicht."

"Ich denke, die amüsieren sich immer köstlich, wenn die beobachten, wer wie drauf ist, den sie mal bei sich hatten. Ich denke auch, dass Madrashmironda dir auch immer noch zuguckt, was du anstellst und möchte nicht wissen, ob die nicht auch zwischendurch bei Clarimonde reingeguckt hat, als ich sie noch unten drin hatte, allein um zu prüfen, ob unsere dritte Tochter auch anständig heranwächst, die ja dann quasi ihre Enkeltochter ist, wo sie dir das Leben von Madrashainorian aufgeladen hat."

"Oder Kailishaia klinkt sich in deine Sinne ein, um zu fühlen, wie dich das entspannt oder anstrengt, Clarimonde zu stillen", spann Julius die Überlegungen seiner Frau weiter. "Falls sie nicht gleich in Clarimondes Sinneswelt mitbekommt, wie du sie zur Welt gebracht hast und wie gut sie sich fühlt, wenn sie satt wird."

"Ja, gut, Momju, ich kapier's, ich habe mit diesem Quatsch angefangen", grummelte Millie. Sich vorzustellen, zu jeder Zeit beobachtet zu werden war schon abgedreht genug, auch wenn viele Christen sich bei dieser Vorstellung sehr wohl fühlten. Maria Valdez, die trotz ihrer Erlebnisse in der Zaubererwelt immernoch eine gläubige Katholikin war, empfand bei der Vorstellung, von überirdischen Mächten beobachtet und beschützt zu werden sicher eine große Beruhigung und Zuversicht. Ja, und im Grunde hatte Ammayamiria es Millie und Julius ja erst gestern nacht wieder auf's Butterbrot geschmiert, dass sie alles mitbekam, was die mit ihr verbundenen Menschen so erlebten. Warum sollte das nicht auch für Madrashmironda und Kailishaia oder auch Ianshira gelten, die Millie und Julius etwas von ihrem Wissen weitergegeben hatten?

__________

Er hatte damit gerechnet, dass eine Menge Briefe und Akten auf seinem Schreibtisch lagen. Um so erstaunter war Julius, als er am Morgen des 27. Juli sein eigenes Büro im Zaubereiministerium betrat und nur einen blankgeputzten Schreibtisch vor sich hatte. Dann fand er einen kleinen Zettel unter einem Briefbeschwerer. Er las:

Sehr geehrter M. Latierre,

wenn Sie diese Nachricht lesen bitte ich Sie, unverzüglich erst in mein Büro herüberzukommen und dann, wenn die zwischen uns zu erörternden Vorgänge besprochen sind, bei Mme. Grandchapeau vorstellig zu werden, die bei mir um Ihre Unterstützung anfragte.

In der Hoffnung, dass Sie nach all der durchlebten Strapazen und Gefahren wieder frisch und einsatzfreudig bei uns mitarbeiten können verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen

Simon Beaubois

Julius nahm den Zettel und begab sich unverzüglich zum Büro des Gesamtleiters der Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe. Wie er es gelernt hatte las er erst das Türschild. Dieses verriet ihm, dass Monsieur Beaubois "im Gespräch" war. Vor dem Büro wartete jedoch niemand. So saß Julius eine halbe Stunde alleine vor dem Büro, bis die Tür aufging und Adrastée Ventvit herauskam. Sie sah Julius und grüßte ihn lediglich mit einem Lächeln. Dieser stand auf und stellte sich so, dass sein Vorgesetzter ihn durch die offene Tür sehen konnte. Monsieur Beaubois winkte ihm zu, gleich einzutreten.

Julius grüßte den Vorgesetzten und wartete, bis ihm ein freier Stuhl angeboten wurde. "Öhm, ja, guten Morgen, Monsieur Latierre. warten Sie schon länger dort draußen? Sie hätten ruhig anklopfen können. Die Unterredung mit der Kollegin Ventvit bezog sich nicht auf unmittelbar drängende Vorgänge, sondern auf letzte aufgekommene organisatorische Fragen bezüglich der Geisterbehörde, vor allem was die Verständigung zwischen Geisterbehörde und Strafverfolgungsabteilung anging, wenn böswillige Spukerscheinungen schadhafte Auswirkungen haben oder von lebenden Magiern zu böswilligen Taten angestiftet oder gezwungen werden. Das hätte auch nach unserem Gespräch weiter erörtert werden können", sagte Monsieur Beaubois. Julius widerstand dem Drang, auf diesen stillen Vorwurf anzuspringen und wartete, was sein direkter Vorgesetzter nun von ihm erwartete. Dieser nahm jedoch erst einmal einen Zettel und schrieb was darauf. Dann winkte er seinem Aktenschrank, worauf ein kunterbunter Memoflieger daraus hervorglitt. Diesem steckte Monsieur Beaubois den Zettel zwischen die Flügel. "Unverzüglich mit Dringlichkeitsgrad eins zustellen!" befahl Beaubois. Daraufhin sauste der Memoflieger durch eine vor ihm auf und hinter ihm wieder zuklappende Luke in der Wand. "Ich habe die Nachrichtenverteilstelle angewiesen, die an Sie adressierten Memos und Briefe nun wieder direkt an Sie weiterzusenden. Bisher sind die Ihre Arbeit betreffenden Mitteilungen und Anfragen an Monsieur Delacour geleitet worden, der diese Vorgänge bearbeitet, sofern er dazu nicht mit Veelas oder Veelastämmigen direkt sprechen musste. Dass die Vereinbarung zum Umgang mit der gefährlichen Nachtschattenkönigin und ihrem Gefolge am 12. Mai wie besprochen unterschrieben wurde wissen Sie ja noch, ebenso durften sie wohl erfahren haben, dass Madame Belle Grandchapeau gerade mit den Vertretern spanischsprachiger Zaubereiministerien in Madrid verhandelt. Aber dazu wird Ihnen wohl die Kollegin Madame Nathalie Grandchapeau noch etwas mehr mitteilen", sagte Beaubois. Dann zog er eine Schreibtischschublade auf und entnahm dieser einen notizbuchgroßen Ordner. Diesen legte er auf den Schreibtisch und tippte ihn mit dem Zauberstab an, worauf der kleine Ordner zu einem großen Ordner im Standardformat anwuchs. "Diesen Ordner habe ich von Monsieur Delacour erhalten. Er enthält die Beschlüsse vom 3. Juli 2003 und den davor und danach betriebenen Briefwechsel zwischen den betreffenden Personen und Behörden. Kann sein, dass Sie sich für Einzelheiten noch einmal mit dem Kollegen Delacour direkt besprechen mögen, sollten Sie noch Fragen haben. Im Grunde geht es um eine notwendige Berichtigung in der Angelegenheit Euphrosyne Blériot. Diese wird nun nicht weiterhin bei ihrer Großmutter Léto aufwachsen, sondern wurde gemäß ministeriumsbeschluss vom dritten Juli und einer Bestätigung durch die im Ältestenrat der Veelas sitzende Madame Léto ohne die bisher gesammelten Erinnerungen als sich vollständig neu entwickelnde Ziehtochter der bulgarischen Veela Lukiana übergeben und erhielt einen anderen Namen. Offenbar haben sowohl wir als auch die Veelas die Raffinesse und Uneinsichtigkeit dieser Dame sträflich unterschätzt, was beinahe in eine Katastrophe geführt hätte. Näheres entnehmen Sie dann bitte dieser Akte. Wenn Sie den Vorgang bis zum 1. August vollständig abschließen können wären sowohl Monsieur Delacour als auch ich Ihnen sehr verbunden." Julius nickte und nahm die ihm hingelegte Akte entgegen.

"Des weiteren ist im Bezug auf die Verwandlung meines Vorgängers Vendredi einiges an Nachfragen aufgekommen, ob der ehemalige Kollege nun gezielt gegen das Ministerium eingesetzt wird und wie wir absichern können, dass das von ihm weitergegebene Wissen nicht gegen uns verwendet werden kann. Hier zu lesen Sie bitte die Protokolle der Abteilungskonferenzen vom 14. Mai, dem 14. Juni und dem 14. Juli, die Ihnen auf schriftlichen Antrag zugestellt werden. Ja, und auch wenn ich selbst derlei Tätigkeiten verabscheue gebieten die Verwaltungsrichtlinien des Zaubereiministeriums, dass Sie einen ausführlichen Bericht über Gründe und Einzelheiten Ihrer mehrwöchigen Abwesenheit erstellen und diesen sowohl zu meinen Händen, dem Archiv und den Sekretariaten der Handels- und Finanzabteilung und der Zaubereiministerin da selbst weiterleiten. Ich hoffe dennoch, dass Sie heute eine erfolgreiche und erbauliche Rückkehr in Ihren Dienst erleben werden, Monsieur Latierre."

"Da ich mit Ministeriumsmitarbeiterinnen verwandt und verschwägert bin wurde ich bereits auf diese mögliche Anforderung hingewiesen, Monsieur Beaubois. Ich muss den Bericht nur noch mit den letzten Einzelheiten vervollständigen und abzeichnen. Dann haben Sie ihn in nicht einmal einer Stunde vorliegen, sofern Madame Nathalie Grandchapeau mir nicht gleich einen unverzüglich zu erfüllenden Auftrag erteilt, da ich ja gemäß der schriftlichen Vereinbarungen auch für ihre Behörde tätig bin. Deshalb gehe ich auch davon aus, dass Madame Nathalie Grandchapeau ebenfalls den von Ihnen erbetenen Bericht erhalten möchte", sagte Julius. Beaubois zuckte mit den Schultern und lief an den Ohren rosarot an. Dann nickte er heftig. "Natürlich möchte Madame Grandchapeau Ihren Bericht ebenso erhalten wie ich", sagte er noch. Dann verfiel der Leiter der Abteilung für magische Geschöpfe kurz in weiteres Nachdenken. "Zwar hat mich die Kollegin Madame Ventvit nicht darum gebeten, die Angelegenheit als dringlich oder gar unverzüglich einzustufen. Ich entnahm ihrer Ausführung und der dabei nonverbal übermittelten Besorgnis, dass sie zumindest in nicht all zu ferner Zeit sehr gerne mit Ihnen über weitere Ausprägungen der Angelegenheit Nachtschattenkönigin sprechen möchte. Wie erwähnt hat sie nicht um dringende oder gar unverzügliche Rückmeldung oder Ausführung gebeten. Sollten Sie jedoch in den kommenden Arbeitstagen genug Zeit finden, sprechen Sie bitte bei meiner Amtsnachfolgerin in der Geisterbehörde vor! Falls dabei etwas amtlich erwähnenswertes herauskommt senden Sie mir bitte auch darüber einen schriftlichen Bericht oder adressieren einen Memoflieger, der mir die Kopie einer Mitschrift ihrer Besprechung zustellt! Mehr ist im Moment nicht zu besprechen, zumal ich da selbst gleich einige Termine wahrnehmen muss, die noch vor Monatsende abgehandelt werden sollten. Ich wünsche Ihnen wie gesagt einen erfolgreichen und erquicklichen Arbeitstag!"

Julius bedankte sich mit der hier gebotenen Höflichkeit und verließ das Büro von Beaubois. Unterwegs zu Nathalie Grandchapeau dachte er über den Sinn von die Aufschrift wechselnder Türschilder nach. Wenn Beaubois wirklich unverzüglich mit ihm hätte reden wollen hätte er doch darauf stehen haben können: "Monsieur Julius Latierre bitte nach Anklopfen eintreten! So fing der Wiedereinstieg ins ordentliche Präsenzarbeitsleben schon gut an: Einen stillen Vorwurf kassiert, zum Lesen eines vielleicht längeren Schriftwechsels und zum Schreiben eines Berichtes verdonnert und demnächst vielleicht noch wegen der Sache mit Euphrosyne mit Léto sprechend, weil die das nicht mit Pygmalion Delacour selbst besprechen durfte. Was würde ihm Nathalie und vielleicht auch Demetrius Vettius noch mitgeben, dass er heute nicht gelangweilt im Büro herumsitzen musste?

Auf Nathalies Bürotür prangte ebenfalls ein bei Bedarf die Schrift wechselndes Schild. Auf dem Stand tatsächlich: "Im Gespräch. Falls M. Julius Latierre vor der Tür, bitte anklopfen und auf Einlass warten!" So ging es doch, dachte Julius und klopfte dreimal kurz. Sofort wechselte das Schild in eine rote Schriftfarbe und gebot ihm, einzutreten.

Im Büro saßen alle Außendienstmitarbeiter des Büros für friedliche Koexistenz zwischen Menschen mit und ohne Magie. Julius grüßte alle höflich, wobei er natürlich erst die Bürovorstehende und dann die Anwesenden nach Dienstalter grüßte.

"Natürlich mussten Sie erst bei Monsieur Beaubois vorsprechen. Doch dieser bekräftigte, Ihnen zunächst erst einmal die Lektüre der in den letzten Wochen aufgekommenen Vorgänge anzuweisen und sie dann zu mir zu schicken", sagte Nathalie Grandchapeau. Sie sah nicht so aus, als sei sie schon seit über einem Jahr im siebten Monat schwanger. Das lag an der besonderen Unterkleidung, die bei Bedarf eine Schwangerschaft verbarg, wenn sie nicht für jeden erkennbar sein sollte. Julius entschuldigte sich und erwähnte, dass er abgewartet habe, bis eine Kollegin ihr Gespräch mit Monsieur Beaubois beendet und dessen Büro verlassen habe.

"Das ist zur Kenntnis genommen", sagte Nathalie Grandchapeau und deutete auf einen freien Stuhl. "Außerdem kommen Sie jetzt genau richtig, weil sich hier gerade eine Debatte entsponnen hat, inwieweit wir die nichtmagischen Sicherheitsbehörden und gar die Regierung Frankreichs darüber in Kenntnis setzen müssen, dass es Übergriffe seitens jener Glaubensgemeinschaft namens die Gesandten der schlafenden Göttin, sowie auch mögliche Übergriffe seitens der Werwolfbruderschaft und die Existenz ihrer natürlicher Schatten beraubter Männer und Frauen gibt. Wir erhalten nämlich fast jeden Tag Meldungen über Vampire, schattenlose Menschen, die versuchen, in für Handel und Politik wichtige Gebäude einzudringen und müssen stündlich mit neuen Angriffen der Mondbruderschaft rechnen, die sich wegen der Massaker der letzten beiden Vollmondnächte rächen wollen. Zwar haben wir hierfür schon genug eigenes Personal eingeteilt, um wichtige Männer und Frauen zu schützen, und die Légion de la Lune hat bereits Personenschützer für den Staatspräsidenten, den Innen- und den Außenminister Frankreichs abgestellt. Doch wir fürchten, dass dies nicht ausreicht. Abgesehen davon verlangt Monsieur Colbert, dass jemand von uns eine haltbare und auf Jahre hinweg gültige Begründung einreicht, wieso wir nun zusätzliches Personal zur Absicherung von ranghohen Beamten aus der magielosen Welt sowie einflussreichen Geschäftsleuten und Naturwissenschaftlern aufbieten. Vielleicht können Sie uns da mit entsprechenden Argumentationshilfen dienen, Monsieur Latierre."

"Da benötige ich aber zunächst eine Auffrischung meines bisherigen Kenntnisstandes, Madame Grandchapeau", erwiderte Julius und sah, wie auf Nathalies Schreibtisch eine Flotte-Schreibe-Feder über einen mit vier Briefbeschwerern glattgehaltenen Pergamentbogen flitzte. "Rose, übernehmen Sie das bitte!" sagte Nathalie. Daraufhin erzählte ihm Rose Devereauxin Kurzform, was sich seit den letzten acht Wochen getan hatte und erwähnte auch ein ins Internet gesetztes Ultimatum der Mondbrüder, jeden weiteren Massenvernichtungsangriff zu unterlassen oder mit sehr unerfreulichen Reaktionen rechnen zu müssen. Neben dem Ultimatum als solchem war erschütternd, dass es in Form eines sogenannten Wurms im Internet verteilt worden war, der aus mehreren Rechnern ins Internet eingespeist worden war. Diese Rechner waren alle samt und Sonders über Satellitenmodem oder Mobilfunknetz mit dem Internet verbunden gewesen, was nahe zu unmöglich machte, einen festen Ausgangsort zu bestimmen, da die Rechner von verschiedenen Punkten der Welt aus gesendet hatten.

"Öhm, und die Informationsverfremdung konnte die Botschaft nicht in für die Magielosen harmlos erscheinende Texte umwandeln?" fragte Julius.

"Das ging schon, weil Madame Merryweather in den USA die englischen und französischen Fassungen dieses Ultimatums als Vorlage für eine Verfremdung nutzen konnte. Jetzt glauben hoffentlich alle nichtmagischen Internetnutzerinnen und -nutzer, dass diese ominöse Glaubensbruderschaft Al-Qaida dahintersteckt, welche 2001 das Welthandelszentrum in New York zerstört und dabei an die 3000 Menschen ermordet hat. Deshalb sind natürlich auch die Sicherheitsbehörden aller Staaten darauf aus, die Urheber dieser Botschaften zu finden. Das kann jedoch zu einer Bedrängnis für die Mondbruderschaft führen, aus der heraus sie noch brutaler und gnadenloser zuschlagen könnten. Monsieur Colbert lehnt jedoch eine weiterführende Aufstockung unseres Außendienstpersonals ab, solange er keine für seine Behörde zulässige Begründung vorliegen hat, die im Bedarfsfall die nächsten 20 Jahre lang gültig bleibt", sagte Madame Nathalie Grandchapeau. Julius nickte und atmete mehrmals durch. Dann bat er protokollgemäß um Sprecherlaubnis und formulierte quasi druckreif, dass die Sicherheit der zaubererweltbürger auch von der Sicherheit der nichtmagischen Bürger abhängig sei und durch Einflüsse oder Verbrechen unter Benutzung der Magie eine potenzielle bis akute Gefahrenlage eintrete, auf die möglichst rasch reagiert werden müsse, bestenfalls durch eine personell und materiell bestmöglich ausgestattete Überwachung und Gefahrenbekämpfung, wobei durch erhöhte Wachsamkeit und lückenlose Überwachung der als hochgefährdet erkannten Menschen oder Körperschaften eine unmittelbare Gefahr verhindert und somit Kosten für die Schadensregulierung vermieden werden könnten. Dann zählte er noch die ihm als besonders schützenswerten Personen und Körperschaften auf, also Regierungsvertreter, Chefs von Waffen- und Energieunternehmen, ja aber auch Einrichtungen zur Erforschung von Krankheitserregern. Er verwies auf die Zombieinvasion in den vereinigten Staaten von Amerika im Jahre 1999, die nur deshalb rechtzeitig abgewehrt werden konnte, weil frühzeitig genug Personal mit der auf die Gefahr abgestimmten Ausrüstung eingeteilt worden war. Er fügte dem noch hinzu, die betreffende Akte im Zug der vereinbarten internationalen Zusammenarbeitsübereinkunft von 2002 aus den USA zu erbitten, um sie als Anlage zum formal korrekten Antrag beizufügen. Nathalie lächelte ihn an, als er seine Ausführung beendet hatte. Dann sah sie Rose Devereaux an und sagte: "Sie fügen diesem klaren Auftrag unsererseits und der amtlichen Begründung für die dafür nötigen Aufwendungen noch eine detaillierte Aufstellung der von Ihnen geleiteten Truppe und der bereits unternommenen Schritte an, Rose. Julius, ich bitte Sie und werde das gleich noch schriftlich für Monsieur Beaubois verfassen, dass Sie bis zum 30. Juli diese nötigen Anträge bei Monsieur Colbert einreichen und bis dahin alle nicht akuten Vorgänge hintanstellen. Ich weiß, das wird mich einige wertvolle Minuten meiner Lebenszeit kosten, dem Kollegen Beaubois begreiflich zu machen, dass diese Sache Vorrang vor anderen Vorgängen hat, mit denen er Sie betrauen mag. Denn ich stelle mir vor, dass Sie selbst, Julius, demnächst noch einmal in die vereinigten Staaten reisen, um mit den Bereichskollegen dort eine Ergänzung der bisherigen Übereinkunft zu verfassen. Zwar ist unsere Ansprechpartnerin Nancy ... öhm ... Unittamo, nicht mehr im Ministerium tätig, hat aber eine Liste der für unsere Anfragen zuständigen Kollegen hinterlassen. Diese Liste kann im Rechenzentrum unserer Abteilung von Ihnen abgefragt werden."

"Monsieur Beaubois erbat von mir einen ausführlichen Bericht zu den Gründen meines unabsichtlichen Fernbleibens. Diesen habe ich in Voraussicht einer solchen Anfrage schon größtenteils fertig und muss ihn nur noch abschließen und adressieren. In einer Stunde kann ich dann mit der Kollegin Devereaux ausarbeiten, wie es weitergeht", sagte Julius. Nathalie nickte ihm einverstanden zu.

Tatsächlich hatte Julius schon vor mehreren Wochen, als sich abzeichnete, dass er am 27. Juli wieder ins Büro konnte, einen ausführlichen Bericht über seine Zeit unter der Dämmerkuppel verfasst und immer wieder mit weiteren Punkten ergänzt, vor allem der Krankmeldung von Béatrice Latierre. Da er ja bis zum Ausfall der Distantigeminus-Verbindung viele schriftliche Dinge bearbeiten konnte war er ja nicht untätig gewesen. So konnte er um kurz vor zehn die Memos mit Kopien seines ausführlichen Berichtes losschicken. Die Sache mit Euphrosyne wollte er dann auf morgen vertagen, weil er hierfür auch gerne mit Léto persönlich sprechen wollte und das gleich auch mit der auf den 18. August verschobenen Hochzeit zu erläutern.

Als die Kaffeepause vorbei war arbeitete er mit Rose Devereaux die korrekte Begründung für Monsieur Colbert aus. "Der freut sich garantiert wieder, mich zu sehen, nachdem ich ihm damals mit der Kollegin Belle Grandchapeau mehr Gold für neue Computer aus dem Ärmel geschüttelt habe", meinte Julius, als sie die amtlich formulierte Begründung abgeschickt hatten. "Der freut sich immer, wenn ihm jemand erzählt, wie er Gold einsparen kann", erwiderte Rose Devereaux. Julius hörte die gewisse Ironie wohl heraus.

Da er wider die erste Befürchtung bis zum Mittagessen doch noch eine Stunde Zeit hatte las er sich die Korrespondenz zum Fall Euphrosyne Blériot durch. So erfuhr er, dass die bei Léto zum Wiederaufwachsen verurteilte Euphrosyne herausgefunden hatte, wie sie ihr zustimmende Anverwandte ansingen konnte,um eine mögliche Befreiung zu erwirken. Allerdings hatte Euphrosynes Cousine Xantacore davon Wind bekommen und es ihrer Großmutter Léto mitgeteilt. Daraufhin hatte diese sich mit dem Ältestenrat der Veelas und dem französischen Zaubereiministerium darauf verständigt, dass Euphrosyne beinahe einen blutigen Kampf zwischen Veelas und Menschen ausgelöst hätte und sie deshalb wohl besser ohne bisherige Erinnerungen aufwachsen sollte. Um sie fern ab ihrer französischen Verwandten groß werden zu lassen hatte sich Lukiana, die Tochter der ältesten bulgarischen Veelas, bereitgefunden, Euphrosyne großzuziehen, wobei sie dann unter dem Namen Danubia aufwachsen würde und wohl dann in Durmstrang unterrichtet würde. Das reichte Julius aus, um Léto kurz anzumentiloquieren und ihr mitzuteilen, dass er das alles mitbekommen hatte und bis übermorgen alle noch ausstehenden Berichte und Bestätigungen fertig zu haben.

"Es ist sehr traurig, dass Euphrosyne so uneinsichtig ist und sich nicht damit abfinden wollte, für ihr Fehlverhalten zu büßen. Na ja, kann ich mich eben wieder um meine anständig bei und mit euch lebenden Kinder kümmern. Vor allem die nun im August anstehende Hochzeit von Gabrielle und Pierre kann ich nun mit dir ohne Belastung durch Euphrosyne zu Ende bringen", schickte Léto zurück. Julius bestätigte das. "Ach ja, bitte schreibe mir dein Erlebnis mit diesem aus seinem Kerker freigekommenen bösen Geist Sardonias auf, bitte wahrheitsgemäß und vollständig. Wenn du ihn fertig hast möchte ich ihn in mich aufnehmen, für den Ältestenrat."

"Da muss ich aber erst mal bei meinem Vorgesetzten anfragen, ob ich das darf", schickte Julius zurück.

"In dem Fall gilt, dass wir Söhne und Töchter Mokushas ebenfalls mit rachsüchtigen Geisterwesen rechnen müssen und du auch uns gegenüber berichtspflichtig bist, falls wir im ältestenrat ergründen, dass wir über derartige Vorfälle alles wissen müssen. Ein solcher Beschluss steht seit dem Tag, den ihr den siebten Juli nennt. Ich wollte dich nur nicht damit belangen, solange du nicht wieder in deinem Amtszimmer sein darfst."

"Du weißt, dass ich mich dir damit ausliefere, Léto?" fragte Julius.

"Das weiß ich sehr wohl. Aber ich weiß auch, dass du wesentlich besser damit leben wirst, wenn diese Last nicht nur auf deinen Schultern liegt", gedankenantwortete Léto.

"Sardonia ist wortwörtlich Geschichte, Léto", entgegnete Julius über die unbestimmte Entfernung zur Matriarchin der französischen Veelas.

"Mag sein, aber das mit diesen Seelengefäßen ist nicht erst seit Sardonia so und wird wohl auch noch weitere betreffen. Abgesehen davon sind bei Sardonias Vorherrschaft fünf meiner Vorfahren in eine unsägliche Knechtschaft gezwungen worden. Sowas wollen wir nicht noch einmal erleben." Julius hätte fast geantwortet, dass die Sache zwischen Sarja und Grindelwald und eben auch Euphrosynes Aktionen Sardonias Machenschaften nicht nachstanden. Doch er antwortete: "Wie erwähnt, du weißt, dass ich mich dir damit ausliefere, wenn ich dir alles schreibe. Abgesehen davon können du und die anderen nicht viel damit anfangen, weil ihr es nicht selbst so machen könnt wie ich."

"Woher weiß ich das, wo ich deinen Bericht noch nicht gelesen habe?" fragte Léto. Julius hörte es so, als wolle sie ihm vorhalten, dass er nicht wissen konnte, was Veelas alles machen konnten. Deshalb bestätigte er nur, dass er den Bericht an sie so bald wie möglich fertig haben würde.

Nach dem Mittagessen tauschte er mit den von Nancy Unittamo geborene Gordon als Kontaktpersonen angegebenen Leuten in den Staaten E-Mails aus und druckte die erhaltenen Antworten für die Akten aus.

Froh, doch schon einiges weggeschafftzu haben apparierte Julius um fünf Uhr aus dem Foyer des Ministeriums direkt in das Apfelhaus hinüber. Durch das Erlöschen der dunklen Kuppel Sardonias musste er nicht mehr das Flohnetz benutzen.

"Und, welche S0-Sachen haben sie dir heute schon aufgeladen, Monju?" fragte Millie, nachdem Julius erst Aurore und Chrysope begrüßt und dann seine Frau innig umarmt hatte.

"Keine direkten S0-Sachen, aber alles C5, also nichts für die Presse", sagte Julius. "Die Werwölfe von der Mondbruderschaft haben einen Vergeltungsangriff wegen dieser Mondlichtverfremdungsstrahlen angedroht, übers Internet, weil die wissen, dass wir da mitlesen und angeblich nicht alle Kopien des Ultimatums abfangen können. Außerdem wurde Euphrosyne nun für tot erklärt. Die, die sie früher mal war, darf jetzt in einem anderen Land bei einer anderen Veela aufwachsen. Wir haben seit dem zwölften Juli eine unsichtbare Schutztruppe für wichtige Nichtmagier, die Anschläge von Werwölfen oder Vampiren vereiteln sollen und mussten heute noch für den Finanzbehördenleiter eine nachvollziehbare Begründung dafür abliefern. Ich darf mich in den nächsten Tagen noch mit Leuten aus den Staaten unterhalten, wie wir das Abkommen über die Bekämpfung dieser Nachtschattenkönigin und anderer Gefahren ergänzen. Dabei fiel mir noch rechtzeitig ein, dass bei der Gelegenheit auch über weitere Handelsbeziehungen gesprochen werden kann, weshalb ich mich selbst wohl noch einmal mit Nathalie und Midas Colbert unterhalten darf.

"Und hat sich Demetrius bei dir gemeldet, als du wieder in Hörweite warst?" gedankenfragte Millie.

"Nein, hat er nicht. Womöglich hat seine Mutter ihm klargemacht, dass im Moment zu viel los ist, als dass ich mich mit ihm unterhalten könnte", schickte Julius zurück. Dann fragte er, was ihr heute so passiert sei. "Ich habe mir den Tanzplatz angesehen und Camille und den andern bei der Neubepflanzung zugesehen", sagte Millie mit hörbarer Stimme. "Ich wurde von Roseanne gebeten, über diesen Sommerball zu schreiben, da die Leute da draußen ja jetzt dran gewöhnt sind, dass ich die Lokalheroldin von Millemerveilles bin, so Barbaras und Jacques' Maman. Bei der Gelegenheit konnten Aurore und Roseannes Zwillinge miteinander den Garten der Lumières umpflügen, weil Jacques den beiden ein vierrädriges Ding namens Traktor zum Geburtstag geschenkt hat, an dem hinten ein Pflug oder vorne eine Schaufel angesetzt werden kann. Roseanne ist da zwar nicht so begeistert von, aber ihr Mann ist hin und weg von diesem Traktor. Ist das nicht ein Ackerbaufahrzeug der Nichtmagier, Monju?"

"Stimmt. Traktor oder auch Trecker, je nach Sprachanspruch ist ein mit Motorkraft getriebenes Zug- oder Räumfahrzeug, das in der Landwirtschaft eingesetzt wird. Das war zwar nie so ganz mein Lieblingsspielzeug. Aber als Dreijähriger bin ich auch auf so einem Plastiktrecker herumgefahren und habe gerne das Herbstlaub aus dem Garten damit abgebaggert, bis ich dann mit fünf einen Schaufelbagger bekam, mit dem das wesentlich besser ging. Da war ich dann aber mit acht Jahren zu groß für und fing da schon mit Computerspielen an", spulte Julius Erinnerungen an seine frühere Kindheit ab.

"Also ist das eher was für Jungs?" wollte Millie wissen.

"Nicht unbedingt. Es gibt in der nichtmagischen Welt auch alleinstehende Bäuerinnen, die Trecker fahren", erwiderte Julius darauf. Millie grinste. "Dann könnte ich Lunette und Été vielleicht mal Tante Babs empfehlen, dass die nach Beaux bei ihr anfangen."

"Dann kriegst du aber den Ärger mit Roseanne und Vestus", grinste Julius. "Oder denkst du, die wollten die zwei nur als Landfrauen großziehen?"

"Am Ende werden die eh wie Barbara van Heldern geborene Lumière, nur im Doppelpack", erwiderte Millie darauf. Das wollte Julius nicht abstreiten.

Kurz bevor Millie und Julius sich hinlegen wollten, um in den nächsten Arbeitstag hineinzuschlafen trompetete Béatrices Pappostillon. Der gemalte Schmetterling entrollte seinen Rüssel und ließ eine Nachricht daraus entströmen:

Von Calypso Eudore Latierre
An: Béatrice Calliope Latierre
Betrifft: eigene Beiträge für Patricias Hochzeitsfeier
Hallo Trice.

meine Schwester und ich sind von Tante Pattie als Planerinnen ihrer Hochzeitsfeier angestellt worden.
Wir sollen also was machen, um ihre Feier richtig schön hinzukriegen.
Deshalb fragen wir alle von uns, ob sie was üben wollen, dass sie bei der Feier machen wollen.
Oma Line will kein Musikfass bei der Feier haben.
Sie hat das Tanz- und Kammerkonzertorchester douze Fées bestellt.
Die sollen beim Essen und zum Tanzen spielen.
Wer aber selbst Musik machen kann und will ist eingeladen, was vorzuspielen.
Wer für sich alleine spielen will kann für sich selbst üben.
Aber bitte schreibt mir oder meiner Schwester, wie viele Stücke das sind und wie lange die zusammen sind!
Dann können wir euch an den passenden Stellen auftreten lassen.
Wer mit wem aus einem anderen als dem eigenen Haus was einüben will kann das über uns verabreden und planen.
Auch dabei ist nötig, dass wir wissen, wie lang ihr für eure Sachen braucht.
Das ist jetzt keine Anweisung, dass jeder mehr machen muss, außer dabei zu sein.
Aber wenn wir eine eigene Aufführung hinkriegen wird es sicher noch schöner.
Bitte schreibt Pennie oder mir, was wer mit wem macht oder nicht.
An die Tanzfreunde: Ihr kriegt genug Möglichkeiten, bei der Feier zu tanzen, sagt Oma Line.
Danke schön und auf eine sehr schöne Feier.

"Ui, gerade noch im Rahmen der Pappostillonmöglichkeiten", stellte Julius nach dem ersten Mitlesen fest. Millie grinste. "Wir machen das schon seit Jahrzehnten. Deshalb können die, die was amtliches machen, auch wenn sie müssen kurz und knapp texten", sagte sie. Das verstand Julius.

"Und, spielen wir was ein?" fragte Millie ihren Mann und ihre Tante. Die gefragten überlegten. Béatrice konnte Tasteninstrumente, Harfe und Blockflöte spielen. Millie konnte ebenfalls auf einem Klavier oder anderem Tasteninstrument spielen und hatte in Beauxbatons im Schulchor mitgesungen. Nach einer kurzen Beratung beschlossen sie, zwei zusammenpassende fröhliche Stücke aus dem Liederbuch Hecate Leviatas einzuüben, zu dem Aurore wenn sie Lust hatte Tamborin oder Triangel spielen konnte. Julius würde dabei auf der Alt- und Béatrice auf ihrer Sopranblockflöte spielen, während Millie sie am Klavier im Sonnenblumenschloss begleiten würde, das garantiert auch im Festsaal zum Einsatz kommen würde. Damit war es beschlossenund verkündet. In den nächsten drei Tagen würden sie wissen, wie lange die beiden Stücke waren und ob Callie und Pennie sie vor der Hochzeit noch einmal vorgespielt bekommen wollten.

Ganz zum Schluss gönnten sie sich den Scherz, dass Millie Callie und Julius Pennie antextete und Nachrichten mit ähnlichem Inhalt verschickten.

__________

Am nächsten Tag besprach sich Julius mit Pygmalion Delacour zunächst über die ihm zugestandenen Sachen. Als das erledigt war ging es um die Hochzeitsvorbereitungen.

"Ich erkenne schon, dass es meiner Tochter nicht gefällt, noch einen Monat zu warten, wo sie ja schon längst mit Pierre auf Hochzeitsreise sein möchte. Andererseits hat sie selbst darauf bestanden, dass Sie Pierres Trauzeuge bleiben und sie nicht ihren Schwager Bill aus England dafür einspannen muss, was dann wie eine zweite Wahl aussähe. Aber ich denke, um nicht zu heftig meine Arbeits- und Freizeittätigkeiten durcheinanderzubringen Besprechen Sie sich lieber mit meiner Frau Schwiegermutter, meiner Gattin und meiner noch immer auf die Hochzeitsglocken wartenden Mademoiselle Gabrielle", sagte Pygmalion Delacour. Julius erklärte sich damit einverstanden und ließ den nun für alle Zauberwesen, die keinen Kontakt mit Menschen hatten zuständigen Kollegen wieder für sich alleine.

In seinem Büro fand er eine Liste angesetzter Vorstellungsgespräche. Tatsächlich wollte Pierre Marceau ausloten, ob er demnächst schon im sogenannten Muggelkontaktbüro anfangen könne. Üblicherweise fand eine feierliche Begrüßung neuer Amtsanwärter am ersten Montag im September statt. Das würde er Pierre sicher auch sagen. Zudem planten drei Schülerinnen des Abschlussjahrgangs 2003, in Madame Grandchapeaus Büro anzufangen, darunter eine Dorothée Charles, die in ihrem Bewerbungsschreiben erwähnt hatte, dass sie auch Katalan konnte, was in Andorra, Katalonien und der Region Valencia gesprochen wurde. Das zu prüfen musste er dann wohl jemandem anderen überlassen. Jedenfalls hatte ein Mitschüler von Pierre Marceau aus dem weißen Saal in sein Bewerbungsschreiben eingefügt, dass er in den Ferien immer mit dem Internet "einem Verbund aus zusammengeschalteten Rechnern", geübt habe und sogar Texte über den Aufbau dieses weltweiten Netzwerkes gelesen hatte, sofern dieses Wissen bei der Arbeit mit nichtmagischen Menschen gebraucht werde. Das konnte Julius dann am 8. August prüfen, weil der betreffende Kandidat vorher noch andere Termine hatte, wie Madame Grandchapeaus Randbemerkung auswies. Er vermisste eigentlich eine Bewerbung von Louis Vignier und Marc Armand. Doch hätte er schon einen Tag nach der Hochzeit arbeiten wollen? Sicher wussten Louis und Marc, dass die neuen Amtsanwärter in der ersten Septemberwoche vereidigt wurden. Was Louis anging kam noch hinzu, dass er sicher nicht so gerne in einer Behörde arbeiten wollte, die anderen Menschen mal eben die Erinnerungen an ihre eigenen Kinder aus dem Gedächtnis bürsten konnten. Laurentine hatte ja genau deshalb ihre Anwartschaft vorzeitig aufgekündigt.

Mittags traf er sich für eine Stunde mit Léto, ihrer Tochter Apolline und deren Tochter Gabrielle und ließ sich berichten, wie sie mit Pierres Eltern verhandelt hatten, dass sie die Hochzeit erst am 18. August feiern würden. Julius fragte, wie das mit dem Platz war, an dem gefeiert werden sollte. Apolline erklärte ihm darauf, dass sie das übernommen habe und die Vermieter des kleinen in einem Wald bei Amien gelegenen Jagdschlosses davon überzeugt habe, dass sie auch am 18. und 19. August früh genug Geld erhielten. Außerdem könnten sie so noch mehr Gäste einladen, die sich in den verfügbaren Übernachtungszimmern einquartieren könnten.

"Ich kann es mir vorstellen, wie umgänglich die Leute waren, sofern männlich", grinste Julius und schirmte seinen eigenen Geist mit dem Lied des inneren Friedens ab, weil Apolline ihn so anstrahlte wie zwei Sonnen auf einmal.

"Also, Monsieur Latierre, Pierre und ich wollten beide, dass Sie uns dabei begleiten, bevor noch wer von den älteren Hexenund Zauberern meint, uns das noch einmal ausreden zu wollen. Pierres Eltern sind einverstanden, dass er und ich uns von einem Zeremonienmagier trauen lassen. Sie haben den anderen erzählt, ich gehöre einer nichtkatholischen Glaubensgemeinschaft an und wir würden deshalb nur standesamtlich heiraten, was immer das sein soll."

"Oh, da bereitet ihr schon so lange eine Hochzeit vor und Pierre hat nicht erklärt, was ein Standesamt ist?" staunte Julius. Dann erklärte er es. Er erwähnte aber auch, dass er im Rahmen der Existenznachweisbestimmungen bei Eheschließungen zwischen Angehörigen der magischen und nichtmagischen Welt für die nichtmagischen Beamten gültige Papiere wie Geburtsurkunden, damit zusammen wohl auch einen Mutter-Kind-Pass, Ausweise mit einer bei den Nichtmagiern nachprüfbaren Anschrift und die wichtigsten Schulzeugnisse vorweisen musste, und zwar für Gabrielles Eltern als auch für sie. Das wiederum wussten Apolline und Gabrielle schon und hatten die betreffenden Unterlagen seit dem fünften Juli im Haus. Er nickte und fragte nun, wie viele Gäste von beiden Seiten kämen.

"Abgesehen von meiner Schwester Églé, die meiner Mutter und mir zürnt, dass wir ihr ihre Tochter "weggenommen" haben, kommen alle meine Schwestern mit ihren Kindern, dann natürlich Fleur mit ihrem Mann Bill, der kleinen Victoire und Bills Blutsverwandten und verschwägerten Verwandten, also auch Harry Potter und Hermine Weasley, wenngleich Fleur mit dieser jungen Dame in den letzten Monaten immer mal wieder Unstimmigkeiten hatte, seitdem diese Dame Amos' Diggorys direkte Untersekretärin ist. Kann sein, dass sich dieser Mr. Diggory noch einmal bei dir meldet, weil du ja der gesamteuropäische Veelabeauftragte bist, Julius", sagte Apolline.

"Die übliche Ablehnung von Veelas, Julius. Nichts, was mir wirklich Sorgen macht", meinte Léto dazu. Julius nickte. Er hatte es ja selbst mal gespürt, wie sich das für eine Hexe anfühlte, in der Nähe einer Veela zu sein, als ein dreister und zugleich dummer Streich ihn für vier Tage zu Belle Grandchapeaus Zwillingsschwester gemacht hatte.

"Dieses Jagdschlösschen werde ich mir am besten einige Tage vorher ansehen, um zu prüfen, ob wir klare Trennungen zwischen den nichtmagischen und magischen Gästen durchführen können und müssen. Also ihr habt dieses kleine Château bei Amien buchen können, in dem auch mal der Schriftsteller Jules Verne für einige Nächte gewohnt hat, um sich vom Stadtgetriebe zu erholen."

"Das ist mir so nicht bekannt", sagte Apolline. "Ich weiß nur, dass ich den Besitzer dieses kleinen Schlosses nur zwei Minuten lang sprechen musste, um die Verschiebung des Termins hinzubekommen."

"Gut, dann brauche ich von meinem Kollegen Pygmalion und dir, sowie den Marceaus eine schriftliche Vollmacht, dass ich in euren Angelegenheiten die letzten Vorbereitungen in dem Schloss überwache. Gibt es da Dienstboten, oder werden die nur angestellt, wenn sie von den Mietern erbeten werden?"

"Pierres Vater, der das kleine Schloss gefunden hat, gab mir drei Kopien des Prospektes. Eine davon habe ich auf Veelaart gelesen. Hätte ich besser mal lassen sollen. Diese künstlichen Druckerfarben haben mir den ganzen restlichen Tag bunte Lichterscheinungen vorgegaukelt und leichte Kopfschmerzen bereitet. War so wie bei Gabrielle, als ich ihr das mit fünfzehn gezeigt habe, und sie meinte, eines ihrer alten Bilderbücher auf diese Weise "lesen" zu wollen."

"Ja, war echt fies", schnarrte Gabrielle. "Ich habe an jeder weißen Wand die Sachen aus dem Buch gesehen und die Leute oder Tiere aus der Geschichte darauf herumlaufen gesehen, bis mein Gedächtnis das endlich richtig aufgenommen hat", meinte Gabrielle.

"Da kannst du ja froh sein, dass du nicht Winnys wilde Welt "gelesen" hast", grinste Julius Gabrielle an.

"Das wär's noch gewesen", schnarrte Apolline. "Dieses Buch hat mal versucht, mich in sich reinzuziehen. Nur meine Abstammung hat das erschwert."

"Mädchen, wichtig ist, dass Julius hier alles aufgeschrieben bekommt, was ihr ihm für euch zu tun erlaubt", sprach Léto ein Machtwort. Ihre beiden jüngeren Blutsverwandten nickten.

"Hier ist die entsprechende Erklärung. Eine kriegen die Marceaus. Bitte bis zum fünften August an meine Büroanschrift schicken!" sagte Julius und übergab Gabrielle und Apolline entsprechende Papierzettel.

Als das auch erledigt war konnte Julius einen vorgezogenen Feierabend machen. Es war schon schön, sein eigener Chef zu sein. Und da er ja schon eine Menge der aufgeladenen Pergamentwälzerei durchgezogen hatte konnte er schon um halb vier das Ministerium verlassen, um sich in aller Ruhe auf den Sommerball in Millemerveilles vorzubereiten.

Aurore und Chrysope durften bis morgen früh zu ihrer Uroma Line ins Sonnenblumenschloss. Clarimonde wurde von Millie selbst dort hingebracht. Denn Béatrice hatte eine offizielle Einladung von Hera Matine erhalten, am Sommerball teilzunehmen. Als Millie wiederkam zogen sie sich alle um. Julius zog erneut jenen jadegrünen Grünstaudenumhang mit Goldverzierungen an, mit dem er bereits mehrere Bälle besucht hatte. Béatrice trug ein veilchenblaues Ballkleid mit bunten Rüschen an Ärmeln, Saum und Kragen. Millie hatte ebenfalls ihr Grünstaudenkleid angezogen, dass ihre von der Schwangerschaft verbliebenen Körperformen eher hervorhob als versteckte.

So flogen Millie und Julius mit ihrer Tante Béatrice auf dem Familienbesen zum Musikpark hin, wobei Julius in der Mitte saß und Millie die Steuerung übernahm. Unterwegs trafen sie auch schon andere Familien mit Kindern über elf Jahren, darunter die Lagranges zusammen mit Belisama und dem um seine Titelverteidigung gebrachten Polonius. Mit einem lauten, fröhlichen "Miep-Miep" fegten die Geschwister Celestine und César Rocher am Ganymed Matrimonium der Latierres vorbei. Julius musste darüber lachen. Woher kannten die Rochers denn den Road Runner von den Looney Toons? Dann rief er laut und beschwingt: "Andale Andale Arriba!!" mit erhöhter Stimmlage. Das brachte erst Millie und dann die schon mehr als zwanzig Längen vorausfliegenden Rochers zum lachen.

"Wer oder was sollte das denn jetzt sein, Julius?" wollte Béatrice wissen. Julius erzählte es ihr. Das ließ sie auflachen. Millie meinte dazu: "Wenn dieser Speedy Gonzales wirklich die schnellste Maus von Mexiko ist, warum muss der sich dann selbst anfeuern, Julius?"

"Das habe ich mich auch immer gefragt, wo ich noch nicht wusste, dass der andauernd "Lauf, lauf, rauf!" ruft, wenn der durch die Gegend flitzt. Aber diese Zeichentrickfiguren machten ja eh komisches Zeugs", erwiderte er.

Hui, die haben aber jetzt alles aufgefahren, was die an Lichterschmuck haben", stellte Julius fest, als sie den Festplatz erreichten. Tatsächlich hatten die Veranstalter mehr als die üblichen bunten Lichter und Luftschlangen aufgehängt. Sie hatten metergroße goldene, blaue, hellgrüne und rosarote Leuchtballons über der Tanzfläche aufgehängt, aber auch die vielen bunten Laternen, die Julius und Camille während ihrer Ausflüge aus der Dämmerkuppel eingekauft hatten und die mit gewöhnlichen Kerzen zum leuchten gebracht wurden, wohl als Andenken an die Zeit, wo sie der magischen Dunkelheit von Sardonias Kuppel getrotzt hatten. Statt einer Bühne hatten sie einen knapp zwanzig Meter hohen Hügel mit darauf hinaufführenden Serpentinen errichtet. Außerdem war der Hügel mit frischem Gras bewachsen.

"Madame Latierre, hatten Sie Anweisung, mir nicht mitzuteilen, dass die Eheleute Brocklehurst auch zum Ball kommen?" fragte Julius, weil er gerade Brittanys weizenblonde Mähne aus dem Gewühl bereits angereister Hexenund Zauberer herausragen sah. Millie erwiderte: "Ja, eine ausdrückliche Anweisung von Dorfrätin Lumière, da diese die Eheleute Brocklehurst höchst offiziell als Begleiterin der Gesellschaftsdorfrätin von Viento del Sol eingeladen hat. Die sind da drüben." Millie deutete auf ein anderes Ehepaar, das Julius schon kannte, Stella und Fornax Hammersmith.

"Was machen die zwei denn da?" fragte Béatrice und deutete an Julius vorbei zu den Geschwistern Celestine und César. César, der gerade steuerte, versuchte, einen der rosaroten Leuchtballons aufzuspießen, federte aber immer wieder davon zurück.

"Ey, Strohwitwentröster, du kannst nicht in alles rosarote reinstoßen, was sich dir anbietet!" brüllte jemand mit magisch verstärkter Stimme. Julius musste erst das leise Klirren wegfiltern um zu verstehen, dass es Brunos magisch verstärkte Stimme war. Tatsächlich sah er ihn gerade mit Jeanne anfliegen.

"Wie alt ist der Junge jetzt?" wollte Béatrice wissen und deutete auf Bruno, während César anstalten machte, nach seinem zauberstab zu langen. Doch da erscholl Roseanne Lumières magisch verstärkte Stimme über den Platz: "Monsieur Bruno Dusoleil, für diese unerlaubte Benutzung eines Stimmverstärkerzaubers sowie eine höchst anstößige Wortwahl in Anwesenheit von Damenund Minderjährigen erhalten Sie fünfhundert Punkte Abzug auf alle erreichbaren Wertungen. Bei neuerlichem Fehlverhalten droht Ihnen der Verweis vom Festplatz. Öhm, Monsieur Rocher und Mademoiselle Rocher, unterlassen Sie bitte diesen Unfug, sonst muss ich auch jedem von ihnen beiden einen Punktabzug aussprechen!"

"Ui, habe ich bis heute nicht mitbekommen, dass jemandem Wertungspunkte im Vorfeld abgezogen werden können", meinte Julius dazu. Dann sagte er noch zu Béatrice: "Bei mir ist die Pubertät noch nicht so lange her wie bei Bruno. Aber ich verstehe es trotzdem nicht, was den gerade ... umtreibt."

"Du wolltest "reitet" sagen, Julius?" fragte Millie. Er bejahte es leise. "Das hättest du dann Jeanne fragen müssen", legte sie noch nach. Béatrice langte deshalb kurz an Julius' Kopf vorbei und zog ihr kräftig am linken Ohr, bis sie den Kopf wendete und sah, wer sie da so energisch maßregelte. "Ich glaube, ich zieh gleich mal Luftproben, für den Fall, dass Vita Magica nach dem Fortpflanzungsrauschgas auch ein Regressionsgas in die Luft blasen kann."

"Ein was-Gas?" knurrte Millie. Béatrice stupste Julius an, dass er antworten sollte.

"Regression ist eine Verhaltensweise, die jemanden jünger rüberkommen lässt als er oder sie wirklich ist, also wenn sich wer wie ein kleines Kind benimmt oder gerne in warmen dunklen engen Räumen ist, weil er sich in den Mutterleib zurückwünscht. Ein Vollbad in warmem Wasser könnte auch so ausgelegt werden."

"Nackig in der Badewanne zu sitzen ist aber nicht so peinlich wie das, was Bruno sich da gerade geleistet hat", meinte Millie dazu. "Abgesehen davon könnten Zauberer das mit dem Zurück in Mamans Bauch ja auch hinkriegen, wenn sie eine finden, die ihre Maman werden will." Béatrice musste das bestätigen, auch wenn sie gerade nicht so glücklich war, noch als Anstandshexe aufzutreten. Andererseits konnte Julius bei einem flüchtigen Blick zurück erkennen, dass es sie doch amüsierte, mit einem nicht ganz so bürgerlich biederen Ehepaar unterwegs zu sein. Sie bekam das mit und mentiloquierte: "Ihr gehört echt beide zusammen!"

Als alle Paare gelandet waren bekam Julius mit, dass Jeanne sich eine hitzige Debatte mit ihrem Mann lieferte. Denn Bruno hatte ihnen beiden sicher den Platz auf dem Podest der drei besten Tanzpaare des Abends vermasselt.

"Schönen guten Abend, die Damen und der Herr Latierre", sagte Roseanne. "Béatrice, Madame Matine möchte sie gerne an ihrem Tisch bei den Damen Eauvive haben. Madame und Monsieur Latierre, Sie nehmen bitte bei den Eheleuten Camille und Florymont, den Gästen aus Viento del Sol und meinem Gattenund mir Platz. Tischsprecherin bin ich", teilte Roseanne die Latierres ein. Béatrice winkte Millie und Julius und steuerte den Tisch an, an dem mehrere ausgebildete Heilerinnen saßen.

"Das ist höhere Politik, die besten Netzwerkhandlungen gehen bei Festveranstaltungen", kommentierte Julius, als er mit seiner Frau den angezeigten Tisch aufsuchte. Dann begrüßte er Camille und Florymont und fragte Camille, wo Maria und Adrian seien. "Die sitzen am Tisch der Delamontagnes, Pierres und Brickstons." Julius sah sich schnell um. Da konnte er Catherine und Joe sehen, die an einem der Tische auf der Ostseite des abgesteckten Tanzplatzes saßen. Joe trug einen jägergrünen Samtumhang mit Stehkragen, was ihm irgendwie nicht so recht zu passen schien. Catherine trug jenes Königsblaue Kleid, in dem sonst ihre Mutter beim Sommerball auftrat. Das brachte ihn darauf zu fragen, ob Madame Faucon auf die beiden kleineren Kinder aufpasste. Millie bestätigte das, als sie auch zu Catherine hinübersah. "Soweit ich das von ihr selbst gehört habe möchte sie, dass ihre Tochter und ihr Schwiegersohn einmal zusammen den Ball besuchen, wo Babette gerne mit Celestine und Denise zusammen dran teilnehmen möchte." Julius sah dorthin, wo Millies Hand hinzeigte und sah Babette, Denise, Melanie, Celestine und einige Jungs aus der zweiten bis vierten Klasse von Beauxbatons. Ihre Tischsprecherin war Sandrine, die wegen Gérards frühzeitigem Verschwinden aus der Welt als junge Witwe weder zu den älteren Junggesellinnen und -Gesellen noch zu den Ehepaaren passte, zumal von den alleinstehenden Hexen und Zauberern wohl bald sehr viele verheiratet sein würden. Wie schnell das ging zeigten Antoine Castello und Luiselle, geborene Fontchamp, die an einem anderen Tisch mit Ehepaaren saßen.

"Ich suche ... Ah, da ist er ja", sagte Julius und deutete auf einen Tisch, an dem Belisama wohl die Tischsprecherin war und an dem Louis Vignier zusammen mit Sylvie Rocher saß. Sie beide trugen heute abend hellblaue Festumhänge. Millie nickte ihm zu und deutete dann noch auf einen Tisch, an dem Ehepaare saßen. So konnte Julius neben Brunos Eltern noch die Eheleute Rocher und ein älteres Ehepaar sehen, von dem er die Frau kannte. Das war Laura Rocher, Césars, Sylvies und Celestines Großmutter väterlicherseits.

Millie machte es richtig Spaß, für Julius die Heroldin zu geben. Sie stellte ihm aus der Ferne weitere Ehrengäste und erste Teilnehmer an der am ersten August stattfindenden Hochzeitsfeier vor. Dann grinste sie, weil Sylvie ihr zuwinkte und ihrem Verlobten zeigte, wo die Latierres saßen. Offenbar sagte sie ihm was, dass ihm nicht sonderlich gefiel. Denn er verzog das Gesicht. Jetzt hätte Julius gerne mal Linda Knowles' magische Ohren gehabt.

Das Eintreffen der Festgäste dauerte noch eine Viertelstunde an. In der Zeit unterhielt sich Julius mit Brittany und Linus. Die beiden würden die Nacht bei Roseanne und Vestus Lumière verbringen. Sicher schliefen sie in dem Zimmer, in dem Jacques gewohnt hatte. Denn Barbara war mit ihrem Mann Gustav ebenfalls zum Sommerball herübergekommen, hatte aber ihre Kinder in Brüssel gelassen.

Als alle Gäste anwesend waren betrat Roseanne den aufgeworfenen und begrünten Hügel. Dann flirrte die Luft hinter ihr, und jetzt sahen alle, dass auf dem Hügel eine runde Bühne aufgebaut war, auf der zwanzig Musiker aus verschiedenen Bevölkerungsgruppen Aufstellung genommen hatten. Dann sah Julius noch zwei ausgewachsene unmagische Kühe, eine braune und eine weiße, die am Fuß der runden Bühne grasten und wiederkäuten. "Tja, da wart ihr jetzt nicht drauf gefasst, wie", meinte Brittany zu Julius. Dieser erkannte die Musiker und vor allem ihre beiden Maskottchen und Schautänzerinnen. "Diesen Gag musste eure Kulturdorfrätin unbedingt bringen. Ist mir zwar nicht so recht, dass die Truppe ihre beiden Vortänzerinnen mitnehmen musste, aber die haben das extra in ihren Vertrag reingeschrieben, dass sie nur dann hier aufspielen, wenn Dotty und Bläänch mittanzen dürfen. Ich hatte schon überlegt, meine Teilnahme abzusagen. Aber das ist hier viel zu wichtig, um das zum Streit zwischen euch und uns aufzublasen", meinte Brittany. Stella Hammersmith, die links von Brittanys Mann Linus saß sagte dazu noch: "Ich nehme die Aversion meiner jungen Assistentin gegen zur Schau gestellte Tiere zur Kenntnis. Aber ich muss ihr zustimmen, dass ihre Besorgnis und Ablehnung keinen Grund für neuerliche Zerwürfnisse bieten darf." Damit hatte es Julius amtlich, dass Brittany offenbar eine neue Chefin hatte, seitdem sie wegen der Schwangerschaft mit Leonidas nicht mehr im Profi-Quodpot mitspielen konnte und wohl schon nach einem Leben nach dem Sport gesucht hatte.

Ein Tusch von allen Blech- und Holzblasinstrumenten, sowie dem Becken und einer Basstrommel stellte sofort vollkommene Aufmerksamkeit her. In einen goldenen Lichtstrahl gebadet stand Roseanne nun auf der Bühne in der nähe der dunkelhäutigen Leiterin der Band, die wie damals bei der Hochzeitsfeier von Julius' Mutter ein grün-goldenes Kostüm trug. "Meine hochverehrten Mitbürgerinnen und Mitbürger, Freunde, Angehörige und Gäste", begann Roseanne mit magisch verstärkter Stimme zu sprechen. "Heute sind wir wieder zusammen, um den Mittsommerball zu feiern, eine Tradition zu würdigen, die wir seit Sardonias dunklem Jahrhundert immer sehr freudig bewahrt haben. Doch in diesem Jahr ist es wieder ein besonderer Abend. Denn vor gerade einmal einem Monat und vier Tagen schien Sardonias dunkles Vermächtnis uns jede Freude und jedes Vergnügen für lange Zeit zu verleiden. Doch das Wunder des Lebens, die Kraft der Liebe und die Beharrlichkeit und Unbeugsamkeit, Kreativität und Hilfsbereitschaft haben auch dieses letzte Aufgebot von Sardonias dunklem Vermächtnis überwunden. Deshalb können wir alle und vor allem mit Gästen von nah und Fern diesen wunderbaren Sommerabend feiern, ein Sommer, der für uns in Millemerveilles fast zum winter geworden wäre. Ich ergreife die mir zugestandene Gelegenheit, mich bei euch und Ihnen allen zu bedanken, die mithalfen, diese dunkle Zeit unter Sardonias von böser Macht verdorbenen Kuppel zu überstehen. Ich danke vor allem unseren fleißigen Gartenbaufachkräften unter der Leitung von Madame Camille Dusoleil, die unser grünes Dorf auch in den Zeiten mangelnder Sonneneinstrahlung grün gehalten haben. Ich danke den wackeren Sicherheits- und Feuerwehrtruppen, die in den dunklen Tagen und Nächten über uns gewacht haben, und ich danke vor allem denen, die mit Wissen und Phantaasie, Tatkraft und Ideenreichtum halfen, dass wir auch in den dunkelsten Stunden ein wärmendes Feuer und ein helles Licht in unseren Häusern und auf unseren Wegen hatten, wobei ich in Stellvertretung für alle, die mithalfen dem Meisterthaumaturgen Florymont Dusoleil und unserem vielseitig bewanderten und verlässlichen Mitbürger Julius Latierre und seiner Gattin Mildrid danken möchte, die sicherstellten, dass uns die von dunkler Zaubermacht geraubte Sonne wiedergeschenkt wurde. Auch danke ich den Heilerinnen und Heilern, die unser körperliches und seelisches Heil bewahrten und uns nicht in einen Strudel aus Trübsal und Wahnsinn stürzen ließen. Am Schluss bedanke ich mich bei unseren Gästen aus Viento del Sol, dass sie trotz des schmerzhaften Verlustes zweier ihrer Mitbürger weiterhin mit uns verbunden bleiben möchten und uns beim Wiederaufbau unseres friedlichen Gemeinwesens helfen, durch Ideen, Taten oder großzügige Spenden. Wir leben noch, wir leben weiter und wir wollen hier und jetzt mit euch allen feiern, dass wir der Sonne wiedergegeben sind. So übergebe ich mit großer Freude das Wort an die Sprecherin der aus den vereinigten Staaten angereisten Musikerinnen und Musiker dieses Abends, Mrs. Adda Applebee!" Tosender Applaus brandete von allen Tischen über den Tanzplatz bis zur Bühne auf dem grünen Hügel, der wohl eine Art aufgetürmte Kuhweide war, auf der die vierbeinigen Schautänzerinnen ihre andressierten Darbietungen zeigen konnten.

"Ladies and Gentlemen, Ich sage Danke für die herzliche Einladung, hier bei Ihnen aufzuspielen", sprach Adda Applebee. Julius hörte sofort, dass sie einen westfranzösischen Dialekt sprach, ohne amerikanischen Akzent. So ähnlich sprach auch Jane Porter, wenn sie nur französisch sprach. "Ich hoffe ganz stark, dass Sie und ihr alle heute abend richtig fröhlich zu unseren Liedern tanzen könnt. Wir haben alles mit, was bei uns in Amerika nördlich und südlich vom Rio Grande geboten ist. Aber wir werden auch große Klassiker aus dem guten alten Europa aufführen, zu denen alle tanzen können, die eine klassische Tanzausbildung genossen haben. Wir fangen an mit einem Stück aus der Feder des Wiener Walzerkönigs Johann Strauß dem jüngeren, um euch langsam in die rechte Stimmung zu versetzen. Mir wurde erlaubt, die Wahl zu bestimmen. Dann dürfen die Ladies zuerst auffordern, sofern genug Gentlemen anwesend sind und eine Aufforderung nicht unhöflich zurückweisen. Also dann."

Die Streicher aus dem zwanzigköpfigen Ensemble begannen. Julius hörte gleich an den ersten drei Tönen, dass natürlich der Walzer "An der schönen blauen Donau" aufgespielt wurde. Da zur Damenwahl aufgerufen war ließ er sich von Millie auffordern, während Brittany Linus etwas nachdrücklicher bitten musste, sie nicht hängen zu lassen. Roseannes Mann wartete, bis seine Frau von der Bühne herunter und zu ihm hinübergeeilt war.

"Und das alles geht, weil wir die kleine Clarimonde ins Leben gerufen haben", mentiloquierte Millie ihrem Mann während des Tanzes zu. Dieser schickte zurück: "Denkt Jeanne jetzt sicher auch im Bezug auf Bertrand."

Nach dem Wiener Walzer, zu dem die bereits verheirateten Paare und die Verlobten ihre Tanzkünste vorführten, durften die Herren sich Partnerinnen für einen Foxtrott suchen. Hera Matine und Béatrice tauschten zwar besorgte Blicke aus, schritten jedoch nicht ein. Millie und Julius blieben gleich auf der Tanzfläche. Dann kam eine Rumba, bei der ausdrücklich ein Partnertausch erbeten wurde. So tanzte Julius mit Camille, während Millie mit Florymont tanzte. Dabei fühlte er überdeutlich diesen warmen, alle schlechten Gefühle verdrängenden, bergenden Hauch und wusste, dass das vom Heilsstern Camilles kam. Doch diese ihn durchdringende Aura Ashtarias bewirkte auch, dass sie beide eine sehr gute Abstimmung fanden, als hätten sie schon monatelang miteinander getanzt.

"Das wird wohl in diesem Jahr der letzte Tanzabend sein", meinte Camille. Julius fragte sie, warum.

"Tja, wie soll ich es sagen: Florymont und ich werden im März oder April gleich vier neue Kinder haben, und Uranie hat gleich drei auf einmal zu tragen."

"Vier stück", ächzte Julius. "Oha, da kannst du dich mit meiner Schwiegeroma Line austauschen, wie das ist."

"Erst wenn die alle sicher auf der Welt sind", erwiderte Camille. "Aber überleg mal! Allein bei uns Dusoleils ist eine ganze Quidditchmannschaft Kinder in Aussicht. Wenn die meisten hier mehr als eins tragen verdoppelt oder verdreifacht sich unsere Einwohnerzahl auf einen Schlag."

"Wir müssen das nicht noch mal wiederholen, wie skrupellos diese Banditen sind, die dir und Uranie, Roseanne und Eleonore das angetan haben", raunte Julius.

"Ja, aber weil die vier da drinnen Florymonts und meine Kinder sein werden werden wir sie wohl doch irgendwie lieben lernen und hoffentlich nicht zu oft daran denken, warum wir sie bekommen haben."

"Das hoffe ich auch für dich, Florymont, Jeanne, Denise und Chloé", sagte Julius.

"Und im Andenken Claires", sagte Camille nicht traurig oder trübselig, sondern entschlossen und zuversichtlich. Julius konnte wohl auch wegen der Heilssternaura nicht anders, als diese Zuversicht mit ihr zu teilen.

Als der Tanz vorbei war bedankte sich Camille bei ihm. Er sah sich um und entdeckte seine Frau am zugewiesenen Tisch mit Roseanne.

"Oh, ich bekam hier gerade gesagt, die Leute könnten einschlafen. Dann müssen wir wohl mal was schnelleres spielen. Vinny, Jacquie und Sandrine, das Lied vom lustig blubbernden Kessel!" rief Adda Applebee und winkte drei junge, kreolischstämmige Hexen nach vorne, von denen eine ein Akkordeon, eine eine Fidel und eine ein Tamborin hatte. Dann fingen die drei an zu einem schnellen Rhythmus zu spielen und dreistimmig auf Französisch zu singen. Julius erkannte diesen Stil als Festmusik der Cajun aus dem Sumpfland von Louisiana, die auch bei der Hochzeit seiner Mutter zur Aufführung gekommen war. Unvermittelt klatschte ihn Stella Hammersmith ab, bevor Millie sich in seine Richtung orientiert hatte. "Darf ich bitten, Monsieur Latierre?" Julius gewährte ihr die Bitte. Millie zog sich zurück und wollte Fornax auffordern, doch der war von der Tanzfläche verschwunden und stand bei den Männern, die schon am Buffet standen. Doch schnell hatte sie Ersatz gefunden. Denn sie konnte Florymont auffordern. Julius konnte noch sehen, wie Maria Valdez Adrian Moonriver in eine geeignete Grundstellung bugsierte, bevor die Musik richtig Fahrt aufnahm und die auf Schlaginstrumenten spielenden die Taktschläge trommelten.

Julius ließ sich einige Takte lang führen, bis er die geeigneten Schrittfolgen erfasst hatte. Dann führte er die Dorfrätin von Viento del Sol. "Hui, das ist die Musik meiner Kindheit", schwärmte Stella Hammersmith. Julius fragte sie, ob sie aus Louisiana stamme. "Ich nicht, aber meine Großmutter Severine ist ein echtes Cajun-Mädchen. Zwischendurch zieht es mich auch mit Fornax dort hin. Aber auf die Musik tanzen will er nie, seitdem ihn meine Tante Felicité einmal so richtig übers Parkett gewirbelt hat. Aber du hältst eine Menge aus, weiß ich."

"Mit einer temperamentvollen Frau und jetzt drei Töchtern muss ich das", erwiderte Julius und steigerte seine Bewegungen, dass die zwei förmlich über der Tanzfläche herumhüpften wie auf einem Trampolin. Als die drei Sängerinnen dann die letzten Takte sangen und das letzte Wort mit einem schier unendlich langen Ton ausklingen ließen merkte Julius, dass dieser Sommer wirklich superheiß war.

"Meinen herzlichsten Dank, Monsieur Latierre", sagte Stella Hammersmith und umarmte Julius flüchtig nach Landesart.

"Entschuldigung, Mrs. Hammersmith, ich kann diesen Tanz leider nicht. Gibt es bei Ihnen in VDS Kurse, wo das gelernt wird?" wollte Millie wissen.

"In VDS selbst nicht. Aber ich habe Verwandte in Louisiana, die die Tänze kennen und unterrichten. Wäre vielleicht mal was für deinen Mann und dich, wenn ihr das ganz kleine Mädchen etwas größer habt", sagte Stella Hammersmith.

"Wir kennen die Verwandten einer Schulkameradin von mir, die im Weißrosenweg in New Orleans wohnen", sagte Julius. Millie nickte und deutete auf die Bühne, wo gerade buntgekleidete Hexen und Zauberer Aufstellung nahmen, die eindeutig nach Sambaband aussahen.

Tatsächlich ging es nun weiter mit Samba. Den tanzten Millie und Julius, Camille und Florymont und Brittany und Linus nahe beieinander. Ein Sänger intonierte dazu einen Text in brasilianischem Portugiesisch. Dann sah Julius Louis und Sylvie, die sich bei jeder Runde immer mehr annäherten. Louis strahlte mit allen Lichtern hier um die Wette. Offenbar hatte er in den letzten Jahren richtig Spaß am tanzen gefunden. Als Louis in Hörweite für leises Sprechen war meinte er: "Mann, die gehen voll ab. Da brauchten die auf der "Soleil D'or" vier Bands in drei Tanzsälen für, um das aufzubieten. Die Cajun-Nummer eben kannte ich auch schon von ihr hier." Er deutete auf seine Verlobte, die sich sichtlich freute, einen so tanzfreudigen Partner zu haben.

Nach dem Samba wurde es ein wenig ruhiger mit einem Slow Fox. Den tanzte Julius diesmal mit Roseanne Lumière, die sich vorher bei Millie die Erlaubnis eingeholt hatte, mit ihrem Mann zu tanzen. "Du genießt das immer wieder, nicht wahr. Nach allem, was sie von dir immer verlangen oder erwarten ist das genau das, wo du dich richtig freifliegen kannst", meinte sie zu Julius. Dieser konnte und wollte das nicht abstreiten. "Und schon wieder tanzt du mit einer werdenden Mutter, und diesmal einer, die gleich vier auf einmal trägt."

"Ui, heftig", erwiderte Julius. "Hat dir Camille schon verraten, wie viele Geschwister Jeanne, Denise und Chloé dazukriegen?"

"Vorhin ja. Da rollt echt eine heftig große Welle neuer Kinder auf uns zu", seufzte Julius. Laurentines Bemerkung vom Baby-Tsunami klang ihm wieder im Kopf.

"Das wird sicher nicht leicht für unsere Männer, wenn wir alle wie große Hefeteigklumpen aufgehen",. meinte Roseanne. "Könnte echt sein, dass wir da einiges an Häusern zusätzlich bauen müssen. Doch uns wegen dieser Halunken in Selbstmitleid treibenlassen werden wir nicht", bekräftigte die Mutter von Barbara, Jacques, Lunette und Été.

"Wusste gar nicht, dass jemand vorzeitig Bewertungspunkte abgezogen bekommen kann, Roseanne. Davon haben mir weder Blanche Faucon, noch Camille, noch Eleonore was erzählt."

"Weil sie alle und ich auch ganz zu Recht davon ausgehen, dass du eine derartige Androhung nicht brauchst. Aber Bruno hat sich leider zu heftig in Lautstärke und Wortwahl vergriffen. Da konnte ich nicht anders. Jedenfalls kann der Dorfrat für Kultur oder der für Gesellschaft bei groben Verstößen gegen Anstand und Respekt einen solchen Punktabzug verhängen, sofern bereits alle Wertungsrichter anwesend und die Hälfte der geladenen Gäste als Ohrenzeugen verfügbar sind. Reicht das nicht aus erfolgt beim nächsten Verstoß ein Platzverweis."

"Aber Jacques, öhm, der hat doch immer versucht ..."

"Genau, versucht. Aber da ich seine Mutter bin habe ich das anders geregelt und Barbara hat ihn auch immer davon abbringen können, den offiziellen Platzverweis zu riskieren. Der war immer schön frech und eigensinnig. Aber wer ständig die Grenzen austestet lernt, wo sie sind und ob es sich immer lohnt, sie zu übertreten. Das werden deine drei Töchter dir auch noch vorführen, falls Millie und du nicht irgendwann noch wen dazuhaben möchtet."

"Ich sage da besser erst mal nichts zu, weil dies einem Anstandsverstoß sehr nahe kommen könnte und ich nachher mit einer gutgelaunten Frau nach Hause will, im Gegensatz zu Bruno."

"Das freut mich sehr. Und es hat mich auch gefreut, wie du mit Stella getanzt hast. Ich weiß, dass ihre Großeltern aus der Bayoo-Region stammen", sagte Roseanne.

"Ist das ein Betriebsgeheimnis, oder wie hast du das hingekriegt, eine der größten Bands der vereinigten Staaten für diesen Ball zu verpflichten?" hwollte Julius jetzt doch einmal wissen. "Da haben wir gerade von gesprochen. Ich habe mich mit Stella und deiner Stiefcousine Brittany unterhalten, wie wir die Freiheit von Millemerveilles gemeinsam feiern können. Da haben Brittanys Onkel Lucky und Stella ihre Verbindungen spielen lassen und die Mittagströter, die bisher nicht zu laut getrötet haben, für dieses Fest buchen können. Brittany hat ja gesagt, dass ihr deren Maskottchen nicht so zusagen, aber sie hat es euch und uns gegönnt, dass wir diese exzellente Gruppe mal hier in Millemerveilles haben. Bedauerlich, dass Blanche und Uranie nicht hier sind, um das zu genießen.""

"Blanche kennt die Gruppe von der Hochzeit meiner Mutter", erwiderte Julius. Roseanne nickte. Da klang der Slow Fox aus.

"Quien lo quiere preparase al Tango!" rief ein Musiker. Roseanne sah auf die Bühne hinauf. Adda wiederholte die Aufforderung zum Tango auf Französisch.

"Oh, da summen die Spaßbremsen herbei", flötete Roseanne, als Hera, Béatrice und Antoinette Eauvive durch die Reihen gingen und die erwachsenen Hexen aus Millemerveilles ansprachen. Julius Dachte daran, dass wenn er das mit diesem internationalen Ball gewusst hätte er sicher auch seine Mutter hätte einladen können. Immerhin hatte sie hier auch schon einige male mitgetanzt.

Mit Millie tanzte er den angekündigten Tango so wild, dass ihre Beine immer wieder unter den Saum des anderen gerieten.

"Hast du mitgekriegt, dass Tante Trice und die anderen hier angehäuften Hebammen den werdenden Müttern den Tanz verboten haben?" fragte Millie, die sich gerade in einer schnellen Vorwärtsbewegung auf Julius zuwarf.

"Hat Roseanne angedeutet", erwiderte Millies Mann.

Nach dem Tango gingen sie schnell zum Getränkestand, weil Julius das dumpfe Gefühl hatte, dass seine Schwiegertante ihm das nicht länger durchgehen lassen würde, ohne was zu trinken zu tanzen. Zumindest musste Millie nicht für wen mittrinken, da sie schon vorsorglich was für Clarimonde ausgelagert hatte, bevor sie sie im Sonnenblumenschloss abgeliefert hatte.

"Millie, darf ich mir deinen Gatten für den nächsten schnelleren Tanz ausleihen?" fragte Jeanne Millie. Diese sah Jeanne anund blickte sich um, wo Bruno war. "Wenn du den suchst, den ich mal auf den Besen gehoben habe, dann findest du den bei der Kampftrinkertruppe um César und Antoine Castello. Mann, bin ich sauer!" schnaubte Jeanne. Julius sah sie bedauernd an. Millie sagte dann: "Will der nicht mehr mit dir tanzen?"

"Nachdem ich ihm gesagt habe, dass wir es nun ja ganz ruhig angehen können, weil wir dieses Jahr sicher nicht auf's Podest kommen hat der mir entgegengeblafft, dass ich mich ja bei "diesem Fleischklops" bedanken kann, der seine Mutter "aufgefüllt hat" und das ich ihn, also Bruno, ja daran gehindert hätte, seine Mutter zu beschützen. Da habe ich ihm gesagt, dass er für Janine und Belenus eine sehr schöne Wiege gebaut hat und Bertrand und er da sicher auch gut zusammen reinpassen. Tja, das war dann wohl ein Wort zu viel. Da meinte er, dass der Abend ja eh gelaufen sei und ich mir dann ja neue Partner suchen könnte, weil ich mit einem Baby im Arm nicht so gut tanzen könnte wie mit zweien im Bauch. Gut, das wollte ich dann nicht so auf mir sitzen lassen und habe ihm geraten, mich für die nächsten vier Stunden ganz in Ruhe zu lassen, bevor mir doch noch der Zauberstab ausrutscht. Ich weiß nicht, was den so verdreht hat und César gleich mit, zur dreigeschwänzten Gorgone."

"Du hast es gerade erwähnt, er konnte seine Mutter nicht vor not.. öhm, aufgestachelten Jungs beschützen", vermutete Julius. "Aber das hätte der auch so nicht gekonnt, weil ihn dieses miese Giftgas außerhalb von eurem Grundstück voll aus der Bahn geschossen hätte. Und du als Ehefrau, noch dazu mit einem gerade erst geborenen Kind, hattest alles Recht, ihn von solchen Dummheiten abzuhalten", sagte Julius.

"Sag dem das!" schnaubte Jeanne. "Lieber nicht, ich möchte dich nicht zur Witwe machen müssen", erwiderte Julius unerwartet gehässig.

"Und mich sicher auch nicht, Monju", grinste Millie. "Deshalb tanz lieber mit Jeanne, statt dich mit diesem von sich selbst so schwer enttäuschten Burschen zu duellieren."

"Abgesehen davon weiß ich, dass du sehr machtvolle Zauber kannst, die nicht töten müssen, Julius", sagte Jeanne.

"Der nächste Tanz ist eine Musette. Damenwahl!" rief Adda Applebee.

"du darfst, Jeanne", sagte Millie und drehte sich bewusst der Getränketheke zu. Julius ließ Jeanne bei sich unterhaken und betrat mit ihr die Tanzfläche. Sie trug heute wieder die rosa-goldene Ballrobe mit den roten Schmuckperlen, die wie ein Stück Morgenröte aussah. Damit hatte sie damals auf dem trimagischen Weihnachtsball in Hogwarts getanzt. Doch da war sie noch ein junges Mädchen gewesen, keine vierfache Mutter wie jetzt. Dennoch stand ihr dieses Kleid immer noch so wie damals. Oder war es ein anderes Kleid. Julius fragte sie behutsam, ob es ein neues Kleid war. "Nöhm, das ist dasselbe, mit dem ich mit dir damals zum Weihnachtsball gegangen bin", bestätigte Jeanne. "Habe mich selbst gewundert, dass ich das immer noch oder schon wieder anziehen konnte. Offenbar hat Bertrand mir schneller die überzähligen Kilos von den Hüften genuckelt als ich dachte."

"Dann freut mich das um so mehr, mit Ihnen erneut zu tanzen, Madame Dusoleil", sagte Julius, der den kurzen Moment der Trauer verdrängen musste. Denn damals hatte Jeanne ihn eingeladen, weil sie zum einen wissen wollte, was sie beim Sommerball verpasst hatte und weil sie ihn irgendwie für ihre Mutter und Claire behüten wollte. Doch er dachte, dass Ammayamiria jederzeit durch Jeannes Augen sehen oder ihre Sinne wahrnehmen konnte, wenn sie das wollte. Dann wäre Claire auf jeden Fall auch bei ihm, immer noch, trotz der so tiefen Beziehung zu Millie und drei gemeinsamen Kindern.

Als dann der Musettewalzer von drei Akkordeons und einem Solosaxophon gespielt wurde vergaß Julius das peinliche Geplänkel zwischen Bruno und César. Er führte Jeanne so entschlossen und auch geschmeidig über die Tanzfläche, dass er meinte, wieder mit ihr in der großen Halle von Hogwarts zu sein, beneidet von den älteren Mitschülern, bewundert von den Mädchen aus allen Klassenstufen.

War es nur weil er sich das vorstellte, oder war es ein Streich der Festbeleuchtung oder der noch nicht restlos erloschenen Abenddämmerung? Für einen Moment meinte Julius zusammen mit Jeanne in einem warmen, rotgoldenen Schimmer zu schweben. Dann verging dieser Eindruck wieder. Doch er fühlte sich jetzt noch wohliger als vorher schon. Er und Jeanne hatten gerade die bestmögliche Abstimmung. Für einige Minuten waren sie das ideale Tanzpaar. Dann pressten die drei Ziehharmonikerspiler die gerippten Backen ihrer Instrumente so kraftvoll zusammen, dass ein kurzer, durchdringender Dreiklang über die Tanzfläche bellte, als wenn ein Hadesianerhund mit allen drei Mäulern zugleich seine Anwesenheit kundtat. Nicht wenige erschraken bei diesem so lauten Schlussakkord. Doch Jeanne und Julius erschraken nicht. Sie hielten ordnungsgemäß an.

"Na, jetzt habt ihr wohl alle eure Kinder zum ersten mal treten gefühlt, wie?!" stieß eine bereits vom Alkoholrausch geprägte Stimme durch die plötzliche Stille. Jeanne lief augenblicklich so rot an, als habe ihr jemand auf einen Schlag alles Blut in den Kopf gepumpt. Auch Julius fühlte eine gewisse Scham. Das war Brunos Stimme gewesen.

"Das hat er nicht wirklich gesagt, Julius", zischte Jeanne. Julius hätte ihr das gerne bestätigt. Doch sie anlügen wollte er dann doch nicht.

"Monsieur Chevallier, Bruno, auch wenn unüberhörbar war, dass Sie nicht mehr ganz nüchtern sind, war dies eine höchst unzulässige und Ihres Alters völlig unangemessene Äußerung!" rief Roseanne Lumière. "Hiermit sind Sie mit sofortiger Wirkung für den Rest dieses Abends des Platzes verwiesen, und Sie, Monsieur Rocher, erhalten fünfhundert Wertungspunkte Abzug auf alle ihnen zugebilligten Wertungspunkte wegen einer höchst unstatthaften Geste gegen Monsieur Bruno Chevallier! Monsieur Bruno Chevallier, verlassen Sie unverzüglich das Festgelände! Der Dorfrat wird morgen früh in ihrer Anwesenheit beraten, ob weitere Strafmaßnahmen gegen Sie vollzogen werden.""

"Oh, da hat sich aber jemand gerade alle Schuhe angezogen, die hier rumliegen, weil die so gut passen, Roseanne Lumière", feixte Bruno eindeutig nicht mehr nüchtern. Jeanne blieb so rot wie eine Verkehrsampel im Berufsverkehr. Julius erkannte jetzt erst, dass sie fast völlig schlaff in seinen Armen lag und er sie wohl aus Reflex heraus sicher umfasst hielt, damit sie nicht vor ihm hinfiel.

"Du verträgst nix, Bruno. Also lass dich von deinem Frauchen nach Hause schaukeln und ins Heiabettchen legen", tönte nun César, der jedoch auch nicht mehr so nüchtern klang, wie er selbst glaubte.

"Ich bin voll im falschen Film gelandet", dachte Julius. Da kam Millie zu ihm und Jeanne. Sie sagte jedoch nichts, machte keine Andeutung, warum er Jeanne noch festhielt. Da sagte Brunos Vater: "Jungs, ihr nervt, alle beide! Und ihr vertragt auch alle beide nix. Bruno, wenn Jeanne will, soll sie dich nach Hause bringen. Wenn nicht erbitte ich hier und jetzt von meiner Frau, dich von hier fortzubringen, weil zum fliegen und Apparieren bist du schon zu voll."

"Eh, Pa, das ist aber jetzt total blöd von dir, mich vor den ganzen Jungs hier so runterzuputzen", lallte Bruno sehr entrüstet und hickste. César musste darüber lachen.

"Gut, dann spreche ich in meiner Eigenschaft als Inhaberin des heutigen Haus- und Platzrechtes auch einen Platzverweis gegen Monsieur César Rocher aus", schrillte Roseanne Lumière. Nicht wenige Gäste, vor allem anwesende Damen, gaben Unmutsbekundungen von sich, nicht gegen den Platzverweis, sondern wegen der höchst peinlichen Aufführung, die Bruno und César hier boten.

"Eh, ich kann noch voll gut apparbarieren", tönte Bruno und zog seinen Zauberstab frei. Da traf ihn ein roter Schockblitz. Julius meinte noch, dass Heiler Delourdes den Zauberstab auf ihn gerichtet hielt.

"Madame Jeanne Dusoleil, es steht Ihnen frei, Ihren Gatten nach Hause zu bringen oder weiter an diesem Fest teilzunehmen", bot Roseanne Jeanne an. Diese überlegte nicht lange und rief zurück: "Auch wenn er meint, mir den Abend verdorben zu haben will ich ihn lieber den Heilern überlassen, damit er anständig ausnüchtert."

"Sie haben es alle vernommen, Messieursdames et Mesdemoiselles. So verfüge ich als bereits erwähnte Inhaberin des Platzrechtes, dass Monsieur Bruno Chevallier und Monsieur Rocher von den hier anwesenden Heilern in Ausnüchterungsverwahrung genommen werden. Über dieses höchst unerträgliche Verhalten wird wie bereits erwähnt der Dorfrat morgen früh beraten."

"Eh, ich bin noch voll nüchtern. Eh, ich hab genug Speck am Körper. Da bleibt der Alk voll drin hängen, bevor der mir ins Hirn ... hicks. ..hirneingeht", lallte und hickste César Rocher, als Hera Matine zusammen mit François Delourdes schon auf ihn zuging. Da traf ihn schon ein Betäubungszauber, der nicht so ruppig war wie der Schocker. Anschließend wurden beide des Platzes verwiesenen auf Tragen gezaubert und von den beiden residenten Heilern nacheinander fortappariert.

Jeanne hing immer noch in Julius' Armen. Doch langsam kehrten Kraft und Willen zurück in ihren Körper. "Bin ich froh, dass ich die Kinder morgen erst von Tante Uranie zurückholen wollte", knurrte Jeanne. Dann tätschelte sie Julius über die Wange. "Danke, dass du mich nicht hast hinfallen lassen. Ich hoffe, Bruno hat euch nicht auch den Abend vergellt."

"Der Abend ist ja noch jung, um eine alte Phrase zu dreschen", sagte Julius dazu nur. Im Moment gab es für ihn nur die Sorge, dass Jeanne hier zusammenbrach oder wütend aufschrie. Doch Jeanne fing sich, noch bevor ihre Eltern bei ihr ankamen.

"Du kannst selbstverständlich die Nacht bei uns schlafen, Jeanne", sagte Camille. "Die Kinder sind ja bei uns sicher untergebracht."

"Nein, ich werde nachher, wenn alles vorbei ist, in mein Haus fliegen und da alleine schlafen, Maman. Danke für das Angebot, aber ihr habt mit den Kindernund mit SeÑora Valdez schon ein volles Haus."

"War nur ein Angebot, Jeanne", sagte Camille. Dann sah sie Julius und Millie. "Danke, dass du Jeanne zumindest noch sehr schöne Minuten geboten hast, Julius", mentiloquierte Camille. Er schickte zurück: "Das habe ich sehr gerne gemacht, für sie und für euch beide, Camille." Dann wandte er sich an Millie. "Ich hoffe, wir kriegen den Abend noch in die Spur zurück. Ich will mir auf keinen Fall nachsagen lassen, wegen eines gefrusteten Typen, der sich vor lauter Wut und Frust den Verstand weggebechert hat auf den ersten Sommerball nach dem Ende von Sardonias Kuppel verzichten zu müssen. Aber wenn der Abend für dich gelaufen ist fliege ich natürlich mit dir nach Hause zurück."

"Du machst wohl Witze, mein Süßer. Ich lasse mir auch nicht von einem, der sein Hirn mit einem Metfass verwechselt hat die Stimmung versauen. Es ist erst halb neun. Der Abend hat gerade angefangen. Den will ich mit dir zu ende kriegen, damit ich unseren Kindern das erzählen kann, wie schön das war", sprach Millie ein wenig lauter als nötig war. So war es nicht verwunderlich, dass viele der Festgäste zuhörten und lauschten. Julius bemerkte, dass alle Ohren auf ihn gerichtet waren und sagte: "Da hast du völlig recht. War nur ein Angebot, Millie. Selbstverständlich bleibe ich dann auch hier."

"Will ich aber meinen", grummelte Millie. Nun löste sich die Anspannung. Viele nickten ihnen zu und sahen ihre mitgebrachten Partnerinnen und Partner an. Nach nur einer wortlosen Minute verkündete Roseanne Lumière, dass das Fest weitergehen sollte.

Als zu einem Cha-cha-cha aufgerufen wurde tanzten Millie und Julius wieder zusammen. Jeanne nutzte die Auszeit, um eine der aufgebauten Toilettenkabinen aufzusuchen.

Bei einem langsamen Walzer durfte Camille sich Julius noch einmal ausleihen. Wieder fühlte er diese warme, so herrllich befreiende Aura ihres silbernen Heilssterns. Die Verärgerung über Brunos und Césars Auftritt verwehte, und es gab im Moment nur ihn und Camille und die in ihr noch heranwachsenden vier neuen Kinder.

"Das war sehr schön von Millie und dir, dass ihr uns klargemacht habt, warum wir hier sind und dass wir uns nicht die Stimmung verderben lassen dürfen. Danke euch dafür", sagte Camille nur. Dann genossen sie die durch die Heilssternmagie optimale Abstimmung, zwei Kinder Ashtarias, vereint im Wunsch, sich ein paar schöne Minuten ohne körperliche Grenzüberschreitungen zu gönnen.

Es folgten immer abwechselnd Europäische und lateinamerikanische Tänze, wobei Julius die schnelleren Tänze mit seiner Frau genoss und dabei schon sehr eindeutige Bewegungsfolgen ausführte, die wohl nur deshalb nicht von der Hausrechtinhaberin Lumière geahndet wurden, weil sie typisch für Mambo, Salsa, Merengue oder Calypso waren. Die langsameren Tänze durfte Julius mit den ranghohen Hexen aus Millemerveilles tanzen, darunter auch Eleonore Delamontagne. Diese teilte ihm unter dem Siegel der Vertraulichkeit mit, dass sie nun die Bestätigung hatte, Drillinge auszutragen, womit die Zahl ihrer eigenen Kinder im nächsten Jahr auf einen Schlag verdoppelt würde, genauso wie bei Camille und Roseanne.

Als ein mexikanisches Stück angekündigt wurde erbat sich Maria Valdez bei Millie die Erlaubnis, Julius um den Tanz zu bitten. Diese erlaubte ihrem Mann, zuzustimmen oder abzulehnen. Natürlich gewährte Julius der anderen Tochter Ashtarias den Tanz. Dabei fühlte er auch bei ihr diese wohlige Geborgenheit und Wärme. Allerdings war diese Empfindung bei der mexikanischstämmigen Tochter Ashtarias wesentlich stärker, fand Julius. Er meinte sogar, regelrecht von ihr umschlossen zu werden und dachte einen Moment daran, dass er nicht mit ihr, sondern in ihr tanzte. Obwohl diese Vorstellung sehr fremdartig war empfand er weder Schreck noch Abscheu. Allerdings erkannte er, dass er vielleicht merkwürdig dreinschauen mochte. Deshalb sagte er: "Ich hoffe, ich sehe sie gerade nicht so entrückt an. Das ist ihr Talisman, mit dem ich ja in gewisser Weise auch verbunden bin."

"Das empfinde ich genauso, Julius. Diese Kraft verbindet uns beide", sagte Maria. Dabei meinte Julius, ihr Herz laut und deutlich für ihn schlagen zu fühlen. Nur weil er die Lichter und Menschen um sich herum sah wusste er, dass die nichtmagische Tochter Ashtarias ihn nicht als ungeborenen Sohn in sich trug. Dann sagte sie noch mit einer leisen, aber alle anderen Höreindrücke deutlich überlagernden Stimme: "Übrigens möchte ich, dass du mich beim Vornamen nennst und du zu mir sagst. Im Spanischen gibt es da auch eine Unterscheidung zwischen förmlicher und persönlicher Anrede."

"Hmm, ja, ich nehme das Angebot an", sagte Julius, dem noch rechtzeitig eingefallen war, dass wenn ein älterer Mensch ihm von ganz alleine das Du anbot er es nicht ablehnen durfte, solange es nicht bei einer Betriebsfeier oder aus einer alkoholseligenLaune heraus angeboten wurde und der oder die anbietende nicht der direkte oder oberste Vorgesetzte war. Zumindest hatte ihm sein Vater das einmal so erklärt, wo er gerade neun Jahre alt gewesen war.

"Aber wie möchtest du, dass ich dich anrede? Maria, Maria Isabel oder wie genau?" fragte Julius, der immer noch halb entrückt mit dieser Frau tanzte, deren Talisman ihm damals die körperliche und geistige Freiheit bewahrt hatte.

"Ich habe mich mit Camille und Florymont darauf geeinigt, dass ihr anderen, die mit mir dieselbe Verbindung habt, mich mit Maribel ansprecht. Marias gibt es ja Millionen auf der Welt."

"Ja,und mindestens tausend Lieder ohne religiiöse Bedeutung, wenn die ganzen Abwandlungen wie Mary, Moira, Marie oder Miriam dazugenommen werden", bemerkte Julius und überlegte, ob das gerade nicht zu viel auf einmal war. Doch seine Tanzpartnerin lächelte. Da sagte er: "Auf jeden Fall bin ich dir immer noch zu tiefst dankbar, dass du meiner Frau dein mächtiges Hilfsmittel ausgeliehen hast, damit sie mich damit finden konnte und ich diese beiden Geschöpfe zumindest für eine gewisse Zeit auf Abstand bringen konnte."

"Leider hat es ja nicht so lange gehalten, habe ich erfahren. Diese schwarzmagische Welle hat den Bann gebrochen, den Ashtaria ausgesprochen hat. Dann ist es erst recht sehr wichtig, dass wir, die wir durch dieses Schicksal miteinander verbunden sind, einander vertrauen und beistehen." Das konnte Julius nur bestätigen.

Als die Musik endete fühlte Julius, wie er aus dieser sehr innigen Stimmung hinausglitt. Nun standen er und Maribel Valdez sich so gegenüber, wie zwei unterschiedlich alte Tanzpartner eben. Julius wusste, dass es jetzt nichts brachte, zu stark über die gerade erlebte Empfindung nachzudenken. Er wollte auch nicht fragen, was seine Tanzpartnerin gerade empfunden hatte. Das erschien ihm gerade doch zu aufdringlich.

Um das angebotene Du offiziell zu bestätigen ließen sich Maria Isabel Valdez und Julius nach dem Tanz zwei Gläser Rotwein geben und tranken einander zu. Sie küssten einander je auf die linke und die rechte Wange. Millie stand dabei und wurde in diese Zeremonie mit eingebunden.

Wie Millie und Julius gehofft hatten stieg die Stimmung im Laufe des Abends wieder bis ganz oben. Julius tanzte weitere Tänze mit Millie, wobei er auch einmal mit ihr zu einem weiteren Cajun-Stück tanzte. Als er bei einer Trinkpause Sylvie Rocher traf meinte diese: "Ich schreibe das morgen noch an die eingeladenen Gäste, dass Bruno und César das bis zum ersten August geklärt haben sollen, was die beiden so aus der Bahn gepfeffert hat oder mit ihren mehr oder weniger dicken Hinterteilen zu Hause bleiben dürfen. Gut, dass ich nicht auf Maman und Papa gehört habe und nicht bei uns im Haus, sondern im Musikpark in einem Zelt feiere, bevor ich mit Louis mit einem der Luftschiffe losflitze, um erst in Viento del Sol und dann in New York den Honigmond zu genießen."

"Ich weiß auch nicht, was vor allem Bruno aus der Bahn geschossen hat", erwiderte Julius. "Aber das sollen meinetwegen die Heiler herausfinden. Mir war das gerade so peinlich, wo Louis dabei war. Dabei sind wir beide noch jünger als der Bruno Chevallier, und der hat schon eine Frau, mit der er was auch immer durchziehen oder abreagieren kann."

"Nichts für ungut, aber vor drei Jahren hat dich Professeur Fixus mit Endora Bellart zusammen im ziemlich verknäulten Zustand im Krankenflügel abliefern müssen, gerade als ich Aurore dort zum ersten mal nach der Geburt besuchen wollte."

"Ja, weiß ich", zischte Sylvie Rocher. "Und das einzig gute an diesem total gehirnlosen Mumpitz war, dass Dori Bellart zweihundert Strafpunkte mehr kassiert hat als ich, weil die das Duellieren angefangen hat. Die wäre hier doch voll im Boden versunken, als das heute abend mit Bruno und César voll durch die Decke ging, wo die sich immer als ganz besonders intelligent und wohlerzogen aufgespielt hat, bis es eben zwischen der und mir geknallt hat und die gemerkt hat, dass sie genauso ein bissiges, kratzendes Mädchen sein kann wie ich. Deshalb hat die wohl auch nachher aufgegeben und mir Louis überlassen."

"Hauptsache ihr werdet glücklich miteinander", sagte Julius altklug.

"Das weiß ich vielleicht schon in vier Tagen, ob das geht", schnurrte sie wie eine höchst zufriedene Katze. Dann winkte sie ihm noch zu und eilte zurück auf die Tanzfläche, weil Celestine sich gerade an Louis heranmachte.

"Nah, hat Sylvie dir zugeflüstert, wie sie Louis zuerst nehmen wird, wenn die beiden verheiratet sind?" fragte Millie so leise, dass niemand außer Julius es hören konnte.

"Nicht in Einzelheiten, aber zumindest angedeutet, dass sie das in spätestens vier Tagen wisse", erwiderte Julius.

Kurz vor Mitternacht spielten die Mittagströter eine Fanfare, bei der alle Dorfräte und die Wertungsrichter auf die Bühne traten. Einer stolperte dabei fast über einen von Dotty oder Blanche abgesetzten Kuhfladen. Doch vier dienstbare Hauselfen beseitigten die anrüchige Hinterlassenschaft sofort. Dann erhielt Roseanne die Einzelnen Wertungen der Richter. Sie bezauberte ihre Stimme mit dem Sonorus-Zauber und sagte: "Zunächst einmal möchte ich mich bei den Musikern dieses Abends bedanken. Sie haben uns viele Stunden abwechslungsreicher, vielfältiger Musik dargebracht und verdienen einen lautstarken Applaus." Alle klatschten und jubelten laut. "Außerdem möchte ich mich bei allen anständig und achtsam gebliebenen Gästen bedanken, dass Sie diesen Abend trotz dieses unrühmlichen und höchst seltenen Zwischenfalls doch noch zu einem in bester Erinnerung verbleibenden Abend gemacht haben." Wieder klatschten welche. "So komme ich nun zum erfreulichen Höhepunkt dieses Abends, der Auszeichnung der drei am besten aufgefallenen Tanzpaare. Natürlich gab es immer wieder Partnerwechsel. Aber am Ende konnten die hier versammelten Wertungsrichter drei Paare ermitteln, die nun von mir die Auszeichnungen in Bronze, Silber und Gold erhalten werden." Sie machte einige Sekunden Pause. Der Schlagzeuger der Band stimmte einen leisen Trommelwirbel an.

"Die Auszeichnung bronzener Tanzschuh des Jahres 2003 erhalten Señora Maria Isabel Valdez und Mr. Adrian Moonriver." Die Band spielte einen kräftigen Tusch. Sie winkte den beiden Genannten, auf die Bühne zu kommen und verkündete die Punkte der einzelwertungen. Adrian sah sich verdutzt um, womit er diese Auszeichnung verdient hatte, während Maria Valdez wohl überlegte, ob sie sich einfach freuen oder nur demütig bedanken durfte. Dann wurde es bis auf einen leisen Trommelwirbel wieder still.

"Die Auszeichnung Tanzschuh in Silber 2003 erhalten Misses Brittany Dorothy und Mister Linus Brocklehurst. Applaus bitte!" Unter einer schmetternden Fanfare bestiegen Brittany und ihr Mann die Bühne auf dem grünen Hügel und nahmen ihre Einzelwertungen und die Auszeichnungen entgegen. Einige der jungen Festgäste aus Frankreich setzten an, zu fragen,ob die ausländischenGäste bevorzugt würden. Doch Roseanne ließ derlei nicht zu heftig aufkommen. Sie hielt nun die beiden größten Tanzschuhe am Band hoch, die in den Strahlen der nun für sich leuchtenden Laternen, Lampions und Leuchtballons golden funkelten. Erneut wurde es bis auf einen leisen Trommelwirbel still. Diesmal machte Madame Lumière eine besonders lange Pause, bevor sie das am höchsten gewertete Paar verkündete.

"Die Auszeichnung Tanzschuh in Gold 2003 erhalten Madame Mildrid Ursuline und Monsieur Julius Latierre!" Wieder ertönte eine Fanfare, ja schon ein Triumphmarsch, der von allen Musikern gespielt wurde, während Millie bei Julius untergehakt den grünen Hügel hinaufstieg und dann auf die Bühne trat. Jetzt jubelten die ehemaligen Mitschüler der beiden, aber auch viele gestandene Ehepaare. Sandrine rief "Goldtänzer!" Der Ruf wurde von allen aufgenommen und verstärkt. So bekam wohl keiner außer den beiden Gewinnern mit, wie viele Punkte sie bekommen hatten. Sie führten gerade mit zwanzig Punkten Vorsprung vor Brittany und Linus, der seinen silbernen Tanzschuh wie einen Hauptgewinn nach oben reckte.

Wie es die Tradition vorschrieb durfte sich das Gewinnerpaar die Musik zu einer Polonese aussuchen. Julius fragte Mrs. Applebee, ob sie das Stück "Der Flug der tausend Besen" kannte. Adda überlegte und gab die Frage an ihre Musiker weiter. Die drei Cajun-Hexen und vier weitere Musiker, davon zwei der mexikanischen Trompeter und drei Panflötisten, die vorher inkamäßige Musik gespielt hatten, nickten heftig, wobei einer der Trompeter sagte, dass es bei ihnen "El Vuelo al Cielo" hieß, aber die Melodie dieselbe sei wie bei dem erwähntenStück. Dann bauten sich die Fidlerin, die Sandrine mit Vornamenhieß, die Akkordionistin und die mit dem Tamborin direkt vor den drei Gewinnerpaaren auf. Davor nahmen die Blechbläser, ein weiterer Geiger und die Inkaflötenspieler Aufstellung. Adda Applebee verkündete nun, dass die Gewinner des Abends nun die abschließende Polonese anführen würden. Julius war berauscht vom Glück. Es schloss sich wieder der Kreis. Mit dem Stück hatten er und Claire den ersten Sommerball ihres gemeinsamen wenn auch zu kurzen Lebens beendet, und er war glücklich, nicht traurig. Das konnte an den beiden Heilssternträgern liegen, die hinter Brittany und Linus Aufstellung genommen hatten, ja auch, dass er mit seiner Frau und Brittany diese Polonese anführen durfte. Dann ging es los.

Unter den Klängen der voranmarschierenden Musiker führten die drei Gewinnerpaare alle Gäste in einer langen Polonese mehrmals über die Tanzfläche. Hier zeigte sich, wie diszipliniert die allermeisten Gäste sein konnten, egal ob gerade erst zwölf Jahre alt oder schon über neunzig. Es war gegen halb eins, als sie alle den Tanzplatz verließen.

Als Julius und Millie im Apfelhaus ankamen schmatzte Millie ihren Mann so wild und häufig ab, als wolle sie ihn auffressen, ohne ihn zu zerkauen. Dann meinte Julius:

"An und für sich hätte ich mir morgen frei nehmen müssen. Aber ich habe von Nathalie und Simon schon mehr als genug Zugeständnisse für dieses Jahr gekriegt. Vielleicht sollte ich mir besser den Wachhaltetrank geben, wenn wir morgen aus dem Bett fallen."

"Erlaubnis erteilt", meinte Béatrice Latierre dazu und drückte Julius auch noch je zwei Küsse auf jede Wange auf.

Vom Glück und einigen Zehntelpromille Wein berauscht schafften es Millie und Julius noch, sich anständig zur Nacht umzuziehen und ins Bettzu legen. "Bin ich froh, dass wir zwei die Nacht zusammen sein dürfen", meinte Millie. "Jeanne muss jetzt in ihrem Bett alleine schlafen. Ich weiß nicht, wie ich das in die Temps reinschreiben soll, was da passiert ist, Monju."

"Klär das bitte morgen mit Jeanne ab, und mit Hera oder François Delourdes, ob es was heilkundliches ist, was Bruno aus der Bahn gefeuert hat. César war einfach nur trotzig und wollte nichts mehr einstecken, wie du ja mitbekommen hast."

"Besser ist das wohl", grummelte Millie.

"Öhm, hast du das vorhin auch mitbekommen, dass ich beim Tanz mit Maribel so ein merkwürdiges Gefühl hatte, als sei ich nicht ihr Tanzpartner, sondern direkt mit ihr verbunden oder sozusagen ihr ungeborenes Kind?" fragte Julius. Millie erwiderte, dass sie schon mitbekommen hatte, dass er sich der mexikanischen Nichthexe sehr stark hingegeben hatte, aber es nicht körperliches Begehren sondern zwanglose Unterordnung gewesen war. Dann meinte Millie: "Kailishaia hat mir mal in einer Sitzung erzählt, dass zwei durch ein mächtiges, gutartiges Band verbundene Wesen im Gleichklang ihrer Lebensfeuer brennen. Das käme dann am stärksten vor, wenn eines der Wesenn sein inneres Feuer, also die körperliche Lebenskraft mit dem des anderen vereint habe. Ich fragte sie, ob damit körperliche Liebe gemeint sei. Da hat sie mir gesagt, dass damit gemeint sei, dass jemand für jemanden einen Teil der eigenen Lebenskraft hergegeben habe, so wie eine werdende und stillende Mutter einen Teil ihrer eigenen körperlichen Kraft in das Kind weitergibt. Im Grunde hat Maribels Kreuz deinen Teil ihrer Lebenskraft in dich hineinschießen lassen und du konntest dich damit aus der Höhle dieser Windsbraut befreien. Womöglich deshalb habt ihr bei etwas, dass euch beiden sehr gefallen hat, diese Empfindung gehabt. Vielleicht hat sie auch einen Moment gedacht, du würdest ihr geliebter Sohn. Aber ich verstehe, dass du sie das nicht fragen willst. Ich fand bei eurem Tanz, dass ich schwebte. Liegt wohl daran, dass ich ja auch Maribels Talisman getragen habe. Vielleicht hätte ich beim Tanzen auch sowas gefühlt wie du."

"Stimmt, der Stein der Verbundenheit", erwiderte Julius. "Sowas gibt es in der Erdmagie des alten Reiches auch, dass zwei denkende und fühlende Wesen durch Übertragung der eigenen Lebenskraft ein starkes Bündnis schaffen können, das eben wie ein fester Fels oder Stein die Kraft beider verdichtet. So hat Madrashmironda es auch begründet, als sie mir sozusagen den Abschiedstrunk gegeben hat, damit ich wieder Julius Latierre werde, ohne Madrashainorians Erinnerungen zu vergessen. Oha, das könnte aber ziemlich abgedreht sein, da Madrashmironda Naaneavargias Großmutter väterlicherseits war, also etwas von der damals körperlich lebenden Madrashmironda in der Vereinigung zwischen der Spinnenhexe und Anthelia weiterbesteht", unkte Julius.

"Dann sieh zu, dass du dieser selbsternannten und nun wieder alleinigen Erbin Sardonias nicht näher als doppelte Armlänge kommst!" grummelte Millie. "Aber so wie sich das anfühlte, als du mit Maribel getanzt hast, war es auf jeden Fall schön, fast wie in den rosaroten Flauschewolken von Amatas Ruhestatt zu schweben oder eben frei von allem erlebten Zeug im Mutterleib heranzuwachsen, wie Clarimonde das sicher noch ganz gut in Erinnerung hat. Apropos Clarimonde. Damit ich morgen nicht komplett verschlafen im Sonnenblumenschloss aufschlage sollten wir jetzt besser schlafen", meinte Millie. Julius bejahte es und küsste sie zur guten Nacht. Dann drehten sich beide in ihre bevorzugte Einschlafstellung.

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Julius war heilfroh, den Wachhaltetrank genommen zu haben. Denn seine Vorgesetzten nahmen keine Rücksicht darauf, dass er einen Abend durchgetanzt hatte. Er sollte sich weiter zu den möglichen Racheakten der Werwölfe und Vampire äußern, näheres über die Möglichkeiten gegen die Nachtschattenkönigin ergründen und auch, weil er das selbst angesprochenhatte, prüfen, ob Ladonna Montefiori auch im Internet unterwegs war. Außerdem musste er mehrere E-Mails aus Amerika beantworten, darunter auch eine von Nancy Unittamo, die auch außerhalb des Ministeriums noch im Arkanet unterwegs war, weil sie mit Julius' Mutter eine entsprechende Übereinkunft getroffen hatte. Von ihr erfuhr er auch, dass sie vor kurzem ihre Drillinge bekommen hatte, zwei Jungen und ein Mädchen. Einen winzigen Moment dachte Julius, dass das schon lustig war, weil seine Mutter zwei Mädchen und einen Jungen bekommen hatte. Am Ende heirateten die alle noch. Doch vielleicht war das eben nur abgedrehtes Denken.

Er las und kommentierte die ihm übergebenen Briefe und Schriftsätze zur Angelegenheit mit Euphrosyne. Hierfür würde er noch eine offizielle Stellungnahme von Léto aufschreibenund der gesamten Akte beifügen, damit es für ihn und alle die nach ihm diese Zuständigkeit bekamen klar war, dass das mit Euphrosyne keine willkürliche Sache des Ministeriums gewesen war und der Ältestenrat der Veela hinter der Maßnahme stand.

Kurz vor Mittag klopfte Rose Devereaux noch bei ihm am Büro an. "Ich weiß, die gute Nathalie hat mich mit der Betreuung von Monsieur Vigniers Eltern beauftragt, weil sie fürchtet, du könntest wegen der eigenen Erfahrungen mit deinem Vater unentschlossen handeln. Aber jetzt muss ich doch mit einem sprechen, der entsprechende Erfahrungen hat." Sie sah auf die Besucherstühle. Julius deutete auf einen davon. Sie bedankte sich und nahm Platz.

"Was ist genau passiert? Oder darf ich das nicht wissen?" preschte Julius vor. Rose Devereaux sah ihren Kollegen ernst an und sagte: "Nun, der Stand der Dinge wegen der Hochzeitsfeier war, dass die Vigniers am ersten August von mir und einem Ministeriumsfahrer nach Millemerveilles gebracht würden, um der Hochzeit ihres Sohnes beizuwohnen. Nach der unrühmlichen Sache von vor zwei Jahren bestehen Madame Grandchapeau und Madame Rossignol darauf, dass Louis nur Brief- oder Fernsprechkontakt mit seinen Eltern hält, bis er offiziell verheiratet ist. Das war der Stand der Dinge bis heute Morgen. Ich wollte die Vigniers noch einmal besuchen, um mit ihnen die Anreise, die Feier und die Rückreise durchzusprechen. Aber was war? Ich fand die Haustür an der bekannten Adresse verschlossen vor und konnte auch keinen Menschen im Haus orten. Da wir die Nachbarn ja alle in einer personalintensiven Aktion dahingehend gedächtnisbezaubert haben, dass alle von den Vigniers erwähnten Merkwürdigkeiten ihres Sohnes nicht erwähnt worden sind wollte ich nicht sofort herumfragen, was diese mitbekommen hatten. Dann sprach mich doch glatt eine Muggelfrau an und wollte wissen, was ich in diesem Haus wollte. Ich wies mich als Jugendamtsbetreuerin aus, als die ich mich den Nachbarn der Vigniers gegenüber schon mehrmals ausgab, damit die es nicht mehr seltsam fanden, wenn ich mit den Vigniers über ihren sonderbetreuten Sohn sprach. Die Frau zeigte mir dann einen Ausweis der pariser Kriminalpolizei und wollte von mir wissen, wann ich die Vigniers zuletzt gesprochen habe. Denn die hätten vor drei Tagen Anzeige erstattet, weil sie sich von einer nicht näher bekannten Personengruppe belauert und bedroht fühlten. Da musste ich erwähnen, dass ich vor fünf Tagen zuletzt mit den Vigniers gesprochen habe und aus Gründen der Vertraulichkeit nur nach Genehmigung meines Dienstvorgesetzten nähere Auskünfte über Grund und Ablauf der Unterredung erteilen dürfe. Da zog die doch glatt eine Handfeuerwaffe und erklärte mich für verhaftet. Dann kamen gleich zwei mit diesem Drehblinklicht auf dem Dach bestückte Wagen um die Ecken gebrummt und haben zwei Männer und Frauen ausgespuckt, die mich allen Ernstes umzingeln und festnehmen wollten. Ich beschloss dann, unsere eigenen Kontakte zur Polizei zu bemühen und mich nicht in ein muggelmäßiges Gefängnis einsperren zu lassen und führte den Sensofugatus-Zauber aus. Anschließend gedächtnisbezauberte ich die mich umstellenden, dass sie versucht hätten, zwei verdächtig aussehende Männer zu ergreifen, die aber wohl noch rechtzeitig Wind bekommen hatten und durch eine der gerade mal handtuchbreiten Quergassen zu flüchten. Dann disapparierte ich, um Madame Grandchapeau Bericht zu erstatten. Tja, und gerade erfahre ich, dass jemand in dem Haus der Vigniers eine Vorrichtung aufgebaut hat, die auf die nähe sich bewegender Körper mit eigener Wärmeausstrahlung anspricht und bei Erfassung einer solchen Wärmequelle eine Explosionsvorrichtung auslöst, deren Sprengmittel Hydrogen sein soll, was wohl Wasserbildendes oder Wasserstoff heißt. Wenn meine Kollegen das nicht mit dem Mentijectus-Zauber herausgefunden hätten wäre ich oder sonst wer von denen glatt von diesem Ding an der Wand zerklatscht worden wie eine lästige Stubenfliege oder blutgierige Mücke. Wie kommt jemand an sowas dran und warum macht das jemand?"

"Eine Bombe mit Wasserstoff als Sprengmittel?" fragte Julius nach. "Öhm, und die wurde durch einen Bewegungsmelder ausgelöst? Oder waren es mehrere Annäherungsbewegungsmelder?"

"Laut meinen Kollegen, die das Haus aus sicherer Entfernung überprüft haben stand dieses Sprengding unter dem Wohnzimmertisch als Aschenbecher mit Klappdeckel getarnt und hing über dünne Elektroleitungen an mehreren dieser Bewegungsmelder. Schon beeindruckend, wie viel die Muggel schon ohne Magie nachbauen können, wo wir mit Melde- und Feindesannäherungszaubern hantieren."

"Also, die Bombe stand unter dem Wohnzimmertisch, aber hatte Verbindung zu mehreren Bewegungsmeldern in anderen Räumen."

"Ja, und sie war nicht mit einem dieser Stecker an das Elektrostromversorgungsnetz angebunden und hatte eine eigene Energiequelle."

"Okay, Frage eins, wo kriegt man sowas her? Antwort: Bewegungsmelder sind frei erhältlich und dienen der Überwachung oder berührungslos einschaltbaren Außenbeleuchtung bei Dunkelheit. Wasserstoff ist ein Bestandteil von Erdgas, muss aber mit nicht jedem verfügbaren Mitteln herausgefiltert werden. Er kann aber auch durch elektrischen Strom aus reinem Wasser herausgelöst und in gasdichten Behältern gesammelt werden oder durch Gießen von Vitriol auf Zinkpulver freigesetzt und gesammelt werden. Aber die nötige Menge Vitriol oder Schwefelsäure kriegt nicht jeder so leicht ohne Nachfrage und glaubhafte Begründung, weil das Mittel sehr ätzend und deshalb gefährlich ist. Soweit ich weiß kennt Louis' Vater einen Chemiker, also einen, der die nichtmagischen Erkenntnisse der Alchemisten erlernt hat und anwendet. Mein Vater war ja selbst einer und hat mir deshalb auch viel von seinem Fachwissen weitergegeben", erklärte Julius. Dann machte er eine kurze Pause, um auf die zweite ihm gestellte Frage zu kommen.

"Frage zwei: Warum macht jemand sowas? Antwort: Aus Angst erwachsene Ablehnung bis abgrundtiefer Hass und daraus entstehende Mordlust. Womöglich haben die Vigniers beschlossen, sich selbst unsichtbar zu machen, also aus dem Blick anderer Leute zu verschwinden, ohne Magie dafür anzuwenden. Die Sache mit Louis damals, wo wir den über das von ihm getragene Pflegehelferarmband wiedergefunden haben, hat den Vigniers klar gemacht, dass sie nur dann verschwinden können, wenn sie nicht in Louis' Nähe sind. Das mit der Bombe ist sicher, wie ich vermutet habe, eine Form von gemeinem Racheakt. Wer immer ins Haus gelangt wäre hätte die Ladung gezündet und sich damit selbst schwer verletzt oder getötet. Womöglich gab es sogar eine Möglichkeit, die Bombe aus der Ferne zündfertig also scharf zu machen, mit einer Funkfernsteuerung, wie sie bei teuren Autos im Schlüssel eingebaut ist, um die Türen aus mehreren Metern entfernung zu verriegeln und die Diebstahlwarnvorrichtung ein- oder auszuschalten. Wenn jemand so eine funkgesteuerte Vorrichtung in die Bombe eingebaut hat konnten die Vigniers problemlos in ihr Haus und darin herumlaufen, sobald sie die Zündvorrichtung von draußen ausgeschaltet haben. Umgekehrt konnten die weit genug vom Haus weg die Zündvorrichtung einschalten. Wer dann immer ins Haus eingedrungen wäre, auch hineinappariert wäre, hätte nach wenigen Sekunden die Zündung ausgelöst und bumm!! Damit wollten sie wohl zeigen, dass sie zum einen auch gewisse gemeine Zaubereien machenkönnenund zum anderen was machen, dem auch kein Aparator mal eben entwischen kann, wenn er oder sie nicht vorher rausfindet, dass diese Falle auf ihn wartet. Wenn Sie da reinappariert wären hätte das Ding sie wohl getötet."

"Hass aus Angst. Die Erklärung ist leider nicht abwegig. Immer wenn ich mit den Vigniers gesprochen habe fühlte ich, dass sie sich bedroht fühlten und mich sofort angegriffen hätten, wenn ich was für sie alarmierendes getan hätte. Zumindest trug ich immer einen Geschosse abwehrenden Drachenhautpanzer unter der Kleidung. Primula hat ja sogar ein Kleid, dass schnell fliegende und/oder brennende Geschosse auf mehr als doppelte Armlänge abfängt. Sie meint, dass dieses Kleid wesentlich wirkungsvoller als der Drachenhautpanzer sei."

"Gut, dann hätten Sie keine herumfliegendenTrümmer getroffen, die Druckwelle hätte sich vielleicht an der Drachenhautpanzeraura abgeschwächt. Aber wenn Wasserstoffgas gezündet wird entsteht je nach Menge ein kleiner oder großer Feuerball. Wie viel Wasserstoff war oder ist in der Bombe?" wollte Julius erfahren.

"Laut dem Kollegen, der die Fernprüfung gemacht hat steckt dieses Hydrogengas in einem Metalltank und hätte, so unser Alchemist vom Dienst, hundert Liter reines Wasser erschaffen können, wenn er angezündet worden wäre. Gerade sind sie dabei, die Luft innerhalb des Hauses mit demselben Zauber aufzuheizen, den Madame Rossignol benutzt hat, um die Wärmeausstrahlungserfassungsgeräte auf dem Schiff zu überlagern, auf dem Louis versteckt und in diesem künstlichen Koma gehalten worden war. Unsere Thaumaturgen gehen davon aus, dass dann die auf Wärmeausstrahlung ansprechenden Erfassungsvorrichtungen keine Bewegungen mehr erkennen können. Außerdem wollen drei Leute in Duotectus-Anzügen rein, die auf Hitze und überhohen Außendruck abgestimmt sind, die aus mir nicht verständlichen Gründen als Venuskonfiguration bezeichnet wird."

"Ach, haben die das echt in die Arbeitsbegriffe übernommen?" grinste Julius. "Das ist einfach deshalb, weil auf dem Planeten Venus eine Temperatur höher als der Schmelzpunkt von Blei und Zündhitze für Papier herrscht und die Gashülle der Venus neunzigmal dichter ist als die unserer Erde auf Meeresspiegelhöhe. Wer da keinen entsprechend abgestimmten Schutzanzug an hat oder in einem druckstabilen und eine Menge Hitze aushaltenden Fahrzeug unterwegs ist wird zerkocht, geschmolzen und zerdrückt wie ein rohes Ei von der Hand eines Riesens. Auf jeden Fall könnte das klappen, so die Bombe zu erledigen, ohne von der Bombe erledigt zu werden. Allerdings könnte das Haus der Vigniers dabei in die Luft fliegen und in der Umgebung Schaden anrichten. Wie abgedreht muss wer sein, der seine eigenen Nachbarn derartig gefährdet?"

"Das sollen unsere Fachleute für Verbrechensursachen oder seelische Probleme herausfinden. Öhm, aber was ich dich jetzt auf jeden Fall noch fragen muss, bevor die gute Nathalie findet, mich wegen unerlaubter Absprachen mit dir maßregeln zu müssen: Wie verfahren wir im Bezug auf die Hochzeit von Louis Vignier?"

"Er ist volljährig und unterliegt damit nur noch den allgemeinen Zaubereigesetzen", entgegnete Julius. "Aber ihr könntet Madame Rossignol fragen, wie sie das einschätzt, ob es ihn aus den Schuhen haut oder er das locker wegpackt, dass seine Eltern euch in eine Sprengfalle reinlocken wollten. Da er soweit ich weiß nicht als unmündig oder gerade unzurechnungsfähig erklärt wurde gilt dann seine abschließende Entscheidung. Soweit meine rechtliche und pflegehelferische Ansicht zu dem Problem."

"Gut, dann warte ich ab, ob die Kollegen in den Venus-Anzügen diese Mordvorrichtung unschädlich machen können, ohne anderen zu schaden. Gelingt das können wir es so hinstellen, dass es diese Vorrichtung nicht gab, was wohl für die Vigniers hieße, dass sie keine Verfolgung der magielosen Gesetzeshüter zu befürchten haben", erwiderte Rose Devereaux. Sie bedankte sich für die Minuten, die Julius ihr gewidmet hatte und fragte, ob er gleich mit zum Mittagessen gehen würde. Primula würde auch da sein. Sie wollte wissen, wie der Sommerball verlaufen sei, da ihre Nichte ja noch nichts darüber geschrieben habe.

"Tja, dann empfehle ich der, auf die nächste Ausgabe der Temps de Liberté zu warten.

"Das sagst du ihr bitte selbst. Sie ist ja auch deine Tante", grinste Rose Devereaux. "Schwiegertante", korrigierte Julius die Kollegin, deren Bruder er einmal im Halbriesen-Blutrausch unbeherschter Gefühle einen heftigen Kinnhaken verpasst hatte.

"Immerhin nicht meine Schwiegertante", erwiderte Rose darauf.

Während des Mittagessens erwähnteJulius nur, dass der Ball alles in allem sehr schön war und nur durch zwei gefrustete Quidditchspieler eine kurze Missstimmung aufgekommen wäre. Primula Arno nickte. "Haben die das immer noch nicht raus, dass es nichts bringt, wenn sie sich drum zanken, was mit Brunos Mutter passiert ist?" wollte sie noch wissen.

"Da ich nicht in der Spiele- und Sportabteilung oder bei den Mercurios arbeite bringt es nichts, wenn ich mir darüber einen Kopf mache", erwiderte Julius. Das verstand Primula.

Nach dem Mittagessen wurde Julius von Nathalie Grandchapeau persönlich einbestellt. Er schaffte es, nicht schuldbewusst auszusehen, als er das Büro der Büroleiterin für friedliche Koexistenz betrat.

"Also, auch wenn ich die gute Rose eigenhändig über's Knie legen könnte muss ich einsehen, dass es gut war, einen zu fragen, der sich doch ein wenig mehr mit diesen sogenannten Höllenmaschinen auskennt. Aber es ging ihr ja eher darum, Ihre Meinung zu erfragen, wie wir menschlich mit Monsieur Louis Vignier verfahren sollen. Ich habe mich schon gewundert, dass Madame Rossignol mir eine Blitzeule schickte und sich auf eine von Ihnen empfohlene Rückfrage bezog, inwieweit Louis Vignier es seelisch vertragen kann, dass seine Eltern versucht haben, unbescholtene Mitbürger mit einer Sprengvorrichtung zu schädigen. Sie bat darum, nach Erhalt aller diesbezüglichen Unterlagen mit ihm zu sprechen, vielleicht auch im Beisein seiner Verlobten, um zu klären, ob es Sinnvoll sei, dass wir seine Eltern den nichtmagischen Ermittlungsbehörden ausliefern oder es so hinstellen, dass sie das Haus ohne Zurücklassung dieser Todesfalle verlassen haben und mit unbekanntem Ziel abgereist sind. Da musste ich doch erst mal die gute Rose fragen, wieso Madame Rossignol sich auf Sie bezog, Monsieur Latierre, wo ich das doch unmissverständlich so eingeteilt habe, dass Sie bei Louis Vigniers Hochzeit nur Gast sein mögen. Na ja, ich sehe mal von einem Eintrag in Ihre oder Mademoiselle Devereaux' Personalakte ab, zumal Sie ja offiziell nur zeitweilig assistierender Mitarbeiter dieses Büros sind. Aber ich werde das bei der nächsten Gesamtkonferenz noch einmal deutlich erwähnen, dass von mir getroffene Zuteilungen verbindlich sind und nicht mal eben nach Gutdünken der eingeteilten Mitarbeiter abgeändert werden oder meine Entscheidungen auf andere Weise umgangen oder ausgehebelt werden dürfen. Nur soviel, damit Sie wissen, dass wir auch in diesem Büro eine strickte Personalhierarchie und Arbeitszuteilungsdisziplin einhalten. Ich hoffe, wir verstehen uns da."

"Ich habe mich auch gewundert, warum die Kollegin Devereaux bei mir angeklopft hat. Ich hatte erst gedacht, jemand von den Veelas hätte was von mir wissen wollen", sagte Julius, der weiterhin versuchte, nicht schuldbewusst auszusehen. "Da sie dienstälter als ich ist konnte ich sie auch schlecht aus dem Büro weisen", rechtfertigte Julius sein Vorgehen.

"Das ist einer der Gründe, warum ich auf eine schriftliche Abmahnung verzichte", sagte Nathalie Grandchapeau. "Zumindest wissen Sie nun, wie Madame Rossignol auf diese Anfrage geantwortet hat. Weiterhin erfolgreiches Schaffen!" Mit diesen Worten deutete sie auf ihre Bürotür. Julius verkniff sich deshalb noch Nachfragen, wie es ihr und Demetrius ginge. Er verließ das Büro der ehemaligen Ministergattin und kehrte in seine eigene Amtsstube zurück, wo er einen Brief von Mademoiselle Maxime vorfand. Diese bat ihn hochoffiziell, die von ihrer Tante geborenen Zwillinge baldmöglich zu besichtigen. Auch das noch, dachte Julius. Die Sache mit Meglamoras Kindern wäre ihm und Ornelle Ventvit beinahe zum üblen Verhängnis geworden. Doch weil er der offizielle Ansprechpartner Mademoiselle Maximes und der von ihr in magischen Rechtsangelegenheiten betreuten Riesin Meglamora war konnte er sich dieser Anfrage nicht verweigern. Da aber demnächst noch andere Termine anstanden, über die Meglamora nichts wissen musste, wollte er sich erst im September mit den beiden neuen Halbriesinnen befassen.

Ein Memo von Rose Devereaux verkündete ihm, dass ein Einsatztrupp ihres Büros die Sprengvorrichtung unschädlich machen konnte und es somit möglich sei, die Vigniers ohne Behelligung durch die magielosen Polizeibehörden davonkommen zu lassen. Allerdings hatten die ja vorher schon die Polizei über einen bevorstehenden Angriffsversuch benachrichtigt. Doch weil das Ministerium auch in der pariser Kriminalpolizei Verbindungsleute hatte wurde die Anzeige aus den Akten getilgt und die dafür eingeteilten Polizisten von der "Übung" zurückbeordert. Eine Nachbetrachtung per Rückschaubrille ergab, dass die Bombe schon seit zwei Tagen auf ein Opfer gelauert hatte und nicht mehr gesehen werden konnte, wann und wohin die Vigniers abgereist waren, es also mindestens zwei bis längstens vier Tage zurücklag, da Rose ja vor fünf Tagen noch mit Louis' Eltern gesprochen hatte.

Julius schaffte es zumindest, um halb fünf Büroschluss zu machen und den Garten um das apfelhaus noch für den anstehenden Besuch seiner Schwiegermutter vorzubereiten.

Gegen fünf uhr entstieg Hippolyte Latierre zusammen mit ihrem Mann Albericus dem neuen orangeroten Verbindungsschrank und begrüßte erst ihre Tochter, dann Julius und dann ihre beiden schon auf eigenen Füßen herumtapsenden Enkeltöchter Aurore und Chrysope. Erst dann begrüßte sie auch ihre jüngere Schwester Béatrice. Sie sah sich an, wie weit Clarimonde seit ihrem letzten Besuch kurz vor der Abreise zur Weltmeisterschaft gewachsen war und sprach Millie und Julius die Geduld und das Einfühlungsvermögen zu, mit jetzt drei Töchtern immer noch ein interessantes und schönes Leben führen zu können. Immerhin konnte sie da ja mitreden.

Während sie im von der Sommerhitze gut erhizten Garten bei Kaffee, Kakao und Gebäck saßen erzählte Hippolyte, was sie während der Weltmeisterschaft vom Gastgeberland mitbekommen hatte und dass die Spielerinnen und Spieler wegen der "gewissen Herrschaften" strenger abgeschottet gewohnt hatten als bei der Weltmeisterschaft in Millemerveilles. "Ich konnte noch mit dieser jungen blonden Quodpotterin sprechen, die ihr auch kennt, Julius. Die war ja gerade einige Tage bei uns."

"Und, gehst du jetzt davon aus, dass wir nur gegen den neuen Weltmeister verloren haben?" fragte Julius bewusst herausfordernd.

"Das darfst du in eurer Hauszeitung nachlesen, weil meine Tochter mir genau die Frage schon gestellt hat", erwiderte Hippolyte ein wenig genervt klingend. Doch dann gab sie sich einen Ruck und fügte hinzu: "Ich bleibe dabei, dass das mit den Leuten aus den Staaten nicht mit rechten Dingen zuging. Da wir es leider nicht beweisen konnten gilt ja die Unschuldsvermutung und somit auch das Gebot, nicht weiter darüber zu spekulieren, zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Aber so überragend, wie die alle Gegner und dann noch unsere Mannschaft aus dem Turnier gefegt haben sah es für mich aus, als wäre da jeder auf jeden so abgestimmt, als dächten die alle mit einem Gehirn oder hätten alle den Felix-Felicis-Trank genommen. Doch eben jener konnte nicht nachgewiesen werden, auch nicht durch Blut-, Haar- und Nageluntersuchungen. Und da ich nicht als gekränkte Verliererin dastehen will habe ich nach der Untersuchung eben eingestanden, dass wir die Titelverteidigung nicht hinbekommen haben. So viel von mir für euch. Bitte ein anderes Thema!"

"Gut, Ma, anderes Thema. Kriege ich jetzt einen kleinen Bruder oder noch eine kleine Schwester?" ging Millie auf den Wunsch ihrer Mutter ein. Diese verzog zwar erst das Gesicht, musste dann aber behutsam nicken. Die Frage war ja durchaus berechtigt.

"Also, die mitgereiste Heilerin hat das noch nicht genau sehen können, weil sie durch den Einblickspiegel trotz Lupe noch keine Geschlechtsmerkmale erkennen konnte. Das ist aber auch schon zwei Wochen her. Deine Oma Lutetia will mich morgen erst untersuchen, weil sie noch andere werdende Mütter betreut. Aber ob die dann auch schon erkennen kann, ob wir auf eine Melpomene Lutetia oder einen Alain Durin warten kann ich nicht sagen."

"Florymont hat vor zwei Wochen die Endversion des neuen Einblickbestecks freigegeben und vom Patentamt und der Heilerzunft zum Vertrieb und zur von Heilerseite genehmigten Benutzung auch durch Privatpersonen genehmigt bekommen", sagte Béatrice. "Allerdings", so fügte sie schnell hinzu, "Muss entweder eine körperliche Ausnahmelage vorliegen oder eine schriftliche Genehmigung von Großheilerin Eauvive vorliegen, dass eine nicht in magischer Heilkunde vorgebildete Person dieses doch noch sehr neue Untersuchungsmittel benutzen darf, Hippolyte."

"Gut, Trice, und weil ich nur ein Kind erwarte liegt kein Ausnahmefall vor?" fragte Hippolyte. "So ist es, Hipp. Aber falls du das möchtest und deine und Millies Neugier damit endlich befriedigt wird, kann ich das gerne nachprüfen, ob ich damit schon mehr sehe als mit einem reinen Einblickspiegel oder einer darauf aufgelegten Lupe", sagte Beatrice. Hippolyte erlaubte es ihr. Sie bat jedoch darum, das erst nach dem Kaffeetrinken zu tun, weil sie erst noch die Ruhe von Millemerveilles genießen wollte. Damit war es zwar nicht so weit her, weil noch Claudine und Chloé herüberkamen, um mit Aurore zu spielen, schien für Hippolyte jedoch auch ein willkommener Ausgleich zur stressigen Lage als amtliche Mannschaftsbegleiterin zu sein.

Gegen sechs Uhr abends zogen sich die zwei Töchter von Ursuline Latierre in Béatrices eingerichtetes Behandlungszimmer zurück. Millie und Julius beaufsichtigten weiter die im Garten herumtobenden, quiekenden und johlenden Hexenmädchen. Nach nur zehn Minuten verließen Hippolyte und Béatrice das Apfelhaus wieder. Hippolyte wandte sich an ihren Mann Albericus und Millie. Julius hörte aber auch zu.

"Also, sowohl Béatrice als auch ich konnten durch dieses höchstgeniale Kombinationsding klar erkennen, dass im Dezember ein Junge namens Alain Durin bei uns ankommen wird. Zumindest konnte Béatrice sich darauf festlegen, ein männliches Geschlechtsteil an meinem Kind erkannt zu haben."

"O, das wird meinen Vater freuen, wo der mir schon unterstellt hat, ich könnte nur Mädchen machen", meinte Albericus Latierre. Daraufhin glubschte ihn Millie von oben her an und meinte, ob das ihm immer zugesetzt hatte, dass er drei Töchter hingekriegt hätte.

Als Aurore und Chrysope endlich müde genug waren und in ihren Betten lagen besprachen die Bewohner des Apfelhauses mit Millies Eltern noch die Lage in Millemerveilles und dass Millie und Julius deshalb voll und ganz ihren Pflegehelferpflichten nachkommen mussten und wie Hippolyte die alchemistischen Anschläge von Vita Magica während der Weltmeisterschaft mitbekommen hatte. Dabei ging es auch um die vielen unehelich gezeugten Kinder in Millemerveilles.

"Sagen wir es so: Ihr kennt ja die Regel, dass nicht miteinander verwandte Hexen und Zauberer über fünf Lebensjahren, die sich einmal unbekleidet gesehenhaben, zur Heirat bewogen werden sollten. Daher müssten die betroffenen werdenden Eltern heiraten. Ausnahmen gab und gibt es ja leider, wie ihr hier zu gut wisst. Aber da unstrittig ist, dass diese Kinder nicht im gegenseitigen Einvernehmen der Eltern und noch dazu in einem starken Rauschzustand gezeugt wurden werden sich wohl etliche ungewollte Väter fragen, ob sie die Hexen heiraten sollen, mit denen sie unfreiwillig geschlafen haben", meinte Hippolyte dazu. "Sicher wäre es eines verantwortlichen und wohlanständigen Zauberers würdig, die Mutter seines Kindes oder seiner Kinder zu heiraten, nicht nur um sie mit Gold, sondern auch genügend Aufmerksamkeit abzusichern. Aber wenn hier echt mehrere gerade sehr junge Zauberer oder Hexen eine Ehe mit dem jeweils anderen Elternteil ablehnen kann sie und ihn niemand zwingen. Das ist ja gerade das verwerfliche an diesen Anschlägen, dass diese Verbrecher die so entstandenen Kinder zu gesellschaftlichen Sonderfällen machen, bevor sie geboren werden."

"Na ja, Etienne Boulanger, der zwei Jahre vor uns mit Beaux durch war und in den wilden Tagen mit Lucille Trudot zusammengekommen ist hat ganz klar angesagt: "Ich hab die Musik nicht bestellt. Sollen die dafür blechen, die sie bestellt haben", sagte Millie. "Wird nicht einfach, das gescheit in die Temps zu schreiben, weil ich ja selbst weiß, wie wichtig das für mich als Mutter ist, dass der Vater meiner Kinder diese auch wollte und für sie da ist."

"Ja, aber die älteren Zauberer wollen die Hexen heiraten, die ihre Kinder austragen müssen?" fragte Hippolyte. Béatrice antwortete:

"Ich hätte nicht geglaubt, dass Antoine Castello und Louiselle sich fast ohne Knirschen und Krach dazu durchringen, zu heiraten, wo sie beide schon mehr als fünfzig Jahre alleine leben. Aber wir Heilerinnen kriegen mit, dass das eine der wenigen Ausnahmen ist. Uranie möchte den Vater ihrer ungeborenen Kinder heiraten. Doch der hat bisher nichts dazu gesagt. Womöglich lotet der gerade aus, welche Widerspruchsgründe er finden oder erfinden kann. Und viele ganz junge Hexen lehnen es ab, die mehr als zwei Jahrzehnte älteren Zauberer zu heiraten, die mit ihnen zusammengekommen sind. Zwar wissen die meisten, dass sie mit unehelichen Kindern nur noch ganz ganz kleine Chancen haben, einen von ihnen geliebten Mann zum Ehemann zu kriegen. Aber ich kann auch die verstehen, die sagen, dass sie sich von Vita Magica nicht ihr ganzes restliches Leben diktieren lassen. Und ich möchte nicht wissen, wie viele mit dem Gedanken spielen, die Kinder nach der Geburt wieder loszuwerden. Wüßten Hera oder ich das genau, könnten wir helfen, diese Kinder bei ihren Müttern oder Pflegeeltern sicher aufwachsen zu lassen"

"Ich werde demnächst noch einmal mit Celestine Chevallier reden, von Mutter zu Mutter", sagte Hippolyte. "Dann werde ich wohl mehr erfahren, als was sie euch freiwillig erzählt hat", antwortete Hippolyte. "Mich ärgert es nur dermaßen, dass diese Bande den Zusammenhalt in der Nationalmannschaft vergiftet hat, vor allem das bis dahin so kameradschaftliche Verhältnis zwischen César und Bruno."

"Ja, und wir kriegen nicht mit, was jetzt in Italien mit den Leuten ist, die von diesen Banditen benebelt worden sind", sagte Julius dazu.

"Diese Verbrecher - anders kann ich diese Leute nicht bezeichnen - haben bereits jetzt so viel geldlichen wie gesellschaftlichen Schaden angerichtet, dass jede Rechtfertigung dafür als dreiste Lüge abgetan werden muss", sagte Hippolyte Latierre. "Diese Unholde züchten ganz gezielt eine Generation von Hexen und Zauberern heran, die von ihren etwas älteren Verwandten bestenfalls bedauert und schlimmstenfalls abgelehnt wird und die von sich aus darauf drängen wird, mehr Anerkennung zu erhalten und zugleich gegen jene vorzugehen, die für ihre Entstehung verantwortlich gemacht werden müssen. Ich verstehe es bis heute nicht, wie sich nachweislich sehr intelligente Leute darin verrennen können, die Überbevölkerung in der magielosen Welt durch erzwungene Nachkommenschaft bei den Hexen und Zauberern ausgleichen zu wollen. Wenn sie das wenigstens in ihren eigenen Reihen täten. Aber nein, die maßen sich an, unverheiratete und bisher kinderlos gebliebene Hexenund Zauberer wie Zuchtvieh verwenden zu müssen."

"Womöglich spekulieren die Leute von Vita Magica darauf, dass die von ihnen ausgelösten Geburten eine Generation von Leuten hervorbringt, die das Treiben in der Magielosen Welt so sehr ablehnen, dass sie den sogenannten Muggeln alles verbieten, was diese für ein ihnen sinnvoll und bequem erscheinendes Leben brauchen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass deren Denkweise darauf beschränkt ist, unbegrenzt viele Zaubererweltkinder auf die Welt kommen zu lassen. Das ist für uns, die wir nicht in deren Denkweise und Vorhaben eingeweiht sind nur die sichtbare Auswirkung, genauso wie Rauch und Flammen die sichtbaren Ausprägungen von Feuer sind, aber nicht jeder mitbekommt, was genau darin verbrennt und warum es dann zu Flammen und wie auchimmer gefärbtem Rauch kommt." Millie sah Julius verwundert an, während Béatrice zustimmend nickte und Hippolyte nachdenklich ihren Kopf wiegte. Dann fragte Millie, wie er darauf käme, dass Vita Magica mehr plane als nur neue Zaubererweltkinder auf die Welt kommen zu lassen. Julius straffte sich und rückte mit etwas heraus, dass ihm schon seit der Sache mit der Mora-Vingate-Party immer mal wieder durch den Kopf ging.

"Es haben sich in den 1980er und 1990er Jahren viele über den Papst, also den Chef der Katholiken aufgeregt, weil der in von Hunger und Überbevölkerung geplagten Ländern immer wieder auf die Menschen gedeutet und "Seid fruchtbar und mehret euch", gepredigt haben soll. Für eine Organisation wie die katholische Kirche ist es verdammt wichtig, möglichst viele treue Anhänger zu haben. Darauf bauen deren ganze Macht und Reichtum. Deshalb hat der Papst das in der christlichen Bibel schon bekannte Gebot, dass Menschen sich möglichst vermehren sollen, unters Volk gebracht, um immer mehr treue Anhänger seiner Kirche zu kriegen. Deshalb vermute ich nach den ganzen Aktionen von Vita Magica der letzten fünf Jahre, dass die auch darauf setzen, mit den so entstehenden Kindern eine neue Weltanschauung durchzudrücken, allein schon was Gérard uns erzählt hat, nachdem diese Banditen ihn erst in ihr Zuchtkarussell reingesteckt und dann zum Säugling ohne Auslöschung der bisher gewonnenen Erinnerungen verwandelt haben. Auch die brutale Sache mit den blauen Lichtstrahlen, die bei Vollmond Werwölfe aus sich heraus verbrennen lassen können wie das Sonnenlicht es mit Vampiren tut, sieht danach aus, als wollten sie die Menschheit nach ihrem Willen umbauen. Auch sind diese in diesem Karussell gezeugten Kinder sicher nicht von den üblichen Registrierstellen der Zaubereiministerien erfasst worden und wachsen bei den in den Geheimverstecken wohnenden Mitgliedern von Vita Magica auf. Das heißt, die kriegen da nur deren Denkweise und Vorhaben mit. Am Ende geht es denen echt darum, erst die Zaubererwelt und dann die gesamte Menschheit nach ihrem Bild neu zu schaffen, und um beim Thema zu bleiben, keine Geburt ohne Wehen. Das wird dann wohl sicher für alle beteiligten sehr schmerzhaft und verlustreich."

"Weil du nicht logisch erfassen kannst, welchem Zweck eine reine und unbegrenzte Vermehrung bestimmter Menschen gilt?" fragte Béatrice Latierre. Julius nickte heftig. "Wie erwähnt halte ich die nicht für dumm, aber fanatisch, also nur ihrer eigenen Denkweise folgend und alles verachtend oder bekämpfend, was dieser Denkweise widerspricht. Was genau die vorhaben wissen nur die obersten Anführer von denen."

"Bist du mit dieser Vermutung schon bei deinen Vorgesetzten gewesen?" fragte Béatrice Latierre. Hippolyte nickte ihrer Schwester zu. Julius erwiderte, dass seine offiziellen Vorgesetzten sich garantiert selbst schon damit befassten, was Vita Magica eigentlich für Ziele verfolgte. Das konnten Hippolyte und Béatrice nicht abstreiten. Dann fragte Julius noch, wie alt diese Organisation sei. Darauf konnte keiner ihm antworten. Albericus sah seinen Schwiegersohn an und fragte diesen: "Spielst du darauf an, dass diese Gaunerbande schon Jahrhunderte alt sein könnte, aber jetzt wegen irgendwas so heftig auftritt?" Julius bejahte diese Frage und erwähnte, dass es in dieser Gruppe eine wohl einflussreiche Hexe gab, die unter dem Deck- oder Ehrennamen Mater Vicesima, also die zwanzigste Mutter oder die Mutter von zwanzig bekannt war. Da Hexen genauso neun Monate lang ihre Kinder austrugen und zwischen einem halben und einem vollen Jahr Stillzeit einhielten musste diese Hexe zwischen 25 und 35 Jahre im gebärfähigen Alter sein, sofern sie nicht zwischendurch Mehrlingsschwangerschaften ausgetragen hatte. Wenn sie jedoch zwischen jeder neuen Zeugung mehr als drei Jahre verstreichen ließ war sie sogar bis zu sechzig Jahre im gebärfähigen Alter. Sollte sie nicht gleich mit zwölf oder dreizehn zum ersten Mal mutter geworden sein konnten da noch siebzehn Jahre zugezählt werden,um auf das mögliche Mindestalter zu kommen. Hippolyte und Béatrice nickten. Immerhin hatte ihre eigene Mutter ja auch viele Jahre erlebt, bis sie ihre sechzehn Kinder zusammen hatte. "Also ist diese Organisation mindestens schon siebzig Jahre alt", schloss Julius seine Überlegungen. "Was dann die Frage aufwirft, warum sie jetzt erst so unangenehm auffällt", griff Hippolyte die Vermutungen auf. Béatrice nickte ihrer Schwester zu und äußerte dann was, dass sie auch mit anderen Heilerinnen besprochenund es für außenstehende erlaubt befunden hatte.

"Also, wir Hebammenhexen gehen von drei Sachen aus: Zum einen haben sich die Familienplanungsmethoden in der Zaubererwelt in den letzten siebzig Jahren erheblich verbessert, sowohl was die gezielte Zeugung als auch die Empfängnisverhütung angeht. So ähnlich ist das ja auch bei den Nichtmagiern abgelaufen. Zum zweiten ist auch bei den Heilern immer noch unklar, weshalb es auf der Welt mehr nichtmagische als magische Menschen gibt. Offenbar sehen die von Vita Magica das als unnatürlichen Überhang, der berichtigt werden soll. Allerdings sind sie nicht wie die Todesser oder Sardonias Erbinnen darauf ausgegangen, möglichst viele Nichtmagier zu töten, wohl auch, weil sie keine Inzucht in der Zaubererwelt haben wollen. Drittens vermuten die älteren Hebammen, dass Vita Magica deshalb nun sehr drastisch in die Lebens- und Familienplanung von Hexen und Zauberern eingreift, weil deren Angehörige wohl denken, wir Hexen und Zauberer wollten es zulassen, dass wir nach und nach aus der Menschheit verschwinden, weil wir unsere Existenz ja tunlichst geheimhielten. Ja, und viertens könnten die technischen und vor allem waffenkundlichen Fortschritte bei den Nichtmagiern eine gewisse Bedrohungshaltung geweckt haben, dass die Nichtmagier, sollten sie von unserer Welt erfahren, keine Probleme damit hätten, uns nach Belieben auszurotten, wie sie es ja mit lästigen Insekten tun oder durch ihre eigene Vermehrung und neue Maschinen mit der freien Natur tun. Also vermuten wir Hebammenhexen, dass Vita Magica auch deshalb nun so gewissenlos auf die Zeugung neuer Zaubererweltkinder drängt, um eine gezielte Ausrottung durch die Magielosen zu erschweren oder gar unmöglich zu machen. Doch was du eingeworfen hast, Julius, kann auch stimmen, dass diese Leute einen völligen Gesellschaftswandel innerhalb der magischen und dann auch der magielosen Menschheit erzwingen wollen, je mehr unregistrierte Zaubererweltkinder geboren und großgezogen werden. Jene Kinder, wie sie deine Mutter, Julius, oder Sandrine unter Einwirkung von magischen Mixturen bekommen haben, werden sich wohl oder übel später damit auseinandersetzen müssen, dass sie eigentlich so nicht geplant und erwünscht waren, nicht mit ihren eigenen Eltern, aber mit den anderen Hexen und Zauberern. Dann könnte wirklich eine Generation heranwachsen, die gegen die bisher bestehenden Verhaltensregeln und Gesetze aufbegehrt und diese für nicht mehr hinnehmbar ansieht. Aber ich fürchte, du hast insofern auch recht, dass wir uns hier nur in Vermutungen und Vorstellungen verrennen, solange wir keine klaren Auskünfte über die Denkweise der Leute von Vita Magica haben."

Julius und Hippolyte nickten Béatrice zu. Millie straffte sich und meinte, dass diese Kinder, auch ihre beiden neuen Schwägerinnen und der Schwager, aber auch einen Hass auf ihre Natur empfinden könnten. In der Geschichte sei es doch schon oft passiert, dass Leute, die sich wegen irgendwas selbst verachteten, besonders brutal und menschenverachtend dreingeschlagen hätten. Das könnte doch nicht im Sinne von Vita Magica sein, dass sich Zaubererweltbürger gegenseitig umbrachten. Julius stimmte ihr zu. Béatrice wiederholte noch einmal, dass sie nur Vermutungen anstellen konnten, solange sie nicht wussten, was die Leute von Vita Magica wirklich vorhatten.

"Jedenfalls genügen deren Untaten, um zwei feste Freunde und verlässliche Kameraden zu entzweien", spielte Hippolyte auf den teilweise öffentlichen Streit zwischen César Rocher und Bruno Dusoleil an, der vielleicht mit dazu beigetragen hatte, dass die französische Nationalmannschaft die Titelverteidigung verfehlt hatte.

Um elf Uhr waren dann alle müde genug, um sich zur Nacht zu verabschieden. Hippolyte und Albericus benutzten wieder den orangeroten Zauberschrank in der Bibliothek, um erst ins Sonnenblumenschloss und dann in ihr eigenes Haus zurückzukehren. Julius hoffte, genug Schlaf zu kriegen, um am nächsten Tag die ihm zugedachte Arbeit forzuführen. Außerdem wollten sie ja die angemeldeten zwei Lieder üben, damit sie wussten, wie lange sie am Ende waren.

Bevor sie schliefen sagte Millie ihrem Mann im Schutz der Schnarchfängervorhänge: "Ich habe in die Zeitung geschrieben, dass es beim Sommerball nach langer Zeit wegen unstatthaften Verhaltens zwei Platzverweise gab. Wen das betrifft hat keinen außerhalb von Millemerveilles zu interessieren." Julius konnte ihr da nur zustimmen.

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"Das haben Sie so gedreht, weil ich Ihren Lebensbeschränkungsvertrag nicht unterschreiben wollte, Mr. Pinecone", hörte er die auch für durchschnittsleute hochgewachsene Venus Partridge sehr ungehalten aber immer noch leise sagen, als Gerald Pinecone, der Leiter der Teilnehmerauswahl für die Quidditchweltmeisterschaft 2003, den Vorhang vor der abschließenden Bewertungsliste zur seite gezogen hatte und jeder hier nachlesen konnte, dass Venus Partridge, die vom Quotpotverein Viento del Sol Windriders für die Quidditchweltmeisterschaft ausgeliehen worden war, nur auf dem sechzehnten von zwanzig Plätzen gelandet war. Da nur vierzehn Spielerinnen und Spieler mitreisen durften war sie damit aus dem Kader, genauso wie Jason Larkin und Chester Robinson. Auch diese deuteten verärgert auf die Tafel und beschwerten sich über die Wertung, zumal Jason Larkin als Treiber mehr Klatscherkontakte verzeichnen konnte als Taffy Rockwell.

"Die Wertung beruht auf rein spielerischen und mannschaftlichen Entscheidungsgrundlagen, die Dame und die Herren", sagte Pinecone. Doch jeder hier konnte ein gewisses, schadenfrohes Lächeln sehen. "Diesen für alle gültigen Entscheidungsgrundlagen nach haben Sie, Ms. Partridge, am Ende zwanzig Punkte weniger erzielt als Mr. Blackhawk, weshalb er noch als Reservejäger mitreisen darf. Und Mr. Larkin, Ihre Vorstellungen beim Klatscherspiel in allen Ehren, aber Ihnen fehlt die mannschaftliche Abstimmung. Wenn Sie einen Klatscher vor dem Schläger haben spielen sie immer so, als müssten Sie allein gegen alle anderen spielen. Das hat Ihnen sehr viele Punkte in der Kategorie mannschaftliches Verhalten gekostet, weshalb Sie nur auf Platz achtzehn gekommen sind. Sicher hätten wir Sie gerne mitgenommen, aber wer dderartig eigensinnig und selbstdarstellerisch spielt hat in einer Weltmeistermannschaft nichts verloren."

"Die Eintopferin aus VDS hat voll recht, das haben Sie so gedreht, weil wir diesen Vertrag mit dem eingebauten Keuschheitsgürtel nich' unterschreiben wollten, Mr. Pinecone. Außerdem wollen sie Taffy Rockwell doch nur wegen der Ethnienquote mitnehmen, und mit einem Ebenholz-Treiberduo kommt unsere Mannschaft sicher internationaler rüber", sagte Larkin. Venus sah ihn dafür tadelnd an.

"Das werte ich mal als Anerkenntnis der Richtigkeit unserer Entscheidung, Sie nicht mitzunehmen, Mr. Larkin", antwortete Gerald Pinecone.

Donovan Maveric wachte auf. Was er gerade wieder miterlebt hatte war schon zwei Monate her, zwei Monate, die sein Leben grundweg verändert hatten. Er öffnete die Augen und sah, dass es noch stockdunkel war. Also konnte er sein Fenster noch nicht aufmachen, geschweige denn mal eben vor die Haustür, um frische Luft zu schnappen. Gut, das brauchte er eigentlich auch nicht, weil das birnenförmige Varanca-Haus einen Luftaustauschzauber besaß, der alle dreißig Minuten die Innenluft gegen gereinigte Außenluft austauschte. Doch er war diesen Luxus nicht gewohnt und schwor deshalb lieber auf Fenster, die man aufmachen konnte, wann einem danach war. Wenn er aber an die Probleme dachte, die seit der erst sehr erfreulichen Mitteilung, dass er mitreisen durfte, aufgekommen waren, war ein nicht aufzukriegendes Fenster wirklich eine Kleinigkeit.

Sicher, für viele hier war es überhaupt kein Problem, dass sie bei einer steinalten Hexe aus einem Ureinwohnerstamm in Südamerika einer nach dem Anderen ein Ritual durchgeführt hatten, bei dem jeder ein Zwölftel seines oder ihres Blutes hatte opfern müssen und bei den Göttinnen Mama Killa und Pacha Mama hatte schwören müssen, ein Leben ohne körperliche Gelüste und Verzicht auf eigene Nachkommen zu führen. Dafür bekam jeder ja auch die Kraft in das noch im Körper verbliebene Blut geflößt, bei allen wichtigen Entscheidungen immer die für einen selbst richtige zu finden, jede Gefahr unversehrt zu überstehen und jeden Kampf zu gewinnen, ob alleine oder mit anderen durch das Ritual und die Lage vereinten. Das war ja der Sinn des ganzen, hatte Gerald Pinecone ihnen vor diesem obskuren Indianerzauber oder Inkaritual erklärt. Das war ein Zauber, den keiner von den europäisch und orientalisch geprägten Zauberern und keine keltisch oder griechisch-römisch gebildete Hexe ergründen oder brechen konnte. Damit würden sie die Quidditchweltmeisterschaft in Italien und jede darauf folgende Weltmeisterschaft gewinnen. Jede Hexe musste dann eben ihr Leben lang Jungfrau bleiben und jeder Zauberer auf körperliche Liebe verzichten, von eigenen Kindern ganz zu schweigen. Deshalb hatten nur die das Ritual durchlaufen dürfen oder müssen, die den Teilnahmevertrag mit der zehnjährigen Keuschheitsklausel unterschrieben hatten. Die anderen hatten eben Pech gehabt, dass sie so stur oder so eigensinnig waren, hatte er von einigen immer mal wieder gehört. Das Problem war, im Vertrag stand auch, dass sie nicht verraten durften, mit welchen Methoden sie trainierten. Wer dagegen verstieß flog aus dem Kader und konnte sogar zur Zahlung des für ihn oder sie aufgewandten Goldes verdonnert werden.

Zuerst war Donovan sehr euphorisch gewesen, dass er dieses Glück hatte, das sonst nur Felix Felicis bereiten konnte. Aber Dieser konnte von Prüftränken und unter Zuhilfenahme von Haar- und Blutproben nachgewiesen werden. Das Ritual des unberührtenGlückes war mit bekannten Zaubernund Tränken nicht nachzuweisen.

Ein für ihn persönlich bestehender Vorteil war, dass diese übergewichtige, mit ihrem Reichtum protzende Hexe Phoebe Gildfork nicht mehr darauf ausgehen durfte, ihn als neuen Bettgenossen zu bekommen, seitdem ihr Mann für tot erklärt worden war. Ihm gefiel das absolut nicht, dass sie ihn immer so lüstern ansah, wenn sie meinte, es bekäme kein anderer mit. Er war bis zur Vertragsunterschrift immer froh gewesen, dass sie ihn nie alleine zu sprechen gefunden hatte. Ja, und wenn sie den Titel für Amerika haben wollte durfte sie ihn nicht anrühren. Dennoch sah sie ihn immer noch so an wie eine Wölfin ein Schaf, das in einem Pferch steht und nicht weglaufen kann.

Als Donovan Maveric den grandiosen Sieg gegen Frankreich vollendet hatte fühlte er sich sehr unwohl. Die Überlegenheit und die Freude am Siegen waren fort. Die anderen freuten sich immer noch über diesen so wichtigen Sieg. Sie hatten die Weltmeistertruppe von vor vier Jahren aus dem Turnier geworfen, ja und auch die sehr flinken und verdammt gut aufeinander eingespielten Mexikaner nach Hause geschickt. Heute würde er erfahren, wen sie als nächsten mal soeben vom Feld fegen würden. Denn an dem Sieg gab es ja keinen Zweifel mehr.

Er dachte daran, dass einige Quodpotspieler aus der Heimat herübergekommen waren und wegen einer Eingabe des US-amerikanischen Zaubereiministeriums ebenfalls in den Mannschaftsbereichen wohnen durften, weil dort die Absicherung gegen dieses tückische Gas von Vita Magica am besten klappte. Es war den Spielern nicht verboten, bei Tag im für die Mannschaften abgesicherten Bereich herumzulaufen. Allerdings mussten sie alle Findmich-Armbänder tragen, um von den drei Medimagiern Moonfield, Greenbrook und Kettletop sofort gefunden oder zurückgerufen zu werden, wenn es doch zum Durchbruch übelgesinnter Hexen und Zauberer kommen würde. Deshalb konnte er sich auch nicht so recht freuen, die blonde, sehr attraktive, athletische und selbstbewusste Spielerin Venus Partridge irgendwo treffen zu können. Seitdem er und die dreizehn anderen, die sich diesem Ritual unterzogen hatten, in sogenannte Quarantäne gekommen waren, um nicht vor der Weltmeisterschaft noch was übles abzukriegen, hatte er sie nicht mehr gesehen. Er erinnerte sich gerne daran, wie oft er mit ihr über dem Übungsfeld herumgeflogen war und sich von ihr die Dawn'sche Doppelachse hatte vorführen lassen. Sie verstanden sich auch ganz gut, obwohl sie anderthalb Köpfe größer als er war. Zu gerne hätte er ihr erzählt, was ihr erspart geblieben war. Doch laut Vertrag durfte er ja nichts erzählen, aufschreiben oder mentiloquieren. Abgesehen davon, dass er diese rein mentalmagische Kunst nie gelernt hatte war es also unmöglich, dass er ihr was erzählte. Außerdem würde sie garantiert einen heftigen Aufstand machen und laut "Betrug" und "Drachemist!" ausrufen. Sie hätte ja auch völlig recht. Was er und die anderen da abzogen war Betrug, fortgesetzter, gemeinschaftlich begangener Betrug. Weil er das wusste, konnte er sich nicht auf den sicheren Titel freuen. Die anderen hatten auch über Jahre darum gekämpft, diese Weltmeisterschaft mitzuspielen. Auch sie hofften auf große Anerkennung, ja und wohl auch zusätzliche Einkünfte. All das verdarben er und die anderen ihnen, nur, weil diese viel zu dicke Sabberhexe Gildfork ihre Rache an der großen bösen Quidditchwelt haben wollte und weil sie sicher auch noch sehr üppige Aufträge für ihre Besenmanufaktur einheimsen konnte. Venus hatte das sicher schon geahnt, und die dicke Gildfork hatte ihr deshalb die Mitreise versaut und sich in ihrem stillen Kämmerlein sicher königlich darüber amüsiert, dieses ihr ständig widerstrebende Mädchen so richtig abgebürstet zu haben. Wie lange würde es noch dauern, bis er sich selbst nicht mehr im Spiegel ansehen konnte? War das schon nach dem nächsten Spiel der Fall, oder geschah das erst, nachdem er mit den anderen diesen Titel oder den nächsten geholt hatte? Ihm fröstelte, wenn er daran dachte, dass er sich an diesen Zustand gewöhnen und ihn irgendwann wieder sehr schön finden würde, wie er es beim ersten Sieg empfunden hatte. Er musste einen Weg finden, diesen Spuk zu beenden, diesen perfiden Plan dieser Protzigen Pomeranze Gildfork zu versauen, auch wenn es hieß, dass er dann sein ganzes restliches Leben für alle in den Staaten betriebenen Sportarten gesperrt würde und sein restliches unberührtes Leben lang für die Rückzahlung der wegen ihm aufgewandten Zahlungen ackern musste, ja womöglich noch wegen entgangener Titelchancen belangt werden könnte, sofern er nicht doch irgendwem von der Strafverfolgung oder der IOMSS verriet, was er und die anderen gerade taten.

Dann dachte er daran, das es doch ganz einfach war. Er musste nur mit einer Frau Liebe machen. Dann würde der ihm aufgeprägte Zauber verschwinden. Doch dieser Bruch mit der ihm aufgeladenen Magie hatte einen hohen Preis. Wenn er den Schwur der Unberührtheit brach würde er nach der ersten wach und im Zusammensein mit einem anderen Menschen erlebten Lust innerhalb von einer Minute um die Zeit altern, die er das Ritual genutzt hatte. Je größer und zahlreicher die dabei erzielten Erfolge waren war es sogar die zwei bis achtfache Zeit. Für jemanden, der also mehr als zwanzig Jahre lang unberührt gelebt hatte und dabei mehrere wichtige Titel gewonnen oder Todesgefahren überstanden hatte konnten das beim freiwilligen Bruch des Blutschwures dann bis zu 160 Jahre auf einen Schlag sein. Ihm graute es bei der Vorstellung, mit einer Frau gerade den Höhepunkt im Liebesakt zu erleben und dann innerhalb einer Minute über die ihm gewährte Lebenszeit hinaus zu altern und womöglich in den Armen der Geliebten zu Staub zu zerfallen. Genau deshalb hielten sich wohl die, die sich diesem Ritual unterzogen hatten an diesen Blutschwur.

Konnte er sich zurücknehmen, wenn sie spielten? Nein, denn sobald sie in der Luft waren überkam ihn immer ein Drang, das Spiel zu gewinnen, mehr noch als bei Wettkämpfen schon üblich war. Er hatte es gegen Janine Dupont versucht, sie an den Schnatz kommen zu lassen. Doch der übermächtige Siegeswille hatte ihn dann doch dazu getrieben, seine Hand ein wenig schneller an den goldenen Ball zu bekommen. Und er wusste, je wichtiger die Entscheidung wurde, desto mehr würden sich alle, die voneinander wussten, dass sie dem Ritual des unberührten Glückes unterworfen waren, anstrengen, um zu gewinnen. Am Ende würde er zu einer Art Siegergolem, der nur einem ihm eingeprägten Befehl folgte: "Gewinne das Spiel, egal gegen wen!" Auch diese Vorstellung machte ihn frösteln, obwohl es in seinem Zimmer doch angenehm war, nicht zu kalt und nicht zu heiß.

"Ein gutes Gewissen ist das beste Ruhekissen", echote ein Spruch seines Vaters in seinem viel zu wachen Bewusstsein. Sprüche wie diesenhatte er immer wieder zu hören gekriegt, selbst in den Ferien von Dragonbreath. Tja, hatte sein Vater recht, oder hatte er nur deshalb ein schlechtes Gewissen und eine unangenehme Abscheu vor dem, was er getan hatte, weil sein Vater ihn immer mit solchen Moralsprüchen gefüttert hatte? Nein, sein Vater hatte mit seinen Gefühlen nichts zu tun. Weil dann hätte er ja schon damals wie Venus und Jason die Unterschrift unter den Teilnahmevertrag abgelehnt und wäre dann garantiert auch auf einen der sechs unteren Plätze gerutscht, und die hätten sich einen neuenunberührten Sucher oder eine jungfräuliche Hexe als Sucherin suchen müssen.

Endlich begannen die Vögel dort draußen zu zwitschern. Langsam glomm das erste Morgenlicht im Osten. Jetzt waren es nur noch drei Stunden bis zum offiziellen Aufstehen. Er konnte nun eines der mitgenommenen Bücher aufschlagen und lesen, ohne das magische Deckenlicht aufleuchten lassen zu müssen. Das Lesen würde ihn wohl von seinem Gewissen ablenken, zumindest vorerst.

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Am 30. Juli traf sich Julius noch einmal mit den Marceaus, diesmal ohne Auto. Sie übergaben ihm die unterschriebene Vollmacht, dass er die noch ausstehenden Sachen im Château Trois Étoiles bei Amien regeln durfte, sofern er ihnen zeitnahe über Änderungen oder Erweiterungen bei der Unterbringung berichtete. So erfuhr er auch, dass er mit einem Kastellan Dumont sprechen würde, der das für besondere Feste vermietbare Schlösschen betreute und dass er dem bitte ausrichten möchte, dass sie kein zusätzliches Personal anmiten würden, da sie ihren eigenen Partyservice bestellen würden.

"Ich wollte das ja eigentlich nur in einem Hotel in der Normandie machen, Monsieur Latierre", sagte Pierres Vater, der sich extra für die Unterredung den Vormittag freigenommen hatte. "Aber Gabrielles Eltern haben darauf bestanden, dass wir zum einen nicht zu nahe an anderen Ansiedlungen feiern und zum zweiten ein dem Anlass entsprechendes und erinnerungswürdiges Umfeld bieten wollen. Diese überschöne Frau, die Mutter von Gabrielle, meinte, dass zwölftausend Euro nicht viel wären, um anderthalb tage lang ein unvergessliches Erlebnis zu feiern. Ich musste mich arg beherrschen, ihr nicht totale Naivität oder Verschwendungssucht zu unterstellen, weil ich nicht weiß, wie weit sie mit unserer neuen Gemeinschaftswährung vertraut ist.""

"Also, soweit ich weiß haben die Verwanten Gabrielles zusammengeworfen, um eine große Hochzeit auszurichten. Gabrielles Vater arbeitet wie ich im Zaubereiministerium. Gemäß seiner Besolgungsgruppe kriegt er da das doppelte von meinem Gehalt, und ich kann von dem, was ich verdiene eine mittlerweile fünfköpfige Familie ernähren", sagte Julius. "Außerdem, wenn sie ihre Tochter jetzt verheiraten, kriegen sie dafür ein Badezimmer und mindestens einen großen Kleiderschrank zurück."

"Eh, weiß Gabie, dass du so von ihr redest?" fragte Pierre und wurde von seinen Eltern gemaßregelt, dass er mit einem offiziellen Beauftragten dieses Magieministeriums spräche. "Ich spreche jetzt gerade mit meinem Trauzeugen, Papa", sagte Pierre aufsässig. Julius nickte und erwiderte, dass er das schon von vielen Mädchen gehört habe, dass je schöner der Körper desto umfangreicher Verpackung und Pflege. ""Ich meine nur, dass du mit meiner Zukünftigen wohl keinen Krach haben willst", brummelte Pierre.

"Da passt ihre Oma schon auf, dass wir uns nicht gegenseitig zerbröseln", erwiderte Julius unbekümmert. das brachte Madame Marceau darauf, anzumerken, dass sie sich in der Nähe von Gabrielles Mutter schon nicht wohl fühle, weil sie immer den Eindruck habe, sich gleich gegen sie wehren zu müssen. Und die, so Pierre, sei eine halbe Hexe und eine halbe Veela. Pierre nickte.

"Gut, der junge Mann hier war ja mit ihr hier bei uns", beruhigte Pierres Vater seine Frau. "Können Sie von da, wo sie arbeiten telefonieren, Monsieur Latierre?"

"Nicht direkt. Aber Sie können mir Mails schicken. Die Adresse haben Sie ja."

"Da muss mein alter Herr erst mal lernen was das Internet ist", ätzte Pierre. Sein Vater sah ihn dafür sehr vorwurfsvoll an und zischte: "Ich weiß was das Internet ist, junger Mann. Immerhin hat mein Chef mich vor drei Monaten auf eine Weiterbildung in internationaler Kommunikation geschickt und viel Geld dafür ausgegeben."

"Dann kriegen Sie das mit E-Mails aus dem linken Handgelenk hin", meinte Julius und nickte Pierres Vater zu.

"Dann ist von meiner Seite aus erst einmal alles besprochen. Ich melde mich dann bei Ihnen, nachdem ich mir das kleine Schloss angesehen habe, wie wir die Gäste unterbringen und worauf die Gäste aus den beiden Welten zu achten haben", sagte Julius. Dann verabschiedete er sich von den Marceaus. Er verließ das Haus und ging einige Schritte. Erst als er alle gerade die noch nicht zu große Hitze ausnutzenden Jogger und Fußballspieler hinter sich gelassen hatte tauchte er hinter einen grauen Müllcontainer, wartete einige Sekunden und disapparierte dann so leise er konnte. Vielleicht hörte irgendwo wer ein leises Plopp und fragte sich, woher das Geräusch gekommen war.

Kurz vor Mittag kehrte Julius nach Paris zurück und wurde von Nathalie Grandchapeau eingeladen, das Mittagessen bei ihr im Büro einzunehmen, um dem Trubel in der Kantine zu entgehen. Er nahm das Angebot an.

Nach dem Essen konnte er über den Cogison-Ohrring kurz mit Demetrius reden, der wegen der Verdauungsgeräusche in Nathalies Leib sowieso nicht schlafen konnte. "Das wird noch was geben, wenn die ganzen ledigen Väter aufmucken, weil sie nicht mit den Hexen zusammengesprochen werden wollen, denen sie Kinder in die Bäuche gelegt haben", hörte Julius die wie ein kleiner Junge klingende Cogison-Stimme von Demetrius in seinen Ohren, während die zwei Gänge Mittagessen rumpelnd und Gluckernd über und um ihn herum verarbeitet wurden.

"Die Ministerin will im September, wenn die neuen Amtsanwärter vereidigt und die ihre Anwartschaft erfolgreich beendeten vollbeamtet worden sind mit denen aus der Familienstandsabteilung und der Strafverfolgung beschließen, welchen Status die von VM erzwungenen Zeugungsakte haben, auch um die vielen Kinder abzusichern, dass sie nicht aus unserer Gesellschaft verdrängt werden", dachte Nathalie, die den anderen Ohrring trug. Julius erwähnte noch mal den heftigen Streit zwischen Bruno und César. Sowas mochte es anderswo auch geben, wenn auch nicht so auffällig, weil die Streitenden nicht in einem Dorf wohnten und auch nicht so öffentliche Personen waren wie Ministeriumsmitarbeiter oder Quidditchprofis. Es gluckerte erst einmal laut. Dann erwiderte Demetrius: "Na ja, aber Bruno und César je 500 Galleonen Strafzahlung aufzuladen schafft diesen Streit wohl nicht aus der Welt. Sonst könnten die die beiden ja gleich wieder in Wiege und Windeln zurückschrumpfen."

"Apropos, wir sollten hier jetzt besser schluss machen, da ich einen drängenden Termin habe", sagte Nathalie mit hörbarer Stimme, die wegen des Ohrrings in Julius Ohren dumpf wie von großen Basslautsprechern nachhallend klang. Demetrius' Cogison-Stimme erwiderte belustig: "O ja, ich merk's auch schon, wie drängend das wird. Also, Julius, bleib weiter aufrecht und genieße es, dass du dir dein Essen noch selbst aussuchen darfst!"

"Da kannst du von ausgehen, Demetrius", erwiderte Julius. Dann nahm er von sich aus den Ohrring ab und gab ihn Nathalie zurück.

"Ich bin froh, dass mein ganz intimer Mitbewohner noch wen außer mir und Belle hat, mit dem er sich zwischendurch unterhalten kann", mentiloquierte Nathalie und umarmte Julius flüchtig. Dann verließen sie beide das Büro. Julius ging in das ihm alleine zugeteilte Amtszimmer zurück.

Die Latierres übten zwischen fünf und sieben Uhr die beiden Stücke, was schon ganz gut klang, weil sie ja Noten lesen konnten und schon einige Male zusammen musiziert hatten. Aurore hatte sich entschieden, auf einer Schellentrommel zu spielen und ließ sich von ihrer jungen Großtante zeigen, wie sie den Takt klopfen konnte. Draußen flogen Florymonts geflügelte Gießkannen ihre allnachmittägliche Gartenpatrouille, um Beete und Bäume nicht verdursten zu lassen.

Nach dem Abendessen und nachdem Chrysope und Aurore ihre Gutenachtgeschichten gehört hatten und schliefen sprach Julius mit seinen beiden erwachsenen Mitbewohnerinnen noch über die Sache mit Louis' Eltern und dass er froh war, dass wenigstens seine Mutter es eingesehen und gefördert hatte, dass er seine Zaubererausbildung zu Ende bringen konnte. Er erwähnte, dass es ihm schon zugesetzt hatte, dass Louis' Eltern ernsthaft versucht hatten, jeden umzubringen, der oder die in ihr verlassenes Haus eindringen wollte.

"Ja, das ist ja wohl auch der Grund, warum die vom Ministerium damals Laurentine von ihren Eltern wegholen wollten", meinte Millie dazu. Béatrice erwähnte, dass ihr in der Heilerausbildung auch Fälle von muggelstämmigen Kindern untergekommen seien, bei denen ein Elternteil oder beide Eltern versucht hatten, sie für abnorm oder gemeingefährlich erklären zu lassen und dass es einige Zeit gedauert hatte, die betreffenden Kinder davon zu überzeugen, dass sie keine Ungeheuer und Missgeburten waren, die besser gestern als morgen ihr Leben beenden sollten.

Um nicht mit so trüben Gedanken ins Bett zu gehen spielten sie im mit Klangkerker bezauberten Musikzimmer noch einmal die beiden Stücke für Patricias Hochzeitsfeier, wobei Millie auch verschiedene Spielweisen der vorgegebenen Akkorde ausprobierte, um zum einen einen leichteren Wechsel zwischen den Akkorden hinzubekommen und zum anderen den Klang der Akkorde besonders hinzukriegen. Julius, der mittlerweile einige Griffe auf dem Klavier gelernt hatte, zeigte Millie, wie Jazz- und Bluesmusiker spielten und dass derartige "blaue Noten" und nicht in den klassischen Kadenzen vorkommende Akkorde eingebaut werden konnten. Als Millie das dann ein paar mal ausprobiert hatte grinste sie und sagte: "Das wird sicher Marcs Eltern gefallen, dass wer aus der Zaubererwelt weiß, wie diese Musikart geht."

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Julius hatte schon ein schlechtes Gewissen, weil am ersten August Martines fünfundzwanzigster Geburtstag war und Martine den gerne mit ihren Verwandten feiern wollte. Allerdings waren ja alle Latierres auch zu Sylvie Rochers Hochzeit eingeladen worden. So hatten sich Martine und ihre Verwandten darauf geeinigt, dass sie den ganzen Vormittag im Château feiern würden und sie dann alle zusammen durch die Schränke ins Apfelhaus hinüberwechseln und von dort aus auf Besen zum Musikpark fliegen würden. Weil Zeremonienmagier Laroche sowieso erst um sechs Uhr Abends Zeit hatte, da vorher noch mehrere andere Obliegenheiten zu erfüllen waren, würde die Hochzeitsfeier erst ab fünf Uhr beginnen. Die beiden erstgeborenen Zwillinge von Barbara Latierre waren ja schon dort, weil sie mit Celestine und Babette Brickston die Brautjungfernnacht bei Sylvie Rocher verbracht hatten. Weil Bruno freiwillig auf die Teilnahme an der Feier verzichtet hatte bestand zumindest keine Gefahr, dass es weitere Auseinandersetzungen zwischen ihm und César gab. So konnte Sylvies großer Bruder doch mit dabei sein.

"Und pusten!" forderten die Gäste im himmelblauen Salon, dessen Fenster zur Ostseite des Schlosses hinausschauten. Martine holte tief Luft und blies die fünfundzwanzig genau im Quadrat angeordneten, bleistiftdünnen, weißen Kerzen auf der würfelförmigen Geburtstagstorte aus. Was immer sie sich dabei gewünscht hatte würde sie tunlichst verschweigen. Sie trug zu ihrem Wiegentag ein rosarotes Rüschenkleid mit kleinen silbernen Glöckchen. Das hatte sie sich selbst ausgesucht. So gab sie bei jeder kleinsten Bewegung ein leises Bimmeln von sich.

"Da haben uns die gute Laura und deren freche Enkeltochter meinen Geburtstag angefressen", meinte Martine, als Julius von ihr ein kleines Stück des bunten Würfelkuchens bekam. "Aber ich möchte, dass du nachher, wenn der Eröffnungswalzer gespielt worden ist, mal mit mir tanzt. Ich hörte sowas, dass du beim Sommerball wieder alle Mädchen zwischen ungeboren und hundert Jahren erfreut hast."

"Das stimmt. Wenngleich ich nicht weiß, mit wie vilen ungeborenen Mädchen ich getanzt habe. Vielleicht waren es auch alles Jungs", sagte Julius. Millie, die rechts von ihm saß erwiderte darauf: "Zumindest wussten die schon auf eigenen Füßen laufenden Mädchen, dass sie mich immer brav fragen sollten, wenn sie mit meinem Süßen tanzen wollten, große Schwester."

"Mmmammmamm-mjmmm!" machte Héméra, als ihre Tante Millie sie auf den Schoß nahm. Martines und Alons erste Tochter warzu einem echtenWonneproppen geworden. Martine hielt derweil die gerade mal einen Monat und acht Tage alte Clarimonde auf den Knien. Alon selbst saß bei seinem Schwiegervater Albericus und redete mit ihm über die Aussichten der Belgier, bei der Quidditch-Weltmeisterschaft ins Viertelfinale zu kommen, nachdem sie gestern gegen Schweden gewonnen hatten. Somit stand fest, dass sie gegen die überragende US-Mannschaft spielen mussten. Beide waren sich einig, dass nur der Schnatzfang Corinne Duisenbergs die Belgier weiterbringen konnte. Wenn sie es zuließen, dass das Spiel lange dauerte würde die von Gildfork gesponsoerte Truppe ins Viertelfinale kommen und traf dann auf Australien, Russland, Uganda oder Peru. Zumindest hatten die Australier die Brasilianer mit 300 zu 230 Punkten an die Copacabana zurückgeschickt. Doch Peru hatte die Schotten aus dem Turnier gefegt, und Uganda hatte ganz knapp gegen Deutschland gewonnen, was den mitgereisten Zaubereiminister Güldenberg zur Behauptung verleitet hatte, dass der aus Ägypten stammende Schiedsrichter wohl eine afrikanische Mannschaft mit dem Pokal sehen wollte, wo Kenia, Marokko und eben auch Ägypten schon raus waren und die Südafrikaner gegen Peru hatten spielen müssen, was als sicherer Sieg für Peru eingeschätzt wurde und Dank Gabriel Sesto Bocafuego auch bestätigt wurde.

"Beri und Alon, wenn dieses Turnier vorbei ist werden wohl sehr viele Fragen zu klären sein", sagte Hippolyte, die erst gegen elf Uhr zur Geburtstagsfeier hinzugestoßen war und da nicht gerade erfreut dreingeschaut hatte. "Zum Beispiel muss die Frage besprochen werden, ob wir nicht doch schon nach dem zweiten Angriff von Vita Magica das Turnier hätten abbrechen müssen. Auch haben die Italiener sich nicht an die klare Absprache gehalten, die südafrikanischen Vuvuzelas abwechselnd tröten zu lassen, wie wir das in Millemerveilles gemacht haben. Dann haben mir doch allen ernstes die Kollegen aus Deutschland, Englandund Irland vorgehalten, die Kuppel Sardonias habe unsere Mannschaft begünstigt und alle anderen geschwächt. Zumindest konnte das schnell ausgeräumt werden, weil ja genug internationale Thaumaturgen der IOMSS Millemerveilles oft genug besucht und alle dort wirkende Magie untersucht haben und dass es keine Beanstandung wegen möglicher Streuungen gab. Aber es gibt immer wieder Leute, die klammern sich an jede noch so haarsträubende Behauptung. Nur ich muss dann immer dagegen arrgumentieren."

"Fordern die denn immer noch deinen Rücktritt, Ma?" wollte Millie wissen.

"Nicht mehr, nachdem deine und andere Zeitungen die möglichen Nachfolger als unerfahren oder nur auf das Spiel an sich bezogen oder umtriebig hingestellt haben, Mildrid. Na ja, spätestens einen Monat vor Alains Geburt werde ich wohl einen Stellvertreter benennen. Aber das wird dann niemand sein, der damals unter Didier Karriere machen wollte, mein Wort darauf."

"Ja, und die Gildfork tönt immer noch, dass der Pokal schon in den Staaten sei. Die restlichen Spiele seien nur sowas wie Ehrenrunden", sagte Martines Mann und Héméras Vater.

"Leute, wenn ich als aktive Spielerin eins gelernt habe, dann das, dass ein Spiel erst vorbei ist, wenn der Schnatz gefangen ist. Und der vom Finale wird noch sehr gut behütet, damit den bloß keiner vorher verhunzen kann", sagte Hippolyte.

"Ach, der wird schon sorgfältig behütet, Hipp. Ich dachte, der wird erst einen Tag vor dem Spiel geschmiedet", warf Patricia ein.

"Also, das habe ich noch mitbekommen dürfen, dass die Schnatze für Finale und Halbfinale schon vor dem Eröffnungsspiel fertig waren. Wir Mannschaftsfunktionäre durften die goldenen Bälle in ihren bruchsicheren Glasschatullen sehen. Auf denen steht eingraviert "Semifinale 2003" und eben "Finale Grande 2003. Die italienischen Organisatoren wollten damit sicherstellen, dass die Schnatzschmiede nicht von den aussichtsreichsten Teilnehmermannschaften bestochen werden können, die Schnatze beim Schmieden auf eine bestimmte Mannschaft vorzuprägen. Das kam ja daher, dass die kolumbianische Zaubersportzeitung "Escoba excelsior" sieben Methoden zur betrügerischen Schnatzmanipulation veröffentlicht hat und doch glatt die Behauptung aufgestellt hat, die italienischen Wettbüros würden nach Quoten der Wetten bestimmen, welche Mannschaft das Finale gewinnen sollte. Das ist schon mehr als böswillige Verleumdung."

"Dann kennen die in der Zaubererwelt auch die Mafia?" fragte Julius, der an ähnliche Manipulationen im Fußball oder Boxen dachte.

"Das was die Muggel Mafia nennen, Julius, heißt in Italien und Spanien "Lupi romani". Die haben es ja auch versucht, sich in Frankreich auszubreiten. Aber Sardonia hat dieser Pest bereits 1629 den Garaus gemacht und ein paar sehr heftige Bannzauber ausgesprochen, die von ihren Nachfolgern nicht aufgehoben wurden. Aber in Italien, San Marino und Spanien geistern diese sich auf altrömische Zaubererweltbruderschaften berufenden Bruderschaften noch herum und verdienen sich an illegalen Zaubertränken, magischen Attentaten und schwarzen Wonnehäusern dumm und dämlich. Ihnen schwebt wohl vor, die magische Macht des alten Roms wieder aufleben zu lassen."

"Ui, das wusste ich noch nicht, und ich bin eigentlich sehr an legalen und illegalen Zaubererbruderschaften und Hexenschwesternschaften interessiert, Belle-Maman", sagte Julius.

"Ja, dann müsstest du aber in der Strafverfolgung arbeiten, weil die meisten Akten über diese Banditen nur für dort tätige Leute einsehbar sind. Ich weiß ja auch nur davon, weil ich noch Kontakt zu alten Mannschaftskameraden von damals habe, die in der Abteilung und der ffür internationale magische Zusammenarbeit arbeiten", sagte Hippolyte.

"Spanien? Dann ist das wohl ähnlich gelaufen wie mit der Cosa Nostra in den vereinigten Staaten und den chinesischen Triaden und der japanischen Yakuza, als Italiener, Chinesen und Japaner in die USA eingewandert sind. Dann hängen in den südamerikanischen Ländern sicher auch welche von diesen römischen Wölfen herum und machen Beute", vermutete Julius.

"Das weiß ich wiederum nicht, Julius", sagte Hippolyte.

"Anders kann ich mir aber nicht erklären, dass kolumbianische Zeitungsreporter Angst vor Spielmanipulation haben", meinte Julius.

"Vielleicht wollten die den Italienern auch nur ans Bein pullern, weil die die WM gekriegt haben und nicht Kolumbien", vermutete Patricia und fing sich von ihrer ältesten Schwester einen tadelnden Blick ein, dem sie jedoch standhielt.

"Leute, reden wir lieber davon, ob wir nachher einen gemeinschaftlichen Auftritt bei der Hochzeit hinkriegen", sagte Ursuline Latierre. "Immerhin muss dieser arme Bursche Louis ohne seine Eltern feiern. Und du kriegst echt nicht mehr mit, was da noch ermittelt wird, Julius?"

"Also, nur für euch von der Familie", setzte Julius an, worauf Patricia frech einwarf: "Wie bei der Mafia!" Julius grinste darüber aber, während Hippolyte, Barbara und Martine ziemlich ungehalten zurückstarrten. "Okay, für unsere von Blut und Liebe zusammengehaltene alteherwürdige Sippe, in die hineinheiraten zu dürfen ich als großen Glücksfall empfinde", fuhr Julius fort und fing sich ein belustigtes Kichern aller Hexen und ein verwegenes Lächeln der Zauberer ein, "Ich bekam gestern nachmittag unter Umgehung des Dienstwegs einen Brief von Madame Rossignol, der bis zu Louis' Volljährigkeit amtlichen magischen Fürsorgerin, dass sie in der Rolle der Mutter des Bräutigams Louis in den goldenen Kreis hineinführen wird. Louis hat von ihr die Empfehlung bekommen, keine Vermissten- oder Strafanzeige wegen seiner Eltern zu stellen, damit diese, wo immer sie gerade sind, in Freiheit überlegen können, was sie angestellt haben und ob sie überhaupt keinen Kontakt mehr mit ihrem Sohn haben wollen oder doch irgendwann wieder mit ihm reden wollen. Nun, wo ihr das wisst möchte ich sowohl als euer verschwägerter Verwandter als auch als Beamter im Muggelkontaktbüro ganz ganz dringend darum bitten, Louis heute nachmittag nicht zu fragen, warum seine Eltern nicht da sind. Wenn er das erzählen will, dann tut er das. Wenn nicht, dann nicht. Ich hoffe, ich kam jetzt nicht zu amtlich rüber."

"Ich habe es damals nicht verstanden und verstehe es heute immer noch nicht, wieso Eltern mal eben ihr eigenes Kind wegstoßen können, wenn es ihnen nichts getan hat", sagte Ursuline dazu. "Aber du hast recht, dass wir ihm damit nicht helfen können, indem wir ihn Sachen fragen, die er selbst nicht versteht oder nicht erklären will. Aber, mein lieber Schwiegerenkel, wenn er mich von Angesicht zu Angesicht spricht wird mich niemand davon abbringen, ihm mein Bedauern zu erklären, dass ich seine Eltern nicht kennenlernen durfte. Immerhin heiratet er über die Rochers ja indirekt zu uns mit hinein, und die gute Blanche Faucon und Madeleine L'eauvite, die ja auch da sein werden, weil sie geborene Rochers sind, könnten sich auch nicht an amtliche Vorgaben gebunden fühlen. Aber ich gehe davon aus, dass Blanche Faucon auch einen Brief von Florence Rossignol bekommen hat." Julius nickte. Davon ging er auch aus. "Dann sollten wir uns jetzt noch die Zeit nehmen, uns zu besprechen, ob und wie wir nachher was aufführen."

Sie einigten sich bald darauf, eine Besenflugformation einzuüben, die möglichst kugelförmig über dem Brautpaar fliegen sollte, sobald es zu Mann und Frau erklärt worden war. Aus der Formation heraus sollten dann Reis und Confetti über dem frisch angetrauten Paar abgeworfen werden. Darauf meinte Alon: "Reis steht doch für Kindersegen. Wenn wir Schwester Florence damit treffen wir die sich nett bedanken, dass wir der auch noch was Kleines anhängen wollen."

"Ja, oder Madame Delamontagne", kicherte Mayette. Da mussten Julius und Millie laut lachen. Ursuline sagte dann: "Kind, das ist aber laut Pattie und Babette schon mehrmals durch Beauxbatons geflogen, dass alle erwachsenen Hexen, die da noch kein Baby im Bauch hatten, im April mindestens ein neues dazukriegen, also auch Eleonore Delamontagne."

"Jau! Dann wird die ja noch dicker", kicherte Mayette. Ursuline sah ihre fünftjüngste Tochter sehr ernst an und sagte: "Du bist meine Tochter. Du könntest nach vier Kindern irgendwann auch so aussehen wie ich, und ich kann gut mit Eleonore Delamontagne mithalten, wie du weißt. Ich schäme mich meines Körpers nicht, weil ich weiß, womit ich ihn so gut hinbekommen habe. Aber es ist auch kein Grund, andere verächtlich zu machen, nur weil die nicht pappeldünn herumlaufen wollen oder können." Mayette verging das kichern. Julius musste einmal mehr feststellen, dass Ursuline eine wahre Matriarchin war. Sie musste nicht laut sein. Aber wenn sie was sagte dann galt es.

Nach einem leichten Mittagessen übten die besenfreudigen Familienangehörigen die besprochene Formation ein und sangen dabei zwei Hochzeitslieder über die klingenden Wege, die beim Zusammentreffen zu einem Chor der Lebensfreude wurden und eines über die Blume der geteilten Freude, die mit jedem schönen Tag zwei neue bunte Blüten bekam. Julius wusste, dass es von diesem Lied auch eine weniger kindgerechte Fassung gab, die in sieben Strophen ein Loblied auf die verschiedenen Formen körperlicher Liebe sang.

Gegen fünf Uhr sammelte Hippolyte alle Besen des Sonnenblumenschlosses ein, die vorher mit goldenen und rosaroten Bändern umschnürt worden waren. Dann wechselten je drei auf einmal durch die Schrankverbindung aus dem Sonnenblumenschloss ins Apfelhaus hinüber, nachdem Julius als "Schlüsselmeister" vorausappariert war, um die Tür von außen aufzuschließen. Zum Schluss kam Millies Mutter mit dem langen, rauminhaltsbezauberten Besensack herüber. Dann zogen sie alle los zum Gemeindehaus, wo die Hochzeitsgäste sich versammeln sollten, um die Braut und den Bräutigam zu eskortieren.

Um halb sechs landeten Madame Rossignol mit Louis und Monsieur Rocher mit Sylvie vor dem Gemeindehaus. Dann kamen die Brautjungfern, zu denen auch Babette gehörte, die ja über mehrere Ecken mit Sylvie verwandt war. Ebenso trafen die Verwandten der Braut ein, angeführt von Laura und Baudouin Rocher, den Großeltern väterlicherseits der Braut.

Die Musikanten trugen hoffnungsgrüne und sonnengoldene Umhänge und spielten auf bunt verzierten Instrumenten. Sie stellten sich so, dass sie in vier Gruppen den Zug der Hochzeitsleute zum Musikpark begleiten würden. Jeder Gast bekam eine zum Geschlecht oder Alter passende Glocke in die Hand, um den Hochzeitszug lautstark zu unterlegen, wenn die Musiker nicht gerade was aufspielten. Dann verließen Eleonore Delamontagne und Roseanne Lumière das Gemeindehaus. Sie trugen frühlingsgrüne Festumhänge, ähnlich wie das, was Camille Dusoleil gerade trug, die zusammen mit ihrem Mann und ihren schon geborenen Kindern eher weiter hinten aufstellung genommen hatte. Dann begann die Hochzeitsglocke über dem Gemeindehaus hell und weit hallend zu läuten. Julius faszinierte es immer noch, dass sie es hinbekommenhatten, dass die Glocke nicht in Moll- sondern durobertönen nachklang, anders als andere Glocken. Dann spielten die Musiker im Takt des Glockenklangs und auf der selben Grundtonart den Walzer von den goldenen Glocken, der auch schon bei Jeannes und Brunos Hochzeit aufgespielt worden war. Julius blickte sich um. Jeanne war jedoch nicht da. Offenbar hatte sie sich mit Camille darauf geeinigt, dass Camille, Florymont und die Kinder Denise, Melanie und Chloé, sowie Philemon bei der Hochzeit dabei sein sollten, damit Bruno sein freiwilliges Fernbleiben nicht bedauern würde.

In beschwingtem, wenn auch nicht zu schnellen Schritt ging es durch die Ansiedlung in den Musikpark. Wegen der kleinen Kinder konnten sie nicht alle so schnell. Julius trug zwischendurch Chrysope auf den Schultern, während Millie Clarimonde im Tragetuch auf dem Rücken trug und Aurore an der rechten Hand ihres Vaters nebenherging.

Als sie um fünf vor sechs den Festplatz erreichten warteten dort der Zeremonienmagier Laroche im weißen Umhang mit weißem Zaubererhut und Louis Trauzeuge Boris LeCloir. Julius stellte fest, dass sich der damals kleine Bursche zu einem ansehnlichen jungen Mann mit breiten Schultern und einem kecken Schnauzbart gewandelt hatte. Er erinnerte sich noch daran, wie Louis und Boris am ersten Morgen nach ihrer Einschulung ein am Abend vorher begonnenes Schachspiel abgebaut hatten, ohne sich den Spielstand aufzuschreiben. Lang war das her. Julius hatte damals damit gehadert, dass er Claire nicht alles erzählen konnte oder durfte, was ihm auf der Seele lag und wusste nicht, ob die im Jahr davor schön warm und fröhlich begonnene Beziehung das überleben würde. Tja, die Zeiten hatten sich echt geändert, erkannte Julius einmal mehr. Er sah auch, dass Boris offenbar selbst schon im Visier einer heiratswilligen Hexe stand. Denn ein Mädchen mit nachtschwarzen Ringellocken lächelte dem Trauzeugen in seinem hellblauen Festumhang mit weißem Stehkragen zu, während Louis im grün-schwarzen Umhang und einem nachtschwarzen Zylinder auf dem Kopf voll das Bild eines altehrwürdigen Bräutigams abgab. Sylvie hatte natürlich ein blütenweißes Brautkleid an und trug über Schleier und Schleppe einen Jungfernkranz aus kleinen bunten Sommerblumen, die sie am Hochzeitsmorgen selbst gepflückt hatte und von ihren Brautjungfern hatte zusammenstecken lassen. Millie meinte dazu: "Sieht schon bunter aus als der Strohkranz, den Louieselle jetzt Castello auf den Kopf gelegt bekommen hat."

"Eine gewisse Genugtuung für Antoine Castello", meinte Julius leise und schwang noch einmal die ihm ausgeborgte Glocke. Die auf seiner Schulter hockende Chrysope bimmelte mit der ihr umgehängten Glocke, und auch Aurore ließ die ihr ausgeborgte kleine Glocke läuten. "Ho ho ho! Hier kommt der Schlitten von Papa Noel", scherzte Julius. "Im August, du Weihnachtsmännchen", grinste Millie.

Zunächst sollten sich die Hochzeitsgäste auf weißgepolsterte Stühle setzen, die dort aufgestellt waren, wo beim Sommerball der begrünte Hügel gewesen war. Unter einem Pavillon zum Schutz vor der wieder mal brütendheißen Sonne sollte die Trauung stattfinden. Immerhin gab es zur Zeit keinen Waldbrand in der Nähe von Millemerveilles. Doch die Lage für die südfranzösischen und iberischen Wälder war sehr angespannt, wusste Julius aus den von Laurentine weitergeleiteten Nachrichtentexten.

Monsieur Laroche wartete, bis alle Gäste saßen. Aurore wollte gerade noch einmal ihre kleine Glocke läuten, doch da kam kein Ton mehr heraus. Sie glubschte erst ihre Mutter und dann ihren Vater an, der verwegen zurückgrinste. Offenbar hatten die Macher der Glocken einen Zauber eingewirkt, der die Glocken stumm stellte, sobald die Entleiher auf den zugewisenen Plätzen saßen. Das war vielleicht auf Florymonts Drachendung gewachsen.

"Liebe Freundinnen und Freunde des Lebens, der Sonne und der Liebe, meine lieben Festgäste", begann Monsieur Laroche. "Heute, an diesem einmal mehr sehr warmen und hellen Sommertage, erhalte ich erneut die große Ehre, einem jungen Zauberer und einer jungen Hexe die Frage aller Fragen stellen zu dürfen, ob sie die bisher alleine beschrittenen Pfade zu einem gemeinsamen, sehr langen Weg vereinen und Seit an Seit, miteinander und füreinander alle Sonnentage und Gewitter, alle hellen Tage und dunklen Nächte der Zukunft zusammen zu erleben, sich an den hellen Dingen zu erfreuen und die dunklen Dinge durch ihre gemeinsamen Anstrengungen zu überstehen, die Kraft für ein eigenes gemeinsames Leben zu entfalten und wenn sie sich fest dazu entschließen sollten, das eine oder andere Kind in diese nicht immer sonnige aber doch im großen und ganzen wundervolle Welt hineinzuführen und damit den Strom des Lebens und der Zeit im Flusse zu halten. So möchte ich nun die strahlendschöne und sommerfrisch bekränzte Braut und ihren Vater bitten, zu mir in den Kreis der Verbundenheit zu treten."

Sylvie hakte sich rechts von ihrem Vater unter und ging mit ihm nach vorne. Césars und Sylvies Vater trug einen hellblauen Samtumhang mit goldenen Sternchen darauf. Hinter Sylvie schritten die Brautjungfern, alle in hellgrünen Kleidern mit goldenen Spangen in ihren Haaren, was vor allem bei den Zwillingen Callie und Pennie Latierre sehr schön aussah. Als Brau, Brautvater und Brautjungfern in der Mitte des goldenen Kreises standen bat Laroche den Bräutigam, seinen Trauzeugen und die Bräutigamgeleiterin in denKreis. Für einen Moment erhaschte Julius Madame Rossignols Blick. Sie wirkte zufrieden und entschlossen. Boris LeCloir prüfte beim Marsch nach vorne noch, ob er den Ringwohl noch bei sich trug. Das brachte einige vor allem jüngere Gäste zum kichern.

Als das Brautpaar und ihre Begleiter im Kreis standen fragte Laroche den Vater der Braut, ob die junge Hexe seine Tochter war. Er sagte laut und deutlich "Ja, das ist sie." Dann wurde Madame Rossignol gefragt, ob der junge Zauberer der ihrer fürsorglichen Obhut anvertraute sei, den sie nun in sein eigenes, von ihm und seiner Frau selbst bestimmtes Leben freigeben wolle. "Ja, das ist er, und ja, das will ich tun" sagte sie laut.

Bevor die Frage aller Fragen gestellt wurde sangen die Brautjungfern noch einen Kanon, der Julius ins Herz stach. Denn denselben hatten die Brautjungfern von Jeanne damals auch gesungen, wo Claire eine von ihnen war. Um die unvermittelt aufgekommene Trübsal wieder loszuwerden sah er seine Frau, die die dritte gemeinsame Tochter vor sich auf dem Schoß sitzen hatte, seine beiden älteren Töchter, die bei ihm saßen und wusste, er hatte zwar einen geliebten Menschen verloren, aber vier ihn liebende Hexen gewonnen. So brutal das Schicksal sein konnte, so gnädig und beglückend konnte es auch sein. Das war eine Erfahrung, die die beiden Brautleute dort vorne sicher auch noch machen würden, um daran zu wachsen.

Nun stellte Laroche erst Louis die Frage des heutigen Tages. Er zögerte nicht und sagte "Ja, ich will." Aus dem Kreis stiegen goldene Funken und flogen auf halber Höhe um die Brautleute und Brautjungfern herum. Dann fragte Laroche Sylvie, ob sie den hier anwesenden als Ehemann annehmen und mit ihm in guten und in schlechten Zeiten zusammenstehen wollte, ein ganzes Leben lang. "Ja, ich will!" rief Sylvie. Julius meinte mit jungenhafter Verwegenheit, dass sie es wohl eilig hatte, das alles hinter sich zu kriegen, um endlich mit Louis die Ehe zu vollziehen.

Die Funken flogen nun so hoch wie die im Kreis stehenden gewachsen waren. Nun übergaben der Brautvater und der Trauzeuge die Eheringe. Während Laroche erst der Braut und dann dem Bräutigam den Ring ansteckte sagte er: "So nehmt mit diesem Ring einander an und erfüllt euer gemeinsames Leben mit Kraft und Liebe! Kraft des mir von der magischen Gemeinschaft Frankreichs verliehnen Amtes erkläre ich euch beide zu Mann und Frau!" Damit ließ er aus seinem Zauberstab goldene Funken über den beiden soeben angetrauten niederregnen. Die Funken verbanden sich mit denen aus dem Kreis zu einer goldenen Wolke die das junge Paar und seine Begleiter umkreiste und bestärkte. Dann kam der Brautkuss. Louis umarmte seine Angetraute und küsste sie mindestens zwanzig Sekunden lang. In der zeit fotografierten die hinzubestellten Fotografen das gerade zusammengesprochene Paar. Millie nutzte die Ablenkung und lud Julius wortlos ein, auch sie zu Küssen. Das tat er sehr gerne. Dann knuddelten sie ihre drei Kinder und schmatzten ihnen kurze Küsse auf die Wangen. Offenbar hatte der Brautkuss auch andere Paare dazu angeregt, sich gegenseitig ihrer gemeinsamen Verbundenheit und Liebe zu versichern.

"So bleibt mir als offizielle Dorfrätin für gesellschaftliche Angelegenheiten, Sie beide nach dem gemeinsamen Familiennamen zu fragen", wandte sich Eleonore Delamontagne an das frische Ehepaar. Louis straffte sich und sagte laut und deutlich: "Ich nehme den Namen Rocher an." Sylvie, die wohl nicht erwartet hatte, dass er das tat, strahlte ihn erst an. Dann bestätigte sie, dass sie beide den Namen Rocher tragen würden. Das bestätigte dann auch Madame Delamontagne.

Nun klatschten die Gäste. Jetzt konnten auch die Glocken wieder geläutet werden, und die großen und kleinen Glocken bimmelten, klingelten und klangen, als das junge Paar sich den Gästen zuwandte.

Einander unterhakend schritten die frisch angetrauten nun durch den Mittelgang zwischen den Sitzreihen hinauf und winkten den Gästen. "Und so ist mein heutiges Werk getan, und ein weiteres stolzes, glückliches Paar betritt den gemeinsamen langen Weg des Lebens!" rief Laroche noch. Dann drehte er sich um und war einnfach weg. Viele machten "Höh?! " oder "Häh?!" Denn üblicherweise begleitete der Zeremonienmagier eine Hochzeitsgesellschaft noch nach draußen.

"Der arme Laroche hat die Flucht ergriffen, weil er weiß, dass er in den nächsten Wochen dauernd wen trauen soll und die meisten von denen nicht durch Liebe oder die Lust an einem gemeinsamen Leben verbunden sein wollen", meinte Millie zu Julius. Dieser konnte es nicht abstreiten, erkannte aber, dass seine Frau - ja, welch erhabene Bezeichnung - ihm damit nur andeuten wollte, welches große Glück er mit ihr und sie mit ihm hatte, nicht durch eine Muss-Ehe wegen Kindern, die keiner von beiden wollte, miteinander auskommen zu müssen.

"So erhebt euch zum Ständchen für das jung vermählte Paar, meiner Tochter und Louis!" rief Sylvies Vater. Alle standen auf und stimmten das Loblied auf die Liebe und die Freude der Verbundenheit an.

Anschließend ging es geordnet aus dem Pavillon hinaus, um wenige hundert Meter weiter in ein schon aufgebautes Festzelt zu wechseln, wo Speis und Trank, Musik und Tanz auf die Festgäste warteten.

"Gut, alle Latierres auf die Besen!" hörte Julius Ursulines Stimme wie aus unsichtbaren Kopfhörern. Da kam auch schon Hippolyte Latierre und übergab Millie und Julius je einen Besen aus ihrem schier unerschöpflichen Besensack. Die kleinen Kinder wurden derweil von Patricia Latierre beaufsichtigt.

Während die Hochzeitsgesellschaft auf das weiß-goldene Festzelt zuschritten bildeten die Latierres die kurzfristig eingeübte Besenformation und überschütteten Braut und Bräutigam mit buntem Reis und Confetti. Dabei sangen sie die ausgewählten Lieder. Tatsächlich erwischte Julius mit einer Handvoll Reis Madame Rossignol. Die blickte nach oben und rief: "Julius, das ist aber nett, dass du mir zutraust, noch einige eigene Kinder haben zu können."

Als die Frischvermählten im Festzelt waren hörten die Latierres mit dem Singenund Werfen auf, umflogen das majestätische Zelt und landeten dann. Hippolyte sammelte wieder alle ausgegebenen Besen ein und schickte den prallgefüllten Sack mit einem Teleportationszauber fort.

Julius beglückwünschte Braut und Bräutigam. Louis zischte ihm zu: "Meine Eltern wollten es also echt so haben. Gut. Es ist traurig, weil ich mit denen so viele schöne Sachen erlebt habe. Aber wer meint, ich sei ein Monster, soll bleiben wo der Pfeffer wächst. Dann kriegen die auch nicht mit, wenn Enkelkinder ankommen."

"Ein Wort von dir, Louis, und wir suchen die für dich. Aber weil wir das jetzt so geregelt haben, dass sie nicht von üblichen Polizisten belangt werden können, können wir die auch nicht festnehmen."

"Madame Rossignol sagt, wenn ihr die findet wird denen wohl das Gedächtnis weggezaubert, damit die ein eigenes, angstloses Leben führen können. Vielleicht ist das für die auch wirklich die beste Lösung. Wenn die fast bei mir schon zu Mördern geworden sind und die echt ... Ich habe deine Chefin angetextet, dass ich den Bericht über die Höllenmaschine nachlesen möchte. Schon krass das", sagte er noch. Dann wandte er sich César zu, der ihn heftig auf die Schultern hieb. Louis hielt dem stand. "Jetzt musst du auf meine mittelkleine Schwester aufpassen. Wehe dir, du verlegst sie irgendwo und findest sie nicht wieder ... Dann musst du meine erste Tochter heiraten."

"Deine was? Neh, komm, Schwager Wonneproppen, krieg du lieber stramme Jungs", erwiderte Louis darauf.

"Ich glaube, das kann ich jetzt nicht mehr hinbiegen, wen Brunos Maman für mich in Verwahrung hat", grummelte César.

"Wo ist der Typ eigentlich?" wollte Louis wissen."

"Frag den da, der ist Pflegehelfer", meinte César zu Louis. "Außerdem muss der heute nicht wieder davon anfangen. Ich hab mich mit seinem alten Herren geeinigt, dass ich ihm genug rüberreiche, damit die Kleinen bei ihm satt und groß werden."

"Echt, César? Ich dachte, der legt die nach dem Wurf in einen Korb und stellt sie dir vor die Tür", sagte Sylvie.

"Dann kriegt ihr die Kinder und ich behalte den Korb", sagte César verwegen.

Als sie alle im Festzelt waren spielten die Musiker noch weiter, während fleißige Hauselfen die an einem Buffet die hungrigen und vor allem durstigen Gäste bedienten. Hinter dem Festzelt hatten hilfsbereite Dorfbewohner einen Spielplatz für ganz kleine und mittelgroße Kinder angelegt, auf dem nach eigener Absprache Elternteile die Kinder beaufsichtigten.

"So, ich übernehme Wache Nummer eins, Julius. Da ich schon wieder zu viele Mädels sehe, die alle mit dir tanzen wollen kommst du bitte in zwei Stunden rüber. Ich kann in der Zeit Clarimonde satt halten."

"Dann brauchst du selbst was zu essen und zu trinken, meine holde Apfelhauskönigin", sagte Julius. "Ja, gute Idee, schick die Pattie zu mir, die möchte mir was mitbringen!"

"Pattie hängt schon mit Jungs aus ihrer Klasse ab, wohl noch die Freiheit der Junggesellin kosten, bevor es sie erwischt", meinte Julius.

"Gut, dann sage den tanzwilligen Hexen, du möchtest mich erst satt kriegen, damit unsere Kinder nicht verhungern müssen!"

Weil sich gleich mehrere Mütter und einige Väter am Spielplatz versammelt hatten erschinen zwei Hauselfen. Eine davon war Gigie, die Hauselfe der Delamontagnes. ich, Gigie und Momie machen für die die auf die Kinder aufpassen Essen und Trinken. Nur Gigie oder Momie rufen!"

"So geht's auch", meinte Julius zu Millie. "Dann geh du mal tanzen, Goldtänzer!" sagte Millie. So richtig gefiel ihr das nicht, dass die Hauselfen derartig beansprucht wurden. Aber vielleicht hatten deren Halter sie ja auch gefragt, ob sie mithelfen wollten.

Als Julius nach einem großen Schluck Pfirsichschorle den ersten Tanz des festes mit Madame Rossignol tanzte meinte diese: "Ich bin froh, dass ich Louis helfen konnte,das Seelentrauma zu überwinden, das seine Eltern ihm zugefügt haben. Ich bin auch froh, dass er mit Sylvie eine entschlossene, ehrliche und lebenslustige Hexe gefunden hat. Ich habe ihm angeboten, in seinem Auftrag weiter mit seinen Eltern in Kontakt zu bleiben. Aber der hat gemeint, die seien sicher schon in Australien oder bewürben sich auf die erste bemannte Marsmission, warum auch jeder Muggel dort hinfliegen wollen mag."

"Weil er da ist, Madame Rossignol", versetzte Julius nicht ganz so gelassen, wie er eigentlich wollte.

"Wir sind nicht mehr in Beauxbatons, Julius. Du darfst mich gerne Florence nennen. Dein Respekt für mich ist unbestreitbar, ob du mich beim Vor- oder Familiennamen nennst", sagte die Heilerin von Beauxbatons. Dann erwähnte sie, dass sie gerade fünfzehn Pflegehelfer habe, zehn davon Hexen und dass sie den neuen gleich erklärt habe, dass die Bettpfannen für die stehen, die wegen unverzeihlicher Missetaten auf eine von allem anderen abgelegene Insel geschickt würden und die Bettpfannen sozusagen als deren Andenken an den Wert ihrer Untat verblieben seien. "Ihr hattet damals recht, Millie und du, dass eine Unwahrheit, so gut gemeint sie auch sei, immer eine Lüge bleibt und die Strafe an sich wirklich grausam genug ist, um sie auch so anzudrohen. Hoffen wir nur, dass deshalb keiner meint, es sei nicht so schlimm, wenn er oder sie auf eine abgelegene Insel verbannt würde." Julius hoffte das auch.

Als er mit Babette tanzte strahlte sie ihn an. Er dachte eerst, das sei, weil sie wieder einmal Brautjungfer sein durfte. Doch dann sagte sie: "Ich bekam heute morgen einen schweren Briefumschlag aus Beaux. Da war so'n goldenes rundes Teil drin, das ich mir an den Umhang oder die Bluse stecken soll. Das hattest du doch auch schon mal."

"Ach neh, hat Madame Faucon es so befunden, dass du die Saalsprecherinnenbrosche kriegen solltest. Wer hat denn bei euch die silberne erwischt."

"Denise hat die gekriegt. Ist erst heute morgen rumgegangen. Freut sich Mademoiselle Dusoleilsicher", sagte Babette."

"Dann guck mal zu, dass du gut in das größere Kleid reinwächst, Babette! Aber du hast ja eine ehemalige Silberbroschenträgerin bei euch im Haus wohnen."

"Die hat mir auch schon gratuliert und gemeint, ich dürfte die jederzeit antexten, auch wenn sie wieder hier die kleinen unterrichtet und meine kleine Schwester."

"Wie gesagt, wachs gut in das große Kleid rein! Ist nicht immer angenehm und oft sehr nervig. Aber wenn du am Ende des siebten Jahres in den Spiegel sehen kannst und dich immer noch magst war es die Sache wert", sagte Julius dazu.

"Babette freut sich, dass sie von ihrer Dreierbande die einzige Broschenträgerin ist", meinte Catherine Brickston, mit der Julius einige Stücke später tanzte. "Hoffentlich werden sie ihr nicht dauernd einreden, das sie die ja nur wegen ihrer Oma bekommen hätte."

"Wie heißt es so schön, Mitleid kriegt einer geschenkt, Neid muss man sich verdienen", zitierte Julius eine beliebte Redewendung.

"Hast du ihr das auch gesagt?" wollte Catherine wissen.

"Das soll ihr Laurentine sagen, wenn es einen Grund dafür gibt", meinte Julius dazu.

"Immerhin hat Babett alle ZAGs geschafft und wird wohl auch bis auf Astronomie und Arithmantik alles weitermachen, auch Zaubereigeschichte."

"Ganz die Maman?" fragte Julius frech.

"Meinst wohl ganz die Mémé, Julius. Immerhin haben meine Mutter und ihre Mutter, sowie meine Urgroßmutter Claudine, deren Bild ja bei uns hängt, dieses Fach zur UTZ-Klasse behalten. Kann auch sein, dass die unangenehme Sache mit der Dämmerkuppel sie darauf gebracht hat, wie wichtig Zaubereigeschichte ist. Das Professeur Trifolio jetzt wirklich aufhört und nach einem Nachfolger gesucht wird hast du ja sicher aus beiden Zeitungen." Julius nickte und ergänzte, dass das auch im grünen Magier stünde, mit einer ausführlichen Stellenbeschreibung für Interessenten und Interessentinnen.

"Camille wird's eindeutig nicht machen, abgesehen von der ihr von VM aufgelaadenen Verantwortung möchte sie lieber Gärten pflegen als mal mehr und mal weniger interessierte Schüler in den wilden Stürmen der Pubertät an die Wichtigkeit und Schönheit von Zauberpflanzen heranführen."

"Ja, und Trifolio möchte in die Congregatio herbarum miraculosarum, habe ich im grünen Magier gelesen. Da kommen aber nur die rein, die mindestens dreißig Jahre Zauberpflanzen erforscht und regelmäßig darüber veröffentlicht haben." Catherine nickte.

"Meine Cochefin hat mir gestern morgen noch geschrieben, sie würde gerne mit denen zusammenarbeiten, die nach dunklen Artefakten suchen, weil durch diese dunkle Welle die Gefahr erkannt wurde, dass verfluchte Gegenstände unerkannt in der magielosen Welt wirken können. Hast du das auch schon erfahren?"

"Sagen wir es so, ich arbeite ganz bewusst nicht hauptamtlich im Ministerium. Aber falls Nathalie Grandchapeau mich als Beraterin um Hilfe bittet werde ich natürlich nicht nein sagen."

"Ich meinte es auch eher so, dass es vielleicht sein kann, dass wir beide dann bei Sachen zusammentreffen und zusammenarbeiten", sagte Julius laut und mentiloquierte: "Immerhin wissen Nathalie und Demetrius, dass wir beide im stillen Dienst sind." Catherine schickte zurück: "Das ist der Grund für diese Überlegung, vielleicht ihr Bauchgefühl." Laut sagte sie: "Da sehe ich absolut keine Probleme, wenn gleich der Grund für eine solche Zusammenarbeit dann aber sicher sehr ernst oder bedrohlich sein mag." Das konnte Julius nicht bestreiten. Aber sie hatten bei der Sache mit dem afrikanischen Superdibbuk Otschungu ja schon mitbekommen, wie gefährlich das werden konnte. Weil Catherine das auch wusste musste er es weder laut aussprechen noch mentiloquieren.

Als er nach anderthalb Stunden dauertanzen mit kurzen schnellen Trinkpausen mit Professeur Faucon einen Winer Walzer tanzte sagte sie noch: "Ich bin sehr stolz auf Babette und sehe mit sehr großer Zuversicht, dass Claudine sich schon jetzt zu einer sehr verlässlichenund hilfsbereiten Hexe entwickelt, wenngleich sie zwischendurch doch manchen Schabernak veranstaltet, auch um ihre große Schwester zu ärgern. Ich hoffe, deine Töchter werden auch einmal sehr vielseitige und charakterfeste Hexen."

Als Julius nach zwei Stunden auf den Spielplatz ging bekam er mit, dass Claudine alle Kinder hier im Zug hatte. Die Eltern mussten nichts tun, außer da zu sein und zu sitzen. Wenn sich wer prügelte rief sie einfach: "Heh, schluss damit!" Dann war Ruhe. Weinte eine, weil sie vom Gerüst oder der Schaukel gefallen war kam sie angesaust und tröstete. Millie hatte zusammen mit Madame Rossignol eine Schnellheileanlaufstelle für angeschlagene Nasen, Schürfwunden oder blaue Flecken eingerichtet. "So, dann übernimmst du jetzt, damit ich mit dem Bräutigam tanzen kann", legte Millie fest und hängte ihm eine weiße Schürze mit einem Büschel Heilkräuter darauf um, bevor sie ihrer großen Schwester zusah, wie sie Clarimonde übernahm und zusammen mit ihrer eigenen Tochter Héméra in eine große Wiege legte.

"So verbrachte Julius die nächsten Stunden auf dem Spielplatz und half den kleinen, wenn sie sich weh getan hatten oder erzählte den etwas größeren, die schon keine Lust auf's tanzen mehr hatten, was es in der Muggelwelt neues gab und ob es stimmte, dass alle großen Hexen hier viele Babys bekommen würden.

"Ach, habe ich dich doch noch erwischt, Julius Latierre. Du bist ja vielleicht ein Strolch", sprach ihn Madeleine L'eauvite an und kam mit gespielter Verärgerung auf ihn zu. "Mit meiner kleinen Schwester konntest du einen Walzer tanzen. Aber gerade haben die Salsa gespielt, und mir fehlte ein Tanzpartner. Ich habe bei den Musikern in einer halben Stunde noch ein Salsastück bestellt. Das werde ich nicht auf mir sitzen lassen, dass meine Schwester dich immer zum Tanzen kriegt und ich nur einmal in zwei Jahren."

"Ich dachte, du wolltest dir mit Laura Rocher ein Schnepfeneierlikörvernichtungsduell liefern", scherzte Julius.

"Neh, die hat eine würdigere Trinkpartnerin gefunden, Ursuline Latierre. Neh, ich halte mich lieber an unvergohrenes, wenn ich noch tanzen will", sagte Madeleine. Da rief Claudine: "Eh, Philemon, an den Haaren reißen ist Mädchenzeug!"

"Ui, der spurt bei der? Tja, die hat Blanches Erbanlagen und wird sicher auch mal Goldbroschenträgerin."

"Wie ihre große Schwester?" fragte Julius Madeleine. Diese strahlte, als habe er ihre Enkelin gelobt. "Wie ihre große Schwester", bestätigte sie dann auch.

"Fragt sich nur, von welchem Saal", sagte Julius. Da mentiloquierte Madeleine: "In der ist genug von meiner Ammenmilch drin verbacken. Die kommt zu den Blauen."

"Hast du von Babette auch behauptet, Madeleine", mentiloquierte Julius zurück.

"Aber diesmal passiert das so, wie ich das hoffe", schickte sie zurück. Da kam Philemon mit verzogenem Gesicht angejachert. "Eh, die Dine hat meine Ohren langezogen. Tut weh, aua!"

"Faszinierend", meinte Julius mit einem Blick auf Philemon Dusoleils anderthalb mal so lange Ohren. "Fehlen nur noch die exquisiten Spitzen. Dann ziehen wir dir noch schöne lange Augenbrauen und bringen dir logisches Denken bei und du kannst zur Sternenflotte", sagte Julius. Philemon glubschte Julius an, während Claudine angelaufen kam und das unschuldsvollste Gesicht überhaupt zog. "Der hat der Estelle dauernd an den Haaren gezogen, dass die Angst kriegt. Das darf der doch nicht."

"Und dann hast du ihm die Ohren langgezogen? O, hoffentlich kriegst du dann keinen Krach mit seiner Maman. Am besten, ich mach das mal wieder richtig", bot Julius an.

"Ja, bitte", sagte Claudine abbittend und sah ihn und ihre Großtante an. "Ich mach das richtig", sagte Madeleine und stellte sich den kleinen wimmernden Raufbold zurecht. Dann zog sie den Zauberstab frei und zielte auf Philemon. "Asinaures luminosi!" hörte Julius sie ganz leise murmeln. Er wollte gerade einspringen, als Philemons Ohren unvermittelt noch länger wurden und dabei in einem hellroten Licht zu leuchten und wild zu kribbeln begannen.

"Eh, was ist das? Nein, Autsch! heiß! Aua, beißt!"

"Das kommt daher, weil du anderen Hexen an denHaaren reißt, das geht dir dann in die Ohren und macht die richtig lang", sagte Madeleine. "Also sagst du jetzt hier, dass du keiner Hexe, egal wie klein oder groß, an den Haaren ziehst oder die Haare verdrehst! Los, sag's, Phil!"

"Ich will keiner Hexe mehr die Haare ziehen", sagte Philemon. "Restaures origines!" wisperte Madeleine. Philemons Ohren hörten zu glühen auf und schrumpften auf ihre natürliche Größe zurück. Als Philemon sich an die Ohren griff und merkte, dass sie wieder wie sonst waren wirbelte er herum und rannte schnell weg von der Hexe im buntenBlümchenkleid und auch weg von den Hexenmädchen.

"War das jetzt nötig?" fragte Julius behutsam. "Für ihn ja", erwiderte Madeleine darauf. "Außerdem wollte er ja, dass ich sie ihm richtig mache. Claudine hat sie ihm ja nur halbrichtig gemacht."

"Hoffentlich hat Florence Rossignol das nicht mitbekommen", grummelte Julius. "Doch, hat sie. Aber sie hat auch gesehen, warum ich das gemacht habe und dass ich das ja sowieso wieder zurückgezaubert hätte", sagte Madeleine. "Auch wenn wir zwei in Beaux nicht immer einer Meinung waren, was rüpelige Jungs anging hatten wir immer dieselbe Meinung. Daran hat sich bei ihr und mir nichts geändert."

"Haare verdreht!"maulte Estelle. Julius sah Sandrines Tochter an. Ja, Philemon hatte ihr die schönen langen Haare verknotet. "Da das ein Mädchenzauber ist mach ich den auch", sagte Madeleine und beseitigte diesmal ungesagt den von Philemon angerichteten Schlamassel. Mit einer sanften Schwenkbewegung kämmte sie Estelle die Haare wieder glatt. "So, ist alles wieder schön und glatt, Mademoiselle Dumas." Estelle bedankte sich und wuselte zu Aurore, die gerade die Wippe enterte.

""Gigie, bitte Wasser für Julius!" rief Florence. Julius sah die Heilerin an. Da knallte es, und Gigie hielt Julius ein großes Glas mit reinem Wasser hin. "Danke, Gigie!" sagte er und nahm das Glas an. Gigie verschwand sofort wieder in leerer Luft.

"Ich hatte aber vorhin noch was, Florence. Deine Vorgesetzte hat darauf geachtet, dass ich nicht austrockne."

"Wenn du mit ihrer großen Schwester noch tanzen willst, weshalb sie sicher auf dich wartet, dann brauchst du jeden Tropfen Wasser, den es hier gibt", sagte die Heilerin, die von irgendwoher Strickzeug gezaubert hatte und schnell aber entspannt an was buntem strickte.

"Da hat sie wohl recht", meinte Julius.

"Momie, bitte ein Zitronenwasser für mich!" rief Madeleine. Daraufhin erschien die zweite Hauselfe, die eigentlich für Laura und Baudouin Rocher arbeitete, was Julius an dem grünen Kissenbezug mit dem Schriftzug LBR erkannte.

"Nachdem Julius und Madeleine zwei schreiende Babys neu gewickelt und noch den Kindern bunte Gaukeleien vorgezaubert hatten hörte er den Ruf: "Goldtänzer! Goldtänzer!"

"Ich glaube, das gilt dir", sagte Madeleine. "Flo, passt du bitte weiter auf die Kleinen auf, bevor die das Zelt noch zum Einsturz brüllen?" fragte Madeleine.

"Wenn du weg bist passiert denen sicher nichts, Maddie", erwiderte Florence Rossignol. Madeleine lachte richtig wie eine böse Hexe aus dem Märchenfilm. Dann hakte sie sich bei Julius unter und ließ sich von ihm ins Zelt führen, wo alle erwachsenen und jugendlichen Festgäste immer lauter "Goldtänzer! Goldtänzer!" skandierten und dabei auf den Boden stampften. Millie saß bei Catherine und Camille. Alle klatschten, als Julius hereinkam. Dann winkte Madeleine den mittlerweile fünfzehn aufgestellten Musikern und rief "Tocadlo amigos!"

Sofort stiegen die Perkussionisten mit einem südamerikanischen Rhythmus ein, dann folgte die Hexe am Bass mit einer dazu passenden Bassfigur, die Julius sofort bekannt vorkam. Dann stiegen zwei Xylophone ein, an denen die immer noch in Grün gekleideten Brautjungfern Callie und Pennie saßen, bis dann noch mehrere Blechbläser kurze Akzente spielten. Dann stellte sich eine junge Hexe, wohl aus Louis' Klasse hin und fing zu singen an. Jetzt erkannte Julius das Lied auf jeden Fall. Sommer 1987, er war da mit seinen Eltern auf Gran Canaria gewesen, da war es in allen Tanzläden für Kinder und große Leute rauf und runtergelaufen. Er hatte es auch schon mehrmals in seinem Musikfass dringehabt, wenn er Geburtstag gefeiert hatte. Ja, und es war auch bei der zweiten Hochzeit seiner Mutter gespielt worden, allerdings von den Mittagströtern. Tja, und viele hier, wohl auch aus nichtmagischen Elternhäusern, kannten zumindest den Kehrreim. Und Julius tanzte mit Madeleine zum Lied von einer schönen Insel, auf der tropische Brisen und eine den Himmel wärmende Sonne zu finden waren. Ja, und viele tanzten um sie herum, langsame Samba, sowas wie Mambo und auch Salsaschritte. Auch Louis tanzte zu dieser Version eines der größten Sommerhits der 1980er Jahre. Allerdings wusste Julius nicht, ob die kleinen Tränen in Louis' Augen Freuden- oder Trauertränen waren. Jedenfalls genoss er dieses unbändige Gefühl der Einigkeit zwischen ihm und allen anderen, Musikern und Tänzern, Zaubererweltgeborenen und Muggelstämmigen.

Weil die Musikerinnen und Musiker fanden, jetzt auf dieser Nummer richtig zu improvisieren, zog sich das Stück mit Soli und Abwandlungen mehr als zwanzig Minuten, wobei die Latierre-Zwillinge zweistimmig die Hintergrundstimmen sangen und dann unvermittelt einen offenbar echt spanischen Text auf Strophe und Kehrreim zum besten gaben. Das musste Julius aber noch wissen, woher die zwei das Lied so gut kannten.

Julius dachte schon, die würden jetzt aufhören, da spielten die doch glatt auf derselben Tonart ein anderes Lied, dass er ebenfalls kannte und zu dem nun auch Babette und Celestine mit einstimmten, wobei Babette wohl den Strophenteil mit einer unerwartet sanften, tiefen Stimmlage sang, so wie es die Sängerin im Original des Stückes tat. Julius fühlte sich merkwürdigerweise nicht müde und seine Tanzpartnerin ebensowenig. So konnte er sogar den Kehrreim ohne Atemprobleme mitsingen, da das Stück ja auf Englisch, seiner Muttersprache war. Ja, so konnte er für immer leben, immerwährend wie die Sonne, immer für den Moment, um den einen zu suchen. Das passte voll genial zusammen, das davor und das jetzt. Und hierauf ließ sich auch super improvisieren und Solo spielen, erkannte er, während er mit Madeleine weiter tanzte.

Dann aber war auch den Musikern die Lust vergangen. Sie beendeten das Stück. Jetzt merkte Julius, dass er an die dreißig Minuten am Stück durchgetanzt hatte. Madeleine schmatzte ihm auf jede Wange einen dicken Kuss auf und sagte: "Das war sowas von herrlich und absolut im Rahmen aller Regeln, was eine Hexe und ein Zauberer in der Öffentlichkeit tun können", sagte sie. Dann winkte sie einer der Hauselfen und bestellte zwei große Kokosnusswasser.

Als Julius nach dem letzten Schluck aus seinem Glas auf die Uhr sah stellte er fest, dass es schon halb zwölf war. Da in Millemerveilles alle öffentlichen Feste nur bis Mitternacht dauerten, sofern angemeldet, hatten sie gerade noch eine halbe Stunde Zeit.

"Du kannst mir sagen, was du willst, Julius, Madeleine ist sicher auch noch im Training", meinte Millie, als Madeleine sich zu Laura Rocher stellte und mit ihr schwatzte.

"Du meinst das Training?" fragte Julius und deutete flüchtig auf seinen Unterleib. Millie kopierte diese kurze Geste und nickte. ""Na, ob ich noch gut im Training bin werde ich wohl morgen in den Füßen spüren. Florence Rossignol hatte vollkommen recht. Die kennt Catherines Tante von ihrer Zeit in Beaux her."

"O, das ist bestimmt lustig, denen mal zuzuhören, was die beiden so unterschiedlichen Hexen so erlebt haben. Ich habe gehört, du hast die kleinen gewickelt, die es nötig hatten", sagte Millie noch. Julius nickte, erwähnte aber, dass er sich danach auch gründlich die Hände gewaschen habe.

"So wie ich meine zwei Kraftbasen da kenne können die auch noch das Lied, bei dem Claudine immer gut schlafen konnte. Ich bestell mir das mal eben, falls die es drauf haben. Dan gibt's noch einmal einen richtig kuscheligen Klammerblues", säuselte Millie ihrem Mann ins Ohr.

Tatsächlich spielten die Musikerinnen kurz vor Mitternacht das von Millie bestellte Stück, zudem Claudine mit einem Cousin Sylvies tanzte und mit den aufgehängten Leuchtballons und Kristallsphären um die Wette strahlte.

"Gleich ist die Mitternachtstunde und dann müssen wir alle ins Bett!" rief César aus, und viele Halbwüchsige lachten frech. "Und für unser frischgebackenes Ehepaar beginnt dann auch der Ernst des Lebens."

"Kann sein, aber vielleicht wird es ja auch eine Ernestine, großer Bruder!" rief Sylvie zurück und knuddelte ihren Angetrauten. Auch sie hatte zu dem Stück der Spice Girls Klammerblues getanzt und dabei wahrhaftig die von Millie und Julius angedeuteten Bewegungen nachvollzogen. Viele hier lachten über Sylvies Erwiderung, am lautesten ihre Oma Laura und Madeleine L'eauvite. Blanche Faucon zog es vor, weder zu lachen noch zu schimpfen. Sie saß nur auf ihrem Stuhl und beobachtete alles.

"Gut, Leute, die Gemeindeordnung sagt, um Zwölf ist Ruhe im Dorf. Also bitte Leise nach Hause gehen und nicht apparieren, wer es nicht ganz leise kann!" sagte César noch. "Ich bedanke mich bei allen Hexen und Zauberern, die uns heute abend mit Musik, Essen und vor allem Trinken versorgt haben. Vielen Dank an Madame Delamontagne, dass sie uns ihre Gute Hilfskraft Gigie ausgeborgt hat. Danke an die zwei Herrschaften, die daafür verantwortlich sind, dass es meinen Vater und somit auch mich und die junge Braut geben konnte für die ganz liebe Momie. Danke an alle von euch, die ohne das wie in Beauxbatons durchzuplanen auf die ganz kleinen Aufgepasst haben! Auch danke an Madame Faucon und Madame Rossignol, die uns an diesem Abend ein wenig mehr erlaubt haben als sie für richtig halten. Jetzt sollten wir alle wieder artig sein, wenn wir nach Beauxbatons zurückreisen." Viele lachten, vor allem die, die schon mit der Schule fertig waren. Dann sagte César: "Tja, und wer morgen Zeit und Lust hat kann gerne beim Aufräumen helfen. Und euch beiden, Louis und öhm, wie heißt du noch mal?" Alle lachten, als er auf Sylvie deutete: "Sylvie Laura Rocher", sagte Sylvie laut und deutlich wie vorhin im Zeremonienkreis. "Ja, der Name ist mir doch schon mal untergekommen", erwiderte César. Dann sagte er: "Euch beiden wünsche ich eine unvergessliche Zeit und für die heute nacht beginnende Reise viele bleibende Eindrücke und eine Menge unvergessliches und dauerhaftes." Wieder lachten viele vor allem Halbwüchsige, während Madame Faucon doch Anstalten machte, was einzuwerfen. Doch ihre große Schwester berührte sie sanft an der Schulter. So blieb sie ruhig.

So leise sie konnten verließen die Festgäste das Zelt. Die Musiker ließen ihre Instrumente einschrumpfen und in mehreren kleinenTaschen verschwinden. Millie meinte dazu, dass die alle das Transportzauberpatent ihres Großvaters Roland hatten wie das Klavier, dass ihnen von Sophia Whitesand und anderen geschenkt worden war.

"Da morgen schon heute ist", stellte Julius fest, können wir eigentlich schon alles aufräumen", wisperte er. Offenbar empfanden die älteren Hexenund Zauberer das auch so.

"Da ist die Himmelswurst", zischte Sylvie und deutete nach oben, wo gerade eine Strickleiter aus einer zigarrenförmigen Konstruktion herabgelassen wurde. Sie lief schnell mit Louis zu ihren Gästen und verabschiedete sich. So konnte Julius noch die Gelegenheit nutzen und fragte Louis, warum ihn das Stück vorhin so angerührt hatte.

"Das war das letzte Tanzstück auf dem Kreuzfahrtschiff, als wir zum zweiten Mal ins Jahr 2000 reingefeiert haben. Ich habe da mit einem Mädchen aus New York getanzt, während meine Eltern auch Salsa getanzt haben. Von der aus New York habe ich zwar E-Mail-Adresse und Handynummer, aber die hat sich sicher schon wen aus ihrer Heimat gezogen. Aber dass ich meine Eltern nicht mehr zu sehen kriegen werde hat mich schon angepiekst. Aber ich wollte das Stück haben, und deine zwei Cousinen haben behauptet, dass die alles spielen können was von der ist. Da musste ich dann halt durch und bin jetzt saufroh, dass ich das gemacht habe. Aber du bist und bleibst ein genialer Tänzer. Wunder mich echt, dass Millie dich mit jeder tanzen lässt. Aber jetzt muss ich weg, sonst fliegt die Himmelswurst da ohne mich nach VDS."

"wir sehen uns garantiert noch mal irgendwann, Louis. Vielleicht spielst du ja weiter Quidditch. Falls du irgendwie möchtest, dass ich dir in Muggelweltsachen helfen kann schreibe es mir zum Apfel des Lebens in Millemerveilles oder in das Büro für friedliche Koexistenz in Paris!"

"Danke für das Angebot. Ich habe von Schwiegeropa Baudouin was bekommen, dass Sylvie und ich in dem Haus wohnen können, dass in Avignon in der Nähe von dem Haus der Montferres sein soll. Wenn ich genau weiß, wie das heißt schick ich das Stine oder Boris oder César hier. Ciao!"

"Cheerio!" sagte Julius leise, weil es ja schon nach zwölf war.

Als das Luftschiff lautlos davonflog und wie ein außerirdisches Raumschiff zwischen den klar erkennbaren Sternen verschwand meldete sich Julius zum Räumm- und Putzdienst, weil Martine die gerade so schön schlafenden Kinder beaufsichtigte. So schafften er, Millie, Hippolyte, Laura Rocher, Madeleine L'eauvite und Blanche Faucon innerhalb von nur einer halben Stunde mit den passenden Zaubern allen Müll, Eindrücke im Gras und alle Brandspuren weg. Am Schluss bauten die vier ältesten Hexen in der Riege, Florence Rossignol, Madeleine L'eauvite, Laura Rocher und Blanche Faucon das Zelt ab. Julius war hin und weg, mit welcher genialen Abstimmung sie das ohne lautes Wort hinbekamen. Césars Eltern und seine Großeltern durften dann alles so zusammenschnüren, dass sie es morgen vom Zeltverleiher wieder mitnehmen lassen konnten.

Behutsam flogen sie dann auf ihren Besen durch die Nacht, darauf achtend, kein lautes Wort zu sprechen. Florence Rossignol geleitete die Eheleute Mildrid und Julius mit ihren Kindern noch zum Apfelhaus. Dort gesellte sich noch Béatrice zu ihnen und wünschte der älteren Kollegin eine gute Nacht.

Als Millie und Julius sich noch einmal allen Schweiß des langen Abends von den Körpern geduscht und ihr Nachtzeug angezogen hatten sahen sie noch einmal nach den drei Kindern. Die schliefen alle friedlich. Die anderen Latierres waren schon durch den Schrank ins Sonnenblumenschloss übergewechselt.

Julius merkte, dass Millie und er noch nicht müde genug waren. Als Millie dann im Schutz der Schnarchfängervorhänge fragte, ob er noch gut im Training war, wollte er es wissen. Danach waren sie beide müde genug. Mit dem Gedanken, dass Sylvie ihren Louis sicher auch schon so gründlich kennengelernt hatte wie Millie und Julius sich wieder erkannt hatten, konnte Julius endlich schlafen.

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am zweiten August erhielt er sowohl von Madame Grandchapeau als auch ihrem britischen Amtskollegen Tim Abrahams die schriftliche genehmigung, die Eheleute Jennifer und James Brickston in Birmingham aufzusuchen und mit einem vom britischen Zaubereiministerium angefertigten Portschlüssel direkt zum Reisesphärenkreis von Paris überzuwechseln. Dort wollte Blanche Faucon sie dann erwarten und mit einer Reisesphäre nach Millemerveilles übersetzen. Zurück sollte es dann um 00:00 Uhr mitteleuropäischer und 23:00 Uhr britischer Zeit gehen, so dass den Nachbarn der Brickstons nicht auffiel, dass sie mal eben einen Sprung über den Kanal in die sommerlich warme Provence und zurück taten. Denn James Brickston musste am fünften August wieder seinen Dienst als Busfahrer antreten.

Julius schickte die schriftliche Genehmigung als Kopie an Catherine Brickston, derzeit Maison du Faucon, Millemerveilles.

Außer diesem amtlichen Akt assistierte er Rose Devereaux bei zwei Bewerbungsgesprächen, bei denen er die schriftlich erwähnten Computerkenntnisse abfragte und auch die Englischkenntnisse der beiden Bewerber prüfte. Die waren nicht in Umhängen sondern korrekten Geschäftsleuteanzügen mit gestärkten weißen Hemden und Krawatten erschienen. Julius notierte die Antworten auf seine Fragen und überließ dann die Gesprächsführung Rose. Als die beiden Bewerber sich verabschiedet und entfernt hatten sagte sie: "Monsieur Mercier erweckte auf mich den Eindruck, als könnten wir nicht ohne ihn auskommen und erwähnte Verbindungen, von denen ich bisher nichts gehört oder gelesen habe."

"Zum einen ist Monsieur Mercier laut Lebenslauf Sohn eines Informatikprofesseurs in Paris und hat von dem wohl einiges mitbekommen. Zum zweiten hat sein Vater ihn wohl schon mit wichtigen Leuten aus der Computerbranche zusammengebracht. Aber trotz dieser Qualifikationen habe ich einen kleinen Vorbehalt: Er geht davon aus, dass wir, also das Zaubereiministerium, unsere gesamte Verwaltung auf Computer umstellen und dass er dann als Ansprechpartner für Verkäufer von Geräten und Programmen auftreten kann. Mein Einwand, dass wir nur zur Internetüberwachung ein Rechenzentrum unterhalten hat er eher als Hinweis ausgelegt, dass wir offenbar noch hinter dem Mond leben. Gut, das habe ich auch einmal gedacht und muss auch erkennen, dass es immer noch Leute hier gibt, die sich keinen Kopf um die neuen Fernverständigungsmittel machen wollen, weil die meinen, dass sie das nicht betreffe. Ja, und wenn ein Mensch, der schon große Gewinnbeteiligungen oder ähnliches wittert, auf solche unbekümmerten Leute trifft könnte das unser Betriebsklima vergiften, also Verachtung und offenen Streit auslösen. Deshalb habe ich ihm ja auch gesagt, er möge sich gut durchlesen, was wir von ihm an Arbeit erwarten, bevor er sich festlegt. Aber er wollte ja noch zur Handelsabteilung. Da Monsieur Colbert immer so erfreut ist, wenn irgendwas mit nichtmagischer Technik angeschafft oder gewartet werden soll könnte er heute noch lernen, dass es hier nicht um eine totale Aufstockung aller Abteilungen geht. Das geht ja schon wegen der ganzen Magie hier nicht."

"Dann soll ich den Bewerber Mercier erst mal weiter hinten einordnen?" fragte Rose.

"Im Moment ja", erwiderte Julius ein wenig betrübt. Er war sich sehr wohl bewusst, dass er da gerade mit der Zukunft eines anderen Menschen jonglierte, der nur wenige Jahre jünger als er selbst war. Auch durfte er nicht einfach wegwischen, dass sie gute Computerleute im Büro brauchten.

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Der Jubel der belgischen Fans wollte nicht aufhören. Donovan Maveric wusste nun, gegen wen er als nächstes antreten sollte. Er wusste, dass Corinne Duisenberg sich gerade über alle Maßen freute, ihre Mannschaft in die nächste Runde geführt zu haben, während ihr Gegenspieler aus Schweden sichtlich bestürzt mit seinen sechs Kameraden in der zugedachten Umkleidekabine verschwand. Der Hüter der grünbärtigen Waldkobolde, die als Schwedens Maskottchen mitgereist waren, musste sich anstrengen, die wieselflinken,, aufgebrachten Zauberwesen mit Beruhigungs- und Bannzaubern zu belegen.

Die US-Mannschaft hatte in einem der höheren Ränge Platz nehmen dürfen, um sich den kommenden Gegner anzusehen. Donovan sah nur die kleine, kugelrunde Corinne Duisenberg, die den von ihr gefangenen Schnatz als rechtmäßig erbeutete Trophäe schwenkte und mit ihren sechs Kameraden eine Ehrenrunde nach der anderen flog. Sie würde sich sicher auch freuen, gegen ihn antreten zu dürfen, den bisher ungeschlagenen Sucher der USA, den, der Frankreich aus dem Turnier gefischt hatte. Das weckte donovans Gewissen. Dieses junge Mädchen, kaum älter als er selbst, würde nach der nächsten Partie Fluten von Tränen weinen und sich die größten Vorwürfe machen, dass sie den Schnatz nicht rechtzeitig gesehen oder schnell genug danach gegriffen hatte. Gut, wenn Donovan unter völlig normalen, zulässigen Bedingungen trainiert hätte, dann würde er einfach sagen, dass es eben nur sie oder er schaffen konnte. Doch weil er genau wusste, dass er gegen sie auf jeden Fall gewinnen würde fühlte er sich schuldig. Ja, er wusste, dass er was verbotenes getan hatte und es weiterhin tun würde. Vielleicht ruinierte er die Karriere dieser kleinen runden Hexe total, wenn er vor ihr den Schnatz erwischte, weil er das eben nicht anders konnte.

"Ms. Grumman, Sie begleiten mich zusammen mit Mr. Maveric zur Pressekonferenz!" bestimmte Mannschaftssprecherin Phoebe Gildfork, nachdem die Hexen und Zauberer aus den USA das Stadion verlassen hatten und sich weisungsgemäß vor dem goldgelben Birnenhaus der Hexen aus der Mannschaft trafen. Donovan kannte das schon von dieser übergewichtigen Goldwühlerin, dass sobald der nächste Gegner feststand die Kapitänin und der Sucher bei ihr zu sein hatten, wenn sie ihre unbrechbare Zuversicht auf einen kommenden Sieg in die Welt hinausrufen wollte. So vertat er auch keine Sekunde damit, sich was zu überlegen, warum er nicht bei diesem Presseauftritt dabei sein wollte.

Phoebe Gildfork kam jedoch noch nicht dran. Denn erst mussten die Belgier und Schweden den angereisten Zauberersport- und Alltagsreportern ihre Eindrücke vom Spiel schildern. Erst eine halbe Stunde später durfte Phoebe Gildfork den nun erwartungsvoll lauschenden und mitschreibenden verkünden, dass sie beeindruckt von der Mannschaftsabstimmung der Belgier sei und die Wendigkeit von Mademoiselle Duisenberg bewundere. "... Aber, Ladies and Gentlemen, das kann und wird uns nicht davon abhalten, in die nächste Runde einzuziehen. Ich kann mich noch gut erinnern, dass Belgien ebensowenig Gnade übte, als unsere Mannschaft vor vier Jahren in Millemerveilles zu Gast war. Daher werden es die jungen Hexenund Zauberer Belgiens verstehen müssen, dass diesmal eine andere und wesentlich eingespieltere Mannschaft aus den Staaten gegen sie antritt und mit allen Mitteln gewinnen wird", sagte Phoebe Gildfork den Reportern zugewandt. Don sah Linda Knowles, die eifrig mitschrieb. Neben dieser erkannte er einen hochgewachsenen Zauberer mit sehr kurzem rotblonden Haarschopf. Schrieb der nicht für eine französische Zeitung? Ja, und er sah auch eine schwarzhaarige Hexe, nur ein paar Jahre älter als er, deren grüne Augen eher pflichtgemäß als erwartungsvoll auf Phoebe gerichtet waren. Von ihr wusste er, dass sie für eine französischsprachige Besensportzeitung schrieb.

"Dann sehen Sie also doch die kommende Partie als eine Art fälliger Vergeltung für die Schmach von vor vier Jahren an, Mrs. Gildfork?" fragte Laureata Beaumont vom Kristallherold, eine wie Don fand sehr attraktive Hexe.

"Wenn Sie das unbedingt so auslegen müssen, um den von Ihnen geschriebenen Artikel gefühlsmäßig noch mehr aufzuladen, als unser bisheriger Turniererfolg dies schon tut, Ms. Beaumont, will ich Ihnen da absolut nicht widersprechen", antwortete Phoebe Gildfork. Die meisten Reporter hier grinsten. Denn jeder und jede von denen brachte sowas wie eine menschliche Färbung für den abzuliefernden Artikel. Zahlen und Vergleiche alleine brachten es nicht wirklich. Deshalb wunderte er sich auch nicht, als Linda Knowles nun ihn mit ihren fast schwarzen Kulleraugen ansah. Er musste einmal mehr erkennen, dass auch sie mit ihrer biegsamen Figur, der kaffeebraunen Haut und den rotbraunen Locken anziehend aussah.

"Sie waren heute auch im Stadion, Mr. Maveric. Wie schätzen Sie selbst Ihre Möglichkeiten beim nun anstehenden Duell gegen Mademoiselle Duisenberg ein?"

"Im Moment sind wir alle sehr froh, dass unser bisheriges Training so große Erfolge hatte. Ich denke schon, dass ich zumindest gleich so geschickt bin wie Corinne Duisenberg. Beim Suchen ist es aber auch so, dass wer den Schnatz zuerst sieht mehr Vorteile hat als der Gegenspieler. Dieses Glück braucht jeder Sucher. Ich hatte dieses Glück bisher immer", antwortete Donovan Maveric und hütete sich, zu sehr in Einzelheiten zu gehen. Er wusste, dass Linda Knowles mal für das Ministerium gearbeitet hatte und nach einem Unfall, bei dem was explodiert war, ihre natürliche Hörkraft eingebüßt und zur Entschädigung neue, wesentlich leistungsstärkere Ohren bekommen hatte, mit denen sie sicher in hundert Metern Entfernung eine Maus pupsen hören konnte. Ganz sicher hörte sie seinem Herzschlag an, ob er ruhig oder aufgeregt war.

"Selbstverständlich haben wir Don Maveric hier genau deshalb in unserer Stammauswahl, weil er so gute Augen und Reflexe hat, dass er den Schnatz früh genug sieht, um ihn zu erfliegen. Wie gut diese kleine runde Hexe auch immer spielt, diesmal haben wir den besseren Sucher. Aber auch die übrigen Mannschaftsmitglieder sind optimal trainiert und werden das nächste Spiel zu unserem nächsten Erfolg machen", sagte Phoebe und deutete auf Kelly Grumman.

"Natürlich sind wir eine Mannschaft, wie Sie, Ms. Knowles, Mr. Beaumont und alle anderen hier schon längst mitgekriegt haben. Klar wird Donovan Maveric den Schnatz kriegen. Aber wir wollen ja auch zeigen, dass wir nicht nur den Schnatzfang brauchen, um gut zu sein", sagte Kelly Grumman mit einer Betonung, als habe sie diese Ansprache häufig in ihrem Schlafzimmer eingeübt, um sie so klar und selbstsicher anzubringen.

"Ja, aber die Belgier sehen das genauso, dass sie eine sehr gut aufeinander eingespielte Mannschaft ohne überstarke Einzelkünstler haben. Hängt es da nicht auch von der Tagesform ab, wer am Ende gewinnt?" fragte die schwarzhaarige Hexe mit den grünen Augen, die laut Presseplakette Constance Dornier hieß.

"Deshalb ist es ja um so wichtiger, dass wir im Moment eine höchstmögliche Form haben und halten, um selbst bei einem Tagesformtief noch besser als die anderen zu sein", tönte Phoebe Gildfork.

So ging das noch einige Minuten lang weiter, bis der Zauberer mit der rotblonden Kurzhaarfrisur Donovan ansah und fragte, ob er Corinne Duisenberg also genauso entschlossen überwinden würde wie Janine Dupont. Donovan schluckte erst. Klar musste dieser Franzmann eine solche Frage stellen. Klar war auch, dass er jetzt nicht sagen durfte, dass er jetzt kein übergroßes Bedauern äußern durfte, obwohl ihm diese Frage wie ein Dolch ins Herz stach.

"Haben Sie das Corinne auch schon gefragt, ob sie mich mal soeben ausspielen würde, um den Schnatz zu kriegen? Falls ja, dann weiß sie, dass Quidditch ein Spiel ist, bei dem nur die Mannschaft gewinnt, welche mehr Punkte als die andere hat, und das geht mit Schnatzfang immer noch am besten. Also darf ich auf Corinnes Gefühle keine Rücksicht nehmen. Sie wird ja auch nicht auf meine Gefühle Rücksicht nehmen." Diese das eigene ihn zwickende Gewissen überdeckende Antwort schien nicht nur ihm, sondern auch diesem rotblonden Zauberer namens Gilbert Latierre zu reichen.

"Ich denke, Sie wissen nun alles, was Sie von uns über das kommende Spiel wissen dürfen, Ladies and Gentlemen", sagte Phoebe Gildfork. "Noch einen angenehmen Tag", wünschte sie den hier versammelten.

"Das war gut, Dony", raunte Phoebe, als sie mit Kelly und Donovan den Presseraum verlassen hatte. dieser sich mit dieser impertinenten Lauscherin Gildfork zusammentuende Franzose wollte wohl geheucheltes Bedauern von dir hören. Aber das ist nicht deine Aufgabe hier." Sie ließ ihre rechte Hand über seine rechte Wange gleiten. Er meinte, mit Eiswasser übergossen zu werden. Dieses Weib hatte doch echt die Gunst der Stunde genutzt, ihn anzufassen. Es schauderte ihn, wenn er daran dachte, wie begierig sie ihn immer wieder ansah, wenn sie sich einbildete, dass das keiner mitbekam.

Donovan hing zwischen zwei Gefühlen fest. Einerseits war er froh, dass das Zusammensein mit seinen männlichen Mannschaftskameraden ihn von seinen Zweifeln ablenkte. Andererseits fühlte er auch eine gewisse Verärgerung, weil diese Jungen sich darüber lustig machten, dass die Belgier ja auch nur eine weitere kleine Stufe zum Titel waren und ebenso mit vielen Gegentoren und dem Schnatzfang vom Platz gefegt werden würden. Warum sie sich so sicher waren sprachen sie nicht laut aus, weil der Salon im ihnen zugeteilten Haus kein Klangkerker war und sie Linda Knowles nicht um die überempfindlichen Ohren hauen wollten, dass sie gar nicht mehr verlieren konnten. Diese Burschen um ihn herum würden wirklich aus freien Stücken darum kämpfen, den Titel zu holen und jeden weiteren Titel zu kriegen, am besten so lange, bis keiner auf der Welt mehr ein Turnier ausrichten würde, da ja eh klar war, wer es gewinnen würde.

"Immer Party ist auch langweilig", echote ein weiterer Spruch seines Vaters in seinem Bewusstsein. Ja, wer jeden Tag ein Fest feiern und in Saus und Braus leben konnte langweilte sich irgendwann auch. Doch diesen Burschen da schien das im Moment egal zu sein. Sagen durfte er jedoch nichts dagegen. Sonst mochte es denen einfallen, dass er nicht mehr ganz zu ihnen hielt. Dann würde Sheldon Wright, sein Ersatzmann, gegen die Belgier antreten. Der wollte auf jeden Fall gewinnen und ärgerte sich darüber, dass Phoebe Gildfork Kelly Grumman zurückgepfiffen hatte, Wright schon gegen die Franzosen zu bringen, auch wenn der Janine Dupont genauso besiegt hätte wie Donovan Maveric. Vielleicht, so dachte Donovan, lag es daran, dass Sheldon schon dreißig Jahre alt war und die Gildfork, eine junge, kämpferische, im Aufbruch stehende Truppe vorführen wollte und eben keinen reinen Ferienverein wie vor vier Jahren.

Als Donovan abends im Bett lag dachte er daran, dass er gerade so lange Schonzeit hatte, bis sie den Titel eingesackt hatten. Dann mochte Phoebe Gildfork ihre widerlichen Annäherungsversuche wieder verstärken. Konnte er sich dagegen wehren? Am Ende wurde er noch zu ihrem ganz privaten Wonnewichtel, der nur noch dafür leben durfte, dieser überfetteten Sabberhexe zu Willen zu sein. Nein, er musste bald was machen, um aus dieser immer vertrackter werdenden Nummerherauszukommen. Doch das ging nur auf eine einzige Weise. Die bange Frage war jedoch, mit wem?

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"Also, der Gewinner USA gegen Belgien wird wohl gegen Australien ins Viertelfinale einziehen. Dann käme schon der Knaller der Saison mit der Begegnung USA oder Belgien gegen Peru", vermutete Julius, als er am vierten August Morgens einenArtikel über die Weltmeisterschaft von Constance Dornier las.

"Wann musst du rüber auf eure Insel?" Julius sah auf seine eigene Uhr und sagte: "In einer halben Stunde, Millie."

Die Reise nach Birmingham war für Julius schon Routine. Er wechselte erst mit Flohpulver aus dem Zaubereiministerium zur französischen Grenzstation, von dieser aus zur britischen und von da aus flohpulverte er in die Nähe von Birmingham in eine Zaubererweltschenke die "Zum blauen Irrwicht" hieß. Viele dort schon sitzende Gäste erkannten ihn von den Fotos und Berichten von der Weltmeisterschaft von vor vier Jahren. Deshalb rief wer, der wohl gerade eine große Tasse irischen Kaffees in Arbeit hatte: "Na, Mr. Lättier, war wohl nix mit Titelverteidigung wie?"

"Stimmt, der Titel wird wohl nach Übersee gehen", sagte Julius ruhig. "Aber ich bin im Auftrag Ihres und meines Zaubereiministeriums hier und kann das leider nicht in der gebotenen Ausführlichkeit besprechen, wer da mehr Chancen hat. Noch einen angenehmen Tag, Gentlemen!" Sprach's und verließ den Pub durch die östliche Schwingtür.

Er hatte sich die Gegend von damals gut eingeprägt, als er mit Catherine die Brickstons abgeholt und direkt in die Delourdesklinik mitgenommen hatte, damit sie ihren Sohn Joe dort besuchen konnten. So fand er das Haus wieder und traf niemand anderen als Pina Watermelon, die schon bei den Brickstons im Haus war.

"Mein Chef hat mich hergeschickt,um dir und den Eheleuten Brickston den Portschlüssel auszuhändigen. Außerdem wünschtt er Catherine und Joe Brickston alles gute für das neue Familienmitglied."

"Danke, Miss Watermelon", antwortete Julius korrekt und nahm das zerfledderte Tischtuch entgegen, dass vielleicht mal auf einer noblen Tafel gelegen hatte, so vor zwanzig oder fünfzig Jahren. Pina ließ sich von Julius den Erhalt des amtlich genehmigten Hin- und Rückreiseportschlüssels bestätigen, der um elf Uhr britischer Sommerzeit nach Paris und um null uhr mitteleuropäischer Sommerzeit aus Paris portieren würde. dann verabschiedete sie sich von den Hausbewohnern und disapparierte mit leisem Plopp. Julius meinte noch, ein einzelnes strohblondes Haar durch die Luft wirbeln zu sehen. Dann war Pina einfach weg.

"Öhm, die Junge Dame mit dem lustigen Namen erwähnte, dass es euch oder besser Ihnen verboten ist, direkt in einem fremden Haus zu materialisieren oder apparieren, wie sie's nannte. Aber dass sie mal eben aus einem Haus raus verschwinden darf wussten wir nicht", sagte James Brickston, während seine Frau sichtlich erbleichte.

"Ja, richtig, unsere Gesetze verbieten das, in ein fremdes Haus hineinzuapparieren, weil das ein vollendeter Einbruch ist. Wer bei sowas erwischt wird kommt dafür ins Gefängnis. Aber wenn jemand schon in einem Haus ist darf er oder sie daraus disapparieren", sagte Julius.

"Achso, ist dann so wie bei Dracula, wo ein Vampir nur in ein Haus reinkommen darf, wenn er eindeutig eingeladen wird", sagte James Brickston.

"Nur dass die wirklichen Vampire nicht auf eine Einladung warten. Da ist es besser, Knoblauchschnüre aufzuhängen oder Schutzzauber zu wirken, die die Kraft der Sonne und den Frieden im Mondlicht bewirken", sagte Julius. "Stimmt, deshalb hat uns Catherine ja auch diese Glitzersteine mitgegeben, die wir an jeder Hausecke direkt an der Wand verbuddeln sollten, damit wir einen Vampir-Abwehrschirm haben, der jeden Tag von der Sonne nachgeladen wird", sagte James Brickston. Seine Frau erwiderte darauf: "Ja, nur dass die eine merkwürdige Schwingung aussenden. meine Bridgepartnerinnen haben schon mal behauptet, irgendwas würde ihnen die Konzentration nehmen."

"Jenn, das sagen die immer, wenn sie gegen dich verloren haben. Und wenn hier was wirkt ist das wohl noch der Schutzbann, dass keiner Weiß, dass wir Joes Eltern sind." Julius wiegte den Kopf und erwiderte, dass er diese Auswirkung nicht kannte.

"So, wir haben das ja schon mal gemacht. Aber für den Chef von Ms. Watermelon und meinen muss ich noch mal eine tagesaktuelle Bestätigung von Ihnen haben, dass sie über die Funktion und Benutzung eines Portschlüssels unterrichtet wurden und es zur Kenntnis nehmen, dass sie keinem anderen als den Angehörigen der magischen Gemeinschaft verraten, mit diesem Hilfsmittel verreist zu sein. Ebenso nehmen Sie mit Ihrer Unterschrift zur Kenntnis, dass jede art elektronischer Kleingeräte durch die Reise mit einem Portschlüssel Fehlfunktionen oder völlige Funktionsausfälle erleiden können. Bürokratia ist eine nimmersatte Pergamentfresserin und Tintensäuferin", seufzte Julius und präsentierte das in Französisch und Englisch verfasste amtliche Schreiben. James und Jennifer unterschrieben es an den betreffenden Stellen. Nun fehlten noch vierzig Minuten bis elf Uhr Ortszeit.

Julius ließ sich die noch nicht ausgedruckten oder per E-Mail verschickten Fotos von der USA-Reise zeigen. Die Brickstons hatten sogar die berühmte Southfork-Ranch besucht, auf der die mit viel Intrigen, Geldprotzerei und anderen Schikanen gespickte Fernsehserie "Dallas" gespielt hatte. James zeigte Julius ein Foto, auf dem er einen Cowboyhut trug und versuchte, das hämische Grinsen des Oberschurken J. R. Ewing zu imitieren. Doch Julius gefilen die Bilder aus New York und Los Angeles besser, vor allem aus dem Universal-Filmstudio.

"Oh, hast du auch alles für den Kleinen eingepackt, Jenn?" fragte James Brickston seine Frau. "Schon gestern, der Herr", knurrte Jennifer und ging in das Schlafzimmer. Sie verlies es mit einer großen, karierten Reisetasche. "Ich hoffe sehr, dass die Verwandten von Catherine zumindest die Höflichkeit aufbringen, nicht über diese unbezauberten Sachen zu lachen", sagte Sie und bugsierte die Tasche zwischen sich und die beiden Männer. Julius erwiderte, dass Catherine sie sicher nicht eingeladen hätte, wenn sie fürchten müsse, dass sie dort ständig heruntergeputzt würden. Jennifer Brickston wusste erst nicht, wie sie diese Antwort deuten sollte. Doch dann lächelte sie erleichtert.

"Wenigstens kriegen wir den Kleinen zu sehen", meinte James. Das konnte Julius aufrichtig zusichern.

"Joe wollte nicht damit herausrücken, was in Ihrem Heimatort passiert sei. Er meinte sowas, wie dass Sie über Monate nicht hinauskonnten und sehr um Nahrung und Brennstoff ringen mussten, schnitt James Brickston ein anderes Thema an. "Ja, das stimmt leider. Aber wir konnten das Problem lösen. Es war eine über Jahrhunderte versteckte dunkle Erbschaft, die auf einen uns bis heute noch unbekannten Auslöser hin erwachte. Aber wie erwähnt konnten wir sie in gemeinsamer Anstrengung aus der Welt schaffen", sagte Julius. Eigentlich hatte er nicht davon sprechen wollen, was in Millemerveilles passiert war. Aber wenn Joe meinte, es seinen Eltern irgendwie erzählen zu müssen wollte er zumindest nicht alles abstreiten. Das hätte nur noch mehr Unbehagen bereitet. Sollte Catherine ihnen erklären, was passiert war.

Eine Minute vor elf Uhr winkte Julius die Brickstons heran, breitete die zerfledderte Tischdecke aus, dass sie beide sich daran festhalten konnten. Er selbst nahm die karierte Reisetasche sicher auf und hielt sie fest. James Brickston blickte noch einmal auf seine Digitaluhr und nahm sie vom Arm. Er legte sie weit genug vom Portschlüssel weg auf eine Kommode. danach hielt er sich an der ihm zugeteilten Ecke vom Tischtuch fest. Dann löste auch schon der Portschlüssel aus.

"Beamen ist deutlich angenehmer", meinte James Brickston, als sie in der Nähe des Ausgangskreises für die Reisesphäre in Paris herauskamen. Julius meinte verschmitzt grinsend: "Die Erfahrung habe ich leider noch nicht gemacht. Aber gleich wird's noch lustiger."

Blanche Faucon trat von der grünen Kreisfläche herunter, die von einer hufeisenförmigen Mauer umfriedet wurde. Sie begrüßte die beiden Gäste langsam auf Französisch. Dass sie fließend Englisch konnte wenn sie wollte hatte sie den Brickstons bis heute nicht verraten. Julius deutete auf Jennifers rein mechanische Armbanduhr. Sie verstand und stellte die hier geltende Uhrzeit ein. Schließlich mussten sie ja ganz genau um zwölf Uhr Nachs von hier aus wieder ins Haus in Birmingham zurückreisen.

Der Standortwechsel in der roten Reisesphäre war für die Brickstons die zweite magische Form des Reisens. "Oha, schwerelosigkeit. Fliegt diese Lichtkugel mit uns oder ist das auch sowas wie ein Teleportationsding?" fragte Joes Vater.

"Eine Zwischenstufe davon", erwiderte Julius. "Für Beobachter von außen verschwinden wir mit der Lichtkugel im Nichts oder tauchen mit dieser am Ziel aus dem Nichts auf. Doch die Reisesphäre bewegt sich in einer Art Zwischenraumzone", erklärte Julius. Dann war der Flug zwischen den Dimensionen auch schon vorbei, und die irdische Schwerkraft ergriff die Reisenden mit ganzer Macht.

Außerhalb des Zielkreises und der darum eingepflanzten und durch den Pflanzenstärkungstrank Camilles grün und frisch gehaltenen Schirmblattbüsche bestiegen sie eine Kutsche, vor die ein geflügeltes Pferd gespannt war. Damit ging es bis kurz vor Blanche Faucons Haus, wo schon weitere Gäste warteten, unter anderem die Eheleute Madeleine und François L'eauvite, sowie Hera Matine und die in Millemerveilles wohnenden Latierres.

"Also, ich kapier's, dass jemand wie ich glatt arbeitslos würde, wenn die ganzen Zaubervehikel und Teleportationsdinger frei verkäuflich wären", sagte James leicht resignierend. Doch dann hellte sich seine Mine auf, weil Babette und Claudine herankamen. Babette trug ihren kleinen Bruder in den Armen. Millie stand dem nicht nachund präsentierte ihre jüngste Tochter in den Armen, wie beim Willkommensfest für Clarimonde.

"Ja, hallo ihr drei, schön, euch zu sehen", grüßte James Brickston seine Enkelkinder. Justin James gluckste und versuchte, den Mann genauer anzusehen, der ihn da begrüßt hatte.

"Die Dusoleils kommen noch rüber", sagte Madeleine und begrüßte Julius. Dann sah sie Jennifer an. Diese verzog ihr Gesicht, als sie die Hexe im regenbogenfarbigen Kleid sah. Julius argwöhnte, dass Jennifer ihr das immer noch nicht verziehen hatte, dass sie sie einmal bewegungsunfähig gebannt hatte und ihr damit überdeutlich gezeigt hatte, dass es echte Hexen gab und sie einer solchen hoffnungslos unterlegen war. Und ihr fiel ein, das dies die große Schwester von Babettes anderer Oma war. Aber sie hatte beschlossen, sich nicht einschüchtern oder zu irgendwelchen Unachtsamkeiten treiben zu lassen.

James durfte den kleinen Brickston auf den Arm nehmen und vorsichtig wiegen. Er bedankte sich bei Catherine, dass sie ihn geboren hatte. Da konnte Jennifer nicht nachstehen und brachte es sogar fertig, ihre Schwiegertochter auf jede Wange zu küssen.

"Das ist doch eigentlich gegen das Protokoll, den Ehrengast einer Willkommensfeier schon vor dem Mittagessenherumzuzeigen", meinte Julius zu Hera Matine. Diese antwortete: "Ein solches Protokoll ist mir nicht bekannt. Ich bin immer froh, wenn ich helfen konnte, diese kleinen Wesen auf die Welt zu holen."

Als sich alle begrüßt hatten und auch Jeanne, Camille, Florymont und Jeannes Kinder herübergekommen waren nahmen sie im Garten unter schattigen Bäumen platz. Blanche Faucon war wieder in ihrem Element. Zwar würde sie ihre Kochkunst erst beim Abendessen so richtig zur Geltung bringen. Doch für das Mittagessen hatte sie auch schon leckeres gezaubert. Vor allem die andalusische kalte Suppe namens Gaspacho und der bunte Salat kamen bei den Gästen gut an.

"Es stimmt wirklich, der Sommer hier ist noch einiges heißer als bei uns", meinte Jennifer und tupfte sich nach dem Essen dezent die Schweißspuren von der Stirn. Immerhin trug sie ein zur Jahreszeit passendes Kurzkleid und kein aufwendiges Festkostüm.

Die Gäste, die offiziell Englisch konnten übersetzten für die Gäste aus Birmingham und hielten Unterhaltungen mit ihnen in Gang. Catherine, die beim Essen erfahren hatte, dass Joe seinen Eltern wohl doch ein wenig mehr über Millemerveilles erzählt hatte, erklärte den beiden so behutsam sie konnte, dass sie unter dem dunklen, nach Jahrhunderten erwachten Erbe einer einstigen bösen Hexenkönigin zu leidenhatten und es erst loswerden konnten, als sie herausbekommen hatten, dass Licht und Leben es schwächen konnten. Wie genau das dunkle Erbe gewirkt hatte und wie es am Ende aus der Welt geschafft worden war verschwieg sie jedoch.

Es fanden sich auf jeden Fall Themen, bei denen die Gäste aus England mitreden konnten. Um vier Uhr nachmittags vollzogen sie dann das Willkommensritual, wie schon bei den Latierres ohne eigens einbestellten Zeremonienmagier.

Joe durfte die für seinen Sohn überreichten Geschenke auspacken. Seine Eltern hatten einen aufblasbaren Gummidelphin, einen Satz Babykleidung und ein Mobilee aus vier bunten Holzvögeln besorgt. Von seinem Großvater bekam Justin noch ein Bilderbuch mit verschiedenen Fahrzeugen, darunter einem typisch britischen Doppeldeckerbus. Allerdings erwies sich das Bilderbuch schnell als Unterhaltungsgegenstand für Erwachsene. Denn die Gäste wollten nun sehen, was es in der magielosen Welt so für Fahrzeuge gab.

Das Abendessen war die große Stunde der Hausherrin. Sie hatte nicht nur die in der Provence und an der Südküste bekannten Gerichte nachgekocht, sondern auch selbstgemachte Pommes Frites und dazu für jeden der oder die wollte einen selbstgemachten Hamburger mit echt knusprigem Brötchen und garantiert gartenfrischem Salat.

Zwar sprachen die Brickstons dem Schneckengang nicht so zu wie die Einheimischen, von Julius und Millie mal abgesehen, die sich auch nicht dafür begeisterten, genossen aber die gemischte Käseplatte zum Abschluss des insgesamt siebengängigen Gerichtes. James Brickston musste einsehen, dass zu sowas kein Kentucky-Whiskey passen mochte. Er trank zwei Gläser Wein, während seine Frau Champagner genoss. Julius hielt sich an den Fruchtsaftcocktails, die Babette eigenhändig mischte. Zwischendurch zogen sich Catherine, Jeanne und Millie mit den ganz kleinen zurück, um sie entweder zu stillen oder zu wickeln. James musste seine Frau fast festhalten, damit sie nicht hinterherlief, um sich anzusehen, wie Catherine ihren Enkelsohn fütterte. Er sagte für Julius und Béatrice deutlich hörbar: "Ich weiß noch, wie sauer du warst, weil meine Mutter dir auf die Dutteln geguckt hat, ob da auch echt genug für Joe reinpasst." Die die Englisch konnten hörten unvermittelt zu plaudern auf. Da sagte Madeleine: "Keine Sorge, James und Jennifer, kein Kind unter ein Jahr muss hier verhungern, und euer Enkel garantiert auch nicht." Das brachte viele zum schmunzeln. Jennifer lief knallrot an, und James wusste nicht, ob er jetzt über diese Derbheit lachen oder sich ebenfalls verlegen fühlen sollte.

Als die kleinsten Gäste wieder herausgetragen wurden sangen ihnen die großen Gäste was vor. Julius intonierte mit James das Lied vom Gelben U-Boot. Irgendwie kribbelte es ihm auf der Zunge, James zu erzählen, dass Florymont ein solches U-Boot nachgebaut hatte. Doch er ließ es bleiben.

Mit dem Abend kam ein wenig mehr Kühle auf. Blanche und Madeleine setzten ein kleines Musikfass in Gang. Wer noch nüchtern genug war konnte tanzen. So geschah es, dass Julius bis viertel nach Elf mit jeder der Hexen und mit Jennifer Brickston einmal getanzt hatte. Jennifer bewunderte seine exzellente Tanzausbildung. Sie merkte an, dass er deshalb wohl so viel Anklang bei den jungen Damen habe. Julius bedankte sich für das Kompliment und gab es zurück, weil sie den Herren hier gezeigt hatte, dass auch sie eine hervorragende Tanzausbildung bekommen hatte.

Das Fest dauerte trotz dass der zu ehrende schon um halb zehn in seiner Wiege abgelegt wurde bis halb zwölf. Gemäß der Gemeindeordnung, nach Mitternacht keine lauten Geräusche mehr zu machen mussten die Brickstons bis kurz vor zwölf Uhr wieder in Paris sein, von wo dann der Portschlüssel sie direkt in ihr eigenes Haus hinüberbringen sollte.

Blanche Faucon geleitete die Eltern ihres Schwiegersohnes zusammen mit Julius zum Ausgangskreis in Millemerveilles und brachte sie dann nach Paris. Julius geleitete sie dann noch mit dem Portschlüssel nach Birmingham. Dort verabschiedete er sich von ihnenund wünschte ihnen noch eine angenehme Zeit. "Vielleicht sehen wir uns ja auch mal wieder in Paris", meinte James Brickston, während seine Frau nur schwerfällig nickte. Julius schloss das nicht vollkommen aus. Er nahm das als Portschlüssel benutzte Tischtuch an sich und winkte den beiden. Dann disapparierte er, um direkt in jener Seitengasse in London zu landen, wo eine ramponierte Telefonzelle ohne Seitenscheiben stand. Wie er es schon einige male Gemacht hatte nahm er den klobigen Telefonhörer und wählte die Nummer 62443. Daraufhin hörte er eine weibliche Stimme sagen: "Willkommen beim britischen Zaubereiministerium. Bitte nennen Sie Ihren Namenund den Grund für Ihren Besuch!" "Julius Latierre, Rückgabe eines offiziellen Portschlüssels", befolgte Julius diese Anweisung. Leise klirrend landete eine Ansteckplakette im scheinbaren Restgeldauswurffach. Er steckte es sich an seinen hellblauen Sommerumhang. Dann fuhr er mit der Telefonzelle ganz tief nach unten, bis er im Foyer des britischen Zaubereiministeriums herauskam. Eigentlich hätte er auch hier apparieren können, weil er schon mal hier gewesen war. Doch er hatte mit den britischen Kollegen vereinbart, dass er sich anständig anmelden würde, um den Portschlüssel zurückzugeben.

Mit einem der Aufzüge fuhr er zur Etage für magischen Personenverkehr. Dort traf er eine dunkelhaarige Hexe, die er noch gut kannte: "Miss Vane?!" fragte er spontan.

"Mr. Julius Latierre. Ah, sie wollen das Tischtuch zurückgeben", sagte Romilda Vane. Julius hätte sie gerne gefragt, wie es dem Kind ging, dass sie von Brandon McMerdow bekommen hatte. Doch er war offiziell und nicht privat hier. So dauerte es nur zwei Minuten einschließlich Rückgabebestätigung. Dann durfte Julius der hier gelandeten Hogwarts-Kameradin noch eine angenehme Nacht wünschen. "Ich habe morgen meinen freien Tag, Mr. Latierre, deshalb konnte ich hier warten", sagte Romilda mit einer Spur Verdruss in der Stimme. Julius wollte nicht nachbohren, warum sie sich nicht freute, morgen frei zu haben. Doch er fand, dass er schon lange genug durch die Gegend gereist war.

Zurück im Foyer warf er die Ansteckplakette mit seinem Namen und dem Grund seines Besuches in ein dafür vorgesehenes Metallkästchen, das wie ein Zwischending zwischen einem Briefkasten und einer Wahlurne aussah. Eine magische Stimme sagte: "Vielen Dank, Mr. Julius Latierre, und beehren Sie uns bald wiedr!" Julius nickte dem Kasten zu, wandte sich um, trat in die Mitte des um diese Zeit leeren Foyers und disapparierte.

Um seine Rückreise auch wirklich hochoffiziell zu machen apparierte er in der Winkelgasse. Von dort ging er in den tropfenden Kessel, in dem noch einige späte Zecher saßen, von denen er jedoch keinen kannte. Er stellte nur fest, das viele von denen offenbar hier gestrandet waren, weil sie nirgendwoanders hingehen wollten. Das stimmte ihn irgendwie trübsinnig. Er brauchte eine halbe Minute, bis er für fünf Knuts eine Prise Flohpulver in den Kamin geworfen hatte. "Zur Grenze!" rief er, als er in der smaragdgrünen Feuerwand stand.

Von der britischen ging es dann zur französischen Grenze und von da aus direkt zum Ziel "Pomme de laa Vie!"

Dort angekommen mentiloquierte er an Catherine, dass er wieder in Millemerveilles war. "Ist gut, Julius! Danke dir", gedankenantwortete Catherine. Nach einer kurzen Pause fügte sie noch hinzu: "Joe, Babette, Claudine, Justin und ich werden am Morgen des sechsten August von hier abreisen. Immerhin könnte das, was ihr demnächst zaubern wollt, seine Computer- und Mobilfunksachen durcheinanderbringen." Julius bestätigte diese Nachricht und bedankte sich auch noch mal für die Einladung zur Willkommensfeier für den kleinen Justin. "Ohne dich hätte der wohl länger auf die Welt gebraucht", erwiderte Catherine für fremde Ohren unhörbar. "Schlaft gut", schickte sie noch nach. "Ihr auch", erwiderte Julius auf dieselbe übernatürliche Weise.

"Na, jetzt bist du aber geschafft, wie?" fragte Millie. "Geht so, Mamille. Runtergezogen hat mich nur gerade die Besatzung vom tropfenden Kessel, der Pub, der zwischen der londoner Einkaufsstraße für Zauberer und der Muggelwelt steht. Da saßen viele ältere Zauberer und haben in ihre Krüge gestiert, als wenn sie überlegen müssten, ob sie noch einen davon leertrinken konnten. Ich dachte, dass die vielleicht kein richtiges Zuhause haben, zu dem sie hingehen oder apparieren können. Aber vielleicht war das auch ein blöder Gedanke von mir, weil ich nicht in Pubs und Dorfschenken abzuhängen gelernt habe."

"Tja, von denen, die hier gerne bis nach Mitternacht im Chapeau du Magicien sitzen sehen auch viele aus, als würden sie da wohnen, obwohl wir wissen, dass sie richtige Häuser hier haben. Tja, von denen dürften viele jetzt überlegen, wie sie das hinkriegen, mit wem anderem zusammen zu wohnen. Und du darfst sehr froh sein, dass du nicht gelernt hast, in Schenken abzuhängen. Du musst echt nicht alles können, Monju. Was du kannst gefällt mir super und vielen anderen auch, wie wir ja bei der Feier wieder gemerkt haben", sagte Millie. Das tröstete Julius spürbar.

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Donovan hatte etwas herausgefunden, was ihm eine große Zuversicht gab. Es war nicht nötig, in unmittelbare Gefahren oder Kampfsituationen hineinzugeraten. Er brauchte sich nur sehr konzentriert vorzustellen, dass ein gefährlicher Feind ihm nach dem Leben trachtete und ihn beim kleinsten Fehler gnadenlos töten würde. Wenn er das Gefühl unmittelbarer Belauerung und Angst dann richtig stark in sich fühlte konnte er auf jede sich selbst gestellte Frage die passende Antwort finden. So hatte er sich einmal vorgestellt, dass das ihm umgelegte Findmich, das ihn auf seinen Spaziergängen und Badeausflügen zum für Mannschaften und ihre angemeldeten Gäste zur Verfügung gestellten künstlichen Badesee begleitete, ihm beim falschen Abbiegen das Handgelenk durchschneiden würde. Die Frage war, wie konnte er dem entgehen, ohne dass jemand wusste, dass er sich davon trennte? Da fiel ihm ein, dass es einen Testlauf für diese Armbänder gab, die bei einem zuletzt erreichten Standort eine regelmäßige Weitermeldung absetzten, dass ihr Träger immer noch am Standort war. Als er sich dann vorgestellt hatte, dass ihm das Armband wie eine weißglühende Eisenschelle die Haut und das Fleisch von den Knochen brennen würde, wenn er es nicht auf Testbetrieb umstellen konnte sah er am Armband mehrere blaue Steinchen und wusste, in welcher Reihenfolge er sie mit dem eigenen Zauberstab antippen konnte, um das Armband zu lösen und gleichzeitig in den Testzustand zu versetzen.

Als er jedoch mit Hilfe eines Gedankens an ihn aus der Luft heraus belauernde Feinde herausgefunden hatte, dass in weißen Wolken schwebende silber-blaue Drachen mit dunklen Augen an der Unterseite über den Ansiedlungen für Spieler und Zuschauer schwebten wusste er, dass es nicht reichen würde, das Findmich-Armband abzulegen. Immerhin konnte er sich mit anderen Spielerinnen und Spielern und den als Ehrengäste der Mannschaften miteinquartierten Familienangehörigen oder denQuodpotspielern unterhalten. So fiel es gar nicht auf, dass er sich in den Tagen seit Belgiens Sieg immer wieder mit Venus Partridge, Lonny Hawkins und Faye Eaglerock traf, die für unterschiedliche Mannschaften Quodpot spielten. Da diese Treffenin der Öffentlichkeit stattfanden musste auch niemand was argwöhnen. Allerdings wollte Donovan mit diesen Treffen was ganz bestimmtes feststellen: Welcher der drei Hexen konnte er sich anvertrauen, um sie um einen sehr delikaten Gefallen zu bitten, ohne ihr zu verraten, warum er dies von ihr erbat?

Um die Antwort auf diese Frage zu erhalten dachte er sich immer dann, wenn er für zwei bis fünf Minuten mit einer der angereistenQuodpotterinnen zusammen war, dass ein böser Feind mit kampfbereitem Zauberstab im Unsichtbaren lauere und ihm sofort den Todesfluch überbriet, wenn er nicht ganz sicher wusste, welche von ihnen er fragen konnte. Diese Methode, wie auch die wegen der Vertragsklauseln und Linda Knowles' Zauberohren scheinbar so belanglosen Gespräche brachten ihn darauf, wen er ansprechen musste.

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Als die Familie Brickston am Morgen des 6. August alles zum Aufbruch bereit hatte kamen viele zum Verabschieden. Joe hatte die Akkus aus seinem Laptop und seinem Mobiltelefon, das er auch als Modem benutzt hatte, herausgenommen, damit seine elektronische Ausrüstung die magische Reise überstand. Babette hätte zwar gerne bis zur Rückkehr nach Beauxbatons bei den Rochers gewohnt, jetzt, wo Sylvies Zimmer ja frei war und die es ihr sogar angeboten hatte, dass sie da schlief. Doch Catherine hatte ihr gesagt, dass sie in Paris noch einiges erledigen müssten. Darüber war Babette ein wenig verstimmt. Das hatte Catherine damit abgestellt, dass sie ihr gesagt hatte, dass eine Goldbroschenträgerin eben mehr Verpflichtungen habe.

Claudine war regelrecht traurig. Als Julius sie zum Abschied kurz umarmte kullerten kleine Tränen aus ihren großen, saphirblauen Kinderaugen. Er fragte sie behutsam, was sie habe.

"Hier sind alle, mit denen ich spielen kann. In Paris ist keiner. Da ist's nur laut und ganz gefährlich, wenn ich da allein rumlaufen will. Und auf 'nem Besen fliegen darf ich da auch nicht", wimmerte sie.

"Wieso, die Miriam ist doch in Paris und ihre ganz kleinen Onkel und Tanten können dich doch durchs grüne Feuer besuchen kommen", sagte er. Er kapierte, dass Claudine hier in Millemerveilles richtig frei und unbeschwert gelebt hatte.

"Aber Papa ist dann immer im Arbeitezimmer oder hat den Fernseher an, wenn ich was spielen oder Musik machen will", quängelte Claudine. Julius hob sie behutsam hoch und deutete dann auf Millie, Aurore und Chhrysope. "Wir kriegen das hin, dass die beiden da zwischendurch mal zu euch rüberkommen können. Außerdem wohnt die Laurentine ja auch noch bei euch im Haus", sagte er mit sanfter Stimme.

"Stell sie bitte wieder auf die eigenen Füße, Julius, wir müssen", klang Catherines Gedankenstimme durch sein Bewusstsein. Julius wünschte Claudine eine angenehme Heimreise und setzte sie behutsam ab.

"Claudine, komm bitte. Madame Delamontagne möchte nicht zu lange warten!" rief Catherine. Claudine winkte den Latierres, Dusoleils und ihrer Oma Blanche. Dann tapste sie eher widerwillig als entschlossen zu ihrer Mutter hinüber, die ihr schnell die kleinen Tränen aus dem Gesicht tupfte.

Mit einer kleinbusgroßen Kutsche mit vorgespanntem Abraxanerpferd flogen die Brickstons zum Ausgangskreis für die Reisesphäre.

"Oha, ich hab's jetzt echt mitgekriegt, wie wichtig das für so aufgeweckte Kinder wie Claudine ist, mit anderen Kindern zu spielen", meinte Julius zu Millie. Ihm fiel dabei ein, dass er ja mit seinen Schulfreunden Lester und Malcolm nur deshalb so gut ausgekommen war, weil er auf Grund seiner ersten Naturwissenschaftskenntnisse geniale Ideen für Streiche oder Erklärungen für spannende Sachen wie eine Mondrakete oder wie Ballons zum fliegen gebracht wurden gehabt hatte. Womöglich wäre er sonst auch nur zwischen Schule und seinem Kinderzimmer gependelt, weil sein Vater ihn ja nicht immer im Kellerlabor dabeihaben wollte oder durfte.

"Ja, und mit einer großen Schwester, die jetzt ihre eigenen Sachen durchziehen will wird das auch immer schwieriger für sie", sagte Millie. "Aber die geht schon nicht kaputt. Dafür wohnen zu viele Latierres in dieser überlauten, von Automotoren verqualmten Stadt." Dem konnte und wollte Julius nicht widersprechen.

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Donovan bangte, dass ihm doch wer drauf kommen mochte, dass er in den letzten Tagen gezielt nach jemandem suchte, mit der er sich aus diesem vertückten Ritual lösen konnte. Auch wenn der Teilnehmervertrag kein magisch bindender Vertrag war - wohl um das daran anschließende Ritual nicht zu verderben - wusste Donovan doch, dass in den Staaten Vertragsbrüche immer mit sehr hohen Goldstrafen geahndet wurden. Doch dieser Verrtrag, besser das, was davon geschützt und am laufen gehalten wurde, war ein Verbrechen, eine fortgesetzte Untat. Deshalb hatte Donovan sich immer mal wieder das internationale Regelwerk für Wettkämpfe angesehen, bis er die eine entscheidende Passage gefunden hatte.

Sollte sich unmittelbar vor oder erst nach Abschluss eines Teilnahmevertrages erweisen, dass die darinnen ausgehandelten und/oder einzuhaltenden Bedingungen Verstöße gegen übergeordnete Teilnahmeregeln oder Gesetze darstellen, und ein Vertragspartner möchte dies anzeigen, so kann ihn der andere Vertragspartner nicht wegen Vertragsbruchs belangen oder eine Entschädigung abfordern, sofern der entgangene Gewinn nur durch einen Gesetzesverstoß oder eine Missachtung schriftlich festgelegter Verhaltensregeln erzielt werden konnte. Der Mitunterzeichner, welcher solche Untaten meldet oder strafgesetzlich zur Anzeige bringt, kann sich als Kronzeuge bei einer später einzuberufenen Gerichtsverhandlung zur Verfügung stellen und somit wegen der ihn selbst belastenden Vorfälle oder Taten nicht oder höchstens bis zu einem zehntel der sonst zu vollstreckenden Strafe verurteilt werden. Falls es sich um eine gemeinschaftlich ausgeführte Tat handelt können alle daran beteiligten nach Enthüllung der Tat selbst mildernde Umstände geltend machen, wenn sie alle anderen entstandenen Schäden von sich aus darlegen und begleichen. Wer jedoch weiterhin bestreitet, dass der Inhalt eines Vertrages zur Verübung einer strafbaren Handlung führt und/oder diese nach außen hin deckt, hat die von einem Gericht erkannte Tat vollumfänglich zu büßen.

"Die haben uns einen gesetzeswidrigen Vertrag aufgehalst, in dem Moment, wo die uns diesem Ritual unterzogen haben", dachte Donovan Maveric. Denn durch das Verschweigen der Trainingsmethoden deckte der Vertrag den fortgesetzten Betrug. Das war genau die Passage, die er gesucht hatte. Er prägte sich den genauen Paragraphen ein, um sich nach dem Belgienspiel darauf zu berufen. Doch dann würde der zu zahlende Preis, um aus dem Ritual freizukommen, noch höher ausfallen. Somit musste er heute darauf ausgehen, diesen Ballast loszuwerden.

Weil er mitbekommen hatte, dass über ihm immer wieder einer dieser als Wolke getarnten Überwachungsdrachen flog musste er zusehen, sowohl das Findmich-Armband loszuwerden, als auch unbeobachtbar zu einem in den letzten Tagen immer wieder angesteuerten Punkt zu gelangen. Deshalb hatte er in den letzten drei Tagen eine Methode eingeübt, die er wohl auch auf Grund des Rituals so schnell und so zuverlässig hinbekam.

Wie in den letzten Tagen auch verabschiedete er sich im hellblauen Schwimmanzug von seinen Mitbewohnern, die ihren eigenen Freizeittätigkeiten nachgingen. Heiler Moonriver, der sozusagen als Hausvater oder Hausvorsteher der Zauberer in der Mannschaft fungierte, ermahnte Don, bei seinenSchwimm- und Tauchübungen immer auf höchste Sicherheit zu achten und bis mittags um eins zurück zu sein, wenn die Mannschaften das von den Heilern auf Gift, Betäubungs- oder Leistungsverstärkungsmittel geprüfte Essen bekamen. Douglas McDonald, der sich als wahrhaftiger Knauserkopf erwiesen hatte, meinte mal wieder, dass acht Galleonen für vier Stunden Schwimmen in einem künstlichen See zu viel seien. Darauf antwortete er mal wieder, dass es eben Weltmeisterpreise seien und sie ja nach Gewinn des Titels das hundertfache an Gold bekamen.

Mittlerweile hatte er wahrhaftig Routine darin. Erst ging er zur Kasse und kaufte eine Zutrittsplakette, die vier Stunden lang erlaubte, dass er sich dem künstlich errichteten Badesee nähern konnte. Dann war er erst mehrere Minuten darin herumgeschwommen, hatte es herausgefunden, wann die Badeaufsichtspatrouillenboote seinen Standort überquerten. So hatte er herausgefunden, dass er zwischen zwei überquerungen immer drei Minuten Zeit hatte. In der Zeit konnte er nun erst mit Hilfe eines Taschenspiegels ein zum teil selbstständig handelndes, nichtstoffliches Ebenbild von sich schaffen, dem er reine Gedankenbefehle geben konnte. Phase Zwei bestand im loslösen des Armbandes durch Antippen der richtigen blauen Steine. Danach bezauberte er einen vom Grund aufgelesenen Stein, dass dieser immer im magischenZentrum des erschaffenen Doppelgängers und somit von diesem völlig eingehüllt treiben musste. An diesenStein hängte er das Findmich. So konnten seine Überwacher ihn weiterhin unter der Wasseroberfläche herumschwimmen sehen. Zum schluss machte er sich selbst unsichtbar und bezauberte die angesteckte Plakette so, dass sie, statt ihn nur als zutrittsberechtigt zu markieren, eine seine Lebensaura überdeckende Kraft ausstrahlte, die ihn für die den See umgebende Barriere unerkennbar und somit nicht vorhanden machte. So konnte er nach insgesamt zehn Minuten im See wieder an Land und dort unsichtbar und unangefochten zu einem bestimmten Baum gehen, an dem Venus und er immer wieder vorbeigekommen waren, wenn sie sich mal für zehn Minuten getroffen hatten. Dabei hatte er ihr zweimal einen Zettel zugesteckt, auf dem was stand, was nur oberflächlich mit der früheren gemeinsamen Trainingseinheit zu tun hatte. Als sie nach dem zweiten zugesteckten Zettel nickte wusste er, sie würde hier sein, wenn er hier war.

Wahrhaftig brauchte er nur eine Minute zu warten, bis ein Bronco Millennium angesaust kam, auf dem Venus Partridge ritt. Sie zielte mit ihrem Zauberstab auf den Baum und zeichnete dann eine blattgrüne Leuchtschrift auf den Stamm: "Wenn jemand hier ist bitte den letzten Satz auf der zweiten Nachricht wiederholen!"

Donovan nahm ebenfalls seinen Zauberstab und schrib darunter: "Blaue häuser mit grünen Dächern kippen die Weltum." Diese Leuchtschrift verschwand nach einigen Sekunden. Dann erschien eine weitere: "Okay, Don, kletter hinter mir auf den Besen und halt dich fest. Ich bringe uns zu sicherem Ord!" ER schrieb zurück, dass er verstanden habe. Dann verschwanden beide Botschaften vom nun wieder unversehrt liegenden Stamm.

Schnell war Donovan zu ihr auf den Besen geklettert und hielt sich fest. Sie schwirrte mit ihm davon, vorbei an mehreren Überwachungsdrachen, die schnell auswichen, um nicht getroffen zu werden. Venus und Donovan wussten, dass keiner deshalbAlarm geben würde. Denn dann müssten die Italiener erklären, dass sie alles und jeden hier aus der Luft überwachten.

Wortlos landeten die beiden im Schatten eines Baumes, der am Rand der Mannschaftssiedlung stand. Donovan lauschte noch einmal in sich hinein, ob er wirklich durchführen wollte, was er vorhatte. Das hing nicht zuletzt davon ab, ob er seine gerade vom Besen absitzende Mitverschwörerin überzeugen konnte, ihm zu helfen. Ihm war auch etwas eingefallen, wie er das Ritual erwähnen konnte, ohne gegen die Vertragsbedingungen zu verstoßen. Doch dazu mussten sie erst einmal unbeobachtbar und unbelauschbar sein.

Venus Partridge nahm ihren Zauberstab und streckte ihn senkrecht nach oben. Sie ließ ihn in sanften Pendelbewegungen von innen nach außen schwingen und dabei immer um ein paar Grad im Uhrzeigersinn auslenken. Dann glühten die sommerfrischenBlätter an der Unterseite auf. Das blattgrüne Licht wurde zu einem Lichtvorhang, der vom Wipfel des Baumes bis zum Boden herabsank. Als er auftraf fühlte Donovan für eine Sekunde eine leichte erschütterung. Dann erlosch das blattgrüne Leuchten. Doch der Sucher der US-Nationalmannschaft fühlte, dass die Magie noch wirkte. Dann zog Venus aus ihrer winzigen Handtasche ein stück dunkelblaues Tuch und schüttelte dieses aus. Das Tuch landete auf dem Boden und richtete sich dann auf einen Zauberstabwink hin zu einem kleinen Zelt auf, das ohne Heringe am Boden anlag. Sie deutete auf den offenen Eingang. Donovan verstand. Dort sollte er hinein. Er ergriff sie behutsam bei einer Hand und ging neben ihr her zum eingang. Dann kletterte er hinein. Sie folgte ihm mit dem Besen. Sie schloss die Klappe. Dann sagte sie mit normallauter Stimme: "So, und jetzt werde bitte sichtbar!"

Donovan kam dieser Aufforderung nicht sofort nach. Er starrte erst auf die Einrichtung des Zeltes. Hier lag ein heller Teppich auf dem Boden. Es gab einen rechteckigen Esstisch mit zwei sich gegenüberstehenden Stühlen, eine Waschschüssel mit zwei Seifenspenern, zwei Zahnputzgläsern mit unbenutzten Zahnbürsten darin, einen Kleiderschrank mit zwei Türen, von denen eine von einem mannshohen Spiegel verziert wurde, einen Wasserblauen Badezimmerschrank mit zwei Klappen und drei Schubladen, sowie ein gemütliches, breites Bett, in dem zwei normalgroße Menschen bequem nebeneinander liegen konnten.

Endlich schaffte er es, sich wieder sichtbar zu machen. "können wir hier nicht gehört werden? Wie kann in so wenig Stoff ein solcher Raum und ein Klangkerker verbaut werden?" fragte Donovan.

"Von außen sieht uns auch keiner, sobald die Klappe verschlossen ist", sagte Venus. "Ja, und es ist ein dauerhafter Klankerker. Frag mich nicht, wie die das hinbekommen haben, die Franzosen. Aber von denen stammt diese kleine aber sehr intime Rückzugsmöglichkeit. Selbst Homenum Revelius oder der Vivideo-Zauber finden uns hier drinnen nicht. Kann an den Metallfäden im Stoff liegen, magische Runenweberei oder sowas. Wichtig ist nur, dass uns in den nächsten Minuten oder Stunden, je danach, was du mir erzählen willst, keiner findet, zumal du deine Langlaufleine ja auch losgeworden bist."

"Du kennst den Vertrag, den wir damals unterschrieben haben?" wollte Donovan wissen. Venus nickte verdrossen. "Dieser Unberührbarkeitsvertrag und auch, dass wir nichts sagen oder tun, was uns oder unsere Mannschaftsbetreuung schlecht dastehen lassen."

"Ja, und dass wir keinem erzählen dürfen, wie wir trainieren, um möglichst erfolgreich zu sein", sagte Donovan ebenfalls verdrossen. Da meinte Venus: "Ja, aussprechen, aufschreiben oder mentiloquieren. Aber wenn du mir das Lied von den drei Donnervögeln vorsingst und dabei immer neue Strophen dazuerfindest ist das ja kein Vertragsbruch."

Donovan blieb das Gesicht stehen. Dann kniff er sich in den Arm. Die Lösung war ja wirklich zu einfach, um da mal soeben drauf zu kommen. So sang er das beliebte nordamerikanische Kinderlied von den drei Donnervögeln, dessen Reiz und Spaß darin bestand, immer neue Tiere dazuzunehmen, deren Zahl und Name mit denselben Buchstaben anfingen. Außerdem mussten die bisherigen Strophen wiederholt werden. So konnten Kinder auch ihr Gedächtnis üben. Aber hier und heute sang Donovan auf der eingängigen Melodie drei weitere Strophen, die sich nicht reimten, aber eine Menge enthüllten. Venus bekam bei jeder neuen Enthüllung ein immer wütenderes Gesicht. Donovan fürchtete schon, gleich ziemlich übel angeschrien, verflucht oder verprügelt zu werden. Doch als er sich endlich den Ballast von der Seele gesungen hatte entspannte sich ihr Gesicht. Sie sah ihren heimlichen Gast anund sagte mit unüberhörbarer Verbitterung: "Also hat sie es tatsächlich erfahren, wer dieses Ritual durchführen kann und diejenige Person dazu gezwungen, es an nicht zu ihrem Stamm gehörige weiterzugeben. Deshalb wollte sie unbedingt unberührte Spieler haben. Deshalb wollte sie, dass wir uns auf zehn Jahre zur Enthaltsamkeit verpflichten. Größenwahn, Dekadenz und Habsucht. Diese Hexe ist wahrlich krank im Kopf."

"Ja, und sie sieht mich immer so an, als würde sie mich jeden Moment auffressen wollen. Ich fürchte, sie begehrt mich, will das ausnutzen, dass ich mich keiner anderen anvertrauen darf, falls ich nicht bereit bin, für das Aussteigen aus dem Ritual zu büßen."

"Falls du jemanden findest, der beziehungsweise die sich mit dir darauf einlässt, diesen verwerflichen Zauber von dir zu nehmen", erwiderte Venus darauf. Donovan fragte sie, woher sie das Ritual kenne. Sie erwiderte, dass ihr Vater, von dem sie seit Februar nichts mehr gehört hatte, nicht nur die üblichen Zauber und Tränke erlernt hatte, sondern sich auch mit den magischen Heilpraktiken und Flüchen früherer Kulturen befasst habe. Auf diese Weise habe er von einem im Urwald von Peru lebenden Stamm gehört, dessen oberste Priesterinnen dieses Ritual durchführen konnten, das als Lied des unberührten Glückes bezeichnet wurde. Er hatte ihr aber strickt davon abgeraten, es durchzuführen. Denn je mehr wichtige Entscheidungen einer getroffen hatte oder Gefahren überstanden hatte, desto mehr eigene Lebenszeit ging dem verloren, der oder die dann doch die körperliche Liebe erleben wollte.

"Und dich plagt dein Gewissen, dass du mithilfst, andere Mannschaften um die Früchte ihrer jahrelangen Arbeit zu bringen? Oder ist es die Angst, dass du doch irgendwann in zehn oder zwanzig Jahren mit jemanden schlafen möchtest und dann den hohen Preis bezahlen musst?"

"Beides und ja auch, weil ich gemerkt habe, dass ich mich dieser übergewichtigen Hexe mit jedem Gewinn eines Spiels weiter ausliefere. So wie die mich immer ansieht wird sie wohl nicht mehr lange warten, höchstens bis nach dem Titelgewinn, bevor sie mich einfordert. Sie will mir wohl die fragwürdige Ehre biten, dass sie meine erste Geliebte im Leben ist", sagte Donovan ohne Anflug von Übertreibung, aber dafür mit echter Angewidertheit.

"Und dich absichtlich zurückhalten geht nicht?" wollte Venus wissen. Donovan schüttelte behutsam den Kopf und antwortete: "Das habe ich beim Spiel gegen Frankreich versucht. Aber sobald das Spiel losgeht ist da ein Drang, es so gut es geht zu spielen und zu gewinnen. Das ist wie ein innerer Befehl, als wenn jemand mir das mit dem Imperius-Fluch eingeprägt hätte." Venus sah ihn verdrossen an und nickte schwerfällig.

"Dann stimmt das auch, was ich über dieses Ritual gehört habe. Wer mit anderen zusammen eine wichtige oder gefährliche Lage bestehen muss und weiß, dass sie alle dem Ritual unterworfen wurden, muss am Sieg oder der möglichst erfolgreichen Beendigung der Lage mitwirken. Das ist wirklich wie ein innerer Befehl, der durch das Ritual selbst übermittelt wird und sich dadurch verstärkt, dass mehrere gleichzeitig kämpfen oder einer Gefahr begegnen." Donovan nickte. Er sah die Hexe an, der er sich gerade auf Gedeih und Verderb ausgeliefert hatte. Doch etwas in ihm sagte ihm, dass sie ihm nicht gefährlich würde. Sie überlegte. Er sah sie nur an. Wie sehr wünschte er sich gerade, ein Mentalauditor zu sein, einer der unverhüllte Gedanken mithören konnte.

"Und was ist, wenn ihr gewinnt und du danach vor die Beobachter des Weltquidditchverbandes und der IOMSS trittst und den Betrug anzeigst?" wollte sie wissen. "Das habe ich schon beim letzten mal gedacht, als wir gewonnen haben und die Sprecherin der französischen Mannschaft eine Untersuchung hat durchführen lassen. Dabei fiel mir aber ein, dass ich dann von den Medimagiern von uns für verwirrt oder böswillig erklärt würde und ich ja auch nicht beweisen könne, dass wir uns diesem Ritual unterzogen haben. Ich empfand das so, dass es mir in dieser wichtigen Entscheidung keinen Erfolg bringen würde. Deshalb ließ ich es, worauf ich überhaupt nicht stolz bin."

"Klar, weil dieses Ritual dir vorgegeben hat, dass du als Lügner und Nestbeschmutzer dastehst und deshalb kein Bein mehr auf den Boden kriegst und diese Sauerei trotzdem weitergeht", zischte Venus nun sichtlich verärgert. Donovan überlegte, ob er sie immer noch um diesen so wichtigen Gefallen bitten sollte. Er stellte sich vor, dass jemand hinter ihm stand und ihn bei einer falschen Antwort totfluchen würde. Da fühlte er große Zuversicht, dass sein Vorgehen erfolgreich sein würde, wenn er jetzt nichts sagte. So sah er zu, wie Venus wieder ihren Kopf wiegte, als müsse sie viele belastende Gedanken behutsam ins Gleichgewicht bringen, um die eine Entscheidung zu treffen.

"Außerdem könnte sie von dir verlangen, dein ganzes Leben umsonst für sie zu arbeiten, wenn du keine superhohe Schadensersatzklage abbekommen willst. Ja, und die gleiche Angst, dass du deine Freiheit verlierst, wenn sie dich anzeigen würde, würde dich ihr gefügig machen", schnaubte Venus. Dann straffte sie sich. Aus ihrer Verärgerung wurde unvermittelt Entschlossenheit. Sie sah Donovan an und sagte: "Dann bleibt nur die eine Möglichkeit: Du und ich schlafen miteinander, bevor das Spiel losgeht, damit du aus diesem Bann befreit bist und nach dem Spiel den ganzen Betrug aufdecken kannst. Ich bin mir sicher, dass es noch einige Hexen und Zauberer mehr gibt, die dieses vermaledeite Ritual kennen, vor allem die in Südamerika lebenden Nachfahren der Inkas." Donovan erschauderte. Jetzt war es ausgesprochen. Jetzt stand es im Raum, diese von ihm selbst erkannte eine Möglichkeit, das, worum er sie und niemanden anderen bitten konnte. Das Ritual hatte ihm tatsächlich geholfen, diesen Erfolg zu erringen. Doch ob es ein Erfolg war wusste er erst, wenn es geschehen war. Ja, und da war dieser hohe Preis für den Bruch des magischen Eides. Doch irgendwie dachte er, dass dieser Preis mit jedem Monat und jedem errungenen Sieg noch höher, noch unerträglicher werden würde.

"Ich wollte dich nicht so forsch um so einen schwerwiegenden Gefallen bitten, bevor ich mir nicht sicher war, dass dies der einzige Weg ist", antwortete Donovan. Er fühlte, dass das noch nötig gewesen war, ihr zu bekunden, dass er sich darüber klar war, was er ihr da abverlangte. Dann fiel ihm noch ein, dass es vielleicht den anderen auffiel, wenn er morgen beim Spiel nicht so gut war wie sonst und sie ihn deshalb vorher auswechselten und auch, dass einer von Gildforks Marionetten ihn vorher legilimentieren und so die Wahrheit erfahren würde. Dann bekäme nicht nur er Ärger, sondern auch Venus. Das erwähnte er. Doch sie ließ mit einem Wort alle Bedenken verstummen: "Fidelius-Zauber." Ihm fiel sofort ein, dass er den im Zauberkunstunterricht nicht wirklich ausgeführt aber gelernt hatte, wie er ging. Wichtig war, beide Seiten mussten einander vollkommen vertrauen, und einer von beiden musste der Geheimniswahrer oder die Geheimniswahrerin sein. Ihm fiel ein, dass es besser war, wenn sie die Geheimniswahrerin würde. Dann konnte er es nicht verraten, was immer sie nach dem Spiel mit ihm anstellten.

"Wie viel Zeit hast du noch, bevor sie nach dir suchen?" wollte sie wissen. Er sah auf seine Armbanduhr. Er hatte noch genau zweieinhalb Stunden Zeit. "Dann tun wir es jetzt", sagte Venus Partridge mit einer Entschlossenheit, die weitere Bedenken ausschloss.

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Er genoss es sichtlich, in ihren Armen zu liegen, ihren Warmen Körper zu fühlen und ihr Herz durch seine Brust schlagen zu fühlen. Das erinnerte ihn daran, was er, als er selbst ein großer Mann war, mit der ihm anvertrauten erlebt hatte. Doch die, in deren Obhut er gerade lag und gierig einsog, was sie ihm anbot, war gerade dreimal so groß wie er selbst. Er hätte nicht gedacht, dass es doch so schön für ihn war, geboren worden zu sein.

Mit jedem Schluck von Ianshiras Milch trank Tondarrammayan nicht nur belebende Nahrung, sondern auch wichtiges Wissen. Denn mit jedem Schluck erfuhr er ein neues erhabenes Lied der hohen Kraft, mit dem Heil und Güte, Schutz und Frieden vermittelt werden konnten. Er würde in der großen weiten Welt ihr Erbe, ihr direkter Nachfolger werden. Das hatte er schon gewusst, als er noch sicher und geborgen in ihrem Leib gewohnt hatte. Doch jetzt wuchs er an der freien Luft, im Licht des großen Vaters Himmelsfeuer und der kleinen Himmelsschwester, sowie im Gegenlicht der fernen Brüder der großen Mutter. Er gab sich dieser großen Geborgenheit und Zuversicht ganz und gar hin.

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Obwohl sie nicht viel Zeit hatten überstürzten sie es nicht. Obwohl sie beide nicht um einer gemeinsamen inneren Verbundenheit wegen das Lager teilten empfand er es als erhabenstes Gefühl von direkter Nähe zu einer Hexe, das er je gespürt hatte. Jetzt wusste er, was den anderen entging, die nicht bereit waren, diesen beglückenden Tanz zwischen den Laken zu erleben. Obwohl es auch wegen des Größenunterschiedes erst so aussah, als bekämen sie die Vereinigung nicht hin, war es dann doch das bisher allerherrlichste überhaupt, mehr als das Glücksgefühl, ein wichtiges Spiel gewonnen zu haben. Auch war es für ihn, als wenn sie beide nicht nur die Körper, sondern auch ihre Gefühle miteinander verschmolzen, immer mehr, je näher er der höchsten Lust kam. Als es ihn dann mit Macht überkam und er fast aufschrie vor Wonne wusste er, dass es die Sache wert war. Dann erbebte auch sie in wilder Liebeswonne und schrie diese gegen die so diskreten Zeltwände. Erst als der Rausch der höchsten Leidenschaft abklang dachte er wieder daran, was er dafür zu zahlen hatte. Doch zunächst geschah nichts.

Behutsam ließen beide voneinander ab. In dem Moment fühlte er, dass in seinem Körper etwas anderes, nicht so beglückendes ablief.

Es war ein Beben, das durch seinen Körper ging. Er fühlte ein Kribbeln auf der Haut und ein unangenehmes Walken in seinen Eingeweiden. Dann sah er mit großem Schrecken, dass aus seinem Körper blutrote Funken stoben, immer mehr. Seine spontane Geliebte, seine Mitverschwörerin gegen die Machenschaften der US-Quidditchmannschaft, warf sich eher aus Reflex als aus Angst zur Seite. Die roten Funken wurden immer mehr. Doch sie verloschen schon in halber Armreichweite und sengten nichts und niemanden an. Das Kribbeln auf der Haut war am Kopf am stärksten. Auch fühlte er ein dumpfes Pochen in Fingerkuppen und Zehenspitzen. Auf dem Rücken liegend keuchte er vor überstandener Liebeswonne und dem, was deshalb in ihm vorging. Das Gefühl, von inneren Rührgeräten durchgeknetet zu werden, das Ziepen in Gesicht und auf dem Kopf und das Pochen in Fingernund Zehen wurde so schmerzhaft, dass er fast laut aufschrie. Doch er wollte nicht aufschreien. Denn er wollte diesen Preis so klaglos wie möglich an die alten Inkagottheiten entrichten, auch wenn er selbst nicht an diese glaubte. Dann war es vorbei. Das Ziepen, Walken und Pochen verging so plötzlich, dass er erst dachte, er sei gestorben. Doch die über ihm sanft kreisende Zeltdecke und das schnelle Pochen seines Herzens verrieten, dass er noch lebte. Dann sah er, was ihm zugestoßen war.

Erst bekam er einen Schreck, als er sah, dass seine Fingernägel bald so lang geworden waren wie seine Finger selbst. Sicher waren seine Zehennägel auch so lang und breit gewachsen, dass sie eher Krallen als Nägel waren. Er wagte es nicht, sein Gesicht zu berühren. Doch er fühlte es vor seinem Mund herabhängen und hatte auch den Eindruck, dass es um seinen Kopf wärmer war.

"Ui, ja, doch, das ist eine sehr fiese Auswirkung", sagte Venus. "Aber wenn das alles ist, was dir jetzt passiert ist hast du echt Glück gehabt."

"Wie lang ist mein -? Päh!" Er wollte fragen, wie lang sein Bart geworden war. Dabei gerieten ihm die langen Haare in den Mund.

"Zu lang, um damit mal eben vom Schwimmen ins Wohnquartier zurückzugehen. Deine Haare dürften jetzt länger sein als meine und nicht so seidigweich. Aber deine schönen Locken sind eindeutig Natürlich", sagte Venus Partridge und streichelte ihm durch das heftig wuchernde Lockenhaar.

Donovan konnte durch die über seine Stirn und Augen fallenden Haare wie durch einen durchlässigen Vorhang sehen, dass sie auf ihren Wecker sah. "Ui, zwar schon einiges an Zeit weg, aber immer noch mehr als genug übrig", bemerkte sie. Dann sagte sie: "Ich mach dich mal wieder vorzeigbar. Oder möchtest du mit den langen Krallen und dem bis zurBrust fallenden Bart herumlaufen?" Donovan setzte sich auf und merkte, wie ihm die Hare um Wangen, Stirn und Rücken wehten. Er schüttelte den nun stark behaarten Kopf.

"Gut, dann erst die Krallen", sagte Venus. Donovan setzte sich zurecht, während sie eine Holzschale aus dem Schrank holte und sie so hinstellte, dass er seine Hand hineinlegen konnte. Sie Versuchte erst, ihm mit einem Rückschrumpfzauber die langen Nägel zu kürzen. Doch das gelang nicht. "Klar, weil die nicht auf natürliche Weise gewachsen sind. Aber ich kriege das trotzdem hin", sagte sie. Dann ließ sie aus ihrer Handtasche eine silberne Schere zu sich hinfliegen und tippte sie mit dem Zauberstab an. Da legte das nützliche Hilfsmittel auch schon los. Klipp und Klapp, mit jedem Schnitt fiel der größte teil der überstehenden Nägel ab. Donovan erschauerte, als er sah, wie sich die Holzschale mit den abgetrennten Nagelstücken füllte. Zum Schluss ließ Venus ihn von einer selbsttätigen Nagelfeile die noch bestehenden Überstände herunterkürzen. Dann kam die Linke Hand dran und dann seine Füße. Als sie fertig war zeigte Venus ihrem Stegreifliebhaber die Ausbeute der kosmetischen Schmipselei. Er schluckte erst. Dann sagte er: "Offenbar bin ich mal eben um sechzehn Monate älter geworden."

"Offenbar hat die Siegesserie die Auswirkungen des Rituals schon sehr heftig verstärkt", sagte Venus Partridge, die im Moment ganz ruhig war. Keine Spur davon, dass sie sich mal eben einem mehrere Jahre jüngeren Zauberer hingegeben hatte. Doch womöglich war es jetzt der Drang, die Auswirkungen zu beseitigen.

Als er sich dem großen Spiegel am Schrank zuwenden wollte, um das Ausmaß seiner viel zu üppigen Haarpracht zu besehen, bevor sie ihm auch die Haare kürzen und den Bart abrasieren konnte fühlte er sich so schwindelig wie nie zuvor. kam das vom Beilager oder von der blitzartigen Alterung?

Weil auch seine Haare nicht mal eben wieder kürzer gezaubert werden konnten ließ sie ihn auf einem der beiden Stühle Platznehmen und legte ihm eine Schürze aus dem Schrank um. Dann ließ sie eine geflügelte Haarschere um seinen Kopf herumflitzen, die mit schnellen, gezielten Schnitten sein Haar bis knapp auf die Kopfhaut herunterstutzte. Danach durfte er noch den im Hausrat dieses Zeltes verfügbaren Rasierer in Aktion erleben, der seinen mehr als Brustlangen Bart vollständig abtrennte, dass er wieder glatt rasiert war. Als er dann die nun randvoll mit Haren und Nägeln gefüllte Schale ansah erkannte er, wie viele Haare und Barthaare ein einzelner Mensch im Jahr so produzieren konnte. Venus half ihm dann noch, vor dem großen Schrankspiegel sein Haar auf die Länge nachwachsen zu lassen, dass es wieder so lang wie vor dem klammheimlichen Liebesakt war.

"Brauchst du das Zeug noch wofür?" wollte Venus wissen und zeigte ihm die Ausbeute der ganzen Schnipselei vor. Er schüttelte den nun wieder vorzeigbaren Kopf und fragte, ob es einfach verschwindbar war. Er bekam seinen eigenen Zauberstab in die Hand gelegt und zielte auf die Holzschale. "Vanesco solidus!" Doch so leerte er die Schale nur zu einem Viertel. "Knäuel alles zusammen. Dann klappt's sicher", riet ihm seine heimliche Stegreifgeliebte. Er tat es. Tatsächlich verschwand das zu einem festen Knäuel geformte Zeug mit einem lauten Plopp.

"Öhm, ich will dir ja keine Angst machen, Donovan. Aber dir ist schon klar, dass du dir keinen Fluch einfangen darfst, der dich schlagartig älter oder wieder zum Baby machen kann?" fragte seine heimliche Spontangeliebte ihn sorgenvoll. "Wie kommst du darauf, Venus?" fragte er sie. "Ganz einfach, weil die blitzartige Alterung jede klare Bestimmung deines nun erreichten körperlichen Alters unmöglich macht, um dich bei solchen Angriffen mit einem wirksamen Gegenzauber wiederherzustellen", erwiderte Venus Partridge. Sie erwähnte ohne einen Namen zu nennen, dass sie jemanden kannte, dem eine ähnliche Blitzalterung widerfahren war und der deshalb auf der Hut vor Infanticorpore sein musste.

"Noch ein Preis, den ich für dieses verflixte Glück im Spiel zu zahlen habe", schnaubte Donovan Maveric. "Aber jetzt lässt sich das nicht mehr ändern. Aber danke, dass du mich darauf hingewiesen hast. Insofern gut, dass wir als Amerikaner vor den Angriffen Vita Magicas geschützt sind."

"Wir hatten gerade ein so schönes Erlebnis, Donny, bitte mach mich nicht wütend", erwiderte Venus ungehalten. Da erkannte Donovan, was er ihr da gerade zugemutet hatte. Immerhin ging sie davon aus, dass ihr Vater das Opfer der Machenschaften Vita Magicas geworden war, weil er den Blutkettenfluch von Minister Dime lösen wollte. Er entschuldigte sich für diese unbedachte Äußerung und dankte ihr noch einmal, dass sie sich für ihn aufgeopfert hatte.

"Ich lebe ja noch, und schön war es ja doch", erwiderte sie nun weniger verärgert klingend. Er war erleichtert, dass sie es so sah, wo er bisher immer davon ausgegangen war, dass eine junge Hexe mehr Wert auf ihre Unberührtheit legte und diese bis zur Hochzeitsnacht bewahren wollte, wobei es da auch wieder einige gab, die das Thema schon mit siebzehn abhaken wollten.

Zwar hatten sie noch einige Zeit. Doch für ein gemütliches nebeneinanderliegen oder gar eine zweite Runde körperliche Liebe war es wohl zu wenig. So reinigten sich beide gegenseitig mit sanften Säuberungszaubern und zogen wieder ihre Sachen an.

"Dann kommt jetzt der Fidelius-Zauber dran", gab Venus die weitere Vorgehensweise an. Nachdem sie beide sich noch einmal vergewissert hatten, wie der Zauber ausgeführt werden musste verbanden sie ihre Zauberkräfte in diesem so wichtigen magischen Akt. Irgendwie meinte Donovan sogar, dass es so reibungslos gelang, weil sie beide vorhin das Lager geteilt hatten. Jedenfalls legten sie fest, dass Venus die Geheimniswahrerin wurde. Danach meinte er, gerade erst mit ihr in dieses so heimliche Zelt gegangen zu sein und wusste nicht, was mit ihm passiert war. Er dachte erst, ihr irgendwie erklären zu müssen, was er und die anderen getan hatten. Da sagte sie ganz ruhig: "Donovan, wir beide haben miteinander geschlafen, damit du den Zauber des Rituals des unberührten Glückes loswirst." Da kamen mit einem Schlag alle Erinnerungen zu ihm zurück, diese erst bedenkliche und dann doch so herrliche gemeinsame Handlung und was ihm danach passiert war. So fragte er: "Und das kann auch kein Legilimentor aus mir herausschöpfen?"

"Das ist in uns beiden verschlossen. Kein Legilimentor kann dir entreißen, dass du mit mir das Bett geteilt hast oder überhaupt schon mit wem geschlafen hast. Allerdings ist mir eingefallen, wie wir das machen können, dass es den anderen nicht zu früh auffällt, dass du diesen niederträchtigen Zauber abgeschüttelt hast." Mit diesen Worten holte sie aus ihrer Handtasche eine fest verschlossene Phiole. Donovan staunte, als er darin eine munter sprudelnde, goldene Flüssigkeit sah. "Ist eine Rückversicherung von meinem Vater, falls ich weiß, dass ich in eine kritische Lage kommen könnte. Ich habe davon einen kleinen Vorrat. Das hier reicht für genau 24 Stunden Wirkungsdauer. Stecke es so weg, dass es keiner bei dir findet! Wenn du bei euch im Quartier abends alleine im Zimmer bist trinke die Phiole bis zum letzten Tropfen aus! Dann ist das genausogut wie dieses verwerfliche Ritual. Aber denke bitte daran, dass wir eine Vereinbarung haben!" Er nickte ihr zu und verstaute die Phiole in der rauminhaltsbezauberten, absolut wasserdichten Außentasche seines Schwimmanzuges.

"Ich werde solange so gut mitspielen, bis Corinne Duisenberg und ich den Schnatz anfliegen und dann sichern, dass sie ihn kriegt, ohne dass die anderen sie davon abhalten können, es aber auch keiner merkt, dass ich ihr helfe", versprach Donovan Maveric.

Bevor er das Zelt verließ umarmten sie sich noch einmal. Venus stellte sicher, dass niemand in weniger als hundert Metern Umkreis herumlief. Dann machte er sich wieder unsichtbar. Das gelang diesmal nicht so schnell wie vorhin, wo die Magie des Inkarituals geholfen hatte. Doch er schaffte es und krabbelte aus dem heimlichen Zelt heraus.

Trotz der über ihnen herumfliegenden, getarnten magischen Augen schaffte er es mit der immer noch bezauberten Zutrittsplakette unbemerkt in den Badesee zurückzusteigen. Er tauchte bis zu der Stelle, wo er seinen nichtstofflichen Doppelgänger wähnte. Als er ihn endlich sah stellte er fest, dass dieser schon leicht flimmerte. Offenbar hielt die Illusion unter Wasser nicht so lange durch wie an der frischen Luft. Doch das sollte ihn nicht mehr kümmern. Er schwamm so, dass er über seinem eigenständig handelnden Spiegelbild schwamm. Dann löste er es auf und hob im nächsten Moment die eigene Unsichtbarkeit auf. Der Vorgang dauerte gerade drei Sekunden. Hoffentlich hatte ihn niemand dabei aus einem der Patrouillenboote heraus gesehen.

Als er dann noch den Stein mit dem daranhängenden Findmich-Armband entzaubert und sich das bunte Armband wieder umgelegt hatte tauchte er auf. Als er an der Wasseroberfläche schwamm hob er noch die Kopfblase auf. Er sah mit großer Erleichterung, dass die beiden nächsten Patrouillenboote mehr als hundert Meter von ihm entfernt waren. Das eine würde in einer Minute auf seiner Höhe sein. Das andere fuhr schon so weit von ihm fort, dass dessen Badeaufseherbesatzung ihn nicht bei der Auflösung seines Täuschkörpers gesehen haben konnten. Das leichte Flimmern konnte durchaus vom Wasser her kommen.

Mit der nun wieder auf ihre eigentlichen Zauber eingestellten Plakette stieg er aus dem Badesee und nahm eine lange kühle Dusche.

"Sie haben es aber lange da unten ausgehalten, Signore Maveric", meinte einer der am Ufer des Badesees herumgehenden Badeaufseher. "Ich habe es nie gewagt, mehr als eine Stunde lang eine Kopfblase zu zaubern."

"Da unten ist es so schön ruhig und dunkel. Keine störenden Geräusche, keine Hektik. Das mach ich gerne auch zu Hause, dass ich da für Stunden in einem Teich abtauche. Deshalb kann ich das", erklärte Donovan.

"Geht das nicht auf die Ausdauer?" fragte der Badeaufseher neugierig. "Wir müssen erst morgen abend um sieben spielen. Bis dahin kann ich mich auch noch einmal richtig ausschlafen", erwiderte Don Maveric so lässig klingend wie er in dieser doch leicht angespannten Lage konnte.

Endlich konnte er in das Mannschaftsquartier zurückkehren, wo er seine männlichen Kameraden traf, die sehr locker und fröhlich erzählten wen sie alle getroffenhatten. Er erzählte, dass er sich herrlich entspannen konnte, weil er mehr als drei Stunden im Badesee getaucht war, fern ab der Sommerhitze und der vielen durcheinanderschwätzenden und -rufenden Stimmen.

"O, ob Nanny Moonfield das so doll findet, dass du sowas machst. Stell dir vor, dir geht die Ausdauer weg und die Kopfblase zerläuft im Wasser", sagte Douglas McDonald. Doch darauf hatte Donovan eine Antwort: "Das hätte ich garantiert früh genug gemerkt, wenn es zu gefährlich geworden wäre, Jungs." Dem konnten sie nur wortlos zustimmen. Denn dann hätte mit absoluter Sicherheit die Kraft des Rituals bewirkt, dass er früh genug wieder aufgetaucht wäre. Überhaupt konnte dieses Ritual ihm auch die nötige Ausdauer gegeben haben, über Stunden mit Kopfblase unter Wasser herumzuschwimmen, weil es ja eben ständig gefährlich war, wenn diese verschwand.

Wie er schon befürchtet hatte kam am Nachmittag noch Heiler Moonfield zu ihm ins Wohnquartier und erkundigte sich, was ihn veranlasst hatte, so lange im Badesee herumzuschwimmen, statt zwischendurch einmal Pause zu machen. Er erwähnte, was er vorhin dem Badeaufseher gesagt hatte. Darauf meinte der Heiler: "Irgendwie meinen Sie alle, gerade unverwundbar und unbesiegbar zu sein, weil Sie so gut in Form und aufeinander abgestimmt sind. Aber als Heiler untersage ich Ihnen bis auf weiteres derartig lange Ausflüge. Das ist eine verbindliche Heileranweisung."

"Gut, morgen ist eh das Spiel. Da werde ich meine Ausdauer nicht mit sowas strapazieren", sagte Donovan. Er überlegte, ob er den Heiler fragen sollte, warum er ihn dann nicht über das Armband angezittert habe. Doch das hätte den schlafenden Drachen gekitzelt. Zumindest wusste Donovan, dass der Heiler ihn nicht gesucht hatte. Das war zumindest eine gute Nachricht.

Beim Abendessen überhörte Donovan die belanglosen Zankereien zwischen Morton Baker und Douglas McDonald über die vielen Verehrerinnen, die sie während der Weltmeisterschaft getroffenhatten. Da ja beide wussten, dass sie mit keiner von denen mehr als freundliche Worte austauschen durften war das für Donovan eher albernes Zeug. Dann kapierte er, dass dieses Jungengeplänkel für Linos Superohren gedacht war.

Als er kurz vor Mitternacht in seinem Zimmer alleine war zauberte er zunächst ungesagt einen Klangkerker. Darin hatte er auch ohne Ritual genug Übung. Als das beruhigende ockergelbe Leuchten alle Wände, den Boden und die Decke bedeckte zog er den Korken aus der Phiole, die ihm Venus mitgegeben hatte. Das muntere Sprudeln des goldenen Glückstrankes erschien ihm so laut, dass es ohne Klangkerker sicher durch das ganze Birnenhaus zu hören gewesen sein mochte. Doch das war bestimmt nur die Einbildung und die Anspannung, weil er ganz bewusst gegen die Vereinbarungen verstieß und drauf und dran war, seine Kameraden zu verraten. Doch besser er machte diesem Betrug ein Ende, als ein Leben lang damit zu hadern, nichts gesagt zu haben.

Behutsam trank er den an Zunge und Gaumen kribbelnden Trank und hoffte, nicht laut aufstoßen zu müssen. Doch ihm entfuhr kein verdächtiger Rülpser. Als er fühlte, dass der Trank seine Sinne schärfte und ihm dazu noch eine größere Beweglichkeit verlieh wusste er, dass er bis morgen um Mitternacht alles schaffen würde, was er sich vornahm. Er verwandelte die leere Phiole in ein blaues Stofftaschentuch und steckte dieses zu seinen Sachen in den blauen Schrankkoffer, auf dem in goldener Schrift sein Name und der Zusatz USWPM stand. Danach hob er den Klangkerker wieder auf.

Als er in seinem Bett lag dachte er darüber nach, ob er jemals wieder mit einer Hexe so nahe zusammenkommen konnte wie mit der, die sich darauf eingelassen hatte, mit ihm den ihm aufgeprägten Zauber wortwörtlich auszutreiben. Er wusste, dass er mit ihr nie wieder so beiläufig sprechen konnte. Waren sie vorher Sportskameraden gewesen, teilten sie ein Geheimnis, das über Wohl und Wehe entscheiden konnte. Sie waren beide durch eine verbotene Tür getreten, die sich hinter ihnen geschlossen hatte und nicht mehr zu öffnen war. Für ihn und sie würde es nie mehr wieder so sein wie früher. Dann fragte er sich, ob er eifersüchtig sein würde, wenn er mitbekam, dass sie einen anderen Zauberer liebte oder sie auf ihn eifersüchtig würde, wenn er sich einer anderenHexe anvertraute. Sicher wusste er jetzt aber, dass Phoebe Gildfork schon verloren hatte, auch wenn das Spiel gegen Belgien noch nicht angepfiffen worden war.

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Die beiden kommenden Tage war Julius mit den Vorbereitungen für Gabrielles und Patricias Hochzeit beschäftigt. Am 8. August assistierte er wie erbeten bei einem weiteren Bewerbungsgespräch. Reinier Boisvert hatte sich wohl aus dem Internet die Vorlage eines Lebenslaufes gezogen und die ihn betreffenden Angaben darin eingetragen. Dem hatte er das Abschlusszeugnis von Beauxbatons und eine Empfehlung von Professeur Paximus beigefügt, dass der junge Zauberer ein hohes Verständnis von den Geräten der nichtmagischen Welt besaß und in diesem Bereich auch eingesetzt werden möge. Julius befragte ihn dann zu Dingen, die nur wissen konnte, wer häufig mit dem Internet arbeitete und ergründete auch, dass Reinier Boisvert schon mehr Fachwissen hatte als jeder rein zaubererweltstämmige Beauxbatonsschüler sich im gewöhnlichen Unterricht Studium der nichtmagischen Welt aneignen konnte. Alles in allem machte der junge Zauberer auf Julius den Eindruck eines voll und ganz in seinem Wissen aufgehenden Burschens, der ohne seine Zauberkräfte sicher Informatiker oder Fernmeldetechniker geworden wäre. Dann kam Julius noch einmal auf einzelne UTZs zu sprechen. Reinier hatte Zauberkunst und Protektion gegen destruktive Formen der Magie belegt und in beiden Fächern ein "Erwartungen übertroffen" erzielt. Dann hatte er eben noch Studium der nichtmagischen Welt, Astronomie und Arithmantik belegt. Julius fragte ihn, ob er sich nicht für Zaubertränke oder Kräuterkunde interessiert habe. Reinier erwiderte darauf: "Da Sie ja selbst in Beauxbatons waren kennen Sie die beiden betreffenden Fachlehrer. In Zaubertränken schaffte ich gerade ein A wie "Abgehakt" und in Kräuterkunde verfehlte ich wohl das A, weil ich wohl zwei verschiedene Pflanzen verwechselte. Deshalb konnte ich diese Fächer in den UTZ-Stunden nicht weitermachen und empfinde sie auch nicht als besonders wichtig für mich selbst, da ich kein Heiler werden wollte und auch kein Zaubertrankbrauer."

"Und sie können jederzeit mit der Arbeit beginnen? Oder brauchen Sie noch eine gewisse Vorbereitungszeit?" wollte Nathalie Grandchapeau wissen. Reinier Boisvert erwiderte, dass er höchstens eine Woche Vorlaufzeit benötige, um alle privaten Angelegenheiten zu klären, zum Beispiel eine Wohnanschrift. Im Moment wohne er noch bei seinen Eltern und könnte nur durch Apparieren in die Zaubererwelt. Das jedoch, so habe er schon herausfinden müssen, störte das Rechnernetzwerk, mit dem sein Vater hochkomplexe Berechnungsmodelle für die Verteilung von Abgasen in Großstädten voraussagen wollte. Julius notierte sich das und erwähnte, dass er bei Zusage des Arbeitsplatzes bis zu einem Monat in einem Übergangszimmer in der Rue de Camouflage wohnen könne. Reinier Boisvert erwähnte, dass er das zur Kenntnis nehme. Dann war das Gespräch von Julius' Seite her zu Ende. Madame Grandchapeau wandte sich dann noch mit einigen organisatorischen Fragen an den Bewerber und wollte auch wissen, wie gut er auf einem Besen fliegen konnte. Einen Moment sah Reinier verächtlich auf die ihn fragende. Doch dann schaltete er, dass er gerade mit einer wichtigen Person für seine Zukunft sprach und er antwortete: "Ich habe den üblichen Flugunterricht in Beauxbatons erhalten. Ich habe mich jedoch nicht auf Flugbesen festgelegt."

"Sind Sie auch bei Walpurgisnachtflügen mitgeflogen?" wollte Nathalie wissen. Reinier schüttelte den Kopf und erwähnte, dass er diese Festveranstaltung immer vom Boden aus mitverfolgt habe. Damit stand für Nathalie und Julius fest, dass Reinier kein Freund des Besenfliegens war und somit wohl nicht als fliegender Außeneinsatztruppler eingesetzt werden konnte. Sicher, die Appariererlaubnis hatte er erworben, doch häufiger galt es, sich im Raum schnell und/oder weit über Grund zu bewegen. Nathalie bedankte sich dann noch bei dem Bewerber und sagte, dass er wohl noch vor Ende August erführe, ob er die Stelle antreten könne oder nicht. Reinier bedankte sich höflich für die Zeit, die sie für ihn aufgewandt hatten. Dann verließ er Nathalies Büro wieder.

"Da haben wir offenbar das Paradebeispiel eines jungen Menschen nichtmagischer Abstammung, der die ihm in die Wiege gelegten Gaben eher als Last und nicht als besondere Gaben ansieht", meinte Nathalie. "Die von Ihnen gestellten Fragen, die sich auf dieses Internet beziehen hat er spontan und offenbar auch korrekt beantwortet, nachdem, was meine Tochter und Madame Merryweather mir darüber vermittelt haben." Julius nickte. "Ich werde prüfen, wie weit ich die bisherige Besetzung des Rechenzentrums umordnen kann, damit einer oder zwei von denen in den Außendienst gehen können." Julius hörte aus dieser Bemerkung heraus, dass wenn Reinier angestellt würde, er nicht im Außendienst eingesetzt würde. Es konnte sein, dass ihm das sogar gefiel, nicht andauernd mit aufgebrachten oder verängstigten Leuten zu tun zu bekommen, sondern lieber an Computern herumprogrammieren wollte.

"Ich werde die Notizen noch einmal mit Madame Belle Grandchapeau besprechen, da sie ja hauptamtlich mit den elektronischen Fernverständigungsmitteln vertraut ist", sagte Nathalie Grandchapeau. Dann wirkte sie so, als müsse sie auf jemanden weit weg hören, wobei Julius klar war, dass es vielmehr einer war, der ihr am aller nächsten war. Dann sagte Nathalie noch: "Sie selbst durften ja bei Außeneinsätzen schon mitwirken. Wenn wir noch einen sehr gut damit vertrauten und daran interessierten Mitarbeiter haben, der diese Geräte bedienen kann könnten auch Sie wieder für schnelle Außeneinsätze eingeteilt werden. Das Ministerium braucht auf jeden Fall Leute, die sich nicht nur mit vielen Gerätschaften auskennen, sondern auch umfangreich ausgebildete Hexen und Zauberer und geübte Apparatoren und Besenflieger sind." Julius hatte jetzt die Bestätigung, dass Reinier mit seiner Aussage über seine Besenfähigkeiten wohl eine schon weit geöffnete tür bis auf einen kleinen Spalt zugeschlagen hatte. Aber er verstand auch, was Nathalies "Bauchgefühl" riet, nämlich Leute wie ihn, Julius, nicht zur Pflege und Bedienung von Maschinen einzuteilen, wenn es dort draußen noch so viele Möglichkeiten gab, wie Menschen mit und ohne Magie miteinander ins Gehege kommen mochten.

Nach dem Vorstellungsgespräch arbeitete Julius in seinem eigenen Büro weiter. Jetzt hatte er die endgültige Gästeliste von Seiten Gabrielles. Die Einreiseformalitäten wegen Fleurs Familie waren schon fast durchgeackert. Wenn er die Liste als unbedenklich markierte und per Blitzeule nach London schickte musste nur Amos Diggorys Zauberwesenbehördenleiter gegenzeichnen und auch die Abteilung für magischen Personenverkehr, damit die Gäste aus Großbritannien mit einem Portschlüssel ankommen konnten.

Übermorgen würde er wissen, ob bei den Marceaus noch was zu regeln war. Auf das kleine Schloss Trois Étoiles bei Amien war er schon sehr gespannt.

Als er nach einem langen Innendienst erst in seinem Büro und dann im Computerraum wieder nach Hause kam freute er sich auf seine Freizeit. Auch wenn ihn die Arbeit gut geschlaucht hatte fand er trotz der Sommerhitze noch genug Schwung, um mit seinen beiden ersten Kindern zu toben. Aurore wollte wissen, wann Claudine wiederkam. Julius erwähnte, dass Claudine jetzt wieder in dem Haus in der großen Stadt sei und dass sie von da nicht mehr so einfach zu ihr hinkommen konnte.

"Die Claudine kann bei uns wohnen", sagte Aurore. Julius hätte darüber fast gegrinst. Dann sagte er, dass ihre Maman und ihr Papa aber in der großen Stadt arbeiteten und dann ja jeden Morgen da hin müssten, was gerade für Claudines Papa, der keinen Zauberstab nehmen konnte, ganz schwer wäre. Das musste Aurore jetzt noch nicht verstehen. Julius reichte jedoch, dass sie erkannte, dass Claudine nur zu Besuch gewesen war und nicht andauernd hier wohnte.

Nach dem Abendessen übten die Latierres wie fast jeden Abend die beiden Musikstücke ein, die sie Patricia zur Hochzeit spielen wollten. Als Aurore sichtlich ermüdet aussah erzählte Julius ihr noch eine Gutenachtgeschichte aus der Welt von Madrashainorian. Für Aurore mochte das wie ein Märchen rüberkommen und für ihn war es eine schöne Gelegenheit, das in ihm aufgeblühte Wissen eines jungen Zauberers aus dem alten Reich nicht aus den Erinnerungen zu verlieren.

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Auf den Rängen johlten, jubelten, riefen und sangen die Fans beider Mannschaften. Es war jedesmal wieder ein Rausch, wenn er mit seinen sechs Kameraden aus der Bodenluke herausflog, um sich den Zuschauern zu zeigen. Doch es war anders als vorher. Die Spiele davor hatte er vom Jubel und Lärm bedröhnt das innige Gefühl verspürt, mit seinen Kameradinnen und Kameraden eins zu werden, ein Wille in sieben Körpern. Dieses Gefühl blieb heute aus. Da wusste er mit Sicherheit, dass er nicht mehr dazugehörte. Aber statt darüber bestürzt oder betrübt zu sein oder sich schuldig zu fühlen empfand er große Freude und Genugtuung. Er hatte den ersten Schritt getan, um einen fortgesetzten Betrug zu beenden. Der zweite und entscheidende Schritt würde sein Spiel sein.

Er sah seine unmittelbare Gegnerin, die kleine, kugelrunde Corinne Duisenberg auf der anderen Feldseite stehen und in die jubelnde Zuschauermenge winken. Sie war zuversichtlich, gewinnen zu können.

Die beiden Kapitäne Kelly Grumman und Armin Kuiper schüttelten sich zur Begrüßung die Hände. Dann ließ Schiedsrichterin Ilva Gudmunsdottir aus Island die Bälle frei, erst den goldenen Schnatz, dann die beiden wilden Klatscher und mit einem zeitgleich ertönenden Pfiff auf der Trillerpfeife den scharlachroten Quaffel.

Unverzüglich stieg Donovan auf eine sichere Beobachterposition über dem Spielfeld. Auch Corinne Duisenberg bezog eine günstige Wartestellung. Unter ihnen tobte die Partie. Die Belgier kassierten bereits nach nur zehn Sekunden das erste Tor durch Archibald Leary. Donovan sah sich um, wo der Schnatz war. Bei den letzten Malen hatte er den erst nach zwei Minuten gesehen, weil dieser goldene Ball so schnell war, dass er innerhalb von Sekunden von einem Spielfeldende zum anderen flitzen konnte. Doch irgendwann kam die Phase, wo er immer wieder über einem Punkt verharrte. Dann beschloss er, nur auf Corinne zu achten. Flog die los und er fühlte, dass es kein Bluff war, dann würde er ihr folgen. Denn das Spiel da unter ihm rührte ihn gerade nicht an. Es war eine einzige Täuschung, das wusste er jetzt. Hatte er die letzten Spiele mit seinen Kameraden diesem immer stärker werdenden Drang, zu gewinnen gehorchen müssen, sah er im Moment nur Corinne Duisenberg vor sich. Er hatte gehört, dass sie über eine besonders gute Intuition verfügte, zu erkennen, wann ein Gegenspieler sie verladen wollte oder nicht. Aber offenbar war diese Intuition nicht so stark, dass ihr deshalb Spielverbot erteilt wurde.

Er hörte am Jubel der mitgereisten USA-Fans, dass seine Mannschaft schon das zweite Tor in zwanzig Sekunden geschossen hatte. Vielleicht war es Einbildung, weil er damit rechnete. Doch er meinte einige Belgienfans "Das ist Schiebung!" rufen zu hören. Plagte ihn nun das schlechte Gewissen, weil er seine Kameraden bewusst hinterging? Nein, er fühlte sich nur schuldig, weil er einer jungen Hexe die Erhabenheit des ersten Mals abgeschwatzt hatte, wo sie sicher erst in ihrer Hochzeitsnacht dieses beglückende Erlebnis haben wollte. Aber sie hatte ihm angeboten, ihn dadurch aus dem falschen Glückszauber zu lösen.

Er fühlte es er als es zu sehen, dass einer der belgischen Treiber ihm einen Klatscher entgegenschmetterte. Ohne den Blick von seiner direkten Gegenspielerin zu nehmen doppelachserte er so, dass der ihm geltende Eisenball um eine ganze Besenlänge hinter ihm vorbeizischte und nun im Zickzackflug auf Corinne Duisenberg zusteuerte. Dann wusste er, dass auch der zweite Klatscher in seine Richtung gedroschen wurde. Doch diesmal blieb er in Flughöhe und -richtung, weil er fühlte, dass der Ball ihn nicht treffen konnte. Tatsächlich sah er Taffy Rockwell, die wild entschlossen vor ihm nach oben stieß, mit einer geschmeidigen Armbewegung ausholte und den ihm zugedachten Klatscher mit solcher Wucht nach unten schmetterte, dass der schwarze Eisenball auf den Boden schlug. Auch wenn es sicher ein Teilerfolg sein mochte, wenn Corinne getroffen würde jagte Taffy dem auf diese zusausenden Klatscher nach. Denn gerade knäuelte sich weiter unten alles vor Lucys Torringen. Die Jäger der Belgier wollten es nun wissen, ob diese unüberwindliche Hexe aus dem Stamm der Navajos nicht doch zu überwinden war. Taffy zielte kurz aber genau und drosch den Corinne zugedachten Klatscher wieder nach unten, um einen der Jäger der Belgier zu treffen. Dieser bekam den Klatscher auch voll gegen den rechten Ellenbogen und verlor den gerade geführten Quaffel. Schiedsrichterin Gudmunsdottir pfiff eine Auszeit.

Nach nur einer Minute war Jäger van Boeren wieder spieltauglich, und das muntere Toreschießen ging weiter, allerdings ausschließlich für die drei Jäger der USA. Nach knapp fünf Minuten stand es bereits 12:0 für die USA. Wenn das so weiterging würde Corinne der Schnatzfang nichts nützen.

Donovan sah den Schnatz im Licht der Abendsonne aufblitzen. Er flog gerade hinter der mittleren Torstange der Belgier vorbei nach oben und musste einem von Kelly gespielten Klatscher ausweichen. Donovan fühlte, dass er nicht länger hier oben bleiben durfte, wollte er sicherstellen, nicht wegen Formtiefs ausgewechselt zu werden. Er nahm Kurs auf das belgische Tor. Da sah er, wie der Schnatz im wilden Hui davonwirbelte, genau in Richtung der eigenen Torringe. Corinne hatte das mitbekommen, dass Donovan von seiner Wartestellung abgerückt war und sah den Schnatz nun auch. Sie zielte mit dem Besenende auf den goldenen Ball und flog los. Auch Leary und Grumman hatten mitbekommen, dass die Sucher ihre zugedachte Beute gesehen hatten. Leary bekam gerade den Quaffel zugespielt und flog damit nicht zum belgischen Tor, sondern warf ihn so, dass er den Schnatz passieren musste, um bei Baker zu landen, der Learys Absicht sofort erkannt und sich in die beste Anspielposition geschwungenhatte. Kelly indes holte aus, um einen der Klatscher so zu schlagen, dass dieser genau in Corinnes Flugbahn hineinsauste. Donovan erkannte das und steuerte seinen Flug so, dass er nun genau zwischen Kelly und dem Schnatz war. Kelly konnte ihren Schlag gerade noch am Klatscher vorbeiführen, um nicht den eigenen Sucher zu treffen. Dieser steuerte nun genau auf den Schnatz zu. Doch Corinne hatte durch den Sturzflug mehr Geschwindigkeit. Aber er blieb dran, musste dem Schnatz auf Armreichweite nahe kommen. Das gelang auch, weil der goldene Ball vom gerade vorbeiwischenden Quaffel aus der bisherigen Bahn geworfen wurde. Donovan wusste, eine Doppelachse nach untenund links, und er hatte den Schnatz sicher. Doch er behielt seinen Flug bei. das verschaffte Corinne die eine Sekunde Vorsprung. Als er fast auf eigene Armreichweite heran war und seine linke Hand vorschnellen ließ, schloss sich Corinnes rechte Faust um den geflügelten Spielball.

Totale Stille erfüllte das Stadion. Die bisher "USA holt den Pokal"-Rufe waren so jäh verstummt, als hätte ein das Stadion ausfüllender Schweigezauber sie alle erwischt. Auch die Belgier hielten den Atem an. Doch als alle sahen, wer den Schnatz gefangen hatte brach ein ohrenbetäubender Jubel aus mehr als fünfzigtausend Kehlen los. Die Schiedsrichterin stieß einen langen Pfiff auf ihrer Trillerpfeife aus. Ein Orkan von wild applaudierenden Händen brauste durch das weitläufige Oval des Stadions. Was die Fans der Amerikaner riefen oder taten bekam Donovan nicht mit. Er war damit beschäftigt, einem weiteren Klatscher auszuweichen, den ein belgischer Gegenspieler noch auf ihn angesetzt hatte. Der Ball hätte ihn nicht mehr rechtzeitig erreicht, wusste Donovan. Doch was war den Belgiern noch geblieben?

Don Maveric wich dem Klatscher so spielend leicht aus, als wenn dieser gerade mal mit Schrittgeschwindigkeit auf ihn zugeflogen wäre. Dann hörte er den Stadionsprecher erst auf Italienisch, dann auf Englisch und dann auf Französisch verkünden, dass Belgien nach fünf Minuten Spielzeit durch Schnatzfang 120:150 gewonnnen habe. Als diese Ankündigung durch das Stadion erscholl sah Donovan, wie alle seine Kameraden wie von einem unsichtbaren Blitz getroffen auf ihren Besen zusammenzuckten und dann schlaff über den Stielen lagen. Felix veranlasste ihn, zu landen. Seine Kameraden oder baldige Ex-Kameraden trudelten noch eine Weile umher, bis die Notfalllandebezauberung ihrer Besen ansprach und sie wie frei fallende Vogelfedern langsam zu Boden sanken.

Sofort waren alle drei Medimagier auf dem Feld. Donovan blieb auch auf dem Besen und überlegte, was passiert war. Ihm fiel nur ein, dass sein verfehlter Schnatzfang die vereinte Siegesgarantie durchbrochen hatte und die anderen durch die Magie des Rituals einen Schock erlitten hatten, dass sie gegen alle bisherigen Erfolgsgarantien in einem entscheidenden Spiel verloren hatten. Er bangte, ob seine künftigen Ex-Kameraden jetzt auf dauer so blieben, ja womöglich nicht mehr geweckt werden konnten. Doch dann beruhigte ihn wohl Felix, dass dieser Schock nicht lange anhalten würde. Was ihn anging, so hatte er dadurch jedoch einen Beweis für die Wahrheit der Aussage, die er gleich am Abend noch machen wollte. Allerdings musste er dafür noch einmal aus dem Wohnquartier hinaus. Gelang das nicht, dann musste er hier und jetzt mit einem von der Sicherheit reden. Doch wenn er das hier und jetzt rausposaunte, dass seine Mannschaft betrogen hatte, würden diejenigen im Publikum, die sehen wollten, was der Bezwinger Mexikos und Frankreichs heute erlebte, auf das Spielfeld stürmen und die Mannschaft magisch oder mit bloßen Händen massakrieren. Nein, er musste eine Gelegenheit finden, noch einmal aus dem Haus zu gelangen, bevor es ganz dunkel wurde und es damit für die Nacht fest verschlossen blieb.

Besorgte Stimmen aus dem Publikum riefen nach Heilern für die wohl von der Enttäuschung umgeworfene Mannschaft. Da endlich schafften es die Heiler, den besinnungslosen Aufwecktränke einzuflößen. Als sie dann alle wach wurden bestürmten sie Donovan Maveric und wollten wissen, warum er den Schnatz nicht gefangen hatte. Er erwähnte, warum das nicht gegangen war. "Das hätte gehen müssen, wir konnten doch gar nicht verlieren", schimpfte Morton Baker.

"Es sei denn, dieser kleine Goldjunge hier hat uns alle ausgetrickst", schnaubte Archibald Leary. Darauf machte Kelly "Psst" und deutete zur noch gut besetzten Presseloge hinauf, wo unter anderem Linda Knowles saß.

"Hast recht, die muss uns hier nicht rumzanken sehen oder hören", knurrte Morton Baker. Kelly Grumman nickte.

"Wird unsere Mannschaftssprecherin nicht freuen, aber sehr interessieren, wieso wir dieses so klare Spiel verloren haben", grummelte Douglas McDonald. "Vor allem, warum hat mich das so heftig aus den Schuhen gehauen, ey?"

"Dich auch?" wollte Taffy Rockwell wissen. "Bei mir war's sicher die so plötzliche Enttäuschung, dass wir dieses Spiel vergeigt haben. Hat mir voll Kraft weggerissen und mir schlagartig einen schwarzen Vorhang vor die Augen geknallt."

"Ich werde dazu hier vor allen anderen nichts sagen", erwiderte Heiler Moonfield. Donovan sah und hörte ihm an, dass er offenbar eine Ahnung hatte, sofern er nicht auch schon wusste, was los war.

Donovan horchte in sich hinein, ob er lieber gleich als später zu Sicherheitsleiter Ventifreddi und den Leuten von der IOMSS gehen sollte oder es wie geplant noch vor Sonnenuntergang machte. Sie hatten ja noch zwei Stunden Zeit. Gegessen hatten sie ja vorher schon was leichtes, um genug Kraft zu haben.

"Am besten ist es, wir gehen heute früher schlafen. Dann können wir, sofern Mrs. Gildfork dies bestätigt, einen der ersten Portschlüssel richtung USA nehmen", schlug Moonfield vor. Donovan erkannte, dass der Heiler es sehr eilig hatte, die Mannschaft aus dem Sichtfeld der hiesigen Öffentlichkeit zu entfernen.

"Wenn wir morgen früh so früh aufstehen könnten die Fenster und Türen aber noch verschlossen bleiben", sagte Donovan, der gerade wieder einen tadelnden Blick von Kelly Grumman über sich ergehen lassen musste. Der Heiler sagte: "Nun, unser Haus ist kein Gefängnis. Wenn wir beschließen, früher aufzubrechen, dann kann ich statt des Sonnenlichtes auch eine Uhrzeit festlegen, zu der die Türen wieder geöffnet werden können." Don nickte. Die anderen haderten weiter damit, dass sie den Titel doch nicht gewinnen würden und Belgien sie wieder aus dem Turnier geworfen hatte. Donovan sah es allen an, dass sie ihm all zu gerne die Schuld daran gaben. Natürlich fühlten die mit diesem vertückten Zauber im Blut, dass es auch nur an ihm gelegen hatte. Genau deshalb galt es, sich nachher noch abzusetzen, und zwar so, dass er nicht mehr dazu gezwungen wurde, mit seinen Leuten zusammenzutreffen.

Als alle Zuschauer fort und die Mannschaften wieder unterwegs zu ihrenWohnquartieren waren warf Donovan ein, dass Vita Magica das sicher wieder ausnutzte, dass eine Fangruppe ungehemmt feiern würde. Dann wäre das nichts mit dem frühen Aufbruch, wenn irgendwo ein tückisches Giftgas in der Luft hing.

"Der erste Portschlüssel geht meiner Kenntnis nach um halb sechs los", sagte Moonfield dazu nur.

Donovan verwarf die erste Idee, bereits bei der Pressekonferenz auszupacken, warum sie bisher gewonnen hatten. Nein, das wollte er lieber mit den Sicherheitszauberern alleine klären, ohne gleich von seinen Kameraden zerflucht zu werden. Und dank Heiler Moonfield wusste er auch, dass er die Türverriegelung auf eine Uhrzeit einstellen konnte. Also war der entsprechende Mechanismus in einer der Uhren versteckt. In welcher würde ihm Felix verraten.

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"Julius, das glaubst du nicht!" rief Millie unbedacht laut und weckte damit die schon schlafende Chrysope und Clarimonde auf. Julius eilte schnell zu ihr ins Arbeitszimmer und fragte, was er nicht glauben würde: "Gildforks überstarke Truppe ist aus dem Turnier raus. Corinne hat nach fünf Minuten den Schnatz erwischt und hätte dafür fast beide Klatscher an den Kopf bekommen. Aber jetzt sind die Yankees raus."

"Öhm, wie viele Tore haben die beiden Mannschaften denn geschossen?" fragte Julius. Millie erzählte ihm, dass die US-Mannschaft zwölf Tore gemacht habe, bevor Corinne den Schnatz gefangen habe, was sehr knapp gewesen sei.

"Da wird sich Brittany freuen, dass Bob Bigfoot jetzt doch wieder nach Hause reisen darf", bemerkte Julius dazu. Millie grinste. "Ist auf jeden Fall der Knüller der Woche. Ich warte noch auf Interviews mit Vertretern beider Mannschaften. Dann schreibe ich das noch in eine griffige Form um und digekastel das zu Otto ins Schloss hinüber, damit er das druckt".

"Stimmt, das ist auf jeden Fall der Knüller dieser Woche", sagte Julius. Sie beide konnten nicht wissen, dass sie sich da gründlich irrten. Denn zwei Stunden später pingelte Millies Distantigeminus-Kasten erneut.

"Häh?! Was?! Das gibt's nicht! Öhm, Julius, kneifst du mich bitte mal?"

"Darf ich mir aussuchen wo?" fragte Julius keck. Millie kniff ihm dafür in den Bauch. Er zwickte sie in die linke Wange, bis sie sagte: "Gut, ich merk', kein Traum!"

"Was schreibt dir dein Chef denn aus Bella Italia. Haben Sie Corinne verhaftet, weil sie den Amerikanern den Schnatz weggefangen hat?" wollte Julius wissen. Seine Frau grinste ihn an und sagte: "Fast richtig, Monju. Aber lies das selbst. Dann soll Tante Trice entscheiden, ob meine Mutter das überhaupt wissen darf."

Julius nahm das Pergamentblatt. Er erkannte, dass jemand wohl mit einer Flotte-Schreibe-Feder darauf geschrieben hatte und las zuerst, dass die Nachricht wirklich von Gilbert Latierre kam. Dann bekam auch er immer größere Augen.

Donovan Maveric erstattet Anzeige gegen sich selbst wegen Beteiligung an gemeinschaftlichen fortgesetzten Betruges

Hallo Millie, ich möchte dir schon einmal vorab die mir gerade zugegangene Ungeheuerlichkeit schicken, damit du und Otto euch bereithaltet, noch in dieser Nacht auf die daraus folgenden Ereignisse zu reagieren. Deshalb schicke ich erst dann einen Artikel zu euch, wenn ich weiß, ob die mir zugegangene Behauptung stimmt, ob bereits ermittelt wird und wenn ja, was die Öffentlichkeit davon wissen darf oder nicht. Bitte halte dich bereit!

Vor nicht einmal fünf Minuten hat der Sucher der US-Mannschaft bei Signore Ventifreddi, dem zur Einhaltung der Regeln eingesetzten Ministeriumsmitarbeiter, Selbstanzeige erstattet. Er hat behauptet, seine Mannschaft und er hätten vor zwei Monaten an einem Ritual teilgenommen, dass jedem Teilnehmer und jeder Teilnehmerin größtmöglichen Erfolg bei allen anstehenden Entscheidungen mit Gewinnaussichten oder bei lebensgefährlichen Lagen oder Kämpfen verschafft, also eine Mischung aus der Wirkung von Herakles-Trank, dem Altavelocitas-Elixier und Felix-Felicis-trank bewirkt. Er hat behauptet, dass mehrere aussichtsreiche Kandidaten nur dann diesem Ritual unterzogen werden durften, wenn sie zum einen unverheiratet und V. I. Positiv seien, was geschlechtliche Unberührtheit heißt. Wie und warum dieses Ritual auf unberührte Hexen und Zauberer erfolgreich wirken soll will Maveric bei späteren Vernehmungen darlegen. Ventifreddi hat ihm zwar erst nicht so recht geglaubt, da ja gerade die US-Mannschaft häufiger auf unzulässige Zauber untersucht wurde als die annderen. Maveric führt als Beweis an, dass seine Mannschaft unmittelbar bei Verkündung des belgischen Sieges für mehr als eine Minute gleichzeitig von einem Schwächeanfall betroffen wurde. Allerdings fürchte er um seine Unversehrtheit, da seine Mannschaftskameraden bereits nach dem Spiel Verdacht gegen ihn geschöpft hätten, dass er sich nicht an die getroffenen Vereinbarungen gehalten habe. Deshalb bat er um Schutzhaft. Da Ventifreddi der Sache nicht so recht über den Weg traut und erst mal prüfen will, ob es sowas geben kann, aber er durchaus versteht, dass sich Maveric bedroht fühlt, hat er ihn gleich von den Leuten der Strafverfolgung in Gewahrsam nehmen und an einem uns allen unbekannten Verwahrungsort bringen lassen, der mit dem Codenamen "Casa cinquantuno" bezeichnet wird, also Haus einundfünfzig.

Anzumerken ist noch, dass Phoebe Gildfork wohl versucht hat, Maveric aufzuhalten. Das könnte eine Bestätigung für die Richtigkeit von Maverics schwerem Vorwurf sein und deutet irgendwie darauf hin, dass nicht nur die Spieler, sondern auch die Mannschaftsbetreuung in diese Tat verwickelt sein könnte. Ich weiß, zu viele Möglichkeitsformen für einen ernstzunehmenden Artikel. Aber genau um das zu überprüfen und dann mit den sicheren Tatsachen rüberzukommen bleibe ich mit der US-Kollegin Knowles an der Sache dran.

Allerdings weiß ich nicht, wie das dann bei euch in der Heimat rüberkommt, wenn allein die Behauptung durch die Zeitungen geht, die US-Spieler hätten gemeinschaftlich betrogen. Ich erinnere mich noch zu gut, wie verdrossen deine Mutter dreingeschaut hat, als Frankreich ohne ein einziges Tor niedergebügelt wurde. Deshalb gib bitte nur das an Otto raus, was ich als zu veröffentlichen freigegeben kennzeichne!

Ich hoffe, ich habe euch nicht die Nachtruhe versaut.

Bis dann demnächst

G. L.

"Das ist kein Knüller, das ist der Hammer des jungen Jahrtausends", meinte Julius. "Sollte das echt gehen, dass die ein Ritual durchgezogenhaben, das nicht mit den bekannten Prüfzaubern oder Prüfelixieren nachgewiesen werden kann, dann ist jedes internationale Turnier unmöglich, weil ja keiner mehr weiß, wer fair spielt und wer beschschschummelt", sagte Julius. "Also mir würde das auch ziemlich übel aufstoßen, wenn ich nicht wüsste, ob ein Sieg anständig oder mit faulen Tricks erreicht wurde. Im Muggelsport gibt es ja auch immer wieder Fälle von unerlaubter Leistungssteigerung, Doping genannt. Immer wieder steht ein Wettkampf wie die olympischen Spiele oder eine Fußballweltmeisterschaft auf der Kippe, wenn nicht klar geregelt wird, wie dieses Doping erkannt und wie die dabei erwischten bestraft werden können, ohne gleich das ganze Turnier abzusagen. Ja, und die Sportart in Frankreich, das Radrennen Tour de France, fällt jedes Jahr durch solche Dopingfälle schlecht auf. Da passiert es dann sogar, dass Gewinner, die vor Jahren als große Helden gefeiert wurden, nachträglich wegen erwiesenen Dopings den Gewinn aberkannt bekommen und gesperrt werden."

"Hmm-mm, diktierst du mir das bitte mal gleich in druckreifer Sprache in deiner Eigenschaft als assistierender Mitarbeiter des Muggelverbindungsbüros, Julius?" Er nickte. Mit sowas musste ja rechnen, wer meinte, einen Stegreifvortrag halten zu dürfen.

"So, was genau wollte mein Vetter noch von dir, dass du nicht ins Bett findest, Mildrid Ursuline Latierre?" fragte Béatrice. Millie sah Julius an, der immer noch den Zettel in der Hand hielt. Sie deutete darauf. Julius gab seiner Schwiegertante den Zettel. Nun konnte er beobachten, wie auch Béatrices Augen immer größer wurden und sich ihr Gesicht zu einer verdrossenen Fratze verzog. Dann wiegte sie den Kopf und überlegte wohl, was sie sagen sollte.

"Also, Millie, solange es keine klaren Beweise für diese Selbstanzeige und den Betrug selbst gibt kriegt deine Mutter das nicht zu lesen, zumindest nicht aus eurer Zeitung. Es sei denn, Gilbert kommt noch mit weiteren klaren Angaben herüber."

"Glaubst du echt, mein kleiner Bruder würde deshalb zu früh aus ihr rausfallen, Tante Béatrice", wollte Millie wissen. Die Gefragte nickte heftig. "Hippolyte, also deine Mutter, war schon so ganz wütend, als sie wiederkam, dass ich ihr fast empfohlen hätte, die Monate bis zur Niederkunft ihren Stellvertreter alles regeln zu lassen, was nach der Weltmeisterschaft noch auf ihre Abteilung zukommt. Aber wir Latierres, besonders die Hexen, sind und bleiben ausgeprägte Sturköpfe. Und weil das so ist lege ich jetzt unumstößlich fest, dass du deine beiden jüngsten Kinder beruhigen gehst und dich dann mit deinem Mann schlafen legst. Ich denke mal nicht, dass Gilbert dir in dieser Nacht noch was schickt. In Italien ist es ja auch schon dunkel."

"Tante Trice, jetzt bin ich wieder voll wach. Außerdem wird der garantiert noch was schicken, weil wir ja sonst gerade mal den Sieg der Belgier in die Zeitung reinnehmen können. Und wenn die vom Miroir oder Connie Dornier da auch was im Wind gehört haben kommen die morgen sicher mit einer Extraausgabe raus. Da müssen wir mithalten."

"Millie, soweit ich das hier lese hat er das von Linda Knowles, der mit den magischen Ohren. Das heißt, wenn die das damit gehört haben will, dann heißt es nicht, dass er das nachprüfen kann, ob es auch stimmt. Denn wegen der Schurkereien von Vita Magica ist ja nach zehn Uhr Abends jeder Zu- und Ausgang bei den Mannschaftsquartieren gesperrt, wissen wir ja von deiner Mutter. Also steht alles, was er noch so davon mitkriegt auf ganz ganz wackeligen Füßen und kann vom kleinsten Windhauch umgeblasen werden. Also ab ins Bad und dann ins Bett. Das gilt auch für dich, Julius! Nur weil meine Mutter meinte, dir zusätzliche Lebenskraft einzuflößen musst du trotzdem zwischendurch schlafen, vor allem um dein Gehirn auszuruhen."

"Ich möchte mir aber von ihm hier noch was über diese Doping-Sache diktieren lassen, damit ich das als Zusatz mit reinnehmen kann, wenn Gilbert mehr über diesen Superhammer rüberschickt", sagte Millie.

"Und wenn das Ding da doch ding macht?" fragte Julius und zeigte auf den Distantigeminus-Kasten.

"Wie gesagt denke ich, dass er da erst mal was handfestes und standhaftes finden muss, bevor er es hier hinschickt. Leute, ich möchte euch keine verbindliche Heileranweisung geben, weil ich euch beide für vernünftig genug halte", seufzte Béatrice. "Die Meldung über Belgiens Sieg hast du ja schon abgeschickt, Millie. Also hat dein Onkel Otto notwendiges Futter für die nächste Ausgabe", fügte sie noch hinzu.

"Millie, du kannst die von mir erstellten Berichte über Doping nachlesen, die ich bei der Sache mit Euphrosynes Auserwählten an Nathalie Grandchapeau geschickt habe, ohne zu wissen, was daraus alles folgt", sagte Julius. Millie stimmte ihm zu.

"Also gut, dann gute Nacht ihr zwei", sagte Béatrice.

"Und wenn das Ding doch ding macht?" knurrte Millie, als sie und Julius bettfertig zwischen Badezimmer und Elternschlafzimmer unterwegs waren.

"Hat dir Florymont nicht auch erzählt, dass ein Digeka einen Nachtmodus hat, damit es reinkommende Nachrichten nur einsammelt, aber nicht ankündigt?" fragte Julius.

"Ja und? Den kann Tante Trice nicht einschalten, weil der Digeka einen Körperspeicher hat, der alle Umstellungen nur durchzieht, wenn ich meine rechte Hand drauf liegen habe", flüsterte Millie. Julius grinste und meinte, dass sie den Kasten dann locker in ihr eigenes Schlafzimmer mitnehmen und das zum Klangkerker machen konnte. "Mann! Könnte die echt bringen", schnarrte Millie. Nur deshalb den Kasten selbst ins Schlafzimmer holen, wo sie kein Schreibzeug hatte, wollte sie dann auch nicht. Außerdem wollte sie es sich nicht doch noch mit ihrer Tante verderben, wo diese ihr bei Clarimondes Ankunft so gut geholfen hatte.

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Der geistige Hilferuf erreichte sie gegen zwei Uhr Nachmittags ihrer ortszeit. Sofort stimmte sie sich auf die weit im Osten weilende Doppelgängerin ein. Diese wurde wahrhaftig gerade von mehreren Männern in dreifarbigen Umhängen angegriffen. Die echte Phoebe Gildfork überlegte gerade, ob das wahrhaftig italienische Ministeriumszauberer waren. Falls ja war das eine bodenlose Rechtswidrigkeit, eine international anerkannte Person wie niedere Straßenräuber zu überfallen. Sie dachte daran, mindestens zwei ihrer fünf treuen Hauselfen hinüberzuschicken. Doch die Entfernung war selbst für die dienstbaren Wesen sehr groß. Sie müssten in drei Sprüngen apparieren. Ein auf die Doppelgängerin geschleuderter Schockzauber beendete jede weitere Überlegung. Der Schocker war wie ein Blitz, der alle Sinneseindrücke der anderen ausbrannte und nichts als Dunkelheit und Leere zurückließ. Doch die echte Phoebe, die ihrer Doppelgängerin seit Februar nur noch sehr wenig ähnelte, fühlte die bestehende Verbindung zu ihr als schwache, unhörbare Wellen, die Wellen ihres Atems. Dann jedoch durchfuhr es sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ihr Kopf wurde in nur einer Sekunde bis knapp zum bersten aufgebläht. Vor ihren Augen war nur weißes Licht, und es war ihr, als habe jemand direkt in ihrem Kopf einen zentnerschweren Feuerwerksböller gezündet. Sie kippte nach hinten und fühlte, wie sich die Welt um sie immer schneller drehte und dabei so heftig schwankte wie ein Schiff im Sturm. Dann schwanden ihr erst einmal die Sinne.

Als sie wieder zu sich kam pochte es dumpf und schmerzhaft hinter ihren Schläfen. Ihr Herz quälte sich Schlag um Schlag ab, das nötige Blut durch ihren Körper zu pumpen. Sie öffnete die Augen und sah die Welt wie hinter einem flimmernden Hitzeschleier. Sie erkannte ihre heilkundlich ausgebildete Elfe Witty, die sie auf ihr eigenes Bett gelegt haben musste und gerade mit einem Becher voll übelriechendem Trank vor ihr hockte. "Meisterin Phoebe wurde ohnmächtig. Witty hatte Sorge, die Meisterin könnte der Schlag getroffen haben. Hier, bitte, trink das. Das hilft gegen Kopfweh und Kreislaufschwäche."

"Hast du meinen Kopf untersucht, ob mich nicht wirklich der Schlag getroffen hat, Witty?" ächzte Phoebe Gildfork. "Ja, witty hat Meisterin Phoebes Kopf untersucht. Alles darin ist noch heil, aber sehr geschwächt. Bitte trink das, Meisterin Phoebe!"

"Wehe dir, du hast in diesen Becher reingepinkelt", dachte Phoebe nur. Laut sagte sie nur, dass sie nicht wusste, dass dieser Trank im Haus war. "Witty kennt alle Trankbücher aus Meisterin Phoebes Bücherschrank und hat den Trank gemacht, als Meisterin Phoebe ohnmächtig war."

"Wie viel Zeit war ich ohnmächtig, Witty?" wollte Phoebe wissen. "Fünf Stunden und zwanzig Minuten, Meisterin Phoebe", erwiderte die Hauselfe.

"Das kann's nicht sein", stieß Phoebe aus und pflückte der Elfe den Becher aus der Hand. Sie fragte noch, was mit Astra sei. "Astra und Andromeda schlafen bei Meisterin Phaetusa. Die hat beiden ihre Milch gegeben, und witty hat beide in frische Windeln gewickelt."

"Wie, diese -?" setzte Phoebe an, dachte dann aber, dass es doch besser war, dass ihre unfreiwillige, sehr weit nach der Geburt entstandene Zwillingsschwester die beiden Mädchen gestillt hatte. Immerhin hätten die zwei ja sowieso an denselben Mutterbrüsten liegen sollen, wenn dieser verdammenswürdige Gutmensch Silvester Partridge ihr nicht dazwischengefuhrwerkt hätte. Außerdem steckte in Phaetusa ja auch etwas von ihr, wie in ihr etwas von Pheatusas Vorgänger Chroesus Dime steckte. Also war es egal, wer welche der zwei Töchter nun stillte, eigentlich.

"Ist ihr auch was zugestoßen, Witty?" wollte Wittys Meisterin wissen. Die Hauselfe nickte leicht. "Sie hat starke Kopfschmerzen gehabt, ist aber nicht ohnmächtig geworden. Ich habe ihr schon vor Stunden etwas von dem Trank gegeben, damit sie eure Kinder stillen kann, Meisterin Phoebe.

"Dann ist gut", seufzte Phoebe. Einen Moment lang hatte sie gefürchtet, dass Phaetusa dieselbe Verbindung zu ihrer Doppelgängerin gehabt hatte und somit alles mitbekommen hatte, was dieser passiert war. Doch offenbar wirkte die Verbindung hauptsächlich auf diejenige, die sich grundsätzlich mit der nachgebildeten Phoebe Gildfork verbunden hatte. Silvester Partridges merkwürdiger Zauber hatte das nicht verändert.

Phoebe setzte den Becher mit dem Zaubertrank an und hoffte, dass Witty nicht einer falschen Dosieranweisung aufgesessen war. Denn sie konnte sich nicht erinnern, bei Professor Hemlock einen solch widerlich riechenden Trank gebraut zu haben. Um das Zeug in sich hineinzukriegen hielt sie sich selbst die Nase zu und schluckte mehr todesverachtend als lebenshungrig. Das Gebräu wellte ihren Rachen, ließ ihre Zunge erzittern und fühlte sich in der Speiseröhre an wie ein Erkundungstrupp Ameisen. Doch als das Zeug in ihrem Magen landete fühlte sie wirklich eine heilsame Wirkung. Innerhalb von nur einer Minute fand ihr Herz zu einem weniger krampfhaften Schlagrhythmus zurück, ihre Kopfschmerzen verschwanden. Sie konnte sich sogar wieder voll konzentrieren. Der störende Flimmerschleier vor ihren Augen war ebenfalls weg. Sofort horchte sie, ob sie ihre Doppelgängerin noch spüren konnte. Doch es war, als rutsche sie in einen dunklen Schacht hinein und treibe Sekunden lang in einem sternenlosen Raum. Dann meinte sie, gegen eine grün flackernde Lichtwand zu prallen und wieder heftige Kopfschmerzen zu kriegen. Doch sofort kehrten ihre Sinne zurück. Eine Welle aus Wärme und Munterkeit brandete durch ihren Körper. Der widerliche Trank vertrieb die Auswirkungen des gerade erlebten. Noch einmal versuchte sie es, ihre Doppelgängerin zu erfassen. Doch wieder war da nur ein dunkler Schacht, der mit einem schmerzvollen Abprall von einer grünen Lichtwand endete.

"Meisterin Phoebe darf nicht zu viel Kraft im Denken machen. Noch hilft wittys Trank. Doch das bleibt nur zwei Stunden so", piepste die hilfreiche Hauselfe.

"Aber die, die noch so aussieht wie ich früher, ist in Gefahr, Witty. Wenn ich nicht weiß wo, kann keiner von euch ihr helfen", schnaubte Phoebe Gildfork. Ein unbestimmtes Gefühl von Bedrängnis, ja eigener Hilflosigkeit beschlich sie. So hilflos hatte sie sich nur einmal gefühlt, als sie hatte feststellen müssen, dass die von Dime abgerungene Zwillingsschwangerschaft auf eine ihr völlig unbekannte Weise verfremdet worden war und anstatt zwei Kinder in einem Leib zwei Schwangere mit je einem Fötus entstanden waren.

"Witty, wie geht es meiner werten Zwillingsschwester?" hörte sie auch noch ihre neue Stimme aus einer anderen Richtung. Witty rief zurück: "Meisterin Phoebe ist jetzt wach und kann wieder sprechen. Alles gut, Meisterin Phaetusa!"

"Weiß sie, woran das liegt, was ihr passiert ist?" wollte Phaetusa wissen.

"Hat Meisterin Phoebe Witty nicht gesagt", antwortete die Hauselfe.

"Phaetusa, auch wenn du unsere beiden Kinder satt hältst musst du nicht alles wissen. Es hat mich einfach umgehauen. Mehr ist für dich nicht wichtig", stieß Phoebe aus. Sie dachte, dass Phaetusa sich königlich amüsieren würde, wenn sie ihr erzählte, warum sie derartig niedergestreckt worden war. Ja, und wenn sie der auch noch steckte, dass sie gerade keine Verbindung zu ihrer Doppelgängerin hatte würde diese Verschmelzung aus Dime und ihr heimlich grinsen. Sicher, sie hatte es hinbekommen, dass sie beide sich nicht gegenseitig nach dem Leben trachteten. Sie hatten den Blutpakt der jungen Mütter geschlossen, weil Phoebe Phaetusa angedroht hatte, sie nach der Niederkunft ohne Gedächtnis irgendwo aussetzen zu lassen. Doch der Blutpakt würde die andere nicht daran hindern, Schadenfreude zu empfinden.

"Immerhin habe ich beide Babys an mir saugen lassen, wo ich nicht ein einziges von denen haben wollte", erwiderte Phaetusa. Das hieß wohl, dass sie ein Dankeschön von Phoebe erwartete. Weil die nur noch Dank einer Doppelgängerin reiche und berühmte Hexe merkte, dass Phaetusa und die beiden Mädchen gerade die einzigen Menschen auf der ganzen großen Erde waren, mit denen sie reden konnte ließ sie sich dazu herab und sagte: "Stimmt, das war sehr fürsorglich von dir. Vielen Dank, Phaetusa!"

"Wie ist denn das Quidditchspiel ausgegangen. Haben deine Leute wieder gewonnen?" wollte Phaetusa wissen.

"Nein, einer von denen hat seine Kameraden im Stich gelassen und verraten", schnarrte Phoebe. Als sie es aussprach wurde ihr klar, dass es nur so gewesen sein konnte. Donovan Maveric hatte das ihm zugestandene Glück verachtet und irgendwas getan, um den Schnatzfang zu verpatzen. Dieses kleine, kugelrunde Hexenbalg hatte über ihr Mondgesicht gestrahlt wie die Sonne selbst. Die anderen waren deshalb erst einmal total geschwächt gewesen. Ja, und offenbar hatte Donovan Maveric dann auch noch irgendwem was erzählt, womöglich den Ministeriumsleuten. Nur deshalb hatten die sie, also ihre Doppelgängerin, angegriffenund gefangen und dann betäubt an irgendeinen Ort verschleppt, wo jede Gedankenverbindung unterbrochen war. Sie würde herausfinden, was da geschehen war, und wehe denen, die sie in diese unwürdige Lage gebracht hatten. Dass ihre Doppelgängerin in diesem Augenblick genau dasselbe dachte war das Ergebnis der erfolgreichen Prägezauberei des genialen, wenn auch größenwahnsinnigen Russen Igor Bokanowski, der am Ende doch seine Meisterin gefunden hatte.

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Nachdem sie beide durch die Abstimmung auf Lindas Ohren mitgehört hatten, was mit der Mannschaft und mit Phoebe Gildfork passiert war wussten sie, dass sie gerade in sehr großen Schwierigkeiten steckten. Denn sicher würden die, die Phoebe Gildfork festgenommen hatten, davon ausgehen, dass Linda Knowles es mitgehört haben mochte. Zumindest wussten viele, dass sie dieses biomaturgische Supergehör besaß.

Gerade war sie bei Gilbert Latierre. Er hörte quasi über ihre Ohren mit und lauschte in die Nacht hinaus. Alle Geräusche waren lauter und hatten eine für Normalohren ungewohnte Bandbreite an Obertönen und Zwischenlauten. So klang für Gilbert das Grillenzirpen wie ein jeder klassischen Harmonik fremdes Geigenspiel, bei dem der erste Ton mit kräftigem Bogenstrich und der zweite als dreifach widerhallendes Pizzicato gespielt wurde. Er konnte die schnellen in der Tonhöhe abfallenden Jagdlaute fliegender Fledermäuse hören, die für natürliche Menschenohren unhörbar waren. Ja, und er konnte die in unmittelbarer Nachbarschaft atmenden Menschenund ihre dumpfen Herzschläge hören. Dann vernahm er das, womit er seit der Festnahme Phoebe Gildforks hatte rechnen müssen, ein leises Rauschen sich in Reisigbündeln verfangender Luft.

"Sie haben es also echt auf uns abgesehen", flüsterte er Linda.

"Ja, sie kommen hierher. Sind gerade noch fünfhundert Meter weit. Die ersten sind schon im Sinkflug", erwiderte sie ebenso stimmlos.

"Sie wirken Aufhebungszauber gegen die dein Haus umspannenden Schutzzauber", interpretierte Linda das nun für beide hörbare Wimmern und Prasseln.

"Klar zum Abrücken!" zischte Gilbert mit auf die offene Schranktür deutendem Zauberstab. Laut Klappernd und Raschelnd flogen seine Kleidungsstücke und seine Ausrüstung in einen halbhohen Rucksack. Zum Schluss gab der Distantigeminuskasten zwei kurze Pinglaute von sich, was hieß, dass er sich transportfertig machte, bevor er ebenfalls in den Rucksack eingesaugt wurde wie von einem unsichtbaren Strudel. Dann klappte sich der Rucksack von selbst zu und verschloss sich. "Sie haben die ersten Barrieren aufgelöst oder unterbrochen, Gil", wisperte Linda.

"Habe ich dir eigentlich schon die Leihgabe meines verschwägerten Vetters gezeigt?" flüsterte Gilbert mit nur für Linda verständlich lauter Stimme. Dann zog er eine silberne, kugelförmige Flasche unter seinem Umhang hervor, die ihr bisher nicht aufgefallen war. "Wenn ich und jemand mir wichtiges in Gefahr ist kann die Flasche mich und den den oder die anderen Menschen in sich einsaugenund aus eigener Kraft ..." Plopp! Mit einem metallischen Laut, der wegen der Gehörabstimmung gerade wie eine von Druckluft aus einem sehr engen Rohr abgefeuerte Kanonenkugel klang, sprang die Flasche auf. Die Kette löste sich im gleichen Moment. Dann war es Linda, als würde der sie umgebende Raum wie ein übergroßer Ballon aufgeblasen. Die Luft wurde dichter und schwerer zu atmen. Dann fühlte sie, wie sie von einem Sog erfasst wurde. Gilbert schaffte es noch, den Rucksack richtig umzuschnallen. Dann flogen er und Linda durch den immer noch wachsenden Raum auf eine frei schwebende Kugel zu, an der von jeder Seite eine Kette mit immer dickeren Gliedern hing. Dann sah sie, wie sie und er in einen glitzernden Schlund hineingerieten und in einen dunklen Raum überwechselten. Sie fühlte noch den Anprall an eine nach außen gewölbte Wand und purzelte auf dem genauso gewölbten Boden herum. Mit lautem metallischen Knall wurde über ihnen eine schwere Luke zugeschlagen und leise knirschend verriegelt.

Ein leiser Ton erklang, der in der Höhe anstieg und zu einem Schwirren wurde. Es fauchte einmal kurz. Dann blieb das Geräusch auf derselben Tonhöhe und Lautstärke.

Gilbert nahm seinen Zauberstab und machte damit Licht. Nun konnte Linda sehen, dass sie in einem großen, kugelförmigen Raum mit einer einzigen silbern glänzenden Wand saßen. Über sich konnte sie eine kreisrunde Linie erkennen, wohl der einzige Zugang zu diesem Raum. Sie lauschte. Außer dem schwirrenden Geräusch konnte sie nichts von draußen hören. Ja, aber sie hörte auch nicht mehr Gilberts Herzschlag und Verdauungsgeräusche. Sie wiegte ihren Kopf. Dann begriff sie alles.

"Hat uns diese bauchige Flasche echt eingeschrumpft und eingesaugt, oder träume ich das gerade?" fragte sie und hörte ihre Stimme als metallischen Widerhall.

"Schön wäre es, wenn wir den ganzen Tag nur geträumt hätten, Linda. Aber wir erleben das gerade echt. Du hast ja erzählt, dass du deine Sachen nie in großen Koffern mitnimmst. Wenn die in deiner Tasche da sind sind die mit eingeschrumpft worden, ohne den Rauminhaltszauber zu verfälschen", sagte Gilbert. Dann offenbarte er seiner Begleiterin, was es mit der silbernen Flasche der Latierres auf sich hatte. Linda erstaunte und fragte, ob die Leute, die sie ergreifen wollten das nicht nachbetrachten konnten. "Sollen die versuchen. Aber wo immer dieses Fläschchen ist wirkt ein Unortbarkeitszauber, der sogar den Menschenfinder abwehrt. Da ja mittlerweile alle Wichtel auf den Dächern darüber zwitschern, dass Florymont Dusoleils Rückschaubrille bei dauerhaft wirkenden Unortbarkeitszaubern versagt können die unsere Flucht nicht nachbetrachten", grinste Gilbert. "Die können höchstens noch nachbetrachten, wie du dich in dieses behaarte Mottenviech verwandelt hast, um zu mir rüberzuflattern, als du mitbekommen hast, dass Maveric sich den Italienern gestellt hat."

"Stimmt, ja, das könnten sie", knurrte Linda Knowles. "Dabei bin ich als großer bunter Admiralsfalter wesentlich schöner als als kleiner grauer Nachtfalter mit den ganzen Haaren. Nur, dass ich dann nicht mehr hören kann und hoffen muss, dass die Haare die Jagdlaute der Fledermäuse gut genug schlucken, um mich nicht als lohnende Beute anzuzeigen."

"Apropos deine Ohren, gehen die noch so wie sonst?" wollte Gilbert wissen.

"Ist schon ein komisches Gefühl, als hätte mir wer dicke Ohrenschützer aufgesetzt, aber ich dich trotzdem noch deutlich verstehen kann. Liegt auch an der Einschrumpfung. Womöglich ist mein Gehör gerade bei dem Bruchteil unserer natürlichen Körpergröße", erwiderte Linda Knowles.

Gilbert prüfte die Uhrzeit der trotz Einschrumpfung noch tadellos laufenden Armbanduhr und erwähnte, dass sie wohl in zwanzig Minuten in Paris sein würden, da sie gerade mit der in der Luft möglichen Schallgeschwindigkeit unterwegs waren. "Und die Mutter deines Schwiegervetters hat diese Flasche mit Zwergenmagie bezaubert?" wollte Linda wissen. Gilbert hatte keine Probleme damit, es ihr zu bestätigen, wies jedoch darauf hin, dass sie wohl eher nicht wissenwolle, wie genau sie das gemacht habe. Linda schüttelte sich und sagte, dass sie es schon einmal gesehen hatte, wie eine Zwergin einen Haushaltsgegenstand bezaubert hatte und sie das genauso wie den Tod der Entomanthropenlarven lieber nie erlebt hätte. Das nahm Gilbert als erwartete Antwort hin.

Als sie dann wahrhaftig mit deutlichem Poltern landeten warteten sie, bis jemand von außen sagte: "Hier ist es sicher." DA sprang der über ihnen liegende Verschluss laut klirrend auf. Ein unbändiger Luftstrom blies sie beide hinaus. Kaum waren sie durch den schmalen Schlund hindurch und in einen scheinbar viele hundert Meter großen Raum hinausgelangt begann dieser auch schon in sich zusammenzustürzen. Linda merkte, wie ihr Gehör wieder besser wurde. Dann fand sie sich neben Gilbert auf dem Boden eines Wohnzimmers mit gerade nicht brennendem Kamin wieder. Vor ihnen stand ein kleiner Mann, nicht größer als ein achtjähriger Junge, aber mit Spitzbart und verwegen dreinschauenden Augen. "Oh, Gil, hast du mit der Dame nicht genehmigte Turnübungen gemacht, oder warum wollte euch wer dafür an den Kragen, dass die Glücksflasche euch beide weggetragen hat?" wisperte der leise, als gelte es, niemanden aufzuwecken. Gilbert deutete auf sich und Linda und meinte: "Dannhatten wir aber noch alle Zeit der Welt, uns anständig anzuziehen, du Giftzwerg. Deine Frau schläft?"

"Ja, im Moment noch, Gilbert. Durch den Kleinen, den sie trägt ist sie in den letzten Tagen sehr leicht reizbar. Also bitte nicht das brütende Drachenweibchen kitzeln", wisperte er. Dann sah er Linda Knowles an. "Tja, jetzt kennen Sie eines der größten Geheimnisse meiner Familie, junge Dame. Ich hoffe mal, Sie erkennen, dass dieses Ihren hübschen Hintern gerettet hat und pinseln das nicht groß in Ihre Zeitung rein."

"Es gibt im Moment wesentlich brisandteres Zeug, was ich dort "hineinpinseln" muss. Dabei wollte ich das, was ich schon mitbekommen habe eigentlich auch für mich behalten", wisperte Linda. "Gut, hier können Sie nicht bleiben, sonst wird meine Frau eifersüchtig und die noch jüngste von uns will wissen, wo Sie herkommen. Also", flüsterte der kleine Zauberer und zog seinen Zauberstab. "Stupor!" Linda wollte gerade was entgegnen, als sie schon von einem roten Blitz am Bauch getroffen wurde und die Besinnung verlor.

Als sie wieder aufwachte lag sie auf einem Bett und trug ein hellgrünes, geblümtes Nachthemd. Sie sah eine sehr füllige Hexe mit schulterlangem Schopf über dem Bett, auf dem sie lag. Diese Hexe erkannte sie natürlich. "Willkommen im Sonnenblumenschloss, Mademoiselle Knowles", wurde sie in für Normalohrige angenehmer Lautstärke auf Französisch begrüßt.

"Warum hat dieser Halbzwerg mich betäubt?" fragte Linda Knowles ein wenig verstimmt. "Weil bei allem Respekt für Sie als zuverlässige Kollegin meines Neffen und als faire Reporterin Sie dann doch nicht alle Geheimnisse meiner Familie mitbekommen müssen, wo sie das Geheimnis der Silberflasche mitbekommen mussten. Mein Vater hätte Ihnen dafür womöglich einen Gedächtniszauber auferlegt. Aber wir wissen von Gilbert, dass das, was Sie beide erlebt haben zu bedeutsam ist, um an Ihrer Erinnerung herumzufuhrwerken."

"Öhm, nur zur Gewissheit: Bin ich nun Ihr Gast oder Ihre Gefangene, Madame Latierre?" wollte Linda wissen.

"Unser Gast, bis Sie aus freien Stücken beschließen, ob sie in Ihre Heimat zurückkehren können oder nicht. Da Sie nun hier sind kann ich Ihnen im Schutz der vielen Zauber unseres Schlosses sagen, dass Sie keinem außenstehenden, der nicht Latierre heißt, erzählen oder in welcher Form auch immer mitteilen können, wie genau Sie aus Italien geflohen sind. Vielleicht können Sie sich eine besondere Geschichte ausdenken, wie sie entkommen sind." Linda Knowles verstand. Sie hatte schon von den Geheimnisschutzzaubern mächtiger und alter Familien gehört. Die Latierres, die auch mit den Lesauvages verwandt waren, gehörten zu diesen alten und mächtigen Familien.

"Dann ist es wohl auch besser, wenn erst einmal keiner außerhalb Ihrer Familie erfährt, dass wir hier sind, richtig?" fragte Linda Knowles. "Das sehen Sie wohl leider richtig, Mademoiselle Knowles", bestätigte die vollschlanke Hexe, die Linda wesentlich sympathischer erschien als Phoebe Gildfork oder George Bluecastle.

"Dann schlafen Sie sich besser erst einmal aus. Ihre Sachen liegen da über dem Stuhl. Ich werde Sie morgen meinen Kindern als über Nacht zugereiste Bekannte meines Neffens vorstellen, was der Wahrheit nahe genug kommt. Falls Sie Kontakt zu Ihrer eigenen Zeitung aufnehmen möchten kann Gilbert entsprechende Eulen vom Postamt in Paris oder Millemerveilles verschicken."

"Danke für das Angebot. Ich hoffe, ich muss Ihre Gastfreundschaft nicht zu lange beanspruchen", erwiderte Linda Knowles. Ihr gingen gerade unzählige Gedanken durch den Kopf. Wie sollte sie ihre Flucht erklärenund begründen? Welche Auswirkungen würde ihr Verschwinden auf Donovan Maveric und Phoebe Gildfork haben. Ja, welche Auswirkungen würde es auf die ganze europäisch-amerikanischen Beziehungen haben? Was sollte sie Lady Sevenrock mitteilen? Denn ihr war klar, dass die geheime Shwesternschaft, in der sie Mitglied geworden war, ebenfalls sehr an dem Glück der US-Nationalmannschaft interessiert sein mochte.

__________

"Wie, die sind beide weg, der Franzose und diese scharfohrige Reporterhexe?" polterte Minister Bernadotti, als ihm wenige Stunden nach der vereitelten Festnahme von Linda Knowles Bericht erstattet wurde. "Wenn sie rausfindet, wer genau das vermurkst hat hat der oder die besser schon ein Testament geschrieben", blaffte er im Schutze seines dauerklangkerkersicheren Konferenzraumes in Rom. Die von der Decke herabhängende rote Rose bekräftigte, dass nichts von dem hier gesprochenen nach draußen dringen durfte. Ventoforte, der Strafverfolgungsleiter, der im Auftrag des Ministers und somit auch der einen wahren Königin sicherstellen sollte, dass es weder für Maverics Selbstanzeige noch die vereitelte Festnahme der US-Nationalmannschaft und der gelungenen Festnahme Phoebe Gildforks einen Zeugen gab, fühlte sich regelrecht zusammengestampft. Denn den Schuh von wegen, wer daran Schuld trug konnte er sich sehr leicht anziehen. Er hatte doch gewusst, dass Knowles mithören konnte, was beim Festnahmeversuch der Mannschaft abgelaufen war. Immerhin hatten sie es nun so gedreht, dass eine Einsatzgruppe von Vita Magica die Mannschaft überfallen und zur Flucht getrieben hatte. Sie konnten nur hoffen, dass Linda Knowles, wo immer sie war, erst einmal keine Verbindung zu ihrer Zeitung haben würde. Doch wenn sie mit diesem kurzhaarigen Franzosen Latierre geflüchtet war mochte das eine sehr vage Hoffnung bleiben.

"Es galt und gilt, die Machenschaften der Americani möglichst lange geheim zu halten, bis die Königin alles darüber weiß, was ihr wichtig ist", predigte der Minister, wohl wissend, dass der große Kessel schon umgekippt und ausgelaufen war. "Also, falls die Entflohene irgendwas davon in Umlauf setzt oder ihr Fluchthelfer und Komplize bei der unangemeldeten Ausreise aus Italien unter Benutzung der Magie, so müssen wir weiterhin darauf beharren, dass nicht wir, sondern Vita Magica diese Zugriffsversuche zu verantworten hat. Das war's für's erste. Sie dürfen an Ihre Arbeit zurückkehren ... und machen Sie diese gütigst richtig! Weitere Stümpereien und Fehlschläge wird sie Ihnen nicht durchgehen lassen", verabschiedete der Minister die Anwesenden aus der Besprechung. "Albano, Sie bleiben noch hier!" zischte er dem rechts von sich sitzenden Ventoforte zu. Dieser nickte ergeben. Als alle den Besprechungsraum verlassen hatten und die Tür von selbst ins Schloss gefallen war fragte der Minister seinen obersten Ordnungshüter:

"Warum hat es so lange gedauert, bis Sie erkannten, dass es günstiger für uns sei, diese viel zu scharfohrige Reporterin als Zeugin vorführen zu lassen und gegebenenfalls mit Gedächtniszauber zu belegen?"

"Weil es erst einmal darum ging, die von Ihnen erteilte Anweisung, Phoebe Gildfork in der versunkenen Burg unterzubringen, auszuführen. Erst als dies erledigt war wurde mir bewusst, dass Signorina Knowles möglicherweise mitbekommen hat, dass wir und nur wir sie ergriffen haben können. Da die Schutzzauber um die Wohnquartiere genau dafür gedacht sind, einen feindlichen Überfall möglichst lange hinauszuzögern dauerte es zwei Minuten, obwohl meine Leute die entsprechenden Aufhebungspasswörter und die einzuhaltende Reihenfolge kannten. Diese Zeit haben Gilbert Latierre und Linda Knowles genutzt, um wie auch immer zu flüchten. Mein Mitarbeiter Torricelli will noch eine silberne Kugel aus einem der geschlossenen Fenster hinausfliegen gesehen haben. Als er darauf zielte, um sie zu stoppen sei sie jedoch so schnell davongerast, dass sein Zauber sie nicht mehr getroffen hat. Leider konnte das Retrocular außer einem flirrenden grauen Nebel nichts mehr im Schlafraum Gilbert Latierres anzeigen, und Linda Knowles konnte nur noch dabei beobachtet werden, dass sie in Gestalt eines grauen Nachtfalters zu ihm hinübergeflogen und dabei in diesen grauen Nebel hineingeraten ist."

"Gut, wir würden zu viele weitere Wichtel auf die Dächer jagen, wenn wir die beiden zur Fahndung ausschrieben. Wir konzentrieren uns darauf, jede von ihnen verbreitete Meldung als Verwirrungstaktik Vita Magicas zu verbreiten."

"Öhm, Ihnen ist sicher bewusst, dass Vita Magica sich eine derartige Falschmeldung nicht lange bieten lassen wird, Signore Ministre?" fragte Ventoforte. "Glauben Sie mir Albano, vor Vita Magica habe ich die allerwenigste Angst", gestand ihm der Minister im Schutze des Klangkerkers und der immer noch von der Decke hängenden Rose ein. Ventoforte erkannte, dass er genauso denken sollte. Die wahre Herrin und Königin würde jeden weiteren Fehlschlag grausam bestrafen. Sie alle lebten nur, weil sie gebraucht wurden. War ihre Brauchbarkeit dahin, galt das auch für ihr Leben. Vita Magica würde keinen magischen Menschen töten. Die würden sich damit begnügen, die ihrer Ansicht nach schuldigen in unschuldige Neugeborene zurückzuverwandeln oder eine Zahl neuer magischer Kinder auf den Weg zu bringen.

"Was wissen wir schon von Maveric und was von Gildfork?" wollte der Minister nun wissen. Ventoforte übergab ihm mehrere Pergamentbögen mit Vernehmungsprotokollen. Phoebe Gildfork war in der Kammer der frei fließenden Erinnerungen, einer Errungenschaft aus dem 16. Jahrhundert, die in der versunkenen Burg eingerichtet worden war.

"Also, Maveric konnte nicht angeben, wo und von wem dieses Ritual vollzogen wurde. Auf die Frage, mit wem er denn, um dessenZauber zu beenden die Früchte der Liebe gepflückt hat berief er sich auf den Fidelius-Zauber, den er mit dieser Person ausgeführt hat. Er hat also weder verraten, ob es eine Hexe oder ein Zauberer war, richtig?" Ventoforte bestätigte das und verwies darauf, dass Maveric die ganze Zeit unter Einfluss von Veritaserum gestanden hatte, also nicht lügen konnte. Er selbst habe ihn dann auch legilimentiert, um vielleicht doch die Person zu ermitteln, die mit dem jungen Sucher geschlafen haben sollte. Doch er habe keinerlei Erinnerungen erfassen können, die einen Geschlechtsakt betrafen. Nicht mal feuchte Träume habe er auf diese Weise erkennen können, so Ventoforte.

"Diese Person muss von ihm über den Grund für diesen Beischlaf unterrichtet worden sein, sofern es keine Wonnefee aus dem diskreten Gasthaus war." Ventoforte nickte. "Dann läuft da also jemand unter den Besuchern der Weltmeisterschaft herum, der oder die durch Fidelius-Zauber geschützt weiß, dass Donovan Maveric ein für die Weltmeisterschaft verbotenes Erfolgsritual mitgemacht hat. Das wird sie auch nicht erheitern, Albano", raunte der Minister.

"Ja, aber diese Person kann auch nicht mal eben behaupten, von diesem Ritual gehört zu haben."

"Ich fürchte, Ihr Posten steht bald zur Neubesetzung an, Albano. Wie seltendämlich kann einer sein, der in diesem Ministerium die Durchsetzung der Gesetze überwacht?!" bellte Bernadotti höchst ungehalten. Ventoforte wollte schon ansetzen, diese Beleidigung und die Androhung weit von sich zu weisen, als der Minister nachlegte: "Wenn es der Geheimniswahrer oder die Geheimniswahrerin bei dem Fidelius-Zauber ist, steht es ihm oder ihr frei, außerhalb unseres Hoheitsbereiches frei und unbekümmert auszuplaudern, was Maveric der Person anvertraut hat, ja es sogar in alle großen Zaubererweltzeitungen hineinzusetzen oder noch besser, vor allen Rundfunkreportern der Zaubererwelt lang und breit zu schildern, wie es mit ihm war. Oder hat Maveric zumindest verraten, ob er der Geheimniswahrer ist?"

"Nein, hat er nicht." Bernadotti verzog nur sein Gesicht. Dann las er den Bericht der bisherigen Auswertung der Erinnerungsüberwacher in der versunkenen Burg.

"Ja, und hier steht, dass Phoebe Gildforks Erinnerungen alle mit einem leichten Dunstschleier verhüllt sind, als habe sie ihr ganzes bisheriges Leben in einem von leichtem Dauernebel erfüllten Land und gleichfalls vernebelten Innenräumen zugebracht. Über das Ritual selbst ist trotz gezielter Hinlenkungsbestrebungen nichts zu Tage gefördert worden."

"Das erklären sich die Erinnerungsüberwacher damit, dass sie genau diese Kenntnisse ebenfalls mit Fidelius-Zauber oder Divitiae-Mentis-Zauber verschlossen hat. Mit ebendiesem hat sie sicher auch die Angaben über das ihr verfügbare Gold- und Wertgegenstandsvermögen verschlossen. Zumindest konnten die Überwacher darüber auch nichts erfahren."

"Und dieser angebliche Nebelschleier, der über allem liegt und vieles nicht deutlich erkennbar hält?" wollte der Minister wissen.

"Das sieht wahrlich ähnlich einem über alle ihre Erinnerungen greifenden Gedächtniszauber aus, als hätte sie das alles nicht wirklich erlebt, was sie als erlebtes Leben empfinden mag."

"Moment mal! Wurde sie auf Vielsaft-Trank-Benutzung geprüft?" fragte der Minister, der gerade sehr verstört dreinschaute. Ventoforte erschrak. Diese Möglichkeit hatte er bisher nicht bedacht. Er erbleichte und schüttelte schwerfällig den Kopf. Gleichzeitig riss er die Arme vor sich hoch, als gelte es, einen ihm geltenden Schlag abzublocken.

"Dann holen Sie das gütigst plötzlich schnell nach, wenn ich bitten darf, Signore Ventoforte", schnarrte der Minister sehr bedrohlich.

Eine stunde später stand fest, dass Phoebe Gildfork in den letzten drei Monaten nicht mit Vielsaft-Trank in Berührung gekommen war. "Dann haben wir entweder die falsche Person, um mehr über das Ritual zu erfahren oder sie birgt dieses mit allen anderen Erinnerungen in einem für gewöhnliche Legilimentoren unzugänglichem Zustand in ihrem Geist", sagte der Minister, als er das Ergebnis gelesen hatte. Dann sah er noch einmal Ventoforte an, der die eine Stunde genutzt hatte, ein kurzes aber rechtskräftiges Testament abzufassen.

"Sie sagt, wir zwei dürfen weiterleben, wenn wir es schaffen, das niemand außerhalb unseres Zuständigkeitsbereiches von dem Ritual erfährt oder wenn wir die Gefangene Gildfork dazu bringen, alles zu verraten, was sie von ihr wissen will. Sie sieht es so, dass ein Imperius-Fluch oder Veritaserum nicht hervorholen wird, was die Erinnerungsenthüllungskammer nicht schon hervorgeholt hat. Sie soll eingeschworen werden. Deshalb werden Sie mit ihr heute nach Sonnenuntergang zur Grenze der Residenz bei Florenz reisen und dort aus gebotener Entfernung mitverfolgen, was geschieht. Von dem, was die Königin erfährt macht sie abhängig, wie brauchbar Sie und ich für sie sind."

Gegen Mittag erfuhr Ventoforte von Enzo Pavone, dem Leiter der Abteilung für magische Spiele und Sportarten, dass die geflohene US-Quidditchnationalmannschaft wahrhaftig bis Frankreich durchgekommen war und auf Grund eines nicht näeher erwähnten Zaubers in Millemerveilles in tiefe Ohnmacht gefallen war. Damit stand fest, dass die Franzosen drauf und dran waren, ebenfalls hinter das Geheimnis des dauerhaften Erfolges dieser Mannschaft zu kommen. Damit war das Vorhaben, alles über das Ritual geheimzuhalten hinfällig. Minister Bernadotti und sein Mitarbeiter Ventoforte bangten daher schon, demnächst ihr Leben zu verlieren.

Nach Sonnenuntergang reiste Albano Ventoforte so heimlich er konnte nach Venedig. Dort fuhr er mit einem getarnten Segelboot einige Meilen auf das Meer hinaus. An der vorgesehenen Stelle stieg ein gläserner Zylinder aus den vom Mondlicht versilberten Fluten. Ventoforte stieg vom Boot in den für drei normalgroße Menschen ausgelegten Zylinder um, ein Meisterwerk venizianischer Thaumaturgen, die hermetische Magie und die hohe Kunst der Glasmacher vereint hatten. Im Zylinder selbst sank Ventoforte nun in die Tiefe des Meeres, vorbei an nachtaktiven Fischen, bis er über dem mittleren Turm einer mit blauen Edelsteinen verzierten Burg ohne Graben verhielt. Einige Sekunden dauerte es, dann glitt der gläserne Zylinder in einen schacht hinein, der sich in der kuppelförmigen Turmspitze geöffnet hatte. Mit leisem Pling fassten Halterungen das gläserne Tauchgerät. Dann konnte Ventoforte durch die aufklappbare Seitenwand entsteigen.

Hier sah nichts danach aus, als stünde die Burg hundert Meter tief unter Wasser. Auch war der Luftdruck hier wie an der Oberfläche. "Ich bin hier. Bringt mir die Inhaftierte!" rief er durch die von gläsernen Deckenlampen erleuchteten Gänge. Ventoforte wollte nicht länger als nötig hier unten sein.

Vier Männer in wasserblauen Kapuzenumhängen mit ebenso wasserblauen Masken trugen die vorsorglich betäubte Phoebe Gildfork herbei. Ventoforte erkannte jetzt erst, wie korpulent sie war. Er selbst war kein Hänfling. Doch wenn er mit ihr in dem Zylinder wieder nach oben fahren sollte fröstelte ihn ein wenig. Dennoch schafften die schweigenden Hüter der versunkenen Festung die Gefangene in den Zylinder und schufen genug Platz, damit auch Ventoforte darin unterkam. Er ließ sich noch den Zauberstab der Gefangenen übergeben, der längst auf die zuletzt gewirkten zehn Zauber überprüft worden war. Dann schloss sich die große Klappe in der Wand fugenlos und völlig Luft- und wasserdicht. Mit einem leichten Stoß durch den Körper schnellte der Glaszylinder aufwärts.

Die von Ventoforte mitgenommenen Mitarbeiter halfen ihm, die betäubte Gefangene ins Boot zu heben. "Ui, wie kann die sich selber tragen, wenn wir zu zweit Probleme haben, die zu bewegen?" motzte einer der beiden. Ventoforte verbat sich jede weitere Anspielung. Er gab Befehl, nach Venedig zurückzufahren.

Als sie so lautlos sie konnten an einem Seitenzweig des Canal Grande anhielten zog Ventoforte eine graue, abgewetzte Tischdecke hervor und wickelte sie um den rechten Arm der Gefangenen. Ein Ende hielt er fest. Dann sagte er: "Audienzsaal!" Unverzüglich wurden sie beide in den bunten Wirbel einer Portschlüsselreise hineingezogen.

__________

Clarimonde begrüßte den neuen Tag schon um halb vier. Julius war sofort hellwach. Dann regte sich auch seine Frau. "Ach, die Kleine hat großen Hunger", schnurrte Millie. Dann fing auch noch Chrysope zu maulen an, weil sie aufgeweckt worden war. Deshalb ging Julius schnell zu ihr hinüber. Auch Aurore war wach und lugte aus ihrem Zimmer hervor. Also prüfte Julius nach, ob Chhrysope frische Windeln brauchte und ob Aurore besser auch was machte, damit beide weiterschlafen konnten. "Wenn du die zwei wieder ins Bett gekriegt hast sieh nach, ob der Kasten noch im Arbeitszimmer steht", mentiloquierte Millie ihm, während er feststellte, dass Chrysope noch nicht unter sich gelassen hatte. Aber Aurore musste, wenn sie schon mal wach war.

Als Julius Millies Arbeitszimmer betrat sah er gleich, dass der Distantigeminus-Kasten nicht an seinem Platz stand. Sollte er Millie jetzt anlügenund behaupten, er sei noch da oder ihr bestätigen, was er schon vermutet hatte? Er entschied sich für die Wahrheit, auch weil Millie es fühlen würde, wenn er ihr gegenüber was verheimlichte. Das war einer der wenigen heftigen Nachteile der gemeinsamen Herzanhängerverbindung.

"Dann klopf bitte bei ihr an und sage ihr ganz freundlich, dass ich jetzt zu wach bin, um noch einmal zu schlafen und dass ich deshalb in dreißig Minuten in meinem Arbeitszimmer bin. Was immer noch in den Kasten geflogen kam möchte ich dann lesen", mentiloquierte Millie, auch um Aurore und Chrysope nicht wieder aufzuwecken.

Julius ging ohne zu leise aufzutreten zum Schlafzimmer von Béatrice hin und wollte schon anklopfen, als die Tür schon aufging und eine schlanke Hand zielgenau nach seiner Nase langte und sie zukniff. "Sollst du für sie nach neuen Nachrichten suchen, Julius?" fragte Béatrice. Julius sagte erst mal nichts, weil er ungern mit zugehaltener Nase sprach. So wartete er, bis seine Schwiegertante ihn wieder losließ. Dann sagte er: "Sie möchte in dreißig Minuten alles lesen, was nach der von dir verordneten Bettgehzeit noch in den Kasten geflogen kam."

"Das war mir klar", grummelte Béatrice. "Aber nur dann, wenn sie mir versichert, dass sie heute Mittag eine Stunde Schlaf nachholt."

"Ist denn echt noch was reingekommen?" wollte Julius wissen.

"Drei Sachen, von denen ich selbst nicht wirklich glauben mochte, dass die so passiert sind. Wenn ich nicht wüsste, dass Gilbert selbst Wert auf nachprüfbare und belegbare Berichte legt müsste ich annehmen, jemand wollte ihn dazu benutzen, Unfrieden in der internationalen Zaubererwelt zu stiften. Außerdem habe ich vor fünf Minuten mit meiner Mutter mentiloquiert, die Bericht Nummer drei bestätigt hat. Sie meinte, dass Millie deshalb nichts davon verbreiten möchte. Geh bitte zu ihr hin und sage ihr leise, dass sie was zu lesen bekommt, wenn Clarimonde satt genug ist, dass sie weiterschlafen kann. Falls sie selbst dann nicht wieder zu müde ist kann sie das lesen. Aber dann holt sie die eine oder zwei Stunden Schlaf nach."

Julius ging leise zum Elternschlafzimmerzurück und fand seine Frau in ihrer bequemsten Stillhaltung mit Clarimonde auf dem Bett. "Lesefutter gegen Mittagsschlaf hat die Dame gesagt, die die ganz kleine da aus dir herausgehoben hat", wisperte Julius.

"Klar, dass die sowas bringt", schnarrte Millie, blieb aber in der gerade eingenommenen Haltung, um Clarimonde nicht aus dem Rhythmus zu bringen. "Okay, lies du das zuerst und warte bitte im Arbeitszimmer auf mich!"

"Mach ich", flüsterte Julius und verließ das Schlafzimmer wieder.

Julius musste ein ums andere Mal durchatmen, als er las, was Gilbert ihm wohl mit Genehmigung von Linda Knowles zugeschickt hatte. Denn der schrieb bei jedem Bericht, dass zu hören war oder etwas deutlich vernehmbar passierte. Als er dann durch war und wusste, welch heftigen Kampf sich die US-Spielerinnen und Spieler mit den italienischen Ministeriumsleuten geliefert hatten und dass Minister Bernadotti für "gute Ohren" deutlich vernehmbar befohlen hatte, die Sache auf oberster Geheimstufe einzutragen und der Presse gegenüber von einem "erfolgreich abgewehrten" Angriff von Vita Magica zu erzählen sei Gilbert klar geworden, dass er und Linda Knowles bald mächtigen Ärger bekommen würden, wenn sie rausließen, dass sie es mitbekommen hatten, was wirklich passiert war und dass das Ministerium Phoebe Gildfork festgenommen habe, was sicher zu einem heftigen Streit zwischen Rom und Washington führen würde, da gemäß der internationalen Übereinkunft die offiziellen Betreuer und Funktionäre einer im Wettkampf stehenden Mannschaft nicht ohne klare Beweise für eine in den meisten Ländern verbotene Tat festgenommen werden durften. Nur wenn es von einem solchen Betreuer oder Sprecher zu einer körperlichen oder magischen Tätlichkeit kam durfte der oder die festgenommen und auf schnellstem Wege des Landes verwiesen werden. Das hatten sie mit Phoebe Gildfork aber nicht getan, sondern sie an einen Ort gebracht, der "Castello Immerso" genant wurde. Gilbert schrieb, dass er von diesem "versunkenen Schloss" oder der "versenten Burg" schon gehört habe und dass dort Gefangenenzellen und Verhörräume aus der Zeit des dunklen Dogen vorhanden waren. Also war diese geheime Festung bei oder in Venedig, weil der Herrscher dieser ehemalig eigenständigen Republik als Doge bezeichnet wurde.

"Du hast völlig recht, Trice. Das liest sich hier wie ein Drehbuch für einen Action-Film, in dem auch Magie vorkommen kann. Und vor allem, wie blitzartig die Spieler aus den Staaten diesen Käfig gekontert und sich mal eben durch den blanken Erdboden abgesetzt haben liest sich für einfache Zaubererweltbürger unglaublich. Aber so wie Linda Knowles es Gilbert weitergegeben hat kann ich das voll nachvollziehen. Die haben einfach den Boden des Käfigs zerlaufen lassen und konnten dann mit Kopfblase und Erddurchdringungszaubern verschwindibus gehen wie Kobolde das von Natur aus können."

"Ja, und dass sie Phoebe Gildfork festgenommen haben, ohne das dem mitgereisten US-Zaubereiministeriumsvertreter zu erklären widerspricht auch dem, was international vereinbart wurde. Wenn ein ausländischer Besucher verhaftet wird hat er das Recht, mit einem Vertreter seines Heimatlandes zu sprechen. Das ist nach der Entmachtung Grindelwalds zwischen allen Zaubererkonföderationen der Welt beschlossen worden", sagte Béatrice.

"Es sei denn, keiner verrät es, dass Phoebe Gildfork festgenommen wurde. Im Land von Machiavelli, Mussolini und der Cosa Nostra scheint das wohl leider noch zu gehen", ätzte Julius. Natürlich wollte Béatrice dann von ihm wissen, wen er meinte. Daraufhin apportierte er aus seinem Arbeitszimmer die ausgedruckten Texte, die seine Mutter über Diktaturen und ihre Auswirkungen geschrieben hatte und erklärte ihr, wer die benannten Männer oder Organisationen waren. Ihm fiel dann noch der Römische Kaiser Nero ein, der ja auch da gewohnt hatte.

"Genauso menschenfreundliche Leute wie der schon erwähnte dunkle Doge Enzo Geraldino Leonero oder der römische Dunkelmagier Rufus Vulpius Palatinus, auch allesamt Bewohner der italienischen Halbinsel", fügte Béatrice an. "Von Ladonna Montefiori brauchen wir ja gar nicht erst anzufangen, weil die ja leider gerade wieder hochaktuell ist."

"Stimmt, die hat sich da ja bei Florenz, der ehemaligen Machtzentrale der nicht minder intriganten Familie Medici, eine eigene Festung gebaut", raunte Julius. Dann zuckte er zusammen: "Vielleicht fürchten die vom Ministerium, Ladonna könnte sich sehr brennend dafür interessieren, wie dieses Ritual gehen soll", sagte er.

"Und du meinst, das Minister Bernadotti Phoebe Gildfork deshalb hat festnehmen lassen, um sie vor der Wiedererwachten zu schützen?"

"Zumindest hoffe ich, dass das der Grund ist, weil die andere Möglichkeit gefällt mir noch weniger."

"Dass Ladonna sich bereits Helfershelfer im römischen Zaubereiministerium gesichert haben könnte?" fragte Béatrice. Julius sah sie sehr besorgt an und nickte schwerfällig. "Bokanowski hat versucht, Doppelgänger von wichtigen Leuten zu installieren, Voldemort hat sich gleich den Zaubereiminister Großbritanniens unterworfen, und dass die Spinnenschwestern auch schon ihre Spioninnen an wichtigen Stellen haben gilt als zu erwarten. Dann hättest du völlig recht, dass es so rüberkommt, als wenn da jemand Unfriedenzwischen Italien und den USA stiften wolle."

"Du hast Bericht Nummer drei noch nicht gelesen", erinnerte ihn Béatrice daran, dass ja drei Meldungen übertragen worden waren. So holte er das schnell nach und fand seine Befürchtungen bestätigt. Andererseits war er auch erleichtert, dass Gilbert und Linda Knowles außer Gefahr waren. Seine Schwiegertante sah ihn erwartungsvoll an.

"Damit haben wir es wortwörtlich amtlich, dass irgendwas bei den Italienern im argen liegt", seufzte Julius. "Deshalb darf Millie diese Berichte nicht veröffentlichen, unter gar keinen Umständen. Am besten tut sie so, als wenn sie sie nicht erhalten hätte", sagte Béatrice. Julius stimmte ihr zwar zu, wusste aber, dass Millie einen derartigen Vorfall nicht einfach so schweigend hinnahm. Dann fragte er Béatrice, warum sie die Berichte nicht gleich vernichtet habe und dann einfach behauptet habe, es sei nichts gekommen.

"oh, offenbar bist du nicht mehr richtig wach, dass einer, der mit diesem Elektrorechnernetz arbeitet so eine Frage stellt."

"Autsch!" stieß Julius aus. Natürlich hatten auch die Digekas Speicher, um unterwegs verlorene Fernkopien der letzten sieben Tage noch einmal zu übermitteln. Das hatte Florymont zwar nur mal kurz angedeutet, weil wegen des Aufruhrs in der Kuppel tagelang nichts verschickt oder empfangen werden konnte. Aber tatsächlich hatte er in diesem Moment nicht daran gedacht, dass Gilbert Millie fragen mochte, ob sie diese Nachrichten bekommen habe und sie ihr noch einmal zuschicken würde, wenn sie nein sagte.

Als Millie dann noch dazukam und den Bericht von der versuchten Festnahme der US-Mannschaft, den von Phoebes Festnahme und die Meldung von der schnellen Flucht vor sie bedrängenden Besenfliegern las sah sie zunächst ganz ruhig aus. Doch Julius fühlte über die magische Verbindung ihrer Herzanhänger, dass es in ihr ganz wild brodelte. Einerseits würde sie diese Sensation all zu gerne veröffentlichen. Andererseits dachte sie wohl auch daran, wie brisant und vor allem schwer nachprüfbar diese Berichte waren. Die Meldung von der Flucht durfte sie auf keinen Fall verwerten. Dann sagte sie: "Die haben offenbar auch schnell kapiert, dass Lino alles mitgehört hat und wollten sie wohl auch einkassieren. Gut, dass sie da schon bei Gilbert war. Offenbar verstehen die zwei sich immer besser." Julius erwiderte ihr verwegenes Grinsen, während Béatrice nachdenklich dreinschaute.

"Na super! Jetzt habe ich den Knüller des Jahrtausends und darf kein Wort davon in die Zeitung bringen", grummelte Millie. "Dabei ist die Temps doch gerade dafür gemacht worden, die volle Wahrheit zu verbreiten." Béatrice erwiderte darauf: "Ja, aber nicht unbedingt sofort." Julius sagte nichts dazu. Er fühlte es Millie auch ohne Herzanhänger nach, wie aufgewühlt und angespannt sie war.

"Wolt ihr versuchen, noch ein wenig zu schlafen? Es ist ja gerade halb fünf", meinte Béatrice. Doch die beiden Eigentümer des Apfelhauses waren zu aufgedreht. So schlug sie vor, im Musikzimmer ein kleines Morgenkonzert zu spielen, natürlich mit errichtetem Klangkerker, um die Kinder nicht aufzuwecken. Millie setzte schon damit an, ihre Tante anzufahren, wie sie in dieser Lage an ein fröhliches Hauskonzert denken könnte. Da sagte Julius: "Machenkönnen wir nichts, Millie. Lino und Gilbert sind in Sicherheit. Also können wir im Moment nur die Zeit mehr oder weniger Sinnvoll ausnutzen, bis wir offiziell aufstehen und den nächsten Arbeitstag angehen können."

"Ja, Musik machen, als wenn nichts wäre und ..." zähneknirschte Millie. Julius fuhr ihr wieder ins Wort: "Millie, Musik ist besser als uns weiter darüber aufzuregen, was gerade in Italien los ist. Millie funkelte ihn an. Doch er dachte nur seine Selbstbeherrschungsformel. Damit hielt er sich ruhig und fühlte, dass sie sich auch beruhigte.

Millie schloss die erhaltenen Berichte in den Blutsiegelschrank ein. Dann trafen sie sich im Musikzimmer und vertrieben sich die Zeit bis zum offiziellen Frühstücken mit Hausmusik.

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Julius schaffte es, sich nicht anmerken zu lassen, wie heftig ihn die nächtliche Lektüre aus Italien umtrieb. Das wurde auch noch dadurch erschwert, dass er im Zaubereiministerium Kollegen begegnete, die entweder schadenfroh waren, dass "die Yankeetruppe" von der Meistersucherin der Dijon Drachen aus dem Turnier gefischt worden war oder auf Leute, die sich damit getröstet hatten, womöglich nur gegen den kommenden Weltmeister verloren zu haben und dieser schwache Trost nun von Corinne zerpflückt worden war.

In seinem Büro selbst fand er die Bestätigung aus London, dass seine Reisegenehmigung dort zu den Akten genommen worden war. Was ihn wieder etwas erhitzte war ein beinahe als Heuler an ihn verschicktes Schreiben von Monsieur Lysandre Chaudchamp, dem Leiter der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit, dass er in Reisegenehmigungsverfahren für ausländische Mensch-Veela-Hybriden einbezogen zu werden habe und er von ihm, Julius, eine amtlich korrekte Begründung für die schlichte Mitteilung einer Reise zweier Veelastämmiger erwarte oder eine formvollendete Bitte um Entschuldigung mit Anerkennung einer amtlichen Beschwerde bei seinen Vorgesetzten einreichen möge. "Der hat den Schuss nicht gehört", dachte Julius. Denn es war doch schon seit Januar 2003 klar, dass alles was die Veelastämmigen direkt betraf über seinen Tisch und in seinem Verantwortungsbereich abgewickelt wurde. Darunter fielen auch die Veelastämmigen außerhalb Frankreichs, obwohl es in den slawischen Ländern auch Veelabeauftragte gab, die aber einseitig vom jeweiligenZaubereiministerium gestellt wurden und eher als Vollstreckungsbeamte als als Verhandlungspartner und Vermittler arbeiteten.

So suchte sich Julius alle seine Aufgaben bezeichnenden Urkunden und Anschreiben heraus und verfasste wie gewünscht eine amtlich korrekte Begründung für sein Vorgehen und die Einhaltung der ihm zugewiesenen Aufgaben. Dieses Schreiben kopierte er auch für seine, Monsieur Beaubois' und Nathalie Grandchapeaus Akten und schickte einen Memoflieger zu Monsieur Chaudchamp hinüber.

Er befasste sich bis viertel vor zehn mit der Reiseroute der aus Großbritannien herüberkommenden Gäste, weil das Ziel ja keinen Flohnetzanschluss hatte. Dann erschien ein Hauself mit einem Teewagen bei ihm im Büro und vermeldete, dass er für Büroinhaber Julius Latierre Kafee und Baguettes mitgebracht habe. Julius bedankte sich bei dem dienstbaren Zauberwesen, das sich ganz tief vor ihm verbeugte und dann verschwand. "Das darf ich Mrs. Hermine Weasley nicht auf die Nase binden, dass mir jeden Morgen ein Hauself das zweite Frühstück bringt, nur weil meine erste Vorgesetzte das so beschlossen hat", dachte Julius mit verschmitztem Lächeln.

Die morgentliche Konferenz in Nathalies Büro verlief im üblichen Rahmen, bis auf dass Julius die Ergebnisse der in den letzten Tagen angestrengten Nachforschungen über die von den Mondbruderschafts-Werwölfen benutzten Rechner vorlegen konnte. Die tragbaren Rechner waren alle aus dem Lager eines Computergroßhändlers in New York gestohlen worden und auf nicht nachvollziehbaren Wegen über die ganze Welt verteilt worden, um sich über sogenannte Botnetze mit andern Rechnern zu verbinden, die ohne Wissen ihrer Nutzer die Drohschriften oder Kampfansagen verbreiteten. Er beendete seinen Bericht damit, dass es bei den Mondbrüdern wenigstens zwei Computerexperten und mehrere Steckdosennutzer gebe. Den Begriff Steckdosennutzer beschrieb er dann für alle, die bisher nichts mit den ministeriumseigenen Rechnern zu tun hatten.

Mittags traf er seine Schwiegermutter, die sehr verknirscht dreinschaute. Er hütete sich davor, sie zu fragen, ob sie auch zu denen gehörte, die zumindest gehofft hatten, gegen den neuen Weltmeister verloren zu haben. Doch der Grund war ein anderer, wie sie ihm beim Mittagessen mitteilte:

"Da steht heute Morgen ein junger Zauberer namens Douglas McDonald mit einer Hexe namens Kelly Grumman vor meiner Bürotür und erbittet einen sofortigen Gesprächstermin, da sie beide Grund zur Annahme hätten, dass das italienische Zaubereiministerium sie zu vogelfreien Personen erklärt habe, die bedenkenlos verhaftet und weggesperrt werden dürften, wie es ihrem Kollegen Maveric passiert sei. Ich musste wegen meiner Englischkenntnisse dieses Gespräch führen, weil ich den Grund für diese schweren Anschuldigungen hören wollte und vor allem, wie die es geschafft hatten, aus dem mehrfach gesicherten Mannschaftsbereich zu entkommen und wo ihre anderen Kameraden abgeblieben seien. Was die Anschuldigungen anging so verwiesen sie auf einen nächtlichen Überfall von Leuten, die wie Ministeriumszauberer und -hexen gekleidet gewesen seien und versucht hatten, sie zu überwältigen. Da hätten sie fliehen müssen. Wie dies gelungen sei wollten sie mir nicht verraten. Ich solle ja für sie nur eine Ausreisemöglichkeit aus Frankreich erwirken. Wo die anderen waren wollten sie mir auch nicht erzählen. Die haben dann die ganze Zeit versucht, mich zu überreden, dass sie arme verfolgte Leute seien und kamen mir dann damit, dass sie mich nur deshalb aufgesucht hätten, weil sie davon ausgingen, dass die Strafverfolgungsabteilung von Italien sich schon mit ihren Kollegen in den Nachbarländern abgesprochen hätte. Darauf habe ich sie gefragt, wieso sie dann bis zu mir hätten vordringen können, worauf ich die seltendreiste Antwort erhielt, dass sie sich als von mir persönlich eingeladen ausgegeben hätten, weil ich mit ihrer Mannschaftssprecherin gewettet haben sollte, dass je danach wer wen im direkten Zusammentreffen schlüge die Mannschaft des jeweiligen Siegers in seine Heimat einladen würde. Ich bin mir absolut sicher, dass ich keine solche Wette mit dieser dekadenten Goldwühlerin von denen eingegangen bin. Ich drohte ihnen damit, unsere Strafverfolgungsbeamten zu rufen, da brachte diese Kelly Grumman einen von mir nicht erwarteten Trick. Sie sprach auf einmal mit meiner Stimme das Passwort für den zeitweiligen Apparierdurchlass. Dann verschwanden sie und ihr Kamerad aus meinem Büro, bevor ich diesen dreisten Vorgang weitermelden konnte. Tja, und dann habe ich geschlagene zwei Stunden meiner kostbaren Dienstzeit mit dem Abteilungsleiter der Strafverfolgung diskutiert, was die beiden bei mir gewollt hätten und wie es möglich gewesen sei, dass die durch eine gekonte Nachahmung meiner Stimme ohne vorausgehenden Varivoxzauber und die Kenntnis des Losungswortes für den Apparierdurchlass das Ministerium wieder verlassen konnten. Heute nachmittag werde ich meinen werten Vetter Gilbert anschreiben, was er von diesem angeblichen Überfall mitbekommen hat. Wehe ihm, er hat was davon mitbekommen, dann darf er sich bei seiner neuen Lieblingskonkurrentin nach den Herstellern biomaturgischer Ersatzohren erkundigen. Ja, und sollte er es bereits meinem Bruder Otto und möglicherweise auch meiner zweitältesten Tochter schon weitergemeldet haben, dann werde ich die beiden noch vor Patricias Hochzeit zu einem Privatgespräch ins Honigwabenhaus einbestellen, ob sie jetzt meinten, nur weil ich Kind Nummer vier erwarte solche Informationen von mir fernhalten zu müssen.""

"Da fragst du dann besser deine jüngere Schwester Béatrice, ob die denen dann nicht zu einer derartigen Haltung geraten hätte", erwiderte Julius, dem die Geschichte so dreist wie sie war auch irgendwie gefiel. Doch das sollte er seine Schwiegermutter bloß nicht anmerken lassen. Wie heftig wütende schwangere Hexen sein konnten wusste er aus eigener Erfahrung.

"Klingt so, als hätte sie Millie wahrhaftig eine entsprechende Anweisung erteilt, Julius. Dann richte der bis April 2004 bei dir logierenden Dame gütigst aus, dass sie nicht meine hauptamtliche Mutterschaftsbegleiterin ist. Sicher, sie hat meinen gegenwärtigen Zustand festgestellt und mir bereits erste Ratschläge erteilt. Doch dann musste ich mir ja eh eine andere Hebamme aussuchen."

"ich werde das so weitergeben, Madame Latierre", antwortete Julius.

Der Nachmittag im Computerraum lenkte ihn gut von Hippolytes Verärgerung und den dreist bei ihr aufgetauchten Quidditchspielern aus den Staaten ab. Dieses Erlebnis holte ihn erst wieder ein, als er um fünf Uhr wieder ins Apfelhaus apparierte. Dort erfuhr er dann, dass die Spieler aus den Staaten gegen halb zwölf in Millemerveilles gelandet seien, um dort mit dem um zwei Uhr abgehenden Luftschiff nach Viento del Sol zu starten. Doch als sie bis dahin in der Schenke Chapeau du Magicien warten wollten seien sie immer schwächer geworden und wären dann bewusstlos zusammengebrochen, als habe jemand ihnen Lebenskraft aus dem Körper gezogen. Hera, François und Béatrice seien dann zu Hilfe gerufen worden. Zur gleichen zeit hätten fünf Besucher aus den Staaten, die laut Einreiseunterlagen für das Laveau-Institut arbeiteten, die in Millemerveilles gestrandeten Spieler begutachtet. eine zur Hälfte von südamerikanischen Ureinwohnern abstammende namens Cecilia Garmapak erklärte dann sowohl den beiden Heilerinnen und dem Heiler, wie auch dem Dorfrat für Sicherheit, warum die Quidditchhelden offenbar ohnmächtig geworden seien, weil sie sich auf ein höchst ungern gesehenes und bei Wettkämpfern absolut verbotenes Ritual von Mama Killa, der Mondgöttin und Pacha Mama, der Erdgöttin der Inkas eingelassen hätten, dem Ritual des unberührten Glückes.

Millie, die zusammen mit Béatrice als Pflegehelferin mitgekommen war, durfte dann von der Halben Inkanachfahrin erfahren, dass dieses mit Blut besiegelte Ritual eigentlich für jungfräuliche Priesterinnen dieser beiden Göttinnen erschaffen worden sei, aber ebenso jungfräuliche Krieger stärken und zu nahezu unbesiegbaren, immer die richtige Entscheidung treffenden Kämpfern machen konnte. Allerdings forderte dieses Ritual neben einer bestimmten Menge Blut auch die Unterwerfung unnter den Zeremonienmagier oder die Zeremonienmagierin, also eine magisch begabte Priesterin, unter anderem, dass die sich dem Ritual unterwerfende Person möglichst unberührt leben und sterben sollte. Solange würde sie oder er jede Auseinandersetzung für sich entscheiden, jede Gefahr überstehen und jeden Kampf gewinnen, sofern dieser wichtig oder gefährlich genug war. Dass die Quidditchspieler in Millemerveilles ohnmächtig geworden seien liege eindeutig an den vom Atem des Sonnengottes Inti durchdrungenen Bäumen rund um die Schenke und wohl auch den anderen so gesegneten Bäumen.

"Du hast richtig gehört, Julius. Diese Leute haben sich einem Ritual unterzogen, dass sie solange wie unter Felix Felicis, Heraklestrank und Altavelocitas-Elixier handeln lässt, solange sie genug Blut in den Adern haben und mit keinem und keiner Liebe machen, also am besten V. I. Positiv ins Grab gelegt werden. Diese heftige Anschuldigung wollte Monsieur Pierre natürlich nicht ungeprüft stehen lassen und holte sich Erkundigungen über die angelandeten LI-Mitarbeiter ein. Jetzt liegen in Heiler Delourdes Haus, um das Camille und Jeanne ein ähnliches Baumfünfeck wie bei uns gepflanzt haben, vierzehn ohnmächtige Yankees. Diese Ms. oder Señorita Garmapak hat dann noch mit dem Leiter der Strafverfolgungsbehörde und mit einer Dame, die mal für mich mitgegessen hat lang und breit erörtert, wie dieses Ritual geht und dass es nur von entsprechenden Zauberpriestern aus dem Reich der vier Weltecken durchgeführt und enthüllt werden kann. Da diese Cecilia Garmapak eine Priesterin der Pacha Mama ist, also rituelle Erdmagie ausübt, kennt und kann sie das Ritual und seine Enthüllung. Und das heftigste, Monju: Wer dann doch mal wissen will, wie sich körperliche Liebe anfühlt, der oder die altert innerhalb einer Minute nach Ende des wunderschönen Zweierspiels um das zwei- bis achtfache der Zeit, die er unter dem Zauber des Rituals gelebt hat. Wenn er oder sie dabei wichtige Erfolge erzielt oder große Gefahren überstanden hat verliert dieser magische Mensch eben die achtfache Zeit von seiner Lebenszeit. Wer es also schafft vierzig Jahre V. I. positiv zu bleiben und dann doch mit einem geliebten Menschen zusammenfindet verliert in einer Minute bis zu dreihundertzwanzig Lebensjahre."

"Ui, Holla die Andenfee", konnte Julius darauf nur antworten. Dann klingelte es bei ihm im Kopf. "Pacha Mama, die Erdmutter, klar konnten die Inkas sowas. Ein gewisser junger Zauberer aus einem versunkenen Reich hat in seiner Ausbildung von einem Lied der glücklichen Jungfrauen gehört. Das war jedoch ein verbotenes Lied, dass nur die der Erdkräfte anvertrauten Magierinnen von anderen lernten, die nicht auf einen Gefährten oder eigene Kinder ausgingen. Deshalb hat der betreffende Zauberschüler das auch nicht gelernt. Und es stimmt, es steht dem Bündnis von Sonne und Erde entgegen, weil es eben zum Verzicht auf die Verjüngung des Lebens, also Nachkommenschaft, zwingt."

"Moment mal, Julius Latierre. Heißt das, dieser Erdmagier aus dem alten Reich könnte dieses Ritual zumindest erkennen?"

"Weil er es nicht erlernt hat kann er das nicht", erwiderte Julius darauf. "Aber wenn eine hier in Millemerveilles ist, die das in einer Abwandlung gelernt hat, dann kann die das anderen beibringen. Aber ich fürchte, das können dann auch nur die sein, die an die alten Götter und Göttinnen glauben."

"Käme auf eine Anfrage an", meinte Millie. "Die Dame wohnt bis zur Klärung, ob ihre Aussage nachprüfbar und bestätigt ist im Haus von Monsieur Pierre. Sie wollen bei klarer Bestätigung morgen nach Italien, um nach dem einen zu suchen, der nicht mit denen hergekommen ist, Donovan Maveric."

"Wenn die bei Edmond wohnen heißt dass, nur er und von ihm klar zutrittsberechtigt erklärte dürfen sie besuchen. Ich denke, wenn ihre Arbeitgeberin das für richtig hält, treffe ich die in ihrer Firma."

"Gut, sehe ich ein, dass du der auch nicht aufs Baguette schmieren musst, was du kannst", seufzte Millie. Doch dann hellte sich ihr Gesicht wieder auf: "Damit könnten sie dich dann auch nicht einspannen, jede Mannschaft zu prüfen, ob die dieses Ritual gemacht hat. Hat auch was gutes. Außerdem darf ich mit Genehmigung von Monsieur Pierre und Madame Hippolyte Latierre über diesen unglaublichen Fall berichten, sobald sicher ist, dass die Quidditchspieler wirklich einem bisher nicht nachweisbaren Zauber unterliegen. Aber eins ist auch klar, so zuverlässig wie die dachten war ihnen das Glück doch nicht hold. Sonst hätten sie ja merken oder wissen müssen, dass sie in Millemerveilles aus den Schuhen kippen."

"Soweit du das wiedergegeben hast und soweit sich der dir auch bekannte Magier erinnern kann wirkt dieser Zauber, wenn eine gefährliche oder für das Weiterkommen wichtige Entscheidung ansteht. Hätten die gewusst, wie wir die Bäume hier gedüngt haben wären die sicher von hier weggeblieben, weil sie dann intuitiv gespürt hätten, dass sie in Gefahr geraten", vermutete Julius. Millie wiegte ihren Kopf. Dann nickte sie beipflichtend.

Als aus Paris weitere Experten für urtümliche Ritualmagie die ohnmächtigen untersuchten und dabei feststellten, dass sie wirklich eine durch Mond und Erde bestärkte Aura trugen, die in der Nähe von Sonnenzaubern deutlich schwächer wurde, stand fest, dass der Sieg der Belgier über die USA nur noch eine Randnotiz in der Chronik der Quidditchweltmeisterschaft sein würde, sofern diese Weltmeisterschaft überhaupt für gültig erklärt wurde. Immerhin hatten die USA mehrere Mannschaften aus dem Turnier gespielt, die durchaus hätten weiterkommen können. Hippolyte Latierre bestand darauf, dass dieser Vorfall nicht unter den Teppich gekehrt werden durfte, weil das sonst hieße, anderen Mannschaften die Gelegenheit zu geben, diesen fortgesetzten Betrug nachzuahmen.

Spät abends saßen Hippolyte, ihre Schwester Béatrice und die Bewohner des Apfelhauses noch im Arbeitszimmer von Julius und unterhielten sich über diese Enthüllung.

"Die Italiener könnten auf die Idee kommen, das nicht breitzutreten. Die Amerikaner könnten auch darauf hoffen, dass dieser Vorfall nicht zum Riesenskandal ausgewalzt wird. Aber wenn stimmt, was dein Chef, Mildrid Ursuline Latierre, dir gnädigerweise hat zukommen lassen, dann könnten die Italiener versucht sein, sich dieses Wissen anzueignen. Denn von irgendwem wissen es ja auch die US-Spieler. Und ich werde nicht mit dem Wissen unterm Umhang herumlaufen, dass es wahrhaftig noch Zauber gibt, die von unseren großartigen Spezialisten nicht entdeckt werden können. Ja, und meine liebe Schwester Béatrice: Was mich und meinen Aufgabenbereich angeht, so hat meine ausgewählte Hebamme mir klar und deutlich gesagt, dass ich all die Dinge tun und wissen darf, die mir wichtig sind, bis mein Kind alle Kraft und Hingabe fordert, die es braucht. Nur damit du nicht meinst, weiterhin anraten zu müssen, was ich zu tun und zu wissen habe."

"Hipp, Lutetia ist keine ausgebildete Heilerin, das weißt du. Sie hat zwar mehr als ausreichende Erfahrung in Geburtshilfe. Aber sie beurteilt den Verlauf einer Schwangerschaft immer noch nach der ihr eingeprägten Denkweise, dass eine Mutter bis zu den Wehen die volle Leistung bringen soll. Damit hättest du Martine fast verloren. Bei Millie warst du zumindest zurückhaltender, weil du da schon kein Quidditch mehr gespielt hast und ..."

"Wie erwähnt, du bist nicht für mich zuständig, Béatrice", stieß Hippolyte aus. Julius hatte zwar den Drang, was zu sagen, wusste aber zu gut, dass sich zankende Schwestern besser von alleine damit aufhören sollten, sonst verbündeten sie sich umgehend gegen den, der ihren Zank beenden wollte. Das hatte er bei Jeanne und Claire, Millie und Martine und Melanie und Myrna so erlebt, und höchstwahrscheinlich würde er das bei Aurore und Chrysope oder Chrysope und Clarimonde auch bald erleben.

"In dem Moment, wo ich dich sehen und sprechen kann bin ich für dich zuständig, solange du meinen Neffen austrägst", setzte Béatrice an. Damit schaffte sie aber nur, dass Hippolyte sie sehr wütend anfunkelte und mit einer wegscheuchendenHandbewegung versuchte, sie aus ihrer Reichweite zu verjagen. Doch sie stand vor ihr, gerade mal eine Armlänge entfernt und schien um einige Zentimeter zu wachsen. "Gut, ich weiß, was ich wissen wollte und wissen musste, Béatrice. Du hast hier mehr als genug zu tun. Ich kehre dann mal zurück in mein Haus. Albericus macht sich sicher Sorgen, wo ich abgeblieben bin. Nacht, Millie und Julius!" Die beiden erwiderten den Gruß.

"Gute Nacht, große Schwester!" sagte dann auch Béatrice. Hippolyte nickte ihr nur bestätigend zu. Da sonst niemand im Haus war benutzte sie den orangeroten Schrank, um erst in das Sonnenblumenschloss und von da aus in das Honigwabenhaus hinüberzugelangen.

"Gute Nacht, Béatrice", sagte Julius. Millie stand ihm nicht nach.

"Gute Nacht, ihr zwei. Bis zum Schrei der jungen Weckerin!" Julius und Millie mussten grinsen. Dann zogen sie sich in ihren Wohnbereich zurück.

"Kann mir vorstellen, dass Italien und die USA das unter sich ausmachen möchten, was passiert ist. Aber die Spieler von den USA sind jetzt bei uns, was heißt, dass wir die zumindest wegen unerlaubter Einreise drankriegen könnten", meinte Julius noch. Millie gähnte und sagte: "Zumindest ist jetzt klar, was diese Banditen gemacht haben. Ob die das aus Phoebe Gildfork herausholen, Monju?"

"Oder aus Don Maveric, Mamille. Die Versuchung wäre zu groß", seufzte Julius. Dann deutete er auf das Bett. bis morgen, meine Feuerprinzessin!"

"Schlaf schön, mein Erdenprinz!" erwiderte sie.

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Für sie war es Nachmittag. Doch als sie nach mehr als einem Tag die Ströme der neu aufkommenden Gedankenverbindung fühlte stellte sie fest, dass ihre Doppelgängerin an einem Ort unter nachtschwarzem Sternenhimmel angekommen war. Dann hörte sie ihre Doppelgängerin sagen: "Wo zum Donnervogel noch mal habt ihr mich hingeschafft?" Die echte Phoebe sah einen stämmigen, einen halben Kopf kleiner als sie selbst gewachsenen Zauberer mit pechschwarzen Locken und keckem Kinnbärtchen. Sie erkannte ihn: Albano Ventoforte. Dann stellte sie fest, dass ihre Doppelgängerin in einem breiten Sessel mit Armen und Beinen gefesselt war. "Was soll das alles, Mister Ventoforte?" stieß die Doppelgängerin aus. Doch Ventoforte zog sich zurück. Ja er lief sehr schnell davon, als sei er auf der Flucht vor jemandem. Phoebes Doppelgängerin konnte bald nicht mehr sehen, wo er war. Da hörte die Doppelgängerin eine schöne, glockenreine Frauenstimme. "Er ist gerade unwichtig, Weib. Sie nach vorne!" Die Stimme hatte britisches Englisch gesprochen. Phoebes Doppelgängerin blickte nun wieder nach vorne und sah sie.

In einem luftigen, bis zu den Oberschenkeln reichenden, ärmellosen und tief ausgeschnittenen schwarzen kleid stand eine verboten überirdisch schöne Frau. Ihr langes Haar, so schwarz wie der Nachthimmel, wehte ihr bis über den Rücken. An ihrer Linken Hand glomm ein rubinrotes Licht. Über ihr schwebte, um ihre Erhabenheit zum Ausdruck zu bringen, eine golden leuchtende Lichtkugel, halb so hell wie die Sonne selbst. Die andere sah Phoebes gefesselte Doppelgängerin aus smaragdgrünen, kreisrunden Augen an und lächelte überlegen.

"Also du steckst dahinter, du Möchtegernkönigin", knurrte die Doppelgängerin. Die Echte Phoebe wusste sofort, was dieser Auftritt sollte. Deshalb schickte sie ihr schnell zu:

"Luna alta Ladonna ist deine Todfeindin und wird es immer sein, egal was sie dir einflüstert. Luna Nova."

"Ich bin die einzig wahre Königin aller Hexen und auch Zauberer. Das wirst du sehr schnell anerkennen, du viel zu sehr überfüttertes Geschöpf", erwiderte Ladonna Montefiori. Dann ließ sie vor der Gefangenen ein glimmendes Kohlestück zu boden fallen und zog sich einige Schritte weit zurück. Die echte Phoebe ahnte, was das sollte. Sie zog sich aus der Verbindung zurück, um nicht in Ladonnas Bann zu geraten, als vor der Doppelgängerin eine blutrote Stichflamme emporloderte und sich in eine brennende Rose verwandelte. Die echte Phoebe pfiff durch die Zähne. Die nächsten Minuten würden ihr zeigen, ob sie ihre Doppelgängerin noch führen konnte oder nicht. Doch es dauerte nicht mal eine Minute, bis sie es mit schmerzvoller Gewissheit wusste.

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"Phoebe Gildfork, Hör auf mein Wort!
Oder stirb sogleich an diesem Ort!
Ladonna ist deine Königin.
Ihr zu dienen ist dein wahrer Lebenssinn.
Also sei stets treu und folge ihr!
Sonst ergreift der Tod Besitz von dir."

Ladonna Montefiori hörte die von ihr selbst in den Zauber der Feuerrose eingewirkte Botschaft und beobachtete die knapp zehn Meter vor ihr auf einem Sessel festgebundene Gefangene. Diese stemmte sich gegen die Fesseln des Körpers und auch gegen die magische Kraft der Feuerrose. Sie verzog ihr Gesicht und keuchte, streckte sich, so lang sie mit der Leibesfülle konnte. Ladonna erahnte, dass Phoebe Gildfork einen starken Willen hatte und in den nächsten zwanzig Sekunden sterben würde, wenn sie sich nicht ergab. Die Schmerzen mussten doch jetzt schon unerträglich sein. Dann riss die Gefangene ihren Mund weit auf und rief etwas in russischer Sprache. Ladonna verstand die Sprache, weil sie damals auch gegen die als Baba Jagas bezeichneten Abkömmlinge eines alten Zauberwesens gekämpft hatte, das mit ihrer Ahnmutter Mokusha verwandt gewesen sein sollte.

"Ich habe nur einen Herr'n und Gebieter, Doktor Igor Bokanowski!" brüllte die Gefangene. Dann war es, als schlüge ein Blitz genau dort ein, wo sie saß. Doch die Wirklichkeit war ganz anders. Der Blitz schlug aus ihr selbst heraus und hüllte sie in einen ausgreifenden, orangeroten Feuerball. Ladonnas Ring erbebte im selben Augenblick und hüllte seine Trägerin in eine rubinrote Aura. Da griff die Flammensphäre auch schon auf den Raum um Ladonna über. Diese verlor den Boden unter den Füßen und schwebte in einer nun leicht flimmernden, rubinroten Lichtblase, während um sie herum das laute Zischen und tosen der entfesselten Elementargewalt wütete. Zehn Sekunden hing sie so. Ladonna fühlte, wie die Flammensphäre ihr immer Mehr Kraft entriss. Wenn sie ohnmächtig wurde war sie verloren, wusste sie. Doch der mörderische Glutball flackerte und stürzte dann laut fauchend in sich zusammen. Zischend drängte die aus seinem Wirkungsbereich verdrängte Luft zurück, um das halbe Vakuum sofort wieder auszufüllen. Dann sah Ladonna, dass nur noch ein feiner grauer Aschenwirbel über der Stelle schwebte, wo vorhin noch die Gefangene gesessen hatte.

"Da wollte mir jemand meine eigene Medizin verabreichen", dachte Ladonna. "Was für eine bodenlose Frechheit!" brüllte sie wütend auf. Dann prüfte sie schnell nach, was das Feuer alles vernichtet hatte. Außer, dass ein vier Meter durchmessender und in seinem Mittelpunkt drei Meter tiefer Krater entstanden war hatte der Flammenausbruch keine Spur hinterlassen. Aber was für ein Vernichtungszauber war das, den dieses Weib unbemerkt in sich getragen hatte? Und wer zur Mutter aller Abgrundstöchter war dieser Igor Bokanowski?

Sie sah sich um. Ihre Augen durchdrangen die Dunkelheit und sahen Albano Ventoforte, der knapp hundert Meter entfernt stand und offenbar nicht wusste, ob er nun Angst oder Freude fühlen sollte. "Albano, her zu mir!" rief Sie laut. Der Gerufene kam. "Wer ist Igor Bokanowski?" zischte sie und hielt dem anderen ihren rubinrot leuchtenden Ring entgegen.

"Das war ein russischer Schwarzmagier, ehemaliger Heiler und darauf versessen, künstliches Leben zu erschaffen. Der ist im März 1997 von einer Dunkelhexe aus den Staaten in seiner eigenen Burg getötet und mit der Burg in die Luft gesprengt und verbrannt worden", brachte Ventoforte ohne zu stammeln heraus.

"So, der lebt also nicht mehr?" wollte Ladonna wissen. Ventoforte nickte. "Was für künstliches Leben hat der denn so hinbekommen?" fragte sie mit lauernder Betonung. Ventoforte schluckte erst mal. Dann antwortete er: "Mensch-Zaubertier-Hybriden, aber vor allem lebende Ebenbilder von sich und anderen Hexen und Zauberern. Der wollte damals durch solche Doppelgänger von Zaubereiministern die Weltherrschaft übernehmen."

"Ebenbilder? Ebenbilder von wichtigen Leuten?" schnarrte Ladonna, der nun klar wurde, was ihr hier widerfahren war. ""J-ja, meine K-k-königin", stotterte Ventoforte nun doch sehr stark eingeschüchtert. Offenbar war dem jetzt erst aufgegangen, wie wütend er seine Herrin gemacht hatte und vor allem, welch faules Drachenei ihnen jemand gelegt hatte.

"Ich hätte nicht übel Lust, dich auch so enden zu lassen wie dieses überfettete Simulacrum. Aber ich will, dass du mir die echte Trägerin dieses Körpers findest, falls sie noch lebt. Falls sie schon tot ist will ich ihre Leiche sehen. Falls sie noch lebt soll sie mir dienen. Und jetzt entferne dich, bevor ich doch noch meinen lodernden Zorn auf dich schleudere!" spie sie ihrem Diener noch entgegen. Diesen Befehl befolgte er mit größter Bereitschaft und disapparierte.

"Ja, es muss eine lebendige Nachbildung von der echten Phoebe Gildfork gewesen sein. Nur eine mit Magie erfüllte Nachbildung konnte meinem Feuerrosenzauber widerstehen", dachte sie. Sie dachte daran, dass es richtig gewesen war, die Gefangene nicht mit Hilfe des ihr angesteckten Ringes auszufragen. Hätte der Vernichtungszauber sie dabei auch erledigt wäre auch die Rosenkönigin vernichtet worden. Dann fiel ihr ein, dass es noch mehr dieser von Bokanowski geschaffenen Ebenbilder wichtiger Leute geben mochte. Ohne ihren Ring wäre sie deren letztem Ausweg, der Selbstvernichtung, hoffnungslos ausgeliefert. Diese Erkenntnis gefiel ihr überhaupt nicht.

"Romulo, mein Statthalter! Höre das Wort deiner Herrin und Königin!" begann sie eine Gedankenbotschaft auszustrahlen. "Ihr seid einer Fälschung aufgesessen. Die, die dein Vollstrecker mir brachte, war eine Nachbildung. Stellt es gefälligst so hin, dass Vita Magica sie ergriffenund für sich behalten hat! Keiner darf wissen, dass sie bei mir war und vernichtet wurde."

"Ich höre und gehorche, meine Herrin und Königin", empfing sie Bernadottis schwache Gedankenantwort.

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Es war über sie gekommen wie eine Welle aus Hitze, Geschrei und blendendem Licht. Dann war es vorbei. Sie keuchte. sie wusste was geschehen war. Ihre von Bokanowski aus einem Stück Haut ihrer rechten Taillengegend erschaffene Doppelgängerin war vernichtet, hatte sich wohl unter den beiden sie zum Gehorsam zwingenden Zaubern selbstzerstört. Damit war sie nun wieder allein für sich. Würden Ladonnas Lakeien es weitererzählen, dass Phoebe Gildfork sich vernichtet hatte? Dann überlegte die Witwe von Arbolus Gildfork, ob Ladonna von der Selbstvernichtungskraft mitgerissen worden war. Igor Bokanowski hatte ihr damals, als sie ihre Doppelgängerin in Auftrag gegeben hatte erklärt, dass jeder, der mitbekam, dass sie eine Doppelgängerin war, in dem Moment mit ihr in einem schlagartig aus ihr herausbrechenden Feuerball vergehen würde, sofern niemand vorher auf die Idee kam, sie in einen Incapsovulus-Zauber einzuschließen, der die allermeiste Wucht der Selbstvernichtung schlucken konnte. Ja, vielleicht hatte sie, Phoebe Gildfork, und der in irgendeinem dunklen Reich getöteter Dunkelmagier darbende Bokanowski der Welt einen sehr großen Gefallen getan, und Ladonna Montefiori war ebenfalls Geschichte. Doch dann fiel ihr wieder ein, dass sie ihre wichtigste Verbindung zur Außenwelt verloren hatte. Sie warjetzt ganz allein, allein mit Phaetusa und den Zwillingstöchtern Astra und Andromeda. Das durfte nicht so bleiben. Doch zunächst musste sie zusehen, die zwei Mädchen groß genug zu kriegen. Ja, und im Zweifelsfall konnte sie ihre fünf Hauselfen als Kundschafter ausschicken, ihr Nachrichtenund Zeitungen aus der Zaubererwelt zu besorgen. Doch was war mit ihrem Gold in Gringotts. Das würde sie in den nächsten Tagen noch klären müssen.

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Die Nacht endete um kurz vor vier mit einem lauten, fordernden Schrei. Julius und Millie waren sofort wach. "Ich glaube, ich sollte meinen Arbeitstag um vier Stunden nach vorne schieben, bis sie durchschläft", grinste Julius seine Frau an. "Das hast du bei Aurore auch schon gesagt und bei Chrysope", entgegnete sie schmunzelnd. Dann nahm sie die laut und deutlich Zuwendung fordernde Clarimonde aus ihrer Wiege. Jetzt fing auch Chrysope zu wimmern an. "Entweder regt sie sich auf, weil sie geweckt wird oder ist eifersüchtig, weil Clarimonde noch bei uns im Zimmer wohnen darf und sie nicht mehr", meinte Julius. Millie erwiderte: "Geh zu ihr und frag sie doch!"

So begann der zehnte August 2003 mit der üblichen Aufteilung bei der Versorgung der Kinder. Aurore, die zwischendurch mal aus dem Zimmer herauslugte, zog sich sofort wieder zurück, als Julius Chrysope in richtung Badezimmer trug. Das wollte sie nicht sehen und riechen, dass ihre nicht mehr ganz kleine Schwester in ihre Windeln reingemacht hatte.

Nach den nicht so angenehmen Aufgaben der Säuglings- und Kleinkindpflege fragte Millie Julius, ob wieder ein Bericht gekommen sei. Immerhin hatte Gilbert nun die Sache mit den geflohenen und in Millemerveilles gestrandeten Betrügern exklusiv. Doch wussten er und seine Verwandten in Frankreich, dass er heftigen Ärger kriegen würde, wenn das italienische Zaubereiministerium herausfand, was Linda Knowles ihm mitgeteilt hatte.

Es lag jedoch kein weiterer Bericht von Gilbert Latierre vor. So konnten Millie und Julius wahrhaftig noch bis sechs schlafen. Dann trompetete einer der von Claire Dusoleil gemalten Musikzwerge los. "Ey, sagt diesem Schreibündel, dass es euch nicht andauernd vor uns wachmachen soll", maulte ein anderer der Musikzwerge. "Ja neh is' klar", musste Julius darauf antworten. Millie lachte glockenhell.

Nach dem Frühstück zog sich Julius einen eleganten, graublauen Anzug über ein blütenweißes Hemd und band sich eine weinrote Krawatte um, wobei er dreimal prüfte, ob der Knoten auch richtig war. Dann ließ er sich von seinen beiden erwachsenen Mitbewohnerinnen begutachten. "Ui, sieht wirklich offiziell aus, Julius", bemerkte Millie dazu, als er sich zweimal vor dem hohen Wandspiegel im schlafzimmer gedreht hatte. "Ich bin auf jeden Fall froh, dass ich da noch reinpasse. Aber wenn ich die Imprägnierlösung auftrage sieht der sogar wie maßgeschneidert aus", sagte er. So tropften sie die praktische Lösung auf die Hose, die silbergrauen Socken und die Jacke mit den mattsilbernen Knöpfen. Tatsächlich passten sich die Kleidungsstücke sofort den Körperkonturen an. Jetzt mochte jeder meinen, die elegante, hochoffizielle Kleidung sei ihm auf den Leib geschneidert worden.

"Am besten kommst du nach diesem Ausflug für die Marceaus und Delacours über den Schrank im Schloss, damit Maman dich noch in dieser Kleidung sehen kann", meinte Béatrice mit anerkennendem Lächeln. Julius deutete ein nicken an. "Ich sage das gleiche", fügte Millie hinzu.

"Gut, dann zieh ich mir noch den dünnen hellblauen Umhang über", sagte Julius.

Mit einem gleichwarm bezauberten Umhang über dem Anzug apparierte Julius ins Ministeriumsfoyer. Dort beantwortete er bis halb zehn die eingegangene Post. Dann meldete er sich bei Nathalie Grandchapeau ab, weil er nun für die Marceaus zum Château Trois Étoiles fahren würde. Hierfür hatte ihm das Büro von Nathalie Grandchapeau den Fahrer ^Baudouin Soubirand und einen silbergrauen Renault bewilligt.

"Öhm, Sie tragen sicher unter dem Umhang eine für die magielose Welt adäquate Kleidung, Monsieur Latierre. Darf ich diese einmal ansehen?" wandte sich Nathalie an ihren zeitweiligen Mitarbeiter. Dieser nickte und streifte behutsam den Umhang ab. "Ja, sowas hat mein Mann auch mal getragen, Monsieur Latierre. Oh, der sieht sogar aus, als hätten Sie den Anzug maßschneidern lassen. Zwirnsstube oder Adjustivestis-Imprägnierlösung?" Julius erwähnte die magische Imprägnierlösung. Nathalie besah ihn sich. Dann reichte sie ihm einen der Cogison-Ohrringe, die sie dabei hatte. "Maman macht mal eben, dass ich das auch sehen kann", hörte er über die körpereigene Geräuschkullisse Nathalies Demetrius' Cogison-Stimme. Dann verschwand Nathalie scheinbar. Doch Julius hörte, wie sich jemand leise keuchend auf den leeren Schreibtisch stellte. "Ah, jetzt geht's. Danke, Maman!" hörte Julius wieder die Cogison-Stimme und Nathalies leises aufstöhnen. "Ey, mach dich nicht so breit", grummelte Nathalie. "'tschuldigung, Maman, aber ich musste mich anders drehen, ums zu sehen. Jawoll, so ist der, der mich hier untergebracht hat auch mal in der Magielosen Welt rumgelaufen, weil er mit dem französischen Präsidenten sprechen musste und dem zeigen wollte, dass er auch in einem Anzug ausgehen konnte. Ich falte mich jetzt wieder ordentlich zusammen, Maman", cogisonierte Demetrius Vettius. "Gut, dann mache ich dein Zimmer wieder dunkel. Schlaf am besten noch ein paar Stunden bis zum Mittagessen", dachte Demetrius' Mutter in Dauerwartestellung mit hilfe des Cogisons. Dann wurde sie wieder sichtbar. Wo Julius nicht mit dabei ist wird's eh langweilig genug, dass ich gut schlafen kann, meine hoffnungsvolle Heimstatt", erwiderte Demetrius.

"Ja, das hält ihn und auch mich bei Laune, dass er mich mit verschiedenen, wohlwollenden oder auch mal frechen Bezeichnungen bedenkt", hörte Julius Nathalies vom Cogison naturgetreu vertonten Gedanken. Dann nahm sie ihren Ohrring ab. Julius tat dasselbe. Erst musste er sich wieder auf die natürliche Umgebung einhören. Dann gab er ihr den Ohrring zurück und verabschiedete sich.

Auch von Simon Beaubois verabschiedete er sich, damit seine Vorgesetzten wussten, dass er gerade außer Hause war.

Mit dem Fahrer des ministeriumseigenen Renault unterhielt sich Julius während der Fahrt über die Quidditchweltmeisterschaft. Die Temps würde erst am 11. August ihren Superknüller auspacken. Dennoch hatte Baudouin Soubirand wohl schon läuten gehört, dass irgendwas wegen der WM besprochen werden sollte, sowohl die Strafverfolgungsabteilung wie auch die Abteilung für magische Spiele und Sportarten war in erhöhter Betriebsamkeit. Ja, und vor allem die aus Millemerveilles stammenden Mitarbeiter schwiegen, wenn sie darüber befragt wurden, als habe es mit ihrer Ansiedlung zu tun. Da konnte Julius wunderbar drauf aufbauen und sagen, dass die beiden Abteilungen sich auch darüber unterhielten, inwieweit Millemerveilles in der kommenden Quidditchsaison gesichert werden konnte und auch, ob eine neue Überwachung bei anfliegenden Besen eingerichtet werden konnte. Er dachte, dass das erst mal genug Zutaten für die Gerüchteküche waren, ohne die wirklichen Gründe für diese Betriebsamkeit auszuwalzen. Das wollte er seiner Frau und seiner schwangeren Schwiegermutter überlassen.

Die Fahrt zum kleinen Waldschloss Trois Étoiles dauerte Dank Transitionsturbo nur eine Stunde. Die letzten drei Kilometer fuhren sie auf einer plattierten, gerade mal für zwei sich entgegenkommende Wagen gleichzeitig befahrbaren Straße ohne regelmäßige Beleuchtung. Links und rechts überragten die Wipfel hoher Bäume einen Teil. Nur in der Mitte brachen helle Bahnen Sonnenlicht durch. Julius erkannte, wie braun die Blätter schon waren. Hier hatte es also auch seit Wochen nicht mehr geregnet.

Aus zwei Kilometern Entfernung konnte Julius die Spitzen von vier Türmen zwischen den Bäumen aufragen sehen. Dann konnten sein Fahrer und er das kleine weiße Schloss immer deutlicher erkennen. Auf den Spitzen der wohl zwanzig Meter hohen Türme wehten sowohl die französische Tricolore als auch ddunkelblaue Flaggen mit je drei goldgelben Sternen. Also waren sie genau richtig. Denn das hatte Julius genauso auf einem Foto im Internet gesehen. "Wie abgesprochen, Baudouin. Sie warten bitte hier im Wagen, während ich mit dem Verwalter dieses Waldschlösschens spreche. Falls Sie Hunger bekommen, ich habe noch ein paar Sättigungskekse mit", sagte Julius und deutete auf seinen Aktenkoffer, den er mitgenommen hatte.

"Danke für das Angebot, Julius. Aber ich habe bei Überlandfahrten immer was von meiner Holden in einer gleichwarm bezauberten Büchse mit", sagte Fahrer Soubirand und deutete auf das Handschuhfach, in das laut seiner Auskunft soviel hineinging wie in den Kofferraum des Wagens. Julius nickte beruhigt und wartete, bis der Renault leise brummend dem Tor in der drei Meter hohen Begrenzungsmauer zurollte.

"Öhm, dieses Ding da sieht wie der Hörer eines kabelgebundenen Fernsprechtelefons aus, richtig? Julius nickte und erkannte, dass er ungünstig dafür saß, weil die Vorrichtung an der Fahrerseite angebracht war. Doch das Kabel war lang genug, dass Julius nach Betätigen einer roten Taste am Hörer mit wem auch immer sprechen konnte. ein vornehm betontes "Ja, bitte, Sie wünschen?" kam leicht blechern aus dem Hörer. Julius meldete sich im bbesten pariser Französisch und erwähnte, dass er der angemeldete Hochzeitsplaner der Familien Marceau und Delacour war. Er erhielt die Erlaubnis, auf den westlichen der beiden Parkplätze zu fahren. Dann ging das zweiflügelige Tor auf.

Am Eingangsportal erwartete ein älterer Herr in einem dunkelblauen Anzug den Besuch. Dass Julius einen Fahrer hatte mochte dem vielleicht imponieren, tat es aber nicht wirklich. Natürlich erhielt dieses Schloss immer wieder Besuch von Leuten, die nicht selbst fahren mussten.

Schlossverwalter Dumont begrüßte Julius mit der Höflichkeit, die einem dienstbaren Geist anerzogen war. Er bat Julius zu einer kleinen Führung durch das Schloss. Dabei erfuhr Julius, dass hier die neuesten Komfortsachen eingebaut waren, die Stromversorgung über einem tief unter der Erde versteckten Dieselgenerator gewährleistet wurde und in jedem und in jedem Zimmer ein an das französische Kabelnetz angeschlossene Fernseher und Radios eingebaut waren, aber durch eine Schaltung hinter einer Wand verschwinden konnten, wenn jemand die besondere Atmosphäre eines alten Schlosses ohne technisches Zeug genießen wollte. Julius konnte hier wunderbar einhakenund sagte, dass die ihn beauftragenden Familien viel Wert auf traditionelle Feiern legten und genau aus diesem Grund ein Jagdschlösschen als Festort ausgesucht hätten. "Das heißt, ich muss Ihnen keine Bedienungsanleitung für die in den Zimmern verbauten Geräte kopieren?"

"Am Besten sichern sie das ganze Haussystem derart, dass keiner der Gäste völlig unbeabsichtigt irgendwas durcheinanderbringen kann, ja am besten ist es, wenn der Strom ganz abgestellt wird. Wir haben klassische Musiker gebucht, die ohne Strom auskommen."

"Hmm, die Brandschutztechnik muss aber in Betrieb bleiben. Ich werde ja auch nur dann aus meinem Refugium kommen, falls ich von Ihnen oder einem der beiden Auftraggeber direkt angerufen werde oder wenn ein Feuer ausbricht. Ach ja, nutzen Sie bitte nur die im Schloss verfügbaren Kerzenleuchter, wenn Sie wahrhaftig ohne elektrische Beleuchtung auskommen möchten!"

"Ich denke sehr zuversichtlich, dass wir uns auf gegenseitig annehmbare Grundregeln einigen werden", sagte Julius dazu.

Das Hochzeitsgemach sah wahrhaftig so aus, als habe es sich seit der Zeit von König Louis XV. nicht verändert. Kastellan Dumont deutete auf eine der holzgetäfelten Wände. "Dahinter steckt unser Großbildfernseher. Im Nachttisch dort liegt die dafür nötige Fernbedienung. "Öhm, wenn die Brautleute irgendwas nötig haben, so müssen sie entweder die Tür oder eines der Flügelfenster öffnen oder den runden Knopf dort drehen, um eine Sprechverbindung mit mir oder der Dienstbotenetage herzustellen. Um die Betten müssen Sie oder Ihre Auftraggeber sich nicht kümmern. Die werden nach Ihrer Abreise neu bezogen."

"Ist das Zimmer schalldicht?" fragte Julius mit einer den ganzen prunkvoll ausgestatteten Raum überstreichenden Geste. Der Kastellan nickte bestätigend. "Gut, das werde ich den Brautleuten dann ganz dezent mitteilen, dass sie hier ungestört sein werden." Der Kastellan schaffte es nicht, ein gewisses Grinsen zu unterdrücken, bevor er seine antrainierten Gesichtszüge wieder hinbekam.

Julius ließ sich dann noch die anderen mit angemieteten Schlafzimmer zeigen, die jedoch nicht schalldicht waren. Jedes Zimmer hatte einen Zugang zu einem der Baderäume, in dem die Wasserhähne wahlweise durch Infrarotannäherungssensoren geöffnet oder nach Schaltung mittels Fernbedienung durch übliche Kräne geöffnet werden konnten. Da bis zum 18. August niemand hier unterkommen würde konnte Dumont die Schaltung vornehmen, die die annäherungssensoren außer Kraft setzte. "Nachher glauben manche Gäste noch, das Schloss sei das Schloss eines Zauberers", scherzte Julius. Das brachte den Kastellan zum lachen.

"Apropos Zauberei, Monsieur Latierre, Wenn Sie wie angekündigt Küchenpersonal mitbringen sollte dieses sich mit den in den beiden Küchen vertrauten Gerätschaften vertraut machen. Die Herdstellen werden mit Gas betrieben, das erst eine Stunde vor Inbetriebnahme aus gesicherten Tanks hochgepumpt und vorgehalten wird und nach Beendigung des Aufenthaltes wieder in den Tank zurückgepumpt werden muss. Ich händige Ihnen sogleich die entsprechenden Bedienungsanleitungen und Nutzungsvorschriften aus." Julius bestätigte das. Allerdings fragte er sich, wie die Gäste hier kochen sollten, wo außer den Marceaus noch keiner einen Gasherd bedient hatte. Dann sah er, dass die Herdplatten hoch genug angebracht waren, um darunter eine andere Feuerquelle statt einer Gasflamme zu nutzen. Doch das sagte er Dumont nicht.

Nachdem sie auch kurz auf die Türme gestiegen waren, wobei der Kastellan betont hatte, dass die Türme nicht ohne sein Beisein erstiegen werden dürften, handelten Julius und er alle schriftlichen Formalitäten ab. Demnach würde er um halb elf morgens hier eintreffen, um die Schlüssel zu übernehmen. Die ersten Gäste würden dann um ein Uhr hier ankommen. Die Feier würde vordringlich im Park stattfinden. Julius empfahl, den Mähroboter gut wegzuschließen, da bei den Gästen auch Kinder waren, die das sicher teure Gerät nicht kaputt machen mussten. Überhaupt sagte Julius schnell: "Wir sind darüber eingekommen, dass wir alles, was wir mitbringen auch wieder mitnehmen und alles, was wir hier schon vorfinden, in dem Zustand zurücklassen, in dem wir es vorgefunden haben. Auch wenn sich dies von selbst versteht baten meine Auftraggeber mich, diese klare Ankündigung zu äußern und wenn gewünscht auch in deren Auftrag schriftlich zu fixieren." Der Kastellan blickte ihn mit großem Erstaunen an. Offenbar hatte er mit einer derartig vorauseilenden Beruhigung nicht gerechnet.

Julius hörte seinen Magen knurren, während er mit dem Schlossverwalter den Mietvertrag unterschrieb, beide natürlich im Auftrag. Eine schriftliche Auftragsbestätigung von den Marceaus und Delacours händigte er dem Kastellan als Kopie aus.

Als er zu Baudouin Soubirand in den Wagen stieg stellte er fest, dass er doch wahrhaftig zwei Stunden in dem Schloss zugebracht hatte. Da er mit Madame Grandchapeau und Monsieur Beaubois vereinbart hatte, dass er gleich nach der Rückkehr von der Besichtigung freinehmen konnte kam er wohl um drei Uhr nach Hause. Deshalb musste er keinen der erwähnten Sättigungskekse anbrechen. Allerdings nahm er die Einladung seines Fahrers dankend an, nach Verlassen des Grundstückes und einigen gefahrenen Kilometern anzuhalten und Mittag zu essen.

Julius lobte Madame Soubirand in Abwesenheit für ihre raffinierte Tomatensuppe und die spanischen Albondigas mit Kroketten. Zum Nachtisch gab es kleine Schokotörtchen und zu Trinken Kürbissaft aus einer gleichwarm bezauberten Flasche.

"Also, meine Holde hat kurz nach unserer Hochzeit angesagt, dass ich nicht in einem Speisesaal oder einer Kantine essen müsse", sagte Monsieur Soubirand, nachdem er und Julius sich mit geblümten Servietten die Münder abgeputzt hatten. Julius wusste, dass längst nicht jeder Mitarbeiter im Speisesaal aß, es die meisten aber taten, weil sie so Kontakt mit den Kollegenhatten. Allerdings konnten sich die Büro- und Abteilungsleiter auch von Hauselfen das Essen an den Arbeitsplatz bringen lassen, wie es ihm ja zur Kaffeepause regelmäßig gegönnt wurde.

Als sie mit ihrem Wagen wieder auf der versenkbaren Plattform in die ministeriumseigene Tiefgarage hinabglitten sagte Baudouin Soubirand noch: "Ich freue mich, dass ich Ihnen heute gut habe helfen können und wünsche Ihnen für die Hochzeit viel Erfolg und Ihrer Familie weiterhin alles gute. Grüßen Sie bitte auch Ihre Frau Mutter, wenn Sie ihr wieder schreiben!" Julius versprach es und bedankte sich für das Mittagessen und die Fahrt. Er musste wirklich nicht Autofahren lernen, wenn er mal magielos irgendwo vorfahren musste.

Nachdem er sich bei seinen Dienstvorgesetzten zurückgemeldet und ihnen Kopien der ausgehandelten Mietverträge für die Akten überlassen hatte sagte Nathalie Grandchapeau noch: "Das mit den Komforteinrichtungen interessiert sicher Mr. Artuhr Weasley. Soweit mein britischer Kollege es mir mitteilte ist er sehr begeistert von den Geräten und Erfindungen der magielosen Welt."

"Das hörte ich auch schon, Madame Grandchapeau", erwiderte Julius. Dann verabschiedete er sich von ihr.

Wie von Béatrice und Millie erbeten apparierte Julius nicht gleich nach Hause, sondern vor die Tür des Honigwabenhauses seiner Schwiegereltern. Doch Hippolyte war nicht da, nur Albericus, seine Tochter Miriam und Claudine Brickston.

"Also, Hippolyte ist seit heute morgen zehn Uhr in Millemerveilles und debattiert da heiß und innig mit europäischen Vertretern der magischen Spiele und Sportarten, hat sie mir gesagt und dass ich die beiden hier bis heute abend beaufsichtigen soll."

Schade, ich wollte ihr meinen Tarnanzug für Ausflüge in die unmagische Welt vorführen", sagte Julius und zog den Umhang aus. "Ach du meine Güte, einen Würgestrick hast du dir auch umgeknotet?" lachte Albericus, der Julius von unten her ansehen musste. "Ist immer noch die Konvention bei Außendienstmitarbeitern in der Geschäftswelt. Aber Computerfirmenleute laufen oft auch ohne sowas rum", erwiderte Julius. Dann wünschte er Albericus noch einen schönen Tag und verließ das Haus durch die Haustür. Weil Claudine da war konnte er nicht durch den Schrank gehen. So apparierte er direkt ins Apfelhaus, wo Ursuline in der Wohnküche saß und ihre zwei jüngsten Urenkel auf den Beinen wiegte. "Ich hab's mitbekommen, dass Miriam Claudine zum Spilen eingeladen hat. Deshalb war mir klar, dass du nicht durch die Schränke steigen wirst, Julius", sagte seine Schwiegergroßmutter. Dann begutachtete sie seinen Ausgehanzug und grinste. "Das hat sicher einen gehörigenEindruck gemacht, wie?"

"Vor allem, weil ich meinen eigenen Fahrer mitgebracht habe", sagte Julius.

"Die sind immer noch am reden. Mittlerweile haben sie die Leiter von der Spiele- und Sport aus Washington und Ciudad de México auch herübergeholt", vermeldete Millie, als diese für einige Minuten in die Wohnküche appariert war. "Und, noch alle ganz?" fragte Julius seine Frau.

"Der Italiener Pavone fuchtelt mit seinen Händen herum und der aus den Staaten feuert immer wieder böse Blicke auf die halbinkastämmige aus dem LI ab, als hätte die dem seinen schönen Traum von der Titelfeier kaputtgemacht. Zwischendurch wollten der Signore aus Bella Roma und Mr. Silvernail aus New York einen Beschluss durchbringen, dass nach dem Turnier-aus der USA alles ohne großes Getröt weitergehen könnte. Das war aber wohl das dümmste, was der sagen konnte. Denn alle die, die von Protzphoebes Schummeltruppe aus dem Turnier geworfen wurden verlangen eine Wiedergutmachung und vor allem, dass diese Machenschaft nicht unter einen noch so dicken Teppich gekehrt wird. Gerade die Fans aus Mexiko und Frankreich hätten ein Recht darauf, zu erfahren, dass die Niederlage ihrer Mannschaft kein Unvermögen war sondern durch einen gemeinen Zauber bewirkt wurde. Dann bin ich mal wieder weg, Monju. Aurore ist bei Jeanne und Bruno", erwähnte Millie noch, bevor sie mit leisem Plopp disapparierte. Natürlich wollte, ja musste sie nun am Quaffel bleiben, was wegen der verdorbenen Weltmeisterschaft beschlossen und verkündet wurde.

Ursuline, die sich die zwei Urenkeltöchter Chrysope und Clarimonde sacht über die Schultern gehängt hatte, zeigte Julius noch ein paar praktische Griffe auf der Klaviertastatur, damit er auch mal mit Millie vierhändig spielen konnte. "Mit Diane und Cynthia habe ich auch schon häufiger sechshändig gespielt. Die Klavierbank hat zwar gemeckert, dass eine von unszu schwer war, hat aber nicht verraten, welche von uns."

"Ich wusste gar nicht, dass ihr sprechende Möbel habt", meinte Julius, der ja schon öfter im Sonnenblumenschloss gewohnt hatte. Da lachte Ursuline laut los und nahm ihn in eine halbe Umarmung. "Nein, haben wir doch nicht. Das fehlte ja noch, ein geschwätziges Bett oder einen sich ständig über Tintenflecken beschwerenden Schreibtisch zu haben", kicherte sie. "Aber es stimmt schon, dass meine Schwestern und ich häufiger sechshändig Klavier gespielt haben."

Ursuline versorgte Clarimonde, wobei sie ihr eine kleine Flasche mit Sauger gab. Für Chrysope sang sie alte Hexenlieder, zu denen Julius auf der Altblockflöte kurze Begleitmelodien improvisierte.

Es wurde sechs Uhr, es wurde sieben Uhr. "Na, ob die heute noch fertig werden?" fragte Ursuline Latierre den Herrn des Apfelhauses. Dieser wiegte den Kopfund erwähnte dann politische Debatten in der magielosen Welt, die manchmal bis tief in die Nacht abliefen. Da säßen die Reporter dann stundenlang vor verschlossenen Türenund warteten, bis ziemlich müde aussehende Leute herauskämen und denen erzählten, was denn jetzt beschlossen war. Gemäß der Vereinbarung, dass sie sich nicht innerhalb der Arbeitszeit was zumentiloquierten, wenn es nicht ganz dringend war wollte Julius warten, bis Millie zurückapparierte. Ursuline hatte da weniger Probleme. Sie sagte unvermittelt: "Also, Hipp ist ein bis zur weißglut aufgeheizter Kessel, aber hofft dass sie das heute noch durchkriegen. Falls Millie sich das echt antun wolle, denen weiter zuzuhören, wo jetzt auch noch Laurie vom Kristallherold herübergekommen ist sollten wir schon mal essen."

"Hat Millie was vorgekocht?" fragte Julius. "Hatte die doch keine Zeit für, wo die Damen und Herren doch schon seit neun Uhr im Saal für geschlossene Gesellschaft in eurer Dorfschenke sitzen. "Dann gehen wir zu uns", beschloss Ursuline. Julius gedankenfragte Jeanne, ob Aurore mit ihm und ihrer Uroma Line ins Sonnenblumenschloss wolle, er könne sie auf dem Besen abholen. Jeanne antwortete eine Minute später, dass Aurore bei ihr essen wolle, weil sie Vivianes Lieblingsessen gemacht habe, bunte Spaghetti.

So vertrieb sich Julius mit den Bewohnern des Sonnenblumenschlosses noch den Abend und erwähnte, was er in dem kleinen Schloss alles gesehen hatte. Patricia grinste, als sie das von den sich selbst öffnenden Wasserhähnen hörte. "Das darf mir Marc mal zeigen, wo es solche Wasserhähne gibt", sagte sie noch. Dann wollte sie Julius ausforschen, was an ihrem Hochzeitstag denn abgehen würde. Julius sagte nur, dass es ja nicht mehr lange dauere, bis sie das wisse und dass es ja Marc gegenüber unfair wäre, wenn sie schon alles wüsste, er aber nicht. "Dann darfst du mein Brautkleid aber auch erst am Hochzeitstag sehen", grummelte Patricia. Julius nickte nur beiläufig und sagte: "Hatte ich sowieso vor." Daraufhin zog sich Patricia zurück, weil die vier jüngsten Geschwister noch eine Toberunde anfingen, bei der sie nicht mitmachen wollte.

"Julius, wir sind durch, aber sowas von", schickte Millie ihm eine Gedankenbotschaft, kurz nachdem die Standuhr im grünen Salon elf Uhr abends geschlagen hatte. "Ich komm mit meinen Notizen ins Schloss rüber und schick das mit Onkel Otto noch auf den Weg, dass unsere Leserinnen und Leser das morgen frühstücksbaguettewarm zu lesen kriegen."

"Sag Millie, sie soll euer Nachtzeug mitbringen. Ihr könnt alle hier schlafen", sagte Ursuline zu Julius. Der gab es weiter. "Hab ich schon eingepackt, Monju", bekam er aus der Ferne die Antwort.

Hippolyte kam mit Millie, Béatrice und Aurore aus dem orangeroten Schrank in der Halle der Verbindungsschränke. Julius sah sofort, wie erschöpft seine Schwiegermutter war. Aber sie grinste überlegen, als hätte sie eine lange Quidditchpartie gespielt und gewonnen.

"Also, für alle aus der Familie. Alain Durin ist noch wohlauf und kann später mal sagen, dass er schon mitgehört hat, wie ein hoffentlich einmaliges geschichtliches Ereignis beschlossen wurde", keuchte Hippolyte und versuchte ein vor ihrem Gesicht verstofflichtes Glas behutsam wegzudrücken. Doch es versuchte, sich ihr an den Mund zu setzen. "Erst trinken, dann sprechen, Hippolyte", sagte Béatrice, die diesen Zauber wohl ausgeführt hatte. Grummelnd trank Hippolyte aus dem Glas, dass scheinbar nicht leer wurde. Erst als sie mindestens zwanzigmal geschluckt hatte verschwand der restliche Inhalt im Nichts. "Trice, wir hatten es schon davon, sei bitte Kindermädchen für wen anderen oder schaff dir endlich selbst was kleines an!" knurrte Hippolyte. Julius verstand sie zu gut. Dann sagte seine Schwiegermutter:

"Also, was ich Millie zur Veröffentlichung freigegebenhabe könnt ihr alle morgen in der Temps nachlesen. Nur so viel: Das hat deshalb solange gedauert, weil es insgesamt sechs Vorschläge gab, wie dieses Unding von einer verdorbenen Weltmeisterschaft zu handhaben sei. Natürlich hat es auch lange gedauert, bis der US-Kollege es einsah, dass seine Leute betrogen haben, er aber auch nicht glaube, dass Vita Magica sie überfallen hätten. Denn die hätten ja mit den Amerikanern einen immernoch gültigen Stillhaltevertrag. Deshalb wollte der auch wissen, wo seine Landsleute Gildfork und Maveric abgeblieben seien. Darauf konnte der italienische Kollege ihm keine Antwort geben, da er bisher von einem Überfall von Vita Magica ausgegangen sei.

Am Ende haben wir nach zähem für und wider aller eingebrachten Vorschläge eine Mehrheit für den von mir und dem mexikanischen Kollegen eingebrachten Vorschlag gestimmt: Die Weltmeisterschaft als solche beginnt im Frühling 2004 ganz von vorn, mit Beteiligung der Kanadier, die ja von den USA vor der Endrunde aus der Teilnehmerliste gespielt worden waren. Die Begegnungen werden dann noch einmal neu ausgelost. Alle bis jetzt entstandenen Kosten trägt das US-Zaubereiministerium. Was die Anschläge von Vita Magica angeht, so übernehmen die am Turnier beteiligten Zaubereiministerien die Unterhaltszahlungen für alle ungewollt gezeugten Kinder, sofern nicht bis zu deren Geburt geklärt wird, wer hinter diesen Fortpflanzungsgasangriffen steckt. Ach ja, Die Eintrittskarten für die Fans bleiben bis zur Wiederholung gültig oder können zurückgegeben werden, wobei das US-Zaubereiministerium dann alle Rückerstattungskosten übernehmen soll, wenn sie nicht wollen, dass ihr Land für die nächsten zehn Turniere gesperrt bliebe, also für die nächsten vierzig Jahre. Weil das dem Kollegen aus den Staaten zu heftig war versprach er, seinem obersten Dienstherrenund dem Finanzbehördenleiter zu empfehlen, darauf einzugehen. Er murmelte mal was, dass er sich das Gold von denen wiederholen würde, die den Betrug begangen hätten. Soll er ruhig machen. Jedenfalls wird die IOMSS morgen nach dem Abbruch der verdorbenen WM verkünden, dass die USA für die nächsten drei Weltmeisterschaften gesperrt sein werden. Mit dieser Strafe wird mein Kollege aus den Staaten leben müssen, sofern in den Staaten dann überhaupt noch ein Hahn danach kräht, an einem internationalen Quidditchturnier teilnehmen zu wollen. Na ja, aber das mit der Dame Gildfork und Don Maveric wird wohl noch zu klären sein."

"Ja, Ma, das wird es wohl", meinte Millie noch dazu. Julius wusste auch warum sie das sagte.

"Öhm, Ma, du hast aber ausgelassen, dass die Wiederholung der Weltmeisterschaft nur dann läuft, wenn geklärt wird, wie dieser Zauber erkannt und aufgehoben werden kann, weil ja sonst wieder jemand sowas machen könnte, zum Beispiel die Peruaner, deren Vertreter ja ziemlich sauer war, dass die Yankees ein Ritual aus der Magie der Inkas benutzt haben, wo die doch auch in Peru gewohnt hätten."

"Das wird dann von den Strafgerichten entschieden, Mildrid", sagte Hippolyte. Jedenfalls dürfen sich die hier gestrandeten Damen und Herrenund wohl auch der junge Monsieur Maveric auf eine lebenslange Sperre einrichten und womöglich noch Entschädigungsklagen der von ihnen aus dem Turnier gespielten Mannschaften an die Hälse kriegen. Vielleicht wären sie dann sogar froh, wenn Vita Magica sie entführt und in ihre Zucht übernommen hätte."

"Was nicht ist kann noch werden, Ma", seufzte Millie.

Um die Stimmung wieder aufzulockern durfte Julius erst einmal seiner Schwiegermutter seinen Ausgehanzug präsentieren und dann noch erzählen, was er im Château Trois Étoiles erlebt hatte. Danach verordnete Béatrice Latierre allen hier gerade anwesenden Nachtruhe.

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Millie las ihren Verwandten und der bis auf weiteres im Sonnenblumenschloss untergekommenen Linda Knowles am nächsten Morgen im grünen Salon des Château Tournesol ihren Sensationsartikel aus der druckfrischen Ausgabe der Temps de Liberté vor. "Unschöner Paukenschlag beendet beschwingte Musik der Quidditch-Weltmeisterschaft 2003, hatte sie den Artikel übertitelt und darunter noch "US-Mannschaft des gemeinschaftlichen Sportbetruges unter Ausnutzung eines alten Inkarituals überführt". Julius bemerkte dazu, dass es eine Menge Staub aufwirbeln würde.

So wunderte er sich überhaupt nicht, als er im Foyer des Zaubereiministeriums apparierte und dort viele Gruppen von Kolleginnen und Kollegen sehr aufgeregt bis stinkwütend miteinander debattieren fand. Als Pygmalion Delacour ihn sah winkte er ihm zu und fragte ihn, wo noch ein paar Kollegen dabei waren: "Wo steckt die Bande jetzt, die uns die Titelverteidigung versaut hat?"

"Die sind diese Nacht mit einem der Pendelschiffe zwischen Millemerveilles und Viento del Sol in die Staaten zurückgebracht worden. Gemäß den internationalen Regeln für Wettkämpfe wurden sie aus Frankreich abgeschoben, nachdem bestätigt war, dass sie diesen unzulässigen Zauber benutzt haben, Monsieur Delacour."

"Ja, aber die Anstifterin haben sie offenbar nicht zu fassen gekriegt, oder was?" fragte ein Kollege aus der Verkehrsabteilung. Julius sagte, dass der Vertreter der Italiener davon nichts gesagt habe.

"Ja, und im Frühling soll das wiederholt werden?" wollte nun Michel Montferre wissen, dessen Töchter Sabine und Sandra zur Nationalmannschaft gehörten. "Das ist wohl erst mal ein von allen mitgetragener Vorschlag, Monsieur Montferre", erwiderte Julius. "Aber das wird die Kollegin Latierre sicher noch ... Ah, da ist sie auch schon."

"Guten Morgen zusammen. Ich stell mich gleich vor alle gestern nicht dabei gewesenen Presseleute und werde denen alles genau erklären. Ich finde es einen Riesenhaufen Drachenmist, den die Spieler aus den Staaten da verzapft haben, soviel von mir für euch. Alles weitere entweder aus der Zeitung oder wer darf kann es als Direktübertragung im magischen Rundfunk hören. Frohes Schaffen, Messieursdames et Mesdemoiselles Kollegen." Als sie das gesagt hatte schritt sie entschlossen auf einen freien Fahrstuhl zu. Dabei schafften es Michel Montferre, Pygmalion Delacour und Julius, sie zu begleiten und damit die Kabine zu besetzen.

Natürlich war an eine geregelte Arbeit nicht zu denken. Ministerin Ventvit schickte ein Memo herum, in dem sie jedem Mitarbeiter ausdrücklich gestattete, die Direktübertragung im magischen Rundfunk mitzuhören, wo aus Arbeitsgründen geeignete Empfänger waren. Julius wurde von Nathalie eingeladen, die Sendung in ihrem Büro zu hören. Alle ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kamen ebenfalls dazu. So verfolgten sie erst die offizielle Verlautbarung Madame Hippolyte Latierres mit und auch die anschließende Pressekonferenz, bei der auch Julius' Frau sowie Florymont Dusoleil als Vertreter vom Radio freie Zaubererwelt dabei war. Auf die Frage, wo die Spieler aus den Staaten jetzt waren erwähnte Hippolyte, was Julius schon im Foyer erwähnt hatte. Weil natürlich jemand einwerfen musste, dass sie dort ja immer noch als Helden gefeiert werden mochten sagte Hippolyte, dass die internationalen Regeln das vorsähen, dass eines schweren Betruges unter Ausnutzung der Magie überführte als unerwünschte Personen des Landes verwiesen würden. Sie deutete jedoch an, dass die Kollegen in Italien die Spielerinnen und Spieler gewiss gerne weitervernommen hätten und ja bisher keine offizielle Erklärung über den Verbleib von Phoebe Gildfork und Donovan Maveric erfolgt sei.

Nachdem die Pressekonferenz beendet war kehrten alle Ministeriumsmitarbeiter an ihre Arbeitsplätze zurück. Julius bekam noch Besuch von Monsieur Delacour, der bei ihm als Antragsteller vorsprach, die Hochzeit seiner jüngeren Tochter mit ausländischen Gästen feiern zu dürfen. Ihm berichtete Julius, was er gestern erlebt hatte. Des weiteren verlief der Arbeitstag bis auf die üblichen Stunden im Computerraum ereignislos.

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Venus Partridge war froh, als sie am morgen des 12. August mit einem der erstenPortschlüssel in Richtung USA verschwinden konnte. Tagelang hatte sie gefürchtet, dass das kleine, pikante Geheimnis, dass sie und den nun offiziell als in Gewahrsam befindlichen Donovan Maveric teilte, nicht doch ans Licht kam. Doch der Fidelius-Zauber wirkte. Nur wenn sie selbst jemandem erzählte, dass sie mit ihm eine sehr leidenschaftliche Stunde verbracht hatte, dann würden es auch andere wissen. Sie machte sich im Moment keine Gedanken darum, dass er ein Kind mit ihr gezeugt haben könnte. Denn ihr nicht ganz mit den Heilerkonventionen vereinbarer Zauber schützte sie noch drei Monate lang vor einer ungewollten Schwangerschaft. Doch die Vorstellung, mit dem kleinen, mit seiner Schuld hadernden Zauberer Donovan Maveric Kinder haben zu können faszinierte sie irgendwie. Lag es daran, dass sie seine Erste Geliebte gewesen war oder auch daran, dass er ihr erster Liebhaber gewesen war? Sie hoffte auf jedenFall, dass die Italiener ihn schnell nach Hause schicken würden. Vielleicht konnte sie ihm ja vor Gericht helfen, sofern die Kronzeugenregel nicht ausreichte.

Ein wenig beunruhigend fand sie, dass Phoebe Gildfork immer noch verschwunden war. Wenn die das ganze Betrugsmanöver angezettelt hatte wusste die eine Menge, was sicher den einen oder die andere interessieren mochte. Die Italiener hattenin Umlauf gesetzt, dass Phoebe womöglich von Vita Magica entführt worden war. Aber nachdem die US-Mannschaft in Millemerveilles aufgetaucht war glaubte ja keiner mehr, dass die von Vita Magica angegriffen worden war. Abgesehen davon galt ja immer noch dieser abartige Friedensvertrag zwischen dem US-amerikanischen Zaubereiministerium und Vita Magica. Also durfte Vita Magica keinen US-Amerikanischen Zaubererweltbürger bedrängen oder gar entführen.

"Ich hoffe, Ihnen hat es hier doch gefallen", sagte einer der Freiwilligen, die sich um die Besucher gekümmert hatten.

"Ich konnte mir Venedig, Rom und Florenz ansehen", sagte Venus Partridge mit einem eher gekünstelten Lächeln. "Und vielleicht komme ich ja zur Neuauflage wieder, auch wenn unsere Leute dann nicht mitspielen dürfen."

"Das würde uns freuen, Signorina Partridge", erwiderte der Besucherbetreuer. Dann ergriff Venus den Rand einer rostigen Badewanne, an der bereits mehrere andere Spätheimkehrer hingen, die eigentlich noch mitverfolgen wollten, wie die Belgier spielten.

Erst als der Portschlüssel sie und die anderen im Quodpotstadion der Bayoo Bugbears abgesetzt hatte atmete sie wirklich auf. Sie war wieder auf sicherem Gebiet.

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"Und Sie wissen wirklich nicht, wo sich unsere Mitbürgerin Gildfork aufhalten könnte?" fragte der aus den Staaten herübergekommene Ministeriumszauberer Purplecreek Ventoforte, während sie beide vor dem nun verwaisten Weltmeisterschaftsstadion warteten.

"Nun, Sie kennen doch Vita Magica. Wen die einmal haben, den verstecken die so gründlich, dass ihn oder sie keiner findet. Denken Sie an Ihren Mitbürger Bluecastle."

"Wohl wahr", grummelte Purplecreek, dessen Großvater zum Volk der Dacota gehörte.

Endlich kam Donovan Maveric aus einer blauen Lichtspirale heraus. Er wurde von zwei Mitarbeitern des italienischen Zaubereiministeriums begleitet. "Gemäß der internationalen Übereinkünfte zum Umgang mit straffällig gewordenen Teilnehmern an internationalen Wettbewerben und der Kronzeugenregelung von 1974 übergeben wir den von uns zur Befragung in Gewahrsam gehaltenen US-amerikanischen Staatsbürger Donovan Maveric in die Obhut des US-Zaubereiministeriums", verkündete Ventoforte höchst offiziell, als Donovan ohne Fesseln an Händen oder Füßen auf seinen Landsmann zuging und verhalten lächelte.

"Guten Tag, Mr. Maveric. Ich hoffe, Sie hatten trotz aller Umstände einen angenehmen Aufenthalt", sagte Purplecreek. Maveric nickte und bedankte sich bei Ventoforte für die gute Behandlung während der Untersuchung.

"Gut, dann gehen wir", sagte Purplecreek und präsentierte ein scharlachrotes Halstuch mit ausgefransten Rändernund unregelmäßigen Löchern. Maveric griff sofort nach einem Ende und winkte denen, die ihn hergebracht hatten freundlich zu. "Patria filios suos vocat!" rief Purplecreek. Der Portschlüssel löste aus und verschwand mit beiden im Nichts.

"Das Vaterland ruft seine Söhne, wie melodramatisch", knurrte Ventoforte. Dann bestieg er seinen Besen. Denn der umfangreiche Antiapparierwall direkt um das Stadion sollte ja bis zur Neuauflage dieser Weltmeisterschaft erhalten bleiben.

ENDE

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