GOLDFISCHGLAS UND LICHTERNETZ

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Die Welt ist noch unsicherer geworden als am Ende des 20. Jahrhunderts zu befürchten stand. Während die Streitkräfte der USA zusammen mit den Streitkräften verbündeter Staaten den von ihrem Präsidenten ausgerufenen Krieg gegen den Terrorismus erst in Afghanistan und dann auch im Irak führen kämpfen in der magischen Welt verschiedene Machtgruppen darum, die Welt nach ihren Vorstellungen zu ordnen.

Die Auswirkungen des Kampfes zwischen Gooriaimiria und Iaxathan haben eine über die ganze Welt brandende, mächtige Welle dunkler Zauberkraft ausgelöst, die bis dahin schlummernde Dinge und Orte mit dunkler Magie verstärkt. Dadurch wurde Gooriaimiria befähigt, als nunmehr erwachte Göttin der Nacht überall dort zu erscheinen, wo mindestens zwei ihrer eingeschworenen Diener vor Ort sind.

Die aus jahrhundertelangem Zauberbann erwachte Ladonna Montefiori begründet ihren dunklen Hexenorden der Feuerrose neu und schafft es auf ihre einzigartige Weise, den italienischen Zaubereiminister und seine wichtigsten Mitarbeiter unter ihren Willen zu zwingen. Allerdings gelingt es ihr nicht, den durch die dunkle Zauberkraftwelle verstärkten Zauberkessel der britischen Hexe Morgause zu erobern. Hierbei trifft sie zum ersten Mal auf ihre Widersacherin Anthelia/Naaneavargia. Morgauses im Kessel steckende Seele wird durch die Zerstörung desselben als Nachtschatten freigesetzt und unterrliegt wenig später der Nachtschattenkönigin Birgute.

Die fast überall in der Welt als kriminelle Vereinigung erklärte Geheimgesellschaft Vita Magica treibt ihr skrupelloses Vorhaben voran, dass sehr viel mehr magische Menschen geboren werden als sonst. Davon sind nicht nur die Zuschauerinnen und Zuschauer der Quidditchweltmeisterschaft in Italien betroffen, sondern vor allem die Bewohner von Millemerveilles, die als erste Opfer einer neuartigen Fortpflanzungsanregungsdroge dieser Gruppierung viele hundert neue Kinder erwarten müssen. Außerdem gerät Vita Magica in einen blutigen Konflikt mit Ladonnas neuem Orden, da Ladonna es strickt ablehnt, dass Hexen gegen ihren Willen Kinder bekommen sollen. Ihr gelingt es mit Hilfe eines von ihr bezauberten Ministeriumsmitarbeiters, einen Stützpunkt Vita Magicas in einer gar höllischen Feuersbrunst zu vernichten. Dabei verliert die nun Mater Vicesima Secunda genannte ranhohe Mitstreiterin VMS eine ihrer Töchter und drei gerade erst geborene Enkel und schwört Ladonna gnadenlose Vergeltung.

Die aus ihrer jahrtausendelangen Gefangenschaft befreite Mutter der neun Abgrundstöchter verliert sich wegen der dunklen Zauberkraftwelle beinahe unrettbar in der Natur, eine riesenhafte Ameisenkönigin zu sein, die nur dafür lebt, möglichst viele Nachkommen zu haben. Diese könnten zu einer noch schlimmeren Bedrohung werden als die Vampire und Abgrundstöchter oder die Gruppierungen dunkler Hexen und Zauberer. Zudem tragen zwei der Abgrundstöchter neue, vaterlos empfangene Kinder aus. Itoluhila wird eine frühere Dienerin als ihre erste Tochter bekommen, während die mit Sonnenzaubern verbundene Tarlahilia die aus Ashtarias Bann gelösten Seelen ihrer Schwestern Halitti und Ilithula als neue Töchter zur Welt bringen wird. Alle von Lahilliota geborenen Schwestern hadern damit, dass es eine angebliche zehnte Schwester gibt, die eigentlich nur die Ausgeburt eines schwarzmagischen Zauberbildmalers ist, sich jedoch durch die Einverleibung natürlicher Leben unter anderem dem der jüngsten Abgrundstochter Errithalaia zu einer schier unbezwingbaren Daseinsform entwickelt hat.

Als wenn das nicht schon ausreicht erschüttert ein heftiger Skandal die internationale Quidditchwelt. Denn die Mannschaft der USA hat sich auf Betreiben ihrer Hauptsponsorin Phoebe Gildfork auf ein höchst unerwünschtes Ritual der Inkazeit eingelassen, um bei allen wichtigen Entscheidungen und Kämpfen größtmöglichen Erfolg zu haben. Damit schafft die Mannschaft es sogar, den Titelverteidiger Frankreich aus dem Turnier zu werfen. Allerdings wird der Spieler Donovan Maveric von Gewissensbissen geplagt und fürchtet sich davor, irgendwann den hohen Preis für die Teilnahme am Ritual zu zahlen. Er vertraut sich der wegen Meinungsverschiedenheiten mit Phoebe Gildfork aus der Mannschaft gedrängten Venus Partridge an und gewinnt sie dafür, sich aus dem Ritualzauber zu lösen, wodurch er am Ende mithelfen kann, dass der von keinem bekannten Zauber enthüllbare Betrug doch noch aufgedeckt wird. Weil keiner weiß, wie weit die Machenschaften Gildforks reichen wird die Weltmeisterschaft gegen die Stimmen der Gastgeber und der USA abgebrochen und soll im nächsten Frühjahr noch einmal begonnen werden. Weil Ladonna Montefiori mehr über das so mächtige Ritual wissen will veranlasst sie einen ihrer neuen Unterworfenen, Phoebe Gildfork in die Nähe ihrer magischen Festung bei Florenz zu bringen. Sie will sie mit der Kraft der Feuerrose fügsam stimmen. Doch in Phoebe Gildfork wirkt bereits ein anderer Unterwerfungszauber, der zugleich auch ihre Vernichtung auslöst, wenn er bekämpft wird. Dass es sich nur um eine Doppelgängerin handelt weiß Ladonna nicht. Sie ist jedoch beunruhigt über Phoebes letzten Ausruf, dass sie einem Igor Bokanowski diene.

Als Bürger Millemerveilles hilft Julius Latierre dabei mit, sich auf die Zeit mit den vielen neuen Kindern vorzubereiten. Außerdem werden er, seine Frau Mildrid und die im Dorf weilenden Kinder Ashtarias von der in einem Zwischenreich zwischen Leben und Tod weilenden Ammayamiria beauftragt, einen neuen, diesmal rein weißmagischen Schutz über ganz Millemerveilles auszubreiten. Um diesen Zauber vorzubereiten brauchen sie einen ganzen Monat. In dieser Zeit erlebt Julius mehrere Hochzeitsfeiern mit. Bei jener von Pierre Marceau und Gabrielle Delacour ist er sogar persönlicher Ausführungsbevollmächtigter. Die Feier soll in einem versteckten Jagdschlösschen bei Amien stattfinden.

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Am 15. August zeigte Florymont Julius und Millie die aus drei Metallen geschmiedete Kugel, so wie Ammayamiria sie erbeten hatte. Sie war genauso groß wie ein Klatcher und wegen des darin steckenden Goldanteils ein klein wenig schwerer als ein solcher. "Warum auch immer sie das so möchte, Julius, ich hoffe, ihr kriegt das hin", sagte Florymont noch. Julius drehte die Kugel noch einmal in seinen Händen und nickte dem Zauberschmied zu.

"Wenn du wirklich nach Ammayamirias Vorgabe gehandelt hast ist sie genau das, was wir brauchen, Florymont", sagte Julius. Ich lege sie schon mal in die Schale, die ich selbst gemacht habe", erwiderte Julius und ging ohne Florymont in die Bibliothek, wo der mit Blutsiegelzauber belegte Schrank stand. Darin hatte er hochkant an das von ihm geschaffene Denkarium eine Schale aus einem Marmorblock eingestellt, um die ihn alte Meister wie Raffael oder Michelangelo sicher beneidet hätten, wenn er dafür nicht verschiedene Formungs- und Aushöhlzauber verwendet hätte. Er nahm die für ihn nicht zu schwere Schale aus dem Schrank und schloss diesen wieder.

"Ui, die ist aber schön geworden", meinte Florymont, als er die glatt polierte weiße Schale betrachtete. Dann fielen ihm die vom fünf Zentimeter dicken Rand ins Innere verlaufenden Spiralen auf, die sich in Vier windungen zum Mittelpunkt drehten. Im Mittelpunkt erkannte Florymont die Machtune "Beware". Und jetzt fiel ihm auch auf, dass am Rand der Schale zwölf weitere Runen, davon vier Machtrunen eingraviert waren: "Erwache", "Bestehe", "Entstehe" und "Wachse". Oberhalb der "Erwache"-Rune war die Rune für "Hervortreten", unterhalb die für "Aufsteigen. So setzte sich die Berunung fort, bis sich bei der "Wachse"-Machtrune noch die Runen für Beharrlichkeit und Hoffnung trafen. Florymont fragte Julius leise, was genau diese Anordnung bewirkte. Um es ihm zu erklären bat Julius ihn und Millie in ein kleines Zimmer, in dem er einen Klangkerker aufbaute. Dort legte er die von Florymont geschmiedete Kugel vorsichtig in die Schale. Sie passte haargenau hinein. Damit verdeckte sie die an der Innenseite verlaufenden Spiralen. Nun erklärte Julius Florymont, was er mit der Berunung und den eingravierten Windungen bezwekte.

"Mit auf Tageszeiten oder Naturkreisläufe abgestimmten Gegenständen habe ich das auch schon so gemacht", sagte Camilles Ehemann. "Das wird den von dir gewirkten Zauber auf jeden fall besser ausrichten und wohl auch verstärken. Du hast ja erwähnt, dass die Haltbarkeit eines aus der Erde geschaffenen Gegenstandes dadurch verstärkt wird. Dann dürfte die Kugel, wenn sie denn fertig ist, so gut wie unzerstörbar sein, oder?"

"Nicht nur so gut wie, Florymont. Sie wird dann für jede aus Erde, Feuer, Leben und Tod entstehende Kraft vollkommen unzerstörbar sein. Diese Kräfte prallen dann einfach von ihr ab, wie ein aufgepumpter Quaffel von einer dicken Stahlwand."

"Ja, Julius, und du sagtest mir, dass dein Zauber die Wirkung nachträglich aufgeprägter Zauber aus den Bereichen Feuer, Erde, Leben und Tod verstärkt und jeden Zauber, der nachträglich aufgeprägt wird, unerschöpflich wirken lässt, richtig?" Julius nickte. Florymonts Augen leuchteten auf. Dann stellte er die zu erwartende Frage: "Öhm, besteht die Möglichkeit, dass du mich auch mal in diese geheimnisvolle Stadt mitnimmst, damit ich herausfinde, ob ich bei diesen dort überdauernden Erzmagiern was dazulernen darf?"

"Sagen wir so, es ist mir nicht verboten, Jeden, den ich will dahinzubringen. Aber ob er oder sie dann auch zu den überdauernden Erzmagiern vorgelassen wird entscheiden diese, sobald jemand in ihrer Nähe ist und sie ihn oder sie auf seine oder ihre Gesinnung und Begabung überprüfen können. Ich fürchte jedoch, du könntest dich da für Jahre einschließen, um alles zu erforschen, was dort noch ist und deine Frau mit den vier neuen Kindern allein lassen. Das werde ich Camille sicher nicht antun, und du willst das sicher auch nicht."

"Abgesehen davon erkenne ich auch, dass es mir genauso viel Neid einbrocken kann wie Anerkennung und Wissen", sagte Florymont nach einigen Sekunden Bedenkzeit. "Also, nur dann, wenn es von dir oder diesen Erzmagiern für richtig gehalten wird, mich auch mit diesem alten Wissen zu versorgen, möchte ich mit in diese Stadt unter dem Meer oder wo immer die jetzt auch liegt." Julius stimmte Florymont zu. Millie meinte dazu noch: "Camille und ich sind ja auch nur deshalb vorgelassen und unterrichtet worden, weil diese Erzmagier fürchten, dass immer mehr dunkle Erbschaften aus der alten Zeit gefunden werden und da jemand sein soll, der und die sich mit sowas auskennt." Florymont verstand. Er wusste von seiner Frau, dass sie dem Element Wasser zugeordnet worden war, wohl weil sie damals mit ihm jenen machtvollen Krug vom Meeresgrund gehoben hatte, was er Julius bisher nicht erzählt hatte. Wenn Camille ihm das schon erzählt oder er es von anderer Seite her gehört hatte, dann brauchte er es ihm auch nicht zu erzählen.

"Dann hoffe ich mal, dass wir beide alles bisher richtig hingekriegt haben und du die Kugel am 29. August entsprechend bezaubern kannst, Julius", sagte Florymont. Julius hoffte das auch.

Als Florymont wieder gegangen war legte Julius die Kugel neben die Schatulle mit Ailanorars Stimme in den Schrank und lehnte die Schale wieder hochkant an das Denkarium, damit sie nicht umfiel. Jetzt galt es erst einmal zu warten. Doch die Zeit bis dahin würde ja nicht langweilig werden. Immerhin würden da ja noch ein Geburtstagsfest und zwei Hochzeiten stattfinden, und für Claudine, Miriam und alle anderen Kinder aus dem Club der guten Hoffnung würde der erste Schultag kommen. Das war für ihn deshalb interessant, weil er so mitbekam, was seiner Erstgeborenen in drei Jahren bevorstand. Schon befremdlich und erhaben zugleich, dass Aurore schon in drei Jahren zur Schule gehen würde. Ja, die Zeit ging wirklich schnell vorbei, und nur wer sich auf eine fragwürdige Art unsterblich gemacht hatte oder darauf verzichtete, für die ewige Verharrung in der Welt auf viele Sachen zu verzichten wie das gläserne Konzil von Altaxarroi, dem war es gleich, ob drei Jahre sehr viel oder sehr wenig waren.

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Die Tage bis zum 18. August verliefen größtenteils unbedeutend. Das einzige für Julius und die Latierres bedeutsame Ereignis war der doppelte Zwillingsgeburtstag von Callie und Pennie Latierre, sowie Sabine und Sandra Montferre. Für Millie und Julius war dabei auch bedeutend, dass sie Temmies erste Tochter Clarabella besichtigen konnten, die Julius schon ganz einfache Gedanken denken hören konnte. Im Moment konnte sie aber wohl nur Hell, Dunkel, Kalt, Heiß, Hunger und müde äußern.

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Der 18. August begann wie üblich mit einem von Hunger und Zuwendungsbedürfnissen getriebenen Weckruf Clarimondes um zwanzig vor vier. Da Julius sicherstellen wollte, dass die Gäste aus England auch rechtzeitig zum Château Trois Étoiles hinkamen sollte er um halb zehn am Hafen von Calais auf den fahrenden Ritter warten und dann mit allen, die daraus ausstiegen, mit einem von Pygmalion Delacour beantragten Reisebus aus der Flotte der für Beauxbatons eingesetzten Busse zum Festplatz fahren. Julius' ganze Familie war von Gabrielle eingeladen worden, damit sie auch mal die ganz kleine Latierre sehen konnte. Außerdem wollte Gabrielle Aurore mit ihrer Nichte Victoire zusammenbringen um zu vergleichen, wo sie sich unterschieden. Ebenso würden sie die Brickstons wiedersehen, die von Gabrielle persönlich eingeladen worden waren, weil Pygmalions und Apollines jüngere Tochter meistens sehr gut mit Babette zurechtgekommen war, außerhalb und innerhalb von Beauxbatons.

Wir sollen um halb zehn beim Ausgangskreis von Millemerveilles sein, Millie. Catherine holt uns da ab und bringt uns dann von Paris aus zum Ausgangskreis von Calais, wo wir die Gäste aus England treffen", erwähnte Julius nach dem Frühstück, während Millie mit ungesagten Packzaubern einen Schrankkoffer und zwei Reisetaschen packte. Chrysope hatte noch einmal eine Reisewindel für Kleinkinder umgelegt bekommen. Clarimonde trug eine noch für vier Tage vorhaltende Wochenwindel. Nur zu den Fütterungszeiten würde Millie sich dann wohl mit der Jüngsten zurückziehen, womöglich mit Catherine eine kleine Stillgruppe bilden.

"Passen die Besen denn da in den Koffer?" wollte Julius von seiner Frau wissen. "Die einzelbesen ja. Für den Matrimonium ist der Koffer zu kurz", sagte sie. So war es dann klar, dass Millie Clarimonde auf dem für Besenflüge angefertigten Traglingsgeschirr auf dem Rücken befördern würde, während Chrysope vor ihr auf dem Besen sitzen würde. Julius nahm Aurore hinter sich auf den Ganymed 10, den er damals quasi als nachträgliches Einstandsgeschenk beim Schulwechsel bekommen hatte.

Mit einem Federleichtzauber wurden die Gepäckstücke transportfertig gemacht. Dieser die Eigenschwere verringernde Zauber vertrug sich gerade noch so mit den in den Besen wirkenden Flugzaubern.

Julius trug wieder den Anzug, mit dem er am 10. August bei Kastellan Maximilian Dumont vorgesprochen hatte. Falls es auch für Männer eine Umkleidemöglichkeit geben würde wollte er einen himmelblauen Umhang mit sonnengelben Säumen anziehen. Millie trug bereits jetzt einen himmelblauen Festumhang mit wolkenweißen Rüschen und einen sonnengelben Hexenhut. Julius hatte Dumont vorgestern noch per E-Mail mitgeteilt, dass wegen der Komforteinrichtungen im Schloss die Hochzeit unter dem Motto "Zauberhaftes Glück" stattfände und viele sich entsprechend kleiden würden, auch er. Denn ganz sicher ließen sich alteingesessene Zaubererfamilien wie die Eltern von Pygmalion oder die Schwiegerfamilien der Veelastämmigen nicht dazu breitschlagen, Muggelwelt-Festbekleidung zu tragen, auch wenn die Hexen da sicher keine große Umstellung hatten, die bei solchen Anlässen lange Kleider trugen wie die nichtmagischen Frauen sie bei Bällen oder erhabenen Feiern trugen. Julius wunderte sich immer wieder, dass er an sowas wie Mode oder Bekleidungsarten einen Gedanken verschwendete. Dann fiel ihm ein, dass das wohl noch Überreste der von seinen Eltern aufgeprägten Ansichten waren, dass er bei allen Gelegenheiten was hermachen sollte, wenn er nicht gerade mit Lester und Malcolm Fußball spielen wollte, was er natürlich immer getan hatte, um vor den beiden Stadtburschen und ihren Familien nicht im spießig erscheinenden Zwirn herumstolzieren zu müssen.

Für die drei Mädchen war die Umzieherei vom üblichen Getue was spannendes. Aurore hatte zum dritten Geburtstag ein ähnliches Regenbogenkleid bekommen wie Madeleine L'eauvite es bei Festgelegenheiten gerne trug und hatte von ihrer Oma Line eine Haarschleife mit einer zwanzigstrahligen gelben Sonnenscheibe bekommen. Chrysope konnte das helle Kleidchen anziehen, das sie bei ihrer Willkommensfeier getragen hatte, und Clarimonde trug einen Strampelanzug mit verschiedenen Blumen, aber keinen Haarschmuck. Dafür waren ihre rotblonden Haare noch nicht lang genug gewachsen.

Als Millie noch einmal mit strengem Blick die Aufmachung ihrer Familienangehörigen geprüft und nichts mehr zu beanstanden hatte flogen sie auf den zwei Besen, zwischen denen die Gepäckstücke im Tragegeschirr hingen zum blauen Ausgangskreis von Millemerveilles.

"Rorie, du hältst bitte meine Hand, wenn die Catherine macht, dass wir alle in der roten Lichtkugel fliegen", wies Julius seine älteste Tochter an, als sie noch außerhalb der blauen Kreisfläche warteten. Um zehn vor zehn krachte es laut und dumpf, und Catherine Brickston erschien mit ihrer Familie aus einer blitzartig im Boden verschwindenden sonnenuntergangsroten Lichtkugel. Sie trug ein mauvefarbenes Sommerkleid und eine Haarspange, die wie eine silberne Rosenblüte gearbeitet war im schwarzen Schopf. Babette trug den Festumhang, mit dem sie beim Sommerball von Millemerveilles mitgetanzt hatte. Claudine trug ein himmelblaues Kleidchen mit kleinen, schön abgerundeten weißen Wolken darauf.

"Schön, alle da", grüßte Catherine die Latierres. Joe, der einen hellblauen Anzug mit passender Krawatte trug, betrachtete die bunten Kleider der drei Mädchen und dann Julius geschäftsmäßige Kleidung. "Ach, hast du auf einen dieser Zaubererumhänge verzichtet?" wollte er von Julius wissen. Dieser deutete auf den Koffer, in den Millie gerade die Besen und das Tragegeschirr hineinpraktizierte. ""Soweit ich das mit dem Schlossverwalter geklärt habe können wir uns alle nachher noch umziehen, weil wir eine Mottoparty feiern "Zauberhaftes Glück im Zauberschloss". Catherine grinste wie ein Schulmädchen.

"Wir machen aber keinen Teleportationssprung oder beamen uns mit dieser Lichtkugel dahin, oder?" fragte Joe. Seine Frau sah erst ihn und dann Julius an. "Hast du das mit Pygmalion Delacour ausgehandelt, wo wir in Calais abgeholt werden?"

"Um zehn Uhr ortszeit erwarten wir den fahrenden Ritter. Dann geht's mit einem von Monsieur Delacour beantragten Reisebus in den Wald um Amien, wo das Château Trois Étoiles liegt. Der Fahrer des Busses wird wie die von den Delacours engagierten Dienstboten und Küchenleute im Dienstbotentrakt des Schlosses wohnen, übrigens auch wie die drei anderen Fahrer, die weitere Gäste der Feier abholen. Alles in allem hat der Brautvater der Verkehrs- und Familienstandsabteilung eine Menge Galleonen rübergereicht, um die sonst für die Eltern von Beauxbatons-Schülern üblichen Zubringerbusse zu mieten. Wie viel das war hat er auch mir nicht erzählt, obwohl ich ja offiziell Hochzeitsplaner bin", erklärte Julius.

"Catherine wollte mich ja nie mit diesen Bussen fahren lassen, weil sie meint, dass wir als zum Teil aus der Zaubererwelt stammende Eltern nicht wie die rein nichtmagischen Elternpaare nach Beauxbatons reisen brauchen", sagte Joe und schien noch mit den Auswirkungen der Reisesphäre zu ringen, während Claudine und Aurore sich schon zur Begrüßung in den Armen lagen und Babette Julius' und ihres Vaters schicke Anzüge verglich.

"Mädchen, bitte in den Kreis und so hinstellen, dass wer doch umfallen könnte nicht zu hart aufkommt", sagte Catherine im gestrengen Tonfall, als habe der Geist ihrer Mutter Besitz von ihr ergriffen. Julius konnte sich mal wieder gut vorstellen, dass Catherine in zehn oder zwanzig Jahren erst als Lehrerin und später auch als Schulleiterin von Beauxbatons arbeiten konnte und somit ihre Mutter beerben mochte.

Julius winkte Aurore. "Wir machen das so wie gesagt, Rorie. Bitte halt dich an mir fest, damit du nicht durch die Gegend purzelst!" Aurore kam angewetzt, Claudine im Schlepptau. Ehe Julius es sich versah hielt er rechts seine Tochter und links babettes kleine Schwester. Justin James lag in einer ähnlichen Rucksackartigen Tragevorrichtung auf Catherines Rücken wie die kleine Clarimonde bei Millie.

Gut, alle drin? Dann los!" kommandierte Catherine, als alle noch schnell weit genug in den blauen Vollkreis hineingetreten waren. Dann rief sie die erste von zwei Reisesphären auf. Mit Sphäre Nummer eins ging es zwischen Raum und Zeit nach Paris. Doch dort blieben sie nicht. Noch ehe Joe sich wieder an die irdische Schwerkraft gewöhnt hatte rief Catherine Sphäre Nummer zwei hervor, die sie zum weiteren Zwischenstop nach Calais brachte.

Der Zielkreis der nordfranzösischen Hafenstadt und Tor nach Großbritannien war ein zitronengelber Vollkreis, was eigentlich nicht zu einer Hafenstadt passen mochte. Doch offenbar hatten die Erfinder dieser besonderen Transportart damals schon alle Blautöne für andere Ziele aufgebraucht. Dann fiel es Julius ein, dass hier in Calais auch das Stammschloss jener Familie stehen sollte, aus der die Beauxbatons-Mitbegründerin Serena Delourdes stammte. Serena Delourdes hatte den zitronengelben Saal von Beauxbatons gegründet und mehr als zwanzig Jahre lang betreut. Tja, Geschichte war doch nicht ganz so unwichtig, erkannte er mal wieder.

"Also, das mit der Astronautenausbildung lasse ich doch besser weg", keuchte Joe. "Ich hatte immer das gefühl, ins bodenlose zu fallen. Gut das ich nicht so viel gefrühstückt habe."

"So, wo genau kommen die anderen an und wo steigen wir in den Bus, Julius?" fragte Catherine von Joes Einwand unbeeindruckt. Julius hzog einen kleinen Zettel aus seiner Saccotasche und sah nach der Sonne. Dann deutete er in westliche Richtung auf einen weitläufigen, mit großen polierten Granitplatten ausgelegten Platz. "Pygmalion Delacour hat als Treffpunkt den freien Platz im Westen des Ankunftskreises festgelegt. Da soll auch die Schenke zum blauen Frosch stehen, von der Belisama uns mal erzählt hat, Catherine und Millie."

"Stimmt, da steht ein Haus, das aussieht wie ein mit dem Kiel nach oben gekipptes Schiff. Aber wieso heißt das bitte "Chez Grenouille Bleue?" wollte Joe wissen.

"Das hat Belisama uns nie erzählt, zumal sie da nie alleine reingehen durfte, weil sich da wohl auch viele stramme Zechbrüder treffen", sagte Julius. Wie aufs Stichwort klappte ein bullaugenartiges Fenster in dem Holzhaus auf und ein Gesicht mit pausbacken und schwarzem Rauschebart blickte heraus.

"Den Herrn kenne ich, das ist Giscard, der Mann von Carine, der eigentlichen Herrin vom blauen Frosch", sagte Catherine. "Und was die Geschichte angeht, Julius: die Schenke ist einem Schiff nachgebildet, das Carines Urahnin Jacqueline kommandiert haben will, als sie als in der Geschichte einzige Hexe das Seeräuberhandwerk ausübte, so um 1650 bis 1695, also noch vor so fragwürdigen Berühmtheiten wie Blackbeard. Aber näheres soll dir der Herr da erzählen, der zwei Jahre vor meiner Einschulung nach neun Jahren Beauxbatons verlassen hat und froh war, dass er da die ZAGs geschafft hat."

"Ach neh, die Tochter der Zuchtmeisterin Blanche Faucon auf Familienausflug!" rief der Rauschebart aus dem geöffneten Bullauge über den Platz, auf dem mindestens vier Fußballfelder angelegt werden konnten. "Ui, und eine aus dem Latierre-Zuchtstall ist auch da."

"Sie hatten laut meiner Kenntnis immer schon ein sehr loses Mundwerk, Giscard!" rief Catherine zurück, während Millie den Rauschebart überlegen angrinste. "Mein Vater erinnert sich immer noch gerne daran, wie er Sie vor zehn Jahren mal eben vor einer ganzen Belegschaft unter den Tisch gesoffen hat!" rief Millie dem neugierigen und offenbar auch leichtzüngigen Zauberer zu. Darauf hin zog sich das pausbäckige Gesicht ins Innere des schiffsartig gebauten Hauses zurück.

"Die Geschichte werde ich mir von Beau-Papa Albericus mal erzählen lassen", grinste Julius seine Frau an. Diese meinte nur, dass der Bursche da in dem Haus gewettet habe, er vertrüge mehr als jeder seiner Gäste und würde dem, der es schafft, ihn vor Zeugen im Wetttrinken zu besiegen fünfzig Galleonen zahlen. Ja, die fünfzig Goldstücke durfte seine Frau dann rüberreichen, weil der Monsieur Rauschebart da schon zu knülle war, um noch die Finger an einer Hand nachzuzählen", erwiderte Millie ein wenig angespannt. "Aber fang Papa gegenüber nicht davon an. Saufgeschichten sind voll unter deinem Niveau, Julius."

"War ja auch unfair von Albericus, wo Zwergenstämmige ganze Weinfässer exen können, ohne Schlagseite zu kriegen", meinte Julius. Dann wurde seine Aufmerksamkeit von einem lauten Knall und einem laut dröhnenden Dieselmotor beansprucht.

Mitten auf dem Platz war ein dreistöckiger, purpurroter Bus aufgetaucht und bremste knapp vor dem zitronengelben Kreis. Die linke Vordertür ging auf und ein noch junger Zauberer rief auf Englisch aus: "Calais Place du Marché Magique!"

Unverzüglich stiegen zwölf Personen aus, darunter eine überragend schöne Frau mit langen, silberblonden Haaren, die ein gerade mal dreijähriges Mädchen mit gleichfarbigen Haaren an der Hand hielt. Der überwiegende Teil der hier aussteigenden Fahrgäste besaß flammenrotes Haar. Daher fielen die junge Frau mit den dunkelbraunen, durch Seidenglanzgel glattgestriegelten Haaren und der schlachsige junge Mann mit den schwarzen Haaren besonders auf, auch ohne dass sie zu den berühmtesten Mitgliedern der Zauberergemeinschaft gehörten.

Unverzüglich war Julius im Arbeitsmodus und eilte auf die dem Bus entsteigenden Gäste zu. "Willkommen in Frankreich, Ladies and Gentlemen", grüßte er auf Englisch. Aurore rannte bereits auf die gleichaltriege Tochter Fleurs zu. Die damalige Teilnehmerin des trimagischen Turnieres strahlte mit der Sonne um die Wette, als sie die Erstgeborene der Latierres leibhaftig zu sehen bekam. Allerdings konnte Julius schon bei flüchtiger Betrachtung erkennen, dass Aurore einige Zentimeter größer als Victoire Weasley war.

"Alle draußen, die hier unbedingt hinwollten?" rief der Schaffner des Dreideckers. Als alle Weasleys mit ihrem Gepäck aus dem Bus heraus waren klappte die linke Vordertür zu. Laut Ratternd setzte der Bus einige Dutzend Meter zurück, um zu wenden. Dann rollte er in nördlicher Richtung an, um kurz vor einem Aufprall auf eines der den Platz umstehenden Häuser mit lautem Knall zu verschwinden.

"Bin ich froh, aus dieser Rüttelschaukel da wieder raus zu sein", keuchte einer der Rothaarigen, Ron Weasley. Die neben ihm stehende Hexe sah ihn beipflichtend an. "Ja, das ist wohl wahr, dass dieses Vehikel dringend eine Aufbesserung der Transitionsturboanlage benötigt."

"Es ist sehr nett von Monsieur Delacour, dass er uns die Fahrtkosten für die Hin- und Rückreise erstatttet hat", grüßte die füllige Molly Weasley Julius und betrachtete dessen Anzug. Er sagte: "Ich wurde als Trauzeuge und Reisekoordinator von ihm angestellt. Allerdings hat er mir keinen Fahrpreis bekanntgegeben. Das sei, so Monsieur Delacour, seine ganz persönliche Angelegenheit. Wenn meine Uhr nicht doch langsam aus dem Takt geraten ist müsste in zwanzig Sekunden unsere Weiterfahrgelegenheit dort auftauchen, wo gerade der fahrende Ritter verschwunden ist. Das ist auch ein Reisebus, aber ein einstöckiger."

"Noch so'ne Rappelkiste?" fragte Ron Weasley, der das mitgehört hatte.

"Hmm, ich bin mit dem anderen Bus noch nie gefahren. Aber wenn deren Raumsprungvorrichtung ähnlich gut gefedert ist wie die der Personenautos von uns ruckelt der beim springen nicht so heftig wie der fahrende Ritter", sagte Julius.

Es knallte erneut, wenn auch nicht so laut wie vorhin. Dann bremste ein zitronengelber Reisebus vor den wartenden Gästen. Unverzüglich klappten die rechte Vordertür, eine Tür in der Mitte und eine breite Klappe unter dem Bus auf. Ein Zauberer in zitronengelber Uniform stieg die Stufen von der Passagierebene herunter und suchte wohl den, der das hier alles koordinierte. Als er Julius sah verbeugte er sich vor ihm. "Ah, Monsieur Latierre. Schön, hat doch geklappt mit der Anreise der werten Kollegen von der Insel. Bitte stellen Sie Ihr größeres Gepäck so, dass die Ladeklappe es erfassen kann. Es wird dann von selbst eingeladen. Nur Handtaschenund andere Handgepäckstücke dürfen Sie mit in den Fahrgastraum nehmen."

Julius gab die auf Französisch gemachte Ansage auf Englisch weiter und führte mit seiner Familie vor, wie es gehen sollte. Tatsächlich schien eine Art Magnetfeld die Koffer und Reisetaschen einzusaugen, sobald sie in der Nähe der großen Gepäckladeklappe hingestellt waren. "Joh, Jean, heute als Touristenfahrer unterwegs?" hörten sie die Stimme von Giscard.

"Neh, 'ne Feier, Gis, keine Kundschaft für dich und Carine", rief der zitronengelb uniformierte in Richtung der Schenke.

"Ui, eine Veelastämmige. Und die ganzen Rotschöpfe? Wau, 'ne echt große Familie!"

"Was hat diese sehr aufdringliche Person da gesagt?" wollte Percy Weasley wissen. Ron rief zurück: "So machst du im Ministerium aber keine weitere Karriere, wenn du kein Französisch kannst, Percy."

"Ich beherrsche diese Sprache zumindest soweit, dass ich mich mit zivilisierten Leuten in Paris verständigen kann, mein Herr Bruder", knurrte Percy.

"Alle Koffer an Bord? Dann bitte einsteigen", flötete Julius, dem es trotz der Verantwortung auch Spaß machte, den Reiseleiter zu geben. "Ich will bei Claudine sitzen", quiekte Aurore. Ihre Mutter sah sie tadelnd anund fragte: "Wie heißt das bitte, Aurore Béatrice?"

"Öhm, darf ich bei Claudine sitzen, Bittöö", sagte Aurore mit abbittendem Blick. Claudine nickte ihr zu und winkte auch Victoire. Diese erhielt von ihrer Mutter die Erlaubnis, mit den beiden anderen Mädchen zusammenzusitzen. "Gut, Julius, ich setz mich dann in Rories Nähe", sagte Millie. Julius nickte ihr bestätigend zu.

Er selbst überwachte das Einsteigen und kletterte mit dem uniformierten Schaffner zuletzt in den Bus. Er setzte sich dann neben Arthur Weasley, der soweit wie möglich vorne sitzen wollte. Als Julius vermeldete, dass alle angemeldeten Fahrgäste im Bus waren ließ der ebenfalls zitronengelb gekleidete Busfahrer kurz die Hupe ertönen, die wie ein Nebelhorn klang. Dann klappten alle Türen zu. Der Motor sprang laut röhrend an. Dann fuhr der Bus auch schon an.

"So, die werten Fahrgäste, wir fahren jetzt zum Jagdschloss Trois Étoiles bei Amien, wo Sie alle von den Eltern des Brautpaares begrüßt werden. Monsieur Latierre, der von Monsieur Delacour als Leiter der An- und Abreise beauftragt wurde, kann Ihnen sicher mehr über unser Fahrziel verraten. Wenn der Muggelweltverkehr es zulässt kommen wir mit zwei größeren Raumsprüngen aus. Ich werde jeden Sprung zwei Sekunden vorher ankündigen, um unnötige Verletzungen zu vermeiden. Das werden Sie gleich auch erleben, wenn wir vom Marktplatz herunterfahren. Ansonsten genießen Sie die Fahrt! Danke!" sprach der Busfahrer mit magisch verstärkter Stimme, so dass ihn alle gleichgut verstehen konnten.

Der Bus fuhr an. "Achtung, Sprung in zwei - eins - jetzt!" kündigte der Fahrer an. Da ruckelte der Bus auch kurz, um dann mitten auf einer am Meer entlang führenden Straße dahinzugleiten.

Julius griff die Anregung des Fahrers auf und machte ebenfalls mit magisch verstärkter Stimme mehrere Ankündigungen zum üblichen Einsatzzweck dieses Busses und der anderen noch eintreffenden Busse, zum kleinen Schloss und dem Ablauf der Feier, soweit er diesen mit den Eltern des Brautpaares abgestimmt hatte. Auch wenn selbst die mitreisenden Kinder Englisch konnten erwähnte er die wichtigen Sachen auf Englisch und Französisch.

"Und diese Busse werden üblicherweise als Transportfahrzeuge für die Muggeleltern von Beauxbatonsschülern eingesetzt?" wollte Arthur Weasley wissen, der dem Fahrer genau auf die Finger sah. Julius bestätigte das.

Zwischendurch ging er durch den Bus und unterhielt sich mit den Gästen aus England und sprach auch mit Harry Potter über die Dämmerkuppel und dass die Aurorenzentrale wegen der im April aufgekommenen Welle dunkler Zauberkraft rund um die Uhr im Einsatz war, da es viele Hexen und Zauberer gab, die sich um die machtvollen verfluchten Gegenstände zankten. Auch erfuhr er auf diese Weise, dass Annfang August in Schottland ein Haus abgebrannt war, in dem ein Potter und den anderen Auroren bis dahin nicht bekannter Zauberkessel der mächtigen Hexe Morgause aufbewahrt worden sein sollte. "Wir vermuten, dass eine der zwei die Vorherrschaft aller Hexen beanspruchenden dunklen Ladies diesen Kessel haben wollte. Ob sie ihn bekommen konnte wissen wir noch nicht. Die, die ihn bis dahin gehütet haben berufen sich auf alte Familiengeheimnisse. Könnte noch ziemlich heftig werden", seufzte Harry Potter. Julius bestätigte das. Er vermutete, dass dieser Kessel vielleicht auch durch die dunkle Welle verstärkt worden war. "Ja, und mein Kollege MacMillan, der wegen seiner Abstammung leichteren Zugang zu den schottischen Sturschädeln hat als ich hat die Andeutung gehört, dass Morgauses Seele in diesem Kessel gesteckt haben soll, also eine ähnliche Schweinerei wie das, was Tom Riddle angestellt hat."

"Hmm, gehen wir mal davon aus, dass die von Ihnen erwähnten dunklen Ladies das wussten, dann müssen die aber aufpassen, dass sie von einer durch die dunkle Welle verstärkten Seele Morgauses nicht übernommen werden. Ich denke, Sie meinen zum einen die Spinnenhexe und zum anderen Ladonna Montefiori."

"Davon geht mein Chef aus", sagte Harry. "Zumindest konnte trotz der Rückschaubrille nicht nachbetrachtet werden, was passiert ist." Julius tippte deshalb darauf, dass die teilweise veelastämmige Ladonna Montefiori am Tatort gewesen war.

Um nicht nur über dunkle Artefakte und Zeitgenossen zu reden sprachen sie noch über die verdorbene Weltmeisterschaft. Ginny war sichtlich verärgert, dass wegen einer einzigen Mannschaft die ganze Weltmeisterschaft für ungültig erklärt wurde und noch einmal wiederholt werden sollte. "Im Frühling sind die Endspiele der Liga. Da können die doch nicht einfach die Weltmeisterschaft ansetzen", sagte Ginny. Julius verwies darauf, dass er nur das wiedergeben konnte, was in den Zeitungen stand und dass seine Schwiegermutter den Frühling als frühestmöglichen Nachholzeitraum angegeben hatte. "Das war wohl vor allem, um den Italienern entgegenzukommen, die die Weltmeisterschaft am liebsten so hätten weiterlaufen lassen, obwohl das Betrugsmanöver der USA aussichtsreiche Mannschaften rausgekegelt hatte.

"Na ja, die Harpies, für die ich ja spiele, überlegen gerade, ob sie mit den anderen Ligamannschaften den Saisonstart um zwei Wochen nach vorne verlegen können", sagte Ginny. "Falls das nicht geht wird unsere Spiele- und Sportabteilung wohl eine Eingabe bei der IOMSS und dem Weltquidditchverband machen."

"Das ist auch der Stand bei uns", erwiderte Julius. "Achtung, Sprung in zwei - eins -jetzt!" klang die Warnung des Fahrers. Julius hielt sich sicher an einer der haltestangen und federte den Raumsprung gut ab. Er blickte durch das Fenster hinaus und sah, dass sie gerade auf der Autobahn bei Amien entlangfuhren.

"Oh, da sind wir aber schon ziemlich nah am Ziel", stellte Julius fest. Dann entschuldigte er sich bei den Potters, um seine Runde durch den Bus fortzusetzen. So kam er dann auch bei der kleinen Gruppe von Aurore, Claudine und Victoire vorbei. Fleur und Millie beaufsichtigten die Mädchen, jedoch ohne irgendwas zu beanstanden.

"Wir sind schon ziemlich nahe am Ziel. Könnten sogar weit vor der Zeit ankommen. Aber das soll mir auch recht sein", sagte Julius zu seiner Frau. Diese nickte und deutete aus dem ihr nächsten Fenster. "Ui, der Wald da sieht aber sehr ausgedörrt aus, Julius. Da drin soll das Schloss stehen?" Julius überlegte kurz und bejahte es dann. Er erwähnte, dass er bei seinem Besuch vor acht Tagen auch schon durch einen vom Hochsommer ausgedörrten Wald gefahren sei.

"Ist da viel muggeltechnisches Zeugs, was durcheinanderkommen kann, Julius?" wollte Millie wissen. Julius bejahte es. "Sonst hätte ich dir vorgeschlagen, dass ich um das Schloss einen Ring aus Feuerabweisezaubern lege. Die Bäume da sehen echt so aus, als könnten die im nächsten Moment in Flammen aufgehen. Gefällt mir nicht wirklich", raunte Millie.

Äste und Blätter schabten über das Dach des Busses, als dieser seinen Weg über die für zwei normale nebeneinander fahrende Autos ausreichende Straße fuhr. Julius ging nach vorne, um dem Fahrer Albert zu zeigen, wo er langfahren musste. Dann sahen sie die vier Türme des Ziels vor sich zwischen den ausgetrockneten Bäumen aufragen.

"Gut, wir sind super gut in der Zeit", sagte Julius mit einem Blick auf die Borduhr des Busses und seiner eigenen Armbanduhr. Sie waren zehn Minuten vor der vereinbarten Zeit.

Der Bus hielt zehn Meter vor dem zweiflügeligen Tor, das gerade hoch genug war, dass der Bus ohne sich ducken zu müssen hindurchpasste. Julius stieg aus und nahm den Hörer von der Sprechanlage. Jetzt konnte er auch die kleine Videokamera neben der Gabel erkennen. "Ah, Monsieur Latierre! Sie sind Früher da als erwähnt", hörte er die Stimme von Dumont aus dem Hörer. "Wir sind sehr gut durchgekommen. Die Aufnahme der aus England erwarteten Gäste verlief auch schneller als vermutet. Dürfen wir schon auf den Parkplatz?"

"Es ist alles so weit fertig, Monsieur Latierre", sagte Dumont. Es klackte, und summend schwangen die Torflügel auf. Julius lief zum Bus zurück und stieg ein. "Ich fürchte, Sie müssen die Außenspiegel einklappen, damit wir damit nicht anstoßen", sagte er zu Albert, dem Fahrer. Dieser berührte kurz eine Stelle am Lenkrad, und die Außenspiegel klappten sich ein. Dann bugsierte er den Bus butterweich durch das Tor und fuhr den östlichen Parkplatz an, wo laut Vereinbarung die Fahrzeuge der Familie der Braut abgestellt werden sollten. "Ach, da sind ja diese Wassergießautomaten, von denen du erzählt hast, Julius", sagte Arthur Weasley mit jungenhafter Begeisterung.

"Immerhin sind die Bäume und Wiesen hier noch grün und nicht braungelb", grummelte Alberts Assistent und deutete auf die große Abstellfläche, auf der bis zu hundert gewöhnliche Autos Platz fanden. "Gut, wir fahren dann so weit wie möglich nach vorne durch und stellen den Bus dann am rechten Rand ab, damit die anderen Busse problemlos dazukommen können", sagte Julius. "Ich kann mal eben die von Monsieur Delacour mitbestellten Kollegen anrufen, wo die schon sind", sagte Albert und drückte eine kleine Klappe in der Lenkradnabe auf. "An alle Hochzeitskutscher, hier Albert. Wir sind schon am Ziel, kamen gut durch. Wo seid ihr?" hörte Julius den Fahrer fragen. Die Antworten bekam er nicht mit, weil der Schaffner bereits die großen Türen öffnete und aus dem Bus hüpfte. So stieg er auch aus und half den anderen, den Bus zu verlassen. Die Laderaumklappe sprang von selbst auf. Doch diesmal flogen die darin eingestellten Gepäckstücke nicht heraus. Die Zauberer holten mit eigener Körperkraft die Koffer und Taschen aus dem Bauch des gelben Busses. Denn immerhin waren sie ja jetzt auf "Muggelgelände".

"Und ihr seid euch sicher, dass die Umhänge keine unangenehmen Fragen aufwerfen?" wollte Hermine Weasley wissen. Julius bekräftigte noch einmal, dass er dem Schlossverwalter eine entsprechende Ankündigung gemacht hatte. Ron meinte zu seiner Frau: "Der Julius kennt sich in der Muggelwelt genauso gut aus wie du, Mimine. Mach dir also nicht seinen Kopf, auch wenn das schwer für dich ist."

"Ron, musste das jetzt sein?" zischte Hermine Weasley. Der Gefragte nickte, und Julius sagte nur: "Nun, in Frankreich gilt genauso die Rede- und Meinungsfreiheit wie in Großbritannien. Das heißt, jeder darf sagen und fragen, was ihm wichtig ist. Aber wie erwähnt ist unsere Garderobe angemeldet."

"Ja, nur gut, dass George den Laden beaufsichtigen muss. Der könnte auf die Idee kommen, das Schloss da auf links zu drehen", meinte Hermine. Percy stimmte ihr wortlos zu.

"Habe ich dir schon erzählt, dass er ein paar Hochzeitsgeschenke eingepackt hat, Mimine?" zischte Ron seiner Frau zu. "Oha!" konnte Hermine darauf nur entgegnen.

"Julius, wird von uns erwartet, dass wir hier warten oder kommen wir in dieses Schloss da rein?" fragte Molly Weasley. Julius deutete auf das Portal, das gerade geöffnet wurde. Dumont stand in einer blauen Livrée im Rahmen der zweiflügeligen Tür. Julius ging eilfertig zu ihm hin und meldete ihm die Ankunft der ersten Gästegruppe und dass der Bus auf dem schlossnächsten Stellplatz geparkt war. "Gut, soweit besprochen verbleiben die Fahrer der noch eintreffenden Busse ja im Dienstbotentrakt. Falls Sie wünschen kann ich den beiden Herren in der farblich höchst interessanten Aufmachung bereits die bereitgestellten Zimmer präsentieren", sagte Dumont. Julius wandte sich an Albert und Olivier, den Schaffner und fragte, ob die beiden schon ihre Unterbringung sehen wollten. Die beiden nickten wild und kamen herüber. Julius stellte die beiden dem Schlossverwalter vor. Dieser geleitete sie ins Innere.

"Noch mal zur Sicherheit", sprach Julius, nachdem er alle Mitreisenden in einem Halbkreis um sich versammelt hatte: versucht bitte weitestgehend ohne Zauberkraft zurecht zu kommen. Ich kann zwar auch in Extremfällen Gedächtniszauber anwenden, werde aber nur dann davon Gebrauch machen, wenn eben ein solcher Fall eintritt. Die Ansage mache ich auch gleich an die anderen Gäste, wenn sie da sind. Innerhalb der Zimmer sollte es aber möglich sein, einfache Zauber zu wirken", fügte er an die Adresse der jungen Mütter hinzu.

"Alles klar, Julius. Ich werde es vermeiden, mal eben zwischen hier und dem Klo zu apparieren, auch wenn's mich noch so drängt", sagte Joe Brickston. Seine Frau bedachte ihn dafür mit einem tadelnden Blick, während Babette und Claudine lachten.

"Wie sieht es mit den Zimmern aus. Familien zusammen oder Eltern und Kinder getrennt?" wollte Molly Weasley wissen. Julius zählte kurz durch und sagte: "Da ja alle Ihre Kinder über siebzehn sind und zwei von denen schon verheiratet kkriegen sie Zimmer für sich." Dann sah er noch einmal alle Mitgereisten an und fügte hinzu: "Nur die Brickstons, Fleur und Bill mit Victoire und meine Familie kriegen die großen Familienzimmer. Ach ja, Gabrielle und Pierre kriegen die Hochzeitssuite mit der Nummer 126."

"Ach, läuft das dann nicht wie bei Königs, wo der Hofstaat und die Familie zusehen, wenn das Paar die Ehe vollzieht?" fragte Ron Weasley und fing sich wie zu erwarten war tadelnde Blicke seiner Mutter, seines Bruders Percy und seiner eigenen Frau ein, während Babette Brickston verhalten grinsen musste. Hermine meinte: "Jetzt ist George schon nicht mit dabei, und du machst hier die derben Scherze." Julius sah, wie Hermines Gesicht rot anlief, während Molly Weasley ihren jüngsten Sohn sehr vorwurfsvoll ansah.

"Es ist sehr löblich, dass du aus der Geschichte gelernt hast, dass früher die frisch angetrauten Königspaare vor dem Hofstaat die Ehe vollzogen haben. Aber dabei haben sie meines Wissens nach auch einen Vorhang vor dem Brautbett zugezogen, und nur die Hofdamen konnten später prüfen, ob die Braut zur Frau geworden war. Eine derartige Rechtfertigung ist bei Gabrielle und Pierre nicht nötig. Deshalb bekommen sie eine Suite für sich", dozierte Julius fast schon selbst wie ein Schullehrer.

Dumont kam wieder aus dem Schloss zurück und blieb erst einmal wie vor eine unsichtbare Wand geknallt stehen, als er die ihn um bald zwei Köpfe überragende Millie Latierre mit der kleinen Clarimonde auf dem Arm sah. Offenbar war dem Kastellan noch keine Frau über 1,90 Metern begegnet. Doch er erholte sich schnell von dieser Überraschung und fragte die Angereisten in bestem Oxfordenglisch, ob sie eine angenehme Fahrt hatten und ob sie schon mal ihr Gepäck unterbringen wollten. So bekamen die Familienväter und die großen Kinder bereits die Schlüssel für die Zimmer. Ron meinte, dass die Schlüssel keine richtigen Bärte hatten. Darauf erwähnte Dumont, dass die Schlüssel laserkodiert waren und beim Einführen eine kleine Lesevorrichtung auslösten, die diese Kodierung prüfte und die Tür freigab, wenn sie korrekt war.

"Ui, was ganz modernes", meinte Joe. "Ich kannte das bisher immer mit den Chipkarten." Der Kastellan erwiderte darauf, dass sie auch mal mit dem Gedanken gespielt hatten, solche Türschlösser zu installieren. Aber das würde ein Stilbruch sein. Wer in einem Schloss logieren wolle erwarte einen drehbaren Schlüssel.

"Kann mir einer von euch Experten mal erklären, was eine Laserkodierung sein soll?" fragte Ron. Sein Vater schien froh, dass jemand anderes diese auch für ihn so brennende Frage gestellt hatte. Julius sagte dann, dass haardünne Lichtstrahlbündel durch die auf eine winzige Stelle wirkende Hitze winzige Löcher in einen Stoff brannten und das in einer bestimmten Anordnung, die dann von einem ähnlichen Lichtstrahl, nur wesentlich schwächer, abgetastet werden konnten.

"Macht die Sache so gut wie fälschungssicher", meinte Joe dazu. "Du kannst dann nämlich einen tausendstelligen Code einbrennen, der innerhalb einer Sekunde abgelesen werden kann."

"Ja, aber dieser Code besteht wie die Speicherzustände eines Computers nur aus zwei Grundzuständen, ja oder nein. Eins oder null", fügte Hermine noch hinzu. Darauf meinte der Kastellan: "Das ist nicht ganz richtig, junge Lady. Unser Verfahren misst nicht nur das Vorhandensein eines eingebrannten Loches, sondern auch dessen Tiefe auf den Mikrometer genau. Auch dieser Bezugswert gehört zur Schlüsselkennung."

"O Natürlich. Bei auf Laserstrahlen bezogenen Lesevorrichtungen ist sowas ja auch möglich", erwiderte Hermine darauf. Dann ließ sie sich von Dumont und Julius eines der Doppelzimmer ohne zusätzlich eingestelltes Bett zeigen. Julius und Millie nahmen eine der für Eltern mit mehr als zwei minderjährigen Kindern vorbehaltene Suite im dritten Stock des Schlosses und stellten da schon mal alles unter. . "Und hinter der Wand da soll ein Fernseher sein?" fragte Millie und deutete auf eine der cremfarbenen Wände. Julius nickte ihr zu.

"Dann erledige ich die anfallenden Sachen besser im Badezimmer. Öhm, sind die da eingebauten Sachen echt ausgeschaltet?" fragte sie. Julius probierte es aus. Doch die Wasserhähne gingen erst auf, als er an den entsprechenden kränen drehte.

Ein lautes Hupsignal von weiter draußen ließ Julius im Eilschritt in die Empfangshalle zurücklaufen. Vor dem Tor hatten gleich zwei Busse angehalten, ein schneeweißer und ein marineblauer.

Im weißen Bus saßen alle französischen Verwandten der Braut zusammen mit Pygmalion Delacour und seiner Frau. Dumont quollen fast die Augen aus dem Kopf, als er die vielen überragend schönen Frauen mit langen, blonden haaren aussteigen sah. Julius wendete den Zauber Lied des inneren Friedens an, um von den bereits auf mehrere Dutzend Meter wirkenden Veelakräften nicht so aus dem Tritt zu geraten wie Dumont, der immer mehr in Trance zu verfallen schien. Erst als Julius ihm kräftig auf den linken Arm hieb fand der Kastellan wieder zu sich. "Wer oder was sind diese Frauen? Sind die von einem anderen Planeten oder aus einem Feenreich oder was?"

"Sagen Sie nicht Fee zu einer Veela, das sehen die als Abwertung", sagte Julius leise, darauf gefasst, Dumont doch irgendwann eine andere Erinnerung einprägen zu müssen.

"Veela, also Vilies, wie im Stück "Giselle"?" fragte Dumont. Julius kannte den Namen nur von der Tanzlehrerin von Beauxbatons und wusste deshalb nicht, ob er da jetzt mit Ja oder nein antworten sollte. Das erledigte Léto, die wie auf unsichtbaren Rollschuhen heranglitt und Julius anlächelte. "Ach, du hast dem Herren dort erklären müssen, welcher Natur wir sind, Julius. "Wahrscheinlich denkt er jetzt, wir wären diese Naturgeister, die die Seelen junger Frauen abholen, um sie in unsere Reihen zu holen wie in diesem zugegeben sehr ansprechenden Tanztheaterstück. Aber wir sind keine Geisterwesen, sondern lebende Wesen aus Fleisch und Blut, junger Mann."

"J-junger M-mann. S-sie s-sind doch selbst noch ..."stammelte Dumont völlig weltentrückt. Julius verzichtete darauf, den gerade von der geballten Veela-Aura Létos benebelten Kastellan darauf hinzuweisen, dass Léto seine Urgroßmutter sein konnte. Statt dessen sagte er: "Öhm, Madame Léto Grandbois, Monsieur Maximilian Dumont, der hiesige Kastellan und Hüter des Jagdschlosses Château Trois Étoiles." Dann erwähnte er noch, dass Léto die Großmutter mütterlicherseits der Braut war. Da kam diese auch schon mit ihren Eltern an. Noch trug sie kein Brautkleid. Hinter ihr gingen ihre Cousinen Himérope und Igleia Grandlac. Diese sahen aus wie lebendige Weihnachtsengel ohne Flügel mit ihren goldenen Kleidchen und den raumfüllenden goldenen Lockenschöpfen, mit denen sie aus dem Rahmen der sonst so glatthaarigen Veelastämmigen herausfielen. Kein Wunder, dass Gabrielle die zwei als ihre Brautjungfern ausgesucht hatte. Da sie zudem gerade zwischen Kind und junger Frau waren wirkten sie wie die fleischgewordene Unschuld und somit optimal als Brautjungfern, musste Julius beim direkten Anblick der beiden anerkennen. Dumont stand nur da und blickte mit weit aus den Höhlen quellenden Augen auf die überragend schönen Wesen. Julius, durch das Lied des inneren Friedens gerade gegen die Veela-Aura gepanzert begrüßte Gabrielle. Diese fragte nach Fleur und Victoire und nach Babette, Claudine und Aurore. Julius erwähnte, dass die alle gerade ihre Zimmer bezogen. Dann sah er auf den blauen Bus, aus dem gerade mehrere Dutzend Hexen und Zauberer in hellen Umhängen kletterten und nun große Transportbehälter und Instrumentenkästen hervor holten. Pygmalion erklärte, dass es möglich gewesen sei, die Musiker und das Dienstpersonal im selben Bus unterzukriegen.

Julius musste Dumont kräftig in den Arm kneifen, um seine Aufmerksamkeit wiederherzustellen. "Die Damen und Herren aus dem blauen Bus sind unser Dienstpersonal und die Musiker. Möchten Sie diesen bitte ihre Unterkünfte zeigen?"

"A-aber n-natürlich", erwiderte Dumont immer noch nicht ganz klar. Julius winkte dem in weißem Umhang mit aufgesticktem goldenen Löffel gekleideten Ältesten und ließ Pygmalion die Vorstellungsrunde machen. "Alles klar, Kollegen, dieser Herr hier möchte uns die Zimmer zeigen. Nicht drängeln, jeder kriegt sein eigenes Reich. Danach möchte ich die Küche inspizieren", sagte der Zauberer, der sich als Monsieur Paul Beaufeu und Chefkoch des Partyservice vorgestellt hatte, den Julius schon bei anderen Hochzeiten im Einsatz erlebt hatte. Er bat Julius auf ein Wort abseits des Schlossverwalters. "Monsieur Delacour wies mich darauf hin, dass wir vor Gästen und Stammpersonal dieses Hauses keine Transport- und Servierzauber ausführen dürfen. Wird eine sehr interessante Herausforderung für meine Kollegen und mich. Aber ich hoffe, in der Küche freien Zauberstab zu haben." Julius bestätigte es und bot an, dem Chefkoch schon "sein Reich" zu zeigen, wie er es mit dem Kastellan abgesprochen hatte.

"Wie, Erdgas, diese gefährliche Wärmequelle. Da machen wir aber hier anständige und beherrschbare Feuer unter den Herdplatten", meinte Beaufeu, als Julius ihm die Herdstellen erklärte und auch die ans Stromnetz angeschlossenen Küchengeräte und Geschirrspüler vorführte. "Also, wenn wir hier unsere Arbeit wie gewohnt machen können können wir diese Maschinen in Ruhe lassen", sagte Beaufeu.

"Monju, dieser Dumont ist schon in seinem eigenen Wohnbereich verschwunden. Die aus dem Blauen Bus wissen, wo ihre Zimmer sind. Ich apparier deshalb mal vor die Mauer und mach den großen Feuerabhalteschild. Diese trockenen Bäume gefallen mir nicht", mentiloquierte Millie.

"Moment, Mamille, das muss ich erst klären, ob das Gelände vor dem Schloss nicht kameraüberwacht ist. Nicht dass du beim Zaubern auf Video landest", schickte Julius zurück. Beaufeu merkte schon, dass Julius gerade mit was anderem beschäftigt war und sagte dann: "Gut, ich teile die Mannschaft ein und lasse die in den Conservatempus-Kisten mitgebrachten Speisen sortieren, dass sie bei Bedarf aufgewärmt und aufgetragen werden können."

"Da bin ich Ihnen sehr verbunden, Monsieur Beaufeu", sagte Julius. Dann wendete er den nur Ministeriumszauberern beigebrachten Zusatz zum allgemeinen Menschenfindezauber an: "Homenum Maximilian Dumont specialis revelio!" So konnte er sehen, dass der Kastellan gerade in dem als Dienstbotenbereich ausgelegten Teil des Schlosses unterwegs war. Da außer ihm kein anderer Uneingeweihter im Schloss war apparierte er aus der Küche in die Nähe des Dienstbotentraktes. "Monsieur Dumont, ich wurde gerade eben von meiner Frau gefragt, ob das Schloss eine Feuerüberwachung hat, weil ihr die ausgedörrten Bäume Sorgen machen. Daher möchte Sie wissen, ob es ein Überwachungssystem gibt, das annähernd Brände frühzeitig meldet, also Kameras, Infrarotsensoren, Rauchmelder und dergleichen."

"In den Außenmauern sind Kameras mit Normal- und Wärmebilderfassung bis zu einer Reichweite von zweihundert Metern verbaut, wobei die Wärmebilderfassung sogar bis einen Kilometer reicht, Monsieur. Zudem befinden sich im Abstand von fünfhundert Metern zur Außenmauer in den Boden eingebaute Wärmetaster, die bei einer Temperatur über 100 Grad Alarm auslösen. Die Waldbrandgefahr der letzten Jahre hat meine Arbeitgeber zu gründlichen Installationen solcher Frühwarnsysteme veranlasst. Und falls sich wahrhaftig eine Brandzone nähert können die für die Parkbewässerung verwendeten Wasservorräte auch in Form von computergesteuerten Wasserzerstäubungskanonen auf die unmittelbar gefährdeten Stellen gesprüht werden, um eine Beschädigung der Bausubstanz und Gefährdung der Gäste und Dienstboten möglichst auszuschließen. Allerdings kam es bisher nicht zu einem entsprechenden Ernstfall. Doch die Systeme sind dreifach redundant und das Wasserreservoir umfasst über dreihundert Kubikmeter Wasser", informierte Dumont. Julius bedankte sich für die Auskunft und verließ den Dienstbotentrakt, um außer Sicht des Kastellans vor der Familiensuite zu apparieren, in der Millie gerade alle Kleidungsstücke für heute und morgen in den Schränken verstaut hatte. Er erklärte ihr, was der Kastellan ihm erzählt hatte. "Klingt alles sehr wunderbar für jemanden, der keine Magie gewohnt ist, Julius. Doch wenn da draußen echt was brennt geh ich da raus und baue die entsprechenden Gegenzauber auf. Dann musst du eben bitte die ganzen Bildaufzeichnungen löschen."

"Ja, Millie, akzeptiert", sagte Julius. Seiner Frau auszureden, ihre eigenen Kinder mit allen ihr verfügbaren Mitteln zu schützen hatte er nicht vor.

Julius postierte sich in der Nähe des Tores, um früh genug weitere ankömmlinge zu erblicken. Doch die nächsten Gäste kamen nicht auf der Straße heran. Er hörte erst das Geräusch wild flappender Rotorblätter, zu dem sich nach wenigen Sekunden noch das hohe Singen einer Turbine mischte. Dann sah er in östlicher Richtung ein weiß-grünes Etwas, das aus dieser Entfernung wie eine grazile Libelle aussah. Doch dann sahen Millie und er den flirrenden Schemen kreisender Rotorblätter über dem insektenhaften Körper.

"Eh, nöh, da kommt eine Alouette aus den 1970er Jahren angeflogen. Will die hier landen?" kommentierte Julius das anfliegende Objekt.

"Häh?! Das ist doch so ein Helikopterflugapparat, Monju, keine Lerche", sagte Millie und sah, wie Aurore in Begleitung von Babette und Claudine angelaufen kam. "Maman, Papa, lautes Fliegeding da!" rief Aurore.

"Ja, da kommt ein lautes Fliegeding angeflogen", sang Julius und nahm seine älteste Tochter auf den Arm. "Das ist ein Hubschrauber, ein Flugzeug mit sich ganz schnell drehenden Flügeln. Ja, und der will hier echt runter. Öhm, das muss ich aber mit Dumont klären. Denn davon haben mir die Marceaus echt nichts gesagt", grummelte Julius und eilte mit seiner Tochter auf dem Arm zum Schloss. Babette und Claudine liefen hinter ihm her. Wenn Julius wollte konnte er die zwei locker abhängen. Doch er sah, dass vom Schloss her ein Scheinwerferstrahl auf eine freie Stellfläche des westlichen Parkplatzes fiel. Also war der Heli echt angemeldet.

Mit viel Lärm und wildem Wind senkte sich die weiß-grüne Alouette über dem Parkplatz herunter. "Julius, wenn irgendwo ein Funken rumfliegt und von dem Wind da ein Brand angefacht wird ..." knurrte Millie, die gerade in seine nähe gelaufen kam. Dann berührten die Kufen den Boden. der flirrende Schemen wurde zu erst rasend schnell wirbelnden und dann immer deutlicher erkennbaren Rotorflügeln. Das Arbeitsgeräusch der Turbine fiel in der Tonhöhe ab, und der wilde Wind ließ spürbar nach. Dann eilte Dumont aus dem Schloss. "Oh, wurden Sie von Monsieur Marceau nicht unterrichtet, dass er mit seinen engsten Angehörigen per Helikopter anreist?" fragte Dumont ein wenig verlegen dreinschauend.

"Meine Töchter haben noch nie einen direkt in der Nähe landenden Hubschrauber mitbekommen. Der Krach und der Windhaben ihnen ein wenig Angst gemacht", erwiderte Julius. Dann sah er, wie zuerst ein Pilot in einer weißen Uniform aus der Maschine stieg und die Seitentür öffnete. Nun entstiegen die Eheleute Marceau und ihr Sohn der Maschine. Den Abschluss bildete ein älterer Herr mit hellgrauen Haaren, der einen dunkelblauen Anzug mit bis zum Bauchnabel reichender Krawatte trug.

"Ah, das ist Pierres Großvater", sagte Julius und deutete auf den älteren Herren, der Pierres vater und ihm sehr ähnlich sah.

Die Passagiere aus dem Hubschrauber kamen bereits in festlicher Garderobe herüber, während der Pilot die beiden Koffer aus dem Frachtraum hievte und eilfertig hinter den Fluggästen hertrug. Pierre trug einen schwarzen Anzug mit blauem Hemd und unter dem linken Arm einen echten Zylinderhut. Seine Mutter trug ein veilchenblaues Rüschenkleid. Pierres Vater trug einen dunkelgrünen Anzug über weißem Hemd und eine zur Anzugjacke passende Krawatte.

"Das hätte ich mir eigentlich denken müssen, dass du dahintersteckst, Jean-Paul!" rief Dumont Pierres Großvater zu. Dieser lachte laut und rief zurück: "Der Enkel eines Luftwaffengenerals hat ja Anspruch auf eine stilvolle Anreise, Maximilian."

"Und wo ist deine Gattin, Jean-Paul?" fragte Dumont ganz und gar außerhalb der beruflichen Rolle. Der ältere Herr kam näher und sagte: "Du weißt doch, dass meine Frau nicht gerne fliegt. Sie wird mit Anne und Lucian ankommen. Die haben extra den Umweg über Nizza gemacht, um sie einzuladen. Außerdem hat Lucian einen größeren Wagen als ich."

"Ja, neh is' klar, Jean-Paul. Öhm, verzeihung, die Herrschaften. Ich habe mich hinreißen lassen. Darf ich vorstellen? General A. D. Jean-Paul Marceau, das ist Monsieur Julius Latierre, der von den Brautleuten beauftragte Hochzeitsplaner und dessen Gattin Madame Mildred ... öhm, Mildrid Latierre.".

"Angenehm, die Herrschaften. Da trifft doch wieder der Spruch zu, dass hinter einem großen Mann eine große Frau steht", sagte der pensionierte Offizier mit jungenhaftem Grinsen. Dann fragte er noch, wer der kleine rotblonde Sonnenschein war. Als er den Namen Clarimonde hörte bekam er einen seligen Gesichtsausdruck. Doch dann erkannte er wohl, dass das woran er dachte nicht hierher passen mochte. "Alfons fliegt gleich wieder ab, damit die ankommenden Autos unser Schätzchen nicht anblötschen, Max. Aber unsere Zimmer darfst du uns schon mal zeigen."

"Aber sicher doch, Jean-Paul", sagte Max und freute sich sichtlich, diesen Gast begrüßen zu dürfen. Da kam der Pilot mit den Koffern. Julius nahm ihm die Gepäckstücke so locker ab, als wären es nur leere Pappkartons.

Ich trage Ihnen das Gepäck hinein", sagte er ruhig und warf einen Blick in die Runde. Dann rief er allen zu: "Der Hubschrauber fliegt gleich wieder weg. Bitte bleiben Sie und bleibt ihr mindestens fünfzig Meter von ihm fort, um nicht umgeweht zu werden!"

"Was, der bleibt nicht hier?" fragte Arthur Weasley mit leichter Enttäuschung. "Ich hätte mich gerne mit dem Steuermann von dieser Maschine unterhalten, wie er dieses geniale Gerät in die Luft und an einen Bestimmungsort bekommt."

"Alfons, bitte bleiben Sie noch eine Stunde hier. Soweit ich weiß treffen die anderen eh nicht vor ein Uhr ein", sagte Pierres Großvater väterlicherseits. Der Pilot nickte und fragte, ob er zumindest ein Glas Wasser bekommen könne. Das nahm einer der bereits mit schweren Tischen hantierenden Dienstboten als Bestellung auf und winkte seinem Kollegen, eine Karaffe Wasser und mehrere Gläser mitzubringen.

Julius trug die Koffer ins Schloss. Unterwegs dudelte ein bekannter französischer Schlager aus der Anzugtasche des pensionierten Generals. "Hallo Lucian, habt ihr meine Holde schon abgeholt? ... Wie -? Das ist nicht ihr Ernst. ... Natürlich, die alte Leier. Verdammt, es ist Pierres Hochzeit ... Ja, ohne Abbé. Aber er und seine Braut können auch ohne Amen und Gelobt sei der Herr ... Dann bestell ihr bitte, dass Luc .... Neh, besser nicht, sonst darf ich bei der Rückkehr auf dem Sofa übernachten. ... Gut, ihr kommt aber? ... Gegen zwei?... Klar, weil ihr den Umweg nicht machen musstet. ... Ja, er hat sich sehr gefreut, hat was erwähnt, dass die anderen Gäste sicher nicht an einen landenden und startenden Hubschrauber gewöhnt sind ... Also dann in zwei Stunden."

"Sag jetzt nicht, dass Maman ihre Drohung wahrgemacht hat, Papa", knurrte Pierres Vater.

"Doch, hat sie. Du weißt ja noch, dass sie vor vier Wochen klargestellt hat, dass sie grundsätzlich nur zu Hochzeiten und Kindstaufen geht, wenn da auch ein Priester bei ist. Und da Pierre und Gabrielle das strickt ablehnen sind sie für deine Mutter nun mal gottlos, und dem möchte sie nicht durch ihre Anwesenheit noch eine Legitimation geben."

"Monsieur Latierre, ich baue sehr auf Ihre Verschwiegenheit", sagte Pierres Vater. "Ich habe Sie ja schon darüber informiert, dass viele meiner Verwandten deshalb nicht zur Hochzeit kommen, weil sie die klare Meinung haben, dass nur eine kirchlich geschlossene Ehe eine gültige Ehe sei. Meine Frau Mutter gehört auch zu dieser Gruppe. Aber ich bin bis heute Morgen davon ausgegangen, dass sie ihres Enkels wegen eine Ausnahme machen würde. Na ja, muss es eben auch ohne sie gehen."

Als Julius wieder im Freien war sah er, dass Millie mit Arthur Weasley zusammen bei dem Hubschrauber stand und sich zusammen mit Babette, Claudine und Aurore erklären ließ, wie dieser laute Drehflügler fliegen konnte. Deshalb wandte sich Julius an einen der Dienstboten und bat ebenfalls um ein Glas Wasser, weil es schon wieder so heiß war.

"Und, ist Pierres Opa mit dem Zimmer zufrieden?" hörte er Millies Stimme im Geist. "Ich habe zwar versprochen, das nicht breitzutreten, Mamille. Aber Pierres Oma väterlicherseits kommt nicht, weil sie keine Hochzeit ohne Pfarrer mitmachen will", schickte Julius zurück. "Bitte gib das nicht weiter! Pierres Vater wird das wohl seinen Verwandten gegenüber machen", schickte er noch nach, bevor Millie irgendwas dergleichen ausplaudern mochte.

Da Julius auch noch keinen leibhaftigen Hubschrauber mit Piloten miterlebt hatte beteiligte er sich an der Unterhaltung über die Vorzüge und Einsatzmöglichkeiten der Alouette. Der Pilot arbeitete für eine Chartergesellschaft, die betuchte Gäste durch ganz Europa flog, entweder im Helikopter oder im Learjet oder einer Gulfstream. Der Pilot hatte früher unter General A. D. Marceau gedient und weil er der Chef der Fluggesellschaft war machte er für Militärangehörige Sonderpreise. Wie teuer der Spaß mit dem Hubschrauber jetzt kam wollte oder durfte dessen Lenker nicht sagen, weil das zu den Geschäftsbedingungen gehörte, Dritten gegenüber keine Preise zu nennen, wenn sie nicht selbst Kunden wurden.

Nach der auch für Julius interessanten Unterhaltung durften sie zusehen, wie die Alouette wieder startete. Ein Rückflug der Passagiere war offenbar nicht gebucht, weil dann hätte der Helikopter ja wieder zurückkommen müssen. Der Wind der immer schneller wirbelnden Rotorblätter zerzauste Kleidung und Haare und brachte sogar die Blätter der nahe bei stehenden Bäume zum zittern. Dann erhob sich die Alouette in den wolkenlosen Himmel.

"Ganz laut", grummelte Aurore. Claudine stimmte ihr da zu. Joe, der auch mal einen Hubschrauber in Echt starten sehen wollte meinte dazu: "Ja, aber ein Düsenflugzeug ist beim starten lauter, weil das mindestens zwei dieser Turbinentriebwerke hat."

"Kann man sicher ganz leise fliegen lassen", sagte Arthur Weasley. Darauf meinte seine Frau: "Arthur, das wirst du nicht tun. Das mit dem alten Auto war schon schlimm genug für uns, und das mit Harrys Motorrad habe ich nur erlaubt, weil er damit sicher zu uns hinkommen musste."

"Molly, wo soll ich denn bitte einen Hubschrauber herkriegen, wo der nette Gentleman uns gerade gesagt hat, dass die so viel Geld kosten", sagte Arthur Weasley, während sein Schwiegersohn Harry Potter meinte: "Wenn das stimmt, dass der Maler Leonardo da Vinci schon Hubschraubermodelle gezeichnet hat ist sowas sicher nicht schwer nachzubauen. Wäre doch was, wenn du doch noch den ganz hohen Posten kriegst, Schwiegerdaddy."

"Nein nein, das verbiete ich euch", knurrte Molly Weasley. Dann kümmerte sie sich um Victoire, die bei Aurore stand und sich von Julius' Erstgeborener die Staubkrümel aus dem schönen langen Haar bürsten ließ.

"Oha, ich fürchte, dieser Soldatenführer hat meinem Vater einen feuerroten Wichtel auf die linke Schulter gesetzt", seufzte Ginny Weasley. Millie, die ja genauso Englisch konnte wie Französisch meinte: "Wieso, was war denn das mit dem alten Auto oder diesem Motorrad?"

"Öhm, Familiensache, Mrs. Latierre, bitte nicht breittreten, weil Mum eh immer sehr wütend wird, wenn das erwähnt wird. Hätte meinen Bruder fast von Hogwarts runtergeworfen", fühlte sich Percy Weasley zu einer Antwort berufen."

"Akzeptiert", sagte Millie nur. Sie hatten ja auch sehr viele Familiengeheimnisse, von denen viele so heftig waren, dass es überhaupt keiner außerhalb der Familie mitbekommen durfte.

Nachdem vor allem die Hexen ihre Kleidung und Haare wieder geordnet hatten aßen sie eine Kleinigkeit zu Mittag. Das richtige Hochzeitsessen würde es dann abends geben, wenn es nicht mehr ganz so heiß war. Immerhin spendeten die hohen Bäume im Park genug Schatten, und die Rasensprenger sprühten das wohltuende Nass so, dass davon auch einiges verdunstete und zusätzliche Abkühlung brachte.

Julius war meistens damit beschäftigt, die weiterhin eintreffenden Gäste zu begrüßen. Denn Dumont hatte sich wie abgesprochen in seinen eigenen Wohntrakt zurückgezogen, nachdem er das mit den Gästen angereiste Dienstpersonal eingeteilt hatte. Apolline und Léto hatten ganz geheimnisvoll ein äußerlich kleines Päckchen in den Küchentrakt gebracht. Julius vermutete eine von diesen selbst zubereitete Hochzeitsüberraschung und verlor deshalb kein Wort darüber, auch nicht Millie gegenüber.

Gegen zwei Uhr traf noch ein blauer Chrysler Voyager ein, in dem Pierres Großeltern mütterlicherseits, ein weiterer Onkel mit seiner Frau und dessen beiden Töchtern fuhren. Julius hatte schon so viel Übung als Parkeinweiser, dass er den Wagen sicher auf einen der westlichen Stellplätze lotsen konnte. Da merkte er, wie heftig die Sonne war. Gut, dass er Sonnenkrauttinktur mitgenommen hatte. Falls er oder seine Familie sich einen Sonnenbrand zuzogen konnte er das probate Mittel problemlos als Heilsalbe benutzen.

"Und Janine hat sich geweigert, mitzukommen?" fragte ein anderer Onkel von Pierre die Neuankömmlinge. Julius hörte, dass sie am Morgen, als sie schon auf die Autobahn nach Nizza fahren wollten, einen Mobilfunkanruf von ihr bekommen hatten, dass sie ihre Teilnahme abgesagt habe. Darauf meinte einer der jüngeren Cousins von Pierre: "Aber dafür kriegt unser Vetter 'ne Schwiegeroma, die jedes Model in den Selbstmord treiben könnte, so superschön die ist. Und die Gabrielle hat ja wohl viel von ihren Genen abbekommen." Julius, der die Unterhaltung am Rande mitbekommen hatte, hätte den beiden fast gesagt, dass Gabrielles Brautjungfern ja auch noch unverheiratet waren. Aber womöglich wurde denen heute die Lust an muggelstämmigen oder nichtmagischen Jungs vergellt. Jedenfalls bekam er mit, wer von Pierres Familie in der Muggelwelt wichtig war oder einen bescheidenen Job machte. Eine Tante mütterlicherseits hatte vor zwanzig Jahren echt als Mannequin gearbeitet und war tatsächlich sehr niedergeschlagen, als sie sah, welche superschöne Schwiegerverwandtschaft ihr Neffe bekommen würde. Yvette, eine der beiden mit dem Chrysler angekommenen Cousinen arbeitete als Webseitenerstellerin für die immer mehr in Schwung kommenden Internetversandhäuser. Sie war vier Jahre älter als Pierre.

Gegen drei Uhr zogen sich die Braut, ihre Mutter und die Brautjungfern in das zugeteilte Umkleidezimmer zurück. Pygmalion Delacour diskutierte mit Fleurs Schwiegervater das Für und wieder von mechanischen Flugapparaten. Die Gäste aus der nichtmagischen Welt schienen sich darüber zu haben, aus welchem "Stall" die Braut kam, dass sie so viele überragendschöne Verwandte hatte.

"Monju, mach bitte was, dass ich mal eben unbemerkt vor die Mauer kann, um einen Feuerrückhaltezauber zu machen!" mentiloquierte Millie. Julius schickte zurück: "Dann muss ich sicherstellen, dass Dumont dich dabei nicht auf dem Bildschirm sieht. Ich melo dich an, wenn du mal eben vor die Mauer kannst. Am Besten ziehst du dich in eins der Badezimmer zurück, um von da zu disapparieren." "Danke, Monju. Catherine passt auf unsere drei Prinzessinnen auf. "

Julius zog sich in die Deckung eines Zierstrauches zurück und vollführte noch einmal den Zauber, um einen namentlich bekannten Menschen zu orten, solange der nicht in einem Unortbarkeitszauber verborgen war. Er prägte sich noch einmal die Richtung, den Höhenwinkel und die Entfernung ein. Dann disapparierte er so leise er konnte aus der Deckung heraus.

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Maximilian Dumont hatte wie von seinen Arbeitgebern angewiesen die im Château Trois Étoiles verbauten Überwachungsanlagen hochgefahren, bevor die ersten Gäste eintrafen. Er hatte seinen Auftraggebern noch eine verschlüsselte E-Mail geschickt, dass die Gäste ein besonderes Motto für die Hochzeit beschlossen hatten und war gespannt, wer da so alles ankam. Denn außer dem Namen des Hochzeitsplaners und der unmittelbaren Angehörigen des Brautpaares hatte er nur die Mitteilung vermerkt, dass die eintreffenden Gäste nach Familie und Freundeskreis von Braut und Bräutigam im westlichen und östlichen Gästetrakt unterkommen würden. Weil die Gäste eigenes Dienstpersonal mitbringen beziehungsweise erwarten würden hatte er die übliche 30-Mann-Besatzung nicht einbestellt. Zwar hatten seine Arbeitgeber eingewendet, dass zumindest fünf Leute Rumpfbesatzung im Schloss sein sollten. Doch Dann hatte einer seiner Arbeitgeber bestätigt, dass die Wünsche des Kunden immer Vorrang hatten und Dumont nur dann zusätzliches Personal anfordern möge, wenn die von den Gästen gebuchten Festtagsköche und Leihkellner nicht ausreichten.

Natürlich hatten seine Arbeitgeber die namentlich bekannten Gäste vorab überprüft, ob sie wichtig genug waren, um den vollen Umfang der Betreuung aufzubringen, der bei wirklich wichtigen Gästen betrieben wurde. Zu den namentlich angemeldeten Gästen hatten seine Arbeitgeber herausbekommen, dass Jean-Jacques Marceau der Sohn des pensionierten Luftwaffengenerals Jean-Paul Marceau war. Mit diesem hatte Dumont vor dreißig Jahren in derselben Einheit gedient, bevor sich ihre Wege getrennt hatten. Über den Hochzeitsplaner Julius Latierre hatten sie nur herausgefunden, dass er in einer Firma für Veranstaltungsausführungen arbeitete. Das passte dann auch zu seiner Rolle. Dumont hatte die Mitteilung erhalten, dass er nur dann den vollen Aufwand betreiben solle, wenn Jean-Paul Marceau persönlich eintreffen sollte. Dann war am Morgen noch eine Mitteilung eingegangen, dass ein Teil der Gäste per Hubschrauber anreisen würde.

Als sein ehemaliger Militärkamerad mit dem angekündigten Hubschrauber angeflattert kam beschloss er, die Festgesellschaft für seine Auftraggeber lückenlos zu überwachen und aufzuzeichnen. Deshalb hatte er nicht nur die Kameras in der Mauer eingeschaltet, die vor Waldbrand warnten, sondern auch die in den Türmen hinter halbdurchsichtigen Steinen versteckten Fernsehaugen mit bis zu achtundvierzigfacher Nahaufnahme< aktiviert. Auch lief seit zwölf Uhr die Mithöranlage für die Gästezimmer mit, die jedoch nur dann Schallaufnahmen machte, wenn Geräusche und Stimmen lauter als Flüstern zu hören waren. Über die hinter den Spiegeln verbauten Kleinkameras konnte er durch Eingabe eines mit der Zimmernummer verbundenen Identifikationscodes direkt betrachten, was im gewählten Zimmer geschah. Aufgezeichnet wurde eh alles und in einer nach bestimmten Regeln geordneten Dateiensammlung gespeichert, die dann jede Stunde in einem mit aktueller Uhrzeit und Datum gestempelten Dateiordner gesichert wurden.

Im Moment war in den meisten Zimmern niemand. Die Außenüberwachungskameras waren auf die eingeschalteten Kontrollbildschirme geschaltet. So konnte er die mittlerweile auf mehr als fünfzig Personen angewachsene Festgesellschaft rund um das Schloss und in der Küche überwachen. Dabei hatte Dumont bereits eine höchst befremdliche Entdeckung gemacht: Die Braut und ihre Blutsverwandten von der Großmutter bis zu ihren als Brautjungfern vorgestellten Cousinen konnten nicht mit Kameras aufgenommen werden. Sie erschienen als konturloses Flimmern in der Luft. Bisher hatte er nicht an Gespenster oder gar Dämonen geglaubt. Doch wie sonst sollte sich das mit den Gästen erklären. Stimmte das also mit den Veelas? Ja, und zweimal hatte er mitbekommen, dass einer der Diener mit einem schlanken Stab ein Tablett zu sich hatte hinfliegen lassen, ganz so wie ein Zauberer aus dem Märchenbuch. Sicher, er hätte schon seine Auftraggeber anschreiben und ihnen diese unglaublichen Entdeckungen mitteilen können. Doch am Ende hätten die behauptet, er habe die Kameras manipuliert, um sich wichtig zu machen. Außerdem fürchtete er, dass wenn die da unten merkten, dass sie beobachtet und belauscht wurden, einer von denen mit echter Magie gegen ihn vorgehen und ihm einen Fluch oder eine unangenehme Verwandlung aufhalsen konnte. Er hoffte aber auch, dass keiner von denen da unten Gedanken lesen konnte. Denn ein oder zweimal hatte er diesen Julius Latierre gesehen, wie der so da stand, als lausche er auf eine ferne oder innere Stimme, ohne dass er ein Funkgerät oder Mobiltelefon hatte. Mit der Ranholfunktion der ihm am nächsten postierten Kamera hatte er den jungen Mann genau überprüft, sozusagen seine Ohren näher herangezoomt. Doch er hatte weder einen kleinen Ohrhörer noch sonst was dergleichen sehen können.

Gerade blinkte auf der elektronischen Raumübersichtskarte ein grünes Feld, dass im Zimmer 124 jemand sprach. Das war das Übernachtungszimmer der Brautjungfern und auch das Umkleidezimmer für die Braut. . Dumont rückte die kleinen Kopfhörer zurecht und wählte mit der Computermaus das Zimmer und dann über ein ohrenförmiges Symbol die Funktion "Direkt hören" aus. Hierfür musste er keine Kennzahl eingeben. Nun konnte er die Stimmen der Braut, ihrer Mutter und ihrer beiden Brautjungfern hören, die seltsam verwaschen klangen, als würden sie ständig vor dem Mikrofon herumschwirren. "Es ist nicht so einfach, ständig aufzupassen, dass die ganzen Muggelmänner nicht vor uns dahinschmelzen", sagte die Brautmutter gerade. Die Braut erwiderte: "Ja, aber spannend ist das schon, mal ganz ohne Magie zurechtzukommen."

"Na ja, aber für's Umziehen können wir hier ja ruhig die passenden Zauber nutzen. Oder willst du mit zerzaustem Haar herumlaufen, Gabie?" hörte der schlagartig erbleichte Dumont die Brautmutter fragen. "Nöh, natürlich nicht, Maman", erwiderte die Braut.

"Das gibt's nicht", dachte Dumont und klickte auf das grün blinkende Augensymbol im Feld mit der Zimmernummer 124. Jetzt gab er schnell die achtstellige Codezahl ein und bekam sofort eine Vollansicht des Zimmers. Er versuchte von den zwei Frauen und den Mädchen ein Bild zu machen. Doch er sah nur ein leichtes Flirren in der Luft, als sei der Boden auf über 100 ° erhitzt worden. Schnell blickte er auf einen der Bildschirme, die den Park überwachten. Er sah gerade noch, wie Julius Latierre sich hinter einem der Ziersträucher duckte und meinte für einen winzigen Moment ein leichtes Tasten über seinen Kopf zu spüren. Dann zeigte die auf halber Turmhöhe verbaute Kamera, wie Julius aus einer geschmeidigen Drehung heraus verschwand. Er kam nicht mehr dazu, das soeben gesehene einzuordnen. Denn mit einem leisen Plopp erschien Julius Latierre genau neben ihm.

Dumont erschrak so heftig, dass er die Gelegenheit verpasste, auf den unter seinem Schreibtisch verstauten Alarmknopf zu treten um seine Auftraggeber zu Hilfe zu rufen. Dann merkte er, dass er sich gar nicht mehr bewegen konnte. Er sah aus seiner nun eingeschränkten Lage gerade noch, wie der Hochzeitsplaner mit einem Zauberstab über ihn herumwedelte. Dann fühlte er, wie seine Sinne schwanden, nicht schlagartig, aber spürbar und schnell. Sein Bewusstsein versank in einer Flut aus Dunkelheit und leisem Rauschen, als habe ihm jemand eine Vollnarkose verabreicht.

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Die Vorgehensweise war festgelegt und vielfach erprobt. Als Julius bei Dumont apparierte belegte er diesen zunächst mit einem ungesagten Bewegungsbann. Dann versenkte er ihn in einen Zauberschlaf der Stufe zwei, also dass er nicht von sich aus erwachen konnte, solange er keine großen Schmerzen erlitt, von irgendwem verwandelt und zurückverwandelt wurde oder vom Urheber des Schlafzaubers da selbst mit dem Aufweckzauber belegt wurde. Für andere sah es nun so aus, als läge Dumont in einem natürlichen Tiefschlaf, sanft und entspannt atmend, die Augen geschlossen und unbewegt.

Julius pflückte die Kopfhörer von den Ohren des in Schlaf gebannten Kastellans. Als er kurz lauschte, was genau der Schlosshüter damit gerade hörte verzog er sein Gesicht. Doch dann erkannte er das ganze Ausmaß dessen, was von diesem Raum aus überwacht wurde. Es versetzte ihm erst einen heißen Schreck. Denn er dachte, dass all das bereits irgendwohin übertragen wurde. Doch als er die Anwendungsfenster auf Dumonts Computerbildschirm ansah atmete er auf. Im Fenster "Überwachungszentrale" war deutlich eine Startzeit um 07:30 Uhr Z-Zeit und die seit dem verstrichene Zeit dargestellt. Darunter stand in blau leuchtender Schrift: "Aufzeichnung AV001-220 in Ordner AVC-20030818-1030Z". Darunter wechselte ein mit der erwähnten Bezeichnung beschrifteter Ordner jede Sekunde von Weiß nach Gelb und zurück. Das war wohl die Anzeige für den automatischen Füllvorgang. Im Anwendungsfenster "Kommunikation sah er, dass der Auswahlschalter "Neue Ordner nach vollständiger Freimeldung" angewählt war. Also würden sämtliche Ordner in dem Moment verschickt, wenn Dumont das Château Trois Étoiles vollständig geräumt meldete. Allerdings enthielt dieses Fenster auch das Auswahlfeld "Neue Ordner nach Schließen übermitteln". Wenn das ausgewählt war würde jeder Ordner beim Schließen versendet. Julius pfiff durch die Zähne. Das wäre ein Supergau für die Geheimhaltung der Magie geworden, wenn all die gerade sichtbaren Bilder direktübertragen würden. Doch dann kapierte er, dass eine Übertragung in Echtzeit eben auch verräterische Funksignale verursachte. Besser war es da, die Aufzeichnungen in komprimierter Form zu speichern und dann zu einem unverdächtigen Zeitpunkt und in hochverschlüsselter Form zu versenden.

"Millie, du kannst schon mal mit den Schutzzaubern anfangen. Ich habe hier noch zu tun. Sage den anderen bitte, ich spräche mit Dumont über die Brandüberwachungssysteme. Kommt der Wahrheit nahe genug", mentiloquierte Julius. "Wieso?" gedankenfragte Millie. "Von hier aus wird nicht nur der Wald draußen überwacht, sondern jeder, der oder die auf dem Gelände oder in den Räumen ist. Genaueres will ich noch herauskriegen und dann bereinigen", gedankenantwortete Julius.

"Moment mal, heißt das, wir werden ausspioniert?" wollte Millie wissen. Julius bejahte es. "Okay, ich will das sehen. Suche mir gerade einen unaufälligen Punkt zum disapparieren, wenn ich weiß, wo du bist."

"Krieg das bitte erst hin, dass wir nicht von einem Waldbrand erwischt werden können, Mamille. Dann darfst du gerne zu mir hin. Ach ja, bring dann bitte auch Gabrielles Vater und falls er unauffällig ein paar Minuten weg kann auch Arthur Weasley mit, also den Schwiegerpapa von Fleur und Harry Potter!" "Häh? Wieso das?" wollte Millie nun wissen. "Weil ich hier und gleich was machen muss und nicht erst im Ministerium um Erlaubnis fragen möchte, was ich machen darf. Wenn ich zwei Beamte als Zeugen für meine Aktionen habe können die mir bestätigen, dass Gefahr im Verzug war, wobei im Moment gerade nur Aufnahmen von uns gemacht und nicht sofort weitergeschickt werden."

"Aufnahmen mit diesen Elektroaugen? Ich dachte, die könnten keine Veelastämmigen aufnehmen, die näher als zweihundert Meter sind", schickte Millie zurück. Julius bestätigte das und betonte, dass genau das ja dann erst recht Verdacht erregte. "Der kann über Mikrofone in den Zimmern mithören, was da los ist. Wenn er da auch Kameras hat und keinen Sieht, den er hört, ist das schon heftig. Ich bin wohl gerade noch rechtzeitig bei ihm reinappariert, um einen Alarm an wen auch immer zu verhindern. Aber mach du jetzt bitte erst die von dir vorgeschlagenen Schutzzauber!"

"Ob pierres Eltern oder dieser ältere Typ was davon wissen?" hörte er Millies Gedankenstimme in sich. "Falls ja haben die sich selbst damit ganz übel reingeritten. Aber ich glaub's nicht, weil die Marceaus garantiert nicht an die große Glocke hängen wollen, dass ihr Sohn ein Zauberer ist."

"Mag auch wieder stimmen, Monju. Gut, ich umwander mal die Außenmauern und errichte die große Feuerschutzglocke, die einen vollen Tag hält. . Wenn ich fertig bin komme ich mit den von dir erbetenen Messieurs zu dir rüber", teilte Millie ihrem Mann auf reinem Gedankenweg mit.

"Dann hoffe ich, dass ich dann auch fertig bin", erwiderte Julius.

"Ich brauche für die Feuerabwehrbezauberung zehn Minuten. Dann möchte ich das genauer wissen." Julius bestätigte es und erwähnte, dass er wegen der bestehenden Gefahr für ihn und alle anderen einen Schluck von der goldenen Glücksbrause trinken würde. Millie bestätigte das.

Bevor er auch nur einen Handgriff an Dumonts Rechner wagte holte Julius aus seinem Practicus-Brustbeutel die kleine Flasche mit dem goldenen, sprudelnden Trank heraus, entkorkte diese vorsichtig und nippte so behutsam er konnte, bis er sicher war, für zwei Stunden reines Glück im Leib zu haben. Aus der eigenen Erfahrung wusste er, wie schnell beim Arbeiten mit Computern die Zeit verfliegen konnte. Er verkorkte die Flasche wieder ganz fest und verstaute sie dort, wo sie sicher verborgen war. Unverzüglich setzte bei Julius die Wirkung ein. Seine Sinne wurden schärfer, seine Gedanken noch schneller als sonst schon. Er hatte das Gefühl, er müsse erst einmal alle Anwendungsfenster durchsuchen. Insgesamt waren fünf davon geöffnet, von denen die Überwachungszentrale gerade die meisten Punkte und Angaben enthielt. Dann war da noch eines, dass die Sicherheitstechnik mit allen Alarmsensoren innen und außen und die Stromversorgungsüberwachung betraf, das Anwendungsfenster für Kommunikation, eines für die Überwachung und Steuerung aller elektronisch verriegelbaren Türen, , und eines mit dem Titel Buchungen. Offenbar hatte es Dumont interessiert, wer die heutigen Gäste waren. Er las nach, was Dumont über die ihm namentlich vorgestellten Gäste erwähnt hatte und konnte sogar Einzelfotos von der Tordurchquerung neben den Namen und der Ankunftszeit finden. Immerhin hatten die Veelastämmigen in den Reisebussen ihre Ausstrahlung soweit eingeschränkt, dass sie von mechanischen und elektronischen Bildaufzeichnungsgeräten aufgenommen werden konnten. Julius atmete auf. Denn wenn die Tanten und Cousinen Gabrielles genausowenig auf den Bildern aufgetaucht wären wie gerade auf den Außenansichtsbildschirmen oder im Umkleidezimmer der Braut, hätte Dumont in den schon vergangenen Stunden hundertmal wegen verdächtiger Aufnahmen Alarm geben können. Schnell prüfte er auf Dumonts Zugangskonto, wann er seinen Vorgesetzten die letzte Mitteilung geschickt hatte. Das war um 08:30 Uhr Z-Zeit, was nach Julius' Wissen nach der Weltzeit entsprach, also zwei Stunden hinter der mitteleuropäischen Sommerzeit lag. Er öffnete schnell die entsprechende E-Mail und las darin, dass Maximilian Dumont die Verwandten der Braut als "unerwartet überragend attraktiv" bezeichnete und dass der pensionierte Luftwaffengeneral Marceau offenbar verwandtschaftliche Beziehungen mit einer Familie mit besonderem Erbgut bekommen mochte. Wer auch immer die Daten zu lesen oder zu sehen bekam interessierte sich also für Herkunft und Hintergrund der hier überwachten Gäste. Ebenso stand in der Mail noch was von wegen "Abschlussbericht nach Freimeldung des Objektes", womit gemeint war, dass Dumont wohl nach dem letzten Gast alle bis dahin gesammelten Daten an seine Auftraggeber weiterleiten würde. Bei der Gelegenheit konnte Julius Latierre in einer vorausgeschickten Mail von Dumonts Arbeitgebern nachlesen, dass am 22. August bereits die nächste Gesellschaft hier eintreffen würde. Er nahm zur Kenntnis, dass Dumonts Arbeitgeber diese Gäste als "Unbedingt besonders zu betreuen" vermerkt hatten, während bei den Marceaus und Delacours stand: "Exotische Hochzeitsgesellschaft, könnten mit wichtigen Leuten in Beziehung stehen." Darauf konnte Julius nur "Was ihr nicht sagt", grummeln. Auch das von ihm selbst vorgegebene Motto war als "außergewöhnlich und interessant" vermerkt worden. Er fand sogar ein per hochverschlüsselter E-Mail verschicktes Dossier über die von ihm selbst namentlich angegebenen Gäste. Da er ja gerade auf dem Empfängerrechner arbeitete konnte er die Mail lesen und ließ sie sogleich ausdrucken. Er nickte, als er las, was Dumonts viel zu wissbegierige Auftraggeber über ihn vermerkt hatten. Das entsprach genau der Geschichte, die das französische Zaubereiministerium über ihn, Julius, in Umlauf gesetzt hatte, wenn er doch mal von den magielosen Behörden überprüft werden sollte. Dass er laut dieses Dossiers noch in Paris wohnte nickte er mit gewisser Beruhigung ab. Das, was in Spionagekreisen als Legende bezeichnet wurde, hatte sich offenbar mal wieder bewährt. Allerdings konnten die Leute, die hinter dieser Spionenburg standen genau das annehmen, dass Julius Latierre nicht der war, als der er in allen relevanten Datenbanken geführt wurde. Damit musste er zumindest rechnen. Das änderte jedoch nichts an dem Umstand, dass er hier und jetzt zusehen musste, dass die Aufzeichnungen über die magischen Gäste nicht an irgendwelche fragwürdigen Leute weitergegeben wurden. Das war sicher für das Ministerium sehr wichtig, zu wissen, wer genau dahintersteckte. Julius würde sich zumindest nicht wundern, wenn ein in- oder ausländischer Geheimdienst drinhing. Also galt es, was auch immer anstand so hinzubiegen, dass ihnen selbst keiner auf die Bude rückte.

Felix brachte ihn darauf, dass er sich den kleinen, purpurroten Ordner mit der in Gold geschriebenen Beschriftung CA in der angezeigten Werkzeugleiste angucken sollte. Als er die Maus darauf führte und doppelklickte wusste er sofort, dass jetzt ein Passwort erwartet wurde. Tatsächlich klappte ein weiteres Fenster auf. Es enthielt nur ein aus vier mal vier kleinen weißen Quadratlinien bestehendes Raster wie ein auf ein Viertel verkleinertes Schachbrett. Rechts davon ragte eine Säule auf, die von oben weiß bis unten dunkelgrau alle Regenbogenfarben darstellte. Julius nahm die Maus, zog den Zeiger nach rechts und wählte den oberen Rand des orangen Farbbereiches aus. Dann klickte er einmal. Er zog die Maus nach links und wählte eines der kleinen Quadrate, nicht das ganz oben links, sondern eines in der Mitte. Als er den Mauszeiger genau in das kleine Quadratfeld gebracht hatte doppelklickte er. Das Quadrat leuchtete nun im selben Orangeton, den Julius angewählt hatte. Und so ging es weiter, scheinbar nicht systematisch. Felics riet ihm, welche Farbe und welches Quadrat er miteinander verbinden sollte. Dabei wählte er mal aus dem oberen, mal aus dem unteren Bereich eines Farbfeldes aus. So ging es mit allen sechzehn Feldern, bis eine quadratische Fläche mit allen Farben aus der Säule zu sehen war. Nun zog Julius die Maus in die rechte obere Ecke des gefüllten Rasters und doppelklickte. Ein ermunternder Durdreiklang mit aufsteigender Tonfolge und die Meldung: "Willkommen, Chefadministrator Monsieur Epsilon!" bestätigte, dass er diese bis dahin nicht benutzte Form der Kennung richtig eingegeben hatte. Ein kleines grünes Zählwerk blinkte kurz auf und zeigte, dass er wohl noch zwanzig Sekunden Restlaufzeit gehabt hätte. Dann gingen alle Fenster zu und eine neue Benutzeroberfläche erschien. Julius erkannte mit stilisierten Bildern Markierte Auswahlmöglichkeiten, zu denen die Überwachungsgeräte, deren Steuerungsprogramme, die Speichermedien und drei separat arbeitende, wohl über Glasfaserkabel angesteuerte Satellitensender gehörten, den schüsselförmigen Symbolen nach zu schließen. Julius prüfte erst die Sender, ob diese bei einer wichtigen Umstellung weitermelden würden. Tatsächlich waren sie so eingestellt, dass bei einer Veränderung des Überwachungsstatusses umgehend eine Meldung abgesetzt wurde. Doch Felix und Julius' sowieso schon eingeschliffene Computerkenntnisse verrieten ihm, dass er die Sender ohne Vorabmeldung in einen Bereitschaftsmodus versetzen konnte. Hierzu musste er jedoch jedem Sender in einer ganz bestimmten Reihenfolge aus der bereits bekannten Farbensäule die passende Farbe zuteilen. Als er einen grün, den anderen indigofarben und den dritten gelb angefärbt hatte las er, dass die Sender bis zum Ende der Wartungsarbeiten im Bereitschaftsbetrieb waren. Nun konnte er die Generalschaltung für alle Kameras und Mikrofone betätigen. Doch halt. Erst musste er Millie und vielleicht noch Pygmalion Delacour zeigen, was es mit dieser Zentrale auf sich hatte. Da fiel ihm ein, dass er nach weiteren Dokumentationen suchen sollte. Tatsächlich fand er einen mit einem Stift und einem schwarzen Schlüssel gekennzeichneten ordner. Als er den anklickte kam wieder ein sechzehn Felder großes Quadratraster mit rechts daneben aufragender Farbensäule. Wieder musste Julius darauf vertrauen, die richtigen Farben in der richtigen Reihenfolge zu platzieren. Als er endlich wieder ein ausgefülltes Raster hatte und es diesmal an der linken oberen Ecke anklickte erschien eine Ordneransicht mit mehreren Unterordnern, von denen Julius vor allem die Ordner "Kontakte" und "Einsatzlogbücher" interessierten. Jetzt ärgerte er sich ein wenig, dass er keinen USB-Stick mitgenommen hatte, um Daten zu speichern. Doch dann fiel ihm ein, dass auf Papier gedrucktes keine Computerviren übertragen konnte. Er wählte erst den Ordner mit den Kontakten aus und stellte fest, dass es drei Textdateien waren. Er wählte jede nacheinander aus und lies sie in vierfacher Kopie aus dem hier aufgebauten Laserdrucker ausgeben. Die so geernteten Daten verstaute er dann in seinem Brustbeutel. Das gleiche machte er dann mit dem Ordner "Einsatzlogbücher" und dem Ordner "Gästegruppen". Er dachte erst, den heutigen Besuch als abgesagt zu vermerken. Aber Dumont hatte ja schon weitergemeldet, dass die ersten Gäste eingetroffen waren, als er selbst am Tor geklingelt hatte. Diese Erkenntnis beunruhigte ihn nicht. ihm fiel ein, dass die Daten ja in verschlüsselter Form verschickt werden würden. Da er gerade auf der obersten Administratorebene eingebucht war konnte er doch da sicher noch was mit den Verschlüsselungsprozeduren anstellen. Er ließ sich dann noch die Textdatei "Hard- und Softwareverwaltung" ausdrucken. So wusste er auch, dass die aufgenommenen Dateien in drei parallel laufenden Festplattenspeichernetzen mit je 700 Terabyte Speichervermögen gesichert wurden. Er las auch, dass sich die drei Datensammelrechner alle zwei Minuten gegenseitig nach einer bestimmten Prüfsumme fragten. War die bei allen dreien identisch war alles in Ordnung. Wurde an nur einem Rechner oder in einer als verdächtig eingetragenen Reihenfolge an jedem Rechner was verändert stimmten die Prüfsummen nicht mehr, und die Rechner würden eine Warnung an den oder die unbekannten Empfänger schicken, sobald auch nur einer der drei Sender einsatzbereit geschaltet wurde. Also galt es, alle nötigen Veränderungen in der korrekten Reihenfolge zu bestätigen. Er nahm von einer der vier Kopien der Hard- und Softwaredokumentation das Blatt mit den Namen der drei Datensammelrechner und trug mit Dumonts auf dem Tisch liegenden Kugelschreiber die von ihm für richtig erspürte Reihenfolge der zu behandelnden Rechner ein. Dann wollte er den Ordner Dokumentationen schließen. Dabei wurde er nach einer Bestätigung gefragt, dass dieser gesonderte Übersichtsordner wieder sicher verschlossen werden sollte. Neben dem Fragezeichen war ein zwei mal zwei Felder enthaltendes Quadrat und wieder die Farbensäule. Wie vorhin schon musste er in jedes Quadrat in einer nur wegen Felix als richtig empfundenen Reihenfolge die korrekte Farbe einfügen. Dann schloss sich der Ordner mit einem absteigenden Zweitonsignal, als habe er ein externes Gerät abgemeldet. Das mit den farbigen Eingaben war schon was besonderes, fand Julius. Ganz sicher würde ein farbfehlsichtiger Mensch hier voll gegen eine Barriere knallen. Doch ohne Felix im Bauch hätte er auch nicht gewusst, warum er ausgerechnet die eine Farbe in das eine Quadrat einfügen musste und warum er einmal bei Orange im oberen und dann wieder im unteren Bereich des Farbfeldes auf "Angewählt" klicken musste, wo dieses Farbfeld für ihn einheitlich aussah. Am Ende ging es nicht nur um die Farbe, sondern aus welchem Bereich der Säule er einen Wert in das betreffende Quadrat übertrug, was für Unkundige jedoch nur so aussah, als müsse jemand Farben einfügen.

Er fühlte, dass jemand in seinem Kopf tastete. Dann hatte er den Eindruck, gleich würde jemand bei ihm ankommen. Da knallte es wie ein hinter ihm gezündeter Kanonenschlag. Er erschrak jedoch nicht.

Julius drehte sich ruhig um. Hinter ihm stand Millie zwischen Arthur Weasley und Pygmalion Delacour. Er konnte nun direkt vergleichen, dass Millie einen Kopf größer als Arthur Weasley und bald zwei Köpfe größer als Pygmalion Delacour war und dass sie im Vergleich zum leicht untersetzten Pygmalion trotz noch leichtem Umstandsspeck sehr athletisch aussah. Ein wohliger Schauer durchflutete ihn bei dem Gedanken, dass diese Frau seine Frau war und dass sie ihn schon so oft mit sich vereinigt hatte. Doch halt, die drei waren aus wichtigen Gründen hier.

"Unsere Kleinen werden von Catherine und Mrs. Weasley beaufsichtigt, Julius", sagte Millie, die merkte, dass sie das zuerst klären musste. Julius nickte erleichtert.

"Ich melde gehorsamst, konnte unter Einfluss einer ausreichenden Dosis von Heilerin Béatrice Latierre zertifiziertem Felix Felicis Zugang zu allen wichtigen Verwaltungs- und Steuerungseinrichtungen dieser Überwachungszentrale erlangen und stehe kurz vor der Auslöschung unsere Abkunft und Natur verratender Bild- und Tonaufzeichnungen", sprach Julius im Stil eines gedrillten Soldaten.

"Bildaufnahmen, mit Fernsehbildkameras und Tonaufnahmen mit Abhörmikrofonen? Unerhört", erwiderte Mr. Weasley und deutete auf die noch leuchtenden Bildschirme. Er sah sofort seine Frau zusammen mit Ginny Potter und Hermine Weasley, wie sie wohl über die Kleider von Fleurs und Gabrielles Verwandte sprachen, den Gesten nach zu urteilen. "Oha, wer Lippen lesen kann versteht sicher auch, was die sagen", meinte Arthur Weasley mit unüberhörbarem Grimm. Millie fragte: "Sind da auch Sachen von uns bei, auch wie ich Clarimonde gestillt habe?"

Julius stellte fest, dass er wahrhaftig die Benutzerebene gewechselt hatte. Denn um das Überwachungsfenster wieder aufzumachen musste er die entsprechende Anwendung aus dem Bereich "Datenverwaltung" auswählen. So konnte er den Eintrag "ältere Aufzeichnungen" anwählen, wofür er ein drei mal drei Felder großes grünes Quadratraster mit neuen Farben füllen musste. Als Pygmalion ihm dabei zusah meinte dieser: "Oh, das ist aber einfach. Da brauchst du eigentlich keinen Felix-Felicis-Trank für. Oder halt, du siehst wohl die kleinen Farbunterschiede nicht."

"Welche Farbunterschiede? Ich mach das jetzt echt rein aus dem Gefühl raus, dass es richtig ist, wenn ich das so mache", sagte Julius und bestätigte die neun Farbeingaben mit einem Doppelklick auf der rechten oberen Ecke des Quadrates. "Da wo du jetzt diesen Anzeiger hinbewegt hast stand "Eingabe bestätigen", erwiderte Pygmalion Delacour. Dann seufzte er: "Aber wahrscheinlich sehe nur ich diese Zeichen."

"Moment mal, Sie sehen da was?" fragte Millie. Arthur Weasley drängte derweil auf die Aufzeichnungen. Er wollte schließlich auch wissen, was dieser Dumont da über seine Familie aufgenommen hatte. Dabei kam heraus, dass tatsächlich alles von der Ankunft der Busse an aufgenommen worden warr und die Wiedergabe von Aufzeichnungen aus bestimmten Räumen möglich war. So konnte Arthur Weasley seine Frau auf dem Computerbildschirm durch die Tür des zugeteilten Zimmers hereinkommen sehen. Julius fand sogar eine Datei, die um den Zeitpunkt herum gespeichert wurde, wo Millie Clarimonde zum letzten mal gestillt hatte. Als er die Wiedergabe zwanzig Sekunden laufen ließ, wo Millie sich gerade in eine bequeme Haltung zurechtsetzte und Clarimonde behutsam zurechtrückte fühlte er die Wut seiner Frau. Sofort beendete er die Wiedergabe. "Gut, mein Herr Gemahl, sieh ganz schnell zu, dass das alles unwiederbringlich verschwindet, sonst suche ich diese Speicherkästenund zerbrutzel die mit eigener Zauberkraft", schnarrte Millie.

"Wird nicht nötig sein, ich kann die ganzen Dateien als fehlerhaft markieren und dann mit einem Zug löschen und die dabei freigegebenen Sektoren noch mal klarspülen, damit sie nicht doch noch wiederhergestellt werden können." Damit sie es ihm glaubte führte er das auch aus. Wieder musste er dafür eine bestimmte Farbauswahl für zwei mal zwei Quadrate Treffen. "In diesem mittelgrünen, dem indigoblauen, dem roten und dem gelben Farbrechteck stand ein leicht dunkler wirkendes "Ja" drin", sagte Pygmalion Delacour.

"Öhm, jau, da müssen echt Farbunterschiede sein, die für meine Augen zu schwach sind", meinte Julius. Dann erkannte er, was mit Pygmalion los war: "Sie können vier Grundfarben erkennen und deshalb noch Unterschiede sehen, wo für die meisten anderen nur eine einzige Farbe zu erkennen ist, richtig? Tetrachromasie, Vierfarbsichtigkeit, richtig?

"Ja, so hat es der Heiler genannt, der das bei mir mit fünf Jahren festgestellt hat, als ich mit drei Gelbtönen Bilder malen konnte, die für alle anderen nur einfarbig gelb waren."

"Interessant, was heißt, das der Mensch, dessen Benutzerrechte ich hier gerade ausnutze womöglich auch vierfarbsichtig ist."

"Hallo, wir sehen doch alle mehr als vier Farben und ... Na klar, drei Grundfarben gemischt. War eine der ersten Ersthelferübungsstunden", grummelte Millie. "Ja, und womöglich kann Monsieur Delacour noch Gelb oder Orange als Grundfarbe sehen und kann deshalb vier Grundfarben mischen", vermutete Julius. Dann sagte er noch: "So meine Holde, deine innige Gabe an unsere Drittgeborene ist jetzt nur noch euer beider ganz eigenes Erlebnis und kein Stoff für abgedrehte Spanner", sagte Julius. Dann ritt ihn ein Wichtel, vielleicht in felixgoldener Farbe, nach noch älteren Aufzeichnungen zu suchen und er fand welche vom 1. Mai 2003, eine wilde Walpurgisnachtfeier, bei der die selbsternannten Hexen im Park um ein loderndes Feuer tanzten, und zwar in natürlichster Gewandung. Pygmalion räusperte sich sehr energisch, während Arthur Weasley verbittert mit der Zunge schnalzte und eine anklagende Handbewegung gegen den Bildschirm machte. "Soll das heißen, dass auch diese Bilder irgendwem anderem gezeigt wurden?" fragte Ginnys Vater sehr verdrossen. Julius musste es wohl oder übel bestätigen. "Aber die kann nur der Mensch sehen, der das mit den Farbauswahlkennwörtern machen kann."

"Und jetzt wir", meinte Pygmalion verbittert.

"Mach das bitte auch ganz schnell wieder weg, Julius. Ich darf das Molly nicht erzählen, die könnte das ganze Schloss abfackeln vor Wut", bestand Arthur Weasley auf die Löschung dieser Bilder. Das brachte Julius auf eine Idee. Doch darüber wollte er erst einmal nichts sagen.

"Nicht nur die", fügte Millie sehr verärgert hinzu. Dann sagte sie: "Da sind wir also voll in einer Spannerburg gelandet. Warum jemand sowas macht wissen wir auch jetzt. Wer Leute bei solchen Möchtegern-Hexentänzen aufnimmt könnte die Leute wunderbar erpressen."

"Ich guck mal, wie weit ich noch zurückspulen kann. Ich will wissen, ob Pierres Großvater bei seiner Goldhochzeit auch schon von diesen Spannerspionen aufgenommen worden ist", kündigte Julius an.

"Willst du das wirklich", presste Millie sehr gefahrvoll klingend heraus. Julius wusste, dass er eigentlich nicht noch weiter in anderer Leute Sachen herumstochern sollte. So sagte er: "Mir geht es darum, ob diese Leute hinter Dumont den ehemaligen General mit was erpressen konnten. Als Ministeriumsmitarbeiter und auch vor alllem Assistent im Muggelkontaktbüro hat mich das leider zu betreffen, wenn wichtige Leute zu irgendwas gezwungen werden, das unter Umständen auch uns beeinträchtigt. Dieser textilfreie Hexentanz, der in anderen Ländern bei echten Hexen genau die Art zu feiern ist, Mr. Weasley, Monsieur Delacour und meine Holde, könnte auch dazu verwendet werden, Ablehner der Magie noch paranoider zu machen. Wenn die auch noch Einfluss in der nichtmagischen Regierung haben ..."

"Is' ja gut, Julius", lachte Millie.

Tatsächlich hatten die drei Rechner, die schön abgetrennt voneinander in für Normalmenschen unzugänglichen Kellern standen viele Gäste des 3-Sterne-Schlosses gespeichert, darunter auch die goldene Hochzeitsfeier von Jean-Paul und Janine Marceau. Da war Pierre also auch schon hier gewesen. "Gut, dass Pierre da wusste, dass er in den Ferien nicht zaubern durfte", meinte Julius, als er eine Großaufnahme von Pierre mit seiner Cousine Yvette hervorholte und auf Standbild stellte. "Wenn ich wollte könnte ich jetzt dieses Einzelbild auf Fotopapier ausdrucken und Pierre damit erpressen, dass er trotz der Beziehung zu Gabrielle mit einem anderen Mädchen geschäkert hat. Das es Pierre nicht genau so passiert ist liegt sicher daran, dass wer die Bilder gekriegt hat nachgeforscht hat, wer die beiden sind und dass Pierre und Yvette miteinander verwandt sind."

"Dann gehören auch diese Bilder zerstört oder ausgelöscht oder wieRechnerzeug heißt", erwiderte Pygmalion, der gerade sah, wie sein künftiger Schwiegersohn sich mit seiner Verwandten ganz nahe zusammensetzte. Sie sahen noch, wie Pierre seine rechte Hand zu ihr hinbewegte. Julius erkannte, dass er hier jetzt ganz schnell die Wiedergabe beenden musste und tat es.

"Kannst du das alles auf einen Schlag löschen?" fragte Millie sehr ungehalten klingend. Pygmalion nickte ihr beipflichtend zu.

"Sagen wir so, ich kann jetzt alle Daten mit dem entsprechenden Programm von allen Rechnern verschwinden lassen, einschließlich der von uns gemachten Aufnahmen. Aber da bringst du mich auf was, das ich unbedingt prüfen muss", sagte Julius und suchte mit der Maus im Fenster für Geräteverwaltung nach dem Generatorsymbol. Tatsächlich fand er bei Aufruf der Stromerzeugersteuerung mehrere voreinstellbare Werte, wie viel Strom erzeugt und wohin er übertragen werden sollte. Er könnte also auch sämtliche Datensammelrechner mit einem Schlag ausschalten und deren Stromversorgung nur nach Eingabe eines langen Passwortes einschalten. Doch es gab noch eine andere Möglichkeit, die durch eine Tür mit roten Flammen symbolisiert wurde. "Felix sagt mir, das diese Tür einen zeitlich voreinstellbaren Selbstvernichtungsprozess auslöst", bemerkte Julius und deutete auf das Türsymbol. Pygmalion erwähnte dazu: "Du hast sicher recht. Denn auf der Tür stand "Tritt hindurch, wenn alle Hoffnung schwand". Julius nickte. Also war das auch für einen Menschen mit tetrachromatischem Sehvermögen erkennbar, der keinen Felix Felicis getrunken hatte. Er sagte: "Die Selbstvernichtung soll Spuren verwischen. Ich möchte erst mal andere Möglichkeiten prüfen, solange der Trank wirkt."

"Welche denn?" wollte Pygmalion Delacour wissen. Julius deutete auf die ganzen Bildschirme und erwiderte: "Die wollen Daten haben. Wenn ich rauskriege, wie die verschlüsselt werden und ob die beliebig oft verschickt werden können stell ich mir gerade vor, dass ich denen für die unlesbare Datenpakete immer und immer wieder auf ihre eigenen Festplatten dübel, bis da nichts mehr draufpasst und deren Rechner "Speicher voll!" melden. Die Selbstvernichtungstür da ist nur, wenn die ganze Anlage in Feindeshand zu fallen droht. Aber die guck ich mir gleich noch an, um mögliche böse Überraschungen zu verhüten." Millie fragte, was Julius genau meinte. "Stell dir vor, Tante Babsies ganze Kuhherde muss Groß und will nur in Chrysies Töpfchen reinmachen." Mr. Weasley sah Julius verdutzt an, musste dann aber breit grinsen. Ebenso grinste Millie, während Gabrielles Vater sich kurz schüttelte und offenbar nicht wusste, ob ihm dieser unappetitliche Vergleich behagte oder er nicht eine andere Umschreibung dafür finden wollte. Um seine Verlegenheit zu überspielen merkte Pygmalion an:

"Auch wenn du keine Zauberstabmagie benutzt hast solltest du das zumindest Madame Grandchapeau mitteilen, was hier geschehen ist und auch, dass hier womöglich schon früher Zaubererweltstämmige ohne ihr Wissen überwacht wurden. Auch solltest du das abklären, ob du dieses Gebäude vollständig vernichten sollst oder lediglich alle hier gelagerten Bild und Tonaufzeichnungen vernichten darfst. Ich werde mich nach der Zeremonie mal mit meinem neuen Verwandten unterhalten. Am Ende hat der uns gezielt in diese üble Falle hineingetrieben."

"Öhm, für Gabrielle wäre es sicher günstiger, wenn Sie das erst machen, wenn wir alle wieder abgereist sint", sagte Julius. "Ich kann garantieren, dass alle bisher gemachten Aufzeichnungen unwiederbringlich verschwinden und es keine weiteren Aufnahmen von uns hier geben wird." Dann befolgte er Pygmalions indirekte Anweisung, schrieb einen vorläufigen Bericht auf eine leere Seite. Er betitelte ihn mit "Hochzeitsschloss erweist sich als Goldfischglas". Dann kopierzauberte er diesen und disapparierte dann ins Foyer des Zaubereiministeriums. Er hatte noch für eine volle Stunde Felix Felicis im Leib. Und sollte die Zeit nicht reichen mochte ihm Pygmalions besonderes Sehvermögen helfen.

Nathalie Grandchapeau und Belle waren nicht da. Nur Primula Arno war im Büro. Ihr berichtete Julius. Daraufhin holte sie eine Silberdose, nur ein Drittel so groß wie eine Einweggetränkedose hervor und klappte sie auf. "Nathalie, der junge Monsieur Latierre ist gerade bei mir und hat mir da eine höchst unerhörte Sache berichtet", moderierte Primula ihren Schwiegerneffen an. Dann durfte Julius seinen Bericht erstatten und führte Pygmalion und Arthur Weasley als Zeugen an.

"Gut, Prüfung auf Herstellung vollständiger Unbrauchbarkeit der Aufzeichnungs- und Übermittlungsvorrichtungen. Falls möglich nur die Vorrichtungen zerstören. Falls nicht möglich Erlaubnis zur vollständigen Zerstörung aller Anlagen nach Prüfung auf mögliche Gefährdung außenstehender auf einen Zeitpunkt zwei Stunden nach Abreise der letzten Besucher und Dienstboten vorbestimmen! Abreise möglichst um zwölf Uhr mittags abschließen, da vor der völligen Vernichtung der Ausspähvorrichtungen ein Begehen des Gebäudes und Sichten der Spähvorrichtungen erfolgen soll! Bitte bei Rückkehr zur Büroarbeit schriftlichen Bericht verfassen und auf Papier gedruckte Unterlagen als Anlage beifügen. Der von Ihnen gewählte Name "Goldfischglas" für dieses höchst indiskrete exklusive Gasthaus wird von mir als Aktentitel festgelegt. Bitte Arbeiten Sie in Ihrem Bericht heraus, welche Auswirkungen diese Spionageaktion für uns gehabt hätte, wäre sie unentdeckt verlaufen und Magie und Zauberwesen enthüllende Aufnahmen den Auftraggebern zugespielt worden wären."

"Öhm, falls ich in der mir noch verfügbaren Zeit eine Möglichkeit finde, alle Inhalte hochzuverschlüsseln und in ständig den Namen wechselnder Beschriftung immer und immer wieder zu übermitteln, um deren Speichervermögen zu überlasten, kann ich dann das tun oder soll ich die körperliche Vernichtung der Überwachungs- und Übermittlungsgeräte durchführen?" fragte Julius.

"Nach allem, was ich von Ihnen und Ihrer Frau Mutter gelernt habe dauert es länger als die von Ihnen erwähnte Wirkungsdauer, um die entsprechenden Programme zu finden und zu ändern. Also wirken Sie auf die körperliche Vernichtung aller Speicher und Überwachungsgeräte zu einem festgesetzten Zeitpunkt hin!" erwiderte Nathalies Stimme. Julius fragte, ob das nicht genau den Betreibern dieser Überwachungsanlage zuarbeiten würde. "Nicht, wenn wir vorher genug Zeit haben, alles zu erkunden und zu dokumentieren, auch für die Sicherheitsbehörden der nichtmagischen Welt. Daher ist die Beschaffung aller Dokumente und die anschließende Vernichtung aller Gerätschaften angezeigt", erwiderte Belles Mutter.

"Verstanden, Madame Grandchapeau", erwiderte Julius. Primula sah ihn ein wenig kritisch an, sagte jedoch nichts, solange die Fernsprechdose aufgeklappt war.

"Das unterliegt ab sofort der Geheimhaltungsstufe S5, weil ich im Moment nicht weiß, wen wir sonst noch damit betrauen müssen. Aber in der Zeitung darf es solange nicht erwähnt werden, bis unsere Abteilung alle Hintergründe geklärt hat. Bitte teilen Sie dies Ihrer Frau ausdrücklich mit!" klang Nathalies Stimme leicht blechern aus der Dose. Nach einer Bedenksekunde fügte sie noch hinzu: "Ach ja, bitte nehmen Sie diese Fernsprechdose mit und geben sie diese erst nach der Abreise der Gäste wieder zurück! Melden Sie unverzüglich, wenn sie mit den letzten Gästen abreisen, so dass wir und unsere Verbindungsleute zu den Sicherheitsbehörden der nichtmagischen Welt dieses illustere Schlösschen besichtigen können!""

"Verstanden", bestätigte Julius und klappte die Dose zu. Er verriegelte den Deckel und steckte das magische Fernsprechartefakt sicher fort.

"Wie kamst du darauf, Madame Grandchapeaus Anweisung zu hinterfragen, Julius?" wollte Primula Arno wissen. "Weil ich nicht wollte, dass wir diesen Spannern noch mehr zuarbeiten und weil solche Selbstvernichtungsmittel ja nur dazu dienen, verräterische Dinge oder Aufzeichnungen nicht in fremde oder gar feindliche Hände fallen zu lassen. Deshalb erbat ich von Madame Grandchapeau eine genaue Begründung, auch und vor allem für meinen Abschlussbericht. Bevor ich einen roten Knopf oder einen roten Hebel drücke, um ein ganzes Schloss in die Luft zu sprengen will ich genau wissen, warum. Ich bin kein hirnloser Golem, der einfach tötet oder zerstört, worauf sein Meister zeigt. Weil Madame Grandchapeau das weiß und mich auch deshalb in dieser Abteilung arbeiten lässt konnte ich mir das erlauben, nach der Begründung zu fragen. So kann ich die mir erteilte Aufgabe mit vollem Einsatz und ohne schlechtes Gewissen erledigen." Primula wiegte erst den Kopf, dann nickte sie. Vielleicht, dachte Julius, ging sie auch davon aus, dass er unter dem Einfluss des erwähnten Glückstrankes die nötige Intuition hatte.

Willst du wieder im Aufzug nach unten?" fragte Primula. Julius nickte. "Nicht nötig. Notausgang Sonnensturm!" rief Primula. Es knisterte kurz. Die Luft flimmerte. Dann war alles wie sonst. "Ab jetzt dreißig Sekunden, Julius. Noch einen schönen Tag und grüße an meine gebärfreudige Nichte. Ich möchte meine neue Großnichte auch mal direkt ansehen."

"Gebe ich weiter, Tante Pri. Danke für die Zeit und für den Notausgang", sagte Julius und drehte sich auf der Stelle.

Da in ihm immer noch der Felix Felicis wirkte apparierte er zielgenau in der Überwachungszentrale. Er zeigte den hier immer noch anwesenden die kleine Silberdose und erwähnte, dass Nathalie Grandchapeau ihm erlaubt, ja befohlen habe, alle Aufnahme- und Weiterleitungsgeräte unbrauchbar zu machen, also nicht nur die Dateien zu löschen oder eine Endlosschleife mit ständig den Namen wechselnden Dateien zu bauen, die auch die größte Festplatte überfüllen würde. . "Sie will es wohl dann so darstellen, dass jemand diesen Selbstvernichtungsvorgang gänzlich unbeabsichtigt ausgelöst hat, wie auch immer der wirkt."

"Gut, ich bleibe dann solange hier und beobachte, was Sie ausführen, Monsieur Latierre", bestätigte Pygmalion Delacour nun ganz im Beamtenmodus. Julius nickte bestätigend. Außerdem war er froh, dass Pygmalion dabei war. Dann wandte er sich an seine Frau: "Öhm, Millie, du wirst es womöglich erwartet haben, aber ich habe die Anweisung, es dir ausdrücklich mitzuteilen, dass über all das hier solange nichts in welcher Zeitung auch immer erwähnt werden darf, bis das Ministerium alles darüber herausgefunden hat."

"Wer hätte es gedacht", schnaubte Millie. "Aber die S-Stufe darfst du mir wenigstens sagen, oder?"Wollte sie noch wissen. Julius erwiderte darauf: "S5."

Nun machte sich Julius daran, die Zerstörungsvorrichtung zu erkunden. Hierfür musste er mal wieder ein aus vier mal vier Quadraten bestehendes Raster mit Farben füllen. Danach konnte er sehen, dass bei einer fünffachen Fehleingabe des Administratorpasswortes innerhalb von fünf Minuten ein stiller Countdown von zehn Minuten gestartet wurde, bei dem eine Minute vor Ablauf alle Kühlvorrichtungen in den Computerräumen ausgeschaltet und nach dem Ablauf alle Stromerzeuger unter Umgehung der mit Sicherungen geschützten Stromkreise auf mehr als die zehnfache Leistung hochgejagt wurden, die so groß war, dass sämtliche Leitungen und angeschlossenen Geräte durchbrannten, einschließlich der in den Wänden verbauten Kameras und Mikrofone. Die dabei entstehenden Brände wurden durch Freisetzung von flüssigem Sauerstoff angefacht. Dieser Selbstvernichtungsvorgang konnte jedoch auch vom Chefadministrator selbst ausgelöst werden. Er konnte einen bis zu 23 Stunden und 59 Minuten und 59 Sekunden laufenden Countdown mit oder ohne Anzeige und/oder Lautsprecherdurchsage für die letzten zehn Minuten einrichten oder sogar eine bestimmte Zeit mit Datum und Uhrzeit festlegen und auch hier auswählen, ob zehn Minuten vorher eine Anzeige und/oder Lautsprecherdurchsage stattfand. In jedem Fall würde zehn Sekunden vor der geplanten Selbstvernichtung eine letzte Meldung abgestrahlt, eine Art Todesschrei des der Vernichtung geweihten Objektes. Es sei denn, die Sender waren zu diesem Zeitpunkt vom Administrator in den Bereitschaftsmodus versetzt oder gänzlich ausgeschaltet worden. Julius nickte dem Bildschirm zu, weil er hier auch eine Möglichkeit fand, die Sender vollständig auszuschalten, ohne dass diese noch mal weitermeldeten, dass irgendwas mit ihnen angestellt wurde. Das tat er auf jeden Fall schon einmal, natürlich wieder durch eine in bestimmter Folge einzugebene Farbkodierung. Als dann die Alarmmeldung erschien, dass sämtliche Übermittlungsanlagen einschließlich Mobilfunksender ausgeschaltet waren bestätigte er das mit einem zwei mal zwei Quadrate großen Farbenraster und konnte so das Alarmfenster schließen. Nun führte er die nötigen Eingaben aus, um den Selbstvernichtungsvorgang für den 19. August um 11:00 Z-Zeit auszulösen. Millie wollte wissen, was mit Z-Zeit gemeint war. Julius bat sie darum, das später von ihm erklärt zu bekommen, da er die Wirkung des Trankes nutzen musste. Dann legte er noch fest, dass es einen sicht- und hörbaren Countdown der letzten zehn Minuten geben sollte. Denn wer sich kurz vor der angesetzten Vernichtung im Schloss aufhielt sollte gewarnt werden und Zeit haben, das Schloss zu verlassen. Für jede dieser Schaltungen musste er ein aus vier Quadraten bestehendes Farbraster ausfüllen. "Warum immer viermal Ja, wo ein oder zweimal ausreicht?" wollte Pygmalion Delacour wissen. Millie feixte: "Ist ja wie bei unseren Hochzeitsriten, wo Brautvater und Bräutigammutter auch mit Ja antworten müssen."

"Ui, zur Ausführung der vorgenommenen Schaltungen abschließende Bestätigung einfügen", las Julius laut vor und deutete auf ein hellrotes Rechteckraster mit drei mal fünf Quadraten. Julius fühlte, dass die erste Fehleingabe auch die allerletzte seines Lebens sein würde. Also konzentrierte er sich nun besonders. Millie fühlte wohl auch, dass er gerade keine Zeit für irgendwelche Fragen hatte. So konnte er sich die nötige Zeit nehmen, um die betreffenden Farben in der richtigen Reihenfolge an den richtigen Stellen einzufügen. Als er nach anderthalb minuten aus der nun zwölf Farben enthaltenden Säule die nötigen Farben eingefügt hatte und einmal rechts oben und einmal rechts unten auf eine der Ecken klickte erschien die Anzeige: "Terminierte Autodestruktion Waldturm 19.08.2003, 11:00 Z". Darunter blinkte nun eine überdeutlich rote Zahlenleiste, in der die nun noch verbleibenden Stunden, Minuten und Sekunden heruntergezählt wurden.

Julius meldete sich über das schon altvertraute Raster aus 16 Quadraten aus dem Selbstvernichtungsprogramm ab. "So, außer dem offiziellen Chefadministrator kann das jetzt keiner mehr aufheben, wenn der Trank bei mir nachlässt", erwähnte er.

"Wird das nicht auffallen, wenn sich dieser Gentleman hier morgen nicht meldet", fragte Arthur Weasley auf Dumont deutend.

"Er hat die Anweisung erhalten, erst alles zu berichten, wenn er das Schloss wieder freimeldet", erklärte Julius. "Ich lasse noch alles an Text ausdrucken, was in dieser Maschine versteckt ist. Das bekommt zwar erst mal nur unsere Computerabteilung in Paris, aber für den Fall, dass Sie, Mr. Weasley, die Interessen Ihrer mit angereisten Landsleute vertreten möchten besteht da sicher über Ihren Kollegen Tim Abrahams die Möglichkeit, um Einsicht zu bitten", fügte er noch hinzu.

"Also, von meiner Seite her ist alles erledigt, wenn es keinerlei Aufzeichnungen von unserer Feier gibt", bekundete Arthur Weasley. Julius bestätigte das, weil er es ja auch so in seinenAbschlussbericht hineinschreiben wollte.

"Dann müssen wir aber genau wissen, dass hier keiner mehr in der Nähe ist", meinte Millie. Julius nickte sehr eifrig und deutete auf die mitgebrachte Fernsprechdose. Er sah auf die Systemuhr und auf seine eigene Armbanduhr. Der Glückstrank würde noch eine halbe Stunde wirken.

"Dann drucken Sie jetzt bitte alles aus, was in diesen Speichern noch an schriftlichen Aufzeichnungen verborgen ist!" sagte Pygmalion Delacour. Er wollte wohl gerne wissen, was Dumont und seine Hinterleute über ihn und Apolline, Fleur und Gabrielle und alle anderen hatten. Julius bestätigte es.

Zuerst schaltete er sämtliche Überwachungs- und Aufnahmevorrichtungen aus und bestätigte das mit einem in zwei mal zwei Quadrate umfassenden Raster einzugebenen Farbencode. Danach überkam ihn die Vorstellung einer Hintertür. Er suchte nach einem oder mehreren Programmen, die äußerlich harmlose Textbearbeitungsprogramme oder sogar ein Würfelspiel waren, aber wohl irgendwelche versteckten Funktionen hatten, dass Außenstehende auf die Anlage hier zugreifen konnten, wenn die Sender und Empfänger eingeschaltet waren. Er löschte diese Programme vom Arbeitsrechner. Auch wenn er die Sender immer noch ausgeschaltet lassen würde konnte er nicht völlig ausschließen, dass jemand über einen versteckten Empfänger heimlich Zugriff auf den Rechner nehmen und alles wieder umstoßen konnte. So waren nun auch die Hintertüren zugemauert.

Nun öffnete er noch einmal jenen Ordner mit allen Dokumentationen. Jetzt, wo er alles auf einmal ausdrucken wollte verriet ihm Felix, dass es eine Funktion vollständige Schriftübertragung" gab. Er beschickte den Laserdrucker mit dem Druckauftrag, alles von den Dokumentationen bis zur E-Mail-Korrespondenz auszudrucken. Er verzichtete darauf, eine Anzahl von mehr als einer Kopie einzugeben. Warum er das nicht vorher gemacht hatte erkannte er, als der Drucker nicht mit Drucken aufhören wollte und ein immer größerer Stapel Papier auf dem Tisch landete.

Nach zwanzig Minuten Dauertätigkeit spuckte der Laserdrucker die letzte Seite aus. Danach löschte Julius in der als einzig richtig gefühlten Reihenfolge sämtliche Daten von allen Speichern. Selbst wenn hier morgen Nachmittag alles durch eine Überdosis Strom in Flammen und Rauch aufging mussten keine Daten mehr übrig bleiben. Am Ende blieben ihm nur noch fünf Minuten, bis die Wirkung des Zaubertrankes endete. Doch ihm fiel ein, dass es trotz der umfangreichen Zugangsbeschränkungen besser war, noch das Zugangsraster des Chefadministrators zu ändern, jetzt, wo er die Selbstzerstörungsschaltung umgestellt hatte, dass sie nicht schon nach der fünften Fehleingabe ausgelöst wurde. So suchte und fand er noch die entsprechenden Eingabefelder. Zunächst musste er noch einmal das Anmelderaster mit den passenden Farbwerten ausfüllen. Dann wählte er ein Raster, bei dem er die vier quadrate in der mitte von rechts unten im Uhrzeigersinn aufüllte und das gleiche dann mit den jeweils äußeren Quadraten wiederholte, bis alle Rasterfelder voll waren. Diesen Vorgang wiederholte er noch schnell und bestätigte mit einer entsprechenden Farbcodekennung. Dann beendete Julius durch ein 16teiliges Abmelderaster die Sitzung auf der Chefadministratorenebene und wählte sich über Dumonts 16stelliges Passwort auf dessen Benutzerkonto ein. Sofort glommen alle Überwachungsbildschirme auf und zeigten nur die Meldung: "Kein Bildempfang". Julius öffnete das Überwachungsprogramm und deaktivierte alle Bildschirme. Nun war nur noch der Bildschirm des Arbeitsrechners an. Die Sender waren alle ausgeschaltet, und falls es einen nicht vom Chefadministrator erkennbaren Empfänger gab, so war der nun auch nicht mehr anzusteuern. Als einzige Veränderung der Benutzeroberfläche wurde links der Systemuhr eine feuerrote Kugel mit einer langen weißen Zündschnur angezeigt, an deren Ende eine kleine, hellblaue Flamme flackerte. Die Lunte brannte, wie einfach und doch auch unmissverständlich, fand Julius.

"Habe ich euch und Ihnen schon erzählt, dass ich fast einen waschechten Geheimagenten zum Patenonkel bekommen hätte?" fragte Julius in die Runde. Millie und die beiden Zauberer sahen ihn verdutzt an. "Ein Schulfreund meines Vaters hat im Innendienst des MI6 gearbeitet, bis er bei einer Gasexplosion ums Leben kam. Der wollte gerne mein Patenonkel sein. Aber meine Mutter hatte da was gegen, und so bekam ich einen Anwalt zum Patenonkel. Tja, aber trotzdem habe ich von diesem Geheimdienstmenschen einiges drüber gehört, wie echte Agenten so arbeiten und welche Tricks es sowohl bei der Kenntnisbeschaffung als auch Nachrichtenverfälschung gibt."

"Julius, das war nicht zufällig auch jener Kerl, der deine Mutter auf Betreiben deines Vaters hin in den Wahnsinn treiben sollte?" wollte Millie wissen. Julius bejahte es. "Dann ist ja gut, dass der nicht dein Patenonkel geworden ist", meinte sie dann noch.

Julius nahm die silberne Fernsprechdose. Ob jetzt hier noch Magie ins Spiel kam oder nicht war jetzt auch egal. Er meldete an Belles Mutter, dass er den Auftrag wie erteilt ausgeführt hatte und nannte auch die Uhrzeit der anstehenden Vernichtung. "Gut, Julius, dann sehen Sie bitte zu, dass alle bis morgen spätestens um halb eins Mittags das Goldfischglas verlassen haben! Ich schicke dann noch einen Trupp Außendienstmitarbeiter herein, die mit Rückschaubrillen und Entheimlichern alles absuchen und dokumentieren. Spätestens um fünf vor eins müssen wir dann wohl fort sein", klang Nathalie Grandchapeaus Stimme leicht Blechern aus der Dose. Julius bestätigte es und klappte den Deckel wieder zu

"So, sind wir dann soweit durch hier. Unsere Damen vermissen uns ganz sicher", meinte Pygmalion Delacour. Julius nickte. Er wies jedoch darauf hin, dass wegen der von Nathalie festgelegten Geheimhaltungsstufe keiner außer denen, die gerade hier waren, etwas von der gerade so vereitelten Spionageaktion erfahren durften. Pygmalion verzog erst das Gesicht. Doch dann nickte er. Er war ja länger Ministeriumsbeamter und verstand den sinn einer höheren Geheimhaltungsstufe gut genug, um sich nicht darüber aufzuregen. "Auch wenn es uns fvieren schwerfällt sollten wir die Feier jetzt genießen", meinte Julius. Arthur Weasley nickte ihm beipflichtend zu. So disapparierten sie jeder für sich, um in den zugeteilten Zimmern zu erscheinen und von dort aus auf unterschiedlichen Wegen das Schloss zu verlassen.

Wie vereinbart erfuhren die übrigen Hochzeitsgäste nicht was hier passiert war und dass sie es nur Millies Sorge um einen Waldbrand zu verdanken hatten, dass sie keine bunten Fische in einem Goldfischglas geblieben waren. Nur Léto merkte wohl, dass Julius eine gewisse Zeit lang mehr Kraft ausgestrahlt hatte als so schon. "Musstest du dir einen Muttrank zuführen, um meinen künftigen Schwiegerenkel mit meiner Enkeltochter zusammenzubringen, Julius?" fragte die reinrassige Veela. Julius grinste nur und meinte, dass er lieber einen winzigen Schluck Glückstrank genossen hatte, damit ihm nachher nicht der Ring runterfiel oder er diesen aus Versehen Pierres Vater ansteckte. Darauf musste Léto glockenhell lachen.

Der Zeremonienmagier traf gegen halb sechs ein. Ein schneeweißer Mercedes mit vergoldetem Stern und vergoldeten Stoßstangen und Kotflügeln hielt vor dem Tor. Ein Hupsignal ertönte, dass die ersten Takte des Hochzeitsmarsches "Treulich geführt" nachspielte. Der Fahrer dieser Luxuskarrosse war Baudouin Soubirand. Weil das Tor mit entsprechendem Schlüssel vom blauen Salon oder am Tor da selbst entsperrt werden konnte war es kein Problem, den Zeremonienmeister hereinzulassen.

Um sechs Uhr waren alle ohne Zauberei ausführbaren Vorbereitungen abgeschlossen. Die Braut verließ in Begleitung ihrer Mutter und den beiden Brautjungfern das Schloss. Sie trug ein schneeweißes Kleid mit goldenen Rüschen. Vor dem Gesicht wehte ein hauchzarter Schleier. Auf ihrem Kopf trug sie einen Kranz aus weißen und rosaroten Blüten und einen schmalen goldenen Reif. In der rechten Hand hielt sie einen bunten Blumenstrauß. Julius dachte daran, dass er es schon einmal erlebt hatte, dass wer den Brautstrauß fing tatsächlich bald heiratete. Dann dachte er daran, dass er ihr zumindest eine störungsfreie und unbeobachtete Hochzeitsnacht ermöglicht hatte. Sicher würde er noch mal mit den Brauteltern über die gerade so noch abgewendete Spionageaktion sprechen müssen, wohl auch, um zu klären, ob die für dieses abgelegene, aber leider nicht verschwiegene Schlösschen zu zahlende Summe überwiesen werden sollte, falls sie es nicht schon war.

Erst einmal trat Julius nun ebenfalls mit einem hellblauen Umhang bekleidet neben Pierre, der den Zylinder aufgesetzt hatte, den er von seinem Großvater geliehen hatte.

Zum Auftakt der Trauung hielt Zeremonienmeister Beaumot eine kurze Rede zum Thema Wege der Liebe und dass die einen Jahrzehnte brauchten, um zueinander hinzufinden und andere schon gleich bei der ersten Begegnung wussten, dass sie gemeinsam durchs Leben gehen würden. Er erwähnte sogar, dass Pierre Gabrielle am ersten Schultag einen Stapel Bücher hinterhergetragen hatte, der ihr "aus versehen" entglitten war. Darauf rief einer von Pierres Cousinen: "Och, war kein Wasserkrug verfügbar?!" Viele der nichtmagischen Gäste, vor allem die Jungen und Männer lachten. Julius musste auch grinsen. Da sagte Beaumot: "Gabrielle war gerade unterwegs vom Unterricht und nicht zum Wasserholen, Messieursdames."

Nach seiner Rede fragte er, ob irgendjemand hier war, der was gegen diese Verbindung einzuwenden hatte. Nach einer Minute Schweigen sagte er: "So erkenne ich, dass niemand hier einen Grund hat, diese Ehe abzulehnen." Er winkte in Richtung der Musiker. Diese stimmten nun den Hochzeitsmarsch von nendelson-Bartholdi an, bei dem vor allem die Trompeter richtig kräftig schmetterten. Gabrielle wurde von ihrem Vater geführt, während Madame Marceau rechts von ihrem Sohn über den ausgelegten goldenen Teppich schritt und den goldenen Tintenkreis betrat. Spätestens jetzt, dachte Julius, würden die bisher nicht eingeweihten mitbekommen, dass hier was nicht mit üblichen Tricks erklärbaren Mitteln ablief.

Erst wurde die Mutter des Bräutigams gefragt, ob der neben ihr stehende der von ihr in Liebe empfangene, in Hoffnung getragene, unter Schmerzen geborene und mit Liebe und Fürsorge großgezogene Sohn war. Mit leicht geröteten Ohren bestätigte Madame Marceau es. Dann wurde Pygmalion Delacour gefragt, ob die neben ihm stehende Braut die von ihm in Liebe gezeugte und mit Fürsorge und Verantwortungsbewusstsein großgezogene Tochter war. Er bestätigte das. Danach wurde erst Gabrielle gefragt, ob sie den hier anwesenden Pierre Marceau zum Mann nehmen wolle. Sie sagte sofort und laut vernehmlich "Ja, ich will." Dann wurde Pierre gefragt. Auch er antwortete sogleich und laut und deutlich "Ja, ich will." Danach übergab Julius den für Gabrielle bestimmten Ring an den Zeremonienmeister, während Gabrielles Cousine Igleia den für Pierre bereitgehaltenen Ring übergab. der in einem weißen Umhang mit goldenen Säumen und weißem Zaubererhut gekleidete Zeremonienmagier wechselte die Ringe in den Händen und steckte jeden auf den vorgesehenen Finger. "Mit dieser erhabenen Handlung erkläre ich euch kraft meines Amtes zu Mann und Frau." Er hatte keine Funken versprüht. Auch aus dem Kreis waren keine Funken geflogen, erkannte Julius. Die hier versammelten Nichtmagier konnten nun weiter von einer ganz normalen, wenn auch ohne Priester vollzogenen Trauung ausgehen.

Mit Andacht warteten die Gäste, bis das frisch getraute Paar sich zum ersten mal offiziell küsste. Julius konnte einige von Pygmalions Freunden sehen, die dieses Bild mit scheinbar antiquierten Fotoapparaten einfingen. Dann applaudierten die Gäste, und die Musiker spielten viermal einen Tusch. Dann stimmten die Streicher eine Overtüre an, wie sie zu Zeiten von Bach, Händel und Vivaldi entstanden sein mochte. Zu den Klängen dieser getragenen Musik schritten Gabrielle und Pierre Arm in Arm über den goldenen Teppich zurück, während Julius sich neben Apolline wiederfand, die in ihrem himmelblauen Ballkleid selbst fast wie eine zur Hochzeit gehende Prinzessin wirkte.

Während das Brautpaar durch die Reihen der Gäste marschierte und dabei von buntem Reis und Confetti überschüttet wurde fühlte Julius, dass der Wind immer stärker wurde. Millie, die nun an Stelle von Apolline neben ihm stand und gerade eine weitere Hand voll Reis warf blickte sich um und deutete dann nach Süden. Julius folgte ihrem Blick. Knapp über den Baumwipfeln zeichnete sich ein tiefschwarzer Strich über dem südlichen Horizont ab. Dann sah er es darin kurz aufleuchten. "Uuh, da kommt was auf uns zu", unkte er. Millie nickte nur.

Als die Gäste und die Brautleute wieder auf ihren Plätzen saßen fegte eine starke kühle Windböe über sie hinweg. Nun sahen auch alle anderen das aus dem Süden drohende Unwetter.

"Dabei haben die für heute kein Gewitter in der Gegend angesagt", knurrte der pensionierte Luftwaffengeneral. Dann sahen sie, dass die dunklen Wolken in Richtung Osten abwanderten und nicht näherkamen. Doch die Windstöße, die das Gewitter auslöste, bliesen den Gästen noch um die Köpfe. Einer der Gäste fragte, was wäre, wenn ein Blitz in einen der ausgedörrten Bäume einschlüge. Darauf antwortete Millie: "Dann wird sich das Feuer solange mehr als hundert Meter von der Mauer entfernt austoben, bis nichts mehr da ist, was brennen kann."

"Was macht Sie da so sicher, Madame Latierre. Ich bin schon bei Waldbränden im Einsatz gewesen, von denen auch keiner gedacht hätte, dass die sich so sprunghaft ausdehnen würden", erwiderte Pierres Großvater. Darauf sagte Léto: "Wir haben da unsere Erfahrungen und Vorkehrungen." Ihre weiblichen Blutsverwandten nickten. Millie erkannte, dass die Veelastämmigen wohl alle mitbekommen hatten, dass sie außerhalb des Schlossgeländes etwas gegen die Elementarkraft Feuer gezaubert hatte.

Die drei Meter hohen Mauern fingen wohl einen Gutteil des Windes ab. Das führte aber dazu, dass eine Sogwirkung entstand, die einigen Gästen an den Haaren zog und die Decken von den noch nicht mit Geschirr beladenen Tischen abhob. Julius war mit den Leuten vom Partyservice damit beschäftigt, die Tischdecken mit Klammern zu sichern. Dabei behielt er die Gewitterfront weiter im Süden im Blick. "Der Bernulli-Effekt", knurrte er, als ein über die Mauer fahrender Windstoß einen neuerlichen Sog verursachte, der Fleurs Haare nach oben zog, dass sie für einige Sekunden wie ein Gespinnst aus feinen Antennen aufragten.

"Ich denke, das Gewitter kommt doch zu uns hin", sagte Léto, die wohl in sich hineingelauscht hatte. Julius überlegte, ob er auch einen der Wetterprüfzauber ausführen sollte. Doch das erledigte Arthur Weasley schon. Der hob seine Taschenuhr, fingerte an der Aufzugskrone herum und sagte dann: "O ja, das Gewitter rückt näher. Außerdem sind da schon heftige Blitze bei. Das könnte übel werden, wenn wir hier draußen bleiben." Da Mr. Weasley Englisch sprach musste Julius es noch für die nur Französisch sprechenden Gäste übersetzen.

"Joh, wie geht denn das? Hat der dem James Bond eine Uhr geklaut oder was?" wollte Pierres Cousin Matthieu wissen. Julius grinste und erwiderte: "Der braucht dem keine Uhr zu klauren. Der kann sowas selbst bauen."

"Ey, Cool!" stieß Matthieu aus. Sein Vater tadelte ihn, was daran so cool sei, dass sie gleich ein Gewitter abbekämen und sie gerade von einem total ausgedörrten Wald umgeben waren, wo ein Blitz alleine reichte, alles abzufackeln.

"Wenn das Gewitter näher kommt sollten wir alle reingehen. Fall Regenschirm", sagte Julius. Das war das mit den Partyleuten vereinbarte Kennwort, um die Tische wieder ins Schloss zu schaffen, und zwar so schnell sie konnten. Den nichtmagischen Gästen empfahl er, bis zur Freigabe des sonnengelben Festraumes, der als Alternative zum Park ausgesucht worden war, in ihre Zimmer zu gehen. Da blies eine weitere Windböe laut fauchend über sie hinweg. Aus der Ferne war ein unheilvolles Rumpeln zu hören.

"Lustig, dann können Gabieund Pierre ja schon mal ihre Hochzeitssuite angucken", scherzte ein anderer Cousin Pierres, der gerade erst fünfzehn Jahre alt war. "Nicht vor dem offiziellen Nachtgruß", sagte Apolline unüberhörbar und unumstößlich.

Julius überwachte, dass alle sich ohne zu rennen und in Panik zu verfallen ins Schloss zurückzogen. Am Ende blieben nur noch Léto, Arthur Weasley und die Latierres draußen.

"Gehören zu den ganzen Beobachtungsgeräten, die du ausgemacht hast auch die Feuermeldevorrichtungen, Julius? wenn es da draußen zu brennen anfängt sollten wir dann alles hier absichern", riet Arthur Weasley. "Habe ich vorhin gemacht, Mr. Weasley", sagte Millie und erwähnte nur, dass sie ein paar fortgeschrittene Feuerschutzzauber erlernt habe, was sie als ausgebildete Pflegehelferin sehr gut gebrauchen konnte.

"Oha, in der Luft steckt viel Feuer", meinte Millie, als sie von den nichtmagischen Gästen unbeobachtet einen Prüfzauber machte. "Die ganze Sommerhitze hat sich da aufgestaut und kann von der Luft nicht mehr gehalten oder abgeführt werden."

"Wenn die Mauern da nicht wären würden wir den Wind auch viel stärker spüren", sagte Julius und deutete auf die nun immer mehr rauschenden und bebenden Baumwipfel im Park. "Wenn es da einschlägt wird es aber heiß", sagte er zu Millie.

"Wird es nicht, weil ich eine Glocke der schlafenden Feuer über das ganze Gelände gelegt habe. War anstrengend. Aber so kriegen wir keinen Blitz ab und ..." Tschrackra-bumm-bumm! Unvermittelt war ein Blitz aus fast wolkenlosem Himmel außerhalb der Schlossmauer niedergefahren und verzweigte sich in ein Netz aus blauen, violetten und weißen Strängen, die das ganze Gelände überzogen und nach erst drei Sekunden erloschen. "Das galt wohl einem der Bäume im von mir abgesteckten Schutzbereich", sagte Millie ganz lässig.

"Ich geh mal an die Mauer und mach was, dass keine Hitze durchdringt, wenn es da draußen doch einen Brand gibt", sagte Julius und disapparierte unverzüglich.

Da jede der Mauern exakt einer Haupthimmelsrichtung zugewandt war konnte er die vier Zauber des unerschütterlichen Walles wirken, der für zwei ganze Erddrehungen alle körperliche Gewalt, Hitze und zerstörerische Erdmagie zurückprellte. Mr. Weasley apparierte hinter ihm und beobachtete ihn dabei. "Ist das auch aus dieser geheimnisvollen Quelle, die du mal erwähnt hast, Julius?" fragte er, als Julius auch den in Nordrichtung gelegenen Mauerabschnitt bezaubert hatte. "Ja, genau. Höhere Erdzauber, vergleichbar mit dem "Benedictio indistructibilis", der bei den Stammsitzen von zaubererfamilien in die Mauern eingewirkt wird. Nur dass ich hier keine Zeit hatte, die betreffenden Runen aufzumalen und ich die Mauern nicht sichtbar verändern darf. Aber für die nächsten zwei vollen Erddrehungszeiten von jetzt an hält uns das Hitzewellen und körperliche Angriffe vom Hals. Aber Millie hat ja schon einen wirksamen Feuerschild aufgebaut, der bis jetzt von der Sonne weiter aufgeladen wurde."

"Dann sind wir jetzt vor allem sicher, was das Unnwetter mitbringt?" fragte Arthur Weasley. "Außer vor Überflutungen", sagte Julius.

"Da können wir auch was gegen machen", sagte Arthur Weasley. Da apparierte Catherine genau zwischen den beiden. "Okay, Feuerschutz und Hitzeabwehr sind wohl von Millie und dir gemacht worden. Dann machen wir jetzt alle noch den Überflutungsschutz. Ich habe nämlich gerade mal geprüft, wie zornig die Luft ist. Da kommt wirklich was ganz wütendes über uns."

"Kennen Sie den Ultrapluvius-Aversus-Zauber, Madame Brickston?" fragte Arthur Weasley. "Ja, der ist mir vertraut", bestätigte Catherine.

Zusammen mit Apolline Delacour und ihren Schwestern konnten sie einen unsichtbaren Schild aufbauen, der alles Wasser und Eis nach außen ablenkte. Immer wieder krachte es hörbar. Julius konnte auf die bewährte Weise erkennen, wie weit die Einschläge noch entfernt waren und sah auch schon erste Rauchwolken aufsteigen. Bis jetzt fiel noch kein Regen.

Hatte das Unwetter zunächst nur in der Ferne getobt rückte es nun mit lautem Donnern und immer wilderen Windstößen unaufhaltsam heran. Weitere Blitze verfingen sich in Millies Feuerabwehrschirm und wurden davon unschädlich zerstreut. Aus den Fenstern konnten sie jedoch sehen, dass dort, wo bisher kein Tropfen Regen niedergegangen war ein loderndes Feuer tobte. Dort, wo schon putzeimergleiche Regenmengen niederstürzten quollen dichte weiße Dampfwolken auf.

"Gut, dann kann es klappen, dass alle glauben, die Feuerschutzvorrichtungen des Schlosses hätten uns hier auf einer Art Insel beschützt", sagte Julius, während gleich zwei grelle Blitze mit unmittelbaren Donnerschlägen über sie hinwegzuckten. An den stark schwankenden Bäumen konnten sie auch die Sturmstärke einschätzen. Catherine, die ja mit den Windmeistern Altaxarrois in Verbindung getreten war, hätte hier und jetzt sicher noch mehr zaubern können. Doch wegen der nichtmagischen Gäste ging das nicht. Wie hundert Meter lange Peitschen aus gleißender Glut krachten weitere Blitze über dem Gelände und zerfaserten in der unsichtbaren Feuerkraftabwehr.

"Also, die Blitzableiter sind genial", meinte Pierres Cousin Matthieu.

Da wo der Regen noch nicht genug Wasser auf die Bäume geschüttet hatte loderte der Wald. Doch jeder konnte sehen, wie die turmhohen, weit ausgreifenden Flammen hundert Meter von der viereckigen Mauer um das Schlossgelände entfernt auf einen unsichtbaren Widerstand prallten und zurückfederten wie gegen eine Betonwand geschlagene Tennisbälle.

"Öhm, wie geht das, dass uns das Feuer nicht auf die Pelle rückt?" wollte Pierres Onkel Alain wissen. Julius erwähnte die schlosseigene Brandabwehranlage, die bis hundert Meter von der Mauer weg Feuer bekämpfen konnte, wenngleich ihm Dumont nicht verraten hatte, wie genau.

"Ich war einmal mit einem Onkel und einer Tante in Australien, um da mal Weihnachten im Sommer zu feiern. Da haben wir das mitbekommen, wie die Ferienresidenz von einem Buschfeuer umzingelt wurde. Da mussten Feuerwehrflugzeuge anrücken und mit einer Menge Wasser ran. War schon irgendwie gefährlich", seufzte Matthieu. Julius wiederholte noch einmal das, was Dumont erzählt hatte.

"Sind Sie sich völlig sicher, dass wir hier sicher sind?" wollte Pierres Onkel mütterlicherseits von Julius wissen. Auch dem erzählte er noch einmal, was Dumont erwähnt hatte.

"Das sieht echt aus wie'n Energieschirm, an dem die als Plasma bestehenden Flammen abprallen", meinte Matthieu, der sich wie Julius und Pierres Vater den unsichtbaren Feuerschutz ansah. "Ja, der Eindruck kann echt entstehen", meinte Julius dazu.

Jean-Paul Marceau versuchte, mit seiner Frau zu telefonieren. Doch im Moment bekam er kein Netz. Julius wusste, dass der nächste Sendemast zwei Kilometer entfernt war. Falls einer der Blitze dort eingeschlagen hatte oder der wilde Waldbrand dem Sendemast zugesetzt hatte waren sie alle erst einmal ohne Mobilnetz.

"Oh, dann könnte sie sich Sorgen machen, wenn sie in den Nachrichten sieht, was hier los ist", meinte der General außer Diensten. Matthieu feixte: "Am Ende glaubt Oma Janine noch, dass wir wegen der priesterlosen Trauung in der Hölle gelandet sind." "Mach bloß keine Witze darüber,!" schnaubte Jean-Paul Marceau sichtlich ungehalten. Zur Untermalung seiner Anweisung ertönte ein dumpfer Donnerschlag wie fünf direkt nacheinander abgefeuerte Kanonen.

"Dieser Feuerschild ist wahrlich beeindruckend", mentiloquierte Léto Julius zu. Dieser erwiderte auf dieselbe Weise, dass er den nicht gewirkt hatte.

Als sich alle lange genug die tobenden Flammensäulen angesehen hatten und mitbekamen, dass diesen auch wegen des Regens immer mehr die Kraft schwand verfügte Julius, dass sie jetzt den gemütlichen Teil angehen konnten und nicht mal eben evakuiert werden mussten.

"Das wird den Muggels nicht entgangen sein, dass um das Schloss eine unsichtbare Glocke gegen Flammen und Rauch steht", meinte Ron Weasley zu Julius, als er mal wieder die Runde an den nun im Schloss aufgestellten Tischen entlang machte. "Ja, da werden vielleicht einige Gedächtniszauber fällig sein", wisperte Hermine leise genug, dass es über die ruhige aber fröhliche Musik und das Stimmengewirr von den Nachbartischen weit genug verdeckt wurde. Julius überlegte, ob sie recht hatte. Am Ende musste er noch Kollegen aus dem Ministerium rüberholen. Dabei hatte er Hermine noch nicht mal erzählt, dass sie an und für sich ausspioniert werden sollten und er noch nicht genau wusste, in wessen Auftrag.

Das Abendessen übertraf die Erwartungen aller Gäste. Auch die ausgewiesenen Leckermäuler unter den Gästen fanden nichts zu beanstanden. Insgesamt wurden neun Gänge aufgetragen, bis am Ende die von Apolline und Léto gebackene Hochzeitstorte hereingetragen wurde. Mit einer Alkoholmischung wurden der auf der Torte thronende Phönix und der Namenszug "Gabrielle et Pierre" in Brand gesetzt und loderten zwanzig Sekunden lang. "Möge dieses höchst willkommene Feuer euer Leben stets mit Licht und Wärme erfüllen", sprach Léto, als die bläulichen Flammen loderten.

Nachdem auch die dreistöckige Hochzeitstorte in allen noch nicht ganz satten Mägen verschwunden war unterhielten sich die frisch angetrauten mit ihren Verwandten. Zeremonienmagier Beaumot unterhielt sich mit Molly und Arthur Weasley über britische Hochzeitsbräuche, während die jungen Mütter ihre Kinder versorgten. Babette kam einmal zu Julius herüber und fragte ihn leise, ob sie auch diesen supertollen Brandschutzzauber lernen konnte. Julius erwiderte darauf, dass sie dafür erst mit Beauxbatons fertig werden müsste. Das ließ Babette kurz knurren. Dann flüsterte sie: "Papa hätte fast Pierres Opa mit dem Hubschrauber aufgetischt, dass wir echte Hexen und Zauberer sind. Aber ihm fiel da wohl noch ein, dass es dann garantiert Zoff gegeben hätte und er das Maman, Claudine und mir nicht antun konnte."

"Claudine hat sich schon mit Victoire angefreundet, obwohl die drei Jahre jünger ist", sagte Julius.

"Die freut sich immer, wenn sie Kinder um sich hat, denen sie was vorsingen, -tanzen oder sonst was machen kann", grummelte Babette. Offenbar fiel ihr wieder ein, dass ihre kleine Schwester ihr vielleicht doch den Rang ablaufen könnte, trotz der Super-ZAGs und der von Beauxbatons zuerkannten Saalsprecherinnenwürde.

"Babette, du warst die erste und wirst auch die erste bleiben, egal was noch kommt. Claudine ist eine andere als du und wird auch andere Sachen machen", sagte Julius.

"Eh, soll das gerade 'ne Übung für später sein, wenn eure Rorie mal so alt wie ich is'?" fragte Babette. Julius überlegte nur eine Sekunde und erwiderte: "im Grunde ist alles für mich eine Übung für später, was ich mit dir, Rorie, Claudine oder der kleinen Victoire mitbekomme." Babette verzog ihr Gesicht. Darauf meinte Julius: "Du hast das angesprochen. Also nicht motzen!"

"Das Feuer ist aus!" rief eine von Pierres Tanten, die wohl die ganze Zeit aus dem Fenster geguckt hatte. Julius ging an eines der großen Fenster heran und sah hinaus. Draußen waberten noch Rauch und Dampf. Doch statt turmhoher Flammensäulen ragten nur noch verkohlte Baumskelette in den Himmel. Viele der Bäume waren durch die Hitze regelrecht zerplatzt. Graue Aschehügel ragten außerhalb der gerade noch unverbrannten Zone auf, wurden jedoch von den immer noch wütenden Windstößen niedergebügelt. Ebenso knickte der Wind die abgebrannten Baumreste um. Auch stürzten weiterhin Regenfluten vom bereits nachtschwarzen Himmel, der nur von näheren oder weiter weg aufflammenden Blitzen erhellt wurde.

"Hast du gut gemacht, Mamille", mentiloquierte Julius seiner Frau. Diese erwiderte: "Dafür habe ich das bei Kailishaia gelernt, Monju."

Obwohl es draußen noch blitzte und donnerte und starke Windböen über das niedergebrannte Land und die grüne Oase des Château Trois Étoiles hinwegbrausten fanden alle in die richtige Stimmung, um den Hochzeitstag mit fröhlichem Tanz zu beenden. In einer längeren Pause warf Gabrielle ihren Brautstrauß. Bei der Deckenhöhe von knapp vier Metern konnte sie das Blumengewinde zumindest so werfen, dass es einen schönen Bogen beschrieb und dabei mehrere Salti schlug. Julius war gespannt, wen der Strauß erwischte. Als dann eine der Hexen aus der Partyservicetruppe den Strauß auf den Kopf bekam und reflexartig zugriff lachten viele. Die Ge- und Betroffene lachte am lautesten. "Jetzt muss mein Verlobter zustimmen, dass wir heiraten", sagte sie laut. "Danke schön, junge Madame!"

"Gilt das, dass eine vom Personal den Strauß fangen darf?" wollte Matthieu wissen, der wohl gehofft hatte, seine bisher unverheiratete Tante Antoinette würde den bunten Strauß abbekommen. Julius tat so, als blättere er in einem Buch oder großen Heft, müsse lesen und bewegte die Hände, als müsse er das Buch wieder zuklappen. "Also in meinem Unsichtbaren Buch der ungeschriebenen Hochzeitsbräuche steht davon nichts, dass der Brautstrauß nur Verwandte oder Freundinnen der Braut treffen darf", verkündete er. Alle lachten, am lautesten die Zaubererweltgeborenen. Die Hexe, die den Brautstrauß abbekommen hatte stellte sich dann bei Gabrielle noch mit Namen vor: Mademoiselle Cassandre L'ordoux. Julius sah sie nun genauer an und stellte eine Ähnlichkeit mit der Bienenzüchterin Bégonie L'ordoux aus Millemerveilles fest.

Als die im Festsaal tickende Standuhr kurz vor Zwölf zeigte drückte Apolline Julius den Schlüssel für das Brautgemach in die Hand. So durfte er die beiden nun ordentlich verheirateten zur Hochzeitssuite geleiten. Rhythmisches Klatschen und ein dreifacher Tusch der Musiker verabschiedeten Gabrielle und Pierre in die Nacht der Nächte. Das Gewitter hatte auch aufgehört oder war weitergezogen.

"Das ist euer ganz privates Reich der Nacht, Gabrielle und Pierre. Ich hoffe, ihr findet das Glück und die Ruhe, die dieses Gemach für euch bereithält", sagte Julius und gab Pierre den Schlüssel für die Hochzeitssuite mit der Nummer 126. Er steckte ihn behutsam in das besondere Schlüsselloch und drehte ihn um. Leise surrend entriegelte sich die Tür. Dann sah er Julius an. Dieser nickte ihm zu, verbeugte sich, wandte sich um und ging leise davon.

"Dann will ich mal sehen, ob du mir nicht zu schwer bist", hörte Julius ihn noch durch den Gang scherzen. "Das sage ich nachher mal zu dir", hörte er Gabrielle mit einem verwegenen Kichern antworten.

Wieder zurück im Festsaal konnte Julius mal wieder keinen Tanz auslassen. Bis ein Uhr feierten die Gäste noch. Viele von ihnen waren vom Met, dem Wein und dem teuren Schaumwein sichtlich berauscht, als sie sich zur Nacht verabschiedeten. Pierres Großvater väterlicherseits scherzte sogar mit seinem Sohn, er könne ja jetzt noch Pierres Kleinen Bruder auf den Weg bringen. Das wäre doch sicher sehr erhaben, wenn der in Pierres Hochzeitsnacht entstünde. Darauf konnte Pierres Vater nichts sagen. Seine Frau errötete jedoch sichtbar und trieb ihn an, jetzt doch das zugeteilte Zimmer aufzusuchen.

Aurore kam ihren Eltern entgegen. Sie hatte schon geschlafen und freute sich, dass ihre Eltern jetzt auch da waren. "Kannst jetzt weiterschlafen, Kronprinzessin. Maman und Papa sind jetzt auch da", wisperte Julius. Millie sah noch einmal nach den beiden Bettchen, in denen Chrysope und Clarimonde selig schlummerten. Dann durfte sich Aurore wieder auf das mit einem dünnen Sommeroberbett bezogene Sofa legen und ebenfalls weiterschlafen.

"Oha, der Witz von diesem Hubschrauberreiter eben hat Pierres Maman aber gar nicht gefallen", flüsterte Millie, während sie ihrem auch nicht mehr ganz so nüchternen Mann aus den Sachen half.

"Warscheinlich wird der Monsieur Le Géneral sich morgen nicht mal dran erinnern, diese Derbheit gebracht zu haben", flüsterte Julius, der seinerseits seiner Frau half, aus dem Festumhang zu schlüpfen.

Als beide noch einmal im Badezimmer waren legten sie sich nebeneinander hin. "Und du hast echt alle Spannergeräte ausgemacht, Monju?" mentiloquierte Millie. Julius bestätigte das. Er dachte erst, dass Millie jetzt auch von ihm geliebt werden wollte. Doch sie kuschelte sich nur an ihn und flüsterte ihm zu: "Schlaf süß, mein kleiner Spionenschreck. Demetrius' Maman will sicher einen ausführlichen Bericht von dir haben, wenn wir wieder zu Hause sind."

"Den will ich auch selbst haben, große Feuerbändigerin. Immerhin bin ich ja Mensch-Veela-Beauftragter. Da sollte es mich auch interessieren, wer Veelas ausspionieren will", schickte Julius zurück. Er überlegte zwei Sekunden und fügte dann nur für Millie vernehmbar hinzu: "Interessant, dass Pygmalion Delacour vierfarbsichtig ist. Wäre also der zweite Fall, wo sich eine Veelastämmige wen mit besonderer Begabung ausgesucht hat."

"Stimmt, habe ich nicht gedacht", gedankenantwortete Millie. Sie dachten beide an Alain Lundi, der auch ohne Felix Felicis sehr erfolgreich gewesen war. Deshalb meinte Millie noch: "Also pass du bitte gut auf, dass keine von den unverheirateten Veelas dich auch noch haben will." Julius beruhigte sie, dass er selbst keinen Bedarf hatte, seine gerade erst größer gewordene Familie zu verspielen. Darauf gedankenfragte Millie: "Und was kann oder hat Pierre, wenn das mit den besonderen Fähigkeiten stimmt?"

"Das kann dir vielleicht nur Gabrielle sagen", schickte Julius zurück. Dann fühlte er, dass er sich trotz der unmittelbaren Nähe und der üblichen Leichtigkeit der Gedankenverbindung gut angestrengt hatte. Vielleicht kam das auch vom Felix Felicis, dass dieser ihm eine menge Tagesausdauer gekostet hatte, um die umfangreichen Manipulationen an den Rechnern des Drei-Sterne-Schlosses durchzuführen. Julius wurde sich wieder bewusst, wie viel macht einem dieser Zaubertrank gab. Ein böswilliger Hacker konnte mit dessen Hilfe alles knacken, was es an Computern so gab. Ja, und wer sich demselben Ritual unterzogen hatte, mit dem die Quidditchmannschaft aus den Staaten sich die Weltmeisterschaft erschummeln wollte konnte nicht nur zwei Stunden, sondern solange er oder sie wach war alles knacken und verändern. Deshalb war verdammt wichtig, dass er in seinem Bericht nicht erwähnte, von wem er den Trank bekommen hatte. Seine Bemerkung vorhin, dass der Trank von Béatrice Latierre zertifiziert worden war konnte auch als Quellenangabe herhalten.

Millie und Julius wünschten sich noch gegenseitig eine gute Nacht. Dann lagen sie ganz ruhig nebeneinander.

_________

Wie der Hahn ins Schloss gekommen war, der sie alle bei Sonnenaufgang weckte wusste Julius zunächst nicht. Er wusste nur, dass er sehr gut geschlafen hatte und das er nicht einmal mitbekommen hatte, dass Clarimonde aufgewacht war. Doch die Lösung dieses Rätsels offenbarte sich, als die ersten Sonnenstrahlen durch die hellen Vorhänge ins Schlafzimmer hineinsickerten und Clarimonde erst gluckste und dann laut aufschrie. Millie mentiloquierte: "Ich habe mit ihr und Chrysie den bewussten Schlafzauber gemacht.

Das mit dem Hahn erklärte sich, als die Latierres putzmunter in den für den für das Frühstück gedeckten Salon eintraten. Dort thronte ein künstlicher Hahn über einer Sonnenuhr mit goldenem Stab. Mademoiselle L'ordoux vom Partyservice war gerade dabei, noch die letzten Köstlichkeiten für das Frühstück aufzutragen. Als Julius zwei goldene Schalen mit Honig sah musste er sie doch fragen, ob sie mit der Imkermeisterin in Millemerveilles verwandt war.

"Ja, stimmt. Sie ist meine Großtante väterlicherseits. Deshalb bekommen wir den Honig auch günstiger. Sie haben ja mitgeholfen, dass auch in diesem Jahr noch Honig entstehen kann, schreibt meine Großtante." Julius vermutete, dass die Bienenzüchterin geschrieben hatte, dass er ja die Dämmerkuppel erledigt hatte. So sagte er: "Ich bin sehr froh, dass wir in Millemerveilles wieder die ganze Kraft der Sonne mitbekommen dürfen, wenn die Sonne in diesem Jahr auch besonders stark scheint." Darauf antwortete Mademoiselle L'ordoux: "Ja, das ist schon wahr. Aber wie wir gestern mitbekommen mussten ist es doch schöner, wenn wir die Sonne sehen können, auch wenn die armen Bäume da draußen wohl zu lange kein Wasser mehr hatten und deshalb verbrennen mussten. Aber auch das sei Natur, schreibt meine Großtante. Vielleicht besuche ich sie ja demnächst mal mit meinem Verlobten." Julius nickte dazu nur. Dann deutete er auf den über der Sonnenuhr thronenden Gockelhahn.

"Ach, haben Sie meinen Wecker gehört, Monsieur Latierre? Ich habe mit meinem Chef geklärt, dass eine festliche Nacht nicht mit einem schnöden Ausrufer oder einem lauten Rasselwecker beendet werden darf." Julius konnte ihr da nur zustimmen.

"Öhm, der Monsieur, der das hier verwaltet hat sich auf unseren Anruf nicht gemeldet. Ich wollte ihm eigentlich auch was von unserem Frühstück hochbringen." Julius sagte dazu nur: "Der hat sicher das Durchrufgerät ausgeschaltet, um nicht vor acht Uhr geweckt zu werden."

"Wir brauchen aber eine schriftliche Bestätigung, dass wir alles so sauber zurücklassen, wie wir es vorfanden", sagte die Kellnerin. Julius verstand. Dann sagte er: "Ich habe mit Dumont ausgehandelt, dass ich als letzter von uns allen hier gehe. Dann werde ich von ihm wohl die Bestätigung kriegen, dass alles so ist, wie wir es vorgefunden haben. Reicht dann meine Unterschrift?"

"Das wird Monsieur Beaufeu bestimmen", sagte Mademoiselle L'ordoux.

"Wer hat denn einen echten Hahn ins Schloss geschmuggelt, den wir gestern noch nicht verputzt haben", maulte Pierres Onkel Alain, als er noch sehr angeschlagen wirkend hereinkam. Julius deutete auf den künstlichen Hahn über der Sonnenuhr. "Jau, wem ist der?" wollte Pierres Onkel wissen. Jetzt, wo er offenbar noch nicht ganz ausgeschlafen war, kam sein ostfranzösischer Dialekt richtig durch, dachte Julius. "Der ist mir", lachte die Leihkellnerin den Gast an. "Ich wollte Sie alle mit einem so naturgetreu wie möglich klingenden Signal wecken."

"Ja, und das Biest da in meinem Kopf gleich mit", maulte Pierres Onkel. "Dieser Honigwein gestern war zum drin ersaufen und sich über einen so schönen Tod freuen. Aber wer den überlebt zahlt ziemlich heftig drauf", quengelte Pierres Onkel.

"So spricht Captain Montgomery Scott: Besaufen Sie sich niemals, wenn Sie nicht bereit sind, am nächsten Tag den fälligen Preis zu zahlen", erwiderte Julius darauf. Ihm hatten die paar Gläser Met nichts ausgemacht, wohl weil in ihm ein mächtiges Lebensbejahungsritual wirkte.

"Dann sachdem, der soll mich und meine Süße gleich nach Hause beamen, bevor ich den Luxusschlitten meines Schwagers vollkotze. Uiuiui, hab ich mich aber weggebechert", murrte Alain. Julius überlegte, ob er ihm was von dem Antidot 999 geben sollte. Doch dann fiel ihm ein, dass er das dann auch bei allen machen müsste und dass dieses Geschenk Aurora Dawns gegen echt gefährliche Gifte gedacht war und nicht für Kampftrinker.

Nach und nach trudelten viele der Gäste ein. Zwischendurch hörten Millie und Julius Léto, Apolline, Fleur und andere Veelastämmige draußen einen erhabenen Gesang anstimmen, mit dem wohl die Sonne begrüßt wurde.

"Also, geplant ist, dass wir um elf Uhr spätestens abrücken. Das fleißige und freundliche Personal hat von seinem Chef den Auftrag, alles Geschirr, die Tische und die Küche blitzblank geputzt zu übergeben", sagte Julius immer dann, wenn weitere Familiengruppen eingetroffen waren. Matthieu meinte einmal seinen schwer angeschlagenen Onkel damit aufziehen zu müssen, dass er sicher früh genug erführe, in wessen Zimmer er gelandet wäre.

"Burschi, wenn ich nicht so einen Schädel hätte würde ich dich mal eben nach alter Erdentradition übers Knie legen. Aber ich fürchte, mir würden dann bei jedem Schlag die Ohren abbrechen."

"Tja, Alain, dabei heißt es doch in der Bibel: Du sollst nicht ehe brechen, bis ein Eimer am Bett steht", scherzte Pierres anderer Onkel Guillaume, Matthieus Vater.

Als alle bis auf den pensionierten General im Frühstücksraum waren machte sich Julius doch Sorgen, wo der denn abgeblieben war. Deshalb verließ er den Salon mit der Begründung, er wollte kurz den gelben Salon inspizieren, ob was zu beanstanden sei. Dann führte er den besonderen Menschenfindezauber aus und fand Jean-Paul Marceau in dem von ihm bezogenen Zimmer. Da der Zauber nur lebende Menschen anzeigte war Julius froh, dass es den alten Soldaten nicht ganz von der Erde abberufen hatte. So kehrte er wieder zurück in den Frühstücksraum und sprach Pierres Vater an, dass er bitte nach seinem Vater sehen möge, ob ihm nichts passiert sei.

Inzwischen kamen auch die frisch angetrauten herein. Sie wirkten so, als hätten sie eine sehr lange Nacht geschlafen. Doch in Gabrielles Augen glomm der Rest einer großen Glückseligkeit. Also hatten sie die Nacht tatsächlich zum vorgesehenen Zweck genutzt. Pierre indes sah sich so um, als sähe er alles und jeden hier zum ersten mal. Julius erinnerte sich daran, was Léto ihm über die Verbindung einer jungfräulichen Veela und einem unberührten Mann erzählt hatte. Wenn das auch auf Gabrielle und Pierre zutraf, dann waren beide nun für ihr ganzes langes Leben fest verbunden, auch wenn sie weiterhin zwei eigenständige Leute waren. Dabei fiel ihm ein, dass die Sache, die er gestern unfreiwillig nachbetrachtet hatte, doch relativ harmlos verlaufen sein musste. Denn sonst hätte Gabrielle sicher was gemerkt.

"Mein Vater lässt sich entschuldigen, aber er hat wohl ein wenig zu viel von diesem Honigwein abbekommen und verzichtet dankend auf ein Frühstück", sagte Pierres Vater. So konnten sie alle nun in Ruhe frühstücken, sofern die Gäste mit starkem Kater überhaupt Appetit hatten. Die Fahrer der Busse und des weißen Mercedes' freuten sich auch, ein kostenloses Frühstück zu genießen.

Da es sich doch etwas länger hinzog war es schon elf Uhr, als die Gäste es schafften, mit ihren Gepäckstücken die Zimmer zu verlassen und ihre Schlüssel abzugeben. Gabrielle hatte sogar das breite Bett und alle Decken und Kissen frisch bezogen. "Muss ja kein Haar von mir gefunden werden", hatte sie Julius verschmitzt grinsend gesagt. Überhaupt besorgten die mitgereisten Hexen es, dass alle benutzten Betten frisch bezogen wurden, damit sie ihre vertragliche Verpflichtung erfüllten, alles in dem Zustand zu hinterlassen, in dem sie es vorgefunden hatten. Julius wollte keinem sagen, dass das alles hier um ein Uhr Mittags mitteleuropäischer Sommerzeit verbrennen würde. Die Leute vom partyservice fegten die Festräume innerhalb von nur einer Minute blitzblank aus. Alles Geschirr war sauber in den vorgesehenen Schränken, und alle Herdstellen waren so gründlich geputzt, dass Julius sich drin spiegeln konnte.

"Können die Autos durch die Feuerabsicherung fahren, oder saufen denen dann die Motoren ab?" fragte Julius seine Frau, als sie ihr Zimmer nochmal auf Spuren überprüften. "Ui, da fragst du mich aber was. Könnte echt sein, dass die Verbrennungstriebwerke bei Berührung mit dem großen Feuerschild ausgehen. Aber ich kann einen Weg durch den Schild machen, indem ich die zwei am nächsten davon liegenden Kraftsteine um einige Meter auseinanderlege. Warte mal hier!" Millie nahm ihren Zauberstab und disapparierte. Eine Minute später erschien sie mit leisem Plopp. "Hui, die haben eine Menge Feuerkraft aufgesaugt. Die konnte ich nicht einfach so wegnehmen, ohne dass die anfingen rot aufzuleuchten. Deshalb habe ich die richtig entladen. Sah richtig bunt aus, wie die ganzen Blitze in den Himmel gezischt sind. Aber jetzt hält der Schild nur noch bis Mittag, dann könnten alle Steine so bunt abbrennen, ohne anderes Zeug anzuzünden."

"Gut, dann können wir gleich alle abrücken und alles in dem Zustand zurücklassen, in dem wir es vorgefunden haben", erwiderte Julius. Er musste wegen der Ironie dieser Aussage grinsen. Denn die Gäste und er würden alles hier im Schloss in dem Zustand zurücklassen, in dem sie es vorgefunden hatten. Wenn dann um zwei Uhr das wie auch immer große Feuerwerk abbrannte waren sie alle schon weit weit weg.

Um halb zwölf prüfte er noch einmal alle Zimmer, dass hier alles wieder sauber war. Er verzichtete darauf, Dumont mit einem Gedächtniszauber zu belegen, da dieser ganz sicher von den Leuten aus dem Ministerium noch einmal verhört würde. Als Aufweckwort hatte er gestern den Begriff "Château Tournesol" festgelegt. Er tat so, als würde er sich von Dumont ein astreines Übergabeprotokoll aushändigen lassen, vor allem für die Marceaus, die ja auch sicherstellen wollten, dass mit dem Schloss alles in Ordnung war. Dumonts Unterschrift kopierte Julius von der Bestätigung seines Auftrages vom 10. August unter das von ihm geschriebene Protokoll. Dieser Zauber galt zwar als letztes Mittel bei einer nötigen Datenänderung, ließ sich von ihm jedoch vor jedem Ausschuss rechtfertigen. Immerhin hatte er ja sicherstellen müssen, dass die Magiegeheimmhaltung gewahrt blieb, auch wenn einige der Gäste sicher noch länger darüber nachdenken mussten, wie genial dieser Feuerabwehrschirm funktioniert hatte. Aber die Erklärung mit dem Energieschirm, der die glühenden Gase der Flammen genau deshalb abhielt, weil sie elektrisch leitfähig waren, gefiel ihm. Außerdem schaffte er es mit Rückendeckung von Millie, Pygmalion Delacour und Arthur Weasley, den immer noch sehr angeschlagenen Großvater Pierres die Erinnerung einzuprägen, sein "alter Kamerad" Max Dumont habe sich noch von ihm verabschiedet und ihm viel Spaß mit allen künftigen Urenkeln gewünscht. Denn Julius hatte auch ohne Felix Felicis rechtzeitig erkannt, dass Jean-Paul Marceau sich wundern würde, dass sein ehemaliger Militärkamerad sich nicht von ihm verabschiedet haben sollte. Er gab diese von ihm vorgenommene Erinnerungskorrektur an Nathalie weiter und erwähnte, dass er nun als letzter in den zitronengelben Bus einstieg, der die Besucher aus Großbritannien nach Calais zurückbringen sollte. "Gut, wir rücken in fünf Minuten an", bestätigte Madame Grandchapeau.

Auch wenn es ihm schwerfiel und wohl auch Pygmalion Delacour nicht so leicht fiel erfuhr niemand von den Gästen, was gestern genau passiert war. Für sie hatte sich dieser Kastellan einfach nur noch Julius gezeigt. Millie mentiloquierte ihm einmal: "Nathalies Leute rücken gleich an, wenn wir weit genug weg sind?" Julius bejahte es auf dieselbe Weise, so dass keiner der anderen Mitreisenden es mitbekam.

In Calais bekam Julius von allen noch einmal Komplimente für die gelungene Feier und wurde von Molly Weasley geherzt und von Harry Potter und Ginny auf die Schultern geklopft. Ginny meinte dann noch: "Und grüße deine Schwiegermutter, dass wir eure Mannschaft vom Platz fegen, wenn klar ist, wann die Wiederholung ist."

"Nicht bevor mein neuer Schwager auf der Welt ist", erwiderte Julius darauf. Ginny nickte und sagte, dass sie zusehen wollte, da nicht selbst wen neues zu erwarten. Harry hörte das und nickte nur. Also war er froh, dass seine Frau noch nicht auf Biegen und Brechen Mutter werden wollte. Sicher, der Gewinn der Quidditchweltmeisterschaft war Ginny wichtig genug, um erst mal keine Postsendung des kleinen bunten Vogels zu erbitten. Aber womöglich würden Gabrielle und Pierre ihnen im kommenden Jahr einen neuen Verwandten vorstellen.

Um bis zum Eintreffen des fahrenden Ritters zu warten kehrten die Gäste aus England noch in der Schenke "Grenouille Bleue" ein. Julius und Millie reisten mit den Brickstons zusammen nach Paris zurück. Da sie ja morgen schon die nächste Hochzeit mitfeiern würden flogen Millie, Julius und ihre drei Töchter auf den mitgenommenen Besen über die Rue de Camouflage zum Honigwabenhaus von Millies Eltern.

Während Millie und Aurore erzählten, was sie gestern und heute morgen alles erlebt hatten durfte Julius in Hippolytes Arbeitszimmer seinen Abschlussbericht schreiben. Er beendete ihn mit den Worten:

So verdanken wir der mütterlichen Sorge meiner Gattin, dass ich rechtzeitig erkennen konnte, dass der Verwalter des Schlosses ein berufsmäßiger Voyeur oder Spion war. In wessen Auftrag er gearbeitet hat ist noch zu klären. Zumindest können die dafür benutzten Rechner keine verwertbaren Bild- und Tonaufzeichnungen mehr übermitteln.

__________

Seit zwanzig Jahren hieß er Émile Bernard und war Spezialist für Computer und audiovisuelle Anlagen in Verwaltungsgebäuden oder Kulturbetrieben. Seine Firma, die dafür weltweit bekannt war, exklusive Immobilien für extraordinäre Anlässe zu vermieten, hatte ihn als Computerwart für die modern eingerichteten Gebäude angestellt. Wenn er nicht gerade in einem exklusiven Kino mit 360-Grad-Laserprojektoren oder der Atraktion "Nemos Reich" drei Kilometer vor der Atlantikküste zu tun hatte arbeitete er in seinem Büro auf einer Seineinsel nördlich von Paris. Das Büro befand sich nicht in einem gewöhnlichen Haus. Nein, entsprechend der Firmenphilosophie "Alles was ein Mensch träumen kann kann auch gebaut werden" lagen die Büros der führenden Mitarbeiter in einem bewaldeten Hügel. Um nach draußen sehen zu können konnte jeder Büroinsasse je nach Rangstellung auf einem kleinen bis acht großen Flachbildschirmen auf draußen verteilte, in den Baumkronen versteckte Kameras zugreifen oder sich einen Ausblick seiner oder ihrer Wahl zusammenschalten. Bei dem Mann, der sich Émile Bernard nannte gab es drei raumgroße Bildwände, die einen 180-Grad-Ausblick von der Aussichtsplattform des nicht mehr bestehenden Nordturms des Welthandelszentrums darstellten. Falls er wollte konnte er durch reines Aufsetzen einer 3-D-Brille die Ansicht so schalten, dass er bei jeder Wand einen räumlichen Ausblick auf New York genießen konnte.

Im Moment dachte der Computerfachmann aber eher an sein Mittagessen. Heute würde er ins "Blue Bayoo gehen, der Kantine, in der es Speisen aus den USA und Mexiko gab. Die Firmenleitung hatte sich nicht gescheut, ihren verdienten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Luxus von fünf restaurantgleichen Essensausgabestellen zu bieten, je danach, worauf jemand gerade Hunger hatte.

Eine Minute vor zwölf Uhr erklang ein räumlich wahrnehmbares Harfenspiel aus den gut versteckten Lautsprechern in Decke und Wänden. Bernard stöhnte und blickte auf die Anzeige des modernen Telefonapparates. Sie zeigte, dass der Anruf von auswärts, ja aus Übersee kam. Bernard griff den Telefonhörer und bemühte sich, nicht verdrossen zu klingen, als er sich meldete.

"Hier Collin Jones von der vereinigten Spaßpunktkompanie. Bitte prüfen Sie nach, ob das Waldschloss bei Amien noch erreichbar ist. Wir haben den Anruf Ihres dort tätigen Mitarbeiters Dumont erwartet, ob die von uns avisierte Gesellschaft schon dort einchecken kann. Er erwähnte beim letzten mal, dass es zwischen elf und zwölf Ihrer Zeit sein würde."

"Öhm, gleich ist erst zwölf Uhr, zumindest bei uns, Mr. Jones", erwiderte Bernard.

"Deshalb haben wir ihn ja um halb Zwölf Ihrer Zeit angerufen. Doch wir bekamen die Mitteilung "Verbindung zum gewünschten Teilnehmer nicht möglich". Weil wir dies nun schon zehn mal gesagt bekamen befürchten wir, dass es in dem Schloss zu einer Störung der Telefonleitung gekommen ist. Bitte prüfen Sie über Ihre Fernwartungskanäle, ob dies stimmt und falls ja, ob es zu beheben ist!"

"Öhm, ja, kann ich machen", sagte Bernard. Er hätte fast gesagt, dass er eine solche Anweisung nur von seinem Chef entgegennehmen durfte. Doch Jones war nicht einfach ein Kunde, er war in gewisser Weise sein direkter Vorgesetzter, wenn auch ganz inoffiziell.

"Bis wann können Sie mir Mitteilung machen?" wurde er noch gefragt. "Ich prüfe gleich alle verfügbaren Kanäle. Dann kann ich Ihnen das Ergebnis mitteilen, also in ungefähr fünf Minuten", kündigte Bernard an. Dann endete das Gespräch. Bernard unterdrückte einen derben Fluch. Warum konnten sich Kundenund Vorgesetzte nicht eine Uhrzeit zwischen neun und halb zwölf zum anrufen aussuchen? Doch es half nichts. Wenn Jones "Hopp!" rief musste er springen, sonst flog er, nicht nur aus der Firma, sondern auf.

Bereits der Check unter dem Stichwort "Grüner Waldturm" zeigte ihm, dass offenbar alle offiziellen Sende- und Empfangseinrichtungen ausgefallen oder von irgendwem ausgeschaltet worden waren. Das war schon einmal sehr verdächtig. Dann versuchte er, das Satellitentelefon des Hausmeisters, der sich hochtrabend Kastellan nannte, zu erreichen. Doch auch hier bekam er keine Antwort. So blieb nur noch die direkte Glasfaserverbindung, die parallel mit den üblichen Fernmelde- und Fernsehkabeln verlegt worden war. Er wählte einen Wecker auf seinem Schreibtisch an, stellte dessen Zeiger auf fünf vor zwölf und doppelklickte auf einen kleinen, nur für ihn sichtbaren Hahn in der Mitte des Zifferblattes. Ein lautes Rasseln ertönte aus den Lautsprechern. Dann hörte das Rasseln auf. Mehr geschah nicht. Bernard sah auf den Wecker. Eigentlich hätte statt seiner ein bunter Hahn da auftauchen und einmal laut krähen müssen. Doch es krähte kein Hahn. Das hieß, dass die letzte Verbindungsmöglichkeit ins Schlösschen bei Amien ebenso unterbrochen war. Das wiederum konnte nur heißen, dass jede im Schloss verbaute Elektronik zerstört worden war.

Er wählte die Verbindung zu Mr. Jones. Zur Sicherheit schaltete er noch einen Zerhacker ein, der bei genau dieser Verbindung eine bestimmte Verwürfelung erzeugte.

"Mr. Jones, ich muss Ihnen leider melden, dass es auch für mich keinen Zugriff gibt. Alle Funkverbindungen einschließlich des Satellitentelefons des Hausverwalters, sowie die von unserer Firma verlegte Fernwartungsleitung sind unterbrochen oder zerstört. Ich kann von meinem Standort aus nichts machen."

"Wie? Auch die Glasfaserleitung ist tot? Moment, Eines unserer Himmelsaugen ist gerade in günstiger Position", sagte Jones. Bernard hörte das ihm all zu vertraute Klackern und Klicken von Tastatur und Maus. Dann sagte Jones' Stimme: "Das Objekt ist noch da wo es sein soll. Aber um es herum ist der halbe Wald abgebrannt. Wirkt die terminale Schaltung so?"

"Öhm, nein, so wirkt sie nicht", erwiderte Bernard. "Könnte der Waldbrand die Glasfaserleitung beschädigt haben?" wollte er noch wissen. "Hmm, wenn die Hitze bis auf fünf Meter unter die Erde dringt und die bis eintausend Grad isolierende Umhüllung durchdringt ja", erwiderte Bernard.

"Gut, dann rücken Sie dort an und prüfen vor Ort. Ihr Chef bekommt die entsprechende Order für Notfalltrupp sieben!"

"Verstanden, Mr. Jones", sagte Bernard und beendete die Verbindung.

Weil Bernard damit rechnete, dass er gleich fort musste sicherte er seinen Arbeitsplatz. Hierfür rief er ein aus vier mal vier Quadraten bestehendes blaues Raster auf, in dass er aus einer rechts daneben abgebildeten Farbensäule Werte an entsprechenden Stellen einfügte. Er bestätigte die Eingaben mit Klick auf der linken oberen Ecke. "Bis bald, Émile", blinkte ihm eine hellblaue Schrift entgegen, bevor der Rechner auf Bereitschaftsmodus schaltete. Alle Bildwände erloschen, bis ihr Nutzer sich wieder auf seinem Konto angemeldet haben würde.

Zwei Minuten später klang das Harfensolo, dass jemand ihn anrief. Es war sein offizieller Chef: "Bernard, in zwei Minuten auf dem Hügel. Trupp siebenund Chauffeur sind vor Ort! Viel Erfolg!" "Verstanden und danke, Monsieur Morel", erwiderte der Mann, der sich Émile Bernard nannte.

Als der Computerfachmann mit einem nur für ranghohe Mitarbeiter zugänglichen Aufzug bis nach oben gefahren war kam er auf der Lichtung heraus. Sie sah für Leute von oben wie eine gewöhnliche Waldlichtung aus. Doch in Wirklichkeit war sie ein gut getarnter Hubschrauberstart- und -landeplatz. Der firmeneigene Helikopter, in den bis zu zehn Personen Platz fanden, wartete bereits mit anlaufenden Rotoren. Bernard liebte Hubschrauberflüge, auch wenn sie im Vergleich zu großen Verkehrsflugzeugen etwas ruckeliger waren und es ohne aufgesetztes Headset ziemlich laut zuging.

Trupp sieben bestand aus sechs Männern in schwerer Kampfausrüstung mit Helmen und Gesichtsmasken. Sie trugen Maschinenpistolen und dazu gehörende Magazine bei sich. Bernard blickte voller Unbehagen auf die schwarzen Läufe der Schnellfeuerwaffen. Er verabscheute Waffenund körperliche Gewalt. Seine Waffen waren Intelligenz und hochwertige Computertechnik.

Die Maschine stieg so abrupt auf, dass Bernard eine Sekunde lang keine Luft bekam. Offenbar hatte der Pilot den Befehl zum Alarmstart bekommen. Das zeigte sich auch daran, dass die Turbine wesentlich höher sang als er es bei bisherigen Hubschrauberflügen mitbekommen hatte. Über die Kopfhörer-Mikrofon-Kombination verkündete der Pilot, dass sie als Nothilfstrupp gemeldet waren, der auf einen aus dem Ziel selbst erfolgten Notruf reagiere.

"Tja, das macht die Exklusivität aus", feixte einer der Hilfstruppler. Bernard konnte ihm da überhaupt nicht widersprechen.

Der Hubschrauber jagte förmlich in gerade einmal zweihundert Metern über Grund dahin. Als sie den das Ziel umstehenden Wald erreichten sogen alle Luft ein. viele der Bäume waren niedergebrannt, qualmten noch oder loderten in hellen Flammen. Dagegen machte sich der aus unversehrten Bäumen bestehende hundert Meter starke Gürtel um die Schlossmauern wie eine Oase in der Wüste aus. "Wieso kam das Feuer nicht bis hier durch?" fragte einer der Truppenangehörigen. Bernard erwähnte Brandabwehrvorrichtungen im Schloss, die den innerhalb der Mauern gelegenen Park und einen bestimmten Bereich außerhalb der Mauern mit Wasser besprühten, um ein Entflammen zu verhindern, sobald die entsprechenden Sensoren eine kritische Temperatur maßen.

"Von außen niemand und nichts verdächtiges zu sehen", meldete einer der Männer der mit einer Kamera mit Teleobjektiv die Gegend absuchte.

"Gut, wir landen", verkündete der Pilot. Bernard fühlte, wie das Adrenalin in seine Adern schoss. Wie lange war er nicht mehr in diesem Schloss gewesen, dass er mit einigen anderen sehr kundigen Leuten zusammen eingerichtet hatte? Die letzte Fernwartung war vor einem Jahr gewesen, weil es darum ging, die Software auf den neusten Stand zu bringen. Die letzte direkte Überprüfung aller Systeme lag schon zwei Jahre zurück.

Als der Hubschrauber aufsetzte sprangen Bernards Begleiter förmlich hinaus wie bei einem Kampfeinsatz. Womöglich gingen sie auch von solch einem aus, dachte Bernard. Vier der schwer bewaffneten Männer nahmen Aufstellung, um die Maschine nach allen Seiten abzusichern. Als kein böser Feind das Feuer auf sie eröffnete verließen auch Bernard und die beiden anderen den Hubschrauber. Bernard hörte noch wie der Pilot in sein Mikrofon sprach: "Flugkontrolle Paris für Serviceflug Sierra Hotel neun eins sieben, bitte kommen!"

"Kommen Sie, wir haben zu schaffen", trieb einer der beiden mit Bernard ausgestiegenen den Computerspezialisten an, der anders als seine Begleitmannschaft keine schusssichere Ausrüstung am Körper trug und deshalb nun von allen vier Seiten abgeschirmt wurde. Deshalb bekam er auch nicht mit, dass der Pilot immer unruhiger wurde, weil es im Funk zu ruhig blieb.

Bernard notierte kurz die genaue Ankunftszeit: 12:35 Uhr mitteleuropäische Sommerzeit.

"Also, großer Zauberer, wie wollen Sie da rein, wenn Sie nicht teleportieren können?" wollte der Truppführer von Émile Bernard wissen.

"Ein bisschen mehr Respekt vor meiner Arbeit täte Ihnen gut, Marchand", knurrte Bernard. Er wollte noch hinzufügen, dass Rambo ins 20. Jahrhundert gehörte und die Krieger von heute vor Rechnern oder an Mobiltelefonen kämpften. Doch mit einem Rammbo lohnte keine Diskussion, dachte Bernard. So sagte er ganz ruhig. "Also, wir gehen durch die Tür rein, dann drei Treppen nach oben im westflügel. Dann geht es durch die erste von drei extragepanzerten Türen in den Geheimtrakt. Ich muss dann noch durch zwei weitere Türen ähnlicher Stärke, um an den mir zugeteilten Arbeitsplatz zu gelangen. Ich brauche dafür nur einen Mann Geleitschutz."

"Gut, okay, Mau, Gil, ihr deckt uns. Fred, Al und Rick, ihr durchkämmt das Schloss, nicht ausschwärmen. Das Haus ist zu weitläufig!" teilte Marchand seine Leute ein. Dann ging es los.

Im Laufschritt ging es zum Schlossportal. Bernard war froh, dass er diesenMöchtegernmarines zumindest da noch gewachsen war. Sein Schwimm-, Ruder- und Lauftraining hielten seinen Körper so fit wie die ständigen Verbesserungen in der Informationstechnik seinen Verstand.

"Die Tür ist mit Lasercodeschloss gesichert", sagte Émile Bernard und zoog den entsprechenden Schlüssel hervor. Problemlos ging die Tür auf. Sein Geleitschutz prüfte, ob dahinter wer lauerte. Dann konnten sie hinein.

Ihr wie eingeteilt jedes Zimmer prüfen, mit Infrarot. Bei Sichtung verdächtiger Subjekte ohne Waffe Betäubungsgranaten einsetzen. Falls wir können machen wir gefangene", befahl Marchand.

Bernard sah sich um. Irgendwie meinte er, dass ein leicht gräulicher Schatten an der Wand war, wo eigentlich keiner sein durfte. Spielte ihm sein tetrachromatisches Sehvermögen einen Streich? Denn wieso flimmerte dieser Schatten so merkwürdig wie brodelnde Luft, vor allem, wieso sah er ihn so, als wäre er innen lichter als außen? Sofort klang bei ihm eine vielen Millionen Fans altvertraute Alarmsirene im Kopf an. "Marchand, da an der Wand ist was", zischte er. Marchand sah die Wand an, die bis auf einige merkwürdige Streifen und Linien ganz glatt war. "Eine weißgekällkte Wand", grummelte Marchand. Bernard deutete auf den immer noch zu sehenden flimmernden Schemen. Marchand schüttelte den Kopf. "Da ist nur Wand, Monsieur Bernard."

Bernard wollte nicht sofort damit heraus, dass er ein besonderes Sehvermögen hatte, das ihn auch schon manchesmal Stress machte, wenn er was für alle anderen einfarbiges durcheinander sah oder was für andere ein frisches Grün war für ihn selbst irgendwie gelblich-grün war. Spielte ihm dieses scheinbare Supersehen nun wieder einen Streich?

Gut, weiter, habe mich wohl vor meinem eigenen Schatten erschreckt", grummelte Bernard.

"Ist mir auch schon mal passiert, wo und wann darf ich nicht sagen", grummelte Marchand. Bernard atmete auf. Er hatte jetzt echt gedacht, dass dieser Mensch da eine bissige Bemerkung über die Schreckhaftigkeit eines Computerfachidioten machen würde.

Während sie durch die Eingangshalle zu den Treppen gingen konnte Bernard noch einen durchsichtigen, nebelhaften Schemen sehen, der gerade den hinaufsteigenden auswich und dabei zu einem Schatten an der Wand wurde. Bernard wollte nicht wieder zu früh Alarm schlagen. Doch im Moment fühlte er sich von gespensterhaften Fremden umzingelt. Ja, irgendwas vielleicht nur für ihn gerade schwach sichtbares geisterte hier herum. Er dachte an Experimente, um Menschen unsichtbar zu machen. Ihm fiel dabei die adaptive Tarnung ein, die im letzten James-Bond-Film verwendet wurde. Ging sowas schon echt? Immerhin bekam er regelmäßige Dossiers über Neuheiten in der elektronischen und personengestützten Kampfführung.

"Was sagen die Infrarotgeräte?" fragte Bernard Marchand. "Ist hier jemand vor uns entlanggegangen?" legte er noch den Grund für die Frage nach. Marchand gab die Frage an Mau weiter, der ein entsprechendes Visier vor seinem Helm herunterklappte. "Ups! Hier sind echt Fußspuren, die nicht von uns sind. Sie gehen von der Halle zu allen Türen und ... Ui, eine Endet da oben auf der Treppe und ... Mist!" Im nächsten Moment packte Mau seine an Riemen hängende Waffe, zielte an Bernard und Marchand vorbei und feuerte. Laut ratternd und flirrend spuckte die MP eine Zehnersalve Stahlmantelmunition aus. Fast zeitgleich umschwirrten Marchand und Bernard Geschosse, die scheinbar aus der Gegenrichtung abgefeuert wurden. Marchand warf erst Bernard und dann sich zu Boden. Das alles verlief in nur einer Sekunde. "Hier ist wer, der sich ...", rief Mau. Da erklang ein Wort, dass Bernard sonst nur im Zusammenhang mit Schockstarre kannte: "Stupor!" Er hörte ein Fauchen und dann einen dumpfen Aufschlag. Marchand fuhr mit heruntergeklapptem IR-Visier herum und versuchte selbst, den Gegner zu treffen. Doch wieder erklang das wahrhaftig wie ein Zauberwort ausgerufene "Stupor!" Jetzt konnte Bernard einen orange-rot flirrenden Blitz sehen, der genau von jenem flirrenden, nebelhaften Phantom auf Marchand überschlug und ihn von einer Sekunde zur anderen niederstreckte. Sofort kamen die anderen Geleitschützer. Doch diese trafen zwei weitere solcher orange-roter Flimmerblitze. Bernard erkannte, dass sie hier gerade ganz locker in eine Falle reingeraten waren und gerade davon zerbröselt wurden. Sollte er jetzt noch versuchen, zur ersten Panzertür zu kommen? Seine Geleitmannschaft jedenfalls war außer Gefecht, ob tot oder eben nur betäubt war ihm erst mal egal. Bis zur Tür waren es nur noch zehn schnelle Schritte. Doch einer dieser Blitze konnte ihn locker erwischen. Er blickte sich um, wie viele von diesen Phantomen er und wohl nur er sah. Er erkannte eines, das gerade hinter den niedergestreckten Kampftrupplern mitten im Raum dahinglitt oder schwebte wie eine echte Geistererscheinung. Wenn er sich jetzt bewegte hatten sie ihn auch. Wenn er liegen blieb konnte er nicht weitermachen. Er lauschte eine gefühlte Ewigkeit, die in Wirklichkeit anderthalb Minuten dauerte. Doch er hörte nichts. Er sah nur die zwei dunstartigen Nebelflimmer, die sich suchend umsahen. Dann verzogen sie sich. Ja, sie verschwanden durch das offene Portal nach draußen. Was sollte das denn jetzt? Er lag doch hier ganz offen sichtbar für alle herum, auch für Trichromaten. Dann klickte es bei ihm. Die wollten, dass er aufstand und denen den Weg zeigte, wo es zur Zentralsteuerung ging. Ja, die würden ihn einfach durch die Tür lassenund dann zusehen, schnell hinter ihm reinzukommen. Aber den Zahn konnte er denen ziehen. Als er sich sicher war, dass er nichts außer Wänden und Decke sah robbte er so leise er konnte zu Marchand und pflückte ihm den Helm mit dem Normal- und IR-Visier vom Kopf. Dann nahm er noch die für bestimmte Gase undurchlässige Sturmmaske an sich und setzte sie sich selbst auf. Dabei blieb er noch möglichst unten, um auch keinen Schatten zu werfen. Es kam darauf an, dass er fünf Sekunden Zeit hatte. Da er kein Zauberer war, der mal eben die Zeit anhalten konnte musste er eben was anderes machen. Er zog eine der am Gürtel Marchands hängenden Betäubungsgranaten hervor und entsicherte sie. Wie das ging hatte ihm sein Führungsoffizier gezeigt. Er wartete und lauschte, sah in alle Ecken, nach obenund hinaus. Dann zündete er die Granate und warf sie dahin, wo die schemenhaften Unheimlichen verschwunden waren. Er warf sich sofort herum und robbte weiter. Es knallte dumpf. Die Betäubungsgasladung breitete sich nun im Umkreis von zwanzig Metern aus. Bernard sprang auf und stürmte mit jedem Schritt drei Stufen auf einmal nehmend nach oben. Jetzt stand er vor der Tür, stieß den scheinbar bartlosen Schlüssel in den dafür vorgesehenen Schlitz, wartete eine Sekunde und drehte ihn zweimal rechts herum. Laut surrend schwang die schwere Tür nach innen. Er konnte gerade noch den Schlüssel freiziehen und durchspringen, da surrte sie auch schon wieder in die Gegenrichtung. Mit den zwei schnellen Drehern hatte er den Notdurchlass betätigt, der ihm nur anderthalb Sekunden Zeit zum passieren erlaubte. Mit dumpfem Klong und leisem Surren schloss die Tür wieder und verriegelte sich mehrfach.

Bernard knipste das Licht an, das für ihn einen leichten goldroten Farbton aufwies. Wie es für Normalsehende aussah konnte er nur wissen, wenn ihm einer von denen das sagte. Für ihn reichte aber, dass es die Wände heller widerscheinen ließ als den Boden.

Er eilte weiter bis zu einer scheinbaren Wand. Doch das war keine Wand, sondern noch eine Tür. Er berührte eine bestimmte, von ihm selbst mit einem besonderen Stift markierte Stelle. Der Infrarotabtaster würde nun nach drei Sekunden das nächste Schlüsselloch freigeben. Mit seinem Generalschlüssel auf Laserkodierungsbasis schloss er die nächste Tür mit einer einfachen Rechtsdrehung auf. Nun konnte er in gemächlichen Schritt durch die zweite mehr als zwanzig Zentimeter dicke Tür gehen. Nachdem er sie passiert hatte surrte sie wieder ins Schloss und wurde bombensicher verrieggelt.

Falls sie ihn echt verfolgen wollten hatten die jetzt schon das Problem, dass die erste Tür nicht mal mit einer Panzerfaust oder nicht unter 30 Kilo Plastiksprengstoff zu knacken war. Doch wer sich für wohl viele optisch unsichtbar machen konnte und mit schon sehr futuristischen Energiestrahlen schoss mochte womöglich auch Geräte zur Desintegration von Materie haben, falls diese Burschen keine wahrhaftigen Zauberer waren. Magie hatte bis dahin nur in seinen Kerker-und-Drachen-Spielrunden existiert oder beim "Herrn der Ringe". Doch die Science Fiction bot schon sehr viele irgendwann irgendwie mal möglichen Sachen auf, die genauso Eindruck machten wie echte Magie.

Jetzt war Bernard bei der dritten und letzten Panzertür. Unterwegs hatte er sehr genau darauf geachtet, ob in diesem für ihn goldroten Licht weitere getarnte Gegner lauerten. Dem war nicht so. So öffnete er ganz ruhig die dritte Tür mit seinem Generalschlüssel und trat in den klimatisierten Wohn- und Arbeitstrakt von Maximilian Dumont.

Erst ging es durch einen Gang, von dem aus ein Bad, ein Schlafzimmer, eine Küche und ein Wohn-Ess-Zimmer abzweigten wie er wusste. Er prüfte jede Tür, wobei er das Türblatt so ungestüm nach innen stieß, dass wer auch immer sich dahinter verstecken mochte einen gehörigen Schlag abbekam. Dann sicherte er kurz, ob jemand darin war, sichtbar oder unsichtbar. Doch es war niemand dort, auch kein Dumont. So blieb nur die Tür zur eigentlichen Zentrale dieses Schlosses. Da sie grundsätzlich nur durch den passenden Schlüssel geöffnet werden konnte hatte Bernard keine Probleme damit.

Er betrat den Überwachungsraum und sa sofort, warum die anderen es nicht mehr nötig hatten, ihn zu verfolgen. Denn hier waren schon welche.

Sie waren nicht unsichtbar oder nebelhaft, sondern richtige, feststoffliche Menschen, keine Außerirdischen, Geister oder Dämonen. Er sah einen sehr korpulenten Mann, eine kleinwüchsige Frau, die gerade mal so groß wie ein achtjähriges Kind war, aber eindeutig als Frau zu erkennen war, sowie zwei Frauen, die für ihn sehr helles Haar mit kaum sichtbaren Längsstreifen besaßen. Vom Gesicht her ähnelten sich die beiden so sehr, dass er sofort wusste, dass es Mutter und Tochter waren. Sie hatten ihn erwartet! Er war erledigt. Jetzt blieb ihm nur noch, das Signal abzusetzen und ...

"Maneto!" hörte er die Zwergin rufen. Er stand starr und konnte keinen Finger mehr rühren. Damit war alles erledigt, sowohl was das Notsignal als auch die Giftkapsel in seinem Hemdkragen anging.

Er musste es sich gefallen lassen, dass diese Zwergin oder Winzhexe oder was immer sie war auf ihn zueilte und ihn mit flinken Fingern absuchte, bis sie sein Mobiltelefon, seinen Notfunksender und die im Hemdkragen angeklettete Kapsel an sich gebracht hatte. "Der hatte auch so was gemeines bei sich, Madame Grandchapeau", sagte die Kleinwüchsige zur älteren der beiden verwandten Frauen.

"Gut, dann ist er wohl Geheimnisträger wie Monsieur Dumont. Wie viele von der Begleitmannschaft sind noch mobil?"

"Null von sechs, Madame", erwiderte der korpulente Zauberer. "Wenn der Herr hier nicht gewesen wäre hätten wir das mit weniger Krach erledigt." Dabei zeigte er mit seinen erstaunlich feingliedrigen Fingern auf den handlungsunfähigen Computerfachmann.

"Das zeigt wohl, dass der Unsichtbarkeitszauber kein hundertprozentiger Schutz ist und beweist, was die Kollegen gestern schon erkannt haben, dass einer von den Hinterleuten tetrachromatisches Sehvermögen besitzen muss. Irgendein Anteil des Lichtes wird zu stark oder zu wenig verändert. Aber das wird uns dieser Monsieur hier gleich sicher erzählen."

"Das können die voll knicken", dachte Bernard.

"Ähm, was passiert mit diesen Krachmachern, die er mitgebracht hat?" wollte die Kleinwüchsige wissen.

"Das gleiche, was mit dem Steuermann des Hubschraubers geschieht, Primula. Sie kehren mit der Erinnerung zurück, dass ihr Fachmann für elektronische Geräte und Rechner sich aus Versehenin der Überwachungszentrale eingeschlossen hat, weil er die falschen Eingaben gemacht hat und gerade noch mitteilen konnte, dass in zehn Minuten alles hier zerstört wird."

"Gut, ich gebe es weiter", sagte die Kleinwüchsige, drehte sich mit ihrem dünnen Stab in der Hand um sich selbst und verschwand mit einem leisen Plopp. Nun war es für Bernard klar, dass diese Leute keine normalen Menschen waren. Und was hatte die ältere gesagt, die hier wohl als Einsatztruppenleiterin auftrat? Der Pilot und die anderen würden mit der Erinnerung zurückkehren, dass er sich hier eingeschlossen habe und durch falsche Eingaben ... Dann hatten die echt ...?

"Junger Mann, sie sehen recht intelligent aus. Daher haben Sie sicherlich begriffen, das Sie weder mit Gewalt noch mit irgendwelchen Betäubungsmitteln und Gerätschaften irgendwas gegen uns ausrichten können", wandte sich die ältere der beiden Hellhaarigen an den Gefangenen. "Wir hätten Sie auch gerne wieder mit Ihren Leuten zurückgeschickt, ohne dass Sie sich an unser Hiersein erinnern würden. Doch ich habe da die sehr starke Befürchtung, dass diese Auskundschaftungsfalle hier nicht die einzige ihrer Art auf französischem Boden ist und wir ein sehr fundamentales Interesse daran haben, nicht in eine weitere davon hineinzutappen und dann nicht zu wissen, dass wir ausgekundschaftet wurden. Da sie offenbar jener Herr sind, von dem einer meiner Mitarbeiter berichtete, dass er die oberste Verfügungs- und Verwaltungsgewalt über die für die Spionageoperationen installierten Gerätschaften besitzt und die Mitführung einer Suizidkapsel nahelegt, dass Sie wahrhaftig sehr geheime Dinge kennen, die sie um keinen Preis der Welt verraten dürfen, bleibt uns leider nur, Sie genauso in Gewahrsam zu nehmen wie Ihren Kollegen oder besser Komplizen Maximilian Dumont. Wenn wir alles wissen, was wir von Ihnen wissen müssen, werden wir Sie weiterleben lassen, allerdings wohl nicht mehr unter ihrer bisherigen Identität, weil wir Sie ja dann sonst wirklich gleich töten könnten." Bernard wollte antworten. Doch er konnte keine willentliche Bewegung ausführen, somit auch nicht sprechen.

"Laut meiner eigenen Uhr und der Systemuhr da ist es noch eine knappe Viertelstunde bis zum eingestellten Zeitpunkt", sagte einer der Männer. Da ging es Bernard endgültig auf, dass diese Leute die Selbstvernichtungsschaltung scharfgeschaltet hatten.

"Ist der Zugang in den Raum für die Stromerzeuger für Nichtmagier unerreichbar?" wollte die ältere der beiden einander ähnelnden wissen. "Die Kollegin Arno hat den Raum mit dem Colloportus verriegelt und zudem noch das Schlüsselloch mit einem Imperturbatio verstopft", sagte der korpulente Fremde.

Wie auf Stichwort ploppte es wieder leise, und die Kleinwüchsige stand da, wo sie vorher gestandenhatte. "Auftrag ausgeführt. Die anderen wurden zum viel zu lauten und kreischigen Luftzerquirler zurückgebracht und mit neuer Erinnerung versehen. Der Steuermann musste noch die Erinnerung bekommen, dass er überhaupt keine Sprechfunkverbindung mit seinen Leuten gesucht hat. Sie werden alle in einer Minute aufwachen und dann denken, es seien nur noch drei Minuten. Bin gespannt, wie schnell so'n Luftquirl vom Boden wegkommt." Den letzten Satz sprach diese Gnomin doch echt mit einem schadenfrohen Grinsen aus.

"Wir warten noch, bis sie fort sind. Ich denke, wir haben unseren Informanten. Drei Mann bleiben aber auf Wache bis genau eine Minute vor eins. Erst dann dürfen sie disapparieren", ordnete die Einsatzleiterin dieser völlig unnatürlichen Truppe an. Bernard würde es zu gerne an die Firma weitermelden. Doch er ahnte, dass sie ihn nicht mehr dazu kommen ließen. Ja, sie hatten wohl auch die Funkverbindung des Piloten blockiert. Womöglich hatten die auch schon ihre Spione oder Erfüllungsgehilfen bei der Firma selbst. Ja, das konnte der Grund sein, warum dieses Schloss hier aufgeflogen war. Dann war diese Hochzeitsgesellschaft die noch dazu unter dem Motto "Zauberhaftes Glück im Zauberschloss" stattgefunden hatte, eine verdeckte Operation gewesen, eben um sicherzustellen, dass sie nicht von gewöhnlichen Leuten entlarvt werden konnten. Ja, und er sollte nun alles darüber ausplaudern. Wie würden die vorgehen, Hypnose, Unterwerfungszauber, Fügsamkeits- oder Wahrheitsdrogen? Diese Leute da vor ihm konnten echt alles, was Geheimdienste aller Welt all zu gerne beherrschen würden. Sie konnten ja auch Erinnerungen frisieren, Leuten ein anderes Gedächtnis verpassen, ja sie somit auch davon überzeugen, immer schon für sie gearbeitet zu haben. Dagegen stanken alle Bewustseinskontrollvorhaben der letzten Jahrzehnte ab. Damit war für Bernard klar, dass er wohl heute seinen letzten Tag als Émile Bernard erlebte. Sie würden irgendwie aus ihm herausholen, was sie wissen wollten, ihm womöglich die Erinnerungen und Kenntnisse wie überschüssige Fettmassen absaugen und ihm im Gegenzug ein neues Gedächtnis einpumpen.

"Autsch, selbst hier drin kreischt dieses Drehflügelantriebsding noch wie zehn am Spieß gegrillte Kobolde", schnarrte die Kleinwüchsige, während sie alle gedämpft das schneller werdende Flappen von Rotorblättern und das immer höher singende Arbeitsgeräusch der Turbinen hörten.

"Gut, dann können wir auch. Öhm, Monsieur Lepont, sie besorgen die delikate Angelegenheit!" sagte die Einsatzleiterin.

"Lassen Sie mir bitte genug von ihm hier, dann ist das in nur drei Minuten erledigt, Madame Grandchapeau", sagte der übergewichtige Mann sehr zuversichtlich.

Die Tochter der Einsatzleiterin kam zu Bernard und trennte ihm mit fünf schnellen Schnitten Haar aus dem Schopf. Da Bernard eine Kurzhaarfrisur hatte, musste sie offenbar viel von ihm abschneiden. Aber wozu? DNA-Spuren? Dann sah er, wie die jüngere ihrem Kollegen oder was er sein sollte eine kleine Papiertüte mit Bernards für ihn rotbraun gescheckten Haaren übergab. "Reicht dies aus, Monsieur Lepont?" fragte sie. Er besah sich die Beute seiner Kollegin und nickte. "Joh, könnte ich sogar zwei wie ihn draus machen", tönte der beleibte Mensch oder was er auch immer war. Da begriff Bernard. Sie wollten ihn klonen, eine genetisch identische Kopie von ihm ziehen, die dann mit diesem Schloss hier, von dem er am liebsten nie was gehört hätte, in die Luft flog. Seine Hinterleute würden dann eine einwandfrei identifizierbare Leiche finden oder zumindest verwertbare Reste davon. Wie weit ging das noch? wer und was waren die, und wie lange gab es die schon? Waren das echte Hexen und Zauberer, die sich vor der Inquisition verstecken konnten und seitdem ihr eigenes Ding durchzogen? Er wusste, dass er das wohl niemals herausfinden würde.

Er fühlte, wie jemand neben ihn trat und einige Bewegungen über ihm ausführte. Da war ihm, als fiele ein Vorhang aus tiefschwarzem Stoff vor seinen Augen nieder. Ein lautes, rhythmisches Rauschen trug ihn wie auf unsichtbaren Flügeln in den sternenlosen, lautlosen Raum hinaus.

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Er hörte es über sich rumpeln, grummeln und gluckern. Warum aß sie nicht, wenn sie Hunger hatte? Doch er wagte es nicht, sie anzumentiloquieren, auch weil er wusste, dass das ihn ziemlich anstrengte und er nicht einschlafen wollte. Denn an das laute Rummb-Bumm und das rhythmische Fauchen wie von einem großen Blasebalg hatte er sich ja wirklich lange genug gewöhnt, die Musik ihres Körpers, die Musik ihres und damit auch seines Lebens. Er hätte den Burschen ganz gerne selbst gesehen, den die Hinterleute dieses Goldfischglas-Schlösschens geschickt hatten. Doch die Frau, die er mal geheiratet hatte und mit der er in letzter Konsequenz sich selbst gezeugt hatte wolte diesen Muggel persönlich ansprechen, ihm sagen, was ihm bevorstand. Dabei durfte sie ihm doch keinerlei Erinnerung daran lassen.

Er bekam mit, wie ihre Mitarbeiter diesen Unbekannten, der durch die ganz schwere Tür gekommen war, mit sich wegapparierten, zumindest seine wohl noch lange auf ihn wartende große Schwester Belle und die Halbzwergin Primula Arno.

"Maman, willst du das Schloss wirklich in Flammen aufgehen lassen. Das stammt aus dem achtzehnten Jahrhundert", wagte er doch, der, die ihn trug, eine Gedankennachricht zu schicken.

"Ich würde es auch zu gerne stehenlassen, Demetrius. Aber die haben diese künstlichen Monde, mit denen sie bestimmt sehen, was hier unten los ist. Es zu verstecken würde ihnen auffallen, und mit dem Fidelius-Zauber können wir es nicht verbergen, weil wir dann nicht herausbekommen, wo es sonst noch solche Fallenhäuser gibt. Die sind es schuld, dass es zerstört wird, nicht wir, Demetrius."

"Und was macht ihr mit dem, der das alles hier eingerichtet hat, den als Erwachsenen in seine Welt zurückschicken, der nicht weiß, wer er ist und was er mal gemacht hat oder ihn als Zuchtbullen auf einem Viehmarkt verkaufen oder ihn als Findelkind vor irgendein Waisenhaus oder Krankenhaus legen?"

"Das mache ich davon abhängig, was er uns erzählen kann und wie schwerwiegend das ist, was die Kollegen von Ira Waterford und Brenda Brightgate angestellt haben. Jedenfalls dürfen wir es unns nicht gefallen lassen, dass solche Spionageclubs, die sich Nachrichtendienste Nennen, Mittel entwickeln, um Hexen und Zauberer zu enttarnen. Dass die Bildaufzeichnungen von Gabrielles Hochzeit nicht gleich an die Auftraggeber von Dumont geschickt wurden müssen wir als Jahrtausendglücksfall sehen. Wir müssen unbedingt ein Konzept erarbeiten, wie wir künftige Veranstaltungen in Muggelsiedlungen besser absichern können, ohne gleich jeden als Spion zu verdächtigen, den wir nicht kennen. Das hatten wir leider schon mehr als zu oft."

"Ich wollte dir auch keine Vorhaltungen machen, Maman. Ich wollte nur wissen, warum wir das Schloss nicht stehen lassen können und nur die darin eingebauten Spionagesachen kaputtmachen", mentiloquierte Demetrius.

"Weil die eben eingebaut sind, in Wänden, Decke, Mauern und im Fundament. Das gehört alles zu den Sachen, die ich mit Monsieur Champvierge, unserem Horcher in der Direktion für territoriale Sicherheit, bereden werde."

"Wobei dann wohl nur du reden wirst und dabei so wütend wirst, dass du Sodbrennen kriegst und ich wieder für mindestens drei Stunden wie in reinem Pampelmusensaft herumschwimmen muss."

"Keine Bange, das wird uns beiden diesmal nicht passieren, weil er mir nur zuhören soll und für uns klären soll, wie den Magielosen mögliche Folgeaktionen verkauft werden", schickte sie ihm zurück. "Und jetzt lassen wir besser das Gedankenreden. Das macht dich nur müde und mich noch hungriger. Aber wenn wir wissen, ob das mit der Selbstvernichtung so abläuft gibt's für uns zwei was leckeres zu essen", tröstete ihn die Hexe, die es noch mehr als neununddreißig Jahre mit ihm aushalten musste.

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Sie hatte keine Seele, kein Gefühl, keinen Lebenswillen. So verstand sich, dass sie, die einsame Frauenstimme in einem von allen Menschen verlassenen Schloss, die letzten Minuten ihres Daseins mit einer Kühle herunterzählte, die nur einem seelenlosen Automaten eigen war. Im Überwachungsraum, dem Ort, von dem aus alles ausgegangen war, lagen zwei leblose Körper, die rein äußerlich wie Maximilian Dumont und der Computertechniker Émile Bernard aussahen. Doch es waren gefälschte Leichname, hergestellt auf eine Weise, die jene Kenntnisse und Wissenschaft verspotteten, aus welcher die Überwachungsanlage und das Computersystem mit ihr zusammen hervorgegangen waren, der einsamen Stimme, die nun die letzten zehn Sekunden ihres Daseins herunterzählte.

"Zehn - neun - ach - sieben - sechs - fünf - vier - drei - zwei - eins - null!"

Noch bevor das letzte Wort verhallt war fauchte und krachte es. Blitze zuckten aus Steckdosen, Funken flogen aus Geräten heraus. Flammen schlugen laut fauchend in alle Richtungen. Von freigesetztem Sauerstoff getränkte Maschinen zerbarsten in weißblauen Feuerbällen. Eine unerbittlich hungrige Lohe fraß sich innerhalb einer Minute durch alle Räume und Gänge, jagte in wildem Tempo die Wendeltreppen zu den Türmen hinauf, zerschmolz Metall, zersetzte Holz. Die Wände begannen zu glühen, bekamen erste Risse. Die mit reinem Sauerstoff besprühten Deckenbalken loderten wie riesige Fackeln oder zerbarsten mit kanonenartigem Getöse.

So hoch wie die Türme selbst schlugen die Flammen aus dem immer mehr zerbröckelnden Gemäuer, hüllten es vollständig einund verbargen sein unrühmliches Ende nach einer langen Zeit von Prunk und Erhabenheit, Jagdglück und heimlichen Liebschaften, wilden Feiern und ganz geheimen Unterredungen. Heller als die Sonne loderten die von reinem Sauerstoff gespeisten Feuersäulen und Glutbälle. Dann, als die ersten Bäume des bis dahin vor jedem Feuer beschützten Parks in Brand gerieten, schrumpften die Flammen der Vernichtung immer weiter zusammen. Doch ihre Saat war gelegt. Der gepflegte Park dampfte erst, um dann immer mehr selbst ein Raub der Flammen zu werden. Das Château Trois Étoiles verging mit seinen malerischen Grünanlagen, und keine der Feuerschutzvorrichtungen verhinderte den Untergang.

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"Es ist wahrhaftig niedergebrannt", grummelte Monsieur Victor Morel, der Chef der exklusiven Immobilienfirma, die unter anderem dieses Schloss besessen hatte. Morel wusste, dass er zwei wertvolle Mitarbeiter verloren hatte, aber auch, dass sie einen von vier wertvollen Horchposten und Informationssammelstellen eingebüßt hatten. Ausgerechnet drei Tage vor dem Treffen westeuropäischer Atomwirtschaftsgrößen war das Schloss zerstört worden. Die würden nun anderswo zusammenkommen, ob mit oder ohne einen iranischen Atomwissenschaftler. Oder konnte Morels Firma es noch drehen, dass die Gruppe sich in der Bretagne traf, wo die Immobilienfirma noch ein Château unterhielt, das genauso gut ausgestattet war wie das Trois Étoiles? Er musste sich mit Mr. J besprechen und ihm bei der Gelegenheit mitteilen, dass dessen Zögling Bernard wohl gestorben war.

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Nathalie bestellte Julius gegen vier uhr ins Ministerium ein, um ihm mitzuteilen, wie sich der Fall Goldfischglas weiterentwickelt hatte. Sie erwähnte auch, dass Dumont vorübergehend im Gewahrsam des Zaubereiministeriums war, bis entschieden war, wie er in die nichtmagische Welt zurückkehren konnte. Immerhin konnten die Außentruppen des Ministeriums außer den verbauten Abhöranlagen noch mehrere versteckte Unterlagen im Wohnbereich Dumonts finden, deren Inhalt nicht auf einer der Festplatten gespeichert worden war, wohl weil sie so geheim waren, dass nicht einmal der Chefadministrator dieser Anlage darauf zugreifen durfte. Julius fragte sie, ob sie Dumont sozusagen mit dem Schloss hatten verbrennen lassen. Nathalie bestätigte das. Das reichte Julius als Auskunft. dann fragte er, ob die Angelegenheit an nichtmagische Behörden wie die Direktion für territoriale Sicherheit oder einen anderen Inlandsgeheimdienst übergeben wurde. Darauf erwiderte Nathalie, dass Lepont in dieser Angelegenheit schon unterwegs sei.

"Bei der Gelegenheit, Monsieur Latierre. Die Angelegenheit wurde auf Stufe S7 erhöht, weil wir keinen unnötigen Aufruhr gegen unsere nichtmagischen Mitbürger schüren möchten. Es war also gut, dass Sie außer den Messieurs Delacour und Weasley niemandem was mitgeteilt haben, bis auf ihre Gattin, die die beiden Herren ja zu Ihnen hinbrachte und dann natürlich nicht von Ihnen des Raumes verwiesen werden wollte. Ich hoffe, dass Ihre Frau es verschmerzen kann, diesen gerade so noch abgewendeten Zwischenfall erst einmal nicht in ihrer Zeitung erwähnen zu dürfen", sagte Nathalie. Julius beruhigte sie damit, dass er sagte: "Es war ihr wichtig, mitgeholfen zu haben, dass wir dieser Sache überhaupt auf die Spur kamen und vor allem war es ihr wichtig, dass wir das Schloss früh genug gegen die Auswirkungen des über uns hinweggezogenen Gewitters abgesichert haben."

"Genießen Sie erst mal den zweiten Freien Tag und erfreuen sich an einer weiteren Hochzeitsfeier. Öhm, diese findet doch im Château Tournesol statt, richtig?" Julius bejahte es. "Nun, dort werden dann keine nichtmagischen Lausch- und Spähvorrichtungen lauern", erwiderte Nathalie mit einem gewissen Schalk in Miene und Tonlage. Julius bestätigte, dass da sicher keine Mithörvorrichtungen eingesetzt wurden, nur die Hochzeitsfotos, aber die dann ganz offen und wohl von allen genehmigt. Nathalie lächelte und wünschte ihm noch einmal eine angenehme Zeit.

Julius verließ das Büro von Nathalie Grandchapeau, um ganz regulär den Fahrstuhl zum Foyer zu nehmen. Dort disapparierte er dann in Richtung Honigwabenhaus.

Abends reisten die Latierres dann durch den Verbindungsschrank ins Château Tournesol. Patricia würde ihre letzte Nacht als unverheiratete Hexe in dem nur für sie und ihre Brautjunngfern betretbaren Trakt des Schlosses verleben.

"Ach, und du bist sicher, dass Gabrielle und Pierre die Nacht der Nächte auch anständig gewürdigt haben, Julius?" fragte Ursuline Latierre ihren Schwiegerenkel, als Millie sich im zugeteilten Familienzimmer um Clarimonde kümmerte. Julius nickte nur, sagte aber kein weiteres Wort dazu.

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Nathalie hatte Julius nicht erzählt, dass es der Außentruppe gelungen war, den Chefadministrator der Steuerungs- und Überwachungseinrichtungen zu fangen und ins Zaubereiministerium zu bringen. Außer dem Verbindungszauberer zur Direktion der territorialen Sicherheit wussten nur die unmittelbar an der Ergreifung beteiligten Zaubereiministeriumsleute davon. Weil die ganze Angelegenheit nun sogar auf Stufe S7 eingeordnet war würde der Kreis der Mitwisser nicht weiter anwachsen. Nur die Zaubereiministerin sollte noch am 20. August informiert werden, was beinahe passiert war.

"Du hast dem Jungen nicht erzählen wollen, dass wir den Oberwart dieser Spionageburg erwischt haben, weil du fürchtest, es könnte ihm ein schlechtes Gewissen machen, richtig?" cogisonierte Demetrius, als sie nach diesem aufregenden Tag gut erschöpft in ihrem mit vielerlei Abwehrzaubern umfriedeten Haus saß.

"Das wir Dumont festgesetzt haben soll ihm völlig reichen. Vielleicht darf er irgendwann die vollständige Akte lesen. Aber er soll erst mal diese Hochzeitsfeier genießen, wo er sicher zusammen mit Martha wieder Vermittler zwischen den Welten sein wird", dachte Nathalie, was mit Hilfe des Cogison-Ohrrings direkt in Demetrius Kopf erklang, ohne Umweg über ihren ganzen Körper.

"Ja, und Champvierge freut sich schon darauf, denen eins einzuschenken, die dieses Spionagenest aufgebaut haben", erwiderte Demetrius' Kleinjungenstimme aus dem Ohrring.

"Zumindest hat dieser Jacques Banier alias Émile Bernard gut auf das Veritaserum angesprochen. Und die bei Dumont gefundenen Geheimunterlagen ließen sich gut mit Primulas Klarlesebrille entziffern. Champvierge hat den Klartext schon erhalten. Würde mich nicht wundern, wenn er und seine nichtmagischen Kollegen die anderen drei Spionagenester morgen schon ausräuchern und das wortwörtlich."

"Oja, alleine schon, weil er genauso erschrocken ist wie wir beide, als wir das mit dieser Spannerburg mitbekommen haben und dass nur Mildrids Sorge um den Feuerschutz die Sache aufgedeckt hat", cogisonierte Demetrius.

"Bei der Gelegenheit, ist alles noch klar bei dir da unten oder schwimmst du wieder in Pampelmusensaft?" fragte Nathalie mit einer gewissen Biestigkeit.

"Nein, ist alles noch genießbar, auch wenn du heute abend wieder diese Chillischoten verputzt hast. Aber wenn du das mir richtig zugedacht hast durften ja wieder einige gebackene Bananen mit bei sein."

"Gut, dann bin ich ja beruhigt", erwiderte Nathalie Grandchapeau und streichelte ihren gerundeten Bauch. "Wenn ich Zeit habe gehe ich mit dir morgen noch mal im Wald spazieren. Tut mir sicher auch gut, nach diesem aufregenden Tag heute."

"Au ja, das wäre schön", bekam sie zur Antwort.

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Das Glockenspiel auf dem Turm mit dem vergoldeten Abraxaner-Pferd spielte eine fröhliche Morgenweise. Das kannte Julius schon von seinem allerersten Besuch hier, an den er immer noch sehr lebhafte Erinnerungen hatte, vor allem was eine bestimmte Hinterlassenschaft Orions und die damit zusammenhängende Aktion anging. So fühlte er sich gleich um sechs Jahre zurückversetzt, als er auf dem Weg in den Frühstücksraum Béatrice Latierre über den Weg lief, die durch den Schrank des Apfelhauses aus Millemerveilles herübergekommen war. "Und ich hörte, ihr hattet vorgestern einen aufregenden Tag, mit Spionen, einem Gewitter und einem brennenden Wald", sagte Béatrice zu Julius.

"Ohne die Waldbrandgefahr hätten wir das mit dem Spion nicht einmal mitbekommen", grummelte er. "Könnte sein, dass der mit Verbrechern in den Staaten zusammenarbeitet oder einem der Geheimdienste da, was für mich im Moment auch keinen Unterschied machen würde."

"Hauptsache, ihr hattet alle einen schönen Tag und was die kleine Veelastämmige angeht auch eine herrliche Nacht."

"Ja, und heute gibst du deine älteste Halbschwester in die Ehe?" fragte Julius.

"Ich nicht. Ich bin und bleibe Hebamme. Ich komme erst dran, wenn schon wer anderes drin ist", scherzte Béatrice. Julius erkannte mal wieder, dass sie mehrere Betriebsarten hatte. Gerade eben war sie wieder das locker lebenslustige Latierre-Mädchen. Aber wehe, jemand mit Umstandsbauch oder körperlichen Erkrankungen kam in Sichtweite. Dann würde sie sicher wieder zur gestrengen unnachgiebigen Heilerin.

"Ich glaube nicht, dass Gabrielle dich dann ruft, wenn bei ihr jemand die kleine Einzimmerwohnung gemietet hat", trieb Julius den derben Scherz weiter.

"Das ist mir völlig klar. Aber wenn meine älteste Halbschwester so fröhlich nach dem bunten Vogel ruft wie Millie und du oder meine Mutter und Ferdinand bin ich wohl auch wieder ganz wichtig für sie." Das wollte Julius nicht ausschließen.

"Liebe Verwandte, es ist jetzt so geregelt. Marc kommt mit seinen Eltern und sieben handverlesenen Verwandten aus der nichtmagischen Welt in einem der kleineren Elternsprechtagsbusse um halb zwölf hier an. Die Personenverkehrsabteilung und die Familienstandsabteilung haben das gestern noch einmal bestätigt, nachdem sie wohl gemerkt haben, dass das mit den Bussen gut geklappt hat", sagte Ursuline. "Wir essen dann erst einmal zusammen. Solange bleibt Pattie auf unserer Seite des Tisches sitzen." Sie sah ihre erste mit Ferdinand bekommene Tochter sehr streng an, lächelte aber ein wenig. "Nach dem Mittagessen zieht sich Pattie ihr Brautkleid an. Die beiden Damen, die die Feierlichkeit überwachen werden dann noch einmal alles prüfen, was ansteht. Monsieur Laroche kommt dann um zwei Uhr hierher und wird die Trauung durchführen. Danach ist dann die große Feier von drei Uhr Nachmittags bis Mitternacht. Um Mitternacht werden Pattie und ihr dann hoffentlich angetrauter Mann im Brautgemach im Kuhturm verschwinden. Das heißt aber für uns nicht, dass wir dann auch ins Bett müssen. Mindestens zwei der hier wohnenden Hauselfen werden auf Abruf bleiben, um Getränkewünsche zu erfüllen. Wir werden im goldenen Saal feiern, der ein Dauerklangkerker ist. Wer also doch irgendwann müde wird kann beruhigt schlafen gehen. Tja, und wen es im Festsaal schon aus den Schuhen haut kann auch dort auf einer gepolsterten Bank schlafen. Aber da wir Latierres ja alle sehr ausdauernd und trinkfest sind denke ich schon, dass jeder in das ihm zur Verfügung gestellte Schlafzimmer findet. Marcs Eltern haben übrigens darum gebeten, noch vor Mitternacht wieder in ihre Heimat zurückgebracht zu werden. Das ist zwar traurig, weil sich so nur wenig Zeit ergibt, einander kennen zu lernen. Ferdinand und ich müssen jedoch anerkennen, dass das Unbehagen bei Marcs Eltern noch zu groß ist, sich länger als sie ertragen können bei uns aufzuhalten, ja, sich ganz und gar unserer Gutmütigkeit auszuliefern. Wir müssen es ihnen zumindest hoch anrechnen, dass sie es erlaubt haben, dass Marc Armand in unsere Familie einheiratet. Da wir ja alle hoffen, dass diese Ehe ein Leben lang hält haben wir ja sicher sehr viele Gelegenheiten, den Armands zu zeigen, dass wir nicht die menschenfeindlichen, einem obskuren Dämon dienenden Geschöpfe sind, als die uns gerade die Vatikanbruderschaft oder die in deren Geist erfundenen Märchen darstellen. Deshalb sage ich das hier, wo ausschließlich Blutsverwandte von mir sitzen, dass wir heute einen guten Eindruck machen. Wir müssen uns nicht verstellen, aber wir müssen auch niemanden verschrecken. Wenn jemand meint, dass das eine ohne das andere nicht ginge der oder die darf sich dann gerne daran erinnern, wie viel uns gerade die Bekanntschaft mit Julius' Mutter gelehrt hat und immer noch lehrt und dass wir alle ja froh sind, dass sie uns und vor allem Millie als ihre Verwandte anerkennt. Helfen wir bitte Pattie, dass auch Marcs Eltern sie als Verwandte anerkennen. Jetzt habe ich mehr gesagt als ich eigentlich wollte. Aber das war mir ganz wichtig, bevor der ganze Trubel losgeht."

Alle hier versammelten nickten ihr zu. Patricia, die zwischendurch mal verdrossen, dann verstört und am Ende doch erleichtert dreinschaute bedankte sich bei ihrer Mutter. Immerhin war es ja für Ursuline heute auch ein schwerer Tag. Patricia war seit langer Zeit das erste Kind, dass Ursuline einem Ehepartner anvertrauen sollte.

"Julius, deine Mutter und eure amerikanischen Verwandten sind unterwegs", sagte Ursuline nach dem frühstück. Sie werden in Millemerveilles von Babsie und Bellona abgeholt."

"Na ja, wenn Brittany mitkommt könnte sie Probleme damit haben, auf einer Latierre-Kuh mitzufliegen", sagte Julius.

"In dem Fall hat meine Tochter Barbara die Erlaubnis, sie mit dem Schockzauber zu behandeln und ohne Bewusstsein herüberzubringen", erwiderte Ursuline. Julius sah sie perplex an. Da lachte sie ihn an. "Ich glaube nicht, dass Brittany sich das entgehen lässt, mit einem fühlenden Wesen zu fliegen, das keine Probleme damit hat, von ihrer Milch abzugeben oder mal eben Menschen auf dem Rücken zu tragen", grinste Ursuline Latierre.

"Warum Bellona und nicht Demmie?" fragte Julius.

"Weil Temmie im nächsten Jahr ein Geschwisterchen kriegt", sagte Ursuline. Julius nickte. Also wollte Barbara Latierre die jüngere Demeter nicht als Transportkuh verwenden.

Zwischen Frühstück und Ankunft seiner Mutter konnte Julius sich noch einmal mit Patricia über Muggelweltsachen unterhalten. Sie hatte zwar das Schulfach Studium der nichtmagischen Welt belegt und da sogar einen UTZ mit Erwartungen übertroffen geschafft, aber es gab so vieles, was im Unterricht wenig oder überhaupt nicht erwähnt worden war. "Also, wenn du wissen möchtest, worauf Jungen aus der nichtmagischen Welt stehen oder womit du Marc eine Freude machen kannst fürchte ich ,dass ich da schon etwas raus bin, seitdem ich ganz in Millemerveilles wohne und da eine eigene Familie gegründet habe, Pattie. Aber wir hatten ja schon häufiger darüber gesprochen, was für die Leute aus der nichtmagischen Welt wichtige Sachen sind oder wer da so in Musik, Sport oder auch Wissenschaft und Politik gerade wichtig ist. Ich weiß auch nicht, was ihr auf Zypern vorfindet, wenn ihr da hinkommt. Ich war da nämlich auch noch nie, weder in der magielosen, noch zaubererweltecke. Soweit ich mitbekommen habe werdet ihr im griechischen Teil wohnen. Da gibt es bestimmt Internetcafés, wenn Marc mal mit seinen Leuten aus der Muggelwelt schreiben oder reden will. Sei darauf gefasst, dass so eine Sitzung am Computer, besonders wenn er Internetanschluss hat, schnell über eine Stunde dauern kann! Sei ihm dann nicht böse, wenn er wegen sowas mal länger von dir weg ist! Oder geh mit ihm dahin. Aber ich denke, er wird schnell merken, dass die Zeit mit dir vor dem eigentlichen Berufsleben zu wichtig ist, um ständig alleine vor einem Rechner zu sitzen. Ansonsten weiß ich jetzt nichts, was ich dir raten darf oder soll, weil ich nicht dein Vater oder großer Bruder bin. Ihr habt es die ganze Zeit in Beaux miteinander durchgestanden, ob sich das für euch beide jetzt richtig gut lohnt könnt nur ihr zwei alleine rauskriegen."

"Marc hat schon erwähnt, dass er nach der Hochzeitsreise bei Onkel Gilbert anklopfen will, um sich da als Kolumnist für Muggelweltthemen zu bewerben, was immer so einer macht."

"Ein Kolumnist schreibt über ein Thema pro Woche, was ihm wichtig genug ist, allen Lesern darüber zu berichten. Weil der Text in einer Spalte der Zeitungsseite steht heißt das Kolumne, also Textsäule oder Textspalte. Aber da kann ihm Millie sicher mehr zu sagen, weil sie sich ja jetzt fest als Lokalreporterin von Millemerveilles eingeprägt hat."

"Ich habe schon mit ihr drüber geredet, während du im Ministerium zu tun hattest, Julius. Sie meint, ich sollte mir auf jeden Fall auch was suchen, was ich auch dann noch machen könnte, wenn ich die ersten beiden Kinder von Marc hätte, wenngleich ich echt nicht weiß, ob ich mir das antun will, nachdem, wie ich das bei Sandrine mitbekommen habe. Aber vielleicht kriege ich das auch noch mit, warum Maman so viel Spaß daran hatte, erst Hippolyte und dann Blanche, Linda, Faunus und Adonis zu kriegen und warum Millie das auch so toll findet, dass sie schon euer drittes Baby bekommen hat. Doch im Moment muss das nicht gleich im nächsten Jahr sein. Ich wollte nämlich eigentlich noch bei den Lyoneser Löwen anfragen, ob die noch eine Jägerin brauchen."

"Wie erwähnt, was du mit Marc hinbekommen kannst müsst ihr beide herausfinden. Ich habe vor sechs Jahren auch noch nicht gedacht, dass ich mit einer Hexe zusammenlebe, die große Lust darauf hat, meine Kinder zu kriegen. Na ja, aber das waren noch ganz andere Zeiten."

"Ich verstehe was du meinst, Julius. Aber ich kriege auch mit, dass du trotz der drei Kleinen immer noch viel Spaß am Leben hast und Millie auch noch ganz locker sein kann, wenn Rorie nicht mal wieder versucht, irgendwo raufzuklettern, wo sie runterfallen könnte. Und dieser Ekelkram mit den vollen Windeln, das hätte ich nicht gedacht ,dass ich das hinkriege, das auch zu machen, wenn die vier kleinen es nötig hatten. Aber sonst wäre ich wohl auch nicht Pflegehelferin geworden."

"Apropos, zu den Heilern willst du auch nicht?"

"Lustig, Julius. Das sind doch die reinsten Spaßbremsen. Kuck dir Trice an. Wenn die gerade keinenzum bekümmern hat ist sie ganz locker drauf und macht Scherze mit Leuten. Aber sobald irgendwer was körperliches hat ist sie fast so schlimm wie Fixie oder Königin Blanche. Das hat die doch sicher von denen aus der Heilerzunft so ins Hirn gehämmert bekommen."

"Ich kann das nicht beurteilen, halte es aber nicht für unmöglich", erwiderte Julius. "Deshalb will ich was machen, was sowohl was einbringt, aber was mir auch einen gewissen Spaß macht im Sinne, dass ich das gerne mache, auch wenn es anstrengend ist."

"Womit wir wieder beim Kinderkriegen sind", warf Julius ein. "Da reden wir drüber, wenn du statt Millie euer nächstes Kind bekommen solltest", konterte Patricia. Julius gestand ihr diesen Treffer zu und grinste. Ihm fiel ein, was Madrashmironda ihm als Madrashainorian mal gesagt hatte, dass sie ihn auch als Tochter zur Welt hätte kommen lassen und ihr erstes Enkelkind von ihm hätte kriegen lassen können. Und diese Prophezeiung von Marie Laveau spukte ihm immer noch im Hinterkopf herum, dass er irgendwann in der Zukunft seine eigene Schwester sein könnte. Um von diesen abgedrehten Gedanken wieder herunterzukommen sagte er: "Um diese Unterhaltung zu führen müsstest du ja erst einmal vorlegen, um mir was vorauszuhaben." Patricia Latierre verzog ihr Gesicht und sagte nichts mehr dazu.

Wie am Morgen angekündigt trafen die Armands in einem kleineren schneeweißen Bus vor dem Tor zum Château Tournesol ein. Julius begrüßte die Eheleute Armand, die sich erst einmal verunsichert umsahen, ob sie nicht gleich von irgendwem oder irgendwas überfallen und massakriert würden. Dann begrüßte er Marc Armand und dessen vier Großeltern, die laut Familienstandsbehörde in die Natur ihres Enkels und seiner Braut eingeweiht werden durften, da sie so sicherstellen konnten, dass die restliche, nichteingeladene Verwandtschaft, keine merkwürdigen Rückmeldungen bekommen würde. Als dann noch Ursuline Latierre als Hausherrin auf Madame Armand zuging, die auch sehr füllig aber um zwei Köpfe kleiner als die Latierre-Matriarchin war, zuckten Marcs Großeltern väterlicherseits zurück. Seine Eltern kannten Ursuline Latierre ja schon von den Elternsprechtagen in Beauxbatons her.

"Also, die Dame soll eine richtige Hexe sein, mit Flugbesen, Zauberkessel und schwarzer Katze?" wollte Marcs Großvater väterlicherseits wissen.

"Einen Flugbesen habe ich, für Zauberkessel sind einige meiner Kinder zuständig und statt schwarzer Katzen halten wir große, weiße Kühe", sagte Ursuline zu ihrem künftigen Verwandten, der Antoine Dorian hieß. Julius grinste und erwähnte, dass eine der besagten Kühe nachher noch zu sehen sein würde. Marc erwiderte darauf, dass er diese fliegenden Kühe ja auch aus dem Unterricht kannte. Dann wollten Marcs Großeltern wissen, ob sie nicht verulkt wurden. Julius, Marc und Ursuline führten deshalb einfache und harmlose Zaubereien aus und Millie und Patricia führten vor, dass das mit den Flugbesen auch stimmte.

"Gut, es würde einen weltweiten Aufschrei geben, wenn die Öffentlichkeit erführe, dass die aus Märchen und Sagen bekannten Zauberer und Hexen wahrhaftig existierten", meinte Marcs Großvater Mütterlicherseits, der Brian mit Vornamen hieß. Julius nahm dies als Stichwort und erwähnte seine Tätigkeit und dass es trotz der Geheimhaltung Jungen und Mädchen, bei denen die Begabung für Magie offenkundig wurde, die Möglichkeit erhielten, diese Fähigkeiten zu nutzen und vor allem zu beherrschen, um nicht eine Katastrophe nach der anderen auszulösen.

"Sowas wie in der Geschichte von Stephen King, wo ein Mädchen mit übernatürlichen Kräften seine Schule in Schutt und Asche gelegt hat?" wollte Madame Armand, die ältere wissen. Julius bestätigte das.

Wie er es den Armands und Devilles angekündigt hatte trafen die amerikanischen Verwandten der Braut in einer kutschenähnlichen Konstruktion auf dem Rücken einer mehr als elefantengroßen, weißen Kuh mit kräftigen Flügeln ein. Als Julius erst seine Mutter, dann seinen Stiefvater Lucky und dann die drei kleinen Halbgeschwister begrüßt hatte stellte er den Armands noch Brittany, ihren Mann Linus und deren gemeinsamen Sohn Leonidas vor. Auch waren Jacqueline Corbeau und weitere aus dem Southerlandzweig der Latierres eingetroffen.

Julius fand nach der Begrüßung eine Gelegenheit, sich mit seiner Mutter über die Hochzeit von Gabrielle und Pierre zu unterhalten und dass sie dabei fast zu Opfern einer noch unbekannten Spionagegruppe geworden waren.

"So unbekannt ist die nicht. Ich habe vor meiner Abreise noch mit Bren Brightgate telefoniert, weil die deinen Namen in einem an sie geschickten Bericht gelesen hat. Die von dir erbeutete Kontaktliste enthält die Nummer eines sogenannten sicheren Hauses der CIA und eine Nummer, die wiederum von den Schlapphüten als mögliche Kontaktstelle zu südamerikanischen Terroristen vermutet wird. Brenda Brightgate und Ira Waterford sind schon in Position, mögliche "Aufräumarbeiten" durchzuführen."

"War zu befürchten, Mum. Aber besser sowas, als wenn irgendwer von den Uneingeweihten was spitzgekriegt hhätte oder echt noch wer damit drinhängt, der noch dubioser ist als die Schlapphutkompanie aus Virginia", erwiderte Julius. Dem konnte seine Mutter nur zustimmen.

Wie häufig zuvor vermittelten Julius' Mutter und er selbst zwischen den nichtmagischen Verwandten des Bräutigams und dem überwiegend magisch begabten Anteil der Festgesellschaft. Kurz bevor der Zeremonienmagier Laroche erschien traf noch Ursulines Mutter Barbara die ältere ein. Julius freute sich zwar, seine Schwiegerurgroßmutter bei bester Gesundheit zu treffen, wusste aber auch, dass sie nicht all zu lange bleiben konnte.

"Auch wenn früher immer behauptet wurde, dass wenn die neuen ankommen die alten gehen müssen empfinde ich immer noch mehr Zuversicht als Angst, wenn ich sehe, dass neue Kinder in meine große Familien hineingeboren werden", sagte die ältere Barbara, als Millie ihr Clarimonde zeigte. Julius übernahm es, Ursulines Mutter mit Marcs Verwandten bekannt zu machen. Er erwähnte jedoch nicht, dass sie schon über hundert Jahre alt war und auch nicht, dass sie pro Monat insgesamt eine Stunde als Frau herumlaufen konnte, weil sie aus Gram über ihren verstorbenen Mann beschlossen hatte, den überwiegenden Teil der Zeit als majestätischer Kirschbaum zu existieren. Deshalb war er ein wenig befremdet, als Barbara Latierre die ältere den Armands ein großes Glas Kirschmarmelade schenkte und zudem noch vier große Kirschtorten mitgebracht hatte. Julius hätte ihr fast zumentiloquiert, ob sie ganz persönlich diese Kirschen getragen hatte. Doch er kümmerte sich besser um Marcs Großeltern väterlicherseits, die im direkten Vergleich so aussahen, als könnten sie Ursulines Eltern sein und nicht Barbara.

"Öhm, junger Monsieur, wenn die Dame die Mutter von Patricias Mutter ist ... also Patricias Großmutter, wie alt ist die denn?" wagte es Marcs Opa Brian Deville doch zu fragen.

"Ich könnte es Ihnen sagen, aber das wäre sehr indiskret. Falls Sie es wirklich wissen möchten fragen Sie sie bitte selbst", erwiderte Julius.

"Gut, ist wohl besser, wenn wir das nicht wissen", erwiderte Brian Deville.

Wie bei Hochzeiten üblich erschien Zeremonienmagier Laroche im weißen Umhang und einem weißen Spitzhut mit goldener Krempe. Er schritt würdevoll auf das für die Trauung aufgebaute Podest und zeichnete mit goldener Zaubertinte den Kreis der Vermählung ein. Dann stimmten die Musiker, die sich "Les Douze Fées" nannten, einen getragenen Marsch an, aber keinen der in der Muggelwelt üblichen Hochzeitsmärsche. Zur selben Zeit läutete eine Glocke im Pferdeturm des Châteaus Tournesol hell und beschwingt, als die nun in ein schneeweißes Kleid gewandete Braut mit einem bunten Blumenstrauß in der rechten Hand von ihrem Vater Ferdinand geleitet über den goldenen Teppich zum Podest schritt. Marc, der als Kombination aus beiden Welten einen dunkelblauen, offenen Umhang über einem mitternachtsblauen Anzug mit weißem Hemd und Krawatte trugwurde von seiner Mutter begleitet, wie es der Brauch bei magischen Hochzeiten war.

Da Marc sich als Trauzeugen Georges Pirot erwählt hatte konnte Julius heute wieder als Gast unter Gästen mitverfolgen, wie es weiterging. So konnte er die Verwandten Marcs beobachten, wie sie auf die Zeremonie reagierten. Vor allem als bei Patricias Jawort erst hüfthoch aufsteigende goldene Funken über dem goldenen Kreis tanzten und dann bei Marcs laut und deutlich ausgesprochenem Jawort die Funken auch aus Laroches Zauberstab sprühten sah er, dass vor allem Marcs Eltern sehr verstört dreinschauten. Als dann das Spiel der goldenen Funken endete atmeten sie wohl auf, dass ihrem Sohn nichts passiert war. Allerdings sahen sie sichtlich verknirscht drein, als Patricia und Marc gefragt wurden, unter welchem Familiennamen sie beide leben würden. Denn Marc sagte laut und entschlossen: "Latierre sei unser gemeinsamer Familienname." Das bestätigte auch Patricia. Offenbar hatte Marc seinen Eltern nicht erzählt, dass er Patricias Nachnamen annehmen würde, oder die hatten damit gerechnet, dass er es sich doch noch einmal überlegen würde. Was da genau besprochen worden war wusste er nicht und musste es jetzt auch nicht mehr wissen. Er hatte schließlich auch seinen Geburtsnamen abgelegt und kam seither ganz gut damit zurecht.

Während sich Braut und Bräutigam den Hochzeitskuss gaben fotografierten mehrere Verwandte diese öffentliche und gleichzeitig ganz intime Bekundung der beiden. Ein mehrfacher Tusch der Musiker begleitete die Vollendung der Trauungszeremonie. Viele Gäste klatschten und winkten dem neuen Ehepaar zu, auch Millie, Aurore und Julius.

Auf ein wortloses Zeichen von Calypso Latierre versammelten sich alle besentauglichen Latierres, darunter auch Hippolyte und Julius, um zu Ehren des jungen Paares mehrere Runden auf ihren Besen über dem Podest zu fliegen und dabei bunten Reis und glitzerndes Confetti abzuwerfen. Millie, die derweil ihre drei Töchter beaufsichtigte, winkte den fliegenden nach oben. Julius vollführte mit Hippolyte einige Quidditchmanöver, um zu zeigen, dass sie nicht nur im Kreis fliegen konnten. Einmal hätte Julius fast gefragt, ob das für den kleinen Alain Durin zu gefährlich sei, dass seine ihn tragende Mutter so wild flog. Doch für sowas war er heute nicht zuständig. Nach nur zwei Minuten landeten die fliegenden Gratulantinnen und Gratulanten wieder. Nun beglückwünschten die Gäste das junge, von buntem Reis und Glitzerconfetti überhäufte Paar, wobei hier die ältesten Blutsverwanten zuerst drankamen. Dabei konnte Julius beobachten, dass Marcs Großvater väterlicherseits ein wenig enttäuscht dreinschaute, als er Marc Gratulierte. Womöglich hatte er darauf gehofft, dass sein Enkel den Familiennamen Armand an seine Kinder weitergeben würde. Barbara Latierre die ältere küsste ihren neuen Schwiegerenkel zweimal auf jede Wange. Dann knuddelte sie erst ihn und dann Patricia.

Als Julius auf gewöhnliche Sprechweite an das frisch getraute Paar herankam meinte er zu Marc: "Du gewöhnst dich schneller an den neuen Namen als du denkst, Marc. Ich bereue das auch nicht."

"Hat mir dein Schwiegervater auch schon erzählt und mein Schwigervater", meinte Marc dazu. Patricia sagte: "Ich habe es ihm angeboten, dass er seinen Nachnamen behalten könnte, falls es für seine Verwandten so wichtig sei. Aber er meinte, dass es dann wohl Krach mit der Namensvergabe bei dem Kind oder den Kindern gibt. Deshalb hat er ganz von sich aus zugestimmt, auch Latierre zu heißen, Julius."

"Ich wünsche euch auf jeden Fall, dass ihr diesen Tag immer in bester Erinnerung behaltet", sagte Julius.

"Gehört für dich zum Tag auch die Nacht?" wollte Marc Wissen. Patricia sah ihren Mann verwegen an. Julius erwiderte darauf: "Die Nacht gehört nur euch. Da darf ich nichts zu sagen."

"Na, Tante Pattie, wie viele Cousins und Cousinen kriege ich von dir?" fragte Millie Patricia.

"Also sechzehn wie meine Mutter werde ich mir sicher nicht antun. Aber von jedem eins kann ich mir vorstellen", erwiderte Patricia mit verhaltenem Grinsen.

Weil das Wetter es in dieser Region so gut mit den Gästen meinte feierten sie im Wald mit den zehn Meter hohen Sonnenblumen weiter. Barbara die ältere verabschiedete sich eine halbe stunde nach der Trauung und verschwand im Schloss. Sie würde wohl durch den mit dem Latierre-Hof verbundenen Schrank gehen, um rechtzeitig an den Ort zurückzukehren, an dem sie dann wieder als Königin der Kirschbäume stehenbleiben würde, bis der nächste Monat angebrochen war.

Zur Kaffeetafel enthüllte Ursuline Latierre eine dreistöckige Hochzeitstorte, auf der neben einem Phönix aus goldgelbem Teig und einem Einhorn aus weißem Zuckerguss noch eine Latierre-Kuh mit weit ausgespannten Flügeln und prallem Euter thronten. "Erneuerung, Anmut, Wildheit, Kraft, Beweglichkeit und Ergiebigkeit mögen die Gaben eures gemeinsamen Lebens sein, Patricia und Marc. So mögt ihr beide alles gute aus beiden Welten vereinen, wie es in dieser so großen und altehrwürdigen Familie immer wieder erfolgreich gelebt wurde und wird. Ich wünsche euch beiden all diese hohen Gaben, aber auch immer einen unerfüllten Wunsch mehr im Leben als bereits erfüllte Wünsche, damit jeder Tag noch etwas neues bringt und damit euer gemeinsames Leben in Schwung hält."

Ferdinand Latierre trat nun vor und sagte nur: "Patricia, auch wenn es mich ein wenig schmerzt, dich heute endgültig an jemanden anderen weiterzugeben, so freue ich mich doch, dass du nun deinen Weg gehst. Marc, auch wenn ich nicht aufhören werde, mich für das Glück und die Sorgen meiner Tochter zu interessieren, so hoffe ich doch, dass es zwischen uns nie zu einem unumkehrbaren Streit kommen wird. Doch ich verspreche auch nicht, immer mit dir einer Meinung zu sein. Aber wie ich selbst habe lernen müssen, am Ende entscheidet jeder selbst darüber, wie schnell und in welche Richtung er oder sie den Weg durchs Leben geht."

Nach den Eltern Patricias sprach noch Marcs Mutter, wohl weil sein Vater nicht der große Redner vor der Welt war. Sie erwähnte noch einmal die merkwürdigen Gefühle, als sie von Zeremonienmeister Laroche gefragt wurde, ob sie Marc wirklich empfangen, getragen und geboren hatte. Andererseits verstehe sie nun, welche Bedeutung diese Frage habe. Denn zu einer Hochzeit gehörten nicht nur das Paar und ein Trauungsbevollmächtigter, sondern auch die Eltern des neuen Paares, weil es ohne diese dieses Paar ja nicht gegeben habe und dass der Zeremonienmeister mit seinen Fragen diese Zugehörigkeit bestätigt und gesegnet habe. Zumindest sei ihr das nun bewusst. Patricia gab sie mit, dass sie ihr zutraute, dass sie "ihrem Jungen" eine gute Ehefrau sein würde, aber auch weiterhin den Anspruch habe, über das Glück und die Sorgen ihres Sohnes auf dem laufenden gehalten zu werden und dass sie hoffte, dass Patricia dies anerkennen möge. Das ließ Patricia kurz verstimmt dreinschauen. Doch dann nickte sie ihrer Schwiegermutter zu.

Alle waren froh, dass von der Hochzeitstorte mehrere Fotos gemacht worden waren. Denn das hervorragende Gebäckstück war nach nur zwanzig Minuten vollständig aufgegessen. Aurore durfte mit Genehmigung ihrer Eltern mit den anderen Kindern zusammensitzen. Ihre Großtanten Esperance und Félicité führten so eine Art Aufsicht über die jüngeren Verwandten.

Nach dem Kaffeetrinken führten die bei Callie und Pennie angemeldeten Künstlergruppen ihre vorbereiteten Lieder oder Gesangsstücke auf. Aurore war sehr stolz, dass sie ihre Eltern und ihre Großtante Béatrice beim Musikmachen begleiten durfte. Martine hatte mit ihrer Schwester Miriam ein Duett für Sopran- und Altblockflöte eingeübt. Ihrer beider Mutter spielte auf einem Glockenspiel ein fröhliches Stück, das Julius als Lied der keimenden Saat erkannte, ein gerade bei Hochzeiten in der französischen Zaubererwelt beliebtes Lied, das unterschwellig dem Paar auftrug, bald selbst die Saat neuen Lebens zu legen und sich daran zu erfreuen, wie diese aufging.

Um acht Uhr abends begann das Abendessen, das aus sieben leicht verdaulichen Gängen bestand. Ab zehn Uhr wurde dann auf der freien Fläche vor dem Schloss getanzt. Die für diesen Abend bestellten Musikerinnen kannten sowohl die gängigen Gesellschaftstänze als auch modernere Tänze. Hierbei konnte Julius einmal mit seiner neuen Schwiegergroßtante Angelique einen Walzer tanzen. Die heute zusammengeführten Familien hatten sich beim Abendessen gegenseitig das Du angeboten. So sagte Julius: "Also, ich weiß, wie wichtig das für meine Mutter war und ist, dass sie weiterhin mit mir in Verbindung steht. Ich biete deshalb an, dass ich zwischen euch und Patricias Eltern vermitteln kann, wenn ihr mal was mit ihnen zu bereden habt, Tante Angelique."

"Sagen wir es so, mein Schwiegervater hadert damit, dass Marc seinen Namen nicht weitertragen will und mein Mann hätte daraufhin gerne Einspruch erhoben. Doch mir wurde heute erst so richtig bewusst, dass wir Marc nur verlieren würden, wenn wir gegen all das Einspruch einlegen würden, was er in den letzten sieben Jahren gelernt hat. Gut, bis heute haben wir ihn in den Ferien von allem ferngehalten, was mit dieser magischen Welt zu tun hat. Doch als uns klar wurde, dass Marc wahrhaftig mit diesem Mädchen Patricia zusammenbleiben will wusste zumindest ich, dass jeder weitere Versuch, ihn davon abzubringen, uns viel heftiger weh getan hätte als ihm hier und Heute den Segen zu geben. Auch wenn mein Schwiegervater ihm wohl noch länger grollen wird, weil er den Namen Armand abgelegt hat, wenn sein erster Urenkel ankommt will er den sicher genauso sehen."

"Ich hoffe sehr, dass dieser Ärger schnell vergeht und dass ihr alle gut mit uns auskommt. Da meine Mutter ja selbst neu geheiratet hat und deshalb mitbekommen hat, wie erhaben es ist, einen gemeinsamen Namen zu haben und den an ihre Kinder weiterzugeben hat sie auch verstanden, warum ich, der hier in Frankreich und größtenteils in der Zaubererwelt weiterlebt, mit dem Namen Latierre viel mehr Möglichkeiten habe. Wenn Marc das genauso sieht wie ich kann er dir das sicher irgendwann und irgendwie auch zeigen, so wie ich es meiner Mutter immer wieder zeige", erwiderte Julius. Das nahm Angelique Armand zumindest zur Kenntnis.

Als das junge Paar sich unter den Klängen einer die Erhabenheit der Nacht preisenden Hymne zurückzog konnte Julius kleine Tränen in den Augen seiner Schwiegergroßmutter Ursuline glitzern sehen. Bisher hatte sie dieser Feier mit einem Lächeln beigewohnt. Doch nun, wo es amtlich war, dass Patricia kein kleines Mädchen mehr war, schienen sie all die Erinnerung an die Kinderzeit ihrer Tochter zu überwältigen. Julius fühlte sich wieder an das erinnert, was seine Mutter ihm gesagt hatte: "So oder so wäre es für mich zu früh gekommen" hatte sie ihm gestanden, als er noch vor der offiziellen Volljährigkeit mit Millie zusammengesprochen worden war. Weil Ursuline mitbekam, dass er sie ansah winkte sie ihm. Weil da gerade ein neuer fröhlicher Tanz aufgespielt wurde nutzte sie die Gelegenheit, mit ihrem Schwiegerenkel zu tanzen.

"Es ist immer wieder dasselbe. Ich freue mich, wenn eines meiner Kinder ins eigene Leben aufbricht und kriege doch immer wieder Anwandlungen, loszuweinen, weil ich denke, wieder was von mir verloren zu haben, Julius. Aber am nächsten Tag ist das dann überstanden, vor allem, wenn ich mir denke, dass jedes meiner erwachsenen Kinder mein Fleisch und Blut weitervererbt hat. Und ich gehe davon aus, dass Patricia den nächsten Sonnenaufgang nicht mehr als kleines Mädchen erleben wird."

"Ja, und Marc wird da schon wissen, wie temperamentvoll ihr Latierre-Hexen sein könnt, wenn es zur Sache geht", grinste Julius.

"O ja, das hoffe ich doch mal ganz stark für den", musste nun Ursuline grinsen. Sie knuddelte Julius, während er sie so geschmeidig es ging zu einem Musettewalzer führte.

Weil viele der Gäste hier übernachteten konnten die, die tanzen wollten bis länger als zwei Uhr aushalten und die, die gerne einen guten Wein oder Met tranken sich ohne Sorgen um den Heimweg berauschen.

Als Millie dann mit ihrem Mann und den drei Kindern in einem Zimmer des Greifenturms war sagte Millie leise zu ihrem Mann: "Ob der Friede zwischen Marcs Eltern und uns länger als einen Monat hält? So ganz hat Marcs Vater es ja doch nicht verwunden, dass sein Sohn in die Zaubererwelt eingeheiratet hat und dass Patricia es entscheiden kann, ob er seine Enkelkinder zu sehen kriegt oder nicht."

"Einfach ist es sicher nicht. Sie haben heute darauf geachtet, keinen Aufruhr zu machen. Könnte bei der Wohnsitzfrage oder eben bei den von dir erfragten Cousins und Cousinen aber richtig stressig werden, zumal Marc ja auch weiter mit der nichtmagischen Welt in Verbindung bleiben möchte."

"Das meine ich ja", sagte Millie. "Vielleicht ziehen die beiden auch nach Millemerveilles, weil sie ja mitbekommen haben, dass da Computersachen und Mobilfernsprecher benutzt werden können."

"Was noch zu klären ist, wenn wir das gemacht haben, was Ammayamiria uns geraten hat", mentiloquierte Julius seiner Frau. Zwar hatten die Wände hier keine ohren wie im Château Trois Étoiles, aber die drei Kinder mussten das ja nicht unbewusst mithören.

Als Millie und Julius im Bett lagen lauschte Julius in die Stille hinaus. Falls das junge Paar nun alles ausprobierte, was ein Ehepaar durfte, so waren die entweder ganz leise oder hatten einen Klangkerker errichtet. Er gönnte es ihnen von ganzem Herzen.

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Am nächsten Morgen verabschiedeten die Latierres das junge Paar in die Flitterwochen. Patricia und Marc würden bis Ende September auf Zypern zubringen, aber dabei auch die griechischen Inseln besuchen, vor allem jene, die in den Mythen und Sagen erwähnt worden waren. Zypern galt ja als die Insel, wo die Liebesgöttin Aphrodite aufgewachsen war. Das hatten sie ganz bewusst als Hauptreiseziel gewählt. Zumindest hatte Julius den beiden Hoffnung gemacht, dass sie zumindest mit Englisch über die Runden kamen, dass Patricia gelernt hatte.

Nachdem dann auch die anderen Festgäste, die nicht im Château Tournesol wohnten abreisten kehrten Millie und Julius mit ihren drei Töchtern und Béatrice ins Apfelhaus von Millemerveilles zurück. Dort angekommen meldete sich Julius per Flohpulver bei Nathalie Grandchapeau. Diese erwähnte, dass sie bisher nichts neues über die Sache mit dem mit Spionagegeräten gespickten Schloss gehört hatte. Womöglich würde Julius selbst auch nicht weiter damit behelligt. Denn nach seinem ausführlichen Bericht, der von Pygmalion Delacour bezeugt wurde, ging das nun seinen Gang.

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Für die ausländischen Gehilfen war er Mr. Jones oder Mr. J. Seinen wahren Namen kannte außer ihm und seiner Ehefrau nur die Zentrale der Firma und der Leiter der Sektion Mitteleuropa. Seitdem islamistische Terroristen das Welthandelszentrum, das Pentagon und beinahe auch das weiße Haus mit vollgetankten Verkehrsflugzeugen angegriffenhatten galt für die Firma, dass auch im Freundesland Feinde wohnen konnten und genauso wie die Elektronikbastler von der NSA auch die noch mit ausgebildeten Spezialisten arbeitende Firma in Langley, Virginia alle verfügbaren Informationsmöglichkeiten ausnutzen sollte. Darum hatte ihm der Sektionsleiter Mitteleuropa den Auftrag erteilt, die fünfzehn "Wachtürme", die vor zehn Jahren errichtet worden waren, als "diskrete Herbergen" für betuchte Festgesellschaften oder geheime Treffen zu bewerben. So war es nicht mehr nötig, dass Lockvögel interessante Gruppen in diese "Türme" hineinschleusten und dort bei Wein, Weib und Gesang die Zungen lockerten und wichtige Kenntnisse abschöpften. . Allerdings saß der Mann, der für seine in Europa agierenden Gehilfen Mr. Jones hieß seit einem Tag auf weißglühenden Kohlen. Denn der Waldturm bei Amien war abgebrannt. Das würde seinem Sektionsleiter und auch dem obersten Direktor nicht gefallen. Vor allem gefiel ihm nicht, dass die Franzosen jetzt auf die Idee kommen mochten, dort genauer nachzusehen. Er konnte nur hoffen, dass der "Waldbrand" so gründlich gewütet hatte, dass keine Spuren von irgendwelchen unerlaubten Mithörgeräten verblieben waren.

Es war um 19:20 Uhr Ortszeit am 21. August, als Jones' Internes Telefon auf dem Schreibtisch die Melodie des berühmtesten Stückes von Dave Brubeck dudelte. Das hieß, der Horchposten Meldeturm rief an, jene Stelle, die aus den als Meldetürme gekennzeichneten Informationssammelstellen in Mitteleuropa regelmäßig Daten erhielten und auswerteten.

"Mr. J, hier Ben von der Auswertung, Code Blaumeise sieben zwo acht", meldete sich ein noch recht junger Mann. Jones bestätigte den Code und befahl ihm zu berichten.

"Schwerer Waldbrand nicht nur bei Amien, sondern auch bei Leuchtturm Bretagne, Lavendelsilo Aix en Provence und Aussichtsturm Straßburg. Offenbar wütet gerade ein das ganze Land übergreifendes Feuer", erwiderte Ben alias Blaumeise 728.

"Die Leitung ist intern und hochverschlüsselt, bitte Klartext mit Beantwortung der sechs Standardfragen", knurrte Jones.

"Wie Sie möchten, Sir. Was ist geschehen? Alle drei von Ihnen als meldetürme bezeichneten Standorte auf französischem Boden wurden durch eingebaute Selbstvernichtungsschaltung zerstört. Wann und Wo? Leuchtturm Bretagne um 23:23 Uhr Zulu, Lavendelsilo Aix en Provence zehn Kilometer südlich von Aix en Provence um 23:23 Uhr Zulu, Aussichtsturm Straßburg südsüdwestlich von Straßburg um 23:23 Uhr Zulu. Wie? Alle drei Objekte vermeldeten fünfmalige Fehleingabe auf Chefadministratorebene innerhalb fünf Minuten und damit einhergehende Selbstvernichtungsorder. Wer? Derzeitig unbekannt. Warum? Vollständige Zerstörung der auf Französischem Boden gelegenen Standorte für nachrichtendienstlich relevante Informationsgewinnung aus zivilen Quellen nach offenkundiger Preisgabe der betreffenden Standorte, Sir."

"Die haben offenbar doch mehr erwischt als nur Dumont", dachte Jones verbittert und sagte laut: "Gut, Ben, ich gehe davon aus, dass die Weiterleitung dieser unangenehmen Neuigkeiten an den Sektionsleiter Mitteleuropa zeitgleich erfolgte. Beobachten Sie bitte die noch verbliebenen Meldetürme und ..."

"Sir, gerade kommt die Meldung vom Standort Bibliotheksturm bei Oxford, dass dieser ebenfalls auf erwähnte Weise niederbrannte und ... O ha, auch die Abtei bei Glocester hat es erwischt."

"Alle fünf Standorte innerhalb weniger Minuten? Dann brauche ich in Paris nicht mehr anzurufen. Die werden die dortige Führungsbasis geentert haben", stieß Jones verärgert aus. Wenn sein direkter Vorgesetzter das mitbekam konnte er seine Beförderung und seine volle Pension beim nächsten Toilettengang in die Kanalisation spülen.

"Fragen wir so, welche Türme stehen noch?"

"Von den britischen Meldetürmen stehen noch der bei Glasgow, das Romantikhotel im londoner Westend, sowie der Pub zum springenden Leprechan bei Dublin. Außerdem stehen noch die Meldetürme in Deutschland, Österreich und Belgien. Soweit der Kurzbericht und ... Korrektur, soeben melden alle britisch-irischen Standorte bevorstehende Selbstvernichtung."

"Das wird noch ein sehr langer Abend, fürchte ich", knurrte Jones. "Ben, bereiten Sie sämtliche Daten auf, die von den abgebrannten Standorten gesendet wurden und schicken Sie mir diese in Folienform per Rohrpost zu!"

"Verstanden, Sir", bestätigte Ben alias Blaumeise 728.

"Die französischen und britisch-irischen Standorte alle weg. Diese Bande hat nicht lange gefackelt. Aber die deutschenund belgischen Posten sind noch da, weil Morel die nicht alle kannte. Aber der kennt den roten Jan. Schnell bei dem anrufen", dachte Jones und griff zum schnurlosen Auswärtstelefon. Er wählte nach einlesen seines Fingerabdruckes die Durchwahl zu einem angeblichen Reisebüro in Hamburg und hoffte, dass um diese für Europa nachtschlafende Zeit jemand da war. Wie zu befürchten war ging nur der Anrufbeantworter dran. Doch Jones kannte einen fünfstelligen Tonwahlcode, mit dem er sich zum eigentlichen Ziel durchstellen lassen konnte. Als der Anrufbeantworterton verklungen war gab er den Geheimen Durchstellungscode ein. Es knackte in der Leitung. Dann kam wieder ein Deutsches Rufzeichen aus dem Hörer.

"Ui, Moin, wer stört zu so später Stunde", sagte eine sehr verschlafen klingende Männerstimme auf Deutsch, bevor deren Träger wohl merkte, wer anrief. "Oha, Mr. J. Brennt's im Watt?" fragte die Stimme nun sehr wach und vor allem im besten US-Englisch New Yorker Färbung.

"Ja, es könnte bald bei Ihnen brennen, Jan. Die Partnerfirma in Frankreich hat ihre vier exklusiven Reiseziele durch Feuer verloren, und ich erfuhr gerade, dass auch unsere britischen Reiseangebote in Feuer und Rauch aufgegangen sind. Sichern Sie alles an Daten was sie haben und schicken sie Ihren Chefadministrator los, der in allen von Ihnen betreuten Reiseherbergen die Brandauslöser abstellt, bevor uns die Häuser auch noch verlorengehen."

"Der kommt da nicht mehr dran, weil der Franzose Morel behauptet hat, dass das Verfahren seines Computerexperten Bernard bombensicher ist und der deshalb alle die von uns betreuten Reiseziele entsprechend umgestellt hat."

"Moment mal, davon hat Morel mir nichts erzählt und Bernard noch weniger", knurrte Jones. "Öhm, wohnen gerade Gäste in den betreffenden Objekten?"

"Ja, hier bei uns an der Elbe ist gerade eine bundesweite Tagung von privaten Pferdezüchtern, wobei ich denke, dass deren Pferde auf zwei Beinen gehenund größtenteils junge Stuten sind,in der Villa bei Freising unten bei den Bayern hat sich vor drei Tagen der thailändische König mit einigen hohen Herren unserer Unternehmen einquartiert und das Kongresshotel bei Frankfurt West verzeichnete gestern die Ankunft von 300 Teilnehmern eines Kongresses für plastische Chirurgie."

"Gut, dann sehen Sie zu, dass niemand in den betreffenden Objekten mitbekommt, dass dort erhöhte Feuergefahr besteht. Ich gehe von anstehender Brandstiftung aus", sagte Jones. Dann dachte er, dass er vielleicht einen der 300 plastischen Chirurgen in Frankfurt fragen sollte, wer ihm die besten Konditionen für eine anstehende Gesichtsoperation und eine Veränderung der Fingerabdrücke bieten konnte. Womöglich hatte er sowas bald nötig.

"Ich kümmere mich drum, Mr. J", versicherte der rote Jan, der eigentlich Jan Klaasen hieß und neben seiner Reisebürotätigkeit auch als Vermittler zwischen der Firma und den Israelis war, die trotz immer wieder beteuerter Freundschaft Deutschlands mitverfolgen wollten, ob sich dort neuer Judenhass ausbreitete und wie gefährlich dieser den in Deutschland lebenden Juden wieder werden konnte. Bei der Gelegenheit bekam die Firma auch Informationen von bei terroristischen Gruppen der arabischenWelt eingeschleusten Agenten und informellen Mitarbeitern. Auch diese Informationen übermittelte Jan Klaasen. Doch das war jetzt irgendwie nicht so wichtig wie die Absicherung der letzten noch verbliebenen Überwachungsposten.

Jones legte auf und atmete durch. Aufzufliegen war das ständige Risiko in seiner Branche. Doch wer aufflog hatte entweder vorher einen entscheidenden Fehler begangen oder wurde von jemandem Verraten, der bis dahin als höchst vertrauenswürdig galt. Welchen Fehler hatten er oder Morel begangen? Er ärgerte sich auch, dass sein Zögling, der bei den Franzosen Émile Bernard geheißen hatte, keine weitere Absicherung gegen eine mutwillige Auslösung der Selbstvernichtung eingebaut hatte. Fünf Fehleingabeninnerhalb von fünf Minuten war zu einfach, Das brachte nur was, wenn die Selbstvernichtung unmittelbar nach der letzten Fehleingabe ausgelöst wurde. Doch dafür war sein Zögling zu human gewesen. Der hatte sicher eine Vorwarnzeit festgelegt und sichergestellt, dass alle gerade im Haus wohnenden Leute noch rauskamen.

Es dauerte keine fünf Minuten, da läutete wieder das interne Telefon. Diesmal war es der Sektionsleiter Mitteleuropa. "Fred, meine Sekretärin hat gerade Kaffee für zwei gemacht. Kommen Sie bitte sofort zu mir!" Jones bestätigte die Anweisung und verließ sein Büro.

Im Vorzimmer empfing ihn die dreißigjährige dunkelhaarige Mrs. Morefield, die Sekretärin des Sektionsleiters Mitteleuropa.

"Sie können gleich rein. Aber Achtung, Mr. Dunning ist gerade sehr schlechter Laune", warnte ihn die Sekretärin.

"Raten Sie mal wer noch, Mrs. Morefield", knurrte Jones und wartete, bis sie das unter dem Schreibtisch versteckte Knöpfchen gedrückt hatte, um die Türzum Büro ihres direkten Vorgesetzten zu entriegeln.

Der Sektionsleiter Mitteleuropas deutete nach der pflichtgemäßen Begrüßung auf einen blauen Besucherstuhl. Jones setzte sich. "Das mit der wilden Feuersbrunst in Frankreich und auf den britischen Inseln haben Sie ja auch erfahren. Aber was Sie noch nicht wissen ist, dass ich vor drei Minuten ein sehr unangenehmes Telefonat mit dem stellvertretenden Direktor der französischen Direktion für territoriale Sicherheit beendet habe. Dieser Monsieur erwähnte, dass im Zuge einer Hausdurchsuchung in jener Immobilienfirma, die Sie betreuen, Unterlagen über besonders exklusive Herbergen gefunden wurden und diese Objekte untersucht wurden. Dabei sei es zu bedauerlichen Unfällen gekommen, bei denen die Stromversorgung überlastet wurde. Die betreffenden Mitarbeiter hätten sich noch rechtzeitig in Sicherheit bringen können. Allerdings sei vorher schon eines der Objekte, ein Waldschloss bei Amien in Frankreich, ein Raub der Flammen geworden."

"Die haben versucht, Zugang zu den Daten zu kriegenund dabei die Selbstvernichtungsschaltungen ausgelöst", grummelte Jones.

"Offenbar haben sie das. Denn dieser Monsieur aus Frankreich erwähnte doch glatt, dass seine Behörde eingeschaltet worden war, als klar war, dass es sich bei den Objekten nicht um einfache Häuser, sondern um Zitat "Spannerparadiese mit eigenem Satellitensender" gehandelt hatten und seine Behörde "befürchtete", dass eine internationale Spionagegruppe dort tätig sei. Als dann aus "sichergestellten" Unterlagen hervorging, dass es nicht irgendeine private Informationsbeschaffungstruppe war, sondern wir, die Firma, diese Objekte unterhalten hätten, habe er sich schon ein wenig geärgert, so der Monsieur aus Paris", knurrte Jones' direkter Vorgesetzter. "Jedenfalls meinte er sowas, dass es sehr unschicklich sei, wenn freunde einander bei ganz intimen Sachen zuguckten, ohne dass der jeweils andere davon wisse. Außerdem sei zu überprüfen, ob bei diesen Gelegenheiten nicht auch Geschäftsgeheimnisse oder Handelsvereinbarungen französischer Unternehmerinnen und Unternehmer ausgekundschaftet wurden und sein Präsident unseren Präsidenten demnächst mal fragen würde, ob der Ausflug an den Golf noch nicht teuer genug gewesen sei, wenn seine eigenen Untergebenen hohe Schadensersatzforderungen riskierten. Er sei nur aus dem einen Grund bereit, es noch nicht an die Presse weiterzureichen, weil er noch dabei sei, das involvierte Personal zu vernehmen, um Art und Umfang unserer Tätigkeiten zu erfahren."

"Will sagen, unsere Leute aufzustöbern und zu verhören", sagte Jones.

"Ja, abgesehen davon, dass mit dem Verlust des Jagdschlösschens auch die Möglichkeit entfiel, das Treffen der westeuropäischen Nuklearunternehmer zu beobachten entgehen uns mit dem Verlust der Standorte sehr nützliche Quellen. Wer immer uns verraten hat - zumindest gehe ich nach allem, was bisher bekannt ist davon aus - hat sehr gründlich gearbeitet und offenbar die richtigen Ziele und Zielpersonen weitergemeldet. Anders lassen sich diese um die kuriose Uhrzeit zeitgleich stattgefundenen Aktionen nicht erklären. Da wollte uns wer mit der Nase drauf stoßen, dass er uns mit heruntergelassenen Hosen beim Urinieren auf das Rosenbeet erwischt hat. Wie soll ich das bitte finden, dass wir womöglich demnächst noch von den eigenen Verbündeten als Spanner und falsche Hunde bezeichnet werden könnten?"

"Sir, Sie haben vor zehn Jahren das Unternehmen Meldeturm abgesegnet", erwiderte Jones. "Sie haben mir persönlich gesagt und das auch in unserem geheimen Abkommen festgehalten, dass eine möglichst umfangreiche Überwachung wichtiger Personen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär sehr nützlich sei. Außerdem haben Sie vor zwei Jahren, als der elfte September passiert ist, klargestellt, dass wir unsere Informationsbeschaffungsmittel in Mitteleuropa verstärken und zielgenauer einsetzen sollen. Ich habe nur Ihre strickten Anweisungen befolgt, Sir."

"Natürlich haben Sie das. Und meine Anweisungen habe ich auf Grund mir erteilter Anweisungen vom Direktor und dem Präsidenten selbst erhalten. Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass wir offenbar durch diesen Verrat in eine sehr unangenehme Lage gebracht wurden. Die können uns jetzt jederzeit hinhängen. Denn Sie sind schon lange genug bei uns, dass Sie wissen, dass die Leute, die unsere Mithörposten vernichtet haben, nicht nur wussten, wie sie das konnten, sondern auch genug Zeit eingeräumt haben, um alle Installationen zu dokumentieren. Die brauchen dann nur über einige Strohleute herumzureichen, dass wir heimliche Zusammenkünfte oder abgeschirmte Feierlichkeiten aufgezeichnet haben, und es rollt eine Schadensersatzwelle über uns hinweg, die ein milliardengroßes Loch hinterlassen könnte. Also gilt für uns erst einmal, alle Aktivitäten auf ein Minimum zu reduzieren und die einbezogenen Mitarbeiter zum Abtauchen aufzufordern, auch wenn der Verräter unter diesen weilen könnte."

"Will sagen, das Projekt Meldetürme soll auf Eis gelegt werden, Sir?"

"Leiten Sie Operation Turmspringer ein, Fred. Und dann nehmen Sie sich besser einen mehrwöchigen Urlaub. Ich hörte, Florida sei um diese Jahreszeit besonders beliebt."

"Verstanden, ich gebe das Signal an die entsprechenden Meldepunkte", seufzte Jones. Er war offenbar noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen.

"Machen Sie das von hier aus. Wäre ja schade um den köstlichen Kaffee", meinte der Sektionsleiter. Jones nickte schwerfällig. Dann führte er das erste von fünf Telefonaten. Beim dritten merkten er und sein Vorgesetzter, dass sie wohl die berühmten fünf Minuten zu spät dran waren. Denn als er eigentlich mit einem belgischen Untergebenen sprechen wollte meldete sich jemand von der belgischen Staatspolizei und verkündete, dass der eigentlich erhoffte Teilnehmer unabkömmlich sei und wer mit ihm sprechen wolle. Jones erwähnte die der vereinbarten Legende entsprechende Sache mit dem Ankauf einer Strandvilla bei Antwerpen. "Dann sind Sie Mr. Collin Joens aus Washington DC, richtig?"

"Ja, der bin ich", grummelte Mr. Jones. "Nun, dann schlage ich Ihnen vor, besser keine weiten Reisen zu machen, zumindest nicht nach Europa. Hier ist es sowieso gerade sehr heiß", sagte der Mann am anderen Ende der Leitung.

"Die beiden anderen Anrufe kann ich uns sparen. Frankreich und Großbritannien sind ja schon aufgeflogen", sagte Jones zu seinem direkten Vorgesetzten. Wie zur Bestätigung, dass Belgien ebenfalls verloren war kam eine elektronische Mitteilung herein, dass auch die belgischen Überwachungsstellen ausgefallen waren. Jones erkannte nun, dass er den entscheidenden Fehler begangen hatte, als er seinen Zögling Jacques Banier alias Émile Bernard damit beauftragt hatte, für alle auf dem Festland und den britischen Inseln bestehenden Posten die Sicherheitssoftware zu erstellen. Damit stand für ihn fest, dass die Gegenspieler genug Zeit gehabt hatten, alle relevanten Unterlagen zu finden und die ganze Organisation aufzuräufeln wie einen ausgeworfenen Faden.

"Ich ziehe meinen Vorschlag was den Urlaub angeht zurück. Sie werden hier gebraucht, um den entstandenen Schaden zu begutachtenund falls das noch möglich sein sollte zu reparieren", grummelte Dunning. Sein Mitarbeiter stimmte ihm zu. Doch er fürchtete innerlich, dass der Schaden bereits viel zu groß war.

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Julius Latierre erfuhr zwei Tage nach Patricias und Marcs Hochzeit, dass der Verbindungsmann zwischen Zaubereiministerium und DST eine Aktion eingeleitet hatte, bei der alle auf französischem und belgischem Boden bestehenden Horchposten ausgehobenund vernichtet worden waren. Dabei sei aber auch ermittelt worden, dass die Firma auch Kontakte nach Deutschland, Österreich und Rumänien unterhielt. Inwiefern auch dort solche "Goldfischgläser" lauerten sei nun Sache der nichtmagischen Spionageabwehrdienste und Polizeibehörden, sagte ihm Nathalie Grandchapeau. Zumindest sei keiner Seite daran gelegen, das ganze öffentlich zu machen. Sie wies jedoch darauf hin, dass die nichtmagischen Presseleute ihre eigenen Quellen hätten und daher durchaus auf das zeitgleiche Abbrennen von drei abgelegenen Herbergen schließen mochten.

"Wenn da wirklich die Firma aus Langley mit drinhängt sollten meine Familie und ich bis auf weiteres keine USA-Reisen mehr machen, zumindest nicht in die nichtmagische Welt dort", meinte Julius.

"Keine Sorge, Ihr und Monsieur Delacours Name wurden aus der Sache herausgelassen. Es kann und darf nicht in unserem Interesse liegen, dass Sie von den Nichtmagiern egal wo behelligt oder gar bedroht werden, sofern Sie das nicht von sich aus provozieren", sagte die dauerschwangere Nathalie Grandchapeau. Julius nickte. Doch dann musste er fragen, wie dann das Auffliegen des Jagdschlösschens erklärt wurde. "Im Rahmen einer vorgetäuschten Hochzeitsgesellschaft verschafften sich Mitarbeiter der Direktion für territoriale Sicherheit Zugang zu allen Unterlagen, indem sie mit Hilfe eines heimlich erworbenen Berichts über die Zugangsmöglichkeiten zum Computersystem alle relevanten Unterlagen ermitteln und für sich selbst ausdrucken lassen konnten. Das dürfte diesen Leuten genug zu denken geben, immerhin hätte der Kollege Delacour diese exotische Zugangskennung ja auch ohne Felix Felicis enträtseln können", sagte Nathalie. Julius nickte.

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Die folgenden Arbeitstage befasste sich Julius mit den Nachbereitungen von Gabrielles Hochzeit. Vor allem galt es, die Verwandtschaftsverhältnisse von Gabrielles neuem Ehemann zu sortieren. Denn dass Pierres Großvater in der Luftwaffe gedient und sich dort einen hohen Offiziersrang erarbeitet hatte machte deutlich, dass der familiäre Hintergrund bei Ehen zwischen Angehörigen der magischen und nichtmagischen Welt auch für seine Abteilung sehr wichtig war. Ein wenig ärgerte er sich darüber, dass er erst bei der Hochzeit von Pierre und Gabrielle darüber informiert wurde, dass Jean-Paul Marceau General gewesen war. Das im Zusammenhang mit der Spionageaktion, hinter der die berühmte Firma aus Langley im US-Bundesstaat Virginia steckte bedeutete, dass jemand vielleicht immer noch einen gewissen Einfluss auf den pensionierten General oder dessen Freundes- und Familienkreis ausübte und somit auch Pierre selbst ins Visier von Erpressern geraten mochte, die im Auftrag eines Staates oder einer kriminellen Gruppe Sachen von ihm einfordern mochten, die mit den Interessen der magischen Welt kollidierten. Das schrieb er sowohl als Bemerkung für sein Büro und für Nathalie Grandchapeau.

Auch erfuhr Julius, dass sich Nathalie Grandchapeau nach Rücksprache mit ihrer Tochter Belle, Rose Devereaux und Primula Arno entschieden hatte, Reinier Boisvert für die Computerabteilung ihrer Abteilung einzustellen. Für Julius hieß das, dass er zum einen mehr Zeit für das ihm allein zugeteilte Büro hatte, aber auch, dass er in besonderen Fällen auch als Außentruppmitarbeiter von Nathalie angefordert werden mochte. Der Bewerber Mercier hatte nach Rücksprache mit der Handelsabteilung wohl beschlossen, einen seinen Anlagen gemäßen Beruf in der freien, nichtmagischen Wirtschaft anzutreten. Wahrscheinlich hatten Colberts Leute ihm klargemacht, dass die Computersachen nur für das Büro für friedliche Koexistenz nötig waren und in anderen Abteilungen innerhalb des Ministeriumsgebäudes eh nicht funktionieren würden. Womöglich würde Mercier bestimmte Abschlüsse der nichtmagischen Welt nachholen, um dort Fuß zu fassen, so wie es Laurentine Hellersdorf hätte tun sollen, wenn sie sich weiter an die Wünsche ihrer Eltern gehalten hätte. Außerdem erfuhr er, dass sich auch die junge Hexe Hugette Dixchamps beworben hatte, die im violetten Saal gewohnt hatte und wohl alle Zauberstabfächer mit einem unterstrichenen O abgeschlossen hatte und auch in Zaubertränken überragend abgeschlossen hatte. Da sie wohl eher im Außendienst arbeiten wollte war ihr Vorstellungsgespräch wohl nur mit Monsieur Lepont und Rose Devereaux verlaufen. Marc wollte eh erst mit seiner jungen Frau die Welt erkunden, hatte er gesagt, auch um die Sachen dazuzulernen, für die in Beauxbatons kein Platz war. Louis würde sich wohl bei einer Quidditchmannschaft bewerben, während Gabrielle erst einmal abwarten wollte, ob sie in den nächsten Monaten schon ein Kind erwartete und wohl ähnlich wie Millie etwas anstrebte, wo sie gleichzeitig für Geld arbeitenund Mutter sein konnte. Somit würden am ersten Montag im September allein schon in Nathalies Abteilung zwei Neuzugänge dazukommen. Wie viele es bei den anderen Abteilungen wurden bekam Julius dann eben an entsprechendem Tag mit. Doch vorher stand ja noch die geheime Aktion an, bei der er eine zentrale Rolle spielen sollte, er und die drei in Millemerveilles weilenden Kinder Ashtarias, sowie seine Frau Mildrid.

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"Und, ist die Botschaft von den beiden Toten bis zu diesem Jones durchgedrungen?" hörte Demetrius die laute, sehr dumpf klingende Stimme seiner Mutter. Dann konnte er dank des Cogison-Ohrrings über ihre Körpergeräusche hinweg Champvierges Antwort verstehen:

"Teils teils", hörte Demetrius Champvierge. Offenbar ärgerte das seine Trägerin. Denn er fühlte, wie die sonst so nachgiebigen Wände seiner kleinen Behausung etwas härter wurden.

"Was bitte meinen Sie mit Teils teils?" wollte Nathalie Grandchapeau wissen.

"Genanalyse der gefundenen Leichen. Kann dauern", erwiderte Champvierge. Demetrius hörte Nathalies Magen rumpeln und dachte, warum dieser muggelstämmige Typ es bis heute nicht lernen wollte, in ganzen Sätzen zu sprechen.

"Wie lange?" wollte Nathalie wissen. Jetzt wusste nicht nur der in ihr sicher untergebrachte Demetrius, dass sie verärgert war. "Solange wie es denen dauert, Madame Grandchapeau", antwortete Champvierge. "Gut, geben Sie mir bescheid, wann es amtlich ist, ob die Hinterleute dieser Spionageeinrichtungen davon ausgehen, dass die zwei Geheimnisträger tot sind oder nicht", grummelte Demetrius' Trägerin.

"Natürlich", war Champvierges Antwort.

Als Champvierge das Büro der Leiterin des Muggelverbindungsbüros verlassen hatte entspannte sie sich wieder für Demetrius spürbar. "Dann werden wir wohl noch warten müssen, bis wir entscheiden können, wie wir die zwei Verwahrten in ihre Welt zurückschicken können oder ob wir sie nicht doch vollkommen neu aufwachsen lassen müssen, was fast so wie ihre Tötung sein dürfte."

"Ist der Beausoliel-Eauvive-Erlass noch in Kraft? Mein Vater hat ihn bisher nicht aufgehoben, soviel ich weiß."

"Was für ein Erlass?" wollte Nathalie wissen. Demetrius erklärte es ihr, dass jeder neue Zaubereiminister als erste nichtöffentliche Pflicht hatte, geheime Erlasse zu lesen und darauf zu prüfen, ob die Grundlage dafür noch bestand oder nicht. Armand Grandchapeau, der jetzt als Demetrius im Schoß der eigenen Frau auf die Wiedergeburt als sein eigener Sohn wartete, hatte den besagten Erlass aus dem Jahr 1830 deshalb nicht aufgehoben, weil die Notwendigkeit immer noch bestand, dass durch Verwicklungen mit der magischen Welt in Gefahr für Leib und Leben geratende Nichtmaggier nicht mehr unter ihrer eigenen Identität in die magielose Welt zurückgelassen werden durften, aber dafür eine magiewelttaugliche neue Identität erhielten, die es ihnen möglich machte, in der Zaubererwelt zu leben. Hierzu mussten jedoch eine äußerst vertrauenswürdige Hexe und ein dito Zauberer ihr Einverständnis erklären und vor allem sehr gut in der Mnemoplastischen Magie ausgebildete Heiler herangezogen werden. Weil das Ziel war, sowohl die nichtmagische wie magische Welt über das Weiterleben und den Identitätswechsel des oder der in Bedrängnis geratenen Menschen in Unkenntnis zu halten galt dieser Erlass wie das daran hängende Verfahren als auf der obersten Geheimhaltungsstufe S0 eingeordnet, was hieß, dass nur der amtierende Zaubereiminister und die unmittelbar beteiligten Personen, sofern für diese Stufe freigegeben, was darüber wissen durften. Bestenfalls sollte der Identitätswechsel so verlaufen, dass die betroffene Person selbst nichts davon wusste, dass sie vorher jemand anderes war.

"Das setzt voraus, dass den beiden von außen genug Initialkraft zugeführt wird, um dauerhaft nach außen wirkbare Zauberkräfte ausüben zu können", dachte Nathalie mit einer gewissen Verdrossenheit in der Gedankenstimme. Demetrius erwähnte, dass dies auch ein Grund dafür sei, warum dieser Erlass und die in seinem Wortlaut ausführbaren Handlungen so geheim waren, dass selbst die davon betroffenen Personen nichts wissen durften.

"Was Dumont angeht wäre das wohl so kein Problem. Allerdings möchte ich dieses besondere Sehvermögen dieses Cajun-Jungen, der sich hier in Frankreich Émile Bernard genannt hat, gerne erhalten, und eine dauerhafte Körperveränderung würde es verschwinden lassen", erwiderte Nathalie.

"Soweit ich das durch deine warme, weiche Bauchdecke mithören durfte ist dieses Sehvermögen von seiner Mutter ererbt. Dann bliebe eben nur der Contrarigenus-Fluch, der ohnehin eine tiefgreifende Erinnerungsveränderung bewirkt", erwiderte Demetrius.

"Ja, ich glaube es dir, warum dieser Erlass auf S0 eingeordnet ist. Aber bevor wir hier mit ansonsten höchst ungern gesehenen Zaubern herumfuhrwerken will ich das von den Heilern noch einmal genauer bestimmen lassen, ob die Tetrachromasie väterlicher- oder mütterlicherseits angeboren ist. Doch das können wir gerne morgen weiterbereden. Heute war schon anstrengend genug", beschloss Nathalie Grandchapeau das über Cogison geführte Zwiegespräch mit dem in ihr ausharrenden Demetrius.

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Am letzten Sonntag im August verabschiedeten Julius und Millie zusammen mit Aurore Denise und Melanie ins neue Schuljahr. Dieses Jahr würden sie eine neue Kräuterkundelehrerin erhalten, die früher auch im weißen Saal von Beauxbatons gewohnt hatte und den Schultraditionen nach Trifolios Amt als Saalvorsteher übernehmen würde. Camille kannte Professeur Calendula Boisgrand noch aus ihrer eigenen Schulmädchenzeit. Damals hatte sie noch Graminis geheißen und war eine Schwester von Monsieur Graminis, dem Apotheker von Millemerveilles und Jeannes Chef. Das machte die Sache für Jeanne, die große Schwester von Denise, etwas kitzliger. Doch während Denise in den Ausgangskreis trat meinte Camille zu Jeanne: "Es ist bei Denise und der neuen Professorin nicht so heftig wie bei Babette, die als Enkelin der Schulleiterin weiterlernt oder für Endora Bellart, deren Mutter Lehrerin ist oder für Gérard, dessen Mutter Arithmantik gab."

"Ich habe meinem Chef auch schon mitgeteilt, dass ich nicht als Vermittlerin zwischen seiner Schwester und meiner Schwester handeln werde", sagte Jeanne. Julius, der die von Professeur Fourmier ausgeführte Sortierung der Schülerinnen und Schüler beobachtete bemerkte dazu:

"Wo du's erwähnst, Camille. Die kriegen doch auch eine neue Arithmantiklehrerin. Professeur Copernica Lagrange, Belisamas Großmutter. Insofern gut, dass von den Lagranges im Moment niemand in Beauxbatons Arithmantik lernen will. Die hat auch mit June Priestley über moderne Berechnungsverfahren korrespondiert." Camille nickte sacht. Arithmantik hatte sie nie wirklich interessiert. Sie hatte bis zu den ZAGs Wahrsagen genommen, aber dieses Fach nicht als UTZ-Fach belegt.

"Zumindest bin ich zuversichtlich, dass deine und Laurentines Hilfen Denise bei Muggelkunde weiterbringen", meinte Denises Vater.

Julius dachte eher daran, dass für Claudine morgen der erste Schultag in Millemerveilles anfangen würde. Er hatte sehr gerne Madame Dumas' Einladung angenommen, bei der kleinen Feier für die neuen Schülerinnen und Schüler dabei zu sein.

"Bitte alle Eltern und Angehörigen aus dem Kreis treten! Ich rufe die Reisesphäre auf!" rief Professeur Fourmier weit hallend und winkte mit ihren dünnen, nur scheinbar zerbrechlich wirkenden Armen, über die sie wie üblich bis zu den Achselhöhlen reichende Handschuhe gezogen hatte, die wie Julius fasziniert bemerkte, genau dem von der Sonne verwöhnten Hautton der Lehrerin glichen.

Die Eltern und jüngeren Geschwister eilten von der blauen Kreisfläche herunter. Pünktlich um sechs Uhr abends beschwor Professeur Fourmier die sonnenuntergangsrote Reisesphäre. Mit einem dumpfen Knall verschwanden sie und alle auf der Kreisfläche gebliebenen im Nichts.

"Tja, und wieder beginnt ein neues Schuljahr. Und im Mai wussten wir nicht einmal, ob wir unsere Kinder und Neffen überhaupt im Sommer wiederkriegen würden", seufzte Camille. Für sie war es offenbar immer noch ein bewegender Moment, eines ihrer Kinder ins neue Schuljahr zu verabschieden. Vielleicht, so dachte Julius, dachte sie auch daran, dass sie auch einmal Claire auf diese Reise nach Beauxbatons verabschiedet hatte, diese aber dann nicht mehr zu ihr zurückgekehrt war. Dieser Gedanke rührte auch ihn immer wieder an. Er mahnte ihn, keine auch noch so alltäglich scheinende Sache als beständig oder unabänderlich zu sehen. Auch die Leute, die beim Terroranschlag vom elften September 2001 gestorben waren, hatten sich wohl morgens von ihren Liebsten verabschiedet, die dachten, sie am Nachmittag oder Abend wieder in die Arme nehmen zu können. Deshalb sagte er auch nichts, bis Camille das Schweigen brach und anregte, dass Millie noch Chrysope und Clarimonde abholen möge, um mit den Dusoleils zusammen zu abend zu essen. Natürlich galt diese Einladung auch für Jeanne und ihre Familie.

So klang der Abend mit einer fröhlichen Unterhaltung aus. Selbst Philemon, der sonst gerne durch wildes Gebaren Aufmerksamkeit zu erregen suchte, verhielt sich friedlich. Das mochte auch daran liegen, dass er einen gehörigen Respekt vor Aurore und ihren Eltern hatte. Ob das so bleiben würde würde sich wohl auch zeigen, wenn seine drei Geschwister auf die Welt kamen und er noch vier Cousins und/oder Cousinen dazubekommen würde.

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Die Grundschule von Millemerveilles gehörte zu jenen Orten innerhalb des magischen Dorfes, um dem fünf Apfelkerne in Pentagonformation gepflanzt und mit Rapicrescentus-Tropfen auf halbe Gesamthöhe gebracht worden waren. Hier würde sich was immer nach Julius' und der Kinder Ashtarias Zauber passieren würde genauso konzentrieren wie um sein Haus und das von Jeannes Familie und die Schenke Chapeau du Magicien.

Auf dem sorgfältig geputztem Schulhof stand ein kleines Podest, auf dem eine kleine Gruppe Drittklässler mit Flöten, Klarinetten und Trommeln Aufstellung genommen hatte. Julius, der im Pulk der stolzen Eltern stand, die heute ihre Kinder in den sogenannten Ernst des Lebens verabschiedeten, dachte schon daran, dass die Schule im Jahre 2010 erheblich größer sein musste. Denn mittlerweile stand fest, dass 720 neue Kinder erwartet wurden. Denn es gab keine der unerwünscht schwanger gewordenen Hexen, die nur ein Kind trug. Julius winkte Laurentine Hellersdorf zu, die bei den sieben Lehrerinnen und Lehrern stand. Sie war die einzige der Kolleginnen, die gerade nicht schwanger war.

Madame Geneviève Dumas betrat in einem sommerlich kurzen, sonnengelben Kleid das Podest und stellte sich zwischen die Schülerinnen und Schüler, die zum Willkommen ihrer heute neu beginnenden Mitschüler aufspielen wollten. Sie überblickte die Zahl der Eltern, die ihre in Sonntagskleidung gesteckten Söhne und Töchter mit einem aufmunternden Lächeln betrachteten. Dann trafen noch Catherine Brickstonund Claudine ein. Alle anderen blickten sich nach ihnen um. Claudine trug jenes Kleidchen, in dem sie bei der Willkommensfeier ihres kleinen Bruders aufgetreten war. Catherine blickte Madame Dumas abbittend an und erhielt ein kurzes Nicken zur Antwort. So konnte Catherine Claudine zu den anderen Sechsjährigen hinüberschicken, die schon auf sie gewartet hatten. Sie stellte sich zu Viviane Aurélie Dusoleil, die neben dem leicht untersetzt wirkenden, strohblonden Baudouin Delamontagne stand.

Anders als Julius es kannte trugen die neuen Schüler keine Schultüten bei sich, sondern hatten wenn Jungen kleine Hüte mit dem goldenen Schriftzug "MEIN ERSTER SCHULTAG" auf den Köpfen und wenn Mädchen hellgrüne Schleifen mit dem goldenen Schriftzug "MEIN ERSTER SCHULTAG" in den Haaren. Die Jungen trugen weiße Schultaschen, die Mädchen kunterbunte Schultaschen bei sich. Die bereits ein Jahr und mehr hier lernenden Kameradinnen und Kameraden trugen gewöhnliche Kleidung und Schultaschen in verschiedenen Farben, wobei die Jungen auf ihren Bilder von Drachen, geflügelten Pferden und Hippogreifen trugen, während die Mädchen Blumenmuster, Einhörner oder mit weit ausgebreiteten Flügeln dargestellte Feen auf den Schultaschen hatten.

Madame Dumas begrüßte erst alle bereits bei ihr lernenden Mädchen und Jungen. Dann wandte sie sich an die neuen Schülerinnen und Schüler. "Ich freue mich, euch alle hier und heute zu eurem ersten Schultag begrüßen zu dürfen. Sicher habt ihr alle sehr gespannt darauf gewartet, dass es endlich losgeht. Einige von euch, die ältere Geschwister haben, fragen sich sicher, ob sie das wirklich auch machen sollen, wovon ihnen ihre Geschwister immer erzählen, dass es nicht immer Spaß macht und auch mal ganz schwer sein kann. Ich kann und will euch nicht versprechen, dass es für euch immer Spaß ist. Aber ich kann und will euch versprechen, dass ihr dann, wenn ihr alt genug für Beauxbatons seid, mit hoch erhobenen Köpfen dorthin gehen könnt. Denn dann habt ihr hier das alles gelernt, was ihr braucht, um dort die wirklich wichtigen und schwierigen Sachen lernen zu können.

Als ich meinen ersten Schultag hatte habe ich mich zum teil gefreut, endlich richtig lesenund schreiben zu lernen, weil das einen richtig groß macht. Aber ich habe auch daran gedacht, dass ich von dem Tag an kein kleines Mädchen mehr sein durfte, dass immer, wenn es was schwieriges gab, zu Maman und Papa zurücklaufen konnte. Ich kann euch beruhigen, dass ihr euren Eltern nicht weggenommen werdet. Im Gegenteil. Ihr seid heute hier, damit ihr weiterhin mit ihnen zusammen groß und größer werden lernt. Und ihr könnt ja auch jeden Schultag, wenn die Glocke die letzte Stunde beendet hat, zu euren Eltern zurück. Ihr könnt denen dann viel spannendes erzählen, was die irgendwann auch mal mitbekommen haben. Dann könnt ihr vergleichen, was damals und was heute so in der Schule abläuft. Ich bin mir auch ganz sicher, dass eure Eltern euch auch helfen, wenn wir euch Sachen beibringen, die ihr noch nicht alleine so gut hinkriegt. Aber dann werdet ihr lernen, wie viel spaß es macht, etwas so machen zu können wie die Großen. Das wird alles überragen, was hier an anstrengenden Sachen auf euch wartet. Ich hoffe auch sehr, dass ihr mit den älteren, die hier schon lernen, meistens gut zurechtkommt. Selbst dann, wenn es dann doch mal Streit gibt oder jemand einen von euch unschön anredet weiß ich doch, dass das ganz ganz selten geschieht und ihr alle von euch, die heute den ersten so wichtigen Tag im Leben mitbekommen bis jenen, die heute das letzte Jahr vor Beauxbatons mitkriegen, zu einer Gemeinschaft vereinigen, einer Gemeinschaft von denen, die zusammen groß und gescheit werden wollen. Wir, die Lehrerinnen und Lehrer, werden euch all die Sachen zeigen, erklärenund zum lernen aufgeben, die euch auf diesem so wichtigen Weg helfen werden. Seid willkommen auf dem nächsten großen Teil eures langen Weges, der Leben heißt. Willkommen in der Grundschule von Millemerveilles!"

Nun spielten die Drittklässler ihre Willkommensmusik, bei der sie auch ein flottes Lied spielten, in denen die Noten A, B und C in aufsteigender Reihenfolge vorkamen, wie Julius hörte. Danach bat Madame Dumas noch einmal um Aufmerksamkeit. Sie erwähnte, dass sie nun die neuen Schülerinnen und Schüler aufrufen würde, sich zu Madame Philippine Bleulac zu stellen, ihrer Klassenlehrerin. Julius kannte die kleine, rundliche Hexe mit den vielen dunkelbraunen Zöpfen aus den Tagen unter der Dämmerkuppel. Sie hatte sich sehr für die Rechenmethoden der Muggelwelt und was die Muggel so aus der höheren Rechenkunst geschöpft hatten interessiert. Über Madame Dumas erschien nun frei in der Luft ein mindestens fünf Meter hohes und zehn Meter breites goldenes Schild. Julius dachte, ob das nicht mal eben auf die Direktrice herabstürzen konnte. Doch sicher war das nur eine völlig materielose Abbildung, eine magische Illusion. Darauf erschien der erste Name eines neuen Schülers "Auberge Clément". Julius erkannte, dass hier nicht die Nach- sondern Vornamen alphabetisch sortiert waren. Als Auberge Clément ihren Arm hob winkte ihr Madame Bleulac aufmunternd zu. Die Eltern des Mädchens sahen ihrer Tochter zu, wie sie erst langsam und dann entschlossen vor die Lehrerin hintrat. Dann rief die Direktrice den nächsten Namen auf: "Baudouin Delamontagne!"

So ging es weiter, bis Madame Dumas auf Claudine zeigte und sagte: "Und hier kommt nun eine junge Dame, die lieber bei uns im ruhigen Millemerveilles als im lauten, quirligen Paris lernen möchte, Claudine Brickston!" Claudine nickte und ging schnell und entschlossen, ohne sich noch einmal nach ihrer Mutter umzusehen, zu Madame Bleulac hinüber. Julius dachte in dem Moment daran, dass die Lehrerin der neuen Erstklässler im April drei neue Schüler zur Welt bringen würde. Das würde eh noch was, wenn alle Lehrerinnen, die ausnahmslos in anderen Umständen waren, in die Wochenbettphase kamen und danach immer wieder Stillpausen machen mussten. Da kam was auf Julius zu, der sich hatte überreden lassen, seinen zeitweiligen Job als Muggelweltkundelehrer wieder aufzunehmen, mit Genehmigung der Familienstands- und Ausbildungsabteilung des Zaubereiministeriums. Er hoffte nur, dass er diesen Zeitraum auch erleben würde, nach allem, was ihm in den letzten Jahren widerfahren war.

Fünfzehn weitere Mädchen und Jungen wurden aufgerufen, darunter Jeannes Erstgeborene Viviane. Dann standen alle neuen Erstklässler vor Madame Bleulac. "So wollen wir das neue Jahr beginnen, auf dass es uns alle noch klüger macht als das Jahr davor", beschloss Madame Dumas die Willkommenszeremonie für die neuen Schülerinnen und Schüler.

"Öhm, habe ich dir schon erzählt, dass Miriam ziemlich eifersüchtig ist, dass Claudine hier lernen darf und sie in der Schule für alle aus Paris und Umgebung stammenden Zaubererkinder?" fragte Millie Catherine.

"Du nicht, aber deine Maman hat mir das vorgestern noch erzählt, als Miriam und Claudine noch mal zusammen bei uns waren und sie da ziemlich streng zwischengehen musste, weil Miriam sich wohl darüber aufgeregt hat, dass Claudine nach Millemerveilles darf und sie, deine kleine Schwester, nicht nach Millemerveilles durfte", sagte Catherine mit einem gewissen Lächeln.

"tja, und das nur, weil Miriam so leichtsinnig war, Ma und Pa zu sagen, sie könnte ja dann gleich bei uns im Apfelhaus wohnen bleiben, wenn sie hier zur Schule gehen dürfte", erwiderte Millie.

"deine Ma hat sowas erwähnt, Millie. Aber jetzt ist es eh durch. Claudine lernt hier und Miriam in der École Dixlunes, wo Babette gelernt hat. Apropos Babette, Julius, sie hat mir geschrieben, dass sie heute ihren ersten Tag bei Professeur Auguste Lepont hatte und da schon mal zehn Bonuspunkte erhalten hat, weil sie deine kurze Beschreibung der wichtigsten Computerbestandteile so gut zusammenbekommen hat. Lepont hätte ihr womöglich sogar zwanzig Punkte gegeben, wenn er nicht wüsste, dass Babettes Vater mit diesen Geräten zu tun hat und sie einen Zauberer kennt, der sowas auch schon mal im Unterricht beschrieben hat. Das hat sie ein wenig missgestimmt. Aber zehn Bonuspunkte zu haben gefällt ihr immer noch besser als zehn Strafpunkte wegen unzureichender Beteiligung abzubekommen, schreibt sie. Das sei nämlich Jacqueline Richelieu passiert, weil sie wohl keine Lust hatte, noch einmal zusammenzuschreiben, was sie über die wichtigsten Gerätschaften der nichtmagischen Welt wisse. Babette hat sich sogar bereiterklärt, in drei Wochen ein mehr als eine Stunde dauerndes Referat über Computer und elektronische Fernverständigungsgeräte zu halten, weil die ja in der nichtmagischen Welt so wichtig sind." Julius empfand das als einen Wink mit dem Zaunpfahl, dass Babette womöglich von ihm was wissen wollte, wie sie das Referat für ihre Klasse hinbekommen konnte. Immerhin durften sich Schüler, die ein Referat halten wollten, ja aus allen ihnen verfügbaren Wissensquellen bedienen, sofern sie diese in der geschriebenen Version genau angaben.

Wie es üblich war lud der amtierende Dorfrat für gesellschaftliche Angelegenheiten die Eltern der gerade neu eingeschulten zu einer kleinen Feier ein, um miteinander diesen so wichtigen Tag zu begehen. Deshalb konnte sich Catherine, die ohne Joe angereist war, nicht länger mit den Latierres unterhalten.

"Ich verstehe Joe nicht, dass er nicht mit Catherine und Claudine zusammen rübergekommen ist. Eine Einschulung ist doch auch für Väter wichtig", sagte Millie, als sie mit Julius ins Apfelhaus zurückkehrte, wo Aurore, Chrysope und Clarimonde von Béatrice beaufsichtigt wurden.

"Ich habe es mitbekommen, dass Madame Dumas ihm versichert hat, dass er bei der Einschulung von Claudine ausdrücklich erwünscht und willkommen ist, anders als bei denen von Dixlunes, die nur magische Elternteile bei der Einschulung dabeihaben wollten", erwiderte Julius darauf. "Joe ist da wie ein Computer. Fehlerhafte Eingaben bleiben solange gespeichert, bis jemand sie löscht." Millie grinste darüber und meinte: "Könnte nur sein, dass du dann mehr mit Claudines weiterer Erziehung zu tun kriegst als Joe, falls sie meint, jeden Mittag zu uns rüber zu kommen."

"Neh, ich glaube, das hat Catherine ihr schon klargemacht, dass sie im ersten Schuljahr keinen Nachmittagsunterricht hat und deshalb gleich nach der Schule von ihr abgeholt wird, was für Catherine auch nicht mal eben so leicht ist, wo sie gerade sozusagen in Bereitschaft ist, ob mal wieder irgendwas durch die dunkle Welle angeregtes auftaucht und Ärger macht. Sie meinte sogar, dass das mit Ladonnas Ring nur deshalb passieren konnte, weil da wohl jemand lange Finger gemacht hat und das Ding nicht wie vorgesehen irgendwem gemeldet hat. Sowas möchte sie nach Möglichkeit nicht noch einmal haben."

"Wer will sowas schon haben?" grummelte Millie. "Zumindest können wir demnächst was machen, das Millemerveilles hoffentlich wieder sicherer macht." Dem konnte Julius nur beipflichten.

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Es begann kurz vor dem Morgengrauen des 29. August 2003. Dieser Tag solte, wenn alles gelang, ein weiterer Tag in der abwechslungsreichen Geschichte Millemerveilles werden. Zumindest hoffte der geistige Vater von Madrashainorian, dass das Wissen des mit Madrashmironda gezeugten Wesens ihm auch wirklich beistehen würde. Die neugepflanzten Bäume hatten jetzt mehr als eine Mondphase lang natürliches Sonnenlicht genossenund ihr natürliches Wachstum gefunden. Nun konnte er das angehen, was ihm Ammayamiria empfohlen und geraten hatte.

Julius trug das aus einem einzigen Marmorblock gehauene halbkugelförmige Gefäß vor sich her, während er mit seinem Zauberstab und leisen Formeln der alten Erdmagie einen Zugang zu den noch bestehenden Gängen aus Sardonias Zeit freigrub. Die bewegten Erdmassen wurden auf einen als Ziel festgelegten Hügel geschafft. Wenn gelang, was er und seine Mitstreiter vorhatten, so konnte er den gerade entstehenden Durchstich wieder verschließen.

Er brauchte nur eine Minute, bis er den noch bestehenden Gang fand und mit anderen Erdzaubern festgestellt hatte, dass der Gang noch stabil war. Dann mentiloquierte er seiner Frau, dass er den Durchgang erreicht hatte. Er brauchte kein Licht zu machen, weil er eine von Florymont Dusoleil hergestellte Nachtsichtbrille trug. Dank des ihm als Madrashainorian vermittelten Gespürs für den Verlauf der Erdmagnetfeldlinien brauchte er keinen Kompas und auch kein Navigationsgerät. Er steuerte den Raum an, in dem früher ein mächtiger dunkler Quellstein Sardonias gelegen hatte. Diese Kaverne war am 24. Juni zusammengebrochen. Doch für einen Vertrauten der Erde war das kein Akt, die Trümmer zu beseitigen, ohne welche nachrutschen zu lassen. Hier wollte er nun den Fokussierglobus hinstellen. Dazu hatte er in die Marmorschale Runen für Aufgang und Geburt, Mittag und Wachstum, Abend und Zeugung und Mitternacht und Reifezeit eingraviert. Es galt, die Schale so auszurichten, dass die für Morgen und Geburt stehenden Zeichen genau nach Osten wiesen. in zehn Minuten würde die Sonne aufgehen. Dann musste er den ersten von fünf Zaubern sprechen, um das Khaulai nannurupangimadrai, das Lied von der starken Mutter Erde, zu beginnen. Dann musste er bis zum Mittag ausharren, um den auf den Mittag und Süden bezogenen Zauber zu singen, dann noch am Abend und zur Mitternacht. Schließlich galt es noch, senkrecht auf die in der Schale liegende Kugel zu deuten, um den entscheidenden Zauber, die Verbindung zwischen ihm und dem Schoß der Erde, auszusprechen.

"Ich bin in Position und habe die Schale mit der Kugel ausgerichtet", mentiloquierte Julius über den Herzanhänger mit seiner Frau, die mit den Dusoleils, Maria Valdez und Blanche Faucon im Apfelhaus wachte.

"Gut, ich geb dir das Zeichen, wenn der erste Sonnenstrahl zu sehen ist, Monju", mentiloquierte Millie. Julius bestätigte es.

Laut seiner Weltzeituhr dauerte es nur noch acht Minuten, bis Millie "Erster Sonnenstrahl!" übermittelte. Julius bestätigte und sang nun laut und vernehmlich genau aus östlicher Richtung Zeilen aus der Erdmagie des alten Reiches, in denen er das Erwachen neuen Lebens aus dem Schoß der Erde im Lichte des erwachenden Himmelsfeuers einflocht. Ebenso sang er von sprießendem Gras, von schlüpfenden Vögeln und von der Geburt seiner eigenen Kinder, wobei er sich die Bilder von Aurores und Chrysopes Geburt ins Gedächtnis zurückholte. Er wiederholte die Zeilen insgesamt viermal ganz langsam. Jedesmal spannte sich ein erst dunkelroter, dann oranger und dann hellgrüner Lichtbogen von seinem Zauberstab zur Marmorschale. Von dieser aus sprangen leise knisternd rote und grüne Funken auf die außen golden beschichtete Metallkugel und wurden darin eingesogen. Als er die Vierte Wiederholung mit den dabei im Kopf aufsteigenden Bildern hinbekommen hatte stieß er noch ein melodisch klingendes "Kanutarla Madraiu" aus, was hieß: "So hüte dies Große Mutter. Daraufhin spannte sich genau aus östlicher Richtung von der Schaleninnenseite ein rot-grün flimmernder Lichtbogen zur Metallkugel. Dieser magische Übertragungsvorgang dauerte eine Minute. Dann kehrte die Dunkelheit in die Höhle zurück. Julius fühlte, wie bereits aus der Erde etwas unter seinen Füßen hindurchströmte, langsam, aber deutlich pulsierend.

Er hatte Catherines Warnung wohl beherzigt. Deshalb hatte er mit Camille und Adrian ausgemacht, dass wenn er etwas feindliches herankommen fühlte einen Coderuf an Camille aussandte und diese dann mit Adrian sofort bei ihm apparieren würde. Falls Ullituhilia ihn heimsuchen wollte konnten die beiden sie sicher mit ihren Heilssternen verjagen. Bei Anthelia würde vielleicht auch ein Heilsstern reichen.

Er fühlte das Pulsieren der von ihm geweckten Erdmagie schwach aber regelmäßig, als hebe und senke sich der Boden um eine Winzigkeit. Um hier auszuharren hholte er einen verkleinerten Stuhl aus der mitgebrachten Federleichttasche, in der er auch die Schale und die klatschergroße Metallkugel befördert hatte. Außerdem hatte er mit Béatrices Erlaubnis noch genug Wachhaltetrank eingenommen. Mit der Nachtsichtbrille auf der Nase vertrieb er sich die Zeit mit Büchern, die er in seinem Brustbeutel mitgebracht hatte. Zwischendurch aß er einen Sättigungskeks, der ihn für einen ganzen Tag satt halten würde.

Als es Mittag war meldete sich Millie, dass die Sonne nun ganz im Zenit stehe. Das hatte sie mit einem Feuerzauber festgestellt, der die stärkste Kraft der Sonne anzeigen konnte.

Unverzüglich sprach Julius von Süden her die nächsten Zauberzeilen, die die nährende Mutter Erde priesenund stellte sich dabei weidende Latierre-Kühe wie Temmie vor, wobei ihm ein warmer Schauer aus dem Kopf durch den Zauberstabarm floss und wie Temmie die kleine Clarabelle säugte. Dabei musste er auch daran denken, dass sie ihm ebenfalls einmal unmittelbar von ihrer Milch abgegeben hatte, um ihn vor der Erschöpfung zu bewahren, damit er nicht in den Bann der schlafenden Schlange geriet. Laut Madrashainorians Lehrern musste er sich aber auch jagende Raubtiere vorstellen. Hierfür nahm er Bilder von Goldschweif und Sternenstaub, wie sie hinter Ratten und Mäusen herjagten. Dabei sang er die betreffenden Zeilen über die Notwendigkeit, Leben für Leben zu geben, doch dabei auch immer Leben aus Leben zu schöpfen. Auch diesen Teil des Rituals wiederholte er viermal. Dabei spannte sich bei den Gedanken und Texten zu weidenden Tieren ein grasgrüner Lichtbogen, und bei jagenden Raubtieren ein blutroter Lichtbogen von seinem Zauberstab zur Marmorschale. Wieder beendete er die letzte Wiederholung mit dem Ausruf "Kanutarla Madraiu!" Wieder spannte sich für eine volle Minute ein grün-rot flimmernder Lichtbogen. Aus der Schale drangen Funken in die glänzende Metallkugel ein. Diesmal meinte er, ein anderes Pulsieren der Erde zu spüren, das wahrhaftig etwas schneller und stärker von Süden her kam. Doch auch das sanfte Pulsieren aus dem Osten blieb. So sollte es sein, wusste er aus der Ausbildung seines zweiten Ichs.

Erst als kein Lichtbogen mehr zu sehen war mentiloquierte er: "Ich hoffe, dass ich euch nicht sofort herrufen muss. Im Zweifellsfall wende ich den Feindesvertreibezauber an, wenn was hier hereinkommt, was hier nicht hingehört."

"Maribel ist ja auch bei uns. Marisol und Rorie spielen im Garten", schickte ihm Millie zurück.

"Ich kann ihr zeigen, wo du bist, wenn es schnell gehen muss", hörte Julius Temmies Gedankenstimme in sich. Er bedankte sich bei ihr.

Um sich die Zeit zu vertreiben übte er auf einer der aus der verborgenen Stadt mitgebrachten Flöten Lieder, die Madrashainorian mit seiner Angetrauten gespielt hatte. So konnte er sich auch in der für einen mächtigen Erdzauber nötigen Stimmung halten und genoss die Akustik in der freigeräumten Höhle, die er, wenn alles so klappte wie er hoffte, mindestens einen Tag nach der Vollendung aller Zauber mit Erdhärtungszaubern verschließen würde, damit hhhier niemand mehr ohne weiteres eindringen konnte.

Zwischendurch schickte ihm Temmie Bilder aus Millies Sinneswelt, so dass er seine Kinder, Camilles Tochter Chloé und Maribels Tochter Marisol spielen sehen konnte.

"Du wolltest den Moment, wenn die Sonne halb untergegangen ist, Monju. Wenn ich das richtig mitgekriegt habe ist das in fünf Minuten soweit", bekam er von Millie die Nachricht. Er ärgerte sich, dass er das nicht selbst nachprüfen konnte. Doch solange das Lied der starken Muttter Erde nicht vollständig gesungen war durfte er keine Zauberstabbezogene Magie verwenden.

"Monju, die Sonne berührt jetzt den Horizont!" schickte ihm Millie. Wie zur Bekräftigung sah Julius vor seinem inneren Auge die orangegelb gleißende Sonnenscheibe genau zwischen den westlichen Bäumen des Apfelhausgartens. Julius dachte daran, dass durch die Streuung in der Luft der optische Horizont ein halbes Grad über dem mathematischen Horizont lag. Wenn die Sonne also halb versunken war, dann war sie in Wirklichkeit schon unter dem mathematischen Horizontversunken. Dann musste er die Textzeilen von der neuen Zeugung zwischen Mutter Erde und Vater Himmelsfeuer singen und das so oft, bis der letzte Sonnenstrahl verglüht war. Da Millie einen besonderen Feuerzauber für Sonnenlichtunempfindlichkeit konnte würde sie ihm sagen, wann der letzte Sonnenstrahl verglüht war.

Er sang nun mit echter Leidenschaft von der Vereinigung zwischen Vater und Mutter, um neues Leben zu erschaffen, wobei er leidenschaftliche Liebesakte zwischen Millie und sich selbst, aber auch Madrashainorian und Ruashanormiria vor sein geistiges Auge rief. Das wiederholte er nun so oft, bis Millie ihm: "Sonne weg!" dazwischenmentiloquierte. Wieder rief er "Kanutarla Madraiu aus. Wieder flimmerte ein grün-roter Lichtbogen, der aber jetzt noch heller war. Diesmal meinte Julius, auf einem sich in wogenden Rhythmen hebenden und sinkenden Schiff zu sitzen. Dann war auch dieser Abschnitt erledigt. Wieder wurde es um ihn herum dunkel.

Julius fühlte die Kraft, die nun aus drei Richtungen in das Marmorgefäß und durch dieses in die Metallkugel strömte. Wenn er jetzt einen Fehler machte konnte alles um ihn herum zusammenstürzen oder in alle Richtungen explodieren wie von mehreren hundert Kilogramm TNT gesprengt. Doch er war sehr zuversichtlich, dass er bisher alles richtig gemacht hatte, sowohl was die Bewegungen, die Wortmelodie, die Wörter selbst und die dazu im Geist entstandenen Bilder anging.

Kaum hatte er diesen Ritualteil beendet fühlte er es, mehrere von Norden her anbrandende Wellen aus fremder Erdmagie, drei klar unterscheidbare Quellen. Julius erstarrte. Er kannte nur zwei, die ... Da fuhren sie auch schon vor ihm aus dem Boden heraus, drei Kobolde in mit Edelsteinplatten gepanzerten Rüstungen mit silbernen Schwertern in den Händen.

"Was soll das denn werden?" schnarrte einer der drei bewaffneten Kobolde.

"Wonach sieht's aus, Monsieur?" fragte Julius zurück.

"Sie machen hier mit starken Erdkräften herun. Wozu das bitte? Wollen Sie uns einsperren oder niedermachen oder was?" fragte der Kobold.

"Ich mache hier einen Schutzzauber, damit auch Sie und Ihre Kollegen hier in Millemerveilles nicht von dunklen Kräften bedroht werden", sagte Julius nun ganz ruhig, auch wenn gleich drei scharfe Schwerter, die an japanische Katana erinnerten, auf ihn gerichtet waren.

"Sie hören sofort auf damit, oder wir müssen Sie mit Gewalt stoppen", sagte der eine Kobold. Julius wusste, dass er im Moment keinen weiteren Zauberstabzauber ausführen konnte. Er nicht.

"Sofort zurück! Monsieur Latierre hat die ausdrückliche Genehmigung des Dorfrates von Millemerveilles in Übereinstimmung mit den Rechten aller Zauberer auf Verteidigung ihres Landes!" rief unvermittelt Camille Dusoleil, die zusammen mit Adrian in der Höhle appariert war.

"Erst wenn er uns erzählt hat, von wem er das gelernt hat. Wir haben Grund zur Annahme, dass koboldfeindliche Zauberstabschwinger uns bedrohende Zauber erlernt haben, um unsere Eigenständigkeit oder gar unser Dasein zu beenden. Er soll erklären, von wem er diese Zauber gelernt hat", schnarrte einer der drei bewaffneten Kobolde.

"Jungs, ich wüsste das auch ganz gerne. Aber der wird's nicht sagen, und ihr verschwindet wieder, bevor uns und euch alles um die Ohren fliegt, vor allem um eure Spitzohren", sagte Adrian Moonriver und holte seinen Silberstern unter dem Umhang hervor.

Einer der Kobolde trat näher an die Marmorschale und babbelte was in Koboldsprache. Dabei hob er sein Schwert. Da traf ihn von Adrian her ein silberblauer Strahl und schloss ihn in eine silber-bläuliche Sphäre ein. Diese stieg einen Halben Meter nach oben und verharrte. Die zwei anderen Kobolde sprangen vor und wollten wohl mit den Schwertern zuschlagen. Doch diesmal traf sie der silberblaue Lichtstrahl zusammen und schloss sie in eine einzige große Sphäre ein, die nach oben stieg, dabei die andere berührte und mit dieser zu einer großen Sphäre verschmolz, die nun alle drei Kobolde einschloss.

"Im zweifelsfall geht eben das", knurrte Adrian und deutete auf die Schale. "Ich hoffe, ein wenig Luftmagie hat deinen Zauber nicht vermurkst", meinte Adrian und grinste Jungenhaft, während die drei eingeschlossenen Kobolde wie aus einem geschlossenen Schrank heraus wild durcheinanderschrienund versuchten, die Sphäre um sich mit ihren Schwertern zu zerschlagen. Doch die Klingen federten wie von einer straff gespannten Gummihaut zurück und trafen fast die jeweils benachbarten Kameraden.

"Ich darf erst wieder was anderes zaubern, wenn ich das ganze Ritual durchlaufen habe", sagte Julius. "Da sag noch mal, ich könnte sachen, die du nicht kannst, wo das da für mich bis jetzt komplett unbekannt war", sagte Julius auf die bläulich-silberne Blase deutend, in der die Kobolde nun wild herumkullerten und versuchten, sich den Weg freizuhacken oder zu stechen.

"Eine Mischung aus Mond- und Windmagie, supergeeignet gegen erdgebundene Zauberwesen und solange wirksam, wie kein Sonnenlicht über den Horizont schimmert", grinste Adrian. Camille deutete auf die Schale. "Ich spüre, dass hier eine starke Magie pulsiert. Dann hat es bisher geklappt?" fragte sie. Julius bejahte es und horchte in sich hinein. Ja, er fühlte die drei von ihm beschworenen Kraftströme pulsieren. Der von ihm gewirkte Zauber war trotz der durch die Erde herbeigerasten Kobolde noch in Kraft.

"Ey, rauslassen, aber sofort!" brüllte der eine Kobold, der Julius schon angesprochen hatte. Die Antwort Adrians war ein Wort, dass weder Camille noch Julius kannten, dass die Kobolde aber sichtlich zusammenfahren ließ. Dann sprach Adrian weiter in der Koboldsprache. Die drei Schwertkämpfer wurden sofort ruhiger.

"Ich hätte mir den Allversteher anhängen sollen", dachte Julius an Millies adresse. Denn die hatte ja wohl die beiden zu ihm geschickt.

"Och, den habe ich an, weil Temmie was von kleinen Erdwesen erzählt hat und mich sozusagen in deine Sinneswelt eingeflochten hat", dachte sie zurück. "Adrian hat erst das Bannwort aller Kobolde gesprochen, dass nur herrschende Kobolde lernen dürfen. Dann hat er ihnen befohlen, im Namen der Erde und ihrer Gebeine friedlich zu bleiben oder bei Sonnenaufgang im Schoß der steinernen Urmutter zu versinken."

"So, die bleiben jetzt erst mal friedlich, Julius", grinste Adrian Moonriver. "Und wenn noch welche kommen kann ich die auch noch in die Hülle des Mondwindes einschließen."

"Den lernt aber keiner in Beauxbatons oder Hogwarts", sagte Julius. Camille nickte. "Also hast du auch Zugang zu Zaubern, die sonst keiner kennen muss. Wir sind quitt", legte er nach. Adrian blickte ihn verdrossen an. Dann sagte er: "Ich kenne Quellen, aus denen ich auch was vom alten Wissen geschöpft habe. Erbschaft und gute Beziehungen. Aber mehr musst du nicht wissen, solange du deine Geheimnisse krämerst und die drei Spitzohren da in der blauen Murmel mithören können. Die dürfen wissen, dass es Zauber gibt, um sie festzusetzen und dass ich denen was befehlen kann, was die unbedingt machen müssen."

"Musst du allein sein, um den letzten Abschnitt zu machen?" fragte Camille.

"Hmm, eigentlich ja, weil die Kraftströme auf meine Lebensaura geprägt sind, sobald ich die betreffenden Teilzauber gesprochen habe."

"Gut, dann müssen wir die drei da mitnehmen und am besten klarstellen, dass euer Goldtänzer hier das zu Ende kriegt, was er angefangen hat", sagte Adrian. Dann wandte er sich noch einmal an die Kobolde. Wieder sprach er jenes Wort, dass sie zusammenfahren ließ. Dann befahl er den Kobolden wieder was. Sie ließen ihre Schwerter los. Die schwebten wie im freien Weltraum. Dann zielte Adrian mit seinem Zauberstab auf die große Sphäre und murmelte einige Wörter. Es ploppte laut, ein kalter Windstoß fegte durch die Höhle, und die Sphäre war erloschen. Die Kobolde plumpsten auf den Boden. Ihre Schwerter landeten klirrend zwischen ihnen. Dann stampften sie mit denFüßen auf und verschwanden blitzartig im Boden, der danach unversehrt und koboldfrei zurückblieb.

"So, die geben das jetzt an ihren Hauptmann vom Gringotts-Sicherheitstrupp weiter, dass der Dorfteich bis auf weiteres nicht zugänglich ist. Wir zwei sollten morgen mit dem Direktor von denen und dem Hauptmann der Sicherheitstruppe reden, dass wir keinen Krieg mit ihnen anfangen wollten", sagte Adrian. Julius verstand. "Öhm, werden sich die anderen Kobolde denn daran halten?" fragte er.

"Ich habe denen gesagt, dass sie das weitergeben sollen, das jeder Kobold, der hier nicht erwünscht ist, sofort erstarren und in den feurigen Schoß der Erde hinabstürzen wird, weil ich ein Bote von Erde und Wind bin."

"Dannhoffe ich mal, dass die sich dran halten", sagte Julius.

"Gut, wir kommen dann mit den beiden anderen Damen wieder, wenn deine rotblonde Herzenshexe uns mitteilt, dass du entweder alles hinbekommen oder doch noch Murks gemacht hast."

"Also, wenn ich doch noch auf dem letzten Meter Murks mache kriegt ihr das wohl nicht mehr mit, weil ich das dann wohl auch nicht mehr mitbekomme. Bei der gerade hier zusammenfließenden Erdmagie habe ich sicher keine Sekunde mehr zeit, zu erkennen, was genau passiert", erwiderte Julius.

"Ui, dann sollten wir besser solange auf Abstand gehen, Camille", sagte Adrian. "Das finde ich auch", sagte Camille und ergriff Adrians Arm. Sie verließen die Höhle zu Fuß. Erst einige Meter vom Zugang entfernt disapparierten sie mit scharfem Knall.

"Diese kleinen Spitzohren hätten mir fast noch den Tag versaut", dachte Julius. Zumindest war er erleichtert, dass die Hilfstruppe so schnell bei ihm angekommen war.

"Ich habe Clarimonde noch mal unter den Umhang schlüpfen lassen und ihre großen Schwestern mit dem Zauberschlaf belegt, der sie bis morgen früh durchschlafen lässt", schickte Millie zurück. Julius bestätigte es.

"Julius, wenn eine der beiden wirklich gefährlichen herkommt musst du den kurzen Weg gehen. Gegen die vaterlose Tochter hilft dann wohl nur die ganze Kraft Ashtarias", mengte sich Temmies Gedankenstimme in seine Gedanken ein.

Millie unterhielt ihn noch mit kurzen Schilderungen, wie sich die drei Heilssternträger im großen Eingangs und Festraum hinter der Haustür unterhielten. "Camille hat da weitergemacht, wo du aufgehört hast, Julius. Sie hat Adrian klargemacht, dass er abssolut keinen Grund und somit kein Recht hat, dir Geheimniskrämerei vorzuwerfen, wo er selbst so viele Sachen kann, die ihm mehr Macht geben als den meisten anderen und dass Ashtaria keinen Neid zwischen ihren Kindern zulassen würde und du ja eindeutig eins von ihnen bist. Ui, die kann ja richtig streng gucken, unsere grüne Gartenfee."

"Frag mal Auroras Bild-Ich. Dessen Original hat mal mitbekommen, dass Camille richtig wütend wurde und einen italienischen Kräuterkundler aus einer von ihr organisierten und geleiteten Konferenz gefeuert hat, weil der irgendwie voll gefährlich und unverantwortlich mit Pflanzen rumgepfuscht haben soll. Und dass sie sehr viel Energie hat habe ich immer schon gefühlt", mentiloquierte Julius. "Das könnte durch die von VM aufgeladene Schwangerschaft sogar noch heftiger sein", fügte er hinzu.

"Oh, wohl wahr, Monju. Die staucht den gerade voll zusammen. der hat zwar erst versucht, dagegen anzuknurren und anzubellen wie ein aus dem Schlaf geweckter Hund. Aber die hat ihn ohne schrill zu werden übertönt. Jetzt ist da unten Ruhe, und unsere ganz junge Prinzessin kann sich nun gelassen satttrinken."

In den nächsten Stunden umschritt Julius die Marmorschale um sich wachzuhalten und um seinen Magnetlinienspürsinn zu üben. Denn gleich musste er sich genau im Norden der Schale hinstellen und aus dieser Richtung den vierten der fünf Zauber wirken. Gelang dieser auch, dann konnte er den alles entscheidenden Zauber aussprechen. Millie fragte ihn einmal, warum er sich eben so anregende Gedanken gemacht hatte, als die Sonne unterging. "Weil ich da an neues Leben durch Zeugung denken und mir entsprechende Handlungen vorstellen musste. Wenn eine Erdmagierin und ein Erdmagier das Ritual zusammenwirken könnten sie bei dem Teil sogar echten Sex haben, um die entsprechende Kraft in den Zauber zu laden. Gleich muss ich mir noch wachsendes neues Leben im Mutterleib und tragende oder brütende Tiere vorstellen. Das geht auch ganz gut. Wichtig ist dabei, dass ich die richtige Sprechmelodie draufhabe und die Wörter in der richtigen Reihenfolge singe."

"Das wird dir garantiert leichtfallen", erwiderte Millie.

Die Zeit verging mit Warten. Dann endlich war es so weit.

"Die Sonne steht am tiefsten", vermeldete Millie. Julius straffte sich und sang nun die vom Norden aus zu wirkenden Zauberzeilen, wobei er die Fruchtbarkeit und Duldsamkeit der tragenden Mutter und die Beharrlichkeit auf Nachwuchs wartender Geschöpfe besang. Er stellte sich zunächst das reifende Leben im Mutterleib vor, was wegen Madrashainorians Erinnerungen wunderbar klappte. Dann dachte er sich sowohl Millie mit Aurore, Chrysope oder Clarimonde im Bauch und Madrashainorians Liebes- und Lebensgefährtin, die ja bei ihrer ersten Schwangerschaft Zwillinge getragen hatte. So konnte er sich auch Jeanne und Sandrine vorstellen, als sie Zwillinge erwartet hatten und immer wieder ein brütendes Feuerrabenweibchen auf vier orangeroten Eiern. DiesenZauber wiederholte er viermal und beendete die Ausführungen mit dem Schlußbefehl "Kanutarla Madraiu!"

Diesmal hörte er sogar, wie die Kraft aus seinem Zauberstab in die Marmorschale hineinschoss. Es war ein hellroter, schnell pulsierender Lichtbogen. Und das Geräusch war wie das schnell wummernde Herz eines ungeborenen Kindes. Dann färbte sich die Kugel hellrot, pulsierte selbst. Das Pulsieren hielt sogar an, als der Lichtbogen erlosch und das schnelle Wummern verklang. Julius trat jetzt an die Schale heran und dachte vorsorglich dreimal seine selbstbeherrschungsformel: "Was mich stört verschwinde ..."

Als er sich ganz sicher war, dass er alle störenden Gedanken oder Gefühle aus seinem Geist vertrieben hatte zielte er so lotrecht er konnte von oben auf die hellrot pulsierende Metallkugel. Dann sang er die Zeilen von der Rückkehr in den ewigen Schoß der großen Mutter, vom letzten Abschied von allen unter dem Himmel atmenden und dem Frieden und der Hoffnung, ein Teil des ewigen Lebenskreises zu sein, aus dem immer wieder neues Leben wächst und nach seiner Vollendung in den stillen Schoß der großen Mutter zurückkehrt. Dabei pulsierte die Kugel immer langsamer, bis dann mit einem einzigen rot-grünen aufblitzen das magische licht erlosch. Doch nun summte die Kugel, vibrierte in der Marmorschale, die ähnlich wie der Resonanzkörper eines Saiteninstrumentes das Gefüge aus tiefen Tönen verstärkte. Julius fühlte, wie aus allen Richtungen Kraft in die Kugel floss, die mit den genauen Schwingungszahlen der Töne klang. Julius, der als Freizeitmusiker gelernt hatte, relativ zu hören, konnte nun erkennen, dass die Asiaten wahrhaftig recht hatten. Der Grundton der Erde war ein tiefes G. Darunter klang ein Ton, der nicht in den westlichen Tonleitern bestimmt war und darüber noch vier Töne, die Julius an ein Zusammenspiel von altaxarroischen Bassflöten denken machte. Der Chorgesang der einschießenden Erdkräfte wurde lauter, aber nicht unerträglich. Dann war Julius, als stürze alles um ihn in sich zusammen. Erst dachte er, er habe versagt. Doch dann wusste er, das er alles richtig gemacht hatte. Das Wissen Madrashainorians hatte ihm geholfen, die Metallkugel in der Schale mit der dauerhaften Stärke der Erde aufzuladen. Das Summen und Brummen erstarb. Doch Julius fühlte, dass die Kugel eine starke Aura umgab. Dann fühlte er, wie ein anderer Kraftstoß durch die Erde jagte. Er Fürchtete, dass jetzt doch jemand kam, den er hier lieber nicht haben wollte.

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Sie fühlte es, dass irgendwo jemand die ewigen Ströme der Erde anregte und deren Kraft an einem bestimmten Punkt bündelte. Ullituhilia kannte nur zwei lebende Wesen, die dazu im Stande waren, das Spinnenweib und den jungen, starken Zauberkraftträger, der unter dem Schutz ihrer Mutter stand, weil er ihren Geist aus der Gefangenschaft Errithalaias befreit hatte. Sie lauschte, welcher Art diese Einwirkung auf die ewigen Kräfte der Erde war und erkannte, dass jemand wohl einen Ort oder einen Gegenstand mit dauerhafter Beständigkeit und Bestärkung auffüllen wollte. Sie erfasste nun auch, dass es wahrhaftig der junge Kraftträger Julius Latierre war. Denn der in den sanft an- und absteigenden Kraftflüssen mitklingende Lebenshauch gehörte einem männlichen Zauberkundigen, auch wenn sie fühlte, dass darin auch weibliche Anteile mitschwangen. Die Klangmuster dieser Lebensausstrahlung waren die von Julius Latierre.

Sie fühlte nun auch, wie weit von ihr fort und in welcher Richtung dieser Zauber gewirkt wurde.

Sie hatte gerade nichts zu tun. Ihre Abhängigen gingen den ihnen befohlenen Tätigkeiten nach, und ihre anderen Schwestern hatten sich in ihre eigenen Wohngebiete zurückgezogen. Vor allem Itoluhila und Tarlahilia hatten gerade damit zu tun, dass sie zum ersten Mal in ihrem langen Leben eigene Kinder in sich trugen, wobei das von Itoluhila schon auf eine sehr erheiternde Weise in ihr entstanden war, während Tarlahilia die Pflicht der überlebenden Schwester erfüllte und für Hallitti und Ilithula neue Körper austrug. Sie konnte sogar froh sein, dass sie diese Last nicht aufgeladen bekommen hatte.

"Dann will ich sehen, was du treibst, Julius Latierre", dachte Ullituhilia und konzentrierte sich auf den Ort, zu dem sie wollte. In dem Moment war es, als wenn ein gewaltiger Sturzbach aus erdbezogener Zauberkraft zu diesem Ort hinstrebte. Ullituhilia erkannte nun, dass der Zauber vollendet war. Sie würde da selbst den Strömen der Erde folgen und nicht den kurzen weg gehen, weil der Ort doch weiter von ihr fort lag als sie erst gedacht hatte.

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Er sah die Erscheinung, doch fühlte keine Lebensaura. Er sah nur eine leicht aus sich heraus leuchtende, blassgoldene Gestalt mit dunklem Haar und ebenso aus sich selbst grünblau leuchtenden, kreisrunden Augen. Sie war makellos schön und völlig unbekleidet. An und für sich ein lebender Männertraum, dachte Julius. Doch dieses Wesen da konnte leicht zum schlimmsten Albtraum werden. Doch er fühlte, dass sie nicht wirklich bei ihm war. Sie hatte ihm nur ihre Erscheinung geschickt, eine magische Projektion, vielleicht ihren Astralkörper. Dann öffnete die Erscheinung den Mund und sprach mit ihrer ihm schon wohlvertrauten tiefen Stimme, als flüstere sie ihm in beide Ohren gleichzeitig.

"Ein schöner Verdichtungskörper, Julius Latierre, Sohn der Martha", sagte sie in der alten Sprache, die nur noch ganz wenige lebende Menschen fließend sprechen konnten. "Ich habe es gemerkt, dass du das Lied der starken Mutter angestimmt hast und wusste, dass du das nur tun würdest, um einen sicheren Raum oder einen unzerstörbaren Körper zu erschaffen. So habe ich gewartet, ob es dir gelingt, ihn zu vollenden und auch mitbekommen, dass dir drei Spitzohren entgegensprangen. Hast du die zurückgeschickt? Dann bist du womöglich jetzt ihr Todfeind. Denn sie wissen, dass es jemanden gibt, der ihre Kräfte schwächen und sie damit unterwerfen kann. Aber wenn du einen Verdichterkörper erschaffen hast, dann wohl nur, um ihn mit diesen vielen kribbelnde Auren verströmenden Bäumen zu verbinden, wie? Muss ich das nett finden, dass du mir und anderen, die ihr als eure Feinde anseht, den Weg an meinen Geburtsort verschließen willst? Eigentlich nicht. Doch weiß ich zu gut, dass die Vampirgötzin, die schwarze Rosenkönigin und die wieder aufgewachten vaterlosen Huren genauso zu euch hinkommen möchten, wenn sie das für richtig halten. Also wirkt eure Schutzzauber. Die welt ist groß genug, dass wir uns da draußen immer wieder treffen können, wenn du mich suchst oder ich dich, Vertrauter der großen Mutter. Bring zu Ende, was du begonnen hast und kehre zurück zu deiner Gefährtin und deinen drei Töchtern!"

Julius wolte noch was erwiedern, doch die Erscheinung verschwand in der Erde und zerfloss als kaum spürbarer kurzer Kraftstoß. In dem Moment eilten Camille, Maria, Mildrid und Adrian durch den Zugang herein. Adrian starrte auf den Punkt, an dem eben noch die Erscheinung zu sehen gewesen war. >"War das dieses Spinnenweib?" fragte er verärgert. Julius nickte, sagte aber sogleich, dass es wohl nur eine magische Projektion war, die durch Erdzauberkraft hervorgerufen worden war. Jetzt wusste er auch wieder, dass es einen Zauber gab, der als "Worte aus dem Leib der großen Mutter" bekannt war. Wo ein starker Erdzauber wirkte konnten andere Erdvertraute eine Botschaft hinsenden, die als sichtbare, unbekleidete Gestalt des Absenders und mit dessen Stimme gesprochen bei jedem ankam, der oder die am Ort der gerade gewirkten Erdmagie stand.

"Sie hat gesagt, dass es zwar nicht nett sei, ihr die Tür zu ihrem Geburtshaus vor der Nase zuzuhauen und von innen zuzumauern. Aber sie kapiert, dass wir zu viele Feinde haben, die wir hier nicht reinlassen wollen. Aber wir sollten uns jetzt beeilen, bevor die andere Unheilsbraut als echte Heimsucherin hier auftaucht", sagte Julius. Camille, Maria und Adrian zogen ihre Heilssterne Frei.

Julius hob die Kugel aus der Marmorschale, die unmittelbar danach zu Staub zerfiel. Die Kugel fühlte sich handwarm an. Doch sie pulsierte nicht mehr. "Camille, du zuerst mit dem Wasserzauber, den Ammayamiria erwähnt hat", mentiloquierte Julius. Camille trat vorund berührte mit dem Zauberstab die im Licht von Adrians Zauberstab glänzende Kugel. Dann sang sie Worte, die in der Tonhöhe wie Wellen auf- und abstiegen und die Kräfte des Wassers besangen, dass Leben erhielt und Leben trug und alles damit erfüllte. Die Kugel erzitterte in Julius' Händen und kühlte ein wenig ab. Eine blau-grüne Aura umfloss sie und pulsierte im Rhythmus der gesungenen Zauberformel. Dann erlosch das magische Leuchten. Die Kugel erwärmte sich wieder auf Handwärme.

Nun trat Millie vor. Sie hatte den rubinroten Herzanhänger freigezogen und ließ ihn vor ihrem durch die Mutterschaft noch üppiger geformten Brustkorb baumeln. Sie sang auch ein Zauberlied, dass die Wärme und Lebendigkeit des Feuers und die Kraft der in jedem Wesen langsam glimmenden Glut besang, die das Leben der davon erfüllten und von wärmenden Flammen und ihrem Schein berührten vor dem verzehrenden Feuer feindlicher Gedanken bewahrte. Die Kugel erwärmte sich fast bis zur Unerträglichen Hitze und strahlte eine erst dunkelrote und dann orangegoldene Aura aus, deren Wärme an die Kraft einer aufgehenden Sonne erinnerte. Julius wusste, dass Feuerzauber, die auf einen mit dem Lied der starken Mutter bezauberten Gegenstand gewirkt wurden, viermal so stark wirkten wie bei unbezauberten Gegenständen. Er hielt die Kugel sicher, auch wenn er meinte, dass sie ihm gleich die Hände verbrennen mochte. Dann erlosch das orangegoldene Licht. Die Hitze verebbte. Alle hier fühlten jedoch, dass sie wacher waren als vorher, nicht nur Julius. Offenbar wirkten die zwei bereits aufgeprägten Zauber, die nun solange hielten wie die Kugel selbst, also solange, wie sich die Erde um die Sonne drehte.

"Ich habe einiges von euren Liedern verstanden. Aber die Sprachmelodie hätte ich so nicht hinbekommen", grummelte Adrian. "Ihr habt das von irgendwem gelernt, der oder die noch die uralte Sprache kann. Dann möchte ich dort auch hin, falls einer von euch mir das erlaubt und mir helfen möchte, bei denen gutes Wetter zu machen."

"Hoffentlich klappt der letzte Zauber auch noch", meinte Camille. Maribel, komm du bitte auch. Drei sind besser als zwei, öhm, sofern das nicht zu Stark für die Kugel wird", sagte Camille und winkte der am Tunneleingang stehenden Maria Isabel Valdez.

Die frühere FBI-Agentin aus Jackson, Mississippi schritt langsam auf die kleine Gruppe zu, die sich jetzt um Julius versammelte. Millie hielt sich an Julius rechter Schulter fest. Camille legte ihren Heilsstern auf die Kugel. Das tat auch Adrian. Maria überwand den letzten Meter und legte behutsam ihr silbernes Kreuz auf die Kugel. Da fühlte Julius die starke Kraft und Verbundenheit. Doch gleichzeitig hörte er einen lauten Wutschrei: "Nein, ihr Unrat!"

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Sie fühlte es, wie das, was Julius gewirkt hatte mit weiteren Kräften vereint wurde. Es war sicher die richtige Idee gewesen, ihm nur eine Botschaft zu schicken. Denn garantiert würden die nun in der Höhle zusammengetretenen Silbersternträger ihre Erbstücke zeitgleich aktivieren und die daraus hervorschießende Lebensmagie in die Kugel hineinjagen, damit diese sie bündeln und verstärkt wieder abstrahlen und die ganzen damit schon bezauberten Bäume zum Glühen und singen bringen sollte. Dann fühlte sie, dass nicht nur sie die alte Erdmagie gespürt hatte. Nur hatte die andere wohl gebraucht, die Kraftströme mit einem einzigen Punkt in Verbindung zu bringen, wo sie ja schon längst gewusst hatte, wohin sie reisen musste, als der zweite Teil des Liedes angestimmt worden war. Jetzt wurde es sicher spannend, dachte Anthelia/Naaneavargia.

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"Alaishadui Siri,
Alaishaduan a sogaharan Iri.
U Alaishaduim Godiri,
san Arwoxaran Laishandan Miri!"

Aus drei Mündern erklang diese mächtige Formel. Drei Heilssterne Ashtarias erwachten zur vollen Kraft und vereinten diese. Sie leuchteten jedoch nicht selbst, sondern die von ihnen berührte Metallkugel erstrahlte so weiß und hell, dass eigentlich jeder hier hätte blind werden müssen. Doch die Macht des Lebens wirkte der Blendkraft entgegen. Dann hörte Julius wieder diesen lauten Wutschrei: "Nein, ihr Unrat aus dem Schoß einer .... Aaaaar!" Der letzte, langgezogene Laut war purer Schmerz. Und jetzt erkannte Julius, dass sie alle nicht mehr standen, sondern im Zentrum einer rot-goldenen Lichtkugel schwebten. Die Kugel in Julius Händen strahlte Heller als dieses Licht. Doch von diesem strömte ihnen Wärme und Geborgenheit zu. Dann hörten sie eine raumfüllende Stimme: "Geh, Ullituhilia, Tochter des schwarzen Felsens. Du bist hier nicht erwünscht!" Das war die Stimme Ammayamirias, erkannte Julius. Er hatte erst gedacht, Ashtarias Astralkörper heraufbeschworen zu haben. Doch es war Ammayamiria, die ihn, Camille, Maria, Adrian und seine Frau Mildrid umfangen hatte.

Ein lauter Schrei aus Schmerz und Enttäuschung drang von außerhalb der rotgoldenen Lichtkugel zu ihnen herein. Dann erfolgte etwas wie ein dumpfer Donnerschlag. Danach meinten sie, dass die sie umschließende Sphäre oder aus purer Lebenskraft bestehende Leibeshöhle sanft schaukelte. Die Kugel erstrahlte immer noch im weißen Licht. Nun wurde die rotgoldene Sphäre etwas durchsichtiger. Was die darin eingeschlossenen nun sahen war selbst für sie, die sie schon mächtige Zauber miterlebt hatten, was ganz unerwartetes und neues.

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"Oha, da war aber jemand ganz wütend", dachte Anthelia/Naaneavargia schadenfroh. Sie hatte es beinahe körperlich gefühlt, wie die Tochter des schwarzen Felsens - nur die konnte das gewesen sein - von einem heftigen Schlag getroffen in die Erde hinabgestoßen und davongeschnellt wurde. Doch nun musste sich Anthelia/Naaneavargia selbst abschirmen, weil eine unbändige Geistesmacht auf ihr für fremde Gedanken empfindliches Bewusstsein einwirkte. Dann sah sie durch ihr Nachtsichtfernrohr, wie etwas großes, rotgoldenes aus dem Dorfteich emporschnellte und mit Schritten so lang wie zwei ausgestreckte Drachen durch das nächtliche Millemerveilles eilte. Anthelia konnte im Inneren der rotgoldenen Erscheinung ein helles, weißes Licht erkennen und die davon durchdrungenen, wie blanke Skelette aussehenden Menschenwesen.

Die Erscheinung schritt ohne Laut und ohne Fußspuren durch die Nacht. Vor ihr erstrahlten Bäume im selben rotgoldenen Licht. Sie berührte sie nacheinander. Dabei spann sich ein weißgoldener Lichtstrang von jedem der Bäume und landete in ihren Händen, die jede für sich zwei ausgewachsene Menschen zugleich hätten umschließen können. Anthelia hatte noch den aus Blutgeisternvereinten Körper von Sardonias Rachegeist im Gedächtnis. Diese Gigantin da war vielleicht nur halb so groß, doch ungleich stärker und vor allem erwünscht. War das Ashtariaa selbst? Anthelia/Naaneavargia traute sich nicht, ihren Geist wieder zu öffnen. Zu schmerzvoll war die auf sie eingestürmte Kraft. Eine Erscheinung, wohl aus dem Geist der Beschwörer vereint und gestärkt, schritt nun durch das schlafende Millemerveilles. Niemand hier schien diese rotgoldene Riesenfrau zu bemerken.

Überall dort, wo mindestens ein rotgolden aufleuchtender Baum stand, berührte die Unglaubliche ihn und nahm dabei einen weiteren Faden mit. So knüpfte sie langsam aber beharrlich ein eerst weit- und dann immer engmaschiger werdendes Netz, verknotete die Fäden und verband die Bäume.

Anthelia, die nur zweihundert Meter vom Dorfteich entfernt postiert gewesen war, zog sich langsam zurück, erst nach hinten und dann nach oben. Denn irgendwas in denLichtsträngen drängte sie erst behutsam, dann immer entschlossener zurück.

Immer dichter wurde das Netz aus rotgoldenen Fäden. Dass das niemand von den Dorfbewohnern mitbekam wunderte die Beobachterin, die irgendwie immer mehr den Eindruck hatte, dass etwas sie immer weiter zurückdrängte. Nun sah sie auch, dass die Unglaubliche sich in immer weiter ausgreifenden Spiralen durch das Dorf bewegte. Sie spann ein Radnetz aus magischen Lichtsträngen. Dann würde sie auch an die kleinen Begrenzungsbäume gelangen und diese ebenso mit ihrer Kraft anregen. Sollte sie die vorsorglich niederhauen? Sie hatte das Schwert Yanxothars bei sich, weil sie ja auch mit Ullituhilia oder den Dienern der Vampirgötzin gerechnet hatte. Doch dann verwarf sie diesen Gedanken. Eben wegen dieser Götzinnenbrut sollte sie den hier lebenden Zauberern und Hexen einen sicheren Rückzugsort gewähren. Sicher tat es ihr weh, wieder aus Millemerveilles ausgesperrt zu sein, dem Ort, wo Anthelia die schönsten Jahre ihres Lebens verbracht hatte. Doch Naaneavargias Anteil sagte ihr, dass nach dem Versinken Altaxarrois ein neuer Hort der hohen Kräfte entstehen sollte, von wo aus Hexen die Welt umgestalten konnten. Sie würde sich einen eigenen Herrschersitz schaffen. Ja, die Idee war nicht schlecht, auch Tyches Refugium zu einem Bollwerk gegen ihre Feinde zu machen. Denn das Lied der starken Mutter konnte sie genausogut wie Julius Latierre. Ja, genau das war jetzt richtig. Da hätte sie schon längst drauf kommen müssen. Aber bisher hatte sie gedacht, dass es nicht nötig war. Dann fiel ihr noch ein, dass ja auch die Sonnenkinder ihren Rückzugs- und Wohnort hatten. Dann muste sie auch sowas schaffen, vor allem, falls die mal eben aus dem Dorf geschleuderte Abgrundstochter meinte, sich an irgendwem rächen zu müssen.

Nun fühlte sie, wie sie immer schneller und stärker zurückgetrieben wurde. Die in ihr wirkenden Tränen der Ewigkeit und die gesammelten Tötungshandlungen von Anthelia und Naaneavargia wurden von diesem immer weiter ausgreifenden Netz zurückgedrängt. Die Führerin des Spinnenordens flog auf ihrem Harvey 5 unsichtbar für Menschenaugen noch weiter zurück.

Irgendwie schien die Unglaubliche immer schneller zu werden. Ja, sie brauchte für eine weitere Umrundung des Dorfteiches immer die gleiche Zeit, auch wenn sie sich dabei von diesem immer weiter entfernte. Anthelia erkannte von oben, dass in jedem Garten mindestens ein kleiner Baum, nicht mehr Schößling, aber noch nicht weit ausladend, stand, von dem bei Annäherung der rotgoldenen Erscheinung ebenfalls rotgoldenes Licht ausging, bis sie einen weiteren Lichtfaden von ihm ergreifen und mit dem bereits beachtlichen Gewebe verknüpfen konnte. Anthelia/Naaneavargia begriff nun, dass diese Kraft mit den Bäumen weiterwachsen würde. Sie erinnerte sich, was Naaneavargias Vatermutter Madrashmironda ihr mal erzählt hatte. "In den grünen Brüdern und Schwestern ruht die immer wieder neu werdende Vereinigung von Vater Himmelsfeuer und unserer großen Mutter Erde. Wer es vollbringt, beide großen Schöpfer für sich zu gewinnen, der kann mit ihnen ein lebendes Bollwerk errichten, dass die Mitternächtigen nicht einreißen können, wollen sie nicht die große Mutter selbst töten und sich dazu." Wenn sie, Madrashmironda, es Julius Latierre auch verraten hatte, dann erwies er gerade Millemerveilles einen Jahrtausenddienst.

Aus sicherer Höhe, wie sie glaubte, beobachtete die schwarze Spinne, wie die rotgoldene Lichtweberin ihr vorführte, wie ein wunderbares und zugleich starkes Netz gesponnen wurde. Einmal sah sie, wie eine grün-golden-rote Lichtsäule aus dem Boden schoss und höher als ein Berg in den Himmel hinaufstieß. Dabei streckten sich weißgoldene Lichtbahnen in fünff Richtungen zugleich und verbanden weitere Bäume, die in dem Moment um einige Meter höher aufschossen. Das war das Haus der Familie Jeanne und Bruno Dusoleil, wo Anthelia eine der beiden turmhohen Lichtsäulen gesehen hatte, als Sardonias Rachegeist besiegt wurde.

Einige Umrundungen der leuchtenden Erscheinung später blühte ein weiterer weißgoldener Stern aus breiten Lichtbahnen aus einer Säule aus grün-golden-roten Lichtern hervor. Als wenn dieser Ausbruch von Licht eine zündende Flamme gewesen wäre erstrahlten nun auch alle anderen neu gepflanzten Bäume und schossen weißgoldene Lichtfäden aus, so dass Millemerveilles unvermittelt unter einem weißgoldenen Netz lag, wie jemand der sich vor lästigen oder gefährlichen Kerbtieren verbirgt. Genau diese Aufgabe erfüllte dieses Netz. War es wirklich nun für alle Feinde der Beschwörer oder besser Anrufer undurchdringlich?

Zunächst beobachtete die schwarze Spinne, wie die rotgoldene Erscheinung zeitlos vom Außenrand Millemerveilles zum Zentralteich zurücksprang. in den Händenhielt sie noch dicke Stränge weißgoldener Lichtfäden. Dann versank sie im Teich, ohne dessen Wasserspiegel zu verwirbeln. Dann sah Anthelia etwas, mit dem sie noch nicht gerechnet hatte. Im Osten schimmerte das Morgengrauen. Dann erglühte die Morgenröte und dann, wie von einem fliegenden Jäger beim Quidditch geworfen, sprang die Sonne über den Horizont. Ihr orangerotes Licht verschmolz mit dem weißgoldenen Licht aus gewebter Magie. Dann glomm etwas ähnlich helles aus dem Teich, blieb einige Sekunden so hell und erlosch dann. Mit diesem Licht verschwand auch das weißgoldene Netz. Doch Anthelia wusste, dass es nicht verschwunden war, sondern nur unsichtbar geworden war, unsichtbar, wie ein staubfreies Spinnennetz für seine Opfer oder wie ein Netz gegen Malariamücken.

Anthelia versuchte es, mit ihrem Besen unter die höchsten Baumwipfel zu gelangen. Doch bereits in dreihundert Metern Höhe wurde sie förmlich abgebremst und dann wie von einem gewaltigen Sprungtuch zurückgefedert. Ja, sie war offenbar nicht willkommen hier oder eben von zu viel mitternächtiger Kraft durchdrungen, um hier wieder einen Fuß auf den Boden zu bekommen.

Sie öffnete wieder ihren Geist, weil sie wissen wollte, ob die mächtige Erscheinung noch zu spüren war und ob sie Gedanken der Bewohner auffangen konnte. Sie musste wissen, ob nur ihr Zeitempfinden verfremdet worden war oder die Zeit an sich anders ablief. Doch sie war zu hoch über dem Dorf, um genug zu erfassen. Wenigstens fühlte sie die unglaubliche Erscheinung nicht mehr. Jetzt, wo sie ihren Gedankensinn wieder frei für äußere Eindrücke hatte fiel ihr auch auf, dass es eine rein weiblich ausgeprägte Daseinsform gewesen war, eine schützende Mutter. Dann war das womöglich wirklich eine machtvolle Präsenz von Ashtaria selbst gewesen. Also stimmten die ihr zugetragenen Behauptungen, dass Ashtarias Geist nicht als in der Welt verbliebenes Gespenst aber auch nicht vollständig in die Gefilde der vorausgegangenen übergetretenes Selbst bestand, sondern dazwischen wachte, auf der Weltenbrücke, wie sie die Bewohner des erhabenen Reiches genannt hatten, jene nicht räumlichen Übergangszone, wo sich fühlende und denkende Wesen entscheiden konnten, ob sie als Abdrücke ihres Seins in der stofflichen Welt bleiben oder ins Unbekannte hinübergehen wollten.

Anthelia hätte eigentlich wütend sein müssen, dass sie ihr das Tor nach Millemerveilles wieder versperrt hatten. Doch sie war beruhigt und vor allem fasziniert, diesen Vorgang miterlebt zu haben. Ja, und sie empfand eine gewisse Schadenfreude, wenn sie an Lahilliotas Töchter dachte. Die hatten die Gelegenheit verpasst, sich in Millemerveilles Beute zu suchen. Desgleichen würden die Diener der selbsttternannten großen Mutter der Nacht nicht dorthin gelangen, ob aus eigenen Kräften oder durch diese schwarzen Schattenstrudel.

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Ullituhilia hatte gefühlt, wie sich die Kraft der Erde verdichtete. Doch dann hatte eine ihr all zu bekannte Kraft sie getroffen, als sie gerade dort erscheinen wollte, wo jener starke Zauber der Erde gewirkt worden war. Eine ihr noch unbekannte Frauenstimme hatte ihr befohlen, fortzugehen. Dann hatte sie ein mächtiger Stoß zeitlos in ihren eigenen Lebenskrug zurückgeschleudert. Sie hörte noch den verwehenden Nachhall ihres gedanklichen Aufschreis. Dann überkam sie eine übermächtige Erschöpfung. Sie sank im Schutz ihres Lebenskruges zusammen und versank in einem tiefen Schlaf, von dem niemand wusste, wie lange er dauern mochte.

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Julius' Vermutung hatte sich bestätigt, Sie alle schwebten innerhalb eines gewaltigen Körpers aus rotgoldenem Licht, dem Licht Ammayamirias. Die von ihm bezauberte Kugel aus drei Metallarten strahlte weißgolden. Doch sie glühte nicht. Sie sandte nur belebende Kraftströme aus und hielt die rotgoldene Erscheinung aufrecht.

Dann sahen er und die anderen mit ihm umschlossenen, wie die zur Geisterriesin angewachsene vom Dorfteich aus jeden neu gepflanzten Apfelbaum rotgolden aufleuchten ließ und dann einen weißgoldenen Lichtfaden davon zog, als sondere der berührte Baum Seidenfäden ab. Diese Fäden verspann sie mit unglaublichem Geschick und bildete damit ein immer weiter ausgreifendes Netz aus konzentrischen Verbindungen und strahlenförmig daraus hervortretenden Speichenfäden. Keiner sagte was, nicht ein Wort. Selbst Adrian Moonriver, der sonst immer was über die ihm noch nicht bekannten Sachen losließ, schwieg. Sie alle fühlten sich offenbar zu ergriffen, um was zu sagen.

Immer schneller und dabei völlig lautlos marschierte Ammayamiria durch Millemerveilles und verband die mit Ashtarias Kraft geladenen Bäume, die noch Jahre wachsen mussten, um ganz groß zu sein, die aber die ihnen zugeführte und abgeschöpfte Kraft vertrugen, ohne zu zerbrechen. Das hatte Julius nämlich zunächst befürchtet. Dann fiel ihm ein, dass sie ja die Kraft der Erde, des Feuers und des Lebens zusammengefügt hatten, ja auch die des Wassers, und zwar in einer von Ammayamiria vorgegebenen Reihenfolge. Das bewirkte, dass alle lebenserhaltenen Kräfte zusammenwirkten, Sonne und Erde miteinander verbanden, so wie die grünen Pflanzen eine Verbindung zwischen nährender Erde, Wasser und Energie übermittelndem Sonnenlicht. Darauf hatte Ammayamiria also abgehoben.

Jetzt fühlte er, dass Millie immer noch seine Schulter hielt und die anderen sich und ihn umarmten, wobei die nun drei Heilssterne wie von einem Magneten gehalten an der Kugel hafteten. Vielleicht war es auch sowas wie Magnetismus, Silber, das Silber anzog, mit Gold als Speicher für mächtige Zauber und Feuermagie, während Eisen für die Erde, Silber für den Mond und das davon bewegte Wasser stand.

Als sie bei Jeannes und Brunos Haus vorbeikamen erstrahlten die fünf Apfelbäume in grün-goldenem Licht und feuerten meterbreite Lichtbahnen ab, die sich mit den umgebenden Bäumen verbanden. Dasselbe geschah beim Apfelhaus der Latierres. Dann war das Netz auf einmal vollständig, und vor allem, da ging die Sonne auf. Julius hatte echt nicht gedacht, dass sie die ganze Nacht unterwegs gewesen waren.

Wie appariert, jedoch ohne das sonst dazugehörende Gefühl des zusammengequetscht werdens waren sie wieder beim Dorfteich und tauchten in diesen ein, als sei kein Wasser darin, sondern nur Nebel. Dann fielen sie durch braune und graue Schwaden, die garantiert festes Gestein waren, um wieder in jener Höhle anzukommen, von der aus ihre phantastische Reise durch das Dorf der tausend Wunder begonnen hatte.

Ohne Vorwarnung kehrte die Schwerkraft zurück, und es wurde irgendwie viel kälter. Sie landeten aneinandergeklammert auf dem Boden. Dann fühlte Julius, wie ihm die bis dahin sicher gehaltene Kugel immer schwerer wurde. Er versuchte, sie weiter hochzustemmen. Doch er hielt nur noch wenige Sekunden durch. Dann ließ er sie los.

Die Kugel fiel zwischen ihnen auf den Boden. Dabei lösten sich die drei Erbstücke Ashtharias von ihr und schlugen an ihren Ketten zurück gegen Brustkörbe und Bäuche ihrer Besitzer. Dabei konnte Julius sehen, wie Marias Talisman in dem Moment wieder zum silbernen Kreuz wurde, als diesr unterhalb ihrer Brüste gegen ihren Körper prallte. Die Metallkugel indes sank wie eine untergehende Sonne im Boden ein, über ihr konnte Julius noch einen weißgoldenen Lichtstrang sehen, der sich nun lotrecht von der Decke bis nach unten spannte und in der decke selbst zu feinen Lichtadern verzweigte, wie die Krone eines der Bäume von Perilín, dem Nachtwald aus Michael Endes unendlicher Geschichte. Dieses erhabene Gewächs, dessen Wurzel die immer weiter im Boden versinkende Metallkugel war, ragte gefühlte zwei Minuten lang auf. Dann erlosch das Licht. Es wurde dunkel. Millie umfing Julius mit ihren Armen und kuschelte sich an ihn.

"Lumos!" hörten sie Adrian zischen. Sofort glomm ein helles Zauberlicht auf. Nun machten auch Camille und Julius mit ihren Zauberstäben Licht. Nun konnten sie sehen, dass der Boden völlig unversehrt war. Da wo die Kugel versunken war gab es keine Mulde, kein Loch, keinen Krater, nicht einmal einen Riss im Gestein. Sofort wendete Julius einen Suchzauber für Erdmagie an und erfasste, dass wohl einige hundert Meter tiefer ein starkes Bündel Erdmagie steckte. Die Kugel war also nicht im Mittelpunkt der Erde gelandet, sondern hatte nach einer bestimmten Falltiefe angehalten und sich mit der Erde selbst fest verbunden. Das war offenbar der eigentlich gesuchte Mittelpunkt jener räumlichen Zone, für die der ganze Zauber aufgewandt worden war.

"Die Kugel ist noch da unten, Monju, ich habe auch meinen Zauber wiedergefunden", mentiloquierte Millie, weil sie diese unglaublich erhabene Stille nicht stören wollte.

"Die Kraft ist noch da", sagte Adrian nach ungefähr zwanzig Sekunden tiefsten Schweigens. Er hielt seinen Heilsstern wie ein Suchgerät vor sich und schritt so behutsam er konnte durch die Höhle. Jetzt konnte Julius auch sehen, dass der silberne Talisman in einem sanften grün-goldenen Licht aufleuchtete, wie die Lichter zwischen den fünf Apfelbäumen, als die Dämmerkuppel über Millemerveilles gestanden hatte. Camille trat nun ebenfalls vor und hielt ihren Heilsstern nach vorne. Auch dieser glomm für einige Sekunden grün-golden. Camille zuckte zusammen, aber nicht vor Schmerz, sondern wie Julius sah, vor wohligem Schauer. Jetzt musste auch Maria Isabel genannt Maribel vortreten und hielt ihr wiederentstandenes Silberkreuz dorthin, wo vorhin der Lichtbaum gestanden hatte. Auch ihr Talisman glühte für einige Sekunden grün-golden auf, und sie stand da, als würde sie gerade etwas sehr schönes erleben.

"Also, Mädels und Burschi, ich habe ja in den vielen Jahren, die ich vor dem Fluch des Schattenfürsten und danach erlebt habe schon etliches Zeug mitbekommen, was kleine Geister aus der Spur werfen muss, gutes wie böses. Aber das heute war mit Abstand das überwältigendste, was mir je passiert ist. Oder will hier wer was anderes behaupten?" sprach Adrian Moonriver.

Julius überlegte, ob seine bisherigen Abenteuer in der wirklichen Welt und in magischen Welten wie der Bilderwelt und bei den Altmeistern da doch noch drübergingen. Immerhin trug er die Erinnerungen eines ganzen zweiten Lebens in sich. Doch er erkannte, dass er da besser jetzt nicht widersprechen sollte, zumal er sich gerade wieder fragte, ob Ammayamiria sich nicht nun doch verausgabt hatte. Außerdem wusste er jetzt nicht, was die drei Heilssternträger in dem Moment erlebt hatten, als sie Kontakt mit der offenbar unsichtbaren Kraftsäule hatten. Vielleicht sollte er, der ja direkt aus Ashtarias Astralkörper wiedergeboren wurde, ausprobieren, was ihm widerfuhr, zumal er ja einen Gutteil der Magie gewirkt hatte, die diesen phantastischen Ausflug möglich gemacht hatte. So ging er behutsam nach vorne. Er streckte seine Hände vor ... und stand unvermittelt auf allen vieren. Er fühlte, wie etwas ihm zwischen den Beinen an etwas zog und dachte erst, das könne nicht sein. Dann hörte er eine ihm wohlvertraute Stimme:

"Na, für uns beide ist auch dieser prächtige Körper zu klein. Entweder wartest du, bis ich wieder was Kleines trage, in dem du dann neu werden kannst, aber dann wird mir Millie sicher sehr böse sein. Oder du gehst wieder zurück in deinen Körper und siehst zu, dass du das hinkriegst, was deine auf der Weltenbrücke wachende Zwillingsschwester dir aufgetragen hat", klang die zum teil erstaunte, auch vergnügte und dann doch gestrenge Stimme jener, mit der Julius eigentlich nur noch in Gedanken verbunden war.

"Wie komme ich denn wieder zurück, Temmie?" fragte Julius.

"Du musst dir nur wünschen, deine Gefährtin wieder zu umarmen. Ihre und deine Liebe wird dich dann wieder zurück in deinen Körper stecken, oder lass dich von Clarabella aus mir heraustrinken und wachse als meine Tochter. Aber dann wird mir Millie auch böse sein. Also los, zurück mit dir, bevor du wirklich noch aus mir getrunken wirst!"

Julius fühlte warhaftig, wie etwas ihn immer mehr schwächte und er meinte, noch einmal vier Beine zu haben. Deshalb wünschte er sich schnell, Millie umarmen zu können. Da erfasste ihn ein rubinroter, pulsierender Lichtstrahl ... und warf ihn wieder mit seinem eigenen Körper vereint in die Arme seiner Frau.

"Okay, das war sicher das abgedrehteste, was mir passiert ist", sagte Julius zu Millie. Diese knuddelte ihn und sagte dann: "Du warst für zwanzig Sekunden in eine grün-goldene Aura gehüllt, die genauso aussah wie Temmie, und wir konnten eine kleine, bläulich-goldene Geistererscheinung sehen, die an dem prallen Euter gesaugt hat und dass die immer mehr grün-golden wurde."

"Also, du hast wohl einiges gelernt. Aber mit einer Latierre-Kuh verbacken zu werden willst du sicher nicht als Preis dafür zahlen, oder?" fragte Adrian. Daraufhin fragte ihn Julius, was er denn erlebt habe.

"Öhm, ich wurde mein eigener Sohn." Camille erwähnte nun, dass sie auch einige Sekunden geglaubt hatte, noch einmal von ihrer Mutter Aurélie getragen zu werden, bis diese ihr gesagt hatte, sie sei schon groß und müsse für wen anderen leben. Maria Isabel erwähnte, dass sie von ihrer Großmutter väterlicherseits als kleines Kind gewiegt worden sei, bis sie erkannt hatte, dass sie kein Kind mehr war und deshalb wieder erwachsen wurde.

"Ich probiere mal lieber nicht, was mir passiert", sagte Millie. "Am Ende lande ich noch in Temmies kleiner Tochter und muss auf Tante Babsies Hof bleiben. Neh, muss ich nicht wirklich."

"Öhm, sollten wir nicht langsam mal wieder nach oben? Das mit der kurzen Nacht gefällt mir nicht", sagte Maribel. Die anderen stimmten ihr zu.

Als sie gerade die Höhle verlassen hatten fühlte Julius, wie ein starker Erdzauber entfesselt wurde. Er wandte sich um und sah, dass der Eingang zur Höhle von massivem Felsgestein verdeckt war. Er fühlte sogar, wie dahinter noch Gestein nachgereicht wurde und fühlte auch, wo es herkam. Das war die Menge Gestein, die er mit den alten Erdzaubern behutsam nach draußen geschafft hatte, um den magischen Mittelpunkt für den mächtigen Zauber zu haben.

"Da du mich jetzt auch mit einem teil deines Erdmagiewissens beglückt hast, Juju, konnte ich das mal eben machen. Am besten geht ihr jetzt nach Hause", hörte er Claire Dusoleils Stimme in seinem Kopf, nicht die Ammayamirias. Und sie hatte ihn bei dem von ihr erfundenen Kosenamen genannt. Doch es schmerzte ihn nicht, sondern beruhigte ihn. Sie war immer noch da. Sie war nicht verheizt worden.

Als sie alle aus dem Tunnel heraus waren schloss auch dieser sich von alleine. Sie probierten aus, ob sie gefahrlos apparieren konnten. Das gelang. Doch als Millie und Julius auf ihrem Grundstück herauskamen durchfloss sie für einen Moment ein kurzer Wärmeschauer. Dann war alles wie sonst.

"Irgendwas hat sich echt verändert", sagte Julius zu Millie und sah zum Himmel hoch. Da war nichts von einer Kuppel oder einem Netz zu sehen, nur die bereits vollständig aufgegangene Sonne. Also hatten sie echt mehr als vier Stunden in Ammayamirias astralem Körper zugebracht?

Wenige Minuten später lag Clarimonde wieder an Millies nährender Mutterbrust und freute sich, dasss ihre starke Maman noch da war. Julius, der alles andere als Müde war unterhielt sich mit Béatrice über das erlebte. Sie als Heilerin musste ja schweigen, wenn er das erbat.

"Ich habe wohl tief und fest geschlafen. Aber dabei habe ich einen total merkwürdigen Traum gehabt", sagte Béatrice, nämlich dass ich von dir einen kleinen Jungen bekommen hätte und Millie meine Hebamme war. Und der Kleine hatte die grünen Augen von meinem Vater Roland, aber die rotblonden Haare von uns Latierres. Vom Gesicht her sah er aber dir ähnlicher als mir. Und dann hat er sich noch bei mir bedankt, dass wir ihm die Chance geben, ein besseres Leben zu führen als das davor, wobei er mit der Stimme meines Vaters gesprochen hat, nicht mit einer Baby- oder Kleinkindstimme."

"Öhm, Ja, das ist wirklich abgedreht, Trice", sagte Julius. Tante nannte er sie nur, wenn es offiziell wurde oder sie mal wieder die gestrenge Heilerin herauskehrte. Vor allem musste er an den ersten Traum im Sonnenblumenschloss denken, dass er mit Martine zusammengekommen wäre und Aurore gerade nach Beauxbatons ging, wo Catherine die neue Schulleiterin geworden sei. In gewisser weise hatte sich der Traum ja soweit erfüllt, dass er wirklich mit einer der Latierre-Schwestern zusammengekommen war und eine Tochter namens Aurore mit ihr hatte.

"Ich weiß nicht, ob Millie das so toll fände, wenn du von mir ein Kind bekämst, Trice. Nicht dass ich mir das nicht auch vorstellen könnte, im Traum natürlich."

"Gut, wie würdest du ihn dann nennen, weil Väter bei Söhnen die Erstauswahl haben." Julius schluckte. Béatrice reizte es echt voll aus, wo millie nicht all zu weit im Schlafzimmer saß und seine jüngste Tochter säugte. Dann straffte er sich und sagte: "Ich habe mit Millie schon ein paar Namen für Jungs ausgeknobelt, die ich aber auch nur an die von ihr bekommenen Söhne vergeben möchte. Sollte ich auch mal träumen, dass du mein Kind bekämst und es ein Junge wird wie wäre es mit Félix, also die französische Form von Felix Felicis?"

"Hmm, du siehst mir nicht müde genug aus, um jetzt schon schlafen zu wollen, zumal du ja um acht uhr wohl wieder im Ministerium sein möchtest, sofern du überhaupt hier aus dem Ort hinauskommst. Aber wenn du echt mal davon träumst werde ich das wohl gutfinden", erwiderte Béatrice.

"Julius, Florymont hat gerade festgestellt, dass alle auf magische Streustrahlung ansprechenden Messvorrichtungen unbrauchbar geworden sind, wohl hoffnungslos überladen und überspannt wurden", dröhnte Camilles Gedankenstimme so laut und nachhallend in seinem Geist, als sei sie die größte Glocke von Notredame und er das Hauptschiff. Er fasste sich an die leicht schmerzende Schläfe. Béatrice sah ihn besorgt an. Er ließ sich gefallen, dass sie einen Heilerzauber ausführte. In der Zeit schickte er zurück: "Ui, du kamst gerade mit der Lautstärke und Raumfülle einer Kirchenglocke an, Camille", schickte er zurück und fühlte, wie seine Botschaft lange und dumpf pochend nachhallte.

"Und du hast mir mit der Urgewalt eines bretonischen Blauen in einer kilometerlangen Höhle geantwortet", bekam er Camilles Kirchenglockenkraft zurück.

"Oha, ich stelle eine vierfache Gehirntätigkeit fest, überhaupt ist dein Stoffwechsel auf das vierfache erhöht. Nicht wirklich gut. Ich prüfe das bei mir auch gleich", wandte sich Béatrice an Julius.

"Mademoiselle Heilerin, ist das Normal, dass Clarimonde zwar eine Menge Milch trinkt aber ich keinen Druckabfall fühle, als hätte ich mir Temmies Zitzen angeklebt?" rief Millie.

"Dann komme ich auch gleich zu dir. Dein Mann zeigt die Symptome eines Ausdauer- und Kraftverstärkungszaubers, von dem ich nicht weiß, ob und wann er wieder abklingt. Dein Milchfluss könnte auch eine solche Ursache haben, Millie."

"Och nöh, heißt das, ich bin jetzt ein Milchbrunnen oder sowas?" Grummelte Mildrid Latierre.

"Wenn du das bis nächsten April durchhältst kannst du deinen Nachbarinnen einige Kinder abnehmen", scherzte Béatrice.

"Wie lustig, Tante Béatrice!" grummelte Millie.

"Also, mit den Werten legst du dich gleich neben deine Frau bei mir auf den Tisch und ich finde erst raus, was euch so aufgedreht hat. Arbeiten gehst du erst dann, wenn ich weiß, ob es wieder weggeht oder wir das runterregeln müssen, damit du dich nicht verheizt."

"Befehl, Mademoiselle Latierre", grummelte Julius.

Béatrice stellte bei sich auch eine leicht erhöhte Stoffwechselrate fest, jedoch merkwürdigerweise keine erhöhte Temperatur, als wenn die gesamte Kraft in andere Körpervorgänge abgeleitet würde. Bei Millie war es tatsächlich ein erhöhter Milchfluss, den Béatrice bei sich ebenfalls feststellte, obwohl sie gerade kein eigenes Kind zu stillen hatte. Sie führte es aber darauf zurück, dass Hexen auch dann gute Ammen würden, wenn sie mit Säuglingen längere Zeit zusammen seien oder sich ganz bewusst darauf einstimmten, sie auch zu stillen, wie es Berufsammen ja auch ohne Nutrilactus-Trank hinbekamen.

"Fieber habe ich aber keins, aber Hunger habe ich gerade", meinte Julius.

"Ja, glaube ich dir, Julius. Könnte dir auch passieren, dass wenn du nichts isst du auf einmal bewusstlos wirst, weil dein Körper sich gerade nicht auf sein übliches Maß beschränkt. Also, so kann und werde ich dich nicht ins Ministerium lassen."

"Die werden sich freuen, wieder eine Krankmeldung von mir zu kriegen", grummelte Julius. "Wäre dir ein von Ministeriumsheiler Louis Champverd ausgestellter Totenschein lieber?" konterte Béatrice knochentrocken.

"Öhm, mir nicht und dem garantiert auch nicht", sagte Julius.

Weil er sich nicht das Hirn aus dem Kopf mentiloquieren wollte benutzte er nun das Armband aus der Villa Binoche, um mit Camille zu reden. Die antwortete auch gleich.

"Ich habe Hera hergebeten. Sie müsste gleich da sein. Die möchte das prüfen, warum wir so laut miteinander meloen können. Außerdem kann sie dann gleich nach Uranies und meinen künftigen Mitbewohnern gucken."

"Gut, meine Heilerin möchte mich heute noch mal krank schreiben, obwohl ich mich so fit fühle, als hätte ich wieder Mademoiselle Maximes Blut im Kreislauf, nur dass ich ganz ruhig denken kann und es mir im Moment nicht zu heiß ist."

"Dann hör drauf. Meistens hat sie ja recht gehabt!" riet Camilles räumliches Abbild.

"Du meinst allermeistens, Camille", sagte Béatrice, die mitgehört hatte.

"Ja, wohl allermeistens", erwiderte Camille.

Nach einer Stunde und einer über die Armbänder abgehaltenen Konferenz zwischen Camille, Hera Matine, Béatrice Latierre und Julius stand fest, dass alle an der Aktion vom 29. auf den 30. August beteiligten und die, die in einem Haus mit bezaubertem Apfelbaumfünfeck wohnten, eine etwas zu gut gemeinte Kraftaufladung erwischt hatten, ähnlich wie der Praecipio-Dies-Zauber, der die Ausdauer kommender Tage vorwegnahm. Wie viele Tage das sein würden konnten die beiden Heilerinnen jedoch nicht prüfen. Außerdem wuchsen Camilles Kinder mit der doppelten Geschwindigkeit. Wenn dieser höchst beunruhigende Effekt nicht abklang konnte sie in vier Monaten schon gebären. Immerhin hatte Florymont in seinem eigenen Lager noch Bausätze für neue Magiestreuungsmessgeräte gefunden und hatte zwei davon nachgebaut. Doch die waren beim Ausrichten in den Himmel fast wieder zerbröselt, so Florymont. Für ihn stellte sich das so dar, als hinge der Himmel voller gleißender Sonnen, deren Strahlen großflächig aufträfen. Nur dass außer der einen Sonne keine weitere Licht- und Kraftquelle am Himmel zu sehen war.

"Also, solange wir nicht wissen, wie viele Tage wir vorweggenommen haben bleibt ihr alle erst mal hier", sagte Hera an Julius und Millie gewandt. "Ich lasse gleich noch jemanden von der Delourdesklinik hier nachprüfen, was mit euch passiert ist, alleine um das amtlich zu machen, dass ihr nicht nach Belieben arbeitsunfähig geschrieben werdet", sagte Hera Matine und blickte etwas besorgt auf ihre Heilertracht. "Jedenfalls kriegen wir heute alle Satt, die noch von flüssiger Nahrung leben", sagte sie dann noch.

Nach einer weiteren halben Stunde hatten zwei Heiler von der Delourdesklinik die Untersuchung bestätigt und erkannten auf einen Ausdauervorwegnahmeschub, der die Tagesausdauer von vier Tagen im Voraus bewirkt hatte. Das hieß, dass sie zwar vier Tage am Stück wachbleiben konnten, aber dann auch vier Tage hintereinander durchschlafen mussten. "Ui, das wird vor allem wegen des Traumschlafes heftig", meinte Julius.

"Deshalb schlagen wir vor, dass Sie und die anderen betroffenen Herrschaften gleich nach dem Dunkelwerden eine kleine Dosis Tiefschlaftrank einnehmen und dann tatsächlich die vier Tage durchschlafen. Zwar mögen Sie sich jetzt wie ein brodelnder Kessel fühlen, der alles und jeden durchkochen kann, aber beim kleinsten Funken Überanstrengung könnte ihr Herz oder Gehirn überlastet werden und einen Infarkt erleiden. Wollen Sie sicher nicht wirklich. Deshalb ordnen wir mit aller Deutlichkeit an, die Erlebnisse, die Sie in diesen Zustand versetzt haben, ihrem Vertrauensheiler oder ihrer Heilerin zu Protokoll zu geben, um daraufhin befinden zu können, ob eine weiterführende Behandlung angezeigt ist oder nicht. Stationär aufnehmen müssen wir sie jedenfalls nicht. Aber wir durften feststellen, dass hier eine sehr starke stimulierende Magie in der Luft liegt. Sollte dieser Zustand bleiben könnten wir vom Heilerrat gezwungen sein, eine Evakuierung der betroffenen Bereiche zu verordnen", war die abschließende Meinung von Clémentine Eauvive.

Als auch Heiler Louis Champverd im Auftrag der Behörde für verunglückte Magie die Diagnose bestätigte konnten Millie und Julius nur die Erlebnisse als höchst vertraulich zu Protokoll geben, wobei er ausdrücklich erwähnte, dass er über die Ausführung der von ihm gewirkten Zauber nichts verraten dürfe, weil ihm und allen anderen beteiligten Kindern Ashtarias dann das Gedächtnis schwinden würde.

Die Heiler fanden auch heraus, dass die stimulierende Magie sich in einem Aufbaustoffwechsel auswirkte, bei dem überschüssiges Fett abgebaut und in Muskelfleisch, Blut und Samenflüssigkeit umgesetzt wurde. Bei den vielen Schwangeren in Millemerveilles wuchsen die Leibesfrüchte je danach, wie viel der belebenden Zauberkraft sie abbekamen anderthalb bis dreimal so schnell. Was sie aber auch feststellen konnten war, dass mit eindeutig dunkler Magie geladene Gegenstände in silbernem Elmsfeuer ihre dunkle Kraft entluden, ohne Schaden anzurichten. So hatte das Schattenhaus etliche seiner hinter dickem unzerbrechlichem Glas gelagerten verfluchten Gegenstände eingebüßt. Doch das erschien den Betreibern dieses Ausstellungshauses eher erfreulich als bedauerlich.

Julius erfuhr im Laufe des Tages auch, dass die Kobolde in Gringotts Millemerveilles in einer Art Glücksrausch gefangen waren, als hätte jemand ihnen ein entsprechendes Rauschgift verabreicht. So konnten sich Adrian und er die Unterredung mit dem Filialleiter wegen der starken Erdzauber sparen. Julius erinnerten die laut lachenden und kichernden, breit grinsenden Kobolde an die Folge aus der ersten Raumschiff-Enterprise-Serie, wo Kirk die ganze Besatzung unter Beruhigungsmittel hatte setzen lassen, damit sie sich nicht von den Drohungen eines wahrhaftigen bösen Geistes in Angst und Schrecken versetzen ließen, um dieses dämonische Unwesen zu ernähren.

"Oha, offenbar haben wir den Spitzohren den Trip des Jahrtausends spendiert", meinte Julius, als sie nach zehn Minuten in der voller kichernder und lachender Kobolde steckenden Empfangshalle von Gringotts ins Apfelhaus zurückapparierten.

"Meinst du, ob die von diesem "Trip" auch wieder runterkommen?" fragte Adrian leicht besorgt.

"Ich bin nur Pflegehelfer, kein Heiler. Abgesehen ist das, was wir getan haben seit Jahrtausenden nicht mehr gemacht worden. Da müsste ich wen fragen, der oder die das selbst miterlebt hat und ob es da auch schon Kobolde gab", erwiderte Julius . Er dachte daran, dass Madrashainorian niemals Zwerge, Kobolde oder Riesen getroffen hatte. Dass es mal turmhohe, sehr grausame Krieger gegeben haben sollte wusste er, aber wann und wo die kleinen menschenähnlichen Zauberwesen entstanden waren hatte Madrashainorian nicht gelernt.

Florymont stellte im Verlauf des Tages fest, dass sich die starke Streuung immer mehr in einer Region über zweihundert Metern Höhe verdichtete. Offenbar spielte sich das magische Gefüge noch ein. Wie es am Ende beschaffen sein würde konnten sie also noch nicht sagen, nur, dass es sie vor feindlichen Geistern und Wesen beschützen würde.

Während Millie und auch Béatrice überschüssige Muttermilch für Clarimonde auslagerten kopierte Julius die Erlebnisse in der Höhle unter dem Teich und die Reise in Ammayamirias aus reiner Magie bestehendem Körper in das Denkarium, aber so, dass er sich auch weiterhin daran erinnern konnte.

Von Goldschweif und Sternenstaub erfuhren Millie und Julius, dass die gute Kraft, die das Haus und den Garten beschützte, viel stärker geworden war und in einem langsamen Rhythmus schwang wie gegen einen windstillen Meeresstrand anbrandende Wellen. Zumindest war sie für die Kniesel nicht unerträglich stark wie zur Zeit von Sardonias dunkler Kuppel. Für Julius stand aber fest, dass er bei sich zu Hause keinen Computer mehr verwenden konnte. Denn die ruhig ein- und ausatmende Kraft bestrich das ganze weite Grundstück des Apfelhauses, nicht nur den Bereich innerhalb der fünf gepflanzten Apfelbäume.

Gegen fünf Uhr tauchte mit einem leisen Plopp der Kopf von Madame Grandchapeau im Kamin der Wohnküche auf. Alle erwachsenen Bewohner des Apfelhauses waren hier, weil zu dieser Tageszeit die Temperatur draußen zu hoch war. Die Kinder waren in ihren Zimmern. Aurore trällerte und fiepte auf ihrer Kinderpanflöte herum, die sie zum dritten Geburtstag bekommen hatte. Ab und zu kamen dabei aber doch schon brauchbare Töne raus.

"Und Sie sind sich sicher, dass Ihre exotische Zauberei die sardonianische Kuppel ersetzen wird, aber dann nicht auf der Grundlage von Menschenopfern?" fragte Nathalies Kopf in Millies und Julius' Kamin. Julius bestätigte es, dass seines intensiv erworbenen Wissens nach die Vereinigung der Elementarzauber von ihm, Millie, Camille und drei Kindern Ashtarias einen vollwertigen, ja noch besseren Ersatz für die zerstörte Dämmerkuppel bot. "Gut, da Heiler Champverd die Untersuchungsergebnisse gegengeprüft hat komme ich nicht umhin, in den kommenden vier Tagen auf Sie zu verzichten, Monsieur Latierre", sagte Belles Mutter und Demetrius' Trägerin. Julius bestätigte diese Feststellung und bedankte sich bei der Büroleiterin zur Wahrung friedlicher Koexistenz zwischen Menschen mit und ohne Magie für ihr Verständnis. "Na ja, ich werde wohl überlegen, ob die Gemeinde von Millemerveilles die von Ihnen an ihrem Orte geleisteten Dienste bezahlen sollte und in dem Fall wir, das Ministerium, den durch Ihre Handlungen herbeigeführten Ausfall Ihrer Einsatzfähigkeit erstattet bekommen. Aber das wird dann nicht Ihre Sorge sein, Monsieur Latierre. Sie sind ein Bewohner Millemerveilles und haben dort selbst eine Familie zu versorgenund zu beschützen. Daher gilt ja für Sie auch die Bürgerpflicht, alles in Ihrer Macht stehende zu tun, Schaden von sich und Ihren Mitbürgern abzuwenden", sagte Nathalies Kopf im brennenden Kamin der Wohnküche.

"Das ist völlig richtig, Madame Grandchapeau", erwiderte Julius. Danach verabschiedeten sie sich voneinander. Nathalies Kopf verschwand mit leisem Plopp aus dem Kamin.

"Damit haben wir es nun wortwörtlich amtlich, dass du, lieber Schwiegerneffe, die nächsten Vier Tage nicht benötigt wirst und daher in Ruhe ausschlafen kannst", sagte Béatrice Latierre. Julius nickte zustimmend.

Sie wollten gerade mit dem Abendessen beginnen, als Julius' neues Verbindungsarmband vibrierte. Camille meldete sich. Was sie Julius zu sagen hatte klang selbst für einen Zauberer, der schon die unmöglichsten Sachen erlebt hatte fantastisch.

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Patience Moonriver war ebenfalls nach Millemerveilles gekommen, da sie auch nach Adrians Volljährigkeit immer noch seine Ziehmutter war und er sie auch als seine Hausheilerin dabeihaben wollte, wenn er die Ergebnisse der Untersuchungen erfuhr. Patience hatte ihren Zögling Stephen Moonriver in die Obhut ihrer Kollegin Brigid Barley gegeben, da ja die Übereinkunft galt, dass er nicht näher als 20 Kilometer an Sandrine Dumas und ihre Kinder Estelle und Roger Brian herankommen durfte, ob gewollt oder ungewollt.

"Vier tage könnte ich jetzt also wach bleiben oder die heftigsten Zauber viermal so oft machen wie sonst an einem Tag", stellte Adrian fest. Darauf sagte seine Ziehmutter: "Das ist zwar richtig, aber dafür musst du dann auch vier Tage am Stück durchschlafen, um die vorgezogene Ausdauer zu regenerieren. Abgesehen davon wissen wir Heiler, dass es nach drei Tagen Schlafabstinenz zu geistigen Ausfallserscheinungen, Angstgefühlen oder Halluzinationen kommen kann, wenn das Gehirn so lange vom Träumen abgehalten wurde. Willst du nicht wirklich, Adrian."

"Drachendreck!" fluchte Adrian. "Na, nicht solche Ausdrücke in meiner Gegenwart, Kleiner", tadelte ihn Patience und bekam ein zustimmendes Nicken ihrer älteren Kollegin Hera.

"Ich würde ja zu gerne bei denen vorbeisehen, denen Julius und du, Camille diese alten Zauber verdankt, um die zu fragen, ob das bei mir und euch anderen auch so sein wird oder wir alle ganz gesund die vier Tage durchstehen können", sagte Adrian Camille zugewandt. Diese wollte gerade was darauf antworten. Doch da explodierte in unmittelbarer Nähe ein mindestens vier Meter durchmessender, orangeroter Feuerball.

Was nun geschah lief so schnell ab, dass niemand der Beteiligten darauf reagieren konnte. Aus dem Feuerball trat eine an die vier Meter große Frauengestalt in einem blutroten, vorne weit offenenGewand. Die Haut der Riesenhaften schimmerte im Licht der Nachmittagssonne golden. Kaum war die Unerwartete Besucherin erschienen beugte sie sich blitzschnell zu Adrian hinunter und ergriff ihn unter den Achseln. Dabei klappte laut rasselnd ihre Bauchdecke auf. Die Anwesenden erkannten nun, dass die Unerwartete keine Frau aus Fleisch und Blut war. Denn hinter der sich auftuenden Bauchdecke war nur ein großer Hohlraum. Innerhalb nur einer Sekunde beförderte sie den ergriffenen Adrian Moonriver in diesen Hohlraum hinein. Sie riss ihre Hände hoch. Da schlug ihre Bauchdecke zu wie eine besonders geformte Luke. Jetzt wurde sich Adrian bewusst, was ihm da gerade widerfuhr. "Eh, was soll das jetzt. Rauslassen!" rief er aus dem nun wieder geschlossenen Körper der Unbekannten. Doch diese sah von oben herab auf Patience und Camille. "Ihr sagt, dass Adrian auf eine Lehrreise gegangen ist, von der ihr nicht wisst, wie lange sie dauert. Er wird an seinen eigenen Wohnort zurückgebracht, wenn er alles gelernt hat, was zu lernen gestattet und notwendig ist, sagen die, die mich herschickten", sprach die Unbekannte mit einer Stimme wie eine mittelgroße Bronzeglocke. Dann verschwand sie in einem aus ihr heraus aufglühenden Feuerball.

"Camille, wer oder was war das jetzt?" wollte Hera wissen. Patience nickte ihrer Kollegin beipflichtend zu.

"Hera, die sah aus wie eine der künstlichen Dienerinnen in der Stadt, von der Julius und ich dir erzählt haben. Aber dass es dort so überlebensgroße Exemplare von gibt und diese ähnlich erscheinenund verschwinden können wie ein Phönix wusste ich bis heute nicht", erwiederte Camille immer noch unter dem Eindruck dieser so plötzlichen Erscheinung und Adrians Entführung.

"Das war ja schlicht unheimlich", erwiderte Patience darauf. "Die ist einfach aufgetaucht, hat Adrian in sich einverleibt und ist verschwunden, ohne dass wir sie daran gehindert haben." Hera nickte und antwortete: "Offenbar müssen wir die Berichte über den Ort, wo du warst dahingehend ergänzen, dass die dort herrschenden doch eine Möglichkeit kennen, wortwörtlich in unsere Welt einzugreifen, Camille." Die Angesprochene nickte schwerfällig. Patience fragte dann, ob sie nicht noch mehr darüber erfahren könne. Camille sagte darauf: "Besser nicht. Denn wenn das wirklich so ist, dass die, von denen unter anderem ich neues Wissen erfahren haben, nicht wollen, dass ihre Existenz zu vielen bekannt wird könnten sie dieses goldene Überweib oder ihre Schwestern losschicken, um jeden Verrat zu verhindern." Patience überlegte schnell und gründlich. Dann nickte sie. "Gegen den Feuersprung eines Phönix gibt es noch keine Abwehrzauber, selbst apparierbarrieren halten niemanden auf, der mit einem Phönix reist", sagte sie dazu. "Aber was bitte ist dieses Geschöpf, ein Golem, ein Automaton oder was genau?"

"Eine künstliche Lebensform, vergleichbar mit einem Simulacrum, aber nicht aus Fleisch und Blut, eine Art beseelte und animierbezauberte Puppe mit teilweise eigenständiger Handlungsfähigkeit", sagte Camille. Patience nickte. "Gut, mit sowas muss und werde ich mich nicht anlegen. Dann werde ich es denen, die mit Adrian in Kontakt stehen, genauso weitergeben, wie diese goldene Halbriesin es mitgeteilt hat", schnarrte Patience. Offenbar dachte sie daran, es möglichst vieleln Leuten weiterzumelden, dass es diese Art von magischen Kunstgeschöpfen gab. Doch die Aussicht, diesen Verrat womöglich nicht länger als eine halbe Minute zu überleben oder auf Dauer ihre Freiheit zu verlieren schreckte sie ab. Sie wusste selbst, dass es Mächte gab, die es nicht zuließen, dass zu viele Leute von Ihnen wussten und dass die Geschichten von einem alten Reich weit vor der Ägyptischen Hochkultur keine Märchen waren. So sagte sie nur: "Dann werde ich besser wieder nach Hause reisenund meinen kleinen Zögling abholen und die entsprechenden Eulen an Adrians Freunde verschicken, dass er auf einer Weiterbildungsreise ist. Ihr bekommt dann hoffentlich früh genug mit, wann und wo er wieder auftaucht. Auf jeden Fall ergibt dieser Vorfall eine weitere Antwortmöglichkeit auf eine Frage, die wir Heiler uns seit Februar stellen, nicht wahr, Kollegin Hera?"

"Du spielst auf das Verschwinden des Kollegen Partridge an, richtig?" antwortete Hera Matine mit einer Gegenfrage. Patience nickte bestätigend. "Immerhin wussten wir ja, dass er durchaus auf uraltes Wissen zurückgreifen konnte, auch wenn er uns nicht verraten wollte, woher er es hatte, trotz der Heilerdirektiven, erbetenes Wissen von einem Kollegen zu erfahren, wenn danach gefragt wird." Hera nickte. Camille Dusoleil deutete noch einmal auf die Stelle, an der die goldene Riesenfrau erschienen und mit Adrian Moonriver wieder verschwunden war. "Offenbar wird diese Botin oder Reiseleiterin nicht von einem Talisman Ashtarias beeindruckt. Sonst hätte sie Adrian nicht so zielsicher ergreifen und in sich selbst verstauen können."

"Was heißt, dass sie nicht von dunkler Magie erfüllt ist. Aber das war ja schon klar, als sie überhaupt hier ankam, wo dein Haus ja sowieso ein Bollwerk gegen dunkle Zauber ist und durch den von euch heute Morgen ausgeführten Zauber sogar ein ganz Millemerveilles überdeckendes Geflecht heller Zauberkräfte besteht", erwiderte Hera Matine.

"Wie erwähnt werde ich dann besser mal wieder nach Hause reisen", sagte Patience Moonriver. Sie bedankte sich bei Camille für das angebotene Wasser und die Erklärung, was am Morgen geschehen war und warum Adrian wohl entweder vier Tage unermüdlich sein und dann vier Tage durchschlafen würde. Dann disapparierte sie. Denn das ging trotz des neu aufgespannten Netzes aus exotischer Zauberkraft immer noch wie nach dem Ende der Dämmerkuppel.

"Frag Julius bitte, ob er weiß, wer diese goldene Überfrau ist und ob er weiß, was mit Adrian geschehen wird!" bat Hera Matine Camille.

"Das werde ich tun, Hera. Nur weiß ich nicht, ob du dann alles darüber wissen darfst."

"Wenn dem so wäre wäre diese goldene Entität nicht hier erschienen, wo ich gerade bei dir war, Camille. Oder sie hätte auch mich entführt, um sicherzustellen, dass ich ihr Erscheinen nicht bezeugen kann", erwiderte die residente Heilerin und Hebamme von Millemerveilles. Camille musste überlegen. Dann nickte sie beipflichtend. So schob sie den Ärmel ihrer hellgrünen Sommerbluse hoch und berührte das Armband, das sie aus ihrem Elternhaus geholt hatte.

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"Tja, aufpassen beim wünschen, sage ich da mal zu", war Julius' erste Bemerkung, als Camille ihm von Adrians Verschwinden erzählt hatte. "Der wollte doch unbedingt in die Stadt. Kann sein, dass er heute abend noch wieder auftaucht, weil er alles gelernt hat, was die ihm da beibringen wollten. Kann aber auch Wochen dauern, bis er da wieder rausgelassen wird", fügte er noch hinzu. Dann sagte er: "Und Patience Moonriver hat das mitbekommen? Ich hoffe, ihr habt ihr gesagt, dass sie das besser nicht weiterberichtet. Diese goldene Frau, der ich selbst auch schon begegnet bin, ist die neue Botschafterin und wohl auch Ausführungsgehilfin der Hüter der Stadt. Wenn die merken, dass jemand ihre Existenz weitererzählt, der oder die davon nichts wissen soll, könnte die große goldene Schwester mal eben bei dem oder denen vorbeikommen und was machen, dass das auch geheim bleibt."

"Das haben wir Patience schon begreiflich machen können", hörte Julius Heras Stimme. So sagte er nur noch: "Dann bleibt nur abzuwarten, wann Adrian Moonriver wieder zurückkommt. Denn wenn er für alle Zeiten verschwunden bleiben sollte hätte sich dieses goldene Riesenmädchen sicher einen unauffälligeren Zeitpunkt und Ort ohne Augenzeugen ausgesucht." Camilles räumliches Abbild nickte bestätigend. Heras Stimme erwiderte: "Das wird genau so sein, sofern diese Hüter und ihre Gehilfen logisch denken können."

"Das können sie, Hera. Außerdem sind sie untereinander verbunden. Das erhöht ihre Denk- und Entscheidungsfähigkeit auf einen Wert, den ich jetzt nicht berechnen könnte. Jedenfalls stinkt da jjedes Hochleistungsrechnernetz gnadenlos ab", erwiderte Julius.

"In diesem Fall beruhigend zu wissen", hörte er Heras Stimme antworten. Camille sagte dann noch: "Gut, dann lasse ich euch wieder in Ruhe. Es bleibt dabei, dass Millie und du nachher auch in einen Zaubertrankschlaf versenkt werdet?" Julius bejahte es. "Gut, dann sprechen wir uns am dritten September wieder", bekräftigte Camille.

Nach diesem Gespräch meinte Millie zu Julius: "Soviel zu der Unfähigkeit der Altmeister, in unsere Geschicke einzugreifen. Offenbar hast du denen damals, wo du die große goldene Schwester aufgeweckt hast, einen sehr großen Gefallen getan." Julius konnte das nicht bestreiten.

Wie vereinbart bekamen Millie und Julius um elf Uhr abends einen ausreichend großen Schluck des Schlaftrunks, um die in ihnen wirkende Ausdauer zu überwinden, um vier Tage am Stück durchschlafen zu können. Sie verabschiedeten sich von Aurore und Chhrysope. Millie hatte kleine Tränen in den Augen, als sie sah, dass Aurore und Chrysope etwas traurig waren. Doch als sie sagte, dass die beiden ja mit Oma Lines Kindern zusammen spielen durften lächelte Aurore wieder. "Ich mache die Tür so zu, dass sie nur wieder aufgeht, wenn einer von euch mit der flachen Hand gegen das Türblatt drückt, Millie und Julius. Ansonsten schützt euch sicher die Schutzmagie Ashtarias vor unangenehmen Sachen. Die Kniesel bleiben solange draußen. Die kommen alleine zurecht", sagte Béatrice Latierre.

"Ja, und bitte gib Clarimonde nur das, was wir zwei für sie ausgelagert haben", bestand Millie darauf, dass ihre jüngste Tochter nur von ihrer und ausnahmsweise mal Béatrices Milch bekommen durfte. Béatrice bestätigte es.

Nun saßen die beiden Eheleute auf ihrem Bett und sahen einander an. "Schon ein komisches Gefühl, einzuschlafen und beim Aufwachen schon vier Tage später zu haben", meinte Millie zu Julius.

"Was erzählst du mir das, wo ich bei den Altmeistern bald zwanzig Jahre erlebt habe und bei der Rückkehr nur ein Monat vergangen ist", sagte Julius. Dann stieß er mit seiner Frau die kleinen Kelche mit der purpurroten Flüssigkeit an. "Auf uns und die sonnige Zukunft, die wir für uns und Millemerveilles ermöglicht haben", brachte er einen Trinkspruch aus. Millie lächelte ihn an und sagte: "Wir sehen uns im September, Monju!" Dann tranken beide zeitgleich ihre kleinen Kelche leer und stellten sie auf die Nachttische. Danach legten sie sich so, dass sie bequem einschlafen konnten. Beide trugen vorsorglich für altersinkontinente Zauberer gemachte Wochenwindeln, weil sie nicht wussten, ob ihre Verdauung nicht doch während des langen Schlafes ihr Recht einforderte.

Erst meinte Julius, dass der Trank von der ihm zugeführten Ausdauer überlagert wurde. Doch dann fühlte er eine wohlige Schläfrigkeit, die zu einem sanften Fortgleiten in eine dunkle, stille Geborgenheit anwuchs.

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Er hatte schon viel erlebt. Doch das hier schlug alles bisherige um Längen. Eine übergroße, golden schimmernde Frau hatte ihn gepackt und sich einfach in ihren völlig hohlen Bauch hineingestopft. Er hatte erst protestiert und versucht, sich freizustrampeln. Doch dabei hatte er sich nur die Zehen angestoßen. Dann hatte er seinen Silberstern freigezogen und gegen die unnachgiebige Wand gepresst. Doch der Stern hatte nicht einmal vibriert. Er fühlte, wie seine Überwinderin und derzeitige Trägerin offenbar mit ihm irgendwo hinging. Er rief noch einmal, sie solle ihn rauslassen und drohte damit, die ganze Macht zu nutzen, die ihm zur Verfügung stand. "Wenn du das machst könnte es passieren, dass ich bewegungs-und handlungsunfähig werde und du für alle Zeit in meinem Leib gefangen bleibst und verhungern musst", sagte dieses metallisch wirkende Monstrum mit ihrer Stimme wie eine mittelgroße Glocke. "Oder du wirst zerstört", erwiderte Adrian.

"Ja, und dann bleibst du da, wo ich dich gerade entlangtrage und kommst nicht mehr zu dir nach Hause. Das würden meine Meister nicht gutfinden und dich dann bis zu deinem Tod durch Verhungern hier herumlaufen lassen. Das Ergebnis wäre also das gleiche, abgesehen davon, dass hier noch ein paar Wächter wohnen, die dich als unerwünschten Eindringling bekämpfen könnten. Und dein Silberstern ist nicht beliebig oft einsetzbar um sie alle zu besiegen."

"Wer oder was bist du und wo zur feuerroten Sabberhexe hast du mich hingebracht?"

"Ich bin die Botin des gläsernen Rates, der Vereinigung der überdauernden Großmeister der alten Kräfte und Kenntnisse. Ich habe dich ihrer Weisung gemäß in die ewige Stadt Khalakatan gebracht, jene Stadt, die du in deiner von Neid und Neugier erfüllten Begierde unbedingt aufsuchen wolltest. Also sei froh, dass meine Meister dich überhaupt hierher vorgelassen haben!" klang die glockenartige Stimme der künstlichen Frauengestalt, die ihn mal soeben in ihren hohlen Bauch hineingesteckt hatte.

"Ja, ich weiß. Wünsch dir nie was, von dem du nicht wirklich willst, dass es eintritt", knurrte Adrian und erschauerte, wie metallisch der Widerhall seiner Stimme klang. Er versuchte noch einmal, sich auszustrecken. Doch sein exotisches Gefängnis erlaubte ihm nur, darin in einer fast fötalen Hockstellung zu bleiben. Er war froh, dass er gerade den biegsamen Rücken eines jungen Mannes besaß. Hätte ihn dieses Metallweib damals erwischt, wo er mehr als hundert Jahre alt war hätte ihn wohl ein schmerzhafter Hexenschuss ereilt.

Während er die ihm verbleibenden Möglichkeiten und Auswirkungen bedachte wurde er förmlich durch die Gegend geschaukelt. Einmal hörte er ein lautes, schwirrend klingendes Brüllen. Doch sonst klang von außen nichts zu ihm herein, nicht einmal Atemgeräusche. Kunststück, denn diese überkandidelte Puppe war kein lebendes Wesen.

Als sein ungewöhnliches Gefängnis zum Stillstand kam wartete er, was nun geschah. So verging eine Minute. Dann sagte die Bronzeglockenstimme: "So, wir sind im Turm des alten Wissens vor dem Zugang zur Halle der alten Meister. Ich werde dich aber nur aus mir freigeben, wenn du deinen fünfzackigen Silberstern ablegst und in meiner Obhut belässt, bis du alles erfahrenund gelernt hast, was du lernen darfst."

"Das kannst du voll vergessen, Püppchen", blaffte Adrian. "Ich werde nicht ohne meinen mächtigen Schutz zu wem auch immer hingehen, nachdem du mich so ungefragt abgegriffen hast."

"Gut, dann gehe ich wieder auf meine Wartestellung zurück und verfalle in meinen Ruhezustand, und du kannst hoffen, dass der Luftmangel dich schneller bewusstlos macht als der Hunger dich quält. meine Gebieter fordern, dass du unverhüllt von fremdem Schutz vor sie trittst, um von ihnen geprüft und unterwiesen zu werden. Verweigerst du dich ihrer Weisung, so habe ich die Erlaubnis, dich in mir vergehen zu lassen. Allerdings wird dein silberner Stern dann nicht mehr zu seinem Erben gelangen und der Bund der Nachkommen Ashtarias noch mehr geschwächt."

"Das könnt ihr nicht wollen", erwiderte Adrian Moonriver mit einer Mischung aus Zorn und Unbehagen.

"Zu den alten Meistern gehören nicht nur jene, die Ashtarias Weg gutheißen, sondern auch jene, die Iaxathans Weg verfolgt haben. Außerdem wirst du nur die Dinge lernen dürfen, die du auch ohne den Schutz deines Erbstückes ausführen kannst. Legst du es nicht ab, wird der Erfolg ausbleiben. Also triff deine Wahl!"

Adrian überlegte hektisch. Dieses Kunstweib befolgte nur Befehle. Es hatte kein eigenes Gewissen. Es war nur ein Werkzeug, ein besonderes Automaton, geschaffen aus einer alten, vergessenen Thaumaturgie, die schon gottgleich genannt werden konnte. Er war in der Gewalt der Erbauer und Befehlsgeber dieser Entität. Sie konnten beschließen, ihn zu töten oder eben einfach so verschmachten zu lassen oder ihm das zu geben, was er erhofft hatte. Es würde sich nicht lohnen, um sein Leben zu betteln, denen da draußen vorzugeben, was er ihnen alles geben konnte. Denn im Vergleich zu dem, was die wohl konnten war das doch viel zu wenig. Aber woher wollte dieses Kunstweib wissen, dass er seinen Heilsstern weggelegt hatte? Er fragte einfach.

"Da sein und dein Lebenshauch miteinander verschmolzen sind, solange du es trägst fühle ich, dass du es trägst. Wenn du es ablegst und mit keinem Körperteil mehr berührst werde ich dies erfassen."

Adrian dachte eher daran, dass der Heilsstern dann ja die Innenwand dieses Kunstgeschöpfes berührte. Das würde es wohl erspüren. Er dachte mit Ingrimm, dass Ashtarias Geist oder seine ganzen Vorfahren ihm ruhig hätten helfen können. Doch er wusste leider auch, dass sie das nur in unmittelbarer Gefahr taten. Hätte er es also darauf anlegen sollen, dass er erstickte und dann im letzten Augenblick von Ashtarias Kraft befreit wurde. Da hörte er die Stimme jener, deren über viele hundert Generationen nachgeborener Sohn er war: "Ich hätte deinen Geist in mich aufgenommenund genauso in mir aufgehen lassen wie den von Hassan ben Ibrahim iben Davud Al-Burch Kitab. Dann hätte ich veranlasst, dass dein im früheren Leben erstgeborener Sohn Algernon danach sucht und sich seiner und dieser alten Meister würdig erweist." Adrian schluckte. Dass Ashtaria ihn überwachte wusste er ja in gewisser Weise schon länger. Aber dass sie derartig rigoros über sein körperliches Leben urteilen konnte war ihm völlig neu. Aber sicher, als Adamas Silverbolt hatte er bereits mehrere Söhne und diese auch schon eigene Nachkommen. Wäre er gestorben, bevor er als Adrian Moonriver einen neuen Sohn gezeugt hatte, so wäre der Silberstern seinem Sohn Algernon zugefallen. Doch ob dieses Kunstweib oder dessen Gebieter es zugelassen hätten, dass Algernon den Stern bekam war sehr fraglich.

Mit einem verächtlichen Schnaufen zog er die dünne Silberkette über seinen Kopf und legte den fünfzackigen Stern behutsam zwischen seine in Hockstellung gekrümmten Beine auf den nach außen gewölbten Boden seiner unfreiwilligen Behausung. Der Stern glomm einen Moment bläulich auf. Dann umgab ihn wieder die einengende Dunkelheit.

"So tritt nun vor die Hüter der alten Kenntnisse und Künste im Turm der Meister von Khalakatan!" sprach die ihn immer noch in sich herumtragende. Dann klappte vor ihm ein Teil seiner runden Behausung auf. Er wollte gerade versuchen, den Heilsstern mit einer schnellen Bewegung wieder an sich zu bringen. Doch da hattenihn zwei kopfgroße schlanke Hände schon ergriffenund nach draußen gezogen. Er hing einige Sekunden mehr als zwei Meter über dem Boden und hörte, wie eine große Luke mit lautem metallischen Klong zuschlug. Sein Heilsstern war nun wohl fest in diesem übergroßen Automaton eingeschlossen.

Ohne was zu sagen ließ er sich auf seine Füße stellen und sah vor sich einen gläsernen Korb, so groß, dass darin vier ausgewachsene Menschen Platz finden konnten. "Steige dort hinein und lass dich zur Halle der alten Meister tragen! Ich wünsche dir eine erkenntnisreiche Zeit!" sagte die 4-Meter-Frau, die wie aus reinem Gold zu bestehen schien. Dann trat sie einen ihrer meterlangen Schritte von ihm zurück. Ehe er noch was sagen konnte verschwand sie in einem orangeroten Feuerball. Er war nun alleine.

Um nicht noch mehr Zeit zu vergeben bestieg er den gläsernen Transportkorb. In diesem raste er mal nach oben, mal gerade aus durch Stockwerke und Räume. Immer wieder bewunderte er die im wilden Fluge passierten Dinge und wohl auch Lebewesen und dachte daran, dass sich Thaumaturgen und Herbologen hier über Jahre einschließen lassen konnten, ohne sich zu langweilen. Doch der Korb hielt erst, als er durch einen erst engen, dann weiten, dann wieder engen Spiraltunnel gejagt war. Nun sah Adrian einen Nebelhaften Zugang vor sich. Er verließ den von selbst wieder aufgegangenen Korb und trat durch den silbrigen Dunst. Seine Augen wurden größer und größer, als er sich in einer gigantischen, kugelförmigen Halle wiederfand.

"Tritt vor mich, Garoshan, den Hüter der Tore und Wege!" hörte er eine sphärische Männerstimme, als er sich lange genug umgesehen hatte. Er gehorchte. Als er vor einem der hier an den Wänden befestigten Glaszylinder stand, die mit einer silberweiß leuchtenden Substanz gefüllt waren, sah er den, der ihn angesprochen hatte. Er erfuhr, dass er nun die Kunst des freien Fliegens erlernen sollte, um in der Halle der überdauernden Altmeister nach jenem zu suchen, dessen Kenntnisse und Künste er erlernen sollte.

Adrian erwies sich trotz seines gewissen Unmutes als gelehriger Schüler. Als er von Garoshan erfuhr, dass er nun die Kunst des freien Fluges gut genug erlernt hatte zerfloss dieser wieder zu jenem silbernen Leuchtstoff, der jeden Kubikmillimeter des Glaszylinders ausfüllte. Damit stand für Adrian fest, dass er nun nach seinem eigentlichen Lehrmeister suchen sollte.

Als er nun frei in der gewaltigen Kugelhalle umherflog sah er, dass an einem der hier aufgebauten Glaszylinder ein starrer, lebloser Körper hing wie mit einem Anklebfluch befestigt. Das Gesicht des blonden Mannes war gegen die sanft golden-silbern leuchtende Fläche des Glaszylinders gedrückt. Erst als Adrian sich die Sache näher ansah erkannte er das Profil des statuenhaften Anhängsels und erschauerte. Damit war nun doch die eine Frage beantwortet, die seit Februar viele Heiler und Ligamitglieder bewegte. Er wusste nun, dass nicht Vita Magica Silvester Partridge einbehalten hatte. Denn der war auf eine ihm selbst völlig unbekannte Weise hierher geraten und klebte nun an dem etwas lebendiger wirkenden Glaszylinder, als sei er mit diesem verbacken worden. Drohte ihm das jetzt auch?

Trotz dieser erschauernden Begegnung war Adrian entschlossen, seinen Weg fortzusetzen. Denn nur wenn er alles tat, was diese Altmeister hier von ihm verlangten, konnte er doch noch einmal in seine angestammte Welt zurückkehren. Er war zumindest zuversichtlich, dass er es konnte, wenn es der Jungspund Julius Latierre und seine Mitschwester Camille und Millie ebenfalls gedurft hatten.

"Als er sich zwei weiteren Glaszylindern näherte verstofflichten sich darin zwei völlig gleich aussehende Frauen in mitternachtsblauen Gewändern. "Ah, der Bezwinger des Bodenbereiters vom König der Dunkelheit erweist uns die Ehre, Schwester. Offenbar möchte er nach seiner neuesten Heldentat mit dem Lichternetz noch mehr machtvolle Dinge lernen", bemerkte die ihm nächste der beiden. Darauf fragte die zweite: "Na, hast du dich verflogen oder hast du endlich erkannt, dass du nur größer als vorher wirst, wenn du den Ballast dieser alten Menschenhüterin ablegst?" Die ihm nächste zwinkerte ihm verwegen zu.

"Moment mal, ihr seid Zwillingsschwestern? Wusste nicht, dass auch solche hier wohnen", sagte Adrian. "Aber ich werde nicht Iaxathans Weg folgen, wenn ihr meint, dass ich das sollte", sagte er.

"Oh, wird er nicht. Dabei ist er doch so von Neid und Unrast getrieben, seitdem er weiß, dass andere ihren Weg in unsere Halle gefunden haben", feixte die zweite Schwester. Die erste grinste verächtlich und sagte: "Und du musst Iaxathan nicht mehr folgen. Der hat endlich die gefunden, die ihn sicher zu sich nehmen wollte. Aber du könntest sein Erbe werden, wenn du dich und deinen Leib uns anvertraust. Du könntest diesen alten Unrat ablegen und wahre Macht gewinnen."

"Vergesst das. Ich mag vielleicht wütend auf Julius Latierre gewesen sein, weil der an was drankam, was ich mein ganzes Leben lang gesucht habe. Aber so wütend und hasserfüllt, dass ich mich zwei Dunkelhexen ausliefere bin ich dann doch nicht", knurrte Adrian.

"Ausliefern, wie das klingt. Anvertrauen klingt wesentlich erhabener", sagte die zweite Schwester. Und die erste sagte: "Gib uns beiden die Last aller dir eingepflanzten Hemmungen zu tragen und empfange dafür die wahre Freiheit und das Wissen um wahre Macht über Körper, Geist, Leben und Tod. Dann wirst du gerne an die Zeit zurückdenken, wo du mit uns Tisch und Lager geteilt hast."

"Danke, kein Bedarf!" knurrte Adrian und flog schnell weiter. Die beiden Schwestern lachten ihm verächtlich hinterher. "Dann bleibe ein kleines, mutloses Kind, das immer noch an den warmen Mutterbrüsten saugen muss!" rief eine der beiden ihm noch nach. Dann war er doch weit genug fort, um sie nicht mehr klar zu erkennen. "Das werden wir sehen, ihr Iaxathandirnen", dachte Adrian. Doch er war sich gerade nicht sicher, ob ihn die Meister der reinen hellen Künste überhaupt zu sich hinlassen würden, wenn er wirklich so viel Neid und Unmut in sich hatte. Ja, seit seiner zweiten, durch den sogenannten Bodenbereiter und Dumbledore erzwungenen Kindheit hegte er einen gewissen Groll auf all die, die ihn immer wieder von oben herab angesehen hatten. Auch die vielen Erinnerungen an Begegnungen mit dunklen Mächten trugen ihr übriges dazu bei, dass er immer verdrossener durchs Leben gegangen war. Im Grunde, so merkte er, hatte er doch eigentlich eine sehr große Chance gehabt, alles bisher erlebte zu überwinden, das zweite Leben als echten Neuanfang zu würdigen. Doch er hatte immer daran gedacht, möglichst schnell wieder erwachsen zu werden, möglichst bald wieder den Rang in der Liga gegen dunkle Künste zu erringen, den er einmal hatte. Doch die Ligamitglieder, obwohl genau wissend, wer er war, hielten sich an ihre verdammenswürdigen Vorgaben, erst zehn Jahre nach Schulabschluss ein neues mitglied aufzunehmen. Deshalb konnte er nur über Umwege mit alten Mitkämpfern Kontakt halten, aber nicht selbst etwas ausrichten. Diese zwei Schwestern in Mitternachtsblau hatten genau den wunden Punkt getroffen. Er trug einen großen Ballast in sich. Doch sein Pflichtbewusstsein gebot ihm, dass er diese Last zu tragen hatte, wie der von den Christen als ihren Erlöser angebetete Friedensprediger aus Nazareth das Kreuz für seine eigene Hinrichtung zu tragen hatte.

Lautes Babygeschrei riss ihn aus seinen aufgewühlten Gefühlen. Wo kam das denn jetzt her? Er suchte nach dem Ursprung der fordernden Laute, die er zu letzt von sich allein gehört hatte, als seine Ziehmutter Patience ihm geraten hatte, ohne zu mentiloquieren klarzumachen, wenn er was von ihr brauchte, falls sie ihm kein Antimentiloquismusband um Hals oder Handgelenk wickeln sollte. Aber was sollte dieses Geschrei hier, wo doch nur verdiente Großmeister der hellen und dunklen Künste untergebracht waren?

Als er sah, wo das Geschrei herkam flog er auf den Glaszylinder zu und sah darin einen Säugling in einem Sessel mit Kopfstütze. Da nahm das Baby etwas wie einen Vorläufer eines Schnullers und steckte ihn sich in den zahnlosen Mund. Aus dem Schnuller stülpte sich etwas wie der Schalltrichter einer Trompete aus Messing. "Ah, du hast mich gehört. Schön! Ich bin der Madrashtargayyan. Das ich ein Säugling bin hat was damit zu tun, was die zwei Manns- und Unheilstollen Schwestern meiner Mutter und mir angetan haben. Aber wenn du was lernen willst, um wirklich was gegen Iaxathans Nachläufer zu machen fass nur den Zylinder an. Dann bist du bei mir und ich kann dir alles wichtige beibringen, falls du Mut hast."

"Du bist auch einer der Altmeister? Wieso bist du dann hier als Säugling?" wollte Adrian wissen. "Verrate ich dir, wenn du dich traust, zu mir hinzukommen. Ilaunamiria ist gerade nicht da um meinen Körper satt und sauber zu halten. Da habe ich Zeit."

"Und woher weiß ich, dass du nicht auch so ein Iaxathananbeter bist?" wollte Adrian wissen.

"Woher weiß ich, dass du dir nicht wünschst, mit einer von Lahilliotas Töchtern eine erregende Nacht zu verbringen?" quäkte es aus dem trompetenartigen Ding, das wohl sowas wie ein Cogison war.

"Verdammtes Balg", dachte Adrian und griff nach dem gläsernen Zylinder. Dieser fühlte sich so warm an wie eine randvolle Kanne mit heißem Tee. Unvermittelt flog er nicht mehr frei herum, sondern lag in einem Tragekorb. Das schlimmste dabei war, dass er gerade splitternackt war und keinen einzigen Zahn im Mund hatte. Sein Kopf war schwer und ebenso meinte er, dass die Schwerkraft seine Arme und Beine stärker hielt als sonst. Mit einer gewissen Anstrengung schaffte er es, seine Beine anzuziehen und seine Zehen bis zum Gesicht hinaufzuführen. Zuletzt hatte er das gekonnt, wo er gerade eine Stunde nach dem Infanticorpore-Fluch in einer Wiege in Madam Pomfreys Krankenflügel gelegen hatte. Ja, er selbst war gerade wieder zum Säugling verjüngt worden. Aber er erinnerte sich an alles, was er erlebt hatte, auch wie damals. Dann hörte er ein leises Glucksen und Schmatzen. Dann sprach die Stimme aus dem tromppetenartigen Ding wieder zu ihm. "Ui, du bist ja ein richtig wohlgenährter Wonneproppen. Wer hat dich bisher genährt?" Adrian versuchte, eine Antwort zu geben. Doch seine Zunge war zu ungelenkig und sein zahnloser Mund erlaubte auch keine verständlichen Worte. "Gut, kannst du mir sagen, wenn Ilaunamiria dir auch einen Denksprechnuckler geben möchte. Ah, da kommt sie ja."

"Ich hörte, hier sei ein neuer Pflegling abgegeben worden", sprach eine Frauenstimme. Adrian konnte nun eine für ihn riesenhafte Frau in einem sonnengelben Gewand sehen, die sich zu ihm herabbeugte. Sie hatte nachtschwarzes Lockenhaar und war über die maßen üppig gebaut. Er Quängelte, als sie ihn mit ihren Händen betastete und dann aus dem Korb hob. "So, ich pack dich sicher und sauber ein und gebe dir dann einen Denksprechnuckler. Aber vorher musst du mir was versprechen: Wenn du was von mir brauchst, musst du schreien, wie es für einen Säugling üblich ist. Du darfst mit dem Denksprechnuckler kein Wort zu mir sagen, sonst nehme ich ihn dir wieder weg und du bleibst wie Madrashtarggayan ein unaufwachsbarer Säugling. Bewege deinen Kopf zur Bejahung, wenn du mich verstanden hast." Adrian quängelte verdrossen. Doch dann quälte er sich ein schwerfälliges Nicken ab. "Dann genieße meine Umsorgungen und Zuwendungen, Otaraggayan, Sohn der Hoffnung!"

"Will sagen, wenn ich Hunger hab muss ich schreien, und dann wird die mir sicher abverlangen, an ihr zu saugen. Tolle Aussichten."

Nachdem er in frische Windeln und einen bunten Strampelanzug gesteckt worden war bekam er wahrhaftig jenes Ding zwischen die Lippen, die machten, dass seine Gedanken hörbare Worte wurden. Er hörte dann Madrashtarggayan sagen: "Gut, wenn du Hunger hast musst du schreien. Wenn du zu viel Wasser im Auffangpolster hast musst du schreien. Aber glaub mir, daran kann sich jeder gewöhnen. Dafür kann ich dir dann alles erklärenund beibringen, was ich so weiß. Vielleicht bist du dann in einem Jahr von jetzt an weit genug, dass du wieder in deinen großen Körper zurückdarfst und in deine Welt rausgelassen werden kannst."

"Du hast mich hereingelegt", ließ er über den Trompetenschnuller, wie er das Ding nannte wiedergeben. "Nicht wirklich, weil wir zwei dann sonst im Bauch meiner Mutter zusammenliegen würden. Aber da könntest du die ganzen Sachen nicht nachmachen, die ich dir erklären kann, bis auf die Sachen, die ich Julius Erdengrund schon beigebracht habe, als der so mutig war, zu mir reinzukommen."

"Ein Jahr?" fragte Adrian, dem eine Bemerkung von eben nicht aus dem nun wieder viel zu schweren Kopf gegangen war. "Warum nicht? Wir haben hier doch Zeit, und Ilaunamiria, die üppige Lebensgeberin, wird dich genauso satt und sauber halten wie mich." Adrian erkannte, wie heftig sein Wunsch, zu lernen, was Julius gelernt hatte, gerade auf ihn zurückgefallen war. Ein volles Jahr würde er nun in diesem verdammten Babykörper festhängen, unfähig, sich daraus zu befreien, von der Fürsorge einer Amme abhängig, wie damals bei Patience Moonriver. "Ich hörte, ihr würdet die Welt beobachten. Wusstet ihr, wie sehr ich das gehasst habe, noch mal ein Säugling zu sein?"

"Nicht so sehr, als dass du es nicht oft genug genossen hättest, zu sabbern, zu quieken, an den üppigen Brüsten der Geduld vom Mondfluss zu liegen und so vieles mehr, dass deine zweite Kindheit erfreut hat. Das was du gehasst hast war nicht das Kindsein, sondern der Verlust deines früheren Ruhmes und deiner Größe und dass du nicht als großer Held den Ruhmestod gefunden hast, nachdem du Iaxathans Boten aus der Welt geschleudert hast, was dir auch nur gelang, weil der sich ein im Knabenkörper verstekctes Mädchen als neuen Körper greifen wollte und die alte Abscheu gegen alles weibliche ihn geschwächt hat."

"Du weißt also alles von mir?" wollte Adrian wissen. "Seit der ersten Regung im Leib deiner natürlichen Gebärerin", erwiderte Madrashtarggayan. "Deshalb bin ich ja froh, dass du endlich deinen Weg zu mir gefunden hast. Sicher, du hättest wie wir Säuglinge solange quängeln und plärren können, bis Julius dich zu uns gebracht hätte. Aber die anderen haben gesagt, dass der gerade wichtigeres zu tun hat als darauf zu warten, dass du von uns alle Sachen kennst, die du unbedingt kennen willst. Deshalb haben wir unsere neue Botin zu dir geschickt, um dich zu uns zu holen. Ja, und jetzt bist du bei mir und Ilaunamiria. Du hättest ja auch zu den beiden mitternächtigen Schwestern reingehen können. Die hätten dir sicher auch geholfen, den ganzen Unmut und Ärger loszuwerden, den du seit mehr als hundert Sonnen in dir herumträgst, und die hätten dir auch sicher beigebracht, dein Leben zu genießen, nicht nur als Verpflichtung zu sehen. Aber dann hättest du als deren williger Zuchthengst und Ausführer weiterleben müssen und dann ganz sicher eine Menge Zerstörung und Traurigkeit über die Welt gebracht, um jeder von den beiden ein würdiger Liebhaber zu sein."

Ein lautes, protestierendes "Ey" wie aus zwei weit entfernten Frauenmündern war die Antwort. "Ah, die zwei hören uns zu. Dann zeig denen, dass du nicht einer von denen sein willst und genieße lieber das Leben in großer Geborgenheit!" erwiderte Madrashtarggayan.

Adrian Moonriver oder Otaraggayan erkannte, dass er keine andere Wahl hatte, wenn er jemals wieder wirklich groß und stark sein wollte.

__________

Auch wenn es am Anfang unheimlich gewesen war empfand Pierre Marceau es irgendwie praktisch. Seitdem er mit Gabrielle die Hochzeitsnacht erlebt und sich in drei leidenschaftlichen Runden mit ihr vereinigt hatte konnte er um ihren Körper ein honigfarbenes Leuchten sehen, dass ihre Körperformen bis zu Fingernund Zehen nachzeichnete. Als er dann sich selbst ansah und feststellte, dass er offenbar von einer purpurroten Lichtaura umgeben war hatte er erst gestutzt. Sie hatten ihn vorgewarnt, seine neue Schwiegermutter Apolline, deren Mutter Léto und auch Gabrielle, dass die Liebe mit einer unberührten Veelastämmigen besondere Kräfte freisetzen konnte. Aber dass er auf einmal ihre und seine Aura wie ein warmes Leuchten sehen konnte hatte er nicht gewusst. Ja, und er konnte nun auch wie mit dem Vivideozauber die Auren anderer Lebewesen sehen, wobei diese nicht nur grün waren, sondern in allen möglichen Farben leuchten konnten. Er hatte von den Auravisoren gelesen, Hexen und Zauberern, die im Stande waren, die Lebenskraftausstrahlung, ja auch die Seelenschwingungen anderer Wesen zu sehen oder ohne umweg über die Nase als Gerüche wahrzunehmen. Doch dass er diese Gabe hatte war ihm bis zum allerersten Beischlaf mit Gabrielle nicht bewusst gewesen. Gabrielle hatte ihm dann erklärt, dass sie bei ihm immer schon was besonderes gefühlt hatte, das sie deshalb so angezogen hatte. Dann hatte sie ihm eines der größten Geheimnisse der Veelastämmigen enthüllt: "Wir Veelastämmigen können fühlen, wenn in üblichen Menschen was besonderes steckt und werden davon angezogen, solange dieser Mensch und wir selbst noch keine körperliche Liebe gemacht haben. Bei vielen Menschen kommt erst dann ans Licht, was sie so besonders macht, wenn sie mit einm oder einer von uns zusammen die erste Liebe überhaupt machen. Oma Léto nennt das den Segen der Urmutter. Meine Cousine Euphrosyne wollte unbedingt einen Burschen haben, der von irgendwoher die Gabe hat, wie mit dem Felix Felicis im Bauch alles hinzukriegen, was er vorhat. Bei meinem Vater ist es eine Gabe, mehr sehen zu können als die allermeisten anderen, die Fleur und ich von ihm auch geerbt haben. Du kannst eben jetzt, wo wir ganz zu Mann und Frau geworden sind die Auren von lebenden Wesen und wohl auch bezauberten Sachen sehen. Das heißt, unsere Kinder können das dann auch, entweder schon vorher oder auch erst, wenn sie mit einem Ehemann oder einer Ehefrau zum ersten mal geschlafen haben. Genauso wie ich das lernen musste, nicht jeden Typen total aus dem Tritt zu bringen, wenn er mich sieht kriegst du das bestimmt auch hin, damit klarzukommen. Womöglich wäre das beim Schlafen mit einer anderen Hexe gar nicht wachgeworden. Aber so ist das jetzt was, was sonst nicht jeder ohne Zauberstab hinkriegt."

Pierre hatte dann am Morgen nach der Nacht der Nächte seine neue Fähigkeit ausprobiert, ohne es den anderen zu sagen. Bei Julius hatte er eine weit ausgreifende, smaragdgrüne Aura mit goldenen Schlieren darin gesehen. Millie trug eine orangegoldene Aura mit apfelgrünen Schlieren. Außerdem konnte er zwei herzförmige hellrote Lichter pulsieren sehen, eines bei ihr und eines bei Julius. Bei seiner Schwägerin Fleur hatte er eine ähnlich honigfarbene Aura gesehen wie bei Gabrielle. Létos Lebenshauch war ein viele Meter weit ausstrahlender helloranger Schein. Bei seinem Vater hatte er eine wasserblaue Aura sehen können, bei seiner Mutter eine ähnlich purpurrote wie an sich selbst. Was ihn erst ein wenig betrübt hatte war die grauviolett flackernde Aura seines Großvaters Jean-Paul, die auf Höhe des Bauches von dunklen Stellen durchbrochen war. Als er es später, wo er mit Gabrielle alleine war erzählte meinte sie: "Oha, dann hat Großvater Jean-Paul wohl was im Körper, was die Lebensaura eintrübt. Ich will dir keine Angst machen. Aber was ich von den Auravisoren gelesen habe ist, dass die jemandem ansehen konnten, ob er oder sie am Körper oder der Seele verletzt oder krank war oder gerade unter einem Fluch stand. Deshalb wurden die meisten Hexen, die Auravisorinnen waren, ganz gute Heilerinnen. Aber besser ist es, wenn du Großvater Jean- Paul noch nicht erzählst, dass du was an ihm gesehen hast, was nicht gut aussieht. Der strahlt sowas aus, dass mich irgendwie warnt, nicht zu viel zu erzählen, als wenn auch in dem was drin wäre, das geweckt werden kann, aber dann nicht so was gutes und brauchbares wie bei meinem Vater oder dir."

"Wenn ihr Veelastämmigen das einem anmerken könnt, was die besonderes können, warum ist deine Schwester so auf Bill Weasley angesprungen?" fragte Pierre.

"Also, die Narben von diesem durchgeknallten Werwolf Greyback sind's nicht. Aber irgendwas besonderes muss er in oder an sich haben, dass Fleuer ihn für sich haben wollte. Andere Veelas kriegen das aber nur mit, wenn sie älter als zwölf und selbst noch unberührt sind und der betreffende Mensch selbst auch noch keine körperliche Liebe erlebt hat. Also kann ich dir das jetzt auch nicht sagen, was ihn so besonders macht. Vielleicht kannst du es dem ja irgendwann genau ansehen", sagte Gabrielle.

So stand für Pierre Marceau fest, dass er nun vollständig erwacht war. Er hatte seine schlummernde Begabung geweckt und würde nun lernen müssen, damit richtig umzugehen. Es war klar, dass er das nicht jedem auf die Nase band, dass er Lebens- und Zauberkraftauren sehen konnte. Doch irgendwie würde er damit wohl was anfangen.

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Am 30. August 2003 wurde der Mann, der für seine europäischen Helfershelfer Mr. J war noch einmal zu seinem direkten Vorgesetzten bestellt. Diesmal bekam er keinen Kaffee angeboten.

"Womöglich haben Sie es mitbekommen, dass die Franzosen die zwei zu drei Vierteln verbrannten Leichname im Château Trois Étoiles an Hand von Zahnspuren und DNA-Proben als Maximilian Dumont und Émile Bernard identifiziert haben. Da die beiden ja französische Staatsbürger sind mussten wir über zwanzig Stellen die Ergebnisse einholen. Damit steht fest, dass die beiden wahrhaftig bei der Vernichtung des Schlosses ums Leben kamen. Aber das wirft nun die Frage auf, wer das Meldeturmprojekt verraten hat."

"Und ich dachte, Bernard sei noch vor der Vernichtung geflohen. Womöglich hat er sich die Suizidkapsel verabreicht, um nicht doch noch von irgendwem gefunden zu werden", grummelte Mr. Jones.

"Was dafür spräche, dass die beiden verraten wurden, aber von wem?" knurrte Mr. Dunning.

"Das müssen wir klären, bevor wir ein neues Meldenetz etablieren."

"Lustiger Einwand, Finley. Aber daran ist bis auf weiteres nicht einmal zu denken. Denn jetzt sind die Inlandsgeheimdienste und Spionageabwehrabteilungen der staatlichen Polizeibehörden erst recht darauf aus, jedes Ausspähen zu vereiteln. Wir müssen uns jetzt wohl oder übel darauf verlassen, dass wir mit den anderen wieder Frieden kriegen, damit die so gnädig sind, uns was zu erzählen. Kann sein, dass der Direktor oder gar der Präsident uns beide noch einmal wegen dieser leidigen Angelegenheit einbestellen. Denn für den Krieg gegen den internationalen Terrorismus brauchen wir verdammt noch einmal alle möglichen Informationsquellen."

"Da besteht meinerseits hundertprozentige Zustimmung", erwiderte Jones. Sein direkter Vorgesetzter sah ihn sehr ernst an.

"Wie sicher sind die Installationen in Deutschland, Österreich und Rumänien?" wollte Dunning wissen.

"Derzeitig habe ich keine Meldungen über weitere Zerstörungsaktionen vorliegen", sagte Mr. J.

"Gut, veranlassen Sie, dass die bestehenden Installationen nicht mehr nach Abschluss einer Horchaktion melden, sondern jede zweite Stunde, auch wenn dies die Gefahr birgt, dass unsere Posten dadurch enthüllt werden!" sagte Dunning. Jones bestätigte es. Er wollte gerade los, um diese Anweisung auszuführen, als Dunnings Internes Telefon läutete. Dunning nahm den Hörer ab, meldete sich und lauschte. Sein Gesicht wurde immer röter. Dann nickte er nur und blaffte in den Hörer: "Damit werde ich wohl dem Direktor beichten müssen, dass wir gerade nicht nur zwei Milliarden Dollar in den Sand gesetzt, sondern unsere guten Beziehungen mit den NATO-Diensten an die Wand gefahren haben. Aber danke für die Meldung. Weiterbeobachten!"

"Darf ich fragen, was geschehen ist?" erkundigte sich Jones mit sehr behutsamer Stimme.

"Jetzt hat es auch die deutschen Meldetürme erwischt. Sie sind vor genau fünf Minuten simultan vernichtet worden. Prüfen Sie nach, wer genau Zugriff auf alle Informationen über das gesamte Projekt Meldeturm hatte, außer Ihnen und mir natürlich!"

"Das brauche ich nicht zu prüfen, über das gesamte Projekt und die informationstechnische Ausführung hatte nur der Agent mit Decknamen Bernard vollständige Kenntnis."

"Was heißt, dass er uns doch verraten haben muss, bevor er starb. So werden wir leider nicht erfahren, wann genau er die Seiten gewechselt hat", schnaubte Dunning. Er atmete einmal tief durch. Dann sagte er: "Rufen Sie den Fall "Troja brennt" aus und lassen Sie alle noch loyalen Mitarbeiter gemäß dem Rettungsplan Zapfenstreich abtauchen, bevor diese noch ergriffen und verhört werden können!" Jones nickte und bestätigte diese Anweisung, wohl wissend, dass es dafür vielleicht schon zu spät war.

__________

Ihr Herz schlug in einem ruhigen Tempo. Ihr Atem ging ebenso ruhig. Er fühlte sich gerade wieder vollkommen geborgen und beschützt. "Unsere Köder sind geschluckt worden, mein kleiner Bauchturner", hörte er ihre Stimme über Cogisonverbindung in seinem Kopf. "Das heißt, wir können die beiden in Gewahrsam genommenen jetzt doch als erwachsene Menschen zurückschicken, wenngleich dieser Cajun-Bursche, der sich Émile Bernard genannt hat, gemäß des Beausoleil-Erlasses einen vollständigen Identitätswechsel überstehen muss. Aber die Eheleute Eauvive haben sich schon bereiterklärt, die betreffende Person als Familienangehörigen zu adoptieren. Die Kenntnisse über die Strukturen der amerikanischen Spionagedienste und die ganzen elektronischen Gerätschaften sind zu wertvoll, um sie einfach in einem Zug aus seinem Gedächtnis zu löschen."

"Und wie wird die gute Antoinette Eauvive das anstellen?" wollte Demetrius wissen. Seine Trägerin erläuterte ihm, was ihre Leute mit den Eauvives vereinbart und abgestimmt hatten. "Alles in allem dürfte es drei Monate dauern, diese Umstellung für alle magischen und nichtmagischen Behörden glaubhaft abzuschließen", beschloss Nathalie ihre Ausführungen. Demetrius stimmte ihr zu. "Dann wird es dann wohl im Dezember ein neues Familienmitglied zu feiern geben."

"Ja, wird es wohl", sagte Nathalie.

ENDE

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