VOM TEILEN UND HERRSCHEN

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Die Welt ist weiterhin in Aufruhr. Die nichtmagische Menschheit lebt mit den Auswirkungen der Terroranschläge vom 11. September 2001 und dem Vergeltungskrieg der USA und ihrer Verbündeten in Afghanistan und dem Irak. Die Magische Welt hat weiterhin mit den Auswirkungen der von Ladonna Montefiori unbeabsichtigt ausgelösten Welle dunkler Zauberkraft zu tun. Zwar konnte das Erbe Sardonias in und über Millemerveilles endgültig beseitigt werden. Doch die während der Eingeschlossenheit durch eine gasförmige Droge Vita Magicas ausgelöste Fortpflanzungsorgie erlegt den Bewohnern Millemerveilles die Verantwortung für über 750 im nächsten Jahr ankommende Kinder auf.

Im Auftrag und mit Hilfe der transvitalen Entität Ammayamiria errichten Millie und Julius Latierre zusammen mit Ashtarias Nachkommen Camille Dusoleil, Maribel Valdez und Adrian Moonriver eine neue, schützende Glocke über Millemerveilles, die nicht wie die dunkle Kuppel Sardonias auf Leid und Tod, sondern Lebensfreude, wachsendem Leben und Liebe gründet.

Die dunkle Woge im April 2003 bestärkt dunkle Wesen und Gegenstände. So erwacht die schlummernde Kraft in einem Zauberkessel der Hexenmeisterin Morgause zu unheimlichem Eigenleben. Doch der Kessel wird von den darum streitenden Hexen Anthelia und Ladonna zerstört. Morgauses darin eingelagerte Seele wird von der ebenfalls bestärkten Nachtschattenführerin Birgute Hinrichter vertilgt und gibt ihr damit noch mehr magische Kraft. Auch der Orden der Gooriaimiria gewinnt durch die weltweite Welle dunkler Zauberkraft mehr Kraft.

In Australien erwachen die vier letzten Schlangenmenschen Skyllians aus jahrtausendelangem Zauberbann und sorgen über mehrere Wochen für Angst und Unsicherheit, weil sie ihr Dasein ungehindert ausbreiten wollen. Nur die von Anthelia nach Australien geschafften Insektenmenschen, sowie ein machtvolles Ritual australischer Stammeszauberer am heiligen Berg Uluru dämmen die Ausbreitung von Skyllians letzten Dienern ein.

Julius Latierre nimmt an mehreren Hochzeitsfeiern teil. Bei der Hochzeit von Gabrielle Delacour und Pierre Marceau in einem abgelegenen Waldschloss bei Amien droht die Geheimhaltung der Zaubererwelt zu scheitern. Denn das Schloss wurde vom US-Geheimdienst CIA als Spionage und Überwachungsstätte benutzt. Nur Julius' Computerkenntnisse und der Zaubertrank Felix Felicis ermöglichen ihm, die drohende Enttarnung der Zaubererwelt zu verhindern.

Im Dezember bekommt die Familie Latierre Zuwachs. Zum einen wird den Eheleuten Hippolyte und Albericus Latierre ein Sohn geboren, der eine körperliche Besonderheit aufweist. Er besitzt zwölf Finger und zwölf Zehen. Zum anderen heiratet Hippolytes und Béatrices Cousin Gilbert seine amerikanische Kollegin Linda Knowles, mit der er den Betrug der US-Quidditchmannschaft bei der Weltmeisterschaft aufgedeckt hat.

Die ersten Wochen des Jahres 2004 verlaufen ohne erwähnenswerte Ereignisse. Doch die mit dem Schutz der magischen und nichtmagischen Menschen betrauten Ministeriumsbeamten wissen, dass diese Ruhe trügerisch ist. Tatsächlich nutzen die menschenfeindlichen Gruppierungen die Zeit, um bessere Ausgangsmöglichkeiten für weitere Aktionen zu schaffen. Die Sekte der erwachten Göttin errichtet auf jedem der sieben großen Erdteile einen magischen Stützpunkt, einen "Tempel der erwachtten Göttin". Birgutes nachtschatten erweisen sich als die mächtigsten Widersacher Gooriaimirias. Mit dem Machtanspruch Gooriaimirias unzufriedene Vampire erbeuten die Kenntnisse über die Standorte der sieben Tempel. Linda Latierre-Knowles und ihr Ehemann Gilbert erfahren bei einer heimlichen Reise nach Italien, dass Ladonna Montefiori offenbar schon wichtige Posten im Zaubereiministerium kontrolliert und muss nun zusehen, wie sie es denen beibringen können, die ihnen vertrauen.

Die Wochen zwischen Ende Februar und Mitte April werden die anstrengendsten in der Laufbahn der Heilhexe Hera Matine. Denn in diesen Zeitraum fallen die von Vita Magica erzwungenen Geburten von mehr als siebenhundert neuen Zaubererweltkindern. Camille Dusoleil macht am 29. Februar den Anfang mit gleich vier Töchtern. Die Pflegehelfer unterstützen die ausgebildeten Hebammen bei den Entbindungen. Allerdings kommt es zwischen Uranie Dusoleil und dem ungewollten Vater ihrer drei Kinder zu einem Zerwürfnis. Ihr Sohn Philemon fühlt sich zurückgesetzt und versucht dies durch grobes Auftreten zu überspielen. Uranie geht auf Antoinette Eauvives Vorschlag ein, bis auf weiteres in ihrer Residenz, dem Château Florissant, zu wohnen. Bis zum 18. April erfolgen die erwarteten Geburten der von Camille als Frühlingskinder bezeichneten Babys.

Zur gleichen Zeit kommt es innerhalb der Werwolf-Vereinigung namens Mondbruderschaft zu einer Entscheidung, ob die Mitglieder sich den eingestaltlichen Hexen und Zauberern anvertrauen sollen, um keine weiteren Opfer des von Vita Magica verfremdeten Vollmondlichtes zu riskieren oder nun erst recht gegen die Eingestaltler vorzugehen. Die Gruppe um den Zauberer Fino, die für ein weiteres Alleingehen eintritt, gewinnt die Abstimmung und damit auch die Entscheidung, wer die Mondgeschwister weiterführen soll.

Ladonna Montefiori will ihre Macht in Italien vervollkommnen, bevor dort die Neuauflage der Quidditchweltmeisterschaft beginnen soll. Hierzu will sie alte Feinde, die ihr schon vor vierhundert Jahren lästig waren, unwiederbringlich entmachten, die Lupi Romani.

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10.04.2004

Es war kurz vor Ostersonntag, als Gerome Lemont, der Kommandant der Légion de la Lune, von einem Monsieur Malvoisin aus Bayonne informiert wurde, dass der dortigen Magieüberwachungseinheit drei illegal ins Land eingereiste Werwölfe ins Netz gegangen waren, oder besser, diese Lykanthropen so auffällig herumgezaubert hatten, dass die Spürsteine der Umgebung sie erfassen und orten konnten. Am Förderturm eines seit Jahrzehnten stillgelegten Kohlebergwerkes waren die drei dann betäubt und abtransportiert worden.

Als herauskam, dass sie elastische Fußketten mit hohem Silberanteil hatten, die im Stande waren, andere silberhaltige Objekte bis auf doppelte Armreichweite abzuwehren und bei der exotisch aussehenden einzigen Hexe der Drei ein Vorrat jenes Trankes gefunden wurde, der als Lykonemisis-Trank bekannt war, stand fest, dass die drei zu jener ominösen Mondbruderschaft gehören mussten. Deshalb hatte Simon Beaubois, der von der Regionalüberwachung informiert worden war, sofort die Geheimhaltungsstufe s9 darüber ausgesprochen. Somit durften nur die unmittelbar am Einsatz beteiligten, deren direkte Vorgesetzte, der betreffende Abteilungsleiter und die amtierende Zaubereiministerin persönlich davon Kenntnis erhalten. Allerdings konnte Beaubois bei dieser Stufe noch wen hinzuziehen, in dem Fall Gerome Lemont.

Nun saß der Kommandant der Mondlegion zusammen mit seiner Kameradin Liliane Boisvert in einem fensterlosen Beobachtungsraum. "Die drei Verdächtigen werden gleich von Monsieur Fontbleu verhört", klang eine Männerstimme wie aus leerer Luft zu ihnen. "Sobald die Gefangenen in den Verhörstühlen sitzen wird die einseitige Bild- und Tondurchlässigkeit der Südwand hergestellt. Danke!" kündigte die Stimme noch an.

"Sollen die nicht mitkriegen, dass wir auch mithören?" wollte Liliane Boisvert wissen. Die vor zwanzig Jahren von einem Werwolf gebissene Heilerin, die deshalb nur noch eingeschränkt praktizieren durfte, wollte noch mal die Unterlagen durchgehen. Lemont ließ sie die Akten lesen. So vergingen die nächsten Minuten. Nur Dank Lemonts lautloser Armbanduhr wussten sie, dass sie nun seit zwanzig Minuten in diesem Raum warteten. Dann flimmerte die südliche Wand und verschwand scheinbar. Denn jetzt konnten die beiden Mondlegionäre in den angrenzenden Raum sehen. Dort stand ein Tisch aus zurechtgehauenem Granit, drei gewöhnliche, hochlehnige Holzstühle und auf der gegenüberliegenden Seite vier hochlehnige Stühle mit eisernen Rücken- und Armlehnen. auf diesen Stühlen saßen, mit golden schimmernden Ketten um Oberarme, Bauch und Knie gefesselt, zwei Frauen und ein Mann. Die ältere Frau sah so aus, als sei ein Großelternteil ein Mensch aus einem mittelhellhäutigem Volk, vielleicht indisch, vielleicht auch von den ersten Völkern Nord- und Südamerikas. Ihr nachtschwarzes, bis auf den Rücken wallendes Haar und die dunkelbraunen Augen verrieten ebenfalls, dass sie nicht aus Nordeuropa stammte. Die jüngere Frau, fast noch ein Mädchen, war eher südeuropäerin, hatte strohblondes Haar und dunkelbraune Augen. Der einzige Mann der Dreiergruppe mochte Mitte zwanzig sein, hatte nachtschwarzes Haar und sah zugleich athletisch wie auch intelligent aus. Von der Statur her entsprach er dem Idealbild eines südländischen Liebhabers à la Casanova oder Don Juan. Sofort legte sich Lemont einige Anfangstheorien zurecht. Die drei waren wohl ausgeschickt worden, um hier in Frankreich wichtige Leute auszukundschaften, die womöglich in diese Mondbruderschaft hineingeholt werden sollten. Jetzt wurden die drei mit dem Enervate-Zauber aus ihrer Betäubung geweckt. Als sie erkannten, dass sie gerade an Eisenstühle festgekettet waren nickten sie, als hätten sie damit gerechnet.

Gerade nahmen auch Monsieur Fontbleu aus dem Werwolfkontrollamt und zwei Lemont namentlich unbekannte Beisitzer auf den Holzstühlen Platz. "Guten Morgen die Damen und der Herr. Ich hoffe, Sie können unsere Sprache", sagte Fontbleu. Die junge Frau nickte heftig und der junge Mann nickte verhalten. die ältere der beiden Frauen zeigte nicht, ob sie verstand oder nicht. "Heißt das, dass Ihre Begleiterin kein Französisch spricht?" wollte Fontbleu wissen. Die jüngere Frau nickte und sagte, dass ihre Begleiterin aus Südamerika stammte. "Gut, dann werde ich mit Ihnen und dem jungen Herrn sprechen, während der Kollege Santoja mit Ihrer südamerikanischen Begleitung Spanisch spricht", legte Fontbleu fest. Der benannte Kollege nickte und begrüßte nun ausdrücklich die ältere der beiden Frauen. Lemont ärgerte sich, dass er kein Spanisch konnte. Er hoffte aber, dass beim Mitprotokollieren auch übersetzt wurde.

"Zunächst einmal möchte ich mich vorstellen. Ich bin Monsieur Fontbleu aus dem Amt zur Registrierung und Überwachung von Menschen mit Lykanthropie, volkstümlich auch Werwolfkontrollamt genannt. Das hier sind meine Kollegen Moreau und Santoja, letzterer kann sowohl Spanisch als auch Euskara sprechen." Der Kollege Santoja übersetzte wohl in die beiden erwähnten Sprachen. Da grinste die Frau, die Lemont auf Ende dreißig schätzte und sagte mit einem fragend klingenden Ton: "Quechua también?". Offenbar musste Santoja das verneinen. Er sah den Kollegen Moreau an. Dieser sagte nun was in einer Lemont unbekannten Sprache. Die südamerikanischstämmige Frau machte soweit ihre gefesselten Arme dies zuließen eine ruhige Geste. Das hieß wohl, dass Moreau ihr was gesagt hatte, womit sie wunderbar leben konnte. "Die haben das vorher geklärt, wer südamerikanische Sprachen kann", wisperte Lemonts Kameradin Boisvert. und straffte sich. Denn nun ging das Verhör wirklich los.

Zuerst wurden die drei befragt, wie sie hießen. Die junge Frau stellte sich als Nina Ramirez Burgos vor, der junge Mann als Valentino Suaréz Panadero. Die Südamerikanerin nannte sich Hidalga Carmelita Rojas Mahuakani. Dann wurden sie gefragt, ob sie zu den Mondgeschwistern gehörten. Valentino erwähnte, dass sie sich von dieser Gruppe losgesagt hatten. Das bestätigte wohl auch die Südamerikanerin. Bis dahin war wohl alles soweit in Ordnung. Dann jedoch wollte Fontbleu wissen, wo das Hauptquartier der Mondgeschwister war. Da erbebten die drei Gefangenen in ihren Ketten. Blutrote Funken flogen ihnen aus Mund, Nase und Ohren. Dann sanken sie in die Ketten.

"Jhuhu, mit dem Rennbesen mit voller Geschwindigkeit gegen einen steinernen Berghang geknallt", grummelte Lemont. Die neben ihm sitzende nickte und wisperte: "Offenbar hat Fontbleu den dreien das Veritaserum verabreichen lassen, um wahrheitsgemäße Aussagen zu gewährleisten. Ist wohl auf Beaubois' oder Chevalliers Drachendung gewachsen."

"Hallo, sind Sie noch wach?" fragte Fontbleu, während die aus Mündern und Ohren austretenden Funken verebbten. Moreau prüfte mit seinem Zauberstab auf Lebenszeichen. "Sie sind alle drei Bewusstlos. Damit ist es amtlich, dass diesen Mondgeschwistern ein wirksamer Verratsunterdrückungspakt auferlegt wird, der auch unter magischem Zwang jede für die Gruppierung gefährliche Aussage vereitelt."

"Ja, aber wenn die sich von dieser Gruppe getrennt haben ..." zeterte Santoja.

"Ja, eben, sie haben sich losgesagt, wurden also nicht ordentlich entlassen. Also wirkt die in sie eingewirkte Absicherung gegen jede Art Verrat immer noch. Hätten wir kein Veritaserum benutzt hätten die drei wohl versucht, die Antwort zu verweigern oder eine uns plausibel erscheinende, aber falsche Auskunft erteilt. So bekämpften sich der Unterdrückungszauber und das Veritaserum und überlasteten die Organismen der Verdächtigen. Immerhin leben sie noch, was nicht bei jedem Verratsunterdrückungszauber selbstverständlich ist."

"Wecken Sie sie wieder auf!" befahl Fontbleu. "Dazu müssten wir wissen, wie die beiden Zauber sich gegenseitig aufgeschaukelt haben", sagte Moreau."Soll ich den HVD hinzuziehen?"

"Nicht nötig. Nebenan im Beobachtungsraum sitzt Liliane Boisvert. Mademoiselle Boisvert, bitte kommen sie in den Verhörraum und prüfen Sie den Zustand der Gefangenen!" rief Fontbleu noch. Liliane nickte Gerome Lemont zu und stand auf.

Eine halbe Minute später sah Lemont die Mondlegionärskameradin in den Verhörraum eintreten. Sie prüfte erst die Lebensfunktionen der drei. "Oha, Ihr Veritaserum hat mit einem offenbar im Blut verankerten Unterdrückungszauber reagiert und die drei fast an die Schwelle zum Hitzschlag aufgeheizt und gleichzeitig eine Überlastung der Gehirne herbeigeführt. Das dürfen Sie sich wie einen plötzlich im Körper auflodernden Brand mit einem von innen erfolgenden Schlag auf das Gehirn denken."

"Autsch, tut sicher weh", bemerkte Santoja dazu. "Und, kriegen sie die drei wieder wach, bevor die Wirkung des Veritaserums abklingt?" wollte Fontbleu wissen.

"Ich fürchte, die Wirkung des Veritaserums ist schon so gut wie verflogen. Denn laut Bauchraumprüfung hat dort in den letzten zehn Sekunden ein zwanzigmal schnellerer Verdauungsprozess stattgefunden. Dabei dürfte die noch nicht ins Blut abgegebene Menge Veritaserum restlos aufgelöst worden sein. Ich fürchte sogar, dass solange noch etwas davon im Blut der Gefangenen steckt wird der von Ihnen ausgelöste Verratsunterdrückungsbann die drei bewusstlos halten. Könnte ein mit Mond und Blut verquickter Zauber sein, was bei Lykanthropen womöglich noch viel stärker wirkt als bei unbelasteten Menschen."

"Will sagen, Verhöre mit Veritaserum können wir bei denen vergessen?" ereiferte sich Fontbleu. Die selbst mit Lykanthropie lebende Heilerin nickte erst, wandte dann aber ein, dass dieser Trank sicher hilfreich war, wenn sie von den dreien wahrheitsgemäße Aussagen über ihre Pläne abverlangten. Lemont nickte der hinter der nur von seiner Seite aus durchsichtigen Wand stehenden beipflichtend zu. Die Idioten hätten erst alle sich nicht unmittelbar mit der Mondbruderschaft befassenden Fragen stellen sollen. So würden die sicher noch warten müssen, bis das Veritaserum vollständig abgeklungen war.

"Und wie lange glauben Sie, bis die drei wieder aufwachen, falls überhaupt?"

"Das kann ich Ihnen nicht auf die Minute genau sagen. Ich kann nur vermuten, dass sie noch eine Stunde so bleiben werden. Ich kann ihre stark belasteten Gehirne auf einen schlafartigen Zustand einstimmen, um ein Koma zu verhüten. Mehr kann und mehr darf ich auch nicht, weil mir der Unterdrückungszauber fremd ist. Wenn ich auch noch versuche, gegen diesen anzukämpfen könnte er die drei und uns andere töten, wie es bei anderen Verratsunterdrückungsflüchen üblich ist."

"Gut, dann lagern Sie sie so, dass sie fixiert aber in einer bequemen Erholungshaltung verbleiben", knurrte Fontbleu. Lemont hörte ihm an, dass er sich am liebsten links und rechts ohrfeigen wollte, weil er zu sehr auf das Veritaserum gesetzt hatte.

Moreau tippte die Stühle der Gefangenen von hinten mit dem Zauberstab an. Die Ketten lösten sich und zogen sich leise klirrend in ihre Ursprungslage zurück.

Die drei Gefangenen wurden nun von Moreau, der offenbar eine Ersthelferausbildung hatte, und Boisvert auf beschworene Tragen gebettet und mit vier breiten Riemen festgeschnallt, damit sie beim Aufwachen keine unerwünschten Bewegungen machen konnten. Dann hieß es warten.

Tatsächlich dauerte es eine halbe Stunde, bis erst der junge Mann, dann die junge Frau und am Ende die Südamerikanerin wieder aufwachten. "Okay, bevor Sie noch einmal von diesem in Sie eingepflanzten Verheimlichungszauber erwischt werden, die drei Herrschaften, wir wollen noch wissen, was Sie damit meinen, sich von der Mondbruderschaft losgesagt zu haben."

"Das wir geflohen sind, weil uns die Ausrichtung und Stimmung innerhalb der Gemeinschaft nicht mehr behagten", sagte Nina, die offenbar mehr Französisch konnte als Valentino. Auch wenn nun sicher war, dass das Veritaserum seine Wirkung verloren hatte wollte Fontbleu wissen, was sie nun vorhatten. Die Antwort überraschte jeden Zuhöerer. "Wir bitten um politisches Asyl und Schutz vor den blauen Mondstrahlen", sagte Nina.

"Ach, und Sie finden, Wir könnten das einfach so gewähren?" fragte Fontbleu.

"Da Sie und Ihre Kollegen ja gerade eben rausbekommen haben, dass wir nicht sagen dürfen, wo das Hauptquartier der Mondbruderschaft ist oder wer dazu gehört kann ich Ihnen nichts im Gegenzug anbieten", sagte Nina.

"Falls wir nicht herauskriegen, was Sie drei am sprechen hindert und wie wir es aufheben können."

"Und falls Sie das nicht rausfinden?" fragte Valentino Suaréz Panadero herausfordernd. "werden mein Vorgesetzter oder ich befinden, ob Sie drei eine Gefahr für unsere Sicherheit darstellen und falls ja, ob Sie deshalb auf unbestimmte Zeit in Gewahrsam bleiben oder vor den Ausschuss zur Beseitigung gefährlicher Geschöpfe gebracht werden, der befindet, ob Sie drei weiterleben dürfen oder nicht. Sollten wir bei einem neuerlichen Verhör befinden, dass Sie wirklich keine Gefahr mehr für die nicht mit Ihrer Daseinsform belasteten Menschen darstellen wird zu beraten sein, inwieweit wir Ihnen ein Leben in unserem Land erlauben können oder ob Sie auch weiterhin an einem von anderen Menschen abgeschirmten Ort verbleiben müssen. Ebenso wissen wir nicht, ob nicht schon von den Mondbrüdern und -schwestern nach ihnen gesucht wird. Eine solche Suchaktion würde dann ebenfalls eine Gefahr für unbescholtene Menschen darstellen. Sie verstehen?"

"Ja, entweder Knast oder Friedhof", knurrte Valentino. Lemont verstand ihn vollkommen. Offenbar hatte der Bursche sich erhofft, nach ein paar klärenden Gesprächen mit den Eingestaltlern irgendwo in Frankreich als registrierter Lykanthrop weiterleben zu dürfen, vielleicht noch weitere Dosen vom Wolfsbanntrank oder gar dem Lykonemisis-Trank zu bekommen. Doch die junge Frau nickte nur. Wahrscheinlich hatte sie mit diesem Ausgang ihrer Reise gerechnet. Die Mondgeschwister waren ja auch zu gefährlich geworden, als einigen von denen jetzt über den Weg zu trauen. Lemont wusste aus eigener Erfahrung, wie scharf diese Verbrecherbande aufpasste, dass keiner sich bei denen reinschmuggelte, der ihnen ans Fell wollte. Immerhin hatte seine Légion de la Lune in den letzten zwei Jahren fünf wackere Mitstreiter verloren, zwei an dieses blaue Mondlicht, die anderen drei jedoch, weil sie aufgeflogen waren. Mit dem Risiko mussten er und seine Mitstreiter leider leben, wenn es galt, diese gefährliche Bande auszuheben.

Die drei Gefangenen wurden wieder betäubt und dann in ihre Zellen zurückgebracht. Für Lemont und Boisvert war die Angelegenheit damit erst einmal vertagt. Weil die Angelegenheit auf Stufe s9 eingeordnet war würde kein unmittelbar Beteiligter wissen, dass in den Untersuchungskerkern unter dem Gerichtstrakt drei festgenommene Werwölfe eingesperrt waren, von denen keiner wusste, was sie wollten und ob sie für andere noch eine Gefahr darstellten.

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11.04.2004

Erin O'Casy grübelte darüber nach, wie sie es anstellen konnte, dass Kevin malone doch noch nach Irland zurückkehren konnte oder musste. Zwar wusste sie, dass die Geburt seines ersten Sohnes unnmittelbar bevorstand, doch sie sah die Mutter dieses Kindes nicht als die richtige Hexe an. Denn laut den alten Bräuchen und Sitten musste ein Spross aus einer der zwölf ältesten Familien der irischen Zaubererwelt einen andersgeschlechtlichen Nachkommen einer anderen der Zwölf ältesten Zaubererfamilien Irlands heiraten. Das hatte Kevin nicht getan. Dieser aufmüpfige Bengel hatte sich von einer Festlandshexe dazu nötigen lassen, die bei ihrem Volk geltenden Bräuche zu akzeptieren, statt sich seiner Pflichten zu erinnern.

Erin öffnete das Fenster und genoss die würzige Nachtluft. Auch wenn der April der Monat mit den meisten Wetteränderungen war mochte sie ihn genau deshalb mehr als den Mai oder die Sommermonate.

Sie dachte weiter an Kevin aus dem Haus der Malones, das sie, Erin O'Casy, als Patin betreute, seitdem Clayton Malones Eltern bei einem Besenausflug in einen wilden Sturm geraten und abgestürzt waren. Kevin und Gwyneth, die von Claytons Schwester unter ihrem Mädchennamen großgezogen worden war, hatte zwar auch Schuld auf sich geladen, weil sie Kevin aus der Obhut seiner Eltern befreit hatte. Doch sie war immer noch in Irland und hatte gemäß der alten Sitten noch sechs Jahre Zeit, sich einen Ehemann aus einer der anderen elf großen Familien zu suchen. Kevin musste unbedingt von dieser Flämin weg, noch bevor er den von ihr getragenen Sohn öffentlich als seinen ehelichen Sohn anerkannte. So hatte sie im Moment mehr Druck als sowieso, die Verbindung mit der Flämin zu beenden, bevor da ein Malone mit nicht reinirischem Blut Anspruch auf das Familienerbe erheben konnte. Sie schalt Clayton einen Versager, weil der seinem Sohn nicht entschlossen und nachdrücklich genug beigebracht hatte, welche Pflichten er hatte. Außerdem ließ er sich von Dana, die aus der alten Sippe der O'Hoolihans stammte, dreinreden und kleinhalten. Er hielt seine schützende Hand über Gwyneth und hatte ihr die ihm von ihr zugefügten Niederlage verziehen, auch wenn er bis heute keinen Fuß in Kevins Familienhaus bei Brüssel gesetzt hatte. Sie musste also dafür sorgen, dass die alten Bräuche und Regeln geachtet und befolgt blieben. Denn sonst traf zu, was ihr die aufsässige Dana an den Kopf geworfen hatte. Die heranwachsenden Jungen und Mädchen aus den alten Familien konnten finden, sich ohne Genehmigung der Eltern ihre Ehepartner zu suchen, wen und wo sie wollten. Das durfte nicht sein.

Da sie die Führerin der entschlossenen Hexen Irlands war - was außer ihren Schwestern und ihrer wahren Königin niemand wusste - würde ihr wohl was einfallen, um das durchzusetzen, was sie für ihre Pflicht und somit ihren Willen hielt.

Sie wollte gerade das Fenster wieder schließen, da fühlte sie, wie ein anderer Geist, der Geist einer mächtigen Hexe, in ihr Bewusstsein hineintastete. Sofort verflog ihr Groll gegen diesen aufmüpfigen Malone-Bengel einer unterwürfigen Erwartungshaltung. Die Königin rief nach ihr. Sie setzte sich hin und erwartete die Ansprache ihrer neuen Herrin.

"Erin O'Casy, es freut mich, dass du mir noch ein paar sehr nützliche Gefährtinnen zugeführt hast. So wird deine Heimatinsel bald ebenso zu meinem großen Reich der Hexen gehören wie mein Geburtsland es schon in sehr kurzer Zeit tun wird. Doch nun ist es Zeit, mir einen sehr wichtigen Dienst zu erweisen. Suche die Nähe des englischen Zaubereiministers aus dem Mohrenland und pflanze ihm die Vorstellung in den Kopf, dass die französische Zaubereiministerin ihm einen Teil Kanadas abspenstig machen will. Du kannst dazu den Gedächtniszauber nutzen. Doch wenn du ihn nicht kennst nutze den Imperius-Zauber. Lass dich dabei jedoch nicht ertappen. Denn wirst du entdeckt und gefangen ist dies dein sofortiger Tod. Hast du mich verstanden?"

"Ja, meine Königin, ich habe Euch verstanden. Ich soll Shacklebolt irgendwie eingeben, dass die französische Zaubereiministerin ihm den französischsprachigen Teil Kanadas wegnehmen will. Versage ich bin ich tot. Ich habe dich verstanden und werde gehorchen, o meine Königin."

"So geh hin und erfülle meinen Willen!" befahl die laute Gedankenstimme der Rosenkönigin. Dann zog diese sich aus Erins Geist zurück, nicht ohne wohl einige der letzten Gedanken und Gefühle abgeschöpft zu haben, die Erin gerade umtrieben. Wer Erin jetzt sehen konnte mochte erkennen, dass sie gerade nicht sie selbst war. Doch hier in ihrem Haus war sie ganz alleine. Als sie wieder völlig zu sich kam dachte sie nicht an die Malones, an den pflichtvergessenen Bengel, an dessen nicht minder aufsässige Base oder an die alten Bräuche der irischen Zaubererfamilien, sondern nur an den Befehl ihrer Königin, den Zaubereiminister Britanniens zu einer bestimmten Meinung zu veranlassen. Sie fragte nicht danach, warum sie dies tun sollte, warum sie nicht gleich den Zaubereiminister zu ihrem Unterworfenen und damit zum Helfershelfer der Rosenkönigin machen sollte. Sie hatte nur ihre Befehle auszuführen, ohne wenn, aber oder warum.

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17.04.2004

Leopold Rosshufler, seit seiner erneuten Bestätigung als Zaubereiminister Österreichs noch selbstbewusster als sonst schon, wunderte sich nicht schlecht, als er am Morgen des 17. April einen Brief aus Rom bekam. Der Brief stammte von Romulo Bernadotti, dem italienischen Zaubereiminister höchst persönlich. Ja, und der Kollege vom Stiefel schrieb sogar auf Deutsch, auch wenn es nicht das Deutsch des einstigen Kaiser-und-Königreiches Österreich-Ungarn war.

Er musste den Brief zweimal lesen, um zu glauben, was da stand. Das musste er unbedingt überprüfen, ob Bernadotti es tatsächlich ernst meinte. Der bot ihm doch wahrhaftig an, den seit fast 100 Jahren immer wieder zu Spannungen zwischen den beiden Ländern führenden Sonderstatus von Tirol zu beenden und ihm, dem österreichischen Zaubereiminister, die volle Verwaltungshoheit über die dort lebenden Hexen und Zauberer zuzuerkennen. Falls Rosshufler zustimmte konnte der Vertrag bereits am 5. Mai dieses Jahres unterschrieben werden. Allerdings erbat sich Bernadotti größtmögliche Diskretion. Die Presse in den drei Ländern sollte erst darüber informiert werden, wenn es zur Konferenz der Zaubereiminister vor der Weltmeisterschaft gekommen war. Weil Tirol auch bei der Neuauflage nicht antrat würde das für die Vorbereitung der Neuauflage nichts ausmachen. Doch die Österreichischen Hexen und Zauberer konnten jubeln, und die Italiener waren ein stures Volk los, das sich nicht an die von irgendwelchen Nichtzauberern 1918 vereinbarte Grenzziehung halten wollte. Über die Euphorie, die Tirol-Frage nun doch noch endgültig zu beantworten nahm er nur beiläufig zur Kenntnis, dass sich Bernadotti sorgte, weil er von Vorbereitungen gehört haben wollte, dass Frankreich anstrebte, alle Länder oder Regionen, wo Französisch die am weitesten verbreitete Sprache war, von Paris aus verwalten zu lassen und die betreffenden Zaubereiministerien zu drängen, dieser "Verwaltungsneuordnung" zuzustimmen. Vielleicht musste er dafür selbst nach Rom, oder Bernadotti kam zu ihm. Nein, Bernadotti würde im Moment nicht zu ihm reisen. Denn er schrieb, dass er seinen mit entsprechenden Rechten ausgestatteten Stellvertreter nach Wien schicken würde, um den neuen Vertrag, den Bernadotti da schon unterschrieben haben würde, unterzeichnen zu können. Außerdem befürchtete Bernadotti einen Aufstand der Hexen, die meinten, Ladonna Montefiori, die nach vier Jahrhunderten unerwartet wieder aufgetauchte Dunkelhexe, könne sie zur Vorherrschaft führen. Das und auch die weiteren Bedenken wegen Vita Magica hielten Bernadotti gerade davon ab, Auslandsreisen zu unternehmen.

Rosshufler schrieb einen Antwortbrief im besten Italienisch, dass er ebenso beherrschte wie Englisch, Französisch, Tschechisch und Ungarisch. Er teilte seinem Kollegen mit, dass er hoch erfreut sei, dieses auch für ihn unangenehme Kapitel nachbarschaftlicher Beziehungen beenden zu dürfen und lud den erwähnten Stellvertreter ein, ihn mit den zu unterschreibenden Verträgen in seiner Residenz unter der Hofburg in Wien zu besuchen.

Er hatte gerade den Brief per Rohrpost zur hauseigenen Eulerei mit dem Vermerk "Nur für den Adressaten bestimmt" und "Per Flonetz zuzustellen" versehen, als das hauseigene Rohrpostsystem mit leisem Fauchen einen weiteren, in einem silbernen Ring eingezwengten Umschlag ausspuckte. Der Minister ergriff den Ring und hörte ein leises Stimmchen: "Leseberechtigter erkannt". Erst dann konnte er ohne großen Hausalarm und allem daranhängendem Rabatz den Haltering abziehen.

Der Brief kam von Ewalda vom Kreuzacker. Sie schrieb in einer schon eines Heulers würdigen Verärgerung, dass sie es Leid war, mit dem für magische Grundstücksfragen zuständigen Beamten "herumargumentieren" zu müssen, warum die seit einigen Jahren verwaisten Grundstücke, die einst ihrer Familie gehörten, nicht wieder ihrer Familie zugeschlagen werden konnten und bat, nein forderte eine persönliche Unterredung mit dem Zaubereiminister, um "diese sehr schlimm aufstoßende Sache" endlich zu klären. Jede und jeder andere hätte mit diesem schon sehr dreisten Ton eine Rüge verdient. Doch mit Ewalda vom Kreuzacker legte sich keiner an, der in Österreich was darstellen wollte oder bereits sehr gut positioniert war. Ihre Verwandtschaft reichte in alle Bereiche der Zaubereiverwaltung und der magischen Manufakturen und Trankbrauereien hinein, und nicht zu letzt ihr hatte Leopold Rosshufler es zu verdanken, dass er als einer von drei Kandidaten um das Ministeramt den Zuschlag bekommen hatte und seitdem wie die Made in der Zwetschge lebte und hoffte, dass diese Zwetschge niemals von ihrem nährenden Zweig abfiel, bevor die Made doch noch flügge wurde. Leider wusste die Kreuzackerin das sehr gut und nutzte das aus, um über ihn gewisse Vorrechte einzuhandeln oder wie in diesem Fall sogar einzufordern. Warum bestand sie jetzt derartig dringend auf die Neuzuweisung der von ihr erwähnten Grundstücke. Was stand da gerade drauf? Konnte er es überhaupt eindeutig klären, dass Ewalda vom Kreuzacker auch damit zufrieden war? Auch wollte sie nicht mit ihm im Ministeriumskomplex unter dem Park der wiener Hofburg sprechen, sondern lud ihn schon mit einer an einen Befehl reichenden Wortwahl zu sich in ihre Residenz ein. Konnte und sollte er das ablehnen? Seine Wiederwahl war gerade erst drei Monate her. Auch hatte sie ihm geholfen, seinen Sohn Joseph in der Österreichischen Sektion der internationalen Zaubererkonföderation unterzubringen, obwohl seine UTZs in einigen Fächern nicht den hohen Ansprüchen genügten. Die Hexe hatte ihn immer noch am Führstrick, und er wusste das auch. Würde er ihr "Ansinnen" zurückweisen oder für sich nicht zuständig erklären konnte sie was drehen, dass ihm wiederum sauer aufstoßen und ihm den so bequemen Ministerstuhl unter dem Allerwertesten wegziehen konnte, nicht offen und direkt, aber über ihre vielen verzweigten Verbindungen. Wenn er nicht auf sie einging war das italienische Angebot nichts mehr wert. Auch durfte er sich nicht vor Heinrich Güldenberg blamieren, der sich immer noch als der einzig große Zaubereiminister des deutschsprachigen Raumes darstellte. Also schrieb er ihr, dass er sie zu der von ihr gewünschten Abendstunde in ihrer Residenz besuchen käme. In geübter Heuchelei fügte er noch an, dass er sich schon freue, die Kochkunst ihrer Hauselfe Fanni erneut genießen zu dürfen. Denn Fanni konnte eigentlich nur drei Sachen gut, Wiener Schnitzel, Bratkartoffeln und Kaiserschmarrn.

Als der Arbeitstag des Ministers beendet war sagte er seiner Frau, dass er noch im Büro bleiben würde, weil er noch bis heute um Mitternacht zu verschickende Briefe schreiben müsse. Das sagte er immer dann, wenn er nicht begründen wollte, warum er nicht im Wohntrakt des amtierenden Ministers essen wollte und auch mal später ins Bett fand. Sie hatte ihm einmal unterstellt, eine heimliche Affäre zu haben und er hatte sich lachend dafür bedankt, dass sie ihm nach all den Jahren immer noch so viel Durchhaltevermögen zutraute, mehr als eine Frau satt und glücklich zu machen. Seitdem hatte sie nie wieder gefragt, was genau er nach dem offiziellen Bürotag noch zu tun hatte. Als Minister hatte man eben auch viele Geheimnisse, auch vor der eigenen Ehefrau.

Als er seine Vorzimmerhexe Liselotte mit Grüßen an den Mann und "die zwei Kleinen" fortgeschickt hatte, nutzte er seinen exklusiven Flohnetzanschluss in einer Seitenkammer des Büros, um direkt in die Residenz derer vom Kreuzacker bei Klagenfurt zu wechseln.

Ewalda vom Kreuzacker trug heute ein zinoberrotes Samtkleid mit Stehkragen und hatte goldene Bänder in ihren silbergrauen Zopf geflochten. Einen Moment musste der beleibte Leopold Rosshufler an die Mutter von Kaiser Franz Joseph I. denken oder an Maria Theresia, die ja auch mit einem Leopold verheiratet war. Die Hexe wusste, was sie war und wie sie auftreten musste, um zu bekommen was sie wollte.

"Ah, Leo, da sind's ja", grüßte sie den Minister fast schon wie einen herbeigerufenen Dienstboten.

"Ich freue mich, Sie immer noch bei bester Gesundheit zu sehen, gnä' Frau Zauberrätin", erwiderte Rosshufler mit oft geübter Galanterie. Sie nahm dieses Kompliment als zu erwarten und pflichtgemäß hin, was ja auch stimmte. Dann forderte sie ihn auf, sich die Asche von der Flohnetzpassage aus der Kleidung zu klopfen und dann in den grünen Salon zu kommen, wo sie beide zu Abend essen sollten.

Zu seiner großen Erleichterung hatte die Hauselfe heute tatsächlich eine genießbare Kaltschale, ein tatsächlich gut durchgebratenes Rinderfiletstück mit nicht zu weich gekochten Kartoffeln und Salat und ihren guten Kaiserschmarrn mit beigefügten Marillen aufgetragen. Während des Essens tranken sie Rotwein und sprachen über die leidige Angelegenheit, wegen der er zu ihr hinkommen sollte. Als sie noch ein Grundstück nordwestlich vom Königssee erwähnte sagte er ihr in bestem Wienerisch, dass er da zu seinem größten Bedauern nichts machen könne, da dort selbst die Bayern dasSagen hätten. Sie erwiederte im bestenösterreichischen Hochdeutsch, dass ihr dies bekannt aber nichts desto trotz zu wider sei, dass die einstigen Vasallen Österreichs meinten, derartig überheblich auftreten zu dürfen. Er erwiderte, dass selbst Heinrich Güldenberg viel Überzeugungsarbeit leisten müsse, wenn er von den bayerischen Bergwaldzauberern und Kräuterhexen was haben wollte. Er schlug vor, erst die auf eindeutig österreichischem Gebiet liegenden Grundstücke zu besprechen, was dort gerade stand und/oder wuchs, wem sie vorher gehört hatten und wie er es hinbiegen konnte, dass die gnädige Frau Zauberrätin Ihre Ansprüche als gerechtfertigt und zu bewilligen darlegen konnte.

Als sie beide zu einer Vereinbarung gelangt waren, mit der sie leben und die er ohne Risiko für sein eigenes Ansehen durchführen konnte ging es wieder um jenes Grundstück am Königssee. Sie bestand darauf, dass er dem bayerischen Regionalzauberrat beibrachte, dass er dieses immerhin 500 Hektar große Gebiet ddenen vom Kreuzacker zusprechen müsse, weil dies die alten Rechte der Zaubererwelt so verlangten. Rosshufler wollte darauf gerade was antworten, als er fühlte, wie ihm erst die Stimme wegblieb und er dann fast übergangslos in einen traumartigen Zustand übertrat, in dem er nichts mehr denken oder hinterfragen konnte. In diesem Zustand hörte er die Stimme Ewaldas noch klarer, als würde sie glleichzeitig in seinen Ohren und seinem Geist klingen: "Krieg es hin, Leo, dass alle bayerischen Anliegen auch wieder von Österreich aus verwaltet werden, ohne auf Widersprüche oder offene Gegenwehr dieses feisten Knödelvernichters Eisenpfortner oder gar seines überheblichen Vorgesetzten Güldenberg zu achten. Ja, erhebe Österreich wieder zur wahren Großmacht in Europas Mitte und entscheide auch die Tiroler Frage für unser großartiges Reich! Verachte die von Nichtzauberern gezogenen Grenzen und rufe den Bund süddeutscher Hexen und Zauberer wieder ins Leben zurück!"

Jede dieser Anweisungen drang bis zum Grund seines Verstandes vor und breitete sich in alle Winkel seines Geistes aus. Er saß nur da und tat nichts. Sie wiederholte die Anweisungen erneut. Ihre Kraft verstärkte sich. Nach dem dritten mal glitt er sanft und ohne unnötigen Gedanken in einen tiefen Schlaf.

Als er wieder aufwachte wusste er nicht mehr, was ihm passiert war. Er saß am Tisch und hörte gerade, wie die Hausherrin ihrer Elfe harsche Anweisungen gab, noch mehr Wasser und Wein aufzutragen. Dann setzte sie das Gespräch mit ihm fort und ereiferte sich über die Sturheit der Bayern, die durch die unwürdige Anerkennung der von Nichtzauberern gezogenen Landesgrenzen meinten, Oberwasser zu haben. Leopold Rosshufler stimmte ihr zu, dass die Neuordnung der Zaubereiverwaltung damals zu Ungunsten der Österreicher ausgegangen war, zumal ihnen ja auch noch die Mitsprache in Ungarn abhandengekommen war. Er wolle zusehen, dass er den bayerischen Regionalzauberrat Ferdinand Eisenpfortner dazu bringen könne, das München näher an Wien als an Berlin liege.

"Da müssen Sie aber auch aufpassen, Leo, dass die Badener, Württemberger und Pfälzer nicht gegensteuern, weil die durch diese Umstellung auch mehr Eigensinn entwickelt haben. Ich hörte über meine vielen Kontakte, dass die Älsassdeutschen bereit wären, eine Neuauflage des Bundes süddeutscher Hexen und Zauberer mitzutragen, wenn die anderen ehemaligen Einzelländer dieses Bundes angeführt von Österreich die Überstellung deren Obliegenheiten unter ein deutschsprachiges Zaubereiministerium befürworten und durchsetzen."

"Da bringen Sie mich aber jetzt in eine sehr heikle Lage, gnädige Frau Zauberrätin. Ich fang sicher keinen Streit mit der französischen Zaubereiministerin um eine Region an, die nie zu Österreich gehört hat", antwortete Rosshufler. "Wenn Sie es hinbekommen, dass der BusüdHuZ wieder aufleben kann und dieses all zu nachgiebige Anerkennen von Nichtzaubererbeschlüssen widerrufen, dann mag diese hexe in Paris überlegen, ob ihr die Meinung der Älsassdeutschen wirklich einen internen Streit wert ist, zumal sie ja selbst gerade versucht, ihre Einflusssphäre auszudehnen." Rosshufler dachte zunächst, dass er unbedingt den BusüdHuZ wieder auferstehen lassen musste, wollte er alle sein Land betreffenden Grenzstreitigkeiten beenden. Dann fragte er sich, was Ornelle Ventvit vorhatte. Die Frage stellte er dann auch laut. Er erfuhr, dass das französische Zaubereiministerium planen sollte, eine Gesetzesneuerung durchzubringen, dass überall dort, wo Französisch die meist gesprochene Sprache sei, französische Zaubereigesetze zu gelten hätten. Wie genau dieser Plan gestaltet war und wann genau er ausgeführt werden sollte habe Ewalda vom Kreuzacker bisher nicht erfahren können. Sie sei jedoch bereit, es dem Zaubereiminister sofort mitzuteilen, wenn sie es wisse.

Damit endete das vertrauliche Abendessen. Rosshufler durfte um elf Uhr abends wieder nach Wien in sein Büro zurückflohpulvern. Dort trank er schnell etwas gegen den Blutalkohol, auch um keine Weinfahne vor sich herzutragen. Seine Frau sollte bloß nicht merken, dass er mit Ewalda vom Kreuzacker zwei ganze Flaschen Rotwein geleert hatte. In seinem Kopf kreiselten derweil ihre Worte, dass er sich um eine Neuerstehung des Bundes süddeutscher Hexen und Zauberer bemühen möge. Ja, das war sicher eine sehr große Sache, dieses Getue um die von den Nichtzauberern gezogenen Landes- und Zuständigkeitsgrenzen zu beenden.

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21.04.2004

Adolfo Costello war der Hauptbote des ehrwürdigen Hauses Mangiapietri, einer Familie, die schon zur Zeit des Imperium Romanum bestanden hatte und alle Wirrungen der letzten zweitausend Jahre überstanden hatte. Darauf war er stolz, auch wenn er nicht zu den Trägern des alten Blutes gehörte. Doch dafür durfte er an Dinge rühren, die für gesetzestreue Zauberer und Hexen unantastbar waren. Außerdem hatte er Dank des über ihm gehaltenen Schirmes der Mangiapietris eine reiche Hexe zur Frau gewinnen können, Fabiola di Ventirossi, erstgeborene Tochter der berühmten Besenmanufaktur aus Florenz, die seit zwei Jahren den Superrennbesen Ventirossi Superfalcone herstellten. Zwar waren die Ventirossis auch mit dem ebenso uralten Haus Nuvolebianche verbunden, doch deren älteste unverheiratete Hexe hatte Fabiolas Bruder Benvenutto geheiratet und somit die alte Bindung bewahrt und sogar verstärkt.

Immerhin hatten Adolfo und Fabiola Costello vier Kinder in die Welt gesetzt, davon drei Söhne. Alle drei hatten wichtige und einträgliche Stellungen erhalten. Einer von ihnen war sogar von Dominus Vespasiano zum Verwalter einer Jackalopenfarm in Mexiko gemacht worden, und der hatte dort auch eine höhere Tochter betört und mit ihr eine Familie gegründet.

Seine Frau Fabiola war jedoch seit zwei Wochen in Peru, weil sie dort die südamerikanischen Zauberkräuter aus drei klimatischen Regionen erforschen konnte. Außerdem interessierte sie sich für die Sonnen- und Mondzauber der Inkavölker. Deshalb würde er die kommende Walpurgisnacht wohl mit ihrer Nichte Mirella verbringen, die in der Abteilung für magische Spiele und Sportarten arbeitete. Fabiola wusste, dass er Mirella als Gefährtin für dringende Angelegenheiten gewonnen hatte. Klang besser als Geliebte oder Affäre. Aber wenn Fabiola nicht noch mal schwanger werden wollte und aus einer altbackenen Glaubenssache heraus keine Verhütungsmittel benutzen wollte brauchte er wen, der seine immer noch lodernden Leidenschaften in beherrschbaren Bahnen hielt.

Doch heute nacht war er allein. So würde er sich wohl wie jedesmal nach einem langen Arbeitstag eine halbe Flasche besten Chiantiwein aus den Kellern seiner Patenfamilie gönnen, den rest davon an den altrömischen Weingott persönlich opfern und dann ganz sicher ganz tief schlafen.

"Prosit, ihr alten Fahrensleute und auch unser Weibervolk, ohne das der beste Wein nur schwacher Trost ist", trank er sich selbst zu. Er wollte gerade den ersten Schluck aus dem silbernen Kelch genießen, als es an das breite, fast bodenhohe Fenster klopfte. Adolfo setzte den Kelch auf den kleinen Spitzenuntersetzer und griff nach seinem Zauberstab. Denn um das Fenster zu öffnen mussten sechs shwere Riegel bewegt werden. Von hand machte er sowas nie. Er rief die beiden Passwörter für den in das Fenster eingewirkten Zauber. Metallisch schabend sprangen die Riegel zurück. Das Fenster klappte nach oben weg. Die norditalienische Frühlingsabendluft wehte kühl und würzig herein. Mit ihr kam ein kapitaler Uhu hereingeflogen. Der große Eulenvogel trug vor dem Bauch einen Lederbeutel. Mit lautlosen Flügelschlägen steuerte der gefiderte Bote den Wohnzimmertisch an und landete knapp vor dem silbernen Weinkelch. Mit einem raumfüllenden "Wuhuuuh" bekundete er hörbar seine Anwesenheit und wohl auch, dass ihm schnellstmöglich die Last vom Bauch genommen wurde.

"Ja, wer hat dich denn geschickt?" fragte Adolfo Costello. Er wusste, dass sein heimlicher Schirmherr keinen Uhu als Posteule nutzte, sondern einen Sperlingskauz. Doch der wäre für den großen, sichtbar prallen Beutel sicher zu klein gewesen. Dann sah er den grün-weiß-roten Ring am rechten Bein des Vogels. Also kam der Uhu aus dem Bestand des Zaubereiministeriums. Er dachte an die auf mittelhoher Geheimstufe rangierenden Gefälligkeiten, die er dem Ministerium schon erwiesen hatte, vor allem die Unterhandlungen mit den europäischen Quidditchverbänden, um die Teilnahme an der Weltmeisterschaft zu bezahlen. Womöglich bekam er die erste Anzahlung für die erfolgreiche Verhandlung wegen der Neuauflage. Schnell nahm er dem großen Vogel den Beutel ab. Er wollte ihm dafür drei Eulenkekse geben. Doch offenbar hatte der Uhu den Befehl erhalten, unverzüglich nach erfolgreicher Zustellung wieder fortzufliegen. Denn er stieß sich keine Sekunde nach Lösen des Beutels ab, vollführte eine gekonnte Punktwende und eilte mit schnellen, lautlosen Flügelschlägen wieder in die Nacht hinaus. Adolfo sah noch, dass der Uhu im freien Flug etwas fallen ließ und musste grinsen. Also hatte der Bote Druck gehabt und durfte nicht auf den Tisch oder den Boden des Adressaten machen. Ja, Erziehung war alles, auch und vor allem bei Posteulen, dachte Costello.

Als er den Uhu nicht einmal mehr als winzigen Punkt sah ließ er durch Flüstern der beiden Passwörter für den Fensteröffnungszauber in umgekehrter Reihenfolge das Fenster wieder zuklappen und unüberhörbar verriegeln. Jetzt konnte niemand mehr von draußen zu ihm rein, weil das Fensterglas unzerbrechlich, feuerfest und ja sogar gegen mittlere Flüche gepanzert war.

Der Beutel war mit einem seidenweichen, hauchdünnen, nachtschwarzen Faden zugebunden. Costello dachte daran, dass es sich um ein Haar handeln konnte. Doch wer band mit einem einzigen Haar einen schweren Beutel zu? Er griff danach und fühlte eine Sekunde einen Wärmeschauer durch seine Hand gehen. Jeder Anflug von Argwohn verflog. Nur die Neugier überwog nun. Er band den besonderen Faden ab und erkannte, dass es wahrhaftig ein Geflecht aus drei langen Frauenhaaren war. Er nahm es irgendwie so hin, als sei sowas normal. Dann zog er den Beutel auf und blickte auf ein stück Pergament. Er zog es behutsam heraus. Dann bekam er Augen groß wie sein silberner Weinkelch. Denn unter dem Pergamentblatt glänzten ihm mehr als zwanzig handtellergroße Goldmünzen entgegen, Supersolicini, jede Münze soviel wert wie zwanzig übliche Goldmünzen. An die kamen nur Gewerbetreibende oder Leute aus der Handels- und Finanzabteilung des Ministeriums. Er tauchte seine Hand in den Beutel und bekam eine der Münzen zu fassen. Als er die wunderbar schwere Goldmünze jedoch zur Hälfte herausgezogen hatte entglitt sie ihm ohne Vorwarnung, als habe jemand eine überaus rutschige Schleimschicht zwischen ihr und seine Finger aufgetragen. Er kannte diesen Zauber: Mucodigiti, ein besonderer Diebstahlschutz, der solange hielt, wie zwischen einer und drei Bedingungen noch nicht erfüllt waren. Er prüfte, ob seine Finger nicht wirklich verschleimt worden waren und überlegte, ob er nicht die silberne Zuckerzange benutzen sollte, die seine Frau ganz vornehm benutzte, wenn sie ihren sehr teuren indischen Tee süßte. Dann fiel ihm ein, dass Mucodigiti sich auch auf Werkzeuge übertrug, mit denen das davon geschützte Objekt ergriffen wurde. Mit Fluchabwehrhandschuhen oder Drachenhauthandschuhen für die Gartenarbeit waren solche Gegenstände erst gar nicht zu ergreifen. Also musste er erst einmal die dem verhexten Gold beigefügte Nachricht lesen um zu wissen, ob er überhaupt berechtigt war, die Münzen zu nehmen. Am Ende hatte wer vom Ministerium nicht ihm, sondern seiner Frau den Uhu geschickt, weil die irgendwas angeleiert hatte, was dem Absender so viel Gold wert war.

Geehrter Signore Costello,

es wird Sie sehr erfreuen zu erfahren, dass Ihre Unterhandlung mit dem kanadischen Quidditchverband wegen der Teilnahmegebühr für die Neuauflage der Weltmeisterschaft wider erster Rückmeldungen von dort doch noch unsere Erwartungen erfüllt, ja sogar übertroffen hat. Die Kanadier sind nun doch bereit, die vollständige Teilnahmegebühr bis zum Finale zu entrichten, auch wenn sie zunächst darauf beharrten, wegen der betrügerischen Handlungen der US-Nationalmannschaft nur die Hälfte zahlen zu wollen, da sie sich ja selbst als Opfer jener Machenschaft wähnten, der wir den vorzeitigen Abbruch der Weltmeisterschaft zu verdanken haben. Offenbar zeitigte Ihre Argumentation bei den Verantwortlichen mehr Wirkung als wir alle zunächst dachten. Jedenfalls haben die Kanadier bereits die gesamte für die Teilnahme festgelegte Summe entrichtet. Daher wird Ihnen durch meine Person vom Leiter der Abteilung magische Spiele und Sportarten Italiens gratuliert und gedankt. Wegen dieser so lautlosen und über die Erwartungen erfolgreichen Unterhandlung wird Ihnen von uns ein Extrabonus von 500 in Worten fünfhundert Solicini in Supersolicini-Münzen erstattet. Um diese Münzen ihrem Tragebeutel entnehmen und damit bei den Kobolden von Mailand, Florenz, Rom oder Venedig vorstellig werden zu können müssen sie lediglich den offenen Beutel und dieses Schreiben fest in Händen halten und laut und deutlich Ihren vollständigen Namen und ihr Lebensalter in vollendeten Jahren aussprechen. Der in diesem Schreiben eingewirkte Identifikationszauber wird dann den auf die Münzen gelegten Zauber aufheben.

Mit der Versicherung, Ihre Freude an diesem Dank des des Ministeriums Anteil zu haben verbleibe ich

Mit freundlichen Grüßen

Flavia Marevivo, Abteilung Handel und Finanzen, Zaubereiministerium Italien

"Fünfhun...!" stieß Adolfo aus und fühlte, wie der Brief in seiner Hand heftig erbebte. Er erkannte, dass gerade jedes laute Wort wie eine Namensnennung sein würde. Wenn er hier was unrichtiges sagte würde sich der Brief wohl auflösen und die Münzen für ihn unergreifbar bleiben, wie das Wasser für den durstigen Tantalus. Also holte er noch einmal tief Luft, ergriff den Beutel so, dass die Münzen nicht aus Versehen herausfallen konnten und sagte laut und vernehmlich: "Ich bin Adolfo Riccardo Costello. Ich bin zweiundfüüüaaaa...." Gerade als er sein Lebensalter ausrufen wollte stürzte er übergangslos in einen bunten Farbenwirbel und meinte, von einem kräftigen Haken in seinem Bauchnabel fortgerissen zu werden. Der Beutel in der linken Hand klimperte einmal. Der Brief in der rechten Hand klebte wie angeleimt an seiner Hand. Er begriff, dass er gerade in eine gemeine Falle getappt war, ein wörtlich auslösbarer Portschlüssel. Wieso hatte er das nicht bedacht? Immerhin wusste er ...

Mit einem sattenPlumps fiel er aus dem bunten Wirbel heraus auf eine dicke, federnde Unterlage. Im gleichen Moment rann ihm das Pergament als feiner Staub zwischen den Fingern durch. Der Portschlüssel hatte seine Schuldigkeit getan und das von ihm belegte Material schlagartig zersetzt. Den Beutel hielt er jedoch noch in der linken Hand. Aber was nützte der ihm nun noch?

Bevor er sich umsah wollte er seinen Zauberstab zücken, um wem oder was auch immer nicht wehrlos ausgeliefert zu sein. Doch als er den Zauberstab freizog spannte sich ein rosaroter Lichtbogen aus dem offenen Beutel zum Stab hin. Plötzlich war Adolfo, als habe jemand den Stab mit besonders glitschigem Schleim bestrichen. Er flutschte ihm aus der Hand und sauste wie an einem Gummiband befestigt in den Beutel hinein. Darauf stieß Adolfo ein höchst unakademisches Wort aus, das er von seinem mogglistämmigen Schlafsaalkameraden Beppo Moroni aufgeschnappt hatte. Sofort versuchte er, den Zauberstab aus dem Beutel zurückzufischen. Doch wie er schon befürchtet hatte unterlag sein Ebenholzzauberstab mit Einhornhengstschweifhaar nun auch dem Mucodigiti-Zauber. Den offenen Beutel umzudrehen und auszukippen brachte auch nichts, weil etwas wie ein unsichtbarer Pfropfen entstand und den Inhalt im Beutel zurückhielt. Man hatte ihn also nicht nur entführt, sondern auch entwaffnet. Aber warum hatte er das Pergament aus dem Beutel nehmen können? Antwort, weil es ja da schon ein Portschlüssel war und nicht von weiteren Zaubern durchdrungen werden konnte. Wieder schalt er sich einen Narren, dass ihm das nicht gleich verdächtig vorgekommen war. Gut, im Brief hatte ja was von einem Identifikationszauber gestanden. Der blockierte wohl auch einen Mucodigiti-Zauber.

Jetzt sah er sich um. Er befand sich auf einer die ganze Raumbreite ausfüllenden Matratze. Sowas hatte der Campoverde-Clan in seinen Wonnehäusern, wenn mehrere nach leiblicher Liebe gierende Gäste Spaß an Partnerwechseln haben wollten und das auch noch im Dunkeln, wo dann am Ende kein Mann mehr wusste, mit welcher Frau er sich vereinigt hatte. Es war aber nicht stockdunkel. Über ihm waren zwei kreisrunde Fenster wie die Augen eines Riesentieres. Durch eines dieser gläsernen Riesenaugen fiel Mondlicht herein. Also war es da, wo er hingeportschlüsselt worden war auch gerade Nacht. Ansonsten waren an den Wänden nur mittelhelle Polster, so dass jemand ohne Angst vor Verletzungen oder Schmerzen dagegenstoßen konnte. Ja, dieser Raum war wohl eine Liebeshöhle. Da fiel ihm ein, wer ihn da erwischt hatte: Vita Magica. Wie selten dämlich war er also , diesen Portschlüssel auszulösen? Sicher, er hatte mit Fabiola vier Kinder hinbekommen, die wiederum schon eigene Kinder hatten. Doch offenbar meinten diese Zeugungserzwinger, er müsse seinen wertvollen Samen mit Hexen von denen zusammenbringen. Einerseits könnte er sich geehrt fühlen, dass seine Saat so wertvoll war. Andererseits verletzte es seinen männlichenStolz, dass er nur als Zuchthengst oder Zuchthahn auf ihm hingestellte Weibchen geschickt werden sollte, um die anständig aufzufüllen. Doch das würde denen übel bekommen, wenn die ihn nicht sofort und unversehrt wieder freiließen.

"Hey, ihr verfluchten Nogschwänze, ihr habt euch voll den falschen Deckhengst gezogen. Ich habe sehr gute Kontakte. Wer immer diesen Trollmist verzapft hat darf sich selbst gern zum sabbernden Wickelkind zurückverwandeln oder drauf warten, dass ihm oder ihr das Licht ausgeblasen wird!"

Sein Ruf hallte nicht nach. Sicher war er auch nicht gehört worden. Wer immer ihn hier hingezaubert hatte konnte ihn hier liegen lassen, bis er sich in die Hose machte oder verhungerte oder verdurstete, sofern er nicht diese unter ihm wippende Riesenmatratze auffraß und daran erstickte. Er sprang auf seine Füße und versuchte an eine der beiden Sichtluken zu kommen. Dabei prallte er gegen ein unsichtbares Hindernis wie ein straff aufgespanntes, feinmaschiges Netz. Einen Moment lang konnte er sogar ein silbernes Leuchten sehen. Dann fiel er wieder zurück auf die Matratze.

Er sah sich erneut um. Er konnte keine Tür erkennen. Womöglich war sie hinter einem der Wandpolster und natürlich zugezaubert und er ohne seinen Zauberstab. Doch er hatte noch seinen Freizeitumhang und sein Unterzeug an. Vielleicht ließ sich damit was anstellen, um diese trolldummen Entführer auszutricksen. Denn er bezog seine Kleidung aus einer ähnlich exklusiven Schneiderei wie seinen Wein, Möbel und Hausrat. Irgendwie war da doch was mit einem Notrufzauber, den er absetzen konnte, abgesehen von dem für unbefugte unsichtbaren magischen Mal, dass er zwischen Brust und Bauch trug und das für ihn auch sowas wie eine Lebensversicherung war. Denn kein denkfähiger Verbrecher würde es wagen, jemanden zu behelligen, der dieses Zeichen trug, das er im Falle von Bedrängnis durch einen bestimmten Gedanken aufleuchtenlassen konnte, um zu zeigen, dass er dazugehörte. In Verbindung mit seiner Unterkleidung konnte er es sogar als Notrufsignal verwenden, dass nur von bestimmten Leuten empfangen und in nur vier Sekunden auf die Handbreite genau geortet werden konnte. Die würden sich noch umsehen, diese Idioten.

"Ex periculo lupus lupos clamat Adolfus Costellus", dachte Adolfo, wobei er sich auf die bestimmte Stelle an seinem Körper besann. Er fühlte, wie etwas dort vibrierte. Dann wurde es ihm heiß. Er fühlte, wie seine Unterkleidung pulsierte und wiederholte die Auslöseformel für den ihm beigebrachten Notruf. Die Stelle, wo sein eingebranntes magisches Mal war erhitzte sich. Er wusste, dass das Zeichen jetzt sicher schon rot im Takt seines Herzens flackerte. Wer es sah wusste nun, zu wem er gehörte. Wer dunkle Geschäfte betrieb würde nun Reißaus nehmen oder ihm sofort Freiheit und alles entwendete zurückgeben. Doch er hatte ja den Notruf gewirkt, der durch die silbernen Fäden in seiner Unterkleidung um ein vielhundertfaches verstärkt in die Welt hinausgestrahlt wurde, um dort gehört zu werden, wo sein Schutzherr wohnte. Wenn Vita Magica ihn wirklich entführt hatte, um ihm gleich oder später die erste von ihm zu beschlafende Zeugungsgefährtin zuzuführen, würden die ihr blutrotes Wunder erleben, und die Wölfe Roms würden sich wütend und gierig über die Frevler hermachen, Männer, Frauen und die ungewollt gezeugten Kinder. So war es beschlossen worden, hatte sein Schutzherr verkündet. Aber sicher würden die nicht unvorbereitet bei ihm apparieren, sondern sicherheitshalber erst mal die Umgebung prüfen und auf sie erwartende Fallen gefasst sein. Doch der Ruf war raus, dreimal, viermal. Es würde keine stunde mehr dauern, und sein war die Rache.

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Anthelia/Naaneavargia nickte der gerade gelesenen Zeitung zu. "Dann sind jetzt alle Frühlingskinder auf der Welt, schön viele Hexen. Aber die werden die nächsten elf Jahre wohl unter dem von Julius und den Kindern Ashtarias aufgespannten Schutz bleiben. Aber in zwanzig Jahren, da werden sie vielleicht einen Weg suchen, um der ihnen sicher entgegenschlagenden Anfeindung wegen ihrer eigentlichen Unerwünschtheit zu begegnen", dachte die aus zwei mächtigen Hexen zu einer ganz mächtigen Magierin vereinte. "Bis dahin muss ich diese Hybridin Ladonna, die Frechlinge von Vita Magica und das Vampirgeschmeiß überstehen, am besten aus der Welt schaffen. Alleine geht das nicht", dachte sie. Doch die Aussicht, dass Vita Magica sich mit ihrer fanatischenFortpflanzungserzwingung bei vielen Hexen ewige Feindinnen machte würde ihr in die Hände spielen. Sie musste halt nur aufpassen, dass ihr nicht wieder solche Pannen widerfuhren wie damals mit Daianira oder mit Gertrudes magischem Testament.

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Es brannte auf seiner Haut, wie ein immer heißer werdendes, im Gleichmaß seines Herzschlages pochendes Bügeleisen. Er dachte immer wieder die nur den dazugehörenden erlaubte Notrufformel. Er sah das flackernde Licht, das von ihm ausging. Doch weil es ein magisches Leuchten war schien es nicht wider. Nur wenn er in die Richtung sah, wo das magische Mal in seine Haut gebrannt worden war konnte er es sehen. Ja, jetzt wussten die, dass er in Gefahr war. Sie hatten sicher schon herausgefunden, wo er war. Es sei denn ... Ein heißer Schreck durchzuckte ihn und ließ das ihm eingebrannte Zeichen aufblitzen und dann für zwei Sekunden erlöschen. Was, wenn er an einem Fidelius-bezauberten Ort war? Konnte er von dort aus einen Notruf senden? Dann beruhigte er sich wieder. Fidelius-Orte waren von Natur aus für fremde Portschlüssel sicher. Nur wer den geheimen Ort betreten konnte, konnte ihn mit einem Portschlüssel verlassen oder sich dorthin zurücktragen lassen. Er hoffte, dass er eben nicht an einem vom Fidelius-Zauber verborgenen Ort war. So dachte er wieder die Notrufformel.

Auch wenn er sicher war, dass sie ihn schon längst geortet hatten und schon Hilfe unterwegs war wollte erweitermachen, bis diese Hilfe auch bei ihm war. So dachte er immer wieder "Ex periculo lupus lupos clamat! Adolfus Costellus!"

Er ging davon aus, seinen lautlosen Notruf mindestens dreißigmal ausgestoßen zu haben. Da spürte er, wie seine Unterkleidung immer kälter wurde. Das ihm eingebrannte Mal kühlte sich ebenso ab und pochte nicht mehr. Als er auf die Stelle sah erkannte er, dass es auch nicht mehr glühte. Noch einmal dachte er die Notrufformel in Verbindung mit seinem Namen. Er atmete tief ein und fühlte etwas wie einen aufgelegten Eisblock. Dann stellte er fest, dass etwas von ihm herunterriselte wie feinster Sand. Er öffnete seinen Umhang und erkannte, dass er kein Unterhemd mehr trug. Ja, und an der Stelle, wo ihm das geheime Zeichen eingebrannt worden war, schimmerte die Haut schneeweiß. Dennoch waren die Formen eines von links nach rechts springenden Wolfes mit aufgerissenem Maul noch deutlich zu erkennen. Er fasste besorgt an dieses Mal und erschrak. Es war wirklich wie eis. Dann löste sich die eiskalte Schicht ab. Darunter kam unversehrte Haut zum Vorschein. Er dachte noch einmal die Notrufformel, allein um zu sehen, ob sein Zeichen noch da war. Doch er sah nichts dergleichen.

Es ploppte laut wie ein aus einer ganz großen Weinflasche springender Korken. Gleichzeitig fühlte er etwas wie einen unsichtbaren, unhörbaren Hauch, der ihn zu verwirren trachtete. Hektisch sah er sich um und erkannte die schönste Frau, die er jemals gesehen hatte. Ihre Makellos glatte Haut, ihr bis zu den Hüften fließendes, nachtschwarzes Haar, ihre kreisrunden großen Augen und natürlich die perfekten Kurven, alles schöner als ein Mensch je sein mochte. Die ihn anwehende Ausstrahlung machte, dass er dieses Wunderwesen berühren wollte, es für sich gewinnen wollte. Doch ein leiser aber nicht völlig im aufkommenden Rausch der Betörung unhörbarer Schrei durchdrang seinen wankenden Geist: "Das ist die Wolfsbluttrinkerin, Ladonna Montefiori!" Ja, das war sie wohl. Er erinnerte sich an die von ihr gemalten Bilder. Doch keines davon kam an diese Erscheinung heran, vergleichbar einem Nebeldunst und einem deutlichen Bild. Die andere trug ein Kleid, so dunkel wie ihr Haar, eine wahrhaftig dunkle Königin der Nacht. Also hatte sie ihn hierher entführt, und sicher wusste sie auch, wen sie sich da geholt hatte. Das waren die letzten klaren Gedanken, die er noch denken konnte, bevor die unheilvolle Schönheit ihre besondere Ausstrahlung mit voller Kraft auf ihn einwirken ließ. "Oh, du erkennst mich. Offenbar haben die Zeugen, die mich beschrieben haben doch nicht so schlecht gesehen. Na ja, du wolltest dich schon zur Nacht entkleiden. Das ist aber sehr nett von dir. Dann brauche ich das nicht mehr zu tun", säuselte sie. Adolfo Costello sah und hörte nur sie. Alles andere war gerade in der Flut ihrer besonderen Aura versunken.

"Ach ja, dieser nette Zauber mit dem Wolfsmal, das hat schon jemand anderes versucht. Sei froh, dass ich dich in meine zweitresidenz gelockt habe und nicht in meine Festung. Denn da wärest du sofort verglüht, wenn du versucht hättest, dich mir gegenüber feindlich zu betragen. Aber vielleichtlasse ich deine Kumpane doch mal in dieses glühendheiße Schwert hineinrennen, wenn sie es auf die totale Entscheidung anlegen. Doch weil du ja so freundlich warst, meine Einladung anzunehmen wird das wohl nicht so laut und grell erfolgen. Komm, leg alles ab, was dir nicht angewachsen ist!"

Er gehorchte der mit glockenreiner Stimme erteilten Anweisung. Dieses Frauenzimmer da war wohl einer Abrundstochter ebenbürtig, dachte er. Doch dann übermannte ihn wieder ihre betörende Ausstrahlung. Vor allem, dass sie sich nun vor ihm aus dem Kleid schlängelte und es ganz sacht zu Boden gleiten ließ überwältigte ihn. Auch fühlte er, dass er bereit war, mit ihr das Lager zu teilen, wenn sie ihn wollte. Wer war schon Mirella, wenn er sie haben durfte?

Wie in einem besonders erregenden Traum bekam er mit, wie er sich vor diesem Überwesen entkleidete. Er ließ sich gefallen, dass sie ihn begutachtete. Dann sah er, wie sie ihren schlanken Zauberstab führte und fühlte, wie er hochgehoben wurde. Er meinte, in einer wohlig warmen Dampfwolke zu schweben, von vielen unsichtbaren Schwämmen abgerieben wurde. Dann spürte er, wie die ihn umgebende Nässe in einem einzigen heißen Hauch verging und er wieder auf dieser breiten Liege landete, die nur dafür da war, zwei leiblich liebenden als Wonnelager zu dienen. Dann kam sie auch schon über ihm. "Fühle dich geehrt. Deine Königin gewährt deinem dir angewachsenen Gefährten Audienz", hörte er sie säuseln, bevor er fühlte, dass er ihr nun am aller nächsten war.

Ja, so wie es die Töchter des Abgrundes vermochten, so verstärkte die dunkle Königin der Feuerrosen die Bindung mit ihrem neuen Opfer. Mit ihrer Zunge beleckte sie sein Gesicht, fuhrwerkte in seinem keuchenden Mund herum und vollendete damit die körperlich-seelische Fesselung. Jetzt gehörte er ihr bis zu seinem Tod. Sie musste ihn nur vor dem Verratsunterdrückungsfluch bewahren. Doch das war nun, wo sie diesen erwartete kein Problem mehr. Auch hatte er ja sein Brandzeichen verloren, wie damals der erste, den sie als Mitglied dieser überalterten Bruderschaft enttarnt und nach kurzem Geplänkel mit ihren besonderen Gaben gefügig gemacht hatte. Hier, in dem mit Fidelius-Zauber belegten Zimmer in einem Haus, das einer ihrer neuen Mitschwestern gehörte, konnte sie zumindest ein paar dieser Burschen auf diese Weise unterwerfen. Da sie aber keine Abgrundstochter war und nicht riskieren wollte, von einem von denen geschwängert zu werden, musste sie sich selbst zurückhalten. Sie brauchte jedoch nur vier, aus jeder dieser verbliebenen Sippen einen. Mit Costello fing sie an. Der würde ihr verraten, wen er von den anderen kannte, ja, das würde er tun, auf jeden Fall, jetzt, wo er seinen letzten Rest von eigenem Willen ganz und gar in ihrem warmem Schoß begrub und sein Blut bereits das lockende Labsal ihres Speichels in alle Winkel seines Leibes spülte.

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22.04.2004

Es gab nur noch vier der alten Familien. Einst waren es acht gewesen. Zwei waren im Laufe von fast zweitausend Jahren in den anderen Familien aufgegangen. Zwei der Familien waren im 16. Jahrhundert das Opfer eines hinterhältigen Planes der verhassten Rosenkönigin geworden. Und als die von der französischen Furie aufgehalten worden war, hatte die ihnen allen die französischsprachigen Blutsverwandten und Besitzungen entrissen. Seitdem hatte sich keine der vier Familien mehr in Frankreich ansiedeln können. Doch in Italien, Spanien und Portugal galten sie den Eingeweihten noch als Bewahrer der uralten Ordnung. Ohne Sie durfte kein Zaubereiminister amtieren. Sie waren die römischen Wölfe, lateinisch Lupi Romani. Sie machten Geschäfte mit sogenannten ordentlichen Leuten, ließen jedoch auch Diebe, Räuber und Auftragsmörder für sich arbeiten, unterhielten ein geheimes Netzwerk aus Kontakten in alle Sparten der magischen Welt. Dabei achteten die lebenden Oberhäupter der Familien darauf, dass nicht noch einmal eine offene Blutfehde ausbrach wie damals, als die schwarzhaarige Furie Montefiori die Reiche der italienischen Halbinsel unsicher gemacht hatte.

Seit einigen Wochen wussten sie, dass jemand Ihnen gefährlich werden konnte. Sie mussten also jeden kleinsten Konflikt vermeiden oder schnellstmöglich beilegen. Deshalb trafen sich die Oberhäupter der vier ältesten Familien in der Casa libera, eine altrömische Villa auf dem Palatin-Hügel von Rom.

Der Raum der Ausssprache war ein achteckiger Raum ohne Fenster. Dafür besaß er acht Türen, damals eingebaut für jedes Oberhaupt einer der alten Familien. In der Mitte des Raumes stand ein ebenso achteckiger Tisch, in dessen Mitte ein achtarmiger Kerzenleuchter aus Silber mit langen, weißen Kerzen thronte.

Nun betrat der erste den Raum durch eine der acht Türen. Sofort flammte eine der acht Kerzen auf und tauchte den Raum in schwaches, rotgoldenes Licht. Der Eintretende war gerade mal so groß wie ein achtjähriger Junge. Doch sein dunkelbrauner Vollbart und die an den freien Hautpartien der Arme sichtbaren Stoppeln verrieten, dass er ein erwachsener Mann war. Er trug einen bei Tageslicht rotbraunen Umhang, auf dem rechts ein graues Wesen mit einem Großen Kopf und hervorstehenden Zähnen prangte und links ein von rechts gesehener, grauer Wolf im Sprung. Das war Vespasiano Mangiapietri genannt Il Mezzonano, der Halbzwerg. Das wäre für jeden anderen eine tödliche Beleidigung gewesen. Doch für ihn war es sogar eine Ehrung. Denn eigentlich war er nur noch ein Viertelzwerg. Doch weil sein Vater in der Ahnenlinie einen germanischen Kobold hatte war die Kleinwüchsigkeit beider Zauberwesen bei ihm genauso stark ausgeprägt wie bei reinrassigen Zwergen. Traditionell beherrschten die Mangiapietris alle Formen der Erdzauberei und Thaumaturgie, waren Fachleute der magischen Metallurgie und verstanden sich sehr gut auf Verwandlungszauber. Vespasiano konnte zu dem durch bloßes Handauflegen und Bestreichen von Dingen oder Flüssigkeiten Zauber darauf wirken, die mit Zauberstäben nicht so leicht und so vielfältig ausgeführt werden konnten. Der Mezzonano genannte Mann trat an den Stuhl heran, der der gerade entflammten Kerze gegenüberstand.

Drei weitere Männer betraten fast zeitgleich durch drei weitere Türen den Saal. Ihnen zur Begrüßung flammten drei weitere Kerzen im Leuchter auf und verstärkten die Raumbeleuchtung auf ein erhabenes orangegold.

Der eine war das genaue Gegenteil von Vespasiano, zwei Meter groß, so breit, dass er fast nicht durch die Tür passte, muskulös und rothaarig, vom gescheitelten Schopf bis zum auf die Brust wallenden Vollbart. Auf der rechten Seite seines blutroten Umhanges prangte eine nachtschwarze Kreisfläche, in der eine mit nach oben gereckten Fingern dargestellte hellrote Hand eingefügt war. Auf der linken Seite prangte das Bild eines rostroten Wolfes im freien Sprung. Dieser Mann war Enzo Manorossa, Oberhaupt der Familie, mit der Vespasianos Familie schon seit hundert Jahren einen lautlosen Krieg führte.

Der dritte Mann trug einen blütenweißen Umhang und schritt herein, als schwebe er auf kleinen Wolken. Er besaß hellgraues Haar und keinen Bart. Auf der Rechten Seite seines Umhanges war eine himmelblaue Kreisfläche mit drei weißen Wolken darin. Links prangte das Bild eines schneeweißen springendenWolfes auf dunkelblauem Hintergrund. Der Mann hieß Albano Nuvolebianche. Die Nuvolebianche-Familie war spezialisiert auf Luft- und Wasserzauber. Die Töchter dieser Sippe waren begnadete Mondmagierinnen und meistens auch als anerkannte Heilerinnen und Hebammen tätig. Auch war die Familie dafür berühmt, mit der florentiner Kaufmanns- und Adelsfamilie Medici verwandt zu sein. Einige behaupteten auch, dass die Nuvolebianches lange vor der amerikanischen Besenmanufaktur Bronco einen Besen und Reiter unsichtbar machenden Flugbesen entwickelt haben sollten. Doch natürlich hatte noch niemand außerhalb der Familie einen solchen Besen gesehen. Auch hatten die Nuvolebianches um ihren Geschlechterturm im Norden von Florenz mehrere Tarnzauber und einen wirksamen Feindesabwehrzauber gelegt, den Wall des unbändigen Sturmes, der sogar die Flugbezauberung von Besen, Flugteppichen und anderen Artefakten überladen und die Flugartefakte damit zum bersten bringen konnte.

Der vierte Mann war kleiner als Manorossa, aber noch einen Kopf größer als Mangiapietri. Er hatte rotbraunes Haar und trug einen dünnen Kinnbart und einen keck abstehenden Schnurrbart. Auf der rechten Seite seines orangeroten Umhanges trug er das Bild einer nachtschwarzen Wolke, aus der gleich drei parallel verlaufende, weißblaue Blitze nach unten führten und in je drei weißgelben Flammenzungen ausliefen. Links war der springende Wolf, nur schwarz auf rotem Hintergrund. Das war Flavio Fulminicaldi, genannt Il Giocatore di Fuoco, der Feuerspieler. Diesen Namen trug eigentlich jeder amtierende Sprecher seiner alten Familie, denn er beruhte auf einer nur vom Vater auf die Söhne vererbten Gabe, die Feuerlenkung. Er brauchte keinen Zauberstab, um Dinge in Flammen aufgehen zu lassen, feste Gegenstände bis zum verdampfen erglühen zu lassen, bereits vorhandene Flammen zu schwächen oder auf ein zigfaches zu stärken oder bis zum erlöschen zusammenfallen zu lassen. Wenn er dann auch noch seinen Zauberstab nahm konnte er diese Kraft noch besser ausrichten und verstärken. Seine Familie hausierte gerne damit, dass die Fulminicaldi-Sippe vom Feuer- und Schmiedegott Vulcanus persönlich abstammte. Tatsächlich galten die Fulminicaldis als Großmeister der magischen Schmiedekunst und konnten sämtliche Feuerelementarzauber und alchemistischen Verfahren des heißen Elementes, die im griechisch-römischen Kulturkreis und später auch im Orient und auf den amerikanischen Teilkontinenten entdeckt worden waren.

Wie es die Tradition der Bruderschaft vorsah standen die vier erst einmal genau dreißig gemeinsame Atemzüge lang hinter ihren Stühlen. Dann setzten sie sich ohne eine gesprochene Aufforderung hin. In diesem Moment läutete eine völlig unsichtbare, gläserne Glocke an der Decke. Vier lang nachhallende, glasklare Schläge. Als der Nachhall vollständig verebbt war erhob Flavio Fulminicaldi die rechte hand zum Gruß und sagte: "Salvete confratres mei!" Diesen lateinischen Gruß erwiderte danach Vespasiano Mangiapietri. Danach grüßte Enzo Manorossa auf dieselbe Weise. Zum Schluss grüßte auch Albano Nuvolebianche seine hier zusammengekommenen Mitbrüder. Das gehörte auch zum üblichen Ritual, dass sie sich im lateinischen Alphabet dem Nachnamen nach grüßten. Nun durfte der älteste sprechen, in diesem Fall Albano Nuvolebianche. Dabei blieb er in der lateinischen Sprache, aus der sich alle romanisch genannten Sprachen entwickelt hatten. Keine Feder schrieb mit. Kein Lauscher an der Wand konnte mithören. Denn der Raum der Aussprache war ein dauerhafter Klangkerker. Es hätte eigentlich nur noch die von der Decke hängende weiße Rose gefehlt, um zu verdeutlichen, dass die hier gewechselten Worte nicht nach außen dringen durften. Doch fanden solche Treffen wie das heute ja statt, um die höchsten Vertrauten der jeweiligen Familie damit zu betrauen, was hier gesagt und beschlossen wurde.

Albano Nuvolebianche verkündete die vier zur Aussprache kommenden Tagesordnungspunkte: "Zum ersten gilt es, sich auf eine mögliche Machtergreifung durch Ladonna Montefiori vorzubereiten. Zum zweiten muss die Auseinandersetzung zwischen dir, Mitbruder Enzo und dir, Mitbruder Vespasiano, beigelegt werden. Der Streit um das Castillo de las Olas bei Alicante darf nicht zum Keil werden, der unsere bald zwei Jahrtausende bestehende Gemeinschaft zerstört. Zum dritten gilt es, der ungezähmten Dreistigkeit jener Aufrührerzu begegnen, die sich anmaßen, zu bestimmen, welche Hexen und Zauberer, ob jung oder alt, neue Kinder zu bekommen haben. Aus den Punkten eins und drei folgt der vierte Punkt, nämlich der, dass wir aufpassen müssen, dass die heere Ordnung in den von uns behüteten Ländern nicht von vorwitzigen Weibern zerstört wird, die meinen, dem Hexenweib sei alles Erdreich Untertan, weil ihm das neue Leben entschlüpft. Dem starken, dem Mutigen und dem unerbittlichen, aber auch dem duldsamen, beharrlichen und dem weisen gehört die Herrschaft und das Erdreich. So bringe ich zur Aussprache die erste der vier Sachen: Die unverhoffte Wiederkehr der schwarzen Feuerrosenkönigin und ihr altes und neues Streben."

In diesem Zusammenhang erwähnte Nuvolebianche, dass sein Neffe Marcello aus dem Besenkontrollamt entlassen worden war, weil ihm die Begünstigung der Ventirossi-Manufaktur als ungesetzliche Tat zur Last gelegt wurde. Seinen Platz hatte die noch junge Hexe Antonella Marevivo eingenommen. Außerdem sei sein drittgeborener Sohn Claudio vor die Wahl gestellt worden, freiwillig aus dem Ausschuss zum Missbrauch der Magie auszuscheiden, oder sich demnächst wegen Strafvereitelung im Amt verantworten zu müssen, da er einige zur Anzeige gebrachte Vorfälle gar nicht oder nur halbherzig bearbeitet und die klärenden Sitzungen darüber verschleppt haben sollte. "Es sieht danach aus, als wenn unsere Vorrangstellung im Ministerium nicht mehr besteht oder zumindest nicht mehr unangefochten ist. Hat wer von euch ähnliches zu verkünden?" Manorossa hob die Hand und erhielt das Wort.

Der Zauberer, der "Roter Bär" genannt wurde, erwähnte, dass auch zwei seiner Enkel deutliche Ermahnungen erhalten hatten, weil sie bei der Prüfung von importierten Zauberwirkstoffen einige Dinge ungeprüft durchgewunken haben sollten. Tatsächlich hatte Manorossa einen großen Posten Jackalopenfleischbrühe über seine ureigenen Pfade aus Südamerika einführen lassen, diese jedoch als Blauwurzextrakt aus Chile deklarieren lassen. Außerdem hatte er das Sofortverdunkelungspulver aus Peru als geraspeltes Mammutbaumholz aus Kalifornien deklariert. Doch offenbar hatte jemand in den Erzeugerländern geplaudert und gedacht, dass die als fragwürdige Handelsgüter der Klasse b1 eingestuften Wahren bei der Einfuhr beschlagnahmt wurden. Außerdem wurde seinem jüngeren Bruder Guido gedroht, ihn selbst vor den Rat der zwanzig Rechtsprechenden zu stellen, falls er nicht innerhalb der nächsten drei Wochen auf seinen Sitz verzichte. Es gebe sehr deutliche Hinweise auf erpresserische Tätigkeiten, die manches Verfahren vereitelt haben sollten. Er zählte die betreffenden Fälle auf. Tatsächlich handelte es sich dabei um Vorfälle, an denen die vier Familien zwar nur mittelbar beteiligt waren, aber wenigstens davon Profitierten. "Es sieht sehr unangenehm danach aus, geehrte Mitbrüder, dass unser jahrhundertelanger Einfluss auf Wahrenverkehr, Rechtsprechung und Gesetzesüberwachung schwindet. Selbst dann, wenn wir den betreffenden ankündigen, ihre eigenen Verfehlungen öffentlich zu machen, wirkt es nicht. Im Gegenteil: Ich muss damit rechnen, dass ein Geschäft, dass ich gerade mit ägyptischen Zauberern abwickel, scheitern wird, wenn deren Lieferungen von unserem Ministerium abgefangen und als gesetzeswidrig beschlagnahmt oder gleich an Ort und Stelle vernichtet wird. Es droht mir ein Verlust von vier Millionen Solicini. Wer möchte nun sprechen?" Der Feuerspieler hob die Hand.

In Kurzform berichtete Flavio davon, dass es offenbar ein neues Gesetz geben sollte, dass zauberstablos ausführbare Zauber und/oder Elementarkräfte steuerpflichtig werden sollten und alle, bei denen solche Gaben festgestellt würden, in einem Register besonders zu beobachtender Personen aufgeführt werden sollten. Dies ziele eindeutig gegen die Fulminicaldis ab, die ja in patrilinearer Folge die Gabe der Feuerlenkung vererbten, aber wohl auch gegen alle Kobold- Zwerg- und Veelastämmigen abziele. Ebenso sollten all die Hexen und Zauberer eine Registrierungsgebühr zahlen, die als allgemein hochbegabte, sogenannte Ruster-Simonowsky-Fälle oder als auf eine bestimmte Art von Magie besonders ausgeprägt erkannt wurden. Auch das ziele auf die beiden Familien Fulminicaldi und Mangiapietri ab und wohl auch gegen den derzeitig die zweite Klasse von Gattiverdi besuchenden Jungzauberer Giuseppe Mantovani. "Das Ministerium will wohl eine Art Mutantenverzeichnis und eine Mutantensteuer einführen", beschloss Flavio seinen Redebeitrag. Dann fragte er: "Möchtest du was dazu sagen, Mitbruder Vespasiano?"

O ja, der Zwergenstämmige wollte und musste eine Menge dazu sagen. Denn offenbar hatte die Handelsabteilung vergessen, wer einigen wichtigen Leuten da die richtigen Tipps für ihre Karrieren gegeben hatte. Denn anders war es nicht zu verstehen, dass die Erzeugnisse aus den Werkstätten der Mangiapietris als "magisch nicht nachvollziehbar und daher bedenklich" eingestuft wurden. Flavio verzog das Gesicht und nickte dann. Offenbar hatte er diesen Punkt in seiner eigenen Ausführung vergessen. Außerdem zählte Mangiapietri auf, was seit drei Wochen im Ministerium alles unternommen wurde, um gemischtrassige Zaubererweltbürger gesondert zu überwachen, angeblich auch, weil ja die dunkle Königin Ladonna Montefiori wieder aufgetaucht sei und diese nachweislich nicht nur von einem Zauberer und einer Hexe abstammte. Manorossa fragte ihn, was die Kobolde denn dazu sagten. Immerhin hatte Mangiapietri ja gute Beziehungen nach Gringotts Mailand. Darauf antwortete der Zwergenstämmige: "Gibt es für dich und mich nicht schon genug Grund zum Streiten, roter Bär? Mein Kontakt zu den Spitzohren in Mailand ist vor vier Tagen wegen angeblicher Unterschlagung eines Teils der Jahreseinnahmen zum Tod im Goldbad verurteilt worden. Sein Berufungsverfahren wird am 30. April sein. Scheitert er damit, steht demnächst noch eine goldene Koboldstatue in der Halle der Warnungen von Gringotts Mailand. Gewinnt er es, kommt er mit einer fristlosen Entlassung und Aberkennung aller Altersbezüge davon. Soviel zu meinen achso guten Kontakten zu diesen raffgierigen, langfingrigen Spitzohren. Ich muss mich ja schon schämen, dass ein Zweiunddreißigstel meines Blutes aus deren Brut stammt. Der Vorfahre, der mit dieser Koboldfrau rumgemacht hat gehört nachträglich ausgebuddelt und zu Hühnerfutter verarbeitet."

"Und die Eier oder das Fleisch essen dann wir?" warf Manorossa ein. Flavio deutete auf Mangiapietri. Denn nur wer das Wort hatte konnte es wem anderen erteilen, falls er das wollte. Erst wenn die Zeitkerzen unter der Hälfte lang waren galt, dass jedem hier nur eine Viertelstunde Gesamtredezeit zustand. Gingen die Kerzen aus, war die Aussprache beendet und durfte erst nach einem vollen Mondmonat fortgesetzt werden.

Vespasiano Mangiapietri alias Mezzonano sagte nur noch, dass er bei den anderen Filialen von Gringotts nicht so gut angeschrieben sei, angeblich weil er zu viel Zwergenprodukte aus Deutschland, Österreich und Norwegen einführte und damit den Markt für koboldgefertigte Waffen, Schnmuckstücke und hochwertige Gebrauchsgegenstände unzugänglich machte. Dann übergab er das Wort an Albano Nuvolebianche. Dieser bedankte sich und erwähnte, dass all dies darauf hindeutete, dass der Zaubereiminister entweder aus Angst vor Ladonna Montefiori alte Abkommen vergaß oder bereits von Ladonna fremdbestimmt wurde und in ihrem Sinne gefährliche Gegenspieler ausfindig machen und wenn erkannt handlungsunfähig machen sollte. Das bedeutete aber auch ganz genau, dass sie alle hier auf ihrer Feindesliste landen würden und sie, wenn sie wahrhaftig immer mehr Einfluss auf das Zaubereiministerium bekäme, zielgenau zuschlagen würde. Da bat Enzo Manorossa ums Wort und sagte nur: "Bekäme, Mitbruder Albano? Es stinkt danach, dass der Minister schon nach ihrer Flöte tanzt, wenn nicht sogar schon an einer unsichtbaren Leine geführt wird. Denn offenbar ist ihm nicht mehr wichtig, was wir ihm damals abgerungen haben. Der könnte auf die Idee kommen, uns wegen verschiedener außergesetzlicher Geschäfte zu belangen. Am Ende hat er sogar schon einen Plan dafür in der Schublade. Was machen wir also, wenn es klar ist, dass unser harmloser Zirkusdirektor Romulo Bernadotti das Zirkuszelt über uns anzündet und alle gefährlichen Raubtiere an den Ausgängen hinstellt, damit sie uns beim Rausrennen zerfetzen und fressen sollen?"

"Falls er überhaupt noch der Zirkusdirektor ist und nicht selbst schon durch jeden hingehaltenen brennenden Reifen springt oder unnatürliche Kunststücke vorführt. Oder er ist der Pausenclown, der das Publikum bei Laune hält, bis die nächsten Künstler ihre Vorführung beginnen können", sagte Manorossa ungebeten. Nuvolebianche sah ihn deshalb sehr warnend an. Doch der rote Bär spannte nur seine Oberarmmuskeln an, als wolle er für den nächsten falschen Blick dreinschlagen. Doch niemand hier würde einem anderen körperlich oder magisch etwas antun. Deshalb blieb Nuvolebianche ganz ruhig. "Halten wir uns doch bitte weiter an unsere ehernen Regeln der gegenseitigen Anerkennung und der Disziplin, damit nicht jeder gleichzeitig etwas sagt und deshalb wichtiges im Schwall der vielen Worte ungehört verfliegt. Danke! Folglich bitte ich um ernsthafte und anwendbare Vorschläge. Wer möchte?"

Mangiapietri hob die Hand und bekam das Wort. Er schlug vor, bereits jetzt über einen Nachfolger Bernadottis zu sprechen, der nicht von Ladonna eingeschüchtert oder gar beeinflusst werden konnte. Den Namen wollten sie dann erst ins Spiel bringen, wenn genug Unmut über Bernadottis derzeitige Politik aufkam oder es offensichtlich war, dass er nicht mehr der Herr in seinem Haus war.

Manorossa wartete, bis der Zwergenstämmige seinen Wortbeitrag beendete. Dann meldete er sich. Er schlug vor, dass die vier Familien ihr gesammeltes Wissen über wichtige Ministeriumsmitarbeiter vereinten und die betreffenden Leute vor die Wahl stellten, dieses Wissen zu veröffentlichen oder doch besser zum altbewährten und erträglichen Miteinander zurückzukehren. Das jedoch verärgerte die drei anderen. Denn was die Familien von anderen erfuhren und zusammentrugen war ein wichtiger Pfeiler ihrer eigenen Macht. Wurde dieses Wissen geteilt schwanden die einzelnen Vorteile. Mangiapietri brachte es auf den Punkt: "Klar, dass du gerne wissen möchtest, wer in meinem Hoheitsbereich welche angeschimmelte Leiche im Keller hat, roter bär. Das ärgert dich doch schon seit Jahrzehnten, dass ich an Sachen drankomme, die du nicht mal im Traum kriegen kannst und genau deshalb, weil ich die richtigen Leute an der Hand habe, die wen kennen und was haben, was wer anderes braucht. Vergiss das mit dem Zusammenschütten aller gesammelten Kenntnisse!"

"Dann kann uns diese mischblütige Hure also locker gegeneinander ausspielen, wenn sie weiß, was wir von den anderen wissen", brummte manorossa. "Kann sie nicht, wegen des Verratsunterdrückungsfluches. Oder hast du deine Leute nicht entsprechend abgesichert?" widersprach Mangiapietri. Jetzt musste Nuvolebianche einschreiten, weil er der älteste hier war.

"Einhalt! Wir müssen uns zusammennehmen, sonst sind wir für jeden eine leichte Beute, nicht nur für die Feuerrosenzüchterin. Gut, reden wir über einen möglichen Nachfolger, den wir im günstigen Augenblick auf den Ministerstuhl setzen können."

Es entspann sich eine teilweise aufgebrachte Unterhaltung, wer von dem einen oder dem anderen für lenkbar und harmlos genug gehalten wurde. Weil ihrer uralten Auffassung nach ein Mann das Ministerium leiten sollte ging es natürlich nur um scheinbar gut bekannte, von den Familien der Bruderschaft einsetzbare Zauberer. Doch sie konnten sich auf keinen derzeitigen Gemeinschaftskandidaten einigen. Sie beschlossen nur, sich darauf einzurichten, dass das Ministerium gegen sie vorgehen würde. Das hieß, dass alle wichtigen und verräterischen Dinge und Unterlagen an anderen Orten versteckt werden sollten. Darüber hinaus sollte über die Verständigungswege neu beschlossen werden, wenn jede Familie wusste, wie sie ihre Mitglieder, Helfer und Helfershelfer auf die neuen Gegebenheiten einstimmen konnte. Vor allem war wichtig, alle inneren Streitigkeiten zu vermeiden. Das wiederum war das vortreffliche Stichwort, um zum Tagesordnungspunkt zwei zu kommen.

Es ging um zwei Vorfälle, die jeder für sich einen blutigen Clan-Krieg entfesseln konnten. Zum einen wollte Manorossa wissen, was mit seinem Laufburschen Asinetto passiert war. Dessen halb verbrannte Leiche und dessen halbverkohlter Flugbesen war am siebten Februar in der Nähe des Mangiapietri-Stammsitzes gefunden worden. Doch der Halbzwerg beteuerte mit auf dem Tisch liegenden Händen, nicht am Tod des Laufburschens aus der Helfersippe Mortedracone Schuld zu sein. Würde er lügen, so würde die in den Tisch eingewirkte Strafbezauberung ihn leiden lassen. Doch der Zwergenstämmige blieb unbehelligt. Manorossa funkelte ihn zwar noch einmal an. Doch dann sagte er: "Dann hat den wer abgefangen, der weiß, dass die Mortedracones für mein Haus arbeiten. Die Verbrennungen dürften der Verratsunterdrückungsfluch gewesen sein. Da muss ich wohl doch in meinem Stall ausmisten."

Manorossa hatte den Mangiapietris die Aussichtsburg Castillo de las Olas bei Alicante abgejagt, weil er fünfzig seiner "Speere des Todes" genannten Kampftruppler auf Ventirossi-Rennbesen dort hingeschickt und ihnen zwei Stunden zum Verlassen des Kastells gelassen hatte. Auf die Frage, warum sich Manorossa für diese Burg in Spanien interessiere, wo er doch selbst ein par Paradores in den Pyrenäen und der Sierra Nevada und sogar die geheimen Katakomben unter Cordoba besaß antwortete der rote Bär, dass er Erbansprüche seitens der in seine Blutlinie eingegliederten Valdiventi-Nachkommen hatte, von denen die meisten Töchter hervorragende Mondmagierinnen waren und die Burg von ihnen als Kraftort der altkarthagischen Göttin Tanit erkannt worden war. Mangiapietri schnaubte nur. Erst als Nuvolebianche, der hier als Vermittler handelte ihm das Wort erteilte sagte der Halbzwerg: "Valdiventi-Töchter haben auch in meine Familie reingeheiratet, du dicker, nimmersatter Klaubär. Also habe ich genauso Ansprüche auf diese Burg. Und wenn ich da nicht falsch liege hat unser Wolkenbändiger hier auch weibliche Ahnen, die aus dem Valdiventi-Stall kamen. Die konnten damals wohl nur Mädchen machen, weshalb die ja am Ende als eigenständiger Stamm ausgestorben sind."

"Es ist richtig, dass auch ich Vorfahren aus dem Valdiventi-Haus habe, und ich natürlich auch weiß, dass der letzte Dominus Maior des Hauses Valdiventi mit seiner Frau nur acht Töchter und keinen Sohn gezeugt hat. Ob Magie oder eine Form von teilweiser Zeugungsunfähigkeit haben die beiden mit ins Grab genommen. Ich kann nur vermuten, dass sie mit irgendwem einen Pakt geschlossen haben und der ihnen vorgeschrieben hat, ihm den ersten Sohn zu überlassen, wie es in dem spanischen Lied vom Sohn des Mondes erwähnt wird, oder dass sie eine lange und glückliche Beziehung führen könnten, aber dann keinen Namenserben bekommen würden. Damals gab es ja noch keine Sardonia, die meinte, Hexen sollten auch ihre Mädchennamen zu Familiennamen für ihre Männer und Kinder machen dürfen."

"Ui, acht Töchter? Wie viele Badezimmer hatten die damals?" fragte Mangiapietri ungebeten dazwischen. Nuvolebianche räusperte sich und sah dann Flavio an. "Hast du ebenfalls Erbansprüche an die kleine Burg, Feuerspieler?"

"Soweit ich weiß wollte keiner meiner männlichen Vorfahren was mit den Valdiventis zu schaffen haben. Wir wollten unsere Blutlinie nicht mit Abkömmlingen der Mondgöttin verhunzen, wo wir den großen und kundigen Vulcanus als unseren Urvater haben."

"Kling-Klong", spöttelte Mangiapietri. Dafür loderte seine Kerzenflamme für eine Sekunde doppelt so hoch und blauer als üblich. Dann fiel die Flamme wieder auf ihre übliche Größe zusammen. "Geht alles von deiner Zeit ab, Mitbruder Halbzwerg", knurrte Flavio. Die drei anderen sahen ihn verstört an. Die Kerzen zeigten die verbleibende Restzeit. Beim Eintreten waren sie alle gleichlang gewesen. Jetzt hatte Mangiapietris Kerze mindestens fünf Minuten Brennzeit eingebüßt. Kamen sie nicht zum Abschluss der Aussprache, bevor seine Kerze ausging musste er den Raum innerhalb von einer halben Minute verlassen und durfte nicht vor Ablauf eines Monddurchgangs zurückkommen. Alle sahen den Feuerspieler an. Doch der blieb äußerlich ganz ruhig.

Um keine weitere Minute zu vergeben schlug Nuvolebianche den beiden Streitenden vor, dass er ihnen je die Hälfte des geschätzten Preises für Grundstück, Gebäude und Inhalt zahlen mochte, um es zu erwerben. Darauf rief MangiaPietri: "Florentiner Krämerseele. Du meinst, alles mit Gold zu kriegen. Aber der da hat seine Speerwerfer zu mir hingeschickt und gesagt, dass er der stärkere ist und deshalb recht kriegt. Das stört eindeutig unsere Bruderschaft. Mein Vorfahre Varus hätte ihm dafür gleich die Fehde ausgesprochen und seine Waffenständer mit Getöse rausgeworfen. Nur die Sorge um den Zusammenhalt innerhalb der Bruderschaft hat mich bisher davon abgehalten, diese Speerwerfer rauswerfen zu lassen."

"Ich stimme dem Kleinen hier völlig zu, Wolkentänzer. Ich habe diese Burg nicht erworben, um sie für schnödes Gold wieder abzugeben. Meine Leute sind da jetzt drin und bleiben da drin, so", erwiderte Manorossa laut und unüberhörbar entschlossen.

"Die sitzen da nur solange drin, bis ich genug Brenngebreu habe, um dir die Hütte über deinem roten Schädel anzuzünden", schnaubte Mangiapietri. "Außerdem könnte deinem dicken Ausguck Mortedracone in der Verkehrsüberwachung mal ein Besen unterm Allerwertesten wegbrechen, sowie deinem Grautier."

"Wag dich, Zwergenbrütiger!" konterte Manorossa mit einer allgemeinen Drohung. "Abgesehen davon habe ich die Schlüssel zu den Toren zu den Brenngebreugrundstofflieferanten. Also pass besser auf, dass meine Todesspeere dir nicht den roten Hahn auf's dach setzen und der sich bis in deinen Weinkeller runterfrisst."

"Kickeriki!" antwortete Mangiapietri darauf und sah Flavio Fulminicaldi verschwörerisch an. Der blickte verwundert zurück. Manorossa blaffte: "Ach, der Zündelbruder hat dir wohl schon angeboten, mit seinen Funkensprühern gegen mich und meine Kämpfer vorzurücken, wie?"

"Einhalt und Schweigen!" rief Nuvolebianche. Erst als alle schwiegen, weil der Älteste es geboten hatte, sagte Albano: "Ich erkenne, der Vorschlag, euch gleichermaßen abzufinden und dadurch selbst Eigentum an diesem Castillo zu erwerben findet keine beiderseitige Zustimmung. Ich erkenne jedoch an, dass beide Seiten ihre Ansprüche haben und dass das Haus Mangiapietri länger Besitz an dem Castillo hatte. Somit frage ich den Mitbruder Flavio, ob er bezeugen möchte, dass für diese Burg ein gleichwertiger Ersatz vom Hause Manorossa erbracht werden soll."

"Ich stimme zu", sagte Flavio. Manorossa riss den Arm hoch und rief: "Ich verbiete es. Die Burg gehört jetzt den Manorossas, die dem Himmel entgegengereckte Hand weht über allen sechs Türmen und wird zur eisernen Faust, wenn wer meint, sie uns wieder wegzunehmen oder gar abzukaufen."

"Ich habe im Namen des brüderlichen Miteinanders stillgehalten und bisher nichts getan, um meine gerechtfertigten Ansprüche durchzusetzen, Mitbruder Enzo. Ich will auch keinen von meinen wertvollen Leuten an deine sogenannten Todesspeere verfüttern. Aber wir können das auch gerne auf dem Feld der Ehre regeln, falls du im Kampfzauberunterricht nicht dauernd nur auf die Oberweiten der ganzen Mädchen geglotzt hast, Bärchen", erwiderte Vespasiano Mangiapietri.

"Duellieren, ich mich mit dir? Dann müsste ich ja deine Witwe heiraten", knurrte Manorossa.

"Du wirst höchstens als besonderes Gemüsesieb für meine Frau weiterbestehen, wenn ich mit dir fertig bin, und deine Witwe kann dann von meinem Neffen Mateo neu aufgefüllt werden und ..." Peng! Albano Nuvolebianche hatte mit der rechten Faust auf den Tisch gehauen. Er verzog das Gesicht, weil der blitzblanke schwarze Marmor doch ein wenig härter war als seine Fingerknöchel. Doch die Wirkung war die gewünschte. Die beiden Zankhähne hörten mit ihrem Getue auf. Dann sagte Albano: "Ihr müsst das heute noch klären, gerade um unseren Zusammenhalt wiederherzustellen. Freunde, wir stehen mit dem Rücken zur Wand, und links und rechts ist ein sehr tiefer Abgrund. Wenn wir als Bruderschaft überleben wollen müssen wir einig sein. Also, mein Angebot steht immer noch, dass ich euch beiden je die Hälfte vom geschätzten Preis für die Burg und alles was darin ist zahle. Es sei denn, Mitbruder Flavio möchte selbst eine spanische Burg kaufen."

"Ich habe drei türkische Festungen, einen magischen Stein von Malta und einen Inkatempel in Bolivien. Ich brauche keine Burg in Spanien", grummelte Flavio. "Aber was ich brauche ist Ruhe, besonders wenn Bernadotti jetzt meint, uns nicht mehr ernstnehmen zu müssen. Und was diesen komischen Blick an mich angeht, Halbzwerg, mach deine Sachen mit dem roten Bären selbst aus, wenn du nicht bald die Asche deines eigenen Hauses zusammenkehren willst!""

"Das ist ein Wort, Halbzwerg", fügte Manorossa dem hinzu. Albano Nuvolebianche seufzte erst. Dann ergriff er wieder das Wort.

"Gut, abkaufen lassen willst du dir die Burg nicht. Doch wenn Mitbruder Vespasiano nicht doch die Blutfehde gegen dich ausrufen soll, was bei einer Uneinigkeit in dieser Runde sein Recht ist, wie ist es mit einer Friedensgabe?"

"Pffff", machte Enzo Manorossa. "Soll ich diesem halben Hemd da etwa mein Erbe abkaufen. Seine Leute haben es verstanden, dass ich berechtigte Ansprüche habe und sind aus der Burg raus, obwohl die einige gute Abwehrzauber aufbieten konnte."

"Die du von deinen Banditen schon längst hast unterbinden lassen, weil du von irgendwem wusstest, welche das sind und wie sie zu kontern sind", schnarrte Mangiapietri. Nuvolebianche hob schon wieder die Faust. Da meinten der rote Bär und Vespasiano: "Brich dir nicht deine empfindlichen Federkielfingerchen, Wolkenpuster."

"ah, da seid ihr zwei euch doch mal einig, wie?" knurrte Albano Nuvolebianche. Daraufhin schossen die Kerzenflammen von Manorossa und Mangiapietri bis zu zwei Meter hoch und gleißten grellblau. Die zwei Kerzen schrumften in erschreckender Geschwindigkeit zusammen, bis sie nur noch ein Viertel so lang waren wie die der beiden anderen. Dann fielen die Flammen mit hörbarem Wuff in sich zusammen, bis nur noch die üblichen weißgelben Flammen brannten. "So, damit ihr Krawallkobolde endlich mal klar kriegt, wie es ohne Zank weitergeht", knurrte Flavio Fulminicaldi. Dafür sahen die beiden bisherigen Streithähne ihn sehr verbittert bis bedrohlich an. Nuvolebianche erinnerte den Feuerspieler daran, dass die Zeitkerzen gleichbedeutend mit Verweilrecht und damit Mitspracherecht waren und er damit den beiden einen ähnlichen Schlag versetzt habe, als wenn er denen mehrere Ohrfeigen verpasst hätte.

"Mitbrüder, ich habe noch wichtige Sachen zu erledigen und will dieses Gespräch nicht unnötig lang laufen lassen. Wenn du nicht fähig bist, den zweien da was anzubieten, um die nicht aneinandergeraten zu lassen, dann brenne ich gerne unser aller Kerzen bis auf fünf Minuten runter. Dann musst du die Aussprache beenden oder zusehen, wie die Kerzen ausgehen, ohne was zu klären. Also."

"Du vergehst dich gegen die Unantastbarkeitsgesetze, Mitbruder Flavio. Keiner deiner Vorfahren hat es gewagt, die Zeitkerzen derartig schnell niederbrennen zu lassen, obwohl jeder von denen diese Gabe geerbt hat. Deshalb verurteile ich in meiner Eigenschaft als ältester unserer Runde dich, Mitbruder Flavio Fulminicaldi, wegen Missachtung der allen gültigen Zeitvorgabe zu einer Zahlung von je 25 römischen Pfund reinen Goldes oder des betreffenden Wertes in Solicini. Ich hoffe im Namen der gebotenen Achtung, dass du dieses Urteil annimmst."

"Oder sonst, Wolkenkrämer?" fragte Flavio. "Darf er deine Kerze auspusten und dich damit aus unserer Runde rauswerfen, Feuerspucker", kam Mangiapietri Nuvolebianche zuvor. Flavio grinste nur. Da sagte Albano: "Nein, so werde ich nicht handeln. Aber du kennst das Gebot der Bruderschaft. Wer ein im Saal der Aussprache begangenes Vergehen nicht büßt büßt es außerhalb zwanzigfach. Da ihr hier alle Zeugen seid gilt dieses Wort. Also, nimmst du mein Urteil an?"

"Ja, euer Ehren", knurrte Flavio.

"Und was die Burg angeht, Mitbruder Enzo: Du zahlst Mitbruder Vespasiano eine Friedensgabe von einem römischen Pfund reinen Goldes für jedes Semester, dass seine Familie die Burg gehütet und bewahrt hat, und zwar in sechsunddreißig raten. Mitbruder Vespasiano soll dir mitteilen, wielange er die Burg besessen hat."

"Tja, so spricht ein echter Kaufmann, der schon die Medicis über den Tisch gezogen hat", feixte mangiapietri und sa Manorossa an. "Oder du sagst deinen Speerwerfern, sie sollen die Burg in einem Tag blitzblank geputzt und gut durchgelüftet wieder an meine Burghüter zurückgeben und du mir mit Blut unterschreiben, dass du dich nicht mehr an meinen Liegenschaften vergreifst. Dann bin ich bereit, auf die Entschädigung zu verzichten."

"Eure Familie hat die Burg neunhundert Jahre lang besetzt gehalten. Abgesehen davon ist sie eher das Erbe meiner Familie und ... Wie lange kann ich überlegen", knurrte der rote Bär. Denn er wusste, dass dieses Urteil wegen der mithörenden Zeugen bindend war. Dagegen zu handeln machte ihm alle anderen zu feinden. Das konnte auch der rote Bär gerade nicht gebrauchen.

"Bis zu den Calenden des Mai", sagte Nuvolebianche. "Bis dahin könnt ihr prüfen, wi lange genau die Burg den Mangiapietris unterstand und wie viel Gold er dafür erhalten darf.

"Ich will in einem Tag deine Antwort, ob du die Burg wieder rausrückst oder mir die 1800 Pfund Gold in 36 Monatsraten rüberschiebst, mitbruder Enzo", bestand Mangiapietri auf sein eigenes Ultimatum. Der rote Bär sah auf seine ziemlich weit heruntergebrannte Kerze, dann warf er einen vorwurfsvollen Blick auf Flavio Fulminicaldi und einen verdrossenen Blick auf Vespasiano und Albano. "Gut, morgen um Mitternacht wird mein Unterhändler dir meine Antwort überbringen, Mitbruder Vespasiano", brummte Enzo Manorossa. Alle im Raum atmeten hörbar auf.

Tagesordnungspunkt drei wurde im Vergleich zu den beiden vorangegangenen Themen sehr rasch abgehandelt. Es wurde noch einmal bekräftigt, dass jeder Angriff von Schergen Vita Magicas auf eine der vier Familien und/oder deren sogenannten Schutzbefohlenen für die daran beteiligten VM-Leute den Tod bedeuten musste. Auch wurde beschlossen, jede durch VM-Aktivitäten schwanger gewordene Hexe aus einer der vier Familien gegen ihren Willen die aufgenötigte Leibesfrucht zu entnehmen und ihr danach durch Gedächtniszauber einzugeben, nicht schwanger geworden zu sein. Die ertappten und ergriffenen VM-Helferinnen und -helfer sollten auf möglichst einprägsame Weise den Tod finden, also nicht mal eben durch den Todesfluch oder durch ein Gift umgebracht werden. Natürlich wusste hier jeder, dass das alles erst einmal nur lautstarkes Wutgeheul war. Aber zumindest konnten nun die der Bruderschaft dienenden Heilzauberer die dreißig italienischen Hexen, die bei der abgebrochenen Quidditch-Weltmeisterschaft schwanger wurden, die unerwünschten Kinder entreißen, auch gegen den von VM eingetrichterten Willen, diese Kinder auf jeden Fall bekommen zu wollen. Dem stimmten alle zu.

Tagesordnungspunkt vier zog sich dagegen erschreckend lange hin, weil keiner hier so recht wusste, wie gegen die aufmüpfigen Hexen vorzugehen war, ohne gleich alle Hexen umzubringen, die meinten, sie hätten mehr Rechte als Männer. Nuvolebianche wandte ein, dass jede gewaltsame Aktion eher solchen Schwesternschaften in die Hände spielen mochte und vor allem ihre heimlichen Tätigkeiten aufdecken konnte. Zwar hatten sie in Italien, Spanien, Portugal und vielen südamerikanischen Ländern eine gewisse Absicherung. Doch gerade der schwindende Respekt in Italien war eine deutliche Warnung, sich nicht zu sehr auf die heimlichen Übereinkünfte und Stillhalteregeln zu verlassen. Da sie Bernadotti im Moment nicht über den Weg trauten beschlossen sie, eine Liste erkannter Unruheschwestern anzulegen und hier in diesem Haus und in den Stammsitzen der vier Familien auszuhängen, damit jeder römische Wolf wusste, wer die möglichen Feindinnen waren. Um damit gleich anzufangen notierten sie die Namen Ladonna Montefiori und "die schwarze Spinne" als oberste Kandidatinnen für eine solche Liste.

Als die Kerzen von Enzo und Vespasiano gerade noch für fünf Minuten Wachs aufwiesen fanden die vier Familienoberhäupter, dass sie alles regelbare und klärbare erledigt hatten. Nuvolebianche beendete die Aussprache. Er wusste zu dem Zeitpunkt nicht, wie viel Zeit sie damit schon vertan hatten.

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Früher war er Daniele Mortedracone gewesen, auch genannt Asinetto. Sie hatten ihn immer für einfältig aber ausdauernd, stur aber nützlich gehalten und ihn deshalb nur als Botenflieger oder Unterhändler bei einfachen Geschäften mit einer der drei anderen Familien eingesetzt. Doch nun stand er regelrecht fest verwurzelt in einem für ihn übergroßen Beet, zusammen mit an die zwölf Daseinsgenossinnen. Er war ihr in die Falle gegangen. Er hatte gehofft, sein Freitodschwur würde ihn ihr entreißen. Doch diese schwarzhaarige Oberhexe hatte es geschafft, den Zauber unwirksam zu machen. Er war dann hier wieder aufgewacht und hatte erkennen müssen, dass er kein Mensch mehr war, sondern eine Pflanze, eine Rose um genau zu sein. Dann hatte ihn die schwarzhaarige Wolfsbluttrinkerin mit ihrem eigenen Blut und Wasser benetzt und einen Bindungszauber auf ihn gesprochen, der sein Leben an ihr Leben und seinen Willen an ihrenWillen kettete. Danach hatte er kein schlechtes Gewissen und keine Verzweiflung mehr empfunden, versagt zu haben und nicht die Strafe für Versager erhalten zu haben. Sie hatte ihn gefragt, was er über die römischen Wölfe, die altehrwürdigste Bruderschaft des Mittelmeerraumes, wusste. Er hatte ihr erzählt, dass er zum Clan der Waffenträger und Boten der hochherrschaftlichen Familie Manorossa gehörte und auch, wen er von den anderen Unterhändlern und Herolden kannte. So hatte er, der als erster männlicher Gefangener im Rosengarten der Ladonna Montefiori eingepflanzt war, Adolfo Costello erwähnt, sowie den kleinen Geraldino Mangiapietri, der als zweiter Enkel des halbzwergischen Patriarchen Vespasiano gerade mal zum Vermittler zwischen den Familien taugte, wenn die Domini selbst sich nicht treffen wollten. Wer alles genau zu welcher Familie gehörte konnte der ehemalige Bote der Manorossas nicht sagen. Doch was er unter dem Einfluss der ihm aufgezwungenen Verwandlung und der mit Ladonnas Blut und frischem Wasser in ihn eingeflößten Abhängigkeit von dieser Hexe preisgeben konnte hatte er preisgegeben. Würden die römischenWölfe jemals erfahren, dass er sie verraten hatte? Doch was konnten sie noch tun. Ladonna hatte ihm nach dem sechsten Guss mit ihrem eigenen Lebenssaft erzählt, dass sie mit seinem Haar eine falsche Leiche erschaffen und sie mit seinem Besen halbverbrannt in der Nähe der Mangiapietri-Residenz ausgelegt hatte. Vielleicht reichte das schon aus, um eine Vergeltungsfehde zwischen den beiden Sippen zu entzünden. Falls nicht würde sie eben Adolfo Costello, Geraldino Mangiapietri und vielleicht einen aus der höheren Rangstufe der Mortedracones dazu bringen, Aufruhr und blutiges Chaos in den achso streng geordneten Reihen der römischen Wölfe zu treiben. Divide et impera! - Teile und herrsche! - Die alte, bis heute erfolgreiche Formel des sicheren Herrschens. Auch als Rosengewächs, dessen Gedanken ohne Anwesenheit der dunklen Hexe langsamer ablief als bei Menschen, wusste er, dass die Lupi Romani zwar davon ausgehen konnten, dass jemand sie gegeneinander aufbrachte. Doch würde das reichen, um auf die alten Traditionen zu verzichten, einschließlich der Blutrache? Er wusste es nicht und hatte auch keine Möglichkeit mehr, irgendwas daran zu ändern. Er war einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen.

"Denkst du kleiner Botenjunge wieder darüber nach, ob du ... ihr ... nicht mehr Widerstand hättest bieten können?" hörte er die Gedankenstimme einer Frau und erkannte, dass diese von einer der um ihn gepflanzten Rosen stammte, die ihm als Regina Venuti vorgestellt worden war.

"Sie ist unsere Königin, und wen sie nicht will den vernichtet sie. Aber warum wir noch da sind weiß ich nicht", erwiderte Mortedracone rein gedanklich.

"Ja, und ich habe sie in die Weltzurückgeholt", hörte er die Stimme einer anderen, wesentlich jüngeren Frau. Das war Rose Britignier, eine französische Moggla, die Ladonnas Geist und Körper wieder zusammengebracht haben sollte.

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Enrico Manorossa liebte es, in der Ahnengalerie des Stammhauses umherzuwandeln, die Vollporträts seiner Vorväter anzusehen und ihnen beim Schwadronieren über ihre glorreichen Zeiten zuzuhören. Eines Tages würde auch sein goldgerahmtes Bild in dieser Galerie aushängen, wenn er als Führer der ruhmreichen Familie Manorossa den letzten Atemzug getan haben würde. Wie die Tradition der Familie gebot wurde vom jeweils aussichtsreichen Nachfolger des amtierenden Hausvorstehers ein Porträt angefertigt, wenn er in der Blüte seiner Jahre stand. Das Porträt wurde dann im Keller des großartigen Gedenkens aufbewahrt und eine Stunde nach dem letzten Atemzug des amtierenden Hausvorstehers an den dafür freigehaltenen Platz versetzt. Ein uralter Zauber sorgte dafür, dass alle zwei Tage, wenn der Hausvorsteher gerade schlief, alle Erinnerungen der letzten zwei Tage in den Goldrahmen kopiert wurden, um dann, wenn das Bild frei sichtbar ausgehängt wurde, in das Porträt einzufließen, auf dass es weiterhin das Wissen und die Erfahrungen der Vorlage besaß und im Bedarfsfall an die im Haus lebenden Nachfahren weitergeben konnte.

Gerade stand Enrico vor dem mannshohen Vollporträt des ersten Pater Primus Eudorus Ursus Robustus Manus Rubra, der die drei ersten römischen Kaiser miterlebt hatte. Der muskulöse Patriarch war in einer purpurfarbenen Toga dargestellt, die in der Körpermitte von einem goldenen Gürtel zusammengehalten wurde. An dem Gürtel hingen die drei Schlüssel der Macht, einer aus Eisen, einer aus Silber, einer aus Gold. In der rechten Hand hielt der Gemalte einen Zauberstab, aus dem immer wieder kleine rote Funken knisterten. Die linke Hand ruhte auf einem Amboss, in den der Wahlspruch der Familie eingeschrieben war wie in einen Gedenkstein: "Quod initias facere sine timore aut cunctatione fac!" Nach diesem alten Grundsatz handelten die Manorossas bis heute.

Gerade unterhielt sich Urvater Eudorus mit einem seiner Urururenkel über die Aussichten, dass die Ordnung des römischen Reiches oder gar die Zaubererherrschaft wie im alten Atlantis wiedererrichtet werden konnte. Eudorus beharrte darauf, dass nur die kampferfahrenen und keine Streitigkeit verweigernde Familie der roten Hand die Gesamtführung aller auf die alten Werte schwörenden Zaubererfamilien ausführen konnte. Dann sah er den gerade sechsunddreißig Jahre alten Enrico an und machte eine Winkbewegung. In der erhabenen Hochsprache des römischen Reiches fragte er ihn, wann er endlich seinem erstgeborenen Sohn die richtige Frau aus einer der drei verbliebenen Familien aussuchen würde, statt ihn hilflos und unkundig umhersuchen zu lassen und dabei die Gefahr zu beschwören, dass er sich in ein nicht standesgemäßes Hexen- oder gar Unfähigenmädchen verlieben könnte.

"O erster Vater des ruhm- und goldreichen Hauses der roten Hand", begann Enrico ebenfalls auf Lateinisch zu antworten: "Mein erstgeborener Sohn Ernesto der neunte hat erst das sechzehnte Lebensjahr vollendet und wird noch zwei Jahre in der hohen Schule der grünen Katzen zubringen, bevor er sein eigenes Leben beginnen muss. Bis dahin wird er sicherlich erkennen, wie er seine eigene Lust und die Pflicht für unser Haus in einem vorteilhaften Tanz vereinen und sich eine Jungfrau von Stand und Ehre erwählen wird. Doch mein geliebter und geehrter Vater und ich unterhandeln schon mit jenen Zaubererfamilien, die unserem alten Streben und unserer Ehre verbunden sind. Einmal vernahm ich, dass ihm die erste Enkeltochter des Feuerbändigers Flavio Fuliminicaldi gefalle und sie ihm auch nicht abgeneigt sei. Doch weiß ich, dass mein Vater ihn auch gerne mit der jungen Urania Nuvolebianche zusammenfinden sehen möchte, weil ihm die Verbindungen zur Werkstatt der Ventirossi-Familie sehr recht kommen würde. Doch wie ich sagte wird er noch zwei Jahre die Unterweisungen der Lehrer der hohen Schule erhalten, bevor er sein eigenständiges Leben beginnen wird."

"Dich haben deine Eltern mit sechzehn schon dazu gebracht, dich mit Liliane aus dem Hause Mortedracone zu verloben, so dass du mit Beendigung deiner Zeit in der selbsternannten Akademie der Sippe der grünen Katzen eine feste Bindung und die Grundbedingung für den Fortbestand unserer Familie fandest. Verfalle ja nicht dem verwegenen Gedanken, dass deine Kinder frei und ohne väterliches gutheißen ihre Ehepartner finden können!"

"Ich bin mir der Ehre und Pflichten des Hauses bewusst und werde alles tun, um beidem gerecht zu werden, immer und überall, bis zu meinem letzten Atemzug", gelobte Enrico. Doch innerlich war er wütend. Sollte er sich von einem konnservierten Urahnen, dessen wahrhaftiger Leib schon vor vielen Jahrhunderten zu Staub zerfiel, maßregeln lassen, wen er mit seinem Sohn zusammenbrachte? Niemals!

"Filie Domini, ein Adolfo Costello, der erste Bote des Hauses Mangiapietri erbittet eine Audienz bei deinem Vater oder seinem Stellvertreter!" hörte er die scheinbar aus leerer Luft dringende Stimme des Haushofmeisters Bernardo Caravaccio. Sofort legte Enrico seine Hände wie einen Trichter vor seinen Mund und sprach mit normaler Lautstärke hinein: "Wo ist dieser Zwergenbote und was will er genau von meinem Vater oder mir?"

"Er steht vor dem südlichen Tore und erbittet ein Gespräch wegen der Burg bei Alicante. Er sagt, er habe ein Friedensangebot seines Hausherren zu unterbreiten, dass aber nur der Dominus oder du hören dürft."

"Was sagt der Feindmelder?"

"Er zeigt nur einen gesunden, lebenden Mann, keinen uns feindlich gesinnten. Doch dies, O Filie Domini ist merkwürdig. Üblicherweise zeigt der Melder uns, wenn jemand einem uns gerade feindlich gesinntem Hause verbunden ist, und die Sache mit der spanischen Burg dürfte großen Unmut bei den Mangiapietris erweckt haben."

"Zeigt er das Zeichen friedlicher Unterhandlung?" fragte Enrico Manorossa. "Ja, Filie Domini."

"Gut, so lasst ihn ein und geleitet ihn in den Audienzraum!" sprach Enrico durch die zusammengelegten Hände. "So sei es, Filie Domini", kam die Antwort.

"So vernehme ich recht, dass der erste Bote des Zwergensohnes dich aufsucht, Enrico", bemerkte das Porträt des Eudorus. Enrico bejahte es. "Sei auf der Hut vor zwergischem Zauberwerk. Dieses ist nicht durch die Gerätschaften ehrbarer Zauberer zu enthüllen!"

"Werde ich, soweit mir dies möglich ist", erwiderte Enrico. Seine Anerkennung für den ersten Vater war ein wenig eingetrübt. Natürlich wusste Enrico, dass Mangiapietri die zauberstablose Zwergenmagie erlernt hatte. Doch was brachte es dem, seinen Boten damit auszustatten, um noch mehr Unruhe zwischen die zwei Häuser zu bringen. Außerdem wäre das gegen die Ehre, einen Meuchelmörder auszusenden, wie es bei den Moggli-Aristokraten üblich war. Ein Haus, dass sowas tat entbllößte sich als Hort der Feigheit und der Hinterlist und konnte von den drei anderen Familien bestraft werden, schlimmstenfalls dadurch, dass der erstgeborene Sohn des Hauses und seine eigenen Söhne getötet wurden und die Töchter mit den niedersten Dienstboten der drei anderen Familien zwangsverheiratet wurden, ohne weiterhin hexen sein zu dürfen. Diesen Fall hatte es in den zweitausend Jahren der Bruderschaft nur zweimal gegeben. Also konnte sich Enrico sicher sein, dass der Bote kein gedungener Mörder war. Mit dieser beruhigenden Gewissheit verließ er die Ahnengalerie.

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"Und du bestehst darauf, dass die nächste Ministerkonferenz ohne Ornelle Ventvit stattfinden soll, meine Königin?" fragte Romulo Bernadotti, als die geistige Verbindung zu seiner wahren Herrscherin hergestellt war. Diese schickte ihm zurück: "Wenn stimmt, was du und die mir treuen Mitstreiterinnen mir berichtet haben und du in ihrer Nähe Übelkeit und Abstoßung empfunden hast, so ist sie wahrlich von einer ganzen oder teilweisen Veela behext worden. Wenn es noch einer dieser verbotenen Segen sein soll, von denen eine meiner Großmütter meiner Mutter erzählt hat, dann ist sie eine Gefahr für unser gemeinsames Ziel, eine friedliche Vereinigung aller magischen Menschen unter einer starken Führung zu erringen. Sie würde meinem Ansinnen widerstreben und es wagen, mich offen zu bekämpfen. Nein, ich will sie nicht dabei haben, Romulo. Entweder gibt sie ihr Amt auf und überlässt es einem, der nicht von einer übereifrigen Veela verdorben wurde, oder alle anderen müssen sie aus allen zwischenstaatlichen Übereinkommen und Vereinigungen verstoßen, wenn sie erst einmal wie du unter dem Banner der Feuerrose vereint sind. Ich will nicht, dass du als mein erster Diener erkannt und von den anderen bekämpft wirst. Denn sie könnte dich als solchen erkennen und alle anderen warnen, bevor sie das Bild und den Duft der Feuerrose genießen durften."

"Wäre es da nicht günstiger, einen der dunklen Orden gegen sie aufzuhetzen und sie von diesem töten zu lassen, meine Königin?" wollte der für den Rest der Zaubererwelt immer noch mächtigste Mann Italiens wissen.

"Das wäre genausogut, als würde ich selbst zu ihr hingehen und sie töten, du Dummkopf. Die wissen doch schon, dass ich wiedererwacht bin. Sie argwöhnen sicher auch, dass ich meine alte Schwesternschaft wiederbegründet habe. Wenn jetzt einer von euch stürbe hätten sie den Beweis, dass ich bereits über mehr macht gebiete als sie bisher befürchteten. Außerdem missfällt es mir, dass irgendein anderer Zauberer- oder gar Hexenorden die blutigen Lorbeeren für eine solche Tat erhält."

"Meine Königin, du weißt doch, dass die Hexenbande der schwarzen Spinne den nordamerikanischen Zaubereiminister Wishbone getötet hat und ..."

"Ich weiß, du hast mir das erzählt. Aber ich glaube es nicht. jemand anderes hat es so hingestellt, als sei es dieser Orden jener verruchten, die sich als Sardonias wiedergeborene Nichte ausgibt oder deren nicht minder verdammenswürdige Nachfolgerin. Die hätten zu dem Zeitpunkt keinen Vorteil daraus geschöpft, diesen Hexenfresser zu töten. Nein, eine Leiche kann nur noch verwesen. Jemanden zu töten ist nur von Nöten, wenn dadurch mehr Vor- als Nachteile gewonnen werden oder eine dauerhafte Gefahr unwiederbringlich aus der Welt geschafft werden kann. Deshalb behalte ich mir die Tötung von Ornelle Ventvit als allerletztes der noch bestehenden Mittel vor. Denn es muss auch gelten, dass ihr Lebenswerk nicht durch ihren Tod bestärkt wird, wie es dieser Friedensprediger aus Nazareth erreicht hat und in dessen Namen mittlerweile mehr Blut und Klagetränen vergossen wurden als für irgendeinen anderen Menschensohn. Sei gewiss, dass ich und die mir nach all der langen Zeit der Verbannung wieder folgenden Schwestern bereits daran arbeiten, diese Gefahr von uns abzuwenden, ohne dieses von einer Veelastämmigen verpestete Weib körperlich töten zu müssen."

"Ich verstehe das und erbitte Nachsicht für meinen Fürwitz, meine Königin", erwiderte der amtierende Zaubereiminister.

"Diesmal gewähre ich diese Nachsicht. Doch mein Vorrat an Nachsicht ist begränzt und sollte nicht mutwillig geschmälert oder gar aufgebraucht werden. Bedenke du dies jeden Tag!" Romulo Bernadotti bestätigte das.

"Darf ich in aller Demut und der mir von dir auferlegten Pflicht fragen, wie es nun mit den römischen Wölfen weitergeht? Die Entlassungen der eindeutig dazugehörenden dürfte die betreffenden Sippen alarmiert und aufgebracht haben."

"Ja, das hat sie auch, mein erster Diener Romulo. Deshalb treffen sich die selbstherrlichen sich mit Dominus anreden lassendenHäuptlinge dieser vier überalterten Stämme gerade jetzt wo wir miteinander in Gedanken sprechen, um zu beschließen, wie sie darauf reagieren mögen. Sei darauf gefasst, dass du demnächst wegen unrühmlicher Vorkommnisse weitreichende Erlasse aussprechen musst!""

"Ich harrre deiner Befehle, o meine Königin", erwiderte Bernadotti mit der vom Duft der Feuerrose in sein Denken eingeprägten Unterwürfigkeit.

"Genieße den restlichen Abend, mein treuer Diener und erhol dich gut von der Mühsal des Tages!" erwiderte die Gedankenstimme seiner Herrin. Dann fühlte Bernadotti, wie sie sich von ihm zurückzog. Er war nun wieder für sich. Doch er wusste, dass sie ihn jederzeit aus der Ferne berühren, beobachten oder sogar lenken konnte, wann und wie sie wollte. Er war und blieb ihr erster Diener, dazu gemacht, ihren Willen zu vollstrecken, wo sie selbst noch nicht in Erscheinung treten konnte oder durfte.

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Der Audienzraum war eigentlich ein Saal. Denn er beherrschte die Hälfte vom südlichen Abschnitt im zweiten Obergeschoss der Manorossa-Residenz. Hier konnten bis zu dreißig Leute an einem Tisch sitzen, wenn eine große Versammlung anstand oder zwischen all den Wandteppichen und Heldenstatuen ein Podest mit einem thronartigen Hochsitz platziert werden, vor dem dann zwischen einem und zwanzig Stühle aufgestellt werden konnten. Enrico, der die Bezeichnung Filius primus Domini oder kurz Filius Domini trug, hatte hier schon einige Versammlungen und erklärende Gesprächsstunden miterleben dürfen. Er hatte bei seinem Blut und seiner Ehre schwören müssen, nichts davon nach außen zu verraten, was in diesem Saal verhandelt und beschlossen wurde.

Im Audienzraum stand das mit purpur gefärbten Decken verhüllte Podest. Allerdings stand nicht der thronartige Hochsitz mit den vergoldeten Beinen darauf, sondern nur ein breiter, hochlehniger Polsterstuhl mit kirschrotem Bezug, aber immerhin eichenhölzernen Beinen mit Bronzefüßen. Der genau in der Mitte aufgehängte Kronleuchter war bereits entzündet und ergoss sein weißgelbes Licht und ließ die goldenen Statuetten an den Wänden glänzen und die farbigen Darstellungen auf den Wandteppichen schillern.

Enrico hatte sich vor diesem Gespräch den blutroten Umhang übergezogen, der die Familieninsignien zeigte. Er hatte früh gelernt, dass Darstellung viel bedeutete. Dass ihm nicht der erhabene Herrschersitz hingestellt worden war nahm er als seinem Rang angemessen hin. Er stieg behutsam die vier Stufen des Podestes hinauf und setzte sich auf den ihm gebührenden Stuhl hin. Daraufhin erschollen drei helle Glockentöne, die im Haus und bis zu hundert Meter davon entfernt gehört werden konnten. Damit wurde signalisiert, dass der Hausherr oder sein Stellvertreter im Audienzsaal platzgenommen hatte.

Gemäß der alten Regeln hatte ein Bote oder sonstiger Bittsteller zwei Räume weiter warten müssen, bevor die Glocke ertönte. Dann ging eine der drei kleineren Türen auf, und hereintrat der angekündigte Besucher. Er trug keinen seinem Herren Mangiapietri zugeordneten Umhang, sondern einen lindgrünen Umhang mit Stehkragen. Aber er trug die silberne Brosche mit dem liegenden Wolf mit geschlossenem Maul, das Zeichen der friedlichen Aussprache. Doch irgendwie fühlte Enrico, dass von dem anderen eine ungewohnte Ausstrahlung ausging. Er war kein Auravisor und konnte somit nicht klar bestimmen, was diese Ausstrahlung bedeutete. Doch so stark wie diese Ausstrahlung war hatten die Aufspürzauber vor und im Haus sicher schon erfasst, was es war. Wenn es feindlich gewesen wäre hätten sie ihn niemals bis zu ihm vorgelassen. Enrico konnte noch zwei in Schwarz gekleidete Angehörige der Kampftruppe sehen, die das Familienzeichen der Manorossas und das Zeichen des roten Wurfspeeres trugen. Doch wenn der Bote wirklich eine geheime Botschaft seines Herren überbrachte sollten keine zusätzlichen Augen und Ohren im Raum sein. Enrico berührte die rechte Armlehne. jetzt formte sich zwischen ihm und dem anderen eine licht- und schalldurchlässige Barriere, die jeden mittelstarken Zauberfluch abfangen konnte.

"Ich grüße den ersten Sohn des ehrenwerten Herren Enzo Manorossa", sagte Costello und verbeugte sich leicht. "Ich bedanke mich bei ihm, dass er mir Gehör schenken möchte und versichere ihm, dass seine wertvolle Zeit nicht vergeudet wird. Doch möchte ich im Respekt der ehrwürdigen Bruderschaft vorschlagen, dass die mich geleitenden Wächter nicht im Raum bleiben, wenn ich mit euch spreche, Signore Manorossa."

"Paco, Lorenzo, wartet vor der Tür!" sagte Enrico. Denn er wusste, dass er seine Zeit auf jeden Fall vergeudete, wenn der Besucher nicht damit herausrückte, was ihn hergeführt hatte und es nicht tun würde, solange niedere Diener im Raum waren.

Die Wachen zogen sich zurück, wohl weil einer von ihnen schon wusste, dass die Abwehrbarriere stand. Die kleine Tür fiel zu. Jetzt war der Raum wieder ein Dauerklangkerker.

Die Höflichkeit gebot, dass ein Besucher nach der korrekten Begrüßung auf einem der drei vor dem Podest stehenden Stühle platznehmen durfte. Enrico zeigte auf den mittleren Stuhl. Adolfo Costello setzte sich hin. Nun konnte Enrico ihn von oben her ansprechen. Er befahl ihm, sein Anliegen vorzubringen.

"Signore Manorossa, mein Schutz- und Dienstherr hat ja schon vor einiger Zeit seinen Unmut über die unter Gewaltandrohung erfolgte Übernahme des Castillo de las Olas bekundet. Er hat sich mit seinen getreuen beraten, ob und wie diese Schmach getilgt werden kann. Denn Eurem Vater ist sicherlich bewusst, dass er damit den Grund für eine gerechte Blutfehde geliefert hat. Doch eine solche würde sowohl sein Haus als auch das Eure schwächen und die Feinde, die beide Häuser haben triumphieren lassen, vor allem das Haus Fulminicaldi, welches in den Errungenschaften Eures und unseres Hauses ein Übel sieht."

"Gut, nicht so gestelzt! Mein Vater ist gerade unterwegs, auch wohl um mit Ihrem Herren zu reden. Also, was hat er ihm und damit uns allen hier anzubieten, das er nicht gleich mit ihm bereden kann?" erwiderte Enrico.

"Oh, so hat mein Herr mich wohl zu früh losgeschickt", erwiderte Costello ganz ruhig und ohne eine Miene zu verziehen, ein berufsmäßiger Unterhändler halt. "So sieht es vielleicht aus. Doch das Gegenteil ist der Fall. Er weiß genau, dass die Häuser Fulminicaldi und Nuvolebianche weder ihm noch Ihrem Vater diese Burg gönnen, weil sie mit irgendwelchen alten Wasser- und Mondzaubern zu tun hat. Immerhin hat ja auch Sardonia damals versucht, diese Burg zu erobern. Er weiß auch, dass Ihr Vater die Burg nicht mehr hergeben wird. Vielleicht wird der alte Krämer Nuvolebianche ihm die Burg abzukaufen versuchen, um des lieben Friedens willen. Mein Herr will Ihrem Vater ein Angebot machen, das er nicht vor den anderen dreien aussprechen möchte, weil er zurecht davon ausgehen muss, dass Nuvolebianche und Fulminicaldi ihn dann für einen Schwächling halten, der ihm geraubtes Gut zurückkaufen will. Ja, ich weiß, Ihre Familie sieht die Burg als ordentlich übernommenes Eigentum an. Doch mein Herr denkt da eben noch anders drüber, wohl auch, weil seine engsten Vertrauten ihm irgendwas erzählt haben, dass die Burg tatsächlich von mächtigen Hexen errichtet und geführt worden ist. Immerhin ist sie fünfeckig, wie die fünf Lebensstadien eines Menschen, Geburt, Reifung, Blütezeit, Alter und Tod. Deshalb will er die Burg unbedingt wiederhaben. Da er weiß, dass er sie nicht im Kampf erobern kann und nicht will, dass die anderen mitbekommen, dass er einen Großteil des gesamten Familienschatzes dafür hergeben will, um sie zurückzubekommen und damit sozusagen den Eigentumsanspruch des Hauses Manorossas anerkennt, schickt er eben mich, um Ihrem Vater sein Angebot zu machen."

"Die Burg gehört jetzt uns. Die Fünf Außentürme stehen für die fünf Finger einer Hand, also für unser Haus. Aber wenn Ihr Schutzherr meint, sie wiederhaben zu wollen, ohne dass er dafür Blut vergießen will und ohne dass die beiden anderen mitkriegen, dass er die Übernahme der Burg anerkennt, was genau will er denn dafür bezahlen?"

"Er sagte, es sei ein Großteil des Familienschatzes. Wie viel genau dies ist hat er mir nicht gesagt, wohl weil ich nicht sein Schatzmeister bin und daher nicht wissen darf, wie viel Vermögen und wie viel Einkünfte das Haus Mangiapietri hat. Doch er übergab mir einen Brief, der nur von Ihrem Vater oder Ihnen geöffnet werden kann. Den habe ich in meiner kleinen diebstahlsicheren Tasche, die gegen Durchdringungszauber geschützt ist." Er deutete auf seinen rechten Oberschenkel. Enrico wusste, dass Boten solche besonderen Umschnalltaschen bei sich trugen, in denen sogar bezauberte Gegenstände transportiert werden konnten, ohne gleich von Aufspürzaubern verraten zu werden. Er fragte jedoch: "Haben meine Leute diese Tasche gesehen und geprüft?"

"Natürlich haben sie das, Signore Manorossa", sagte Costello so beiläufig klingend, als wäre das eine unwichtige Sache. "Doch sie kennen mich ja und wissen, dass ich schon drei mal wichtige Nachrichten mitgebracht habe."

"Ja, und das ist auch der einzige Grund, warum ich meine Zeit gerade für Sie aufwende, Signore Costello. Aber bevor ich mir den Brief von ihnen geben lasse nur so viel: was werden Sie Ihrem Herren sagen, wenn mein Vater kein Gold von ihm haben will?""

"Nun, in dem fall bin ich autorisiert, Ihrem Vater oder seinem Stellvertreter mitzuteilen, dass mein Herr bereits eine Anfrage von anderer Stelle erhalten hat, was die von seiner Familie erlangten Geheimnisse der Burg angeht, die eben nicht wie alle anderen Dokumente durch Ortsbeschränkungszauber in der Burg verbleiben. Es soll da unter anderem um etwas gehen, dass nur Hexen erfahren konnten. Er hat mir gesagt, dass eine mächtige Hexe, die gerne schwarze Kleidung trägt, diese Burg gerne für sich hätte, weil eben diese Geheimnisse dort drinnen stecken, die nur reinblütige Hexen erfahren können."

"Das meint er hoffentlich nicht ernst", erschrak Enrico. "Er droht m-meinem Vater damit, dieser hurigen Wolfsbluttrinkerin Geheimnisse zu verraten, die seine Familie erlangt hat?"

"Als guter Diplomat würde ich das nicht als Drohung bezeichnen, Signore Manorossa. Er hat es als eine sehr unliebsame Alternative bezeichnet und gesagt, dass er lieber diese Geheimnisse hüten möchte, statt sie einer anderen Hexe auszuliefern. Aber sie hat erfahren, dass sein Haus über Jahrhunderte die Burg besessen hat, die sie selbst damals ggerne einmal betreten hätte, wohl weil sie was von irgendwelchen Mondhexengeheimnissen erfahren hat. Ja, aber jetzt hat ja Ihr Vater die Burg. Kann also sein, dass sie ihm auch ein Angebot macht, allerdings nicht in Gold oder Liegenschaften, sondern die Burg oder sein Leben. Er hat auch gesagt, dass die zwei Hexen aus seinem Haus, die das Geheimnis mitbekommen haben, nur in der Burg vor unfreiwilligem Verrat geschützt sind. Da ihm das Leben seiner Familie wichtiger ist als dieses Geheimnis wird er die beiden Geheimnisträgerinnen wohl ausliefern, sollte er die Burg nicht zurückbekommen."

"Ah, deshalb wollten Sie nicht mit meinem Vater reden, weil der Sie gleich mit lautem Lachen aus dem Raum geblasen hätte. Dann ist Ihr Herr eine feige Ratte, die beim leisen Zischen einer Schlange davonrennt und die schwächsten seiner Brut dem Schuppentier überlässt. Klar, wenn ein Kalb nur mit Schafsmilch gesäugt wird kann auch nur ein Schaf daraus werden und kein Stier", lachte Enrico. Die Vorstellung, dass der Rivale seines Vaters um die höchste Rangstellung in der Bruderschaft ein Feigling war erheiterte ihn dermaßen, dass er fast vom Hochsitz gefallen wäre.

"Mein Herr sagt, sobald die erwähnte und Ihnen auch bekannte Hexe die Geheimnisse der Burg kennt kann sie diese dazu nutzen, alle ihr nicht gefälligen vor allem Zauberer daraus zu verjagen oder gleich an Ort und Stelle tot umfallen zu lassen, sagt mein Herr."

"Öhm, sagt dein Herr, kleiner Laufbursche", grinste Enrico, jetzt jede gebotene Höflichkeit vergessend. "Und er bietet meinem Vater einen Großteil seines Goldes und was sonst noch an, damit er dieser aus irgendwelchen Gründen wieder aufgewachten Sabberhexe aufrichtig sagen kann, dass sie die Geheimnisse nicht mehr erfährt, wenn er oder seine Familienmitglieder von ihr umgebracht werden sollten, richtig?"

"Ja, so hat er es mir gegenüber auch begründet", bestätigte der Bote.

"Dann soll er die zwei dummen Hühner, die das mitgehört haben wollen umbringen lassen und dieser Wolfsbluttrinkerin offen ins Gesicht sagen, dass sie nichts mehr von ihm erfährt und sein halbzwergisches mickriges Leben lassen, statt meinem Vater zu drohen."

"Ich kann und will die Umgangsformen meines Herren mit Mitgliedern seiner Verwandtschaft weder kommentieren noch kritisieren, das steht mir kleinem Laufburschen nicht zu. Ich wurde nur angewiesen, Ihrem Vater ein sehr großzügiges Angebot zu machen und welche Alternativen mein Herr hat, wenn er es nicht annehmen sollte. Nimmt er es jedoch an, so müssen die anderen beiden Familien nichts davon erfahren."

"Ach, wie denn, wenn unsere Leute dann aus der Burg raus müssen. Das würde doch auffallen", meinte Enrico.

"Offiziell behält Ihr Vater die Burg. Inoffiziell dürfen die Wachtruppen meines Herren und die erwähnten Geheimnisträgerinnen dann dort einziehen, ohne behelligt zu werden."

"Du bist echt lustig, Adolfo Costello. Besser, dein halbzwergischer Herr ist echt lustig. Aber ich tu euch mal den Gefallen und möchte das Angebot zur Kenntnis nehmen. Ob wir es annehmen entscheidet dann mein Vater und nur der." Enrico dachte für sich, dass sein Vater erst einmal schallend lachen würde, wenn Enrico ihm die Sache erzählte und dann garantiert sagte, dass die Burg nun Manorossa-Eigentum sei und er kein Zwergengold nehmen würde. Doch ihn reizte es, zu wissen, von wie viel dieser Halbzwerg sich trennen wollte, nur um diese fünfeckige Burg bei Alicante wiederzubekommen. Deshalb streckte er die Hand aus und sagte: "Hol den Brief raus und wirf ihn mir zu!"

"Natürlich", sagte Adolfo Costello. Er lupfte seinen Umhang, fingerte flink an der am rechten Bein festgeschnallten Tasche, öffnete sie und zog einen verschlossenen Umschlag heraus. Der war ziemlich dick, erkannte Enrico. Jetzt holte Costello aus und warf den Umschlag in Richtung Podest. Doch auf halbem Weg prallte der Umschlag auf die unsichtbare Barriere und fiel ohne weiteren Schwung zu Boden.

"Ach neh, wolltest du mir einen bitterbösen Fluch aufhalsen, kleiner Laufbursche", lachte Enrico. "Pech nur, dass wir eine Schutzwand zwischen uns haben, die alles mir übel bekommende abwehrt. Abgesehen davon könnte ich dich hier und jetzt als Mordbuben melden. Dann wird diese Hure nicht mehr viel von deiner Familie finden."

"Oh, habe ich vergessen zu erwähnen, dass der Umschlag mit dem Zauber der höchsten Brüder versiegelt ist. Nur ich darf ihn anfassen, weil mein Herr ihn mir persönlich mit der Aufforderung, ihn Ihnen zu überbringen, in die Hand gelegt hat. Wenn jemand anderes ihn nimmt wird der Brief wohl vernichtet. Mag sein, dass Ihre Schutzwand diesen Zauber deshalb als Fluch abweist."

"So, du kleiner Laufbursche hast nicht den Auftrag, mich zu ermorden?" fragte Enrico immer noch überlegen grinsend.

"Das wäre doch sehr dumm von mir, Hand an Sie zu legen, wo es doch jeder Ihrer Wachen mitbekommen hat, dass ich hier hereingekommen bin. Soweit ich weiß kann auch kein Außenstehender hier apparieren und disapparieren."

"hm-hmm-mja, und Portschlüsselchen gehen hier auch ni-hicht, we-hegen Jupiters Rie-hiegel", lachte Enrico nun ohne jede Hemmung.

"Ja, das hat mir Ihr Vater schon mal gesagt, als ich ihn fragte, ob er keine Angst vor Entführungen habe."

"Ich gehe davon aus, dass Ihr Herr in seiner ... h-Hi-hi, Besorgtheit ... auch so nützliche Schutzzauber hat", kicherte Enrico. Der Bote blieb weiterhin ruhig und sah auf den Briefumschlag. "Wollen Sie jetzt lesen, was im Brief steht oder darauf hoffen, dass Ihr Vater es sowieso nicht wissen wollte. Am Ende würde er sehr gerne zustimmen, aber dann natürlich kein zweites Angebot mehr erhalten, weil mein Herr dann ganz sicher abstreiten würde, ein solches Angebot unterbreitet zu haben. Wielange die Burg dann noch die Fahne der roten Hand trägt kann ich dann natürlich nicht sagen. Ich bin ja nur der kleine Laufbursche eines halbzwergischen angeblichen Feiglings."

"Angeblich? Er ist ein Feigling, wenn er damit droht, dieser Hure unter den Rock zu kriechen, nur damit seine mit Zwergenblut durchsetzte Sippe weiterleben kann", ätzte Enrico. "Aber du kannst mir den Brief ja gerne vorlesen."

"O Signore Manorossa, das kann ichnicht. Ich habe den strengen Befehl, ihn zu übergeben, nicht ihn zu öffnen. Tu ich das, könnte ich tot umfallen, wegen Verrates am Befehl meines Herren. Dann haben Sie aber das Problem, dass in Ihrem Haus, in Ihrer alleinigen Anwesenheit, ein Bote einer anderen Familie, der das Zeichen der friedlichen Unterhandlung offen trug, umgekommen ist. Das wäre nicht nur für meinen Herren ein Grund, doch die Blutfehde auszurufen, sondern auch die beiden anderen Familien davon in Kenntnis zu setzen, dass ein friedlicher Unterhändler getötet wurde, der nur mit Ihnen über ein Geschäft sprechen wollte. Gut, dann tu ich den Brief wieder weg und sage meinem Herren, dass Enrico Manorossa selbst zu feige war, einen einfachen Brief zu lesen, nur weil der mit einem Schutzbann gegen unbefugte Leser versehen war."

"Moment mal", begann Enrico, der jetzt nicht mehr so belustigt, sondern erzürnt dreinschaute. "Hast du mich gerade einen Feigling genannt, Laufbursche?!"

"Ich habe zumindest die Möglichkeit erwogen, dass Sie Angst vor einem Brief haben, Signore Manorossa. Aber außer meinem Herren muss das ja keiner erfahren. Ich gehe einfach mit dem Brief wieder raus. Deine Wachen dürfen mich nicht verletzen oder töten, solange ich nicht von mir aus Gewalt angewendet habe. Solange bin ich geschützt, bis ich im freien bin und disapparieren kann. Mir den Brief wegnehmen kann ja auch keiner, weil ich den gleich wieder in die Tasche stecke und meinem Herren zurückbringe. Der wird mich natürlich fragen, warum ich den Brief nicht übergeben habe. Da muss ich ihm natürlich erzählen, was passiert ist, und ich darf meinem Herren gegenüber weder lügen noch schweigen, so mein Eid."

"Dann sagst du dem, ich sei zu feige gewesen, diesen Brief zu nehmen und aufzumachen?!" ereiferte sich Enrico. Der Bote nickte und tauchte nach dem Umschlag. "Her damit!" rief Enrico. Costello hob den Brief hoch und hielt ihn so, dass er ihn in seine Beintasche stecken konnte. "Wie lautet das Zauberwort?" fragte er unbeeindruckt, ja schon eher überlegen dreinschauend.

"Accio Brief!" rief Enrico, der schneller als gedacht seinen Zauberstab freigezogen hatte. Doch es blitzte nur auf. "Drachendreck!" fauchte Enrico.

"Ui, eure Schutzwand lässt offenbar auch keine Aufrufezauber durch. - War sowieso das falsche Zauberwort", sagte Costello amüsiert. Er machte Anstalten, den Briefumschlag in seine Tasche zu stecken. Da sprang Enrico vom Hochsitz auf und eilte mit zwei Hüpfern vom Podest herunter. Er hechtete mit erhobenem Zauberstab los und meinte durch einen Vorhang aus Eiswasser zu brechen. Dann war er jenseits der ihn bis dahin schützenden Barriere. Diese verging hinter ihm mit leisem Plopp, weil ja keiner mehr auf dem Hochstuhl saß.

"Brief her!" zischte Enrico und ließ seine linke Hand vorschnellen. "Nicht ohne das richtige Zauberwort, Signore. Und Sie dürfen keine Gewalt gegen mich anwenden, weil mein Friedenszeichen das dann verpetzen würde."

"Hundert Tonnen Drachenscheiße!" schnaubte Enrico und sah, wie der Bote den Briefumschlag langsam in die Tasche hineinsenkte, ihn aber noch festhielt. "Ich möchte bitte den Brief lesen!" spie Enrico dem anderen sehr widerwillig entgegen. Sich vor einem Laufburschen so klein zu machen war ja schon fast genauso beleidigend wie die Unterstellung, er sei womöglich auch ein Feigling. Doch zumindest zog der Bote den Brief wieder aus der Tasche heraus und hielt ihn dem Thronerben der Manorossa-Sippe hin, der seinem Vater schon sehr ähnelte.

Enrico griff nach dem Brief und zog daran. Doch der Bote hielt ihn noch fest. "Dan-keee!" stieß Enrico noch aus. Da ließ Costello den Umschlag los. Enrico sah nicht nach hinten, als er wieder auf das Podest zuging. Er wollte nicht noch den Eindruck machen, er würde sich ängstlich umschauen. Dabei dachte er jedoch, dass er gerade einen ungeprüften Briefumschlag in der Hand hielt. Was, wenn doch ein Fluch darin steckte oder Gift? Doch er konnte den Brief nicht einfach wieder auf den Boden fallen lassen.

"Gut, dann ist meine Aufgabe hier beendet", sagte Costello. "Soll ich dann noch warten, bis Ihr Vater wiederkommt, damit ich seine Antwort mitnehmen kann?"

"Ich weiß nicht, wann er wiederkommt", sagte Enrico und dachte, dass er wohl in zwei Stunden mit ihm rechnen würde. Denn diese Aussprachen dauerten höchstens vier Stunden. Außerdem wollte er nicht im Beisein des Botens den Brief lesen. So sagte er: "Du darfst gehen und deinem kleinen Herren ausrichten, dass du deine Aufgabe erfüllt hast." Dann steckte er den Brief in seine linke Innentasche. Er winkte mit der freien Hand der Tür zu und wisperte ein Losungswort, das die Tür auch ohne Zauberstab öffnete. Dann sagte er: "Danke für eure Botschaft, Adolfo Costello und einen brüderlichen Gruß an Euren Schutz- und Dienstherren." Costello nickte ihm zu, während die vor der Tür wartenden Wachen eintraten.

"Ich bedanke mich für Euer Gehör und Eure Zeit, erster Sohn des Herren von Manorossa", erwiderte der Bote protokollgemäß. In genau diesem Augenblick loderte es auf Enricos linker Seite grellblau auf. Noch ehe sich der erste Sohn der Manorossas des heftigen Schmerzes bewusst wurde, stand sein Körper schon in hellblauen Flammen. Ihm entfuhr nur für eine Sekunde ein lauter Aufschrei. Dann rissen Schmerz und Hitze ihn in die Bewusstlosigkeit. Er bekam nicht mehr mit, wie sein Körper in eine hellblaue Flammenwolke eingehüllt wurde.

Die Wachen erkannten die Lage, reagierten jedoch eine Sekunde zu spät. Das grellblaue Feuer griff um sich und berührte zwei weitere Wächter. Diese loderten sofort im selben Feuer auf, dass sich ausschließlich von lebender Substanz ernährte. Doch wo es genug davon erreichen konnte, wuchs es weiter. So erwischte das blaue Feuer noch zwei weitere Wachen. Dann erscholl das laute, leicht verzerrt klingende Geheul von drei Wölfen zugleich.

Costello sah die blauen Flammen auf sich zuspringen. Jetzt erkannte er, was er hier eigentlich getan hatte. Er sollte laut seiner Königin nur einen Brief übergeben, der den, der ihn las mit einem Vitricorpus-Zauber erstarren ließ, als Warnung, dass die Wölfe nicht einmal mehr in ihren eigenen Höhlen sicher waren. Dann sah er, wie die zwei Wächter, die gerade auf ihn zusprangen, um ihn zu ergreifen, von blauen Flammen getroffen wurden und selbst zu lodernden Feuerwolken wurden, in denen sie wie Wachs in der Kerzenflamme dahinschmolzen. Costello schaffte es nicht mehr, den nun auch nach ihm greifenden Flammen zu entkommen. Als ihn das blaue Feuer einschloss und auch seinem Leben ein grausiges Ende setzte dachte er nur daran, dass er sein Leben für die Königin gab. Ihr wollte er zum Sieg verhelfen. Dann erloschen seine Sinne in der gierigen, grellblauen Glut.

Das Alarmgeheul der drei Wölfe war das Zeichen, dass einer der ranghöheren Familienangehörigen unter Schmerz und Angst sein Leben verloren hatte, ob natürlich oder gewaltsam war egal. Doch als innerhalb von wenigen Sekunden sechs weitere Leben erloschen war klar, dass es hier um Mord ging.

"Omnes Portae clausae!" rief Bernardo Caravaccio, der Haushofmeister. Wenn der Mörder noch im Haus war musste er aufgehalten werden. Laut schlugen sämtliche Türen des Hauses zu. Dann hörte er Marco Mortedracone, den obersten Wächter des Hauses. "Bloß keiner zum Audienzraum. Schmelzfeuerangriff! Alle bleiben weg vom Audienzraum!"

Caravaccio legte seine Hände zu einem Trichter zusammen und rief zurück: "Schmelzfeuer, hier bei uns. Ist der Filius Domini ..."

"T-o-t, ja, Bernardo!" hörte er die höchst erzürnte Stimme Mortedracones. Caravaccio keuchte und fühlte, wie ihm der kalte Schweiß von der Stirn rann. Schmelzfeuer war ein tückischer Fluch, fast so tückisch wie das dunkle Feuer oder Dämonsfeuer. Die einzig beruhigende Sache daran war, dass das schwarzmagische Feuer nur lebende Substanz in doppelter Ausdehnung des lebenden Wesens erfasste. Wer es schaffte, außerhalb dieser Zone zu bleiben kam mit dem Schrecken davon. Doch wer von den Flammen berührt wurde nährte dieses Feuer und machte, dass es sich sprunghaft ausdehnte, bis in der neuen Wirkungszone kein lebendes Wesen mehr war. Auch konnte es nicht durch feste Wände dringen, solange diese nicht aus Holz waren. Denn das Restleben im Holz konnte sich wegen der winzigen Spuren früheren Lebens auf Zündtemperatur erhitzen und einen üblichen Brand auslösen. Nur gut, dass die Wände innerhalb des Hauses aus Granitblöcken waren und die Türen nur äußerlich mit dünnen Holzplatten versehen waren, aber zum großen Teil aus mit Ferrifortissimus-Zauber verstärktem Stahl bestanden.

Marco Mortedracone schwitzte ebenso wie einige Räume weiter der Haushofmeister. Er hatte als Wächter versagt. Jetzt sieben seiner Leute und vor allem der erste Sohn des Dominus Maior waren getötet worden. Schmelzfeuer konnte nicht als direkter Zauber auf ein Lebendes Wesen gelegt werden, sondern musste auf einen toten Gegenstand, ein Kleidungsstück oder ähnliches gesprochen werden und mit einer bestimmten Bedingung verknüpft werden. Wer die Bedingung nicht genau formulierte drohte selbst in diesem Feuer zu zerschmelzen.

Zwei weitere Wächter, erkennbar an Leuchtpunkten auf einem Hausplan an der Wand, färbten sich von Grün zu Rot, um dann mit einem kurzen blauen Flackern zu verschwinden. Zehn Opfer hatte das Schmelzfeuer gefordert, vielleicht sogar elf, wenn der Überbringer dieses hinterhältigen Zaubers ihm selbst zum Opfer gefallen war. Dann fiel Mortedracone ein, dass der erste Sohn doch hinter einer magischen Barriere gesessen hatte. Ein verfluchter Gegenstand hätte dort nicht hindurchgekonnt. Doch so ein Gegenstand war ja auch ins Haus gelangt. Das war eindeutig das Versagen seiner Leute und damit von ihm persönlich.

Während der wie dreifaches Wolfsgeheul klingende Meldezauber immer wieder erscholl zählte Marco Mortedracone die Wachen und sah, dass kein grüner Punkt mehr erlosch. Er zählte in Gedanken zwanzig Sekunden ab. Als die vorbei waren konnte er hoffen, dass das Schmelzfeuer sich nicht weiter ausbreitete. Dafür blinkte nun das rote Symbol einer unerwünschten Feuerquelle im Audienzraum. Dort brannten offenbar alle aus Holz befindlichen Gegenstände. Auch in einem der Zugänge wurde gewöhnliches Feuer gemeldet. Dagegen konnte man was machen. "Aquae flammas consumento!" rief er zum Mittelpunkt des Bereitschaftsraumes hin. Er hörte ein lautes Platschen und Spritzen. Eine hellblaue Wellenlinie zeigte sich nun überall dort, wo Feuer gemeldet wurde. Es dauerte nur eine halbe Minute, dann verschwanden Feuer- und Wassersymbole. Er hörte es noch gluckern. Das nicht verdampfte Löschwasser wurde in die Bereitschaftszisternen zurückgezaubert.

"Entwarnung!!" rief Mortedracone über den hauseigenenRundrufzauber. Schadens- und Ursachenerkundung!" rief er noch. Er, der furchtlose Kämpfer, der für seinen Herren in jede Lebensgefahr hineingesprungen wäre, wusste, dass er nicht mehr lange leben würde. Doch vorher musste er dem Hausherrn melden, wer das mörderische Feuer ins Haus geschmuggelt hatte: Der erste Bote der Mangiapietris. Ein Mörder war unter dem Schutz des Friedenszeichens eingedrungen und hatte den ersten Sohn mit einem verfluchten, vorher nicht erkannten Gegenstand ... Ja, das Ding musste in der Beintasche gesteckt haben. Doch der Bote hatte unter Nutzung der zwischen den Familien vereinbarten Losungsworte beteuert, keinen Unfrieden und keinen Schmerz über die Empfänger seiner Botschaft zu bringen. Also konnten sie einem Boten unter dem Friedenszeichen nicht mehr trauen? Genauer, sie konnten keinem Boten der Mangiapietris mehr trauen. Das war eine späte Erkenntnis. Er würde nicht mehr miterleben, wie sie sich auswirken würde.

"Massimo, geliebter Bruder. Ich habe heute schwer versagt", mentiloquierte er seinen Zwillingsbruder an, der gerade die Burg bei Alicante bewachte. Diese Burg, das war sicher der Grund für diesen heimtückischen, feigen Mordanschlag, den er, Marcoo, nicht verhindert hatte.

"Was ist passiert?" gedankenantwortete Massimo. "Der erste Sohn ist tot, Schmelzfeuer in einem unaufspürbar gezauberten Tragebehälter. Mangiapietris Bote", setzte Marco die wichtigsten Angaben zu diesem Vorfall an seinen Bruder ab.

"Schmelzfeuer? Enrico ist tot? Der Bote des Halbzwerges war das? Lebt der noch?" schossen Fragen seines Zwillingsbruders durch seinen Kopf. Er musste entgegnen, dass er das noch nicht genau wusste.

Als der Hausherr zusammen mit den ihn begleitenden Leibwachen vor dem Südtor landete stellte sich Marco vor ihn hin und gestand sein Versagen und den Tod des Schutzbefohlenen. Der Zauberer, der von Freunden wie Feinden L'orso rosso genannt wurde, erschrak erst heftig. Dann loderte Wut in seinen Augen. "Ist das bestätigt?" fragte er nur. Die im Haus verbliebenen Wachen bestätigten, dass der Bote der Mangiapietris hereingelassen worden war. Seine nur leicht angerussten Kleidungsstücke und die unbezauberbare Beintasche waren von ihm übriggeblieben. Auch das Zeichen der friedlichen Unterhandlung war noch da. Enzo Manorossa packte es und verbog es mit bloßen Händen, knüllte es. "Da steckt kein Zauber mehr drin", schnaubte er und warf das Erkennungszeichen gegen eine Wand.

"Das Ding war echt. Wir haben die entsprechende Aura gefunden. Womöglich ist es mit dem Tod seines Trägers ..."

"Verdammt! Hat jemand von den Wachen ihn mit einem Zauber oder einer Waffe -?"

"Nein, hat keiner. Das Schmelzfeuer hat ihn erledigt. Ein Selbstmordanschlag", sagte einer der anderen Wächter. Der rote Bär stampfte mit dem Fuß auf. Dann sagte er nur: "Tod dem Halbzwerg!" Dann ging er aus dem angerußten Audienzsaal, in dem es nur nach verbranntem Holz, aber nicht nach verbranntem Fleisch stank. Keiner wagte es, ihm nachzugehen. Denn alle hier wussten, dass der Hausherr nun allein sein wollte, allein mit seiner Wut und seiner Trauer, die bereits dabei waren, abgrundtiefen Hass zu zeugen, Hass auf den, der angeblich diesen feigen, verheerendenMordanschlag befohlen hatte. Ladonnas tückisches Seelengift wirkte.

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Ladonna fühlte es in ihrer Kopfhaut ziepen. Jemand oder etwas hatte von ihr ausgelagertes Haar zerstört. Sie zuckte kurz zusammen. Doch dann grinste sie überlegen. Ihre Botschaft war angekommen. Eine der vier verbliebenen Familien würde schon bald ausgelöscht sein. Wenn ihre anderen Vorkehrungen griffen würden die drei verbliebenen Familien sich dann auch bis aufs Blut bekriegen und gegenseitig ausradieren. Dann, wenn das blutige Treiben am heftigsten war, würde ihr eingeschworener erster Diener den Befehl geben, alle die festzunehmen, die dann noch übrig blieben, sofern sie noch auf italienischem Boden waren. So würde dann auch sie herausbekommen, wer in den anderen Ländern saß.

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Marco Mortedracone harrte in seinem Schlafzimmer aus. Er rechnete jeden Moment damit, dass sein Herr ihn zu sich hinrief, um ihm den letzten Befehl zu erteilen. Diesen würde er ausführen oder seine eigenen Blutsverwandten würden mit ihm zusammen sterben. Also würde er diesen Befehl ausführen, wie genau er auch immer lautete.

Die Nacht kroch still und dunkel dahin. Zwischendurch war ein lautes Geheul und ein Wummern oder Stampfen zu hören. Das war Enzo Manorossa. Seine Trauer, seine Wut, ja auch sein Hass trieben ihn zu diesen Lautäußerungen. Marco Mortedracone nutzte die Stunden, um mit seinem Zwillingsbruder auszuhandeln, wer was bekommen würde und dass die kleinen Kinder Marcos von ihrem Onkel aufgenommen werden sollten. Er sollte ihnen jedoch erzählen, dass ihr Vater beim Versuch, den Mörder zu stellen, den Tod gefunden hatte. Sie sollten ihn als einen Helden in Erinnerung behalten, nicht als Versager. Massimo versprach ihm all das. "Du wirst es wohl spüren, Bruder, wenn ich sterbe. Ich kann nur hoffen, dass du nicht mit mir zusammen stirbst", gedankensprach Marco.

"Und sollte es so sein, mögen unsere beiden Seelen am selben Orte zusammentreffen", mentiloquierte Massimo. Marco hörte dem sonst so unerschütterlichen Krieger an, dass er auch traurig war. Doch beide hatten geschworen, ihr Leben für die Manorossas zu geben.

Der Morgen graute, als schwere Schritte auf den Dielen des Ganges erklangen, die zu Marcos Zimmer führten. Nur einer, nicht die beiden Wachen, die auf diesem Stockwerk patrouillierten? Dann ging die Tür auf, und der bärengleiche Enzo Manorossa betrat das Zimmer. In der rechten Hand hielt er einen Kelch mit dampfendem Inhalt.

"Herr, was kann ich für dich tun?" fragte Marco mit der einem Diener anstehenden Unterwürfigkeit.

"Nimm und Trink aus!" sagte Enzo Manorossa. Marco zögerte nicht. Er nahm den Kelch. Der Dampf stach in die Nase und er wusste, dass es kein gewöhnlicher Gifttrunk sein würde. "Meine Ehre und mein Leben für den Ruhm und das Bestehen des Hauses Manorossa!" sprach er laut und kräftig, wobei er sich die linke Hand ans Herz legte. Dann setzte er den hölzernen Kelch an und stürzte den Inhalt in sich hinein. Der Trank brannte bereits im Mund, rann wie glühende Lava durch seinen Rachen. Es war keine gewöhnliche Hitze, sondern die direkte Reaktion des Trankes mit seinen Organen. Er unterdrückte den Drang, zu würgen, das Höllengebräu wieder auszuspeien. Er kämpfte es in sich hinein, seinen letzten Kampf für das Haus Manorossa. Dann war der Todestrunk in seinem Magen angekommen und entfaltete seine ganze, gnadenlos grausame Wirkung. Es war, als würde er von innen her von glühendenZangen zerrissen, von weißglühenden Klingen zerschnitten. Er konnte die Schmerzen nicht einmal eine Sekunde lang aushalten. Er schrie sie hinaus, blies dabei grünlichen Dampf aus seinem Mund, fühlte, wie seine Zähne zerbröckelten und nun auch die Kiefer wild pochten. Er wusste nun, was er da zu trinken bekommen hatte, fast konzentrierte Drachengalle. Er wand sich in Schmerzen, schlug um sich und schrie seine letzten Qualen hinaus in die Welt, fast wie damals, wo er mit lauten Schreien seine Ankunft in dieser Welt bekundet hatte, kurz vor den ersten Schreien seines Bruders Massimo, für den er diese Qualen erlitt, damit er und dessen Söhne nicht an seiner Stelle sterben mussten. Er fühlte es, wie sein Körper von innen her verbrannte, ohne Flamme, doch dafür mit mehr Glut. Durch die vom Schmerz vergossenen Tränen sah er seinen Herren an, der starr und ungerührrt zusah, wie sein erster Wächter den letzten Befehl befolgte, den er ihm erteilt hatte.

Der qualvolle Kampf währte zwei Minuten. Dann brodelte es nur noch in Marco Mortedracones Körper. Sein Leib quoll auf. grünlich-weißer Dampf strömte erst fauchend und dann immer heller pfeifend aus allenKörperöffnungen des gescheiterten Wächters. Immer noch blickte Enzo Manorossa mit starrem Gesicht auf das von ihm befohlene Grauen. Dann,mit einem letzten lauten Pfeifen, quollen die letzten Dampfwolken aus Marcos Körper. Dieser fiel in sich zusammen wie ein leerlaufender Luftsack. Dann qualmte es noch einmal dunkelgrün. Enzo sprang zwei Schritte zurück. Marcos Körper zerfiel im grünen Rauch zu grauer Asche.

Enzo Manorossa nahm den zu Boden gefallenen Holzkelch, der inwändig schwarz angelaufen war. Er öffnete die Fenster, um den letzten Dampf und Qualm hinauszulassen. Dann verließ er das Zimmer. Er schloss die Tür von außen. Dann zog er sich die unsichtbare Schutzmaske vom Gesicht, wie sie in Alchemistenlaboren beim Hantieren mit giftigen Dämpfen vorgesehen war. In einer Stunde würde er seinen Hauselfen befehlen, die Asche auszukehren und weit weg von hier übers Land zu verstreuen, ohne letzte Ehrung.

In dem kleinen Alchemistenlabor, dass er sich selbst eingerichtet hatte, stellte er den Holzkelch in einen Wasch-trocken-Schrank für alchemistische Gerätschaften. Er dachte daran, dem Halbzwerg und dessen Brut diesen Trank zu geben, vor den Augen der beiden anderen Familienoberhäupter. Aber war das für diesen Wicht nicht noch zu gnädig?

Er dachte an die nun noch verbliebenen Familienmitglieder. Sein zweiter Sohn Riccardo war gerade dreißig Jahre alt geworden. Die Tradition sah vor, dass der älteste Sohn die Nachfolge antrat. Also würde nun Riccardo der Nachfolger.

Mit einer unbändigen Wut, die mehr und mehr zu Hass wurde, dachte er an Vespasiano Mangiapietri. Dieser Zwergenbrütige Wicht hatte seinen Sohn ermordet und damit das Haus Manorossa tödlich beleidigt. Dafür sollten er und seine drei Söhne demnächst selbst erlöschen oder die ganze zwergen- und koboldblutdurchseuchte Sippschaft. Er dachte daran, ob er nicht die ganze Blutlinie dieser verfemten Familie auslöschen sollte, rückwärts wie vorwärts. Doch wenn er das tat, so wusste er, würde er sich auch den unbändigen Zorn der damit verschwägerten Hexen und Zauberer einhandeln. Sie würden dann seine Sippschaft auslöschen wollen, sie alle zumindest in den tiefsten Kerker werfen, den sie aufbieten konnten. Das war dieser Halbzwerg nicht wert. nur die männlichen Mangiapietris sollten ausgelöscht werden. Ja, und sollte eine Mangiapietri-Hexe da gerade einen Jungen unter ihrem Herzen tragen, dann musste auch sie sterben, damit es nie wieder einen Mangiapietri geben würde.

SiebenTage mussten vergehen, bis ein Toter beerdigt werden konnte. Denn es galt, all die ihm wichtig waren zusammenzubringen. Eigentlich galt diese Zeit als Friedenszeit. Doch er fürchtete, dass der Halbzwerg die Zeit nutzen würde, um sich und seine Sippschaft in Sicherheit zu bringen. Er musste gleich morgen mit den beiden anderen Oberhäuptern sprechen, dass sie den Halbzwerg nicht entkommen lassen durften. Da es ja erwiesen war, dass dessen Bote Adolfo Costello die tödliche Schmelzfeuerfalle gestellt hatte konnten sie sich einen langwierigen Prozess vor dem Rat der zwölf Brüder sparen. Denn es gab genug Zeugen, die Costello ins Haus gehen sahen. Die beiden anderen sollten beschließen, was mit der Familie des Halbzwerges zu geschehen hatte. Ach ja, da war ja noch was! Die Burg würde er behalten.

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24.04.2004

Eigentlich war sie die schwarze Spinne, dachte Ladonna Montefiori. Erstens saß sie mal wieder in einem Internetcafé und studierte die nichtmagischen Nachrichten, um zu wissen, ob ihre europaweit angestoßenen Pläne auch Auswirkungen auf die Magieunfähigen hatten. Andererseits konnte sie auch von hier aus die Geistesbrücken zu ihren Untertanen benutzen, um zu erfahren, was diese taten und ob sie schon in ihrem Sinne handelten. Tatsächlich war es einigen Schwestern gelungen, die Gerüchte zu streuen, dass Ornelle Ventvit darauf ausging, das westfränkische Reich von damals wieder aufzubauen, indem sie angeblich die französischsprachigen Länder unter ihrer Vorherrschaft vereinigen würde. Sicher würde sie das abstreiten, dementieren, wie die ahnungslosen Magieunfähigen es nannten. Doch der sonst zu erwartende Zusammenhalt gegen dunkle Orden wie den Ihren würde so nicht bestehen bleiben oder erst garr nicht entstehen. Ihr ziel war es, alle anderen Zaubereiminister Europas und der von Europa gegründeten Länder und Reiche auf anderen Erdteilen zu einer Konferenz außerhalb Frankreichs zusammenzubringen. Schaffte sie es, die wichtigsten Zaubereiminister in einem Raum ohne Kontakt mit anderen Stellen zu versammeln, ja, die Konferenz an sich auf höchster Geheimhaltungsstufe abzuhalten, dann konnte sie eine ihrer mittlerweile wieder fünf Feuerrosenkerzen einsetzen. Dann würde ihr gelingen, was weder Sardonia, noch diesem selbstverstümmelungsbereiten Wicht aus England, der sich Lord Voldemort genannt hatte, je gelungen war. Auf jeden Fallmusste sie vorher den uralten Klotz namens Lupi Romani loswerden. Der Minister hatte auf ihr betreiben hin nach Adolfo Costello suchen lassen, weil der nicht mehr zur Arbeit erschienen war. Das war so abgelaufen, dass es die noch im Ministerium eingenisteten Wolfsbrüder mitbekommen hatten. Wenn die sich regten sollten sie bei einer sich bietenden Gelegenheit ergriffen und eingesperrt werden. Nachdem sie vor drei Monaten im Gefängnis der zwanzig vergrabenen Türme ihren Feuerrosenduft verbreitet hatte hatte sie dort neue treue Untertanen gewonnen. Die Hexen, die wegen irgendwelcher Versuche, sich mehr zu nehmen, als ihnen Zustand, eingekerkert gewesen waren, hatte sie in versteckten Berg- und Waldortschaften angesiedelt. Sie waren ihre ersten Statthalterinnen außerhalb des Ministeriums. Bisher hatte das noch niemand bemerkt, dachte sie.

"O meine Königin, sei nicht erzürnt, dass ich dich störe", meldete sich ihre Getreue Cloto Villefort aus Frankreich.

"Was treibt dich an, mich über diese Entfernung zu rufen, meine treue Untertanin", schickte Ladonna zurück und baute schnell die Gedankenbrücke auf, die ihr nicht nur die Worte, sondern auch Sinneseindrücke Clotos zeigten. "Es ist wohl so, dass Hera Matine erfahren hat, dass du das italienische Zaubereiministerium übernommen hast. Woher sie das weiß hat sie uns nicht gesagt. Doch die wenigen, die sie ins Vertrauen zog, glauben, dass ihr jemand aus einem anderen Land außer Frankreich und Italien diese Nachricht vermittelt hat."

"Sie glaubt das?" fragte Ladonna zurück. "Ja, sie ist davon überzeugt, dass es stimmt. Was soll ich tun, sie unter den Imperius nehmen?"

"Nachdem du erzählt hast, dass sie mit dieser Brut von Ashtaria ihr kleines Dorf zum Bollwerk gegen entschlossene und gnadenlose Wesen gemacht hat? Sie wird dann nicht mehr in ihr Dorf zurückkehren. Dort werden sie fragen, warum nicht. Und wenn sie es kann so besteht die Gefahr, dass der Fluch von ihr abfällt und sie ganz sicher weiß, wem sie ihn zu verdanken hat. Außerdem will ich nicht, dass diese von Veelakraft verpestete Hexe Verdacht schöpft, ihr könnte etwas passiert sein, weil ich hier in Italien mein Reich errichtet habe."

"Was soll dann mit ihr geschehen, meine Königin?" fragte Cloto Villefort.

"Das werde ich euch allen bei unserer nächsten Versammlung verraten. Erst will ich mich umhören, ob noch andere sogenannte Stuhlmeisterinnen von meinem neu erwachenden Reich erfahren haben. Wenn ich weiß, woher sie alle das haben, dann und nur dann kann und will ich was wegen dieser noch uneingeschworenen Schwestern unternehmen. Bis dahin gilt, dass der Plan "Gestreute Zweifel" weiterausgeführt wird. Sollten wir es in den nächsten Wochen erreichen, dass die Zaubereiminister ohne Veelaeinfluss an einem Ort zusammentreffen können, so kann ich denen danach die Anweisung geben, die uns bekannten Schwestern festzunehmen oder diese mit dem Leben ihrer Familien zu mir bekehren."

"Ich harre deiner Anweisungen, o meine Königin", erwiderte Cloto Villefort."

"Das und nichts anderes erwarte ich von dir", schickte Ladonna zurück. Da fühlte sie, wie ihr jemand sacht über ihr Haar strich. "Jau, Mädel, schön fließend", hörte sie die kieksende Stimme eines Halbwüchsigen und ein gehässiges Lachen von anderen Gleichalterigen. Ladonna fühlte die in ihr auflodernde Wut. Wie konnte es einer dieser Nichtskönner, dieser Unfähigen wagen, sie derartig zu belästigen?

Sie drehte sich mit ihrem praktischen Stuhl um und sah in fünf Gesichter gerade mal vierzehn Jahre alter Jungen in diesen neumodischen Röhrenbeinhosen und bunten Überziehhemden. der, der gerade noch seine Hand an ihren Haaren gehabt hatte war der längste von ihnen. Seinen Armen und Beinen nach übte er sich wohl in kraftsteigernden Tätigkeiten. Hinter den fünf Jünglingen sah sie nur die an den anderen Rechnern sitzenden Leute, hauptsächlich junge Männer. die einzige Kundin außer ihr wurde von zwei Männern begleitet, die wohl aufpassten, dass niemand mitbekam, was sie trieb.

"Ui, Wau!" machten zwei der fünf halbausgegorenen Gestalten. "Das is'n Model", sagte einer. Der hoch aufgeschossene mit den gut gestärkten Armen und beinen tönte: "Dann hängt die hier alleine ab. Mädel, was machst du hier?" fragte er.

"Kannst du schon die Uhr lesen, Jüngling. Wartet deine Mutter nicht schon längst auf dich?" fragte Ladonna.

"Nicht, solange ihr Stecher noch bei ihr ist, Mädel", knurrte der Junge. Ladonna kannte dieses abfällige Wort für einen reinen Bettgenossen aus Roses Erinnerungen und meinte: "Und du hast angst, da könnte demnächst noch ein kleiner Bruder oder eine kleine süße Schwester ankommen?"

"Eh, wie red's'n du mit mir", sagte der Anführer der Truppe. Da hatte Ladonna eine Idee. Sie ließ ihre Veela-Aura frei in den Raum ausstrahlen, ja verstärkte sie sogar noch. Die fünf Jungen bekamen sofort große Augen und starrten sie weltentrückt an. "Vielleicht seid ihr ja doch schon groß genug für mich. Das müsst ihr unter euch ausmachen. Wer kann nach fünf Minuten noch auf eig'nen Beinen steh'n, der darf mit mir nach Hause geh'n", sang sie. Dabei verstärkte sie ihre Veela-Ausstrahlung auf die höchste Kraft. Deshalb rührten sich nun auch alle anderen männlichen Insassen des Cafés. Sie säuselte nun das Liebeslied der Waldfrauen. Das in Verbindung mit der Betörungskraft einer Veela verblies alle Hemmungen und entfachte die Begierde. Doch sie wusste, dass sie nicht zu lange singen durfte, weil die anderen dann versuchen würden, sie zu ergreifen. Sie wollte keine Geister rufen, die sie nicht mehr los wurde, wie in dem deutschen Gedicht von einem Zauberlehrling. So wartete sie, bis die ersten auf sie zustürmten, allen voran der hagere Jüngling. Der schaffte es auch fast, sie zu ergreifen. Doch die Schnelligkeit einer grünen Waldfrau und die Selbstverteidigungskenntnisse von Rose Britignier schafften ihr den sich vordrängelnden Knaben schnell wieder vom Hals. Dann entspann sich eine wilde prügelei. Die Drei Kellnerinnen und der Betreiber des Cafés riefen "Aufhören!" Doch die Männer wollten es jetzt wissen. Die Verlockung gebot, dass sie es unter sich aushandelten. Ladonna drückte schnell die Tastenkombination, um den Internetbetrachter zu schließen und zugleich alle zuletzt damit besuchten Adressen zu löschen. Dann tauchte sie unter zwei weiteren zupackendenArmen hindurch, hörte noch, wie eine Faust ein Gesicht traf und eilte wieselflink zwischen den sich um sie prügelnden Männern und den sie davon abhaltenden Frauen hindurch zur Theke. "Mach, dass es hiervon keine Bilder gib. Zerstöre alle Aufzeichnungen!" befahl sie dem Cafébetreiber, der gerade los wollte, sich auch um sie zu prügeln. "Ich bin dann auch ganz ganz lieb zu dir", hauchte sie ihm zu.

Der Magielose torkelte berauscht von übermäßiger Glückseligkeit und Vorfreude in ein anderes Zimmer. Sie hörte zwischen den Wutrufen, Schlägen und Tritten, wie etwas kaputtgeschlagen wurde. "Eh mann, seid ihr alle wahnsinnig geworden?!" rief eine der Kellnerinnen und versuchte sich gerade mit dieser japanischen Karatekunst gegen drei Männer zugleich durchzusetzen. Da torkelte der berauschte Cafébesitzer aus dem Nebenzimmer. "Jawoll, Signorina, die Aufnahmen sind alle weg", lallte er wie betrunken. Ladonna strahlte ihn an, was ihn fast umfallen ließ. Dann ergriff sie seine bebende Hand und zog mit der anderen ihren Zauberstab aus der Tasche. "Obleviate!" zischte sie ihm zu. Der Mann sah nun völlig geistesabwesend aus. Ladonna pflanzte ihm die Erinnerung an zehn wilde Minuten in seinem Arbeitszimmer ins Gedächtnis. dann disapparierte sie einfach. Mit ihr verschwand auch die betörende Wirkung ihrer mit voller Kraft wirkenden Veela-Aura. Dass die sich gerade noch prügelnden Jungen und Männer nun mit Blauen Augen, roten Gesichtern, Platzwunden und geprällten Händen dastanden und nicht wussten, was ihnen passiert war bekam sie schon nicht mehr mit.

Auch wenn es zunächst nur ein Versuch gewesen war, wie gut sie immer noch viele Männer zugleich betören konnte war sie doch am Ende sehr erfreut, dass sie nicht gleich den Ring oder den Zauberstab benutzen musste, um mögliche Gegner zu verwirren. Was sie nicht bedacht hatte war, dass sie durch die Freisetzung ihrer Veela-Kräfte auch ihre Blutsverwandten erreicht hatte. Das erkannte sie erst, als sie wieder in ihrem eigenen Haus bei Florenz war. Denn da prasselten die vom Blutfeuernebel verzerrten Geistesrufe ihrer weiblichen Verwandten auf sie ein. "Schwesternmörderin, wo bist du. Wir kommen und bestrafen dich."

"Ach, hab ich es zu gut gemeint mit eurem Erbe? Gut, kommt her, ich bin da, wo ich schon länger wohne", schickte sie provozierend zurück. Da verstummten die fremden Rufe und Gedanken. "Na, wer möchte den nächsten Sonnenuntergang nicht mehr erleben?" schürte Ladonna den Unmut der anderen weiter.

"Mokusha wird dich strafen, unwürdige", hörte sie Sternennachts Stimme.

"Mokusha ist schon lange tot, genau wie Nachtlied, werte Blutsverwandte. Aber ich lebe noch und werde euch überleben, wenn ihr mich noch einmal bedrängt." Dann verschloss sie ihren Geist vor den anderen.

Wenig später hörte sie von ihrer irischen Schwester Erin O'Casy, dass auch Sophia Whitesand mitbekommen hatte, dass Ladonna das italienische Zaubereiministerium unterwandert und erobert haben sollte. Sie erfuhr auch, dass Kingsley Shacklebolt nicht aus sicherer Entfernung unter einen Imperius-Fluch genommen werden konnte. Irgendwas schützte ihn vor dem Einfluss. Er würde also hinterfragen, was mit den ausgestreuten "Blüten des Unmutes" wirklich los war und womöglich als einer von ganz wenigen zu Ornelle Ventvit halten. Aber vielleicht kamen die Schwestern über seine Leute an ihn heran, ihn einfach wohin zu schicken, wo sie ihn und die anderen Minister mit ihrer besonderen Duftkerze beehren konnte. Doch erst musste genug Unmut gestreut werden. Ja, und dann wollte sie das Ende der römischen Wölfe erleben. Die waren sicher schon dabei, einander anzuknurren und zu umkreisen.

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Es war kein Friedensbote, der da am Nachmittag vor dem Stammhaus der Mangiapietris landete. Erstens ritt er auf dem ebenholzschwarzen Besen mit einer kleinen, roten Totenkopffahne am vorderen Ende. Zweitens trug er den schwarzen Kriegsumhang mit aufgestickten roten Speerspitzen, die alle zur Seite gereckt waren und die blutroten Schaftstiefel, deren Spitzen angedeutete Raubtierklauen darstellten. . Drittens prangte auf der linken Seite seines Kriegsmantels der blutrote Kreis mit dem über einem einzelnen Wolfskopf gehaltenen Schwert. Viertens war es kein geringerer als Martino Mortedracone, der zweitgeborene Neffe von Marco Mortedracone, dem ersten Krieger Manorossas.

Paolo Bellaspata, der oberste Wächter der Mangiapietris, Großneffe des Familienoberhauptes, meldete den unangenehmen Besucher an seinen Herren.

"Ich ziehe meinen Parademantel an und komm raus", hörte Bellaspata die Stimme seines Herren wie aus leerer Luft wehen.

Vespasiano Mangiapietri, Herr des Hauses Mangiapietri, tritt heraus und vernimm die Botschaft meines Herren, dem ehrenwerten und ruhmreichen Dominus Enzo Manorossa, sowie der ehrenwertenund ruhmreichen Herren Albano Nuvolebianche und Flavio Fulminicaldi!" rief der Bote. Bellaspata nahm den kleinen silbernen Trichter, mit dem er seine Worte verstärkt bis zweihundert Meter um das Haus erklingen lassen konnte. "Mein Herr erhielt gerade Kenntnis von deiner Ankunft, Speerträger des Hauses Manorossa. Er wird deine Nachricht in weniger als einer Minute entgegennehmen."

"Er mag sich beeilen, denn die Zeit ist knapp", erwiderte der Bote.

Der kleinwüchsige Hausherr trat im rotbraunen Umhang mit den Zeichen seines Hauses und der Bruderschaft aus dem Haus. Vor ihm flimmerten die ineinandergreifenden Schildzauber, die jeden Elementarfluch und die meisten Körper- und Geistesbeeinträchtigungsflüche abhielten. Bellaspata hielt sich den Trichter mit der Schmalseite ans rechte Ohr. Nun konnte er mithören, was im Umkreis von 200 Metern um das Haus Mangiapietri gesprochen wurde.

"Ah, immer noch nur fünf Speere. Hat dein großer, starker Herr dich noch nicht befördert, Paolino?" spöttelter Vespasiano Mangiapietri.

"Es besteht kein Grund zur lästerlichen Rede, Vespasiano Mangiapietri. Denn wahrlich, ich wurde gesandt, um dir den Ratschluss meines Herren und der beiden anderen Hausvorsteher zu verkünden, die wegen deiner schmachvollen und feigen Untat zusammentraten, die du wider das Haus meines Herren verübt hast."

"Ich höre was von schmachvoll und feige. Was wirft mir dein Herr genau vor?"

"So spricht mein Herr, der ehrenwerte und ruhmreiche Dominus Enzo Manorossa: "Vespasiano Mezzonano vom Hause mangiapietri, du bist der feige Mörder meines Sohnes Enrico. Dein Bote Adolfo Costello erschlich sich im Schutze des geheiligten Zeichens friedlicher Unterhandlung den Zutritt zu meinem ersten Sohn Enrico, um ihm einen mit dem mörderischen Schmelzfeuerzauber behafteten Gegenstand zu überreichen, der ihn und neun meiner Wachen getötet hat. Da es für Costellos Eintreten und Vorsprechen genügend Zeugen gibt musste der Rat der Zwölf nicht einberufen werden, der Stein der Wahrheit nicht gefragt werden. Ich habe mit den beiden anderen Hausvorstehern beschlossen, dass die Köpfe deiner beiden erwachsenen Söhne Valerio und Vincenzo für den Kopf meines Sohnes gegeben werden sollen und ich deinen Kopf einfordern darf, weil daraus diese feige Mordtat entsprang. Denn Costello war dein Bote und hat mit seiner Tat auch für dein Haus gehandelt. Auch missbrauchte er in unverzeihlicher Weise das Zeichen der friedlichen Unterhandlung, welches am Tatort zurückblieb, nachdem der von dir gesandte Mörder mit meinem Sohn für dich in den Tod ging. So gewähren wir, die drei Führer der hohen Häuser Manorossa, Fulminicaldi und Nuvolebianche dir und deinen zwei ältesten Söhnen die Ehre, am dreißigsten April, dem Geburtstag meines von dir getöteten Sohnes, um vier Uhr Morgens auf dem Platz der Sühne im Hause der freien Aussprache, von einem meiner Vollstrecker den Enthauptungsschlag zu empfangen und so die feige Tat zu büßen und die verletzte Ehre deines Hauses wiederherzustellen. nimm hin, was deiner Tat gebührt!" So soll ich es dir verkünden und habe dies getan", sagte der Bote.

"Ich soll euren Kronprinzen ermordet haben. Das ist nicht wahr. Dein Herr lügt. Er will mich und mein Haus vernichten, damit er ungestört die von ihm geraubte Burg behalten kann und gleichzeitig ein Exempel für die anderen statuiert, ihm nicht mehr in seine Vorhaben reinzufuhrwerken", empörte sich Vespasiano Mangiapietri. "Ja, und meine Söhne sollen nur gerademal so viel wert sein wie einer von seinen, dass er deren beiden Köpfe für den von seinem Filius haben will? Das kann und werde ich als Beleidigung meines Hauses werten."

"Mein Herr ist kein Lügner, Halbzwerg. Du hast deinen Boten Costello zu unserem Haus geschickt. Er trug das Zeichen des friedlichen Unterhandelns und erhielt somit Einlass und Gehör. Doch er führte, so sagt mein Herr, einen Gegenstand mit dem Schmelzfeuerfluch darauf mit sich und erreichte, dass der erste Sohn meines Herren diesem verwerflichen Fluch zum Opfer fiel, zusammen mit zehn getreuen Wachen meines Herren."

"Costello soll bei euch gewesen sein? Er hat sich seit gestern nicht mehr bereit gemeldet. Ich wollte schon nach ihm schicken, um ihn an seine Verpflichtungen zu erinnern. Aber ich habe ihn sicher nicht mit einem Schmelzfeuerding losgeschickt, um euren Kronprinzen umzubringen, noch dazu unter Ausnutzung des Zeichens des friedlichen Unterhandelns. Denn auch ich weiß, dass dieses Zeichen für absolutes Vertrauen und die Unantastbarkeit des Trägers steht. Denkt dein Herr, falls er überhaupt denkt, ich wollte das Leben meiner Familie und der für sie arbeitenden Hexen und Zauberer wegwerfen, indem ich gegen eines der heiligsten Gesetze der Bruderschaft verstoße? Aber das kläre ich gerne mit den drei anderen persönlich. Sag ihm das so, dass ich von meiner Seite aus das Recht einfordere, vor dem Rat der Zwölf zu sprechen und alle seine Anklagepunkte und Beweise einzufordern und den Stein der Wahrheit zu fragen, ob er lügt und mich ebenso dem Stein der Wahrheit zu stellen, dessen Licht der Wahrheit zeigen wird, dass ich nicht lüge, wenn ich sage, dass Adolfo Costello nicht im Auftrag meines Hauses gekommen ist, um den ersten Sohn deines Herren zu ermorden. Falls er es war und keine Vielsaft-Trank-Nachahmung oder gar ein Simulacrum. Ich behaupte nun vor dir und allen, die mich hören können, dass jemand gezielt das gnadenlose Feuer der Blutfehde zwischen dem Haus deines Herren und meinem Haus schüren will, um uns beide zu vernichten. Ich lege ganz sicher nicht meinen Kopf auf einen Richtblock, wenn ich genau weiß, dass ich die so bestrafte Tat nicht begangen habe. Ich bin klein, aber nicht blöd und erst recht nicht lebensmüde", schnarrte Vespasiano. "Fliege zurück und sage deinem Herren, dass du seinen Spruch bei mir aufgesagt hast und ich ihn vor dem Rat der zwölf fünf Minuten nach Mitternacht als schändlichen Lügner entlarven und selbst wider ihn klagen werde, und zwar auf die Herausgabe des Castillo de las Olas und mindestens 4000 römische Pfund Rohgold. So, und jetz schwirr ab!"

"Du verweigerst die Ehrenschuld?" fragte Mortedracone.

"Eine Schuld, die ich nicht habe, kann ich nicht verweigern. Das wird der Rat der zwölf erweisen, in dem nicht nur die drei obersten Führer der anderen Häuser sitzen, sondern auch die neun Führer der mit diesen Häusern verbundenen Familien", erwiderte Vespasiano.

"Das Urteil ist schon gefällt, Zeit für den Rat wäre vergebene Zeit, sagt mein Herr, und die beiden anderen pflichten ihm bei, auch der Feuerbändiger Fulimicaldi."

"So, tun sie das. Klar, weil der Wolkenpuster darauf abzielt, dass ich ihm ein Vierfaches des Gewichtes meines Kopfes und der Köpfe meiner Söhne als Bußgabe überlasse und dann womöglich noch ein Sechstel meines Familienvermögens an ihn abführe, um meine Nachkommen nicht in Ehrlosigkeit leben zu lassen, genauso wie die beiden anderen je das vierfache Gewicht unserer Köpfe einheimsen und je ein Sechstel vom Mangiapietri-Vermögen kassieren dürfren. - Ja, die alte Regel ist noch gültig, junger Speerträger. Sage deinem Herren, wenn sein Sohn Enrico wahrhaftig tot ist, dann trauert mein Haus mit ihm um diesen Verlust. Doch für eine Bluttat, die ich nicht befohlen habe meinen Kopf zu geben lehne ich ab, solange der Zwölferrat dies nicht in ordentlicher Sitzung in meiner Anwesenheit und Befragung auf dem Wahrheitsstein beschließen sollte. Flieg jetzt los und erzähl das deinem Herren!"

"Ich werde meinem Herren deine verwegene Antwort überbringen und seinen Sieg über dich herbeiwünschen. Denn mein Onkel Marco gehörte zu jenen, die dein gedungener Mörder in den Tod riss."

"Oh, dein Onkel ist auch gestorben? War er einer von den Enrico beispringenden Wachen oder musste er sich selbst den Tod geben, weil er es nicht verhindert hat? Gut, brauchst du mir nicht zu erzählen. Kommt ja eh auf's selbe raus. Aber das mit dem sehr schweren Tatvorwurf gegen mich kläre ich mit dem Rat. Und jetzt aber weg hier, sonst könnten meine Wachen meinen, du wolltest mich umbringen."

Martino Mortedracone stieß sich mit seinem Besen ab und schwirrte schneller als ein von der Bogensehne geschnellter Pfeil davon.

"Ihr habt dem jungen Herrn Manorossa doch nicht ernsthaft einen Vollstrecker geschickt", meinte Paolo Bellaspata.

"Wenn ich ernsthaft vorhätte, wen umzubringen, dann nicht den noch nicht ganz ausgegorenen Enrico, sondern würde dann überhaupt den alten Brummbären selbst erledigen. Außerdem würde ich dann ganz sicher keinen einfachen Boten schicken, der das Kämpfen nur aus den Wehrzauberstunden in Gattiverdi kennt, sondern einen ausgebildeten Vollstrecker wie dich oder einen deiner treuen Untergebenen. Das ist einfach eine gemeine Rache von ihm gegen mich, weil er mir die Burg nicht rausrücken will."

"Ja, aber offenbar hat Dominus Enzo die beiden anderen davon überzeugt, dass Ihr die Tat befohlen habt", sagte Bellaspata.

"Du schickst plötzlich und schnell zwei deiner Kundschafter los, die das Haus von Costello untersuchen sollen. Wenn er schon von der Arbeit zurückgekehrt ist soll er herkommen. Wenn nicht, sollen die Kundschafter alles einsammeln, was er in den letzten zwei Tagen getan hat. Es wird zeit, dass unser Vertreter bei Minister Bernadotti eine dieser sagenhaften Rückschaubrillen abstaubt. Aber solange machen wir das eben mit dem Ereignislauscher. Ich brauche alles für eine Verhandlung vor dem Zwölferrat. Geht alle davon aus, dass unser aller Leben davon abhängt, dass wir beweisen können, dass wir den Kronprinzen der Manorossas nicht ermordet haben. Ausführung!"

Lavinia mangiapietri, die Frau des Hausherren, war knapp zwei Köpfe größer und wesentlich beleibter als ihr Ehemann. Sie hatte bisher keinen Anlass gehabt, nach Art und Umfang seiner Geschäfte zu fragen. Als Großnichte des Albano Nuvolebianche hatte sie schon von ihrem Haus her gelernt, das zum einen zu viele Fragen zu viele Schmerzen bereiten konnten und zum anderen die Männer all zu gerne unter sich bleiben wollten, weil die Traditionen des alten Roms und die daraus entstandene Bruderschaft dies so bestimmten. Vespasiano, dessen Mutter eine halbe zwergin war, hatte seine daher rührende Kleinwüchsigkeit immer damit überspielt, dass er sich strickt an die altenGesetze halten und niemals zögerlich oder gar feige auftreten würde. Dazu gehörte auch, dass er niemals in der Öffentlichkeit von seiner Frau beraten oder gar gemaßregelt werden wollte. Doch wenn die Tür zur Dauerklangkerkerwohnung innerhalb des aus einem risigen Granitbrocken gebauten Hauses zu war konnte er nicht umhin, zumindest anzuhören, was sie sagte. Auch spürte sie irgendwie, was er gerade fühlte, wenn er wie jetzt seine geistige Beherrschung vernachlässigte und nicht okklumentierte. "Du bist wütend und hast Angst. Was war da gerade, Vessi?" fragte Lavinia.

"Darf ich eigentlich nicht verraten, Vinni, aber weil Valerio, Vincenzo und Varo davon betroffen werden könnten sage ich nur so viel, dass der Herr eines anderen Hauses behauptet, ich hätte seinen Sohn umgebracht und zwar nicht im offenen Kampf, sondern mit einem verfluchtenGegenstand, den einer meiner Boten zu ihm hingeschafft haben soll. Ich war das aber nicht. Was auch immer passiert ist, ich bin bestimmt kein hinterhältiger feiger Mörder."

"Moment mal, wenn ein wichtiges Familienmitglied eines der Häuser von einem aus einem der anderen Häuser ermordet wird heißt das doch, dass das betreffende Haus von den drei anderen zerstört und seine männlichen Bewohner getötet werden dürfen, nicht wahr?" erschrak Lavinia Mangiapietri geborene Nuvolebianche.

"Gut, wird dein windiger Goldwirbler von Onkel sicher mal erzählt haben. Es stimmt leider", sagte Vespasiano. "Angeblich haben die drei schon meinen Und Valerios und Vincenzos Tod beschlossen. Doch werde ich, wie es Brauch ist, unter dem Mond und den Sternen vor dem Rat der Zwölf bekunden und beweisen, dass ich keinenAuftragsmord befohlen habe. Dieser ... der, der mir das vorhält, wird dann selbst für diese dreiste Lüge zahlen müssen."

"Wer genau ist das, Vespasiano?" wollte Lavinia wissen. Vespasiano sah sie von unten her verdrossen anund sagte: "Ist die Sache der Bruderschaft, Lavinia. Ich werde dir aber rechtzeitig mitteilen, wenn du und die beiden großenund unser stolzer Junge Varo ffliehen müsst."

"Wer behauptet, du hättest seinen ersten Sohn umgebracht? Ich hoffe nicht Onkel Albano", hakte Lavinia nach.

"Nein, dein Onkel nicht. Er hat dieser Vorverurteilung nur zugestimmt, wohl weil er auf die Freikaufsumme hofft, die ein beklagter statt einer körperlichen Strafe zahlen kann. Jetzt bleiben noch zwei zur Auswahl. Welcher von denen das ist sage ich dir höchstens, wenn es wirklich zum äußersten kommt."

"Dann ist es der, der Melina und mich aus der alten Mondburg vertrieben hat, dieser ungeschlachte Rotbart, in dessen Kopf und Herz noch Riesenblut fließt", zischte Lavinia. Ihr Mann erstarrte und rang um seine eigene Selbstbeherrschung. Er schwieg jedoch. Außerdem verhüllte er seinen Geist. Doch beides war für die matronengleiche Frau mit der schwarzbraunen Lockenpracht genauso wie ein Ja. Vespasiano wusste das zwar, wollte aber den bereits aufwachenden Drachen nicht weiter kitzeln.

"Und was ist, wenn dir jemand diese Tat unterschieben will, also Enrico Manorossa, der mit unserem Valerio in Gattiverdi war, von jemandem in deinem Namen getötet wurde oder von jemandem dem per Gedächtniszauber eingegeben wurde, er habe deinen Befehl dazu erhalten?"

"Dann wird die Probe mit dem Stein der Wahrheit erbringen, dass ich keinen Mordauftrag erteilt habe. Eigentlich kann der Brummbär mir diesen Mord nicht anlasten. Doch ich muss erst abwarten, wann der Zwölferrat zusammentritt. Eigentlich sollte dieser Kerl wissen, dass eine Sitzung vor dem Rat der zwölf jede Schuld und jede Unwahrheit aufdecken kann."

"Und uneigentlich?" wollte seine Frau wissen. "Gut, dass unser Heim ein Dauerklangkerker und unfernbeobachtbar ist. Es wäre sonst so peinlich, von einer Hexe wie von einem dieser französischen Inquisitoren verhört zu werden", schnaubte Vespasiano.

"Ja, ich weiß: Maga taciat in concilio. War schon damals unrichtig und ist es heute um so mehr. Doch solange du unser aller Leben nicht den drei anderen Wölfen zum Fraß vorwirfst bin ich bereit, dieses Getue zu erdulden."

"Immerhin hat dir dieses Getue viele Sachen beschert, die andere Hexen nicht im Traum besitzen können,und dass das Ministerium damals die Ausbildung unserer drei Söhne bezahlt hat uns und damit dir auch eine Menge Gold gespart."

"Kein Pfund Gold kann einen Tropfen Blut aufwiegen, Vespasiano. Ihr habt Jahrhunderte Frieden gehabt. Wenn ihr jetzt anfangt, euch zu massakrieren, ja und wir dabei mitgetötet werden, nützen uns die eingesparten Solicini nichts. Ja, dann nützt es auch Varo nichts, dass er vom Ministerium unterstützt wird, wie auch immer du das ausgehandelt hast."

"Das hat dich nicht zu interessieren, solange Varo weiterhin in Gattiverdi lernen kann. Im Übrigen haben sich Enrico Manorossa und unser Valerio dort in zwei getrennten Schulhäusern befunden und waren auch keine Freunde."

"Wie, das hat mich nicht zu interessieren? Ich höre wohl nicht richtig", entrüstete sich Lavinia. "Du hast mir immer gesagt, dass du dem Zaubereiministerium einige wichtige Dienste erwiesen hast und deshalb die Ausbildung unserer Nachkommen von der Ausbildungsabteilung bezahlt wird wie ein Stipendium an der Scuola dell' arti altissime magiche. Stimmt das etwa nicht?"

"Doch doch, das ist so richtig", erwiderte Vespasiano und war auf der Hut, seine geistige Verhüllung aufrecht zu halten, weil seine Frau ihn schon wieder so eindringlich ansah. Sie nickte nur schwerfällig und sagte dann:

"Also sieh zu, dass das mit diesem roten Bären bereinigt wird, ohne dass dafür unsere Familie ausgelöscht wird!" Vespasiano dachte einen Moment daran, darauf zu antworten. Doch er zog es vor, diese unangenehme Unterhaltung nicht noch länger zu machen.

Eine Halbe stunde später trafen die von ihm ausgeschickten Kundschafter ein. "Costello war nicht da und so wie es aussieht schon seit zwei Tagen nicht mehr, Domine. Wir haben Ereignis-Echos gesammelt, aber die klingen ziemlich verzerrt, als hätte da jemand mit einem Gegenschallartefakt die hörbaren Spuren der Vergangenheit verwischt oder zu übertönen versucht. Hör dir das an, was laut Zeitanzeige am 21. April in der Nacht passiert ist, Domine!" Sagte einer der Kundschafter.

Vespasiano nahm den walzenförmigen Gegenstand, der wie eine Trommel mit gerippter Seitenfläche aussah und hielt ein kleines, goldenes Hörrohr daran. Dann dachte er die erwähnte Zeitangabe in der Folge Jahr, Monat und Tag. Nun hörte er, was an diesem Tag für Bewegungen und Geräusche in dem Haus erklungen waren. Dabei wurden die völlig stillen Zeitabschnitte mit einem Klicklaut pro abgehörter Stunde übersprungen. Abends war Costello nach Hause gekommen und hatte wohl erst gelesen, um dann wohl in der Küche was zu essen. Er war ja gerade alleine, weil seine reiselustige Frau endlich mal die südamerikanischen Zaubererweltsiedlungen und Zauberkräuter sehen wollte. Dann meinte Vespasiano, ein gleichmäßiges, vielstimmiges Schwirren zu hören. Das Schwirren wurde lauter und raumgreifender. Dem Viertelzwerg taten davon schon die Ohren weh. Gerade so konnte er noch sehr verzerrt hören, dass jemand was sagte. Dann erfolgte ein kurzes, schwirrendes Sirren, dann war es völlig still. Erst übersprang der Ereignishorcher ganze neun Stunden. Dann kam unter einem noch lauteren Schwirren und Sirren wieder was neues. Danach lief der Leerstundenzähler Klick für Klick weiter, bis die auf der Trommeloberseite sichtbare Zeitanzeige an dem Zeitpunkt ankam, wo die beiden Kundschafter dort ankamen. Deren Bewegungsgeräusche und gesprochene Worte waren klar zu verstehen. Dann klackerte es in dem Ereignishorcher. Die von ihm aufgenommenen Echos von Bewegungen und Geräuschen war beendet.

"Drachendreck. Klingt so, als habe Costello noch mit jemandem gesprochen und sei dann verschwunden, vielleicht disappariert oder per Portschlüssel. Dieses Störgeräusch wurde ja zum Schluss immer gemeiner, als hätte dessen Quelle mit Costello wechselgewirkt. Wir brauchen echt bald eine dieser Rückschaugucker, damit wir lernen, wie die Dinger gemacht wurden. Wäre gelacht, wenn ich als Thaumaturg mit Zugang zur Zwergenmagie das Ding nicht verbessern könnte. Aber unser Verbindungszauberer im Ministerium kommt nicht an die Sonderausrüstung der Gesetzeshüter dran."

"Das Ding kann auch nicht weiter als zwei Tage zurücksehen, Domine. Außerdem heißt es, dass Unortbarkeitszauber je nach Stärke den Zeitabschnitt uneinsehbar machen, an dem sie am Ort gewirkt haben."

"Und was gibt's neues, Carlino?" fragte Vespasiano sehr verächtlich. Dann sagte er: "Vielleicht reicht diese Aufnahmeund mein Blut auf dem Stein der Wahrheit, um alle Anschuldigungen zu widerlegen. Denn es dürfte klar sein, dass Costello irgendwohin verschwunden ist und nicht wieder auftauchte. Also könnte den wer in der Zeit irgendwie unterworfen haben oder eine Vielsaft-Trank-Kopie von dem geworden sein oder ein Simulacrum von ihm angefertigt haben, das als reiner Wegwerfattentäter eingesetzt wurde. Den echten Costello brauchten sie dann auch nicht mehr."

"Wer, sie, Domine?" wollte der zweite Kundschafter wissen, der sich auf Spuren von lebenden Wesen verstand und die Verbrechensermittlungsmethoden der magielosen Welt interessant fand.

"Die, die uns gegeneinander ausspielen wollen. Kann sein, dass der Brummbär sich das ausgedacht hat und seinen Sohn oder ein Simulacrum von ihm hat umbringen lassen, damit alle glauben, Enrico sei ermordet worden. Kann aber auch sein, dass jemand anderes, vielleicht aus einem der zwei anderen Häuser, die unschöne Sache zwischen den Manorossas und uns ausnutzen wollten, um uns aufeinanderzuhetzen."

"Dem Feuerspieler traue ich sowas auch zu, Domine", sagte Carlino. "Aber dann hätte dieses Haus ja nicht nur Manorossablut vergossen, sondern würde auch unser Blut vergießen."

"Das werden wir rauskriegen. Jetzt finde ich es schade, dass die anderern keinen Ereignishorcher haben um das selbst rauszufinden."

"Würde jetzt auch nicht mehr gehen, weil unser Gerät ja alle Echos vergangener Bewegungen und Geräusche getilgt hat, um sie in sich aufzunehmen. Wer jetzt noch mal dort nachhört wird nur lautes Rauschen hören", sagte Augustino, der zweite Kundschafter. Der wurde dann noch gefragt ob Spuren von anderen Leuten bei Costello zu finden waren

"Das ist wahrlich interessant. Es fehlt eines der Friedenszeichen und jemand hat mit sehr gründlichen Zaubern alle Haut- und Haarpartikel aus der Wohnung getilgt, womöglich mit einem erweiterten Staubsammelzauber. Es fanden sich auch keine Straßenstaubanteile, so als wenn eine überfleißige Putzkolonne von Hauselfen dort durchgeputzt hat, Domine Vespasiano. Bedauerlicherweise hat der Kollege Carlo schon mit der Ereignislotung angefangen, so dass der dabei wirkende Zauber alle Spuren früherer Zauber überlagert oder ausgelöscht hat. Es fiel mir erst nach den verfremdeten Echos ein, dass wir eigentlich erst nach den schwachen Rückständen vergangener Zauber hätten suchen sollen", gestand der zweite Kundschafter ein.

"Na, exzellent. Dann wissen wir nur, dass was passiert ist, aber nicht was genau. Ich hoffe mal, eure undurchgeplante Spurensuche wird am Ende uns allen nicht die Köpfe kosten. Ihr könnt jetzt wieder in eure Gemächer gehen. Das Ereignishorchgerät bleibt bei mir. Das nehme ich gleich mit zur Verhandlung", sagte Vespasiano. Wenn Lavinia jetzt hier gewesen wäre hätte sie sicher seine Wut und seine steigende Angst gespürt. Wenn er nicht beweisen konnte, dass Costello von wem anderem als ihm losgeschickt worden war, würde der Rat der zwölf gegen ihn entscheiden. Eine Zweidrittelmehrheit der Stimmen reichte aus, um einen Beklagten schuldig zu sprechen. Für Mord an einem ranghohen Mitglied eines anderen Hauses konnte es den Tod des Auftraggebers bishin zur völligen Auslöschung seines Hauses geben. Bisher war dies nur fast einmal beschlossen worden, als die furchtbare Feuerrosenkönigin Ladonna Montefiori zum ersten mal gewirkt hatte. Das wiederum ließ Mangiapietri denken, ob diese mischblütige Furie nicht auch an dem feigen Mord von Enrico Manorossa beteiligt war, sollte diese Tat wirklich geschehen sein. Es würde glatt zu ihr passen, eine Blutfehde zwischen den Mangiapietris und Manorossas zu entfachen. Doch das wollte er denen beim Rat der Zwölf auf den Tisch knallen. So weit er wusste musste bei der Forderung nach einem Rat der zwölf innerhalb von drei Tagen nach Ankunft des Botens eine Antwort erfolgen. Also hatte er noch bis zum 26. April Ruhe. Hatte er bis dahin keine Antwort, wusste er, dass er wohl mit den drei anderen Familienvorstehern einzeln verhandeln musste, notfalls über die Bußgabe für die geforderten Köpfe und die Hälfte des Familienvermögens in Gold und/oder anderen Wertsachen. Das ärgerte ihn noch mehr als die Tatsache, von einem Vollstrecker aus einem der drei Häuser mit einem Schwert oder Richtbeil geköpft zu werden, schlimmstenfalls erst dann, wenn Valerio und Vincenzo vor ihm hingerichtet wurden.

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"Ja, und euch hat keiner gesehen?" fragte die Rosenkönigin über die geistige Brücke zu ihrer Mitschwester Rosanna Ponticelli.

"Wir haben uns an Eure Anweisungen gehalten, meine Königin. Wir haben das Haus mit den Zauberfernrohren überwacht, die Ihr uns gegeben habt. Wir konnten zwei Zauberer beobachten, die mit uns fremden Geräten in Costellos Wohnung umhergesucht haben. Bei einem dieser Geräte kann es sich um einen Staubsammler gehandelt haben. Das andere vibrierte dauernd und glomm dabei silbern wie Mondlicht. Es waren keine vom Ministerium,meine Königin."

"Das hätte ich auch erfahren, falls ja. Womöglich wollten sie Spuren von ihm finden. Also will jemand wissen, was er in den letzten Tagen genau gemacht hat. Bleibe du oder die für diese Zeit eingeteilte Schwester noch dort und behaltet das Haus unter Beobachtung. Falls noch einmal wer dort eindringt, der nicht zum Ministerium gehört, will ich davon umgehend benachrichtigt werden. Umgehend heißt, sobald es geschieht, nicht erst, wenn es vorbei ist. Ist das verstanden, Rosanna?"

"Es ist verstanden und wird so ausgeführt, wie Ihr es befehlt, meine Königin", erwiderte Rosanna Ponticelli unterwürfig. Dann beendete Ladonna die Gedankenverbindung.

"Schwester Gisella, bist du noch in der Nähe des von mir mitgeteilten Ortes?" fragte sie zehn Sekunden später, als sie eine neue Gedankenbrücke zu einer weiteren Mitschwester errichtet hatte und sogar durch deren Augen sehen konnte.

"Ich befolge Eure Anweisung, meine Königin und versuche immer noch, fremde Zauber an dem von Euch mitgeteilten Ort zu erfassen. Doch wenn dort etwas verhüllt ist, dann gibt es keinerlei Streuungen auf diese Entfernung. Ich fürchte, dafür müsste ich noch näher herangehen."

"Du fürchtest richtig, meine treue Schwester. Aber du darfst nicht näher herangehen. Die Gefahr, dass du zuerst entdeckt und direkt bekämpft wirst ist mir zu groß, solange wir noch zu wenige sind. Aber sei beruhigt und auch erleichtert. Ich werde in den nächstenStunden endlich eine mir verbundene Truppe von offiziellen Einsatzzauberern dorthin senden. Wenn ich die losschicke kehre in dein eigenes Haus zurück!"

"Ich habe verstanden und gehorche Euch, meine Königin", bestätigte Gisella."

"Sei bedankt", erwiderte Ladonna aufrichtig.

Sie wollte gerade die geistige Verbindung beenden, als sie durch Gisellas Augen einen wild dahinschwirrendenBesen entdeckte. Ihr war sofort klar, dass wer immer darauf ritt gerade vom gesuchten Ziel kam und sicher unterwegs zu einem anderen interessanten Ziel war. Sie musste wissen, wer es war, woher er oder sie kam und wohin er oder sie wollte. Ja, und den Auftrag wollte sie dann natürlich auch kennen.

"Schwester Gisella, verfolge den schwirrenden Besen und verwende die Unsichtbarkeit deines Besens."

"Das ist ein Ventirossi Superfalcone mit einem dunkelgekleideten Zauberer darauf, meine Königin. Den kann ich nicht mehr einholen", schickte Gisella zurück.

"Apparier zwanzig Kilometer in die Richtung, in die er fliegt. Ich komme selbst."

"Wie Ihr befehlt, meine Königin", bestätigte Gisella. Schlagartig umschlang die andere jene absolut dunkle Bedrängnis, die beim Apparieren zwischen Ausgangspunkt und Zielort wirkte. Dann konnte Ladonna sehen, was Gisella sah. "Wenn der nicht abgebogen ist ist er in nur zwei Minuten und fünfzehn Sekunden da, wo ich jetzt stehe, meine Königin."

"Gut, das muss ich wagen. Vielleicht bekommen wir heute noch einen von denen im freien Flug zu sehen", erwiderte Ladonna Montefiori. Das Jagdfieber hatte sie gepackt, verbunden mit der Aussicht, den Unfriedenzwischen den beiden Häusern Mangiapietri und Manorossa noch mehr anzufachen.

Ladonna apparierte keine zwanzig Sekunden später neben ihrer Mitschwester Gisella. Diese staunte mal wieder über diese genaue Zielankunft. "Das ist leicht, wenn ich den Standort von jemandem sehe, mit der ich in direkter Verbindung stehe und genau dort sein will, wo sie ist", sagte sie und deutete nach vorne. Ich verfolge den Besen, wenn er kommt, Kehre in die Nähe des ursprünglichen Beobachtungsortes zurück!"

"Wie wollt ihr den Besen verfolgen. Der ist für diesen amerikanischen Importbesen zu schnell."

"Tja, weil die Flugbezauberung der Tarnbezauberung unterworfen wurde. Ich kann und werde aber die Flugbezauberung für eine gewisse Zeit verstärken", sagte Ladonna und zog ihren eigenen Harvey-5-Besen aus dem neuartigen Besenfutteral, das einen Flugbesen auf ein Zehntel seiner üblichen Größe einschrumpfen konnte, ohne dessen Eigenschaften zu verändern. An dem silbernen Besen konnte Gisella ein Geflecht aus schwarzem, seidenartigen Stoff sehen, das direkt vor dem Schweif darum gewickelt war. Die Rosenkönigin raffte ihren schwarzen Umhang und schwang sich grazil wie eine Ballerina auf den Besen. Dieser vibrierte ein wenig. "Du kehrst zum befohlenen Beobachtungspunktzurück, Schwester!" befahl sie. Gisella bestätigte es und disapparierte. Denn Zwei unsichtbare Besen könnten ohne die entsprechende Sichtbarkeitsabstimmung deren Flieger zusammenstoßen.

Ladonna wartete. Sie hoffte, dass der fremde Besenflieger nicht wenige Kilometer nachdem er Gisella überflogen hatte scharf abgebogen war. Doch was hatte ihr Costello über die Häuser der vier Familien gesagt? Wenn der Besenflieger wirklich zum Haus Manorossa wollte war er noch an die 300 Kilometer davon entfernt gewesen.

Gisellas Vorhersage stimmte. Mit ihrem besonderen Sehvermögen konnte Ladonna den auf sie zujagenden Besen und dessen Reiter erkennen. Sofort erkannte sie, dass es ein Kampfzauberer der Manorossa-Sippe war. Offenbar war der aber gerade als reitender Bote unterwegs gewesen, aber nicht als friedlicher Unterhändler, eher als Kriegserklärer. Hatte Mangiapietri die Kriegserklärung angenommen?

Ladonna hob ab. Sofort wurden sie und ihr Besenunsichtbar. Sie wartete in nur zehn Metern Höhe, bis der andere Besen über sie hinwegsauste. Ja, diese neuen Ventirossi-Besen waren schon sehr schnelle Fluggeräte. Die konnten sieben Stunden lang mit 480 Stundenkilometern fliegen, bei kürzerenEtappen sogar an die 550 bis 600 Stundenkilometer. Der amerikanische Tarnbesen war im Verhältnis dazu behäbig. Doch das um Ladonnas Besen gewickelte Geflecht hob diesen Nachteil wieder auf. Pure Wind- und Flugmagie beschleunigte den Besen für zwanzig Minuten auf bis zu 600 Stundenkilometer und konnte für mindestens zwei Stunden mit einem Ventirossi Superfalcone mit Langstreckentempo mithalten.

Erst wartete Ladonna, bis der andere Besen einen halben Kilometer weit von ihr weg war. Dann nahm sie die Verfolgung auf. Sie fühlte die Verbindung zwischen sich, dem Besen und der ihn umströmenden Luft. Es war fast so, als würde sie in ihrer Tiergestalt dahinfliegen. Sie folgte dem dahinfliegenden mindestens zehn Minuten. Dann war sie sicher, dass der Speerträger der Manorossas zu seinem Stammsitz wollte. Sie beschloss, ihn abzufangen. Dafür holte sie zuerst ein kleines, kugelförmiges Ding aus ihrem Umhang und hielt es sich an die Stirn. Es begann zu summen und leuchtete auf. Jetzt war im Umkreis von einem Kilometer kein Mentiloquieren mehr möglich. Ladonna steckte die kleine, summende Kugel wieder fort. Dann beschleunigte sie ihren unsichtbaren Besen weiter. Sie kam bis auf zweihundert Meter an den anderen Besen heran, als dieser wie gegen eine Granitwand geprallt in der Luft stehenblieb, ohne dass der Reiter davon Abgeworfen wurde. Das Manöver ließ Ladonna innerhalb von zwei Sekunden bis auf Zauberstabreichweite herankommen. Da sah sie, wie der andere bereits einen kurzen, pfeilartigen Gegenstand warf. Dieser wurde im Flug zu einem altrömischen Pilum mit silbernem Schaft und gewann dabei sogar noch mehr Geschwindigkeit. Der Speer schnellte zielgenau auf die unsichtbare Besenfliegerin zu. Diese tauchte gerade noch unter der Spitze weg und sah, wie der nun eindeutige Gegner einen weiteren verkleinerten Speer freizog und mit dem Ausruf "Morite Inimici!"" warf. Der Speer jagte nun aus nur noch fünfzig Metern Entfernung auf Ladonna zu. Nur ihrer raubkatzengleichen Reaktionsgeschwindigkeit verdankte sie, dass das zweite Wurfgeschoss sie um zehn Zentimeter verfehlte. Wieso konnte er auf sie zielen, wo sie unsichtbar war? Dann hörte sie hinter sich ein bereits bekanntes Sausen und warf sich flach auf den Besenstiel. Der ihr zuerst entgegengeschickte Speer zischte so knapp über sie hinweg, dass ihre Kapuze flatterte. Offenbar konnte der Reiter seine Waffen zurückrufen wie der nordische Donnergott Thor seinen Hammer. Nein, besser, die Waffen kehrten um und zielten neu. Aber wie? Nun warf der Besenflieger noch einen Speer von sich, wobei er wieder "Morite Inimice!" rief. Ladonna spürte, dass der Speer noch mehr enthielt als einen besonderen Zielzauber. Sie stürzte sich in die Tiefe. Der Speer jagte einen Meter über sie hinweg und barst in einer blauen Feuerkugel. Eigentlich hätte sie das nicht überleben können. Doch ihr magischer Ring hatte in dem Moment, wo der Speer auf sie zugeflogen war die rote Aura gegen Feuerangriffe und tödliche Geschosse ausgestrahlt. So blieben Ladonna und ihr Besen unversehrt. Doch der Ring erzitterte heftig. Noch einen solchen Angriff konnte sie wohl nicht parieren. Da kamen Speer eins und zwei auch wieder auf sie zugerast und zwar so, dass sie nur nach unten ausweichen konnte. Sie erkannte, dass es nicht so einfach sein würde, ihren Gegner zu bezwingen. Außerdem musste sie ihn dann noch gegen seinen eingepflanzten Selbstmordzauber absichern, wenn sie ihn verhören wollte. Denn jetzt wollte sie wissen, wieso die Speere so zielsicher auf sie zufliegen konnten.

"Was du kannst kann ich noch besser", dachte Ladonna verächtlich und schlang ihre langen, wohlgeformten Beine so gut um den Besen, dass sie nicht von ihm herunterfallen konnte, wenn sie nun die Hände vom Stiel nahm. Dann sah sie Speer Nummer eins wieder auf sich zufliegen, während Speer Nummer zwei sich bog, um in einer engen Kurve zu wenden. Ladonna riss ihre Hände hoch und formte sie so, als halte sie etwas dazwischen. Im nächsten Moment erglühte ein lodernder Feuerball zwischen ihren Händen. Sie konzentrierte sich und schickte den glutheißen Globus auf die Reise. Der Speer schien zu merken, dass er nun selbst das Ziel war und versuchte auszuweichen. Doch da traf ihn die kompakte Feuerkugel und platzte zu einer Flammenwolke auseinander. Der Speer brannte wie eine Fackel. Seine Spitze war bereits verkohlt. Seine eingewirkte Magie floss in Form von grünen und roten Blitzen ab. Dann zersprang er mit lautem Knall. Da hatte Ladonna auch schon den zweiten Feuerball zwischen ihren Händen konzentriert und jagte diesen dem zweiten Speer entgegen, der es gerade wieder auf sie absah. Der Flammenball fing das Wurfgeschoss in zwanzig Metern Entfernung ab. Ladonna sprang mit einem schnellen Manöver über den brennenden Speer hinweg.

"Feuerspieler, wagst es mich anzugreifen! Spiel mit dem Feuer der Hölle!" rief der einhundert Meter über ihr fliegende Reiter und hielt nun keinen Speer, sondern seinen Zauberstab in der Hand. "Invisibilem deleto!" hörte sie ihn mit ihrem von einer grünen Waldfrau geerbtem Gehör. Aus dem Zauberstab quoll eine blau-violette Wolke, die sich blitzschnell ausdehnte. Ladonna fühlte, wie ihr Besen immer wilder erzitterte und sich erhitzte. Sie wusste sofort, dass er zerspringen würde, wenn die Wolke ihn umschloss. Womöglich würde sie dabei selbst beeinträchtigt. Sie hatte wohl noch drei Sekunden, bis die Glutwolke bei ihr war. Doch ihr Besen drohte jetzt schon zu zersplittern. Da hob sie mit einem Konzentrierten Gedanken die Unsichtbarkeit auf. Das wilde Zittern und die Aufheizung vergingen in einem knisternden blau-violetten Blitz, der sich mit der heranjagenden Glutwolke vereinte. Da war die Glutwolke auch schon bei ihr und hüllte sie ein. Sie meinte, in einen laut summenden Bienenstock hineingeraten zu sein und fühlte es fast körperlich, wie etwas um sie herum strich. Das blau-violette Leuchten flimmerte vor ihren Augen. Dann war es auf einmal nicht mehr da. Auch das Gebrumm wie von 100.000 Bienen war verklungen. Sie flog nun wieder frei auf dem Besen. In dem Moment wusste sie, dass sie ein gutes Ziel abgab und brach nach rechts und oben aus der Flugbahn. Dabei hörte sie bereits die geächteten Worte: "Avada Kedavra. Sie hörte und sah den tödlichen Fluch knapp drei Meter hinter sich zu Boden fahren wie ein exotischer Gewitterblitz. Sie hörte es dumpf krachen, weil der Fluch sicher etwas vom Boden verheert hatte. Schnell sah sie nach oben, um dem nächsten Angriff begegnen zu können. Tatsächlich brachte der Speerwerfer der Manorossas seinen Besen in eine neue Angriffshaltung. Er sah nun, wen er da zum Gegner hatte. War es Schreck, Verwunderung oder sowas wie eine unverhoffte Überraschung, die ihn für eine Volle Sekunde erstarren ließ? Die Zeit nutzte Ladonna, um sich wieder an ihn heranzubringen. Sie sang nun laut und glockenrein die Töne, mit denen eine grüne Waldfrau eine fliehende Beute verzögern konnte. Sie wusste, dass diese Waffe so weit über den Baumwipfeln schwach wirkte. Doch es ging ihr nur darum, die Reaktionsgeschwindigkeit des Gegners zu bremsen. Allerdings erkannte sie, dass er wohl auf einen solchen Angriff vorbereitet war. Denn seinen Körper umfloss eine flirrende, grünlich-rote Aura, die mit jedem ihrer Töne mitvibrierte. "Avada ..." setzte der andere an. Da warf sich die Feuerrosenkönigin schon zur Seite. Als der Gegner"Kedavra!" rief sprang ihr Besen förmlich nebenihn. Sein grüner Todesblitz sirrte für Ladonna völlig unschädlich in leere Luft. Bevor er den Stab neu ausrichten konnte war sie auf Armreichweite und versuchte ihn zu fassen. Gleichzeitig griff sie in ihre rechte Umhangtasche und zog ein Geflecht aus ihrem Haar und Silber heraus. Der andere kannte jedoch offenbar fernöstliche Kampftechniken. Er stieß seinen Ellenbogen nach ihr. Wieder bewahrte sie ihre Reaktionsschnelle vor einem wuchtigen Treffer. Da reichte es ihr. Karate hatte sie von Rose Britignier auch mitbekommen. Sie schlug mit der linken Handkante zu und erwischte den Speerwerfer voll an der Schläfe. Sie hoffte, nicht zu fest zugeschlagen zu haben. Jedenfalls regte er sich gerade nicht. Als Ladonna den betäubten Gegner mit ihrer Hand ergreifen wollte fühlte sie, wie in dessen Besen eine starke Elementarkraft des Feuers erwachte. Da war ihr klar, dass sie doch einen entscheidenden Fehler gemacht hatte. Sie ließ den Verfolgten los und jagte ihren Besen schnell nach oben und rechts weg. So gewann sie innerhalb einer Sekunde fünfzig Meter Abstand zu ihrem Gegner. Sie fühlte auch in dieser Entfernung, wie die im Besen des anderen aufkommende Zauberkraft sich entlud. Mit einem dumpfen, lauten Knall zersprang der Besen zu einer zehn Meter langen, drei Meter dicken Feuerwalze. Hätte sie nicht die Elementarverbundenheit einer Veela besessen, ihre Zeit wäre wohl vorbei gewesen. Die weißglühende Feuerwalze fiel fauchend nach unten. Sie sah noch, wie der Besenreiter in der Glut verkohlte.

"Selbstmordbesen, wie barbarisch!" knurrte Ladonna, als sie sah, wie die sich wild drehende Feuerwalze tiefer und tiefer stürzte, dann flackerte und in sich zusammenfiel. Dabei spie sie noch eine Wolke weißblauer Funken aus, die in alle Richtungen davonzischten. Die kleinen Glutpartikel flogen sogar weiter als die Rosenkönigin gerade entfernt war. Deshalb musste sie auf der Hut sein, nicht noch von einem dieser superheißen Funken getroffen zu werden, auch wenn ihr Ring sie eigentlich gegen Feuerzauber schützen sollte. Doch die leidige Sache mit der Spinnenhexe und ihrem vermaledeiten Flammenschwert hatte sie gelehrt, dass ihr Ring doch nicht immer unbesiegbar war. Jetzt wusste sie auch, dass die Lupi Romani in ihre Besen schlummernde Selbstvernichtungszauber einwirkten. Sie konnte sich auch sehr gut ausmalen, dass solche Besen selbst zur finalen Waffe wurden, wenn ihre Reiter dies befahlen oder sie eben durch einen Zauber oder betäubenden Schlag handlungsunfähig wurden.

Mit der leichten Enttäuschung, keinen der legenderen Todesspeere der Manorossas gefangen zu haben flog sie wieder davon. Dann dachte sie, dass der Bote nun nicht mehr zu seinem Herrn zurückkehren würde und dieser wohl davon ausgehen musste, dass Mangiapietri oder einer seiner Totschläger ihn getötet hatte, weil ihm die Botschaft nicht gefallen hatte. Insofern hatte sie doch einen gewissenSieg mehr errungen und vor allem sehr entscheidende Erfahrungen mit diesen Leuten von Manorossa gesammelt.

Als sie wieder auf unsichtbarem Besen zu Gisella zurückkehrte bekam sie mit, wie diese mit ihrem Zauberstab einige Gesten ausführte. "Darf ich fragen, was du tust, Schwester Gisella?" rief Ladonna sie von oben her an. Gisella erschrak und ließ fast denZauberstab fallen.

"Meine Königin, Ihr seid wieder zurück! Ich möchte herausfinden, ob es hier stationäre Antiapparierzauber gibt. Wenn das so ist, dann weiß ich, dass ich in der Nähe Eures befohlenen Zieles bin", beantwortete Gisella die Frage ihrer Herrin.

"Du bist eine gute Thaumaturgin, Schwester Gisella, aber leider eine miserable Taktikerin. In dem Moment, wo du mit einem Aufspürzauber einen solchen Schutzwall berührst wird sicher ein darauf abgestimmter Überwachungszauber reagieren und weitermelden, wo der Suchzauber herkommt, und dann hätten wir entweder großflächige Feindabwehrzauber oder die Burgbesatzung gegen uns. Wenn die alle auf solchen Besen reiten wie der Zauberer, den ich eigentlich befragen wollte, hätten wir zwei doch sehr viel unnötigen Ärger. Denn wenn auch nur einer von denen entwischt und verrät, wer ihnen da zu nahe kam ist mein ganzer Plan gescheitert. Also vertraue nur deinen Augen so wie eben gerade!"

"Das war ein Jahrtausendzufall, meine Königin. Wenn ich hundert Meter weiter rechts oder links gestanden oder da gerade nicht hochgesehen hätte ..."

"Hätte der wackere und wortwörtlich bis zum letzten kämpfende Krieger sicher seinen Wegunbehelligt fortsetzen und seinem Herrn und Gebieter den Vollzug seines Befehls vermelden können."

"Musstet Ihr ihn töten, meine Königin?"

"Sagen wir es so, dass er in letzter Folge durch meine Handlungen starb. Näheres berichte ich, wenn alle treuen Schwestern wieder an meinem Versammlungsort sind. Dies wird aber erst geschehen, wenn meine Vorhaben weit genug gediehen sind, um sie unüberwacht weiterlaufen zu lassen."

Ladonna kehrte in ihre eigene Festung zurück. Sie hoffte, doch bald mitzubekommen, wie ihre giftige Saat unter den Lupi Romani aufging. Hierzu wollte sie den von ihr beherrschten Leiter der Sicherheitsabteilung anweisen, heimliche Beobachter in der Nähe des vermuteten Stammsitzes der Mangiapietri-Sippe zu postieren,um zu beobachten, wer dort ein- und ausflog, auch um den genauen Standort des gesuchten Hauses zu ermitteln.

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Die Bewohner der Villa Manorossa zuckten zusammen, als der magisch erzeugte Klagelaut eines einzelnen Wolfes durch alle Gänge und Räume scholl. Vor einem Tag noch hatte ein dreistimmiges Klagegeheul den Tod von Enrico Manorossa verkündet. Erneut war jemand gestorben, nicht so wichtig wie der Erstgeborene des Hausvorstehers, aber doch einer von ihnen. Die Wächter prüften nach, wer von den erfassten Mitstreitern es war. Auf der Tafel der Gefallenen prangte in blutroter Leuchtschrift: "Martino Mortedracone - necatus per manum hostilis"

Der in einem schwarzen Samtumhang gekleidete Enzo Manorossa nickte seinem Nachrichtenbringer zu, als dieser die betrübliche Botschaft übergab. "So ist er seinem Onkel einige Stunden später gefolgt. Ich hoffe, sein Tod war ehrenvoller.

"Er hat seinem Bruder hier mentiloquiert, dass er von dem Zwergenfelsen weggeflogen ist und alle zwei Minuten ein kurzes "Bin Unterwegs gesendet, wie wir vereinbart hatten. Aber dann blieb diese Meldung aus, ja und jetzt wissen wir, dass er nicht mehr lebt", sagte der Nachrichtenüberbringer.

"Was hat er seinem Bruder Mauritio noch mitgeteilt?" wollte Enzo Manorossa wissen. "Das der Halbzwerg behauptet, den Mord an deinem Sohn nicht befohlen zu haben, Domine. Ja, und dass er einen Prozess vor dem Rat der zwölf fordert, Domine."

"Ja, und dann schickt er unserem Boten seine eigenen Kämpfer hinterher und lässt ihn umbringen. Es müssen mindestens vier oder fünf sein, um einen Todesspeer der Manorossas zu besiegen. Hoffentlich sind dabei einige in die Vergeltungsfalle getappt. Verzeichnet seinen Namen auf der Liste der ehrenvoll gefallenen Mitstreiter. Ich werde seiner Familie eine großzügige Entschädigung zukommen lassen, wenn ich erst das ganze Halbzwergengold habe", schnaubte Enzo Manorossa. Er freute sich schon auf die Abrechnung mit diesem hinterhältigen, feigen Winzling. Er würde einfach so tun, als habe der Botschafter ihm noch nicht mitgeteilt, dass Mangiapietri vor dem Zwölferrat sprechen wollte. Dann galt der Tod des Boten als Zustimmung oder Ablehnung der bereits getroffenen Entscheidung. Dann konnte der Zwerg seine Sippschaft nur noch mit sehr viel Gold retten.

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25.04.2004

Laurentine Hellersdorf war von Millie zu ihrem zweiundzwanzigsten Geburtstag eingeladen worden. Deshalb hatte sie schon am Morgen das Geburtstagsgeschenk für sie aus der Rue de Liberation 13 mitgebracht. Da sie sich mit der Dorfheilerin Hera Matine für die Mittagspause verabredet hatte konnte sie das kleine Paket bei der Heilerin unterstellen.

Sie hielt die zwei zugeteilten Stunden mit den Viertklässlern ab, denen sie die Rechenmethoden der nichtmagischen Welt und einige Alltagsgerätschaften erklärte. Vor allem die angehendenHexen wollten wissen, wie man ohne Magie wäsche waschen konnte und ob es stimmte, dass die magielosen Frauen und Mädchen sich die Haare mit aus Elektrostrom gemachter heißer Luft trockenbliesen, wenn sie sie gewaschen hatten. So konnte sie zumindest die betreffenden Geräte als Bildillusion vorführen. Einer der Jungen meinte dann, dass "Monsieur Latierre" ihnen im letzten Jahr erklärt habe, dass elektrischer Strom die Drähte, durch die er ging immer heißer machte und wohl die zum Haartrocknen gebrauchte Luft an solchen heißen Drähten vorbeigeblasen wurde. Laurentine bestätigte das und ließ die Innenansicht eines klassischen Haartrockners als sich im Raum schweben, damit alle den Ventilator und die Heizspirale unterscheiden konnten.

"Wie laut ist so'n Fönding?" wollte Josianne Dubois wissen. Das Konnte Laurentine mit einer Geräuschillusion darstellen. "Oha, das ist aber ziemlich laut", meinten Josiannes Kameradinnen. Josianne, die kleine schwarze Locken trug, fragte dann, wie die Frauen und Mädchen bei den Muggeln sich Locken drehen konnten. Das wiederum konnte Laurentine ihr praktisch vorführen. Die Jungen meinten dann: "Mädchenzeugs. Wollten Sie uns auch nicht zeigen, wie ein Feletonierdings oder wie das heißt geht?"

"Ein Telefon, kein Problem, wird auch sehr gerne von Mädchen benutzt und Von Jungen, die sich mit Mädchen unterhalten wollen, die nicht gleich um die nächste Ecke wohnen", griff sie die Kritik an diesem Stundenschwerpunkt auf, um ein weiteres Alltagsgerät der nichtmagischen Welt zu erklären. Hier schaffte sie 100 Jahre Telefonentwicklung in nur einer Viertelstunde unterzubringen, ohne in zu technische Begriffe abzuschweifen.

Sie erkannte nach dem Läuten der Pausenglocke, wie schnell doch die Stunden verflogen, wenn es den Lehrern Spaß machte, was zu erklären und vorzuführen, und vor allem dann, wenn die Schüler interessiert und eifrig mitmachten.

Als es Mittag war und die anderen Lehrer zu ihren Familien gingen, um bis zwei Uhr zu essen, apparierte Laurentine vor dem Haus der residenten Heilerin Hera Matine. Sie zog amdünnen Glockenseil und hörte das melodische Gebimmel im Haus. Geduldig wartete sie, bis ihr die Tür geöffnet wurde.

Hera Matine trug eine hellblaue Küchenschürze mit mehreren kleinen und großen Taschen über ihrer Kleidung. "Schön, du konntest es pünktlich einrichten, Laurentine", sagte die Heilerin und winkte ihre Besucherin herein. Diese roch vorsichtig, was es zu essen gab. Irgendwas mit Paprika, wie ungarisches Gulasch.

"Hast du wem von deinen Kolleginnen und Kollegen gesagt, dass du bei mir bist?" wollte Hera wissen. Laurentine nickte behutsam. "Die wissen, dass ich im Mai in die Staaten will und da wohl einige Vorkehrungen treffen möchte und Sie außer Madame Rossignol und Mildrids Tante Béatrice die einzige Heilerin sind, die ich persönlich kenne."

Da du mich ja als deine magische Vertrauensheilerin erwählen möchtest möchte ich dich erst einmal gründlich untersuchen. Dann essen wir beide was. Dabei können wir darüber sprechen, was du in den Staaten unternehmen möchtest. Anschließend können wir darüber sprechen, welche heilmagischen Vorkehrungen du gegen unerwünschte Vorkommnisse treffen kannst", legte Hera fest, was in den beiden kommenden Stunden geschehen sollte. Laurentine war mit allem einverstanden.

Die junge Lehrerin musste sich in Heras Sprechzimmer ganz frei machen. Sie musste sich sehr beherrschen, nicht zusammenzuzucken oder verschämt dreinzuschauen. Dabei berührte die Heilerin sie nicht mit den Händen. Sie führte viele Untersuchungen mit Zauberstabbewegungen, fast selbsttätig arbeitenden Maßbändern oder ihrem Einblickspiegel aus. Allerdings entnahm sie ihr auch einige Körperflüssigkeiten, um deren Zusammensetzung zu prüfen. Nach zwanzig Minuten sagte Hera: "Wie ich das erkenne bist du kerngesund, hältst deinen Körper sehr gut in Pflege und bist nicht unter-oder überernährt, auch wenn manche junge Dame mit dem wenig Bauchansatz schon hadern könnte. Aber das ist ja auch von Hexe zu Hexe verschieden. Was mein Spezialthema betrifft attestiere ich dir voll funktionsfähige Geschlechtsorgane. Falls du irgendwann eigene Kinder bekommenmöchtest muss wohl nichts unternommen werden, um diese sicher auszutragen und auf die Welt zu bringen. Ich weiß, im Moment planst du weder Ehe noch Familie ein. Aber das gehört nun mal zu meinen Obliegenheiten und auch,einer jungenHexe entsprechende Mitteilungen zu machen", sagte Hera, weil Laurentine dann doch ihr Gesicht verzog. "Außerdemhast du noch genug Zeit. Du musst dich nicht nach Mildrid oder Sandrine beurteilen. Mildrid wuchs mit der Vorstellung auf, dass eine große Hexe eine ist, die auch schon ein oder zwei Kinder geboren hat, und was Sandrine angeht hast du es ja besser als ich mitbekommen müssen, warum sie bereits mit siebzehn Zwillinge bekam. Aber das ist ja auch ein Grund, warum du hier bist. Aber das klären wir dann nach dem Essen. Du darfst jetzt wieder alles anziehen." Laurentine atmete auf, als sie wieder vollständig bekleidet vor der Heilerin stand.

Beide Hexen genossen das Zucchini-Paprika-Gericht mit Geflügelhackfleisch und Langkornreis und die Mousse Au Chocolat mit eingelegten Fruchtstückchen, die die Heilerin zum Nachtisch auf den Tisch brachte. Dabei unterhielten sie sich über Laurentines erste USA-Reisen und dass sie gerne wieder zu ihrer Großmutter mütterlicherseits hin wollte, auch um zu sehen, wie ihre entfernten Verwandten gerade so lebten. Deshalb sollte sie auch ihre sogenannte Legende zusammenfassen, also die für Nichtmagier zurechtgesponnene Geschichte, wie sie bisher gelebt hatte und was sie gerade machte. Dass sie als Lehramtsanwärterin in einer Grundschule in der Provence arbeitete kam der Wahrheit ja sogar sehr nahe, wenngleich sie schon längst keine Anwärterin mehr war. Hera und sie stimmten die weiteren berichtenswerten Sachen dahin ab, dass Laurentine dieses Frühjahr für viele schwanger gewordene Kolleginnen mit aushelfen durfte und so eine Menge mehr Stunden für die vorgeschriebene Stundenzahl zusammenbekommen habe, um gleich im nächsten Schuljahr eine Festanstellung bekommen zu können. Das würde sicher Eindruck machen. Sie erwähnte die langen Flugzeiten und dass sie auch schon einmal mehrere Zwischenstops in New York und Houston in Texas gemacht hatten, um auch mal was von den Zwischenstationen mitzukriegen. Ihr Vater war begeistert von den Fernreisebussen, die da drüben Greyhound, also Windhund genannt wurden und dass er ihr auch mal erzählt hatte, Dass ihre Eltern ihre Hochzeitsreise in einem solchen Gefährt gemacht hatten und jeden Abend in einem anderen Flitterwochenzimmer übernachtet hatten und dann von Los Angeles International über New York nach Frankfurt am Main in Deutschland geflogen seien, um von da aus mit dem Zug über die Grenze nach Vorbach zu reisen.

"Aber diese Flugmaschinen verbrennen doch sehr viel Petroleumderivate, weiß ich von Julius", sagte Hera. Laurentine bejahte es mit gewissem Bedauern und erwähnte auch, dass das wohl in Zukunft noch sehr viel Diskussionsbedarf gebe, ob jemand immer und über all hin mit Düsenflugzeugen verreisen müsse, wegen der begrenzten Erdölvorkommen und wegen des bei der Verbrennung in die Luft abgelassenen Kohlesäuregases, dass die Wärme der Sonne staute und damit die Erde im Ganzen mehr und mehr aufheizen würde, wenn nicht entsprechen viel Kohlesäuregas schluckende Pflanzen gezüchtet oder eben auf die Verbrennungsmaschinen verzichtet wurde, was dann aber hieß, auf gewohnten Komfort und Beweglichkeit verzichten zu müssen. Insofern wusste sie auch nicht, ob bei magischen Reisen nicht auch eine Form von Rückstand entstand, der die Natur irgendwie beeinträchtigen würde.

"Da kenne ich mich nicht so aus. Ich weiß nur, dass die auf die Elementarkräfte bezogenen Zauber aus sehr sehr großen Quellen wie Wind, Feuer, fließendes Wasser und feste Erde beziehen", erwiderte Hera. "Das hast du sicher in den höheren Zauberkunstklassen gelernt, dass dort wo etwas hinbeschworen wird, anderswo etwas neu entstehen muss,um das entstandene Gefälle auszugleichen. Inwieweit dabei etwas unerwünschtes zurückbleibt oder etwas benötigtes immer weniger wird habe ich keine Antwort. Aber seit der umfangreichen Nutzung von reproduzierbaren Zaubern ist meiner Kenntnis nach nichts bekannt geworden, weshalb auf den einen oder anderen Zauber verzichtet werden muss. die drei wirklichen Grenzen der Magie sind Leben und Tod, das gutartiges Zaubern förderlicher ist als Schadenszauber und die Mysterien von Geist und Materie, die noch längst nicht alle enthüllt wurden."

"Ja, und dass Reisen zu anderen Planeten mit reiner Magie noch unwahrscheinlicher sind als bei Reisen mit Raketen", sagte Laurentine. Hera antwortete darauf: "Eben auch weil nicht geklärt werden kann, wie die auf anderen Himmelskörpern wie schon dem Mond bestehenden Gegebenheiten magische Prozesse bedingen oder verhindern. Da es auf dem Mond keine Luft gibt könnten alle auf die Elementarform Luft bezogenen Zauber versagen. Das gleiche gilt für Erdzauber, weil die feste Masse des Mondes kleiner als die der Erde ist. Mit Wasserzaubern dürfte dort überhaupt nichts zu machen sein, falls dafür natürliche Wasservorräte angezapft werden müssen. Das ist dann eben der Grund, warum es keine magische Weltraumfahrt gibt. Abgesehen davon verehren viele Hexenund Zauberer die Himmelskörper als für ihr Leben auf der Erde wichtige Kraftquellen und würden es als Entweihung ansehen, darauf herumzulaufen, ob mitoder ohne Möglichkeit, Zauber darauf zu wirken."

"Wie beim Berg Uluru in Australien oder dem Kailash in Tibet, wo es auch nicht erwünscht ist, ganz hinaufzuklettern", wusste Laurentine. Hera nickte. Was den Uluru anging hatte sie ja gerade im letzten Jahr mehr erfahren, warum dieser Berg für die Ureinwohner so wichtig und heilig war.

Nach dem Essen gingen sie noch einmal in Heras Dauerklangkerker-Sprechzimmer. Dort unterhielten sie sich über magische Empfängnisverhütungsmethoden und was Vita Magica in den letzten Jahren angestellthatte, um kinderlos gebliebene Hexen oder solche, die lange keine Kinder mehr bekommen hatten, zur Empfängnis zu treiben. Laurentine wusste auch, was mit Gérard Dumas passiert war. Sandrine hatte ihr davon erzählt. Hera seufzte. "Auch das ist ein Grund, nach Möglichkeit keine offeneKonfrontation mit diesen Verbrechern zu suchen, wenn du nicht zu den bezahlten Gesetzeshüterinnen gehörst, die diesen Machenschaften entgegenwirken müssen. Mir und den anderen Heilerinnen ist wichtig, dass deren Untaten möglichst keine Früchte tragen oder dass Hexen, die auf diese Weise Mutter werden, mit der ihnen aufgenötigten Belastung und Verantwortung zurechtkommen lernen. Aber wie immer gilt in der Heilkunst, dass Vorbeugung die beste Behandlung ist. Deshalb ist es gut, dass du dich mir anvertraust, damit dir nicht dasselbe widerfährt wie Sandrine und den vielen Hexen hier bei uns."

"Na ja, dieses gemeine Gas hätte mich sicher auch zur ... öhm, ... sehr aktiven Vermehrerin gemacht", wandte Laurentine ein und gab zu, sehr froh zu sein, in den Tagen im Juni nicht in Millemerveilles gewesen zu sein. So ließ sie sich von Hera Zauber und Vorrichtungen zeigen, die auch dann noch eine ungewollte Schwangerschaft verhinderten, wenn die Nutzerin sich einem ihr zugeteilten Befruchter hingeben musste. Laurentine bat offiziell darum, einige dieser Zauber zu erlernen oder die entsprechenden Hilfsmittel zu erwerben. Hera notierte das in ihren anamnesebogen. Dann sprach die Heilerin etwas an, was Laurentine nicht auf der Rechnung hatte.

"Nicht nur wegen Vita Magica, aber nun auch wegen deren Machenschaften, wollen viele Hexenschwesternschaften der hellen und dunklenSeite möglichst viele ihrer Mitschwestern gegen diese kriminelle Bande einsetzen. Die suchen aber auch immer nach neuen Getreuen, besonders mit herausragenden Fähigkeiten. Bei den Töchtern des Meeres im mittel- und nordeuropäischen Raum gelten gute Zaubertrank-, Luft- und Wasserzauberkenntnisse als wichtige Eintrittsbedingungen. Dann weiß ich noch von den Töchtern der nährenden Mutter Erde, die eben gut in Erdzaubern, aber auch Heil- und Schutzzaubern bewandert sind. Ob die Töchter der Hecate, wie sie in den Ländern, wo damals die griechische und römische Kultur vorherrschte jetzt eher den hellen oder den dunklen Künsten zugetan sind weiß ich nicht. Die zwei Gespräche, die ich mit bekennenden Mitgliedern dieser Sororität führen durfte brachten mir da leider keine klare Erkenntnis. Die suchen alle nach Getreuen, aber werben nicht mit Verführung oder gar Bedrohung, wie es die dunklen Schwesternschaften tun." Laurentine nickte. Sie hatte schon eine gewisse Ahnung, worauf das hinauslaufen mochte, wagte aber keine Vermutung.

"Ja, und wie wohl nicht nur ich erfahren musste ist seit schon mehr als einem Jahr eine aus langem Zauberschlaf aufgeweckte dunkle Hexe dabei, ihre alten Ziele neu zu verfolgen und ihre damaligen Vorhaben noch rücksichtsloser zu verwirklichen als damals schon. Du hast sicher schon von ihr gehört oder gelesen, Ladonna Montefiori."

"O ja, habe ich. Millie Latierre hat da auch schon einige Artikel drüber geschrieben, weil klar wurde, dass diese ehemalige Feindin Sardonias wohl die Königin aller Hexen sein will." Hera nickte. "Und dann gibt's auch noch diesen Spinnenorden, der auch von einer selbsternannten Wiederkehrerin geführt werden soll. Und sie glauben, die könnten mich für sich einspannen wollen, mit oder ohne Imperius-Fluch?"

"Auf den Punkt", erwiderte Hera erleichtert, nicht noch länger um den brodelnden Kessel herumschleichen zu müssen. "Du hast einen exzellenten Abschluss in Beauxbatons erreicht, trotz oder vielleicht auch wegen der ersten drei Schuljahre. Du hast eine außergewöhnliche Abstimmung mit deinem Zauberstab, die nur eine von tausend Hexen erreichen kann und hast das trimagische Turnier gegen eine Mitbewerberin gewonnen, die von ihrer Großmutter her schon sehr gute Kampf- und Beeinflussungszauber erlernt hat. Wärest du Pflegehelferin gewesen wie Sandrine, Mildrid und Julius hätte meine Zunftsprecherin Antoinette Eauvive dich ganz sicher für unseren Berufsstand geworben, genauso wie das Zaubereiministerium dich umworben hat." Laurentine nickte verdrossen und verzog kurz ihr Gesicht. "Ja, ich kenne den Vorfall, der dich dazu bewogen hat, die begonnene Ministeriumslaufbahn vorzeitig zu beenden und stimme dir zu, was deine Gewissensnot betrifft. Ich wollte nur erwähnen, dass gerade die dunklenHexenorden oder auch solche, die aus Zauberern und Hexen bestehen, darauf verfallen könnten, dich in ihre Reihen einzugliedern, ob mit oder ohne magischen Zwang. Es könnte dir auch geschehen, dass diese Ladonna Montefiori eine Situation schafft, in der du nur die Wahl hast, geliebte Menschen zu verlieren oder dich dieser machtsüchtigen Hybridin anzuschließen."

"Öhm, Hybridin. Ist sie keine reinrassige Menschenfrau?" wollte Laurentine wissen. Hera nickte heftig und erwähnte, was sie von Catherine Brickston und Julius erfahren hatte. "Ui, dann kann die mit den Liedern von Waldfrauen und Veelas gepaart mit der wohl möglichen Veela-Aura und vielleicht mit ihren Körperflüssigkeiten wie eine Waldfrau Leute unterwerfen oder zu Sachen treiben, die die bei freiem Verstandund Willen nicht machen würden. Öhm, verstehe. Kann ich mich vor sowas schützen?"

"Sagen wir mal, die Veelakräfte wirken auf männliche Menschen zwischen zwölf und hundert Lebensjahren stärker als auf weibliche Menschen. Du hast ja Fleur Delacour und ihre Schwester Gabrielle miterlebt. Wie hast du dich in deren Nähe gefühlt?"

"Immer irgendwie gestresst, zwischen Gefühlen wie Ablehnung, Neid, aber irgendwie auch Bewunderung und, öhm, hingezogenheit, voll zwischen den Stühlen halt. Ich musste mich immer total beherrschen, wenn Gabrielle mich angelächelt hat, weil sie wollte, dass ich nicht so streng mit ihr bin, wie ich da gerade sein musste."

"Hingezogenheit?-" fragte Hera Matine. Laurentine erkannte, was sie da gerade offenbarte und errötete an den Ohren. "Öhm, die anderen Mädchen fühlten bei Fleur oder Gabrielle nur starke Ablehnung und den Drang, sie aus ihrem Sichtbereich rauszuhalten, weiß ich von meinen Klassenkameradinnen aus dem Violetten und grünen Saal. Aber bei mir war in Gabrielles Nähe auch immer sowas wie Bewunderung und eben auch Hingezogenheit dabei, je älter und fraulicher sie wurde. Öhm, hoffentlich verstehen Sie mich da nicht falsch."

"Das kann ich nur dann klar bewerten, wenn du mir sagst, wie ich es richtig verstehen soll und ob ich das schon die ganze Zeit so verstanden habe", erwiderte Hera. Dann erkannte sie wohl Laurentines augenblickliches Problem. "Ich habe dir ja vorhin bei der Erstuntersuchung gesagt, dass alles, was zwischen mir und meinen Patienten geschieht oder gesagt wird ganz diskret behandelt wird. Oder um es noch deutlicher zu sagen, was in meinem Sprechzimmer gesprochen oder enthüllt wird bleibt solange in meinem Sprechzimmer oder meinem mit Schutzzaubern versehenen Aktenschrank, bis der Patient oder die Patientin mich ausdrücklich, bestenfalls schriftlich, darum bittet, es anderen weiterzugeben oder ich im Rahmen des Mitteilungsrechtes bei direkten Angehörigen erzählen muss, um den Patienten oder die Patientin wieder gesund zu bekommen. Wenn mir eine schwangere Hexe sagt, dass sie allein bestimmen will, wer wann von ihrer Schwangerschaft weiß, dann gilt das für mich als Verpflichtung. Also, was von dem, was du mir gerade gesagt hast möchte ich bitte wie verstehen?"

Laurentine atmete mehrmals ein und aus und deutete dann um sich herum. "Gut, wenn das alles in diesem Raum bleibt, solange ich das nicht ausdrücklich erzählen will, möchte ich ich Ihnen, sofern wir noch Zeit haben, kurz erzählen, was ich bisher an mir selbst mitbekommen habe", hob sie zu erzählen an. Danach berichtete sie Hera von merkwürdig anregenden Träumen, ihren ersten Partnerschaftsexperiementen mit Gaston Perignon und der dritten Runde des trimagischen Turniers, vor allem der zweiten Stufe auf dem Weg zum Siegerpokal. "ich habe es immer wieder von mir gewiesen, dass ich eher gleichgeschlechtlich ausgerichtet sein könnte, auch wenn ich schon diesen Traum hatte, den ich Ihnen gerade erzählt habe. Diese verdammten Traumfladen haben den wohl aus meinem Unterbewusstsein gelesen und gemeint, den steigern zu müssen. Aber wenn ich heute, nachdem ich keine Teenagerin, öhm, Halbwüchsige mehr bin, nachdenke, bin ich nicht mehr so sicher, was genau ich geschlechtlich begehre oder nicht. Vielleicht war das damals einfach so früh vorbei, bevor ich das wusste und mich damit auseinandersetzen musste, abgesehen davon, dass ich da sowieso keine Chance bekommen hätte."

"Wenn du jetzt meinst, ich als alteingesessene Dorfheilerin sei noch im vorletzten Jahrhundert zu hause möchte ich dich beruhigen, dass dem nicht so ist, zumal ich auch schon Hexen kennenlernte, die insgeheim oder ganz offen homophil gelebt haben und auch solche, die sich mit Männern der Kindszeugung wegen zusammentaten, aber in Wirklichkeit eine Hexe liebten und mit dieser zusammenlebten. Außerdem gab und gibt es unterschiedliche Berichte von homophilen Hexen, die nach einer von einem Mann erfolgten Zeugung ihr Ungeborenes in den Leib ihrer Partnerin übertragen ließen, um diese zur leiblichen Mutter werden zu lassen. Und jetzt kommen wir wieder zu Ladonna Montefiori zurück: Nachdem sie wieder da ist haben meine Kolleginnen und ich alle über sie erstellten Berichte sortiert und auf Echtheit und Dichtung geprüft. Es ist ziemlich sicher, dass sie keinen leiblichen Vater, aber dafür zwei Mütter hat, die einen uns Heilern bis heute unbekannten Zauber nutzten, um zweimal aus je einem fruchtbaren Ei eine gemeinsame Tochter zu erzeugen, wobei einmal die eine und beim zweitenmal die andere die Mutter einer solchen Tochter wurde. Ladonna war soweit ich es nachprüfen konnte die Zweitgeborene. Deshalb ist sie als Hybridin ja noch stärker als eine andere Veelastämmige wie Fleur oder Gabrielle. Ja, und sie könnte somit auch versuchen, sich Frauen gefügig zu machen, die ihren Reizen nicht so ablehnend gegenüberstehen."

"Oha. Öhm, wieder die Frage, was mache ich, damit mich dieses Weib oder diese Spinnenhexe nicht shanghait, also in ihre Reihen reinholt, ohne dass ich das will?"

"Was heilmagisch getan werden kann, immer genug Contramorosus-Trank mitführen und rechtzeitig daran denken, ihn einzunehmen. Doch ich fürchte, das wird nicht reichen. Es ist sicher günstig, mit einer Kundigen der hellen und dunklen Künste zu sprechen, die nicht nur Heilzauber, sondern auch höhere Schutzzauber beherrscht und sie privat und unter Einhaltung höchster Diskretion unterrichtet. Meine Nichte Louiselle Beaumont in Avignon unterrichtet ausgewählte Schülerinnen in höherer Zauberkunst und Abwehr von Fernangriffen, die in Beauxbatons nicht unterrichtet wurden, wegen der dortigen Absicherungen. Das heißt aber auch, dass sie nicht in einem vom Sanctuafugium-Zauber geschützten bereich unterrichten kann, weil der gegen Lebewesen wirkende Zauber unterbindet. Deshalb kann Catherine Brickston diese Aufgabe nicht übernehmen, sofern sie überhaupt Zeit hat, neben ihrer sehr wichtigen Arbeit."

"Klingt irgendwie doch nach schweigsamer Schwester", entglitt es Laurentine. Hera Matine verzog keine Miene. Sie sagte nur: "Natürlich hast du auch von denen gehört. Aber das kommt ja nie ans Licht der Öffentlichkeit, wer dazugehörtund wie die meisten Mitglieder gesinnt sind. Deshalb kann ich als Heilerin da auch nicht mehr zu sagen, als was in den betreffendenBüchern oder Berichten vermutet wird." Laurentine nickte. "Und was meine Nichte Louiselle angeht, so gehört sie genauso wie Catherine Brickston zur Liga gegen dunkle Künste, zumindest kann ich das mit sicherheit sagen."

"Oh, heißt das dann nicht, dass wer von ihr Ligawissen lernt, auch selbst dort eintreten soll?" fragte Laurentine. Sowas hatte sie von Julius gehört und dass die Heilerzunft nicht sonderlich gut auf diese Gruppe von außerministeriellen Abwehrzauberexperten zu sprechen war. Hera erwähnte, dass sie, Laurentine, eh schon auf der möglichen Kandidatenliste der Liga stehen mochte, genauso wie auf der Wunschliste der Spinnen- oder der Feuerrosenschwestern. Geh bitte unbedingt davon aus, dass Ladonna und die Spinnenhexe bereits sehr gut über dich und mich bescheid wissende Hexen in ihren Reihen haben und du bisher nur deshalb unbehelligt geblieben bist, weil du in Catherines geschütztem Haus wohnst und von dort aus meistens per Flohpulver nach Millemerveilles gereist bist, wo damals keine dunkle Hexe hineinkonnte und seit dem 30. August 2003 wohl auch keine dunkle Hexe mehr hineinkommt. Aber wenn du wirklich mehrere Wochen Urlaub weit ab von diesen beiden geschützten Räumen machen möchtest - ich will dir keine Angst machen, sondern nur als Heilerin helfen, nicht körperlich und geistig verletzt oder zerstört zu werden - dann könnten solche Dunkelschwestern finden, dass sie doch mal nachforschen können, ob du nicht bei einer von ihnen mitmachen möchtest.""

"Ja, verstehe", sagte Laurentine und verstand nun wirklich. Deshalb hatte Hera darauf hingewirkt, dass sie sich mit ihr mal ungestört unterhielt, ohne dass andere davon mitbekamen oder zumindest nichts dabei fanden, weil sie sich eben eine ausgebildete Heilmagierin gesucht hatte, auch und vor allem wegen Vita Magica.

"Kann ich Madame oder Mademoiselle Beaumont per Eule erreichen oder wie läuft das ab?"

"Ichkann, wenn du mich ausdrücklich darum bittest, eine Eule zu ihr schicken, weil sie gerne mit Leuten zu tun hat, die wen kennen, der sie vollstens vertraut, dich also sozusagen annmelden. Sie wird dir dann wohl eine Eule schicken, die eine magisch und schriftlich verschlüsselte Botschaft überbringt, meistens eine Art Rätsel. Mit dessen Lösung hast du dann auch die Antwort, wo du sie treffen oder wie du sie erreichen kannst, um ihr zu sagen, dass du bei ihr lernen möchtest. Soweit ich weiß bemisst sie für ihre Stunden keinen Goldbetrag, sondern lässt sich von ihren Einzelschülerinnen anspruchsvolle magische Gegenstände anfertigen, die eigene Erfindungen sein können aber nicht sein müssen, wenn du dabeischreibst, wer es eigentlich erfunden hat. Das sieht sie dann auch als Lehrstücke und Gesellinnenstücke."

"Gut, in Zauberkunst war ich ja auch sehr gut. Aber in Verwandlung und Abwehrzaubern war ich noch besser", sagte Laurentine. "Öhm, darf die dann auch meine ZAG-Noten kennen?"

"Falls du das nicht willst muss sie das nicht wissen. Es kann euch beiden aber helfen, wenn sie weiß, wo sie bei dir ansetzen kann", erwiderte Hera Matine. Laurentine wiegte den Kopf. Dann nickte sie. Sie blickte auf ihre kleine Weltzeit-Armbanduhr und sagte dann: "Ich bitte Sie darum, bei Ihrer Nichte Louiselle Beaumont anzufragen, ob sie bereit ist und Zeit hat, mir Abwehrzauber gegen wirklich dunkle Hexen beizubringen."

"ich bin Heilerin, deshalb muss ich erwähnen, dass solche Übungen dir auch Zauber vermitteln können, mit denen du anderen Menschen schwere Verletzungenzufügen oder sie geistig verwirren kannst. Doch ich sehe gerade wegen deines Grundes, nicht mehr im Ministerium zu arbeiten, dass du nicht von dir aus andere Mitmenschen dauerhaft schädigen willst. Aber ich musste das sagen, um meiner Verantwortung gerecht zu werden und dir zu vermitteln, auf welchen verworrenen Pfad du dich begibst, wenn du das nur wenigen gewährte Angebot meiner Nichte annehmen möchtest. Falls du jetzt immer noch darum bitten möchtest wiederhole deine Bitte!"

"Ich, Laurentine Hellersdorf, bitte Sie, heilerin Hera Matine darum, Ihre zauberkundige Nichte Luiselle Beaumont darum zu bitten, mich als ihre Einzelschülerin für Zauber gegen dunkles Hexenwerk anzunehmen, sofern mir ihre Bedingungen zusagen", wiederholte Laurentine ihre Bitte. Hera Matine nickte und sagte ebenso offiziell klingend: "Ich, Hera Diane Matine, Ihre Vertrauensheilerin, Mademoiselle Laurentine Hellersdorf, nehme Ihre Bitte an und werde sie so schnell es mir möglich ist befolgen." Es vergingen ganze zehn Sekunden ohne weiteres Wort. Dann sagte Hera mit einem großmütterlichen Lächeln: "Ich merke doch, dass du mal eine gewisse Zeit im Zaubereiministerium gearbeitet hast. So spontan eine offizielle Anfrage auszusprechen kommt nicht von ungefähr."

"Na ja, ich muss mich ja auch immer mal wieder mit der Ausbildungsabteilung auseinandersetzen, inwieweit meine Auslegung des Lehrplans für Grundschülerinnen und Grundschüler mit magischer Begabung den gewünschten Voraussetzungen entspricht oder ich nicht vielleicht hier oder dort mehr Wert auf rein magische Anforderungen legen soll, beispielsweise weniger rechnen, dafür mehr Zeichnen von Figuren, die in der Thaumaturgie irgendwann mal wichtig werden. Haben Sie schon mal mit Monsieur Descartes zu tun gehabt?" fragte Laurentine, auch um die Verlegenheit zu überspielen, weil Hera sie immer noch für eine Beamtin hielt.

"Als in Millemerveilles residente Hebamme bin ich auch für Familienstandsmitteilungen zuständig und durfte mit seinen untergeordneten Beamten manche Eule austauschen. Mit ihm selbst hatte ich nur vor bis unmittelbar nach seiner Geburt zu tun. Aber mehr darf ich darüber nicht sagen." Laurentine begriff und erwiderte, nicht indiskret sein zu wollen. "Aber der macht seinem Vornamen echt ehre, wenn er schreibt", sagte sie noch.

"Das will ich doch mal hoffen. Immerhin interessiert eine Hebamme immer, ob das von ihr auf die Welt geholte Kind sich gut entwickelt hat", erwiderte Hera. Laurentine sah sie deshalb nun ganz verlegen an. Denn sie dachte an Claire und dass Hera Matine ihr auch auf die Welt geholfen hatte. Doch sie wollte es nicht laut aussprechen, nicht daran rühren, keinen schlafenden Drachen kitzeln.

"So, dann gebe ich dir mal eine kleine Flasche vom Contramorosus-Trank mit, für den Fall, dass du doch in den Wirkungsbereich dieses vertückten Gases gerätst."

"Gibt es da noch nichts anderes gegen?" fragte Laurentine.

"Noch nicht, aber es wird natürlich mit Hochgeschwindigkeit daran gearbeitet. Immerhin konnten wir ja nach dem Anschlag auf Millemerveilles die Zusammensetzung bestimmen und thaumaturgische Abwehrmaßnahmen entwickeln. Wir hoffen, bis zur Neuauflage der Quidditchweltmeisterschaft eine probate Abwehrmixtur zur Hand zu haben, die bei neuen Angriffen mit diesem Mittel freigesetzt werden kann, um es zu neutralisieren." Laurentine verstand und wünschte den Heilern und Thaumaturgen viel Erfolg.

Mit dem Contramorosus-Trank, der unbändige Lust und Fortpflanzungsbedürfnisse niederhalten konnte und mit dem kleinen Geschenkpaket für Millie verließ Laurentine das Haus der magischen Heilerin.

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Morgen war der Tag, an dem die dunkle Welle über die Welt gebraust war, wusste Vespasiano Mangiapietri. Bis spätestens morgenmochte sich auch entscheiden, ob die drei anderen Hausvorsteher seine Forderung nach einem ordentlichen Gerichtsprozess annahmen oder auf die Ausführung des in Abwesenheit gefällten Schnellurteils beharrten. Auch wenn er vor allem wenn er bei Lavinia war so tat, als sei im Moment nichts schlimmes in Sicht, mochte sie doch mit ihrem besonderen Spürsinn mitbekommen, dass er sich belauert oder unmittelbar bedroht fühlte. So wunderte es ihn nicht, als sie ihn nach dem Abendessen fragte: "Hast du noch keine Rückmeldung, ob sie dich noch einmal anhören wollen oder nicht?" Er sagte, dass er spätestens morgen was hören müsse. Doch mehr wollte er nicht sagen. Das jedoch machte Lavinia erst recht neugierig.

"Falls sie dich nicht vor den Rat rufen, gilt dann diese alte Sache mit der Blutfehde, also dass Manorossa das Recht hat, unsere Familie anzugreifen?"

"Wenn Sie mir den Prozess verweigern gilt, dass unsere Familie bei denen keine Rechte mehr hat, es sei denn, ... ich bringe denen ein von denen gefordertes Opfer und zahle eine Menge Gold, damit die anderen unbehelligt und wieder in allen Ehren weiterleben dürfen. Beides ist mir zu wider."

"Ein Opfer? Welches Opfer genau, Ves?" wollte Lavinia wissen. Er seufzte und versuchte, ihrem Blick auszuweichen. Doch es gelang nicht. Zwar hielt er seinen Geist so gut er konnte verhüllt, doch genau das spornte die Hexe noch mehr an, die seine fünf Kinder geboren hatte. "Los, sag's mir!" schleuderte sie ihm entgegen. Er wünschte sich, er könne sie mit einem Schweigezauber oder dem Schockzauber niederstrecken. Doch dann würden seine Wachen hereinstürmen und fragen, warum hier ein Kampfzauber ausgeführt wurde. Sicher, er könnte auch einen seiner für Feinde unsichtbaren Dolche ziehen und ihn nach ihr werfen. Doch das würde ihm womöglich noch mehr Ärger mit der Nuvolebianche-Sippe einbringen. Denn eine andere alte Regel sagte, dass ein Mitglied der Lupi Romani die Frau, die er heiratete mit seinem Leben zu schützen hatte und sie nur töten durfte, wenn sie ihn mit Gift, Waffe oder Zauberwerk zu ermorden trachtete. Ihn auszufragen gehörte nicht zu diesen drei Gründen, seine Frau umzubringen. "Wollen Sie dich töten oder auch die Jungen?" stellte Lavinia ihm eine ganz klare Frage. Er atmete mehrmals durch und erzählte ihr dann, was die drei hohen Herren in seiner Abwesenheit über ihn beschlossen hatten, um seine Familie zu schützen und die angeblich von ihm verübte Bluttat zu sühnen.

"Das glaube ich aber nicht, dass Valerio und Vincenzo umgebracht werden, nur damit dieser Rotbart seine Vergeltung bekommt. Auch brauchen Varo und die Mädchen dich noch als beschützenden Vater. Also hast du dich auch nicht köpfen zu lassen."

"Die alten Gesetze sagen, wenn eine schwere Bluttat begangen wurde muss der Täter mit eigenem Blut dafür einstehen. Wenn es ein Hausvorsteher ist wird er enthauptet, ein mittlerer Krieger wird von seinen Kameraden erschlagen, ein niderer Knecht gekreuzigt. Ja, und Versager können von ihrem Dienstherren den Befehl zur Selbsttötung bekommen. So sind die uralten Bräuche, die schon im großen Reich geschaffen wurden."

"Sehr zeitgemäß und vor allem menschenfreundlich, diese Gesetze", knurrte Lavinia. "Warum nicht gleich bis zum Tode foltern oder mit dem Todesfluch umbringen?" fragte sie mit unüberhörbarem Sarkasmus.

"Weil ein Verstoß gegen die alten Gesetze nicht dadurch geehrt werden darf, dass er mit Magie geahndet wird, sondern mit nichtmagischen Mitteln. Das stellt den Bestraften sozusagen den nichtmagischen Untätern gleich", grummelte Vespasiano.

"Und wenn du dich weigerst, dich köpfen zu lassen? Oder wenn ich den beiden Jungen verbiete, sich für dich die Köpfe abhauen zu lassen? Was dann?" setzte Lavinia ihre Befragung fort.

"Dann sind alle männlichen Mitglieder der betreffenden Familie geächtet und dürfen von den Mitgliedern anderer Familien getötet werden. Meistens aber läuft es dann auf eine Blutfehde hinaus, die nur beendet werden kann, wenn entweder die eine Familie restlos ausgelöscht ist oder eine Familie der anderen mindestens soviel Gold gibt, wie ihre verbliebenen Mitglieder auf die große Waage des Ausgleichs bringen."

"Mindestens?" griff Lavinia ein Wort aus der Antwort auf. "Ja, der sich auszahlen lassen will kann ein Vielfaches des Gewichtes festlegen, um die Blutfehde für beendet anzuerkennen. Die letzte Fehde wurde 1930 durch Zahlung von einhunderttausend römischen Pfund in purem Gold abgewendet, bevor jemand gestorben war.Hätte sie stattgefunden, öhm, die Witwen und Waisen der die Fehde verursachenden Familie hätten dann von der anderen Familie adoptiert beziehungsweise an rangniedere Verwandte der anderen Familie weiterverheiratet werden dürfen, um die Ehre der verfehdeten Häuser wiederherzustellen."

"Hallo, das wüsste ich aber, dass ich nach deinem Tod und dem unserer drei Söhne einen von Manorossas niederen Handlangern zu heiraten habe und dem auch noch zu Willen sein soll. Welche Hexe macht sowas freiwillig mit?"

"Keine", erwiderte Vespasiano. "Die kriegen alle ein Fügsamkeitshalsband um, das bei Aufbegehren Schmerzen erzeugt und bei der wörtlichen Verweigerung von Anweisungen und Forderungen Schmerzenund Angstgefühle erzeugt."

"Jetzt sag mir ja nicht, dass wir solche Hexenfolterbänder hierhaben!" zischte Lavinia. Vespasiano nickte und sagte: "Wie du möchtest, ich sage es dir nicht."

"Das ist doch nicht wahr", entrüstete sich Lavinia. "Sind wir Hexen für euch nur Anschauungs- und Gebärsklavinnen in eurem hyperpatriarchialischen Weltbild?"

"Jetzt ist aber genug. Du lebst gut und reichlich von dem, was diese alten Regeln dir ermöglicht haben, auch schon, wo du noch bei deinem Onkel gewohnt hast. Hättest du dem auch diese Frage gestellt?"

"Ja, aber dann hätte er mir wohl so ein Sklavinnenhalsband umgeschnürt, nehme ich an. Wundert mich dann sowieso, dass er es zugelassen hat, dass ich mir meinen Mann selbst aussuchen durfte. Oder hat dein Vater ihm für mich Gold bezahlt? Ach, frage ich besser nicht. Ich will diese Nacht noch schlafen. Aber damit ich nicht von einem kopflosen Ehemann oder von kopflos aus meinem Schoß herausdrängenden Kindern träumen muss nur so viel, mein kleiner großer Hausherr: Wenn das nicht stimmt, dass du den ersten Sohn von Manorossa hast umbringen lassen, dann lässt du dich auch nicht köpfen, und auch nicht die beiden Großen. Du redest mit meinem Onkel und mit dem Feuerbändiger, was genau Manorossa denen erzählt oder vorgelegt hat und verlangst eine Wahrheitsprobe mit oder ohne den dabeisitzenden Rat. Du schickst sofort zwei Botschafter los und ... Glotz mich ja nicht so verächtlich an. Was die zwei Jungen angeht, habe ich mitzureden, ob sie weiterleben sollen oder sich für eure fragwürdige, überalterte Ehre umbringen lassen müssen. Also, du schickst je einen Boten zu den Fulminicaldis und den Nuvolebianches und fragst die, ob sie schon was wegen eines Gerichtsprozesses entschieden haben. Falls nicht, weil Manorossa ihnen das nicht weitergemeldet hat, dann sollen sie in deinem Namen einen solchen fordern, allein schon, damit deine unschuldigen Söhne nicht wegen einer Lüge sterben müssen oder die ganze Familie wegen einer Lüge ausgelöscht wird. Wenn mein Onkel Gold von dir haben will, damit dieser Prozess stattfindet, dann soll er es kriegen. Das gleiche gilt für Fulminicaldi. So, mach das!"

"Was fällt dir ein, Weib?" ereiferte sich Vespasiano und dachte wohl daran, ob er seiner Frau nicht doch so ein Fügsamkeitshalsband umschnüren sollte. Doch dann würden alle sehen, dass er seine Frau nicht mehr anders unter Kontrolle hatte und es ihm als Schwächeeingeständnis auslegen. Ja, und leider hatte sie ja recht. Wenn er noch länger wartete hatte Manorossa noch mehr zeit, gegen ihn und seine Familie zu hetzen. Sie sah ihn nur auffordernd bis ungeduldig an. Er sprang auf und stampfte mit jedem Fuß einmal auf, dass der Boden wild erzitterte. Dann sagte er: "Damit du mich endlich in Ruhe lässt und ich den nötigen Schlaf kriege, um für alles wach genug zu sein." Er huschte nach links und lief zur schalldichtenTür. Eine Sekunde später war er hindurch.

Lavinia wusste, dass sie nicht so einfach in die für die Männer reservierten Trakte hineinkam, weil da eine magische Wand war, die nur Männer durchließ. Doch er würde mindestens fünf Minuten brauchen, um seine Boten aufzuwecken und zu beauftragen. Die Zeit wollte sie nutzen. Denn ihr waren zwei Sachen wichtig: Was passieren würde, wenn die anderen doch auf die Hinrichtung bestanden und wohin sie ihre Söhne bringen konnte, wenn es sein musste mit Hexenzauberkraft. Da fiel ihr ein, dass Vespasiano nur einmal behauptet hatte, dass seine Großmutter mütterlicherseits noch irgendwo in Europa lebte, womöglich in Frankreich. Aber sie wusste nicht, wwie sie hieß und wo genau sie wohnte. Ja, ihr Plan stand fest. Sie würde nicht zulassen, dass ihre Söhne getötet wurden, nicht für so eine höchst fragwürdige Art von Ehre. Und was nützte es, Gold wie Sand am Meer zu haben. Ihr Onkel Albano hatte immer gesagt: "Ein Fingerhut vergossenes Blut wiegt mehr als tausend Pfund Gold." Deshalb hatte ihr Onkel sie diesen Viertelzwerg heiraten lassen, um durch Vermischung der Blutlinien Frieden zu schaffen. Ob das die richtige Vorgehensweise war konnte bei diesem gerade erfragten Ehrenkodex sehr fraglich sein.

Als Vespasiano wieder zurückkam hatte sie ihm und sich noch einen Schlaftrunk eingeschenkt. Er blickte etwas misstrauisch auf die beiden vollen Goldkelche. "Na, wolltest du mir noch was unterjubeln, um mich den nächsten Tag verschlafen zu lassen, damit ich keinen Unsinn anstellen kann, Lavinia?" fragte er etwas abschätzig.

"Nein, das ist ein von meiner Großmutter ererbter Nachttrunk, der das heruntergebrannte Feuer der Leidenschaft bei älteren Ehepaaren wieder auflodern lässt, wenn du verstehst, was ich meine."

"Ja, neh. Dann ist ja in beiden das gleiche Zeug drin, richtig?" Sie nickte. "Dann tauschen wir die Kelche und du trinkst zuerst." Sie nickte wieder und befolgte diese Aufforderung. Sie leerte den ihr zugewiesenen Kelch bis zum letzten Tropfen. "Und, wann genau soll dieses "alte Feuer" wieder richtig lodern?" fragte er. "Wenn beide Partner davon getrunken haben. Es ist ein Trank des Gleichklangs", erwiderte sie, jedoch schon mit einer eher angeregten Stimme. Sie lächelte ihn an und blickte ihn mit einer lange nicht mehr gesehenen Begierde an. Er überlegte kurz. Wenn er in fünf Tagen starb, dann wollte er es vorher noch einmal so richtig doll mit ihr tun. Ja, vielleicht war es genau das, was auch sie ihm geben wollte und dann eben mit Hexenkunst nachhelfen musste,um es auch wirklich für beide zum ganz großen Erlebnis zu machen. So nahm er seinen Kelch, während sie schon merklich tief ein- und ausatmete und ihre Beine ungeduldig auseinander und wieder zusammenruckten. Er stürzte den Inhalt des Kelches mit Ungeduld und Neugier hinunter. Das Zeug schmeckte sogar, besser als jeder Wein und wärmte sogar gut durch. Ja, er fühlte schon eine alte, lange nicht mehr erlebte Regung. Ja, das war schön, das war richtig herrlich!!

nur drei Minuten später waren beide in ihrem breiten, mit Seidenlaken bezogenen Bett und gaben sich dem hin, was in gehobenen Kreisen eheliche Pflichten genannt wurde. Er dachte einen Moment daran, dass mit so einem Zeug in Gasform auch die Babymacher die Vollidioten bei der Quidditchweltmeisterschaft berauscht hatten. Doch dann gab es nur noch sie und ihn. "Teile alles mit mir. Nimm mich!" ächzte Lavinia, während er mit ihr die nächste Nähe fand. Er nahm sie, doch er teilte auch mit ihr. Vor allem musste er daran denken, dass sein Vater es ähnlich mit seiner Mutter Elora erlebt hatte, was er jetzt erlebte. Er stellte sich vor, dass er bei einer ähnlich herrlichen Sache entstanden war. Dann glitten seine Gedanken noch weiter zurück und ließen ihn phantasieren, dass auch seine reinzwergische Großmutter Lutetia Arno einmal solche herrlichen Minuten erlebt hatte. Er sah ihr Bild, wie er es auf dem kleinen Zaubererweltfoto kannte, dass er in seinem aus mit Zwergenzauber gehärtetem Stahltresor aufbewahrte. Während sein Körper weiter die lustanregenden Bewegungen ausführte dachte er daran, wie seine Großmutter erzählte, wo sie wohnte, in einem kleinen, gut gesicherten Haus bei Nantes, seitdem sie mit Ihrem französischen Mann zusammen war. Dann sah er nur noch in die Augen seiner Frau, fühlte ihren Körper heiß an seinem, nahm sieund gab von sich selbst was beide wollten.

Tatsächlich schafften sie drei ganze Runden. Doch dann war er so müde, dass er ohne Übergang einschlief.

Lavinia hielt sich wach. Die Wirkung ihres besonderen Trankes würde gleich nachlassen. Sie musste die in sich aufgenommenen Bilder genau ordnen, sich einprägen und vor allem die Namen und Orte behalten. Sie stand mit einem gewissen Schwindelgefühl auf und ging barfuß in ihren eigenen Rückzugsraum, wo sie auch Schreibzeug hatte. Sie schrieb sich alle erhaltenen Namen und Orte auf. Allerdings hatte sie nur jene Erinnerungen von ihrem Mann übernommen, die mit Zeugung, Geburt und Elternschaft zu tun hatten. Vielleicht war es auch besser so, dass sie noch nicht wissen wollte, was ihr Mann ihr so alles verheimlicht hatte. Jedenfalls würde sie dann, wenn er mit seinen Männern zusammensaß, eine Zusammenkunft der Ehefrauen, Mütter und Schwestern einberufen, angeblich wegen der ihnen gnädigerweise zugeteilten Haushaltsführungsaufgaben. Doch diesmal würde sie etwas anderes mit ihnen besprechen, wenn die Männer für sich waren und ihnen nicht zuhörten.

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26.04.2004

Sie genoss diese Nacht. Heute vor einem Jahr hatte sie den siebenarmigen Blutfürsten besiegt. Gut, dessen Vernichtung hatte irgendwie diese mächtige Welle dunkler Magie über die Welt brausen lassen und damit auch ihr gewisse Probleme bereitet. Aber heute wollte sie es genießen, mit ihrem neuen, für nur zwei Nächte gesicherten Liebhaber. Der hatte vor fünf Stunden noch nicht gewusst, dass er diese Nacht mit ihr, der wahren Hexenkönigin, verbringen würde. Wenn sie ihn von ihren Reizen und Gaben abhängig gemacht haben würde, wollte sie alles von ihm erfahren, was er über die Sippe wusste, aus der er stammte. Sein Name war Marcello Nuvolebianche.

Nach fünf Stunden, die für ihn wie ein besonders leidenschaftlicher Traum waren und für sie eine Mischung aus Vergnügen, Verachtung aber doch auch Triumph, hatte sie ihn soweit. Sein Leib war aus der tödlichen Schlinge des Verratsunterdrückungs- und Selbstmordfluches befreit, nur um durch ihre losgelösten und bezauberten Hare neu gefesselt zu sein. Sein Geist und seine Seele waren durch ihre Ausstrahlung und das süße Gift im Speichel einer Waldfrauen-Nachfahrin ihrem Willen unterworfen. So verhörte sie den von ihr unterworfenen und ließ alles was er sagte von einer Schreibe-Feder notieren. Zwar hatte er keinen direkten Zugang zu den Vereinbarungen seines Onkels mit den drei anderen. Doch er hatte erfahren, dass die Mangiapietris wegen einer verwerflichen Tat in Ungnade gefallen waren und es für den halbzwergischen Hausvorsteher wortwörtlich um seinen Kopf und für seine Familienmitglieder nach der Devise Gold oder Leben gehen sollte. Das behagte der Rosenkönigin sehr. Er erwähnte auch, dass seine Cousine Lavinia sich geweigert habe, in den Turm der Nuvolebianches zurückzukehren und alles im Stich zu lassen, was sie über dreißig Jahre lang mit aufgebaut hatte. Solange ihr Mann noch lebte und sein Haus bestand konnte ihr Onkel ihr auch keine Befehle geben. Nur, wenn sie zu ihm zurückkam und ihren Mädchennamen wieder annahm konnte er sie wieder befehligen. Sie fragte ihn, ob er wisse, ob sein Onkel sie einfordern könne, wenn das Haus Mangiapietri fallen und vergehen mochte. Er antwortete wie in Trance, dass sie dann eine Hauslose war. Wenn kein anderes Haus sie adoptierte oder ihre ursprüngliche Familie sie wieder auffnahm konnte sie zu Wonnediensten in einem der dunklen Lusthäuser der vier Familien gezwungen werden, mit Fügsamkeitstränken und für andere unsichtbaren Schmerzbändern um ihrem Hals. Ladonna lachte laut, als sie das hörte. Also hatte doch jemand gewagt, ihre ganz eigene Erfindung zu benutzen, um aufsässige Hexen und Zauberer auch ohne ihre Betörungsmöglichkeiten gefügig zu halten. Sie fragte, wer diese Methode erfunden habe und erfuhr, dass es wohl ein Vorfahre Vespasiano Mangiapietris war und seine Familie, die Nuvolebianches, gehorsame Thaumaturgieknechte und gezähmte Kobolde für sich hatten arbeiten lassen, um diese Methode massentauglich anzuwenden.

Ladonna war nun neugierig und wollte wissen, wie denn die sonst so kecken und gewievten Kobolde gezähmt werden konnten. "Mein Onkel hat ein Bannwort gelernt, dass jeden Kobold, der es hört zum Gehorsam zwingt. Aber da mein Vetter Austrino seinen Titel erben wird und nicht ich kenne ich es nicht."

"Kennt dein Vetter es schon?" wollte Ladonna wissen. "Das weiß ich nicht. Vielleicht gehört das zu den Ultima Verba patris, den letzten Worten des Vaters. Das heißt, das es Dinge gibt, die ein Dominus Maior unseres Hauses erst an seinen erstgeborenen Sohn verrät, wenn er weiß, dass er stirbt oder damit rechnen muss, irgendwo in der Fremde zu sterben."

"Oder er hat es ihm schon ins Ohr geflüstert, als er ihm den Willkommenskuss auf jede Wange gab, wie es doch bei euch üblich ist, wenn der ersehnte Stammhalter geboren ist, nicht wahr?" säuselte Ladonna. Ihr Gefangener, Lustknabe, Opfer oder Informant fragte nicht, warum Ladonna das wusste. Er hatte den von ihr gesungenen Befehl, nur auf Fragen wahrheitsgemäß zu antworten, keineFragen zu stellen. Er durfte erst wieder etwas sagen, als die Rosenkönigin ihn zu seinen Machenschaften mit den Ventirossi-Besen befragte und ob er wusste, dass die Manorossas eine Version hatten, die bei Handlungsunfähigkeit des darauf sitzenden in einer Feuerwalze verbrannten. Er beteuerte, von dieser Selbstvernichtungsmöglichkeit nichts zu wissen. Sie fragte ihn, ab wann die Ventirossi-Besen auf dem Punkt stehen bleiben konnten wie gegen eine harte Wand geprallt. Er erzählte ihr dann, dass dies ein Geheimnis sei, dass nur den alten Familien zur Verfügung gestellt werde. Ein sorgfältig im Besenlack verrührtes Elixier und ein im Riegel zwischen Stiel und Schweif angebrachter Ring aus koboldgeschmiedeter Silber-Eisen-Legierung ermögliche es dem darauf reitenden, jede gerade erreichte Geschwindigkeit auf einen Schlag herunterzubremsen und den so eingefrorenen Schwung auch wieder auf einen Schlag in den Besen und seinen Reiter zurückzurufen, ja dem Besen dadurch für einige Sekunden die doppelte Höchstgeschwindigkeit zu geben, ohne die Gefahrenfluchtfunktion zu benutzen.

"Sehr einfallsreich", lobte Ladonna. Sie hatte sogar eine Vorstellung, dass die schlagartig eingefrorene Geschwindigkeit sogar in reine Feuermagie umgewandelt werden konnte. Vielleicht hatten sie es so gemacht. Aber dafür brauchte sie dann wohl einen der Manorossas. Andererseits wollte sie nicht andauernd von ihren Haaren opfern, weil die ein Teil ihrer Macht waren. Doch das bewusste Bannwort wollte sie unbedingt erfahren. Doch wenn es, wie sie nun sicher war, mit dem Zauber des ersten von einem anderen Wesen als der Mutter gehörten Wortes in die tiefsten Regionen seiner Erinnerungen eingegraben wurde und erst wieder hervorkam, wenn der, der das Wort gesagt hatte starb - ja, so und nur so hatte der Familienpatriarch das wohl gemacht - musste sie den Nachfolger in ihre Gewalt bringen und den alten sterbenlassen, damit der Nachfolger das Wort frei in seinen Erinnerungen trug . Wenn sie dann noch den Neffen des Patriarchen zum neuen Patriarchen aufbauen konnte ... Sie lächelte überlegen. So ging es. Gut, dass Marcello sein eingebranntes Mal nicht wegen eines Notrufes verheizt hatte. So konnte er am Ende dieser langen, erquicklichen Nacht wieder in sein eigenes Haus zurück und damit hadern, im Moment keine Anstellung zu haben.

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Hallo meine geliebte Nichte und über alles geschätzte Mitschwester.

Wie ich dir in meiner letzten Nachricht an dich mitteilte sorge ich mich um die körperliche und geistige Unversehrtheit und Unabhängigkeit der trimagischen Siegerin Laurentine Hellersdorf. Natürlich kennst du wie wir alle ihre exzellenten UTZs und auch die scheinbar rein zufällige Rainwall-Wiesengrund-Abstimmung mit ihrem Zauberstab. Du weißt ja auch, dass wir beide uns nach dem Erlöschen von Sardonias Macht einig waren, dass sowohl die ungeduldigenSchwestern als auch die wiedererwachten aus dem Orden der Feuerrose und der schwarzen Spinne Begehrlichkeiten entwickeln könnten, gut ausgebildete und zaubermächtige Hexen für sich zu gewinnen, ja dass die Gefahr für Laurentine Hellersdorf schon seit ihrem ehrenvollen Abschluss in Beauxbatons bestand.

Sie will demnächst in die Staaten reisen, ja, in das derzeitige Rückzugsgebiet sowohl der schwarzen Spinne als auch von Vita Magica. Dort möchte sie ihre verwitwete Großmutter besuchen und einige Wochen außerhalb der bisher schützenden Sphären ihre verdienten freien Tage genießen. Ich konnte sie ohne Anwendung von Zaubern oder Gewalt davon überzeugen, dass sie nicht unvorbereitet dorthin gehen sollte. Was ich ihr als Heilerin mitgeben konnte habe ich ihr mitgegeben. Ich konnte sie jedoch davon überzeugen, dass sie sich auch jemandem anvertrauen möge, die ihr noch wichtige Abwehrzauber beibringen kann. Ich habe dich empfohlen und es damit begründet, dass wir beide ein sehr vertrauensvolles Verhältnis haben und du ja schon häufig begabte Einzelschülerinnen dort weitergebildet hast, wo Beauxbatons aufhörte. Sie bat mich also, dich zu fragen, ob du sie anschreiben möchtest und ob du gewillt bist, sie für ihre gefährliche Reise zu stärken, gegebenenfalls ihr schlagkräftige Zauber beizubringen. Ich bitte dich jedoch darum, ihr keine dieser verwerflichen Zauber aus Potentia Matrium beizubringen, auch wenn ich weiß, dass du dieses dunkle Hexenbuch in- und auswendig kennst. Das könnte ich - hättest du es gedacht? - nicht mit meiner Heilerinnenehre und dem auf die Zunft geleisteten Eid vereinbaren. Alle anderen Hexenzauber darfst du ihr beibringen, sofern sie deine Annahmebedingung erfüllt.

Falls du während ihrer Weiterbildung erkennen kannst, dass sie uns nicht abgeneigt ist oder zumindest in der Halle der Schwestern mit der Entscheidung konfrontiert werden mag, ob sie eine von uns werden möchte oder nicht, teile es mir bitte früh genug mit, damit ich genug Schwestern einberufen kann, die diese Entscheidung bezeugen werden./p>

Ich umarme dich als Tante und grüße dich als treue mitschwester

Hera Matine

Die Heilerin las den Text noch einmal, den sie noch vor Sonnenaufgang mit eigenem Blut auf ein Papyrusblatt geschrieben hatte. Dann zirkelte sie den Brief mit ihrem Zauberstab ab und murmelte: "Per sanguinem meum scriptus per Sanguinem verum Luisellae Bellomontis legitur!"" Die Schrift zerlief zu einer einheitlichen roten Fläche, die aufglühte und dann wie vom Papyrusblatt eingesogen darin verschwand. Nun lag es scheinbar unberührt von einer Feder wieder vor ihr. Sie heilte die sich selbst beigebrachte Wunde in ihrer linken Hand und ließ die kleinen Blutstropfen verschwinden, die nicht von ihrer Feder aufgesaugt worden waren. Dann nahm sie eine andere Feder, tunkte sie in türkisfarbene Tinte und schrieb einen unverfänglichen Brief einer Tante aus der Provinz an ihre Nichte in der Kulturstadt, die einst den fragwürdigen Ruhm hatte, Sitz von Päpsten gewesen zu sein. Als sie die Tinte mit ein wenig Streusand getrocknet hatte steckte sie das Papyrusblatt in einen Umschlag, schrieb die Adresse darauf und ging in die Dachkammer, wo ihre drei Posteulen übertagten. Eine von ihnen war bereits vom Nachtflug zurückgekehrt. Sie gab ihr zwei Eulenkekse mit ein wenig auf Vögel abgestimmten Wachhaltetranks und band ihr den Umschlag ans rechte Bein. "Bring den Brief zu meiner Nichte Louiselle. Dann schickte sie ihn los.

"Solltest du die Prüfungen bestehen und es darauf anlegen wirst du wohl sehr große Augen machen, Laurentine", dachte die Hexe, die bis auf eine kleine Gruppe anderer Hexen nur als Heilerin von Millemerveilles, geliebte Mutter, Schwester und Tante kannten.

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Anthelia hatte am Jahrestag der dunklen Woge all die wichtigen Schwestern zu sich gebeten, die gerade unauffällig zu ihr ins Haus Tyches Refugium bei Boston reisen konnten. Sie wollte drei Dinge besprechen. Das erste war, welche Auswirkungen die dunkle Welle nach Sardonias Kuppel, dem Erstarken der Vampirgötzin, der Nachtschattenkönigin, Morgauses Kessel und den letzten Schlangenmenschen noch gezeitigt hatten. Izanami Kanisaga, die einzige überlebende der fünf Hexen, die damals Anthelias Seele in den von Dementoren entseelten und zur Hexe umgewandelten Bartemius Crouch Junior hineinbeschworen hatten, berichtete, dass die Hände Amaterasus immer noch mit vielen dunklen Wesen zu kämpfen hatten, aber auch dass es nun sicher sei, dass das Schwert des dunklen Wächters nach einem neuen Träger suche. Noch hielten die Bannwände um das aus in Drachenfeuer aus Vulkaneisen und Himmelseisen geschmiedete, in Drachenblut gehärtete Katana, das aus dem Japanischen übersetzt "Drachenzahn" hieß. Darüber hatten sie sich ja schon einmal lange unterhalten. Daher vermerkte Anthelia diese Nachricht als "Bedenklich, aber nochnicht akut".

Die anderen Spinnenschwestern erwähnten eine Zunahme verfluchter Häuser in ihren Ländern. Die waren wohl schon immer verwünscht. Doch nun wirkten die darin eingelagerten Flüche eben wesentlich stärker. Menschen wurden entweder schwermütig und verhungerten. Andere Häuser brachten ihre Bewohner zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. In den Staaten musste ein Haus mit dem großen Exorzismus vom unruhigen, an einen langen Dolch gebundenen Geist eines Straßenräubers befreit werden. Die höchste Schwwester des Spinnenordens hatte auch über ihr smaragdgrünes Halbmond-Amulett mit ihrer Verbindungshexe zu den Töchtern des grünen Mondes gesprochen und erfahren, dass es vor allem in Ägypten und dem heutigen Irak zu unheilvollen Begegnungen zwischen Menschen und alten Geistern und Dämonen kam. Es bestand sogar die Furcht, dass der dunkle Pharao aus seinem Gefängnis heraus nach neuen Opfern suchen konnte, jener, der in der Nähe von Tarlahilias früherem Schlafplatz in seiner eigenen Grabstätte eingesperrt war. Überhaupt waren jetzt wohl alle Abgrundstöchter wieder wach, zumindest die, die in ihren angeborenen Körpern in Schlaf gebannt worden waren. Die suchten jedoch wohl immer noch nach ihrer falschen oder besser gefälschten Schwester, gegen die selbst Anthelias Feuerklinge nichts hatte ausrichten können. Die war aber sicher auch noch stärker geworden als vorher schon. Am Ende sammelte die schon neue Heerscharen, um sich gegen die rechtmäßigen Töchter Lahilliotas zu wehren. Ja, und was Lahilliota damit bezweckt hatte, Arion Vendredi in einen mit starker Magie durchtränkten Ameisenmann zu verwandeln verhieß auch nichts gutes. Anthelia/Naaneavargia ging davon aus, dass Lahilliota die Tränen der Ewigkeit kannte und genau wie damals Naaneavargia der Versuchung erlag, davon zu trinken. War sie deshalb zu einer überüberlebensgroßen Ameisenkönigin mutiert? Konnte sie dann von ihrer Veränderung was an andere Menschen weitergeben? Wozu das? Die Antwort gefiel Anthelia nicht. Sie musste sie jedoch erwähnen, um ihre gerade anwesenden Schwestern darauf vorzubereiten, mit solchen Ungeheuern zu tun zu bekommen und dass diese womöglich mit Zauberstabmagie nicht zu besiegen waren. Das behagte den anderen Schwestern überhaupt nicht. Doch sie stritten nicht ab, dass ihre Anführerin wohl leider recht haben konnte. Denn was sie, die schwarze Spinne, aushalten und anstellen konnte, wussten sie ja alle ganz genau.

"So weit, so unangenehm", sagte Anthelia/Naaneavargia. "Doch was mich wirklich beunruhigt und warum ich euch auch hergerufen habe ist , dass es nun ganz sicher ist, dass Ladonna Montefiori das italienische Zaubereiministerium beherrscht, Romulo Bernadotti ist offiziell noch Zaubereiminister, aber das hatten wir ja mit dem wahnsinnigen Waisenknaben und seinem Gehilfen Thicknesse ja auch schon mal. Und Vita Magica hat Chroesus Dime am langen Strick geführt, bis dieser Heiler Partridge ihn enttarnt hat. Es wird Zeit, dass wir auch wieder wen an wichtiger Stelle haben, Schwestern. Ladonna hat ja auch etliche Hexen in ihre Reihen gezwungen, die auf andere Zaubereiministerien Einfluss nehmen könnten. Was hast du mir vor kurzem erzählt, Schwester Albertine?"

"Das Güldenberg und Rosshufler sich um süddeutsche Regionen zu streiten begonnen haben, weil Rosshufler mit dem italienischen Zaubereiminister einen neuen Status von ganz Tirol ausgehandelt hat. Demnach wird die Aufteilung, wie sie im ersten Weltkrieg der Magielosen entstand, für Zauberer und Hexen null und nichtig. Italienische Hexen und Zauberer, die in Südtirol wohnen, erhalten die Möglichkeit, in Italien zu wohnen, wenn sie weiterhin von Bernadotti verwaltet werden wollen. Jetzt hat Rosshufler wohl Hunger auf mehr Zuständigkeit bekommen. Einig sind die beiden sich darin, dass sie der Schweiz helfen müssen, ihr Hoheitsgebiet zu erhalten, weil die französische Zaubereiministerin Ventvit angeblich vorhat, die Zaubereiministerin aller französischsprechenden Hexen und Zauberer zu werden. Immerhin gingen ja die französischen Schweizer auch nach Beauxbatons und nicht nach Greifennest."

"Interessant, Schwester Albertine. In England kursiert auch das gerücht, Paris wolle Quibec übernehmen, weil da auch noch viele Französisch sprechende Hexen und Zauberer wohnten und Kanada immer noch unter britischer Verwaltung steht", sagte die aus England stammende Mitschwester Mira Shorewood.

"Sagt einer aus dem direkten Umfeld von Shacklebolt das?" wollte Anthelia wissen.

"Er nicht. Aber einige, die wohl fürchten, das britische Zaubereiministerium sei geschwächt, weil die Iren auch mehr Eigenständigkeit haben wollen. Ja, und dann soll es noch sein, dass Frankreich Schottland dazu verhelfen will, einen eigenen Zaubereiminister oder gleich Häuptling der Häuptlinge zu bekommen."

"wie bitte?! Frankreich will Schottland zur Eigenständigkeit verhelfen? Wer glaubt denn bitte sowas?" sprach Anthelia, die einen Moment amüsiert geguckt hatte und nun nachdenklich dreinschaute.

"Ein paar schottische Zauberer haben das im tropfenden Kessel in London abgelassen, habe ich von meiner Cousine", sagte die britische Mitschwester Mira Shorewood."

"Zauberer, keine Hexen?" fragte Anthelia. "Zauberer. Die haben nur erzählt, dass sie hoffen, dass die Franzosen bald das Abkommen unterschreiben und sie dann alles Gold aus Gringotts London nach Edinburgh schaffen können. Es gilt nur noch, dass die Kobolde mitspielen."

"Ein Gerücht also, keine klare Beschlusslage Shacklebolts also", sagte Anthelia. "Schwestern, jemand will Ministerin Ventvit als böse Hexe hinstellen, die meint, mehr Macht haben zu wollen und deshalb gemieden werden soll. Ja, und dass Frankreich Schottland unterstützen soll ist doch aus dem 16. Jahrhundert, also so um und nach 1540. Was sagt uns das?"

"Öhm, das jemand die Geschichte von damals noch mal aufwärmen will?" fragte Albertrude mit hintergründigem Lächeln. Anthelia sagte: "Genau das, Schwester Albertine. Jemand, der oder besser die damals alles leibhaftig mitbekommen hat, hält es für eine sehr brauchbare Vorstellung, die französische Zaubereiministerin als Spalterin des achso mächtigen britischen Königreiches hinzustellen. Offenbar hat sie Angst vor ihr oder dem, was mit ihr passiert ist. Divide et impera! Haben sowohl Sardonia als auch sie damals gerne mit kleineren und größeren Interessengruppen durchgezogen und ich weiß aus ganz eigener Erfahrung, wie schnell die schottischen Hexen und Zauberer sich von London lossagen möchten, wenn ihnen die nötige Unterstützung gegeben würde. Die alten Clans sind da noch entsprechend ... traditionell."

"Sie braucht nur ihr treue Schwestern an die richtigen Stellen zu setzen und den Leuten da einzuflüstern, dass die französische Ministerin gefährlich und machtsüchtig ist. Wenn die dann aufsteht und ruft:"Italien gehört Ladonna Montefiori", wird ihr das wohl keiner glauben", vermutete Beth McGuire.

"Ich denke, das ist nicht was sie eigentlich vorhat. Sie will die ihr gefährliche, weil unzugängliche Ventvit von den anderen abdrängen um dann was zu tun -?" erwiderte Anthelia.

"Ihre neue Marionette Bernadotti alle anderen einladen zu lassen, damit sie alle schön an einem Ort versammelt sind", sagte Albertrude.

"Leider richtig, Schwester Albertine. Ich muss gestehen, dass diese Taktik aufgehen könnte, wenn ihr niemand dazwischenspringt. Deshalb sage ich euch folgendes: Sorgt dafür, dass die zaubereiminister Europas nicht auf die Idee kommen, sich an einem Ort zu treffen. Ich wäre sonst wohl gezwungen, sie alle zu töten, bevor dieses Weib sie sich unterwirft."

"Öhm, alle Minister?" fragte Mira Shorewood verstört.

"Es ist geplant, dass sich alle Minister vor der Neuauflage der Weltmeisterschaft noch einmal in Italien treffen. Wenn sie es bis dahin hinkriegt, die französische Zaubereiministerin als unerwünschte Teilnehmerin von diesem treffen auszuschließen kann sie denen allen den Duft der Feuerrose in die Nasen blasen und denen dann alles abverlangen, Sonne, Mond, tausend tote Säuglinge, eine eigene Hauptstadt mitten in Europa und natürlich eine goldene Königinnenkrone."

"Nichts für ungut, aber wollen wir das nicht irgendwie auch, höchste Schwester?" wollte Beth wissen.

"Das Ladonna Königin wird, Schwester Beth? Ich lege es mal so aus, dass du meinst, dass wir für eine Vorherrschaft der Hexen eintreten wollen. Ja, sardonia hatte damals eine Königinnenkrone aus Rabenfedern, ich selbst hätte mir auch gerne eine Krone aufgesetzt. Doch heute weiß ich, dass zu viel Gepränge mehr Neid als Anerkennung macht. Ladonna ist eine Teilveela. Veelas sind von Natur aus eitel und auf ihr äußeres fixiert. Sie könnte sich eine solche Königinnenkrone wünschen, wenn sie Europa regieren will. Irgendwann wird dieses Stiefelchen ja auch zu klein für eine große Herrscherin", troff der pure Zynismus aus Anthelias Mund.

"Ob die Lupi Romani oder andere Zaubererbruderschaften sich das bieten lassen?" fragte Albertrude.

"Die werden nicht gefragt", erwiderte Anthelia knochentrocken. "Also, meine lieben Schwestern, seht zu, dass nicht mehr als zwei oder drei Minister am selben Ort zusammenkommen. Schwester Albertine, ich zähle auf dich, was Güldenberg angeht."

"Mir liegt auch nichts daran, dass diese Fehlzüchtung sich zur Königin aller Hexen und Gebieterin aller Zauberer ausrufen lässt", sagte Albertrude. Das glaubte Anthelia ihr ganz unbestritten.

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"Wir wissen jetzt endlich, wo die Nuvolebianche-Familie und die Fulminicaldi-Familie wohnen", gedankensprach der Leiter der Abteilung für magische Sicherheit und Gesetzesüberwachung, den Ladonna zu einem ihrer treuen Untertanen gemacht hatte. Die selbsternannte Königin der Hexen nutzte die errichtete Gedankenbrücke, um durch die Augen ihres Helfers auf die Karten zu sehen. "Wir wissen, dass die Nuvolebianches in Florenz leben, wohl in einem getarntenHaus. jetzt wissen wir auch, wo es ungefähr steht und können neue Beobachtungsposten einrichten", dachte der Gesetzeshüter Albano Ventoforte."

"Ach ja, und wo das Manorossa-Haus steht wisst ihr ja auch schon seit drei Tagen. Gut, dann sind alle Häuser bekannt und müssen nur enttarnt und ihrer Abwehr beraubt werden, nach Möglichkeit, um Gefangene und schriftliche Aufzeichnungen zu bekommen. Aber ich sage dir und damit auch allen anderen, die für mich handeln und streiten: bleibt in der Nähe, aber greift nicht ein, was auch geschieht! Lasst die Wölfe sich gegenseitig hetzen und zerfleischen! Die dann noch übrigbleiben könnt ihr dann festnehmen und verhören."

"Es geschieht, wie Ihr es befehlt, meine Königin", gedankenantwortete Ventoforte. Das reichte Ladonna, um die Gedankenbrücke zu ihm wieder abzubauen. Was immer in den nächsten Tagen oder gar Stunden geschah wurde nun vom Zaubereiministerium Italiens überwacht. Wenn sie es sagte konnten die Außentruppmitarbeiter zuschlagen. Bis dahin hatte sie das Mittel fertig, um den in den Mitgliedern der Bruderschaft wirkenden Flüche zu unterbinden: Fluch und Gegenfluch sozusagen.

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"zehntausend römische Pfund in Gold?! Hat der auch Kobolde in der Ahnenlinie?!" schrillte Vespasiano Mangiapietri.

"Das ist die Botschaft, die mir Dominus Nuvolebianche mitgab. "Und öhm, dass er sich nur dann für eure Söhne einsetzt, wenn ihr selbst denBüßertod hinnehmt und seine Nichte mit den Mädchen zu ihm zurückkehrt und sie alle seinen Familiennamen wieder annehmen. Dann ist er bereit, euch noch einmal vor dem Rat der Zwölf anhören zu lassen", antwortete der Bote, den Mangiapietri zu den Nuvolebianches geschickt hatte. "Krämerseele! Gierschlund! Chrysophag!" schimpfte Vespasiano. Und das waren noch die harmloseren Ausdrücke. Der Wutausbruch dauerte eine halbe Minute. Dann besann sich Mangiapietri, dass er kein Riesensohn war wie der rote Bär und fragte nun wieder sehr ernst dem zweiten Boten zugewandt: "Und was will der Feuerspieler, um den Rat der Zwölf einzuberufen?"

"Die Goldmine in den Bergen von Honduras, die Edelschmieden bei Madrid, die Euch bekannten Zugangsmöglichkeiten zu Grundstoffen für Brenngebräu, sowie alle Bände der Abhandlungen über aztekische Feuermagie, die er offenbar noch nicht hat, Domine. Ach ja, und dass euer Sohn Varo seine Enkeltochter Flavia nicht näher als fünf Meter kommen darf oder in den Ferien von seinen Vollstreckern kastriert wird, sobald er aus Gattiverdi heraus ist", sagte der zweite Bote. Vespasiano sagte missmutig, dass er auf diese Bedingungen eingehen könne. "Und für jedes männliche Mitglied der Familie zwanzig Standardrohlinge der von uns exklusiv hergestellten Silber-Eisen-Legierung und die Anleitung, wie diese geschmiedet werden können."

"Das ist Zwergen- und Koboldzauber. Will er dass muss er Varo an seine Enkeltochter ranlassen und die zukünftigenSchmiede von ihr ausbrüten lassen", bedachte Vespasiano diese Bedingung mit ätzendem Spott. "Öhm, ja und für die Einberufung des Rates ... auch zehntausend römische Pfund in Rohgold bis zum 29. April."

"Der auch. Dann haben sich diese beiden Gierschlünde abgesprochen. War zu befürchten. Gut, bis zum neunundzwanzigsten April kann ich diese Menge aus allem rausholen, was wir vorrätig haben und wohl noch ein paar Schuldner zur Kasse bitten, die im Rückstand sind. Die sollen schnell loszihen, damit ich bis um Mitternacht am neunundzwanzigsten Genug für den Rat habe." In Gedanken fügte er hinzu: "Dafür verbrenne ich all deine Luxuskleider und lasse dich ein Jahr lang nackig in unserem Wohntrakt einsperren, Lavinia!" Die überreichlich herrliche Liebesnacht mit ihr war mit dem Kater am nächsten Morgen schon wieder zur schönen Erinnerung verblasst. Jetzt noch die Rückmeldungen der beiden anderen Häuser. Manorossa wollte er gar nicht erst fragen, weil er das als Bettelei um sein Leben auslegen würde.

"Eigentlich müsste ich gleich alles von dir aus den Schränken rupfen und damit ein schönes großes Feuerchen machen lassen, Lavinia. Dieser Pferdehandel kostet mich eine Menge Gold, und ob ich das bis zum neunundzwanzigsten zusammenkriege weiß ich nicht."

"Du hast einmal vor den Burschen gedroht, dass jeder, der mich nackt zu sehen bekommt seine eigenen Augäpfel schlucken muss, Vespasiano. Was bringt dir eine blinde Leibwache? Und was bringt es dir, mich ohne Kleider herumlaufen zu lassen? Abgesehen davon kann ich mir bei den anderen Hausdamen genug zum Anziehen ausborgen und ganz vor allem: Dieser Preis für eine Gerichtsverhandlung, wo du eindeutig deine Unschuld beweisen kannst, sollte dir diese Menge Gold wert sein. Was habe ich dir gesagt? Ein Fingerhut vergossenes Blut wiegt mehr als tausend Pfund Gold. Knurr mich jetzt ja nicht an! - Und den Boden lassen wir auch ganz!" sagte Lavinia mit ungewöhnlicher Strenge in der Stimme. Vespasiano hatte wirklich schon den rechten Fuß gehoben, um aufzustampfen. Gut, dass hier kein anderer Mann reindurfte und gut, dass keiner diesem Geplänkel zwischen den höchsten Eheleuten der Mangiapietri-Familie zuhören konnte, dachte Vespasiano. "Ach ja, Knurrwolf, unsere Großnichte Bellona in Bologna hat mich für morgen eingeladen. Wenn ich nicht hingehe wird sie fragen. Außerhalb dieser Familie weiß noch keiner, dass du von den drei anderen Häusern als feiger Mörder verfemt wurdest und wir Angst um die Köpfe unserer Söhne haben müssen.

"Ja, und um den Familienschmuck von Varo, falls er Fulminicaldis Enkeltochter nicht in Ruhe lässt", grummelte er. "Das erkläre ich ihm besser, bevor er meint, weil du es sagst müsste er sich noch mehr für dieses Feuerhexlein interessieren."

"Sicher hat der Feuerbändiger die schon für wen anderen weggelegt", schnarrte Vespasiano.

"Lass ihn das denken, Vespasiano. Du hast wichtigeres zu tun."

"Gut, du darfst zu Bellona nach Bologna hin. Doch bitte bitte binde ihr nicht auf die Nase, was los ist. Die steckt das sonst ihrem Vater, und der steckt es den Rodrigues bei Toledo, die meinen, sich was drauf einbilden zu können, unsere Schmiede für unzerstörbare Klingenwaffen leiten zu dürfen."

"Keine Sorge, ich erzähle ihr nichts", sagte Lavinia. Und das war der einzige Satz von ihr, der keine Lüge war. Denn in wirklichkeit wollte sie nicht nach Bologna, sondern in die Gegend von Nantes in Frankreich. Doch das durfte ihr Mann auf gar keinen Fall wissen, zumindest noch nicht.

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27.04.2004

Geliebte Tante, Mutter unserer Schwesternschaft,

Sehr gerne habe ich deinen Brief gelesen, den du ja mit dem Blut-zu-Blut-Zauber versehen hast, den du jetzt auch wieder anwenden musstest, um meine Antwort zu lesen.

Natürlich habe ich wie viele andere den Werdegang Laurentines verfolgt und bin in gewisser Weise froh, dass sie nicht im Zaubereiministerium geblieben ist, auch wenn sie mit ihren Kenntnissen und Fähigkeiten dort wichtig geworden wäre. Ich kann auch verstehen, dass du dich um sie sorgst. Wenn stimmt, was du erfahren hast und was ich über meine anderen Verbindungen auch schon mitbekommen musste drängt Ladonna nicht nur in Italien an die Macht. Die Unmutsäußerungen von Zaubereiministern gegen Ministerin Ventvit könnten ebenso von ihr geschürt werden, nicht von ihr selbst, aber von den willfährigen Hexen, die ihr schon dienen. Wie du weißt habe ich mein Haus gegen sehr viele dunkle Zauber gesichert und trage auch immer was bei mir, was mich früh genug vor Gefahren warnt und welcher Art sie sind. Gut, das habe ich dir auch schon mal erzählt.

Ich werde Laurentine gleich ein Paket mit ihrer Annahmeprüfung schicken. Besteht sie diese, werde ich gleich nach Walpurgis mit ihr zu üben anfangen. Falls Sie es wagen sollte, sich bei dir auszuweinen sage ihr, dass jede Freude ihren Schmerz hat. Aber das kennst du ja als dreifache Mutter und Hebamme.

Es umarmt und küsst dich deine geliebte Nichte

Luiselle Beaumont

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Sie hatte es geschafft, sie zu finden. Bisher hatte sie Vespasianos Großmutter mütterlicherseits noch nie gesehen. Tatsächlich war sie noch ein wenig kleiner als Lavinias Ehemann. Die reinrassige Zwergin, die in Frankreich als Hebamme arbeitete, bat die Besucherin aus Italien in ihr Wohnzimmer. Dort berichtete Lavinia, was sie in den Jahrzehnten ihrer Ehe mitbekommen oder besser nicht mitbekommen hatte. Lutetia Arno schnaubte zwischendurch oder seufzte betrübt. Doch sie wartete, bis Lavinia Mangiapietri ausgesprochen hatte.

"Ich habe meine Tochter Elora damals mehrmals gewarnt, sich nicht mit diesem Burschen einzulassen, diesem Vittorio Mangiapietri. Vielleicht hat Ihre Mutter Ihnen ähnliches geraten. Was meinen Enkelsohn angeht, den ich nie gesehen habe, nur einmal als Bild, weil Elora der Meinung war, mir zumindest zu zeigen, dass sie keinen Ochsen, sondern einen Stier geheiratet hat. Zumindest hat sie sich so ausgedrückt. Als ich dann über meine vielen Meldefäden mitbekam, wes Blutes Kind dieser Vittorio wirklich war wollte ich ihr raten, ihn wieder zu verlassen. Seitdem kamkeine Antwort mehr von ihr. Ich weiß natürlich, wer und was die Lupi Romani sind und empfinde große Scham, weil mein Fleisch und Blut in diese Bande eingefügt wurde." Nun musste sich Lavinia anhören, mit wem sie da all die Jahrzehnte Tisch und Lager geteilt hatte, von wem sie drei Söhne und zwei Töchter bekommen hatte und warum ihr Mann so viel Wert auf Ehre und Reichtum legte. Sicher wusste sie auch von ihrem Onkel, dass seine Bruderschaft nicht immer mit den Zaubereigesetzen übereinstimmte. Aber sie hatte damals geglaubt, das läge nur an der uralten Abstammung und dem Neid der vielen Emporkömmlinge, die in den letzten Jahrhunderten versucht haben sollten, diese Familie zu schwächen.

"Ich kann sogar nachempfinden, dass in Ihrem Mann und Ihren Söhnen die alten Erbanlagen zu patriarchialischem Denken aufgewacht sind und sie das unheimlich freut, wenn sie trotz der wenigen Körperlänge größer sein können als die anderen. Doch bei den Zwergen heißt es, dass jeder aus dem Berg geschlagene Stein dem Berg an Schweiß und Blut zurückbezahlt werden muss. Das passiert jetzt gerade bei Ihrer Familie."

"Ja, und ich fürchte, je mehr Blut bei den anderen fließt, desto mehr Blut werden sie von uns fordern", sagte Lavinia.

"Das habe ich verstanden und mein kleines Wahrheitskissen, auf dem Sie sitzen, hat Ihnen nicht einmal die Hinterbacken verbrannt. Also haben Sie mich nicht angelogen", sagte Lutetia Arno. Lavinia wollte aufstehen. Doch das erwähnte Sitzkissenblieb wie angeklebt an ihrem Po hängen. "Vergiss es, Mädchen, das Kissen lässt dich erst wieder los, wenn ich alles von dir gehört habe, was ich hören will. Also setz dich bitte wieder hin!"

"Haben Sie mich eben Mädchen genannt", erboste sich Lavinia, die mit ihren zweiundsechzig Jahren ja schon selbst Großmutter war. "Ich könnte Ihre Urgroßmutter sein", erwiderte Lutetia darauf. Das verstand Lavinia und setzte sich wieder hin.

Sie musste nun weitere Schreckensgeschichten über die Familien hören, die sich den Mittelmeerraum und die Neue Welt teilten. Dann wurde sie gefragt, warum sie gekommen sei. "Um Sie und Ihre hier und anderswo lebenden Nachkommen zu warnen, am besten nicht mehr ohne Schutzmasnahmen im Freien herumzulaufen oder sich am besten in geschützte Häuser zurückzuziehen."

"Und für wie lange?" wollte Lutetia wissen. "Solange wie diese Blutfehde andauert, sollte mein Mann es nicht schaffen, von dem Gericht seiner Bruderschaft freigesprochen zu werden. Und selbst dann fürchte ich, dass der rote Bär uns nicht ungeschoren lässt", sagte Lavinia."

"Und die dauert so lange, wie es lebende Mangiapietris gibt, die sie töten können, diese Barbaren", schnaubte Lutetia. "Wollen Sie und die anderen Frauen das tatenlos mitverfolgen, oder stehen Sie unter einem Zauber, der Sie alle zur Teilnahmslosigkeit und zu strengstem Gehorsam zwingt?" Lavinia sagte, dass keins von beidem zuträfe. Sie wollte nicht, dass ihre Söhne und Töchter starben. "Dann bring diesen Burschen persönlich zu mir und deine Söhne gleich mit, Lavinia Mangiapietri geborene Nuvolebianche!"

"Wie soll das gehen, und was ist dann mit den anderen?"

"Die erste Frage beantworte ich jetzt, die zweite, wenn du meine Aufforderung erfüllt hast."

"Und wenn ich das nicht schaffe oder nicht will?"

"Du hast nicht fünf Schwangerschaften und Geburten erlebt, um mitzukriegen, wie deine Kinder umgebracht werden", sagte Lutetia, wieder die Du-Form benutzend. Doch diesmal empfand Lavinia keine Abscheu dagegen. Eher sah sie es als gewisse späte Anerkennung, dass sie die Frau ihres Enkelsohnes und Mutter ihrer Urenkel war. Offenbar war auch bei den Zwergen Blut dicker als Wasser.

"Bring alle her, die von meinem Blut abstammen! Ich helfe dir dabei, das hinzukriegen", sagte Lutetia Arno.

Als Lavinia Mangiapietri zwei Stunden später aus dem Haus der Zwergin abreiste und in sicherer Entfernung disapparierte fühlte sie sich ein wenig befremdet, aber nun auch erleichtert. Die uralte Zwergin hatte ihr einen Weg geöffnet, auf dem sie zumindest ihren Mann und ihre Kinder retten konnte. Was mit den Nichtzwergischen Clan-Mitgliedern geschen sollte hatte ihr die alte Zwergin auch erklärt. An und für sich so genial, weil so einfach.

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28.04.2004

"Hier, lies das, Riccardo", schnaubte Enzo Manorossa und knallte seinem zweitgeborenen Sohn einen Umschlag auf den Tisch. Er trug das Firmenzeichen der Ventirossi-Manufaktur, vier rote Besenstiele an einer silbernen Windrose ausgerichtet. Riccardo nahm den Umschlag und prüfte ihn auf Flüche. "Der ist geprüft. Werd jetzt nicht noch paranoid!" brummte sein Vater.

"Ich wollte nur sicher sein, dass in dem Ding nicht wieder was drinsteckt, Pappa", begehrte Riccardo brummig auf. Sein Vater und oberster Dienstherr hob seine rechte Hand und deutete eine Backpfeife an. Doch dann ließ er die Hand wieder sinken. Stattdessen zeigte er auf den Umschlag.

Riccardo las den sorgfältig geschriebenen, zweiseitigen Brief. Er bekam erst große Augen und wurde dann wutrot. "Werden die frech oder was?" knurrte er schon ganz der Vater.

"Tja, wenn wir die hundert neuen Superfalken haben wollen müssen wir, so der Geschäftsführer, pro Besen ffünfhundert Solicini mehr hinlegen, weil die Holzpreise und die Zutaten für die Sonderlackierung gestiegen seien", brummte Enzo Manorossa. "Dieser florentinische Krämer spinnt wohl."

"Öhm, der will was von dem Gold der Mangiapietri abhaben, Pappa", knurrte auch Riccardo.

"Du meinst von dem Gold, was dieser Halbzwerg seit einigen Tagen zusammenschaufeln lässt, damit seine Brut nicht gebraten wird", lachte Enzo. Riccardo musste sich beherrschen, nicht verstört dreinzuschauen. Aber weil in ihm noch genug Restwut wegen der verweigerten Besenlieferung war fiel es seinem Vater nicht auf.

"Hast du auch gelesen, dass sich auch die Geschäftsbedingungen geändert hätten, denen nach ein von ihnen ausgelieferter Besen nicht nachträglich behandelt werden soll, weil sonst die Gefahr besteht, dass ein Unfall oder sonstiger, bedauerlicher Zwischenfall den Ruf der Ventirossi-Manufaktur beschädigen würde?"

"Ja, das habe ich gelesen. Hat irgendwer diesem Wolkenschweber gesteckt, dass wir in die Schwungfanggewinde noch einen Zauber zur Freisetzung der gespeicherten Geschwindigkeit in Feuermagie eingewirkt haben, oder wieso kommt der auf sowas?"

"Willst du diesem Krämer diese Frage stellen, wenn du ihn besuchst?"

"Öhm, ich, Papp.., öhm, Domine?" fragte Riccardo.

"Öhm, du, mein zweitgeborener Sohn und vielleicht mal Nachfolger. Handel diesen Wolkenbläser auf hundert Solicini mehr pro Besen herunter, wenn er uns die Feger zwei Tage vor dem eigentlichen Termin anbringt. sonst darfst du ihm gerne erzählen, dass ich weiß, dass er in Guidos Galerie war und da mit hübschen, afrikanischen Knaben zu gange war und dass ich das bisher nur verschwiegen habe, weil wir so gute Geschäftspartner sind und ich auch gerne weiterhin sein guter Geschäftspartner bleiben will."

"Stimmt das echt?" fragte Riccardo. "Ist ja heftig."

"Ich weiß sowas, mein Sohn. Kenne deine Freunde und Feinde gut genug, um zu bekommen, was du willst", sagte Enzo.

"Öhm, wenn ich dem das so hinknalle massakriert der mich doch, auch mit Botenzeichen."

"Der massakriert keinen, von dem er noch Gold will. Wenn der dir was tun wollte wüsste der ganz genau, dass ich ihn dann genauso erledigen darf wie diesen Halbzwerg Mangiapietri. Also los, du bist mein Unterhändler."

"Soll ich welche von den Mortis mitnehmen?"

"Ach, hast du Angst vor dieser Nebelkerze? Wenn du mit Kriegern da ankommst ist das wie eine Kriegserklärung. Du fliegst da alleine hin."

"Wie du es befiehlst, Domine Enzo", grummelte Riccardo. Immerhin durfte er einen der noch verfügbaren Superfalcone-Besen nehmen. Auch wenn an diesemZeichen symbolisch die Tränen um seinen großen Bruder klebten steckte er sich das Zeichen friedlicher Unterhandlung an.

Nur eine Minute später war er schon unterwegs. Da weder im Umkreis der Manorossa-Villa noch in der Nähe des Geschlechterturms der Nuvolebianches appariert werden konnte musste er eben auf dem schnellsten Besen Italiens hinfliegen.

Als er im Norden von Florenz aus seiner Reiseflughöhe von wzweitausend Metern herabstieg sah er sich um. Er war bisher nur zweimal im Turm der Nuvolebianche-Familie gewesen. Für alle anderen war er immer unsichtbar. Für Träger des richtigen Blutes und des Males wurde er erst im Abstand von einem halben Kilometer sichtbar.

Es war erst der übliche Anblick der Vororte von Florenz. Dann stand eine silberne Nebelsäule auf dem Boden, die mindestens fünfzig Meter aufragte. Als er dann noch näher an den mitgeteilten Punkt kam schälte sich aus dem Nebel ein an die vierzig Manneslängen hoher Turm, der aus acht sich nach oben hin verjüngenden Stufen bestand und sowieso einen achteckigen Grundriss besaß. Auf der Turmspitze wehte eine Fahne mit dem Familienwappen der Nuvolebianche.

Er wusste, dass er nicht näher als zweihundert Meter an den Turm heranfliegen durfte. Tat er es doch, wurde er von einem übermächtigen Windzauber gepackt und samt Besen davongeschleudert. Der Wall des unbändigen Sturmes war das Familiengeheimnis der Nuvolebianche-Sippe. Den hatten die anderen in all den Jahrtausenden nicht nachvollziehen können. Sicher gab es Sturmzauber genug, aber dieser hier wirkte sich sogar auf die Flugbezauberung von Besen oder Flugteppichen aus, dass diese wie blaues Elmsfeuer abflossen und erst in einer Stunde wieder stark genug waren, um Besen und Reiter weiterzutragen. Deshalb landete er vor der zehn Manneslängen hohen Umgrenzungsmauer, in der er Schießscharten erkennen konnte. Die blauen Pfeile, so hießen die Nuvolebianche-Kämpfer, waren dafür berühmt und berüchtigt, sehr gute Bogen- und Armbrustschützen zu sein und schneller zu schießen als jemand Quidditch sagen konnte.

"Im Namen der Bruderschaft und meines Herren Enzo Manorossa erbitte ich Einlass und Gehör vor eurem Hausherren, dem ehrenwerten Dominus Albano Nuvoolebianche", sprach Riccardo, wobei er die linke Hand kurz an das angesteckte Friedenszeichen der Bruderschaft drückte. Er musste zwei bange Minuten warten. Dann tat sich vor ihm das mit Wolkenmustern aus Silber verzierte Tor auf. Drei Männer in blauer Kleidung mit geschulterten Kurzbögen und hellblauen Raubvogelmasken vor den Gesichtern tratenheraus. "Ah, der Nachfolger in Spe von Dominus Enzo", sagte einer. "Was ist Euer begehr, Domine Minor?"

"Der Brief hier. Ihr dürft ihn gerne auf Flüche oder dergleichen prüfen. Diese Unverfrorenheit bedarf einer dringenden Klärung", sagte er und schwenkte den Briefumschlag.

"wir prüfen das und werdenunserem Hausherren Meldung machen", sagte einer der bewaffneten Männer in Blau. "Ihr wisst, dass ihr den Brief nicht lesen dürft, weil er nur an uns geschrieben ist. Wer es dennoch tut wird den Zorn meiner Familie ernten", sagte Riccardo vorsorglich. "Ihr kommt unter dem Schutz des Zeichens friedlicher Unterhandlung. Wir dürfen euch nichts antun", sagte einer der Wächter, während sein Kollege den Brief mit seinem Zauberstab überstrich. Es erfolgte keine Reaktion. "Fluchfrei, Brüder", schnarrte der Maskierte ein wenig Heiser. Die zwei anderen nickten und traten bei Seite. "Der besen bleibt bis zum Abflug bei uns", sagte der erste Wächter.

"Als reisender Bote darf ich alles, was ich mitführe mit in das Haus des Empfängers nehmen."

"Ja, alles was direkt auf dem Leib getragen wird, Domine Minor", schnarrte der Maskierte, der seinen Brief überprüft und ihm wiedergegeben hatte. "wir hörten da ein komisches Gerücht, dass einer eurer Speerwerfer beim Heimflug von einem wilden Zechgelage mit dem Besen gegen einen Baum flog und der halbe Wald danach in Flammen stand", krächzte der zweite Wächter. Die zwei anderen meinten: "Unser Mitkämpfer hat wohl heute zu viel Peperoni gegessen. Also bitte nicht gruseln", sagte der dritte Wächter.

"Mich ängstigt nichts. Quod initias facere sine timore aut Cunctatione fac!" rezitierte Riccardo den Wahlspruch seiner Familie.

"So möge es sein", sagte der erste Bewaffnete und deutete nach oben zum Mauerabschnitt über dem Tor, wo der Wahlspruch der Nuvolebianches eingemeißelt stant: "Sol nubes facit lucentes, sed nubes solem lunamque occultare possunt."

"Doller Spruch, richtig heroisch", dachte Riccardo nur für sich und durchschritt das Tor. Sein Besen rlitt ihm dabei aus den Händen und glitt an die Wand, wo er wie in unsichtbaren Halteringen fixiert wurde. "Unsere Familie beherrscht alle Zauber der Luft und des Fluges", hörte er den krächzenden Maskenmann hinter sich. Er hätte zu gerne gerufen, dass man ihm schon jetzt was angetan hatte. Dann hätte das Friedenszeichen aufgestrahlt und einen weit reichenden Rufzauber ausgesandt. Doch es ging um diese hundert Besen. Die mussten geliefert werden.

Im Turm Selbst gab es keine Treppen. Sie stiegen auf eine silberne Platte, die nach einem geflüsterten Losungswort nach oben schwebte. Riccardo kannte dieses Wunderwerk schon. Angeblich hatten die Wolkenbändiger diese Zauberei von einem Sohn des Windgottes Austrinus selbst. Die Wolkenbleicher meinten auch, sie stammten von einem römischen Gott ab. Gut, manchmal behauptete sein Vater, dass sie die stärksten Männer hätten und die schönsten Frauen läge an den wilden Affären von Venus und Mars, wie sie vom großen Ovid immer wieder beschrieben worden waren.

Die silberne Schwebeplatte hielt ohne zu wackeln auf Höhe eines runden Ganges, nein eines Turmzimmers mit bodentiefen rechteckigen Fenstern, die im Abstand von zwei Schritten von ganz schmalen Eisenrahmen unterbrochen wurden. An der südseite schwebte ein schneeweißer Sessel mit hoher Rückenlehne. In diesem saß der Herr dieses Hauses persönlich.

"Sei gegrüßt, Domine Maior Albano. Mein Vater entsendet mich, da ihm wichtig ist, dass die zwischen der von Euch betriebenen Manufaktur und uns entstandene Unstimmigkeit schnellstmöglich behoben werde", sagte Riccardo mit krampfhaft aufrecht erhaltener Selbstbeherrschung.

"Unstimmigkeit. Ist die letzte Lieferung nicht pünktlich eingetroffen?" fragte Nuvolebianche entweder scheinheilig oder verunsichert. Riccardo nahm den Briefumschlag aus seiner Tasche und zog den zweiseitigen Brief heraus. "Dieser Brief wurde uns zugestellt", sagte er und begann zu lesen. Doch was er las verschlug ihm fast die Stimme. Da stand nichts mehr von Lieferabsage, sondern dass die gewünschtenhundert Besen zum vereinbarten Gesamtpreis bis zum 30. April abgeliefert würden und die Manufaktur sich freue, dass das Haus Manorossa so großes Vertrauen in ihre Arbeit habe und hoffe, es bald wieder mit hochwertigen Flugbesen beliefern zu können.

"Das ist doch ausgezeichnet, eindeutig nicht zu beanstanden. Oder wollte Euer Vater die Lieferung widerrufen?"

"Das ist nicht der Brief, den er mir zu lesen gegeben hat. Das ist ... verwünscht", knurrte er.

"Darf ich den Brief lesen?" fragte Albano. Riccardo durchfuhr erst ein heißer Schauer. Was, wenn in dem Brief doch was drin war, dass töten konnte? Doch dann überwand er seine Angst, die er ja laut Familienwahlspruch nicht haben durfte. Er übergab den Brief und trat zurück. "Stimmt, hier wird die Anlieferung von hunder Superfalcone bestätigt. Oh, Euer Vater möchte wohl eine große Walpurgisnacht ausrichten. Gut, es sei ihm gegönnt. Aber was für eine Unstimmigkeit sollte daraus entstanden sein?"

"Ich habe den Brief doch gelesen. Da stand drin, dass die Manufaktur uns keine .... das ist nicht der richtige Brief. Aber ich habe den doch vor dem Abflug geprüft. - Eh, ihr da, der mit der angekratzten Stimme hat den Brief mit dem Zauberstab überstrichen. Dabei hat er den verändert." Nuvolebianche deutete auf die drei mitgekommenen Wächter und fragte, wer den Brief geprüft habe. Der mit der heiseren Stimme bestätigte es und auch dass er nur auf Flüche geprüft habe, nichts anderes. Er musste bei seinem Leben und seiner Ehre schwören, die Wahrheit zu sagen oder auf der Stelle tot umzufallen. Dann wiederholte er, was er gesagt hatte. "Gut, Rocco. Öhm, geh zu deiner Schwester und lass dir was für deine Stimme geben. Wie hast du das überhaupt hingekriegt.

"Wette mit Renzo und Luca, dass ich keine zehn Superpeperoni hintereinander essen würde", krächzte der Bewaffnete und hustete hinter vorgehaltener Hand. "Superpeperoni, die mit dem zehnfachen Schärfegrad? Jungs, die sind sehr teuer und nur sehr behutsam zu genießen. Jeder von euch Wettfreunden zahlt zehn Solicini in die Sünderkasse. So, Rocco, ab zum Heiltrunk."

"Ja, und pass auf, dass Euphemia dir nicht einen Liebestrank unterjubelt", feixte der Wächter, der wohl Lorenzo hieß.

"Steck dir selbst 'nen Schlafpfeil ins Hinterteil", krächzte Rocco und befahl wohl der Schwebeplatte, ihn wieder runterzubringen.

Kriegt der mit der angegriffenen Stimme denn noch genug Luft hinter der Maske?" fragte Riccardo.

"Unsere Gesichter dürfen nur die Herren dieses Hauses kennen, Domine Minor", sagte Renzo und bekam ein bestätigendes Nicken des hiesigen Hausherren.

"Noch mal zurück zu dem Brief. Euer Vater behauptet, er habe eine Lieferabsage erhalten und ihr bestätigt das?"

"Ich habe diese Frechheit selbst gelesen, Domine Albano. Was hier in dem Umschlag steckt ist unmöglich der Brief, den ich gelesen habe, als ich noch zu Hause war."

"Ja, stimmt, es ist eindeutig keine Lieferabsage", bemerkte Albano dazu. "Deshalb solltet ihr lieber froh sein, als mir und meinem Haus zu unterstellen, einen Brief nachträglich verfremdet zu haben."

"Das ist nicht der richtige Brief", sagte Riccardo nun doch am Rande der Selbstbeherrschung. "Von meiner Seite aus schon, denn er bestätigt, dass das zwischen der meinem Haus gehörenden Manufaktur und Eurem Haus vereinbarte Geschäft ordentlich abgeschlossen wird und sogar noch zu einem Vorzugspreis, wenn ich dies bemerken darf. Üblicherweise verlangen meine Verkäufer das Doppelte für jeden Besen."

"Ich bin doch nicht blind und auch nicht verrückt. Das zu Hause war eine eindeutige Lieferabsage und Aufforderung, für jeden Besen noch mehr zu zahlen, fünfhundert Solicini mehr pro Besen."

"Das ist nicht wahr, junger Herr. Dann würde ich ja gegen das Abkommen mit eurem Vater verstoßen und ihm wirklich die übliche Summe abverlangen. Ich bin doch froh, dass er die Besen bestellt."

"Er sagt, ich soll das mit Euch klären", quetschte Riccardo heraus.

"Das habt ihr hiermit getan", sagte Albano und deutete auf den Schacht, in dem Rocco gerade verschwunden war. Da kam die Schwebeplatte auch schon wieder hochgeglitten. "Ihr dürft Euren Vater sehr gerne von mir grüßen und ihm ausrichten, dass ich meine Nichte aus dem Haus holen lasse. Er weiß dann schon, was gemeint ist."

"Ja, werde ich ausrichten", sagte Riccardo kleinlaut. Dann verabschiedete er sich von dem Hausherren und bestieg die silberne Platte. Diese glitt nun mit den zwei verbliebenen Armbrustschützen wieder nach unten.

Riccardo steckte schnell den Brief mit Umschlag ein und beeilte sich, über den Hof zu laufen und seinen Besen wieder in Empfang zu nehmen. . Er prüfte ihn, ob noch alles dran war. Dann flog er damit fort, zurück in Richtung Villa Manorossa.

"Pappa, ich habe mich gerade sehr heftig blamiert und dich leider auch", mentiloquierte er.

"Wieso?!" kam bei ihm die harsche Frage an. Er setzte nur ab, dass der Brief eine ordentliche Zusage mit eingebauter Hoffnung auf weitere Geschäfte war und die Besen termingerecht zur vereinbarten Summe geliefert würden.

"Wir haben den beide gelesen. Hat den vielleicht wer verzaubert, wo du dabei warst?"

"Nur Fluchprüfer. Ich habe keine Veränderung gesehen, bis ich den Brief selbst gelesen habe."

"Hast du genau den Brief wieder eingesteckt?"

"Ja, habe ich", mentiloquierte Riccardo.

"Bring ihn mit. Diese Stümper haben den nicht richtig geprüft. Könnte ein Wechselschriftzauber sein."

Als Riccardo unbehelligt wieder in der Villa ankam übergab er den Briefumschlag an einen der hauseigenen Fluchprüfer. Sein Vater war dabei.

"Der Brief ist völlig unbezaubert, Domini", sagte der Prüfer nach einigen bangen Sekunden. Dann las erst Enzo und dann sein Sohn den Brief. Riccardo erschauerte. Jetzt stand da wieder was von einer Lieferverweigerung, wenn keine 500 Solicini mehr pro Besen bezahlt wurden. "Ricchi, was soll das? Das ist genau der Brief, den wir bekommen haben."

"Pappa, ich habe den bei dem Wolkenpuster gelesen. Da war es ein anderer Brief als vorher. Der jetzt war der von vorher."

"Kann sein, dass die Wolkenschmuser uns derartig veralbert haben", sagte Enzos Neffe Peppino. "Die wollten das so hinstellen, als könnten wir eine Zusage nicht von einer Absage unterscheiden, als wären wir unfähig."

"Was wagt der es. Will der auch noch so enden wie die Mangiapietri-Brut?" blaffte Enzo. "Ich bring dem selbst den Brief hin. Stell sicher, dass kein Zauber wie Mimicrius oder so daran hängt. Ich ziehe mir den Umhang der höchsten Würde an. Wer mich unterwegs abmurkst hat dann die ganze Familie Manorossa gegen sich."

"Nimm dafür besser einen der langsameren Schwäne, Pappa!"

"Blödsinn, ich nehme deinen Besen von eben", sagte Enzo und verließ den Besprechungsraum. "Zwei von euch begleiten mich als Leibwache", hörte Riccardo seinen Vater. Dann sah er, wie er zusammen mit zwei Todesspeeren als Geleitschutz losflog.

"Wieso fliegt er da persönlich hin? Der hätte doch drei Boten schicken können." fragte Riccardo. Doch er wusste die Antwort. Für seinen Vater war das jetzt eine persönliche Sache.

Es vergingen vierzig Minuten. Da erscholl ganz plötzlich das Geheul von gleich vier Wölfen auf einmal, und auf allen Türmen der Villa läuteten die großen Glocken im langsamen, traurigen Takt. Unvermittelt fielen schwarze Samtvorhänge vor alle Fenster nieder. Auf Riccardos Brust pochte wild das Zeichen der Bruderschaft. Dann erscholl die Meldung aus dem Raum der Überwachung: "Geehrte Mitglieder des Hauses Manorossa. Soeben ist unser großer und starker Hausherr, Dominus Enzo Manorossa, in der Nähe des Turmes Nuvolebianche, auf gewaltsame Weise ums Leben gekommen. Er ist im freien Fluge verbrannt. Tiefe Trauer und Bestürzung ergreift uns alle. Doch unser Mitgefühl ist bei Dominus Riccardo Manorossa. Vivat Dominus Riccardo Manorossa."

Riccardo war von zehn Wächtern und fünf Verwanten umgeben. Er durfte jetzt auf gar keinen Fall weinen. Er war gerade durch den Tod seines Vaters und dem vorangegangenen Tod seines großen Bruders Enrico zum Haupt der Familie aufgestiegen. Doch er war doch nicht der richtige dafür. Er war doch nur ein einfacher Zaubertrankbraumeister. Sein Vater hatte ihm doch gar nichts von den Geschäften erzählt und die Tage zwischen Ricos tod und nun dem Tod des Patriarchen hatten nicht gereicht, ihm alles wichtige zu erklären. Eer stand nun da, völlig erschüttert und sollte von jetzt auf gleich den Vorsitz eines über vier Länder erstreckten Familiengeschäftes übernehmen. Das war doch nie im Leben zu schaffen.

"Wir erwarten Eure Anweisungen, Domine Riccardo", sagte einer der Wächter.

"Findet raus, wo genau und wie genau und es Zeugen gibt, wer das getan hat! Mehr kann und will ich im Moment nicht wissen", sagte Riccardo.

Eine Viertelstunde später stand fest, dass sowohl der Hausherr als auch seine Wächter zur genau der selben Zeit ums Leben gekommen waren, und zwar beim Sinkflug in Richtung Geschlechterturm der Nuvolebianche.

"Die haben die erwartet. Dieser Wolkenschieber hat meinem Vater eine Falle gestellt. Die wussten, dass wir das nicht auf uns sitzen lassen würden, eine Absage einer Lieferung mit eingebauter Nachforderung zu bekommen", dachte Riccardo. "Ich war denen nicht wichtig genug. Die wollten Pappa. Aber wie haben die das gemacht?" Er überlegte, während nun seine eigenen Bediensteten auf weitere Befehle warteten. Irgendwo im Haus hörte er seine Mutter laut klagen, die trauernde Witwe, hatte erst den ältesten Sohn verlorenund jetzt noch den treusorgenden Ehemann. Jetzt musste er, der völlig unvorbereitete Nachfolger, alles regeln. Aber was zuerst? Dann fiel ihm ein, was die drei getötet hatte: Hatte nicht einer dieser blauen Vogelmaskenmänner was von einem Besen gesagt, der im Flug gegen einen Baum geknallt und dann verbrannt war. Die hatten irgendwas gemacht, dass alle drei zugleich gegen etwas massives geprallt waren und ... Nicht ganz. Er hatte einen der Speerwerfer mal sagen hören, dass der Besen an die Besinnung seines Reiters angekoppelt war. Verlor der Besenreiter seine Besinnung oder das Leben, vernichtete sich der Besen und nahm dabei alles und jeden mit, was im Umkreis von zehn Längenund zehn Breiten des Besens herumflog. Wer das wusste konnte die stolzen und unerschrockenen Todesspeere der Manorossas mühelos erledigen, mit einem einfachen Überlastungszauber, dem Sensofugatus. Doch der wirkte nur in Zauberstabreichweite, also gerade mal hundert Metern im Freien. Das reichte völlig aus, erkannte Riccardo. Ja, sie hatten ihnen eine fiese Falle gestellt. Aber wer waren die.

"Blut für Blut!" riefen die Wächter unvermittelt. "Blut für Blut!" fuhren sie fort. Riccardo sprang auf und rief: "Erst prüfen, dann handeln!"

"Geprüft wurde doch, Domine Riccardo. Die Nuvolebianches haben uns verraten und beleidigt", sagte der gerade amtierende Hauptmann der Todesspeere. Jetzt erfuhr Riccardo, dass dessen zwei Söhne den verstorbenen begleitet hatten. Eigentlich war es eine Ehre, für den Hausherren zu kämpfen und zu sterben. Doch welche Ehre war es, mit dem Hausherren zu sterben? Was für Ehre brachte es, den Hausherren nicht beschützt zu haben? Doch Riccardo wusste, dass er jetzt schnell was unternehmen musste, wollte er nicht noch mehr Blut vergießen. Er wollte das Gericht anrufen, den Rat der ... neun? oder waren es nur noch sechs, seine Familie und die der Fulminicaldis? Denn wenn er jetzt Nuvolebianche des Mordes anklagte wegen eines Briefes, der kein Grund für Wut und damit auch nicht für Mord war? Mangiapietri! War er das wieder? War das seine Rache für die ihm drohende Hinrichtung und mögliche Ächtung seiner Familie? Aber woher wusste der, wie die superschnellen Rennbesen zum verglühen gebracht werden konnten? Irgendwer hätte ihm das verraten müssen. Nein, jemand aus der Besenwerkstatt hatte es mitbekommen, wohl bei einer Untersuchung eines zur Reparatur gebrachten Besens. Jetzt ergab die Absage und Forderung einen Sinn. Die wussten, was die Manorossas mit ihren Kampfeinsatzbesen gemacht hatten. Ja, warum hatten die das überhaupt gemacht? Die Frage bohrte sich gerade in sein Bewusstsein. Natürlich, keine Gefangenschaft und bei der Gelegenheit auch der Tod des scheinbar siegreichen Gegners. Was hatte sein Vater sich dabei wohl gedacht? Er war das Opfer seiner eigenen perfiden Vorkehrung geworden. Und er, Riccardo, hatte ihn noch gewarnt, nicht mit einem der Kampfbesen zu fliegen.

"Greift nicht an. Die erwarten euch doch nur! Nehmt nicht die neuen Besen, sondern die langsameren!" rief Riccardo. Doch offenbar hatten die es noch nicht begriffen, dass er gerade zum Vorsteher des Hauses ausgerufen worden war. Die Todesspeere liefen los. Er rief ihnen hinterher: "Beim Ruhm und der Ehre des Hauses Manorossa, wartet und lasst euch genaue Anweisungen erteilen!" Doch seine Worte wurden missachtet. Sollte er jetzt drohen, wie sein Vater? Ja, musste er wohl. "Wer jetzt ohne meine ausdrückliche Anweisung losfliegt verliert seine Anstellung und muss in die Silbermine!" rief er. Doch die hörten ihn nicht mehr. Es war, als wäre er für die wie reine Luft, unsichtbar und unhörbar. Das konnte doch nicht sein.

"Blut und Ehre für unseren Dominus Enzo!" riefen die Kämpfer und liefen los. Jetzt sah Riccardo, dass die Speere an ihren Umhängen glühten. Da wurde er von hinten gepackt. Er fuhr zusammen und fuhr herum. Er sah seine Mutter. Diese sah ihn mit tränennassen Augen an. Tränenspuren überzogen ihr rundliches Gesicht. "Die hören dich nicht mehr, Junge. Dein Vater hat vergessen, dich mit den Zeichen der Treue zu versehen. Wenn der amtierende Hausherr stirbt und einer der Wächter, dann hat er wohl einen Vergeltungsdrangzauber ausgelöst. Die werden dir nicht zuhören", schniefte sie und zog den zweiten Sohn aus der Bahn wild brüllend davonstürmender Kämpfer.

"Hallo, wir sind keine niederen Barbaren. Wir sind intelligente Zauberer!" rief er den davonrennenden nach.

"Sie haben deine Befehle vorhin wohl gehört. Doch jetzt wirkt was in ihnen, das stärker und deutlicher ist als du oder ich", wimmerte seine Mutter und zog ihn in einen Nebenraum. "Aber wenn die den Turm der Nuvolebianches angreifen werden die alle getötet."

"Das ist ihre Bestimmung.

Drei Wächter kamen herbei. Sie bebten förmlich. "Domine Riccardo, für deinen Vater und die Ehre des Hauses Manorossa werden wir die Verräter töten. Wir wurden ausgewählt, über dich und deine Familie zu wachen. Zweihundert Todesspeere sind ausgerückt, um den Verrat zu bestrafen."

"Männer, ihr rennt voll ins Verderben. Außerdem ist nicht sicher, dass die Nuvolebianche-Familie das war. Es kann auch wer aus der Besenmanufaktur gewesen sein."

"Ja, und die arbeiten für Nuvolebianche. Aber wir schicken auch hundert Speerträger zu den mangiapietris. Denn der muss mit den Nuvolebianche gemeinsame Sache machen, um unser Haus in den Untergang zu reißen."

"Ruft sie alle zurück, Mauritio! Ruf deine Verwandten und Kameraden zurück!" rief Riccardo. Doch der Sprecher der drei Wächter dachte nicht daran. Seine Mutter rief ihnen nach: "Einhalt für das Haus, meinen verstorbenen Mann und unser aller Blut!" Doch offenbar war sie auch unsichtbar und unhörbar für alle, die gerade in zwei Richtungen losjagten.

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Sie flog wieder auf einem unsichtbaren Besen, aber diesmal sehr weit über dem Geschehen. Sie verfolgte mit, wie scheinbar aus dem Nichts ganze Pulks ebenholzschwarzer Besen mit blutroter Totenkopfflagge erschienen, als seien es keine Zauberer, sondern Seeräuber. Sie beobachtete, wie die ausschwärmenden Flieger in zwei Hauptrichtungen einschwenkten, bevor sie wie vom Katapult geschnellt davonschwirrten.

"Loyalität oder blinder Rachewahn?" fragte sie sich. Dann entschied sie, erst einmal wieder weit genug vom unsichtbaren Haus der Manorossas fortzufliegen und dann zu landen. Wo lohnte es sich, auf die ausgeschwärmten Krieger zu warten? Der von einer sehr massiven Luftbezauberung gepanzerte Turm schien sicher das interessanteste Beobachtungsziel zu sein.

Sie landete mit ihrem Besen außerhalb der Apparierbeschränkung von wohl zwei Kilometern Umkreis. Dann wechselte sie innerhalb einer Sekunde in die Nähe des hohen Turmes, von dem ihr Marcello erzählt hatte. Sie waren noch nicht hier. Natürlich nicht. Den Turm sah sie jedoch auch nicht. Dafür fühlte sie, dass Marcello noch in der Nähe war. Sie mentiloquierte ihn an. Er flog selbst auf einem unsichtbaren Besen, allerdings keinem Harvey, sondern einer geheimen Produktion der Nuvolebianche-Familie. Sie fühlte nur seinen Geist und konnte zwischendurch durch seine Augen sehen. "Ja, noch zweihundert Meter südwärts! Laaangsameeer!" befahl sie ihm rein gedanklich. Er landete nur zehn Meter vor ihr und wurde Sichtbar, als er vom Besen stieg. Er trug immer noch das blaue Armbrustschützenkostüm mit Raubvogelmaske. "O meine Königin, Euer Streich war ein Erfolg. Ich konnte sie alle mit einem einzigen Besinnungsüberladezauber erwischen", flüsterte er, als er bei seiner Herrin stand.

"Fliege schnell wieder nach Hause, bevor der, dessen Platz du eingenommen hast, wieder aufwacht und erkennt, dass er fünf Stunden lang geschlafen hat. Deine Familie darf dich nicht verdächtigen", sagte sie. Er nickte und schwang sich wieder auf den Besen. Er schwirrte in Richtung seines Heimathauses davon.

Ladonna fragte sich, ob es heute zur ersten großen Schlacht kommen würde und falls ja, wer sie gewinnen würde. Auch wollte sie wissen, ob die zweite große Gruppe Besenflieger wirklich zum Haus von Vespasiano Mangiapietri unterwegs war. Sie nutzte die Wartezeit, um mit Albano Ventoforte zu mentiloquieren. Der hatte tatsächlich im Umkreis von drei Kilometern um den vermuteten Standort des Mangiapietri-Hauses zwanzig getarnte Beobachter mit weitreichenden Fernrohren. "Seid auf der Hut vor vielen schnellen Besen! Aber greift nicht ein, egal was geschieht! Wenn es zu einem Kampf kommt wartet ab!" befahl sie ihrem unterworfenen Handlanger. Dieser bestätigte die Anweisung. Dann mentiloquierte sie noch mit einem Beobachter des Fulminicaldi-Hauses. Zumindest waren auch in der Gegend zwanzig Späher auf dem Posten, auch wenn sie das Haus, die Burg, den Turm oder was immer nicht sehen konnten, weil starke Verbergezauber in Kraft waren. Auch ihnen befahl sie, bei einem möglichen Angriff von Zauberern auf schwarzen Besen mit roter Totenkopfflagge nicht einzugreifen. Nun konnte sie nur noch abwarten.

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Das laute Warntröten hatte sie alle auf ihre Posten getrieben. Jemand aus der Bruderschaft war in weniger als zehn Meilen Entfernung gestorben, ohne dass vorher das Signal für bevorstehenden Kampf gesetzt worden war. Albano Nuvolebianche ließ sich mit einer der zwei Schwebeplatten in den mittleren Raum tragen, dem Raum der Wacht und Wehr. Dies war ein kreisrunder Raum, ähnlich seinem Turmzimmer weiter oben. Nur konnten hier zwischen der Schwebeplatte und den Sichtfenstern schwere Eisentüren geschlossen werden. "Domine Albano. Ihr wünscht zu wissen, was gerade geschieht?" fragte sein oberster Wächter, der Oberst der blauen Pfeile. Albano bejahte die Frage und ließ sich auf einer veränderlichen Wandkarte zeigen, dass vor fünf Minuten drei Leute aus einer anderen Familie auf Flugbesen in drei heftigen Flammenstößen vergangen waren. "Wer sind die Toten?" fragte er mit großer Besorgnis. "Es müssen welche aus dem Manorossa-Haus sein. Wer genau ... Öhm, der Hausherr Enzo Manorossa selbst, Domine Albano", sagte sein oberster Wächter.

"Wie bitte?! Der war doch in seinem eigenen Haus. ... Nein, ist er wegen dieses vermeintlichen Absagebriefes noch mal hergeflogen? Aber was hat ihn dann getötet?"

"Keiner von uns. Alle Wachen waren auf ihren Posten oder in ihren Freizeiträumen, Domine. "Sind alle Frauen und Kinder in Sicherheit?" fragte er besorgt. "Ja, Domine. Alle nicht zum Kampf eingeteilten sind in den sicheren Räumen. Der Wall des unbändigen Sturmes ist bereit, und wen er nicht aufhalten kann, den erwarten meine Schützen, wenn er in kriegerischer Absicht kommt."

"Wenn der Hausherr selbst tot ist könnte sein Junge meinen, wir hätten ihn getötet. Wieso ist der denn gestorben?"

"Wird noch geprüft, Domine. Es könnte ein Sinnesüberladungszauber gewesen sein, Sensofugatus. Aber wieso dann die drei Besen in loderndes Feuer verwandelt wurden ist nicht zu erkennen."

"Dann stimmt das Gerücht. Wer versucht, einen Todesspeer der Manorossas aufzuhalten und ihn dabei besinnungslos macht oder tötet löst eine Selbstvernichtung seines Besens aus. Diese Spatzenhirne. Wer das weiß kann jeden Krieger aus sicherer Entfernung erledigen, wenn er einen breitstreuenden Betäubungsfluch wirkt. Wie selten dumm muss jemand sein, der so eine Selbstmordvorrichtung in einen Flugbesen einwirkt?" schimpfte Albano. Denn ihm war klar, dass die Manorossas genauso über den Tod ihres Hausherren benachrichtigt wurden wie er, dass in seinem äußeren Überwachungsbereich drei andere Mitbrüder und noch dazu ein überaus hochrangiger den Tod gefunden hatten. Doch wer ihn getötet hatte musste noch geprüft werden.

"Wer immer das war muss einen von unseren Besen benutzt haben, Domine. Doch es sind alle da."

"Waren vorher mehr da?" wollte Albano wissen.

"Nein, zweihundert Besen sind im Warteraum gewesen und immer noch da."

"Alle Besen austeilen für möglichen Ausfall!" erwiderte Albano.

Die Wachen bezogen ihre Posten hinter den Schießscharten, auf der begehbaren Turmspitze und auf flugbereiten Besen, die als einzige selbst bei entfesseltem Sturmwallzauber handhabbar waren und noch dazu genauso Besen und Reiter unsichtbar machen konnten wie die amerikanischen Harvey-Besen. Doch die Regeln besagten, dass bei einem offenen Angriff alle Kämpfer sichtbar zu sein hatten. Außerdem wusste Albano, dass der Feuerspieler und der rote Bär einen Zauber gegen unsichtbare Feinde erfunden hatten. Damit hatten sie vor drei Jahren Spione des spanischen Zaubereiministeriums enttarnt oder gleich vor Ort getötet, bevor diese weitermelden konnten, was sie entdeckt hatten. Das war bei einer Besprechung der vier Oberhäupter erwähnt worden, weil Flavio Fulminicaldi behauptet hatte, eines der drei anderen Häuser könnte den spanischen Zaubereiminister darauf gebracht haben, bei ihm zu spionieren.

"Wie lange brauchen die von denen bis zu uns?" wollte der Oberst der blauen Pfeile wissen.

"Wenn sie wirklich auf unseren schnellsten Superfalconi fliegen und deren Höchstgeschwindigkeit solange ausnutzen können wie sie ohne bei uns runterzufallen fliegen können so dreißig bis vierzig Minuten. Genug Zeit, um genug Pfeile und Armbrustbolzen bereitzulegen, falls sie nötig sind", sagte Albano Nuvolebianche. Er war Kaufmann, eine Krämerseele, wie die anderen drei ihn immer abschätzig genannt hatten. Doch auch er wusste, dass nicht alles durch Gold geregelt werden konnte und er seinen wachsenden Reichtum gegen neidische oder gierige Gruppen verteidigen musste. "Si vis pacem para bellum" - Willst du den Frieden, so rüste zum Kriege. Das kam ihm insofern auch zu gute, dass er auch magische Waffen verkaufen konnte, gegen die er und sein Haus natürlich entsprechende Abwehrmittel hatten. Deshalb hatte es ihn ja vorhin auch so erschreckt, dass die Manorossas in die aus seiner Manufaktur gelieferten Besen Selbstvernichtungszauber eingearbeitet hatten. Falls sein Haus diesen Tag überstand musste er was dagegen erfinden lassen, falls es dann noch gebraucht wurde.

In den nächsten dreißig Minuten wog das Warten schwerer und schwerer auf den Gemütern der Wächter. Es war wie die Gewissheit, dass aus dunklen Wolken irgendwann ein Blitz niederfahren musste, aber die Wolken sich nur düster und schwer immer weiter auftürmten.

"Habt acht! Vier Zehnergruppen, nein, fünf Zehnergruppen fliegender Besen mit hoher Geschwindigkeit im äußeren Wachbereich!" rief der Fernwächter im ganzen Turm vernehmlich aus. Albano sah auf die silberne Fläche, die wie ein Spiegel aussah, aber nicht wirklich spiegelte, sondern auf Zuruf die Lage um den Turm zeigte. Der Turm wurde nun in gelber Farbe als Mittelpunkt aus fünf konzentrischen Kreisen gezeigt, von dem der innerste blutrot war. Was dort eindrang hatte der Wall des unbändigen Sturmes nicht zurückhalten können und musste dann von den Pfeilschützen bekämpft werden. Sie konnten sehen, wie sich die fünfzig gemeldeten Besen erst in fünf Gruppen auf den Turm zubewegten und knapp einen Kilometer davon entfernt als Gruppen auseinanderschwärmten, um den Turm aus fünf verschiedenen Richtungen anzufliegen, von oben und aus den Haupthimmelsrichtungen. "In Sichtweite!" rief der Wächter. "Bereit zur Abwehr!"

Albano Nuvolebianche rechnete erst mit einer kleinen Vorausabteilung, die noch einmal abklären sollte, ob wirklich gekämpft werden musste. Doch die Flugbesen stießen in ihren Gruppen vor. "Alles Todesspeere, die meisten davon aus dem Mortedracone-Haus", meinte Albanos Sohn Austrino, der die bevorstehende Schlacht mit sichtbarer Anspannung erwartete.

"Noch mal fünf Zehnergruppen in äußerem Wachbereich!" vermeldete der Wächter das, was Albano nun auch sah. Damit stand fest, dass die Manorossas keine Friedensverhandlungen mehr wollten. Sie kamen um zu töten oder um zu sterben.

__________

Ein leises Schwirrenund Pingeln erfüllte alle Räume der granitenen Festung der Mangiapietri-Sippe. Vespasiano sprang bis zur hohen Decke seines Wohnzimmers. "Feindesalarm. Wir werden angegriffen!" vermeldete der diensthabende Ausschauhalter. "Soviel zu der Möglichkeit, mich vor dem Rat der zwölf zu entlasten", schnaubte der Hausherr.

"Domine, eine ganze Zenturie schwarzfarbener Besen mit roten Totenkopffahnen und Reitern mit den Umhängen der Todesspeere Manorossas!" vermeldete Paolo Bellaspata. Sein Herr und Gebieter ließ sich das Geschehen auf einer großen, erst silbernen und dann bunten Fläche zeigen. "Ja, alles Speerwerfer. Ah, zwei fliegen voraus. die wollen wohl landen. Sind alle Zauberschilde in Stellung?"

"Wie Ihr befohlen habt Domine Vespasiano. Die anderen Niederlassungen vermelden keine anfliegenden Feinde."

"Die gehen also nur auf mich und meine Söhne aus. Aber mein Kopf soll die Manorossas hundert ihrer eigenen Köpfe kosten, wenn die sich nicht selbst einmal an ihre eigenen Forderungen halten und bis zum dreißigsten April warten wollen."

"Vielleicht wollen sie auch nur sicherstellen, dass Ihr ihnen von hier aus nicht entwischt", meinte Bellaspata. Vespasiano wiegte den Kopf. "Dann hätten diese Trottel schon vorgestern ihre Steckenreiter hergeschickt und vor allem wären die Feuerspieler und Wolkenbändiger dann auch mitgekommen. Nach dem Mord an Enrico traut doch echt keiner mehr dem anderen. Vor allem will der Wolkenbändiger seine Nichte wiederhaben und dazu zehntausend römische Pfund pures Gold, was ich habe zusammenkehren lassen."

"Dann ist das ein offener Angriffsversuch der Manorossas alleine", erkannte Bellaspata, was seinem Herrn und Gebieter schon längst klar gewesen war.

"Ja, und womöglich weiß der rote Bär, dass ich gerade Gold einsammel, um den Zwölferrat zusammenzurufen. Er denkt wohl, bei mir reiche Beute machen zu können. Aber wer einem Räuber was raubt geht tot", schnaubte der Zwergenstämmige Hausherr.

Die zwei vorausfliegenden Besenreiter landeten vor dem scheinbar natürlich gewachsenen Granitbrocken. Einer hob die Hand mit dem Zauberstab und feuerte eine Serie orangeroter Funken in die Luft, das Zeichen zur letzten Aussprache. Wurde es in den nächsten zwei Minuten nicht beachtet galt dies als Ablehnung und zog den Angriff nach sich.

Vespasiano trat auf den Balkon auf der Etage der Entscheidungen und Beratungen. Er sah den einen Speerträger. Es war Malvino Mortedracone, ein Hauptmann der Todesspeere Manorossas. Neben Vespasiano traten noch dessen Sohn Valerio und Paolo Bellaspata auf den Balkon.

"Hat euer Herr und Meister die Geduld verloren oder hat er Angst, weil ich ihn vor dem Rat der Zwölf als gemeinen Lügner entlarven will?" grüßte Vespasiano. Solange die letzte Aussprache galt durfte keiner hier dem anderen Schaden.

"Mein verehrter Herr ist tod, als er mit den Nuvolebianches verhandeln wollte. Ihr und der Wolkenschieber habt gegen uns Verrat begangen. Dafür nehmen wir uns jetzt deinen verräterischen Kopf und die Köpfe deiner Söhne und Enkel,"

"Schon das neuste gehört: Alle in Gattiverdi unterrichtenden Lehrer, die mit unseren Familien zu tun haben wurden heute Morgen von Direttore Valdisole zusammengerufen und in unbefristeten Urlaub geschickt, bis die gegen sie erhobenen Vorwürfe aus dem Zaubereiministerium geprüft und bestätigt oder entkräftet wurden. Also haben weder ihr noch wir wen da, und wer als Feind da rein will, um einen Schüler oder Lehrer zu schädigen löst die Wut der grünen Katzen aus. Achso, euer Her ist ja in Verhandlungen mit dem Wolkenbändiger unterwegs gewesen und hat das nicht mitbekommen. Und wenn ihr jetzt meint, weil der bei diesen Wettermachern vom Besen gefallen ist oder beim Klogang vom Blitz getroffen wurde könntet ihr mal eben bei mir vorbeikommen und mich schon mal für dessen Nachfolger einkassieren? Öhm, sind dann auch welche von euch beim Nebelturm in Florenz?"

"Das betrifft dich nicht, Halbzwerg", rief ein anderer Speerträger.

"Natürlich tut es das. Ich muss ja schließlich wissen, wie viele von euch noch übrig sind, wenn der Wolkenbläser und ich mit euch durch sind", erwiderte Vespasiano. Und sollte es mich und meine Leute wirklich heute erwischen bleibt ein lachender Feuerspieler übrig, der dann alles abräumen kann, was eure Familie, die des Wolkenbändigers und meine Familie erarbeitet haben, von Ladonna Montefiori und ihrem offenbar an die Leine genommenenZaubereiminister ganz zu schweigen."

"Du wagst es, die Wolfsbluttrinkerin beim Namen zu nennen? Die wird als nächstes von uns erledigt, zusammen mit allen, die ihr helfen. Ihr habt jetzt noch eine Möglichkeit, das hier in Ehre und ohne großes Blutvergießen zu beenden. Tritt mit deinen erwachsenen Söhnen heraus und empfange von uns die Bestrafung, die du erst übermorgen empfangen solltest!"

"Hat dein Herr meine Forderung nach dem Rat der Zwölf nicht erhalten oder fürchtet er diesen, weil er mich zu Unrecht beschuldigt hat, dass ihr meint, mich heute schon umbringen zu wollen? Aber wenn ihr das macht, ohne dass aus den anderen Häusern Zeugen dabei sind, werden meine Erben das als Mord an mir und Grund für eine ganz grausame Blutfehde werten."

"Die Fehde besteht schon, weil du mit dem Wolkenbändiger unseren Herren umgebracht hast. Du kannst den Tod der Deinen nur dadurch verhindern, wenn du und deine beiden ältesten Söhne die verhängte Strafe empfangt und zwei Drittel allen Goldes und anderer Wertsachen übergebt, die sich gerade bei euch im Haus befinden."

"Ah, verstehe. Ihr wittert das viele Gold und meint, zwei Fliegen mit einer Klappe zu erschlagen, wenn ihr es mir wegnehmt und damit die Möglichkeit, den Zwölferrat zusammenzurufen. Aber da werdet ihr euch sehr blutige Köpfe holen."

"Köpfe, ja, deinen und die deiner Söhne", erwiderte Malvino Mortedracone. Vespasiano lachte nur darüber.

"Ich sehe kein Schwert und kein Beil bei dir, Speerwerfer. Willst du mir den Kopf herunterzaubern?"

"Ich habe mein Beil mit!" rief der zweite und zog unter seinem Umhang ein silbern glänzendes Richtbeil hervor. Mit einer spielerischen Bewegung ließ er es von oben nach unten durchsausen und steckte es wieder fort.

"Als Vorsteher eines Hauses habe ich Anrecht, mit einem anständigen Schwert enthauptet zu werden", erwiderte Vespasiano darauf.

"Deine Anrechte sind nach dem Mord an unserem Herren hinfällig geworden", sagte Malvino. Komm also runter, wenn dir das Leben deiner Sippe lieb ist!"

"Wer ist denn jetzt euer Herr, wenn Dominus Enzo tot ist? Doch nicht etwa Riccardo. Und der hat euch gleich losgeschickt, um ihm meinen Kopf vor die Füße zu werfen, dieser harmlose Blubberkesselumrührer?" spottete Vespasiano ungehemmt. "Offenbar geht es ihm um mein Gehirn als Denkkraftverstärkung, damit er den nötigen Grips und die Finesse kriegt, um euren Bärenstall durch das erste Jahr zu bringen", legte er noch nach.

"Du beleidigst unser Haus nicht noch einmal. Komm herunter und ergib dich mit deiner Brut!" stieß Malvino sichtlich verärgert aus.

"Na, du darfst mich und meine Kinder auch nicht beleidigen, weil du kein Familienoberhaupt bist, Malvino Mortedracone. Ich werde nicht um mein Leben betteln und auch nicht um das meiner Söhne. Fliegt nach Hause und bestelt eurem neuen Herren, dass ich ihm diesen Auftritt von euch noch einmal verzeihe und ihm die Ruhe und die Kraft wünsche, um in seine neue Rolle hineinzuwachsen. Falls nicht, werdet ihr es sein, die sterben. Nur wird dann von euch nichts mehr übrig sein, was begraben werden kann", erging sich der Herr des Hauses Mangiapietri in einer sehr heftigen Drohung.

"Meine Ehre und mein Leben für das ruhmreiche Haus Manorossa!" rief Malvino, und die weiter hinten wartenden Speerträger nahmen diesen Ruf auf. "Gut, dann ist alles zu sagende gesagt", erwiderte Mangiapietri darauf.

"So nimm dein Ende hin und mit ihm das Ende deines Hauses!" rief Malvino nun und schwang sich auf seinen Besen. Er hob ab und flog davon. Sein Kamerad mit dem silbernen Richtbeil tat es ihm gleich. Damit war die letzte Aussprache beendet.

"Ganz schnell rein, bevor es hier zu heiß wird!" rief Vespasiano seinen Söhnen und Leuten zu. Diese eilten von dem Balkon herunter. Sofort klappte dieser sich nach oben um und sicherte so zusätzlich die Tür.

"Wie es deren Regeln sind muss der Anführer erst wieder bei seinen Leuten sein, um .... Gerade wohl geschehen!" rief Bellaspata über den Chor der Krieger Manorossas hinweg und stieß kurz in sein kleines silbernes Horn. Sofort erfolgte ein wildes Getröte aus dem ganzen Haus.

"Erst mal sehen, wie viele von denen in denSchilden hängen bleiben. Erst dann den Ausfall unserer Leute.

Sie kamen gerade im Raum der Überwachung an, als die ersten fünfzig Angreifer auf die Felsenfestung zuflogen. In den rechten Händen hielten sie ihre Zauberstäbe, in den linken hielten sie Wurfspeere mit silbernen Schäften. Zunächst schleuderten sie silberne Zauberblitze auf das Haus und lösten bunte Lichtentladungen aus. "Breitbandfluchbrecher", erkannte Bellaspata. Er sah auch, dass die ersten Fünfzig in einer Pentagrammformation aus fünf Richtungen anrückten und je zehn Flieger im Abstand von zehn eigenen Körperlängen übereinander flogen.

Mit verschiedenfarbigen Zauberlichtern belegten sie die Schutzzone um die Granitfestung. Blaue, grüne, silberne und violette Lichtbögen und Funkenvorhänge entstanden und leuchteten heftig. Es wimmerte, prasselte, wummerte und krachte vielfach. Dann sprühten helle Funkenwolken vom Haus fort und elmsfeuerartige Blitze entluden sich knisternd in den Himmel. "Ausfall der Schilde gegen feindliche Flugzauber, erkannte Feindliche Wesen, Feuerbälle und Geistbeeinflussungszauber!" meldete Bellaspata über das vielstimmige Pingeln und regelmäßige schnarren von Warnzaubern hinweg. "Berechnete Zeit bis zur Wiederherstellung zehn Minuten", fügte der oberste Wächter noch hinzu. "Eisenfeuerschild?" fragte Vespasiano. "Steht stabil", bekam der Hausherr die gewünschte Antwort.

Nun lösten die Flieger ihre Formation auf und bildeten einen Ring aus frei fliegenden Angreifern. Sie jagten aus hundert Metern auf das Haus zu und holten aus. Sie schleuderten weißglühende Speere. Als diese nur noch zwanzig Meter vom Haus entfernt waren trafen sie auf eine grün flirrende Wand und zerbarsten in blauweiß gleißenden Feuerbällen.

"Ja, macht mal. In der Zeit sammeln wir unser Begrüßungskommando", bemerkte Vespasiano dazu. Da ging die Türe mit knisternden blauen Funken auf und jemand trat ein, welcher hier eigentlich nicht hineingelangen sollte.

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"Keine letzte Aussprache, Domine Albano. Die wollen gleich angreifen", meinte der Oberst der blauen Pfeile zu seinem Herrn. Dieser nickte und sagte: "Dann sei es eben so."

Unvermittelt flimmerte die Luft um den Stufenturm der Nuvolebianches bläulich. Dann begann sie sich immer schneller um das Gebäude zu drehen. Als die ersten Angreifer in die immer wilder rotierenden Luftmassen gerieten blitzten ihre Besen bläulich-grün-silbern. Sie und ihre Reiter wurden davongeschleudert. Da flogen weißglühende Speere durch die Luft, trafen auf den noch weiter ausgreifenden Wirbelsturm und zersprangen in blauen und silbernen Blitzen. "Das sollten die doch eigentlich schon wissen, dass es so nicht geht", meinte Austrino zu seinem Vater.

"Ich denke, sie wissen es, wollen es aber nicht hinnehmen", antwortete sein Vater.

Ja, sie wussten es wohl, setzten aber darauf, dass der Sturmzauber den Angriff von gleich fünfzig Kriegsbesen nicht vollständig abwehren konnte. Tatsächlich blitzte es immer wider zwischen den Besen, als sie versuchten, in den Sturm einzudringen. Dann explodierten blau-silberne Feuerbälle von mehr als zwanzig Metern Durchmesser und griffen ineinander. Von den Besen und ihren Reitern war nichts mehr zu sehen. "Tja, ab jetzt ist Blut schwerer als Gold, Austrino", sinnierte Albano Nuvolebianche. "Er hatte den Angriff nicht provoziert. Aber er wusste, dass er jetzt eine unerbittliche Blutfehde mit den Manorossas und ihren Kämpfern am Hals hatte. Er fragte sich nun, ob nicht auch der Tod von Manorossas Stammhalter nicht von wem anderen als Mangiapietri herbeigeführt worden war, wie dessen Bote behauptet hatte, und sie alle den hinterhältigen Tricks einer männerhassendenHexe aufgesessen waren. Doch ohne die letzte Aussprache, die dies noch mal hätte hervorbringen können, kam diese Erkenntnis nun fünfzig tote Speerträger zu spät.

"War das jetzt wirklich nötig?" fragte Austrino seinen Vater. Dieser schüttelte den Kopf. "Sturmwall erreicht größte Stärke und Ausdehnung!" vermeldete der Oberst der blauen Pfeile. Er wollte noch nicht sagen, ob seine Leute noch gebraucht wurden oder nicht. Denn noch flogen fünfzig weitere Todesspeere Manorossas um den Turmherum. Diese hatten genau mitbekommen, dass der Frontalangriff zum Totalverlust der Angriffswelle geworden war. Dann landeten die Besenflieger alle weit genug außerhalb der wirbelnden Windhose.

"Wollen sie vielleicht jetzt doch sprechen?" fragte Austrino.

"Nein, die beraten sich", dämpfte Albano die Hoffnung seines Sohnes. Dann sahen sie, was die anderen beschlossen hatten.

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Ladonna Montefiori dröhnte der Kopf von der massiv freigesetzten Windmagie und dem davon erzeugten Aufruhr der Lüfte. Trotz der Schmerzen Sah sie anerkennend, wie die magische Windhose die ersten fünfzig Besenkrieger in gleißende Feuerbälle verwandelte. Sie fühlte das blitzartige Aufbäumen erlöschender Leben und die davon zurückbleibende Leere, bevor sich die magischen Windgewalten wieder ihrer Sinne bemächtigten. Als sie dann sah, was die anderen taten musste sie ebenfalls anerkennend nicken. Die Taktik mochte mehr Erfolg haben.

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"Lavinia, was machst du hier?! Wie kommst du hier überhaupt rein?!" schrillte Vespasiano, als seine Frau in blaue Funken gehüllt den Raum betrat.

"Das was eine liebende Ehefrau und Mutter macht, wenn ihre Liebsten in Todesgefahr sind, sie kommt und rettet sie."

"Hallo, Mamma, wie kommst du hier rein?" fragte Valerio nun auch.

"Eure Hexensperre funktioniert nur dann, wenn nur ein weibliches Wesen versucht, hindurchzudringen. Wenn sie aber ein männliches Wesen am oder im Körper trägt kommt sie gerade noch so durch. Kommt, liebe Mitschwestern!" rief sie. Dann zeigte sie auf ihren Bauch. Alle Mangiapietri-Männer dachten wohl, dass sie schwanger sei. Doch es waren zwei verschiedengroße Wölbungen unter ihrem Brustkorb. Aus einer hörten die mit feinen Ohren begüterten Zwergenstämmigen das wilde Quieken gefangener Nagetiere, womöglich Ratten. Was die andere Wölbung sollte wussten sie noch nicht.

"Was, mit einem Sack Ratten bist du da durchgekommen?" fragte Vespasiano seine Frau, die nun durch die Tür war und keine blauen Funken mehr um sich versprühte. Hinter ihr eilten weitere zwanzig Hexen heran, die in Zweierreihen durch die offene Tür traten. Dabei wurden sie ebenfalls von blauen Funken umtobt. Auch sie trugen Offenbar lebende Nagetiere am Körper.

"Was für'n Spruch hast du noch mal benutzt, Pappa?" fragte Valerio frech.

"Repulso Magam inoptatam", knurrte sein Vater und machte erst eine Schlagbewegung gegen seinen Sohn, bevor er sich selbst eine runterhaute. Der von ihm benutzte Zauber wehrte zwar unerwünschte Hexen ab, wurde aber durch ungeborene, vor allem männliche wieder aufgehoben. Nun waren Ratten keine ungeborenen Kinder, aber lebendig und genauso groß wie ungeborene Menschenkinder in den ersten Monaten sein mochten.

"Es gab zwei Möglichkeiten, euren Männerclub betreten zu können. Vielsaft-Trank mit Haar von euch drin und einem Auracalma-Zauber gegen Geisteserfassung oder eben das", bemerkte Lavinia und trat auf ihren Mann zu. Da hörten sie das vielfache Donnern von Explosionen. Auf der nun rundum die Wand verlaufenden Außenansicht sahen sie, wie Viele Speere als gleißende Geschosse in die grüne Feuerwand einschlugen und darin zerplatzten. Noch traute sich keiner der Besenflieger, direkt in den Schild zu fliegen. Sie Versuchten es nun anders, in dem sie zwanzig Speere direkt hintereinander warfen, die in einer Linie, mit fünf Metern Abstand, auf einen bestimmten Punkt des Schildwalls zujagten. Der erste zerplatzte in einem blauen licht. Keine Sekunde später traf der ihm folgende Speer und verging ebenso in einer Explosion aus Licht und Feuer. Der dritte schlug auf und zerplatzte ebenfalls. Doch der Schild erzitterte. Als der vierte Speer genau dieselbe Stelle am Schild traf huschten blaue und violette Blitze vom Aufschlagpunkt senkrecht nach oben und unten. Die im Sekunden takt folgenden Wurfgeschosse trafen ebenfalls genau die eine Stelle am Schild. Die entstandene Lichtsäule glühte heller, wand und schüttelte sich wie eine Schlange, die Schlägen auszuweichen trachtet. Dann trafen der vorletzte und letzte Speer auf. Der Vorletzte schlug bis zur Hälfte durch, bevor er zerbarst. Der letzte Speer glitt bis zum Schaft durch die bebende Barriere. Dann verging auch er in einer Feuerkugel mit zehn Metern Durchmesser.

Die grüne Schildmauer bekam erste Risse, die als hellgrüne Feuerbänder von der höchsten Stelle bis zum Boden führten.

"Sie haben doch wahrhaftig den Zauber der erholten Gegenwehr aufgehoben, falls ihr das hier noch nicht gesehen habt. Wenn der Eisenfeuerschild der einzige Schutz ist kommen sie mit entsprechenden Waffen irgendwann durch. Außerdem weichen da draußen gerade welche den Erdboden auf, um sich darin einzugraben, womöglich um unter das Granithaus zu kommen", vermeldete Paolo Bellaspata ruhig.

"Erdmagie. Dann werden die gleich ihre granitharte Überraschung erleben, aber nicht überleben", schnarrte Vespasiano in einer Mischung aus Besorgnis und Trotz. Dann wandte er sich seiner Frau und den trotz Hexensperre hereingetretenen anderen Hexen zu und blaffte: "Und ihr verschwindet gefälligst mit euren Quiekbeuteln vor den Bäuchen und macht euch zu den Rettungstoren. Wenn die echt noch durch den Schild brechen spielen wir zum letzten Tanz auf."

"Wollt ihr alle echt heute von diesen Leuten da massakriert werden und uns allein zurücklassen, schlafend wie die Prinzessin in den Mogglimärchen?" fragte Agata, Valerios Frau. "Ja, und welcher Prinz soll uns alle dann wieder wachküssen?" schaltete sich nun auch Laura-Elena, Vincenzos Frau ein, die wohl zehn wild quiekende und wohl am Leder ihrer tragbaren Gefängnisse nagende Ratten vor dem Bauch trug.

"Wenn die Manorossas erledigt sind und die Wolkenpuster und die Feuerspieler nicht mehr davon ausgehen können, dass es uns noch gibt werdet ihr drei Jahre nach dem letzten großen Kampf wieder wach."

"Ich gehe nicht ohne dich und die drei Jungs. Varo wartet schon auf uns", zischte Lavinia Mangiapietri, während auf der Außenansichtsfläche zu sehen war, dass eine Gruppe von Todesspeeren sich in den Boden eingrub, während noch einmal zwanzig mit Speeren auf die schon angeschlagene Stelle im Schild zielten und auf ein hier nicht hörbares Kommando ihre Waffen schleuderten.

"Hast du den etwa hergeholt? Dann schick ihn mit den anderen Kindern in die sicheren Häuser und ..."

Rums!! Der grüne Schild wurde erst weißglühend und zersprang dann in Millionen Funken. Offenbar hatten die Angreifer hochexplosive Wurfwaffen benutzt und die angeschlagene Stelle richtig aufklaffen lassen. Das hatte der Schild nicht mehr ausgehalten. Der Weg zum Granithaus war frei.

Ich soll dich übrigens grüßen, Vespasiano."

"vom wem, du eigensinniges Stück?!" erboste sich Vespasiano. Da bebte die Erde, und die noch fliegenden Krieger mussten aufschießenden Erd- und Gesteinsbrocken ausweichen. Zwei der Krieger wurden am Kopf getroffen und kippten zur Seite weg.

"Ich soll dich von deiner Großmutter Lutetia grüßen und dir ausrichten, dass du endlich mal zu ihr zu Besuch kommen möchtest", sagte Lavinia und zog dabei eine bauchige Flasche aus Silber unter ihrem Umhang hervor. Das war also die zweite Wölbung gewesen, erkannten sie alle. Vespasiano und seine Söhne lachten lauthals. Dennoch hörten sie, wie Lavinia sagte: "Diese Flasche hier sollte für ihre Tochter, deine Mutter sein. Aber als sie erfuhr, wen die geheiratet hat, hatte sie keine Lust mehr, ihr damit beizustehen. Denn in dieser Flasche sind wirkungsvolle Schutzzauber eingearbeitet. Einer davon macht, dass alle mit ihr Blutsverwandte oder deren Mütter sofort ... Pling! Der Verschluss der an einer Kette hängenen Silberflasche sprang auf. Unverzüglich setzte die magische Wirkung ein.

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"Die wollen sich zu uns durchgraben", erkannte Austrino Nuvolebianche. Sein Vater sah es auch und grinste überlegen. "Falls sie es schaffen, Gänge bis zu uns durchzutreiben werden sie es sehr bitter bereuen", raunte der grauhaarige Hausvorsteher. "Oberst Moroni, die Blitzbüchsen öffenen!"

"Zu Befehl, Domine Maior", sagte der in blau gekleidete Oberst der Hauswachen. Er hantierte mit seinem Zauberstab über geometrischen Abbildungen. Jetzt konnten sie alle sehen, dass sich die ortsfeste Windhose leicht bläulich einfärbte. Ein leises Brummen erfüllte den ganzen Stufenturm.

"Vater, was sind Blitzbüchsen?" wollte Austrino wissen.

"Wirst du erleben, wenn die mit ihren Waffen da unten überhaupt bis zum Fundament durchkommen", raunte sein Vater.

Eine weitere Besenzenturie im Anflug!" vermeldete der blaue Oberst und deutete auf die Außenansicht. Da kamen noch mal hundert Besenflieger angerast.

Sollen sie es wagen", knurrte der Herr des Hauses Nuvolebianche. Dannhörten und fühlten sie die Auswirkungen unterirdischer Explosionen. Um den Turm herum, da wo sich je zwei Besenflieger mit Grabezaubern Tunnel unter der Windhose durchgraben wollten, schossen rot glimmende Fontänen aus Erde und Gesteinstrümmern hoch. Die Auswürfe wurden vom Sturm gepackt und nach mehreren wilden Wirbeln als winzige Wurfgeschosse hinausgeschleudert. An der Stelle, wo die Explosionen erfolgt waren klafften nun kleine Krater. "Haben die echt geglaubt, dass sie mit ihren flugbezauberten Speeren tief genug unter die Erde kommen, ohne von der kreisenden Flugzauberstauchung berührt zu werden?" fragte Dominus Albano mit unüberhörbarer Verachtung.

"Dann sind die von ihren eigenen Waffen erledigt worden, Vater?" wollte Austrino wissen. Dieser nickte heftig. "Wie tief müssten die denn graben, um sicher zu sein?" wollte er wissen. "Mindestens so tief, wie der Sturmwall ausgedehnt ist, je nach Stärke der mitgeführten Flugzauber bis zur dreifachen Ausdehnung tief. Unsere Vorfahren waren nicht einfältig", sagte er noch.

Ja, aber die haben doch auch unbezauberte Waffen mit, oder?" wollte sein Sohn wissen. Albano nickte erneut. "Wird ihnen auch nicht helfen", sagte er mit unerschütterlicher Überzeugung in der Stimme.

Gerade zerbarsten fünf noch zur ersten Zenturie gehörende Besen in wirbelnden Walzen aus Feuer, ohne vom Sturmwall berührt worden zu sein. Wahrscheinlich waren ihre Reiter von den ausgespienen Trümmern getroffen und dabei betäubt oder getötet worden, dachten die Beobachter im Überwachungsraum.

Die zweite Zenturie landete zweihundert Meter von der Sturmgrenze entfernt. Austrino sah nun abgeschnallte Gürtel auf dem Boden, die mit kleinen, zauberstabähnlichen Gegenständen in Futteralen gespickt waren. Sie hatten ihre Waffengürtel mit den gefährlichen Speeren abgelegt.

Unvermittelt krachte es laut. Der Turm erbebte leicht. An den Stellen, wo sich die Gegner in den Boden gegraben hatten, schlugen in rascher folge wweißblaue Blitze aus den Tunnelöffnungen. "Wie gesagt, unsere Vorfahren waren nicht einfältig", wiederholte Albano Nuvolebianche. "Wenn die geöffneten Blitzbüchsen unter dem Fundament frische Luft fühlen jagen sie ihre Ladungen durch die geschaffenen Luftzugänge. Alles was sich darin aufhält verbrennt oder stirbt am elektrischen Schlag."

"Aber die blitzen immer noch", flüsterte Austrino seinem Vater zu. "Ja, weil der Sturmwall die Luft um uns immer wieder auflädt und die Büchsen nachfüllt. Selbst wenn sie jeder für sich einen Gang graben würden sie Opfer mindestens einer Entladung", wisperte Dominus Albano.

"Zweite Zenturie rückt zu Fuß aus allen Richtungen vor, Domine", vermeldete Oberst Moroni.

Wie kleine Kanonen donnerten die aus den gegrabenen Zugängen entfahrenden Blitze. Allerdings erwischte keiner davon einen von den Besenfliegern.

"Sind die da unten jetzt alle tot?" wollte Austrino wissen. Der blaue Oberst kam dem Hausvorsteher zuvor. "Entweder sofort gestorben oder sie sterben in den Nachfolgeblitzen.

Sie beobachteten, wie die noch fliegenden Besen auf die Höhe der zu Fuß vorrückenden Kameraden flogen und landeten. Dann sahen die Beobachter, wie die Verstärkung erst Zauber in den Boden hineinjagte und dann auf Wurfgröße entschrumpfte Speere mit den Schäften nach unten hineinrammten. Jeden so eingepflanzten Speer behandelte ein anderer mit einem kurz bläulich flimmernden Zauber. Austrino sah seinen Vater und Oberst Moroni an. Doch beide wirkten genauso unschlüssig wie er, was die Angreifer damit vorhatten. Wollten sie eine Speerpalisade bauen, um die Turmbewohner ihrerseits einzusperren? Tatsächlich zogen die noch kampffähigen Krieger zwei Ringe mit im Abstand von zwei Metern zueinander versetzt eingepflanzten Speeren. Jetzt sah Austrino Nuvolebianche, dass die Speerspitzen auf den Turm und den ihn umkreisenden Sturmwall ausgerichtet waren. Das kurze blaue Flimmern machte nicht nur Austrino Sorgen. Auch sein Vater verfolgte das neue Vorgehen der Feinde mit sichtbarem Unbehagen. Insgesamt pflanzten die Angreifer hundert Speere in den Boden ein, während die Entladungen aus den Tunneleingängen ihr Treiben wie in einzelne Handlungsabschnitte zerhackten, ohne jedoch einem der Feinde zu schaden.

"Das gefällt mir nicht", raunte Albano Nuvolebianche. Austrino fragte, was genau seinem Vater nicht gefiel. "Dass sie genau die Hälfte aller mitgebrachten Speere in den Boden gesetzt haben, mein Sohn", erwiderte Dominus Albano. Austrino verstand. Die Angreifer trugen noch genug verkleinerte Wurfspeere an ihren Gürteln. Dann fingen sie an, die ersten freizuziehen. Nun bezauberten deren Kameraden die silbernen Schäfte mit dem gleichen blauen Flimmern, das zwei Sekunden Vorhielt. "Nachfolgezauber, dass die eingesetzten Speere denen nachfliegen, die sie losschicken", dachte Austrino erst einmal für sich. Doch das war nur die halbe Wahrheit.

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Ladonna Montefiori fühlte das schnelle Wechselspiel zwischen Kräften der Luft und des Feuers. Sie musste zusehen, nicht zu nahe an die aus dem Boden schlagenden Blitze zu geraten. Ihre Entladungen taten ihr spürbar im Kopf weh. Die scharfen Donnerschläge stachen wie mit glühenden Nadeln in ihre Ohren. Sie stieg höher, so hoch, dass sie nur noch mit ihrem Waldfrauen-Sehvermögen verfolgen konnte, was weiter unten geschah. Sie beschloss, nach dieser Beobachtungsmission Ohrentrosttropfen anzuwenden, um keinen bleibenden Hörschaden zu behalten und auch Augentrosttropfen, um keine Sehschwäche zu erleiden.

Sie sah zu, wie die Manorossa-Krieger einen Teil ihrer magischen Wurfspeere um den Turm einpflanzten und sah immer wieder bläuliches Licht flimmern. Was trieben die da unten? Sie war jetzt zu hoch über ihnen, und die tobenden Elementarkräfte überlagerten ihren Spürsinn für Magie. Dann bekam sie mit, was dort unten vor sich ging.

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Austrino sah, wie gleich Fünfzig Mann ihre ersten Speere losschleuderten. Diese flogen silbrig leuchtend auf den Sturmwall zu. Womöglich würden sie wieder darin von ihren eigenen Flugzaubern auseinandergesprengt. Dann gerieten die Wurfgeschosse in den magischen Wirbelsturm. Sie leuchteten nun weiß-blau auf. Dann flogen blaue Funken aus ihren Schäften und bildeten kurzzeitige Lichtbögen, deren andere Enden die auf den Turm gerichteten Spitzen der eingepflanzten Speere waren. Diese leuchteten nun auch blau auf. Die in den Sturm geratenen Speere wurden weitergewirbelt. Dabei schnellten immer wieder Lichtbögen zu den außerhalb eingegrabenen Speeren, die jedoch nicht zersprangen, sondern die auf sie überschlagenden Kräfte in den Boden ableiteten.

Der Turm erzitterte unter einer heftigen Böe wie in einem natürlichen Sturm. Albano und Moroni tauschten sehr besorgte Blicke aus. Sie schwächen den Sturmwall, Domine. Sie schwächen mit ihren Speeren den Sturmwall", vermeldete der Oberst, bevor ein leises, hektisches Pingeln von oben seine Meldung bekräftigte.

Weitere Speere flogen in den Wirbelsturm, der aus sich heraus in blauen Lichtern flackerte.

"Wieso können die das? Vater, du hast immer gesagt, dass der Sturmwall durch keinen Luftzauber zu kontern ist, weil er so vielschichtig ist", stieß Austrino aus.

"Blitzbüchsen zu!" befal Albano. Der Oberst bestätigte nur und ließ seinen Zauberstab über den geometrischen Figuren kreiseln. Die bisher im Sekundentakt entstehendenEntladungen hörten auf. Wieder wurde der ganze Turm von einer Windböe erfasst. Der Sturmwallzauber wirkte nicht mehr gleichmäßig.

Die wirbelnde Luftsäule um den Turm glühte nun in einem gespenstischen, blau flackernden Licht, aus dem immer wieder einzelne, lautlose Blitze auf die darum eingepflanzten Speerspitzen überschlugen. Doch die bisher so ortsfeste Windhose wankte. Einzelne Ausläuder trafen den Turm selbst. Das Auge des Sturmes taumelte. Alle sahen, wie die in den Sturmwall geschleuderten Speere ihren Schwung verloren, aber dennoch auf ihrer Höhe blieben. Offenbar entluden sie die angestauten Flugzauber in ihre Geschwister außerhalb. Dafür war der Zauber mit dem blauen Flimmerlicht also da gewesen, erkannte Austrino. Und mit jeder blauen Leuchterscheinung verlor der bisher so sicher geglaubte Sturmwall an Schwung. Die in ihm gehaltenen Luftmassen brachen nach innen und außen aus. Wieder erzitterte der Turm, und von der Fahnenstange her erklang ein unheilvolles Summen. Austrino sah, wie einer der auf der begehbaren Spitze postierter Armbrustschütze in die Tiefe stürzte. Eine der Windböen musste ihn unglücklich erwischt haben. Das war also der erste in dieser Schlacht Gefallene auf der Seite der Nuvolebianche-Familie. Jetzt sahen alle, wie fünf Mann aus der zweiten Zenturie auf einen der noch offenen Tunnel zueilten, jedoch ohne ihre Waffen. Denn die hatten sie alle samt in den Sturmwall geschleudert.

"Moroni, wenn Feinde im Tunnel sind die Blitzbüchsen noch einmal auf!" befahl Albano Nuvolebianche. Sein Oberst gehorchte unverzüglich.

Eine krachende Entladung entfuhr jedem noch offenen Tunneleingang. Nach drei Sekunden die nächste. "Wieder zu damit!" befahl der Hausherr.

Die draußen lauernden sahen, wie keine weitere Entladung aus den Einstiegen schlug. Doch sie nutzten das nicht aus. Noch einmal wollten sie nicht in die selbe Falle rennen. Sie hatten jedoch damit zu tun, vor den auch sie anwehenden Sturmböen in Deckung zu gehen. Doch das Wirbeln der Windhose wurde immer schwächer. Die in ihr immer rund herum fliegenden Speere gaben die von ihr übertragene Luftmagie an ihre Geschwister in den beiden Speerringen ab. Dann flackerte das blaue Licht innerhalb des Sturmwalles kurz hell auf, und mit einem lauten Fauchen und Pfeifen entwich die aufgewühlte Luft in alle Richtungen. Der Turm erzitterte unter einem lauten Knall. Funken stoben außen entlang und verflogen mit den letzten aufgepeitschten Luftmassen. Dann erstarb der magisch erzeugte Aufruhr der Winde völlig. Die noch frei fliegenden Speere jagten nun auf den Turm zu und schlugen krachend darin ein. Doch mehr geschah nicht.

"Sie werden nun vorrücken und direkt angreifen", stellte Albano fest. "Alle nur mit Zauberstäben bewaffneten nach unten! Alle Schützen laden Sprengpfeile. Keine Gefangenen!" befahl der Hausherr mit selten gehörter Wut in der Stimme.

"Sind wir genug, um sie abzuwehren?" fragte Austrino seinen Vater.

"Wenn sie keine Verstärkung schicken können wir sie abwehren. Aber der Sturmwall ist zerstört. Die Blitzbüchsen nützen nun auch nichts mehr gegen unterirdisch vorrückende Angreifer."

"Ja, aber ohne Fluggeräte kommen sie nicht nach oben durch", hoffte Austrino, weil im Turm nur die zwei Schwebeplatten zum Auf- und Abstieg vorhanden waren. . "Diese Bande hat sicher Ausziehleitern mit, die hundert Meter weit reichen, um als Kletterhilfe oder Behelfsbrücke zu dienen", seufzte Albano Nuvolebianche. Austrino fragte lieber nicht weiter.

"Wieder krachte es weiter oben. Laute Schmerzensschreie erschollen. "Spreng- und Feuerzauber, Domine", meldete Moroni. Dann sah auch Austrino, wie weiter unten ein weißglühender Wurfspeer von einem Besenreiter geschleudert in den Turm einschlug und in einem weißblauen Feuerball auseinanderplatzte. "Wenn die noch mehr davon mithaben sind wir eindeutig nicht genug, mein Sohn", griff Albano Austrinos Frage von eben auf. Zwar erwischten zwei Armbrustschützen je zwei vorrückende Angreifer, aber das reichte wohl nicht aus, wenn weitere Speere mit Sprengzaubern geworfen wurden, die zehn- bis zwanzigmal so stark waren wie die mit Sprengzaubern getränkten Armbrustbolzen und Pfeile.

"Werden die anderen Gefangene machen?" fragte Austrino, der sich ausmalte, dass sie heute alle sterben mussten.

"Sie werden mich wohl noch lebend fassen wollen, um aus mir herauszuholen, wo wir unsere Liegenschaften haben und wer genau Tribut an uns zahlt oder für uns in den Minen und Bauernhöfen arbeitet", sagte Albano verknirscht. Wie zur Bestätigung krachten zwei weitere Sprengspeere in die Turmwand. Die war zwar mit dem Megadamas-Zauber gehärtet. Doch das reichte nicht aus.

"Alle Frauen und Kinder in den Schutzkammern bereit zurFluchtversetzung! Sie sollen in einer Minute weg sein!" befahl Albano, der stolze Patriarch der NuvoleBianche-Familie. Eine mittelhohe Glocke schlug an. Dann erfolgte jede Sekunde ein lautes Klackern wie heftig gegeneinanderschlagende Holzscheite. "Tacchi zu mir!" rief er dann laut. Eine Hauselfe apparierte laut krachend vor ihrem Herrn und Meister.

""Austrino, Hier, nimm, damit wenigstens du überlebst!" zischte Albano und zog seinen goldenen Ehering vom Finger. Er hielt ihn Austrino hin. "Mach, steck ihn schnell an", fauchte er und sah seinen Sohn sehr streng an. Er zog sogar seinen Zauberstab.

Austrino steckte den Ring an. "Ehre deine Mutter und achte ihr Wort!" sprach der Patriarch der Nuvolebianche-Sippe und zzielte mit dem Zauberstab auf seinen ältesten Sohn. Ohne Vorwarnung erstrahlte der ihm angesteckte Ehering und hüllte ihn in goldenes Licht. Eine Sekunde später knallte es, und statt des erwachsenen Jungen lag ein gerade wie vor drei Tagen geborener Säugling in dunkelblauem Strampelanzug und mit sichtbar gut gewindeltem Unterleib da. Der Ehering der Nuvolebianche fiel klingend zu boden. "Du bringst ihn zur Fluchtkammer sieben und kommst wieder", rief Albano über das wütende Schreien und Quängeln hinweg, das der schlagartig wiederverjüngte Austrino von sich gab. Die Hauselfe ergriff den Zurückverjüngten geschickt an Kopf und Rumpf und disapparierte.

Austrino plärrte, als er in einem runden Zimmer ohne Türen ankam. "Meister Albano will, dass er lebt", sagte die ihn tragende Elfe und eilte auf eine Frau im langen blauen Kleid zu. "Hier, Meisterin Marita, nehmt ihn", piepste die Elfe noch.

"Austrino?" hörte Austrino seine Mutter fragen. Er beruhigte sich für einige Sekunden. Das reichte ihr wohl als Antwort. Sie nahm ihn. Austrino hörte noch, wie die Hauselfe wieder verschwand. Er lag nun in den Armen seiner Mutter, wie vor fünfzig Jahren schon einmal. Doch er wusste noch alles, was er seitdem erlebt und gelernt hatte. Das machte ihn wütend. Sein Vater hatte ihn reingelegt und ihn einfach so weggegeben.

"Noch fünfzehn Sekunden", erklang eine weiblich geprägte Zauberstimme. Austrino quängelte, schrie aber nicht mehr. Es hatte eh keinen Sinn mehr.

Die letzten zehn Sekunden verstrichen mit lauteren Taktschlägen. Dann umschloss sie alle tiefe Schwärze.

Der Wächter vor der Tür der Fluchtkammer, die nur eine Hexe oder ein minderjähriges Kind betreten konnte, hörte das Quängeln eines Säuglings und das bekannte Piff eines disapparierenden Hauselfens. Wer hatte denn von den ganzen Hexen hier einen Säugling, der noch nachgeliefert werden musste? Der Wächter sah, wie bei den letzten Zehn Sekunden vor dem Ende der befohlenen Minute silberne Rigel vor die Tür schnellten und sie verschlossen. Dann kam ein lauter Glockenschlag, begleitet von einem in der Tonhöhe abfallenden Fauchen. Die aufgeregten Kinderstimmen und die auf sie einsprechenden Mütter verstummten. Dann zischte es für zwei Sekunden ganz laut. Die Riegel sprangen wieder zurück. Die Tür entsperrte sich und ging auf. In der runden Zufluchtskammer war niemand mehr zu sehen. "Kammer sieben geräumt!" rief der postierte Wächter einem silbernen Ohrensymbol in der Wand zu. Dann nahm er seine sich selbst spannende Armbrust, um auf seinen letzten Posten zu gehen, um den Turm bis zum letzten Atemzug für Ruhm und Reichtum des Hauses Nuvolebianche zu verteidigen.

"Wenn wir sterben ist das Haus führungslos, Domine!" rief der Oberst der blauen Pfeile.

"Nein, wird es nicht. Er wird ein Cogison bekommen und seine Mutter wird ihn zu den Sitzungen bringen, falls das Haus überlebt", sagte Albano Nuvolebianche. Der Oberst nickte.

Die Besenflieger jagten in wilden Zickzackmanövern und wie pralle Quaffel auf und abspringend heran. Sie wollten keine klar bestimmbaren Ziele bieten.

"Dann spielt auf zur Schicksalsstunde, hier und wo immer unsere Fahne weht. Manorossa soll nicht triumphieren!" Rief Albano. Das war das Zeichen für seine Schützen, die anfliegenden Gegner vom Himmel zu holen.

Gleichzeitig jagten an die vierzig nur mit Zauberstäben bewaffnete Kämpfer in blauer Kleidung und mit roten Raubvogelmasken vermummt auf einer Schwebeplatte nach unten.

"Jetzt wird sich erweisen, ob deren Leute schneller zaubern können als unsere", meinte Moroni zu seinem Herren. "Wolltet ihr nicht von Tacchi gerettet werden?"

"Soll ich dich hier und jetzt totfluchen, Sebastiano Moroni", knurrte Albano, der immer noch seinen Zauberstab hielt. Dann tauchte er nach dem auf dem Boden liegendenRing, in dem er sowohl den Infanticorpore-Fluch als auch einen damit verbundenen Schnellumkleidezauber gewirkt hatte. Er steckte sich den Ring an den Finger. Da hörten sie von unten schon die ersten gerufenen Zauberworte und das Krachen und zischen losgelassener Flüche und Gegenzauber. Die Gegner kamen also auch von unten, trotz Megadamas-Bezauberung im Fundament.

Albano sah, wie seine Schützen zzwanzig Angreifer abschossen. Ihr Ende war grauenvoll mit anzusehen. Doch der Patriarch der Nuvolebianchesippe wusste, dass er diese Bilder nicht all zu lange in seinem Kopf behalten würde. Er sah, wie von draußen weitere Speere in den Turm einschlugen, mal oben, mal unten. Teile des massiven Mauerwerkes brachen heraus und fielen zu Boden. Dann hörten und sahen sie, wie die Besenflieger den Todesfluch schleuderten. Die gleißendgrünen Blitze sirrten durch die Schießscharten oder prallten links und rechts daneben auf. Zwar verlor der Feind auf diese Weise noch zwanzig Mann. Doch von den Schützen waren bereits über die Hälfte gefallen. So schnell hatte sich das Schlachtenglück gegen den Turm der Nuvolebianches gewendet.

"Finem proximum Video. Sine timore mortem obviam eo", sprach Albano Nuvolebianche. Dann hörten Moroni und er, wie die ersten Feinde auf der Turmspitze landeten. "Für Ruhm und Ehre des Hauses Manorossa!" rief jemand von oben. Von unten klangen immer noch die Kampfzauber, darunter auch die anderswo streng geächteten Auslöseworte des tödlichen Fluches. Albano hörte, dass es mehr der Gegner waren, die "Avada Kedavra!" riefen. Er stand auf, griff in seinen Umhang. "Zeit für den letzten Akt, mein treuer Knappe Sebastiano. Moroni griff unter den Tisch, auf dem die Überwachungs- und Verteidigungseinrichtungen befestigt waren. "Es war mir eine Ehre, euch zu dienen, Domine Albano", sagte der Oberst und hob eine sich selbst spannende Armbrust an. Er zielte damit auf die Tür. Wenn einer der Manorossa-Krieger hereinkam würde dieser sterben.

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"Eh, was soll denn das!" schrillte Vespasiano. Doch seine Stimme wurde immer dünner und höher. Die Wachen sahen, wie er und seine Söhne sowie deren Frauen eingeschrumpft und in die merkwürdige Silberflasche eingesaugt wurden. Doch den anderen widerfuhr das nicht. Dann flog die Flasche von einer grün-rot flirrendenSphäre umhüllt durch die massive Decke und verschwand.

"Was war das denn?" fragte Bellaspata.

"Ich vermute Zwergenzauber kombiniert mit Zauberstabmagie", sagte sein Untergebener. "Ui, während wir dieser Flaschennummer zugesehen haben haben sich da draußen zehn Krieger in einer Feuerwalze aufgelöst."

"Ja, aber wo sind der Dominus Maior und seine Familie hin?"

"Habt ihr zwei doch gehört", Sagte eine rundliche Frau, die mit dem vor ihrem Bauch zappelnden Ledersack rang, aus dem sich wohl die eingesperrten Ratten herausnagen wollten. "Sollen wir das wirklich machen, was Lavinia gesagt hat?" fragte eine andere. "Natürlich, oder willst du kinderlos weiterleben oder in einem von diesen Schlafhäusern versteckt bleiben."

"Gut, dann los", sagte Annarosa, die Frau von Paolo Bellaspata und zog ihren Zauberstab. "Mädchen, das ist Verrat und ..." rief Paolo noch. Da traf ihn ein violetter Lichtblitz.

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Sie kamen von unten und von draußen. Weitere Stücke des Mauerwerkes brachen heraus. Der stolze Turm der Nuvolebianches ächzte und knarrte bedrohlich.

"Dort ist der Blutkrämer", hörten Albano und sein Oberst eine wütende Stimme, während weiter oben und unten noch gekämpft wurde. "Domine Albano, du hast Schande über dein Haus und Zorn über das Haus meines Herren gebracht. Ergib dich, und dein Sohn Austrino soll leben und als einer von uns dienen!" rief eine der Stimmen.

"Ich pflege keine Anweisungen von Leuten zu befolgen, die sich hhinter einer geschlossenen Tür aufhalten!" rief Albano. "Klar, damit wir noch in eine deiner letzten kleinen Fallen rennen, wie?" schnarrte eine Andere Stimme. Dann färbte sich die Tür erst blau, dann rot und dann violett. Danach hörten sie das Zauberwort "Reducto!" Mit lautem Knall barst die Tür auseinander. Zwei Männer stürmten herein. Der eine bekam unverzüglich einen Armbrustbolzen in die Brust und wurde davon wieder hinausgeschleudert. Doch bevor Moroni den zweiten Bolzen auflegen konnte traf ihn ein ungesagter Erstarrungsbann. Es krachte dumpf, und eine rote Wolke wirbelte außerhalb der Tür. "Wo ist dein Sohn Austrino, Albano Nuvolebianche?" wollte der noch stehende Kampfzauberer unbeeindruckt vom plötzlichen Ende seines Kameraden wissen.

nicht hier", sagte Albano ruhig und machte eine erst kreisförmige und dann senkrecht von oben nach unten deutende Geste.

"Dann nehmen wir dich mit, und der da ..." Der Manorossa-Krieger stieß einen Speer vor und traf damit Moroni, der sich schützend vor seinen Herren stellte. Er blieb jedoch stehen, gab keinenLaut von sich. Sein Herr wurde von ihm immer noch beschirmt.. Dann zitterte der blaue Oberst, wankte und stürzte. "Auge um Auge", knurrte der Angreifer. Dann tauchten noch drei weitere Feinde auf. "Mein Herr will deinen Kopf für den seines Vaters", knurrte der Eindringling. "Und deine Waffenträger werden alle sterben. Wenn du deine Familie noch retten willst wirst du uns verraten, was wir wissen wollen."

"Das einzige was ich euch noch zu sagen habe ist, dass ich euch mit ins Land der Vorausgehenden nehme", sagte Albano und zeigte mit einem triumphalen Lächeln eine leere Phiole vor. Die nachdrängenden Krieger sprangen auf ihn zu. Da lachte Albano. "Amica Ultima nos enducas in terram mortuorum!" rief er, während es aus seinem Mund immer heller leuchtete. Dann schossen flammen aus seinem Bauch. Glutheiß hüllte das aus ihm explodierende Feuer alles ein, was im Raum war. Die Krieger Manorossas hatten Glück, dass ihre Drachenhautkleidung unmagische Waffen und Feuer abhalten konnte.

"Pater Domus morivit in mansione sua. Morite inimice sui!" klang ein dreistimmiger Männerchor aus leerer Luft. Dann schlugen gleißend blaue Blitze aus den Wänden und trafen jeden, der nicht die Zeichen Nuvolebianches am Körper trug. Doch da es von den Schützen und Kampfzauberern niemanden mehr gab reichte das nicht aus. Um die Geheimnisse des Hauses zu schützen, musste dessen Stammsitz in einem letzten Akt der Loyalität vergehen.

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Sie hatte beobachtet, wie die auf schwarzen Besen reitenden Angreifer den wilden Wirbelsturm gebändigt hatten und dann auf den Turm losgestürmt waren. Das war eine geniale Idee gewesen, die überschüssigen Flugzauber der Speere in darauf abgestimmte Geschwister abzuleiten und damit auch den wilden Wirbelwind zu schwächen. Sie dachte daran, dass sie verhindern musste, dass diese Leute Albano oder seinen Sohn Austrino töteten. Denn sie wollte das Bannwort der Kobolde. Jetzt wo der Sturm verschwunden war und keine Blitze mehr nach oben schlugen beruhigte sich auch ihr Kopf. Sie konnte wieder schmerzfrei handeln.

Wie ein Raubvogel auf Beutefang stürzte sie sich in die Tiefe, mehr als eintausend Meter nach unten. Sie musste noch vor den anderen in den Turm hinein. Doch dafür, sah sie, war es schon zu spät. Die Angreifer zerstörten mit ihren explodierenden Speeren das Gemäuer. Pfeile schwirrten auch ihr aus dem Turm entgegen. Fast traf sie ein silberner Bolzen. Sie wich den Geschossen aus, hörte die lauten Knälle. Sie sah, wie immer mehr Angreifer in die bereits gebauten Tunnel drangen. Doch es flogen auch noch genug auf den Besen herum. Wusch! Gerade so konnte sie einem auf unsichtbare Gegner zielenden Speer ausweichen. Doch drei Speere waren bereits hinter ihr her. Sie schlug Haken und brach nach oben aus. Erst als sie weit genug über Grund war tauchte sie unter den Geschossen weg, die erst einmal brauchten, um wieder auf sie einzuschwenken. "Ignis invictus!" dachte sie und riss ihre linke Hand hoch. Speer Nummer eins zischte bereits frontal auf sie zu. Dann prallte er auf einen rubinroten Lichtstrahl und zerplatzte weit genug vor ihr. Den zweiten Speer fegte sie förmlich mit den Feuerbündeln aus ihrem Ring aus der Bahn. Dem dritten Sper musste sie noch durch schnelles abtauchen ausweichen. Doch dann schaffte sie es auch, ihn mit der Kraft ihres Ringes zu vernichten. Dort unten hatte wohl keiner mitbekommen, dass wer ganz bestimmtes unsichtbar in den Kampf eingriff.

Ladonna prüfte, ob der Weg zum Turm nun ungefährlich war. Doch den Turm umkreisten nun dreißig Besenreiter mit wurfbereiten Speeren. Sie Musste also von unten her an den Turm heran.

Sie nahm erst einmal Abstand vom Stufenturm. 400 Meter davon entfernt ging sie in den Sinkflug über. Weil sie sofort sichtbar würde, wenn sie abstieg musste sie die Vernichtungsstrahlen ihres Ringes erst in eine Schildaura umwandeln. Außerdem zog sie ihren Zauberstab, um sich aufdringliche Wolfskrieger vom Hals zu schaffen.

Als sie landete blickte sie sich nach dem Turm um. Dieser schwankte und bebte. Seine tragenden Wände waren von übergroßen Löchern verunziert. Über dem Turm stand eine Staubwolke. Sie wollte gerade loslaufen, als sie vom Turm her eine erwachende Kraft fühlte, ein letztes Aufbäumen der darin wirkenden Magie. Sofort warf sie sich zu Boden. Da flog der Turm in weißen und blauen Blitzen und weißgelben Flammen auseinander. eine sekunde später hörte sie die vier dumpfen Schläge, mit denen die Vernichtungskraft sich Bahn verschafft hatte. Sie knurrte, weil ihr klar wurde, dass Albano und vielleicht auch sein Sohn Austrino diesen Selbstvernichtungsakt nicht überstanden hatten. Falls die beiden im Turm waren verbrannte mit ihnen auch das Wissen um das Bannwort der Kobolde.

Hätte sie die sich aufschaukelnde Magie nicht gespürt wäre sie wohl genauso in die Vernichtungsfalle getappt wie die den Turm umschwirrenden Kampfzauberer. War damit eine weitere Familie der Lupi Romani ausgelöscht? Nicht ganz. Denn ihr Unterworfener Marcello und etliche jüngeren Abkömmlinge dieser Sippschaft lebten noch. Doch die Familie hatte ihre Residenz und ihr Haupt verloren und war somit angreifbar geworden. Das sollten Bernadottis Leute ausnutzen, fand sie.

Als die ersten glühenden Trümmer in ihrer nähe niedergingen wie Himmelssteine erkannte sie, dass sie hier nichts mehr holen konnte. Sie lotete aus, ob es noch einen Apparierwall gab. Doch es gab keinen mehr. So nahm sie ihren Besen in den linken Arm und warf sich wütend in die entscheidende Drehbewegung. Sie hatte ihr heimliches Ziel nicht erreicht. Auch hatte sie nicht mitbekommen, was an einem anderen Ort vor sich ging.

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"Schneller, Mädels, die Kerle von draußen sind sicher bald da!" rief Annarosa Bellaspata und trieb ihre Dreiergruppe durch alle Räume, wo noch wachen waren. Dann waren sie in dem ihnen zugeteilten Abschnitt durch. Von den anderen Gruppen der bis zu dreißig Hexen bekamen sie über den Vocamicus-Zauber Rückmeldung, dass auch sie mit ihren zugeteilten Abschnitten durch waren. Es wurde auch Zeit. Denn trotz des mit Lederstärkungselixier imprägnierten Leders hatten die wütenden Rattenmännchen bald doch genug große Löcher herausgenagt, um sich durchzwengen zu können. . "Lasst sie hier liegen. In dem Abschnitt ist kein Repulso-Magam-Inoptatam-Zauber wirksam!" rief Annarosa. Dann legten sie alle ihre Lederbeutel ab, nur nicht die großen Leinensäcke, die sie auf den Rücken trugen.

"Raus hier!" rief Annarosa, die von Lavinia Mangiapietri als ihre Nachrückerin bestimmt worden war. Dann eilten sie in schnellem Lauf in drei große hallen mit grünen und roten Toren. Aus den roten Toren kamen gerade noch zwanzig Schwertträger. Sie wurden von den Hexen mit blitzenden Zauberstäben begrüßt und in Obhut genommen. Dann kamen keine mehr. "Einfach nur zuklappen, dann kommt keiner mehr hier rein!", sagte Annarosa. Ihre Kameradinnen befolgten diese Anweisung und schlossen die roten Tore. "Die grünen sind die schützenden Häuser. Geht durch und lasst nichts liegen, was beine Hat."

"Durch die grünen Tore und dann raus aus den Häusern und nach Norden, Mädels!" rief Annarosa Bellaspata. "Und wie finden wir unsere Männer wieder?" fragte eine andere. "Revelo Umbroriginis. Statt Dornröschen spielen wir dann lieber die deutsche Fassung von Cinderella."

"Ruckedigu!" gurrte eine andere Mitstreiterin. Dann sprangen die Hexen der Mangiapietris und ihrer Vasallen durch die grünen Tore hindurch. Als kein menschliches Wesen mehr da war fielen diese von alleine zu.

Wenige Minuten später tobten wütende, rammdösige Ratten durch die Gänge und quiekten ihren Unmut über das, was ihnen zugemutet worden war durch alle Hallen und Gänge. Dann rumste es mehrmals. Irgendwo knirschte es bedrohlich. Dann hörten die aufgedrehten Nagetiere weit entfernte menschliche Schreie, die ihnen zu ihrer Wut noch Angst einjagten. In einer unaufhaltsamen Mischung aus Panik und Wut jagten die Rattenmännchen durch die Gänge. Doch dann knallten alle Türen zu. Es tauchten drei Männer mit stoßbereiten Speeren auf. "Keiner mehr da außer ... Uhh, fette Ratten hier. Vorsicht, die könnten was ansteckendes übertragen!" rief der Truppführer und spießte eine der dahinpreschenden Ratten mit seinem Speer auf.

"Achtung, die Wändeeee!" rief jemand noch eine Warnung. Doch da war es auch schon passierrt. Die letzten bösen Fallen des Zwergenstämmigen holten sich weitere Opfer. Immer wieder wurden die Angreifer von zusammenschlagenden Wänden, niederdrückenden Decken oder aufklaffenden und sich wieder schließenden Bodenspalten erwischt, bis kein einziger Mensch mehr in diesem Granitbau herumlief. So forderte die Schlacht um das Haus der Mangiapietris hundert weitere Leben, bevor es sich für unbestimmte zeit verschloss.

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Als die Flasche sie wieder ausspuckte und entschrumpfte wurden sie von einem regelrechten Empfangskomitee aus kleinwüchsigen Leuten begrüßt. Dessen Anführerin war Lutetia Arno. Dann waren da noch zehn Männer und sechs Frauen, die von der Körpergröße und dem Gesicht her Lutetia Arno ähnelten. Außer Lutetia hielten alle Zauberstäbe in den Händen.

"Nur so viel, ihr drei verlorenen Söhne, ich bin Lutetia, eure Großmutter und Urgroßmutter. Bevor ihr noch eine Dummheit machen könnt ..." Unvermittelt schlugen aus den Zauberstäben je vier rote Blitze auf die gerade erst angekommenen ein. Das war auch für die Zwergenstämmigen zu viel auf einmal. Sie fielen um.

"Ich dachte, du wolltest sie hier aufnehmen", schnarrte Lavinia Mangiapietri.

"Ich wollte sie hier haben, Lavinia", sagte Lutetia Arno. "Wir müssen erst zusehen, dass sie keine magischen Selbstmordvorrichtungen an oder in sich haben. Außerdem weiß ich von einem Brandzeichen, das magische Eigenschaften hat. Das muss auf jeden Fall auch entfernt werden. Ich will dieses unrühmliche Kapitel meiner vom Wege abgekommenen Tochter Elora ein für allemal beenden."

"Das ist verrat!" rief Lavinia und zog ihren Zauberstab. Da erwischte sie auch ein Schockzauber, genauso wie die beiden anderen Hexen, die ihre Männer mit auf die Flucht begleitet hatten.

"Wenn du das Kapitel echt beenden willst, Ma, dann musst du auch alles, was diese Räuberwichtel in ihremLeben zusammengeräubert haben wieder hergeben, auch was deren Vorfahren geklaut haben. Gut, die Menschen, die wegen ihnen gelitten haben und gestorben sind können wir so nicht mehr retten. Aber mit dem geklautenGold könnten deren Hinterbliebenen entschädigt und wenn was überbleibt noch viele gute Taten getan werden", sagte Albericus Latierre und sah auf die betäubten.

"Geht der Infanticorpore auch bei Zwergstämmigen?" fragte Primula Arno keck. "Soll ich den bei dir ausprobieren, Mädchen. Immerhin hast du mir bisher keine Enkel beschert und ich könnte noch mal Übung im Stillen nehmen, damit ich es meinen Patientinnen noch besser erklären kann", erwiderte Lutetia. Alle anderen lachten. Denn zum einen konnte ihre Mutter oder Großmutter diesen Zauber ja eh nicht anwenden. Zum zweiten bbrauchte sie nach den vielen Kindern, die sie selbst geboren hatte, keine neuen Übungen in Säuglingspflege.

"Sollen die anderen weiterhin nichts davon mitkriegen, Ma?" fragte Albericus. "Ja, sie haben es bisher nicht gewusst und müssen es auch nicht jetzt noch wissen. Die anderen Räuber und Mörder werdenhoffentlich bald denken, dass sie sich selbst umgebracht haben. Die werden sich dann gegenseitig massakrieren. Das können wir nicht ändern, es sei denn ..."

"Jemand verpfeift die alle an die Zaubereiministerien", sagte Albericus.

"Wenn das nicht schon längst passiert ist, Junge. Und jetzt erst mal mit denen in die sicheren Betten, wo nichts böses rein und nichts verräterisches rausdringen kann!" sagte Lutetia Arno gebieterisch. Keiner und keine hier wagte ihr zu widersprechen.

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29.04.2004

Auf ministeriellen Erlass hin wurden alle mittlerweile öffentlichenEinrichtungen der Lupi Romani gestürmt und Unterlagen beschlagnahmt. Gegen drei Uhr Nachmittags kam die Meldung, dass sowohl die geheime Niederlassung der Nuvolebianches in den Dolomiten, wie auch die Sommerresidenz der Manorossas gestürmt worden war. Dort wurden nach kurzem hartem Kampf mehrere brisante Unterlagen beschlagnahmt. Das Ministerium ließ laut verkünden, dass sie endlich ein altes Übel in den Griff bekommen hatten. Dabei unterschlug Bernadotti Natürlich den Umstand, dass die Entmachtung von drei Familien der Lupi Romani und die bald anstehende Entmachtung der verbliebenen Familie nur möglich war, weil eine andere Geißel der Zaubererwelt ihren nächsten großen Schlag gelandet hatte. Sie hoffte darauf, bald auch die meisten europäischen Zaubereiministerien zu kontrollieren. Doch sie wusste auch, dass dies nur gelingen konnte, wenn die französische Zaubereiministerin von allen ausgegrenzt wurde, damit sie beim entscheidenden Vorstoß nicht stören konnte. Doch zunächst einmal genoss sie ihren heimlichen Sieg.

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30. April 2004

Laurentine hatte an diesem Morgen des letztenApriltages ein Päckchen erhalten, in dem ein merkwürdiges Puzzle, ein scheinbar leeres Papyrusblatt und eine einfache Notiz enthalten war. Auf dem Zettel stand:

Sehr geehrte Melle. Hellersdorf, wenn Sie das hier lesen können sind Sie diejenige, die meine geliebte und hoch verehrte Tante Hera mir zur Vervollkommnung ihrer bereits stark entwickelten Zauberfertigkeiten anempfahl.

Um keinen Unmut in Ihrer unmittelbaren Umgebung aufkommen zu lassen bitte ich Sie, keinem von dieser Postsendung zu berichten. Wenn sie mich zur ersten Stunde ihrer erweiterten Einzelstunden aufsuchen möchten lösen sie die beiden beigefügten Rätsel, ein räumliches und ein schriftliches. Beide Lösungen werden Ihnen Zeit und Ort Ihrer ersten Stunde verraten.

Sollten sie vor der noch zu enthüllenden Zeit beschließen, dass Sie doch nicht bei mir vorstellig werden möchten, so stecken Sie das Paket wieder so zusammen, wie sie es erhalten haben und schicken es mit einer Posteule Ihrer Wahl an Madame Hera Matine, die es dann an mich weiterleiten wird. Sollten sie es nicht bis zur von mir festgelegten Zeit schaffen, hoffe ich zumindest, dass Sie auch ohne meine Unterweisungen aufrecht und stark Ihr Leben meistern können.

Ich möchte Sie nur vorwarnen, dass wenn Sie einmal bei mir vorstellig geworden sind und vor mir unumstößlich bekundet haben, dass ich Sie weiter unterweisen möge, dass diese Unterweisungen sehr anstrengend und zum Teil auch beängstigend und körperlich gefährlich sein werden. Daher biete ich meine Dienste auch nur solchen Hexen an, die bereits mit Beauxbatons fertig sind und alle Zauberstabbasierten Fächer bis zum UTz belegt haben und auch schon einige Jahre freies Zaubern erlebt haben. In Ihrem Fall erfuhr ich, dass Sie sich bereits in der Schule hohe Auszeichnungen erwarben und auch schon den ersten internationalen Erfolg feiern durften. Ich hoffe sehr, dass Sie dadurch nicht zur Selbstüberschätzung neigen. Das könnte in einigen Fällen sehr unangenehme Auswirkungen haben, bin jedoch sehr gespannt, wo ich bei Ihnen mit der erbetenen Arbeit beginnen kann und wie weit ich Sie in den drei bis vier Wochen, die sie dann jeden Tag nach ihrer Broterwerbsarbeit von mir unterwiesen werden gelangen werde.

Für denFall, dass Sie sich jetzt nicht haben abschrecken lassen, bei mir anzutreten wünsche ich Ihnen viel Erfolg und auch Vergnügen mit den beiden beigefügten Rätseln. Da es sich nicht um einfache Worträtsel handelt kann ich sicher sein, dass Sie sie nicht in Nachschlagewerken finden werden.

Mit hochachtungsvollen Grüßen

Melle. L. Beaumont

"Das Mercury-Puzzle", grummelte Laurentine. Sie hatte diesen Spielfilm vor kurzem auf DVD gesehen, wo ein autistischer Junge ein scheinbar unlösbares Bilderrätsel entschlüsseln konnte und damit ganz unbeabsichtigt einen Geheimcode der CIA geknackt hatte, was die Schlapphüte in diesem Film sehr gegen den Jungen aufgebracht hatte. Doch dieses Ding hier mochte ein zerlegter Zauberwürfel sein, sowas wie der Würfel der Wirrsal in Päckchengröße. Doch wie konnte ihr ein 3-D-Puzzle die Rätsellösung zeigen? Weil das wohl die Frage nach dem Wo beantwortete. Die Frage nach dem Wann gab dann wohl das Blatt her. Warum eigentlich Papyrus und nicht Pergament oder Papier? Sollte sie etwa Hieroglyphen entziffern, um zu zeigen, dass sie auch altägyptische Zauber lernen konnte? Ja, es ging schon gut los. Viele Fragen, noch keine Antworten. Doch genau das kitzelte Laurentines Intellekt.

ENDE

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