LADONNAS LAND (1 VON 2)

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Die Welt ist weiterhin in Aufruhr. Die nichtmagische Menschheit lebt mit den Auswirkungen der Terroranschläge vom 11. September 2001 und dem Vergeltungskrieg der USA und ihrer Verbündeten in Afghanistan und dem Irak. Die Magische Welt hat weiterhin mit den Auswirkungen der von Ladonna Montefiori unbeabsichtigt ausgelösten Welle dunkler Zauberkraft zu tun. Zwar konnte das Erbe Sardonias in und über Millemerveilles endgültig beseitigt werden. Doch die während der Eingeschlossenheit durch eine gasförmige Droge Vita Magicas ausgelöste Fortpflanzungsorgie erlegt den Bewohnern Millemerveilles die Verantwortung für über 750 im nächsten Jahr ankommende Kinder auf. Im Auftrag und mit Hilfe der transvitalen Entität Ammayamiria errichten Millie und Julius Latierre zusammen mit Ashtarias Nachkommen Camille Dusoleil, Maribel Valdez und Adrian Moonriver eine neue, schützende Glocke über Millemerveilles, die nicht wie die dunkle Kuppel Sardonias auf Leid und Tod, sondern Lebensfreude, wachsendem Leben und Liebe gründet. Die dunkle Woge im April 2003 bestärkt dunkle Wesen und Gegenstände. So erwacht die schlummernde Kraft in einem Zauberkessel der Hexenmeisterin Morgause zu unheimlichem Eigenleben. Doch der Kessel wird von den darum streitenden Hexen Anthelia und Ladonna zerstört. Morgauses darin eingelagerte Seele wird von der ebenfalls bestärkten Nachtschattenführerin Birgute Hinrichter vertilgt und gibt ihr damit noch mehr magische Kraft. Auch der Orden der Gooriaimiria gewinnt durch die weltweite Welle dunkler Zauberkraft mehr Kraft. In Australien erwachen die vier letzten Schlangenmenschen Skyllians aus jahrtausendelangem Zauberbann und sorgen über mehrere Wochen für Angst und Unsicherheit, weil sie ihr Dasein ungehindert ausbreiten wollen. Nur die von Anthelia nach Australien geschafften Insektenmenschen, sowie ein machtvolles Ritual australischer Stammeszauberer am heiligen Berg Uluru dämmen die Ausbreitung von Skyllians letzten Dienern ein. Julius Latierre nimmt an mehreren Hochzeitsfeiern teil. Bei der Hochzeit von Gabrielle Delacour und Pierre Marceau in einem abgelegenen Waldschloss bei Amien droht die Geheimhaltung der Zaubererwelt zu scheitern. Denn das Schloss wurde vom US-Geheimdienst CIA als Spionage und Überwachungsstätte benutzt. Nur Julius' Computerkenntnisse und der Zaubertrank Felix Felicis ermöglichen ihm, die drohende Enttarnung der Zaubererwelt zu verhindern. Im Dezember bekommt die Familie Latierre Zuwachs. Zum einen wird den Eheleuten Hippolyte und Albericus Latierre ein Sohn geboren, der eine körperliche Besonderheit aufweist. Er besitzt zwölf Finger und zwölf Zehen. Zum anderen heiratet Hippolytes und Béatrices Cousin Gilbert seine amerikanische Kollegin Linda Knowles, mit der er den Betrug der US-Quidditchmannschaft bei der Weltmeisterschaft aufgedeckt hat. Ein wenig beunruhigt ist er von einem Traum, indem die in magischen Sphären überdauernden Seelen älterer Frauen davon sprechen, dass Millie und er drei Jahre und drei mal so viele Jahre wie sie Töchter haben keinen Sohn bekommen können, weil die Magie der Mondburg dies so eingerichtet hat. Da Ashtaria über Ammayamiria gefordert hat, dass er in den kommenden Jahren seinen ersten Sohn zeugen soll, um den Tod eines Sohnes aus der Linie Ashtarias auszugleichen, weiß er nicht, was er von diesem Traum halten soll. Die ersten Wochen des Jahres 2004 verlaufen ohne erwähnenswerte Ereignisse. Doch die mit dem Schutz der magischen und nichtmagischen Menschen betrauten Ministeriumsbeamten wissen, dass diese Ruhe trügerisch ist. Tatsächlich nutzen die menschenfeindlichen Gruppierungen die Zeit, um bessere Ausgangsmöglichkeiten für weitere Aktionen zu schaffen. Die Sekte der erwachten Göttin errichtet auf jedem der sieben großen Erdteile einen magischen Stützpunkt, einen "Tempel der erwachtten Göttin". Birgutes nachtschatten erweisen sich als die mächtigsten Widersacher Gooriaimirias. Mit dem Machtanspruch Gooriaimirias unzufriedene Vampire erbeuten die Kenntnisse über die Standorte der sieben Tempel. Linda Latierre-Knowles und ihr Ehemann Gilbert erfahren bei einer heimlichen Reise nach Italien, dass Ladonna Montefiori offenbar schon wichtige Posten im Zaubereiministerium kontrolliert und muss nun zusehen, wie sie es denen beibringen können, die ihnen vertrauen.

Die Wochen zwischen Ende Februar und Mitte April werden die anstrengendsten in der Laufbahn der Heilhexe Hera Matine. Denn in diesen Zeitraum fallen die von Vita Magica erzwungenen Geburten von mehr als siebenhundert neuen Zaubererweltkindern. Camille Dusoleil macht am 29. Februar den Anfang mit gleich vier Töchtern. Die Pflegehelfer unterstützen die ausgebildeten Hebammen bei den Entbindungen. Allerdings kommt es zwischen Uranie Dusoleil und dem ungewollten Vater ihrer drei Kinder zu einem Zerwürfnis. Ihr Sohn Philemon fühlt sich zurückgesetzt und versucht dies durch grobes Auftreten zu überspielen. Uranie geht auf Antoinette Eauvives Vorschlag ein, bis auf weiteres in ihrer Residenz, dem Château Florissant, zu wohnen. Bis zum 18. April erfolgen die erwarteten Geburten der von Camille als Frühlingskinder bezeichneten Babys. Zur gleichen Zeit kommt es innerhalb der Werwolf-Vereinigung namens Mondbruderschaft zu einer Entscheidung, ob die Mitglieder sich den eingestaltlichen Hexen und Zauberern anvertrauen sollen, um keine weiteren Opfer des von Vita Magica verfremdeten Vollmondlichtes zu riskieren oder nun erst recht gegen die Eingestaltler vorzugehen. Die Gruppe um den Zauberer Fino, die für ein weiteres Alleingehen eintritt, gewinnt die Abstimmung und damit auch die Entscheidung, wer die Mondgeschwister weiterführen soll.

Ladonna Montefiori will ihre Macht in Italien vervollkommnen, bevor dort die Neuauflage der Quidditchweltmeisterschaft beginnen soll. Hierzu will sie alte Feinde, die ihr schon vor vierhundert Jahren lästig waren, unwiederbringlich entmachten, die Lupi Romani. Sie schürt gezielt Unfrieden zwischen den vier großen Familien und entfacht damit einen Krieg, der drei der Familien an den Rand der Auslöschung treibt. Der zwergenstämmige Clanchef Vespasiano Mangiapietri und seine Söhne können gerade so noch von seiner Großmutter, der reinrassigen Zwergin Lutetia Arno, in Sicherheit gebracht werden, bleiben aber bis auf weiteres im Zauberschlaf. Ladonna wittert nun die Gelegenheit, weitere treue Anhängerinnen unter dem Bann der Feuerrose zu vereinen. Vor allem geht es ihr um die Stuhlmeisterinnen der sogenannten schweigsamen Schwestern. Ebenso bereitet sie sich darauf vor, weitere Zaubereiminister Europas und anderer Erdteile unter ihre Herrschaft zu zwingen. Falls ihr das gelingt gehört ihr die Zaubererwelt. Doch ihre Feinde sind vorgewarnt. Sophia Whitesand, die Stuhlmeisterin der britischen Sektion der schweigsamen Schwestern, fällt nicht auf gefälschte Unterlagen ihrer einstmals treuen Mitschwester Erin O'Casy herein und wittert eine Falle. Deshalb holt sie die irische Mitschwester in ihre besonders gesicherte Heimstatt, wo Erin durch den dort wirksamen Sanctuafugium-Zauber von Ladonnas Bann befreit wird, jedoch bis auf weiteres geschwächt ist. Albertrude Steinbeißer, die von den allermeisten noch für Albertine gehalten wird, soll von Ladonnas Handlangerin Gundula Wellenkamm in ein unterirdisches Versteck angeblicher Aufzeichnungen gelockt werden. Doch weil Albertrude davon ausgeht, dass Gundula bereits unter Ladonnas Einfluss steht trifft sie Vorbereitungen. So entgeht sie dem Duft der Feuerrose und schafft es sogar, die am Zielort aufgetauchte Ladonna Montefiori schwer zu demütigen, indem sie ihr mit bezauberten Scheren einen Gutteil ihrer Haare abschneiden lässt.

Laurentine Hellersdorf nimmt den Rat der Heilerin Hera Matine an und nimmt Kontakt mit der Kampfzauberexpertin Louiselle Beaumont auf. Nachdem sie deren Einstiegsprüfung in Form einer Rätseljagd und Vorführung ihrer Zauberkenntnisse bestanden hat trifft sie diese in ihrem abgelegenen kleinen Schlösschen, wo sie erweiterte Verteidigungszauber besonders für Hexen erleidet und erlernt. Während dessen forschen Millie und Julius Latierre nach, was es mit Julius' Traum von den in Sphären überdauernden Geisterfrauen auf sich hat. Die Mondtöchter bestätigen, dass es kein bloßer Traum war. Millie und er können erst dann einen gemeinsamen Sohn haben, wenn sie nach Clarimondes Geburt zwölf Jahre verstreichen lassen. Doch Ashtaria fordert von Julius, dass er in den nächsten anderthalb Jahren einen Sohn zeugen soll, um die Lücke zu schließen, die durch den Tod eines erbenlos gebliebenen Sohnes aus Ashtarias Blutlinie entstanden ist. Außerdem soll er für die Mondtöchter nach drei von der Mondbruderschaft abgerückten Werwölfen suchen, die nach Frankreich gekommen sind. Wenn es ihm gelingt, sie in die versteckte Burg der Mondtöchter zu bringen, können sie von ihrem Dasein als Werwölfe geheilt werden.

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22.05.2004

Julius Latierre hatte hin und her überlegt, wie er die drei von den Mondtöchtern gesuchten Werwölfe finden und diese dazu bringen sollte, sich den 36 Mondtöchtern für eine zweimonatige Therapie anzuvertrauen. Da er bisher noch nichts von diesen drei Werwölfen gehört hatte waren die entweder noch nicht unter Ministerieller Aufsicht, oder die betreffende Behörde, also das Werwolfkontrollamt, hielt deren Existenz und Aufenthaltsort geheim. Falls erstes der Fall war würde Julius sicher gefragt, woher er die Information hatte. Falls zweites der Fall war könnte er der versuchten Spionage verdächtigt werden. So oder so mochte es auf einen Akt der Illoyalität dem Ministerium gegenüber hinauslaufen. Schlimmstenfalls konnte er dafür ins Gefängnis wandern. Dann würde es aber nichts mehr mit dem Versprechen sowohl an die Mondtöchter, als auch dem Ultimatum Ashtarias. Außerdem müssten seine Frau und die drei Prinzessinnen dann ganz ohne ihn auskommen, ja könnten mit ihm in Ungnade fallen. Sippenhaft wie in faschistischen Staaten gab es in der Zaubererwelt so nicht. Aber weil die magische Welt ein Dorf war würde sich seine Missetat herumsprechen, und seine Töchter wären die Töchter eines Verbrechers. Das konnten die Mondtöchter unmöglich wollen. Oder vielleicht doch? Konnte es sein, dass sie darauf spekulierten, dass Millie und die drei Kinder dann allesamt in der Mondburg Asyl suchen sollten, um nicht mit der Schande zu leben, mit einem Kriminellen verwandt zu sein? Nein, das war garantiert nicht der Fall, erkannte Julius nach weiteren Bedenksekunden. Denn wenn die Mondtöchter es darauf angelegt hätten, dass Millies und seine Töchter in der Mondburg bleiben sollten, dann hätten sie damals schon festgelegt, dass Millie nur dort gebären durfte. Also wollten die Mondtöchter, dass jede Tochter der beiden in der äußeren Welt aufwuchs, sofern ihre Eltern sie nicht von sich aus in die Obhut der Mondtöchter gaben oder sie als erwachsene Hexe um Aufnahme in den Orden bat, weshalb dann eine der ältesten von denen durch rituellen Freitod die magisch bedeutsame Anzahl von 36 wiederherstellte.

Doch wie sollte er es anstellen, damit er eben nicht als illoyaler Mitarbeiter und Spion von wem auch immer abgeurteilt wurde? Er atmete mehrmals ein und aus. Dann beschloss er, mit offenen Karten zu spielen und sich Nathalie Grandchapeau und Simon Beaubois anzuvertrauen. Ja, so ging es! Fast wäre er wegen der Freude über diesen Einfall in die Luft gesprungen und hätte wie damals Archimedes laut "Heureka!!" gerufen. Doch die Ungewissheit, ob seine Idee funktionierte hielt ihn von einem derartigen Freudenschrei ab, auch wenn er sein Büro für sich allein hatte.

Er schickte je ein Memo an Madame Nathalie Grandchapeau und Monsieur Simon Beaubois. Jedes hatte außer der Anrede folgenden Inhalt:

Erfuhr von in den Pyrenäen gelegenen Wirkungsstätte in Klausur lebender Mondvertrauten von drei den Mondbrüdern abtrünnigen Werwölfen, die sich angeblich oder wahrhaftig auf französischem Hoheitsgebiet aufhalten sollen.
Mondvertraute bieten Hilfe bei Abwehr der Mondgeschwister an, sofern die drei angeblich oder wahrhaftig auf unserem Hoheitsgebiet weilenden zur vielleicht erfolgreichen Befreiung von Lykanthropie in deren Obhut gegeben werden.
Erbitte Rückmeldung für weitere Verfahrensweise!

Julius wusste zwar, dass diese Nachrichten weitere Fragen an ihn aufwerfen würden. Doch das war allemal besser als sich bei der Werwolfbehörde einzuschleichen und zu prüfen, ob die schon von den dreien gehört oder die sogar schon in Gewahrsam hatte um dann noch heimlicher Kontaktzu denen aufzunehmen. Aber ob das so ging, wie er das nun machen wollte wusste er auch nicht.

Keine zehn Minuten später hatte er eine Antwort von Nathalie Grandchapeau. Darin wurde er aufgefordert, nach der üblichen Morgenkonferenz der Mitarbeiter vom Büro für friedliche Koexistenz mit ihr zu Monsieur Beaubois und Monsieur Fontbleu vom Werwolfkontrollamt zu gehen, um seine Informationen darzulegen. Er wartete noch, ob auch Monsieur Beaubois eine derartige Mitteilung schickte. Tatsächlich dauerte es noch zwei Minuten, bis ein bunter Memoflieger eine Nachricht brachte. "erwarte bei Treffen Art und Umfang der Quelle Ihrer erhaltenen Mitteilung", stand noch dabei. Gut, damit hatte Julius rechnen müssen, dass jemand wie Simon Beaubois wissen wollte, wie genau die Mondtöchter es ihm mitgeteilt hatten. Also musste er sich was gutes ausdenken, um nicht zu erwähnen, warum Millieund er in die Mondburg zurückgekehrt waren. Was, wenn sie ihn unter Veritaserum befragten? Denn dass Ashtaria forderte, dass er einen Sohn zeugen sollte und das mit Millie derzeit nicht konnte ging keinen außer Millie, ihrer Vertrauensheilerin Béatrice und ihn was an. Denn dann konnte er auch gleich damit rausrücken, dass ihm der Auftrag, einen Ersatz für den getöteten Sohn aus der Blutlinie Ashtarias zu erschaffen, von Ammayamiria gekommen war, und die ging nun wirklich niemanden was an, die nicht mit ihr verbunden waren.

"Wenn sie dir einen Wahrheitstrunk einflößen öffne dich für meine Gedanken", hörte er unvermittelt Temmies Gedankenstimme in sich. Fast erschrak er. Doch dann begriff er, dass sie ihn wohl schon länger überwachte. Tja, das konnte sie ja nur, weil er mit ihr den Pokal der Verbundenheit benutzt hatte. ""So ist es, Julius. Ich bin wie du in Sorge, wie es wegen Ashtarias Ungeduld weitergehen wird. Daher verfolge ich in meinen ruhigen Stunden mit, was euch umtreibt. Wenn ich helfen kann helfe ich euch." Julius erkannte, dass hier wohl ein "Danke dir" angebracht war, auch wenn es ihm nicht wirklich gefiel, derartig ausgekundschaftet zu werden. "Ein Teil von meinem inneren Selbst hat auch schon länger in dir gewohnt, nachdem du die Krone des Lichtes getragen hast", gedankensprach Temmie. Das schlug bei Julius noch heftiger ein.

Ja, natürlich hatte er durch das Tragen von Darxandrias Kettenhaube, der Krone des Lichtes oder Xanurdarai eine Verbindung mit Darxandrias darin eingebetteter Seele erhalten und diese sozusagen eingeladen, in sein Unterbewusstsein einzuziehen. Nur damit er nicht aus versehen mit Artemis vom grünen Rain den Körper teilen musste hatte sich dieser Seelenanteil oder die ganze Seele Darxandrias bereitgefunden, statt seiner mit Temmies tierhafter Persönlichkeit zu verschmelzen und so als Latierre-Kuh weiterzuleben, allerdings mit gewissen Zusatzbefähigungen, wie eben auch das Gedankensprechen schon vor dem magischen Pakt über den Pokal der Verbundenheit. Also konnte er sich ruhig damit abfinden, dass Temmie zwischendurch mal bei ihm "reinhörte".

Nach der Kaffeepause nahm er an der Konferenz von Nathalies Behörde teil. Die Büroleiterin trug wieder bezauberte Kleidung, die sie schlank und ohne Anzeichen einer andauernden Schwangerschaft aussehen ließ. Deshalb fragte Primula Arno sie, wie es dem unter besonderen Schutzmaßnahmen aufwachsenden Demetrius gehe. Nathalie beantwortete die Frage mit: "Ich bedauere es, ihn nicht frei in der Welt herumzeigen zu können, ihm geht es aber gut, und ihm fehlt es an nichts." Das war noch nicht mal gelogen, fand Julius. Sie konnte ihn nicht frei herumzeigen, und ihm ging es gut, abgesehen davon, dass er nicht frei herumlaufen konnte.

Julius erfuhr, dass seine ehemalige Klassenkameradin Laurentine Hellersdorf zwischen dem 29. Mai und 16. Juni in die Staaten reisen würde,um da mit ihren Verwandten den Geburtstag ihrer verwitweten Großmutter mütterlicherseits zu feiern. "Rose, dann klären Sie, von welchem Flughafen sie losfliegt und kündigen Sie sie schon mal bei den Kollegen in den USA an, damit sie bei der Einreise nicht als unerwünschter Eindringling verhaftet wirt!" sagte Nathalie. Rose Deveraux bestätigte es und fragte, ob sie dann auch die Ausreiseformalitäten durchführen sollte. "Ich werte diese Frage als Angebot, dies zu tun und nehme es erfreut an", sagte Nathalie Grandchapeau noch.

"Haben Sie über Ihre ergiebigen Kontakte in die USA eine offizielle Bestätigung, ob es dort in in absehbarer Zeit zu einer personellen Neuordnung auf den höheren Verwaltungsebenen kommen soll, Monsieur Latierre?" fragte Rose Deveraux den Vermittler zwischen Menschenund Zauberwesen. Julius erwiderte, dass Minister Buggles offenbar versuchte, durch sehr großen Eifer, der möglicherweise auch als Aktionismus bezeichnet werden konnte, seine Führungsstärke zu beweisen. Doch je mehr er versuchte, sich in alles einzumischen, was in seinen Abteilungen stattfand, desto mehr Widerstand rege sich. Daher müsse er nach seinem Kenntnisstand davon ausgehen, dass das US-amerikanische Zaubereiministerium in den nächsten Monaten umgeordnet werden müsse oder an den Unvereinbarkeiten einzelner Interessengruppen zerbrechen könne.

Nathalie zuckte kurz zusammen und verzog ihr Gesicht zu einer verärgerten Grimasse. Sie atmete zweimal ein und aus. Dann sagte sie: "Das könnte einigen außerministeriellenGruppen Tür und Tor für eine gezielte Entmachtung des Zaubereiministeriums öffnen, zum Beispiel den Mondgeschwistern. Hat das mit Ihnenin Kontakt stehende Laveau-Institut entsprechende Hinweise, Monsieur Latierre?" Julius erkannte, dass sie ihm hier einen Ball zuspielte, den er jetzt nur noch durch einen der drei Ringe boxen musste. So sagte er:

"Das Laveau-Institut hat keine Kontakte in die Mondbruderschaft. Ob die Sondereinsatzgruppe Quentin Bullhorn heimliche Kontakte dorthin unterhält wurde mir wegen fehlender Zuständigkeit nicht mitgeteilt. Ihre Befürchtung wegen der Mondgeschwister halte ich für berechtigt. Nachdem Vita Magica es fast geschafft hat, dauerhaft im Zaubereiministerium Fuß zu fassen, könnten andere Gruppierungen den Vertrauensverlust nutzen, um eigene Gefolgsleute dort einzuschleusen und an vortteilhafter Stelle zu platzieren, darunter auch die Mondgeschwister."

"Ja, wenn wir wüssten, wer dazugehört könnten wir zumindest unseren Garten nach Maulwürfen absuchen", meinte Nathalie Grandchapeau. Julius nickte. Er hatte den von ihr zugepassten Quaffel ins Tor geschossen. Da hier alles mitprotokolliert wurde konnte sie dieses Protokoll als Argumentationshilfe für Beaubois und Fontbleu benutzen.

"Monsieur Latierre, ich reiche Ihnen hiermit im Rahmen Ihrer amtlichen Obliegenheiten die Bitte um eine Erfagung der betreffenden Behörde ein, um die sich androhende Gefahr von Unterwanderung im Keim zu ersticken." Wieder schien sie von irgendwas kurz beeinträchtigt zu werden. Sie musste erneut durchatmen.

"Ich erwarte die schriftliche Bitte von Ihnen, Madame Grandchapeau", sagte Julius, um es amtlich zu machen.

"Die Abteilung für internationale Zusammenarbeit möchte das sicher auch wissen, was in den Staaten geschiehtt", meinte Julius' Schwiegertante Primula Arno. Darauf sagte Rose Devereaux, nachdem sie korrekt ums Wort gebeten hatte: "Die haben eigene Kontakte zu denen, Kollegin Arno. Womöglich wissen die sogar schon mehr als wir, was bei den Nordamerikanern geschehen wird."

"Falls die drüben eine Eule entbehren können, um uns das mitzuteilen", warf Primula Arno ein. Julius vermied es gerade so, ihr zustimmend zuzunicken. Denn wenn in den Staaten alles durcheinanderfiel würden die das garantiert nicht in die weite Welt hinaustrompeten und posaunen, weil sie ja immer noch die großen und unbesiegbaren USA waren, die sich von den Europäern nichts vorschreiben oder vorschlagen lassen mussten.

Die weitere Konferenz drehte sich um die Suche nach an das Stadtleben angepassten grüne Waldfrauen und wie es den magielosen Heilkundigen vermittelt werden sollte, wenn mal wieder ein Jugendlicher für mehrere Tage verschwand und dann total verwirrt bis wahnsinnig wieder auftauchte. Julius, der sich ja auch mit Giftstoffen auskannte erwähnte die sogenannten Zauberpilze, die bei den Nichtmagiern wegen ihrer berauschenden, meist halluzinogenen Wirkung gerade immer beliebter wurden. Wenn die nichtmagischen Ärzte den Eindruck bekamen, dass die aufgefundenen Jugendlichen mit solchen Substanzen in Berührung gekommen waren, vor allem, wenn es um künstlich erzeugte Rauschgifte ging, von denen ja leider auch immer mehr in Umlauf gebracht wurden. Alle hingen sie an seinen Lippen, vor allem Belle und Primula, die ausgewiesene Zaubertrankexpertinnen waren. Belle bat ums Wortund fragte Julius, ob er das auch so der Heilerzunft weitergeben könnte. Er bejahte es, damit es ins Protokoll kam. Nathalie nickte und bestätigte, dass er diese Darstellung dann auch mit ihrer Genehmigung an die Heilerzunft weiterreichen dürfe. Damit hatte Julius noch einen Auftrag an Land gezogen. Langweilen musste er sich auf jeden Fall die nächsten Tage nicht mehr.

Nach der Konferenz begleitete er Nathalie Grandchapeau zum Büro von Simon Beaubois. Dort trafen sie auch Monsieur Fontbleu aus dem Werwolfkontrollamt an. Der wirkte sichtlich gereizt, als sei er selbst ein Wolf, dem man gerade die Beute abgejagt habe. Julius fing einen sehr verdrossenen Blick auf. Doch er blieb ruhig.

Als sie bei Monsieur Beaubois im Büro saßen sagte dieser: "Ich begrüße die Kollegin Grandchapeau und sie, Monsieur Fontbleu. Monsieur Latierre geht von der Annahme aus, jene im verborgenen lebende Schwesternschaft, deren Heim-und Wirkungsstätte irgendwo in den Pyrenäen liegen soll, hätte ihm im Traum eine Bitte zugetragen, nach drei bestimmten Lykanthropen zu suchen, die deren Meinung nach gerade auf französischem Hoheitsgebiet sein sollen. Ichhalte Sie nicht für einen Schwindler, der sich wichtig machen möchte, Monsieur Latierre. Allerdings klingt diese Behauptung von Ihnen sehr unglaublich, dass ich Ihre Aussage gerne auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen lassen möchte. Daher frage ich Sie: Willigen Sie in eine Befragung unter Veritaserum ein?" Julius hatte damit gerechnet. Er sagte: "Es ist auf jeden Fall sehr entgegenkommend von Ihnen, mir die Entscheidungsfreiheit zu lassen, ob ich einer solchen Behandlungzustimme oder Sie mir dieses Mittel ohne mein Wissenund ohne meine Einwilligung verabreichen, Monsieur Beaubois. Doch bevor ich Ihre Frage beantworte möchte ich gerne darauf hinweisen, das der Einsatz von Veritaserum laut der Statuten zur Verwendung von hochpotenten Zaubertränken nur dann zulässig ist, wenn der Verdacht besteht, dass jemand ein schwerwiegendes Verbrechen begangen hat und um weitere schwerwiegende Straftaten und deren Urheber weiß. Somit stellen Sie mich hier gerade auf die gleiche Stufe wie einen solchen Verdächtigen." Die anderen Anwesenden außer Nathalie Grandchapeau verzogen ihre Gesichter. Nathalie sagte deshalb schnell: "Da hat Monsieur Latierre recht. Der Einsatz von Veritaserum ist bei verübten oder unmittelbar drohenden Verbrechen angezeigt. Selbst wenn Sie berechtigte Zweifel an seiner Aussage haben geht es hier nicht um eine konkrete Straftat, sondern um eine Nachforschung und ein auf magische Weise übermitteltes Ansinnen und Hilfsangebot."

"Es könnte zur Aufdeckung einer weltweiten Verschwörung beitragen, wenn diese drei Werwölfe wirklich mehr um diese Bruderschaft wissen. Denn falls wir ihrer Habhaft werden oder dies bereits geschah besteht durchaus die Möglichkeit, von diesen weitere Informationen über ihre Gruppierung zu erhalten", sagte Beaubois. Julius stimmte sich derweil schon auf Temmie ein. Er fühlte schon, dass sie mit ihm eine geistige Verbindung einging.

"Wer Gras frisst kann es auch wachsen hören", antwortete Temmies Gedankenstimme auf diese Überlegung.

Mit gewisser Beklemmung trank Julius den Becher Wasser, in den Beaubois vor allen Zeugen einen kleinen Schluck einer farblosen Flüssigkeit eingefüllt hatte bis zur Neige. Nathalie verzog dabei ihr Gesicht, als habe sie diese fragwürdige Mischung schlucken müssen. Sofort fühlte er sich irgendwie leicht und sorglos, als bedrücke ihn nichts. Doch da erfüllte eine starke Kraft sein Bewusstsein und er meinte, frisches Gras und die Ausdünstungen einer Kuh zu riechen. Fast wie aus weiter Ferne hörte er nun die Fragen von Simon Beaubois. Dieser begann mit: "Wie genau haben Sie die Botschaft erhalten, wegen der Sie uns benachrichtigt haben, Monsieur Latierre?" Ebenso wie in weiter Ferne klingend hörte er sich etwas weltentrückt antworten. Gleichzeitig meinte er vor seinem inneren Auge die zu einem Quadrat aus sechs mal sechs aufgestellten Mondtöchter vor sich zu sehen. Genau das sagte er dann auch und fügte hinzu, dass sie ihn gerufen hatten, um ihn zu bitten, drei vom Zorn des Mondes betroffene zu finden, zwei aus dem südwestlichen Nachbarland und eine vom Erdteil westlich des westlich gelegenen Weltmeeres.

Als er gefragt wurde, wieso er von den Mondtöchtern geträumt habe hörte er sich antworten, dass er durch die Hochzeit mit Mildrid unter deren Dach eine magische Fernverbindung mit ihnen geschlossen habe, die sie aber nur nutzten, wenn sie es für richtig hielten und nicht er sie rufen könne. Dann wurde er gefragt, was genau die Mondtöchter mit den dreien machen wollten, falls diese zu ihnen kämen. "Sie vom Zorn des Mondes befreien,hat deren erste Sprecherin gesagt" erwiderte Julius' Stimme,ohne dass er selbst meinte, sie zu benutzen.

"Dann stimmen diese Andeutungen, dass diese Mondschwestern Werwölfe von der Lykanthropie heilen können?" fragte die wie in weiter Ferne hallende Stimme Fontbleus. Julius' Stimme erwiderte: "So haben die mir das gesagt."

"Woher wissen die, wo und wer diese Lykanthropen sind?" wollte nun Fontbleu wissen. "Das haben sie mir nicht gesagt, und ich habe sie nicht gefragt", war die Antwort, die Julius' Stimme zurückgab. "Dann glauben Sie denen alles, was die sagen?" fragte Fontbleus sehr knurrig klingende Stimme, während Julius immer noch das Bild vor ihm aufgereihter Mondtöchter hatte und meinte, frisches, leckeres Gras und den Gestank ausgeworfener Verdauungsreste in der Nase zu haben.

"Ja, ich glaube ihnen."

"Wieso kommen die darauf, dass wir ihnen diese Lykanthropen überlassen, falls wir sie ergreifen?" schnaubte Fontbleu. "Weil die nur dann was gegen die sagen können, mit denen siezusammen waren, wenn sie keine Lykanthropen mehr sind, sagen die Töchter des Mondes", erwiderte Julius' Stimme. Ein Shlag wie eine Faust auf eine Tischplatte schallte durch die merkwürdige Mischung aus Mondburgballett und Kuhweide. "Hubert, mäßigen Sie sich", hörte Julius Beaubois' tadelnde Stimme. Dann fragte Nathalie Grandchapeau: "Wie wollen diese Mondtöchter die drei Werwölfe behandeln?" Julius erwiderte, dass sie diese wohl zwei ganze Monddurchläufe lang bei sich einquartieren würden. Aber was sie in der Zeit mit ihnen machten hatten sie ihm nicht gesagt. Als er dann noch gefragt wurde, wie er die drei denn bitte zur Mondburg schaffen sollte sagte seine Stimme: "Meine Frau und ich wissen wo die versteckte Festung steht. Aber die zeigt sich nur denen, denen sie sichtbar sein soll. Die drei müssen auch freiwillig dareingehen und um Heilung bitten, weil der Zorn des Mondes sonst nicht aus ihnen weichen will. Und sie dürfen vorher nicht bewusst anderen Menschen Gewalt angetan haben, weil der Zorn des Mondes dann erst recht in ihnen weiterwohnen will, sagen die Mondtöchter.".

"Ja, und was passiert dann, wenn sie wirklich geheilt werden sollten?" fragte Beaubois' Stimme. Julius hörte sich antworten, dass sie dann wohl frei von den Zwängen der Mondbruderschaft wieder herauskämen und dann wohl mithelfen wollten, die Hinterleute dieser Bruderschaft zu fassen.

"Haben Sie die gefragt, wieso die denken, dass die von einem solchen Zwang gehemmt werden?" wollte Nathalie wissen. "Gefragt habe ich nicht, aber gehört, dass die zornige Bruderschaft ihren Angehörigen wohl was auferlegt hat, dass sie nicht verraten können, dazuzugehören und wer so dazugehört." Ein vernehmliches Wutschnauben war zu hören. "Hubert, bitte Haltung bewahren", erwiderte Beaubois' Stimme.

"Wo ist die Mondburg genau zu finden?" fragte Beaubois nun. Sofort sah Julius vor seinem inneren Auge die Bergregion im Mondlicht, wo die Mondburg lag. Er hörte sich die Berge beschreiben und wie weit sie von Paris aus entfernt waren. Darauf sagte Fontbleu: "Und was ist, wenn die Burg sich uns nicht zeigen will?" Darauf antwortete Julius' Stimme: "Die wollen, dass ich die drei dorthin führe, nur ich."

"Bis wann sollen die denn bei denen rein, wenn wir wissen, wo die sind?" grollte Fontbleus Stimme. "Die sagen, wenn ich weiß, wo die sind, soll ich denen sagen, dass ihnen der Zorn des Mondes aus Körper und Seele getrieben werden kann, wenn die das wollen. Also, wenn ich weiß, wo die drei sind."

"Und was passiert, wenn Sie die drei nicht zu denen hinbringen?" wollte Fontbleu nun wissen. "Dann können die nicht geheilt werden und bleiben so wie sie sind", erwiderte Julius' Stimme fast schon vorlaut. Offenbar meinte das, was seine Stimme gerade lenkte, noch eins draufzusetzen und ließ sie sagen: "Dann können die nicht verraten, wer zu den zornigen Mondgeschwistern gehört, auch nicht mit Veritaserum." Wieder knallte es laut wie eine Faust auf Holz. "Hubert, genug jetzt! Ich habe Sie zweimal ermahnt, sich zu beherrschen. Dies ist die dritte Ermahnung."

"Ich weiß nicht wie, aber offenbar hat wer dem Burschen hier diese Erinnerungen verpasst, damit er sie uns genauso weiterreicht. Sicher, lügen kann er nicht. Aber ich ..."

"Ruhe!" blaffte Beaubois' Stimme. Darauf erwiderte Nathalie: "Simon, nicht so laut,sonst gerät der Befragte vielleicht durcheinander."

"Gut, Sie sollen drei bei uns vermutete Werwölfe finden und zu denen hinbringen. Wie sehen diese drei aus?" Julius konnte nur erwidern, was die Mondtöchter ihm in diesem "Traum" mitgeteilt hatten. Da sie ihm kein klares Bild gezeigt hatten war es eben nur die Abstammung und das Geschlecht.

"Und sie haben Ihnen wirklich nicht verraten, woher sie von den dreien wissen?" hörte Julius Fontbleus Stimme. Da meinte er, auf dem Bauch zu liegen und winzige, haardünne Grashalme zu kauen. Gleichzeitig hörte er seine Stimme in weiter Ferne antworten: "Ich habe sie nicht gefragt, und sie haben es mir nicht verraten."

"Die werden auch wissen warum!" blaffte Fontbleu. "Hubert, jetzt ist es genug. Bitte kehren Sie in Ihre Amtsstube zurück und erwarten eine schriftliche Anweisung von mir! Mehr ist Ihnen nicht gestattet", sagte Simon Beaubois' Stimme, während Julius nun wieder die 36 Mondtöchter vor sich stehen sah, aber immer noch den Duft von frischem Gras in der Nase hatte.

"Ich habe auch genug erfahren", knurrte Fontbleus Stimme. Julius hörte einen Stuhl, der verschoben wurde, Schritte und dann das Klappen einer Tür.

"Besteht die Möglichkeit Ihrerseits, die Mondtöchter zu erreichen?" fragte Beaubois noch einmal. "Ich muss zu denen hingehen, wenn ich sie direkt sprechen will. Aber ohne die drei Lykanthropen werden die sich mir nicht zeigen, haben sie gesagt."

"Was wollen die für die Hilfe haben?" fragte Simon Beaubois. "Das haben sie mir nicht erzählt", hörte sich Julius antworten, während er wieder meinte, auf einer sonnigen Wiese zu liegen.

"Gut, dann ist die Befragung von mir aus beendet", sagte Beaubois. "Haben Sie noch fragen, Madame Grandchapeau?" Nathalies Stimme antwortete: "Nur eine an Sie, Kollege Beaubois: Auf welcher Geheimhaltungsstufe sollen wir das hier einordnen?"

"S7", grummelte Beaubois. "Verstehe", erwiderte Madame Grandchapeau. "Darf ich unseren gemeinsamen Mitarbeiter dann in sein Büro begleiten. Er wirkt sehr erschöpft."

"Brauchen Sie noch wen, an dem Sie ihre mütterlichen Regungen verwenden dürfen, Nathalie?" fragte Beaubois. "Sie wissen genau, dass Veritaserum zu Schwindelanfällenund je nach Art der Befragung auch zum Verlust des eigenen Willens führen kann. Er benötigt also jemanden, der oder die sicherstellt, dass er sich an einem sicheren Ort von der Befragung erholen kann. Oder möchten Sie ihn in sein Büro bringen? Oder möchtenSie, dass er jedem, den er unterwegs trifft, auf die Frage, wo er war und was mit ihm geschah frei heraus antwortet?" hörte er sie gerade noch verständlich flüstern.

"Gut, bringen Sie ihn bitte in sein Amtszimmer, Kollegin Grandchapeau!" erwiderte Beaubois. Da fühlte Julius seinen eigenen Körper wieder und sah auch leicht verschwommen die Umgebung von Beaubois' Amtszimmer. Er fühlte wie eine schmale Hand ihn unter den Schultern ergriff und hörte Nathalies Stimme: "Kommen Sie, Monsieur Latierre. Ich bringe Sie in Ihr Amtszimmer zurück."

"Öhm, Danke dass Sie sich dieser Befragung mit allen Auswirkungen gestellt haben, Monsieur Latierre. Sie hören von mir, wenn wir entschieden haben, ob die drei, sofern sie von uns in Gewahrsam genommen wurden, an die Mondtöchter überstellt werden sollen oder nicht."

"Danke, Monsieur Beaubois", sagte Julius immer noch leicht weltentrückt klingend. Dann führte ihn Madame Grandchapeau aus dem Sprechzimmer des Abteilungsleiters. Julius ging wirklich so, als habe er einen anstrengenden Tag erlebt. Auch fühlte er seinen Kopf pochen und merkte, dass er stark geschwitzt haben musste.

Er ließ sich widerstandslos zu den Aufzügen führen und stieg mit Madame Grandchapeau in einen, der in die gewünschte Richtung fuhr. "So, ich bringe Sie erst mal zu mir, damit nicht die Gefahr besteht, dass jemand Sie in diesem Zustand noch um ganz geheime Sachen erleichtert", sagte Nathalie, als der Aufzug unterwegs war. Julius widerstrebte nicht.

Als die beiden in Madame Nathalie Grandchapeaus Büro saßen orderte sie bei einem der Hauselfen erst mal einen Stärkungstrank. Den trank Julius wie halbautomatisch. Er fühlte, wie die Lebensgeister in ihn zurückkehrten. "Beaubois hat ihnen eine sehr heftige Dosis verabreicht. Hätte ich das gewusst, hätte ich ihm das untersagt. Geht es Ihnen besser?" Julius bejahte es. "Das ist auch gut so. Anne soll Ihnen den Aufhebungstrank geben, damit Sie wieder Herr Ihrer freien Entscheidungen sind", sagteDemetrius' Trägerin.

Sie benutzte die Rufmöglichkeit, um die Heilerin vom Dienst, Anne Laporte herbeizurufen. Dieser erzählte sie, was passiert war. "Wie, ohne Beisitzer von der Strafverfolgung und ohne mich als überwachende Heilerin. Seit wann machen wir denn sowas?" ereiferte sich die Heilerin vom Dienst. Dann suchte sie in ihrer Tasche nach der entsprechenden Mixtur. "Hier, Monsieur Latierre, bitte trinken!" sagte sie. Julius würgte das wie eine Mischung aus erbrochenem und verbranntem Fleisch schmeckende Zeug hinunter. Sofort fühlte er, wie zusätzliche Kraft in seine Glieder strömte und wie sein Bauch und Kopf von etwas durchspült wurden. Die Welt wurde nun wieder ganz klar.

"In Ordnung, Monsieur Latierre. Geht es Ihnen wieder gut?"

"Zumindest weiß ich jetzt, wie sich das anfühlt. Hat mein Vorgesetzter mir seinen ganzen Vorrat verpasst?" fragte er nun wieder völlig frei von fremdem Einfluss. "Das werde ich ihn fragen", sagte Anne Laporte. "Und Sie dürfen mir natürlich nicht verraten, warum Sie dieses Mittel einnahmen. Zumindest hat er Sie nicht verhaften lassen oder dergleichen."

"Es geht um drei gesuchte Lykanthropen, Anne. Die KollegenBeaubois und Fontbleu haben sehr heftig auf die Aussagen des jungen Herren reagiert. Also wissen die beiden genau, worum es geht, was wiederum heißt, dass die drei bereits im ministeriellen Gewahrsam sind. Das erklärt auch die vierthöchste Geheimstufe, unter der diese Befragung eingeordnet wurde." Julius hörte in seinem Kopf eine aus seinen Kindertagen bekannte Stimme: "Faszinierend" sagen.

"Ach, und das rechtfertigt den Einsatz von Veritaserum?" wollte die Heilerin wissen. Julius meinte nun die Bestätigung zu haben, dass dieses Verhalten voll zur Ausbildung gehörte. Denn das kannte er sowohl von Madam Pomfrey, Aurora Dawn, Madame Rossignol, Antoinette Eauvive, Hera Matine und seiner Schwiegertante Béatrice.

"Er wurde zumindest gefragt", erwiderte Nathalie leicht vergrätzt. Julius nickte. "Verstehe. Sie wussten was, dass Sie eigentlich nicht hätten wissen dürfen und sollten unter Veritaserum erklären, woher Sie es wussten", erwiderte die Heilerin an Julius gewandt. Der fragte sich gerade, ob hier heute morgen ein Schluck Logiklikör im Kaffee der weiblichen Mitarbeiter gewesen war.

"Zur Verteidigung von Monsieur Beaubois, auch wenn er diese von meiner Seite aus nicht benötigt, kann ich sagen, das ich das auch nicht unbestätigt hingenommen hätte, was ich auszusagen hatte", erwähnte Julius.

"Ich darf alles wissen, was bis S0 kklassifiziert istt, wenn ich den heilmagischen Befund erstellen muss, dass jemand körperlich und seelisch sehr stark belastet wurde. Also um der Vollständigkeit der Heilbehandlung wegen: Was genau hatten Sie auszusagen, Monsieur Latierre?" Julius sah Natahlie an. Die nickte. Er wusste auch, dass die Heilerin recht hatte. So wiederholte er, was er in das Memo an seine Vorgesetzten geschriebenhatte.

"Natürlich kenne ich die besonderen Umstände Ihrer Hochzeit und der frühzeitigen Eheanerkenntnis, Monsieur Latierre. Also dann haben diese Mondschwestern Sie per Traumbotschaft aufgefordert, ihnen drei Werwölfe zu bringen, von denen sie erfahren haben, richtig?" Julius bestätigte es. "Gut, dann erachte ich die Behandlung von meiner Seite aus als erfolgreich beendet. Ich hoffe, wir sehen uns heute nicht noch einmal, Monsieur Latierre. Am besten trinken und essen Sie mehr als üblich, so als wären Sie derzeitig schwanger, falls Sie sich das vorstellen können."

"Sollte das jetzt ein Scherz sein, Anne, dann möchte ich mir den doch sehr verbitten", erwiderte Nathalie. Julius legte noch nach: "Ichhabe damals, als meine erste Tochter unterwegs war auch für sie mitgegessen wegen dem hier", sagte er und holte den pulsierenden Herzanhänger hervor, obwohl es nun der goldene war, für glücklich miteinander verheiratete. "Damals hatte ich noch die rubinrote Version für unverheiratete Paare", sagte er noch.

"Und, hat Ihre erste Tochter etwas von dem mitbekommen, was Sie für sie mitaßen?" fragte die Heilerin. "Leider nicht", sagte Julius. "Ich glaube, das dürfte reichen", sagte Nathalie leicht ungehalten. Anne nickte und verließ mit "Bis hoffentlich erst viel später" das Büro.

Nathalie übergab Julius einen silbernen Ohrring. Als er diesen routiniert angesteckt hatte fragte sie: "aNa, die beiden Herren, der vor mir und der in mir, was haben wir heute gelernt?" Julius hörte erst einmal nur ihre Körpergeräusche so laut, als sei er der Ungeborene und nicht Demetrius. "Du hast mich ja nicht rausgucken lassen, meine erwartungsvolle Heimstattgeberin", sagte Demetrius' Klein-Jungen-Stimme. "Aber den Schlag auf den Tisch habe ich sogar bis hier in das kleine exklusive Ein-Zimmer-Appartement vernommen."

"Offenbar sind die drei schon von Fontbleu festgenommen worden und werden an einem geheimen Ort festgehalten", sagte Julius nun frei von jedem Trank und jeder Gedankeninfusion Temmies. "Zehn Punkte für diesen Direkten Schuss ins Tor", bemerkte Demetrius dazu.

"Ja, aber genau wie der Umstand, dass ich dich schon seit mehr als zwei Jahren im Leib trage nicht so lange geheim blieb gilt auch für diese Sache mit den drei Werwölfen, dass ihre Anwesenheit nicht so gut geheimgehalten werden konnte", sagte Nathalie Grandchapeau. Demetrius erwiderte über den Cogison-Ohrring: "Ja, stimmt. Und es dürfte den beiden Herren sehr zugesetzt haben, dass sie die drei nicht einfach so verschwinden lassen konnten, um sie später genauer zu verhören."

"Noch mehr, Demetrius. So wie Fontbleu bei Julius' Antwort dreingeschaut hat, dass die drei mit dem sogenannten Zorn des Mondes im Körper nichts verraten könnten hat er das auch schon längst selbst herausgefunden, dreimal darf geraten werden womit."

"Neh, habe ich jetzt keine Lust drauf", klangen Demetrius' vertonte Gedanken. Julius deutete nur von seinem Mund über den Hals bis auf den Bauch. "Zu einfach", sagte er noch.

"Geh bitte davon aus, dass deine Aussage die beiden jetzt dazu drängt, die Angelegenheit schnellstmöglich zu erledigen, bevor noch wer darauf kommt, dass sie was zu verheimlichen haben. Sicher, du wirst nichts verraten. Aber du bist sicher nicht der einzige, der oder die mit den Mondtöchtern zu tun hatte. Wenn du ihnen nicht die drei bringst wird es wer anderes tun. Das ist es, wovor die beiden Messieurs gerade große Angst haben."

"Sagt dein Bauchgefühl", cogisonierte Demetrius, und Julius hörte ein überlegenes Grinsen heraus. Nathalie sagte dann noch: "Gut, damit du trotz deiner erwähnten Erfahrungen ein gutes Vorbild hast, wieviel eine schwangere Frau essen kann darfst du heute Mittag wieder mit mir hier speisen. Die Elfen sind es gewohnt, mir mehr zu bringen als den anderen. Außerdem erfahren wir dann beide, was die zwei ertappten Herren vorhaben." Julius war einverstanden.

Es dauerte nur noch dreißig Minuten, als ein Memo hereinflog und die Mitteilung für Julius brachte, sich noch an diesem Abend um halb Elf im Foyer des Ministeriums bereitzuhalten, um eine "bereits erläuterte S7-Mission" auszuführen.

"Wird dem guten Fontbleu nicht behagen, cogisonierte Demetrius, als Julius den Text laut mitgedacht hatte.

Nach dem Mittagessen meinte Julius, er habe Demetrius in sich aufgenommen, so schwer fühlte er sich. Aber er wusste, dass es nötig war. In seinem Büro arbeitete er noch aufgelaufene anfragen von den Veelastämmigen ab und verschickte an die Heiler die für Muggelärzte glaubhafte Aussage mit den gepanschten Zauberpilzen. Da Rose Devereaux heute mit den jüngeren Amtsanwärtern Computerdienst hatte konnte er das am Morgen liegengebliebene gut abarbeiten.

Als er wieder bei seiner Frau war wollte sie wissen, warum er heute morgen erst so glückselig und dann wie zwischen wach sein und schlafen gewirkt hatte. So mentiloquierte er ihr, was er wegen der drei Werwölfe angestellt hatte, die die Mondnonnen bei sich haben wollten. "Das ist doch wohl nicht wahrr, dass die dir deshalb dieses Zeug verpasst haben", schickte Millie zurückund hob die rechte Hand an, als wolle sie ihren Mann ohrfeigen. Doch dann schnaubte sie nur und gedankenfragte: : "Und Temmie hat durch dich gesprochen, wie ein Dibbuk, damit die nicht erfahren, woher du das wusstest?"

"Na, ich bin doch kein rastloser böser Körperdieb", dröhnte Temmies Gedankenstimme wohl in beiden Köpfen. "Ich musste aber gegen dieses Wahrheitswasser ankämpfen, um ihn davon abzuhalten, doch zu verraten, wann und wie die Mondtöchter ihm das mit den drei Werwölfen erzählt hatten." Julius bejahte es. Denn da, wo er genau das hätte sagen müssen hatte er gemeint, in Temmies Körper zu stecken. Da war die geistige Verbindung also besonders stark gewesen.

"Gut, du kennst die Mondburg. Du bringst die drei da hin und passt auf, dass die dir nichts tun, Monju. Kriegt Temmie mit, dass die ein falsches Spiel treibenKomm ich nach und helf dir", sagte sie und fügte nur in seinem Geist klingend nach: "Mit dem Kleid bin ich ganz schnell bei dir und kann denen einen alle drei erfassenden Lähmzauber überbraten." Julius mentiloquierte zurück, dass auch er einen mehrere zugleich im Umkreis stehende Feinde wie am Boden festgewachsen machen konnte, war aber einverstanden.

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Das war schon sehr, sehr gewöhnungsbedürftig, fand Laurentine, als sie von Louiselle Beaumont angehalten wurde, mit ihrem eigenen Monatsblut zwei konzentrische Kreise um sich zu ziehen. Dann sollte sie auch noch Ihre Handtasche und den für die Reise benötigten Mantel in den Kreis legen und noch ein paar Tropfen ihres ausströmenden Blutes auf das Kleidungs- und das Handgepäcksstück auftragen. "Der Clavimensum-Zauber bewirkt, dass nur die Hexe, die ihr gewaltlos entströmendes Blut auf den Behälter oder das Kleidungsstück aufträgt, hineingreifen und etwas herausziehen kann oder das bestimmte Kleidungsstück an- und wieder ausziehen kann. Kennt nicht jede Hexe und wird wegen der koedukativen Lehrphilosophie nicht in Beauxbatons gelehrt, weil du dafür auf jeden Fall unbekleidet sein musst", dozierte Louiselle. Laurentine überwand den gewissen Ekel, mit ihrem eigenen Blut und was sonst noch aus ihr entströmte herumzupanschen. Sogut sie auch wegen der monatsüblichen Bauchschmerzen konnte vollführte sie den ihr neu beigebrachten Zauber. Am Ende glühten die zwei aus ihrem Monatsblut gezogenen Kreise hellrot auf. Die in ihrer gemeinsamen Mitte liegenden Habseligkeiten leuchteten ebenfalls für einige Sekunden hell auf. Dann zogen sich die beiden Kreise immer enger zusammen und wurden von den beiden Besitztümern Laurentines förmlich aufgesogen. Jetzt strahlten die Tasche und der Mantel noch heller. Laurentine verspürte nun ein deutliches Vibrieren in ihrem Unterleib und merkte, wie ihr warm wurde. Sie fürchtete schon, gleich einen Hitzschlag zu bekommen oder gar in Flammen aufzugehen. Da ließen das Vibrieren und die Hitzewallung nach. Auch das Leuchten auf Tasche und Mantel erloschen. Laurentine sicherte schnell, dass sie nicht weiteres Blut auf den Boden tropfen ließ und sah sehr kritisch auf ihre Sachen. "Im Grunde haben sich die beiden Sachen jetzt mit deinem Körper verbunden, ohne damit zu verschmelzen. Der Schutz hält nun einen vollen Monatskreis vor, also von heute an bis wohl zum 22. Juni. Wann wolltest du wieder nach Hause kommen?" fragte Louiselle.

"Am 29. Mai bin ich in Kalifornien. Am 17. Juni werde ich wieder in Millemerveilles zurückerwartet, weil die Direktrice möchte, dass alle vom Lehrkörper bei Ferienbeginn da sein sollen, um die Beauxbatonskandidaten in den nächsten Lebensabschnitt zu verabschieden. Dann reicht meine Bluthexerei wohl aus", sagte Laurentine. "Hmm, Ich habe noch zwei Hosen, meinen Reisekoffer, eine Sommerjacke und den Reiserucksack mitgebracht. Kann ich die auch so ... öhm ... absichern?" fragte die junge Einzelschülerin von Louiselle Beaumont.

"Gut, ich sehe ein, dass es nur eine halbe Sache wäre, eine kleine Handtasche und einen Übergangsmantel zu sichern und andere Sachen unbehext zu lassen. Gut, dann machst du das mit deinen anderen Sachen auch, was du gerade gezaubert hast. Dann bringe ich dir den Vita-Rubra-Zauber morgen bei, oder hört das so schnell bei dir auf?"

"Üblicherweise habe ich immer drei bis vier Tage Freude dran", grummelte Laurentine. Dann führte sie noch einmal den Clavimensum-Zauber aus, wobei sie die beiden Blutkreise größer zeichnete, um alles darin zu sichernde unterzubringen. Diesmal war die Wirkung auf ihren Körper noch heftiger. Sie schwitzte und meinte, jemand rüttelte mit einem Gummistab in ihrem Unterleib herum. Irgendwie empfand sie es trotz der Regelschmerzen als anregend. Fühlte sich das mit einem entsprechenden Hilfsmittel ähnlich an?

"Ich weiß, dass voll ausgereifte Hexen das jeden Monat mit ihrem halben Kleiderschrank machen, weil der Nebeneffekt so anregend ist", grinste Louiselle. "Aber wie bei den meisten Sachen macht die Dosis das Gift. Im Fall von Clavimensum, dass bei all zu häufiger Benutzung die natürliche Blutung um eine Woche verlängert wird oder gefährlich stark wird. Also suche dir bitte für gewisse Vergnügungen wen oder was anderes!"

Und dieser Vita-Rubra-Zauber macht, dass ich gegen meinen Willen nicht beschlafen werden kann?" fragte Laurentine.

"Sagen wir so, niemand kann in dich eindringen und dort seine Saat abgeben. Also ähnlich wie bei Praeservirgines. Nur dass der Zauber, wenn er einmal gewirkt wurde, bis zur nächsten einsetzenden Monatsblutung vorhält, und du musst dir dann was anderes zum Blutauffangen wählen, was nicht in deinem Körper stecken muss. Aber das darf dir meine Tante Hera dann erklären, weil das in ihr Gebiet fällt."

"Ich will nicht vorlaut sein, Louiselle, aber das wusste ich schon vor zehn einhalb Jahren, als das bei mir losging", erwiderte Laurentine.

"Wollte doch sagen", erwiderte Louiselle.

"Gut, dann machen wir morgen und übermorgen noch alles, was in dieser Phase deines Monatskreises geht, darunter auch den Mondreif-Zauber, den auch nicht jede Hexe lernt, weil dafür ziemlich kostspieliges Material gebraucht wird. Aber ich denke, ich habe noch genug Silberkugeln vorrätig. Meine letzte Schülerin hat mir neben der von ihr selbst gefertigten Entlohnung noch zwanzig Silberbarren besorgt, weil Silber sehr gut für Mondzauber und höhere Wasser- und Erdzauber geeignet ist. Dann helfe ich dir noch, den Mondreif zu machen. Der kann eigene Schildzauber je nach Mondstand auf das zwei bis achtfache steigern. Aber dafür darf er auch nur von der Hexe gewirkt werden, die er schützen soll."

"Verstehe, warum du den jetzt erst erwähnst", grinste Laurentine. Louiselle grinste zurück. "Den hätte ich dir schon erklärt, wenn du früher in die Blutungsphase eingetreten wärest. Aber zu den Übungen musst du sowieso unbekleidet sein. Da würde er dir also nicht helfen."

Nachdem der Übungsabend beendet war trank Laurentine noch eine kleine Dosis eines Blutbildungstrankes. Danach sprachen die beiden Hexen noch davon, was genau Laurentine in den Staaten besichtigen wollte, wenn die Geburtstagsparty ihrer Großmutter vorbei war. Sie erwähnte San Francisco, weil sie unbedingt mal die Golden-Gate-Brücke besuchen wollte. Am 9. Juni war ein Ausflug nach Florida geplant, wo sie die für Touristen zugänglichen Bereiche von Cape Canaveral und das dortige Raumfahrtmuseum besuchen wollte. Zum Schluss wollte sie noch für zwei volle Tage nach New York, von wo es dann am 16. Juni wieder nach Paris gehen würde.

"Und du bist dann immer in Begleitung?" fragte Louiselle. Laurentine überlegte erst, ob sie das jetzt beantworten musste oder es nicht beantworten wollte. Dann sagte sie: "Na ja, eine Tante mit zwei Cousinen von mir wohnt in New York. Die zeigen mir die Stadt auch außerhalb der Touristenpfade. Sie waren nicht sicher, aber falls es klappt wollten wir abends noch in ein Musical, also ein Theaterstück, wo auch Lieder gesungen werden, keine Oper. Aber weil so viele Leute das sehen wollen gibt es ziemlich lange Wartelisten. Aber meine dort wohnende Tante kennt wen vom Theaterdistrikt, wie gut weiß ich nicht und muss das vielleicht auch nicht wissen", sagte Laurentine. "Ach ja, und Jean, mein Onkel Mütterlicherseits, trifft mich in Miami Florida. Der kennt da auch wen, der vor vier Jahren noch für die Weltraumagentur NASA gearbeitet hat. Könnte sein, dass der mich auf die Schippe nimmt, weil mein Vater bei der europäischen Konkurrenz arbeitet."

"Ja, ich weiß, dass ich dich das schon vor fünf Tagen gefragt habe und du mir das nicht so richtig erzählen möchtest. Aber wo du ihn erwähnst muss ich doch noch mal fragen, ob er nicht doch von seiner sicher vorhandenen Intelligenz her einsehen kann, dass er doch noch eine Tochter mit einem interessanten Leben hat."

"Du weißt, ich habe dir beim letzten Mal gesagt, dass nur meine Mutter nach Hidden Hopes kommt, weil es ihre Mutter ist, die feiern möchte. Mein Vater hat mal wieder wichtigeres und unaufschiebbareres zu tun. Der war auch nie so echt der Familienmensch. Deshalb hat der mit meiner Mutter auch immer gegengesteuert, als ich in Beauxbatons anfing. Sie hat mit dem Begriff "Hexe"ihre Probleme, er damit, dass er keine Mutantin in der Familie haben will, die noch dazu in einer von Mutanten bevölkerten Parallelwelt herumläuft. Der hätte mich all zu gerne zur Naturwissenschaftlerin mit Doktorgrad und Professur ausbilden lassen. Das wurde ihm dann erst von den Lehrern in Beauxbatons und am Ende auch von mir selbst verdorben. Deshalb reicht er gerne herum, dass ich entweder bei einer technikfeindlichen Religionsgemeinschaft reingeraten bin oder dass er für die, die es nicht wissen, eben keine Tochter hat. Ja, und meine Mutter hat Angst, dass sie selbst noch Hexenkräfte zeigen könnte. Hexen und Zauberer gehören in die Hölle, so die brunzkatholische Vollblockade bei meiner Mutter. Wenn ich der erzählt hätte, was in Beauxbatons und darum herum passiert ist ... Die dachte ja damals im Dunklen Jahr, der Teufel oder einer seiner Dämonen hätte uns alle eingesackt, weil wir pflückreif geworden sind, wie es in manchen Sagen und Märchen behauptet wird. So ganz daneben hat sie ja leider nicht gelegen", seufzte Laurentine und dachte an die, die das dunkle Jahr nicht überstanden hatten und auch an Claire, dieses südfranzösische Hexenmädchen, dass trotz ihrer Kratzbürstigkeit und Ablehnungshaltung neben Céline Dornier die einzige wirkliche Freundin gewesen war.

"Die alte Aversion gegen die Zauberei und vor allem gegen Hexen", schnaubte Louiselle. "Das haben diese Gottesfürsten aus Rom und Avignon immer gerne für ihre eigenen Machtspielchen ausgenutzt. Dabei haben deren Untergebene damals wie heute auch genug Unheil angerichtet. Aber davon will keiner reden, weil das ja Sünde ist und man für sowas in die Hölle kommt", führte Louiselle noch aus. Laurentine konnte ihr da leider nicht widersprechen. Sie sagte nur, dass trotz aller mittlerweile aufgedeckten Untaten der Kirche, einschließlich der blutigen Christianisierung der amerikanischen Ureinwohner, zumindest eine Sache sehr schön sei, und zwar die Musik. Dem konnte Louiselle nicht widersprechen, als Laurentine kurz vor ihrer Rückkehr nach Paris noch ein paar Stücke aus ihrem Kommunionsunterricht vorgesungen hatte. Zur Firmung war es ja dann doch nicht mehr gekommen.

"Gut, morgen abend wieder zur selben Zeit. Dann nehmen wir Vita-Rubra und den Mondreif dran. Und falls dein Körper doch früher mit der Regelblutung aufhört musst du dir auch keine Sorgen um deine körperliche Ehre machen. Da gibt es noch ein paar andere Zauber. Aber ob wir die noch durchkriegen weiß ich nicht", sagte Louiselle. Laurentine wusste das auch nicht. Sie wusste nur, was sie Louiselle zur Entlohnung anfertigen wollte. Sie wollte ihr die Kombination aus Zaubern schenken, mit denen sie fremdsprachige Texte oder Zeichen in ihrer Sprache hörbar machen konnte. Sie hatte zwar erst gedacht, einen kleinen Projektor für den Lichtklingenzauber zu bauen, doch dann hatte sie gelesen, dass alle auf Licht basierende Zauber mit hochwertigem Kristall und einem Anteil Silber oder Gold konserviert werden mussten, je mächtiger und dauerhafter desto mehr vom Edelmetall und natürlich eine die Kraft aufnahmefähige Menge Kristall. Also würde es der Fremdschriftenversteher sein.

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Großbritanniens Zaubereiminister Shacklebolt war einer geheimen Einladung von einem ihm seit zwanzig Jahren bekannten Vampir namens Orville Nightwind gefolgt und in Begleitung zweier Vampirjäger aus der Zauberwesenbehörde zu einem stillgelegten Rangierbahnhof bei Portsmouth gereist. Nightwind wollte sich hier mit ihm treffen, um ihm eine Botschaft der noch jungen aber dafür sehr heimlichen Liga freier Nachtkinder zu übermitteln. Auch wenn Shacklebolt Nightwind größtenteils vertraute wollte er nicht ohne Geleitschutz dort sein. Am Ende meinten die sich selbst als freie Nachtkinder bezeichnenden Vampire, die nicht mit der übermächtigen Blutgötzin in Verbindung stehen wollten, ein Vampir als Zaubereiminister wäre der ideale Weg, eine geheime Allianz mit den Zauberern zu gründen.

"Minister Shacklebolt, Zwanzig Menschen im Umkreis, entfernen sich alle. Bisher keine Vampirortung", meldete Finnley Pinewood aus der Vampirüberwachungsbehörde. "Bleiben Sie weiter wachsam, auch und vor allem was von oben her kommt", brummte Shacklebolt. Er hatte sich extra für diesen Einsatz einen goldenen Ohrring angehängt, der mit vier Segen der Sonne bezaubert war. Somit wurde er für jeden Vampir unantastbar. Sicher würde Nightwind das nicht mögen, wenn er den Zaubereiminister nicht genau ansehen konnte, ohne schmerzende Augen zu bekommen. Aber da musste dieser langzähnige Geheimniskrämer durch.

"Noch eine Minute bis halb zwölf", wisperte Wim Bowman, der zweite Vampirjäger aus dem Zaubereiministerium und tastete noch einmal nach seiner sich selbst nachladenden Armbrust, für die er dreißig mit Sonnenquarzspitzen bestückte Eichenholzbolzen im Köcher mitführte. "Der wird sicher nicht alleine kommen", Wim. Ich überwache jetzt den Himmel", zischte Pinewood seinem Kollegen zu und richtete das kleine Fernrohr nach oben. "Ui, zwei Vampire in Fledermausform, Sir. Einer trägt einen kleinen Beutel bei sich. Achtung, Beutel fällt. Aufpassen!" Das letzte Wort hatte er fast schon laut ausgesprochen. Da kam auch schon ein dunkler Gegenstand von oben her herunter. Shacklebolt sah sogleich, dass etwas rundes darin stecken musste. Dann landete der Beutel wie auf einem unsichtbaren Luftkissen und lag dann still auf dem Boden. "Pinewood, Sie behalten die zwei Vampire im Blick! Ich hole den Beutel her", brummte Shacklebolt. Dann zielte er mit seinem Zauberstab auf den abgeworfenen Beutel und zischte "Accio Beutel!" Der aus Leder bestehende Transportbehälter sprang förmlich auf ihn zu und landete mit der zugebundenen Oberseite in seiner freien Hand. Jetzt fühlte er, dass der Inhalt wohl einige Pfund schwer sein musste. Doch er sah nun trotz der dunklen Lederhülle, was es sein mochte. Doch er wollte es nicht laut aussprechen. Noch nicht.

"Sir, das sind graue Übervampire", stieß Pinewood gerade aus. Mehr musste er auch nicht melden. Shacklebolt sah nach oben. Doch ohne ein magisches Fernglas konnte er nur zwei winzige Punkte vor dem von mittelgroßen Wolken bedeckten Sternenhimmel sehen. "Klar zum schnellen Rückzug!" befahl er. Denn die grauen Übervampire, die angeblich mit aus vielen verstofflichten Gewalttoden erzeugten Kristallen erschaffen worden waren, konnten normale Zauberer nicht lange bekämpfen. Es gab zwar eine sehr durchschlagende Möglichkeit, sie zu vernichten. Doch das hieß immer, unschuldiges, ganz junges Leben zu gefährden. Dann passierte es so schnell, dass selbst die hochtrainierten und erfahrenen Vampirjäger überrascht wurden.

Plötzlich entstanden um die drei Ministeriumszauberer herum dunkle Wirbel. Aus diesen sprangen insgesamt zwanzig menschenähnliche Wesen in rüstungsartigen Panzern, Helmen und Stiefeln. Ehe sich die drei versahen waren sie bereits umzingelt. Einer der auf diese plötzliche Weise erschienenen hielt eine Schnellfeuerpistole der Muggelwelt in seinen Händen und zielte auf Bowman, der gerade mit seiner Armbrust auf ihn einschwenken wollte. Rot-blaues Flirren vor der Mündung und ein unheilvolles Schwirrenund Sirren. Wild pfeifend und heulend flogen abprallende Geschosse umher. Bowman stand ruhig da und zielte auf den Schützen. "Netter Versuch, Götzinnenanbeter", stieß Bowman aus und feuerte einen Armbrustbolzen ab. Dieser krachte laut gegen den Brustpanzer des Schnellfeuerschützen und verging in einem grellen Blitz. Der Treffer selbst machte dem Feind nichts. Doch der grelle Blitz brachte ihn zum Aufschreien und zurückspringen. Er verriss seine Waffe und jagte die gerade daraus abgefeuerte Salve ins Mauerwerk. Zwei Querschläger wimmerten um Shacklebolts Ohren. Er fühlte das Vibrieren unter seinem Umhang. Sein Drachenhautpanzer hatte die tödlichen Geschosse von ihm abgehalten.

"Tja, Sonnensegen. Da nützt euch euer muggelmäßiger Panzer nichts", tönte Bowman und schoss bereits den nächsten Bolzen auf den Gegner mit der Schnellfeuerwaffe ab. Wieder blitzte es grell, und der andere wurde zurückgeschleudert. "Die Göttin wird euch richten", brüllte einer der anderen neunzehn Feinde. "Lass die Sonne raus!" rief Shacklebolt. Da flog aus seinem Rucksack eine stachelbewehrte Metallkugel und erstrahlte zu einer sonnenhellen Leuchtsphäre. Die Angreifer schraken zurück. Für gewöhnliche Vampire war selbst konserviertes Sonnenlicht tödlich. Doch die Angreifer trugen offenbar die schützende Kunststofffolie unter der Kleidung, die sie gegen Sonnenstrahlen immunisierte. Nur die Helligkeit der Kunstsonne peinigte sie. "Die Göttin will dich, Kingsley Shacklebolt. Und sie wird dich bekommen, Bürger, Feind oder Futter!" stieß einer der noch ein wenig weiter zurückweichenden aus. "Eure Götzin ist nicht unsere Göttin. Ihre Macht hat Grenzen", erwiderte Shacklebolt. Dann sah er nach oben. Die beiden grauen Vampire stürzten gerade herunter. Ihnen machte das aus dem Sonnenlichtspeicher strahlende Licht nichts aus. "Bowman, oben!" rief Shacklebolt. Dieser reagierte schnell und zielte nach oben. Einen der Grauen erwischte er mit einem Sonnensegenbolzen. Das brachte den Gegner ins trudeln, mehr nicht. "Dann eben das", knurrte Pinewood und hielt seine Armbrust nach oben. Er feuerte. Im nächsten Moment erstrahlte das Ziel in blauem Licht und verschwand. Keine zwei Sekunden später verschwand der zweite graue Vampir. "Musste es eben doch so laufen, Sir", sagte Pinewood.

Die wenigen Sekunden, welche die Vampirjäger gebraucht hatten, um die auf sie niederstoßenden Feinde abzuwehren reichten den noch vorhandenen Feinden, einen vollständigen Kreis zu bilden, indem sie einander an den Händen ergriffen. Shacklebolt sah schwarze Schlieren, die zwischen Köpfen und Beinen der Feinde entstanden und immer wieder verblassten. Doch je enger sie den Kreis zogen, desto stabiler blieben die Schlieren. Sie wollten ein vereintes magisches Feld erzeugen, erkannte Shacklebolt. "Lass die Sonne raus!" rief er noch einmal. Da flog eine weitere Stachelkugel aus seinem Rucksack und strahlte als künstliche Sonne auf. Die schwarzen Schlieren, die beinahe eine wabernde Wand aus dunklem Stoff bildeten, zerstoben wild flimmernd zu grauen Leuchterscheinungen. Jetzt riefen auch die beiden Vampirjäger "Lass die Sonne raus!" Von jedem schwirrte eine weitere Sonnenlichtkugel nach oben und gab von dem in ihr gespeicherten Sonnenlicht ab. Die sie einkreisenden Götzinnendiener erzitterten. Jedoch entstanden keine weiteren schwarzen Schlieren. "Und die Göttin bekommt euch doch!" wimmerte einer der Angreifer. Durch sein geschlossenes Visier klang es, als jammere jemand in einen kleinen Kessel hinein.

Blutrote Funken flogen von den zwanzig Dienern der Blutgötzin ins Zentrum des Kreises und verdichteten sich dort. Shacklebolt ahnte, was nun geschehen würde. Er hatte schon davon gehört, dass nach der dunklen Welle von vor einem Jahr wahrhaftige Manifestationen jener neuen Blutgötzin entstanden sein sollten. Jetzt wurde er selbst Zeuge, wie sowas stattfinden konnte.

Das Licht von sechs künstlichen Sonnen durchdrang die blutrote Funkenwolke und ließ sie an einigen Stellen golden aufblitzen. Doch offenbar reichte die Leuchtstärke von sechs Sonnenlichtkugeln nicht aus, um die Manifestation zu verhindern. Langsam aber unablässig formte sich aus den vielen roten Funken eine erst schemenhafte, an vielen Stellen durchsichtige Erscheinung, die von Sekunde zu Sekunde immer deutlicher und vollständiger wurde. Am Ende entstand eine an die fünf Meter große, aus sich selbst heraus blutrot leuchtende Frauengestalt mit allen klar und deutlich erkennbaren Geschlechtsmerkmalen. Kingsley Shacklebolt sah mit gewisser Verwunderung, dass die Erscheinung wie eine mittelschwangere Frau aussah und vermeinte, dass das Ungeborene in ihrem Leib sogar die Bauchdecke ausbeulte, als wolle es gegen seine sichere Umschließung ankämpfen. Natürlich wollte die bis dahin nur aus dem Hintergrund handelnde Vampirgötzin als Mutter aller Nachtkinder gelten. Deshalb ließ sie sich wohl auch als werdende Mutter darstellen, vermutete der britische Zaubereiminister.

Die drei Ministeriumszauberer standen erst staunend da, während die zwanzig sie umstehenden Götzinnendiener unter der Wirkung der über ihnen schwebenden Sonnenlichtkugeln erbebten. Doch weil sie so viele waren reichte ihre gebündelte Kraft, um diese rote Entität zu beschwören. Dann erklang eine laute, schallende Frauenstimme von der leuchtenden Gestalt her: "Die Waffen nieder. Ergebt euch mir, der einzig wahren Göttin der Nacht!" Shacklebolt fühlte seinen goldenen Ohrring erbeben. Der Sonnensegen wirkte offenbar einem Vampirzauber entgegen. Doch mehr empfand er nicht. Seine Mitarbeiter indes ließen augenblicklich ihre Armbrüste fallen. "Löscht die mich verärgernden Sonnenlichter aus!" befahl die rote Erscheinung. Sofort riefen Bowman und Pinewood "Sonnenlicht schlaf ein!" Ihre jeweils zwei Kugeln erloschen und segelten wie Federn von oben herab und landeten in ihren Rucksäcken. Nun schwebten noch zwei das gespeicherte Sonnenlicht freisetzende Zauberkugeln über ihnen allen. "Ich sagte, du sollst diese widerlichen Lichter löschen!" dröhnte die Stimme der blutroten Leuchtgestalt. Sie zeigte wütend auf Shacklebolt. Der merkte, dass sein Ohrring kurz heiß wurde und dann von seinem Ohr abfiel. Doch sonst verspürte er keinen Drang, dem Befehl der blutroten Entität zu folgen. "Los, Lichter aus und Alle Waffen weg!" befahl sie noch einmal. Doch Shacklebolt fühlte keinen Zwang auf sich wirken wie etwa beim Imperius-Fluch. "Nö!" entgegnete er deshalb ganz entschlossen. "Was?!" dröhnte die Stimme der Erscheinung so laut, dass es in Shacklebolts Ohren nachklirrte. "Ich sage nö, Götzin der Nacht!" erwiderte Shacklebolt. "Schlagt ihn nieder und fangt eure wiederlichen Lichter ein!" dröhnte ihr Befehl an die beiden Vampirjäger. Shacklebolt sah, wie die beiden Anstalten machten auf ihn zuzuspringen. Doch weil auch er einen Drachenhautpanzer trug würden Schläge nicht bei ihm ankommen. Das wussten seine Mitarbeiter auch. Deshalb streckten sie ihre Hände langsam vor und wollten Schacklebolt am Hals packen. Dieser erkannte die Gefahr und zog seinen Zauberstab frei. "Sensofugato!" rief er mit nach oben gerecktem Zauberstab. Ein greller Lichtblitz und ein lauter Donnerschlag ertönten. Seine Mitarbeiter fielen nach vorne und blieben liegen. Mehr konnte er im Moment nicht tun, um sie kampfunfähig zu halten. "Du bist stark, schwarzer Mann. Aber ich bin stärker", schrie die Erscheinung der Blutgötzin.

"Stärker als das Sonnenlicht? Das glaub ich nicht", erwiderte Shacklebolt und musste fast über seinen Stehgreifreim grinsen. Doch die Lage war zu ernst. Deshalb rief er schnell: "Lux tota quinque!" Dann deutete er mit dem Zauberstab auf die beiden betäubten und rief: "Portatum urgentum!" Bei der letzten Silbe deutete er auf sich selbst. Sofort meinte er, in einen bunten Farbenwirbel zu stürzen. Er sah jedoch noch helle und dunkle Schlieren, die den bunten Wirbel zu durchdringen versuchten. Dann fühlte er das gewohnte Ziehen am Bauchnabel.

Als er wieder festen Boden unter den Füßen fühlte plumpsten Bowman und Pinewood neben ihm zu Boden. Shacklebolt sah auf seine Uhr und zählte vier Sekundenherunter. "So, wenn die nicht ganz schnell wieder verschwunden sind erleben die gerade den heißesten Sonnenaufgang ihres widernatürlichen Lebens."

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Gooriaimiria war sich ihrer Beute sicher. zwanzig ihrer unveränderten Krieger umstanden im Schutz von kugelsicheren Panzern und Solexfolien die drei englischen Schwächlinge, die gemeint hatten, sich mit der Gruppe der Ketzer einzulassen. Als ihre Projektion trotz der künstlichen Sonnenlichtquellen entstanden war hatte sie zwei von denen mit der Macht ihrer Stimme unterwerfen können, soviel Macht verliehen ihr zwanzig zusammenstehende Getreue. Doch der große dunkelhäutige Bursche hatte nicht gehorcht. Er hatte sich ihr sogar offen widersetzt. Die zwei anderen sollten ihn dafür niederschlagen. Doch das taten die nicht. Deshalb hatte der die einfach mit einem Betäubungszauber niedergeworfen, den auch ihre Diener nicht ertrugen. Deshalb fühlte sie, wie ihre Erscheinung vom künstlichen Sonnenlicht mehr und mehr zersetzt wurde. Dann hatte dieser afrikanischstämmige Bursche noch was von wegen alles Licht und fünf gerufen. Ihr war klar, was das hieß. Sie musste ihre Leute da wegholen. Doch weil die gerade auf dem Boden lagen und ihre Projektion immer schwächer wurde musste sie diese schnell auflösen und versuchen, trotz der zwei Sonnenlichtentladungsquellen Schattenstrudel zu bilden. Doch nun merkte sie, dass sie dafür einen wachen Diener brauchte. Sie versuchte es trotzdem, aufs geratewohl einen Schattenstrudel zu erschaffen, der mindestens zehn der Ausgesandten zurückholte. In dem Moment hörte sie die mentalen Todesschreie ihrer beiden Kristallkrieger. Offenbar waren die mal wieder in einen Schlafsaal voller laut plärrender Säuglinge befördert worden, deren Gebrüll für sie so tödlich war wie der Sturz in die lodernde Sonne selbst. Keine Sekunde später fühlte sie, wie ihr etwas Kraft raubte. Dann hörte sie die kurzen geistigen Aufschreie von zwanzig Getreuen und fühlte, wie deren Seelen in alle Richtungen davongeschleudert wurden und dabei zerflossen, ohne dass sie sie noch rechtzeitig ergreifen und an sich reißen konnte. Dieser Bimbo mit der Billardkugel hatte ihre Diener getötet und sich ihrer mächtigen Stimme widersetzen können, obwohl ihre Kraft von zwanzig Getreuen gebündelt wurde. "Ich finde dich und lass dich von meinen Kristalldienern in tausend Fetzen zerreißen!" schrillte ihre wütende Gedankenstimme durch die Unendlichkeit. Doch der den sie meinte hörte sie nicht.

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"Ui, mein Schädel!" stöhnte Pinewood, als er wieder aufwachte. "Mm-meiner auch", grummelte Bowman. "Na, die Herren Vampirjäger, wieder anwesend?" fragte Shacklebolt seine Mitarbeiter. "Ahaiii, was hat uns da so erwischt. Ich habe nur eine überlaut dröhnende Stimme im Kopf gehörtund dann war es Nacht für mich", lamentierte Pinewood.

"Nacht ist das richtige Wort, Gentlemen. Sie wurden von einer Projektion dieser Vampirgötzin dazu gezwungen, ihre Waffen abzulegen und die Ihnen unterstehenden Sonnenlichtkugeln wieder einzufangen. Warum ich davon nicht beeinflusst wurde weiß ich gerade nicht. Aber ich habe uns den ultimativen Rückzug verschafft", sagte Shacklebolt. Dann fiel ihm ein, dass er unbedingt Außentruppen zum ausrangierten Bahnhof bei Portsmouth schicken musste. "Sie erholen sich besser und lassen sich von HVD Morningdew gegen Ihre Kopfschmerzen behandeln. In einer Stunde will ich alle diensthabenden Vampirbekämpfer im großen Konferenzraum sprechen."

"Aye, Sir. Aber bitte nicht so brüllen", quängelte Pinewood und kämpfte sich schwerfällig auf die Füße. Er musste seinen Kopf mit beiden Händen stützen, als habe ein böswilliger Scherzbold sein Gehirn mit einer gleichgroßen Bleikugel vertauscht. Dann torkelten die zwei Vampirjäger wie sturzbetrunkene Zechbrüder aus dem kleinen Bereitschaftszimmer, in dem sie und Shacklebolt nach Auslösen des Notfluchtportschlüssels angekommen waren.

Auch der ranghöchste Zauberer Großbritanniens und Irlands begab sich zum Heiler vom Dienst. Dabei erfuhr er, dass Heiler Morningdew gerade nicht im Dienst war, sondern seine Kollegin Stirwell. Mit der kam er nicht so gut klar, weil die schon für jeden kleinen Anlass ein umfassendes Protokoll erstellen wollte, auch wenn es um streng geheime Kommandounternehmen des Aurorenkorps gegangen war, als er dort selbst noch fleißig mitgemischt hatte. Dennoch berichtete er ihr, nachdem sie den beiden Vampirjägern was gegen ihre Kopfschmerzen verabreicht hatte, was ihnen widerfahren war.

"Oh, und Sie haben den Befehlen dieser beschworenen Erscheinung nicht gehorcht, Herr Minister?" fragte die knapp siebzig Jahre alte Heilhexe. Shacklebolt bestätigte das und erwähnte auch, dass ihn das ebenfalls verwundere. Denn die beiden Vampirjäger hatten ja auch Schmuckstücke mit eingewirktem Sonnensegen getragen. "Aber Sie haben doch gerade erwähnt, dass ihr Sonnensegen-Artefakt unter der Kraft dieser Stimme zerstört wurde. Sie können übrigens froh sein, dass es Ihnen dabei nicht das Ohr oder gar das ganze Gesicht verbrannt hat", sagte Heilerin Horatia Stirwell. "Wenn Sie das sagen will ich das auch so glauben", erwiderte der Zaubereiminister. "Ich werde bei Ihnen und den Herren Pinewood und Bowman eine Geisteslotung machen, um ihre mentale Kraft zu prüfen. Ich hoffe, Sie gestatten es mir." kündigte die Heilerin an. "Soweit ich weiß darf auch ein Zaubereiminister nichts gegen heilmagische Maßnahmen einwenden, sofern sie angezeigt sind", grummelte Shacklebolt. "Also machen Sie das bitte so", fügte er noch hinzu.

Bei der Prüfung mit dem Seelenloter, wie dieses Instrument der Heilmagie auch genannt wurde, kam heraus, dass die beiden Vampirjäger vollkommen erschöpft waren und nur durch die stimulierende Wirkung des Kopfschmerzbanntrankes auf den Beinen gehalten wurden. Dagegen schaffte es das Lotungsgerät nicht im Ansatz, in die Tiefen von Shacklebolts Geist einzudringen. Es erzitterte und bebte, sprühte Funken und drohte zu bersten, wenn die Heilerin es nicht umgehend von Shacklebolts Kopf weggezogen hätte. "Oh, äußerst interessant. So wie es aussieht besitzen Sie eine art inneren Abwehrpanzer so dick wie eine Burgmauer aus gehärtetem Stahl. Das Gerät wurde völlig übersättigt, wo es sonst mit seinen Impulsen bis in die tiefsten Regionen eines menschlichen Geistes vordringen kann. Öhm, kann es sein, dass Sie irgendwas mit sich angestellt haben, dass Ihren mentalen Widerstand erheblich verstärkt hat? Ich meine, wenn es geheim ist können Sie mir das gerne als klassifizierten Bericht zukommen lassen."

"Ja, das ist wohl besser so", sagte Shacklebolt. Dabei konnte er die Frage überhaupt nicht beantworten. Denn er hatte nichts mit sich anstellen lassen oder selbst angestellt, um seinen Geist widerstandsfähiger zu machen. Er wüsste all zu gerne selbst, wie sowas überhaupt gehen konnte. Sicher, er wusste, dass geübte Okklumentoren sich sehr stark gegen fremde Eingriffe in den eigenen Geist wappnen konnten. Aber wie es jemand anstellte, den passiven mentalen Widerstand derartig zu erhöhen, dass selbst ein Seelenlot nicht im Ansatz hindurchdringen, ja wie ein Fluch von einem schwarzen Spiegel vielfach verstärkt zurückgeworfen wurde, wüsste er wirklich ganz gerne. Am Ende war er auch sowas wie ein Mutant, wie die selige Nymphadora Tonks oder ein Ruster-Simonowsky-Zauberer. "Ich gehe noch mal alles durch und entscheide dann, was davon zu Protokoll genommen werden soll und auf welcher Geheimstufe dieses eingeordnet werden muss", sagte er noch einmal, um seine Souveränität zu behaupten. Die Heilerin nickte nur.

Eine Stunde später wusste Shacklebolt drei Dinge. Der ausgediente Rangierbahnhof war in einem glühenden Krater verschwunden und im Umkreis von anderthalb Kilometern waren alle Waldbestände eingeäschert worden. Also empfahl sich die spontane Entladung von fünf Stunden gespeicherten Sonnenlichtes nicht in dicht besiedelten Gebieten. Zum zweiten hatte das Büro von Timothy Abrahams alle Hände voll zu tun gehabt, den Vorfall als einfachen Großbrand auf Grund einer fahrlässigen Brandstiftung im Bahnhof übernachtender Landstreicher hinzustellen. "Großbritannien testet keine Kernwaffen auf seinen ausrangierten Rangierbahnhöfen!" hatte Timothy Abrahams verbreiten lassen und wohl auch die Kollegen in den Staaten, Russland, Frankreich und China informieren müssen, dass es über England keine Atombombenexplosion gegeben hatte. Drittens wusste er nun, dass die Solexfolien zwar natürliche Sonnenlichtstrahlung von ihren Trägern abhielten, bei Temperaturen weit über 1000 Grad Celsius ebenso machtlos waren wie die meisten nichtmagischen Textilien. Denn von den zwanzig Vampiren waren nur Aschehaufen und weit verstreute Reste verkohlter Kunstfaser übriggeblieben. Immerhin diese Meldung war eine beruhigende Meldung. Denn Tim Abrahams hatte vorgeschlagen, gespeichertes Sonnenlicht demnächst mit Hilfe hitzebeständiger Kristalle und Spiegel wie die legendären Laserstrahlen aus der Muggelwelt auf einen winzigen Punkt zu konzentrieren. Shacklebolt hatte ihm darauf den Auftrag erteilt, derartige Waffen bei der Untergruppe Sonderausrüstung in der Abteilung für experimentelle Zauberkunst einzureichen.

Nun saß der Zaubereiminister Großbritanniens und Irlands mit allen Vampirjägern und deren Chef zusammen im großen Konferenzraum. Er begann die Sitzung mit einer gruseligen Darbietung. Denn er hatte den von den beiden Kristallvampiren abgeworfenen Beutel mitgebracht und öffnete ihn vor den Anwesenden. Selbst die hartgesottenen Vampirbekämpfer zuckten zusammen, als ihnen die leblosen Augen von Nightwind aus dem Beutel entgegenglotzten. Jemand hatte dem einstigen Hellmondvampir den Kopf abgeschlagen und ihn dadurch getötet.

"Die wollten uns wissen lassen, dass sie diese Liga freier Nachtkinder beobachten. Kann sein, dass wir von dieser Gegenbewegung gegen die Anbeter der Blutgötzin nichts mehr hören werden. Es kann auch sein, dass Nightwind vorher noch bei diesen Fanatikern war und versucht hat, die Seiten zu wechseln und deshalb unter unseren Schutz gestellt werden wollte", brachte der britische Zaubereiminister eine fundierte Vermutung vor. "Da wir nur den Kopf erhalten haben wissen wir nicht, ob Nightwind vor seinem Tod gefoltert wurde oder nicht. Somit wäre jede Vermutung nur Mutmaßung ohne Indizien. Wir müssen also darauf gefasst sein, dass die Liga freier Nachtkinder entweder bald vernichtet wird oder um so brutaler zurückschlägt, was auch heißt, dass sie arglose Menschen dazu zwingt, Vampire zu werden. Sie wissen ja alle, wann und wie Menschen Vampire werden können. Also müssen wir auch darauf gefasst sein, gegen diese Liga freier Nachtkinder kämpfen zu müssen, sowie wir auch mit zulässigen Waffen gegen die Mondgeschwister kämpfen."

Seine Zuhörer nickten. Dann berichtete er, was er und die beiden Vampirjäger Pinewood und Bowman erlebt hatten und beschrieb die Beschwörung der Avatari der Blutgötzin, wie er es nannte. "Damit steht fest, dass die bereits erhaltenen Erwähnungen keine bloßen Gerüchte sind und bei ausreichender Anzahl ihr treuer Diener eine formstabile Erscheinung dieser Blutgötzin an einem Ort entstehen und magisch und wohl auch körperlich handeln kann. Das heißt, dass wenn Sie Dienerinnen oder Diener dieser Blutgötzin stellen und bekämpfen können, werden die diese Entität beschwören. Ihre Kollegen Pinewood und Bowman erinnern sich nicht mehr daran. Doch ich habe bereits zu Protokoll gegeben, dass sie durch eine Art Stimme der Macht Menschen ihren Willen aufzwingen kann. Womöglich hängt es von der Anzahl ihrer wachen Diener ab, wie stark diese Macht wirkt. Also gilt, wenn sie rote Funken sehen, die sich in einem begrenzten Raum zusammenfügen, töten Sie alle Vampire, die Sie für die Quellen dieses Vorgangs halten mit dem Todesfluch! Falls wer den nicht kann - was eher für als gegen ihn spricht - möge jeder, der dies üben muss dies an schnell wieder nachwachsenden Tierbeständen wie Mäusen, Ratten oder Kaninchen trainieren! DenkenSie dabei bitte daran, dass jedes getötete Kaninchen zwei Menschen das Leben retten mag! Wer dann immer noch Skrupel hat, tödliche Magie anzuwenden, der oder die möge sich bitte sehr um einen anderen Posten im Ministerium bemühen! Ich muss das leider so drastisch sagen: Wir stehen ab heute mit den Anhängern der Blutgötzin im offenen Krieg. Der versuchte Überfall auf mich und Ihre Kollegen Pinewood und Bowman darf als Casus Belli also Kriegsursache gewertet werden. Wer nicht kämpfen will oder kann kann sich auch hinter der Front nützlich machen. Niemand von Ihnen darf gezwungen werden, gegen sein Gewissen zu handeln. Doch ich sehe hier viele, die genau deshalb Vampirbekämpfer wurden, weil sie all zu gefährliche Blutsauger jagen und erlegen wollen, um arglose Menschen zu schützen. Nehmen Sie diese Ihre Grundentscheidung als Motivation, um alle Formen tödlicher Magie zu trainieren, solange sie diese nicht gegen Menschen einsetzen! Ich danke für ihre Aufmerksamkeit."

"Herr Minister, und was ist, wenn wir doch einen Kontakt zu den selbsternannten freien Nachtkindern bekommen?" wollte ein älterer Vampirjäger wissen. "Nun,wir dürfen uns nicht die Gelegenheit verderben, diesen Vampiren klarzumachen, dass sie sich selbst zu unseren Feinden machen, wenn sie arglose Menschen in ihre Reihen zwingen. Insofern möchte ich den selbsternannten freien Nachtkindern die Hand zur Freundschaft ausstrecken. Doch wenn sie auch nur einen Menschen gegen seinen Willen zum Dasein als Vampir zwingen gilt für sie dasselbe wie für die Sekte der selbsternannten Mutter aller Nachtkinder", bekräftigte Kingsley Shacklebolt.

"Sie sagen, wir sollen den Todesfluch wirken, wenn wir sehen, dass die Abbildung dieser Götzin entsteht. Kriegen wir dann keinen Ärger mit der Liga gegen dunkle Künste und anderen Ablehnern menschenfeindlicher Zauber?" wollte eine wohl gerade erst mit ihrer Ausbildung fertige Vampirbekämpferin wissen. Shacklebolt wiegte denKopf und sagte dann: "Danke für den Einwand. Deshalb erlaube ich Ihnen allen, auch magischen Augenzeugen die Erinnerung zu geben, es habe keine Begegnung mit übernatürlichen Wesen gegeben, wenn Sie gezwungen sein sollten, Diener dieser Götzin mit dem tödlichen Fluch zu bekämpfen. Des weiteren werden diese Anweisungen als Anweisungen auf der Geheimhaltungsstufe S8 eingeordnet. Somit wird es von dieser Sitzung und meinen hier erteilten Anweisungen keine öffentlichen Protokolle geben. Ihr Einsatzgruppenkoordinator erhält selbstverständlich eine schriftliche Bestätigung für meine Anweisungen, um die nötige Rechtssicherheit für sich und Sie alle zu besitzen. Noch weitere Fragen?"

"Ja, wenn wir jetzt schon den tödlichen Fluch gegen feindliche Vampire benutzen dürfen, besteht da nicht die Gefahr oder besser die Wahrscheinlichkeit, dass Sie oder Ihr Nachfolger eines Tages befinden könnten, dass auch gemeingefährliche Menschen damit gestoppt werden dürfen, wie es Ihr Vorgänger Thicknesse ja als Generalbefehl an Außendienstmitarbeiter ausgab?" wollte der ältere Vampirjäger wissen.

"Also noch mal ganz grundsätzlich. Der tödliche Fluch Avada Kedavra ist weiterhin gegen Menschen und nichtvampirische Zauberwesen verboten, auch im Fall eindeutiger Notwehr. Was mein sehr unrühmlicher Vorgänger Thicknesse angewiesen hat beruhte auf die ihm eingepflanzten Befehle des wahnhaften und selbst äußerst gefährlichen Zauberers Tom Riddle alias Lord Voldemort." Fast alle Anwesendenzuckten bei Nennung des einstmals so sehr gefürchteten Namens zusammen. Shacklebolt grummelte verdrossen: "Leute, der ist jetzt echt lange genug tot, um diese Schreckhaftigkeit wegen seines selbstherrlichen Kampfnamens abzulegen."

"Ja, aber von seinen Anhängern gibt es noch welche. Dieser Vengor war doch auch so von dem begeistert", warf ein Vampirjäger mit orientalischer Herkunft ein. "Ja, dann wundert es mich, dass Sie den ebenfalls selbstgewählten Kampfnamen Vengor frei aussprechen können, Mr. Ammad", gab Shacklebolt die passende Antwort. Die jüngere Vampirjägerin meinte dazu: "Liegt wohl daran, wie lange wer in der Welt Angst und Schrecken verbreitet hat." Außer Shacklebolt lachte niemand darüber. "Das wird es wohl sein, Miss Stonecutter", bemerkte der Zaubereiminister dazu. Dann fasste er noch einmal die Ereignisse und die daraus resultierenden Anweisungen zusammen. Danach entließ er die zusammengetretenen Vampirbekämpfer. Pinewood und Bowman waren sichtlich erleichtert, sich endlich hinlegen zu können, um die Erschöpfung zu kurieren, die ihnen der Angriff der blutroten Götzin beschert hatte.

Als Shacklebolt in seinen privaten Gemächern war dachte er daran, wie er das mit seiner stahlpanzerartigen mentalen Widerstandskraft erklären konnte. Er war sich selbst keiner Handlung bewusst, die ihm eine derartige Absicherung gegen magische Geistesmanipulationen beschert hatte. Am Ende war er sogar immun gegen den Imperius-Fluch oder gegen jede Form der Legilimentik, ja widerstand womöglich auch der düsteren Macht der Dementoren, die trotz seiner voreiligen Behauptung von damals auch noch in der Welt herumspukten.

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Um halb elf abends stand Julius Latierre im Foyer des Zaubereiministeriums. Da erschien eine blaue Lichtspirale aus dem Boden. Dann standen zwei Zauberer und drei in einheitlich grauer Kleidung steckende Menschen da, zwei Frauenund ein Mann. Eine der Frauen war noch jung, hatte strohblondes Haar aber braune Augen. Die zweite sah so aus, als habe sie amerikanische Ureinwohnerund Europäer als gemeinsame Vorfahren. Ihr schwarzes Haar fiel über ihre Schulter. Der Mann war auch noch jung, athletisch, blickte sehr interessiert, als wolle er alles wichtige erfassen. Der konnte sicher jede liebeslustige Frau verrückt machen, dachte Julius.

"Im Geheimauftrag der Abteilung zur Aufsicht und Führung magischer Wesen überstellen wir Ihnen, Monsieur Julius Latierre, die drei in Gewahrsam genommenen Patanegra, Nina Ramirez Burgos und Valentino Rodríguez Suárez zur Verbringung an den angewisenen Standort", sagte einer der Zauberer. Dann sagte der zweite, Hubert Fontbleu persönlich: "Die drei wurden instruiert, Ihren Anweisungen zu folgen. Sind Sie in zehn Minuten noch von unszu erfassen, kommen wir und nehmen Sie alle vier in Gewahrsam."

"Mit welcher Begründung, Monsieur Fontbleu?" fragte Julius. "Konspiration mit einer feindlichen Gruppierung in Tatmehrheit mit versuchter Fluchthilfe und Behinderung der Ermittlungen. Also sehen Sie zu, dass sie die drei dort hinbekommen, wo Sie meinen, dass sie hingehören! Wie erwähnt, wir können sie erfassen. Disapparieren Sie ohne die drei hier, ist das ein Geständnis, dass Sie gegenuns arbeiten. Wenn die drei flüchten und in zehn Minuten noch von uns erfasst werden fangen wir sie und Sie wieder ein. Haben Sie das verstanden?"

"Ja, ich habe das verstanden", sagte Julius und sah, dass die drei an ihren Hälsen glitzernde Bänder trugen. Er hütete sich davor zu fragen, ob er auch so ein Band umgelegt bekam. Da disapparierten die beiden Zauberer. "Gut, die Damen und Herren, verstehen Sie mich?" fragte Julius auf Französisch. Keiner sagte was. "Muy bien en español", wechselte Julius ins Spanische über. Dann erklärte er, dass er nun einen weiteren Ferntransportschlüssel herstellen würde, um sie alle an den Ort einer möglichen Heilung ihrer Werwolfkrankheit zu befördern. Das verstanden die drei auf jeden Fall. Julius sagte dann noch auf Spanisch, dass er berechtigt sei, bei Gewalt gegen ihn ebenfalls Gewalt anzuwenden. Das hatte ihm Fontbleu zwar so nicht erzählt, war aber üblich bei Verdächtigen oder offiziellen Häftlingen.

"Der schwarzhaarige Bursche fragte ihn, was wäre, wenn er ihn beiße. Julius erwiderte in dessen Heimatsprache, dass er ihm nur was könne, wenn er sich verwandele, und das dauere auch mit dem Trank vier volle Sekunden, in denen er wehrlos sei, Zeit genug für Julius, ihm die letzten beiden Worte seines Lebens zuzurufen. Da verflog das freche Grinsen aus dem Gesicht des Mannes. Die blonde Frau zischte ihn was zu, was Julius nicht verstand, weil zu leise und zu schnell.

Julius stellte die drei so, dass er sie gut im Blick behielt. Dann belegte er sie alle mit einem ungesagten Bewegungsbann. Denn er wollte keine unliebsamen Überraschungen erleben, wenn er nun den Portschlüssel herstellte. Hierfür nahm er nun eine Rolle Pergament, die lang genug war, dass sich alle vier daran festhalten konnten und konzentrierte sich auf den genauen Standort der Mondburg. Millie hatte ihm den genauen Abstand von Paris, sowie Richtung und Höhenunterschied erklärt. Diese Angabenund die Umgebungsimagination halfen ihm, sich in die für einen Portschlüsselzauber nötige Vorstellung einzufühlen. Dann sprach er "Portus!" auf die Pergamentrolle. Sie erglühte einge volle Sekunde lang im blauen Licht. Dann sah sie wieder so wie gerade eben noch aus.

Er löste den Bewegungsbann von den anderen, hier bewusst die Anstandsregeln "Damen zuerst" befolgend. Er forderte die drei auf, sich so zu stellen, dass jeder von ihnen ein Stück des nun ausgerollten Pergamentes halten konnte. Der junge Mann sah ihn wieder herausfordernd an. Julius sagte gelassen, dass wer sich nicht festhalte hierbleiben und das ganze restliche Leben ein Werwolf bleiben müsse. Die junge blonde Frau sah ihren Kameraden verärgert an und zischte ihm was zu, das für Julius zu schnell war, um es zu verstehen. Da griff der schwarzhaarige Mann an das Pergamentstück. Julius zählte nun die letzten Sekunden herunter: "Cuatro - tres - dos - un - Acción!" Das letzte Worrt verschwand mit ihm und den drei anderen in jenem scheinbar unendlichen bunten Raum voller Säuseln und dem Gefühl, von einem Haken im Bauchnabel vorangezogen zu werden. Er sah die drei an, die keine Anzeichen von Erstaunen, Verwunderung oder Beklemmung zeigten. Also waren die diese Art zu reisen nicht erst seit diesem Abend gewöhnt.

Julius war auf der Hut, bei der Ankunft schnell aus der Armreichweite des jungen Burschens zu kommen, um im Falle eines Angriffs rechtzeitig reagieren zu können. Tatsächlich sah ihn der junge Mann so an, als wolle er prüfen, wie weit er bei ihm gehen konnte. "Na, angst vor einem bösen Wolf?" fragte der shwarzhaarige in seiner Muttersprache. Julius blieb ganz ruhig und fragte ebenfalls auf Spanisch, ob er so aussehe. Tatsächlich fixierte Julius den anderen mit seinem Blick und legte die volle Konzentration hinein. Der andere erbebte und versuchte, seinen Blick abzuwenden. Julius fühlte, wie der andere erst willentlich und dann auch körperlich vor ihm einknickte. "Lo es bastante?" fragte er. Der schwarzhaarige Lykanthrop nickte verdrossen.

Jetzt konnte Julius die Umgebung betrachten. Sie standen zwischen hohen Bergen, deren schneebedeckte Gipfel das Licht des Mondes silberweiß widerspiegelten. Er erkannte die Formation und Beschaffenheit der aufragenden Hänge und war erleichtert. Er hatte den Portschlüssel genau auf das richtige Ziel ausgerichtet. Schnell blickte er auf seine Uhr, ohne dabei die drai anderen ganz aus dem Blick zu lassen. Es war jetzt drei Minuten nach halb elf. Sie hatten also noch sieben Minuten, bis das Einfangkommando kommen und sie alle wieder einkassieren wollte.

Julius fragte sich, ob die Mondtöchter in weniger als sieben realen Minuten ihre Burg enttarnen konnten. Am Ende wurde er noch eingesackt, weil ihre Tarnung länger brauchte. Doch er brauchte noch nicht mal drei Minuten zu warten, als die Mondburg sich auf ihre übliche Weise zeigte. Er erwähnte, dass sie einen Ort betreten durften, wo sie von ihrer Werwolfkrankheit befreit werden konnten, wenn sie das freiwillig taten. Wollten sie nicht, dann kehrten sie wohl in das Gefängnis zurück, aus dem sie geholt worden waren.

"Klar, mit dir zusammen", grummelte der Schwarzhaarige in seiner Muttersprache. Offenbar hatten ihm Julius' überragende Körpergröße und Kraft dochimponiert. "Ich habe gute Anwälte und eine Reporterin im Hintergrund. Werde ich weggesperrt steht's morgen in allen Zeitungen, dass jemand gehofft hat, Sie vor der Welt zu verstecken, um mit Ihrer Hilfe ein Reich der Werwölfe zu gründen." Die Werwölfin fragte ebenso auf Spanisch, ob er das ernst meine. Er nickte. Dann deutete er auf die gerade ausgefahrene Brücke. "Sie müssen das wollen, freiwillig zu denen über die Brücke gehen. Da warten dann sechsunddreißig besondere Ordensschwestern auf Sie, die Ihnen hoffentlich erklären können, was genau passiert. Aber Sie müssen es wollen, diesen Mondfluch loszuwerden."

Auf der anderen Seite der Brücke zeigte sich eine Frau in der weißen Tracht der Mondtöchter und winkte. Sie wollten sie also bei sich haben. Julius hörte die Stimme der ersten Tochter in seinem Kopf: "Sie mögen auf eigenen Füßen herüberkommen. Die wachenden Ringe werden wir ihnen lösen, wenn sie bereit sind, sich von uns heilen zu lassen."

Julius deutete noch einmal auf die Brücke. "Keine Sorge, die trägt wesentlich schwerere Leute als Sie drei", sagte er in der Heimatsprache der drei. Dann sah er, wie die dunkelhaarige Frau, die die Burg mit steigender Faszination beobachtet hatte, ganz ruhig auf die Brücke zuging. Sie trat bis auf einen halben Meter vor die Brücke. Dann blickte sie erst dem Mond entgegen, als wolle sie ihn um Kraft bitten. Dann hielt sie ihre Hand ausgestreckt mit der Handfläche zur Erde deutend. Dann meinte Julius, durch die Füße etwas in sich aufsteigen zu fühlen. Er argwöhnte einen zauberstablosen Erdzauber und wollte schon dagegen ansprechen, als eine sanfte Frauenstimme in ihm klang: "Pacha Mama ist mit dir und schützt deine Pfade. Danke für die Gunst der Mama Killa und ihrer Töchter!" Die Frau senkte ihre Hand wieder, drehte sich der Brücke zu und ging ein Lied in einer Julius' fremden Sprache singend auf die gläserne Brücke.

Julius bangte, dass die Mondtöchter die Frau nicht hereinlassen würden. Falls sie doch schon einen Menschen getötet hatte ... Da umfloss die südamerikanische Frau blutrotes Licht. Sie erstarrte in der Bewegung. Das Licht bildete eine weit ausgreifende Aura. Zwei Sekunden, dann noch mal zwei. Dann zersprühte die rote Aura zu einer Wolke gleichfarbiger Funken, die in den Himmel hinaufjagten. "Die aus Not begangene Bluttat gegen die, die durch anderen dunklen Atem zu Menschenbluttrinkern wurden ist von ihr genommen. Komm nun zu uns, vom Zorn der Himmelsschwester getriebene! Hier findest du Ruhe und Heilung!" sagte die am Tor wartende Mondtochter. Die Frau mit den südamerikanischen Vorfahren, die wohl die alten Inkagötter verehrte, setzte ihren Weg über die Brücke fort und betrat das Tor. Unverzüglich wurde sie von drei aus der Deckung der Mauer getretenen Frauen umringt und von ihnen weiter in die Mondburg getrieben.

Die Blonde deutete auf den Dunkelhaarigen. Sie sagte ihm, zuerst zu gehen. Er sah sie verdutzt an und antwortete gestenreich, dass sie zuerst gehen sollte. Da flüsterte sie ihm was ins Ohr. Er nickte und ging dann auf die Brücke zu. Er betrat sie, ging weiter und überquerte sie, ohne dass ihm was passierte. Gleich acht Mondtöchter nahmen ihn in Empfang und geleiteten ihn ins innere der Mondfestung.

"Sie sprechen gut Spanisch, Señor Julio", sagte sie auf Französisch. "Ich hoffe, Ihnen wird das gedankt, dass Sie uns hierhergebracht haben."

"Nicht von den Mondgeschwistern, Señora", sagte Julius und lächelte. Die Blonde nickte, winkte und ging mit erhobenem Kopf auf die Brücke zu. Als sie in der Mitte der Brücke war umfloss sie mondlichtfarbenes Licht. Es bündelte sich um ihren Unterleib, drang darin ein und strömte ihr wie silberne Funken zwischen den Beinen heraus. Sie taumelte und schien nicht zu wissen, ob sie jauchzen oder vor Schmerzen schreien sollte. Dann erlosch das magische Licht. "Sie gebar ein Kind mit dem Zorn der Himmelsschwester. Dieses muss auch noch zu uns. Aber nicht heute", gedankensprach eine der Mondtöchter. Dann sah Julius, wie die sehr erschöpft aussehende Frau denRest der Brücke überwand und von vier Mondtöchtern begrüßt und gestützt wurde.

Julius wollte noch was rufen, den dreien alles gute und Glück wünschen. Doch da schloss sich das Tor, und die Brücke zog sich zurück. Gleichzeitig begann die Burg von den Rändern her zu verschwinden. Als die Brücke völlig im Mauerwerk verschwunden war verschwand auch der Rest von Sichtbarkeit. Die Burg stand nun wieder in ihrem besonderen Tarn- und Verbergezauber. Hatte er seine Mission erfüllt? Nicht ganz. Die Blondine hatte ein Werwolfsbaby bekommen, das noch irgendwo war. Das wollten die Mondtöchter auch noch bei sich haben, wohl um Mutter und Kind wieder zusammenzubringen, frei vom Übel der Lykanthropie. Doch wo war das Kind? Er ärgerte sich ein wenig, dass er gleich nach diesem ziemlich brisanten Auftrag schon den nächsten, vielleicht noch heftigeren Auftrag am Hals hatte. Musste er dafür sogar in die Wolfshöhle Nummer eins? Falls ja, konnte es ihm passieren, gebissen und dann selbst zum Werwolf zu werden. Doch diese Aussicht jagte ihm nur eine gewisse Verärgerung ein, keine Angst. Denn jetzt wusste er, dass auch gegen das tückische Virus der Werwut etwas gewachsen war: Eine unsichtbare Burg und sechsunddreißig darin wohnende Ordensschwestern.

"Willst du warten, bis sie kommen und nachsehen, wo du bist?" fragte ihn eine andere Gedankenstimme, die wie ein sanft angestrichenes Cello klang. Julius verneinte es, als er merkte, dass er immer noch so da stand wie bei seiner Ankunft. Er erhob seinen Zauberstab und disapparierte.

Da er davon ausging, dass sie noch seinen Bericht haben wollten apparierte er im Foyer des Zaubereiministeriums. Er meinte, eine kleine Glocke zu hören. Da apparierten Fontbleu und zwei weitere Zauberer direkt vor ihm.

"Sehr aufrichtig von Ihnen, sichhier wieder einzufinden. Wir hatten gedacht, sie kehren direkt in Ihr kleines Dorf zurück", grummelte Fontbleu. "Wir haben über die Markierungsbänder verfolgt, wie die drei Lykanthropen wirklich über diese Brücke gingen und dann aus unserer Erfassung verschwanden. Diese Mondtöchter wollten die drei also wirklich haben. Es war keine Scheinerinnerung, die ihnen diese Mondheulerbande eingepflanzt hat. Aber was war das bitte mit der Halbindianerin und der Blonden?"

"Die Frau mit südamerikanischen Wurzeln hatte wohl gegen Menschenbluttrinker, also Vampire gekämpft und wohl einige von denen getötet. Das wurde sozusagen aus ihr herausgepresst und von ihr abgesprengt. Es wurde also anerkannt, dass sie keinen unschuldigen Menschen und auch nicht aus Mordlust getötet hatte. Die Dame namens Nina Rámirez Burgos muss wohl während der Zeit bei den Mondbrüdern von einem anderen Werwolf schwanger geworden sein. Eine der Mondtöchter mentiloquierte mir, dass sie dieses Kind auch bei sich aufnehmen wollten, aber nicht heute."

"Wie lange steht dieses geheime Schlösschen da schon, ohne dass wir es je richtig mitbekommen haben?" schnaubte Fontbleu. Julius hätte fast gesagt, dass die Mondburg wohl schon zur Zeit des alten Reiches errichtet worden war. Doch das behielt er besser für sich.

"Wenn Sie wieder in Ihr Büro gehen schreiben Sie mir einen ausführlichen Bericht über diesen Tag und die gerade ausgesagten Erkenntnisse!" befahl Fontbleu. "Verstanden, zumal ich meinen beiden Vorgesetzten ja ebenfalls einen Bericht zukommen lassen werde", sagte Julius.

"Die Ministerwitwe geht das nichts an. Schlimm genug, dass die meint, sich um Ihre Sachen kümmern zu dürfen", sagte Fontbleu. "Nichts für ungut, aber Madame Grandchapeau ist gemäß Vereinbarung ebenfalls Kenntnisbefugt, weil zwei der drei Lykanthropen Menschen ohne magische Anlagen sind, was in den Zuständigkeitsbereich des Büros für friedliche Koexistenz fällt", argumentierte Julius. Fontbleu wollte was sagen, doch sein Begleiter nickte und stieß aus: "Kein Einspruch, er hat recht."

"Das hat man davon, sich einen Anwalt mitzunehmen", knurrte Fontbleu. "Gut, dann machen Sie, dass sie wieder in Ihr Haus zurückkehren. Ach ja, S7 gilt weiterhin, von wegen der von Ihnen ausgesprochenen Drohung mit Ihrer neugierigen Gattin."

"Erstens galt und gilt das nur, falls ich ohne klare Verdachtsmomente verschwinde", sagte Julius ruhig. "Zweitens war das auch für den jungen Herren, der wohl der Meinung war, mir gegenüber muy macho rüberkommen zu müssen und sich doch wie ein Vierzehnjähriger benommen hat, der vor zwei Mädchen angeben muss, wie toll und unerschrocken er ist. Drittens Habe ich schon so viele Geheimnisse in meinem Kopf, von denen keines in einer Zeitung gelandet ist. Daran dürfen Sie sehen, dass ich mich an die mir befohlenen Verpflichtungen halte. Soweit von mir für diesen Abend. Gute nacht, Messieurs."

"Grandchapeau und Ventvit werden nicht ewig die Hand über sie halten", knurrte Fontbleu. Julius hielt es für nicht ratsam und zugleich überflüssig, darauf zu antworten. Er disapparierte. Kaum war er im Apfelhaus, durchflutete ihn ein starker Wärmeschauer. Erst dachte er, dass irgendwas verkehrt gelaufen sei. Dann war es vorbei. "Sie haben die drei nicht nur am Hals markiert", gedankenflüsterte Temmie. Julius verstand. Diese Paranoiker und schlechten Verlierer hatten die drei Werwölfe wohl mit einem Zauber belegt, der auf einen anderen übersprang, sobald er sie berührte, also auf ihn. Deshalb hatte Fontbleu gesagt, dass er sehr aufrichtig war. Offenbar war der Markierungszauber kein gutartiger Zauber. Denn der kurze Hitzestoß konnte nur bedeuten, dass die hier herrschende weiße Magie diesen Markierungszauber aus ihm herausgebrannthatte,ohne ihn zu schmerzen. Die hättenihn sonst überall orten können. "Saubande", dachte er an die Adresse der Werwolfbeamten. Dann begrüßte er seine Frau, die in einem Sessel saß. "Haben die dir im Vorbeigehen den Hauch der Auffindung zugeblasen?" fragte Millie, als sie Julius umarmte. "Tante Trice hat mir das gerade erzählt, dass es einen auf den Mond bezogenen Zauber gibt, der das macht. Er kann den damit belegten sogar zwingen, an einem bestimmten Ort zu erscheinen, solange der Mond scheint. Wie paranoid die doch sein können, deine lieben Kollegen."

"Ja, die haben die Werwölfe damit imprägniert, weil die ja mit Mondmagie wechselwirken. Ich habe mir dann einen Gutteil davon eingefangen. Außerdemhatten die denen Markierungshalsbänder offenbar mit Exosensokomponente umgelegt und die fernüberwacht. Aber das habe ich dir gerade alles nicht erzählt, weil S7."

"Keine Sorge, das hat mir wenn dann überhaupt Tante Béatrice erzählt, weil du beim Ankommen kurz silbern und blau geleuchtet hast." Julius erschauerte. Er hatte das gar nicht gesehen. Das sagte er seiner Frau auch. "Das kam aus dir, das Licht und scheint nicht wider. Das konntest du nicht sehen, wenn du nicht genau auf dich selbst guckst." Da kam Béatrice noch die gläserne Wendeltreppe herunter. "So, alles in Ordnung, Julius? Ich hoffe, dieser Findefluch ist restlos von dir abgelöst worden. Ich hatte schon befürchtet, dass du mit ihm nicht nach Millemerveilles hineingelangst."

"Offenbar durfte ich nur deshalb hier apparieren, weil ich mich gut mit der Quelle unserer neuen Abwehr verstehe", sagte Julius. Das mussten seine beiden erwachsenen Mitbewohnerinnen einsehen und strahlten ihn beide an, als wenn es zwei Schwestern wären und nicht Tante und Nichte.

"Gut, Zeit für's Bett, Süßer", sagte Millieund ergriff Julius am Arm.

Hinter den Schnarchfängervorhängen ließ sich Millie noch erzählen, was sie noch alles nicht wissen durfte. "Ach, und dieser Valentino Rodríguez Suárez hat gemeint, ausgerechnet bei dir den Leitwolf spielen zu müssen. Jungs bleiben Jungs", seufzte sie. "Aber süß seid ihr immer wieder."

"Ja, stimmt, und wenn ein Mädchen nicht aufpasst machen wir sogar dick", ließ sich Julius zu einer Derbheit hinreißen. "Nicht heute, Monju", knurrte Millie. Julius erkannte, dass er ihr da gerade einen seelischen Kinnhaken verpasst hatte. "Mist, das wollte ich so nicht rüberbringen, Mamille", sagte Julius. "Würde ich auch sonst sofort einfordern, aber diese weißen Damen, die du gerade besucht hast, und die Lichterdame und ihre Tochter machen das im Moment nicht so leicht", seufzte Millie. Doch dann küsste sie ihren Mann und hauchte ihm zu: "Aber ich hab dich trotzdem noch ganz doll lieb." Julius erwiderte den Kuss und den Liebesschwur nur mit anderen Worten. "Ich liebe dich dafür, dass du es mit so einem Irrsinnsmagneten immernoch aushältst."

"Dann kann es mir nie langweilig werden, mein vom Mond geschenkter Erdenprinz."

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23.05.2004

Großbritanniens Zaubereiminister Kingsley Shacklebolt blickte misstrauisch auf den putzeimergroßen, aus einem Paket entnommenen rostigen, stark zerbeulten Teekessel. Dieser war ihm von seinem Amtskollegen Romulo Bernadotti zugeschickt worden. Der Teekessel war ein Portschlüssel, das hatte die Sicherheitsüberprüfung schon ergeben. Er sollte laut beigefügtem, nur von ihm zu lesenden Begleitschreiben am 25. Mai um acht Uhr morgens britischer Zeit auslösen und den Minister und dessen für die Vorbereitungskonferenz ausgewählten Mitarbeiter an den von Bernadotti streng geheim ausgewählten Ort befördern, an dem die europäischen Zaubereiminister zusammenkommen sollten, um den Neustart der Quidditchweltmeisterschaft zu beraten. Sicher, viel gab es dazu nicht mehr zu besprechen. Doch wie letztes Jahr schon war es wichtig, dass zumindest die europäischen Zaubereiminister klärten, wie viele eigene Sicherheitsleute jedes Ministerium zum Austragungsort mitbringen sollte. Aber vor einem Jahr waren sie alle noch auf eigene, ausgewählte Weise zum Treffpunkt in der Toscana gereist. Warum also nun ein Portschlüssel? Shacklebolt nahm noch einmal das Begleitschreiben und las den betreffenden Abschnitt.

... vertraue ich vollständig darauf, dass Sie nur jenen bis zu vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Ihres Ministeriums mitteilen, wie Sie an den Ort unserer letzten Vorbereitungskonferenz reisen. Da ich befürchten muss, dass feindliche Gruppierungen wie Vita Magica, die Diener der neuen Vampirgötzin oder obskure magische Bruder- und Schwesternschaften die Gunst nutzen möchten, möglichst viele amtierende Zaubereiminister Europas auf einmal in ihre Gewalt zu bekommen sahen meine Sicherheitsberater und ich nur diesen Weg als einzig sicheren an, Sie an den sorgfältig mit Bann- und Tarnzaubern umfriedeten Konferenzort zu befördern. Ebenso erbitte ich von Ihnen Verständnis, dass Sie bis zur Zusammenkunft der eingeladenen Amtskollegen und ihrer für die Ausrichtung der Weltmeisterschaft nötigen Mitarbeiter keinen Kontakt mit anderen Zaubereiministerinnen und -ministern suchen, um mit ihnen zu erörtern, ob auch sie einen zeitlich auslösbaren Portschlüssel erhalten haben. Allein schon die Erwähnung, dass wir vom italienischen Zaubereiministerium dieses Mittel einsetzen könnte von unerwünschten Mithörern erlauscht und an uns unerwünschte Mitwisser weitergereicht werden. Auch wenn Sie mich jetzt vielleicht für paranoid halten mögen, Kollege Shacklebolt, so werden Sie in Ihrer Eigenschaft als ehemaliger Verfolger dunkler Magier erkennen, dass wir alle gerade in sehr unsicheren Zeiten leben und den leider sehr zahlreichen Feinden keine Gelegenheit bieten dürfen, uns zu vernichten. Die gesamte Zaubererwelt würde im Chaos und blutigen Machtkämpfen versinken. Daher hoffe ich auf Ihr Verständnis, dass Sie und Ihre Mitarbeiter erst dann erfahren werden, wo unsere Konferenz stattfinden wird, wenn Sie alle sicher am Treffpunkt angelangt sein werden ...

Das las sich nicht anders als beim ersten und zweiten Mal, dachte Kingsley Shacklebolt. Bernadotti wollte verhindern, dass sich die Zaubereiminister Europas absprachen, was von dieser besonderen Einladung zu halten war. Auch wenn in dem Brief stand, dass alle Eingeladenen zur gleichen Zeit eintreffen würden konnte es durchaus sein, dass Bernadotti bestimmte Gäste früher bei sich haben wollte, um mit ihnen zu reden. Denn wenn er erst zu ihm hinportiert worden war konnte er schlecht sofort wieder nach Hause. Denn sicher würde sein italienischer Amtskollege den Treffpunkt mit einem Apparierwall umgeben, womöglich auch Überflugsperrzauber einrichten, damit keiner mit einem Besen oder einem anderen magischen Fluggerät hinkam. Also würde er, Kingsley Shacklebolt, sich seinem Kollegen Bernadotti in dem Augenblick ausliefern, wenn er den ihm zugeschickten Portschlüssel zum Auslösungszeitpunkt anfasste. Das sollte und wollte wohl überlegt sein. Gerade weil es diese obskure Gruppe Vita Magica gab, die ihre "Gäste" ohne Vorankündigung und Rückfrage mit Portschlüsseln in ihre Verstecke beförderte traute der britische Zaubereiminister der Sache nicht so recht über den Weg. Dann fiel ihm noch was ein. Was, wenn jemand aus der Portschlüsselüberwachung Bernadottis bereits auf der Gehaltsliste einer nichtministeriellen Gruppierung stand und den oder die Portschlüssel auf andere Ziele ausrichtete als Bernadotti und seine Leute geplant hatten? Wie paranoid konnte das machen, dass es höchst fragwürdige Leute gab, die Portschlüssel zur systematischen Entführung anderer Hexen und Zauberer einsetzten? Schon der Vorfall beim trimagischen Turnier in Hogwarts hatte deutlich gemacht, wie schnell jemand an einen ungewollten Ort befördert werden konnte. Dennoch waren Portschlüssel bei Großveranstaltungen immer noch die erste Wahl bei der zielgenauen Beförderung größerer Menschengruppen über sehr große Entfernungen. Wenn er diesen rostigen Kessel da vor sich nun mit seinen Leuten berührte würden sie ohne den Zielort kennen zu müssen im gleichen Raum eintreffen und bei der Rückkehr ebenfalls. Insofern schon praktisch. Doch Kingsleys Bauchgefühl piesackte ihn, dass es riskant war, auch wenn dieses Schreiben da unzweifelhaft vom Kollegen Bernadotti stammte.

Dann dachte er noch an die Vorbehalte vieler anderer Kollegen gegen die französische Amtskollegin Ornelle Ventvit. Hatte sie auch eine Einladung bekommen? Das konnte er nur klären, wenn er Bernadottis dringende Bitte missachtete und Kontakt mit ihr aufnahm. Einen Moment lang wünschte er sich, dass jeder zaubereiminister eine Galerie von Zweiwegspiegeln zur Verfügung hatte, deren Gegenstücke bei den jeweils anderen Amtskollegen lagen. Dass die Muggel miteinander telefonieren, ja sogar Fernsprecherkonferenzen veranstalten konnten wusste er von Arthur Weasley, der das wiederum von seinem Schwiegersohn Harry Potter erzählt bekommen hatte. Ja, sowas in der Richtung schwebte ihm auch vor. Doch das konnte dann als Thema einer anderen Zusammenkunft besprochen werden. Längst nicht jeder Zaubereiminister traute Neuerungen über den Weg, und Zweiwegspiegel waren kompliziert und kostspielig in der Herstellung, zumal dafür auch das Silber aus den Eierschalen von Occamys benötigt wurde. Da war nicht so leicht heranzukommen. Doch die Vorstellung, eine Galerie aus Zweiwegspiegeln zu haben half ihm nicht, sich zu entscheiden, ob er Bernadottis Vorgehensweise vertrauen wollte oder nicht. Da er nur noch zwei Tage bis zum Auslösen des Portschlüssels hatte konnte er das auch nicht all zu lange bedenken. Er beschloss, mit den eingeladenen Mitarbeitern kurz darüber zu beraten. Sagte auch nur einer, dass ihm die Sache nicht geheuer war, würde er den Portschlüssel entweder gar nicht benutzen oder dann als einziger damit verreisen. Ja, so wollte er vorgehen.

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Heinrich Güldenberg betrachtete das stark zerschlissen aussehende Tischtuch in den deutschen Landesfarben. Also wollte Bernadotti ihn und die von ihm ausgewählten Mitarbeiter auf diese Weise an den Konferenzort befördern lassen. So würde keine feindliche Gruppe die Gelegenheit bekommen, ihn unterwegs abzufangen. Dass Bernadotti Angst vor Ladonna Montefiori hatte verstand Güldenberg auf jeden Fall, nachdem, was die Mitarbeiterin zur besonderen Verwendung Albertine Steinbeißer erlebt und aufgezeichnet hatte. Denn natürlich war dieser wiedererwachten Hexe eine treue Mitschwester mit dem besonderen Durchblick sehr attraktiv. Wie attraktiv würde ihr da die Zusammenkunft gleich mehrerer Dutzend Zaubereiminister erscheinen. Daher war es erforderlich, dass keiner mitbekam, wo sich die vielen Zaubereiminister trafen. Albertine hatte zwar bei ihrer Aussage angedeutet, dass Ladonna Montefiori sicher schon Handlanger im italienischen Zaubereiministerium haben mochte. Doch Güldenberg ging davon aus, dass nicht ausgerechnet die Leute im Portschlüsselüberwachungsbüro zu diesen Handlangern gehörten. Abgesehen davon durfte sich kein Ministerium eine paranoide Haltung erlauben, jeden Mitarbeiter als potentiellen Verräter zu betrachten. Sicher, im deutschen Zaubereiministerium hatte es solche Maulwürfe gegeben, der schlimmste davon war Hagen Wallenkron gewesen. Doch genau deshalb achteten die Ministerien schon mehr darauf, was wer dort tat. Zumindest ging Güldenberg davon aus, dass sein Amtskollege Bernadotti noch genug dem Ministerium alleine verbundene Mitarbeiter hatte. Fing er jetzt an, einem Amtskollegen zu misstrauen, dann konnte er einpacken, dachte Güldenberg. Denn wem konnte er denn dann noch vertrauen? Er beschloss daher, es darauf ankommen zu lassen und mit den Mitarbeitern aus der Strafverfolgung und der Abteilung für magische Spiele und Sportarten dem Portschlüssel Bernadottis zu vertrauen.

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Für den österreichischen Zaubereiminister Rosshufler stand außer Frage, dass er den ihm zugeschickten, mottenzerfressenen rot-weiß-roten Morgenrock benutzen würde, dem ihm sein neuer Lieblingskollege Bernadotti zugeschickt hatte. Er sah vollkommen ein, dass es nur noch so ging, wenn sichergestellt werden sollte, dass ein reisender Zaubereiminister nicht unterwegs abgefangen werden sollte. Er hoffte nur, dass Bernadotti nicht auch Ornelle Ventvit einlud. Denn mit der wollte er sich erst unterhalten, wenn die Konferenz vorbei war und er sie vor vollendete Tatsachen stellen konnte. Doch wenn Bernadotti sie auch eingeladen hatte, weil die französische Nationalmannschaft ja bei der Neuauflage wieder mitspielen konnte, dann musste er das akzeptieren.

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Ignacio Lucio Bocafuego Escobar hatte endlich den Brief an den Sprecher der katalanischen Quidditchvereine abgeschickt, dass die für die gesamtspanische Nationalmannschaft eingesetzten Spielerinnen und Spieler, allen voran die in den letzten drei Jahren zur Hochform aufgelaufene Jägerin Geordina Mondego, für jedes Spiel die anderthalbfache Bezahlung plus den für alle anderen geltenden Fortschrittsbonus erhalten würden. Zwar hatte ihn das einige aufwühlende Gespräche mit Señor Rioplata aus der Handels-und Finanzabteilung gekostet. Doch am Ende hatte er diesen davon überzeugen können, dass die Anmeldung einer rein katalanischen Nationalmannschaft wie vor zehn Jahren mehr Ausgaben bedeuteten, da die Katalanen genausoviel Gewinnprämie haben wollten wie die aus dem rein spanischsprachigen Teil des Königreiches Spanien. Das hätten sich auch die Basken, die Galizier und die Andalusier nicht nehmen lassen, und so wäre aus der mühevoll gebildeten gesamtspanischen Nationalmannschaft eine Gruppe aus vier Mannschaften geworden, die im schlimmsten denkbaren Fall bis in die Runde der letzten vier vorstießen und für jeden Spielgewinn einen Bonus von 500 Galleonen pro gewonnene Runde für jeden Spieler ausbezahlt haben wollten.

Seit dem vorzeitigen Ausscheiden seines Vorgängers in der Spiele- und Sportabteilung war er nun derjenige, der mit vier Klatschern zugleich jonglieren musste, um die regionalen Ansprüche der Vereine zu koordinieren, übermäßig selbstbewusste Vereinssprecher mit genug Gold oder Sonderrechten ruhigzuhalten oder die ständig hochkochenden Unstimmigkeiten zwischen Katalanen und Kastilliern auf ein verträgliches Maß herunterzukühlen. Kein wunder, dass sein Vorgänger Alfonso Guillermo Campoverde Molinar mit neunzig Jahren genug von seiner Arbeit hatte und um seine Pension ersucht hatte. Jetzt hatte er, der gerade mal dreißig Jahre alt war, die ganzen Sachen am Hals.

Zwar kam er wunderbar mit den weiblichen Mitarbeitern der Abteilung zurecht, auch wenn die alle wussten, dass er seit zehn Jahren glücklich verheiratet war, wurde jedoch von den meisten männlichen Kollegen immer wieder argwöhnisch angesehen, wenn er mit denen länger als fünf Minuten im selben Raum saß. Das lag eindeutig an seiner Abstammung. Denn seine Mutter stammte in vierter Generation von einer reinrassigen Veela ab. Auch wenn in seinem Erbgut mehr Zaubereranteile angelegt waren hielt sich der Anteil der Veelas irgendwie sehr hartnäckig. Einerseits gab es ihm eine natürliche Schönheit, vor allem was sein in den Nacken fließendes, seidenweiches, feuerrotes Haar und seine goldbraunen Augen betraf. Außerdem war er sehr gelenkig, gewandt und zauberkräftig, vor allem was reine Elementarzauber anging. Andererseits Musste er seit der Pubertät damit leben, dass vom dreizehnjährigen Mädchen bis zur rüstigen Hundertjährigen alle weiblichen Zaubererweltstämmigen um ihn herumschwirrten wie die Wespen um einen Bienenstock und die männlichen Zeitgenossen in ihm sowas wie eine lauernde Konkurrenz und einen abzuweisenden Rivalen sahen, wenn er sich mehr als einmal pro Minute bewegte. Dennoch hatte ihn der Minister persönlich gebeten, Campoverdes Amt zu übernehmen, wo er selbst bis vor drei Jahren noch für die Toledo Tormentosos gespielt hatte. Wohl weil er Andalusier war hatte der Minister ihm diesen Posten anvertraut, weil die Auswahl sonst auf einen aus Galizien, dem Baskenland oder Katalonien gefallen wäre. Weil der Minister die Ernennung vor allen Leuten aus seiner Abteilung durchgeführt hatte war ihm der offene Neid der anderen bisher erspart geblieben. Doch Ignacio Bocafuego Escobar wusste, dass er doppelt so korrekt wie ein reinrassiger Mensch sein musste, wenn ihm keiner der lauernden Konkurrenten den Stuhl unter seinem wohlgeformten Hinterteil wegziehen wollte.

Gerade wollte er nach einem der Ministeriumselfen klingeln, um sich eine Tasse Milchkaffee bringen zu lassen, als über seinem Schreibtisch ein silberner Lichtwirbel entstand. Aus diesem fiel ein Umschlag heraus, dem Ignacio Bocafuego Escobar sofort ansah, dass er aus dem Büro von Minister Pataleon stammte. Der Lichtwirbel verschwand nach nur einer Sekunde. Der Brief landete auf dem Schreibtisch. Der Leiter der gesamtspanischen Abteilung für magische Spiele und Sportarten nickte dem abgelieferten Brief zu. Offenbar hatte der Minister nun doch einen Hinweis erhalten, ob und wann die seit Wochen angesetzte Abstimmungskonferenz der europäischen Zaubereiminister stattfinden würde, welche ihre Nationalmannschaften zur Neuauflage der Quidditchweltmeisterschaft nach Italien begleiteten. Er öffnete den Briefumschlag und zog nur einen kleinen Zettel heraus.

Kommen Sie fünf Minuten nach Erhalt dieser Mitteilung in mein Büro! Bringen Sie alle gültigen Unterlagen über die Zusammensetzung der Nationalmannschaft mit!

MDM Rodrigo Dario Lopez Pataleón

"Na endlich", dachte Ignacio Bocafuego Escobar. Jetzt hatte die lange Warterei ein Ende. Er zog seine Aktentasche unter dem Schreibtisch hervor und sortierte schnell alle Unterlagen über die Mannschaft und die Kopien des Briefes aus Barcelona und seine eigene Antwort darauf ein. Dann verließ er sein Büro und schloss es von außen ab.

Als er vor drei Jahren das Quidditchfeld mit dem Ministerium getauscht hatte war er nur dreimal im Büro des obersten Zauberers von ganz Spanien gewesen. Er konnte sich noch gut daran erinnern, dass der Minister selbst wie der König von Spanien in einem großen, schwarzen Ohrensessel gethront hatte. Der letzte Besuch im Büro des obersten Vorgesetzten lag allerdings schon ein halbes Jahr zurück. Vom Büro für magische Spiele und Sportarten zum Büro konnte der noch junge Abteilungsleiter nur mit einem der vier Fahrstühle oder über eine sich in einer gläsernen Säule windende Wendeltreppe gelangen. Um nicht dauernd mit ihn anschmachtenden Kolleginnen oder ihn argwöhnisch anguckenden Kollegen in einer engen Fahrstuhlkabine zu stehen und auch um sich körperlich in hoher Form zu halten nutzte er immer die Treppe, auch wenn sie als eine Notfallmaßnahme gedacht war. Dennoch kam er wegen seines beachtlichen Lauftempos schneller im obersten Geschoss an als alle Kollegen mit den Fahrstühlen, die ja auf jedem Stockwerk anhielten, um Leute aus- und neue einsteigen zu lassen. So wunderte es ihn nicht, als er nach dem Anklopfen der erste war, der in den Arbeitsraum des Zaubereiministers eintrat.

"Guten Morgen Señor Ministre!" grüßte Ignacio seinen obersten Vorgesetzten, der tatsächlich ganz ruhig aber aufrecht in seinem schwarzen Sessel saß. Heute trug Pataleón einen lindgrünen Umhang und hatte sich die spärlich auf dem Kopf wachsenden aschgrauen Haare glattgekämmt. "Sie haben offenbar mal wieder alle Aufzüge überholt, Ignacio. Bitte bleiben Sie noch stehen, bis Ihre Kollegen Durante und Pontecristalo da sind!" erwiderte der Minister den Gruß. Tatsächlich dauerte es noch eine Minute, bis erst die kleine, kugelrunde Malvina Pontecristalo aus der Abteilung für internationale Zusammenarbeit und der für einen Iberer außerordentlich große, schwarzhaarige Fausto Durante aus der Strafverfolgungsabteilung eintrafen. Wie es Ignacio schon kannte guckte sich Malvina mit einem schwer beherrschbaren Begehren an ihm fest, während Fausto zu seinem berufsmäßigen Argwohn noch eine unübersehbare Abneigung gegen ihn darbot, obwohl Ignacio genau wusste, dass er dem fast kleiderschrankartig gebauten ranghohen Kollegen nichts getan hatte.

"Schön, dass Sie es alle einrichten konnten. Bitte nehmen Sie Platz!" ordnete der Zaubereiminister an und bedachte jeden mit einem Blick durch die kreisrunden Gläser seiner Goldrandbrille. Er deutete auf zwei gepolsterte Stühle und einen cremefarbenen Polstersessel. In diesen ließ sich Malvina Pontecristalo sinken, während Fausto Durante den rechten und Ignacio Escobar den linken Stuhl nahm.

"Bevor ich Ihnen allen mitteile, wann genau wir uns mit den ausländischen Kollegen treffen möchte ich Ihnen erst einmal zeigen, womit wir dort hinreisen", sagte Pataleón und deutete auf einen Gegenstand links neben seinem Sessel. Jetzt sahen sie alle, dass es eine unbesaitete Gitarre mit dunkelbraunem Klangkörper war, die scheinbar einer Reisegruppe hungriger Holzwürmer zum Opfer gefallen war. Auf fast jeden Quadratzentimeter Holz befand sich ein winziges Loch. Neben den Saiten fehlten auch die Wirbel, um sie zu spannen. Alles in allem mochte das ehemalige Musikinstrument ein Fall für den Kamin oder die Sägemehlherstellung sein. "Diese edle Gitarre von der traurigen Gestalt wurde mir heute Morgen von drei stattlichen Uhus persönlich zusammen mit einem beschreibenden Begleitschreiben zugestellt", verkündete der Zaubereiminister. "Laut dem Schreiben handelt es sich bei diesem traurigen Überbleibsel einstiger Klangkunst um einen örtlich und zeitlich vorgeprägten schlummernden Portschlüssel. - Ja, ich weiß, Fausto, Sie haben Vorbehalte gegen solche Zaubergegenstände, auch wenn wir sehr viele unserer Mitbürger nicht anders zur Neuauflage der Weltmeisterschaft bringen können." Tatsächlich hatte der hünenhafte Fausto Durante sehr verdrossen auf das löcherige Musikinstrument geguckt, noch argwöhnischer als er gerade eben noch Ignacio Bocafuego Escobar angeglubscht hatte. "Ich möchte auch nicht verhehlen, dass mir dieses "Angebot" meines italienischen Kollegen Bernadotti nicht wirklich gefällt. Doch laut seines beigefügten und in anerkennenswert gutem Spanisch verfassten Schreiben erklärt er, dass dieser Portschlüssel am Morgen des 25. Mai mich und bis zu drei weitere Mitarbeiter unseres Hauses an den Ort bringen soll, wo die letzte Ministerkonferenz vor dem Beginn der Neuauflage der Quidditchweltmeisterschaft stattfinden soll. Er erklärt diese Maßnahme damit, dass er fürchtet, dass feindliche Gruppierungen bei einer weithin bekanntgegebenen Anreise von uns allen die Gelegenheit nutzen wollten, möglichst viele Zaubereiminister und hochrangige Mitarbeiter zu fangen oder zu töten. Vor allem fürchtet er, dass Vita Magica oder die in seinem Land ihr Unwesen treibende Ladonna Montefiori diese Gelegenheit nutzen würde. Daher hofft er auf unser vollstes Vertrauen, dass wir nicht eher erfahren, wo die Konferenz stattfindet, bis der Portschlüssel uns dort abgeliefert haben wird", führte der Minister weiter aus und klopfte auf den wurmstichigen Corpus der Gitarre. Ignacio fragte sich, warum die Italiener eine derartig ausrangierte Gitarre zum Portschlüssel gemacht hatten, statt einen für mehrere Leute gleichzeitig besser handhabbaren und nicht so kaputt wirkenden Gegenstand zu benutzen. Sowas war doch eigentlich eher für Zaubererweltbürger vorgesehen, die an verschiedenen Stellen des Landes Portschlüssel suchen mussten, um zur Weltmeisterschaft zu reisen. Am Ende sollte dieses Holzwurmfestmenü sie zum Wohnbereich des Quidditchstadions befördern.

"Dürfen wir den genauen Inhalt dieses Schreibens erfahren, Señor Ministre?" fragte Fausto Durante. Der Minister nickte und legte einen Pergamentzettel zwischen sich und seinen Mitarbeitern auf den Schreibtisch. Dann beschwor er mit den beiden dafür erfundenen Zaubern eine räumliche Abbildung von Bernadotti und den mit seiner Stimme vorgelesenen Inhalt des Briefes herauf. So erfuhren alle gleichzeitig, warum der italienische Zaubereiminister diesen Portschlüssel hatte einrichten lassen und dass er kein Aufsehen um diese Zusammenkunft machen wollte und der spanische Zaubereiminister deshalb nicht mit seinen anderen Amtskollegen sprechen oder Briefe austauschen möge. Offenbar fühlte sich Romulo Bernadotti sehr in die Enge getrieben, dachte wohl nicht nur Ignacio Bocafuego. Das konnte noch was geben, wenn erst wieder Zuschauerinnen und Zuschauer in die Nähe des Stadions gelassen wurden.

"Klingt ja nachvollziehbar. Trotzdem gefällt mir das nicht", bekundete Fausto Durante sein Missfallen. "Gerade dann, wenn zu befürchten ist, dass feindliche Gruppierungen schon darauf lauern, einen oder alle Minister zu fassen zu kriegen eignet sich so ein Portschlüssel noch besser, wen an einen unbekannten Ort zu verschleppen als einen Überfall auf eine Gruppe fliegender Hexen und Zauberer zu verüben, wobei ja noch dazukommt, dass den Widersachern die genaue Flugroute bekannt sein muss. Dann sollen wir uns alle übermorgen um neun Uhr an diesem Holzwurmfutter festhalten und mit den ganzen noch darin tickenden Holzwürmern zusammen an einen uns völlig unbekannten Ort portiert werden?"

"So hat der Kollege Bernadotti das geschrieben", bestätigte der Minister. "Aber wie schon gesagt gefällt mir dieses Unternehmen ebensowenig wie Ihnen, Fausto. Ich habe auch lieber einen ehrlichen Besen unter meinem Podex oder weiß genau, wo ich hinapparieren soll. Portschlüssel sollten doch eher für Sondereinsätze oder eben Massentransporte vorbehalten bleiben. Ja, und ich habe Sie auch hergebeten, um zu fragen, wer sich neben mir noch zutraut, diese ausgediente Gitarre zu ergreifen, wenn ihre Zeit gekommen ist. Ich kann verstehen, wenn einer oder eine von Ihnen grundsätzliche Vorbehalte hat und deshalb lieber nicht mit mir diesen Ritt ins Ungewisse wagen will. Ich gebe nur zu bedenken, dass sollte die Sache tatsächlich nur eine streng geheime Zusammenkunft werden, ich dann ohne einen wichtigen Mitarbeiter dort vorstellig werden muss. Somit könnte ich Ihnen allen auch eine verbindliche Dienstanweisung erteilen, überlasse es jedoch Ihrer Gewissensentscheidung.""

"Nur wir vier, die wir hier sitzen?" fragte Fausto Durante. "Bei so einem Unternehmen hätte ich gerne mindestens drei oder vier Sicherheitsleute mit dabei, am besten noch eine Hexe aus meiner Außentruppe, um die Kollegin Pontecristalo zu beschützen."

"Ja, das ist wohl richtig, Fausto", bestätigte der Minister. "Aber womöglich hat mein Amtskollege Bernadotti eine kleine Berghütte in den Dolomiten oder eine Fischerhütte auf Capri für uns gebucht und möchte keine hundert Leute mehr da haben als nötig. Falls alle bei der Neuauflage vertretenen Mannschaften von ihren Ministern vertreten werden sind das ja schon 64 Zaubereiminister. Dann noch je 64 Leiter für Spiele und Sport, magische Strafverfolgung und internationale magische Zusammenarbeit, und schon sind wir bei zweihundertsechsundfünfzig Personen."

"Bei der Gelegenheit, wenn wir uns nicht mit den anderen abstimmen dürfen, was ist denn dann mit der französischen Delegation. Die Unstimmigkeiten wegen Ventvits angeblicher Absicht, alle französischsprachigen Regionen Europas und der Welt von ihrem Ministerium verwalten zu lassen hat bei meinen Amtskollegen sehr viel Unmut bewirkt", wandte Malvina Pontecristalo ein. Ignacio dachte daran, dass er bei dieser Gelegenheit die legendäre Hippolyte Latierre zu sehen bekommen würde, die nach der Mutterschaftspause wieder ihr Amt ausübte.

"Falls Sie fürchten, die Konferenz könne zu einem wilden Streit wegen ihr ausarten, Malvina, so hoffe ich doch sehr, dass meine Amtskollegin Ventvit alle sie betreffenden Vorhaltungen und Anschuldigungen ausräumen kann. Am Ende fühlen sich noch Kollegen aus Südamerika und Mexiko veranlasst, mir zu unterstellen, ich wollte das einstige Weltreich Spanien wieder auferstehen lassen."

"Ich weiß nur, dass Ministerin Ventvit fortwährend beteuert, dass sie keine Absicht habe, alle französischsprachigen Siedlungen von Hexen und Zauberern unter ihre Verwaltungshoheit zu bringen", erwiderte Malvina. "Doch es ist leider schon oft vorgekommen, dass jemand eine Absicht ausgeschlossen hat, die er oder sie dann später ganz heimlich in die Tat umgesetzt hat."

"Dann denken oder finden Sie, dass an diesen Behauptungen etwas dran ist, Malvina?" fragte der Minister nach. Malvina wiegte den Kopf mit dem dunkelbraunen Haar und überlegte wohl. Dann sagte sie: "Es wäre mir sehr viel lieber, diese Vorwürfe nicht mit zweiundsechzig anderen Kollegen zu diskutieren, sondern mit der französischen Ministerin selbst zu sprechen, ob sie ernsthaft solche Absichten habe oder nicht. Auch wegen der daraus folgenden Befürchtungen unserer südamerikanischen Geschwister in der erhabenen Sprache, damit diese nicht ebenfalls meinen, wir wollen die alte Kolonialordnung wiederherstellen."

"Womöglich macht Minister Bernadotti auch deshalb so ein Geheimnis um den Ort, weil er eben eine ruhige, von der Öffentlichkeit abgeschirmte Aussprache sucht", vermutete Ignacio. Dafür glubschte ihn Fausto Durante verdrossen an, als habe er gerade was unerhörtes von sich gegeben. Doch womöglich war es mal wieder Ignacios raumfüllende Baritonstimme, die den Strafverfolgungsleiter störte.

"Bevor das hier noch in weiteren Mutmaßungen abgleitet, Minister Pataleón, Sie wollten wissen, wer sich an dieses löcherige Stück Holz da hängen wird, um zu erfahren, wo es hingeht. Allein um Sie vor möglichen Nachstellungen zu schützen erkläre ich mich bereit, Sie zu begleiten. Ich weiß nur nicht, ob unser Jägerkönig hier den Mut hat, sich von einem Portschlüssel durch Raum und Zeit wirbeln zu lassen. Das könnte ihm ja die schöne Haarpracht zerwühlen oder beim Landen den prallen Hintern anbläuen."

"Ich weiß zwar nicht womit, aber irgendwie muss ich mir wohl Ihren Neid verdient haben, Kollege Durante", erwiderte Ignacio darauf. Fausto Durante knurrte verärgert. Der Minister deutete einen Schlag auf den Tisch an und gebot Ordnung. Dann fragte er Ignacio direkt heraus: "Ihre Gewissensentscheidung, Ignacio. Wollen Sie sich diesem Portschlüssel anvertrauen oder nicht?" Ignacio überlegte einige Sekunden. Dann stimmte er zu. Denn falls er hierblieb und die anderen irgendwas beschlossen, würde er es erst erfahren, wenn die anderen vollendete Tatsachen schufen. Da wollte er dann doch lieber dabei sein. Durante stichelte dann, dass er dann aber besser noch mal üben sollte, aus zwei Metern Höhe ohne Besen zu landen, weil er sich sonst doch was brechen könne. Der Minister verzog das Gesicht und räusperte sich unüberhörbar. Dann fragte er Malvina, ob sie sich dem Portschlüssel anvertrauen wollte. Diese sah erst die beiden anderen Zauberer an, wobei sie sich wieder an Ignacio festguckte. Dann sagte sie ein wenig entrückt klingend: "Ich möchte gerne mitreisen, wenn Sie alle mich begleiten möchten. Ich hoffe doch sehr, dass Ihre Bedenken unbegründet sind, Fausto."

"Na klar", knurrte Fausto Durante verächtlich. "Aber der Bursche hier kann ohne seinen Rennbesen keinen Angriff abwehren. Abgesehen davon könnte seine Angetraute finden, dass er bei so einem geheimen Geheimunternehmen nichts verloren hat."

"Dann müsste ich meiner besseren Hälfte ja erst mal erklären, woran ich teilnehmen soll, und genau das darf ich ja nicht, hat der italienische Zaubereiminister unseren Vorgesetzten gebeten", sagte Ignacio. Minister Pataleón stimmte ihm da zu. Dann packte er die unbespielbare Gitarre wieder fort und bat die Einbestellten, ihre Vorschläge für die nun doch stattfindende Konferenz auf den Tisch zu legen. Zuerst sollte Malvina ihre Vorschläge präsentieren. Als sie nach zwanzig Minuten fertig war war es an Ignacio, alles zu erläutern, was er im Bezug auf die Mannschaft, deren Betreuer, die ausgesuchten Flugbesen und die Bevorratung erstellt hatte. "Gut, bringen Sie diese Unterlagen bitte auch übermorgen mit, damit wir sie Ihrem italienischen Kollegen vorlegen können!" ordnete der spanische Zaubereiminister an. "Bis dahin klären Sie alles, was nötig ist, um Ihr Fernbleiben für einen vollen Tag zu erklären und was Ihre Mitarbeiter in Ihrer Abwesenheit noch tun sollen!" fuhr er fort. Ignacio verstand es so, dass er das Arbeitszimmer verlassen sollte. So bestätigte er es und verabschiedete sich von den beiden anderen Kollegen und dem Minister. Gleich hinter ihm verließ Malvina Pontecristalo das Arbeitszimmer von Minister Pataleón. Sie zwinkerte ihm noch hinterher. Dann wand sie sich den Fahrstühlen zu. Ignacio benutzte wieder die Wendeltreppe.

Wieder in seinem eigenen Büro dachte er daran, dass er sich da auf eine ganz heikle Sache einließ. Denn falls der Portschlüssel ihn und die anderen nicht zum italienischen Zaubereiministerium brachte, sondern jemandem in die Hände beförderte, würde keiner hier was davon mitbekommen. Der Minister hatte klar angewiesen, dass sie keinem Kollegen was davon erzählen sollten, weil Pataleóns italienischer Amtskollege das so erbeten oder verlangt hatte. Sicher, damit war auch gemeint, keinem Außenstehenden was davon zu sagen, wann das Treffen der Zaubereiminister stattfinden würde. Doch Ignacio Bocafuego Escobar deutete es für sich so, dass er es einer ganz bestimmten Person weitergeben sollte.

Ignacio strengte sich sehr an, seinen Arbeitstag ordentlich zu überstehen und alle anfallenden Angelegenheiten so gut es ging zu erledigen. Um noch eine Aufgabe zu erledigen, die er am nächsten Arbeitstag nicht gleich zuerst weitermachen wollte hängte er sogar eine halbe Stunde mehr an seine übliche Dienstzeit dran. Doch dann war er froh, das Ministerium endlich verlassen zu können.

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Er hatte sich langsam daran gewöhnt, eine wandelnde Schmollecke zu sein. Schwierig war es nur, die Missstimmung seiner "Schwester" nicht nach außen zu zeigen. Und falls sie es doch schaffte, für einige Sekunden sein Minenspiel zu übernehmen, so konnte sich Alexios Eudoros Anaxagoras immer darauf berufen, dass die gehäufte Arbeit im Ministerium ihn so missmutig stimmte.

Seitdem die gemeinsame Tochter von Alexia Daphne Tachydromos nicht mehr gestillt werden musste beanspruchte der griechische Zaubereiminister den gemeinsamen Körper wieder häufiger für sich und berief sich darauf, dass er die Vorbereitung auf die Neuauflage der Quidditchweltmeisterschaft zu Ende bringen musste, jetzt wo die griechische Nationalmannschaft noch einmal von Anfang an mitspielen durfte. Alexia, die die genau wie er dem Quidditch leidenschaftlich verbunden war, gestattete ihm die Stunden, die er für alle hier als Zaubereiminister auftreten musste. Nur Alexias angetrauter Ehemann, Heliopteros Tachydromos, wollte sich nicht so recht damit abfinden, dass seine Frau gerade "zurückstehen" musste und er damit selbst auf all das verzichten musste, was er nach der Entwöhnung Eulalias wieder gerne mit ihr angestellt hätte. Wenn sie nicht wieder schmollte, weil sie gerade nicht sie selbst sein durfte, piesackte ihn Alexia mit bildhaften Vorstellungen, wie Heliopteros mit ihr das Ehebett in wilde Bewegungen versetzte. Wieso hatte er sich auch damals auf dieses von Hecate und Hermes Trismegistos verwünschte Experiment eingelassen? Ja, und warum hatte er es zugelassen, dass die dabei erwachte "Zwillingsschwester" heiraten und Mutter werden konnte. "Weil du es selbst wissen wolltest, wie wild die weibliche Wonne wogt", bekam er die nur in seinem Kopf erklingende Antwort. Er dachte dann zurück: "Ja, nur dass ich es hinkriegen musste, dass mich niemand vermisste, als du mit Eulalia schwanger warst und ich deshalb nicht selbst in der Welt herumlaufen durfte. Also gönn mir gütigst genug Gelegenheiten, eigene Zeit nachzuholen."

Alexia dachte mit einem leicht verächtlichen Unterton zurück, dass er nicht so sehr vermisst worden war, als Eulalia unterwegs war, als das hauseigene Nachrichtenverteilernetz mit einem beschwingten Trompetensignal ein Paket ausspie. Auf dem Paket stand: "Mit Vorsicht zu handhaben - unbekannter, örtlich und zeitlich festgelegter Portschlüssel". Der amtierende Zaubereiminister Griechenlands und Zyperns nahm diese Aufschrift zur Kenntnis. Er zog sich die mit einer hauchdünnen Silberschicht bedeckten Handschuhe an, die die meisten Gegenstandsflüche von ihm abhielten und entpackte die zugestellte Postsendung. Zum Vorschein kam eine mottenzerfressene Decke in den schon ziemlich ausgebleichten griechischen Landesfarben und ein auf Italienisch verfasstes Begleitschreiben. Als Alexios Anaxagoras das Schreiben las musste nicht nur er innerlich kichern. Bernadotti lud ihn also mit dieser löcherigen Zudecke zur bereits vor Wochen erwähnten Vorbereitungskonferenz. Er wurde dringend gebeten, nur dem Leiter für magische Spiele und Sportarten, dem Leiter für internationale magische Zusammenarbeit und seinem obersten Gesetzeshüter davon zu erzählen und sie dazu einzuladen, ihn dorthin zu begleiten, wohin der Portschlüssel jeden beförderte, der oder die am 25. Mai gregorianischer Zeitrechnung um zehn Uhr morgens griechischer Zeit damit in Berührung kam.

"Oh, da wird dein Angetrauter aber traurig sein, dass er als Leiter der hauseigenen Überwachungszentrale nicht auf der Einladungsliste steht", gedankenfeixte Alexios Eudoros Anaxagoras in Richtung der in ihm erwachten weiblichen Daseinsform. "Ja, ich weiß", gedankengrummelte diese zurück. "Ja, und ich weiß auch, dass du mich deshalb vor dieser Reise nicht noch einmal mit ihm zusammensein lassen darfst, wenn unser kleines, süßes Geheimnis nicht zum Tratsch der ganzen europäischen Zaubererwelt werden soll. Immerhin könnte ich ja von ihm noch vor der Konferenz Eulalias Geschwisterchen empfangen und du deshalb solange nicht mehr auftreten kannst, bis die Neue geboren sein wird. Und jetzt jammer mir nicht wieder was vor, wie heftig dich die Geburtswehen mitgepeinigt haben. Immerhin haben wir sie uns beide geteilt, und du wolltest ja wissen, was eine Jüngerin Hecates körperlich aushalten kann."

"Der römische Romulo ist aber schon sehr paranoid, wenn er meint, dass nur noch heimliche Portschlüssel angebracht sind, um seine Kollegen zusammenzurufen. Gut, das mit diesen Fanatikern von Vita Magica ist ein Grund. Aber wenn diese Ladonna Montefiori wirklich schon wieder so mächtig ist, dass er Angst haben muss, sie könnte seinen Laden infiltrieren, dann kann die auch rauskriegen, wo er die Konferenz abhalten will", gedankensprach der griechische Zaubereiminister etwas aus, was ihn einerseits ein wenig belustigte und andererseits doch sehr besorgt stimmte. Alexia erwiderte unverzüglich: "Ja, oder sie kann schon wen im Portschlüsselüberwachungsamt haben, der oder besser die wichtige Portschlüssel in ihrem Sinne manipulieren kann. Unterschätze dieses Weib nicht, Alexios!" Der Zaubereiminister dachte zurück, dass ihm das im Traum nicht einfiele, nachdem, was er über diese wiedererwachte Dunkelhexe erfahren hatte. Doch er wollte auch nicht vor einer mischblütigen Weltherrschaftssüchtigen zurückweichen oder gar in Deckung gehen. Das sah sogar seine Salmakis-Zwillingsschwester ein.

So nutzte er das Vielsprechrohr, über das er zwischen einem und alle Mitarbeiter erreichen konnte, um die von Bernadotti erwähnten Amtsträger zu sich zu bitten. Doch statt seines Mitarbeiters Aeolios Nikephoros aus der Spiele- und Sportabteilung kam dessen Stellvertreterin Atalanta Xylippos, eine ehemalige Treiberin der Athen Archers, die den amtierenden Zaubereiminister um einen halben Kopf und um eine halbe Körperbreite überragte und in ihrer Freizeit für die Argyrokorei, die reine Truppe mittelalter Hexen der Archers Treiberin spielte. Auf seine Frage, wo denn ihr Vorgesetzter abgeblieben sei sagte sie: "Der hat ein zeitweiliges Betretungsverbot von unserem Dienstheiler erhalten, weil sein Sohn sich irgendwo die Drachenpocken eingehandelt hat und er die bisher noch nicht hatte. Muss ich selbst auch nicht kriegen." Sie legte ihm das entsprechende Attest des diensthabenden Amtsheilers vor und erwähnte, dass ihr direkter Vorgesetzter wohl bis Anfang Juni ausfallen würde. Der Zaubereiminister nickte. Das hätte man ihm eigentlich schon am Morgen mitteilen dürfen, dachte er und erhielt sogar Zustimmung von seiner "inneren Zwillingsschwester".

Dann traf noch der oberste Zaubereigesetzeshüter Griechenlands, der kleine, kugelrunde Rhadamanthys Aigijochos ein. Auch der wunderte sich, die ihn um glatt zwei Köpfe überragende Atalanta Xylippos vorzufinden. Doch als er hörte, weshalb sie gekommen war grummelte er, dass "Der Wind" doch richtig geflüstert hatte. Dann traf noch der amtierende Leiter der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit ein. Der hatte bereits vor Alexios Anaxagoras im Zaubereiministerium gearbeitet und angeblich nur die Berufung zum Minister abgelehnt, weil er auf seinem Posten mehr für Griechenlands Zaubererwelt bewirken konnte. Konstantinos Chrysopolis besaß silbergraues Haar und trug einen gerade so über das Kinn hinausragenden Bart. Ansonsten war er genauso gestaltet wie der amtierende Zaubereiminister. Dieser begrüßte den vierzig Jahre älteren Mitarbeiter mit dem Respekt, der älteren Zauberern zustand, aber mit der beruflichen Distanz, die zwischen einem Vorgesetzten und einem Mitarbeiter angebracht war. Nun waren alle da, die er gerufen hatte.

Nachdem Minister Anaxagoras seinen drei ranghohen Mitarbeitern Bernadottis Nachricht vorgelesen und den Portschlüssel vorgezeigt hatte meinte Atalanta Xylippos: "Will sagen, wir halten uns an diesem ausgedienten Stück Stoff fest und hoffen, nicht über dem Mittelmeer herauszukommen und darin zu ertrinken oder gar in den geheimen Kellern unter dem Colosseum Romanum von den dort gehaltenen Chimären vernascht zu werden." Ihr Kollege Aigijochos verzog das bartlose Gesicht und grummelte, dass sie dem italienischen Zaubereiminister aber wirklich schlimme Sachen unterstellte. Darauf erwiderte Atalanta: "Wir wissen nicht, wo uns dieses Mottenfestmahl da hinwerfen soll. Ich vertraue mich Portschlüsseln nur noch dann an, wenn ich vorher weiß, wo die mich hinbringen sollen. Aber ich sehe ein, dass diese Konferenz sein muss, auch und vor allem, damit nicht wieder diese Pannen passieren wie letztes Jahr, wo diese Menschenzüchter so viele auch von unseren Landsleuten zum ungewollten Beilager getrieben haben und meine Tochter selbst mit drei unerhofften Enkeln von mir aus Italien zurückkam."

"Damit haben Sie schon die Antwort, warum die Italiener diesmal so ein Geheimnis drum veranstalten, wo die letzte Vorbereitungskonferenz stattfindet", sagte Rhadamanthys Aigijochos. Dem konnten der Minister und die anderen nur beipflichten. Die athletische Atalanta wiegte den Kopf mit den nachtschwarzen Locken und entgegnete: "Aber woher wissen wir, wer alles davon weiß, dass Bernadotti diesen Portschlüssel verschickt hat? Immerhin wird der doch dann auch allen anderen geladenen Gästen sowas zuschicken."

"Die Frage kann ich Ihnen nicht beantworten, Atalanta. Wir können uns nur darauf verlassen, dass Minister Bernadotti die von uns erbetene Diskretion selbst einhält und der Kreis der Einbezogenen möglichst klein ist

"Dann haben Sie sich entschlossen, diese besondere Einladung anzunehmen, Minister Anaxagoras?" wollte Rhadamanthys Aigijochos wissen. Der Minister bestätigte es. "Gut, dann muss ich klären, wie ich das begründen muss, übermorgen nicht am vorletzten Spiel der Ehemaligen gegen die Sparta Spears teilnehmen zu können", erwiderte Atalanta Xylippos darauf. "Oh, da werden die Altgedienten sicher froh sein, dass Sie diesmal nicht die Klatscher übers Feld treiben", feixte Rhadamanthys Aigijochos. Atalanta verzog ihr Gesicht, musste jedoch zustimmen.

Als die kurze Sitzung vorbei war meinte Alexios' verborgene Zwillingsschwester: "Ich habe das mitbekommen, dass du die stramme Atalanta angeschmachtet hast, auch wenn du das nach außen nicht gezeigt hast. Ich passe besser gut auf, dass du mit der nicht länger als eine Minute im selben Raum alleine bist."

"Sie ist verheiratet", wandte Alexios Eudoros Anaxagoras rein gedanklich ein. "Na und, ich auch", bekam er zur Antwort. Das musste er mit gewisser Verdrossenheit zur Kenntnis nehmen. Denn bevor Alexia Daphne den Oberaufseher der hauseigenen Sicherheitsvorkehrungen geheiratet hatte war sie gerne durchs Land gezogen und hatte die in Frage kommenden Zauberer ausprobiert. Da waren auch einige bei gewesen, die mal eben vergessen hatten, dass zu Hause eine Ehefrau wartete. Insofern konnte Alexios froh sein, dass er nicht eine Schwangerschaft mit einem Ehebruchkind lang als Minister hatte aussetzen müssen. "so, und damit ich das mit meinem sonnigen Angetrauten klarkriege, dass ich in den nächsten Tagen nicht bei ihm sein kann kriegst du das hin, dass er und ich uns heute noch einmal treffen können. Lässt du mir das nicht, findet diese Konferenz ohne dich statt. Denn dann machst du drei Tage lang Pause", drohte Alexia. Ihr gerade sichttbarer Salmakis-Bruder wusste, dass sie ihr körperliches Daseinsrecht besser durchsetzen konnte als er, seitdem sie Mutter geworden war. Davor hatte ihn dieser ebenfalls von den Freudentränen der Salmakis getränkte Zauberer gewarnt. "Wer von euch beiden ein leibliches Kind hat vermag sich stärker nach außen zu wenden als der oder die noch ohne eigenes Kind lebende." Insofern war er froh, dass Alexia so geduldig war.

So verbrachte er noch den restlichen Arbeitstag, bevor er im dem Minister selbst zugestandenen Waschraum die Kleidung ablegte. Bevor seine Salmakis-Schwester ihn dazu antreiben konnte nahm er lieber von sich aus eine reinigende Dusche. Dann setzte er sich auf den gepolsterten Hocker vor dem mannshohen Spiegel, dessen Oberfläche durch Imperviuszauber vor Beschlag sicher war. Sogleich durchflutete ihn ein Strom aus Wärme und ein wildes Kribbeln, als wuselten tausende von Ameisen durch seine Eingeweide und Adern. Er sah, wie er innerhalb von nur zehn Sekunden vom Mann zur Frau wurde und fühlte, wie seine Wahrnehmung in den Hintergrund trat. Alexia Daphne Tachydromos kehrte ans Licht zurück. Sie sah vom Gesicht her genauso aus wie ihr Salmakis-Bruder. Nur ihr Haar war dreimal so lang wie bei diesem, und sie war ein wenig kleiner und zierlicher als dieser. Dafür hatte sie etwas längere Arme und Beine und feingliedrigere Hände und Füße. Als die letzte Wallung der Umwandlung verflogen war holte sie die in einem Schrank aufbewahrten Kleidungsstücke und den für sie angefertigten Zauberstab, der aus Zedernholz mit dem Haar einer Meerjungfrau bestand, anders als der von Alexios, welcher aus Olivenholz und einer Phönixfeder hergestellt worden war.

Da der amtierende Zaubereiminister also gerade nicht selbst handeln konnte blieb ihm nur, mitzuverfolgen, wie seine Salmakis-Schwester Alexia sich mit Heliopteros Tachydromos traf und ihm ohne den Portschlüssel zu erwähnen erklärte, dass der Minister in den nächsten Tagen wohl aushäusig zu tun hatte und sie wusste, wie wichtig das war. "Ich weiß, ich hätte es mir überlegen können, Lexia, als ich hörte, dass ihr zwei in einem Körper wohnt. Aber ich war wohl genauso neugierig darauf, ob du eine richtige Frau bist wie du, wie das ist, als im erwachsenen Körper erwachte Hexe leben und lieben zu können", seufzte Heliopteros Tachydromos. Darauf meinte Alexia: "Ja, und wir zwei hatten immer sehr viel Spaß dabei, das herauszufinden und weiterzuführen, und die Kleine freut sich auch, dass wir sie auf die Welt gebracht haben."

"Die wird dich wohl heftig vermissen, auch, wenn meine Schwester sich freut, sie umsorgen zu dürfen, wenn Minister Anaxagoras mehr Zeit beansprucht", bemerkte Heliopteros Tachydromos. Dem konnte Alexia nicht widersprechen. Dafür sagte sie was, dass Heliopteros sprachlos machte: "Vielleicht solltest du auch von den Freudentränen der Salmakis kosten. Dann könnte deine so erwachende Schwester meinen Bruder heiraten. Der ist schließlich noch zu haben." Heliopteros erbleichte im Ansturm der Vorstellung, wie das dann sein würde. Da lachte ihn seine Frau an und meinte: "Nein, vergiss es bitte. Dieses Verhältnis würde unser Vierer Leben viermal so umständlich machen wie es jetzt schon ist." Sie streichelte Heliopteros über seine rechte Wange und küsste ihn auf den Mund. "So ist es doch noch die beste Möglichkeit", hauchte sie, während Alexios fürchtete, sie könnte ihn doch dazu anregen, mit ihr das eheliche Lager zu teilen und gänzlich unbeabsichtigt mit dem zweiten Kind schwängern, so dass er bis zur Entbindung nicht mehr nach außen treten konnte. "Gib ruhe! Ich weiß, wie wichtig diese Konferenz für uns ist", schickte sie ihrem nun im Hintergrund weilenden Salmakis-Bruder zu. Ihm blieb nichts anderes übrig, als ihr zu vertrauen.

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Ignacio Bocafuego Escobar wusste, dass er das nicht tun durfte. Doch eine innere Stimme forderte, dass er nicht so unvorbereitet mit einem unbekannten Portschlüssel verreisen durfte. Deshalb stand er nun vor dem Haus seiner Großmutter mütterlicherseits, Doña Espinela Flavia Bocafuego de Casillas. Er war froh, dass er noch vor Sonnenuntergang hatte herkommen können. Denn er wusste, dass seine Großmutter die Wiedervereinigung zwischen Sonne und Erde mit einem Abschiedsritual würdigte, genauso wie sie die Wiedergeburt des Tagesgestirns mit einem Begrüßungsritual würdigte.

Als seine Großmutter ihm die Tür öffnete, ohne dass er am Klingelzug ziehen musste, ergriff ihn die von ihr ausgehende Ausstrahlung einer Veelastämmigen. Er reagierte darauf mit einer natürlichen Unterwerfungshaltung, auch wenn er wenn er wollte seine angeborene Ausstrahlung verstärken konnte. Ihr flammenrotes Haar war dreimal so lang wie seines. Und die gleichen goldbraunen Augen, die auch er besaß wirkten auf ihn noch willensstärker, durchdringender. Er wusste, dass nicht nur er vor dieser Hexe einen an Hörigkeit reichenden Respekt besaß. Er wusste, dass sie eine der mächtigsten Hexen Spaniens war. Niemand wagte es, irgendwas zu unternehmen, das ihr nicht gefiel. Die wenigen, die das versucht hatten bereuten das heute noch, sofern sie nicht auf Nimmerwiedersehen das Land verlassen hatten. Auch deshalb musste er ihr berichten, was er am Morgen von Minister Pataleón erfahren hatte und wozu er sich halbfreiwillig bereiterklärt hatte. Denn sie würde es erfahren, wie alles, was ihre Nachkommen und Kindeskinder so trieben. Also war es besser, er erzählte es ihr von sich aus, auch wenn sein oberster Dienstherr das untersagt hatte. Doch der hatte ja von "anderen Kollegen" und "Mitarbeitern" gesprochen. Sicher schloss die Geheimhaltungsstufe auch Familienangehörige in die Schweigepflicht ein. Aber seine Großmutter war nicht irgendwer, wusste nicht nur er. Vielleicht, so argwöhnte Ignacio, dachte sich Pataleón sogar, dass er zumindest seiner ehrwürdigen Großmutter was erzählte.

"Abuelita Nela, der Minister hat eine ganz geheime Reisemöglichkeit zu einer Konferenz am 25. Mai bekommen, wegen der Neuauflage. Deshalb soll ich mit", kam Ignacio gleich auf den Punkt, als er im mit vielen Blumen und bunten Bildern geschmückten Salon seiner Großmutter saß. Espinela Bocafuego de Casillas nickte nur und wartete, was er noch erzählen würde. So verriet er ihr, auf welche Weise Minister Pataleón und die von ihm ausgewählten Mitarbeiter nach Italien reisen sollten.

"Oh, Portschlüssel. Und Pataleón hat nicht verraten, wo der euch hinbringen soll?" fragte sie, als ihr Enkel fertigberichtet hatte. Er schüttelte den Kopf. "Der italienische Zaubereiminister hat nur erwähnt, dass das die diskreteste Art sei, alle von ihm eingeladenen zusammenzubekommen. Der hat Angst vor den Babymachern von Vita Magica und der Wiedererwachten. Die könnten die Gunst der Stunde nutzen, so viele Zaubereiminister auf einmal einzusacken", sagte Ignacio.

"Soso, die Wiedererwachte", grummelte seine Großmutter. "Dabei hat die das italienische Zaubereiministerium doch schon ganz sicher. Mit anderen Worten, Bernadotti ist ihre willige Marionette und soll euch für sie zusammentreiben wie Schafe, die zur Schlachtbank geführt werden sollen." Ignacio erschrak über diese so unerhörte Behauptung. Doch er wagte nicht, seiner Großmutter zu widersprechen. Denn die hatte so überzeugt geklungen, dass er nicht einen Augenblick zweifeln konnte, dass sie recht hatte. Deshalb fragte er: "Seit wann ist das so, Abuelita?"

"Ist schon sicher ein paar Monate so. Ich bekam es über nur mir vertraute Wege berichtet, dass die von den Kindern der Nachtdunkelheit abstammende wohl ihre Fäden ausgeworfen und mehrere ranghohe Ministeriumsmitarbeiter darin eingesponnen hat, ganz sicher auch diesen Bernadotti selbst. Wenn der also behauptet, er habe immer noch Angst vor ihr, dann lügt er, um euch alle in eine trügerische Sicherheit zu wiegen. Denn soweit ich erfuhr hat dieses eigensinnige Weib mit dem von grünem Waldfrauenblut verseuchten Körper ihre alte Kunst verwendet, sich ihr wichtige Leute zu unterwerfen. Dass sie das bei mir nicht geschafft hat liegt einfach daran, dass meine Vormütter genauso aus Mokushas Schoß geboren sind wie sie und ihre Vormütter. Ich weiß auch, dass ihre eigenen Blutsverwandten sehr besorgt und wütend sind, dass dieses nachtdunkle Weib selbst keine Rücksicht auf Blutsverwandte nimmt. Hmm, sie weiß noch nicht, dass du nun die Spiele-und-Sportabteilung leitest, richtig?"

"Falls Pataleón wie gefordert keine Antwort nach Italien schickt bekommt Bernadotti das erst mit, wenn wir da ankommen, wo immer das sein soll", erwiderte Ignacio. Der Umstand, dass Ladonna Montefiori den Minister selbst zu ihrer Marionette gemacht haben sollte und den anderen Zaubereiministern eine Falle gestellt haben sollte machte ihm im Moment nicht so viel Sorgen, wie er früher vermutet hätte. Das mochte daran liegen, dass die besondere Aura seiner Großmutter mit seinem Körper wechselwirkte und ihre Willenskraft und Entschlossenheit seine Bedenken verdrängte, vermutete er. Er fragte dann: "Dann soll ich auf keinen Fall mit diesem Portschlüssel verreisen, Abuelita Nela?"

"O doch, das sollst du, gerade deshalb, um dieser weltherrschaftssüchtigen Sabberhexentochter den Plan zu vereiteln. Sie wird sicher ihren elendiglichen Feuerrosenzauber einschließlich der Duftkerze verwenden, um euch alle zu willfährigen Handlangern zu machen, besser als der Imperius das könnte. Aber dagegen weiß ich ein sehr wirksames Mittel. Dafür musst du aber bereit sein, dich mir ganz und gar anzuvertrauen, auch im Namen deiner Mutter, die dich in sich herangetragen und unter Schmerzen ans Licht unseres erhabenen Licht - und Lebensgebers geboren hat", erwiderte Espinela Flavia Bocafuego de Casillas. Ignacio fragte, ob er dann auch anderen helfen konnte. Sie erklärte ihm dann, was sie von ihm verlangte und wie er dafür sorgen konnte, dass die spanische Abordnung nicht zu Ladonnas Opfern wurde, sofern ihm gelang, in deren unmittelbarer Nähe zu bleiben. Darum stimmte er zu.

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Abgesehen davon, dass Laurentine noch eine kleine Handtasche mit dem Clavimensum-Zauber nur für sich nutzbar gezaubert hatte waren der Vita-Rubra-Zauber und der Mondreifzauber so anstrengend gewesen, dass Laurentine nach diesem Übungsabend so erschöpft war, dass sie fast schon von den Füßen kippte. Sie hatte zwölf kleine Silberkugeln mit einem kleinen Stichel mit Zeichen für die vier Mondphasen graviert und jede davon in einem mit eigenem Monatsblut gefüllten Glas bezaubert. Am Ende hatte sie die zwölf nun schwach silbern leuchtenden Kugeln mit praktischen Einnähzaubern in einen schmalen Gürtel einarbeiten müssen und diesen dann noch mit einem Vereinigungszauber belegen müssen. Erst nach dem vierten Durchgang hatte der Gürtel für eine volle Minute in der Farbe des Mondes aufgestrahlt. Ab nun war er ausschließlich für sie benutzbar und konnte je nach Sichtbarkeit des Mondes jeden Schildzauber zwischen zwei- und achtfachem Wert verstärken. "Ich weiß, dass die Zwerge und vor allem Zwerginnen sich gerne Mieder oder Überkleider machen, die sie mit ihrer Abwandlung des Corolunae-Zaubers herstellen. Ich hörte auch, dass eine reinrassig menschliche Hexe einmal so ein Mieder von einer Zwergenschneiderin erhalten hat, das jeden bekannten Schildzauber um das zehnfache übertrifft und auch magisch aufgeladene Geschosse wie Dracofrigidum-Geschosse oder fernlenkbezauberte oder mit Hitze- oder Gefrierzaubern aufgeladene Geschosse ablenkt. Aber wer sowas haben will muss den Zwergen einen höheren Preis zahlen als du mir für deine Stunden hier", sagte Louiselle Beaumont. Dem wollte Laurentine nicht widersprechen.

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24.05.2004

Romulo Bernadotti durchschritt noch einmal die Räume und Gänge im Castello Moravito bei Bergamo, dem ehemaligen Stammsitz einer einst adeligen Zaubererdynastie, die bis ins 18. Jahrhundert in zehn anderen Zaubererfamilien aufgegangen war. Weil die Erben der alten Sippe sich trotz Intrigen und Blutfehden nicht abschließend darauf einigen konnten, wem genau das Schloss nun gehörte, war es 1750 dem norditalienischen Zauberertriumvirat überlassen worden und nach dem Risorgimento dem gesamtitalienischen Zaubererkonvent übereignet worden, aus dem sich zu Beginn des 20. nachchristlichen Jahrhunderts das italienische Zaubereiministerium gebildet hatte. Nur wenige wussten, dass es dieses sechseckige Schlösschen mit je einem Turm an jeder Ecke und einem Uhrenturm in der Mitte des Hauptgebäudes gab. Üblicherweise wussten nur der zuständige Kastellan und der amtierende Zaubereiminister von diesem Prunkbau. Nicht selten hatten die früheren Zaubereiminister hier geheime Besprechungen mit ihren Mitarbeitern abgehalten oder wenn Cupido und Venus sie bewegten auch heimliche Liebesnächte hier verbracht, jedoch ohne die hier hergeportschlüsselten Kurtisanen oder Metressen über die genaue Lage dieses verschwiegenen Bauwerks zu informieren. Im Umkreis von drei römischen Meilen konnte niemand apparieren. Flugsperren über den Mauern und den Turmspitzen verhinderten, dass jemand auf einem Besen oder arabischen oder persischen Flugteppich näher als einhundert Schritte an die Ummauerung heranfliegen konnte oder tiefer als 200 Manneslängen über dem Grund herabsinken konnte. Zudem umgaben starke Mogglivergrämungszauber das Schloss. Die Nichtmagier konnten gerade mal fünfhundert Schritte herankommen und sahen dank der Tarnbezauberung nur einen karg bewaldeten Hügel aufragen, der für sie völlig uninteressant war. Die Moravito-Sippe hatte nichts für magielose Leute übriggehabt. Daher befanden sich in den sechs Außentürmen auch selbsttätige Armbrüste, die jede für sich bis zu 1000 brennende oder bei Aufschlag explodierende Bolzen verschießen konnten. Wer versuchte, eines der drei Tore gewaltsam zu öffnen erntete eine Garbe aus gespeichertem Drachenfeuer oder einen Vereisungszauber, je nach Stellung von Sonne und Mond. Im Schloss selbst gab es dann noch diverse Geheimgänge und auf Zuruf des anerkannten Schlossherren auslösbare magicomechanische Fallen. Dieses Schloss schien klein und harmlos. Doch es war eine wehrhafte Festung.

Morgen wollte die Königin hier die anderen Zaubereiminister zusammenbringen. Bernadotti hatte auf ihren Befehl hin die Einladungen verschickt. Jetzt wollte er sich noch einmal mit ihr treffen, damit sie wusste, in welchem Raum das Treffen stattfinden würde. Umberto, der ergraute Kastellan, gehörte mit den sieben Hauselfen seit vier Monaten auch zu den treuen Untertanen der wiedererwachten Königin. Er hatte noch einmal sichergestellt, dass alle Tarn- und Bannzauber ihre volle Wirkung zeigten.

"Ich spüre, dass du da bist, mein treuer Minister", hörte er die Gedankenstimme der Königin in seinem Geist. Bernadotti verfiel sogleich in eine demütige Haltung, auch wenn die Königin nicht wahrhaftig vor ihm stand. Auch sie konnte innerhalb des Castellos nicht apparieren. Nur der Kastellan und der amtierende Minister vermochten, innerhalb der Mauern den Standort zu wechseln, aber nicht weiter als bis zu den Außenmauern.

"Ich bin gleich im Festsaal, meine Königin. Dort soll die Zusammenkunft erfolgen", teilte der Minister seiner Herrin rein gedanklich mit. "Ich habe gerade die sieben Türme erkundet. Ja, dieses Schloss ist sehr hübsch. Es könnte mir für wahr als Hauptsitz dienen, wenn die Erbauer nicht bewirkt hätten, dass nur ein durch sein Blut als Herr und Kommandant eingeschworener Zauberer alle Wehr- und Tarnzauber nutzen könnte. Und ich bin nun einmal und das mit ganzem Stolz eine Hexe. Aber für die große Zusammenkunft ist es sehr gut geeignet. Ich hoffe sehr, dass sich auch alle an deine Bitte halten, keinem ihrer Untergebenen zu verraten, dass sie eine solche Zusammenkunft besuchen und einen vollen Tag damit zubringen. Aber meine treuen Helferinnen in anderen Landen werden schon dafür gesorgt haben, dass diese Tröpfe nicht hinterfragen, warum es so geheim zugehen muss", gedankensprach die mächtige Königin aller Hexen und damit auch aller Zauberer mit unüberhörbarer Überlegenheit.

Ab morgen wird eine neue Zeitrechnung bestehen, o meine erhabene Königin", meinte Bernadotti, seiner Herrin mitteilen zu müssen. "Und die Französin wird sich wundern, wenn sie am ersten Juli bei ihrer Ankunft festgesetzt wird."

"Unterschätze ja nicht die Macht einer mächtigen Veelastämmigen, mein treuer Minister!" erwiderte die Königin. "Diese französische Hexe wurde von einer sicher sehr wütenden und entschlossenen Tochter aus dem Volk Mokushas und dem Menschenvolk mit einem scheinbar wohlmeinenden Zauber belegt, der sie gegen viele Formen der Veelamagie schützt. Auch können ihr tödliche Gifte nur in vielfach höherer Dosis beikommen. Doch der tödliche Fluch wird sie auslöschen, wenn sicher ist, dass niemand ihr Ende beweint oder ihr Ableben vergelten wird."

Bernadotti dachte einmal mehr, warum Ladonna es nicht versuchte, Ornelle Ventvit in Frankreich selbst zu treffen. Dass ihm diese Gedanken nicht allein gehörten bekam er unverzüglich mit, als seine mächtige Herrin ihm mit der Macht einer nahebei läutenden Kirchenglocke ins Bewusstsein schrillte: "Wie oft noch, Romulo? Ich kann mich ihr nicht nähern und sie töten, solange sie nicht in einem von mir gesicherten Bereich ist und wer anderes, der nicht wie ich von den Veelas abstammt sie niederflucht. Bringe ich sie um werde ich sämtliche Schlüpflinge aus Mokushas mythischem Mutterschoß gegen mich haben und wohl selbst daran scheitern, sie zu töten, weil der ihr aufgeprägte Zauber mich daran zu hindern trachten könnte. Nein, sie muss außerhalb ihres Geburtslandes sein, unfähig, mit ihrem Geist wen anderes zu erreichen und von einem, der nicht aus einer Veelasippe stammt getötet werden, womöglich auch nur mit unmagischen Mitteln. Nein, sie muss von deinen Untergebenen festgenommen und in dieses Gefängnis vor Venezia geschafft werden. Dort besteht die größte Möglichkeit, sie aus dieser Welt zu schaffen."

"Ich wollte nicht deine erhabenen Pläne in Abrede stellen, o meine Königin", erwiderte Bernadotti zu tiefst eingeschüchtert. "Dann hör gefälligst auf, dir immer wieder diese widerliche Frage zu stellen!" erwiderte Ladonna, seine Königin. "Und jetzt komm in denFestsaal, damit wir die Sitzordnung festlegen können!" "Dein Befehl ist mein Gebot", erwiderte der amtierende Zaubereiminister Italiens.

Der Festsaal war so groß, dass hier hundert Gäste an mehreren Tischen sitzen konnten. Die bodentiefen Fenster blickten nach Osten, Süden und Westen. So konnten die hier feiernden die Sonne vom Aufgang bis zum Untergang genießen. In der Nordwand befanden sich drei Türen. Eine mit einem dunkelbraunen Türblatt, eine doppelt so große, mit Silberblechen beschlagene Eichenholztür und eine aus zwei Türflügeln bestehende, mit Goldblechen beschlagene Ebenholztür. Durch die braune Tür hatten die Bediensteten ein- und auszugehen. Die silbern beschlagene Tür diente den rangniederen Gästen, während die zweiflügelige Ebenholztür mit den Goldbeschlägen dem Hausherren und seinen männlichen Erben zustand. Vier rechteckige Tische mit dicken Eichenholzplatten standen so, dass jeder eine der Ecken ausfüllte. Doch sie konnten durch einen einfachen Umstellungszauber zu einem einzigen Tisch zusammengestellt werden, dass entweder drei an den Schmalseiten aneinandergereihte Tische einen langen Tisch bildeten und der vierte dem niederen Hilfspersonal zugewiesen wurde oder alle vier Tische zu einem großen, rechteckigen Tisch zusammengestellt werden konnten, an dem alle geladenen Gäste platznehmen konnten. An die hundert hochlehnige Stühle konnten in diesem Saal aufgestellt werden. Da Bernadotti zwanzig europäische Zaubereiminister mit je drei Mitarbeitern eingeladen hatte hatte der Kastellan sechzig Lehnstühle in den Saal geschafft und bereitgestellt. Noch am Abend würde er die Tische zu einem einzigen Tisch zusammenfügen und die sechzig Stühle verteilen, wenn klar war, wer wo sitzen sollte.

Als der Minister durch die silbern beschlagene Tür den Festsaal betrat wunderte er sich erst, dass die Königin noch nicht hier war. Nur der weißhaarige Kastellan war gerade mit Staubwisch- und Polierzaubern beschäftigt. "Herr Minister, die Fenster sind bereits blitzblank gereinigt, und die Wurmschutzpolitur auf den Tischen hat ungebetene Gäste zuverlässig abgehalten. Ich werde gleich noch das Parkett scheuern. Dann können die Tische in gewünschter Ordnung aufgestellt werden", meldete der alte Schlossbedienstete, ohne dass seine Putzzauber aus dem Takt gerieten.

"Ist ihre Majestät bereits hier gewesen, Umberto?" fragte der Minister. "Nein, Minister Bernadotti, die mächtige Königin hat noch nicht geruht, diesen Saal mit ihrer Anwesenheit zu ehren. Ist sie denn bereits in unserem gastlichen Hause?" Der Minister bejahte es.

Wie auf Stichwort taten sich die beiden goldblechbeschlagenen Ebenholztürflügel auf, und in einem bodenlangen schwarzen Samtkleid betrat sie den Saal. Der Minister und sein Kastellan verbeugten sich sogleich vor der makellos schönen, Macht und Entschlossenheit ausstrahlenden Hexe, deren auf Schulterlänge gekürzter Haarschopf sich im Takt ihrer anmutigen Schritte bewegte. Der Minister hatte sie zuletzt mit hüftlangen Haaren gesehen. Daher wagte er die Frage zu denken, warum die Königin ihre lange Haarpracht aufgegeben hatte. Dafür fing er sich einen sehr warnenden Blick aus den smaragdgrünen Augen seiner Herrin ein. Also sollte er diese Frage tunlichst nicht laut aussprechen, wenn ihm sein unwürdiges Leben lieb war. Königin Ladonna schritt durch den Festsaal. Nur das leise Knarren des Parkettbodens war zu hören, so geräuschlos tat die Herrin jeden Schritt. "Der Boden knarrt. Stelle er das bis morgen früh ab!" schnarrte sie an die Adresse von Kastellan umBerto. Dieser fiel beinahe vor ihr nieder, so schnell und so tief verbeugte er sich. "Das Parkett ist über fünfhundert Jahre alt, o Majestät. Es zu erneuern würde mindestens eine Woche beanspruchen und mehr Holzverarbeiter erfordern, die über dieses verschwiegene Haus in Kenntnis gesetzt werden müssten."

"Ich nehme seinen tollkühnen Einwand als ausnahmsweise gerechtfertigt zur Kenntnis, Kastellan. Zumal ich davon ausgehen muss, dass die Gäste nicht so behutsam schreiten können wie ich, so wird das Knarren des Bodens nicht so sehr ins Gewicht fallen. Er kann erleichtert sein, dass ich mit meiner erwählten Stammresidenz schon würdig ausgestattet bin, dass ich ihm nicht gebiete, diesen Missstand augenblicklich zu beheben. Doch soll er tunlichst dafür sorgen, dass morgen alles ihm zugewiesene gelingt, sonst wird sein toter Leib den Vögeln zum Fraße dargebracht. Hat er dies verstanden?" Umberto erzitterte unter dieser unmissdeutbaren Drohung. Doch er war lange genug Dienstbote, um davon nicht um seine vorgeschriebene Haltung gebracht zu werden. "Ich habe es verstanden und werde es befolgen, o meine Königin", sagte er unterwürfig. "Die mir unterstellten Elfen werden zuverlässig Speis und Trank reichen, wenn danach verlangt wird, und Eure Gäste werden satt und zufrieden dieses Haus verlassen", fügte er noch hinzu.

"Der Saal behagt mir sehr. Hier können wir sie alle begrüßen und verköstigen, bis ich sie wieder an ihre Heim- und Dienstorte zurücksende. Ist er mit allen Reinigungszaubern fertig? So mag er sich in seinen Warteraum zurückziehen, bis wir seiner wider bedürfen", sprach die Königin zu Umberto ganz ihrer und seiner Rolle entsprechend.

"O Herrin, ich muss noch den Boden scheuern, bevor ich die vier Tische zur gewünschten Ordnung zusammenstelle. Ihr erteiltet mir die Weisung , ohne die Hauselfen zu wirken", sagte Umberto ruhig. "Vermag er ohne fremde Hilfe nicht mehr seinen Pflichten nachzukommen? So sollte ich wohl überlegen, ob ich ihn weiterhin in meinen Diensten behalte. Er möge jetzt in seinen Warteraum gehen und dort ausharren, bis ich oder der Minister erneut nach ihm rufe. Sofort!" erwiderte die Königin. Der Kastellan nickte und beendete den gerade ausgeführten Zauber. Keinen Moment später disapparierte er mit leisem Plopp. Vom Boden hob sich eine dünne Staubspirale. "Ich erledige das mal eben", knurrte Königin Ladonna. Der Minister konnte gerade noch durch die offene Silbertür den Saal verlassen, bevor ein unbändiger Sauberzauber gepaart mit einem allen Staub vom Boden wegblasenden Wind den Festsaal ausfüllten. Die aus den Ritzen zwischen den Parkettplatten wirbelnden Staubwolken ballten sich in der Saalmitte zu einem unförmigen Klumpen zusammen, der wie ein bergab rollender Schneeball größer und größer wurde. Dann verschwand er mit scharfem Knall in leerer Luft. Das Parkett, die Wände und die Tische waren nun so sauber, dass Bernadotti meinte, ein geisterhaftes Spiegelbild von sich selbst darin zu sehen. Seine Herrscherin trat vor eines der breiten Fenster und begutachtete ihr darin erscheinendes Spiegelbild. "Ja, wenn ich es selbst tue macht dieser Festsaal wirklich was her. Wenn der alte Mann das nicht so hinbekommt könnte ich ihn durch einen mehr in Hauspflegezaubern geübten Nachfolger ersetzen lassen. Aber das dürfen wir dann getrost übermorgen beraten." Der Minister wagte ihr nicht einmal in Gedanken zu widersprechen. Selbst das gewisse Mitleid mit Umberto, den er bis zur Machtübernahme der Königin als "guten Geist" und "Treue Seele" gewertschätzt hatte, unterlag dem Zwang, dieser überirdisch schönen Hexe da bis in den Tod gehorsam zu sein. Ja, er würde selbst dann kein Wort sagen, wenn die Königin den alten Umberto vor seinen Augen mit dem Cruciatus-Fluch foltern oder ihn mit dem tödlichen Fluch das Leben entreißen würde. Ihr Wille war Gesetz. Dem mussten sich alle beugen, die den Duft der Feuerrose eingeatmet hatten. Ab morgen würden auch viele seiner Amtskollegen dazugehören.

Die nächsten Stunden besprachen die Königin und ihr erster Minister die Tischordnung. Da Bernadotti davon ausging, dass die ihm letztes Jahr schon vorgestellten Abteilungsleiter anreisen würden zeigte er seiner Herrin die bereits ausgearbeiteten Namenskärtchen. Seine Herrscherin stellte die vier Tische zu einem einzigen zusammen und deckte ihn mit verschiedenen Decken. Am Ende entschied sie, dass eine rosarote Decke mit Blumenmustern und purpurrotem Saum dem Anlass angemessen war. Dann ließ sie auch die hohen Stühle so um dem Tisch Aufstellung nehmen, wie sie es für morgen vorhatte. die zur Südseite weisende Seite des großen Gesamttisches wählte sie als den für sie selbst und den Minister und dessen Mitarbeiter vorgesehenen Platz. Bernadotti sollte zur Begrüßung seiner Gäste auf einem thronartigen Stuhl mit goldenen Beschlägen an Beinen und Lehnen platznehmen. Erst dann, wenn die Königin in eigener Person den Saal betrat und das Einbeschwörungsritual vollzogen hatte, sollte er zu ihrer linken auf einem der anderen Stühle platznehmen, während sie den Ehrenstuhl besetzte. "Und du bist dir ganz sicher, dass alle von dir angeschriebenen kein Wort mit der von dieser wütenden Veelastämmigen bezauberten Französin wechseln werden und sie nicht meint, mit jemandem zusammen herzukommen?" fragte die Königin ihren Minister. Immerhin sprach sie ihn in in der Duform an und nicht wie einen niederen Dienstboten.

"Ich hoffe sehr, dass meine geschriebenen Worte jedem, der sie las verdeutlichten, wie sehr mir an völliger Verschwiegenheit gelegen ist, o meine Königin. Außerdem haben alle die von Euch ersonnenen Vorwürfe und Gerüchte genug Unfrieden zwischen Frankreich und allen anderen Ministerien gestiftet, dass niemand von sich aus nachfragen wird, ob sie ebenfalls eingeladen wurde oder nicht", bekundetete der Minister.

"Der Engländer aus dem Volk der Mohren besorgt mich. Denn meinen getreuen Schwestern war es bisher nicht möglich, ihn für uns gewogen zu stimmen", grummelte die Königin.

"Ihr wünschtet ausdrücklich seine Anwesenheit", erinnerte Bernadotti sie überflüssigerweise daran, dass er auch Kingsley Shacklebolt einladen sollte. Sie wischte diese Bekräftigung mit einer energischen Handbewegung fort und zischte, dass sie nur davon gesprochen habe, dass er noch nicht in eine gewogene Stimmung versetzt worden war. Bernadotti vermutete, dass Ladonnas Bundesschwestern jeden in Reichweite amtierenden Zaubereiminister unter den Imperius-Fluch genommen oder mit einem anderen Fügsamkeitszauber belegt hatten, um sicherzustellen, dass er der Königin ohne Widerstand unterworfen wurde. Das brachte ihn jedoch auf eine Frage, die er ganz bewusst erst jetzt zu stellen wagte: "Was geschieht dem oder der, welcher sich doch gegen Eure Macht wehren kann, o meine Königin?"

Daher musst du die Kerze der Einschwörung gleich nach der Begrüßung entzünden, damit selbst jene, die noch ungewogen sind den Duft der Feuerrose kosten, ehe sie daran denken, in eine Falle geraten zu sein. Leisten sie jedoch vorher schon offenen Widerstand, so werden sie diesen nicht überleben, sobald die bereits so gut wie unser seienden den Befehl erhalten, sie zu töten. Ihr Verschwinden wird dann entsprechend erklärt", sagte Ladonna. "Wenn dir also das Leben dieses Mohrensohnes und der anderen noch nicht ganz für uns gewonnenen lieb ist, so stelle sicher, dass sie den Duft der Feuerrose lange genug kosten, um ganz die meinen zu werden!" Bernadotti beteuerte, dass er seine Königin nicht enttäuschen werde.

Als sie nun alle letzten Vorbereitungen getroffen hatten befahl die Königin ihrem ersten Minister, an seinen Dienststandort zurückzukehren. Sie wolle den Saal noch für das große Fest der Einbeschwörung schmücken. Dabei sei seine Anwesenheit nicht nur nicht nötig, sondern sogar unerwünscht. Was für ihn galt war auch für Umberto, den alten Kastellan des Moravito-Schlösschens gültig. So verließ der Minister den Festsaal durch die silbern beschlagene Eichenholztür und suchte Umberto in seinem Warteraum auf, obwohl es von jedem größeren Raum und den ausgewiesenen Schlafgemächern her möglich war, ihn mit einem Rufzauber zu erreichen. "Umberto, die Königin benötigt Sie heute nicht mehr. Für morgen ist alles abgestimmt. Falls sie die Gästezimmer noch fertigmachen müssen tun Sie das. Wenn nicht genießen Sie den Rest des Tages, sofern die Königin Sie nicht doch noch benötigt", sagte der Minister nun wieder in jenem respektvollen ton, den ein Dienstherr seinem arbeitssamen und treuen Untergebenen erweisen durfte, ohne die bestehende Rangstellung zu missachten.

"Sehr wohl, Minister Bernadotti", sagte Umberto dienstbeflissen. Das genügte dem Minister, um das Schloss mit einem dafür vorbereiteten Portschlüssel zu verlassen. Den Rest des Tages würde er sich mit den übrigen Anliegen in seinem Verwaltungsbereich befassen. Selbst wenn alle wichtigen Mitarbeiter der Königin unterworfen waren musste niemand außer den drei Eingeweihten Mitarbeitern wissen, dass morgen die seit Wochen angedachte Zusammenkunft stattfinden würde. Wenn es nach der Königin ging würde der 25. Mai 2004 ein geschichtsträchtiger Tag werden.

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"Ich bin mir sicher, dass Minister Güldenberg eine geheime Einladung bekommen hat, Schwester Anthelia", mentiloquierte Albertrude Steinbeißer ihrer Bundesschwester, die wegen der anstehenden Ministerkonferenz bei einer der europäischen Spinnenschwestern untergeschlüpft war. "Was macht dich da so sicher, Schwester Albertrude?" wurde sie auf dieselbe unhörbare Weise gefragt.

"Gestern hat der Minister alle um sich versammelt, die für die Durchführung der Quidditchweltmeisterschaft wichtig sind. Wie wir abgesprochen haben konnte ich bei meinem offiziellen Vorgesetzten durchbringen, dass ich wegen des Zusammenstoßes mit der selbsternannten Hexenkönigin erst einmal einige Tage Innendienst leisten soll. So konnte ich den Minister gut beobachten. Sein Pech und unser Glück, dass sein Büro nicht gegen die mir zugebilligten Augen abgeschirmt werden kann. Und wenn ich die Schränke und den Schreibtisch in Güldenbergs Büro genauer ansehe kann ich ein ziemlich abgenutztes Tischtuch in seinem Aktenschrank sehen, zu dem nur er Zugang hat. Mit dem Aurensichtmodus kann ich eine schwache, sich ganz langsame drehende Spirale erkennen, die bis auf anderthalbfache Länge davon ausgeht. Das sieht wie ein schlummernder Portschlüssel aus."

"Ist Güldenberg gerade in seinem Büro?" wollte Anthelia wissen. "Ja, er sitzt an seinem Schreibtisch und bearbeitet an ihn gerichtete anfragen. Das heißt, dass ich nicht unerkannt darin herumsuchen kann. Außerdem umgibt den Minister ein Gespinnst von Schutz- und Meldezaubern, die bei einem unbefugten Eindringen und gar einem Angriff ausgelöst werden. Und bevor du fragst, Schwester Anthelia, ich versuche schon seit Stunden, alle im Büro befindlichen Briefe und Dokumente zu erfassen, ob eines dabei ist, das sagt, wann und wie dieses Tischtuch benutzt werden kann. Wenn wir pech haben könnte Güldenberg jeden Moment damit verschwinden. Obwohl, hmm, das geht nur außerhalb des Ministeriumsgebäudes."

"Will sagen, er muss mit denen, die er mitnehmen will, aus dem Ministeriumsgebäude raus", erkannte Anthelia. Albertrude bejahte es. Denn seitdem es immer häufiger vorkam, dass unerwünschte Eindringlinge mit Portschlüsseln in ein Zaubereiministerium vordringen wollten oder die amtierenden Zaubereiminister entführen wollten galten verstärkte Portschlüsselabsperrungen, sowohl für herein als auch hinaus. Wer also mit einem Portschlüssel verreisen wollte musste das Ministeriumsgebäude verlassen.

"Wie sind die Diebstahlsicherungen?" wollte Anthelia wissen. "Die Schränke und Schreibtischschubladen verpetzen es sofort, wenn wer unbefugtes an sie rührt. Da im Ministerium nur vom Foyer aus disappariert werden kann ist es einem Dieb nicht möglich, vor den Sicherheitsleuten zu flüchten. Aber mir fällt gerade was ein, was uns nützen mag. Doch dafür müsste ich das Ministerium für zehn Minuten verlassen", gedankensprach Albertrude. Anthelia fragte, was genau sie meinte. Als Albertrude es ihr mitteilte erwiderte die höchste Schwester des Spinnenordens: "Das soll unsere gemeinsame Bundesschwester Marga besorgen. Du wartest, bis keiner mehr vor und im Arbeitszimmer Güldenbergs ist und nutzt die zehn bis zwanzig Minuten, um alle dort lagernden Schriftstücke zu prüfen, ohne sie zu berühren."

"Ich hoffe, dass der von dir hergestellte Unortbarkeitszauber meine Augen nicht beeinträchtigt", gedankensprach Albertrude. Anthelia erwiderte: "Wenn du nicht willst, dass eine spätere Rückschau dich in Beobachtungsstellung vor Güldenbergs Büro enthüllt musst du es wagen." Albertrude bestätigte das.

Es vergingen nur fünf Minuten, da konnte Albertrude durch Böden und Wände sehen, wie Güldenberg aus seinem Sessel aufsprang, mit einem Zauberstabwink alle Schränke und Schubladen mit einem Verschlusszauber sicherte und dann sein Büro verließ. Also hatte Marga die Nachricht übermitteln können, dass sie wohl was über mögliche Agentinnen Ladonnas gehört hatte. Das Gundula Wellenkamm eine von denen gewesen war wussten Albertrude und Anthelia ja schon. Marga hatte nun die nötigen Indizien beigebracht, um jede Ermittlung zu befeuern.

Als Albertrude sicher war, dass der Minister weit genug fort war und niemand vor seinem Büro Wache stand eilte die Verschmelzung aus Albertine und Gertrude Steinbeißer durch die Korridore und Nottreppenhäuser. Dabei achtete sie darauf, niemandem zu begegnen. Hier nutzte sie den Vorteil, dass sie schon durch eine geschlossene Tür sehen konnte, ob wer dahinter war oder nicht. Diese künstlichen Augen waren eine unschätzbare Machtquelle. Kein Wunder, dass Ladonna versucht hatte, Albertrude in ihre Gewalt zu bekommen. Kurz vor dem Zugang zur Chefetage streifte sich Albertrude ein mit verschiedenfarbigen Edelsteinen besetztes Silberarmband über und berührte damit eine der Steinwände. Einen Moment später sah sie um sich herum einen ganz schwachen, grün-roten Dunst. Laut Anthelia war es ein Sicht- und Lebensaura-Abschirmzauber der Erde, der fast so wie die natürliche Unortbarkeit der Veelas wirkte. Davon umhüllt betrat Albertrude den Trakt mit den Büros der höchsten Verwaltungsebene. Sie schlich an den Büros für Strafverfolgung, Lichtwachen und Stabsmitarbeitern vorbei, bis sie vor Güldenbergs Tür anlangte. Sie atmete auf, als sie feststellte, dass ihre magischen Augen im Durchdringungsmodus keine Probleme mit dem Unortbarkeitszauber hatten, sofern Albertrude auf Aurensicht verzichtete. Sie blickte sich noch einmal um, ob jemand in ihre Richtung unterwegs war. Doch im Moment befanden sich alle Kolleginnen und Kollegen an ihren Arbeitsplätzen. So konnte sie nun durch die geschlossene Tür ins Büro hineinspähen.

Da sie nicht wusste, wielange Güldenberg von Marga Eisenhut beschäftigt werden konnte musste sie sich sehr beeilen. Unzählige Dokumente gab es in Güldenbergs Büro. Die meisten befassten sich mit rein deutschen Obliegenheiten. Dann kam ihr der Einfall, dass der Hinweis sicher in der Nähe des verdächtigen Tischtuches aufbewahrt wurde. Dem war auch so. Der betreffende Brief lag unter dem Tischtuch im Aktenschrank. Da sie gelernt hatte, sowohl auf dem Kopf stehendes und/oder seitenverkehrt geschriebenes zu lesen konnte sie durch das Tischtuch und das Pergament selbst die Schrift entziffern. Mit der Nahbetrachtungsfunktion für jedes Auge konnte sie lesen, dass das Tischtuch am Morgen des 25. Mai um genau neun Uhr als Portschlüssel wirken und jedem, der in dem Moment damit in Berührung war, zum geheimen Treffpunkt beförderte, wo die von Bernadotti eingeladenen Minister ihre abschließende Konferenz vor der neu beginnenden Weltmeisterschaft abhalten würden. Albertrude musste verdrossen lächeln, als sie las, dass Güldenberg niemandem außer den unmittelbar mitzunehmenden, auch keinem ausländischen Amtskollegen, davon zu berichten hatte. So wollte Bernadotti wohl verhindern, dass sich die Minister vorher über diese heimliche Anreiseform austauschten. Güldenberg konnte jedoch wohl davon ausgehen, dass seine ausländischen Amtskollegen eine ähnliche Einladung und Reisemöglichkeit zugeschickt bekommen hatten.

Da sie mit einem schnellen Rundblick sah, dass Güldenberg noch nicht auf demWeg zurück in sein Büro war oder jemand meinte, vor seiner Tür Wache zu stehen oder zu warten nutzte sie die Gelegenheit noch, die von ihm geschriebenen Notizen zu ihrem Zusammentreffen mit Ladonna Montefiori zu lesen. Das wiederum beunruhigte sie einen Moment. Denn abgesehen davon, dass Güldenberg diesen Vorfall zur zweithöchsten Geheimsache erklärt hatte schrieb er auch, dass er Bernadotti beim Zusammentreffen mitteilen würde, dass Ladonna mit ihr zusammengeraten war. Sicher, wenn er davon ausging, dass Bernadotti noch Herr seines freien Willens war, mochte das eine kollegiale Warnung sein. Doch schrieb Güldenberg auch, dass er während seiner Abwesenheit sicherstellen würde, dass "Albertine Steinbeißer" unter ständiger Beobachtung verbleiben sollte, sowohl um sie vor neuerlichen Übergriffen Ladonnas zu schützen, als auch zu klären, ob sie wirklich nur dem Ministerium treu ergeben war. Dass er dies bisher nicht getan hatte lag einzig und allein daran, dass er und Andronicus Eisenhut klären mussten, welche Sicherheitszauberer sie beide nach Italien mitnehmen wollten. Stand dies fest würden wohl einige für alle anderen unsichtbare Wesen um sie herumschleichen und jeden Schritt von ihr verfolgen. Diese abzuschütteln würde sie verdächtig machen. Aber nun, wo sie das wusste, würde sie wohl Vorkehrungen treffen, schön weit von allem entfernt zu sein, was den Minister beunruhigte. Doch was, wenn der nach der Zusammenkunft als Ladonnas Marionette zurückkam? Diese Feuerrosenkerze mochte ihn sicher sehr schnell Ladonnas Willen unterwerfen. Dann würde seine Absicht, sie rund um die Uhr überwachen zu lassen, ihm sogar ermöglichen, sie heimlich still und leise verschwinden zu lassen. Ob und wie sie wieder auftauchte lag dann wohl in Ladonnas Ermessen.

Sie hatte gerade den von Güldenberg handskizzierten Überwachungsplan studiert, als ihr linkes Auge die Annäherung zweier Kollegen erfasste, die auf dem Weg in den obersten Verwaltungsbereich waren. Sofort brach sie ihre Spionageaktion ab und nutzte einen der Notfallzugänge, den sie ohne Alarm auszulösen öffnen und wieder schließen konnte. Durch das Notfalltreppenhaus eilte sie hinunter auf ihre Etage. Sie hoffte, dass in der Zwischenzeit niemand nach ihr gefragt hatte.

Bevor sie ihr Büro betrat nahm sie das silberne Armband ab. Einen Moment meinte sie, dass etwas um sie herum im Boden versank. Dann sah sie durch die geschlossene Tür in ihr Büro hinein. Niemand wartete dort auf sie. Doch auf dem Tisch lag ein Memo, dass sie vorher noch nicht dort gesehen hatte. Mit einem gewissen Unbehagen betrat sie ihr Büro und nahm das Memo:

Fräulein Steinbeißer, ich erwarte Sie umgehend nach Erhalt dieser Mitteilung in meinem Büro. Es betrifft die Sichtung des schattenlosen Mannes Karl-Heinz Renzberg bei Köln. Bitte bringen Sie alle diesbezüglichen Meldungen und Bewertungen mit!

A. Weizengold

"Oha, und ohne Uhrzeit", grummelte Albertrude. Doch dem ließ sich abhelfen. Mit dem in den Raum gerufenen Befehl: "Eintreffzeitpunkt letztes Memo!" bekam sie die Nachricht, dass das Memo vor gerade einmal zwei Minuten eingetroffen war. Das beruhigte sie. Mit zwei schnellen Zaubern ließ sie die erbetenen Unterlagen zu sich hinfliegen. Dann begab sie sich mit dem Memozettel zu Armin Weizengolds Büro. Bevor sie dort anklopfte sah sie, dass mehrere Außentruppzauberer dort versammelt waren. Offenbar wollte Weizengold den neu entdeckten Schattenlosen genauer überwachen oder entgegen der möglichen Selbstvernichtungsgefahr festnehmen lassen.

Albertrude begrüßte alle Anwesenden und entschuldigte ihr verspätetes Eintreffen mit "unaufschiebbaren Bedürfnissen". Damit konnte sie meistens weitere Nachfragen abwehren. Denn wer musste der oder die genoss völlige Privatsphäre. Kein Chef hakte dann nach, warum es bei dem einen oder der anderen länger gedauert hatte. So war es auch jetzt.

"Wir haben ein Mittel zur Verfügung bekommen, um diese Explosion eines in die Enge getriebenen Schattenlosen zu unterbinden oder zumindest dafür zu sorgen, dass kein anderer als das Opfer dieser Nachtschatten zu Schaden kommt", eröffnete Armin Weizengold. Seine Tochter Bärbel nickte und deutete auf eine kleine Kiste. Albertrude konnte mit einem kurzen Blick im Durchsichtmodus erkennen, dass die Kiste eine kleine Kugel mit goldenem Inhalt enthielt. Armin Weizengold erkannte, was Albertrude sah und sagte schnell: "Zum Inhalt dieses Kästchens komme ich gleich. Erst einmal möchte ich, dass Sie uns alle gesammelten Erkenntnisse zu Herrn Renzberg vorlesen, Fräulein Steinbeißer." Dies tat die Ministeriumsmitarbeiterin. Anschließend meinte Armin Weizengold: "Somit steht für mich fest, dass dieser Herr Renzberg in einer sehr wichtigen Anstellung der deutschen Verkehrsflugaufsicht arbeitet. Falls diese Nachtschatten ihn dazu zwingen kann er also eine Abfolge verheerender Flugzeugunfälle herbeiführen, die ganz sicher auch Opfer am Boden fordern werden. Dies würde Chaos im Flugbetrieb und eine schwere bis panische Furcht der Bevölkerung auslösen. Daher muss dieser zwangsrekrutierte Magielose dringend von seinem Arbeitsplatz entfernt werden, falls nötig für immer. Ich weiß, Sie alle hier wissen, wie gefährlich es für einen Einsatztrupp ist, einen erkannten Schattenlosen festnehmen zu wollen. Doch wir dürfen uns nicht weiter von dieser Nachtschattenkönigin auf den Nasen herumtanzen lassen. Auch und vor allem, wenn sie gezielte Anschläge auf wichtige Personen- und Frachtverkehrsnetzwerke verüben lassen will, müssen wir handeln. Zu unserem hoffentlich großen Vorteil könnte hierbei der Inhalt dieser kleinen Kiste werden, den außer mir wohl nur die Kollegin Steinbeißer zu sehen bekommen hat. Es handelt sich um eine nach mehrmaligen Versuchen zur Einsatzreife entwickelte Kombination aus einem magischen Fangnetzball und einer Sonnenlichtmauer. Laut den Kollegen aus dem Fachbereich experimentelle Magie und außendienstlicher Hilfsmittel umgibt dieses Artefakt den davon berührten innerhalb einer Hundertstelsekunde mit einem Netz aus goldenen Lichtfäden, das gegen jede Form magischer Dunkelheit und Vereisung wirken soll. Falls Renzberg bei der Konfrontation mit unseren Kollegen den Selbstvernichtungsbefehl ausführen sollte, hoffen unsere Leute, dass außer ihm niemand beeinträchtigt wird. Bestenfalls jedoch soll das Netz die zerstörerische Kraft vollständig absorbieren, so dass es möglich sein mag, den Betroffenen festzunehmen. Ob wir dann seinen abhandengekommenen Schatten wiederherstellen können steht noch nicht fest. Aber auch daran arbeiten die Kollegen von der thaumaturgischen Forschung. Fräulein Steinbeißer, Sie begeben sich unverzüglich mit den Kollegen Weizengold und Kleewurz an den Arbeitsplatz von Karl-Heinz Renzberg! Dort selbst werfen Sie ihm das Sonnenlichtnetz über. Explodiert er, so erfolgt hoffentlich kein weiterer Schaden. Bleibt er unversehrt nutzen Sie die Transportfunktion des Sonnenlichtnetzes und stellen Sie sicher, dass mögliche Augenzeugen keine Erinnerung an diesen Vorgang zurückbehalten! Also los! Viel Glück!"

Bärbel Weizengold sah ihren Vorgesetzten an, der zugleich ihr Vater war. Deshalb sagte dieser noch: "Benutzen sie die zum Lieferumfang gehörende Schleuder! Soweit wir aus den leidigen Erfahrungen wissen, reichen die Eissplitter bis zu hundert Meter weit, können aber durch eine auf reine Ultraviolettfärbung abgestimmte Sonnenlichtwand abgefangen werden. Also erst eigensicherung und dann Zugriff!" Bärbel atmete auf. Dann ließ sie sich noch die kleine Kugel zeigen, die nach dem Herausnehmen aus der Kiste golden pulsierte, als könne sie es nicht erwarten, eingesetzt zu werden.

Nur eine Minute später trafen die drei Mitglieder des Einsatztrupps am düsseldorfer Flughafen ein, wo Renzberg im Schichtbetrieb die An- und Abflugbewegungen überwachte. Albertrude konnte den zu suchenden gleich mit dem ersten Blick ihrer magischen Augen erfassen. Sie sah, dass er in einem abgedunkelten Raum vor mehreren elektrischen Bildwiedergabegeräten saß. Da der Kollege Kleewurz ein Meister mit Schuss- und Wurfwaffen war übernahm es Bärbel, bei beim Apparieren vor Renzbergs Büro eine nur ultraviolette Sonnenlichtmauer zu errichten. mit dem Zauberspruch "Murus Solis invisibilis war das nur ein Akt von zwei Sekunden. Dann ließ Albertrude die Bürotür magisch aufspringen. Renzberger fühlte den Luftzug und wirbelte auf seinem Bürostuhl herum. Da feuerte Kleewurz die goldene Kugel auf ihn ab. Diese blähte sich beim durchfliegen der unsichtbaren Lichtwand auf doppelte Größe auf. Dann klatschte sie Renzberg genau gegen den Kopf. Keine hundertstelsekunde später sah es so aus, als wenn er von sonnenhellen Lichtsträngen in tausende Einzelteile zerlegt wurde. Er erzitterte. Etwas dunkles drängte aus ihm heraus und wurde zu einer Wolke aus blauen Funken. Renzberg schrie auf, als die ihn umschnürenden Lichtfäden wild erbebten. Die drei Ministeriumsbeamten verriegelten alle Zugangstüren. Dann belegte Bärbel den Schattenlosen mit einem Schockzauber. Damit rief sie einen ungebetenen Besucher herbei.

Unvermittelt und völlig Lautlos erschien ein nachtschwarzes, geisterhaftes Wesen mit blau glühenden Augen. Doch als es das sonnenhelle Netz um Renzberg sah erstarrte es. "Fangen oder auslöschen?" wollte Kleewurz wissen. "Falls wir es fangen können einfangen", sagte Albertrude, die daran dachte, wie sie, wo sie nur Gertrude gewesen war, einen Nachtschatten in eine Kugel der undurchdringlichen Dunkelheit eingeschlossen und die Kugel dann auf Faustgröße zusammengeschrumpft hatte. Doch hier und jetzt durfte sie dieses Wissen nicht offenbaren, ohne sich unangenehme Rückfragen einzuhandeln. Kleewurz versuchte es dann mit einem Sternenlichtkokon, der eigentlich als Schutzbezauberung für empfindliches Transportgut gedacht war, sich aber als für darin eingehüllte Geisterwesen als undurchdringlich erwiesen hatte. Doch der Nachtschatten erkannte wohl, dass sie ihm beikommen wollten. Er schrumpfte blitzartig zu einer Kugel von einem Zentimeter zusammen und verschwand. Der ihn betreffende Kokon stülpte sich noch über den Punkt, wo er zuletzt gewesen war, fand kein Objekt mehr, das er umschließen sollte und zersprühte dann in viele blaue, silberne und weiße Funken.

"Gut, dann nehmen wir den Herrn hier in Gewahrsam", sagte Albertrude Steinbeißer.

Ihre beiden Kollegen wollten gerade die entsprechenden Zauber wirken, als es urplötzlich fast vollkommen dunkel wurde. Nur das Sonnenlichtnetz um Renzberg leuchtete noch in einem blutroten Licht, und der bisher unsichtbare Schutzwall glomm in einem dunkelblauen Flimmerlicht. "Habt ihr ewigbesserwisserischen Zauberstabschwinger euch so gedacht, uns einen wichtigen Diener wegzunehmen, wie? Aber dafür kriege ich euch nun alle als meine neuen gehorsamen Kinder!" erscholl eine tiefe, den ganzen Raum ausfüllende Frauenstimme. Albertrude konnte dank ihrer Augen sehen, dass über ihnen das Gesicht einer völlig dunklen Geisterfrau von riesigen Ausmaßen schwebte und wusste sofort, dass die Königin der Nachtschatten selbst erschienen war. Offenbar beherrschte sie einen Verfinsterungszauber, der es ihr sogar erlaubte, an teilweise beleuchteten bis taghellen Orten aufzutauchen. Das war eine sehr beunruhigende Erkenntnis. Ja, und wenn sie nicht sehr schnell was machten konnten sie diese so wichtige Erkenntnis nicht weitergeben. Denn gerade ließ die Königin der Nachtschatten ihre mehr als einen Meter großen Hände von oben herabgleiten, um Bärbel Weizengold und Sebastian Kleewurz zu ergreifen. Da rief Bärbel: "Lass die Sonne raus!" Unvermittelt entsprang ihrer Umhangtasche eine glitzernde Kugel, die im Aufwärtsflug zu einer immer helleren Leuchtsphäre anwuchs. Die Schattenkönigin brach ihre Zugreifbewegung ab und stemmte sich gegen die ihr entgegensteigende Sonnenlichtkugel. Da rief auch Kleewurz "Lass die Sonne raus!" Eine zweite Sonnenlichtkugel stieg ballongleich nach oben und errang mit ihrem roten Licht ein Stückchen Raum innerhalb der magischen Finsternis. "Das wird euch nichts nützen", röhrte die Schattenkönigin. "Ich bin stärker!" Albertrude hütete sich davor, ihr zu widersprechen. Denn sie sah, dass jene, die aus den Seelen von Birgit Hinrichs und Ute Richter hervorgegangen war, ihre gewaltigen Hände wieder nach unten zu drücken begann, gegen die ihnen entgegenleuchtende Kraft freigesetzten Sonnenlichtes. Da flogen die ausgelösten Sonnenkugeln von selbst auf den gewaltigen Rumpf der Schattenkönigin zu. Sie zielten dabei genau auf den lichtlosen Unterleib der dämonischen Daseinsform. Offenbar hatte jemand die zwei Sonnenkugeln mit einem zusätzlichen Zielzauber versehen. Außerdem konnte Albertrude trotz der vorherrschenden Finsternis erkennen, dass die Kugeln haarfeine Taststrahlen abschossen wie Fangseile. Wo sie auf die Schattenriesin trafen schienen sie anzuhaften und die beiden Kugeln weiter zu beschleunigen. Die Gegnerin hieb mit ihren Händen nach den Lichtsträngen. Tatsächlich gelang es ihr, mehrere davon zu kappen. Doch für jeden zerteilten Lichtstrahl trafen sie zwei neue aus jeder Kugel. "Wenn die Kugeln in sie eindringen Abwenden und Augen fest schließen!" hörte Albertrude Kleewurzes Stimme wie durch unsichtbare Kopfhörer. Doch die Schattenriesin ließ es nicht zu, dass die Sonnenlichtkugeln sie erreichten. Sie hieb blitzartig nach dem noch immer in ein Lichternetz eingeschnürten Renzberg und löschte damit das Netz aus. Albertrude sah trotz der beinahe völligen Dunkelheit, dass Renzbergs Körper zu einem einzigen Eisblock erstarrte. Sie hörte sowas wie ein leises Wimmern. Dann sprangen die beiden Sonnenlichtkugeln vorwärts. Doch im selben Moment verschwand die Schattenkönigin. Die von ihr beschworene Dunkelheit wurde zu einer rasant ablaufenden Morgendämmerung. Am Ende rotierten zwei sonnenhelle Lichtkugeln und umkreisten einander wie ein Doppelstern in den Weiten des Weltraums.

"Unentschieden!" grummelte Kleewurz, als er sah, wie unter der Wirkung der konservierten Sonnenstrahlung der zu Eis erstarrte Renzberg innerhalb von Sekunden auftaute und zerfloss. Die kleine Kugel, aus der das ihn bannende Netz entstanden war, zersprühte soeben auf dem Boden.

"Sie hat sich den armen Maglo einverleibt", sagte Albertrude. "Der wird nun ein vollständiger Nachtschatten. Wir müssen alle Zeugen behandeln und aufpassen, dass dieses Nachtmonstrum uns nicht noch einmal so überrascht."

Im Schutze der nun vollständig hell leuchtenden und zu einem frei schwebenden Paar gewordenen Sonnenlichtkugeln pflanzten die drei Ministeriumszauberer allen Ohrenzeugen die Erinnerung ein, dass Renzberg während seiner Arbeit aus unerfindlichen Gründen zusammengebrochen und noch am Ort verstorben sei. Denn weil Renzberg mit Flugzeugführern über Funk gesprochen hatte konnten sie es nicht so hinstellen, dass er nicht zum Dienst erschienen war. Aus dem immer mehr zu einer unappetitlichen Pfütze zerrinnenden Körper konnte genug Material für eine täuschendechte Scheinleiche entnommen werden. Diese konnte in Renzbergs Ersatzuniform gekleidet werden. Wie genau der arme Magielose gestorben war würde den Ärzten wohl Rätsel aufgeben. Doch alles war besser als die Wahrheit.

Wieder zurück im Ministerium erstattete der Einsatztrupp Renzberg bei Weizengold und Andronicus Eisenhut Bericht. Die Erkenntnis, dass die Schattenkönigin einen Raum völliger Dunkelheit schaffen konnte, in der nur magische Lichtquellen schwach bis unwirksam leuchten konnten, gefiel keinem der beiden. Womöglich konnte sich die Schattenriesin vor einem Appariersprung in eine ähnliche Dunkelheitsaura wie ein Dementor einhüllen und somit womöglich auch einige Zeit im unverhüllten Sonnenlicht überstehen, wenn es ihrer Sache diente. Damit war die Dämonin der Nacht auch bei Tag zu einer düsteren Drohung geworden. Darüber konnte der Erfolg mit dem Leuchtnetz nicht hinwegtrösten.

Als Albertrude wieder für sich alleine war, um den Bericht über diesen fast vollkommen verpatzten Einsatz zu schreiben, fand sie endlich Gelegenheit, Anthelia über ihre Spionageaktion bei Minister Güldenberg zu informieren. Bei dieser Gelegenheit gab sie ihr auch weiter, was die Nachtschattenkönigin offenbart hatte. Anthelia gedankenerwiderte darauf:

"Das war zu befürchten, dass sich dieses Nachtgespenst Morgauses magische Kraft und Kenntnisse einverleibt hat. Die ganzen Berichte über ihre Aktionen passen zu dieser Vermutung. Und was den Portschlüssel angeht, so bitte ich dich darum, mir morgen früh kurz vor neun Uhr mitzuteilen, wo genau sich der Minister und seine ausgewählten Mitarbeiter für den Portierungsvorgang bereitstellen. Sie dürfen auf keinen Fall an das vorbestimmte Ziel gelangen. Sicher wartet die Dame in Schwarz dort auf sie. Ich versuche noch, die in anderen Ministerien tätigen Schwestern vorzuwarnen, ihren Ministern die Portschlüssel irgendwie wegzunehmen. Doch Güldenberg und seine Leute sind uns wesentlich bekannter und besser zu kontrollieren."

"Was genau hast du vor, Schwester Anthelia?" wollte Albertrude Steinbeißer wissen.

"Dies wirst du morgen früh hoffentlich erleben, wenn du mir rechtzeitig Nachricht gibst, wo die kleine Reisegruppe sich trifft. Denke daran, dass dein Leben und das aller Ladonna unliebsamen Hexen und Zauberer in Deutschland davon abhängen mag, dass du mir früh genug mitteilst, wo sich Güldenberg und seine Leute bereitstellen." Das erkannte selbst die nach der Seelenverschmelzung bestärkte Albertrude. Sie mochte sich denken, dass ein unter Ladonnas Bann stehender Zaubereiminister Güldenberg sofort zur Jagd auf sie blasen würde, entweder um sie doch noch dieser Mischlingsfurie auszuliefern oder sie als gefährliche Gegenspielerin zu töten. Misslang es ihr morgen, den Minister von der kurzfristigen geheimen Abreise abzuhalten, konnte sie sich nur noch zwischen Flucht, Gefangennahme oder Tod entscheiden. So gedankensprach sie nur, dass ihr sehr an ihrer Freiheit lag, auch und vor allem, weil sie nun wusste, wer der Vater ihres ersten Kindes sein sollte. Das wiederum machte Anthelia neugierig. Albertrude erwiderte darauf, dass sie ihr das erst mitteilen würde, wenn sie wirklich schwanger geworden sei. Das würde sie ja auch vor allen anderen verheimlichen müssen. Dass es ging wusste sie mittlerweile von der wegen dieses Veelasegens dauerhaft schwangeren Nathalie Grandchapeau, die ihre anderen Umstände unter einem Tarnmieder verbergen konnte.

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25.05.2004

Kingsley Shacklebolt prüfte noch einmal, ob er alle Unterlagen in der richtigen Reihenfolge sortiert hatte. Seine silberne Armbanduhr zeigte, dass es bis acht Uhr noch zwanzig Minuten waren. Um diese Zeit würde der rostige Teekessel sein Geheimnis preisgeben, und er und seine drei Mitarbeiter würden erfahren, ob das Vertrauen in Bernadottis Portschlüssel gerechtfertigt war oder nicht. Am Ende stellte sich noch heraus, dass nur er diesen Portschlüssel bekommen hatte und Bernadotti ausschließlich mit ihm reden wollte. Das wäre sogar noch die zweitbeste Lösung nach der, dass sie sich wirklich alle zu einer heimlichen Zusammenkunft einfanden, dachte der Zauberer, dessen Vorfahren aus den ehemaligen britischen Kolonien Afrikas stammten. Für den Fall, dass die Reise doch ins Unglück führte blieb Arthur Weasley als sein Stellvertreter und Nachfolger in Wartestellung in London. Dafür reiste dessen Stellvertreter Warren Elmwood mit. Aus der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit würde ihn Barry Silverlake begleiten. Allerdings hatte es der Leiter der Spiele- und Sportabteilung, Rollin Rushmoore, abgelehnt, sich einem Portschlüssel anzuvertrauen, dessen Reiseziel er nicht kannte. Zu sehr pendelte über ihnen allen die heimliche Drohung von Vita Magica, sich all die Hexen und Zauberer zu holen, die es bisher und bis auf weiteres vermieden hatten oder ablehnten, Nachkommen hervorzubringen. Kingsley hatte dem noch jungen Mitarbeiter zwar versichert, dass auch das gegen ihn ausgerufene Ultimatum umgangen worden war und Rushmoore auf Anfrage hin gesondert vor unerwünschten Portschlüsselreisen geschützt werden könne. Doch Rushmoore hatte Kingsleys Frage, ob er freiwillig mitkommen wollte, mit einem klaren Nein beantwortet. So würden sie nur zu dritt an diesem ausgebeulten, mit braunen Rostflecken übersäten Teekessel hängen und wo auch immer hinwirbeln.

Als der rotbraunhaarige Warren Elmwood und der behäbig wirkende Barry Silverlake in Shacklebolts Büro eintrafen fehlten nur noch zehn Minuten bis acht Uhr. "Auf dann, Gentlemen, gehen wir es an. Ich hoffe, der ganze Aufwand und das Vertrauen werden gerechtfertigt", sagte Kingsley Shacklebolt mit seiner sonoren Bassstimme. Dann hoben sie alle drei den putzeimer großen Kessel an. Barry Silverlake stellte fest, dass im Boden schon Löcher klafften. "Wäre was für meinen Juniorassistenten Percy Weasley", scherzte Silverlake. Kingsley grinste über sein ebenholzfarbenes Gesicht. Er wusse natürlich, dass Arthur Weasleys überaus strebsamer dritter Sohn seine Karriere mit Berichten über unzureichend dichte Kessel aus ausländischer Produktion begonnen hatte, bis die zweite Ära des Macht- und mordlüsternen Zauberers Tom Riddle ihren düsteren Höhepunkt erreicht hatte. Seitdem befasste sich Percy mit der Pflege internationaler Sicherheitspartnerschaften, um jemanden wie Riddle in Zukunft zu verhindern. Vielleicht hätte er ihn auch mitnehmen sollen, um sowohl internationale Beziehungen wie Sicherheitsbelange in einem Durchgang besprechen zu können, dachte Kingsley Shacklebolt.

Sie trugen den löcherigen, rostigen, mit vielen Beulen verunzierten Kessel durch das Treppenhaus, das nur dem Minister und den ranghöchsten Mitarbeitern zur Verfügung stand. Denn laut Bernadottis Bitte sollte keiner der nicht eingeladenen Ministeriumsmitarbeiter mitbekommen, dass der amtierende Minister und die für eine Weltmeisterschaft wichtigen Abteilungsleiter eine klammheimliche Reise antraten. Sie mussten so leise sein wie es nur ging. Das hieß auch, dass der große, rostige Teekessel nicht gegen ein Treppengeländer oder eine der Marmorstufen stieß. Zwar konnten örtlich und zeitlich festgelegte Portschlüssel noch mit Bewegungszaubern gelenkt werden. Doch sie wollten die dem Kessel aufgeprägte Bezauberung nicht durch einen dauerhaften Locomotor- oder Wingardium-Leviosa-Zauber stören. So fühlten sie, wie schwer dieser rostige Kessel war. Doch keiner der drei sagte ein Wort. Durch einen der nur vom Minister oder dem Strafverfolgungsleiter zu öffnenden Ausgang verließen sie das unterirdische Ministeriumsgebäude, ohne dass sonst jemand was davon mitbekam. Jetzt dauerte es nur noch fünf Minuten bis zur angegebenen Abreise.

Da sie nicht weiter als fünfhundert Schritte vom festgelegten Startpunkt eines örtlich festgelegten Portschlüssels fortgehen durften trugen sie den bezauberten Teekessel gerade einmal so weit vom Ministerium weg, dass sie in einer der heruntergekommen aussehenden Straßen Londons zwischen metallenen Müllbehältern standen, welche ähnlich angerostet wirkten wie der Portschlüssel. "Jetzt ist die letzte Möglichkeit, noch von der Reise zurückzutreten, Gentlemen", sagte Shacklebolt. Doch seine beiden Begleiter überhörten das. Offenbar war es ihnen doch wichtiger, die letzte Zusammenkunft vor der Weltmeisterschaft mitzugestalten, als ihrem gewissen Misstrauen nachzugeben. Was die beiden dachten wusste Kingsley nicht. Er dachte jedoch daran, dass Arthur Weasley am nächsten Morgen auch um acht Uhr eine stille Suchaktion einleiten würde, falls der Zaubereiminister und seine Begleiter bis dahin nicht zurückgekehrt sein würden. Vielleicht mochte es dann für ihn und seine Begleiter zu spät sein. Doch falls sie wirklich in eine Falle gerieten würden der oder die Fallensteller den Unmut des britischen Zaubereiministeriums auf sich ziehen und womöglich auch den Ärger mit anderen Zaubereiministerien bekommen.

Als die letzte Minute vor acht Uhr britischer Zeit anbrach beorderte Shacklebolt seine Leute in eine Stellung, dass sie bei der Ankunft nicht übereinander fallen mochten. Dann zischte er leise: "Gut, Hände an den Portschlüssel! Bereithalten zur Abreise!" Warren Elmwood und Barry Silverlake befolgten die Anweisung. Nun hoben sie den Kessel vom Boden an und hielten ihn an Ausgestreckten Armen von sich weg, so dass sie selbst in zweifacher Armlänge voneinander fortstanden. Shacklebolt konnte noch gut auf seine Armbanduhr sehen und zählte im Flüsterton die verbleibenden Sekunden herunter, als wolle er den Beginn eines Weltraumfluges einleiten: "Zwanzig - neunzehn - achtzehn - siebzehn ..." Die anderen zählten in Gedanken mit. Als Kingsley die letzten fünf Sekunden herunterzählte fühlte er, wie die Aufregung in ihm wallte. Auch wenn er viele Jahrzehnte lang die unglaublichsten und schrecklichsten Dinge hatte ansehen müssen fühlte er sich doch von diesem Portschlüssel eher beunruhigt als von der Aussicht, gegen Schwerverbrecher wie Riddle kämpfen zu müssen. Jetzt fehlten nur noch zwei Sekunden, dann nur noch eine einzige.

"Null!" rief Shacklebolt aus. Da erfasste alle drei ein kraftvoller Sog und riss sie hinein in jenen grenzenlosen bunten Wirbel aus Rauschen und Säuseln, der zwischen Startpunkt und Zielpunkt eines Portschlüssels vorherrschte. Da sie alle schon öfter auf diese Weise gereist waren empfand keiner Unwohlsein oder Beklemmung. Alle drei ließen sich mit am rostigen Kessel wie festgeleimten Händen dahinziehen. Ab nun gab es kein Zurück mehr. Gingen sie verloren, würde es dauern, bis man nach ihnen suchen würde. Ob sie gefunden wurden war jedoch fraglich. Die Zeit verging. Keiner der drei wusste zu sagen, ob es nur Sekunden oder gar Minuten waren, die sie alle in diesem bunten Raum ohne Grenzen dahinbrausten. Dann kehrte ohne Vorwarnung das Gefühl festen Bodens unter den Füßen zurück. Die letzten Reste des Farbenwirbels verflogen als blaue Leuchtschlieren. Dann wurden sie von der irdischen Schwerkraft niedergedrückt. Doch so erfahren sie alle drei waren wurden sie nicht zu Boden geworfen. Sie machten schnell die nötige Ausgleichsbewegung, um auf den Beinen zu bleiben. Als sie alle sicher standen ließen sie den rostigen Kessel los. Der fiel scheppernd auf den kopfsteingepflasterten Boden.

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Ignacio Bocafuego Escobar hatte das Ende des wurmstichigen Gitarrenhalses zu fassen bekommen, wo normalerweise die Wirbel für die Besaitung angebracht waren. Pataleón und die anderen Mitglieder der spanischen Delegation hatten sich um den löcherigen Resonanzkörper des ausgedienten Musikinstrumentes aufgestellt und es hinbekommen, einen sicheren Halt zu haben. Ignacio musste nur aufpassen, dass er dem schrankgleich gebauten Fausto Durante nicht im Weg stand, falls dieser nach der Portschlüsselreise umkippen solte. Malvina Pontecristallo stand dem Zaubereiminister persönlich gegenüber, blickte mal diesen an und dann wieder Ignacio. Er versuchte, das begehrliche Glimmen in ihren Augen zu übersehen. Er konzentrierte sich darauf, seine besondere Ausstrahlung niederzuhalten. Das ging am besten, wenn er an klirrende Kälte und viel zu enge Kleidung dachte, hatte er im Laufe seines Lebens gelernt. Zugleich fühlte er das schnelle warme Pulsieren um seinen Hals. Der Kragen seines hellblauen Dienstumhanges überdeckte, was er dort vor anderen Augen verborgen trug. Er hoffte nur, dass diese Vorkehrung unnötig war und er nur damit zu tun hatte, seine besondere Ausstrahlung weit genug unten zu halten, um die an der Konferenz teilnehmenden Hexen nicht von ihren wichtigen Aufgaben abzulenken, so wie es bei Malvina fast der Fall war.

"Bereithalten für Portschlüsselreise!" kommandierte Minister Pataleón, als die letzten dreißig Sekunden vor der Abreise angebrochen waren. Sie stellen sich nun so, dass sie nicht gleich bei der Abreise vorne überfallen konnten. Ignacio fühlte, wie sich in dem wurmstichigen Ding, an dem sie alle nun ihre Hände hatten, eine übernatürliche Kraft regte und von Pulsschlag zu Pulsschlag immer stärker wurde. Das kannte er schon von früheren Portschlüsselreisen, dass er, der Veelastämmige, die erwachende Kraft sinnlich wahrnehmen konnte. Als dann die letzte Sekunde verstrich fühlte er es wie einen kribbelnden Kraftstoß durch seine Hand jagen, bevor ihn das Gefühl eines ihn dahinziehenden Hakens im Bauchnabel überkam. Sofort meinte er, in einer sich drehenden Kugel zu schweben, die seinen Sinn für die Himmelsrichtungen verwirrte. Doch um sich herum war nur jener vielfarbige Wirbel und das leise Säuseln, was eine Portschlüsselreise begleitete. Als der Eindruck eines festen Bodens zurückkehrte ging das bei Ignacio mit einem aus seinem Körper in die alte Gitarre zurückjagenden Kraftstoß einher. Die letzten blauen Leuchterscheinungen vergingen in weniger als einem Augenblick. Dann waren sie zurück im gewohnten Raum-Zeit-Gefüge.

Ignacio sah sofort, dass sie auf dem mit Kopfsteinen gepflasterten Hof einer Burg oder eines kleinen Schlosses angekommen sein mussten. Er sah ein Stück der mehr als vier seiner Längen hohen Außenmauer. Diese war offenbar aus Granitblöcken errichtet worden. Dann sah er, dass in der Mitte des Mauerabschnittes ein Turm entsprang und mehr als dreißig seiner Längen in die Höhe reichte. Er konnte Schießscharten und kreisrunde Sichtfenster auf insgesamt zehn Stockwerken erkennen. Die Turmspitze war ein messingfarben glänzender Spitzkegel, der fast einem klassischen Zaubererhut gleichkam. Offenbar war diese Anlage hier wirklich die Residenz einer Zaubererweltfamilie.

Mit dem auf schnelle Erfassung von Umgebung und Anwesende trainierten Blick erkannte er, dass die Außenmauer sechs Seiten besaß. An jeder Seite ragte ein Turm auf. Das Hauptgebäude besaß ebenfalls sechs Außenwände. Aus seiner Mitte spross ein sechsseitiger Turm, der doppelt so dick und doppelt so hoch wie die sechs anderen Türme war. Wie das Gesicht eines goldenen Giganten blickte ihn von der Höhe des Mittelturmes das ihm zugewandte Zifferblatt einer mächtigen Turmuhr an. Die Zeiger standen auf acht Uhr. Waren sie etwa in einer weiter westlich liegendenZeitzone gelandet? Dann betrachtete er noch die Spitzbogenfenster, die mal aus völlig durchsichtigem und dann auch aus Buntglas bestanden, wie er es aus den christlichen Kathedralen kannte. Er und seine Mitreisenden waren im Westen des Hauptgebäudes gelandet.

Auch wenn er zunächst den erreichten Zielort genauer ansah entging ihm nicht, wie rings um das Hauptgebäude blaue Lichtspiralen aus dem Boden schnellten und weitere an abgenutzt wirkenden Gegenständen, Decken oder Kleidungsstücken hängende Reisegruppen freigaben. Auch waren schon einige Reisegruppen vor ihnen eingetroffen. So konnte er seinen schweizer Amtskollegen erkennen und den sehr behäbig wirkenden Zaubereiminister Urs Rheinquell. Auch sein österreichischer Kollege Kunibert Buchendrechsler war bereits mit seinem Vorgesetzten und einigen Herren, die er noch nicht kannte eingetroffen. Nun sah er, wie nordwestlich des Hauptgebäudes drei Männer an einem im Licht der Morgensonne schimmernden Teekessel auftauchten, ein hochgewachsener dunkelhäutiger Mann und zwei etwas kleinere hellhäutige. Das musste die britische Abordnung mit ihrem Zaubereiminister Kingsley Shacklebolt sein. Dann sah er, wie südöstlich vom Hauptgebäude gleich drei blaue Portschlüsselspiralen aus dem Boden schnellten. Eine Gruppe bestand aus zwei unterschiedlich großen Männern und einer hochgewachsenen, athletischen, dunkelhaarigen Frau, die er kannte. Das war Atalanta Xylippos, vor zehn Jahren noch eine der Erfolgstreiberinnen der griechischen Quidditchnationalmannschaft. Hatte es die also auch in die Abteilung für Spiele und Sport verschlagen. Dann musste einer ihrer Begleiter wohl der griechische Zaubereiminister Alexios Anaxagoras sein. Er tippte auf den älteren Herren mit dem silbergrauen Haar und dem sorgfältig gestutzten Bart.

Fast im Sekundentakt trafen weitere Portschlüssel mit daran hängenden Hexen und Zauberern ein. Allerdings vermisste Ignacio die viele Zauberer überragende, rotblonde Hippolyte Latierre und ihre Vorgesetzte, von der er wusste, dass sie mit dem Zauber einer wütenden Veelastämmigen belegt war, der sie viel langsamer altern ließ und gegen sehr viele natürliche und magische Beeinträchtigungen immun machte. Er hatte sich nämlich nach seiner Amtseinführung gefragt, ob er das körperlich spüren würde, wenn er der französischen Zaubereiministerin begegnen würde. Doch die schien nicht mitgekommen zu sein. Oder hatte die einen anderen Anreisezeitpunkt? Das verwarf Ignacio jedoch sofort wieder, weil er sah, wie innerhalb einer Minute an die zwanzig Reisegruppen ankamen.

"Laut der mir zugeschickten Empfehlung sollen wir unseren Portschlüssel am Zugang zum Besprechungsgebäude abgeben", sagte Pataleón. Dann deutete er auf das offene Portal an der Südseite, wo ein Zauberer mit grauweißem Haar bereitstand, der wohl sowas wie ein Dienstbote war.

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"Oh, ein Jagd- oder Lustschlösschen", hörte Alexios Anaxagoras die Stimme seiner "inneren Zwillingsschwester", als seine Reisegruppe gerade mal zwei Sekunden am Zielort stand. Ja, das kleine herrschaftliche Bauwerk mochte in der Tat ein heimlicher Rückzugsort für einen Adeligen oder wohlhabenden Bauherren sein. Hier hätte auch ein Zaubereiministerium hingepasst, befand Alexios. Seine Salmakis-Schwester hingegen empfand diesen Bau eher für Leute geeignet, die sich für länger aus der Öffentlichkeit zurückziehen oder ganz von allem Trubel abgeschieden leben wollten, ohne auf einen gehobenen Lebensstil verzichten zu müssen. Womöglich wuselten im inneren des Schlösschens diensteifrige Hauselfen herum, die jedoch kein Mensch zu sehen bekommen durfte.

"Oh, wen hat denn dein Kollege Pataleón da süßes mitgebracht?" hörte er seine innere Schwester leise fragen und sah auch, wen sie meinte. Da er gerade die Hoheit über den gemeinsamen Körper besaß und somit wie ein Mann fühlte empfand er beim Anblick des drahtigen, guttrainierten Mannes mit dem schulterlangen, flammenroten Haarschopf eher eine gewisse Abneigung, als wolle der Bursche ihm das Revier streitig machen. Wieso dachte er das gerade? "So wie du fühlst könnte das ein Veelaabkömmling sein. Also gibt's die doch auch als knackige Knaben", hörte er den Kommentar seiner Salmakis-Schwester. Ja, das mochte es sein. Dieser Rotschopf bei Pataleón, den er vorher noch nicht gesehen hatte, stammte von Veelas ab. So konnte er froh sein, dass er gerade Alexios Anaxagoras war. Dann sah er die markante, ebenholzfarbene Glatze und den im Licht der Morgensonne blitzenden Ohrring von Kingsley Shacklebolt, der am anderen Ende einer geraden Linie zwischen ihm und der britischen Delegation seine beiden Begleiter instruierte, wie sie einen rostigen Teekessel tragen sollten. Er vermisste jedoch Ornelle Ventvit und ihre Delegation. Würde die später eintreffen? Nein, so wie es aussah hatte Bernadotti alle verschickten Portschlüssel auf dieselbe Uhrzeit abgestimmt, eben nur so, dass die damit anreisenden nicht auf ein und demselben Punkt ankamen. So wie sie gerade noch aufgestellt waren entsprachen die Gruppen den Richtungen, in denen von hier aus ihre Heimatländer zu erreichen sein mochten.

"Wir sind wohl alle da angekommen, wo wir hin sollen, wo immer das auch ist, die Dame und die Herren", sagte der griechische Zaubereiminister. Dann deutete er auf das offene Portal im südlichen Abschnitt des sechseckigen Hauptgebäudes. "Dann wollen wir unseren Portschlüssel dort abgeben", wies er seine Begleiter auf Griechisch an. Er hoffte, dass sie alle zumindest gut genug Italienisch, Französisch, Englisch oder Spanisch konnten, auch wenn für internationale Konferenzen unter einer bestimmten Landeshoheit galt, dass die Sprache des Gastgebers die Konferenzsprache war. Vielleicht wurde ihnen allen Wechselzungentrank gereicht, falls die Konferenz länger als einen Tag dauern mochte. Im Zweifelsfall mochte Konstantinos für sie vier übersetzen. Der konnte zwanzig Menschensprachen, Koboldisch und Meerisch.

"Hat sich Bernadotti doch von den anderen breitschlagen lassen, die französische Zaubereiministerin nicht einzuladen?" fragte Alexia ihn für alle anderen unhörbar. "Offenbar. Er hat es wohl nicht mal für geboten gehalten, andere Vertreter aus Frankreich einzuladen. Oder die haben die Einladung komplett abgelehnt, wenn sie ihre Ministerin nicht mitbringen durften", vermutete Alexios.

"Ah, Grigori ist auch schon da", sagte Konstantinos Chrysopolis und deutete auf einen Zauberer mit nachtschwarzem Haar und Schnurrbart, der mit der russischen Delegation eingetroffen war. Alexios Anaxagoras kannte Grigori Rodenski von einer Ministeriumskonferenz südost- bis osteuropäischer Länder von vor vier Jahren. Deshalb nickte er seinem Fachzauberer für internationale Belange bestätigend zu.

"Ich vermisse die Franzosen", sagte Rhadamanthys Aigijochos. Sein Vorgesetzter bestätigte es erneut. Dann sah er sich um, wen er noch alles erkannte. Es schienen trotz der gleichen Ankunftszeit noch nicht alle da zu sein.

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Die vier deutschen Spinnenschwestern wussten, wie heikel die Aufgabe war. Anthelia hatte ihnen noch am Abend zuvor genaue Anweisungen zumentiloquiert. Jede von ihnen hatte sich an einem der für Magielose unsichtbaren Zugang zum unterirdischen Gebäude des Zaubereiministeriums postiert. Ihre fünfte Bundesschwester, die sie noch immer für Albertine Steinbeißer hielten, sollte auf Anthelias Geheiß hin beobachten, wann und wo Güldenberg zusammen mit dem obersten Lichtwächter Eisenhut, seinem eigenen Stellvertreter Wetterspitz, dem Spiele-und-Sport-Abteilungsleiter Wiesenrain und dem Verbindungszauberer zur internationalen Zaubererkonföderation zusammentreffen würde. Da sie das Ministerium wohl zu Fuß verlassen mussten musste das mindestens fünf Minuten vor dem ausgekundschafteten Abreisezeitpunkt passieren.

Albertrude saß in ihrem Büro und hatte den kleinen silbernen Ohrring angehängt, der eine sprechende Uhr war und für Duotectus-Anzugnutzer entwickelt worden war, die in menschenfeindlicher Umgebung keine gewöhnliche Armband- oder Taschenuhr benutzen konnten. "Restzeitansage der letzten Minute vor neun in Fünfsekundenschritten!" flüsterte Albertrude mit zwei Fingern am Ohrring. "Restzeitansage letzter Minuuute vor neun Uuuhr in Abschnitten fon fünf Sekunden", trällerte die nur für Albertrude hörbare Kunststimme des Uhren-Ohrrings. "Ich sehe Schwester Marga an der Westseite. Ihr Tarnzauber ist nicht stabil genug", mentiloquierte Albertrude an Anthelia. Dann nahm sie Güldenbergs Büro in den Blick ihrer auf Hindernisdurchblick eingestimmten Kunstaugen. "Schwester Anthelia, Güldenberg hat gerade Eisenhut, Wetterspitz, Wiesenrain und Sommerlaub in sein Büro kommen lassen und holt erwähntes Tischtuch aus seinem Schrank", mentiloquierte Albertrude an Anthelia. "Gut, melde mir bitte, wo die erwähnten aus dem Gebäude kommen, Schwester Albertrude! gedankenantwortete Anthelia.

Wenige Minuten später konnte Albertrude ihrer Bundesschwester Anthelia vermelden, dass Güldenberg und seine Mitreisenden durch das für höhere Amtsträger vorbehaltene Notflucht-Treppenhaus zur Nordseite aus dem Ministerium herauskamen. Dort war Isolde Katzenacker posiert. "Gut, Schwester Marga wird zu Schwester Isolde dazustoßen, sobald die Beobachteten sich einen sicheren Ort für die Abreise gesucht haben. Auch Schwester Irmela wird hinzustoßen", mentiloquierte Anthelia. Albertrude verstand. Zu gerne würde sie den erwähnten Schwestern selbst was zumentiloquieren. Doch Anthelia hatte ihr verdeutlicht, dass sich nach der "Eröffnung" von Gertrude Steinbeißers Testament ihre geistige Stimme verändert hatte. Noch sollten und durften die anderen Schwestern nicht wissen, was Albertine Steinbeißer widerfahren war. Sie konnte nur beobachten, wie die erwähnten Schwestern, zuletzt Irmela genannt Immi Eulenbaum sich in der Nähe des Nordausgangs in Form einer uralten Eiche trafen. Sie hatten sich den Desillusionierungszauber auferlegt, während Güldenberg und seine Mitreisenden in ein scheinbar ausgedientes Lagerhaus gingen. Hier würde niemand ihre Abreise sehen können. Jetzt konnte Albertrude auch einen grünlich-rot flimmernden Dunst sehen, der wie ein Hauch von Bodennebel auf das Lagerhaus zukroch. Sie versuchte, diesen Dunst zu durchdringen und sah gerade eine Art dampfartigen Schemen. Sie konnte jedoch nicht erkennen, um wen oder was es sich handelte. Sie mentiloquierte Anthelia an. Da sah sie, wie der grün-rote Nebeldunst verschwand, aber nichts freigab. "Siehst du mich jetzt immer noch?" wurde sie gefragt. Sie musste es verneinen. "Ja, weil ich jetzt ganz ruhig stehe. Mein besonderer Unortbarkeitszauber kann nun seine volle Kraft entfalten." Albertrude erschauerte. Gab es doch einen Zauber, der Menschen völlig unsichtbar machte, auch für ihre biomaturgischen Augen im Durchdringungsmodus? Vielleicht lag es auch daran, dass sie bereits jetzt durch mehrere dicke Wände und Böden blicken und dabei eine Entfernung von fast vierhundert Metern überwinden musste. Selbst die Tarnzauber von Vita Magica waren auf diese Entfernung für sie so gut wie undurchdringlich, wie sie aus dem Entscheidungskampf mit Hagen Wallenkron alias Lord Vengor wusste. Dann fiel ihr ein, dass die Magier des alten Reiches sicher sehr viel Zeit hatten, den perfekten Unortbarkeitszauber zu entwickeln, nur dass dieses Wissen mit dem alten Reich untergegangen war und wohl nur Anthelia etwas davon erhalten hatte, als sie eins mit der Spinnenhexe wurde.

Um nicht länger an Anthelias besonderen Tarnzauber zu denken holte sie Güldenberg und seine Leute scheinbar näher heran, um von Güldenbergs Lippen zu lesen, was er seinen Mitreisenden noch sagte. Das machte ihr große Sorgen:

"Seien Sie unbesorgt, meine Herren. Diese geheime Anreisemethode dient nur dazu, unseren Feinden aus anderen Gruppierungen zu entgehen. Minister Bernadotti ist unser Freund und wird sicherstellen, dass uns allen nichts schlimmes passiert", las sie von Güldenbergs Lippen ab. "Er wird sich nicht noch einmal von so Leuten wie Vita Magica vorführen lassen."

"Ich stehe in der Nähe der Gruppe, Schwester Albertrude. Güldenberg okklumentiert zwar, aber ich konnte für einen Moment erheischen, dass er diesem Bernadotti sein Leben anvertrauen würde, falls der es von ihm fordern würde. Dies gefällt mir nicht", mentiloquierte Anthelia. Das bestätigte, was auch Albertrude empfand. Güldenberg und seine Leute waren irgendwann von irgendwem aus Ladonnas neuer Schwesternschaft bezaubert worden, Bernadotti blind zu trauen, ja sogar für ihn durch einen Wald aus Dämonsfeuer zu gehen, wenn er es für richtig hielt. "Gundulas Leidensgenossinnen haben ihn sicher behext, dass er Bernadotti aus der Hand frisst", schickte Albertrude an ihre Gesinnungsschwester.

"Ich muss also davon ausgehen, dass nicht nur Güldenberg und seine Leute bereits auf Ladonnas Seite gezogen wurden. Gut, hätte ich im Vorfeld einer solchen Aktion sicher auch so gemacht", gedankenknurrte Anthelia.

"Aber sie muss sicherstellen, dass die Minister auch dauerhaft und ohne jeden Widerstand für sie eintreten", vermutete Albertrude. "Deshalb wird diese schwarze Furie ihnen wohl ihren Feuerrosenzauber unter die Nasen halten." "Auch das war wohl zu erwarten, Schwester Albertrude", bestätigte Anthelia, dass sie der gleichen Meinung war.

"Eine Minuuuuute vor neuiiin Uuuhr und Restzeitzählung!" trällerte der Uhr-Ohrring in Albertrudes linkem Ohr. Sie gab die Zeitansage sofort weiter. "Gut, gib mir die letzten Zehn Sekunden weiter", erwiderte Anthelia.

Wie befohlen zählte die winzige Uhr in 5-Sekunden-Abschnitten. Erst bei den letzten zehn Sekunden gab das kleine Zeitmessartefakt jede weitere verbleibende Sekunde bekannt. "Jetzt sechs Sekunden, Schwester!" gab Albertrude weiter. Dann sah sie, was geschah.

Ein greller Blitz strahlte urplötzlich auf. Der Minister und Albertrudes Kollegen zuckten zusammenund fielen dann um. Offenbar hatte jemand den Sensofugatus-Zauber ausgeführt. Das Tischtuch lag nun zwischen ihnen. Da schien es unvermittelt lebendig zu werden. Es rollte sich innerhalb einer Sekunde zu einem Bündel zusammen und flog dann wie ein mit voller Wucht geschlagener Klatscher durch die Halle. Einen Moment lang konnte Albertrude sehen, wie ein grünlich-rotes Flirren über dem Boden erschien und der zusammengeknüllte Portschlüssel genau dort hineinsauste. "Hab ihn. Weiteres wie abgestimmt!" hörte Albertrude Anthelias Gedankenstimme. Dann hörte sie ihren Uhr-Ohrring "Es ist genauu neuiin Uuuhrr!" trällern. Sie konnte für einen Moment ein grünlich-blaues Flimmern sehen. Dann war wieder alles wie vorher. Nun sah sie, wie Marga, Isolde, Irmela und Heimgard in der Lagerhalle apparierten und sofort mit vorgestreckten Zauberstäben auf die noch besinnungslos daliegenden Ministeriumsmitarbeiter zielten. Gemäß der Absprache würden sie allen die Erinnerung eingeben, dass sie in letzter Sekunde beschlossenhatten, den zugespieltenPortschlüssel einfach verschwinden zu lassen, da Minister Güldenberg ja Albertines Aufzeichnungen kannte und wusste, dass Ladonna Montefiori ihn wohl ganz gerne in ihre Finger bekommen wollte. Sie wollten nur zu einer Konferenz, wo sie sowohl das Ziel kannten als auch den Weg dorthin und wieder zurück wählen konnten. Alle würden bezeugen, dass sie das Tischtuch verschwinden gesehen hatten. Somit würde es auch für Anthelias treue Mitschwestern keine Nachfragen geben, hofften Albertrude und Marga Eisenhut. Dann wurden die fünf mit einem Schlafzauber belegt, der sie in genau zehn Minuten wieder aufwachen lassen sollte. Zumindest hatte Albertrude das so von Anthelia übermittelt bekommen. Nachprüfen konnte sie das nicht. Auch wusste sie nicht, ob Anthelias Vorgehen nicht doch zu riskant war. Denn wenn es wirklich eine Falle von Ladonna Montefiori war, stand immer noch aus, ob Anthelia wirklich gegen den Feuerrosenzauber immun war oder als wertvollste Gehilfin Ladonnas zurückkehren würde. Albertrude wollte nicht tatenlos abwarten, was dann passierte. Sie wollte sich auf den Fall vorbereiten, dass sie gegen zwei mächtige Hexen kämpfen musste. Denn die würden sie dann als ihre Erzfeindin einstufen. Wie gut war es, dass Anthelia nicht wusste, wohin sich Albertrude zurückziehen konnte, wenn es für sie zu gefährlich zu werden drohte. Womöglich musste sie ihren Tod fingieren und dann über mehrere Monate oder gar Jahre in ihrem Versteck ausharren. Dies galt es nun vorzubereiten.

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Sie stand unsichtbar auf der höchsten Ebene des mittleren Turmes und hielt Umschau. Sie sah, wie die von ihrem treuen Untertan Romulo Bernadotti losgeschickten Portschlüssel innerhalb der ersten Minute der neunten Tagesstunde rund um das sechseckige Hauptgebäude erschienen. An jedem ausgewählten Gegenstand hingen mindestens zwei Personen, hauptsächlich Zauberer. Als sie die an einer ausgedienten Gitarre hängende Abordnung aus Spanien ankommen sah war es für sie wie ein heftiger heißer Windstoß. Danach meinte sie, auf einen Hitze abstrahlenden Punkt zu blicken, wie auf die lodernden Flammen eines kräftigen Feuers. Schuld war der bei Pataleón stehende Zauberer mit dem feuerroten Haarschopf und den goldbraunen Augen. Sie fühlte förmlich, dass er von einer ihr artverwandten Aura umflossen wurde, ja irgendwie mehr Kraft ausstrahlte als drei lebende Männer. Sie verzog ihr Gesicht, als sie diesen Zauberer genauer ansah. Der war ein Veelastämmiger!

Da hatte sie schon klargestellt, dass diese von einer Veelastämmigen bezauberte Französin nicht hergeschafft wurde, und die Spanier schickten einen von einer Veela oder einer Veelatochter geborenen her. Das ärgerte die selbsternannte Königin der Hexen. Denn dieser Zauberer konnte ganz unbeabsichtigt ihre Pläne zunichte machen. Sie musste wissen, wer das war und wie wichtig er den Spaniern war, dass Pataleón ihn in das Geheimnis des Portschlüssels eingeweiht hatte. Jedenfalls musste sie ihre eigene Ausstrahlung ganz dringend niederhalten, damit er sie nicht spüren konnte. Sie wusste, dass Veelastämmige einander spüren konnten, wenn sie nicht ausdrücklich ihre Ausstrahlung niederhielten, je näher miteinander verwandt desto anstrengender. Sie empfand eine Erinnerung von Rose Britignier. Die hatte in diesen Licht- und Tonaufzeichnungstheatern namens Kino die Geschichte eines irgendwo weit im Weltenraum gelegenen Reiches mit vielen Völkern und Errungenschaften gesehen. Ein dort vorkommender Kriegerkult konnte die in der Geschichte erwähnte, alles durchdringende Kraft erspüren und verschiedenartig nutzen. Die konnten auch einander spüren, wenn sie auf derselben Welt wandelten, die sogenannten Guten wie deren Gegenspieler. Also musste sie aufpassen, dass der andere sie nicht spürte, bis sie wusste, wie sie mit ihm verfahren sollte. Sicher konnte sie ihn von hier oben mühelos anzielen und töten. Das würde jedoch alle anderen warnen, auch wenn sie nicht von hier fliehen konnten. Denn die Portschlüssel würden erst in zwölf Stunden wieder auslösen, zwölf Stunden, in denen sie hoffte, sie alle ihrem Willen unterworfen und ausführlich instruiert zu haben.

"Romulo, die Spanier haben einen rothaarigen Zauberer dabei, der uns gefährlich werden kann. Wer ist das und was soll er hier?" schickte sie eine Gedankenfrage an ihren Unterworfenen. Nur sie konnte dies noch tun. Ansonsten war das Castello Moravito gegen das Gedankensprechen abgesperrt.

"Ich bin im Festsaal und sehe nicht, wer schon da ist, meine Königin. Wen meint Ihr?" wollte Romulo wissen. Ladonna wusste, dass sie, um ihre eigene Ausstrahlung niederzuhalten, nicht großartig ihre Sinneseindrücke an ihn weiterleiten konnte. So beschrieb sie ihn. "Oh, das ist dann wohl Ignacio Lucio Bocafuego Escobar, der stellvertretende Leiter der Spiele- und Sportabteilung", schickte Romulo Bernadotti nach einigen Sekunden zurück. "Du hättest sicherstellen müssen, dass dieser nicht herkommt", gedankenrügte Ladonna ihren unfreiwilligen Helfer. "Der Bursche muss Veelaverwandtschaft haben. Das spüre ich."

"Soll Umberto ihn von den anderen trennen und verschwinden lassen?" gedankenfragte Romulo Bernadotti. "Falls er sich ihm nähern kann. Aber das würde alle anderen zu früh darauf bringen, dass etwas nicht so verläuft wie sie denken. Sonst wäre es für mich ein leichtes, ihn zu betäuben oder zu töten oder ihn von seinen Begleitern unschädlich machen zu lassen. Ich kann sie von hier oben alle beobachten und könnte mühelos auf jeden einzelnen von ihnen zielen."

"Umberto wird sie alle empfangen und in den Festsaal geleiten. Vielleicht kann er Euren Wunsch doch erfüllen und ihn und zum Schein noch einige andere, die nicht auf der von uns erstellten Liste stehen einzeln prüfen. Das würde aber den Beginn der Zusammenkunft hinauszögern."

"Ja, das ist so. Auch sehe ich das für die Deutschen ausgelegte Tischtuch nicht. Dabei war ich mir gewiss, dass dieser Güldenberg herkommen würde. Dies behagt mir nicht." "Womöglich werden die von ihm ausgewählten sich geweigert haben sich einem Portschlüssel anzuvertrauen, von dem sie nicht wissen, wohin er sie bringt", vermutete Bernadotti. "Mag sein. Dann mag der Portschlüssel in einem gegen seine Kraft verschlossenen Raum gelagert werden. Jetzt ärgert es mich, dass ich dir befahl, deinen Kollegen aufzuerlegen, keine Bestätigung oder Ablehnung zu verschicken."

"Dann werden die deutschen die einzigen sein, die Euch heute keine Gefolgschaft schwören?" fragte Romulo Bernadotti. "Ja, nicht heute. Aber schwören werden sie, wenn alle anderen in unsere Reihen getreten sind", erwiderte Ladonna. Sie dachte daran, ihre noch in Deutschland weilenden Schwestern der Feuerrose auf Güldenberg und seine Leute anzusetzen, sie notfalls zu überwältigen und wohin zu schaffen, wo Ladonna eine extra für sie geformte Zauberkerze entzünden würde. Womöglich hatte Güldenberg nach dem gescheiterten Unterwerfungsversuch von Albertine Steinbeißer befunden, auf keine Einladung mit unbekanntem Zielort einzugehen. Daran hätte sie denken müssen. Offenbar hatte sie zu sehr auf die von ihren Mitschwestern beteuerte Arglosigkeit Güldenbergs gesetzt. Dieses Weib mit den fliegenden Scheren hatte ihr also doch mehr Ungemach beschert als sie erst gedacht hatte. Nun, Albertines Schicksal war eh beschlossen. Unterwerfung oder Tod.

Bis auf die deutsche Abordnung waren nun alle da, die einen Portschlüssel erhalten hatten. Laut den aus Bernadottis Gedächtnis gefischten Beschreibungen erkannte sie jeden Minister, auch den britischen, dessen Vorfahren wohl aus Afrika stammten. Sie nahm kurz Gedankenkontakt mit dem Kastellan Umberto auf und erfasste, dass er sich von Ignacio Escobar belauert bis bedroht fühlte. "Bitte die Spanier, noch zu warten, weil du erst prüfen musst, ob der Rotschopf wirklich ein wichtiger Beamter und zur Teilnahme an wichtigen Zusammenkünften berechtigt ist! und bring die anderen in den Festsaal!"

"Sehr wohl, meine Königin", dachte ihr Umberto verdrossen gestimmt zu. Dann sah sie von ihrem Beobachtungsposten aus, wie die spanische Gruppe höflich begrüßt wurde, jedoch zunächst im Empfangsraum warten sollte, da die Rechtmäßigkeit der Teilnehmer gesondert geprüft werden musste. Die anderen sollten nach Nennung ihrer Namen in den Raum für die Zusammenkunft geleitet werden. Sie sah mit verhaltener Zufriedenheit, dass die spanische Gruppe draußen vor dem Portal wartete. Sie wartete noch eine halbe Minute ab, damit die anderen nicht sahen, was gleich geschehen würde. Sie versicherte sich durch einen kurzen Gedankenaustausch, dass Umberto die anderen gerade durch die Gänge führte. Dann griff sie ein.

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Kingsley Shacklebolt erfasste mit dem geübten Blick eines ehemaligen Auroren, wer sich in seiner Nähe aufhielt. Er erkannte auch, dass zwei Amtskollegen fehlten, Güldenberg und Ventvit. Hatten die keine Einladung erhalten? Hatte Bernadotti sich von den Behauptungen der letzten Wochen beeindrucken lassen und die französische Kollegin nicht dabeihaben wollen? Das war aber schon ein diplomatisches Armutszeugnis, dachte der britische Zaubereiminister. Dann hörte er noch, dass offenbar die spanische Gruppe noch gesondert überprüft werden musste, weil sie wen mitgebracht hatte, der nicht auf der vorliegenden Liste erwarteter Teilnehmer stand. Tja, und der werte Kollege Pataleón ging darauf ein. Irgendwas passte hier nicht so recht. Das konnte aber von der von Bernadotti vermittelten Alarmstimmung kommen, weil er feindliche Übergriffe und Spione fürchtete. Wie leicht jemand sich von sowas zu wilden Mutmaßungen anstiften lassen konnte hatte er ja im dunklen Jahr selbst erleben müssen, wo niemand außerhalb des Phönixordens wirklich ungefährlich war. Hatte sich der italienische Kollege womöglich eine kleine aber luftdichte Käseglocke erschaffen, unter der er und seine engsten Mitarbeiter die gegenwärtigen Bedrohungen abwarten wollten? Vielleicht war es auch die Ausstrahlung eines der Spanier, eines makellos schönen, rothaarigen Mannes, der nicht in das übliche Muster südländischer Leute passen mochte. Ja, er fühlte, dass von diesem Mann eine lautlose Überlegenheit ausstrahlte, die ihn in eine ungewollte Abwehrbereitschaft versetzte, als müsse er gleich mit diesem Zauberer ein Duell auf Leben und Tod ausfechten. Deshalb war er auch irgendwie froh, als er mit seinen Mitarbeitern und den anderen Ankömmlingen von diesem Rotschopf fortgebracht wurde. Der ältere Zauberer mit dem silberweißen Haarschopf war hier wohl sowas wie ein Butler oder Majordomus, vielleicht auch Haushofmeister oder Kastellan, wenn er das Schloss hier berücksichtigte. Jedenfalls wirkte die Erhabenheit und Abgeschiedenheit dieses Bauwerkes auf alle anderen. Shacklebolt selbst blieb jedoch alarmiert. Denn ein abgelegener Ort bedeutete auch, dass keiner mitbekommen mochte, wenn hier was schlimmes passierte. Dann fühlte er noch, dass sein gerade getragener Ohrring nur für ihn wahrnehmbar sacht und schnell pulsierte. Sein Schmuckstück reagierte auf Bann- und Schutzzauber. Sicher war das Apparieren hier unmöglich, also auch das Disapparieren, sofern keine Notfallfreigabe eingerichtet war. Er blickte auf seine silberne Armbanduhr und tippte sie mit dem rechten Zeigefinger an. Sie erbebte für eine Sekunde. Da wusste er, dass hier auch eine Mentiloquismussperre eingerichtet war. So würde keiner von hier aus rein geistig um Hilfe rufen können, falls was geschah. Gut, dafür konnte auch niemand von außen angesprochen oder per Exosensozauber abgehört werden. Sicher war der Konferenzraum auch ein Dauerklangkerker.

"Achten Sie auf jede Unregelmäßigkeit, außer, dass die Spanier gerade von uns getrennt wurden!" wisperte Shacklebolt seinem Sicherheitsüberwacher zu. Im Moment bedauerte er es, keine reinen Personenschützer mitgenommen zu haben.

"Der Rotschopf strahlt was aus, was mich anwidert", wisperte Warren Elmwood. Barry Silverlake nickte andeutungsweise. "Womöglich wurden die Spanier deshalb erst mal draußen gelassen", flüsterte Silverlake, während sie in Dreierreihen durch die blitzblank geputzten Gänge geführt wurden. Links und rechts hingen brennende Laternen an den Wändenund tauchten den Weg in ein goldenes Dämmerlicht. Ebenso hingen Landschaftsgemälde an den Wänden, aber keine Personenporträts. Shacklebolt vermutete, dass sie hier nicht riskieren wollten, dass gemalte Hexen und Zauberer an irgendwo aushängende Gegenstücke weitermeldeten, wer alles hier war. Ihn beunruhigte auch, dass er immer noch nicht wusste, wo er hier genau war. Wahrscheinlich würde ihm das auch niemand verraten. Er war hier, und damit hatte es sich.

Die einzige Beruhigung, die Shacklebolt empfand, war, dass die anderen Teilnehmer ebensowenig begeistert waren, nicht zu wissen, wo und bei wem genau sie waren. Auch schien es einigen nicht zu behagen, dass die spanische Abordnung zurückgehalten worden war. Am Ende wurden auch alle anderen Abordnungenen einzeln geprüft.

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Ignacio Escobar fühlte die ihm entgegenwehende Abneigung der Zauberer und vor allem dieses älteren Mannes, der hier wohl sowas wie der Haushofmeister oder oberste Dienstbote war. Er spürte selbst, dass den etwas umgab, das ihn beunruhigte. "Sie stehen leider nicht auf der Liste. Deshalb müssen Sie erst eingehend geprüft werden", hatte der ältere Zauberer gesagt, bevor er die anderen aufforderte, ihm zu folgen. "Oh, hätte ich den Kollegen doch anschreiben sollen, dass ich wen anderes mitbringe?" fragte Pataleón. "Der alte Herr scheint Sie für einen gefährlichen Spion zu halten", meinte Fausto Durante zu Ignacio. Dieser sah ihn so unschuldsvoll wie möglich an. Doch das schien Fausto Durante noch mehr zu verdrießen. "Klar, wenn der noch nie einen wie Sie getroffen hat könnte der das echt glauben", sagte Fausto noch. Malvina Pontecristalo sagte dann: "Sind Sie das nicht gewohnt, dass andere wegen ihrer Abstammung verstört bis alarmiert sind, Ignacio?" Dabei lächelte sie ihn wieder so verwegen an.

"Vielleicht hat eine Alarmvorrichtung in diesem schnuckeligen Schlösschen auf die Ausstrahlung von ihm hier reagiert, wo es doch heißt, dass die Montefiori eine Veelastämmige sein soll. Nachher glauben die noch, Sie wären mit der verwandt, Ignacio."

"Stimmt, daran könnte es liegen", erwiderte Ignacio, der nicht zeigen wollte, wie unsicher er sich gerade selbst fühlte. Am Ende stellte sich heraus, dass seine Großmutter ihm mit ihrer Leihgabe noch einen schlechten Dienst erwiesen hatte. Denn seine eigene Ausstrahlung war durch diese Leihgabe erheblich verstärkt worden. Er sah noch, wie sich das Portal schloss. Ohne jemanden von drinnen kamen sie nun nicht mehr hinein. Denn sicher war jeder Riegel einzeln gegen unbefugte Öffnungszauber abgesichert oder besser: Jeder Riegel musste durch einen bestimmten Öffnungszauber entsperrt werden, und zwar in einer vorgeprägten Reihenfolge.

Unvermittelt spürte er, wie etwas von oben niederfuhr und erst Pataleón und dann Malvina Pontecristalo traf. Die beiden betroffenen standen nun völlig handlungsunfähig da. Ignacio blickte sich hektisch um. Von wo war das gekommen? Er wollte gerade Fausto Durante darüber informieren, weil der den unhörbaren Angriff nicht gespürt hatte, als er mitbekam, wie auch er von etwas getroffen wurde. Unvermittelt sprang Fausto Durante vor und schlug mit bloßer Faust nach Ignacio. Dieser reagierte jedoch blitzschnell und wich dem wuchtigen Hieb aus. "Wegen dir verfluchtem Veelabrütigen haben die uns hier vor der Tür abgelegt wie Unrat!" zischte Fausto und versuchte erneut, den rothaarigen Veelastämmigen niederzuschlagen. Dieser schaffte es jedoch, den ihm geltenden Schlägen auszuweichen. Sein Quidditchtraining und seine veelastämmigen Reflexe bewahrten ihn davor, getroffen zu werden. Er sah reinen Hass in den Augen seines Kollegen lodern. Warum griff Fausto ihn an? Irgendwas hatte den getroffen und nun zum Hass auf ihn angestachelt. "Fausto, Sie werden beeinflusst und ..." stieß Ignacio aus. Da musste er einer weiteren Kombination aus Fausthieben ausweichen. Jetzt versuchte es der gegen ihn aufgebrachte auch noch mit Fußtritten. Er kam aber nicht auf die Idee, seinen Zauberstab zu nutzen, wohl weil er wusste, dass Veelastämmige den meisten Zaubern ausweichen oder größtenteils widerstehen konnten. Sollte er seinen Zauberstab ziehen und Fausto damit kampfunfähig machen? Die Entscheidung wurde ihm abgenommen, als ein schmerzhafter Einstich an seiner Kehle ihm erst die Bewegungsfähigkeit und dann noch die Besinnung raubte. Er bekam nicht mehr mit, wie er umfiel. Ebenso bekam er nicht mit, wie Faustos Attacken schlagartig endeten, weil auch er von einem Bewegungsbann getroffen wurde. Ebensowenig bekam er mit, wie von oben her jemand im freien Flug herabsegelte, unsichtbar, aber für einen wachen Veelastämmigen durchaus erspürbar.

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Sie hätte damit rechnen müssen, dass dieser Bursche die Gewandtheit eines Veelastämmigen hatte. Der Abneigungsverstärkungszauber gegen den schwarzhaarigen Sicherheitszauberer gab diesem zwar eine wesentlich höhere Gewandtheit als einem Normalmenschen und trieb ihn zum unbändigen Hass gegen den bereits verabscheuten Veelastämmigen an. Doch dieser rothaarige Veelabrütige tanzte trotzdem jeden ihm geltenden Schlag aus. Also blieb ihr nur das Mittel, dass sie bei einem mit Schildzaubern geschützten anwenden wollte, ohne ihn zu töten. Sie zog aus ihrem schwarzen Kleid ein Blasrohr und steckte einen kleinen Pfeil hinein. Die Pfeilspitze war mit dem lähmenden Gift aus gleich drei Runesporeköpfen getränkt, gegen das ihres Wissens nach auch Veelastämmige nicht gefeit waren. Es würde diesen Burschen für einen vollen Tag besinnungslos machen und ihn dann mit wilden Halluzinationen und Angstvorstellungen aufwachen lassen. Das konnte er dann aber gerne ganz woanders ausstehen. Töten durfte sie ihn nicht. Denn selbst gegen die hier geltenden Sperren gegen jede Form magischer Fernverständigung außer ihrer eigenen Zauber würde seine Blutsverwandten darauf bringen, dass er eines gewaltsamen Todes gestorben war.

Erleichtert und sogar sehr zufrieden sah sie, wie der rothaarige Spanier, der womöglich mit dieser widersetzlichen Espinela verwandt war, von ihrem hinterhältigen Giftpfeilschuss getroffen zu Boden ging und schlaff liegenblieb. Um den in ein eine halbe Berserkerwut getriebenen Kollegen von ihm nicht doch noch zum Mörder von ihm werden zu lassen ließ sie diesen in der nächsten Angriffsbewegung erstarren und damit genauso zu Boden gehen. Dann konzentrierte sie sich auf die im Schlosspark in Blüte stehenden Bäume und atmete deren Lebenskraft ein. Davon bestärkt wendete sie den einer grünen Waldfrau eigenen Freiflugzauber an, der anders als die auf tote Dinge legbare Flugzauber nicht von den Überflugsperren um das Castello Moravito beeinträchtigt wurde. Sie glitt von ihrem Beobachtungsposten herab und landete unsichtbar zwischen den von ihr bewegungsunfähig gezauberten. Dabei fühlte sie die starke Ausstrahlung des von ihr betäubten Rotschopfes. Selbst bewusstlos verströmte er noch eine überstarke Kraft. Damit hätte er ihr Vorhaben sicher vereiteln können. Nun belegte sie jeden der drei Erstarrten mit einem Gedächtniszauber. Sie gab jedem die Erinnerung ein, dass Ignacio wegen eines auf ihn wirkenden Abwehrzaubers bewusstlos geworden war und gönnte sich sogar die Dreistigkeit, ihnen die Vermutung einzugeben, dass dieses Schloss gegen Veelastämmige abgesperrt war, weil ja weithin bekannt war, dass die bitterböse Ladonna Montefiori veelastämmig war. Das würde als Grund mehr als genügen, wenn Umberto sie gleich wieder abholte. Pataleón prägte sie sogar noch ein, dass wohl deshalb auf die Teilnahme von Ornelle Ventvit verzichtet wurde, um diesen so nützlichen Bannzauber nicht durcheinanderzubringen. Zu gerne hätte sie ihm den Imperius-Fluch auferlegt. Doch der gelang nur, wenn das ausgesuchte Opfer bei Besinnung war. Tja, hätte Pataleón einfach mal vorausgedacht, dass der Treffpunkt auch gegen Veelastämmige abgesichert werden musste.

"Kastellan, wenn er die anderen sicher in den Festsaal geführt hat soll er den rothaarigen Spanier auf eine Trage betten und in den fensterlosen Aufbewahrungsraum befördern!" befahl sie dem Schlossbediensteten Umberto rein gedanklich. Er würde anstandslos gehorchen. Deshalb konnte sie nun, wo das hier geklärt war, unsichtbar mit in den Festsaal gehen und ihren eigentlichen Plan durchführen. Wenn dieser Ignacio Escobar wieder aufwachte würde jeder denken, die ihn treffenden Abwehrzauber hätten ihn um den Verstand gebracht. Keiner würde ihn auf eine Vergiftung prüfen. Sie empfand sogar eine gewisse Befriedigung, weil das für sie eine gelungene Vergeltung gegen diese Espinela war. Die verbliebenen Spanier würden gleich wieder aufwachen und sich wieder frei bewegen können, früh genug, um Umberto zu berichten, wovon sie jetzt dachten, dass es so abgelaufen war.

Ladonna wartete, bis sich das doppelflügelige Portal wieder auftat. Sie verfolgte mit, wie ihr Täuschungsmanöver ablief und lächelte. Dann sah sie, wie der Kastellan den bewusstlosen Veelastämmigen auf eine beschworene Trage bettete. Dabei fiel ihr das merkwürdige Gebilde an Escobars Hals auf. Es wirkte zunächst wie eine pulsierende Geschwulst. Doch dann erkannte sie, dass es ein kurzer, spiralförmig gedrehter Strang war, der Ignacios Hals umspannte. Nun wusste sie, warum der Bursche auch ohnmächtig noch eine so starke Präsenz verströmte. Seine Mutter oder seine Großmutter mütterlicherseits hatte ihm eine aufbewahrte Nabelschnur umgebunden, die seine eigenen Fähigkeiten verstärken sollte. Tja, gegen das Drei-Häupter-Gift der Runespore hatte diese Vorkehrung dann doch nicht geholfen. Doch halt, am Ende konnte er durch diese Vorkehrung aus sicherer Entfernung überwacht werden. Doch wo hier alle möglichen Fernbeobachtungsabschirmzauber wirkten würde wer auch immer nur mitbekommen, dass er gerade nicht ganz bei Bewusstsein war, aber nicht wo genau er war. Allerdings konnte wer auch immer davon ausgehen, dass ihr Schutzbefohlener in eine Falle geraten war und entsprechende Stellen alarmieren. Doch ihre in die Gedächtnisse seiner Begleiter gepflanzten Beobachtungen und Erkenntnisse würden das eindeutig erklären, warum er ohnmächtig geworden war.

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Alexios Anaxagoras betrachtete den über drei Ecken ausgerichteten Saal mit gewisser Anerkennung. Bodentiefe Fenster gewährten einen unverstellten Blick über das Schlossgelände und waren so ausgerichtet, dass sie die Morgen-, Mittags- und Abendsonne einließen. Ja, so konnte man künstliches Licht einsparen, wenn hier im Frühling oder Sommer getagt oder gefeiert wurde. Der in der Saalmitte aufgestellte Tisch war für einen gemeinschaftlichen Umtrunk gedeckt. Goldene Krüge standen bereit. Zwei große, bauchige Flaschen und drei Karaffen verhießen einen erlesenen Wein, wohl zum Anstoß auf die erfolgreiche Zusammenarbeit. Zwar bevorzugte er als vaterlandstreuer Grieche die Erzeugnisse von den Hängen seiner Heimat, war aber dem einen oder anderen ausländischen Rebensaft nicht abgeneigt. Er wunderte sich nur, dass Alexia im Moment keinen geistigen Kommentar von sich gab. Er wusste von den Erlebnissen mit ihr, dass sie durchaus gerne bunte Dekorationselemente um sich herum schätzte. "Weil du das eh weißt brauch ich das nicht extra mitzuteilen", bekam er eine typisch schnippische Gedankennachricht von ihr. Sie war also noch da. "Hast du gehofft, ich würde dich in dem von mir mitbewohnten Körper unbeaufsichtigt herumwerkeln lassen?" wurde er dann noch gefragt. Er musste sich sehr beherrschen, sich nicht anmerken zu lassen, was in ihm vorging. Denn dass er eine zweite Identität hatte war nur den wenigsten in seiner Heimat bekannt, sozusagen ein oberstes Staatsgeheimnis des griechischen Zaubereiministeriums. "Frag dich besser mal, was dieser Silberzylinder da auf dem Tisch soll", wies Alexia ihn auf einen Behälter hin, dessen Funktion sich nicht erkennen ließ. Er war schlank und wies keine sichtbare Nahtstelle für eine Öffnung und auch keinen Deckel auf. Alexios konnte sich eines gewissen Argwohns nicht erwehren. Was, wenn in diesem Silberding was heimtückisches drinsteckte? Sollte er darauf hinweisen? Dann sah er, wie ruhig und gelassen die anderen Gäste sich gemäß der aufgestellten Tischkarten um die rechteckige Tafel aufstellten. Dabei stellte er fest, dass die griechische, die spanische und die britische Abordnung unmittelbar an der Südseite sitzen sollten, also dem Gastgeber gegenüber, der selbstverständlich vor Kopf der Tafel sitzen würde. Alexios nahm den thronartigen Ehrenstuhl als zu erwartendes Gepränge zur Kenntnis. Das passte zwar nicht zu einer Zusammenkunft von Gleichgestellten. Aber wenn der Gastgeber meinte, sich doch hervortun zu müssen sollte er sein Vergnügen haben.

Gerade trafen die vorher draußen gelassenen Spanier ein. Allerdings war ihr rothaariger Schönling nicht dabei. Pataleón erklärte der versammelten Gemeinschaft, dass wohl irgendwelche Abwehrzauber auf die besondere Natur von Señor Escobar reagiert und ihm mit einem silbernen Lichtblitz die Besinnung geraubt hatten wie ein auf engen Raum gebündelter Mondlichthammer. Der Hausdiener hatte ihn in einem verschlossenen Raum abgelegt, wo er vorerst bleiben sollte. Eine Gefahr für seine Gesundheit bestehe nicht, verkündete der ältere Dienstbote. "Also doch ein Veelastämmiger", dachten Alexios und Alexia zeitgleich. Sicher hatte Bernadotti dieses Schloss gegen die Ausstrahlung von Veelas und Veelaangehörigen abgesichert. Selbst wenn sie nicht magisch geortet werden konnten mochte es Zauber geben, um sie handlungsunfähig zu machen. Bei einer Gegnerin wie Ladonna Montefiori war das ganz sicher praktisch.

"Ich bedauere, dass Ihr Mitarbeiter Bocafuego Escobar das Opfer unserer Vorsicht wurde und wohl in den Veela-Aura-Übersättigungszauber geriet, der ihn für mindestens zwölf Stunden handlungsunfähig macht", sagte Bernadotti auf Spanisch, was hier auch viele konnten. "Doch ich kann Ihnen versichern, dass wir ihn nach der Konferenz unseren Heilern übergeben und ihm helfen werden. Doch im Moment ist es zu riskant, mehr Personen als nötig auf diese Zusammenkunft aufmerksam zu machen. Bitte haben Sie dafür Verständnis!" Die anderen Teilnehmer murrten erst. Alexios Anaxagoras sah, dass nicht alle mit dieser Aussage einverstanden waren. Vor allem der dunkelhäutige britische Zaubereiminister wirkte so, als gefalle ihm das hier ganz und gar nicht. Der durch die Freudentränen der Salmakis zu zwei Identitäten verwandelte Zaubereiminister Griechenlands tauschte einen kurzen Blick mit Shacklebolt aus. Ja, sie dachten wohl beide das gleiche. So durfte es nicht laufen. Er hätte auf jeden Fall darauf bestanden, dass einer seiner mitgereisten Mitarbeiter unverzüglich in heilmagische Behandlung kam, wie auch immer das dem gerufenen Heiler oder der Heilerin dann verkauft wurde. Außerdem konnten Ministeriumsheiler zu absolutem Stillschweigen verpflichtet werden. doch weil gerade die Tür zuging wagte es keiner, noch weiter darauf einzugehen. Niemand hier wollte die bereits stattfindende Verzögerung noch weiter ausdehnen. Denn alle schienen zu spüren, wie wichtig diese Zusammenkunft war, auch wenn weder die Deutschen noch die Franzosen dabei waren. Alexios fragte sich nur, warum es nicht möglich war, dass die französische Zaubereiministerin einen Stellvertreter geschickt hatte. Denn immerhin durfte die französische Nationalmannschaft wieder mitspielen, um die letztes Jahr betrügerisch vereitelte Titelverteidigung zu versuchen.

Der italienische Zaubereiminister war zusammen mit drei anderen Mitarbeitern erschienen, die den betreffenden Fachkollegen aus anderen Zaubereiministerien schon bekannt waren. Somit konnte die ganz geheim anberaumte Konferenz ihren ordentlichen Verlauf nehmen.

Romulo Bernadotti trug einen mitternachtsblauen Samtumhang mit silbernem Kragen. Er stellte sich vor den goldenen Ehrenstuhl, auf dem er wohl die Konferenz leiten wollte und begrüßte die angereisten Amtskollegen und ihre Mitarbeiter namentlich. Er stellte seine mitgebrachten Mitarbeiter vor, sofern sie eben noch nicht jedem hier bekannt waren. Dann ging er noch mal auf den Zwischenfall mit Ignacio Escobar ein. "Ich übernehme die Verantwortung, dass dieser junge Zauberer unseren Vorsichtsmaßnahmen zum Opfer fiel, weil er offenbar die Ausstrahlung eines Veelas oder Veelastämmigen besitzt. Ich kann auch jeden und jede hier verstehen, der oder die gleich nach einem Heiler rufen möchte. Aber dieses Treffen wurde unter größter Geheimhaltung und Anwendung aller bekannten Sicherheitsmaßnahmen vorbereitet. Jetzt noch wen hinzuzuziehen würde diese überaus nötige Geheimhaltung gefährden. Aber wegen der tatsächlich wirksamen Veelaabwehr konnte und durfte ich die französische Kollegin Ventvit nicht hinzubitten, da uns allen bekannt ist, dass eine rachsüchtige Veelastämmige sie mit einem ihrer Art möglichen Zauber belegt hat. Dieser hätte sie sicherlich genauso betroffen wie den bedauernswerten Señor Escobar. Das wäre dann ein herber diplomatischer Zwischenfall geworden, auch und vor allem in Hinblick auf die in den letzten Wochen und Monaten aufgekommenen Unstimmigkeiten mit dem französischen Zaubereiministerium. Signore Fuocovento, mein Mitarbeiter für internationale Zusammenarbeit hier, signalisierte mir, dass die französische Delegation darauf bestanden habe, entweder mit der amtierenden Zaubereiministerin einer Zusammenkunft beizuwohnen oder gar nicht zu erscheinen. Nun, so blieb mir nur, keinen diskreten Transportgegenstand nach Frankreich zu schicken. Ich werde mich nach unserer Zusammenkunft gesondert mit Mademoiselle Ventvit und ihrem Mitarbeiterstab unterhalten und ihr die Entscheidungen mitteilen, die wir hier und heute fällen werden. Sie wird dann bei der Neueröffnung der Quidditchweltmeisterschaft dabei sein, wodurch sich für Sie alle genug Möglichkeiten ergeben können, die aufgekommenen Streitpunkte mit ihr zu erörtern und mögliche Missverständnisse zu beheben, sofern es sich um solche handelt. Doch nun möchte ich Sie alle im namen der italienischen Zauberer- und Hexengemeinschaft zu dieser nichtöffentlichen Zusammenkunft jener europäischen Zaubereiminister begrüßen, deren Nationen an der Neuauflage der Quidditchweltmeisterschaft 2003 teilnehmen dürfen", sprach Bernadotti, wobei er seine Muttersprache nutzte. Zumindest die Vertreter für internationale Zusammenarbeit konnten diese und durften für ihre des Italienischen unkundigen Mitreisenden übersetzen. Der schweizer Zaubereiminister fragte, ob der deutsche Zaubereiminister ebenso keine Einladung erhalten habe. "Nun, ich habe jedem von Ihnen dargestellt, dass ich auf besondere Geheimhaltung bestehen muss und verstehen kann, dass jemand sich nicht irgendeinem Portschlüssel anvertraut, von dem keiner weiß, wo genau er hinträgt. Ich möchte Ihnen auch jetzt nicht verraten, wo genau wir uns befinden, da dieses kleine verschwiegene Kastell als besonderer Rückzugsraum für mich und die wichtigsten Mitarbeiter dienen soll, falls es in meiner Heimat zu einem Umsturzversuch kommen sollte. Deshalb dürfen nur ich und ein sehr kleiner Kreis von mir sehr vertrauten Mitarbeitern wissen, wo dieses Schloss steht. Das noch einmal zu unserem Treffpunkt. Was die Deutschen angeht so wird sich der Kollege Güldenberg wohl nicht überzeugend genug dafür eingesetzt haben, dass die von ihm ausgewählten mit dem ihm zugeschickten Portschlüssel verreisen mögen. Selbst herkommen wollte er offenbar auch nicht. Warum er dann den Portschlüssel nicht unberührt zu uns zurückkehren ließ weiß ich im Moment nicht und werde ihn erst fragen, wenn diese Zusammenkunft beendet ist." Auch wenn Bernadotti so klang, als sei er selbst über das Ausbleiben der deutschen Abordnung unzufrieden genügte seine Antwort dem schweizer Zaubereiminister offenbar. Denn er nickte seinem italienischen Amtskollegen zustimmend zu. Österreichs Zaubereiminister Rosshufler grinste nur verächtlich. Offenbar herrschte zwischen ihm und Güldenberg gerade Unfrieden.

"Beginnen wir nun nach allen diesem anlass entsprechenden Einleitungsformalitäten mit der Beratung über eine koordinierte Zusammenarbeit gegen die uns und unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger bedrohenden feindlichen Gruppierungen. Zum Zeichen der Gemeinsamkeit und als Licht einer vereinten, friedlichen Vereinigung erlauben Sie mir, eine Kerze zu entzünden. Deren Flamme soll das Symbol für Hoffnung, Entschlossenheit und friedliches Miteinander sein." Alle blickten Bernadotti an, der sich nun dem silbernen Gefäß zuwandte, dass genau in der Mitte des Tisches stand. Alexios Anaxagoras fühlte sich auf einmal bedrängt, als wenn jemand ihn gleich angreifen wolle. Das silberne Gefäß teilte sich und gab eine schlanke Kerze so lang wie ein Unterarm frei. Dann schwang Bernadotti seinen Zauberstab und murmelte "Lumos Candelam!" Der Kerzendocht glühte auf. Dann brannte eine ruhige Flamme. Doch außer dieser Flamme stieg noch violetter Rauch auf. "Genießen wir das Licht und den erhabenen Duft, der unsere Zusammenkunft weihen und bestärken soll", sagte der italienische Zaubereiminister. Jetzt klang er jedoch nicht wie ein souveräner hoher Beamter, sondern eher wie jemand, der ein sehr stark ersehntes Ereignis begrüßen wollte. In dem Moment hörte Alexios ein mehrfaches Metallisches Klicken von der Tür her. Nicht nur ihm wurde in dem Moment klar, dass sie alle gerade in diesem Raum eingeschlossen wurden. Sie waren dem ausgeliefert, was nun passieren sollte.

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Sie hatte sich sehr beherrschen müssen, ihren besonderen Tarnzauber aufrechtzuhalten. Zwar hatte es sie erst irritiert, dass sie von niemandem auf dem Schlosshof oder im Schloss einen einzigen Gedanken aufgefangen hatte. Doch das ganz leise Brummen in ihrem Geist hatte ihr verraten, dass wohl jemand eine mehrfache Sperre gegen frei umherfliegende Gedanken oder gezielte Geistesrufe eingerichtet hatte. Damit hätte sie ja wirklich rechnen müssen. Auch hatte sie einen Moment gezögert, den anderen unsichtbar und lautlos wie ein ganz leichter Windhauch ins sechseckige Gebäude zu folgen, als sie mitbekam, dass die offenbar aus Spanien stammende Abordnung zurückgehalten wurde, wohl wegen des eindeutig veelastämmigen Rotschopfes. Natürlich hatte die eigentliche Gastgeberin kein Interesse daran, dass so jemand ihrer kleinen, erlesenen Verbrüderungsfeier beiwohnen sollte. Sicher würde sie ihn aus dem Weg schaffen lassen, wenn keiner dabei zusah. Doch wenn sie jetzt draußen blieb und das Portal zufiel konnte sie womöglich nur mit magischer Gewalt hinein. Dies würde ganz sicher Alarmzauber auslösen. So überließ sie den rotschopfigen Veelastämmigen was immer ihm die Feindin zudachte und folgte den anderen ins Schloss bis in den Saal mit den drei Fensterfronten. Hier schaffte sie es, sich in eine abgelegene Ecke zu stellen, um nicht doch ganz unbeabsichtigt von einem der sich um den Tisch versammelnden Zauberer und der wenigen Hexen berührt zu werden. Sie musste zwar davon ausgehen, dass die deutsche Abordnung vermisst wurde. Doch so wie es sich hier anbahnte musste der Zauberer im blauen Samtumhang mit Silberkragen den Ablauf wie geplant durchziehen.

Als sie erfuhr, dass es der italienische Zaubereiminister persönlich war hatte sie für sich und alle ihr folgenden die Gewissheit, dass ihre neue Erzfeindin wahrhaftig einen großen Erfolg errungen hatte und heute daran ging, noch weitere Zaubereiminister und ihre wichtigsten Mitarbeiter unter ihre Herrschaft zu bringen. Ihr war klar, dass die selbsternannte Hexenkönigin sicher auch schon in diesem Raum war, aber genauso unsichtbar war wie sie, die aus zwei mächtigen Magierinnen zu einer noch mächtigeren Zaubergroßmeisterin vereinte.

Eigentlich hätte sie hierund jetzt schon dafür sorgen können, dass keine besondere Kerze angezündet wurde. Denn ihr war das zylindrische Silbergefäß natürlich aufgefallen. Doch sie musste sicherstellen, dass alle hier anwesenden die Falle erkannten, die ihnen gestellt worden war. Nur dann bestand eine Möglichkeit, weitere Machtergreifungsversuche zu verhindern, ja eine internationale Allianz gegen dieses veelastämmige Weibsbild zu schmieden, auf dass dieses sich wünschte, wieder tief und unaufweckbar zu schlafen. So wartete sie mit der Geduld der im unsichtbaren Netz lauernden Spinne, bis auch die spanische Abordnung ohne den rotschopfigen Mitarbeiter hereingeführt wurde. Sie nahm die Begründung für dessen Fernbleiben als zu erwarten hin. Also hatte die schwarze Furie den offenkundigen Gefahrenherd beseitigt. Tot war er wohl nicht, weil er im Sterben sicher noch einen geistigen Aufschrei an seine Verwandtschaft übermittelt hätte, trotz der hier wirkenden Sperrzauber. Aber er war gerade aus dem Weg. Jetzt würde der von ihr gelenkte Zaubereiminister ihren Plan ausführen.

Als Bernadotti mit salbungsvollen Worten das silberne Gefäß aufklappen ließ und die darin enthaltene Kerze entzündete wusste Anthelia/Naaneavargia, dass es nun galt. Sie hoffte darauf, dass die Tränen der Ewigkeit in ihrem Körper und die Verschmelzung zweier starker Hexenseelen zu einer einzigen ihr wirklich Schutz vor Ladonnas mächtigster Waffe boten, die nun zum Einsatz kam, der Duft der Feuerrose.

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Der violette Rauch verteilte sich so schnell, dass keiner hier ausweichen konnte. Bereits die ersten Schwaden des violetten Zauberqualms lähmten ihre Gedanken und versetzten die meisten in eine weltentrückte Stimmung.

Als Alexios die ersten Ausläufer des violetten Qualms in die Nase bekam erbebte sein Körper. Er roch verbrennendes Horn und etwas metallisches, als wenn jemand reines Blut sieden ließ. Sowas hatte Alexia einmal gemacht, als sie einen auf ihr mütterliches Blut abgestimmten Schutzzauber für die kleine Eulalia ausgeführt hatte, der angeblich auf die Urmutter aller Hexen selbst zurückgehen sollte. Alexios hatte damals nicht begriffen, wie die, die in ihm lebte und mit seiner Zustimmung den gemeinsamen Körper als ihren Körper benutzen durfte, an diesen uralten Zauber gekommen war. Doch offenbar hatte er damals selbst von diesem Zauber gelesen, und seine Salmakis-Schwester hatte sich deutlich daran erinnert, weil es eben ein reiner Hexenzauber war. Deshalb erkannten er und sie zugleich, was hier vorging. Während die anderen bis auf einen in eine immer stärkere Geistesabwesenheit abschweiften wussten die zwei in einem Körper wohnenden Identitäten, dass hier jemand eigenes Blut und eigenes Haar als Träger für einen Beeinflussungszauber verwendete. Womöglich nahmen die anderen diesen Rauch auch als was sehr angenehmes, betörendes wahr. Nun sahen die zwei in einem Körper wohnenden Geschwister mit Alexios' Augen, wie die rote Kerzenflamme zu einer bald zwei Meter hohen Flamme aufloderte und dabei die Form eines einzelnen, flackernden Blumenstengels mit Blüte annahm, eine Rose aus reinem Feuer. Damit stand nun ohne jeden Zweifel fest, wer hier wirklich die Leitung hatte.

Alexios Anaxagoras sah, wie Kingsley Shacklebolt von seinem Stuhl aufsprang. Seine Bewegungen wirkten ein wenig unabgestimmt, als habe er bereits von dem Wein getrunken, der hier wohl auch noch bereitstand. Doch seine Augen blickten ganz konzentriert auf die Kerze, aus der der violette Qualm und die Rose aus reinem Feuer entstanden waren. Er zog seinen Zauberstab frei und zielte auf den rot leuchtenden Blütenkelch, der sich im sanften Takt wiegte und dabei die um den Tisch versammelten anzunicken schien. "Extingeo!" rief er. Ein eisblauer Lichtkegel traf die Rose, ließ sie kurz erbeben und erlosch dann mit leisem Knacken, ohne das feurige Gebilde weiter zu beeinträchtigen. "Mergentur Malardores!" rief Shacklebolt danach mit von oben nach unten sausendem Zauberstab. Die brennende Rose schüttelte sich kurz und wiegte sich dann weiter. Die anderen saßen nur da und blickten hingebungsvoll auf die rot leuchtende Rose. Dann ertönte aus dem Blütenkelch eine glockenreine Frauenstimme.

"Hört die Worte eurer Herrin!" erklang die Stimme auf Englisch, wohl weil das hier alle konnten. Da hörte Alexios ein leise gezischtes "Faiyanshaitargesh!" aus der Ecke zwischen West- und Südfensterfront. Einen Augenblick später loderte etwas orangerotes wie eine übergroße Fackel auf und zischte, gefolgt von etwas in Scharlachrot, auf den Tisch zu. "Folgt eurer wahren Königin! Ladonn...", gebot die magische Stimme aus der brennenden Rose. Da traf das aus orangeroten Flammen bestehende Etwas die brennende Kerze in der Mitte und teilte diese mit lautem Spotzen. Violette Funken und glühende Tropfen spritzten nach oben und in Richtung der orangeroten Flammen, wurden förmlich davon aufgesogen und dann als violetter Funkenstrahl prasselnd gegen die Decke geschleudert. Jetzt konnte Alexios Anaxagoras erkennen, dass die Flammen die Klinge eines besonderen Schwertes bildeten, welches wiederum von einer Frau im hautengen, scharlachroten Kostüm und einem darüber gezogenen Mantel geführt wurde. Die Fremde hatte zwei Drittel ihres Kopfes unter einer Kapuze verborgen. Nur ihr blassgoldenes Gesicht mit den zwei blaugrünen Augen war zu erkennen.

Die Flammenklinge zerteilte die noch im Flug befindlichen Tropfen der zerschlagenen Kerze. Der Geruch änderte sich zu einem beißenden Gestank nach verbranntem Horn und verschmorten Metall. Dann erfolgte ein lauter Wutschrei aus einer anderen Ecke, und aus einem kurzen Flimmern erschien eine andere, überragend schöne Frau in einem tiefschwarzen Kleid mit tiefem Ausschnitt. Sie besaß schulterlanges, nachtschwarzes Haar und funkelte die Hexe mit dem Flammenschwert aus Augen wie kreisrunde Smaragde wütend an. Bernadotti stand wie eine Statue an seinem Platz, wusste offenbar nicht, was er tun sollte. Die anderen saßen in Richtung Tischmitte geneigt da und regten sich nicht.

Außer den zwei Hexen und Alexios blieb nur Shacklebolt Herr seiner Bewegungen. Er zielte blitzschnell auf die Hexe in Schwarz, die er im Moment für die gefährlichere hielt und blaffte "Stupor!" Ein roter Blitz schlug zu der zweiten Hexe hinüber und zerbarst mit scharfem, leicht nachprasselndem Knall in einer Funkenwolke knapp eine Handbreit vor deren Kopf. Sofort sprang Shacklebolt zurück, weil er wohl mit einem Gegenschlag rechnete. "Wieso!" Schnarrte die Hexe in Schwarz wild und riss ihre linke Hand hoch. Alexios konnte den goldenen Ring mit zwei glühenden Steinen erkennen. Lautlos fuhren zwei haardünne rote Strahlen wie Lichtpfeile durch den Saal und schlugen in eines der bodentiefen Fenster ein. Es krachte, und in der Scheibe klaffte ein Gespinnst von gezackten Rissen, die alle um ein faustgroßes Loch herumgruppiert waren. Das bewog Alexios, ebenfalls in Deckung zu gehenund am besten noch einen Schildzauber zu wirken.

Shacklebolt erschien, gut abgedeckt von einem großen silbernen Schild. Doch Ladonna hatte bereits die unverhofft dazugekommene Hexe mit dem Flammenschwert als Ziel ausgewählt. Die roten Todesstrahlen aus ihrem Ring schlugen der Hexe in Scharlachrot entgegen und wurden von dem lodernden Schwert förmlich eingefangenund geschluckt. Die Flammenklinge nahm für einen Sekundenbruchteil dieselbe rubinrote Färbung wie die Vernichtungsstrahlen an, loderte dann aber wieder in ihrem hellen orangeroten Farbton. "Das hatten wir doch schon mal!" lachte die Nutzerin dieser fremdartigen und offenbar sehr machtvollen Waffe. "Avada Kedavra!" schrillte die Hexe in Schwarz. Der eigentlich unabwehrbare Fluch jagte laut sirrend als gleißendgrüner Blitz auf Ladonnas Gegnerin zu, die ihr Schwert blitzartig in die Flugbahn hhielt. Laut klirrend prallte der Fluch auf die Flammenklinge und verfärbte sie für eine Sekunde grün. Dann stoben laut knisternd grüne Funken zur bereits angerußten Decke. Nun loderte die Klinge wieder in ihrer ursprünglichen Farbe. "Und das hatten wir auch schon, schwarzes Prinzesschen", spottete die nicht vom Todesfluch niedergeworfene.

"Ihr da, bringt die Verräterin um, die eurer Könign lästig wird!" rief Ladonna. Tatsächlich erhoben sich die eben noch weltentrückten Tischgäste und zogen ihre Zauberstäbe frei. Doch das geschah so langsam, als wollten sie jede einzelne Bewegung zelebrieren. "Vergiss es, Ladonna!" dröhnte Shacklebolts sonore Bassstimme. Die Feuerschwertkämpferin erkannte wohl, dass die anderen wohl schon unter dem Bann ihrer Feindin standen und schwang blitzschnell das brennende Schwert. Es zerteilte den immer noch in der Luft hängenden Rauch zu einem violetten Schlierenmuster. Als die ersten von Ladonna angestachelten ihre Zauberstäbe ausrichteten zielte die andere mit einem silbergrauen Zauberstab nach unten und rief eine Alexios und auch Alexia unbekannte Folge von vier Silben: "Kirdun Madrai!" Der Boden erbebte, und unvermittelt fühlte Alexios, dass er sich gerade nicht bewegen konnte. Die halb auf die Hexe in Scharlachrot ausgerichteten Zauberstäbe sprühten einige Funken. Mehr geschah nicht. Auch der hinter seinem silbernen Zauberschild ausharrende Kingsley Shacklebolt regte sich nicht mehr.

"Hinterhältiger Erdzauber! Der macht mir nichts!" schnarrte Ladonna, die gerade nicht auf den Füßen stand, sondern einige Zentimeter über dem Boden schwebte. "Ja, dir nicht, aber die anderen können dir gerade nicht helfen, weil der Griff der großen Mutter sie hält, bis ich sie freispreche oder sie sterben, Ladonna. Es sind also nur du und ich übrig", erwiderte die Hexe im Kapuzenmantel im lupenreinen Italienisch.

"Gleich nur noch ich", knurrte Ladonna. "Es ist schade, dass du es auch nicht mehr miterleben wirst, wie diese mich anfeindende Truppe da endet, weil du mit ihnen enden wirst, trotz deines liederlich lodernden Küchenmessers da."

"Ach, willst du wieder diese Großfeuernummer bringen, mit der du auf Sizilien und in Griechenland so einen furiosen Erfolg gefeiert hast?" fragte die andere provokant. Ladonna grinste. "Ich werde in Umlauf bringen, dass du die geheime Zusammenkunft ausgekundschaftet hast und alle wichtigen Zaubereiminister Europas in einer vernichtenden Feuersbrunst getötet hast. Dann brauche ich nur zuzusehen, wie die ganze Welt dich und deine dummen Mitschwestern jagt."

"Oder dich, kleine schwarze Nachtfee. Hattest du bei unserer letzten Begegnung nicht längeres Haar? Gut, hast wohl gelernt, dass eine all zu lange Haarpracht eher stört als verschönert", erwiderte die Feuerschwertkämpferin. "Spotte nur. Gleich wirst du nur noch Asche sein. Denn niemand kann hier disapparieren. Und kein Fang- oder Lähmzauber kann mich aufhalten. Denn ich habe was ähnliches wie du an, was mich vor sowas schützt. Schach und Matt!" rief Ladonna Montefiori. Dann zielte sie mit dem Ring auf die ihr nächste Fensterfront. Jetzt konnte der zur Untätigkeit gebannte Alexios sehen, wie die zwei roten Strahlen zielgenau durch die dicken Scheiben schnitten wie ein glühendes Messer durch ein Stück Butter. Die glühenden Splitter schepperten und klirrten zu Boden. Dann stürzte sich die Hexe in Schwarz durch die gesprengte Öffnung hinaus und flog ohne sichtbare Flügel davon. Als wären es lebendige Wesen erhoben sich die von ihr aus dem Fenster gesprengten Glassplitter und jagten ihr wie ein aufgescheuchter Wespenschwarm hinterher. sie schlugen von allen Seiten auf die Fliehende ein. Doch wo sie ihr näher als einen halben Meter kamen prallten sie auf ein unsichtbares Hindernis, glühten kurz silbern auf und fielen ohne weiteren Antrieb in die Tiefe. Die Hexe in Scharlachrot, die den Scherbenschwarm lenkte, zuckte jedesmal zusammen, wenn weitere Scherben ihr Eigenleben einbüßten. Sie alle hörten das sich entfernende Triumphgelächter der fliehenden Feindin. "Yanyanin sahriu daolnir!" hörte Alexios Anaxagoras die andere zischen. Ihr brennendes Schwert glühte weiß auf und beschrieb einen halben Kreisbogen, wobei es im flachen Winkel nach oben ruckte. Keinen Moment später verschwand die scharlachrot gekleidete Hexe in einer orangeroten Feuerwolke. Zurück blieben die von ihr zur Bewegungslosigkeit verzauberten Minister und ihre Mitarbeiter.

Es begann ein langes, banges Warten. Aus wenigen Sekunden wurde eine ganze Minute. Keiner hier konnte sich bewegen. Niemand wusste, was nun geschehen würde. Jeder hing den eigenen Gedanken nach. Alexios und seine Salmakis-Zwillingsschwester fragten sich, ob sie gleich alle sterben würden. Denn natürlich wusste der griechische Zaubereiminister, was auf Kreta passiert war. Würde hier das gleiche entfesselt würde man nichts mehr von ihnen finden, was würdig beerdigt werden konnte, sofern das kleine Schloss nicht als ihr aller Grab über ihnen zusammenstürzen würde.

In die so schwer auf allen lastende Stille brach das laute Fauchen wie ein Blitzschlag in finsterer Nacht. Mitten im Saal entstand für einen Moment eine metergroße Flammenkugel. Dann stand die Hexe mit dem Flammenschwert wieder im Raum wie appariert. "Siekann den Phönixsprung!" hörte Alexios die Stimme seiner Salmakis-Schwester im Geiste. Offenbar verhalf das brennende Schwert seiner Trägerin zu dieser Art des schnellen Reisens, dass kein Antiapparierwall aufhalten konnte. Dieses Schwert war ein unglaubliches Machtmittel, und die so unerwartet und unerbeten aufgetauchte Hexe beherrschte es in Vollendung.

Die Feuerschwerträgerin wandte sich nun an die von ihr gebannten Hexen und Zauberer. Sie sprach auf Englisch: "Ich konnte den im Schloss versteckten Träger des Vernichtungsfeuers finden, bevor seine Erschafferin weit genug fort war, um seine Kraft freizusetzen. Mir gelang es, den darauf wirkenden Feuerzauber an einem Ort weit genug von hier entfernt freizusetzen." Sie bedachte jeden und jede hier mit dem Blick ihrer blaugrünen Augen. Dann sprach sie weiter: "Auch wenn Sie es mir alle nicht danken werden, die Herren Zaubereiminister, so werden Sie sicher mitbekommen haben, was Ihnen beinahe widerfahren wäre. Sicher werden diejenigen, die nicht genug Willenskraft gegen den Feuerrosenduft aufboten versuchen, mir nachzustellen, sofern ich Sie alle nicht von den bereits einsetzendenAuswirkungen dieses sehr mächtigen Zaubers befreien kann. Auch wenn Sie in mir eine ebenso große und zu bekämpfende Feindin sehen wie in Ladonna Montefiori sollten Sie zumindest erkennen, dass Sie beinahe mitgeholfen hätten, ihren Traum von einem Weltreich der Feuerrose zu verwirklichen. Sicher, die Pax Ladonnalis hätte die Zaubererwelt vielleicht einige Zeit lang ruhig und lebenswert gehalten. Doch für die allermeisten der von Ihnen behüteten Zauberer und vor allem Hexen mit ihren Söhnen und Töchtern wäre dieses Leben ein goldener Käfig gewesen. Ich werde nun den Griff der großen Mutter von Ihnen nehmen und dann versuchen, die Auswirkungen der Feuerrose zu beseitigen. Damit kann ich hoffentlich auch Ihren italienischen Mitstreiter Bernadotti und dessen Mitarbeiter hier aus der Abhängigkeit dieser schwarzhaarigen Hybridin lösen. Klären Sie bitte mit ihm, wie es weitergehen soll!" Dann wechselte sie ins Französisch über: "Am Besten tun sie dies an einem Ort, wo weder Ladonna noch ich hingelangen können, falls Sie verstehen, was ich meine. Es wird Ihnen auch die Gelegenheit geben, mit böswilligen Gerüchten aufzuräumen, die von Ladonna Montefiori ausgestreut wurden." Danach ging sie um den Tisch herum und pflückte jedem, der oder die einen Zauberstab hielt diesen aus der Hand und warf die so ohne Gegenwehr erbeuteten Hilfsmittel in der westlichen Ecke auf einen Haufen zusammen. "Sie können sich Ihre Zauberstäbe gleich wieder zurückholen. Doch ich muss sicherstellen, dass mir keiner aus reiner Dankbarkeit was aufzuhalsen trachtet, solange ich den Reinigungszauber wirke. Bitte haben Sie dafür Verständnis", sagte sie nun wieder auf Englisch. Dann räumte sie mit einer geschmeidigen Zauberstabbewegung den Tisch ab, um sich selbst in dessen Mitte hinzustellen, so dass sie nun alle überragte und zugleich alle überblickte.

Nun zielte sie mit dem Zauberstab in Richtung Boden, ließ den silbergrauen Stab einmal im Uhrzeigersinn kreisen und sang dabei außerhalb jeder europäischen Tonskala unbekannte Wörter. Wieder erbebte die Erde. Jetzt meinte Alexios, dass ein belebender Kraftstoß durch die Füße in den Körper floss und mit einem kurzen, warmen Prickeln durch die Haarspitzen wieder entwich. Nun konnte er sich wieder bewegen und nicht nur er. Alle hier anwesenden sprangen auf und wollten die auf dem Tisch stehende mit bloßen Händen angreifen, bis auf Alexios und Kingsley Shacklebolt. Der britische Zaubereiminister hechtete in die Ecke, wo die angehäuften Zauberstäbe lagen. Die auf dem Tisch stehende Hexe erkannte, was er vorhatte und stoppte ihn mit einem Erstarrungszauber, der diesmal nur ihn allein betraf. "Ach ja, alter Auror", knurrte die Feuerschwertträgerin verdrossen. Dann ließ sie die von allen Seiten auf sie zukommenden mit einer weiteren Zauberstabbewegung nach hinten überkippen. Alexios schaffte es gerade noch, sich an ein Tischbein zu klammern, um nicht wie die anderen auf dem Rücken zu landen. "Sie kann telekinetische Kräfte kanalisieren", erkannten er und seine gerade in ihm verborgene Salmakis-Schwester. Dann hörten sie alle, wie ihre unverhoffte und von allen hier wohl auch ungebetene Erretterin eine weitere Zauberformel sang.

"Andurakani Madrashghedon!
Alkaruniaidri Kumarkaron!
Madrash Naanmirtui Muradir
algun Mirtui as Karandonir!!"

Grünes Licht strahlte auf und wurde immer heller. Gleichzeitig meinte Alexios Anaxagoras, von einer stärkeren Schwerkraft zu Boden gedrückt zu werden. Er sah violette Funken vor dem eigenen Gesicht zu grünen Entladungen werden, die um ihn herum im Boden verschwanden. Er hörte ein lautes Aufstöhnen von allen anderen und einen kurzen lauten, vielstimmigen Aufschrei, gefolgt von einem dumpfen Knall und einem sengenden Hitzeschauer. Beinahe verlor griechenlands Zaubereiminister die Besinnung, wenn er nicht gefühlt hätte, dass seine Salmakis-Schwester Alexia stärker wurde. Er fühlte schon, dass sie gleich den gemeinsamen Körper übernehhmen und ihn damit vom Mann zur Frau umwandeln mochte. Aus Angst vor der unfreiwilligen Enthüllung dieses Geheimnisses bäumte sich Alexios Anaxagoras noch einmal auf und schaffte es, den bereits einsetzenden Umwandlungsvorgang umzukehren. Er hoffte nur, dass niemand das bemerkt hatte. "Ansonsten darf ich dann als deine legitime Nachfolgerin weitermachen", hörte er Alexias leicht verächtlichen Kommentar in seinem Geist. Dann erkannte Alexios, dass der starke Sog nachgelassen hatte, der ihn und alle anderen zu Boden gedrückt hatte. Was immer die schier überragende Hexenmeisterin da beschworen hatte war vollbracht. Doch nun sahen alle, dass ihr Zauber nicht bei allen die gewünschte Wirkung gezeitigt hatte. Da wo der italienische Zaubereiminister und seine drei Mitarbeiter gesessen hatten standen nur noch die verkohlten Überreste ihrer Stühle und lagen verstreute, stark verkohlte Knochen in noch leicht dampfenden grauen Aschehaufen. Dann zerfielen auch die verkohlten Knochen unter dem eigenen Gewicht. "O, das war eindeutig nicht meine Absicht", beteuerte die immer noch auf dem Tisch stehende Hexe und senkte ihren Zauberstab. Sie wirkte ein wenig erschöpft, als habe sie eine anstrengende Tätigkeit ausführen müssen. Vielleicht war das auch so, dachte Alexios. "Entweder hat mein Zauber sie nicht reinigen, sondern nur noch zerstören können, oder Ladonna hat ihre gescheiterten Diener schneller getötet als mein zauber sie von ihr hätte freispülen können. Nun denn, Ist nicht mehr zu ändern. Ich werde Ihnen noch die Tür öffnen. Dann können Sie alle ..."

In diesem Moment sprangen sämtliche Rigel in der Tür zurück. Die Tür flog weit auf, und mit dem Zauberstab voran stürmte der alte Kastellan herein, zielte auf die wie auf dem Präsentierteller stehende Hexe und rief: "Avada Kedavra!" Alle rechneten damit, dass der Fluch sein Ziel treffen und die ungebetene Erretterin töten würde. Doch wie gerade zuvor fing die brennende Klinge den gleißendgrünen Todesfluch ab und entlud dessen Macht als grünen Funkenstrahl gegen die Wand. Der alte Kastellan erstarrte fast, weil er wohl nicht mit dieser Wendung gerechnet hatte. Die Hexe im Kapuzenmantel zielte mit dem lodernden Schwert auf den Diener, der von einer flirrenden Glut umgeben wurde. Der alte Diener bebte. Funken sprühten aus ihm. Doch äußerlich nahm er keinen Schaden. Dann zuckte er wie von einem Blitz getroffen zusammen und stürzte leblos zu Boden. Die auf dem Tisch stehende Hexe schnarrte verärgert. dann hielt sie ihr Schwert so, dass sie jeden ihr geltenden Angriff damit abwehren konnte. Doch keiner hier traute sich, sie hier und jetzt anzugreifen, zumal sie dafür erst mal wieder ihre Zauberstäbe haben mussten.

"Sehen Sie zu, aus diesem gastlichen Haus zu entkommen, bevor Ladonna wen schickt, der es doch noch zerstört!" rief die unerwartete und unerwünschte Erretterin den gerade erst so richtig zu sich kommenden zu. Eine Sekunde später wurde sie in eine orangerote Flammensphäre eingehüllt und verschwand mit dieser. Als die Feuersphäre in sich zusammenbrach hinterließ sie einen zwei Meter großen Rußfleck auf dem Tisch, aber kein weiteres Feuer.

"So fühlt sich das also an, wenn man ein Kornzwischen den Mühlsteinen ist und der Müller gerade noch rechtzeitig die Räder anhält", hörte Alexios die Stimme des belgischen Zaubereiministers stöhnen. Sein österreichischer Kollege sagte irgendwas in seinem Regionaldialekt, was weder Alexios noch Alexia verstehen konnten. Vielleicht war das auch gut so, fanden die beiden einen Körper teilenden Geschwister. Rosshufler war jedoch anzusehen, dass er sehr erschöpft wirkte, als habe auch er eine sehr anstrengende Sache ausführen müssen.

"Ich will hier nicht den Kommandanten geben, geschätzte Kollegen. Aber wir sollten zusehen, hier wegzukommen, bevor diese Feuerrosenfurie uns weitere ihrer Marionetten schickt", drang eine raumfüllende Bassstimme in bestem britischen Englisch durch den Saal. Alle sahen deren Ursprung an. Kingsley Shacklebolt war gerade dabei, seinen eigenen Zauberstab aus dem Haufen der in der Ecke liegenden Zauberstäbe zu fischen. Das brachte auch die anderen darauf, sich ihre wichtigsten magischen Hilfsmittel zurückzuholen.

"Wir müssen Ignacio finden und mitnehmen", sagte Pataleón. "Wenn Ihre Vermutung Stimmt könnte er bei einem Vergeltungsangriff der schwarzen Furie sterben", fügte er noch hinzu.

"Stimmt, der darf nicht hier liegenbleiben. Wenn das Vergeltungskommando hier ankommt und ihn tötet haben wir alle seine Verwandten am Hals", bemerkte der russische Zaubereiminister Arcadi, der genausogut Englisch konnte wie Shacklebolt.

Sich dessen bewusst, dass sie vielleicht nur Minuten hatten und ein Veelastämmiger nicht mit einem Ortungszauber gefunden werden konnte teilten Shacklebolt, Arcadi und Pataleón Gruppen ein, die das kleine Schloss durchsuchten. Türen, die sich nicht öffnen oder mit üblichen Öffnungszaubern entsperren ließen, wurden mit Reducto-Flüchen aus den Angeln gefegt. Dadurch lösten sie zwar einen lauten und lästigen Katzenjammerzauber aus und bewirkten, dass Fallgitter in den Gängen herabsausten, die fast noch den rumänischen Spiele-und-Sport-Überwacher am Boden festgenagelt hätten. Doch mit vereinten Zauberkräften konnten sie die Fallen aufheben.

Es war Alexios, der einer Eingebung seiner Salmakis-Schwester folgend nach Störungen des üblichen magischen Gleichklangs suchen ließ. Die eine Unortbarkeit schuf etwas wie eine magische Leere, die jedoch nicht starr war, sondern im Rhythmus von Atem und/oder Herzschlag pulsierte. Auf diese Weise fanden sie den bewusstlosen Ignacio Escobar. Alexios sah die spiralförmige, pulsierende Schnur, die um seinen Hals gebunden war. "Ach, der alte Beistandszauber", grummelte Arcadi. "Seine Mutter oder seine noch mehr Veelaanteile besitzende Blutsverwandte hat ihn mit einer aufbewahrten Nabelschnur bestärkt. Die wussten also, was ihm hier widerfahren sollte."

"Ja, aber wie es aussieht wurde er vergiftet, nicht mit einem Betäubungszauber belegt, wie Sie es geglaubt haben", wandte sich Atalanta Xylippos an Pataleón und seine Abordnung. "Oha, dann sollten wir den aber ganz schnell und plötzlich nach Hause und in das Campoalegro-Hospital schaffen, bevor er doch noch stirbt", drängte Malvina Pontecristalo zur Eile.

"Wie kommen wir wieder hier weg? Disapparieren geht wohl nicht!" rief Urs Rheinquell über den immer noch jaulenden Katzenjammerzauber hinweg.

"Die Portschlüssel liegen sicher noch am Eingang. Die müssen nur mit dem Versiportus-Zauber auf vorzeitige Rückkehr gestimmt werden", sagte Shacklebolts Sicherheitszauberer.

"Autsch, das tut weh!" maulte der belgische Leiter der Sicherheistruppen. "Hätte ich dem auch sagen können", hörte nur Alexios den bissigen Kommentar seiner Salmakis-Schwester. Dann sprach sie quasi durch Alexios' Mund: "Bitte beachten, beim Versiportus-Zauber an den genauen Startort zu denken, ihn bestenfalls als inneres Bild bereitzuhalten!"

"Das kommt davon, wenn man mit fünfzig altgedienten Zauberern unterwegs ist. Jeder ein Experte für sich", beklagte sich Leopold Rosshufler. Er sah mit seinem kreidebleichen Gesicht aus wie ein wütender Vampir, nur ohne die spitzen Fangzähne. Offenbar hatte der "Reinigungszauber" der Spinnenhexe ihm noch mehr zugesetzt als allen anderen, von Romulo Bernadotti und seinen Mitarbeitern abgesehen.

Um ins Freie zu kommen mussten sie sich jedoch noch durch ein Gewirr von Zauberfallen kämpfen. Wie zuschnappende Kiefer zusammenschlagende Wände, plötzlich aufklaffende Fallgruben, aus der Decke niederstoßende Spieße und andere tödliche Einrichtungen bedrohten mehr als einmal die Leben der fliehenden Abordnungen. Offenbar hatte der Tod des alten Kastellans alles gegen sie aufgebracht, was das Schloss zu einer wehrhaften Festung machte. Dann endlich erreichten sie die weitläufige Empfangshalle am Portal, wo die Portschlüssel zusammengestellt waren.

Gerade, als sie das fest verriegelte Portal mit vereinten Zauberkräften aufgesprengt hatten erklang ein lauter Donnerschlag von da, wo sie vorhin noch zusammengesessen hatten. Von einem Moment zum anderen füllte sengende Hitze die Empfangshalle aus. Damit stand fest, dass Ladonna keine Zeugen hinterlassen wollte. Die Hitze wurde immer schlimmer.

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Sie war erneut gedemütigt worden. Diese Spinnenfrau mit dem Feuerschwert hatte ihr den ganzen so todsicher erschienenen Plan verdorben. Erst hatte etwas sehr schmerzhaft ihren Unsichtbarkeitszauber aufgehoben. Dann hatte dieses Flammenschwert wieder einmal ihrem Ring und dem Todesfluch widerstanden. Dann hatte sie gedacht, dieses Weib in einer neuerlichen Vielfach-Feuerball-Zauberei vergehen lassen zu können. Doch als sie nach mehreren Kilometern Flug immer noch keine geistigen Todesschreie ihrer Unterworfenen hörte errichtete sie die Gedankenbrücke zu Bernadotti. So erfuhr sie, dass die andere Hexe fort war und sie alle immer noch bewegungsunfähig waren. Sie befahl jedem einzelnen ihrer Unterworfenen, bei Anzeichen einer weiteren Beeinträchtigung den letzten Dienst zu tun. So hatte sie den tückischen Fluch genannt, der das flammenlose, langsame Feuer in einem Lebewesen zu einem lodernden Brand entfachte. Tatsächlich kehrte diese vermaledeite Hexe mit dem Feuerschwert zurück. Sie wirkte einen Ladonna völlig unbekannten Zauber, der alle zu Boden warf. Das empfanden Bernadotti und die Seinen wohl als weitere Beeinträchtigung und wurden zu Flammengarben. Nun konnte sie noch durch die Augen des Kastellans mitverfolgen, wie dieser in den Festsaal vordrang, um die Feindin zu töten. Mit unbändiger Verärgerung bekam sie mit, wie diese widerliche Widersacherin seinen Todesfluch genauso gekonnt parierte wie ihren. Weil er damit gemäß seiner Anweisung versagt hatte tat auch Umberto den letzten Dienst für seine Herrin. Ladonna hoffte, dass die aus ihm schlagenden Flammen auch für die Spinne zu viel sein würden. Nachprüfen konnte sie es nicht. Sie hoffte aber auch, dass die anderen dabei sterben würden. Doch um sicherzugehen und vor allem keine Spuren zu hinterlassen musste sie das Castello Moravito vernichten.

So rief sie nach ihren treuen Mitschwestern, die in der Umgebung ausgeharrt hatten, nur für den Fall, dass ihr Plan nicht aufging. Ihre treuen Mitschwestern sollten aus sicherer Höhe mit Feuerballzaubern aufgeladene Rubinkugeln abwerfen und das Castello Moravito in Asche und Rauch aufgehen lassen. Niemand durfte von dort fort. Niemand sollte berichten, dass ihr das italienische Zaubereiministerium gehörte. Allerdings benötigten ihre Schwestern allein für den Hinflug fünfzehn Minuten, da sie nicht zu nahe am Schloss ausharren durften. Denn eigentlich sollten sie ja auch nicht wissen, wo es stand. Ladonna hoffte nur darauf, dass schon die im Schloss verbauten Fallen einen Teil der ihr entgangenen erledigen würden.

Wenige Minuten später bekam sie die ersten Meldungen, dass der aus großer Höhe erfolgte Angriff erfolgreich verlaufen war. Von dem einst so schönen Schlösschen waren nur noch zu verkohlten Brocken zersprengte Überreste übrig. Sie hatten auch niemanden gesehen, der oder die zu Fuß geflüchtet wäre. So würde sie nun über Bernadottis sorgfältig im Hintergrund gehaltenen Nachfolger verbreiten lassen, dass die schwarze Spinne und ihre verdorbenen Schwestern eine Konferenz europäischer Zaubereiminister einschließlich Romulo Bernadotti ausgekundschaftet und mit verheerenden Feuerzaubern vernichtet hatten. Dann würde alle Welt diese Hexe und ihre Nachläuferinnen jagen, und ihre getreue Marionette Pontio Barbanera konnte sich sogar zum Anführer dieser Allianz gegen dieses Weib aufschwingen. Falls dann weiterhin behauptet wurde, dass sie Teile des Zaubereiministeriums unterworfen habe würde sie es als böswillige Behauptung eben der Spinnenschwestern erklären lassen, ein schlichtes Ablenkungsmanöver, um alle Welt in die Irre zu führen. Ja, so würde es gelingen. Jedenfalls hatte sich Gundula Wellenkamms Mieder bewährt. Weder feindliche Zauber noch mit Bewegungszaubern aufgeladene Geschosse hatten ihr etwas anhaben können. Der einzige Nachteil dabei war, dass sie sich mit diesem Mieder am Körper nicht in ihre Vogelgestalt verwandeln konnte. Dann hätte sie vielleicht doch noch schnell genug den nötigen Abstand erreicht, um ihren Feuerzauber freisetzen zu lassen. Warum dieser kahlköpfige Mohr und der attraktive Grieche dem Duft der Feuerrose widerstanden hatten, sie stellten nun keine Gefahr mehr für sie dar. Und sollte doch der eine oder andere der anderen Abordnungen entkommen sein, erwarteten ihn die treuen Untertaninnen in deren Heimatländern.

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"Das war aber gerade noch einen Meter vor dem Schlund des Tartaros", meinte Rhadamanthys Aigijochos, als die griechische Abordnung gerade noch vor einer herandonnernden Feuerwand vom Portschlüsselwirbel fortgerissen und an ihren Ausgangsort zurückversetzt worden war. "Ich hoffe, die anderen haben auch ihre Heimkehr geschafft. Ich werde gleich einen Brief an die ganzen Minister schreiben. Und der nette Herr Güldenberg darf uns mal verraten, wann er vorhatte, uns zu warnen", schnaubte Alexios Anaxagoras.

"Gehen Sie bitte davon aus, dass er sich im Vertrauen auf die Integrität des italienischen Zaubereiministers an dessen Aufforderung hielt, mit keinem von uns in Kontakt zu treten", versuchte der alte Konstantinos Chrysopolis zu beschwichtigen. Alexios Anaxagoras schnaubte erst. Doch dann musste er zugeben, dass sein altgedienter Mitarbeiter recht hatte. Hätte er denn alle anderen gewarnt? Hätten die anderen ihm denn geglaubt? Hätte er es Güldenberg geglaubt, wenn der ihm erzählt hätte, dass die Portschlüssel in eine Falle führten? Den gewissen Anfangsverdacht hatten sie ja wohl alle gehabt. Aber sie hatten es riskieren müssen. Dass die Falle so perfide war und ohne das Eingreifen der Feuerschwertträgerin sogar erfolgreich gewesen wäre hatte wohl niemand der Teilnehmer geahnt. Aber nun wussten sie, wie Ladonna Montefiori eine größere Menschenmenge auf einen Schlag unterwerfen konnte. Damit stand aber auch fest, dass sie nicht nur Bernadotti, sondern wohl dessen ganzen Mitarbeiterstab und wohl auch genug Sicherheitstruppen unterworfen hatte. Somit gehörte ihr immer noch das italienische Zaubereiministerium. Der Versuch, sie alle doch noch zu verbrennen bewies das überdeutlich.

"Hoffentlich hat nicht doch wer mitbekommen, was mit uns beiden los ist, Lexi", hörte er die geistige Stimme seiner inneren Zwillingsschwester. "Das wäre ein gefundenes Fressen für die internationale Zaubererweltpresse", gedankenstöhnte Alexios Anaxagoras. Dann beeilte er sich, alle wichtigen Mitarbeiter zusammenzurufen und von dem Beinaheunglück zu berichten.

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Österreichs Zaubereiminister Leopold Rosshufler fühlte sich zu tiefst gedemütigt. Bis zu der von Bernadotti einberufenen und sicher von Ladonna Montefiori angeregten Geheimkonferenz war er felsenfest überzeugt gewesen, dass er und Bernadotti sehr gute Partner sein würden. Doch wie auch immer diese Hexe mit dem Feuerschwert das gemacht hatte meinte er nun, aus einem langen Traum aufgewacht zu sein. Er erkannte, dass er in den letzten Monaten und Jahren immer nur das gesagt und getan hatte, was ganz bestimmte Leute von ihm verlangt hatten, allen voran Ewalda vom Kreuzacker. Ja, er erinnerte sich auch daran, dass sie ihn immer wieder zu sich eingeladen hatte und er dann von einem Getränk berauscht bei ihr eingeschlafen war. Die hatte ihm Fügsamkeitstränke verabreicht, um ihn wie einen braven Schoßhund an einer beliebig langen Leine zu führen. Er hatte nicht für alle freien Zauberer und Hexen seiner geliebten Alpenrepublik gearbeitet, sondern als unterwürfiges Instrument dieser herrschsüchtigen Hexe. Das verstieß gegen seinen Ehrenkodex als Minister und seinen männlichen Stolz. Denn er hatte früher immer getönt, dass die Hexen deshalb nicht die herrschende Gruppe waren, weil sie mit dem Kinderkriegen und der Aufzucht mehr um die Ohren hatten und auf kurz oder lang an sich selbst zweifelten, wenn sie sich dieser natürlichen Aufgabe enthielten, ja schlicht weg verweigerten. Womöglich hatte das die vom Kreuzacker darauf gebracht,, ihm eine heftige Lehre zu erteilen. Tja, und dann war dieses Weib offenbar noch Ladonnas neue Mitstreiterin geworden. Die wollte ihn, Leopold Rosshufler, an dieses schwarzhaarige italienische Flittchen ausliefern, damit dieses ihn noch fester an die Kandarre nehmen und wie einen Geigenbogen, einen Malpinsel oder einen Kochlöffel führen konnte. Auch wenn er wusste, dass die Hexe mit dem Feuerschwert nicht seine Freundin war, sondern auch nur ihre eigenen Pläne verfolgte, so musste er diesem Weibsbild auch noch dankbar sein, dass es ihn aus Ewaldas jahrelanger Abhängigkeit befreit hatte.

Er musste davon ausgehen, dass Ladonna einen Weg kannte, mit ihren Helferinnen über weite Strecken in Kontakt zu stehen. Daher musste er ganz schnell handeln. Er musste Ewalda festnehmen und unter Veritaserum verhören lassen, um zu erfahren, seit wann sie für die wiedererwachte Dunkelhexe arbeitete, ja, welche Ziele sie davor verfolgt hatte und wer noch alles zu Ladonnas heimlichen Helferinnen gehörte. So schickte er seine eigenen Lichtwächter aus, um Ewalda festzunehmen. Die Anklage lautete auf Spionage, Mitgliedschaft in einer verbotenen Gruppierung, Missbrauch der Magie und am schwersten fortgesetzte unerlaubte Einflussnahme auf den amtierenden Zaubereiminister unter Ausnutzung der Magie. Dafür würde sie in Hironimus' kaltem Keller, dem Zauberergefängnis unter dem Großglockner, einfahren, bis sie ihren letzten natürlichen Atemzug getan haben würde.

Leopold Rosshufler saß in seiner Amtsstube und dachte über eine Gegenstrategie zu Ladonnas Vorhaben nach, als über die hauseigene Rohrpost eine Eulenbotschaft der Lichtwache Salzburg bei ihm eintraf:

Betrifft Ergreifung und Zuführung von Fr. Ewalda vom Kreuzacker.

Zielperson wurde auf ihremAnwesen angetroffen und leistete Widerstand gegen die Festnahme. Als dieser gebrochen wurde und Ewalda in magische Fesseln gelegt wurde explodierte diese in einem blutroten Feuerball. Die an der Festnahme beteiligten Lichtwächter und die zu ergreifende fanden dabei den Tod. Der magische Feuerball entfachte einen Brand, der den Wohnraum Ewaldas erfüllte. Als auf Grund der Exitussignale der fünf zur Festnahme ausgeschickten Lichtwächter ein Nachfolgetrupp am Tatort eintraf stand das ganze Herrschaftshaus bereits in hellen Flammen. Es handelte sich sowohl um gewöhnliches, Brennstoffe verzehrendes Feuer, wie auch um magische Flammen, die auch ohne direkte Brennstoffzufuhr loderten. Deshalb dauerte es eine Viertelstunde, bis alle Brandnester mit dem Brandlöschzauber und eiskalten Wasserstrahlen gelöscht waren. Ob in Fr. vom Kreuzackers Wohnhaus noch verwertbare Unterlagen aufbewahrt wurden kann wegen der verheerenden Auswirkung des Brandes nicht mehr geklärt werden. Eine sofort nach dem Löschen der Brände erfolgte magische Rückschau offenbarte den Tathergang.

Mit großem Bedauern, fünf treue und erfahrene Kameraden verloren zu haben und Ihnen keine erfreuliche Meldung zu machen verbleibe ich

Mit hochachtungsvollen Grüßen

Aloisius Kantsteiner, Major der Lichtwache zu Salzburg

Leopold Rosshufler erstarrte erst vor Schreck und Zorn zugleich. Dann las er die der Meldung beigefügte Liste der fünf im Einsatz gestorbenen Lichtwächter. Diese schwarzhaarige Mischlingsschlampe hatte offenbar jeder ihrer Getreuen einen Zauber angeheftet, der im Falle einer Enttarnung und/oder Gefangennahme die völlige Vernichtung der Delinquentin und jedes in einem bestimmten Umkreis befindlichen Menschen herbeiführte. Damit hätte er doch seit Bernadottis und des Kastellans Tod rechnen müssen, schalt er sich einen Einfaltspinsel. Jedenfalls stand nun fest, dass Ewalda gegen das Zaubereiministerium gehandelt hatte. Doch ebenso stand fest, dass da draußen noch vordringlich weitere Hexen herumliefen, die für Ladonna oder einen anderen ministeriumsfeindlichen Hexenorden handelten. Jeder Enttarn- und Festnahmeversuch war gleichbedeutnd mit aktivem Selbstmord. Doch das durfte ihn nicht davon abhalten, diese Brutstätte des Verbrechens auszuheben. Sie mussten halt auf besseren Eigenschutz achten, die Lichtwächter. Das schrieb er dem Major Kantsteiner auch und befahl dem obersten Kommandanten der Lichtwächter, nach weiteren heimlichen Helferinnen Ladonnas zu fahnden. Sie sollten jedoch nicht an Plätzen mit viel Publikum festgenommen werden, sondern bestenfalls im freien Besenflug oder allein in ihren Wohnstätten ergriffen werden. Wer dabei ähnlich zerstörerisch endete endete dann eben. So würden sie Ladonna alle auf österreichischem Boden versteckten Helferinnen und Helfershelfer ausschalten. Vielleicht ergaben sich aber doch noch Möglichkeiten, an weitere Informationen zu gelangen, wie weit Ladonnas Intrige bereits in seine Heimat vorgedrungen war.

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Der britische Zaubereiminister Kingsley Shacklebolt gebot seinen Begleitern nach der gerade noch rechtzeitigen Rückkehr nach London, für die nächste Stunde Stillschweigen über die Reise zu bewahren. Er wollte ergründen, wie die sicher im Zaubereiministerium tätigen Spione und Gehilfen sowohl Ladonnas als auch der schwarzen Spinne enttarnt und festgesetzt werden konnten. Vorher durfte niemand erfahren, dass sie gerade einem heimtückischen Übergriffsversuch entkommen waren. Shacklebolt musste sich sehr anstrengen, all die Vorstellungen aus seinem Bewusstsein zu verdrängen, was geschehen wäre, wenn Ladonnas Falle funktioniert und ihn zu einer ihrer lebenden Marionetten gemacht hätte. Das hätte niemand mitbekommen. Er und die anderen Unterworfenen hätten dann im Sinne dieser mischblütigen Hexe das britische Zaubereiministerium umgebaut, ihr ganz sicher noch weitere willige Helfer verschafft und so nach und nach einen sicheren Stützpunkt dieser schwarzhaarigen Veelastämmigen errichtet. Sie hätte dann nicht einmal hier anwesend sein müssen, um sicherzustellen, dass alles in ihrem Sinne ablief. So musste es in Italien gelaufen sein, ja leider immer noch laufen. Denn Shacklebolt war nicht so naiv zu glauben, dass nur Bernadotti und dieser alte Schlossbedienstete Ladonnas treue Diener gewesen waren. Doch ganz sicher hatte sie diesen Anschlag nicht ohne ausreichende Absicherungen ausgeführt. Sie musste bereits Helfer oder Helferinnen im britischen Ministerium haben. Er musste sogar damit rechnen, dass diese den Befehl erhalten würden, ihn und die drei anderen zu töten, bevor sie verrieten, was ihnen passiert war. Deshalb war die erste Amtshandlung, als Shacklebolt durch die nur für hochrangige Ministeriumsmitarbeiter reservierten Gänge und Treppenhäuser in sein geschütztes Büro zurückgekehrt war, die seit dem Tod von Tom Riddle alias Lord Voldemort eingerichteten Feindeserkennungszauber zu aktivieren. Ebenso enthüllte er das von Alastor Moody geerbte Feindglas, einen Wandspiegel, der nicht das Spiegelbild des Betrachters zeigte, sondern wie hinter einem Milchglasfenster wandelnde Schatten mit leuchtenden Augen. Wenn sich ein oder mehrere Feinde näherten oder unmittelbar zum Angriff bereit waren, so traten deren Abbilder aus der Menge der unkenntnlichen Schatten hervor und wurden deutlich sicht- und somit erkennbar. Allerdings konnte das im schlimmsten Fall bedeuten, dass die Feinde bereits im selben Raum wie das sie anzeigende Artefakt waren.

Shacklebolt erkannte tatsächlich zwischen den schemenhaften Erscheinungen hinter der magischen Glasfläche einige, die mehr Konturen besaßen. Das konnten grundsätzlich ihm allein feindlich gesinnte Wesen sein, aber auch gegen das Zaubereiministerium handelnde Leute sein. Jedenfalls wirkten sie so, als warteten sie auf eine günstige Gelegenheit, um zuzuschlagen, wie ein den Hirsch umschleichendes Wolfsrudel, das darauf ausgeht, die Beute zu erschöpfen und dann gemeinsam anzugreifen. "Ich werde jeden Mitarbeiter und vor allem jede Mitarbeiterin einzeln zu mir hinzitieren. Das dauert zwar, aber wird mir hoffentlich verraten, wer gegen mich oder das Ministerium handelt", dachte Shacklebolt. Er fing mit denen an, die er für die Zusammenkunft mitgenommen hatte. Zu seiner Erleichterung stellte er fest, dass sich an den wandelnden Schatten im Feindglas nichts änderte, als sie unterwegs waren. Als sie vor seiner Bürotür standen, was er an den ebenfalls in Kraft gesetzten Anwesenheitszaubern mitbekam, wusste er, dass sie nicht zu seinen Feinden gehörten. "Wie schon bei der Rückkehr erbeten möchte ich darauf beharren, dass Sie weiterhin niemandem erzählen, dass wir eigentlich zu einer geheimen Unterredung verreist sind", sagte der britische Zaubereiminister, als er von den anderen erfahren hatte, was in ihren Abteilungen gerade anstand. "Allerdings muss ich Ihnen etwas mitgeben, das im Fall eines Ihr Leben bedrohenden Anschlages Meldet, von wem der Anschlag ausgeht und Sie im allerbesten Fall davor schützt, getötet zu werden", führte er noch aus und stimmte jeden der Einbestellten auf ein von seiner ihm allein unterstellten Geheimtruppe für besondere Ausrüstungsgüter hergestelltes Armband, in dem mehrere Schildzauber und ein Notfluchtportschlüssel verankert waren, was wegen der Pinkenbach'schen Obergrenze für die Bezauberung von Gegenständen schon sehr beachtlich war. "Bewahren Sie also weiterhin Stillschweigen und beobachten Sie in den kommenden Tagen, ob es Unregelmäßigkeiten gibt. Sollte jemand es wagen, Sie anzugreifen wird der in den Bändern verarbeitete Frühwarnzauber Sie rechtzeitig darauf hinweisen. Sollte der Notfluchtportschlüssel ausgelöst werden nutzen Sie die am eingeprägten Zielort vorhandenen Nachrichtenmittel, um mich umgehend über den Grund der Flucht und mögliche Angreifer zu unterrichten. Wir müssen davon ausgehen, dass das britische Zaubereiministerium erneut kompromittiert ist, sowohl was Ladonna Montefiori als auch diese unglaublich versierte Spinnenhexe angeht. Wenn wir bei der Gelegenheit auch Agenten von Vita Magica entlarven können hätte sich der beinahe in einem üblen Fiasco geendete Ausflug sogar gelohnt."

"Gut, dass wir wohl schon von Leuten dieser beiden hinterhältigen Hexenweiber unterwandert werden klingt schlimm. Aber das war ja irgendwie schon zu erwarten. Aber wer von uns hätte es gewagt, einfach so mit dem Finger auf jemandem zu zeigen und ihn oder sie für Helfer oder Helferinnen dieser beiden Furien zu erklären?" erwiderte Barry Silverlake. Artuhr Weasley, der ebenfalls zu dieser geheimen Unterredung hinzugebeten worden war, sagte dann: "Ja, und wie können wir uns vor Verfolgungswahn schützen. Denn diese Leute müssen ja nicht unbedingt Mitarbeiter des Zaubereiministeriums sein. Sie könnten auch aus dem familiären Umfeld oder dem Freundeskreis der Mitarbeiter stammen. Ich darf das bloß nicht außerhalb dieses Raumes rumgehen lassen, dass ich sowas befürchte. Meine Frau würde völlig zu recht protestieren, sowas auch nur im Ansatz zu denken."

"Ja, aber als oberster Gesetzeshüter dürfen Sie sich solchen Gedanken nicht verschließen, nur weil sie unerhört sind, Arthur", brummelte Shacklebolt. "Aber zu Ihrer Beruhigung, falls wer aus Ihrer Familie als Agent oder Agentin von Vita Magica oder einer der beiden dunklen Hexenmeisterinnen tätig wäre hätte er oder sie Sie bereits korrumpiert, und ich würde den betreffenden dann im Feindglas erkennen", erwiderte Shacklebolt und deutete auf den magischen Wandspiegel. Weder Arthur Weasley, noch sein Vertreter Warren Elmwood oder Barry Silverlake waren auch nur andeutungsweise dort zu sehen.

"Und was machen wir, wenn wir Gehilfinnen oder Gehilfen dieser Gegner vorfinden?" wollte Barry Silverlake wissen. Der Zaubereiminister wiegte einige Sekunden den haarlosen Kopf. Dann sagte er: "Auf keinen Fall mit der Nase darauf stoßen, dass wir das ergründet haben, solange es keinen unmittelbaren Angriff auf mich oder einen von Ihnen gibt. Wir haben alle sehen müssen, wie die Gehilfen Ladonnas enden, wenn sie für diese Hexe wertlos bis gefährlich geworden sind. Diese andere Hexe, ganz sicher die Führerin der Spinnenhexen, hat uns alle davor bewahrt, in den roten Zauberflammen zu verbrennen, die aus dem Körper Bernadottis und seiner Mitarbeiter geschlagen sind. Stellen Sie sich vor, Sie sagen einer oder einem auf den Kopf zu, er oder sie arbeite für Ladonna Montefiori und das stimmt, dann könnte genau dieser Feuerfluch ausgelöst werden, vielleicht auch das tückische Schmelzfeuer. Das wollen Sie ganz sicher nicht wirklich. Also gilt erst einmal, dass wir die Feinde erkennen und möglichst davon abhalten, Schaden anzurichten, ob durch ihnen befohlene Tätigkeiten oder durch ihnen auferlegte Vernichtungszauber, die sie zu lebenden Brandbomben machen. Wissen wir, welcher Natur der sie belastende Vernichtungsfluch ist, können wir den hoffentlich unterbinden oder ganz aus ihnen herauslösen, ohne ihnen und uns Schaden zuzufügen. Das gilt es zuerst zu gewährleisten, bevor wir die erkannten Agentinnen und Agenten offen anklagen, solche zu sein."

"Ja, und die Leute müssen nicht alle freiwillig für die eine oder andere Feindesgruppe arbeiten", sagte Arthur Weasley, der wohl auch über die nächsten Schritte und deren Auswirkungen nachgedacht hatte. Shacklebolt vermutete, dass sein Kollege auch an die eigene Tochter dachte, die damals unter Riddles tückischem Einfluss die Kammer des Schreckens geöffnet und den darin lauernden Basilisken freigelassen hatte. Das hatte sie überhaupt nicht freiwillig getan. "Viele von ihm, der nicht genannt werden durfte standen unter dem Imperius-Fluch, Thicknesse zum Beispiel. Wenn wir solche unfreiwilligen Helfer offen anklagen könnten wir sie genausogut gleich töten und würden uns des mehrfachen Mordes schuldig machen."

"Arthur, wenn diese Leute einen Zerstörungsfluch in sich tragen, der nur durch ihren schnellen Tod abgewehrt werden kann ist das kein Mord, sondern Notwehr", warf Silverlake ein. Doch Arthur Weasley beharrte darauf, die unschuldig in die Fänge der einen oder anderen Feindesgruppe geratenen nicht umzubringen, wenn sich das vermeiden ließ. Er erinnerte die Anwesenden an den Gerichtsprozess gegen Sebastian Pétain, dem Gehilfen von Janus Didier. Der war auf Grund eines gehörten Satzes in blauem Schmelzfeuer verglüht.

"Ja, nur dass Pétain von vorne herein als von seiner Mission überzeugter Agent seiner Heimatinsel gearbeitet hat", ergänzte Shacklebolt Weasleys Ausführungen. Der Leiter der Strafverfolgungsbehörde nickte verdrossen und wies auf eben den Fall seiner eigenen Tochter hin und dass das Tagebuch des immer noch Unnennbaren sie fast getötet hätte.

"Wie von mir erwähnt werden wir in den nächsten Tagen alle Mitarbeiter prüfen, ob sie freiwillige oder unfreiwillige Helfer oder Helfershelfer Vita Magicas, der Spinnenhexe oder Ladonnas sind. Bis dahin müssen wir auch ergründen, welcher Natur die Vernichtungszauber sind und wie sie unterbunden werden können. Das ganze muss streng geheim ablaufen. Ich werde das Feindglas jedesmal tarnen, wenn ich jemanden vor der Tür weiß, der oder die zu mir will. Hoffentlich kann es mir bis dahin verraten, ob ich einem Feind Einlass gewähre oder nicht."

"Ich möchte Sie nicht verunsichern, Minister Shacklebolt. Aber Sie als ehemaliger Auror wissen sicher auch, dass es möglich ist, einem Menschen Anweisungen zu erteilen und diese durch einen Gedächtniszauber so zu verbergen, dass der Betroffene bis zur Lage, wo er die Anweisungen auszuführen hat, nicht einmal weiß, dass er diese Anweisungen erhalten hat. Wer derartig vorbehandelt wurde könnte vom Feindglas dort nicht als akuter Feind erfasst werden, bis ein Wort oder eine Situation die Ausführung der verborgenen Befehle hervorruft", sagte Arthur Weasley. "Meine Abteilung und das Aurorenkorps haben in den letzten Jahren mehrere sogenannte Tiefschläfer enttarnt, die von Riddles Leuten so vorbehandelt wurden. Denn denen war genauso wie uns bekannt, dass ein bewusst erinnerter Imperius-Fluch innerlich bekämpft wird. Wer aber nicht weiß, dass er einen Angriff oder eine Spionagehandlung ausführen soll kommt nicht auf die Idee, gegen diese Anweisung anzukämpfen."

"Bei Merlins Bart, Sie haben leider Recht, Arthur", grummelte Shacklebolt. "So können wir im Moment nur hoffen, dass wir von solchen Individuen unterwandert werden, die nicht nur eine bestimmte Anweisung erhalten haben, sondern beauftragt sind, gegen uns zu arbeiten und sich auf jede ihrer Tätigkeit dienliche Lage einzurichten, um sie zu nutzen. Ich kläre das mit den Amtskollegen in den anderen Ministerien, bevor die alle roten, grünen und schwarzen Wichtel auf sämtliche Dächer scheuchen und einen großen Drachen nach dem anderen rufen. Denn eins dürfte auch klar sein: Falls Ladonna oder die Spinnenhexe oder Vita Magica befinden, dass sämtliche eingeschleusten Helfer enttarnt wurden könnten sie zu Schnatzfanghandlungen, was die Muggel auch Torschlusshandlungen nennen, getrieben werden und uns allen schweren Schaden zufügen, bestenfalls das Vertrauen in die Kollegen erschüttern, schlimmstenfalls die Struktur unserer Ministerien nachhaltig auslöschen und Chaos und Zerstörung entfesseln, von denen dann wiederum welche profitieren, die bisher nicht so mächtig wurden wie Ladonna oder die schwarze Spinne. Bitte bedenken Sie dies auch bei Ihrer Suche nach den bei uns wühlenden Maulwürfen!"

"Ja, gutes Bildnis. Maulwürfe können einem den Garten zerstören oder das Fundament des eigenen Hauses untergraben", grummelte Warren Elmwood. Alle anderen nickten.

Es wurde also beschlossen, die Kolleginnen und Kollegen erst einmal nicht von der beinahe erfolgreichen Falle Ladonnas zu informieren und die Öffentlichkeit erst recht aus allem herauszuhalten. Shacklebolt hoffte, dass auch seine ausländischen Amtskollegen diese Einsicht hatten und entsprechend still und leise vorgingen. Er konnte ja nicht wissen, dass es in Österreich, Belgien und Russland bereits zu einer offenen Jagd auf mögliche Ministeriumsfeinde kam. So sagte er noch: "Auch gilt es, dass wir die internationale Zusammenarbeit verstärken. Ladonnas Angriff auf uns hat mal wieder gezeigt, dass skrupellose Dunkelhexen und Schwarzmagier keine Landesgrenzen beachten müssen. Barry, Sehen Sie zu, all die nach Italien geportschlüsselten Kollegen darauf einzustimmen, dass wir uns demnächst alle zu einer möglichst nichtöffentlichen Konferenz auf sicherem Boden treffen, um uns nicht mehr so angreifbar zu präsentieren!"

"Sicherer Ort? Wo soll der bitte sein?" fragte Barry Silverlake. Shacklebolt brummte verdrossen. Dann sagte er: "Diese Spinnenhexe hat uns doch mit den Nasen darauf gestoßen, wo wir uns treffen sollen. Da wo auch sie nicht hinkommt, geschweige denn Ladonna Montefiori. Was meinen Sie, warum sie diesen Vorschlag auf Französisch ausgesprochen hat?" Silverlake verzog das Gesicht. Arthur Weasley nickte seinem Vorgesetzten zu und sagte nur ein Wort: "Millemerveilles." Kingsley Shacklebolt bejahte es. "Seitdem dort wieder ein wirksamer Schutz gegen bösartige Wesen und feindliche Zauberkundige in Kraft ist - zumindest hoffe ich das wie die dort lebenden - dürfte der Austragungsort der vorigen Quidditchweltmeisterschaft im Moment der sicherste Ort in Europa oder gar der ganzen Welt sein, wo geheime Konferenzen stattfinden können. Ja, und wir müssen dann auch wirklich diese Unstimmigkeiten mit Frankreichs Zaubereiministerin Ventvit beenden. Denn es ist ja nun wirklich offensichtlich, dass diese von Ladonnas Handlangerinnen und Handlangern geschürt wurden, wohl auch weil Ministerin Ventvit ohne darum gebeten zu haben durch einen starken Zauber der Veelas geprägt und vielleicht immun gegen Ladonnas Feuerrosenkerzenzauber ist. Deshalb werde ich sie auch als erste anschreiben und unter Berufung auf die Gefahr öffentlicher Unruhen darum bitten, einer solchen Konferenz beizuwohnen. Allerdings werde ich ihr nicht verraten, dass wir anderen bereit waren, ohne Sie zu konferieren."

"Sagen wir es so, Minister Shacklebolt, Ladonnas Unterworfener Bernadotti hat sie nicht eingeladen", wandte Barry Silverlake ein. "Ja, aber wir waren alle bereit, auch ohne Sie zu verhandeln. Keiner hat offen dagegen protestiert, dass sie nicht dabei war, ich leider eingeschlossen", erwiderte Shacklebolt. Darauf sagte Arthur Weasley beschwichtigend: "Sagen wir es So, offenbar hat Ladonna Ihnen allen nicht die Zeit gelassen, um gegen den Ausschluss von Ministerin Ventvit zu protestieren. Somit trifft Sie alle keine Schuld, Minister Shacklebolt." Der erwähnte nickte andeutungsweise. Dann schickte er sie alle auf ihre Dienstposten zurück, um die besprochenen Maßnahmen durchzuführen.

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Espinela Flavia Bocafuego de Casillas hätte den spanischen Zaubereiminister am liebsten mit bloßen Händen in Stücke gerissen, als sie erfuhr, was ihrem Enkel widerfahren war. Doch dann hatte sie mitgeholfen, ihm das Leben und den Verstand zu retten. Die Heiler im Campoalegro-Krankenhaus nördlich von Sevilla hatten schnell festgestellt, dass ihr Enkelsohn Ignacio mit einer Dosis von gleich aus allen drei Köpfen einer Runespore-Schlange stammendem Gift angegriffen worden war. Deshalb hatte sie mit ihren Töchtern den Blutsverwandten umstellt und mit ihren weiblichen Blutsverwandten einen Heils- und Reinigungstanz um ihn herum ausgeführt. Damit konnten dem Tode nahe Blutsverwandte am Leben gehalten, tückische Gifte unwirksam gemacht und alle davon angerichteten Schäden schmerzlos behoben werden. Allerdings brauchten sie ganze zehn Durchgänge, um Ignacio von der heimtückischen Vergiftung zu befreien und ihn in einen noch einen Tag andauernden Genesungsschlaf zu versenken.

"Das wird der Rat der ältesten erfahren. Sollte ich dort gehört werden werde ich verlangen, dass der Sippenschutz für dieses nachthaarige Weib aufgekündigt wird, ja wer auch immer dafür zuständig ist den letzten Schnitt ausführt. Sonst müssen wir die ganze Nachtliedsippe niederkämpfen, um dieses Mischlingsweib zu strafen", sprach Espinela, als sie mit ihren Töchtern und Enkelinnen in ihrem gesicherten Wohnhaus zusammentraf.

"Geliebte Mutter, das ist doch genau was sie will, dass wir uns ihretwegen gegenseitig umbringen", wandte ihre Tochter Aurelia, die Tante Ignacios ein. "Ich verstehe dich und Luciana, dass ihr dieses nachthaarige Frauenzimmer lieber heute als morgen töten wollt. Aber wenn wir uns deshalb mit ihrer Sippe bekriegen gewinnt sie. Das wollt ihr doch am allerwenigsten."

"Ja, dies ist richtig", knurrte Espinela. "Genau deshalb will ich eine Dringlichkeitssitzung des Ältestenrates. Und wenn die mich wegen der Sache von damals nicht persönlich anhören wollen gehst du hin, Luciana. Immerhin hat sie deinen Sohn vergiftet. Dieses Üble Zeug hätte ihn entweder zu einem unheilbar wahnsinnigen Häuflein Elend gemacht oder ihn doch noch getötet. Dann hätten wir das Recht auf Blutrache. Das muss der Rat der Ältesten begreifen. Sie hat nun endgültig eine Grenze überschritten, die kein Nachfahre Mokushas überschreiten darf."

"Ich werde den Rat anrufen", sagte Luciana, Ignacios Mutter mit hörbarer Verärgerung. "Und wenn du es mir erlaubst, Mutter, so will ich auch diesen jungen Burschen aufsuchen, der von den Ältesten zum Vermittler zwischen Reinmenschen und Nachkommen Mokushas erwählt wurde."

"Was erwartest du von ihm, Luciana?" wollte Espinela wissen. "Dass er zusieht, dass seine Kollegen uns nicht im Weg stehen oder uns gar zu hindern versuchen, wenn wir die Vergeltung gegen diese nachthaarige Mischlingshure vollziehen", schnarrte Luciana. Ihre Mutter und alle anderen Anverwandten nickten entschlossen. Espinela ärgerte sich, dass sie selbst wegen der damaligen Angelegenheit nicht aus Spanien hinausdurfte, wollte sie es sich nicht mit den Ältesten verderben. "Bring ihm das bei, dass Ladonna Montefiori, die Nachfahrin Cantanottes, unsere Angelegenheit ist. Nur wir haben das Recht, sie zu richten. Sag ihm das!"

"Auf jeden Fall", erwiderte Luciana sehr entschlossen klingend.

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Julius schrieb seinen Bericht über den angeordneten Ausflug vor die Mondburg und machte die nötigen Kopien für alle, die ihn lesen durften und für das Archiv. Die dafür angefertigte Kopie markierte er noch als S7-Dokument, damit sie auch in der entsprechend gesicherten Abteilung abgelegt wurde. Danach beantwortete er die ersten Rückfragen wegen der vielleicht an das Leben in Städten angepassten grünen Waldfrauen. Eine Anfrage stammte von keiner geringeren als Heilzunftsprecherin Antoinette Eauvive persönlich. Sie erwähnte, dass es bis auf drei bestätigte Fälle keine weiteren Vorkommnisse gab und deshalb vermutete, dass es möglicherweise nur eine solche Waldfrau gab. Doch der Hinweis auf eine Anpassung an die modernen Städte sei wichtig.

Nach der Kaffeepause fand die übliche 10-Uhr-Konferenz des Büros für friedliche Koexistenz statt. Belle Grandchapeau erwähnte, dass Madame Nathalie Grandchapeau noch nicht dazustoßen konnte, weil sie in einer Besprechung sei. Daher leitete sie die Besprechung. Sie eröffnete gleich mit dem, was Julius am Abend des 22. Mai im Auftrag des Werwolfkontrollamtes ausgeführt hatte. "Haben Sie die Angaben zu den von Ihnen an ihren vorübergehenden Bestimmungsort verbrachten Nichtmagier nachgeprüft, Monsieur Latierre?" wollte Belle wissen. Julius erwiderte ertappt dreinschauend: "Dazu wurde mir von der Werwolfüberwachung nichts gesagt, und ich hatte noch andere, meine Hauptaufgabe betreffende Anliegen zu klären."

"Gut, dann werden Sie sämtliche irgendwo abgelegten Angaben über die beiden nichtmagischen Lykanthropen zusammentragen und für unsere Akten aufbereiten. Wir müssen wissen, wer sie sind und wer sie gegebenenfalls vermisst oder nach einer möglichen Rückkehr in die nichtmagische Welt wiedererkennen kann. Es ist unzulässig, dass zwei Nichtmagier ohne ministerielle Kenntnis mehrere Jahre in der Zaubererwelt lebten, zumindest mit dieser in ständiger Berührung standen und dann einfach so wieder in die nichtmagische Welt zurückkehren, als wenn nichts gewesen wäre, Monsieur Latierre. Sehen Sie also diesen Auftrag als vorrangig!" Julius bestätigte das. Er fragte, ob er gleich nach dieser Besprechung an die Arbeit gehen sollte. "Ja bitte! Sie tauschen mit der Kollegin Arno und beaufsichtigen gleichzeitig die weitere Ausbildung der jungen Anwärter." Julius Latierre und Primula Arno bestätigten das. "Da Sie von ihrem Dienst im Rechnerhaus freigestellt sind, Primula, vervollständigen Sie bitte die Angaben und Berichte zu den Ereignissen von vor drei Wochen. Ich weiß, dass Ihre Kontakte da einiges mehr zu zu sagen haben."

"Bei allem Respekt, Madame Grandchapeau. Doch genau diese Kontakte verweigern mir den vollständigen Bericht und berufen sich auf reine Familienangelegenheiten", sagte Primula Arno. Sie wirkte ein wenig angespannt. Julius kannte das, wenn er selbst zwischen zwei gleichwertigen Anweisungen oder Vorhaben festhing. "Ja, diese Begründung brachten Sie schon vor, Primula. Was die Ereignisse in der magischen Welt angeht findet diese Haltung sogar mein vollstes Verständnis. Doch ist es nun sicher, dass sich einige der Ereignisse auch auf die nichtmagische Welt auswirken. Und dann geht uns das was an. Bitte vermitteln Sie dies Ihren besonderen Kontaktpersonen!"

"Eine davon kennen Sie, Madame. Dann wissen sie auch, dass sich ein wütendes Erumpent am sturen Schädel dieser Person nicht nur das Horn zerbröseln, sondern sich selbst in Stücke sprengen kann, ohne dass an diesem Sturschädel auch nur eine Beule entsteht."

"Ja, aber allein schon wegen der beruflichen Ausrichtung dieser Person sollte es ihr wichtig sein, dass keine unschuldigen Leben gefährdet werden. Wie erwähnt möchten Sie es dieser Person vermitteln." Primula Arno bestätigte.

Belle wollte gerade den nächsten Tagesordnungspunkt besprechen, als die Tür aufging und ihre Mutter hereinkam. Sie wirkte sichtlich verärgert. Sie sah sich um und blickte Julius an. "Madame Grandchapeau, ich fordere Monsieur Latierre auf, mich zu einer Besprechung zu begleiten. Falls Sie gedachten oder dies bereits getan haben, ihm bestimmte Aufgaben für den heutigen Vormittag zuzuweisen, so müssen diese warten oder von jemandem mit gleichrangiger Befähigung erledigt werden. Monsieur Latierre, bitte folgen Sie mir!"

"Wie dringlich ist das Anliegen?" fragte Belle ihre Mutter. Diese sah sie nun sehr streng an und sagte: "Seit wann hinterfragen Sie denn klare Anweisungen vor dem versammelten Mitarbeiterstab, Madame Grandchapeau. Nehmen Sie es als gegeben hin, dass Monsieur Latierre eine vorrangigere Aufgabe erhält. Danke! Monsieur Latierre!" Julius erhob sich und folgte der eigentlichen Leiterin dieser Behörde. Er hörte im Hinausgehen noch, dass Belle Primula wieder für denComputerraum einteilte.

"Bitte keine Fragen und keine Vermutungen bis wir am Besprechungsort sind", zischte Nathalie. Sie wirkte sehr kampfeslustig. Das imponierte Julius derartig, dass er es nicht wagte, gegen ihre Anweisung zu verstoßen.

Es ging ins Büro der Zaubereiministerin persönlich. Dort saßen Monsieur Beaubois und Monsieur Fontbleu. Der erste wirkte sehr verunsichert. Der zweite blickte trotzig auf die amtierende Zaubereiministerin. Als er mitbekam, dass Nathalie und Julius hereinkamen sah er Nathalie spöttisch und Julius belauernd an. Dieser dachte seine Selbstbeherrschungsformel, um sich nicht provozieren zu lassen.

"Ah, da sind Sie ja, Monsieur Latierre. Ich habe Madame Grandchapeau geschickt, weil ich den Kreis der Beteiligten möglichst klein halten möchte und weil diese die Befugnisse hat, Sie ohne weitere Fragen aus der üblichen Morgenkonferenz herauszuholen. Ich möchte sehr gerne alle Einzelheiten des Falls mit den drei Werwölfen von vor drei Tagen von Ihnen berichtet bekommen, Monsieur Latierre. Keine Sorge, Sie brauchen bei mir kein Veritaserum einzunehmen", sagte die Ministerin. "Achso, bitte Setzen Sie sich erst einmal hin!" Julius nickte und nahm auf einem der noch fünf freien Besucherstühle Platz. Er meinte, von einer seidig luftigen, vorgewärmten Decke umhüllt zu werden. "So, nun schildern Sie mir vor den hier Anwesenden noch einmal, was genau geschehen ist und wie Sie persönlich den Hergang verfolgt beziehungsweise darauf eingewirkt haben!"

Fontbleu sah Julius so an, als würde er ihm beim ersten Falschen Wort an die Gurgel gehen. Da wurde Julius klar, dass der Leiter des Werwolfkontrollamtes Angst hatte, Julius könnte ihn in irgendwas reinreißen. Doch er wollte sich garantiert nicht einschüchtern lassen.

Um sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen sah er nur die Zaubereiministerin an, die trotz einer hervorragenden Selbstbeherrschung eine gewisse Verärgerung ausstrahlte. Julius berichtete alles, was er auch Nathalie und den beiden hier sitzenden Zauberern erzählt hatte. Manchmal versuchte Fontbleu, ihn durch ein ungehaltenes Räuspern zu unterbrechen. Doch die Ministerin hielt ihn durch einen gestrengen Blick am sprechen. Sie stellte keine Zwischenfragen und ließ auch keine zu. Mit seiner Rückkehr von der Mondburg beendete er seinen mündlichen Bericht.

"Und Monsieur Fontbleu hat sie mit drei potentiell gefährlichen Individuen allein gelassen, ohne weitere Bewachung?" fragte die Ministerin. Julius wiederholte, dass er die drei bis zur Fertigstellung des Portschlüssels unter Bewegungsbann gehalten habe. "Ja, aber um die drei in diese Mondburg zu bringen mussten diese aus freiem Willen im Vollbesitz ihrer Beweglichkeit handeln, richtig?" wollte die Ministerin nun wissen. Julius bestätigte das. "Also mussten Sie mit diesen drei Leuten drei volle Minuten alleine ausharren, bis diese geheimnisvollen Mondtöchter ihre Residenz enthüllten und den Zugang dazu freigaben." Julius bejahte es laut, weil er von einer mitschreibenden Feder ausging. "Haben Sie zu keiner Zeit befürchtet, dass eine oder einer der drei Sie überwältigen könnte?"

"Ich war auf der Hut vor körperlichen Angriffen. Aber ja, es stimmt, ich war durchaus in einer gewissen Gefahrenlage", sagte Julius.

"Sie haben nur erwähnt, dass sie von dort, wo die Mondburg lag disappariert sind. Wo sind Sie appariert und was geschah danach?" fragte die Ministerin. Julius erwähnte, dass er erst im Ministeriumsfoyer angekommen war, um Monsieur Fontbleu den Vollzug der aufgetragenen Aufgabe zu melden. "Und wie hat er diesen Bericht entgegengenommen?" fragte Mademoiselle Ventvit. Julius fühlte, wie ihn alle ansahen. Er erkannte, dass Monsieur Beaubois noch mehr verunsichert wirkte und Fontbleu nun sehr angespannt dasaß. Er sagte ganz ruhig, dass der Leiter des Werwolfkontrollamtes ihn ersucht habe, einen schriftlichen Bericht zu erstellen, was er sowieso vorhatte und auch eine Kopie an seine beiden Vorgesetzten erstellen müsse, weil Madame Grandchapeau ja wegen der zwei Nichtmagier Kenntnisbefugt sei. "Ja, und wie antwortete Monsieur Fontbleu auf diese Ihre völlig richtige Mitteilung?" Julius überlegte, ob er das jetzt echt sagen sollte, dass Fontbleu ihm das ausreden wollte und dass die Ministerin und Nathalie nicht für immer ihre schützenden Hände über ihn halten konnten. Doch irgendwie meinte er, diese beim Hinsetzen kurz verspürte weiche Decke würde sich immer enger und wärmer um ihn legen. Dann sagte er wortwörtlich, was Fontbleu gesagt hatte. Die Umschlingung seines Körpers ließ nach. Also stand er die ganze Zeit unter einem unsichtbaren Zauber, erkannte er. Doch nun hatte er gesagt, was Fonttbleu ihm gesagt hatte. "Wollen Sie mich hier verunglimpfen, Latierre?! Das steht Ihnen nicht zu", stieß Fontbleu aus und versuchte, von seinem Stuhl aufzuspringen. Doch irgendwas hielt ihn zurück. "Ey, das ist widerrechtlich, mich auf diesem Stuhl festzuhalten, ohne dass ich was gefährliches angestellt habe", protestierte der Leiter des Werwolfkontrollamtes.

"Das dürfen Sie ihrer eigenen Feindseligkeitund Angriffslust verdanken, Hubert", sagte die Ministerin. "Oder denken Sie, ich ließe es zu, dass in meinem Büro jemand mich oder einen anderen körperlich oder mit einem Zauber attackieren kann? Ja, und was Monsieur Latierre auf meine wiederholte Aufforderung aussagte ist die Wahrheit, wie Ihre Reaktion zusätzlich bestätigt. Versuchen Sie, sich wieder abzuregen, Hubert!"

"Der Bursche lügt doch. Sie hätten ihm doch das Veritaserum verabreichen sollen", blaffte Fontbleu. Beaubois sagte nun selbst mit ungewohnt strenger Stimme: "Monsieur Fontbleu, Sie verschlimmern diese unschöne Lage nur noch, wenn Sie sich derartig aufführen." Die Ministerin nickte bestätigend. Dann sprach sie mit einer Julius' ungewohnten Härte in der Stimme weiter:

"Abgesehen davon, Simon, dass Sie mich eigentlich schon gleich nach der Ergreifung der drei Mondbruderschaftsmitglieder hätten informieren müssen war es auch Ihre Pflicht, mich und alle Hauptabteilungsleiter bei unserer allfreitäglichen Wochenabschlusskonferenz davon in Kenntnis zu setzen." Nathalie nickte zustimmend. "So ein wichtiger Fang hätte von weiteren Experten überprüft werden müssen. Abgesehen davon, dass dieser Verratsunterdrückungsbann, der auf den dreien lag, durchaus auch deren Tod hätte herbeiführen können. Wollten Sie beide einen heimlichen Trumpf ausspielen, was die Mondbrüder angeht?" Beaubois sah Fontbleu verdrossen an, der immer noch versuchte, sich aus den unsichtbaren Fesseln zu lösen, die ihn auf dem Stuhl hielten. Der Leiter der Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe sagte nur, dass Fontbleu Verräter in den Reihen des Ministeriums fürchte, die den Mondbrüdern zuarbeiten mochten. Daher sei es ungemein wichtig, die Gefangennahme der drei Abtrünnigen geheimzuhalten, bis ein Weg gefunden wurde, deren Verratsunterdrückungsbann aufzuheben. "Ja, und dieser Verräter könnte ja für die Mondbrüder nur dort wichtig sein, wo über Lykanthropen und den Umgang mit Ihnen beraten und entschieden wird, richtig?" fragte die Ministerin. Simon Beaubois erbleichte. Julius konnte es ihm nachempfinden. Denn in der Frage steckte eine ganz gemeine Antwort. Deshalb wunderte ihn nicht, dass Fontbleu ausstieß: "Nicht in meiner Truppe. Selbst diese uns aufgeschwatzte Sondergruppe aus reuigen Werwölfen ist sauber. Und jetzt heben Sie gütigst diesen Fesselzauber auf!"

"Erst wenn Sie sich wieder völlig unter Kontrolle haben. Je unbeherrschter und feindseliger Sie sind, desto straffer hält der Hostiretardus-Zauber." Julius hörte diese Bezeichnung heute zum ersten mal. Doch was mit ihm gerade passiert war war kein Feindesrückhalter, sondern eine Art Befolgungszwangzauber. War das rechtmäßig?

"Ich wusste genau, dass diese Dame da nachprüfen würde, wer die beiden Muggel sind und dafür wohl auch diese Elektrorechner benutzt. Wir wissen, dass die Mondbrüder und -schwestern ebenfalls Leute haben, die sich mit diesen Dingern auskennen. Dieser Valentino Suárez ist ja so einer. Deshalb habe ich meine Leute losgeschickt, ohne von diesem Rechengerätehaus aus Erkundigungen einzuholen. Denn wer sagt mir, dass nicht bei Madame Grandchapeau ein Spion der Werwütigen ist? Deshalb missfiel es mir auch, dass die geheime Festnahme dieser drei irgendwie an diesen Burschen da gelangt ist", wobei er Julius ansah. "Ich vermute, dass eine meiner Mitarbeiterinnen, deren Kind vor zwei Monaten von einem dieser Pelzwechsler infiziert wurde, diese obskure Ordensburg in den Pyrenäen aufgesucht und um Heilung für ihr Kind gebeten hat. Leider konnte ich die Dame nicht befragen, weil irgendwer sie meinen Leuten entzogen hat, warum wohl? Also nichts von wegen, die Mondtöchter spüren, wenn irgendwo im Land neue Werwölfe herumlaufen. Die haben die Lage meiner Mitarbeiterin schamlos ausgenutzt und sie wohl legilimentiert, wenn sie schon Träume verschicken können wie unsichtbare Posteulen. Diese überängstliche Hexe hat unsere gesamte Sicherheit gefährdet und völlig unzulässig nicht damit betraute Personen einbezogen."

"Öhm, Monsieur Beaubois, Sie hat er doch unterrichtet, richtig?" Simon Beaubois nickte verdrossen. "Immerhin das", bemerkte die Ministerin trocken.

"Sowohl Monsieur Grandchapeau, als auch sein zeitweiliger Nachfolger haben uns Büroleitern voll vertraut und wollten nicht über jeden Drachenpups unterrichtet werden. Sie haben bei Ihrer Vereidigung nach diesem völlig unerwarteten Wahlergebnis", die drei letzten Worte betonte Fontbleu mit sichtlicher Missbilligung, "jedem langjährigen und erfahrenen Büroleiter zugesichert, ihn oder sie auf den bisherigen Dienstposten zu belassen, sofern er oder sie nicht befördert würde oder sich strafbar gemacht hat. Sie haben uns auch allen, wo wir dabeistanden mitgeteilt, dass wir größtenteils eigenständig arbeiten können, eben weil Sie nicht alles auf einmal überblicken könnten und Sie uns deshalb zutrauten, die in unser Zuständigkeitsfeld fallenden Angelegenheiten ohne Ihre Anweisungen regeln zu können. Genau das und nichts anderes habe ich getan und habe den Kreis der Wissenden so klein wie möglich gehalten. Und was der junge Zauberer da eben behauptet hat kann nur gelogen sein, um sich besser und mich schlechter darzustellen. Er hofft wohl darauf, dass Sie auch weiterhin über ihn wachen."

"Zum Punkt der Aussage von Monsieur Latierre: Ich habe durchaus mitbekommen, dass er sich erst dagegen gewehrt hat, meine Frage nach Ihren Äußerungen zu beantworten. Ein weiterer Zauber außer dem, gegen den Sie immer noch anzukämpfen trachten, kann selbst bei einem willensstarken Menschen bewirken, nach dreimaliger Aufforderung zu sprechen nicht anders, als die gestellte Frage wahrheitsgemäß zu beantworten. Außerdem haben Sie gerade eben wieder so reagiert wie jemand, der mit einer unangenehmen Wahrheit konfrontiert wird. Zudem wurde ich bereits im Vorfeld dieser Unterredung darüber informiert, dass offenbar jemand meint, ich würde nicht mehr lange amtieren. Da Monsieur Latierre nicht der einzige War, den Sie an diesem Abend noch sprachen haben Sie zwei zur Auswahl, auf die Sie ihre Wut richten mögen, sofern die besagten Herren sich von Ihnen einschüchtern oder gar angreifen lassen werden. Was die Erfahrung und Eigenständigkeit angeht, so bin ich auch weiterhin bereit, allen anderen langjährigen und erfahrenen Mitarbeitern zu vertrauen und sie auf ihren Dienstposten zu belassen."

Julius hatte jede Aussage der Ministerin genau mitverfolgt. Als sie diesen Antworterzwingungszauber erwähnte fühlte er sich bestätigt und erkannte, dass er deshalb kein Veritaserum hatte schlucken müssen. Doch als sie sagte, dass sie allen anderen ihr Vertrauen aussprach hätte er fast "Ups!" ausgerufen. Denn was die Ministerin damit meinte war so offensichtlich. Das erkannten auch Nathalie Grandchapeau und Simon Beaubois. Dann begriff es wohl auch Hubert Fontbleu. Er versuchte noch einmal, aufzuspringen. Jetzt konnte Julius eine schwach rötlich flirrende Aura sehen, die seinen Körper und seine Arme umfloss. Er schaffte es nicht, sich vom Besucherstuhl zu lösen. Julius erkannte, dass er die ruhige ältere alleinstehende Hexe wohl unterschätzt hatte. Die hatte sich doch gegen sehr viel mehr abgesichert als nur gegen ihr entgegenfliegende Flüche. Er würde jetzt auch nicht den Fehler begehen, das offen zuzugeben.

Fontbleu erwähnte die Halsbänder, die mit drei ineinander verflochtenen Zaubern die Ortung gewährleisteten. "Wurde Monsieur Latierre genauso behandelt?" wollte die Ministerin wissen. Fontbleu verneinte das. "Wie genau wollten sie ihn dann wiederfinden, falls er mit den anderen floh oder sie sich selbst überließ und verschwand?" Fontbleu sagte erst nichts. Julius sah, wie er darum kämpfte, nicht zu sprechen. "Welchen Zauber haben sie auf noch auf die drei Werwölfe und Monsieur Latierre gelegt?" beharrte die Ministerin auf eine Antwort. Fontbleu keuchte und sagte dann: "Mein Experte für Such- und Ortungszauber Jospin hat die drei vor der Portschlüsselreise mit dem Aura-Lunae-omnispicantis-Zauber belegt, der bei Annäherung an einen lebenden, magischen Menschen auf ihn überspringt. Das ist der sicherste Zauber, um einen Verdächtigen zu überwachen."

"Sehr richtig, und genau deshalb darf er auch nur von amtlichen Strafverfolgungsbevollmächtigten ausgeführt werden, weil er kein neutraler Informationszauber ist, sondern die Lebensaura des damit belegten als Kraftquelle anzapft und je nach seelischer Verfassung und/oder Mondphase zwischen suizidaler Schwermut und hypereuphorischer Selbstüberschätzung mit potentieller Eigengefährdung führen kann, je länger er wirkt. Er darf auch nur bei eindeutig strafbaren Handlungen verdächtigen Personen angewandt werden, um diese zu überwachen und mögliche Kontaktpersonen zu ermitteln. Es ist eine Vorstufe des Seelenfeuers, das eindeutig sehr dunkle Magie ist. Danke für die Bestätigung eines von anderer Seite geäußerten Verdachtes", sagte die Ministerin wieder mit dieser für Julius ungewohnten Härte. War das immer noch die Hexe, die ihm vor bald drei jahren, als er fürchtete, seine Mutter könnte bei den Anschlägen vom elften September getötet worden sein, tröstend die Arme um den Körper gelegt und ihm ein Taschentuch gereicht hatte?

"Welche andere Seite?" fragte Fontbleu nun sichtlich verstört. "Derselbe, der mitbekommen hat, wie Sie abfällig über mich sprachen."

"Dieser opportunistische Nogschwanz!" stieß Fontbleu aus. Julius wusste nicht, wen er damit meinte. Doch was er wusste war, dass Fontbleu sich gerade selbst aus seinem Büro geschossen hatte wie ein Kampfjetpilot, der mit dem Schleudersitz sein abgeschossenes Flugzeug verlässt. So wunderte ihn nicht, dass Ministerin Ventvit sagte: "Dann verbleibt mir leider nur, Sie Ihres Dienstpostens zu entheben und bis zu einer ausdrücklichen Aufforderung durch die Strafverfolgungsbehörde der Räumlichkeiten des Zaubereiministeriums zu verweisen. Bitte verlassen Sie unverzüglich das Ministeriumsgebäude!"

"Was, Sie suspendieren mich wegen zweier meinen Ruf schädigender Äußerungen?" fragte Fontbleu. Nathalie und Julius sahen ihn bedauernd an. Die Ministerin sagte, dass es nicht wegen der Äußerungen war, sondern wegen der Handlungen, die in Summe eine solche Amtshandlung erzwangen. Denn die bewusste Zurückhaltung von zaubererweltsicherheitsrelevanten Informationen, die bewusste Gefährdung von Ministeriumsbeamten sogar in zwei Fällen und die versuchte Bedrohung einer weiteren Beamtin seien zu viel, um noch als Leiter einer gegenwärtig sehr sicherheitsrelevanten Behörde arbeiten zu dürfen. Dann deutete sie auf die Tür. "Bitte verlassen Sie unverzüglich das Zaubereiministerium."

"In meinem Büro liegen noch meine Sachen", sagte Fontbleu. "Servatio!" rief die Ministerin. Keine halbe Sekunde später apparierte ein Hauself in ihrem Büro. "Bringe Monsieur Fontbleu in ins Werwolfkontrollamt und pass auf, dass er nur seinen Mantel und seine ganz persönlichen Dinge an sich nimmt! Alle Dokumente haben dort zu bleiben! Dann bring ihn unverzüglich in die Rue de Camouflage!"

"Sie meinen das Ernst, Sie ...", stieß Fontbleu aus. Da warf ihn der verzauberte Stuhl ab wie ein bockendes Pferd. Der Hauself ergriff ihn, bevor er zu Boden stürzen konnte und disapparierte mit ihm zusammen.

"Ich bitte um Erlaubnis, in mein Büro zurückkehren zu dürfen um die nun anfallenden Schritte zu unternehmen", sagte ein sichtlich erschüttert wirkender Simon Beaubois. "Bitte warten Sie noch, bis Servatio seine Anweisung ausgeführt hat", sagte die Ministerin ruhig aber bestimmt. Es dauerte nur eine Minute. "Hubert Fontbleu ist jetzt in Rue de Camouflage, Ministerin Ventvit. Wollte noch Aktentasche mitnehmen. Doch Servatio hat ihn nur Reiseumhang und Hut mitnehmen lassen, wie Ministerin Ventvit befohlen hat."

"In Ordnung, Servatio. Danke!" sagte die Ministerin. Der Hauself verbeugte sich, dass seine lange Nase den Boden berührte und disapparierte wieder. "So, Simon, jetzt dürfen Sie in Ihr Büro zurückkehren", sagte die Ministerin dem Hauptabteilungsleiter für magische Geschöpfe zugewandt. Simon stand auf, nickte den beiden Hexen und Julius zu und verließ das Büro auf eigenen Beinen.

"Ich bedauere, dass Sie und Ihr Mitarbeiter wegen dieser Angelegenheit an der Ausführung Ihrer Arbeit gehindert wurden, Nathalie. Bitte verlassen Sie und Monsieur Latierre nun auch mein Büro!" Nathalie nickte und stand auf. Julius tat es ihr gleich. Sie verabschiedeten sich von der Ministerin und verließen das Büro. "Sie wird nun alle Räumlichkeiten auf Name und Erscheinungsbild von Hubert Fontbleu abstimmen", hörte Julius die Stimme eines kleinen Jungen in seinem Kopf und wusste, dass es Demetrius war, der ihm unbedingt mitteilen musste, wie es weiterging.

"So, die jüngere Madame Grandchapeau sah so aus, als hätte ich Sie ihr für ein wichtiges Projekt entzogen. Ist dies so?" fragte Nathalie mit körperlicher Stimme. "Ja, so ist es, Madame. Aber offenbar war der Grund, weswegen Sie mich aus der Sitzung herausbaten erst einmal dringlicher."

Dann suchen wir beide sie auf und regeln das", sagte Nathalie. Julius bestätigte es.

Unterwegs fragte er sich, ob er in Fontbleu nun einen neuen Feind hatte, nicht dass er noch mehr davon nötig hätte.

Belle hörte sich von ihrer Mutter an, warum Julius von ihr mitgenommen worden war. "Um so wichtiger ist es jetzt, die Hintergründe dieser beiden Muggel zu klären, Mam...dame Grandchapeau", grummelte Belle. "Aber die Kollegin Arno ist schon dran. Die jungen Anwärter mit Interneterfahrung helfen ihr dabei. Sie dürfen dann heute Nachmittag die Möglichkeiten durchgehen, auf welche Weise die Frau und der Mann in die nichtmagische Welt zurückkehren können, also Identitätswechsel und neuer Lebenslauf." Julius war einverstanden. Dann stellte er die Frage, ob er jetzt mit Nachstellungen rechnen müsse, sobald er aus Millemerveilles heraus war. "Falls Monsieur Fontbleu derartig gestimmt ist dürfte er zunächst all die angreifen, die ihn erst recht in diese Lage getrieben haben. Sie haben schließlich seine Befehle ausgeführt und nur unter einem besonderen Zauber der Ministerin eine wahrheitsgemäße Aussage gemacht. Er wird Sie also weiterhin für einen kleinen Befehlsausführer halten, der nur ein bisschen besser zaubern kann als die meisten anderen seines Alters."

"Sie sahen eben so aus, als wollten Sie sich und jeden anderen bei einem falschen Wort durch die nächste Wand fluchen", wandte sich Julius an Nathalie Grandchapeau. "Ja, weil ich hörte, dass Fontbleu und seine Mitläufer den Auffindungshauch-Zauber benutzt haben. Auch ich habe noch meine Kontakte", sagte Nathalie verdrossen. Dann schien sie in sich hineinzulauschen oder ein gedankliches Zwiegespräch zu führen. Dann sagte sie noch: "Der, für den ich weiterhin mitessen darf, möchte, dass sie auch heute Mittag mit ihm und mir zusammen essen." Julius war Einverstanden. Belle durfte auch dabei sein.

Während des Mittagessens erfuhr Julius von Demetrius, dass seine Mutter in Wartestellung weiterhin die privaten Kontakte von Armand Grandchapeau nutzen konnte und so erfahrenhatte, was am 22 Mai abends noch passiert war. "Wenigstens steck ich jetzt wieder in einer warmen, weichen Gebärmutter und nicht mehr in einem mit warmem Pampelmusensaft gefüllten Steinkrug", schloss er seine cogisonierte Erläuterung ab.

"Da bin ich ja beruhigt", konnte seine noch mehr als dreißig Jahre auf ihn wartende Mutter nur erwidern.

"An alle Hauptabteilungsleiter: Außerplanmäßige Zusammenkunft in zwanzig Minuten! Dies gilt auch für den Veelabeauftragten Julius Latierre. Ich wiederhole: An alle Hauptabteilungsleiter und den Veelabeauftragten Julius Latierre: außerplanmäßige Zusammenkunft in zwanzig Minuten!" erscholl die magisch in alle Räume übertragene Stimme der Zaubereiministerin.

"Ui, das konnte selbst ich hier in meinem warmem Luxusgemach hören, dass die gute Ornelle gerade sehr alarmiert klang", cogisonierte Demetrius.

"Ladonna Montefiori, offenbar hat sie jetzt genug vom Versteckspielen", sagte Julius. "Weil du ausdrücklich als Veelabeauftragter ausgerufen wurdest?" fragte Belle. Während der Pausen duzten sich die meisten. Weil Julius mit Belle vier einprägsame Tage Lebenszeit geteilt hatte und in Nathalies rundes Geheimnis eingeweiht war gehörte er quasi zur Familie.

"War das jetzt überall zu hören, auch im Speisesaal?" fragte Julius noch. "Nur da, wo die sitzen, die gerufen wurden", sagte Belle. "Aber deine Schwiegermutter dürfte es dann wohl im Speisesaal mitgehört haben, weil sie dort meistens isst."

"Da bin ich ja mal gespannt, wie die Ministerin das aus der Öffentlichkeit heraushalten will", sagte Julius. Belle meinte dazu nur, dass, falls er recht habe die Ministerin entweder eine Nachrichtensperre verhängen oder eine ganz öffentliche Pressekonferenz geben würde.

"Stimmt, beides möglich", sagte Julius.

Zwanzig Minuten später saßen die ausgerufenen Abteilungsleiter im Konferenzsaal der Ministerin. Simon Beaubois wirkte immer noch sehr niedergeschlagen. Doch als die Ministerin den Grund für die außerplanmäßige Sitzung bekannt gab war er nicht der einzige, der tief erschüttert dreinschaute.

"Ich habe vor vierzig Minuten fünf Mitteilungen erhalten, dass das italienische Zaubereiministerium von einer feindlichen Macht übernommen wurde und Zaubereiminister Bernadotti beim Versuch, auch andere Zaubereiminister zu unterwerfen gestorben ist. Sie alle hier kennen die Berichte und Gerüchte über die Wiederkehr der vor über vierhundert Jahren erstmalig in Erscheinung getretenen Dunkelhexe Ladonna Montefiori, die sich selbst als Rosenkönigin oder auch Königin aller Hexen bezeichnet. Seitdem als gesichert galt, dass sie in ihrem Geburtsland wieder aufgetaucht ist und sich dort eine uneinnehmbare Festung geschaffen hat, stand zu befürchten, dass sie wichtige Institutionen der Zaubererwelt, schlimmstenfalls das Zaubereiministerium in Rom selbst, unter ihre Kontrolle zu bringen trachtet. Nun, genug Zeit hatte sie, um sich die Personen und die Möglichkeiten zu erarbeiten. Doch natürlich wollte das hier andernorts keiner laut aussprechen. Wir hofften bis heute alle darauf, dass das italienische Zaubereiministerium die Gefahr besser kannte als wir und entsprechende Vorsichts- und Abwehrmaßnahmen ergriffen hat. Offenbar waren diese Vorkehrungen nicht ausreichend. Ich darf den Quellen, aus denen ich die Mitteilung habe, vollkommen vertrauen. Außerdem sind sie an verschiedenen Orten Europas. Offenbar haben sich die Zaubereiminister der europäischen Länder, welche an der Quidditchweltmeisterschaft teilnehmen dürfen, zu einer Konferenz in Italien getroffen. Es stimmt mich in dem Zusammenhang teils überrascht teils verärgert, dass ich ganz gezielt nicht eingeladen wurde. Wie dem auch sei, sie trafen sich und wollten wohl beraten, was vor der Neuauflage der Weltmeisterschaft noch zu regeln sei ..." So sprach die Ministerin weiter und erwähnte, was ihre Quellen ihr berichtet hatten, auch wie Ladonna Montefiori die anderen Kollegen zu beeinflussen getrachtet habe und dass ihr Plan nur deshalb nicht aufgegangen sei, weil eine unerbetene Retterin auftauchte, welche die bezauberte Kerze zerstörte und Ladonna selbst in die Flucht schlug. Julius erschauerte bei dem Gedanken, dass eine magische Duftkerze und eine daraus wachsende Rose aus Feuer eine Gruppe von sechzig Leuten auf einen Schlag unterwerfen sollte. Das also hatte Catherine gemeint, als sie erwähnte, dass Ladonna ihre besonderen Eigenschaften ausnutzen konnte. Ebenso beunruhigte ihn, dass die Hexe mit dem Feuerschwert von der doch achso geheimen Konferenz Wind bekommen, ja den Zutritt zum Versammlungsort ergattert hatte. Sicher hatte sie die Zaubereiminister vor der Versklavung bewahrt. Doch das hatte sie eben nur, weil sie nicht wollte, dass Ladonna die Welt eroberte. Während die Ministerin weitersprach hing er seinen eigenen Gedanken nach. Ladonna konnte, wenn sie genug Material für ihre Zauberkerzen hatte, einen Schneeballeffekt erzielen, wenn sie die schon beeinflussten dazu trieb, noch mehr arglose Zaubererweltbürger in einen möglichst geschlossenenund appariersicheren Raum zu locken, wo sie dann ebenfalls unterworfen wurden. Jeder von denen konnte dann wieder eine Gruppe von Leuten zusammenrufen und so weiter und so weiter. So konnte Ladonna fast ohne Gewaltanwendung nach und nach die ganze Zaubererwelt erobern und war dann nicht nur Königin, sondern Kaiserin von allem. Was Voldemort, Bokanowski und Vengor nur geträumt und doch nie erreicht hatten konnte Ladonna Montefiori gelingen. Am Ende mussten sie alle noch Sardonia dankbar sein, dass sie, selbst schon ein großes Übel, ein noch größeres Übel für die Welt verhindert hatte. Ja, und die fast von ihrer Duft- und Feuerrosenkerze beeinflussten Zaubereiminister durften Anthelia/Naaneavargia danken, dass sie noch frei denken konnten.

"Ich erbitte nun von Ihnen allen, Ihre Abteilungen dahingehend zu überprüfen, wie wir uns zum einen vor bereits bei uns eingeschmuggelten Helfern und Helfershelfern Ladonnas schützen können, ja wie wir diese enttarnen und handlungsunfähig machen, bestenfalls auf unsere Seite zurückholen können. Des weiteren bitte ich darum, dass jeder und jede von Ihnen ihre Unterbehörden darüber informiert, dass die Sicherheitsmaßnahmen des Ministeriums besonders im Bezug auf ätherische Zauberwirkstoffe verbessert werden. Gut, das mag die hoffentlich nur hypothetischen Agentinnen und Agenten Ladonnas darauf aufmerksam machen, dass wir über den beinahe erfolgreichen Schlag ihrer Gebieterin wissen. Es ist auch sehr wichtig, dass wir keine Paranoia auslösen, dass jeder jeden und jede andere der Spionage oder anderer Tätigkeiten für diese neue alte Feindin verdächtigt. Denn womöglich zielt sie nun darauf ab, Misstrauen und Argwohn, Zwietracht und gegenseitige Anfeindung zu schüren, um uns zu destabilisieren und bis zur Handlungsunfähigkeit zu schwächen. Das dürfen wir ihr nicht erlauben. Deshalb gilt bis zur genauen Festlegung von Gegenmaßnahmen, dass jede öffentliche Mitteilung nur dann zu erfolgen hat, wenn eine Gefahr für ausnahmmmslos alle Zaubererweltbürger droht oder eine solche Gefahr akut wird. Dies saage ich vor allem für die Damen und Herren, die Verwandte bei den Zeitungen und Rundfunkverbreitern haben." Sie sah flüchtig von Hippolyte Latierre zu Julius und zu drei weiteren Abteilungsleitern, die offenbar wen in der Familie hatten, der oder die für erwähnte Medien arbeitete. "Ich will nicht darauf hinaus, dass wir ähnlich wie ein US-Zaubereiminister vor sieben Jahren eine bestehende Gefahr verheimlichen. Doch müssen wir zunächst die eigene Situation klären und die ministeriumseigenen Sicherungsmaßnahmen verbessern. Ich habe zwar schon vor einem Jahr ein Zutrittsverbot für Ladonna Montefiori über das ganze Ministerium verhängt. Doch solange wir nicht wissen, wen von uns sie oder eine ihrer Helferinnen auf ihre Seite ziehen wird kann ich kein generelles Zutrittsverbot aussprechen. Das gelingt nur bei namentlich bekannten und bildlich erfassten personen. Die meisten hier wissen dies ja schon und Monsieur Latierre hier ist bis Geheimhaltungsstufe S0 seiner Abteilung und S7 aller anderen Abteilungen kenntnisberechtigt", sagte die Ministerin. "Was ich dir gesagt habe", hörte Julius die Gedankenstimme von Demetrius in seinem Kopf. "Außerdem steht zu befürchten, dass Ladonna als teilweise Veelastämmige den Ortungszauber unterlaufen kann, der sie als Person erfassen könnte. Insofern gilt es, weitere Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Wenn diese sicher etabliert sind können und müssen wir die magische Öffentlichkeit informieren, dass sie sich auf mögliche Übergriffsversuche dieser dunklen Hexe vorbereiten können. Sie hat ja nicht vor, alle gleichzeitig anzugreifen, sondern sucht sich die für ihre Vorhaben geeigneten Opfer aus. Gut, das mag nicht wirklich neu sein, aber sollte um einer Panikstimmung vorzubeugen schon gesagt werden." Einige deuteten ein leichtes Lächeln an. "Gut, falls ich noch nicht alle Ihre Fragen beantwortet haben sollte fragen Sie mich. Monsieur Chevallier, sie nehmen bitte die Wortmeldungen entgegen!"

Natürlich wollten die Abteilungsleiter aus den für Zauberwesen und Zaubertränken zuständigen Abteilungen mehr über diese Feuerrosen-Duftkerze wissen. Julius stellte erst einmal keine Fragen, sondern besann sich auf die Stimme Létos. Vielleicht wusste die, wie man diese Feuerrosenkerze unschädlich machen konnte, ohne mit einem altaxarroischen Flammenschwert draufzuhauen. So hörte er nur halb zu, wie die Ministerin die Fragen beantwortete. Er erreichte Léto und schickte ihr nur zu, dass Ladonna nun ein ganzes Land beherrschte und andere Länder erobern wolle. Sie fragte zurück, woher er das wusste. Sie antwortete, dass sie ihre Verwandten in anderen Ländern ansingen wollte, ob die schon was wussten, wenngleich sie sich bei ihrer in Russland lebenden Schwester Sarja nicht sicher war, ob die ihr auch was verraten würde, ja ob die überhaupt etwas aus dem Ministerium erfahren würde. Damit zunächst einmal zufrieden hörte Julius gerade, wie seine Schwiegermutter fragte, ob das nun das endgültige Aus für die Neuauflage der Quidditchweltmeisterschaft bedeute. Denn Ladonna würde sich sicher nicht die Gelegenheit entgehen lassen, wichtige Hexen und Zauberer aus aller Welt zu unterwerfen.

"Ob es das endgültige Aus ist will ich nicht sagen. Das müssen Sie mit Ihren Kollegen in den anderen Ministerien klären und mit dem Weltquidditchverband", sagte die Ministerin. "Feststehen dürfte nur, dass wir im Moment besser nicht nach Italien einreisen sollten."

"Gut, dann kläre ich das mit den anderen, wenn Sie es mir erlauben, Ministerin Ventvit."

"Julius, meine bulgarische Base bestätigt es, dass deren Zaubereiminister fast von der Trägerin verdorbenen Blutes unterworfen wurde. Die andere, diese Spinnenhexe, hat es mit ihrem Feuerschwert vereitelt. Ich hätte nie gedacht, dass jemand so gnadenlos sein kann, die Kraft von Lebenund Tod einer Tochter Mokushas derartig anzuwenden", mentiloquierte Léto. Julius fragte sie, was sie meine. "Sie muss erfahren haben, wie sie ihr alle Monde entströmendes Blut und ihr Haar zu einer Mischung mit anderen auf die Seele wirkenden Kräutern zusammenbringen konnte. Das in Verbindung mit der sowohl schöpferischen, Licht und Wärme spendenden, wie zerstörerischen Kraft des Feuers ergibt dann ihren Unterwerfungszauber."

"Und sowas kann nur eine von euch machen?" wollte Julius wissen. "Sagen wir es so, sie kann es, ihr anderen könnt es wohl nicht, weil gestohlenes Blut und Haar von uns Töchtern Mokushas euch nicht als deren Machthaber anerkennen werden", gedankenantwortete Léto.

"Darf ich das den anderen sagen oder nicht?" fragte Julius. "Sage ihnen das so, wie ich es dir gerade verraten habe. Wer uns Haar entreißt oder gar Blut stiehlt schädigt sich selbst. Hätte die bedauernswerte Euphrosyne das gewusst, dass sowas geht ..."

"Gut, dass sie es nicht wusste", mentiloquierte Julius. Während Belenus Chevallier selbst noch was über die Vorkehrungen gegen ätherische Geistesbeeinflussungsmixturen wissen wollte fragte Julius, wie sie die so beeinflussten von den nichtbeeinflussten Menschen unterscheiden konnten. "Ihr könnt das nicht, aber wir. Wahrscheinlich ist eure Ministerin nur deshalb nicht dorthin gerufen worden, wo die Schande Mokushas die anderen hingelockt hat, weil Euphrosynes verbotener Segen noch an und in ihr wirkt, ebenso wie bei Nathalie und ihrem ungeborenen Sohn oder die Frau, die Belle heißt, aber gegen Fleur und Gabrielle nur ein Viertel so schön aussieht." Julius überhörte diese Überheblichkeit und fragte, ob sie und ihre in Frankreich lebenden Verwandten mithelfen mochten, die möglicherweise schon beeinflussten im Ministerium herauszufinden. "Da müsste die Ministerin uns ganz lieb einladen und darum bitten, ihr zu helfen. Die meisten ihrer Vorgänger, auch der nun bis auf viele Jahre im Schoß seiner eigenen Frau verborgene haben uns immer als nicht ganz zu vertrauende, nicht zur Führung von Zauberstäben berechtigte Geschöpfe behandelt, die verwaltet werden dürfen, aber nach Möglichkeit keine eigenen Anforderungen stellen dürfen. Aber das weißt du ja schon aus unseren Unterweisungsstunden."

"Öhm, und was würdet ihr dann tun, wenn Mademoiselle Ventvit euch ganz höflich einladen und um Hilfe bitten würde?" wollte Julius wissen.

"Wir würden uns in eurem Ministeriumshaus an verschidenen Stellen hinstellen und unser Lied der Verbundenheit und Heilung singen. Dann könnten wir spüren, wo jemand ist, an dem oder in dem etwas zum Schaden verdorbenes von Mokushas erhabener Kraft wirkt. Wir könnten dann sogar bewirken, dass diejenigen sich unserem Lied hingeben müssen und deshalb handlungsunfähig sind, dass ihr sie ergreifen und an einen sicheren Ort bringen könnt."

"Hmm, würden die das nicht als eine Form von Gefangennahme erkennen?" fragte Julius, während Belenus Chevallier, Hippolyte Latierre und der Leiter der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit in eine Diskussion verstrickt waren, wie das Verhältnis zu den anderen Ländern bestand, um möglichen Angriffen Ladonnas oder Vita Magicas entgegenzuwirken.

"Du meinst, sie würden dann ihre Herrin um Hilfe rufen oder zumindest warnen?" fragte Léto. Julius bejahte das und schickte hinterher, dass Anthelia ihre Eingeschworenen mit einem Fluch gegen Verrat belegt habe und Ladonna das sicher auc tun konnte. "Sie werden erst einmal nicht bemerken, dass sie willenlos sind und auch nicht wissen, wo sie sind, wenn sie unser Lied hören. Erst wenn wir aufhören zu singen werden sie wieder aus der Entrückung erwachen. Was dann mit ihnen geschieht weiß ich nicht. Fleur sagte aber mal was von einem Zauber, der macht, dass jemand in einer festen Schale wie in einem Ei eingeschlossen wird und nur die eigene Selbsterschöpfung diesen oder ein von außen wirkender Aufhebungszauber diesen Zustand beenden können." Das gab Julius eine Idee, die er gleich, wenn alle ihre Fragen gestellt hatten, vorbringen wollte.

"Muss die Ministerin euch persönlich einladen?" fragte Julius Léto. "Ja, sie muss mich ganz anerkennend um Hilfe bitten und alle meine Töchter und Töchtertöchter namentlich einladen, ihr und dir zu helfen. Das darfst du ihr sagen." Julius bestätigte es und bedankte sich für die Hilfe. "Wenn du irgendwann Zaubereiminister sein solltest brauchst du mich nur zu fragen, ob ich dir helfen soll und ich bin da", schickte Léto noch zurück. Doch im Moment dachte Julius nicht daran, irgendwann selbst Zaubereiminister zu sein. Abgesehen davon konnte Ornelle Ventvit nun viele hundert Jahre lang amtieren, wie dieser unsterbliche Weltraumheld, von dem Laurentine mal erzählt hatte.

Als alle ihre Fragen gestellt hatten sah Ministerin Ventvit ihn an und sagte: "Konnten Sie während der Fragerunde weitere Erkenntnisse einholen, die uns helfen können, Monsieur Latierre?" Alle anderen außer Hippolyte und Nathalie sahen ihn verdutzt an. Er stand auf und fühlte, dass das Gedankensprechen ihn doch gut angestrengt hatte. Doch nun trat er vor die erwartungsvoll zuhörenden Ministerialbeamten und sagte:

"Ihre Erlaubnis vorausgesetzt, Ministerin Ventvit, konnte ich bei der reinrassigen Veela Léto, der Stammmutter der in Frankreich lebenden Veelastämmigen, folgende Dinge erfahren: Ladonna nutzt ihre teilweise Veelastämmigkeit aus, um mit eigenem Monatsblut und etwas von ihrem Haar und magischen Kräutern diese Duftkerzen zusammenzustellen. Das Feuer und ein damit verknüpfter Zauber vervollständigen diese Methode dann. Das heißt, sie kann nicht unendlich oft diesen Zauber wirken. Wir wissen aber nicht, wie viele dieser Duftkerzen sie noch hat. Des weiteren wissen die Veelas in Bulgarien von deren Minister, was diesem fast passiert wäre. Léto bestätigt, dass Sie, Ministerin Ventvit, wohl deshalb nicht von Bernadotti in Ladonnas Falle gelockt wurden, weil in Ihnen noch Euphrosyne Blériots starker Veelazauber wirkt, wie ja auch bei den Mesdames Grandchapeau. Womöglich sind Sie deshalb nicht nur gegen diesen Feuerrosenzauber immun, sondern bewahren womöglich auch andere vor der Unterwerfung oder können bereits damit unterworfene erkennen, wohl wegen der Wechselwirkung Ihrer Aura mit der von anderen. Weiteres möchte ich gerne nur mit Ihnen bereden, weil ich nicht weiß, ob Sie wollen, dass alle das mitbekommen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit."

"Wir können das spüren oder sehen, wenn jemand beeinflusst ist?" fragte Madame Grandchapeau. Julius räumte ein, dass das wohl nur für die galt, die auf diese neuartige Massenbeeinflussungsart unterworfen wurden, nicht die, die von sich aus bei ihr mitmachen wollten oder unter dem Imperius-Fluch stünden.

"Gut, dann gehen wir beide jetzt einmal an Ihnen allen vorbei", sagte Ornelle Ventvit und ging bereits auf Belenus Chevallier zu. Dieser blieb ganz ruhig stehen. Nathalie gesellte sich zu Ornelle und ergriff ihre Hand. Unvermittelt erstrahlte um die beiden Hexen eine gut sichtbare orangerot leuchtende Aura. Doch als sie um Jeannes Schwiegervater herumgingen geschah nichts weiteres. So ging es auch bei allen anderen, bis sie an Julius vorbeigingen. Da fühlte er eine wohlige Wärme in sich und sah an seinen Armen und Händen, wie eine smaragdgrüne Aura mit weißgoldenen Schlieren jede Feinheit nachbildete. "Heißt das, dass er einer von denen ist?" fragte der Leiter der internationalen Magischen Zusammenarbeit. "Nein, das heißt es nicht. Weil wir keine Wechselwirkung spüren, sondern nur seine durch die Ereignisse unter der Dämmerkuppel verstärkte Lebensaura sichtbar gemacht haben", sagte Nathalie. Julius sah nun auch wieder Demetrius als orangerot leuchtenden Fötus, als wenn Nathalies Bauch aus Glas wäre. Sie gingen um Julius herum und von ihm fort. Da erlosch seine smaragdgrüne Aura und er meinte, irgendwie in kaltem Wind zu stehen. "Was diese Frau mit den ganz feinen Haaren damals mit dir angestellt hat wechselwirkt immer noch mit deinem Lebenshauch", hörte Julius Temmies Gedankenstimme in sich.

"Wie soll die Wirkung auf Beeinflusste sein?" fragte Julius noch mal Léto. "Erst mal sag denen, dass die das so nicht noch bei allen anderen machen dürfen, weil dann, wenn sie wen finden, der oder die dann weiß, dass er gefunden wurde und sich dann sicher wehrt oder um Hilfe ruft", gedankenschnarrte Léto. "Wo sie recht hat", kam noch Temmies Stimme dazu. So warnte Julius die beiden "Gesegneten", das nicht so bei allen anderen zu machen. "Das sehen wir ein, Julius. Aber wir mussten sicher sein, dass hier niemand von ihren Agenten ist", sagte Ornelle Ventvit. Dann bat sie Julius in die kleine Nebenkammer, wo Einzelgespräche während einer Konferenz stattfinden konnten. Dort erklärte Julius ihr, was Léto von ihr erwartete und wie sie dann die beeinflussten erkennen und handlungsunfähig machen konnten. "Solange sie nicht von mir verlangt, einen ihrer Söhne oder Enkel zu heiraten werde ich das hinbekommen. Ich habe sie ja schon oft genug in meinem Büro angetroffen", seufzte Ornelle Ventvit. Dann kehrten sie in den Konferenzsaal zurück. "Ich bin mit dem Vorschlag von Monsieur Latierre einverstanden, die französischen Veela dazuzubitten, um uns zu unterstützen. Die können auch bewirken, dass die auf ihren Zauber ansprechenden keine Gegenwehr leisten, sofern es Ladonnas Helfer sind. Ich werde Sie darüber informieren, ab wann wir mit dieser Unterstützung rechnen können. Bis dahin verraten Sie nicht, dass wir diese Möglichkeit ergreifen wollen, sondern gehen Sie davon aus, dass wir ohne Hilfe auskommen müssen und auf uns selbst gestellt sind. Das dürfte die möglichen Agenten dieser Furie sogar in Sicherheit wiegen", erklärte die Zaubereiministerin. Dann erklärte sie die Konferenz für beendet.

"Der Kleine Herr in seiner Luxusbehausung hat sich über zu große Hitze und helles Licht beklagt, als wollte ich ihn garkochen oder sowas", sagte Nathalie, die Julius mal wieder mit Beschlag belegt hatte. "Ja, wenn ich irgendwann aus Mamans warmem Ofen komme und kohlschwarz bin, dann war das von heute", cogisonierte Demetrius. "Ich vergesse über alle Anstrengungen und Schwirigkeiten, Ängste und Belastungen immer wieder, wie unangenehm es doch ist, nicht geboren zu sein", schickte Julius zurück. "Haha, wie überaus witzig, Selbstatmer", cogisonierte Demetrius. "Jetzt hast du es ihm gegeben", grinste Nathalie und knuddelte Julius zwei volle Sekunden lang.

Mit der traurigen Gewissheit, dass jetzt fast alle Karten auf dem Tisch lagen, er aber erst einmal nichts in die Zeitung setzen lassen durfte arbeitete Julius noch den Rest seines Tagesprogramms ab. Auch wenn die Angelegenheit auf der vierthöchsten Geheimstufe S7 eingeordnet worden war würde er es Millie und Béatrice erzählen, bestenfalls im dauerklangkerkerbezauberten Musikzimmer.

Es war schon komisch, als er im Aufzug Richtung Foyer fuhr. Wer auch immer ihm unterwegs begegnete und freundlich einen erholsamen Feierabend wünschte, konnte schon Agent oder Agentin Ladonnas sein. Er musste echt aufpassen, nicht doch noch paranoid zu werden und Angst vor seinem eigenen Schatten zu kriegen. Er schaffte es jedoch, sein gewisses Unbehagen niederzuhalten, dass es ihm niemand ansehen konnte. Als er das Foyer erreichte waren gerade noch zwanzig Kolleginnen und Kollegen da, welche die Kamine benutzten oder disapparierten. Er wechselte aus eigener Zauberkraft vom Foyer in die Wohnküche des Apfelhauses über. Diesmal durchbrauste ihn kein Wärmestoß wie nach der Aktion mit den drei Werwölfen und der Mondburg.

"Ich habe gespürt, dass du heute einiges auszuhalten hattest. War noch mal was wegen der drei Werwölfe?" fragte Millie, nachdem er sie begrüßt hatte. Weil nun auch Aurore, Chrysope und auf allen Vieren herankrabbelnd Clarimonde zu ihm hinwollten konnte er erst einmal nichts darauf sagen. Denn auch Béatrice kam die Treppe herauf. Sie wirkte sichtlich angespannt. "Na, Geheimnisträger. Hat euch die gute Ornelle Ventvit die halbe Welt aufgeladen, und ihr dürft offiziell nicht darüber reden?" fragte Béatrice. Julius verstand. Offenbar hatte Hippolyte oder ein in ihrem Büro hängendes Zaubererweltgemälde die schlimme Botschaft schon weitergereicht.

"Stufe S7, Trice", sagte Julius, bevor er seine zweitjüngste Tochter hoch hob und knuddelte.

"Was neues von der schwarzen Hybridin?" gedankenfragte Millie. Julius schickte nur zurück: "Ja, was leider längst erwartetes. Näheres nicht vor den Kindern." Das reichte Millie zunächst, um zu wissen, dass ihr Mann wieder was heftiges aufgeladen bekommen hatte und auch, worum es ging.

So wechselte sie von sich aus das Thema und erwähnte, dass das Komitee für den Prix Millemerveilles heute wieder zusammengetreten war, leider hinter geschlossenen Türen. Zumindest war die Grundsatzfrage geklärt, bis wie viele Jahre das zu ehrende Ereignis zurückliegen durfte: von letztem Jahr bis 72 Jahre in die Vergangenheit. Das hieß, dass es für das Komitee eine Menge in den Bereichen kreative Zauberkunst, Thaumaturgie in der Heilzunft, Theorie der Magie, Zaubertrank und Kräuterkunde und verbesserte Abwehrzauber zu überprüfen gab. Insofern war Julius froh, dass er nicht zu dieser Entscheidungsgruppe gehörte.

Kurz vor dem Abendessen mentiloquierte ihn Léto an: "Eure Ministerin ist direkt vor meinem Wohnbaum appariert und hat dort solange ausgeharrt, bis ich zu ihr hinunterging und sie gefragt habe, was sie möchte. Da hat sie mich ganz höflich und respektvoll als Mutter der französischen Kinder Mokushas gebeten, ihr und euch zu helfen, gegen die vom Weg abgekommene Nachfahrin meiner Art vorzugehen, solange es gewaltlos ginge. Wir werden uns morgen an bestimmten Punkten im Ministerium verbergen, bevor ihr anderen alle dort hinkommt. Wenn alle da sind werden wir unser Lied der verbundenheit singen. Sei darauf gefasst, dass du auch von unserem Lied ergriffen werden könntest, aber nicht auf die Weise reagieren wirst, wie die von stärkerer Kraft durchdrungenen.

"Danke für deine Warnung, Léto", schickte Julius zurück. Ein glockenhelles, nur in seinem Geist hallendes Lachen war die Antwort.

Millie verstand es, ihre Anspannung gut zu verbergen. Nur Julius spürte es, dass sie schon alles wissen wollte. Doch erst mussten die drei kleinen Prinzessinnen müde genug sein, um zu schlafen. Als Clarimonde noch einmal eine Mischung aus Muttermilch und Fruchtgelee bekommen hatte war auch die ganz kleine Heldin von Millemerveilles müde genug, um zu schlafen.

Nun saßen die erwachsenen Bewohner des Apfelhauses im Musikzimmer. Béatrice erwähnte, dass Antoinette Eauvive von einer Kollegin aus Spanien erfahren hatte, was am Morgen in einem kleinen Schloss irgendwo in Italien vorgefallen war. Millie sah sie kritisch an. Doch ihre Tante war strenge Blicke gewohnt und konnte gleichwertig zurückstarren. Julius erwähnte die außerplanmäßige Sitzung und dass erst dann die Zeitungen was davon erfuhren, wenn das Ministerium eine klare Strategie und einen Plan für den Eigenschutz bereithielt. "Ja, und bis es soweit ist kann diese schwarze Viertelsabberhexe mit diesem von den Veelas abgeguckten Benebelungszauber noch hundert Leute mehr auf ihre Seite ziehen. Aber schon abgedreht, dass sie das mit eigenem Monatsblut und ihren veelakraftdurchtränkten Haaren machen kann. Könnte Anthelia sicher auch ganz gerne."

"Was meinst du, Millie, warum die Spinnenhexe so sehr darauf aus ist, Ladonna nicht zum Ziel kommen zu lassen", sagte Julius. "Aber ich hoffe, Létos Verwandte kriegen es morgen raus, ob wir von Ladonnas Leuten schon welche im Ministerium haben. Léto meint aber, das könnte mich auch ziemlich aus dem Tritt bringen."

"Dann nimmst du besser deine Hälfte des Zuneigungsherzens ab, Julius. Oder ich verordne Millie, ihre Hälfte abzulegen", sagte Béatrice. Millie grummelte. Doch dann sah sie ein, dass ihre heilmagisch ausgebildete Tante leider recht hatte. Wenn Julius' Gefühlswelt durcheinandergeriet und alles von ihm auf sie übersprang konnte sie wohl auch handlungsunfähig werden. Da sie offiziell immer noch in Stillzeit war und zudem auch auf zwei wuselige Kinder von vier und zwei Jahren mitaufpassen musste war es sehr wichtig, bei klarem Verstand zu bleiben. Deshalb legte sie ihre Hälfte des goldenenHerzanhängers vor sich auf das weiße Klavier. Julius nickte und nahm ebenfalls das Verbundenheitsschmuckstück ab.

"Gut, ihr beiden. Die zwei Anhänger nehme ich solange in Verwahrung, bis klar ist, ob die Veela nur einmal oder mehrmals bei euch vorbeikommen müssen", sagte Béatrice und klaubte die zwei halben Goldherzen an ihren Ketten auf.

"Dir dürfte klar sein, Julius, dass du als Veelabeauftragter sofort ganz weit oben auf Ladonnas Liste landest, wenn das klappt, was du und Léto ausgeheckt haben", sagte Béatrice. Julius überlegte nur kurz. "Ich fürchte, jetzt, wo sie es wortwörtlich amtlich gemacht hat, dass sie das italienische Zaubereiministerium unterworfen hat ist sie so oder so darauf aus, mich auch zu kassieren, und wenn sie mich nicht kriegt dann Leute, die mir wichtig sind. Das gefällt mir auch nicht wirklich, weil das heißt, dass wir mit unseren Kindern gerade mal zwischen hier und dem Sonnenblumenschloss wechseln können, gerade so noch in die Rue de Liberation 13 zu den Brickstons und Laurentine. Da Veelastämmige und leider auch mit dunklen Absichten herumlaufende Leute nach Beauxbatons reinkommen weiß ich auch nicht, was da demnächst los ist. Ab dem ersten Juli sind da Sommerferien. Im Grunde wussten wir das alles schon vor einem halben Jahr, auch Madame Faucon. Aber reicht das aus, um darauf vorbereitet zu sein?"

"Du hast erwähnt, dass wir am Ende noch Sardonia und Anthelia danken sollten, dass Ladonna damals nicht so groß wurde und das Ding von heute auch nicht durchziehen konnte wie sie wollte", knurrte Millie. "Das habe ich nur angedeutet, und zwar mit sehr großem Widerwillen, Millie. Falls du das irgendwann in die Temps reinschreibst ..." "Ich bin doch nicht lebensmüde. Abgesehen wäre das voll daneben, wo ich letztes Jahr so gegen Sardonias Erbschaft geschrieben und durch Clarimondes Geburt ihren bösen Geist ins Stolpern gebracht habe, dass du den nur noch umwerfen musstest, Julius."

"Ui, habe ich echt schon befürchtet, dass Gilbert oder du das antexten könntet", seufzte Julius.

"Gilbert hört jetzt nur noch auf Lindas Bauch, wann meine kleine Cousine da rauskrabbeln will. Er gibt es nicht zu, aber er ist ziemlich hibbelig."

"Tante Cynthia wird es auch nicht zugeben. Aber sie hofft, dass sie die Kleine doch noch vor der Einschulung in Thorntails oder Beauxbatons zu sehen bekommt. Maman und Tante Diane haben ihr ziemlich gut zugesetzt, wie eine Latierre die Mutter eines Enkelkindes derartig vergraulen kann, dass sie gleich über den Wassergrabenhüpft", feixte Béatrice. Millie grinste über diesen Ausspruch und legte nach: "Ja, mit einem dicken Umstandsbauch auf einem Ganymed 15. Huuuuiiiii!!" Das wischte Béatrices verwegenes Grinsen aus dem Gesicht und ließ sie einen Moment verdrossen dreinschauen. "Du bist ganz eindeutig das Kind meiner ganz großen Schwester. Aber dann steht zu vermuten, dass du auch bald ihre bestimmende Art und Strenge ausbrütest." Millie verzog ihr Gesicht wegen des Wortes "ausbrütest". Sie dachte wohl an das vierte Kind, dass sie irgendwann von Julius bekommen wollte und es wohl auch eine Tochter sein würde, ganz gegen Ashtarias Forderung. Julius fühlte über die beiden neuen Herzanhänger noch intensiver, wie es Millie ging. Er würde ihr gerne helfen, doch er wusste nicht wie. Es brachte ihm auch nichts, dass er wusste, dass er mit jeder anderen Frau Töchter und Söhne zeugen konnte. Einmal mehr fragte er sich insgeheim, ob das mit der Mondburg wirklich so eine gute Idee gewesen war, und ob es nicht doch seinen natürlichen Gang hätte gehen sollen. Dann wäre er vielleicht auch mit Millie zusammengekommen, aber wohl auch mit Belisama, Pina, Gloria, Myrna, oder Melanie, Brittany ... oder Béatrice. Er dachte wieder an die Blumenwiese im Traum in Ashtarias astralem Schoß, wo die aus ihrem Körper gerissene Claire ihm ihre denkbaren Nachfolgerinnen gezeigt hatte. Am Ende hätte er mit Sabine und Sandra Montferre eine Dreiecks-Ehe geführt, auch wenn das rein zaubererweltrechtlich verboten war. Doch er hatte sich auf Millie eingelassen und sie sich auf ihn, und jetzt hatten sie beide drei gemeinsame Töchter, die sie beide gleichermaßen liebten, auch wenn sich Clarimonde mit Chrysie darum zankte, wer mit wessen Kleinkindspielzeug spielen durfte und Aurore einerseits stolz war, die gaaanz große Schwester zu sein und trotzdem wusste, dass sie noch ziemlich klein war im Vergleich zu Claudine oder Chloé und deshalb mal richtig vernünftig war und dann mal wieder rumzeterte und bockte, wenn "die Kleinen" mal wieder was anstellten, was nicht nur ihr auf die Nerven ging. Millie und Béatrice hatten gesagt, dass sie da durch musste. Millie hatte noch am Abend zu ihr gesagt: "Ärger dich nicht über Chrysie. Manchmal ist es anstrengender, eine große Schwester zu haben als eine zu sein." Da konnte Julius leider nichts zu sagen, weil er "nur" zwei kleine Schwestern hatte.

"Ich hoffe ganz inständig, dass diese Geheimnistuerei mehr Menschenleben erhält als beendet", sagte Béatrice noch. Millie und Julius konnten ihr da nur zustimmen.

Um die Stimmung wieder aufzuheitern übten die drei noch eine Sonate, wobei Millie auf dem Klavier, Julius Sopran- und Béatrice Altflöte spielte. Sie schafften es immer wieder, sich aufeinander einzuhören und nicht stur dem ausgelatschten Pfad der geschriebenen Noten zu folgen. Dann waren sie endlich müde genug, um auch schlafen zu gehen. Der Tag war lang gewesen und hatte eine Menge Unsicherheit über sie alle ausgekippt. Doch das unsichtbare Sicherheitsnetz aus lebensbejahenden Zaubersträngen würde sie alle, die sie in Frieden unter ihm wohnten beschützen, die ganz vielen ganz kleinen und die schon viele Jahrzehnte hier lebenden.

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Laurentine dachte erst, sie habe irgendwas vergessen oder einen ihr nicht aufgefallenen Fehler gemacht, als sie am Abend des 25. Mai bei Louiselle Beaumont vor ihrem kleinen Schloss eintraf. Denn Louiselle wirkte sichtlich ungehalten, als habe ihr jemand an diesem Tag was ganz übles angetan. Außerdem merkte Laurentine, dass erweiterte Sicherheitszauber in dem kleinen Schloss wirkten. Die ließen sie erst passieren, als Luiselle sie durch Handauflegen und "Quis est maga confidens in mansione mea!" identifizierte.

"Wurdest du angegriffen, Louiselle?" fragte Laurentine, als sie wie üblich ihre Kleidung abgelegt und sich zur ebenfalls nackten Hausherrin in den Übungsraum begeben hatte. "Sagen wir es mal so, diese Schutzzauber erwachen dann, wenn ich weiß, dass ich von außerhalb bedroht werde. In dem Fall nicht nur ich, sondern jeder und vor allem jede, welcher dieser wiedererwachten schwarzen Furie wertvoll oder gefährlich genug erscheint, um von ihr heimgesucht zu werden. Womöglich wird euer Ministerium das nicht offen herumgehen lassen. Aber ich erfuhr heute von sehr vertrauenswürdigen Bekannten, dass es wohl amtlich ist, dass Ladonna Montefiori nach mehr Macht strebt und ziemlich sicher das italienische Zaubereiministerium übernommen hat. Bitte hab Verständnis, wenn ich nicht mehr dazu sagen möchte. Nur so viel, es war auf jeden Fall richtig, dass du dich dazu bereiterklärt hast, weiterführende Hexenzauber zu lernen. Vor allem, kann ich dir nur empfehlen, den von dir hergestellten Mondreif immer am Körper zu tragen, wenn du nicht in einem geschützten Bereich wie Catherines Haus oder Millemerveilles bist."

"Schützt der auch gegen Imperius?" fragte Laurentine. "Nein, dagegen schützen nur die ständigen Übungen der eigenen Willenskraft und der bereits erprobte innere Aufschrei. Aber wo du es erwähnst, ich darf dich nicht unter den Imperius nehmen, weil ich keine ministerielle Lehrbefugnis habe. Aber wir von der Liga benutzen zur Übung und Stärkung der eigenen Willenskraft einen Gefühlswürfel, wenn wir uns nicht auf das brennende Hochseil des inneren Aufschreis begeben wollen, um ihn abzuschmettern. Der Gefühlswürfel ist ein auf natürliche Weise würfelförmig gewachsener Bergkristall, der mit sechs Gefühlsbeeinflussungszaubern und einem Fluch belegt werden kann, der einem einen ständig wiederholten Satz im Kopf herumgehen oder ein langsam immer lauteres Musikstück im Kopf ertönen lassen kann. Welche sechs Zauber sind das und wie heißt der siebte?" Laurentine musste nicht überlegen. Sie zählte auf: "Horritimor für panische Angst, Crescodium für künstlich erzeugte oder verstärkte Hassgefühle, Megeuphorius für eine unbändige Glückseligkeit, Depressissimus für abgrundtiefe Verzweiflung ähnlich der Dementorenaura, Magnacalma für starke Beruhigung, Desimpetus, der alle Gefühle dämpft und bei voller Entfaltung völlige Antriebslosigkeit erzeugt und der Duraverba-Fluch für ständig im Kopf gehörte Sätze oder der Malamelodia-Zauber, der Ohrwurmfluch, der einem ein ständig lauter werdendes Musikstück in den Kopf setzt. Duraverba gehörte zu den Strafzaubern bei Missachtung der Teilnahmebedingungen des trimagischen Turnieres. Malamelodia haben wir nicht im Unterricht gelernt, weil der selbst nach dem Aufheben den ins Hirn gepflanzten Ohrwurm nachklingen lassen kann, je musikalischer jemand begabt ist, desto schlimmer. Kenne ich auch aus einer Zukunftsgeschichte, wo eine Gefühlsleserin damit gequält wurde, weil sie fast das Geheimnis eines vor Hass und Trauer verrückten Wesens enthüllt hätte. Will ich nicht wirklich erleben."

"Alles korrekt erwähnt. Viele Ligazauberer nehmen seit einigen Jahren auch Amatas Ruhestatt als Willenskraftübungsmittel. Den Zauber kennst du ja vom trimagischen Turnier." "O ja, besser als mir lieb ist", grummelte Laurentine.

"Dann machen wir heute übungen mit diesem Würfel. Der wirkt auf jedes Wesen im bis zu fünffachen Abstand seiner Kantenlänge. Je danach, welche Seite oben liegt wirkt dann einer der sechs Gefühlsbeeinflussungszauber und der Duraverba-Fluch. Gewonnen hast du, wenn du das dich überkommende Gefühl überwinden und den ständig wiederholten Satz mit einem Gegensatz übertönen kannst, der nicht mit dem Mund ausgestoßen werden darf. Wenn dein entgegenwirkender Satz dir lauter erscheint als die dir eingeflößte Wiederholung kannst du Duraverba überwinden. - Weiß auch längst nicht jeder, weil es denen, die ihn erfunden haben, vor allem gestrengen Lehrern und Lehrerinnen, darum ging, eine eindringliche Lektion unvergesslich zu vermitteln oder jemanden davon abzubringen, bestimmte Sachen zu tun, weil ihm das verboten wurde. Insofern wird Duraverba auch von vielen Ligamitgliedern als "Der kleine Bruder des Imperius-Fluches" bezeichnet. Da er durch einen Zauber oder eben durch gezielte Gegengedanken abgeschwächt und ausgelöscht werden kann gilt er nicht als unverzeihlicher Fluch."

Louiselle holte einen kleinen Bleikasten, in dem Laurentine Runen sehen konnte, die sie jedoch nicht kannte, weil sie keine Runenkunde hatte. "Die Runen stehen dafür, den im Kasten enthaltenen Gegenstand niederzuhalten, sonst würde der Würfel ja dauerhaft einen der sechs Zauber verströmen. So muss ich ihn erst herausholen und bewegen, damit die in ihm gespeicherten Zauber vollends erwachen", sagte Louiselle. "Tja, und da du die Schülerin bist ist es jetzt an dir, zwölf Runden mit dem Würfel zu überstehen. Es geht nur um Willenskraft", sagte Louiselle sehr entschlossen.

Laurentine klappte den Bleikasten auf und fand einen glasklaren Kristallwürfel mit einer Kantenlänge von dreißig Zentimetern. Also würde seine Reichweite anderthalb Meter betragen. Sie nahm den Würfel heraus. Er erwärmte sich und vibrierte. Sie dachte an was, das ihr ihr Onkel väterlicherseits mal erzählt hatte, der gerne einfache Gruselgeschichten in Heftromanform las. Da kam auch ein magischer Würfel vor, der jedoch als Waffe und Ortsversetzungsgegenstand benutzt werden konnte. "Also, kleiner Cubus. Nur wir zwei", dachte Laurentine. Dann warf sie den Würfel so, dass er über den Tisch kullerte. Als er liegenblieb glühte er von innen her auf. Unvermittelt überkam Laurentine eine starke Verzweiflung, weil sie diesen Test sicher nicht schaffen konnte und weil sie keinen mehr hatte, der ihr beistehen würde, wenn sie ganz alleine in der Welt herumreisen musste. Dann sah sie vor ihrem inneren Auge den Tisch, auf dem Claire lag, scheinbar friedlich schlafend, doch in wirklichkeit tot. Gleichzeitig hörte sie in ihrem Kopf den Satz: "Du bist unfähig, dein eigenes Leben zu führen. Du bist unfähig, dein eigenes Leben zu führen." Die Stimme klang nicht nach ihrer eigenen oder Luiselles Stimme, sondern nach der von ... Hera Matine? Dieser Moment der Verwunderung verdrängte die immer stärker werdende Verzweiflung gekoppelt mit dem immer stärker in ihr nachhallenden Satz "Du bist unfähig, dein eigenes Leben zu führen." Doch dann übermannte sie wieder die Verzweiflung, nicht alleine klarzukommen. Doch nun kämpfte sie dagegen an. Sie versuchte erst "Nein, ich bin fähig zu leben" dagegen anzudenken. Doch der ihr im Kopf herumkreisende Satz überlagerte es. Dann fand sie einen Satz, der vom Rhythmus her über die ihr zusetzenden Worte passte: "Ich bin ganz bereit, mein eigenes Leben zu meistern." Diesen einen Satz versuchte sie nun wieder und wieder zu denken. Das war nicht einfach, weil ihr die Verzweiflung und das Bild der toten Claire zusetzten. Doch dann schaffte sie es, den sie bedrängenden Satz mit ihrer Gegenphrase zurückzudrängen. Immer stärker dachte sie diesen einen Gegenteilssatz. Dann fühlte sie auch, wie die Verzweiflung wich. Claires lebloser Körper verblasste. Sie erkannte, dass sie nicht allein auf der Welt war. Sie hatte Freunde und hatte auch Menschen, denen sie wichtig war. Sie dachte ihren eigenen Gegenteilssatz: "Ich bin ganz bereit, mein eigenes Leben zu meistern." Irgendwann hörte sie nur noch sich selber denken. Dann erlosch das glühen des Würfels. Die Verzweiflung und der letzte Nachhall des sie peinigenden Satzes verschwanden aus ihrem Bewusstsein.

Laurentine musste sich Schweiß aus dem Gesicht wischen. Ihr Kopf war heiß wie mit 39 Grad Fieber und dröhnte. "Gut, das war die erste Runde. Elf hast du noch", sagte die fünf Meter von ihr entfernt stehende Louiselle Beaumont.

Laurentine musste den Würfel jedesmal neu werfen, um einen neuen Zauber auszulösen. Als sie Todesangst überflutete meinte sie, mit Kopf und Schultern in einem viel zu engen Etwas zu stecken und ihr eigenes Herz überschnell schlagen zu hören. "Du kannst nicht leben. Du kannst nicht leben." kam zu allem Überfluss noch diese Stimme wie von Hera in ihremKopf an. Fast hätte sie sich der Panik und der sie flutenden Worte ergeben. Doch dann erkannte sie, was ihr vorgegaukelt wurde und hielt entgegen: "Ich bin da, und ich lebe. Ich bin da und ich lebe!!" Diesen Satz dachte sie trotz der Angst, der suggerierten Enge und ihrem wild pochendem Herzen. Dann schaffte sie es, nur ihren Satz zu hören. Da schwanden die Angst, die Enge und das wilde Pochen in einem gleißenden Licht und einem lauten, in ihren Ohren klingenden Schrei, dem Schrei eines Babys, ihrem allerersten Schrei. Dann war die magische Tortur ihres Geistes überstanden.

Ähnliche Angriffe musste sie abwehren. Bei dem übermächtigen Glücksgefühl hörte sie den Satz: "Du bist die einzig wahre Freude der Welt." Dem hielt sie entgegen: "Ich bin nur eine junge Hexe von vielen." Als sie auch diese Attacke auf ihren Geist zurückgedrängt hatte kippte sie fast vorne über. Ihr Herz hämmerte heftig hinter ihren Rippen und ließ ihre Brüste erbeben. Luiselle eilte heran, schnappte den gerade nicht leuchtenden Würfel und legte ihn in seinen Bleikasten. "Zehn Minuten Pause und körperliche Auflockerungsübungen. Dann kannst du die vier letzten Runden machen", bestimmte sie. Laurentine merkte, dass sie total schweißgebadet war. Sie trank Wasser, trocknete sich mit einem geliehenen Handtuch und machte Gymnastikübungen, um ihren Körper wieder aufzulockern. Dann ging sie die vier letzten Runden an.

Als sie erneut die Panik fühlte und meinte, in einem viel zu engen Durchgang zu stecken bot sie sofort den bereits erprobten Satz auf und schaffte es nun schneller, sich von den beiden Zaubern freizumachen. Als sie die zwölf Runden überstanden hatte nahm Louiselle sie in eine schwesterlich anmutende Umarmung und schmatzte ihr einen Kuss auf die rechte Wange. "Du hast es tatsächlich geschafft, zwölf Runden abzüglich der Pause unter einer halben Stunde zu überstehen. Du hast eine große Willenskraft. Darauf kannst du aufbauen."

"Na ja, als Professeur Delamontagne uns mal den Imperius übergezogen hat kam ich da nicht gegen an, obwohl ich genau wusste, dass ich das nicht tun wollte, was er von mir wollte."

"Genau deshalb haben wir von der Liga diesen Würfel oder nehmen Amatas Ruhestatt", erwiderte Louiselle.

Da die Übungen mit dem Gefühlswürfel so kraftzehrend gewesen waren sprachen die beiden Hexen den Rest des Abends noch über Laurentines bisherige Erlebnisse in der Zaubererwelt und was sie in der nichtmagischen Welt erlebt hatte. Dabei kam Laurentine auch darauf, dass ihre eigene Geburt zehn ganze Stunden gedauert hatte und ihre Mutter das schon für eine Strafe Gottes gehalten hatte, weil sie lange nicht mehr zur Beichte gegangen und die Gottesmutter Maria nicht als heilige Jungfrau verehrt hatte. "Oh, zehn Stunden. Du warst das erste und einzige Kind, richtig?" Laurentine bestätigte das. "Aber deine Mutter wollte dich bekommen, richtig?" Laurentine überlegte. Eigentlich hatte ihre Mutter Karriere als Mannequin machen wollen, dafür aber nicht die idealen Körpermaße gehabt. Sie hatte dann selbst Modeschöpferin werden wollen. Aber dann hatte sie geheiratet und war sofort schwanger geworden. Warum erzählte Laurentine es Louiselle? Weil sie jetzt begriff, warum sie bis zum elften Lebensjahr Angst vor engen, dunklen Räumen hatte und warum ihre Mutter sie manchmal so angesehen hatte, als sei sie Schuld an ihrem Leben. "Ja, und dann kam heraus, dass du eine Hexe bist und damit das Weltbild deiner Eltern total erschüttert wurde", stellte Louiselle fest. Laurentine nickte. Das hatte sie auch schon Madame Rossignol, Catherine, Hera Matine und auch Claire und Madame Dusoleil erzählt. Ja, und statt sich damit abzufinden, ja anzufreunden, hatte sie, um die Zuneigung ihrer Eltern zurückzubekommen dagegen aufbegehrt, bis Claire von diesen feigen Bluträchern ermordet wurde, die eigentlich nur ihre Großmutter Aurélie strafen wollten, wofür wusste sie bis heute nicht. Sie ahnte nur, dass Julius es wusste. Doch wenn er ihr das nicht von sich aus erzählen wollte wollte sie ihn nicht fragen. Das hätte Claire auch nicht zurückgebracht.

"Du musst mit dir selbst im Reinen sein, das für richtig halten, was du bist und was du tust, Laurentine. Sonst wirst du für andere zur lohnenden Beute, wie für diese Ladonna Montefiori, die Hexen entweder einredet, dass sie gegen ihr armseliges Leben und die Bevormundung von Männern mit und ohne Magie aufbegehren müssen oder sie ihrem Willen unterwirft. Deshalb musst du immer und überall zu dem stehen, was du bist und dass du weißt, was du willst und was du damit anfängst."

"Ja, aber so wie du es gerade gesagt hast stehe ich am Ende alleine da, wenn ich dieser dunklen Hexe gegenüberstehe. Es kann ja echt sein, dass die oder ihre Konkurrenten von der Spinnenschwesternschaft mich für eine lohnende Untergebene hält. Ja, und wenn du mir vorhin nicht erzählt hättest, dass dieses dunkle Frauenzimmer versucht, mehr Macht zu gewinnen, würde ich doch total ahnungslos draußen rumlaufen."

"Ich bin in der Liga gegen dunkle Künste. Da kannst du noch nicht rein, hatten wir schon. Aber Vielleicht kannst du mit anderen Gruppierungen zusammenkommen, die genausogut vernetzt sind und auch helfen, wenn du alleine nicht klarkommst."

"Wer soll das bitte sein? Die schweigsamen Schwestern? Die nehmen doch keinen auf, der nicht mit einer von denen verwandt ist. Weil dann müssten die ja verraten, wer dazugehört", wagte Laurentine einen Vorstoß. "Hmm, ist das so? Gut, da sich dieser Orden ja gegenüber außenstehenden gegenüber in Schweigen hüllt ist das wohl eine von vielen Vermutungen", sagte Louiselle. "Aber interessant, dass dieser geheime Hexenorden dir zuerst eingefallen ist. Wie kamst du auf ihn?"

"Weil meine Schulkameradinnen und ich immer wieder davon sprachen, welche gutwilligen und bösartigen Hexenclubs es gibt und wie wir erkennen, wer dazugehört oder eben nicht erkennen können, wer dazugehört. Außerdem hatten wir alte Hexenorden im Geschichtsunterricht, und Sardonia hat ja die dunkle Fraktion dieses Ordens geführt, schreiben die Magiehistoriker, darunter auch Catherine Brickston."

"Ichmusste das fragen, weil andere Hexen oder auch Zauberer merkwürdige Gedanken haben könnten, wenn du die schweigsamen Schwestern erwähnst. Für die sind alle von denen böse, männermordende, weltherrschaftssüchtige Hexen, und ja, solche welche gab und gibt es wohl auch bei denen. Doch ob das die entscheidende Mehrheit oder eine vernachlässigbare Minderheit ist haben selbst die nicht erwähnt, die etwas mehr über diesen Orden erfuhren. Aber jetzt mal rein theoretisch, Laurentine: Würdest du dich einem magischen Orden anschließen, wenn du erführest, dass du mit ihm sicherer leben und weiterführende Zauberkünste erlernen kannst und jederzeit Hilfe erhältst, wenn du in Schwierigkeiten bist?" Laurentine überlegte nur kurz und sagte dann: "Das kommt wohl auf die von mir erwartete Gegenleistung an. Ich habe gelernt, dass nichts umsonst ist." Dem konnte Louiselle nicht widersprechen, zumal sie ihren Unterricht ja auch nicht kostenlos erteilte. Dann wurde sie gefragt, welchen Preis sie denn zahlen würde. "Sicher nicht meine Seele. Ich möchte für keinen zur Gefahr werden. Es tat mir schon immer wieder weh, wenn ich meinen Eltern ansah, dass sie Angst vor mir hatten. Deshalb war es ja auch nicht so einfach, mich ihrem Willen zu widersetzen. Der Preis dafür ist, dass sie nur noch sehr, sehr wenig mit mir zu tun haben wollen, falls überhaupt. Also, ich möchte nicht einem Orden angehören, der andere Menschen unterdrückt, foltert oder versklavt wie Sardonias Hexen oder die britischen Todesser. Wenn ich einen Verein, einen Orden, eine Gruppierung finde, die das sicherstellt, würde ich mich mit allem einbringen, was ich kann, solange ich dafür niemanden quälen oder töten soll."

"Ja, und was, wenn jemand wie Ladonna oder die Spinnenschwestern dich zwingen wollen, bei ihnen mitzumachen? Sage nicht, du wolltest dann lieber sterben, das würden die nicht zulassen", sagte Louiselle. "Ja, aber darauf würde es hinauslaufen, entweder tot oder Sklavin. Dann lieber tot als Sklavin", erwiderte Laurentine. Louiselle nickte. "Jetzt weißt du, warum ich mein Haus mit stärkeren Schutzzaubern abgesichert habe, damit ich zumindest nachts in Ruhe und möglichst größter Sicherheit schlafen kann."

"Das verstehe ich", pflichtete Laurentine ihrer Lehrerin bei. Sie verstand jetzt, wie dankbar sie Catherine und den Bürgern von Millemerveilles sein musste, dass sie in deren Schutzzaubern leben und arbeiten durfte. Die meisten anderen hatten nicht dieses Glück.

Den rest des Abends verbrachten die beiden Hexen noch mit einer Übungsrunde in selbstverwandlungen. Louiselle zeigte Laurentine, dass ihre innere Tiergestalt ein weiblicher Wanderfalke war, während Laurentine immer noch am einfachsten zu einer ausgewachsenen Bache werden konnte. "Ich weiß bis heute nicht, warum ich ausgerechnet eine Wildsau verkörpern kann, wo ich ein Stadtkind bin und Wildschweine nur aus Zoos oder abgezäunten Wildgehegen kenne", sagte sie, als sie wieder zur Frau geworden war.

"Es gilt unter Verwandlungskundlern als allgemein anerkannt, dass verborgene Charaktereigenschaften oder bestimmte Vorlieben zusammenwirken, um das beiden Strömungen gemeinsame Tier zu verkörpern. Warum ich einen Wanderfalken verkörpere erkläre ich mir damit, dass ich sehr gerne fliege, gerne den Überblick behalte und eine Kämpfernatur bin. Ichhabe früher in der Hausmannschaft des violetten Saales mitgespielt und dabei auch einmal den Quidditchpokal in Händen halten dürfen."

"Hmm, Wildschweine sind stark, können alles verwerten, haben auch sehr gute Sinne und nehmen es mit vielen Gegnern auf", erwiderte Laurentine. "Ja, da haben wir es doch. Du verkörperst ein bodengebundenes Wesen, das sich gegen viele Widrigkeiten durchsetzen und dabei alles verwertbare in sich aufnehmen kann. Das hast du ja auch beim Turnier angewendet, nicht war?" Laurentine bejahte es. Louiselle wusste doch eh, wie sie durch das Turnier gekommen war. So erwähnte sie, dass ihr Patronus auch eine Bache war. "Das passiert meistens, dass wenn die erkannte oder noch unbewusste innere Tiergestalt mit überwiegend positiven Eigenschaften verbunden wird sie auch einen sehr guten Patronus ergeben kann. Es gab aber auch Leute, die haben Heldenfiguren ihrer Kindheit als Patroni hervorgebracht oder im Lauf ihres Lebens einen anderen Patronus gefunden."

"Ja, und offenbar ist es nicht wichtig, dass der Patronus dasselbe Geschlecht wie sein Aufrufer haben muss", sagte Laurentine. Sie dachte dabei an Julius' gigantische Flügelkuh-Patrona. "Ja, das stimmt. Eine Schulkameradin von mir hat einen ausgewachsenen Abraxaner-Hengst als Patronus hervorbringen können, hatte aber als innere Tiergestalt eine schwarzbunte Kuh. Später stellte sich heraus, dass sie tatsächlich ein ausgewiesenes Muttertier ist, aber zugleich auch für sehr starke Männer schwärmt." Laurentine wollte fast fragen, wieso der Patronus von Julius eine Latierre-Kuh war, erkannte aber, dass Luiselle das nicht wissen musste und er ja auch schon erwähnt hatte, dass die ihm und Millie geschenkte Flügelkuh Artemis genannt Temmie ja das Sinnbild für Stärke, Beweglichkeit, Mütterlichkeit und Durchsetzungsstärke war. Wohl deshalb war sie seine Patronusform. "Ich weiß, dass jemand, dessen Lebenswandel und Beweggründe lange sehr im dunkeln lagen eine Hirschkuh als Patronusform hatte. Es stellte sich dann nach seinem Tod heraus, dass diese Tierform seiner ersten und einzigen aber unerwiderten Liebe entsprach. Das kann einen Patronus erschaffen oder verändern", sagte Louiselle. Dann ließ sie erst ihren Patronus erscheinen, einen flinken Falken aus silberweißem Licht. Laurentine schaffte es, sich auf den Gewinn des trimagischen Pokals und den ihr entgegenbrandenden Jubel und die Anerkennung zu konzentrieren und ihren Patronus, die silberne Form einer kapitalen Bache, hervorzubringen. "Dann haben wir das Thema auch mal berührt", lachte Louiselle, als die silberne Wildsau dreimal um sie beide herumgelaufen war und ihre Rüsselnase am Boden haltend umhergeschnüffelt hatte.

"Soll ich Catherine das mit Ladonna Montefiori erzählen?" fragte Laurentine, als sie wieder abreisebereit war. "Gut, du darfst ihr und auch meiner Tante Hera Grüße ausrichten, dass es nun amtlich ist, was gewisse scharfohrige Leute herausgefunden haben und dass wir nun wissen, warum Ministerin Ventvit wohl ein Glücksfall für die französische Zaubererwelt ist. Das wird ihr reichen, falls sie es nicht schon längst weiß."

"Sie hat mir das mit keinem Wort gesagt", erwiderte Laurentine. "Ja, weil sie darauf hofft, dass du bei mir genug lernst, um dich draußen vor ihr zu hüten und ansonsten ja doch weitestgehend sicher untergebracht bist, fast wie ein Kind im Mutterleib."

"Das hätte jetzt deine Tante sagen können. Aber die weiß auch, dass kein Mensch ewig im Mutterleib bleiben kann oder in der Wiege", erwiderte Laurentine.

"Das ist wohl wahr", sagte Louiselle. Dann verabschiedete sie Laurentine mit einer kurzen aber innigen Umarmung, die in Laurentine ein Gefühlswirrwarr erzeugte. War das jetzt mütterlich, schwesterlich oder die Umarmung einer Geliebten, die sich auf das Wiedersehen freut? Da sie Louiselle nicht fragen wollte musste sie wohl auf die Antwort auf diese Frage verzichten.

Als Laurentine wieder in ihrer Wohnung über der der Brickstons angekommen war dachte sie an den anderen Teil der Unterhaltung, wo es um einen möglichen Beitritt zu einer Organisation von nur Hexen oder Hexen und Zauberern ging. Was würde sie tun, wenn die eine oder andere Schwesternschaft sie ansprach? Sie würde erst mal hören wollen, was von ihr erwartet und was ihr geboten wurde. Ja, so würde sie es angehen. Sie hoffte nur, dass sie nicht von dieser Ladonna Montefiori oder deren Konkurrentin vom Spinnenorden geshanghait wurde. Doch deshalb auf die Reise nach Amerika verzichten wollte sie auf keinen Fall, auch wo sie jetzt sicherstellen konnte, dass ihr keiner was unterjubeln konnte, weder illegale Substanzen noch ein ungewolltes Kind. Denn seitdem sie den Vita-Rubra-Zauber auf sich angewendet hatte konnte sie nichts tiefer als einen Zentimeter in ihren Unterleib einführen, was ihr nicht angewachsen war. Und der Zauber selbstbestimmter Hexen würde jetzt einen vollen Monat vorhalten und konnte auch nicht von ihr widerrufen werden, bis ihre nächste Regelblutung einsetzte.

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Hera Matine hatte über ihre verschiedenen Verbindungen mitbekommen, was sich am 25. Mai in Italien ereignet hatte. Nicht, dass sie sowas nicht schon länger erwartet hätte. Doch es nun quasi amtlich zu haben, dass Ladonna Montefiori versucht hatte, sich gleich zwanzig europäische Zaubereiminister Untertan zu machen ließ die altgediente Heilerin doch erschauern. Vor allem musste sie sich nun noch mehr fragen, wen die Veelastämmige bereits ihrem Willen unterworfen hatte. Sie musste davon ausgehen, dass auch schon einige ihrer Mitschwestern von ihr geführt wurden. Denn die großen weltweit vernetzten Hexenschwesternschaften stellten für sie sowohl eine sehr verlockende Beute als auch eine schlummernde Gefahrenquelle dar. Dass Ladonna bereits britische Hexen wie Ursina Underwood und Erin O'Casy auf ihre Seite gezogen hatte mahnte sie, ihre französischen Mitschwestern sehr sorgsam zu beobachten. Es galt, keine Unschuldige ungerechtfertigt zu verdächtigen und keine tatsächlich übergelaufene vorzeitig zu warnen. Ja, und sie wusste jetzt auch, dass ertappte Gehilfinnen und/oder Versagerinnen einem gnadenlosen Vernichtungsfluch anheimfielen. Ja, Ladonna konnte sogar hingehen und jemanden gezielt mit einem gefährlichen Gegner zusammenbringen und die zur lebenden Marionette gemachte Person aus sich heraus explodieren und alles im Umkreis in Brand setzen lassen. Das war eine hinterhältige, furchtbare Waffe. Doch dagegen gab es ein Mittel, dasselbe Mittel, was gegen die von Igor Bokanowskis gefälschte Zaubereiminister geholfen hatte. Es galt nur, dieses Mittel schneller wirken zu lassen als durch den Aufruf des betreffenden Zaubers. Denn ihr war klar, dass allein der Gedanke an eine bevorstehende Niederlage oder Gefangennahme reichen mochte, um den Vernichtungszauber zu entfesseln.

"Ich werde mit den mir verfügbaren Thaumaturgen erörtern, wie schnell der Incapsovoulus-Zauber ausgeführt werden kann, wenn er aus einem Speichergegenstand heraus gewirkt wird", sprach Hera zu einem kleinen Vollporträtbild einer spargeldünnen Hexe mit fuchsroten Locken, die ein Gegenstück in Deutschland hatte. "Soweit meine Doppelgängerin erfahren hat will Güldenberg sich mit den anderen Ministern absprechen, wo sie außerhalb von Ladonnas neuem Hoheitsgebiet zusammenkommen können und ob die Quidditchweltmeisterschaft in einem anderen Land stattfinden kann oder abgesagt werden muss", erwiderte das gerade mal zwanzig Zentimeter große Bildnis, deren natürliche Vorlage Johanna Kifernzweig geheißen und vor 300 Jahren die gesamtdeutsche Gemeinschaft der schweigsamen Schwestern geleitet hatte. Gesine Feuerkiesel hatte zwanzig Repliken dieses Bildes, von denen eine nun von Hera Matine betrachtet wurde.

"Du weißt, dass wir nicht zu weit vor die Tür treten dürfen, Hera. Doch die deutschen Mitschwestern werden wohl herausbekommen, wie sie es dem Minister erklären können." "Ja, falls ihr nicht genauso unterwandert seid wie die Briten und Iren und ziemlich wahrscheinlich auch wir Französinnen", grummelte Hera. Die kleine Porträtversion von Johanna Kiefernzweig machte eine bejahende Geste. "Falls dir einfällt, wie du die verdorbenen Äpfel aus dem Haufen genießbarer Früchte herausklauben kannst wird Gesine dir sicher sehr verbunden sein", sagte die fuchsrote Hexe.

"Wenn ich fürchten muss, dass Ladonna vor allem die Ungeduldigen geködert und dann an ihre unsichtbare Führleine gelegt hat kann ich leider keine von denen nach Millemerveilles einbestellen. Denn die Ungeduldigen konnten schon während der dunklen Kuppel Sardonias nicht mehr zu uns, und nun, wo die Kinder Ashtarias eine neue, noch besser schützende Abschirmung errichtet haben kommt von denen keine mehr über die Grenze. Sonst wäre es einfach gewesen, die verdorbenen Früchte aus dem Korb zu werfen, um dein Bildnis zu gebrauchen. Aber irgendwas muss es damit zu tun haben, dass Ladonna nicht versucht hat, Ornelle Ventvit zu dieser geheimen Zusammenkunft einzubestellen. Sicher weiß sie von ihren neuen Getreuen, was ihr passiert ist und argwöhnt wohl, dass Euphrosynes unerwünschter Bewahrungszauber Ornelle gegen die von aus Veelakraft gewirkten Zauber ankämpfen kann. Da können wir vielleicht drauf aufbauen. Ich werde mir was überlegen, um mit unserem Veelakontaktzauberer darüber zu reden, ohne ihm zu verraten, welchen Rang ich in der erhabenen Sororitas habe. Wird mir nicht schwerfallen, da er mich ja schon als Großheilerin schätzt und davon ausgehen darf, dass mir das Leben und die geistige Unversehrtheit unserer außerhalb Millemerveilles lebenden Verwanden überaus wichtig ist. Vielleicht fällt ihm auch was dazu ein oder er stellt offiziell für das Ministerium und somit auch für uns eine Verbindung zu den reinrassigen Veelas her, die sicher nicht begeistert sind, dass Ladonna die von ihnen ererbten Kräfte so skrupellos ausnutzt."

"Gut, dann wird die Heimstattgeberin meiner Doppelgängerin das auch über eine unserer im Ministerium tätigen Mitschwestern tun", erwähnte Johanna Kiefernzweigs Kleinporträt. Hera Matine nickte dem magischen Miniaturgemälde zu und bedankte sich für dessen Aufmerksamkeit.

Nachdem die residente Hebamme von Millemerveilles ihre vielen Patientinnen besucht hatte, um sich nach der Entwicklung ihrer Mehrlingsnachkommen zu erkundigen kehrte sie in ihr Wohn- und Praxishaus zurück. Dort fand sie einen Brief ihrer Nichte Louiselle Beaumont. Mit Hilfe des Blut-zu-Blut-Zaubers machte sie den mit Louiselles Blut geschriebenen Text für sich lesbar. Louiselle schrieb:

Hallo liebe Tante Hera.

Es wird dich sicher sehr freuen und beruhigen, dass meine junge Einzelschülerin Laurentine Hellersdorf sich in den Wochen ihrer Sonderausbildung sehr gut entwickelt hat und trotz der zu erwartenden Schwierigkeiten standhaft und ohne Murren an die von mir erteilten Aufgaben und Übungsvorgaben herangegangen ist. Da ich weiß, dass du nicht wissen willst, was ich ihr alles für nicht so gesundheitsfördernde Zauberstücke beigebracht habe erwähne ich nur, dass Sie Frieden mit ihrem Dasein als vollwertige Hexe geschlossen hat. Warum es in ihren ersten Schuljahren nicht danach aussah weiß ich mittlerweile auch. Ich gehe davon aus, dass du es von ihr auch schon erfahren hast. Es ist somit sicher, dass Laurentine Hellersdorf voll und ganz in unserer Welt weiterleben möchte, aber auf Grund der in ihr erwachten hohen Zaubergaben und/oder wegen ihrer überragenden Zauberstababstimmung besorgt ist, von dunklen Zeitgenossinnen wie Ladonna oder der Spinnenhexe vereinnahmt und hörig gemacht werden kann. Wohl auch deshalb hat sie alle von mir unterrichteten Abwehrzauber mit ganzer Entschlossenheit erlernt. Zwar gibt es noch etliche Zauberstücke, die ich ihr beibringen kann. Aber mit denen, die ich ihr beibringen konnte wird sie ihre körperliche und geistige Eigenständigkeit wohl verteidigen können, wenn sie in vier Tagen in die Staaten reist.

Trotz dieser Zuversicht möchte ich fragen, ob es möglich ist, sie auf ihrer Reise aus sicherer Entfernung beobachten und falls nötig beschützen zu lassen. Ich habe ihren Reiseplan erfahren und ihn dir auf dem zweiten Pergament aufgeschrieben. Auch möchte ich gerne auf deine Frage zurückkommen, ob Laurentine bereit wäre, unserer erhabenen Schwesternschaft beizutreten. Grundsätzlich hat sie nichts dagegen, mit gutartigen bis neutralgesinnten Hexen und Zauberern zusammenzuarbeiten, solange sie dabei nicht dazu angewiesen wird, unschuldige Menschen zu quälen oder zu töten. Anders als rein zaubererweltgeborene Hexen ist sie den schweigsamen Schwestern gegenüber nicht so voreingenommen. Daher trete ich hier und jetzt mit einer Bitte um Gehör vor der Mehrheit der Schwestern heran, um für Laurentine Hellersdorf zu sprechen. Da es nun zu kurzfristig wäre, sie noch vor dem 29. Mai zu befragen und ihre Entscheidung zu hören schlage ich vor, dass sie nach ihrer Rückkehr aus den Staaten am 16. Juni die Einladung erhalten möge. Vielleicht ist es uns bis dahin auch möglich, die freien Schwestern von den Opfern der dreirassigen Feindin aus Italien zu unterscheiden und sie ihr entweder abspenstig zu machen oder zumindest davon abzuhalten, uns weiterhin auszuforschen und zu schaden. Jedenfalls denke ich, dass die junge und talentierte und einsatzfreudige Hexe Laurentine Hellersdorf eine Bereicherung für unsere erhabene Sororitas sein mag, auch weil sie die nichtmagische Welt kennt und dorthin Kontakt hält. Wie selbst die Ungeduldigen Schwestern mittlerweile wissen können und dürfen wir nicht mehr übergehen, was in der magielosen Welt geschieht. Sicher, es gibt ja schon altehrwürdige Schwestern, die nichtmagische Wurzeln haben. Doch die kennen sich wohl nicht mit diesen neuartigen, mit besonders gelenkter Elektrizität tätigen Nachrichtenübermittlungsgeräten aus.

Gut, ich fang offenbar schon zu plädieren an. Das behalte ich mir doch besser vor, wenn du und nur du uns und sie zur gemeinsamen Befragung einlädst. Sollte sie sich dann für den Beitritt entscheiden können wir sie ja dann alle fragen, was genau sie für uns tun kann, ohne dass dafür jemand stirbt. Falls sie sich aus freien Stücken dagegenentscheidet, in unsere Reihen einzutreten, so hoffe ich zumindest, dass sie und ich nach der dann fälligen Erinnerungsberichtigung weiterhin in Kontakt bleiben können und ich ihr, falls sie dies wünscht, weitere wirksame Hexenzauber beibringen kann und sie mir dafür die neuen Errungenschaften der nichtmagischen Welt offenbart.

Wie erwähnt lege ich die Entscheidung über ihre Befragung vor uns Schwestern in deine Hände, geliebte Tante und hochgeachtete erste Mutter unserer altehrwürdigen Sororitas

Liebe und Grüße

Louiselle Beaumont

Hera Matine las den Brief noch einmal. Dann wiegte sie den Kopf. Jemanden aus sicherer Entfernung beobachten und beschützen zu lassen war eigentlich nur bei Blutsverwandten eingeschworener Schwestern üblich, wenn diese sich in erkennbar gefährliche Situationen wagten. Da galt die oberste Regel, nicht aufzufallen und bei möglichen Hilfeleistungen nicht als Helferinnen erkannt zu werden. Sowas setzte gute Kenntnisse im ungesagten Zaubern und gemeisterten Unsichtbarkeitszaubern oder den Besitz mehrerer Tarnumhänge voraus. Außerdem wussten sie nicht, wen Ladonna bereits auf ihre Seite gezogen hatte. Insofern konnten die Hüterinnen selbst zur Gefahr für die Schutzbefohlene werden. Ja, es stimmte auch, dass es üblicherweise bis zu einer allvierteljährlichen Vollversammlung der eingeschworenen Schwestern dauern mochte, eine angekündigte Beitrittskandidatin zu befragen. Das nächste reguläre Treffen sollte am ersten Juli stattfinden, also weit genug nach dem 16. Juni. Andererseits konnte bei besonderen Anlässen auch eine zusätzliche Vollversammlung einberufen werden, und einen solchen Anlass gab es ja bedauerlicherweise. Louiselle hatte aber auch recht, dass sie auf jeden Fall die faulen Früchte aus dem Korb der vertrauten Schwestern aussortieren mussten. Am Ende führte jede Neueingliederung dazu, dass die Widersacherinnen weitere Helferinnen gewannen, zumindest aber erfuhren, wer neues dazukam, um diejenige zu behelligen, womöglich zu erpressen. Auch deshalb sollte sie diese Versammlung nicht zu überstürzt einberufen. Doch wenn sie zu lange wartete würde der Eindruck entstehen, die erhabene Schwesternschaft sei in Angst vor Ladonna erstarrt und handlungsunfähig. Das durfte sie auch auf keinen Fall zulassen. Ja, sie musste dringend mit Julius Latierre sprechen, wie Ladonnas eindeutig den Veelas entlehnter Unterwerfungszauber gebrochen oder davon betroffene erkannt werden konnten. Wusste sie das, würde sie auf Louiselles Antrag eingehen und noch vor dem 1. Juli die Befragung Laurentines durchführen.

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26.05.2004

Ihr Plan war schon im Ansatz gescheitert. Außer dem britischen Zaubereiminister hatte jeder der von ihr ins Castello Moravito gelockte Zaubereiminister nach der Rückkehr alle Abteilungen nach ihren Helferinnen durchsuchen lassen. Besonders tragisch war es in Österreich gewesen, wo gleich vier Helferinnen enttarnt wurden und bei einer drohenden Festnahme dem eingewirkten Zerstörungszauber zum Opfer fielen. Dass dabei auch die Sicherheitszauberer, welche die Festnahme durchführen sollten gestorben waren hatte die Wut und den Argwohn nur noch mehr angefacht, als wenn jemand einen Schluck Lampenöl auf glühende Kohlen schüttete. Ja, und in Frankreich mussten ihre vierzehn Getreuen im dortigen Zaubereiministerium ebenfalls aufgeflogen sein. Doch von denen hatte sie weder einen mentalen Todesschrei noch die Auswirkung ihres Verratsunterdrückungsfluches verspürt. Doch sie konnte sie nicht mehr in Gedanken ansprechen. Deshalb konnte Ladonna ihr Vorhaben, die Vernichtung des Castellos und den damit einhergehenden Tod von zwanzig Zaubereiministern und ihren wichtigsten Mitarbeitern als Tat der schwarzen Spinne zu verbreiten nicht umsetzen. Sie spielte nun mit dem Gedanken, klarzustellen, dass sie und nur sie für den weltweiten Frieden in der Zaubererwelt eintreten würde und die Minister die einzigartige Chance vergeben hatten, sich ihrer Idee von dieser friedlichen Welt anzuschließen. Wäre die Konferenz gestern erfolgreich verlaufen, so würde ihr heute ganz Europa gehören, selbst wenn Güldenberg und Ventvit nicht unter ihre Herrschaft geraten wären.

"sie werden Mittel finden, euch von denen zu unterscheiden, die noch nicht für uns handeln", schickte Ladonna eine Gedankenbotschaft zu ihrer bis gestern noch aussichtsreichen Helferin auf den britischen Inseln nach dem Verschwinden von Erin O'Casy. "Dieser Mohrenkrieger Shacklebolt hat sicher bedacht, was geschieht, wenn er einen oder eine von euch offen beschuldigt oder gar gefangennehmen lässt. Also fühlt euch bloß nicht sicher, nur weil Shacklebolt euch noch nicht offen vorlädt oder festnehmen lässt!"

"Ja, aber was machen wir, wenn er es doch tut?" wollte ihre Helferin wissen. "Tja, dann habt ihr versagt und werdet für mich sterben", erwiderte die Rosenkönigin. "Also sieh zu, dass du nicht für mich wertlos wirst!"

Ladonna dachte auch daran, jetzt die offene Konfrontation zu suchen und ihre Helferinnen in den Ministerien zu offenen Angriffen und Unterwerfungsversuchen zu treiben. Doch sie wollte nicht riskieren, dass ihre Gehilfinnen dabei selbst starben wie Ewalda vom Kreuzacker und ihre Getreuen, die sie Ladonna zugeführt hatte. Sie brauchte Augen und Ohren in der restlichen Welt.

Eine heimliche Untersuchung in Deutschland ergab, dass Güldenberg wohl wegen Albertine Steinbeißers Warnung vor Ladonna auf die Portschlüsselreise verzichtet hatte und "das Ding" unberührt hatte verschwinden lassen, wohl auch zum Zeichen, dass die Deutschen nur zu einer Konferenz wollten, wenn sie den Zielort kannten und den Weg dorthin und wieder zurück wählen konnten. Offenbar hatte Gundulas Einfluss nicht so gut gewirkt wie sie behauptet hatte. Als Güldenberg dann von den Kollegen aus Großbritannien, Österreich und Belgien erfuhr, was ihm fast geblüht hätte hatte auch er erkannt, dass er fast ein Opfer der Wiedererwachten geworden war. Ein neuerlicher Beeinflussungsversuch scheiterte daran, dass die von Albertine Steinbeißer und Marga Eisenhut vorgewarnten Lichtwächter die als Reporterin der wilden Jagd auftretende Kira Falkenbrunner auf frischer Tat ertappten, als sie versuchte, Güldenberg unter den Imperius-Fluch zu nehmen. Allerdings entriss Ladonnas Verratsunterdrückungszauber sie einer genaueren Befragung. Zwei Lichtwächter fanden bei diesem Versuch den Tod. Nun wussten auch die Deutschen, dass sie unterwandert worden waren. Güldenberg hatte daraufhin eine umfangreiche Befragung aller Mitarbeiter veranlasst, wobei auch Veritaserum zum Einsatz kam. Ladonna befahl ihren deutschen Getreuen, ihr Heil in der Flucht zu suchen, auch wenn dann galt, dass eine Flucht auch ein Geständnis war. Sie sollten dann halt aus dem Untergrund heraus handeln, einen möglichen Nachfolger oder eine Nachfolgerin für Güldenberg heranziehen und bei einer sich bietenden Gelegenheit an seine Stelle setzen. Das war der nächste herbe Rückschlag für Ladonna Montefiori. Der Versuch, über Güldenberg auch an diese Hexe Albertine Steinbeißer heranzukommen war damit gescheitert. Am Ende, so erkannte die selbsternannte Königin aller Hexen, würde ihr nur noch Italien bleiben, wo sie ihre Macht gesichert hatte. Doch sie würde es schaffen, die Welt der Magie unter ihre alleinige Herrschaft zu bringen.

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Léto hatte sich ganz oben im Ministerium hingestellt. Ihre Töchter waren jeweils einzeln in die verschiedenen Gangabzweigungen auf allen Etagen gegangen. Deren Töchter genauso. Weil Julius gewarnt worden war, es könne auch ihn überkommen, wenn die Veelas ihr Lied der Verbundenheit sangen hatte er sich gleich bei Léto hingesetzt. Die Ministerin und die Damen Grandchapeau hatten sich auf Létos Rat hin außerhalb des Ministeriums einen Ort gesucht, der weit genug von den Veelas entfernt war. "Du kannst meine Hand halten, Julius. Womöglich hilfst du mir dann sogar dabei, die Verbindung zwischen uns Töchtern Mokushas und euch Menschenkindern zu verstärken", säuselte Léto, die bereits in die entsprechende Stimmung hineinfand.

"Belenus, es geht los. In zwei Minuten ab jetzt sucht ihr alle Räume ab", sprach Julius in eine silberne Schallverpflanzungsdose, die eindeutig den Mobiltelefonen der magielosen Welt nachempfunden waren, allerdings nur mit höchstens zehn Gegenstücken verbunden werden konnten. "Gut, ich bin mir zwar nicht sicher, ob ich nicht aus Versehen Revanche an Célestine nehme wenn das wirklich so durchdringend ist. Aber fangt an, bevor die anderen mitkriegen, dass hier Veelas rumlaufen!"

"Bitte, Madame Léto, singt euer Lied", sagte Julius. Dann nahm er Létos warme, weiche Hand und fühlte sofort, wie ihre Lebensaura mit seiner zusammenwirkte. Dann stimmte Léto einen einzelnen, glasklaren Ton an, der sofort durch Julius' Ohren in alle Fasern seines Körpers eindrang und sie sanft erglühen ließ, ohne ihm zu schmerzen. Aus dem einen Ton wurden drei, dann vier und dann eine wunderschöne, außerhalb der europäischen Tonleitern liegende Melodie. Er fühlte sich immer leichter, atmete im Rhythmus mit Léto. Dann hörte er aus Nah und ferne weitere Töne, die zu einem ganz besonderen Klangteppich zusammenfanden. Er fühlte seinen Körper nicht mehr. Er hörte nur noch dieses Lied. Dann sah er auch nicht mehr den Raum um sich herum, sondern nur noch die in einem warmen, sonnenaufgangsroten Licht leuchtende Léto, die immer größer zu werden schien. Er trieb förmlich auf sie zu und wurde eins mit diesem orangeroten Licht, ging auf in dieser herrlichen, von allen Seiten strömenden Melodie. Dann konnte er sie alle sehen.

Es war wie der Blick durch gläserne Wände, Böden und Decken. Wo immer er hinsah erkannte er von hellem Licht umflossene Frauengestalten, die aus sich heraus orangerot leuchteten. Er wusste wer wo stand, weil er ja alle ihre Namen kannte. Nur die, die ihm diese Namen beigebracht hatte, sah er nicht. Natürlich sah er sie nicht, weil er eins mit ihr war. Einen so überragenden Zustand hatte er zuletzt gefühlt, als Millie, Camille, Maribel, Adrian und er das Lichternetz über Millemerveilles beschworen hatten, als sie alle im astralenergetischen Leib Ammayamirias geschwebt waren. Er fühlte die Verbundenheit mit den anderen, wusste, er war keiner von ihnen aber doch ein Teil von jeder hier. Er hörte, nein fühlte ihre Stimmen, die ihn trugen. Die ihn führten und mit ihr, ihrer aller Mutter, verbanden. Dann sah er noch etwas in diesem großen Labyrinth aus Glas und Licht. An einigen Stellen glommen weitere Lichter. Es waren zunächst violette Lichterwolken, die waberten, aber immer auf der selben Stelle schwebten. Er konnte nicht sagen, wie viele es waren. Denn seine Fähigkeit zu zählen schwamm im unendlichen Meer aus magischen Tönen. Er sah nur, dass sie immer heller glommen und dann die Gestalten von Frauen nachbildeten, keine so wunderschönen Geschöpfe wie die Sängerinnen und die eine, in deren Kraft und Erhabenheit er eingeschlossen war. Er sah, dass die violett leuchtenden Gestalten sich nicht mehr bewegten, während die Sängerinnen zu ihrem Lied auch einen passenden Tanz aufführten. Jetzt sah er auch noch mehrere schwächere Lichter, verschiedenfarbige Leuchtquellen, erst wieder wie dünne Wolken, doch dann wie kleine menschenförmige Lichtquellen. Ja, sie waren kleiner als die großen, orangeroten Sängerinnen und auch noch kleiner als die starr auf ihren Plätzen stehenden violetten Körper. Doch sie bewegten sich schnell. Julius, oder wer immer er war, sah nun, wie die immer mehr werdenden kleinen Lichter geschäftig wie glimmende Ameisen umherrannten, oder gingen sie ganz ruhig, und nur für ihn sah es wie wildes Herumrennen aus. Er wusste nicht mehr, ob Sekunden oder gleich Minuten vergingen. Die Zeit war in diesem Zustand vielleicht anders beschaffen als er sie kannte.

Jetzt sah er wie die kleinen Leuchtmenschen die größeren violetten aufhoben und ganz schnell forttrugen. Immer vier trugen an einem. Das sah nun wirklich aus wie bei den Ameisen, die überschwere Holzstücke forttrugen, um ihren Bau zu erhalten. Er sah, wie die violetten Menschenkörper in einem Raum hineingetragen wurden. Jedesmal, wenn sie eine der leblosen Lichtfrauen dort hineintrugen erlosch deren Licht. Dann sah er die kleinen Lichtmenschen wieder wie aufleuchtende Glühbirnchen erscheinen. Von der Höhe und Richtung her war das wohl der sichere Raum, wo kein Zauber hinausdringen konnte und auch niemand mentiloquieren konnte. Das erklärte dann auch, warum die violetten Lichtfrauen nicht mehr zu sehen waren. Er sah weitere kleine Lichtmenschen, die ihren ganz eigenen Tätigkeiten nachgingen und die, die weiter nach den violetten suchten. Dann waren alle gefunden und in den sicheren Raum getragen. Jetzt fühlte Julius, wie die Melodie in eine andere Richtung glitt. Er fühlte, wie er aus einer großen Höhe ganz behutsam nach unten sank. Er sah, wie die kleinen Lichtmenschen immer mehr verschwanden, bis sie nicht mehr zu sehen waren. Dann hörte er neben den klaren Tönen auch ein regelmäßiges Pochen, wie eine große Pauke, die den Takt zu diesem wunderschönen, alles überragenden Lied klopfte. Er fühlte, wie die anderen Töne immer weniger wurden, bis auch die orangeroten Sängerinnen in einem einzigen orangeroten Licht vereint wurden. Er hörte das regelmäßige Pochen immer lauter und dazu immer dumpfer noch ein paar wunderschöne Töne. Dann fühlte er, wie er endgültig aus dem erhabenen, den Raum bis in die letzte Ecke ausfüllenden Licht hervorglitt und merkte, dass er einen Körper hatte. Er hörte noch immer das Pochenund fühlte, dass er an etwas warmem, weichen lehnte. Dann fühlte er auch noch die beiden ihn sicher und warm umschließenden Gebilde und empfand keine Angst. Schließlich hörte er zwei eindeutig von etwas weiter oben her kommenden, irgendwie in dem weichen Widerstand nachschwingende Töne. Dann verklangen auch diese. Er hörte nur noch das gleichmäßige Pochen und erkannte es nun als schlagendes Herz. Er lehnte mit dem Kopf an der linken Brust einer ihn sicher und sanft umarmenden Frau. Diese Erkenntnis riss ihn nun völlig aus dem so herrlichen und alles überragenden Zustand in die Wirklichkeit zurück. Er lehnte an létóós linker Brust, und der Veela schien das nichts auszumachen. Sie hielt ihn ruhig und sicher wie einen kleinen Jungen.

Julius machte anstalten, sich aus dieser innigen Umarmung zu befreien. Da lachte Léto glockenhell. "Magst du es nicht mehr, wenn eine Frau dich zärtlich umarmt und sicher hält?" fragte sie ihn gleichzeitig mit hörbarer und rein geistiger Stimme. "Das wusste ich nicht, dass ich derartig entspannt werde, dass ich gegen dich sinke", dachte Julius nur.

"Hat mir überhaupt nichts ausgemacht. Im Gegenteil: Weil ich diese mütterliche Haltung mit dir einnehmen konnte gelang mir die Verbindung zu allen anderen und deinen Artgenossen besser als beim letzten mal, wo ich mit anderen Verwandten dieses Lied sang, um einer von uns von einer schweren Vergiftung zu heilen", erwiderte Léto. Dann hörte Julius wieder Gesang. Er wollte sich losmachen. Doch Léto hielt ihn nun noch fester, sodass sein Kopf noch stärker gegen ihren Körper drückte. ""Wie viele waren es, Mutter?" hörte er Apollines Stimme in seinem Geist. "Wenig genug, um sie alle schnell in einen Raum zu schaffen und zu viele um nicht verärgert zu sein, dass Sternennachts Anverwandte derartig grausam mit Mokushas Erbe umgeht", hörte er Léto so rein und klar singen, dass jede Opernsängerin vor Neid geplatzt wäre.

"Aber sie wurden alle gefunden, richtig?" fragte Laure-Rose Montété. "Sowie wir das gesehen haben ja. Sonst hätte ich nicht die Rückkehr ins Jetzt angestimmt, um uns behutsam wieder voneinander zu lösen", hörte Julius Léto singen. Dann dachte er daran, dass er sich bei Belenus Chevallier melden sollte, um die Aktion für beendet zu erklären. Léto schien seine Gedanken gelesen zu haben und gab ihn behutsam frei. Zwar übertrugen die Silberdosen nur den Schall und kein Bild. Aber Julius wollte sicher nicht in einer Kleinkindhaften Haltung mit Ministerin Ventvits zeitweiligem Stellvertreter thaumatophonieren, wie er das mal genannt hatte.

"Geht es dir gut, Julius?" fragte Belenus, weil Julius irgendwie erschöpft und zugleich sehr glücklich klang. "Ich wurde ja gewarnt und habe mich entsprechend hingesetzt, dass ich nicht umkippen konnte. Wie viele waren es?"

"Vierzehn von dreihundert hier arbeitenden Hexen, davon vier aus meiner Abteilung und leider auch eine aus der Tierwesenbehörde. Aus Nathalies Abteilung war jedoch keine dabei. Hätte mich auch sehr gewundert, wenn Rose Devereaux oder Primula Arno dazugehört hätten."

"Schlimm genug, dass es so viele erwischt hat. Und habt ihr die alle eingeschlossen?" fragte Julius. "Die haben wir alle entwaffnet und in die Incapsovulus-Zauber eingeschlossen. Die können sich da ohne Zauberstab nicht draus befreien. Ich hoffe nur, dass die genausowenig aus sich heraus verbrennen wie die von Bokanowski gemachten Doppelgänger, die Madame Faucon und die selige Professeur Tourrecandide damals entlarvt haben."

"Selbst wenn der unmittelbare Vernichtungszauber von den magischen Eierschalen aufgefangen und verschluckt wird könnte sie noch immer über Geistesrufe ihren Tod befehlen", sagte Léto leise. Julius gab es weiter. "Nicht in dem Raum. Der ist genauso Melosicher wie Beauxbatons. Außerdem haben wir denen vor der Einkapselung noch Antimelobänder angelegt. Die kriegen nur noch von uns Befehle."

"Beaux war beim Sturm der Schlangenkrieger nicht so melosicher, Belenus", sagte Julius und erinnerte sich und ihn daran, dass Voldemorts mächtiger Schlangenstab ihm den geistigen Befehl erteilt hatte, mit ihm verbunden zu sein. Dass er mit Millie über die Herzanhängerverbindung ebenfalls fröhlich in Beauxbatons mentiloquieren konnte verschwieg er Jeannes Schwiegervater.

"Und wenn die einfach aufhören zu atmen?" fragte Julius. "Du bist eine schlimmere Spaßbremse als meine Schwiegermutter", grummelte Belenus Chevallier.

"Herr stellvertretender Zaubereiminister und in Personalunion Leiter der Abteilung für magische Strafverfolgung und Umkehr verunglückter Magie, ich fürchte, das hier ist kein Spaß, nicht für uns und für die auch nicht", sagte Julius und wurde von Léto über die Wange gestreichelt, als wollte sie sagen: "Braver Junge." "Ja, hast ja recht. Ui, kriege weitere Anrufe. - Ja bitte?" Julius hörte eine andere Stimme, wohl die von Nathalie Grandchapeau. "Haben doch echt vierzehn total in Trance gefallene Kolleginnen einsammeln müssen, die nach erster malediktometrischer Prüfung einen in ihren Körpern schlummernden Fluch tragen wie ungeborene Kinder eines Dementors oder Vampirs. - Wie bitte?! Ja, ich versteige mich in merkwürdigen vergleichen. 'tschuldigung. Wir lassen die erst mal aufwachenund sehen, was dann passiert. Wenn die wieder klar sind verhören wir sie. - Noch eine Spaßbremse. - Ja, verstehe, war nicht lustig. Bis dann nachher in der Nachbesprechung - Der hört sich so an, als hätte er bei dieser Léto die glücklichsten und erschöpfendsten Minuten seines Lebens erlebt, wie ich in der zehnten Hochzeitsnacht und ... Jaha. - Was, oh, öhm, ich entschuldige mich für dieses ungebürliche Reden vor mithörenden Damen, Ministerin Ventvit. Öhm, Monsieur Latierre?" "Monsieur Latierre hört", erwiderte Julius. "Die Zaubereiministerin möchte sich bei Madame Léto für ihre Mithilfe bedanken und bittet Sie als offiziellen Veelabeauftragten darum, mit ihr und Madame Léto den Wortlaut des neuen Gegenseitigkeitsabkommens auszuarbeiten, dass sie gestern mit ihr besprochen hat."

"Verstanden. Bis nachher zur Nachbesprechung." Julius klappte die Silberdose zu.

"War was in dem Lied drin, was erwachsene Männer wieder zu halbwüchsigen macht?" fragte Julius. "Wenn dem so wäre trüge ich dich jetzt sicher unter meinem Herzen und könnte dir deine Ahnenlinie vorsingen, bis du sicher wieder auf die Welt zurückkehren darfst", konterte Léto. Julius hätte fast gesagt, dass er das schon zweimal erlebt hatte. Doch das wusste Léto durch seine Lebensaura sowieso schon. "oh, die Ungebärdige entsendet eine Botin zu euch. Dann geh besser in deine Amtsstube, damit sie dich auch findet, bevor sie zwischen uns anderen Töchtern Mokushas den Weg verliert."

"Welche Ungebärdige?" fragte Julius und dachte erst an Ladonna. Doch das passte nicht zu Létos mädchenhaftem Schmunzeln. "Geh hin und lerne ihre Tochter kennen. Vielleicht hat unser Gesang ja bis in deren Reich geklungen." Julius begriff, dass er das nur durch eigenen Augenschein herausfinden konnte. So bedankte er sich noch einmal bei Léto, die sagte, dass sie am Nachmittag mit der Ministerin noch zu ihm kommen wwürde, um über den ersten Ansatz eines Gegenseitigkeitsvertrages zu sprechen, der die Stellung der Veelas und Veelastämmigen in Frankreich und vielleicht auch im Rest Europas auf einen neuen, besseren Wert bringen konnte. Davon hatte Julius zwar erst vor wenigen Minuten gehört, konnte sich aber denken, dass Léto mit Ornelle Ventvit lange und ausführlich über die Bedingungen für den Beistand der Veelastämmigen gerungen hatte.

Vor seinem Büro wartete eine wunderschöne Frau mit flammenrotem Haar. Sofort fühlte er die unverkennbare Präsenz einer Veelastämmigen. Da drehte sich die Besucherin zu ihm um, sodass er die kleine Silberplakette an ihrem seidigweichen Kleid und den Besuchsgrund lesen konnte: "Luciana Solana Bocafuego Vientocallente, Familienangelegenheiten einer Veelastämmigen". Den namen kannte er noch nicht.

"Guten Morgen, Madame", sagte Julius, als er den Ehering an der linken Hand der Frau sah. "Ich bin Julius Latierre, der Menschen-Zauberwesen-Beauftragte. Ich vermute, Sie möchten zu mir?"

"Encantada, öhm, erfreut Sie zu sehen. Ich bin Luciana Solana Bocafuego Vientocallente", sagte die andere in einem eindeutig spanisch angehauchten Französisch. "Ich möchte in der Tat zu Ihnen, Monsieur Latierre." Julius dachte schnell das Lied des inneren Friedens, um nicht von der starken Veelaaustrahlung überwältigt zu werden. Denn im Moment war er für sowas noch empfänglicher als sonst schon.

Als er die Besucherin eingelassen hatte und sie ihm nun gegenübersaß fragte er, ob er sich Notizen machen dürfe oder ob sie ihn erst einmal nur kennenlernen wollte."

"Ich spüre die Anwesenheit vieler anderer Kinder Mokushas, die sich weit im Gebäude verteilt haben, ach ja und wohl ihre Stammmutter, die wie eine Königin über allen hier thront. Ich hoffe, diese ganzen Nachfahren der großen Urmutter verzeihen es mir, dass ich Sie zuerst beanspruchen muss." Julius hätte fast gesagt, dass wenn sie zehn Minuten früher ins Ministerium gekommen wäre hätte sie wohl voll die Überdosis Veelamagie abbekommen. So sagte er nur: "Ich habe mit den ganzen Damen, die sie erspüren können eine wichtige Handlung durchgeführt und hoffe, dass es was geholfen hat. Doch jetzt stehe ich Ihnen zur Verfügung.""

"Das ist sehr nett, Monsieur Latierre. Denn es geht um nichts höheres als um meinen Sohn Ignacio Lucio. Er nahm gestern an einer scheinbar friedlichen, wenn auch geheimen Zusammenkunft verschiedener Zaubereiminister teil und ... Ah, Sie hörten bereits davon." Julius hatte sich irgendwie nicht richtig unter Kontrolle. Normalerweise beherrschte er seine Gesichtszüge gut genug, um sein Gegenüber nicht merken zu lassen, wie ihn eine Nachricht bewegte. Doch als er von dieser geheimen Zusammenkunft hörte wusste er sofort, was passiert sein musste. "Öhm, Ihr Sohn lebt hoffentlich noch", sagte er. "Ja, und das auch nur, weil meine Schwestern und ich für ihn das Lied der Verbundenheit und Heilung gesungen haben. Jemand ganz übles vergiftete ihn mit einer Ladung aus drei Runesporeköpfen gleichzeitig." Julius fuhr zusammen. Er wusste, was das hieß. "Tod oder unheilbarer Wahnsinn", seufzte er. "Es erfreut mich, nicht lange erklären zu müssen, Monsieur Latierre. Meine Mutter, meine Schwestern und ich haben ihm helfen können, wobei wir die tödlichen Träume, die das Gift in seinen Kopf getrieben hat zum teil selbst erlittenund nur unter größter Anstrengung von uns wegsingen konnten, bis keiner dieser tödlichen Träume mehr in ihm war und auch sein Blut wieder rein war. Sie wissen, wer das getan hat." Julius hörte kein Fragezeichen in diesem Satz, deshalb nickte er bestätigend. "Sie ist eine weit von allen Wegen abgeglittene, vom verdorbenen Blut einer grünen Baumgebieterin auf den Weg der wilden Machtgier geratene Missgeburt, eine Gefahr nicht nur für Ihr Volk, sondern auch für unseres. Sie wollte meinen Sohn, den ich zwei ganze Jahre in mir trug töten, ebenso ein Träger von Mokushas Erbe wie sie." Julius argwöhnte, worauf sie hinauswollte. Doch diesmal hütete er sich davor, es vor ihr auszusprechen, auch weil er keinen schlafenden Drachen kitzeln wollte. "Meine Mutter, Doña Espinela Flavia Bocafuego de Casillas, erlaubte mir, zu Ihnen als Vermittler zwischen den Kindern Mokushas und denen der Menschen hinzugehen, um Ihnen mitzuteilen, dass die verdorbene Tochter aus dem Stamm der Nachtgeborenen ihr Leben verlieren wird, sobald der Rat der ältesten ihrer noch lebenden ältesten Blutsverwandten befiehlt, den letzten Schnitt zu vollziehen, falls Sie wissen, was damit gemeint ist. Sobald dies erreicht ist wird diese nachtschwarze Ausgeburt zweier unnatürlich liebender Weiber den eigenen Tod erleiden. Die Botschaft meiner ehrenwerten Mutter und mir lautet: Steht ihr Menschen uns dabei nicht im Weg oder wagt es nicht, eine von uns davon abzuhalten, diese Strafe zu vollstrecken!"

"Ich fürchte, wir werden das kleinste Problem sein, Señora Bocafuego Vientocallente. ich habe selbst mit Sternennacht gesprochen. Sie will Ladonna Montefiori nicht töten, sondern in Tiefschlaf versenkenund so in den Schoß Ihrer Urmutter zurückschicken. Außerdem ist da noch die Führerin der Schwestern der schwarzen Spinne La Araña negra, die auf Ihre Ansprüche keinen Wert legt. Außerdem könnte Ladonna hunderte von ihr sklavisch unterworfener Hexen und Zauberer gegen Ihre Angehörigen schicken und sie töten, was wiederum noch mehr Vergeltungswut hervorrufen würde. Deshalb möchte ich Ihnen bei allem Verständnis für Ihre gerechtfertigte Wut vorschlagen, sich mit Sternennacht zu einigen, dass deren Blutsverwandte auf unbestimmte Zeit irgendwo verwahrt wird, wo sie keinen Schaden mehr anrichten kann. Aber sie ist auch eine mächtige Hexe, die es versteht, mehrere Dutzend Menschen zur selben Zeit unter ihren Willen zu zwingen."

"Das wird ihr nichts nützen, wenn wir sie mit vereinter Kraft bedrängenund in der Hitzeunserer lodernden Wut zu Asche verbrennen, auf dass ihre verdorbene Seele in den Fluss der rastlosen Geister stürzt, wo sie auf ewig um die Welt der lebendigen Wesen treiben wird. Dort gehört sie hin."

"Wie gesagt, ich verstehe, dass Sie sehr wütend sind, weil diese Hexe Ihren Sohn töten wollte. Meine Mutter wäre auch sehr wütend, wenn mich jemand umbringen wollte. Ich habe selbst drei Töchter. Meine Frau und ich würden auch jeden mit Wut verfolgen, der einer von ihnen was antut. Doch wieviele Söhne und Töchter müssen sterben, wenn Ihre Familie gegen Ladonnas Familie einen blutigen Kampf führt. Zudem weiß Ladonna um ihre ganzen Feinde. Sie hat sich eine Festung erschaffen, umgeben von dunkler Zauberkraft und ..."

"Das wissen meine Mutter, meine Schwestern und ich schon", entfuhr es Luciana. "Wenn das nicht wäre hätten wir dieses Kind, das nicht sein durfte längst in den tiefen Schlaf gesungen und es in einer weit abgelegenen Höhle eingemauert, damit es in Jahrelangem Schlaf aus dem Leben geht und mit den rastlosen Geistern auf ewig um die Welt fließt. Aber die Festung mit dem Zauber brennenden Blutes ist zu groß, um ihr das Lied des fesselnden Schlafes zuzusingen. Aber wenn sie dort herauskommt werden wir da sein und sie selbst zu Asche verbrennen lassen", sagte die Besucherin mit wilden Gesten. Dabei sprühten ihr einzelne Funken aus den Fingern, und in ihrem makellos schönen Gesicht sprossen feuerrote Federn. Dann bekam sie sich und ihre Veelakräfte wieder unter Kontrolle und wurde wieder zu der überirdischen Schönheit. Julius erneuerte indes das Lied des inneren Friedens, weil er spürte, dass die andere ihn mit ihrer Ausstrahlung einwickeln und verschnüren wollte. "Sie beherrschen sich sehr gut, Monsieur Latierre. Ein anderer hätte schon vor mir auf dem Boden gekniet und mich angefleht, alles zu tun, um meine Gunst zu gewinnen."

"Deshalb erwählte mich Ihr Ältestenrat zum Vermittler, weil ich mich nicht so leicht überwinden lasse", sagte Julius nun mit gewisser Überlegenheit in der Stimme. Die andere fauchte wie eine erboste Katze. Julius begriff nun, was Léto mit "die Ungebärdige" meinte. So sagte er ruhig: "Ich kann und werde für Sie folgendes tun. Ich kann bei einer der ältesten vorbringen, dass Ihre Familie bedroht und beleidigt wurde und deshalb lieber heute als morgen Ladonnas Ende herbeiführen möchte. Ebenso kann und werde ich bei meinen menschlichen Vorgesetzten vorbringen, dass der Plan, einen Gegenseitigkeitsvertrag zu schließen, auch für Ihr Land und die darin lebenden Kinder Mokushas erwogen wird. Dann bekämen Sie ein anerkanntes Recht, Ladonna wegen des Mordversuches zu verklagen und für ihr restliches Leben ins Gefängnis zu bringen. Das ist nicht viel, aber auch nicht wenig. Bitte überbringen Sie Ihrer ehrenwerten Frau Mutter unsere Grüße und dass wir genauso unter Ladonnas Macht- und Mordgier leiden und ihr deshalb ebenfalls Einhalt gebieten wollen. Aber ein blutiger Vernichtungszug wird nur noch mehr Mütter um ihre Kinder weinen machen."

"Sagen Sie der Stammmutter, die ihrenKörper- und ihren Seelenduft an Ihnen hinterlassen hat, dass sie dem Rat beibringensoll, dass Ladonna Montefiori nicht mehr als eine von uns gelten darf!"

"Das werde ich gerne tun, wenn Sie das eine Wort sagen, um mich dafür zu gewinnen", sagte Julius. Luciana verzog erst das Gesicht. Dann schnaubte sie: "Por favor!- Bitte!" Julius nickte und fragte dann, ob er noch was für sie tun dürfe. "Nichts weiteres außer meine und meiner Mutter Botschaft zu überbringen." Sie stand auf und zog ihr langes, weizengoldenes Kleid zurecht. Dann verließ sie Julius Sprechzimmer. Er saß noch einige Sekunden da, atmete den Duft des Kräuterparfüms, das sie überflüssigerweise aufgelegt hatte.

"Da soll noch mal wer sagen, dass Blutrache nur Männerkram ist", dachte Julius. Aber er hatte über die Zweiwegspiegelverbindung zu Lea Drake mitverfolgt, wie die gemütliche Haushexe Molly Weasley die gnadenlose und gefährliche Bellatrix Lestrange im Zauberduell besiegtund getötet hatte, weil die so wahnsinnig war, ihr den Tod ihrer Kinder anzukündigen. Was konnte eine wütende Veela, die zum Teil auch eine Hexe war, wo es von Hexen schon hieß, sie seien wütend schlimmer als zehn Drachen?

Er mentiloquierte Léto an und teilte ihr mit, was die spanische Besucherin ihm aufgetragen hatte. "Ihre Mutter ist noch schlimmer. Aber mehr zu erzählen würde wirklich Dinge berühren, die ihr Menschen nicht wissen müsst", schickte sie zurück.

"Im Grunde kann Ladonna jetzt in ihrer vom Blutfeuernebel umschlossenen Festung bleiben, bis der Mond vom Himmel fällt oder die Sonne erlischt", gedankensprach Julius. "Doch dafür ist sie sich ihrer Sache wohl zu sicher."

"Das bleibt abzuwarten, ob das Lied der Verbundenheit und Heilung ihre Dienerinnen gereinigt oder zumindest für sie unerreichbar gemacht hat", erwiderte Léto.

"Wollt ihr noch warten, bis die Festgenommenen aufwachen?" fragte Julius. "Nein, Meine Töchter, Enkeltöchter und ich werden euer Haus jetzt durch die geheimen Zugänge verlassen. Dann wird niemand wissen, dass wir da waren. Ich selbst werde dann drei Stunden nach Mittag bei dir vorsprechen und mit eurer Ministerin die Grundlagen für den Gegenseitigkeitsvertrag besprechen." Julius bestätigte diese Zeitangabe.

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Tja, wie nützlich war doch Gertrude Steinbeißers Wissen um die Zusammensetzung von Veritaserum und dass Albertines Vorfahrin damals zwei wirksame Antidote gegen diesen Wahrheitstrank entwickelt hatte. So konnten sowohl sie als auch Marga und die anderen für Anthelia tätigen Hexen bedenkenlos das Veritaserum trinken und trotzdem alle gestellten Fragen so beantworten, dass ihnen keine Gefahr drohte, enttarnt zu werden. Als sie gefragt wurde, ob sie mitbekommen habe, welche Postsendungen der Minister erhalten habe sagte sie, dass sie keine Veranlassung habe, ihre magischen Kunstaugen dazu zu verwenden, den Minister auszuspähen und somit nicht wisse, was er in den letzten Tagen an Postsendungen erhalten habe. Da die vier verhörenden Sicherheitszauberer davon ausgingen, dass Albertrude das Veritaserum getrunken hatte argwöhnten sie keine Unwahrheit. Sie erwähnte dann noch, dass sie ja auch wegen ihrer wichtigen Angelegenheiten ihre Augen auf die von ihr zu bearbeitenden Dokumente richten müsse und der ihr ermöglichte Hindernisdurchdringungsblick dabei störte. "Außerdem musste ich einen Eid schwören, die mir zugestandene Sehfähigkeit nicht dazu zu nutzen, gegen meine Vorgesetzten zu handeln", sagte Albertrude im leicht weltentrückt klingenden Tonfall, den unter Veritaserum stehende Verdächtige benutzten, wenn der Wahrheitstrank sie zwang, wahrheitsgemäß zu antworten.

Nach einer Stunde und fünfzig gestellten Fragen entließen die Zauberer aus der magischen Strafverfolgung Albertrude aus dem Verhör und gaben ihr noch mit, ihre Augen weiterhin offenzuhalten, da zu befürchten stand, dass das Ministerium demnächst wieder zum Angriffsziel für feindliche Mächte werden mochte. Sie versicherte den Kollegen aus der Sicherheitsabteilung, dass sie alles ihr mögliche tun würde, um weitere Übergrifssversuche zu vereiteln, auch und vor allem gegen die Nachtschatten, die Vampirgötzin und eben auch Ladonna Montefiori. Dann durfte sie in ihr eigenes Büro zurückkehren. Dort trank sie erst einmal einen halben Liter Zitronenwasser, um den Geschmack aus dem Mund zu bekommen, den der Kontraverita-Trank verursachte, wenn jemand Veritaserum zu schlucken bekam. Diese Auswirkung war durchaus beabsichtigt, damit der Anwender des Gegentrankes wusste, wann er oder sie Veritaserum verabreicht bekam um dann wie unter dessen Wirkung stehend sprechen zu können. "Es ist doch gegen alles ein Kraut gewachsen, ihr Schafsköpfe", dachte Albertrude an die Adresse der Lichtwachen und internen Sicherheitszauberer. Womöglich plante Ladonna schon den nächsten Versuch, das Ministerium zu übernehmen. Deshalb galt es, ihr endlich einmal vorauszusein.

Als Albertrude am Abend des 26. Mai mit Anthelia mentiloquierte erfuhr sie, dass es in Brüssel zu einem offenen Kampf im Ministerium gekommen war, weil der belgische Zaubereiminister gleich nach seiner Rückkehr alle die Hexen hatte vorladen lassen, die ihm in den beiden letzten Monaten häufiger besucht hatten. Das hatte die wahren Helferinnen Ladonnas zu einer Art Panikreaktion getrieben. Das Chaos sei nun angerichtet. Das belgische Zaubereiministerium müsse sich nun erst einmal von dieser erschütternden Enthüllung erholen. Belgiens Zaubereiminister wurde von der Zaubererweltpresse angeklagt, die Öffentlichkeit über Monate hinweg im Dunkeln gehalten zu haben, was feindliche Spione und Attentäter anginge und das Kind nun im Kessel läge und alle Wichtel auf dem Dach seien, weil keiner mehr so recht dem anderen im Ministerium trauen könne. "Da haben du und die anderen Schwestern eurem Ministerium und eurem Land auf jeden Fall einen besseren Dienst erwiesen als die von mir geretteten Minister."

"Weißt du auch, was mit diesem jungen Veelastämmigen ist, den die Spanier nach Italien mitgenommen haben?" wollte Albertrude wissen. "Die drei Kontakte, die ich auf die iberische Halbinsel habe berichten unabhängig, dass dessen Veelaverwandte sich seiner angenommen hätten. Offenbar hatte Ladonna oder einer ihrer Helfer den jungen Veelastämmigen mit dem gemischten Gift aus gleich drei Runesporeköpfen beeinträchtigt. Diese Mischung kann zu einem qualvollen Tod oder zu einer in unheilbaren Wahnsinn treibenden Folge erschreckender Halluzinationen führen. Dieses Weib wollte den Jungen eindeutig vernichten, ohne ihn sofort zu töten. Da sollten wir also auch drauf aufpassen", mentiloquierte Anthelia.

"Runesporegift! Wenn wir es nicht schon gewusst hätten, dann wüssten wir es jetzt, wie skrupellos die Dame mit den Feuerrosen ist. Aber wenn sie einen Veelastämmigen angreift oder gar umbringt kriegt sie doch sicher Ärger mit dessen Verwandten, oder?"

"Das mag ihr auch egal sein. Sie wollte nicht, dass der junge Mann ihren Plan vereitelt. Sie wird sich jetzt wohl grün und schwarz ärgern, dass dieser Anschlag ihr nicht nur nichts genützt hat, sondern ihr womöglich auch die weltweite Veelagemeinschaft zum Feind gemacht hat."

"O ja, davon ist sicher auszugehen", erwiderte Albertrude Steinbeißer mit gewisser Belustigung."

"Und was kannst du mir noch berichten, außer, dass du heute dem Veritaserum getrotzt hast?" wollte Anthelia wissen. "Dass ich nun weiß, dass Güldenberg wohl am ersten Juni mit den ausgewählten Mitarbeitern Eisenhut, Wiesenrain und Sommerlaub nach Millemerveilles reisen wird, um sich dort mit den anderen Zaubereiministern zu treffen. Soweit ich aus zwanzig Metern Entfernung mitlesen konnte ist geplant, die IOMSS und den Weltquidditchverband vor die Wahl zu stellen, die Neuauflage der Weltmeisterschaft an einem anderen Ort stattfinden zu lassen oder die Ausspielung des Weltmeistertitels bis in drei Jahren zu vertagen, wenn die Inder die WM ausrichten dürfen. Wird einigen Damen und Herren in Lausanne und Umgebung nicht gefallen. Und ich denke auch, dass die Sportverantwortlichen aus Frankreich, Mexiko und Peru nicht davon angetan sind, die Weltmeisterschaft ausfallen zu lassen. Kann auch sein, dass die IOMSS und der Weltquidditchverband darauf bestehen, dass Italien die Weltmeisterschaft ausrichten soll, allerdings dann nicht unter der Oberaufsicht des italienischen Zaubereiministeriums, sondern nur unter der der IOMSS und dem Weltquidditchverband. So ähnlich hält es bei den Magielosen auch die FIFA, die die Weltmeisterschaften im Fußball ausrichtet und die zuständigen Landesregierungen nur als Beiwerk betrachtet. Aber wenn du darüber mehr wissen willst, Schwester Anthelia, dann muss ich ddoch mal mit Wiesenrain reden, wie die sich das vorstellen."

"Mich interessiert nur, ob diese Veranstaltung stattfindet und wo genau, Schwester Albertrude. Denn Vita Magica wird wieder versuchen, internationale Fortpflanzungspaarungen zu erzwingen. Vielleicht ergibt sich ja eine Möglichkeit, dieser hexenfeindlichen Bande auf die Schliche zu kommen." Dem konnte Albertrude nur voll und ganz beipflichten.

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Gegen zwei Uhr Nachmittags wurde Julius von Belenus Chevallier in dessen Büro gerufen. Außer ihm war noch die Heilerin vom Dienst, Anne Laporte, sowie der Leiter der Zaubereizentralverwaltung und die Zaubereiministerin persönlich anwesend.

"Wurde das mit den verschwundenen Erinnerungen überprüft?" fragte die Ministerin. "Ja, wurde es", sagte Belenus Chevallier. Julius brauchte nicht nachzufragen, wie genau.

"Ja, und die vierzehn Gefangenen haben durch den aus ihnen ausbrechenden Zauber soviel Ausdauer verloren, dass sie beinahe in eine unbestimmt andauernde Ohnmacht gefallen sind", sagte die Heilerin vom Dienst. Derzeit befinden sie sich in der Delourdesklinik im Trakt für Gefahrenpatienten der Stufe drei und werden dort beobachtet. Wir können nicht ausschließen, dass doch noch eine Art verzögerter Fluch oder eine zeitlich verzögerte Menge Gift wirkt. Heilzunftsprecherin Eauvive erfuhr von ihrer spanischen Kollegin, dass gestern ein Ministeriumszauberer mit Veelaverwandschaft einem tückischen Giftgemisch zum Opfer fiel. Nur die vereinte Kraft seiner Verwandten konnte ihn vor den Auswirkungen bewahren." Julius nickte der Heilerin zu. Das veranlasste den Büroinhaber, ihn zu fragen, was er darüber erfahren hatte. "Die Mutter des Geschädigten wurde heute morgen bei mir vorstellig und sagte, dass ihre Familie Ladonna Montefiori für diesen Mordversuch verantwortlich mache und diese nun die Vergeltung seiner Verwandten zu fürchten habe."

"Blutrache", seufzte die Ministerin. Julius nickte betrübt. "Und was haben Sie dieser Dame gesagt, Monsieur Latierre?" wollte Monsieur Chevallier wissen. "Das wir das nicht gutheißen und ein blutiger Krieg noch mehr Mütter zum weinen bringen wird und dass Ladonna hunderte von versklavten Helfern und Helfershelfern gegen diese Veelastämmigen schicken kann."

"Und wird sich die Familie des Vergifteten daran halten?" fragte Ministerin Ventvit. Julius wusste es nicht sicher, fürchtete jedoch, dass die Familie des Vergifteten nicht von ihrem Racheplan lassen würde. "Dann müssen wir also auch mit rachsüchtigen Veelastämmigen rechnen, wo Ladonna oder ihre Unterworfenen auftauchen", seufzte Heilerin Laporte. Keiner wagte ihr da zu widersprechen.

Julius wollte gerade wieder in sein Büro zurückkehren, um sich auf den Besuch von Léto und der Zaubereiministerin vorzubereiten, als ein Memo hereinflog. Monsieur Chevallier las die ihm zugestellte nachricht. "Soviel zu unserer Rücksicht auf die öffentliche Ruhe", knurrte er und sprach weiter: "In allen italienischen Zaubererzeitungen steht drin, dass eine feindliche Macht versucht habe, eine geheime Zusammenkunft der europäischen Teilnehmer der Quidditchweltmeisterschaft heimtückisch zu ermorden. Romulo Bernadotti sei mit seinen Mitarbeitern diesen Mördern zum Opfer gefallen. Wie viele der anderen Zaubereiminister unter den Toten seien könne nicht geklärt werden, da der Versammlungsort vollständig niedergebrannt sei. Es könne sich jedoch nur um Verrat aus den Reihen der Zaubereiminister handeln. Das Motiv dürfte sein, das italienische Zaubereiministerium in Misskredit zu bringen und die Neuauflage der Quidditchweltmeisterschaft zu vereiteln. Offenbar habe jemand die Kontrolle über mehrere europäische Zaubereiministerien übernommen, darunter das von Großbritannien, Frankreich und Deutschland."

"So geht's auch", grummelte Julius. "Ladonna hat ihre noch unterworfenen Ministeriumsleute darauf gebracht, jedem, der behauptet, Italien sei von ihr unterworfen worden, für einen Handlanger einer anderen feindlichen Macht zu halten, vielleicht von Ladonna Montefiori unterworfen."

"Sowas in der Art hat Grindelwald vor siebzig Jahren auch gemacht, als er die gegen ihn opponierende Liga gegen dunkle Künste für die wahren Weltherrschaftssüchtigen hielt", sagte die Zaubereiministerin. "Und wir haben ihr auch noch den Gefallen getan, keine Pressemeldungen zu veröffentlichen. Tun wir es jetzt wird das von ihr noch gehaltene Zaubereiministerium behaupten, wir wollten es vernichten."

"Das war ihr Plan B", vermutete Julius, als er ums Wort gebeten hatte. "Wenn die geladenen Minister die Falle wittern oder ihr wider alle Erwartung doch entkommen können." Monsieur Chevallier nickte verdrossen. Die Ministerin fragte dann in die kleine Runde, was sie nun tun konnten. "Im Grunde können wir in Frankreich erst mal gar nichts tun", sagte Belenus Chevallier. "Die, welche entkommen sind, können genau berichten, was ihnen passiert ist." Die Ministerin nickte erst. Dann meinte sie: "Falls Ladonna nicht auf die perfide Idee kommt, den Tod Bernadottis und seiner Mitarbeiter so hinzustellen, dass sämtlichen Ministern der Konferenz eine falsche Erinnerung eingegeben wurde, um es so hinzustellen, dass Ladonna hinter diesem Mordanschlag steckt." Julius verzog das Gesicht. Das konnte sie glatt bringen, dachte er. Dann sagte er, dass sie doch heute Helferinnen von ihr enttarnt hatten. Das müssten nur die richtigen Stellen erfahren. Dem stimmte die Ministerin zu. "Gut, dann lade ich gleich noch alle Medienvertreter der französischen Zaubererwelt zu einer spontanen Pressekonferenz. Ich gehe nicht auf die italienischen Behauptungen oder die Erwähnungen meiner Kollegen ein, sondern erwähne, dass wir nach längerem Verdacht, jemand könne unser Ministerium unterwandert haben, heute mehrere Hexen als von starken Flüchen und Bindungszaubern belegt enttarnt haben. Wie das ging bleibt Geheimsache, damit da kein Missverständnis aufkommt. Bitte teilen Sie Madame Léto mit, dass ich erst um vier Uhr mit ihr verhandeln kann, Monsieur Latierre."

"Ich weiß nicht, ob sie das so gut findet", sagte Julius. Die Zaubereiministerin überlegte kurz. "Belenus, Sie erhalten gleich von mir eine klare Stellungnahme wegen der heute enttarnten Agentinnen und dass sie noch in sicherer Verwahrung sind, um zu ergründen, für wen sie gearbeitet haben. Dass sie ihre Erinnerung verloren haben behalten wir für uns." Der Leiter der Strafverfolgungsbehörde bestätigte den Erhalt dieser Instruktionen.

"Dann möchten Sie doch der Verhandlung mit Léto beiwohnen?" fragte Julius. "Natürlich. Diese Sache ist zu wichtig, um durch eine reine Terminunstimmigkeit gefährdet zu werden", grummelte die Zaubereiministerin. "Anne, nur Monsieur Chevallier steht den Nachrichtenverbreitern Rede und Antwort. Sie kehren bitte auf ihren Bereitschaftsposten zurück und halten Verbindung mit der DK!" DieHeilerin vom Dienst bestätigte diese Anweisung.

"Und wenn jemand von den Nachrichtenausrufern wissen will, warum ich und nicht Sie diese Stellungnahme verlautbaren soll?" fragte Belenus Chevallier. "Mit dem einfachen Grund, dass Sie mich wegen der Gefährdung meiner Person an einen sicheren Ort gebracht haben, das sie fürchten, dass ein verbrecherischer Hexenorden meiner habhaft zu werden trachtet. Das sollte den Leuten genügen, um ihre eigenen Spekulationen zu züchten", sagte die Ministerin.

"Das könnte Ladonna aber in dieHände spielen, Mademoiselle Ventvit", brachte Belenus Chevallier zu bedenken. "Das soll sie gerne glauben, dass es dies tut. Aber wenn dann die anderen Minister selbst berichten, was ihnen widerfahren ist wird es für sie nicht mehr so einfach, ausschließlich den Spinnenorden als Übeltäter zu bezichtigen."

"Gut, Ministerin Ventvit. Ich erwarte dann Ihre Stellungnahme zur öffentlichen Verlautbarung", sagte Belenus Chevallier. Julius durfte dann in sein eigenes Büro zurückkehren. Da er im Moment kein Zuneigungsherz trug wollte er nicht mit seiner Frau mentiloquieren. Außerdem musste er sich nun auf die erste Besprechung mit Léto konzentrieren.

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"Oh, haben Sie hohen Besuch, dass sie den Verhandlungstisch Trigon in Blattgrün haben möchten?" fragte ein kleiner dicker Zauberer, der von den etwas angespitzt aussehenden Ohren durchaus einen Kobold in der Ahnenreihe haben mochte. Julius grinste und sagte: "Ich habe hier eine Ausleih- und Nutzungsanweisung und Erlaubnis der Zaubereiministerin höchstpersönlich. Bitte beachten Sie die angeführte Geheimstufe", sagte Julius und übergab dem Verwalter besonderer Möbelstücke die beiden Vollmachten. "Ui, s9, dann möchte ich nichts gesagt haben", sagte der kleine Zauberer, Monsieur Beaulieu.

Julius sah sich derweil in dieser Abteilung um. Er hatte sie noch nie benötigt. Aber wenn er schon eine bilaterale Verhandlung leiten sollte, dann mit Stil. Das hatte er auch der Ministerin vorgeschlagen, die ihm die betreffenden Genehmigungen erteilt hatte. "Hier ist das Modell Trigon in sattemBlattgrün und der dreiarmige Kerzenleuchter Lux Aeterna in Silber", sagte Beaulieu und zeigte Julius eine kleine Schachtel und einen handgroßen Metallzylinder. Julius prüfte schnell die Aufdrucke auf den Behältern und unterschrieb die Ausleihgenehmigung, die vorerst bis zum 20. Juni gelten sollte. Die Frist konnte bei Rückgabe der Einrichtungsstücke beendet oder per formlosem Verlängerungsantrag ausgedehnt werden.

Als Julius in seinem Büro den Schreibtisch so gestellt hatte, dass genug Platz für einen weiteren Tisch in der Mitte war öffnete er die Schachtel und pflückte ein gerade handgroßes grünes dreieck mit einem Beinchen an jeder Ecke heraus. Er peilte den passendenPunkt an, wo er das scheinbar kleine Ding platzieren konnte. "Hic locus hic stato!" rief er ohne seinen Zauberstab zu führen. Das winzige Tischchen wurde innerhalb von zwei Sekunden zu einem ausgewachsenen Tisch mit blattgrünem Filzbezug auf der Eichenholzplatte, ähnlich wie bei einem Billardtisch. Dann stellte Julius noch den kleinen Metallzylinder darauf ab. Dieser wuchs zu einem anderthalb Meter hohen Kerzenleuchter mit drei Armen, in denen je drei weiße Kerzen steckten. Hierbei galt, dass an jedem Arm gleichviele Kerzen entzündet wurden, um die Gleichberechtigung der davon erleuchteten zu bekunden. Julius stellte seinen Bürosessel und zwei hochlehnige Besucherstühle mit vergoldeten Lehnen und Beinen bereit, die er als Ehrensitze vorhalten durfte, weil er ja nicht mehr so unwichtig war und entsprechend wichtige Gäste empfangen sollte.

Zum Schluss zog er sich noch einen blattgrünen Umhang an. Jetzt konnten die beiden Verhandlerinnen erscheinen.

Als erst die Ministerin und dann Léto vor seiner Tür eintrafen begrüßte er sie formvollendet, wobei er hier erst die Léto grüßte, weil sie die ältere von beiden war. Dann lud er sie ein, in sein Büro zu kommen. Als sie beide eingetreten waren schloss er die Tür und stupste sie mit dem Zauberstab an. Nun würde jeder von draußen lesen, dass er gerade nicht am Platz war und Terminanfragen schriftlich eingereicht werden mochten. Außerdem aktivierte er die Klankerkerfunktion, die in Büros von Behörden- oder Bereichsleitern eingewirkt war.

"Oh, ein dreieckiger Tisch? Das kenne ich noch gar nicht", sagte Léto. "Auch ein schönes Naturgrün, Lob an den Tischler!" Die Ministerin nickte und bedankte sich bei Julius, dass er ihr sein Büro für die Unterredung zur Verfügung stellen mochte. Dann bat sie darum, je eine Kerze zu entzünden, da es heute ja erst um eine Grundlagenbesprechung gehen würde. Léto stimmte dem Zu. So entzündete Julius je eine von drei Kerzen an jedem der drei Arme des Leuchters. Er sagte: "Wenn ich dies richtig verstanden habe dauert eine Verhandlungsrunde solange, bis alle gleichzeitig brennenden Kerzen von selbst erloschen sind, richtig?" Die Ministerin bestätigte es, weil sie bereits die Flotte-Schreibe-Feder erkannt hatte, die in der Tischmitte auf dem ersten von vielen Pergamenten mitschrieb.

Julius erklärte die Zusammenkunft am 26. Mai 2004 um 15:03 Uhr für eröffnet und stellte erst die beiden Damen und dann sich selbst vor. "Thema dieser Verhandlungsrunde: Eine für das Volk der Kinder Mokushas, auch Veela genannt und das Volk der magischen Menschen dauerhaft geltende Vereinbarung zu treffen, die es beiden Seiten erlaubt, im Geiste gegenseitiger Anerkennung, Achtung und Wertschätzung einander beizustehen und Schaden von der einen oder anderen Seite abzuwenden. Sind die beiden Verhandlerinnen damit einverstanden?" Beide bejahten diese Frage. "So erteile ich zunächst Madame Léto das wort, weil Sieum diese Zusammenkunft gebeten hat."

Julius dankte nun seinem verstorbenen Onkel Claude, dass der ihm mal vorgeführt hat, wie eine geschäftliche oder politische Verhandlung ablaufen konnte, um zu wissen, wann er sich als Moderator zurückhaltenund wann der einen oder anderen Partei Rederecht geben oder vorübergehend entziehen durfte oder musste. Doch die beiden Damen waren offenbar schon so gut in ruhiger Gesprächsführung geübt, dass Julius nur für das Protokoll mitteilen musste, wenn eine von beiden nur eine Geste zur Antwort gab. Jedenfalls bekam er schon mit, wie viel zwischen Menschen und Veelas doch noch im Argen lag, auch wenn die Veelastämmigen in Frankreich scheinbar sehr gut eingemeindet und auch in guten Berufen untergebracht waren. Die Ministerin wiederum bekundete, dass es das Ziel ihrer Amtsführung sei, jedes bestehende Missverhältnis zwischen Menschen und denkfähigen Zauberwesen zu bereinigen, weil sich erwiesen habe, dass nur ein gegenseitig respektvoller Umgang miteinander den Frieden zwischen Menschen und Zauberwesen dauerhaft bewahren könne. Dann ging es um die ersten Einzelthemen, über die in späteren Verhandlungsrunden gesondert gesprochen werden sollten, unter anderem eine Verbesserung im Familienstandsrecht, sowie die Zulassung von Veelaabkömmlingen zur höheren Beamtenlaufbahn. Julius wusste, das dieses Gesetz durchaus auch von anderen Menschen mit anderen Zauberwesen in der Ahnenreihe abgelehnt wurde und verbesserungsbedürftig war. In der freien Wirtschaft und im Sport konnten Veelastämmige alles werden, nur Zaubereiministerialbeamte konnten sie noch nicht werden. Das wurde damit begründet, dass Veelastämmige mit ihrer besonderen Ausstrahlung überragende Vorteile vor Hexen oder anderen Amtsanwärterinnen besaßen.

Zwischendurch durfte Julius die ihm vermittelten Veelagesetze zitieren, um zu ergründen, wie diese mit den Zaubererweltgesetzen in Einklang gebracht werden konnten. Er wusste, der allerdickste Brocken, der alles andere zerbröseln konnte, würde erst am Schluss erörtert: Das Recht auf Blutrache, dass die Veelastämmigen seit ihrer Entstehung für sich in Anspruch nahmen.

Die Feder schrieb und schrieb alles mit, während die amhohen Leuchter brennenden Kerzen immer weiter herunterbrannten. Julius musste immer wieder das Lied des inneren Friedens denken, um von Létos Ausstrahlung nicht zu irgendeiner Parteinahme verführt zu werden. Ornelle Ventvit musste sich zwar sehr beherrschen, weil der ihr aufgeprägte Veelasegen sie doch für Létos Ausstrahlung empfänglicher machte, als sie es sich eingestehen wollte. Doch ihre eiserne Disziplin half ihr, die erste Gesprächsrunde ohne irgendwelche Wortentgleisungen zu überstehen. Als dann die Kerzen nur noch kleine, flackernde Stümpfe waren lag die klar eingeteilte Absichtserklärung vor, einen Gegenseitigkeitsvertrag auszuhandeln, in dem alle besprochenen Punkte zu beiderseitigem Einvernehmen erfasst werden sollten. Julius machte fünf Kopien davon, zwei für Léto, weil sie eine auf die für Veelas übliche Weise "lesen" wollte, zwei für die Ministerin und zwei für sich. Er unterschrieb in dem Feld "amtlicher Menschen-Zauberwesen-Beauftragter" und "Verhandlungsmoderator". Dann erloschen die drei Kerzen mit einem letzten Zischen. Julius läutete die kleine Glocke, die er sich für diesen Zweck besorgt hatte. "Damit erkläre ich die heutige Grundsatzgesprächsrunde für beendet. Ich bedanke mich bei den beiden Unterhandelnden für das konstruktive Gespräch und wünsche Ihnen beiden noch einen erholsamen Abend."

"Wir danken Ihnen für die angenehme und wohlordnende Gesprächsleitung", sagte die Ministerin. Léto strahlte Julius an und sagte: "Ich bedanke mich dafür, dass diese Verhandlung endlich möglich wurde." Julius dachte daran, dass das nur wegen Ladonna Montefiori möglich wurde. Wieder mal wurde wegen einer Krise oder einer Bedrohung von außen eine Absprache möglich, die sonst undenkbar geblieben wäre. Wie oft hatte es sowas schon in der magielosen Welt gegeben, und wie oft würde es sowas noch geben?

Als er endlich wagte auf seine Uhr zu sehen wusste er, dass die Kerzen wahrhaftig drei volle Stunden leuchteten. Das hieß, dass unter Umständen eine im Lichte des Leuchters geführte Verhandlung bis zu neun Stunden dauern konnte, wenn alle drei Stunden je eine neue Kerze angezündet wurde, bevor die ersten Kerzen ausgingen. Worauf hatte er sich da bloß eingelassen?

Nachdem er Tisch und Leuchter wie in der Ausleihanweisung wieder auf Transportgröße geschrumpft und sicher weggeschlossen hatte verließ er das Büro.

Als er in der Wohnküche des Apfelhauses apparierte traf er nur Béatrice an. "Höh, ich dachte, ich hätte länger zu tun", sagte Julius zu seiner Schwiegertante. "Deine Frau ist wohl noch im Ministerium. Offenbar dauert diese ganz spontane Pressekonferenz doch wesentlich länger als sie vorher gedacht hat. Hätte ich das gewusst hätte ich die kleinen zu uns ins Sonnenblumenschloss rübergebracht. Hera hat mich schon zweimal gefragt, ob ich noch zu einer Besprechung wegen der ganzen jungen Mütter zu ihr rüberkommen kann."

"Oh, das ist vielleicht wichtig", sagte Julius. Da ploppte es, und Millie stand gut gelaunt grinsend in der Wohnküche. "Hallo Julius, 'tschuldigung, dass ich länger weg war. Aber aus dieser kleinen Verlautbarung, die Jeannes Schwiegerpapa da herunterbeten sollte wurde dann doch eine ziemlich umfangreiche Aussprache, zu der er dann noch den Leiter für internationale Zusammenarbeit, Fleurs Vater und den Leiter der Desumbrateure dazuholen musste, weil der Kollege vom Zauberadio Tagesecho offenbar von einem Kollegen aus Belgien gewisse Einzelheiten gehört hatte, dass die bei euch durch eine geheime Untersuchungsmethode enttarnten Agentinnen eindeutig für Ladonna Montefiori gearbeitet haben sollen, da diese welche den belgischen Zaubereiminister gestern fast mit einer violetten Duftkerze mit blumenförmiger Flamme benebelt hätte. Dann hat der auch noch behauptet, im belgischen Zaubereiministerium sei es in den späten Morgenstunden zu einer wahren Zauberschlacht zwischen Ministeriumsleuten und in Panik geratenen Hexen gekommen. Am ende hätte das halbe Zaubereiministerium in Trümmern gelegen. Da konnte ich dann natürlich nachhaken, was genau der belgische Kollege mitbekommen hatte, was natürlich auch Monsieur Chevallier interessierte. Dann wollten deine Kollegen uns doch glatt darauf festklopfen, nur die von ihm verlesene Verlautbarung rauszugeben, um nicht aus Versehen Täterwissen öffentlich zu machen, was die Suche nach den Hinterleuten erschweren bis vereiteln würde. Und ich dachte, ich wäre ein freches Mädchen. Aber gegen Ossa Chermot vom Miroir bin ich doch noch harmlos."

"Sagen wir mal größtenteils harmlos", bemerkte Julius dazu. Millie grinste ihn herausfordernd an und sagte: "Alle hätten gerne die Ministerin selbst gesprochen, aber die war ja "in Sicherheit". Dann wollten sie dich als Veelakundigen sprechen, weil mittlerweile viele Wichtel flöten, dass Ladonna Veelaverwandte haben soll und ob du dir das vorstellen kannst, ob das ein Veelazauber ist, den Ladonna da gewirkt hat. Tja, aber dein Büro war nicht besetzt."

"Ich bin erst eine Minute hier", erwiderte Julius. Béatrice bestätigte das. Dann hörten sie auch schon die beiden lauffähigen Kinder die Treppe raufkommen. "Dann sehen wir zu, dass wir noch einen ruhigen Abend haben", meinte Millie und fing ihre Zweitgeborene auf, die sich ihr in die Arme warf. Julius umfing seine Kronprinzessin und hob sie hoch. "Da waren wir beide aber lange weg heute", sagte er zu Aurore. Dann sollte er Chrysie auf den Arm nehmen. Ja, sein Leben hatte ihn wieder.

Wie schon irgendwie Traddition trafen sich Béatrice, Millie und Julius nach dem Zubettbringenaller Kinder im Musikraum, wo sie die bloß nicht weiterzugebenden Sachenaustauschten, ohne dass jemand mithören konnte.

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27.05.2004

Noch wussten die meisten italienischen Hexen und Zauberer nicht, wer ihr Land eigentlich regierte. Offiziell trachtete Ladonna Montefiori von ihrer magischen Festung bei Florenz aus danach, ihre Pläne zu verwirklichen. Ebenso hatte es der von ihr zum neuen Zaubereiminister avisierte Pontio Barbanera zumindest geschafft, den Angriff auf die Konferenz der Zaubereiminister der Spinnenhexe und ihrem Orden anzudichten. Denn diese wolle ja der lästigen Konkurrentin Ladonna zuvorkommen und Italien zu einer Provinz ihres eigenen Weltreiches machen. Doch die Rosenkönigin wusste, dass diese Propaganda nur solange funktionierte, bis noch unbeeinflusste Hexen und Zauberer überzeugende Beweise erhielten, dass ihr Zaubereiministerium schon längst von einer einzelnen Hexe befehligt wurde. Dies konnte schon morgen der Fall sein oder erst in zwei Monaten.

Ladonna hatte von ihrer vom Blutfeuernebel umhüllten Villa bei Florenz aus eine Gedankenbrücke zu ihrem allerersten Abhängigen Pontio Barbanera errichtet. Sie nahm dessen Sinne wahr und hörte seine Gedanken.

Keiner der wesentlich älteren Zauberer, die sich früher die höchsten Chancen auf Bernadottis Nachfolge ausgerechnet hatten, hatte sich gegen ihn ausgesprochen. Im Gegenteil. Der Zauberwesenexperte galt als "Der geeignete Nachfolger", weil er sich auch mit Veelastämmigen auskannte. Denn zu Ladonnas Propaganda gehörte es, dass sie mit Hilfe von unterworfenen Zauberwesen wie Veelas, Sabberhexen und Meerleuten das italienische Festland und die vorgelagerten Inseln bedrohte und dass die schwarze Spinne eine Allianz mit den Werwesen geschlossen hatte, um in Italien noch mehr Werwölfe und Wertiger anzusiedeln. Also brauchten sie einen wie ihn, der sich mit diesen Wesen auskannte und die nötigen Kontakte in alle Welt besaß, um derartige Bedrohungen früh genug zu erkennen und zu beseitigen.

Es war zehn Uhr morgens. Die Zaubererzeitungen Italiens hatten ihre Berichterstatter und Fotografen geschickt, um der öffentlichen Vereidigung des neuen Zaubereiministers beizuwohnen. Der Tradition gemäß nahm der Älteste Zauberer den Amtseid entgegen. Das dies heute nur eine Schauveranstaltung war wussten über 90 Prozent der italienischen Zaubererweltbürger nicht.

"Ich schwöre beim Mercurius Trimaximus und allen Müttern und Vätern der Hohen Künste, dass ich als oberster Hüter der magischen Angelegenheiten Italiens und seiner Besitzungen stets Umsicht und Entschlossenheit walten lassen, um seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm abzuwenden und die Einheit und Beständigkeit der magischen Ordnung jederzeit wahren werde", sprach Pontio Barbanera die abschließende Formel. Daraufhin flogen ihm goldene und grüne Funken entgegen und umschwirrten ihn. Unter Begleitung einer feierlichen Musik aus scheinbar unsichtbaren Quellen steckte der Älteste des Zaubererrates, Giovanni Torrerosso, dem Frischvereidigten den Siegelring des amtierenden Zaubereiministers an. Daraufhin sammelten sich die diesen immer noch umtanzenden Funken und drangen in den Ring ein. Die magische Bindung zwischen dem Minister und den ihm unterstehenden Zaubern des Ministeriumsgebäudes wurde vollendet. Der neue Minister war einberufen.

"Ich weiß, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, dass Sie alle noch um den so brutal aus einem noch lange nicht abgeschlossenen Leben gerissenen Romulo Bernadotti trauern, der unser aller Geschick über so viele Jahre gelenkt hat. Doch muss sein jähes Ende uns als Mahnung und Aufruf gelten, die feindlichen Mächte zurückzudrängen, die unsere Gemeinschaft zu erobern oder zu vernichten trachten. Feindliche Gruppen im Ausland haben die Angst vor der wiedererwachten Hexe Ladonna Montefiori genutz, um ihrerseits Helfer und Helfershelfer zu gewinnen. Selbst in den höheren Etagen ausländischer Zaubereiministerien könnten sie schon sein. Daher muss meine erste Amtshandlung darin bestehen, mit den Zaubereiministern aus den Teilnehmerländern der neu auszuspielenden Quidditchweltmeisterschaft ein Abkommen zu treffen, dass sie und wir gegen diese Nachstellungen vorgehen, die auch deren Hoheitsgebiete bedrohen. Außerdem werde ich die von meinem viel zu früh und viel zu grausam aus dem Leben entrissenen Vorgänger vereinbarten Vorhaben verwirklichen und die Überwachung und Führung menschenähnlicher Zauberwesen verstärken. Denn Ladonna Montefiori wird versuchen, die slawischen Veelas gegen uns zu führen. Andernorts hörte ich, würden Berg- und Höhlentrolle auf einen blutigen Feldzug gegen uns vorbereitet. Und über allem schwebt die Drohung der Vampire und Wergestaltigen, die ihr eigenes Weltreich errichten wollen. Dies sind die ersten Ziele, die ich angehe. Dies sind die wichtigsten Vorhaben, die ich zunächst verwirklichen werde. Ich hoffe auch, dass die in anderen Ländern gegen uns erhobenen Vorwürfe nicht die so starke und einige Gemeinschaft spalten werden. Denn nur die Einigkeit garantiert unsere Freiheit im Geiste und unser aller Überleben. Glauben Sie bitte nicht den Gerüchten, Ladonna Montefiori habe sich bereits unseres Ministeriums bemächtigt! Unsere Schutzmaßnahmen wirken und halten ihre Helfer auf Abstand. Unterstützen Sie das Zaubereiministerium, indem sie ausländische Widersacher erkennen und unseren Schutztruppen melden! Helfen Sie uns, die Beziehung von Menschen und anderen Zauberwesen zu erfassen, auf dass wir wissen, wer als möglicher Helfer oder als Helferin für Ladonna oder den Spinnenorden geeignet ist! Bedenken Sie dabei immer, dass jede falsche Toleranz und Nachsicht das Leben Ihrer Angehörigen kosten mag. Was wir vom Zaubereiministerium tun können, um Ihr Leben und Ihre Unversehrtheit zu schützen werden wir tun. Ich, Pontio Barbanera, Ihr aller Zaubereiminister, grüße Sie. Lang lebe die italienische Zauberergemeinschaft!"

Ladonna grinste in sich hinein, als Barbanera diese von ihr diktierte Rede beendete. Natürlich waren alle, die ihm zuhörten bereits treue Untertanen der Rosenkönigin. Doch wer es noch nicht war hatte nun die Auswahl, mitzuwirken oder das Leben der eigenen Lieben zu riskieren. Sie war sicher, dass die allermeisten von denen lieber alles taten, was der Minister für nötig hielt, statt am Tag darauf Freunde oder Verwandte betrauern zu müssen.

"So, Pontio, und jetzt schreibst du diese undankbaren Leute in allen Ländern an, bis auf die Französin. Dieses Weib will ich nicht in deiner Nähe haben. Schlage ihnen eine neue Konferenz vor, um euch gegenseitig euer Vertrauen zu versichern! Sieh zu, dass die Neuauflage der Weltmeisterschaft wie geplant beginnen kann! Denn nur dann werden wir Gelegenheit haben, weitere treue Verbündete und Mitstreiter zu gewinnen", mentiloquierte Ladonna Montefiori ihrem neuen obersten Erfüllungsgehilfen. Dieser schickte zurück, dass er bereits den Brieftext fertig habe und nur noch alle Zaubereiministerien der Teilnehmerländer anschreiben müsse. Ladonna wusste jedoch, dass die anderen wohl nicht auf ihn eingehen würden. Doch wenn er öffentlich erklären konnte, dass die anderen Zaubereiministerien dem italienischen Zaubereiministerium nicht mehr zutrauten, die Weltmeisterschaft auszurichten, ja es da selbst für fremdbestimmt hielten, konnte er Verfolgungen gegen ausländische Hexen und Zauberer und eine Jagd auf Zauberwesen rechtfertigen. So oder so würde sie ihre Macht ausbauen.

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Millie gab Julius am Morgen den Artikel, den Gilbert für die Temps de Liberté verfasst hatte, da sie, Mildrid, ja eher die Lokalreporterin von Millemerveilles war. Julius las: "Bella Italia in den Händeneiner tödlich schönen Hexe - Ist Italien Ladonnas eigenes Land?" las er laut die beidenSchlagzeilen vor. Millie nickte. Julius las den restlichen Artikel, der alles beinhaltete, was Millie und andere Berichterstatter in den letzten beiden Tagen auch für andere Zeitungen freigegeben hatten. "Das wird den immer noch in Frankreich versteckten Helferinnen nicht gefallen, derartig klar angeprangert zu werden", schnarrte er. Doch dann nickte er. "Aber es ist richtig, dass das endlich auf dem Tisch ist, was diese Furie angestellt hat und vielleicht schon wieder vorhat. Der Tagesprophet hat damals nichts davon wissen wollen, dass Harry Potter die Rückkehr dieses Irren Voldemort mitbekommen hat und ihn schon für geltungssüchtig und Wahnsinnig erklärt. Ja, und Didier hat den Miroir Magique sofort vor seinen Karren gespannt, damit bloß kein kritisches Wort über seine paranoide Schreckensherrschaft rüberkam. Wie gesagt, Millie, es ist schon richtig, dass die Temps das auf den Tisch bringt."

"Im wahrsten Sinne des Wortes", bemerkte Béatrice dazu. Millie und Julius mussten darüber grinsen.

"Millie und Julius, es bleibt dabei, dass ich eure Herzanhänger solange aufbewahre, bis du, Julius, diese Sonderverhandlungsrunden überstanden hast?" fragte Béatrice noch. "Es ist zwar irgendwie ungewohnt, nicht mehr mitzukriegen, was du fühlst, Millie, aber dich dafür mit Létos Veelazauber zu überladen will ich auch nicht wirklich." "Ja, es ist schade, dass wir zwei gerade nicht ganz miteinander verbunden sind", sagte Millie dazu. "Dafür achte ich ja noch auf euch", hörten wohl beide zugleich Temmies celloartige Gedankenstimme.

Julius durfte diesmal am Morgen schon den Gesprächsleiter für Léto und Ministerin Ventvit geben. Als erneut drei Kerzen gleichzeitig heruntergebrannt waren bedankte sich Julius für die erneute gute Atmosphäre. Immerhin stand der Punkt Familienstandsfragen nun sicher auf einem Vertragsentwurfspapier und musste nur noch mit allen anderen auszuhandelnden Punkten abgefasst werden.

"Inn ganz Europa tanzen tausend Trolle", begrüßte ihn Nathalie, als er um zwölf Uhr zu ihr ins Büro kam. "Offenbar gehen die anderen Zaubereiminister jetzt doch härter gegen mögliche Montefiori-Agentinnen vor. Das mit Belgien haben Sie sicher mitbekommen." Julius bejahte es laut, damit auch Demetrius es hörte, solange Julius nicht den Ohrring trug. "Was immer sie gestern versucht haben ist damit im Ansatz gescheitert", sagte Nathalie. "Wahrscheinlich wird die Ministerin Sie heute noch einmal einbestellen. Ich hörte über meine bunten Bundesgenossen, dass Belenus Chevallier den Vorschlag gemacht hat, eine neue Ministerkonferenz einzuberufen, und jetzt raten Sie mal wo", sagte Nathalie andeutungsvoll.

"Im Petersdom in Rom?" fragte Julius. Die Chefin des Büros für friedliche Koexistenz verzog das Gesicht und musste dann grinsen. "Natürlich, wo sollten Hexen und Zauberer sich sonst über die Zukunft der magischen Menschheit unterhalten", ging sie auf Julius eindeutigen Scherz ein. "Also, Belenus Chevallier will es heute noch hinbekommen, mit dem Dorfrat von Millemerveilles zu klären, wann und für wie lange, wo und für wen alles."

"Dann werde ich das sicher brühwarm erfahren, wenn es stattfindet. Aber eine geheime Konferenz wird das dann wohl nicht, oder" wandte Julius ein. Darauf antwortete Nathalie Grandchapeau: "Das werden Sie wohl dann erfahren, wenn Sie mit in die französische Delegation einberufen werden." Julius wollte noch das wort sollten anfügen. Doch die Sicherheit, mit der Belles dauerschwangere Mutter das sagte meinte sie es genauso wie sie es sagte.

Ein Memoflieger schwirrte durch die Luke in der Wand und klatschte auf Nathalies Schreibtisch. "Für Monsieur Latierre, Julius. Hier bitte", sagte Madame Grandchapeau und gab Julius die hereingebrachte Nachricht. Er las laut vor: "Betrifft bald angesetzte Sonderkonferenz europäische Zaubereiminister. Sie als Veelabeauftragter sind für Teilnahme vorgesehen. Bitte nach Mittagessen in Büro ZM Ventvit einfinden!"

"Quod erat expectandum", sagte Nathalie und zuckte zusammen. "Das wollte ich doch gerade sagen", hörte Julius Demetrius' Gedankenstimme direkt in seinem Kopf.

"Morsen vielleicht, drei Boxhiebe, zwei Tritte, drei Ellenbogenstöße, vier Kniestöße", schickte Julius zurück. "Seit wann kennst du dich denn im Mutterbauch so gut aus?" wurde er rein gedanklich gefragt. Er wollte gerade was zurückschicken, als Nathalie ihm schon den Ohrring anhängte. "Ich krieg das schon mit, dass du an mir vorbei mit ihm da unten reden willst. Nein, so nicht, der große und der ganz kleine Herr", sagte sie. Julius sagte dazu nichts und dachte nur zurück: "Ich habe während der Zeit in Madame Maximes Nähe mehrere Sitzungen mit Bicranius Mixtur der mannigfachen Merkfähigkeit genossen und mich dabei ein paar mal vor meine eigene Geburt zurückerinnert."

"Habe ich auch mal, als ich noch draußen war und dachte, das für eine Art Abenteuerreise zu halten", cogisonierte Demetrius.

Da sie nun wieder alle drei über Cogison verbunden waren ging Nathalie wieder zum Du über. Sie besprachen nun, was genau in Millemerveilles beraten werden sollte. Dass sie sich dort trafen würde sicherstellen, dass verfluchte oder anderswie mit dunkler Magie verdorbene Leute nicht hineinkamen. Außerdem liefen dank Stardust genug neue Kniesel herum, die vertrauensunwürdige bis gefährlich böse Leute erkennen konnten. Aber natürlich war klar, dass es nicht gleich an die große Glocke gehängt wurde, dass in Millemerveilles ein Gipfeltreffen stattfinden würde.

Belle leistete ihnen beim Mittagessen Gesellschaft. "Gut, ich weiß, das mit Fleurs Großmutter ist geheim. Aber wie fühlst du dich als Gesprächsleiter?" fragte Belle.

"Also bei zwei Damen in den besten Jahren geht das ganz gut. Ich weiß nur nicht, ob ich auch eine Runde aus lauter selbsternannten Alphawölfen moderieren kann. Ob da was auch für die Öffentlichkeit verkündbares bei herumkommt werde ich wohl erst wissen, wenn die Verhandlungen um sind."

"Lass dir das auf jeden Fall von Ornelle Ventvit zertifizieren, dass du auch sowas gemacht hast, Julius", cogisonierte Demetrius. "Da kannst du glatt zwei Stufen in einem Schritt aufsteigen, wenn dich wer für fähig hält, Verhandlungen zu beaufsichtigen oder gar zu leiten."

"Brüder-chen, da hast du fraglos recht", cogisonierte Belle, die auch einen Ohrring trug. "Mein leider viel zu früh aus der Welt verschwundener Vater hat das schließlich so erlebt", schickte Demetrius mit einer gewissen Wehmut zurück.

Dann sprachen und cogisonierten sie noch über die vierzehn gefassten Agentinnen Ladonnas. Es hatte sich herausgestellt, dass sie bis zum Zeitpunkt da sie auf die Rosenkönigin trafen, alles im Gedächtnis behalten hatten. Doch was danach war war ausgelöscht. Das wiederum ließ darauf schließen, dass die Unterwerfung mit dem Fluch gekoppelt worden war. Gut, das war zu erwarten gewesen, um Verrat oder Gefangennahme zu verhindern. Doch musste der Fluch unmittelbar mit der Unterwerfung übermittelt werden. Da es nun in den Zeitungen herumgereicht wurde, was Ladonna angestellt hatte ging Julius von einem Befehl aus, der bei Verweigerung einen sofortigen oder gar bestimmten Tod ankündigte. Dafür sprach schon, dass die vierzehn Agentinnen eigentlich in einem roten Feuer verbrennen sollten. Feuer war ja hier das magische Element.

"Vielleicht kann jemand in einem Duotectus-Anzug diesem ätherischen Mittel entgehen", vermutete Belle. Ihr weiterhin ungeborener Bruder erwiderte darauf: "Vielleicht reicht auch eine Kopfblase

"Haben die sicher probiert, die diesen violetten Qualm zum ersten mal gesehen haben", sagte Julius. Belle nickte und cogisonierte: "Ladonna hat lange genug Zeit gehabt, ihre Waffe zu entwickeln und alle bereits bekannten Abwehrmittel einzubeziehen. Da hast du vielleicht recht."

"Ja, aber warum hat sie die Ministerin nicht eingeladen, liebe Selbstesser? - Weil sie wohl wegen des unerwünschten Geschenks von Euphrosyne damals noch Lundi gegen Gifte, Flüche und bestimmt auch reine Veelazauber immun ist", cogisonierte Demetrius. "Was wiederum heißt, wir, also meine lieben Blutsverwandten und ich, sowie Ornelle Ventvit, sind ihre größten Todfeinde, vielleicht sogar noch vor dieser Spinnenhexe." Julius stimmte dem zu, wandte jedoch ein, dass die Spinnenhexe von ihrer besonderen Natur her und weil sie eine übermächtige Feuerwaffe besaß noch vor ihm, seiner auf ihn wartenden Mutter und den beiden anderen bezauberten Hexen rangieren würde. Vor allem hatte die Ladonna die ganze Planung verdorben, mal eben still und leise die meisten europäischen Zaubereiministerien zu unterwerfen.

"Ja, und je mehr ihrer versteckten Agentinnen auffliegen, desto größer wird ihr Hass auf die, die ihr diese Niederlage zugefügt hat", folgerte Belle. Julius und Demetrius bejahten es gleichzeitig.

nach dem Mittagessen ging Julius wie beordert ins Büro der Ministerin, wo schon Belenus Chevallier, Hippolyte Latierre und Alain Dupont aus der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit warteten. "O, entschuldigung, sollte ich mich verspätet haben", sagte Julius abbittend. "Womöglich haben die Damen Grandchapeau bereits mit ihnen durchdiskutiert, warum Sie bei der kleinen aber entscheidungsberechtigten Delegation dabei sein dürfen, die sich mit den Abordnungen aller an der Weltmeisterschaft teilnehmenden Nationalmannschaften treffen möchte", sagte die Ministerin ruhig ohne Tadel. "Belenus, bitte verlesen Sie nun die Antwort aus Ihrem Heimatort!"

"Sehr geehrter Monsieur Chevallier, bitte richten Sie der amtierenden Zaubereiministerin Ornelle Ventvit unsere hochachtungsvollen Grüße aus und teilen Sie ihr auf diesem Wege mit, dass Ihre Anfrage vom Abend des 26. Mai 2004 nach kurzer und geheimer Sitzung des Dorfrates mit Wohlwollen und größter Anerkennung der Wichtigkeit zustimmend beschieden wurde. Dies bedeutet, dass wir vom Dorfrat der Zaubererweltgemeinde Millemerveilles, Region Provence, Frankreich, Sie, Mademoiselle Laministresse Ventvit und eine bis zu sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihrer Wahl für die Zeit zwischen dem 1. Juni und 3. Juni 2004 problemlos und für den Rest der Ortsgemeinde möglichst unsichtbar beherbergen können. Hierzu werden wir für je zwei Delegationen je ein Varanca-Reisehaus in Ausformung eines natürlichen Baumes an den westlichen Rand innerhalb der neu erschlossenen Sicherheitsgrenze unseres Ortes vorhalten. Lediglich wegen der Nahrungsversorgung bitten wir noch um eine Rückmeldung, wie genau Sie von uns oder von Ihrer Zentralverwaltung verpflegt werden möchten und wie viele Delegationen Ihrer und damit unserer Einladung zu folgen beabsichtigen. Wir bedauern zwar, dass Sie unseren ruhig gelegenen, sehr sicheren Ort nicht in allen seinen Annehmlichkeiten und Sehenswürdigkeiten genießen dürfen, erkennen jedoch die Notwendigkeit höchster Diskretion an. Wir sind über die Entwicklungen der letzten beiden Tage und der höchst unangenehmen Tragweite der Enthüllung vom 25. Mai genauestens in Kenntnis gesetzt und fühlen uns daher geradezu verpflichtet, für die Wiedererstarkung der internationalen Beziehungen unseren bescheidenen Beitrag leisten zu dürfen. Wir danken Ihnen für das große Vertrauen, das Sie in uns setzen und hoffen, schon bald von Ihnen hören oder lesen zu dürfen. Mit freundlichen Grüßen Eleonore Delamontagne und Edmond Pierre. - Ende der Mitteilung."

"Die entsprechenden Einladungen sind bereits auf dem Weg und werden hoffentlich in weniger als zwei Tagen vollständig beantwortet sein", sagte die Ministerin. "Natürlich muss diese Aktion genauso still und heimlich ablaufen wie die von Bernadotti durchgeführte zusammenbringung der europäischen Zaubereiminister. Das er mich nicht dabei haben wollte liegt sicher daran, dass er die mir ungebeten auferlegte Besonderheit fürchten musste, oder eher seine Herrin. Aber da Frankreich die Titelverteidigung nicht verpassen möchte werden wir auf jeden Fall teilnehmen. So wie wir hier sitzen werden wir dort anreisen. Ich werde darüber hinaus eine Berichterstatterin für die spätere Veröffentlichung der nicht eindeutig als geheim vereinbarten Ergebnisse dieser Konferenz benennen und schlage die dort bereits ansessige Reporterin Mildrid Ursuline Latierre vor, sofern niemand in dieser Runde wegen Befangenheit oder anderer Gründe Einspruch erhebt. Sofern sie sich bereit erklärt mag sie über die Konferenz berichten, sobald ich die Veröffentlichung gestatte. Allerdings wird sie dann nicht als Reporterin der Temps de Liberté, sondern als Verkünderin für alle magischen Medien Frankreichs auftreten. Hat jemand was dagegen?" Alle sahen sich an. Millie Latierre war schließlich mit dreien der hier anwesenden Verwandt. Keiner erhob einspruch, nicht einmal der Leiter der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit. "Dann darf ich und nur ich Madame Latierre in unserem Namen einladen, die Konferenz tagesberichtserstattend zu begleiten. Ich gehe davon aus, dass die bestehenden Verwandtschaftsverhältnisse zu keiner Zeit zu welcher Art Zwiestreitigkeit oder Indiskretem Verhalten führen", sagte die Ministerin. Julius musste sich jetzt doch melden: "Gegen die Teilnahme habe ich nichts einzuwenden. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass Madame Latierre, Mildrid, eine Tochter im Säuglingsalter hat und zwei Töchter zwischen zwei und vier Jahren."

"Dieser Umstand konnte bereits bei der Zusammenkunft bezüglich der Fortsetzung der Weltmeisterschaft oder deren vorzeitigen Abbruch erfreulich geregelt werden. Außerdem gehen wir davon aus, dass Sie und Ihre Ehefrau zwischen dem Konferenzort und Ihrem Wohnhaus problemlos apparieren können, um die gemeinsame Aufsicht über die drei erwähnten Kinder zu gewährleisten, sofern Sie beide die Kinder nicht für die angesetzten zwei Tage in die Obhut Ihrer Anverwandten geben."

"Dagegen erhebe ich Einspruch, da einige der Verwandten unangenehme Fragen stellen könnten", sagte Hippolyte. Julius fragte sich, wen genau sie meinte, da viele der Anverwandten gerne wissen wollten, warum die drei Prinzessinnen schon wieder im Sonnenblumenschloss wohnen sollten. dann sagte er, dass er sicher sei, dass seine Schwiegertante Béatrice Latierre die beiden größeren Kinder beaufsichtigen würde und als Heilerin zur Diskretion verpflichtet werden könne. Das sah Hippolyte ein und nickte. So war es dann amtlich, dass die Latierres sich ab dem ersten Juni 2004 im Westen Millemerveilles trafen, um zwei Tage in Klausur in einer kleinen Varanca-Haus-Siedlung zu verbringen. Wenn alle angemeldeten Gäste dort eingetroffen waren würde ein Tarn und Desinteressierungszauber um das Gelände aufgebaut, um Neugierige abzuhalten.

Als Julius es dann später seiner Frau und seiner Schwiegertante erzählte lachten die beiden. "Oha, ihr zwei mit Hipp unter demselben Dach mit der Ministerin, Belenus Chevallier und Monsieur Dupont von der internationalen Zusammenarbeit", grinste Béatrice. "Dann viel Spaß!"

"Wenn wir ein gemeinsames Schlafzimmer kriegen kein Problem", sagte Millie. "Die frage ist nur, ob Brunos Mutter das so hinnimmt, dass ihr Mann mit deiner ganz großen Schwester im selben Varanca-Haus wohnen soll."

"Hipp wird sicher den kleinen Alain mitnehmen, und du kannst Clarimonde mitnehmen, da du ja offiziell noch in Stillzeit bist. Die großen nehme ich dann mit rüber ins Schloss. Dann könnt ihr beide das Haus hier zuschließen."

"An und für sichkönnten wir die ganze Truppe auch hier auf dem Grundstück unterbringen", meinte Millie. Julius schüttelte den Kopf. "Könnte sein, dass die Spanier wieder Ignacio Bocafuego mitbringen. Wie Veelas und Veelastämmige bei uns auf dem Grundstück beeinflusst werden weißt du sicher noch." Millie bejahte es. "Stimmt, hat schon was für sich, dass die nicht in einer Säule unserer Sicherheit unterkommen. Aber ich bin echt gespannt, wen die anderen mitbringen", sagte Millie. Julius konnte sich ihr nur anschließen.

Mitten in der Nacht erwachte Julius, weil seine Frau wimmerte und stöhnte. Dann schrak sie heftig zusammen und atmete schwer. "Hallo, Mamille, alles gut, ich bin da", flüsterte Julius seiner Frau zu, die scheinbar gerade sehr verängstigt war. "Monju, sowas heftiges habe ich echt lange nicht mehr ... Ich geh mal eben raus. Keine Sorge, ich bin gleich wieder klar. War nur ein ganz fieser Albtraum", wimmerte Millie und wischte sich wohl Tränen aus den Augen, die so stark waren, dass sie sogar den sogenannten Schlafsand ausgespült hatten. Julius wolllte fragen, was sie geträumt hatte. Doch sie sagte nur: "Lager ich aus, Monju. Dann bin ich wieder klar. Schlaf du bitte weiter. Bin gleich wieder bei dir."

Julius fragte sich, was seine Frau, die sonst so unerschütterlich war, derartig Angst eingejagt hatte. Sicher, er hatte auch immer mal wieder böse Träume, vor allem von echten Angsterlebnissen wie dem Sanderson-Haus oder die Bildergalerie Slytherins. Deshalb hätte er zu gerne gewusst, was Millie geträumt hatte. Er verwünschte den Umstand, dass sie beide gerade ihre Herzanhänger nicht trugen. Vielleicht war Millies Albtraum sogar eine Art Entzugserscheinung, etwas, dass ihr nur passierte, weil die gegenseitige Gefühlsverbindung nicht mehr da war. Er wusste, dass viele Säuglinge und Kleinkinder auch in behüteten Elternhäusern Albträume hatten, weil sie die Strapazen der Geburt und die Abnabelung von der Mutter nicht verarbeiten konnten oder mit den vielen auf sie einflutenden Bildern und Geräuschen nicht sofort klar kamen. Millies und seinen Kindern war es bisher erspart geblieben, weil deren Wiegen von Ashtarias Segen erfüllt waren. Doch sicher würden sie bei ersten richtig starkenAngsterlebnissen auch den einen oder anderen Albtraum haben.

Nach zwanzig Minuten war Millie wider da. Sie wirkte erschöpft aber ruhig. "So, Monju, ich habe das ganze Zeug aus meinem Kopf raus, dass ich zwar weiß, was ich geträumt habe, es aber nicht mehr so schwer ist. Wir haben in den nächsten Tagen echt stressiges Zeug vor uns und du musst dich auch noch auf diese Verhandlungen zwischen Léto und Ornelle Ventvit konzentrieren. Wenn wir beide mehr Ruhe haben werde ich dir diesen Traum zu sehen geben. Ich muss selbst erst mal klären, wie ich damit umgehen soll. Aber keine Sorge, wenn wir zwei Ruhe haben bekommst du es mit."

"So wie das klingt war das mehr als nur ein Verfolgungsangsttraum oder dergleichen", sagte Julius. "Ja, war es. Aber mehr bekommst du jetzt nicht von mir zu hören. Aber wichtig war es schon", sagte Millie noch. Dann legte sie sich wieder neben ihren Mann, kuschelte sich an ihn und atmete ruhig weiter. Offenbar fühlte sie keine Angst mehr, diesen Traum noch einmal zu träumen. So konnte auch Julius dem nächsten Tag entgegenschlafen.

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"Wann genau fliegst du von Paris aus los?" fragte Louiselle Laurentine am vorletzten Unterrichtsabend. Laurentine erwähnte, dass sie um sechs Uhr morgens von Orly aus abflog. Ihre Großmutter Monique hatte ihr einen direktflug Paris Orly - Los Angeles International verschafft. So würde sie in zwölf Stunden an der Kalifornischen Küste ankommen. Von da aus würde sie mit einigen anderen Gästen mit einen gemieteten Reisebus in die Kleinstadt Hidden Hopes 150 Kilometer nördlich der großen Stadt gebracht, wo ihre Großmutter Monique wohnte. Je nach der Abwicklung des Flugverkehrs und der Menge von Wagen auf der Straße war sie dann wohl 14 bis 16 Stunden unterwegs.

"Ui, mehr als einen halben Tag. Ist wie damals, wo noch mit fliegenden Kutschen oder Staffettenbesen gereist wurde", sagte Louiselle. "Bist du dann nicht müde, wenn du da ankommst?" fragte sie noch. Laurentine erwiderte lächelnd: "Weil ich einen Sitz in der Geschäftsreisendenklasse habe und deshalb viel Beinfreiheit habe kann ich während des Fluges schlafen. Das habe ich schon als Baby gelernt, wenn meine Eltern und ich einmal im Jahr für drei Wochen in die Staaten rübergejettet, öhm, geflogen sind. Damals mussten wir aber noch häufiger umsteigen. Auch kann ich im Flugzeug gut essen und Kaffee trinken, um genug Kraft zu sammeln. Was mir eher zu schaffen macht ist der Ortszeitunterschied, weil die in Kalifornien neun Stunden hinter der hier geltenden Ortszeit zurückliegen."

"Das wusste ich schon. Ich habe das auch einmal ausprobiert, mit dem magischen Schnellsegler, dem fliegenden Holländer, von der Bretagne aus durch die nordwestliche Passage und dann die amerikanische Westküste von Norden bis runter nach Mexiko. Aber wir konnten da den Ortszeitanpassungstrank einnehmen. Den wirst du wohl nicht trinken dürfen." Laurentine nickte bestätigend.

"Gut, damit du übermorgen früh genug aus dem Bett findest strengen wir uns heute und morgen nicht mehr so heftig an", legte Louiselle fest. Das ging aber nur, weil Laurentine mittlerweile sehr gewandt in Verteidigungszaubern war und was für andere noch anstrengend war für sie nun fast schon spielerisch ablief.

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28.05.2004

Thelma Sladecutter, die Pressereferentin des britischen Zaubereiministers, hatte in den letzten drei Tagen erstaunlich wenig zu tun bekommen. Die letzten Anfragen, ob die Neuauflage der Quidditchweltmeisterschaft wie angekündigt beginnen würde, waren alle von Spiele- und Sportabteilungsleiter Rushmoore wie das Schwingen eines Uhrenpendels wiederholten Sätzen beantwortet worden: "Falls sich nicht doch noch etwas abweichendes ergeben sollte werden Sie alle am 10. Juni die vollständige Planung der Neuauflage erfahren und auch eine Stellungnahme erhalten, wie der britische Quidditchverband die Chancen unserer drei im Turnier stehenden Mannschaften bewertet. Bitte gedulden Sie sich bis dahin." Mehr war aus Rushmoore nicht herauszubekommen. Anfragen an den Zaubereiminister selbst, die über ihren Schreibtisch gehen mussten, bezogen sich auf die Sicherheitsbedenken wegen Vita Magica. Dazu hatte Shacklebolt vor vier Tagen noch verlauten lassen, dass er hoffe, dass das italienische Zaubereiministerium aus den Erfahrungen vom letzten Sommer gelernt und die entsprechenden Absicherungen für die teilnehmenden Mannschaften und deren Anhänger einrichten würde. Näheres hierzu würde dann wohl auch sehr vertraulich sein, auch und vor allem um den bekannten Unruhestiftern keine Gelegenheit zu bieten, die Sicherheitsvorkehrungen auszuhebeln oder zu umgehen.

Doch heute fand Thelma Sladecutter bei ihrer Ankunft zwanzig Briefe in grünen und blauen Umschlägen vor. Eine schnelle Übersicht ergab, dass die Briefschreiber sich auf einen in den italienischen Nachrichtenverbreitern Torre Magica, Corriere arcano und Societá delle strege bezogen, in denen zum einen der Tod von Romulo Bernadotti und seinen Hauptverantwortlichen für Spile und Sport, ´internationale Zusammenarbeit und magische Strafverfolgung thematisiert wurde und zum anderen die Zaubereiministerien Großbritanniens, Deutschlands, Frankreichs und Spaniens bezichtigt wurden, diesen "unverzeihlich feigen Anschlag" unterstützt und die Attentäter in Verkleidung als amtierende Beamte der Ministerien nach Italien geschickt hatten. Außerdem wollten die italienischen Zeitungen wissen, dass der britische Zaubereiminister offenbar genau wie der amerikanische Zaubereiminister einen Pakt mit Vita Magica geschlossen habe, deren Ziel es sei, ihnen lästig fallende Personen zu entmachten und sogar behauptete, Italiens Zaubereiministerium sei bereits an eine Dunkelhexe namens Ladonna Montefiori gefallen. Sladecutter, die vor dreißig Jahren selbst noch beim Tagespropheten gearbeitet hatte, las den von Auslandsreporter Quentin Shields beigefügten Originalartikel aus dem Torre Magica. Zwar war ihr Italienisch rein touristisch ausgebildet. Doch dafür konnte sie klassisches und mittelalterliches Latein und Französisch. So konnte sie den mit vielen Suggestivfragen gespickten Artikel doch noch verstehen. Die darin erhobenen Vorwürfe und Behauptungen überraschten sie. Denn bis zu diesem Morgen hatte sie gedacht, dass trotz der Anschläge von Vita Magica und dem enthüllten Spielbetrug der US-Nationalmannschaft eine einvernehmliche Abstimmung galt, dass das italienische Organisationskommitee und das Zaubereiministerium nichts mit beiden schwerwiegenden Verbrechen zu tun habe und deshalb das Vertrauen der Teilnehmerländer besitze. Wieso die italienische Zaubererweltpresse davon ausging, dass die Zaubereiministerien Großbritanniens, Deutschlands, Frankreichs und Spaniens diesen Anschlag zu verantworten hatten bezog der Autor des Artikels auf einen "Letzten Notruf" Bernadottis, in dem er um Verstärkung bat, weil ihn als Amtskollegen verkleidete an einem geheimgehaltenen Ort gegen ihn vorgingen. Die hätten wohl von den Originalpersonen die Legitimationen und Reisemöglichkeiten erhalten. Auch scheute sich der Artikelschreiber nicht, Motive für diesen Anschlag zu präsentieren. Demnach wollte Großbritannien einen Seperatfriden mit Vita Magica nach nordamerikanischem Vorbild und die anderen Länder jagten Gerüchten nach, Italiens Zaubereiministerium sei selbst schon von einer dunklen Macht unterwandert worden, und die Ministerien hätten in geheimer Abstimmung beschlossen, Bernadotti und seine wichtigsten Leute zu entmachten, tot oder lebendig. Dabei seien sie dann auf zu heftigen Widerstand der am Verhandlungsort zusammengezogenen Sicherheitskräfte gestoßen und hätten dann eben beschlossen, das Bernadotti und seine engsten Vertrauten sterben müssten, was durch eine gewaltige Feuerzauberei erreicht wurde, bei der alle Attentäter und ihre Gegner den Tod fanden. Deshalb ging der Reporter auch von als Minister verkleideten Attentätern aus, da er sich natürlich nicht vorstellen könne, dass amtierende Minister ihr eigenes Leben aufgaben, nur weil wer behauptete, das italienische Zaubereiministerium sei von einer böswilligen Gruppierung unterworfen worden. Dabei sei allein schon die Behauptung lächerlich, dass eine einzelne Hexe, die zaubereihistorischen Unterlagen nach schon vor 464 Jahren entmachtet und getötet worden sei, ganz still und leise eine so gut gesicherte Instanz wie das Zaubereimininisterium übernommen haben sollte.

Nun wollen alle britischen Nachrichtenverbreiter von "Rennbesen im Test" über die Hexenwoche, über den Tagespropheten bis zur Zauberstimme wissen, was an diesen Behauptungen dran sei und ob die verstärkten Personalumgruppierungen der letzten zwei Tage etwas damit zu tun haben könnten. So blieb der Pressereferentin Shacklebolts nur, den Minister persönlich zu fragen, ob und auf welche Weise er sich dazu äußern wolle.

Als sie mit den Briefen und dem ihr zugespielten Artikel bei Minister Shacklebolt ins Büro trat fiel ihr der blaue Vorhang auf, der ein Stück der Wand bedeckte. Darauf angesprochen sagte der Minister: "Ich habe erweiterte Sicherheitseinrichtungen verbauen lassen, die mir helfen sollen, einen Anschlag auf mich zu vereiteln. Mehr möchte ich dazu nicht sagen, Thelma. Aber sie sind sicher hier, weil jemand in Italien ganz viele rote Wichtel auf alle erreichbaren Dächer und Bäume gescheucht hat, richtig?" Sie bestätigte es und sagte dann noch: "Die Italienischen Nachrichtenverbreiter unterstellen Ihnen, den Deutschen, Franzosen und Spaniern eine gemeinschaftliche Verschwörung und Ihnen selbst die Absicht, mit Vita Magica zu paktieren."

Shacklebolt verzog sein dunkles Gesicht zu einer verdrossenen Grimasse. "So geht's auch", knurrte er. "Sagen wir es so, wenn die Pläne des bedauerlicherweise verstorbenen Kollegen Bernadotti aufgegangen wären, würde Italiens Zaubererpresse sicher von einer historischen Übereinkunft schreiben, dass alle europäischen Zaubereiministerien sich zu einer unverbrüchlichen Gemeinschaft zusammengefügt hätten, die das friedliche Miteinander in der Zaubererwelt und ein unüberwindliches Bollwerk gegen alle Unruhestifter und Verbrecher bilde. Ich bin mit fast allen an der Weltmeisterschaft beteiligten Ministerien darüber eingekommen, die tatsächlichen Ereignisse nicht in der Presse auszuwalzen, eben auch um kein Misstrauen zwischen einzelnen Ländern und/oder innerhalb der jeweiligen Zauberergemeinschaften aufkommen zu lassen. Denn in Wirklichkeit ist es genau anders herum. Italiens Zaubereiministerium hat versucht, uns zu unterwandern und meine Amtskollegen und mich einer obskuren Macht gefügig zu machen. Da wir nach unserer Rückkehr je nach eigener Auffassung handelnd gegen die uns in diese Lage treibenden Leute vorgingen versucht jene Macht es nun auf andere Weise, eine Missstimmung zu erzeugen, in der sie sich selbst als Opfer einer internationalen Großverschwörung mit zaubereiministerieller Beteiligung präsentiert. Und was Vita Magica angeht, so haben die Auslandsreporter Italiens offenbar schon wieder vergessen, dass der zweifelhafte Pakt zwischen Vita Magica und dem US-Zaubereiministerium gescheitert ist und für sittenwidrig erklärt wurde. Wie seltendämlich soll ich bitte sein, diesen Unrat hier auf unseren schönen Heimatinseln zu wiederholen, wo wir immer noch an den Nachbeben der Todessertyrannei leiden. Okay, Thelma, berufen Sie für heute Nachmittag eine Pressekonferenz ein! Ich sorge dafür, dass wir alle keine bösen Überraschungen erleben. Diese Angelegenheit muss richtiggestellt werden. Eigentlich hatte ich wie erwähnt nicht vor, die Öffentlichkeit zu beunruhigen."

So trafen sich dann um zwei Uhr Nachmittags alle Nachrichtenverbreiter Großbritanniens im großen Saal des Zaubereiministeriums. Dazu kamen auch noch Vertreter anderer englischsprachiger Zeitungen und Rundfunksender. Shacklebolt hatte zu diesem Anlass einen königsblauen Umhang mit silbernen Schließen und einen himmelblauen -Spitzhut mit goldener Krempe und Spitze angezogen. Er wartete, bis Thelma Sladecutter alle anwesenden Reporter begrüßt hatte. Als sie ihm das Wort erteilte straffte er sich und begann seine Stellungnahme mit einer schwerwiegenden Feststellung:

"Ladies and Gentlemen, vor drei Tagen wären verschiedene Amtskollegen von mir sowie ich persönlich fast Opfer einer heimtückischen magischen Manipulation geworden, die dem Zweck dienen sollte, uns einer aus jahrhundertelangem Zauberschlaf erweckten Großmeisterin der dunklen Künste zu Willen zu machen. Ja, das klingt unerhört und schwer nachzuvollziehen, wenn nicht alle Tatsachen bekannt sind. Doch gerade weil Sie und ich noch all zu gut die beinahe lautlose Übernahme des Zaubereiministeriums durch die Todesser im Gedächtnis haben dürfen Sie alle sowas nicht für unmöglich halten. Ich habe, wie auch meine europäischen Amtskollegen, bis zur letzten Minute darauf gehofft, dass die besagte Dunkelmagierin, die sich Ladonna Montefiori nennt und sich gerne als wahrhaftige Königin aller Hexen bezeichnet, an den Sicherheitsvorkehrungen des italienischen Zaubereiministeriums gescheitert ist und von diesem selbst unter Kontrolle gehalten wurde. Dies, Ladies and Gentlemen, war ein sehr gefährlicher Trugschluss. Denn es war genau umgekehrt. Und nun, wo wir Zaubereiminister Europas beinahe in ihre Falle getappt sind wissen wir auch, wie erfolgreich sie sich das italienische Zaubereiministerium unterworfen hat. Ihr Erfolg trieb sie dazu, auch andere Zaubereiministerien zu unterwerfen um eine art von ihr regiertes Zauberer- und vor allem Hexenweltreich zu errichten. Das behaupte ich nicht nur, sondern kann und werde es Ihnen hier und jetzt darlegen, auch wenn ich weiß, dass ich damit alte Ängste vor einem Umsturz durch Anhänger der dunklen Künste wiedererwecke und wenn ich darlegen muss, warum wir bisher keinen Anlass sahen, Sie und damit die Öffentlichkeit, auf diese Bedrohungslage hinzuweisen. Bitte hören Sie mir erst zu. Anschließend stehe ich für Fragen zur Verfügung. Danke!" Danach erläuterte Shacklebolt, was ihm und seinen Mitarbeitern beinahe passiert war und dass sie nur einem fragwürdigen Umstand ihre Freiheit verdankten, nämlich der Errettung durch eine Konkurrentin Ladonnas, die eine Unterwerfung mehrerer Zaubereiminister verhindern wollte. Er erwähnte, dass Ladonna seit Monaten Stimmung gemacht habe, so dass es nötig gewesen sei, eine geheime Zusammenkunft abzuhalten. Ob die aus einem langen, magischen Bann erweckte Hexe bereits Helfer und Helfershelfer in den ausgewählten Zaubereiministerien habe wolle er nicht bestätigen oder abstreiten, da er nur für das britische Zaubereiministerium spreche und innere Sicherheitsangelegenheiten nicht öffentlich bekanntmachen dürfe. Dass die italienische Presse offenbar von Bernadottis Nachfolger darauf angesetzt worden sei, dass ausländische Mächte dem Land schaden wollten sei eine großangelegte Ablenkung, eben eine Verkehrung bestehender Tatsachen. Er warf ein, dass es dadurch um so fraglicher sei, ob die Neuauflage der Quidditchweltmeisterschaft ab dem ersten Juli wie geplant stattfinden könne. Denn in einer Atmosphäre gegenseitiger Beschuldigungen und offenkundig gewordener dunkler Machenschaften sei nicht an einen friedlichen Wettkampf mit größtenteils friedlichen Feiern der Fans zu denken. Er erwähnte noch, dass er mit seinen Sicherheitsleuten geeignete Maßnahmen getroffen habe, um einen doch noch erfolgreichen Sturz des britischen Zaubereiministeriums zu verhindern. "Wir wurden einmal niedergeworfen und von einem Wahnsinnigen instrumentalisiert. Das ist uns eine lautstarke Warnung, sowas nicht mehr zuzulassen und mit allen Mitteln zu verhindern, dass wir, die Vertreter der britischen Zaubererwelt, die Helfer einer verbrecherischen Macht werden, ob es die Gruppierung um Ladonna Montefiori, die Sekte der Vampirgöttin, Nachfolgegruppen der Todesser oder Vita Magica sind. Deshalb kann und will ich nur an Ihr Verständnis und Ihre Unterstützungsbereitschaft appellieren, dass wir im britischen Zaubereiministerium nicht alles veröffentlichen, was wir zur Wahrung und Verteidigung unserer Eigenständigkeit und Sicherheit unternehmen. Alle anderen sich aus meiner Stellungnahme ergebenden Fragen können Sie mir nun Stellen. Mrs. Sladecutter wird die Befragung leiten. Danke!"

"Fredo Gillers, Tagesprophet", meldete sich ein junger Reporter, den Shacklebolt schon oft angetroffen hatte. "Sie erwähnten, dass diese Ladonna Montefiori ein Mittel benutzte, um viele Leute auf einmal ihrem Willen zu unterwerfen, möchten aber nicht verraten, welches Mittel das ist. Doch wie sollen sich Großbritanniens Hexen und Zauberer davor schützen, wenn Sie darüber nichts verraten wollen?"

"Zum jetzigen Zeitpunkt gehen wir davon aus, dass dieses Mittel nur dann zum einsatz kommt, wenn möglichst viele für die dunkle Hexe aussichtsreiche Opfer an einem Ort zusammenkommen können, bestenfalls in einem geschlossenen Raum. Ebenso gehen wir davon aus, dass dieses Mittel nicht in großer Stückzahl zur Verfügung steht und sie daher ihre Angriffsziele ganz genau auswählt. So können und werden wir die potentiellen Angriffsziele gegen diese Methode schützen. Für die magischen Bürgerinnen und Bürger gebe ich die Empfehlung aus, private Feiern nach möglichkeit in solchen Räumen stattfinden zu lassen, in denen ein auf giftige Bestandteile der Luft ansprechende Luftaustauschzauber wirken, da eine Komponente dieses Kampfmittels ätherischer Natur ist. Soweit ich weiß sind bereits vielerorts Luftaustauschzauber im Gebrauch, um Räume von Tabakqualm und üblen Gerüchen zu reinigen. Zaubertrankkundler und Thaumaturgen unseres engsten Vertrauens sind bereits damit beauftragt, eine wirksame Abwehr gegen das Massenunterwerfungsmittel zu entwickeln. Wenn es nötig sein sollte, auch Privathäuser damit auszustatten wird das Ministerium frühzeitig auf diese Ausstattung hinweisen."

"Cliodna Bernes, Hexenwoche. Über die Rückkehr Ladonnas wurde ja schon in anderen Zusammenhängen berichtet. Haben Sie tatsächlich nicht damit gerechnet, dass diese sehr skrupellose Hexe nicht die Gunst der Stunde nutzen wird, sich ein ganzes Zaubereiministerium zu unterwerfen?"

"Einmal gilt für jede natürliche und rechtliche Person die Vermutung: Unschuldig bis zum Beweis der Schuld, auch wenn manche Gamotsitzungen einen anderen Eindruck vermitteln mochten. Also mussten wir davon ausgehen, dass der bedauerlicherweise verstorbene Kollege Bernadotti noch nicht zu den Handlangern Ladonnas gehörte, bis meine Amtskollegen und ich leider vom Gegenteil überzeugt wurden, als er höchst selbst den Unterwerfungsvorgang gegen uns einleitete. Zum zweiten hätten wir mit vorauseilenden Verdächtigungen dieser Hexe eine Bühne geboten, auf der sie um an ihrem Weg interessierte hätte werben können. Sie hätte sich dann ganz dreist als Alternative zu den Zaubereiministerien dargestellt und garantiert viele mit unserer Arbeit unzufriedene Mitbürger auf ihre Seite gezogen. Auch das galt es bis heute zu vermeiden. Das hat sie offenbar auch so gesehen und deshalb jene Artikel veröffentlichen lassen, die uns als Verschwörerbande gegen Italiens Zaubereiministerium bezichtigen. Warum ausgerechnet wir, Frankreich, Deutschland und Spanien die gemeinen Verschwörer sein sollen habe ich vorhin erwähnt, weil wir Briten bereits genug unerwünschte Erfahrungen mit tyrannischen Zauberern und Hexen haben, Frankreich dito, Deutschland als mitteleuropäisches Land eine brauchbare Verteilerstelle für Nachrichten, Reisemittel und Erfüllungsgehilfen böte und Spanien als ständiger romanischer Konkurrent Italiens eine hervorragende Projektionsfläche für abwertende Propaganda bietet. Hinzu kommt, dass bei uns, sowie in Deutschland, Frankreich und Spanien jene wohnen, die dieser Verbrecherin gefährlich werden können. Daher gilt ihr Interesse nun der internationalen Diskreditierung jener Zaubereiministerien. Da Sie in Ihrem Arbeitseifer in ständiger Gefahr sind, auf derartig verlockende Behauptungen anzubeißen hofft sie, dass Sie in ihrem Sinne schreiben und berichten."

"Öhm, darf ich noch mal?" fragte Fredo Gillers die Pressereferentin. Diese schüttelte den Kopf und deutete auf Fredos Kollegin, die als Auslandsreporterin für den Tagespropheten arbeitete. "Sie hielten und halten also alles zurück, was mit dieser mysteriöserrweise wiedererwachten Hexe zu tun hat, Herr Zaubereiminister. Doch nun ist der brodelnde Kessel umgekippt. Wie wollen Sie den anderen Zaubereiministerien erklären, dass nicht Sie eine Verschwörung geplant haben, sondern das italienische Zaubereiministerium unterwandert worden sein soll?"

"Zum einen muss ich das meinen Amtskollegen nicht erklären, weil die allermeisten von denen bei dieser unsäglichen Sache dabei waren. Zum zweiten gibt es landesübergreifende Organisationen, die sich die Abwehr dunkler Künste zum Ziel gesetzt haben. Diese Organisationen haben ihrerseits vertrauenswürdige Kontaktpersonen in den einzelnen Zaubereiministerien. Somit wussten wir schon seit geraumer Zeit, dass Ladonna Montefiori ähnlich den Dunkelmagiern Grindelwald, Riddle und Wallenkron eine Gruppierung treuer Helfer formieren wollte. Dass sie schon derartig mächtig ist wurde uns wie schon häufig erwähnt vor drei Tagen überdeutlich klargemacht. Worum es Ihnen geht, Mrs Holloway, ist die Angst vor Misstrauen ausländischer zaubererweltbürger gegenüber unserem Zaubereiministerium. Aber genau dieses Misstrauen wird Ladonna nutzen, um weitere Anhänger gegen uns alle zu sammeln."

"Lee Jordan, Potterwatch Sportredaktion", meldete sich der ehemalige Mitbetreiber jenes Rundfunksenders, der gegen das von Voldemort beherrschte Zaubereiministerium gearbeitet hatte. "Kann unter diesen Umständen überhaupt noch in Italien Quidditch gespielt werden? Dürfen und wollen Sie unserern Hörern dazu was mitteilen?"

"o ja, sehr gerne, Mr. Jordan", setzte Shacklebolt an: "Mr. Rushmoore von der Abteilung für magische Spiele und Sportarten ist bereits mit allen seinen Amtskollegen Europas und in Übersee in Kontakt, wann, wo und ob überhaupt die im letzten Jahr beschlossene Neuauflage stattfinden kann. Ich darf Sie alle von ihm grüßen und die in Abstimmung mit dem Leiter der Handels- und Finanzabteilung versichern, dass alle in Großbritannien gekauften Karten solange ihre Gültigkeit behalten, solange keine eindeutige Absage der Weltmeisterschaft bekanntgegeben wird, wo auch immer diese dann stattfinden wird. Sollte es zu keiner Einigung über einen alternativen Austragungsort kommen, so erhalten alle Käufer von Eintrittskarten ihr Gold zurück. Aber Mr. Rushmoore und auch ich hoffen sehr, dass unsere Jungen und Mädchen auf den schnellen Besen doch noch in diesem Jahr darum kämpfen dürfen, wer den Weltmeisterschaftspokal erhalten darf. Näheres erfahrenSie und andere Kolleginnen und Kollegen aus den Sportredaktionen dann aus Rushmoores Abteilung. Danke!"

Weitere Reporter wollten wissen, wie genau Ladonna so viele Jahre überdauern konnte und warum sie nicht von ihrer Rivalin getötet worden sei. Darauf erklärte er, dass Ladonna in näherer oder fernerer Blutsverwandtschaft von Veelas abstamme und es damals, wo Veelas noch für unerwünschte und gefährliche Geschöpfe gehalten und gejagt worden waren, zu grausamen Blutrachefeldzügen zwischen Menschen und Veelas gekommen sei. Sardonia habe Ladonna wohl deshalb nicht getötet, weil ihr daran gelegen war, ihre eigenen Machtinteressen nicht durch ständige Blutracheversuche gefährden zu lassen. Wie genau sie Ladonna handlungsunfähig gemacht habe und warum sie nun wieder aufgewacht sei dürften nur die ausgebildeten Jäger dunkler Hexen und Zauberer wissen, auch um mögliche Nachahmungen zu verhüten, denn sicher gäbe es den einen oder die andere, welcher einen lästigen Konkurrenten gerne auf diese Weise aus dem Weg schaffen würde, ohne einen vollendeten Mord begehen zu müssen.

"Wir haben durch die teils heimlichen und teils blutigen Ereignisse im Jahr der Todesserherrschaft lernen müssen, mit den unter uns lebenden, denkfähigen Zauberwesen möglichst respektvoll und friedfertig umzugehen. Wie Sie ja alle wissen, hat Mr. Diggorys Mitarbeiterin Hermine Weasley vor einem Jahr einen längeren Gastkommentar sowohl in der Hexenwoche, dem Klitterer und dem Tagespropheten veröffentlicht, dass wir mehr dabei gewinnen, wenn wir mit Hauselfen, Meermenschen, Kobolden, Zwergen, ja auch Waldfrauen, Vampiren und Werwölfen respektvoller umgehen und unser bisheriges Rangverständnis von Zauberern und Zauberwesen überdenken mögen. Nicht bei allen von ihr erwähnten Wesen kann ich ihr zustimmen und weiß auch, dass sie diese nur deshalb erwähnt hat, um deren Intelligenz zu betonen. Aber was Veelas und Veelastämmige angeht, so sind wir im britischen Zaubereiministerium genauso zur gegenseitigen Anerkennung bereit wie das französische und spanische Zaubereiministerium, wo Veelastämmige wohnen. Ladonna würde einen großen Sieg feiern, wenn ihr gewaltsamer Tod die Veelas und uns in einen blutigen Krieg treibt. Daher wollen wir, und ich wage jetzt mal, auch für andere Zaubereiministerien zu sprechen, die Festnahme und den Zaubereigesetzen folgende Bestrafung dieser Hexe erreichen. Ja, und Mr. Gillers, bevor Sie es zu fragen wagen, falls Ladonna damit drohen könnte, sich selbst zu töten, um diesen blutigen Krieg zu entfesseln, so kann und will ich Sie alle beruhigen, dass Veelas erfassen können, wann einer oder eine der ihren eines natürlichen Todes oder eines selbstbestimmten Todes stirbt oder durch äußere Gewalteinwirkung mit oder ohne magische Mittel zu Tode kommt. Sie kann also nicht mit ihrer Selbsttötung drohen, abgesehen davon, dass sie damit ja zugeben müsste, keine Macht mehr zu besitzen. Ich hoffe, damit auch diese Frage zur vollen Zufriedenheit beantwortet zu haben."

"Ja, und was, wenn sich herausstellt, dass nicht das ganze italienische Zaubereiministerium, sondern nur drei oder vier Leute davon beeinflusst wurden?" wollte Mrs. Holloway aus der Auslandsredaktion noch wissen.

"Dann wäre sie sehr dumm gewesen, die vier zu töten, wenn das die einzigen waren, die ihr unterworfen waren. Außerdem hat sie gleich sechzig Leute zur selben Zeit mit dieser perfiden Methode unterwerfen wollen. Sicher hat sie diese Methode mindestens schon an so vielen Leuten erfolgreich durchgeführt. So leid es mir tut, das erneut sagen zu müssen, Ladies and Gentlemen, das italienische Zaubereiministerium muss als von ihr korrumpiert und erobert angesehen werden", brummelte der britische Zaubereiminister. Ihm war deutlich anzusehen, wie es ihn anwiderte, diese öffentliche Erklärung abzugeben.

"Hat noch jemand weiterführende Fragen?" wollte Thelma Sladecutter wissen. Niemand meldete sich. "Dann bedanke ich mich bei Ihnen allen für IhrErscheinen und Ihr Interesse. Wir möchten Sie alle nur bitten, die gerade erhaltenen Aussagen und Darlegungen so zu behandeln, dass sie nicht von unser aller Feinden missbraucht werden können. Danke schön!"

"Nach der Pressekonferenz wollte Shacklebolt erst einmal nichts mehr von anderen Hexen und Zauberern wissen. Er war zumindest froh, dass keiner von denen mitbekommen hatte, dass er am ersten Juni nach Millemerveilles wollte, um da mit den anderen Zaubereiministern Europas und aus Übersee und mit den Vertretern des Weltquidditchverbandes zu konferieren. Das durften die Reporter gerne nach dieser Zusammenkunft erfahren und ihre Federn und Mäuler drüber zerfleddern.

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Laurentine durfte an diesem letzten Abend ihrer besonderen Ausbildung noch einmal die zwanzig wichtigsten Verteidigungszauber erläutern und ausführen und ein gerade mal fünf Minuten langes Übungsduell überstehen. Dann ging es nur noch um Tarn- und Illusionszauber. Laurentine durfte sich dreimal unsichtbar und wieder sichtbar machen, mit und ohne Kleidung am Körper. Am Ende holte die Schülerin eine kleine Schachtel mit einer rosaroten Schleife aus ihrer nur noch für sie benutzbaren Handtasche und übergab sie Louiselle. "Ich habe es hinbekommen, meine Erfahrungen mit den Zaubern zum Übersetzen von Runen in gesprochenen Text in eine Kombination aus einer Abhörvorrichtung und einer darauf abgestimmten Schreibefeder umzusetzen. Das heißt, du oder wer immer dieses Übersetzungsbesteck bekommt kann entweder einen Text in einer unbekannnten Schrift und/oder Sprache vorgelesen bekommen oder ihn beim Einlesen von der Feder auf freie Pergamentbögen schreiben lassen. Hier haben mir auch die Tricks geholfen, die Lehrern und Lehrerinnen beigebracht werden, um das magische Abschreiben oder die Selbstkorrektur beim Schreiben zu erkennen, auch den Scriptocopia-Zauber habe ich dafür herangezogen. Näheres findet sich in dem sechsseitigen Benutzerhandbuch in Französischer, englischer und deutscher Sprache", präsentierte Laurentine ihre Kreation.

"Oh, soetwas hatte ich wirklich noch nicht. Öhm, ich gehe davon aus, du hast es ordentlich auf seine Funktion geprüft?" Laurentine nickte heftig. "Gedenkst du dann, es patentieren zu lassen?" Laurentine wiegte den Kopf. "Es ging mir erst mal nur darum, die zwischen uns getroffene Vereinbarung zu erfüllen. Vielleicht baue ich mir sowas selbst noch mal für den Hausgebrauch", sagte Laurentine.

"Mit so einer Ausrüstung könnten umfangreiche Verträge schneller übersetzt werden als durch reine Abschrift, und womöglich könnten bisher unverständliche alte Texte entschlüsselt werden. Aber gut, du hast jetzt erst mal Urlaub, und den hast du dir ja wirklich verdient", sagte Louiselle. Dann umarmte sie ihre Einzelschülerin und wünschte ihr eine gute und erfreuliche Reise und dass sie gesund und ohne schlechte Erinnerungen zurückkehrte. "Ja, und vielleicht möchtest du ja noch weitere Geheimnisse eigenständiger Hexen erlernen, als die, die wir in den letzten sechsundzwanzig Tagen durchgenommen haben. Dann kannst du über meine Tante Hera gerne wieder bei mir anfragen", sagte Louiselle. Laurentine wusste nicht, was sie jetzt darauf antworten sollte. Wieso wollte Louiselle, dass sie noch weiter bei ihr Unterricht nahm? Sicher gab es noch eine Menge Zeug, was sie lernen konnte. Aber Louiselle hatte doch sicher noch mehr zu tun. So sagte sie nur: "Ich danke dir für dein Angebot und werde die Zeit nutzen, es mir zu überlegen."

Als Laurentine wieder in der Rue de Liberation 13 war fand sie einen Zettel auf ihrem Küchentisch. Catherine bat darum, dass sie noch einmal herunterkäme, um sich von ihr und Claudine zu verabschieden. Joe war schon im Bett, da er ebenfalls morgen früh raus musste, um eine Internet-Videokonferenz mit Geschäftspartnern in Hongkong mitzumachen.

"Ich werde mich ganz genau umsehen, ob mir was über den Weg läuft, was ich dir mitbringen kann, Claudine", sagte Laurentine. Catherine meinte dazu, dass sie besser nichts mitbringen möge, was von alleine laufen könne. Claudine grummelte nur verdrossen. Doch dann strahlte sie ihre große Hausmitbewohnerin und Schullehrerin an und flüsterte: "Ich wollte ja einen von Julius' und Millies neuen Knieseln haben. Aber den darf ich hier in der Muggelstadt nicht frei rumlaufen lassen, hat Maman gesagt."

"Brauchst du auch nicht, wo du doch fast jeden Tag außer Samstag und Sonntag in Millemerveilles bist", sagte Laurentine. Catherine nickte beipflichtend. Laurentine umarmte Claudine noch zur guten Nacht und gab ihr die üblichen flüchtigen Wangenküsse. Dann zog sie sich in ihre eigene Wohnung zurück. Gut, dass sie ihren erdbeerroten Koffer und den Reiserucksack schon fix und fertig gepackt hatte.

Um halb elf lag sie im Bett. Sie hatte ihren Wecker auf halb drei Morgens gestellt. Hoffentlich konnte sie im Flugzeug wirklich gut schlafen!

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29.05.2004

"Ich habe jetzt die Bestätigung, dass wir in Millemerveilles willkommen sind. Ministerin Ventvit hat es mit dem Gemeinderat von dort hinbekommen, dass wir für genau zwei Tage zusammen mit den anderen Abordnungen in 30 Varancahäusern unterkommen, ohne die übrigen Bürgerinnen und Bürger mit unserer Anwesenheit zu belästigen. Ministerin Ventvit hat einige Hauselfen aus ihrem Ministerium abstellen lassen, für unsere Verpflegung zu sorgen. Angeblich soll diese neue Schutzglocke über Millemerveilles jede zusätzliche Personenschutzmaßnahme überflüssig machen, sofern keiner von uns insgeheim dunkle Absichten hegt oder unter falscher Identität dort einreisen will", sagte Konstantinos Chrysopolis. Alexios Anaxagoras verzog deshalb das Gesicht. Daran hatte er bisher nicht gedacht, und Alexia, die gerade ihn als äußere Erscheinungsform gewähren ließ, auch nicht. Was würde passieren, wenn die sich den gleichen Körper teilenden in den Wirkungsbereich dieser neuen Schutzmaßnahme gerieten. Würde er dann darunter leiden, dass er die verwandelte Alexia war oder würde sie darunter leiden, weil sie sich in seinem Körper verbarg? Oder würde es zu einer halben Umwandlung kommen, die nicht mehr zu ändern war? Sollte er deshalb die Teilnahme absagen und sich durch seinen Sekretär Polydoros Philanemos vertreten lassen? "Nix, wir zwei gehen da hin. Und wenn dieses Lichternetz uns zwei piesakt haben wir's amtlich, dass die gute Salmakis doch eine dunkle Tochter Hecates war", widersprach Alexia, bevor er selbst diese Frage durchdacht hatte. Wenn er ihr hier und jetzt widersprach würde Konstantinos wohl denken, dass er mal wieder mit sich selbst beschäftigt war. Zwar wusste der, was es mit Alexios Eudoros Anaxagoras und Alexia Daphne Tachydromos "geborene" Anaxagoras auf sich hatte, weil er die internationalen Verpflichtungen des Ministers deligieren musste, als Alexia schwanger wurde und Alexios deshalb nicht in Erscheinung treten konnte. Doch hier und jetzt eine drei-Mann-Unterredung mit zwei sichtbaren Personen zu beginnen wollte der griechische Zaubereiminister auch nicht.

"Gut, wir nehmen das zur Kenntnis, Konstantinos", sagte Alexios mit körperlicher Stimme. Konstantinos Chrysopolis machte eine bestätigende Kopfbewegung.

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Laurentine fühlte sich putzmunter, als sie in Los Angeles durch die Passkontrolle ging und die normalen Fragen der Zollbeamten beantwortete. Sie rechnete jetzt noch damit, dass die ihr in Paris als "amerikanische Kollegin" angekündigte Jackie Corbeau sie ansprechen wollte. Tatsächlich bat eine wie eine US-Zollbeamtin uniformierte Frau mit hellen Haaren sie um die Beantwortung einiger Fragen, da sie in der Geschäftsreisendenklasse geflogen war. Laurentine ging darauf ein und begleitete sie in einen kleinen Raum. Dort stellte sich die andere als Jackie Corbeau vor, wobei sie ihren Nachnamen englisch aussprach. Sie übergab Laurentine einen scheinbar üblichen Fragebogen für Touristen mit Urlaubsvisum. Doch als Laurentine das Heft in ihren Händen hielt änderte sich die Schrift, und es war ein Formular für Angehörige der Zaubererwelt. Dort musste sie eintragen, warum sie mit nichtmagischen Verkehrsmitteln reiste, was sie an magischen Gegenständen außer ihrem Zauberstab mitführte, wo und bei wem sie unterkommen würde und ob sie zwischen magischer und nichtmagischer Welt hin und her wechseln wolle. Hier konnte sie "Auf jeden Fall", "Wenn es sich ergibt", "möglicherweise", "Nicht beabsichtigt", "Eher nicht" und "Keinesfalls" wählen. Da sie sicher war, dass sie nicht von sich aus in die magischen Orte oder Stadtviertel der USA wollte kreuzte sie "Nicht beabsichtigt" an. Sie konnte nicht wissen, ob nicht jemand wie Brittany Brocklehurst sie einladen wollte, falls sie mal von ihren Verwandten wegschleichen konnte. Sie bestätigte, dass sie nicht vor Nichtmagiern apparieren oder disapparieren dürfe, solange keine unmittelbare Gefahr für ihr eigenes Leben bestünde, dass sie auch keine Zaubereien in Sichtweite von Nichtmagiern ausführen dürfe und dass ihr bekannt sei, dass magische Gegenstände, Tränke oder Tierwesen nicht an Nichtmagier verliehen, verschenkt oder gar verkauft werden dürften und dass sie einen Desinteressierungszauber anwenden durfte, wenn sie nicht in Sichtweite einer nichtmagischen Person war und ihre eigenen Habseligkeiten gegen Neugier oder Diebstahl schützen wolle. Da sie sicher war, dass Jackie Corbeau mit ihrem Bleistiftding ihren Körper abgetastet hatte trug sie bei magischen Gegenständen zum eigenen Bedarf ein, dass sie eine mit schlummernden Schildzaubern belegte Garderobe mitführte. Wie genau sie diese bezaubert hatte und was es mit dem Schmuckgürtel genau auf sich hatte, den sie im Reiserucksack mitführte, musste sie nicht erwähnen.

Nach zehn Minuten hatte sie alle Punkte des Formulars abgehandelt und nickte Jackie Corbeau zu. "Ich habe alle Ihre Fragen beantwortet, Ms. Cor-bju", sagte Laurentine im besten britischen Englisch. Dann gab sie ihr das Formular zurück. Jackie nahm es, prüfte die Markierungen und handgeschriebenen Einträge und nickte. "Gut, ihr Reisevisum ist gültig und alles andere auch. Danke für Ihre Mithilfe bei der Erhebung weiterführender Reisestatistiken, Ms. Hellersdorf. Ich wünsche Ihnen eine schöne Zeit bei uns in den Staaten." Laurentine lächelte. Wie lange war es her, dass jemand das H in ihrem Nachnamen ausgesprochen hatte? Ach ja, Brittany hatte es getan, als sie ihr Ihren Nachnamen mal buchstabiert hatte.

Durch zwei automatische Türen aus Panzerglas durfte Laurentine nun die Empfangshalle des Auslandsterminals betreten. Dort sah sie Abigail Murray, die Schwiegercousine Ihrer Mémé Monique. "Schön, du bist eher da als alle anderen. Die aus Miami, Chicago und San Francisco sollen in den nächsten anderthalb Stunden ankommen. Sue und die Anverwandten aus New York wollten zwar schon vor einer Stunde angekommen sein. Aber offenbar gab es in Laguardia Probleme mit dem Auftanken. Was genau hat uns die Information nicht verraten. Onkel Homer ist schon im Inlandsterminal und wartet da."

Laurentine bedankte sich für das Abholen und begleitete ihre Tante Abby durch den halben Flughafen zum Inlandsbereich, wo vor allem Maschinen von der Ostküste landeten. Dort traf sie auch Onkel Homer. Der fragte, ob sie einen guten Flug gehabt habe. "Ich konnte neun von zwölf Stunden verschlafen und bin jetzt auf eure Zeit eingestellt, Onkel Homer. "Als wir Mittagessen bekamen haben wir gerade New York überflogen, da hätten wir Tante Suzanne und die anderen sicher noch mit aufsammeln können", scherzte Laurentine. "In Laguardia spinnt im Moment die Betankungsanlage. Die müssen viele Maschinen mit guten alten Tankwagen auffüllen", sagte Onkel Homer. Laurentine nickte.

"Hast du wenigstens noch mit deiner Mutter gesprochen?" wollte Tante Abby wissen. Laurentine schüttelte den Kopf. "Ich hörte sowas, dass die Entfernung zwischen Kourou und Paris euch drei auseinandergetrieben hat. Also, sie kommt doch erst morgen Mittag, da sie noch wichtige gesellschaftliche Verpflichtungen habe", grummelte Tante Abby. "Ich denke eher, sie möchte ihren großen Auftritt, wenn sie Simon schon nicht dazu bringen konnte, sie zu begleiten."

"Du meinst, dass sie dann von Pete mit der alten Hummel abgeholt wird? Ich dachte, Mémé Monique hätte den alten Teppichklopfer nach Opa Henris Tod ausrangiert."

"Hat sie auch. Dafür hat sie jetzt einen neuen Luftquirler. Der kann aber nur sechs Passagiere fassen, sonst hätte sie uns damit sicher auch die knapp hundert Meilen von hier bis zur Ranch überholen lassen können." Laurentine nickte. Sie dachte daran, dass ihre Mutter doch nicht heute ankommen würde. Was immer sie noch in Kourou aufhielt war wichtiger als der Besuch bei ihrer eigenen Mutter zum sechzigsten? Gut, das konnte sein. Sie musste ja nicht meinen, dass ihre Mutter bloß nicht mehr Minuten in ihrer Nähe zubringen wollte als gerade so nötig waren.

Um sich die vier Stunden bis zur Ankunft der verspäteten Maschine aus New York zu vertreiben unterhielten sie sich über die letzten Ereignisse in Europa. Auf Fragen nach Laurentines Beruf wollte diese erst eingehen, wenn alle anderen auch da waren. Außerdem konnten sie in einem der Flughafencafés noch was trinken.

Als schließlich an die 40 Gäste zusammen waren rief Homer über Mobiltelefon den angeheuerten Reisebus mit Fahrer herbei. Der hatte wohlweislich einige Kilometer vom Flughafen entfernt geparkt, um keine horrenden Parkgebühren zu verursachen. Zwar glotzten die auf Kundschaft wartenden Taxifahrer, als auf ihrem Wendeplatz ein Bus vom Ausmaß eines alten Greyhound-Busses stoppte. Doch keiner wagte es, die nun darauf zueilenden Fahrgäste zu kritisieren. Laurentine wurde von Vicky, ihrer New Yorker Cousine, gefragt, ob sie sich mit ihr und Hellen zusammensetzen wollte. Sie wollte.

Unterwegs sprachen sie über ihre beruflichen Vorhaben. Hellen machte für ihr Jurastudium ein Praktikum bei einem Immobilienanwalt. Vicky hatte eine Ausbildung zur Fremdsprachensekretärin mit Schwerpunkt Spanisch und Portugiesisch gemacht, konnte aber auch noch gut Französisch. "Die will ins Lulaland runter, weil es ihr hier zu geldbetont zugeht", ätzte Hellen über ihre Schwester. Diese sagte dazu nur: "Südamerika ist der Markt, werte Schwester. Pass du besser auf, dass dich nicht einer von diesen Immobilienbaronen zwischen Mittagessenund Siesta vernascht." "Victoria, unterlasse solch undamenhafte Reden!" ermahnte ihre Mutter Suzanne sie. Laurentine wusste, dass Vicky in die demokratische Partei eintreten wollte. Deshalb vermied sie es, sich über George W. Bush zu äußern.

Oma Moniques Anwesen war eine ehemalige Rinderzuchtranch zehn Kilometer vom Stadrand von Hidden Hopes entfernt. Laurentine kannte sie noch von ihrem letzten Besuch von vor neun Jahren. Deshalb empfand sie eine Mischung aus Trübsal und Wiedersehensfreude. Die Trübsal rührte daher, dass ihr wieder bewusst wurde, dass sie und ihre Eltern sich fast endgültig auseinandergelebt hatten. Die gewisse kleine Hoffnung, dass sich das doch noch einmal änderte wollte sie nicht aufgeben. Dann fiel ihr noch der exotische Neubau auf, eine kleine Stufenpyramide im Stil der Mayabauten. Auf der obersten Stufe ritt eine weiße Kuppel. Das war also die "Maison des Mémoires", die ihre Mémé Monique für ihren verstorbenen Mann hatte bauen lassen. Das Gebäude war eine Mischung aus Museum, Planetarium und Sternwarte, wenn sie ihre Mémé richtig verstanden hatte. Tja, so richtig hatte sie sich doch nicht damit anfreunden können, keinen irdischen Ort zu haben, wo sie ihren verstorbenen Mann besuchen und seiner gedenken konnte.

Hinter der kleinen Pyramide lagen die Pferdekoppeln, wo die noch zur Ranch gehörenden dreißig Zuchtpferde untergebracht waren. Laurentine wusste, dass Zorro, der einstige Rennchampion und Vater von mindestens 200 erstklassigen Reit- und Rennpferden, mittlerweile auf der Gnadenkoppel war. Mit fast dreißig Jahren war er nun doch für alles zu alt. Aber dafür wohnten seine Söhne Zodiac und Zeppelin noch auf der Ranch. Laurentine hoffte, in den drei Tagen, die sie hier wohnte, einmal ausreiten zu können.

Monique Lacroise trug ein helles Sommerkleid, das mit einem nachtschwarzen Gürtel zusammengehalten wurde. Das war das einzige Zeichen, dass sie noch immer um ihren Mann Henri trauerte. Sie freute sich jedoch über die Ankunft ihrer Gäste. Laurentine wurde besonders innig umarmt. "Das deine Mutter erst morgen kommt weißt du sicher schon", sagte Monique auf Französisch, weil es ihre Muttersprache war. Laurentine bejahte es. "Sie hat darum gebeten, nicht auf demselben Stockwerk mit dir oder Sues Prinzessinnen zu schlafen. Ist das mit deinen Eltern immer noch nicht überstanden?"

"Ich habe es noch mal versucht, mit ihnen zu reden, als deine Einladung kam, Mémé Monique. Aber die haben immer was wichtigeres zu tun. Wenn meine Mutter morgen oder übermorgen mit mir reden will bin ich dazu bereit. Wenn nicht, dann renne ich ihr nicht hinterher und halte mich an ihrem Rockzipfel fest. Das habe ich lange genug getan."

"So ähnlich hat Suzanne vor 25 Jahren auch gesprochen", sagte Mémé Monique. "Ja, und sie ist doch zu mir gekommen, um mit mir zu feiern. Das ist wie in der Geschichte vom verlorenen Sohn. Es geht auch mit Töchtern."

Laurentine musste sich sehr anstrengen, eine Antwort zu finden, die kein harscher Widerspruch war aber auch keine Heuchelei. Nach einer Viertelminute sagte sie schließlich: "Tante Abby hat es schon richtig erkannt. Zwischen meinen Eltern und mir liegt ein ganzer Ozean, und ich habe nicht die akademische Karriere angefangen, die mein Vater sich gewünscht und mit der meine Mutter hätte auftrumpfen können. Dafür habe ich ein eigenes Leben, ohne auf ausgetretenen Pfaden langlaufen zu müssen. Mag sein, dass meine Eltern das irgendwann erkennen werden. Ich bereue jedenfalls nicht, wie ich mich entschiedn habe."

"Hauptsache, du bist fleißig und führst ein gottgefälliges Leben, dass du das, was du verdienst, immer mit denen teilst, die nicht so begünstigt sind, ob Wissen oder Geld", sagte Mémé Monique. Laurentine hätte fast losgelacht, von wegen gottgefälliges Leben. Dann dachte sie, dass ihre Zauberkräfte ja durchaus auch von einer höheren Macht stammen konnten. Nur dass sie diese Macht nicht mit dem Gott der katholischen Lehre gleichsetzen wollte.

Oma Monique begrüßte nun auch die noch nicht von ihr umarmten Gäste. Dann ließ sie diese von ihren fünf Dienstboten zu ihren Zimmern führen. Hier zeigte sich, wie wichtig ihr die einen oder anderen Gäste waren. Ihre Blutsverwandten kamen alle im Haupthaus unter. Laurentine ließ sich von Polly, dem ersten Zimmermädchen, das Süddachzimmer zeigen, von dem aus sie bei gutem Wetter die Wolkenkratzer von Los Angeles sehen sollte. Laurentine vermutete, dass sie nur die gelbe Dunstglocke über der Stadt sehen würde.

Weil sie später angekommen waren als ursprünglich geplant verzichteten sie auf das Mittagessen und aßen nur selbstgemachte Sandwiches. Laurentine besuchte die Pferde auf ihrer Koppel und freute sich, dass Zorro sie wiedererkannte, obwohl es schon neun Jahre her war und aus dem kleinen, pummeligen Mädchen eine rank und schlank gewachsene junge Frau geworden war. "Hast dich noch gut gehalten, Champ", sagte Laurentine zu dem Rappen mit der schon angegrauten Mähne und dem Silberschweif.

Weil das richtig große Festessen erst morgen stattfinden würde gab es zum Abendessen nur drei Gänge aus Suppe, Fleisch und Gemüse und einen Obstsalat. Vor und nach dem Essen wurde gebetet. Das kannte Laurentine auch noch von früher. Doch jetzt waren die Dankesworte an Jesus Christus für sie nur eine Art Floskel, etwas, dass immer schon gesagt wurde, ohne dass es überhaupt einen tieferen Sinn hatte.

Fast wäre es beim Abendessen zum Streit zwischen Vicky und dem Enkelsohn von Mémé Moniques Schulfreundin Clarissa gekommen. Der hatte nämlich behauptet, dass es Amerika wesentlich besser gehen würde, wenn wieder alle den Platz einnähmen, den ihnen "der Schöpfer" zugedacht habe und George W. Bush noch viel zu gnädig mit seinen Widersachern umgehe, vor allem was die illegalen Einwanderer aus Mexiko anging. Laurentine hörte nur zu, ohne was dazu zu sagen. Erst als sie gefragt wurde wie sie das sähe sagte sie: "Ich bin hier nur Gast und kenne mich nicht gut genug in eurer Politik aus, um hier eine klare Stellungnahme abzugeben."

Nach dem Abendessen durfte sie die kleine Pyramide besuchen und durch das unter der Kuppel verborgene Teleskop mit vier verschiedenen Vergrößerungsstufen sehen. Als ihre Mémé ihr mit Hilfe eines kleinen Ausrichtungscomputers eine Stelle am Himmel zeigte, wo alle drei Stunden Opa Henris Himmelsurne vorbeizog dachte sie daran, dass sie in der Sternwarte von Millemerveilles alle möglichen Satelliten gesichtet hatte. Als dann ein Zylinder mit vier rechtwinklig davon ausgehenden Sonnensegeln ins Blickfeld rückte meinte Mémé Monique: "Laut Ausrichter ist Opa Henris Satellit jetzt genau über uns. Das ist die kleine Walze mit den vier abgerundeten Flügeln. An der Unterseite stehen die Initialen und die Jahreszahlen seiner Geburt und seines zu frühen Todes als Registriernummer." Laurentine prüfte es nach. Tatsächlich sah sie im Widerschein der über den Erdschatten hinwegtastenden Sonnenstrahlen die runde, goldene Platte, in der in Spiralschrift die Abkürzung HGL für Henri Gustave Lacroise und die lange zahl 19422001 zu lesen stand. Das ding war doch sowas von auffällig, wenn man mit der richtigen Vergrößerung und einer guten Lichtausbeute arbeitete, dachte Laurentine. Dennoch sah sie diesen Satelliten heute zum ersten Mal. Gut, der war laut ihrer Mémé auf einer 800 Kilometer über der Erdoberfläche liegenden Umlaufbahn eingependelt und flog so, dass er auf dem Breitengrad von Hidden Hopes um die Erde kreiste. Sie wollte nach ihrer Rückkehr in Millemerveilles noch einmal nachprüfen, ob sie den Satelliten fand. Hierzu ließ sie sich von dem Teleskopsteuerungsrechner die astronomischen Daten ausdrucken. Was ihr noch auffiel war, dass der Urnensatellit im Widerschein der Sonne ein wenig mehr leuchtete als die als kleine Objekte erkennbaren künstlichen Erdbegleiter. Das mochte an der Umlaufbahn liegen oder am verbauten Material. Am Ende war die Außenhaut des Satelliten aus hauchdünnem aber spiegelblank poliertem Gold. Sähe ihrem gerne mit seinem Luxus prahlenden Opa ähnlich."

"Ich kuck mir das in der Sternwarte noch mal an, die ich immer wieder besuche, schön weit weg von großen Städten, Mémé Monique", sagte Laurentine. "Ja, tu das. Dann weiß Henri auch, dass sich die ganzen Ausgaben doch gelohnt haben", sagte Laurentines Großmutter. Dann sagte die was, dass ihrer Enkeltochter einen Stich ins Herz versetzte: "Besser das Geld für dieses sündhaft teure Spektakel an die ganzen Techniker und Handwerker zu geben, als es diesen zwei Hexen Mariette und Ninette zu überlassen. Wer weiß, welchen gottlosen Unsinn sie damit angestellt hätten."

"Öhm, mit denen möchtest du auch nicht mehr reden, oder?" fragte Laurentine noch. "Worüber, dass sie mit ihrer Geldgier und Boshaftigkeit auf jeden Fall vom Leibhaftigen geholt werden und ich für mein Engagement für die schuldlos verarmten in den Himmel komme? Das wissen die doch schon längst."

"Ich will dir da nicht dreinreden, Mémé Monique", sagte Laurentine, die nicht hier und jetzt sagen wollte, dass es dasselbe Missverhältnis war wie zwischen ihr und ihren Eltern. Dann sagte ihre Mémé noch: "wir sollten jetzt wieder in unsere Zimmer gehen und vor allem die geweihten Kreuze über die Türen und Fenster hängen, damit die Geister der gierigen Goldgräber uns nachts nicht heimsuchen, jetzt wo wieder viele wohlhabende Leute auf der Ranch sind." Laurentine dachte erst, sich verhört zu haben. Deshalb fragte sie, ob Mémé Monique das wirklich glaubte. "Es hat schon Unglücksfälle in Hidden Hopes gegeben, weil jemand die alten Goldgräber verächtlich geredet hatte. Außerdem heißt es, dass ein von ihnen ermordeter Medizinmann ihre Seelen verflucht habe, immer dort umzugehen, wo viel Reichtum zusammen käme und denen nachzustellen, die mehr Geld verdient hätten als sie. Deshalb müssen wir uns jetzt entscheiden, hier in der Pyramide zu schlafen oder im Haus."

Laurentine stellte fest, dass in der Zeit, wo sie nicht in ihrem Zimmer gewesen war, tatsächlich zwei blank polierte Holzkreuze aufgehängt worden waren. Sie grinste das über der Tür hängende Symbol verwegen an. "Tja, hast mich nicht daran hindern können, hier reinzugehen. Und der Schrank ist auch noch mit Desinteressierungszauber belegt", dachte Laurentine für sich. Dann ging sie in das an das Zimmer angeschlossene Badezimmer und machte sich bettfertig. Sie hatte einen langen Tag hinter sich.

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"Unser Nachrichtenfeldzug ist gescheitert, meine Königin", berichtete Pontio Barbarnera, der am 27. Mai offiziell zum Nachfolger Bernadottis vereidigte italienische Zaubereiminister. "Die Vorwürfe gegen die Ministerien mit Veelabevölkerung sind mit lautem Getöse nach Hinten losgegangen. Ja, alle nicht bei der Versammlung anwesenden Zaubereiminister haben unsere Vorwürfe für böswilligen Unsinn erklärt, und jene, die im Castello Moravito waren haben in vollkommener Übereinstimmung berichtet, was ihnen widerfahren ist. Die Russen, Bulgaren und Polen haben sogar einen Weg gefunden, wie sie Eure ausländischen Anhängerinnen erkennen können. Dabei sind wohl vier von ihnen festgenommen worden, ohne dass sie Eurem Befehl folgten, zu sterben, statt zu verraten. Ich weiß nicht, wie sie das angestellt haben."

"Aber ich", schnaubte Ladonna Montefiori. Sie hatte Pontio Barbanera in ihre gesicherte Residenz bei Florenz bestellt, um von ihm aus erster Hand und mit beigebrachten Unterlagen zu erfahren was in der restlichen Welt los war. "Sie haben die anderen Kinder Mokushas davon überzeugen können, meine Getreuen zu jagen. Die Veelas können es spüren und riechen, wer mir unterworfen ist, zum feuerroten Drachentroll. Genau deshalb wollte ich diese Brut nicht in unsere Nähe lassen. Und was die Festnahmen angeht: Sie haben den Einschließungszauber aus dem Buch von Melissa Honigberg benutzt, von dem mir meine jetztzeitigen Getreuen berichtet haben. Der schwächt von innen nach außen wirkende Zauber und prellt bis auf den Aufhebungszauber alle von außen einwirkenden Zauber ab. Aber dass die den schneller ausführen können als mein Befehl zu Sterben wirkt wusste ich nicht. Selbst die, denen ich die Ehre gab, in meiner Obhut zu gedeihen wussten es nicht."

"Aber dann können die doch verraten, wer alles Eure Getreuen sind", erschauerte Pontio Barbanera.

"Und was gibt es neues?!" spie ihm Ladonna förmlich entgegen. Der neue italienische Zaubereiminister legte ihr mehrere Presseerklärungen vor, in denen er vollmundig bekundete, den böswilligen Unterstellungen aus England, den USA, Frankreich, Spanien und Deutschland nachzugehen und zu beweisen, dass an diesen Behauptungen nichts dran sei. Ja, dass es in wirklichkeit die schwarze Spinne sei, die diese Ministerien führte und sie glauben mache, sie würden von uns bedroht, damit sie für die vermeintliche Retterin eintraten, wenn diese die Weltherrschaft für sich beanspruche."

"Ja, ich weiß, ich habe zu dieser Schlacht der Worte aufgerufen, mein getreuer erster Minister. Doch ich muss erkennen, dass du mit dieser Behauptung einen ganzen Schwarm Drachen gerufen hast, die nun darauf warten, unser Werk und uns dazu in Asche und Rauch aufgehen zu lassen. Unsere britische Kundschafterin, deren Namen ich dir nicht verraten werde, hat herausbekommen, dass Shacklebolt, der meint, so schlau zu sein und keiner von uns direkt nachzustellen, mit den anderen in diesem verfemten Dorf Millemerveilles zusammentreffen will. Von diesem haben mir alle Getreuen unabhängig berichtet, dass dort seit bald einem Jahr ein neuer Schutzzauber wirkt, der feindliche Wesen aussperrt und von außen wirkendes schädliches Zauberwerk abweist. Deshalb habe ich meiner Kundschafterin untersagt, Shacklebolt nachzuschleichen. Denn wenn es stimmt, dass diese verdammenswürdigen Kinder Ashtarias diesen Schutzzauber ausgeführt haben, dann kann keiner von meinen Getreuen unbehelligt in dieses Dorf hinein, in dem diese falsche Schlange Sardonia gehaust hat. Und wer das kann ist somit keiner dunklen Macht unterworfen und trachtet auch nicht nach Leib und Leben der Bewohner. Die werden sich da gegen uns verbünden, einen Plan schmieden, mir dieses schöne Land wegzunehmen und euch alle, die ihr mir treu seid, zu töten oder zu hilflosen Geisteskrüppeln zu machen. Wir müssen Ihnen zuvorkommen. Ich hatte gehofft, dieses Wissen aus Britannien nicht verwenden zu müssen, weil ich mein Reich auf Treue und Gefolgschaft und nicht auf Abgeschiedenheit begründen wollte. Doch wenn wir nicht untergehen sollen muss ich diesen kohlschwarzen Kessel Klingsors zum sieden bringen. Ich werde dir in den nächsten Tagen befehlen, alle nichtitalienischen Hexen und Zauberer aufzufordern, unser Land zu verlassen, sollte es öffentlich werden, dass die Quidditchweltmeisterschaft nicht noch einmal bei uns ausgespielt wird. Wer länger als zwei Tage nach der öffentlichen Bekanntgabe in Italien und auf Sardinien weilt wird eines qualvollen Todes sterben."

"Was wollt ihr tun, meine Königin?" fragte Pontio Barbanera mit blassem Gesicht. "Wirst du erst dann erfahren, wenn es vollzogen wurde", fauchte Ladonna. "Nein, denk nicht einmal daran, mir das auszureden. Du würdest es bitter bereuen", sagte sie noch.

"Meine Königin, Euer Wort ist mir Gebot", sagte Pontio Barbanera. "Gut, dass du es einsiehst. So gebiete ich, dass du jetzt wieder nach Rom zurückkehrst und auf meinen Befehl wartest, alle nicht in Italien geborenen Hexen und Zauberer zu unerwünschten Personen zu erklären. Triff die nötigen Vorbereitungen, damit dieser dein Befehl zügig vollstreckt werden kann!" Sie lächelte überlegen. Pontio Barbanera, Ladonnas in jeder Bedeutung allererster Diener, verbeugte sich vor seiner Königin. Dann verließ er die Girandelli-Villa bei Florenz. Als er aus der Wirkungszone des Blutfeuernebels heraus war disapparierte er. Er wusste, was Ladonna vorhatte. Doch er durfte es ihr nicht ausreden. Da sie bereits die Herrin Italiens war würde es ihr auch gelingen, diesen mörderischen Bann über das ganze Land auszubreiten. Er konnte nur hoffen, dass die anderen Zaubereiminister doch noch davon ausgingen, dass nur Bernadotti und seine drei Schicksalsbegleiter die Getreuen der Königin waren. Dann fiel ihm ein, dass ihm ja nichts passieren konnte, wo sein Stammbaum fast bis zur Gründung Roms zurückreichte. Also warum sollte er sich um die nicht hier geborenen Hexen und Zauberer sorgen?

ENDE DES 1. TEILS

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