Die Welt ist weiterhin in Aufruhr. Die nichtmagische Menschheit lebt mit den Auswirkungen der Terroranschläge vom 11. September 2001 und dem Vergeltungskrieg der USA und ihrer Verbündeten in Afghanistan und dem Irak. Die Magische Welt hat weiterhin mit den Auswirkungen der von Ladonna Montefiori unbeabsichtigt ausgelösten Welle dunkler Zauberkraft zu tun. Zwar konnte das Erbe Sardonias in und über Millemerveilles endgültig beseitigt werden. Doch die während der Eingeschlossenheit durch eine gasförmige Droge Vita Magicas ausgelöste Fortpflanzungsorgie erlegt den Bewohnern Millemerveilles die Verantwortung für über 750 im nächsten Jahr ankommende Kinder auf. Im Auftrag und mit Hilfe der transvitalen Entität Ammayamiria errichten Millie und Julius Latierre zusammen mit Ashtarias Nachkommen Camille Dusoleil, Maribel Valdez und Adrian Moonriver eine neue, schützende Glocke über Millemerveilles, die nicht wie die dunkle Kuppel Sardonias auf Leid und Tod, sondern Lebensfreude, wachsendem Leben und Liebe gründet. Die dunkle Woge im April 2003 bestärkt dunkle Wesen und Gegenstände. So erwacht die schlummernde Kraft in einem Zauberkessel der Hexenmeisterin Morgause zu unheimlichem Eigenleben. Doch der Kessel wird von den darum streitenden Hexen Anthelia und Ladonna zerstört. Morgauses darin eingelagerte Seele wird von der ebenfalls bestärkten Nachtschattenführerin Birgute Hinrichter vertilgt und gibt ihr damit noch mehr magische Kraft. Auch der Orden der Gooriaimiria gewinnt durch die weltweite Welle dunkler Zauberkraft mehr Kraft. In Australien erwachen die vier letzten Schlangenmenschen Skyllians aus jahrtausendelangem Zauberbann und sorgen über mehrere Wochen für Angst und Unsicherheit, weil sie ihr Dasein ungehindert ausbreiten wollen. Nur die von Anthelia nach Australien geschafften Insektenmenschen, sowie ein machtvolles Ritual australischer Stammeszauberer am heiligen Berg Uluru dämmen die Ausbreitung von Skyllians letzten Dienern ein. Julius Latierre nimmt an mehreren Hochzeitsfeiern teil. Bei der Hochzeit von Gabrielle Delacour und Pierre Marceau in einem abgelegenen Waldschloss bei Amien droht die Geheimhaltung der Zaubererwelt zu scheitern. Denn das Schloss wurde vom US-Geheimdienst CIA als Spionage und Überwachungsstätte benutzt. Nur Julius' Computerkenntnisse und der Zaubertrank Felix Felicis ermöglichen ihm, die drohende Enttarnung der Zaubererwelt zu verhindern. Im Dezember bekommt die Familie Latierre Zuwachs. Zum einen wird den Eheleuten Hippolyte und Albericus Latierre ein Sohn geboren, der eine körperliche Besonderheit aufweist. Er besitzt zwölf Finger und zwölf Zehen. Zum anderen heiratet Hippolytes und Béatrices Cousin Gilbert seine amerikanische Kollegin Linda Knowles, mit der er den Betrug der US-Quidditchmannschaft bei der Weltmeisterschaft aufgedeckt hat. Ein wenig beunruhigt ist er von einem Traum, indem die in magischen Sphären überdauernden Seelen älterer Frauen davon sprechen, dass Millie und er drei Jahre und drei mal so viele Jahre wie sie Töchter haben keinen Sohn bekommen können, weil die Magie der Mondburg dies so eingerichtet hat. Da Ashtaria über Ammayamiria gefordert hat, dass er in den kommenden Jahren seinen ersten Sohn zeugen soll, um den Tod eines Sohnes aus der Linie Ashtarias auszugleichen, weiß er nicht, was er von diesem Traum halten soll. Die ersten Wochen des Jahres 2004 verlaufen ohne erwähnenswerte Ereignisse. Doch die mit dem Schutz der magischen und nichtmagischen Menschen betrauten Ministeriumsbeamten wissen, dass diese Ruhe trügerisch ist. Tatsächlich nutzen die menschenfeindlichen Gruppierungen die Zeit, um bessere Ausgangsmöglichkeiten für weitere Aktionen zu schaffen. Die Sekte der erwachten Göttin errichtet auf jedem der sieben großen Erdteile einen magischen Stützpunkt, einen "Tempel der erwachtten Göttin". Birgutes nachtschatten erweisen sich als die mächtigsten Widersacher Gooriaimirias. Mit dem Machtanspruch Gooriaimirias unzufriedene Vampire erbeuten die Kenntnisse über die Standorte der sieben Tempel. Linda Latierre-Knowles und ihr Ehemann Gilbert erfahren bei einer heimlichen Reise nach Italien, dass Ladonna Montefiori offenbar schon wichtige Posten im Zaubereiministerium kontrolliert und muss nun zusehen, wie sie es denen beibringen können, die ihnen vertrauen.
Die Wochen zwischen Ende Februar und Mitte April werden die anstrengendsten in der Laufbahn der Heilhexe Hera Matine. Denn in diesen Zeitraum fallen die von Vita Magica erzwungenen Geburten von mehr als siebenhundert neuen Zaubererweltkindern. Camille Dusoleil macht am 29. Februar den Anfang mit gleich vier Töchtern. Die Pflegehelfer unterstützen die ausgebildeten Hebammen bei den Entbindungen. Allerdings kommt es zwischen Uranie Dusoleil und dem ungewollten Vater ihrer drei Kinder zu einem Zerwürfnis. Ihr Sohn Philemon fühlt sich zurückgesetzt und versucht dies durch grobes Auftreten zu überspielen. Uranie geht auf Antoinette Eauvives Vorschlag ein, bis auf weiteres in ihrer Residenz, dem Château Florissant, zu wohnen. Bis zum 18. April erfolgen die erwarteten Geburten der von Camille als Frühlingskinder bezeichneten Babys. Zur gleichen Zeit kommt es innerhalb der Werwolf-Vereinigung namens Mondbruderschaft zu einer Entscheidung, ob die Mitglieder sich den eingestaltlichen Hexen und Zauberern anvertrauen sollen, um keine weiteren Opfer des von Vita Magica verfremdeten Vollmondlichtes zu riskieren oder nun erst recht gegen die Eingestaltler vorzugehen. Die Gruppe um den Zauberer Fino, die für ein weiteres Alleingehen eintritt, gewinnt die Abstimmung und damit auch die Entscheidung, wer die Mondgeschwister weiterführen soll.
Ladonna Montefiori will ihre Macht in Italien vervollkommnen, bevor dort die Neuauflage der Quidditchweltmeisterschaft beginnen soll. Hierzu will sie alte Feinde, die ihr schon vor vierhundert Jahren lästig waren, unwiederbringlich entmachten, die Lupi Romani. Sie schürt gezielt Unfrieden zwischen den vier großen Familien und entfacht damit einen Krieg, der drei der Familien an den Rand der Auslöschung treibt. Der zwergenstämmige Clanchef Vespasiano Mangiapietri und seine Söhne können gerade so noch von seiner Großmutter, der reinrassigen Zwergin Lutetia Arno, in Sicherheit gebracht werden, bleiben aber bis auf weiteres im Zauberschlaf. Ladonna wittert nun die Gelegenheit, weitere treue Anhängerinnen unter dem Bann der Feuerrose zu vereinen. Vor allem geht es ihr um die Stuhlmeisterinnen der sogenannten schweigsamen Schwestern. Ebenso bereitet sie sich darauf vor, weitere Zaubereiminister Europas und anderer Erdteile unter ihre Herrschaft zu zwingen. Falls ihr das gelingt gehört ihr die Zaubererwelt. Doch ihre Feinde sind vorgewarnt. Sophia Whitesand, die Stuhlmeisterin der britischen Sektion der schweigsamen Schwestern, fällt nicht auf gefälschte Unterlagen ihrer einstmals treuen Mitschwester Erin O'Casy herein und wittert eine Falle. Deshalb holt sie die irische Mitschwester in ihre besonders gesicherte Heimstatt, wo Erin durch den dort wirksamen Sanctuafugium-Zauber von Ladonnas Bann befreit wird, jedoch bis auf weiteres geschwächt ist. Albertrude Steinbeißer, die von den allermeisten noch für Albertine gehalten wird, soll von Ladonnas Handlangerin Gundula Wellenkamm in ein unterirdisches Versteck angeblicher Aufzeichnungen gelockt werden. Doch weil Albertrude davon ausgeht, dass Gundula bereits unter Ladonnas Einfluss steht trifft sie Vorbereitungen. So entgeht sie dem Duft der Feuerrose und schafft es sogar, die am Zielort aufgetauchte Ladonna Montefiori schwer zu demütigen, indem sie ihr mit bezauberten Scheren einen Gutteil ihrer Haare abschneiden lässt.
Laurentine Hellersdorf nimmt den Rat der Heilerin Hera Matine an und nimmt Kontakt mit der Kampfzauberexpertin Louiselle Beaumont auf. Nachdem sie deren Einstiegsprüfung in Form einer Rätseljagd und Vorführung ihrer Zauberkenntnisse bestanden hat trifft sie diese in ihrem abgelegenen kleinen Schlösschen, wo sie erweiterte Verteidigungszauber besonders für Hexen erleidet und erlernt. Während dessen forschen Millie und Julius Latierre nach, was es mit Julius' Traum von den in Sphären überdauernden Geisterfrauen auf sich hat. Die Mondtöchter bestätigen, dass es kein bloßer Traum war. Millie und er können erst dann einen gemeinsamen Sohn haben, wenn sie nach Clarimondes Geburt zwölf Jahre verstreichen lassen. Doch Ashtaria fordert von Julius, dass er in den nächsten anderthalb Jahren einen Sohn zeugen soll, um die Lücke zu schließen, die durch den Tod eines erbenlos gebliebenen Sohnes aus Ashtarias Blutlinie entstanden ist. Außerdem soll er für die Mondtöchter nach drei von der Mondbruderschaft abgerückten Werwölfen suchen, die nach Frankreich gekommen sind. Wenn es ihm gelingt, sie in die versteckte Burg der Mondtöchter zu bringen, können sie von ihrem Dasein als Werwölfe geheilt werden.
Julius findet heraus, dass wahrhaftig drei der Mondbruderschaft entsagende Werwölfe in Frankreich eingetroffen sind. Dem Werwolfkontrollamtsleiter Hubert Fontbleu missfällt das, weil er die Festnahme der drei gerne als Trumpf gegen die Mondbruderschaft ausgespielt hätte. Dennoch muss er sich der Weisung seines Vorgesetzten Beaubois fügen und Julius die drei Abtrünnigen überstellen. Er bringt sie wie versprochen zur Mondburg. Die drei dürfen über jene gläserne Brücke, über die auch schon Millie und Julius gegangen sind. Allerdings weist die erste der Mondtöchter ihn mentiloquistisch darauf hin, dass eine der drei, Nina, ein Kind mit der Werwolfkrankheit geboren hat. Auch dieses wollen die Mondtöchter heilen, doch erst später. Weil Fontbleu das mit den drei Werwölfen zum fast eigenen Staatsgeheimnis gemacht hat und weil er Julius willentlich einem umstrittenen Ortungszauber ausgesetzt hat und wegen anderer vorangegangener Verfehlungen wird der Leiter des Werwolfkontrollamtes vom Dienst freigestellt.
Ladonna Montefiori lässt von ihrem unterworfenen Romulo Bernadotti Portschlüssel an fast alle europäischen Zaubereiministerien verschicken, deren Nationalmannschaft an der Quidditchweltmeisterschaft teilnehmen dürfen. Nur Frankreichs Ministerin Ventvit will sie nicht dabei haben. Um so ärgerlicher ist es für sie, dass die Spanier den Veelastämmigen Ignacio Lucio Bocafuego Escobar mitbringen. Um ihn nicht bei ihrem geplanten Unterwerfungsakt stören zu lassen vergiftet sie ihn mit einem tückischen Gemisch aus dem Gift einer Runespore-Schlange. Doch ihr Plan, die Minister und ihre Mitarbeiter mit einer Feuerrosen-Duftkerze zu unterwerfen scheitert. Denn Anthelia/Naaneavargia kann dank Albertrudes besonderer Sehkraft den für Deutschland bestimmten Portschlüssel wenige Sekunden vor dem Auslösen wegschnappen und damit zum geheimen Treffpunkt versetzt werden. Dort zerstört sie die magische Duftkerze mit Yanxothars Feuerklinge und wendet den Erdzauber "Lied der reinigenden Mutter Erde" an, um die bereits vorher unterworfenen Minister von allen magischen Zwängen freizuspülen. Dabei sterben zwar alle von Ladonna vollständig unterworfenen. Doch nun wissen die meisten Zaubereiministerien, dass Ladonna das italienische Zaubereiministerium beherrscht und noch mehr Macht haben will. Die knapp vor der Versklavung erretteten Minister machen nun Jagd auf Ladonnas Agentinnen und Helfershelfer in ihren eigenen Ländern. Auch Ministerin Ventvit erfährt von dem beinahe geglückten Streich der teilweise Veelastämmigen. Mit Hilfe der in Frankreich lebenden Veela-Abkömmlinge unter Führung der reinrassigen Veela Léto können alle im Zaubereiministerium verborgenen Helferinnen Ladonnas enttarnt und ohne sie zu töten unschädlich gemacht werden. Für diese Hilfe möchte Léto eine Besserstellung ihrer Artgenossinnen und Nachkommen und tritt mit Ministerin Ventvit in geheime Verhandlungen ein, die von Julius Latierre begleitet werden. Deshalb legt er seinen Herzanhänger bis auf weiteres ab, um Millie nicht mit Létos Veelamagie zu belasten. Die Zaubereiminister Europas beschließen, sich im Juni in Millemerveilles zu treffen, wo keine bösartigen Zauberwesen hinkommen können. Dort soll beschlossen werden, wie es sowohl gegen Ladonna als auch mit der Quidditchweltmeisterschaft weitergeht.
Laurentine Hellersdorf beendet ihren geheimen Zusatzunterricht und reist in die Staaten, wo sie ihre Familienangehörigen für die Geburtstagsfeier ihrer Großmutter mütterlicherseits wiedersehen wird. Diese Reise entscheidet über ihr weiteres Leben.
Laurentine hatte es höflich abgelehnt mit dem neuen, grasgrünen Hubschrauber ihrer Großmutter noch mal zum Flughafen zu fliegen, um ihre Mutter abzuholen. Als diese dann eine Stunde später mit dem Piloten Pete aus dem Hubschrauber ausstieg wurde sie schon von allen hier erwartet. Sie begrüßte auch jeden mit einer kurzen Umarmung, vor allem ihre Mutter. Als sie bei Laurentine ankam sagte sie nur: "Na wie ist es, in der richtigen Zivilisation zu verreisen?" Laurentine sagte dazu nur: "Nicht anders als sonst, Maman. Papa konnte nicht mitkommen?"
"Das ich heute hier bin liegt nur an deiner Mémé Monique. Ich soll dir nur was von ihm übergeben. Mehr hat er mir nicht aufgetragen. Wo bist du untergebracht?" Laurentine zeigte ihr das Zimmer. Dann drückte ihre Mutter ihr einen sehr dicken Umschlag in die Hand. "Das ist dein mit uns verbrachtes Leben. Das Haus in Vorbach wird demnächst verkauft. Falls da noch was aus dieser Schule drin ist sieh zu, das vor dem 20. Juni noch rauszuholen!"
"Maman, ich wohne da nicht mehr und wollte da auch nichtmehr hinziehen. Die ganzen Spielsachen von mir könnt ihr gerne verkaufen. Die Hörspiele habe ich schon nach dem siebten Schuljahr in meine neue Wohnung rübergeholt."
"Schwöre es bei Gott und dem Heiland!" verlangte Laurentines Mutter. "Das wären für mich nur hohle Phrasen, Mutter. Aber bitte: Ich schwöre bei Jesus Christus und dem Kreuz da oben, dass ich nichts mehr in eurem Haus habe, was ihr dort nicht haben wolltet", sprach Laurentine und deutete eine Verbeugung vor dem Kreuz über der Tür an.
Weitere hundert Gäste trafen ein, viele von ihnen Schulkameradinnen und Kolleginnen von Mémé Monique. Auch waren zwanzig Kinder vom Säugling bis zum Teenager dabei. Gegen Nachmittag trafen dann noch ein Tafelorchester und fünf Kellner und drei Köche mit einer Menge Thermoboxen auf einem großen Lastwagen ein und bauten mit den festangestellten Dienstboten große Gartentische auf, die sie mit blütenweißen Leinendecken überzogen. Gegen halb fünf erschien dann noch ein älterer Herr in Priesterkleidung. Laurentine wagte nicht laut auszusprechen, dass Mémé Monique echt einen katholischen Pfarrer bestellthatte, um ihren Geburtstag zu segnen. Doch genau das passierte, als alle Gäste um die aufgestellten Tische platziert waren und die bestellten Musiker einen dreifachen Tusch spielten. Der Geistliche, ein Padre Bonifacio Rojas aus der kleinen, katholischen gemeinde von Beverley Hills, sprach über die große Gunst Gottes, jeden Tag des Lebens zu einem erfüllten Tag zu machen und besonders an den Tagen vollendeter Lebensjahre die Freude und die Demut gleichermaßen zu würdigen, mit der auf das bisherige Leben zurückgeblickt werden könne, je länger es währte um so stärker. Dann sprach er diesem Tag und den Gästen den Segen des Herren und aller Heiligen aus und versprach, dass selbst dann, wenn sie alle ausschweifend feiern würden, Gnade vor dem Allmächtigen finden würden. Denn da wo viele Menschen das Leben eines der ihren feierten, sei Gott selbst gern zu gast. Er sprach noch ein Gebet, in das er die Bitte für ein noch langes Leben Monique Lacroises einbrachte. Dann schlug er über Laurentines Mémé Monique das Kreuzzeichen und verließ die Feier wieder.
Unter einem weiteren Tusch blies das Geburtstagskind alle sechzig Kerzen auf der wagenradgroßen Geburtstagstorte aus, die einer der Kellner auf einem großen, runden Silbertablett vor sie abgestellt hatte. Alle klatschten laut Beifall.
"Na, Monique, wie viel hast du den Papisten in den Opferstock geworfen, dass einer von deren Dienstboten dich hier und heute so nett bedenkt?" fragte Homer Murray das Geburtstagskind. Alle Gäste erstarrten. "Die machen doch nix umsonst, diese Shwarzkutten", fügte er noch hinzu. Monique Lacroise sah den Schwiegercousin an und sagte mit kleinen Tränen in den Augen: "Padre Rojas hat sich erboten, meinenGeburtstag zu segnen und war mir nach Henris Tod ein sehr hilfreicher Beistand. Du verwechslst die römisch-katholische Kirche mit euch Kalvinisten, die finden, dass nur wer im Leben viel verdient hat auch auf Gottes Großmut zählen kann. Er wollte mich segnen und damit auch euch. Nimm es bitte dankbar hin, Homer."
"Hinnehmen ja, dankbar oder gar demütig nein, Monique. Hör bitte auf mit diesem mittelalterlichen Getue. Wir möchten feiern, dass es dich gibt. Mehr nicht."
"Okay, bevor ich deine Feier kaputtquatsche, Monique, du hattest das Recht, sie so zu planen, wie du es wolltest. Und wenn der Pater von eben dir dafür sehr wichtig war entschuldige ich mich für meine Bemerkung", sagte Homer Murray. Monique sah ihn an und nickte dann schwerfällig.
Laurentine sah, dass ihre eigene Mutter sie mit einem Aussdruck von Belauerung ansah, als warte sie darauf, dass sie was anstellte oder wegen des katholischen Segens hier gleich in Flammen aufgehen würde. In dem Moment fühlte Laurentine, wie der letzte Rest von Beziehung zu ihrer Mutter verschwand wie disappariert. Womöglich wusste die das auch schon länger, ja schon seit dem unrühmlichen Abgang beim vorletzten Elternsprechtag von Beauxbatons.
Nach der kleinen Stimmungstrübung fanden Gastgeberin und Gäste wieder zur Fröhlichkeit zurück. Die Musiker spielten dezente Tanzmusik, die eindeutig aus den populären Verkaufslisten der letzten fünfzig Jahre stammte. Laurentine konnte auch mit jenen der jüngeren Festgäste tanzen, welche in den gängigen Gesellschaftstänzen ausgebildet waren.
Das Abendessen war echt Französisch und bot alles auf, was die französische Küche berühmt machte, auch Froschschenkel und Schnecken. Einige mutige oder zum Mitspielen gehaltene Gäste probierten diese besonderen Köstlichkeiten. Doch die meisten aßen nur, was sie auch von ihrer Küche kannten.
Als sich alle, die nicht auf der Ranch übernachten wollten verabschiedet hatten winkte Monique ihre Tochter und deren Tochter noch einmal zu sich hin. "Nutzt bitte die Nacht und den Schlaf, genug Kraft zu sammeln, um morgen mit mir über das unsägliche Verhalten zu sprechen, dass ihr beide an den Tag legt!" sagte sie im gestrengen ton. Laurentine blieb ganz ruhig. Falls ihre Mutter morgen alle Katzen aus herumliegenden Säcken lassen wollte durfte sie sogar einen Gedächtniszauber verwenden. Weil sie das wusste konnte sie ihre Großmutter mit einem "Hab doch nichts gemacht"-Gesicht angucken, während ihre Mutter selbst offenbar wieder zum kleinen Mädchen wurde, dass Angst vor dem Ausgeschimpftwerden hat. Da sagte Laurentine: "Mémé Monique, bei allem Dank für die schöne Feier und Respekt vor dir, was meine Mutter und ich miteinander zu regeln haben betrifft nur sie und mich." Ihre Mutter schien von dieser völlig entschlossenen Aussage aus dem Kleines-Mädchen-Zustand erweckt worden zu sein. Sie sagte: "Maman, ich muss ihr da zustimmen, dass alles, was in den letzten Jahren passiert ist nicht in eine Stunde reinpasst, die ich morgen zwischen Frühstück und Abreise habe. Da der Firmenjet meines Mannes bereits um 11:00 Uhr abfliegen soll und jede Verspätung Standgebühren kosten wird nur so viel: Du möchtest das alles nicht wirklich wissen. Glaub's mir, du willst es nicht wissen."
"Renée, mein Kind, jetzt will ich es erst recht wissen. Aber ihr beiden Sturstuten habt recht, dass ich das nicht noch heute wissen muss, damit diese schöne Feier nicht doch noch verdorben wird. Und meine Tochter, falls es nötig ist, zahle ich der ESA oder dem Raketenbahnhof Kourou gerne eine zusätzhliche Standgebühr, wenn ich dafür die Gewissheit habe, alles notwendige getan zu haben, um meine Familie vor dem Zerwürfnis zu bewahren oder es, falls es bereits geschehen ist, zu beheben."
"Ich stimme ihr zu, dass du es nicht wirklich wissen willst, Mémé Monique", sagte Laurentine. Sie zeigte auf ihre Mutter und fuhr fort: "Was das Verhältnis zwischen ihr, meinem Vater und mir angeht, so kannst du es nicht ändern, so weh dir das jetzt tun mag, Mémé Monique."
"Gut, geht ins Bett und überlegt euch beide, ob ihr mir das antun könnt, was ihr da gerade macht. Wenn ihr beide mit mir sprechen wollt geht das morgen nach dem Frühstück. Ansonsten solltet ihr beide euch fragen, ob ihr noch in diesem Haus noch länger zu Gast sein wollt. Und denkt daran, was ich euch beiden damals immer gesagt habe: Wenn ihr nicht wisst, was ihr am nächsten Tag tun sollt, betet zum Herren und bittet um seine Weisheit!"
"Gute Nacht, Maman", grummelte Laurentines Mutter. Laurentine selbst nickte ihr zu und sagte dann: "Ich bedanke mich für dieses schöne Fest, Mémé Monique und wünsche dir auch eine erholsame Nacht." Dann ging sie in Richtung des ihr zugeteilten Zimmers davon.
Auch wenn sie wusste, dass ihr der Inhalt des Umschlags nicht gefallen würde überwog doch die Neugier, was ihre Mutter mit "ihrem bisherigen Leben" gemeint hatte. So holte sie den Umschlag aus dem mit Desinteressierungszauber belegten Schrank und öffnete ihn.
Absolut ordentlich sortiert lagen darin der Mutter-Kind-Pass ihrer Mutter, das Namensbändchen, dass sie gleich nach ihrer Geburt um den Arm gelegt bekommen hatte, ihre amtliche Geburtsurkunde, sowie viele von ihr selbst gemalten und gezeichneten Bilder, die wohl irgendwo auf dem Dachboden gelegen hatten. Dann waren da noch Fotos von ihrer Mutter, wo sie gerade mit ihr schwanger ging, sie als Baby auf dem Arm ihres stolzen Vaters, verschiedene Urlaubsbilder, die Einschulung in der deutsch-französischen Schule von Vorbach, weitere Urlaubsbilder, sowie Briefe aus der Schule, die ihren Fleiß, ihre Auffassungsgabe und ihr musikalisches Talent lobten. Außerdem fand sie noch die Zeugnisse der ersten Schuljahre und die von ihrem Vater oder ihrer Mutter wohl mit sehr viel Wut durchgestrichene Anmeldung im katholischen Mädcheninternat Saint Cécilie bei Bayonne, eine Schule für sogenannte höhere Töchter, sowie die Bestätigung der erwähnten Schule, dass die Anmeldung zurückgezogen worden sei, aber das Schulgeld für die ersten drei Monate in Höhe von 18000 Franc wegen zu späten Widerrufes nicht zurückerstattet werden könne. Das war es also, warum ihr Vater damals, wo die Leute von Beaux sie über ihre Fähigkeiten aufgeklärt hatten so wütend "Zwei ganze Gehälter nutzlos durch den Schornstein gepustet", gezischt hatte.
Ganz zum Schluss fand sie noch einen winzigen Umschlag, in den ihr Vater ein mindestens dreifach gefaltetes Stück Papier gesteckt hatte. Im Licht der Nachttischlampe las sie, dass ihre Eltern nicht mehr darauf hoffen wollten, dass sie dem ganzen "widernatürlichen Unwesen" abschwören und in die "richtige Welt" zurückkehren mochte, um "einen herzeigbaren Beruf" zu ergreifen. Daher hatten die beiden beschlossen, alle ihre Tochter Laurentine betreffenden Dokumente und Erinnerungsstücke zusammenzupacken und ihr entweder zuzuschicken oder bei einer "verpflichtenden Zusammenkunft der Familie" zu übergeben. Was Simon und Renée Hellersdorf anging hatten sie ihre Tochter nach der Einschulung in Beauxbatons verloren und würden auch anderswo nicht mehr darüber sprechen, eine Tochter gehabt zu haben. Sie hätte einfach nur weiter gegen diese "unnatürlichen Sachen" aufbegehren sollen, damit "diese Abnormen" sie als unbelehrbar eingestuft hätten. Auch wollten sie nach dem letzten erzwungenen Elternsprechtag und dem, was dabei geschehen sei, nichts mehr darüber wissen, mit wem und was Laurentine sich befasste, was einschloss, dass sie auch über mögliche Enkelkinder nichts wissen wollten.
Abschließend bestätigte ihr Vater, dass sie das Hauss in Vorbach ab dem 20. Juni zum Verkauf anboten und sichergestellt hatten, dass sie dort keine Briefe und Zeugnisse aus "dieser widernatürlichen Lehranstalt" zurückgelassen hatten. Ein Rechtsanwalt würde den Hausverkauf durchführen. Um sicherzustellen, dass nach dem Tod der beiden keine "höchst fragwürdige Gruppierung" von seiner Lebensleistung profitieren würde hatten er und seine Frau ein Testament gemacht, in dem Laurentine wegen "Anstiftung zur Todfeindschaft" gegen ihre Eltern von der Erbfolge ausgeschlossen sei und der von ihrer Mutter hinterlassene Erbteil einer römisch-katholischen Stiftung für vom Wege abgekommene Frauen und Mädchen vermacht würde und der väterliche Anteil einer Stiftungzur Förderung naturwissenschaftlich begabter Kinder aus sozialschwachen Verhältnissen zukommen würde. Die beiden Testamente lägen an unterschiedlichen Orten und seien erst nach ihrem Tod hervorzuholen, bei möglichen Verschwindefällen erst, wenn fünf Jahre vergangen seien und bei klaren Mordfällen auch als Beweisgegenstände gegen Laurentines oder ihrer neuen "Wegführer" verwendbar sein mochten.
Laurentine nahm es als zu erwarten hin, dass er diesen Brief gerade mal mit seiner Unterschrift, aber ohne Grußworte beendete. Das war also die letzte Nachricht ihres Vaters, dachte Laurentine. Weil sie so neugierig gewesen war musste sie jetzt mit diesem Wissen schlafen gehen. Vielleicht sollte sie diesen Brief ihres Vaters morgen Mémé Monique in die Hand drücken und ... Nein, auf keinen Fall. Sie würde dann fragen, auf wen oder was sich Laurentine denn eingelassenhabe und in was für eine "unnatürliche Lehranstalt" sie denn gegangen wäre und womit ihre Eltern dazu gezwungen worden seien, sie dort hinzuschicken. In Mémé Moniques weiterem Freundeskreis gab es auch einen höheren Beamten des FBIs. Den könnte sie glatt auf die Sache ansetzen. Das würde dann garantiert die Gedächtnisumbauer des US-Zaubereiministeriums auf den Plan rufen. Am Ende musste sie für deren Einsatz noch bezahlen. Nein, das wollte sie auf gar keinen Fall. Sie würde ihrer Mutter sagen, dass sie den Brief ihres Vaters gelesenhabe und damit einverstanden sei, mehr nicht. Mit diesem Entschluss packte sie alles, was ihre Mutter ihr übergeben hatte in ihren Reiserucksack, der sich beim hineingreifen wohlig warm anfühlte.
Sie las noch ein wenig in einem Buch, dass sie als offizielle Reiselektüre mitgenommen hatte und fand die nötige Bettschwere, um dem nächsten Morgen entgegenzuschlafen.
Die noch auf der Rolling Nugget Ranch weilenden Gäste trafen sich um acht Uhr morgens zum Frühstück. Dabei setzten sich Laurentine und ihre Mutter nur deshalb in die Nähe der Hausherrin, um kein unnötiges Gerede aufkommen zu lassen.
Wie hier üblich wurde vor und nach dem Essen gebetet. Als Monique Lacroise "Amen" gesagt hatte wandte sie sich an ihre Tochter. "Und, was hast du entschieden, Renée?" fragte sie. "Der Herr hat mir im Traum verraten, dass du tot umfällst, wenn ich dir deinen Wunsch erfülle und dir meine Sicht über Laurentines Verhältnis erklären würde", wisperte Laurentines Mutter. Laurentine sagte: "Meine Mutter gab mir eine Nachricht von meinem vielbeschäftigten Vater zu lesen. Ich nehme seine Nachricht zur Kenntnis und akzeptiere seine und seiner Frau Entscheidung ohne weiteren Einspruch. Der letzte Rest von Dankbarkeit und Respekt gebieten mir, euch beiden ein noch langes, erfreuliches Leben zu wünschen und mich für euren Rückhalt zu bedanken, den ich gebraucht habe und bedanke mich für die Anerkennung meines eigenen Lebensweges. Mehr ist von meiner Seite auch nicht mehr dazu zu sagen."
Nicht nur ihre Großmutter Monique sah Laurentine merkwürdig an, auch alle anderen Gäste blickten verdutzt bis angespannt herüber. Bei vielen aus der Verwandtschaft meinte Laurentine im Gesicht zu lesen, was sie so heftig wichtiges nicht mitbekommen haben mussten.
"Erst mal Renée, ich weiß nicht, woher du die Frechheit nimmst, meine Gläubigkeit derartig zu verspotten, dass du behauptest, Gott selbst habe dich gewarnt, ich müsse tot umfallen. Und zu dir, Laurentine, was ich gestern sagte halte ich aufrecht. Deine Mutter und du solltet euch gut überlegen, ob ihr noch länger Gäste unter meinem Dach sein wollt. Vielleicht solltet ihr euch unabhängig voneinander zu Padre Rojas begeben und eure angestauten Sünden beichten und die von ihm dafür auszusprechende Buße leisten. Apropos, Renée, wann war noch einmal Laurentines Firmung?"
"Am dreißigsten Februar 1997", kam Laurentine ihrer Mutter zuvor. Diese erstarrte erst und wandte dann ihr gesicht ab, womöglich, um keinen hier mitkriegen zu lassen, dass sie rot anlief oder vor Wut oder was anderem weinen musste.
"Moment mal, heißt das, dass Laurentine nicht vollständig in die Kirche aufgenommen wurde?" fragte Mémé Monique. Beide Gefragten nickten sehr deutlich. Dann fragte Monique Lacroise: "Beabsichtigst du, diesen so wichtigen Schritt in nächster Zeit zu vollziehen, meine Enkeltochter?" Laurentine vertat keine Sekunde mit ihrer Antwort: "Nicht, nachdem ich aus ganz freiem Willenund aus mir allein sehr wichtigen Gründen meinen Austritt aus der katholischen Kirche amtsgerichtlich bestätigt bekommen habe. Das entsprechende Dokument kann ich euch beiden kopieren und zuschicken lassen. Aber meine wenigen aber für mich wichtigen Erfahrungen haben mir verdeutlicht, dass ich in dieser Vereinigung machtsüchtiger, frauen- und mädchenfeinclicher, die Erkenntnisse der Natur-und Geisteswissenschaften verleugnenden Organisation keinen Platz habe. Ich habe darauf verzichtet, auch von einem dieser Priester exkommuniziert zu werden, Mémé Monique. Ob ich noch an was glaube? Ja, die wichtigsten Werte der christlichen Botschaft halte ich noch für mich bedeutend. Aber den Papst als Stellvertreter Christi auf Erden und all die ihm unterstellten Leute erkenne ich nicht mehr als übergeordnet an, sondern nur noch als lebende Menschen mit einem Recht auf ihr Leben, nicht weniger, aber auch nicht mehr. - Ja, Mémé, du wolltest es jetzt hier vor allen wissen. Also Kuck mich jetzt bitte nicht so vorwurfsvoll und enttäuscht an. Außerdem habe ich gelernt, dass Enttäuschung das Ende der Selbsttäuschung ist. Ja, und diese Lektion hat mir selbst sehr weh getan, Mémé und Maman. Wie gestern schon angedeutet, Mémé Monique, das wolltest du nicht wirklich wissen. Und die anderen: Ich respektiere es, wenn jeder für sich findet, dass er oder sie noch an einen beschützenden und behütenden Gott glauben möchte. Ich möchte auch mit keinem von euch deshalb Krach bekommen. Deshalb habe ich auch nichts gesagt, als du gestern deinen Geburtstag hast segnen lassen, Mémé Monique. Deshalb habe ich auch bei den Tischgebeten die Hände gefaltet, um dieses Gemeinschaftsgefühl nicht zu stören. Aber ich habe meine Entscheidung getroffen und stehe dazu."
Vicky sah Laurentine verschmitzt an. Auch Onkel Homer grinste nun. Das entging Monique Lacroise nicht. Deshalb sagte sie: "Dass du Vicky dich von halben Kommunisten beschwatzen lässt, wo du in New York an dieser konfessionslosen Universität studierst wusste ich ja schon längst. Aber dass du, Homer, derartig spöttisch dreinschaust, wenn mir jemand, den ich bisher für einen geliebten, behütsamen und respektvollen Menschen hielt mich derartig enttäuscht, und das nur einen Tag nach meinem Geburtstag, das ärgert mich doch sehr. Da ich dich eingeladenhabe, Laurentine, werde ich jetzt nicht die Rückgabe der Flugscheine verlangen, die ich dir beschafft habe. Aber ich kann und ich werde von dir erwarten, dass du noch heute dieses Haus verlässt. Hier ist kein Platz für von Gott abgefallene Spötter. Und du Renée, wirst auf jeden Fall nach deiner Rückkehr in dein neues Zuhause um Vergebung für deine Sünden bitten, vor allem jene, deine eigene Tochter nicht rechtzeitig von ihrem Irrweg heruntergeführt zu haben. Der Hubschrauber startet um zehn Uhr. Such dir für heute nacht was in der Nähe des Flughafens, Laurentine. Sofern Annette und Samuel dich übermorgen mit nach San Francisco nehmen wollen und dich Tante Evangeline und Onkel Jean in Miami beherbergen wollen kannst du ja von da wie geplant nach Florida fliegen. Ich gehe davon aus, dass du, Suzanne, diese undankbare junge Dame nicht bei dir in New York wohnen lassen wirst."
"Dann wohnt sie bei mir", kam Victoria ihrer Mutter Suzanne zuvor. Diese zuckte mit den Schultern, nickte dann aber. "Ja, und weil der Heli sechs Plätze hat fliegen Abby und ich auch mit. Laurentine kann bei uns wohnen. Jennys altes Zimmer ist noch frei", sagte Homer Murray entschlossen. Seine Frau nickte zustimmend. Damit verpuffte Mémé Moniques über Laurentine verhängte Strafpredigt ohne weitere Wirkung. Laurentine sah ihre Großmutter an und sagte:
"Meine Adresse in Paris hast du. Falls du die bezahlten Flüge zurückbezahlt haben möchtest schick mir bitte die Rechnungen, geht auch per Fax", sagte Laurentine. Ihr war das jetzt sowas von egal, wie teuer die Flüge waren. Da sagten Homer und Abby: "nein, Monique, wenn du Geld wiederhaben möchtest schickst du uns bitte die Rechnung. Laurentine muss wegen deiner großzügigen Flugbuchungen nicht noch auf dem Place Pigalle anschaffen, nur um dir das Geld zurückzuerstatten." Monique Lacroise erstarrte wie schockgefroren. Fünf bange Sekunden starrte sie ziellos zwischen alle hindurch. Dann sog sie keuchend Luft ein und funkelte ihren Schwiegervetter an. Sie kämpfte offenbar um Worte. Dann entspannte sie sich und wandte sich an Laurentine: "Du musst mir die Flüge nicht zurückzahlen, Laurentine. Ich will mich nicht auch noch versündigen, dich noch weiter in den Abgrund gestoßen zu haben, als du es offenbar selbst schon getan hast." Dann sah sie Homer Murray an: "Gut, ihr nehmt Laurentine mit zu euch und seht, was ihr davon habt. Und was ihre Fluggebühren angeht, ich nehme dein Angebot an, Homer Murray." Der Angesprochene nickte bestätigend.
"Das hast du nun davon", zischte Laurentines Mutter. "Ja, das haben wir beide nun davon", erwiderte Laurentine ruhig. Sie wollte sich nicht ducken oder reumütig um Vergebung bitten, zumal sie ihre Großmutter ja gestern noch gewarnt hatte. Aber womöglich war es besser, auch hier einen klaren, schmerzhaften Schlusspunkt zu setzen, ohne ihrer gottesfürchtenden Großmutter noch was vorheucheln zu müssen, nur um des lieben Familienfriedens wegen.
Laurentine nahm alles aus dem Schrank, was eindeutig ihr gehörte, packte ihren erdbeerroten Koffer mit bloßen Händen und legte das, was sie in einem Flugzeug dabeihaben durfte noch in den Reiserucksack. Dann stellte sie sicher, dass ihr keiner zusehen würde und hob den Desinteressierungszauber auf, mit dem sie den Schrank belegt hatte.
Mit allem Gepäck verließen die Murrays und Hellersdorfs das Haupthaus der Rolling Nugget Ranch. Laurentine verabschiedete sich von ihrer Großmutter. Die verweigerte jedoch eine Umarmung. Damit konnte Laurentine nun auch leben.
So kam Laurentine doch in den Genuss, mit der wilden Hummel nach Los Angeles zum Flughafen gebracht zu werden, wo die Murrays ihren roten Crysler auf dem Parkplatz für Langzeitparker abgestellt hatten. Jedenfalls wusste sie nun, dass sie froh sein durfte, auf einem Besen fliegen oder apparieren zu können. Ja, auch die Reisen auf einem Flugteppich und auf dem Rücken einer lebenslustigen Riesenkuh waren gegen den Lärm und das wilde Vibrieren des Hubschraubers harmlos.
Wie ihr Onkel Homer es zugesagt hatte durfte Laurentine sich nach ihrer Ankunft bei ihnen in Beverley Hills im Zimmer von Jenny einquartieren, die sie selbst zuletzt bei der Beerdigung von Grandpère Henri gesehen hatte. Jenny lebte in Phoenix, Arizona mit ihrem Mann und den drei Kindern. Warum sie gestern nicht bei der Geburtstagsfeier dabei war erklärte Homer Laurentine, als sie sich mit ihm im Salon traf. "Jenny hat sich schon vor zwei Jahren mit deiner streng katholischen Großmutter überworfen, und zwar auch, weil sie und ihr Mann aus er Kirche ausgetreten sind. Insofern war das für die gute Monique heute Morgen wohl ein dreifacher Schlag ins Gesicht und die Magengrube zugleich, dass wir dich in ihrem alten Zimmer unterbringen möchten."
"Es war nicht meine Absicht, Großmutter Moniques Geburtstagsfest zu verderben. Aber weil sie unbedingt die große, vom Herren und Heiland gesegnete Familienschlichterin darstellen wollte kamen Maman und ich eben nicht drum herum, ihr zu verdeutlichen, warum das zwischen ihr und mir und auch meinem Herrn Vater aus und vorbei ist", sagte Laurentine. Dabei dachte sie: "Und ihr wollt auch nicht alles wissen, was wir Mémé Monique nicht erzählt haben."
So verbrachte Laurentine mit ihrer Großtante Abby einen improvisierten Mädelstag in Los Angeles, wobei sie auch was für Claudine fand, eine kleine, bunte Nachbildung des Hollywood-Zeichens. Dessen Vorlage besuchte sie dann am Nachmittag.
Wieder zurück im Haus der Murrays übte sie mit Rosita, der peruanischen Haushaltshilfe ihr Spanisch. Sie beschloss, die Sprache auf jeden Fall weiterzupflegen und war froh, dass sie den Kleiderschrank gleich nach dem Einzug mit einem neuen Zauber gegen Neugierde belegt hatte.
Laurentine bekam mit, wie ihre Tante Suzanne anrief. Sie durfte mithören. "Die Mädchen und ich sind am Flughafenhotel, weil wir heute keinen Flug mehr nach New York gekriegt haben. Sag Laurentine bitte, dass sie nicht daran Schuld ist, was nach eurer Abreise passiert ist", hörte sie über Lautsprecher mit. Homer sah die Großnichte an und sagte dann demTelefonhörer zugewandt: "Abby und sie haben heute die Innenstadt umgekrempelt. Ich fahr mit ihr morgen noch zu den Universal-Studios. Wenn sie schon mal hier ist. Aber was ist denn passiert, Sue? Hast du dich als Wicca-Hexe offenbart, oder was?"
"Häh?! Neh, Onkel Homer, das wäre ja auch gemein gelogen gewesen. Nein, Hellen und ich haben mit ihr Krach wegen ihrer Äußerung über die Kalvinisten bekommen und dann alles von Luthers Thesenanschlag über die Evangelikalen, die Bartholomeusnacht in Paris und die aus ihrer Heimat vertriebenen Puritaner die ganze Heuchelei ihrer geliebten Mutter Kirche aufgedröselt. Insofern hast du schon recht, dass ich keine Katholikin mehr bin. Aber das bin ich schon seit fünf Jahren nicht mehr, seitdem ich mitbekommen habe, dass unser Gemeindepfarrer sich von Mafiagangstern für Botendienste bezahlen lässt. Habe das auch nur mitbekommen, weil ich so dämlich war, für eine Transaktion, die nicht so astrein war, eine Geldbuße zahlen zu wollen und dabei den Umschlag eines gewissen Don V. aus Manhattan im Opferstock gefundenhabe. Zwei Monate danach bin ich ausgetreten und zu den Anglikanern konvertiert, damit ich zumindest noch anständig beerdigt werden kann. Jedenfalls hat meine eigene Mutter dann gemeint, dass sie mich dnicht dafür unter großen Schmerzen geboren hätte, damit ich mich den Abtrünnigen unter Heinrich VIII. in die Arme werfe. Soviel zum christlichen Miteinander. Wir sind dann auch ausgezogen. Vielleicht kommt Mutter dann auch zur Besinnung, dass sie ihre Kinder nicht zwingen kann, an den alten kranken Mann aus Polenund seine heuchlerischen Priester zu glauben."
"Öhm, wir haben noch ein Dreierzimmer frei. Ihr müsst nicht im teuren Flughafenhotel übernachten", meinte Homer. "Neh, lass bitte, Onkel Homer. Nachher glaubt Mutter noch, wir hätten uns alle gegen sie verschworen oder sowas. Jedenfalls liegt es nicht an Laurentine, was passiert ist. Sag ihr das bitte. Wir halten ihr auf jeden Fall das versprochene Zimmer bereit, wenn sie nach New York kommt."
"Das wird sie freuen, Sue. Dann esst heute abend nicht zu viel, damit ich euch morgen nicht doch noch auslösen muss!"
"Ich singe dann, wenn uns das Geld fehlen sollte. Aber meine Kreditkarte ist noch belastbar genug, und Hellen kann mit ihrer Goldkarte und ihrem guten Namen bezahlen, falls nötig."
"Drunter geht's ja auch nicht", meinte Homer Murray schelmisch. "Dann erholt euch gut von der Party gestern und grüßt den Trump Tower und das Empire State Building von mir."
"Ja, machen wir", sagte Tante Suzanne.
Wenn die sich jetzt alle ihre Kinder vergrault hat sie aber keine Freude an ihrem einundsechzigsten Lebensjahr", meinte Homer Murray. Laurentine sagte nichts dazu.
Abends genoss Laurentine Rositas lateinamerikanische Kochkunst und blickte aus ihrem Fenster hinaus auf die Lichter der Megastadt. Von hier aus könnte sie glatt nach Santa Barbara zu Martha Merryweather fahren. Aber sie hatte ja beurkundet, nicht in die Zaubererwelt reisen zu wollen.
Die aufgehende Sonne verwandelte den östlichen Himmel in ein Meer aus roter Glut. Der lebensspendende Stern glitt lautlos über den Horizont. Alexios Anaxagoras und die drei schon einmal mit ihm verreistenhielten sich an einem Holzbottich fest. Wenn alles klappte würden sie gleich vor der diskreten Reisehausgruppe im Westen von Millemerveilles sein. Jeder von ihnen trug einen kleinen, rauminhaltsbezauberten Rucksack mit persönlichen Habseligkeiten. Die vereinbarung lautete, 60 Stunden in Millemerveilles zu bleiben, ohne Kontakt mit der dort lebenden Gemeinde zu bekommen. Über das in wenigen Minuten beginnende Treffen sollten ausgewählte Pressevertreter aus den Teilnehmerländern berichten, wenn die Abordnungen wieder zu Hause waren. Fast alle würden ihren jeweiligen Zaubereiminister entsenden. Für einen ganz gewissen, hoffentlich nur angenommenen Fall, hatten die vier griechischen Ministeriumszauberer Atalanta Xylippos, Rhadamanthys Aigijochos und Konstantinos Chrysopolis einen den alle vier umspannenden Seidenschirm umsich aufgespannt. Erst wenn sie wussten, was am Zielort auf sie wartete konnten sie ihn zusammenfalten und fortpacken. Denn wie bei allen vorangemeldeten Portschlüsselreisen würde am Zielort jemand warten, der oder die den ankommenden Portschlüssel in Verwahrung nehmen würde. So war es seit 1725 internationale Vorschrift.
"Gleich wissen wir, ob wir zwei oder nur einer von uns dort erlaubt ist", gedankenwisperte Alexia Tachydromos in Alexios' Geist. Er hoffte, alls er selbst dort auftreten zu können. Doch er und Alexia hatten sich auch auf einen anderen Fall vorbereitet.
"Achtung! In drei - zwei -eins-Jetzt!" rief Konstantinos Chrysopolis. Da stürzten sie alle in jenen bunten Wirbel zwischen dem Ausgangs- und Zielort der Portschlüsselreise. Ihre Hände klebten nun förmlich am Holzbottich. Die Reise dauerte nur Sekunden oder doch schon Minuten. So genau wusste das nur, wer die Abreise und die Ankunft eines Portschlüssels beobachten konnte, ohne selbst damit zu reisen. Dann fielen alle zu Boden. Sie waren am Ziel.
Er hatte gehofft, dass er keine Auswirkungen spüren würde. Doch als es ihn heiß und kalt durchlief und er merkte, wie sein Körper sich verformte wusste er, dass dem nicht so war. Millemerveilles neuer Schutzbann hatte die magische Besonderheit des griechischen Zaubereiministers erfasst und wirkte darauf ein. Würde es zu einer halben, nicht mehr umkehrbaren Wandlung kommen? Oder konnte Alexios seine äußere Erscheinungsform zurückgewinnen? Oder wurde er in den gemeinsamen Körper zurückgedrängt und seine Salmakis-Schwester Alexia wurde sichtbar? Nach vier bangen Sekunden stand die Antwort fest. Mit einem Fflauen Gefühl im Magen und dem Gefühl, oben herum zu enge Kleidung zu tragen erhob sich Alexia Daphne Tachydromos. Die sie ansehenden Begleiter machten besorgte Gesichter. Sie betastete sich von oben bis unten. Dann reckte sie ihre rechte Hand zur Siegergeste hoch. Sie sagte kein Wort.
Unter dem Sichtschutz des Seidenschirms holte Alexia den zu ihr gehörenden Zauberstab aus ihrem Rucksack. Dann wechselte sie innerhalb einer Sekunde aus dem lindgrünen Samtumhang mit Stehkragen in ein meergrünes Kleid mit wadenlangem Saum und figurbetontem Schnitt. "Alles in Ordnung!" wisperte sie. Dann holte sie noch einen Packen Pergament aus dem Rucksack, die offizielle Legitimation des griechischen Zaubereiministers, dass seine Beraterin für magische Wesen und Zaubertränke zur besonderen Verwendung ihn in der Angelegenheit vertreten durfte, da er nicht wusste, ob die vielen Duelle in den letzten dreißig Jahren ihn nicht zur von Millemerveilles abzuweisenden Person machten. "Dann viel Glück, meine mütterliche Schwester", dachte Alexios, der sich nun damit abfinden musste, im Verborgenen zu bleiben. Zwar wusste er nicht, warum Alexia zum Vorschein gekommen war, wo sie ja nun das Geheimnis in sich barg, einen Salmakis-Bruder zu haben. Doch er war seit ihrer Entstehung und den vielen gemeinsamen Erlebnissen heftigeres gewohnt.
"Ich dachte schon, Sie hätten Angst vor der Sonne wie Vampire", lachte eine fröhliche Männerstimme auf Französisch, als die Griechen ihren Sichtschutz zusammenfalteten. "Den hatten wir deshalb, weil wir nicht wussten, ob hier jemand ist, der uns nicht sehen durfte", sagte Konstantinos Chrysopolis. Dann stellte er die drei anderen vor. "Kirie Tachydromos wurde von unserem Zaubereiminister gebeten, ihn hier zu vertreten, weil er in seiner Jugend und jungen Erwachsenenzeit doch einige heftige Kämpfe ausgefochten hat. Sie wissen ja, Griechenland, Kriegerland."
"Och, ich dachte, dort wären die größten Denker aller Zeiten geboren worden und auch leider die größten Übeldenker aller Zeiten", sagte der Franzose und stellte sich als Monsieur Edmond Pierre vor, Zuständig für die Sicherheit für Mensch und Habe in Millemerveilles. "Bei der letzten voll ausgespielten Quidditchweltmeisterschaft durfte unsere altehrwürdige Heimatnation ja nicht teilnehmen. Daher wollte Minister Anaxagoras nichts riskieren. Nachher hätten Sie ihn noch als bitterbösen dunklen Magier eingestuft."
"Dann wäre er wohl nicht hier reingekommen. Womöglich hätte der Portschlüssel ihn und Sie dann sofort wieder an den Ausgangsort zurückgeworfen", sagte Monsieur Pierre. Dann begrüßte er sie alle noch offiziell. Er bat darum, dass sie sich neben das erste Haus in Form eines Birnbaums stellen sollten, damit die anderen Abordnungen sicher landen konnten.
Innerhalb von fünf Minuten trafen vierzig weitere Abordnungen ein, darunter auch Vertreter überseeischer Zaubereiministerien. "Oha, der Señor aus Peru ist auch da. Pass bloß auf, dass er dir kein Reiseandenken zusteckt, Alexia!" unkte Alexios. "Keine Sorge, Brüderchen, wenn ich noch mal Mutter werde dann nur wieder von Heliopteros", dachte Alexia ihrem Salmakis-Bruder zu. "Ach, und Pataleón hat seine Sekretärin für Grenzfragen mitgebracht, wohl weil er nicht so gut Französisch spricht. Oh, und der schnuckelige Rotschopf ist auch wieder wohl auf. Oh, dem scheint diese Gegend ja richtig freude zu machen. Der leuchtet ja förmlich von innenheraus", dachte Alexia und fühlte die Aura eines veelastämmigen Mannes auf sich einwirken. "Falls er mag, darf ich von dem ein Baby kriegen, Bruder?" scherzte Alexia rein gedanklich. "Wenn's ein Junge wird kein Problem", trieb Alexios den Scherz weiter. Allerdings wusste er genau, dass seine nun nach außen sichtbare Schwester das nicht als Scherz empfinden würde. Obwohl es laut den überlieferten Berichten über die Freudentränen der Salmakis unmöglich war, dass die weibliche Identität Söhne empfangen und gebären oder die männliche Identität Töchter Zeugen konnte war sich Alexia nicht sicher, ob ein Veelastämmiger diese magische Regel nicht durchbrechen konnte. Falls ja würde sie dann wohl Alexios' Seele als ihren Sohn neu zur Welt bringen müssen. Das konnte dem so passen, dass sie ihn noch wickeln musste.
Die Abordnungen begrüßten einander. Einige kannten Alexia schon von früheren Besuchen in Griechenland. Latona Rockkridge beglückwünschte sie zu ihrer nun achtzehn Monate alten Tochter Eulalia, die im Moment bei den Großeltern war, solange ihre Mutter unterwegs war. Monsieur Pierre führte alle Abordnungen durch die aus dreißig baumförmigen Häusern bestehenden Varancasiedlung. "Aus der Ferne werden die Häuser wie ein kleines Wäldchen aussehen. Das eichenförmige Großfamilienhaus in der Mitte ist unser Konferenzort. Ministerin Ventvit und ihre Abordnung werden dann in einer halben Stunde dazustoßen. Bis dahin lädt das französische Zaubereiministerium und der Dorfrat von Millemerveilles zu einem Frühstück ein", sagte der Sicherheitsüberwacher von Millemerveilles.
"Erfahren wir dann auch, wie genau Sie das hier so hervorragend gesichert haben?" wollte Grigorov aus der russischen Abteilung wissen. "Bedauere, das werden Sie nicht erfahren", sagte Monsieur Pierre ein wenig verstimmt klingend. Alle anderen namen das so hin. Jeder mächtige Ort hatte seine Geheimnisse. Das wussten sie ja aus ihren eigenen Dienststellen selbst ganz genau.
Monsieur Pierre nahm die auslänndischen Abordnungen in Empfang. Währenddessen besichtigten Millie und Julius die bereitgestellten Baum-Häuser aus der Manufaktur von Varanca. "Schon komisch, dass wir italienische Reisehäuser als Unterbringung und Tagungsort nutzen", sagte Julius. Seine Frau stimmte ihm zu. dann deutete sie auf eine scheinbare eiche mit dickem Stamm und weit ausladender Krone. "An und für sich schon unsinnig, hier Bäume hinzusetzen, die vorgestern noch nicht hier standen", sagte sie. Julius konnte ihr da nur beipflichten. Denn in Millemerveilles kannte jedes Kind über fünf alle Bäume, Sträucher und Wiesenstücke auswendig. Aber weil sie hier in einem bewusst gelassenen Waldstück waren fielen dreißig Bäume offenbar nicht so auf wie mal eben hingesetzte Häuser. Dann meinte Julius noch: "Wenn stimmt, dass das ganze italienische Zaubereiministerium schon Ladonna unterworfen ist könnten die verfügen, dass die Geschwister Varanca keine Reisehäuser mehr an ausländische Kunden vermieten oder verkaufen dürfen. In der Muggelwelt nennt man sowas ein Embargo." Millie notierte sich was. "Öhm, schreibst du das jetzt etwa schon mit?" fragte ihr Mann ein wenig verunsichert. "Ideen schreibe ich mit, für den Fall, dass sie wichtig sind." "Nicht, dass du die Italiener noch darauf bringst, genau das zu machen. Sonst müssten wir wohl auch Warensendungen und Dienstleistungen für die unschuldigen Zaubererweltbürger beenden." Auch das schrieb sich Millie auf.
"Wir empfangen gleich die ersten Abordnungen", sagte Belenus Chevallier. "Ab jetzt bitte nur noch protokolltaugliche Sachen sagen! Wir wissen nicht, wer von denen schon mitschreibt." Julius und Millie verstanden.
Bevor sie die anderen Abordnungen begrüßen gingen besichtigte Julius noch den großen kreisrunden Konferenzsaal im scheinbaren Wipfel der dicken Eiche. KleineBodentiefe, viereckige Fenster reihten sich rundum und ermöglichten einen völligen Rundumblick über den westlichen Wald und einen Gutteil von Millemerveilles. Julius meinte sogar die hohen Bäume der grünen Gasse zu erkennen, sowie Jeannes und Brunos Grundstück, das wie das seine mit fünf zu einem Pentagon aufgestellten Apfelbäumen bepflanzt war.
Auf dem Weg nach unten passierte er drei weitere solcher Räume, in denen ebenfalls runde Tische mit daran hingestellten, hochlehnigen Stühlen waren. "Das ist für die Untergruppen wie Spile und Sport und internationale Zusammenarbeit", sagte Millie. Julius nickte.
Alle Abordnungen trafen sich westlich der Ortsgrenze, da auch mit der neuen Absicherung das Anreisen mit Portschlüsseln nicht in Millemerveilles direkt erfolgen sollte. Ein blaues Licht nach dem anderen erstrahlte und spie eine weitere Abordnung aus. Julius dachte mal wieder an die Transporter bei Star Trek, nur dass deren Leuchteffekte beim Materialisieren von Personen oder Gegenständen golden schimmerten.
Offiziell sprachen sich Mildrid und Julius mit "Sie" an, obwohl hier alle mitbekamen, dass sie ein Ehepaar waren. Es mochte erst verdächtig wirken, dass Griechenland nicht den amtierenden Zaubereiminister, sondern seine Expertin für Zauberwesen und Zaubertränke zur besonderen Verwendung mitgeschickthatte, doch offenbar hatte der Minister erst einmal genug von Portschlüsselreisen. Jedenfalls konnte Julius nun auch den kanadischen Zaubereiverwalter kennenlernen, der dem britischen Zaubereiminister unterstellt war. Auch die Zaubereiminister Perus und Mexikos, sowie australiens Zaubereiministerin Latona Rockridge waren mit ihren Fachleuten für magische Spile und Sportarten, Sicherheit und internationale Zusammenarbeit angereist. Nur aus Italien war keine offizielle Delegation eingetroffen. Die begründung lautete:
Da die internationale Zaubereigemeinschaft den üblen Gerüchten glaubt, unser Zaubereiministerium sei in der Hand einer einzelnen dunklen Hexe und daher beschlossen hat, die notwendige Abschlusskonferenz für die Neuauflage der Quidditchweltmeisterschaft nicht in unsere bewährten Hände legen, sondern lieber ganz heimlich in Millemerveilles, Frankreich, zusammentreten möchte, nehmen wir Abstand von einer Teilnahme an dieser Konferenz, da wir uns in unserer Ehre gekränkt fühlen müssen und zudem nicht die wilden Spekulationen um die Führung des Zaubereiministeriums bestätigen möchten, indem wir als Gastgeber der Weltmeisterschaft wie Bittsteller an fremdem Orte auftreten sollen. Wenn Sie wirklich noch unser Vertrauen besitzen wollen und uns auch Ihr Vertrauen nicht aufgekündigt haben, so widerrufen Sie den Ort der Konferenz und folgen Sie unserer offiziellen Einladung, am Austragungsort der Quidditchweltmeisterschaft zusammenzukommen, wie es den Regeln internationaler Wettbewerbe entspricht! Wir hoffeninständig, dass Sie sich nicht von falschen Erinnerungen, die eine wirklich bösartige Gruppierung ausgestreut hat, gegen uns verschwören mögen. Dies würde genau jenen Gruppierungen zuarbeiten, die an der Zerstörung unserer internationalen Gemeinschaft größtes Interesse haben.
"Also ist dieser Barbanera auch schon einer von denen", meinte Shacklebolt, als die Ministerin Frankreichs diese klare Absage im großen Konferenzraum unterhalb des künstlichen Eichenwipfels im Haupthaus verlas. Offenbar hatten auch die anderen aus Europa stammenden Zaubereiminister oder deren Stellvertreter diese klare Teilnahmeabsage erhalten.
"In einem wesentlichen Punkt hat Barbanera oder wer auch immer diese Bekanntmachung ausgefertigt hat leider recht", sagte Mademoiselle Ventvit. "Frankreich ist nicht der Ausrichter der Weltmeisterschaft. Daher schlage ich vor, dass die Konferenzleitung von jemandem anderen übernommen wird. Wer stellt sich zur Wahl?"
"Wir wissen alle, dass diese dunkle Hexenkönigin Italiens Zaubereiministerium unterwandert und dann erobert hat", sagte Shacklebolt. "Außerdem gilt, dass bei einer Ministerkonferenz der oder die die Gesamtleitung hat, auf deren Hoheitsgebiet die Konferenz stattfindet.
das ärgert Barbanera, den ich sehr gerne hier begrüßt hätte", sagte der deutsche Zaubereiminister. Alle sprachen sie Französisch, nicht weil hier Frankreich war, sondern weil der Weltquidditchverband und die Internationale Organisation magischer Spiele und Sportarten (IOMSS) in Lausanne in der französischsprachigen Schweiz ihr Hauptquartier hatten. So musste nichts neu übersetzt werden.
Julius und Millie hielten sich ganz still, wobei Millie wohl auch auf den Anstecker lauschte, der mit dem Reisebett verbunden war, in dem Clarimonde schlief. Zwar hatte die eine Wochenwindel an, hatte aber zwischendurch sicher Hunger.
Die an die hundert Konferenzteilnehmer klärten erst einmal die Tagesordnung ab, wann alle zusammen und wann einzelne Fachgruppen wo zusammensitzen sollten. Dann ging es um den ersten von zwanzig ausgehandelten Tagesordnungspunkten, den Umgang mit Italiens Zaubereiministerium.
Julius und Millie hörten zu. Einige der angereisten mussten erst einmal genau erfahren, was am 25. Mai passiert war. Der mexikanische Zaubereiminister fragte, ob diese magische Kerze auch bei allen auf einmal funktioniert hätte. Darauf konnte ihm zunächst keiner antworten. Julius hatte sich auch schon gefragt, wie viele Leute auf einen Streich beeinflusst werden konnten.
Großbritanniens Zaubereiminister Shacklebolt wandte ein, dass er es schon für sehr mächtig hielt, wenn jemand mit Hilfe einer bestimmten Duftkerze und einem daran gekoppelten Feuerzauber mehrere Dutzend oder hundert willensstarke Menschen dauerhaft beeinflussen konnte. Er kannte gasförmige Zaubermittel, die Ängste, Glückseligkeit, Erstarrung oder Wunschvorstellungen hervorriefen. Aber deren Wirkung war zeitlich begrenzt. Darauf antwortete die griechische Ministervertreterin Alexia Tachydromos, dass es durchaus schon Experimente mit kombinierten Tränken und Zaubern gegeben habe, aber der Feuerrosen-Kerzen-Zauber wohl einzigartig war.
Weil sie nun alle fürchteten, dass Ladonna sämtliche italienischen Zaubereiministeriumsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter unterworfen hatte sprachen sich alle dafür aus, bis auf weiteres jeden Besucher von dort mit größter Vorsicht zu genießen und von sich aus auf Dienstreisen nach Italien zu verzichten. Sie einigten sich, dass keinem hier anwesenden Ministeriumsvertreter ein Nachteil entstünde, wenn er eine offizielle Einladung nach Rom mit Berufung auf die unsichere Führungssituation ablehne.
"Da Sie Ihren Menschen-Zauberwesen-Beauftragten und Vermittler zwischen Menschen und Veelastämmigen mit in Ihrer Abordnung haben, Ministerin Ventvit, so möchten Sie betonen, dass die Abstammung jener dunklen Hexe offenbar sehr wichtig für weitere Vorgehensweisen ist, richtig?" fragte der bulgarische Zaubereiminister in sehr gutem pariser Französisch. Die Angesprochene bestätigte das. "Haben Sie denn bereits mit den bei Ihnen lebenden Veelastämmigen darüber gesprochen?" fragte der bulgarische Zaubereiminister weiter. Seine französische Kollegin bejahte es und bat Julius um eine kurze Stellungnahme. Er trat in seinem dunkelblauen Umhang vor und stellte sich vor alle Konferenzteilnehmer hin.
Da er von seiner obersten Vorgesetzten die Erlaubnis, ja Anweisung erhalten hatte, seine Erfahrungen einzubringen berichtete er von der erfolgreichen Enttarnung und zeitgleichen Ausschaltung von vierzehn Agentinnen Ladonnas und wie diese nach der Aktion der Veelas wieder aufgewacht sind. "Das hätte ich gerne mal einen Tag vorher gewusst, wie ich diese Spioninnen ohne Gefährdung von Personal unschädlich machen kann", rief der belgische Zaubereiminister dazwischen. Julius wartete, ob noch wer was sagen würde. Tatsächlich sprach Belenus Chevallier. "In der Bokanowski-Affäre, die betroffenen Minister werden sich sicher noch erinnern, konnten wir in Frankreich den Doppelgänger unseres damaligen Zaubereiministers entlarven und seine Selbstvernichtung verhindern. Darüber gab es meines Wissens nach einen geheimen Austausch zwischen den Sicherheitsverantwortlichen aller Zaubereiministerien." Der russische Sicherheitsleiter nickte heftig. Auch der wegen der so dringenden Zusammenkunft von seinem Auslandsreiseverbot befreite Zaubereiminister Arcadi nickte. "Damit wussten Sie es nicht schon einen Tag sondern Jahre vorher, dass mit Selbstvernichtungsflüchen belegte Wesen durch den Incapsovulus-Zauber an der magischen Selbstzerstörung und möglichen Kollateralschäden gehindert werden können."
"Kollateralschäden?! Mein halbbes Ministerium liegt in Trümmern, dreißig meiner besten Sicherheitsleute sind in diesen roten Flammen verbrannt. Das waren keine Kollateralschäden, Monsieur Chevallier", ereiferte sich der belgische Zaubereiminister.
"Ich halte meine Formulierung aufrecht", sagte Jeannes Schwiegervater unbeirrt. Seine oberste Vorgesetzte nickte und sagte: "Meinem Mitarbeiter geht es darum, anzumerken, dass wir bereits um ein Mittel wissen, gefährliche Vernichtungszauber zu unterbinden. Bedauerlicherweise haben Sie nicht einkalkuliert, dass enttarnte Helfer eines Feindes bei drohender Gefangennahme vernichtet werden können. Suchen Sie also bitte nicht die Schuld für Ihr Versäumnis bei uns."
"Oha, wenn das erst der Anfangist kriegen Clarimonde und ich Sodbrennen", mentiloquierte Millie ihrem Mann zu. Dieser schickte zurück: "Der brauchte das jetzt, weil es ihm selbst peinlich ist, dass seine Leute so unbedacht draufgehalten haben."
Nachdem sich der belgische Zaubereiminister wieder darauf besann, warum sie alle hier waren konnte Julius die Unterstützung der französischen Veelastämmigen erwähnen, die auch bei weiteren abzusehenden Auseinandersetzungen mit Ladonna Montefiori hilfreich sein würde. An die slawischen Zaubereiminister gewandt sagte er: "Ministerin Ventvit erwägt, bei gut verlaufenden Aktionen alle Ministerien, auf deren Hoheitsgebiet Veelas und deren Nachkommen wohnen, an den guten Erfahrungen teilhaben zu lassen." Der polnische, Tschechische, bulgarische und auch der russische Zaubereiminister nickten schwerfällig. Aber sie sahen wohl ein, dass sie mit den bei ihnen lebenden Veelas anders umgehen mussten. Denn was Julius erzählt hatte ließ sich nicht erzwingen, sondern musste freiwillig angeboten und ausgeführt werden. Wo er schon mal Rederecht hatte brachte Julius noch vor, dass er die erwähnte Feuerrosenkerze für fähig hielt, alle in Rufweite eines Menschen befindlichen Menschen zu unterwerfen, die genug von dem entströmenden Qualm einatmen mussten. Somit könne dieses Machtmittel durchaus auch unter freiem Himmel verwendet werden, wenn die Kerze groß genug war und dort wo sie brannte das Zentrum eines Locattractus-Zaubers angelegt war, so dass niemand durch Disapparition flüchten konnte. Das wirkte bei allen hier sehr heftig nach. Julius konnte ihnen das vollkommen nachfühlen.
So ging es noch um die Frage, ob das italienische Zaubereiministerium von Ladonnas Einfluss befreit werden konnte. Hierzu meldete sich Julius von sich aus und bekam das wort.
"ich hörte zwar schon, dass es einige Veelastämmige sehr stark verstimmt hat, dass Señor Bocafuego hier vergiftet wurde. Dennoch gilt auch für Ladonna, dass sie als Veelastämmige nicht getötet werden darf. Das würde die Blutrache ihrer noch lebenden Blutsverwandten hervorrufen. Weil Sardonia das damals schon wusste haben wir heute leider dieses Problem. Ja, und Ihre unerwünschte Dea ex Machina mit dem Feuerschwert hätte Ladonna sicher auch mit demselben töten können. Doch auch sie will wohl keinen Kampf mit vergeltungssüchtigen Veelas."
"Woher bitte wissen Sie das?" wollte der russische Zaubereiminister wissen. "Weil sie es sonst auch getan hätte", erwiderte Julius knochentrocken. Belenus Chevallier erbat das Wort und sagte: "Außerdem hätte diese Hexe Sie alle töten können, wo sie sie laut Ihrer Aussage, Kollege Elmwood, mit einem Ihnen unbekannten Zauber hat erstarren lassen. Ihr Lord Unnennbar hätte das sofort ausgenutzt, Sie alle entweder zu unterwerfen oder zur allgemeinen Abschreckung umzubringen und es so hinzustellen, dass einer von Ihnen die anderen in diese Falle gelockt hätte. Ach ja, so wollte die Wiedererweckte das ja auch hinstellen und ..."
"Danke für diesen sehr wichtigen Beitrag", unterbrach Ornelle Ventvit Belenus Chevalliers Wortstrom. Dann bat sie darum, sich wieder auf die Enthüllung und Abwehr von Ladonnas Getreuen zu konzentrieren.
Julius erkannte, wie gut er es bisher bei Léto und Ministerin Ventvit hatte. Denn nun meinten andere, den gewissen Ordnungsruf Ventvits auszunutzen, um ihrerseits über die Spinnenschwestern herzuziehen, dass die doch nicht besser waren als Ladonna. Julius dachte nur daran, dass Anthelia/Naaneavargia wohl das Lied der reinigenden Mutter Erde angewendet hatte, um die anderen von Ladonnas Einfluss freizuspülen. Bei so vielen Leuten war das sicher sehr anstrengend. Ob er sich das zugetraut hätte?
Es wurde Mittag. Eine Glocke erscholl. "Offenbar bringt uns der Hunger davon ab, konzentriert zu handeln", sagte Ministerin Ventvit. Die Hauselfen haben sicher schon den Mittagstisch gedeckt. Machen wir also eine Pause."
"Jungs bleiben Jungs", mentiloquierte Millie ihrem Mann beim Essen im unteren Speisesaal zu. Sie meinte damit wohl, dass jeder hier anwesende Zauberer wohl nicht von eigenen Ansichten abrücken würde.
Nach dem leichten Mittagessen dauerte es noch eine Stunde, bis ein allen genehmes Vorgehen beschlossen und schriftlich festgelegt war. Demnach wollten sie das italienische Zaubereiministerium weiter beobachten, versuchen, einzelne von denen einzuladen. Jetzt wo sicher war, dass Ladonna ihren Unterworfenen einen Selbstvernichtungszauber eingeprägt hatte, konnte jeder damit belastete durch einen einfachen Incapsovulus-Zauber davon befreit werden. Julius nannte das nur für sich auch "entschärft". Denn die Unterworfenen konnten als Spione und Saboteure, Attentäter oder Entführer auftreten, aber leider eben auch als lebende Bomben, die an ausgewählte Ziele geschickt werden und diese großflächig zerstören konnten. Da sich alle hier trotz aller Meinungsunterschiede darin einig waren, dass Ladonna keine halbe Sache gemacht und alle wichtigen Leute aus dem italienischen Zaubereiministerium unterworfen hatte, mochte jeder dort tätige eine ihrer Marionetten sein.
Die Tagesordnungspunkte drei und vier bauten auf den vorangegangenen Themen auf. Denn nun ging es um die Frage, wo die Quidditchweltmeisterschaft neu ausgespielt werden sollte. Da ein Land nicht zweimal hintereinander eine vollständige Weltmeisterschaft ausrichten durfte konnte diese nicht noch einmal in Millemerveilles stattfinden, selbst wenn hier ganz schnell noch einmal vier zusätzliche Stadien hingesetzt werden könnten. Indien, deren Vertreter heute nicht hier waren, war noch nicht mit dem Bau der vier großen Stadien fertig. Shacklebolt bot an, dass die von der Weltmeisterschaft 1978 immer noch bestehenden Stadien ja noch für die Commonwealth-Turniere genutzt wurden. Weil ja im nächsten Jahr Australien diese Endrunde der ehemaligen britischen Kolonialstaaten austragen würde sei Kanada derzeitig frei.. Der kanadische Zaubereiverwalter nickte heftig. So wurde erst in voller Anzahl aller Minister und ihrer Abgesandten abgestimmt, wer für und wer gegen eine Neuauflage zum jetzigen Zeitpunkt war. Alle waren dafür. Da die Italiener niemanden geschickt hatten konnten sie eben nicht mitstimmen. Dann stimmten sie noch einmal ab, wer für Kanada als Austragungsort sei. Außer der russischen und der österreichischen Abordnung stimmten alle dafür, unter der Bedingung, die Weltmeisterschaft nicht im Juli, sondern ab August stattfinden zu lassen, um den Kanadiern genug Vorbereitungszeit zu lassen. Das wurde auch schriftlich festgehalten.
"Dann ist es jetzt wohl an der Zeit, die einzelen Fachgruppen für sich tagen zu lassen", sagte Ornelle Ventvit. "Bedenken Sie dabei auch, dass wir nicht nur vor Ladonna oder der Spinnenhexe auf der Hut sein müssen, sondern auch vor ehemaligen Todessern und den Anhängern Vita Magicas, die sicher schon sehr gespannt darauf warten, ob wir Ihnen erneut eine Gelegenheit bieten, ihre unzulässigen Nachkommenschaftsanbahnungsmethoden an vielen Hexen und Zauberern anzuwenden!"
"Ich bitte die Gruppe Spiele und Sport um eine halbe Stunde Aufschub, da ich meinen Sohn versorgen muss", sagte Hippolyte Latierre. Millie beschloss, trotz der Fütterung am Mittag auch noch dreißig Minuten für Clarimonde einzuschieben. Julius wurde von Ministerin Ventvit zu sich hingewunken. "Sie, Monsieur Latierre, setzen Sich zu der Gruppe Sicherheit für Personal und Publikum dazu. Es könnte sein, dass Ihre Veelaexpertise dort mehr gebraucht wird als bei der Gruppe internationale Verständigung oder der Gruppe von uns Ministerinnen und Ministern", ordnete sie an, als die ersten Abgesandten sich auf die unteren Konferenzsäle verteilten. Julius nickte. Er hatte es Minister Arcadi angesehen, dass er nicht so gut auf ihn zu sprechen war. Das mochte an der Sache liegen, warum er über Jahre ein Auslandsbesuchsverbot auf sich liegen hatte, konnte aber auch daher kommen, dass Julius nun zum offiziellen Menschen-Veela-Vermittler aufgestiegen war und die Veelas damit schon gleichberechtigte Mitglieder der Zaubererwelt und keine sich dem Ministerium einfach unterzuordnende Verwaltungssache mehr waren, zumindest nicht in Frankreich.
So saß er neben Belenus Chevallier und verfolgte mit, wie sich die Strafverfolgungsbeamten über die Sicherheit für die Mannschaften und Zuschauer unterhielten. Da ja nun beschlossen war, dass Kanada als Ausrichter der noch einmal ganz auszuspielenden Weltmeisterschaft einsprang führten der britische Zauberer Elwood und sein kanadischer kollege Packers nun das große Wort und merkten an, was ging und was nicht ging. Julius wurde erst dann wieder ums Wort gebeten, als es um die Maskottchen ging. Denn die Bulgaren wollten natürlich wieder eine Gruppe reinrassiger Veelas mitbringen. So fragte ihn der bulgarische Strafverfolgunsleiter Constantinov, ob nun, wo die Veelas weiterhin als Zauberwesen oder als eigenständige Personen zu werten waren. Julius konnte gerade noch ein spöttisches Grinsen unterdrücken. Er fragte zurück, ob die Veelas bisher immer wie Schafe oder Rinder in Viehtransportern transportiert worden waren. Das verneinte der bulgarische Kollege. "Dann werden die bei Ihnen lebenden Veelas sicher wieder sehr gerne als Begleiter Ihrer Mannschaft mitreisen. Ich habe bei meinen bisherigen, noch nicht so umfangreichen Erfahrungen mit diesen Zauberwesen festgestellt, dass sie nicht auf Gold oder andere materiellen Werte ausgehen. Ihnen ist wichtig, dass sie ihre Fähigkeiten vorführen können, aber auch, dass sie als denk-und handlungsfähige Geschöpfe geachtet werden. Da Sie sie bei den letzten Weltmeisterschaften immer mitbringen konnten sagt es mir, dass Sie ihnen diese Anerkennung gewähren. Veelas sind keine Kobolde, die mehr über ihren Reichtum und die Macht über das Gold bestimmt werden wollen. Falls Sie keine Veela beleidigen, ihr beispielsweise unterstellen, sie sei eine grüne Waldfrau oder ein Succubus, werden die bei Ihnen lebenden Veelas sicher weiterhin sehr gerne ihre Fähigkeiten vor Publikum vorführen. Wohl gemerkt, das erschließt sich mir aus meiner bisherigen Erfahrung mit diesen Zauberwesen." Julius wollte dem bulgarischen Ministeriumszauberer nicht auf die Nase binden, dass die bulgarischen Veelas nur deshalb gerne bei Quidditchweltmeisterschaften dabei waren, weil sie heimlich nach vielversprechenden Zauberern ausschau hielten, die sie bezirzen konnten, weil ihre männlichen Artgenossen es gerne vorzogen, sich vor den weiblichen zu verstecken, sofern deren Mütter ihnen nicht befahlen, mit einer anderen Veela das Lager zu teilen, um die Art rein und am Leben zu halten.
"Minister Arcadis Mitarbeiter Tupulew wandte ein, dass er Veelas für sich selbst überschätzende, eitle Wesen hielt, die doch eigentlich froh sein sollten, dass sie in Russland noch geduldet wurden. Julius musste sich sehr beherrschen, nicht sofort darauf zu reagieren. Er überließ es dem bulgarischen Abgesandten, darauf zu antworten. "Na klar, Andrej Iwanowitsch. Für Sie sind Veelas genauso untergeordnete Wesen wie Vampire, die Riesen im Ural oder Permoniki. Sie ärgert ja nur, dass Veelas nicht so berechenbar sind und sich durchaus auch gegen Zauberer wehren können und vor allem - dass hat der junge Monsieur hier ja vorhin schon erwähnt - sie dürfen nicht verletzt oder getötet werden, um die anderen einzuschüchtern." Der russische Sicherheitsexperte nickte sehr verdrossen und sah dann Julius an.
"Sie sagten eben, dass Veelas nicht auf materiellen Besitz ausgehen. Stimmt, außer Kleidung und Haushaltsgegenständen wollen sie nichts totes haben. Sie sagten auch was von bisher wenig Erfahrung mit diesen Geschöpfen, junger Mann. Dann hoffen Sie besser darauf, das Sie nicht für das Wohlwollen dieser Wesen eines Tages einen hohen Preis bezahlen müssen, der Ihren Erfahrungsschatz unangenehm vergrößert."
"Falls sie darauf anspielen, dass Veelas gerne von starken Artgenossen oder Zauberern Nachwuchs bekommen möchten, um dem betreffenden wohlgesonnen zu bleiben habe ich bereits davon gehört", sagte Julius trocken. Das ließ Tupulews Kinnlade herunterklappen. Der bulgarische Zauberer grinste breit wie ein Junge, der den Streich der Woche gespielt hat und Belenus Chevallier sah Julius verstört an. So sagte Julius noch ganz ruhig und scheinbar unbekümmert: "Ich habe bereits zwei Aufforderungen von reinrassigen Veelas erhalten, ihr Wohlwollen dadurch zu erhalten, ihnen zu Nachwuchs zu verhelfen. Welche Veelas das waren werde ich hier nicht erwähnen. Doch jene, mit der ich in Kontakt stehe, hat mich unter ihren Schutz gestellt und selbst schon genug Kinder von starken Zauberern geboren, die wiederum mit begabten Zauberern Kinder bekommen haben. Natürlich suchen sich weibliche Veelas die besten Erzeuger ihrer Kinder aus, weil sie fünf Jahre schwanger sind. Falls Sie in dieser Hinsicht schon angefragt wurden, Monsieur Tupulew, dürfen Sie sich also geehrt fühlen." Tupulew klappte fast zusammen und erbleichte erst. Dann wurde er wutrot. Doch ehe er was erwidern konnte sagte sein bulgarischer Kollege:
"Ach, wusste gar nicht, dass Sie doch noch mit Sarjas kleiner Tochter zusammengefunden haben, Andrej Iwanowitsch. Gratulation!"
"Wie gesagt, junger Mann, hoffen Sie darauf, niemals von diesen Wesen zu etwas genötigt zu werden, was sie ein Leben lang bereuen." Julius dachte beim Namen Sarja an Diosan, dem irregeleiteten Halbveela und ungewollten Sohn Grindelwalds. So sah er den russischen Ministeriumsmitarbeiter abbittend an und sagte: "Ja, stimmt, manche von denen erkennen ein Nein nicht an, wenn sie sich was in den Kopf gesetzt haben. Um so wichtiger ist es, sich mit denen gutzustellen, die einen in dieser Hinsicht in Ruhe lassen und mächtig genug sind, die anderen auf Abstand zu halten. Das durfte ich wie erwähnt schon erfahren. Insofern möchte ich Sie, Monsieur Tupulew, um Entschuldigung bitten, falls ich gänzlich unbeabsichtigt Ihre Ehre gekränkt habe. Sie haben mir nichts getan, und ich will Ihnen auch nichts tun." Brunos Vater sah Julius verwundert und dann anerkennend an.
"Kommen wir von diesen überschönen Männerverwirrerinnen weg zu denen, die leichter zu handhaben sind", bat der Sicherheitsexperte aus Deutschland. So kamen sie dann auf die Schwarzwälder Waldzwerge und dann auf weitere Zauberwesen. Der Kanadische Sicherheitsexperte wandte sich an den mexikanischen Kollegen und bat ihm, diesmal auf die geflügelten Riesenschlangen als Maskottchen zu verzichten. Der Kollege aus Mexiko beruhigte ihn, dass die erwähnten Zaubertiere nur bei Temperaturen über halber Körperwärme beweglich waren und somit nicht in Gebiete verbracht wurden, wo auch im Sommer die Temperaturen unter diese Temperaturen absinken konnten. Doch welche Wesen sie mitbringen würden würde dann zwischen den entsprechenden Fachkollegen ausgehandelt. Das mit den Maskottchen war ja nur aufgekommen, weil die meisten von denen intelligente Zauberwesen seien, die durchaus auch ihre Freiräume haben wollten und durften.
Es ging nun um die Organisation von Zuschauerströmen und die Absicherung der Wohnplätze und Spielstätten gegen mögliche Unruhestörer und wahrhaftige Verbrecher. Gegen das Fortpflanzungsrauschgas Vita Magicas gab es ja nun ein Gegenmittel. Wie das verteilt und angewendet wurde war dann Thema bis zum Abendessen. Die Vereinbarungen wurden noch aufgeschrieben. Dann ging es in die zwei untersten Räume des Beratungsgebäudes, wo die diskreten Ministeriumselfen ein mehrgängiges Menü in mit dem Aequicalorus-Zauber gleichwarm gehaltenen Behältern aufgebaut hatten. Als der spanische Zaubereiminister nach einer Bedienung rief sagte Ministerin Ventvit, dass er sich bitte selbst bedienen möge, da die Hauselfen des Ministeriums noch andere Obliegenheiten zu erfüllen hatten. "Ich dachte, die stünden uns voll zur Verfügung, Kollegin Ventvit", erwiderte Minister Pataleón. "Oh, dann wurden die Konferenzbedingungen nicht korrekt übersetzt", sagte Ornelle Ventvit. "Die Hauselfen versorgen uns mit genug Nahrung und können, nur falls nötig, die Folgen von kleinen Unfällen mit Essen oder Trinken beheben. Sie sind keine Serviererinnen und Servierer."
Millie und Julius hatten keine Probleme damit, sich selbst mit Essen zu versorgen. Allerdings ließen sie beide die Finger von den Alkoholischen Getränken, zu denen Scotch Whisky, Wodka, Calvados, Absint, Bier, Rot- und Weißwein und sogar Champagner gehörten. Sie begnügten sich mit Fruchtsaft und Wasser, genau wie Hippolyte Latierre. So kam es, dass die drei sich auch zusammen hinsetzten.
"Und, wie ist es gelaufen?" fragte Millies Mutter ihren Schwiegersohn. "Dafür dass ich fast mit dem russischen Strafverfolgungsleiter aneinandergeraten wäre ginges doch noch ganz gut für den ersten Tag." er wisperte ihr zu, was passiert war und dass er um Entschuldigung gebeten hatte. "Er wollte dich als unwissenden Bengel vorführen und bekam dafür die Quittung, Julius. Diplomatisch war es wohl richtig, ihn um Entschuldigung zu bitten. Aber rein anstandsmäßig hast du nichts verkehrt gemacht."
"Was macht der Kleine?" fragte Julius. "Ich hoffe er schläft. Ich musste zwischendurch wieder raus, um ihn satt zu kriegen. Offenbar legt er jetzt einen gewissen Wachstumsschub hin und braucht mehr als vorher. Ich kenne das von den drei anderen", sagte sie und zwinkerte ihrer zweitgeborenen Tochter zu, die ganz ruhig blieb.
Offenbar bekam einigen Zauberern das Angebot an alkoholischen Getränken nicht. Denn sie wurden immer lauter. Die einen wurden dabei immer gereizter. Die anderen um so fröhlicher, je mehr sie tranken. Offenbar meinte Belenus, weil der Konferenztag vorbei war, sich mit dem russischen und dem schwedischen Amtskollegen auf ein Trinkduell einzulassen. Das ging soweit, bis die drei anfingen, wilde Zaubererweltlieder zu gröhlen und damit die anderen Zechbrüder gegen sich aufbrachten. Julius meinte, ein Déjà Vu zu erleben, als der britische Spiele- und Sportleiter Tupulew fragte, wie jemand von reinem Brunnenwasser so schnell angezecht werden konnte. "Das ist Wodka", riefen die Russen gleichzeitig. "Das ist doch kein Getränk für einen Mann", sagte Elwood und präsentierte sein Whiskyglas. Julius hätte fast gerufen, dass Scotch von zwei alten Damen in St. Petersburg erfunden worden war. Doch er ließ es besser bleiben. Denn gerade sagte Arcadi: "Leute, keinen Zank!" Das beruhigte die anderen Russen.
Nach dem Abendessen unterhielten sich die die wollten in lockerer Runde. Morgen sollten die weiteren Tagesordnungspunkte besprochen werden.
Als Millie und Julius mit der kleinen Clarimonde in ihrem zugeteilten Zimmer in einem der baumförmigen Varanca-Häuser waren sagte Millie: "Hätte nicht viel gefehlt,und Jeannes Beau-Papa hätte Krach mit dem Österreicher gekriegt, der den Champagner beleidigt hat. gut, dass wir morgenkeinen dickenKopf kriegen werden." Julius stimmte ihr da all zu gern zu.
Julius war Ornelle Ventvit nicht böse, als sie ihm am nächsten Tag empfahl, bei ihr und den anderen Ministerinnen und Ministern zu bleiben. Die beinahe Streitigkeit mit Andrej Tupulew reichte ihm. Millie durfte auch bei den Ministerinnenund Ministern bleiben, da sie mitverfolgen sollte, wie die höchsten Hexen und Zauberer ihrer Länder die Weltmeisterschaft und weitere internationale Treffen dahingehend abstimmen wollten, mögliche Vergeltungsakte von Ladonna früh genug zu erkennen. Gestern hatten sie sich schon darauf geeinigt, sie als Person in keinem Land, das hier vertreten war zu dulden. Natürlich wussten sie alle, dass das nur ein hilfloser Akt war, um was vorzuweisen, obwohl sie Ladonna genausowenig daran hindern konnten, in ein anderes Land zu reisen wie eine der Abgrundstöchter oder die Spinnenhexe. Julius war froh, dass keiner hier wusste, dass er Anthelia/Naaneavargia schon häufiger begegnet war und was ihn und sie verband. Um das auch so vor möglichen Legilimentoren zu verbergen ließ er immer wieder das Lied des inneren Friedens durch seine Gedanken gehen. Das half ihm auch nach außen hin ruhig zu bleiben, als Arcadi ihn fragte, ob er als Veelabeauftragter nicht klarstellen mochte, dass Ladonna als Feindin aller bei Gegenwehr auch mit tödlicher Gewalt aufgehalten werden durfte. "Herr Minister Arcadi, Sie kennen die Veelas sicher noch besser als ich", setzte Julius an. "Deren einstellung zum Schutz von Familienangehörigen hat sich nicht geändert. Eher ist es so, dass sie uns davon abhalten würden, Ladonna zu ergreifen, weil diese sie seit dem Mordversuch an Señor Bocafuego als ganz persönliche Angelegenheit betrachten, die bestenfalls unter ihresgleichen abzuhandeln ist." Der spanische Zaubereiminister nickte erst Julius und dann dem russischen Kollegen zu. Er bat ums Wort und sagte: "Da in meinem Land ebenfalls Veelastämmige wohnen erhielt ich bereits ähnliche Mitteilungen wie Sie, Monsieur Latierre. Am Ende triumphiert dieses Ungeheuer in überirdisch schöner Hülle noch davon, dass wir und die Veelas in Streit geraten."
"Dies sollten wir alle vermeiden", sagte Ministerin Ventvit. Shacklebolt pflichtete ihr bei.
Es ging dann noch um den üblichen Austausch von Kenntnissen über potentielle Störenfriede oder gesuchte Verbrecherinnen und Verbrecher der Zaubererwelt und die Anzahl von Sicherheitstruppen bei der Weltmeisterschaft. Darüber hinaus wollten sie über die jeweiligen Vertreter internationaler Zusammenarbeit und Personenverkehr abstimmen lassen, ob die Flohnetzverbindung nach Italien noch aufrechterhalten bleiben oder einstweilig abgetrennt werden sollte. Hier bildeten sich zwei Lager. Die einen wollten, dass Ladonnas Marionetten nicht über die Kamine in andere Länder einfallen konnten. Die anderen wollten denen, die vor ihr flüchteten die Möglichkeit lassen, das Land zu verlassen. Allerdings wurde der Vorbehalt erwähnt, dass das italienische Zaubereiministerium seinerseits das Flohnetz überwachte und als Feinde erkannte Hexen und Zauberer nicht durch die Kamine entwischen lassen würde. Ornelle Ventvit erinnerte daran, was im dunklen Jahr war. Da wurden Flohnetzreisen auch an andere Ziele umgelenkt, um von Didier als Unruhestifter bis höchst gefährliche Hexen und Zauberer eingestufte in Gewahrsam nehmen zu können. Dies könnte auch dem komprommittierten Zaubereiministerium einfallen. Dann fragte sie in die Runde, wer von ihnen Rückmeldungen über Flohnetzreisende aus Italien in den letzten fünf Tagen hatte. Alle schwiegen erst. Dann sagte einer nach dem anderen, das tatsächlich keine Reisenden aus Italien in den jeweiligen Grenzstationen registriert worden seien. "Das deckt sich leider mit den mir zugegangenen Berichten. Also gehen Sie bitte davon aus, dass Italien von sich aus schon das Flohnetz überwacht. Es ist ja auch viel zu attraktiv, um Kommunikation und Reisen zu überwachen. Wir vergessen das aus der gebotenen Bequemlichkeit immer nur ganz gerne."
Dennoch einigten sich alle darauf, die Verbindung zur italienischen Grenzstation solange offenzuhalten, wie es keinen Versuch gab, über diese in dem einen oder anderen Land einzufallen. Julius bat ums Wort. Seine oberste Vorgesetzte sah ihn zwar ein wenig befremdlich an, nickte aber dann.
"Ladonna hatte es bisher offenbar nicht nötig, Flohpulver zu benutzen, da sie offenbar gut apparieren kann. Ich unterstelle ihr mal, dass sie sich ihre Helferinnen und Helfer auch danach aussucht, ob diese ebenfalls gute Apparatorinnen und Apparatoren sind. Das heißt, sie werden größtenteils vom Flohnetz unabhängig verreisen. Was die Kommunikation angeht, so möchte ich eine reine Vermutung äußern, dass Ladonna die von ihr Unterworfenen über mentale Zauber überwachen und mit ihnen kommunizieren kann. Dann wäre zumindest sie von Kontaktfeueranrufen ebenfalls unabhängig, zumal sie wohl als Veela- und Waldfrauennachfahrin keinem Feuer traut, dass sie nicht selbst erzeugt. Ich wiederhole, dass dies nur eine Vermutung ist. Ich bitte diesen Vorbehalt im Protokoll zu vermerken. Danke!"
Sie beschlossen, die Möglichkeit zu überprüfen, vor Ladonna flüchtende aus Italien herauszuschaffen, ohne dass deren Unterworfene das mitbekamen. Dieses Abkommen sollte jedoch auf der vierthöchsten Geheimhaltungsstufe eingeordnet werden, weshalb auch keine Veröffentlichung davon erfolgen sollte. So wurde ein Plan zur Schaffung von Fluchtmitteln und Fluchthelfern entwickelt, die nur dem Minister und den Abteilungen für Personenverkehr unterstellt werden sollten. Hierzu gehörte jedoch auch, dass die Flüchtenden erst einmal auf mögliche Beeinflussungen überprüft werden mussten, um keine Basiliskeneier ins eigene Nest zu holen, wie es Kingsley Shacklebolt formulierte.
als es wieder zum Mittagessen läutete waren die Minister sehr zufrieden mit dem, was sie nun schon erledigt hatten. Sie hatten nur noch vier der ihrer Fachgruppe zugeteilten Tagesordnungspunkte abzuhandeln. "Julius, bitte verschweigen Sie Ihrer Gattin gegenüber die geheimen Abkommen zur Fluchthilfe und erweiterten Flohnetzüberwachung. Es wäre sehr vorteilhaft, wenn wirklich nur die wenigsten davon wissen", ersuchte Ministerin Ventvit ihn, die hier mitgehörten Absprachen nicht weiterzureichen. Dann sagte sie noch: "Ich bin sehr sicher, dass nach dem Essen genug für Ihre Gattin verwertbares erörtert und beschlossen wird."
"Na, wie war es bei den oberstenHerrschaften?" fragte Millie Julius bei Tisch. "Spannend aber auch psst. Im Moment nichts, was du öffentlich verwerten darfst, Anweisung von ganz oben."
"Verstehe, geheime Strategien und so'n Zeug", mentiloquierte Millie. Julius bestätigte das, ohne auf Einzelheiten einzugehen.
"Dafür habe ich schon genug von den Spiele- und Sportleuten zusammen", sagte sie. "Die Kanadier wollen das bei uns bewährte Freiwilligensystem nutzen, dass in Italien nicht zum Einsatz kam. Allerdings müssen die Stadien und Wohnanlagen gut gesichert werden. Das machen dann aber wohl die dafür zuständigen Leute, die sicher froh sind, dass ich nicht bei denen gesessen habe." Das konnte Julius auch für sich beanspruchen.
Nach dem Essen wurden tatsächlich Dinge besprochen, die nach der Konferenz auch und ausdrücklich veröffentlicht werden sollten, wie bessere Verständigungswege zwischen den Ministerien, die bessere Abstimmung zwischen benachbarten Hoheitsgebiten und die klare Bestätigung, dass es sich bei den Gerüchten um die angebliche Einverleibung aller französischsprachigen Zaubererweltwohngebiete in die Zuständigkeit des französischen Zaubereiministeriums um absichtlich ausgestreute, wohl schon durch Agentinnen Ladonnas befeuerte Gerüchte gehandelt habe und die anderen Zaubereiminister Ornelle Ventvit öffentlich um Entschuldigung baten. Diese wollte im gleichen Maße öffentlich bescheinigen, dass sie zu keiner Zeit die Absicht gehabt hatte, die französische Schweiz, die Valonie oder Frankokanada unter ihre Verwaltungsobhut zu zwingen. Weil es doch immer wieder zu Unstimmigkeiten kommen konnte sollte es auch Direktverbindungen zu jenen Ministerien geben, die aus kulturellen oder territorialen Gründen immer wieder Konflikte austragen mussten. Hier trat Julius aus seiner Zuhörerrolle heraus und bat ums Wort. Dann beschrieb er das sogenannte rote Telefon, auch heißer Draht genannt, über dass die einst so verfeindeten Staaten USA und Sowjetunion im Falle eines drohenden Konfliktes miteinander in Verbindung treten konnten. Er erwähnte auch, dass diese Verbindung deshalb so überlebenswichtig war, weil die USA und die damalige Sowjetunion, heute ausschließlich Russland, über sehr starke Atomwaffen verfügten. Was das war wussten der russische Zaubereiminister und der englische Zaubereiminister schon. Ornelle Ventvit strahlte ihn an und setzte schon an, ihn zu umarmen, erkannte jedoch, dass dies hier gerade unangebracht war. "Damit habenwir im Grunde noch zwei neue Tagesordnungspunkte dazubekommen", sagte sie dann. "Aber wir sind so gut im Zeitplan, dass wir die verbliebenen morgen noch abhandeln können, wenn wir uns jetzt damit befassen, diese interessante Idee auf ihre Umsetzbarkeit zu prüfen."
Als dannwieder die Glocke läutete versammelten sich alle wider in den Speisesälen. "Ich werde Ministerin Ventvit bitten, dass du morgen bei uns dabei bist, weil wir an einen Punkt gelangt sind, wo wir erweitertes Wissen aus der nichtmagischen Welt brauchen", sagte Hippolyte. "Da Madame Mildrid Latierre ja nicht mitspracheberechtigt ist und deshalb ihr Muggelkundewissen nicht einbringen durfte klären wir das morgen früh, was du als offiziell Mitspracheberechtigter dazu zu sagen hast."
"Besteht die Möglichkeit, dass ich mich auf die gefragten Themen vorbereiten kann?" wollte Julius wissen. Hippolyte sah die Ministerin an und meinte: "Hängt davon ab, ob sie dich morgen zu uns Besenjongleueren runterlässt. Dem wollte Julius nicht widersprechen.
Wieder fanden sich trinkfreudige Delegierte zu fröhlichen Runden zusammen. Julius wurde von Gregori Petrowitsch Borzow gefragt, ob er immer noch gut Schach spielen könne. So klang der Abend für die einen mit weiterer Alkoholvernichtung aus, während Millie sich mit den Hexen aus den Abordnungen über die Vereinbarung von mehrfacher Mutterschaft und ganztägiger Arbeit unterhielt. Julius spielte eine Partie mit Borzow und schaffte es nach drei Stunden, ein Remis zu erreichen. "Danke für diese sehr abwechslungsreiche Partie", sagte der russische Ministeriumsmitarbeiter. Julius wusste, dass er für das nächste Schachturnier in Millemerveilles noch etwas Übung brauchte.
"DieGeheimsachen hat sie mir nicht gegeben. Aber das nicht als geheim vermerkte Protokoll liest sich schon sehr ergiebig. Könnte ich glatt zwei Artikel draus machen, wenn ich die offizielle Verlautbarung an Onkel Gilbert und die Konkurrenz weitergereicht habe. Immerhin ist das mit dem Honorar für meine "Ausleihe" jetzt gesichert." Julius fragte sie, was die denn bekommen würde. Als sie es ihm sagte meinte er: "Ui, da musste Laurentine zwei Runden trimagisches Turnier durchstehen."
"Zum einen weiß sie, dass ich als Mehrfachmutter jeden Knut gut gebrauchen kann und zum annderen möchte sie sicherstellen, dass ich auch wirklich alle interessierten Nachrichtenverbreiter in Frankreich beliefere. Und sag ja nicht, dass ich dieser Sabberhexentochter Montefiori zu danken habe, dass ich mal eben 666 Galleonen Honorar einstreichen kann!" Julius hütete sich, das auch nur zu denken.
"Julius, es ist sicher, dass du morgen bei uns sitzt und die aufgekommenenFragen beantworten darfsst. Hier sind sie", sagte Hippolyte und gab Julius zwei Pergamentbögen. "Oha, ich glaube, ich sollte auch noch mal über einen Bonus verhandeln", grinste Julius. Dann griff er sich sein Schreibzeug, während Millie ihrerseits die Protokolle aus den vier Fachgruppen durchlas und zu sachlichen Berichten umformulierte.
Vor dem Schlafengehen trafen sich Millie und ihre Mutter, die eine kleine Stillgruppe gebildet hatten,um ihren Kindern noch was zur guten Nacht zu spendieren. so konnte Julius die beiden bereits abgeschlossenen Tage kurz überdenken. Abgesehen von Borzow schienen die Russen ihm zu missgönnen, dass er von den Veela als deren Vermittler ausgewählt worden war. Vielleicht wollte Tupulew das ja mal machen und hatte dafür was tun müssen, was ihm heftig auf die Seele geschlagen war. Deshalb ging er davon aus, dass er, der Ruster-Simonowsky-Zauberer, das auch noch erleben musste. Hinzu kam, dass die meisten osteuropäischen Zauberer in Durmstrang zur Schule gegangen waren und da wohl die dort gepflegte Abneigung gegen muggelweltgeborene Hexen und Zauberer eingebläut bekamen. Es war auf jeden Fall gut, dass er kein Wort über die gerade laufende Verhandlung zwischen Léto und Ministerin Ventvit verloren hatte. Er beschloss, sich mit Béatrice darüber zu unterhalten, wie er mit solchen Leuten besserumgehen konnte, falls er jemals wieder zu Verhandlungen dazugeholt wurde.
als Millie wieder zurückkam hatte er gerade sein Stichpunkteblatt fertig, wie er den Leuten aus den Abteilungen für magische Spiele und Sport erklären konnte, was sie wissen wollten.
"Morgen ist das große Finale", sagte Julius seiner Frau, als er neben ihr im geräumigen Bett des Gästezimmers lag. "Ja, dann schlafen wir besser jetzt auch, damit wir beide das morgen durchstehen", legte Millie fest.
"Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestern kamen ja einige Fragen auf, was die Anreisemöglichkeiten und die Verständigungsmöglichkeiten bei den Nichtmagiern angingen. Sicher hätte die nicht ganz zufällig denselben Nachnamen wie ich tragende Beobachterin einiges, vielleicht sogar alles beantworten können. Doch die Vorgaben dieser Konferenz legen ja fest, dass Beobachterinnen oder Beobachter nur beobachten oder Fragen stellen, aber keine Stellungnahmen, Erläuterungen oder Vorschläge einbringen dürfen", sprach Hippolyte kurz nach neun Uhr zu ihren Amtskolleginnen und -kollegen. "Deshalb hat meine Vorgesetzte mir gestatte, den eigentlich für Fragen um Ladonnas Natur und die Veelas hinzugezogenen Sachverständigen Julius Latierre in unsere Fachgruppe zu entsenden, damit er mit seinem Wissen von der nichtmagischen Welt die aufgeworfenen Fragen beantworten kann", sie sah Julius an und dann ihre Amtskollegen. "Ihr aller Einverständnis vorausgesetzt habe ich Monsieur Latierre bereits die Liste der von uns zusammengetragenen Fragen und Ansatzpunkte übergeben. bitte, Monsieur Latierre."
Julius stand auf und bedankte sich bei der Gesprächsrundenleiterin und den Anwesenden, dass er heute in ihrer Fachgruppe zu Gast sein durfte. Dann handelte er all die bereits aufgeschriebenen Fragen ab. Es ging vor allem um Verkehrsmittel der Muggelwelt, auch wenn die meisten Zuschauer wohl mit magischen Mitteln anreisen würden. Außerdem beschrieb er Hotels, Fernseher, E-Mails und Webseiten, erklärte den Unterschied zwischen Bargeld und Kreditkarten, weil es doch vorkommen konnte, dass muggelweltgeborene nicht genug Zauberergold mitführten und dann doch auf ein nichtmagisches Bankkonto zugreifen wollten oder mussten. Er wartete immer ab, bis sich alle, die sich was notieren wollten, Notizen gemacht hatten, auch wenn hier eine allgegenwärtige Mitschreibefeder über Pergamentseiten tanzte. Er schloss damit, dass er zwar gerade nicht den Umrechnungskurs von kanadischen Dollar in Zauberergold kannte, das aber auf Nachfrage an seinem eigenen Rechner nachrecherchieren und über Madame Latierres Büro oder das der internationalen magischen Zusammenarbeit weiterreichen konnte. Dann wurde er von dem rothaarigen Veelastämmigen Ignacio Bocafuego gefragt, ob das Fliegen in einem Düsenflugzeug genauso anstrengend für jemanden sei, der sich an den Erdmagnetlinien orientieren konnte wie für Reisende in einem magischen Überseeluftschiff oder dem Schnellsegler "Fliegender Holländer". Julius sah den für Spiele und Sportarten zuständigen Spanier an und sagte: "Ich fürchte, ich muss diese Frage mit Ja beantworten, Monsieur Bocafuego. Ich weiß von das Erdmagnetfeld erspürenden Zauberwesen unter anderem Veelas, dass sie ungern mit Wasser- oder Luftfahrzeugen unterwegs sind, die schneller als ein Besen unterwegs sind. Aber Portschlüssel sind wohl erträglich, weil die einen erst mal aus dem üblichen Gefüge herausheben und anderswo wieder hineinbringen."
"Das gilt für die Weiblichen, Monsieur Latierre. Ich bekam immer dann, wenn ich mich so einem Ding anvertraut habe ganz heftige Kopfschmerzen." Julius nickte. Er fragte lieber erst gar nicht nach Flohpulver. "Aber wenn die Weltmeisterschaft erst im August ist könnenSie sicher auf einem gewöhnlichen Überseeschiff dort hinreisen", sagte Julius. "Danke für den Hinweis", grummelte Ignacio Bocafuego. Für Julius hörte sich das nicht so an, als sei der Veelastämmige damit glücklich.
"Das mit den Flugzeugen würde eh nicht gehen, weil Sie ja dann einen Pass aus der magielosen Welt bräuchten", sagte die schwarzhaarige, amazonengleiche Atalanta Xylippos aus der griechischen Delegation. Julius erinnerte sich, dass Veelastämmige nicht aus weniger als 300 Metern fotografiert werden konnten. Deshalb sagte er: "Ja, und wie ich von der Natur Ihrer Vorfahren mitbekommen durfte sind sie nicht für magielose Bildaufzeichnungsapparate aufzunehmen." Bocafuego und Xylippos nickten.
Bis zum Mittagessen fasste Hippolyte noch mal alle bisherigen Ergebnisse zusammen und konnte nun auch das von Julius eingebrachte Wissen mit einbeziehen, dass sichergestellt werden sollte, dass die Angehörigen der Mannschaften gegebenenfalls Zugang zu kanadischem Papiergeld bekommen sollten, natürlich im Rahmen der nichtmagischen Gesetze. Ansonsten stand fest, dass alle Mannschaften auf den für Quidditch in ihren Heimatländern zulässigen Besen spielen durften und die Besen eine Woche vor dem ersten Spiel angemeldet werden mussten. Kanada würde die Spielbälle stellen. Bis August konnten sicher genug Schnatze gebaut und Klatscher geschmiedet und bezaubert werden. der Schweizer und der österreichische Amtskollege wollten zusammen beim neuen italienischen Amtskollegen anfragen, ob die bereits für die Neuauflage hergestellten Schnatze benutzt werden durften. Das ließ nicht nur Julius und Ignacio verächtlich grinsen, sondern auch Atalanta Xylippos und Hippolyte Latierre. Die Griechin sagte dann noch: "Wenn diese schwarzhaarige Furientochter wirklich alle im Ministerium mit diesem Feuerrosenzauber verhext hat, Monsieur Bergwind und Monsieur Hintertaler, dann kriegen wir keinen einzigen Schnatz von denen. Oder würden sie wem die mühsam gebauten Schnatze geben, die sie eigentlich in Ihrem eigenen Land verwenden wollten?"
"Auch wenn wir es erlebt haben, wie diese schwarzhaarige Unheilsbraut es angestellt hat will ich nicht die Hoffnung aufgeben, dass da nicht doch der eine oder die andere ist ..." sprach der schweizer Kollege der hier versammelten. "Ja, und dann sterben erst Sie und dann die Hoffnung", knurrte der russische Spiele-und-Sport-Verantwortliche.
"Keinen Zank, die Herren. Kanada wird vom Weltquidditchverband genug Gold erhalten,um hundert Schnatze zu bauen", schritt Hippolyte Latierre ein. Sofort war es ruhig. "Also haben wir das jetzt auch erledigt", legte sie noch nach. Dann fasste sie noch die letzten Punkte zusammen, die vorgestern und gestern ausgehandelt wurden. Danach sagte sie:
"Wenn kein Einspruch gegen die Zusammenfassung besteht kann ich alle Protokolle nach dem Mittagessen kopieren und an unsere obersten Vorgesetzten weitergeben, sofern die nicht noch was zu erörtern haben oder auf die Ergebnisse anderer Gruppen warten müssen." Damit waren alle einverstanden. So wurde es auch in das Abschlussprotokoll aufgenommen.
Weil noch einige Zeit war unterhielten sich die Delegierten und Julius über ihre bisherigen Reiseerlebnisse. Julius konnte auch seine Erfahrungen mit Flugreisen einbringen und erwähnte die bewährte Luftschiffverbindung zwischen Millemerveilles und Viento del Sol. Hippolyte griff das auf und schlug vor, dass jene, die keinen Portschlüssel benutzen wollten oder konnten auch auf diese Weise nach Amerika übergesetzt werden konnten, vielleicht sogar gleich nach Kanada hinübergebracht werden konnten. Doch das war im Moment nur ein Vorschlag.
"Und Sie habenselbst Quidditch gespielt?" fragte Atalanta Xylippos Julius. Er bestätigte es. "Von Ihrer Statur und Kondition her hätten Sie doch nach der Schule sicher auch in einer Mannschaft spielen können." Julius bestätigte das und erwähnte, dass er lieber gleich was erlernen und arbeiten wollte, womit er sein ganzes Berufsleben lang etwas verdienen konnte. "Ach, das ging ganz gut bei mir", sagte Atalanta Xylippos. Sie erwähnte, dass sie zwanzig Jahre für die Athener Archers Treiberin gespielt hatte. "Vielleicht hätten Sie ja die Weltmeisterschaft 1999 mitgewonnen", meinte sie noch. Julius bedankte sich für dieses Lob und meinte, dass er auch schon sehr froh gewesen war, dabei zugesehen zu haben und dass er ja auch zu den Freiwilligen gehört habe, die den Zuschauern hatten helfen können. Dann sagte er: "Bei den Nichtmagiern in Athen sind doch dieses Jahr die olympischen Spiele. Da wird dann wohl auch viel los sein."
"Stimmt, eine Freundin von mir hat Karten für die Schwimmwettbewerbe da. Sie meinte, dass die Spiele acht Jahre später als gewünscht stattfinden. Ich selbst bewundere die, die ohne Spielgerät große Leistungen zeigen können." Julius nickte.
Jemand räusperte sich. Julius drehte sich um und sah Ignacio Bocafuego. "Kann ich mit Ihnen kurz in einem der Nebenräume sprechen, Monsieur Latierre?" fragte er. Julius entschuldigte sich bei Atalanta, die denVeelastämmigen gerade sehr anschmachtend ansah. Dann dachte er das Lied des inneren Friedens,weil er eine steigende Angewidertheit fühlte. Als er den geistigen Schild vollendet hatte war dieses Gefühl wieder weg. So konnte er mit dem Veelastämmigen, der feuerrotes Haar besaß, in einen der Nebenräume.
"Ich muss zwei Sachen erwähnen, die Sie wissen müssen, Monsieur Latierre. Die eine ist, dass ich seit einer sehr unschönen Erfahrung auf einem dieser nichtmagischen Überseeschiffe keineReise mehr mache, die länger als einen Tag dauert. Deshalb werde ich wohl zusehen, mit einem Ihrer Übersee-Luftschiffe zu fliegen, auch wenn diese Kraft, die Ihren Heimatort beschützt, mich in eine ständige Stimmung versetzt, dass ich froh bin, einen weiten Umhang zu tragen, wenn Sie wissen, was ich meine." Julius sah den lindgrünen Umhang des Veelastämmigen an, der wirklich sehr Weit und bauschig war. "Zumindest hilft mir das, warum ich keineSchiffsreise mehr mache, mich immer wieder abzuregen", sagte der Veelastämmige noch. "Das zweite, Monsieur Latierre, meine Mutter war sehr von Ihnen beeindruckt, dass Sie ihrer ganzen Kraft scheinbar mühelos widerstehen konnten. Sie ist es sonst gewohnt, dass Männer und pubertierende Jungen vor ihr dahinschmelzen und ihr jedenGefallen tun, den sie verlangt. Deshalb hat sie zu meiner Abuelita Espinela gesungen, dass sie Sie für sich haben will, sollte ich wegen Ihrer Weigerung, ihr Ladonna zu überlassen, umgebracht werden. Da hat meine Abuelita zurückgesungen, dass dann wohl sie das Recht der lebenden oberen Mutter habe. Ich bekomme mit, wenn die beiden sich ansingen, weil meine Abuelita Espinela mich mal einen Monat lang ... ernährt hat, als ich gerade drei Monate auf der Welt war. Das wissen die zwei auch, dass ich das dann mitkriege, wenn die sich was zusingen. Die wollten das also, dass ich das mitkriege. ich hatte überlegt, Ihnen das nicht zu verraten. Aber mein Kollege Durante hat gesagt, Sie hätten schon von zweien aus Mokushas Volk ein Angebot erhalten, oder war es eine Aufforderung. Wie gut Sie sich auch immer gegen mich oder meine Mutter schützen können, wenn meineAbuelita sie will, dann kriegt sie Sie auch, wie jeden, den sie haben wollte. Auch wenn sie im Moment nicht von ihremLand fort kann, sie ist nnicht nur eine Veelastämmige, sondern auch eine sehr starke Bruja, öhm, Hexe. Also kriegenSie das bitte hin, dass es keinen Kampf zwischen den Zauberern und ihrer Familie gibt oder dass Ladonna Montefiori mich umbringen lässt!"
"Sollte Ihre Mutter oder ihre Großmutter offiziell sowas erwähnen, Monsieur Bocafuego, teilen sie denen bitte mit, dass sie sich dann mit einigen anderen Damen herumschlagen müssen, die mich auch schon für sich haben wollten, darunter zwei, die über sechs Meter groß sind und keine Angst vor Veelastämmigen oder einfachen Zauberflüchen haben. Abgesehen davon glaube ich nicht, dass Ladonna sie noch einmal umbringen möchte. Sie waren ihr im Weg. Sie hat nicht mit Ihnen gerechnet. Sie wollte die Minister unterwerfen, ohne störenden Veelazauber dazwischen. Wenn Sie sie das nächste mal erwischt wird sie sich wohl an Ihnen vergehen, auch um Ihrer Familie zu zeigen, dass sie keine Angst vor ihr hat und/oder sicherzustellen, dass sie die Mutter eines Ihrer Kinder wird, um so zu deren Verwandtschaft zu gehören. Ich hörte von einer der beiden Töchter Mokushas, die mich schon aufgefordert haben, dass sie dadurch sicherstellen, dass ich dann nicht der Blutrache der Kinder Mokushas verfalle, wenn ich mit einer von ihnen Fleisch und Blut vereint habe. Auch das dürfen Sie Ihrer Mutter und Ihrer Großmutter sagen", sagte Julius schnell, um sich nicht anmerken zu lassen, wie heftig ihn Bocafuegos Botschaft beeindruckt hatte. Der Veelastämmige nickte bedrückt. Dann sagte er: "Gut, wir haben uns gegenseitig wohl genug erschüttert. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit." Julius bedankte sich für die Mitteilung.
Wieder zurück im runden Besprechungsraum für die Leiter für Spiele und Sport sah er, wie sich die zwei amazonengleichen Hexen Atalanta Xylippos und Hippolyte Latierre angeregt über alte Zeiten unterhielten. So sprach er mit dem australischen Leiter für Spiele und Sport und erkundigte sich, wie es um die Nationalmannschaft steht. "Womöglich haben Sie es noch nicht erfahren. Aber Pamela Lighthouse wird nicht mitspielen, weil sie im nächsten Februar wieder Mutter wird. Kam erst vor zwei Wochen heraus, als sie von ihrer Hausheilerin einbestellt worden war, weil sie wohl bei einigen Spielen nicht so ausdauernd war. Aber wir haben einen hoffentlich guten Ersatz für sie."
"Dann wünsche ich Ihnen und der von Ihnen betreuten Mannschaft auf jeden Fall jeden Erfolg, den sie sich verdient", sagte Julius. "Danke, Mr. Latierre", erwiderte der australische Ministeriumsmitarbeiter.
Als die Glocke zum Essen läutete wurde Julius von den beiden athletischen Hexen in die Mitte genommen und zum Speisesaal geleitet. Dort trafen auch Millie und die Zaubereiminister ein. Als Millie ihrenMann zwischen ihrer Mutter und der schwarzhaarigen Rassehexe aus Athen sah verzog sie erst ihr Gesicht. Doch dann lachte sie. "Es erfreut mich, dass Sie offenbar einen guten Eindruck bei den angereisten Besuchern gemacht haben, Monsieur Latierre", sagte sie.
"Sagen wir es so, Madame Latierre, dass Monsieur Latierre unserer Gruppe heute sehr wichtige und praktische Informationen geben konnte", sagte Hippolyte.
"Die Damen und Herren von der Fachgruppe Sicherheit und Personenschutz haben offenbar die Glocke nicht gehört", vermutete Ornelle Ventvit. "Wer von Ihnen möchte nachfragen, wie weit sie sind?" wandte sie sich an ihre Kollegen. Der britische Zaubereiminister nickte und eilte die mit einem weißen Läufer bedeckte Wendeltreppe hinauf, um am bestimmten Raum anzuklopfen.
"Womöglich haben die Jungs erst einmal ihre schweren Schädel vom gestrigen Wettrinken kurieren müssen", sagte Alexia Tachydromos mit verwegenem Grinsen. "Jungs vertragen eben nicht viel."
"Deshalb habe ich auch vorgestern und gestern nichts angerührt", sagte Julius. Er schämte sich nicht dafür, keinen Alkohol zu trinken, wenn er es nicht wirklich wollte oder am nächsten Tag fit sein musste. Millie kam dazu und meinte: "Ja, und sich dauernd zu konzentrieren ist ein Grund, nicht zu tief in den Weinkrug zu gucken."
"Ah, da sind Sie ja auch. Ist Ihre Kleine versorgt?" fragte Alexia Tachydromos. Millie bestätigte das.
So aßen die drei Einzelgruppen zusammen im Speisesaal. Der Nachmittag würde in einer Darlegung aller nicht als geheimgekennzeichneten Abschlüsse bestehen. Die angereisten Zaubereiminister würden je vier Kopien der Abschlussprotokolle erhalten. Um acht Uhr Abends gab es dann noch mal was leichtes zu essen, damit bei den Portschlüsselreisen keine vermeidbare Übelkeit aufkam. Bei Tisch unterhielten sich Millie, Julius, Alexia Tachydromos und Ministerin Ventvit über die Aussichten, dass diese Konferenz eine Verbesserung der internationalen Beziehungen und eine Verbesserung im Verhältnis mit den Zauberwesen darstellte. Als er ausdrücklich gefragt wurde sagte Julius: "Ich begrüße jede Vereinbarung, die im gegenseitigen Respekt erreicht wird und die hilft, die Welt ein wenig besser zu machen."
"Sie haben ihn gut erzogen, Ornelle, er kann wahrhaftig schon amtliche Verlautbarungen von sich geben", feixte die Stellvertreterin des griechischen Ministers. "Wir haben nur das bereits von ihm mitgebrachte Grundpotential ausgebaut", sagte Ornelle Ventvit.
Nach dem Mittagessen wechselte die Tischgesellschaft in den großen runden Konferenzraum. Hier wurde nun eine neue Schreibefeder hervorgeholt. "Solange wir nicht vollzählig sind können wir nicht anfangen", sagte Ornelle Ventvit. Doch es dauerte noch eine halbe Stunde, bis die letzte Gruppe sichtlich angespannt dreinschauend heraufkam und sich wortlos auf die noch freien Plätze verteilte. "Was bitte hat nun so lange gedauert?" fragte Frankreichs Zaubereiministerin Belenus Chevallier. Dieser sah seine Vorgesetzte verdrossen an und sagte: "Einige scheinbar einfache und dann doch sehr schwerwiegende Meinungsunterschiede bei der Einteilung von Zuständigkeiten und eine sehr aufwühlende Debatte über den künftigen Umgang mit Italien, falls die Lage dort nicht mit gewaltlosen Mitteln beendet werden kann. Näheres in all den nicht zu Geheimsachen erklärten Vereinbarungen, alles andere dann in den geheimen Akten."
"Ich bin sehr gespannt", grummelte Ventvit. Dann stellte sie die Schreibefeder auf und diktierte Ort, Datum und Thema des Abschlussprotokolls. Nun durften die jeweiligen Gruppenleiter ihre Ergebnisse der letzten Tage vorbringen. Als die Sicherheitsüberwacher drankamen verlas Belenus Chevallier, dass es einige gerade in den osteuropäischen Ländern gab, die dafür plädierten, Ladonna ihre Helfer mit Gewalt wegzunehmen, um sie zur Aufgabe zu zwingen, nötigenfalls durch den Todesfluch. Dem widersprachen die Teilnehmer aus Mittel, Nord-und Westeuropa, die die Unterworfenen immer noch als Opfer und nicht als eigenständig handelnde Verbrecher einstuften. "Vielleicht hätte die Anwesenheit des Veelabeauftragten Frankreichs geholfen, die Lage noch einmal klarer zu bestimmen und eine sich daraus ergebende Lösung dieses Konfliktes bewirkt", sagte Belenus und sah zu Hippolyte und Julius hinüber. Dann trug er vor, woran sich die heftige Debatte entzündet hatte, nämlich an der Frage, ob es Umsicht oder Feigheit genannt werden musste, wenn eine böswillige Veelastämmige nur deshalb nicht getötet wurde, weil angeblich alle ihre Blutsverwandten dann Jagd auf die Familie oder Familien des Täters oder der Täter machten. Der russische Sicherheitshüter Tupulew sah Belenus Chevallier an und setzte an, ihm ins Wort zu fallen. Doch sein Oberster Vorgesetzter unterband dies mit einem heftigen Kopfschütteln.
"Deshalb kann diese Zusammenkunft bezüglich Strafverfolgung und Personenschutz nur bekunden, dass wir alle verfügbaren Kräfte auf die Sicherung der in Kanada nachgeholten Quidditchweltmeisterschaft aufwenden werden. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit."
"Dann bitte ich um eine letzte Abstimmung, ob das Abschlussprotokoll von Millemerveilles am 3. Juni 2004 in seiner jetzigen Form angenommen werden soll oder noch zu ergänzen ist", sagte Mademoiselle Ventvit. Millie bekam die Aufgabe, die Stimmen zu zählen. Das war verdammt verantwortungsvoll, fand Julius. "Alle offiziell mitspracheberechtigten sind laut Eröffnungsvereinbarung vom 1. Juni abstimmungsberechtigt. Das Abschlussprotokoll gilt als angenommen, wenn mindestens zwei Drittel der Stimmberechtigten die Fassung anerkennen. Madame Latierre, bitte führen Sie die Abstimmung durch!"
Millie stellte sich so, dass sie jeden am runden Tisch im Blick hatte. Mit ihren 1,95 Metern hatte sie den perfekten Überblick. "Ich bitte nun um Handzeichen: Wer stimmt der Fassung des Abschlussprotokolls in seiner jetzigen Form zu?" Bis auf die Delegationen aus Russland, Österreich und der Schweiz stimmten alle zu. "Ich bitte um Handzeichen: Wer lehnt die jetzige Fassung des Abschlussprotokolls eindeutig ab?" führte Millie die Gegenprobe durch. Es dauerte nicht lange, bis sie alle erhobenen Hände gezählt hatte. "Gibt es Enthaltungen?" fragte sie. Keiner hob die Hand. Sie zählte dann noch einmal alle für und Gegenstimmen, kam wohl auf mehr als die erforderlichen zwei Drittel für die Annahme und erklärte: "Damit ist das Abschlussprotokoll der IMK zu Millemerveilles vom ersten bis zum dritten Juni mit der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit angenommen. Ich danke Ihnen allen für Ihre Teilnahme! Das Protokoll sowie das Abstimmungsergebnis wirrd jeder Abordnung in dreifacher Kopie zur Verfügung gestellt."
Nun ging das mehrseitige Protokoll herum. Jeder Zaubereiminister und jede Zaubereiministerin unterschrieb mit smaragdgrüner Zaubertinte. Dann wurden die erwähnten Kopien für die einzelnen Abordnungen hergestellt. Hierzu dienten zwei Distantigeminuskästen, auch Digekas.
"Ich bedanke mich bei den Kolleginnen und Kollegen, die sich so spontan bereiterklärt haben, dieser Konferenz beizuwohnen und auch dafür, dass Sie mir als französischer Zaubereiministerin ihr Vertrauen bekundet haben. Wer möchte darf jetzt noch eine kleinigkeit essen. Die ersten Portschlüssel sind für acht Uhr abends vorgeprägt", sagte die Ministerin.
"Und ich warne Sie, die Herren aus Russland und Polen, dass Sie das bitter bereuen, wenn Ladonna im Kampf getötet wird", sagte Ignacio Bocafuego. "Sie hätte gar nicht erst geboren werden dürfen, sofern sie überhaupt aus einem Mutterleib entschlüpft ist", knurrte Tupulew den Veelastämmigen Spanier an.
Millie und Julius kribbelte es in den Zehen, jetzt schon diesen Ort zu verlassen. Doch Ornelle und Hippolyte hatten ihnen geraten, bis zur Abreise des ersten Portschlüssels hierzubleiben, auch weil erst kurz vor der ersten Portschlüsselabreise die Tarn- und Ablenkbezauberung erlosch. So aßen die beiden noch was. Dann holte Millie Clarimonde und Hippolyte Alain. Die anwesenden Hexen schwärmten von den kleinen Latierres. Dass Alain an jeder Hand sechs Finger hatte nahmen viele als Laune der Natur hin. Nur wenige sahen darin eine Abnormität, sagten es aber nicht laut.
Als kurz vor acht mit kurzem Flackern alle Abschottungszauber erloschen verließen die Delegierten die Varanca-Siedlung.
"Für mich ist noch nicht schluss. Ich haue noch die Reinschrift meiner Stichpunkte an die Kollegen raus", sagte Millie. Sie zog sich in ihr Arbeitszimmerzurück. Julius beschäftigte die zwei größeren Töchter, die sich freuten, ihre Eltern wieder bei sich zu haben.
Erst um zwölf Uhr fand Millie ins Schlafzimmer. "So, ist alles korrekturgelesen und kopiert und raus. Die gute Ornelle hat mir erlaubt, aus der neutralen Beschreibung einen ansprechenden Artikel zu machen. Aber jetzt ruft mein Bett." Julius verstand, was sie meinte. Auch er war froh, wieder im eigenen Bett zu schlafen. Zwar dachte er auch an die nicht laut vorgelesenen Absprachen und daran, ob Russland und Polen versuchen würden, Ladonna gewaltsam zu entthronen. Auch dachte er an Ignacios Warnung. Er wollte Millie nicht erzählen, was er ihm gesagt hatte. Es reichte schon, dass sie wusste, dass die grüne Gurga, Mademoiselle Maximes Tante Meglamora und Létos Schwester meinten, ein oder zwei Kinder von ihm haben zu wollen. Doch das würden keine Kinder der Liebe sein, sondern fleischgewordene Demütigungen, abgetrotzte, lebendige Entschädigungen oder Machtbeweise, dass jemand bestimmen konnte, seine Nachkommen bekommen zu dürfen.
Es war schon sehr interessant verlaufen. Die heimlich nach Millemerveilles gereisten und die ihnen beigeordneten Pressereferenten hatten es hinbekommen, ohne Kontakt zur restlichen Bevölkerung zu verhandeln. Dass die Franzosen auch den Veelabeauftragten Julius Latierre dabeigehabt hatten war zu erwarten gewesen, dachte Alexia Tachydromos. Immerhin wussten sie nun, dass Veelas und Veelastämmige die von Ladonna bezauberten an ihrer Aura spüren und wohl auch riechen konnten. So erklärte sich, warum Ornelle Ventvit die Anwesenheit des da wohl schon unterworfenen Romulo Bernadotti wie eine durchdringende Hitzewallung empfunden hatte. Sicher hatte er den ihr aufgeprägten Veelazauber auch gespürt. Weil es mit über 99 Prozent sicher war, dass nicht nur Bernadotti, sondern auch dessen auf Zauberwesen spezialisierter Nachfolger Barbanera in Ladonnas Feuerrosenbann gefangen war war schon am ersten Tag klar, dass die Neuauflage der Weltmeisterschaft nicht in Italien stattfinden durfte. Frankreich hatte von vorne herein ausgeschlossen, dass sie noch einmal in Millemerveilles stattfinden konnte, auch weil der neu eingerichtete Schutzzauber noch nicht vollständig auf alle möglichen Wesen geprüft worden war. So hatte sich ergeben, dass die vor zwölf Jahren genutzten weiten Kanadas noch für eine Weltmeisterschaft gut waren. Denn Australien würde in sieben Jahren die Weltmeisterschaft ausrichten, und Südafrika stritt sich gerade mit Ägypten und Kenia, wer die nächste Weltmeisterschaft auf afrikanischem Boden ausrichten würde. Solange da keine Einigung erzielt war wollten sie keiner der drei Parteien vorgreifen. Also würde die Weltmeisterschaft in Kanada stattfinden. "Dann bleibt der Pokal auf jeden Fall in Amerika", hatte der peruanische Zaubereiminister vollmundig behauptet.
Mit einem über hundert Seiten umfassenden Beistandsvertrag gegen grenzübergreifende Bedrohungen kehrte jede Abordnung zurück. Wer in den USA weiterhin oder demnächst Zaubereiminister sein würde stand noch aus. Wenn dies geklärt war, so waren sich alle einig, würden sie den alten oder neuen Zaubereiminister einladen, dem Vertrag zur gegenseitigen Beistandssicherung gegen internationale Bedrohungen der friedlichen Zaubererwelt beizutreten. Ein bestandteil des Vertrages war der Verzicht auf eine Besteuerung humanoider Zauberwesen und die Ausarbeitung einzelstaatlicher Übereinkünfte mit dort lebenden intelligenten Zauberwesen. Das war wohl auch wegen der so wichtigen Erkenntnis, dass Veelas andere Veelazauber aufspüren konnten und der Feuerrosenzauber ein solcher war. Allerdings hatte Ignacio Bocafuego Escobar noch einmal betont, dass die Veelas auch diejenigen sein sollten, die über die Zukunft Ladonna Montefioris zu entscheiden hatten. Näheres hierzu sollte noch auf einer Fachkonferenz der Zauberwesenexperten unter Beteiligung der vier ältesten Veelas der Welt beraten und hoffentlich zu aller Zufriedenheit beschlossen werden.
Wieder zurück unter den Straßen von Athen fragte Alexia ihren Salmakis-Bruder: "Und, habe ich das gut hinbekommen?"
"Ja, meine liebe Schwester. Du hast es gut hinbekommen, ohne dass ich dir was hätte zuflüstern müssen. "Dann darf ich jetzt zu meinem Angetrauten hin? Dieser Veelastämmige aus Spanien und Ventvits aufgeprägte Aura haben mich immer so wuschig gemacht. Das muss ich mit dem guten Heliopteros unbedingt richtig heftig rauslassen."
"Oha, beim letzten mal wurde dabei auch was reingelassen", gedankenseufzte Alexios und machte Anstalten, wieder nach außen zu treten. Doch Alexias Wille stieß seinen Geist wieder zurück und hielt den gemeinsamen Körper in ihrer FormGestalt. "Ja,ist ja gut, Schwesterchen", gedankenknurrte Alexios. "Über das -chen sprechen wir noch mal", erwiderte Alexia nur in Gedanken. Dann machte sie sich auf, um ihren angetrauten zu begrüßen.
Pontio Barbanera wusste, was das hieß, als er am Morgen des 4. Juni die Zaubererweltzeitungen aus Österreich, der Schweiz und Frankreichs las. Alle titelten, dass Kanada eine noch größere Entschädigung erhielt, als nur mitzuspielen. Das nördlichste Land Nordamerikas durfte die Neuauflage der Weltmeisterschaft ausrichten. Die betreffenden Spielstätten gab es noch und mussten nur renoviert werden, was jedoch bis zum 30. Juni erledigt sein würde. Alle Besucherkarten würden auch im Lande des Ahornblattes, von Elchen und Eisbären weitergelten. Klar, für Portschlüssel war es eigentlich egal, ob sie nur 100 Kilometer weit oder 10.000 Kilometer weit transportieren sollten. Damit stand aber nun auch fest, dass Italien international gemieden wurde, solange nicht eindeutig klar war, dass Ladonna Montefiori keine Macht im Zaubereiministerium hatte.
"Haben sie es gewagt, mein erster Diener?" fragte Ladonna. Barbanera wollte schon antworten. Doch die Königin zog ihm die Antwort förmlich aus dem Gedächtnis wie eine einzelne Karte aus einem Stapel Spielkarten. "Gut, dann lass die Botschaft verbreiten, dass du wegen berechtigter Befürchtungen, dass Italien von ausländischen Machthabern unterwandert werden soll, alle nicht hier geborenen Hexen und Zauberer des Landes verweisen musst. Sie sollen in zwei Tagen von hier fort sein. Um alles weitere kümmere ich mich selbst."
"Wie ihr befehlt, meine Königin", dachte Pontio Barbanera. Er wusste, dass diese Entscheidung Todesopfer fordern würde, erst jene, um den landesweiten Bann zu errichten und danach vielleicht noch welche, die das Ultimatum nicht ernstnahmen und meinten, sich hier verstecken zu können. "Die wollen das so. Dann kriegen sie es auch. Was mein ist bleibt mein", stellte die Königin klar. "Der Tag wird kommen, wo sie mich anflehen, ihnen gegen ihnen zu mächtige Gegner zu helfen. Abgesehen davon werden wir auf die Weise auch ein anderes Ärgernis los, diese Fortpflanzungserzwinger von Vita Magica."
Um genau acht Uhr morgens verkündete ein von zehn Sicherheitstrupplern umgebener Zaubereiminister Barbanera vor der versammelten Zaubererweltpresse, dass die Absage der Quidditchweltmeisterschaft nur bedeuten konnte, dass von böswilligen Verschwörern gelenkte Zaubereiministerien Europas und dem Rest der Welt einen gewaltsamen Umsturz in Italien herbeiführen wollten. Daher müsse jeder Ausländer als überzeugter oder unter Zwang oder ohne es zu wissen tätiger Agent der Verschwörer eingestuft werden. Wer nicht bis zum Morgen des 6. Juni aus dem Hoheitsgebiet Italiens heraus sei unterliege den Verteidigungsgesetzen des Zaubereiministeriums, denen nach Hexen und Zauberer auf Grund eines bloßen Verdachtes festgenommen und bis zu einer gerichtlichen Klärung ihrer Lage inhaftiert werden könnten. Damit wolle er auch gegen jene brutalen Gruppierungen vorgehen, die sich in den letzten Wochen einen blutigen Bandenkrieg geliefert hatten. Einige der Notverordnungen setzte er bereits jetzt in Kraft. "Die Zauberergemeinde Italiens wird sich weder von Ladonna Montefiori, noch von der schwarzen Spinne, den Blutsaugern dieser Nachtgötzin und erst recht nicht von ausländischen Umstürzlern niderkämpfen lassen. Wir bleiben standhaft und werden Sie alle vor diesen Umtrieben schützen. Alle redlichen Bürger der italienischen Zauberergemeinschaft einschließlich Sardiniens dürfen versichert sein, dass wir vom Zaubereiministerium nach dem feigen Überfall verschwörerischer Mächte am 25. Mai jeden weiteren Angriff zurückschlagen werden. Sie können hier alle in Frieden und Sicherheit leben."
"Und was ist mit der Freiheit?" wagte es einer der Reporter zu fragen. "Die eigene Freiheit endet immer dort, wo die Freiheit des nächsten bedrängt wird", zitierte Barbanera etwas, das eigentlich in einem ganz anderen Zusammenhang galt. Deshalb legte er noch nach: "Und Bedrohungen durch fremde Mächte sind ein Eingriff in jedermannes Freiheit. Also, wer hier in Frieden und Einklang mit unseren Sicherheitsgesetzen lebt ist auch ein freier Zauberer und eine freie Hexe."
"Will sagen, ab heute gilt das magische Kriegsrecht, wie es vor dreihundert Jahren schon mal angewendet wurde, als die italienischen Staaten sich gegen orientalische Zaubererclans verteidigen mussten?" fragte ein anderer Reporter, von dem Barbanera wusste, dass er ebenfalls ein treuer Untertan Ladonnas war. Deshalb sagte er: "Ja, und die Lage heute ist schlimmer als die von damals, wo wir genau wussten, wer die Feinde waren und auf welchem Weg sie uns angreifen wollten."
"Was passiert mit den Ausländern, die bis übermorgen nicht abgereist sind oder die hier Familien haben?" wollte eine Reporterin einer Zeitschrift für junge und alte Hexen wissen. "Die erhalten von uns eine Reisekostenentschädigung von 100 Solicini, wenn sie mit ihren Verwandten in die achso argwöhnischen Nachbarländer reisen und dort bleiben, bis wir mit den anderen Ministerien einen stabilen Vertrag haben, dass keiner den anderen angreift."
"Und die anderen dürfen kommen und gehen, wie sie wollen?" fragte der Reporter von eben. Barbanera horchte in sich hinein. "Solange sie keinen Verstoß gegen die geltenden Gesetze begehen ja", empfing er Ladonnas Stimme. So gab er es weiter. Natürlich lag der Königin etwas daran, ihre eigenen Leute ins Ausland und wieder zurückreisen zu lassen.
Eine halbe Stunde nach dieser schicksalshaften Mitteilung an die italienische Zauberergemeinschaft klopfte jemand an Barbaneras Bürotür an. Als der neue Minister "Herein!" rief betrat ein kleinwüchsiger Mann das Büro. Barbanera kannte ihn von diversen Treffen humanoider Zauberwesen mit rein menschlichen Hexen und Zauberern. Es war der Vulkanexperte Anselmo Pontidori. Was wollte der denn jetzt hier?
"Ah, Professore Pontidori. Ist der Vesuv ausgebrochen oder der Ätna?" fragte Barbanera.
"Erst einmal habe ich Ihnen ja noch nicht persönlich zur Ernennung zum Zaubereiminister gratuliert, Signore Barbanera", begann der kleinwüchsige Zauberer und blickte den neuen Zaubereiminister mit seinen braunen Augen von unten her an. "Des weiteren stinkt hinter Ihre große Ankündigung von eben fast jeder Vulkanausbruch ab, von den Phlegräischen Feldern mal abgesehen. Öhm, Sie wissen vielleicht noch, dass in drei Tagen die internationale Konferenz für Elementarmagie in Neapel stattfinden soll? Wenn Sie jetzt alle ausländischen Hexen und Zauberer zu potenziellen Geheimagenten und Attentätern erklären muss ich die alle wieder ausladen."
"Ja, und?" fragte Barbanera. "Das würde bedeuten, dass zwei Jahre intensiver Vorbereitung mal eben in den Krater des Vesuvs gekippt werden können. Abgesehen davon, dass dieser Generalverdacht, den Sie vorhin vor der Presse verzapft haben gegen alle internationalen Umgangsformen verstößt."
"Ach ja? Aber die anderen dürfen behaupten, wir seien von einer machtsüchtigen Hexe unterwandert und ihr hörig gemacht worden, wie?" entfuhr es Barbanera. "Die sind doch die Paranoiker. Und deshalb müssen wir aufpassen, dass die nicht meinen, uns von der Platte zu putzen, natürlich im Namen des größeren Wohls. Abgesehen davon haben auch andere Länder schöne Vulkane zum darüber diskutieren. Wenn diese Vollparanoiker aus England, Frankreich und Spanien die anderen nicht beschwatzt hätten, die Weltmeisterschaft abzusagen und sie zu den Eskimos und Waldläufern zu verschieben könnte ich Sie ja gerne mit dem isländischen Zaubereiminister bekannt machen.""
"Das hat ihr bedauerlicherweise vorzeitig abberufener Vorgänger schon letztes Jahr erledigt. Ich konnte auch mit dem Us-Zaubereiminister über die Vulkane von Hawaii reden und wie beispielhaft die Inseln die Verlagerung von Material über einen dauerhaften Glutherd hinweg gegliedert sind. Aber die Leute aus Indonesien, Island, Mexiko und Japan wollten gerne den berühmten Vesuv besuchen und das in ihm stattfindende Wechselspiel von Erd- und Feuerkräften nachvollziehen. Jetzt darf ich denen allen sagen, dass sie angebliche Agenten böser Mächte sind, und das nur, weil Sie nicht klarstellen können, ob Ladonna Montefiori das Zaubereiministerium schon übernommen hat oder nicht."
"Sie glauben das nicht, sonst wären Sie nicht hier", vermutete Barbanera. "Als Wissenschaftler glaube ich nichts, sondern prüfe es nach", sagte Pontidori. "Ach ja, und wenn ich wirklich schon auf der Gehilfenliste dieser ... machtversessenen Hexe stünde?" fragte Barbanera.
"Dann ergebe Ihr Vorstoß von eben den Sinn, dass Ladonna keine ausländischen Widersacher mehr im Land haben will, falls stimmt, was die ausländischen Zaubererzeitungen so verbreitet haben. Dann will die nämlich das machen, was der mordlüsterne Irrwitzige aus England mit seiner Heimat angestellt hat. Gut, Sie werden jetzt völlig zurecht einwerfen, dass das sehr gewagt ist, sowas zu vermuten, wenn nicht sicher ist, ob das Ministerium noch frei von Ladonnas Einfluss ist oder schon komplett von ihr durchseucht ist ... Öhm, habe ich was falsches gesagt?" fragte Pontidori, als Barbanera seine rechte Hand zum Zauberstab gleiten ließ. Er sagte: "Seitdem Sie ihren halbzwergischen Hintern hier hereingeschoben haben sagen Sie dauernd was falsches, Pontidori. Sie sollen sich auf Ihr Fachgebiet beschränken und nicht ausgerechnet den amtierenden Zaubereiminister mehrfach beleidigen. Falls sie in zwei Sekunden noch hier sind fliegen Sie, aber ohne Besen und Flügel. Eins - ..." Pontidori war so schnell durch die Tür gehuscht, dass Barbanera nur noch einen Windstoß fühlte. "Frechheit war schon immer die Amme aller Zwerge", gedankenknurrte Ladonna. "Aber ich bin beruhigt, dass du dich nicht von ihm zu einer voreiligen Äußerung hast verleiten lassen. Er wird schon früh genug merken, wann es besser ist, den Mund zu halten. So Vulkane sind ja doch sehr, sehr tief, und Steine am Kraterrand nicht immer trittfest", schickte sie zurück.
"Der wollte mir nur zeigen, dass er vor mir genausowenig Respekt hat wie vor zwei Monaten noch, wo ich Euer neues Gesetz zur Besteuerung von Abkömmlingen von Hybriden zwischen Menschen und anderen Zauberwesen vorgestellt habe."
"Ja, und wie du damals schon gemerkt hast und gerade eben wieder ist dieses Gesetz längst fällig. Diese Halbblütigen sind ein Graus." Barbanera dachte unvorsichtigerweise daran, dass Ladonna ja von Veelas und Sabberhexen abstammte. "Das habe ich vernommen, und die grünen Waldbewohnerinnen heißen Waldfrauen. Merk dir das gütigst, wenn du noch einmal meinen Garten der Lust bestellen willst!" Barbanera bat sofort inständig um Vergebung für seinen Vorwitz und meinte, dass die Frechheit des Halbzwerges ihn wohl verleitet habe. "Dann halt dich von diesen großmäuligen Kleinlingen fern!" gedankenblaffte Ladonna.
Dass die Quidditchweltmeisterschaft ab August bis September in Kanada stattfinden würde war schon am nächsten Tag in beiden Zaubererzeitungen. Millie hatte in ihren kurzen Artikel reingepackt, dass Zuschauer aus führenden Zaubererschulen dann wohl nicht mitbekommen konnten, wer das Finale gewann. Doch sie war zuversichtlich, dass alle Zaubererweltzeitungen darüber berichten würden. Über die Verlegung der WM schrieb sie, dass die Minister bedauerten, dass die Lage in Italien derzeitig keine internationalen Wettbewerbe ohne gewisses Unbehagen ermöglichten, hofften aber, dass sich dies schon bald ändern möge. Der Miroir Magique bedankte sich bei der Konkurrentin für die umfangreiche Berichterstattung und warf die Frage auf, wielange es dauern würde, bis das nun international gedemütigte italienische Zaubereiministerium reagieren würde.
Die Antwort auf diese bange Frage erhielten die Mitarbeiter des Zaubereiministeriums um halb elf. Julius war wieder mit denen aus dem Büro für friedliche Koexistenz zusammen, als die Ministerin selbst eine Durchsage via Überallklangzauber machte:
"An alle anwesenden Beamtinnen und Beamten des französischen Zaubereiministeriums. Soeben erhielt der Leiter der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit eine deutliche Mitteilung aus Rom, dass sämtliche nicht in Italien geborenen Hexen und Zauberer von acht Uhr heute morgen bis acht Uhr am sechsten Juni das Hoheitsgebiet des italienischen Zaubereiministeriums zu verlassen haben. Widrigenfalls könne das Ministerium nicht mehr für Sicherheit und Leben der zurückbleibenden garantieren. Der neue Zaubereiminister Pontio Barbanera bekräftigt den schon einmal erhobenen Vorwurf, dass ausländische Mächte, die von zerstörerischen Kräften gelenkt würden, die Hexen und Zauberer Italiens vernichten wollten. Die Verlegung der Italien fest zugesagten Weltmeisterschaft nach Kanada sei ein klares Zeichen, dass ein gewaltsamer Einfall böswilliger Mächte bevorstehe. Er klagt uns an, Teile einer Verschwörung gegen alle redlichen Zauberer Italiens zu sein, womöglich angestiftet von feindlichen Hexenorden und bösartigen Zauberwesen. Er wäre bereit, diese Ausweisung zu widerrufen, wenn sämtliche Zaubereiministerinnen und Zaubereiminister Europas, Amerikas und Australiens zusagten, sich mit ihm und seinem Mitarbeiterstab bis um sieben Uhr abends am fünften Juni in Rom zu treffen. Nur dann dürfe und wolle er davon ausgehen, dass keine vereinte Feindseligkeit gegen ihn stattfinde.
Verehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dieses Ultimatum ist um jeden Preis ernstzunehmen. Ich habe sehr drängende Warnungen erhalten, dass Barbanera oder wer wirklich hinter dieser Forderung steht, tatsächlich die massenhafte Tötung nicht in Italien geborener Hexen und Zauberer plant. Da wir nicht wissen, wo und wie genau dieser Massenmord ausgeführt werden soll besteht leider keine Möglichkeit, ihn zu verhindern, außer unsere Landsleute in der gewährten Frist außer Landes zu schaffen. Auch wenn diese Nachricht alles andere als erfreulich ist bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit. Bitte setzen Sie nun Ihre Arbeit fort!"
"Die macht dasselbe wie Voldemort vor sieben Jahren", entschlüpfte es Julius. Fast alle im Raum zuckten zusammen, nur Primula Arno und Nathalie Grandchapeau nicht. Diese fragte Julius, ob er wisse, wie der als dunkler Lord bezeichnete Erzdunkelmagier damals die britischen Inseln für nicht dort selbst geborene abgeschirmt habe. "Ich könnte jetzt frech antworten, dass ich dann ja selbst ein dunkler Lord wäre, wenn ich das wüsste. Aber weil ich Ihre Frage sehr ernst nehme kann ich nur sagen, dass ich bei meinen Reisen nach England nach dem endgültigen Sturz der Todesser erfahren habe, dass der Schwerverbrecher, der sich Lord Voldemort nante ... Leute, nicht noch mal." Wieder zuckten einige zusammen. "Also dass er einen alten fluch genutzt haben soll, der dann, wenn er als einzig wahrer Herrscher des zu verfluchenden Landstriches gelte, diesen von allen, die nicht dort geboren wären, freibrennen könne. Danach würde keiner mehr den Boden des verfluchten Landes betreten, ohne schnell und qualvoll zu sterben. Wie genau dieser Fluch ausgeführt wurde weiß ich nicht. Vielleicht kennen sich die Desumbrateure oder Mitglieder aus der Liga gegen dunkle Künste damit aus."
"Gut, ich wollte Ihnen auch nicht unterstellen, derartige dunkle Zauber zu beherrschen", sagte Nathalie Grandchapeau. "Allerdings war Ihre Aussage hilfreich, auch wenn sie bekundeten, diesen Fluch nicht zu kennen. Denn für mich ergibt sich daraus die Antwort auf die Frage, warum Ladonna - Komisch, bei diesem Namen erschreckt niemand von Ihnen - erst in nicht mehr ganz 48 Stunden Italien derartig unbetretbar macht. Sie braucht wohl die Zeit, um den Fluch mit der erforderlichen dunklen Kraft anzureichern."
"Was für einen Ritualzauber spricht, Madame Grandchapeau", warf Primula Arno ein. Nathalie nickte ebenso wie Julius. Ja, so musste es laufen. Ladonna musste mehrere dunkle Rituale wirken, garantiert mit geopferten Menschenleben. So ähnlich war es doch auch bei diesem Blutfeuernebel abgelaufen. Doch den würde sie nicht wirken, weil sie dann ja jeden töten würde, der noch ihr Feind sein durfte.
"Falls die anderen Ministerien der Welt noch Bürger in Italien haben und noch nicht das Ultimatum kennen teilen Sie es denen über die Rechnerverbindung mit, Monsieur Latierre. Jetzt bin ich froh, dass wir wegen der vielen Traditionalisten in Rom noch keine Arkanetverbindung dort haben", sagte Nathalie.
Julius führte die Anweisung Nathalies sogleich aus, wobei er den Nachrichtenverteiler nutzte, der an alle angeschlossenen Arkanetnutzer zugleich eine Botschaft schickte. Er schrieb sie auf Englisch, Französisch und soweit er konnte Spanisch. Er schrieb auch hinein, dass gewiss jenes brutale Abwehrritual verwendet wurde, dass von 1997 bis Mai 1998 die britischen Inseln vor dem Betreten ausländischer Hexen und Zauberer abgeschirmt hatte.
Nur fünf Minuten später kam aus Australien bereits eine Antwort zurück, dass sie sich für diese Nachricht bedankten und froh seien, keine Landsleute in Italien oder auf dessen vorgelagerten Inseln zu haben. Er dachte an Laurentine Hellersdorf, die seit dem29. Mai in den Staaten war, aber dort nicht mit der Zaubererwelt in Berührung stand. Dort war es jetzt gerade erst fünf Uhr an der Ost- und zwei Uhr nachts an der Westküste. Irgendwo dazwischen war sie unterwegs. Gut, nach Italien wollte sie ja nicht.
"Mamille, Alarm! Italien verhängt Ausreiseultimatum für alle nicht dort geborenen Hexen und Zauberer! Ultimatum dauert bis sechster Juni acht Uhr morgens mitteleuropäische Sommerzeit. Danach droht jedem ausländischen Zaubererweltbürger wohl ein gnadenloser Tod. Bitte gib das über Viviane weiter!"
"Die hat's mir gerade selbst mitgeteilt, Monju. Sie hat's von der Kopie in der Delourdesklinik, die es vom Bild einer italienischen Heilerin hat. Jedenfalls geht die Nachricht gerade rund um die Welt."
"Danke, Mamille. Habe auch gerade alle angeschrieben, die ans Arkanet angeschlossen sind. Dann kriegt es wirklich jeder zu hören."
"Gut, Julius, Ich kuck dann mal, ob ich ein Interview mit einem für die Region verantwortlichen kriege."
"Gut, mach das, Mamille. Hab dich lieb!"
"Ich dich auch", schickte Millie noch zurück. Julius fühlte, dass ihn das mentiloquieren ohne Herzanhänger mehr angestrengt hatte als mit diesem nützlichen Hilfsmittel. Doch jetzt war die bitterböse Botschaft unterwegs.
Weil sie nichts anderes tun konnten setzten alle ihre Arbeit fort. Julius dachte einen Moment, dass es genauso laufen würde, wenn irgendwo in der Welt eine Stadt in die Luft flog oder jemand einen Krieg vom Zaun brach. Im Grunde war das, was jetzt zwischen Ladonnas Land und dem Rest der Welt ablief ein Krieg. Sicher, die Zaubererwelt konnte noch Truppen hinschicken um zu versuchen, die Verursacherin aus dem Amt zu knüppeln. Doch es gab immer noch einige Zaubereiministerien, die wohl noch nicht glaubten, dass Ladonna Montefiori sich zur Königin der italienischen Zaubererwelt aufgeschwungen hatte, mit Barbanera als ihr unterstelltem Zaubereiminister. Womöglich wusste die Mehrheit der italienischen Hexen und Zauberer das auch noch nicht. Doch das würde sich ändern, wenn dieses Ultimatum abgelaufen sein würde.
Am Nachmittag saßen Léto und Ornelle Ventvit wieder bei Julius im Büro und besprachen die weiteren Einzelheiten des Gegenseitigkeitsvertrages zwischen dem Ministerium und den französischen Veelastämmigen. Als die drei brennenden Kerzen wieder bis auf einen winzigen Stumpf niedergebrannt waren sagte Ornelle Ventvit: "Es ist in dieser dunklen Zeit sehr beruhigend, dass wir beide noch besonnen genug sind, eine Übereinkunft zu treffen, die unsere beiden Völker vor blutigen Kämpfen bewahren wird." Léto stimmte dem zu. Dann erloschen die Kerzen. Es war wieder sechs Uhr abends.
Julius mentiloquierte Léto an und teilte ihr mit, was Ignacio Bocafuego ihm mitgeteilt hatte. "Dann bleib schön von Spanien weg. Dann kann sie dich nicht auf ihr Lager zerren. Und was ihre Tochter Luciana angeht, so wird sie ihre Forderung zurücknehmen, falls sie will, dass der Ältestenrat über weitere Strafen gegen Ladonna berät. Das werde ich ihr schon mitteilen", schickte Léto zurück. Dann verließ sie mit der Ministerin Julius' Büro. Der räumte Tisch und Kerzenleuchter wieder weg. Dann machte er Feierabend.
ImApfelhaus musste sich Julius anstrengen, vor den Kindern nicht über das Ultimatum zu reden. Außerdem hatte er ja alles ihm mögliche getan, um andere Hexen und Zauberer zu schützen. Dennoch merkte er, dass Millie irgendwie betrübt und auch verdrossen war. Er fragte sie, ob ihr dieses Ultimatum genauso zusetzte wie ihm. Sie antwortete darauf nur schnippisch: "Das wird jedem zusetzen, Julius." Damit war für ihn diese Frage erst mal geklärt.
"Er hat was?" stieß Shacklebolt aus, als er nach dem Mittagessen erfuhr, was der neue Zaubereiminister verkündet und angeordnet hatte. "Okay, an alle britischen, irischen und australischen Staatsbürger, die gerade in Italien wohnen ergeht die dringliche Empfehlung, Italien so schnell wie möglich und für unbestimmte Zeit zu verlassen. Es besteht akute Lebensgefahr für jeden nicht auf italienischem Boden geborenen Menschen mit magischen Kräften." Shacklebolts Gesicht hatte einen hellbraunen Farbton angenommen. Barry Silverlake hatte seinen Vorgesetzten noch nie so gesehen. Er war sich jedoch sicher, dass Shacklebolt, der mit allen Wassern gewaschene Ex-Auror, gerade heftige Angst haben musste. Deshalb beeilte er sich, die neue Anweisung weiterzugeben. "Leute, hat wer von euch Kontakt mit welchen in Aussiland und Neuseeland?" fragte Shacklebolt die Porträts an den Wänden. Ein Zauberer in blauem Umhang sagte: "In Hoggy hängt doch'n Bild der jungen Aurora Dawn. Die hat Kontakt mit einem Porträt ihres erwachsenen Originals in Sydney." "Gut, Bryan, dann gib der bitte weiter, dass die ihren Leuten klarmachen soll, dass in zwei Tagen Ladonna Montefiori Klingsors Todesbann gegen fremdländische Feinde errichten wird. Die weiß dann schon, was gemeint ist. Schließlich hatten wir das hier ja auch viel zu lange."
"Joh, rollt an, schwarze Billardkugel", sagte Bryan und zog einen altgedient aussehenden Besen unter seinem Umhang hervor. "Ich häng dich gleich kopfüber auf", knurrte Shacklebolt. Da war Bryan auch schon fort. Der besuchte jetzt sein Gegenstück in Hogwarts. Nur zwei Minuten später war er wieder da. "Okay, Goldöhrchen, Aurora Dawn gibt es an ihr australisches Gegenstück, das bei ihren Eltern und das in Frankreich weiter. Aber woher will die bissige Rappstute Klingsors bösen Todesbann kennen, wo der nur von rabenschwarzen Magiern an nachtschwarze Hexenmeister weitergegeben wurde?"
"Wenn Sie ihre Veela- und Sabberhexenkünste an einem pechschwarzen Zauberer ausprobiert hat, der das Geheimnis kannte. Die Hybridin lebt schon lange genug, um viele finstere Sachen zu können. Das Ding mit der magischen Duftkerze war ja schon eine besondere Nummer", erwiderte Shacklebolt, jetzt in den flapsigen Sprachstil Bryans verfallend.
"Tja, warum hat die ihr Kloster böser Ordensschwestern auch Orden der Feuerrose genannt, Her Oberhofzauberer?"
"Nur kein Neid, weil du es damals nur zum gräflichen Alchemisten mit ein wenig Thaumaturgiebedarf gebracht hast", erwiderte Shacklebolt. "Immerhin hätte ich fast auch den Stein der Weisen hingekriegt, Häuptling Schwarze Platte. Dann würde der Graf von Reaconshire heute sein vierhundertstes Trhonjubiläum feiern und nach einem langen Tage in seinem aus Goldbarren erbauten Schloss auf seinem Platinklo mit Einhornhornbrille sitzen."
"Da danken wir doch Merlins gutem Geist, dass uns das erspart geblieben ist", grummelte Shacklebolt. Denn über den Grafen von Reaconshire hatte er so einige sehr unschöne Dinge gehört, auch und vor allem im Umgang mit afrikanischen Sklaven, an denen er sich dick und dumm verdient hatte. Das hatte wohl der damals echt lebende Bryan McFinnley gewusst und ihm wohl deshalb nicht den Stein der Weisen, sondern ein Schlafmittel mit unbegrenzter Wirkung dargeboten. Das von ihm überhaupt ein Bild in Hogwarts hängen durfte lag an einigen Schulleitern aus dem Haus Slytherin, die ihn als einen der größten Alchemisten überhaupt verehrt hatten.
"Herr Zaubereiminister, während Sie sich mit diesem ungehobelten Klotz da abgeben mussten konnte ich die mir zu Gebote stehenden Bildkontakte nach Spanien, Portugal und Frankreich aufsuchen, um Ihre Befürchtung und die daraus resultierende Direktanweisung einer schnellstmöglichen Abreise übermitteln", sagte ein porträtierter Zauberer in einem besonders edel geschnittenen Umhang. Bryan zeigte dem anderen einen Vogel und zog Grimassen. Doch dem anderen machte das nichts.
"Gut, dann sorgen wir mal dafür, dass unsere Landsleute sicher nach Hause kommen", sagte Shacklebolt.
"Oh, alle nicht in Italien geborenen Hexen und Zauberer? Wird der neue jetzt ganz paranoid?" fragte Alexios Anaxagoras. Da meldete sich seine Salmakis-Schwester in seinem Geist: "Sie will diesen Todesbann wirken, mit dem dieser Voldemort damals die britischen Inseln überzogen hat, um jeden Angriff von außerhalb zu vereiteln." Das ließ Alexios erbleichen. Natürlich ging er wie alle anderen europäischen Zaubereiminister davon aus, dass Barbanera auch eine Marionette der Montefiori war.
"Gut, dann bestätigen wir das für unsere Landsleute, auch für die, die schon da ihr Lager aufgeschlagen haben, weil sie unserer Nationalmannschaft zusehen wollten. Macht da am besten 24 statt 48 Stunden draus. Ich will nicht dafür verantwortlich sein, dasss auch nur ein griechischer Zaubererweltbürger einen jähen Tod stirbt." Dem pflichtete Konstantinos Chrysopolis vollkommen bei.
An die dreißig Hexen aus allen Erdteilen waren um diese späte Stunde im Haus Tyches Refugium in der Nähe von Boston versammelt. Ihre höchste Schwester hatte sie über die vielen Zwischenstellen anmentiloquiert, um ihnen hier und jetzt zu erläutern, was sie erfahren hatte. Auch Albertrude Steinbeißer und Marga Eisenhut waren gekommen, nachdem sie sichergestellt hatten, dass keine weitere Gehilfin Ladonnas den amtierenden Zaubereiminister Deutschlands wieder auf Ladonnas Seite ziehen konnte.
Anthelia bedachte jede Anwesende mit einem kurzen Blick. Dann straffte sie sich und begann mit ihrer Darlegung.
"Schwestern, einerseits ist es nun offenbart, dass Ladonna Montefiori die italienische Halbinsel beherrscht. Viele Zaubereiministerien haben deshalb die Zusammenarbeit mit dem italienischen Zaubereiministerium abgebrochen und obendrein in einer geheimen Zusammenkunft festgelegt, dass bis auf weiteres keine internationalen Veranstaltungen in Italien stattfinden dürfen. Die Quidditchweltmeisterschaft, die im letzten Sommer auf Grund eines sehr riskanten Rituals der US-Nationalmannschaft abgebrochen wurde, soll ab dem ersten Juli im nordamerikanischen Land Kanada stattfinden. Das hat den Ausschlag gegeben, dass Ladonna nun ein sehr gnadenloses Mittel anwenden will, um ihr Herrschaftsgebiet zu verteidigen. Sie hat allen nicht in Italien oder auf den vorgelagerten Inseln geborenen Hexen und Zauberern eine Frist gesetzt, bis übermorgen das Hoheitsgebiet des italienischen Zaubereiministeriums zu verlassen oder einen qualvollen Tod zu sterben, wo immer er oder sie sich dann gerade aufhält. Ich gehe nicht davon aus, dass sie eine leere Drohung ausgesprochen hat oder blufft, wie es heutzutage auch genannt wird. Ich gehe davon aus, dass sie genau wie der Waisenknabe, der sich Lord Voldemort genannt hat, ihr Land mit einem Todesbann gegen alle nicht auf dessen Erde geborenen Hexen und Zauberer vor der restlichen Welt verschließen will. Ich kenne das Ritual nicht auswendig, sondern weiß nur, dass es auf Merlins Erzrivalen Klingsor zurückgeführt wird, einem Wandler zwischen druidischer und hermetischer Magie. Ich weiß zumindest, dass hierfür unschuldiges Blut vergossen werden muss, aber leider nicht, wo und wie genau. Daher muss ich euch allen und denen, die im Moment nicht herkommen konnten, um nicht aufzufallen, dringend anraten, nicht mehr in das italienische Hoheitsgebiet vorzudringen, sofern ihr dort selbst nicht geboren wurdet." Dabei sah sie zwei dunkelhaarige Hexen an, die vom Gesicht her als Cousinen zu erkennen waren. Sie wartete, bis die beiden sie noch aufmerksamer ansahen und sagte ihnen zugewandt: "Schwester Rinalda und Schwester Mirella, ihr werdet dann die einzigen sein, die gefahrlos dort herumlaufen können. Doch hütet euch davor, in die Hände der Schergen des Zaubereiministers zu geraten oder gar von Ladonna Montefiori selbst aufgesucht zu werden! Vor allem tragt immer was bei euch, was euch beim atmen vor giftigen Stoffen beschützt. Denn Ladonna benutzt ein nur von ihr herstellbares Mittel, das beim verbrennen einen betörenden Rauch erzeugt und diesen in Verbindung mit einem von ihr erfundenen Elementarzauber anwendet, der ihr Macht über die gibt, die ihn ansehen und anhören müssen. Schwester Albertine und ich haben es miterlebt. Zu unserem Glück waren wir ja schon vorgewarnt. Ihr erinnert euch?" Alle anderen auch die zwei italienischen Hexen nickten.
"Kannst du dieses Ritual nicht vereiteln, höchste Schwester, fragte Beth McGuire. Anthelia/Naaneavargia überlegte kurz und schüttelte dann verdrossen den Kopf. "Dazu müsste ich wissen, wo es abgehalten werden muss und ob es reichen würde, einen Teil davon unwirksam zu machen. Wie auch immer Ladonna an das Geheimnis gelangt ist, dass selbst Sardonia und ich nicht ergründet haben weiß ich nicht. Doch wenn sie droht, dass alle nicht in Italien geborenen Hexen und Zauberer sterben müssen, dann geht das nur, wenn sie dieses machtvolle dunkle Ritual beherrscht. Doch seid gewiss, dass wir nicht ewig aus Italien ausgesperrt bleiben werden. Denn soweit ich weiß erlischt die Macht des Todesbannes mit dem Tod des Zauberers oder der Hexe, welcher oder welche es ausführte, oder wenn der oder die Ausführende mehr als einen vollen Sonnenkreis lang nicht im davon erfüllten Land weilt. So konnte Klingsors Schloss im heutigen Wales unmittelbar nach seinem Tod von denen betreten werden, die sich dem Großmeister Merlin oder den ihm entgegenwirkenden Schwestern Morgana und Morgause verschworen hatten."
"Wie lange haben wir noch Zeit?" wollte Izanami Kanisaga aus Japan wissen. "Bis zum frühen Morgen des sechsten Juni mitteleuropäischer Zeit", antwortete Anthelia.
"Dann ist doch noch Zeit, dort geborene Hexen und Zauberer auf unsere Seite zu ziehen, ich meine auf deine Seite, höchste Schwester", sagte Beth McGuire.
"Damit rechnet Ladonna sicher und wird uns sicher schon Köder hingelegt haben. Doch seid gewiss, dass wer immer eine von ihr bereits beeinflusste Person von ihr zu lösen trachtet deren Tod und den eigenen Tod heraufbeschwören wird. Ich habe es gesehen, wie ihr handzahmer Zaubereiminister Bernadotti und seine drei Gehilfen starben, als ich versuchte, alle in Hörweite befindlichen Hexen und Zauberer, die bereits vom sogenannten Duft der Feuerrose abbekommen haben, zu befreien. Somit bleibt uns nur eine Möglichkeit: Wir müssen Menschen ohne eigene Magie im Blut dazu bringen, in unserem Sinne zu handeln. Damit rechnet sie im Moment wohl nicht."
"Magielose Menschen, Moggli?" fragte Schwester Mirella. Anthelia bejahte es. "Aber die kommen sicher nicht ins Zaubereiministerium oder andere magische Institutionen rein", widersprach Mirella. "Das ist mir bewusst, Schwester Mirella. Es geht mir auch erst einmal nur um Kundschafter, die mitbekommen, ob Ladonna nach den Zaubereibegabten auch die Zaubereiunfähigen unter ihre Herrschaft zwingen will. Sie müssen im Stande sein, jederzeit aus Italien abzureisen und dorthin zurückzukehren. Ich weiß von Geschäftsreisenden, die sehr häufig in diesen lauten, qualmenden Metallflügelapparaten verreisen. Also stellt euch am besten an die Abflug- und Landeplätze dieser sogenannten Düsenflugzeuge. Alles was nach Italien fliegt kann uns helfen, einen kleinen Spalt in die bald errichtete Todeswand zu brechen. Das sei eure Aufgabe der nächsten Tage und Wochen. Wenn wir Leute unter Imperius-Fluch oder Fügsamkeitstränken haben, die hoffentlich deshalb nicht gleich sterben, sobald sie in Italien festen Boden berühren, können wir sie vielleicht auch aus der Ferne anleiten, dort für uns zu wirken, wo wir unsere Feinde vermuten müssen. Ich will es nicht hinnehmen, dass wir Schwestern durch eine einzige Widersacherin aus einem ganzen Land ausgesperrt bleiben."
"Ja, aber wenn diese Ladonna ihr ganzes Land gegen alle anderen abschirmt sperrt sie sich doch selbst ein. Denn wenn sie verreist ist sie ja für jedes andere Zaubereiministerium eine unerwünschte und zu jagende Feindin", sagte Mirella. Alle anderen sahen die italienische Mitschwester an. Anthelia sprach aus, was jetzt alle dachten: "So wie wir. Dennoch können wir uns immer noch größtenteils frei bewegen, solange wir nicht in eines der Zaubereiministerien vordringen wollen. Ich persönlich kann alleine auch noch in gesicherte Gebäude eindringen, in die ihr leider nicht vordringen könnt. Aber wenn wir uns noch ziemlich frei bewegen können kann Ladonna dies ebenso. Denkt daran, dass sie nicht nur eine Hexe ist, sondern auch die Fähigkeiten von Veelas und Sabberhexen besitzt. Sie könnte also unanfechtbar in ein Zaubereiministerium eindringen, indem sie dessen Wachposten mit Liedern der Unterwerfung besingt oder sich dort arbeitende Leute gefügig machen, die ihr im Bedarfsfall etwas durchs Fenster reichen oder ihr alle Türen öffnen, durch die sie gehen will. Jene, die wie ich die alten Lieder der vorhermetischen Hexen und die Zauberlieder der urwüchsigen Magie erlernt haben können dies auch, sofern die Schutzmaßnahmen in einem Ministerium nicht dagegen wirken."
"Der Nachteil dieser alten Zauberlieder ist, dass sie nicht bei unmittelbaren Flucht- oder Kampfhandlungen helfen, weil sie ihre Zeit brauchen, um zu wirken", wandte Albertrude Steinbeißer ein. alle sahen sie bange an, weil sie es wagte, ohne Sprecherlaubnis zu reden und dann auch noch Anthelias Worte zu schwächen. Anthelia sah die deutsche Mitschwester sehr ernst an. Doch als sie sprach war es kein Tadel und auch keine Strafandrohung: "Genau das ist der Grund, warum sowohl du als auch ich die Begegnungen mit dieser Furie überstanden haben, ja sogar kleine Siege gegen sie erringen konnten, Schwester Albertine. Aber die Feuerrose, Schwester Albertine und ihr anderen, ist eine vorbehandelte, verstärkte Form eines magischen Liedes, das auf die die es hören mindestens so stark einwirkt wie der Imperius-Fluch, aber nicht nur auf einen zur Zeit, sondern auf alle Zuhörenden zugleich."
"Öhm, wie genau geht dieser Feuerrosenzauber?" wollte Schwester Portia wissen. Anthelia sah Albertrude an und nickte ihr zu. "Da immer von einem Duft der Feuerrose die Rede war habe ich mich bei einer anstehenden Begegnung mit dieser veelastämmigen Widersacherin auf betörende Duftstoffe eingestellt und zudem meine Ohren gegen magische Stimmen geschützt." Sie erläuterte dann genau, was sie unternommen hatte und wie sie die ihr entgegengehaltene Feuerrose außer Kraft gesetzt hatte. Sie sagte aber sogleich, dass dieses Mittel nicht bei großen Menschenmengen oder in schützenswerten Räumen verwendet werden sollte, da die dabei freigesetzten Zauberfeuer alles brennbare entzündeten, was nicht durch entsprechende Gegenzauber abgesichert war. Sie erwähnte aber auch mit sicht- und hörbarer Schadenfreude, wie sie Ladonna selbst aus dem Konzept gebracht hatte. "Die Haare von Veelas und Veelastämmigen enthalten ebenfalls eine starke Magie, über die ihre Träger auf ihre Umwelt einwirken können. Bei reinrassigen Veelas kann der gewaltsame Verlust ihrer Haare zum Tod führen. Aber das empfehle ich hier keiner von euch. Denn Veelas können selbst wenn sie nur eine Sekunde zwischen Leben und Tod verbringen ihre Blutsverwandten zurufen, wer ihnen das Leben raubt. Der oder diejenige und alle blutsverwandten verfallen dann der Blutrache der Veelas." Anthelia nickte und merkte an, dass es daher im Moment nicht ratsam sei, Ladonnas Tod herbeizuführen. Sie verschwieg ihren Schwestern jedoch, dass sie sich bereits auf eine direkte Auseinandersetzung mit Ladonnas lebenden Veelaverwandten vorbereitet hatte. Dann kam sie noch einmal auf das Ultimatum und den Todesbann Klingsors zurück.
"Unsere Ziele sind klar, die Umgehung der tödlichen Zurückweisung nichtitalienischer Hexen und Zauberer mit Hilfe unmagischer Menschen, die Erkundung des genauen Ritualablaufes, eine mögliche Entfernung Ladonnas aus dem von ihr bezauberten Gebiet und eine mögliche Wiederholung jenes Zaubers, den Sardonia vom Bitterwald auf sie anwandte. Das sind unsere Ziele. Geht davon aus, Schwestern, dass auch die anderen Zaubereiministerien versuchen werden, Ladonna in eine Falle zu locken und sie festzusetzen. Nur die werden offiziell keine Magieunfähigen dafür einspannen, noch dazu welche, die unter den Imperius-Fluch gestellt werden. Aber dafür haben sie eine sehr brauchbare Möglichkeit ersonnen, die auch uns gefährlich werden kann. Sie können den Incapsovulus-Zauber auf mitzuführende Gegenstände legen und ihn innerhalb eines Lidschlages auf das ausgewählte Ziel legen, sofern es ein von eigener Magie erfülltes Lebewesen ist. Dieses Mittel werden auch wir nachbilden, wenn die Schwestern Albertine und Marga es geschafft haben, die Herstellungspläne dafür zu erbeuten, ohne dass Güldenbergs Getreue was davon mitbekommen." Albertrude grinste verschmitzt und riss den zweituntersten Knopf von ihrem hellblauen Kleid ab. "Ichhabe genau zwei Stunden vor dieser Zusammenkunft das vollständige Herstellungsverfahren des Soforteinschließers mit meinen magischen Augen betrachtet und genau studiert. Dabei habe ich alles gesehene aufgezeichnet und nach meiner heimlichen Abreise aus Deutschland in diesen Knopf übertragen. Jede mit genug thaumaturgischem Wissen kann die Herstellungsweise erlernen und auch die von den Deutschen und Franzosen gemeinsam ersonnene Abwehrmaßnahme erfassen, den Einschließungsverhüter. Wer es nicht als zu unangenehm empfindet, einen elastischen Fremdkörper in ihrem Geschlecht zu verbergen, die kann sich bis zu fünf mal vor dem Einschließungszauber schützen. Bei der Gelegenheit kann diejenige auch eine ungewollte Empfängnis verhüten." Anthelia sah Albertrude verdutzt an. Doch die blickte sehr entschlossen zurück. "Gut, wie kann jede die will die beiden Vorrichtungen kennen- und nachbilden lernen?" fragte Anthelia Albertrude. Diese erwähnte, dass der Knopf bis zu hundert mal die mit ihren Augen gesehenen Bilder und Aufzeichnungen in das bildhafte Gedächtnis der Interessentin übermitteln konnte. Wer es noch dauerhafter und für mehrere zugleich bewahren wollte konnte es dann als Erinnerungsextrakt auslagern und in einer Kristallflasche oder einem Denkarium aufbewahren. Anthelia nickte anerkennend, auch wenn ihr selbst nicht so wohl dabei war, wie eigenständig und vorausschauend Albertrude war. Doch sie brauchte die andere noch, jetzt und vor allem gegen Ladonna Montefiori, weil sie beider größte Feindin war.
Zehn der hier versammelten Schwestern durften nun die Aufzeichnungen Albertrudes direkt in ihr Gedächtnis übertragen. Anthelia selbst würde diese Erinnerung in das von Sardonia geerbte Denkarium einlagern. "Sowie ich dies hier sehe ist zur Herstellung des Soforteinschließers ein Viertelkarat Diamant in Eiform geschliffen nötig. Gut, wo es Diamanten günstig zu erwerben gibt weiß ich. Deshalb werde ich diesen Rohstoff beschaffen", verkündete sie und dachte daran, dass sie die Diamanten durch entsprechende Erdzauber auch noch verstärken konnte, dass der Incapsovulus-Zauber noch schneller in Kraft trat. Was die Gegenmaßnahme anging so würden die auch in der Muggelwelt bekannten Gummimembranen reichen, mit denen Frauen den Zugang zu ihrer Gebärmutter versperren konnten, um nicht ungewollt besamt zu werden. Zwar boten diese Verhütungsmittel keinen vollkommenen Schutz vor ungewollter Empfängnis, aber sicher einen vollkommenen Schutz vor dem Soforteinschließer. Hierzu war es jedoch nötig, den Schutzgegenstand durch Aufbringen von eigenem Blut auf den zu schützenden einzustimmen.
"Damit sind die Aufgaben verteilt, meine Schwestern. "Wir beschaffen uns die Mittel gegen Ladonnas Unterworfene, damit die uns nicht als lebende Feuerquellen in den Tod reißen können und gleichzeitig Mittel, um nicht einem Incapsovulus-Zauber zu unterliegen. Außerdem sollen diejenigen von euch, die sich mit der magielosen Welt auskennen an den Flugplätzen bereithalten, erfolgversprechende Nichtmagier zu unseren heimlichen Kundschaftern zu machen." Albertrude bat noch einmal ums Wort und schlug vor, die Auserwählten so zu bezaubern, dass sie erst dann wussten, welchen Auftrag sie hatten, wenn sie ein ganz bestimmtes Signal, ein zu sehendes Bild, eine Textbotschaft oder eine gesprochene Mitteilung erhielten. Hierfür eigneten sich die elektronischen Fernverständigungsmittel der magielosen Welt ausgezeichnet. Romina Hamton grinste und deklamierte "Des Waldes Dunkel zieht mich an ...". Albertrude grinste und nickte, während Anthelia über die Gedanken der muggelstämmigen Mitschwester erfuhr, worauf diese anspielte. Sie nickte wieder.
Nun fühlten sich die Spinnenschwestern nicht mehr so hilflos, was Ladonnas Ultimatum und die mögliche Bedrohung nichtitalienischer Hexen und Zauberer anging. Anthelia/Naaneavargia dachte sogar daran, dass es ihr vielleicht doch möglich war, den Todesbann wieder aufzuheben, bevor Ladonna aus dessen Wirkungsbereich entfernt werden konnte. Doch das wollte sie den Mitschwestern nicht verraten. Sie mussten nicht wissen, was eine Erdvertraute, die noch dazu mit den Tränen der Ewigkeit im Körper lebte, noch so alles konnte.
Eigentlich müssten ihre Eltern wahnsinnig stolz auf sie sein. Denn außer dem Desinteressierungszauber, den sie auf den Kleiderschrank in ihrem Zimmer gelegt hatte, um Rosita nicht auf dumme ideen kommen zu lassen, hatte sie keinen einzigen Funken Magie verwendet, abgesehen von ihrer Kleidung und dem Vita-Rubra-Zauber, der sie nachwievor vor ungewollten Eindringlingen in ihren Körper schützte.
In den letzten Tagen hatte sie sich wie eine typische Kalifornien-Touristin verhalten, die Universal-Studios besucht, wo viele weltberühmte Kinofilme und Fernsehserien entstanden waren, die für Touristen zugänglichen Ausstellungen des JPL in Pasadena besucht und am Strand von Malibu Sonne getankt, bis sie selbst wie eines der von den Beach Boys besungenen Mädchen aussah. Ihr Harr war noch ein wenig heller geworden. Dafür glänzte ihre Haut in einem hellen Braun. Sie hatte die kleineren Nachbarstädte Santa Monica und Santa Barbara besucht und wusste jetzt, wie Julius' Mutter lebte. Da sie immer mit Tante Abby oder Onkel Homer unterwegs gewesen war war sie doch nicht zu Martha hingefahren.
Jetzt weilte sie seit zwei Tagen in San Francisco und hatte das für Tagestouristen übliche Programm abgehandelt. Sie hatte sich mit der Golden Gate Bridge im Hintergrund fotografieren lassen und hatte den Golden-Gate-Park besucht, wo im vierten Star-Trek-Film die Mannschaft von James Kirk mit dem tarnfähigen Klingonenkreuzer gelandet war, um die irdische Menschheit des 23. Jahrhunderts zu retten. Das hatte ihr auch die Idee eingegeben, an einem Walbeobachtungs-Ausflug teilzunehmen. Dementsprechend voll mit neuen Eindrücken hatte sie sich vor drei Stunden ins Bett gelegt.
Ein leises Klopfen riss Laurentine aus dem nötigen Schlaf. Sie erschrak. Dadurch wurde ihr müder Körper mit soviel Adrenalin geflutet, dass sie meinte, drei von diesen großen Kaffeebechern ohne Milch und Zucker leergetrunken zu haben. Sie lauschte. Tapp Tapp Tapp. Tatsächlich! Etwas klopfte an das Fenster im vierten Stock des Hotels, in dem sie mit Onkel Homer und Tante Abby untergekommen war. Schnell sah sie auf ihre Armbanduhr. Es war 03:20:44 Uhr am Morgen des fünften Juni.
Laurentine sprang fast aus dem superbequemen Bett und lief barfuß über den flauschigen Teppich zum großen Fenster. Sie blickte in die durch das viele Streulicht nicht ganz so dunkle Nacht hinaus. Da hockte tatsächlich ein echter Waldkauz vor dem Fenster und blickte sie mit seinen großen, den Widerschein des Stadtlichtes spiegelnden Augen an wie ein gefiederter Kobold. Sie zögerte nicht mehr und machte das Fenster weit genug auf, dass der nächtliche Besucher bequem hereinfliegen konnte. Laurentine schloss das Fenster so schnell wie möglich, aber gerade so, dass es nicht mit lautem Knall zufiel. Der eingelassene Eulenvogel landete zielgenau auf der Lehne eines bequemen Stuhles und drehte seinen Kopf um mehr als 180 Grad, um Laurentine im Blick zu behalten. "Wer hat dich denn zu mir geschickt?" flüsterte Laurentine eine Frage, die ihr der Vogel garantiert nicht beantworten konnte. "Ich kann im dunkelnleider nicht so sehen wie du. Keinen Schrecken kriegen!" flüsterte Laurentine noch. Der Vogel begriff, was sie meinte. Er steckte seinen Kopf unter den rechten Flügel. Laurentine knipste die Nachttischlampe neben ihrem Bett an und zog schnell wieder die dünnen, aber lichtschluckenden Vorhänge vor.
Nun konnte sie sehen, dass der Vogel einen blauen Ring mit kleinen weißen Sternen am rechten Bein und einen in der Farbe seines Rückengefieders gehaltenen Rucksack trug. Laurentine war sich nun sicher, dass dieser Vogel vom US-Zaubereiministerium geschickt worden war. Hatte sie doch was angestellt, was den amerikanischen Zaubereihütern missfiel? Hoffentlich wurde sie nicht zu einer Untersuchung vorgeladen. Das würde alle ihre so schön muggelweltmäßigen Reisepläne in Stücke schießen.
Der amtliche Waldkauz öffnete den Schnabel. Laurentine bangte, dass er gleich einen lauten Ruf ausstoßen würde. Deshalb griff sie beherzt an den kleinen Transportrucksack. Sie fühlte ein schwaches Kribbeln über ihren Körper gehen. Dann sprangen die Verschlüsse des Rucksacks von alleine Auf. Laurentine wagte es und griff hinein. Sie bekam einen Briefumschlag zu fassen und zog ihn frei. Auf dem Umschlag stand die exakte Adresse:
Laurentine HellersdorfLaurentine las, dass der Brief von der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit verschickt worden war, also nicht von einer Überwachungsbehörde. Sie zog einen einzelnen Pergamentbogen aus demUmschlag. Rot leuchtende Schrift glühte ihr entgegen. Die konnte sie wohl auch im dunkeln entziffern. Das probierte sie aus und nickte. Die Leute in der Behörde hatten also bedacht, dass sie ohne Magie elektrisches Licht bräuchte, was ja auffallen konnte. Sie las den Brief einmal. Dann las sie ihn noch mal. Ja, das stand da. Da änderte sich auch beim dritten Lesen nichts. Sie und alle derzeitig in den Staaten gemeldeten Besucher aus dem Ausland wurden mit Beschluss vom 4. Juni 2004 davor gewarnt, das Hoheitsgebiet Italiens und seiner vorgelagerten Inseln nach dem 6. Juni 2004 zu betreten, sofern es keine dort selbst geborenen Hexen und Zauberer seien. Die Warnung erfolgte aus verschiedenen Zaubereiministerien Europas, unter anderem dem Italiens. Angeblich wegen drohender Umsturzbemühungen habe sich das italienische Zaubereiministerium entschlossen, sein Land gegen ausländische Hexen und Zauberer abzuriegeln. Tatsächlich aber, so der Brief weiter, fürchteten die anderen europäischen Ministerien, dass dies eine Vergeltungsaktion der in Italien an Macht zulegenden Ladonna Montefiori sei, um ihr erobertes Gebiet zu sichern und zu verteidigen. Laurentine sollte auf der Rückseite des Briefes aufschreiben, dass sie diese Warnung erhalten habe und damit auch jede Verantwortung für Folgen einer Missachtung selbst übernehme. Da sie keine übliche Schreibfeder oder zaubertinte mithatte nahm sie den zum Zimmerinventar gehörenden Kugelschreiber. Als sie mit diesem schrieb leuchtete ihre Schrift im satten Grün auf. Also war das Pergament bezaubert, nicht die Tinte. Den Zauber wollte sie auch können, beschloss sie. Bisher kannte sie den nämlich noch nicht. Jedenfalls konnte sie so die geforderte Bestätigung und Schadensersatzverzichtserklärung aufschreiben. Dann legte sie den Brief in den Umschlag zurück und steckte diesen dem immer noch wartenden Waldkauz in den Rucksack. Sie zog ihre Hand zurück. Leise klickend verschloss sich der Rucksack.
Kaum hatte Laurentine das große Fenster geöffnet huschte der amtliche Postvogel über ihren Kopf hinweg hinaus in die Nacht. Sie fühlte nur die von ihm verdrängte Luft und sah ihn erst wieder, als er schon zwanzig Meter von ihr entfernt dahinjagte, als müsse er um sein Leben fliegen. Laurentine schloss das Fenster wieder. "Die macht den gleichen grausamen Zauber, den dieser Lord Unnennbar mit Julius' Geburtsland gemacht hat", dachte Laurentine. Nun, sie würde die Warnung beherzigen. Sie war zumindest Froh, dass sie nicht über Italien nach Frankreich einreisen musste. Weil sie morgen noch viel zu erledigen hatte, unter anderem das Schifffahrtsmuseum und die transamerikanische Pyramide, wollte sie noch ein wenig Schlaf genießen.
Man hatte ihr das erzählt, dass dieser Reinblütigkeitsversessene namens Lord Voldemort wohl auch Klingsors Todesbann ausgeführt hatte, nachdem er das britische Zaubereiministerium unterworfen hatte. Doch sie wollte diesen Schritt nicht gehen, weil ihr eine weltweite Schwesternschaft der Feuerrose wichtiger war als ein absoluter Schutz vor fremdländischen Feinden. Doch nun, wo alle Wichtel auf dem Dach waren blieb ihr nur diese Möglichkeit, ihre bisherigen Errungenschaften zu verteidigen. So war sie in den letzten beiden Nächten übers Land gezogen und hatte 343 arglose Menschen getötet. Damit selbst hatte sie kein Problem. Sie hatte für den Blutfeuernebel getötet und hatte jeder und jedem Getreuen einen Fluch gegen Gefangennahme und Verrat in den Leib getrieben. Sie bedauerte nur, dass sie so die große Siegesfeier nicht in ihrer geliebten Heimat würde feiern können, wenn sie sich ganz offiziell zur Hexenkönigin Italiens ausrufen wollte. Doch vielleicht war es auch noch zu früh für dieses große Ereignis. Sie setzte eh darauf, dass ihre in den Untergrund gedrängten Bundesschwestern den vereinten Umsturz aller Zaubereiministerien erreichen mochten und dass diese Weichherzigen bis dahin von den anderen Feinden derartig in die Enge getrieben wurden, dass sie um ihren Beistand betteln würden. Gut, das dachte diese Dirne mit dem Flammenschwert wohl auch. Doch ihr, Ladonna, gehörte jetzt ein ganzes Land. Damit es ihr nicht wieder fortgenommen wurde musste sie über 343 Leichen gehen.
Sie sah gerade, wie die Sonne aufging, als sie das 343. Opfer, einen arglosen jungen Mann, der auf dem Weg von Mailand nach Sorent war, im Zentrum des italienischen Festlandes mit einem goldenen Messer aufschlitzte und seine Todesschreie überlagernd die letzte Beschwörung sang, die das Blut der Geopferten zum Träger der düsteren Decke machte, welche ihr ganzes Land überziehen sollte und jeden nicht auf italienischem Boden geborenen Träger von Zauberkraft genauso qualvoll sterben lassen würde wie diesen bedauernswerten Mann, dessen Namen sie nicht kannte und der sie auch nicht weiter interessierte.
Als sie ihr mörderisches Werk vollendet hatte spannte sich ein unsichtbares Netz über das ganze Land, dehnte sich bis in jeden Winkel aus. Wer jetzt noch hier weilte und nicht hier geboren war würde dieses tödliche Netz mit dem eigenen Leben verstärken. Sie fühlte, wie das grauenvolle Ritual, dass sie vor 420 Jahren einem Adepten des dunklen Magiers Afranius von Kalabrien entlockt hatte, körperlich auszehrte. Natürlich forderte jeder große Zauber seinen Tribut, im guten wie im bösen. Doch von heute an würde nicht einmal die Spinnenhexe ihr wieder gefährlich. Zwar würde sie noch in ihrem Haus bei Florenz wohnen. Doch ab heute konnte sie sogar offen herumlaufen und sich vor allem Volk zur Königin krönen lassen. Aber das hatte doch noch Zeit, fand Ladonna Montefiori.
Einer aus dem tunesischen Zaubereiministerium hatte es unfreiwillig herausgefunden, dass seit acht Uhr Morgens niemand aus der zaubererwelt mehr nach Italien hineingelassen wurde. Kaum war er auf seinem Besen gelandet, war er innerhalb von zwanzig Sekunden verbrannt. Ein Kamerad von ihm, der noch über hundert Meter hoch war, hatte es gesehenund war sofort umgekehrt. Julius nahm diesen tragischen Fall zur Kenntnis. Der Schwache Trost war, dass sonst kein ausländischer Zaubererweltbürger mehr in Italien gewesen war. Die Warnung hatte sie alle früh genug erreicht.
Am Abend sagte ihm seine Frau: "Monju, wenn Clarimondes Stillzeit offiziell um ist möchte ich nochh mal in die Alte Stadt und da lernen, was geht und nach Möglichkeit an unserem Hochzeitstag, also deinem Geburtstag, zurückkommen. Das kling tnicht nach viel Zeit. Aber wenn Kailishaia das so hinkriegt wie diese Madrashmironda das bei dir hinbekommen hat bin ich da sehr zuversichtlich."
"Mamille, ich hoffe nicht, dass du vorhast, dich mit dieser größenwahnsinnigen Hexe anzulegen", sagte Julius. "Nein, ich bin selbst ja nicht wahnsinnig. Außerdem will ich unsere Enkelkinder aufwachsen sehen, genau wie ich von dir erwarte, dass du unsere Enkelkinder aufwachsen siehst. Wann sagst du, haben Léto und Ventvit alle Punkte geklärt?"
"fünfzehnter Juni, plusminus drei Tage. Die beiden haben echt eine geniale Abstimmung gefunden, um selbst die heiklen Sachen in Ruhe zu bereden. Ich muss da echt nichts machen außer dabeizusitzen und mitprotokollieren. Öhm, ja und das Lied des inneren Friedens denken", sagte Millies Mann.
"Gut, dann soll Tante Trice meinen Herzanhänger eben noch solange unter Verschluss behalten, bis ich aus Khalakatan zurückkomme", legte Millie fest. Sie wirkte dabei sehr verdrossen, als gefalle ihr ihr eigener Entschluss nicht. Julius fragte sie, ob da sonst noch was sei, weshalb sie geradeso angespannt wirke. "Wir haben das heute alle mitgekriegt, was diesemMahmud Safiri aus Tunis passiert ist", sagte Millie. Das ging durch unsere Bilder. Onkel Gilbert hat's mir erzählt, und das Zaubereiministerium in Tunesien will eine offizielle Anklage gegen Italien wegen vollendeten Mordes an einem unschuldigen Besucher erheben."
"Gut, das steht denen zu. Aber sie wollten ja nicht hören. Die Algerier und unser Zaubereiministerium haben das in Nordafrika rumgehen lassen, dass dieses Ultimatum gesetzt wurde. Die wollten alle nicht hören."
"Jetzt hat Ladonna ihr eigenes Königreich sicher. Jetzt kann sie nur noch von innen heraus gestoppt werden oder wenn sie so dreist ist, aus ihrer neuen großen Festung rauszugehen."
"Die wird jetzt sicher erst mal abwarten, ob ihre ganzen Helferinnen im Ausland noch gut versteckt sind. Daneben wird sie sicher noch ihre Macht in Italien ausbauen, jetzt wo sie klargemachthat, dass sie da ist", sagte Millie. Julius nickte. So sah er das auch.
Am Abend kam Béatrice von einer Reihe von Hausbesuchen zurück. Sie fragte, ob er das mit dem tunesischen Zauberer an der italienischen Mittelmeerküste gehört habe. Julius bejahte es. "Dann ist es jetzt also amtlich", seufzte Béatrice. "Nach sechs Jahren beinaher Ruhe haben wir mitten in Europa wieder eine dunkle Macht, die sich ungestört ausbreiten will. Öhm, Julius, ich hab's ja schon mal erwähnt. Dir ist klar, dass du wegen deiner Kontakte zu den Veelas jetzt sehr gefährdet bist." Julius nickte. "Wie sicher ist das Ministerium noch?"
"Léto will morgen noch mal mit ihren Töchtern und Enkelinnen dort singen. Wir hoffen, dass in den Tagen nicht wiederwer bei uns eingesickert ist. Ihre Schwester Sarja hat sich dazu bereiterklärt, dem russischen Zaubereiminister anzubieten, dass sieund ihre Schwestern, Töchter und deren aller Nachkommen die Methode nachmachen. Näheres wollte mir Léto nicht verraten, weil da wohl noch die Ältesten der Veelas drüber beraten müssen", sagte Julius.
"Gut, sonst hätte ich dir nämlich nur vorgeschlagen, dass du dein Büro hier in Millemerveilles aufmachst. Wer dann zu dir will muss durch die Schutzglocke Ashtarias. aber ich verstehe auch, dass du dichnicht einsperren lassen möchtest wie der kleine Demetrius, warm, rundum versorgt aber eben eingeschränkt."
"Sagen wir es so, Trice, dafür haben wir alle letztes Jahr nicht gegen Sardonias Erbe gekämpft und die Dämmerkuppel erledigt, dass wir uns jetzt wieder in Millemerveilles einschränken müssen", sagte Julius. "Außerdem möchte ich vielleicht, wenn illie mag, nach unserem Hochzeitstag noch mal nach Viento del Sol und Santa Barbara. Ihr zwei hattet recht, dass ich froh sein soll, dass ich noch eine Mutter habe. Deshalb will ich da auch hin, um zumindest ein paar Tage mit meiner Mutter, Lucky und den Drillingen zusammenzusein." Millie nickte. "Falls die dich hier weglassen. Das Schachturnier soll doch wieder stattfinden." Julius nickte und ergänzte "Ja, und der Sommerball", sagte er.
"Übrigens, wo ich euch zwei schon in Sprechweite habe", hob Millie an und warf sich in eine wichtige Pose, "Das Komitee vom Prix Millemerveilles hat heute die ersten Preisträgerinnen und Preisträger bekanntgegeben. Morgen steht's im Teil "Neues aus Millemerveilles". Aber ich sage es euch heute schon." Die beiden Angesprochenen sahen sie ganz ruhig an. Das irritierte und verärgerte sie. Doch dann fand sie zu ihrer erhabenen, ja sehr wichtigen Haltung zurück und verkündete: "In der Kategorie Kurative Zauberkunst erhalten Großheilerin Dr. Bethesda Herbregis und Gelehrte Heilerin Dr. Aurora Dawn den Prix Millemerveilles für ihre heilsbringenden Erkenntnisse und Entwicklungen in der Behandlung von radioaktiver Verseuchung, zurückgehend auf den April 1986." Darüber strahlten Béatrice und Julius, aber nicht radioaktiv. "Ja, und Camille bekommt den Preis für Zaubertränke und Kräuterkunde, weil sie es hinbekommen hat, die Bäume und mehrjährigen Pflanzen auch unter der verdunkelten Kuppel am Leben zu halten." Béatrice und Julius strahlten nun fast so wie die Sonne selbst, nur nicht so blendendhell. "Ja, und was uns zwei sicher sehr freut, dass es doch noch mal richtig gewürdigt wird, Tante Trice: das Transportpatent für Saiten- und Tasteninstrumente wird ebenso honoriert. Schade, dass Opa Roland das nicht mehr miterleben konnte."
"Millie, Papa hat sich immer über das gefreut, was er hinbekommen hat. Er hatte keine Auszeichnungen nötig. Aber wohl deshalb hat er sie immer wieder gekriegt", sagte Béatrice ein wenig trübsinnig. Doch ihr Lächeln verriet Julius, dass sie auch stolz auf die Leistungen ihres verstorbenen Vaters war. Julius erkannte, dass es gut war, mit diesem Zauberer, den er nur in einer sehr unschönen Erinnerung Blanche Faucons gesehen hatte, seinen Frieden gemacht zu haben. Deshalb konnte er sich auch für Béatrice und seine Frau freuen.
So verbrachten sie zu dritt noch ein paar schöne Stunden im Musikzimmer, nachdem die drei kleinen Hausbewohnerinnen dem nächsten Tag ihres hoffentlich noch sehr langen Lebens entgegenschliefen.
Laurentine hatte mittlerweile Übung damit, durch die USA zu fliegen. Sie war nach ihrem Aufenthalt in San Francisco wie geplant nach Florida gereist, wo sie bei den Eheleuten Jean und Evangeline Bradley gewohnt hatte. Trotz des sehr gedrängten Besichtigungsplans hatte sie zumindest einen Tag Strandaufenthalt in Miami genossen. Sie hatte wie geplant den Weltraumbahnhof von Cape Canaveral besucht und mit ihren Gastgebern einen ganztägigen Bootsausflug in den Everglades gemacht, wo sie zum ersten mal lebende Alligatoren außerhalb eines Zooterrariums zu sehen bekommen hatte.
Gerade verließ sie den Sicherheitsbereich des Laguardia-Flughafens in New York. Sie sah ihre Cousine Vicky Kenworthy, die bereits auf sie wartete. "Ach, da ist sie ja, die Turbotouristin", flötete sie durch die Empfangshalle. Laurentine beeilte sich, zu ihr hinzugelangen, damit Vicky nicht noch länger durch den halben Fllughafen brüllen musste.
"Ui, du bist aber gut angebräunt, als hättest du jeden Tag am Strand gelegen", meinte Vicky in normaler Lautstärke, als Laurentine sie begrüßt hatte.
"Kalifornien und Florida gaben einige Strandtage her, trotz der ganzen Museen, die ich in San Francisco besucht habe."
Und wie war es in Cape Canaveral?" fragte Tante Suzannes ältere Tochter. "Verdammt spannend. Die hatten da für Kinder und Jugendliche einen Mondfährensimulator und das innere eines Space-Shuttles nachgebaut. Außerdem konnten wir Touris eine echte Saturn-V-Rakete von außen betrachten. Die Abmessungen zu kennen und so'n Trumm von Rakete in echt zu sehen ist doch ein großer Unterschied. Gut, ich habe schon mal eine zusammengebaute Ariane-Rakete gesehen. Aber die Saturn ist da doch noch etwas wuchtiger. Sie sind aber immer noch von der Columbia-Katastrophe letztes Jahr erschüttert. Aber dafür arbeiten die im JPL schon an weiteren Marsrobotern. Ich habe aber nicht raushängen lassen, dass mein Vater für Ariane Space und die ESA arbeitet. Aber zwischendurch konnte ich am Strand von Malibu und San Francisco Sonne tanken. Das ging dann auch noch in Miami und auf der Fahrt durch die Everglades. Da habe ich zum ersten Mal Alligatoren außerhalb eines Zooterrariums gesehen. Sind schon imposante Tiere, wenn man nicht zu nahe rangeht."
"Finden die da ausgesetzten Tigerpythons auch", meinte Vicky. Laurentine nickte. Sie hatte auch erfahren, dass von irgendwelchen falschen Tierfreunden gehaltene Schlangen in den Sümpfen ausgesetzt worden waren, weil sie denen zu groß wurden. Die machten den Alligatoren jetzt den Lebensraum, ja das Leben selbst streitig.
"Und, bist du irgendwelchen Sumpfgeistern oder -hexen begegnet?" fragte Vicky. Laurentine erschauerte kurz. Dann brachte sie ein Lachen hervor und meinte, dass sie wohl zur falschen Tageszeit unterwegs gewesen sei, um solche übernatürlichen Wesen zu sehen. "Von den angeblich da spukenden Hexen heißt es ja auch, dass die sich in Sumpfalligatoren oder Giftschlangen verwandeln können, um nicht erkannt zu werden", behauptete Vicky.
"Dann könnte ich da vielleicht der einen oder anderen begegnet sein, ohne das mitzukriegen", erwiderte Laurentine darauf.
Dafür kriegen wir gleich morgen Abend genug Hexen und Zauberer zu sehen", sagte Vicky. Laurentine meinte, sich verhört zu haben und sah ihrer Cousine genau in die Augen. "Mom hat ihre Beziehungen spielen lassen, und wir bekamen VIP-Karten für das Gershwin-Theater. Da läuft seit einem Jahr das Musical "Wicked - Die Hexen von Oz", die Vorgeschichte zum Zauberer von Oz. Die Geschichte kennst du doch, oder?"
Laurentine entspannte sich. Also das hatte Vicky gemeint. Dann grinste sie und sang leise die ersten Zeilen von Dorothys Lied vom Land über dem Regenbogen. "Genau. Aber das ist wie erwähnt die Vorgeschichte, was wir morgen mithören dürfen. Öhm, hast du gute Theaterbesucherklamotten mit?"
"Ich war doch von deiner Mom vorgewarnt, dass sie mir ein echtes Broadway-Musical gönnen wollte, wenn ich schon mal bei euch zwischen Hudson und East River zu finden bin." Das genügte Vicky. laurentine fragte sich, ob sie dann morgen die einzige echte Hexe bei dieser Vorstellung sein würde. Nicht selten besuchten wirkliche Bewohner der Zaubererwelt Kino- und Theatervorstellungen, wo es um die Darstellung von Magie und Zauberwesen in der unterhaltenden Kunst ging. Doch natürlich würde sie keinen davon an einem Umhang oder einem typischen Spitzhut erkennen. Dann fiel ihr ein, dass Vicky sich über ihr kurzes Grübeln wundern mochte und sagte: "Ich frage mich gerade, ob ich mich gerade verhört habe, weil du was von VIP-Karten gesagt hast. Womit habe ich denn die Ehre verdient? So sehr wichtig bin ich doch auch nicht, zumindest noch nicht."
"Weil Mom den Direktor kennt und wohl drei für die Plätze vorgebuchte Leute aus Philadelphia, die schon ein Jahr lang vorbestellthatten, wegen eines Trauerfalls nicht kommen können", sagte Vicky. "Aber bitte frag Mom nicht danach. Sie mag es nicht, wenn Gäste nach Sinn und Zweck ihrer Wohltaten fragen."
"Stimmt, ist meinem Vater vor neun Jahren passiert, als sie ihm auch irgendeinen wichtigen Ausflug verschafft hat und er wissen wollte, wie sie an die Karten gekommen ist. Sie hat damals gesagt, er solle denken, sie könne zaubern. Das hat ihm nicht so gefallen. Du weißt, dass er voll der Naturwissenschaftler ist."
"Ja, das weiß ich noch ganz gut. Mein erster Freund hat ihn damals gefragt, ob er sich Mutanten wie die X-Men vorstellen könnte. Da meinte der doch, dass man ja dann gleich Dämonen und Hexen als existent ansehen könnte, und dann würde die ganze Welt zu Grunde gehen."
"Dabei hat mein Vater in seiner Jugend und Studienzeit alles mögliche gelesen, wo Mutanten und Hyperraumtechnologie in den abgedrehtesten Vorstellungen vorkommen", erwiderte Laurentine schnell, bevor sie wieder zu grübeln anfangen konnte. Sie fragte schnell, wer Vickys erster fester Freund war und warum daraus kein Ehemann geworden war.
"Punkt eins: Das war eine klassische Oberschulromanze, laurentine, wollte wohl ganz schnell rauskriegen, wie eine Frau im Bett zu nehmen ist. Aber ich wollte das nicht. Da hat der sich eine andere angelacht. Da war es Schluss zwischen uns. Punkt zwei, bevor ich wen heirate will ich erst mal selbst was auf die Beine stellen. Ich will nicht mit einer guten Ausbildung von einer Uni runter, um nur deshalb zum behüteten Hausweibchen zu werden, weil ich so blöd war, wen zu heiraten und gleich von dem schwanger zu werden. Das ist auch der dritte von drei Punkten, die Hellen und ich gemeinsam haben, nach denselben Eltern und demselben Nachnamen. Ah da vorne geht's raus", sagte Vicky. Laurentine musste wieder an den Versuch mit Gaston Perignon denken, sowas wie eine Beziehung zu haben. Doch der hatte es sich wegen seiner Sympathie mit dem Muggelstämmigenhasser Didier mit ihr verscherzt. außerdem war das nie so richtig die Beziehung geworden, wie sie ihre Schulfreundinnen Céline und Claire hinbekommen hatten. Aber zumindest verstand sie Vicky, warum sie erst mal keine Lust auf die Ehe hatte.
Tante Suzanne wartete mit ihrem silbernen Lexus vor dem Flughafengebäude. Damit ging es in Richtung Manhattan.
Laurentine konnte unterwegs die Wolkenkratzer sehen und bemerkte die deutliche Lücke zwischen den turmhohen Glaspalästen. Da hatte bis zum elften September 2001 das Welthandelszentrum gestanden. Sicher würde sie sich diesen Ort auch noch einmal ansehen, wo sie schon mal hier war, weil es leider zum heutigen New York dazugehörte.
"Du hast auch nichts mehr von Gran Monique gehört?" fragte Vicky, als sie Laurentine half, ihre Sachen im Kleiderschrank zu verstauen. Nur die Geschenke für Laurentines Freunde und Bekannte blieben im Koffer.
"Sie hat sich offenbar entschieden, dass sie mit Leuten, die den Papst für einen einfachen Menschen halten, nichts mehr zu tun haben will", seufzte Laurentine. Eigentlich wollte sie nicht mehr an diesen unschönen Vorfall erinnert werden. Andererseits bereute sie auch nicht, was sie gesagt hatte.
"Mom hat auch gesagt, dass sie sich nicht weiter mit ihrer Mutter herumstreiten möchte. Das habe sie als junges Mädchen schon oft genug getan. Vielleicht bräuchten sie beide jetzt mal einige Monate Funkstille, um zu überlegen, wie es weitergehen sollte. "Nur, dass keine von denen den ersten Schritt machen wird", wagte Laurentine eine Vermutung. Vicky nickte schnell und legte den Finger auf die Lippen. "Sag das nicht, wenn Mom zuhört, sonst darfst du morgen schon über den Teich zurück", zischte sie noch. Laurentine begriff. Sie wollte es sich nicht auch noch mit ihrer Tante Suzanne verderben.
Der Vertrag war fertig. Heute hatten die Mutter aller französischen Veelastämmigen, Madame Léto und die amtierende Zaubereiministerin Frankreichs, Mademoiselle Ornelle Ventvit, den letzten großen Streitpunkt, den Stein, der alles hätte zertrümmern können, ausgeräumt. Es war um die Blutrache der Veelas gegangen, wobei nach dem gewaltsamen Tod eines Veelastämmigen dessen Angehörige den Verursacher verfolgen und umbringen konnten und auch dessen Angehörige umbrachten, auch wenn die nichts mit der Tat zu tun hatten. Zumindest galt jetzt für das französische Hoheitsgebiet einschließlich Korsika und die Überseebesitzungen, dass bei einem gewaltsamen Tod eines oder einer Veelastämmigen der Verursacher vor einem Gericht aus sechs Veelas und sechs magischen Richtern angeklagt wurde. Wenn die Schuld erwiesen war galt, dass bei Mord die übliche Höchststrafe wie beim Mord an Menschen vollstreckt wurde. Hinzu kam noch etwas, was bei fahrlässiger Tötung auf jeden Fall entschieden wurde. Denn dann musste er oder sie sich verpflichten, den Verlust durch Verheiratung eines geschlechtsgleichen Anverwandten mit einem oder einer Angehörigen der betroffenenFamilie zu ersetzen und zugleich ein halbes Prozent pro vollendetes Lebensjahr der oder des getöteten Veelastämmigen an die geschädigte Familie abführen, was bei einer zweihundertjährigen Veela den Totalverlust aller Besitztümer und bei einer noch älteren eine lebenslängliche Knechtschaft in der betreffenden Familie bedeutete. Außerdem musste der oder die schuldige das ganze restliche Leben auf französischem Hoheitsgebiet verbleiben. Verließ er oder Sie frankreich auch nur für eine Stunde, so galt die betreffende Person als "von Schutz und Recht entbunden", sozusagen als vogelfrei. Wurde der schuldige Mensch im Ausland von einem Verwandten der geschädigten Veelafamilie entdeckt, galt nur für diese eine Person weiterhin die Blutrache der Veelas, denn dann galt ja nicht mehr das französische Hoheitsrecht. Julius erinnerte sich an einen Spruch seines Onkels Claude, dem Anwalt: "Ein Kompromiss ist das, was keiner von beiden will, aber womit beide leben können.! Die gnadenlose Blutrache der Veelas war auf Französischem Boden abgeschafft, jedoch war ein Zaubererweltbürger, der den Tod einer Veela- oder Veelastämmigen verursachte dazu verurteilt, das restliche Leben in Frankreich zu verbringen.
Um genau zwölf Minuten vor sechs Uhr abends unterschrieben beide alle fünfKopien des zwanzig Pergamentseiten dicken Vertrages. Julius unterzeichnete als Verhandlungsleiter und Zeuge der Vereinbarung. Erst als alle Kopien von Hand unterschrieben waren atmete er auf. Die geheime Vereinbarung der beiden, von der nur die Strafverfolgungsabteilung, die Abteilung zur Aufsicht und Führung magischer Geschöpfe und Julius als Menshen-Zauberwesen-Beauftragter und Menschen-Veela-Verbindungszauberer was wissen durften. Denn so wie der Vertrag beschaffen war würde es einenAufschrei unter den Zauberern und Hexen wegen Sonderrechten für Veelas und unter den anderen Zauberwesen einen Aufschrei wegen benachteiligung ihrer Interessen geben. Doch Julius sprach für das magisch mitgeschriebene Protokoll: "Auch wenn der Anlass dieser geschichtlich bedeutsamen Vereinbarung ein trauriger und grausamer ist, so birgt diese soeben unterschriebene Vereinbarung das Licht der Hoffnung, dass auch mit anderen Zauberwesen mit eigener Denk- und Handlungsfähigkeiten angepasste Vereinbarungen getroffen werden können,ob Kobolde,Zwerge, Meermenschen - und vielleicht auch Riesen. Wie erwähnt ist dies nur eine Hoffnung, keine verbindliche Aufforderung. Ich bedanke mich bei den beiden Vertragsbevollmächtigten für die siebzehn Tage konstruktiver und zielführender Verhandlungen und die Bereitschaft, einen gemeinsamen Weg einzuschlagen."
"Und Sie sind sich sicher, Monsieur Latierre, dass Ihre beiden Elternteile naturwissenschaftliche Eigenschaften an sie vererbt haben?" fragte Ornelle Ventvit, als Julius die Mitschreibefeder vom letzten Pergament des dem Vertragswerk beizufügendem Protokolls nahm. Julius dachte daran, dass Madrashainorian in der Ausbildung zum Erdvertrauten das freie und zielführende Sprechen erlernt hatte und erinnerte sich auch, dass er in Beauxbatons häufiger Stegreifreden gehalten hatte, zum Beispiel über die Frage, ob Werwölfe dauerhaft eingesperrt werden sollten oder als Menschen frei leben durften. Doch er sagte nur, dass er froh war, das hier geschafft zu haben. Das war das erste wirklich wichtige, was er in seiner Rolle als Vermittler hinbekommen hatte.
"Nur dass die beiden Seiten auch miteinander reden wollten", sagte Létoo. Julius bejahte das.
Am abend feierten Béatrice, Millie und Julius zusammen mit Aurore, Chrysope und Clarimonde Julius neuesten Erfolg. "Und ohne dich wäre niemand darauf gekommen, mit Léto zu klären, ob bei euch noch Agentinnen dieser Ladonna herumlaufen. Zumindest hat sich von denen keine mehr ins Ministerium getraut", sagte Millie.
"Ja, und dieses Blutrachegebot der Veelas ist zumindest in Frankreich begraben. Ich habe damals schon Blut und Wasser geschwitzt, als Sarjas abgedrehter Sohn Diosan hier herumgespukt hat und ich fast mitbekommen musste, wie er umgebracht wurde. Vielleicht musste ich so nahe am Abgrund vorbeibrettern, um den nötigen Willen aufzubringen, dieses uralte Gesetz zumindest hier bei uns ruhen zu lassen", sagte Julius und sah, wie seine älteste Tochter Anstaltenmachte, sich ihm von einer Küchenbank her in die Arme zu werfen. Fing er sie nicht auf war das seine Schuld. Also fing er sie auf. Sie quiekte hocherfreut. Genau dafür hatte er heute dieses geschichtsträchtige Dokument mitunterschrieben. Bedauerlich nur, dass es außerhalb des Apfelhauses keiner wissen durfte.
Laurentine war froh, dass dieser Zank zwischen Vicky und Hellen rechtzeitig vor dem Theaterbesuch beigelegt werden konnte. Vicky hatte Hellen vorgeworfen, sie könne ja gleich als Kurtisane anfangen, wenn sie ausgerechnet da praktizieren wolle, wo die größten Schwerenöter und Lustgreise der Staaten einander guten Tag sagten. Hellen hatte Vicky dann vorgeworfen, sie sei nur so biestig, weil sie erkannt habe, dass ihr Lebensweg in eine Sackgasse führen würde. Darauf hatte Vicky erwidert, dass die sogenannte Karriereleiter auch nur ein großes Laufrad sei, in dem man immer schneller herumlaufen müsste, um nicht hinzufallen aber dabei meine, immer weiter nach oben zu kommen. Am Ende hatten die zwei Schwestern sich darauf geeinigt, dass sie beide ja in den Staaten lebten und jeder sein könne, was er oder sie wollte. Laurentine hätte darauf fast gesagt: "Außer man ist schwarz und/oder eine Frau." Doch sie wollte nicht noch Öl in die gerade erlöschende Glut kippen.
"Wau, das ist ja voll genial", bestaunte Vicky Laurentines langes, saphirblaues Kleid, um dessen Taille sie einen Schmuckgürtel geschnallt hatte. Laurentine hatte ihrem von der kalifornischen Sonne noch heller erblondetem Haar mit einigen Tricks aus Porters Kosmetikfirma noch mehr Fülle und Fluss verliehen. Dass der umgeschnallte Gürtel ein Mondreif war musste sie Vicky nicht sagen. Statt dessen sagte sie: "Habe ich mir vor zwei Monaten gegönnt. Da sie im Theater ihr Mobiltelefon nicht benutzen wollte oder durfte musste sie auch nicht interessieren, ob der Gürtel zu viel Magie ausstrahlte, zumal der ja erst dann die volle Kraft entfaltete, wenn sie einen Schildzauber wirkte.
Auch Tante Suzanne bewunderte das Kleid und den Gürtel. Sie meinte, dass Laurentine dadurch eine Aura der Erhabenheit ausstrahlte, würdig für einen Platz in der Loge für geachtete Persönlichkeiten. Sie selbst trug für den Theaterbesuch ein langes bordeauxrotes Kleid und hatte sich zwei dünne Silberketten umgehängt.
Zur Feier des Abends ließen sie sich in einem schneeweißen Cadillac aus den Fünfzigern chauffieren, wenngleich Hellen meinte, dass vier Besenstiele doch stilechter seien. Darüber mussten dann alle lachen, auch Laurentine.
In der Loge für besondere Gäste gab es ein Buffet mit Sandwiches, Knabberzeug und verschiedenen Getränken mit und ohne Alkohol. Auch die beiden führenden Colagetränkemarken waren vertreten. Die Stühle waren breit und hochlehnig und nach Laurentines erstem kurzen Versuch auch sehr gut gepolstert. Ja, hier ließ es sich aushalten.
Durch den diskreten Zugang betraten noch acht weitere Personen die Loge für angeblich sehr wichtige Gäste, ohne dass es von weiter unten zu sehen war. Laurentine erkannte den Oberbürgermeister von New York, wohl in Begleitung seiner Ehefrau. Vicky flüsterte ihr zu, dass einer der anderen Herren der Direktor der New Yorker Börse war. Dessen Begleiterin trug ein smaragdgrünes Kleid. die beiden anderen waren wohl Gäste des Bürgermeisters, zumindest keine aus Film, Politik oder Sport bekannten Leute. Er trug einen weinroten Smoking mit schwarzer Fliege, sie ein schwarz-blaues Rüschenkleid und Laurentines Ansicht nach ein wenig zu viel Rouge im Gesicht. Dann kam durch den Zugang noch ein Paar herein, ein noch sehr junger Mann, vielleicht in Vickys Alter, der von einer Frau im wadenlangen, roséfarbenen Kleid begleitet wurde. Laurentine konnte nicht sagen, wie alt die Frau war. Jedenfalls besaß sie eine den Neid mancher Models erregende Figur. Ihr dunkelblondes Haar fiel wie das Laurentines bis auf die Schultern herab. Am außergewöhnlichsten waren ihre blassgoldene Hautfarbe und die großen, grünblauen Augen. Wie passte das zusammen? Laurentine ertappte sich dabei, wie sie die andere anstarrte. Da fing sie einen Blick aus diesen grünblauen Augen auf und meinte sofort, wieder am Frühstückstisch von Mémé Monique zu sitzen und sich mit ihr und ihrer Mutter zu unterhalten. Laurentine wischte diesen Gedanken eher reflexartig fort. Gleichzeitig vibrierte ihr Mondreif-Gürtel, als habe er auf einen fremden Zauber reagiert. Vielleicht war das auch so, dachte Laurentine. Denn ihr war nun klar, dass die andere versucht hatte, sie zu legilimentieren. Die andere war eine Hexe. Damit gab es eine Antwort auf die Frage, ob Laurentine bei diesem Musical die einzige echte Hexe war: Nein, war sie nicht.
"Ui, Ronin Sunnydale gibt sich die Ehre", flüsterte Vicky Laurentine zu. Laurentine wusste nicht, wer das sein sollte. "Ist im letzten Jahr als Hauptdarsteller der Serie "Herzen am Horizont" raketenartig durchgestartet, und das mit gerade zwanzig Jahren. Wer die Frau im Glitzerkleid ist weiß ich nicht. Könnte sein, dass seine Filmfirma ihm eine Begleiterin gesponsert hat, damit ihn die ganzen jungen Mädchen nicht vor dem Theater unter sich aufteilen." Laurentine wollte gerade warnend den Finger auf ihre Lippen legen, da hörte sie eine der anderen Damen in der Loge schon sagen: "Oh, hat man dem aufstrebenden Fernsehgott Ausgang gewährt? Wer ist denn die sehr figurbetont gekleidete Dame?"
"Maggy, mäßige dich bitte", herrschte der Ehemann der Frau im schwarz-blauen Kleid an.
"Und ich ging davon aus, hier ginge es gesittet und vor allem diskret zu", sagte Sunnydale. Darauf erwiederte der Ehemann der neugierigen Frau: "Verzeihen Sie meiner Gattin bitte diese unstatthafte Äußerung, Mr. Sunnydale. Natürlich geht es uns nichts an, mit wem Sie Ihre spärliche Freizeit verbringen."
"Ja, aber hier herein ... Ach, die Witwe Kenworthy ist auch da", meinte die Frau, die Maggy mit Vornamen hieß, noch weitere Ehrenlogengäste wie ein höfischer Herold ausrufen zu müssen. "Oh, wusste nicht, dass Sie drei Töchter haben, Ma'am, fügte sie noch hinzu." Laurentine, die im Moment mit ihren Gedanken bei der anderen Hexe war und sich überlegte, wie und warum sie in die Ehrenloge gekommen war, hörte nur mit halbem Ohr zu.
"Mag, Ihr Gatte hat recht. Bitte nehmen Sie Rücksicht auf die hier gebotene Diskretion. Jeder und jede hier hat wohl das Privileg, hierzusein, genau wie sie", sagte der Direktor der New Yorker Börse.
"Ja, wenn er oder sie etwas herausragendes geleistet hat", meinte Maggy. Ihr Mann sah sie an und sagte was, dass sonst keiner verstand.
"Ich denke, gleich geht es los", raunte Hellen, der dieses Getue gerade irgendwie peinlich war. Dann sagte Vicky: "Ja, dann tanzen die Hexen hoffentlich nur noch auf der Bühne." Maggy drehte den Kopf hin und her. Doch Vicky sah ganz ruhig über die Brüstung nach unten auf den Vorhang.
Erst gingen die Saallichter aus. Dann hob sich der Vorhang. Auf der Bühne erstrahlte eine warme Beleuchtung. Laurentine sah die Musiker im Orchestergraben. Dann ging das Stück los.
Obwohl Laurentine die eigentliche Geschichte kannte war sie angetan, dass diese Geschichte auch anders erzählt werden konnte. Es war den autoren ein Bedürfnis gewesen, zu zeigen, dass angeblich boshafte Taten aus gut gemeinten Vorhaben entspringen konnten. Die Lektion galt nicht nur für Märchenbuchhexen, dachte Laurentine.
Als die große Pause kam und die Gäste den Darstellern und Musikern für ihre bisherige Leistung applaudierten fragte Suzanne Kenworthy ihre Nichte: "Und, gefällt dir dieser Abend?"
"Ja, sehr. Vor allem, dass die Geschichte von Oz auch anders erzählt werden kann gefällt mir", sagte Laurentine. Dann sah sie, wie sich die anderen Damen aus der Loge anschickten, durch die diskrete Zugangstür zu gehen, wohl um den Toilettenraum für Ehrengästinnen aufzusuchen. Laurentine überlegte kurz, ob sie auch raus musste. Weil Vicky ebenfalls aufstand beschloss sie, sich ebenfallszu erleichtern. So verließen auch Tante Suzanne und Hellen ihre Sitzplätze.
Es gab nur vier Kabinen im luxuriösen Wachraum für Damen. Also mussten fünf warten. Laurentine ließ den älteren Damen den Vortritt und stand nun neben der Hexe im roséfarbenen Kleid. Sie fühlte, dass von dieser eine starke Kraft ausging, ein unbeugsames Selbstbewusstsein und eine Überlegenheit, die schon einschüchtern konnte, wenn Laurentine in ihrem Leben nicht schon genug Einschüchterungen erlebt hätte.
"Mrs. Kenworthy, irgendwie ist mir entgangen, dass Sie drei Töchter bekommen haben", fing Maggy wieder davon an, dass sie Suzanne Kenworthy offenbar kannte. Diese sagte nur: "Trösten Sie sich, Mrs. McGiles, die junge Dame ist eine Nichte aus Übersee. Also haben Sie keine aufregende Nachricht verpasst."
"Ach, und dann haben Sie ihr gleich vorgeführt, wie weit die Beziehungen ihres verstorbenen Mannes reichen?" wollte Maggy McGiles wissen. Laurentine hatte nicht übel Lust, dieser neugierigen, ja aufdringlichen Person einen Schweigezauber aufzuhalsen. "Das wusste meine nichte schon vorher, Mrs. McGiles, und ich bin beruhigt, dass sich bestimmte Charaktereigenschaften bei einem Menschen auch nicht von drei Jahrzehnten Lebenszeit erschüttern lassen."
"Ach, die Magret Worthington ist das, die Tochter von Bruno Worthington Iv., dem drittgrößten New Yorker Immobilienmakler", sagte nun Vicky. "Wollte Ihr Herr Vater nicht einen Turm bauen, der den Trump Tower noch weiter überragt, um dem zu zeigen, dass er der wahre große Boss ist?"
"Victoria Louise, bitte nicht auf ihr Niveau abstürzen", herrschte Tante Suzanne ihre ältere Tochter an. Da wandte sich Mrs. McGiles an Laurentine: "Und wie gefällt ihnen die Schokoladenseite von New York bisher, junge Miss?"
Ja, sehr gut. Muss nur aufpassen, davon nicht zu dick zu werden", sagte Laurentine und sah demonstrativ auf Maggys untere Körperhälfte. Ihre Tante erkannte die unausgesprochene Andeutung und sah ihre Nichte ebenso streng an wie Vicky. Doch Vicky und Laurentine grinsten wie zwei Schulmädchen, die gerade einen genialen Streich gespielt oder ihren Traumtypen gesehen hatten.
"Ach, Großbritannien. War ich lange nicht mehr, zu nebelig und regnerisch da, und die Insulaner meinen immer noch, sie beherrschten die Welt. Dabei sind wir das doch", sagte Maggy. Laurentine legte ihr strahlendstes Lächeln auf und sagte: "Das wird meine Englischlehrer freuen, dass sie es wahrhaftig hinbekommen haben, mir eine akzentfreie Aussprache anzuerziehen. Aber ich komme aus Paris in Frankreich, nicht das in Texas", berichtigte Laurentine die Einschätzung der aufdringlich neugierigen Dame.
"Hören Sie mal, ich erkenne doch wo jemand herkommt", sagte Maggy verdrossen. Da fragte die Begleiterin von Ronin Sunnydale auf Französisch mit unverkennbarem provenzalischem Dialekt: "Oh, sie sind aus Paris? Dann dürfte New York Sie nicht so sehr erschüttern wie Leute aus meiner Mutter Region." Laurentine fühlte einen leichten Schauer wegen dieser warmen Altstimme. Dann sagte sie auch auf Französisch: "Ich wohne in Paris. Geboren wurde ich aber im Osten Frankreichs." Die andere nickte ihr erkennend zu. Maggy meinte dann: "Öhm, kann es sein, dass Ihr Auftraggeber Sunnydale bei seinen Dienstleistungswünschen was verwechselt hat?"
"Was bringt Sie darauf, zu denken, er hätte mich bestellt?" fragte die Hexe in Rosé in amerikanischem Englisch. "Ah, verstehe, eine schöne Frau muss ungebildet sein und sich von einem reichen oder mächtigen Mann haushalten lassen und ihm dafür zu Willen sein. Wer immer Ihnen diese Auffassung von unser beider erhabenem Geschlecht beigebracht hat hat sich geirrt. Also legen Sie gütigst diesen Irrglauben ab und vor allem, beschränken Sie sich auf Ihre eigenen Obliegenheiten. Danke."
Laurentine konnte nicht anders als große Achtung vor der Ruhe und Wortgewandtheit dieser Hexe empfinden, obwohl sie auch fühlte, dass die andere sich sehr beherrschen musste, um nicht irgendwas schlimmes anzustellen, was jemand übel bereuen mochte.
"Maggy, du wirst peinlich", kam es aus einer der Kabinen. Dann verließ die Frau des Börsendirektors den diskreten kleinen Raum. Hellen raffte ihr Kleid und eilte los. Maggy McGiles wollte an ihr vorbei. Dabei trat sie auf den Saum ihres Kleides, strauchelte und fing sich gerade noch. Dabei trat sie aber noch fester auf den Saum ihres teuren Abendkleides. Mit einem hässlichen Ratschen riss dieses über die ganze rechte Hälfte auf. Maggy stieß ein völlig undamenhaftes Wort aus und schrillte: "Mein Kleid!" Vicky grinste spöttisch und feixte: "Das ist kapputt."
"Das seh ich, du dummes Balg", schimpfte Maggy. "So kann ich dochnicht zu den anderen zurück." Laurentine sah Maggy und erkannte, dass sie mit ihrer Vermutung, was ihre Leibesfülle anging nicht danebengelegen hatte. "Stimmt, im geschlossenen Kleid sah sie besser aus", dachte sie nur. Doch offenbar dachte das auch die Hexe, die angeblich die Abendbegleitung eines jungen Serienhelden war. Denn sie lächelte verschmitzt.
"Miriam, wie mach ich das jetzt?" zeterte Maggy und deutete auf eine der Kabinen, als wenn die darin sitzende durch die Tür gucken könnte. "Miriam, sag was!"
"Wer sichin gehobener Abendgarderobe nicht bewegen kann sollte nicht so rennen", sagte Tante Suzanne. Vicky grinste breit über diesen unerwünschten Kommentar. Doch auch Laurentine und die blassgoldene Hexe im Rosékleid grinsten schadenfroh. Womöglich dachten beide, dass sie das gehen und laufen in langen Umhängen und Kleidern von Grund auf erlernt hatten. Hätte Laurentine nicht gesehen, dass die andere keinen Zauberstab in der Hand gehalten hätte könnte sie meinen, dass die dieser aufdringlichen und vulgären Frau einen Stolperfluch ans Bein geschossen hatte. "Ich verklage diesen Fadentrickser. Das Kleid sollte reißfest sein."
"Stimmt, müsste draufstehen, reißfest bis hundert Kilo Belastung, für alles darüber entfällt der getestete Garantieanspruch", meinte Vicky mit unüberhörbarer Schadenfreude. Tante Suzanne sah ihre Tochter nun sehr streng anund sagte: "Victoria Louise, bitte entschuldige dich bei dieser ... öhm ... Lady, allein schon um ihr zu zeigen, wie sich eine Lady benehmen muss!"
"Du hast vor "Lady" eine Pause gemacht", stellte Vicky fest. "Also denkst du auch nicht, dass sie eine solche ist. Und da wir in den USA auf jedem Ding die abgedrehtesten Sicherheitss- und Gebrauchshinweise stehen haben halte ich meine Bemerkung nicht für einen Fehltritt, für den ich mich entschuldigen muss, Mom." Das sah Laurentine genauso.
Ich wäre mit dem Riss in die Kabine gegangen und hätte das mal eben mit dem Reparo-Zauber erledigt", dachte Laurentine und machte eine zur Handtasche führende Handbewegung. "Vergeh dich wegen dieser unerträglichen Frau nicht gegen die Gesetze, Schwester!" vernahm sie unvermittelt die Stimme der anderen Hexe in ihrem Kopf. Sie erstarrte und ließ die Hand über der Tasche. Dann erkannte sie, was die andere erkannt hatte. Sie zog die Hand zurück. Hätte sie hier und jetzt echt den Zauberstab rausgeholt? Peinlich! Das Aufschwingen zweier weiterer Kabinentüren erlöste sie aus ihrer Anspannung.
"Die andere Dame hat ganz recht, Maggy, hörte Laurentine die andere Besucherin, die wohl Miriam mit Vornamen hieß. "Dir fehlt es an allen, was dich zu einer anständigen Dame macht, Diskretion, Zurückhaltung, Wortwahl und Geschick im Umgang mit gehobener Garderobe", tadelte sie Maggy, die immer noch damit haderte, dass ihr teures Kleid zerrissen war. Laurentine selbst dachte eher daran, dass die andere Hexe sie anmentiloquiert hatte und dass sie sie als "Schwester" bezeichnet hatte. Dann war das eine von denen? Dann hatte diese Maggy glück, dass die andere ihr nicht echt was übergebraten hatte. Und diese Hexe wusste von ihr, wer sie war. Denn sonst hätte sie sie nicht anmentiloquiert. Vor allem galt es jetzt, bloß nicht weiter aufzufallen und zu hoffen, dass die andere es nur dabei belassen würde, sich mit ihr dieses Musical anzusehen und dann nach wo immer sie herkam zu verschwinden, mit oder ohne den jungen Schauspieler.
Als Laurentine wider aus der Kabine kam waren Maggy und die Dame, die Miriam mit Vornamen hieß nicht zu sehen. Doch Laurentine hörte: "Mach dich nicht so breit, Mag. Ich brauche Bewegungsfreiheit und ..." "Autsch, Mann, Miriam!!" kreischte es aus der Kabine. Tante Suzanne winkte Laurentine Hektisch, sich über ihren äußerlichen Zustand zu vergewissern und dann mit ihr und ihren Töchtern den Toilettentrakt zu verlassen. Wo war die fremde Hexe im Rosékleid? Natürlich, da war ja noch eine Kabine freigeworden. So beeilte sich Laurentine, gesitteten Schrittes hinter ihren Verwandten herzugehen.
Wieder in der Loge trafen sie auf die wartenden Männer. Der Bürgermeister begrüßte Suzanne und sagte, dass er hoffe, dass Mrs. McGiles sie nicht zu sehr belästigt habe. "Der gute Freddy hier schätzt an ihr viele Qualitäten, aber Diskretion gehört nicht wirklich dazu", meinte er noch.
"Ich kenne sie noch von der Oberschule her. Daher war ich nicht so überrascht", erwiderte Tante Suzanne. Dann stellte sie dem Bürgermeister ihre Nichte Laurentine vor. Als dieser hörte, dass sie aus Frankreich kam probierte er seine Französischsprachkenntnisse aus, die zu Laurentines erstaunen ganz ordentlich waren. Dieses lobte sie auch ausdrücklich, nachdem sie einige oberflächliche Sätze gewechselt hatten.
Die Pause ging zu Ende, doch Maggy und Miriam kamen nicht wieder. Deren Ehemänner fragten, was geschehen war. Tante Suzanne berichtete es im sehr dezenter Lautstärke. Einer der Männer lachte laut los, während der andere sehr angestrengt auf die Bühne hinuntersah, wann es denn weiterging.
Der Direktor der Börse betätigte den Rufknopf für die Logenbedienung. Als ein Kellner eintrat erteilte er ihm den Auftrag, eine Kollegin in den VIP-Waschraum für Ladies zu schicken, um sich um Mrs. McGiles zu kümmern. Der Bedienstete nickte und zog sich ohne weiteres Wort zurück. Gerade setzten die Musiker mit dem ersten Stück nach der Pause an. Deshalb widmete Laurentine dem Bühnengeschehen ihre volle Aufmerksamkeit.
Als das Stück vorbei war stellte Laurentine fest, dass Maggy McGiles nicht mehr zurückgekehrt war. Ihre Bekannte oder Freundin Miriam wirkte angespannt und verlegen. Laurentine wagte nicht zu fragen, was passiert war.
"Ich hoffe, Sie hatten wenigstens einen erfreulichen Abend", meinte Maggys Mann zu den anderen Logengästen. Dann eilte er mit Miriam und deren Ehemann hinaus.
"Und, haben Sie jetzt eine andere Meinung von bösen Hexen?" fragte die Dame im roséfarbenen Kleid Laurentine, als sie hinter ihrer Tante herging. "Hängt von den Zielen ab, was als gut und was als böse zu gelten hat", sagte Laurentine schnell. Dann wünschte sie der anderen noch einen angenehmen Abend.
"Das ist eine Aussage, Mademoiselle", sagte die andere Hexe lächelnd. "Noch eine schöne Zeit in dieser bunten, wenn auch zu lauten und verpesteten Stadt", fügte die unheimliche wie überragend schöne Hexe noch hinzu. Laurentine nickte. Dann verließ sie die Loge. Keine ihrer Verwandtenhatte mitbekommen, dass sich hier zwei Bewohner einer Welt getroffen hatten, die für sie nur auf einer Bühne oder im Kino existierte. Eigentlich interessierte es Laurentine schon, wie diese Hexe und der Schauspieler zusammengefunden hatten und ob er dann vielleicht auch ein Zauberer war. Doch sie würde es niemals wagen, sie hier und jetzt danach zu fragen.
"Also, liebe junge Damen, ich hoffe, ihr alle hattet einen erbaulichen Abend und meint jetzt nicht, dass wer Zugang zu gehobenen Kreisen erhält alles sagenund tun darf, schon gar nicht, wenn es eine Frau ist, die als anständige Dame gelten will", holte Tante Suzanne zu einer Moralpredigt aus. Doch Vicky sagte: "Offenbar legt deine ehemalige Schulkameradin Magret keinen Wert darauf, als Dame zu gelten." Laurentine pflichtete ihr in Gedanken bei. Dann dachte sie an die übergewichtige Hexe Phoebe Gildfork, die bei der Quidditchweltmeisterschaft in Millemerveilles dabei war. So ähnlich hatte sich Maggy auch benommen. Doch wer war die andere Hexe? War sie wegen ihr ins Theater gekommen? Was genau wusste sie von ihr? Sie war wenigstens froh, dass sie von der nicht komplett legilimentiert worden war. Aber selbst dann hätte die nicht ergründen können, bei wem Laurentine intensiven Zauberkampfunterricht erhalten hatte.
Wieder war es sehr früh am Morgen. Doch es war New Yorker Zeit. Wie in der Riesenstadt selbst war auch auf dem John-F.-Kennedy-Flughafen auch um diese Zeit reger Betrieb. Laurentine wurde von ihrer Tante Suzanne und deren beiden Töchtern bis zur Abfertigung für Überseeflüge gebracht. "Hoffentlich musst du kein Übergepäck bezahlen, weil du dich von Hellen und Vicky noch zu einem Großeinkauf hast beschwatzen lassen", sagte Tante Suzanne.
"Ich hoffe, dass die mir den Reiserucksack als Handgepäck durchgehen lassen. Da sind die nichtflüssigen und nicht spitzen Sachen drin", sagte Laurentine.
Tatsächlich hatte ihr Koffer drei Kilo mehr als zulässig drauf. Sie zahlte die entsprechend hohe Gebühr ohne mit der Wimper zu zucken. Wer in denStaaten einkaufen ging sollte mindestens mit einem Kilo mehr rechnen, dachte sie.
Während sie durch die Sicherheitsbarriere ging und ihr Handgepäck durchleuchten ließ dachte sie noch einmal an die blassgoldene Hexe im roséfarbenen Kleid. Seit dieser Begegnung hatte sie sich immerirgendwie beobachtet gefühlt. Vielleicht war sie schon vorher beobachtet worden, ohne dass sie es bemerkt hatte. Vielleicht war die andere auch nur überrascht, eine echte Hexe in einem Stück über böse, grüne Hexen und lebende Vogelscheuchen anzutreffen. Aber ihre Gedankenbotschaft und die mit dem Mund gestellte Frage am Schluss der Vorstellung machten ihr Sorgen. Hatte sie wirklich eine der Hexen getroffen, vor denen sie auf der Hut sein sollte? Vielleicht hatte die Fremde eine Gelegenheit gesucht, mit ihr alleine zu sein, um mit ihr zu reden oder sie tatsächlich zu kidnappen. Es wurde offenbar Zeit, dass sie wieder nach Hause kam um es Catherine und wohl auch Julius oder Hera Matine zu erzählen.
"Oh, sie haben viel Sonnenlicht abbekommen, Ms. Hellersdorf", sagte eine Frau in Zolluniform, die sich als Portia Tindale vorstellte. "Ja, ich durfte einige Ihrer berühmten Sonnenstrände besuchen, Ms. Tindale", sagte Laurentine. Dann durfte sie ein sich bei Berührung in ein Ausreiseformular verwandelndes Stück Papier entgegennehmen und ausfüllen. Darin musste sie eidesstattlich versichern, keine magischen Gegenstände oder Tränke aus den USA auszuführen. Sie hoffte inständig, dass ihr niemand genau sowas unterjubeln konnte. Dann wartete sie auf den Rückflug.
Um 06:25 Uhr Ostküstenzeit, zehn Minuten später als angegeben, startete die Boeing 747 in Richtung Europa. Laurentine dachte an ihre Großmutter Monique. Die hatte ihr die Flüge bezahltt. War es echt nötig gewesen, sich auch mit ihr zu überwerfen? Doch wenn sie darüber nachdachte war es die Schuld ihrer Großmutter gewesen. Sie hätte nicht darauf bestehen dürfen, dass Laurentine und ihre Mutter sich vor ihr zum letzten Mal angingen. Onkel Homer würde die Flugscheine erstatten. Also wollte sie ihn und Tante Abby anrufen, wenn sie wieder in Paris war.
Zumindest war sie froh, bald wieder in einen geschützten Bereich zu gelangen. Dass diese blassgoldene Hexe sie als "Schwester" anmentiloquiert hatte machte ihr mehr zu schaffen als wenn die mit einem Zauberstab vor ihr herumgewedelt und ihr gedroht hätte, entweder ihre Befehle zu befolgen oder was ganz übles auferlegt zu bekommen. Sie erkannte, dass sie wirklich im Visier solcher Hexen war, wie es die Spinnenschwestern waren. Am Ende nahm diese Ladonna Montefiori noch persönlich Kontakt mit ihr auf und fackelte nicht lange: "Schwester sein oder tot sein!" würde die dann sicher fordern. Oder würde die ihr den Imperius-Fluch aufhalsen oder was anderes anstellen, um sie zu unterwerfen? Sie war alleine. Sobald sie aus den beiden Schutzbereichen von Millemerveilles und der Rue de Liberation 13 heraus war war sie angreifbar. Sicher, sie konnte sich nun besser wehren. Aber sie würde ihr ganzes Leben darum bangen, ob nicht jemand hinter der nächsten Ecke stand und darauf lauerte, sie abzugreifen oder einen geliebten Menschen zu bedrohen, um sie gefügig zu machen. Sicher sagte es sich leicht, lieber zu sterben als Sklavin zu sein. Doch galt das auch, wenn es darum ging, jemanden sterben zu lassen? sie beschloss, irgendwie Kontakt mit den gemäßigten Hexenorden aufzunehmen, ja über Catherine vielleicht doch eher in die Liga gegen dunkle Künste hineinzukommen. Es war keine Feigheit, nötige Unterstützung zu suchen, wenn es alleine nicht ging, dachte sie zu ihrer eigenen Beruhigung.
In Paris Orly holten Catherine, Claudine und Julius sie ab. Hier war es nun schon halb sieben Abends. Da Laurentine in dieser Nacht gut schlafen wollte hatte sie darauf verzichtet, im Flugzeug zu schlafen.
Claudine war schon ganz hibbelig, weil Laurentine was von "Grüßen aus der Neuen Welt" erzählt hatte. Doch erst als sie alle bei Catherine und Joe in der Wohnung waren erlöste Laurentine die kleine Nachbarin von ihrer tapfer ausgehaltenen Spannung.
Claudine ffreute sich über den bunten Sonnenschirm mit dem Aufdruck "Malibu Beach - Wo die Sonne den Ozean küsst", sowie einen kleinen Plüschseelöwen, der denen ähnelte, die am Pier 39 von San Francisco ihr Quartier hatten, eine CD mit den beliebtesten Liedern aus Hollywoodfilmen einschließlich einer kleinen Nachbildung des beliebten Filmpreises Oscar. Aus Florida hatte sie für Claudine einen aufblasbaren Alligator für Badespaß mitgebracht und für Julius einen Bausatz einer Saturn-V-Rakete im Maßstab 1 : 100. Julius meinte: "Schön, dann kann ich den drei Prinzessinnen und den Kindern aus der Vorbereitungsklasse zeigen, wie Menschen zum Mond fliegen konnten. Aus New York hatte Laurentine Claudine eine kleine Freiheitsstatue und eine CD des von ihr besuchten Musicals mit den Originaldarstellern aus dem Gershwin-Theater mitgebracht. Die gleiche CD hatte sie auch für sich selbst besorgt. Nur Claudines CD war in buntes Packpapier mit auf Besen reitenden Hexen eingeschlagen.
"Ui, könnte mir vorstellen, dass Maman und ich da auch mal hingehen, um uns das anzusehen", meinte Catherine zu dem Musical. "Und ich auch?" fragte Claudine. "Oh, ganz sicher auch du, Claudine", sagte ihre Mutter noch. Dann fügte sie hinzu, dass da sicher auch die eine oder andere wirkliche Hexe außer Laurentine im Publikum sitzen mochte, um zu erfahren, was sich die Muggel neues über bitterböse Hexen ausgedacht hatten.
"Da haben Sie sich aber schwer in Unkosten gestürzt, Mademoiselle Hellersdorf", meinte Catherine, als Claudine die ganzen Geschenke in ihr Zimmer brachte. "Vor allem was Babettes neuen Badeanzug angeht", sagte Laurentine und fischte noch einen in Cellophan eingewickelten Bikini heraus. "Ich habe mir den mit goldenem Unter und blauem Oberteil besorgt und für Babette den mit gepunktetem Oberteil und meergrünem Unterteil."
"Das ist aber mutig, mir, Babettes Mutter, sowas sehr freizügiges zu zeigen", meinte Catherine. Julius meinte dazu: "Stimmt, du könntest der Versuchung erliegen, diesen Hingucker selbst anzuziehen. Millie würde sowas sofort anziehen." Laurentine fischte noch einen Bikini aus ihrem Rucksack. "Apfelgrün ist doch ihre Farbe, richtig?" Julius nickte. "Den gibst du ihr bitte selbst, wenn du sehen willst, ob sie sich freut oder nicht", sagte er.
"Auch wieder wahr", meinte Laurentine. Catherine sagte dann: "Es ist einiges in Europa passiert. Das möchten wir aber erst besprechen, wenn Claudine schläft", flüsterte Catherine.
"Das Einreiseverbot für Italien? Haben die mir in San Francisco freundlicherweise zugeeult", sagte Laurentine leise.
"Ja, und offenbar ganz zurecht. Ein paar vom Miroir Magique wollten es nicht wahrhaben und sind auf Besen nach Rom rüber. Das war vor sieben Tagen. Keine Rückmeldung!" seufzte Julius.
"Verstehe, die hat echt denselben ... Na, alles gut weggepackt, Claudine?" fragte Laurentine. "O Ja. Und die ausgedachte Hexengeschichte höre ich mir morgen nach der Schule an."
"Ach, ich muss mich da ja auch wieder zurückmelden", sagte Laurentine. "Gib mir den entsprechenden Brief für Geneviève mit und ich werf ihn bei ihr ein, bevor ich ins Bett gehe", sagte Julius.
"Ja, und bei Hera solltest du dich auch melden, so braun wie du geworden bist", meinte Catherine. "Keine Sorge, ich hatte anständig deklarierte Sonnenkrauttinktur mit. Noch mal vielen Dank an deine große Freundin aus Australien, Julius", sagte Laurentine.
Sie aßen erst richtig gut zu Abend. Dabei erzählte Laurentine noch mal alles, was sie vor Kinderohren erzählen konnte. Dazu gehörte nicht, was nach dem Geburtstag ihrer Oma passiert war und auch nicht, dass sie beim Musical-Besuch eine andere Hexe getroffen hatte. Diese beiden für sie so heftigen Erlebnisse erwähnte sie erst, als Claudine bettfertig in ihrem Zimmer verschwunden war und sie sich im Dauerklangkerker-Arbeitszimmer Catherines zusammensetzen konnten. Als Catherine und Julius das mit Laurentines Mutter und die Überreaktion ihrer Großmutter erfuhren sahen sie sie bedauernd an. "Tja, nicht immer heilt ein Familienfest alte Wunden. Das musste ich auch schon lernen", sagte Catherine. Als Laurentine dann erwähnte, dass noch eine andere Hexe in der Ehrenloge gesessen hatte und diese genau beschrieb, was Aussehen und Stimme anging konnte sie Catherine und Julius ansehen, dass sie sehr um ihre Selbstbeherrschung kämpfen mussten. "Dann haben die dich doch beobachtet, diese fragwürdigen Frauenzimmer", sagte Catherine. Julius nickte. "Hast du echt gedacht, Catherine, nur wir müssten aufpassen, was von uns an die weitergeleitet wird?" fragte Julius. Das bestätigte Laurentines dunkle Befürchtungen. Sie fragte: "Kennt ihr die also? Ist das eine von diesen Spinnenschwestern?"
"Gut, wir verraten dir kein S0-Geheimnis, wenn wir sagen, dass es nicht irgendeine von denen war, sondern die eine von denen. Entweder wollte die selbst sehen, was Muggeldichter so über böse Hexen verzapft haben oder hat echt deine Nähe gesucht, nachdem ihr ihre lieben Mitschwestern brav gemeldet haben, dass du in den Staaten unterwegs warst und wo da genau. Die haben Harvey-Besen, die sich und ihre Reiter unsichtbar machen."
"O Mann, dann hat die echt mit mir anzubandeln versucht", sagte Laurentine. Julius feixte nur: "Tja, willkommen im Club derer, die sie mal persönlich getroffen haben und nicht von ihr einkassiert oder umgebracht wurden."
"Ja, aber die war mit einem jungen Fernsehschauspieler zusammen da. Hat die den vorher irgendwie bezirzt oder was?" fragte Laurentine. "Möglich ist das", sagte Catherine. "Sie ist durchtriebener als Riddle und Vengor. Die droht nicht gleich, wenn es auch anders geht. Abgesehen davon scheint sie aus den ganzen Machtergreifungsversuchen Riddles und Vengors gelernt zu haben, dass nur Angst und Tod zu verbreiten selbst den Tod bringt."
"Den Eindruck habe ich mittlerweile auch", sagte Julius. "Die macht das anders. Deshalb hat die dich wohl nur kurz angesehen."
"Und anmentiloquiert. Sie hat mich in Gedanken als Schwester bezeichnet. Huaaar, hat die mich echt auf der Liste?"
"Laurentine, die würde auch mich als Schwester ansprechen, weil ich genau wie sie eine Hexe bin", versuchte Catherine zu beruhigen. Das klappte aber nicht so, wie sie sich das vorstellte. Julius verhielt sich ganz still.
"Vielleicht sollte ich in den Ferien noch mal mit dir darüber sprechen, wie ich mich vor diesen Leuten noch besser absichern kann", sagte Laurentine. Catherine sah sie einen Moment tadelnd an. Natürlich wusste sie, dass Laurentine sich schon einer anderen anvertraut hatte, statt gleich zu ihr zu gehen.
"Also, wenn sie noch so ticken würde wie Sardonia hätte sie dich garantiert bei einem Ausflug abgefischt und alle anderen vergessen gemacht, dich gesehen zu haben", sagte Julius. Das wiederum beruhigte Laurentine, weil das nicht passiert war. Sich vorzustellen, dass es jederzeit hätte passieren können besorgte sie allerdings wieder.
"So ähnlich dürfte sie auch den jungen Mann behext haben, der im festen Glauben, eine interessante, vielleicht auch erotische Abendbegleitung gewonnen zu haben, mit ihr in das Musical gegangen ist." Julius nickte wild. "Das passt zu der, von der sie wohl eine Menge übernommen hat oder der sie unterworfen wurde, je nach Sichtweise." "Und wie haben die anderen reagiert, als sie sie sahen?" fragte er noch. Laurentine erwähnte nun was passiert war und auch den Zwischenfall mit Maggy McGiles' Abendkleid und dass sie deshalb nicht mehr in die Loge zurückgekommen war. "O, dann hat die Spinnendame der wohl ein Bein gestellt, damit die ihr loses Lästermaul hält. Kann die von Glück reden, dass es nur ihr Kleid erwischt hat."
"Die hat der kein Bein gestellt. Die andere ist losgegangen, gestolpert und hat dann auf ihr Kleid getreten", widerholte Laurentine. "Die frau kann Telekinese", sagte Julius. Bums! Das saß! Natürlich konnte sie damit jemanden stolpern oder ein scheinbar reißfestes Kleid aufreißen lassen.
"Öhm, besser ist es, Laurentine, wenn du diese Begegnung vor Geneviève oder anderen aus Millemerveilles unerwähnt lässt", sagte Catherine. "Du hattest einen schönen Urlaub in den Staaten, hast viele interessante Sachen gesehen und gehört und auch schon mal Sommerbräune abbekommen. Mehr brauchen die anderen nicht zu wissen."
Laurentine nickte. Doch Hera würde sie diese Begegnung erzählen, weil diese sie ja darauf gebracht hatte, sich besser vorzubereiten. Vor allem wollte sie fragen, ob sie noch mal bei Louiselle anfragen konnte, was weitere Stunden anging, sollte es mit Catherine nicht klappen.
Als sie um halb zwölf mitteleuropäischer Sommerzeit ihre Wohnung betrat grüßte ein bunt bemalter Zettel auf dem Küchentisch. Sie las:
Hallo Laurentine, ich hoffe, du hast erholsame Ferientage gehabt. Claudine und ich haben deinen Kater gefüttert, seine Toilette gewartet und zwischendurch mit ihm gespielt. Sicher freut er sich, wenn du wieder zu Hause bist.
Grüße von Catherine und Claudine
Tatsächlich kam Max aus dem offenen Wohnzimmer angeschlichen, als sie sich noch Wasser nahm. "Ich bin auch wieder zu Hause", sagte sie, als sie ihn auf den Knien wiegte und er genüsslich schnurrte.
Als sie in ihrem eigenen Bett lag fühlte sie sich etwas traurig. Sie würde nicht mehr mit ihren Eltern sprechen oder denen schreiben können. Das war, als wenn sie ihr gesagt hätten, dass sie sichin ihr Auto setzen und irgendwo gegenfahren würden. Andererseits hatte sie ja nun ihr eigenes Leben, und da waren Leute wie Catherine, Claudine und Julius, womöglich auch Millie und ihre drei Kinder, Céline, Belisama, Sandrine. Sie war nicht allein. Doch die alle waren in Gefahr, wenn jemand wie die Spinnenschwester fand, sie mit Gewalt in ihre Reihen herüberzuholen. Die konnte Sachen mit reiner Gedankenkraft bewegen und verformen, wie die Mutanten aus der früheren Lieblingsheftserie ihres Vaters. Sie musste sich Rückendeckung besorgen, dieser einen Hexe zeigen, dass sie nicht schutzlos war. Aber das ging nur bei der Liga gegen dunkle Künste oder den schweigsamen Schwestern. Doch welchen Preis würden diese Gruppen von ihr verlangen? Der war aber sicher nicht so hoch wie die dauernde Angst um sich und vor allem die Leute, die ihr wichtig waren, wie unter anderem auch Tante Suzanne und ihre Töchter, die überhaupt keinen Schimmer davon hatten, in welcher Welt Laurentine wirklich lebte.
Millie wirkte sehr ernstt. Selbst das Spielen mit den beiden großen Mädchen ließ sie im Moment nicht wirklich glücklich aussehen. Julius fürchtete schon, es sei was schlimmes in der Familie passiert, wo er nach Ladonnas großem Fluch jeden Tag damit rechnen musste, dass die dunkle Königin ihre äußeren Feinde angreifen würde.
Beim Abendessensahen sie und Béatrice sich immerwieder an, womöglich mentiloquierten sie sogar miteinander. Julius wollte nicht nachbohren, wo die Kinder dabei waren. Hatte Béatrice ihr vielleicht eine betrübliche Diagnose gestellt? Doch er traute sich nicht zu fragen. Denn wenn er in Millies rehbraune Augen sah sah er nur eine irgendwie angespannte, aber doch sehr entschlossene Hexe, nicht das wilde Mädchen, die fröhliche und hingebungsvolle Mutter, die leidenschaftliche Geliebte oder auch die strenge Ehefrau und Mutter. Doch, von der Strenge war ein wenig zu sehen, im Sinne von "Ich mache das so." Im Moment wünschte er sich, nur für eine Minute mit ihr über die Herzanhänger verbunden zu sein. Doch Béatrice hielt die beiden magischenSchmuckstücke unter Verschluss, weil er mit Léto diesen Vertrag ausgehandelt hatte und Millie nach Clarimondes Geburtstag nach Khalakatan zu Kailishaia wollte.
Auch Aurore und Chrysope fühlten, dass ihre Maman heute nicht so fröhlich war. Die beiden Mädchen waren auf der Hut, ob sie gleich schimpfen würde. Doch selbst als Chrysope ihren Fruchtsaftbecher umgestoßen hatte schimpfte sie nicht, sondern sah sie nur an und sagte: "Ja, jetzt ist kein Saft mehr drin. Dein Pech." Julius beseitigte das Unglück und füllte Chrysies Becher nach.
Millie und Béatrice ließen ihn mit den beiden größeren spielen. Irgendwas besprachendie, ohne dass er dabei war. Das sie im Moment keine Söhne von ihm bekommen konnte wussten sie doch schon länger. Doch das hatte sie mit der Gewissheit verdaut, dass sie ja noch ein Jahr hatten, um einen Weg zu finden. Konnte sie am Ende überhaupt keine Kinder mehr bekommen wegen der Bezauberung des Hauses, wegen des Kampfes gegen Sardonias bösen Geisterverbund? Mann, er wollte endlich wissen, was los war. Doch solange da zwei quirlige Mädchen waren musste er der Papa sein, der mitlachen konnte, aber auch mal ein strenges "Nein, Chrysie!" aussprechen musste.
Erst als die Gutenachtzeit war kam Millie zu ihm und sang mit ihmAurores derzeitiges Lieblingsschlaflied. Auch Chrysope war endlich müde genug, um nicht mehr dagegen anwuselnund anquängeln zu können. Als beide schliefen winkte Millie ihrem Mann sehr auffordernd, ihr zu folgen.
Sie betraten die Bibliothek. Millie ging an den mit Blutsiegelzauber gesicherten Schrank. Sie öffnete den Schrank. Julius sah die wertvollsten Gegenstände im Schrank: Die in ihrer Conservatempusschatulle liegende Zauberflöte Ailanorars, das magische Feuerkleid Kailishaias, den in der Festung des alten Wissens erhaltenen,kugelrunden Lotsenstein und das granitene Becken mit dem silberweiß leuchtenden Inhalt, das von Julius während der drei Monate mit Madame Maxime hergestellte Denkarium. Ohne ein Wort zu sagen holte Millie das Denkarium aus dem Schrank und stellte es so, dass wer wollte Erinnerungen hineingeben oder bereits darin enthaltene von außen oder per Direktbetrachtung nacherleben konnte. Dann zog sie aus einer Tasche ihres tannengrünen Rockes eine kleine Glasphiole. Julius erkannte sofort, dass in der Phiole dieselbe silberweiße Substanz leuchtete wie im Denkarium. Die Phiole enthielt eine ausgelagerte Erinnerung.
"Ich habe dir versprochen, dir diesen einen Albtraum zu zeigen, der mich in der Nacht zum achtundzwanzigsten Mai so heftig erwischt hat", sagte Millie. "Ich wusste da schon, dass ich ihn dir erst zeigen durfte, wenn du deinen Kopf frei genug hast für das, was der Traum zeigt und das, was deshalb zu tun ist. Ich wusste nicht, wie heftig es sein kann. Ich dachte, wir kriegen das hin, und so ernst kann es nicht gemeint sein. Aber zuerst sieh ihn dir an, bitte ganz bis zum Ende! Du musst alles mitkriegen, was ich auch mitkriegen musste", sagte Millie, während sie die Phiole öffnete und den Inhalt achtsam und vollständig in die bereits im Erinnerungssammelbecken vermengten Erlebnisse und Träume von ihnen beiden und aus der Gründerzeit von Beauxbatons umfüllte. Er sah, wie die weder flüssige noch gasförmige Substanz sich veränderte. Er sah seine Frau in einem weißgoldenen Licht schweben, einem Licht, dass er all zu gut kannte. Die damit verbundene Erinnerung hatte er ebenso in das Denkarium eingefüllt. "Los, Kopf rein und alles bis zur letzten Sekunde mitkriegen!" zischte Millie, während sie die Phiole in ihre Rocktasche zurücksteckte und mit der anderen Hand nach Julius oberkörper langte. Er fühlte, wie sie ihn auf das Denkarium zustieß. Er fühlte, dass sie entschlossen war, ihn sogar mit Gewalt dort hineinzutreiben. Was war mit ihr los? Doch ehe er diese Frage an sie stellen konnte tauchte sein Kopf bereits in das Denkarium ein.
Er kannte das schon. Erst fiel er durch einen schwarzen Schacht. Doch dann schwebte er neben seiner Frau, die gerade völlig Nackt war und von innen her leuchtete. "Mildrid, Tochter der Hippolyte, Tochter der Ursuline, Tochter der Barbara", hörte er aus allen Richtungen eine Frauenstimme, die er kannte: Nicht Ammayamiria, nicht Temmie, sondern Ashtaria. "Ammayamiria, bist du das. Bin ich wieder in dir drin?" hörte er Millie mit langem Nachhall rufen. Er erkannte ihre Stimme, sah auch, wie sie den Mund bewegte. Doch er hörte ihre Worte von allen seiten.
"Ich bin die Mutter Ammayamirias und ihres Zwillingsbruders Ashtardaisirian", antwortete Ashtarias den ganzen Raum ausfüllende Stimme. "Ashtaria?" fragte Millies Stimme. "Eben jene. Ich nahm auch dich in mich auf, denn es kann nicht sein, dass das von den sich Töchter der Himmelsschwester nennenden geknüpfte Band verhindert, was zu tun nötig ist. Deshalb sieh,höre, erlebe und verstehe. Und wage es nicht, dich dem zu entwinden, sonst wirst du eins mit mir für alle Zeit!" Julius erschauerte innerlich. Ashtaria drohte seiner Frau. Sie hatte auch ihm nur einmal gedroht, dass wenn er ihre mächtige Formel noch einmal ausrufen müsse, sie ihn für immer in sich aufnehmen und einschließen würde. Das war bei der Sache mit den rachsüchtigen Geistervierlingen.
"Ich träume dich nur. Du kannst mich nicht in dich aufnehmen. Ich habe nicht dein Schmuckstück und auch nichts von deinem Blut in mir", begehrte Millie auf.
"Jetzt nicht. Doch von Ashtardaisirian empfingst du drei Töchter. In jeder steckte auch seinBlut, dass währen der Reifezeit in deinem Leibe auch durch dich strömte. Deshalb kann ich dich jetzt auch in mir tragen. Du wirst sehen, was du sehen sollst oder ganz und gar in mir aufgehen, mit allem Wissen und können. Wage nicht um Hilfe zu rufen, oder nach dem ersten Wort wirst du mit mir vereint sein für immer und ewig." Das klang nicht mehr nach einer gütigen übernatürlichen Himmelserscheinung, dachte Julius. "Was willst du mir zeigen?" fragte Millie nun doch ziemlich eingeschüchtert.
"Was euch bevorsteht, und was ihr abzuhalten oder zu verhüten habt. Sei bereit und erlebe das, was ich dir zeige! Oder ich nehme dich ganz und gar zu mir", erwiderte Ashtaria und wiederholte ihre Drohung.
"Julius, mein Mann, er wird mich vermissen", stieß Millie nun nicht mehr wie eine entschlossene Frau, sondern wie ein ängstliches Mädchen klingend aus.
"Wird er das? Woher weißt du, dass ich nicht auch ihnn zu mir zurückholen werde, weil er sich seiner Aufgabe nicht gestellt hat?" entgegnete Ashtarias den ganzen Raum erfüllende Stimme.
"Wir wissen, dass wir im Moment nur Töchter kriegen können. Die Mondtöchter haben uns das gesagt und meine Tante ..", setzte Millie an. "Ich wusste das schon seit der Stunde, als er und die anderen von mir ergriffen wurden, weil einer meiner Söhne erloschen war. Ich wweiß auch, dass er sich nur dir versprochen hat. Doch die von einem gedungenen Mörder aus lauter Gewinnsucht gerissene Wunde, sie muss wieder heilen. Es müssen wieder sieben auf der Welt sein, zwei Töchter und fünf Söhne. Jetzt erfahre, warum ich darauf bestehenmuss, dass es geschieht. Sieh und höre, erkenne und verstehe! Rufst du um Hilfe, so helfe ich dir, indem ich dich aus eurer Welt heraushebe und dich in meinem ganzen Sein aufgehen lasse."
Julius wollte sich in den Arm kneifen. Da stellte er fest, dass er keinen festen Körper hatte. Er war ein aus sich heraus weißgolden leuchtender Geist, umflossen von einer ganz dünnen smaragdgrünen Aura, der Aura Madrashainorians. Da begriff er, dass er im Moment so beschaffen war wie Millie. Dann verschwand um sie beide herum das weißgoldene Licht. Auch das innere Leuchten von ihm und Millie verschwand. Jetzt wirkten sie nur noch halbwegs vorhanden, gerade so als Mann und Frau erkennbar. Doch wo und wann waren sie jetzt?
Sie schwebten in einer von elektrischen Laternen beleuchteten Straße. Er hörte das scheinbar weit entfernte Rauschen und summen vieler Autos. Sie waren in einer Großstadt, Paris, London, New York? Doch warum war die Straße so leer? Dann sah er sie kommen, mehr als zehn nachtschwarze Wesen mit blau leuchtendenAugen. Sie glitten nach links und nach rechts auf die Häuser zu. Einer der Unheimlichen fand eine unverhüllte Fensterscheibe und glitt durch diese hindurch wie durch Luft. "Dringt in alle Häuser, Bringt mir die Seelen der Bewohner, auf dass sie meine Kinder werden", ddröhnte eine Stimme von oben, womöglich die einer übergroßen Frau. Millie starrte nach oben und erschrak so sehr, dass ihre gespensterhafte Erscheinung flackerte. Julius wollte wissen, was da oben war und sah selbst hoch.
Wohl weil er schon mit diesem Anblick gerechnet hatte erschrak er nicht so sehr, als er die viele viele Meter große, nachtschwarze Frauengestalt sah, die mit Augen groß wie LKW-Räder und so blau wie von innen leuchtendes Eis herunterblickte. Er sah lange,schlauchartige Gebilde, die sich von ihrem Kopf fortschlängelten, ohne nach unten durchzuhängen. Für dieses unheimliche Geschöpf gab es keine Schwerkraft.
Zwei Laternen gingen aus. Dann erlosch der ganze Straßenzug. Aus den Häusern drangen dumpfe Schreie, die dann lauter wurden, als die durch die nicht verhülltenFensterscheiben eindringenden kleinen Schatten herauskamen, in ihren lichtundurchlässigen Händen eine flimmernde, silberfarbige Essenz, aus der angstvolle Schreie drangen. Dann sah Julius, dass die Schatten ihre Beute nach vorne von sich schleuderten. "Kommt zu mir! Wachst in mir!" drang nun wieder die Stimme der unheimlichen Schattenrisin durch die Straße. Julius sah, wie die silbrigen Dunsterscheinungen laut aufschreiend auf die Riesengestalt zuflogen. Doch sie zielten nicht auf ihren Kopf, sondern auf ihren nachtschwarzen Unterleib. Dort hinein drängten sie. Weitere Schatten tauchten aus den Häusern auf. In der Ferne kreischten Bremsen, quietschten Autoreifen, krachte Blech gegenBlech oder Blech gegen Stein. Die Dunkelheit wurde immer dichter. Dennoch sahen Millie und so auch Julius, wie die kleinen Schatten ihrer Übermutter oder Königin weitere silberne, schreiende und wimmernde Lebenseinheiten, aus ihrenKörperngerissene Seelen, zutrieben, damit diese im Leib der Schattenriesin verschwanden, während sie ihre beiden durchdringenden Befehle rief: "Kommt zu mir! Wachst in mir!" Dieses monströse Ungetüm aus reiner Nacht empfing die aus ihren lebenden Körpern entrissenen Seelen, um sie zu ihren neuen Kindern werden zu lassen. Davon hatte er doch schon mal gehört. Ja, die neue Nachtschattenkönigin. Doch hatten sie ihm nicht erzählt, die wäre nur sechs Meter groß? Das Seelen in sich hineinsaugende Ungeheuer war bald an die dreißig Meter groß. Gut, er hatte selbst schon eine größere Ungeheuerlichkeit zu sehen bekommen als die da. Aber diese da nahm entkörperte Menschen in sich auf, um sie zu ihren verdorbenen Kindern werden zu lassen. Sicher würde sie sie irgendwann als Ihresgleichen wiedergebären, als solche wie die, die ihr gerade neue Nachkommen zutrieben, die das eigentlich nicht sein wollten. Julius bangte, dass der Riesenwuchs dieses wahrhaftigen Albtraumwesens von den ihr zugetriebenen Seelen kam. Doch sie wuchs nicht weiter. Er hörte nur, wie die in sie hineingeratenden Seelen dumpf und klagend klangen. Dann sah er noch eine Schreckensgestalt, obwohl es dunkel war.
"Gebärgierige Dirne, die da sind mein, nur mein!" rief das etwa zehn Meter große, ebenfalls nachtschwarze Geschöpf, dessen Augen jedoch nicht blau leuchteten, sondern violett. Jetzt konnte Julius auch erkennen, dass dieses Wesen männliche Geschlechtsmerkmale besaß. Es war kein rein zweidimensionales Unwesen, sondern genauso räumlich wie die riesenhafte Ungeheuerlichkeit über ihnen, die er nun auch als Frauengestalt aus verstofflichter Nachtschwärze erkennen mochte. Er sah Millie, die wie gebannt über der Straße schwebte und der Begegnung der beiden Schattenmonster zusah.
"Heh, Unweib, ich habe dir gesagt, lass die. Das sind meine. Ich muss noch wachsen, ich, Kahanaantorian, der König aller Geister, Erbe des größten."
Julius erschauerte. Kahanaantorian, rastlose Seele, unruhiger Geist oder Geist der Unrast. Wieso träumte Millie von so einem Schattendämonen? Wenn das hier alles echt von Ashtaria war, wie kam die auf dieses Gespenst?
"Um zu gebären brauche ich keinen König. Ich bin die wahre Königin der Nacht, auch wenn du ehemaliger Knecht eines irrwitzigen Spiegelmachers meinst, ihn beerbt zu haben", dröhnte die Stimme der riesenhaften Schattenfrau. Kahanaantorian sprang vor und fing eine der gerade ziellos durch die Luft dümpelnden silbernen Lichtgebilde. Mit einem lauten Aufschrei erlosch dieses. Kahanaantorian erbebte und wurde ein winziges Stück größer. "Jaaaa, so muss es sein, bei allen Teufeln aus allen sieben Höllen!" rief der Männliche Schattenriese. "Also geh auf und lass mir auch die anderen, oder ich puhle sie aus dir wie den Kern aus der Dattel!" drohte Kahanaantorian. Da sausten kleinere schwarze Schatten heran und stürzten sich auf den Eindringling. Dieser versuchte, sie zu verschlingen. Doch sie entwanden sich ihn und entrissen ihm dafür etwas. Er wurde wieder kleiner. "Du willst ein König sein, dann werd erst mal ein Prinz", lachte die Schattenriesin, während ihre bereits entschlüpften Ausgeburten dem anderen weitere Stücke aus seinem Schattendasein rissen. Sie zerfetzten ihn jedoch nicht, sie schrumpften ihn ein. Er entwand sich mit letzter Kraft und verschwand übergangslos im nichts. ""Wir konnten ihn nicht festhalten, Mutter", jammerte einer der Schatten mit einer Stimme wie aus einem langen Tunnel.
"Ihr habt ihn verjagt. Doch er wird sich wieder mästen an denen, die ihr mir nicht früh genug bringt. Doch heute habe ich genug neue Kinder empfangen. Von hier fort" Mit diesen Worten verschwand die Riesin mit einem vernehmlichen Donnerschlag. Die anderen Schatten verschwanden auch, aber ganz geräuschlos. Klar, sie bestanden nicht aus festem Stoff und verdrängten deshalb keine Luft, die beim Verschwinden in das entstehende Vakuum zurückstürzte. Doch die Riesin, ihrer aller Mutter, musste was feststoffliches an oder in sich haben. Natürlich, jenes Ding, was Vengor ganz unbeabsichtigt erschaffen hatte von dem Albertine Steinbeißer berichtet hatte. Julius erkannte die Zusammenhänge, wusste, was er da mit ansehen musste. Aber Millie, die das alles als einen schrecklichen Traum durchlebt hatte, sie hatte nur gehört, dass es diese neue Schattenkönigin gab. Doch von einem Kahanaantorian hatten beide bis dahin nichts gehört. Er sollte von dem Spiegelmacher sein? War damit Iaxathan gemeint?
Die Häuser erzitterten. Dann krachten sie zusammen. Unvermittelt schwebten Millie und er in einem tropischen Urwald. Dort sahen beide, wie vier nackte Frauen gegen ein baumhohes Ungeheuer ankämpften, das halb Frau und halb Dschungelbaum war. "Du bist nicht wirklich und wirst in das Reich der Erfindungen zurückkehren, wo du hingehörst", rief eine Frau. Julius erschauerte nun doch. Das war doch die Stimme von Hallitti. Dann sah er noch zwei, die er kannte, Itoluhila mit ihren schwarzblauen Haaren und ihrer milchkaffeefarbenen Haut und Ullituhilia, die überirdisch schöne Frau mit der bronzefarbenen Haut und den dunkelbraunen, fast schwarzen Haaren. Wenn die dritte Hallitti war, dann sah sie jetzt anders aus. Sie hatte eine samtbraune Hautfarbe und blutrotes Kraushaar, dass ihr bis auf die Schultern fiel. "Friss das dunkle Feuer, falsche Schwester!" hörte er sie rufen. Dann sah er, wie sie eine flackernde Kugel aus dunklen Flammen nach dem Hybrid aus Baum und Frau warf. Da schrumpfte das Urwaldungeheuer blitzartig zusammen. Die Feuerkugel flog durch leere Luft und krachte in einen anderen, natürlichen Urwaldriesen. Mit lautem Krachen und Prasseln zerbarst dieser in den schwarzen Flammen, die die pflanzliche Lebenskraft als Quelle nutzten. Doch weil es ebennur eine Pflanze und kein tierisches oder gar magisches Wesen war, breitete sich das dunkle Feuer nicht so plötzlich aus, wie es seine schreckliche Natur war. Doch es schien Zeit zu haben. Es suchte und fand lebendes Grün und wuchs dabei prasselnd und knackend an.
"Wo ist sie hin, die falsche Schwester?" rief Hallitti. Dann sah sie nach unten. "Ah, da ist sie", knurrte sie und zielte. Da wurde sie von zwei Lianen gepackt und weggerissen. Ihr weiterer Feuerball schwirrte weit weit nach oben in die turmhohen Wipfel der hier wwachsenden Bäume. Da schoss vor der gefesselten Hallitti eine weitere, braungetönte Gestalt mit blattgrünen Augen empor, wurde größer und größer. Mit einer Hand hieb sie kräftig nach Ullituhilia, die gerade einen Erdzauber ausführen wollte. Die Tochter des schwarzen felsens flog davon. Dann packte die immernoch wachsende Monsterfrau die, die wie Hallitti aussah. Es ging so schnell, dass Julius es kaum verfolgen konnte. Die neuverkörperte Tochter des dunklen Feuers wurde von der nun wider riesenhaften Frauengestalt in den Mund gesteckt und mit rhythmischem Pulsieren ihrer Halsmuskeln hinuntergeschluckt. "Da wirst du jetzt bleiben, kleine Feuerspielerin. Denn solange das, was mich in der Welt hält besteht, bestehe auch ich weiter", lachte die andere. "Dafür mache ich dich fertig", hörte Julius die Stimme der lebendig verschlungenen. "Moment, das nützt dir nichts. Meine Kraft ist die aus vielen hundert Bäumen. Du kannst mich nicht verbrennen, sondern nur dich, nur dich!" rief die baumhohe Frauengestalt, während ihr Bauch erbebte. Dann hörte Julius einen lauten Aufschrei. Die andere lachte. Dann wischte sie einmal mit der Hand durch die Luft, und die schwarzen Flammen erloschen. "Danke für diese großzügige Gabe, ehemalige Schwester", hörte Julius die Siegerin triumphieren. Da wusste er, dass sie Hallittis neuen Körper zerstört und ihre ganze Kraft in sich aufgenommen hatte. Ullituhilia und Itoluhila versuchten noch einmal, sie anzugreifen. Da warf sie nun dunkles Feuer nach dem beiden Schwestern. Sie wurden voll getroffen und brannten in den nachtschwarzen Flammen. "Bald bin ich die eine, die einzige!" rief die Riesin, während sie sah, wie die beiden sonst so tödlich gefährlichen Abgrundsschwestern verbrannten. Sie sog den aus den shwarzen Flammen entströmenden Qualm in sich auf.
Da erschinen drei Menschen aus dem Nichts, eingehüllt von silbernem Licht. Julius erstarrte. Die Schrecken bisher hatte er ja noch als reinen Albtraum Millies abtun können. Doch was jetzt zu sehen war setzte ihm zu. Er sah Camille Dusoleil in einem langen, blattgrünen Kleid. Doch ihr einst schwarzes, leicht gewelltes Haar, war dünn und schneeweiß. So hatte nicht einmal ihre Mutter Aurélie ausgesehen, als Julius sie kennengelernt hatte. Der zweite Mensch war ein Mann, der einen kahlen kopf hatte und einen silbernen Backenbart trug. Er sah aus wie Adrian Moonriver, viele Jahrzehnte später. Der dritte Mensch war ein Mann mit weißem Haar, der so aussah wie Julius vergreister Vater in Hallittis Höhle. Dann hörte er auch dessen Stimme und wusste, es war nicht sein Vater.
"Endlich haben wir dich gefunden, Pflanzendämonin. Auch wenn wir uns endgültig verausgaben, dich machen wir noch fertig", hörte er den sagen, der er selbst war. Dann sah er, wie die drei silberne Sterne freizogen. Seit wann hatte er, Julius, einen Heilsstern? Sie riefen die mächtige Formel Ashtarias. Doch es klang erschöpft, röchelnd und von altersgebrochenen Stimmen schnarrend. Tatsächlich erstrahlten die drei Silbersterne heller und heller, verbanden ihr Licht. "Ihr vollidioten! Ihr gebt euer kurzes Leben, nur um mich ..." Dann lösten sich die Baumfrau und die drei Menschen im goldenen Flackerlicht auf. Es erstrahlte einige Sekunden. Dann erlosch es. schwarze, unförmige Gebilde an verkohlt wirkendenKetten fielen zu Boden. Bleiche Knochen fielen klappernd zu boden. Die wie verrostet wirkendenMetallklumpen zersprangenbeimAufschlag zu schwarzemStaub. Julius starrte auf die drei Knochenhaufen. Einer davon war er selbst gewesen. Er hörte Millie wimmern und weinen. Ja, er sah die durchsichtigen Tränen über das geisterhaft durchsichtige Gesicht seiner Frau rinnen. Sie hatte mit ansehen müssen, wie er als uralter Mann zum letzten Mal im Leben gegen eine Kreatur der dunklenMacht gekämpft hatte. Zwar hatten sie dieses Ungeheuer vernichtet, doch dabei auch all ihr Leben ausgehaucht, bis über zehn Jahre des Todes hinweg. Und die drei Heilssterne waren dabei ebenfalls endgültig ausgebrannt.
Jetzt hörte Julius in der Ferne ein irrwitziges Lachen. "Endlich wieder Frei!" rief eine überglückliche Frauenstimme. "Ja, ich bin wieder frei! Ja, schön, meinne Schwestern, kommt zu Mami in den warmen Schoß. Vielleicht bringe ich euch ja wieder auf die Welt zurück. Aber erst mal hol ich mir mein Recht zurück, die wahre Herrin des Lebens und der Zeit zu sein."
Er sah eine blonde Frau, die er ebenfalls schon mal gesehen hatte: Errithalaia, die Tochter der fliehenden Zeit. Sie sah aus wie im neunten Monat oder mit Mehrlingen schwanger. Und die Ungeborenen stießn und traten um sich. Doch das machte der anderen nichts aus. Sie trat auf die gebleichtenKnochen der drei Kinder Ashtarias. "Ihr habt mich wieder befreit, habt die falsche Schwester ausgelöscht und die von ihr entkörperten Schwestern von mir für mich freigesetzt. Danke schön!!" rief Errithalaia mit triefendem Spott und lachte irrwitzig. "Und jetzt zu unserer Mutter, damit sieund ich wieder einns werden", hörte er sie denken.
Die Umgebung wechselte. Unvermittelt stand die wiedererwachte Tochter der fliehenden Zeit in Mitten menschengroßer roter Ameisenwesen, die sofort auf sie losgingen. Doch sie schleuderte dunkles Feuer nach ihnen. Doch dieses wirkte nicht. Es floss von ihnen ab, obwohl die doch wohl mit Magie getränkt waren. "Ah, kleines, böses Mädchen. Es war mir klar, dass du sofort zu mir hinkommen würdest, wenn jemand so dumm ist, die falsche Schwester vollständig zu vernichten", dröhnte eine weitere Frauenstimme. Dann sah er, wohl weil Millie sie sah, eine mehrere Meter große, geflügelte rote Ameise, eine wahrhaftige Königin dieser Kerbtier-Ungeheuer.
"Mutter Lahilliota, es ist Zeit, dass wir zwei wieder eins werden", rief die hochschwanger aussehende Abgrundstochter. "Eher zerreißen wir dich von innen", hörte er Hallittis dumpfe Stimme. Dann hörte er wieder die dröhnende Stimme der Ameisenkönigin. "Ja, es wird zeit, dass wir zwei wieder eins werden. Eine muss in die Andere. Die beiden langen, behaarten Antennen der Ameisenkönigin peitschten vor. Blitzartig sprang sie mit laut tosenden Flügeln auf Errithalaia zu, die versuchte irgendeinen Zeittrick anzuwenden. Doch es geschah nichts, außer, dass sie selbst immer kleiner wurde. "Die Tränen der Ewigkeit spiegeln das Leben und den Tod!" lachte die Ameisenkönigin, während Errithalaia und ihre Ungeborenen Ex-Schwestern noch kleiner wurden. Dann schnappten die monströsen Mandibeln der Ameisenkönigin zu.
"Ich habe sie gewarnt, sich nicht darauf einzulassen. Bald wird sie und ihr aus sich geborenes Volk alles zerstört haben, was auch ihr wichtig war", hörte Julius Ashtarias schwache Stimme. Dann fanden Millie und er sich in einer anderen Stadt. Diese brannte gerade lichterloh. Zwischen den brennenden Häusern rannten Menschen. Hinter ihnen her jagten menschengroße Ameisen mit Menschenköpfen. Dann sah Julius die grauen Vampire, die über allem flogen. Er sah auch die blutrote Riesengestalt, die zwischen den Fledermäusen schwebte. "Brut der größten Feindin. Die da sind mein!" klang es aus der blutroten Leuchterscheinung. Blitze zuckten nieder, trafen die Werameisen und warfen sie zur Seite. Doch sie kullerten einmal herum und standen wieder auf ihren dünnen aber starken Laufbeinen.
einer der roten Blitze traf ein noch halb stehendes Haus. Doch als der Blitz einschlug barst die Wand, und aus dem zusammensackenden Bauwerk schlugen Flammen.
"Nein, bitte, aufhören! Ich will das nicht!" hörte er jemandenRufen. Dann erkannte er, dass es Millie war. "Bitte, nein. Schluss damit!" Das darf doch nicht sein.""Dann mach, dass es nicht so wird!" dröhnte nun Ashtarias Stimme, während nun die übergroße Schattenriesin mit einem ihrer Größe entsprechendenZweihandschwert auf die rote Leuchterscheinung zujagte. "Jeztt ist endlich mal Schluss mit dir, rote Götzin!" rief die Schattenfrau. "Es kann nur eine geben!" rief sie dann noch. Während dessen jagten Riesenameisen Menschen, die rote Götzinnenerscheinung schleuderte Blitze, und dann traf sie das nachtschwarze Riesenschwert. Sie zersprang in viele Einzelstücke, die davonwirbelten. Dann zerschlug die Schattenriesin die grauen Vampirfledermäuse mit dem Schwert.
"Nein, aufhören!" rief Millie.
Wieder wechselte die Umgebung. Sie waren in Millemerveilles. Julius sah die Sonne strahlend hell aufgehen, regelrecht über den Himmel jagen und im Westen in die Tiefe stürzen und im Boden verschwinden. Der Mond entsprang dem östlichen Horizont, jagte wie ein silbernes Feuerrad über den Himmel und verschwand. Wieder ging die Sonne auf und zog noch schneller ihre Bahn. Noch schneller entstieg der Mond dem Horizont.
"Millemerveilles schläft im eilenden Lauf der Zeit,weil jene, die sich dort vor den Geschöpfen aus Nacht und dunkler Macht zurückzogen, jene anflehen, die meine Erbin ist und doch am Orte bleiben muss, solange es dort die letzten gibt, die ihrer gedenken können", hallte Ashtarias traurige Stimme aus allen Richtungen wieder. "Millemerveilles wird im Schlaf der eilenden Zeit bleiben, bis die Geschöpfe aus dunklem Geist und bösem Willen sich gegenseitig ausgelöscht haben werden. Doch dann wird die Welt verlassen sein. Häuser, Wege, Wälder, Menschen wird es dann nicht mehr geben. Asche und Staub werden bleiben, und nur mit den Wolken treibender Rauch kündet von dem, was einst war, weil die einst mächtige Gemeinschaft nicht geheilt wurde. Ich spüre es, dass mit jedem Jahr, dass die Gemeinschaft ungeheilt bleibt, meine einst so schützende Kraft vergeht, bis sie nur noch in den lebenden Körpern der letzten Erben glost. Doch jedesmal, wenn sie meine machtvolle Anrufung aussprechen, schwindet ein Teil dieser Kraft und ihrer Lebenszeit. Und je mächtiger ist, was sie bekämpfen, so schneller schwindet ihnen das Leben. Und flieht es sie ganz, so vergeht auch das Gefäß meiner Kraft für immer. Das merke ich schon heute. Denn was du siehst wird sein, wenn die Gemeinschaft von zwei und fünfen nicht geheilt wird. Jedes Jahr das vergeht, jede Anrufung die sein muss zehrt an dem was ich einst war und nur bin, solange genug sind, die von mir sind." Julius hätte fast mit den Ohren geschlackert wegen dieser Worte Ashtarias. "Ashtardaisirian muss sein Fleisch und Blut vermehren, um einen Nachkommen zu haben, der nach ihm das verwaiste Zeichen tragen kann. Zwei und fünf müssen wieder eine Gemeinschaft bilden."
Julius sah wohl auch wie millie, wie Sonne und Mond sich im drei-Sekunden-Takt über den Himmel jagten. Der schlaf der eilenden Zeit. Das hieß, dass in Millemerveilles die Zeit so gut wie erstarrt war. Das hieß wohl auch, dass keiner an diesen Ort herankam. Jetzt sah er zwei Frauen vor einem Runden Haus, dessen im wecselnden Licht wie unstetes orangerotes Feuer flackernde Außenfarbe brüchig war. Das war das Apfelhaus, und die zwei im Gras liegenden Frauen sahen aus wie Millies und seine Töchter, nur schon erwachsen. Sie hielten Ammayamirias Zauber am Leben. Doch nur, wenn alles erstarrt blieb. Jetzt war fast schon nicht mehr zu unterscheiden, was Sonne und Mond war. Am Himmel spannte sich ein im Norden offener Kreis aus flackerndem Licht. So würdenJahre in Minuten, ja bald schon Sekunden vergehen.
"Ich will das alles nicht. Aber was kann ich tun, Ashtaria?!!" klang eine einsamm flehende Stimme durch dieses Lichterspiel verfliegender Zeit.
"Hilff ihm, die Gemeinschaft zu heilen. finde ihm eine, der du vertraust und der er vertraut, und die euch helfen mag, ohne gezwungen zu sein, die helfen kann und dabei glücklich wird und mit der ihr leben könnt, ohne einander zu verachten!" klang wieder Ashtarias Stimme wie aus den weiten des Weltraums. Dann zerfloss alles zu silbernem Dunst. Julius merkte, dass er mit seinem Kopf in ein scheinbar unendlich tiefes Meer aus silberweißem Licht eingetaucht war. Er erkannte, dass er vor dem Denkarium kniete. Behutsam zog er seinen Kopf wieder aus der Menge durcheinandergemischter, zielloser Erinnerungen.
Er kniff sich in den rechten Arm. Ja, er hatte wieder einen festen Körper. Alles was er erlebt hatte war nur ein fürchterlicher Albtraum gewesen, wo dämonische Schattenmonster, Riesenameisen, graue Vampire und Abgrundstöchter gegeneinander gekämpft und dabei alle Menschen gejagt oder getötet hatten. Würde das alles wirklich passieren? Doch das wirklich schlimme an diesem Traum waren nicht die Dämonen und Monster, sondern die Gewissheit, dass auch die größte Schutzmacht endlich sein konnte, wenn ihre Grundlage versiegte. Er hatte sich und Camille, vielleicht auch Jeanne oder Viviane-Aurélie gesehen, wie sie sich selbst ausgelöscht hatten, um dieses Baumungeheuer zu erledigen. Doch dabei hatten sie Errithalaia befreit, die sich ihre entkörperten Schwestern einverleibt hatte. Sie hatten also ein Übel ausgetrieben und damit ein anderes Übel auf die Welt losgelassen. Und am Ende sollte es nur noch die Menschen geben, die in Millemerveilles waren, beschützt von der letzten Erbin?
"Du hast gesagt, ich soll mir alles angucken, Millie", sagte Julius und erkannte an ihrem Gesicht, dass er wohl sehr erschreckend aussah. Er blickte in das leicht spiegelnde Glas seiner Armbanduhr. Zum einen sah er, dass der ganze Irrsinn real nur fünf Minuten gedauert hatte. Zum anderen meinte er, einen Vampir ohne Fangzähne zu sehen.
"Ich habe nicht gewusst, wie schlimm das sein wird, Julius. Ich weiß jetzt, dass wir nicht genau auf den Preis geguckt haben, als wir damals in die Mondburg gingen. Aber wir beide konnten ja auch nicht wissen, dass einer von den sieben sterben wird, bevor jemand da ist, der ihn beerbt", seufzte Millie, die wusste, was Julius erlebt hatte.
"Also, wenn das alles echt von Ashtaria kam, dann meint sie es verdammt ernst. Das heißt nicht, dass es genau so wird. Es kann vorher enden oder noch schlimmer werden als sie es sich vorgestellt hat. Doch jetzt weiß ich wenigstens, was Vendredi passiert ist und wer die rote Riesenameise ist. Dieses Weib hat von den Tränen der Ewigkeit genascht, wie damals Naaneavargia. Das hat sie zwar stärker gemacht, aber auch in ihrer Tiergestalt eingesperrt. Ausgerechnet eine Ameisenkönigin", seufzte Julius.
"Ich bin damit jetzt seit über vierzehn Tagen herumgelaufen, Julius. Ich wollte es dir nicht zeigen, bevor ich nicht wusste, wie ich dir und uns allen helfen kann. Jetzt weiß ich es. Es gefällt mir nicht, und wird dir zuerst auch nicht gefallen. Aber es wird auf jeden Fall besser sein als zuzusehen, wie die Welt von diesen alten Ausgeburten zerbröselt wird."
"Habe ich Ashtaria richtig verstanden, dass du mir eine finden sollst, die mir hilft, die Gemeinschaft zu heilen?" fragte Julius. Millie nickte. Dann sagte sie: "Erinnest du dich an das, was Trice, du und ich nach dem zweiten Ausflug zur Mondburg besprochen haben? Stichwort: Abraham."
"Wir hatten es davon, dass Ashtaria uns beide nur testen will, wie der Gott der Juden Abraham getestet hat, dass der seinen Sohn Isaak opfern sollte."
"Richtig, seinen Sohn Isaak. War das Abrahams erster Sohn?" fragte Millie nun ungemein gefasst. Julius überlegte, wie die Geschichte gegangen war. Sein Glaubenskundelehrer hatte damals mit gewisser Verlegenheit was erzählt. Da sagte Millie einen Namen, und der echote in Julius Namen nach: "Hagar!"
"Stimmt, das war Abrahams erste Frau, hat unser Lehrer damals angedeutet. Mehr wollte er dazu nicht sagen. Jedenfalls hat sie einen Sohn namens Ismael bekommen und musste mit ihm fort."
"Nein, da hat eure lebende Bibel euch wohl nicht alles richtig erzählt, wohl weil ein Glaubensprediger das ungern rüberbringt, wenn ein verheirateter Mann mit einer anderen Frau ein Kind hat und die eigene Ehefrau ihn auch noch ausdrücklich dazu auffordert", sagte Millie.
"Moment, Hagar war eine Geliebte Abrahams?" Millie sah ihren Mann an und verzog ihr Gesicht. "Also, ich habe die Geschichte so gelernt, dass Abraham von seinem Gott den Auftrag bekommen hat, möglichst viele Kinder zu haben, natürlich Söhne. Er und seine Frau Sarah waren da aber schon über achtzig oder neunzig Jahre alt. Da hat seine Frau gesagt: "Bevor du stirbst, geh zu meiner Magd/Dienerin/Sklavin und schwänger sie, weil die noch ganz jung ist!"
"Du hast recht, mir gefällt nicht, worauf das jetzt rausläuft", sagte Julius. Doch er sah in das Gesicht der Frau und Hexe, die ihn damals über die gläserne Mondburgbrücke getragen hatte, die seine Kinder bekommen wollte, die er als Mutter seiner Kinder liebte und verehrte, mit der er durch viele schöne und auch schlimme Zeiten gegangen war.
Da sagte Millie: "Die uns damals die fliegende Vielraumtruhe geschenkt haben haben ja auch eine Menge Bücher dabeigetan. Ich habe mal alle Bücher durchgeguckt, während du mit den alten Mädchen Ornelle und Léto einen Friedensvertrag ausgehandelt hast. In einem Buch, das "Rechte, Pflichten, Nöte und Hilfen" heißt, wird beschrieben, welche Möglichkeiten ein Ehepaar hat, gesunde Kinder zu bekommen und auch, wie die Wahrscheinlichkeit für einen Jungenoder ein Mädchen vergrößert wird. Da stand auch drin, dass wenn die Ehefrau trotz mehrfacher Versuche, ein Kind zu bekommen oder es für den ehelichen Frieden und/oder die Familie von großer, ja verpflichtender Bedeutung sei, gelte die Regel 17 C des Gesetzes für ein gesundes, von mindestens einem Ehepartner stammendes Kind. Dieses Gesetz habe ich dann nachgeschlagen. - Nicht gleich protestieren, bitte erst zuhören!" Julius hatte schon den Mund geöffnet. "In dem Gesetz steht genau drin, dass eine Hexe, die bis zu einem bestimmtenLebensjahr entweder gar kein Kind von ihrem Ehemann bekommen hat oder nur Söhne oder nur Töchter - bitte noch weiter zuhören! - darf diese Hexe eine ihr vertraute, bereits volljährige, vollständig gesunde und fruchtbare, aber unverheiratete Hexe darum bitten, für sie von ihrem Mann ein Kind zu empfangen und zu gebären. Die Ehefrau darf dann entscheiden, ob sie das Kind als ihres annimmt oder es bei der Vertrauten belässt. Außer dass die Helferin, die als "Retterin des Ehefriedens" bezeichnet wird, eine vollwertige Hexe ist und zum Zeitpunkt der Bitte und bis zur Geburt oder dem Abstillen des Kindes unverheiratet zu sein hat darf sie auch nicht blutsverwandt mit dem Ehemann sein. Sie darf aber blutsverwandt mit der Ehefrau sein, weil - jetzt kommt es - durch diese Verwandtschaft mit der Ehefrau das Vertrauen von dieser bewisen werden kann und das so gezeugte Kind nicht gänzlich von anderem Blut als dem der Ehefrau ist. Es eignet sich jedoch auch eine andere unverheiratete oder verwitwete Hexe,solange sie das Vertrauen von Ehemann und Ehefrau genießt und bereit ist, beiden als Retterin des Ehefriedens beizustehen. Ich weiß, du bist anglikanisch getauft. Für dich hört sich das unerhört, unerträglich, obszön oder schlicht weg falsch an. Aber offenbar gab es mal eine Zeit, wo derartige Sonderregelungen wirklich wichtig waren, zum Beispiel auch um magische Kräfte weiterzuvererben. Das steht da zwar so nicht drin ..."
"Haben wir echt so ein Buch in der Truhe drin gehabt und jetzt hier in der Bib?" fragte Julius. Zur Antwort zog Millie aus einem der aufgebauten Bücherschränke ganz oben ein in einen grünblauen Umschlag gebundenes Buch, das den von ihr erwähnten Titel trug. "Stimmt, das habe ich zum Thema Rechte und Pflichten einsortiert. Aber ich Volldepp bin nicht drauf gekommen, das mal ganz durchzulesen", sagte Julius. Dann schlug er das Buch auf, suchte den betreffenden Abschnitt und las den Text. Millie hatte tatsächlich diesen Text gemeint. Dann las er noch was: "In vielen Fällen konnte die der Hexe bei geburtshilflichen Angelegenheiten helfende Heilhexe auch als eine solche Retterin des Ehefriedens gewonnen werden. Bedingung dafür ist, dass die Helferin kein Gold und kein Silber für diesen Dienst angeboten bekommen oder von sich aus verlangen darf. Sie muss diesen helfenden und nicht einfachen Dienst aus freien Stücken erbringen, auf die Anfrage der Ehefrau und des Ehemannes. Die Zeugung des außerehelichen Kindes muss im gegenseitigen Einvernehmen und ohne magische Beeinflussung erfolgen, weil nur so das Vertrauen von Eheleuten und Retterin des Ehefriedens bewiesen ist. Außerdem darf diese Hilfe nur einmal erbeten und gewährt werden, weil sonst die Gefahr besteht, dass der eheliche Frieden doch dauerhaft Schaden nimmt oder gar zerstört wird", las Julius halblaut vor. "Da deine große Schwester verheiratet ist, deine jüngere Schwester Minderjährig ist, deine Cousinen sich darum zanken würden, wer dir und mir diesen dienst erweisen soll blieben da nur noch zwei übrig", seufzte Julius: "Sandrine und Béatrice."
Als seien die beiden Namen Zauberwörter sah sich Julius wieder auf der Blumenwiese in der Vision, die ihm die entkörperte Claire gezeigt hatte, um ihm den Abschied von ihr zu erleichtern.
"Warum hast du nicht Gloria, Pina oder Belisama erwähnt?" fragte Millie. "Ja, oder nicht gleich Hera oder Blanche, weil die genauso verwitwet sind wie Sandrine", grummelte Julius. Doch dann beantwortete er die Frage: "Weil ich weiß, dass Sandrine mich wohl gerne als Vater Ihrer Kinder akzeptiert hätte und sie dir vertraut und du ihr, wenn wir ihr das erklären würden, warum und wie und für wann überhaupt. Belisama hat zwar mit dir Frieden geschlossen, nachdem ihr kleinen Stuten euch um mich halben Hengst gebissen und getreten habt. Aber falls ich ihr diese Frage stellen würde bekäme ich sicher Ohrfeigen statt einen Sohn von ihr. Dasselbe gilt für Gloria. Pina würde vielleicht bereit sein, von mir ein Kind zu bekommen, es aber dann auch behalten wollen. Und ich würde es ihr auch nicht wegnehmen wollen. Überhaupt ist das mit ihr so schön, diese Freundschaft, die ganz ohne geschlechtliche Begierden ausgekommen ist, von dem einen Kuss mal abgesehen, den sie mir nach der Party bei den Sterlings gegeben hat. Tja, und wenn Hera sich ernsthaft dazu überreden ließe, uns beiden einen Sohn von mir zu gebären, wäre dir doch klar, dass wir dann für den rest unseres Lebens in ihrer Schuld stünden, selbst wenn sie kein Gold oder Silber verlangen darf. Von absolut gar keiner Gegenleistung steht da nämlich nichts drin. Also bleiben nur die zwei, Sandrine oder Béatrice."
"Übler Scherz von Ashtaria, dass wir uns jetzt drüber unterhalten müssen, ob Sandrine nicht doch eines deiner Kinder bekommen sollte", sagte Millie keineswegs gehässig, sondern nachdenklich. "ich habe dir damals vor einem Jahr gesagt, dass wir ihr dann ein Zimmer im Apfelhaus anbieten würden, weil ich natürlich mitbekommen möchte, wie das von dir gezeugte Kind aufwächst. Obwohl, das wäre dann ja nicht ohne magische Beeinflussung entstanden."
Julius nahm noch mal das Buch zur Hand und las den Abschnitt weiter. "Hier steht noch was ganz wichtiges, Millie. Der Zeugungsakt oder die zu einer Zeugung führenden Beilager dürfen nicht auf dem gemeinsamenLager der erbittenden Eheleute erfolgen, damit räumlich wie seelisch klar zwischen dem ehelichen und dem zur Rettung des Ehefriedens dinendem Beilager getrennt wird."
"Habe ich auch gelesen, Julius. Im Zweifelsfall nehmt ihr euch gegenseitig da, wo Britt und Linus den kleinen Leonidas auf den Weg ins Leben geschubst haben." Julius musste doch jetzt grinsen. Ja, mit Brittany wäre es vielleicht damals auch was geworden. Nur ob er ihre vegane Lebensweise mitgemacht hätte wusste er nicht. Dann fielen ihm wieder die endzeitartigen Bilder aus dem von Millie ausgelagerten Traum ein. er hatte wirklich Ashtarias Stimme gehört und auch die Stimme von Hallitti erkannt, der Millie zu ihrem Glück nie begegnet war. Das war nicht einfach nur ein besonders blöder Albtraum. Das war tatsächlich eine Botschaft, und zwar mit einem Dampfhammer in Granit graviert. Kein Wunder, dass Millie das nicht so locker weggesteckt hatte. jemandem einzusuggerieren, schuld am Ende der Welt zu haben war ein ganz fieser psychologischer Tiefschlag. Da er Ashtaria bisher als gütige, den Frieden und das Leben achtende Entität zu kennen geglaubt hatte und dies auch gerne wieder tun wollte musste er sich wohl eingestehen, dass sie diesen gemeinen Schlag nicht aus Spaß am Draufhauen ausgeteilt hatte. Sicher, sie war mächtig, sie konnte das, und niemand konnte sie daran hindern. doch dieses Ultimatum von ihr, dieses dringende Bedürfnis, dass er, der von ihr noch einmal geborene, einen Sohn zeugen sollte, das klang echt schon fast wie ehe es zu spät ist. Ashtaria existierte, weil es ihre Nachkommen gab. Starben diese aus, verging auch sie. Sie war keine Göttin, und selbst denen wurde nachgesagt, dass sie an Kraft verloren, wenn immer weniger Leute an sie glaubten. Dann fiel ihm ein, dass sie ihm damals in der Festung des alten Wissens geholfen hatte, dann bei Hallitti und Ilithula und noch einmal bei der Sache mit den vier Geistermädchen. Im Grunde war es jetzt an ihm, etwas für sie zu tun.
Die anfängliche Abscheu gegen Millies Ansinnen schwand bereits, als er das Buch, aus dem sie zitiert hatte wieder fortsteckte. Sie wusste, dass er sie nicht betrügen wollte. Doch Betrug war die unerlaubte Vorteilserschleichung ohne Wissen des Geschädigten. Wenn Millie es nicht nur wusste, sondern es mit ihm zusammen von derjenigen erbat, war das dann noch Betrug, Ehebruch, wie er in der Bibel verboten wurde? Dann fiel ihm ein, dass er die Bibel doch schon lange nicht mehr wirklich als seinen Wegweiser für's Leben ansah. Einige christliche Werte wie Nächstenliebe, Friedfertigkeit und Anerkennung anderer Menschen, auch wenn sie anders waren galten für ihn nach wie vor. Doch mit der Kirche hatte er genauso abgeschlossen wie Laurentine. Nur war er noch nicht offiziell ausgetreten. Es ging um Ashtarias Hilferuf - Ja, genau und nichts anderes war es -, um seinen und Millies ehelichen Frieden. Denn wenn beide damit haderten, dass sie erst elf Jahre warten mussten, um einen Sohn zu haben und jede weitere Tochter die Zeit noch mal auf Anfang setzte und dann um drei Jahre verlängerte ... "Ich möchte Sandrine nicht fragen. Ich fürchte, wir würden ihr damit doch eher weh tun als ihr Vertrauen gewinnen", sagte Julius. "Und was ist mit Tante Trice, die du sowieso nur in Ausnahmesituationen Tante gerufen hast?"
"Wir müssten ihr erklären, was los ist und auch, warum Ashtaria dir und nicht mir diesen schrillen lauten Hilfeschrei ins Gehirn gebrüllt hat, vielleicht möchte sie uns dann helfen. Allerdings könnten da Oma Ursuline, deine Mutter, überhaupt die ganzen anderen Geschwister von ihr bis runter zu Esperance und Félicité dummkommen. Außerdem müssten wir dann ja auch sicherstellen, dass sie und ich wirklich einen Sohn hinkriegen, weil es eben nur ein einziges mal klappen darf. Wird es dann doch eine Tochter, dann war es das. Dann bliebe nur, Ashtarias Kräfte möglichst wenig zu benutzen."
"Was die ganze Verwandtschaft angeht, Monju, so ist es erst einmal ihre Entscheidung. So, wenn sie dann wirklich von dir ein Kind trägt kann sie immer noch sagen, von wem und warum und wozu. Oma Ursuline würde nur darauf bestehen, ihr Enkelkind aufwachsen sehen zu dürfen. Ja, und Béatrice könnte nach dem Abstillen des Kindes sogar heiraten, weil diese Hilfsleistung ja nicht mit einem unverheirateten Zauberer erbracht wurde. Das ist nämlich die feine Ausnahme der Nacktheitsregel. Ist einer schon verheiratet darf er von anderen Frauen auch mal nackt angesehen werden. Für verheiratete Hexen gilt das auch." Julius pfiff durch die Zähne. Millie hatte sich echt mit diesem ganzen Kram herumgeschlagen, während er den Frieden von Veelas und Zauberern gerettet hatte und Laurentine dieser Spinnenhexe über den Weg gelaufen war. Fast entschlüpfte ihm die schlüpfrige Frage, ob er nicht Anthelia fragen sollte. Doch da hörte auch für ihn der Spaß auf. Dann erinnerte er sich wieder, dass Millie ihn nach dem Abendessen mit den beiden Großen alleine gelassen hatte, um sich mit Béatrice zu unterhalten. Offenbar hatte sie mit ihr schon längst über dieses sehr pikante Thema gesprochen. Dann fiel ihm noch was ein, was er seine Frau fragen musste:
"Und was würde deine Mutter sagen? Die hat mir damals, wo das mit diesem Fluch von Orion war klar angesagt, dass ich ihre Schwester nicht entehren soll."
"Wer mit einem dicken Umstandsbauch noch auf einem nicht ganz ausgetesteten, superwilden Besen herumfliegt, nur um zu zeigen, dass es geht, hat dir sicher keine Vorschriften mehr über anständiges Benehmen zu machen, Julius Latierre geborener Andrews", entfuhr es Millie unerwartet heftig. "Das hat auch dir zugesetzt, dass sie mit Alain im Unterbau noch derartige Experimente macht, richtig?" fragte Julius. "natürlich hat mir das zugesetzt. Sie bleibt meine Mutter,und auch, wenn ich immer noch damit klarkommen muss, dass da noch ein kleiner Latierre im Honigwabenhaus wohnt ist der kleine Junge mein Bruder, ob mit fünf, sechs oder acht Fingern an den Händen. Tine hat auch gesagt, dass sie mit Alain mal darauf trinken kann, einen Club aufzumachen, wilde Besenflüge in einer wilden Hexe überstanden zu haben."
"Hoffentlich bleibt das ein Zweierclub", meinte Julius dazu. Millie lachte glockenhell. Ja, sie lachte wieder. "Heh, die drei Prinzessinnen", zischte Julius. "Hast recht. Aber wenn sie schon mal bei uns ist, jetzt oder wann?" Julius blieb erst das Gesicht stehen. Doch dann nickte er und sagte: "Jetzt!"
Die Sonne schien hell vom Himmel. Es war bereits sommerlich warm. Doch dafür hatte er im Moment keine Empfindung. Da drinnen hockte seine Frau auf einem Stuhl, der vorne ausgeschnitten war, damit dieses überfürsorgliche Weib Chloe Palmer besser an alles rankam. Er hatte noch mal frische Luft schnappen und sich mit zwei Gläsern Bennie Buckleys belebendem Gebräu einen Viertelliter Mut angetrunken und besser noch mal die keramische Abteilung besucht. Als er sich dann ganz gründlich gewaschen hatte betrat er das freigeräumte und mit Reinigungslösung keimfrei geputzte Wohnzimmer.
"Darf ich?" fragte er Chloe Palmer. "Wenndu dich auf den Stuhl setzen und euer Baby bekommen möchtest wird Linda nichtts dagegenhaben denke ich", sagte Chloé Palmer. Linda Latierre-Knowles, die gerade nicht so lebensfreudig und unschuldsvoll und zuckersüß dreinschauend aussah sagte: "Nix da, die Kleine hat mir lange genug in die Nieren, den Magen und die Bauchdecke getreten. Dafür schubse ich die jetzt auch da raus", stöhnte sie. Ihre schwarzen Augen wirkten jedoch wild entschlossen.
Vier stunden später war sie da, Lydia Barbara Latierre, geboren am 19. Juni 2004 um 13:40 Uhr Pazifikstandardzeit. Sie hatte ein wenig länger gebraucht als ursprünglich berechnet. Doch sie war nicht übertragen, und sie war laut, fand Gilbert Latierre. Dass seine kaffeebraun getönte Frau das aushielt erstaunte ihn. Doch dann wurde Lydia Barbara ganz ruhig und genoss es, auf der Welt zu sein.
Béatrice saß im Musikzimmer und spielte Klavier. Das konnten Millie und Julius erst hören, als sie die Tür aufmachten. Nun saßen alle drei in einem Klangkerker und konnten frei von ungewollten Mithörern sprechen.
Millie erwähnte noch mal, was die Mondtöchter gesagt hatten und was Béatrice herausgefunden hatte. Dann erwähnte Julius dieses Ultimatum von Ashtaria, die ihn damals in der Festung des alten Wissens quasi wiedergeboren hatte. Deshalb hatte sie ihn wohl nach dem Tod eines der fünf Söhne aus ihrer langen Ahnenreihe verpflichtet, selbst einen Sohn zu zeugen. Béatrice hörte ruhig zu. Sie sah erst Millie und dann Julius ruhig an. "Dann erwähnte Millie diesen Albtraum und dass sie ihn ihrem Mann gerade als Denkariumsnachbetrachtung gezeigt hatte. Immer noch hörte sie ruhig zu. "Ich weiß, es ist etwas, was ich vor einem Monat noch weit von mir gewiesen habe, und Julius hier möchte mir auch nicht weh tun. Ich habe in einem Buch gelesen, dass bei einem Ehepaar, bei dem entweder gar kein Kind oder nur Kinder von einem Geschlecht ankommen, eine andere erwachsene, unverheiratete Hexe gebeten werden darf, den beiden zu helfen",holte Millie immer noch aus. Dann fragte sie: "Tante Béatrice, möchtest du uns beiden helfen, dieses Versprechen an Ashtaria und Ammayamiria einzulösen und für Julius und mich einen Sohn von ihm zur Welt bringen? Falls du nein sagst ist alles gut", sagte Millie. Julius war sich zwar sicher, dass Millie mit ihrer Tante dieses Thema schon besprochen hatte. Doch offenbar war für diese Sache wichtig, dass alle Beteiligten zur gleichen Zeit das gleiche erfuhren.
"Wenn ich das richtig verstanden habe müssen beide fragen, sozusagen in Hörweite des jeweils anderen", sagte Béatrice Latierre immer noch ruhig. Julius nickte und sah sie dann ruhig an. Sie wirkte nicht entrüstet oder fühlte sich veralbert oder so. Deshalb fasste er den Mut und sagte: "Béatrice, ich habe auch erst gedacht, dass sowas doch falsch ist. Doch als ich alles zu dieser Frage gelesen habe ist mir klargeworden, dass es auf die Leute ankommt, die sich einander anvertrauen. Du weißt genau, dass ich Millie sehr liebe und auch die drei Kinder, die sie von mir bekommen hat. Deshalb ist das für mich jetzt auch sehr schwer, und ich möchte dich auch nicht veralbern oder entehren: Da ich mit Millie gerade nicht den von Ashtaria erbetenen, ja erflehten Jungen hinkriegen kann, möchtest du mir helfen, indem du meinen Sohn empfängst und für uns alle auf die Welt bringst? Falls du nein sagst akzeptieren wir das. Dann hat diese Unterhaltung nicht stattgefunden", sagte Julius vorbauend.
Julius war erst verblüfft, dass Béatrice das nicht verächtlich oder ihn veralbernd gesagt hatte. Er wandte sich an Millie: "Da steht nichts, ob die Ehefrau zusehen soll oder darf, richtig?"
"Ich will euch dabei ganz alleine lassen, damit ihr auch ja anständig und für beide richtig schön zusammen seid. Wie sieht es im Moment bei dir aus?" fragte Millie ihre Tante. "Zwischen dem 30. Juni und dem 5. Juli könnte es gehen. Falls nicht dann eben einen Monat später", sagte Béatrice wieder ganz ruhig. Millie sagte dann: "Ich habe dir ja erzählt, dass ich ab dem 25. Juni wieder weg will. Möchtest du dann mit Julius und den dreien hier im Haus bleiben oder ins Sonnenblumenschloss zurück?"
"Wenn wir uns Zeit dafür nehmen sollen sollten die Kinder wo sein, wo sie sich nicht langweilen können", sagte Béatrice irgendwie so, als plane sie einen Urlaub. Julius war die Sache zwar nicht ganz geheuer, doch jetzt hatte er vor Millie diese eine Frage gestellt. "Julius kann auch von uns aus ins Ministerium. Außerdem wohnt er bei uns genauso sicher wie im Apfelhaus. Ja, wir fahren alle in die Ferien", schlug Béatrice vor.
"Heißt das jetzt, du gehst darauf ein?" fragte Julius seine Schwiegertante. "Achso, die Antwort: Ich, Béatrice Latierre, gerade nicht verheiratet, möchte euch, Mildrid Ursuline und dir, Julius Latierre helfen, den von deiner Lebensbewahrerin Ashtariaa erteilten Auftrag zu erfüllen und von dir einen Sohn empfangen, austragen und Gebären."
"Damit ist es wohl sicher", sagte Millie. "Ich, Mildrid, Julius Ehefrau, bedanke mich bei dir für deine Bereitschaft, Béatrice Latierre, Retterin unseres Ehefriedens." Julius bedankte sich auch und versprach, sie nicht weniger zu schätzen. Darauf meinte Millie: "Das will ich dir auch geraten haben. Ich bin nicht Sarah, und sie ist nicht Hagar." Darüber musste Béatrice Latierre dann doch grinsen.
"Zwei Bedingungen stelle ich doch", sagte Béatrice. Millie und Julius sahen sie erwartungsvoll an. "Zum einen möchte ich mich nicht von Hera Matiene oder Lutetia Arno bei der Geburt unterstützen lassen, sondern entweder von Clémentine Eauvive oder, wenn Sie Zeit hat, Aurora Dawn. Die zweite Bedingung ist, Ihr zwei seid bei der Niederkunft beide dabei, egal wann sie stattfindet." Damit konnten Julius und Millie leben.
"Gemäß dem Recht einer Schwangeren, wen sie wann über ihren Zustand informiert werde ich außer euch beiden und der von mir erwählten Hebamme erst dann wem davon erzählen, wenn es nicht mehr zu übersehen ist. Solange möchte ich von euch nicht anders behandelt werden wie sonst auch. Ach ja, steht in diesem Buch drin, dass die Retterin des Ehefriedens nach der Geburt möglichst weit von dem Kind fortzubleiben hat?" Millie erwähnte, dass gerade durch die Nähe von Eheleuten und erbetener Helferin das Vertrauen der drei immer wieder neu bewiesen werden kann. "Gut, dann zieht ihr beide mit den drei anderen entweder zu mir ins Château um oder ihr erlaubt mir weiter, hier bei euch zu wohnen. Abgesehen davon, liebe Nichte, wirst du nicht lange nach mir euer gemeinsames viertes Kind zur Welt bringen, damit ich meine so gute Hebammenstatistik weiter ausbauen kann."
"Öhm, echt?" sagte Millie
"Zum einen steht da auch drin, dass auch eine bereits bekannte Heilerin als Retterin des Ehefriedens erwählt werden kann, für die ja dann immer noch die Heilerdirektiven gelten. Zum zweiten führe ich ja eine heilmagische Maßnahme durch, indem ich euer beider seelisches Gleichgewicht wiederherstelle. Denn nichts anderes bedeutet das ja, den ehelichen Frieden zu retten und zu bewahren. Zum dritten kann ich vor jedem Heilergericht der Zaubererwelt klar und sogar unter Legilimentik aussagen, dass ihr beiden mich um diese unentgeltliche Dienstleistung gebeten habt. Ich vermiete oder verkaufe also meinen Schoß nicht für Leute, die selbst keine Kinder bekommen wollen oder können, aber gerne welche hätten, sondern bringe körperlichen Einsatz, um zwei Patienten zu helfen. Das ist sowas von vereinbar mit den Heilerdirektiven, dass selbst die gute Hera nichts dagegen sagen kann. Aber die wird auch nicht gefragt, habe ich ja schon geklärt." Julius nickte wild. Er wiederholte nur: "Wie erwähnt, ich will dich nicht entehren."
"Kann das sein, dass ich diesen Satz von dir schon mal gehört habe, und dann standest du auf einmal in meinem Körper da und ich durfte fühlen, wie sich ein heranwachsender Jüngling anfühlt?" mentiloquierte ihm Béatrice. Er musste aufpassen, nicht rot zu werden.
"Damit das ganze auch Zaubererweltrechtlich sicher ist müssen wir das schriftlich festhalten, dass wir drei diesen Weg im gegenseitigen Vertrauen und bei freiem Willen gehen", stellte Béatrice etwas fest, was dem Beamten Julius bisher nicht eingefallen war. Er nickte. Millie überlegte kurz. Dann bejahte sie es auch.
So formulierte jede und jeder der drei die wichtigen Passagen eines zivilen Vertrages, der Béatrice Latierre als Retterin des Ehefriedens bestätigte, die ganz freiwillig zur Hilfe eines ihr wichtigen und ihr Vertrauen genießenden Ehepaares den eigenen Körper einsetzte, um ein von "höherer Stelle" gefordertes Versprechen des Ehemannes einzulösen, ohne dass Béatrice einen einzigen Knut Entlohnung dafür erhalten sollte oder jemals einfordern würde. Die von Béatrice erwähnten Bedingungen wurden genauso in den Vertrag aufgenommen wie Millies Aufforderung, dass die beiden das gemeinsame Beilager zu genießen hatten, damit sie, Millie, sicher war, dass Julius' nächstes Kind auch in einvernehmlicher, glücklicher Vereinigung entstand und nicht abgezwungen oder aufgedrängt wirken mochte.
Julius bestand noch darauf, schriftlich festzuhalten, dass er weder seine zaubererechtlich angetraute Ehefrau, noch die zur Einlösung des ihm auferlegten Versprechens bereitstehende Hexe entehren wolle, sondern beide weiterhin gleichberechtigt achten und das auf diese Weise außerehelich gezeugte und geborene Kind mit beiden zusammen großziehen wolle. Als Millie das las verzog sie kurz das Gesicht. Dann sagte sie: "Offenbar konntest du nicht ganz aus den Schuhen schlüpfen, die sie dir in deiner Kindheit angezogen haben. Ich hätte dir das auf jeden Fall auch so geglaubt, und Béatrice sicher auchf." Julius nickte. Béatrice erwiderte: "Möchtest du nicht mit jemandem verheiratet sein, der deine Ehre wertschätzt, Mildrid?" Die Gefragte stieß aus: "Das hab ich so nicht gemeint." Dann lachte Béatrice und sagte: "Siehst du, also sei friedlich!" Millie grummelte darüber kurz. Doch dann nickte sie beiden einwilligend zu.
Nachdem sie die von ihnen dreien ausformulierten Bedingungen noch einmal nachgelesen hatten unterschrieben sie den Vertrag mit smaragdgrüner Zaubertinte. Dann erstellte Julius sechs Kopien davon. Eine für jede von ihnen dreien, eine für die zu beauftragende Geburtshelferin, eine für die Abteilung für magischen Familienstand und Ausbildung und auch für Beauxbatons, falls die werte Blanche Faucon doch noch zetern mochte.
Um den Abend doch noch wie jeden anderen ausklingen zu lassen machten die drei wieder Musik zusammen. Gegen elf Uhr waren alle drei müde genug. Sie wünschten sich noch alle eine gute Nacht.
Als Millie gerade ins Schlafzimmer wollte pingelte der Digeka. "Och, was noch für morgen. Ist aber spät dran", grummelte sie und ging an den magischen Fernkopierkasten. "Schön, Tante Trice, Julius, da ist doch vor zwanzig Minuten eine kleine Dame namens Lydia Barbara Latierre angekommen. Er hat sogar schon ein Foto dabeigelegt. Er schreibt auch, dass ich ihm das überlassen möchte, wann er sie in der Zeitung erwähnt. Gut, kann er gerne haben, aber der Rest der Verwandtschaft kriegt es jetzt sofort", sagte Millieund gab Julius das Bild eines noch geröteten, aber schon in trockene Windeln eingepackten kleinen Wesens mit der Bildunterschrift: Lydia Barbara Latierre.
Eine Minute später trompeteten sämtliche Pappostillons im Apfelhaus und ganz sicher auch im Honigwabenhaus, dem Château Tournesol, im Haus in Lyon und auch in Avignon.
Laurentine freute sich, dass die Latierres auch sie zu Clarimondes erstem Geburtstag eingeladen hatten. Ein Jahr war das schon wieder her, wo die von der dunklen Kraft verfremdete Kuppel Sardonias endgültig ausgelöscht worden war, quasi durch Clarimondes Geburt, die das Pendel ganz auf die Seite des Lebens bewegt hatte. Für sie hatte sie aus Malibu ein aufblasbares Surfbrett mitgebracht, auf dem sie liegen, stehen oder sich daran festhalten und Beinschlagübungen machen konnte. So konnte sie in dem großen Planschbecken auf dem Apfelhausgrundstück Schwimmen üben, natürlich von den Eltern beaufsichtigt. Abends durfte sie dann noch mit den Latierres und Dusoleils der Verleihung des ersten Prix Millemerveilles beiwohnen, der für überragende Leistungen in den Bereichen kreative Zauberkunst, Thaumaturgie in der Heilzunft, Theorie der Magie, Zaubertrank und Kräuterkunde und verbesserte Abwehrzauber verliehen wurde. Hierbei konnten wie beim Nobelpreis auch Errungenschaften von vor mehr als zwanzig Jahren berücksichtigt werden. Im Bereich magischer Heilkunst durfte Aurora Dawn zusammen mit ihrer Mentorin Bethesda Herbregis den Preis für Zauberkunst in der magischen Heilung entgegennehmen, weil sie die Erkennung und Behandlung von radioaktiver Verstrahlung entdeckt hatten. Außerdem bekam Mademoiselle Maxime den ersten Prix Millemerveilles für herausragende Lebensleistungen, weil sie mehr als 30 Jahre Schulleiterin von Beauxbatons gewesen war und sich nun erfolgreich um die Verbesserung des Verhältnisseszwischen Menschen und Riesen bemühte. Ursuline Latierre nahm unter Tränen den Preis für kreative Zauberkunst für ihren verstorbenen Mann Roland entgegen, weil er das Patent für den Transport von komplizierten Musikinstrumenten entwickelt hatte. ein schon betagter Zauberer namens Émile Bontemps erhielt den Prix Millemerveilles für die theoretischen Grundlagen der Verbesserung von Flugzaubern und Innertralisatus-Zaubern, die er vor 70 Jahren ausdokumentiert und für praktische Nutzanwendungen verfügbar gemacht hatte. Camille Dusoleil erhielt den Prix Millemerveilles für die verbesserung des Rapicrescentus-Trankes zur behutsamen Stärkung von Bäumen bei dauerhaftem Lichtmangel. Das würde den mittlerweile aus dem Schuldienst ausgeschiedenen Professeur Trifolio sicher ärgern, dachte Laurentine. Catherine erhielt einen Prix Millemerveilles wegen ihrer Übersetzung des geheimen Tagebuches von Ladonna Montefiori, weshalb die Wiederkehr der sogenannten Rosenkönigin nicht so verheerend erfolgt war wie diese es sich wohl erhofft hatte.
Um elf Uhr abends kehrte Laurentine in die Rue de Liberation 13 zurück. Als sie aus dem Kamin stieg stolperte sie fast über eine kleine Messingdose, die keinen Meter vor dem Kaminrost auf dem Boden lag. Wer hatte ihr denn das hier hingelegt? Etwas unheimlich war es ihr schon zu Mute. Hätte sie den Kamin besser absperren und durch Catherines Kamin nach Hause reisen sollen? Doch jetzt war es für solche Fragen zu spät.
Sie begutachtete die kleine Messingdose und stellte fest, dass sie sich aufschrauben ließ. Auf der Hut vor möglichen Giftfallen oder anderen unliebsamen überraschungen zog sie Handschuhe an und schraubte die dose mit der Öffnung von sich wegzeigend auf. Es kam aber kein vergifteter Stachel, kein feuerroter Springteufel oder eine Ladung übler Sachen heraus. Vorsichtig sah Laurentine in die Dose hinein. Darin steckte ein zusammengerollter Pergamentzettel. Auf dem stand:
Hallo Laurentine.
Die letzten Wochen haben uns allen verdeutlicht, dass die magische Welt, in der du für die ersten Bildungsschritte unserer Kinder zuständig bist, von machtsüchtigen, menschenfeindlichen Wesen und Gruppierungen bedroht wird. Das mit Italien hast du sicherlich mitbekommen. Auch haben wir über unsere vielen Wege mitbekommen, dass bei deinem Ausflug in die nordamerikanische Muggelwelt versucht wurde, an dich heranzutreten, um dich gegen deinen Willen zu dir unerwünschten Taten zwingen zu können. Woher wir das wissen möchten wir dir berichten, wenn du den Mut aufbringst, die dieser Nachricht beigefügte Prise Flohpulver zu verwenden und dich zum Ziel "Rufinas Rast" zu begeben. Bitte bring die Dose und diese Nachricht mit, damit du dich am Zielort als von uns eingeladen ausweisen kannst!
Solltest du Angst davor haben, dich wem völlig fremden auszulifern, so nutze die Prise Flohpulver und verschicke die Dose mit der Nachricht, indem du sie in den Kamin legst und "Rücksendung Hellersdorf" hineinrufst, ohne den Kopf im Kamin zu haben. Der Zielkamin ist nur für Köpfe oder versendete Gegenstände erreichbar.
Dieses Angebot verfällt um zwei Uhr am 25. Juni und wird danach nicht erneut vorgelegt.
Allein das diese Nachricht in deinem Kamin landen konnte mag dir Beweis sein, dass es sich um jene, die sie sendeten nicht um von bösem Willen oder Zauber getriebene handelt. Vielleicht hilft dir diese Gewissheit bei deiner Entscheidung.
Hoffentlich bis bald
die Duldsamen
"Haben die mich doch überwacht", dachte Laurentine. "Die haben die Spinnenhexe überwacht oder deren Schwestern. Oder Hera oder Louiselle oder Catherine gehören auch zu denen und haben weitergereicht, was ich angedeutet habe", dachte sie weiter. "Da muss ich wohl durch", traf sie die Entscheidung, die womöglich ihr ganzes weiteres Leben verändern mochte.
Für den Fall, dass man sie doch verschwinden lassen wollte schrieb sie Catherine und ihrer Mutter eine Nachricht, dass sie auf Grund einer Anfrage eine geheime Flohnetzadresse erhalten habe und wo diese lag. Den Brief steckte sie in einen Umschlag und legte ihn unter eine Blumenvase.
Da sie die Brickstons nicht aufwecken wollte schüttete sie gerade genug von dem beigefügten Flohpulver auf den Kaminrost, dass das Feuer für eine halbe Minute brennen mochte. Dann trat sie in die smaragdgrünen Flammen und sagte halblaut aber deutlich "Rufinas Rast!"
Sie kannte den Effekt besser als das Fliegen mit einem Großraumflugzeug. Deshalb nahm sie die vorbeihuschenden Kamine nur als üblichen Ausblick wahr. Als der wilde Wirbel und das sie tragende grüne Feuer nachließen nahm sie die für eine sichere Landung mit schnell folgendem Ausstieg beste Körperhaltung ein. Dann trafen ihre Füße auf einen anderen Kaminrost. In dem Moment ertönte eine helle Glocke irgendwo über ihr, und ein Gefühl, als würde etwas über sie hinwegtasten ließ sie kurz erschauern. Goldene Lichter flammten auf. In dem Moment glühte auch die Dose in Laurentines Hand, jedoch ohne Wärme abzugeben. "Steig bitte aus dem Kamin heraus, hörte sie einen leise zischenden Frauenchor. Da war ihr endgültig klar, dass sie die Einladung einer Hexengilde zu verdanken hatte. Da sie nun hier war und sich ausgeliefert hatte, wie der Text der Botschaft es verhieß, stieg sie aus dem Kamin heraus. In dem Moment ging eine Tür zwischen zwei der goldenen Lampen auf, und eine von Kopf bis fuß sonnengelb vermummte Gestalt trat ein. "Du bist die, die wir riefen", flüsterte die Gestalt. So konnte Laurentine nicht erkennen, ob es ein Mann oder eine Frau, alt oder jung war. Sie ging jedoch von einer Hexe aus und antwortete: "Ich bin Laurentine Hellersdorf. "Dann willst du unsere Einladung annehmen: Ja oder nein!" wurde sie gefragt. Sie dachte noch einmal nach. Wenn sie "Ja"sagte hatte sie sich wohl auf Lebenszeit verdingt. Wenn sie "Nein" sagte würde sie wahrscheinlich unverrichteter Dinge wieder zurückgeschickt, konnte dann aber eben nicht mehr mit einem neuen Angebot von dieser Seite rechnen. "Ja", sagte sie nach zehn Sekunden bedenkzeit. "Dann tritt zu mir und halte dich an mir fest. Keine Angst, es geht nicht nach Italien. Da würden wir beide elendiglich sterben", zischte die andere. Laurentine wusste nun, dass sie an den eigentlichen Zielort apparieren sollte. Das hier war nur eine Zwischenstelle mit Personenkontrolle.
Sie ergriff den Arm der verhüllten Gestalt und entspannte sich. Sie dachte daran, da zu sein, wo die andere sein wollte. Dann umfing sie jener viel zu enge, lichtlose Zwischenbereich zwischen Ausgangs- und Zielort. Das Gefühl, dass alles an ihr in ihren Körper hineingepresst wurde, verflog jedoch nach einer Sekunde. Als sie sich umsah wusste sie, dass sie den endgültigen Zielort erreicht hatte. Und was sie sah lag zwischen Überraschung und Erkenntnis.
Sie stand in einer Höhle, in der eine Kathedrale wie Notre Dame oder das Straßburger Münster hineinpassen mochte. tausend freischwebende Kerzen erhellten diesen weiten Raum. Sie sah jedoch keine Türen. Sie sah nur an die zweihundert Frauen unterschiedlichen Alters. Auf einem Podest stand ein hochlehniger Stuhl mit goldenen Füßen. Auf diesem saß, eingehüllt in einen hellblauen Umhang, niemand anderes als Hera Matine, die residente Heilerin und Hebamme von Millemerveilles.
Diese erste Erkenntnis, dass Hera Matine offenbar zu einer nicht allgemein bekannten Schwesternschaft gehörte, ja sogar deren Oberin oder Sprecherin oder was auch immer war, erklärte einiges, was Laurentine in den letzten Wochen ermöglicht worden war. Ja, und da sah sie auch, wie sich die Gestalt in gelben Tüchern enthüllte. Neben ihr stand Louiselle Beaumont, Heras Nichte. Also sie hatte sie herappariert. Laurentine wusste nicht, ob sie sich nun ärgern oder erleichtert dreinschauen sollte. Bevor sie sich zu einer der beiden Regungen entschließen konnte sprach Louiselle zu den hier versammelten, nichtmaskierten Frauen.
"Verehrte und geliebte Mutter aller erhabenen Schwestern, verehrte und geliebte Mitschwestern, sowohl des duldsamen wie des ungeduldigen Pfades. Hier bringe ich euch eine, die ich für willens und würdig halte, unserer erhabenen und verborgenen Gemeinschaft beizutreten, wenn sie es will und wenn du, Mutter von uns allen, deine Zustimmung erteilst. Hier vor euch steht Laurentine Hellersdorf, Tochter der Renée, Tochter der Monique, Tochter der Valerie, eine im Jahre 1981 geborene Hexe, erst mit ihrem Dasein streitend, aus Angst, ihre Eltern könnten sie sonst verachten und verstoßen, doch dann erkennend, was sie ist und dass sie so sein will wie sie ist." Laurentine wunderte sich, woher Louiselle den Namen ihrer Urgroßmutter in mütterlicher Linie kannte. Sie hatte ihn nie genannt. Hatte ihre Nachhilfelehrerin sie doch heimlich legilimentiert?
Louiselle erwähnte dann noch einige Punkte aus Laurentines noch relativ kurzem Leben, die Schulzeit und das trimagische Turnier. Sie erwähnte ihre selbsterwählte Verpflichtung, die Jungen und Mädchen in Millemerveilles zu unterrichten, aber auch ihre besonders hohen Zaubergaben. Laurentine wusste, dass sie hier erst was sagen durfte, wenn sie persönlich angesprochen wurde. Dies tat Hera, nachdem Louiselle die wohl traditionelle Bitte um Aufnahme der jungen Hexe ausgesprochen hatte.
"Du siehst mich an, als wenn du nicht sonderlich überwältigt wärest, mich in diser Runde zu sehen. Setzt euch alle bitte auf die Stühle. Auch du, Laurentine!" Alle setzten sich hin. "Wie du siehst hat die seit dem Anbeginn dieses Ordens erwachsener Hexen mich zur erstenunter gleichen, der Mutter, der obersten dieses Ordens berufen. Als solche bin ich nicht nur für die Verbindung untereinander, sondern auch für die Wahrung unserer geheimen Ziele und deren möglichst gewaltlose Umsetzung verantwortlich. Die anderen Hexen hier wurden wie damals auch ich von einer bereits eingeschworenen dieses Ordens in diese in jeder Hinsicht hohen Halle gebracht. Jede von uns hatte sich zu entscheiden, ob sie in diese Gemeinschaft eingeschworen werden wollte oder nicht. Nicht jede, die von einer Fürsprecherin hergebracht wurde hat sich dafür entschieden. Es liegt also kein Zwang auf dir, wie du dich entscheidest. Doch bevor ich dir die eine Frage nur einmal stelle möchte ich noch etwas über uns erzählen, vor allem, warum wir nach außen hin "Sororitas silenciosa - die schweigsame Schwesternschaft" genannt werden."
In den nächsten Minuten erfuhr Laurentine, wann die Schwesternschaft sich gegründet hatte, dass sie gegen die Machtgier und Mordlust von Zauberern und Nichtmagiern ausgerichtet war, um eines Tages, auf eine friedliche Weise, die gesamte Menschheit in eine friedliche Zukunft zu führen. Laurentine hörte hin, dachte aber auch daran, dass viele selbsternannten Heilsbringer als Boten des Friedens losgegangen waren und dann als grausame Eroberer die Welt verheert hatten, ob im Namen eines Gottes oder einer Vorrangstellung bestimmter Völker. Insofern war das alles hier tatsächlich eine Verschwörerinnengruppe. Ja, auch dass es innerhalb dieser Gruppe welche gab, die die Weltherrschaft der Hexen nicht schnell genug erreichen konnten. Hera ging davon aus, dass Laurentine Sardonia erwähnen mochte. Deshalb tat sie es von sich aus. "Und jene, die am stärksten von unheilvoller Ungeduld und grausamer Entschlossenheit getrieben wurde war Sardonia vom Bitterwald und viele ihrer treuen Mitschwestern. Natürlich wirst du immer an sie denken, wenn du davon sprechen hörst, dass sich Hexen zu einem geheimen Orden zusammenfinden. Dieses Schandmal klebt an unserer Geschichte wie das Pech. Viele, die sich nicht für unseren Orden entschieden haben begründeten dies damit, nicht selbst zu derartigen Mörderinnen zu werden, wie Sardonia eine war und wie viele von ihr verführte Mitschwestern es wurden. Ja, und du siehst hier auch welche, die ungeduldig sind und lieber gestern als übermorgen die hohe Herrschaft aller Hexen erkämpft haben möchten. Doch wissen sie auch ... Ja, ihr wisst das auch, wohin Sardonias Weg führte, in einen Abgrund aus Angst, Hass, Massenmord und Zerstörung." Laurentine dachte für sich: "Wie bei den Nazis und den Todessern." Hera sprach weiter: "Und gerade um ein zweites Reich der Angst und Morde zu verhüten ist es um so wichtiger, dass immer wieder neue Schwestern den weg zu uns finden, die zwar für eine Vorherrschaft der Hexen auf der Erde eintreten, andererseits jedoch jedes Menschenleben achten und bewahren wollen. Denn nur wer das Leben achtet, darf es auch beherrschen. Nur wer jedes einzelne Leben bewahren mag, vermag auch über alle anderen gerecht zu herrschen. Mit dem ersten aus ungeduldiger Machtgier genommenen Leben gerät der Stein ins Rollen, der alle unter sich zermalmt, die ihn angestoßen haben. Ja, ihr lieben Schwestern, die meinen, sie müssten nur die richtigenLeute ausschalten, um eine möglichst schnelle Herrschaft zu erreichen. Aber diese Leute haben Familienangehörige, Freunde, Vertraute, die ihren Tod nicht klaglos hinnehmen und ihn im ärgsten Fall blutig rächen werden. Deshalb gilt es für uns, andere davon abzuhalten, die Welt, die wir alle lieben, zu zerstören. Denn auch das, meine ungeduldigen Schwestern, wollt ihr nicht wirklich, auch nicht nach den Erfahrungen, die Sardonia gemacht hat. Ich erlaube nun dir, Laurentine, die Fragen zu stellen, die du noch hast."
"Sie haben was von Berufung gesagt, Madame Matine. Heißt das, Sie wurden nicht von der Mehrheit gewählt?" wollte Laurentine wissen. Hera Matine hob ihre Rechte Hand und spreizte den Ringfinger ab. "Bei uns in Frankreich ist es so, dass nach dem Tod der ersten Sprecherin alle Schwestern über fünfzig Lebensjahren sich an diesen Brunnen stellen und durch Hineintunken ihrer Zauberstabführungshand fragen, ob ihnen der Ring der ersten Sprecherin zugeteilt wird. Der Ring wurde von unserer Gründerin erschaffen und auf alle damals lebenden Mitschwestern abgestimmt. Jede, die neu dazukommt wird ihm sozusagen anvertraut. Wen der Ring für würdig befindet, der gleitet er auf ihren Finger und ist danach nicht mehr zu lösen, auch nicht mit Gewalt. Wer dies versucht verliert ihr Gedächtnis vom Zeitpunkt des Eintritts in den Ordn an. In anderen Zweigen dieses Ordens erwählten sich die Schwestern über fünfzig, sofern sie da schon Mütter oder Großmütter sind ihre Sprecherin aus den eigenen Reihen per einfacher Mehrheit aller zur Wwahl angetretenen Mitschwestern, sofern mindestens zwei Drittel der wahlberechtigten zusammenkommen können. Bei den Reihen der Ungeduldigen, die ihre eigene Art der Sprecherinnenwahl haben, kämpfen die zwei Anwärterinnen um die Führerschaft auf Leben und Tod. Wer stirbt verliert. So läuft es aber hier nicht." Laurentine sah mindestens zehn, die nicht auf Heras Seite zu stehen schienen. Deshalb fragte sie: "Ja, aber diese Ungeduldigen dürfen in Ihrem Orden bleiben, Madame Matine. Gilt hier Sunzu?" Laurentine genoss, wie viele ein erstauntes "Häh?!" oder befremdetes "Wie bitte?!" ausriefen. Nur drei Hexen schienen zu wissen, wovon Laurentine sprach: Hera Matine, sowie eine Hexe im dunkelblauen Kleid und eine knapp vierzig Jahre alte Schwester mit dunkelbraunem Haar. "Halt dir deine Freunde nah, doch deine Feinde noch viel näher", deklamierte Hera über die Unmuts- und Erstaunensausrufe hinweg. Schlagartig wurde es wieder still. Laurentine nickte. Denn genau den Spruch hatte sie gemeint. "Wusste nicht, dass altchinesische Kriegskundige bei jungen Hexen bekannt sind", sagte Hera Matine. "ich wurde mit dieser und anderen Weißheiten vertraut, als es darum ging, ob unsere Schwesternschaft tatsächlich in zwei einzelne Orden aufgegliedert werden sollte. Das ist auch schon wieder vierzig Jahre her, nicht wahr, Schwester Cloto.!" Die Hexe im blauen Kleid verzog ihr Gesicht. Sie gehörte zu denen, die offenbar den ungeduldigen Weg beschreiten wollten.
"Auch wenn es denkfähige Leute bei den Magielosen gibt und zwischendurch auch eine intelligente Hexe von denen ausgebrütet wird wie sie dort, so gilt doch, dass diese Maschinenanbeter und Umweltverpester dabei sind, unser aller Erde zu zerstören. Geduld ist da völlig fehl am Platze. Vielmehr wird es Zeit, dass denen, die bei den Magielosen die Macht haben, Einhalt geboten wird. Ihr reitet immer auf Sardonias blutiger Herrschaft herum. Doch verdrängt ihr dabei all zu gerne, dass es ohne den nicht minder grausamen Hexenhass auch unter den Zauberern keine blutige Herrschaft, sondern eine friedliche, mütterlich ordnende Erhaltung von allem geworden wäre. Sardonia hat hundert Jahre lang geherrscht, weil sie es verstand, jene zu überzeugen, die für die Rechtmäßigkeit der Hexenherrschaft eintraten als jene, die ihr entgegenwirken wollten."
"Warum hast du es dann abgelehnt, dich der selbsternnanten Wiedergeburt Anthelias anzuschließen, Schwester Cloto?" fragte Hera Matine. "Du sagtest es, erste Sprecherin, weil es eine Sellbsternannte ist. Wenn sie wirklich Anthelia gewesen wäre hätte sie Millemerveilles offen betreten können, um Sardonias Thron erneut zu besteigen. Hat sie aber nicht."
"Ja, weil sie sich schon zu Sardonias Lebzeiten mit ihr überworfen hat und mehr Macht haben wollte", sagte eine andere der Mitschwestern. "Wenn du schon für Sardonia eintrittst, lern bitte alles, was es über ihre Herrschaft, Getreuen und Feinde zu lesen gibt!"
"Einhalt, meine Schwestern! Diese Diskussion dürfen wir gerne fortsetzen, wenn wir alle darüber beraten haben, ob Laurentine Hellersdorf zu unserer neuen Schwester wird oder nicht", griff Hera in die aufkommende Debatte ein.
"Darf ich fragen, was passiert, wenn ich ablehne, bei Ihnen oder Euch mitzumachen?" fragte Laurentine. "Dann vergisst du alles, was du an diesem Abend erlebt hast, Mädchen", spie ihr diese Cloto hin. Offenbar gefiel es ihr gar nicht, dass Laurentine eingeschworen werden sollte. Oder missfiel es ihr, dass Laurentine nicht ihren Weg mitgehen wollte?
"Es ist richtig, dass du im Falle einer Ablehnung alles vergisst, was du seit dem Fund unserer Einladung erlebt und erfahren hast", sagte Hera Matine ganz ruhig. "Das heißt, du wirst dich an alles erinnern, was du bis dahin erlebt hast, bis auf die Dinge, die in der Zeit vor und kurz nach deiner Geburt in dein Gedächtnis eintraten. Die kannst du nur mit entsprechendem Zaubertrank erinnern."
"Ja, und was passiert mir, wenn ich Ja sage, muss ich dann Ihnen bedingungslos gehorchen und alles tun, was Sie mir befehlen?" wollte Laurentine wissen. "Bei den Ungeduldigen auf jeden Fall. Bei der überwiegenden Mehrheit von uns besteht die Möglichkeit, eine Bitte oder einen Vorschlag zu überdenken. Doch die vernünftigen von uns bringen nur solche Bitten vor, die von den befragten Mitschwestern auch erfüllt werden können, ohne deren Gewissen zu belasten. Aber bevor du es fragst: Offener Verrat gegen unseren Orden und versuchte Verletzungen von Mitschwestern oder deren Angehörigen wird mit der völligen Auslöschung aller Erinnerungen bis zurück zum Zeitpunkt der Geburt bestraft. Damit die so bestraften wieder neu anfangen können geht dies mit einer vollständigen Verjüngung einher." Laurentine erschrak. Das war ja das, was Vita Magica mit denen machte, die denen dummkamen. Keine Hinrichtung, aber auch keine Bewährungsmöglichkeit.
"Also, wenn ich jetzt sagen wollte, eine Ihrer Mitschwestern zu werden, dann dürfte ich keinem außenstehenden verraten, wen ich von Ihnen kenne, egal wie. Aber wenn ich schnell genug alles rausposaune, bevor eine von Ihnen mich davon abhalten kann nützt eine solche Strafe nichts mehr."
"Hörs du es, erste Sprecherin. Sie spielt auf diese Elektrowissensspeicher und -verbreiter an, mit denen die Magieunfähigen unsere Geheimhaltung immer mehr gefährden und die für die wie nach ihrem Bild erschaffene Götzen sind, die mit viel Brennstoff erzeugte Elektrizität brauchen, um zu arbeiten", stieß Cloto aus. Laurentine nickte verhalten.
"Zu deiner Frage Laurentine, wenn du es wagen solltest, unsere Ordensmitglieder zu verraten oder unseren Versammlungsort preiszugeben Wirst du keinen Schritt mehr vor die Tür tun können, ohne im nächsten Moment von einer von uns ergriffen und zu mir gebracht zu werden. Eine halbe Stunde später würdest du dann als Neugeborene ohne langjährige Erinnerungen vor einer Heilstätte der Zaubererwelt aufgefunden und einer berufsmäßigen Amme und Ziehmutter zugeführt. Was du bis dahin an Kenntnissen verbreitet hast würde uns zwingen, alle Speicher und Verwahrer der Speicher zu behandeln, dass sie alles Wissen vergessen. Wie du dir denken kannst sind wir nicht nur in Frankreich, sondern auch in den meisten anderen Ländern der Welt niedergelassen."
"Ja, und wenn du diese elektrischen Wissensverarbeitungsmaschinen mit allem beschickst, was wir nicht preisgeben wollen, Muggelkind, werden wir eben deren Kraftquellen stillegen, damit sie nicht weiterarbeiten können. Die übergroße Abhängigkeit der Magieunfähigen von Elektrizität würde ihre sogenannte naturwissenschaftlich fundierte Zivilisation zu Staub zerblasen. Ja, und auch wenn du dann nur noch schreien und in die Hosen machen könntest würdest du denen von uns helfen, die diesen Irrglauben der Magieunfähigen lieber gestern als morgen aus der Welt schaffen wollen. Denn dann würden diese Schwestern das Chaos nutzen, um zur wahren Herrscherelite aufzusteigen, wie einst die Schwestern um Sardonia", erwiderte Cloto, als sie Hera ums Wort gebeten hatte.
"Da habe ich doch noch eine klare Frage: Warum macht ihr sogenannten Entschlossenen das dann nicht so?" fragte Laurentine nun unerwartet kühn. "Das kann ich euch sogar sagen: Weil in dem Moment, wo das Chaos ausbricht, jeder gegen jeden kämpfen würde. Das ist die Erläuterung von Chaos und Auflösung. Abgesehen davon würden die Staaten, die Atomraketen haben, die noch vor dem totalen Stromausfall in den Himmel schicken, und dann war es das mit der gesamten Menschheit, ob Magielose oder Zauberer." Cloto funkelte sie an, während Louiselle sie mit einer Mischung aus Verärgerung und Anerkennung ansah.
"Genau deshalb wagen sie es nicht, sondern wollen an die Schalthebel der Mächtigen", sagte Hera Matine. "Aber um deinen nassforschen Vorwitz nicht ins Uferlose ausgreifen zu lassen, Laurentine Hellersdorf, ich weiß, dass wir uns schon einige male auch über diese Elektrorechner unterhalten haben. Ebenso habe ich oft mit deinem Schulkameraden Julius und mit seiner Mutter darüber gesprochen, und wir haben beide die Machenschaften eines gewissen Superior aufgedeckt. Geh bitte davon aus, dass meine Mitschwestern mit Kenntnissen der magielosen Maschinenwelt wissen, wo sie ansetzen müssen, um das Geflecht namens Internet zu zerreißen, ohne gleich alle Errungenschaften der magielosen Welt zerstören zu müssen. Das ist auch ein Grund, warum wir sehr darauf bedacht sind, immer neue Mitschwestern dazuzubekommen. Denn viele von denen, die sich damit auskennen, empfinden mehr Unbehagen als Bewunderung vor diesem neuen Geist aus der Flasche."
Laurentine ertappte sich dabei, dass diese Einschätzung auch sie betraf. Einerseits nutzte sie selbst das Internet. Andererseits bekam sie auch mit, wie weit die großen Internetfirmen immer mehr in die Privatsphäre von Leuten hineinfuhrwerkten. Gut, ein Leben ohne Internet erschien ihr selbst nur dann möglich, wenn alle Menschen Hexen oder Zauberer wären. Dann sagte sie: "Dann habe ich jetzt keine weiteren Fragen mehr, außer, wer mich wann in den Staaten beobachtet hat."
"Diese Frage darf nur einer ordentlich eingeschworenen Schwester beantwortet werden", sagte Hera Matine. Damit hatte Laurentine gerechnet.
"Bevor ich dich frage, ob du gewillt und bereit bist, eine der unseren zu werden oder lieber in dein bisheriges Leben zurückkehren möchtest, Laurentine Hellersdorf, so möchte ich alle Stimmen und Gegenstimmen hören, die deine Einberufung betreffen", sagte Hera Matine.
Viele meldeten sich und sagten, wie sie das sahen. Wie nicht anders zu erwarten warr äußerten viele Bedenken, einer Hexe, die ihre Natur zunächst verweigert hatte als vollwertige Mitschwester anzunehmen. Andere erkannten gerade in ihrer eigenen Einsicht, dass Laurentine gerade mit ihrer erfahrung eine würdige Mitschwester sein durfte. Andere sprachen sich dagegen aus, weil sie um die Bewahrung der reinen Hexenehre fürchteten, wenn eine aus der Maschinenzivilisation irgendwann zu den höchsten Stufen der Schwesternschaft aufsteigen mochte. Hier war es vor allem wieder diese Cloto, die damit argumentierte, dass Laurentine zu sehr in der Maschinenwelt ihrer Eltern verankert sei und nur deshalb ihr Leben als Hexe anerkannthabe, weil sie sonst keinen Frieden mit sich und den anderen Hexen und Zauberern bekommen hätte. Cloto brachte sogar noch vor, dass solche Hexen irgendwann den Niedergang der Hexenheit und damit der Zaubererwelt herbeiführen würden, weil sie zu sehr auf die Bedürfnisse der "Maschinenanbeter" eingingen.
"Hat noch wer von euch etwas zu sagen?" fragte Hera Matine. Keine der hier anwesenden meldete sich. "So gilt, dass die Mehrheit beschließt, ob ich Laurentine die Frage aller Fragen stellen soll oder sie ohne Erinnerung an dieses Treffen zurückgeschickt werden soll und ihre Fürsprecherin Louiselle Beaumont dazu angehalten ist, nie wieder für ihre Aufnahme zu bitten. Also, Reckt die Zauberstäbe für die Einberufung!"
Die versammelten Hexenschwestern zogen ihre Zauberstäbe. Unvermittelt richteten dreißig von Ihnen ihre Zauberstäbe auf Hera, Louiselle und zehn weitere Mitschwestern. "In Nomine Reginae!" rief Cloto laut aus. Dann rief sie das erste von zwei verbotenen Worten: "Avada ..."
Sie fühlte, wie die Lebensfreude zurückkehrte. Alle, die sie mochten, ihr vertrauten, atmeten wieder auf. Sicher, die hatten alle erfahren, dass Ladonna Montefiori ein ganzes Land unbetretbar gemacht hatte. Doch weil sonst nichts weiteres geschah kehrten vile Bewohner des Ortes, den sie beschützte, zu ihrer Tagesordnung zurück.
Sie fühlte die mächtige Erscheinung in ihrer Nähe und wandte ihren geist ihr zu. "Mächtige Mutter, die haben sich alle gefreut, wieder was großes feiern zu dürfen. Und Clarimondes Eltern haben sich auch gefreut, dass diesmal alle am selben Tag hinkommen konnten."
"Das freut mich auch, meine Tochter", teilte die mächtige Mutter ihrer Zwei-Seelen-Ausgeburt mit. "Ich bin auch erfreut, dass ich doch wohl nicht in weniger als hundert Jahren über die Brücke gehen muss und die letzten, die leben ihrem eigenen Schicksal überlassen muss."
"Es war gemein von dir, ihn derartig zu treiben und noch gemeiner, ihr diese Angstbilder in den Geist zu schleudern", begehrte die jüngere, die Zwei-Seelen-Tochter auf.
Ammayamiria, du hast es wesentlich besser getroffen als ich. Dein Sein lebt nun in dem gefestigten Körper aus vier Kräften weiter und in all den grünen Bäumen. Aber ich fühle es, dass nur sechs von sieben Erbzeichen mit Leben durchdrungen werden. Selbst wenn ich darauf hätte warten können, dass die Wartespanne der Töchter der kleinen Himmelsschwester verstreicht, so wären die zwei doch immer unruhiger geworden, weil sie jedesmal, wenn sie den Tanz des neuen Lebens tanzen, Angst haben, schon wieder eine Tochter ins Leben zu rufen. Davor sollen sie aber keine Angst haben. Und wie du damals kurz vor deiner Geburt schon erkannt hast ist die etwas ältere aus der großen und fruchtbaren Sippe Erdengrund ebenfalls an Claires einstigem Gefährten interessiert. Was denkst du, warum sie so ruhig und besonnen auf seine Frage gewartet hat."
"Ja, aber gemein ist es doch, jemandem so Angst zu machen, Mutter. Selbst wenn du recht hast und deine Kraft mit jedem Jahr weniger wird, das nur sechs von den Erbzeichen von Leben durchdrungen sind, wäre es doch sicher anders gegangen", widersprach Ammayamiria.
"Wie denn, meine Tochter. hätte ich ihm sagen sollen, dass die Welt in Kürze wieder frei von Übel ist und ihr sagen sollen, dass sie bloß bald das nächste Kind empfangen soll? Nein, ein fünfter männlicher Träger der Erbzeichen muss auf die Welt. Ashtardaisirian, dein Juju, muss ihn hervorbringen wollen und sie auch in die rechte empfängliche Wonne versetzen, seinen Sohn in sich aufzunehmen."
"Und trotzdem ist das gemein, einer Hexe vorzumachen, wegen ihr ginge die ganze Welt unter. Es ist schon schlimm genug, dass diese Blutgötzin und die Nachtschattenkönigin sich um die Vorherrschaft der Nachtunholdinnen streiten. Da musst du es nicht auch noch so hinstellen, als verbrennt die ganze Welt wegen Millies ausschließlichem Recht auf seine Kinder", beharrte Ammayamiria auf ihrem Widerspruch.
"Ich hatte drei Gefährten, von denen ich die sieben bekam, aus denen meine sieben Linien hervorgingen", teilte Ashtaria mit. "Warum soll er das nicht auch erleben. Sie wird ihn glücklich machen und ich hoffe inständig, er sie auch. Sonst nehme ich ihn ganz in mich auf und schicke ihn als Marisols oder Viviane-Aurélies Tochter zurück auf die Welt."
"Und das siebte Erbzeichen, Mutter?""Soll der erwerben, den ich dann neu zurWelt bringen würde. Wie erwähnt, es sind wohl noch hundert Jahre. Doch je schlimmer die Unwesen dort am einen Ende der Weltenbrücke wüten, desto schneller braucht sich die mit meinen Erbzeichen zusammenhängende Kraft auf, wenn nicht alle sieben von einem berechtigten Träger am Körper getragen werden. Desto weniger kann ich diese Kräfte lenken."
"Was sollte dieses Bild mit dem Schlaf der eilenden Zeit, Mutter? Davon hast du mir bisher nichts erzählt."
"Das ist der allerletzte Ausweg, wenn die Welt doch in Brand gerät und die düsteren Wesen alles fressen, was Leib und Seele hat. Weil in dem Körper, den Claires früherer Gefährte hervorgebracht hat, die Kraft der kreisenden Erde, die Macht der beiden ewigen Feuerquellen und die belebende Macht des Wassers mit der Anrufung von Leben aus Liebe vereint sind, kannst du, die diese Kräfte an die richtigen Stellen getragen hast, alle friedfertigen Bewohnerinnen und Bewohner des nun von uns beiden gesegneten Ortes in einen schützenden Schlaf versenken, der erst enden soll, wenn die Welt um sie wieder friedlicher ist. Doch ich hoffe sehr, bis dahin bleibt dir noch Zeit, jedenfalls nach Menschenbegriffen." Dem wollte Ammayamiria nicht widersprechen.
Laurentine war genauso erstarrt wie die anderen schweigenden Schwestern. Dreißig von denen hatten gerade im Chor das erste der beiden geächteten Zauberworte gesagt. Doch bevor sie "Kedavra!" rufen konnten, fielen grüne Glutbälle von der Decke und umschlossen die Aufständischen. unverzüglich schwebten die dreißig Abtrünnigen ganze drei Meter nach oben. Dabei hatten sie sich wie ungeborene Kinder zusammengerollt, zumindest wenn Laurentine die wenigen Male erinnerte, wo Millie oder Camille sie durch einen Einblickspiegel in den gesegneten Leib hatte blicken lassen. Alle hier bangten noch, dass die nun gefangenen das zweite verbotene Wort ausriefen. Da sagte Hera Matine. "Es heißt, im direkten Duell ist der tödliche Fluch nicht zu kontern oder zu blocken. Doch weitsichtige Hexen vor uns allen haben in dieser Höhle Magie gewirkt, die sich enthüllende Feindinnen bei Ausruf eines bösen Zaubers unverzüglich in den Zauber Chlorosphaera Novinitiae einschließen. Seht ihr, sie schrumpfn. In nicht einmalfünf Minuten werden sie so klein und rein wie Neugeborene sein", sagte Hera. "Zwar tut es mir um Cloto Villefort und drei weitere leid. Aber wenn sie wirklich zur Veela-Waldfrauen-Hybridin übergewechselt sind mussten sie aufgehalten werden."
Laurentine sah violette Funken aus den Körpern der Gefangenen schlagen und in den grünen Sphären verpuffen. "Außerdem seht ihr gerade einen weiteren guten Effekt. Im Körper lauernde Flüche entweichen und zerstieben auf der Innenseite der Sphäre. Das geht so behutsam, dass die davon durchdrungenen Körper nicht leiden müssen. Was immer Ladonna ihren Helferinnen angehängt hat, es deflagriert ohne weitere Auswirkungen. Rosmerta war Heilerin, viele erste Sprecherinnen vor ir waren es auch. Wir töten niemanden, wenn es sich vermeiden lässt."
Die grünen Sphären blieben nun stabil, während die darin eingeschlossenen Ex-Schwestern wahrhaftig zu neugeborenen Kindern zurückverjüngt wurden. "So, bevor ich die neuen Erdenbürgerinnen freigebe will ich noch die Abstimmung und die Frage vollenden. Wer befürwortet die Aufnahme von Laurentine Hellersdorf in unserer erhabenen Gemeinschaft?" Diesmal drohten die gereckten Zauberstäbe niemandem . "Wer ist dagegen?" wollte Hera wissen. nur zehn rote Zauberstablichter zeigten, dass Laurentine nicht bei jeder hier willkommen war. Doch die Mehrheit galt. So entschied Hera: "So erkenne ich, dass Louiselles Fürsprache für Laurentine eine breite Mehrheit fand. Laurentine Hellersdorf, Tochter der Renée, Tochter der Monique, Tochter der Valerie, ich, die erste Mutter des erhabenen und alten Ordens der verschwiegenen Schwestern, Hera Diane Matine, Tochter der Alkmene, Tochter der Chloris, Tochter der Diane, frage dich, bist du willens und bereit, die Einberufung als eine unserer Schwestern zu empfangen, mit allen Rechten und Pflichten die diese Auszeichnung beinhaltet, so antworte bitte laut und vernehmlich mit "Ja" oder "Nein"!"
Laurentine erkannte, das sie in wenigen Sekunden ihr ganzes weiteres Leben bestimmte. Sagte sie "Ja", so verpflichtete sie sich ein Leben lang diesen Hexen. Sagte sie "Nein, putzten sie ihr das Gedächtnis bis zu dem Punkt aus, an dem sie von Clarimondes Geburtstagsfeier zurückgekehrt war. Doch innerlich hatte sie doch genau hierhergewollt, erst recht, nachdem diese Spinnenhexe mit ihr Kontakt aufgenommen hatte. So holte sie ruhig ganz tief Luft und sagte schon am Rande des Rufens: "Ja!"
"So tritt vor und stelle dich in den Kreis der Erkenntnis und der Verbundenheit!" sagte Hera. Louiselle kam zu ihr und hakcte sich links bei ihr unter. Behutsam bugsierte sie Laurentine an einen Punkt im Boden, auf dem ein kleiner goldener Fleck glitzerte. Dann schoss um sie herum für zwei volle Sekunden blaues Licht nach oben, und über dem Tisch erschien in freudig rosarot tanzenden Buchstaben: "Habemus sororem novam! Gaudete omnes sorores!"
"Latein wie beim Vatikanstaat?" flüsterte Laurentine Louiselle zu. "Ja, genau", zischte Louiselle Beaumont zurück. Dann küsste sie der neuen Schwester auf die linke Wange. Da trat auch die Sprecherin persönlich heran, zirkelte zweimal mit dem Zauberstab im Uhrzeigersinn über Laurentines Kopf und sagte: Gaudeamus Omnes sorores! Videte sororem novam!"
Sie umarmte Laurentine. Dann küsste sie sie erst auf die rechte, dann auf die linke Wange und dann auch auf den Mund. Währenddessen jubelten all die versammelten Schwestern, die für Laurentines Aufnahme gestimmt hatten. "Sei willkommen, Schwester Laurentine. Möge dein Hiersein uns allen neue Kraft und neue Einsicht schenken!" sagte Hera und berührte mit ihrer beringten rechten Hand Laurentines Stirn. Sie meinte, kurz von Wärme durchflutet zu werden. "Ab jetzt darfst du jene, die dir vorgestellt werden, um Beistand bitten, musst aber auch jeder beistehen, die dir hier vorgestellt wurde." Laurentine begriff. Sie konnte was und wusste was, was viele hier nicht konnten oder wussten. Wer was davon brauchte wusste nun, an wen sie sich wenden sollte.
Die nächste Stunde war damit angefüllt, dass Laurentine die anwesenden Mitschwestern kennenlernte. Deren Namen durfte sie außerhalb dieser Runde niemandem weitergeben. Auch die vorhin gegen sie gestimmt hatten begrüßten sie. "Es war nichts persönliches gegen dich, Schwester Laurentine. Doch mit den aus der Muggelwelt stammenden haben wir früher so unsere Probleme bekommen", sagte Mitschwester Virginie Beaufort. Laurentine bedankte sich für das Willkommen.
Als sich alle kennengelernt hatten besprachen sie sich. Es ging um Ladonna Montefiori und dass Laurentine sogar Angst davor hatte, dass sie nach Amerika kommen mochte, Sie erwähnte auch die Begegnung mit der Frau mit dem roséfarbenen Kleid und der blassgoldenen Haut.
"Sieh an, hat sie sich ganz offen an dich herangewagt", sagte Hera Matine. Dann erwähnte Laurentine, was Catherine und Julius ihr dazu erzählt hatten. "Da haben die beiden leider recht. Das war wohl die neue Anthelia. Zumindest will sie wohl von ihren Schwestern weiter so oder Höchste Schwester genannt werden, wie einst zu Sardonias Zeiten. Insofern war es günstig, dass du unter so vielen Leuten warst."
"Wie gefährlich ist sie?" fragte Laurentine. "Ihre körperlichen Eigenschaften und ihre geistigen Kräfte machen sie so schon gefährlich. Doch mit ihrem Zauberstab und wohl auch diesem Flammenschwert aus dem versunkenen Reich ist sie schier übermächtig. Es gab nur eine, die sie bisher besiegt hat, und das war sie selbst", verriet Hera. So erfuhr Laurentine einiges über die erste Wiederverkörperung Anthelias und nun die zweite, wo sie offenbar mit einer noch mächtigeren zu einer einzigen verschmolzen worden war.
Nach einer weiteren halben Stunde kehrte Laurentine mit Louiselle zurück zu deren Standort. "Ab heute kannst du selbst in unserer Versammlungshöhle apparieren. Du darfst nur niemanden dorthin mitnehmen, die du nicht bei unserer ersten Sprecherin angemeldet hast, um ihr die Gelegenheit zu geben, eine weitere Schwester von uns zu werden. Hältst du dich nicht an diese Regel widerfährt dir womöglich dasselbe wie diesen dreißig unglücklichenEx-Mitschwestern."
"Wo wachsen die denn jetzt auf?" fragte Laurentine. "Sie werden nach und nach an verschiedenen Stellen der Zaubererwelt ausgesezt, aber immer mit einem Begleitschreiben, dass man sich um sie kümmern möge. Wie erwähnt töten die Schutzvorkehrungen niemanden. Laurentine nickte. Dann durfte sie durch den Kamin wieder zurück in die Rue de Liberation 13, Anschluss Pont des Mondes. Alles sah hier noch so aus wie vor zwei Stunden. Doch ab heute war sie doch eine andere. Ihre Eltern hatten sie verstoßen und enterbtt. Dafür hatte sie nun anderswo neue Unterstützung und eine hoffentlich gute Weiterbildung. Das war in den heutigen Zeiten doch sehr wichtig.
Es war ein herzlicher Abschied zwischen Millie und Julius und zwischen Millie und den beiden großen. Millie würde nun in die Stadt Khalakatan reisen und dort weitere Lehrstunden über Feuermagie erhalten. Alle anderenBewoner des Apfelhauses würden nun für drei Wochen ins Sonnenblumenschloss an der Loire umziehen. Weder Aurore noch Chrysope, und auch niemand von den Bürgerinnen und Bürgern Millemerveilles hatte auch nur den Hauch einer Ahnung, welche geheime Vereinbarung die drei erwachsenen Bewohner des Apfelhauses getroffen hatten. Das sollten auch nur ganz wenige Leute erfahren, ganz zum Schluss eine gewisse Blanche Faucon. Denn wenn es gelang, dann war wohl im April die entsprechende Erklärung fällig. Doch bis dahin war noch lange Zeit, Zeit für die lichten und Zeit für die dunklen Wege des Lebens.
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