GEKREUZTE KLINGEN (2 von 2)

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Die Welt ist weiterhin in Aufruhr. Die nichtmagische Menschheit lebt mit den Auswirkungen der Terroranschläge vom 11. September 2001 und dem Vergeltungskrieg der USA und ihrer Verbündeten in Afghanistan und dem Irak. Die Magische Welt hat weiterhin mit den Auswirkungen der von Ladonna Montefiori unbeabsichtigt ausgelösten Welle dunkler Zauberkraft zu tun. Zwar konnte das Erbe Sardonias in und über Millemerveilles endgültig beseitigt werden. Doch die während der Eingeschlossenheit durch eine gasförmige Droge Vita Magicas ausgelöste Fortpflanzungsorgie erlegt den Bewohnern Millemerveilles die Verantwortung für über 750 im nächsten Jahr ankommende Kinder auf. Im Auftrag und mit Hilfe der transvitalen Entität Ammayamiria errichten Millie und Julius Latierre zusammen mit Ashtarias Nachkommen Camille Dusoleil, Maribel Valdez und Adrian Moonriver eine neue, schützende Glocke über Millemerveilles, die nicht wie die dunkle Kuppel Sardonias auf Leid und Tod, sondern Lebensfreude, wachsendem Leben und Liebe gründet. Die dunkle Woge im April 2003 bestärkt dunkle Wesen und Gegenstände. So erwacht die schlummernde Kraft in einem Zauberkessel der Hexenmeisterin Morgause zu unheimlichem Eigenleben. Doch der Kessel wird von den darum streitenden Hexen Anthelia und Ladonna zerstört. Morgauses darin eingelagerte Seele wird von der ebenfalls bestärkten Nachtschattenführerin Birgute Hinrichter vertilgt und gibt ihr damit noch mehr magische Kraft. Auch der Orden der Gooriaimiria gewinnt durch die weltweite Welle dunkler Zauberkraft mehr Kraft. In Australien erwachen die vier letzten Schlangenmenschen Skyllians aus jahrtausendelangem Zauberbann und sorgen über mehrere Wochen für Angst und Unsicherheit, weil sie ihr Dasein ungehindert ausbreiten wollen. Nur die von Anthelia nach Australien geschafften Insektenmenschen, sowie ein machtvolles Ritual australischer Stammeszauberer am heiligen Berg Uluru dämmen die Ausbreitung von Skyllians letzten Dienern ein. Julius Latierre nimmt an mehreren Hochzeitsfeiern teil. Bei der Hochzeit von Gabrielle Delacour und Pierre Marceau in einem abgelegenen Waldschloss bei Amien droht die Geheimhaltung der Zaubererwelt zu scheitern. Denn das Schloss wurde vom US-Geheimdienst CIA als Spionage und Überwachungsstätte benutzt. Nur Julius' Computerkenntnisse und der Zaubertrank Felix Felicis ermöglichen ihm, die drohende Enttarnung der Zaubererwelt zu verhindern. Im Dezember bekommt die Familie Latierre Zuwachs. Zum einen wird den Eheleuten Hippolyte und Albericus Latierre ein Sohn geboren, der eine körperliche Besonderheit aufweist. Er besitzt zwölf Finger und zwölf Zehen. Zum anderen heiratet Hippolytes und Béatrices Cousin Gilbert seine amerikanische Kollegin Linda Knowles, mit der er den Betrug der US-Quidditchmannschaft bei der Weltmeisterschaft aufgedeckt hat. Ein wenig beunruhigt ist er von einem Traum, indem die in magischen Sphären überdauernden Seelen älterer Frauen davon sprechen, dass Millie und er drei Jahre und drei mal so viele Jahre wie sie Töchter haben keinen Sohn bekommen können, weil die Magie der Mondburg dies so eingerichtet hat. Da Ashtaria über Ammayamiria gefordert hat, dass er in den kommenden Jahren seinen ersten Sohn zeugen soll, um den Tod eines Sohnes aus der Linie Ashtarias auszugleichen, weiß er nicht, was er von diesem Traum halten soll. Die ersten Wochen des Jahres 2004 verlaufen ohne erwähnenswerte Ereignisse. Doch die mit dem Schutz der magischen und nichtmagischen Menschen betrauten Ministeriumsbeamten wissen, dass diese Ruhe trügerisch ist. Tatsächlich nutzen die menschenfeindlichen Gruppierungen die Zeit, um bessere Ausgangsmöglichkeiten für weitere Aktionen zu schaffen. Die Sekte der erwachten Göttin errichtet auf jedem der sieben großen Erdteile einen magischen Stützpunkt, einen "Tempel der erwachtten Göttin". Birgutes nachtschatten erweisen sich als die mächtigsten Widersacher Gooriaimirias. Mit dem Machtanspruch Gooriaimirias unzufriedene Vampire erbeuten die Kenntnisse über die Standorte der sieben Tempel. Linda Latierre-Knowles und ihr Ehemann Gilbert erfahren bei einer heimlichen Reise nach Italien, dass Ladonna Montefiori offenbar schon wichtige Posten im Zaubereiministerium kontrolliert und muss nun zusehen, wie sie es denen beibringen können, die ihnen vertrauen.

Die Wochen zwischen Ende Februar und Mitte April werden die anstrengendsten in der Laufbahn der Heilhexe Hera Matine. Denn in diesen Zeitraum fallen die von Vita Magica erzwungenen Geburten von mehr als siebenhundert neuen Zaubererweltkindern. Camille Dusoleil macht am 29. Februar den Anfang mit gleich vier Töchtern. Die Pflegehelfer unterstützen die ausgebildeten Hebammen bei den Entbindungen. Allerdings kommt es zwischen Uranie Dusoleil und dem ungewollten Vater ihrer drei Kinder zu einem Zerwürfnis. Ihr Sohn Philemon fühlt sich zurückgesetzt und versucht dies durch grobes Auftreten zu überspielen. Uranie geht auf Antoinette Eauvives Vorschlag ein, bis auf weiteres in ihrer Residenz, dem Château Florissant, zu wohnen. Bis zum 18. April erfolgen die erwarteten Geburten der von Camille als Frühlingskinder bezeichneten Babys. Zur gleichen Zeit kommt es innerhalb der Werwolf-Vereinigung namens Mondbruderschaft zu einer Entscheidung, ob die Mitglieder sich den eingestaltlichen Hexen und Zauberern anvertrauen sollen, um keine weiteren Opfer des von Vita Magica verfremdeten Vollmondlichtes zu riskieren oder nun erst recht gegen die Eingestaltler vorzugehen. Die Gruppe um den Zauberer Fino, die für ein weiteres Alleingehen eintritt, gewinnt die Abstimmung und damit auch die Entscheidung, wer die Mondgeschwister weiterführen soll.

Ladonna Montefiori will ihre Macht in Italien vervollkommnen, bevor dort die Neuauflage der Quidditchweltmeisterschaft beginnen soll. Hierzu will sie alte Feinde, die ihr schon vor vierhundert Jahren lästig waren, unwiederbringlich entmachten, die Lupi Romani. Sie schürt gezielt Unfrieden zwischen den vier großen Familien und entfacht damit einen Krieg, der drei der Familien an den Rand der Auslöschung treibt. Der zwergenstämmige Clanchef Vespasiano Mangiapietri und seine Söhne können gerade so noch von seiner Großmutter, der reinrassigen Zwergin Lutetia Arno, in Sicherheit gebracht werden, bleiben aber bis auf weiteres im Zauberschlaf. Ladonna wittert nun die Gelegenheit, weitere treue Anhängerinnen unter dem Bann der Feuerrose zu vereinen. Vor allem geht es ihr um die Stuhlmeisterinnen der sogenannten schweigsamen Schwestern. Ebenso will sie die europäischen Zaubereiministerinnen und -minister samt wichtiger Mitglieder ihrer Verwaltung unterwerfen. Doch das Vorhaben in einem Schloss bei Bergamo scheitert an den Spinnenschwestern. Albertrude Steinbeißer verschafft diesen den für die deutschen Ministeriumsabgesandten zugeschickten Portschlüssel. Anthelia reist damit in das kleine Schloss und verhindert mit ihrem Feuerschwert und mächtigen Reinigungszaubern der Erde, dass die Ministerinnen und Minister dem Duft der Feuerrose verfallen. Daraufhin verhängt Ladonna über Italien einen Bann, der nicht dort geborene Hexen und Zauberer tötet, sobald sie in das Hoheitsgebiet des Zaubereiministeriums eindringen. Auch die Stuhlmeisterinnen der schweigsamen Schwestern können Ladonnas Unterwerfungsversuche abwehren.

Laurentine Hellersdorf nimmt den Rat der Heilerin Hera Matine an und nimmt Kontakt mit der Kampfzauberexpertin Louiselle Beaumont auf. Nachdem sie deren Einstiegsprüfung in Form einer Rätseljagd und Vorführung ihrer Zauberkenntnisse bestanden hat trifft sie diese in ihrem abgelegenen kleinen Schlösschen, wo sie erweiterte Verteidigungszauber besonders für Hexen erleidet und erlernt. Während dessen forschen Millie und Julius Latierre nach, was es mit Julius' Traum von den in Sphären überdauernden Geisterfrauen auf sich hat. Die Mondtöchter bestätigen, dass es kein bloßer Traum war. Millie und er können erst dann einen gemeinsamen Sohn haben, wenn sie nach Clarimondes Geburt zwölf Jahre verstreichen lassen. Doch Ashtaria fordert von Julius, dass er in den nächsten anderthalb Jahren einen Sohn zeugen soll, um die Lücke zu schließen, die durch den Tod eines erbenlos gebliebenen Sohnes aus Ashtarias Blutlinie entstanden ist. Außerdem soll er für die Mondtöchter nach drei von der Mondbruderschaft abgerückten Werwölfen suchen, die nach Frankreich gekommen sind. Wenn es ihm gelingt, sie in die versteckte Burg der Mondtöchter zu bringen, können sie von ihrem Dasein als Werwölfe geheilt werden.

Julius findet heraus, dass wahrhaftig drei der Mondbruderschaft entsagende Werwölfe in Frankreich eingetroffen sind. Dem Werwolfkontrollamtsleiter Hubert Fontbleu missfällt das, weil er die Festnahme der drei gerne als Trumpf gegen die Mondbruderschaft ausgespielt hätte. Dennoch muss er sich der Weisung seines Vorgesetzten Beaubois fügen und Julius die drei Abtrünnigen überstellen. Dieser bringt sie wie versprochen zur Mondburg. Die drei dürfen über jene gläserne Brücke, über die auch schon Millie und Julius gegangen sind. Allerdings weist die erste der Mondtöchter ihn mentiloquistisch darauf hin, dass eine der drei, Nina, ein Kind mit der Werwolfkrankheit geboren hat. Auch dieses wollen die Mondtöchter heilen, doch erst später. Weil Fontbleu das mit den drei Werwölfen zum fast eigenen Staatsgeheimnis gemacht hat und weil er Julius willentlich einem umstrittenen Ortungszauber ausgesetzt hat und wegen anderer vorangegangener Verfehlungen wird der Leiter des Werwolfkontrollamtes vom Dienst freigestellt.

Laurentine Hellersdorf beendet ihre intensive Einzelausbildung bei Louiselle Beaumont und reist zu ihren nichtmagischen Verwandten in die USA. Als ihre dort ebenfalls hinreisende Mutter ihr einen Dicken Umschlag mit allen bisherigen Dokumenten aus Laurentines Leben vor Beauxbatons und eine schriftliche Erklärung ihres Vaters übergibt weiß sie, dass ihre Eltern endgültig mit ihr gebrochen haben. Weil ihre Großmutter Monique spürt, dass sich ihre Tochter und ihre Enkelin offenbar im Streit befinden verlangt sie eine Aussprache. Dabei eröffnet Laurentine ihr, dass sie kurz nach Eintritt in die Volljährigkeit aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten ist, was ihre sehr gläubige Großmutter erzürnt. Diese verlangt, dass auch Laurentine ihr Haus verlässt. Es sieht danach aus, dass Laurentine auch den guten Kontakt mit ihrer verwitweten Großmutter einbüßt, ohne dieser verraten zu haben, was mit ihr los ist. Weil sie bei einem Musicalbesuch in New York einer sehr schönen wie offenbar mächtigen Hexe begegnet und später erfährt, dass es die neue Anthelia ist, beschließt sie, Kontakt zu den schweigsamen Schwestern zu suchen. Diese laden sie im Juni zu sich ein und bieten ihr an, ihre Mitschwester zu werden. Doch bevor sie die entscheidende Frage beantworten kann enthüllen sich mehrere Mitschwestern als offenbar abtrünnige, die versuchen, die gemäßigten Schwestern umzubringen. Nur die in der Versammlungshöhle wirksamen Schutzzauber verhindern den Massenmord. die offenbar vom Orden abgefallenen werden in magischen Lichtblasen von einem eingeprägten Fluch gereinigt und vollständig zu neugeborenen wiederverjüngt, wie es die Regeln der Schwesternschaft bei Verrat und versuchten Angriffen auf Mitschwestern vorsehen. Laurentine schwört den Eid der Schwestern und wird somit zu einer weiteren schweigsamen Schwester.

Im Juni treffen sich die Ladonnas Unterwerfungsversuch entgangenen Zaubereiminister und ihre Mitarbeiter in Millemerveilles, weil die neue Schutzglocke keine böswilligen oder von dunklen Zaubern beeinflussten hineinlässt. Millie und Julius nehmen in ihren Funktionen als Berichterstatterin und Veela-Menschen-Beauftragter daran teil. Es wird vereinbart, dass die Neuauflage der Quidditchweltmeisterschaft in Kanada stattfinden soll, da den italienischen Zaubereiverwaltern nicht mehr zu trauen ist. Als Antwort auf diese Entscheidung führt Ladonna den grausamen Ausgrenzungszauber aus, den bereits Voldemort benutzte, um alle nicht auf britischem oder irischem Boden geborene Hexen und Zauberer auszusperren. Italien und Sardinien werden somit für magische Menschen zu gnadenlosen Todeszonen. Ob es einmal möglich ist, Ladonnas Macht zu brechen weiß keiner.

Millie lässt Julius einen schlimmen Albtraum nacherleben, der sie seit Ende Mai umtreibt. Darin offenbart ihr Ashtaria selbst, dass die Menschheit in den nächsten Jahrzehnten von den mächtigen Dunkelwesen und ihren Helfern ausgelöscht werden kann, wenn es Julius nicht bald gelingt einen Sohn zu zeugen. Nachdem Julius alles nachbetrachtet hat, was Millie durchlitten hat, eröffnet ihm seine Frau, dass es trotz der Aussagen der Mondtöchter doch noch einen legalen Weg gibt, dass er in den nächsten zwei Jahren Vater eines Sohnes wird. Zwar ist der Weg für einen auf das Gebot der ehelichen Treue hinerzogenen schwer zu gehen. Doch Julius erkennt, dass er Millie nicht betrügt, wenn sie und er sich darauf einigen, dass er mit einer von beiden anerkannten unverheirateten Hexe den von Ashtaria eingeforderten männlichen Erben zeugt. Die Auserwählte ist Béatrice Latierre, die formal und wohl auch im ideellen Sinne als Retterin des Ehefriedens handeln soll. Béatrice erklärt sich mit der Wahl einverstanden und reist mit Julius mitte Juni ins Sonnenblumenschloss, um bis Anfang Juli den ersten Versuch zu schaffen.

Währenddessen droht in Ostasien ein weiteres von der Welle dunkler Zauberkraft erwecktes Erbe, aus der Vergangenheit in die Gegenwart herüberzutreten. Das von den japanischen Magiern gehütete Schwert Drachenzahn schafft es, einen für seine mentalmagischen Signale empfänglichen Geist zu erreichen, den arglosen, Jungen Takeshi Tanaka aus einem Vorort von Fukuoka auf Kyushu. In verlockenden Träumen bringt er den bis dahin überaus folgsamen Halbwüchsigen dazu, gegen seine Eltern aufzubegehren und sich für mehr Freiheit und Macht zu begeistern. In den Träumen erlebt Takeshi die Entstehung des Schwertes nach. Am 24. Juli 2004 wirkt der Einfluss des dunklen Wächters so stark auf Takeshi und auch dessen Vater ein, dass sich beide gegenseitig angreifen, angeblich, weil der jeweils andere ein tödlicher Feind ist. Dabei schafft es Takeshi, seinen Vater zu töten. Diese unverzeihliche Tat verschafft dem Schwert den Ausweg aus seinem Gefängnis. Es erscheint in Takeshis Händen. Der dunkle Wächter will ihn auch dazu treiben, seine Mutter und seine Schwestern umzubringen. Denn nur dann kann er seine damals beendeten Vorhaben fortführen.

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24.07.2004

Bereits sieben volle Leben hatte sie durchgestanden. In einem ewig erscheinenden Kreislauf wechselte sie von einem Körper zum nächsten, wobei durchaus auch mehrere Jahrzehnte vergehen konnten, bis ein Neuer Körper für sie entstand. Es musste eine Tochter aus ihrer eigenen verlängerten Blutlinie sein, in deren ungeborenen Körper sie dann einzog und dort auf die Wiedergeburt wartete. War sie wiedergeboren vergingen sechzehn Jahre, in denen sie wie jedes andere Mädchen aufwuchs und erblühte. Ab dann forderte Yamanohaha den Preis für das neue Leben, die Wandlung zu einer vollständigen Yokai, einer Berghexe. Als solche konnte sie aus reiner Willenskraft die Gestalt wechseln, Pflanzen und Tieren ihren Befehlen unterwerfen, in gewissen Grenzen den Wind lenken. Doch die Kräfte des Feuers und des Wassers blieben ihr verwehrt. Auch konnte sie nur ihre volle Kraft nutzen, solange die Sonne nur ein Viertel hoch am Himmel stand. Das hieß, dass sie nachts am stärksten war, vor allem bei Vollmond und Neumond. In den ersten 48 Jahren nach Wandlung zur Yamauba durfte sie bis zu achtmal schwanger werden und gebären. Hatte sie dabei die Grundlage für eine eigene verlängerte Blutlinie gelegt, konnte sie die dann noch verbleibenden 192 Jahre als von ihrer Urmutter eingesetzte Erstgeborene von 20 Töchtern ihre Bergregion hüten, allerdings nur unter der Bedingung, dass sie sich in den Bergen verirrende Menschen fing und verzehrte.

Nach genau sechzehn mal sechzehn Jahren erlebter Zeit gestattete Yamanohaha ihrer vor 4096 Jahren zum ersten mal geborenen Tochter, den alten Körper abzulegen und in den kurz vor der Geburt stehenden Körper einer in eigener Blutlinie nachgeborenen Kindestochter neuen Halt zu finden und ein neues Leben zu beginnen. Gab es keinen solchen Körper ging ihre Seele in den tief im erstarrten Leib ihrer Urmutter befindlichen Seelenkristall über und wartete, bis eine geeignete Menschentochter kurz vor der Geburt stand. Wieviel Zeit dazwischen verging bekam die von ihren neunzehn Schwestern auch als "große Schwester der Berge" benannte nicht mit.

Doch während ihres Letzten Lebens war etwas geschehen, was diese lange Kette von Geburt, Tod und Wiederkehr schmerzhaft unterbrochen hatte. Sie hatte den Fehler begangen, den jungen Mann, an dem sie schlummernde Zauberkräfte verspürt hatte, nach dem zur Zeugung ihres ersten Kindes im gegenwärtigen Körper voller Lust zu fressen und ihm dabei nicht nur das Leben, sondern auch die Seele auszusaugen. Diese hatte dann in ihrem Kind Halt gefunden, das dann auch noch ein Junge war. Dieser Halbmensch oder Hanyo hatte bereits weit vor der Wiedergeburt alles erinnert, was sein Erzeuger gewusst hatte. Außerdem hatte sich der Hanyo nach der Geburt zu einem Feuerlenker entwickelt, etwas, dass einer Yamauba und den meisten anderen Yokai, die nicht aus der Kraft der Feuerberge schöpften, verwehrt war. Als sie gemerkt hatte, dass er ihr und ihren lebenden Schwestern zu stark werden würde hatte sie ihn töten wollen. Doch er hatte sie mit seiner Kraft der Feuerlenkung angegriffen und bei lebendigem Leibe verbrannt. So war ihr Geist unter Schmerzen des Körpers und der Seele aus dem sterbenden Körper geschleudert worden und in den für ihn bestimmten Kristall im zur steinernen Ruhe erstarrten Leib ihrer Urmutter gefahren. Ihr war nur die Hoffnung geblieben, dass ihr übermächtig gewordener Sohn und Mörder einst selbst eine Tochter zeugen würde, in der sie dann neuen Halt finden und Vergeltung üben konnte, wenn die sechzehn Jahre des Wachsens und Erblühens überstanden waren, ohne dass er mitbekam, dass sie wiedergeboren war.

Wie üblich nahm sie die vergehende Zeit nicht war. Erst als eine mächtige Kraft ihre steinerne Ruhestatt erschütterte und durchflutete und der ihren Geist beherbergende Seelenkristall laut singend nachschwang erwachte sie wieder. Sie fühlte noch, wie sie aus dem Kristall entschlüpfte, bekam noch mit, dass mehrere wohl auch auf ihre Wiedergeburt wartende Schwestern unverkörpert aus ihren Kristallgefäßen entwichen und erkannte, dass ihr mörderischer Sohn kein einziges Kind gezeugt hatte. Dann war er wohl von ihren damals noch lebenden Schwestern getötet worden. Doch zwei der fünf, die sie beim Verlassen des steinernen Schoßes ihrer Urmutter traf verrietenihr, dass ihr mörderischer Sohn vier der neunzehn anderen mit vernichtender Zauberkraft getötet hatte und sich mit dem Hanyo aus den schwarzen Bergen verbunden hatte, um in dessen kaltem Schatten sein eigenes kleines Reich zu gründen und zu regieren. Offenbar war ihr eigener Geist durch die Woge fremder Kraft so stark geworden, dass er nicht mehr in den bergenden Kristall zurückkehren konnte, um weitere Zeiten zu überdauern. Andererseits konnte sie nicht beliebig weit von diesem fort, um in ihrer für Menschenaugen unsichtbaren Daseinsform einen neuen Daseinszweck zu finden. Immer wieder suchte sie die Höhle auf, in der sie ihren eigenen Mörder geboren hatte. Sie hoffte darauf, dass einmal eine ihrer jüngeren Schwestern hierherkam, um selbst eine Tochter zu gebären.

Dann hörte sie die Stimme ihres missratenen und übermächtigen Sohnes. Er sang in ihrem Geist. Doch sie verstand die Worte nicht. Doch sie spürte, dass er immer stärker wurde. Ja, er hatte einen Weg gefunden, selbst den eigenen Tod zu überdauern. Offenbar war auch er von der unbekannten Woge hoher Kräfte bestärkt worden und suchte nun einen neuen Halt.

Dann war der Tag da, an dem er mit einem lauten Jubelschrei dem bisherigen Gefängnis entfloh und Halt in einer neuen Hülle fand. Sie hörte den Schmerzensschrei eines jungen Menschen, der fast schon zum Mann gereift war. Da wusste sie, ihr Sohn und Mörder war in die Welt der lebenden zurückgekehrt.

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Sie hatten es befürchtet und versucht, es zu verhindern. Doch als es über sie hereinbrach geschah es so plötzlich, dass keine Vorkehrung und keine Gegenwehr möglich waren.

Gegen sieben Uhr abends sprangen sämtliche als Zauberkraftspürer gehaltenen Amikiris in ihren silbernen Maschendrahtkäfigen in die Höhe und flogen laut schrillend immer und immer wieder gegen die unzerstörbaren Wände. Funken sprühten. Blitze durchzuckten die niederen Zaubergeschöpfe. Mit grün blutenden Köpfen stürzten sie auf den sandigen Boden und blieben reglos Liegen. Sie alle wwollten dort hin, wo das Schwert des dunklen Wächters in seinem Kerker lag. Doch bevor Kohaku Murabayashi, der oberste Hüter der Gefahren und Schätze, einen allgemeinen Warnruf aussenden konnte, entluden sich sämtliche Zauber gegen geistige Angriffe und Zugriffe in Form eines rein geistigen Donnerschlages und einer nur in den bildhaften Gedanken der hier wachenden Hüter aufstrahlenden Blitzes. Wer keine eigenen Schutzamulette gegen geistige An- und Zugriffe trug stürzte da wo er oder sie war zu Boden und blieb liegen. zeitgleich mit der Entladung der ortsgebundenen Geisteszauber erzitterte die Erde wie bei einem Beben. Doch sowas konnte das Haus der Gefahren und Schätze nicht erschüttern, da es mit vielfältiger Erdmagie erfüllt war. Dann dröhnten die Gongs, die niemals klingen sollten, und überall im Haus der Gefahren und Schätze schlugen funkensprühend alle Türen zu oder sausten rötlich glühende Fallgitter aus den Decken nieder, um einzelne Gangabschnitte abzusperren. Wer das Unglück hatte, genau unter so einem Fallgitter zu stehen oder zu liegen wurde gnadenlos durchbohrt und zerquetscht, bevor die den Gittern eingewirkten Feuer- und Rückprellzauber die zerschmetterten Körper zu Asche verbrannten. Gleichzeitig wurde es in allen Räumen so kalt, als herrschte dort tiefster Winter.

Einer der fünf von fünfzig Hütern, die das Vorrecht hatten, eigene Geistesschutzamulette zu tragen, war der oberste Hüter Kohaku Murabayashi selbst. Zwar verglühten seine drei Schutzamulette im silbernen Licht. Doch wegen seiner gegen magische und unmagische Feuer schützenden Unterkleidung geschah ihm nichts anderes. Er hörte den fortgesetzten Klang der Gongs, die niemals erklingen sollten und vernahm den zu einem gleichbleibenden Klangteppich gewordenen Nachhall wie einen unsichtbaren Chor von Bassstimmen, der vom Ende aller Zeiten kündete. Da nun alle Türen zugefallen und mit zusätzlichen Verschlusszaubern gesichert waren kam der Hüter nicht mehr auf die übliche Weise aus seinem Wachraum heraus. Er sah im unter den Gongschlägen flackernden Licht der Sonnenlichtwiedergabelampe die reglosen Amikiris in ihren Käfigen. Die niederen Yokai, die auch als Mückenweiser oder Mückenführer verschrien waren, weil sie in den Sommernächten die Schutznetze gegen blutsaugende Kerbtiere zerschnitten, waren alle tot. Jeder lag mit dem aufgeschlagenen Kopf in Richtung jenes Kerkers, wo das Schwert des dunklen Wächters lag. Die Gongschläge verrieten dem Hüter, dass eine gewaltige magische Kraft das Gefüge aller Schutzzauber durchbrochen und viele von diesen entladen hatte. Also musste der Hüter damit rechnen, dass die beseelten Gegenstände, die in ihren eigenen Verliesen gehütet wurden, ihre geistigen Angriffsversuche beginnen würden. Und er hatte kein Schutzamulett mehr dagegen. Auch würden die mit einem unheimlichen Eigenleben erfüllten Gegenstände versuchen, aus ihren Gefängnissen auszubrechen. Er dachte mit Grauen an die im Lauf der Jahrhunderte überwältigten und festgesetzten Kleidungsstücke und Gebrauchsgegenstände, die ihren Besitzern Unglück oder Tod gebracht hatten. Wenn die entkamen drohte seinem Land die Verheerung. Zumindest konnten die allermeisten dieser verfluchten Gegenstände nicht zeitlos den Standort wechseln. Doch sie konnten die hier tätigen Hüter dazu treiben, mit ihnen denStandort zu wechseln. Denn womöglich war auch die dreistufige Barriere gegen den Weg der schnellen Wünsche zusammengebrochen. Der Hüter konnte nur hoffen, dass die noch verbleibenden Minuten Sonnenlicht die ersten Schutzzauber wieder aufrichteten. Doch er fürchtete, dass viele von denen völlig neu ausgeführt werden mussten. Auch fürchtete er, dass die grimmige Kälte die schlagartig in allen Räumen eingekehrt war, die noch handlungsfähigen erfrieren ließ, wenn diese nicht schnellstens die Oberbekleidung gegen übermäßige Hitze oder Kälte anzogen.

Zunächst musste er die Lage prüfen. Er stand auf und wendete vorsorglich den Zauber Geistesschild an, der ihn gegen fremde Gedanken schützte. Dann nahm er sein silbernes Rufhorn und sprach hinein: "Gongs der Warnung. Ihr wurdet vernommen!" Darauf hätten die Gongs, die niemals erklingen sollten eigentlich schweigen müssen. Doch sie schlugen nur in längeren Zeitabständen an als vorher. "Hier spricht Hüter Murabayashi! Wer ist noch handlungsfähig?" Hoffentlich griffen die Schallverteilungszauber noch. Falls die ausgefallen waren war der Hüter auf sich allein gestellt. Während die drei Gongs immer längere Pausen machten lauschte Murabayashi auf mögliche Antworten. Doch es kamen keine. Entweder waren alle außer ihm und den vier Himmelsrichtungshütern von der Entladung der Geistesschutzzauber ohmmächtig oder tot, oder die Schallverteilungszauber waren wirklich ausgefallen. Dann endlich hörte er seinen für Westen zuständigen Untergebenen. "Mir geht es körperlich und geistig noch gut. Doch die zauber gegen Erdkräfte sind in den Himmel entladen worden. Dies könnte das ganze Haus gefährden.""

"Verstanden, Hüter des Westens. Ist noch jemand wach?!" rief Murabayashi in sein Rufhorn. Da meldeten sich auch die Hüter des Ostens, Südens und Nordens. Der aus dem Osten erwähnte, dass die Zauber des Windes noch wirksam waren, aber dafür die Schutzbezauberung gegen "die Boten dunkler Träume" erloschen seien. "Wir sollten bloß nicht einschlafen. Wenn die mit diesen Boten beseelten Dinge uns in unseren Träumen finden werden sie uns in den Tod treiben."

Der Hüter der Südrichtung erwähnte, dass alle der Kraft Feuer verbundenen Zauber, die nicht ausdrücklich auf die Sonne und den Mond bezogen waren, regelrecht vom Erdboden aufgesogen worden waren, als wenn eine tief unter ihnen wirkende Macht diese Zauber als Kraftquelle benötigt habe. Der Hüter der Nordrichtung erwähnte, dass die Sperren gegen dunkles Eis und Schnellwitterwasser erloschen seien, weshalb es in den Räumen so kalt wurde, aber er bereits in seinen Wintergewändern stecke. Der zitternde Hüter aller Gefahren und Schätze erkannte, dass er die besser auch anziehen sollte. Denn selbst wenn noch genug Sonnenzauber wirkten würden die bei nur noch wenigen Minuten Sonnenlicht nicht schnell genug die angenehme Wärme wiederherstellen können.

"Wir müssen unsere Mitstreiter finden und ihnen helfen. Jeder begibt sich aus der ihm zugeteilten Himmelsrichtung in die erreichbaren Räume. Prüft, ob der Wall gegen den Weg schneller Wünsche noch steht. Wenn nicht, nutzt diese Möglichkeit, um durch die versperrten Türen zu kommen. Hütet euch vor fremden Gedanken und vor vielleicht ihren Kerkern schon entkommenen Dingen. Vor allem der Kimono der dunklenGeisha ist sehr gefährlich, vor allem wenn dieser wie alle anderen dunkle Dinge durch die dunkle Welle im letzten Jahr verstärkt wurde. Aber vor allem, prüft, ob das Schwert des dunklen Wächters noch an seinem vorgesehenen Platz ist!"

So begannen die fünf noch handlungsfähigen Bewohner des Hauses der Gefahren und Schätze, den entstandenen Schaden zu ermitteln.

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Er hielt das Schwert in der Hand, jenes Schwert, von dem er in den letzten Wochen immer wieder geträumt hatte. Er fühlte die darin wohnende Kraft. Er sah den Mann mit verdrehtem Kopf auf dem Boden liegen und wusste, dass dies sein Vater gewesen war. Er hatte ihn getötet, weil der ihn töten wollte. Doch nun standen da noch seine Mutter Natsu und seine kleine Schwester Keiko.

"Und nun die drei anderen!" dröhnte dieselbe Stimme, die gerade so gelacht hatte, in Takeshis aufgewühltem Geist. "Los, gib mir auch ihr Blut, damit du deine neue Bestimmung erfüllen kannst!!!"

Takeshi erkannte nun, dass er wahrhaftig von diesem Schwert aus einer unbestimmten Ferne gerufen und gelenkt worden war. In diesem Schwert wohnte ein böser Geist, der nun, wo das Schwert in Takeshis Händen lag, seine endgültige Rückkehr feiern wollte. Takeshis Hände verkrampften sich um den warm pulsierenden Griff des Schwertes. Seine Mutter stand mit tränennassen Augen da. Seine kleine Schwester zitterte und heulte herzzerreißend. Dann tauchte auch noch Naomi, seine drei Jahre jüngere Schwester auf. "Ja, alle drei! Gib mir das Blut aller drei, damit du deine Bestimmung erfüllen kannst!" dröhnte diese böse, nach Mord und Blut gierende Stimme in Takeshis Gedanken. Es war ihm, als hebe sich das in den Händen liegende Schwert selbst zum Schlag. Doch er wollte seine Mutter nicht töten und auch nicht die zwei Mädchen. "Takeshi, wo hast du das her?!" rief Naomii und deutete auf das Schwert. "Sie zuerst, damit sie weiß, woher ich stamme!" befahl die Stimme des im Schwert lebenden Dämons. Doch Takeshis Geist war wach, nicht in gaukelnden, verlockenden Träumen gefangen und fügsam. Sein Gewissen schrie ihm ins Bewusstsein, dass er seinen eigenen Vater ermordet hatte und er seine drei verbliebenen Familienmitglieder nicht umbringen durfte. "Los, mach ihr ein Ende. Ich will ihr Blut!" dröhnte die dämonische Gedankenstimme dagegen an.

Takeshi versuchte, den Griff loszulassen. Doch seine Hände lagen fest verkrampft und wie festgeschweißt um den Schwertgriff. Die Klinge begann bräunlich zu schimmern. "Erfülle deine Pflicht, Erbe meines Blutes!" befahl der Schwertdämon. Takeshi fühlte, wie sein innerer Widerstand schmolz. Er schaffte es noch, den Mund aufzureißen und "Lauft weg!" zu röcheln. Da zuckte die Klinge schon durch die Luft. Gleichzeitig erklang wieder jenes verhängnisvolle Lied in Takeshis Geist, das Lied, das jedem macht und Ruhm verhieß, der ihm folgte.

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Hana und Saburo hatten die Warnung vor dunkler Magie vernommen. Offenbar waren sie hier genau richtig. Doch erst mussten sie mit diesem langsam nach oben surrenden Aufzug auf dem richtigen Stock ankommen. Endlich hielt der Lift. "Da kommen Leute aus den Wohnungen", sagte Hana Koyama, noch bevor die Falttüren auseinanderglitten. "Mann in Gelb, kann dein Silberblitz die alle auf einen Streich nehmen?" fragte Saburo Wakamoto den unsichtbaren Begleiter.

"Nur wenn ihr nicht im Weg steht", hörten sie die Stimme eines der beiden unsichtbaren Begleiter. Als die Türen dann weit genug auseinander waren sprangen Hana Koyama und Saburo Wakamoto nach draußen und in zwei verschiedene Richtungen. Die auf dem Flur zusammenlaufenden Menschen, die sich vor einer Wohnung trafen, blickten kurz in Richtung aufzug. Es ploppte in kurzen Abständen, und fünf silberne, breit ausfächernde Blitze erleuchteten die zwanzig Männer und Frauen. Diese zuckten zusammen und hatten keinen Blick für ihre Umgebung. Hana merkte, dass ihr Schutzamulett gegen fremde Geisteszauber heftig erbebte. Hätte sie das nicht getragen wäre ihr wohl auch die Erinnerung geraubt worden. So konnte sie mit ihrem Kollegen und den zwei nun aus der Unsichtbarkeit heraustretenden die unerwünschten Zeugen mit ungesagten Schlafzaubern bestreichen, jeder zwei auf einmal. So brauchten sie drei Durchgänge, um alle hier versammelten handlungsunfähig zu machen. Mit dem Zauber zur Bewegung großer Körper wurden die vor der gesuchten Tür niedergesunkenen wie von den Händen riesiger Geister zur Seite gerissen. Die Tür war frei.

Sie hörten das hemmungslose Weinen eines Kindes, dann die ängstliche Stimme eines wohl zwölfjährigen Mädchens: "Takeshi, wo hast du das her?!"

Saburo zielte auf die Tür. Diesmal wollte er den magischen Schlüssel nicht benutzen. Mit einem lauten Knall zerbarst die Tür. Dann stürmten Saburo und zwei in Sonnengelb gewandete Begleiter in die Wohnung.

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Die Klinge hätte Naomi fast getroffen, wenn Takeshi nicht im letzten Moment den Schlag verrissen hätte. So fuhr das leicht bräunlich glimmende Schwert in den Boden und steckte fest. Im gleichen Moment ertönte ein lauter Knall von der Wohnungstür her. Takeshi zuckte zusammen und stieß das Schwert dabei einige Zentimeter tiefer in den Boden, der für das mörderische Schwert wohl aus Butter bestand. "Du Wicht, zieh es raus und erschlage deine neugierige Schwester!" grollte die Stimme des im Schwert hausenden Geistes. Takeshi versuchte wieder, sich dagegen zu stemmen, seine wie angeschweißten Hände vom Schwertgriff loszureißen. Doch es ging nicht. "Zieh mich raus und schlag deiner Schwester den Kopf ab! Ich will ihr Blut und ihr Leben!"

Takeshi fühlte, wie aus dem Schwertgriff unheilvolle Ströme in seine Hände drangen, sich über seine Arme in seinen Körper ausbreiteten und ihm Herzschlag für Herzschlag in den Kopf drangen. Der Schwertdämon wollte seinen Körper übernehmen, so wie Takeshi es aus den Mangas und Animes kannte, wo derartig dunkle Gegenstände vorkamen. Wenn er das verfluchte Schwert nicht losließ würde der darin steckende Dämon ihn übernehmen und dann tun, was er wollte.

Da sah Takeshi zwei fremde Männer, einer in einem roten Geschäftsleuteanzug und einen in einem sonnengelben Gewand, auf dem das Symbol einer Roten Sonne prangte. In seinem Geist flammte die Erinnerung an etwas auf, dass er selbst nie erlebt hatte. Er sah sich mit solchen Männern in Gelb kämpfen und wusste wie sie sich nannten: Die Hände der Amaterasu. Diese Erkenntnis entfachte einen solch lodernden Hass in Takeshi, dass er ohne weiteren Widerstand das Schwert aus dem Boden riss. Die Klinge glühte nun in einem blutigen Rot. Er wusste zwar, dass er noch nicht die volle Stärke erreichte. Doch er war zuversichtlich, dass die Macht, die das Schwert aus seinem viel zu langen Schlaf geweckt hatte, auch den Rest von Sonnenlicht überwinden würde, der noch durch die Fenster hereinfiel. "Stirb, Widerling!" riefen die Gedankenstimme des Dämons und Takeshi mit körperlicher Stimme. Dann sah er noch einen weiteren Mann in Sonnengelb. Der Hass auf diese Männer raubte ihm fast den Rest eigener Willenskraft.

Da spannte sich zwischen den zwei Männern in Gelb eine Wand aus goldenem Licht auf, in die das Schwert mit lautem metallischen Klirren einschlug. Goldene Funken sprühten knisternd über die Klinge und stoben von dieser in alle Richtungen fort. "Gib den Jungen frei, Yominoko, Finsterer Fürst!" rief einer der Männer in Sonnengelb.

"Erst wenn der Mond vom Himmel stürzt und die Mutter Erde alle Toten aus ihrem Schoß freigibt", rief der dunkle Wächter durch Takeshis Mund. Er riss an dem Griff und zog das Schwert frei, das nun gelb glühte. Er meinte, sich daran zu erinnern, dass es nach seiner Fertigstellung so langsam reagiert hatte. Das durfte nicht so bleiben. Es musste in Gedankenschnelle gehorchen, nicht mit der Geschwindigkeit eines torkelnden Trunkenboldes.

"Takeshi, du willst nicht töten. Wehre dich gegen ihn!" rief eine Frau im blauen Cocktailkleid und zielte mit einem Zauberstab auf ihn. Er fühlte, wie die Hassgefühle und Mordgedanken zurückgedrängt wurden. Dieses Weib behexte ihn. Ja, die war auch eine von denen. Er versuchte, das Schwert gegen sie zu führen. Doch da rückte die goldene Lichtwand nach. Das Schwert krachte nun darauf und brachte die Wand zum flackern.

Takeshi fühlte, wie der böse Einfluss des dunklen Wächters nachließ. Gleich konnte er das Shwert fallen lassen und sich den aufgetauchten Zauberkriegern ergeben. Da dröhnte mit Urgewalt die Melodie des Schwertliedes in seinem Geist und überlagerte alle seine Gedanken. "So muss es dein Blut sein, das mich endgültig frei macht", hörte er unter den fanfarenartig schmetternden Tönen die Stimme des Dämons und fühlte, wie seine Hände sich wieder stärker um den Schwertgriff verkrampften.

"Hilf mir Saburo. Sing mit mir das Lied des guten Willens!" hörte Takeshi wie aus weiter Ferne die Stimme der Frau im Cocktailkleid. Dann hob er das Schwert an, doch nicht gegen sie oder einen der anderen Eindringlinge, sondern zielte auf seinen eigenen Bauch. Bevor er es begriff geschah es auch schon.

Die glühende Schwertspitze drang in seinen Leib und schnitt eine Wunde hinein. Ein bis dahin ungefühlter Schmerz durchraste Takeshis Körper. Er schrie auf und kippte hinten über. Er wusste, dass er jetzt sterben würde. Der Dämon im Schwert hatte ihn als Versager eingestuft und seinen Tod beschlossen. Es war wie eine Abfolge von Feuer und Elektroschocks, die in ihm tobten. Gleich würde er seinen letztenAtemzug tun und dann in die Nachwelt übertreten, Yomi oder den Himmel der Christen oder sich in einem anderen, neugeborenen Körper wiederfinden. Der Schmerz steigerte sich noch einmal. Dann geschah etwas merkwürdiges.

__________

In der Hauptfestung der Hände Amaterasus schlugen Gongs mit unheilverkündender Tonstimmung an. Hiroki Takayama und die anderen Mitglieder des hohen Rates waren noch einmal zusammengekommen, um über die Gefahr des Schwertes zu sprechen.

Als die ersten zehn Töne der Gongs verklangen prüfte Takayama, was die Ursache für den Warnzauber war. "Das Haus der Behütung der Gefahren und Schätze hat seine meisten Schutzzauber verloren. Etwas mächtiges muss diese alle überwunden und zerstreut haben", sagte Takayama. Er hob die Hand mit dem goldenen Sigelring, einer direktenVerbindung zum hoch ehrenwerten kaiserlichen Oberhofzauberer und Minister für Zauberei und Zauberwesen.

"Höchst ehrenvoller kaiserlicher Oberhofzauberer, soeben erhielt ich die unheilvolle Kunde, dass etwas aus dem von uns geführten Haus für die Bewahrung dunkler Dinge und wertvoller Gegenstände ausbrach. Ich fürchte, die von Euch und mir erörterte Gefahr ist nun da. Das Schwert des dunklen Wächters hat seine volle Stärke erreicht."

"Meine Vorgänger gaben Euren Vorgängern das Recht und die Pflicht, von bösen Zaubern befallene Dinge zu verwahren. Seht zu, dass nichts davon an unschuldige Menschen gerät!" hörte er aus dem Ring die Stimme des höchsten Zauberers von Japan.

"So soll es geschehen", erwiderte Takayama und gab die Anweisung an die fünfzehn übrigen Ratsmitglieder weiter. Jedes Ratsmitglied konnte zwölf Truppenführer der Hände Amaterasus erreichen. Jeder Truppenführer konnte auf fünf Dutzend Getreue zugreifen. Innerhalb von einer Minute wussten sämtliche wachen Hände Amaterasus, dass das Haus der Behütung von schützenden Zaubern entblößt war. Gleichzeitig traf bei einem der Ratsmitglieder die Gedankenbotschaft ein, dass der Geleittrupp für die Ministeriumsmitarbeiter Hana Koyama und Saburo Wakamoto das Schwert des dunklen Wächters gefunden hatten, das sich einen Halbwüchsigen als neuen Träger ausgesucht hatte.

"Das soll mir Murabayashi erklären, wie das Schwert aus allen es umschließenden Sperr- und Unterdrückungszaubern freikommen und in die Umgebung von Fukuoka wechseln konnte", dachte Takayama. Er begab sich durch den silbernen Schrank direkt ins Haus der Behütung gefährlicher und wertvoller Dinge. Vier kampferprobte Zauberkrieger begleiteten ihn.

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Auf einmal war aller Schmerz vorbei. Takeshi fühlte, wie er sich erhob. Er fühlte sich völlig schwerelos wie in der internationalen Raumstation. Alle bösen Gedanken, aller Hass waren fort. Er schwebte mindestens einen Meter über dem Boden. Er sah von oben denFlur mit den zwei Fremden in Sonnengelb. Doch wo waren der Mann im roten Anzug und die Frau im Cocktailkleid, und wo waren seine Mutter, Naomi und Keiko?

Er stieg immer weiter nach oben und sah seinen Körper, aus dem er hinausgetrieben worden war. Da wusste Takeshi Tanaka, dass er endgültig gestorben war. Gleich würde ein dunkler Schlund oder ein silberner Lichttunnel ihn aufnehmen, und er würde auf ein immerhelleres Licht zurasen, vielleicht von denen, die schon tot waren gerufen und begrüßt werden, bevor er eins mit dem Licht wurde oder in das dunkle Reich Yomi eintreten, wo die Urgöttin Izanami herrschte, und von wo es keine Rückkehr mehr gab. Der Dämon des Schwertes hatte ihn einfach so umgebracht, weil er seine Mutter und seine Schwestern nicht töten wollte. Ja, er hatte noch ein Gewissen gehabt, obwohl der Schwertgeist ihn durch die ihm geschickten Träume den Wunsch nach mehr Eigenständigkeit und Macht ins Hirn pflanzen wollte. Doch nun musste der Dämon im Schwert wohl zulassen, dass die beiden in Sonnengelb und womöglich noch die beiden anderen die Waffe auflasen und magiesicher verpackten. Deshalb waren die doch wohl hergekommen.

Dann erkannte Takeshi, der gerade nur eine entleibte, hilflose Seele war, worin der böse Plan des Dämons bestand. Der wollte sein Blut haben, weil er ihm nicht das Blut seiner Mutter und seiner Schwestern gegeben hatte. Es würde ihn wieder stark machen. Dann sah der unter der decke schwebende Geist, wie sein toter Körper sich regte, wie das Schwert aus der tödlichen Wunde herausglitt und dann in einem hellroten Licht glühend mit der flachen Seite über die tiefe Wunde strich. Der Körper Takeshis glühte im selben roten Licht auf. Dann hörte Takeshis Geist das triumphierende Lachen des dunklen Wächters und seinen offenbar nur von Geistern hörbaren Ausruf: "Ich bin wieder daaaaa!!!!"

Takeshi sah, wie sein Körper völlig unversehrt auf die Füße sprang und das nun im weißgoldenen Licht erstrahlende Schwert durch die Luft schwang. Er hörte mit nicht vorhandenen Ohren das überlegene Lachen aus dem Mund seines eigenen Körpers. Warum wurde sein Geist nicht längst von den Mächten der Nachwelt ergriffen und hinübergezogen?

"Und nun sterbt alle!" rief der in Takeshis Körper auferstandene Unheilsbringer.

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Er hatte wieder einen Körper. Er, der finstere Meister, der Hüter der Tore von Yomi, Tod seiner zweiten Mutter, Bezwinger von Sojobo, Herr der flammenden Kreaturen, der dunkle Wächter. Dieser zimperliche Knabe, den er eigentlich schon für sich erobert geglaubt hatte, hatte ihn mit seiner doch noch bestehenden Liebe zu seiner Mutter und den zwei Mädchen aufgehalten. Dann hatte ihn eine Hexe im himmelblauen Gewand mit einem Friedenswillenzauber zurückzudrängen versucht. So war ihm nur geblieben, das Blut des Knabens an das Schwert zu bekommen, die Seele des Weichlings aus dem angeborenen Leib zu stoßen und dann selbst darin Halt zu finden. Mit dem Feuer der Genesung, einem der wenigen Heilzauber, die er konnte, hatte er sich mit dem Schwert von der tödlichen Wunde befreit. Jetzt wollte er die Feinde töten. Ja, das Schwert strahlte weiß und verhängnisvoll. Die Berührung seiner Klinge würde wie Drachenfeuer brennen. Doch er musste das Blut der beiden Mädchen vergießen, um seine ganze Stärke zurückzuerhalten. Denn er fühlte, dass der Geist des Knabens noch in der Nähe war. Irgendwas band ihn mit einem hauchdünnen Faden an seinen Körper, wohl weil der dunkle Wächter es nicht zugelassen hatte, dass der Leib endgültig starb. Erst wenn kein Blutsverwandter mehr von ihm lebte würde der an der Welt baumelnde Geist des schwächlichen Bengels in die Tiefen des Vergessens stürzen.

Er sah, dass die Frau und die Mädchen nicht mehr da waren. Er fühlte sie auch nicht. Außerdem waren nur noch diese zwei Sonnengelben da, die nun wieder ihren verwünschten Sonnenlichtwall machten, an dem sein Schwert abgeprallt war. Doch jetzt gehorchte ihm das Schwert wieder wie sonst. Sie beide waren wieder eins, auch weil er sich nun auch körperlich wieder frei bewegen konnte.

Der goldene Wall wurde wieder stärker. Dann tauchten mit lautem Plopp gleich vier weitere Sonnengelbe auf, die sogar Hüte mit dem verhassten Sonnensymbol trugen. Der dunkle Wächter fühlte, dass die sechs Fremden ihn wieder niederkämpfen würden, wenn er nicht die Flammen der Vergeltung mit dem ewigen Feuer der Erde verband. Gut, dass er diese Zauber in sein Schwert eingefügt hatte. So brauchte er nur die betreffenden Wörter und Bilder zu denken.

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Der seines Körpers beraubte Takeshi bekam mit, wie noch vier Männer in Gelb eintrafen. Einer von denen hielt eine Art Taschenlampe, aus der ein silberner Blitz auf den Dämon in seinem Körper übersprang. Dieser und sein Schwert sprühten silberne Funken. "Öööiiii!!" stieß der Körperräuber urwelthaft aus. "Dafür frisst euch alle das Feuer der Rache!" rief er.

Das Schwert schien zu explodieren. Weiße Flammen schlugen daraus hervor und erfüllten den Flur des Schlaftraktes der Tanakas. Die sechs Männer in Sonnengelb standen unvermittelt in einer überlebensgroßen Rüstung aus goldenem Licht da. Alles andere loderte auf. Rauch wölkte auf und zündete mit lautem Paffen durch. Innerhalb von nur drei Sekunden standen der Flur und ein Teil des zentralen Essraums in gelborangen Flammen. Der unfreiwillige Beobachter Takeshi sah, dass sein geraubter Körper und das Schwert in orangerotem Licht erstrahlten. Ihnen machten die Flammen nichts aus. Die sechs Zauberer, zumindest ging Takeshis entkörperter Geist davon aus, dass es solche waren, standen in ihren goldenen Schutzzaubern wie Statuen. Das Tosen, Knistern und Prasseln des entfachten Feuers war laut. Sämtliche Rauchmelder in der Wohnung schlugen Alarm. Und über all das drang das von den Folgen des Stimmbruchs angekratzte Lachen aus Takeshis Mund. "Dagegen kann euch selbst das ewige Feuer der Sonne nicht lange schützen, wie? Das ist die Glut aus der Erde selbst. Gleich brechen eure Schutzzauber zusammen. Ach neh, solange warte ich nicht."

Der Geist sah, wie sein rechtmäßiger Körper sich dem ersten zuwandte und das orangerot glühende Schwert schwang. Keine Sekunde später durchschnitt die Klinge laut krachend die goldene Abschirmung und trennte dem Zauberer den Kopf vom Rumpf. dieser flammte noch im Flug auf und landete in der gierigen Lohe. Die anderen Fünf Zauberer wussten nun, dass herumzustehen den Tod brachte. Sie bewegten sich. Doch dabei verwischten ihre goldenen Lichtrüstungen. Außerdem war der Schwertkämpfer nun schneller. Denn sein Schwert hatte Feindesfleisch und -blut gekostet. Ein weiterer Zauberer verlor seinen Kopf. Die anderen schafften es noch, sich auf der Stelle zu drehen und mit einem das Tosen des Brandes übertönenden Knall im Nichts zu verschwinden.

"Feiglinge!!" brüllte der Körperräuber. Dann suchte er nach denen, die er noch töten konnte. "Ich werde sie finden. Das Blut der zwei letzten Schwestern wird das Schwert speisen und mich endgültig stärken."

Die Wohnung brannte nun lichterloh. Takeshis Geist hörte über all Rauchmelder. Er fürchtete, dass seine Nachbarn diesen Brand nicht überleben würden, so höllisch tobte dieser. Er fand heraus, dass er nicht ganz so unbeweglich war. Wenn er wollte, konnte er vorwärts, seitwärts, auf- und abwärts gleiten. Doch wenn er sich seinem angestammten Körper näherte, traf er auf einen laut brummenden Widerstand, als versuche er, durch ein großes Transformatorenhaus hindurchzurennen.

Der dunkle Wächter stürmte durch die brennende Wohnung. Takeshis Geist versuchte, ihm zu folgen. Dabei bemerkte er, dass er sich gar nicht anstrengen musste. Irgendwie hing er an dem eigenen Körper wie an einem ganz dünnen, dehnbaren Gummiseil, das immer wieder zusammenschnurrte.

Auf dem Flur war niemand. Doch die Nachbarwohnungstüren standen weit offen und luden das gefräßige Feuer ein, auch dort einzudringen. Takeshi dachte mit sehr großen Sorgen an all die Nachbarn, die er, wenn er sie im Fahrstuhl oder auf den Korridoren getroffen hatte, immer freundlich gegrüßt hatte. Zwischendurch hatten Naomi und Keiko auch mit deren Töchtern zusammen gespielt, und Takeshi erinnerte sich, dass er mit elf noch auf dem Innenhof zwischen den Appartmenttürmen mit den Jungs Fußball gespielt hatte. Die alle waren jetzt in großer Gefahr, nur weil er das geniale Medium für einen echten Höllengeist war. Nur er? Sein Vater war mit einer Pistole zu ihm gekommen, wollte ihn mit auf das ungesicherte Dach nehmen, um ihn da runterzustoßen. Nein, der Dämon hatte beide befallen. Nur dass Takeshi wohl aus irgendeinem Grund empfänglicher für den gewesen war. Und jetzt holte das Höllenfeuer die ganzen unschuldigen Leute hier. Die Yamuras, die Miyagis und alle hundertzwanzig anderen Familien, die in diesem Hochhaus wohnten.

Die Seele Takeshis erinnerte sich an die Bilder vom elften September 2001. Da waren Menschen in heller Panik aus mehr als 200 metern in die Tiefe gesprungen, weil sie aus den Flammen flüchten wollten. Würde das hier auch passieren?

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Sie hatte sofort begriffen, was den dunklen Wächter antrieb. Er hatte sich den Körper des Jungen gegriffen und wollte dessen kleine Schwestern und wohl auch die Mutter töten. Das Töten von Blutsverwandten gehörte zu den schlimmsten Dingen, die ein denkendes Wesen tun konnte. Seinen Vater hatte der Junge schon im Bann des dunklen Wächters ermordet und das Schwert damit zu sich hinbeschworen. Jetzt wollte der zum Dämon gewordene Erzdunkelmagier den Jungen dazu treiben, die drei anderen Blutsverwandten mit dem Schwert zu töten, auf dass der böse Geist noch mehr Blut trinken konnte.

Als ihr Vetter Takeru und sein ihr nicht vorgestellter Kollege den Besessenen angingen, ja dessen ganze Wut auf sich zogen, handelte Hana Koyama. Sie ließ Mutter und Töchter erstarren und auf Puppengröße einschrumpfen. Ein kurzes Nicken zu ihrem Kollegen, und sie hoben beide die Verkleinerten auf. Dann liefen sie aus der Wohnung hinaus, als sie hörten, dass der Besessene die Lichtwand der beiden Helfer in Sonnengelb angriff. "Die Nachbarn. Wenn der dunkle Wächter es schafft ..." zischte Saburo Wakamoto. Hana nickte. So gingen sie noch rigoroser vor. Sie verwandelten alle schlafenden Nachbarn in Sojabohnen. Saburo beschwor aus dem Nichts einen Tragesack. Hana ließ die Verwandelten in den Sack hineinwehen. Dann disapparierten sie.

"Großer Abwehr- und Aufräumtrupp zu folgender Adresse!" rief Saburo, als sie in der Einsatzzentrale der Außentruppen ankamen. Die verkleinerten Mitglieder der Familie wurden in einer Nische auf Leinen gebettet und in noch tieferen Schlaf gezaubert. Sollte ihr Sohn und Bruder zu retten sein würden sie was machen, um sie mit einer anderen Erinnerung weiterleben zu lassen.

Die in Sojabohnen verwandelten Wohnungsnachbarn wurden in eine große Kiste umgefüllt. "Das müssen wir notfalls mit allen machen, falls der dunkle Wächter nicht aufzuhalten ist", sagte Saburo.

Mit dem großen Außentrupp ging es ins Haus zurück. Es galt, die Unschuldigen zu schützen, während die Hände Amaterasus sicher schon Verstärkung angefordert hatten. Takeru hatte ihr mal gestanden, dass sie, wenn sie einen gefährlichen und schier unbesiegbaren Gegner vor sich hatten, einen magischen Notruf mit Standortangabe im Bezug zum Berg Fuji absetzten und dann mindestens die dreifache Zahl der vorausgeschickten Einsatzkräfte dazubekamen. Sollten die sich also um den dunklen Wächter kümmern. Hoffentlich gelang es denen, ihn in das Schwert zurückzubannen und das Schwert von dem Jungen zu lösen, auch wenn der danach endgültig sterben mochte.

Eine Vielzahl laut viepender Töne von elektrischen Warnvorrichtungen empfing die Hundertschaft der Einsatzzauberer. Der dicke Rauch und der flackernde Widerschein verrieten, dass auf dem betreffenden Stockwerk ein Feuer ausgebrochen war. Sofort hüllten sich alle Einsatztruppler in Kopfblasen ein, um nicht den giftigen Rauch einzuatmen. Dann eilten sie über die Treppen in die nächsten Stockwerke, wo sie zusahen, wie die Nachbarn aus den anderen Wohnungen flüchteten. Ein kleines Mädchen weinte, weil seine lieblingspuppe ein großes Loch im Kopf hatte. "Die haben Mimi erschossen", heulte es, während die verängstigten Eltern es zu den Nottreppen trugen. Denn über den Fahrstuhltüren leuchtete die Warnung:

Achtung! Feuer im 15. Stock. Fahrstühle nur noch nach unten benutzen. Ansonsten die Fluchttreppen nutzen. Bitte keine Panik!"

"Die sind lustig", grummelte einer der ausgerückten Abwehrzauberer. Dann musste er einer im Laufschritt aus ihrer Wohnung eilenden Familie ausweichen.

Auf dem brennenden Stockwerk schafften es die Abwehrzauberer unter Einsatz von Brandlöschzaubern, die noch in den Wohnungen festsitzenden Nachbarn zu befreien, wenngleich das für diese hieß, ebenfalls als Sojabohnen in einem Sack abtransportiert zu werden.

Die Wohnung, von der Hana berichtet hatte, war bereits ein einziges gleißendes Flammenmeer. Gerade zerbarst das südliche Wohnzimmerfenster unter der Hitze. Die dadurch einströmende Frischluft entfachte das Feuer noch wilder. Hana war froh, dass auch ihr Coktailkleid die eingewebten Schutzzauber gegen Hitze und Flammen trug. Sie blickte mit ihrem linken Auge umher. Damit konnte sie warme Körper und unsichtbare oder hinter festen Hindernissen versteckte Dinge und Wesen sehen. Sie konnte das für sie überhelle Feuer ausfiltern und die langsam im Brand verkohlenden Wände und Decken absuchen. Doch den dunklen Wächter sah sie nicht. Er war in keinem der Räume. Dann sah sie bereits von den Flammen verkohlte Körper und erkannte an den geschmolzenen Metallstücken, dass es wohl zwei der Hände Amaterasus waren. War Takeru dabei? Dann hatte der Wächter sie beide auf einen Schlag besiegt. Doch wozu das Feuer? War das nur Wut, weil er die drei Angehörigen des Jungen nicht hatte töten können?

Hana fand auch den toten Vater des Jungen. Er war bereits größtenteils zu Asche verbrannt. So heiß war das Feuer, dass es das alles in so kurzer Zeit konnte? Dann sollte sie zusehen, hier wieder rauszukommen. Denn ihr Flammenschutz reichte nur eine Stunde aus, bevor er sich am Sonnenlicht wieder aufladen musste. Bei diesem Höllenfeuer hier, an dem die Endzeitpropheten der Katholiken und Zeugen Jehovas ihre himmlische Freude gehabt hätten, mochte ihr Feuerschutz nur eine halbe oder Viertelstunde ausreichen.

"Raus hier. Nur noch die Nachbarn schützen. Der dunkle Wächter ist nicht mehr hier!" rief Hana Koyama durch ihre Kopfblase.

"Haben gerade orangerot glühenden Schemen durch die Gänge rennen sehen. Zwei von uns sind mit Hilfe des Zehn-in-Eins-Zaubers hinterher. Es muss der dunkle Wächter sein, im Körper eines Halbwüchsigen", meldete einer der Außentruppler über die Schallverteileramulette, die jeder bei sich trug. Hana vermutete, dass auch der besessene den mächtigen Zehn-in-Eins-Zauber verwendete, weil ihre Kollegen ihn sonst sofort erwischt und entwaffnet hätten.

"Auch wenn es ein Gastkörper ist. Wenn er angezielt werden kann und nicht einem Lähm- oder Schlafzauber unterliegt tödliche Magie anwenden. Danach das Schwert mit fluchsicheren Hilfsmitteln aufnehmen und in Mondbleikiste verpacken!" befahl eine Männerstimme, die alle vor Ehrfurcht innehalten ließ. Das war niemand anderes als Zaubereiminister Ninigi Takahara höchst selbst. Seinem Befehl folgte ein sehr kurzes Geräuschwirrwarr aus Piepsen und Zirpen.

"Aramäische Todesflüche gelingen nur, wenn jemand sie im unbeschleunigten oder unverzögerten Zustand ausruft", wagte es ein anderer Zauberer, der Stimme nach wohl ein Truppenführer, einzuwerfen.

Ein schnelles Piepsen und Zirpen von weniger als einer Sekunde klang erneut aus dem Schallverteiler. Danach erklang leicht blechern: "Dunkler Wächter in Elektrofahrstuhl nach unten." Wieder piepte, quiekte und zirpte es. Hana erkannte, dass das die in zehnfacher Beschleunigung befindlichen Einsatztruppler waren. Doch sogleich übersetzte ihr Schallverteiler: "Dunkler Wächter hat mit weißglühendem Schwert Loch in Boden gebrannt und sich aus fahrendem Elektrofahrstuhl gestürzt." Dann kam wieder eine in überhöhter Geschwindigkeit erfolgende Meldung, die mit "Dunkler Wächter mit glühendem Schwert voran durch hohe Längsachsendrehgeschwindigkeit in boden eingedrungen. Gräbt sich in die Tiefe und verschwindet aus Erfassung. Versuchen Nachzusetzen."

"And die Hochgeschwindigkeitsverfolger: Wächter mit unzerstörbaren Pfeilen beschießen. Tod des Gastkörpers ist hinzunehmen!" klang Takaharas Stimme aus dem Schallverteiler. Gleich darauf zirpte, pipste und zischte es, wohl die auf die hohe Geschwindigkeit angehobene Übersetzung des Befehls.

"Ich freu mich schon auf die Aufstufung", dachte Hana und fügte hinzu: "Denn dann habe ich diesen Irrsinn überlebt und darf auch wissen, wie das mit den Geschwindigkeitszaubern und Meldungsübersetzungen geht."

Die Ministeriumszauberer hielten den Flüchtenden aus den oberen Etagen die Laufwege mit Eiswasser frei und machten die Nicht-beachten-Zauber, damit die Fliehenden nicht mitbekamen, wie hier mit Magie herumgewerkelt wurde. Als außer den Hexen und Zauberern niemand in den oberen, lichterloh brennenden Stockwerken unterwegs war kam die erst zirpende, piepsige Meldung, dass man versucht habe, den Wächter mit unverwüstlichen Silberpfeilen zu erschießen, der aber die Pfeile mit dem glühenden Schwert abgewehrt habe. Dann sei er in einer wilden Feuerspirale verschwunden. Gleich danach hatte die Erde zu beben begonnen. Die Hochgeschwindigkeitszauberer mussten zu Fuß aus dem zusammenbrechenden Tunnel flüchten, weil der Zehn-in-Eins-Zauber kein Disapparieren erlaubte. Doch von fünf Verfolgern schafften nur drei den Ausstieg aus dem gegrabenen Tunnel. Dann brach der unterirdische Laufgang des dunklen Wächters in sich zusammen. Alles darüberliegende rutschte polternd und knarzend nach.

"Der hat sich abgesetzt, Leute", sagte einer der Einsatzzauberer. Darauf antwortete Takahara: "Einsatz für diesmal beendet. Alle Einsatzkräfte zurück zum Stützpunkt! In Obhut genommene Nichtzauberer mit Erinnerungen an eine knapp gelungene Flucht zu den eigenständig fliehenden dazugesellen! Truppenführer erstatten schriftlichen Bericht an ihren Vorgesetzten. An den Leiter der Außeneinsatztruppen: Notfallbesprechung in zwanzig minuten in meinem Besprechungsraum!"

""Takeru, gibt es dich noch?" gedankenrief Hana ihren Vetter. Doch der antwortete nicht. "Takeru, lebst du noch?" versuchte sie es erneut. Doch sie hörte nicht einmal den Nachhall, der eine erfolgreiche Gedankenübermittlung bestätigte. "Takeru, bitte melde dich, wenn du noch lebst!" versuchte sie es ein drittes mal. Immer noch empfand sie keinen Nachhall. So gedankenrief sie ihre Mutter, die Tante Takerus und fragte sie, ob ihre Schwester schon was von ihm gehört hatte.

"Hana, Takeru wurde bei einem Einsatz getötet. Chikako hat es mir gerade mitgeteilt. Sie konnte nur noch seinen geistigen Todesschrei hören. Was weißt du über diesen Einsatz und darfst mir davon berichten?"

"Mama, auch wenn ich dir das nicht sagen dürfte, aber du und Tante Chikako sollen es wissen: Takeru starb im Kampf gegen den zurückgekehrten dunklen Wächter", schickte Hana an ihre Mutter.

"Der dunkle Wächter? Der finstere Fürst, Hüter der Tore von Yomi, Herr der Yokai? Das darf nicht wahr sein." Hana bestätigte es und auch, dass sie das legendäre Schwert des Wächters in den Händen des von ihm ausgesuchten Menschen gesehen hatte.

"gut, mehr darf ich dann wohl nicht wissen. Ich teile es Chikako mit, damit sie weiß, wofür ihr Sohn gestorben ist", gedankenantwortete Hanas Mutter.

__________

Hundert Hände Amaterasus waren auf den Warnruf des hohen Rates hin zum Haus der Gefahren und Schätze geeilt, um den dort wachenden Mitstreitern beizustehen. Es galt, die Hüter tot oder lebendig zu finden und vor allem den vielleicht aus ihren Verliesen entkommenden beweglichen Erzeugnissen dunkler Zauberkraft entgegenzutreten. Weil dort selbst auch die Hinterlassenschaften des Yominoko, des dunklen Wächters, aufbewahrt wurden, galt es, diese zu bändigen. Deshalb war auch Izanami Kanisaga mit dabei. Denn sie war die Erbin des vor fünfhundert Jahren von einem ihrer Urahnen geschmiedeten und mit starken Feuerzaubern und Feinderkennungszaubern versehenen Schwertes Kurayami de no Kaminari no Katana, was in westlichen Sprachen soviel wie "Blitz in der Dunkelheit" hieß. Izanami dachte mit einer Mischung aus Furcht und Entschlossenheit, dass ihr Schwert heute oder in allernächster Zeit seinen größten Gegner antreffen würde. Denn sie wusste, dass auch das Schwert des dunklen Wächters starke Glutzauber in sich trug und wegen seiner Beschaffenheit als unzerstörbar galt.

Izanami Kanisaga war offiziell bisher nur einmal im Haus der Gefahren und Schätze gewesen. Das war fünf Jahre nach dem Abschluss ihrer Ausbildung als Hexe im hoch ehrenwerten Orden der Hände Amaterasus. Der Hüter Murabayashi hatte ihr einige der bedenklichen Gegenstände gezeigt, die hier verwahrt wurden. Die meisten davon schwammen in einer halbdurchsichtigen Flüssigkeit oder steckten am Grund tief in die Erde getriebener Schächte in Mondbleibehältern. Wenn die jetzt alle durch was auch immer aus den Bannzaubern freikamen drohte der Welt eine dunkle Verheerung, die größer sein konnte als die Schlangenmenscheninvasionen in Europa und Australien oder die spukenden Gemälde von Hironimus Pickman. Deshalb näherte sie sich mit den 24 anderen Mitgliedern ihrer Einsatzgruppe mit besonderem Unbehagen.

Das Haus war eigentlich eher ein System von Stollen und Höhlen in einem Berghang auf der Insel Chikoku. Doch bei der Annäherung auf Kazeyamabesen zeigte sich, dass der halbe Hang abgerutscht war. Einzelne Staubfahnen wehten noch über dem Berg. Das war eigentlich nicht das übliche Aussehen.

"Hier gruppe West, nähern uns dem amtlichen Zugang. Dieser ist verschüttet", meldete der Gruppenführer an den für diesen Einsatz als Überwacher eingeteilten hohen Rat Wakamoto. Dann stand auch fest, dass die Überwachung der Umgebung ausgefallen sein musste. Allerdings standen die sieben Barrierenzauber noch, die als "Tür der vollkommenen Obhut" bezeichnet wurden. Dieser gestaffelte Barrierenzauber ließ nur eingeschworene und magisch gekennzeichnete Mitstreiter der Hände Amaterasus hindurch. Auf die als Zutrittsberechtigte geprägten wirkten je durchflogener Barriere farbige Leuchterscheinungen, die auf ihre Gesinnung, ihr Fleisch und Blut, ihre mitgeführten Hilfsmittel und andere Einzelheiten prüften. Izanami spürte, wie ihr auf dem Rücken getragenes Schwert beim fünften Wall kurz erzitterte. Diese Stufe des Zutrittszaubers wirkte auf stark bezauberte Gegenstände ein. Bei Stufe sechs meinte Izanami, ihr bisheriges Leben in drei Sekunden vorbeifliegen zu sehen. Bei Stufe sieben fühlte sie, wie in einem roten Lichtschimmer ihr Körper erwärmt wurde und hörte drei Schläge ihres Herzens wie in einer Höhle gezündete Feuerwerksböller. Dann war sie mit allen anderen an dem eigentlich hinter einer Wand versteckten Tor. Doch statt der Wand war da ein Felsrutsch.

"Kannst du das Tor noch finden, Mitstreiter Daiki?" fragte der Gruppenführer einen der gleich hinter ihnen fliegenden. Der Angesprochene zielte mit einem glitzernden Ding wie ein sich in acht Zweige gabelnden Ast auf die Wand. "Ganz schwach. Das Tor muss eine starke Entkräftung hingenommen haben und erholt sich nur langsam. Die Worte des Zutritts dürften noch nicht wirken."

"Wenn wir das Tor mit Gewalt öffnen könnten die noch wirkenden Schutzbanne uns doch als Feinde einstufen", sagte der Gruppenführer. Da hörten sie alle die Stimme des hohen Rates, der diesen Einsatz beobachtete: "Wenn die Tore erschöpft oder tot sind müsst ihr sie mit den Worten des Weichens öffnen, bevor von drinnen etwas sie zerstören und nach draußen vordringen kann." Alle Gruppenführer verstanden. Die aus dem Norden anfliegenden Mitstreiter würden also den Zugang am Fuß des Berges mit magischer Gewalt öffnen müssen, die aus dem Süden anfliegenden würden den unter dem Gipfel liegenden Zugang öffnen und die aus dem Osten den Zugang auf halber Höhe, wie die aus dem Westen.

Izanami überließ es den mit Erd- und Bewegungszaubern am besten vertrauten, das verschüttete und gerade unbewegliche Tor zu öffnen. Es rumpelte, während der Felsrutsch noch etliche Dutzend Meter in die Tiefe polterte. Dann sahen sie die mit bezaubertem Goldblech beschlagenen, mehr als zehn Meter hohen Torflügel. Erst mussten die baumstammdicken Riegel auf der Innenseite geöffnet werden. Das dauerte schon einmal drei Minuten. Dann sangen fünf Mitstreiter im Chor die Worte des Weichens, die alles metallische oder steinerne in die den Sängern entgegengesetzte Richtung zurückdrängten. Die viele Tonnen schweren Torflügel erbebten, sprühten Funken, weil ein Rest von Beharrungsmagie in ihnen steckte. Doch dann ruckten sie Silbe für Silbe Zentimeter für Zentimeter zurück. Endlich war der Durchgang groß genug, dass die mit über ihnen fliegenden Sonnenlichtkugeln hineinfliegen konnten.

Izanamis Schwert summte, was sie durch ihren Rücken direkt in den Kopf übertragen bekam. Sie griff hinter sich und zog das Katana aus seiner Scheide frei. Die Klinge glomm tiefrot. Also waren hier in der Nähe feindliche Wesen oder Kräfte. Dann wechselte das Schwert zu einer hellgelben Farbe und beschien wie die über ihnen mitfliegenden Sonnenlichtsphären den Tunnel.

"Achtung, ein Schattenspuk!" rief Daiki, dessen Aufspürgerät hellblau aufleuchtete. Die nach vorne gerichteten Verzweigungen zitterten wild hin und her. Dann sahen die weiter hinten fliegenden tatsächlich zwei nachtschwarze Wesen, die an bewaffnete Krieger erinnerten. Also hatte das Horn der dunklen Heerschar bereits seine Fesseln abgeschüttelt und die als Sklavenschatten in der Welt zwischen Dies- und Jenseits gefangenen Geister grausam und unehrenhaft getöteter herbeigerufen. Das waren keine eigenständigen Nachtschatten, wie sie sie inEuropa seit über einem Jahr fürchten mussten. Doch wenn sie auf lebende Wesen gehetzt wurden waren sie auch tödlich genug. Und es wurden immer mehr. Doch die frei fliegenden Sonnensphären drängten sie mit ihrem Licht zurück. Die, die doch stark genug waren, näherzurücken bekamen Sonnenlichtspeerzauber ab und vergingen in blauen Lichtentladungen. Dabei konnte Izanami einen kurzen Schmerzenslaut hören, der in einen Freudenschrei überging. Die selbst nach ihrem Tod gequälten Seelen waren frei und konnten in die Nachwelt hinüberwechseln. Doch die Kraft der Sonnenkugeln war nicht unerschöpflich, wusste Izanami. Da fuhr vor ihr ein wabernder rußiger Dunst aus dem Boden und wurde zu einem zwei Meter großen Schatten. Izanami sah noch, wie zwei dünne Arme nach ihr schlugen, als ihr Schwert bereits weiß erstrahlte. Aus einem durch viele Übungsstunden eingeprägten Reflex führte sie einen gekonnten Hieb aus der Samuraitechnik aus, der den Schatten in der Mitte traf. Die Erscheinung zersprühte in blauen Funken.

"Auf die Quergänge und Schächte achten", warnte Izanami, als ein Trupp dieser niederen Schattengeister von oben her anflog, aber im Licht von fünf Sonnenspeerzaubern verglühte.

Die Schattenkrieger waren noch das kleinere Übel, erkannte Izanami. Denn ihr Amulett gegen geistige Angriffe erbebte, und vor ihr aus dem Boden wuchs der grün glühende Schädel einer Schlange. Das konnte nur vom Helm des Schlangenrufers sein, der vor zweihundert Jahren gemeint hatte, den dunklen Wächter doch noch beerben zu können und sich diesen Helm gemacht hatte, um alle räuberischen Kriechtiere, nicht nur Schlangen, oder deren von den Körpern gelösten Geister zu seinem Dienst rufen zu können. Wohl wahr, die hier gehorteten und unter Bannzaubern gehaltenen Dinge erwachten wieder zu ihrem finsteren Eigenleben.

Weil die als geisterhafte Riesenschlange aussehende Erscheinung auf gesammeltes Sonnenlicht eher hingezogen als abgestoßen Wirkte und auch Sonnenlichtspeere unbeschadet überstand wären fast vier Mitstreiter Izanamis von dem grün glühenden Geisterwesen erwürgt worden. Doch das wieder weiß erstrahlende Schwert trennte dem Ungeheuer den Kopf ab, der in grünen Blitzen verging. Der restliche Körper schrumpfte unter grünen Funken zusammen. Doch Izanami wusste, dass die Magie des Schlangenrufers weitere solche Geisterschlangen beschwören konnte, wenn nicht sogar ein echter Drache unter den Bann dieses beseelten Gegenstandes geriet.

"Mitstreiterin Izanami, dein Schwert verrichtet mehr gegen die grünen Feuerschlangen. Sei mein Geleitschutz und wende bitte den Zehn-in-Eins-Zauber an!, sagte der Gruppenführer, als sich bereits ein weiteres grünes Licht aus dem Boden erhob.

Izanami musste den von magischen Ninjas erfundenen und von den Händen Amaterasus und den Sicherheitsleuten Takaharas übernommenen Beschleunigungszauber nicht mit ihrem eigenen Zauberstab wirken. Es reichte, dass sie ihr Schwert in beide Hände nahm und es im Takt der geflüsterten Silben seines Namens auf und abschwang. Unvermittelt durchflutete sie ein heißkalter Kraftstoß, und alle um sie herum schinen fast stillzustehen. Um seinem Namen gerecht zu werden hatte der Vorfahre Izanamis dem Schwert den Beschleunigungszauber eingewirkt, der dreimal innerhalb eines Tages für eine Zeit, die der Anwender als halbe Stunde erlebte, dessen Bewegungen und Gedanken auf das zehnfache beschleunigte. Nun war das weißglühende Schwert wahrhaftig ein Blitz in der Dunkelheit. Es zerteilte die neue Geisterschlange und dann noch zwei scheinbar harmlos langsam herantreibende Schattenspukerscheinungen und löste die gefangenen Seelen aus der magischen Knechtschaft.

Sie flogen weiter in die Höhlen, die das Haus der Gefahren und Schätze beherbergte.

Izanami hörte die wie tiefes, schnarrendes Brummen klingenden Befehle und Meldungen ihrer Mitstreiter. Als sie dann um eine Ecke bogen sah sie die ersten hier dauerhaft wachenden Hüter. Sie erkannte an den Blutspuren aus Ohren, Nase, Augen und Mund und den aufgequollenen Schädeldecken, dass sie wohl einer unerträglichen Entladung die Gehirne betreffender Zauber zum Opfer gefallen waren. Sie widerrief mit den japanischen Worten für "Gewohnte Zeit" den Zehn-in-Eins-Zauber ihres Shwertes. Denn sie wollte mitteilen, was sie sah.

Weitere Geistererscheinungen kreuzten ihre Wege. Sie fanden weitere Tote. Alle zeigten die Merkmale ihre Gehirne überreizender Zauber. Mittlerweile hatten sich der oberste Hüter der Gefahren und Schätze gemeldet und verwickelte sich in einen Grundsatzstreit, wer in diesem Haus die Befehlsgewalt hatte. Murabayashi betonte, dass er und seine noch lebenden Unterführer sich hier am besten auskannten. Doch der Überwacher der Rettungsunternehmung hielt ihm gnadenlos vor, dass der gesamte hohe Rat ihn wegen Versagens bis auf weiteres seiner Ämter enthoben hatte und er nur noch sein Leben erhalten dürfe, wenn er sich den Weisungen unterwarf und die Rettungstruppen mit seinem Wissen unterstützte.

Izanami spürte, dass irgendwas auf sie und ihre Mitstreiter einwirkte, bevor sie es hörte. Es war ein glasklarer Gesang, dazu die sphärischen Klänge einer japanischen Laute. Unvermittelt beschleunigten ihre Mitstreiter und flogen an ihr vorbei. "Nicht auf das Lied hören. Das ist der Geist Kumiko Yukis, der dunklen Geisha!" hörte sie einen von wildem Rauschen durchsetzten Warnruf Murabayashis. Doch Izanamis Mitstreiter schienen nicht hören zu wollen. Das geheimnisvolle Lied wurde lauter. Es erzählte von den göttlichen Freuden und der Erfüllung der lustvollsten Träume. Izanami schien gegen dieses immer betörender klingende Lied einer geisterhaften Frauenstimme gefeit zu sein. Dann erinnerte sie sich, dass vor dreihundert Jahren eine Hanyo, die Tochter einer Fuchsfrau und eines portugiesischen Seemannes, versucht hatte, die Armeen desShoguns zu vernichten, um selbst zur obersten Herrscherin aufzusteigen. Weil diese Frau eine klassische Geisha-Ausbildung genossen hatte und sich wie auch immer in den Besitz von Haaren weiblicher Yokai gebracht hatte, war der von ihr angefertigte und in Tengublut gefärbte Susohiki als Gewand der dunklen Geisha bekannt geworden. Damit konnte sie die Geister ihr verfallener Männer aus ihren Körpern lösen und zu ihren Liedern und Tänzen für sie handeln lassen. Damals hatten die Hände Amaterasus die ersten Kriegerinnen in ihre Reihen aufgenommen. Denen war es gelungen, die zaubermächtige Hanyo mit einem Gegenlied zu bezwingen und ihr den ihre Kräfte verzwanzigfachenden Kimono zu entreißen. Zerstören ließ der sich jedoch genausowenig wie das Schwert des dunklen Wächters. So hatten sie das Gewand im Haus der Gefahren und Schätze in einen Geisterschlafzauber und einen Panzer aus versteinerter Luft eingefroren. Offenbar war der Geist Kumiko Yukis nun wieder erwacht und suchte nach in jeder Hinsicht willigen Opfern. Ja, die Stimme der Sängerin überlagerte auch den Zauber ihrer Schallverteileramulette.

"Verflixte Sonnenfinsternis", knurrte Izanami. Denn sie war hier die einzige weibliche Hand Amaterasus in fünfhundert Kilometern Umkreis. Sie versuchte über den Schallverteiler nach weiteren Mitstreiterinnen zu rufen. Doch das Amulett zitterte nur wild und flirrte in einem blau-roten Licht, das so heftig flackerte, dass Izanami es nicht lange ansehen konnte, ohne davon verwirrt zu werden.

Um ihren Mitstreitern vorauszueilen wendete sie noch einmal den Beschleunigungszauber ihres Schwertes an. Jetzt hatte sie eine gefühlte halbe Stunde zeit, was für unbezauberte Menschen nur drei Minuten dauerte. Der betörende Geistergesang wurde zum hohlen, aus allen Richtungen wabernd nachhallenden Gebrummsel. Eigentlich brauchten ihre Mitstreiter doch nur diesen Zauber zu wirken, um aus dem Bann dieser Stimme freizukommen. Doch dafür war es jetzt wohl zu spät.

Izanami flog auf ihrem Besen, der sich jetzt gerade sehr träge und schwach zu bewegen schien, durch die nicht so leicht vor ihr ausweichende Luft. Sie musste die Quelle dieser Spukerscheinung finden und die Kraft niederringen, auch wenn sie nur eine war, wo es zwanzig weibliche Hände Amaterasus brauchte, gegen die lebende Unheilstänzerin zu siegen. Sie ging davon aus, dass die dunkle Woge auch den hier gehüteten Susohiki-Kimono der dunklen Geisha Kumiko Yuki erheblich verstärkt hatte. Denn sonst wäre sie sicher nicht aus der Umschließung aus versteinerter Luft freigekommen und hätte den Geisterschlafzauber abgeschüttelt.

"Weise mir den Weg zu meiner Feindin!" dachte Izanami. Ihr Schwert konnte ähnlich wie der Vier-Punkte-Zauber auf eine bestimmte Richtung einschwänken und dann im hellgelben Licht pulsieren, bis der gesuchte Feind gefunden war. So ließ sich Izanami von ihrem wie selbstständig ausrichtenden Schwert führen. Sie verwünschte es, dass der Besen, so schnell er eigentlich war, nicht mit in den Zehn-in-Eins-Zauber einbezogen werden konnte. So dauerte es doch wirklich drei ihrer gerade als Minuten empfundenen Zeiteinheiten, bis sie auf die Quelle des immer lauter werdenden Gebrumms zutrieb. Beim Näherkommen sah sie, dass bereits zehn durchsichtige Gestalten herumflogen, die sie als geisterhafte Abbilder ihrer Mitstreiter aus dem Osttrupp erkannte. Die waren der Unheilstänzerin Kumiko Yuki, beziehungsweise ihrem verfluchten Kimono also schon zum Opfer gefallen. Dann sah sie das gefährliche Gewand und wusste, es war wirklich um ein vielfaches stärker geworden.

Vor ihr knapp über dem boden tanzte eine morgenrotfarben leuchtende Geisterfrau in einem dunkelroten Kimono mit daran hängenden Glöckchen und anderen Verzierungen, die für Izanami gerade wie weit entfernt gegeneinanderschlagende Bronzestäbe klangen. . Ihre durchscheinenden, zierlichen Füße schienen in mittelhellen Holzsandalen zu stecken, in denen sie sich auch in der für Izanami gerade zehnfachen Zeitverzögerung sehr gewand und taktsicher bewegte. Izanamis Schwert erstrahlte nun hellweiß wie frischer Schnee im Licht der Wintermittagssonne.

Weitere entkörperte Mitstreiter schwebten auf und abgleitend heran und bildeten eine aus mehreren Spiralarmen bestehende Gruppe, deren gemeinsamer Mittelpunkt die tanzende Geisterfrau im verfluchten Kimono war. Die sah nun zwar die heranfliegende Feindin, geriet aber nicht aus ihrem Tanz. Nur der Wirkung ihres Beschleunigungszaubers verdankte Izanami es, dass die auf sie deutenden Hände der Unheilstänzerin sie nicht genau anzielen konnten und sie den damit auf sie gehezten Geistern noch mit dem Besen ausweichen konnte, wenngleich es schon sehr knapp wurde. Wenn es noch mehr entkörperte Gefährten wurden bekamen die sie wohl zu fassen. Auch wenn Geisterhände für gewöhnlich feste Stoffe und auch Lebewesen durchdringen konnten mochten sie ihr mit ihren Griffen die Wärme und damit Beweglichkeit entziehen. Das merkte sie gerade jetzt, als einer ihrer bezauberten Kollegen genau von vorn auf sie zutrieb und seine durchsichtigen Hände so führte, als wolle er ihren Hals umklammern.

Izanami holte mit dem Schwert aus. Es konnte von dunkler Kraft getriebene Geister freimachen. Doch was passierte dann. Würden die Seelen in ihre hoffentlich noch lebenden Körper zurückspringen oder gleich in die Nachwelt geschleudert werden und ihre Körper endgültig sterben? Sie wollte es nicht darauf anlegen, sondern führte Hiebe mit der Breitseite aus, als wolle sie nur dichten Nebel aus dem Weg fuchteln. Tatsächlich prellte die Klinge den sie angreifenden Geist wie einen getroffenen Klatscher aus der Bahn. Der Getroffene flackerte kurz im weißen Licht des Schwertes, während er davonwirbelte und von einer der Wände abprallte um dann in entgegengesetzter Richtung quer durch den runden Versammlungsraum zujagen. Offenbar wirkten hier in den Wänden noch Geisterrückprellzauber, dachte Izanami. Da ritt sie der kleine grüne Frechheitskobold und trieb sie dazu, nun jeden sie anschwebenden Geist so wegzuhauen wie einen Klatscher, am besten noch so, dass er gegen einen der anderen prallte. Denn gestaltlich erkennbare Geister, die noch dazu eine geringe Körperkraft auf ihre Umwelt ausüben konnten, prallten von gleichgearteten Erscheinungen ab und durchdrangen sie nicht, wenn sie zu schnell aufeinanderprallten.

Izanami landete und wirbelte nun herum, wobei die Luft für sie fast wie klares Wasser wirkte. Das lag an dem Beschleunigungszauber. Sie erwischte die in ihrer Reichweite treibenden Geister mit der weißglühenden Breitseite und schaffte es wirklich, sie gegeneinander zu schlagen. Sie stießen heftig zusammen, ohne dabei ein Geräusch zu machen. Einige prallten dabei auch auf die dunkle Tänzerin und glühten kurz rot auf, bevor sie mit Urgewalt in die Gegenrichtung abgestoßen wurden.

Die gespenstische Tänzerin in dem feststofflichen Kimono geriet aus den Tanzbewegungen. Izanami konnte sehen, dass ihr morgenrotfarben leuchtendes Geistergesicht noch heller glomm und zu einer leuchtenden Wutfratze wurde. Was aber wichtig war. Sie sang nicht mehr. Denn ihr für Izanami tiefes, nun alles durchdringendes Brummen verhallte als waberndes Echo in allen von hier abzweigenden Gängen. Die dunkle Geisha wurde von den von ihr beschworenen Geistern ihrer Opfer förmlich durchgerüttelt, zumal Izanami nun auf eigenen Füßen herumlief und die sich hier noch einfindenden Geister zielgenau in das Durcheinander herumgewirbelter Geister hineintrieb, ohne sie zu verletzen. Kumiko Yukis Spukerscheinung sah nur eine Richtung in die sie ausweichen konnte.

Izanami erschrak, als sie sah, wie schnell die dunkle Geisha nach oben stieg. Bei in üblicher Zeit fühlenden und handelnden mochte ihr Aufstieg wie eine abgefeuerte Kanonenkugel wirken. Doch auch für die gerade vom Zehn-in-Eins-Zauber beschleunigte Zauberkriegerin raste Kumiko Yukis Erscheinung schneller als ein abhebender Rennbesen zur zehn Meter oben befindlichen Hallendecke. Dann erkannte Izanami Kanisaga, was die Feindin vorhatte, und ihr Herz übersprang einen Schlag.

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Hiroki Takayama, der Sprecher des hohen Rates des hoch ehrenwerten Ordens der Hände Amaterasus, hörte über den Schallverteiler mit, wie sein Amtskollege Wakamoto den Einsatz beim Haus der Gefahren und Schätze leitete. Er hatte jetzt noch zehn Minuten, bis er zu einer Dringlichkeitssitzung des japanischen Zauberrates musste, welche der kaiserliche Oberhofzauberer und Minister für Zauberei und Zauberwesen einberufen hatte. Dort würden sie darüber sprechen, was geschehen war und dass das Schwert des dunklen Wächters aus seinem Verlies entsprungen war. Dass das Schwert seinem Träger damals phönixgleiche Reisefähigkeiten verschafft hatte wusste Takayama. Doch bisher hatte er darauf vertraut, dass die Geisterrückhaltezauber die in ihm steckende Seele und damit das Schwert selbst festhalten konnten. Ansonsten konnte er den zusammenkommenden Zauberinnen und Zauberern keine erquickliche Erklärung geben, was gegen das Schwert oder besser dessen Schöpfer und Lenker getan werden konnte. Sicher konnten sie es noch einmal versuchen, es mit Sonnenlichtkugeln einzuschließen wie damals, wo der dunkle Wächter selbst noch lebendig war. Doch wenn es einen unschuldigen Menschen beherrschte galt die Frage, ob er getötet werden musste, um die Gefahr zu bannen.

Die versammelten Räte hörten Wakamotos Stimme und auch die entfernt klingende Stimme Murabayashis. Dann schien etwas die Verbindung zu überlagern. Es waren Töne, die von einer Frauenstimme gesungen wurden und in ein gleichbleibendes Rauschen wie vom starken Wind bewegtes Laub ausklangen. Doch hörten alle noch die Warnung vor der dunklen Geisha. Deren Kimono war ja auch in den Kerkern des Hauses der Gefahren und Schätze eingesperrt ... gewesen. Wenn dieses Gewand nun auch freigekommen war und es ebenso beseelt war wie das Schwert des dunklen Wächters hatten sie es gleich mit zwei übermächtigen Widersachern zu tun, zwei Hanyos, die von ihren nichtmenschlichen Elternteilen eine starke Zauberkraft geerbt hatten.

"Ruft eure Mitschwestern", wandte sich Takayama an die zwei Rätinnen. Diese nickten. Sie hatten begriffen. Die ausgeschickten Mitstreiter waren in Gefahr, Kumiko Yukis Fluch zu erliegen, der durch die dunkle Zauberkraftwoge vor einem Jahr und zwei Monaten sicher auch verstärkt worden war.

Nur eine Minute später apparierten dreißig eilig zusammengerufene Zauberkriegerinnen des Ordens eine Doppelmeile vom Haus der Gefahren und Schätze entfernt. Von dort aus mussten sie laufen oder auf Besen fliegen. Sie wählten die Besen. Doch würden sie früh genug dort eintreffen, um ihre Mitstreiter zu retten?

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Es hatte ihm echt sowas wie Schmerzen bereitet, als er hinter dem Räuber seines Körpers hergezogen wurde, durch einen wilden Feuerstrudel, den dieser mit dem verfluchten Schwert entfacht hatte. Seine Gedanken galten seiner Mutter und seinen Schwestern, aber auch den Nachbarn, die seinetwegen in einem verheerenden Feuer sterben mussten.

Die schmerzhafte Reise durch einen Feuerstrudel endete in einer kleinen Felsenhöhle. Unvermittelt kamen Bilder in Takeshis entkörpertem Bewusstsein an, eine erst wunderschöne junge Frau, die sich dann als lederhäutige Frau mit weißgoldenen Schlangenhaaren enthüllt hatte, die einen schlafenden nackten Mann bei lebendigem Leib auffraß. Dann sah er ein ungeborenes Kind im dunklen Mutterleib und hörte die Herztöne von Mutter und Kind. Dann sah er, wie die lederhäutige Frau unter tierhaften Schreien und Stöhnlauten ein bleiches Kind aus sich herauspresste, jenen, dessen Fluch ihn, Takeshi, getroffen hatte. Dann sah er wie in einer schnellen Abfolge eines Filmes den erst laut schreienden Säugling zum Kleinkind werden, dieses zum siebenjährigen Jungen, der durch bloße Deutung mit den Fingern Holzstücke in Brand setzen konnte, bishin zu einem wohl gerade zwanzig Jahre alten Burschen mit dunkelblondem Haar, der auf einer Strohmatte lag. Die große Frau mit den weißgoldenen Haaren beugte sich gerade mit einem Stein über ihn und wollte ihn erschlagen. Da warf er sich zur Seite, blickte sie direkt an. Darauf schossen Flammen aus ihren Haaren und überzogen ihren ganzen Körper. Takeshis dem Körper entrissene Seele hörte die lauten, schrillen Schreie der Verbrennenden und das schadenfrohe, irre Lachen des jungen Mannes, ihres eigenen Sohnes. Dann waren die Bilder weg.

"Sie hätte meine Seele einfach nur nach Yomi entgleiten lassen müssen, diese alte Berghexe. Aber nein, die musste mich ja mit Leib und Seele verschlingen, und ich Narr bin dann in dem mit ihr gezeugten Balg wiedererwacht, ein Hanyo, dazu bestimmt, Macht über einfache Leute zu bekommen, solche wie dich, Knäblein", hörte er nun die Stimme des Dämons, der seinen Körper übernommen hatte. "Ich hatte keine Schwirigkeiten, dich und deinen selbstmitleidigen Vater aufeinanderzuhetzen. Ihn konnte ich nicht gebrauchen, weil der schon drei Bälger gezeugt hatte. Aber du, sein Erstgeborener, wohl letzter in reiner männlicher Linie entstandener Nachfahre meines kleinen Bruders, warst bereit für mich. Doch dein Gewissen, diese widerwärtige Verbundenheit mit deiner Mutter und den beiden verwöhnten Mädchen hat mich, deinen wahren Herren, zurückgestoßen, dich mir verweigert. Und jetzt hängst du immer noch an diesem Körper, der nicht mehr dir gehört. Aber ich werde dich bei Ryu no Kiba nicht mehr dort einlassen. Denn dieser Leib gehört mir!! Mir allein!! Wenn ich weiß, wo deine Schwestern sind, werde ich sie töten. Dann kannst du mit denen und meiner wiederwärtigen zweiten Mutter an den Feuern von Yomi Wiedersehen feiern. Ach nein, meine zweite Mutter kann ja nicht nach Yomi. Die fällt gleich in den Schlund der Verdammten, der gescheiterten und entleibten Yokai, wo sie hingehört. Ich weiß, du kannst mir nicht antworten, Schwächlingsseele. Aber du hörst meine Gedanken, siehst meine Erinnerungen. Das sei die Pein, die du erleiden must, bis ich mein Schwert mit dem Blut deiner Schwestern genährt haben werde", dröhnte die geistige Stimme des dunklen Wächters in Takeshis körperlosem Bewusstsein.

Der seiner lebenden Hülle beraubte Junge wollte antworten, irgendwas sagen, was diesem Dämon aus dem Schwert widersprechen konnte. Doch er fühlte, dass er keine Verbindung zu ihm finden konnte. Vielleicht war er aber einfach nur noch nicht stark genug dafür. Er erinnerte sich an den Film mit dem jungen Mann, der ermordet wurde und dann als unsichtbarer Geist in der Nähe seiner Freundin verweilte, bis er in der von Woopi Goldberg dargestellten Wahrsagerin das Medium fand, um sich ihr mitzuteilen und von einem in einem Expresszug herumspukenden Geist die Macht der Telekinese erlernt hatte, um auch auf feste Gegenstände einzuwirken. Für die Amerikaner typisch waren dann natürlich die Engel aufgetaucht, die die braven Seelen in den Himmel emportrugen oder die struppigen, gehässig schreienden und lachenden Dämonen, die die unartigen Seelen in die Hölle hinunterzogen.

Sollte er auch an Himmel und Hölle glauben wie die Weißen? Oder hoffte er auf die alle trüben Erinnerungen auslöschenden Feuer von Yomi, sofern der Fährmann ihn überhaupt über den Fluss in Izanamis Reich hinunterbrachte? Doch offenbar hing er doch noch an seinem Körper, weil der noch lebte. Sollte er hoffen, dass jemand diesem Dämon den Garaus machte, damit er doch noch richtig aus der Welt verschwand? Doch vielleicht war es möglich, dass sie den dunklen Wächter aus seinem Körper austrieben und er dafür dorthin zurückkehren durfte. Diese winzige Hoffnung und auch die Hoffnung, dass der Dämon aus dem Schwert seine Gedanken nicht verstehen konnte, gaben Takeshis entkörperter Seele einen schwachen Halt.

Unvermittelt spürte Takeshis Geist, dass da noch jemand war, eine Anwesenheit, Gedanken. Dann sah nicht nur der entkörperte Junge das viele Meter große Gesicht in der Felswand.

Es war das Gesicht einer Frau mit den für Söhne und Töchter Japans üblichen Augen, nur dass diese aus sich heraus so grün leuchteten wie eine Verkehrsampel. Ansonsten war die Haut hellgrau, genau wie das wie Schlangen herabhängende Haar. Takeshi fühlte unmittelbar Angst, doch nicht die eigene. Es war der Dämon, der ihn aus seinem Körper verstoßen hatte, der sich fürchtete. Takeshi sah wieder die Bilder von der erst schönen und dann alt und schlangenhaarig aussehenden Ffrau, der Yamauba. Dann hörte er den Räuber seines Körpers aufstöhnen:

"Du bist auch noch in der Welt, Fleisch- und Seelenfresserin. Wieso bist du noch da?"

"Die Frage kann ich dir auch stellen. Aber die Antwort bekomme ich auch, wenn ich den geraubten Körper und deinen undankbaren Geist in mich hineingeschlungen und alles was du kennst und getan hast in mich aufnehme, Muttermörder. Komm her!"" Mit diesen Worten wurde aus dem Gesicht in der Wand ein mindestens zwei Meter großer, halbdurchsichtiger Kopf. Die langen, schlangengleichen Haare begannen, sich von selbst zu bewegen, während auch ein kurzer, faltiger Hals aus der Wand wuchs. Die Gespensterfrau wollte der Wand entsteigen.

"Niemals lasse ich mich zum zweiten mal von dir verschlingen, YamanoNechan, Geißel des Gebirges. Spüre die Macht meines Schwertes!" rief der Dämon eher aus Verzweiflung statt aus Entschlossenheit. Er stieß jenes nun weiß aufglühende Schwert mit der Spitze voraus nach dem riesenhaften Geisterkopf, dem bereits der sehr üppig gestaltete Oberkörper folgte. Die glühende Klinge stieß wie in eine zähe Masse hinein. Die Geisterfrrau erglühte nun und blieb in der Bewegung stecken. Sie stöhnte auf. Dann drang die Klinge des weißglühenden Tsurugis in den massiven Felsen ein. "Solange dieses Schwert ist wirst du mich nicht noch einmal verschlingen, Yamanonechan, meine ungeliebte zweite Mutter", stieß der Räuber von Takeshis Körper nun höchst entschlossen aus. Die erste Angst war einem Gefühl unerschütterlicher Überlegenheit gewichen. Takeshis entkörpertes Ich sah, wie die aus der Wand drängende Geisterfrau unter tierhaften Schmerzenslauten in die Wand zurückgezogen wurde und zum Schluss auch noch das Gesicht von der Wand überdeckt wurde. Der dunkle Wächter rammte das immer noch hell glühende Schwert bis zum Griff in den Felsen und ließ es dort einige Sekunden. Dann zog er es beinahe mühelos wieder heraus. In der Wand klaffte ein an den Rändern rot glühender Spalt. Der dunkle Wächter lachte. Doch Takeshi fühlte, dass die Gedanken der Geisterfrau nicht erloschen waren. Sie fühlte Schmerzen. Doch ihre Entschlossenheit wurde wieder stärker. Dann sahen der Körperräuber und sein entleibtes Opfer, wie sich der Einstich im Felsen zu schließen begann. Wie aus einem tiefen Schacht oder durch dicke Wände hörten beide die verschwommen klingende Stimme: "Und ich kriege dich doch und verleibe mir deinen ungeratenen Geist ein und auch den deines Opfers, um zu wissen, was in der heutigen Zeit geschieht."

Ein tiefes Grummeln erklang. Der Boden erbebte. Dann sahen der dunkle Wächter und sein Opfer, wie sich die Höhle schloss. Auch wurde die strahlende Schwertklinge immer dunkler, von Weißglut, zu sonnengelber, dann oranger, dann roter und dann dunkelbrauner Färbung. Der Einstich im Felsen schloss sich mit einem vernehmlichen Knirschen. Dann konnte Takeshi wieder zwei grüne Lichter in der Wand sehen. Dann hörten sie beide die nicht mehr so dumpfe Stimme der Geisterfrau: "Na, hat dein schönes Schwert schon alle Kraft verbraucht. Dann vertilge ich euch beide jetzt."

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Der Susohiki-Kimono Kumiko Yukis sauste über die immer noch gegeneinanderprallenden Geister hinweg und steuerte zielgenau Izanami Kanisaga an. Diese sah, wie das Kleidungsstück sich im Flug öffnete, so schnell, dass sie auch von einem Beschleunigungszauber ausgehen musste.

"Dein Leib ist zwar nicht die schönste Blume im Garten. Doch werde ich in ihm neu erblühen und ihn zur wahren Größe unter den Frauen und Mädchen führen", hörte sie eine entschlossene, wie angestrichenes Glas klingende Frauenstimme von oben. Sie sah, wie die bis dahin rot leuchtende Geisterfrau immer durchsichtiger wurde. "Lass dich von mir umkleiden und erfüllen! Wehre dich nicht. Dann darfst du in mir miterleben, wie mein großer Traum doch noch wahr wird."

Izanami riss ihr Schwert hoch. Bevor sie dieses verfluchte Gewand einwickeln und damit dieser wahnsinnigen Hanyo-Seele zum Fraß vorwerfen konnte wollte sie das Ding doch noch in Stücke schneiden oder verbrennen, sowie ihr Schwert es mit Vampiren vermochte. Kurayami de no Kaminari no Katana schöpfte seine Kraft aus dem Feuer der Sonne, und die Sonne war die Feindin aller dunklen Mächte.

Raschelnd fiel der nun offene Kimono scheinbar ohne seine Schöpferin herunter. Izanami vollführte schnelle Kreiselbewegungen mit dem Schwert und verwünschte den Umstand, dass ein Katana keine Spitze zum Zustoßen besaß. Laut klatschend traf die weißglühende Klinge den dunkelroten Seidenstoff des alten Gewandes. Die daran hängenden Glöckchen klingelten hektisch und protestierend. Izanami hatte gehofft, dass der Kimono zumindest angesengt würde. Doch er prallte einfach von der Klinge ihres Schwertes ab und suchte eine Lücke in ihren Abwehrbewegungen. Immerhin konnte sie den von dunkler Magie und Tengublut durchtränkten Stoff von sich abhalten. Doch sie wusste auch, dass ihre Kräfte endlich waren und die Wirkung des Beschleunigungszaubers nicht andauern würde.

Es war, als wenn sie mit einer brennenden Fackel gegen einen Schwarm angriffslustiger Vögel kämpfen musste. Wieder und wieder versuchte der mit widernatürlichem Eigenleben erfüllte Kimono Kumiko Yukis sie zu umschlingen, ob von oben oder von der Seite her. dabei stellte Izanami fest, dass das Kleidungsstück darauf bedacht war, glatt und unverknotet zu bleiben, so wie jemand darauf achtete, nicht über seine eigenen Beine zu stolpern oder die Arme zu verschränken, wenn er gerade jemanden abwehren musste. Wieder stieß Kumiko Yukis Kimono wie ein auf Beute ausgehender Greifvogel auf sie nieder. Wieder traf sie den unverwüstlichen Stoff mit ihrem glühenden Shwert. Das wilde Klingeln der Zierglöckchen und das laute Klatschen, wenn die magische Schwertklinge auf den verhexten Seidenstoff traf, waren die Musik zu diesem unglaublichen Zweikampf, der schon wie ein unheimlicher Tanz aussah. Dabei bekam sie nicht mit, wie die gerade eben noch gegeneinander geschlagenen Geister innerhalb von Sekunden durch die Halle wirbelten und durch die Zugänge verschwanden, als hätte jemand sie gerufen. Sie kämpfte verbissen und für ihren Leib und ihre Seele gegen das verfluchte Kleidungsstück, das unermüdlich versuchte, sie zu umfangen.

Sie dankte ihrer Schwertkampfausbildung und dem harten Leibesübungsplan der Hände Amaterasus, dass sie noch nicht erschöpft war. Doch ihr wurde klar, dass der rote Kimono keine körperliche Erschöpfung haben würde. Der ihm innewohnende Geist der Unheilstänzerin würde ihn in Bewegunghalten, bis sie ihn nicht mehr von sich fernhalten konnte. Dann würde er sie einwickeln, sich schließen und damit den Weg der von Herrschsucht getriebenen Seele Kumikos in ihren Körper freimachen. Womöglich konnte sie diesen noch durch die erlernten Geistesschutzzauber auf Abstand halten. Doch wie stark war Kumikos Geist, wenn er schon ohne neuen Körper so viel Macht über lebende Männer ausüben konnte? Da kam ihr eine wahnwitzige Idee.

Sie sprang noch einmal zurück, um einige Meter zwischen sich und den Kimono der dunklen Geisha zu bekommen. Dieser stieg leicht flatternd nach oben, nahm Maß und fiel herunter. Sie hob das Schwert, nicht so schnell wie vorhin. Die weiße Klinge geriet zwischen die herabflatternden Stoffbahnen. Izanami kanntete die Klinge leicht an und begann damit zu kreiseln, während sich das verwünschte Gewand um ihren Körper zu schlingen versuchte. Die beiden Enden des Gürtels flatterten aufgeregt wie die Flügel flüchtender Schwalben. Doch Izanami achtete nicht darauf. Sie besann sich voll und ganz auf das nun zwischen den Stoffbahnen des Susohiki-Kimonos steckenden Schwertes. Zerschneiden konnte sie ihn nicht. Verbrennen konnte sie ihn auch nicht. Aber sie konnte ihn aufwickeln.

"Was Weib wagst du da?" zischte die verärgerte Stimme der Unheilstänzerin zu ihr, während sich das verhexte Gewand wieder zu entwickeln versuchte. Doch Izanami blieb beharrlich. Sie hielt jeder Bewegung entgegen. Sie nahm es auch hin, dass ihr die Enden des Zier- und Haltegürtels klatschende Ohrfeigen versetzten, um sie davon abzubringen, den Susohiki Kumiko Yukis auf ihrer Schwertklinge aufzurollen. Die kleinen Zierglöckchen bimmelten protestierend gegen die Bewegungen des Schwertes an. "Wirst du wohl damit aufhören!" fauchte die Stimme der dunklen Geisha, deren Gesicht nun flackernd zwischen den immer mehr verknäuelten Stoffbahnen hervorlugte. "Du missachtest die Regeln der vorgeschriebenen Bekleidung!" schnaubte die Geisterfrau, die wohl nicht im Stande war, die in ihrem Gewand herumkreisende Schwertklinge abzuwehren. Izanami fühlte, dass ihr schwindelig wurde. Doch Ihre jahrelange Übung und ihr eiserner Wille hielten sie aufrecht und entschlossen. Jetzt vollführte sie mit dem Schwert Bewegungen, die den Rest des Stoffes zusammenschlugen. Dann war der Kimono der dunklen Geisha ein einziger Knäuel aus verhexter Seide und daran angehängtem Zierrat. Eigentlich hätte sich das Kleidungsstück selbst entwirren können. Doch die Kraft des Schwertes, die niedere Geister oder versklavte Seelen schwächen konnte, hemmte auch die Beweglichkeit der Unheilstänzerin. "Entferne diesen frevlerischen Stahl aus meinem Susohiki, Weib und ramm dir dieses vertückte Stück Metall selbst in den Leib!" sang nun die leicht dumpf klingende Stimme mit einer betörenden Melodie. Izanami fühlte, dass diese Stimme ihr doch noch zusetzen konnte. Ihr Schutzamulett gegen Geistige Beeinflussung pochte. In Wirklichkeit mochte es vibrieren und damit ihr schadende Gedanken von ihr fernhalten. Doch in der Beschleunigung drangen die Kräfte Kumikos zu ihr durch. Sie musste sich selbst dagegenstämmen. Sie erkannte, dass der körperliche Kampf vorbei war und jetzt der wirkliche Kampf begann. Verlor sie ihn, verlor sie auch ihr Leben.

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Der dunkle Wächter und der Geist Takeshis erkannten mit Schrecken, dass der in die Wand gebannte Geist der Yamauba neue Kräfte sammelte. Außerdem verschloss er den Zugang zur Felsenhöhle. "Der Weg der schnellen Wünsche ist dir verwehrt, mein missratener Sohn. Nimm also hin, dass du in mich zurückkehrst. Und du, hilfloser Geist eines am Rande der Mannbarkeit wandelnden Knabens, sei dankbar, dass du in mir den letzten Sinn deines Daseins erfüllen wirst", hörten sie beide die noch hinter einer Wand vorzudringen scheinende Stimme der Yamauba. Dann zeigte sich ihr metergroßes Geistergesicht mit den grün leuchtenden Augen erneut.

Der dunkle Wächter fühlte wieder Angst. Doch schnell wurde daraus Verachtung und dann Entschlossenheit. Er schaffte es, dem Schwert zu befehlen, in der Farbe des Sonnenaufgangs zu glühen. Er wirbelte damit herum, während sich langsam aus dem Geistergesicht ein räumlich wahrnehmbarer Kopf bildete, der aus der Wand hervorzudringen ansetzte. Da entstand ein neuer Feuerstrudel, der den dunklen Wächter in sich hineinsog. Takeshi fühlte, wie er auch in den Feuerstrudel hineingesaugt wurde. Er hörte noch die wütende Gedankenstimme der Geisterfrau: "Nein, Elender! Du bleibst hier! Neeiin!!" Dann war da nur ein Wirbel aus orangerotem Feuer, in dem der Körperräuber und sein Opfer dahinrasten, weg von der Höhle, die fast zur tödlichen Falle für beide geworden war.

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Die männlichen Vertreter des Ordens der Hände Amaterasus erwachten mit bohrenden Kopfschmerzen und kribbelnden Gliedern, als würde statt Blut ein Kriegszug Ameisen durch ihre Adern eilen.

"Ui, was war das?" fragte einer der Erwachten. Dann erinnerte er sich, dass er von einer wunderschönen Frau dazu gebracht worden war, seinen Körper wie ein leichtes Kleidungsstück abzustreifen und zu ihrer Stimme zu tanzen, bis mehrere weiße Blitze ihn und andere wie in einem wilden Taifun herumgewirbelt hatten. Dann hatte er sich in seinem Körper wiedergefunden. "Der Fluch der dunklen Geisha Kumiko Yuki", fiel es ihm ein. Ihr Susohiki gehörte auch zu den hier gehüteten gefährlichen Dingen. Offenbar war das verfluchte Gewand zu einem ziemlich üblen Eigenleben erwacht.

"Ist da draußen noch wer, der mithört! Wir haben hier Probleme mit einem verwünschten Tanzkleid und brauchen wen, der es einfängt und zusammenfaltet!" rief einer der Einsatzkräfte. Gerade erstarb das Rauschen aus dem Schallverteiler, und eine Frauenstimme erklang: "Wir sind gleich bei euch. Wo ist der Kimono der Kumiko Yuki?"

"Ach du meine Güte, Mama Hisa persönlich. Das Ding war vor einer Minute oder so noch in der runden Halle mit fünf Zugängen, von der Einrichtung her ein Versammlungsraum für alle hier wohnenden Hüter. Ihr könnt durch alle Tore rein, aber nicht erschrecken. Hier liegen mindestens sechzig tote Mitstreiter, denen wohl viel zu starke Geisteszauber die Köpfe überlastet haben."

"Und die Mitstreiterin Izamami?" fragte die Frauenstimme. "Die könnte gerade mit dem Geist Kumikos kämpfen oder sowas", erwiderte der Gruppenführer West und unterdrückte einen Schmerzlaut, weil ihm der Schädel dröhnte. Doch seine Schulung verbot jede Wehleidigkeit, auch und vor allem vor Mitstreitern und Mitstreiterinnen.

"Gut, wir sind gleich im Haus. Laufen da außer dem blutroten Susohiki der dunklen Geisha noch andere verfluchte Sachen rum?"

"Schattenspuk und Geisterschlangen, Mitstreiter Taro hat sogar eine mannsgroße Teekanne aus Silber gesehen, die lebenden Leuten das Wasser aus dem Körper ziehen kann. Also bitte alle Elementarschutzzauber einrichten."

"Danke für die Warnung und den Rat", erwiderte Hisa, die nach der Rätin Iwamoto die zweitälteste lebende Zauberin des Ordens war. Sie hatte damals die Frage nach einem Sitz im hohen Rat mit Nein beantwortet, weil sie weiterhin in der "handelnden Truppe" bleiben wollte. Fast hätten sie ihr dafür die Mitgliedschaft im Orden abgesprochen, weil niemand eine solche Ehre ausschlagen durfte. Doch Hisa hatte gute Freunde im Rat, die ihr diesen "Fehltritt" verziehen, sie aber dafür bis an ihr Lebensende von jeder weiteren Möglichkeit ausschlossen, in den hohen Rat berufen zu werden.

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Izanami Kanisaga fühlte, wie die Gedanken Kumikos ihren inneren Widerstand zu durchbrechen drohten. Da fiel ihr ein, dass sie ja nur den Beschleunigungszauber aufheben musste. Sie sagte schnell die Worte der gewohnten Zeit. Schlagartig wurde aus dem fordernden Singsang ein beinahe viel zu hohes, eher sirrendes Geräusch, das jedoch sofort verklang, weil Izanami nun wieder auf derselben Schwingungsebene war wie ihr Schutzamulett gegen geistige Angriffe. Sie warf sich mit ihrem Schwert nach vorne und hieb das darum herumgewickelte Kleidungsstück zu Boden. Ja, so hatten ihre Vorkämpferinnen das damals auch niederzwingen können, es so breit wie möglich auf den Boden zu drücken. Allerdings hatten sie damals auch das Gegenlied gesungen. Das konnte Izanami auch und jetzt, wo die Beschleunigungsbezauberung aufgehoben war auch anwenden.

Zwar war sie ziemlich geschafft vom wilden Kampf gegen Kumikos Kimono. Doch sie hatte noch genug Kraft, um das überlieferte Gegenlied zu singen. Als sie ansetzte klang von dem Knäuel her eine dumpfe Stimme: "Das wird dir diesmal nicht viel helfen, weil ich stärker bin als damals. Nimm dieses vertückte Stück Metall aus meinem Gewand, damit ich es wieder ordnen kann! Vielleicht lasse ich dir doch noch die Wahl, mein neues Gefäß der Macht zu werden oder dich selbst aus dieser Welt zu stoßen." Izanami zwang sich, die Stimme der anderen zu überhören. Sie sang das Lied gegen die Verlockungen der dunklen Geisha noch lauter. Dann meinte sie, von irgendwo ein Echo ihrer Worte zu hören. Doch es war nicht ihre Stimme, sondern ein ganzer Chor von Stimmen, die aus drei Richtungen zugleich bei ihr ankamen. Das wild auf dem Boden bebende Gewand Kumikos und ihre drohende und bettelnde Stimme wurden schwächer, weil gleich dreißig sonnengelb gewandete Frauen auf Kazeyama-Besen heranflogen und dabei sangen. Als sie den Kreis um Izanami schlossen erzitterte der Kimono Kumikos noch einmal und blieb dann auf dem Boden liegen.

Während die Frauen sangen holten die Männer einen gläsernen Zylinder herbei. Izanami zog ihr Schwert aus dem verfluchten Gewand frei. Es glühte nicht mehr. Offenbar hatte es mit all seiner Kraft gegen Kumikos Magie angekämpft. Die Männer sahen zu, wie die Frauen unermüdlich weitersingend den verknäuelten Kimono nahmen und in den Glaszylinder stopften. "Wie ging der Zauber zur Versteinerung von Luft noch einmal?" fragte einer der jüngeren Zauberer. Doch er bekam keine Antwort. Statt dessen begann sich Kumikos Gewand wieder zu entknäulen. Drei der Frauen schafften es gerade noch, den schweren Bleipfropfen mit dem Glasgewinde in den Zylinder zu drehen, als sich der Susohiki-Kimono der dunklen Geisha wieder entfaltete und der morgenrotfarbene Geist der Unheilstänzerin darin erschien. "Das werdet ihr alle mir büßen, vor allem dieses Weib mit dem Feuerschwert", zeterte der Geist und versuchte, sich aus dem Glaszylinder freizusprengen. Doch in das Glas waren mehrfache Geisterrückhaltezauber eingewirkt. Das allein würde jedoch nicht reichen. Denn nun wandte die Geisterfrau einen neuen Trick an. Sie glühte noch heller, und die sie umgebende Luft begann zu flimmern. "Gleich bin ich wieder frei, und dann fresse ich dieses Weib da mit der elenden Klinge."

"So hat sie die versteinerte Luft überwunden", stöhnte einer der Männer. Die Luft im inneren des Zylinders flimmerte noch stärker und begann zu kreisen. Der Glaszylinder erbebte. "Zieht die Luft aus dem Gefäß raus!" rief Izanami und zog ihren Zauberstab. Die Männer sahen sie verdutzt an. Dann traten zwei Vor und nickten wild. Sie schwangen ihre Zauberstäbe: "Ex receptaculo aires ventosque vanescento!" Es ploppte laut, und Kumikos Kimono klatschte scheinbar unbeherrscht gegen die Wände des Glaszylinders.

"Natürlich, ihr verfluchter Susohiki war in Tengublut gefärbt. Tengus sind Luftgebundene", knurrte einer der anderen. Dann sagte Hisa, die bis dahin fleißig das Gegenlied mitgesungen hatte: "Wir schließen den Behälter in Mondblei ein. Vielleicht haben wir dann doch mal mehr als dreihundert Jahre Ruhe vor ihr."

"Wenn wir Mondblei kriegen. In diesem Haus ist wohl alles verbraucht oder verplant", knurrte der Gruppenführer Süd. Dann bedankte er sich artig für die Rettung vor der Macht der dunklen Geisha. der jeder Innenluft entledigte Glaszylinder ruckelte und bebte wild, weil der darin steckende Kimono mit irrwitziger Geschwindigkeit und Kraft gegen die unzerbrechlichen, mit Geisterrückhaltezaubern gefüllten Wände schlug.

"An den Hüter der Gefahren und Schätze, brauchen Mondblei zur endgültigen Versiegelung des Susohikis der Unheilstänzerin."

"Schön wäre es. Aber unsere Vorräte stecken alle in den Türen und Regalen der Verliese. Aber wie habt ihr dieses unbezähmbare Gewand bezähmt?" fragte Murabayashi über den Schallverteiler. Izanami und Hisa berichteten es ihm. Rat Wakamoto, der die Unternehmung weiterhin überwachte riet nun dazu, weitere dunkle Gegenstände zu bändigen, vor allem die silberne Kanne der missgünstigen Magd.

Da Izanamis Schwert seine Tagesausdauer im Kampf gegen Kumikos Geist und Zauberkraft aufgebraucht hatte, war es etwas schwieriger die heraufbeschworenen Geisterwesen zu bekämpfen. Dazu kamen noch die aus ihren Kerkern entkommenen beseelten Gegenstände, darunter die silberne, mannshohe Teekanne der missgünstigen Magd, einer vor zweihundert Jahren lebenden Zauberin, die es nicht verwinden wollte, dass der damalige Oberhofzauberer sie nicht heiraten wollte und sie deshalb als Küchenmagd des amtierenden Shoguns aufgetreten war. Wie alles andere der dunklen Kräfte vielfach verstärkte wirkte der Fluch der Silberkanne, die vor der dunklen Woge sogar nur ein Achtel so groß war, eben auch achtmal so stark. Sie entzog jedem, der sich in ihr spiegelte einen Teil des körpereigenen Wasservorrates. Wer sie zu lange ansah konnte restlos verdorren. So fanden zwanzig Mitstreiter beinahe den Tod, wenn ihre Kollegen nicht mit den Liedern vom Segen des Wassers und der Lebensquellen gegengehalten hätten.

Zwar konnten die meisten verfluchten Gegenstände wieder in ihre Kerker zurückgebracht werden. Doch deren Schutzbezauberungen waren größtenteils erloschen. Selbst die Sonne mochte sie nicht wieder auf volle Stärke bringen. So wurden hunderte von Wachgeistern ehemaliger Mitstreiter herbeigerufen, die nun auf die Silberkanne und die anderen verfluchten Gegenstände aufpassen mussten. Wenigstens konnten sie den Lederhelm des Schlangenrufers in einer ähnlichen luftleer gezauberten Glaskugel einsperren, so dass seine Rufe keine Geisterschlangen mehr hervorriefen.

Nach einer sehr langen Nacht standen drei Dinge fest: Das Schwert des Dunklen Wächters hatte sich trotz aller umgebenden Rückhaltezauber befreit und war zu einem neuen Körper hingewechselt. Auf Luftmagie bauende Gegenstände und Geister konnten durch Einkerkerung in Luftleere Räume gebändigt werden, was vorher niemand wirklich geahnt hatte. Das Haus der Gefahren und Schätze musste möglichst bald mit neuen, stärkeren Schutzbannen wiederbestärkt werden. Solange sollten Eisendiener die körperlichen Arbeiten dort verrichten und Wachgeister vor den vorübergehend instandgesetzten Lagerräumen wachen. Menschliche Wesen wollte der hohe Rat bis zur endgültigen Wiederherstellung nicht länger als Tageslichtdauer dort herumlaufen lassen.

"Er wird nun, da er geflohen ist, auf Rache ausgehen, Herr Murabayashi", sagte Takayama, der ebenfalls eine lange Nacht hatte überstehen müssen. "Er wird nach den beiden Schwestern seines neuen Körpers suchen. Offenbar meint oder weiß er, dass er erst dann seine frühere Stärke wiederfindet, wenn er die beiden tötet. Ja, und dann, werter Herr Murabayashi, sollten wir uns ganz dringend um den Verbleib des silbergrauen Stabes kümmern. Er gehörte dem dunklen Wächter und dürfte in dessen Händen eine genauso tödliche Waffe sein wie das Schwert."

"Die Flucht des Schwertes hat unsere Ermittlung gestört, hoher Rat Takayama", sagte Murabayashi.

"Wieso, wir wissen doch, wer ihn hat. Wie sie an ihn gelangte ist erst einmal nebensächlich, auch wenn das heißt, dass wir einen Verräter oder eine Verräterin in unseren Reihen erdulden müssen wie einen gebrochenen Knochen, der erst noch verheilen muss. Doch sollte unser Streben jetzt darauf abzielen, diese Hexe, die sich aus einer uns unbekannten Kraft heraus in eine menschengroße Spinne verwandeln kann, zu ergreifen und ihr den Stab und das flammende Schwert zu entwenden, mit dem sie Ladonnas Vorhaben vereitelt hat. Beides gehört in unsere Verwahrung, zumal der dunkle Wächter sicher danach suchen wird."

"Und was wird mit mir?" fragte der bisherige Hüter der Gefahren und Schätze.

"Ihr habt einen Monat Zeit, uns den Stab und das Schwert zu beschaffen, mit Überredung, Verlockung oder Gewalt. Schafft ihr dies nicht, tretet der Armee der Verweilenden bei!"

Kohaku Murabayashi erbleichte. Zwar hatte er damit gerechnet, für sein Versagen den Tod hinnehmen zu müssen. Doch dass er nur dann diesem Schicksal entkam, wenn er sich mit einer ausländischen Zauberin anlegte, die zu einer Riesenspinne werden konnte, wo er große Angst vor Spinnen hatte und dass er sich durch seinen Freitod in die Reihen der verweilenden Mitstreiter eingliedern sollte, statt in die Unterwelt hinüberzuwechseln, beunruhigte ihn sehr.

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25.07.2004

Anthelia/Naaneavargia saß am Nachmittag dieses Tages in dem als Schreibstube eingerichteten Zimmer der ehemaligen Mitstreiterin Tyche Lennox und ging alle sich ergebenden Möglichkeiten durch, wie Ladonna Montefiori ihre bisherigen Niederlagen verarbeiten und neue Vorstöße unternehmen konnte. Denn ihr war klar, dass die Hybridin garantiert nicht mit Italien alleine zufrieden war. Wie eine gute Schachspielerin überlegte sie, welche Züge der neuen Erzfeindin offenstanden und wie sie, Anthelia/Naaneavargia, darauf antworten konnte. Sicher dachten die Zaubereiminister Europas und der Welt ebenso. Denn es galt ja, die in Kanada stattfindende Wiederholung der Quidditchweltmeisterschaft abzusichern. Zumindest wussten die Ministerien nun alle von jener tückischen Duftkerze. Auch durfte es für Ladonna schwer sein, diese Dinger in großer Stückzahl anzufertigen, wenn sie dafür eigenes Haar und andere auf sie persönlich abgestimmte Zutaten brauchte.

"Höchste Schwester, Nachricht aus Japan: Der dunkle Wächter hat sein Schwert einem lebenden Menschen übergeben und wirkt in dessen Körper fort", hörte Anthelia die Stimme einer Mitschwester, die als Verbindung zwischen ihr und einer Hexe auf Hawaii diente, die wiederum mit Izanami Kanisaga, der einzigen japanischen Mitschwester ihres ordens, in Verbindung stand. "Schwester Guni, was genau ist geschehen?" schickte Anthelia an die Zwischenstelle auf den Hawaiiinseln zurück. Fünf Minuten später bekam sie die von Izanami zurückgeschickte Nachricht:

"Offenbar ist der Halbwüchsige ein Blutsverwandter des Wächters. Wächter im Körper des Jungen entkommen. Suche Läuft."

"Er wird zusehen, seine alte Macht wiederzuerlangen und auch den Stab suchen", schickte Anthelia zurück. Nach einer Minute Pause kam die Antwort zurück: "Das ist genau, was ich befürchte. Bleib mit dem Stab bitte möglichst weit weg, höchste Schwester!"

Anthelia überlegte, ob sie darauf noch einmal antworten würde. Dann schickte sie ihrer Verbindungsstelle: "Der Stab gehört nur noch mir. Er kann ihn weder erspüren noch für sich vereinnahmen. Doch überlasse ich es euch, den dunklen Wächter zu erledigen. Viel Erfolg dabei!" Darauf kam erst einmal keine Antwort mehr. Anthelia sah auf die kleine Uhr auf dem Schreibtisch und dachte daran, dass in Japan bereits der neue Tag angefangen hatte. Für Izanami und ihre offiziellen Mitstreiter würde es sicher ein anstrengender Tag sein.

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26.07.2004

Der hohe Rat des ehrenwerten Ordens der Hände Amaterasus besprach schon seit Stunden, wie es weitergehen sollte. Takahara hatte dem Orden, der ja offiziell nicht für das Ministerium tätig war, eine Frist gesetzt. Entweder würden sie den dunklen Wächter und seine verbliebenen Gegenstände in den nächsten Wochen zu fassen bekommen, oder Takahara würde den Orden der Hände Amaterasus auflösen. Der hohe Rat würde dann wegen schwerer Unterlassungen zu Haftstrafen verurteilt, falls sich die Mitglieder nicht den ehrenvollen Tod geben wollten. Takayama, der bisher die schützende Hand über Murabayashi hielt fragte sich, ob es noch sinn machte, Murabayashi die letzten Wochen zu lassen. Denn allein der Aufruhr im Haus der Gefahren und Schätze hatte erwiesen, dass die Hände Amaterasus offenbar nicht mehr die richtigen waren, solche gefährlichen Dinge zu verwahren. Immerhin hatte der hohe Rat eine Nachbestellung von Mondblei genehmigt, um die Schäden an den Türen und Schränken zu beheben. Murabayashi würde dafür eine große Menge reinen Goldes aus den Verliesen der Schätze seines Hauses herausgeben müssen. Doch damit würde er wohl besser leben können als mit der Vorstellung, dass er nur noch bis zum 28. August zu leben hatte.

"Der höchst ehrenwerte kaiserliche Oberhofzauberer und Minister für Zauberei und Zauberwesen wünscht, dass die Untergebenen des Lenkers für Handel, Vermögen und Steuern die Werte in Eurem Hause sichten, Herr Murabayashi", sagte Takayama, als sie die Suche nach dem dunklen Wächter weitestgehend abgesprochen hatten.

"Wann wünschtt der höchst ehrenwerte Herr Takahara diese Sichtung und Erfassung?" fragte Murabayashi, der sich die Schmach nicht anmerken ließ, die damit verbunden war.

"Sofern ich ihn richtig verstanden habe in zwanzig tagen. Bitte gewährt den Beauftragten jeden Einblick, den sie nehmen möchten, sofern diese Wünsche schriftlich festgelegt sind!"

"Bis dahin erhoffe ich von meinen Mitarbeitern die vollständige Wiederherstellung aller Sperr- und Schutzbezauberungen zur Sicherung der von meinem Haus gehüteten Gefahrengegenstände", sagte Murabayashi. Sollte er sich jetzt wirklich noch geehrt fühlen, dass er der erste Hüter der Gefahren und Schätze des Ordens war, der eine solche Prüfung zulassen musste? Bröckelte die vor über siebenhundert Jahren errichtete Säule des Vertrauens und der Vorrechte schon? Es war wohl eher die Begehrlichkeit des Ministeriums, die nun in Unterwerfungshaltung kauernden Hände Amaterasus so richtig zu durchforschen. Doch worauf es hinauslief war klar: Takahara wollte wissen, wie viel Gold der Orden hatte und dann, falls er ihn wirklich auflöste, alles davon für sein Ministerium beanspruchen, bevor die Angehörigen der Hände Amaterasus Ansprüche anmelden konnten. Murabayashi wusste, dass Takeru Wakamotos Mutter bereits die Entlohnung ihres Sohnes für das restliche Jahr verlangte, weil es ihr als von seinem Verdienst lebenden Angehörigen zustand. Ebenso konnten die anderen Angehörigen solche Ansprüche geltend machen, wenn ihre Verwandten nicht mehr im Orden dienten, was eigentlich nur im Todesfall der Fall war. Klar, dass Takahara, der Oberhofzauberer eines nur noch zur Schau auf dem Chrysanthementhron sitzenden Tennos, schon mal wissen wollte, wie viel seine Leute aus den Verliesen hinaustragen konnten, bevor er den Orden der Hände Amaterasus für aufgelöst erklärte. Die Flucht des Geistes des dunklen Wächters hatte ein Beben hervorgerufen, das alle Japan je erschütternden Erdstöße und Feuerbergausbrüche übertraf, und er, Kohaku Murabayashi, trug eine schwere Mitschuld daran.

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Die Christen erzählten immer was von einer Hölle, in die die Seelen der ihren Regeln widerstrebenden hineingeworfen wurden. Doch für Takeshi war die Hölle kein dunkles Reich voller Feuer und gefräßiger Dämonen, sondern die Gewissheit, nichts ausrichten zu können, als immer wieder hinter dem Dämon herzutreiben, der seinen Körper übernommen hatte. Er musste mit ansehen, wie der Sohn einer Yamauba mit seinem Schwert unschuldige Tiere tötete, um sie dann durch Bestreichen mit der Breitseite seines Schwertes zu untotem, seelenlosem Leben zu erwecken. Außerdem entstiegen den Fellen der getöteten Wildtiere kleine blutrote Flammen. Dann hatte Takeshis entkörpertes Ich mit ansehen müssen, wie der dunkle Wächter im Freudenviertel von Chiyoda fünf Spielfrauen qualvoll umgebracht hatte. "Ihr gabt eure Schöße her für Geld von triebigen Rammlern. Jetzt gebt ihr mir euer Blut und euer Leben für eine höhere Ordnung", sagte der dunkle Wächter, als er jedes einzelne Freudenmädchen mit dem gerade nicht glühenden Schwert aufschlitzte.

Als dann doch mal mehrere Zauberer aus dem Nichts heraus erschienen hatte er diese mit einem Feuerzauber aus seinem Schwert in Brand gesetzt. Dabei hörte Takeshis Geist ihn in Gedanken fluchen: "Diese Knechte kosten mich immer ein in das Schwert gesaugtes Leben. Ich brauche meinen Stab. Warum hört er nicht meinen Ruf?"

Takeshis Geist erinnerte sich an die Träume, die ihn in den Bann dieses Dämons gezogen hatten. Da kam immer wieder ein silbergrauer Zauberstab vor, der einen Teil der dunklen Seele des einstigen Magiers aufgenommen hatte und der auch Blut und Lebenskraft von König Sojobo in sich aufgesaugt hatte. Ohne den konnte der jetzt wiedererstandene Mörder keinen Tengu beschwören. So ein Unglück aber auch, dachte Takeshis Geist mit bitterer Ironie.

"Mein Stab, mein Herrscherstab über Licht und Schatten, hör die Stimme deines Herrn und Schöpfers!" hörte Takeshis Geist, als der dunkle Wächter es geschafft hatte, mit dem Feuerwirbel-Teleportationszauber den Kampfzauberern zu entrinnen. Das Schwert glühte rot auf und blinkte wie eine Verkehrsampel mit Wackelkontakt. "Mein Geist ruft meinen Geist im Stab meiner Herrschaft. Wo bist du?!"

Das Schwert blinkte noch einige Sekunden. Dann färbte es sich wieder so grün wie es war, wenn keiner seiner Zauber in Kraft war. "Wo haben die das Schwert hingelegt, um es zu verstecken. Da muss auch der Stab sein", dachte der Dämon. Dann dachte er wieder daran, dass er die Schwestern des Jungen töten musste, dessen hilflosen Geist er weiterhin als unsichtbaren Schatten mitschleppte. Der böse Geist wusste, dass Takeshis aus dem Körper verstoßene Seele seine Gedanken hören und die gedachten Bilder sehen konnte. Daher genoss er es wohl, ihn mit brutalen Szenen zu quälen, wie er Naomi und Keiko langsam töten würde, um ihr Blut und ihr Leben in das Schwert einzusaugen.

"Ich find die, und dann verteile ich die über das ganze Land", beendete der Dämon, der sich auch Ken'Ichi, der erste starke Sohn nannte, seine neueste Schreckensphantasie. "Aber dein Leib behagt mir. Wenn ich die zwei demselben Schoß entkrochenen Bälger getötet habe, kann ich das Schwert auch mal weglegen und seine fleischlichen Gelüste genießen. Denn dann kann mich auch die an ihre Heimaterde gefesselte Erscheinung meiner ungeliebten zweiten Mutter nicht mehr schrecken."

Takeshi hatte schon mitbekommen, dass der Räuber seines Körpers das Schwert nie aus den Händen oder von seinem Körper weglegte. Er brauchte unmittelbaren Körperkontakt damit, als wenn das Schwert ein lebensnotwendiger Körperteil war. Dann machte es einen ganz gemeinen Sinn, es mit unschuldigem Blut zu tränken, weil Menschen ja auch das Fleisch von Land- und Meerestieren aßen, um weiterzuleben. Takeshi hoffte nur, dass die Zauberer, die seine Mutter und seine Schwestern fortgeholt hatten, sie nicht voreilig wieder freiließen. Denn sicher konnte der dunkle Wächter sie aus der Ferne erspüren.

Ein streunender struppiger Straßenkater hatte das Unglück, dem dunklen Wächter über den Weg zu laufen. Ein kurzer Hieb mit dem Schwert setzte dem herrenlosen Tier ein Ende. Dann bestrich der böse Geist in Takeshis Körper das tote Tier mit dem Schwert. Dieses leuchtete blutrot auf. Die Wunde im Tierkörper schloss sich. Dann zuckte der getötete Kater zusammen und stieß ein kurzes rauhes Maunzen aus. Dann stand er wieder auf. Aus seiner Schwanzspitze und den Ohrspitzen sprühten rote Funken. Dann leckten winzige rote Flammenzungen über das grau-schwarze Fell, ohne es zu versengen. "Ja, du bist ein feiner", schnurrte der dunkle Wächter, während seine freie Hand das zum untoten Dasein erweckte Tier streichelte, ohne sich an den kleinen Flammen zu verbrennen. "Bald wirst du mit allen anderen meiner Armee der vierbeinigen Rächer ausrücken, um dieses Land stärker zu erschüttern als das schlimmste Beben. Dann werden sie mir alles zu Füßen legen, was ich fordere, auch die beiden Schwestern dieses Schwächlings."

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"In Ropongi hat es in einem sogenannten Club gebrannt", sagte Außentruppleiter Hiro Kazeyama, als er seine gerade verfügbaren Leute zusammengerufen hatte. Auch Izanami Kanisaga war dabei. Er berichtete davon, dass mehrere dort arbeitende junge Frauen getötet worden waren, offenbar durch Schwerthiebe. und es waren sieben brennende Kanalrattenin die Straßen entwischt, die alles, was sie berührten entweder in Brand setzten oder gleich zu Asche werden ließen. "Das sind alles Zeichen des dunklen Wächters. Diese niederen Tiere, die er erst tötet und dann zu mit unheiligem Feuer umkleideten Dienern macht. Ja, und er hat mehrere Männer des höchst ehrenwerten Herrn Takahara in diesem Feuer verbrannt. Das soll wohl eine Warnung an uns sein, dass er jeden unbescholtenen Bürger dieses Landes auf diese Weise töten kann."

"Womöglich will er seine Macht erproben, bevor er wirklich etwas planvolles tut", vermutete der ältere Vetter des beim Kampf im Hochhaus getöteten Takeru.

"Es ist doch gewiss, was er will", erwiderte Kazeyama. Alle nickten ihm zu. "Erst will er die drei Blutsverwandten des armen Jungen töten, weil die mit seinem geraubten Körper blutsverwandt sind. Dann wird er sicher wieder darauf ausgehen, der mächtigste dunkle Magier dieses Landes zu werden, zumal nun auch kein Hanyo vom schwarzen Berg mehr im Weg steht. Allerdings bleibt die Frage, ob er sich einen neuen Zauberstab machen wird oder versucht, den zu erbeuten, der mit seinem Schwert zusammen gefunden und verwahrt wurde."

"Dann muss er ja wieder ins Haus der Gefahren und Schätze zurückkehren", vermutete Katsuo Wakamoto, der seit dem Tod seines Vetters wesentlich entschlossener wirkte als vorher.

"Ja, aber erst, wenn er meint genug Macht gewonnen zu haben, um es zu stürmen", vermutete Kazeyama. "Aber gewiss dürfen wir das nicht außer Acht lassen. Die Meister und Gesellen aus den Häusern der wirksamen Waffen, Werkzeuge und Helfer bekamen bereits von ihrem im hohen Rat vertretenen Großmeister den Auftrag, noch mehr kampffähige Eisendiener zu fertigen, auch um die verstorbenen Hütergehilfen zu ersetzen. Doch die werden erst in vier Wochen verfügbar sein. Bis dahin will ich hundert von uns im Haus der Gefahren und Schätze wachen lassen. Ich weiß, dass jede handelnde Hand sich freiwillig melden würde. Daher soll das Schicksal selbst die Auswahl treffen." Er winkte mit seinem fächerförmigen Kraftausrichter. Mit einem vernehmlichen Knall erschien eine silbern beschlagene Truhe mit einem gewölbten Deckel, in dem noch eine Luke eingearbeitet war, die gerade breit genug für eine Männerfaust war. "Ihr alle kennt das Verfahren. Die Truhe der Zuteilung wird nun die schwarzen und weißen Steine mischen. Dann greift jede und jeder nach Aufruf des eigenen Namens durch die kleine Luke und nimmt eine der Kugeln heraus. Wer gezogen hat zeigt mir die Kugel. Weiß bedeutet erwählt, Schwarz bedeutet nicht erwählt."

Nun wurden alle hier versammelten handelnden Hände Amaterasus dem Nachnamen nach aufgerufen. Izanami hoffte sehr, dass sie zu denen gehören durfte, die im Haus der Gefahren und Schätze wachen durfte. Denn wenn der dunkle Wächter wirklich dorthin zurückkehrte bestand die Möglichkeit, ihn dort mit ihrem Schwert Kurayami de no Kaminari zu bekämpfen. Ihr war natürlich klar, dass sie dabei womöglich den vom Geist des dunklen Wächters erbeuteten Körper töten musste oder selbst den Tod finden mochte. Ein Kampf der Feuerklingen würde wohl die Entscheidung bringen.

"Handelnde Hand Kanisaga", sprach Kazeyama. Izanami ging an die silberne Truhe, die jedesmal, wenn einer ihrer Kollegen eine der Kugeln herausgezogen hatte, wieder durchmischte. Die gezogenen Kugeln wurden solange behalten, bis hundert erwählte bestimmt waren.

Sie griff durch die schmale Luke in das Innere der Truhe und ergriff eine der darin liegenden Kugeln. Sie zog sie mit geschlossener Faust heraus und drehte ihre Hand so, dass die Kugel beim Öffnen von allen zu sehen war. Dann zeigte sie die gezogene Kugel vor. Es war eine schwarze. Das hieß für sie, dass sie weiterhin in üblicher Bereitschaft bleiben würde. Sie wusste nicht, ob sie deshalb enttäuscht oder erleichtert sein sollte. Sie durfte eh nicht zeigen, wie sie sich fühlte. Sie trat mit ihrer Loskugel in die Reihen der bereits aufgerufenen zurück und sah zu, wie weitere Handelnde Hände in die Truhe griffen, bis die hundert neuen Wachen im Haus der Gefahren und Schätze erwählt waren.

"Ich danke euch allen für eure Einsatzbereitschaft und hoffe, dass wir bald eine Möglichkeit haben, den dunklen Wächter zu überwältigen", sagte Hiro Kazeyama, der als Truppenleiter und hoher Rat des Ordens nicht an der Auslosung teilgenommen hatte.

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29.07.2004

Fino freute sich diebisch, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Seine neue Einsatztruppe "Las Manos mañificas" hatte innerhalb von drei Nächten mehrere Armeestützpunkte geplündert und alle nichtelektronischen Feuerwaffen über vor Ort zusammengebaute Verschwindeschränke in die über den südamerikanischen Kontinent verteilten Werkstätten der Mondbruderschaft verschickt. Sie hatten die Methode des auf ein eigenes Reich ausgegangenen Rabioso kopiert und bei jedem Unternehmen eine Mondschwester mitgenommen, die in ihrem Unterleib einen bezauberten Stein trug, der das Apparieren von Nicht-Lykanthropen im Umkreis von zwei Kilometern vereitelte.

Als dann doch eine Gruppe von für Buggles tätigen Werwölfen apparierte hatten die Waffenräuber sie mit Ultraschalltröten betäubt, eine Erfindung, auf die Fino besonders stolz war.

Nach erfolgreichen Raubzügen hatten sie die Schränke mit magisch getriebenen Schraubendrehern wieder in Einzelteile zerlegt und waren damit disappariert.

"Das ziehen wir jetzt auch bei anderen Armeeniederlassungen durch", grinste Fino, als er die einfachen Panzerfäuste, MGs mit Sprengmunition und jede Menge Handgranaten betrachtete. "Wetten, dass Buggles die Fischzüge alle aus den Gedächtnissen der Kriegsknechte löschen lässt und da den Deckel mit der Aufschrift "Höchste Geheimhaltungsstufe" draufknallt?" freute sich auch Finos US-amerikanischer Mondbruder Jock Ironjaw, der in seinem Leben als Eingestaltler selbst in der US-Armee gedient hatte.

"Nachricht an die Brüder in Deutschland, Spanien und Portugal: Die Methode "Campingschrank" funktioniert und darf gerne bei nahebei gelegenen Stellen angewendet werden", sagte Fino dem neuen obersten Rat der Mondbrüder.

"Öhm, Fino, ich hab 'ne Nachricht aus Brighton gekriegt. Offenbar haben zwei von den Fernhaltemädels den da lebenden Schwestern gepetzt, dass wir Kriegswaffen sammeln. Unsere blonde Frau Ex-Vorsitzende warnt ausdrücklich davor, es sich mit den Zaubereiministerien zu verscherzen und dass die genausogut Zauber gegen Träger von Therianthropenblut machen können, wenn die wissen, wie sie den Magielosen nicht ihre ganzen Computersachen verhunzen. Apropos, die Operation "Venusmond ist vor einem Tag angelaufen", berichtete Moonchaser.

"Schön, bei einigen Männer-WGS in Peru und Mexiko ist schon das Stangenfieber ausgebrochen. Wenn Bocafina da nicht schon vorgearbeitet und ein ganzes Hafenbordell bei Acapulco angeworben hätte hätten die sich selbst wen zum vernaschen gesucht", grummelte Fino. "Also, in Irland läuft Venusmond. Und was unsere blonde Ex-Vorsitzende und ihren Club widerspenstiger Weibsbilder angeht, Moonchaser, so darfst du denen sehr gerne zurückschicken, dass es noch Frauen mit Ehre und Anstand gibt, die wissen, was sie unserer Bruderschaft schulden. Nächstes Thema!"

"Grünau und das Gewerbegebiet von Innsbruck", sagte Mondkralle. "Wir haben es jetzt amtlich, auch wenn wir keine von diesen ominösen Vampirblutprickeldingern haben, dass in Grünau mindestens ein Blutschlürfer rumhängt, der die Fabrik am laufen hält. Meine Späher gehen aber davon aus, dass es mit diesem Langzahn wie mit Ratten ist. Wenn du eine siehst kannst du sicher sein, dass in der Nähe noch mehr versteckt sind. Wundere mich, dass Güldenberg da noch nicht drauf gekommen ist. Hat wohl keine Vampirblutprickelsteinchen."

"Warum haben wir sowas eigentlich noch nicht?" wollte León del Fuego wissen. "Ich meine, angeblich sind die in öffentlichen Häusern eingebaut, wo Leute über Blut und Krankheitserreger forschen - übrigens auch was, das uns ganz drängend betrifft. Nachher machen die im Auftrag von Zaubereiministerien ein Zeug, das wie der Wolfsbanntrank wirkt oder die Kraft der Mondwandlung unterbricht sowie dieses Kontralyko-Gas, mit dem die Briten uns schon beharkt haben."

"Was die Kristalle angeht. Die sind da wo die sind ideal, weil wir auch kein Interesse haben, dass sich die Blutschlürfer an irgendwelchen Fachleuten bedienen, die denen zeigen, wie man deren Natur ohne Austausch von Körperflüssigkeiten auf andere Eingestaltler übertragen kann. Die haben es da offenbar noch weniger mit Anstand und alten Werten als unsere abgesprungenen Brüder und Schwestern", sagte Fino. "Ich gehe aber davon aus, dass die gleiche Firma, die diese Blutaufschäumkristalle gemacht hat auch diese außerirdisch anmutenden Lykanthropenfinder verzapft haben, will sagen, das ist das Laveau-Institut. Und bei denen darfst du davon ausgehen, dass die auch schon Sachen haben, die unser von Mondkraft veredeltes Blut zum kochen bringen können, damit wir bloß nicht zu nahe an deren Werkstätten ran können."

"Was soviel heißt wie: Campingschrank läuft nur noch solange, bis die Eingestaltler solche Werwolfsblutabweisedinger an sensiblen Stellen installiert haben", sagte Ironjaw. "Vielleicht sollten wir uns doch noch eins von den Atommülllagern vorknöpfen und da genug Zeug für schmutzige Bomben abgreifen. Oder sind Vampire immun gegen Radioaktivität?"

"Frag besser mal, ob wir das sind", knurrte Fino. "Und die Antwort lautet: Nein, wir sind nicht immun gegen Radioaktivität. Der Kollege Peloduro hat bei entsprechenden Versuchen mit gespendetem Blut und kleinen Mengen von Uran und Radium rausgefunden, dass unser Blut bei längerer Bestrahlung silbern aufleuchtet, was vielleicht heißt, dass die darin ruhende Verbindung zum Mond ausgebrannt wird. Er meint, wenn er einen von den Ministeriumsschoßhunden kriegen kann, um das "in vivo" auszuprobieren, also am lebenden Objekt, weiß er auch, was dann passiert. Jedenfalls sind wir nicht wie Zombies gegen Strahlung immun. Vampire sind es deshalb auch nicht, weil Strahlung wie ein unsichtbar brennendes Feuer wirkt. Der einzige, der sowas mal überlebt und das dann auch mit anderen hinbekommen hat, war Volakin, der blaue Blutfürst. Die konnten dann sogar bei Sonnenlicht rumlaufen, aber brauchten dann auch immer verstrahltes Blut, weshalb die am liebsten diese Atomwaffen eingesetzt hätten, von denen Nina und Tino uns immer wieder erzählt haben. Aber die anderen Blutschlürfer können Strahlung nicht vertragen. Doch wenn wir jetzt auf schmutzige Bomben zugreifen kriegen die Blaulichtbanditen von Vita Magica von jedem Zaubereiministerium die Lizenz zur totalen Ausrottung aller Werwölfe auf der Erde. Genau das wollen wir ja nicht."

"Gut, hast recht, Fino", grummelte Ironjaw. Moonchaser meinte dazu noch: "Öhm, Leute, könnte sein, dass die Operation "Campingschrank" das auch schon rechtfertigt, zumindest für Buggles und Genossen. Wir haben genug Zeugs zusammengeklaut, um damit zehntausend Leute umzulegen und mindestens hundert Häuser plattzumachen. Die grübeln sicher jetzt über den angemessenen Gegenschlag nach, auch um zu verhindern, dass wir die geklauten Waffen gegen sie selbst einsetzen."

"ja, aber wir brauchen die Dinger, um die Sonnenschutzhautfabriken zu demontieren, vor allem die Flammenwerfer", sagte Fino. Das sahen alle ein. Dennoch waren sie froh, dass sie in den abgesicherten Verstecken gegen die bitterböse Vorrichtung für die blauen Todesstrahlen sicher waren, zumindest noch.

"Also gut, in zwei Tagen zerlegen wir den Laden bei Grünau und gleichzeitig den bei Innsbruck", legte Fino fest und sah Mondkralle an: "Klär das mit deinem Harem, dass wir auch noch wen in Österreich brauchen, der oder die einen Campingschrank in die Nähe schafft, damit unsere Leute da ganz schnell rankönnen und noch schneller wieder wegkommen, ohne deren Portschlüsselspürer zu kitzeln!"

"Joh, haben wir schon vorgemerkt", sagte Mondkralle. Fino und die anderen nickten.

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Anthelia erfuhr über ihre Mitschwestern Portia und Beth, dass da wer in den letzten Tagen im großen Stil Handfeuerwaffen und Sprengkörper zu Kriegszwecken gestohlen hatte. Als sie noch erfuhr, dass ausgerückte Sicherheitstruppen des Zaubereiministeriums gegen besondere Apparierbarrieren geprallt waren war auch klar, wer diese Raubzüge durchgeführt hatte und auch warum.

"Buggles rotiert wohl, wenn ich das so verstanden habe, wie es die im Ministerium tätigen Zögerlichen an Lady Roberta weitergegeben haben. Und die Königin der Kinderpflückerinnen hat schon angeregt, weitere derartige Überfälle auf ähnliche Weise zu vereiteln, indem Vorrichtungen angebracht werden, die bei Erfassung von Werwolfsblut in weniger als hundert Metern Umkreis das Kontralyko-Gas freisetzen, was unter anderem Ceridwen Barley in Großbritannien erfunden hat. Auf jeden Fall liegt Minister Buggles nichts daran, die Angelegenheit bekannt werden zu lassen."

"Tja, schon gescheitert", erwiderte Anthelia verächtlich. "Aber das heißt doch, dass die Pelzwechsler zum einen gegen jemanden vorgehen wollen, der Vorkehrungen gegen magische Angriffe getroffen hat und zum zweiten wissen, wo sie zuschlagen wollen. Weil sonst hätte sich eine solche Überfallserie nicht gelohnt. Immerhin haben wir damals ja auch viel Silber zusammengetragen, um den Totentänzer zu stoppen."

"Ja, die haben viel Sprengstoff und auch Flammenwerfer erbeutet und ein öliges Zeug, das Napalm heißt. Soll wohl ein ziemlich übler Brennstoff sein", sagte Portia. Anthelia, die ja über ihren damaligen Kundschafter Ben Calder einiges über die Kriegswaffen der Magielosen erfahren hatte nickte. "Ja, ein an Flächen anhaftender, einmal in Brand gesetzt schwer bis gar nicht zu löschender Stoff, mit dem ganze Wohnflächen niedergebrand wurden. Allerdings kommt es nur zu einem Viertel an die Zerstörungskraft von Brenngebräu heran. Von Dämonsfeuer brauch ich erst gar nicht zu sprechen."

"Du sagst, dass die Werwölfe wissen, wen sie angreifen wollen. Ich gehe jetzt mal davon aus, dass sie keine einfachen Wohnhäuser oder Kriegsfestungen angreifen wollen, weil letzte hätten sie dann ja gleich bei ihren Überfällen zerstören können", sagte Beth. Anthelia/Naaneavargia nickte. "Sie werden wissen, wo diese Solexfolien hergestellt werden, mit denen die Jünger der selbsternannten Göttin der Nachtkinder ihre empfindlichen Körper vor Sonnenlicht schützen. Dann stimmt das doch, dass es wohl einigen nicht mit diser Sekte einverstandenen Blutsaugern gelungen ist, Standortangaben für diese Fabriken zu erbeuten. Tja, und die Mondanheuler sollen deren Drecksarbeit machen und die Fabriken zerstören. Ich meine, gut, wenn wir wissen, wo solche Fabriken stehen werden wir die auch zerstören. Aber es ist schon dreist von den Langzähnen, dass sie die Werwölfe für sich arbeiten lassen."

"Es sollte doch möglich sein, dass wir auch herausbekommen, wo solche Fabriken stehen", meinte Portia. "Ich meine, da wären wir uns ja mal mit allen einig, auch mit den zögerlichen Schwestern und sogar mit dieser Ladonna Montefiori", meinte Beth.

"o Ja, da dürft ihr sehr gerne von ausgehen, Schwestern. Wenn in Ladonnas neuem Königreich jemand so frech wird, eine Solexfolienfabrik hinzustellen und zu betreiben dürfte die innerhalb eines Tages im Glutball ihres Lieblingsfeuerzaubers vergehen, gegen den es nur ein Mittel gibt, das Feuerschwert aus dem alten Reich. Wobei vielleicht interessant ist, ob der Blutbann, den Ladonna über Italien, San Marino und Sardinien verhängt hat, auch auf Vampire und Werwölfe tödlich wirkt. Falls ja wird da niemand von denen eine solche Fabrik einrichten und betreiben."

"Was wohl kein Grund zur Schadenfreude ist", meinte Beth McGuire. Anthelia/Naaneavargia nickte heftig. Dann deutete sie auf Portia: "Du wolltest mir von deinem handwerklich begabten Vetter zwei Zweiwegespiegel besorgen, Schwester Portia. Wann sind Sie fertig?"

"Höchste Schwester, hier sind sie", sagte Portia und förderte aus einer winzigen Tasche ihres Umhanges zwei quadratische Gegenstände mit silbernem rahmen, in die magische Zeichen eingraviert waren und die auf einer seite eine handttellergroße Spiegelfläche aufwiesen und auf der Rückseite neben weiteren magischen zeichen auch eine zwanzigstrahlige Sonne trugen. Als Anthelia beide Gegenstände nahm und auf die Spiegelfläche blickte vibrierten beide, und Anthelia konnte sich in jedem der Spiegel doppelt sehen. Das war die Wirkung von Zweiwegespiegeln, die weniger als zehn Schritte beieinander waren und in die zur selben zeit dieselbe Person hineinblickte. Also funktionierten die Spiegel. Anthelia steckte einen davon in ihren Scharlachroten Umhang. Dann fragte sie: "So wie ich es an den Zeichen ablesen kann wirken beide mit der Kraft von Sonne, Mond und den Hauptsternbildern des Nordens und Südens zusammen, also reichen weltweit. Hat dein Vetter auch die zusätzliche Bezauberung einfügen können, die ich erwähnt habe?" Portia nickte bestätigend. "Ging gerade noch so, ohne die übrigen Bezauberungen zu stören oder abzuschwächen", fügte Portia noch hinzu.

"Und dein Vetter ist fest davon überzeugt, dieses Spiegelpaar hier für einen Agenten der Quentin-Bullhorn-truppe gefertigt zu haben?" fragte Anthelia/Naaneavargia. Wieder nickte Portia.

"Danke dir, Schwester Portia. Womöglich werden diese beiden Spiegel uns allen helfen, früh genug über die Auswirkungen einer Gefahr verständigt zu werden, die gerade in Ostasien besteht."

"Wieso, haben die Chinesen beschlossen, ihre Wasser- und Feuerdrachen gegen uns in Marsch zu setzen?" fragte Portia. Beth meinte dazu noch: "Die hätten dann aber einen langen Marsch vor sich, wenn sie bis zu uns wollen."

"Feuer ist schon richtig, Schwestern. Aber es sind nicht die Chinesen, sondern ein uralter Japaner, der sich nach vielen Jahrhunderten sehr deutlich zurückgemeldet hat", sagte Anthelia. "Bisher wissen das wohl nur die Hexen und Zauberer auf den japanischen Inseln alleine. Aber unsere Bundesschwester Izanami hat mir vor vier Tagen mitgeteilt, dass dieser alte Japaner, der durchaus als Dämon bezeichnet werden kann, wieder tätig geworden ist. Da wir im Moment mehr als genug menschenfeindliche Gegner haben hoffe ich sehr, dass diesem alten Übel bald beizukommen ist. Sagen wir es mal so, vorgewarnt war ich schon lange genug, weshalb ich ja auch diese Spiegel haben wollte, Schwester Portia."

"Dann soll Schwester Izanami einen davon kriegen?" fragte Portia. Anthelia hielt zur Antwort den einen noch gehaltenen Spiegel hoch und machte eine angedeutete Übergabebewegung damit. Portia verstand.

"Öhm, was dürfen Lady Roberta und die anderen nicht von dir eingeschworenen Schwestern davon wissen, höchste Schwester?" fragte Beth.

"Noch nichts. Könnte sein, dass die Sache zwischen diesem alten Geist und mir entschieden werden muss, weil ich was habe, was er gerne hätte und auch was habe, dass seiner Waffe mindestens ebenbürtig ist. Aber sollte er sich mit Japan nicht zufriedengeben lasse ich sehr gerne eine genaue Beschreibung von ihm herumgehen oder stell mich so hin, dass Linda Latierre-Knowles es auf jeden Fall hören kann", erwiderte die höchste Schwester.

"Die hört im Moment nur Babygeschrei", grummelte Beth, die selbst Zwillingsmutter war, jedoch nicht wie Linda Latierre-Knowles höchst freiwillig und dankbar zur Mutter wurde.

"Wenn sie meint, das sowieso schon sehr breitgestreute Erbe der Latierres mitzumehren soll es ihr gegönnt sein", grinste Anthelia verwegen. Damit war für Beth McGuire die Angelegenheit erledigt.

"ich bedanke mich auf jeden Fall bei euch für die schnelle Weitermeldung dieser verwegenen Waffendiebstähle und dir für die Zweiwegspiegel, Schwester Portia", sagte die höchste der Spinnenschwestern. Damit durften die beiden Mitschwestern sich verabschieden und aus dem Salon von Tyches Refugium disapparieren.

"Vielleicht sollte ich Schwester Izanami auch einen Portschlüssel geben, der sie im Gefahrenfall hierherbefördert", dachte Anthelia. Doch dann verwarf sie diesen Gedanken wieder. Izanami würde nur dann vor einer Gefahr wie dem dunklen Wächter fliehen, wenn es ihr von ihrem offiziellen Vorgesetzten oder der höchsten Schwester mit Hinweis auf ihre wichtigen Kenntnisse befohlen würde.

Chinesische Feuerdrachen", dachte Anthelia wegen Portias Bemerkung von eben. "ich denke, es wird Zeit, die Macht Yanxothars einmal mehr voll zu entfalten." Doch zunächst wollte sie noch abwarten, wie die achso eifrigen und ehrbaren Hände Amaterasus mit der Wiederverkörperung des dunklen Wächters fertigwurden.

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03.08.2004

Die Aktion "Sonnenfinsternis" lief am Abend des dritten Augustes um 22:00 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit an gleich vier Standorten an. Für die Aktion bei Grünau war Mondkralle selbst der Einsatzleiter. In Österreich war die Mitschwester Mondweizen zuständig, die zugleich auch den Eingestaltler-Apparierabweiser in sich trug. "Einige Mädels, die so'n Ding im Wanst hatten haben sich richtig doll gefreut, wenn Eingestaltler versucht haben, in deren Wirkungsbereich reinzuapparieren", feixte Mondkralle, der eine Fernsprech-Silberdose für jeden der an der Aktion beteiligten Truppen dabei hatte.

"Halt mir deinen Hintern hin und ich stopf dir mal das Ding rein, damit du's selbst ausprobierst, Piefke", schnaubte Mondweizen, die ähnlich hellblondes Haar besaß wie Lunera oder Finos vom Erdboden verschluckte Geschlechtspartnerin Nina. Allerdings wurde die nicht zu so einer schönen mondhellen Wölfin wie die zwei, sondern zu einem mittelgrauen, wenn auch glattfelligem Exemplar der Gattung Lykanthrop.

"Achtung, gleich ist es zweiundzwanzig Uhr und zwei Minuten. Und los geht's!" sprach Mondkralle.

Sechs Mondgeschwister apparierten mit sechs Teilen eines Verschwindeschrankes. Darunter war auch Mondkralles nicht nur durch Wergestalt sondern auch gleicher Eltern verbundene Schwester Schleichpfote. Denn die konnte als Frau wie als Wölfin so leise daherlaufen wie eine Katze auf Mäusejagd.

Die Einsatzgruppe bezog nur einen Kilometer vom Zielgelände Stellung. Innerhalb von nur zwei Minuten war der Verschwindeschrank zusammengebaut und durch abgestimmte Aktivierungszauber einsatzbereit gemacht. "Und Vollstreckertrupp Grünau Marsch!" befahl Mondkralle. In drei Gruppen wechselten insgesamt zwölf weitere Mondbrüder durch den am Ausgangspunkt aufgebauten Schrank ans Ziel. Ab jetzt hatten sie gerade noch drei Minuten, um die Mission zu erfüllen. Denn sonst mochten die Nachtkinder über ihr eigenes Fernbeförderungsmittel Verstärkung erhalten.

"Einsatzgruppe Innsbruck ebenfalls in Marsch gesetzt. Zeitfenster für Missionserfolg drei Minuten und herunterzählend", teilte Mondweizen mit. Ebenso meldete der Einsatzleiter für den Standort bei Bresslau die Entsendung der Vollstreckergruppe und der aus Bulgarien den Angriffsbeginn seiner Einsatzgruppe.

Mondkralle kribbelte es in den Fingern, selbst durch den Schrank zu gehen, um seine Truppe zu beobachten. Doch Fino hatte ihm klare Anweisungen erteilt. Falls es doch zu einem raschen Gegenstoß kam war der hier aufgestellte Schrank umgehend zu zerstören, um einen Durchmarsch der Gegner zu verhindern. Die Einsatzgruppe selbst konnte dann immer noch disapparieren, auch wenn sie damit die Aufmerksamkeit der Ministeriumszauberer auf sich zog.

"Und Brandsatz eins geht ins Ziel!" hörte Mondkralle seinen Truppenkommandanten vor Ort. "Ziel eins brennt! Ziel zwei - brennt auch!" Mondkralle hätte das jetzt all zu gerne gesehen. Doch anders als frühere Feldherren, die mit ihren Soldaten in die Schlacht gezogen waren war er der Oberstleutnant, der eine Brigade ausschickte und im Kommandostand bleiben musste, weil sein Armeegeneral die Teilnahme an Kampfhandlungen verbot.

"Achtung! Graue Fledermäuse aus Süd. Todeshorn bläst!" hörte er. Also hatte die Feindin wahrhaftig ihre grauen angeblichen Supervampire geschickt. Doch gegen die hatten sie Dank Fino und León del Fuego mittlerweile ein genauso probates Mittel wie es früher die Schreie von Säuglingen waren. "Klirr! Klirr! Klirr! Alle drei Fledermäuse zerstört", jubelte der Einsatzleiter. "Sprengung von Lagerhaus in vier - drei - zwei - eins ..." Mondkralle hörte einen lauten Knall aus der einen Dose. Dann noch einen aus einer anderen. Das war die Bresslaugruppe. "Ah, zwölf graue Fledermäuse. I hätt doch meine kleine Nichte mitbringen soll'n", meinte Mondweizen. Doch dann sagte sie: "Nachricht an den wandelnden Grashalm: Sein Todeshorn hat alle sauber vom Himmel geputzt. Achtung, Scherben!"

"Die kann die nicht so schnell nachzüchten, wie wir die wegblasen", dachte Mondkralle. "Da war die jetzt nicht drauf gefasst. "Achtung, normale Fledermäuse im Anflug. Flammenwerfer und Ras Zähne feuer Frei!"

Nach nur zwei weiteren Minuten meldeten Mondkralles Leute, dass die gesamten Fabrikgebäude brannten und sie die nicht zu den Blutschlürfern gehörenden Eingestaltler hatten flüchten lassen. Die auf Kurzstreckenapparieren spezialisierten Vollstrecker legten ihre Spreng-Brandbomben auch in Kellerräume und schafften es, fünf gewöhnliche Nachtkinder zu vernichten, bevor diese in diesen schwarzen Schattenstrudeln verschwinden konnten.

"Bis jetzt kein Zeichen von Eingestaltlerzauberern. Entweder kommen die gleich geflogen oder haben es noch nicht mitbekommen", sagte Schleichpfote.

"Mission erfolgreich beendet!" vermeldete Mondweizen nach einer weiteren halben Minute.

""Brrrr, irgendwas regt meinen Eingestaltlerabweiser dauernd an, aber nicht so, als wenn jemand zu apparieren versucht. Oha, fliegende Besen mit Leuten drauf", rief Mondweizen. Doch ihre Einsatzgruppe war bereits wieder durch den Schrank zum Ausgangspunkt zurück. "Kriegt ihr den Schrank noch zerlegt?" fragte Mondkralle. "Nein, geht nicht mehr. Sprengkörper hängt dran." "Gut, dann schnellstmöglicher Rückzug!" befahl Mondkralle und schlug den bei ihm stehenden Schrank zu. Keine fünf Sekunden später erzitterte der Schrank. "Okay, Leute. Den Schrank hier zerlegen. Wir müssen den auf einen neuen einstimmen, wenn einer fertig ist", sagte Mondkralle.

Seine Schwester Schleichpfote traf er im mit Fidelius-Zauber gesicherten Versteck bei Recklinghausen wieder. Hierher würde also keiner der Verfolger gelangen. Wo feststand, dass die Zauberer und Hexen wohl eine Art Eingestaltlerabweisespürer benutzten mussten die drei Mondschwestern ihre Abweiser schnell aus ihren Körpern entfernen, damit diese nicht weiter aktiv blieben. Denn was nützte ein Fidelius-Zauber, wenn im Umkreis von zwei Kilometern eine unsichtbare Aura gegen das Apparieren von Eingestaltlern wirkte.

""Wie auch immer die das gemacht haben, hatte schon was, als wenn ich auf einem vibrierenden Bett von einem starken Liebhaber durchgewalkt werde", beschrieb Schleichpfote ihre Empfindungen.

"Gut, als Fernhalter taugen die Dinger was. Aber sie sind auch gleichzeitig ein überdeutlicher Hinweis, dass wir am Werk sind", sagte Mondkralle auch in Richtung einer Fernsprechdose, an deren Gegenstück Fino saß.

"Hoffentlich haben nur die Deutschen diese Methode gelernt. Wenn wir das brasilianische Lager, von dem uns dieser ominöse Nachrichtenzusteller berichtet hat hochjagen wollen ... Okay, machen wir gleich noch heute, bevor es da dunkel genug ist. Nicht, dass die sich darauf einstellen und uns erwarten können."

So wurde noch in der folgendenStunde ein schneller Einsatztrupp losgeschickt, um eine ehemalige Kautschuckfabrik in Bahia zu zerstören. Das gelang auch. Damit hatten sie in kurzer zeit fünf Fabriken vernichtet, in denen die Solexfolie hergestellt wurde. Vor allem hatte Mondweizens Einsatzgruppe umfangreiche Aufzeichnungen über die Herstellung dieser nützlichen Schutzfolie erbeuten können. "Helfen die auch gegen blauen Mondbrand?" wollte León del Fuego wissen.

"Die Antwort darauf interessiert mich auch, León. Vielleicht können diese Häute modifiziert, also auf bestimmte Bedingungen abgestimmt werden. Am Ende haben uns diese Blutsauger sogar noch einen sehr großen Dienst erwiesen", meinte Fino. Ihm gefiel es, wieder was zum erforschen zu haben. Aber dafür brauchte er eine eigene Solexfolienfabrik. Pech nur, dass sie gerade fünf davon unbrauchbar gemacht hatten.

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Zaubereiminister Güldenberg und sein Lichtwachenkommandant Andronicus Wetterspitz trafen sich um halb Zwölf nachts im Ministerium und besprachen den Vorfall bei Grünau. "Also erst mal sollten wir uns bei Heilzunftsprecher Wiesengrund bedanken, dass er und seine Thaumaturgen diesen Fremdblutabweisespürer nach Vorgaben aus den Staaten umgesetzt haben. Dann darf er auch meine Grüße an deren Heilzunftsprecherin Greensporn weitergeben, dass diese Methode zur Ortung von wandlenden Appariersperren funktioniert und wir somit sensible Gebäude mit kombinierten Aufspür- und Weitermeldevorrichtungen sichern können. Des weiteren stufe ich die Attacke auf diese Fabrik bei Grünau auf der zweithöchsten Geheimhaltungsstufe ein. Falls noch anderswo bei uns in Deutschland solche Fabriken stehen sollten liegt es bei uns, sie lahmzulegen und nicht gleich zu vernichten. Gib das bitte auch an deine Leute weiter, Andronicus!"

"Ist die Frage, warum die Werwölfe wussten, wo diese Fabrik war und nicht wir und wie die bis zu unserem Erscheinen offenbar ungestört alles in Brand setzen oder hochjagen konnten. Zum Glück sind von den wenigen Schichtarbeitern da keine ums Leben gekommen. Leider sind da wohl zwischenzeitlich unortbare Wesen aufgetaucht, weshalb wir deren genaue Vorgehensweise nicht mit der Rückschaubrille nachverfolgen konnten."

"Mal wieder", grummelte Güldenberg. Doch dann lächelte er: "Werden wohl diese grauen Supervampire gewesen sein, die von der Betreiberin der Fabrik losgeschickt wurden. Offenbar haben die Werwölfe was gegen die einsetzen können."

"Ja, schreiende Babys", grummelte Wetterspitz. Güldenberg verging das schadenfrohe Grinsen. Lebende Säuglinge in einen gefährlichen Einsatz mitzunehmen war so Rücksichts- und verantwortungslos. Doch bisher wusste niemand aus dem Zaubereiministerium, wie den grauen Vampiren beizukommen war außer mit den natürlichen Lautäußerungen von Kindern zwischen Geburt und erstem Lebensjahr.

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04.08.2004

"Ich habe nur die zwei Minuten Zeit, bevor sie mich vermissen, höchste Schwester", zischte Izanami Kanisaga. Anthelia hatte sie auf diese kleine Insel des japanischen Archipels bestellt, weil sie ihr dringend was persönlich mitteilen musste. Izanami sah auf Anthelias Zauberstab: "Wenn er den erspüren kann, höchste Schwester ist er gleich hier. Der kann wie du mit seinem Schwert feuerreisen."

"Oh, das war mir noch nicht bekannt. Aber was den Stab angeht ... Wenn er einen Weg kennt, ihn zu rufen ... hört mein Stab ihn offenbar nicht, denn sonst würde er antworten. Das beweist, dass sein Geist vollständig daraus vertrieben wurde", sagte Anthelia. Dann übergab sie Izanami einen der Zweiwegspiegel mit dem Sonnensymbol. "Ich habe die beiden Spiegel auf reines Hexenblut in lebendem Fleisch abgestimmt. Trage ihn am besten in einer diebstahlsicheren Tasche direkt am Körper bei dir! Das erspart uns die Melokette und kann die entscheidenden Sekunden zwischen Erfolg oder Scheitern ausmachen."

"Von unserem Haus hierher mit einem Sprung zu apparieren ist unmöglich", sagte Izanami. "Ich brauche für diese Strecke zwanzig Sprünge und zwischen zwei Sprüngen mindestens eine Minute Verschnaufpause. Und ich bin in sehr guter Körperform", sagte Izanami. Darauf sagte Anthelia: "Ja, aber der Feuersprung wie beim Phönix kann jemanden wie mich in einer einzigen Etappe vom Ausgangspunkt zum Zielpunkt befördern. "Wenn du mich rufst nenne Richtung und Entfernung zum Berg Fuji, wie ihr das ja auch bei euren Außeneinsätzen macht. Ich hoffe, dann früh genug bei dir einzutreffen, um dir beizustehen, falls es mit deinem Schwert alleine nicht getan ist."

"Ich will ihn nicht töten. Sein Körper gehört einem halbwüchsigen Jungen, und meine Mitstreiter vermuten, dass der dunkle Wächter deshalb nach dessen Blutsverwandten jagt, um die alleinige Macht über diesen Körper zu erstreiten, weil seine Magie auf Blutsbande beruht."

"Will sagen, er ist nur Fähig, einen Körper zu beherrschen, der von einem seiner Blutsverwandten abstammt?" fragte Anthelia interessiert.

"Das behaupten zumindest die von uns, die sich mit Körperdieben und beseelten Gegenständen auskennen. Solange noch ein oder gar zwei Geschwister von seinem erbeuteten Gastkörper leben besteht die Möglichkeit, ihn wieder daraus zu vertreiben und der rechtmäßigen Seele die Rückkehr zu ermöglichen. Das weiß er auch. Deshalb bildet er gerade eine Armee aus von Feuerzungen überdeckten Tieren, womöglich alle seelenlose Wiedergänger."

"Und die könnt ihr nicht vernichten?" fragte Anthelia verdrossen.

"Doch, mit dem Witterwasser gehts. Dann erlischt das Feuer, und die untoten Tiere zerlaufen wie schmelzender Schnee. Aber unsere Witterwasservorräte sind bald erschöpft, und wir wissen nicht, wie er das genau macht."

"ich verstehe, Schwester Izanami. Irgendwann wird er seine Armee von brennenden Tierzombies so groß haben, dass er das ganze Land damit in Brand stecken kann", schnaubte die höchste Spinnenschwester. "Dann versucht den Elementa Recalmata, er wirkt auf alle dauerhaft aufgewühlten Elementarkräfte in direkter Sicht und Zauberstabausrichtung. Vielleicht könnt ihr das Zauberfeuer dieser Geschöpfe dann löschen oder zumindest schwächen."

"Danke für den Hinweis und für den Zweiwegspiegel. Aber ich fürchte, ich muss jetzt wieder fort, weil gleich meine Bereitschaftsmeldung zu erfolgen hat", sagte Izanami und praktizierte den erhaltenen Spiegel in eine kaum erkennbare Tasche ihres sonnengelben Gewandes mit dem roten Sonnensymbol.

"Gut, du darfst gehen, Schwester Izanami. Doch nutze den Spiegel, wenn du dem Wächter gegenüberstehen solltest. "Rufe das Notfallwort Feuerblume in deiner Sprache! Dann entsteht auch die Verbindung, wenn du nicht hineinsiehst oder meinen Namen rufst!"

"Habt Dank, höchste Schwester", sagte Izanami. Dann verbeugte sie sich noch einmal ganz tief und disapparierte. Anthelia zog aus ihrem Umhang noch einen kleinen roten Kristall und legte ihn genau dort hin, wo Izanami gestanden hatte. Sie tippte ihn mit dem silbergrauenStab an, der einst dem dunklen Wächter gehört hatte. Der Kristall begann zu glühen. Anthelia sprang zwei Schritte zurück und drehte sich um sich selbst. Doch statt im Nichts zu verschwinden stürzte sie durch den festen Erdboden und verschwand unter der felsigen Ebene der kleinen Insel. Keine drei Sekunden später blähte sich eine silberweiße Lichtkugel mit einem Halbmesser von zwölf Metern auf. Sie flackerte für nur eine Sekunde und stürzte dann wieder in sich zusammen. Damit wurden alle Spuren von Magie an diesem Ort gelöscht und auch eine bis zu einer Stunde zurückreichende Unrückschaubarkeit erzeugt.

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05.08.2004

Der japanische Zaubereiminister blickte auf die kleinen, silbernen Wannen, in denen auf Puppengröße geschrumpfte Menschen lagen, eine Frau und zwei Mädchen, davon eines gerade am Beginn der Reife zur Frau, die andere noch ein Kind von gerade zehn Jahren. Seine Sicherheitstruppen hatten diese verzauberten Menschen in diesen gegen alle denkbaren Fernbeobachtungs- und Abhörzauber gesicherten Räumen unterhalb des Hauses der Heilsamkeit gebracht, das magische Erkrankungen und Verletzungen behandelte. Über den Silberwannen prangte ein Schild:

Auf höchst ministerielle Anweisung auf ein Zehntel eingeschrumpfte und mit Schlaf des langen Wartens belegte Nichtzauberinnen
Mutter Natsu Tanaka W. N.
1. Tochter Naomi Tanaka w. N.
2. Tochter Keiko Tanaka w. N.

Patientinnen nur auf ministerielle Anweisung hin zu wecken und rückzuvergrößern!

"Wie lange könnt Ihr sie in dieser Größe am Leben halten, Heilkundiger Sato?" fragte der Minister. Der ihn begleitende Heilzauberer deutete auf die Eingeschrumpften und antwortete: "In dieser Größe können wir sie Dank des Schlafes des langen Wartens mehr als zehn Jahre am Leben halten, höchst ehrenwerter Minister für Zauberei und Zauberwesen. Das entspricht einem Viertel der Zeit, die nichtgeschrumpfte Patienten in diesem Schlaf gehalten werden können."

"Gebe es der Himmel, dass wir diese Zeit nicht benötigen mögen. Sowohl die Hände Amaterasus als auch der dunkle Wächter suchen nach diesen drei Nichtzauberinnen", seufzte der Minister.

"Mein bei den Händen der Amaterasu dienender Berufsgenosse hat mich schon gefragt, ob ich drei Nichtzauberinnen in unsere Obhut genommen habe. Wie Ihr es ausdrücklich befohlen habt, höchst ehrenwerter Minister für Zauberei und Zauberwesen, habe ich ihm mitgeteilt, dass die drei in der Obhut des Ministeriums sind."

"Was ja auch stimmt, weil von diesen besonderen Krankenzimmern wisst nur ihr, ehrenwerter Großheiler Sato. Und sie sind auch nur für Patienten des Ministeriums, die bestmöglich vor der Außenwelt abgeschirmt werden müssen."

"Mein Berufsgenosse meinte, der dunkle Wächter wolle die drei töten, weil sie mit seinem geraubten Körper blutsverwandt seien. Will heißen, er kann sie erspüren, sobald sie deutliche Lebenszeichen aufweisen", sagte der Großheiler. Takahara nickte bestätigend. "Und die handelnden Hände hätten es womöglich umgekehrt versucht, den dunklen Wächter mit Hilfe dieser drei Nichtzauberinnen aufzuspüren", grummelte Sato. Er dachte daran, dass seine Kollegen im Heilerhaus bei den Händen Amaterasus schon einmal gerne die zehn weltweit gültigen Heilerdirektiven vergaßen, wenn sie der noch älteren Tradition ihres Ordens folgend die Anweisungen des hohen Rates befolgen mussten. Die hätten die drei dann sicher als Aufspürer und/oder Köder gegen den dunklen Wächter eingesetzt und deren Leben aufs Spiel gesetzt. Da waren die drei hier besser aufgehoben. Dann fragte Sato noch, ob das Ministerium schon eindeutige Hinweise auf das Versteck des dunklen Wächters oder ein Mittel zur Entdeckung habe.

"Ich muss eingestehen, dass ich sehr ungehalten bin, was die Hände Amaterasus angeht, Großheiler Sato. Meine Leute jagen diesem in die Welt zurückgekehrten Dämon hinterher, ohne einen klaren Hinweis zu haben, wie sie ihn oder dieses verwünschte Schwert aufspüren können. Wenn die Hände Amaterasus wissen, wie sie ihn auffinden können, so will es mir von denen keiner oder keine verraten. Natürlich wollen sie die Schande tilgen, ihn auf uns alle losgelassen zu haben. Doch wenn sie ernsthaft wollen, dass er unschädlich gemacht wird, dann sollten die uns vom Ministerium gütigst in ihre Geheimnisse einweihen. Aber vielleicht geht da etwas von Heiler zu Heiler."

"Höchst ehrenwerter Minister, dies haben wir, die nicht im Orden der Hände amaterasus tätig sind, schon so häufig versucht, dass für jeden Versuch ein Stern am Himmel erwählt werden kann", sagte Sato ebenfalls ungehalten klingend. "Also müssen wir die drei hierbehalten, sofern Ihr, höchst ehrenwerter Minister, nicht darauf ausgeht, die drei Blutsverwandten dieses höchst bemitleidenswerten Jungen als Lockmittel für den bösen Geist des dunklen Wächters zu verwenden. Dieses würde ich Euch jedoch mit klarer Berufung auf die zehn Heilergebote verweigern, da deren Leben im höchsten Grade gefährdet ist."

"Deshalb bin ich froh, dass die drei von unseren Leuten in Obhut genommen wurden und nicht von den Händen Amaterasus", sagte der Minister. "Aber vielleicht würde es reichen, jeder der drei eine kleine Menge Blut zu entnehmen, um den dunklen Wächter damit anzulocken."

"Bei aller gebotenen Ehrerbietung, Herr Minister, aber das wird nicht gelingen, weil die Gesamtheit von Körper und Geist das Leben eines Menschen ausmachtund der dunkle Wächter sicher nach den lebendigen Opfern ausschau hält. Ihr müsstet also wahrhaftig die drei in unsere Obhut gegebenen darbieten wie ein indischer Tigerfänger eine Ziege, wenn er einen Tiger anlocken und erlegen will", sagte der Großheiler.

"Dann wollen wir hoffen, dass wir nicht um der Rettung vieler Millionen Menschen wegen doch noch gezwungen werden, dieses Mittel einzusetzen. Dies aber dann nur, wenn wir sicher wissen, dass wir den dunklen Wächter dauerhaft entmachten oder vernichten können. Weil sonst würde ein Anlocken genau das Gegenteil von dem schaffen, was wir wollen. Um in Eurem Vergleich zu bleiben: Wenn der angelockte Tiger nicht sofort erlegt werden kann und die angepflockte Ziege frisst wird er zu einem Drachen, der die größten Ungeheuer der Welt übertrifft."

"Ich hoffe, Ihr könnt den Tiger auch ohne diese drei unschuldigen Wesen erlegen, höchst ehrenwerter Minister Takahara", erwiderte Großheiler Sato. Takahara hoffte das auch.

Nach dieser Besichtigung und Unterredung kehrte Ninigi Takahara in das unterirdisch gelegene Zaubereiministerium in der Nähe des Kaiserpalastes zurück. Dort erfuhr er, dass brennende Katzen und Vögel in der Gegend von Fukuoka gesichtet worden seien. Die Bewahrer des Geheimnisses kamen aus den Einsätzen nicht mehr heraus, den Zeugen dieser unheilvollen Begegnungen neue Erinnerungen zu geben.

"Er will das ganze Land in Brand setzen, schlimmer als die von den weißen Kriegsknechten über unserem Land gezündeten Kernspaltungsfeuerbomben, die Hiroshima und Nagasaki verheert und mit einem Fluch des langen Sterbens überzogen haben", schnaubte Takahara. Für sich selbst dachte er nur: "Und das alles, weil der Orden der Hände Amaterasus sich auf sein uraltes Vorrecht beruft, dunkle Dinge zusammenzutragen und zu verwahren, aber nicht im Stande war, dieses Schwert zu bändigen. Doch dafür werden diese Selbstherrlichen büßen."

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06.08.2004

Es war eine Minute nach Mitternacht. Der sechste August hatte gerade erst begonnen, zumindest nach der mitteleuropäischen Zeitrechnung. Mondsteiger grinste seine beiden Verknüpfungspartner Nuitnoire und Thanatopteros zufrieden an, als er ihnen mehrere Papierzettel hinhielt.

"Was sind das für Bilder, und was bedeuten die Zahlengruppen darunter?" wollte Thanatopteros wissen. Nuitnoire verzog ihr Gesicht und meinte: "Das sind Bilder von künstlichen Monden, die mit Erkundungsvorrichtungen ausgestattet sind, du Unkundiger. Offenbar will uns Mondsteiger damit zeigen, dass unser Plan, die Pelzwechsler zu unseren Vollstreckern zu machen, bisher geklappt hat, oder?"

"Sie haben Recht, Madame Nuitnoire", bestätigte Mondsteiger. "Die Mondanheuler haben sehr zuverlässig, ja besser als erwartet für uns gehandelt und fünf bekannte Standorte für Sonnenschutzhautfabriken gründlich und nachhaltig zerstört."

"Ja, und da waren nur Rotblütler drin?" wollte der zypriotische Neumondgeborene wissen. Mondsteiger überlegte und verzog dann das Gesicht. "Nein, natürlich waren da auch Diener der Götzin drin, die aufpassten, dass alles ordentlich ablief, von der Anlieferung der Rohmaterialien, der Fertigung, Lagerung bis zum Weitertransport. Öhm, die Mondanheuler haben sie wohl erledigt, oder die Götzin hat sie noch rechtzeitig fortgebeamt."

"Fortge... was?" wollte Thanatopteros wissen.

"Ein Neuwort aus einer in der Zukunft der Menschen spielenden Geschichte, wo die Menschen ganz ohne Magie Dinge und Menschen ohne Zeitverlust von einem Ort an einen weit davon entfernten Ort versetzen können", sagte Nuitnoire und sah Mondsteiger tadelnd an. "Bitte gebrauche in unserer Hörweite keine von diesen Rotblütlern erfundenen Wörter, wenn du sagen willst, dass die Götzin ihre Diener fortgeholt hat, falls sie es noch rechtzeitig getan hat. Ansonsten sind wir mitschuldig am Tod anderer Nachtkinder, die so nicht mehr die Gelegenheit erhalten, der Götzin zu entsagen."

"Ja, stimmt. Aber wenn wir diese Fabriken zerstört hätten hätten wir wohl auch gegen diese Götzinnenanbeter kämpfen müssen, oder?" fragte Mondsteiger. Die zwei anderen Nachtkinder wiegten ihre Köpfe. Dann sagte Nuitnoire: "Das ist bei der wohltuenden Dunkelheit der Winternächte leider auch richtig. Ich wollte nur, dass wir uns bewusst sind, dass wir diese Pelzwechsler, unsere Erbfeinde, gegen unsere eigenen Artgenossen aufhetzen."

"Seit wann haben wir denn sowas wie ein Gewissen, Nachtfrau?" fragte Thanatopteros verächtlich. "Ich wollte das nur wissen, um zu klären, dass wir uns diesmal nicht mit dem hellen Blut dieser Götzinnenanbeter besudelt haben. Ich habe aber keine Schwierigkeiten damit, dieses Pack zu töten, wenn es uns weiterhin bedroht. Damit bin ich auch schon bei dem, wofür wir heute hier zusammengekommen sind." Er zog ebenfalls beschriebene Dokumente hervor. "Meine Gruppe und deren balkanesischen Verknüpfungen haben es geschafft, genug Semtex und TNT zu erbeuten, um daraus Sprengbomben zu bauen. Wie das genau geht wollte mein Kontakt nach Böhmen mir nicht verraten. Aber da werden die Bomben in einer Höhle zusammengesetzt. Wir können dann demnächst auch die französische Fabrik angehen, Nuitnoire." Die angesprochene las die Texte, die sie so nicht verstand, aber zumindest davon ausging, dass Thanatopteros sie nicht veralbern wollte. Sie fragte nur: "Und bis wann können wir die Sprengmittel haben?"

"Übermorgen sind zwanzig Bomben fertig. Die richtig hingelegt und in der passenden Zeit gezündet macht aus der Fabrik einen Haufen Schutt und Asche", sagte Thanatopteros. Mondsteiger nickte und sagte: "Wird auch Zeit, dass wir die Sache in die Hand nehmen. Ich hörte von meinem Piepsspion bei den deutschen Mondheulern, dass die wohl Sorgen haben, bei neuen Unternehmungen früher geortet und schneller angegriffen zu werden. Tja, wohl dem, der kleine Nagetiere als Kundschafter und Minenleger einsetzen kann."

"Ja, und wir sollten dann auch klarstellen, dass diese Angriffe von der Liga freier Nachtkinder kommen, allein, damit die Zauberstabschwinger wissen, dass die Blutgötzin noch nicht alle Nachtkinder beherrscht", sagte Nuitnoire. Die beiden anderen stimmten ihr zu und beschlossen, an den Orten, wo sie allein die Sonnenschutzhautfabriken vernichteten, Steintafeln mit Bekennerschriften zu hinterlassen, auch damit die Blutgötzin wusste, dass sie längst noch nicht gewonnen hatte.

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Es war wie jedes Jahr. Um 08:15 Uhr Ortszeit schwieg der Straßenverkehr und alles Leben, bis auf die einsam läutende Gedenkglocke, die mit mahnenden Tönen verkündete, dass der Tag und die Minute angebrochen war, wo sich der bisher schlimmste Kriegseinsatz der Menschheitsgeschichte jährte. Nun waren es 59 Jahre her, als die amerikanische Luftwaffe die erste von zwei Atombomben über bewohntem Gebiet abgeworfen hatte, nur weil deren Machthaber meinten, den Krieg zwischen den USA und Japan schneller zu beenden, ohne weiteres kostbares amerikanisches Blut vergießen zu müssen. Dafür hatten sie dann lieber viele zigtausend unschuldige Männer, Frauen und Kinder auf einen Schlag ermordet.

Ninigi Takahara nahm in der Maske eines japanischen Kriegsveteranen an den Gedenkfeiern zu diesem höchst unehrenhaften Anlass teil. Unter seiner Uniform trug er einen neuartigen Schutzanzug, der seinen Körper vor den immernoch wirkenden Strahlen der Atomexplosion schützte. Er dachte daran, dass er erst in den letzten Jahren erfahrenhatte, wie genau diese Massenmordwaffe wirkte und was sich jene, die sie erfunden hatten, davon versprachen, tausende noch schlimmere als die von Hiroshima zu horten. Dieses Wissen machte die Schande und das Leid nicht erträglicher, die an diesem Tag über das erhabene Kaiserreich hereingebrochen waren. Immer noch gab es Menschen hier, die nach Vergeltung für diesen feigen Massenmordanschlag verlangten und die achso guten Handelsbeziehungen mit dem einstigen Feind verachteten. Wieder andere hofften, dass ein Verzicht auf diese Waffe helfen würde, sie weltweit zu verbannen und dieses brennende Richtschwert über der Menschheit zu beseitigen.

Ninigi Takahara dachte aber auch daran, dass gerade jemand aus jahrhundertelangem Schlaf erwacht war, der das Zerstörungswerk der Atombombe übertreffen mochte. Den Oberhofzauberer des Kaisers hielt nur eine sehr schwache Hoffnung aufrecht: Kein auf Herrschaft ausgehender, denkfähiger Geist würde das Land und das Volk zu Asche verbrennen, über das er herrschen wollte. Doch würde wohl ein Viertel der Zerstörung reichen, um ihm alles zu Füßen zu legen, wonach er verlangte? Diese Versager in Sonnengelb, die immer noch meinten, den dunklen Wächter wieder einfangen und unschädlich machen zu können, hatten die Zukunft des Landes auf den Scheiterhaufen geworfen. Es fehlte nur noch jemand, der ihn entzündete. Mit einer gewissen Verbitterung dachte Takahara daran, dass sie, die hier alle schweigend an den Abwurf der ersten Atombombe dachten, sogar froh sein konnten, wenn sie auch im nächsten Jahr die Schläge der Friedensglocke hören durften. Denn im Moment sah es ja nicht danach aus, dass sie alle hier das kommende Jahr erleben sollten.

Höchst ehrwürdiger Minister für Zauberei und Zauberwesen", vernahm er die Gedankenstimme seines Stellvertreters im Ministerium, "wir erhielten ein Hilfsangebot aus China. Die dortigen Zaubereiverwalter fragen hochachtungsvoll an, ob es sich bei den ihnen zugegangenen Neuigkeiten über das Wohl unseres Landes um angstvolle Übertreibungen handele oder es der schrecklichen Wahrheit entspreche, dass der Geist des dunklen Wächters seinem Kerker entronnen sei und falls dies der Wahrheit entspreche, ob sie uns mit irgendwas behilflich sein können."

"Wer hat denn da nicht den Mund gehalten?" schickte Takahara zurück, während immer noch die schweigende Menge an die schlimmsten Sekunden in der Geschichte Hiroshimas und ganz Japans dachten.

"Nun, das haben die Herren vom Horte der höheren Künste und Kräfte nicht geschrieben. Ich muss jedoch zu meinem sehr großen Bedauern die nicht ganz unbegründete Vermutung äußern, dass es in unseren Reihen oder bei den Händen Amaterasus den einen oder anderen Kundschafter aus China gibt, der die Aufgabe hat, seinen Herren die wichtigsten Neuigkeiten zu beschaffen", gedankensprach der Stellvertreter des Zaubereiministers.

"Ja, und wir schaffen es seit dieses unsäglichen Krieges zwischen uns und China nicht, bei denen weitere Kundschafter einzuschmuggeln, die uns mit wichtigen Neuigkeiten von denen versorgen. Teilen Sie über Frau Chihara mit, dass die Besorgnis der hoch verehrten Amtskollegen aus dem erhabenen Reich der Mitte zwar berechtigt sind, wir jedoch immer noch die Herren der Lage sind und mit höflichstem Dank und unserer ehrerbietungsvollen Hoffnung auf eine weiterhin gedeihliche Nachbarschaft bekunden, derzeit keine Hilfe zu benötigen. Wenn ich wieder im Ministerium bin möchte Frau Chihara bitte zu mir kommen. Danke!"

"Ich werde erfüllen, was Ihr mir aufgetragen habt, höchst verehrter Oberhofzauberer des göttlichen Kaisers", antwortete die Gedankenstimme seines Stellvertreters.

Takahara blieb mit zwei ebenfalls als ehemalige Soldaten verkleideten Leibwächtern noch zehn Minuten und hörte die Rede des amtierenden Bürgermeisters. Dabei dachte er auch, dass die Gefahr der Atomwaffen und auch der Kraftgewinnung aus der Kernspaltung nicht nur die magielosen Menschen bedrohte, sondern auch alles andere Leben auf diesem Planeten. Die Zauberunfähigen hatten einen Dämon beschworen, der sie seit über fünfzig Jahren in Angst und Schrecken hielt und ihnen nur zum Schein treuen Dienst leistete. Doch wie der dunkle Wächter mochte auch der Geist der Atomspaltungsausnutzung eines Tages aus seinem scheinbar friedlichen Schlaf erwachen und gnadenlosen Tribut einfordern. Vielleicht war es für alle irdischen Wesen dann besser, wenn jemand wie der dunkle Wächter die Maschinen und Kraftquellen der zauberunkundigen Menschen zerstörte. Doch was dachte er da? Lud er den dunklen Wächter gerade ein, tausende von unschuldigen Menschen umzubringen, um deren technische Errungenschaften zu vernichten? Dafür sollte er sich aber sehr schämen. Er war ernannt worden, um magischen Schaden von allen Menschen fernzuhalten, auch von denen, die mit ihren zauberkraftlosen Maschinen sich und ihre Nachbarn gefährden mochten. Das durfte er nicht vergessen.

Als er dann wieder im Ministerium war und den Strahlenschutzanzug und die geliehene Armeeuniform zur Reinigung übergeben hatte saß er in seinem üblichen Dienstgewand in seinem Sprech- und Schreibzimmer. "Falls Frau Chihara nun Zeit hat erbitte ich ihr Erscheinen bei mir", sprach er einem Bild mit fünf Lotusblumen zugewandt.

Nur zwölf seiner Atemzüge später ertönte das gläserne Glockenspiel über seinem Schreibtisch. "Bitte tretet ein, Frau Chihara.

Die zierliche Emi Chihara verbeugte sich sehr tief vor dem Minister. Ihr rubinrotes Haar wehte ihr dabei über den Oberkörper und umfloss ihr Gesicht. "Bitte setzt Euch auf den Besucherstuhl, Frau Chihara!" wies der Minister der Mitarbeiterin einen Platz an. Als sie saß sagte er:

"Die Anfrage aus China beweist mit erschreckender Deutlichkeit, dass je länger der dunkle Wächter schon wirkt, es um so schwerer sein wird, sein Wiedererwachen vor dem Rest der Welt geheimzuhalten. Ihr habt mir ja von diesen uralten Schlangenkriegern erzählt, die letztes Jahr in Australien auftauchten. Da hat sich doch auch jemand eingemischt, oder?" Emi Chihara strich sich das lange Haar glatt und bejahte die Frage. "Nach den nur spärlich beantworteten Anfragen hat eine als Führerin des Spinnenordens bekannte Zauberin Mischwesen aus Mensch und Honigbiene nach Australien geschafft, um diese gegen die Schlangenkrieger einzusetzen. Auf meine Anfrage an den Kollegen in Indien erfuhr ich, dass dieselbe wohl auch den Einfall der Wertiger in Großbritannien und Festlandeuropa beendet haben soll, wenngleich die dortigen Behörden immer noch keinen Hinweis haben, wo die Wertiger sich verbergen."

"Haben die Australier Euch auch mitgeteilt, womit diese sogenannte Spinnenhexe ihr Zauberwerk verrichtet hat?" wollte der Minister wissen.

"Ich habe diese Frage nicht gestellt und somit auch keine Antwort darauf erhalten. Sicher benutzt sie einen hölzernen Zauberstab mit dem Kern aus einer Zaubertierfaser, so wie Ihr einen Stab aus Kirschbaumholz mit der Herzfaser eines roten Drachens führt."

"Dann haben die Australier nicht von sich aus eine Auffälligkeit ihres Zauberstabes erwähnt?" fragte Takahara. Emi Chihara verneinte es. "Ich wage die Vermutung, dass den Australiern nicht wichtig war, darauf hinzuweisen, ob es eine Auffälligkeit gibt oder nicht."

"Dann erbitte ich nun von Euch eine Anfrage sowohl bei den Australiern, als auch den Amtskollegen in Europa von Italien abgesehen und ja auch bei den sich immer noch für das Maß der Welt haltenden Briten und US-Amerikanern, was diese über diese Spinnenhexe zu berichten haben. Ich bin ernstlich ungehalten, dass wir bis heute nicht genug über dieses Weib wissen. Das muss und wird sich in kürzester Zeit ändern. Ich hoffe sehr, dass Ihr mir da beipflichtet."

"Dies tue ich mit aller größter Überzeugung, höchst ehrenwerter kaiserlicher Minister für Zauberei und Zauberwesen", bekräftigte Emi Chihara. Der Minister machte eine wohlwollende Miene und sagte dann noch: "Und sollten die Herren aus Peking erneut eine Anfrage auf Grund eines diesen zugegangenen Berichtes an uns stellen, erbitten Sie deren Hilfe in Form einer Auskunft, von wem genau Sie ihren Bericht erhalten haben. Ich weiß, die Herren werden diese Quelle ihres Wissens nicht preisgeben. Aber wenn sie uns wahrhaftig helfen wollen wäre das eine Möglichkeit dies zu tun", sagte Ninigi Takahara. "Ach ja, von wegen Neuigkeiten aus dem Ausland. Wie verhält es sich mit dem amtierenden Zaubereiminister der vereinigten Staaten, und wie verläuft die Quidditchweltmeisterschaft in Kanada?" Die Gefragte erstattete unverzüglich vollständigen Bericht. Er äußerte seine Besorgnis über das, was gerade in den USA vorging. Würden die Leute da es nie hinbekommen, eine stabile, vertrauenswürdige Zaubereiverwaltung zu betreiben? Was in Italien vorging machte ihm zwar sehr viel mehr Angst, die er jedoch nicht nach außen zeigte. er bemerkte dazu nur, dass sie im Notfall das Kaiserreich "einmal mehr" gegen ausländische Zugriffe und Einflüsse abriegeln müssten, sollte sich Ladonna Montefiori nicht mit ihrem Geburtsland zufrieden geben. Dann erlaubte er seiner für zwischenstaatliche Belange eingesetzten Untergebenen, an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren. Emi Chihara verabschiedete sich formvollendet vom Minister und verließ ohne hörbare Schritte das Amtszimmer.

"Ich habe Takayama und seinen sonnengelben Friedenshütern unterstellt, schwere Unterlassungen begangen zu haben. Nun muss ich erkennen, dass an der Hand mit mahnend ausgestrecktem Finger noch drei Finger sitzen, die auf mich selbst zurückweisen", dachte Takahara verdrossen. Denn falls diese Spinnenhexe tatsächlich den Stab des dunklen Wächters hatte hätte er schon vor einem Jahr oder noch früher erfahren können, ob sie den schon länger besaß und wenn ja wie lange schon. Dann hätte er schon damals auf Nichteinhaltung der Verpflichtungen beim Orden der Hände Amaterasus erkennen können und vielleicht die Wiederkehr des dunklen Wächters verhüten können. Doch das würde er Takayama und dessen Mitstreitern nie im Leben offenbaren.

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10.08.2004

Darauf konnte nur kommen, wem einfache Lebewesen völlig egal waren. Andererseits konnte sich Nuitnoire auch daran erinnern, dass die vom Zaubereiministerium sogenannte Sprengschnatze gebaut hatten, die gezielt in fliegende Objekte oder Körperöffnungen gepanzerter Lebewesenhineinfliegen konnten. Wenigstens sah die Vampirin zu, wie 500 schlanke Hausratten, die unter dem Unterwerfungsblick eines Nachtkindes ausreichende Mengen Sprengstoff geschluckt hatten, scheinbar freiwillig und Eigenständig in vorgegrabene Tunnel stürzten und dann aus vier Richtungen gleichzeitig auf das mit sechs großen Betongebäuden bebaute Grundstück vordrangen. Einige Ratten wuselten bereits durch die Abwasserkanäle, um möglichst in die Kühlanlagen hineinzugeraten.

"Na, ob sie damit rechnen?" fragte eine Bluttochter von Nuitnoire.

"Nachdem die Mondheuler so gut vorgelegt haben sollten sie zumindest wissen, dass ihre Fabriken keine uneinnehmbaren Festungen sind", sagte Nuitnoire. "Außerdem ist das hier auch ein guter Test, um bei anderen Gelegenheiten solche Kundschafter oder Vollstrecker einzusetzen", fügte sie noch hinzu.

Achtung, Ich bekomme mit, wie die ersten an den betreffenden Stellen aus dem Boden krabbeln. Wenn sie da schon erwischt werden wirds kritisch", gedankensprach eine der anderen Blutstöchter Nuitnoires.

Unvermittelt flammten grelle Scheinwerfer auf und heulten Warnsirenen los. Also hatte jemand was beunruhigendes entdeckt. "Dann flackerten die Scheinwerfer und erloschen wieder. Funken sprühten aus den Lüftungsschlitzen eines der Bauwerke. "Oh, da hat es wohl deren Elektrokraftmaschine erwischt", gedankenfeixte Nuitnoire, die durch ein besonderes Fernglas auf das Gelände blickte. Dann ging alles ziemlich schnell. Menschen rannten über das Gelände und versuchten, das Grundstück zu verlassen. Die Vampirinnen hörten ein leises, hektisches Bimmeln vom Gelände her. Offenbar hatte der Feuerbote die entsprechende Warnanlage ausgelöst, eine Ratte mit Brennpaste im Fell, die beim Beschädigen der Elektroanlage Feuer gefangen und einen Brand ausgelöst hatte.

"Da sind zwei Götzinnendiener. Die versuchen, die Menschenstampede wieder einzufangen", spottete Nuitnoire. Dann erzitterte das erste Gebäude. Dann folgten weitere laute Sprengungen. Die flüchtenden Menschen schafften es noch, geduckt unter dem von Druckwellen vorangepeitschten Betonstaub fortzulaufen. "Abschluss!" befahl Nuitnoire in Gedanken. Da krachte es vielfach. Einer der frei stehenden, von einer feuerfesten Hülle umschlossenen Tanks erbebte, weil ihm von unten mit Sprengstoff zugesetzt wurde. Dann platzte die Umhüllung in alle Richtungen fort und aus einem gleißenden weißblauen Feuerball flogen glühende Einzelstücke des Tanks raketengleich in den Nachthimmel hinauf. "Das kommt davon, wenn man zu viel brennbaren Kraftstoff auf einen Fleck zusammenbringt", dachte Nuitnoire ihren zwei Mitbeobachterinnen zu. Dann flog von einem anderen Gebäude das Dach weg, während ein weiteres heftig wankte, sich verzog und dann wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzte.

"Also für unsere Mitstreiterinnen und Mitstreiter: Die Unterwerfung von Nagetieren zum Zwecke der gezielten Spreng- und Brennstoffanbringung funktioniert und das größtenteils noch ohne weitere Magie", sagte Nuitnoire. Dann sahen sie, wie fünf graue Riesenfledermäuse über der nun brennenden Fabrik auftauchten und in die glühenden Gebäude hinabstießen. Da krachte es erneut. Ein weiteres Gebäude ging in Flammen auf.

"Alle Gebäude haben schwere Schäden erlitten. Die vorbehandelten Ratten und Mäuse konnten durch die Versorgungsöffnungen in die für größere Angreifer unzugänglichen Räume eindringen. Alle Bauten brennen", gedankensprach Nuitnoire mit ihrer Blutstochter Boisbas.

"Wie viele Standorte sind geprüft und bestätigt?" wollte Boisbas noch wissen.

"Von unserer Liste her fünf. Aber das hier war der einzige in Frankreich. Moment, wir werden gesucht. Schnell verschließen. Das ist die Götzin selbst."

Tatsächlich bildeten die grauen Riesenfledermäuse ein lebendes Pentagramm. In dessen Zentrum glühte es blutrot. Dann entstand eine mehr als vier Meter große, frei schwebende, aus sich heraus blutrot leuchtende Frauengestalt. Nuitnoire hatte die angebliche Göttin der Nachtkinder bisher nicht selbst gesehen. Sie hatte immer geglaubt, dass sie nur in den Vorstellungen ihrer Anhänger existierte. Doch nun sah sie sie mit eigenen Augen. Noch zwei Explosionen erschütterten das Gelände. Dann krachte ein weiteres Gemäuer in sich zusammen. Die nun in ganzer Pracht und Größe erschienene Blutgötzin versuchte, die Flammen mit bloßen Händen zu löschen. Das gelang bei einigen sogar. Doch die Feuer waren bereits so groß, und die Schäden schon so schwerwiegend, dass die gebündelte Zauberkraft der Blutgötzin nichts mehr retten konnte. Sie zerfloss zu einem blutroten Dunst, der sich über das Gelände ausbreitete und dann wieder zu jener Frauengestalt zu werden. Nuitnoire sah nun, dass sie die Erscheinung einer mittelschwangereren Frau angenommen hatte und dass sich das scheinbare Ungeborene wahrhaftig regte. Dann hörten Nuitnoire und ihre Töchter den geistigen Ruf: "Das hier wart ihr, ungläubigen, undankbaren, ungehorsamen Kinder. Doch ich sage euch, die Nacht der Buße wird kommen. Dann werdet ihr vor mir liegen und um Gnade winseln." Dann verschwand die andere wieder.

"Ich hoffe mal, ihr habt euch alle so gut es ging verschlossen", sagte Nuitnoire. Ihre Töchter bejahten das. "Gut, dann soll unser fliegender Bote die unzerbrechliche Tafel mit unserem Bekennerschreiben auf das Grundstück bringen."

"Wo die Grauen noch da sind?" fragte ihre Blutstochter Étoileverte.

"Gerade wo die noch da sind, ach ja und die zehn Besenflieger da", sagte Nuitnoire. "Was machen die denn? Die schießen auf die grauen. Ups, Portschlüssel?" fragte Étoileverte.

"Darauf sind die nicht gefasst gewesen. Womöglich haben sie sie an einen sicheren Ort geschafft. Gut, dann soll unser Bote nun hinfliegen", sagte Nuitnoire. Sie gab per Gedankenruf den Befehl. Darauf kamen zwölf Uhus angeflogen, passierten die nun über dem Gelände herumfliegenden Besenreiter und warfen eine sieben mal vier Meter große, zwei Zentimeter dicke Steintafel ab, auf der in armlangen Buchstaben stand:

Wir, die Liga freier Nachtkinder, bekennen uns hiermit zur Zerstörung der als Kunstseidefabrik ausgegebenen Fertigungsstätte bei Bayonne und zeigen hiermit an, dass wir, die Liga freier Nachtkinder, die Umtriebe der Irrglaubensgemeinschaft, die einer angeblichen Göttin der Nachtkinder huldigt, nicht mehr länger Hilf- und tatenlos zusehen werden. Alle Fabriken, in denen für die Sekte der vermeintlichen Göttin Stoffe und Gegenstände gefertigt werden, die gegen uns freie Nachtkinder eingesetzt werden können, werden erkundet und zerstört, wo auch immer auf der weiten Erde sie zu finden sind.

Vergehen soll die falsche Göttin und verlöschen all ihr schändliches Werk!

Vivant liberi liberi noctis

"Und haben sie es gesehen?" fragte Nuitnoire, als die Besenflieger sich versammelten, während die Uhus nun in zwölf verschiedene Richtungen davonflogen.

"Sie wollen wohl die Uhus verfolgen", sagte Étoileverte. "Achso, wollen sie das?" fragte Nuitnoire. Da explodierte einer der Eulenvögel in einem gelben Feuerball. Die elf anderen Vögel erwischte es wohl auch. "Jetzt wohl nicht mehr", legte Nuitnoire noch nach. Dann gebot sie ihren Blutstöchtern, sich zu verwandeln und davonzufliegen, und zwar in eine eigene Richtung.

"Habemus bellum", grummelte Nuitnoire. Ab heute standen die freien Nachtkinder endgültig im Krieg mit der Sekte der Blutgötzin. Keiner wusste, wie lange er dauern und wie viele Opfer er auf beiden Seiten kosten würde. Auch wusste niemand zu sagen, wer ihn am Ende gewinnen mochte. Doch für die Liga freier Nachtkinder stand fest, dass er unumgänglich geworden war. Ihre nackte Existenz wurde bedroht, entweder tot oder Sklaven. Das waren die beiden Auswahlmöglichkeiten, welche die Blutgötzin und ihre hündisch folgsamen Jünger den noch Uneingeschworenen ließen.

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Sie war sehr wütend. Diesmal hatten die sich ihrem Ruf verweigernden Nachtkinder selbst eine ihrer Solexfolienfabriken überfallen und mit gezielten kleinen Sprengkörpern und Brandbomben zerstört. Wer hatte die Liste der Standorte verraten? Besser, wie wwar es den Uneinsichtigen gelungen, sie zu erbeuten? Sie würde das herausfinden und den oder die Verräter oder Unvorsichtigen ggrausam bestrafen.

Zu ihrer Verärgerung über das Informationsleck ihrer sorgfältigen Planung kam noch, dass der ewig ungeborene in ihrem aus vielen hundert Seelen zusammengefügten Leib versuchte, sich freizustrampeln, auch wenn er mit ihr verbunden war. "Gib mich frei, undankbares Weib. Dein Herr und Meister befiehlt es", hörte sie die Stimme des Geistes, den sie unaufgelöst in sich einverleibt hatte. "Gib ruhe, kleiner Wicht. du bleibst da wo du bist und Ruhe!" befahl Gooriaimiria und schickte machtvolle Kraftströme zu dem in ihr aufbegehrenden Geist Iaxathans. Dieser erzitterte, stöhnte auf und wurde wieder ruhig. Jetzt wusste sie, dass er immer dann meinte, sich regen zu können, wenn sie sehr verärgert war. Sicher, freikommen konnte er nicht. Dafür war sie zu mächtig. außerdem hatte er keinen stofflichen Anker mehr, in den er überwechseln konnte, um weiterhin in der stofflichen Welt zu wirken. Warum meinte der dann immer noch, ihr entspringen zu müssen? Immerhin konnte sie von ihm noch viele Dinge aus dem alten Reich lernen, die keine der vielen hundert anderen Seelen kannte. Was sie auf jeden Fall noch von ihm lernen wollte war die allgegenwärtige Stimme. Sie hatte ihm diese Bezeichnung bei seinem letzten verzweifelten Versuch entwunden, sich aus ihr hinauszukämpfen wie ein überbrütetes Küken aus dem zu engen Ei. Doch er war kein Küken, und sie war keine leblose Eierschale, die dem zerschlagen hilflos ausgeliefert war. Jedenfalls wusste sie nun, dass es noch eine Möglichkeit gab, alle lebenden Nachtkinder auf einmal zu erreichen, ob Eingeschworen oder sich verweigernd. Gelang ihr dieser Ruf, konnte sie diesem lächerlichen Aufbegehren bald ein jähes Ende bereiten. Die ranghohen Vertreter dieser aufständischen Brut würde sie in ihren Leib hineinschlingen, womöglich auch deren Blutskinder. Doch den Rest würde sie auf grausame Art hinrichten lassen. Doch die allgegenwärtige Stimme war nicht leicht zu erschaffen, zumal hierfür auch bestimmte Sonne- und Mondstellungen benötigt wurden. Doch sie hatte alle Zeit der Welt. Doch wenn diese Aufständischen zusammen mit diesen Pelzwechslern ihre Solexfolienfabriken fanden und zerstörten würden ihre Getreuen wieder nur in den Nächten frei herumlaufen und -fliegen können.

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Wenige Stunden nach der Vernichtung einer als Kunstseidefabrik erklärten Fertigungseinrichtung traf sich die gesamte Belegschaft der französischen Vampirüberwachungsbehörde im kleinen Konferenzraum von Boris Charlier. Dieser wirkte auf die Mitarbeiter so, als wisse er nicht, ob er schadenfroh lachen, besorgt dreinschauen oder entschlossen zum Kampf aufrufen sollte.

Charlier holte mit gewissen Unmut eine Laterna Magica aus seiner Schreibtischschublade. "Immerhin hat uns dieser von Ventvit und Grandchapeau behütete Muggelstämmige eine sehr brauchbare Vorrichtung beschert, künstliche oder wirkliche Bilderfolgen räumlich und akustisch darzustellen. So bin ich zumindest insofern erfreut, Ihnen allen die von unseren Leuten rekonstruierten Abfolgen der Ereignisse vorzuführen", sagte Charlier und legte die erste von zehn Glasplatten in die Zauberlaterne ein. Als er die Kerze entzündete verschwanden die Wände des Besprechungsraumes, und sie alle meinten, über einem Grundstück mit typisch magielosen Fertigungsanlagen zu schweben wie auf langsamen Erkundungsbesen. Im nächsten Moment schlugen Blitze aus einem der Gebäude. Dann flog ein viele Stockwerke hoher Tank in einem hellen Feuerball auseinander. Weitere Explosionen vernichteten die restlichen Gebäude.

"Das ist was durch die Rückschau nachgewiesen werden konnte. Immerhin konnten wir bis dahin zurückblicken. Dann kamen wohl unortbare Wesen wie die grauen Vampire, die die Einsatzgruppe Morgensonne in mit Portschlüsselbolzen in die Schlafsäle neugeborener Kinder geschossen haben. Ab da konnten weitere Beobachtungen gemacht und für diese Nachbetrachtung übertragen werden", sagte Charlier und spielte drei weitere bewegte Bildillusionen vor, zu denen auch wie von allenWänden klingend Erklärungen erklangen. Als alle die angefertigten Nachbetrachtungen mit einer Großaufnahme der riesenhaften Steintafel beendet wurden sagte Charlier: "Ich werde diesen Überfall auf Geheimstufe S9 einteilen, damit nur unsere Behörde davon weiß. Wir müssen jedoch davon ausgehen, dass die magielosen Landesüberwacher ihre kleinen Spionagemonde über diesem Landesabschnitt dahinziehen ließen und die Zerstörung mitbekommen haben. Somit könnte sie auch von den Mitarbeitern Madame Grandchapeaus erfasst werden. Sollte aus dieser Behörde eine Anfrage an diese Behörde erfolgen, ist die gerade von mir festgelegte Geheimhaltungsstufe zu nennen und jede genaue Auskunft zu verweigern. Die müssen nicht auch noch da reinfuhrwerken, wo sie uns schon die Jagd auf diese Götzinnenbrut erschwert haben", knurrte Charlier.

"Habe ich das gerade richtig gehört, dass die sogenannte Liga freier Nachtkinder mit präparierten Nagetieren operiert hat?"

"Die Rückschau war eindeutig. In den intakten Gebäuden drangen Ratten aus Lüftungsöffnungen oder Abwasserleitungen hervor, steuerten die lautesten Maschinen an und explodierten, als sie mehr als zehn Sekunden darauf saßen. Damit wird ein bisher als reines Muggelmärchen verlachtes Klischee bestätigt, nämlich jenes, dass Vampire Ratten beeinflussen können. Offenbar haben die Erdichter solcher Geschichten doch mehr darüber erfahren als wir beruflich mit sowas hantierenden Fachleute."

"Wie viele Menschen waren in diesenFabrikhallen?" wollte eine Mitarbeiterin Charliers wissen. Er zählte die Belegschaft auf und ergänzte sofort, dass nach den übersetzten Erinnerungen der Rückbetrachter alle zweihundert Menschen durch einen Feueralarm zum Verlassen der Anlage gebracht wurden. Offenbar hatte eine der als unfreiwillige Saboteure eingesetzten Ratten die Aufgabe, einen Brand auszulösen, der die Evakuierung der Belegschaft erforderlich machte. Entweder wollten die Vampire möglichst viele unschuldige Menschen retten, oder ihre Brandstifterratte hat an der falschen Stelle Feuer ausgelöst. Da wir alle sehen konnten, dass die meisten anderen Ratten zielgenau bestimmte neuralgische Punkte angesteuert und sich dort platziert haben bin ich geneigt, den Saboteuren zu unterstellen, die unschuldigen Menschen aus der Fabrik herauszubekommen, bevor ihre kleinen Sprengstoffüberbringer ihren selbstmörderischen Dienst versahen. Auch das darf da draußen keiner wissen, weder Magier noch Muggel, die Damen und Herren. Denn wenn sich sowas herumspricht wird eine Panik ausbrechen. Jedes Geräusch, jede gesehene Ratte wird als Vorbote eines neuen Zerstörungsaktes ausgelegt."

"Öhm, wie wollen Sie verhindern, dass die Muggelverbindungsbehörde von Madame Grandchapeau den Hergang nachbetrachtet?" fragte ein anderer Mitarbeiter. Charlier grinste.

"Nachdem wir sämtliche nachbetrachtbaren Bilder aus allen uns möglichen Blickwinkeln erfasst und als Erinnerungskonserven ausgelagert haben brachte ich selbst fünf Incantivacuum-Kristalle zum Einsatz, deren magietilgenden Entladungen sich überschnitten, so dass es keine brauchbaren Nachbetrachtungsbilder mehr zu sehen geben wird. Sollte mir Madame Grandchapeau deshalb Vorhaltungen machen verweise ich darauf, dass wir sicherstellen mussten, dass es keine Nachahmungstäter geben kann. Die Tafel mit dem Bekennertext wurde eingeschrumpft und in unserem behördeneigenen Archiv eingelagert."

"Öhm, wäre es nicht vorteilhaft, wenn wir von Grandchapeaus Leuten nicht eine Liste möglicher weiterer Ziele auf französischem Staatsgebiet auch der Überseeregionen anfertigen ließen, um künftige Angriffsziele zu ermitteln und/oder selbst für die Vampirsekte unbenutzbar zu machen?" wurde Charlier gefragt.

"Nein! Die bilden sich schon zu viel auf diese widerwärtigen Elektrostromwissensverarbeitungsgerätschaften ein, die der aus der Welt gestoßene Ex-Zaubereiminister Grandchapeau und Midas Colbert in einem Anflug von Muggelverehrung genehmigt haben. Das ist deren teures Spielzeug. Wir werden uns nicht dazu herablassen, es auch für uns zu nutzen und damit zu rechtfertigen, ja zuzugeben, dass Muggeltechnik der Zauberei in wichtigen Punkten überlegen sein kann. Wer Wert auf seinen Dienstpostenlegt möge dies sehr gut beherzigen. Wir wollen von denen nichts haben, was die noch aufgeblasener daherkommen lässt als schon bei der Sache mit dem blauen Blutfürsten. Das war sowas von niederschmetternd für unsere Behörde. Das werde ich nicht ein zweites mal zulassen."

"Monsieur Charlier, immerhin haben diese Elektrorechnerdinger auch die Standorte der ortsversetzten Friedenslager berechnet", sagte Valerie Duchamp, eine gerade dreißig Jahre alte Außendiensthexe der Vampirüberwachungsbehörde.

"Ja, mag sein. Aber wir brauchen diese Dinger nicht, um weitere Sonnenschutzhautfabriken zu finden. Was wir bräuchten sind mehr dieser Vampirblutresonanzkristalle. Aber auch hier hat Grandchapeaus Behörde uns den von den USA genehmigten Vorrat streitiggemacht. Also müssen wir mit denen, die wir haben, sparsam aber auch gezielt alle Fabriken prüfen, die künstliche Textilien herstellen und vertreiben. Das wird die Aufgabe der nächsten Wochen sein. Falls wir dabei einen der Götzinnenanbeter oder einen der selbsternannten freien Nachtgeborenen ergreifen können um so besser. Immerhin wollten diese Saboteure dieser Nacht ja, dass wir über die freien Nachtkinder nachdenken."

"Stimmen Sie der Vermutung zu, dass sich die beiden Vampirgruppierungen nun in einem offenen Krieg befinden?" fragte Valerie Duchamp. Charlier sah sie und dann alle anderen an. "Ich muss die Frage wohl mit einem ungehaltenen Ja beantworten. Wir müssen darauf achten, dass die verfeindeten Gruppierungen keine unschuldigen Opfer unter den magieunkundigen Menschen finden, sei es als Kollateralschäden bei Anschlägen wie diesem oder als zwangsrekrutierten Nachschub für ihre Streitkräfte. Auch deshalb wäre es sehr wichtig gewesen, dass wir genug dieser Vampirblutresonanzkristalle bekommen hätten", knurrte Charlier noch. Dann sagte er: "Aber ich bin zuversichtlich, dass wir bald eigene solche Kristalle herstellen und in großer Stückzahl auf unsere Außentruppen verteilen können. Aber das verraten Sie gütigst niemandem außerhalb dieses Raumes."

"Das wäre denen sicher nicht neu", warf einer der jüngeren Mitarbeiter keck ein. "Ich verbitte mir derartige frechen Zwischenrufe, Monsieur Brussac", knurrte Charlier. Dann beschloss er die außerordentliche Vollversammlung, die er in Anspielung an Kriegsheere auch gerne als Generalappell bezeichnete.

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Olarammaya verwünschte die Nebenwirkungen. Seit vier ein Halb Wochen wusste sie, dass sie ein Kind erwartete. Noch war das Ungeborene zu klein, um zu sagen, ob es körperlich ein Junge oder Mädchen werden würde. Und erst wenn die Sinnesorgane weit genug entwickelt waren würde sich zeigen, wessen Seele in diesem Kind wiedergeboren würde. Sie wusste nur, dass sie auf jeden Fall ein Daisirian bekommen würde. Wenn sie daran dachte, wie es für sie war, als sie nach der Sache mit den Dementoren auf dem Kreuzfahrtschiff in Patricias Bauch wiedererwacht war und dort mit ihrer Zwillingsschwester bewusst mitbekommen hatte, wie sie beide heranreiften, bis sie als Gwendartammayas Kinder wiedergeboren wurden, würde das für wen auch immer auch sehr bedrückend sein, in so einem engen, dunklen, wassergefüllten Raum eingesperrt zu sein.

"Na, kleine Schwester, konntest du das Abendessen noch gut verdauen?" fragte Geranammaya diejenige, mit der sie sich den Uterus der damals noch Gwendartammaya oder Patricia heißenden geteilt hatte.

"Komm, hör auf. Ich hoffe, ich spei das Zeug nicht alles wieder aus. Egal, wen ich da jetzt mit mir herumtrage soll der oder die bloß nicht verhungern", schickte Olarammaya zurück, während sie um sich abzulenken die tägliche Überprüfung des Rechners vornahm.

"Mit Idorayana wolltest du nicht wetten, wann wer mitbekommt, wen sie neu heranträgt. Aber vielleicht willst du ja mit mir wetten, wann wer von uns zum ersten mal mit dem neuen Sonnenkind in sich Kontakt bekommt", bot Geranammaya an. Olarammaya gedankenantwortete. "Kann in den nächsten vier bis sechs Wochen schon passieren. Aber du bist mir ja einen Monat voraus."

"Hast recht. da lohnt sich keine Wette. Dann eben nur die Frage, ob wir beide je einen Jungen oder je ein Mädchen kriegen werden."

"Von den bei den ganzen fiesen Kämpfen gestorbenen sind noch acht Sonnentöchter und achtundzwanzig Sonnensöhne übrig. Zwanzig von uns sind gerade schwanger. Bleiben also noch sechzehn ausgelagerte Seelen übrig", gedankensprach Olarammaya mit einem mulmigen Gefühl. Ihre Zwillingsschwester bestätigte das. Olarammaya wollte gerade noch was dazu einwerfen, als sie auf dem Bildschirm die Meldung sah, dass wieder einmal eine Fabrik für besondere Kunststofffolien zerstört worden war. "An alle! In der Nähe von Bayonne, Frankreich wurde eine Fabrik für besondere Kunststoffe durch starke Explosionen mit anschließendem Feuer zerstört. Womöglich waren das wieder die Werwölfe oder Mamies ehemalige Gesinnungsschwestern", strahlte Olarammaya eine Gedankenbotschaft an die Sonnenkinder aus. Faidaria, die selbst schon wieder im fünften Monat Schwanger war, schickte ebenfalls an alle zurück: "Die, welche gerade keine unser Volk vergrößernden Verpflichtungen haben, mögen sich den Ort ansehen. Legt aber bitte die Rüstungen an, dass ihr nicht gesehen oder verletzt werdet!"

Olarammaya gab die genauen Bezugspunkte weiter. Mit dem erprobten Verfahren, dass Sonnenkinder im Kreis miteinander verbundener Sonnenkinder über große Entfernungen transportiert werden und bei Gefahr oder Missionsende zurückgeholt werden konnten, wurden fünf Sonnensöhne losgeschickt, die keine Artgenossin beschlafen mussten, um die Zahl der lebenden Sonnenkinder zu vergrößern. Über die gemeinsame Mutter, die seit der Blitzalterung von Geranammaya und Olarammaya den Namen Dailangamiria trug, konnten die Zwillingsschwestern mitverfolgen, wie die Ausgeschickten die Trümmer der Fabrik erreichten und untersuchten. "Oh, das waren keine Taglebenden, die das gemacht haben", vermeldete Urdanamirian, der künftige Vater von Geranammayas erstem Kind. "Der Hauch der dunklen Nacht weht noch klar erkennbar über diesen Trümmern. Diesen Schlag haben Nachtkinder ausgeführt."

"Nachtgeborene? Wieso greifen diese ein Haus der Herstellung jener Schutzhäute an, die ihren Artgenossen Schutz vor der Sonne geben?" wollte Kandorammayan wissen.

"Das müssen dann welche von dieser Liga freier Nachtkinder sein, dieser Gegengruppe gegen Gooriaimiria", vermutete Dailangamiria. Geranammaya legte dann noch nach, dass es wohl bei den Anbetern dieser Nachtkindergötzin Verräter geben müsse, die den Standort von Solexfolienfabriken weitergemeldet hatten.

"Dann werden sich wohl die Nachtgeborenen bald selbst bekriegen, weil sie Verräter in den eigenen Reihen fürchten", vermutete Faidaria. "Es wird Zeit, dass Dargarrian das Pendel wieder in Gang setzt", fügte sie hinzu. Immerhin hatte der gezielt zur Wiedergeburt herangezogene Dargarrian genau wie alle anderen Daisirin die Vorrichtung nutzen dürfen, in der die Wiedergeborenen von Kindern zu jungen, voll ausgereiften Erwachsenen blitzgealtert waren und kümmerte sich nun mit dem Vater seines zweiten Körpers um das nach der mächtigen dunklen Woge zum Stillstand gekommene Pendel. Wenn es wieder schwang und wenn es wieder in die Richtungen von dunklen Kräften deuten konnte, dann bestand eine vielfach größere Möglichkeit, die Träger dunkler Kräfte zu stellen und zu bekämpfen.

"Die mächtige Woge dunkler Kraft hat die schwingende Vorrichtung völlig aller Kraft beraubt. Es wird wohl mehr als vier Monde dauern, sie wieder im nötigen Maße in die Vorrichtung zurückzubringen", gedankensprach Dargarrian mit unüberhörbarer Verärgerung. Es muss wahrlich mehr als das hundertfache des Liedes der langen Nacht gewirkt haben, ja womöglich das zehntausendfache davon", fügte Dargarrian noch hinzu und dachte leise: "Und dafür musste ich als Ungeborener erwachen, ein hilfloser Säugling sein und hoffen, bald wieder groß und gewandt genug zu sein."

"Vier Mondwechsel?" fragte Faidaria nach. "Das heißt, bis in die nächste Kaltzeit auf der mitternächtigen Hälfte von Madrashs mächtigem Leib können wir nicht sehen, wo unsere Feinde sind?"

"Ich habe auch gehofft, dass ich das Pendel schneller wieder zum schwingen bringen kann, unser aller Sprecherin", gedankenschnaubte Dargarrian. "Aber wenn ihr neuer Mutterschaft entgegenwähnenden bis dahin wisst, ob Yanhanaria oder Toridarian unter den neuen Zwiegeborenen sein werden können die mir hoffentlich auch aus dem inneren Nest heraus raten, wie ich die nötige Kraft schneller in das Pendel zurückfließen lassen kann. Jedenfalls müssen wir dafür jeden Mondwechsel bis zu hundertmal die Lieder des Lebens und des großen Vaters Himmelsfeuer singen und jeden Mondwechsel vier Träger dunkler Kräfte, bestenfalls Nachtgeborene oder von dunkler Kraft erfüllte Schattenwesen zusammen mit Liedern der bedrohlichen Schatten und der dunklen Nacht opfern, um das Pendel auf die Quellen solcher dunklen Kräfte einzustimmen. - Ich hätte mir auch gewünscht, ohne das auszukommen und es einfach nur durch genug Lieder des Himmelsfeuers in Gang zu bringen."

"Das heißt, wir müssen entweder sechzehn Nachtkinder oder Nachtschatten einfangen und in den Turm bringen, um sie dort ... zu opfern?" wollte Faidaria wissen. Dargarrian bestätigte es und fügte noch hinzu, dass es möglichst mächtige Vertreter dieser Geschöpfe sein mussten und möglichst gleichviele von jedem Geschlechte.

"Warum haben weder Yanhanaria noch du uns das damals verraten?" fragte Faidaria sichtlich erbost. "Weil wir den verweilenden Ureltern haben schwören müssen, dieses Wissen nicht allen zu verraten. Jeder durfte nur einen kleinen Teil des ganzen kennen, um die Gemeinschaft und das nötige Miteinander zu bewahren", erwiderte eine bis dahin unbekannte, kleinmädchenhaft klingende Stimme. Im geistigen Raum der Sonnenkinder trat Stille ein. Offenbar war eine neue Daisiria erwacht. Nach einigen Sekunden Schweigen gedankensprach die neue Stimme weiter zu allen Sonnenkindern: "Ich, Yanhanaria, von den Ureltern dazu bestimmt, zwischen hellem, zwielichtfarbenem und dunklem Leben zu unterscheiden und in den Künsten der Lebenslieder und Geisteslieder geübt, bin erwacht. Wer von euch trägt mich neu ins Leben?"

Einige Sekunden vergingen. Dann wusste Gisirdaria, dass sie die Trägerin von Yanhanaria war, die einstige Gefährtin Dargarrians. Olarammaya hatte schon befürchtet, diese mächtige Sonnentochter neu austragen zu müssen. Doch sie gehörte ja zu denen, die erst beim zweiten Versuch schwanger geworden waren, anders als ihre Zwillingsschwester, sowie Gisirdaria und Faidaria.

"Du scheinst es nicht besonders unangenehm zu empfinden, im Leib einer Ungeborenen wiedererwacht zu sein", bemerkte Faidaria. "Weil ich wusste, dass wir Sonnenkinder nach dem Tod verwarht werden, bis ein neuer Körper für uns ausreift", erwiderte die nun kleinmädchenhaft klingende Stimme Yanhanarias. "Zumindest stimmt es mich hoffnungsvoll, dass du mir vielleicht noch vor dem neuen Entschlüpfen raten kannst, wie ich das mächtige Pendel wieder zu seiner ganzen Stärke bringen kann", gedankensprach Dargarrian.

"Du wirst nicht darum herumkommen, Nachtgeborene oder dunkle Schatten zu ergreifen und in den Behälter der freiwerdenden Lebenskraft zu sperren, damit sie mit ihrer dunklen Lebenskraft und unseren Liedern des Himmelsfeuers und des Lebens und den Liedern der Nacht das Gleichgewicht zwischen hellen und dunklen Kräften erschaffen. Aber dazu brauchst du auch eine Vertraute, die diese Vorkehrungen in der richtigen Reihenfolge ausführen kann. Falls keine der schon eigenständig atmenden Töchter des großen Vaters Himmelsfeuers diese Lieder kennt muss ich wohl die bitten, in deren innerem Nest ich heranwachse, um diese Lieder mit dir zusammen zu singen, wenn wir die entsprechenden Träger dunkler Kräfte opfern."

"Soviel dazu, nur mit hellen Kräften zu wirken", musste Olarammaya nun einwerfen und wurde von ihrer Mutter Dailangamiria vollauf bestätigt. Denn sie beide erinnerten sich noch sehr deutlich daran, wie sie in den Säulen der schlafenden Sonnenkinder von allen dunklen Taten und Kräften freigespült wurden, was für die heute Dailangamiria heißende wohl eher ein Freibrennen à la Fegefeuer gewesen war.

"Wer den Frieden sucht darf den Kampf nicht scheuen", gedankensprach die neu erwachte Yanhanaria, was in moderne Sprachen übersetzt Feuerträgerin hieß. "Ja, und wie das Feuer Licht und Wärme gibt, nahrhafte Speisen erschaffen kann und schmiedbares Erz schmiedbar macht, so kann das Feuer auch Leben nehmen und wichtige Dinge zerstören", wisperte Yanhanarias Gedankenstimme in Olarammayas Geist. Hatte die künftige Zwiegeborene ihre Gedanken lesen können? Wieso konnte die das schon so gut. "Weil ich in jener ruhe, die dein inneres Selbst in seinem ersten Leib berührt und als Vertrauten gewonnen hat", kam die rein gedankliche Antwort auf die nicht an alle gestellte Frage. Olarammaya erkannte, dass sie längst noch nicht alles wusste, was die besonderen Kräfte der Sonnenkinder anging. "Wohl wahr", bestätigte Yanhanaria.

"Das heißt, die von uns, die gerade keine neuen Kinder erwarten sollen nach solchen Wesen jagen und sie lebend in den Sonnenturm bringen?" wollte Faidaria wissen. "So ist es, Faidaria", bestätigten Dargarrian und Yanhanaria gleichzeitig. Dann fügte Yanhanarias nun auf Kleinkind geschraubte Stimme hinzu: "Doch je mächtiger die Opfergaben sind, desto schneller kann die alte Kraft in das Pendel zurückgeflößt werden. Dann brauchen wir keine vier ganzen Mondwechsel, und ihr könnt das Pendel wieder befragen, noch bevor ich Gisirdarias warmes inneres Nest verlassen darf."

"Will sagen, je mächtiger diese Wesen sind, desto mehr Kraft geben sie her", fragte nun Geranammaya. Yanhanaria bestätigte es. "Vielleicht ist es Möglich, jene dunklen vaterlosen Töchter zu fangen, von denen wir eine schon bekämpft haben."

"Das darfst du getrost vergessen, kleines Mädchen", schickte Geranammaya verdrossen zurück. "Selbst wenn wir eine von denen mit zwanzig von uns angreifen würden könnten die sich immer noch blitzschnell in ihre Schlafhöhlen zurückziehen, wo ihre Lebenskraftbehälter stehen."

"Lebenskraftbehälter, die, die ich noch nicht mit namen kenne?" fragte Yanhanarias Stimme. "Dann wird in diesen Behältern wohl ein vielfaches mit dunkler Kraft verdorbenes Leben sein. Das wäre sogar noch besser, wenn ihr einen solchen Behälter beschaffen und dessen Inhalt in beherrschbarem Maße auf das Pendel übertragen könnt."

"Ich sagte es, das kannst du getrost vergessen, Yanhanaria", erwiderte Geranammaya. Sie erwähnte, dass ein solcher Behälter nicht von nicht daran gebundenen geleert werden konnte. Vielmehr würde jeder Versuch die plötzliche Freisetzung der umgekehrten Lebenskraft auslösen und alles Leben in einem bestimmten Umkreis auslöschen. Das wolle Yanhanaria sicher nicht wirklich. Dieser Aussage folgten mehrere Sekunden völligen Schweigens. Dann gedankengrummelte Yanhanaria: "Ja, leider hast du recht, Geranammaya, Zwillingsschwester jener, die einst Gisirdarias erwecker war." Damit schien dieses Thema einstweilen vom Tisch zu sein, dachte Olarammaya. Doch die Frage, wie man dunkle Wesen einfangen und lebend in den Sonnenturm bringen konnte, wo Vampire und Nachtschatten sicherlich von diesem abgewiesen wurden, bedrückte die Zwiegeborene. Doch sie hatte lernen müssen, unangenehme Wege zu gehen, um noch schlimmeres Übel zu verhindern. Außerdem wusste sie nun, dass es nur noch sieben auf die Wiederentstehung wartende Sonnentöchter gab, sofern sie nicht eine von denen in sich herantrug.

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11.08.2004

Vor zwei Monaten hatte der Zwölferrat beschlossen, Lionel Buggles bis zum letzten Sonntag im September Zeit zu geben. Der Ministerwahlkampf lief an.

Chrysostomos Ironside war gerade dabei, das Protokoll des heutigen Verhandlungstages in den sicheren Aktenschrank zu legen, als er die Glocke hörte, dass noch jemand zu ihm vorgelassen werden wollte. Er verstaute die Unterlagen schnell, schloss den Schrank und kehrte in sein eigenes Büro zurück. Er rief: "Herein!"

Eine Frau in hellgrünem Kleid trat ein. Die auffälligsten Merkmale an ihr waren ihre goldblonde Löwenmähne, ihre stahlblauen augen und ihr energisches Kinn. Darüber hinaus wirkte sie athletisch, ja schon fast maskulin. Das war Atalanta Bullhorn, die aus den Reihen der Inobskuratoren stammende Kandidatin für das Amt des Zaubereiministers. Sie wirkte alles andere als erfreut.

"Verzeihen Sie bitte diese späte Störung, Euer Ehren. Aber ich muss Ihnen das jetzt schon sagen. Gerade hat Buggles allen ernstes den Paragraphen 101 des Zaubereiverwaltungsgesetzes und den Paragraphen 20 des Gesetzes für Abstimmungen innerhalb der US-amerikanischen Zaubererwelt gezogen, öhm, ich meine, beruft sich darauf, Sir."

"Moment, Majorin Bullhorn. Erstens möchte ich von Ihnen gerne wissen, woher Sie das haben und zweitens, was er als Begründung anführt", sagte der oberste Richter der US-amerikanischen Zauberergemeinschaft.

"Woher ich das habe? Er hat uns allen Eulen geschickt, die gerade kandidieren, sowie auch an Inobskuratorengeneral Whiterock. Er behauptet, dass es in den letzten Wochen zu Übergriffen von Werwölfen in der magielosen Welt kam und zu befürchten sei, dass diese unsere gegenwärtige Lage ausnutzen werden, auch in der Zaubererwelt neu zu wüten. Daher bleibe ihm "zu seinem größten Bedauern" nichts anderes übrig, als den landesweiten Ausnahmezustand zu verhängen, der natürlich alle Vorgänge in der Zaubererwelt unter strenge Überwachung stellt. Der Paragraph aus dem Abstimmungsgesetz sagt, wenn eine Gefährdung aller aktiven und passiven Wahlberechtigten vorliege könnten und müssten angesetzte Abstimmungen bis zum Ende der Gefährdungslage ..."

"Mir ist dieses Gesetz ebenso bekannt wie Ihnen, Atalanta", fiel ihr der oberste Richter ins Wort. "Also will er einen Ausnahmezustand ausrufen, der dann wiederum die Ministerwahl auf unbestimmte Zeit verschiebt, weil er meint, dass die Mondgeschwister jetzt offen gegen uns und ihre erklärten Feinde vorgehen."

"Darf er das tun?" wollte Atalanta Bullhorn wissen.

"Wenn er es tatsächlich begründen kann, dass Gefahr für alle magischen Menschen besteht leider ja. Aber die Begründung muss er hier vor mir und den elf anderen vom Zwölferrat vorlegen. Bisher habe ich keinen solchen Antrag auf Vorlage .." wieder klopfte es. Ironside prüfte, wer vor der Tür stand und rief: "Kommen Sie herein, Lenny!"

"Moin, Richter Ironside. Der zeitweilige Zaubereiminister hat mich losgeschickt, Ihnen das hier zu geben. Da sind auch Kopien für Ihre Ratskollegen bei", sagte der dunkelhäutige Bote des Ministers. "Hi, Miss Atalanta, noch ein paar Belehrungen für den richtigen Wahlkampf abholen?"

"Wenn Sie drauf Wert legen, Ihren 3-Galleonen-Job weitermachen zu dürfen sollten Sie weniger frech auftreten", sagte Atalanta Bullhorn.

"Für drei Galleonen stemme ich meinen Allerwertesten nicht aus dem Bett, Miss Bullhorn", sagte Lenny. Der Richter deutete auf den dicken Umschlag in den Händen des Botens. Als er dann eine der zwölf Kopien studiert hatte sagte er: "Gut, Lenny, Sie kriegen gleich die schriftliche Aufforderung an den Minister, sich morgen um neun bei uns zu melden."

"Geht klar, Euer Ehren", sagte Lenny.

"Sie wollen echt darauf eingehen, Richter Ironside?" fragte Atalanta Bullhorn. "Wenn wir das Gesetz achten wollen muss ich darauf eingehen", sagte der oberste Richter. Das gefiel der Ministerkandidatin nicht. Sie bat um Entschuldigung und fragte, ob sie gehen dürfe. Sie durfte.

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Aus dem Kristallherold vom 13.08.2004

WEGEN WÜTENDER WERWÖLFE WIRD WAHL WOMÖGLICH WEGFALLEN

Auch wenn Sie sicher gestern wie ich die Rede unseres immer noch amtierenden Zaubereiministers im Rundfunk mitbekommen haben ist es unsere traurige Pflicht, es auch schriftlich festzuhalten, damit spätere Generationen von Magiehistorikern was damit anfangen können.

Gestern hat der immer noch amtierende Zaubereiminister Lionel Buggles zusammen mit seiner höchsten Ehren, Richter Chrysostomos Ironside, verkündet, dass auf Grund heftiger Gewalthandlungen von Werwölfen und Vampiren gegen Produktionsanlagen in der magielosen Welt und zu befürchtender Racheakte der Vampire, die Zauberergemeinschaft der USA gemäß Paragraph 101 des Verwaltungsgesetzes im Ausnahmezustand ist, der solange andauern soll, wie die ihn herbeiführende Bedrohung es gebietet. Im Klartext heißt es: Werwölfe und Vampire bekriegen sich gegenseitig. Offenbar wollen die Angehörigen jener Gruppe, die sich Bruderschaft des Mondes nennt, gegen die Angehörigen der Vampirsekte kämpfen, die eine Göttin als ihrer aller Mutter der Nacht verehrt. Offenbar geht der Minister davon aus, dass die Kampfhandlungen auf unser Hoheitsgebiet übergreifen. Näheres dazu wollten die beiden nicht preisgeben, nur soviel, dass die Lage ernst genug ist, dass eine geregelte und störungsfreie Wahl derzeitig nicht stattfinden könne.

Der Kristallherold hat gleich nach der öffentlichen Erklärung bei den drei Kandidaten für das Ministeramt nachgefragt, wie sie die Lage einschätzen. Dabei erfuhr unsere Zeitung, dass es offenbar in den letzten Julitagen zu mehrfachen Raubüberfällen auf Stützpunkte der nichtmagischen Streitkräfte gekommen war, an dem ausdrücklich Werwölfe beteiligt waren. Nicht bestätigte Aussagen legen nahe, dass diese Raubüberfälle dem Zweck dienten, hochwirksame Spreng- und Brennstoffe zu erbeuten, die dann wieder gegen von der erwähnten Vampirsekte genutzte Gebäude eingesetzt wurden und wohl noch werden sollen. Atalanta Bullhorn meinte dazu, dass dies wohl ein engbegrenztes Problem sei und die Ministeriumsleute den Werwölfen doch schon beikommen könnten. Deshalb die Wahl zu verschieben sei übertrieben. Dagegen meinte ihr Mitbewerber Lysander Bowman, dass es durchaus passieren könne, dass bei offenen Kämpfen zwischen Vampirenund Werwölfen so viele Opfer auf beiden Seiten zu beklagen seien, dass beide Gruppierungen sich aus arglosen Menschen mit und ohne Magie ihren Nachwuchs herausfangen würden. Deshalb sei es sicher richtig, die Reisefreiheit für Besucher zu beschränken und zuzusehen, die Stützpunkte der Werwölfe und Vampire auf unserem Hoheitsgebiet auszuheben, wenn deren Standorte bekannt seien. Insofern befürworte er einen befristeten Ausnahmezustand und eine weitere Verschiebung der Ministerwahl über den September hinaus.

Kandidat Finnley Dunston erklärte gleich nach Bekanntwerden des Ausnahmezustandes wortwörtlich: "Also, Leute, wenn sich Mr. Buggles zum Minister auf Lebenszeit ausrufen lassen möchte soll er das machen und sich nach Vita Magica noch bei den Werwölfen bedanken, dass die dem so einen genialen Quod zugepasst haben, den er nur noch eintopfen muss. Aber er soll sich beeilen, dass ihm das Ding nicht zwischen den Händen explodiert. Ich bin auf jeden Fall nicht mehr bereit, für den den Widerpart zu geben, nur damit überhaupt sowas wie eine Wahl möglich ist. Will sagen, ich bin raus, Leute!"

Kandidatin Bullhorn ist also sogesehen die einzige, die gegen die verkündete Ausnahmeregel votiert. Inwieweit es ihr zusteht, alle Gründe dafür zu erfahren wissen wir erst, wenn Sie uns oder einer anderen öffentlichen Stelle das berichtet. Willkommen im belagerten Land! Sowas kennen wohl nur die über siebzig Jahre alten Mitbürger von uns noch, wo der magische Kongress der USA sowas wie einen Ausnahmezustand ausgerufen hat, als Grindelwald auch in den Staaten sein Unwesen trieb. Ob an Dunstons Vorwurf etwas dran ist oder es wirklich gefährlich für uns alle wird ist schwierig zu sagen, weil wir leider längst nicht alles mitbekommen, was im Ministerium so über die Tische geht. So bleibt uns allen nur, weiterhin wachsam zu sein und zu erreichen, dass unsere Freiheit nicht dauerhaft beschnitten wird.

RDWN

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15.08.2004

Kohaku Murabayashi fühlte sich sehr unwohl, nicht nur, weil er bereits die letzten Tage seines Lebens zählte, sondern auch, weil sein Ende wohl auch mit dem Ende des ehrenwerten Ordens der Hände Amaterasus zusammenfiel. Dieses Ende deutete sich schon dadurch an, dass der hohe Rat für Ausrüstung und Münzvermögen sich mit dem von Takahara vereidigten Hauptverwalter für zauberischen Handel und Vermögen bei ihm im Haus der Gefahren und Schätze einstellte. Immerhin waren die sechzig bei der Freisetzung des Schwertes gestorbenen Mitstreiter mittlerweile in Porzellanurnen in der Gruft der ihr Leben für den Orden gebenden beigesetzt worden. Die Gänge und Flure waren von den klaglos unermüdlichen Eisendienern gesäubert und in Stand gesetzt worden. Doch die Schutzzauber in den Verwahrungskerkern mussten noch auf ihre frühere Stärke zurückgebracht werden. Auch das würde dieser Prüfer aus dem Zaubereiministerium sicher anmerken.

"Ich erhoffe, dass Ihr meinen wohlbegründeten Wunsch beherzigen werdet, mir bis übermorgen sämtliche schriftlichen Aufzeichnungen von allem hier zukommen zu lassen, Herr Murabayashi", sagte Takaharas Mitarbeiter.

"Es gibt bereits fünf verfertigte Abschriften über das alles, was in diesem Haus verwarht wurde oder wird, Herr Yamoto", sagte Murabayashi, der sich seinen Unmut nicht anmerken lassen durfte. "Somit kann ich Euch aus vollem Herzen beruhigend verkünden, dass die von Euch erbetenen Unterlagen schon morgen in Ihrer Verwaltungsbehörde eintreffen werden, da mein direkter Vorgesetzter dies befürwortet." Der erwähnte Vorgesetzte, der bis dahin größtenteils schweigend die Prüfung begleitet hatte, bejahte es unverzüglich.

"Dann bleibt meinerseits nur noch die Frage zu beantworten, wie das durch einen unerwünschten Zauber aus Ihrer Obhut entwendete Schwert wieder in sichere Verwahrung zurückgeführt werden kann und auch wo der zu diesem Schwert gehörige Zauberstab abgeblieben ist."

"Der Zauberstab wurde offenbar von einem bereits verstorbenen Gesellen der Hüter, der offenbar den Eid unseres Ordens umgehen konnte, aus der sicheren Verwahrung gestohlen und aus Bereicherungs- oder Handlungsbefürwortungsgründen an jene Hexe übergeben, die sich als oberste Führerin des in der europäischstämmigen Welt gegründeten Spinnenordens bezeichnen lässt. Wann genau dies geschah wird nicht mehr zu klären sein", sagte Murabayashi. Sein direkter Vorgesetzter sah ihn kurz und kritisch an, blieb aber ansonsten ruhig als er sagte:

"Es trübt sowohl unsere bisherige Gewissheit, nur mit dem Orden treuen Mitstreitern gedient zu haben, kann aber nicht anders begründet werden als mit Verrat an unserem Orden. Jemand hat die hier eingerichteten Schutzzauber überlistet, die Sperren umgangen oder mit gestohlenen Zugangsberechtigungen kurzzeitig aufgehoben und dann den Zauberstab des dunklen Wächters entwendet. Allerdings fehlt sonst nichts in unserer Sammlung, wie Ihr euch selbst überzeugen konntet, Herr Yamoto."

"Soll mich dies nun beruhigen, dass die anderen Dinge in Eurer Verwahrung offenbar keinen begierigen Abnehmer fanden, um ebenso wie der Stab entwendet zu werden?" fragte Yamoto. Murabayashi wartete, ob sein Vorgesetzter was dazu sagen wollte. Doch der sah nur ihn an. So antwortete der wohl auf sein endgültiges Ausscheiden aus dem Amt wartende:

"Sicher gab und gibt es da draußen Leute, die den einen oder anderen Gegenstand aus unserer Verwahrung haben möchten. Die meisten dieser Dinge sind so eigenwillig, dass es wohl mehr als eines Diebes bedarf, um sie hier herauszubringen. Ich erinnere Euch gerne an den Versuch des Susohikis der dunklen Geisha, nach dem Zusammenbruch der Schutzbanne Macht über gleich dreißig ausgebildete Abwehrzauberer zu ergreifen. Wer dieses verfluchte Kleidungsstück zu besitzen begehrt müsste schon mehr geistige Widerstandskraft als dreißig Männer aufbieten oder sich seines oder ihres eigenen Lebens derartig überdrüssig fühlen, dass er oder sie durch die Berührung mit dem Susohiki der dunklen Geisha deren Geist in sich einlässt um ihr eine willige Hülle zu sein, so wie es dieser bedauernswerte Jüngling gerade für den bösen Geist des dunklen Wächters ist."

"Womit wir wieder bei dessen Schwert und dessen Stab sind. Ich empfinde es als sehr unangenehm beschämend, dass Ihr Euch derartig leicht damit abfindet, dass eine Zauberin von sehr fragwürdigem Ruf einen der mächtigsten Zauberkraftausrichter besitzt, die je ersonnen wurden", sagte Yamoto, fügte aber sogleich hinzu: "Doch darüber zu befinden, wie diese Lage einzuordnen ist und wer in welcher Form dafür zur Verantwortung gezogen werden muss, steht mir als Mitarbeiter der Behörde für zauberischen Handel und Vermögen kein Urteil zu.".

"So erwarte ich die Beurteilung des hohen Rates der Hände Amaterasus", sagte Murabayashi, der eigentlich längst wusste, wie dieses Urteil ausfallen würde. Denn nun, wo er eindeutig geklärt hatte, dass es keine Spuren vom Raub des Stabes mehr gab, hatte er endgültig seinen Wert als Hüter der Gefahren und Schätze verwirkt. Somit blieb nur noch die Antwort auf die Frage, ob er das Ende des Ordens noch miterleben würde oder er wenige Stunden oder Tage vor dem Orden sein Ende finden musste. Keine wirklich erfreulichen Aussichten, dachte Murabayashi.

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21.08.2004

Offenbar verlor er langsam die Verbindung zu seinem Körper. Denn Takeshis Geist konnte sich, wenn der seinen Körper besetzt haltende Dämon schlief, um dem geklauten Körper neue Kraft zu geben, immer weiter davon forttreiben. Erst wenn er meinte, die Gegend würde verschwimmen und zu einem hellen, wabernden Nebel werden, kehrte der entkörperte Oberschüler wieder um und ließ sich wie an einem unsichtbaren Gummiband in den Kellerraum zurückziehen, in dem sein angestammter Körper schlief.

"Der Typ hat dochnicht recht", dachte Takeshi Tanaka. "Ich werde irgendwann ganz von meinem Körper loskommen und ddann ... Yippi Yai Yeah Yomi."

"Du wirst nicht nach Yomi kommen, solange du an ihm dranhängst", hörte er eine Frauenstimme in seinem Geist flüstern. Hätte er einen stofflichen Körper gehabt wäre der jetzt garantiert vor Schreck zusammengefahren. So entlud sich in Takeshis dem Körper entrissenen Geist nur die Erkenntnis, dass die riesenhafte Geisterfrau, die behauptet hatte, die Mutter dieses Dämons zu sein, ihn telepathisch belauscht und ihm auf dieselbe Weise geantwortet hatte. "Ja, du hast mich erkannt, Yamanonechan, die Mutter dieses höchst undankbaren Wichtes."

"Wenn du mich hören kannst weißt du auch wo ich bin. Kannst du dann nicht herkommen und diesem Spuk ein Ende machen?"

"Verärgere mich nicht, Knäblein. Ich bin an Grenzen gebunden, die selbst ich nicht überschreiten kann. Doch wenn ich dies kann bin ich sehr schnell bei euch und dann vertilge ich euch beide."

"Ich habe mit dem ganzen Mist doch nichts zu tun. Ich habe diesen Dämon nicht gebeten, meinen Körper zu klauen", stieß Takeshi aus. "O doch, das hast du. Du bist auf seine Verlockungen eingegangen, hast ihm zugehört, wolltest das von ihm gesäuselte Lied erfüllen, Macht und Ruhm gewinnen. Das ist eben jetzt dein Preis dafür. Und wenn ich ihn endlich aus dieser Welt herausschlingen kann vertilge ich dich gleich mit, damit ich alle deine Kenntnisse habe, was ich in diesem Land heutzutage kennenund beachten muss, wenn ich meinen Pflichten weiter nachkommen soll", dachte ihm die ferne Geisterfrau zu.

"Was für Pflichten?" wollte Takeshi Tanaka wissen. "Die von der Mutter aller Berge übernommene Pflicht, die Tiere und Wesen, die dort wohnen vor der Zerstörung durch euch Menschen zu beschützen und den Schwur der großen Urmutter zu erfüllen, die mit ihrem Bruder und Gemahl damals alle Dinge der Welt erschaffen hat."

"Jeden Tag tausend Menschen umbringen?" fragte Takeshi verdrossen.

"Zumindest mithelfen, dass die Zahl nicht all zu weit unterschritten wird. Denn je mehr Menschen es auf dieser Welt gibt, desto mehr zerstören sie sie. Deshalb müssen meine neunzehn Schwestern und ich, die Erstgeborene, mithelfen, dass ihr kurzlebigen, habsüchtigen und neugierigen Wichte euch nicht vermehrt wie die Maden im Dung und im toten Fleisch."

"Selber Made", dachte Takeshi, der sich im Moment sicher war, dass die Geisterfrau ihm nichts anhaben konnte. Denn dann hätte sie sich ja längst über ihn und ihren Dämonensohn hergemacht.

"Hüte deinen Vorwitz, Knabe. Meine Schwestern und ich erfüllen den Kreislauf des Werdens und Vergehens. Ihr dagegen trachtet danach, euch alles zu nehmen, was in der Erde ist, ohne den ewigen Kreis zu achten. Deshalb erinnern sich auch nur die allerwenigsten von euch an bereits gelebte Leben, wenn sie aus Gnade der hohen Mächte wiedergeboren werden."

"Der ewige Kreis? Ah, auch den König der Löwen geguckt, wie?" fragte Takeshi. "Aber da geht's um Leben und den Erhalt von bestehendem", schickte er noch nach. "Ja, wie bei mir und meinen Schwestern", erwiderte die telepathische Stimme der riesigen Geisterfrau. "Und jetzt ist genug. Der Tag oder die Nacht wird kommen, wo ich mir den trotzigen Geist meines mörderischen Sohnes einverleiben werde und dich dazu. Dann wird dein Geist in mir aufgehen, während der Undankbare die restliche Zeit bis zum letzten Auflodern der Sonne handlungsunfähig in meinem Inneren gefangensein wird. Ich hätte ihn damals nicht in diese Welt zurückgebären dürfen. Den alten Fehler werde ich berichtigen, wenn auch nur eine der Grenzen schwindet, die mich noch von euch fernhalten. Hoffe auf diese Stunde. Denn dann wird dein armseliges Dasein enden."

"Und wenn dein durchgeknallter Dämonensohn es doch schafft, meine Mutter und meine Schwestern zu töten?" fragte Takeshi irgendwie dreist, denn genau das wollte er ja auch nicht.

"Frage nicht nach Dingen, die du selbst nicht wissen willst, Knabe", erwiderte die Gedankenstimme aus der Ferne mit hörbarer Verärgerung. Takeshi meinte daraus zu hören, dass die Geisterfrau dann überhaupt keine Möglichkeit mehr haben würde, sich den Geist ihres eigenen Sohnes einzuverleiben, weil der dann zu mächtig für sie sein würde. Takeshi dachte dabei, dass er dann womöglich wie vom dunklen Wächter angedroht mit seinen Blutsverwandten über den Fluss ohne Wiederkehr übersetzen und in den dunklen Ländereien Yomis verschwinden würde. Was war das kleinere Übel?

Erst einmal bekam Takeshi mit, wie der dunkle Wächter weitere scheinbar harmlose Tiere mit seinem Höllenschwert tötete, um deren Körper danach als brennende Tierzombies wiederauferstehen zu lassen. Mittlerweile hatte er in ganz Japan solche Dämonendiener erzeugt. "In drei Tagen werde ich deinen lebenden Artgenossen verkünden, dass sie nicht mehr lange leben werden, wenn sie mir nicht die fehlenden Träger deines Blutes ausliefern", hörte Takeshi die Gedankenstimme des dunklen Wächters. Der seines Körpers beraubte Junge antwortete ihm, dass er dann wohl alle Menschen des Landes umbringen musste. Doch anders als seine riesenhafte Geistermutter verstand ihn der dunkle Wächter nicht oder zeigte mit keiner Gedankenregung, dass er ihn verstanden hatte.

"Mein Stab, mein Herrscherstab über Licht und Schatten, hör die Stimme deines Herrn und Schöpfers!" Beschwor der dunkle Wächter einmal mehr. Wieder glühte sein schwarzmagisches Schwert und blinkte rot wie eine Verkehrsampel mit Wackelkontakt. "Mein Geist ruft meinen Geist im Stab meiner Herrschaft. Wo bist du?!"

"Wenn es den Stab noch gibt ist der garantiert ganz weit weg, dass du den mit deinem verwünschten Schwert nicht mehr rufen kannst", dachte Takeshi Tanaka. Doch wieder war es so, dass der dunkle Wächter ihn nicht verstand. Auch die Geisterfrau, die sich als erste von zwanzig Schwestern ausgegeben hatte, antwortete ihm nicht. Mochte es sein, dass sie nur tagsüber Kraft hatte. Oder war es eher so, dass die eigene Ausstrahlung von Schwert und dunklem Wächter bei Nacht so stark war, dass sie alles andere überlagerte, auch Gedankenrufe Takeshis an ihn? Immerhin spürte er ihn offenbar noch. Denn zwischendurch sah er sich um. Takeshi empfand große Beklommenheit, wenn er den Hass in den Augen sah, die eigentlich seine eigenen Augen waren.

"Flammende Diener, so hört meine Worte! So sammelt euch alle am genannten Orte! Bis mein Ruf euch zu mir zwingt, und durch euch den Sieg mir bringt", sprach der dunkle Wächter und hob sein Schwert. Es glühte sonnenaufgangsrot auf. Die aus den Körpern der verwandelten Tiere züngelnden Flammen wuchsen an. Dann verschwanden die Tiere mit leisem Fauchen im Nichts. Diesen Zauber hatte der dunkle Wächter jetzt schon mehr als dreißigmal ausgeführt, dachte Takeshi. Dieser Dämon sammelte seine neue Gefolgschaft an verschiedenen Orten der vielen Inseln Japans. Brauchte er sie, konnte er sie mit der Kraft des Schwertes zu sich hinrufen. Doch dafür musste er dem Schwert das Blut von lebendenWesen geben, als müsse er es füttern. Daher war es dem Entkörperten mulmig, wenn er daran dachte, dass der dunkle Wächter gleich wieder in irgendeine Stadt teleportieren und dort relativ junge Leute umbringen würde. Tatsächlich machte der in Takeshis Körper hausende Unheilsgeist wieder den Wirbelzauber, der einen Feuerstrudel hervorrief und den dunklenWächter und den an seinen Körper gebundenen Geist davonriss. Takeshi dachte einen Moment, dass er, falls er einmal ganz weit von seinem Körper fort war, den Feuersprung nicht mitbekommen und dann endgültig von seinemKörper losgerissen werden würde. Doch solange er den sah wurde er immer hinter ihm hergezogen.

Wie schon mehrmals miterlebt suchte der dunkle Wächter eines der Unterweltviertel von Kyoto, Tokio oder Yokohama auf, um dort wie der englische Serienmörder Jack The Ripper jungen Straßenmädchen aufzulauern und sie in dunklen Ecken mit dem Schwert aufzuschlitzen. Takeshi fragte sich, ob die hier herrschenden Verbrecherbanden, ganz vorne weg die Clans der Yakuza nicht langsam mitbekommen hatten, dass in Japan ein irrsinniger Hurenmörder umging, der ihnen die Gewinngrundlage streitigmachte. Einmal rammte der wiederverkörperte Dämon sein Schwert in den Asphalt, weil es bei der rituellen Ermordung einer Straßendirne nicht blutrot, sondern violett-blau geflimmert hatte. "Dieses Zeug verdirbt die Kraft ihres Blutes", hörte Takeshi den dunklen Wächter grummeln. Jetzt begriff er. Offenbar durfte das Schwert nur mit unverfälschtem Blut getränkt werden. Nahm jemand Rauschgift zu sich gelang der Zauber nicht so wie gewünscht. Dann bekam Takeshi die Antwort auf die gerade noch bedachte Frage.

Fünf Männer stürmten aus dem Eingang eines jener Häuser, in die sich die Straßenmädchen mit ihren Freiern zurückzogen, um dort ihre Dienste zu leisten. Takeshi fühlte sofort die Mordlust und den Hass in den Seelen der herankommenden. Auch sah er im schwachen Widerschein der spärlichen Straßenbeleuchtung, dass vier der Männer nur neun Finger hatten. Also stimmte das Klischee doch, dass sich Angehörige der Yakuza zum Beweis ihrer unverbrüchlichen Treue und Todesverachtung auf Befehl ihres Clanchefs einen Finger abschneiden mussten, woran sie dann natürlich zu erkennen waren, wenn jemand nach derartig amputierten Leuten suchte. Doch mit den vollständig befingerten Händen hielten die fünf Pistolen und mit den verstümmelten Händen hielten sie Baseballschläger oder Haumesser.

"Haben wir dich endlich erwischt, du Wurm. Jetzt zahlst du für jede Frau, die du dem Meister weggenommen hast", sagte einer der fünf.

"Ich höre, rieche und schmecke euren Hass. Wohl habe ich ihn mir verdient", sagte der dunkle Wächter. Die fünf anderen sahen ihn an. Die konnten nicht verstehen, dass ein gerade mal fünfzehn oder sechzehn Jahre alter Bursche mehr als dreißig Spielfrauen ermordet hatte und auch diese eindeutige böse Ausstrahlung hatte. "Such's dir aus: Sieb, Sushi oder Muß", knurrte einer der fünf. Da hob der dunkle Wächter das Schwert. Es glühte weiß auf. "Bratenfleisch!" knurrte der. Dann war der ganze Straßenzug plötzlich von weißblauen Flammen erfüllt. Die fünf Männer feuerten noch ihre Waffen ab. Doch die Kugeln wurden von dem glühenden Schwert angezogen und dann in alle Richtungen davongeschleudert. Gleichzeitig verbrannten die fünf niederen Yakuzas im heraufbeschworenen Feuer bis auf kohlschwarze Knochengerüste. "Eure Schädel sind jetzt mein!" knurrte der dunkle Wächter, senkte die Waffe und trennte jedem der schwarzen Skelette die Köpfe von den Halswirbeln. Laut lachend zog er die erbeuteten Schädel auf eine lange Schnur, die er bei sich trug. Er schlang sich die Schnur um den Leib und knotete sie fest. Da erschienen leise ploppend sechs weitere Männer aus dem nichts. Das waren eindeutig Zauberer, wie an den altmodischen Gewändern und den bereitgehaltenen Zauberstäben zu erkennen war. Aus den Zauberstäben sprühte sonnengelbes Licht. Gleichzeitig hoben vier der sechs goldene Schilde an und schritten auf den dunklen Schwertkämpfer zu.

"Dunkler Wächter, dein Weg ist hier zu Ende. Dein Todesfeuer war ein Zauber zu viel", sagte einer der Zauberer.

"Ach, seid ihr auch schon da, ihr Sonnenanbeter?" fragte der dunkle Wächter mit Takeshis Stimme.

"In den Städten wirken unsichtbare Späherzauber. Du hättest nicht diesen Feuerzauber auf diese armen Männer schleudern dürfen. Das war der eine zu viel. Verschwinden kannst du auch nicht mehr. Wir haben das große Zelt der Ungestörtheit und Unentrinnbarkeit errichtet. Also leg dein Schwert ab oder erfahre, wie du in dem Körper, der nicht der deine ist, einen zweiten Tod stirbst."

"Und wenn ich mir das Schwert wieder in den Leib ramme wie damals, als ich mit eurem Haufen von unterwürfigen Befehlsempfängern schon mal zu tunhatte?"

"Wird es uns auch wieder in die Hände fallen, und wir werden mehr Sorgfaltüben, es unschädlich zu verwahren", sagte der Anführer der Männer. In der Ferne erklang die Sirene eines Polizeiwagens. Takeshis Geist wollte nachsehen, ob die Polizei hierherkam und schwebte einige Meter entfernt. Da meinte er, gegen eine nur leicht nachgebende, feste Wand zu stoßen, die ihm, obwohl er nichts körperliches mehr fühlen konnte, ein wildes Kribbeln durch den nichtstofflichen Körper jagte. Also stimmte das wohl mit der Unentrinnbarkeit. Dann mochte auch der dunkle Wächter nicht entkommen, wenn er sich selbst tötete.

"Ich denke, wir haben nicht viel Zeit", schnarrte der dunkle Wächter. Dann beschwor er noch einmal die weißen Todesflammen herauf. Doch die Männer wurden sofort von sonnengoldenen Lichterscheinungen umhüllt, die wie Rüstungen aus Licht wirkten. "Die Kraft der geraubten Leben wird nicht ewig halten", sagte der Anführer der sechs Männer.

"Länger als eure aus der Sonne herausgemolkene Kraft gegen mein zerstörerisches Feuer. Es ist Nacht, meine Zeit, nicht eure", sagte der dunkle Wächter. Doch seine Flammen wurden bereits schwächer. Dann wurde er auf einmal schneller als eine flüchtende Ratte. Er hieb mit dem laut singend durch die Luft sausendem Schwert gegen die golden glühenden Schilde. Mit einem gongartigen Klong prallte das Schwert von einem der Schilde ab. Doch der Schild flackerte heftig. Das sah auch der dunkle Wächter. Noch ehe die anderen erkannten, dass er sich gerade auf ein vielfaches der eigenen Geschwindigkeit beschleunigt hatte hieb er noch einmal gegen den Schild - und zertrümmerte diesen mit lautem Scheppern. Die Klinge hatte sogar noch soviel Schwung, dass sie auf die goldene Lichtrüstung prallte und diese zerstob. Da griffen die fünf anderen an. Offenbar hatten auch sie sich mit Beschleunigungszaubern belegt. Und Takeshis Geist wurde ebenfalls in diesenZauber mit einbezogen. Denn das heranjagende Aufheulen der Polizeisirenen fiel schlagartig um mindestens drei Oktaven ab und wurde zu einem in einzelne Knatterlaute zerlegtem Hintergrundgebrumm.

Eigentlich konnte der dunkle Wächter diesen Kampf nicht gewinnen", erkannte Takeshi. Denn vier der sechs Männer hielten ihm ihre Schilde entgegen. Zwei von ihnen traten einige Schritte zurück und nahmen glitzernde Bögen von den Schultern. Takeshi bangte, dass sein Körper gleich endgültig sterben würde, nur um dem darin eingenisteten Dämon den Garaus zu machen. Dann würde er gleich ans Ufer des Flusses ohne Wiederkehr reisen oder in das helle Licht, von dem einige angeblich mal tote Leute erzählt hatten.

"Ihr Feiglinge wollt mich erschießen!" rief der dunkle Wächter, als er sah, wie die zwei Bogenschützen ebenso glitzernde Pfeile auf die glänzenden Sehnen legten.

"Von wollen kann nicht die Rede sein, dunkler Wächter. Aber wir werden es tun, wenn du dich nicht ergibst. Wie du schon erspürt hast umgibt uns das Zelt der Ungestörtheit und Unentrinnbarkeit, ein mächtiger Zauber, der nach dem Tod deines einstigen Herren, dem Herrn vom schwarzen Berg, erdacht und verwirklicht wurde", sagte der Sprecher der kleinen Truppe, und seine Worte hallten als sehr nahe klare Echos von den Häuserwänden wider, als stünden die mehr als hundert Meter voneinander entfernt. Dabei waren es nur zehn Meter. Takeshi begriff, dass der Beschleunigungszauber sich auch auf das natürliche Hörempfinden auswirkte und der Schall scheinbar nur ein Zehntel so schnell war wie sonst. Ob das auch für das Lichtempfinden galt konnte Takeshis Geist nicht erkennen, da die ganze Straße vom goldenen und weißen Zauberlicht erfüllt war. Ein Gedanke von ihm ließ ihn nach oben blicken, wo er das schwach golden flimmernde Kuppelzelt erkannte, das über eine sich langsam drehende Säule mit dem Boden verbunden war. Offenbar wusste der dunkle Wächter, dass er durch einen Freitod nicht entkommen würde. Doch aufgeben wollte er auch nicht. Seine hohe Eigengeschwindigkeit brachte ihm jetzt auch nichts, weil seine Gegner sich ebenfalls beschleunigt hatten. So blieb nur die Flucht nach vorne ... oder?

Der dunkle Wächter führte einen selbst für die beschleunigten Gegner sehr schnellen Schlag aus. Die vier, die ihm am nächsten standen stießen ihre Schilde vor, um den Hieb zu parieren. Doch der Schwertschlag traf den asphaltierten Bürgersteig und zog laut zischend eine qualmende Furche hinein. Der Qualm entzündete sich mit einem lauten Wuff. Takeshi ahnte, dass der Dämon in seinem Körper denselben gemeinen Zauber brachte wie in der Wohnung seiner Eltern. Er lud das Feuer mit dunkler Kraft auf. "Dagegen könnt ihr nichts machen!" rief der dunkle Wächter, als er um sich herum einen Kreis aus hell loderndem Teergasfeuer entfacht hatte. Einer der Bogenschützen schaffte es noch, einen Pfeil auf ihn abzuschießen, der im Flug sonnenhell aufleuchtete. Der dunkle Wächter hielt dem Geschoss sein nun weißglühendes Schwert entgegen und fing es damit ab. Laut knallend zerbarst der abgewehrte Pfeil in viele goldene Funken. Dann stand der ganze Straßenzug wieder in Flammen. Diesmal war es nicht nur magisches Feuer, das feindliche Wesen alleine verbrannte, sondern zur Zündtemperatur aufgeheizter Teer. Dieser Dämon konnte wohl das Feuer aus der christlichen Hölle selbst beschwören wie der gehörnte Oberteufel Satanpersönlich. Offenbar mussten das auch die sechs nun in massiven, aber unbeweglichen Rüstungen aus reinem Licht stehenden Männer erkennen.

"Das habt ihr jetzt von eurem zelt der Unentrinnbarkeit. Auch könnt ihr nicht den Weg der schnellen Wünsche gehen, weil ihr dazu erst mal wieder eure angeborene Eigengeschwindigkeit annehmen müsst. Tja, und eure Rüstungen werden nicht mehr lange halten. Wenn ihr euch bewegt, zerfließen sie. Bleibt ihr stehen, habt ihr vielleicht noch einige Dutzend Atemzüge zu leben, bevor sie ihre Kraft verlieren. Aber wo ihr so schön anbietend dasteht", sagte der dunkle Wächter, schritt ohne Angst vor den um ihn lodernden Flammen vorwärts, griff mit der freien Hand nach dem Arm eines Gegners. Der zog diesen schnell weg. Doch dabei geschah genau das, was der Dämon in Takeshis Körper vorausgesagt hatte. Die Abschirmung aus goldenem Licht flackerte und zerfloss. Doch gerade so bekam der dunkle Wächter noch den bereitgehaltenen Zauberstab zu fassen und zog ihn, selbst vor den Flammen sicher, zu sich heran. "Den behalte ich, bis ich meinen ganz eigenen Stab zurückbekomme", knurrte der Dunkle Wächter. Da flackerte die goldene Kuppel. Das Zelt der Unentrinnbarkeit zerfiel zu goldenen Schlieren und verschwand. Der dunkle Wächter lachte lauthals auf. Dann hob er sein immer noch glühendes Schwert an und kreiselte damit herum. Der bereits häufig beschworene Feuerstrudel erschien und schluckte den Körperräuber. Takeshis Geist fühlte, wie er erneut hinter dem dunklen Wächter hergezogen wurde. Zurück blieb ein brennendes Stück Straße und die nun selbst in Brand geratenden Häuserwände.

Der Feuerstrudel wirbelte einige Sekunden um Takeshis voneinander getrennten Körper und Geist. Dann waren sie wieder in jenem Kellerraum, den sich der dunkle Wächter als Versteck ausgesucht hatte. Da dieser Zauber nicht nachverfolgbar war konnten sie ihn hier nicht mehr finden, wenn er nicht so dumm war, noch einen großen Feuerzauber anzuwenden, wusste Takeshis Geist von den bisherigen Feuerstrudeln.

"Ach nein, Pfirsichbaumholz mit der Schwanzfeder eines Wiederkehrvogels. Auch gut für einen Feuerlenker", dachte der dunkle Wächter und untersuchte den erbeuteten Zauberstab. "Wenn ich die letzten Bluterbinnen Taikis getötet und mich von diesem unfähigen Geist in meinem Schatten befreit habe kann ich diesen Stab zu meinem ganz eigenen Stab machen. Dann finde ich hoffentlich auch den wieder, der mein wahrer Herrscherstab ist", hörte Takeshi den Räuber seines Körpers denken. Darauf antworten wollte er nicht, zumal er wusste, dass der dunkle Wächter ihn eh nicht beachtete.

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Fudo Fujimori besann sich als erster, den Zehn-in-Eins-Zauber zu beenden, nachdem das Zelt der Unentrinnbarkeit durch den Wegfall einer Zauberkraftquelle zerfallen war. Soviel dazu, dass diesem Zauber keiner entkam", dachte er. Dann rief er gegen die um ihn tosenden Flammen den Zauber "Gnade der Amaterasu" auf. Sonnengelbes Licht leuchtete aus seinem Zauberstab und fiel auf die Flammenzungen. Diese lösten sich vom Bodenund schossen wie kinderkopfgroße Feuerkugeln in den Himmel hinauf. Zwar dauerte es nachts länger, ein Feuer auf diese Art zu löschen und ging auch nur unter freiem Himmel, aber er schaffte es, das Teerfeuer in scheinbar harmlose Leuchtkugeln zu verwandeln. Seine noch mit eigenen Zauberstäben ausgerüsteten Kollegen erkannten wohl, was Fujimori tat und ahmten seinen Zauber nach. Nun konnten sie innerhalb von einer Minute alle lodernden Flammen in Opfergaben an die Sonnengöttin verwandeln. Zumindest wurde der Zauber immer so umschrieben, dass Amaterasu die unerwünschten Flammen an sich nahm, dass sie keinen weiteren Schaden anrichten konnten. Doch der Schaden war bereits erheblich. Der Abschnitt der Straße, der von dem Zelt der Unentrinnbarkeit umgeben gewesen war, war eine brodelnde, zerkraterte Dämonenlandschaft. Doch wenigstens konnten die Mitstreiter nun wieder frei umhergehen.

"Für die Akten, das Zelt der Unentrinnbarkeit taugt nichts gegen einen, der die Erde dazu bringt, Feuer aus ihrem Leib zu gebären wie die Urmutter einst den Kagutsuchi aus sich heraus gebar", knurrte der Truppenführer, der nicht wusste, ob er Fujimori jetzt zu seinem Eifer beglückwünschen oder seine Handlung als selbstverständliche Pflichterfüllung werten sollte.

"Wir wissen wirklich noch zu wenig über dieses Schwert, und er hat Nakamotos Zauberstab gestohlen. Jetzt ..." sagte Fujimori. Dann sahen sie, dass der Mitstreiter Nakamoto einen zum kohlschwarzen Skelettarm verbrannten rechten Arm hatte. Doch Nakamoto gab keinen Schmerzenslaut von sich und sah auch nicht danach aus, als erleide er unsägliche Qualen. Er versuchte den Arm zu bewegen. Doch das gelang nicht so wie sonst, weil die dafür nötigen Muskeln fehlten. "Verwünschter Hanyo. Er hat mir den Arm verstümmelt", knurrte Nakamoto. Fujimori fragte sich, wieso der zwanzig Jahre ältere Mitstreiter keinen Schmerz empfand. Dann sah er, dass dieser noch einen gold aufleuchtenden Schild in der Hand hielt.

"Wir bringen dich ins Haus der Heilung und Erholung, Mitstreiter Nakamoto. Solange du den Schild der Sonnengöttin hältst spürst du vom Feuer keinen Schmerz", sagte der Truppenführer und leitete mit wenigen Handbewegungen alle seine Leute an, sich um ihn und Nakamoto zu versammeln. Dann sagte er: "Der Not gebot trägt uns in Eile, zu suchen nach dem schnellen Heile!" Da strahlte erst sein auf dem Brustteil prangendes Sonnensymbol hellrot auf, und alle anderen Sonnensymbole erglühten in gleicher Weise. Um sie herum entstand eine sonnenaufgangsfarbene Lichtkugel, in der sie nun alle davongetragen wurden. Für Außenstehende sah es so aus, als würde die Lichtkugel erst abheben und dann mit lautemKnall im Nichts verschwinden.

im Haus der Heilung und Erholung wurde Nakamoto sofort von vier eifrigen Heilerinnen umsorgt. Leider konnten sie wegen des magisch angereicherten Feuers keine Wiederverfleischung des Armes herbeiführen. Doch Nakamoto würde einen brauchbaren Hand- und Armersatz erhalten, der nach wenigen Tagen Übung wie ein natürlich gewachsener Arm zu gebrauchen war.

Andere Hände Amaterasus behoben den Brandschaden und sorgten mit den silbern aufblitzendenErinnerungsauffüllern für die Vorstellung, dass es in der Straße von Yokohama zu einer Schießerei zwischen einer gewöhnlichen Straßenbande und den für das Vergnügungsviertel verantwortlichen Untergebenen des hier vorherrschenden Clans gekommen sei.

"Kazeyama, der Lenker der handelnden Hände und Mitglied des hohen Rates der Hände Amaterasus, berief noch in dieser Nacht eine weitere Vollversammlung seiner Mitstreiter ein, bei der auch der Hüter des Hauses der Heilung und Erholung und der Verbindungszauberer zu Minister Takahara anwesend waren.

"Sein Schwert ist wahrlich viel stärker geworden als unsere Vorkämpfer es damals erkannten. Es kann mittlerweile auch die Schilde der Sonnengöttin zerschlagen. Und diese Feuersbrunst lähmt unsere Eigenbewegungen. Mitstreiter Ren Nakamoto verlor seinen Zauberstabarm, weil er noch versuchte, den Raub seines Zauberstabes zu verhindern. Ob er je wieder in die zaubernden Truppen eingegliedert werden kann liegt in den Händen der Heiler." Der für die Heiler des Ordens zuständige hohe Rat bejahte dies und merkte an, dass die Erfahrungen mit den Eisendienern helfen mochten, die Zauberfähigkeiten Nakamotos entweder wiederherzustellen oder gleichwertig zu ersetzen. Er erwähnte in dem Zusammenhang, dass in Europa und den amerikanischen Staaten sehr große Erfolge bei der Anfertigung von künstlichen Armen gemacht wurden und an diese und ihre Träger angepasste Zauberstäbe gefertigt werden konnten. Abgesehen davon konnte Nakamoto im Falle, dass ihm kein passender Zauberstab gemacht werden konnte, entsprechende Anwendungen in seinen neuen Arm einfügen lassen, die ihm eine brauchbare Abwehrkraft verliehen. Notfalls konnten die Hände Amaterasus auch mit der linken Hand zaubern, auch wenn das Ausführen wichtiger Handlungen mit der linken Hand in weiten Teilen Asiens verpöhnt war. Doch für genau einen Fall wie diesen übten sich die handelnden Hände auch im Zaubern mit links oder gar dem Führen von zwei Zauberstäben gleichzeitig.

"Warum bringt der dunkle Wächter diese armen Spielmädchen um? Hängt er der Vorstellung an, dass ihre Leiber und Seelen so verdorben sind, dass sein Schwert davon gestärkt wird?" wurde Kazeyama gefragt.

"Sie sind für ihn verfügbarer als solche Frauen, die nicht ihre Körper gegen Geld preisgeben", sagte Kazeyama. "Doch vielleicht ist das nichteheliche Beilager für den dunklen Wächter auch sowas wie ein Kraftverstärker."

"Ich hörte, dass die Mitstreiterin Izanami Kanisaga ein Schwert aus der Fertigung ihrer Vorfahren besitzt, dass ebenfalls Feuerkräfte entfalten kann. Warum war sie nicht bei dem Einsatz dabei?" fragte Takayama. Kazeyama sagte schnell: "Weil sie mit anderen Truppen gerade dabei ist, die brennenden Wiedergänger zu jagen, die der dunkle Wächter erschafft. Wir müssen davon ausgehen, dass er sie bald gegen uns alle einsetzen wird." Takayama nickte. Das war leider auch zu wichtig, als diese Mitstreiterin gegen den Wächter selbst kämpfen zu lassen. Doch dann sagte er: "Sollte der dunkle Wächter einmal mehr von uns geortet und gestellt werden, so soll die Mitstreiterin Kanisaga unverzüglich zu den dorthin befohlenen Streitern eilen."

"Die Schwäche mit den Rüstungen bei dessen Feuerzaubern ist sehr unangenehm, Takayamasan", sagte Kazeyama. "Vielleicht sollten wir bei der nächsten Erfassung dieses Unholdes keine unentbehrlichen Menschenseelen opfern. Er will uns mit einer Streitmacht aus brennenden Widergängern niederkämpfen. So dürfen wir ihm ohne Angst vor dem Verlust unserer Ehre auch unsere eisernen Krieger und die wachenden Geister der vorausgegangenen entgegenschicken."

"Das könnte richtig sein. Die Eisernen werden im verdichteten Feuer aus dem Licht der Sonne selbst geschmiedet und sind somit gegen irdische Feuer gefeit. Doch sie können keinen schnellen Weg der Wünsche gehen und auch nur die ihnen eingeprägten Befehle befolgen und nicht selbst entscheiden. Dass die Geister der verbliebenen Krieger dem Schwert unterworfen werden können sollte mittlerweile jeder hier mitbekommen haben", sagte Takayama. Die anderen bejahten es verdrossen.

"So bleibt diese meine Anweisung aufrecht: Die Mitstreiterin Kanisaga soll dort hineilen, wo der dunkle Wächter selbst gefunden wird. Die Eisendiener können wir mit den von den Europäern als Portschlüssel bezeichneten Gegenständen schneller Reisen behängen und sie zu ihm schicken. Können sie ihm widerstehen sollen sie den von ihm besetzten Körper entweder kampfunfähig machen oder vernichten, so dass sein böser Geist ihn verlassen und in sein Schwert zurückkehren muss. Da die Eisendiener nicht dem Lied des Schwertes unterworfen sind können sie es dann in eine mit Mondblei überzogene Kiste stecken und den lautlosen Ruf der Heimholung ausstoßen. Die Anweiser der Eisernen solleln mindestens fünfzig der Gruppe großer Krieger dahingehend vorbereiten."

"Ich habe den Gastkörper des dunklenWächters gesehen, verehrte Räte und Mitstreiter. Das ist noch ein halber Knabe. Vielleicht können unsere Geisterkundigen die aus dem Leib verstoßene Seele in die rechtmäßige Hülle zurückbeschwören, wenn es gelingt, den Wächter aus dem Körper zu vertreiben", sagte Fujimori. Der Hüter der Heilung stimmte ihm wortlos zu.

"Und was, wenn der dunkle Wächter den Geist des Jungen schon vertilgt hat und dieser ein Teil von ihm selbst wurde?" wollte Kazeyama wissen. "Davon müssen wir nämlich ausgehen. Also, Rat Takayamasan ..."

"Ich werde die heutige Beratung dem kaiserlichen Oberhofzauberer und höchst ehrenwerten Minister für Zauberei und Zauberwesen mitteilen. Er soll darüber befinden, was mit dem Körper des Jungen zu geschehen hat", sagte Takayama. Diese Aussage brachte jedoch die hier versammelten, bisher in Ruhe ausharrenden Hände Amaterasus in Aufruhr. Denn dass einer der hohen Räte die Anweisung des Zaubereiministers abwarten und sich ausdrücklich auch daran halten wollte widersprach den seit fünfhundert Jahren geltenden Rechten des Ordens. Denn durch das ständige Kommen und Gehen im Kaiserpalast hatten sich die Hände Amaterasus zu einer vom Oberhofzauberer größtenteils unabhängigen Gemeinschaft entwickelt. Doch nun sah alles danach aus, als wolle Takahara den Orden auflösen und dessen hohen Räte wollten dem kampflos zustimmen. Die meisten hier versammelten waren deshalb in den Orden eingetreten, um nach klaren, jahrhundertealten Grundsätzen zu leben und zu handeln und nicht immer der Meinung und Handlungsstärke des amtierenden Oberhofzauberers ausgeliefert zu sein.

"Heißt das, der hoch ehrenwerte Orden ist so gut wie aufgelöst?" war eine der vielen Fragen, die nun aus der Versammlung drangen. Die drei hohen Räte mussten mehrmals das Wort "Aufmerksamkeit" rufen, was gleichbedeutend war mit Stillschweigen, solange niemandem von einem der Räte das Wort erteilt wurde. Erst dann gehorchten die hier versammelten, sahen ihre hohen Räte jedoch sehr argwöhnisch an.

"Sicher fürchten viele von euch, dass der Orden bereits alle Eigenständigkeit, alle Macht und wie stattliche Bäume über Jahrhunderte gewachsenen Rechte verloren hat, weil es uns nicht gelang, das Schwert des dunklen Wächters festzuhalten. Doch noch hat Takahara keine Entscheidung darüber gefällt, ob wir als eigenständiger Orden fortbestehen dürfen oder nicht. Sicher gibt es in Takaharas Gefolge Begehrlichkeiten, was unsere Kenntnisse und Besitztümer angeht", sagte Takayama. "Doch noch überwiegt das Wissen um die lange und siegreiche Geschichte dieses Ordens die Rufe nach Auflösung. Doch haben wir eine große Schuld abzutragen, die all die Errungenschaften verblassen macht. Jeder Mensch, der durch das Schwert des dunklen Wächters stirbt, erhöht die Anzahl jener, die nach der Auflösung unseres Ordens rufen. Daher ist es ratsam die Verantwortung für das weitere Vorgehen mit Takaharasan zu teilen, damit er nicht am Ende behaupten kann, wir hätten gegen seine Empfehlungen gehandelt und daher jedes Recht auf Fortbestand unseres Ordens verwirgt. Ich will ihn dazu bringen, mit uns gemeinsam zu handeln statt gegen uns aufgebracht zu sein. Deshalb habe ich diese Entscheidung getroffen. Wir haben gerade noch einen halben Kalendermonat zeit, uns zu beweisen und den dunklen Wächter zu besiegen, bevor seine bösen Taten nicht nur unseren Orden, sondern das halbe Land auslöschen. Bitte begreift dies, nicht als Schwächeeingeständnis vor Takahara, sondern als ausgestreckte Hand, um den Frieden in der Zauberergemeinschaft zu retten."

"Was bitte ist daran nicht zu verstehen, dass Ihr das weitere Handeln von Takahara bestimmen lassen wollt, hoher Rat Takayamasan?" fragte ein weiterer Mitstreiter. Takayama antwortete:

"Das er uns eben die Möglichkeit gibt, den dunklen Wächter zu besiegen und ..."

Die südliche der vier Zugangstüren ging auf, und zehn weitere handelnde Hände traten ein, darunter auch Izanami Kanisaga. "So konntet ihr obsiegen?" fragte Kazeyama, nachdem die Nachzügler sich bei allen Anwesenden für die späte Ankunft entschuldigt hatten. Izanami durfte sprechen.

"Es erwies sich, dass das mir vererbte Schwert Kurayami de o Kaminari mit den bedauernswerten Dienern des dunklen Wächters fertig wird. Die mich begleitenden Mitstreiter konnten uns alle gegen den Ansturm von über zweihundert brennendenRatten abschirmen, während ich die bedauernswerten Geschöpfe eines nach dem anderen mit dem Schwert zerschlug", sagte Izanami und deutete auf die Schwertscheide auf ihrem Rücken, worin ihr magisches Katana steckte.

"Dann würdest du dich auch nicht scheuen, gegen den dunklen Wächter und das Schwert Ryu no Kiba no Tsurugi anzutreten?" fragte Kazeyama. Izanami sah ihn entschlossen an. "Ja, hoch ehrenwerter Lenker der handelnden Hände, ich bin bereit, mit meinem Schwert gegen den Wiederverkörperten anzutreten, wenn mir gesagt wird, wo er sich aufhält. Dass er nicht dazukam als wir gegen seine brennenden Geschöpfe kämpften erstaunt mich selbst."

"Er hat vor nicht einmal einer Stunde gegen uns in Yokohama gekämpft, und konnte sich nur durch die Flucht der Niederlage entziehen", sagte der Leiter der betreffenden Einsatzgruppe. Izanami erbat von den hier versammelten hohen Räten das Recht, genau über diesen Zusammenstoß in Kenntnis gesetzt zu werden. Dieses Recht wurde ihr gewährt. Danach herrschte völlige Aufmerksamkeit.

Für mindestens zwei Minuten sagte niemand hier ein Wort. Alle sahen Izanami an. Dann sagte diese: "So bekräftige ich meine Bereitschaft, gegen den zum körperraubenden Dämon gewordenen Zauberer auf dunklen Pfaden zu kämpfen, wenn mir gesagt wird, wo er sich aufhält." Alle hier wussten, dass ihr Schwert nur in ihren Händen seine volle Kraft entfalten konnte, weil sie dieses sonst wohl schon längst dem Hüter der Ausrüstung und Vermögenswerte hätte überlassen müssen.

"Und bist du auch bereit, in Begleitung dafür auserwählter und angewisener Eisendiener gegen den dunklen Wächter zu kämpfen?" fragte Takayama die Besitzerin des magischen Katanas.

"Wenn diese schneller vorbereitet und mit umfangreichen Handlungsmöglichkeiten versehen sind auch das, hoch ehrenwerter Rat Takayamasan", bejahte Izanami Kanisaga.

"So werde ich diese unsere Vorgehensweise dem Boten des Ministers für Zauberei und Zauberwesen mitteilen, damit er weiß, was wir vorhaben", sagte Takayama.

Izanami ließ sich nicht anmerken, wie sie das fand. Doch viele hier wussten, dass sie ähnlich wie die meisten anderen keine Handlangerin des Zaubereiministers sein wollte. Doch ebenso wussten viele, dass sie in letzter Abfolge der nötigen Handlungen auch dem Zaubereiminister dienten, egal ob es gegen den dunklen Wächter oder gegen andere Bedrohungen ging.

"Dann bitte ich meine hoch verehrten Miträte, die Botschaft an Minister Takahara weiterzugeben", sagte Takayama. Kazeyama und die anderen hohen Räte gestatteten ihm, die Besprechung zu verlassen. Nicht, dass er diese Erlaubnis nötig hatte. Doch es war respektvoller, eine laufende Besprechung nur dann zu verlassen, wenn die Anwesenden im Falle eines unaufschiebbaren körperlichen Drängens oder eines anstehenden, bereits beschlossenen Gesprächszeitpunktes um Erlaubnis zum Gehen baten.

Als Takayama fort war teilte Kazeyama die Einsatztruppen neu ein. wie abgestimmt sollte ein Trupp Eisendiener vorbereitet werden, mit dem Izanami dann gegen den dunklen Wächter vorrücken wollte.

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23.08.2004

Ninigi Takahara sah den Boten an, der mit angesengter Kleidung und bandagierten Händen vor ihn getreten war, um ihm die längst befürchtete Botschaft des dunklen Wächters zu überbringen. Eine brennende Schwalbe hatte den Ministeriumsboten aufgesucht und ein wohl gegen Feuerschäden bezaubertes Pergament übergeben.

"Und es war dir nicht möglich, den brennenden Botenvogel aufzuhalten?" fragte der höchst ehrenwerte kaiserliche Oberhofzauberer und kaiserliche Minister für Zauberei und Zauberwesen. Der Bote verneinte es. "Diese Brennenden unnatürlich wiederbelebten Tiere können sich viermal so schnell bewegen wie natürlich belebte Tiere."

"Was sie zu vollendeten, lenkbaren Angriffswaffen macht", grummelte Ninigi Takahara. Dann bedankte er sich bei dem Nachrichtenboten für die überbrachte Mitteilung und riet ihm, seine Wunden heilen zu lassen und sich unversehrte Kleidung anzuziehen, um bei neuen Botengängen nicht so niedergekämpft auszusehen.

Als der Bote dankbar das Amtszimmer des japanischen Zaubereiministers verließ prüfte dieser den Brief auf versteckte Flüche. Doch außer, dass er wohl gegen Feuerschäden bezaubert war, enthielt der Brief keinen verräterischen Zauber. So konnte Ninigi Takahara ihn ohne Sorge vor einer tückischen Falle lesen.

Liefert mir bis morgen zur Mitternachtsstunde die drei letzten Angehörigen des magielosen Jünglings Takeshi Tanaka aus. Verbringt sie in die Ebene der wispernden Gräser. Ihr wisst ja, wo das ist. Ebenso fordere ich die Rückgabe des meinem ersten Körper gestohlenen Stabes von silbergrauer Färbung. Erhalte ich dies alles nicht zu meiner bedingungslosenVerfügung, so werden am Tage darauf meine brennenden Diener die wohlhabende Hafenstadt Yokohama heimsuchen und sie bis auf den letzten Stein niederbrennen. Was dort an Schiffen im Hafen liegt wird ebenso ein dankbares Fressen für meine neuen Getreuen. Und wenn euch das nicht reicht, so werde ich am Tage darauf die alte Kaiserstadt Kyoto von meinen folgsamen Feuerboten in Schutt und Asche legen lassen. Ich denke doch, dass ihr dies nicht mit Eurem großen Eid vereinen könnt, alle Menschen vor zerstörerischen Zaubern zu beschützen. Ach ja, und falls ihr meint, mir noch mehr von diesen doch nicht so erfolgreichen Sonnenanbetern entgegenzuschicken, so werde ich nicht die beiden Städte hintereinander, sondern alle wichtigenStädte auf einmal von meinen brennenden Dienern überrennen und niederbrennen lassen. Dann wird der Tenno ein Herrscher über Bergbauern und Fischersleute sein, und ihr werdet von ihm das Schwert erhalten, mit dem Ihr Eurem nutzlosen Leben das verdiente Ende bereiten könnt.

Der Hüter der Tore von Yomi

"Genauso wie du, größenwahnsinniger Körperdieb", knurrte Takahara im Bezug auf die Drohung mit dem zerstörten Land. Einerseits wusste er, dass der dunkle Wächter seine Drohung wahrmachen würde. Andererseits wusste er auch, dass er ihm die Schwestern seines gestohlenen Körpers nicht überlassen durfte, weil er sie ja genau deshalb töten wollte, um ihre mit seiner Lebenskraft zu vereinen, wie es in diesem Modernen Märchen von den Unsterblichen erzählt wurde, die sich im rituellen Zweikampf gegenseitig enthaupten mussten, damit der Sieger die Kräfte des Besiegten in sich aufnehmen konnte, bis am Ende nur einer von ihnen übrig blieb. Sollte er die drei Verwandten Takeshi Tanakas opfern, um Millionen andere unschuldige Menschen zu retten? Nein, das würde dem dunklen Wächter ein vielfaches mehr an Macht geben. Er, der Minister für Zauberei und Zauberwesen, durfte dieser Erpressung nicht nachgeben.

Schon zum zehnten Mal in kurzer Zeit berief Ninigi Takahara alle höchsten Beamten der Zaubereiverwaltung zusammen, um ihnen die längst erwartete Frist des dunklen Wächters vorzulesen.

"Wo ist diese Ebene des wispernden Grases?" wollte takahara von seinen Beamten wissen. Er erfuhr, dass so eine große Wiese mit verschiedenen Gräsern bezeichnet worden war, unter anderem auch Bambushalmen, die bei sanften Windstößen ganz leise aneinanderstießen, während der Rest des Grases ganz leise rauschte. Allerdings war genau dieses weite Grasland dem Bau der Shinkansenstrecke zwischen Tokio und Osaka zum Opfer gefallen.

"Interessant. Wenn der dunkle Wächter davon ausgeht, dass dieses Grasland noch so ist wie vor siebenhundert Jahren, dann war er dort bis jetzt noch nicht und er hat auch nicht das Wissen des Jungen ausgeschöpft", sagte Takahara.

"Vielleicht wusste der Junge nichts davon, was beim Bau dieses Schnellzuges der Magielosen so alles verschwunden ist", bemerkte der oberste Vermittler zwischen der Zaubererwelt und den Magielosen.

"Das mag auch sein", erwiderte Takahara. Dann fragte er, ob seine Mitarbeiter den zu untotem Leben erweckten Tieren beikommen konnten. Damals, als der dunkle Wächter zum ersten Mal diese Geschöpfe auf die Welt losgelassen hatte, hatte es drei zuverlässige Mittel gegeben, sie unschädlich zu machen, jedes davon in seiner Wirkung auch für Menschen gefährlich.

"Die brennenden Ratten und Mäuse sind ein uneinschätzbares Übel", sagte Ichiro Nakahara, der Leiter der Sicherheitsbehörde. "Wir konnten sie aber mit dem Witterwasser erledigen. Doch wenn er diese Geschöpfe im ganz großen Heer anrücken lässt, auch und vor allem durch die Abwasserkanäle, so kann er wirklich an einem Tage eine ganze Stadt wie Yokohama oder Kyoto einäschern."

"Der dunkle Wächter weiß genau, dass wir seine Ausgeburten schon einmal bekämpft haben", sagte Takahara. Er dachte daran, dass die Vorfahren nicht nur mit Witterwasser vorgegangen waren, sondern auch und vor allem den Zauber des unsichtbaren Feuerschutzwalls benutzt hatten. Allerdings hatte dieser Zauber zwei entscheidende Nachteile: Er löschte nicht nur unerwünschte Feuer aus, sondern verhinderte auch das Brennen erwünschter Feuerquellen. Außerdem entzog er jedem, der in seinen Wirkungsbereich geriet schlagartig Tagesausdauer. Tja, und dann hatte sich erwiesen, dass jener Zauber auch elektrische Vorgänge unterband, was in einer modernen Stadt der Magielosen Unruhe und unbeherrschbare Angst auslösen würde. Ja, das hatte der dunkle Wächter damals wohl noch mitbekommen, dass die Vertreibung seiner Geschöpfe die Bewohner eines Bergdorfes dermaßen entkräftet hatte, dass sie an Erschöpfung starben. Das konnte wirklich nicht im Sinne der Schutzmaßnahmen sein.

"Höchst ehrenwerter kaiserlicher Oberhofzauberer, vielleicht erliegen wir gerade alle einem Irrtum. Doch es könnte auch sein, dass der dunkle Wächter sehr wohl weiß, dass an der von ihm angegebenen Stelle heute nur ein eiserner Weg für den magielosen Fernzug verläuft. Er könnte uns auch damit beeindrucken, dass er diesen Weg zerstört und der nächste Zug tödlich verunfallt. Spätestens dann dürfte im Land die Furcht umgehen, von fanatischen Verbrechern bedroht zu werden", vermutete der Leiter der Verbindungsbehörde zwischen magischer und nichtmagischer Welt.

"Das ist leider wahr", erwiderte Takahara. "Dennoch dürfen wir dieser Erpressung nicht nachgeben. Die Mutter und die beiden Schwestern bleiben wo sie sind. Wir verständigen die Hände der Amaterasu nicht einmal darüber, dass der dunkle Wächter uns diese Drohung geschickt hat", bestimmte Ninigi Takahara.

"Und was tun wir, wenn der Wächter morgen dort auftaucht?" wollte Ichiro Nakahara wissen.

"Alle hinschicken, die sich mit dem Zehn-in-Eins-Zauber auskennen, feuerfeste Ausrüstung haben und einen ordentlichen Vorrat von Witterwasser, gelagert in jenen putzigen Wasserstrahlpistolen, die die Magielosen für gegenseitige Neckereien benutzen. Denn sollte er mit dem Schwert dort auftauchen, so könnte Witterwasser noch die Lösung sein, im wahrsten Sinne des Wortes. Ach ja, der ehrenwerte Leiter der Verbindungsgruppe zwischen Zaubererwelt und nichtmagischen Mitbürgern möge es erreichen, dass die betreffende Strecke zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang abgesperrt bleibt.""

"Den Shinkansen stilllegen? Öhm, ich denke nicht, dass das ohne eine ausreichende Begründung gelingt", erwähnte der betreffende Behördenleiter sichtlich verunsichert.

"Nun, wenn Ihr lieber tausende von Toten bei einem herbeigeführten Unglück hinnehmen möchtet", sagte Takahara. "Ich werde meine Verbindungen zu Polizei und Sicherheitsbehörden nutzen und es so darstellen, dass eine terroristische Organisation einen Anschlag auf den Shinkansen angedroht hat, aber davon niemand was erfahren darf."

"Ich habe gehofft, dasss Euch was einfällt", sagte Takahara wohlwollend. Damit stand fest, dass sie den dunklen Wächter morgen am 24. August 2004 zum letzten Gefecht stellen wollten. Sollte es nicht möglich sein, ihn lebend zu ergreifen, so Takahara zu allen dafür zuständigen, musste der geraubte Körper vernichtet werden.

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24.08.2004

Der Generaldirektor der zentralen Japanischen Eisenbahngesellschaft telefonierte gerade mit dem Verkehrsminister bezüglich weiterer Genehmigungen für das Shinkansen-Streckennetz, als auf seinem Computermonitor rechts oben die gelbgefärbte Nachricht "Herr Hashimoto von der Staatspolizei erbittet dringend ein Gespräch mit Ihnen" anzeigte.

"Dann sind wir uns einig, Herr Minister, dass ich zur Videokonferenz am ersten September die neuen Ausbauvorhaben nebst Kostenvorhersagen präsentieren werde. Kann ich Ihnen weiterhin irgendwie behilflich sein?"

"Im Augenblick ist das alles. Ich danke Ihnen für die kurze und wesentliche Darlegung Ihrer Vorhaben. Ich wünsche Ihnen noch einen erfolgreichen Tag", erwiderte die Stimme des Verkehrsministers. Damit war das Gespräch beendet.

Der Direktor der zentralen Eisenbahngesellschaft drückte einen der Knöpfe auf seinem Schreibtisch. "Der Herr von der Staatspolizei möchte bitte eintreten", sagte er. Dann drückte er noch einen Knopf, um von sich aus die Tür zu seinem Büro zu öffnen. Das nahm der davor wartende Mann im dunklen Anzug als Zutrittserlaubnis.

Mit einer Verbeugung stellte sich der Besucher als Saburo Hashimoto vor und präsentierte in seiner weiß behandschuhten Rechten einen Dienstausweis. Als der Generaldirektor las, dass Hashimoto Leiter der Terrorverhütungsabteilung war bekam er große Augen. Nach den Anschlägen vom elften September in New York und Washington und dem im März erfolgten Anschlag auf die spanische Eisenbahn in Madrid mussten auch die japanischen Verkehrsbetriebe mit Anschlägen rechnen. Selbstmordanschläge kannten die Japaner ja auch aus ihrer eigenen Geschichte. Doch da war es um den Krieg gegen einen übermächtigen Feind gegangen.

"Was möchten Sie von mir?" fragte der Generaldirektor der zentralen Eisenbahngesellschaft.

"Meine Behörde hat unbedingt sehr ernstzunehmende Hinweise, dass jemand in den kommenden Tagen einen Anschlag auf den Tokaido-Shinkansen verüben will und hierzu an verschiedenen Streckenabschnitten Bomben an den Schinen angebracht hat, die bei der Vorbeifahrt eines Zuges explodieren", sagte Hashimoto. "Wir erfuhren, dass die Sprengsätze auf Erschütterungen und Fahrtwind reagieren sollen und es mehr als einen solchen Sprengsatz geben soll. Daher möchten wir Sie bitten, den Betrieb des Tokaido-Shinkansen für zwölf Stunden einzustellen, beginnend um 20:00 Uhr."

"Das ist nicht wenig, was Sie da von mir verlangen, Herr Hashimoto. Selbstverständlich liegt mir sehr viel daran, das Leben unserer Fahrgäste zu schützen. Doch bevor ich einen derartigen Eingriff in unsere Verkehrsführung veranlasse möchte ich, dies sehen Sie hoffentlich ein, mehr über den geplanten Anschlag erfahren. Vor allem, warum ich noch vier Stunden Zeit habe und Sie denken, in zwölf Stunden die gesamte Strecke absuchen zu können."

"Haben Sie die Vollmacht, in Ermittlungsakten der Klassifizierungsstufe sechs Einblick zu nehmen?" fragte Hashimoto. Der Direktor überlegte kurz, was die Frage sollte. Dann sagte er: "Ich habe seit dem 13. September 2001 die schriftliche Genehmigung, bei bevorstehenden Terroranschlägen umfassend über mögliche Anschlagsziele und Erkenntnisquellen unterrichtet zu werden. Bitte nennen Sie mir das erste Kennwort zur Feststellung meiner Kenntnisberechtigung." Hashimoto zögerte keine Sekunde und nannte tatsächlich den ersten von zwei Sätzen, die er sagen musste, um diese Berechtigung zu erfragen. Der Generaldirektor nannte die mit dem Innenministerium und den Chefs von Staats- und Stadtpolizeidirektion vereinbarte Antwort. Daraufhin erhielt er den zweiten Kennsatz. Auch darauf gab er eine Antwort. Hashimoto nickte nun. "Gut, dann dürfen Sie wissen, woher wir wissen, was den möglichen Großanschlag auf den Tokaido-Shinkansen angeht."

Er hantierte an seiner mitgebrachten Aktentasche. Offenbar musste er bei den drei Schlössern jeweils eine zehnstellige Zahlenkombination einstellen, bevor er alle drei Schlösser aufspringen ließ. Dann durfte der Generaldirektor vier Seiten eines Computerausdrucks lesen. Er stellte fest, dass er den Namen der Organisation nicht kannte, die verdächtig war, entlang der Strecke von Tokio nach Osaka Bombenfallen platziert zu haben. Auch fragte er sich, warum die Terroristen nicht versuchten, irgendwelche Sprengkörper in einem Zug zu platzieren und sie per Mobiltelefon zu einer bestimmten Zeit zu zünden, wie es in Madrid geschehen war. "Und diese Gruppierung behauptet, im Auftrag eines Kamis, also eines Gottes zu handeln?" fragte der Generaldirektor.

"Es ist wohl eine ähnliche Gruppierung wie die AUM-Sekte, die den Giftgasanschlag auf die tokioter U-Bahn verübt hat. Offenbar durchfährt der Tokaido-Shinkansen ein Gebiet, dass diese Fanatiker als Wohnstatt ihrer Gottheit betrachten, vielleicht auch als Wohnstatt eines bösen Geistes, und sie wollen ihm Opfer zuführen, um seine Verärgerung und seinen Hunger nach Leben zu stillen, und dieser böse Geist ist eben ein Geschöpf der Nacht, denken diese Leute", sagte Hashimoto.

"Ich habe es meinen Kindern und Enkeln schon gepredigt, dass diese ganzen Mangas merkwürdige Gedanken auslösen", dachte der Generaldirektor. Laut sagte er: "Und hier steht, dass dieser dunkle Gott oder Dämon alle 256 Jahre doppelt so viele Opfer erwartet, um das Land zu schonen? Haben Ihre Kollegen nachgeforscht, ob es sich bei diesen Plänen nicht um einen Versuch handelt, unser öffentliches Verkehrsnetz lahmzulegen? Im Grunde brauchen Sie für ein wirksames Minenfeld nur zu behaupten, in einem bestimmten Landes- oder Meeresabschnitt Minen gelegt zu haben, um alle unerwünschten Leute aus diesem Abschnitt herauszuhalten. In den mir vorgelegten Unterlagen steht nur drin, dass Ihre Behörde von vier unabhängigen Informanten über den bevorstehenden Anschlag und dessen Hintergründe unterrichtet worden sei. Was, wenn diese vier Informanten den Auftrag haben, den Bahnverkehr lahmzulegen? Bedenken Sie bitte, dass der Tokaido-Schinkansen zu den am besten überwachten Eisenbahnstrecken gehört, was die Schinen, die Weichenstellung, die Signalanlagen und alle eingesetzten Züge angeht. Wenn da jemand an einem Abschnitt XY zwischen hier und Osaka irgendwas anstellt, was nicht von uns geplant und genehmigt wurde, würden die Erschütterungssensoren und Infrarotlichtschranken das weitermelden."

"Gehen wir davon aus, dass die verdächtige Gruppierung das auch weiß, so besteht die Möglichkeit, dass sie die Bombe oder die Bomben im Rahmen der regelmäßigen Wartungsarbeiten unter den Schienen verbaut hat, als die dort angebrachten Sensoren eben wegen der genehmigten Wartungsarbeiten deaktiviert waren."

"Natürlich, wenn Sie sonst keine Erklärung haben greifen Sie auf das bewährte Mittel zurück, dass jemand in der bedrohten Organisation ein Verräter oder Saboteur oder beides zugleich ist. Das ist nicht gerade ehrenhaft, Herr Hashimoto. Wenn Sie oder Ihre Vorgesetzten einen derartigen Verdacht hegen, dann sollten Sie auch aufrichtig sagen, wen genau sie verdächtigen", sagte der Generaldirektor.

"Ich habe nicht behauptet, dass jemand aus Ihrer Firma mit den Terroristen zusammenarbeitet. Über die Wartungsarbeiten kann sich jeder informieren, der regelmäßig die Bahnstrecke beobachtet", sagte Hashimoto. "Des weiteren haben Sie eine gute Möglichkeit, Ihre Mitarbeiter von jedem Verdacht zu befreien, indem Sie uns die gesamte Strecke untersuchen lassen, ohne dass wir oder Ihre Fahrgäste dabei in Gefahr geraten. Deshalb schlagen wir ja vor, den Betrieb zwischen acht Uhr abends und acht uhr morgens einzustellen und alle fahrenden Züge solange auf den nächsten Bahnhöfen warten zu lassen. Wir haben bereits damit begonnen, Beamte an den sechzehn Bahnhöfen entlang der Tokaido-Shinkansenlinie zu postieren, um mögliche Angriffsversuche von dort zu vereiteln."

"O, das ist aber sehr beruhigend, dass ich dies jetzt schon erfahre", erwiderte der Generaldirektor der Eisenbahngesellschaft mit unüberhörbarem Sarkasmus. Hashimoto zeigte darauf keine Regung. Er verwies noch einmal darauf, dass es nötig sei, die gesamte Strecke zu überprüfen, ja wohl auch jeden gerade eingesetzten Zug zu untersuchen, ob an diesem etwas unerlaubtes angebracht war. Dann sagte er noch: "Falls Sie die Entscheidung gerne mit meinem Vorgesetzten abstimmen möchten dürfen Sie ihn gerne anrufen. Ich bin mir jedoch sicher, dass Ihnen nichts daran liegt, hunderte oder tausende Menschenleben zu gefährden."

"Ich spreche mit Ihrem Vorgesetzten", grummelte der Generaldirektor und griff nach dem Telefonhörer. Er behielt den Besucher im Blick. Trotzdem konnte er nicht mehr reagieren, als dieser aus der Aktentasche einen dünnen Holzstab zog und aus derselben Bewegung heraus auf ihn zielte.

Als der Generaldirektor wieder klar denken konnte war er davon überzeugt, mit dem Chef der Terrorabwehr persönlich telefoniert und sein Einverständnis erklärt zu haben, den Shinkansen zwischen acht Uhr abends und acht Uhr morgens stillzulegen, damit die Kollegen von Hashimoto die Strecke begehen und die stehenden Züge untersuchen konnten. Schließlich wollte er nicht daran Schuld haben, dass es auch in Japan einen verheerenden Anschlag gab. So rief er noch die entsprechenden Stellen an und gab die Anweisung unter Berufung auf Anschlagsgefahren durch. Er hoffte nur, dass nicht doch jemand in seiner Firma mit solchen Verbrechern zusammenarbeitete. Dann waren die jetzt gewarnt oder freuten sich, dass sie ihr Ziel erreicht hatten, den Tokaido-Shinkansen für ganze zwölf Stunden lahmgelegt zu haben, ohne ein Gramm Sprengstoff dafür verbraucht zu haben.

Hashimoto verabschiedete sich, als er erfuhr, dass alles so ablaufen würde, wie sein Auftrag es vorsah. Dann ging er wieder und ließ den Generaldirektor der zentralen Eisenbahngesellschaft mit sich und seinen Gedanken alleine.

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Die Reise mit dem Feuerstrudel war für den aus seinem Körper verbannten und dennoch mit einer Art unsichtbarem Gummiband daran hängenden Geist Takeshis nicht mehr so überwältigend wie beim ersten Mal. Womöglich ging es auch wieder um die Erweckung von brennenden Tierzombies. Doch als der feurige Wirbel verschwand fanden sich der dunkle Wächter und Takeshi Tanakas Geist neben einer aus weiter Ferne kommenden und in weiter Ferne verschwindenden Linie aus zwei paralleleln Eisenbändern mit in Abständen dazwischen befestigten Querverbindungen. Das war eine Eisenbahnlinie. Nicht irgendeine, wie der aus dem eigenen Körper verstoßene Geist sofort erkannte. Diese Schinen gehörten zum Hochgeschwindigkeitsbahnnetz. Hätte er seinen Körper noch besessen, so wäre dieser sicher wieder vor Schreck zusammengefahren, und kalter Angstschweiß hätte sich auf der Stirn gebildet. So blieben nur die von heller Panik getriebenen Gedanken daran, dass der Dämon einen Anschlag auf den Shinkansen vorhatte, um möglichst viele unschuldige Menschen umzubringen. Er zweifelte keinen Moment daran, dass der Unhold mit dem Höllenschwert das konnte. Dann erfuhr er, wo sie waren und was der dunkle Wächter hier wirklich wollte. Der wartete darauf, dass ihm Takeshis Mutter und Schwestern ausgeliefert wurden. Aber warum ausgerechnet hier erfuhr Takeshi erst, als der dunkle Wächter die Schinen absuchte und an einer ganz bestimmten Stelle anhielt. Der hatte überhaupt keine Angst, von einem vorbeifahrenden Schinkansen-Zug überfahren zu werden. Doch womöglich bimmelten in der Zugüberwachungszentrale schon alle Alarmglocken, weil jemand unbefugtes auf den Schienen herumlief. Da waren Erschütterungssensoren für den Fall von Erdbeben eingebaut, die genausogut als Bewegungsmelder arbeiteten. Außerdem, so hatte es Takeshi in der Schule gelernt und bei einem Besuch der Schinkansenstrecke in Fukuoka gesagt bekommen, waren in bestimmten Abständen Infrarotsensoren und Lichtschranken installiert, um bei Personen auf den Gleisen einen Nothalt auszulösen, damit kein Mensch den Shinkansen als seinen persönlichen Zug in die Nachwelt missbrauchen konnte. Denn wer hier unter den Zug geriet war auf jeden Fall tot, abgesehen davon, dass der Zug entgleisen und noch etliche Leute mehr umbringen konnte.

"Ich spüre, dass du immer noch in der Nähe bist, Knabe. Wieder bedauere ich, dass ich deine Gedanken nicht hören kann, warum auch immer, vielleicht weil deine widerwärtigen Schwestern noch leben und ich deshalb nicht mächtig genug bin. Aber womöglich könntest du mir verraten, was das hier für ein merkwürdiger eherner Weg sein soll, den die Unwürdigen mitten durch die Wiese der wispernden Gräser gebaut haben", dachte der dunkle Wächter verärgert. Takeshi hatte immer noch Angst um seine Mutter und seine beiden Schwestern. Doch jetzt fühlte er ein wenig Überlegenheit. Dieser Dämon kannte sich nicht im 21. Jahrhundert aus und er konnte nicht auf Takeshis Erinnerungen und Erfahrungen zugreifen, um zu wissen, was der schon gelernt hatte. Doch wenn es stimmte, dass er das nur nicht konnte, weil seine Mutter Natsu und die Schwestern Naomi und Keiko noch lebten, dann mochte es nicht mehr lange so bleiben. Ja, wenn er hier und jetzt darauf wartete, dass irgendwer die drei hier ablieferte, damit er sie umbringen konnte, würde er dabei zusehen müssen. Was würde danach mit seinem Geist geschehen?.

Noch bleibt Zeit bis Mitternacht. sind die drei mit diesem Leib verwandten bis dahin nicht hier wird Yokohama brennen", hörte Takeshi den finsteren Widerling denken. Da fühlte er, wie etwas unsichtbares ihn traf, durchrüttelte und wieder freigab. Auch der dunkle Wächter schien was zu spüren. Denn er riss sein Schwert zum Schlag hoch und wirbelte herum. Die Klinge flimmerte violett. "Feind, stell dich und vergehe!" hörte Takeshi den seinen Körper benutzenden Unhold denken. Dann sah er sie.

Rings um den Schienenstrang tauchten Männer in dunklen Lederrüstungen auf, auf deren Brustteil von oben nach unten eine Sonne, ein Schwert und ein Stab prangten. Diese Krieger kannte Takeshi noch nicht. Er hatte mit denen in den Sonnengewändern gerechnet. Insgesamt umstellten an die vierzig Männer den dunklen Wächter, der mit seinem Schwert winkte und dabei immer schneller wurde, bis auch Takeshis Geist in den Beschleunigungszauber einbezogen wurde. Doch auch die eingetroffenen Zauberkrieger wirkten wohl einen Beschleunigungszauber. Denn wo sie gerade eben noch schneckengleich die Arme und Zauberstäbe bewegt hatten, konnten sie sich wieder mit gewöhnlicher Geschwindigkeit bewegen.

"Ah, ihr habt den Sohn des Blitzes auch schon in eurer Rüstung verankert, ddass ihr ihn nicht laut rufen müsst", dachte der dunkle Wächter voller Ingrimm. Dann rief er mit Takeshis noch nicht ganz erwachsen klingender Stimme: "Ihr müsst zu vier mal zehn wider mich antreten, weil keiner von euch alleine wider mich antreten mag? Das zeigt doch, wie schwach ihr seid, unwichtig wer ihr seid."

"Yominoko, dunkler Wächter, Schöpfer der brennenden Todesboten, ich bin Katsuro Nakahara, Lenker der zauberischen Streitmacht des höchst ehrenwerten Ministers für Zauberei und Zauberwesen. Dein Weg endet hier und heute Nacht. Lass das Schwert fallen und ergib dich!"

"Oder sonst, Katsuro? Musst du dir dann einen anderen Namen geben lassen, sofern mein treuer Drachenzahn und ich dich noch leben lassen?"

"Vielleicht hast du es schon erfahren, dass deine brennenden Todesboten nicht ganz so unbesiegbar sind wie du sie selbst gerne hättest", sagte der, der sich Katsuro Nakahara nannte. "Zieht frei!"

Der dunkle Wächter wunderte sich, warum der Truppführer diesen Befehl erteilt hatte, wo die anderen doch ihre Zauberstäbe noch in den Händen hielten. Dann sahen er und der ihn unsichtbar begleitende Geist seines Opfers, wie die ihn umstehenden Zauberer mittelhelle Gegenstände mit gekrümmten Griffen und röhrenartigen Enden aus ihren Umhängen freizogen. Takeshi hätte wohl erstaunt gerufen, wenn er eine hörbare Stimme gehabt hätte. Die Zauberer zogen wahrhaftig Wasserpistolen. "Vorgehen wie besprochen!" rief Nakahara und führte wohl aus, was alle anderen ihm nachmachen sollten. Er schwenkte die gezogene Wasserpistole auf das nun hell glühende Schwert ein und drückte ab. Ein in winzigen Unterbrechungen geteilter Strahl aus für Takeshi dunkelblau flirrender Flüssigkeit entfuhr dem Lauf des scheinbar harmlosen Spielzeugs. Der gepulste Strahl, der Takeshi irgendwie zwischen Laserstrahl und Ölstrahl vorkam fächerte in der freien Luft ein wenig auf, wohl wegen des Luftwiderstandes. Innerhalb von nur einer Viertelsekunde trafen die ersten Spritzer das glühende Schwert und wurden zu kleinen, bläulich-roten Dampfwolken. Das Schwert erbebte. Weitere gepulste Strahlen aus den Wasserpistolen trafen die Klinge, die laut fauchte wie ein undichtes Dampfventil. Der dunkle Wächter schien die Waffe nicht mehr recht halten zu können. Er stieß ein Wutschnauben aus. Dann bekam er noch Spritzer ins Gesicht. Takeshis Geist sah mit Angst, dass die Spritzer nicht gut für die Haut waren. Denn wo sie trafen quollen dicke Blasen auf, als hätte sich das Zeug unter der Haut gesammelt. Der Dämon in Takeshis Körper fühlte wohl, dass sie ihm tatsächlich zusetzen konnten. Er presste die Zähne aufeinander und stieß Laute zwischen unterdrücktem Schmerz und unterdrückter Wut aus. Takeshi dachte seltsamerweise an eine in Japan beliebte Spielschau, die sogar seinen Namen trug: "Takeshis Schloss", wo die Kandidaten versuchen mussten, in eine Burg einzudringen und gegen die ihnen entgegenwirkenden Widrigkeiten zu bestehen, darunter auch unter Druck stehenden Wasserstrahlen.

"Das büßt ihr mir hier und sofort!" brüllte der Dämon und bekam was von dieser magischen Flüssigkeit in den Mund. Er griff mit einer Hand in die Jacke, die er sich vor einigen Tagen gestohlen hatte und zog den von einem der Sonnengelben erbeuteten Zauberstab frei. Mit der anderen Hand hieb er die auf ihn zuschießenden Strahlen aus den Wasserpistolen zur Seite dass es nur so zischte und fauchte. Immer mehr der bläulich-roten Dampfwolken nebelten ihn und die anderen ein. "Nicht einatmen", hörte Takeshi die Stimme eines der Krieger, aber irgendwie nicht aus dessen Mund, sondern wie aus Kopfhörern, die alle anderen trugen. Da begriff der entkörperte Junge, dass die Gegner dabei waren, sich mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Offenbar war der Nebel gefährlich wie Giftgas. Natürlich, wo er aus jener magisch aufgeladenen Höllensuppe war, die sie da immer noch auf den dunklen Wächter abschossen und die die freien Hautstellen des Unheimlichen immer mehr zu dicken roten Quaddeln verunstaltete. Das musste dem doch höllisch weh tun, dachte Takeshi einen Moment, bevor ihm einfiel, dass sie da gerade seinen eigenen Körper beharkten. Wenn das Zauberzeugs so gefährlich war würden sie ihn damit töten.

Um die Köpfe der Krieger flirrte die Luft in einem Gewimmel aus bläulichen Funken, die immer dichter wurden und sich in einer erschreckenden Langsamkeit zu durchsichtigen Blasen formten. Da zielte der Zauberstab auf den ersten Krieger. Dessen Wasserpistole erzitterte und verformte sich. Die immer noch austretenden Strahlenstöße krachten laut wie kleine Feuerwerkskörper. Dann platzte die Waffe in einer Wolke aus blau-rotem Dampf und hellrot glühenden Plastikklumpen auseinander. Der Getroffene schüttelte sich. Die Rüstung und die Gesichtsmasken hatten die glühenden Trümmer abgewehrt. Doch die Wasserpistole war zerstört.

"Das hättet ihr doch wissen müssen", dachte der dunkle Wächter und besann sich wieder. Jetzt fühlte Takeshi, dass er geistige Kräfte freimachte, die durch den Zauberstab auf das ausgewählte Ziel gebündelt wurden wie ein unsichtbarer Laserstrahl. Takeshi hörte den Gedanken" Verglühe!" aus dem Kopf des Wächters. Da zerplatzte auch schon die nächste Wasserpistole. Der entweichende Dampf stieg in hübschen Spiralwindungen nach oben, während die glühenden Plastikbrocken von den Helmen, Masken und Rüstungen der Zauberkrieger abprallten. Takeshi merkte jedoch, dass der dunkle Wächter auch geschwächt wurde. Offenbar kostete ihn dieser Überhitzungszauber mehr Kraft als er gedacht hatte. Dann schien ihm eine andere Idee zu kommen. Er berührte mit dem Stabende die Parierstange seines Schwertes. Dieses wurde schlagartig noch heller und schleuderte weißblaue Blitze um sich. Diese trafen die immer noch auf ihn zielenden Wasserpistolen. Deren Läufe barsten in den Blitzen auseinander, so dass die Krieger nur noch die Griffe in den Händen hielten. Es dauerte nur zehn Sekunden, da hielten alle anderen nur noch die Griffe mit den Abzügen in den Händen. "Da wart ihr nicht drauf gefasst, ihr Narren!" rief er. Takeshi hörte neben seiner gerade über den Stimmbruch gelangten Stimme noch die Gedanken des Dämons, dass dieser Mit vereinter Kraft von Zauberstab und Schwert die Lichter des sofortigen Siedens beschworen hatte, die wohl jeden kleinen Wasservorrat augenblicklich zum kochen oder zum verdampfen trieben. Immer noch gaben die Krieger keine Schmerzlaute von sich. Doch sie taumelten. "Ging nicht so schnell wie ich wollte. Vertückter Beschleunigungszauber", hörte Takeshi die Gedanken seines Erzfeindes. Er begriff, dass der Zauber eigentlich alle Wasserpistolen auf einmal hätte zerstören sollen. Womöglich brauchte jeder Zauber seine ganz natürliche Zeit um sich aufzubauen oder die volle Wirkung zu haben, dachte Takeshi merkwürdigerweise ganz ruhig. Zwar sah er seinen eigenen Körper mit vielen roten Blasen übersät und dass der Dämon mit dem Höllenschwert gerade lossprang, um mit seiner glühenden Klinge auf die Feinde loszugehen. Doch er hatte bereits damit abgeschlossen, nie wieder in seinen eigenen Körper zurückkehren zu können.

Die anderen wollten sich wohl in Energieschirme einhüllen, vermutete Takeshi. Doch wie beim Blitzezauber des dunklen Wächters oder den merkwürdigen Blasen um die Köpfe der Angreifer dauerte das offenbar zu lange, um so zu wirken wie es sollte. So musste Takeshi einmal mehr zusehen, wie der Dämon in seinem Körper das Schwert führte. Zwar sprühten die Rüstungen rote Funken, als wenn sie die Feuersglut der Klinge wie Blitzableiter in den Boden umlenkten. Doch offenbar reichte das nicht aus. Die ersten fielen von wuchtigen Hieben getroffen zu boden. Ihre Köpfe saßen zwar noch auf den Hälsen. Doch offenbar hatte der dunkle Wächter mit seinen Hieben die oberen Halswirbel gebrochen. Das war ebenso tödlich wie eine glatte Enthauptung, dachte Takeshi mit gewisser Wehmut. Denn er fürchtete nun, dass der dunkle Wächter doch diesen scheinbar ungleichen Kampf gewinnen würde.

Takeshi sah, dass die noch stehenden und gerade in ihre Energieschirme eingehüllten Krieger ihrerseits Blitze oder Strahlen aus den Zauberstäben verschießen wollten. Doch die Strahlen brauchten zwei Sekunden, um den Weg zum dunklen Wächter zurückzulegen. Dabei erwies sich, dass er mit dem Schwert nicht nur Menschen töten, sondern auch ihm entgegenfliegende Zauberstrahlen aus der Bahn schlagen konnte wie die Jediritter mit ihren Lichtschwertern abgefeuerte Laserstrahlen parieren konnten. Wo seine weißblau glühende Klinge nicht rechzeitig traf zeigte sich, dass die leuchtenden Zauberentladungen so oder so nicht bis zu ihm durchdrangen, weil sie auf Armlänge zerstoben und wie eine glühende Spiralfeder in den Boden eindrangen.

Die ungleiche Zauberschlacht ging weiter. Der dunkle Wächter fegte ihm geltende Zauber aus der Flugbahn oder wetterte sie ab wie ein Blitzableiter. Dabei wirbelte er immer um die eigene Achse und hielt sich so die mit behandschuhten Händen nach ihm schlagenden und schnappenden Gegner auf Abstand. Wo sein Schwert auf die Hälse der Feinde traf krachte es unheilvoll. Weitere Gegner fielen.

Eigentlich musste der dunkle Wächter doch durch die vielen roten Blasen auf der Haut und die Erschöpfungen der letzten gefühlten Minuten am Ende sein, dachte wohl nicht nur Takeshi. Doch der dämonische Körperdieb kämpfte weiter, als lade ihn irgendwas auf. Dann sah Takeshi auch, was es war. Wo das Schwert einem weiteren Gegner das Leben nahm flirrte für eine Viertelsekunde die Luft über dem Gefällten, und etwas fast nicht sichtbares flog auf das Schwert zu und berührte die Spitze. Natürlich saugte er mit dieser Klinge Lebenskraft auf, erkannte Takeshi voller Wut. Dieser Mördergeist konnte mit seinem Schwert Leuten das Leben aus dem Körper ziehen oder die entweichenden Seelen einsaugen. Die wiederum gaben ihm neue Kraft, als wenn das Schwert eine Batterie war, die er immer wieder nachlud und sich daran selbst neu auflud. Jetzt begriff Takeshi, wie gefährlich dieser Dämon wahrhaftig war und warum er so darauf versessen war, die letzten Blutsverwandten des von ihm besetzten Körpers zu töten. Durch das verwandte Blut und Leben würde er seinen Halt in dem fremden Körper vervielfachen und diesen wohl auch noch stärker machen. Doch zunächst reichte es ihm wohl, dass er immer weniger direkt gegen ihn kämpfende Feinde hatte. Einen traf die Schwertspitze am ledergepanzerten Brustkorb und schleuderte ihn gegen seine Kameraden, die gerade was anderes zauberten, fliegende Eiskugeln. Doch die waren noch langsamer als die Zauberlichter und wurden von der glühenden Klinge laut knallend in Millionen Stücke gesprengt. Einer rief fremdartige Worte, die Takeshi als "Avada Kedavra!" verstand. Mit einem unheilvollen Wummern wie eine verschiedenstark angestrichene Bassgeigensaite quoll hellgrünes Licht aus dem Zauberstab des rufenden und flog hektisch flatternd auf den dunklen Wächter zu. Dieser duckte sich unter einem der auf ihn zuschwirrenden Eisbälle weg, hielt sein Schwert so, dass es den grünen Flatterstrahl auffing, der dann in laut knisternde und knatternde Funkenwolken zerstob. Das Schwert verlor dabei einen Teil seiner hellen Glut. Dann sprang der dunkle Wächter wütend vorwärts und hieb dem dreisten Gegner den Zauberstab in zwei auflodernde Hälften. Offenbar brachte ihm das eine Idee, wie er nun endgültig sigen konnte. Er hieb noch zwei Eiskugeln in Stücke, fegte zwei noch auf ihn zuflirrende Zauberlichtstrahlen aus dem Weg und hieb dann gezielt nach den sich gegen ihn ausstreckenden Zauberstäben. Die anderen merkten gerade, dass sie jetzt gleich verlieren würden. Zwar versuchten vier Mann von hinten, den Wächter zu packen. Doch der ließ sich einfach fallen, wobei das Schwert in den Boden eindrang wie ein heißes Messer in Butter. Unvermittelt umtobten den Dämon rote und orangefarbene Blitze, die die vier an ihm hängenden zurückprellten wie wuchtige Tritte oder Faustschläge. Da bebte der Boden. Der Wächter blieb in der gerade knienden Haltung, das Schwert in den Boden gestoßen. Wer jetzt noch versuchte ihn zu packen wurde von den von ihm ausgehenden Blitzen zurückgeworfen. Dann hörte Takeshi, wie der Unheimliche das Feuer aus den Tiefen der Erde rief, wobei er immer tiefer sang. Dann zog er mit einem Ruck das Schwert aus dem Boden heraus. Mit einem kanonenschuss artigem Böllern und auf unterste Töne eingestelltem Rauschen stieg eine orangerotglühende Lavafontäne aus dem Boden hervor, stieg immer höher, bis sie mehr als drei Meter aufragte, um dann mit einem unheilvollen Tosen auseinanderzufliegen und zu einem orangegelben Gemisch aus glühendem Gas und fein zerstäubter Asche zu werden. Die Glutwolke blähte sich auf und hüllte die hier kämpfenden ein. Jetzt sah Takeshi die Rüstungen der anderen rot aufleuchten, als umgebe sie ein weiterer Panzer, der nun erst sichtbar wurde. Aus dem Loch, in das das Schwert hineingestoßen worden war, quoll laut wummernd und fauchend weitere Lava hervor und spritzte in einer unheimlich anmutig wirkenden Langsamkeit nach oben, um sich dann in die gleiche Mischung aus glühendem Gas und Asche aufzulösen. Dieser Irrsinnige hatte tatsächlich die Glut des Erdinneren angezapft und beschwor eine sich ständig nachladende und immer weiter ausbreitende Glutwolke, wie sie sonst nur aus übergangslos explodierenden Vulkanen hervorbrach. Zwar hielten die magischen Rüstungen dieser entfesselten Feuermacht noch Stand. Doch Takeshi sah, dass diese Schutzbezauberung mit jeder vergehenden Sekunde immer schwächer leuchtete und wohl nur noch eine Minute vorhalten konnte. Bei denen, die ihre Zauberstäbe zu weit aus der Ausdehnung ihrer Feuerschutzzauber hervorgestreckt hatten, flammten die Stäbe wie Streichhölzer auf und standen innerhalb von zehn Sekunden lichterloh in Flammen. Damit würden die Zauberkrieger nicht mehr zaubern können. Diejenigen, die ihre Zauberstäbe noch im Schutz des roten Zauberlichtes hatten erkannten wohl gerade, dass es für sie nur noch einen Weg gab, ihr Leben zu retten: Die Flucht. Sie warfen sich herum und liefen davon, ohne ein Kommando abzuwarten. Auch wenn es die vernünftigste Entscheidung war hieß es doch für den Dämon, der selbst das Erdfeuer zu seinem Dienst rufen konnte, dass er gegen mehr als vierzig Zauberer gesiegt hatte. Dementsprechend laut war auch sein Siegeslachen. Doch nicht alle flüchteten vor der immer noch aus dem Boden entweichenden Glutwolke. Der Truppführer Nakahara, der bis dahin seinen Untergebenen den Nahkampf überlassen hatte, schleuderte einen kleinen Lederbeutel in das Austrittsloch der Lavafontäne. Der Beutel zerplatzte und entließ einen bläulich leuchtenden Stoff, der sich lautt gluckernd im glühenden Loch verteilte. Die Lavafontäne geriet ins Wanken und fiel laut spotzend und krachend in sich zusammen. Noch einmal erzitterte der Boden. Dann verflüchtigte sich auch die Glutwolke.

"Wie hast du das gemacht, wo deine feigen Lakeien das Weite gesucht haben", stieß der Wächter aus und merkte, dass sein Schwert wild flackerte. Jetzt merkte auch Takeshi, dass irgendwas ihm Kraft absaugte. Er fühlte, wie sich seine Wahrnehmung verschob, als wandere er auf die immer noch bläulich glühende Stelle zu, wo vorhin noch die Lavafontäne ausgetreten war. Auch hatte er jetzt nach all den Tagen Körperlosigkeit wieder ein Gefühl von Schwere, die immer stärker wurde, je näher er auf das bläuliche Flimmern zuglitt.

"Dein Ende ist das. Denn dagegen kann auch dein mit dir seelisch verschmolzenes Schwert nichts ausrichten, Yominoko", sagte Nakahara mit einer gewissen Siegessicherheit. Er zog gerade einen zweiten Beutel hervor und schleuderte ihn genau auf die hektisch flackernde Schwertklinge zu. Der dunkle Wächter setzte schon an, den Beutel mit der Klinge zu zerschlagen, besann sich jedoch im allerletzten Augenblick und riss die Waffe über seinen Kopf. Gleichzeitig sprang er zur Seite. Der auf ihn geschleuderte Lederbeutel flog an ihm vorbei und landete auf den glühenden Schienen der Shinkansentrasse. Mit einem lauten Knall zerplatzte er und vergoss die blau leuchtende Mischung aus Flüssigkeit und Eisstücken über die glühenden Gleise. Es knirschte laut und gefahrvoll, als sich die offenbar schockgekühlten Schienen verzogen, für einen Moment Wellen schlugen und dann mit einem Zwischenlaut wie Kettenrasseln, Glockenschlag und Klirren aufrissen. Wie kalt konnte etwas sein, dass ein rotglühendes Eisenstück so plötzlich runterkühlte, das es ausnahmsweise mal nur den physikalischen Gesetzen unterlag und deshalb zersprang?

"O, du hast mich verfehlt", knurrte der Wächter nicht ganz so überlegen. Denn von den aufgerissenen Schienen ging immer noch blaues Licht aus. Jetzt merkte Takeshi auch von da einen Sog und fühlte, dass irgendwas ihn in zwei Richtungen zugleich ziehen wollte. Zeitgleich mit dem dunklen Wächter begriff auch er, was das hieß. Das Zauberzeug wirkte nicht nur auf feste Körper, sondern auch auf Geistige Energie, auf die Seele im Körper und außerhalb davon.

"Seeleneis mit Witterwasser gemischt. Und ihr wollt die Guten sein?!" stieß der Dämon in Takeshis Körper aus, während seine Schwertklinge immer dunkler zu werden drohte. "Nimm dies, auch wenn es mein letzter Schlag sein mag!" stieß der dunkle Wächter aus.

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Izanami Kanisaga war im Dauereinsatz. Sie kämpfte sich mit ihrem Schwert "Blitz in der Dunkelheit" durch eine Heerschar aus einem Kanal entsteigender Ratten, in deren Fell kleine rote Flammen züngelten. Die weißglühende Klinge ihres Katanas fuhr wie die Sense eines Heumähers durch die für sie gerade sehr langsam aus dem Boden kletternden Geschöpfe. Wo das Schwert traf zerstoben die untoten Tiere in kleinen Feuerbällen.

Auch wenn sie davon ausging, dass sie in zwanzig Minuten immer noch Millionen Gegner vor sich hatte blieb sie an den ihr entgegenkletternden Schöpfungen aus dunkler Feuermagie. Doch zu ihrer Verwunderung lichteten sich die Reihen der ihr entgegenströmenden Feuerratten immer mehr. Noch fünf gerade für sie als Minuten empfundene Zeiteinheiten später erledigte sie die letzten zwanzig Untiere. Da sie gerade im Zehn-in-Eins-Zauber steckte konnte sie die ihr noch zu entwischen ansetzenden Ratten einholen und mit ihrem glühendenSchwert erledigen. Dann sah sie endlich keine brennende Ratte mehr. Es gab nur noch ihre kohlschwarzen, in den Boden eingebrannten Fußabdrücke. Das Schwert hörte zu glühen auf. Also gab es im Umkreis von hundert Schritten keinen gefährlichen Feind mehr.

"Gewohnte Zeit!" befahl sie in Gedanken. Die Geräusche um sie herum fügten sich wieder zu einem glatten Klangteppich aus fernem Autolärm, vom Wind getragene Musikschnipsel und das Plätschern des weit unten rauschenden Kanals. Dann hörte sie noch ein leises Fauchen und sah hinunter. Von unten glomm ein bläuliches Flackern. Offenbar hatten sich Faulgase entzündet, jedoch nicht in einer Dichte, dass es zur Explosion gekommen war. Das war das Vermächtnis der vielen brennenden Ratten. Izanami steckte ihr nun silbern schimmerndes Katana zurück in die Drachenlederscheide auf ihrem Rücken, griff ihren Zauberstab und disapparierte, um ihren Mitstreitern und der Führerin der Spinnenschwestern zu melden, dass sie mal wieder eine Horde brennender Nagetiere erledigen musste.

Erst apparierte sie in einem gegen Ortungszauber abgesicherten Versteck, dass sie schon vor Jahren eingerichtet hatte. Dort nahm sie den Zweiwegespiegel aus einer Innentasche ihrer Drachenhautrüstung und sprach Anthelias Namen hinein. Als sie das Gesicht der höchsten Schwester sah verlor sie keine Zeit. "Höchste Schwester, konnte gerade an die tausend zu untotem Leben erweckte und mit einer Aura aus magischem Feuer umgebene Ratten vernichten. Ich fürchte jedoch, dass ich gegen ein Millionenheer dieser Geschöpfe keine Siegeschancen haben werde."

"Dann müsst ihr doch mit dem Schlingflutzauber vorgehen, auch wenn es deinen Truppenführern missfällt", sagte Anthelia in Izanamis Heimatsprache.

"Das mag in Kanälen gehen. Aber wenn diese Biester schon im freien sind werden Menschen gefährdet", sagte Izanami. "Das werden sie so oder so", erwiderte Anthelia. "Gut, ich verstehe deinen inneren Widerstreit, Schwester Izanami. Aber wenn stimmt, was deine Vertraute im Zaubereiministerium mitbekommen hat, dann will der dunkle Wächter morgen ganz Yokohama niederbrennen. Willst du mich nicht doch in deiner Nähe haben?"

"Sie haben dich auf die Liste zu ergreifender Todfeindinnen gesetzt, zumal der Hüter der Gefahren und Schätze den Stab des dunklen Wächters zurückhaben will und als Dreingabe noch dein Feuerschwert aus dem alten Vorreich. Gegen so viele Gegner zugleich kannst auch du nicht bestehen, schon gar, wenn sie den Zehn-in-Eins-Zauber verwenden."

"Deine Besorgnis um mich ehrt mich, Schwester Izanami. "Doch muss ich davon ausgehen, dass der dunkle Wächter den Stab sowieso suchen wird. Sein Weg wird ein verkohlter Pfad aus Asche und Knochenresten sein. Insofern sollte ich ihm entgegentreten und darauf vertrauen, dass mein Schwert dem seinen mindestens ebenbürtig ist. Ruf mich unverzüglich, wenn du ihm selbst gegenübertrittst, Schwester Izanami!"

"Ja, höchste Schwester", sagte Izanami. Doch für sich selbst dachte sie, dass sie dies nur tun würde, wenn sie fühlte, dass ihre Kräfte und die des Schwertes schwanden.

Wieder zurück in der Festung der Hände Amaterasus erstattete sie Truppenführer Kazeyama Bericht. "Dein Schwert ist mächtig, Mitkämpferin Kanisaga. Doch teile ich deine Sorgen, dass gegen ein Millionenheer dieser armen Geschöpfe dein Schwert alleine nicht ausreicht. Wir sind dabei, Witterwasser zu erstellen, um es in die Laufgänge dieses Ungeziefers zu gießen. Doch die Herstellung dauert und ist nicht ungefährlich."

"Dann bleibt uns nur eins, ehrenwerter Truppenführer Kazeyama: Die dunkle Schlingflut, wie sie die Kinder Susanoos erlernt haben."

"Die Kinder Susanoos?! Das ist nicht dein Ernst!!" entrüstete sich Kazeyama. "Sollen wir, die Hände der Amaterasu, bei unseren größten Erbfeinden um Beistand betteln!!" bellte er so laut, dass es bestimmt auch außerhalb der dicken Festungsmauern verstanden wurde. "Treibt dich jetzt der Irrsinn oder die Angst vor der Vernichtung, dass du solch einen verwerflichen Vorschlag nicht nur denkst, sondern ihn mir sogar noch zu Ohren bringst?"

"Ja, mich treibt die Angst um die Vernichtung um, um die Vernichtung unserer Städte und unseres Landes. Fragt den hohen Rat Takayamasan, ob er mittlerweile gehört hat, was der höchst ehrenwerte Minister für Zauberei und Zauberwesen erfahren und beschlossen hat. Eine entfernte Verwandte von mir, die seit zwanzig Jahren für Nakaharas Truppe die Ausrüstungswartung vollzieht, hat mich gewarnt, dass der dunkle Wächter in wenigen Tagen seine brennenden Nagetiere, Vögel und was sonst noch auf größere Städte loslassen wird, weil er die Blutsverwandten des von ihm übernommenen Körpers nicht ausgeliefert bekommt. Wenn es Nakaharas Truppen nicht gelingt, den dunklen Wächter niederzukämpfen, dann wird er sein brennendes Ungeziefer auf alle Städte zugleich loslassen. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie sehr Ihr erbleicht seid, als ihr erfuhrt, welchen verheerenden Schaden die von den amerikanischen Luftkriegern über Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Kernspaltungsbrandbomben angerichtet haben. Ich habe heute nur zweitausend brennende Ratten und Mäuse erledigt. Doch die haben den Bereich um den Abwasserkanal bereits derartig verheert, dass dort alles neu geteert werden muss. Außerdem lodert im Kanal ein Gasfeuer, dass jederzeit zu zerstörerischen Verpuffungen führen kann. Das alles mal eintausend, die in alle Richtungen zugleich unterwegs sind, und kein Mensch in unserem geehrten und geliebten Land wird dann noch was von Hiroshima und Nagasaki sagen. Weil es dann womöglich auch keine Menschen mehr geben wird."

"Die Kinder des Susanoo! Wenn wir das tun können wir uns gleich alle in die eigenen Dolche und Schwerter stürzen", stieß Kazeyama aus. Izanami antwortete jedoch ganz ruhig: "Das wäre zumindest ein schnellerer Tod als von brennenden Reisfeldern, Städten und Wäldern umringt zu verhungern und zu verdursten. Denkt Ihr, es vergnügt mich, die Kinder Susanoos um Hilfe zu bitten? Aber nur wir wissen, wo sie ihren öffentlichen Nachrichtenplatz haben. Unter anderem Ich weiß, wo der hohle Felsen steht, in den sie Botschaften und Berichte hineinwerfen. Ich bitte ehrerbietig im Namen unseres geliebten Landes und Volkes darum, ruft den hohen Rat zusammen und lasst ihn entscheiden, mit den Anbetern der dunklen Fluten zu unterhandeln. Der dunkle Wächter ist auch ihr Feind."

"Ja, und deshalb hängt uns vom ehrenwerten Orden der Hände Amaterasus seit siebenhundert Jahren die Schmach an, dass es hundert missratene Töchter waren, die für ihren Schurkengott gegen die brennenden Schlangen und Vögel, Katzen und Hunde gekämpft und sie wahrhaftig von den größeren Städten ferngehalten haben. Erst mit dem leiblichen Tod des dunklen Wächters gelang es uns, diese Schmach zu mildern. Aus der Welt ist sie jedoch nicht, weil es uns nicht gelang, das Schwert zu zerstören."

"Um das Schwert mag ich mich kümmern, weil mein Schwert ihm hoffentlich ebenbürtig ist", sagte Izanami. "Doch es ist nur ein Schwert gegen vielleicht Milliarden brennender Ratten, Mäuse, Echsen, Vögel und Kleinraubtiere, denen ihr natürliches Leben entrissen und dafür der Wille des dunklen Wächters aufgezwungen wurde."

"Ich werde den hohen Rat einberufen", zähneknirschte Kazeyama. "Doch wenn ich dem berichte, dass du diesen verwerflichen Vorschlag gemacht hast werden sie dir das Schwert nur noch lassen, damit du dich damit selbst entleibst. Das sei dir gewiss."

"Wenn mein Leben die Rettung unseres Landes und der ganzen Welt bedeuten mag werde ich es gerne geben", sagte Izanami. Dann fügte sie noch hinzu: "Doch das Schwert wird in keiner anderen Hand seine Kraft entfalten, wenn es mir selbst den Tod bringt. Mein Vorfahre hat es so bezaubert, dass nur ein Träger seines Blutes und ihn ehrender Mensch es führen und seine ganze Kraft erwecken kann. Sollten also die Räte beschließen, dass ich wegen meiner höchst verwerflichen Anfrage den Tod durch eigene Hand zu sterben habe, so wird der Blitz in der Dunkelheit für immer dunkel bleiben."

"Bettelst du um dein Leben, handelnde Hand Kanisaga?" fragte Truppenführer Kazeyama. "Nein, ich bettel um das Leben Eurer Familie, Eurer noch wachsenden Kinder, um den kleinen Enkel, den Euch Eure Tochter vor drei Monaten geboren hat. Um all diese Leben bettel ich nicht, sondern bitte darum, dass sie nicht einer uralten Fehde geopfert werden, ehe sie groß und stark genug sind, sich zu verteidigen."

"So sei es, dass ich diesen dunklen Weg beschreiten muss, auf dass er uns alle hoffentlich ans Licht zurückbringen kann", knurrte Kazeyama. "Du begibst dich unverzüglich in dein Wohnhaus und bleibst dort, bis wir dich brauchen."

"Ich hoffe, dass wir es nicht bereuen müssen, diesen Weg zu gehen", sagte Izanami. Dann verbeugte sie sich so tief, wie es ihrem Truppenführer gegenüber Pflicht war. Danach verließ sie den Besprechungsraum. Unterwegs begegnete ihr kein weiterer Mitstreiter. Sie überlegte, ob sie sich nicht gerade selbst zum Tode verurteilt hatte. Doch so oder so würde sie in nicht zu ferner Zeit sterben, falls sie nicht feige davonrannte und sich versteckte. Ja, sie könnte in Anthelias neuem Wohn- und Versammlungshaus unterschlüpfen wie Louisette Richelieu. Doch für wie lange wollte sie sich verstecken? Wollte sie erst aus siebter oder achter Hand erfahren, dass ihr Land vom dunklen Wächter zerstört worden war? Wollte sie mit dieser Schande weiterleben, nicht einmal den Versuch gewagt zu haben, gegen ihn zu kämpfen? Sie hatte das Schwert ihres Vorfahren erhalten, um damit die Familie zu schützen, auch um damit das Land zu schützen. Was war ihr Sieg gegen die von Pickman erschaffenen Götterdrachen wert, wenn Tokio doch noch in einem Meer aus Zauberfeuer verglühte? Sie hatte das Schwert, das wohl gegen das Schwert des dunklen Wächters geschmiedet worden war. Ja, jetzt erkannte sie, dass ihr das Schicksal in die Wiege gelegt worden war, gegen den dunklen Wächter selbst anzutreten, von dem es hieß, dass ein Mann alleine ihn nicht besiegen konnte. Ja, sie war doch kein Mann, dachte sie mit einer Spur von Verächtlichkeit.

Den vielleicht vorletzten Befehl ihres Truppenführers befolgend kehrte sie in ihr Wohnhaus zurück. Dort holte sie noch einmal den Zweiwegspiegel hervor. "Höchste Schwester, falls ich mich nicht in zwei tagen wieder bei dir melde, so wurde ich vom Rat dazu verurteilt, den ehrenvollen Freitod hinzunehmen, da ich es wagte, vorzuschlagen, die Kinder des Susanoo, auch die Sturmgeborenen und Wellentreiber genannt, gegen den dunklen Wächter um Hilfe zu bitten."

"Wie, ihr könnt keine Schlingflut?" fragte Anthelia. Izanami bestätigte es. "Aber Witterwasser und Seeleneis könnt ihr. Wie heuchlerisch ist das, zwei machtvolle Zauber als nützlich zu umarmen, auch wenn sie dunklen Gedanken entstammten und dann vor der letzten großen Macht des Wassers zurückzuweichen und sie als falsch und verwerflich anzusehen?"

"Da muss ich dir leider zustimmen, höchste Schwester", sagte Izanami. "Selbst für diese Zustimmung, ja für das Bündnis mit dir, hätte ich schon vor Jahren den Tod verdient. Das weißt du ja auch."

"Und wem verdankst du dann dein Leben?" fragte Anthelia. "Wohl dem Schicksal, das mir heute lauthals zugerufen hat, dass wohl ich den entscheidenden Kampf mit dem dunklen Wächter ausfechten muss, dem Sieger über Sojobo, dem Großmeister des Schwertes."

"Dasselbe Schicksal, das dich mit unserer vorausgegangenen Schwester Pandora zusammengeführt und dich davon überzeugt hat, mit ihr und ihrer Tochter zusammen einen neuen Körper für mich zu finden und mir den Stab des dunklen Wächters zu geben?" fragte Anthelia. Izanami nickte. Von der Ruhe, die sie vorhin noch ausgestrahlt hatte, war jetzt nur noch eine trübe Gewissheit geblieben, dass es an ihr hing, wie die nächsten Tage und Wochen verliefen.

Als sie den Spiegel wieder in ihre diebstahlsichere Innentasche gelegt hatte fühlte sie zum ersten Mal nach vielen Jahren wieder Tränen aufsteigen. Mit einer wütenden Armbewegung wischte sie diese aus den Augen, bevor sie ihre Wangen hinunterrollen konnten. Sie war nicht dazu erzogen worden, im Angesicht des eigenen Todes zu weinen. Weinen sollten nur die, die sie offen und ehrlich betrauerten. Izanami Kanisaga verdrängte das Gefühl der Hilflosigkeit und Angst. Falls sie sich nicht mit ihrem eigenen Schwert töten sollte würde sie sich dem dunklen Wächter zum Kampf stellen.

Ihre jahrelangen Übungen in Disziplin und Gefühlsbeherrschung halfen ihr, sich von den letzten Resten Trübsal und Endzeitfurcht zu lösen. So fand sie ihre gewohnte Ruhe und Selbstbeherrschung wieder. Als ein geflügelter Bote des Ordens an ihr Fenster klopfte war sie bereit, jede Entscheidung ohne Klage und Widerspruch hinzunehmen und auszuführen, was von ihr verlangt wurde.

Sie öffnete das Fenster und ließ den geflügelten Boten ein, eine Mischung aus Kranich und Falken, extra gezüchtet, um unangreifbar und pfeilschnell Nachrichten zu überbringen. Sie las:

Der Hohe Rat hat getobt. Doch ich wurde beauftragt, mit der Friedensfahne ohne unser eigenes Zeichen zum Haus der Kinder Susanoos zu gehen, um diese um Hilfe zu bitten, falls es Takahara nicht gelingt, den dunklen Wächter heute Nacht unschädlich machen zu lassen. Dein Name ist nicht gefallen, Mitstreiterin Kanisaga. Um meiner geliebten Verwandten willen nehme ich die von dir aufgehobene Last auf meine Schultern. Besiege den dämonischen Unhold, wenn wir wissen, wo er zu finden ist. Wir werden uns nicht mehr von Angesicht zu Angesicht treffen. Ich wünsche dir alles Glück, dass du brauchst. Falls du den Kampf überlebst kümmere dich bitte um Hideko und den kleinen Makoto! Dies ist kein Befehl, sondern eine aufrichtige Bitte eines besorgten Vaters und Großvaters.

Es beruhigt mich, die Zeit zu haben, dir für alles zu danken, was du in meinem Dienst vollbracht hast, ob befohlen oder aus eigener Hingabe an unseren Orden, der vielleicht in wenigen Tagen nicht mehr sein wird. Möge der ewige Fluss unsere Seelen in friedliche Gefilde tragen, wo wir uns einst wiedersehen mögen!

Hiro Kazeyama

Er hatte ihr die Last abgenommen, die sie selbst aufgehoben hatte. Das hieß, er würde alle Folgen ihres Vorschlages tragen, ja sogar den Tod durch eigene Hand, weil er es gewagt hatte, den hohen Rat um die Unterhandlung mit den Kindern Susanoos zu bitten. Ja, und er hatte ihr die Aufgabe übertragen, seine Tochter zu beschützen und den gerade wenige Monate alten Enkelsohn. Doch konnte sie das? Durfte sie das überhaupt? Immerhin hatte der hohe Rat nicht entschieden, dass sie sich töten sollte oder von wem anderem getötet wurde. Lag es nur an dem Schwert, das sie geerbt hatte? Oder hatte Hiro Kazeyama beschlossen, dass er seine Familie retten müsse und nur einen von vielen Gedanken umgesetzt, die in Umlauf waren?

"So werde ich denn für Euch und alle anderen dem dunklen Wächter entgegentreten", dachte Izanami, die sich nun vielfach verpflichtet sah, diesen einen Kampf zu führen.

"Übungsmeister aufgepasst!" rief Izanami und zog einen unbezauberten Katana aus einer an der Wand befestigten Schwertscheide. Unvermittelt entstieg ein in dicker Lederrüstung steckender Mann aus dem Boden. Doch es war kein Mann aus Fleisch und Blut, sondern ein auf Schwertkampftechniken und Nahkampfübungen geprägter Eisendiener. Gegen diesen würde sie nun fechten, um möglichst gut vorbereitet zu sein, wenn der entscheidende Kampf bevorstand.

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Takeshi fühlte, wie ihm die Aufmerksamkeit entglitt. Gleichzeitig meinte er, dass die beiden blauen Lichter ihn immer mehr auseinanderzogen. Konnte man einen Geist zerreißen, eine Seele zerteilen? Ja, das konnte man, wusste er von dem, der gerade mit einem mächtigen Schwertstreich an den Hals Nakaharas dessen Leben beendete. Für einen winzigen Moment flammten die zwei blauen Lichter noch heller auf, und Takeshi meinte, wie auf einem Wackelbrett zu stehen. Dann zogen die Kräfte noch weiter an ihm. Er fühlte echt sowas wie einen Körper. Auch der Dämon in seinem stofflichen Leib fühlte wohl die dunkle Macht, die hier wirkte. Das Schwert blitzte immer wieder kurz auf und wurde dann ganz dunkel. "Dein Missgeschick, achso siegreicher Krieger. Jetzt hat dein eigenes Seeleneis deinen stinkenden Geist gefressen und sich einverleibt. Die in Yomi können auf dich verzichten", hörte Takeshi die merkwürdig verschwommen klingende Gedankenstimme des dunklen Wächters. Was bitte war Seeleneis?

Takeshi fühlte die beiden an ihm ziehenden Kräfte. Wenn sie ihn wirklich zerrissen, dann würde alles was ihn ausmachte verfliegen oder von den beiden dunklen Zaubern aufgefressen und unwiederbringlich verdaut. Dann würde er seine Verwandten niemals wiedersehen, nicht seinen Vater, den er um Verzeihung bitten musste, noch seine Mutter, die wohl gerade irgendwo in einem Dornröschenschlaf lag, um nicht gefunden zu werden, genauso wie seine beiden nervigen, aber jede für sich doch ganz liebenswürdigen Schwestern. Ihm würde dasselbe geschehen wie diesem Katsuro Nakahara.

"Ich bin nicht wiedererwacht, um mich von zwei Brocken Seeleneis verschlingen zu lassen", knurrte der dunkle Wächter und sprang auf. Doch er taumelte. Fast wäre er in das Schwert gestürzt. Doch er nutzte es als Gestock und kämpfte sich mit wackeligen Beinen voran, weg von diesem Ort, von dem eine unheilvolle Kraft ausging, die lebende und tote Wesen bedrohte.

Takeshi dachte erst, die beiden dunklen Kraftquellen würden ihn festhalten und doch noch in sich hineinziehen wie zwei kleine schwarze Löcher, um sich an seiner Seelenenergie zu stärken. Dann fühlte er, dass das unsichtbare Band, das ihn immer noch an seinen lebenden Körper band, immer straffer wurde. Es vibrierte mit jedem Schritt, den der dunkle Wächter tat. Gleich würde es zerreißen, und er würde wie ein Stück abgerissenes Gummiband davongeschleudert. Dann ruckte es. Takeshi stieß einen gedanklichen Aufschrei aus. Dann wurde er davongeschleudert.

Erst dachte er, endgültig in eines der blauen Lichter zu geraten. Doch in Wirklichkeit flog er dem dunklen Wächter hinterher, prallte auf die unsichtbare Barriere, die ihn an der Rückkehr in seinen Körper hinderte, prallte nach oben hin weg und flog mindestens hundert meter nach oben, bevor das unsichtbare Halteband ihn wieder abbremste und nach unten zog. Dann sah er, wie der dunkle Wächter in drei Anläufen den Feuerstrudel erschuf, sich dort hineinwarf und ihn hinter sich herzog.

"Dann soll es eben brennen, dieses unwürdige Inselreich. Ich werde erst Yokohama und Kyoto, dann Tokio und dann alle anderen Städte hinwegbrennen", hörte Takeshi den dunklen Wächter denken. "Hört mein Wort an eurem Ort, ziehet los zu Brand und Mord!!" rief der Wächter mit auf den Boden gesetzter Schwertspitze. Sein Schwert glühte nun wieder hell auf. Hier in diesem Kellerraum wirkte keine saugende Zauberkraft mehr. Takeshi fühlte sich nun auch wieder völlig schwerelos.

Mit großem Unbehagen sah er, wie heftig dieses Zauberelixier, was die Krieger aus den Wasserpistolen verschossen hatten, den Körper des Jungen verunstaltet hatte. Doch immer noch schien der darin steckende Unhold keine Schmerzen zu fühlen oder konnte sie ebenso wie ein Blitzableiter von sich ablenken wie die ihm entgegengeschickten Kampfzauber.

Auch der restliche Körper hatte wohl von diesem Teufelsgebräu was abbekommen. Takeshi fielen Dokumentationen aus Tschernobyl ein, wo die heftig von der ausgetretenen Strahlung betroffenen ähnlich ausgesehen hatten, nur dass denen dann auch noch die Haare ausgefallen waren. "Heile Feuer, Feuer des Heils!" hörte Takeshi den Körperräuber denken, während er sich mit der nun blutrot glühenden Breitseite seines Schwertes von oben bis unten bestrich. Natürlich, immerhin hatte der sich ja auch eine tödliche Wunde weggezaubert, als er Takeshis Geist daraus vertrieben hatte. Jetzt heilten die roten Geschwüre und Blasen restlos ab, sobald das Schwert darüberstrich. Erst als der dunkle Wächter jede Körperstelle mit seiner ansonsten tödlichen Klinge überstrichen hatte erlosch die blutrote Glut. Von den Hautveränderungen war nichts mehr zu sehen, nicht mal die lästigen Pickel, die Takeshi sonst immer mit Reinigungs- und Entzündungshemmungslösungen bekämpfte.

Takeshi erkannte, dass er einen sehr schönen jungen Körper hatte. Sicher hätte er damit schon das eine oder andere Mädchen beeindrucken können. Doch die von seinen Eltern aufgeladene Verantwortung für seine jüngeren Schwestern hatte ihn von sowas abgehalten. Bei dem Gedanken an seine Eltern fühlte er Trauer und Schuld. Er hatte unter dem bösen Zauber des Dämons da vor ihm seinen Vater umgebracht. Sicher, der war wohl auch von diesem Unhold verhext worden, ihn umzubringen. Der dabei angefachte Hass und die bei beiden bestehende Todesangst hatten es dem Höllenschwert ermöglicht, zielgenau in Takeshis Händen zu landen. Er konnte also nichts für den Tod seines Vaters. Doch was würde mit seiner Mutter? Würde er auch zusehen müssen, wie der dunkle Wächter seine Mutter und seine beiden Schwestern umbrachte? Oder sollte er lieber darauf hoffen, dass jemand kam und diesen Erzbösewicht da mit einer magischen Waffe wie dieses Höllenschwert erledigte und Takeshi damit den Weg in die Nachwelt freigab?

Er dachte wieder an die riesenhafte Geistererscheinung in der Hexenhöhle, in die der Räuber seines Körpers zuerst übergewechselt war. Hoffentlich bekam die nicht mit, wenn Takeshi den Halt in der Welt der Lebenden verlor. Den gemeinen Dämon konnte sie gerne fressen. Dann durchzuckte ihn der angstgetriebene Gedanke, dass dieses Gespensterweib vielleicht mithörte, was der von ihr geborene Unhold und der an seinem rechtmäßigen Körper hängende Geist dachten. Oder ging das nur, wenn sie da waren, wo dieses Riesengespenst seinen zugeteilten Spukort hatte? Dann hatte er durchaus eine echte Chance, unangefochten ins Jenseits zu wechseln, wenn sein Körper weit genug von der weg vernichtet wurde. Tolle Aussichten, fand der aus dem eigenen Körper verstoßene Jugendliche.

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Ichiro Nakahara fuhr zusammen, als mit lautem Klageruf das Bild seines Sohnes flimmerte und der silberne Rahmen übergangslos pechschwarz anlief. Damit hatte er es amtlich. Sein Sohn war bei dem Kampf gegen den dunklen Wächter gefallen. War es womöglich ein Fehler gewesen, ihm den kleinen Vorrat an Seeleneis zusammen mit Witterwasser zu übergeben. Wie sollte er es dem höchst ehrenwerten Minister für Zauberei und Zauberwesen darlegen? Was war mit den anderen?

"An den Einsatztrupp Shinkansen! Wer noch lebt bitte melden!" rief er in ein silbernes Horn, das mit den Schallverteilern der von ihm ausgesuchten Männer verbunden war. Nach und nach erhielt er die Rückmeldung von nur noch dreißig Kriegern. Als er erfuhr, dass sie sich von einer aus der Erde beschworenen Glutwolke hatten verscheuchen lassen hieb er wütend auf den Tisch vor sich. "So, ihr ehrlosen Feiglinge. Mein Sohn hat was bei sich gehabt, um diesem Feuerzauber zu widerstehen. Ihr hättet einfach nur dort warten sollen", knurrte er. "Er hat uns mit seinem Schwert so heftig getroffen, dass jeder sofort starb, den er getroffen hat. Das Schwert durchdrang die Körperschilde. Dann rief er diese Lavasäule, die zur Glutwolke wurde und ..."

"Ihr geht da sofort wieder hin und seht zu, dass ihr den Unhold noch erwischt. Ihr kommt nur wieder zurück, wenn ihr wirklich nichts anderes mehr tun könnt", bellte Nakahara in das Schallverpflanzungshorn.

Zwanzig Minuten später wusste er vier Dinge: Sein Sohn war tot, genauso durch einen heftigen Schlag gegen den Hals getötet wie zehn der mitgeschickten Krieger. Beide Portionen Seeleneis waren freigesetzt worden und würden noch bis zu den ersten Sonnenstrahlen dort wirken. Ein Teil des eisernen Weges für den Hochgeschwindigkeitszug war schwer beschädigt. Das musste noch geklärt werden. Ja, und der dunkle Wächter und sein Schwert waren verschwunden. Offenbar hatte es sein Sohn nicht geschafft, das Seeleneis genau über das Schwert zu ergießen. Ach ja, und die fünfte Erkenntnis war, dass das Schwert die Witterwasserstrahlen aus den Spritzpistolen schneller verdampfte als es davon geschwächt wurde. So blieb am Ende doch nur Feuer mit Feuer zu bekämpfen. Er wusste, dass bei den Händen Amaterasus mehr Wert auf Feuerzauber gelegt wurde und dass Izanami Kanisaga ein Schwert mit Feuerkräften hatte. Wenn sie wussten, wo der Wächter demnächst auftauchte würde er den Minister dazu bringen, diese Hand Amaterasus zu ihm hinzubringen.

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25.08.2004

Sie kamen aus der Dunkelheit. Sobald sie losliefen glühten ihre Pelze im Licht von blutroten Flammen, dem Zeichen des Ryu no Kiba. Es wurden immer mehr, bis sie einen einzigen blutroten Flammenteppich bildeten. Ihr Auftrag war Zerstörung, ihr Daseinszweck der Tod.

Die brennenden Ratten und Mäuse liefen durch die Kanalgänge, mieden jedoch den stinkenden Strom der Abwässer. Sie würden an verschiedenen Stellen aus dem Boden steigen und sich dann so schnell es ihre Art erlaubte über die Straßen und Häuser hermachen. Denn er hatte sie zum großen Kampf gerufen.

"Da sind diese Biester. Sie stinken nach Blutfeuer. Der dunkle Wächter selbst hat sie mit seinem Makel behaftet", sagte ein Mann in wasserblauen Gewändern. Er atmete durch eine Kopfblase. Neben ihm stand eine junge Frau, seine eigene Tochter, aber schon mit Anfang zwanzig eingeweihtund geübt in den Künsten der Kinder des Susanoo, dem Herren über Wind und Wellen, dem aus dem Himmel verbannten Scherzbold und doch ihr geliebter Urvater.

"Alle bereit? Dann los!" rief der Anführer der insgesamt zehn in Wasserblau gekleideten. Sie schwangen ihre Zauberstäbe, die ausnahmslos Bestandteile mächtiger Meereswesen enthielten. Denn aus dem Meer kam alles, und dorthin würde auch alles zurückkehren, sowie die Wellen des Ozeans die Küsten ihrer geliebten Heimatinseln umspülten. Nur zwischendurch wurde ihr Urvater mal wütend. Dann bebte die Erde, und immer wieder rollte eine große Welle über das Land hinweg und fraß alles, was ihr in den Weg kam. Doch heute kam die Welle nicht vom Meer her, sondern aus den vielen Gängen vor und hinter ihnen. Doch hier unten gab es auch genug Wasser.

In einer jahrelang geübten Abstimmung sangen die zehn Kinder Susanoos ihre dunkle Anrufung. Vor ihnen türmte sich immer mehr Wasser auf, das immer dunkler wurde. Der Wasserberg stieg rauschend bis zur niedrigen Decke. Dann brauste die dunkle Woge los, genau hinein in die blutrote Glut. Ein lautes Zischen, Fauchen und krachen ertönte, als die dahinjagende Welle ihre ersten Opfer niederwälzte. Die aus dunkler Zauberkraft belebten Nagetiere barsten unter der Einwirkung einer dunklen Zauberkraft, die jeden Wassertropfen so verheerend machte wie einen großen Eimer voll. Witterwasser war die erste Stufe dieses Zaubers. Die Meisterstufe war die Schlingflut. Je mehr sie beschworen, um so verheerender wirkte sie sich auf alles aus, was sie traf.

Die brennenden Nagetiere machten keine Anstalten, der sie überspülenden Vernichtungswelle zu entkommen. Sie hatten einen Auftrag. Den mussten sie befolgen. Sie hatten keinen Überlebenstrieb, weil sie schon tot waren. So brauste und toste die Welle aus Kanalwasser und dunkler Magie durch die Gänge, vertilgte jedes blutrote Flämmchen und zerfetzte die untoten Nagetiere. Innerhalb von nur einer Minute konnten die Beschwörer dieser unheilvollen Gewalt kein blutrotes Flämmchen mehr erkennen. Doch die Schlingflut rollte weiter, getrieben von dem in sie hineingerufenen Willen, alles zu vernichten, was ihr in den Weg geriet. Die Kinder Susanoos wussten, dass ihr Zauber auch unschuldige Lebewesen von der Ratte bis zum Kanalarbeiter erwischen konnte. Doch wenn es half, den Feuersturm des dunklen Wächters zu ersticken mussten Opfer gebracht werden. Anders als die der warmen Sonne verhafteten Hände Amaterasus wussten die Kinder Susanoos, dass um Leben zu bewahren auch Leben genommen werden musste. Es war wie bei den natürlichen Wellen. Sie kamen, sie nahmen, sie brachen und gaben ihre Kraft dem Weltmeer zurück. So war es, so würde es sein, heute und in tausend Jahren noch.

"Schwester Michiko, habt ihr eure Stadt auch freigespült?" fragte die Tochter des "Meisters der Wellen" von Yokohama.

"Schwester Kyoko, wir stehen in einer stürmischen See aus kleinen feurigen Nagetieren. Fast hätten die flammenden Wogen uns überrollt. Doch jetzt spricht die Macht des Urvaters. Da werden die Heere der heeren Erinnerung aber viel zu tun haben."

"Das werden sie dann wohl den Sonnenanbetern überlassen, die mit ihrem Silberblitzer Erinnerungen umfärben", gedankensprach Kyoko zurück. Michiko war ihre Stillschwester in Kyoto, der einstigen ehrwürdigen Hauptstadt.

"Habt acht, von hinten strömt neues unnatürliches Ungeziefer herbei!" warnte der Meister der Wellen. Seine Gefolgschaft schwang sich auf die mitgebrachten Besen und stieg so weit es ging nach oben. Da kamen sie auch schon in einer einzigen wütenden Woge blutroter Flammen herangejagt, weitere abertausend Kanalratten. Kyoko musste dem wiedererstandenen dunklen Wächter zuerkennen, dass er die wenigen Tage seines zweiten unreinen Lebens sehr gut ausgenutzt hatte. Sie hörten nur das in der Ferne verklingende Tosen der dunklen Flut und von vorne das leise Zischen und Knistern der kleinen Flammen. Kein Trappeln, kein Quieken, nichts was natürlich lebende Ratten an Geräuschen von sich geben konnten. Gerade als die vorderen Reihen der brennenden Nagetiere die Gegner sahen und sich zum Sprung bereitmachten ließen die Sänger der Schlingflut die aufgewühlten Wassermassen in die Gegenrichtung strömen. Laut tosend rollte die Welle aus bezaubertem Wasser heran. Gerade sprangen zwanzig Ratten nach oben ... und prallten gegen das blaue Netz der zahmen Wasser, das eigentlich aufgespannt worden war, um dahinter vor den Schlingflutwellen geschützt zu sein. Für die brennenden Ratten bedeutete der Aufprall jedoch, dass sie hängenblieben und die Flammen von Blutrot zu Hellviolett umschlugen. Laut prasselnd verbrannten die im Netz der zahmen Wogen hängenden Feuerratten. Die anderen rannten unbeirrt heran und voll in die ihnen entgegenbrandende Schlingflut. Es fauchte ohrenbetäubend laut, als mit dunkler Magie erfüllte Wassermassen auf ebenso schwarzmagische Feuerzungen trafen. graublauer, aus sich heraus in flirrenden Lichtentladungen blitzender Dampf wölkte auf. Dann war die Stoßfront der Schlingflut durch und wälzte sich durch die heranströmenden Feuerratten. Dabei schossen einige Dampfwolken durch die senkrechten Zugangsschächte nach oben. Die Kinder Susanoos wussten, dass der aus dunklem Feuer und Schlingflutwasser entstehende Dampf beim Einatmen zu Erstickungsfällen führen konnte. Doch die andere Möglichkeit wäre wohl gewesen, dass die Menschen da oben von den Feuerratten und -mäusen qualvoll bei lebendigem Leibe verbrannt worden wären. Am Ende konnten diese untoten Tiere ihren Feuerfluch noch weitergeben wie karibische Zombies oder Pelzwechsler. Das mussten sie ja wirklich nicht haben.

Als auch die anderen Gänge freigespült waren suchten die besten Flieger nach weiteren mit dunklen Feuerzaubern behafteten Wesen. Dabei blieb es nicht aus, dass sie den durch die verschiedenen Zaubereien herbeigerufenen Sicherheitsleuten des Zaubereiministeriums über den Weg flogen. Diese wollten die blaugekleideten Beschwörer festnehmen. Doch Diese ließen zwischen sich und den hochamtlichen Gegenspielern blaue Wände aus verdichteten Luftmassen entstehen, die auch auf nicht darauf abgestimmte Flugzauber wirkten, dass davon getriebene Flugkörper in die Gegenrichtung umgelenkt wurden, sobald sie mit den verdichteten Luftmassen zusammentrafen. So konnte Kyoko sehen, dass zwei Ministeriumszauberer mit einer Rolle Rückwärts und fast an der Decke anstoßend davongeschleudert wurden. Einer davon war Ichiro Nakahara persönlich. Was der hier in Yokohama wollte, wo der doch in Tokio zu sein hatte interessierte Kyoko nnur am Rande. Ihr war wichtig, dass sie und die anderen Kinder Susanoos die hellblauen Gesichtsmasken trugen, die für sie Atemschutz, Hitzeschutz und Vermummung in einem waren. So würden die Ministeriumsbeamten nur wissen, dass die von ihnen als verdächtige Gruppierung eingestuften Sturm- und Wellenanbeter die heftige Wasserbezauberung zu verantworten hatten.

"Keine kleinen Feuernager mehr zu finden? Dann lasst uns von hier verschwinden", befahl der Meister der Wellen seinen Begleiterinnen und Begleitern. Die Besen erstrahlten in einem satten Mondlichtsilbern und verschwanden mit ihren Reitern. Kaum waren sie fort, stürzten die von dunklem Elementarzauber getriebenen Wassermassen laut rauschend wieder in die vorgesehenen Kanalrinnen zurück.

"Kann mir bitte wer verraten, wer diese Sturmreiter und Wellenmacher gerufen hat?" fragte Ichiro Nakahara sehr wütend. "Außer uns und den Sonnengelben wusste niemand, dass der dunkle Wächter wieder aufgewacht ist."

"Herr Nakahara, ihr wisst, dass die selbsternannten Kinder Susanoos ihre Augen und Ohren überall dort haben, wo Wasser rauscht. Zumindest hat uns das der eine von denen erzählt, den wir festnehmen konnten, bevor der sich in einen Regenbogenkarpfen verwandelt hat und ohne Zauberstabnutzung disappariert ist."

"Ja, und wir wissen ja mittlerweile, dass dies die Strafe für freiwilligen Verrat ist, dass sie in ihrer bei der Vereidigung zugelosten Wassertiergestalt in ein passendes Gewässer versetzt werden, wo sie im Lauf der Jahre ihr Menschengedächtnis verlieren, falls sie nicht vorher gefangen und verzehrt werden", sagte einer von Nakaharas Begleitern. Der oberste Lenker der Sicherheitsbehörde schüttelte sich. Am Ende hatte er schon was von einem ehemaligen Sohn oder einer Tochter Susanoos gegessen. Nein, er wollte das sofort wieder vergessen, was der Untergebene gesagt hatte.

"Ich werde den Verbindungsmann von den Sonnengelben vorladen. Falls die diese Sturmbläser auf die Feuerratten angesetzt haben war es das mit dem ehrenwerten Orden der Hände Amaterasus."

"Tja, wenn der höchst verehrte Minister für Zauberei und Zauberwesen da mitzieht, Nakaharasan."

"Hörte ich den Klang und die Worte der Frechheit aus Eurem Mund, Sicherheitsbewahrer Nakatomi?" fragte Nakahara. Der Angesprochene verneinte das natürlich und berichtigte sich dahingehend, dass der Minister sicher auf seinen Sicherheitslenker hören würde. Zwar erkannte Nakahara das als Heuchelei, hielt dem anderen aber zu Gute, dass er ihn ja dazu gedrängt hatte.

Zwei Stunden später traf Nakahara die vor der Glutwolke des dunklen Wächtters geflüchteten im großen Versammlungsraum. Auch die übrigen Sicherheitsbewahrer waren anwesend. "Ihr mögt glauben, ich würde streng mit euch sein, weil ihr meinen Sohn Katsuro im Stich gelassen habt. Doch nicht nur seine Frau, seine Mutter und seine zwei Töchter weinen um ihn, sondern auch die Mütter, Frauen und Kinder der zehn anderen, die ihr zurückgelassen habt. Ihr habt euch höchst unehrenhaft verhalten und müsstet dafür in Schande aus diesem hoch wichtigen Amt verstoßen werden. Doch der höchst ehrenwerte Minister für Zauberei und Zauberwesen lässt Gnade walten, weil er findet, dass ihr noch gebraucht werdet. Deshalb lautet die eurem schändlichen, feigen Tun angemessene Strafe den Verlust von zwei erreichten Rangstufen und die Rückzahlung von drei Monatsgehältern. Außerdem müsst ihr zwei Jahre lang ein Drittel eures Gehaltes in den großen Topf für die Witwenfürsorge einzahlen. Seid froh, dass ich euch nicht das Zeichen für Feigheit auf die Stirn brennen lasse, wie es bei solchem Verhalten üblich ist. Aber wie erwähnt wollte der Minister euch nicht verlieren", schnaubte Nakahara. Dann ließ er die Abgestraften in die rote Ecke treten, wo sie bis zum Ende der Sitzung verbleiben sollten.

"Der Minister hat mir geraten, die Kinder Susanoos solange gewähren zu lassen, wie sie mit ihrem verwerflichen Zauberwerk das größere Übel der brennenden Nagetiere zurücktreiben können. Allerdings wird ab dem ersten September internationaler Zeitrechnung wohl ein neuer Wind durch unser Land wehen, nicht nur was die Kinder Susanoos angeht."

"Sofern der dunkle Wächter und die von ihm aufgehetzten Yokai uns solange leben lassen", wagte einer der dienstälteren Sicherheitstruppler unerlaubt einzuwenden.

"Wollt Ihr auch in die rote Ecke zu diesen Feiglingen da?" fragte Nakahara. Der Angesprochene verneinte es. "Dann hört alle gut zu: Es ist allen mit der Sicherheit unseres Landes betrauten verboten, uns und das Land aufzugeben. Das heißt auch, dass jede den Kampfeswillen und die Zuversicht schwächende Rede untersagt ist. Dies war eine einmalige und fortan gültige Rechtsbelehrung. Jede weitere Zuwiderhandlung kann mit Gehaltsrückforderung oder Innendienst für bis zu fünf Jahren geahndet werden." Alle hier anwesenden stöhnten. Innendienst war gleichbedeutend mit einer Gehaltskürzung auf ein Drittel, unabhängig vom erreichten Rang.

"So viel zum weiteren Vorgehen: Dem dunklen Wächter ist mit Witterwasser nicht beizukommen. Da er sich tagsüber versteckt hält und sich nur Nachts zeigt werden die Tagschichten auf die halbe Mannstärke heruntergefahren und die Hälfte in die Nachtschicht übernommen. Der in Erfüllung seiner beeideten Pflicht gefallene Sicherheitsbewahrer Katsuro Nakahara hat bewiesen, dass Seeleneis dem zum Körperräuber gewordenen Geist des dunklen Wächters zusetzen kann. Daher werden wir zusehen müssen, kleine Keimzellen von Seeleneis herzustellen, bis wir diesen Schurken unschädlich gemacht haben werden. Das aber darf niemand in der Bevölkerung wissen, da Seeleneis zurecht als verbotener Zauber gilt, genau wie die Feuerbezauberung von Tieren oder das Rufen von Schlingfluten." Die Anwesenden nickten.

Als Nakahara endlich alle notwendigen Handlungen an und mit seinen Leuten durchgeführt hatte traf er sich mit dem Minister und Hiroki Takayama von den Händen Amaterasus. Bei diesem war noch einer, den Nakahara schon einmal getroffen hatte, Hiro Kazeyama, der in gewisser Weise sein Konkurrent war, was die Bekämpfung dunkler Wesen und Zauberer anging. Dieser hatte ein Geständnis abzulegen. Er hatte die Kinder Susanoos in eigener Verantwortung aufgesucht und sich mit deren vier obersten Wellenmeistern getroffen. Als der Minister wissen wollte, seit wann die Hände Amaterasus gemeinsame Sache mit ihren Erbfeinden machten sagte Kazeyama: "Es war ganz alleine meine Entscheidung, die Mitglieder dieses zweifelhaften Ordens aufzusuchen. Der Orden wusste bisher nichts davon. Mein Ratsgenosse Takayama hier ist der erste, dem ich dies gestehe."

"Wem wollt Ihr hier was vormachen, Herr Kazeyama?" knurrte der Minister. Nakahara nickte beipflichtend. "Ich kenne die trügerische Einstellung, dass des Feindes Feind mein Freund sein kann, auch wenn er bis dahin auch mein Feind war. Keiner von Euch handelt ohne Wissen der anderen Ratsgenossen und schon gar nicht ohne deren mehrheitliche Zustimmung. Es mag Euch ehren, Herr Kazeyama, dass Ihr alle Schuld von Eurem Orden fernhalten wollt. Doch diese Handlung könnte genau das Sandkorn sein, das den aufgetürmten Geröllhaufen ins Rutschen und über Sie zum Einsturz bringt", sagte der Minister. "Ich hätte jetzt schon die rechtliche Handhabe, den Orden der Hände Amaterasus aufzulösen. Doch ich gewähre ihm noch die verbleibende Bewährungsfrist, um das angerichtete Unheil zu beenden, bestenfalls ohne noch mehr unschuldige Menschenleben zu gefährden, sei es durch falsches Handeln, Unterlassung oder die Befürwortung höchst fragwürdiger Mittel."

"Welche Mittel wären gegen Feuerratten und andere untote Tiere des dunklen Wächters erlaubt?" fragte Takayama scheinbar demütig. Doch der Minister schien eine gewisse Aufsässigkeit aus der Frage herauszuhören. Doch er beließ es nur bei eimem warnenden Blick und sagte wegen des mitgeschriebenen Protokolls: "Die Aufspürung und Festsetzung des dunklen Wächters, da dieser der Befehlshaber über diese brennende Plage ist. Je schneller sie ihn handlungsunfähig machen, am besten für unbestimmte Zeit, desto sicherer ist, dass dessen zerstörerischen Schöpfungen vergehen, ohne weiteren Schaden anzurichten. Auch deshalb gewähre ich Eurem Orden noch die Tage bis zum Ende des Kalendermonats."

"Dieses zu vollbringen ist unser höchstes Streben und liegt ganz und gar in unserem Sinne", sagte Takayama und sah den Ratskollegen Kazeyama an. Dieser wirkte sehr angestrengt. Womöglich musste er einen Ansturm von Gefühlen niederringen, dachte Nakahara. Na ja, bald würde Kazeyama sich entscheiden müssen, ob er weiter unter seiner Führung die ihm anvertraute Truppe unter seine Führung stellte oder Gefangenschaft oder Tod wählte.

"Höchst ehrenwerter Minister, unsere Beobachter in Tokio, Kobe und auf Hokaido melden, dass auch dort blau vermummte Zauberer und Zauberinnen die verbotene Macht der Schlingfluten heraufbeschworen haben, um ein viele hunderttausend Einzelwesen umfassendes Rudel Feuerratten und andere untote Tiere zu vernichten", vermeldete ein ministerieller Herold.

"Immerhin entreißt dieses Tun dem dunklen Wächter seine stärksten Waffen. Er weiß nun, dass er nicht unbesiegbar ist", dachte Nakahara. Doch das würde er niemals laut auszusprechen wagen. Denn an Kazeyama mochte er sehen, was der Verlust liebgewonnener Vorrechte bedeutete. Doch ausgerechnet an dem konnte er auch sehen, was Haltung und Ergebenheit bedeutete. Das wiederum beeindruckte den Sicherheitsbehördenleiter. Doch auch das würde er niemals offen zugeben.

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Takeshis Geist bekam mit, dass der Räuber seines rechtmäßigen Körpers sehr nervös und verärgert war. Er bekam auch mit, wie immer wieder das von diesem ständig am Körper getragene Schwert blutrot aufblitzte und dann wieder in seinem ursprünglichen Grünton schimmerte. "Schlingflut. Diese unwürdigen Wasserspeier vernichten meine Helfer mit diesem Schlingflutzauber, den der Meister des schwarzen Berges schon gegen Feuerwesen benutzt hat", dachte der Dämon in Takeshis Körper. Ein leises, schadenfrohes Lachen wie aus weiter Ferne erklang. Das war der nicht minder dämonische Geist der von ihm getöteten Yamauba, die sich als Yamanonechan bezeichnete, weil sie die Erstgeborene von zwanzig dieser Berghexen war. Takeshi hätte womöglich eine Gänsehaut bekommen, weil er daran dachte, dass diese zur riesigen Geisterfrau gewordene Gestalt weiterhin mitverfolgte, was ihrer eigenen Ausgeburt und Todesursache in einem zustieß. "Dann muss ich eben statt der niederen Nager Menschenseelen opfern und ihre Leiber zu meinen Dienern machen, um meinen Willen durchzusetzen", dachte der dunkle Wächter. Takeshi ahnte, dass der grausame Geist in seinem Körper jetzt erst recht Tod und Zerstörung über das Land bringen würde. War der denn wirklich nicht aufzuhalten? Doch was bitte war eine Schlingflut? Irgendwie hatte dieser Abgesandte des Dämonenreiches eine unüberhörbare Angst vor diesem Zauber. Vom Namen her war es wohl ein schwarzmagischer Wasserzauber. Doch am Ende mochte damit ein Übel gegen ein anderes ausgetauscht werden.

"Heute Nacht wird Tokio brennen. Ich werde dort selbst feurige Ernte halten. Dann werden die Menschen es hinnehmen, dass ich ihr wahrer Kaiser bin und bleiben werde."

"Und sie werden allesamt den Tod wählen, um nicht in der von dir geschaffenen Hölle leben zu müssen", dachte Takeshi.

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Anthelia/Naaneavargia gefiel es nicht, dass Izanami bei den letzten Spiegelgesprächen so verbissen dreingeschaut hatte. Auch die Erwähnung, dass sie wohl das Schicksal habe, gegen die Wiederverkörperung des dunklen Wächters zu kämpfen bereitete ihr Sorgen. Bisher hatte der aus seinem Gefängnis entkommene Geist eines uralten Dunkelmagiers immer wieder gesiegt. Am Ende war es nicht Izanamis, sondern ihr persönliches Schicksal, gegen diese Ausgeburt von Größenwahn anzutreten, weil sie dessen Stab eingefordert und zu ihrem ganz eigenen Zauberstab gemacht hatte. Sollte sie Izanami noch einmal darauf hinweisen, dass sie sie sofort rufen sollte, wenn sie dem dunklen Wächter gegenübertrat? Nein, das würde an Izanamis verbissener Haltung nichts ändern. Die Hände Amaterasus waren sehr stolz. Izanami machte keine Ausnahme. Dann fiel ihr ein, was Izanami ihr über diesen armen Jungen Takeshi Tanaka erzählt hatte. Dessen Blutsverwandte wurden vom Zaubereiministerium irgendwo im zaubertiefschlaf und in einem Geflecht von Abschirmzaubern verwahrt. Wenn sie diese aus der Obhut der Ministeriumsleute herausholte und erweckte würde das womöglich den dunklen Wächter anlocken wie der Honig die Wespen oder der Paarungsruf eines Drachens das passende Weibchen. Dann musste er zu ihr hinkommen, wo immer sie war. Ihr fiel ein, dass der Wächter das Tageslicht scheute wie ein Vampir oder Nachtschatten. Womöglich wirkten in seinem Geist ähnliche Zauber wie bei diesen beiden so unterschiedlichen Zauberwesenarten. Vertrug er kein Sonnenlicht, oder war es das Schwert, was er geschmiedet hatte? Es kam wohl auf einen Versuch an.

Anthelia machte sich unverzüglich an die ihrer Meinung nach nötigen Vorbereitungen. Sie war froh, diese Beschäftigung zu haben und nicht über Izanamis Schicksal grübeln zu müssen. Sie musste den Kopf wieder freibekommen, weil die Vampirsekte, die Nachtschattenbrut Birgutes und vor allem Ladonnas Hunger nach mehr Macht und Einfluss die Welt genauso bedrohten wie der dunkle Wächter, der im Moment nur in Japan wütete. Sie war froh, dass heute ein klarer Sommertag in der Gegend um Boston war.

Falls Izanami und ihre Mitstreiter den Wächter nicht davon abhalten konnten, auch in andere Länder einzufallen würde sie sich ihm wohl stellen müssen und ihn mit Yanxothars Klinge bekämpfen. Sie wusste, dass sie dabei sterben konnte. Allerdings würde der dunkle Wächter diesen Sieg nicht überleben. Doch sie wollte noch sehr lange in diesem nicht älter werdenden, wunderschönen Körper leben. Um dies so wahrscheinlich wie möglich zu machen nutzte sie alles, was sie für ihr Vorhaben aufbieten konnte.

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26.08.2004

Takeshi hatte Angst, nicht um sich, denn er war ja schon tot. Er bangte um viele Millionen Menschen, die der Rache des dunklen Wächters ausgeliefert waren, ohne sich dagegen wehren zu können. Denn der Dämon hatte bewiesen, dass ihn nicht einmal vierzig echte Kampfzauberer erledigen konnten. Seine brennenden Zombietiere waren offenbar alle vernichtet worden. Jetzt würde er wohl unschuldige Menschen zu solchen bedauernswerten Geschöpfen machen.

Takeshi musste an die Geschichten vom christlichen Teufel denken, der in einer Wolke aus Feuer und Schwefel aus der Hölle heraufgefahren kam. So ähnlich mochte es für Leute sein, die den dunklen Wächter aus dem wild kreisenden Feuerstrudel heraustreten sahen. Ob er eine stinkende Schwefelwolke um sich verbreitete konnte der körperlose Junge nicht wahrnehmen. Überhaupt seltsam, dass er hören und sehen, aber nicht riechen oder schmecken konnte. Jedenfalls standen der Dämon und der an ihm hängende Geist auf einem Flachdach. Unter ihnen breitete sich die aus 23 Einzelbezirken zusammengesetzte Metropolregion Tokio aus. Takeshi hatte früher daran gedacht, einmal hier zu arbeiten oder von hier aus den Rest der Welt zu erkunden. Jetzt war er schon siebenmal hier gewesen, doch immer im Schlepptau eines widernatürlichen Mörders und hatte dessenUntaten mit ansehen müssen, ohne ihn davon abzuhalten. Jetzt wwwusste er, dass alle bisherigen Taten nur ein einfaches leises Vorspiel zu dem waren, was der dunkle Wächter nun veranstalten wollte.

Das betonierte Flachdach mit den schmalen Regenablaufrinnen erstreckte sich über eine Fläche von mindestens achtzig mal achtzig Metern. Hohe Antennenmastenund eine Vielzahl großer Satellitenschüsseln ragten in den Himmel und fingen daraus die unsichtbaren Wellen für Radio, Fernsehen und Internet auf. Soweit nichts ungewohntes für den aus dem eigenen Körper verbannten. Takeshi wusste, dass es in Tokio auch Hochhäuser gab, deren Dächer noch größere Flächen hatten. Wo genau waren sie hier und warum war der dunkle Wächter hier gelandet? Die Wo-Frage klärte sich, als Takeshi eine Metallplatte sah, in die in japanischen und europäischen Schriftzeichen eingeschrieben war, dass dieses Hochhaus der Hiromitsu-Turm war. Hiromitsu? So hatte auch der Boss von Takeshis Vater geheißen. Also stimmte es, dass die Firma auch eine Niederlassung in Tokio hatte. Takeshi bangte schon, dass der dunkle Wächter deshalb hier gelandet war, weil der aus seinen Erinnerungen oder denen seines Vaters alles nötige darüber abgefischt hatte. Dann konnte Takeshi noch die Schuld daran bekommen, wenn der böse Geist in seinem Körper all die Leute hier umbrachte.

Was das große H und die Zeichen für Fliegen und Beförderung sollten wusste Takeshi sehr gut. Doch der dunkle Wächter schien mit diesen Zeichen nichts anfangen zu können.

"Besitzgier, Fleischeslust, Machthunger. Schön, sehr schön", hörte Takeshi den seinen Körper benutzenden Bösewicht denken. Dieser grausame Geist konnte wohl Gefühle anderer Lebewesen wahrnehmen, so wie Deeana Troi von der Enterprise D. Nur Gedanken lesen wie deren Mutter Lwaxana konnte er offenbar nicht, stellte Takeshi einmal mehr fest. Denn sonst hätte der dunkle Wächter garantiert gewusst, wo der Einstieg in den sicher über hundert Meter hohen Turm war. Doch offenbar ging es dem Dämon um was anderes. Denn er suchte genau die Mitte des Flachdaches auf und stellte sich in eine erhabene Pose. Er hob sein magisches Schwert, das aus dem Tod andderer Wesen Kraft und Heilung für seinen Besitzer machte. Er reckte die Klinge in den vom geisterhaft im Dunst über der Stadt glimmendenStreulicht erfüllten Himmel. Nur die allerhellsten Sterne und der Mond waren zu erkennen.

"Mond und Erde eure Macht, stärket mich in dieser Nacht!" sprach der dunkle Wächter laut aus und vollführte mit der nach oben zeigenden Schwertklinge eine Kreisbewegung, die den Lauf des Mondes nachzeichnete. Silberne Funken erschienen aus dem Nichts heraus und landeten auf der Schwertklinge. Diese schimmerte erst schwach und dann immer mehr im selben Licht wie der Mond. Dann fühlte Takeshi, wie von dem Schwert eine unsichtbare Kraft ausging. Er spürte fast körperlich, wie diese Kraft auf die hier aufgestellten Antennen übersprang. Er sah mit seinen nichtstofflichen Augen, wie zwischen den Satellitenschüsseln und den baumartig geformten Stabantennen silberne Funken hin und herflogen. Was wurde das hier? Die vom Schwert auf die Antennen überspringende Kraft verstärkte sich. Dann fühlte Takeshi erste Entladungen weiter unten. Offenbar manipulierte der dunkle Wächter mit den elektrischen Geräten da unten, vordringlich denen, die Funksignale auffingen. Dann merkte er, wie ein bisher nicht gespürter Widerstand wegbrach und die vom Schwert ausgehende Kraft mit einem Schlag die größte Stärke erreichte.

Takeshi wollte es nicht wissen, doch er musste es wissen. So sank er von eigenen Gedanken angetrieben nach undn durch die mindestens einen Meter dicke Dachkonstruktion hindurch in einen leeren Büroraum. Hier sah er bereits, was der dunkle Wächter angerichtet hatte.

Aus Computergehäusen sprühten Funken oder schlugen bereits Flammen. Papierstapel und Schreibtische brannten. Aus freien Steckdosen sprühten laut prasselnd elektrische Funken. Dann schienen endlich die letztenSicherungen durchzubrennen, und das wunderkerzenartige Funkensprühen hörte auf. Doch der Schaden war bereits angerichtet.

Takeshi hörte keinen Feueralarm. Als er zur Decke sah erkannte er, dass die hier verbauten Rauchmelder bereits durchgeschmolzen waren, ohne noch Zeit gehabt zu haben, jemanden zu warnen. Was immer der Dämon mit seinem Schwert beschworen hatte hatte so schnell gewirkt, dass wohl auch niemand hier früh genug gewarnt wurde.

Takeshis Geist sank weiter durch den Boden und geriet in das nächste lichterloh brennende Büro. Er brauchte sich nicht einmal auf der Etage umzusehen um zu wissen, dass überall, wo elektrischer Strom gebraucht wurde, Feuer ausgebrochen war, also in jedem Raum dieses Hauses. Er hörte laute Hilferufe und ahnte, dass diese aus einem steckengebliebenen Aufzug kamen. Auch hörte er ein lautes Husten und Röcheln. Da waren Leute, die gerade im Feuer und Rauch qualvoll erstickten. Dieses Monster mit dem Zauberschwert hatte das ganze Haus in eine Feuerhölle verwandelt. Wenn das wirklich auch den Hiromitsus gehörte starben die Leute hier alle wegen Takeshis Vater und ihm selbst. Doch was hatte dieser Dämon gedacht: Ganz Tokio sollte brennen. Also war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis all diese Leute hier der grausamen Rache dieses Ungeheuers in seinem Körper zum Opfer gefallen wären.

Takeshi fühlte, wie die von oben einwirkende Zauberkraft zu pulsieren begann. Es war wie das Atmen eines sehr großen Tieres. In den An- und abschwellenden Kraftströmen sah der entkörperte Junge, wie die lodernden Feuer von Orangegelb zu Blutrot und wieder zurück wechselten. Offenbar wollte der dunkle Wächter die entfachten Feuer mit seiner Höllenmagie anreichern, um daraus noch mehr Kraft zu ziehen. Wenn ihm das gelang - Takeshi zweifelte nicht eine Sekunde, dass der Finsterling es hinbekam - würde er das mit allen anderen Häusern hier auch machen. Was hatte der dunkle Wächter gewünscht, dass dass die Kraft von Mond und Erde ihm Kraft gaben. Am Ende schoss von da unten schon eine neue Lavasäule aus dem Boden und suchte sich ihren Weg nach oben. Takeshi musste das wissen, auch wenn es ihm in der körperlosen Seele weh tat. Er dachte konzentriert: "Ganz runter! Ganz runter!!"

Wie mit einem Expressfahrstuhl jagte der Körperlose durch alle Decken, durch weitere brennende Büros und ja auch offenbar private Wohnungen. Er war froh, dass sein starker Wunsch, ganz nach unten zu kommen denAnblick möglicher Opfer ersparte. Dann war er in den ebenfalls brennenden Kellerräumen. Gerade wechselten die Flammen wieder von üblichem Feuer zu blutrotem Zauber- oder besser Höllenfeuer. Takeshi fühlte sogar, wie dieses rote Feuer ihn durchdrang, ihn erbeben ließ. Ja, das Monster da oben ließ die Seelen aller hier sterbenden Menschen in eine Art Gleichklang verfallen.

Um Gewissheit zu haben, ob der dunkle Wächter den Zauber mit der ständigen Lavafontäne wiederholt hatte durchflog Takeshis Geist alle Wände und Türen wie reine Luft. Doch er sah kein Loch im Boden, keine brodelnde, glühende Lavasäule. Dann spürte er, dass der böse Feuerzauber schlagartig nachließ. Zwar brannte alles, was mit Elektrizität zu tun hatte weiter. Doch dieser magische Atem, der die Seelen aller Opfer in Gleichschwingungen versetzte war nicht mehr da. Dann spürte Takeshi die Wut des Dämons. Irgendwer oder irgendwas störte ihn empfindlich. Dann sah der umhersuchende Geist, wie die Flammen immer langsamer loderten. Es war, als spiele jemand einen dreidimensionalen Film in mindestens achtfacher Zeitverzögerung ab. Die Geräusche des Infernos wurden zu einem ganz tiefen, klackernden, paffenden und knatternden Klangteppich. War er wieder in der Zeitbeschleunigung?

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Bei den Händen Amaterasus erklangen die warnenden Gongs in einem sehr schnellen Tempo. "Großräumiger Feuerzauber in Shinjuku, Adresse über Schallverteiler!" klang Kazeyamas Stimme wie aus leerer Luft. Sämtliche handelnden Hände im Bereich Tokio machten sich einsatzbereit. Dann erfolgte die Anweisung: "Schickt die Eisendiener los, nicht lebende Kämpfer! Das ist der dunkle Wächter. Handelnde Hand Kanisaga bereithalten für Einsatz!"

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Takeshi sauste vom Wunsch, ganz nach oben zu gelangen wie von einer Rakete angetrieben wieder durch die unrettbar brennenden Räume. Dabei sah er die brennende Leiche einer Frau, die sich noch schützend über ein ganz kleines Kind, womöglich noch ein Baby, geworfen hatte. Dieser Anblick versetzte dem entkörperten Jungen einen schmerzhaften Stich in die Seele. Dieses Ungeheuer hatte ganze Familien auf dem Gewissen, Väter, Mütter, Kinder. Das da hätten auch seine Mutter und seine Schwestern sein können. Dann schoss Takeshi durch das Dach und jagte mindestens noch hundert Meter nach oben. Einen kurzen Moment sah er die aus dem Hochhaus herausragenden, in seiner jetzigen Wahrnehmung ganz langsam winkenden Flammen. So ähnlich hatte auch das Welthandelszentrum in New York gebrannt, dachte Takeshi. Dann fühlte er, wie der unsichtbare Gummifaden straffer gespannt wurde, der ihn immer noch mit seinem lebenden, atmenden Körper verband. Takeshi bremste seinen raketenartigen Aufstieg ab und versuchte mal was anderes: "Zum dunklen Wächter!" Ja, das ging! Der klare Wunsch reichte aus, ihn wie teleportiert direkt neben dem Unhold in seinem Körper ankommen zu lassen. Dann sah er, was den Dämon so wütend machte.

Den dunklen Wächter umflogen leise flatternde, an die anderthalb Meter große Geschöpfe, die wie überlebensgroße Heuschrecken aussahen. Das Flattern kam von ihren schnell schlagenden Flügeln. Die Augen der metallisch schimmernden Kerbtiere glommen aus sich heraus in einem sonnengoldenen Licht. Der dunkle Wächter hieb gerade mit der nun wieder weißglühendenKlinge um sich, offenbar auch wieder im Beschleunigungszustand. Denn die geflügelten Gegner konnten nicht schnell genug ausweichen und wurden von den Schwerthieben aus der Flugbahn gefegt. Doch sie glühten nur kurz sonnengolden auf wie ihre Augen, um dann wieder auf den Feind zuzufliegen, der von reiner Wut und Zerstörungslust getrieben um sich schlug. Takeshi fragte sich, von wem diese Heuschreckenwesen waren. Er erkannte jedoch, dass sie nur gegen ihn stoßen, ihn aber nicht festhalten konnten. Denn wenn ihre schnappenden Beißzangen zupackten sprühten Funken von Takeshis Körper und schleuderten die Angreifer zurück.

"Was sind denn das für Dinger?" dachte Takeshi nun mit mehr jungenhaftem Staunen als Schuldgefühlen. Dann bekam er noch mehr zum staunen.

Blaue Funken entstanden, wurden innerhalb von zwei Sekunden zu einer immer dichter kreisenden Lichtspirale. Aus dieser erschienen erst schemenhaft und erst nach zwei Sekunden klar umrissene Gestalten, die jede für sich drei Meter groß war. Jeder der vier Neuankömmlinge sah wie ein Mensch aus, nur dass der Kopf wie der einer Raubkatze geformt war und dass sie zu den zwei üblichen Armen noch zwei aus der Hüfte ragende Arme hatten. Der im Lichterspiel aus Stadtbeleuchtung und Zeitlupenfeuer bestehende Widerschein ließ die vier Fremden ebenso metallisch glitzern wie die Heuschreckenwesen. Die Augen der Neuankömmlinge leuchteten aus sich heraus dunkelrot und besaßen keine Pupillen. Sie wirkten wie eine vollendete Verschmelzung aus Fernsehkamera und Scheinwerfer. Auf den Brustkörben prangten dieselben roten Sonnensymbole mit den angesetzten Händen, die Takeshi schon in der Wohnung seiner Eltern gesehen hatte. Das waren Roboter!

Takeshi musste diesen Gedanken erst mal verdauen. Hatte er sich die ganze Zeit geirrt, und all das hier war keine Magie, sondern das Werk von Außerirdischen, die über Kräfte und Technologien verfügten, die Normalerdenbürger wie Magie vorkamen? Von sowas erzählten viele Mangas und die alten Monsterfilme aus den 1950ern und 1960ern immer wieder gerne. Takeshi musste an seinen Schulfreund Toshi denken, der sämtliche Monsterfilme mit Godzilla & Co. in seiner DVD-Sammlung hatte. Lief hier also sowas ähnliches ab, und die bisher aufgetauchten Leute waren von der Gegenpartei des Unholdes, um im Kampf um den Planeten Erde die Vorherrschaft zu erringen?

Die vier aus verschiedenen Richtungen anmarschierenden Maschinenmenschen schienen an die Beschleunigung des dunklen Wächters angepasst zu sein. Denn sie bewegten sich gar nicht in Zeitlupe. Nur die aufsetzenden Plattfüße ohne Zehen machten dumpfe metallische Geräusche, als würde wer mit einem zwei Meter großen Schmiedehammer auf einen passenden Amboss einschlagen. Offenbar gehörten die Heuschreckendrohnen zu den vier Riesenrobotern. Denn sie ließen von ihrem Gegner ab und schwirrten mit noch schneller schlagenden Flügeln nach oben. Dann sah der dunkle Wächter seine neuen Feinde. "Das ist nicht wahr! Was seid ihr?!" stieß er aus. Da machte einer der vier sein Raubkatzenmaul auf und sagte mit einer blechern scheppernden Stimme: "Wir sind die ehernen Diener der hoch verehrten Hände Amaterasus und sollen dich, Mörder aller Menschen, in Gewahrsam nehmen. Lege dein Schwert ab und gib dich gefangen!"

"Erst wenn die Sonne erlischt", stieß der dunkle Wächter aus und hieb nach der unteren rechten Hand des direkt vor ihm stehenden Metallungetüms. Mit einem lauten Klong krachte die Klinge gegen die ihm entgegenschießende Hand. Sie prallte ab. Takeshi sah, dass im Augenblick des Treffers die Hand und der Arm kurz golden aufleuchteten. Offenbar besaß die Maschine einen Schutzschild gegen das Schwert.

Der Riesenroboter oder was es auch sein mochte zog die getroffene aber unversehrt gebliebene Hand zurück und grabschte dann nach dem Schwert. Doch der dunkle Wächter zog es ebenso schnell aus dem Weg. Takeshi erkannte, dass die "ehernen Diener" offenbar doch nicht schnell genug waren. Denn der Wächter konnte jeden Zugriffsversuch mit seinem Schwert abwehren. Als der auf ihn zukommende Metallriese ihn mit den beiden unteren Händen zu fassen trachtete rammte der Wächter sein glühendes Schwert in den Boden. Da schlugen aus dem gestohlenen Körper jene roten und orangefarbenen Blitze heraus, die vor einigen Tagen vier Zauberkrieger zurückgeschleudert hatten. Der Roboter bekam den wesentlich kleinerenGegner nicht zu fassen. Er kämpfte um sein eigenes Gleichgewicht. Dann war sein künstlicher Kamerad heran und versuchte, den dunklen Wächter zu ergreifen. Doch die rotenund orangen Blitze wurden dadurch noch wilder und prellten die beiden metallischen Krieger zurück. Sie konnten sich nicht mehr auf den Beinen halten und kippten nach hinten über. Laut polternd schlugen sie auf dem Flachdach auf. Dieses glühte immer mehr auf. Takeshi war sich sicher, dass da gleich auch Flammen herausschlagen würden. Doch vorher gab die Dachkonstruktion an den Stellen nach, wo die zwei Eisernen sich gerade darum bemühten, wieder auf die Beine zu kommen. Sie brachen durch das Flachdach. In langsam kreisenden Spiralen wehten glühende Staubwolken nach oben, als die Roboterwesen in das Innere des brennenden Hauses fielen.

Als die beiden noch laufenden Metallmenschen bei ihrem Gegner ankamen ließ dieser gleich die roten und orangen Blitze aus sich herausschlagen. So kippten auch die beiden noch stehenden Gegner um.

Der Dunkle Wächter erkannte, dass das Dach auch unter ihm zusammenbrechen würde. Deshalb zog er sein Schwert wieder heraus. Wie Takeshi schon vermutet hatte schlängelten sich orangegelbe Feuerzungen ganz gemütlich aus dem Einstich und aus den Löchern, durch welche die beiden Metallriesen gestürzt waren. Einer der gerade umgestürzten schaffte es, seinen linken oberen Arm auf den flüchtenden auszurichten. Takeshi sah etwas wie ein Rohr ausklappen. Dann schwirrte ein kurzer glitzernder Pfeil heraus, der im Flug sonnenhell aufglühte. Der dunkle Wächter erahnte wohl den Angriff und fing das gleißende Geschoss mit seinem Schwert ab. Da kamen die Heuschrecken wieder von oben heruntergeschossen. Doch nun meinte der Wächter, ein wirksames Mittel gegen diese Drohnen gefunden zu haben. Er rammte wieder das Schwert in den immerheller glühenden Beton des Flachdaches und schleuderte aus seinem Körper jene Rückprellblitze. Diese taten ihr Werk und fegten die Heuschreckendrohnen aus der Luft. Sie schlugen auf dem Boden auf, um dann wieder loszufliegen, um den Gegner auf Hüfthöhe anzugreifen. Doch die nächste Folge Blitze schleuderte sie quer über das Flachdach. "Ich bin der Größte. Euer Schmiedewerk kann mich nicht aufhalten!" rief der dunkle Wächter mit Takeshis Stimme. Da bekam das Flachdach immer längere und tiefere Risse.

"Dieses Feld ist abgeerntet. Weitere tausend werden folgen!" rief der Wächter und zog sein Schwert wieder frei. Er ließ es kreisen, während die gerade durch das Dach brechenden Roboterwesen weitere Sonnenlichtpfeile auf ihn abfeuerten. Wohl eher instinktiv wehrte er die ihm geltenden Geschosse ab. Dann rief er jenen Feuerstrudel hervor, der ihn fortbringen sollte. Takeshi sah wie weitere Riesenroboter aus den sich langsam aufbauenden Lichtspiralen heraustraten wie aus besonderen Transporterstrahlen. Da hatte der dunkle Wächter seinerseits den feurigen Wirbel vollendet und stürzte sich hinein. Takeshi konnte gerade noch sehen, wie das Flachdach mit allen aufgepflanzten Antennen in sich zusammensank und dabei die nachgerückten Kampfroboter in die Tiefe riss. Dann zog es Takeshis Geist hinter seinem Erzfeind her, der wieder einmal einen Sieg errungen hatte, auch wenn er hier und jetzt die Flucht ergriff. Oder war es eine taktische Absetzbewegung?

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Ein wildes Sirren ertönte über die Schallverteiler. Dann kam die wie gegen ein Metallblech gesprochene Übersetzung: "Können Gegner bei jetziger Bewegungsanpassung nicht überwinden. Setzt Metall- und Feuer abweisende Entladungen gegen uns ein. Oberfläche gibt nach, gibt nach, gibt nach. Absturz in brennende Räume, Versuchen zur Oberfläche zurückzukehren." Dann kam wieder ein kurzes Sirrenund Prasseln. Dann sprach eine quäkige Stimme: "Hier flugspäher zwei: Gegner erschafft Abwandlung von Wiederkehrvogelfeuer. Gegner entfernt sich durch künstliches Wiederkehrvogelfeuer."

"Hier Späher vier", kam nach einem weiteren weniger als eine Sekunde dauernden Gesirre eine weitere künstliche Stimme: "Auswertung benutzter Zauber ergibt, Feuerwirbel steht in Verbindung mit Erddrehungsrichtung und Achsenausrichtung. Offenbar benutzt Gegner einem mit Erdkernfeuer wechselwirkenden Zauber zur schnellen Reise. Gegner nicht mehr an Zielort eins anwesend. Neue Befehle erbeten! Neue Befehle erbeten!" So ähnlich sprachen dann auch weitere Stimmen von eisernen Dienern, von denen einige gerade versuchten, sich durch die von starker Glut aufgeweichten oder zerberstenden Wänden und Decken nach oben vorzuarbeiten.

"Hier Anleiter eins an alle Ehernen im Bereich Hiromitsuturm Shinjuku, Tokio. Bereithalten für neue Zielbeförderung. Erfassungsvorgang einleiten", hörte sie die Stimme eines der diensthabenden Anleiter für die eisernen Kämpfer. Der Wächter war wieder entkommen, hatte selbst vier eisernen Kriegern widerstehen können, die durch kein Feuer bbeschädigt werden konnten.

"Können wir nicht herausfinden, wo genau er hinwill, bevor er da wieder einen Vernichtungszauber auslöst?" fragte Izanami Kanisaga voller Ungeduld und Sorgen. Denn was der dunkle Wächter in den letzten Minuten getan hatte überstieg alles bisher von ihm angerichtete, wenn davon abgesehen wurde, dass die Kinder Susanoos die brennenden Nagetiere vernichtet und damit vorerst einen Flächenbrand ganz Japans verhindert hatten.

"Das Schwert ist unortbar, Mitstreiterin Kanisaga. So gerne ich diesem Dämon sofort wen hinterherschicken würde, sobald er irgendwo auftaucht, wir müssen leider leider warten, bis er wieder einen Zauber ausführt, den unsere Spürvorrichtungen wahrnehmen können."

"Dann erbitte ich von Euch die Erlaubnis, unmittelbar nach neuer Erfassung an den erfassten Ort zu reisen, ehrenwerter Truppführer Kazeyama", sprach Izanami in ihr Schallverteileramulett.

"Wir schicken die fliegendenSpäher aus, um nach ihm zu suchen", hörte sie Kazeyamas Stimme. "Anfrage an Anleiter der Eisernen Diener: Wie kann es sein, dass die von Rückprellzaubern abgewehrt werden können?" Wollte Kazeyama wissen.

"Kann diese Frage derzeitig nicht beantworten, ehrenwerter Truppführer Kazeyama", erwiderte die Stimme des Anleiters.

"Hier Zauberwerküberwachung. Habe neuerlichen Feuerzauber auf einem Verwaltungsturm zwei Tausendschritt weiter im Süden erfasst. Kann Zielbeförderung für Einsatzschleuder einstimmen. Weitere Eiserne angefordert?"

"Nein, Mitstreiterin Kanisaga wird gehen", bestimmte Kazeyama. Izanami atmete durch. Jetzt galt es.

"Zur Einsatzschleuder!" rief sie der Decke zugewandt. Von dort aus sauste etwas wie eine kreisende Säule aus golden schimmerndem Glas herunter, umhüllte sie und berührte den Boden. Für einen winzigen Moment fühlte sich Izanami in jener lichtlosen Enge wie beim Weg schneller Wünsche, was die europäischstämmigen Hexen und Zauberer apparieren nannten. Dann stand sie in einer ähnlichen, sich nur in Gegenrichtung drehendenLichtsäule, die um sie herum im Boden versank. Das festungseigene Schnellbeförderungsverfahren, was auf Zauber der Luft, Erde und des Sonnenfeuers zurückging, hatte sie genau dort abgesetzt, wo sie hinwollte.

Izanami zog ihr eigenes Zauberschwert frei. Dann sah sie den Mitstreiter an der Vorrichtung, die wie eine Balkenwaage mit nur einem Arm aussah. "Kann ich mich erst mit Zehn-in-Eins-Zauber belegen, bevor ich ans Ziel geschickt werde?" fragte Izanami.

"Die Beförderung dauert drei übliche Sekunden. Wenn du vorher den Zehn-in-Eins machst empfindest du es wie eine Reise von dreißig sekunden", sagte der Mann an der magischen Vorrichtung. "Da muss ich wohl durch", seufzte Izanami und stieg in die an vier dünnen Ketten hängende Waagschale. Sie hatte diese seit nun fünfzig Jahren bestehende Beförderungsmöglichkeit noch nie benutzt. Bisher konnten sie immer an Hand klarer Bezugspunkte apparieren. Doch hier musste auf die Quelle eines gegnerischen Zaubers gezielt werden. "Ich halte mein Schwert nach unten, wenn der Zauber wirkt, Mitstreiter Hayamichi. Was mir auch immer widerfährt: Die Sonne wird weiterscheinen", sagte Izanami. Das war der bei den Händen übliche Abschiedsgruß an Mitstreiter, wenn jemand von ihnen sich bewusst in tödliche Gefahr begab.

Sie streckte ihr Katana senkrecht nach oben. Sie besann sich auf die Gedanken, die den Beschleunigungszauber auslösten. Sie fühlte das erst schnelle und dann immer langsamere Pulsieren des Schwertes. "Viel guuuuu..." hörte sie die schlagartig langsamer und tiefer werdende Stimme des Reiseschleuderschützen, wie dieser Dienst genannt wurde. Offenbar hatte der ihr gerade Glück gewünscht, dachte Izanami. Sie dachte an ihren Großvater, der ihr einmal tausend Papierkraniche gefaltet hatte. Vielleicht hätte sie die beim Umzug in ihre eigene Wohnstatt behalten sollen, dachte sie noch. Dann wusste sie, dass der Beschleunigungszauber sie vollständig erfüllte. Sofort hielt sie die Schwertklinge nach unten. Wie würrde es sich anfühlen zu verreisen, während der Beschleunigungszauber wirkte?

Nun vibrierte die frei hängende Waagschale. Die vier Ketten begannen in vier verschiedenfarbigen Lichtern zu leuchten, Sonnengelb, Himmelblau, Blattgrün und Blutrot. Die Lichter wurden zu sich drehenden Säulen, die immer breiter wurden, bis sie zu einer einzigen farbigen Lichtwand verschmolzen, die dann immer blauer wurde und sich schnell drehte. Da fühlte sie, wie etwas sie umhüllte, anhob und dann in einer himmelblauen Blase einschloss. Antehlia hatte ihr mal erzählt, dass so ähnlich die Schüler von Beauxbatons von ihrer Schule in ihre Heimatregion befördert wurden. Nur hatte Anthelia eine sonnenuntergangsfarbene Lichtblase erwähnt. Außerdem hatte sie davon gesprochen, dass die Reisenden völlig schwerelos in der Mitte der Kugel schwebten. Sie hingegen meinte, in einer sanft pulsierenden Blase voll Wasser zu schwimmen. Das konnte aber an dem Beschleunigungszauber liegen, denn sie konnte weiterhin frei atmen. Sie genoss die Sekunden, in denen sie außer ihrem Atem und Herzschlag nur ein sanftes, an- und wieder abschwellendes Rauschen wie Meereswellen hörte. Hatte der Einsatzschleuderschütze nicht von Luft, Feuer und Sonnenzaubern gesprochen. Das hier mochte aber auch eine Wasserkomponente haben. Aber vielleicht lag das auch am Zehn-in-Eins-Zauber. Dann meinte sie zu fallen. Die blaue Lichtblase klaffte unter ihr auf. Sie schaffte es gerade noch, ihre Füße in eine gute Landestellung zu bekommen. Dann wurde aus der Blase eine sich zügig drehende Spirale, die im Boden versank und sie dabei freigab. Sie war am Ziel. Einen winzigen Moment dachte sie daran, dass ihr ganzes bisheriges Leben auf diesen einen Zeitpunkt und diesen einen Ort hingesteuert wurde. Dann besann sie sich, dass sie jeden Moment auf ihren Feind treffen würde.

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"Bitte hole die Ehernen zurück. Sie haben sich gegen einen mit Zehn-in-Eins-Zauber beschleunigten Gegner leider als unbrauchbar erwiesen!" sagte Truppenführer Kazeyama über sein Schallverpflanzungshorn zu Einsatzschleuderschützen Shun Hayamichi, als dieser ihm sagte, dass Mitstreiterin Kanisaga am erfassten Zielort angekommen war. "Verstanden, Rückholerfassung erfolgreich, Eisendiener kehren zurück. Öhm, falls da in diesem brennenden Turm noch wer überlebt haben sollte wären vielleicht ein paar Erinnerungsumfärber nützlich", antwortete Shun Hayamichi.

"Dann lass einen der Späher durch das Haus fliegen. Falls dort wer überlebt haben sollte schicke den Mitstreiter Masuoka. Der kann den Erinnerungsumfärber am besten bedienen", sagte Kazeyama völlig gefühlfrei. Doch innerlich war er jetzt bei Izanami Kanisaga. Sie war die allerletzte Möglichkeit der handelnden Hände, mit diesem alten Erzfeind abzurechnen. Scheiterte auch sie, half auch keine Unterlegenheitsbekundung mehr. Denn dann würde er genau so weitermachen wie in dieser Nacht begonnen. Tokio würde brennen, und dann folgten alle anderen Städte. Er würde das dann aber nicht mehr erleben. Denn der hohe Rat hatte es unmissverständlich geäußert. "Gelingt es Euch und den handelnden Händen nicht, den dunklen Wächter zu besiegen, erwarten wir deinen feierlichen Eid, dass Ihr der Armee der Verbleibenden beitretet und euch dann mit dem Dolch des freien Weges aus eurem Körper löst." Er meinte den gläsernen Dolch in der Halle des hohen Rates schon seinen Namen rufen zu hören.

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Wo hatte der Feuerstrudel sie jetzt hingeschafft? Sicher würde dieser Dämon mit dem Höllenschwert gleich noch ein volles Haus mit einem Schlag niederbrennen. Ja, sie standen tatsächlich auf einem anderen Flachdach. Weit unter ihnen strahlten viele bunte Lichter. Vom Wind getragene Musikfetzen klangen bis hier herauf. Irgendwo nicht weit von hier schrie ein Baby. Takeshi tat es wieder weh. Denn er fürchtete, dass der dunkle Wächter auch dieses Kind einfach so umbringen würde, nur um weiterhin Kraft aus sterbenden Menschen zu saugen. Er war tatsächlich ein Hanyo, ein halber Yokai, dass ihm Menschenleben nichts bedeuteten außer Futter oder vielleicht noch Vergnügen.

Wieder hob der in Takeshis Körper steckende Massenmörder aus wo auch immer her sein Schwert. Er sah in den Himmel. Er sah die hellsten Sterne im geisterhaften Spiel des Streulichtes und auch den Mond, der sich trotz der vielen Lichtquellen am Boden noch seinen uralten Platz am Himmel sicherte. Takeshi trauerte schon um die, die da unter ihm und seinem Erzfeind lebten, nicht wussten, dass sie gleich sterben mussten, weil ein unheimliches Wesen von wo auch immer her dies beschlossen hatte, ohne die Leute überhaupt zu kennen. Ja, das hatte einer von Takeshis Lehrern über den Abwurf der Atombomben auch gesagt: "So eine Waffe kann nur einsetzen, wer die Menschen nicht verbrennen sieht, ihre Schmerzens-, Angst- und Todesschreie nicht hört und nicht das verbrannte Fleisch riechen muss, dass tausende von Leichen verbreiten. Im Grunde war dieser dunkle Wächter ein armseliger, völlig ehrloser Feigling, kein großer starker Herrscher. Herrscher mussten auch aufbauen können. Der hier konnte nur kaputtmachen und töten. Captain Piccard oder der von ihm nicht mit Namen genannte Mensch hatte recht: "Die Geister die dem bösen dienen sind nur Sklaven." Dieser selbsternannte dunkle Wächter war der Sklave seines Größenwahns, seiner Rachsucht und seines Hasses. Für all das hatte er dieses Schwert gemacht, das ihn, Takeshi, mit schönen Träumen von ruhmreichen Heldentaten gelockt hatte. Sojobo hatte recht, als er seinem letzten Gegner mit den letzten Atemzügen als Feigling beschimpft hatte. Nein, diese Art von Macht brachte keinen Ruhm, sondern nur Leid. Wieso dachte Takeshi jetzt so philosophisch? Gleich würde wieder ein Haus abbrennen, der dunkle Wächter würde vielleicht noch ein paar von diesen Zauberern oder Außerirdischen zurückschlagen oder den einen oder anderen Roboter von denen umwerfen, und dann weiterziehen, immer weiter, bis er kein Haus mehr fand, dass noch nicht brannte. Gut, dass der nicht wusste, dass nordöstlich von Tokio einige Atomkraftwerke standen. Da hätte der sich doch kaiserlich amüsieren können, ganze Reaktorblöcke in die Luft zu jagen. Aber vielleicht konnte der keine Strahlung vertragen, weil er ja den Körper eines ganz gewöhnnlichen Schuljungen übernommen hatte. Hoffentlich musste Takeshi das nicht irgendwann mitbekommen.

Wieder setzte jenes langsame Pulsieren ein, als scheinbar vom Mond selbst silberne Lichtteilchen auf dem Schwert landeten und sich verdichteten. Er machte wieder diesen Überladungszauber und gleichzeitig den, mit dem er die verbrennenden Menschen als Kraftquellen ausnutzen konnte. Gleich würde die Kraft ihren Höhepunkt erreichen und ... Unvermittelt sprühte das Schwert silberne Funken wie eine abbrennende Wunderkerze, allerdings nicht von oben nach unten, sondern von unten nach oben. Das stärker werdende Pulsieren, dass auch Takeshis Geist verspüren konnte, wurde zu einem kurzen schnell verebbenden Wummern. Dann sprangen die letzten Silberfunken von der Spitze des grünen Schwertes. Der dunkle Wächter blickte wütend nach oben. Dort waren soeben dicke dunkle Wolken aufgezogen, an deren Unterseite sich das Streulicht aus den Straßen von Tokio mittelgrau spiegelte. Vom Mond war nichts zu sehen. "Nein, dieses verwünschte Himmelswasser. Das soll weg. Die Nacht gehört dem Feuer", knurrte der dunkle Wächter in Gedanken. Dann überlegte er, ob er wohl die Lavasäule beschwören konnte. Er hielt die Schwertspitze an das Dach. Die Spitze tippte auf und federte wieder zurück. "Wieso ist da unten so viel Wasser?!" stieß der Wächter aus.

Takeshi wusste nicht, ob er sich wundern oder freuen sollte. Deshalb musste er das selbst prüfen, während der dunkle Wächter mit seinem Schwert nach oben stieß, als könne er damit die dunklenWolken aufspießen und vom Himmel herunterreißen.

Er wünschte sich langsam nach unten, durchdrang den mindestens zwei Meter dicken Stahlbetonboden und landete in einem total dunklen Raum. Er hörte und sah nichts mehr, hatte kein Gefühl für die Richtung, schon gar nicht für oben und unten. Er schwebte in einem völlig licht- und lautlosen Nichts. Der Schreck durchbrandete seinen Geist. Er hatte die Welt verlassen und hing jetzt in einem Zwischenreich irgendwo zwischen den Welten. Hier war nichts, weder Raum noch Zeit. Hier würde er nicht mehr wegkommen. Das war es. Er hatte die Welt der lebenden verlassen, um bis in alle Ewigkeit in diesem Nichts aus Dunkelheit und Stille zu treiben, nur ein Bündel von Gedanken, Wünschen, Erinnerungen, die sich irgendwann wie ein kräftiger Furz in diesem unendlichen Nichts ausbreiten und sich auflösen würden. Das hier war schlimmer als jede Höllenvorstellung irgendeiner Religion.

Auf einmal setzte ein tiefes Grummeln und Surren ein, und er meinte, dass irgendwas in diesem Nichts in Bewegung geriet, langsam, ganz langsam. Takeshi bekam jedoch ein Richtungsempfinden. Er wünschte sich hinter dem, was da ganz langsam kroch her, überholte es dabei und brach unvermittelt aus etwas heraus in einen mit rotem Licht erhellten Raum mit jeder Menge Röhren, Ventilen und einem alten Röhrenmonitor, dessen Bilddarstellung für ihn ziemlich flackernd war, als würde die Röhre mit nur zehn Hertz getaktet sein. Doch er konnte auf dem Bildschirm lesen, dass er im Wartungsraum für den 50.000-Kubikmeter-Tank mit dem Reservewasser schwebte. Ein Tank? Er war in einem großen Wassertank gewesen. Deshalb war es da so stockfinster gewesen. Offenbar brauchte irgendwer weiter unten Wasser und pumpte deshalb was aus dem Tank, oder Wasser wurde in der Nacht von unten hochgepumpt, um am Tag den Druck in allen Leitungen hoch genug zu halten. Na klar, von sowas hatte er schon mal gehört. Jetzt wusste er, warum es so viel Wasser unter dem Dach gab. Um ganz sicher zu sein, dass er sich auch nicht verlesen hatte sank er nun durch den Boden, der hier tatsächlich etliche Meter dick war, bevor er mitten in einem Schlafzimmer landete, wo ein Ehepaar friedlich im Bett lag, das vom alter her seine Eltern sein mochten. Ganz schnell wünschte er sich wieder aufs Dach. Er wolte nicht noch mehr Leute sehen, die nachher doch noch sterben würden.

Er sah nun, dass der dunkle Wächter in Richtung Dachrand ging und das Schwert dabei nach unten hielt. Dann glühte es auf. "So geht es also", dachte der Dämon nun ohne jede Wut im Sinn. Jetzt überwog ihn wieder der Zerstörungstrieb. Dann muste es eben ohne den Mond gehen, nur mit dem Feuer aus der Erde. Immer heller glühte das Schwert. Gleich mochte er losgehen, um es da in den Boden zu rammen, wo er kein Wasser fühlte.

Takeshi hätte es nicht mitbekommen, wenn der Wächter nicht urplötzlich das weißglühende Schwert nach oben gerissen hätte. Erst als er damit auf die Mitte des Daches deutete sah auch der entkörperte Oberschüler, das sich dort wieder eine dieser blauen Lichtspiralen drehte, wie eine Abwandlung eines Star-Trek-Transporterstrahls. Denn wie ein solcher verstofflichte er etwas, das erst schemenhaft aussah und dann innerhalb von zwei Sekunden als ein lebender Mensch in einem hellen hautengen Anzug zu erkennen war. Takeshi staunte nicht schlecht, als er erkannte, dass es eine Frau war. Unterhalb der Brüste prangte jenes Symbol einer zwanzigstrahligen Sonne, wobei an sechs Strahlen Hände mit ausgestreckten Fingern saßen. In der rechten Hand hielt sie - ein Schwert.

Es war kein Langschwert mit Spitze und gerader Klinge wie das des Dämons in seinem Körper, erkannte Takeshi. Es war ein leicht gekrümmtes Samuraischwert ohne Stoßspitze, ein Katana, eine reine Hiebwaffe. Und es begann unvermittelt weißblau zu strahlen, ähnlich wie das Schwert des dunklen Wächters. Offenbar hatte der da gerade eine Konkurrentin vor sich, die ein ähnliches Zauberschwert hatte. Nach Star Trek gab es also auch noch Star Wars, dachte Takeshi. Denn irgendwie erinnerten ihn die zwei Schwerter an die weltbekannten Lichtschwerter von Luke Skywalker und Darth Vader, deren Entstehungsgeschichte ja in schon zwei von drei Teilen nacherzählt wurde.

"Noch so eine Sonnenanbeterin! Du hast auch ein Feuerschwert, eins mit widerlichem Sonnenfeuer erfüllt. Aber jetzt ist die Stunde des Mondes, und du wirst meiner Rache nicht im Weg stehen, Weib."

"Rache an wem?" fragte die Frau unbeeindruckt, dass ihr da gerade der wohl tödlichste Feind gegenüberstand, den ein Mensch haben konnte. "An euch allen, die es gewagt haben, meine Herrschaft anzuzweifeln, die mich niedergekämpft und entleibt haben. Meine Stunde ist nun da. Wenn du nicht vor diesen ganzen armseligen Zauberkraftlosen Sterben willst, Weib, dann verschwinde so wie du gekommen bist", sagte der Wächter ziemlich zornig. Doch Takeshi fühlte, dass dem Wächter diese neue Gegnerin nicht so geheuer war. Am Ende konnte die dem sogar noch gefährlicher werden als die Roboter. Allein schon, dass sie nicht in Zeitlupe daherging und mit ganz tiefen, minutenlangen Brummlauten sprach musste diesen Dämon verunsichern."Heute nach brennt Tokio, morgen alle Inseln des Kaiserreiches. Dann hole ich mir den Rest der Welt. Und ihr könnt nichts dagegen tun."

"Du willst mit Feuer Rache nehmen, Yominoko, Sohn einer Yamauba? Dabei heißt es doch, das Rache ein Gericht ist, das am besten kalt serviert wird."

"Mein ist das Feuer, nicht das Eis, Sonnenanbeterin", knurrte der dunkle Wächter. "Also willst du sterben, bevor ich deine Heimat niederbrenne?"

"Heute ist ein guter Tag zum sterben, Lakei eines einsamen Bergkönigs", erwiderte die Frau mit dem Katana. Takeshi fragte sich, woher eine Zauberkriegerin die Sprüche der Klingonen kannte.

"Dann vergehe im Feuer aus dem Schoß der Erde, Sonnendirne!" brüllte der dunkle Wächter.

"Erst wenn du und ich uns anständig vorgestellt und voreinander verbeugt haben!" rief die andere und wies den Wächter auf Abstand. Dieser blieb tatsächlich einen Moment stehen. "Also gut, damit du in Yomi erzählen kannst, wer dich dorthin geschickt hat. Ich bin Ken'Ichi, sohn des Akio und der Yamanonechan."

"Fühle dich geehrt, dunkler Wächter der Tore von Yomi. Vor dir steht Izanami Kanisaga, Tochter der Hiko Kanisaga geborene Ryuko, Hüterin der goldenen Sonnenbarke und von Kenshin V. Schmied der tausend Wunderdinge. So grüßen wir einander, wie es sich gehört unter Ehrenleuten und ..."

Der dunkle Wächter sprang vor, schlug zu, bevor die andere ihre Begrüßungszeremonie zu Ende bringen konnte. Doch die andere war auf dem Posten. Sie parierte den ihr geltenden Streich mit ihrer glühenden Klinge. Es machte laut Kloing, als würden zwei mittelgroße Glocken gegeneinanderkrachen. sonnengelbe und blutrote Funken stoben. Dann fing der Zweikampf richtig an.

Takeshi hatte sowas bisher nur in alten Samuraifilmen und einigen Dokumentationen über die japanische Kriegskunst gesehen und natürlich in den Star-Wars-Filmen. Die zwei Gegner droschen nicht einfach aufeinander ein, sondern versuchten gleich Körpertreffer zu landen, parierten, täuschten an und führten aus der Abwehrbewegung schon den nächsten Angriff oder Gegenangriff aus. Immer wieder krachten die beiden Feuerklingen laut wie mit Schmiedehämmern angeschlagene Gongs gegeneinander, glitten laut schabend voneinander ab und prellten sich gegenseitig zur Seite. Den beiden Kämpfern war es schon nach nur vier Sekunden unnwichtig, dass sie sich auf einem turmhohen Haus irgendwo in Tokio beharkten. Für jeden der zwei gab es nur noch Sieg oder Tod.

Takeshi hoffte, dass die Schwertkämpferin siegen würde, auch wenn es seinem Körper das Leben kosten würde. Doch noch ein brennendes Hochhaus wollte Takeshi nicht mitbekommen.

Die Zwei Todfeinde zeigten, dass sie den Schwertkampf gemeistert hatten. Sie schafften es immer wieder, die Angriffe des jeweils anderen abzufangen. Dabei versuchte die Frau im sonnengelben Kampfanzug immer wieder Enthauptungsschläge, während der dunkle Wächter immer wieder versuchte, die Deckung seiner Gegnerin zu durchbrechen und ihr sein Schwert in den Leib zu stoßen. Einmal hieb er ihr das Schwert von unten nach oben und meinte, jetzt genug freie Angriffsfläche zu haben, als die andere mit einem geschmeidigen Seitwärtssprung aus dem Weg sprang und ihrerseits einen von oben nach unten schräg verlaufenden Hieb ansetzte. Der dunkle Wächter konnte gerade noch sein Schwert kanten, um den auf seine linke Körperhälfte zielenden Schlag abzufangen. Und so ging es weiter.

Der Entkörperte sah wie gefesselt zu, wie der Räuber seines Körpers weitere Angriffe versuchte und immer wieder an der gegnerischen Klinge scheiterte. Einmal hätte ihn ein Hieb fast den rechtenArm abgetrennt. Takeshi erkannte, dass der Wächter keine Rüstung trug. Doch er wusste, dass dieses verfluchte Feuerschwert andere Waffen und Zauber wie ein eigener Schutzschild abwehren konnte. Die aufeinanderprallenden Klingen machten einen Höllenlärm. Hätte Takeshi seine eigenen Ohren, so müsten die jetzt schon klingeln. Er hörte aber auch nichts von weiter unten, wohl weil sie alle im Zeitraffertempo unterwegs waren. Wie mochte es für Leute im normalen Zeitablauf aussehen. Die könnten doch nur wilde Blitze zwischen zwei schemenhaft herumwirbelnden Gegnern sehen und das Aufeinandertreffen der Klingen wie das laute Rasseln eines alten Weckers hören. Er konnte keine klaren Bewegungsabläufe auseinanderhalten, so schnell ging es. Offenbar machte es dem Schwert der Frau, die sich als Izanami Kanisaga vorgestellt hatte nichts aus, dass es gerade Nacht war, während das Schwert des dunklen Wächters immer wieder flackerte, wenn es einmal mehr von der weißblauen Klinge getroffen wurde oder es diese abwehren musste. Dann änderte sich alles.

Unvermittelt riss die Wolkendecke auf, und der Mond eroberte sich seinen Platz am Himmel zurück. Als seine Silberstrahlen das blutrot glühende Schwert des dunklen Wächters berührten glühte es immer heller. Dann wurde es genauso weißglühend wie das der tapferen Schwertmeisterin. Auch schien der dunkle Wächter durch die Zufuhr von Mondlicht noch gewandter zu werden. Seine Schläge und Vorstöße kamen noch schneller und gezielter. Die Kämpferin konnte sich nur noch durch Blockadeschläge vor dem tödlichen Schlag schützen. Sie wagte es im Moment nicht, einen neuen Enthauptungsschlag auszuführen. Außerdem begann nun ihr Schwert zu flackern. Sonnengelbe Funken sprühten bei jedem Aufeinanderprallen der Klingen von ihrem Schwert fort. "Mein ist die Nacht, Sonnendirne", hörte Takeshi den Dämon denken, der durch den zurückgekehrten Mond wirklich neue Kraft tankte. Dann holte er zu einem Schlag von Oben aus, wobei er darauf achtete, dass er dabei keine Angriffsfläche bot und schlug zu. Mit lautem Kloing prallte sein Schwert auf die zur Abwehr hochgerissene Klinge der anderen. Ein ganzer Schwarm gelber Funken flog davon. Izanamis Schwert glühte nun nicht mehr weißblau, sondern gelborange. Takeshi ahnte was passierte. Während das Schwert des Dämons vom Mond immer wieder nachgeladen wurde entlud er das wohl mit gespeicherter Sonnenkraft aufgeladene Schwert mit jedem Schlag mehr. Wo der Mond noch von Wolken verdeckt wurde war es genau anders gelaufen. Doch da hatte der dunkle Wächter noch die Kraft aus dem Erdfeuer gezogen, die trotz des Riesen-Wassertanks unter ihnen noch zu ihm gefunden hatte. Jetzt schöpfte er aus beiden Quellen, während ihre Quelle noch einige Zeit brauchte, um wiederzukehren. Das hätte sie doch wissen müssen, und dem Wächter lief die Zeit davon. denn in einer Stunde würde die Sonne aufgehen und ... Doch in der Zeitrafferbezauberung war es ja nicht eine Stunde, sondern acht bis zehn Stunden. Ja, der Beschleunigungszauber, dachte Takeshi. Wenn galt, dass je mehr Prozesse ein System zu absolvieren hatte, je mehr Energie brauchte es, dann mussten beide Schwerter ja auch die Beschleunigung aufrechthalten. Wie lange hielt sie bei dem dunklenWächter noch vor? Wielange würde sie bei Izanami reichen. Wieso hatten deren Eltern ihr den Namen der Totengöttin verpasst? Das würde Takeshi so oder so nicht mehr erfahren, wusste er. Denn wenn sie doch noch den tödlichen Schlag landete starb sein Körper und damit der letzte Halt für ihn in dieser Welt. Dann passierte es.

Mit einem wuchtigen Schlag versuchte Izanami dem dunklenWächter die Waffe aus der Hand zu schlagen. Doch dabei sprühten orangerote Funken aus ihrer Klinge. Diese verfärbte sich nun dunkelrot. Außerdem wurden ihre Bewegungen schlagartig langsamer. Offenbar hatte der Kampf ihren Beschleunigungszauber mitentladen. Takeshi konnte nur hilflos zusehen, wie der dunkle Wächter mit einem neuen Schlag das Schwert der Gegnerin so heftig traf, dass es noch einmal rot aufblitzte und dann nur noch das Licht des anderen Schwertes widerschien. Izanami Kanisaga stand fast still, während der letzte Schlag ihr das nun krafttlose Schwert aus der Hand prellte. Es landete laut klirrend auf dem Boden. Doch das reichte dem Dämon noch nicht. Er riss die Klinge hoch, während Izanami eine Handbewegung ansetzte, die wohl zu ihrem Oberteil führen sollte. Womöglich wollte sie noch einen Zauberstab freiziehen. Doch da rammte ihr der feige Massenmörder in Takeshis Körper das immer noch weißglühende Schwert mit voller Wucht von unten her in den Unterleib. "Wohl wahr, deine Eltern hgaben dir den richtigen Namen!" rief der dunkle Wächter, während sein Schwert immer tiefer in den Körper der besiegten Gegnerin eindrang. Takeshi schrie auf, ohne Stimme, aber mit aller Kraft seines gequältenGeistes. Langsam, ganz langsam, kippte die besiegte Gegnerin nach hinten über, das glühende schwert im Unterbauch. Jeder andere hätte jetzt wohl den Griff losgelassen. Doch der feige, ehrlose Mörder, der es nicht dabei bewenden lassenwollte, seine Gegnerin entwaffnet zu haben, folgte der Bewegung seiner Waffe, nur um sie nicht loslassen zu müssen. Als er merkte, dass er die Waffe so nicht festhalten konnte zog er sie mit einem hässlichen Schmatzen aus dem Körper der Getöteten. Dann sah Takeshi, wie es aus dem Körper der tödlich verletzten blutrot leuchtete und sich erste Flammenzungen ganz langsam aus ihrem Leib heraustasteten wie dünne Schlangen, die mit Vorsicht ihre Umgebung erkundeten. Es wurden immer mehr Flammen, und sie wurden immer länger, begannen sich in einer grausamen Gemütsruhe zu verzweigen. Dann kroch eine regelrechte Flammengarbe aus dem Körper der besiegten Gegnerin. Takeshi fühlte nur noch unbändigen Hass und Verzweiflung. Diese Frau da hatte er als die letzte große Chance gesehen, seinem elenden Dasein ein Ende zu machen und dabei auch noch dieses körperraubende Monster zu erledigen. Er sah das Gesicht der Getöteten. Es zeigte keine Spur von Schmerz. Ihr Mund war nicht zum letzten Schrei geöffnet. Er sah nur einen Ausdruck von Schicksalsergebenheit, das bevorstehende Ende hinzunehmen, ja auch ein wenig Angst, aber doch eher die Angst, versagt zu haben, nicht die Angst, jetzt sterben zu müssen. Diese Frau war angetreten, um ein tödlich gefährliches Ungeheuer aufzuhalten. Das Ungeheuer hatte triumphiert, und das nur, weil dieses verfluchte kalte Silberding da oben am Himmel nicht hatte warten können, bis sie den entscheidenden Schlag gelandet hatte. Sollte er jetzt auch noch den Mond zu hassen anfangen?

"Wieso schreist du nicht? Wieso schmerzt es dich nicht?" zeterte hingegen der dunkle Wächter, als er wie Takeshis Geist sah, dass die gefällte Gegnerin, die wie in einem letzten Akt der Schöpfung Feuer aus dem Unterleib gebar, in den Himmel hinaufblickte. Sie bewegte ihre Lippen mit einer unerträglich anspannenden Langsamkeit. Immer mehr Feuer kroch aus ihrem getroffenen Unterleib hervor, blutrot, begierig, alles zu fressen, was es berührte. Doch die tödlich getroffene Gegnerin lag auf dem Rücken, blickte mit endgültiger Erkenntnis ihres Schicksals in den Himmel hinauf, sah nicht den Mond an, sondern die Sterne, winzige Lichter in der Nacht, alles ferne Sonnen, sehr große und winzigkleine Geschwister des Sterns, von dem alles Leben auf der Erde abhing und dem sie, Izanami Kanisaga, ihr Leben geweiht hatte. Nun weihte sie dem Himmel und seinen fernen Lichtern ihren Tod. Und der Dämon stand da, das weißglühende Schwert in seinen Händen, und starrte auf die in unerträglicher Zeitdehnung erlöschende Zauberkriegerin. Langsam, ganz langsam schlossen sich ihre Augen und ihr Mund. Dann lag sie ohne weitere Lebenszeichen da.

"Ich habe gesiegt!" rief der dunkle Wächter, während sich das rote Feuer langsam über den Körper der Toten ausbreitete. Der dunkle Wächter schien zu überlegen, ob er das nicht ausnutzen und aus der Feindin eine bedingungslos gehorsame Sklavin machen sollte. Doch dann entschied er sich, die Besiegte im magischen Blutfeuer verbrennen zu lassen und lieber erst dieses Haus da unter sich abzufackeln, auf dass er verbrauchte Kraft zurückbekam. Die brennende Tote, die für Takeshi so aussah, als gebäre sie einen Feuerdämon, der sie dabei auffraß, würde ihm noch zusetzliche Kraft für das eigentlich geplante Ritual geben. Dann hatte er noch immer genug Zeit, um mindestens noch fünf Hochhäuser anzuzünden und niederzubrennen. Vielleicht, so hörte Takeshi mit, würde es den anderen Zauberern und Zauberinnen reichen, um zu erkennen, dass er nicht nur drohte, sondern ausführte, was er ankündigte.

"So-ho we-herde i-hich aus deinem bre-hennenden Scho-hoß da-has Feu-heuer de-her Verni-hichtung beschwö-hören, I-hi-za-ha-na-ha-mi-hi!!" lachte der dunkle Wächter und setzte zu einer Pendelbewegung an, um von dem immer mehr brennenden Körper der Toten zum Erdboden bis rauf zum Mond einen Bogen zu schlagen. Da glühte das entfallene Katana erst rot, dann orange und dann blau auf und schmolz sich in den Boden ein. Dabei zerlief das Metall wie in einem Hochtemperaturschmelzofen. Es hatte versagt und seine Herrin nicht beschützt. Außerdem war mit ihr der letzte Mensch vergangen, der es hätte nutzen können. Gleichzeitig flackerte das Schwert des dunklen Wächters golden. Dann erlosch die Klinge. Takeshi wusste erst nicht, was dies sollte. Doch dann sah er, dass wieder undurchdringliche Wolken vor den Mond wanderten und alles Licht von ihm blockierten.

"Und dieses Haus wird doch brennen", knurrte die wütende Gedankenstimme des dunklen Wächters. Er zielte auf den langsam brennenden Körper Izanamis. Dieses Feuer hatte er beschworen. Dann sollte es ihm auch die Kraft geben.

Tatsächlich begann sein Schwert wieder bräunlich zu glimmen, glühte dann blutrot, dann rotorange, dann gelborange. Da erloschen die in Zeitlupe über den Leichnan leckenden Flammen. Das Schwert des dunklen Wächters war nun die einzige Lichtquelle. Sein Besitzer schwenkte es wütend, dann merkte er wohl, das sich etwas veränderte.

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25.08.2004

In der Umgebung von Boston war es gerade drei Uhr nachmittags, als der neue Zweiwegspiegel wild und heftig zitterte. Sofort zog Anthelia ihn hervor und hielt ihn sich an die Stirn. Der Spiegel erwärmte sich spürbar, aber nicht unangenehm. Dann meinte sie, unter einem nächtlichen bewölkten Himmel auf einem turmhohen Gebäude zu stehen. Weiter unten leuchteten tausende von elektrischen Lichtern, deren Licht sich in den Wolken zerstreute. Dann hörte sie Izanamis Stimme wie aus weiter Ferne: "Lebt wohl!" Anthelia fühlte förmlich, wo sie war, auch wenn es keinen weiteren Hinweis gab. Dann zerfiel die Umgebung in einem immer dichteren Wirbel weißblauer Funken, bis der an die Stirn gehaltene Spiegel sich schlagartig abkühlte. Jetzt stand Anthelia wieder vor ihrem geheimen Wohnhaus bei Boston. Sie senkte behutsam die Hand. Sie sah die Spigelfläche an. Diese war eingetrübt. Der silberne Rahmen war schwarz angelaufen. Die höchste der Spinnenschwestern drehte den Spiegel um. Auf der ebenso schwarz angelaufenen Rückseite stand in silberner Schrift:

Mein Zwilling ist tot!
Er verstarb im Kampf gegen einen Feind.
Todestag: 26.08.2004
Todeszeit: 04:10 Uhr Ortszeit
Todesort, fünf Meilen nordnordwestlich vom Stadtzentrum Tokios auf dem Turm der Tokyo Central Estate Bank
Ehre und Friede dem Verschiedenen!

"Der Verschiedenen", knurrte Anthelia in einer Mischung aus Verärgerung und Trauer. Sie wusste jetzt, dass Izanami Kanisaga nie wieder mit ihr zusammen gegen die feindlichen Mächte ankämpfen würde. Sie wusste, dass die treue Mitschwester in erfüllung ihrer Pflicht ihr Leben gelassen hatte. Sie wusste, dass wieder eine sehr gute und wichtige Mitstreiterin aus ihren Reihen fehlte. Wieder war eine von ihr gegangen, die bei ihrer Wiederverkörperung geholfen hatte. Deren Kraft durch das Seelenmedaillon dairons in Bartemius' Crouches seelenlosen Körper eingedrungen war, damit sie darin einen neuen Halt finden und ein neues Leben führen konnte. Diese Gewissheit erfüllte sie mit Trauer. Gleichzeitig fühlte sie Ärger, weil Izanami sie nicht um Hilfe gerufen hatte, nicht einen Moment daran gedacht hatte, die dankbare Mitschwester an ihre Seite zu rufen. Das hätte sie doch wissen müssen, als Izanami beim letzten Gespräch über die nun endgültig unterbrochene Spiegelverbindung so entschlossen, so stolz verkündet hatte, sich dem dunklen Wächter zum Kampf zu stellen.

Ja, und der dunkle Wächter hatte gesiegt und konnte jetzt triumphieren. Wahrscheinlich glaubte dieser zum Dämon gewordene Erzmagier, dass ihm nun das Land und die ganze Welt zu Füßen lag und er nach Belieben darauf herumtrampeln konnte. Sie war wütend, weil sie auf Izanami gehört hatte und sich nicht in ihrer Nähe verborgen hatte um sofort eingreifen zu können. Sie fühlte die ersten heißen Tränen über ihre Wange rinnen und schämte sich ihrer nicht. Sie war selbst eine Kämpferin, eine, die das Führen und Anleiten gewohnt war. Sie hatte immer wieder Mitschwestern in tödliche Gefahr geschickt, ja sich selbst auch immer wieder in Todesgefahren begeben und hätte dabei schon einmal fast ihr Leben verloren. Doch Izanamis vom Zweiwegspiegel bestätigter Tod ging ihr zu Herzen. Sowohl das, was Anthelia in ihr war, als auch das, was Naaneavargia in ihr war hatten sie für ihre Disziplin und ihre Kenntnisse geachtet und für ihren Mut und ihre Kunstsinnigkeit verehrt. Gerade eben sah sie sich im Salon der mittlerweile eingestürzten Daggers-Villa, wie sie Dido Pane einige fernöstliche Zauber zeigte. Vielleicht wäre sie eine gute Mutter geworden, wenn sie den richtigen Zauberer dafür gefunden hätte. Auch diese Erkenntnis trieb Anthelia/Naaneavargia Tränen in die Augen. Es waren Tränen der Trauer und Tränen der Wut. Das durfte sie dem dunklen Wächter nicht durchgehen lassen, dass er eine der Ihren getötet hatte, ob im offenen Zweikampf oder durch feigen Meuchelmord. Sie musste da hin, wo Izanami gefallen war. Vielleicht war er dort noch und suhlte sich in seinem Triumph. Die Vorbereitungen waren abgeschlossen, sie konnte ihm entgegentreten, zum letzten Duell. Doch dann schaffte es ein klarer Gedanke, den lodernden Wall ihrer Wut und den tiefschwarzen Abgrund der Trauer zu überwinden. Sie brauchte mindestens zwanzig große Sprünge, um nach Tokio zu kommen. Sicher konnte sie jetzt auch mit Yanxothars Klinge den Feuersprung machen und war direkt dort, wo Izanami ihren Tod gefunden hatte. Es mochte sein, dass der Dunkle Wächter dann noch da war. Es war jedoch wahrscheinlich, dass er schon von Izanamis Mitstreitern aufgesucht wurde oder sich davongemacht hatte, um nicht von der Vergeltung der Hände Amaterasus getroffen zu werden. Tauchte sie jetzt dort auf half es Izanami nicht mehr. Es verriet den Händen Amaterasus nur, dass sie mit ihr in Verbindung gestanden hatte, womit diese dann auch wussten, wer ihr wirklich den Zauberstab verschafft hatte, den sie seit ihrer Wiederverkörperung benutzt hatte, nur unterbrochen durch die Monate, die sie in Daianiras Uterus gefangen war und diese den Zauberstab geführt hatte. Sie wusste, dass der dunkle Wächter den Stab unbedingt wiederhaben wollte. Dann wollte sie ihm zeigen, wo er ihn abholen kommen konnte. So schwer es ihr im Moment fallen mochte, sie musste mindestens bis zur nächsten Nacht in Japan ausharren, um den letzten Gegner Izanamis anzutreffen.

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26.08.2004

Die Geräusche änderten sich. Aus dem ganz tiefen Brummen, langsamen Knattern und leisem Wummern wurden wieder das stetige Rauschen eines vielbefahrenen Straßennetzes, das Aufheulen von Feuerwehr- und Ambulanzsirenen und die hier herauf wehenden Bässe Musik abspielender Stereoanlagen aus Häusern und Autoradios. Der Zeitrafferzauber war verflogen. Der Dunkle Wächter sah auf sein Schwert, das langsam wieder dunkler wurde. Da begriff der dunkle Wächter, dass er hierund jetzt angreifbar war. Denn wenn der Mond nicht schien und unter ihm 50.000 Kubikmeter Wasser die Verbindung zur festen Erde störten konnten seine anderen Feinde ihn besiegen.

Von oben klang ein sehr beunruhigendes Sirren wie von tausend Mücken im Sturzflug. Der dunkle Wächter blickte schnell nach oben und sah die aus großer Höhe zu ihm herabstoßenden Metallheuschrecken, gegen die er vorhin schon hatte kämpfen müssen. Jetzt konnte er denen wohl nicht mehr ausweichen. Schnell wirbelte er das noch glühende Schwert im Kreis. Ein neuer Feuerstrudel entstand. Gerade als die ersten Robo-Schrecken sich auf ihn stürzen wollten umschloss der Feuerwirbel den Schwertträger.

Takeshi bekam noch mit, wie zwei der künstlichen Geschöpfe gegen die rotierende Flammensäule prallten und davongeschleudert wurden. Dann verschwanden der dunkle Wächter und der Entkörperte in dem kreisenden Feuer.

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Das Trauerhorn erscholl. Hier im Haus der Wache und Einsatzbereitschaft wurde jeder, der in Erfüllung eines Auftrages starb auf diese Weise gemeldet. Doch auch so hatten Hiro Kazeyama und der Anleiter der eisernen Diener gesehen, was geschehen war. Izanami Kanisaga hatte den Kampf verloren. Ihr Körper war bis zur Oberkante Bauchnabel verbrannt. Dann hatte der dunkle Wächter wohl gemerkt, dass sein Zehn-in-Eins-Zauber nachließ. "Feind anfliegen und festhalten!" befahl der Anleiter der eisernen Diener. Doch offenbar machten die über ihm kreisenden Späher beim Niederstoßen zu viel Krach. Denn er blickte kurz nach oben und ließ blitzschnell einen neuen Feuerstrudel entstehen. "Feind ruft Wirbel aus künstlichem Wiederkehrvogelfeuer. Feind in künstlichem Wiederkehrvogelfeuer verschwunden. Späher eins und zwei bei Nachsetzversuch von künstlichem Wiederkehrvogelfeuer abgedrängt und weggeschleudert!" quäkte eine künstliche Stimme, nachdem eine kurze Folge hoher Töne und Klicklaute zu hören war.

"Verwünscht!" stieß Hiro Kazeyama aus. Der dunkle Wächter war ihnen wieder entkommen. Er würde wohl zusehen, den Beschleunigungszauber wiederherzustellen, bevor er noch einmal irgendwo hinwollte. "Schickt fünf von uns auf diesen Turm und lasst den Leichnam unserer Mitstreiterin Izanami Kanisaga bergen!" befahl Hiro Kazeyama mit ruhigem Ton. Ob er trauerte ließ er sich nicht anhören oder ansehen.

Wenige Minuten später befand sich der halbverbrannte Körper Izanamis auf dem Untersuchungstisch im Haus der Heilung und Erholung der Hände Amaterasus. Die Heiler hatten die traurige Pflicht, die genaue Todesursache zu bestimmen, damit die gefallene Mitstreiterin ordentlich in den Verzeichnissen des Ordens vermerkt wurde. Von ihrem Schwert konnten nur noch in das asphaltierte Dach eingebrannte Metallreste gefunden werden. Es hatte seine ganze restliche Kraft auf einen Schlag freigesetzt, als seine rechtmäßige Besitzerin verstorben war. Was es aber mit dem kinderfaustgroßen schwarz verfärbten Metallklumpen in ihrer rechten Innentasche auf sich hatte konnte keiner ermitteln. Denn von diesem Gegenstand ging keinerlei magische Kraft mehr aus. Einer der Heiler vermutete sowas wie einen Schutzgegenstand, der durch den tödlichen Schwertstoß überlastet worden war und ebenso verglüht war wie Izanamis Schwert.

Als die letzte Untersuchung beendet war und eindeutig geklärt war, dass sie von einem mehr als lavaheißen, länglichen Gegenstand in ihren unteren Organen zu Tode gebrannt worden war, kamen die Leichenpfleger des Ordens in ihren weißen Gewändern, auf denen das Symbol einer oberen Sonnenhälfte mit nach unten gebogenen Strahlen prangte. Sie wuschen die Tote sorgfältig und rieben sie mit einer Salbe ein, die sie bis zur feierlichen Einäscherung vor Verwesung oder Fliegenbefall bewahren konnte. Danach wickelten sie die vom Zauberfeuer entstellten Körperpartien in weiße Tücher. Dann zogen sie der Toten ein blütenweißes Gewand mit den Schriftzeichen ihres Namens und dem traditionellen Abschiedsgruß: "Was immer mir geschieht, die Sonne wird weiterscheinen!" über. Dann wurde sie ohne Anwendung von Zauberkraft auf einer Bare in die steinerne Kammer der letzten Ehre getragen. Dort wurde sie mit dem Kopf nach Norden auf einen blitzblank geputzten weißen Marmortisch abgelegt. Danach breiteten sie noch eine weiße Seidendecke über sie. Morgen würde sie im Beisein des hohen Rates und aller bereitwillig anwesenden Mitstreiterinnen und Mitstreiter dem Reisefeuer übergeben, das helfen sollte, den gequälten Geist von der sterblichen Hülle zu befreien und auf die Reise in die Gefilde der Vorausgegangenen zu senden.

Kaum lag sie zurechtgebettet auf dem Aufbahrungstisch, erschien auf der zwanzig Schritte breiten und sechs Manneslängen hohen Gedenkwand ein Symbol, das ein liegendes Schwert darstellte. Darunter stand in hellroter Schönschrift geschrieben:

Mitstreiterin Izanami Kanisaga
Geboren im Jahre 675 nGdO
in Eifer und Pflichterfüllung verstorben im Jahre 722 nGdO
Möge sie niemals vergessen werden und ihre Seele in den Gefilden der Heldenhaften wandeln!

"Sie bekommt zumindest noch eine ehrenvolle Bestattung", dachte Kazeyama, als er hörte, dass die Tote traditionsgemäß für die Beisetzung vorbereitet worden war. Ob er oder andere Mitglieder des hohen Rates noch eine solche Ehrung erfuhren war zweifelhaft. Vor allem Murabayashi, dieser Versager, würde keine solche Ehre erhalten. Er würde in einem ganz normalen Brennofen eingeäschert und die Asche in alle Winde verstreut werden. Womöglich drohte es auch Hiro Kazeyama, weil er das mit den Kindern Susanoos vorgeschlagen hatte, die sich gerade als Retter des Landes darstellten, indem sie die noch herumlaufenden brennenden Untoten suchten und vernichteten. Takahara war da alles andere als erheitert.

"In dieser Nacht mag der Wächter nicht mehr in Erscheinung treten, Herr Kazeyama", sagte einer der Fachkundigen für dunkle Zauber und Yokai. "Sein Schwert ist durch den Kampf mit Izanami, Ehre Ihrem Angedenken und Friede Ihrer Seele, sehr stark erschöpft worden. Außerdem konnten wir beobachten, dass er freie Sicht auf den Mond benötigt, um sein Zauberwerk zu vollziehen, und über den vier großen Inseln liegt eine Wolkendecke, die sich wohl erst im Laufe der Tagesstunden auflöst. Er wird also zusehen, dass sein Schwert sich wieder erholt. Doch dann ist zu befürchten, dass er noch grausamer zuschlagen wird. Das brennende Hochhaus war ein warnendes Beispiel."

"Ja, und jetzt ist niemand mehr da, der oder die ihm Einhalt gebieten kann", sagte Hiro Kazeyama.

"Es sei denn, wir rufen weltweit um Hilfe. Wir müssen diese Zauberin mit dem anderen Feuerschwert und dem Stab des dunklen Wächters herrufen und beide zusammenbringen", sagte der Fachzauberer für dunkle Zauber und Zauberwesen.

"Was?! Wollen Sie auch den gläsernen Dolch des freien Weges ergreifen und sich damit entleiben?" stieß Hiro Kazeyama aus. "Wenn wir, der ehrenwerte Orden der Hände Amaterasus, einer höchst zweifelhaften Zauberin zurufen, dass wir ihre Hilfe brauchen, dann haben wir endgültig unser Daseinsrecht verwirkt. Es dürfte Minister Takahara eine große Freude bereiten, den Orden für vollständig aufgelöst zu erklären", knurrte Hiro Kazeyama.

"Dann verzeiht meinen Vorwitz, Truppenlenker Kazeyama. Dann habt Ihr wahrlich recht, und es ist niemand mehr da, der oder die es mit dem dunklen Wächter aufnehmen kann."

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Um sieben Uhr morgens erfuhr der japanische Zaubereiminister Ninigi Takahara, was in der Nacht geschehen war. Es erheiterte ihn nicht im geringsten. Zum einen hatten die Hände Amaterasus versagt, was den Hiromitsuturm in Shinjuku anging, wo mindestens neunhundert unschuldige Menschen gestorben waren, sowie der Umstand, dass die von Takayama als große Hoffnung dargelegte Mitstreiterin mit einem ähnlichen Feuerschwert wie das des dunklen Wächters im direkten Zweikampf verloren hatte. Das hatte er nun von seiner Großzügigkeit, denen den Kampf mit diesem Feuerdämon zu überlassen. Wenn er nicht bald einen großen Erfolg im Kampf gegen diesen Unhold vermelden konnte konnte er diesem Massenmörder gleich die Schlüssel zum Zaubereiministerium in die Hand drücken. Doch genau das wollte er nicht. Noch hatten die sogenannten ehrenwerten Hände Amaterasus Zeit, dieses Ungeheuer zu vernichten. Aber dann würde er Ihnen all ihr Versagen aufzählen und ihnen die Wahl lassen, entweder die Befehlshoheit des Zaubereiministers anzuerkennen, wie es in den Anfangszeiten des Ordens war oder eine Gerichtsverhandlung der überlebenden ranghohen Ordensmitglieder mit Aussicht, alles an Wissen und Wert an das Ministerium übergeben zu müssen. Die Mitglieder in den unteren Rängen sollten dann entscheiden, ob sie weiterhin im Namen des Ministeriums handeln wollten oder wegen tätiger Mithilfe bei schweren magischen Verbrechen angeklagt und womöglich zum Tode verurteilt zu werden. Auf jeden Fall durften die Zaubererweltbürgerinnen und -bürger nicht erfahren, welch übler Rachegeist gerade umging. Denn sonst konnte er selbst seinen Abschied nehmen.

Ihm war alles andere als wohl, dass sein eigenes Schicksal gerade von Leuten abhing, die genau wussten, dass er sie entmachten oder ganz und gar vernichten wollte. Doch hatten seine Leute es bisher nicht besser hinbekommen. Auch das ärgerte ihn sehr.

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Sie waren wieder in diesem weitläufigen Keller, wo der dunkleWächter für den von ihm besetzt gehaltenen Körper Essensvorräte zusammengetragen und Kleidung zum Wechseln bereitgelegt hatte.

Takeshi merkte, dass der Räuber seines Körpers müde war. Er war traurig, weil dieser Dämon die mutige Frau so grausam getötet hatte. Doch irgendwie hatte ihm das Gesicht der Besiegten Rätsel aufgegeben. Wie hatte sie die unendlichen Schmerzen verdrängen können, die sie zweifellos hätte fühlen müssen? Irgendwie hatte das dem dunklen Wächter gar nicht gefallen. Denn wie jeder böse Geist nährte er sich vom Leid anderer Menschen. Dann fiel ihm was ein, was sein Schulfreund Ichiro über seine Tante Hideko behauptet hatte, dass die eine seltene Schmerzunempfindlichkeit hatte, so dass sie selbst bei schweren Verbrühungen noch ganz ruhig blieb oder mal mit einem gebrochenen Arm zur Schule gegangen war und sie beim Richten des Bruches keine Narkose gebraucht hatte. Ja, und angeblich hatte die erst gemerkt, dass sie schwanger war, als sich irgendwas in ihrem Bauch bewegt hatte und dann noch ohne jeden Laut zwei gesunde Söhne geboren. War diese Izanami so eine gewesen, die auch keinen Schmerz verspüren konnte? Oder hatte sie eine besondere Geistestechnik benutzt, sowas wie Biorückkopplung, nur um dem Dämon keinen vollkommenen Sieg zu gönnen? Das würde ihr Geheimnis bleiben. Doch nun würde wohl niemand mehr diesen Dämon aufhalten können. Das Land hatte nur noch einen Tag geschenkt bekommen. Die nächste Nacht würde fürchterlich sein, und keiner der vielen millionen Leute im Land ahnte was davon. Sicher, das mit dem Shinkansen und dem brennenden Hochhaus würde durch die Medien gehen, vielleicht sogar weltweit berichtet. Aber was dahintersteckte und dass das nur der Auftakt zur endgültigen Höllenfahrt war wusste keiner.

"Na, Jüngling, ertrinkst du in deinen Zweifeln?" hörte er die Gedankenstimme einer Frau. Das war diese Geisterfrau, diese als Gespensterriesin weiterbestehende Yamauba Yamanonechan, die große Schwester der Berge.

"Genau die bin ich. Fast hätte ich euch zwei letzte Nacht bekommen. Aber dieser Spielverderber von Mondgott hat ihn noch einmal obsiegen lassen. Aber ich bin sehr geduldig, wie die Katze, die vor dem Mauseloch ausharrt, wenn es sein muss Tag und Nacht."

"Klar, weil die Katze im Käfig hockt", dachte Takeshi. Denn der dunkle Wächter hatte behauptet, dass seine als Geisterriesin in der Weltverbliebene Mutter nicht von ihrem Berg wegkonnte.

"Geduld zahlt sich immer aus, Jüngling. Ich bin weiterhin da", erwiderte die reine Gedankenstimme.

Takeshi war nicht danach, darauf zu antworten. Er fühlte, wie der dunkle Wächter einschlief. Sollte er es jetzt, wo das Schwert sich erst einmal wieder aufladen musste versuchen, in seinen Körper zurückzukehren?

Er wagte es. Vielleicht konnte er diesen Dämon aus seinem Körper verjagen, gerne auch zurück in dieses verfluchte Schwert. Das brauchte er dann nur noch hier liegen zu lassen und ... Er sah, dass die Ausgänge aus dem Keller alle verschüttet waren. Als reiner Geist kam er durch. Doch als Mensch aus fleisch und Blut war das unmöglich. Ja, er konnte vielleicht seinen Körper zurückerobern, den darin eingenisteten Dämon aus sich hinausfegen, in dieses verwünschte Schwert zurücktreiben. Doch dann war er gefangen. Wie lange reichten die angelegten Vorräte noch? Zwei Wochen höchstens. Dann würde er hungern und Durst leiden. Nein, hier konnte er seinen eigenen Körper nicht zurückerobern.

Ein leises, gehässiges Kichern war die Antwort auf seine Überlegungen. Dieses Berghexenweib hörte weiterhin mit. Tolle Aussichten, dachte Takeshi Tanaka.

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25.08.2004

Anthelia hatte nach der ersten Wallung von Wut und Trauer ihre Fassung zurückgewonnen. Für Trauer sollte später Zeit sein. Jetzt galt es, diesen zerstörungssüchtigen Geist im fremden Körper zu bannen und/oder ganz aus der Welt zu treiben. Sie hatte schon gewisse Vorbereitungen getroffen. Vor allem hatte sie das von Yanxothar geschmiedete und mit mehreren Feuerzaubern versehene Schwert mit aufgerichteter Klinge in die neuenglische Sommersonne gehalten. Auch hatte sie einen von Portia aus den Beständen des Ministeriums abgezweigten Rucksack gepackt, der beim Verschließen sich und seinen Inhalt unsichtbar machte, solange der Inhalt nicht selbstleuchtend war. Denn dann wurde er wieder undurchsichtig.

Ihr war bewusst, dass der dunkle Wächter nun wohl die Sonnenstunden in einem vor Sonnenlicht abgeschotteten Raum zubringen würde. Das hieß, sie hatte jetzt wohl vierzehn Stunden, um herauszufinden, wo er steckte oder etwas zu unternehmen, was ihn zu ihr trieb. Spur finden oder Falle stellen, das war hier die Frage, die zwischen Jägerin und Gejagter entscheiden mochte. Dann entschied sie sich. Sie musste den Wächter dorthin bekommen, wo er außer ihr niemandem Schaden zufügen konnte und wo sie vorher alles tun konnte, um ihre Siegeschancen zu wahren.

Sie studierte die Landkarten, die ihr Izanami Kanisaga beschafft hatte. Sie wollte wissen, ob es im Inselreich Japan einen Ort gab, der sowohl unbesiedelt als auch magisch hochwertig war. Vor allem musste sie einen brauchbaren Köder haben. Da die Blutsverwandten des von ihm übernommenen Körpers im Sicherheitsgewahrsam des Zaubereiministeriums waren und sie schlecht dort eindringen und die drei herausholen konnte, was konnte sie noch aufbieten? Da fiel ihr was ein. Alles hing davon ab, dass Izanamis Angaben über das Opfer des dunklen Wächters vollständig waren.

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26.08.2004

Er hatte es schon ein Jahr nach der Gründung seines Unternehmens gewusst. Wer selbstständig war arbeitete meistens selbst und das ständig. Sicher, Nori Ohama hatte mittlerweile an die zweitausend Mitarbeiter, davon fünfhundert Seeleute. Doch an einen tariflich festgelegten 8-Stunden-Tag war in seiner Anstellung als Präsident und Geschäftsführer in Personalunion nicht zu denken. Die Ohama Fisch- und Meeresfrüchtekompanie machte jährlich mehr als fünfzig Millionen US-Dollar Umsatz. Bei Geschäften, die über Japans Landesgrenzen hinausgingen setzte er nicht auf den Yen. Die Umrechnung für Verkäufe an Supermarkttheken oder Restaurantgroßhändlern vertraute er zehn Fachkundigen an. Sicher, am Ende des Geschäftsjahres prüfte er selbst die Bücher und nahm in Cognito an Inventuren Teil, auch um mitzubekommen, was die unteren Ränge so von ihrem Boss hielten.

Er behauptete immer, er tue das für seine Familie, dass die nicht eines Tages auf der Straße stehen mussten. Auch wollte er nicht, dass seine sechs Kinder in die Verlegenheit kamen, so abhängig von einem anderen Boss zu sein wie sein Schwager Haru es war. Weil er sich mit seiner Schwester Natsu überworfen hatte, weil er ihre Wahl eines Ehemannes für einen Fehlgriff hielt, hatte er schon seit Jahren nichts mehr von ihrer Familie gehört. Er wusste nur, dass der Erstgeborene ein guter Oberschüler war und seinem Vater Hündisch ergeben war. Obwohl, etwas von dessen Unterwürfigkeit hätte seinen vier Söhnen sicher auch gut getan. Sonst hätten die nicht aus den verschiedenen Gründen kaum dass sie volljährig geworden waren das Weite gesucht, angeblich um ihre eigenen Fähigkeiten auszureizen.

Die Nachricht, dass es in Fukuoka in dem Wohnviertel gebrannt hatte, in dem seine Schwester wohl wohnte, hatte er mit kurzem Erschauern zur Kenntnis genommen. Doch weil keiner kam, um ihm zu sagen, dass seine Schwester, sein Neffe und seine Nichten verletzt oder gar tot waren hatte er das ganze als eine der ganz vielen tragischen Meldungen abgetan, die in den Nachrichten verbreitet wurden. Genauso ging es ihm mit einem durch Überspannung im Stromverteiler ausgelösten Brand im Hiromitsu-Turm in Shinjuku, Tokio, in der vergangenen Nacht. Er hatte es mit: "Tokio ist weit, aber das Meer ist nahe", abgetan und seine Arbeit an den Halbjahresbilanzen begonnen.

Als die Systemuhr seines Arbeitsrechners 14:00 anzeigte griff er das an den Rechner angeschlossene Headset und wählte mit der Maus das Bildzeichen einer Kamera mit blauen Flügeln an, sein hochverschlüsseltes Video-Konferenzprogramm. Er wollte sich gerade mit seinem Benutzernamen anmelden, als das rote Telefon ganz rechts auf dem Schreibtisch seinen fanfarenartigen Klingelton von sich gab. Auf diesem Apparat riefen nur Premiumgeschäftskunden von ihm an, wie der Herr aus Kalifornien, der für seine über die Staaten verteilten Nobelrestaurants 20 Tonnen verarbeiteten Thunfisch vorbestellt hatte. Wollte der etwa stornieren?

Die Rufnummernanzeige gab an, dass der Anruf tatsächlich aus den USA kam. Doch es war eine Mobilfunknummer, die er nicht kannte. Wenn es wirklich einer seiner Premiumkunden war sollte der grundsätzlich nur über eine eingetragene Festnetznummer anrufen, so der Partnerschaftsvertrag. Denn über Mobiltelefon konnte jeder ja anrufen, oder so ein Gerät konnte leichter gestohlen werden als ein Festnetztelefon. Wer also rief dann die Durchwahl für Leitung Rot an?

An dem Telefon gab es eine Taste, mit der eingehende Anrufe in einer Warteschleife geparkt oder an die Zentrale zurückgeleitet wurden. Wer was von ihm wollte sollte gefälligst sein Vorzimmer anrufen, wenn es kein in der Kontaktliste der Leitung Rot verzeichneter Premiumkunde war.

Er griff wieder zu seinem Headset und tippte seinen Benutzernamen und das 12stellige Passwort ein. Dann wählte er aus der Kontaktliste den Eintrag Nami-No-Hoshi. Das war eines seiner Hochseefischereischiffe mit drei kleineren Beibooten, auf dem der Fang gleich verkaufsfertig verarbeitet werden konnte. Auf dem Bildschirm erschien das Gesicht von Kapitän Saito. Nori wartete die ihm geltende Begrüßung ab. Dann fragte er gleich nach dem Stand des Thunfischfangs.

"Wir verzeichnen einige Schwierigkeiten mit den Fischereibehörden von Spanien und Italien wegen der Fangrechte", sagte der Kapitän. "Vor allem wollen die Italiener, dass wir aus ihren Fanggründen fernbleiben. Derzeitig haben wir an die 80 Tonnen Thunfisch in Rohform und bereits 30 Tonnen verkaufsfertigen Thun in den Lagern. Erbitten neue Anweisungen und/oder Rücksprache mit der Behörde in Rom!"

"Wie bitte. Seit wann machen die Römer solche Umstände? Wir haben doch alle erforderlichen Papiere vorgelegt, oder nicht?" fragte Nori verärgert. Der Kapitän bestätigte das, fügte aber hinzu: "Die italienische Fischereibehörde hat neue Richtlinien für ausländische Fabrikschiffe erlassen. Denen nach dürfen wir nur die halbe Monatsquote des Vorjahres aus dem Wasser holen. Falls Sie die Datenübermittlung freischalten schicke ich Ihnen unseren Bestand und die Liste der neuen Richtlinien."

"Wie ist Ihre Position, Kapitän Saito?" wollte Nori Ohama wissen.

"zwanzig Seemeiln südöstlich von Sizilien und ..." setzte der Fabrikschiffkapitän an, wurde jedoch von einem Tumult unterbrochen, der irgendwo von Deck kam. "Was geht denn bei Ihnen vor, ein Piratenüberfall?" wollte Nori wissen.

"So was ähnliches. Eine Gruppe Umweltaktivisten hat wohl erkannt, dass wir zum Ohama-Konzern gehören und will wohl gegen unser Walforschungsschiff demonstrieren. Die werfen mit aufgeblasenen Gummiwalen mit aufgemalten Totenköpfen nach uns und ..." Patsch! Offenbar hatte etwas nasses eines der Brückenfenster getroffen.

"Klingt eher nach einem Angriff als nach einer Demonstration", knurrte Ohama. Diese Umweltschutzfanatiker wurden immer dreister und kümmerten sich weder um Traditionen noch um die Bedürfnisse arbeitender Menschen.

"Die haben uns einen halb verwesten Kabeljau ans Steuerbordfenster geschossen", würgte Saito hervor. Als Fischereikapitän konnte er den Anblick toter Meerestiere vertragen. Daher war es um so erstaunlicher, dass ihn ein halb verwester Fisch so ekelte.

Verflucht, das sind die Leute von "Ocean Avengers", dieser total radikalen Antiwalfang-Bande", hörte Nori Saito ausstoßen. Es klatschte erneut an eines der Fenster. "Die schießen mit Katapulten. Die versauen uns das ganze Deck mit überlang herumliegenden Fischen", stieß er aus. "Öhm, Herr Ohama, ich schicke Ihnen die Bestandsdaten über den verschlüsselten Datenkanal, wenn wir hier diese höchst unliebsame Angelegenheit geregelt haben", sagte Saito.

"Rufen Sie ... Ach nein, Sie sind ja außerhalb von Hoheitsgewässern", schnaubte Nori, als er im Hintergrund des Bildschirms sah, dass eine Fischleiche mit lautem Klatschen am Backbordbrückenfenster zerschellte. "Rufen Sie trotzdem den Küstenschutz! Sowas müssen wir uns nicht bieten lassen. Das ist Piraterie auf hoher See."

"Hat der Funker schon längst getan, Ohamasan. Wir versuchen uns aus der Umzingelung herauszumanövrieren", sagte Saito. Wieder patschte es mehrmals sehr unappetitlich. "Diese Auswürfe eines Walrosses stören unseren Magnetkompass mit Elektromagneten. Wenn die uns jetzt noch den Satelliten ..." Das Bild verschwand und machte dem Zeichen "Verbindung abgebrochen" platz. Aber es war kein gewollter Kontaktabbruch, sondern ein Ausfall der Verbindung. Womöglich hatte jemand von diesen "Rächern des Ozeans" genau die Satellitenschüssel getroffen, welche für die Übertragungzuständig war. "Euch soll Susanoo persönlich ersäufen", knurrte Nori. Er glaubte nicht wirklich an die alten Götter, oder nur dann wenn es ihm Geld brachte. Abgesehen davon war im Mittelmeer der Fischmann mit Dreizack zuständig, der auch bei denen die Erdbeben machte.

Er wollte gerade einen neuen Verbindungsaufbau versuchen, als wieder das rote Telefon läutete. Wieder war es jene US-amerikanische Mobilfunknummer. Aber die hatte er doch vor drei Minuten in die Zentrale zurückgewiesen. Sein Telefonist dort hatte das Gespräch sicher angenommen, aber nicht zu ihm durchgestellt, was hieß, dass der Anrufer nicht wichtig genug war, um ihn stören zu dürfen. Gut, dann sollte der oder die halt die neuesten Schlager aus der elektronischen Musikfabrik seines Landes hören, bis er von selbst wieder auflegte. Warteschleifen waren die natürlichen Feindinnen eines sparsamen Mobiltelefonierers, es sei denn, er hatte eine Mobilflatrate für Vieltelefonierer. Wie dem auch sei, jetzt hing der unbekannte Anrufer in der Warteschleife. Vielleicht fischte ihn die Zentrale wieder heraus, wenn er da lange genug herumgegondelt war. Ihm war wichtiger, was da gerade mit seinem Schiff im Mittelmeer los war.

Ein neuer Verbindungsaufbau misslang gleich im Ansatz. Die Meldung "Kontakt offline! Bitte später noch einmal versuchen", flirrte über den Bildschirm. Die hatten doch nicht ernsthaft sein Schiff beschädigt. Einer dumpfen Ahnung folgend rief er sein zweites Fabrikschiff an, dass gerade im Pazifik unterwegs war. Hier brauchte er keine Ortszeitumrechnung, weil die Bordzeit auch die Ortszeit von Tokio war. Doch es gelang nicht. Die Verbindung wurde gar nicht erst aufgebaut. Auch das Walsuchschiff konnte nicht erreicht werden. Das war aber jetzt sehr suspekt.

Einer Eingebung folgend ließ er seinen Rechner die bestehenden Internetverbindungen prüfen. Dabei kam heraus, dass die Störung bei ihm im Haus zu suchen war. Die Satellitenschnittstelle war unterbrochen, und jetzt auch noch das Glasfaserkabel mit der für Normalnutzer utopischen Übertragungsrate von 400 Megabit. Irgendwer oder irgendwas deaktivierte die Internetverbindungen, und zwar nicht die Programme, sondern die Hardware. Er griff zum blauen Telefon, das nur eine Hausverbindung gestattete. Doch in der Anzeige erschien die Meldung "Verbindung ausgefallen. jemand sabotierte seine Kommunikationsmöglichkeiten. Vielleicht ging noch eines der drei anderen Telefone. Er nahm erst Rot. Aber er kam nicht aus dem Hausnetz raus, weil das schon gestört war. Dann brauchte er das grüne und gelbe Telefon nicht einmal anzufassen. Er griff in sein Jacket und zog sein neues Vielzweckmogiltelefon mit eingebauter Zerhackersoftware heraus. Er musste unbedingt die Polizei anrufen. Jemand wollte seine Firma lahmlegen. Da erstarb das leise Säuseln der Klimaanlage, der Arbeitsrechner fiel mit einem leisen Klick und einem hässlichen Knacklaut in den Kopfhörermuscheln des Headsets aus. Gerade das sollte nicht passieren. Die Rechner hingen allesamt an einer batteriegespeisten unterbrechungsfreien Stromversorgung, die einen allgemeinen Stromausfall von bis zu 24 Stunden überbrücken konnte. In den fensterlosen Räumen oder jenen, die nach Norden wiesen würden seine Leute jetzt auch kein ausreichend helles Licht mehr haben. Zum Glück hatte Nori Ohama ein Büro mit einer Panorama-Panzerglasfront von Osten bis Süden, so dass er um diese Tageszeit kein zusätzliches Licht brauchte. Der Stromausfall war garantiert auch kein Zufall. Jemand legte seine Firma lahm. Er dachte an unzählige Megabyte von ungesicherten Daten, die nun alle im schwarzen Nichts der Unrückholbarkeit verschwanden. Also erst der hauseigene Sicherheitsdienst, wenn der nicht schon in seinem Überwachungsraum alle roten Lampen blinken sah. Der hatte ja auch ein von der Hausleitung unabhängiges Mobiltelefon. Die Polizei wollte er erst rufen, wenn klar war, dass jemand seine Firma sabotierte. Waren das auch die Ocean Avengers?

"Ja, hier Ryuzoji, Ohamasan. Haben den Ausfall auch bemerkt. USV Totalausfall. Auch Notstrom geht nicht. Nur die Notfallbatterien der Sicherheitsrechner und Alarmsysteme sind noch in Betrieb. Meine Leute sind schon runter in den Keller zur Stahlkammer, um die Hardware zu prüfen und gegebenenfalls einen manuellen Neustart des 24er-Generators zu machen."

"Wie konnte so ein Saboteur auf unsere Versorgungssysteme zugreifen, Ryuzoji?"

"Kann ich Ihnen erst sagen, wenn wir das selbst wissen, Ohamasan", erwiderte der Sicherheitsbeauftragte. Zwanzig Mann, davon vier ausgebildete Elektriker, ehemalige Feuerwehrleute und für gutes Geld von einer Leibwächteragentur abgeworbene Personenschützer sollten eigentlich die firmeneigene Infrastruktur und die Mitarbeiter vor wie auch immer gearteten Störungen oder gar Angriffen schützen.

"Augenblick, Herr Ohama, bekomme die Meldung, dass sämtliche Notstrombatteriesätze schwer beschädigt sind. Sie sind unbrauchbar", vermeldete Ryuzoji nach einer weiteren Minute. "Durch massive Hitzeeinwirkung", fügte er noch hinzu.

"Ddie Batterie für die Rundsprechanlage und den Alarm geht noch?" erkundigte sich Nori Ohama. "Augenblick, "Ja, geht. Soll ich Evakuierungsalarm geben?" Wollte Ryuzoji wissen.

"Im Gegenteil, alarmplan Nautilus. Die Mitarbeiter wissen dann was los ist!"

"Ohne Strom? Öhm, bei allem Respekt, halten Sie die Lage für so kritisch, Herr Ohama?"

"Wir sind gezielt lahmgelegt worden, Ryuzoji. Aus welchem Grund wohl?"

"Verstanden, gebe Alarmmeldung Nautlilus durch", sagte Ryuzoji. "Ja, und rufen Sie unseren Kontakt zur Polizei an und melden sie "Burg im Sturm"!"

"Verstanden, melde ..." Es knackte in der Mobilleitung, dann verschwanden sämtliche Balken für eine Netzverbindung von der Anzeige. Also hatte auch jemand die Mobilfunkmöglichkeiten sabotiert. Nori hätte vielleicht doch erst die Polizei rufen sollen. Doch er hatte den Namen des Verbindungsmannes und dessen Durchwahl nicht. Wer auch immer die waren, die hätten dann auf jeden Fall schneller den Mobilfunk gestört als ihm lieb war. Sicher stand da draußen irgendwo ein starker Störsender, der vor allem die Mobilfrequenzen überlagerte, sodass keine Verbindung mehr möglich war. Dann wollten die wohl haben, dass alle in halber oder voller Panik aus dem Haus flüchteten, weil nichts mehr ging.

Ein dumpfes Knacken in den hinter der Wandverkleidung versteckten Lautsprechern. "Achtung, hier Sicherheitsleitung Ryuzoji. Alarmplan Nautilus. Wiederhole Nautilus."

Nori sprang von seinem Stuhl auf und eilte so gut es sein gewichtiger Körper zuließ zur Tür. Er klappte eine kaum sichtbare Verblendung um und fand eine kleine Handkurbel. Diese drehte er so schnell er konnte nach links. In der geschlossenen Tür erklang ein leises metallisches Schaben. Dann klackte es, und die Kurbel ließ sich nicht weiterbewegen. Jetzt war die Tür mit vier ineinander verzahnten Riegeln versperrt. Da in der Türfüllung selbst eine zwei Zentimeter dicke Stahlplatte steckte konnte auch niemand sie jetzt ohne massiven Einsatz von Sprengstoff aufbrechen. Wenn der Alarmplan "Nautilus" in Kraft gesetzt wurde konnten bei Stromzufuhr alle Räume durch einen violetten Knopf ver- und bei Entwarnung "Meeresbrise" wieder entriegelt werden. Bei Stromausfall konnten die Verschlüsse durch die versteckten Kurbeln in der Wand betätigt werden. Alle wichtigen Abteilungen wurden auf diese Weise vor unbefugtem Zugang versperrt. Die Sicherheitsleute schwärmten dann aus, um das Haus nach unerwünschten Eindringlingen abzusuchen.

"Wer auch immer will mich fertigmachen und hat diesen Zeitpunkt gewählt. Aber wenn wir uns nicht mehr melden kommt eh die Polizei", dachte Nori Ohama. Da ploppte es ganz leise neben ihm, und eine warme, tiefe Frauenstimme sagte: "Erst mal bin ich da."

Nori Ohama fuhr herum und sah eine Frau, die er bisher noch nicht gesehenhatte. Sie hielt einen silbergrauen Stab in der rechten Hand und zielte auf ihn wie mit einer Waffe. "Schlaf gut!" hörte er die andere Sagen. Dann schwanden ihm die Sinne.

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Takeshi Tanaka hatte sich daran gewöhnt, die Zeit, die sein gekaperter Körper schlief, ebenfalls nichts mitzubekommen. Das lag wohl daran, dass er noch über eine hauchdünne Verbindung an ihm dranhing. Jedenfalls hatte sich sowohl der seinen Körper besetzt haltende Dämon als auch sein stofflicher Anker in der Welt, das Zauberschwert Ryu no Kiba no Tsurugi, von der letzten Nacht erholt.

Takeshi hörte schon, dass der dunkle Wächter überlegte, ob er gleich den Kaiserpalast und alles was darum herum war in Feuer und Rauch aufgehen lassen sollte oder erst die Quelle aller künstlichen Lichter zerstören sollte, um Panik und wildes Durcheinander in Tokio oder einer anderen ganz wichtigen Stadt hervorzurufen. Der entkörperte Junge wusste, dass er ihn nicht daran hindern konnte, was auch immer zu tun.

"Ich wollte eure Städte beherrschen. Aber sie sind mir ein Graus mit ihren stinkenden pferdelosen Wagen, dem unwirklichem Licht und diesem schwarzen harten Zeugs, das die Wege überzieht. Ich brenne jetzt alles runter und bringe den Überlebenden bei, wieder so zu leben, wie es sich für zauberunfähige gehört. Und wer mir jetzt noch Widerstand leistet stirbt genauso wie diese Sonnenhure Izanami", dachte der dunkle Wächter. Takeshi hatte nie daran gezweifelt, dass dieser böse Geist irre war. Der könnte auch gut als einer der Superschurken herhalten, die den weltweiten Atomkrieg auslösen wollten, um das, was dann noch übrig war, nach eigenem Bild neu zu formen, als selbsternannter Gott. Aber falls dieser Dämon in Wirklichkeit ein körperloser Parasit von einem anderen Planeten war, der sich von Angst und Hass ernährte, dann brauchte der das Chaos. Dann musste er die Zerstörung machen, um sich eine ewige Futterquelle zu sichern, erkannte Takeshi. Nach dem Auftritt dieser Roboter und dem Feuerschwertduell mit dieser Frau Izanami Kanisaga war das ja auch möglich.

Der Wächter prüfte die Kraft seines Schwertes. Zumindest konnte er wieder das Feuer des Erdinneren hineinrufen. Ob er auch die Kraft des Mondes nutzen konnte prüfte er, indem er sich mit Hilfe des gestohlenen Zauberstabes ohne Feuerstrudel aus dem Keller in die Landschaft hinausteleportierte. "Wo ist der Mond?" schnaubte der dunkle Wächter. Dann hielt er inne. Er besah sich das Schwert. Dann hielt er den Zauberstab an die Parierstange und von da an seinen Körper. Jetzt fühlte auch Takeshi ein warmes Pulsieren durch seinen Körper gehen. "Ah, sie haben sie tatsächlich hervorgeholt, weil sie Angst um ihre eigenen Familien und um all die ganz ganz armen Zauberunfähigen haben", spöttelte der dunkle Wächter und hielt sein Schwert in verschiedene Richtungen. Dann dachte er: "So werde ich die Gabe annehmen und vielleicht etwas Milde walten lassen."

Takeshi wusste erst nicht, was er meinte. Doch als er dachte: "Auch wenn es erst mal nur die Mutter ist, so wird ihr Leben und Blut mir schon mehr Macht geben. Die unreifen Mädchen werden sie mir dann eben später darbringen, diese Butterherzen." Jetzt fühlte Takeshis Geist es noch viel stärker, dieses warme Pulsieren. Er erinnerte sich, dass er es einen Moment lang gespürt hatte, als der Dämon ihn aus seinen Körper getrieben hatte. Ja, für einige Sekundenhatte er es gefühlt. Dann war es verschwunden. Doch wenn das wirklich von seiner Mutter kam hieß das, dass die, die sie erst versteckt hatten, sie wieder freigelassen hatten. Das durfte doch nicht sein. Die wussten das doch wohl, dass er sie umbringen würde, wenn er sie fand. Und zu allem Ungemach wanderten auch die dicken Wolken fort, und der Mond tauchte wieder am Himmel auf. Sofort glühte das Schwert des dunklen Wächters in einem hellen, weißen Farbton. Allerdings mischte sich im Takt der gefühlten Pulsschläge ein rötliches Licht dazu. "Blut ruft Blut in Feuersglut!" rief der dunkle Wächter mit Takeshis Stimme. Während er diese Beschwörung rief drehte er sich ganz langsam um seine Achse und hielt das Schwert waagerecht nach vorne gestreckt. In dem Augenblick, wo er eine bestimmte Richtung anzielte verstärkte sich der rote Farbanteil im Leuchten des Schwertes. Behutsam senkte er die Klinge ein wenig und hob sie an, bis das Schwert hellrot im Takt zwischen Weiß und Rot wechselte. "Das Blut stammt aus dem Meer und der Erde und gehorcht wie das Meer dem Mond", dachte der Wächter mit steigendem Triumphgefühl. Dann jedoch mengte sich ein unangenehmer Gedanke in seine Glücksstimmung: Hatten die es womöglich gewagt, ihm eine Falle zu stellen? Aber die hatten doch gelernt, dass weder Witterwasser, noch deren Sonnenzauber, noch diese feuerfesten Eisenkrieger und auch nicht dieses ja doch beachtliche Gegenschwert ihn hatten aufhalten können. Er war unbesiegbar. Takeshi dachte, dass so alle Größenwahnsinnigen gescheitert waren, weil sie dachten, unbesiegbar zu sein, von den ersten Shogunen bis zu den Armeen im zweiten Weltkrieg hier in Japan, von Napoleon, Stalin, Hitler, Mussolini und Milosevic in Europa.

"Du wagst es, mich mit zauberunfähigen Soldatenführern zu vergleichen, du schwächlicher Abdruck eines menschlichen Geistes?" gedankenschnaubte der dunkle Wächter. Da begriff Takeshi, dass der Dämon seine Gedanken doch verstehen konnte, vielleicht jetzt erst, wo jemand so blöd war, seine Mutter frei herumlaufen zu lassen.

"Ja, ich höre dich jetzt, weil die Anwesenheit deiner Gebärerin wohl unsere Verbindung stärkt. Aber in wenigen Dutzend Atemzügen wird sie vor mir liegen und ihr Blut meine Klinge netzen und mir mehr Macht geben", dachte der dunkle Wächter. "Ich bin der Größte!" rief er dann noch.

"Falsche Hautfarbe", dachte Takeshi ihm zurück. Ja, jetzt, wo dieser böse Geist in seinem Körper ihn verstand, konnte er ihm vielleicht doch noch richtig einschenken. Denn er hatte nichts mehr zu verlieren.

"O doch, hast du, Knabe. Erst hole ich mir die Lebenskraft deiner Mutter. Dann finde ich die beiden Mädchen und nehme ihnen auch alles weg, was sie bisher an Lebenskraft aufzubieten haben. Dann werde ich dich in den Schlund der Verdammnis stoßen, wo deine Seele vergehen wird, und du kannst mich nicht aufhalten. Du kannst mich nicht daran hindern."

"Ich wohl nicht. Aber du hast gerade was von einer Falle gedacht, Sohn einer zottelhaarigen alten Berghexe. Glaubst du, die hätten meine Mutter freiwillig so hingesetzt, dass du und dein Steakmesser das mitkriegen, wenn die nicht da, wo sie ist, irgendwas hingemacht hätten, um dich doch noch plattzumachen, du Angeber?"

"Und wenn. Ich habe allem und jedem getrotzt und werde es weiterhin tun."

"Tja, solange du genug Mondlicht auf deine grüne Nagelfeile kriegst, Halbmensch. Sonst geht die nämlich aus wie gestern nacht. Da hast du Pyromane doch gemerkt, wie abhängig du vom Wetter bist. Ja, dein Schwert ist wetterfühlig. Sind zu viele Wolken da geht es nichtan oder geht schnell wieder aus", schickte Takeshi zurück, der sich freute, sich endlich wieder wem mitteilen zu können, wenn es auch der Räuber seines Körpers war.

"Prüfen wir den Himmel, du armseliger Nebelhauch in meinem Schatten, lauer als mein leisester Leibwind", gedankenknurrte der dunkle Wächter. Dann hielt er das Schwert nach oben und schickte im Winkel von wohl 45 Grad zehn blaue Blitze los. "Tolle Idee, dann finden Sie dich besser", dachte Takeshi nun gezielt an die Adresse des Dämons.

"Ich bin kein niederer Dämon. Ich bin ein Hanyo, Träger machtvollen Blutes. Und wenn deine Erbrüterin und die mit dir erbrüteten Küken vergangen sein werden, werde ich auch meine volle Stärke zurückerhalten und dann auch meinen machtvollen Stab erlangen."

"Falls den nicht jemand kaputtgemacht hat, Feuerteufelchen", schickte Takeshi zurück. Jetzt freute er sich, dass er, der bis zu diesen merkwürdigen Träumen ein folgsamer, nie schimpfender Junge gewesen war, mit Toshi immer wieder ein Wettschimpfen veranstaltet hatte, um die gemeinsten Beleidigungen zu kennen, falls ihm wer mal damit kommen würde und sich dann nicht einfach mit "Selber" oder "Eh hör doch auuf!" zu wehren.

"Du wirst es gleich erleben. Ich werde deine eigene Mutter töten und ihre Kraft in mich einsaugen. Ah, das Wetter in der Richtung ist sehr erträglich. Keine störenden Wolken am Himmel. So werde ich nun das Werk fortsetzen, meine unerschütterliche Wiederkehr", gedankenprotzte der dunkle Wächter. Dann hielt er noch einmal den geraubten Zauberstab an den Schwertgriff. "Blut ruft Blut in Feuersglut!" rief er noch einmal. Dann schien er sich sicher zu sein. "Blut ruft Blut im Mondenschein, dort wo der Mutter herz Schlägt will ich selber sein!"

"So wie du den formuliert hast könnte es dir passieren dass du unter dem Heee...." gedankenrief Takeshi noch. Doch da erschien jener Feuerstrudel, in dem er schon so oft den Standort gewechselt hatte und riss seinen Körper und dann noch seinen daraus verbannten Geist hinter sich her. Allerdings meinte Takeshi noch das gehässige Kichern Yamanonechans zu hören, bevor um ihn herum nur wild wirbelnde Flammen waren.

Als der Strudel sich vor ihnen auftat und sie beide wieder ausspuckte und hinter ihnen zerstob fanden sie sich auf einem Berggipfel. Der dunkle Wächter ließ schnell das Schwert sinken und dachte "Sag mir den Ort!" Dann hob er es mit beruhigten Gedanken wieder an. Der hatte wohl gedacht, dass sie ihn genau dorthin locken würden, wo der Geist der alten Berghexe auf ihn wartete. Ja, dachte Takeshi, das wäre dann ein ziemlich heftiger Interessenskonflikt geworden.

Das Schwert leuchtete blutrot und schwenkte wie von selbst auf eine Stelle in der nahebei aufragenden Felswand. Dort war eine Nische, und in der Nische saß, mit Schnüren an einen Stuhl gefesselt, eine Frau in einem weißen Totengewand. Takeshi sah die Frau an und erkannte ihr Gesicht. Es war wirklich seine Mutter Natsu Tanaka. Und sie war hellwach. Denn sie sah den Jungen mit dem rot leuchtenden Schwert. Sie öffnete den Mund und rief: "Takeshi, du bist auch da?! Wie kommst du hierher?"

"Frag mal lieber, wie du hergekommen bist, Weib", grinste der dunkle Wächter. "Wie redest du mit deiner Mutter. Du machst mir Angst. Und was soll dieses rote Schwert da? Wo hast du das her?"

"Das schwert habe ich mit meinen eigenenHänden geschmiedet und mit meinen eigenen Gedanken erfüllt, meine Seele daran gebunden und mächtige Wesen damit erschlagen, Frau. Fühl dich geehrt, denn mit diesem Schwert erschlug ich Sojobo, den König der Tengus, vier zottelhaarige Schwestern meiner verfressenen, herrschsüchtigen Mutter und sogar Izanamis Wiedergeburt, die meinte, mich mit einer lächerlichen Nachahmung dieses Meisterwerkes besiegen und dann mit nach Yomi nehmen zu können. Und nun wird es dir dein Leben nehmen und ihm damit den Sinn geben, weil dein Blut es und mich stärken wird. Denn ich bin nicht Takeshi. Ich bin Ken'Ichi Yominoko, Sohn des Aki und einer nicht zu nennenden alten Berghexe, die sich angemaßt hat, meine Herrin sein zu wollen, nur weil ich in ihrem stinkenden Leib erwacht bin und sie mich unter großen Schmerzen daraus hinausgestoßen hat."

"Du redest wirre, Junge. Was ist mit dir passiert. Wieso bin ich jetzt eigentlich hier?"

"Weil die, die dich meinten, vor mir verstecken zu müssen, gemerkt haben, dass es ihnen nichts einbringt, dich mir vorzuenthalten. Und ich bin hier, weil dein Blut das Blut in diesem herrlich jungen Leib gerufen hat und die Macht des Mondes und des Erdfeuers mich zu dir hingetragen hat, Närrin. So, und nun, wo du dein Schicksal kennst, wirst du sterben, auf dass ich deine Lebenskraft in mich aufnehmen kann."

"Lebenskraft, wie beim Highlander? Bist du Wahnsinnig geworden, Takeshi", schrillte Takeshis Mutter. Die Arme wusste ja nicht, dass da nicht Takeshi vor ihr stand. Doch er, der wahre Sohn Natsu Tanakas, konnte es ihr nicht mitteilen. Sie sah ihn offenbar nicht. Sie sah nur den, den sie für Takeshi hielt und ein rot leuchtendes Schwert in der rechten Hand. "Nun gib mir dein Leben und dein Blut!" stieß der dunkle Wächter mit einer Mischung aus Verlangen und Vorfreude aus. Takeshi schrie: "Nein, lass sie leben, du Ungeheuer!"

"Ach, der kleine Junge bettelt um das Leben seiner Mutter. Aber du hast nichts, was du mir noch geben kannst. Denn deinen Körper hab ich ja schon", spottete der Dämon nur in Gedanken, damit nur Takeshi es verstehen konnte. Dann trat er näher an die auf den Stuhl gefesselte zu und hob das Schwert. Takeshis Geist flehte ihn an, wusste jedoch, dass dieser Unhold keine Gnade kannte und immer das tat, was ihm neue Macht versprach. Dann schlug er zu. Takeshis Mutter schrie laut auf.

__________

Seit acht Stunden gab es keine Meldung und kein Lebenszeichen aus dem Gebäude der Ohama Fisch- und Meeresfrüchtekompanie. Die Familienangehörigen der dort arbeitenden Personen hatten vergeblich versucht, ihre Verwandten anzurufen. Weder Festnetz noch Mobilfunk kam durch. Dann schließlich war ein Aufgebot der Polizei angerückt, da eine Geiselnahme befürchtet wurde. Als die Beamten nur noch hundert Meter vom Gebäude entfernt waren mussten sie feststellen, dass ihre Funkgeräte nicht mehr arbeiteten. Eingeschaltet waren sie. Doch auf allen Frequenzen war nur ein lautes Rauschen zu empfangen. Auch die Mobiltelefone der Polizisten versagten, meldeten keine Verbindung mit welchem Netz auch immer. Irgendwas hier überlagerte alle Funksignale massivst oder schluckte sie. Außerhalb der 100-Meter-Zone rief der Einsatzleiter Verstärkung und erwähnte auch, dass irgendwer oder irgendwas ein massives Funkstörfeld um das Haus errichtet hatte.

Als dann das Geiselbefreiungsteam und eine weitere Sondereinheit der Kyoto-Polizeibehörde anrückte wussten sie immer noch nichts. Der hinzugestoßene Fachmann für Geiselnahmen fand es merkwürdig, dass alle Telefonverbindungen gekappt worden waren. So gäbe es keine Möglichkeit, dass die Geiselnehmer mit der Außenwelt sprechen konnten. Einen der Polizisten erinnerte die Lage an den Aktionsfilm "Stirb langsam", wo ein ganzes Hochhaus von Terroristen besetzt gehalten worden war. "Nur, dass die Terroristen kein Interesse daran haben, sich mit uns zu unterhalten und sie von sich aus den Strom abgestellt haben", sagte dessen Kollege verächtlich.

Das GBT rückte ganz leise vor und prüfte die Aus- und Eingänge auf Sprengfallen und blickte mit Infrarotsichtgeräten durch die Fenster. Sie sahen Angestellte hinter ihren Schreibtischen sitzen und offenbar tief schlafen. Ob das für alle zehn Stockwerke galt konnte so keiner sagen. Wenn sie aber jetzt einen Hubschrauber anforderten könnte wer auch immer darin die Nerven verlieren und die Geiseln töten oder das ganze Gebäude in die Luft jagen. Viele dachten hier an den Giftgasanschlag vom 20. März 1995 auf die Tokioter U-Bahn, bei dem 13 Menschen starben und über 6000 Menschen verletzt wurden. War das hier etwas ähnliches?

"Irgendwer hat die schweren Türen zugemacht. Die Fenster sind alle in die Wand eingefasst und aus Panzerglas. Dieses Haus ist eine Festung", knurrte der Leiter der ersten Einsatzgruppe.

"Kunststück, Nori Ohama musste sich in den letzten zwölf Jahren ständig mit Drohungen gegen sich und seine Mitarbeiter auseinandersetzen, weil fanatische Umweltschützer ihn als "Walmörder" und "Meeresausbeuter" angeprangert haben", sagte einer der höheren Beamten. "Ich bin deshalb seit 1994 der direkte Verbindungsmann zur Terrorabwehr. Offenbar muss jemand innerhalb des Hauses die Stromversorgung gekappt und diesen Störsender installiert haben, um jeden Funkverkehr zu unterbinden. Schicken Sie Busy Lizzy los! Oder ist die noch nicht hier?"

"Ist gerade angekommen. Aber öhm, die Funkstörung."

"Busy Lizzy kann auch auf bestimmte Suchmuster vorprogrammiert und dann ohne Funkverbindung gestartet werden. Ist das Such- und Aufklärungsmuster abgearbeitet, kommt sie zurück", sagte der Kontakter zu Nori.

"Wer oder was ist Busy Lizzy?" wollte der Leiter der ersten Einsatzgruppe wissen.

"Sie leben in Japan und haben noch nie was von unbemannten Aufklärungsflugzeugen, auch Drohnen genannt, gehört?" fragte der Geiselbefreiungsfachmann ein wenig verächtlich zurück.

"Ach sowas. Öhm, muss die denn nicht dauernd ferngesteuert werden?" wollte der offenbar noch nicht auf dem neusten Stand der Technik befindliche Beamte wissen. "Das ist ja der Gag bei diesem Modell. Es kann zwischen ständiger Funküberwachung und eigenständigen Flugmodi umgestellt werden. Ich denke mal, meine Leute haben jetzt alle Fotos im Kasten, die sie brauchen. Wir programmieren die Drohne auf einen Spiralflug um das Gebäude herum, vier Überflügen über das Dach und dann eine letzte Spiralumrundung des Gebäudes mit anschließender Rückkehr zu unseren Koordinaten."

"Ja, und das Gerät braucht kein GPS oder sowas?" wollte der scheinbar ahnungslose Beamte wissen.

"Falls da drin nicht auch ein Laserzerstreuungsgerät steht kann unsere Busy lizzy auch bei Verlust von GPS-Daten ein vorprogrammiertes Ziel überprüfen, wenn es einmal darauf angesetzt wurde."

"Voll die Agentenausrüstung, wie?" fragte ein anderer Polizist.

"War es nicht immer so, dass wir Polizisten zwanzig Jahre nach den Spionen und zehn Jahre nach dem Militär alles bekommen haben, was die an neuen Spielzeugen hatten, vom kleinen Computer bishin zum Kryptofunkgerät?"

"Joh", bestätigte einer der Beamten.

Busy Lizzy war ein sogenannter Oktokopter, besaß also acht kleine Luftschrauben, brauchte demnach keine Tragflächen und vermochte im Flug die spektakulärsten Manöver auszufliegen oder über einem Punkt stehen zu bleiben. Von unten her mochte mancher UFO-Fan jubilieren oder enttäuscht die Hände vors Gesicht schlagen, weil das unbemannte Fluggerät einer klassischen fliegenden Untertasse glich. In den Seitenwänden waren Laser- und Infrarotgestützte Abstandssensoren und kameras für Normal- und Infrarotoptik eingebaut. An der Unterseite befanden sich mehrere Kameras, deren Einzelaufnahmen im Computer zu dreidimensionalen Bildern umgerechnet werden konnten. Bei fällen wie diesen, aber auch bei der Vermisstensuche in schwer zugänglichen Gebieten oder eben auch bei möglichen Vorfällen mit radioaktivem Material, Giftgas oder hochansteckenden Krankheitserregern konnte diese Drohne vieles sehen und erfassen, ohne dabei Menschenleben zu gefährden. Und dadurch, dass sie mehr als eine Stunde lang ohne Funkanweisungen fliegen konnte und die Aufnahmen auf entsprechend großen SD-Karten speichern konnte konnte sie auch als Spionagegerät eingesetzt werden, ohne verräterische Funksignale auszustrahlen.

Wie Programmiert surrte die Busy Lizzy um das Ohama-Gebäude herum und nahm es Stockwerk für Stockwerk auf. Da die Drohne auf Funkstille programmiert war vermerkte sie nur in ihrem eigenen Speicher, dass innerhalb von 100 Metern um das Haus kein GPS-Empfang möglich war. So umkreiste die Drohne das Gebäude, flog mehrmals über das Dach, und surrte dann auf demselben Spiralkurs wieder zurück zu ihrer Basisstation. Vor Ort wurde sie dann per Kabel an einen Laptop angeschlossen. Als sie alles übermittelt hatte, was sie während ihres Fluges aufgezeichnet hatte sagte der Operator dieses Fluggerätes:

"Also mir gefallen die ständigen Fehlermeldungen nicht. Gut, dass die gute Lizzy dreifachredundante Steuerungseinheiten hat, die sich gegenseitig überwachen, sonst wäre sie uns womöglich an die Wand geknallt oder mit auf vollen Touren drehenden Rotoren nach unten gerauscht. Aber die Aufnahmen taugen was. Wie Sie hier sehen können sind sämtliche Menschen in diesem Haus bewusstlos. Sie strahlen noch Eigenwärme aus, sofern die Fenster Infrarotlicht durchließen. Sie sind also nicht tot. Aha, da haben wir doch was auf dem Dach und ..."

Plopp Plopp! Zweimal zwei Leute in Geschäftsleuteanzügen standen wie aus dem Nichts getreten bei ihnen.

"Interessantes Gerät. Was hat es aufgenommen?" fragte einer der vier, während die drei anderen mal eben mit dünnen Holzstäben über die hier versammelten Polizeibeamten strichen und diese in der gerade ausgeführten Bewegung erstarrten.

"Na klar, die Ablenkung", knurrte der eine, der sich gerade die Aufzeichnungen der Drohne ansah. "Öhm, Berufsgenossen, wenn ihr die ganzen Ordnungshüter da teilnahmslos gestimmt habt möchte ich den von euch hierhaben, der mit solchen neumodischen Sachen Bescheid weiß."

"Bin gleich da!" rief einer der anderen drei. Dann schwenkte er noch auf eine Gruppe Polizisten ein, die versuchten, auf ihn zu zielen. Doch dann standen auch sie still wie versteinert.

Also, wer auch immer hat auf dem Dach eine Plane angebunden, auf der steht: "Ende der Ausbeutung, Ende des Mordens, die Hüter des Meers, des Westens, Südens, Ostens und Nordens". Ja, und dann noch ein Bildnis von einem Wal mit dreimal "Genug" auf der uns entgegengestreckten Bauchseite, vom Erscheinungsbild her ein Blauwal."

"Diese räumliche Bilddarstellung ist schon sehr beachtlich, sagte einer der beiden anderen, als er die am Rechner angeschlossene 3-D-Brille ausprobierte. "Da meinst du echt, du fliegst selbst an dem Haus hoch. War schon richtig, dass wir dieses Arkanet angeschafft haben. Dann wollen wir mal prüfen, was da drinnen los ist."

Als einer der vier in das Gebäude hineinapparierte schaffte er es gerade noch, wieder hinauszuapparieren. "Ui, ein sehr starker Schlafzauber. Hätte mich fast aus den Schuhen gehauen."

"Kein Gas?" fragte sein Einsatztruppenleiter. "Nein, kein Gas", erwiderte der Wagemutige. "Gut, in das Haus kommen die so nicht rein, und wir auch nicht, wenn wir nicht wissen, wie dieser Massenschlafzauber wirkt und für wie lange. Die Aufzeichnungen dieser Schwirrflügel-Flugscheibe lassen wir ihnen so wie sie sind, und passen nur auf, dass wenn die Leute da drinnen wieder aufwachen und/oder ihren so wertvollen Elektrostrom zurückbekommen, die auch davon ausgehen, für die noch zu ermittelnde Zeit von einem nicht mehr im Blut nachweisbaren Narkosegas betäubt worden zu sein, sozusagen als Warnung, es mit der Ausbeutung der Meere nicht zu übertreiben. Könnte glatt von einem dieser technikfeindlichen Orden angerichtet worden sein."

"Die würden dann oben draufschreiben "Ich habe euch verwünscht. Macht was ich will oder liegt für immer still!" Das verstanden die anderen drei auch.

Sie korrigierten die Gedächtnisse der anwesenden Polizisten, dass sie sich über die Aufzeichnungen und das oben angebrachte Bekenntnis unterhalten hatten. Dann disapparierten sie wieder.

__________

Das rot leuchtende Schwert zischte auf Takeshis Mutter zu, die laut aufschrie. Doch bevor es sie traf machte es Plopp, und an Stelle der Frau auf dem Stuhl lag da nur noch ein kopfgroßer Steinbrocken. Das Schwert traf den Brocken und schnitt durch diesen hindurch wie ein Heißes Messer durch Butter. Takeshi fühlte für einen Moment noch ein Pulsieren. Dann war das Gefühl vorbei. Der dunkle Wächter wirbelte mit nun wieder hochschnellendem Schwert herum. "Verrat!" schriltte er. "Ihr wollt mich verhöhnen. Aber das wird euch viele Leben kosten. Hört ihr?"

"Sie hören dich nicht, Feuerteufel", dachte Takeshi. Doch diesmal bekam er keine Antwort seines Widersachers. Statt dessen lachte jemand laut auf.

"Hast du Ausgeburt des Irrsinns und der Mordlust wirklich gedacht, dass jemand dir eine unschuldige Menschenfrau zum Fraß vorwirft?" fragte eine warme Altstimme. Takeshi wirbelte auf der Stelle herum und blickte in die Richtung, aus der die Stimme kam. Auch der dunkle Wächter richtete sich auf die neue Stimme aus. Sein Schwert glühte nun wieder weiß, weil das Mondlicht ungestört darauf niederschien. Er winkte damit. Takeshi kannte das schon als Einstimmung auf den Selbstbeschleunigungszauber. Sofort ließ der Wind nach, das ganz leise, regelmäßige Meeresrauschen fiel in der Tonhöhe ab und zergliederte sich in einzelne wispernde und knisternde Geräusche. Dann konnte Takeshi nur noch staunen und bangen. Denn sowas ähnliches hatte er in der letzten Nacht schon gesehen.

Er sah die wunderschöne Frau mit der blassgoldenen Haut, den runden, blauen oder grünenAugen und dem im Schein ihrer mitgeführten Waffe rotblond leuchtenden Haaren. Ihr figurbetontes scharlachrotes Kostüm wirkte eher aufreizend als verhüllend. Doch am faszinierendsten war das Schwert, das in der Nacht orangerot leuchtete wie die aufgehende Sonne. Es sah wie eine besonders gelungene elektrische Kerze aus, wie die Flammenzungen da erstrahlten. Dann sah Takeshi, wie diese sich langsam bewegten. Nun sah er, wie der dunkle Wächter die neue Gegnerin mit gerade wieder weißglühendem Schwert ansah und auf sie zusprang. Er war gerade noch zwanzig Meter von ihr fort, dann noch fünfzehn, dann zehn. Die andere schien den Angriff nicht mitzubekommen. Da flackerten die Flammen an der Klinge hektisch. Sie zuckte zusammen wie von einem Stromstoß getroffen. Doch jetzt bewegte sie sich so schnell, dass sie den auf sie zustürmenden gekonnt ihr brennendes schwert entgegenschlagen konnte. Mit einem heftigen Klong-Laut prallte die weißglühende auf die orangerot flammende Klinge. Funken sprangen von einer zur anderen Klinge. Das weißglühende Schwert verfärbte sich einen Moment dunkelrot, um dann wieder weiß zu glühen.

Takeshi wusste nicht, wer die Frau war und wo sie so plötzlich hergekommen war. Er sah, wie die andere drei weitere Schläge und zwei Stöße des dunklen Wächters parierte. Dabei flackerte dessen Schwert immer wieder. Doch auch die Flammenzungen auf der brennenden Klinge flackerten, als wolle jemand sie ausblasen. Offenbar entzogen sich die beiden Klingen gegenseitig Energie. Das war anders als letzte Nacht, wo beide Schwerter eine gewisse Zeit lang gleichhell geglüht hatten.

"Wer immer du bist, Metze, folge dieser anderen Hure ins Vergessen!" rief der dunkle Wächter, dem dieser zweite Zweikampf überhaupt nicht passte. Ja, offenbar fürchtete er das andere Schwert. Doch nun hatte er den Kampf eröffnet und musste ihn beenden, so oder so, das gebot die Ehre.

"Tja, das kommt, wenn einer nicht gelernt hat, sich anständig zu duellieren, Sohn einer brünftigen Berghexe", erwiderte die Frau in Scharlachrot.

"Du bist keine von diesen Sonnenanbeterinnen", knurrte der dunkle Wächter und sprang gekonnt einen Meter zurück. Offenbar wollte er jetzt doch wissen, wer da vor ihm stand. Es war ja auch ein großer Triumph, den Gegner mit Namen gekanntzu haben, dachte Takeshi.

"Ich bin Anthelia, Führerin des weltweiten Ordens der schwarzen Spinne", sagte die andere in astreinem Japanisch, auch wenn sie gar nicht reinasiatisch aussah.

"Und?" wollte der dunkle Wächter wissen. Takeshi hörte mit, dass er darauf setzte, dass seine Waffe sich gleich wieder ganz erholt hatte.

"ich bin deiner Spur gefolgt, dunkler Wächter. Denn ich hörte über mehrere Ecken, dass die einen deine Widerkehr gefeiert haben und die anderen deine Rache fürchten. Immerhin habe ich ja das hier von dir geerbt", sagte die andere und griff in eine längliche Tasche ihres scharlachroten Kostüms. Sie zog einen silbern glänzenden Stab heraus, den sowohl der dunkle Wächter als auch Takeshis Geist erkannten.

"Mein Stab! Woher hast du ihn, du Dirne. Aber schön, dass du ihn mir wiederbringst. Den habe ich nämlich schon die ganze Zeit vermisst."

"Dann spürst du ihn noch?" fragte die andere mit einem koketten Lächeln. Der dunkle Wächter sah den in der Hand der anderen liegenden Zauberstab. Einerseits wollte er ihn ergreifen. Andererseits hing da dieses brennende Schwert im Weg. Dann schien in dem Dämon was umzuspringen. Aus Begehrlichkeit wurde erst Verwunderung und dann Wut. "Das ist nicht meiner. Dann wäre er mir schon in die Hand gesprungen, du Metze."

"Ach, soll mich das jetzt freuen, dass du so alte Schimpfwörter kennst oder soll ich dich bedauern, weil du es nicht begreifen willst, was offensichtlich ist. Das ist nicht mehr dein Stab, sondern mein Stab. Ich habe den kümmerlichen Brocken deiner von Selbsthass und Machtsucht zerfressenen Seele daraus ausgetrieben wie einen bedrückenden Leibwind. Jetzt ist es nur noch mein Stab. Aber da du im Moment keinen hast, den du in diesem Zustand verwenden kannst klären wir es lieber mit den Schwertern im ehrenvollen Zweikampf."

"Niemand kann einen Seelensplitter aus einem damit gefülltenGegenstand austreiben, der unzerstörbar ist. Aber wenn das mein Stab ist, dann wird er vielleicht erwachen und sich an mich, seinen einzig wahren Meister erinnern und mir wieder zufallen, wenn du im Staub liegst und ich auch dein Schwert bekomme."

"Das bezweifel ich, dass du dieses Schwert führen kannst. Denn falls du mich tötest werde ich mächtiger sein als du und deine Yokaimutter es je hätten sein können. Abgesehen davon würde sich das Schwert dir verweigern. Mehr musst du darüber nicht wissen, weil du es auf keinen Fall bekommen wirst."

"Ach ja!" rief der dunkle Wächter und hielt fast übergangslos einen Holzstab in der linken Hand. "Ich rufe an, die Hand der Geister, bring mir das Schwert zu mir, dem Meister!" rief er. Doch das brennende Schwert ruckte nicht einmal. Dann rief der Wächter: "Avada Kedavra!"

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"Das ist jetzt unser Fall, nicht Eurer, hoher Rat Takayama", sagte Hiro Nakahara dem hohen Rat der Hände amaterasus. "Wer immer dieses Firmenhaus da mit einem alle Räume erfüllenden Schlafzauber durchsetzt hat wollte wohl zeigen, dass er oder sie im Schatten des dunklen Wächters handelt, weil er oder sie meint, dass wir uns nicht um solche Kleinigkeiten kümmern könnten."

"Ja, dann könnten wir das doch tun", sagte Hiroki Takayama ein wenig zu aufsässig für einen, der eigentlich nur noch auf Bewährung war. "Aber wenn Ihr das mit diesem verwunschenen Haus machen möchtet kümmern wir uns weiter um den dunklen Wächter, ganz im Sinne des höchst ehrenwerten Ministers für Zauberei und Zauberwesen", fügte Takayama nun offen selbstsicher hinzu.

"So, wo soll er denn sein, der dunkle Wächter? Alle Einsatzkräfte mit Witterwasser sind in Kampfbereitschaft, falls er wirklich auf Rache wegen Eurer Mitstreiterin Izanami ausgeht. Also, wo soll er sein?"

"Nakaharasan, wir haben es endlich heraus, diesen Feuerstrudelzauber zu orten, wo er beginnt und endet. Einer meiner den Zukunftsmärchen der Nichtzauberer verfallener Mitstreiter nannte es das Feuerwurmloch, nach einem den Nichtmagiern vorstellbaren, aber noch nicht nachweisbaren Naturphänomen dort draußen im Weltraum, das weit entfernte Punkte miteinander verbinden kann. Da wir alle uns verfügbaren Eisenspäher über die größeren Inseln verteilt haben und sie in doppelter Bergeshöhe kreisen lassen konnten wir einen solchen Zauber vor genau zwei Minuten orten, der irgendwo bei Kobe entstand und beim Auflösen in der Bergregion einer kleineren Insel etwa zwanzig Seemeilen von Honshu entfernt seinenZielpunkt fand. Wie genau das geht haben meine Leute mir bisher nicht erklären können, deshalb versuche ich das erst gar nicht, es Ihnen erklären zu wollen. Tatsache ist, wir wissen, wo der dunkle Wächter jetzt ist. Allerdings sind da keine Siedlungen. Ja, und noch was, diese "Kleinigkeit" in Kyoto betrifft eine Person, die weder Ihr noch wir in Betracht gezogen haben, weil sie scheinbar nicht wichtig genug für den dunklen Wächter ist. Warum sie es jetzt ist weiß nur die Person, die den betreffenden Nichtzauberer entführt haben mag."

"Jemand wurde magisch entführt? Wer?" schnaubte Nakahara, dem die Vorstellung, was wichtiges übersehen zu haben und die Vorstellung, dass die Hände Amaterasus den dunklen Wächter auf seinen unaufhaltsamen Feuerstrudelreisen überwachen konnten ganz und gar nicht gefielen.

"Ein gewisser Nori Ohama, der Eigentümer und Geschäftsführer jenes auf groß angelegten Fisch- und Walfang eingerichteten Unternehmens. Wir haben das auch erst begriffen, als wir dankenswerterweise die Erinnerungsnachbetrachtung eines Ihrer Außentruppler ausgewertet haben, der die von dieser beeindruckenden kleinen Flugmaschine gemachten Bildaufzeichnungen gesehen hat. Im Arbeits- und Sprechzimmer des Geschäftsführers, erkennbar an den größten Fenstern des Gebäudes, die noch dazu die Morgen- und die Mittagssonne hereinlassen, saß niemand, während in allen anderen Stockwerken entweder Menschen auf dem Boden lagen oder auf ihren Stühlen über ihre Schreibtische gebeugt saßen."

"O nein, Nori Ohama ist der leibliche Bruder von Natsu Tanaka, der Mutter des bedauernswerten Jungen, dessen Körper sich der dunkleWächter angeeignet hat", seufzte Nakahara. Takayama nickte ihm beipflichtend zu. "Ihr und leider auch wir haben ihn und seine Familie ganz außer Acht gelassen, weil wir davon ausgingen, dass der dunkle Wächter nur die unmittelbaren Blutsverwandten seines Wirtskörpers bedroht, weil er sonst sofort zu Nori und seinen vier Söhnen und zwei Töchtern hingeeilt wäre."

"Das darf keiner wissen. Das ist ja überpeinlich, diese Nachlässigkeit", seufzte Nakahara. "Tja, da kann ich Euch nur beipflichten, Nakaharasan. Aber jetzt ist der Kessel schon umgekippt. Offenbar war es jener Person oder Personengruppe, welche für die Entführung Nori Ohamas verantwortlich ist, wichtig, einen Ersatz für Natsu Tanaka zu nehmen, und wer bot sich da besser an als ihr leiblicher Bruder?"

"Verwünscht!" stieß Nakahara aus. Takayama witterte sehr viel Morgenluft und fühlte einen guten Aufwind unter den Flügeln seiner Absichten. So sagte er: "Wir wissen, wo der dunkle Wächter gerade ist. Der in seiner Nähe wachende Späher wurde bereits dorthin umgelenkt und beobachtet. Ein weiterer Späher wird in seiner Nähe abgesetzt. Wir überwachen und verfolgen das Geschehen und hoffen, entweder den dunklen Wächter oder die Person oder Personengruppe, welche ihm diesen Köder angeboten haben, ergreifen zu können, wenn er oder sie vom sicher stattfindenden Kampf so sehr geschwächt sind wie der Wächter gestern war, als er unsere heldenhafte Mitstreiterin Izanami Kanisaga im Kampf besiegte. Sie überwachen weiterhin das Firmenhaus von Herrn Ohama, ob der dort wirksame Schlafbann weiterwirkt oder erlischt. Soweit ich es von meinem Vertrauten in Ihren städtischen Truppen erfahren konnte wurde ja bereits die für Nichtzauberer taugliche Geschichte verbreitet, dass fanatische Beschützer der Meere sich wegen der übermäßigen Ausbeutung der Fischbestände und der Waljagden gerächt haben und die Firma für eine gewisse Zeit lahmgelegt haben. Sollte das Haus nicht zu brennen anfangen steht es mit allen die drin sind ganz gut."

"Und was noch?" fragte Nakahara argwöhnisch.

"Sie erbitten von Minister Takahara die Rücknahme seiner Frist und seiner Ankündigung, unseren Orden aufzulösen. Unabhängig davon, wie der Kampf zwischen dem dunklen Wächter und der sich einmischenden Macht ausgeht ist es sehr wichtig, dass wir, der ehrenwerte Orden der Hände Amaterasus, unsere Bewegungs- und Handlungsfreiheit behalten, um weiterhin für den Schutz der Menschen mit und ohne Zauberkraft in diesem Land zu sorgen. Sicher haben wir beschämende Fehler gemacht. Aber ehrlich gesagt, Nakaharasan, Eure Behörde auch. Ach ja, und sollte der Minister nun erst recht auf die Auflösung des Ordens drängen und seinen Mitgliedern anbieten, nur noch für ihn zu arbeiten, so darf ich als Mitglied des hohen Rates ankündigen, dass wir uns dann allen Zugangs- und Zugriffsversuchen des Ministers und seiner Untergebenen entziehen werden. Wir können das und wir werden es angesichts des über uns aufgehängten Richtschwertes auch tun. Der höchst ehrenwerte Minister möge bedenken, dass seine Vorgänger und auch er in den letzten zwei Jahrhunderten sehr gut damit gereist sind, dass es einen Orden gibt, der aus eigener Kraft und mit eigenen Mitteln die Gefahren für uns alle erkennt und bannt."

"Ihr sprecht mit mir wie einer von der Yakuza, die vom Staat und seiner Polizei unbehelligt weitermachen will", knurrte Nakahara. Takayama lachte darüber nur und sagte: "Auch wenn Sie es als eine Beleidigung gegen mich verstanden haben mögen werte ich diese Äußerung als Anerkenntnis unserer Eigenständigkeit. Denn das nur seiner ganz eigenen ehre verpflichtete Bündnis von eher zweifelhaftem Ruf besteht ja trotz aller staatlichen Nachstellungen auch schon sehr lange und das ganz ohne Zauberei. - Wie verkündet bitte ich Euch, dem höchst ehrenwerten Minister für Zauberei und Zauberwesen die vom hohen Rat der Hände Amaterasus beschlossene Haltung und Durchführung mitzuteilen. Die Entscheidung liegt dann bei ihm, ob er weiterhin uns an seiner Seite wissen möchte oder seine restliche Amtszeit damit hadern möchte, eine schlagkräftige, sehr gut aufgestellte und gerüstete Schutztruppe in die Untätigkeit und Unauffindbarkeit verdammt zu haben. Ich bedanke mich demütig für die Zeit, die Ihr mir gewährt habt, Nakaharasan.

"Wenn Ihr so demütig seid, Herr Takayama, so verharrt auch in Geduld bis zum 31. Tage dieses Kalendermonates", erwiderte Nakahara ein wenig ungehalten klingend. Takayama hatte mit einer Antwort wie dieser gerechnet und verbeugte sich zum Abschied.

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Takeshi hatte die Worte schon mal gehört und auch den grünen, wimmernden Lichtstrahl gesehen, der fast eine Sekunde brauchte, um bei der Frau in Scharlachrot anzukommen. Die steckte gerade den silbergrauen Stab fort und hielt dem dunklen Wächter zeitgleich ihr brennendes Schwert entgegen. Der grüne Flatterstrahl zerstob daran in grünen Funken.

"Jungchen, wir sind gerade zehnmal so schnell wie üblich. Jeder gerufene Zauber braucht seine natürliche Zeit, um die volle Wirkung zu erreichen. wird er zu schnell ausgesprochen kann er nur im Kehrwert der Geschwindigkeit des Sprechenden so stark wirken. Was für ein Großmeister willst du sein, der das nicht bedenkt?" reizte die Frau in Scharlachrot den Dämon in Takeshis Körper.

"Lästere nur, Dirne. Gleich besorge ich es dir mit meiner Klinge genauso wie deiner sonnenanbetenden Freudenhausgefährtin", knurrte der dunkle Wächter.

"Ich bezweifel, dass mich das wirklich befriedigen wird. Du kannst aber gerne alles ablegen, und wir versuchen es herauszufinden, ob dein schöner, junger Körper noch Knabe oder schon Mann ist", sagte die andere. War die vielleicht nymphoman?

"Spotte weiter, Dirne. Oder gib mir lieber freiwillig den Stab und dein eigenes Schwert. Ich werde beides sicher gut zu hüten wissen."

"Der Stab ist nicht mehr dein. Meine Klinge wirst du nicht erhalten, weil sie sich dir verweigern wird, einem sich selbst an seiner Seele zerstückelnden Hanyo. Abgesehen davon würde ich mächtiger, wenn du mich töten solltest. Aber das sagte ich dir gerade eben. Also leg du das Schwert weg und kehre in den selbsterwählten Schlaf zurück, dunkler Wächter!" erwiderte Anthelia. Mutig war sie wohl, dachte Takeshi. Dann fiel ihm noch was auf. Die Frau trug auf ihrem Rücken die schwarze Schwertscheide und daneben was leicht flimmerndes, aber nicht zu erkennen, als wenn da jemand versuchte, etwas verstofflichen zu lassen, das aber wegen eines Magnetfeldes oder sowas nicht ging. Trug die Frau etwa eine Tasche mit Tarnvorrichtung? Warum sah der dunkle Wächter das nicht?

"Du willst mir den Stab und dein Schwert nicht freiwillig geben?" fragte der dunkle Wächter mit verärgerter Stimme. "Was für eine einfältige Frage. Hätte ich dies beabsichtigt hätte ich dir beides schon längst übergeben. Also nein", erwiderte Anthelia.

"So muss denn das Schwert nun entscheiden", schnarrte der Körperräuber mit Takeshis Stimme.

"Wie erwähnt, du wirst von mir nichts erhalten als dein Ende, dunkler Wächter. So oder so wirst du heute noch dein endgültiges Ende hinnehmen", sagte Anthelia und fing bereits den ersten Schwertstreich ab.

Nun ging es hinund her. Jedesmal saugten sich die beiden Klingen gegenseitig energie ab. Der dunkle Wächter wurde regelrecht nervös. Denn die andere war genausoo gewandt und im Fechten geübt wie er. Takeshi bewunderte den Mut dieser Frau, dass sie sich mit diesem Unhold anlegte. Oder war es doch eine gewisse Siegessicherheit? Sie hatte behauptet, durch ihren Tod mächtiger zu werden als der dunkle Wächter. Sowas ähnliches hatte der alte Jedimeister Obiwan Kenobi auch zu Darth Vader gesagt, und es war eingetreten. Obiwan konnte seinem Schützling Luke Skywalker helfen, seine Macht zu nutzen. Vielleicht waren es hier doch irgendwelche menschenförmigen Außerirdischen, oder er träumte das alles.

"Mein Schwert nährt sich von Erdfeuer und Mondlicht, du dumme Dirne!" rief der Wächter, als nach drei relativen Minuten noch kein Ende abzusehen war. Die beiden Schwerter nahmen sich immer wieder Kraft weg. Sie waren damit ebenbürtig. "In deinem Schwert wohnt ein mächtiger Geist, der es belebt und dir gefügig hält. Ich werde ihn mit der seelentrinkenden Kraft von Mondlicht und Erdfeuer langsam aber sicher austreiben", dachte der dunkle Wächter scheinbar nur für sich. Doch Takeshi hörte es wohl mit. Dann sah er, wie dort, wo Anthelia dieses unsichtbare Etwas hatte, ein Loch in leerer Luft entstand und das innere eines Rucksacks freigab. Aus diesem flogen nun zwei und dann noch mehr goldene Kugeln mit igelartigen Stacheln heraus. Der dunkle Wächter versuchte eine davon mit dem Schwert zu treffen, da blähten sich die ersten Kugeln schon auf und stiegen wie Luftballons nach oben. Dabei glühten sie auf und wurden von Sekunde zu Sekunde heller und goldener.

Erst waren es nur zwei Kugeln, dann vier und schließlich sechs, die sich über den Kämpfenden ausrichteten. Der dunkle Wächter erzitterte und schrie: "Du Betrügerin! Du hast gefangenes Sonnenlicht mitgebracht. Wieso habe ich das nicht gespürt?"

"Weil meine getarnte Tasche bis auf einen Zauber alles von drinnen nach draußen wirkende und umgekehrte abfängt. Tebohaut mit Seeschlangenhauteinlage", sagte Anthelia, während ihr Schwert wegen der nun sechs sonnenhell leuchtenden Kugeln über ihnen offenbar mehr Kraft bekam, während das Schwert des dunklen Wächters nun merklich flackerte, vor allem als drei Kugeln genau zwischen dem Mond und seinem Schwert zum Stillstand kamen. "Hol diese widerlichen Glutbälle wieder zurück oder lass sie erlöschen", stieß der Wächter aus. Doch Anthelia hörte nicht auf ihn. Sie wehrte weiterhin seine Schwertstreiche ab. Jetzt sah Takeshi, wie silberne Funken aus dem Schwert des dunklen Wächters sprühten. Gleichzeitig meinte er, dass das unsichtbare Band zwischen ihm und seinem Körper erschüttert wurde. Hieß das, sie zerstörte die Verbindung. Was würde dann geschehen. Würde Takeshi dann den Halt in der Welt verlieren oder der dunkle Wächter aus seinem Körper entweichen und sein Körper als atmende, aber handlungsunfähige Hülle übrigbleiben. Nein, das wollte er so nicht. Ob Traum oder Wahrheit, er wollte nicht als rastlose Geisterform fortbestehen.

"Mach dieses widerwärtige helle Licht aus. Es ist viel zu hell für eine Nacht", schnaubte der dunkle Wächter. "Du Betrügerin, ich lasse deinen stinkenden Schoß zerkochen", knurrte er noch. Doch die Bewegungen von ihm wurden immer ungelenker. Das bisher so überlegene Tsurugi flackerte nun immer heftiger. Dann verlor es seine ganze Leuchtkraft und schien nur noch das goldgelbe Licht aus den sechs Sonnennachbildungen wiederzugeben. Takeshi fühlte, dass die ihn abweisende Mauer weg war. Mit wilder Entschlossenheit stürzte sich der entkörperte Geist des Schülers hinab und drang in das ein, was sein rechtmäßiges Eigentum war.

Unvermittelt sah er die fremde genau vor sich stehen, wie sie gerade das Schwert anhob. "Heh, verschwinde, Knäblein. Raus aus diesem Leibe!" hörte er die nun sehr gereizte Stimme des dunklenWächters.

"Das ist mein Körper. Raus da, aber sofort!" stieß Takeshi mit größter Gedankenkraft aus und wünschte sich, seine Arme wieder zu bewegen. Er traf auf Widerstand und wusste, wenn er sich nicht mehr richtig bewegen konnte würde die andere seinen fast wiedergewonnenen Körper frittieren.

"Neeiin! Raus aus diesem Leib. Das ist jetzt meiner!" quengelte der dunkle Wächter. Doch Takeshi war nun fest entschlossen, diesen, seinen Kampf zu gewinnen, zumal jeder Treffer der anderen Feuerklinge das Tsurugi des dunklenWächters schwächte. Dann, mit einem großen Aufgebot an Kraft, wünschte sich Takeshi, dass seine Hände das Schwert losließen. Seine Finger um den Schwertgriff zuckten. Der dunkle Wächter versuchte noch gegenzuhalten. Doch dann lösten sich die Finger um den Griff und das Schwert entfiel zum ersten Mal nach einem Monat den Händen des Körpers, dessen rechtmäßiger Eigentümer zurückgekehrt war. Er hörte noch ein in der Tonhöhe steigendes und in der Lautstärke abfallendes "Neeeeiiiiiin!!!" in seinen Gedanken. Dann schepperte das nun nicht mehr leuchtende Schwert auf den Boden. Takeshi fühlte seine Beine und Arme, seine atmenden Lungen und wusste, die nächste Sekunde war seine letzte. Doch er sprang zurück, gerade als die andere das Schwert anhob. Er riss die nun wieder eigenen Hände nach oben und zeigte der anderen die leeren Handflächen. Sie verstand. Sie senkte ihr loderndes Schwert und lächelte ihn sehr zufrieden an.

Dann meinte er, dass sie vor ihm nicht mehr nachzuvollziehende Bewegungen ausführte. Er sah sie in der einen Sekunde das brennende Schwert hochhaltend und in der nächsten Sekunde über dem am boden ligenden Schwert hocken. Dann kehrte sie wohl auch in die übliche Geschwindigkeit zurück. Takeshi fühlte wieder den kaltenWind in dieser Bergregion und hörte dessen Rauschen in den Nischen und Felsspalten. Dann sah er wie gebannt zu, wie die Frau in Rot die immer noch brennende Klinge auf die das auftreffende Sonnenlichtkonzentrat spiegelnde Klinge des Höllenschwertes auflegte und sah sie irgendwas murmeln, was er jedoch nicht verstand.

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"Zwanzig handelnde Hände hin zu erfasstem Ziel und Sicherstellung aller dort vorzufindenden Zaubergegenstände und Festnahme einer Frau in roter Kleidung und eines Jungen in der Bekleidung von Nichtmagiern!" befahl Kazeyama. Er witterte die Gelegenheit, alle Gegenstände sicherzustellen, beide Schwerter und den silbergrauen Zauberstab des dunklen Wächters. Er ärgerte sich, dass die Hände der Amaterasu nicht auf die Idee gekommen waren, das nachts fehlende Sonnenlicht tagsüber einzufangen und auf mehrere Wiedergabegegenstände zu verteilen. Offenbar hatte sich der Geist des Halbwüchsigen aus der Unterdrückung des dunklen Wächters gelöst. Alles, was die Hände Amaterasus an Entehrung, Niederlagen und Verlusten hatten hinnehmen müssen, wäre nicht geschehen. Es hätte einfach gereicht, das Schwert in die natürliche Sonnenstrahlung zu legen um es zu schwächen. Diese höchst schmerzhafte und ärgerliche Erkenntnis kam einen vollen Monat zu spät. So konnte er im Augenblick nur beobachten, wie die Zauberin in Scharlachrot mit ihrer brennenden Klinge über das grüne Schwert strich, als wolle sie es von Verunreinigungen freibrennen. Er ging davon aus, dass sie genau das vorhatte, nur dass die Verunreinigung nicht auf der Klinge, sondern in der Klinge steckte.

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Dass sie Gedanken erfassen und verstehen konnte rettete dem Jungen das Leben. So hatte Anthelia mitbekommen, wie in dem halbwüchsigen ein Kampf zweier Seelen stattfand. Je schwächer der dunkle Wächter wurde, desto entschlossener drängte der wahre Besitzer des Körpers danach, diesen zurückzubekommen, bis er es schaffte, das Schwert loszulassen und damit den letzten Halt des dunklen Wächters in dem anderen Körper löste. Anthelia meinte zu spüren, wie der Rach- und Machtsüchtige Geist in das am Boden liegende Schwert zurückschlüpfte wie ein an seine Flasche gebundener Dschinn. Wahrscheinlich spürte sie das nur, weil in ihrem Körper noch ein Bruchteil von Dairons Magie steckte, die in dem zerstörten Seelenmedaillon gebündelt war. Doch sie merkte, dass das Schwert wieder versuchte, geistigen Einfluss auf die Umgebung auszuüben. Noch schwächten die sechs Sonnenlichtkugeln das Schwert. So blieb ihr nur eins, sie musste die Waffe des dunklen Wächters endgültig entkräften und damit auch zerstören.

Sie hockte sich hin und bestrich das liegende Schwert. Dabei flüsterte sie Yanxothars Namen und bot ihm an, die Kraft aus dem anderen Schwert zu trinken. Sie fühlte, dass die Seele des alten Feuervertrauten sehr begierig darauf einging. Seine Klinge flammte noch heller. Natürlich sog sie nun auch die Kraft aus den weiter oben schwebenden Sonnenlichtkugeln, die sie vor ihrer Abreise mit den vollen fünf Stunden Sonnenlicht und -wärme aufgeladen hatte. 30 Stunden konzentriertes Sonnenlicht steckten nun in diesen sechs Kugeln, die sie auf ein ganz bestimmtes Wort abgestimmt hatte, das auch ihren getarnten Rucksack öffnen konnte. Dabei hatte sie wohl Glück, dass auch in Yanxothars Klinge ein Beschleunigungszauber steckte, sonst hätte die Sache ganz anders geendet.

"Der Lauf des lauten Himmelslichtes", hörte sie ein leises Wispern in der Sprache Altaxarrois. Also gab es Yanxothar noch.

Als sie nun das Unheilsschwert des dunklen Wächters bestrich wehrte sich die darin zurückgekehrte Persönlichkeit Ken'ichi Yominokos. Doch als Anthelia auch auf Parsel, der Sprache der Schlangen und Drachenwesen Befehle murmelte brach der Widerstand weg. Das im Drachenblut enthaltene Wesen seines Spenders vereinte sich mit der Klinge aus Altaxarroi zu einer nie geahnten Stärke. Und weil das Drachenblut das Schwert durchtränkte löste seine Kraft die Klinge nach und nach auf. Den Rest erledigte das gesammelte Sonnenlicht, das zum Teil in Yanxothars Klinge einfloss und wie einer dieser ominösen Laserstrahlen gebündelt auf das gegnerische Schwert übertragen wurde. Strich für Strich entzog Anthelia dem Schwert des dunklen Wächters seine Kraft. Dann entstiegen dem Schwert dunstartige Gebilde, die im freien Schweben zu durchsichtigen Gesichtern von Menschen und Tieren wurden. Zuerst erschien ein fast vollständig durchsichtiges Abbild von Izanami mit etwas heller erscheinendem, wie im Feuer flackernden Unterleib. "Hab Dank, höchste Schwester. mein Testament liegt in meinen Haus. Das Passwort zum Lösen des Verhüllungszaubers ist "roter Mond über grünem Tal. Roter Mond über grünem Tal." Der letzte Satz verklang wie lange andauernder Widerhall.

Sie hörte nun die wie in weiter Ferne verklingenden Freudenrufe. Denn nun konnten die in das Schwert eingefangenen Bruchstücke der Seelen seiner anderen Opfer mit ihren Resten wiedervereint werden. Fast zum Schluss entstieg noch ein fahler geisterhafter Abdruck eines älteren Mannes. Dieser sah sich um und sagte mit einer wie aus weiter Ferne klingenden Stimme: "So hat denn das Schwert nun entschieden, und die geflügelten Kinder meines Volkes können in Frieden weiterbestehen. Doch schmerzt mich, dass böses von unreinem vertilgt werden musste." Dann verschwand die nebelhafte Erscheinung. "Das war König Sojobo, Herr der Tengus", hörte sie den mit seinem Körper wiedervereinten Jungen denken. Doch da sie ihm das nicht sagen wollte reagierte sie nicht. Dass er die Dunstgebilde überhaupt sah konnte nur bedeuten, dass in ihm noch ein winziger Rest der Magie des dunklenWächters steckte. Aber die auszutreiben wollte sie anderen überlassen.

Als das Schwert laut knisternd zu schwarzem Staub zerfiel schnellte der an die drei Meter große, dunkelgrau schimmernde Geist eines anderen älteren Mannes mit zotteligenHaaren hervor und versuchte, Anthelia seine grau flimmernden Hände um den Hals zu legen. Doch die Tränen der Ewigkeit wehrten solche Versuche ab, und weil Anthelia/Naaneavargia eine aus zwei vereinten Seelen bestehende Persönlichkeit hatte. Außerdem begann der aus seinem Überdauerungsgefäß gelöste Geist im Licht der Sonnenlichtkugeln zu schrumpfen. Seine Erscheinung wurde dabei immer heller und durchsichtiger. "Du verdammte Hure aus dem Vorreich! Du hast mein Werk, mein Lebenswerk vernichtet!! Ich werde dich jagen, dir alles wegnehmen, was dir lieb und wertvoll ist, jede töten, die dir beisteht, denn ich bin immer noch da."

"Das ist nicht zu übersehen, Geistchen", sagte Anthelia auf Japanisch. Wieder versuchte der merklich immer kleiner werdende Geist des dunklen Wächters, sie zu packen. Dann versuchte er, das noch immer brennende Flammenschwert zu ergreifen. Doch da blitzte es blau und silbern in ihm auf, und er wurde zurückgeschleudert.

"Der da hat mir gehört, und ich nehm ihn mir wieder. Denn er ist der letzte männliche Erbe meines Oheims, des Bruders dessen, der ich mal war und der mich mit dieser ... Nein, ich spreche ihren Namen nicht aus - gezeugt hat."

"Yamanonechan!" rief da der Junge. Der seines stofflichen Ankergegenstandes entrissene Geist wollte sich auf ihn stürzen, versuchen, wieder in ihn einzufahren, da schnellte von oben eine risige Hand herunter. Die Hand hing an einem Arm, dem Arm einer riesenhaften Geisterfrau. "Das ist sehr aufmerksam, kurzlebiger Knabe, dass du dich an meinen Namen erinnerst und mich hergerufen hast, wo er da endlich aus seinem kleinen Spielzeughäuschen vertrieben wurde und du noch einen Gutteil seiner und meiner Kraft von Leben und Tod in deinem Fleisch und Blut birgst", sagte die mindestens zwanzig Meter große, von einer grünlich-blau flimmernden Aura umflossene Geisterfrau. Sie hielt den Oberkörper des dunklenWächters mit einer Handumklammert. Der erboste Geist des ehemaligen Erzdunkelmagiers erbebte, ja flackerte wie eine Kerzenflamme bei Zugluft. "Und damit er nicht so hilflos in dieser viel zu großen Welt herumlaufen muss nehme ich ihn wieder zu mir. Und weil dieser nette Junge da mitgeholfen hat, dass du ihn mir wiederbringen konntest gestatte ich ihm, eins mit mir zu werden und von meinerErfahrung zu zehren."

"Machen Sie was. Die will uns fressen", sagte Takeshi Tanaka nun wieder mit körperlicher Stimme.

"Ja, tut sie auch. Sie wird zusehen", sagte die riesenhafte Geisterfrau. Dann umfasste sie auch den unterleib des immer weiter schrumpfenden dunklen Wächters und hob ihn hoch.

Die Führerin der Spinnenhexe argwöhnte erst, dass sie den Gefangenen in ihr scheunentor großes Maul mit den mehr als zzwanzig Zentimeter langen, glasartig durchsichtigen Zähnen stecken und zerbeißen würde. Doch sie machte was anderes. Sie bekam die strampelnden Beine des Gefangenen zu fassen, hockte sich breitbeinig hin und stieß die Füße des dunklen Wächters in ihren Unterleib hinein. Sowas hatte Anthelia und auch Naaneavargia bisher noch nie gesehen, ebensowenig Takeshi. Innerhalb von Sekunden drückte sie mit den Händen und pumpenden Körperbewegungen leise ächzend den durch die Sonnenlichtkugeln immer kleiner gewordenen Geist des gefährlichen Gegners in ihren ebenso durchsichtigen Leib hinein. Eine inverse Geburt, dachte Takeshi, und Anthelia musste ihm zunicken, auch wenn sie ihm nicht verraten wollte, dass sie seine Gedanken hören konnte. Der dunkle Wächter versuchte dieser Wiedereinverleibung seiner ebenso gespenstischen Mutter zu entgehen, indem er um sich schlug. Doch die Kraft der Anderen war zu groß, und seine Kraft schwand immer noch im Licht der frei fliegenden Sonnenlichtkugeln. Sie hörten ihn noch laut aufschreien und sahen dann, wie er sich im durchsichtigen Bauchraum der Gespensterriesin wiederfand. Er schlug um sich und schrie mit dumpfer Stimme, dass sie ihn wieder rauslassen sollte. Anthelia fühlte sich sehr beklommen daran erinnert, wie sie selbst einmal für Monate in Daianiras Uterus gefangen war und damit hatte rechnen müssen, als deren kleine, süße Tochter Thalia wiedergeboren zu werden. Bei dem dunklen Wächter bestand jedoch kein Grund, dass der jemals wieder dem Leib dieser Geisterriesin entschlüpfen würde. "Verdammte alte Berghexe, treib mich aus deinem verfluchtenSchoß raus", zeterte der dunkle Wächter. Doch die Geisterfrau verzog nicht einmal ihr Gesicht. Statt dessen wollte sie nach dem Jungen greifen, um ihn sich wohl auch einzuverleiben. Da zückte Anthelia ihren Zauberstab, der ihr nun ganz und gar gehören sollte. "Den Jungen lässt du unversehrtt, Yamanonechan!" rief sie. "Oder sonst? Soll ich dich aus Dankbarkeit mit ihm da zusammen vertilgen und eure Seelen in mir aufgehen lassen?"

"Wenn du mich auffrisst platzt du keine zwei Sekunden später in milliarden Einzelstücke, gefräßiges Frauenzimmer", sagte Anthelia. "Wie gesagt, den Jungenlässt du an Leib und Seele unversehrt im Namen von Madrash, der großen Urmutter, die alles Leben gibt und wieder zurücknimmt."

Offenbar wirkte der altaxarroische Eigenname für die Erde wie ein Haltebefehl. Denn die Geisterfrau sah mit einer Mischung aus Überraschung und Hilflosigkeit auf Anthelia herab. Dann blickte sie ganz entschlossen auf die beiden lebendenWesen herunter.

"Wenn du diesen Namen nennst kennst du sicher auch ihren zweiten und dritten Namen, du von merkwürdiger Kraft erfülltes Zweiweib", schnarrte die riesige Geisterfrau. "Ja, Ashmirxandria, die erste Königin des Lebens und Tondarmirxula, die ewig fruchtbare. Reicht dir das?" fragte Anthelia. Die riesenhafte Geisterfrau, die von dem in ihrem feinstofflichen Leib zurückgenommenen Geist des dunklen Wächters ganz sacht erbebte, sah sie von oben her an und sagte: "So bist du wirklich eine Wissende. Nun gut, wenn die Urmutter das so will, dass dieser Bursche, in dem noch was von meiner Kraft steckt, dieses Leben weiterführen soll, dann soll er dies tun. Doch seid beide gewiss, dass du, Takeshi, ebenfalls den Teil meiner Kraft an mich zurückgeben wirst, wenn nicht im Leben, dann nach dem Tod. Denn die Kräfte von Heil und Tod haben in deinem Körper gewirkt, die ich in diesen immer noch sehr ungebärdigen Wicht da hineingeboren habe", sagte die Geisterfrau und legte sich ihre Hände auf den bebenden Bauch. Der einverleibte Geist erzitterte und rollte sich zusammen, als eine silberweiße Lichtblase um ihn herum entstand, so dass die Geisterfrau nun wirklich wie in einer fortgeschrittenen Schwangerschaft aussah.

"Dort wirst du auch hinkommen, wenn du auf die eine oder andere Weise dein leibliches Leben verlierst, Knabe", hörte Anthelia die Stimme der Geisterfrau in Takeshis Gedanken. Der Junge erstarrte vor Schreck oder einem weiteren Zauberbann. Das konnte Anthelia nicht eindeutig bestimmen. Dann hörte sie noch weitere Gedankenworte der Geisterfrau: "Es sei denn, du gibst all die von mir eingeflößte Kraft an eine meiner Schwestern ab, wenn du mit ihr dein Fleisch und Blut vereinst. Dann darfst du nach dem Ende deines Körpers in Izanamis Reich eintreten. Wenn du deines Lebens überdrüssig bist, bevor du mit einer meiner Schwestern das Lager geteilt und sie mit deinem Kind geehrt hast sprich nur aus, dass du mich gesehen hast. Dann wird dein Geist demLeib entschlüpfen und in Gedankenschnelle in meinen ewigen Schoß gebettet, wo du mit ihm hier als ewig ungeborenes Brüderpaar verweilen wirst, solange Himmel und Erde bestehen." Sie wies noch einmal auf ihren durchsichtigen Unterleib, in dem der Geist des dunklen Wächters erst einmal den Widerstand aufgegeben hatte. Dann deutete sie eine leichte Verbeugung an und verschwand übergangslos. Da sie kein stoffliches Wesen war verdrängte sie keine Luft, die bei ihrem Verschwinden in die plötzliche Leere zurückstürzen konnte.

Takeshi sah Anthelia bange an. Sie erkannte, dass er fürchtete, dass sie mit ihm über das hier reden wollte. Doch dazu bekam sie keine Gelegenheit.

Sie spürte, dass in ihrer Nähe eine magische Kraft aufwallte und wusste, dass sie wohl gleich unerwünschten Besuch bekommen würde. Sie wollte nicht mehr kämpfen, aber sich auch nicht festnehmen und ihre wertvollsten Hilfsmittel wegnehmen lassen. Deshalb rief sie nach oben: "Heimkehr!" Das veranlasste die noch leuchtenden Sonnenlichtkugeln, sofort zu erlöschen und wie von einem starken Magneten angezogen in den getarnten Rucksack zurückzustürzen, der sich dann verschloss. Dann riss sie das immer noch brennende Schwert hoch und dachte das Auslösewort für eine Feuerreisesphäre, wobei sie nur dachte, möglichst weit fort zu kommen.

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Takeshi Tanaka war einerseits heilfroh, seinen eigenen Körper wiederzuhaben. Doch der Preis war sehr hoch. Diese Dämonenmutter hatte ihm verheißen, dass er entweder mit einer ihrer Yamaubaschwestern ein Kind machen sollte oder selbst nach dem Tod neben dem dunklen Wächter auf ewig im Bauch seiner rachsüchtigen Mutter festhängen würde. Zwei nicht wirklich erfreuliche Aussichten.

Als erst blaue Funken und dann blaue Lichtspiralen erschienen riss die andere ihr brennendes Schwert hoch. In derselben Zeit, wie die Spiralen brauchten, um vier weitere Krieger auszuspucken, hüllte eine Kugel aus orangeroten Flammen die siegreiche Hexe ein. Als die vier Ankömmlinge auf sie zurannten schloss sich die Flammenkugel. Die Vier prallten wie gegen eine Gummiwand, wobei sie scheinbar aus sich heraus golden aufleuchteten. Dann fiel die Feuerkugel genauso schnell in sich zusammen wie sie entstanden war. Der ganze Zauberspuk dauerte nur zwei Sekunden. Offenbar hatte die Feuerschwertkämpferin die Ankunft der anderen früh genug mitbekommen, um sich noch abzusetzen. Wer wollte es ihr verübeln, dass sie nicht noch gegen eine Überzahl von Gegnern antreten wollte, wo der eine Gegner schon sehr schwert zu besiegen gewesen war. Doch warum hatten die sich jetzt erst herbeamen lassen?

"Wieso konnte die noch weg! Der Zehn-in-Eins-Zauber war doch abgeklungen", brummelte einer der vier, während schon vier weitere Mitstreiter aus blauen Lichtspiralen erschienen.

"Sie hat die Zielerfassung der Einsatzschleuder gespürt", knurrte einer der acht Neuankömmlinge. Dann sah er den Jungen an. "Takeshi, wenn du es bist erhebe deine Hände mit den Handflächen nach vorne!" Der Junge tat es.

Er wollte gerade überlegen, was er diesen Zauberern für eine Geschichte erzählen wollte, als ihm ohne Vorwarnung die Sinne schwanden und er meinte, in einen tiefen, schwarzen Schacht hinabzufallen.

Wieder zurück im Haus des hohen Rates legte Takayama den Miträtinnen und -räten den Hergang dar, wie die eisernen Späher es mitbekommen hatten. "Es gibt sie also doch, die Erstgeborene der Yamauba, und der dunkle Wächter war ihr Sohn", meinte Kazeyama, der jetzt wohl nur noch eine Stunde zu leben hatte.

"Ja, und sie ist genauso durch die Welle der dunklen Kraft erstarkt wie der dunkle Wächter selbst", schnaubte Takayama. Wie sollte er das dem Zaubereiminister erzählen. So sagte er schnell: "So müssen wir leider anerkennen, dass wir in allen Fällen versagt haben. Die Rettung des Jungen wiegt die Schuld nicht auf, die der Hüter der Gefahrenund Schätze und Ihr, Hiro Kazeyama, auf euch und den Orden geladen habt. Ihr kennt die Folgen dieses Versagens und werdet sie hoffentlich annehmen."

"Es hieß, das Schwert ist unschädlich. Es hieß auch, dass Mondblei und der Geisterschlaf es niederhalten würden", sprach Murabayashi. "Und als wir Hüter der Gefahren und Schätze berichteten, dass es sich wieder rege hieß es aus dem Rat, es ja dort zu lassen, wo es ist, weil es sich nicht durch alle Barrieren gegen Geisteszauber und den Weg der schnellen Wünsche durchsetzen könne. Doch ich werde die Strafe für mein Versagen annehmen, um die mir anvertrauten Hüter nicht weiterhin in Unehre leben zu lassen."

"Ich werde mich übrigens nicht den Verweilenden Kriegern verpflichten", sagte Kazeyama. "Ich werde mir wie befohlen den Tod geben, aber meine Seele in die Obhut der Götter befehlen. Ich werde keine weitere Stunde einem Rat dienen, der aus lauter Versagensangst zugelassen hat, dass so viele unschuldige Menschen in einem dieser Hochhäuser sterben mussten."

"Was fällt Euch ein. Ihr sollt den Eid leisten und euch beim Übergang zum Verweilen entschließen!" sagte Takayama. "Nein, das tue ich nicht. Mehr als den Tod könnt Ihr mir nicht androhen."

"O doch, die unehrenhafte Verbannung und die Tilgung aller Eurer Verdienste im Orden und ..." Kazeyama lachte nur über Takayamas Drohung. "Glaubt Ihr alle, dass Takahara auf unsere Forderung eingeht und den Orden weiterhin eigenständig handeln lässt?"

"Wenn er klug und vorausschauend ist wird er dies tun", sagte Takayama. "Also bedenke deinen Entschluss, Hiro Kazeyama!"

"Dies habe ich getan, hoher Rat Takayama. "Falls ihr den Verweilenden beitreten wollt, so tut dies! Denn sicher wird Euch Takahara diese Wahl lassen, zu dienen oder zu sterben."

"Wie erwähnt, das wird die Zeit zeigen", sagte Takayama.

"Solange behalten wir den Jungen bei uns im Zauberschlaf. In ihm wirkt noch ein Rest der Magie, die vom Schwert des dunklen Wächters ausgeht. Mag sein, dass er deshalb für diese dem Körper entstiegene Yamauba und ihr zurückgenommenes Kind empfänglich ist", sagte der hohe Rat für Heilung und Erholung. Dem mussten alle hohen Räte beipflichten.

Dann wandte Takayama sich an Murabayashi. "Und Ihr werdet euch ebenfalls zum dauerhaften Verbleib in der Truppe der verweilenden Vorfahren verpflichten, Herr Murabayashi."

"Merkt ihr was, Truppenführer Kazeyama, der Rat Takayama will alleine bestimmen, wie es weitergeht. Offenbar hat der höchst ehrenwerte Minister für Zauberei und Zauberwesen ihm eine hohe Auszeichnung angeboten, wenn er unseren Orden an seine Behörden übergibt." Takayama wollte dazu nichts sagen. Er erkannte, dass die beiden Todgeweihten nichts mehr zu verlieren hatten. Sicher, sie konnten als erkannte Verräter vor allen Händen hingerichtet werden. Doch dann würde Takahara erst recht wissen wollen, was der Orden in all den Jahrhunderten für Geheimnisse angesammelt hatte und diese für sich beanspruchen. Das durfte nicht geschehen.

Eine halbe Stunde Später. Die freiwilligen Helfer der Hände Amaterasus kehrten aus Izanamis Haus zurück. "Wir haben ein Testament gefunden, was ihre Besitztümer angeht, einschließlich des Schwertes, sollte es ihren Tod überstehen. Aber wir haben keine Unterlagen über Kontakte zu ausländischen Zaubererweltbürgern gefunden, obwohl wir wissen, dass sie welche hatte", meldete einer der Ausgesandten dem zeitweiligen Truppenführer. Denn Kazeyama und Murabayashi waren "dauerhaft abgereist".

"Habt ihr auch wirklich alles geprüft, auch mit der Rückschaubrille?"

"Das Haus von ihr ist unortbar bezaubert. Sie hat dies doch vor zwanzig Jahren so einrichten lassen", sagte einer der Freiwilligen. Die Antwort war ein unerwartetes Wutschnauben.

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27.08.2004

Nori Ohama erwachte. Was für einen merkwürdigen Traum hatte er gehabt? Da war diese Frau mit der blassgoldenen Haut und dem silbernen Zauberstab. Die hatte ihn auf eine Liege gebettet und dann mit einer silbernen Schale und ihrem Zauberstab irgendwas angestellt. Dann hatte sie mit einer spitzen Nadel sein Blut in die Schale tropfen lassen, worauf diese sich blutrot verfärbt hatte. Ja, und dann war er seine eigene Schwester geworden, hatte sich erst merkwürdig gefühlt und dann an Takeshi gedacht. Dann war er von dieser Hexe oder was sie war mit einer Art Teleport auf eine bergige Insel gebracht worden und durch einen magischenLichtbogen mit einem schweren Stein verbunden worden. Danach hatte er echt so gedacht wie seine törichte Schwester Natsu, dass sie ihren Sohn beschützen müsse. Als der dann mit einem rot leuchtenden Schwert à la Darth Vader aus einem Flammenwirbel heraustrat hatte er ihn mit Natsus Stimme angerufen. Er hatte sich dann als dunkler Wächter vorgestellt und wollte ihn glatt erschlagen, weil er ihn für Takeshis Mutter hielt. Da hatte er sich bewegungslos an einem anderen Platz wiedergefunden, offenbar weit weg von da, wo er vorher war. Er hatte erst einmal nichts machen können. Dann war die andere Wiedergekommen und hatte verkündet, dass sie ihn jetzt wieder zurückbringen würde. Er hatte dann echt gedacht, Takeshis Mutter zu sein und gequengelt, was mit ihrem Jungen war. O wäre das Peinlich, wenn das echt passiert wäre, dachte Nori Ohama. Dann war er wieder eingeschlafen und hier in seinem Büro wieder aufgewacht. Was für ein Albtraum!

Er erfuhr von allen anderen, dass sie auch von etwas schlagartig betäubt worden waren. Nach irgendwelchen verrückten Träumen fragte er besser nicht. Wichtig war, dass niemand in der Firma herumgelaufen war. Die Zerstörung der Stromversorgung kam wohl von einer Zündladung. Über die Klimaanlage hatten sie bis dahin wohl das nebulöse Gebräu eingeatmet, was sie alle für zwölf Stunden außer gefecht gesetzt hatte. Jetzt waren sie zwar wieder wach und Alarmplan "Nautilus" offiziell widerrufen worden. Doch wer hatte diesen Anschlag auf seine Firma verübt und wie genau? Er konnte die Fragen nicht klären. Um so wichtiger war es, die sabotierte Stromversorgung zu reparieren und die Verbindungen mit der Außenwelt wiederherzustellen.

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"Ich danke dir sehr herzlich, Schwester Albertrude, dass du mir geholfen hast, diesen Blutsverwandten von Takeshi Tanaka zu finden", sagte Anthelia zu ihrer Mitschwester Albertrude, als sie mit dieser in Tyches Refugium zusammentraf. Natürlich stand sie nun in der Schuld der ebenfalls aus zwei Seelen zu einer Persönlichkeit verschmolzenen. So brauchte Albertrude nicht zu erwähnen, dass Anthelia ihr was schuldete. Sie antwortete nur:" Der Spaß dürfte es wert gewesen sein, einen selbsternannten großen Geschäftsmann für einige Stunden in seine eigene Schwester verwandelt zu haben. Aber warum hast du ihn genau auf dieser Insel abgesetzt, Schwester Anthelia?"

"Weil sie ein starker Erdmagiefokus ist. Womöglich konnte ich deshalb auch früh genug bemerken, dass jemand zu ihr hingeschickt werden sollte, wenngleich ich nicht weiß, woher die wussten, dass ich dort mit dem dunklen Wächter kämpfte", erwiderte Anthelia. Albertrude dachte scheinbar nur für sich, dass die Japaner wohl einen fliegenden Späher eingesetzt hatten, wo sie von Bärbel Weizengold wusste, dass auch in der japanischen Zaubererwelt die Faszination für befehlshörige Automata Einzug gehalten hatte. So sagte Anthelia noch: "Sei dir meiner sofortigen Hilfe gewiss, sollten Güldenberg und andere dir nach Freiheit oder Leben trachten, Schwester Albertrude." Albertrude Steinbeißer bedankte sich für diese Zusage. Dann disapparierte sie wieder.

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28.08.2004

Anthelia hatte es sich nicht nehmen lassen, gleich nach ihrer Flucht in Izanamis Haus zu landen, dass sie bereits aus der Zeit kannte, wo sie über Dairons Seelenmedaillon durch Pandoras Augen gesehen hatte. Wie von Izanami angegeben fand sie unter dem Passwort "Roter Mond über grünem Tal" eine geheime Tür in der Rückwand ihres Schlafzimmers. Hier fand sie das handgeschriebene Testament ihrer toten Mitschwester. Sie hatte zwei Ausgaben verfertigt, eine für denOrdenund eine für die Schwesternschaft. In dem für die Schwesternschaft bat sie darum, ihr zu ehren Erinnerungen und Bilder aus ihrem Leben mit den Mitschwestern dauerhaft aufzubewahren, sowie ihren Patenkindern jedes Jahr über schwer nachverfolgbare Zwischenstellen Gold im Wert von 1000 Galleonen zukommen zu lassen. Da sie selbst niemals Kinder hatte war sie für die Kinder eines Mitstreiters die Patin geworden. Und falls den leiblichen Eltern was zustieß sollte die Schwesternschaft dafür sorgen, dass die Kinder eine gute, japanische Ausbildung erhielten.

Das alles war jetzt einen Tag her. Anthelia hatte alle Schwestern eingeladen und über Izanamis viel zu frühes aber nicht sinnloses Ableben zu unterrichten. Zu ihren Ehren tranken sie den von ihr für das neue Hauptquartier gespendeten Tee, wenngleich sie auf die klassische Teezeremonie verzichteten. Dafür gab es traditionelle Musik aus Izanamis Heimat, und jede durfte erzählen, was sie mit der Mitschwester erlebt und von ihr gelernt hatte. Anthelia sagte dann noch:

"Sie hat geschrieben, dass sie gerne Kinder gehabt hätte, wenn ihr großer Bruder nicht bei diesem Angriff eines aus seinem Überdauerungsgefäß entwichenen Dämons getötet worden wäre und sie sich deshalb für den Orden der Hände Amaterasus entschieden habe. Auch wollte sie mithelfen, dass der Maschinenwahnsinn der Magielosen ein Ende nimmt, weshalb sie eine von uns wurde. Doch ich weiß, was ich ihr zu verdanken habe, mein Leben, meine große Aufgabe, diese Welt zu einem von uns entschlossenen, aber auch besonnenen Hexen geführten Ort zu machen. Diesem Ziel müssen wir uns weiterhin verpflichtet fühlen, für alle die, die zu früh von uns gegangen sind, Dana Moore, Lucretia Witherspoon, Delila Pokes, Pandora Straton, Donata Archstone, Tyche Lennox und jetzt noch dir, Schwester Izanami Kanisaga. Möge deine Namensvetterin deiner Seele hold sein und sie nicht in die finstersten Ecken ihres Reiches verbannen, sondern in die hellen Gefilde der ehrenvoll gefallenen Kriegerinnen und Krieger geleiten!" Den letzten Satz sprach sie auf Japanisch, damit die erwähnte Gottheit es auch verstand. Dann tranken sie auf den Friedenund das Andenken für Izanami Kanisaga, eine entschlossene Hexe, die zwischen den Welten vermitteln wollte und dabei ihrem Schicksal begegnete.

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Die Musik klang irgendwie erhaben. Die Laute, die Flöten, der Bass. Die Mitstreiterinnen und Mitstreiter zogen mit gesenkten Köpfen zum letzten mal an der Toten vorbei. Ihr von schweren Brandverletzungen entstellter Unterleib war sorgsam mit einer weißen Seidendecke verhüllt. Ihr Gesicht zeigte Entschlossenheit und Besorgnis zugleich. Eine Porzellantotenmaske von ihr wurde in der Halle der gefallenen Hände der Amaterasu aufgehängt. Takayama fragte sich, ob nicht sie der Spinnenhexe den Zauberstab des dunklen Wächters zugespielthatte. Doch es gab keinen Beweis dafür. Und falls sie es war, so nahm sie dieses Geheimnis mit in ihr Grab. Sie nachträglich anzuklagen würde nichts mehr ändern. Dann dachte er noch daran, dass diese Anthelia mit dem silbergrauen Stab des dunklen Wächters schon viel gutes bewirkt hatte, unter anderem die Beseitigung einer der Abgrundstöchter oder die Mithilfe, die Schlangenmenscheninvasion in Europa zu beenden oder die indischen Wertiger aus Japan und dem Westen fernzuhalten. Sicher wollte sie Macht. Doch wer herrschen wollte brauchte ein Volk und ein Reich, das beherrscht werden konnte. Dem dunklen Wächter war es womöglich egal.

Die heilenden Hände hatten gewarnt, dass sie das Gedächtnis des Jungen nicht umfärben konnten, solange sie keinen Weg fanden, die in ihm noch wirkende Magie aufzuheben. Einer der Heiler hatte sogar erwähnt, dass der Junge von jener dämonischen Geistermutter den magisch bindenden Auftrag erhalten hatte, mit einer ihrer lebenden Schwestern Nachwuchs zu zeugen oder nach seinem körperlichen Ende genauso unrettbar in ihrem geisterhaften Mutterschoß zu landen wie der aus dem Schwert herausgelöste Geist des dunklen Wächters. Nachdem sie das Gedächtnis des Jungen Takeshi Tanaka ausgeforscht hatten wussten sie alles, was er in seinem außerkörperlichen Exil mitbekommen hatte. Demnach waren er und seine Schwestern die letzten lebenden Erben eines gewissenTaiki, dem Bruder dessen, der von dieser Yamanonechan verführt, als Zeugungspartner vereinnahmt und dann getötet worden war. Noch hoffte er darauf, dass der Minister den Orden der Hände Amaterasus fortbestehen lassen würde. Denn sie hatten es nicht geschafft, den dunklen Wächter, sein Schwert oder die von Anthelia besessenen Gegenstände sicherzustellen. Ob die Spinnenhexe jemals wieder nach Japan kam war fraglich, und außerhalb Japans durften die Hände Amaterasus nicht handeln, solange sie nicht ausdrücklich darum gebeten wurden. Aber hier, so erkannte Takayama, hätte dann doch der Minister das letzte Wort. Das war ärgerlich.

Er hatte gerade die Trauerhalle verlassenund schritt durch den großen Park auf dem Grundstück der Festung, als ihn von oben ein grüner Sack umhüllte und sich von selbst um ihm zusammenschnürte. Ehe er um Hilfe rufen konnte wurde er auch schon in einen Portschlüsselwirbel hinübergezogen. Jetzt fiel ihm ein, dass ja am 26. August auch jenes absurde Ultimatum verstrichen war, dass er, der noch keine eigenen Kinder gezeugt hatte, endlich seiner Blutpflicht nachzukommen habe. Er hatte nicht gedacht, das diese Banditen ausgerechnet ihn, einen hohen Rat der Hände Amaterasus, verschwinden lassen würden.

Als der grüne Sack ihn in einem unterirdischen Gebäude abgesetzt und sich von ihm gelöst hatte musste er lernen, wie gut sie das doch konnten. Denn sie schnitten ihm Haare und Fingernägel ab, wohl um jenen dubiosen Vielsaft-Trank daraus zu brauen. Dann hatten sie ihn unter eine Metallhaube gesetzt, die all seine Erinnerungen vom Tod Izanamis bis zurück in den Leib seiner Mutter kopiert hatte, damit diese einem koreanischen Mitkämpfer dieser Kindermacherbande aufgeprägt werden konnten, der sich dann zu allem Übel noch vor seinen Augen in seinen Doppelgänger verwandelt hatte.

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"Du musst das durchziehen, dass der Orden im Falle seiner angedrohten Auflösung in den Untergrund geht. vor allem wo wir nicht wissen, wer noch an irgendwelche Orden weitermeldete. Außerdem will Perdy die Herstellungsverfahren für die eisernen Diener. Er meint, vielleicht selbst täuschend echte Nachbildungen von unliebsamen Zeitgenossen herstellen und an deren Stelle einsetzen zu können. Er nannte sowas Androiden", sagte Mater Vicesima Secunda zu ihrem neuen wichtigen Einsatzagenten. Dieser bejahte alles. Hauptsache, seine Base bekam das gewünschte Kind oder die Kinder von Hiroki Takayama, dem Bluterben einer einst mächtigen Zaubererfamilie aus dem ersten nachchristlichen Jahrtausend.

"Und was ist mit der Spinnenschwester, Mater Vicesima Secunda?" fragte der koreanischstämmige Mitverschwörer.

"Sie hat den dunklen Wächter erledigt. Dieses Feuerschwert und der silberne Stab gehorchen ihr vollständig. Wenn sie nicht offen gegen unsere Leute vorgeht - solange sie nicht weiß, wer wir sind - soll sie sich als Retterin der Menschheit aufspielen. Außerdem dürfen wir sie nicht töten. Aber vielleicht stecken wir sie in unser Karussell."

"Bei allem Respekt, aber das dürfen wir wohl vergessen", sagte Perdy, der gerade hereinkam und den Kollegen mit einer tiefen Verbeugung und "Guten Morgen, Herr Takayama", auf Japanisch begrüßte. "Diese Werspinne ist gegen Giftstoffe immun. Das habe ich mittlerweile aus verlässlichen Quellen. Abgesehen davon könnte sie unfruchtbar sein. Außerdem will ich die sicher nicht schwängern."

"Keine Sorge, Kleiner. Wenn ich dir die Pläne zur Herstellung der Eisendiener gebe kannst du dir eine Bettgenossin nach eigenem Bedürfnis zusammenbauen, wenn du erst mal groß bist", sagte der falsche Takayama. Dann ließ er sich in den Park zurückversetzen, aus dem sie das Original abgefischt oder eingesackt hatten. perdy hatte noch gescherzt, dass sie für Ostasiaten eine Filiale in Shanghai einrichten sollten. Warum er ausgerechnet Shanghai meinte verstand der zeitweilige Takayama nicht. Er wusste nur, dass er zusehen musste, die Auflösung des Ordens zu verhindern, wenn es sein musste gegen den Willen Takaharas.

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31.08.2004

Ninigi Takahara wartete nun schon seit einer Stunde. Um neun Uhr hatte er die hohen Räte des Ordens der Hände Amaterasus zu sich bestellt, um die feierliche Vereinigung des Ordens mit den ehrenvollen Behörden der kaiserlichen Zaubereiverwaltung zu vollziehen. Doch die Damen und Herren geruhten, nicht zu erscheinen. Deshalb ließ er nach ihnen suchen. Als dann ein gerade mal drei Fuß großes blaues Geschöpf aus Metall auf zwei schlanken Beinen in sein Büro kam und ihm einen Zettel hinhielt bekam Ninigi Takahara große Augen. Er nahm den Zettel und las laut:

"An den höchst ehrenwerten kaiserlichen Oberhofzauberer und Minister für Zauberei und Zauberwesen.

Wir, die Mitglieder vom hoch ehrenwerten Orden der Hände Amaterasus tun hiermit Kund um zu wissen, dass wir in unseren viele Jahrhunderte zurückreichenden Archiven ein Dokument gefunden haben, dass uns dazu bewogen hat, die auflösung unseres Ordens zu verweigern und alle diesbezüglichen Vorbereitungen als ungeschehen zu erklären. Das betreffende Dokument enthält glaubhafte Berichte von einem Ihrer Vorgänger, der im Namen eines Clans von Kitsunes und Kappas versucht hat, den Orden zu zerschlagen, um mehr Freiraum für seinesgleichen zu schaffen. Da wir mittlerweile wissen, dass unser schönes Land zum Angriffsziel ausländischer Feinde gemacht wurde und die Lage in Italien klar und deutlich davor warnt, nicht alle überlebenswichtigen Institutionen unter einem Dach zu vereinen, lehnen wir die von Euch angebotene Vereinigung unseres Ordens mit den zauberischenVerwaltungsbehörden einschließlich der Preisgabe aller über Jahrhunderte gesammelten Erkenntnisse, Gegenstände und Vermögenswerte ab. Wir, die Hände Amaterasus, haben am 28.08.2004 mit einer Mehrheit von 15 zu 1 beschlossen, dass der Frieden und die Sicherheit unseres geliebten Heimatlandes nur bewahrt werden kann, wenn eine unabhängige Gemeinschaft sehr gut ausgebildeter Zauberinnen und Zauberer besteht, die jedes auflodernde Feuer erkennt und sofern möglich auch früh genug löscht. Wir hofften ja, dass Ihr, höchst verehrter Minister für Zauberei und Zauberwesen, dieses großartige Miteinander erkennt und würdigt. Leider erweisen sich Hoffnungen all zu oft als die schlimmste aller Täuschungen.

Der blaue Bote, den wir mit dieser Nachricht zu Ihnen schickten ist gehalten, die Verlesung dieser Bekanntmachung mitzuhören und dann sein Dasein zu beenden. Suchen Sie nicht nach unseren Häusern und Hallen! Fahnden Sie nicht nach den Mitgliedern unseres Rates! Es wäre eine sinnlose Vergeudung von Arbeitszeit und Goldmitteln.

Wir sind nicht Ihre feinde und wollen auch, dass dies so bleibt. Daher lassen sie den kleinen blauen Eisenmann unbehelligt davongehen!

Mit freundlichen Grüßen .."

Du sollst keineAntwort von hier mitnehmen?" fragte der Minister. Der kleine blaue Eisenmann blinkte nur mit seinen jadegrünen Augen und machte für ein künstliches Wesen eine ziemlich fließende Verbeugung. Dann sagte es mit einer schon piepsigen hohen Stimme: "Ich hatte denAuftrag, einen Pergamentzettel auszuhändigen, mitzuverfolgen, dass Ihr ihn last und dies weiterzugeben. Bitte öffnen Sie mir einen der geheimen Ausgänge, damit ich unauffällig und ohne Schaden anzurichten fortgehen kann. Danke!"

"Und was ist, wenn ich dich hierund jetzt festnehmen lasse und ..." Das kleine blaue Wesen hatte mal eben das gewaltige Becken mit den zwanzig regenbogenfarbigen Zwergkois in der Mitte des großen Ministeramtszimmers angehobennund balancierte das wegen acht Kubikmeter Wassers schon acht metrische Tonnen schwere Behältnis einige Sekunden durch den Raum. "Ich habe noch vier große Brüder, die alle noch viel stärker sind", sagte das kleine blaue Kunstgeschöpf. Dann stellte es das Aquarium wieder hin. Takahara kapierte, dass er dem mechanischen Wesen die Tür besser öffnete, bevor es meinte, durch alle Wände zu gehen, allerdings nicht so gekonnt unversehrt wie ein Gespenst. Also machte er ihm die Tür zu seiner Dachterrasse auf. Das blaue Kunstwesen bedankte sich, klimperte noch einmal mit den grünen Augen und trippelte hinaus. Kaum stand es unter freiem Himmel stürzte es mit lautem Knall in sich zusammen. Dabei wurden die Trümmer so stark gegeneinander geschleudert, dass viele davon weit durch die Gegend flogen. Übrig blieb eine kleine silberne Kugel mit vier spiralförmigen Auswüchsen. Takahara war zumindest beruhigt, dass das kleine Ding ihn nicht bei der plötzlichen Selbstzerstörung zum Haushaltssieb gemachthatte.

Die kleine Kugel erwies sich als Bild- und Schallaufzeichner und Übermittler ähnlich eines Zaubererweltradios. Die Botschaft war klar: "Wir können mit jedem Kontakt aufnehmen und halten. Doch wer unseren Vermittlern hinterherspioniert sieht uns unverzüglich in den Tod gehen und jeden Mitnehmen, der oder die uns auf die Pelle rückt."

"Haben wir nicht wirklich genug Schwierigkeiten, die und wir?" fragte sich der japanische Zaubereiminister verdrossen dreinschauend. Denn dieser Auftritt und die Aufzeichnungen waren eine überdeutliche Kriegserklärung an die kaiserliche Zaubereiverwaltung. Wo waren noch einmal die für Nichteingeweihte zugänglichen Häuser des Ordens? Dann fiel ihm was ein: Wenn er jetzt wirklich einen offenen Kampf mit den Händen Amaterasus begann würden alle die Menschen und Wesen gewinnen, die bisher sowohl vor der Sicherheitstruppe des Ministeriums als auch Takayamas Orden auf der Hut sein mussten. "Geduld ist der Atem, der alles gute wachsen lässt. Übereiltheit und Wut sind Sense und Feuer, die alles niedermachen, was gewachsen ist", hatte sein Vorvorgänger als kaiserlicher Oberhofzauberer und Minister für Zauberei und Zauberwesen einmal gesagt. Im Moment hatte der Orden Amaterasus keinen direkten Angriff auf das Ministerium geführt. Also konnte er auch noch darüber nachdenken, wie er sich verhalten sollte. Sicher war nur, dass der kleine, blaue Selbstzerstörer erst einmal so geheim wie möglich gehalten werden sollte. Deshalb musste er prüfen, wer genau dieses kleine künstliche Geschöpf auf seinem Weg zu ihm gesehen hatte. Wusste er das würde er die Zeugen anweisen, darüber Stillschweigen zu bewahren.

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02.09.2004

Takeshi wachte in einem Krankenhausbett auf. An seinem Körper hingen alle möglichen Sachen dran, die ihm entweder was in den Körper einflößten oder seine Lebenszeichen mitschnitten. Ihm tat immer noch der Kopf weh. Offenbar musste das Gasleck im Boiler der elterlichen Wohnung doch heftiger gewesen sein. Er wusste nicht, ob er der einzige Überlebende der Explosion war. Es hatte Bumm gemacht und dann war er weggewesen.

Was für ein abgedrehter Traum das war. Er hatte doch echt gedacht, von einem Dämon aus seinem eigenen Körperrausgedrängt worden zu sein und dann mitbekommen zu haben, was der in seinem Körper alles für Unheil angerichtet hatte, bis ihn eine scharlachrote Kriegerin mit einem brennenden Schwert besiegt hatte. Aber zumindest wusste er wer er war. Er wusste nur nicht wann und wo.

Offenbar hatten die Medizinmaschinen weitergemeldet, dass er jetzt wieder ganz wach war. Eine Krankenschwester beugte sich über ihn. Die sah auch sehr hübsch aus. "Schön, du bist auch wieder wach", sagte sie. "Wo bin ich und welcher Tag ist heute?" fragte er, froh, gerade kein Beatmungsgerät im Mund zu haben.

"Du bist im Zentralkrankenhaus von Fukuoka. Wir haben heute den zweiten September 2004 nach Standardkalender. Wir mussten dich und deine Geschwister mehr als vier Wochen im künstlichen Koma halten, weil ihr ziemlich heftige Kopfverletzungen und innere Verletzungen abbekommen habt. Deine Schwestern liegen nebenan. Deine Mutter ist schon aus der Intensivstation heraus. Ihr hattet eure Zimmer wohl sehr nahe am Badezimmer."

"Ja, und Ich wollte noch rausrennen, als Mutter "Raus hier, Gasaustritt!" rief. Mein Vater hat die Mädchen aus dem Zimmer gescheucht und wollte den Strom für das Bad abstellen. Das war wohl der Fehler."

"Ja, wohl wahr. Dabei hat er genau den Funken ausgelöst, der das bereits ausgetretene Gas gezündet hat. Deshalb konnten wir ihn leider nicht retten. Aber eure Mutter freut sich sicher, euch wiederzusehen."

"Mist! Dabei wollte ich meinem Vater doch noch sagen, dass ich ihn um Verzeihung für das ganze Zeug der letzten Wochen bitten wollte", sagte Takeshi und fühlte Tränen in die Augen steigen.

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04.09.2004

Anthelia amüsierte sich. Zum einen hatte sie nun die Bestätigung, dasss Ladonna in Frankreich keine willfährigen Dienerinnen mehr hatte. Zum zweiten wusste sie nun, dass Laurentine Hellersdorf sich wahrhaftig den schweigsamen Schwestern angeschlossen hatte. Zum dritten fühlte sich das Zaubern mit ihrem einzig wahren Zauberstab noch leichter an als vor dem 27. August. Offenbar hatte sie trotz der Herauslösung des Seelenfragmentes des dunklen Wächters doch noch was von ihm in diesem Stab gehabt. Natürlich, er hatte ihn gemacht, sowie auch das Einhorn getötet, dessen Blut den Stab verstärkt hatte. Vielleicht lag es auch daran, dass Stab und Schwert damals zusammengewirkt hatten und jetzt durch die Vernichtung des Schwertes der Stab ganz und gar ihr alleine gehörte. Magische Verwicklungen waren manchmal auch für eine Großmeisterin aus zwei Zaubererwelten nicht immer zu durchschauen.

Bald würde sie sich mit Izanamis Patenkind treffen. Denn eine weitere japanische Mitschwester würde sehr hilfreich sein, wenn sie bedachte, was in diesem Land alles an Magie und Zauberwesen steckte und was alles durch die dunkle Woge vom April 2003 aus langem, tiefem Schlaf aufgeweckt worden war.

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05.09.2004

Takeshi umarmte seine Mutter Natsu für mindestens drei Minuten. Dann schloss er auch seine beiden Schwestern Naomi und Keiko in die Arme. Sie waren alle froh, dass sie ohne schwerwiegende Entstellungen davongekommen waren. Als er dann noch erfuhr, dass Herr Hiromitsu der Familie des fast schon entlassenen Mitarbeiters eine großzügige Abfindung und eine Witwen- und eine Halbwaisenrente bezahlte, weil Haru Tanaka doch sehr lange und sehr fleißig für ihn gearbeitet hatte und sie von einem seiner Neffen, der ein Fachmann für Unfallchirurgie und plastische Chirurgie war, kostenfrei behandelt worden waren, um keine sichtbaren Narben zurückzubehalten, , wusste Takeshi, dass es sich doch lohnte, einen ehrbaren Weg zu gehen und alle Schwierigkeiten zu ertragen, die ihm dabei aufgebürdet wurden.

Da Takeshis Vater zum Zeitpunkt des Unfalls noch nicht entlassen worden war galt auch eine selten genutzte Vertragsklausel, dass bei einem Brandfall die Familie eines Arbeitnehmers eine Übergangswohnung in einem der Mietshäuser im iromitsu-Turm von Fukuoka erhalten und bis zu sechs Monate mietfrei bewohnen durfte. Wollten sie dort bleiben mussten sie zwar Miete bezahlen, aber nicht höher als zuvor. Außerdem hatte Takeshis Vater eine Menge Firmenanteile wichtiger Unternehmen angesammelt, es aber seiner Familie nicht erzählt, weil er nicht wollte, das sie nur noch von Aktiendividenden leben wollten. Doch mit dem Verkauf der Anteile konnte Natsu Tanaka für alle drei Kinder die letzten Schuljahre bezahlen und ihre Arbeit fortsetzen. So tragisch es war, was am 24. Juli passiert war, sie hatten noch einmal glück gehabt.

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"Wir konnten die restliche Kraft nicht vollständig austreiben, sondern nur niederhalten", sagte einer der Heiler. "Ich hoffe, der Junge wird in seinem Leben nie in die Nähe dieses einen Berges kommen. Dann könnte es ihm passieren, dass sie diese Kraft erspürt und wiederbelebt", sagte der Hüter der Heilung zu dem Mann, den er für den hohen Rat Takayama hielt. Dieser antwortete: "Und wenn Ihr doch den Fluch aus ihm ausgetriebenhättet?"

"Wäre er gestorben, ehrenwerter hoher Rat Takayama", sagte der Herr der heilenden Hände Amaterasus. "Die Bauchwunde, die er sich unter dem Zwang des dunklen Wächters zugefügt hatte war tödlich. Wenn wir die ganze dunkle Magie aus ihm ausgetrieben hätten wäre sie wieder aufgebrochen, und sein Geist wäre ziemlich sicher von dieser Yamanonechan geholt und vertilgt worden. So weiß er im Moment nicht, wie sie heißt und kann sich auch nicht bewusst an den von ihr verhängten Fluch erinnern. Wenn er glück hat bekommt sie es nicht mit, wenn er irgendwann in hoffentlich 100 Jahren friedlich einschläft."

"Jetzt weiß ich, warum Ihr von den heilenden Händen immer von Behandlungsende sprecht, wenn ihr jemanden nicht weiter behandeln könnt", sagte der, der hier als Hiroki Takayama auftrat und dies noch ein halbes Jahr lang tun sollte.

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04.10.2004

Es war Nacht auf Ashtaraiondroi, der Insel der Sonnenkinder, 800 Kilometer nordöstlich von Australien. Olarammaya erwachte, weil das ungeborene Kind sich ein wenig schmerzhaft in ihr bewegte. Warum schlief der Kleine nicht. Dass sie einen kleinen Jungen austrug wusste Olarammaya seit einer Woche ganz sicher. Nur wer das werden würde wusste sie nicht.

"Was, ich bin ein ungeborenes Kind?" hörte sie eine leise Stimme, die fast so klang, als käme sie aus ihrem Unterleib, aber dann doch eher in ihrem Kopf nachhallte wie eine Gedankenbotschaft. "Oh, du bist aufgewacht", stellte Olarammaya fest. "Öhm, ja, sowie das sich anfühlt wirst du mein Kind. Schon eine ganz verdrehte Sache."

"Dann stimmt es doch, was mir mein erster Vater mal erklärt hat, dass wir Sonnenkinder nicht über die Weltenbrücke gelassen werden, sondern in Seelenschlafkammern darauf warten, bis jemand uns körperlich oder von der Kraft her nahestehender uns neu erzeugt oder als Mutter in sich empfängt und aus sich heraus gebiert. Sonnenfinsternis, ich werde ein Daisirian", gedankengrummelte der, den Olarammaya in sich herantrug. "Und wer warst du vorher?" fragte Olarammaya nur in Gedanken, weil die Kleinjungenstimme ihr nicht so bekannt klang. "Aroyan hieß ich im ersten Leben. Und du bist wer?" Olarammaya nannte ihren Namen und dass sie die Tochter von Dailangamiria früher Gwendartammaya und davor Patricia Straton war. "O, dann bist du Goorardarians zweites Kind. Wie lange ist das dann her, dass ich meinen ersten Körper verloren habe?" Olarammaya erwähnte es. "Häh?! Das müssen doch mehr als zwanzig Sonnen sein. Gwendartammayas Junge war ja da erst geboren und ihre zwei Töchter da gerade selbst noch im Mutterleib. Oha, du bist eine von den beiden. Dann muss das mehr als zzwanzig Jahre her sein. Öhm, ich habe Hunger! Isst du mal was für uns beide mit?"

"Gleich, ich hör meinen Magen auch grummeln", erwiderte Olarammaya. Dann erwähnte sie, warum sie jetzt schon erwachsen war, ja dass sie im ersten Leben Ilangadan alias Brandon Rivers gewesen war. Das ließ Aroyan erst verwundert aufschreien und dann verängstigt antworten: "Das heißt, ich kann auch mal als Sonnentochter geboren werden? Och nöh!"

"Das genau ging mir auch durch den Kopf, als ich in der Frau wieder aufgewacht bin, die ich noch als moderne Hexe kennengelernt habe." Sie erklärte ihrem nun zum geistigen Leben erwachten Sohn, was genau passiert war und warum sie Geranammayas Zwillingsschwester wurde. "Beruhigt mich nicht wirklich. Ui, ist das laut!" kam die Antwort zurück, während Olarammayas Magen laut rumpelte. Sie stand auf und ging mit erst schwankenden Schritten in Richtung Küche. Da traf sie ihre zweite Mutter Dailangamiria. "Dann hast du Aroyan abbekommen", gedankensprach diese ihm zu. "Hoffentlich wird Faidaria nicht deshalb eifersüchtig auf dich."

"Wohl eher auf dich, weil du ihren kleinen Bruder Fainorangan in dir trägst", dachte Olarammaya zurück. Dann kam noch Geranammaya in die Küche und erfuhr, wessen Mutter ihre Zwillingsschwester wurde. "Der wird sich genauso damit abzufinden lernen wie wir beide", sagte Geranammaya mit körperlicher Stimme. "Außerdem darfst du ihm nach der Geburt einen neuen Namen geben."

"Echt, Der Aroyan wird mein Schwestersohn. Lustig, wie im ersten Leben", hörten die drei eine weitere Kleinjungenstimme von Geranammaya her. Canurdarian?" fragte nun Olarammayas ungeborener Sohn in Gedanken. "Der war ich mal. Aber wenn ich aus diesem dunklen, nassen Gluckersack rauskomme heiße ich ganz sicher anders", antwortete Geranammayas ungeborener Sohn. "Wann ist das?" fragte Aroyan und erfuhr die Antwort, wie Geranammaya sie ihm wohl schon gegebenhatte. "Wie, und ich soll dann noch einen Mondwechsel länger hier drinnen eingelegt bleiben. Das gefällt mir aber überhaupt nicht."

"Hey, das und ein für alle mal: Mir gefällt das auch nicht, dass ich als Mädchen wiedergeboren wurde und keine Zeit hatte, mich dran zu gewöhnen, eine Frau zu sein und jetzt schon Mutter werden soll. Aber ich mach das, weil da draußen viele gemeine Leute sind, die alle Menschen umbringen oder wie Nutzvieh halten wollen, wenn wir nicht genug sind, um die davon abzuhalten. Also quengel erst rum, wenn du wieder an der Luft bist. Solange gilt: Mein Bauch, mein Essen, meine Regeln."

"Ups!" dachte Dailangamiria und lächelte ihre jüngere Zwillingstochter an. "So drastisch habe ich das bei euch beiden nie formuliert."

"Weil wir das ja schon nach zwei Tagen in deinem warmem Schoß wussten, meine geliebte Mutter", erwiderte Geranammaya ebenfalls grinsend. Dem wagte Olarammaya nichts entgegenzuhalten, weil sie drei eh wussten, dass es nicht ein einziges gemütliches Warten auf den großen Tag war. Dann meinte Aroyan: "Aber wenn ihr zwei schon nach einem Jahr Säuglingszeit zu großen Frauen werden konntet kann ich auch nach einem Jahr schon wieder groß sein. Ob Faidaria mich dann wieder haben möchte?"

"Falls ihre Tochter, die sie trägt, nicht mit dir zusammensein will vielleicht", schickte Dailangamiria ihrem ungeborenen Enkelsohn zurück. Sie grinste als sie dachte: "Dass ich eine so junge Großmutter werde habe ich auch nicht gedacht."

"Ja, und dass ich meinen eigenen Urenkel austrage habe ich auch nie gedacht", erwiderte Geranammaya und knuddelte erst ihre Mutter, die mal ihre Tochter gewesen war und dann ihre Zwillingsschwester Olarammaya.

ENDE DES 2. Teils

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