DIE FRIEDENSRETTERIN

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Die Welt ist weiterhin in Aufruhr. Die nichtmagische Menschheit lebt mit den Auswirkungen der Terroranschläge vom 11. September 2001 und dem Vergeltungskrieg der USA und ihrer Verbündeten in Afghanistan und dem Irak. Die Magische Welt hat weiterhin mit den Auswirkungen der von Ladonna Montefiori unbeabsichtigt ausgelösten Welle dunkler Zauberkraft zu tun. Zwar konnte das Erbe Sardonias in und über Millemerveilles endgültig beseitigt werden. Doch die während der Eingeschlossenheit durch eine gasförmige Droge Vita Magicas ausgelöste Fortpflanzungsorgie erlegt den Bewohnern Millemerveilles die Verantwortung für über 750 im nächsten Jahr ankommende Kinder auf. Im Auftrag und mit Hilfe der transvitalen Entität Ammayamiria errichten Millie und Julius Latierre zusammen mit Ashtarias Nachkommen Camille Dusoleil, Maribel Valdez und Adrian Moonriver eine neue, schützende Glocke über Millemerveilles, die nicht wie die dunkle Kuppel Sardonias auf Leid und Tod, sondern Lebensfreude, wachsendem Leben und Liebe gründet. Die dunkle Woge im April 2003 bestärkt dunkle Wesen und Gegenstände. So erwacht die schlummernde Kraft in einem Zauberkessel der Hexenmeisterin Morgause zu unheimlichem Eigenleben. Doch der Kessel wird von den darum streitenden Hexen Anthelia und Ladonna zerstört. Morgauses darin eingelagerte Seele wird von der ebenfalls bestärkten Nachtschattenführerin Birgute Hinrichter vertilgt und gibt ihr damit noch mehr magische Kraft. Auch der Orden der Gooriaimiria gewinnt durch die weltweite Welle dunkler Zauberkraft mehr Kraft. In Australien erwachen die vier letzten Schlangenmenschen Skyllians aus jahrtausendelangem Zauberbann und sorgen über mehrere Wochen für Angst und Unsicherheit, weil sie ihr Dasein ungehindert ausbreiten wollen. Nur die von Anthelia nach Australien geschafften Insektenmenschen, sowie ein machtvolles Ritual australischer Stammeszauberer am heiligen Berg Uluru dämmen die Ausbreitung von Skyllians letzten Dienern ein. Julius Latierre nimmt an mehreren Hochzeitsfeiern teil. Bei der Hochzeit von Gabrielle Delacour und Pierre Marceau in einem abgelegenen Waldschloss bei Amien droht die Geheimhaltung der Zaubererwelt zu scheitern. Denn das Schloss wurde vom US-Geheimdienst CIA als Spionage und Überwachungsstätte benutzt. Nur Julius' Computerkenntnisse und der Zaubertrank Félix Felicis ermöglichen ihm, die drohende Enttarnung der Zaubererwelt zu verhindern. Im Dezember bekommt die Familie Latierre Zuwachs. Zum einen wird den Eheleuten Hippolyte und Albericus Latierre ein Sohn geboren, der eine körperliche Besonderheit aufweist. Er besitzt zwölf Finger und zwölf Zehen. Zum anderen heiratet Hippolytes und Béatrices Cousin Gilbert seine amerikanische Kollegin Linda Knowles, mit der er den Betrug der US-Quidditchmannschaft bei der Weltmeisterschaft aufgedeckt hat. Ein wenig beunruhigt ist er von einem Traum, indem die in magischen Sphären überdauernden Seelen älterer Frauen davon sprechen, dass Millie und er drei Jahre und drei mal so viele Jahre wie sie Töchter haben keinen Sohn bekommen können, weil die Magie der Mondburg dies so eingerichtet hat. Da Ashtaria über Ammayamiria gefordert hat, dass er in den kommenden Jahren seinen ersten Sohn zeugen soll, um den Tod eines Sohnes aus der Linie Ashtarias auszugleichen, weiß er nicht, was er von diesem Traum halten soll. Die ersten Wochen des Jahres 2004 verlaufen ohne erwähnenswerte Ereignisse. Doch die mit dem Schutz der magischen und nichtmagischen Menschen betrauten Ministeriumsbeamten wissen, dass diese Ruhe trügerisch ist. Tatsächlich nutzen die menschenfeindlichen Gruppierungen die Zeit, um bessere Ausgangsmöglichkeiten für weitere Aktionen zu schaffen. Die Sekte der erwachten Göttin errichtet auf jedem der sieben großen Erdteile einen magischen Stützpunkt, einen "Tempel der erwachtten Göttin". Birgutes nachtschatten erweisen sich als die mächtigsten Widersacher Gooriaimirias. Mit dem Machtanspruch Gooriaimirias unzufriedene Vampire erbeuten die Kenntnisse über die Standorte der sieben Tempel. Linda Latierre-Knowles und ihr Ehemann Gilbert erfahren bei einer heimlichen Reise nach Italien, dass Ladonna Montefiori offenbar schon wichtige Posten im Zaubereiministerium kontrolliert und muss nun zusehen, wie sie es denen beibringen können, die ihnen vertrauen.

Die Wochen zwischen Ende Februar und Mitte April werden die anstrengendsten in der Laufbahn der Heilhexe Hera Matine. Denn in diesen Zeitraum fallen die von Vita Magica erzwungenen Geburten von mehr als siebenhundert neuen Zaubererweltkindern. Camille Dusoleil macht am 29. Februar den Anfang mit gleich vier Töchtern. Die Pflegehelfer unterstützen die ausgebildeten Hebammen bei den Entbindungen. Allerdings kommt es zwischen Uranie Dusoleil und dem ungewollten Vater ihrer drei Kinder zu einem Zerwürfnis. Ihr Sohn Philemon fühlt sich zurückgesetzt und versucht dies durch grobes Auftreten zu überspielen. Uranie geht auf Antoinette Eauvives Vorschlag ein, bis auf weiteres in ihrer Residenz, dem Château Florissant, zu wohnen. Bis zum 18. April erfolgen die erwarteten Geburten der von Camille als Frühlingskinder bezeichneten Babys. Zur gleichen Zeit kommt es innerhalb der Werwolf-Vereinigung namens Mondbruderschaft zu einer Entscheidung, ob die Mitglieder sich den eingestaltlichen Hexen und Zauberern anvertrauen sollen, um keine weiteren Opfer des von Vita Magica verfremdeten Vollmondlichtes zu riskieren oder nun erst recht gegen die Eingestaltler vorzugehen. Die Gruppe um den Zauberer Fino, die für ein weiteres Alleingehen eintritt, gewinnt die Abstimmung und damit auch die Entscheidung, wer die Mondgeschwister weiterführen soll.

Ladonna Montefiori will ihre Macht in Italien vervollkommnen, bevor dort die Neuauflage der Quidditchweltmeisterschaft beginnen soll. Hierzu will sie alte Feinde, die ihr schon vor vierhundert Jahren lästig waren, unwiederbringlich entmachten, die Lupi Romani. Sie schürt gezielt Unfrieden zwischen den vier großen Familien und entfacht damit einen Krieg, der drei der Familien an den Rand der Auslöschung treibt. Der zwergenstämmige Clanchef Vespasiano Mangiapietri und seine Söhne können gerade so noch von seiner Großmutter, der reinrassigen Zwergin Lutetia Arno, in Sicherheit gebracht werden, bleiben aber bis auf weiteres im Zauberschlaf. Ladonna wittert nun die Gelegenheit, weitere treue Anhängerinnen unter dem Bann der Feuerrose zu vereinen. Vor allem geht es ihr um die Stuhlmeisterinnen der sogenannten schweigsamen Schwestern. Ebenso bereitet sie sich darauf vor, weitere Zaubereiminister Europas und anderer Erdteile unter ihre Herrschaft zu zwingen. Falls ihr das gelingt gehört ihr die Zaubererwelt. Doch ihre Feinde sind vorgewarnt. Sophia Whitesand, die Stuhlmeisterin der britischen Sektion der schweigsamen Schwestern, fällt nicht auf gefälschte Unterlagen ihrer einstmals treuen Mitschwester Erin O'Casy herein und wittert eine Falle. Deshalb holt sie die irische Mitschwester in ihre besonders gesicherte Heimstatt, wo Erin durch den dort wirksamen Sanctuafugium-Zauber von Ladonnas Bann befreit wird, jedoch bis auf weiteres geschwächt ist. Albertrude Steinbeißer, die von den allermeisten noch für Albertine gehalten wird, soll von Ladonnas Handlangerin Gundula Wellenkamm in ein unterirdisches Versteck angeblicher Aufzeichnungen gelockt werden. Doch weil Albertrude davon ausgeht, dass Gundula bereits unter Ladonnas Einfluss steht trifft sie Vorbereitungen. So entgeht sie dem Duft der Feuerrose und schafft es sogar, die am Zielort aufgetauchte Ladonna Montefiori schwer zu demütigen, indem sie ihr mit bezauberten Scheren einen Gutteil ihrer Haare abschneiden lässt.

Laurentine Hellersdorf nimmt den Rat der Heilerin Hera Matine an und nimmt Kontakt mit der Kampfzauberexpertin Louiselle Beaumont auf. Nachdem sie deren Einstiegsprüfung in Form einer Rätseljagd und Vorführung ihrer Zauberkenntnisse bestanden hat trifft sie diese in ihrem abgelegenen kleinen Schlösschen, wo sie erweiterte Verteidigungszauber besonders für Hexen erleidet und erlernt. Während dessen forschen Millie und Julius Latierre nach, was es mit Julius' Traum von den in Sphären überdauernden Geisterfrauen auf sich hat. Die Mondtöchter bestätigen, dass es kein bloßer Traum war. Millie und er können erst dann einen gemeinsamen Sohn haben, wenn sie nach Clarimondes Geburt zwölf Jahre verstreichen lassen. Doch Ashtaria fordert von Julius, dass er in den nächsten anderthalb Jahren einen Sohn zeugen soll, um die Lücke zu schließen, die durch den Tod eines erbenlos gebliebenen Sohnes aus Ashtarias Blutlinie entstanden ist. Außerdem soll er für die Mondtöchter nach drei von der Mondbruderschaft abgerückten Werwölfen suchen, die nach Frankreich gekommen sind. Wenn es ihm gelingt, sie in die versteckte Burg der Mondtöchter zu bringen, können sie von ihrem Dasein als Werwölfe geheilt werden.

Julius findet heraus, dass wahrhaftig drei der Mondbruderschaft entsagende Werwölfe in Frankreich eingetroffen sind. Dem Werwolfkontrollamtsleiter Hubert Fontbleu missfällt das, weil er die Festnahme der drei gerne als Trumpf gegen die Mondbruderschaft ausgespielt hätte. Dennoch muss er sich der Weisung seines Vorgesetzten Beaubois fügen und Julius die drei Abtrünnigen überstellen. Dieser bringt sie wie versprochen zur Mondburg. Die drei dürfen über jene gläserne Brücke, über die auch schon Millie und Julius gegangen sind. Allerdings weist die erste der Mondtöchter ihn mentiloquistisch darauf hin, dass eine der drei, Nina, ein Kind mit der Werwolfkrankheit geboren hat. Auch dieses wollen die Mondtöchter heilen, doch erst später. Weil Fontbleu das mit den drei Werwölfen zum fast eigenen Staatsgeheimnis gemacht hat und weil er Julius willentlich einem umstrittenen Ortungszauber ausgesetzt hat und wegen anderer vorangegangener Verfehlungen wird der Leiter des Werwolfkontrollamtes vom Dienst freigestellt.

Ladonna Montefiori lässt von ihrem unterworfenen Romulo Bernadotti Portschlüssel an fast alle europäischen Zaubereiministerien verschicken, deren Nationalmannschaft an der Quidditchweltmeisterschaft teilnehmen dürfen. Nur Frankreichs Ministerin Ventvit will sie nicht dabei haben. Um so ärgerlicher ist es für sie, dass die Spanier den Veelastämmigen Ignacio Lucio Bocafuego Escobar mitbringen. Um ihn nicht bei ihrem geplanten Unterwerfungsakt stören zu lassen vergiftet sie ihn mit einem tückischen Gemisch aus dem Gift einer Runespore-Schlange. Doch ihr Plan, die Minister und ihre Mitarbeiter mit einer Feuerrosen-Duftkerze zu unterwerfen scheitert. Denn Anthelia/Naaneavargia kann dank Albertrudes besonderer Sehkraft den für Deutschland bestimmten Portschlüssel wenige Sekunden vor dem Auslösen wegschnappen und damit zum geheimen Treffpunkt versetzt werden. Dort zerstört sie die magische Duftkerze mit Yanxothars Feuerklinge und wendet den Erdzauber "Lied der reinigenden Mutter Erde" an, um die bereits vorher unterworfenen Minister von allen magischen Zwängen freizuspülen. Dabei sterben zwar alle von Ladonna vollständig unterworfenen. Doch nun wissen die meisten Zaubereiministerien, dass Ladonna das italienische Zaubereiministerium beherrscht und noch mehr Macht haben will. Die knapp vor der Versklavung erretteten Minister machen nun Jagd auf Ladonnas Agentinnen und Helfershelfer in ihren eigenen Ländern. Auch Ministerin Ventvit erfährt von dem beinahe geglückten Streich der teilweise Veelastämmigen. Mit Hilfe der in Frankreich lebenden Veela-Abkömmlinge unter Führung der reinrassigen Veela Léto können alle im Zaubereiministerium verborgenen Helferinnen Ladonnas enttarnt und ohne sie zu töten unschädlich gemacht werden. Für diese Hilfe möchte Léto eine Besserstellung ihrer Artgenossinnen und Nachkommen und tritt mit Ministerin Ventvit in geheime Verhandlungen ein, die von Julius Latierre begleitet werden. Deshalb legt er seinen Herzanhänger bis auf weiteres ab, um Millie nicht mit Létos Veelamagie zu belasten.

Laurentine Hellersdorf beendet ihre intensive Einzelausbildung bei Louiselle Beaumont und reist zu ihren nichtmagischen Verwandten in die USA. Als ihre dort ebenfalls hinreisende Mutter ihr einen Dicken Umschlag mit allen bisherigen Dokumenten aus Laurentines Leben vor Beauxbatons und eine schriftliche Erklärung ihres Vaters übergibt weiß sie, dass ihre Eltern endgültig mit ihr gebrochen haben. Weil ihre Großmutter Monique spürt, dass sich ihre Tochter und ihre Enkelin offenbar im Streit befinden verlangt sie eine Aussprache. Dabei eröffnet Laurentine ihr, dass sie kurz nach Eintritt in die Volljährigkeit aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten ist, was ihre sehr gläubige Großmutter erzürnt. Diese verlangt, dass auch Laurentine ihr Haus verlässt. Es sieht danach aus, dass Laurentine auch den guten Kontakt mit ihrer verwitweten Großmutter einbüßt, ohne dieser verraten zu haben, was mit ihr los ist. Weil sie bei einem Musicalbesuch in New York einer sehr schönen wie offenbar mächtigen Hexe begegnet und später erfährt, dass es die neue Anthelia ist, beschließt sie, Kontakt zu den schweigsamen Schwestern zu suchen. Diese laden sie im Juni zu sich ein und bieten ihr an, ihre Mitschwester zu werden. Doch bevor sie die entscheidende Frage beantworten kann enthüllen sich mehrere Mitschwestern als offenbar abtrünnige, die versuchen, die gemäßigten Schwestern umzubringen. Nur die in der Versammlungshöhle wirksamen Schutzzauber verhindern den Massenmord. die offenbar vom Orden abgefallenen werden in magischen Lichtblasen von einem eingeprägten Fluch gereinigt und vollständig zu neugeborenen wiederverjüngt, wie es die Regeln der Schwesternschaft bei Verrat und versuchten Angriffen auf Mitschwestern vorsehen. Laurentine schwört den Eid der Schwestern und wird somit zu einer weiteren schweigsamen Schwester.

Im Juni treffen sich die Ladonnas Unterwerfungsversuch entgangenen Zaubereiminister und ihre Mitarbeiter in Millemerveilles, weil die neue Schutzglocke keine böswilligen oder von dunklen Zaubern beeinflussten hineinlässt. Millie und Julius nehmen in ihren Funktionen als Berichterstatterin und Veela-Menschen-Beauftragter daran teil. Es wird vereinbart, dass die Neuauflage der Quidditchweltmeisterschaft in Kanada stattfinden soll, da den italienischen Zaubereiverwaltern nicht mehr zu trauen ist. Als Antwort auf diese Entscheidung führt Ladonna den grausamen Ausgrenzungszauber aus, den bereits Voldemort benutzte, um alle nicht auf britischem oder irischem Boden geborene Hexen und Zauberer auszusperren. Italien und Sardinien werden somit für magische Menschen zu gnadenlosen Todeszonen. Ob es einmal möglich ist, Ladonnas Macht zu brechen weiß keiner.

Währenddessen droht in Ostasien ein weiteres von der Welle dunkler Zauberkraft erwecktes Erbe, aus der Vergangenheit in die Gegenwart herüberzutreten. Das von den japanischen Magiern gehütete Schwert Drachenzahn schafft es, einen für seine mentalmagischen Signale empfänglichen Geist zu erreichen, den arglosen, Jungen Takeshi Tanaka aus einem Vorort von Fukuoka auf Kyushu. In verlockenden Träumen bringt er den bis dahin überaus folgsamen Halbwüchsigen dazu, gegen seine Eltern aufzubegehren und sich für mehr Freiheit und Macht zu begeistern. In den Träumen erlebt Takeshi die Entstehung des Schwertes nach. Am 24. Juli 2004 wirkt der Einfluss des dunklen Wächters so stark auf Takeshi und auch dessen Vater ein, dass sich beide gegenseitig angreifen, angeblich, weil der jeweils andere ein tödlicher Feind ist. Dabei schafft es Takeshi, seinen Vater zu töten. Diese unverzeihliche Tat verschafft dem Schwert den Ausweg aus seinem Gefängnis. Es erscheint in Takeshis Händen. Der dunkle Wächter will ihn auch dazu treiben, seine Mutter und seine Schwestern umzubringen. Doch er widerstrebt. Da greift der Geist des dunklen Wächters aus dem Schwert heraus auf Takeshis Körper über. Dessen Geist wird aus dem eigenen Körper verstoßen und muss die nächsten Wochen zusehen, wie der dunkle Wächter mit dem befreiten Schwert nach neuen Opfern sucht. Vor allem will der Wächter seinen Zauberstab wiederhaben. Doch den hat Anthelia/Naaneavargia. Diese erfährt vom Rachefeldzug des dunklen Wächters. Ihre Mitschwester Izanami Kanisaga will jedoch zuerst gegen ihn antreten, weil auch sie ein magisches Feuerschwert hat. Anthelia gibt ihr einen Zweiwegspiegel mit, der im Todesfall einer der beiden der Überlebenden Ort und Zeitpunkt mitteilt. Deshalb ist Anthelia auch sehr betrübt, als am 26. August 2004 Ortszeit Tokio Izanami das mit dem dunklen Wächter ausgefochtene Duell verliert. Denn ihr Schwert brauchte Sonnenlicht, während das des dunklen Wächters mit Mondlicht und dem Feuer aus dem Erdinneren gespeist wird. Anthelia nutzt die Computerkenntnisse ihrer Mitschwestern, um einen Köder für den dunklen Wächter zu finden. Damit lockt sie ihn auf einen Berg auf einer unbewohnten Insel Japans. Dort kommt es zum Entscheidungskampf der beiden mächtigen Feuerklingen. Anthelia lässt dabei sechs Zauberkugeln mit gespeichertem Sonnenlicht frei, die ihr Schwert stärken und das des dunklen Wächters schwächen. Er verliert es und wird von Takeshis Geist aus dem gekaperten Körper vertrieben. Anthelia zerstört die im Schwert des dunklen Wächters enthaltene Magie mit ihrem eigenen Schwert. Dabei erscheinen ihr die mächtigsten Gegner des Wächters als Geister, darunter Izanami Kanisaga und der Tenguherrscher Sojobo. Am Ende entsteigt der Geist des dunklen Wächters der zerfallenden Schwertklinge. Doch er wird von der ebenfalls durch die dunkle Zauberkraftwelle zur Geisterriesin aufgeblasenen Berghexe Yamanonechan in einem inversen Geburtsvorgang einverleibt, um ihren Fehler zu berichtigen, ihn damals, wo sie noch aus Fleisch und Blut war, in die Welt hineingeboren zu haben. Anthelia flieht vor Angehörigen der Hände Amaterasus, die wegen ihres Versagens beim Zaubereiministers in Ungnade gefallen sind, sich jedoch nicht mit seiner Entscheidung abfinden wollen. Takeshi wird mit geringfügig veränderter Erinnerung mit seiner Mutter und seinen Schwestern in die nichtmagische Welt zurückgeschickt. Doch muss er irgendwann mit einer lebenden Berghexe einen Nachkommen zeugen, wenn er nicht selbst als Geisterfötus im Leib der Yamanonechan einkehren und dauerhaft dort verbleiben will. Das Kapitel dunkler Wächter ist nun endgültig erledigt, und kein Europäer hat davon etwas mitbekommen.

Millie lässt Julius einen schlimmen Albtraum nacherleben, der sie seit Ende Mai umtreibt. Darin offenbart ihr Ashtaria selbst, dass die Menschheit in den nächsten Jahrzehnten von den mächtigen Dunkelwesen und ihren Helfern ausgelöscht werden kann, wenn es Julius nicht bald gelingt einen Sohn zu zeugen. Nachdem Julius alles nachbetrachtet hat, was Millie durchlitten hat, eröffnet ihm seine Frau, dass es trotz der Aussagen der Mondtöchter doch noch einen legalen Weg gibt, dass er in den nächsten zwei Jahren Vater eines Sohnes wird. Zwar ist der Weg für einen auf das Gebot der ehelichen Treue hinerzogenen schwer zu gehen. Doch Julius erkennt, dass er Millie nicht betrügt, wenn sie und er sich darauf einigen, dass er mit einer von beiden anerkannten unverheirateten Hexe den von Ashtaria eingeforderten männlichen Erben zeugt. Die Auserwählte ist Béatrice Latierre, die formal und wohl auch im ideellen Sinne als Retterin des Ehefriedens handeln soll. Béatrice erklärt sich mit der Wahl einverstanden und reist mit Julius mitte Juni ins Sonnenblumenschloss, um bis Anfang Juli den ersten Versuch zu schaffen.

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Laurentine Hellersdorf war froh, als sie am 27. Juni abends von der Versetzungskonferenz der Grundschule von Millemerveilles zurückkehrte. Einige der älteren Kollegen und Kolleginnen waren der Ansicht, den einen Jungen oder das andere Mädchen lieber noch einmal ein jahr wiederholen zu lassen, weil es in den Grundfertigkeiten wie Lesen, Schreiben, Sprechen und Rechnen nicht so klappte. Laurentine hatte gerade was die Rechenfähigkeiten der Schüler anging erklären müssen, warum sie bei einigen auf mehr mathematische Grundkenntnisse wie die Dezimal- und Prozentrechnung wertgelegt und erste Einheiten in Geometrie durchgeführt hatte. Einige Eltern hatten sich nämlich beklagt, dass die Note für Rechnen deshalb bei ihren Kindern niedriger war, weil die mehr machen mussten als benötigt wurde. Immerhin hatte sie es geschafft, die Mehrheit der Kollegen davon zu überzeugen, dass auch in der Zaubererwelt bestimmte Rechenarten wichtig waren und Geometrie sowieso ein fundamentales Fachgebiet sei, wenn jemand magische Figuren zeichnen wollte und sowas wie Mittelpunkt, Diagonalen, Winkel und Gradsummen kennen sollte. Am Ende waren sie darüber eingekommen, dass die drei Ehrenrundenkandidaten unter der Voraussetzung in die nächsthöhere Klasse kamen, dass sie gesonderte Nachholaufgaben bekamen, um die erkannten Schwächen auszugleichen. Zumindest war unter den betroffenen Schülern keiner, der oder die gleich nach den Ferien nach Beauxbatons wechseln würde.

Laurentine hatte jedoch den nicht ganz auszuräumenden Eindruck, dass vor allem die von Vita Magica mit Mehrlingsgeburten behelligten Kolleginnen unnachsichtiger waren als ihre männlichen Berufsgenossen, wohl weil sie schon die große Babyflut im Blick hatten, die in sechs Jahren zur Schülerflut wurde.

Vom Tag geschafft wollte Laurentine nach dem Abendessen bei den Brickstons nur noch Musik hören, da im Fernsehen nichts für sie wichtiges lief. Da erst sah sie, dass sie eine Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter hatte, laut Datumsangabe vom Morgen zehn Uhr. Sie drückte den großen Runden Wiedergabeknopf und lauschte der Aufzeichnung.

"Guten Morgen, Mademoiselle Hellersdorf, hier spricht Claude Barnier von der Gesellschaft für sichere Bildung und Zukunft. Falls Sie jene Laurentine Hellersdorf sind, für die ihre Eltern 1981 eine Ausbildungs- und Hochschulbildungsabsicherungsversicherung bei uns abgeschlossen haben bitten wir um Rückruf wegen noch zu klärender Angelegenheiten. Sie erreichen mich von Montag bis Freitag zwischen neun und sechzehn Uhr unter folgender Durchwahl, können aber auch meinen Namen bei der Telefonzentrale angeben." Es folgte eine Telefonnummer aus Straßburg und die übliche Dankes- und Abschiedsformel für AB-Aufzeichnungen. Dann kam der lange Piepton und die von einer künstlichen Frauenstimme gesprochene Mitteilung "Ende der Nachrichten."

"Ach du große Güte, die münddelsichere Versicherung", dachte Laurentine. An die hatte sie echt nicht mehr gedacht. Ihre Eltern hatten diese kurz nach ihrer Geburt abgeschlossen und so festgelegt, das sie mit 21 Jahren den Gesamtbetrag ausbezahlt bekam, wenn sie nachwies, dass sie damit eine Hochschulausbildung bezahlen wollte. Die Versicherung konnte aber auch im Fall des Todes ihrer Eltern zur Absicherung der Schulbildung aufgewendet werden. Die Summe konnte jedoch auch, so fiel es ihr wieder ein, stehengelassen werden, um beispielsweise den Einstieg in eine Lebensversicherung zu schaffen, die dann im hohen Alter ausbezahlt wurde. In jedem Fall galt, dass ihre Eltern sie nicht kündigen konnten. Sie konnten höchstens die Prämienzahlung einfrieren, bis sie entweder wieder flüssig genug waren oder Laurentine, falls da schon volljährig, auf die Auszahlung bestand. Offenbar hatten ihre Eltern versucht, die Versicherung zu kündigen, um sich das Geld auszahlen zu lassen, weil sie es ihr wohl nicht mehr gönnten. Na ja, in vier Tagen begannen die Ferien, dann würde sie mit dem Anrufer persönlich sprechen können.

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Millie Latierre wusste, dass in der Welt der überdauernden Meister von Altaxarroi zwanzig Jahre vergehen konnten, wo in der wirklichen Welt nur ein Monat verging. Deshalb sorgte sie sich nicht, als ihr Kailishaia, die Feuervertraute und Herstellerin des magischen Kleides, dass sie geerbt hatte, eröffnete, dass sie nun, wo sie die ersten zwei Stufen der Feuervertrauten erlernt hatte, die verbleibenden vier Stufen in einem Durchgang erreichen sollte. "So wie ihr lebt und so gerne du Mutter bist, findest du nicht immer genug Zeit, um zu mir hinzukommen, um mal wieder was dazuzulernen, Xallinyandira, eifrige Schülerin des Feuers. Daher sei es nun, dass du die vier verbleibenden Lernstufen bewältigst, um zur vollwertigen Feuervertrauten erhoben zu werden und deinen erhabenen Namen zu gewinnen", sagte Kailishaia. "Auch wenn du sehr erfolgreich die ersten großen Werke erlernt hast, wie den Schutzwall gegen verzehrendes Feuer oder den Schutz der Vertrauten vor bösartigem Feuer, so gilt es doch, noch wichtige Künste zu erlernen, um gegen die wirklich gefahrvollen Züge des belebenden wie verzehrenden Urwesens zu bestehen. Du weißt ja, dass jede Lernstufe nach der Farbe einer selbstleuchtenden Erscheinungsform der Welt benannt und gegliedert ist. So hast du die Künste der roten Glut für Leben und Schutz vor Hitze und Brandfraß schon gelernt, wie auch die Künste des blauen Himmels, in dem durch Hitze und wilde Winde das gleißende laute Feuer entzündet werden kann, das auf die Erde niederfährt. Mit beidem konntest du das Fest der Anvertrautheit vor der Gefahr eines unbeherrscht brennenden Waldes und der starken Blitze aus dem Unwetter sichern. So sind es noch die Künste der leuchtenden Wesen, die die Beschaffenheit und Wirkung hitzearmer Leuchtquellen betreffen und nebenbei auch eine wertvolle Kunst zum durchblicken von Rauch und Dunkelheit und Schutz vor überhellem Licht enthält. Danach erfolgt das Erlernen und Bewältigen der Stufe der häuslichen Flammen, die ebenso wie bei der roten Glut weitere Schutzvorkehrungen enthalten. Dann wirst du die Künste des brodelnden Erdfeuers erlernen, um die Gefahren von aus den Tiefen unserer großen Mutter dringender Flüssigglut zu erkennen und in gewissen Grenzen dagegen anzukämpfen. Hast du das irdische Feuer erkannt und seine Wirkungsweise durchdrungen und verstanden, so folgt als nächstes die höchste Stufe: Die Natur des mächtigen Himmelsfeuers, dem wir alle Licht und Leben verdanken, dass jedoch im Übermaß auch Tod und Ödnis verbreitet. Diese Stufe wird dir die wahrhaft gewaltigen Kräfte des Feuers zeigen, die dunklen wie die hellen, das Feuer der Nacht, das Feuer des Seelenffangs, aber auch das weiße Feuer der Reinigung und Lebenslabung, wie du es an dir bereits erfahren durftest, als du dich bereitgefunden hast, die Künste meiner Zunft zu erlernen. Du wirst lernen, wie diese gewaltigen Mächte erkannt, erschaffen, gelenkt, gebannt oder vernichtet werden könnenund wann es weise ist, sie zu rufen oder ruhen zu lassen. Hast du das alles hinter dir bist du eine voll ausgebildete Feuervertraute und wirst deinen damit errungenen Namen erhalten."

"Wie lange wird diese Unterweisung dauern, Meisterin Kailishaia?" wollte Millie wissen. "Jede Stufe dauert zweimal so lang wie die vorangegangene Stufe", sagte Kailishaia. So konnte sich Millie ausrechnen, wie viele scheinbare Jahre sie nun hier würde zubringen müssen. Doch sie war bereit, das alles auf sich zu nehmen, für ihre Kinder, für ihre restliche Familie, vielleicht auch für die ganze Welt, wenn sie an Anthelias Schwert dachte oder an Geschöpfe wie diese Hallitti, gegen die Julius einmal hatte bestehen müssen.

"Ich bin bereit zu lernen", sagte Millie in der Sprache von Altaxarroi, die sie bei ihren letzten Ausflügen hierher schon ziemlich gut gelernt hatte.

"So sieh, höre und verstehe, was zu erlernen ist", erwiderte Kailishaia.

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Sie hatten nicht gleich in der ersten Nacht das Lager geteilt. Julius wollte seinen drei Kindern erst die Umgewöhnung ermöglichen, dass sie bis kurz vor seinem Geburtstag mit ihm im Sonnenblumenschloss leben würden, weil ihre Maman mal wieder eine längere Reporterreise unternahm.

Wo er schon mal im Château Tournesol war bot er Ursuline und Ferdinand an, das Grundstück gegen radioaktive Stoffe abzusichern, sofern der das Schloss und seine Ländereien überspannende Sanctuafugium-Zauber dies erlaubte. Denn die an der Loire aufgestellten Kernkraftwerke machten ihm schon sorgen. Auch wenn die französischen Energiefirmen gebetsmühlenartig behaupteten, ihre Kraftwerke seien gegen einen Supergau abgesichert, traute er dieser Technik nicht so weit über den Weg. "Wenn du das hinbekommst, Julius, dann spann bitte diesen Schutzzauber über uns auf, der auch über Millemerveilles errichtet wurde", hatte ihn Ursuline am 27. Juni klar und deutlich beauftragt.

"Da Julius keinen Urlaub hatte musste er natürlich jeden Werktag zum Dienst antreten. Immer wenn er sich mit den Anliegen von Veelastämmigen befasste kamen ihm die Worte von Ignacio Bocafuego Escobar in den Sinn: "wenn meineAbuelita sie will, dann kriegt sie Sie auch, wie jeden, den sie haben wollte." Wieder eine Veelastämmige die meinte, Mutter mindestens eines seiner Kinder sein zu wollen. Doch anders als bei Sarja, Sternennacht oder vielleicht auch Léto konnte Julius diese Ankündigung von Bocafuego nicht so locker abtun wie sonst. Vor allem Ladonnas Vorgehen in Italien hatte ihm gezeigt, wie mächtig eine Veelastämmige und Hexe zugleich sein konnte. Er hoffte, dass er nicht eines Tages unfreiwilligen Ehebruch begehen würde.

Am 28. Juni bekamen alle Latierres eine Einladung von Patricia und Marc Latierre, am 16. Juli zur Willkommensfeier für ihren Sohn Antoine Brian nach Avignon hinzukommen. Auch Marcs Eltern und Großeltern wurden eingeladen. Für Julius hieß das, sich mit Nathalie Grandchapeau über die Anreise und Rückreise zu verständigen.

"Heute Abend, Julius?" hörte er Béatrices mentiloquierte Frage in seinem Geist. "Ja, heute abend, Trice", schickte er zurück.

Nachdem Aurore, Chrysope und Clarimonde in ihrem gemeinsamen Zimmer in den Betten lagen und schliefen vollführte Julius den Zauber aus dem alten Reich, der sie bis zum Sonnenaufgang friedlich schlafen ließ. Den durfte er zwar nicht zu häufig verwenden. Doch er musste sicher sein, dass keines seiner Kinder ihn vermisste. Auch wenn er Millies klare Aufforderung hatte, mit Béatrice zusammenzusein, dachte er einen winzigen Moment daran, dass er vielleicht Verrat an seinen eigenen Kindern beging. Doch dann übertönte die Erkenntnis sein Gewissen, dass er ja auch ihretwegen tun wollte, was Ashtaria ihm abverlangte. Ashtarias apokalyptische Albtraumbilder waren auch ihm in die Glieder gefahren. Sie hatten ihn am Ende überzeugt, dass der Weg richtig und wichtig war, den er nun gehen würde.

Leise verließ er seine schlafenden Kinder und schloss die Zimmertür. Dann begab er sich zu einem der kleinen Gästezimmer auf der nächsthöheren Etage des Greifenturmes. Dort saß sie bereits auf einem der zwei Stühle und lächelte ihn an. "Schlafen die drei nun?" fragte sie. Julius bejahte es und erwähnte, dass sie erst bei Sonnenaufgang wieder aufwachen würden. "Zaubertrank?" fragte Béatrice ein wenig argwöhnisch. "Nein, ein Schlafzauber aus dem alten Reich, ausschließlich dafür gemacht, um kleine Kinder ruhig schlafen zu lassen, wenn die Eltern sie an einem nicht so sicheren Ort haben oder selbst nicht gestört werden möchten", erklärte Julius. Er legte gleich nach, dass er den auch nicht jede Nacht ausführen durfte, weil die davon berührten sich sonst irgendwie daran gewöhnten. "Verstehe ich", erwiderte die unverheiratete Heilerin. Dann deutete sie auf einen freien Stuhl. Julius hatte erst damit gerechnet, dass sie gleich in medias Res gehen würde, wie es die Akademiker so schön umschrieben, wenn kein überflüssiges Wort verloren werden sollte. Doch er verstand, dass sie sich und ihn behutsam auf die folgenden Nächte einstimmen wollte.

Um nicht im ganzen Schloss gehört zu werden baute Béatrice einen provisorischen Klangkerker auf. "Als wir zwei die eine Stunde zusammen waren waren wir nicht gerade leise", sagte Béatrice mit verwegenem Grinsen. Julius erinnerte sich daran, dass er damals mit ihrer Stimme sehr laut und leidenschaftlich geschrien hatte, als sie, die damals seinen Körper angenommen hatte, ihn zur höchsten Lust getrieben hatte.

Sie unterhielten sich zunächst über Patricias Sohn. Den hatte sie ja am Vormittag des 6. Juni auf die Welt holen dürfen. Marc hatte anders als Julius darauf verzichtet, bei der Geburt seines Kindes dabeizusein. Dann unterhielten sie sich über die letzten Wochen, über Millemerveilles, die Ministerkonferenz und die kommende Quidditchweltmeisterschaft, bei der sie beide nicht selbst anwesend sein würden. Während sie über scheinbar harmlose Sachen sprachen rückten sie immer näher zusammen. Zwischendurch dtranken sie aus einer Wasserkaraffe. Als Julius feststellte, dass sie beide zur selben Zeit die Gläser anhoben, saß Béatrice nur noch eine halbe Armlänge von ihm entfernt.

"Bis zum Sonnenaufgang sind es noch sieben Stunden, sechs mehr, als wir beide damals hatten", säuselte Béatrice ihm ins Ohr. Er verstand sofort, was sie meinte. Dann berührten sich erst ihre Hände, bevor sie erst behutsam und dann entschlossen erkundeten, wie sich der jeweils andere anfühlte und vor allem, in welcher Stimmung sie und er waren. Als sie ertastete, dass er nun in der richtigen Stimmung war, mit ihr das Bett zu teilen, begannen beide, sich gegenseitig aus den Kleidern zu helfen, wobei sie Julius immer wieder dort anfasste, wo er besonders leicht in Stimmung zu bringen war. Mit einer Mischung aus gemachter Erfahrung und Intuition liebkoste er auch ihren immer unverhüllteren Körper, bis beide einander so sahen, wie sie von Natur aus beschaffen waren.

Julius verdrängte alle Gedanken daran, dass Béatrice ihn schon beruflich nackt gesehen hatte. Er verdrängte auch jeden Gedanken an Millie, die nun weit weg von ihm war. Dennoch konnte er einen kurzen Vergleich zwischen ihr und Béatrice nicht aus dem Kopf bekommen. Béatrice war irgendwie schlanker als Millie, bot aber einen üppigeren Oberkörper. Er berührte sie und erinnerte sich daran, wie es sich für ihn angefühlt hatte, als er damals mit ihr in Körpervertauschung Orions verfluchtes Vermächtnis ausgetrieben hatte. Sie gab sich der herrlichen Erregung dieser Berührungen hin, während sie erst vorsichtig und dann entschlossen Hand an ihn legte. Er wollte erst fragen, was das nun sollte. Doch er begriff sofort, dass sie sicherstellen wollte, dass die für die Zeugung von Mädchen ausdauernderen Samenzellen ausgestoßen werden sollten. So ließ er sich gefallen, wie sie ihn ohne direkte körperliche Vereinigung zur höchsten Lust trieb und was dabei aus ihm herausbrach mit einem Tuch auffing. Wie als wenn es noch zum erwünschten Akt gehörte reinigte sie ihn vollständig. Dann deutete sie auf das Bett.

Fast ohne Worte lagen sie erst einige Minuten zusammen. Dann begann der eigentliche Geschlechtsakt. Um ihn nicht zu heftig zögern zu lassen, weil sie bisher noch unberührt gewesen war nahm ihn Béatrice ohne weiteres Geplänkel und brachte ihn mit sich zusammen. Er sah dabei, dass es in ihrem Gesicht schmerzvoll zuckte und fühlte erst einen gewissen Widerstand. Doch dann waren sie beide körperlich vereint. Julius konnte seine eigenen und die von Madrashainorian gemachten Erfahrungen ausspielen, um dieses Zusammensein so beglückend wie möglich zu machen. Er fühlte sogar, dass sie eine vollkommene Abstimmung in Rhythmus und Bewegung fanden, so dass er immer mehr mit ihr verbunden wurde. Weil sie immer leidenschaftlicher wurde wusste er, dass sie diesen Augenblick herbeigesehnt hatte, nachdem er damals mit ihr die eine wilde Stunde in ihrem Behandlungszimmer verbracht hatte. Der Gedanke, ihr endlich die damals aufgeladene Schuld zurückzuzahlen beflügelte ihn, ihr diese erste gemeinsame Runde so erfreulich wie möglich zu gestalten. Dieser Gedanke brachte auch ihn in eine sehr wohlige Erregung. Er hoffte wirklich, dass er sie wirklich glücklich machen konnte, egal, ob es nur ein abgesprochenes Vorhaben oder eine unverbindliche Nacht war.

Tatsächlich erwies es sich für die gemeinsame Abstimmung hilfreich, dass er schon einmal zum Höhepunkt gekommen war. Denn so genossen sie beide das, was im alten Reich als Tanz des neuen Lebens bezeichnet wurde, bis nach ungezählten Minuten erst er und keine halbe Minute später sie die Wallungen der höchsten Lust erlebte. Auch sie schrie diese erste wilde Wallung ihres natürlichen Lebens lautstark in das mit ockergelbem Zauberlicht ausgekleidete Zimmer hinaus. Er fühlte, wie seine Saat von ihrem Leib aufgenommen wurde, irgendwie begieriger, als es ... Nein, er wollte nicht zwischen ihr und Millie vergleichen. Dieser Moment sollte nur ihr und ihm gehören.

Als sie von der wonnigen Anstrengung erhitzt und in Schweiß gebadet zusammenlagen flüsterte sie ihm zu: "Ja, das war trotz der ersten vier Sekunden richtig herrlich. Ich kapier's jetzt, warum maman das immer so gerne tut."

"Ich wollte dir nicht weh tun und ... mmmpf", setzte Julius an, konnte aber nicht weitersprechen, weil sie ihre heißen, feuchten Lippen auf seine presste. Er hatte es bisher vermieden, sie zu küssen. Doch sie wollte es wohl wissen, und er fühlte, dass er das jetzt auch wollte. So lagen sie schnaufend einander umschlingend zusammen. "Ich wusste, dass du das nicht wolltest. Aber irgendwie mussten wir zwei das hinter uns bringen", wisperte Béatrice. Dann säuselte sie. "Noch wach genug?" Julius horchte in sich hinein. Ja, da war noch genug Ausdauer.

Die zweite gemeinsame Runde war noch wilder. Er genoss es, ihren Herzschlag durch seinen Brustkorb zu fühlen und wusste, dass sie seinen Herzschlag genauso fühlte. Diese junge Frau da war gerade die Frau, die mit ihm zusammen sein wollte, nicht weil sie musste, sondern weil sie es wollte. Wie erhaben war es, das zu denken. Wie erregend war es, sie zu spüren. In dem Moment wusste er, dass es richtig war, wenn diese Frau sein Kind bekommen würde. Hieß das, dass er sich gerade verliebt hatte? Wenn ja, war das wirklich so schlimm, zwei Frauen gleichzeitig zu lieben? Nein, nicht wenn beide voneinander wussten und wenn er es schaffte, für jede von beiden da zu sein. Mit dieser höchst beruhigenden Erkenntnis erreichte er zum dritten mal an diesem Abend den Gipfel der Wollust.

Tatsächlich schafften es beide, in den kommenden Stunden noch mehrere gemeinsame Lebenstänze zu tanzen. Julius war sich nach dem letzten davon jedoch sicher, dass er ihr für heute nichts mehr von sich überlassen konnte.

Béatrice hatte den kleinen Reisewecker so gestellt, dass sie eine Viertelstunde vor Sonnenaufgang aufwachten. Sichtlich geschafft von der ersten von noch nicht abzählbaren Nächten lagen sie beide nebeneinander und kuschelten sich aneinander. "Ich glaube, ich sollte zusehen, mein eigenes Zimmer zu erreichen, bevor das Glockenspiel losgeht", schnurrte Béatrice. Julius stimmte ihr zu. "Danke dir für diese superherrliche Nacht", sagte er.

"Ich danke dir, dass ich nun endlich mitreden kann, was die ganzen liebestollen Hexen so daran finden." Sie küsste ihm inbrünstig auf den Mund. Dann stand sie auf und suchte ihre abgelegten Sachen zusammen.

Julius stemmte sich auch aus dem Bett und erkannte, dass er sich doch an seine Leistungsgrenzen herangearbeitet hatte. Ihm tat alles weh. Doch er genoss die Schmerzen irgendwie. Denn sie sagten ihm, dass er die letzten Stunden nicht geträumt hatte. Einen Moment begehrte sein Gewissen wieder auf, dass er gerade mit einer anderen als der angetrauten Frau die Nacht verbracht hatte. Doch Millies klare Ansage bügelte dieses Aufbegehren im Ansatz nieder. "Sieh ja zu, dass du sie genauso glücklich machst wie du's bei mir immer wieder hinkriegst, Monju!" hatte ihm Millie mit auf den Weg gegeben.

Als Béatrice vollständig bekleidet war bot sie an, das Bett neu zu beziehen. Die hier lebenden Hauselfen waren es gewohnt, jeden Tag die Bettwäsche zu waschen. Julius war einverstanden.

Mit routinierten Zaubern wechselte Béatrice die von den Stunden der außerehelichen Liebe besudelte Bettwäsche gegen nach Waschmittel duftender Bettwäsche aus. Dann öffnete sie die Zimmertür. Der provisorische Klangkerker erlosch.

Julius wartete im frisch bezogenen Bett, bis er unverkennbar die Stimmen von Aurore und Chrysope hörte. Er stand auf und ging seinen beiden schon laufenden Töchtern entgegen, als habe er ganz harmlos allein im Zimmer geschlafen. Den Muskelkater in allen Gliedern und die schmerzenden Bauch- und Rückenmuskeln ignorierte er. In Abwandlung eines Ausspruches des Sternenflotteningenieurs Montgomery Scott dachte er: "Schlafen Sie nie mit einer leidenschaftlichen Frau, wenn Sie am nächsten Morgen keinen Muskelkater haben wollen."

"Papa, die Clarimonde quängelt. Hunger oder volle Windeln?" fragte Aurore. Julius meinte, dass sie wohl nur Durst hatte. Denn Clarimonde trug eine Reisewindel, die noch vier Tage vorhielt, egal, wie viel sie hineinmachte.

"Ihr habt doch sicher auch durst", meinte Julius zu Aurore und Chrysope. Die beiden nickten. So gab er seinen beiden schon laufenden Töchtern fruchtsaft und Clarimonde ein Gemisch aus warmer Milch und Fruchtsaft, den sie gern trank, seitdem Millie sie von Muttermilch auf andere Nahrung umstellte.

"Hast du gut geschlafen, papa?" fragte Aurore ihren Vater in kindlicher Unschuld. Er sagte, dass er sehr gut geschlafen habe und wollte wissen, ob sie auch gut geschlafen habe. "Ich bin jetzt ganz wach. Aber ich weiß nicht, ob ich von Traumfeen besucht wurde", sagte Aurore. "Die waren sicher bei dir. Aber du weißt nicht immer, was sie dir so gegeben haben. Zumindest war keine Traumdoxy dabei, oder?" fragte Julius. "Nein, da war keine böse Traumdoxy bei", sagte Aurore. Millie und er hatten es Aurore und Chrysope zumindest so erzählt, dass nachts kleine unsichtbare Feen zu den Kindern hinflogen, um sie zu Ausflügen in bunte Geschichten mitzunehmen. Dass da auch die eine oder andere gemeine Fee bei war, die Kindern gerne Angst machte war zwar möglich, aber nicht so schlimm, weil die Feen sofort verschwanden, wenn das erschreckte Kind wach wurde. Was andere für Kinder übliche Geschichten wie die vom Regenbogenvogel und den Weihnachtselfen anging war zumindest Aurore schon über die echten Sachen aufgeklärt, wo sie Brittanys Sohn Leonidas, sowie Chrysope und Clarimonde in Mamans Bauch ertastet hatte, wo die noch nicht geboren waren.

Beim Frühstück durften sich alle, die schon lesen konnten aus den neuesten Ausgaben des Miroir Magique und der Temps de Liberté vorlesen. Auch hatte Béatrice den neuen Heilerherold und die Monde des Sorcières bekommen.

"Wann möchtest du das mit dem Atomabwehrzauber machen, Julius?" fragte Ursuline ihren Hausgast, von dem sie bisher nicht wusste, dass er und ihre Tochter Béatrice ein besonderes Vorhaben ausführten. "Ich habe mir noch mal alle Aufzeichnungen angesehen, die ich von der Aktion In Millemerveilles gemacht habe. Bis zum zweiten Juli kriege ich das hin, sofern Sanctuafugium da nicht reinfuhrwerkt, Oma Line."

"Nein, wird er nicht, Julius. Ich habe mich noch einmal aus unserer Bibliothek schlaugelesen. Da steht eindeutig, dass jeder Zauber, der in der reinen Absicht, das Schloss zu beschützen gewirkt wird, mit dem Sanctuafugium-Zauber vereinbar ist, wenn der, der oder die ihn ausführt mit den Besitzern des Schlosses verwandt ist und deren Zustimmung hat. Also mach den Zauber bitte!"

"Was macht so'n Anatomzauber?" wollte Blanche Berenice wissen. Julius beschrieb ihr, dass der Zauber machte, dass keine aus besondren Öfen entweichende Asche, die ganz giftig war, im Schlossgarten oder dem Schloss selbst runterfallen konnte und dann alle ganz krank machte. Aurore sagte ihrer nur wenige wochen älteren Großtante: "Das ist auch bei uns zu Hause gemacht worden, damit wir nicht krank werden oder totgehen, Blanche. Hat lustige Lichter am Himmel gemacht." Julius bestätigte das. "Joh, dann mach das bitte auch hier bei uns, Julius", sagte Blanche Berenice und erhielt Zustimmung von ihren Vierlingsgeschwistern.

"Das ist doch ein klarer Auftrag", schickte Julius an seine Schwiegergroßmutter. "Aber eindeutig", gedankenantwortete sie ihm.

Bevor Julius ins Ministerium überwechselte ermahnte er Aurore, immer gut auf sich und ihre Schwestern aufzupassen. "Du bist die große von euch. Lasst euch nicht von den anderen hier zu heftigem Unsinn treiben und hör bitte auf Oma Line und Opa Ferdinand und deine Tante Béatrice!" gab er ihr noch mit. Sie versprach ihm, dass keiner mit ihr oder Chrysope schimpfen würde. Das nahm er erst mal als Zusage hin. Er wollte keinen absoluten Gehorsam, aber doch ein friedliches Miteinander seiner Kinder mit allen anderen hier.

Er schaffte es auch im Ministerium, den heftigen Muskelkater in allen Körperbereichen zu verheimlichen. Dabei half ihm, dass er die erste halbe Stunde für sich alleine im Büro war.

Nathalie Grandchapeau teilte ihn als Vermittler zwischen der Verkehrsabteilung und der Spiele- und Sportabteilung ein, um die Reise der französischen Besucher der Quidditchweltmeisterschaft zu koordinieren. So ließ es sich nicht vermeiden, dass er seiner Schwiegermutter Hippolyte begegnete. Er war jedoch froh, dass die gemeinsamen Aufgaben zu viel Zeit beanspruchten, um mit ihr über die Familie zu reden. Nur beim Mittagessen erwähnte er, dass er wegen der Kinder jetzt bis zum 18. Juli im Sonnenblumenschloss übernachtete. "Für Rorie und Chrysie werden es dann aber sicher sehr anstrengende Ferien", grinste Hippolyte Latierre. Julius grinste zurück und meinte, dass er dafür dann mehr Freiraum für die Arbeit hatte, wo die Neuauflage der Weltmeisterschaft unmittelbar bevorstand und sie sicherstellen mussten, dass Ladonnas Handlanger nicht doch noch einen Weg fanden, die restliche Zaubererwelt zu terrorisieren. Dass er selbst in ganz anderer Hinsicht anstrengende Wochen vor sich hatte verschwieg er Béatrices ganz großer Schwester.

Als er dann am Abend für eine Stunde in seinem neuen Baumhaus die neuesten E-Mails gesichtet und die tagesaktuellen Weltnachrichten studiert hatte wechselte er durch den Verschwindeschrank im Apfelhaus ins Sonnenblumenschloss über. Seine beiden älteren Töchter freuten sich zwar, dass ihr Papa wieder da war, schienen aber auch sehr erschöpft zu sein.

"Die vier jüngsten haben deine Töchter ziemlich gut auf Trab gehalten", berichtete Ursuline ihrem Schwiegerenkel mit unübersehbarer Erheiterung. "Aber Rorie hält gut mit den beiden Mädchen mit."

Julius erwähnte, dass er am nächsten Wochenende den Schutz gegen radioaktive Stoffe errichten würde. Dann spielte er mit seinen beiden älteren Töchtern. Dabei merkte er, dass sich sein Körper von den Anstrengungen der letzten Nacht erholt hatte.

Nach dem Abendessen kümmerte er sich um Clarimonde. Als diese müde genug war sang er ihr noch ein Schlaflied vor und ließ sie dann in Ruhe im kleinen Zimmer neben seinem schlafen, wo auch die zwei größeren schliefen. Um sie nicht von den zwei anderen wecken zu lassen erlaubte er es, dass Aurore bei den vier kleinen Großtanten und Großonkeln im Zimmer schlief und stellte für Chrysope ein kleines Bett in seinem Gästezimmer hin.

Als diese endlich schlief überlegte Julius, ob es ratsam war, sie wieder mit dem alten Schlafzauber zu belegen, um zu Béatrice hinüberzuschleichen. Doch er durfte diesen Zauber nicht jede Nacht benutzen. So mentiloquierte er Béatrice an und fragte sie, ob sie einen Sinn darin sah, diese Nacht wieder mit ihm zusammenzukommen. sie erwiderte auf dieselbe weise: "Hast du mit Millie jede Nacht nach dem bunten Vogel gerufen, als ihr gezielt auf ein Kind hinarbeiten wolltet?" Julius erwähnte, dass es bei Aurores Zeugung fast jede Nacht mindestens einmal zur Sache gegangen war, aber auch reine Durchschlafnächte dazwischen waren. "Gut, dann erhol dich diese Nacht. Vielleicht steckt in mir ja schon genug von deiner Saat, um unser Ziel zu erreichen. Aber besser ist es, wenn wir morgen und in den ersten Julinächten noch mal ganz eng zusammen sind, Julius! Er meinte ein gewisses Begehren aus ihren Gedanken herauszuhören. Sicher, sie konnte jetzt die Gelegenheit nutzen, wilden Sex zu haben, ohne dafür heiraten zu müssen. Hoffentlich bekamen sie das klar, dass wenn sie wirklich den von ashtaria geforderten Sohn bekommen hatte, sie nicht mehr mit ihm schlafen durfte. Er erkannte, wie heftig dieses "Projekt" die bisherige Beziehung zu ihr und zu Millie belasten mochte. Denn Béatrice durfte nur einmal von ihm schwanger werden. Wurde es wieder eine Tochter, dann war das Vorhaben gescheitert. Doch Béatrice hatte ihm angekündigt, dass sie ohne Zauberstabzauber hinbekommen wollte, dass sie die für einen Jungen richtigen Samenzellen in sich aufnehmen würde.

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"Guten Morgen, Monsieur Barnier, hier Laurentine Hellersdorf", grüßte die Mieterin der Brickstons den Mann, der ihr vor vier Tagen eine Nachricht auf den Anrufbeantworter gesprochen hatte. "Falls es um die mündelsichere Ausbildungsversicherung unter der Nummer LHS-200-1981-33 geht, hoffe ich mich eindeutig identifiziert zu haben."

"Ja, die Nummer stimmt. Bitte geben Sie mir noch das Geburtsdatum und den Mädchennamen Ihrer Mutter zur vollständigen Authentifizierung an!" sagte die freundliche Männerstimme am anderen Ende der Leitung. Laurentine hörte das Klackern und Klicken von Tastatur und Maus. Sie kam der bitte nach. "Gut, Sie haben sich ordnungsgemäß identifiziert, Mademoiselle Hellersdorf. - öhm, es geht darum, dass Ihre Eltern vor einem Monat bei uns vorsprachen, um die auf ihrem Namen mündelsicher festgelegte Ausbildungsversicherung zu kündigen, die sie seit 1997 nicht mehr weiterbezahlt haben. Laut Vertrag dürfen wir diese Summe nicht freigeben, solange ihre Eltern am Leben und/oder Sie noch nicht volljährig sind. Gut, das sind sie zweifelsohne seit dem 11. November 1999. Doch gemäß dem Vertrag sollten Sie die bis dahin angesparte Gesamtsumme bei Erreichen des 21. Geburtstages erhalten, sofern Sie uns schriftlich nachweisen, dass Sie eine Hochschulausbildung begonnen haben oder in nächster Zeit beginnen würden. Diesen Nachweis haben Sie oder ihre Eltern bis heute nicht vorgelegt. Jetzt hat Ihr Herr Vater vor einem Monat darauf bestanden, die angesparte und seit 1997 nicht weiter bezahlte Versicherung ausgezahlt zu bekommen, da es seiner Aussage nach zwischen Ihm und Ihnen zu einem schwerwiegenden Zerwürfnis gekommen sei, dass wohl nicht mehr zu bereinigen wäre. Nun können wir die Summe jedoch nur an Sie auszahlen, wenn Sie selbst dies wünschen und laut Vertrag auch einen klaren Ausbildungszweck benennen können, für den die Summe verwendet werden soll. Deshalb muss ich Sie fragen, ob Sie sich damit tragen, eine Hochschulausbildung zu erwerben und ob es dazu schon Unterlagen gibt."

"Da ich Sie jetzt erst anrufe können Sie erkennen, dass ich selbst bereits berufstätig bin. Da ich von der Oberschule her Kontakt mit Förderorganisationen hatte, die mir ein Stipendium gewährten, war ich nicht auf die Auszahlung der für mich abgeschlossenen Versicherung angewiesen, zumal ich wusste, dass meine Eltern diese wohl auch nicht weiter bedient haben und sie daher wohl auf einer geringeren Summe eingefroren wurde."

"Gut, die Summe liegt bei von damals auf heute umgerechneten zwanzigtausend Euro, wobei es bei fortgesetzter Zahlung ihrer Eltern durchaus auch achtundzwanzig- bis dreißigtausend hätten sein können. Da Sie offenbar keinen vertraglich festgelegten Verwendungszweck dafür haben möchte ich Ihnen anbieten, diese Summe als Startkapital für eine private Altersvorsorge einzubringen, ansonsten muss ich Sie darauf hinweisen, dass die Summe bei nicht fortgesetzter Prämienzahlung am 1. Dezember 2005 automatisch verfällt, es sei denn, es tritt der von uns wohl nicht erwünschte Fall ein, dass Ihre Eltern beide bis dahin versterben. Dann entfällt die Zweckbindung."

"Will heißen, wenn ich die Summe nicht von mir aus ausbezahlt bekommen möchte verfällt sie, weil meine Eltern sie mündelsicher festgelegt haben und Sie sie nur freigeben dürfen, wenn ich mit einer Immatrikulationsbescheinigung oder bereits erworbenen Seminarscheinen bei Ihnen vorbeikomme?" fragte Laurentine. "Ja, so ist es, Mademoiselle Hellersdorf. Ihr Vater hingegen möchte die Summe gemäß des Vertragspassus bei langfristiger Aussetzung der Fortzahlung an ihn selbst ausbezahlt bekommen und argumentiert damit, dass er ja den Hauptanteil der Einzahlungen geleistet hat. Der Vertrag ist jedoch in dieser Hinsicht unumdeutbar, da seine Anfrage zu einem Zeitpunkt kam, als Sie laut Geburtsdatum bereits volljährig waren."

"Nun, aber wenn ich jetzt sage, dass Sie die Summe bitte für mich freigeben möchten geht das nicht, weil die Zweckbindung besteht, richtig?" stellte Laurentine eine rein rhetorische Frage.

"Dies trifft leider zu. Öhm, könnten Sie sich nicht vorstellen, zusätzlich zu dem, was sie bereits erlernt haben, noch ein Zweitstudium zu beginnen? Oder möchten Sie lieber das angesparte Vermögen als Startkapital für die Altersvorsorge einbringen?"

"Wenn ich beides mit "Nein" beantworte, weil ich zum einen mit meinem Beruf schon sehr gut ausgelastet bin und auch schon eine Altersvorsorge bezahle behalten Sie die angesparte Summe ein?" wollte sie noch wissen.

"Es sei denn, Sie setzen die Fortzahlung fort und überlegen es sich, ob sie nicht doch noch eine Hochschulausbildung beginnen, falls Sie sich beruflich zu verändern wünschen", bot Barnier ihr noch eine Möglichkeit an. "Wissen Sie was, Monsieur Banier, das Geld, was ich verdiene, reicht gerade für meinen Lebensunterhalt, dass ich keine Sorgen haben muss, dass ich einmal im Jahr in den Urlaub fahren kann und dann noch neben der staatlichen Rentenversicherung eine eigene Privatrente bedienen kann. Lassen Sie also das Geld bis zum Verfallsdatum liegen. Denn für zwanzigtausend Euro riskiere ich sicher keine lebenslange Freiheitsstrafe."

"Öhm, wie bitte?!" entgegnete Barnier.

"Laut Vertragsbedingung bekomme ich die Summe nur dann ohne Vorlage des vertraglich festgeschriebenen Verwendungszweckes ausbezahlt, wenn meine Eltern beide tot sind. Und wegen zwanzigtausend Euro einen Doppelmord zu begehen liegt mir sowas von fern. Aber Danke, dass Sie mich über den Stand der Dinge informiert haben. Wird meinen Vater nicht freuen, dass das von ihm zurückgelegte Geld unerreichbar ist, wo der als stellvertretender Weltraumbahnhofsvorsteher ja sooo ein schmales Gehalt bekommt und bei jeder Explodierten Arianerakete zehn Prozent Lohnkürzung zu befürchten hat. Aber so ist das Leben. Wie bei der Geschichte von Tantalos in der Hölle."

"Oh, eine klassische Ausbildung?" fragte Barnier. Laurentine hätte ihn dafür fast gefragt, was daran so erstaunlich sei. Statt dessen sagte sie: "Alles eine Frage der Schulbildung, Monsieur Barnier."

"Moment, darf ich Ihnen wenigstens die Dokumente für eine mögliche Fortsetzung der geschäftlichen Beziehung zwischen Ihnen und meiner Firma zusenden? Ich meine, selbst Millionäre würden zwanzigtausend Euro nicht ungenutzt verfallen lassen."

"Ja, aber genau die würden sich auch genau überlegen, wofür sie ihr Geld ausgeben. Abgesehen davon dass die durchaus schon mal zwanzigtausend Euro für ausschweifende Partys verjuxen, wenn sie damit groß angeben können."

"Deshalb sagte ich ja "Ungenutzt". Womöglich möchten Sie die bisher angesparte Summe auch für Ihre Nachkommen verwenden."

"Ach, das ginge, wenn ich es schaffe, vor dem Verfallsdatum noch mit einer Geburtsurkunde bei Ihnen vorbeizukommen?" fragte Laurentine.

"Öhm, eh ja, das wäre eine Möglichkeit, dass Sie die zweckgebundene Versicherung auf eines Ihrer Kinder übertragen können. Aber dann müssten Sie die Fortzahlung auf jeden Fall leisten, weil sonst die Summe ebenfalls verfällt."

"Neh is' klar", grummelte Laurentine. "Um Ihre und meine wertvolle Zeit nicht weiter zu bemühen hier meine klare ansage: ich bin mit meinem Beruf zufrieden. Er füllt mich vollkommen aus, zeitlich wie geistig. Wegen zwanzigtausend Euro werde ich meine Eltern nicht ermorden und mich auch nicht dafür schwängern lassen. Professionelle Leihmütter kriegen schon wesentlich mehr für's dickwerden. Ende der Ansage! Ich wünsche Ihnen trotzdem noch einen erfolgreichen Tag, Monsieur Barnier."

"Halt, Sie können doch nicht wirklich ..." setzte Barnier zu einem weiteren Versuch an, sie für eine Fortzahlung zu gewinnen. Doch da hatte Laurentine schon die Verbindung getrennt. "Wie bei den Ferenghi", dachte sie. "Geld und Gold das lieb ich sehr, und habe ich es erst von anderen, dann geb ich's nicht wieder her", zitierte sie die erste der sogenannten Regeln der Aneignung aus dem rücksichtslos profitorientierten Volk aus dem Star-Trek-Universum. Sie wartete noch eine Minute, weil sie dachte, dass Barnier sie noch einmal zurückrufen wollte. Doch offenbar hatte sie ihn mit ihrer klaren Absage überzeugt, dass jeder weitere Versuch nur seine Zeit verbrauchte, die er sicher bei anderen Kunden oder möglichen Kunden anbringen konnte. Sicher waren zwanzigtausend Euro eine gute Kapitalgrundlage, und sie könnte die Summe auf ihrem Bankkonto parken, um immer satt im Haben zu sein. Aber ihre Eltern hatten das damals wohl schon so gedreht, damit sie nicht mit dem angesparten Geld auf reiche Tochter machen und es mit teuren Kleidern, Reisen oder anderen Vergnüglichkeiten verheizen konnte. Aber der Gag, dass sie das Angesparte auf ihre eigenen Kinder übertragen konnte war schon lustig, wo sie im Moment nicht mal einen festen Freund hatte, geschweige denn einen möglichen Vater für ihr erstes Kind. Sie musste dabei auch wieder an Claire und Louiselle denken. War sie deshalb noch nicht verbandelt wie Céline, Millie oder Sandrine, weil sie mit Jungs beziehungsweise Mannsbildern nichts anfangen wollte? Die dritte Runde im trimagischen Turnier hatte ihr ziemlich übel gezeigt, dass sie offenbar für Claire mehr empfunden hatte als Kameradschaft und Freundschaft, und Louiselles mit Narben aus vergangenen Zauberschlachten geschmückter Körper kam ihr immer wieder in den sinn, wenn sie abends im Bett lag. War sie am Ende doch lesbisch? Doch im Moment wollte sie das nicht genauer nachprüfen, weil sie doch noch einiges mehr im Leben vorhatte als eine geschlechtliche Beziehung. Sie wollte keine Babylegehenne wie die Latierre-Hexen sein und sich noch Zeit für für sie interessantere Dinge nehmen, bevor sie sowas wie ein Kind in ihr Leben einplante. Aber offenbar hatte dieser Versicherungsmensch in Strassburg mit der Masche schon häufig erfolg gehabt, Wenn Sie nichts für sich zurücklegen wollen denken Sie bitte an Ihre Kinder! Konnte echt sein, dass mancher junge Mann oder manche junge Frau dann auf Biegen und Brechen was kleines auf den Weg brachte, um den Verfall einer angesparten Versicherungssumme zu verhindern oder dann doch eine weitere Lebensversicherung abschloss, in die das Ersparte dann eingebracht wurde.

Eigentlich wollte sie in die Rue de Camouflage, um sich von der letzten Auswirkung des Zerwürfnisses zwischen ihr und ihren Eltern zu erholen. Doch Catherine und Claudine Brickston hatten beschlossen, dass sie mit ihr Claudines erstes erfolgreich beendetes Schuljahr feiern wollten, wozu dann auch Miriam Latierre eingeladen wurde. Sicher hätte sie die Einladung ablehnen können. Doch irgendwie wollte sie es sich weder mit Claudine noch mit Catherine verderben. Zu wichtig war ihr das, dass die beiden Brickston-Hexen sie gerne in ihrem Haus wohnen hatten.

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ES IST SCHON SEHR INTERESSANT, IN JULIUS' WACHLEBEN HINEINZUHÖREN. ERST HAT ER DAMIT GEHADERT, MIT EINER ANDEREN GEFÄHRTIN DAS LAGER ZU TEILEN, DAMIT SIE DEN VON ASHTARIA EINGEFORDERTEN SOHN EMPFÄNGT. DOCH ER EMPFINDET IMMER MEHR ERFÜLLUNG DABEI, MIT IHR ZUSAMMENZUSEIN, AUCH WENN ER WEIß, DASS SIE SEHR GESTRENG SEIN KANN. GANZ BEHUTSAM NEHME ICH SEINE EMPFINDUNGEN WAHR, SOBALD ER SICH WIEDER MIT IHR ZUSAMMENLEGT UND MIT IHR AUF NEUES LEBEN HINWIRKT. JETZT IST ES SCHON DIE DRITTE NACHT, DIE SIE BEIDE MITEINANDER VERBRINGEN. WARUM DIE MENSCHEN HEUTE LIEBER DIE NÄCHTE DAFÜR NUTZEN LIEGT WOHL AN DEREN TÄTIGKEITEN. DA HABEN MEINE NEUEN ARTGENOSSEN UND ICH ES EINFACHER. WENN WIR DIE STIMMUNG FÜR NEUE KINDER FFÜHLEN KÖNNEN WIR SIE JEDERZEIT AUSLEBEN, GANZ GLEICH WO UND WANN. GUT; ALS ICH NOCH SELBST EINE MENSCHENFRAU WAR MUSSTE ICH MICH SELBST AN DIE EINSCHRÄNKUNGEN HALTEN, NUR AN BESTIMMTEN ORTEN UND ZU BESTIMMTEN ZEITEN DEN TANZ DES NEUEN LEBENS ZU TANZEN. DAHER VERSTEHE ICH ES, VOR ALLEM, WEIL MILDRIDS MUTTERSCHWESTER UND JULIUS NICHT GLEICH JEDEM VERRATEN WOLLEN ODER DÜRFEN, DASS SIE UNANGETRAUT DAS LAGER TEILEN, SELBST WENN MILLIE DAS AUSDRÜCKLICH ERWÜNSCHT HAT.

ZU GERNE WÜRDE ICH AUCH IN MILLIES EMPFINDUNGEN UND GEDANKEN HINEINHÖREN. DOCH IM TURM DER ALTEN MEISTER WIRKT DER WALL DER VERBORGENHEIT UND EINPRÄGSAMKEIT. SELBST DIE MEHRFACHEN BINDUNGEN ZWISCHEN IHR UND MIR WERDEN DAVON UNTERBROCHEN, NICHT DAUERHAFT ABER WIRKSAM.

AH, JULIUS UND BÉATRICE FINDEN SCHON ZUM DRITTENMAL IN DIESER NACHT ZUSAMMEN. ER EMPFINDET NUN ÜBERHAUPT KEINE REUE MEHR. IHREN LIEBESLAUTEN NACH EMPFINDET SIE DIE VEREINIGUNG MIT IHM AUCH ALS SEHR BEGLÜCKEND: DURCH SEINE AUGEN SEHE ICH IHR VON DER LIEBE ERHITZTES GESICHT UND IHRE AUGEN, ENTSCHLOSSENHEIT, LEIDENSCHAFT UND NEUERLICH STEIGENDE LUST. JA, AUCH SIE WÄRE EINE SEHR STARKE UND GEISTIG GEWANDTE ANVERTRAUTE FÜR IHN GEWORDEN. DOCH WENN SIE EINMAL VON IHM EIN KIND IM LEIB TRÄGT KÖNNTE DIESE GERADE SO HERRLICHE ZWEISAMKEIT ZU LAST UND VERDROSSENHEIT UMSCHLAGEN. DENN AUCH WENN ICH NICHT UNMITTELBAR IN IHRE GEDANKEN UND EMPFINDUNGEN HINEINHORCHEN KANN ERKENNE ICH IN IHREN AUGEN DAS VERLANGEN, IHN NICHT MEHR UNBESTRITTEN HERZUGEBEN. SOLLTE SIE WIRKLICH MUTTER SEINES KINDES WERDEN WIRD MIR WOHL GELINGEN, DIE MACHTVOLLE VERBINDUNG DURCH DEN BEHÄLTER DER VERBUNDENHEIT ZU NUTZEN, UM IN DEN SINNEN DES UNGEBORENEN ZU WEILEN, WENN DIESES WEIT GENUG GEREIFT IST, JA VIELLEICHT SOLANGE ES MIT SEINER MUTTER LUFT UND BLUT TEILT AUCH IHRE GEDANKEN ZU ERFASSEN. SOLLTE ES WAHRHAFTIG ZU EINER SCHWEREN BELASTUNG FÜR DAS VERHÄLTNIS ZWISCHEN IHR, MILLIE UND JULIUS KOMMEN, SO HOFFE ICH, FRÜH GENUG DAVON ZU ERFAHREN UM ALLEN DREIEN BEIZUSTEHEN. DENN ZU GUT KENNE ICH NOCH DIE GESCHICHTE DER BEIDEN WASSERVERTRAUTEN SCHWESTERN, DIE SICH IN EIN UND DENSELBEN LICHTFOLGER VERLIEBTEN UND DARUM WETTEIFERTEN, WELCHE VON IHNEN ZUERST SEIN KIND IM LEIB TRÄGT. DAS FÜHRTE DAZU, DASS BEIDE ZEITGLEICH NEUES LEBEN IN SICH TRUGEN UND EINE ENTSCHEIDUNG TTREFFEN MUSSTEN: DER VATER DER KINDER MUSSTE GELOBEN, BEIDEN HEIM UND ZUWENDUNG ZU GEBEN. DAS WAR ZUMINDEST ZU MEINER ERSTEN LEBZEIT DER EINZIGE FALL, WO EIN MANN MIT ZWEI GEFÄHRTINNEN ZUR SELBEN ZEIT LEBTE. ICH KENNE JEDOCH AUCH DIE GESCHICHTEN UM DIE GEMEINSCHAFTEN, WO DREI FRAUEN UND DREI MÄNNER GEGENSEITIGE GEFÄHRTEN WAREN. DOCH DIESE GEMEINSCHAFTEN GALTEN ZU MEINER ERSTEN LEBZEIT ALS NICHT GERN GESEHEN, WEIL UNSERE WELTSICHT DIE VEREINIGUNG VON VATER HIMMELSFEUER UND MUTTER ERDE ALS GEORDNETE GEMEINSCHAFT ANERKANNTE. DOCH VIELLEICHT SOLLTEN DIE DREI SICH ÜBERLEGEN, OB SIE NICHT EINEN DER ALTEN MEISTER ODER EINE ALTE MEISTERIN AUFSUCHEN SOLLEN, WELCHE ZU DENEN GEHÖRTEN, DIE DEN SECHSERBUND DES MANNIGFACHEN LEBENS ALS IHRE ART ZU LEBEN BEVORZUGT HABEN.

ICH LASSE DIE BEIDEN JETZT IN RUHE IHRE LUST AUSLEBEN. DOCH ICH WERDE MIR MERKEN, IHNEN VIELLEICHT IRGENDWANN VON DEN SECHSERBÜNDEN ZU ERZÄHLEN. VIELLEICHT KÖNNEN SIE AUCH ALS DREIERBUND WEITERBESTEHEN, WIE DIE GROßE MUTTER ERDE UND DIE KLEINE HIMMELSSCHWESTER ZUSAMMEN IM SELBEN LICHT VON VATER HIMMELSFEUER BESTEHEN UND EINANDER HELFEN, LEBEN ZU ERSCHAFFEN UND ZU WAHREN.

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"Du hast erwähnt, dass du bis zum fünften Juli wohl in der fruchtbaren Phase bist", meinte Julius, als er um ein Uhr am fünften Juli neben seiner Schwiegertante und derzeitigen, von seiner angetrauten ausdrücklich genehmigten Beischlafpartnerin lag. Diese musste die Anstrengungen des letzten Aktes noch veratmen. Doch dann meinte sie: "Wir Hexen sind keine Standuhren, die ganz genau gehen, wenn sie regelmäßig aufgezogen werden. Kann sein, dass mein Monatsrhythmus durch unsere wilden Nächte ein wenig verschoben wurde, ob nach hinten oder nach vorne weiß ich nicht. Zumindest haben wir es mit der Stammhalterlotion immer gut hingekriegt, möglichst Jungen zeugende Samenzellen in mich reinzuschicken. Das kann in meinem Körper aber auch einen verzögerten Eisprung ausgelöst oder gleich zwei Eireifungen angestoßen haben. Hat's alles schon gegeben."

"Öhm, ja, diese grüne Glibbercreme, die du mir als Vorspiel auf meinen kleinen Lebensspender geschmiert hast soll ja die Mädchensamen einschläfern oder ganz absterben lassen. Aber wenn du jetzt Zwillinge oder Drillinge kriegen solltest wird's für Millie sicher sehr heftig."

"Der Vertrag lautet, dass ich dir den Sohn gebären soll, den Millie und du wegen der Mondtöchter nicht in den nächsten zwölf Jahren hinkriegen könnt. Wenn es zwei werden stimme ich dir gerne zu, dass das für sie eine heftige Sache wird, weil sie bisher nur einzelne Kinder von dir bekommen hat. Aber was deine Bemerkung eben angeht, so ist es besser, wenn wir die drei nächsten Nächte noch mal ausnutzen. Der leichte Schlaftrank, den ich Rorie und Chrysope geben kann ist nicht so addiktiv wie der Zauber, den du mir beschrieben hast. Der Trank wird ja ausdrücklich bei anhaltenden Erkrankungen verordnet, wenn Kinder deshalb nachts nicht schlafen können. Dann können und werden wir zwei noch drei so herrliche Nächte erleben. Dann warten wir ab, ob du mich erfolgreich befruchtet hast. Falls ja, dann kommt erst der richtig interessante Teil: Wie erklären wir es denen, die es was angeht?"

"Ja, vor allem, wenn du dann ganz zu uns hinziehst, wie wir das im Vertrag stehen haben", erwiderte Julius, dem es im Moment unangenehm war, das ausgerechnet gerade nach einer weiteren Runde körperlicher Liebe anzusprechen. Doch Béatrice war wohl darauf gefasst und sagte: "Da Millie, du und ich das eindeutig festgelegt haben können die anderen uns da nicht mehr dreinreden, auch Maman nicht. Die wird zwar erst seltsam gucken, wenn wir ihr das erklären. Aber dann wird sie sicher darauf bestehen, dass sie meinen Nachwuchs genauso regelmäßig zu sehen bekommt wie ihre anderen Enkel und Urenkel. Vielleicht wird sie dich sogar dafür wild und leidenschaftlich küssen, dass du mir endlich was kleines zu tragen gegeben hast, wenn ich schon keinen Zauberer zum heiraten gesucht und gefunden habe." Den letzten Satz flüsterte sie mit einem verschmitzten grinsen auf dem schweißgebadeten Gesicht. Dann küsste sie Julius und umschlang seinen erhitzten Körper. Wollte sie jetzt schon die nächste Runde? Doch ihr ging es nur darum, ihn einfach noch ein wenig in den Armen zu halten, damit er wusste, dass sie und er gerade füreinander da waren. Er erkannte, dass er sie niemals mehr einfach nur als Tante oder gar Heilerin sehen würde, egal ob sie nun von ihm schwanger wurde oder nicht. Ja, es hatte schon seinen Sinn, abzuklären, wie zwei geistig und körperlich liebende zusammenlebten. Dann viel ihm ein, was sein Naturkundelehrer ihm und der zweiten Grundschulklasse nach dem Besuch des Bonobogeheges im Londoner Zoo erzählt hatte: "Für diese Affen gehört das körperliche Miteinander genauso zur Gemeinschaft wie das miteinander nach Nahrung suchen. Ich weiß, dass es gerade viele von euren Eltern anwidern mag, die daran glauben, dass nur ein Mann und eine Frau so hautnah zusammensein dürfen, wie die Affen uns das hier ganz ohne Scham gezeigt haben. Aber für Bonobos ist das das richtige Leben, wohl geachtet für die Bonobos." Julius dachte auch an steinzeitliche Stämme. Da hatte ein Mann wohl auch mehrere Frauen, und die Frauen konnten sich auch aussuchen, mit wem sie Nachwuchs hatten, mal mit Feuersteinschleifer, mal mit Mammutschreck oder wie immer die Jäger bei denen hießen. War es echt ein Vorteil der Zivilisation, da so eingeschränkt zu sein? Eine Notwendigkeit, um ein geordnetes Leben zu sichern? Oder war es eine künstliche Beschränkung, die den Menschen an sich nur noch zur Funktionseinheit machte, die deshalb nur einen einzelnen Geschlechtspartner haben durfte, damit die sonstigen Aufgaben nicht vernachlässigt wurden? Da Julius diese Frage hier und jetzt nicht beantworten wollte gab er sich lieber Béatrices leidenschaftlicher Umarmung hin, aus der heraus jederzeit ein neues inniges Zusammensein werden konnte, wenn sie das wollte.

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Xallinyandira, wie sie hier bei Kailishaia hieß, blickte hoch in den Himmel, wo eine gnadenlos heiße Sonne im Zenit stand. Sie dachte die Worte der sicheren Augen, die sie von Kailishaia gelernt hatte. Hierfür brauchte sie keinen Zauberstab, wenn sie wusste, dass sie gleich in blendendes Licht oder sengendheißes Feuer blicken musste. Sie fühlte eine gewisse Kühle auf ihren Augen liegen. Dann war ihr, als sei die Sonne gerade so hell wie hundert dicht an dicht aufgesteckte Kerzen auf einer großen Geburtstagstorte. Sie fühlte die Hitze der Sonne nicht, und die gleißende Helligkeit des Tagesgestirns tat ihr auch nicht in den Augen weh. Sie dachte einen Moment an Florymont Dusoleil, der nach jahrelangen Versuchen eine Gleitlichtbrille erfunden hatte, die dieselbe Wirkung hatte. Jetzt konnte sie die einzelnen Sonnenflecken sehen und auch die aus der hellen Sonnenscheibe hervorzüngelnden Sonnenflammen, die heutige Himmelskundler protuberanzen oder Koronalauswürfe nannten. "Mit dieser Kunst der sicheren Augen kannst du dann, wenn du die Kräfte des Himmelsfeuers erforschst aus den Flammenzungen unseres Himmelsvaters ableiten, welche Kräfte von ihm gerade stärker oder schwächer wirken", belehrte sie Kailishaia. "Wenn du diese Kunst oft genug übst, so wird am Ende ein im Geist gerufenes Wort reichen, um deine Augen vor der ganzen Helligkeit unseres glühenden Vaters Himmelsfeuer zu schützen und auch vor anderen ebenso hellen wie sengenden Quellen. Es ist wie die Kunst, durch Rauch und Dunkelheit zu blicken, ja die in jedem Wesen glosende Glut des Lebensfeuers wie Licht zu sehen, was ihr in eurer Zeit auch wieder mit Worten der Kraft und Kraftausrichtern vermögt, eben nur, dass du dafür nach mehr als ausreichender Übung keinen Kraftausrichter brauchst." Xallinyandira bestätigte es. Denn sie hatte den zwischen Wärmesicht und Nachtsicht wechselbaren zauber schon oft genug angewendet. "Allerdings sei dir gesagt, dass wenn jemand dich sieht, wenn du in überhelles Licht siehst, er meint, deine Augen seien Spiegelgläser, die alles auf sie treffende Licht zurückwerfen. So achte stets darauf, dass du keinem in die Augen siehst, sobald das Licht des großen Himmelsfeuers darauf treffen kann!"

Xallinyandira oder auch Mildrid Ursuline Latierre beherzigte diese wie alle anderen Unterweisungen. So erlernte sie alles, was auf der Stufe der selbstleuchtenden Wesen zu lernen war, auch dass sie das Licht aus leuchtenden Körpern herausziehen und in anderen Gefäßen einlagern oder verschließen konnte, bis sie es wieder freigab. Allerdings musste sie die entsprechenden Behälter dafür vorbehandeln und mit den Zeichen für Bewahrung und Licht beschreiben oder besser, diese in die Behälter einritzen oder eingravieren. Sie lernte, dass sie je nach Behältergröße bis zu hundert fremde Lichter einsammeln konnte, nur die Lichter von großflächigen Feuern oder gar das der Sonne selbst konnte sie so nicht einfangen und speichern. "Es ist dir aber möglich, die gesammelten Lichter für einen zwölfteltag an einem anderen Ort freizugeben, damit sie dort leuchten, wo Licht gebraucht wird. Nach diesem Zwölfteltag erlöschen die so freigelassenen Lichter. Bleiben sie jedoch in dem Lichtsammler eingeschlossen, so bleiben sie solange wirksam, bis du sie an ihre Ursprungskörper zurückschickst."

Neben den unmittelbaren Zaubern zur Lichtwahrnehmung oder Lichtbeeinflussung lernte sie auch mehr über die dem Feuer verbundenen Lebewesen wie Drachen, Phönixen, Salamandern, Aschwinderinnen oder Feuerstachelkäfern. Außerdem wiederholte sie alle bisher gelernten Zauberkünste, um sie fehlerfrei und mit ganzer Stärke ausführen zu können. Wenn sie schlief träumte sie nur davon, was sie in ihrer Schulzeit erlebt hatte. Anders als bei früheren Lerneinheiten wurde ihr nicht ermöglicht, mitzubekommen, was ihre Angehörigen gerade taten. Denn so hatte sie es bei Kailishaia erbeten, und die hatte verwegen gegrinst, als Millie diesen Wunsch geäußert hatte.

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Wie Béatrice es sich ausdrücklich gewünscht hatte verbrachte sie weitere drei Nächte mit Julius. Sie hatte längst erkannt, wie sehr sie es genoss, mit ihm zusammen zu sein, mit ihm vereinigt zu sein, ihn voll und ganz zu spüren. Sie war gewarnt, dass ihr sowas passieren konnte. Andererseits hatte sie nach der kurzen Denkariumssitzung mit ihrer Nichte verstanden, in welcher Bedrängnis diese war. Sie hatte sich dann von Millie erzählen lassen, was es mit der transvitalen Entität Ammayamiria auf sich hatte und dass diese Julius wohl über den körperlichen Verlust seiner ersten Liebe Claire Dusoleil hinweggeholfen hatte. Sie begriff, welche Ansprüche die andere transvitale Entität Ashtaria an ihn hatte, dass sie ihn wirklich als ihren Sohn sehen musste, weil sie ihn wahrhaftig aus ihrem Leib wiedergeboren hatte. Deshalb meinte die nun, von ihm die Zeugung eines Sohnes einfordern zu können, weil einer der wirklich aus ihrer Blutlinie stammenden Zauberer ohne einen männlichen Nachkommen gestorben war. Natürlich konnten Millie und Julius das damals nicht wissen, als sie sich wegen Madame Rossignols zugegebenermaßen überzogener Strafandrohung entschlossen hatten, über die gläserne Brücke zu gehen. Sicher hätte er dabei auch Martine zur Gefährtin kriegen können oder sie selbst. Tja, und die Magie der Mondburg bewirkte nun einmal, dass Millie und er bis auf weiteres ausschließlich Töchter zeugen konnten, was unter normalen Umständen überhaupt kein Problem darstellte. Doch Ashtarias heftige Forderung machte das so bedrückend. Ja, diese Ashtaria und die Mondtöchter hatten Millie und Julius sehr heftig eingekeilt mit ihren Forderungen.

Wenn sie am Tag unterwegs war und ihre Stammpatienten besuchte, so musste sie sich sehr beherrschen, nicht daran zu denken, in der nächsten Nacht wieder mit Julius zusammen zu sein, ihn in ihren Armen haltend, seinen Körper mit ihrem verbunden. Besonders wenn sie zu Patricia Latierre nach Avignon reiste und prüfte, ob sie und ihr neugeborener Sohn gut durch die ersten Wochen kamen, musste sie sich schon sehr beherrschen, ihre gewohnte Strenge und Unerbittlichkeit aufzubieten. Einmal dachte sie daran, dass ihre erste Halbschwester Patricia ebenso mit Julius zusammengekommen wäre wie Mildrid, wenn er lange genug gewartet hätte.

"Und die Millie ist wieder irgendwo in der Welt, um was für Onkel Gilbert nachzuforschen?" fragte Patricia, als Béatrice sie mit dem Einblickspiegel untersuchte, um zu sehen, ob ihre inneren Geschlechtsorgane sich von der Niederkunft erholten. "Im Moment geht es wohl um einen Bericht über frühere Formen von Elementarzaubern, soweit ich sie verstanden habe, Pattie. Bitte stillhalten, ich muss noch in die linke Hälfte von deiner Gebärmutter reinschauen."

"Ich denke, das ganze Zeugs, was du in mich reingetropft oder gerieben hast hat alle wunden Stellen geheilt, Trice", grummelte Patricia, die nicht lange herumliegen wollte, wo sie zu gerne mit den Montferre-Zwillingen feiern wollte, jetzt, wo sie ja zu den erwachsenen Hexen gehörte.

"Das will ich ja genau sehen, ob das geklappt hat, junge Mutter", sagte Béatrice unerbittlich und legte ein Vergrößerungsglas auf die glatte Fläche des Einblickspiegels. "Joh, alles in Ordnung. Falls Marc und du das wollt könnt ihr schon den nächsten kleinen Latierre bei dir einziehen lassen. Aber ich würde erst mal zusehen, den über das erste Jahr zu kriegen, den du bekommen hast."

"Wo du dabei bist, kommen Julius und die drei kleinen dann alleine zur Willkommensfeier oder hat Millie gesagt, ob sie dann auch wieder zu Hause ist?"

"Soweit ich das mitbekommen habe will Millie bis zum 16. Juli wieder in Millemerveilles sein. Julius hat ja am 20. Geburtstag."

"Stimmt, die Einladung habe ich ja schon von ihm bekommen, dass ich aber nur dann zu ihm hin darf, wenn du mich nicht ans Wochenbett anbindest", grinste Patricia. "Bring mich nicht auf Ideen, junge Dame! Du weißt ja noch ganz gut, was unsere gemeinsame Mutter alles versucht hat, um vor und nach der Geburt unserer vier jüngsten Geschwister durch die Gegend zu springen."

"Gebe es die Mutter aller Hexen, dass du irgendwann auch mal wen kleines ausbrüten musst, damit dir die ganzen Maßregeln um die Ohren fliegen", grummelte Patricia. Béatrice musste sich sehr beherrschen, nicht davon zusammenzuzucken. Sie meinte dazu nur, dass sie ja auch noch jung sei und das sicher irgendwann selbst erleben würde. Das würde ihrer Halbschwester sicher genauso heftig zusetzen wie allen anderen, sofern sie es nicht mit Millie und Julius abstimmte, ob mehr als die vier wichtigsten Personen was davon mitbekamen, falls sie gerade Julius' Kind in sich trug. Im Moment war das sicher nur ein stecknadelkopfgroßes, gallertartiges Kugelding, das darauf ausging, sich in ihrer Gebärmutter einzugraben, damit es dort die nächsten Monate wachsen konnte, bis aus dem Embryo ein Fötus wurde und der dann bis zur dann wohl im April anstehenden Geburt heranwachsen konnte. Sicher war ihr bei dem Gedanken an die Wehen und die Austreibungsschmerzen schon ein wenig bange. Doch wie sie es ihrer Halbschwester gerade gesagt hatte: Irgendwann würde sie das auch erleben.

Nach dem Besuch bei Patricia traf sie sich mit den Schwestern Chloé und Clémentine Eauvive und besprach die anstehenden Einsätze in der Umgebung. Noch wollte sie keiner von beiden auftischen, dass sie eine Hebamme nötig hatte, ohne verheiratet zu sein. Zwar stand in der Vereinbarung mit Millie und Julius, dass sie eine der Eauvive-Hexen oder Aurora Dawn bevorzugen und Lutetia Arno eindeutig ablehnen würde. Doch seitdem sie sich mit dem Gedanken beschäftigte, dauerhaft nach Millemerveilles umzuziehen kam ihr in den Sinn, dass sie während der Betreuung der unfreiwillig Mütter gewordenen Bewohnerinnen von Millemerveilles immer besser mit Hera zusammengearbeitet hatte. Millie hatte doch echt recht gehabt, dass in die Vereinbarung nicht hineingesetzt wurde, dass sie auf keinen Fall von Hera Matine betreut werden wollte.

"Und kommst du noch gut mit den ganzen Mehrlingsmüttern in Millemerveilles aus?" fragte Clémentine Eauvive sie bei einem leichten Mittagessen im Château Florissant.

"Sofern es die sind, denen ich bei der Niederkunft geholfen habe ganz gut. Hat mir auf jeden Fall eine menge neuer Erfahrungen gegeben. Aber das heißt nicht, dass ich dieser Verbrecherbande von Vita Magica dafür danken soll", erwiderte Béatrice.

"Wobei Maman meint, dass die garantiert auch ausgebildete Heilerinnen in ihren Reihen haben, die diese ganzen Gemeinheiten aushecken und sicherstellen, dass die ausgewählten Opfer auch wirklich Nachwuchs kriegen. Das nagt an der wie ein Holzwurm am Kleiderschrank. Zu gerne würde sie die bei denen mitmachenden Kollegen und Kolleginnen aussortieren. Aber ohne klare Beweise keine Klage, und ohne Klage keine Verurteilung."

"Also, wir zwei sind garantiert keine VM-Agentinnen", erwiderte Béatrice Latierre sehr nachdrücklich. "Falls ich eine wäre hätte Maman sicher auch schon ein paar neue Geschwister für mich ausgetragen", erwiderte Clémentine mit einem verwegenen Grinsen, das nicht zu einer ernsthaften Heilerin passen mochte. "Stimmt, so oft wie sie in den Zeitungen über VM schimpft könnte denen einfallen, dass sie auch mal von denen "beschenkt" wird", erwiderte Béatrice. "Ruf da bloß keinen großen Drachen, Béatrice! Am Ende machen die das noch, dass alle französischen Hebammenhexen selbst neue Kinder zu kriegen haben, damit die endlich Ruhe geben. Bei der Gelegenheit: Mutter würde all zu gerne mehr über die Machenschaften dieser Ladonna Montefiori mitbekommen, nicht nur dass was ihr die Kollegen aus dem Zaubereiministerium berichten dürfen. Julius ist doch da sicher mehr mit befasst, wenn die eine Veelastämmige ist."

"Ja, das stimmt", sagte Béatrice. "Aber der muss sich auch an die Vorschriften halten. Wenn die ihm sagen, dass er was nicht an dritte weitergeben darf macht er das nicht. Sicher erzählt er mir als seiner Hausheilerin einiges mehr als was Antoinette, also deine Mutter, erfahren darf. Aber da gelten dann ja die Heilerdirektiven."

"Leider wahr. Ich habe ja auch Ministeriumsbeamte, die mir was erzählen, was sonst keiner wissen darf, damit ich die auch richtig behandeln kann", grummelte Clémentine. "Öhm, wieso wohnt Julius jetzt mit seinen Töchtern bei euch?"

"Weil meine Mutter darauf bestanden hat, dass er nicht ständig mit den dreien aus dem Schloss nach Millemerveilles flohpulvert, wo er sie doch am Tag eh bei uns hat. Wenn Millie wieder da ist geht's wieder ins Apfelhaus zurück."

"Achso, und ich dachte schon, er wolle jetzt doch ganz zu euch umziehen. Ich meine, ich könnte ja dann genauso für ihn zuständig werden oder Chloé, je danach, wer dann gerade hier im Château Florissant residiert."

"Wenn er bei uns im Schloss wohnt gehört er ... öhm, untersteht er meiner heilmagischen Zuständigkeit."

"Wolltest du gerade sagen, dass er solange dir gehört, Béatrice? Das lass mal bloß deine Nichte Mildrid nicht hören."

"Deshalb würde ich sowas auch nie sagen. Es genügt mir schon vollkommen, seine Kinder auf die Welt bringen zu dürfen", sagte Béatrice schnell, um ihren Beinaheversprecher mit derbem Humor zu überspielen.

"Da würde dich meine Mutter glatt drum beneiden, wo sie unsere Familienkönigin ist", erwiderte Clémentine. Dann lauschte sie. "Gut, so schön diese Plauderei jetzt war, Béatrice, ich werde wohl benötigt", sagte Clémentine. "Öhm, aber was Julius angeht: Unsere Stammmutter hat von eurem Stammvater was gehört, dass Julius euer Schlösschen mit einem Schutzbann gegen diese Atomfeuerasche und Radiointoxikationsgifte absichern darf. Ist aber nett, dass wir das auf diesem Weg erfahren. Es wird dann wohl demnächst noch passieren, dass meine Mutter deiner Mutter ihre Aufwartung macht. Noch einen erfüllten Tag, Kollegin Latierre!"

"Wenn ich dir dasselbe wünschen würde klänge das schon ziemlich verwegen", lachte Béatrice. Clémentine Eauvive lachte darüber. Dann wandte sie sich dem gläsernen Flügeltor auf der Hinterseite des Stammschlosses der Eauvives zu.

Als Julius wieder von der Arbeit zurück ins Sonnenblumenschloss kam hatte Béatrice einen genialen Grund, ihn zu einem Spaziergang zwischen den baumhohen Sonnenblumen zu bitten, die dem Schloss ihren Namen gegeben hatten.

"War klar, dass das rumgeht. Habe ich sogar schon längst mit gerechnet, dass die gute Antoinette anfragt, ob ich das mal eben für alle Zauberschlösser an der Loire machen kann", sagte Julius, als Béatrice ihm Clémentines Gruß weitergegeben hatte. "Aber ich musste ja erst mal zusehen, ob dieser langwierige Schutzbann auch bei Sanctuafugium klappt", sagte Julius." Das sah Béatrice ein. Dann mentiloquierte sie ihm: "Heute nacht noch einmal, und dann warten wir zwei ab, ob ich bald zu zweit unterwegs bin oder nicht."

"Und wenn nicht?" gedankenfragte Julius.

"Dann werden wir zwei uns Ende Juli bis Anfang August noch mal mehrere Nächte Zeit nehmen, ob Millie dann in Millemerveilles ist oder nicht", gedankensprach Béatrice. Julius bestätigte das. Solange Béatrice nicht schwanger wurde galt der vereinbarte Versuch als nicht erfolgt und somit auch nicht gescheitert. Einen winzigen Moment dachte sie sogar daran, dass sie absichtlich verhüten mochte, um ihn immer mal wieder in ihr Bett zu kriegen. Doch das verwarf sie sofort wieder. Sie wollte ihn nicht noch mehr belasten als es jetzt schon der Fall war. Sicher, wenn sie mit ihm schlief war es immer sehr schön und er machte dabei nie den Eindruck, dass Millie unsichtbar zwischen ihr und ihm mit im Bett war. Doch sie verstand die allgemeinen Regeln, was das Eheleben anging und hatte auch schon Patientinnen betreuen müssen, die aus purer Abenteuerlust oder ehelichem Frust einen anderen Mann an sich herangelassen hatten, ohne auf Empfängnisverhütung zu achten. Denen hatte sie dann nur raten können, die dabei unbeabsichtigt gezeugten Kinder nach der Geburt zur Adoption freizugeben oder sie, wie eine andere Zaubererweltregel es gebot, unverzüglich an die rechtmäßige Ehefrau abzugeben. Meistens war das noch schmerzvoller als die Niederkunft selbst.

Heute genoss Béatrice das quirlige Treiben von Julius' größeren Töchtern und ihren vier jüngsten Halbgeschwistern. Sich vorzustellen, mit Aurore und Chrysope und später auch Clarimonde und wer noch so dazukommen würde im selben Haus zu wohnen war schon was, das aufregend und anstrengend aber auch kurzweilig und vergnüglich sein konnte. Ja, wenn sie tatsächlich schon ein Kind von Julius in sich trug musste sie sich so oder so damit vertraut machen, bei den Latierres in Millemerveilles zu wohnen.

Die Nacht gehörte noch einmal der vereinbarten wilden außerehelichen Liebe mit dem jungen Mann, der den Altersunterschied zu ihr immer und immer wieder vergessen machte. Es wurde nicht langweilig. Denn je besser sie einander kennenlernten, desto abwechslungsreicher wurde das gemeinsame Liebesspiel. Außerdem schien es ihr, dass Julius von irgendwoher eine sehr umfassende Ausbildung in diesen Dingen erhalten hatte. Jedenfalls hatte er die Schuld, die seit der Sache mit Orions verfluchtem Buch bestand, schon mehr als achtfach zurückbezahlt. Sie wusste endlich, wie sich ihr eigener Körper anfühlte, wenn sie geliebt wurde. Sie verstand, dass es für Julius überwältigend und unvergesslich gewesen war, eine Stunde lang sie zu sein. Auf jeden Fall sorgte sie dafür, dass die Wahrscheinlichkeit für einen neuen Jungen größer war als für ein weiteres Mädchen. Der Gedanke daran, bald sein Kind zu tragen gefiel ihr immer mehr.

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Xallinyandira alias Mildrid Latierre konnte nicht verbergen, wie stolz sie war, Kailishaia vorzuführen, was die Magielosen unter einem Laserstrahl verstanden. Denn auf der letzten Stufe zur vollständigen Feuervertrauten lernte sie, wie in Gegenständen gespeichertes Sonnenlicht freigesetzt werden konnte und schaffte es, eben einen haardünnen Lichtstrahl zu erzeugen, der jedoch die Kraft von auf mehrere Quadratmeter fallendes Sonnenlicht in sich trug und dass damit ganz genaue Schnitte in Stein- oder Metallkörper gemacht oder haarfeine Löcher gebohrt werden konnten.

"Genauso wirken jene Sonnenkeulen, die euch die lebenden Sonnenkinder überlassen haben, nur hundertmal stärker und ausdauernder", sagte Kailishaia, als Xallinyandira ihre Vorführung beendet hatte, wobei sie beide den Schutzzauber gegen zu helles und zerstörerisches Licht benutzt hatten. Die "eifrige Schülerin des Feuers" verzog ihr Gesicht. Natürlich kannten die Großmeister aus Altaxarroi das Wirkungsprinzip gebündelten und verdichteten Lichtes. Sonst hätten sie wohl kaum diese starken, in falschen Händen höchst zerstörerischen Sonnenkeulen erfinden können. Aber zumindest hatte sie deren Wirkungsweise nun magisch nachvollzogen. Als sie dann noch eine Kunst lernte, derartig konzentriertes und gerichtetes Licht zu zerstreuen, so dass aus ihrem magisch erzeugten Laserstrahl ein metergroßes Flackerlicht wurde war ihr klar, dass es gegen alles von Menschen erdenkliche auch Gegenmittel gab. Doch zu wissen, wie solche Strahlenbündel in unschädliche Lichtentladungen aufgelöst werden konnten war auch ganz wichtig, fand die Feuerschülerin im letzten Abschnitt ihrer Ausbildung.

Auch lernte Xallinyandira den Zauber Mantel der Flammen der Freiheit, der ihren Körper betreffende Zauber von ihr fernhielt. Damit, so Kailishaia, könne sie, weil sie schon mehr als eine Tochter geboren habe, alle gegen ihren Körper zielenden Verformungszauber abwehren, auch den der sofortigen Verjüngung ohne Gedächtnisveränderung. Rein äußerlich war nicht zu sehen, wer den für einen vollen Tag oder bei Aufprägen auf einen goldenen Gegenstand ein volles Jahr wirksamen zauber an sich trug. Nur das Lied der schützenden Flammen konnte verraten, wer mit Hilfe der das Leben spendenden Kraft der Sonne und dem Leben gebenden Schoß der Erde entnommenen Zauber auf sich liegen hatte.

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Julius ertappte sich in den Nächten zwischen dem zwölften und achtzehnten Juli dabei, dass er immer wieder die Hand ausstreckte, um nach Béatrice zu tasten. Doch die schlief nun ganz anständig wieder in ihrem eigenen Zimmer. Seine drei Töchter bekamen aber trotzdem noch den leichten Schlaftrank, weil sie sonst wohl argwöhnen würden, dass was anders war als vorher und vor allem Aurore dann fragen würde, was denn jetzt anders war.

Am vierzehnten Juli war Antoinette Eauvive herübergekommen, gerade als er den Schutzbann gegen radioaktive Stoffe und Verstrahlungen wirkte. Sie sah ihm dabei zu und sagte dann: "Hiermit erbitte ich für das Château Florissant den gleichen Schutz, Monsieur Latierre. Abgesehen davon wäre es familiär anständig gewesen, nicht nur der guten Ursuline diesen Schutz anzubieten, sondern auch deinen übrigen Verwandten. Eigentlich hätte mir die werte Professeur Fixus diesen Zauber auch schon längst gewähren können, wo wir an der Loire so viele von diesen Atomfeueröfen stehen haben und deine australische Bekannte Aurora Dawn ja umfangreich über die Auswirkungen dieser Radioaktivität veröffentlicht hat."

"Ich musste erst sichergehen, dass der Zauber überhaupt wirkt, wo Sanctuafugium in Kraft ist, Antoinette. Aber wenn du es für dich und deine Mitbewohner ausdrücklich erbittest komme ich übermorgen gerne auch zu euch rüber."

"Ja, ich bitte sehr ausdrücklich darum, Julius Latierre", sagte Antoinette Eauvive. Dann nahm sie Ursulines Einladung an, mit ihr und den erwachsenen Latierres im Schloss Kaffee zu trinken. Felicité und Esperance beaufsichtigten derweil die kleineren Kinder.

Wie erbeten besuchte Julius zwei Tage später das Château Florissant, wo er Chloé Eauvive traf, die sich mit ihrer Schwester bei der Residenz Florissant und dem Stationsdienst in der Delourdes-Klinik abwechselte.

Wie in Millemerveilles war es ein farbenfrohes Lichterspiel, als die einzelnen Stufen des Schutzbanns über dem festgelegten Grundstück den Himmel überzogen. Abends verschmolz die letzte Lichtentladung mit dem natürlichen Mondlicht. Damit bestand der Zauber nun durch die Kraft von Erde, Mond und Sonne erhalten.

"Es ist schon sehr traurig, dass wir uns mit solchen Zaubern gegen dieses gefährliche Treiben absichern müssen, statt es den Muggeln zu verbieten, diese Stromerzeugungsanlagen zu betreiben", meinte Antoinette, als sie mit Julius und ihren Mitbewohnern auf den erfolg dieses zusätzhlichen Schutzzaubers trank. "Aber die Koexistenzvereinbarung und die Geheimhaltungsparagraphen verbieten es uns nicht ganz zu unrecht, denen diese gefährlichen Kraftwerke wegzunehmen und unschädlich zu machen. Aber zumindest kann ich jetzt besser schlafen, wo ich weiß, dass wir hier im Schloss zumindest vor den Auswirkungen sicher sind."

"Genau deshalb habe ich das bei Ursuline und Ferdinand gemacht und werde das wohl auch noch auf dem Bauernhof von meiner Schwiegertante Barbara machen, falls diese mich ausdrücklich darum bittet. Ich fühle mich auch sicherer, seitdem Millemerveilles diesen Schutzbann hat."

"Und es wird auch deine Frau freuen, dass ihre Verwandtschaft im Zweifelsfall im Sonnenblumenschloss in Sicherheit gebracht werden kann, sollte dieses üble Albtraumszenario wahrwerden, dass die Magielosen doch noch einen Atomwaffenkrieg vom Zaun brechen. Immerhin können sie ja alle innerhalb von wenigen Minuten von allen Orten der Welt dorthin eilen", sagte Antoinette. Julius musste sich sehr beherrschen, nicht nachzufragen, wie sie darauf kam. Er wollte keinen schlafenden Drachen kitzeln. Sie sagte dann noch: "Jetzt kann ich wohl auch den in Frankreich lebenden Verwandten was geben, dass sie im Gefahrenfall ganz schnell bei uns erscheinen und bis auf weiteres bei uns leben können."

"Gut, aber wenn die Nichtmagier echt doch noch ausrasten und einen Atomkrieg führen - ist ja immer davon abhängig, wer in einem Land regiert, das solche Waffen hat -, dann müssen auch genug Vorräte angelegt werden, um die nächsten Jahre oder Jahrzehnte zu überstehen. Außerdem kommt es bei einem Atomkrieg leider auch zu einer weltweiten Verdunkelung wegen Rauch und Asche in der Luft, was wiederum zu einer ziemlich heftigen Abkühlung führen kann. Die Wissenschaftler forschen da noch dran, ob es einen sogenannten nuklearen Winter mit einer tödlichen Eiszeit gibt oder nur einen nuklearen Herbst, bei dem nicht alle Pflanzen absterben, sofern sie nicht von der Strahlung verseucht werden", sagte Julius dazu.

"Hallo, das höre ich heute zum ersten mal. Woher hast du das?" Julius erwiderte, dass er das schon Minister Grandchapeau erklärt hatte, als es um den Schutz des Ministeriums und Beauxbatons und Millemerveilles ging. "Ja, und der gerade sehr innig mit seiner ehemaligen Gattin verbundene Monsieur Grandchapeau hatte es nicht nötig, die HVDs des Zaubereiministeriums über diese für die Gesunderhaltung aller magischen Bürger wichtigen Kenntnisse zu informieren?" erboste sich Antoinette. Julius konnte darauf keine Antwort geben. "Gut, dann fordere ich in meiner Eigenschaft als Sprecherin der französischen Heilerzunft einen ausführlichen schriftlichen Bericht von dir, Monsieur Pflegehelfer, inwieweit sich die Folgen eines solchen Wahnsinns auf unsere Welt auswirken und was wir hoffentlich noch dagegen ausrichten können, abgesehen davon, diese Vernichtungsmittel unschädlich zu machen, bevor sie zum Einsatz kommen. Da du in vier Tagen Geburtstag feierst gewähre ich dir bis zum 30. Juli Zeit, diesen Bericht zu meinen Händen zu geben. Womöglich muss ich mit Demetrius' Heimstattgeberin noch einmal sprechen, dass solche überlebenswichtigen Kenntnisse kein Privatgeheimnis eines Zaubereiministers sein dürfen."

"Alles klar, Antoinette. Bis zum 30. Juli bekommst du den Bericht so ausführlich ich den hinkriege. Ich muss nur aufpassen, die muggelweltlichen Fachbegriffe nicht mit Kindergartenumschreibungen zu erklären."

"Sagen wir mal so, wenn ein Viertklässler verstehen kann, was du aussagen willst, dann reicht mir das schon als angemessen. Jungchen, mit so wichtigen Sachen geht kein Pflegehelfer jahrelang schwanger", knurrte sie ihn noch an und tätschelte ihm noch das Gesicht. "Aber immerhin sehr nett, dass du uns Heilern was von deinen nichtmagischen Kenntnissen abgeben kannst."

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Béatrice Latierre ertappte sich dabei, dass sie es doch vermisste, nicht mit Julius die Nächte zu verbringen. Ihre Mutter hatte verdammt noch mal recht gehabt. Wer einmal von den Früchten der Liebe genossen hatte wollte nicht mehr davon lassen.

Sie lauschte auf ihren Körper. Sicher würde sie jetzt garantiert noch keinen Herzschlag eines ungeborenen Kindes hören. Doch spannend fand sie es schon, ob sie es fühlte, wenn etwas in ihr anders war. Gut, um den 21. Juli herum würde sie es wohl wissen, ob sie weiterhin ihrem üblichen Monatsrhythmus unterworfen war oder ob etwas neues mit ihr vorging.

Sie lauschte auch nach draußen. Als sie ein lauthalses "Maman, Maman wieder da!" hörte wusste sie, dass Millie im Sonnenblumenschloss angekommen war. Sie sah auf den Wandkalender. Heute, am 17. Juli, musste sie Julius wieder an seine angetraute Ehefrau abgeben. Würde sie mit ihm und den drei Mädchen gleich wieder nach Millemerveilles reisen oder noch die Nacht bis Patties Kindeswillkommensfest hier bleiben? Womöglich würde er dann mit ihr in das größere Gästezimmer umziehen, wo auch das breitere Bett stand. Der Gedanke, dass sie ihn dann so wild umschlingen und zu sich nehmen würde wie sie ihn vor einer Woche zum letzten Mal zu sich genommen hatte piesackte sie ein wenig. Ja, diese Friedensretterinnensache war kein lustiger Sonntagsspaziergang. Sie musste sehr aufpassen, nicht eifersüchtig auf ihre Nichte zu werden. zu werden? Vielleicht war sie es ja schon heimlich gewesen, wenn sie bei ihr und Julius im Haus gewohnt hatte und sich nach Clarimondes Geburt Gedanken gemacht hatte, was die zwei nun wieder miteinander anstellten. Damals hatte sie es jedoch als nicht zu beachten abgetan, solange Millie nicht das nächste Kind austragen musste. Doch hier und heute tat es ihr schon ein wenig weh, Julius wieder an Millie zurückzugeben. Dann dachte sie, ob Millie nicht eifersüchtig auf sie werden mochte, auch wenn sie ausdrücklich darum gebeten hatte, dass Julius mit ihr, Béatrice, die Nächte verbrachte, um den von dieser transvitalen Lichtgestalt Ashtaria geforderten Erben zu zeugen. Sicher würde Millie sie nun auch mit anderen Augen ansehen, wenn Julius ihr erzählte, dass er wie vereinbart mit seiner Schwiegertante das Bett geteilt hatte, auch wenn er nicht auf Einzelheiten eingehen würde. Am Ende hing er vollzwischen zwei in verschiedene Richtungen fliegenden Besen mehr als hundert Meter über dem Boden. Es war also auch an ihr, den beiden keinen Anlass zu geben, die getroffene Entscheidung zu bereuen, vor allem dann nicht, wenn sie tatsächlich jetzt schon Julius' Kind in sich hatte.

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"So bist du nun geübt und erprobt in allen Künsten des Feuers und seiner Abwandlungen, meine gelehrige Schülerin. So darf ich als eine der wenigen Vertrauten des Feuers in der Halle der überdauernden Meisterinnen und Meister feierlich verkünden: Sei uns willkommen, Vertraute des Feuers, Mildrid Ursuline Latierre. Wegen deiner Einsatzbereitschaft, deiner mütterlichen Hingabe an die wichtigen Dinge deines Lebens, sowie als Streiterin für alle, die dir lieb und wertvoll sind, sei dein Name ab diesem Tage: Pangyanimiria, Mutter des schützenden Feuers!" sprach Kailishaia mit feierlichen Worten. Dabei loderte ihr orange-goldenes Kleid auf und hüllte sie und Millie in goldene Flammen ein, die sie durchdrangen und von innen her erwärmten. Millie, die hier bei den Altmeistern nun Pangyanimiria heißen sollte, gab sich dieser wohligen Wärme hin, die eine Mischung aus warmem Sommerwind und inniger Verbundenheit mit einem leidenschaftlichen Geliebten war. Kraft und Lebensfreude, Lust und Zuversicht, all das floss aus diesen goldenen Flammen in sie ein und leuchtete aus ihr heraus. Sie fühlte, wie sie an die Grenze zur höchsten Wonne getrieben wurde. Sie keuchte vor Anstrengung und kämpfte darum ihre höchste Lust nicht lauthals in die Welt zu schreien. Dann zogen sich die goldenen Flammen zurück. Kailishaias Kleid wurde wieder zu einem luftig ihren Körper umspielenden Stoff. Kailishaia sah ihre neue Zunftgenossin erfreut an und meinte: "So stark wie du haben nur zwei auf die Flammen der Verkündung und Bekräftigung angesprochen, mein Bruder Yanxothar und ich selbst. Mag daran liegen, dass du bereits mehrmals Mutter wurdest und daher das Feuer der Lebensschöpfung in deinen Erinnerungen am lodern hältst, genau wie ich damals. Schließlich habe ich es auch nicht abwarten könnenund bereits während der Unterweisungsjahre meine ersten Kinder bekommen. Erfreue dich nun an deiner neuen Kraft und neuem Wissen, Pangyanimiria. Doch bedenke dabei immer, dass das Feuer zum Vernichter wird, wenn es ungebändigt wütet. So wende dein neues Wissen nur in den beherrschbaren Grenzen an, wenn es nötig ist, es zu nutzen oder wenn es den dir wichtigen und geliebten Menschen zur Hilfe und Freude dient. So kehre nun zurück in dein eigenes Leben, Pangyanimiria! Lebe dein Leben zu deiner und deiner geliebten Mitmenschen Nutzen und Freude!" Mit diesen Worten umarmte Kailishaia ihre erfolgreich ausgebildete Schülerin und küsste sie leidenschaftlich auf jede Wange. Dabei meinte Millie, dass das Kleid der Feuermeisterin sie beide umhüllte und sich um sie beide zusammenzog. Im nächsten Moment fühlte sie, wie sie in die Tiefe fiel, eingehüllt in das in der Wirklichkeit gverbliebene Kleid Kailishaias. Sie fiel von den gläsernen Zylindern weg, in denen silberweiß die überdauernden Altmeister wohnten. Sie meinte noch das gehässige Lachen von zwei Frauen zu hören. "Ja, kehr zu dem zurück, der sich von den Lichtfolgern hat verleiten und von der großen Erdmutter hat neu ausbrüten lassen. Vielleicht will er dich ja jetzt nicht mehr!" hörte sie eine der fremden Frauen noch rufen. Doch sie dachte bereits die fünf Worte des freien Fluges, um ihren Sturz in die Tiefe zu bremsen. Als ihr das gelang landete sie auf dem Grund der gewaltigen, kugelförmigen Halle, in der die vielen hundert menschenlangen Kristallzylinder standen. Sie verharrte einige Sekunden lang. Dann verließ sie die Halle. Sie wollte vergessen, was diese gehässigen Stimmen ihr noch nachgerufen hatten. Sie wollte zurück zu Julius. Sie wollte wissen, ob er seine Pflicht erfüllt hatte, damit sie ihn wieder für sich haben konnte.

Als sie mit dem gläsernen Transportkorb am Fuß des kilometerhohen Turms des Wissens gelandet war sah sie die vier Meter hohe goldene Frauengestalt im roten Gewand. Diese stand da wie eine Statue. Doch Millie wusste es besser. Diese Frauengestalt war Ashtardarmirias neue Erscheinungsform, die neue Botin der Altmeister, deren Hände und Füße in der Menschenwelt von heute. Sie grüßte die künstliche Riesenfrau. Diese wandte ihr den Kopf zu und zwinkerte ihr zu. "Soll ich dich dorthin bringen, wo du hinwillst, Pangyanimiria, Erbin Kailishaias?"

"Das ist nicht nötig, Ashtardarmiria", sagte Millie. Das Kleid bringt mich schon da hin, wo ich hinmöchte." Um ihre Worte zu bestätigen konzentrierte sie sich auf die Wohnküche im Apfelhaus von Millemerveilles und dachte die auslösenden Worte für die Feuerreise. Da schlugen orangerote Flammen aus dem Kleid und hüllten sie in eine lodernde Flammenkugel ein.

Als die Flammenkugel wieder in sich zusammenbrach stand sie in der Wohnküche ihres Hauses. Natürlich war im Moment niemand hier. Doch genau das wollte sie ja. Sie eilte zu Fuß in die Bibliothek, wo der mit Blutsiegelzauber geschützte Schrank stand. In diesen hängte sie das Feuerkleid zurück und holte statt dessen die beiden goldenen Herzanhänger hervor. In nicht einmal einer Minute würde sie wieder bei Julius sein. Einerseits nagte der Gedanke an ihre Tante Béatrice an ihrer Seele. Doch dann gelang es ihr, diese Anwandlung zu verscheuchen. Sie hatte ihm ausdrücklich gesagt, Béatrice auf jeden Fall glücklich zu machen. Wenn sie sich schon wegen dieser übermächtigen Ashtaria mit dem Sohn schwängern lassen sollte, den sie, Millie erst in elf Jahren kriegen konnte, solange sie sich enthielt, dann hatte sie das Recht, diesen Jungen mit aller Befriedigung in sich aufzunehmen, die eine erwachsene Hexe empfinden konnte.

Millie schloss den Schrank wieder sorgfältig ab. Dann schlüpfte sie mit dem Schnellankleidezauber in einen schicken, himmelblauen Sommerumhang. Danach öffnete sie den neuen orangeroten Verschwindeschrank, dessen Gegenstück im Château Tournesol stand.

Als Millie aus dem Gegenstück heraustrat sah sie niemanden in der großen Halle mit den vielen verschiedenfarbigen Schränken. Doch sie wusste, dass im Sonnenblumenschloss eine kleine Glocke anschlug, wenn jemand aus einem dieser Schränke trat. Sie lief los und stieg die Marmortreppenhinauf, die in die Wohnbereiche des Schlosses führten. Dann traf sie auch schon Aurore und Chrysope, die von ihrer Urgroßmutter an den Händen gehalten wurden. Doch als sie ihre Mutter sahen liefen sie los und fielen ihr laut quiekend um die Beine.

Wenige Sekunden später kam auch Julius hinzu und strahlte sie an. "Ach, du bist schon wieder da. Schön. Hat alles geklappt?" fragte er laut. Sie sah ihn erst ein wenig prüfend an, ob seine Freude echt oder gespielt war. Als sie erkannte, dass er sich wirklich freute strahlte sie ihn auch an. Gleichzeitig fühlte sie eine gewisse Begierde, ihn hier und jetzt zu nehmen, ihn unter den Augen ihrer Töchter und ihrer Urgroßmutter nach allen Regeln der Kunst zu vernaschen. Doch sie musste diese Begierde zurückdrängen. Hier war echt nicht der richtige Ort, und vor allem war es hier nicht bequem genug. Aber eine leidenschaftliche Umarmung und zwei lange, innige Küsse mussten es dann doch sein. Dabei achtete sie darauf, dass ihre beiden größeren Töchter nicht zu Schaden kamen.

"Es hat alles geklappt, Monju. Anstrengend war es. Aber dafür ist es jetzt noch schöner, weil es geklappt hat", hauchte sie ihrem Mann ins Ohr. Dabei schnupperte sie. Hing Béatrices Parfüm oder Körpergeruch noch an ihm? Natürlich nicht. Der hatte sich doch sicher gründlich gewaschen oder geduscht. Dafür wollte sie ihm nun ihren Duft aufprägen, ihm zeigen, dass er wieder bei ihr war. Wieder meinte sie, diese gewisse Begierde zu fühlen. Wieder musste sie diese zurückdrängen. Doch sie konnte es nur mit dem unausgesprochenen Vorsatz, ihn auf jeden Fall in dieser Nacht zu sich zu nehmen, ohne ihn zu fragen, ob es mit Béatrice geklappt hatte oder nicht.

Beide schafften es, sich soweit zu beherrschen, dass sie mit ihren Kindern fröhlich in das Spielzimmer gingen. Dort gesellten sich Ursuline und Béatrice dazu, als sei es eine Selbstverständlichkeit, dass sie die heimgekehrte Verwandte begrüßen wollten. Millie sah Béatrice an. Diese entbot ihr einen freundlichen Blick und lächelte warmherzig. Vielleicht bildete sie es sich ein. Doch sie vermeinte in dieser freundlichen Miene ihrer Tante eine kleine Spur von Bedauern und Abschätzung zu erkennen. Doch das konnte echt auch Einbildung sein.

Nach der stürmischen Begrüßung und dem folgenden Herumtollen mit den eigenen Kindern erfuhr Millie, dass sie eine Einladung für den nächsten Tag hatte. "Klar, Pattie wollte ja noch vor Julius' Geburtstag feiern", sagte Millie. "Ich habe zwar noch kein Geschenk ausgesucht ..." Julius grinste sie an und sagte: "Habe ich schon erledigt, während ich zwischen Paris und hier hin- und hergesprungen bin." Sie grinste.

Millie nahm gerne die Einladung an, die Nacht auf den 18. Juli im Sonnenblumenschloss zu verbringen. Dafür bekamen sie beide das größere Gästezimmer, wo auch drei kleine Betten eingestellt werden konnten. Das war vor allem Julius recht, der sich freute, nicht mehr alleine schlafen zu müssen. Millie sah Béatrice an. Doch die beherrschte sich unglaublich gut. Am Ende hatten die zwei ihre Abwesenheit überhaupt nicht ausgenutzt, weil Julius doch seinen anerzogenen Prinzipien folgte. Das musste sie nachher noch mit ihm klären, wenn die Kinder schliefen.

Während des Abendessens erwähnte Julius, dass er in den letzten Tagen die Schlösser der Latierres und Eauvives mit dem Atomschutzzauber umhüllt hatte, der auch über Millemerveilles, Beauxbatons und dem Zaubereiministerium wirkte. "Bis zum 30. Juli will die gute Antoinette einen schriftlichen Bericht über Ablauf und Auswirkungen eines weltweiten Atomkrieges haben. Keine nette Geschichte. Aber wenn sie als oberste Heilerin sowas befiehlt, muss ich als Pflegehelfer gehorchen, solange es eine vernünftige, menschenlebenerhaltende Anweisung ist", erwähnte Julius. Millie grinste ihn dafür verwegen an. Beinahe hätte sie gefragt, ob Julius auch mit einer von Antoinettes noch unverheirateten Töchtern schlafen würde, wenn Antoinette ihm das befahl, um die Eauvive-Familie mit seinem Ruster-Simonowsky-Erbgut zu verstärken. Wieso trieb sie das gerade um, mit wem er vielleicht und weshalb noch so das Bett teilen mochte? Sie selbst hatte ja wegen Ashtaria diesen Vertrag zwischen ihr, Béatrice und ihm ausgehandelt, um bloß keine so heftigen Albträume mehr zu haben oder diese echt noch wahr werden zu sehen.

"Hat auch hier alles so geklappt wie vereinbart", mentiloquierte sie an Julius, als die Kinder gerade erzählten, was sie am Tag so erlebt hatten. "Alles was in der angesetzten Zeit ging, Mamille", schickte er zurück. Damit hatte er genau das bestätigt, was sie von ihm hören wollte. Doch nun loderte wieder ein Gemisch aus Begierde und gewisser Eifersucht in ihr. Wenn der echt mit ihrer Tante wilde Stunden oder gar Nächte erlebt hatte, dann hatte er das ab heute gefälligst auch mit ihr zu erleben. Ja, sie würde ihn nachher zu sich nehmen. Dafür mussten die drei Prinzessinnen jedoch schlafen.

Es dauerte noch bis zehn Uhr, bis Millie, Julius und die drei kleinen Latierres in ihrem gemeinsamen großen Zimmer waren, bis Aurore, Chrysope und Clarimonde endlich gewaschen und mit geputzten Zähnen in ihren Bettchen lagen. Millie sah Julius an, der sich gerade seinen goldenen Herzanhänger umhängen wollte. "Leg den besser noch auf den Nachttisch, Monju!" mentiloquierte Millie ihm, während sie mit ihrem Zauberstab über jedes der kleinen Betten wedelte und dabei die altaxarroische Formel für einen ununterbrochenen Schlaf bis Sonnenaufgang wirkte. Julius sah sie an und merkte wohl, dass sie ihn begehrte, auch ohne Herzanhänger. Er nickte schwerfällig.

Als sie schließlich noch einen Klangkerker zauberte wusste er, was ihm gleich bevorstehen würde. Ja, und sie sah, dass er sie wohl auch begehrte. Als sie beide dann in dem großen Himmelbett nebeneinander lagen fragte sie ihn leise: "Habt ihr zwei die Zeit gut ausgenutzt?" Julius wusste wohl erst nicht, was er sagen sollte. Dann antwortete er: "Wir haben es zumindest hingekriegt, dass es keiner mitbekommen hat."

"Wie ging das genau. Zeig's mir hier und jetzt", erwiderte Millie und warf sich aus einer geschmeidigen Bewegung heraus über ihn.

Millie nahm ihren Mann mit aller angestauten Leidenschaft zu sich. Sie ließ nicht von ihm ab, bis sie beide die bestmögliche Vereinigung erreichten. Millie hielt ihn festt umschlungen und warf sich mit ihm in wilden Bewegungen herum. Es fühlte sich für sie an, als würden ihrer beider Herzen zusammenwachsen und Schlag für Schlag einander durchdringen, während sie die innigste Vereinigung mit ihm fühlte, die eine Frau mit ihrem Anvertrauten fühlen konnte. Julius musste sich anstrengen, die ungesagten Forderungen seiner Frau zu erfüllen, ohne dass ihm die Luft wegblieb. Ihr war wichtig, dass sie ihn ganz bei sich hatte. Sie wollte ihn nicht mehr hergeben. Am liebsten hätte sie ihn eingeschrumpft und in ihrem Schoß vergraben, damit er dort bis auf weiteres blieb. Doch sie verdrängte diese überheftige Vorstellung. Sie wollte nur das von ihm, was zur vierten, gemeinsamen Tochter wurde. Ja, das war ihr ganzes Verlangen. Wenn er Béatrice, ihre Tante, geschwängert hatte, dann wollte sie hier und jetzt auch das nächste Kind von ihm in sich aufnehmen. Der bunte Vogel sollte auch für sie eine frohe Botschaft bringen. Deshalb musste sie ihn sehr entschlossen rufen, und Julius wusste, dass ihm hier und Jetzt nichts anderes blieb, als mit ihr zusammen den kleinen bunten Vogel zu rufen. Dass der auch durch Schallschluckzauber hörte, wenn ihn jemand rief, wussten sie beide ja schon ganz genau. Die Beweise dafür schliefen im sanften aber unlösbaren Griff des alten Schlafzaubers und bekamen nicht mit, was ihre Eltern taten.

Wie viele Minuten vergingen war egal. Wichtig war für sie nur, dass sie fühlte, wie er zur höchsten Lust kam. Dann entlud sich auch in ihr die wilde Wonne einer körperlich gesunden Hexe. Wie kleine Feuerbälle, die zu belebenden Kraftströmen wurden, fühlte sie es in sich. Vor ihren Augen flimmerte die Luft. Das große Schlafzimmer wankte und taumelte. Ja, so war es richtig. So wollte sie es. Das hatte sie sich verdient. Doch sie war noch nicht satt, und er konnte ihr tatsächlich noch was geben. So dauerte es nicht so lange, bis erst er und dann sie den zweiten Höhepunkt erlebte. Dann erst ebbte ihr Verlangen ab. Doch sie behielt Julius noch bei sich, bis seine eigene Erregung abflaute und die Vereinigung nicht mehr aufrechterhalten konnte. Behutsam lösten sie sich voneinander und lagen nun stark erhitzt und mit wild pochenden Herzen aneinandergekuschelt.

"Ui, womit habe ich dass denn verdient?" keuchte Julius, als er endlich an was anderes denken konnte, als an diesen wilden, unbändigen Lebenstanz mit der ihm angetrauten Hexe.

"Damit, dass du auf mich gewartet hast und nicht mit Trice das Weite gesucht hast", scherzte Millie und küsste ihren Mann. "Ja, und damit, dass du, mein Erdenprinz, nun mit einer wahrhaftigen Feuermeisterin verbunden bist und das gefälligst auch voll und ganz genießen solltest." Wieder küsste sie ihm auf den Mund. Dann flüsterte sie ihm ihren neuen Namen zu: "Pangyanimiria, Mutter des schützenden Feuers."

"Und du hast nichts mitbekommen, was hier so abgegangen ist?" fragte Julius verlegen nach. Millie küsste ihn wieder und meinte: "Ich habe es Kailishaia gesagt, dass ich nur die Übungen und neuen Stunden mitkriegen wollte. Für mich sind im Grunde sieben Jahre vergangen, während für euch anderen gerade mal ein halber Monat und ein bisschen mehr vergangen ist."

"Ui, das erklärt einiges", meinte Julius dazu. Dann sagte Millie: "Ich hoffe sehr, dass du mit Trice auch so ausdauernd wild zusammen warst. Wenn ich dich schon an sie ausleihe soll sie sich bloß nicht beschweren, du hättest wie ein nasser Sack über ihr gelegen oder sowas."

"Öhm, du bist nicht eifersüchtig oder sowas?" fragte Julius. "Eher verärgert über Ashtaria, dass sie uns drei so derartig bedrängt hat. Deshalb ist mir das wichtig, dass ihr zwei ein paar schöne Stunden zusammen hattet. Wenn es geklappt hat, was Ashtaria will, dann kriegen wir das sicher hin, dass wir drei uns nicht gegenseitig dumm anquatschen."

"Béatrice hat mir nach der letzten gemeinsamen Nacht gesagt, sie könnte sich auch vorstellen, dass sie Hera als Hebamme nimmt, solange es nicht Oma Lutetia ist."

"Ach, ich dachte, die wollte sie auf keinen Fall haben, Monju. Aber stimmt, im Vereinbarungsvertrag stand nichts, dass sie die auf keinen fall wollte. Immerhin müssen wir der wohl diesen Vertrag vorlegen, damit sie keinen Terz macht wegen Ehebruch und sowas." Julius zuckte in ihren Armen zusammen. Dann atmete er durch und antwortete: "Ja, da könnten sie und die gute Antoinette noch auf komische Ideen kommen. Deshalb meinte Trice auch, sie könnte sich vorstellen, dass Hera den Kleinen oder die Kleine auf die Welt holt, sozusagen als Friedensangebot, wo du Hera ja nicht als Hebamme haben wolltest."

"Sagen wir das so wie es ist, Monju: wer meine Mutter und meinen Vater abschätzig bezeichnet, weil für die ein Halbzwerg nicht mit einer reinrassigen Hexe zusammensein darf, der und vor allem die hat mir nicht in den Unterleib zu langen, um mein Kind daraus hervorzuholen. Das weiß Hera auch ganz gut. Aber ihr Stolz oder ihre Berufsehre haben es ihr wohl bisher versaut, sich bei mir zu entschuldigen. Wenn die wüsste, dass Trice in sechster Generation von einer reinrassigen Riesin abstammt würde sie der sicher auch was von wegen Blutsreinheit auftischen. Aber wenn Tante Trice damit besser klarkommt als ich, dann darf die ihre Kollegin gerne als ihre Hebamme nehmen, wenn sie nicht doch von Clémentine oder Chloé betreut werden will. Wir haben ja vereinbart, dasss wir ihr Kind bei uns mit großziehen und dass sie auf jeden Fall mitbekommt, wie es sich entwickelt, ob ich es als mein Kind einfordere oder ihr überlasse. Aber die Zeit will ich mir noch nehmen, das klar zu entscheiden."

"Ich hab's dir nur erzählt, damit du dich nicht wunderst", bekräftigte Julius.

"Gut, ich habe damit angefangen. Aber jetzt möchte ich nicht weiter drüber reden. Wenn Tante Trice von dir meinen Cousin zugesteckt bekommen hat soll Ashtaria ruhegeben, bis er groß genug ist, um seine eigenen Entscheidungen wegen ihr zu treffen. Und wenn es doch eine Cousine für mich und Tine wird dann weiß die werte Dame endlich, wie das ist, mit immer dickerem Bauch rumzulaufen und wie nervig das sein kann, von anderen gemaßregelt zu werden, was sie damit anstellen darf und was nicht. Das wird Ma sicher freuen, wenn sie es mitkriegt."

"Falls sie nicht die große Schwester rauskehrt und mich zusammenstampft, was mir einfiel, dich mit ihrer jüngeren Schwester zu betrügen."

"Stimmt, Ma kehrt gerne die große Schwester raus, wenn es um die jüngeren Geschwister geht. Hat Tante Babs auch schon mal angenervt, weiß ich von der. Aber dich wird sie nicht zusammenstampfen, sondern dir höchstens auferlegen, mir mindestens noch drei süße Babys in den Bauch zu stupsen, die zu ihr Oma Hipp sagen dürfen."

"Stimmt, sie könnte auf die Idee kommen, uns beide zusammenzubinden, bis die drei neuen Prinzessinnen auf der Welt sind. Vielleicht wäre das dann besser, die kommen auf einen Wurf an", scherzte Julius.

"Tante Babs konnte zweimal zwei ausliefern, Oma Line einmal zwei und dann noch vier auf einen Wurf. Da wir ja schon klar hatten, dass ich auf jeden Fall sieben Kinder von dir kriegen werde wäre das mit einem Wurf ja auch schon zeitlich praktisch", schnurrte Millie. Julius überlegte wohl, ob ihm dieser Scherz nicht doch zu weit ging. Dann sagte er: "Na ja, frag da besser die erwähnten Damen, einschließlich Camille oder Raphaelle Montferre, ob das mit mehreren auf einmal echt so der Bringer ist!"

"Mach ich sicher, wenn ich weiß, dass das Prinzessinnengemach drei mehr als eine neue Bewohnerin auf Zeit beherbergt", sagte Millie. Julius sah sie verdutzt an. Da wurde ihr klar, dass sie gerade ihrem eigenen Unterleib einen neuen, intimen Spitznamen verpasst hatte, der nicht so abwegig war. Denn wenn sie kurz nach Trice schon das nächste Kind bekommen wollte würde das auf jeden Fall ein Mädchen. Dann müssten sie noch mal fünfzehn Jahre warten, bis sie vielleicht einen eigenen Sohn von ihm bekam. Doch ihr war klar, dass sie beide nicht so lang warten würden. Irgendwie schien die ganze aufgestaute Beklemmung, im Moment nur Töchter zu bekommen, von ihnen beiden abgefallen zu sein. Dann wurden das eben nur alles Mädchen, die sie mit Julius zusammen bekam, ob Trice nun von ihm schwanger geworden war oder nicht.

"Öhm, vielleicht sollten wir zwei jetzt dieses Bett für das nutzen, für das es ursprünglich gebaut wurde", sagte Julius. "Weißt du, ob Oma Line dieses Bett nicht ausschließlich als Hochzeitsnacht- und Honigmondbett hat bauen lassen?" fragte Millie zurück. Julius wusste keine gescheite Antwort darauf und grinste nur. "Aber du hast recht. Jetzt, wo wir zwei uns endlich mal wieder so richtig heftig genommen haben bin ich auch rechtschaffen müde. Tja, und falls die vierte Prinzessin geruht hat, bei mir einzuziehen, dann wird das sicher ein interessanter April."

"Wieso?" tat Julius ahnungslos. "Weil ich dann wetten kann, ob die vor oder nach meinem eigenen Geburtstag auf die Welt krabbelt."

"Achso", tat Julius nun verstehend. Doch dann meinte er: "Ja, und falls bis dahin ein kleiner Cousin von dir ans Tor zur Welt klopft könnte der ja auch um diese Zeit ans Licht krabbeln." Millie grinste nun. Die Vorstellung hatte schon was, wenn die Hebamme selbst mit dickem Bauch bei der Geburt ihres vierten Kindes half oder sich von ihr und Julius dabei zusehen ließ, wie sie selbst wen neues auslieferte.

Von der wilden Runde Leiblicher Liebe wohlig erschöpft schliefen Mildrid und Julius bald darauf ein.

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Es war nichts zu hören. Natürlich war nichts zu hören. Sicher hatten Millie und Julius einen Klangkerker gezaubert. Sie hatte es in Millies Augen gesehen, diese unausgesprochene Frage, ob es zwischen ihrem Mann und ihr wirklich passiert war, aber auch die glühende Begierde erkannt. Trice wusste, wo Millie gewesen war. Falls sie dort wirklich mehr Zeit zu erleben vorgegaukelt bekommen hatte als wirklich vergangen war, so mochte sie gefühlte Jahre der Entbehrung und Besorgnis erlebt haben und deshalb mit einem schwer zu bändigenden Hunger zurückgekehrt sein. Dieser und die Vorstellung sich ihren Mann wiederzuholen mochte Millie antreiben, mit Julius eine ähnlich wilde Nacht zu erleben, wie er sie mit ihr, Béatrice Latierre, erlebt hatte. Am Ende musste sie mit Millie noch um die Bettzeiten mit Julius feilschen, falls sie nicht im ersten Ansatz von ihm schwanger geworden war. Ja, sie fühlte eine gewisse Eifersucht, weil Millie wieder da war, und ja, sie erkannte nun auch, dass wenn sie Julius' Kind empfangen hatte, sie es sehr, sehr ungern an Millie abgeben würde, auch wenn sie es schriftlich zugesagt hatte, sich Millies Entscheidung zu fügen, als Retterin des ehelichen Friedens. Sicher, den ehelichen Frieden mochte sie damit retten. Doch ihren eigenen Frieden und vielleicht das Verhältnis zu Millie und dem von Julius bekommenen Kind mochte das beeinträchtigen. Doch wem hätten sich die beiden anvertrauen können? Sandrine hätte gar nicht erst zugesagt, ein von Julius bekommenes Kind abzugeben. Dann blieben als unverheiratete oder verwitwete Hexen noch Julius' Schulfreundinnen, die blondgelockte Gloria, die schlanke, wasserblauäugige Pina oder gar Hera Matine oder Blanche Faucon. Nein, sich vorzustellen, dass ihrer Mutter ehemalige Erzfeindin ein Kind von Julius Latierre bekommen durfte war zu abwegig. Da wollte lieber sie es austragen, unter wie großen Schmerzen auch immer zur Welt bringen und dann abwarten, ob Millie es als ihren Cousin oder ihren Adoptivsohn veranschlagte.

"Julius will dich Félix Roland nennen", säuselte Béatrice, während sie über ihren flachen Unterbauch streichelte. "Würde meinem Vater gefallen, wenn einer seiner Enkel seinen Vornamen bekommt. Falls du da schon drinsteckst schlaf gut. Ich hoffe, ich kriege es früh genug mit, dass du unterwegs bist."

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Patricia Latierre freute sich, als all die hundert und noch mehr Gäste im festlich geschmückten Garten vor dem mit Marc erworbenen Haus in Avignon zusammenkamen. Die Montferres waren genauso vollzählig erschienen wie die Latierres. Auch Patties Schwiegerverwandtschaft war gekommen. Ihre Schwiegermutter hatte sogar für alle deutlich hörbar gesagt, dass sie offenbar nicht all zu lange gezögert hatten. "Wenn es ein Mädchen geworden wäre hätten wir sie sicher Aphrodite oder Venus genannt", meinte der stolze junge Vater dazu und erntete ein Grinsen von seiner Frau.

Patricia freute sich auch über die Geschenke, hauptsächlich Babyausstattung, aber auch selbstgemalte Zaubererbilder, ein kleines Musikfass mit einer Menge Kinderliedern, aber auch mit den Geräuschen wie im Mutterleib. Julius hatte den Gästen dann erklärt, dass er gelesen hatte, dass viele Neugeborene bei sowas noch besser einschlifen, weil sie sich noch gut an die Geborgenheit im Uterus erinnern konnten und es deshalb ja auch solche Hilfsmittel wie ein Kardiophonkissen gab, das den mütterlichen Herzschlag ans Ohr des darauf schlafenden Kindes brachte. Marcs Vater erwähnte, dass er auch davon gelesen hatte, wie viele Erwachsene Menschen durch gleichmäßiges Rauschen und Wummern in eine ruhige Stimmung versetzt werden konnten und dass deshalb viele gerne der Brandung am Meer zuhörten. Dem wollte keiner widersprechen.

Béatrice, Millie und Julius durften den kleinen Antoine auch mal auf den Arm nehmen. Tatsächlich empfand der neugeborene Latierre die fremden Arme und Gesichter nicht als Bedrohung.

Die Überraschung des Tages kam jedoch von Martine. Diese erhob sich nach dem Abendessen, deutete auf ihren eigenen Bauch und sagte: "Das hier ist doch die richtige Gelegenheit, euch allen zu verkünden, dass Alon und ich wohl im nächsten Februar ebenfalls Nachwuchs erwarten. Zwischen meinem Mann und meinem Schwager laufen schon wetten, ob es diesmal ein Junge wird oder noch ein Mädchen. Seit heute morgen weiß ich dank der Heilerin vom Dienst im Ministerium, dass es zwei Kinder sind, die da im Februar ankommen werden." Martines Mann Alon fiel die Kinnlade herunter. "Zwei auf einmal? Spart Zeit", meinte Otto Latierre dazu und erntete eine Mischung aus lautem Lachen und verlegenem Kopfschütteln. Alon konnte nun wieder den Mund schließen und meinte: "Dann kann ich mit meinem Bruder wetten, ob es zwei Jungs oder zwei Mädchen oder von jedem eines wird. Oha, da werde ich wohl bei meinen Vorgesetzten um ein paar Galleonen im Monat mehr bitten müssen."

"Ja, vor allem, wo ich mit Feststellung der Zwillingsschwangerschaft bis drei Monate nach der Niderkunft freigestellt bin", meinte Martine. "Mit einem alleine hätte ich vielleicht noch bis September apparieren dürfen. Aber mit zwei auf einmal hat mir die gute Anne gleich heute Apparierverbot erteilt. Wird sicher einige freuen, die ich eigentlich noch bis August prüfen sollte. Millie kann ja ein Lied davon singen, wie gründlich meine Unterweisungen sind."

"Mit hundertundzwei Strophen, große Schwester", lachte Millie. Miriam fragte dann, ob Tines Kinder dann auch mit mehr Fingern an den Händen ankommen würden. Darauf antwortete ihre große Schwester: "Ob ich das so locker wegstecken würde wie unsere Eltern mit Alain weiß ich nicht. Aber im Moment Hoffe ich eher, dass die zwei nicht zusammengewachsen auf die Welt kommen."

"Ruf bloß nicht diesen großen Drachen, Tine", sagte Alon darauf. Martine nickte.

Beim Abendessen erfuhren die Gäste, dass Patricia als Amtsanwärterin in der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit anfangen würde. Ihre Englisch- und Spanischkenntnisse hatten ihr die Tür zu dieser wichtigen Abteilung geöffnet. Marc würde ab August in Nathalie Grandchapeaus Behörde anfangen, wobei er sich ausdrücklich für die Internetrecherche und "Nachrichtenüberarbeitung" einsetzen würde. Julius nahm diese Auskunft so auf, dass er dann wohl mehr Außendienstsachen für Nathalie ausführen durfte/sollte. Deshalb nickte er nur bestätigend.

Spät am Abend unterhielten sich Millie, Béatrice und Julius in Béatrices Sprech- und Behandlungszimmer im Sonnenblumenschloss. "Also, von wegen neuer Kinder: Spätestens am ersten August weiß ich, ob das Vorhaben geklappt hat, was wir drei ausgeheckt haben. Aber nur für den Fall, dass es nicht geklappt haben sollte, Millie. Wie geht es dann weiter?"

"Wie vereinbart. Du prüfst, wann du empfangen kannst und lässt Julius in der Zeit bei dir wohnen. Ich habe dem zugestimmt, dass du seinen Sohn bekommst und halte meine Zusage, wenn du deine einhältst, Trice."

"Das war nur wichtig, um abzuklären, dass du nicht immer weit von hier fortreisen musst, weil das sicher irgendwann doch auffällt", sagte Béatrice Latierre. Julius fühlte sich berufen, auch noch was dazu zu sagen.

"Also, ich selbst merke schon, dass es schon etwas befremdlich ist, zwischen euch beiden herumzuspringen. Aber ich kenne Ashtaria besser als mir lieb sein mag und weiß, dass sie das tut, was sie ankündigt. Ob ihre düsteren Visionen echt so oder noch schlimmer eintreten können wir nicht sagen. Aber wenn sie meint, mein Leben vorbestimmen zu müssen, dann möchte ich zumindest denen danken, die sich mit mir auf diese abgedrehte Sache einlassen."

"Wissen wir beide", sagte Millie. Damit nahm sie wohl ihrer Tante und auserwählten Friedensretterin die Worte aus dem Mund. Denn sie nickte nur bestätigend.

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Laurentine fürchtete erst, nicht mehr nach Millemerveilles hineingelassen zu werden, weil sie seit bald einem Monat eine der schweigsamen Schwestern war. Doch dann musste sie über ihre eigene Einfalt grinsen. Hera, die oberste der Schwestern in Frankreich, lebte ja auch noch in Millemerveilles, erst unter Sardonias dunkler Kuppel und seit letztem Jahr unter der neuen Absicherung, die angeblich aus rein weißmagischen Kräften entstanden war. Außerdem war der unter Zuhilfenahme ihres eigenen Monatsblutes gewirkte Körperschutz bereits bei der kürzlich erfolgten Regelblutung verklungen, so dass sie im Moment keine aufgeprägte Bezauberung an und in sich trug. Dennoch zögerte sie einen Moment lang, bevor sie das Grundstück betrat, dessen Zentrum ein gewaltiger Apfel von zwölf Metern Durchmesser war und der von mehreren Apfel-, Kirsch- und Birnbäumen umstanden wurde. Sie wusste, dass Millie und Julius hier eine eigene, von diesen ominösen Kindern Ashtarias erlernte Schutzbezauberung geschaffen hatten, die mitgeholfen hatte, Sardonias dunkle Energieglocke aufzubrechen, als Clarimonde geboren wurde. Laurentine dachte erst, sie müsste jetzt was von diesem besonderen bann bemerken. Doch als sie keine zehn Meter vom Apfelhaus der Latierres entfernt war fühlte sie nichts fremdes, wie auch immer wirkendes.

Julius bedankte sich sehr, als Laurentine ihm zum 22. Geburtstag gratulierte. Das für ihn gemachte Geschenk durfte sie in das scheinbar schwarze Nichts in der roten Wandelraumtruhe werfen, wo alle anderen Geburtstagsgeschenke aufbewahrt wurden, die nur herausziehen konnte, wessen Name und Geburtsdatum auf dem Truhendeckel erschien. Mit einem Rest Wehmut dachte sie an Claire, die auch so eine Truhe benutzen durfte. Doch seit Claires viel zu frühem Abschied waren so viele schöne und auch anstrengende Sachen passiert, dass sie diese Wehmut schnell wieder ablegen konnte. Außerdem dachte sie an Louieselle, ihre besondere Lehrmeisterin und Fürsprecherin. Irgendwie empfand sie mehr für diese Hexe als die respektvolle Verbundenheit zwischen Schülerin und Lehrerin. Doch das mochte nur eine Anwandlung sein, etwas, das nach genug Zeit wieder wegging.

Die junge Grundschullehrerin von Millemerveilles beobachtete vor allem die Kinder der Geburtstagsgäste, den kleinen Leonidas Brocklehurst, der eigenständig laufen und kurze, quäkige Sätze im kalifornischen Englisch sprechen konnte. Sie beobachtete die vier späten Kinder von Ursuline Latierre, die mit Aurore herumtobten, als sei sie deren Fünflingsschwester. Claudine Brickston gefiel sich in der Rolle einer Kinderhüterin, weil sie auf Chrysope Latierre und den kleinen Bertrand von Jeanne und Bruno aufpassen durfte. Laurentine dachte daran, wie das in den nächsten Jahren sein würde, wenn Camilles und Florymonts vier jüngsten Töchter noch dazukommen würden.

Das Geschenkeauspacken war wie üblich eine kleine Zeremonie für sich. Jedesmal wenn Julius etwas aus der roten Truhe fischte sahen alle gespannt zu, was es war und wie er es fand. Als er Laurentines in mintgrünes Papier eingewickeltes Geschenk hervorholte sah sie ganz genau hin, wie er darauf reagierte. Er öffnete behutsam die himmelblaue Schleife, wickelte das Papier ab und förderte eine kreisrunde Pappschachtel zu Tage. Auf der Schachtel stand in rundlaufender Spiralschrift etwas, dass nur lesen konnte, wer es zehn Zentimeter vor seine Augen Hielt oder den Falkenaugenzauber verwendete. Julius las behutsam, was auf der Schachtel stand und klappte den Deckel auf. Er holte etwas silbriges hervor, das aus einem Bügel mit zwei kugelförmigen Enden und einer spiralförmigen Schnur mit einem glockenförmigen Anhägnsel bestand. "Häh, 'n Stetoskop?" fragte Melissa Whitesand auf Englisch. Julius grinste Laurentine an und schüttelte dann den Kopf. "Also, nachdem, was auf der Schachtel steht ist das ein Xenographophon, also Fremdschriftvertoner, mit dem der Benutzer Texte in einer ihm unbekannten Sprache so sinn- und wortgetreu wie möglich als Text in seiner Muttersprache vorgelesen bekommt, wenn er oder sie den runden Aufsatz mittig über dem zu prüfenden Text ausrichtet und das Auslösewort sagt oder denkt, je nach eigener Zauberkraft. Öhm, wusste nicht, dass es sowas gibt, und ich habe mich eigentlich immer gut auf dem neuesten Stand gehalten, was praktische Alltags- und Einsatzhilfsmittel angeht."

"Kannst du auch nicht, weil ich nach den Erfahrungen bei der dritten Runde vom Trimagischen selbst ausprobiert habe, wie ich das hinkriege, sowas zu bauen. Ich habe ein handelsübliches Stetoskop genommen, dessen Auflegeteil abgemacht und eine kleine versilgerte Glocke ohne Klöppel unten drangehängt. Glocke und Ohrstecker habe ich dann entsprechend meiner eigenen Erfahrungen bezaubert. Dafür musste ich aber die entsprechenden Runen lernen und üben, sie in weiches Metall zu gravieren, was nicht einfach war. Aber du hast die Version drei davon bekommen. Die zwei Vorläufer hatten die für Prototypen üblichen Kinderkrankheiten, die ich erst mal erkennen und kurieren musste", sagte Laurentine. Dann sah sie Florymont an und sagte: "Ich habe erst vor drei Tagen die Genehmigung von der Behörde für magische Hilfsmittel aus der Handelsabteilung bekommen und kann es zum Patent anmelden. Aber vielleicht möchte ich es nur in kleiner Stückzahl herstellen lassen, für ausgewählte Endnutzer."

"Und das Ding kann auch Runenschrift übersetzen?" fragte Aurora Dawn, deren Ziehtochter Rosey gerade neben Chrysope auf einer der kleineren Bänke saß. "Dafür ist es hauptsächlich gemacht", sagte Laurentine und erwähnte kurz, was ihr wegen der dritten Aufgabe beim trimagischen Turnier von Beauxbatons eingefallen war, um mit Runentexten zurechtzukommen.

"Das will ich jetzt wissen", sagte die australische Heilerin und zog ein kleines Stück Pergament aus ihrer Tasche. Sie schrieb mit einer grünen Schreibfeder was darauf und gab es Julius. Der stöpselte die Ohrstecker des neuen Gerätes ein und hielt das kleine, glockenförmige Auflegeteil über den Pergamentzettel, bis dieser sanft vibrierte. Dann konzentrierte er sich. Ein unverständliches leises Wispern war zu hören. Dann hörte das sanfte Vibrieren auf. Julius nahm die Ohrstecker wieder heraus und las den Zettel mit den Augen.

"Also, Aurora hat geschrieben: "Wenn gehöret wie geschrieben wirkt das Werkzeug wie gewünscht". Dein Fremdschriftvertoner hat übersetzt: "Wenn das geschriebene hörbar und verstanden wird arbeitet dieses Werkzeug wunschgemäß". Jau, klappt wohl."

"Gut, du kannst alte Runen lesen, Julius. Aber was kriegt einer, der das nicht gelernt hat?" wollte Melissa Whitesand wissen.

"Hast du alte Runen noch gelernt, Mel?" wollte Julius wissen. Die Gefragte schüttelte den Kopf. "Okay, kann mal bitte wer anderes außer Aurora was in Runenschrift aufschreiben, was dieser kleine Apparat hier übersetzen darf?" fragte Julius und behandelte die Ohrstecker mit einem Tergius-Zauber. Sandrine ließ sich ein Pergamentblatt geben und schrieb einen mehrzeiligen Text in Runenschrift auf. Den Zettel bekam dann Mel Whitesand zusammen mit dem Fremdschriftenvertoner von Julius, nachdem er den Zettel gelesen hatte. Julius wisperte ihr das Auslösewort ins Ohr. Mel nickte und steckte sich die Ohrstecker in die Ohren. mit dem glockenförmigen Teil fuhr sie über den Zettel, bis es vibrierte. Sie wisperte leise das Auslösewort "Audio". Dann lauschte sie einige Sekunden lang auf ihre Ohrstecker. Dann hörte das Vibrieren auf. "Ui, falls das Schriftübersetzerstetoskop richtig übersetzt hat hat Sandrine geschrieben: "Wenn ein Mensch zu leben beginnt beginnt eine neue Welt. Schafft ein Mensch neues Leben, dann erschafft er selbst eine neue Welt. Alles Gute zum Geburtstag, mein Freund Julius!"

"Jawohl, wirklich sinngemäß und dabei so wortwörtlich wie möglich", sagte Julius. Dann nahm er von Melissa Whitesand das Fremdschriftenvertonungsgerät zurück. "Kann man damit auch kodierte Sachen entschlüsseln?" fragte Mels Bruder Mike. Laurentine überlegte, was sie darauf antworten sollte. Denn wirklich verschlüsselte Botschaften hatte sie damit noch nicht ausprobiert. Doch sie erinnerte sich an die Antwort aus der Behörde für innovative Zauberkunst und magische Gerätschaften, dass dieses Gerät unter der Einschränkung, nicht für den allgemeinen Handel erwünscht zu sein, genehmigt würde und bei einer Patentierung mit entsprechenden Endnutzeranmeldungen weitergegeben werden durfte. Also hatten die da wohl auch überlegt, ob mit diesem Gerät auch absichtlich verschlüsselte Texte entschlüsselt werden konnten. Deshalb sagte sie: "Also, der Sachbearbeiter im Ministerium schließt es nicht grundsätzlich aus und möchte deshalb klarstellen, dass dieses Gerät nur für sehr wenige Leute zu haben sein soll, wohl auch solche, die vom Ministerium für berechtigt eingestuft werden."

"Schade, Laurentine. Sonst hättest du richtig viel Gold damit machen können", meinte Robert Dornier, der sich bis dahin im Hintergrund gehalten hatte.

"Na, Außerdem ist zu befürchten, dass bei einer massenhaften Verbreitung dieses sehr nützlichen Hilfsmittels die Bereitschaft verschwindet, Sprachen zu erlernen und vor allem, das Lesenund Schreiben der solchen vernachlässigt werden mag", wandte Madame Faucon ein, die sich bis dahin ebenfalls im Hintergrund gehalten hatte. "Auf jeden Fall ein sowohl praktisches wie auch sehr mächtiges Hilfsmittel, dass Laurentine ersonnen hat", fügte sie noch hinzu. "Daher ist es sicher sehr angeraten, die Vorbehalte des Ministeriums zu achten und nicht in alle Welt hinauszurufen, dass es ein solches Hilfsmittel gibt", fügte sie noch mit einem ermahnenden Blick über alle Anwesenden hinzu.

"Du weißt sicher, dass in der nichtmagischen Welt viele blinde Menschen an Computer anschließbare oder tragbare Geräte benutzen, die geschriebenen Text in gesprochene Sprache übersetzen. Damit könntest du echt einen Haufen Geld machen", meinte Mike Whitesand zu Laurentine. Diese nickte. "Ja, nur dass dieses Gerät ein Zaubergegenstand ist und solche nicht in der nichtmagischen Welt gehandelt oder an uneingeweihte Nichtmagier weitergegeben werden dürfen", belehrte Blanche Faucon den Besucher aus England. Dessen Frau Prudence nickte sehr heftig, wohl weil sie selbst in der Abteilung für internationalen magischen Handel arbeitete. Laurentine bestätigte das und zitierte den betreffenden Paragraphen auf Französisch und auf Englisch.

"Dann unterliegt das denselben Beschränkungen wie die Omnilexbrille, die ich schon seit zwanzig Jahren an eindeutig festgelegte Nutzer weitergeben darf", bemerkte Florymont Dusoleil und erwähnte, dass er Laurentine bewunderte, dass sie einen ebenso guten Weg gefunden hatte, unbekannte Schriften zu übersetzen. Er bestätigte auch, dass die Onmilexbrille tatsächlich unmagisch verhüllte Geheimschriften entschlüsseln konnte. Laurentine nickte. Am Ende konnte ihre erfindung diese Onmilexbrille sogar noch übertrumpfen. Doch das wollte sie hier und jetzt besser nicht andeuten.

"Damit ist wohl alles gesagt, was es zu diesem wirklich sehr nützlichen Artefakt zu sagen gibt", beschloss Blanche Faucon die kurze Debatte um Laurentines besonderes Geburtstagsgeschenk. Laurentine wusste nun, dass sie bloß nicht weiterreichen durfte, dass sie für Louiselle eine Schriftumwandlungsversion dieses Zaubers gemacht hatte. vielleicht konnte die damit auch verschlüsselte Texte entziffern, was wahrhaftig eine sehr große Macht verlieh. Doch ob das ging war noch nicht erwiesen, wo es gerade drei Xenographophone und den einen Schriftwandler gab, dachte Laurentine.

Von Pattie und ihrem Mann bekam Julius mehrere Bücher über griechische Zauberwesen und Zauberpflanzen in englischer Sprache. Von seinen Schwiegereltern bekam er ein magisches Reisezelt, in dem bis zu zwölf Personen schlafen und drei Badezimmer zugleich benutzen und in einem Wohnzimmer zusammen essen konnten. "Jetzt, wo eure Familie schon fünf Leute hat und sicher noch der eine oder die andere dazukommt war es echt Zeit, euch auch für Urlaubsreisen gut unterzubringen. Dieses Reisezelt hat sogar einen eingeschränkten Flugzauber, der es bei Nacht und Mondlicht zwischen einhundert Stundenkilometer über Land bis zu dreihundert Stundenkilometer über dem offenen Meer schnell in bis zu dreihundert Metern über Grund fliegen lässt. Es sieht dann von unten aus wie eine dunkle Wolke", sagte Albericus für Julius und alle anderen. "Damit könnt ihr während des Shlafens den Standort wechseln, ohne das Zelt abbauen zu müssen. Kann praktischer sein als ein einschrumpfbares Varanca-Haus", grinste Albericus noch. Julius nickte verhalten. Laurentine meinte eine leichte Verlegenheit in seinem Gesicht zu sehen. Doch dann strahlte er seinen halbzwergischen Schwiegervater an und sagte: "Ja, hat was für sich. Heute in Paris, morgen in London campen, wenn ich weiß, wo ich damit landen kann."

"Steht alles in der Gebrauchsanleitung drin, Julius", sagte Albericus. Florymont verzog ein wenig das Gesicht und meinte: "Ja, damit wird der gute Laurin Lighthouse wohl in den nächsten Jahren sein Verlies bei Gringotts bis unter die Decke mit Gold zuschütten können. Wunder mich, dass ihr zwei dieses Zelt aus Australien rausgekriegt habt."

"Alles eine Frage der Kontakte", meinte Hippolyte Latierre dazu und grinste Aurora an, die nickte. Laurentine erfuhr nun, dass sie über Pamela Lighthouse den Kontakt zu deren Mann Laurin und dessen Firma bekommen hatte. Eigentlich stellten die eher Bildillusionen her, machten aber auch in geringer Stückzahl besondere Zaubergegenstände und Hilfsmittel. Über Auroras Vorgesetzte Laura Morehead war es dann auch möglich gewesen, eines der Großfamilienzelte nach Frankreich einführen zu dürfen, nachdem bekannt war, wer es bekommen sollte. Womöglich würde das Ministerium in Paris auch Lizenznehmer gewinnen, die es für den französischen Markt nachbauen konnten, auch und vor allem nun, wo die Varancas vom italienischen Zaubereiministerium untersagt bekommen hatten, ihre Reisehäuser aus Italien auszuführen. Millie fragte, ob das Zelt nach außen Schalldicht sei wie ein Klangkerker oder Schnarchfängervorhang. Aurora erwähnte dazu, dass es zwischen Schalldicht und Nachtflug umgestellt werden konnte, aber nicht beides gleichzeitig. Auch das stand wohl in der Gebrauchsanleitung. Jedenfalls bezog das Reisezelt seine Ausdauer vom Mondlicht, je mehr Mondlicht, desto länger und schneller konnte es über Land fliegen, über dem Meer sogar noch besser, weil die Beziehung Mond und Meer und das vom Meer gespiegelte Mondlicht die Kraftzufuhr bis auf den dreifachen Wert verstärken konnten. Wichtig war jedoch, dass beim ersten Sonnenstrahl das Zelt über festem Boden sein musste, weil es dann federgleich niedersank und bis zum allerletzten Sonnenstrahl am Boden bleiben musste. "Wenn ihr über dem Meer sein solltet schwimmt das Zelt, ist aber den Meereswellenund dem Wind ausgesetzt", fügte Aurora hinzu, die offenbar das Benutzerhandbuch schon studiert hatte. Sie erwähnte dann auch, dass eine ihrer Kolleginnen, die mittlerweile vier Kinder bekommen hatte, so ein Reisezelt erworben hatte, um mit ihrer Familie in den Ferientagen über Land zu verreisen, ohne ständig die Koffer packen zu müssen. Das erklärte, warum sie wohl schon so viel über die Technik dieses Reisezeltes wusste, dachte nicht nur Laurentine Hellersdorf.

"Vielleicht können solche Zelte auch als bewegliche Notfallkrankenstationen eingesetzt werden, wenn die Patientenzimmer im Sana-Novodies-Krankenhaus voll belegt sind", sagte Béatrice Latierre. Aurora schloss das nicht aus. Zwar war es in den letzten zweihundert Jahren zu keinen größeren Seuchen oder Katastrophen mit vielen hundert Verletzten mehr gekommen, aber wie die Sache mit einem Ort namens Resting Rock lehrte konnten unbekannte Seuchen immer wieder auftreten, wo es vielleicht sinnvoll war, die Patienten nicht zu weit zu transportieren oder nicht mit unverseuchten Leuten zusammenkommen zu lassen.

Laurentine nutzte die Gelegenheit, sich später am Abend von Aurora Dawn berichten zu lassen, was es mit Resting Rock auf sich hatte und erfuhr, dass dieser Ort von einem Uranbergwerksunglück betroffen worden war, wo die magischen Heiler noch keine Ahnung von Radioaktivität und Strahlenkrankheiten hatten. "Und einen Tag nach dem Sie alle von dem Zeug gereinigt und kuriert waren ist das mit Tschernobyl passiert?" seufzte Laurentine. Aurora bestätigte das.

Weil mal wieder getanzt werden durfte konnte Laurentine mit dem einen oder anderen Geburtstagsgast zwischen zehn und hundert Jahren tanzen. Um viertel vor zwölf bedankten sich Millie und vor allem Julius für dieses herrliche Fest und dass es allen, die dabeigewesen waren gefallen hatte. Das hieß, dass nun alle nach Hause gehen mochten, die nicht für mindestens eine Übernachtung in Millemerveilles vorgebucht waren.

Laurentine sah noch, wie Millie, ihre Tante Béatrice und Julius anfingen, die im Garten aufgestellten Tische abzudecken. Dann verabschiedete sie sich von den Gastgebern. Dann flohpulverte sie aus dem Kamin in der Empfangshalle in ihre eigene Wohnung in der Rue de Liberation 13. Sie würde diese Nacht alleine im Haus sein, weil Catherine mit ihrer Familie im Haus ihrer Mutter übernachten würde. Weil sie noch nicht müde genug war mentiloquierte sie mit ihrer neuen Hexenschwester Louiselle Beaumont. Diese bestätigte, dass ein Textübersetzungszauber je nach Macht sicher auch geheime Botschaften entschlüsseln konnte und es schon sehr wichtig war, dass nicht jeder Wusste, dass es solche Hilfsmittel gab. Aber sie hatte eine Onlilexbrille, die sie von ihrer Tante Hera zugespielt bekommen hatte.

"Falls du möchtest können wir uns gerne wieder treffen und uns über weiterführende Abwehrzauber besprechen, Laurentine. Ich habe bis Weihnachten keine neue Einzelschülerin zu betreuen", gedankensprach Louiselle. Laurentine überlegte kurz, ob sie das Angebot annehmen sollte. Es gab sicher noch sehr viele Hexenzauber, die ihr helfen konnten, wenn es gegen diese Ladonna Montefiori oder andere Feinde ging. Dann überkam sie wieder dieses merkwürdige Wohlgefühl, wenn sie daran dachte, weitere Zeit mit Louiselle zu verbringen. Vielleicht sollte sie doch langsam mal prüfen, ob sie nicht mehr für diese Hexe empfand als einen hohen Respekt vor einer Lehrerin.

Nach einer Minute Bedenkzeit schickte sie zurück, dass sie bereit sei, weitere Stunden zu nehmen, aber im Moment nicht wisse, wie sie diese bezahlen könne. Denn Louiselle nahm kein Zauberergold als Entlohnung. "Das machen wir dann unter uns Schwestern aus, wenn wir zwei wissen, was du bis Weihnachten noch alles von mir lernst und ich von dir lerne", gedankenantwortete Louiselle Beaumont. Irgendwie empfand Laurentine diese Antwort als vieldeutig, so als wenn der Weg schon das Ziel und die Arbeit der Lohn sei oder dass Louiselle sich irgendwas bei ihr ausrechnete, von dem Laurentine jetzt noch nicht wusste, dass sie es liefern oder ausführen würde. Irgendwie schon merkwürdig, aber auch auf eine Art anregend, fand Laurentine Hellersdorf.

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Béatrice lag in ihrem eigenen Zimmer im Sonnenblumenschloss. Sie hatte mit Hera Matine besprochen, ob sie nach den Schulferien dauerhaft in Millemerveilles als beigeordnete Heilerin arbeiten sollte. Dann müsste sie dort aber auch dauerhaft wohnen, hatte Hera erwähnt. Millie und Julius hatten ihr gesagt, dass sie weiterhin in ihrem Haus wohnen dürfe, wenn sie dauerhaft in Millemerveilles praktizieren wolle. Immerhin hatten sich die drei ja gut aneinander gewöhnt, als sie die vielen schwangeren Hexen mitbetreuen durfte und bei der Geburt der vielen Frühlingskinder half. Falls sie nun wirklich Julius' Kind empfangenhatte würde sie jedoch ab dem vierten Monat nicht mehr apparieren und konnte auch keine schnellen Besenflugmanöver ausführen. Schließlich musste gerade sie aufpassen, die von ihr selbst gegen den Widerwillen ihrer Patientinnen durchgesetzten Regeln zu befolgen. Vielleicht musste sie doch mal mit Hera reden und ihr den Ehefriedensrettungsvertrag zwischen ihr, Millie und Julius zeigen, um es eindeutig zu klären. Auch galt es, dass längst nicht jeder mitbekam, falls sie schwanger war. Denn dann würde das Gerede wie ein wilder Waldbrand ausufern, von wem sie denn als unverheiratete und noch dazu der Heilzunft eingeschworene Hexe ein Kind erwartete. Sie erinnerte sich gut an die Debatten um das angeblich vaterlos empfangene Kind der US-amerikanischen Kollegin Leda Greensporn. Die hatte sich auf eine anonyme Samenspende berufen und trotzdem eine gewisse Missbilligung aushalten müssen. Nein, wenn sie wirklich Julius' Kind in sich trug musste sie dieses so heimlich wie möglich austragen und nach Möglichkeit auch ohne große Bekanntmachung gebären. Allein der Gedanke an eine Niederkunft weckte in ihr eine gewisse Vorfreude wie auch ein großes Unbehagen wegen der zu erwartenden Schmerzen. Sie ertappte sich jedoch dabei, dass sie sich jedoch eher freute, ein Kind zu bekommen als Angst zu haben, dass sie dessen Geburt nicht aushielt. Natürlich hatte sie schon etliche Hexen betreut, die mehr als ein Kind bekommen hatten, darunter ja auch Millie Latierre und vor allem ihre eigene Mutter. Das gab ihr die Zuversicht, dass sie die Schwangerschaftsbeschwerden und die Wehen ebenso aushalten konnte, wenn sie wusste, wessen Kind sie bekam und dass sie dieses Kind bekommen wollte. Ja, sie erkannte, dass sie Julius' Kind bekommen wollte. Sie fühlte sich auserwählt, nicht angeworben, berufen, nicht benutzt. Eine wohlige Wärme erfüllte ihren Körper und ihre Seele. Doch was, wenn sie noch nicht von ihm schwanger war? Dann musste millie ihn wohl wieder ab dem 25. Juli zu ihr lassen, bis sie sicher wusste, dass ihre fruchtbaren Tage vorüber waren.

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Julius prüfte am 23. Juli noch einmal die für die kanadischen Kollegen verfasste Übereinkunft zwischen Frankreich und Kanada, wie bei Auffälligkeiten von Besuchern aus der Zaubererwelt zu verfahren war. Primula hatte ihm das mit ausdrücklicher Genehmigung von Nathalie Grandchapeau aufgedrückt, weil sie mit dem englischen nicht so klarkam wie mit Spanisch und Italienisch. So konnte sich Belle darum kümmern, die nach Kanada entsandte Gruppe von Einsatzzauberern und -hexen auf ihre Aufgabe einzustimmen.

Gerade lieferte eine Hauselfe des Ministeriums den Pausenkaffee und vier Croissants bei Julius ab, als er einen wilden Wutschauer verspürte, der nicht der eigene war. Es war, als habe die von ihm getragene Ehegattenzuneigungsherzhälfte einen Schwall Lava in sein eigenes Herz gepumpt, dessen Ausläufer zu rotglühenden Schlieren vor seinen Augen wurden. Fast hätte er den dienstbeflissenen Hauselfen die rechte Faust an die Nase geschmettert, wenn er nicht im allerletzten Augenblick begriffen hätte, dass er nicht seine eigene Wut fühlte und er sowieso nicht auf das kleine Zauberwesen mit der langen Rübennase wütend war. So schaffte er es gerade noch, sich für das zweite Frühstück zu bedanken und mit einem Durchgang seiner Selbstbeherrschungsformel die Wut in sich niederzuringen. Der Elf verschwand mit lautem Knall. Julius atmete mehrmals durch. Dann mentiloquierte er an seine Frau:

"Was bitte macht dich gerade so wütend, dass ich fast einen unserer Hauselfen den Kopf abreißen wollte?"

"Onkel Gilbert, mein Chef", gedankenspie Millie ihm in seinen Geist zurück, dass ihm der Kopf dröhnte. "Der hat mir gerade in seiner lockeren aber undiskutierbaren Schreibe mitgegeben, dass ich "gütigst" bis zum Ende der Weltmeisterschaft in Frankreich zu bleiben hätte, weil - und jetzt kommt's - er mit seiner Linda eine Gemeinschaftsakkreditierung für die Temps und die Stimme des Westwindes ergattert hatte und wegen der Sicherheitsvorkehrungen in Kanada nur eindeutig vorangemeldete Personen diese Akkreditierung nutzen dürften, was im Klartext heißt, dass nur er dort berichten darf. Ja, und warum ich nicht als Privatperson nach Kanada darf begründet er damit, dass es im August in Frankreich eine Zusammenkunft von Abraxanerzüchtern geben soll, bei der auch ein gewisser Lavinius von Eisenstadt anwesend sein soll, der die lüneburger Zuchtgruppe betreut und Beauxbatons sich wohl mehrere neue Stuten von dem anschaffen will und ich das doch bitte für die Temps mitschreiben und dann mit dem und Madame Faucon und Professeur Fourmier interviews führen soll, wozu die großen Hottepferde in Beaux gebraucht werden. Zwischen den Zeilen hat er noch angedeutet, dass mir dieser Pferdefreund aus Norddeutschland vielleicht nicht alles erzählen möchte, weil ich ja mit Cynthia Latierre verwandt sei, die dem wohl vor vierzig Jahren irgendwas angetan haben soll, wo er nicht drüber weggekommen ist. mann, bin ich sauer!"

"Das heißt, du armes Wesen musst dann die ganze WM in Frankreich absitzen und darfst nicht mal als Privatbesucherin zum Finale?" wollte Julius wissen.

"Genau das heißt es, Monju. Diese Züchterkonferenz geht am ersten August los und hört am zwanzigsten auf, also kurz vor dem neuen Schuljahr in Beaux. Immerhin findet diese Zusammenkunft und Pferdeschau bei uns in Millemerveilles statt. Es hat sich herumgesprochen, dass da nur noch anständige Hexen und Zauberer reinkönnen."

"Moment, dann wundert mich, dass das so plötzlich ist. So eine Konferenz sollte doch mindestens zwei Monate vorher bekanntgegeben und die entsprechenden Veranstaltungsräume und Unterbringungen gebucht werden", schickte Julius zurück.

"Ja, weißt du warum? Weil die Konferenz eigentlich auf Sardinien steigen sollte. Sardinien gehört zu Italien. Was heißt das?" schickte Millie zurück. Julius musste diese rhetorische Frage nicht beantworten. "Jedenfalls hat unsere halbfleischliche Zaubertierlehrerin das mit den ehemaligen Kollegen im Tierpark und mit Eleonore und dem restlichen Dorfrat ausgekungelt, dass die Veranstaltung kurzfristig nach Millemerveilles verlegt wird. Mariette freut sich sicher über so viele Übernachtungsgäste im Chapeau. Denn da sollen auch die Beratungen ablaufen, im Saal für geschlossene Gesellschaften. Das wurde mal eben vor drei Stunden abgeklärt. Und ich dumme Henne habe Onkel Gilbert das gleich weitergedigekastelt und vor fünf Minuten seine Antwort zurückbekommen, dass ich deshalb und wegen der Personenbeschränkung bei Presseleuten in Kanada in Frankreich bleiben und berichten soll. Mann, ich hätte das gerne gesehen, ob Bruno und César uns den Pokal doch noch mal erspielen."

"Ja, und deine Mutter hat gerade nur zehn Sonderkarten pro Spiel mit französischer Beteiligung aushandeln können, so die Übereinkunft von Anfang Juni", schickte Julius zurück. "Soll ich dann mit unseren drei Prinzessinnen hinfahren, falls deine Mutter das möglich macht?"

"Die darf nur einzelne Angehörige der Spieler mitnehmen und dann noch drei Ehrengäste, die die Ministerin benennt. Nette Idee, Monju, aber wenn wir nicht als Presseleute mit Familienanhang hindürfen kannst du da auch nicht mit Rorie und ihren beiden Schwestern hin", gedankensprach Millie. Dann herrschte einige Sekunden Schweigen im geistigen Gefüge zwischen ihnen beiden. Dann mentiloquierte sie: "Außerdem musst du Ende Juli bis Anfang August wieder zu Trice hin, wenn euer erster Versuch nicht geklappt hat. Wie geklärt will ich nicht mitbekommen, wann und für wie lange ihr dann zusammenseid." Julius bestätigte das. Dann wünschte er seiner Frau trotz der heftigen Nachricht doch noch einen angenehmen Tag. "Vielleicht hast du mir auch schon unsere vierte Prinzessin zum tragen übergeben, Monju. Denn eigentlich hätte ich da nicht so wütend reagieren dürfen, nachdem ich bei Kailishaia so viele gefühlte Zeit gewesen bin. Das und vielleicht die Enttäuschung, weil ich zu gerne beim Finale dabei wäre, wenn wir nochmal den Pokal holen."

"Nun, ob wir gleich in den zwei ersten Nächten nach deiner Rückkehr schon die vierte Prinzessin auf die Reise ins Leben geschickt haben weiß ich nicht genau. Aber üblicherweise kommen die heftigen Gefühlswallungen erst so ab dem zweiten Monat."

"Ach ja, und was gibt's neues?" gedankenknurrte Millie. Julius entschuldigte sich für seine unerbetene Belehrung und hoffte, dass Millie trotz Gilberts Order doch eine schöne Zeit mit ihm und den dreien verleben würde. Sie fragte ihn dann noch, was er gleich noch machen musste. Als er ihr das übermittelt hatte gedankenlachte sie zurück: "Ach du armer Wicht darfst den Muggelunkundigen dann vorschreiben, wie die sich zu benehmen haben, was Tante Pri letztes Jahr schon versucht hat. Glückwunsch zu mehreren Stunden Langeweile!" Julius bedankte sich mit ironischem Unterton und wünschte ihr dann noch einmal einen angenehmen Tag.

Nathalie genehmigte die Endform seines Leitfadens. Primula Arno wollte dann noch wissen, warum es in Kanada so wichtig war, passendes Fahrgeld für diese unmagischen Reisewagen und Eisenbahnzüge zu haben. Julius erklärte es ihr und allen anderen Mitarbeitern von Nathalie Grandchapeau.

Den Rest des Arbeitstages verbrachte er mit Anfragen aus Létos Familie, die auch Angehörige nach Kanada schicken wollten, sowie dem Nachmittag im Computerzentrum, wo er die neu angestellten Internetüberwacher betreute.

Als Julius und Millie sich dann um fünf Uhr abends wieder trafen hatte Millie ihren Wutanfall vom Morgen schon vergessen. "War doch klar, dass Linda ihn dazu bezirzt, mit ihr zusammen für beide Blätter zugleich zu berichten, um die kleine Lydiaa Barbara nicht verhungern zu lassen. Denn die Kanadier wollten eigentlich nur dem Kristallherold eine US-amerikanische Pressezulassung geben. Tja, jetzt sind eben beide großen Zeitungen aus den Staaten mit dabei."

"Hmm, wollten Gilbert und Linda nicht schon am 30. Juli Lydias Ankunft ffeiern?" fragte Julius. "Das haben die jetzt auf den zweiten September verschoben, weil Lindas Eltern da erst wieder können und Linda schon am 30. Juli in Clearbrook Valley sein soll, wo das Eröffnungsspiel steigen soll." Julius verstand.

Auf Einladung der Dusoleils nahmen Millie, Julius, Aurore und Chrysope an einer kleinen Gedenkrunde für Claire Dusoleil teil. Béatrice beaufsichtigte indessen die kleine Clarimonde.

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Da wegen der Frühlingskinder und anderer die Leute in Millemerveilles beschäftigenden Dinge kein Schachturnier stattfand, es aber unbedingt für 2005 eine Neuauflage davon geben sollte, konnte Julius sich voll und ganz auf die noch zu erledigenden Arbeiten konzentrieren. Doch er merkte auch, dass Millie und Béatrice seine Aufmerksamkeit einforderten. Die beiden hatten wohl beschlossen, dass er sich nicht nur für die Ministeriumsarbeit einzusetzen hatte, jetzt wo alle beide wussten, wie gut er als Liebhaber sein konnte. Sicher, mit Béatrice durfte er erst einmal keine weitere Nacht verbringen, bis klar war, ob der erste Versuch erfolglos verlaufen war. Doch er merkte schon, dass sie doch ein weiterer wichtiger Teil seines Lebens sein wollte. Das würde sicher sehr schwer werden, wenn sie wahrhaftig ein Kind von ihm empfangen hatte. Doch er sah es auch als eine besondere Herausforderung an ihn selbst, wie er damit zurechtkommen würde.

Anders als das Schachturnier fand der Sommerball auf jeden Fall statt. Julius konnte mit seiner Frau wieder auf dem Siegertreppchen Aufstellung nehmen, hinter Camille und Florymont, die diesmal die goldenen Tanzschuhe gewannen. Das lag wohl auch daran, dass Bruno nach der Sache im letzten Jahr die Lust am allgemeinen Tanzvergnügen eingebüßt hatte und Jeanne und er deshalb nur den dritten Platz erreichten, während Millie sich ihren Mann mit so vielen tanzwilligen Damen hatte teilen müssen, dass nicht genug Gemeinschaftspunkte für den goldenen Tanzschuh zusammenkamen. Doch für beide war es mal wieder ein schöner Abend geworden, auch weil Julius festgestellt hatte, dass alle die, die im März und April so viele Kinder bekommen hatten, dankbar für einen Tanzpartner waren, der mit ihnen gern und gut über das Parkett schwofen konnte. Auch hatte er mehrere Tänze mit Babette Brickston und Béatrice Latierre vorführen dürfen. Babette hoffte darauf, dass es ein neues trimagisches Turnier geben würde und sie daran teilnehmen konnte. Dafür wollte sie sich gut in Übung halten. Doch ob es ein solches Großereignis gab wusste noch niemand außer vielleicht Julius' Schwiegermutter Hippolyte. Doch die hielt sich sehr bedeckt, was das anging.

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"Was genau würde es verzögern, dass du als meine beigeordnete Heilerin in Millemerveilles bleibst, Béatrice?" fragte Hera Matine am Morgen des 29. Juli. Béatrice hatte genau mit dieser Frage gerechnet und die einzig passende und deutliche Antwort bereit: "Das ich eine Verpflichtung mit Mildrid und Julius eingegangen bin, einen an Julius erteilten Auftrag dieser Ashtaria auszuführen. Diese wünscht sich bis zum Sommer 2005 von ihm einen Sohn; die Magie der Mondburg lässt bei ihm und Millie aber derzeit nur Töchter entstehen. Daher haben sie mich gebeten, die Sonderregel siebzehn des Familienstandsgesetzes auszuführen."

"Bitte was?!" entschlüpfte es Hera. Béatrice atmete ruhig ein und erwähnte dann, was sie erst von Millie und dann noch von Julius erfahren hatte. Sie deutete an, dass es da wohl eine transvitale Entität gebe, die zwischen der Welt der Lebenden und Ashtaria vermittle. Hera nickte und sagte einen Namen, den nur sehr wenige in Millemerveilles kannten: "Ammayamiria." Béatrice nickte. Denn den Namen hatte Julius auch erwähnt. "Ich gehöre außerhalb der dusoleils offenbar zu den ganz wenigen, die diesen Namen und die diesen tragende Entität kennt, eine Seelenverschmelzung von Camilles Mutter und ihrer Tochter Claire. Camille erwähnte es mir gegenüber, dass diese TVE zusammen mit Julius aus dem astralenergetischen Corpus von Ashtaria wiedergeboren wurde. Er durfte sein körperliches Leben fortsetzen, sie soll wohl zwischen ihm, den Dusoleils und Ashtaria vermitteln und hat auch mitgeholfen, die neue Schutzglocke über Millemerveilles zu errichten." Béatrice nickte. Auch das hatte Julius ihr berichtet, als sie in ihrer Eigenschaft als seine Hausheilerin nachgehakt hatte, wie genau diese neue Schutzbezauberung ausgeführt worden war.

"Achso, und deshalb haben Mildrid und er dich gebeten, dass du an Mildrids Stelle einen Sohn von Julius austrägst und zur Welt bringst?" fragte Hera ganz ruhig, als sei es nach der eben gemachten Eröffnung kein besonderes Thema mehr. "Nachdem mir meine Nichte und Stammpatientin die ausgelagerte Erinnerung eines sehr beängstigenden Traumes von Ashtaria vorführte war ich sofort dazu bereit, ihr und damit auch Julius zu helfen, wenn ich auch weiß, wie anstrengend und körperlich und seelisch belastend es sein wird und mir Julius auch schon früher was von sogenannten Leihmüttern erzählt hat, die für Geld ihren Uterus zur Verfügung stellen, um Kinder anderer Leute auszutragen, um sie dann nach erfolgter Entbindung, meistens per sogenanntem Kaiserschnitt, an die Auftraggeber zu übergeben."

"Ja, diese höchst fragwürdige Praxis hat Julius mir während seiner Pflegehelferausbildung auch erwähnt, als es darum ging, wie in der Zaubererwelt klargestellt wird, wer Vater und Mutter eines Zaubererweltkindes sind. Aber gemäß der entsprechenden Sonderregelung weißt du dann auch, dass die angetraute Ehefrau und Mutter der bisher von Julius gezeugten Kinder ihr Anrecht darauf geltend machen kann, dass das von ihm gezeugte Kind als ihr Kind aufzuwachsen hat. Öhm, gibt es über diese Abmachung eine Art Protokoll oder dergleichen?" Zur Antwort holte Béatrice ihre Kopie der mit Millie und Julius abgefassten Übereinkunft hervor. Hera las sie dreimal und rümpfte einmal die Nase. "Hier steht, dass du es bevorzugen würdest, von der für Florissant zugeteilten Heilerin oder von Aurora Dawn betreut zu werden. Wolltest du also nicht in Millemerveilles niederkommen?"

"Sagen wir so, ich möchte den Kreis derer, die von der Vereinbarung wissen möglichst klein halten, Hera. Meiner Mutter werde ich es erst dann mitteilen, wenn ich ganz sicher weiß, dass ich ein Kind erwarte."

"Ja, und Mildrid hat das letzte Wort, ob es sich dabei um Ursulines Enkel oder inoffiziellen Urenkel handelt, wie?" fragte die residente Hebammenhexe von Millemerveilles. Sie seufzte kurz. Doch dann war sie erstaunlich gefasst und ruhig. Sie sah Béatrice an und fragte ganz ruhig: "Haben wir beide noch irgendwelche fachlichen oder zwischenmenschlichen Differenzen?" Béatrice Latierre hatte mit dieser Frage gerechnet und antwortete unverzüglich: "Nein, von meiner Seite aus gibt es keine solchen Differenzen mehr, sollte es sie vorher gegeben haben."

"Ich lese hier, dass du ausdrücklich darauf bestehst, dass Mildrid und Julius bei der Entbindung deines erbetenen Kindes anwesend sein sollen. Außerdem habt ihr alle drei festgelegt, dass ihr drei für die Pflege und Erziehung dieses Kindes gleichberechtigt verantwortlich sein wollt, unerheblich, ob Mildrid die Adoptivmutterschaft beansprucht oder nicht. Was bitte spricht dann dagegen, dass du dieses Kind dann hier in Millemerveilles bekommst? Was die Diskretion angeht besteht die Möglichkeit, deine erbetene Schwangerschaft bis nach der Geburt durch entsprechende Kleidung zu verbergen und dass nur ich die einzige außerhalb deiner Familie bin, die von diesem Kind weiß. Falls das zwischen euch dreien ausgeheckte Vorhaben wirklich gelingt, möchte ich dich fragen, ob ich dir bei der Ausreifung und Geburt des Kindes helfen darf. Ich weiß, üblicherweise gilt die residente Hebamme immer als bevorzugt, oder die eine Schwangerschaft vermutende Hexe vertraut sich für die überprüfung und den weiteren Verlauf einer Hebammenhexe ihrer Wahl an. Doch wenn es zwischen uns keinerlei Streitigkeiten gibt, würde ich dir gerne beistehen, auch wegen Julius."

"Ich habe mir das sehr genau überlegt, Hera. Eigentlich wollte ich Millie und Julius bitten, kurz vor der stattfindenden Niederkunft ins Château Tournesol umzuziehen, zumindest bis einen Monat nach der Niederkunft. Je danach, was Millie dann entschieden haben würde würde ich dann ganz zu ihnen umziehen oder sie tageweise besuchen, als die liebe tante. Da kamen mir Chloé und Clémentine eher als betreuende Kolleginnen in den Sinn oder Aurora Dawn, falls sie in diesem Zeitraum nach Europa kommen dürfte."

"Oha, offenbar solltest du dir vielleicht noch einmal das Kapitel über Zuständigkeitsgebiete von Heilerinnen durchlesen, Béatrice. In Frankreich kannst du dir jede vollständig in Heilzaubern ausgebildete Heilmagierin als Hebamme erwählen. Aber wenn du die Kollegin Aurora Dawn als Hebamme haben möchtest müsstest du spätestens zum Zeitpunkt der Niederkunft bei ihr in Australien sein und sie sozusagen als Notrufheilerin anrufen. Sie kann aber nicht dauernd von ihrer Niederlassung zu uns überwechseln und dann noch außerhalb ihrer Heilerregion gezielte Mutterschaftsbetreuung leisten. Das hättest du wissen müssen. Ich gehe aber mal zu deinen Gunsten davon aus, dass du Julius und Mildrid einen Gefallen erweisen wolltest, weil ich weiß, dass die Kollegin Dawn Julius sehr viel bedeutet und er ohne sie wohl sehr schwer in sein Leben als Zauberer hineingefunden hätte, was ja in letzter Konsequenz auch das Zusammensein mit Mildrid betrifft." Béatrice nickte sehr eifrig. Dann sagte sie, um die gewisse Spannung wieder aufzulösen: "Welche Vorbehalte Mildrid dir gegenüber hat und warum sie lieber mich als ihre Vertrauensheilerin erwählt hat, ich habe keine Vorbehalte gegen deine Fähigkeiten oder Umgangsformen, Hera. Immerhin haben wir ja das ganze vergangene Jahr in immer gedeihlicherer Zusammenarbeit die vielen ungewollten Mehrlingsschwangerschaften betreuen dürfen. Falls meine Nichte und Julius das erlauben möchte ich also gerne offiziell zu ihnen hinziehen und möchte mich dann der hier residenten Heilhexe anvertrauen, wenn ich Mutter werde, also dir, Hera."

"Wann hast du gesagt, wäre deine Regelblutung eigentlich fällig?" fragte Hera nun gganz sachlich. Béatrice erwähnte es. "Dann schlage ich vor, dass du in einer Woche noch einmal bei mir vorsprichst und ich dich untersuche, ob du erfolgreich empfangen hast oder nicht. Öhm, ich gehe davon aus, ihr beide habt alle nicht den Willen beeinflussenden Tricks aufgeboten, um sicherzustellen, dass du wirklich einen Jungen empfängst."

"Nun, weil diese ominöse Ashtaria darauf besteht, dass dieses Kind wohl ohne magische Beeinflussung der Eltern entsteht haben wir nur die natürlichen Methoden zur Wahrscheinlichkeitserhöhung und die Puer-Solus-Lotion von Augustine Eisenberg und Horatio Kleewurz verwendet. Wohl gemerkt, um die Wahrscheinlichkeit für einen Sohn zu steigern. Falls es doch eine Tochter wird werde ich sie wohl behalten dürfen, und Ashtaria hat das Nachsehen, ob ihre düstteren Visionen wahrwerden könnten oder nicht."

"Da Mildrid mich nicht als ihre Vertrauensheilerin erwählt hat kann ich leider nicht darauf drängen, mir diesen ausgelagerten Angsttraum anzusehen. Wie gut hast du ihn verinnerlicht?" Béatrice sagte, dass sie ihn jederzeit als Erinnerungsessenz auslagern könne, wenn sie wisse, wer die sie betreuende Hebamme wurde. Allerdings wäre es Mildrid gegenüber anständig, wenn Hera sie auch um die Genehmigung bitten würde, diese Vision nachzubetrachten. Hera nickte und fragte dann, ob Julius diesen ausgelagerten Albtraum auch nachbetrachtet habe. Als Béatrice dies bejahte sagte Hera: "Dann kann ich ihn im Zweifelsfall auch bitten, ihn für mich auszulagern oder ihn nachzubetrachten, solltest du mich offiziell als deine zuständige Hebamme bestätigen. Ja, das darf ich tun, wenn gerade bei dieser höchst seltenen und aus gutem Grunde sehr mit Vorsicht zu handhabenden Sonderregel auch sehr viel seelischer Druck auf dem Kindesvater lastet. Denn sicher wird er dieser Übereinkunft nicht ohne Gewissensbisse zugestimmt haben, wo er gelernt hat, dass ein Ehemann nur mit der angetrauten Frau Kinder haben darf." Béatrice bestätigte das, dass Mildrid ihn wohl dazu gedrängt hatte, diese Übereinkunft einzugehen. "Dann steht er natürlich auch unter einem beachtlichen seelischen Druck. Dann darf ich alle seinen Geist und seine Seele betreffenden Details erfahren, und wenn sie als ausgelagerte Erinnerungen einsehbar sind nachbetrachten. Ich muss dir ja nicht erzählen, wie wichtig ein stabiles seelisches Gleichgewicht bei Mutter und Vater sind und dass die Verantwortung einer Hebammenhexe nicht mit dem Ende der Stillzeit aufhört."

"Nein, Hera, musst du mir wirklich nicht erzählen", bestätigte Béatrice.

"Dann komm bitte am 8. August zu mir. Bis dahin habe ich noch einige andere Patientinnen zu betreuen, die außerhalb von Millemerveilles wohnen. Aber dann habe ich die nötige Zeit, und falls du bis dahin keine Monatsblutung hast können wir noch sicherer feststellen, ob dein Teil dieser Abmachung erfüllt wird oder ihr beiden euch noch einmal zusammenlegen müsst." Béatrice bestätigte es.

Als sie bei Millie und Julius war erzählte sie ihnen, was sie beschlossen hatte. Millie grummelte zwar, dass die Zwergen- und Riesenhasserin dann Julius' Kind holen sollte, aber außer dass Hera keinen Hehl daraus machte, dass sie mit Millies Großmutter väterlicherseits Probleme hatte könne sie auch nichts gegen sie sagen, wo sie ihr im März bei zwanzig Geburten beigestanden habe und Hera sie dabei nicht verächtlich angesprochen habe. Dann meinte Julius: "Hera hat ja förmlich drauf gelauert, auch einmal eines meiner Kinder auf die Welt zu holen. Insofern kriegt sie dann doch ihren Willen. Natürlich kannst du ganz bei uns wohnen. Rorie und die zwei kleineren Prinzessinnen haben dich doch eh schon als große Mitbewohnerin anerkannt und freuen sich doch immer, wenn sie mit dir spielen können."

"Na, Julius, ob das noch so bleibt, wenn ihre liebe Tante Trice auf einmal einen dickeren Bauch vor sich herträgt und zumindest Rorie weiß, dass dann wer neues dazukommt und dann wissen will, wer der Papa von dem Neuen ist?" wandte Béatrice ein. "Das werden wir ihr dann sicher erklären können", meinte Millie dazu.

"Also am achten August habe ich entweder den Preis der Fruchtbarkeit zu zahlen oder darf verkünden, dass die eiserne Jungfrau ihren kleinen Backofen angeheizt hat, um ein neues Zaubererweltkind auszubacken", erging sich Béatrice in einer eher ihrer Mutter und Millie üblichen Ausdrucksweise. Millie grinste deshalb wie ein Honigkuchenpferd, während Julius ganz ruhig blieb.

__________

Es war der Nachmittag des 8. August 2004. Hera und Béatrice betraten zusammen das Apfelhaus der Latierres. Aurore und Chrysope spielten gerade mit Sandrines Zwillingen im Spielbereich des großen Gartens. Sandrine beaufsichtigte die vier.

"Gemäß der Vereinbarung von Mademoiselle Béatrice Latierre darf ich Ihnen, Monsieur Julius Latierre und Ihrer Ehefrau Mildrid offiziell verkünden, dass ich heute bei Mademoiselle Latierre den Beginn einer Schwangerschaft nachweisen konnte und dass Mademoiselle Latierre mich daraufhin als ihre Mutterschaft betreuende Hebamme erwählt hat", sagte Hera. Millie verzog erst das Gesicht. Doch als Julius ein wenig verlegen nickte nickte auch Millie. Béatrice sagte dann: "Es ist schon sehr merkwürdig, es nun genau zu wissen, dass ich wohl in der vierten Woche bin, Julius. Hera hat einen ordentlich in meiner Gebärmutter eingenisteten Embryo erkennen können und den Zeitpunkt der Schwangerschaft mit den üblichen Harnproben nachgewiesen. Auch wenn ich genau weiß, was eine werdende Mutter körperlich durchmachen wird ist es für mich schon ein etwas befremdliches aber auch sehr interessantes Erlebnis, dass ich jetzt selbst ein Kind austrage. Auch wenn es dich doch bedrückt, dass wir beide dieses Kind außerhalb deiner Ehe gezeugt haben, Julius, so wiederhole ich hier vor deiner Frau und meiner ausgewählten Hebamme, dass ich dir und Mildrid helfen möchte, diesen sehr eindringlichen, höchst seltenen Auftrag einer offenbar übermächtigen Entität zu erfüllen. Da du, Mildrid, mich ja mehr als einmal darum gebeten hast, dir und deinem Mann zu helfen, indem ich seinen Sohn bekomme, hoffe ich, dass wir seinetwegen keinen unausräumbaren Streit bekommen, ob vor oder nach seiner Geburt. Julius, du betrügst deine Frau nicht mit mir, und du bist auf jeden Fall der Vater dieses Kindes, ob Junge oder Mädchen. Das ist etwas, worüber du dich hoffentlich freuen kannst, sowie bei Aurore, Chrysope und Clarimonde." Julius nickte und sagte im Beisein von Hera:

"Ich respektiere es, dass Béatrice dich als ihre Hebamme ausgesucht hat, Hera. Ich weiß, dass du dadurch auch die gewisse Berechtigung hast, in meine Lebensführung einbezogen zu werden. Ich akzeptiere das in den bestehenden Grenzen, die die Heilzunft festlegt."

"Gut, dann wird es dir sicher nicht schwerfallen, wenn ich schon festlege, dass du die geburtsvorbereitenden Leibesübungen mit der Mutter deines künftigen Kindes zusammen ausführen darfst, jeden Samstag bei mir." Millie verzog erst das Gesicht. Doch Julius sagte: "Anordnung akzeptiert, Heilerin Matine."

Béatrice war darüber erleichtert, dass die direkte Unterredung mit Millie und Julius so spannungsfrei erfolgt war. Sie hätte vor allem bei Millie erwartet, dass sie trotzig gegen Hera aufbegehrt hätte. Doch offenbar war ihr die ganze Sache zu wichtig, um zusätzliche Streitigkeiten anzufachen. Allein schon die eindeutige Bestätigung, dass die auserwählte Friedensretterin tatsächlich schwanger war schien Millie eher zu erleichtern als zu verstimmen. Julius hingegen wirkte eher so, als müsse er nun jedes einzelne Wort genau überlegen, als würde ein Geschichtsschreiber in hunderten von Jahren seine Entscheidungen überprüfen und urteilen wollen, ob der noch sehr junge Zauberer reif für diese schwere Entscheidung war oder nicht. Béatrice selbst schwang zwischen der gewissen Vorfreude auf das, was da mit und in ihr vorging und der Sorge, dass es zum einen für sie und das Kind, für das sie nun mitessen, -atmen und handeln musste gut ausging und zum anderen, dass sie dem gefühlsmäßig vielleicht nicht so gewachsen war, wie sie von ihrer Heilerinnenpraxis her glauben mochte. Doch ein Gedanke brachte sie immer wieder ins Lot: Sie war eine Latierre. Die Latierrehexen waren die geborenen Gebärerinnen. Das würde sie sich und allen anderen beweisen, dass sie dazugehörte.

"Mademoiselle Latierre hat mich darum gebeten, sicherzustellen, dass über ihre freudigen Umstände keiner außer den von ihr ausgewählten etwas erfährt. Ich gehe davon aus, dass euch die Umstandsverschleierungsunterkleidung bekannt ist?" wandte sich Hera an Millie und Julius. Julius nickte eifrig. Millie sagte laut "Ja, kennen wir." "Gut, dann verordne ich eurer nun bald höchst offiziellen Mitbewohnerin, dass sie solche Unterkleidung in mehrfacher Stückzahl hat. Seid ihr bereit, ihr dabei finanziell unter die Arme zu greifen?" Béatrice wollte schon abwinken, weil sie diese Unterkleidung bequem von ihrem eigenen Heilerinnengehalt bezahlen konnte. Doch Millie und Julius stimmten so schnell zu, dass sie kein Wort herausbrachte. Das konnte noch was geben, wenn sie gegen die beiden nicht mehr ansprechen konnte, dachte Béatrice. Doch dann begriff sie, warum Hera diese Frage gestellt hatte. "Ihr könnt euch sicher denken, dass Béatrice in den kommenden Monaten keine wilden Besenflüge mehr machen und auch nicht mehr apparieren kann. Das wird sie als Heilerin sehr einschränken. Die Zunft gewährt zwar bei Schwangerschaften das volle Gehalt, aber nur bei innerehelichen. Deshalb wird die werte Antoinette wohl nur noch die fünfhundert Bereitschaftsdienstgalleonen bewilligen, unabhängig davon, ob wir sie in euer besonderes Vorhaben einweihen oder nicht. Unsere Heilergesetze sind da noch sehr strickt ausgelegt, auch und gerade um all zu leichtfertiges Geschlechtsverhalten von Heilern und Heilerinnen zu verhüten."

"Öhm, Hera, ich bin keine Heilerin", sagte Julius. "Aber wenn Heilzauberer außerehelich ein Kind zeugen, wird denen dann auch der Lohn gekürzt? Ich hoffe, du legst mir das nicht als Frechheit aus."

"Ich bin mal so gnädig und erachte die Frage als Wille zum Erlernen weiterer Dinge für deine Pflegehelfertätigkeit, Julius", setzte Hera an und übergab dann an Béatrice. "Also, wenn ein Heilmagier nachweislich außerehelichen Geschlechtsverkehr mit einer fruchtbaren Hexe hatte und die dabei ein Kind empfängt, droht dem Heilmagier die Pfändung des halben Vermögens zu Gunsten des unehelichen Kindes und bei mehrfachem "ungebührlichem Betragen" sogar die Aberkennung der Heilerapprobation, was seine Einkommensgrundlage empfindlich beschneidet. Falls er dazu noch in einem von der Heilerzunft bereitgestelltem Haus wohnt, muss er dieses verlassen und sich eine neue Bleibe suchen, was auch ins Gold gehen dürfte", gab die nun im ersten Monat schwangere Heilerin Auskunft. Millie und Julius sogen laut zischend Luft zwischen zusammengebissenen Zähnen ein. "Das trifft die Väter ja dann härter als die Mütter", seufzte Julius. Dann nickte er und meinte: "Klar, weil ein Mann im selben Zeitraum, wo eine Frau schwanger ist an die hundert neue Kinder zeugen kann. Deshalb muss er für so einen Fehltritt wohl mindestens fünfmal so heftig bestraft werden. Hat eine gewisse Logik, dieses Gesetz."

"Das hoffe ich doch mal ganz stark", grummelte Hera ein wenig verstimmt. Dann brachte sie eine Bitte an, die schon eher eine Forderung sein mochte: "Um euer Vorgehen und die daraus entstandene Lage vollständig erfassen und verstehen zu können möchte ich sehr gerne den genauen Grund für diese Entscheidung erfahren. Béatrice erwähnte einen Albtraum, Mildrid, der dich dazu veranlasst hat, mit ihr und Julius dieses Vorgehen zu beschließen. Julius, ich erfuhr auch, dass Mildrid dir eine Erinnerungsauslagerung dieses beängstigenden Traumes zeigte. Daher gehe ich davon aus, dass dieser Albtraum als ausgelagerte Erinnerung vorliegt. Ich erbitte zur besseren Einordnung eurer aller Seelenlage die Möglichkeit, diesen beklemmenden Traum nachzubetrachten und zu erörtern."

"Öhm, Hera, dieser Traum berührt Dinge, die nicht nur unsere ganz private Angelegenheit sind, sondern auch andere betreffen", sagte Julius. Hera nickte und entgegnete: "Ich weiß, es geht um ein mit den Dusoleils geteiltes Familiengeheimnis um eine transvitale Entität, die auf Grund von Aurelie Odins und Claire Dusoleils körperlichem Tod entstand und dass du, Julius, enger mit Ashtaria verbunden bist als die meisten anderen lebenden Menschen, die Nachkommen ihrer leiblichen Kinder eingeschlossen." Julius klappte einen Moment die Kinnlade herunter. Er sah Béatrice ein wenig verdrossen an. Doch weil diese ganz ruhig zurückblickte erkannte er mit einer gewissen Resignation, dass jedes Aufbegehren und jede Verärgerung die Angelegenheit nicht leichter machen würden. "Abgesehen davon hat mir Camille als meine Stammpatientin sehr viele ihrer sie umtreibenden Geheimnisse anvertraut, ebenso Jeanne Dusoleil. Es besteht also kein Grund, euch wegen der beiden schuldig zu fühlen, wenn ihr mir Dinge zeigt, die mit deren Familiengeheimnis zusammenhängen." Die letzten Worte sprach die residente Hebammenhexe von Millemerveilles mit einer Ruhe, als ginge es nur um die Vervollständigung einer Einkaufsliste und die Erklärung, warum die Ware A im Laden B günstiger zu bekommen war, auch wenn der Laden B weiter weglag als der Laden A.

"Gut, Hera, ich hole das Gefäß, in dem Millie und ich unsere heftigsten Erinnerungen und Träume auslagern", sagte Julius. "Millie, bitte bleib hier, falls unsere zwei größeren von draußen wieder reinwollen!" Millie nickte.

Fünf Minuten später bugsierte Julius auf einer zweirädrigen Schubkarre das aus Granit gefertigte Denkarium herein. Dann rief er mit Zauberstabkreiseln die betreffende Erinnerung aus dem Gemisch der vielen bereits darin lagernden Erinnerungen hervor. Dann kniete sich Hera hin und steckte ihren Kopf in das steinerne Becken. Ab da vergingen fünf Minuten. Béatrice und die beiden Verwandten konnten beobachten, wie sich Heras Atmung beschleunigte. Sie zuckte mehrfach wie von Schlägen getroffen oder wegen erschreckender Bilder und Geräusche. Dann ruckte Heras Kopf wieder aus dem Becken. Ihr Gesicht war kreidebleich. Auf ihrer Stirn perlte kalter Schweiß. Sie keuchte angestrengt und musste sich erst einmal sicher hinsetzen. Sie brauchte eine weitere Minute, um wieder zur Besinnung zu kommen. Dann sagte sie:

"Nach allem was ich über Ashtaria und die erwähnte von ihr freigesetzte Entität weiß halte ich die von dieser Überirdischen ausgestoßene Drohung für ernst genug, dass ihr nicht anders handeln konntet. Die offenbar von Ashtaria generierten Angstbilder deuten auf eine wirklich nicht erwünschte Zukunft hin. Ich weiß zwar nicht, was die in der Traumsequenz gefallenen Begriffe bedeuten, aber wenn ich drei Leute sehe, die nach der Anrufung dieser mächtigen Zauberformel und ihrer Wirkung nur noch als Skelette übrigbleiben und Lahilliota, die Mutter der neun Abgrundstöchter, als gigantische rote Waldameisenkönigin existieren und tausende von entomanthropischen Nachkommen hervorbringen soll, dann könnten weniger geistig stabile Wesen glatt an Suizid denken, um das nicht erleben zu müssen. Insofern ist es sehr ratsam, diese Visionen nicht in unbedarfte Hände und vor allem Köpfe geraten zu lassen. Ich würde anraten, dieses Denkarium mit einer Alterslinie zu umschließen, damit eure Kinder diese Bilder nicht vor ihrem siebzehnten Lebensjahr zu sehen bekommen."

"Das Denkarium ist in einem blutsiegelgeschützten, mit Clavunicus-Schlössern gesichertem Schrank untergebracht, Hera", sagte Julius. "Wenn der Schrank verschlossen ist kann selbst der Alohomorazauber und auch keine telekinetische Beeinflussung ihn öffnen."

"Will ich sehen", sagte Hera unvermittelt forsch. Julius sah Millie an, die wiederum ihn ansah. Sie nickte. Julius lud wieder das Denkarium auf die kleine Schubkarre und winkte Hera hinter sich her. Béatrice und Millie blieben alleine in der Küche.

"Genau deshalb wollte ich die nicht als meine Hebamme haben", knurrte Millie. "Die will alles wissen und meint dann, zu allem was sagen zu müssen. Okay, macht ihr Heiler in gewisser Weise alle. Aber wenn du von uns Sachen mitkriegst kann das als Familiengeheimnis eingeordnet werden. "Wieso, das kann doch auch so gemacht werden, wenn Hera von euch Sachen zu sehen kriegt", sagte Béatrice, die durchaus verstand, was Millie umtrieb. Immerhin hatte sie durch ihre Wahl ja ihre ältere und gestrenge Kollegin Hera Matine förmlich eingeladen, bei ihren Verwandten hinter die Gardinen und unters Bett zu gucken, wo Millie das bisher durch die Wahl einer anderen Hebamme verhindern konnte. Deshalb wusste sie jetzt nicht, ob sie nun schuldbewusst oder entschlossen dreinschauen sollte. Sie entschied sich, ihre Nichte entschlossen anzusehen und zu sagen: "Wenn du und Julius das ihr laut sagen, dass alles was sie zu sehen und zu hören bekommt ein Latierre-Geheimnis ist, dann kann Hera es nicht ohne eure und meine Zustimmung verraten. Also nicht so grimmig grummelnd gucken, Millie!" Millie verzog zwar ihr Gesicht. Doch dann nickte sie. "Ja, hast ja recht, Trice. Du kannst das Kleine nicht selbst aus dir rausziehen, und ob eine von den Eauvives oder Hera dir dabei hilft kommt am Ende aufs gleiche raus. Die hätten alle wissen wollen, was Julius und mich dazu getrieben hat, dich wegen eines außerehelichen Kindes zu fragen."

Fünf Minuten später kamen Julius und Hera wieder zurück. "Ich habe deiner erwählten Hebamme erklärt, dass der Inhalt des Schrankes unter den Geheimhaltungszauber der Latierre-Familie fällt und wir nicht wollen, dass außenstehende Leute davon wissen, was wir in dem Schrank aufbewahren", sagte Julius ruhig, während Hera bereits nach ihrer Heilertasche griff. "Ich werde nur für meine Aufzeichnungen notieren, dass ich den Grund für die Wahl einer Retterin des ehelichen Friedens erfragt und die Begründung als vollkommen ausschlaggebend eingeordnet habe", sagte Hera Matine. Dann bedankte sie sich bei Béatrice und ihren jüngeren Verwandten für das Vertrauen und erinnerte Julius daran, dass er und Béatrice am nächsten Samstag um zwei Uhr Nachmittags zur Vorbereitung der anstehenden Schwangerschaftsgymnastik in ihr Haus kommen sollten. Danach verließ sie das Apfelhaus wieder.

"Was hat sie über das Kleid gesagt?" wollte Millie von Julius wissen, wo Béatrice dabei war. "Ich habe ihr erklärt, dass es ein ähnliches Artefakt ist wie der runde Stein und du es bekommen hast, um auf mich, den Vertrauten der alten Meister, aufpassen zu können", sagte Julius. "Den Stein und das Denkarium kannte sie ja. Die Schatulle mit der Flöte des Windmeisters habe ich nur als nur noch vor fremden Zugriff aufzubewahrendes Artefakt ausgegeben. Das hat ihr merkwürdigerweise gereicht. Kann sein, dass die gute Blanche ihr da schon mal was zu erzählt hat. Aber ich wollte da jetzt keinen schlafenden Drachen kitzeln, Millie und Béatrice."

"Vielleicht wären diese Gegenstände bei uns in den Schutzräumen von Tournesol besser aufbewahrt, solange ihr sie nicht jeden Tag braucht", meinte Béatrice. Doch Millie erwähnte, dass sie das Kleid wohl öfter brauchen mochte, jetzt wo sie die letzten Lernstufen geschafft habe. Dem konnte Béatrice nicht widersprechen. So kam sie auf den eigentlichen Grund, warum sie Hera mitgebracht hatte zurück.

"Gut, ihr beiden. Wir haben es alle drei angefangen. Es steht jetzt fest, dass ich von dir, Julius und nur von dir ein Kind im Schoß trage. Davon ist natürlich jetzt noch nicht viel zu sehen. Aber es ist da und wird wachsen. Das heißt also, dass wir wie vereinbart damit klarkommen werden, dass ich Julius' Kind austrage und zur Welt bringe, Millie. Ich will nicht garantieren, dass wir beide das ohne Reibereien aushalten, Millie. Aber wie bereits besprochen siehst du darin ja den einzigen Weg, diesen von dieser übermächtigen Ashtaria ausgeübten Druck abzubauen. Wie mächtig diese Entität ist haben wir zwei ja deutlich miterlebt, als sie Julius und Camille in sich einschloss und offenbar auch andere ihrer Nachfahren umschloss, als dieser eine Nachkomme ihrer Linie starb. Es wird vielleicht einige Unstimmigkeiten geben. Aber dieses Kind von Julius ist in mir drin und kommt da erst wieder raus, wenn es lebensfähig ist. Nicht, dass du doch noch auf die Idee kommen solltest, ich müsse es dir in den Bauch übertragen, damit du ganz offiziell seine Mutter wirst."

"Tante Béatrice, das hatten wir schon", schnaubte Millie. "Wenn ich einen Jungen, der von Julius gezeugt wurde, weit nach der Zeugung in meinen Bauch gezaubert kriege könnte der wegen der Magie der Mondtöchter sterben und dann als glibberiger Schleim aus mir rausquellen. Will ich nicht wirklich. Deshalb sage ich noch mal auch für den Herren hier, den sein anglikanisches Gewissen immer noch anpiekst, dass ich das will, dass du sein Kind auf die Welt bringst. Ob ich es danach von dir erbitte oder dich als seine Mutter anerkenne möchte ich erst sagen, wenn das Kind ein Junge wird und sicher auf die Welt kommt."

"Zumal ihr zwei ja jetzt auch wieder drangehen könnt, euer viertes Kind zu zeugen, gemäß unserer Übereinkunft", erwiderte Béatrice Latierre mit einem schalkhaften Zwinkern. Doch innerlich fühlte sie einen gewissen Neid, weil Millie nun wieder vollkommen auf Julius zugreifen durfte. Wäre sie nicht im ersten Ansatz schwanger geworden, dann hätte sie ihn gemäß der Übereinkunft noch einmal zum Beilager auffordern dürfen. So war es ihr nun nicht mehr erlaubt.

"Hmm, wenn wir uns da ranhalten, Trice, was machst du, wenn Millie knapp einen Monat nach dir entbinden sollte, wo du die Wochenbettzeiten für sie so streng durchgesetzt hast?" fragte Julius. Seine Frau grinste verwegen.

"Das diskutieren wir gerne, wenn ich weiß, dass Millie nur einen Monat hinter mir ist, Julius, nicht vorher", erwiderte Béatrice ganz ruhig. Dann fragte sie, ob sie ihr bisheriges Zimmer behalten durfte, weil sie sich darin so gut aufgehoben fühlte und weil sie von da aus so gut den Wald um das Grundstück der latierres betrachten konnte. Millie und Julius erlaubten ihr, nun auf unbestimmte Zeit in diesem Zimmer zu wohnen und die für alle anderen zugänglichen Räume genauso nutzen zu dürfen wie bisher, wo sie erst für Millie als betreuende Hebamme und danach als beigeordnete Heilerin auf Zeit für die Betreuung der von Vita Magica erzwungenen Schwangerschaften hier gewohnt hatte. "Gut, dann hole ich meine komplette Habe aus dem Schloss rüber. Der Kleiderschrank ist ja groß genug", sagte Béatrice. Millie und Julius bestätigten das.

"Ich werde die kaschierende Unterwäsche tragen, wenn ich im Haus oder außer Hause unterwegs bin. Aber es wird sich nicht verhindern lassen, dass Aurore, Chrysope und Clarimonde irgendwann mitbekommen, dass noch ein Säugling in diesem Haus ankommt. Ich hoffe mal sehr, dass ihr beide mir helft, es vor allem Aurore beizubringen, dass das Kleine und ich hier ebenso wohnen dürfen wie sie."

"Da haben wir zwei uns schon drüber verständigt", setzte Millie an. "Du bekommst bald auch ein Baby, und Julius ist bereit, es wie sein eigenes großzuziehen und dass das Kind dann wohl auch Papa zu ihm sagt, wenn es keinen anderen Kennt, der es so liebt und versorgt wie ein Vater. Das kommt der Wahrheit so nahe, dass es schon ganz laut klingelt. Aber natürlich hast du recht, dass wir Rorie und Chrysie nicht die ganze wilde Wichtelparty erzählen können, bis sie beide alt genug sind, um zu kapieren, was da los war. Hera hat da ja eine klare Grenze gesetzt, nicht vor Chrysies oder Clarimondes siebzehntem Lebensjahr, also spätestens erst im Jahr 2020."

"Und wenn ihr zwei relativ schnell das vierte Kind auf den Weg bringt, also wohl die vierte Tochter?" fragte Béatrice vorsorglich. "Dann wächst die eben mit dem Kind, was du von Julius bekommst wie mit einem nur wenige Wochen älteren Zwillingsgeschwister auf, entweder mit einer Großcousine oder einem Bruder." Julius fügte dem noch hinzu:

"Wir hatten in den letzten Wochen genug Zeit, uns das für die Kinder zurechtzubiegen, wie wir denen das erzählen. Wir wollten ja schließlich, dasss du und das Kleine mit uns zusammen lebt. Ob Rorie auf ein neues Baby eifersüchtig würde oder Clarimonde das nicht so gut findet, dass da noch wer kleineres im Haus ist, der oder die mehr Zuwendung braucht weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass wir, Millie, du und ich, das bisher hinbekommen haben, mit allen Kindern irgendwie auszukommen und die dazu zu kriegen, mit anderen Kindern klarzukommen, ob Geschwister oder andere Verwandte. Rorie fragt auch immer noch danach, warum der Phil von Tante Uranie nicht mehr zum Spielen kommt, auch wenn der immer so ruppig zu ihr war."

"Hmm, kriegt ihr noch was von Uranie und ihren Kindern mit. Ich meine, ich kann die Eauvives fragen. Aber die würden das glatt als ihre ganz eigenen Familienangelegenheiten festlegen und mir das nicht auf die Nase binden."

"Also, Phil redet häufiger mit Callisto Eauvive, weil die sich auf Kinderbetreuung spezialisiert hat und wie Clémentine auch Hebamme oder Amme sein kann. Der hat immer noch Angst, weil ihn keiner mehr haben wollen könnte, jetzt wo seine drei jüngeren Geschwister da sind. Das mit dem Vater von den dreien konnte ihm seine Mutter noch nicht richtig erklären, wohl weil sie selbst keine Lust hat, sich damit auseinanderzusetzen. Callisto Eauvive ist schon drauf und dran, sich von Hera die Erlaubnis zu holen, Uranie und Phil als offizielle Mutter-Kind-Betreuerin zu beaufsichtigen. Doch ihre Mutter und eure oberste Chefin hat ihr davon abgeraten, weil sie sonst ein Zerwürfnis zwischen sich und Uranie hervorrufen könnte", sagte Julius. Da regte sich die gemalte Version von Gründungsmutter Viviane Eauvive in ihrem magischen Vollporträtgemälde und sagte: "Gut, nun wo du Julius' Kind und somit auch einen weiteren Eauvive-Nachfahren austrägst, Béatrice, darfst du das wohl wissen. Uranie ist davon besessen, nun ganz ohne männlichen Beistand die vier Kinder großzuziehen. Das missfällt zwar Albert, weil er als Hausherr von Schloss Florissant auch ein gewisses Mitspracherecht bei in seinem Schloss wohnenden Kindern beansprucht. Aber Uranie hat ihm und Antoinette in Hörweite meiner Ausgabe im Château Florissant klargemacht, dass sie mit Philemon und den drei anderen lieber nach Martinique oder Réunion auswandert, als sich noch mal auf einen Mann in ihrem Leben einzulassen, der nicht der Vater der Kinder ist. Das muss Antoinette erst einmal hinnehmen. Denn Uranie ist ansonsten geistig völlig gesund und somit fähig und berechtigt, ihre Kinder zu versorgen."

"Ich werde wohl auch mit Antoinette reden müssen, wenn ich ein paar Wochen weiter bin, Viviane. Wir hatten in unserer Familiengeschichte auch einen Fall, wo eine unehelich schwanger gewordene Mutter jede Beratung abgelehnt hat und jeden Mann von ihren beiden Kindern fernhalten wollte. Das hat dazu geführt, dass sie ständig vor dem Kindsvater und dessen Angehörigen auf der Flucht war, ohne zu bedenken, dass im Sonnenblumenschloss eine Vorrichtung ist, um in Gefahr oder Not gewähnte Blutsverwandte zu orten. Am Ende ist sie nach Südafrika ausgewandert. Unterhalb des Äquators kommt die Ortungsvorrichtung durcheinander, weil die noch aus dem 13. Jahrhundert ist."

"Haben wir auch im Château Florissant", sagte Viviane. "Mein Original hat es sogar mit Ascanius und der ersten Namensträgerin von Julius' und Mildrids dritter Tochter eingerichtet. Leider ist das mit der Ortbarkeit südlich des Äquators auch bei uns unmöglich, eben weil es nur die damals bekannten Erdteile erfassen konnte. Da ist selbst Amerika noch nicht zu erfassen."

"So, was kommt denn dann dabei heraus, wenn diese Ortungsvorrichtung nach einem in den Staaten oder Südamerika weilenden Nachkommen gefragt wird?" wollte Julius wissen. "Extra Terra cognita!" grummelte die gemalte Viviane. Béatrice musste lachen. Genau diese Meldung kam wohl auch von der Ortungsvorrichtung im Sonnenblumenschloss. "Wird wohl sein, dass deine Nachfahren mit meinen Vorfahren irgendwann doch mal inniger auskamen als in den letzten dreihundert Jahren."

"Die Stammbäume verraten dies überdeutlich", erwiderte Viviane. "Ja, und wohl dadurch konntet ihr in eurem Schloss auch den Blutsverwandtenfinder einrichten."

"Moment mal, dann könntet ihr auch mich mit diesem Ortungsding finden, Viviane, solange ich nicht südlich vom Äquator und westlich von den Kanaren unterwegs bin?" wollte Julius wissen. Viviane bejahte das unter der Bedingung, dass mindestens vier Eauvive-Nachfahren der festen Überzeugung waren, dass er in Gefahr schwebe oder in großer Not lebe. Béatrice legte noch nach, dass er dadurch, dass Millie schon drei Kinder von ihm bekommen habe und jetzt sie sein Kind austrug auch die Latierres ihn als Vater von Blutsverwandten finden konnten. "Oha", machte Julius darauf. Das hatte ihm offenbar noch keiner gesagt, auch Béatrice nicht.

"Ja, aber zumindest wissen wir jetzt alle, dass wir nicht so biestig miteinander umgehen wollen wie Uranie mit dem Vater von Lune Aminette, Lyre Estelle und Antares Algol", stellte Julius klar. Millie und Béatrice bestätigten das. Dann lauschten sie beide, was die Kinder draußen trieben. Gemäß der Grundregel, dass laute Kinder ganz normal spielten und bei ruhigen Kindern besser mal nachgesehen werden sollte, konnten die drei sich in Ruhe weiter über die nun anstehenden Wochen und Monate unterhalten.

So ging es noch um Julius Arbeit im Ministerium. "Offenbar hat Monsieur Beaubois mit einigen anderen Unterbehördenleitern beschlossen, mir nicht mehr alles mitzuteilen, was nicht unmittelbar in meinen Zuständigkeitsbereich fällt. Aber ich habe wohl mitbekommen, dass diese neue Vampirgruppierung, die sich Liga freier Nachtkinder nennt, wohl einen Schlag gegen die Blutgötzin und ihre Sekte gelandet und eine große Sonnenschutzfolienfabrik bei Bayonne zerstört hat. Offenbar ging und geht es den selbsternannten freien Nachtkindern nicht darum, sich diese Schutzfolien zu sichern. Dafür habe ich einen Anruf von meiner sogenannten Cousine Loli auf meinem Anrufbeantworter gefunden, dass sie hofft, dass ich nicht mit der nachtschwarzen Königin oder den bleichgesichtigen Anbetern einer roten Göttin zusammengerate, weil ihre Mutter, meine Tante Alison, dann sicher ganz traurig wäre. Ich habe gemeint, den Halbstundenschlag von Westminster im Hintergrund zu hören, als wenn diese Loli gerade in London unterwegs war. Falls ja hat die ihr Jagdrevier verlegt oder einen ihrer vielen "Verehrer" dort besucht. Beides nicht wirklich lustig. Ich habe schon eine E-Mail an Tim Abrahams rausgeschickt. Du kennst den ja, Trice." Die angesprochene nickte. Dann sagte sie: "Die wollen dich einschüchtern, Julius. Diese Loli, also diese Tochter des schwarzen Wassers, will dir vorführen, dass sie überall hinkann, auch dahin, wo du vielleicht noch wen dir wichtiges wohnen hast. Nur wenn du Alarm schlägst ist sie schneller wieder fort als jemand von uns dort auftauchen kann. Lass dich bitte nicht auf ihr Katz-und-Maus-Spiel ein, Julius! Da bist du schon einmal fast mit auf die Nase gefallen."

"Leider zu wahr um abgestritten zu werden", sagte Julius. "Ja, und seitdem ich eine schriftliche Nachricht von den Mondtöchtern bekommen habe, dass sie die drei erfolgreich geheilt haben und die südamerikanische Zauberkundige eine von ihnen werden möchte und die zwei anderen im Tiefschlaf ausharren, bis wir ihnen das Kind der einen Werwölfin bringen können ist die Werwolfbehörde nicht wirklich gut auf mich zu sprechen. Wenn die könnten würden die mir anhängen, dass ich die Ermittlungen gegen die Mondbruderschaft behindere. Doch weil einige von den Kollegen versucht haben, in die Mondburg reinzukommen und dabei ziemlich heftig von den Mondtöchtern zurückgeschlagen wurden wissen die jetzt, dass die denen zu mächtig sind und ich dann erst recht keine Chance habe, denen wen oder was immer wegzunehmen."

"Aber mit Nathalie und der Ministerin verstehst du dich noch gut?" fragte Béatrice. Julius bejahte das. "Allerdings denke ich, dass Simon Beaubois irgendwann die Glockenschnur zieht und mich aus der Abteilung für magische Wesen wegbefördern könnte. Im Moment kann ich froh sein, dass ich wenigstens die Menschen-Zauberwesen-Kontaktstelle gut in Gang halte und als Veelabeauftragter nach der miesen Sache mit Euphrosyne Blériot noch zu wichtig für das Ministerium bin, als mir einen Berufswechsel in eine andere Behörde oder an einen anderen Dienststandort anzuempfehlen. Ja, und Nathalie hat natürlich über ihre noch vibrierenden Drähte in alle Abteilungen mitgekriegt, dass ich in der Abteilung nicht mehr viele Freunde außer vielleicht noch Tante Babs und Adrastée Ventvit habe und will prüfen, ob die Menschen-Zauberwesen-Behörde nicht auch dem Büro für friedliche Koexistenz unterstellt wird. Dann hätte ich aber durchaus wieder mehr Befugnisse, um mich über Zauberwesenaktivitäten auf dem Laufenden zu halten. Aber im Moment will sie wohl noch abwarten, wie es weitergeht."

"Das hoffe ich doch mal, dass du weiterhin ein sicheres Einkommen hast, Julius. Unabhängig davon, ob ich jetzt deinen ersten Sohn oder deine vierte Tochter trage ist dir sicher genauso wichtig wie mir, dass das Kind nach der Geburt genug zu essen und anzuziehen bekommt."

"Ja, und im Zweifelsfall könnte Julius auch bei Gilbert und mir in der Redaktion der Temps arbeiten", sagte Millie. Julius erwähnte einmal mehr, dass er dann auch bei Camille Dusoleil in der grünen Gasse anfangen könnte. Also hatte er noch genug Auswahlmöglichkeiten.

Abends holte Béatrice noch ihre ganzen Sachen aus dem Sonnenblumenschloss herüber. Ihrer Mutter und ihrem Stiefvater erzählte sie erst einmal nur, dass sie Heras Bitte entsprechen wollte und als dauerhafte beigeordnete Heilerin in Millemerveilles weitermachen wollte und deshalb bei Millie und Julius im Apfelhaus wohnte.

Als sie dann in ihrem neuen alten Einzelbett lag strich sie sich verstohlen über den noch flachen Bauch. Dort drin keimte gerade ihr erstes Kind auf. Trotz allem, was an unangenehmen Sachen daranhing, die Vorstellung, doch noch was eigenes in die Welt zu bringen gefiel ihr sehr. Wenn sie dabei auch an die wilden Nächte mit Julius dachte, dann gefiel es ihr sogar noch mehr. Ein wenig betrübt war sie nur, weil sie wohl nach der Geburt ihres Kindes keine so leidenschaftlichen Liebesakte mehr erleben würde, falls sie nicht doch noch wen fand, den sie heiraten wollte. Doch wenn sie auch ohne Ehemann Mutter werden konnte, dann hatte das noch zeit.

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Sie trafen sich bei den Montferres. Auch Pattie und Marc waren mit dem kleinen Antoine hingekommen, um Sabines und Sandras, sowie Callies und Pennies Geburtstag zu feiern. Das Béatrice gerade selbst ein Kind erwartete bekam von den Gästen keiner mit. Callie und Pennie wollten von ihr nur wissen, ob sie jetzt ganz in Millemerveilles wohnte, weil sie da mehr zu tun hatte. Sie bestätigte beides. "Die ganzen jungen Mütter da freuen sich, wenn sie zwei Heilerinnen besuchen können", sagte Béatrice zu Pennie. "Ja, aber wenn Callie und ich wen kleines im Bauch haben?" fragte Pennie provokant. "Dann melde ich euch bei meinen Kollegen als kurioses Elternpaar an, dass zwei Schwestern ein gemeinsames Kind hingekriegt haben", sagte Béatrice. Pennie machte nur "Häh?!" Dann grummelte sie: "Neh, von Callie will ich echt kein Baby kriegen. Das würde ja dann schon vor der Geburt nur noch mit Lockendrehern hantierenwollen oder die Lieder von dieser Warbeck nachsingen: "Rühr in meinem Kessel" oder "Du hast mir das Herz aus dem Leibe gezaubert". Neh lass mal! Ich seh zu, mir einen Zauberer auszusuchen, der es mit mir aushält und lass mich von dem auffüllen."

"Ja, klar, wenn ich den zuerst hatte", sagte Callie. "du kleine Schwester hast ja immer das nachgemacht, was ich vorgemacht habe. Erst aus Mas Bauch rauskrrabbeln, dann alle möglichen Windeln vollkäckeln und noch so einiges mehr", tönte Callie.

"Ja, aber wenn du dir wen gezogen hast ist der zu platt, um noch mit mir was loszumachen", erwiderte Pennie. "Mädels, klärt das unter euch, wer wessen Babys zu kriegen hat. Erst wenn die dann bei einer von euch eingezogen sind wird es für mich wichtig", sagte Béatrice und wandte sich ihrer älteren Schwester Barbara zu, die gerade von einer Unterhaltung mit Pattie zurückkam und sich nach ihren beiden Zwillingssöhnen umsah. Die spielten mit den Brüdern von Sabine und Sandra.

"Hallo Trice. Du bist jetzt ganz bei Millie und Julius eingezogen?" fragte sie. "Ja, ich habe Heras Bitten erhört, Babs. So kriege ich auch gut mit, wie sich Aurore, Chrysope, Clarimonde und wer sonst noch dazukommen wird entwickeln", sagte Béatrice. Was würde es geben, wenn Barbara und vor allem Hippolyte den wahren Grund für ihren Wohnsitzwechsel erfuhren?

"Ist ma sicher sehr schwergefallen, dich ziehen zu lassen, wie?" fragte Barbara. Béatrice erwiderte, dass ihrer beider Mutter das seit der dunklen Welle und Sardonias Kuppel doch gewohnt sei und sogar froh sei, dass ihre drei Urenkelinnen gut betreut wurden.

"Ja, und dass Tine Zwillinge trägt hast du auch gehört?" fragte Babs. Ihre jüngere Schwester bestätigte das. "Hat schon einen ersten Krach zwischen Alons Mutter und Tetie gegeben, weil die unterschiedliche Auffassungen von Schwangerenbetreuung haben. Kann sein, dass Tine dich doch noch als Hebamme wählt."

"Der Schnatz ist schon gefangen, Babs. Tine hat Alons Mutter gesagt, dass sie ihrer Großmutter noch einiges schuldig sei und ich ja wohl noch genug mit den ganzen Frühlingskindern zu tun habe. Was immer Tetie Hipp und Tine versprochen oder angedroht hat, es wirkt wohl. Aber du kannst Tine selbst fragen, sie unterhält sich gerade mit Millie."

"Ja, darüber, dass Tine schon die Erfahrung macht, Zwillinge zu kriegen, die Millie noch nicht hat", erwiderte Babs. "Da fuhrwerke ich als zweifache Zwillingsmutter sicher nicht zwischen. Béatrice bejahte es. Da kam Millie zu ihnen beiden herüber:

"So, Tine meint, sie würde mit dem Zwillingswurf meinen Vorsprung locker ausgleichen und hofft auf zwei Jungs. Wenn die genau so klein sind wie Alain hat sie wenigstens keine so großen Probleme, wenn die ankommen."

"Und du bist nicht eifersüchtig, weil Tine zwei auf einmal bekommt?" fragte Babs.

"Ich habe es bei Sandrine Dumas mitbekommen, wie heftig das ist und bei denen allen, die von der Verbrecherbande zum Kinderkriegen gedrängt wurden. Ich meine, wenn ich demnächst wieder was kleines von Julius ausbrüten darf bin ich Tine dann wieder um ein Kind voraus. Also warum soll ich eifersüchtig auf sie sein. Auch wenn's meine große Schwester ist, ich habe schon lange genug mein eigenes Leben."

"So hast du vor fünf Jahren noch nicht geklungen. Da war es dir wichtig, dass du Tine voraus bist", sagte Babs. "Ja, und? Bleibe ich dann ja auch, wenn ich irgendwann von Julius das vierte Kind kriege. Das habe ich Tine auch erzähltg. Das hat ihr nicht wirklich gefallen. Also, wenn hier wer eifersüchtig auf ihre Schwester ist ist das Tine."

"Wenn du das meinst", sagte Barbara Latierre. Dann hörte sie wohl ihren Namen und wandte sich einer jungen Mutter aus der Nachbarschaft der Montferres zu, die ein wenig gestresst aussah.

"Oh, wollte die gute Tante Babs mich ärgern und hat's nicht geschafft?" fragte Millie. Béatrice antwortete darauf nur: "Offenbar hat sie damals mit deiner Mutter mehr Schwesternkäbbeleien erlebt und meint, du müsstest das mit Tine auch haben." "Meint sie", erwiderte Millie schnippisch.

"Öhm, kannst du mich in einer Woche mal untersuchen, falls ich bis dahin nicht die rote Phase habe?" wisperte Millie ihrer Tante zu. Diese sah sie verschmitzt grinsend an und erwiderte: "Wie, meinst du, du würdest schon wieder für wen mitessen?" "Ich denke, das Prinzessinnenzimmer wurde für eine längere Unterbringung angewärmt. Aber ich will noch eine Woche warten."

"Gut, ich kann die entsprechende Untersuchung machen", sagte Béatrice leise. Millie nickte. Dann ging sie zu Pattie hinüber und sprach mit ihr über Antoine.

"Das wäre wirklich ein Ding der Schöpfungsmutter, wenn Millie wirklich nur vier Wochen hinter mir liegen sollte", dachte Béatrice.

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Julius erwähnte, dass er nur noch über umwege mitbekam, was sich bei den Vampiren und den Nachtschatten tat. Zumindest schinen die Nachtschatten im Augenblick damit zu tun zu haben, sich über die Welt zu verteilen. Sie waren jetzt auch in Zentralafrika und in brasilien gesichtet worden. Offenbar ging es denen darum, auf allen Erdteilen wen zu haben, sowie die Anhänger der selbsternannten Göttin aller Nachtkinder.

"Und sie teilen dich nicht mehr für Außeneinsetze ein?" fragte Béatrice.

"Nicht, bevor ich denen nicht die Mondgeschwister anbringe, die ich in die Burg der Mondtöchter reingeschickt habe. Auch wenn die Werwolfbehörde jetzt von Berthold Deroubin geführt wird machen die immer noch Stimmung gegen mich. Dabei weiß ich im Moment nicht, wie ich dieses kind finden soll", sagte Julius. Da bimmelte Millies Digeka. Sie eilte in ihr Büro. Dabei schien es, als habe sie ein leichtes Gleichgewichtsproblem.

"Millie meint, die vierte Prinzessin ist unterwegs. So deutlich wie jetzt habe sie das bei den drei größeren nicht gespürt", wisperte Julius.

"Ja, aber sie weiß auch, dass sie sich für die Niederkunft dann vielleicht eine andere Hebamme aussuchen muss, wenn ich die volle Wochenbettphase durchstehen muss", mentiloquierte Béatrice. Laut sagte sie: "Na ja, wenn Tine schon wieder Mutter wird muss sie ja schnell nachlegen." Da kam Millies verärgerter Ausruf aus dem unteren Stockwerk. "Drachenmist! Unsere Leute sind gegen die Kenianer raus. Janine hat den Schnatz nicht erwischt. Endstand: dreihundertsechzig zu dreihundertvierzig. Soviel zur Titelverteidigung."

"Schade!" rief Julius laut. Béatrice wollte ihn tadeln, sie nicht so zu erschrecken. Doch ihr war klar, dass es für die französische Mannschaft schon eine herbe Niederlage war, nicht einmal ins Viertelfinale gekommen zu sein. "Tja, da wird Hipp wohl bald schon wieder nach Hause zurückkommen", vermutete Béatrice. "Ja, oder sie will als Vertreterin des nun geschlagenen Weltmeisters die Pokalübergabe an den neuen Weltmeister vornehmen. Im Grunde muss sie das ja", sagte Julius. Béatrice nickte verhalten. "Beim Fußball gilt bisher, das wenn in Europa eine WM läuft, keine amerikanische Mannschaft gewinnt, und wenn eine WM in Amerika ist gewinnt keine europäische Mannschaft."

"Dann sind jetzt noch Australien, Peru, Russland, Kanada, Schottland, Irland, Belgien und eben Kenia im Turnier", fasste Julius zusammen, als Millie mit der traurigen Botschaft aus Übersee hereinkam. "Ja, und die Peruaner rechnen sich schon aus, dass sie endlich den Pokal kriegen, und die Russen wollen die Ehre der slawischen Zauberergemeinschaftg verteidigen. Aber wir hätten mindestens noch eine Runde weiterkommen müssen. Janine war zu langsam. Fünf Stunden Spiel mit gut abgesicherten Angriffen und mehreren vereitelten Torwürfen. War sicher sehr spannend", sagte Millie.

"Ist nur schade für Bruno und César, weil die sich bei den letzten Partien echt gut aufeinander eingespielt haben", meinte Julius. Millie bestätigte das. Da bimmelte der Distantigeeminus-Kasten in Millies Arbeitszimmer wieder. Sie lief wieder los und musste aufpassen, nicht aus der Bahn zu fliegen. "Millie, die Nachricht rennt nicht weg!" rief Béatrice.

"Untersuchst du sie heute noch?" fragte Julius. "Da sie will, dass du es zeitgleich mit ihr erfährst erst, wenn du wieder da bist, Julius", sagte Béatrice. "Aber dann könnte es ihr passieren, dass ich sie an Hera oder Chloe Eauvive weitervermittel. Sie wollte das schließlich so."

"Janine hat gerade ihren Ausstieg aus der Nationalmannschaft verkündet. Sie meint, dass sie jetzt doch lieber was machen soll, was weniger aufreibend ist", trällerte Millie. Béatrice rief zurück: "Wusstest du das noch nicht, dass die Weltmeisterschaft ihr letztes offizielles Turnier sein sollte?" Millie rief zurück: "Ja, sie hat's angedeutet. Aber sie hat auch schon vor zwei Jahren aufhören wollen und sich dann doch noch dazu entschlossen, bei den anderen mitzumachen", rief Millie zurück. Dann brachte sie die neue Nachricht mit und gab sie Julius zum vorlesen. Als er Millies kurze Meldung bestätigt und die daran hängende Geschichte vorgelesen hatte sagte Béatrice: "Tja, dann wird sie jetzt wohl auch zusehen wollen, dass sie Mutter wird. So liest sich das von wegen neuer Herausforderungen fürs Leben."

Béatrice verabschiedete Julius in seinen Arbeitstag und wünschte ihm, dass er vor menschenfeindlichen Zauberwesen verschont werde. Dann stattete sie einigen Patientinnen Hausbesuche ab. Hera und sie hatten sich darauf verständigt, dass sie erst im September ihre Heilerinnenpflichten zurückstellen sollte. Heute war ja erst der 23. August.

Am Nachmittag lud sie Millie und Julius in das zum Sprechzimmer ausgebaute Schlafzimmer im Apfelhaus ein. Dort untersuchte sie Millie erst mit dem Einblickspiegel und dann mit den üblichen Untersuchungslösungen. "Gestatio affirmativa positiv, Madame Latierre. Sie befinden sich laut der Kristallausfällung in der dritten Woche. Aber es könnten mehr als eine befruchtete Eizelle in Ihrem Uterus aufgekeimt sein. Ich sehe da nämlich zwei entsprechende Unebenheiten. Vielleicht ist da sogar noch eins mehr."

"Öhm, Zwillinge?" fragte Julius. Béatrice sah Millie an und hielt Julius den Einblickspiegel und das Vergrößerungsglas entgegen. "Guck dir das an, Julius. Falls sie recht hat ist das echt ein Ding", meinte die auf der Untersuchungsliege gebettete Mildrid.

Julius hantierte mit den beiden Instrumenten und wiegte den Kopf. "Stimmt, ich sehe da zwei sauber voneinander getrennte Bläschen, die so aussehen wie damals, wo du Aurore und Chrysie im Bauch hattest. Aber das wäre echt heftig."

"Heftig, aber hoffentlich wunderschön", sagte Millie dazu. Alle hier verstanden, wie sie es meinte. Denn falls Béatrice den von Ashtaria gewünschten Sohn austrug, dann konnten Millieund Julius ohne ihren Druck so viele Töchter kriegen wie sie wollten. Dann war es auch egal, ob sie fünfzehn oder achtzehn Jahre warten mussten, um vielleicht doch noch einen eigenen Sohn auf den Weg zu bringen. Somit würde Béatrice im April, Millie wohl im Mai Mutter werden, und Julius wurde gleich dreifacher Vater. Doch näheres würde sich erst erweisen, wenn Béatrice und Millie mindestens zwei Monate weiter waren und aus den gerade als Kugeln erkennbaren Embryonen entwickelte Föten geworden waren.

"Na ja, wird Ma sicher freuen, mindestens drei neue Enkel begrüßen zu dürfen. Das wird sie über die Niederlage Frankreichs hinwegtrösten", sagte Millie. Dem stimmte Béatrice zu. Doch dann meinte sie: "Dir ist aber klar, dass wenn du echt nur drei Wochen hinter mir liegst und Zwillinge trägst, ich die beiden nicht auf die Welt holen kann, solange ich da selbst in der Wochenbettphase bin. Insofern solltest du dir überlegen, wem du dich anvertrauen möchtest, solange es eine anständig ausgebildete Heilhexe ist."

"Das habe ich mir schon überlegt, Trice. Wenn Hera dich schon betreut, dann kann die auch mich durch die Schwangerschaft und Geburt betreuen. Dann soll das eben so sein, dass sie zwei oder eben drei Kinder von Julius auf die Welt holt."

"Tja, wem sagen wir es zuerst und wie?" fragte Julius. "Also Rorie und Chrysie sollen es erst wissen, wenn die zwei mindestens größer als eine Walnuss sind", meinte Millie, die sich scheinbar sehr schnell mit dem Umstand abfand, mit Zwillingen in anderen Umständen zu sein. "Ja, und Ma kriegt es mit den anderen erst, wenn Ma aus Kanada zurückgekommen ist. Ich freu mich aber schon auf Tines verdutztes Gesicht, wenn ich der das unter die Nase reibe, dass sie doch nicht meinen Vorsprung aufholen kann."

"Vielleicht ist das eine Art von Vergeltung der Mondtöchter, weil wir ihre ursprünglichen Vorgaben ausgehebelt haben", sagte Julius. Millie wiegte ihren Kopf und meinte: "Dann hätten die mir gleich drei oder vier von dir ins Prinzessinnenzimmer geschickt, um dich und mich zu maßregeln. Aber so ganz abwegig ist es nicht. Vielleicht liegt's aber auch nur an meinem Körper, weil der über Wochen aus dem Trott war, als ich in der Stadt war", meinte Millie dazu. Béatrice und Julius konnten das nicht eindeutig ausschließen. Am Ende hatte noch Kailishaia daran gedreht, dass ihre lebende Schülerin zur Belohnung für ihre Leistung zwei Töchter von Feuer und Erde bekam.

Béatrice wurde nachdenklich. Sie hatte damit gerechnet, dass Millie möglichst schnell nachlegen würde. Doch wenn diese nun Zwillinge trug hatte sie sicher mehr Aufmerksamkeit als sie, die sie laut Einblickspiegel nur ein Kind erwartete. Außerdem würde die Erleichterung, wieder Nachwuchs von Julius zu erwarten, in totale Verzweiflung umschlagen, falls sie, Béatrice, auch eine Tochter austrug. Somit lag es an oder besser in ihr, ob sie wirklich den Ehefrieden der beiden rettete oder ihn ganz unbeabsichtigt vollkommen zerstörte. Ja, und was würde diese Ashtaria dann unternehmen, wenn ihre Forderung nicht erfüllt wurde? Sie hatte ja schließlich diesen Albtraum nachbetrachtet und sich mittlerweile von Julius erklären lassen, wem Millie dabei alles begegnet war und dass Kahanaantorian unruhiger Geist oder Geist der Unrast hieß. Ob dieser übergroße Nachtschatten wirklich einmal existieren würde wagte sie nicht zu bedenken. Doch dass Ashtarias in der Welt wirkende Zauberkraft verging, sobald es keine lebenden Nachkommen von ihr gab hielt sie mittlerweile für gegeben. Schon immer hing die Macht verstorbener Menschen und Wesen davon ab, wie dauerhaft ihre Ideen bewahrt wurden oder wie beständig ihre Nachkommenschaft war. Insofern galt das sicher auch für Ashtaria, die von den Gedanken und Lebenskräften ihrer lebenden Nachfahren abhängig sein mochte. Hing das Schicksal dieser transvitalen Entität am Ende echt von dem ab, was gerade in ihrem Unterleib vor sich ging? Béatrice ertappte sich dabei, wie sie daran dachte, dass von ihrem fruchtbaren Schoß der Lauf und der Bestand der ganzen Welt abhängen könnte. Nein, das war zu viel selbstbeschworene Verantwortung. Sie hatte schon häufig Patientinnen abgeraten, von ihren Kindern oder ihren eigenen Körpern zu viel abhängig zu machen. Dann sollte sie auf keinen Fall damit anfangen, sich für die mögliche Überlebenshilfe für die ganze Menschheit zu halten, wenngleich diese Idee für narzistisch veranlagte Hexen sicher höchst attraktiv war: "Ich trage das Schicksal der Welt in meinem Schoß". Ja, sie kannte einige, die sowas sehr gerne denken mochten. Aber sie war keine Heilsbringerin wie die christliche Gottesmutter oder Baubo, die Thessalische Hexenkönigin und angebliche Tochter der Urhexe Hecate. Sie war Béatrice Latierre, die jüngste Tochter von Ursuline und Roland Latierre.

"Dann wirst du auf jeden Fall mit gleichaltrigen Halbschwestern groß", sprach sie leise zu dem noch unbenannten Kind in ihrem Leib. Auch wenn es sie noch nicht hören konnte sollte es wissen, dass es willkommen war, egal ob Junge oder Mädchen. Jetzt ertappte sich Béatrice sogar dabei, auf ein Mädchen zu hoffen. Denn dieses würde sie auf jeden Fall behalten dürfen. Wie würde sie sie dann nennen? Desdemona Martha, nach ihrer Urgroßmutter väterlicherseits und nach der Mutter des Kindsvaters.

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"Ja, dann kommst du ab September wieder jeden zweiten Abend zu mir, und wir nehmen all die Zauber und Tränke dran, die wir wegen der wirklich wichtigen Schutzzauber noch nicht besprechen konnten", sagte Louiselle zu Laurentine, als diese sie in ihrem kleinen Schloss in der Nähe der Rhone traf. Laurentine meinte dann noch:

"Wie erwähnt weiß ich im Moment nicht, wie ich dir die Stunden vergüten kann."

"Ichhabe mir das überlegt, weil du mir ja einiges von deiner Urlaubsreise Ende Mai und Anfang Juni erzählt hast. Da ist mir klargeworden, dass ich vielleicht doch ein wenig mehr über die nichtmagische Welt wissen sollte. Da du ja die Kleinen in Millemerveilles unterrichtest machen wir zwei beiden das eben Quid pro quo. Du gibst mir was von deinem Wissen ab, ich dir weiterhin von meinem Wissen. Womit du anfängst und was du meinst, mir genauer beizubringen überlasse ich dir, weil du ja mittlerweile die entsprechenden Erfahrungen gesammelt hast", erwiderte Louiselle Beaumont. Laurentine nickte. So ging es natürlich auch, dachte sie und erkannte zugleich, dass Louiselle diese Gelegenheit gerne nutzen wollte, von einer von Nichtmagiern abstammenden Hexe Sachen aus der rein technischen Welt zu lernen, ob Alltäglichkeiten oder Besonderheiten.

"Gut, du machst den Zauberkundelehrplan für mich und ich den Muggelkundelehrplan für dich, Schwester Louiselle", stimmte Laurentine zu. Louiselle lächelte, als Laurentine sie als ihre Schwester ansprach. Sie nickte ihrer neuen Mitschwester einverstanden zu.

Nach dem kurzen Besuch bei jener Hexe, von der Laurentine erweiterte Kampf- und Schutzzauber gelernt hatte apparierte sie vor die Grenze von Millemerveilles. Ganz ruhig überquerte sie die unsichtbare Grenze, die das von den Kindern Ashtarias aufgespannte neue Schutznetz für unerwünschte bildete. Sie war erwünscht. Nur konnte sie entweder nur hineinfliegen, -gehen oder -flohpulvern. Apparieren und die Reisesphäre gingen nur bei dort selbst geborenen oder Eltern von dort geborenen.

Sie ging einige hundert Meter weit. Dann apparierte sie genau vor dem Eingang der Sternwarte. Seitdem Uranie im Château Florissant wohnte betreute ihr astronomisch interessierter Nachbar Canopus Messier die Sternwarte von Millemerveilles. fünf Teleskope, davon eines zur Sonnenbeobachtung, ragten aus der geöffneten Kuppel heraus.

Laurentine hatte Monsieur Messier gebeten, nach dem Satelliten suchen zu dürfen, der die Asche ihres Großvaters Henri auf seiner ewigen Umlaufbahn um die Erde trug. Da sie mit ihrem eigenen Rechner die astronomischen Koordinaten im Bezug zur Zeitzone und dem Standort Paris und Millemerveilles ermittelt hatte hoffte sie darauf, den Satelliten in Millemerveilles sehen zu können. Mit ihrem kleinen Amateurteleskop unter der Licht- und Dunstglocke von Paris nach dem Urnenträger zu suchen war unmöglich, hatte sie schon einen Monat nach ihrer Heimkehr aus den Staaten erkennen müssen.

Canopus Messier war der Großvater von Laurentines Jahrgangskameradin Edith Messier. Allerdings hatte er wohl auch britische Vorfahren, von denen er nicht gerne sprach, wusste Laurentine von Uranie. Er gehörte zum Dorfrat und war als solcher für Wetterbeobachtungen und Berechnungen für wichtige magische Vorhaben zuständig. Abends, wenn er die Sternwarte betreute und zum Leidwesen seiner Frau Amélie auch dort schlief, trug er gerne einen tiefschwarzen Umhang mit silbernen Sternen, damit hier jeder wusste, dass er ein Sternenfreund war. So gewandet begrüßte er auch die späte Besucherin.

"Ich habe in den letzten Nächten versucht, dieses künstliche Bestattungsbehältnis am Himmel zu finden. Aber da schwirrt offenbar schon so viel Zeug von den Nichtmagiern herum, dass das wie eine Suche nach dem dreieckigen Sandkorn am Strand ist", sagte Canopus Messier nach der Begrüßung. Laurentine erwiderte darauf:

"Das hängt ja auch davon ab, wie genau die Teleskope ausgerichtet werden. Ich habe hier die ganz genauen Koordinaten auf die Hundertstelbogensekunde genau. Wenn ich meinem Rechner trauen darf wird der Satellit in zwanzig Minuten unserer Zeit über den Horizont steigen. Dann haben wir gerade ein paar Minuten, um ihm zu folgen, bevor er wieder verschwindet und dann erst drei Stunden später wiederkommt."

"Joh, dann wollen wir doch mal sehen, ob wir das passende Teleskop finden, dass wir ausrichten können", sagte Canopus Messier mit seiner samtweichen Bassstimme.

Laurentine stieg mit dem dunkelhaarigen Zauberer, der einen kecken Schnauzbart im Gesicht trug, die Wendeltreppe zur offenen Kuppel hinauf. Oben angekommen wählten sie das für die von Laurentine ermittelten Koordinaten am besten geeignete Teleskop aus. Es konnte auf eine Zehntelbogensekunde genau ausgerichtet werden und besaß eine eingebaute Blende, mit der umgebende Lichtquellen abgedeckt werden konnten. Laurentine durfte an der kugelförmigen Steuervorrichtung die genauen Himmelskoordinaten voreinstellen. Als sie den betreffenden Höhen und Richtungswinkel ausgesucht und durch Antippen mit ihrem Zauberstab die Ausrichtung programmiert hatte schwenkte das mehr als drei Meter lange Fernrohr ganz langsam auf die gewünschten Bezugspunkte ein. Ein blauer Lichtpunkt wanderte über die in viele Einzelraster eingeteilte Kugel, bis er an der ausgewählten Stelle war. Dann glomm er grün.

"Wenn Sie den künstlichen Körper erfassen, brauchen Sie nur "Nachführen" sagen", erklärte Messier. Laurentine bedankte sich und fragte dann noch, ob das Teleskop nur einen Vergrößerungsfaktor hatte. Messier erwähnte, dass es zwischen einem Vergrößerungswert von 1 und 100 eingestellt werden konnte, wobei das Wort Vergrößerung und die Zahl ausgesprochen werden musste, wenn das Auge des befehlenden durch das Okular blickte. Laurentine fühlte sich einmal mehr an Zukunftsgeschichten erinnert, wo Computer per Stimmkommandos gesteuert wurden.

Sie nahm auf dem bequemen Beobachterstuhl Platz und genoss den Anblick auf den Sternenhimmel. Hier in Millemerveilles war doch echt viel mehr zu sehen als in Paris. Sie konnte in dem bereits eingestellten Bereich sogar die Sonne reflektierende Trümmer von Raketen erkennen, die in langsamen Flatterbahnen um die Erde kreisten und wohl irgendwann in die Atmosphäre eintreten und verglühen mochten. Auch konnte sie zwei kleinere Satelliten erkennen und mit der Vergrößerungsfähigkeit erkennen, dass es Fernemeldesatelliten waren. Dann war es soweit.

Genau zum berechneten Zeitpunkt trat ein Satellit in das Erfassungsfenster des Teleskops ein, der äußerlich dem ähnelte, den Laurentine von der Ranch ihrer Großmutter Monique aus gesehen hatte. Allerdings wirkte der künstliche Weltraumkörper sichtlich angejahrt, was die kleinen Löcher und die Risse in dessen Außenhaut bei 100facher Vergrößerung zeigten. Wo war der Satellit mit der Bezeichnung HGL-19422001? Hatte ihr Sternenfinderprogramm denn so danebengerechnet? Dann fiel ihr auf, dass die Enden der vier rechtwinklig zueinander ausgefahrenen Flügel genauso abgerundet waren wie bei dem Satelliten den sie suchte. Dann fiel ihr auch auf, dass in dessen Nähe genau die Satelliten herumflogen, die sie auch von der Ranch ihrer Großmutter aus gesehen hatte. Alle zusammen spiegelten das über den Rand des Erdschattens reichende Sonnenlicht gleichhell. Auf der Ranch hatte der betreffende Satellit ein wenig heller gespiegelt als die in seiner Nähe. Sie ließ das Teleskop auf den erfassten Satelliten ausgerichtet und verfolgte dessen Bahn, was ein wenig schwiriger war, da Los Angeles und Hidden Hopes an die neun Breitengrade unter der französischen Mittelmeerküste lagen. Doch es gelang. Pünktlich zur berechneten Zeit verließ der Satellit den Erfassungsbereich des Teleskops. Von der Bauform und der Laufzeit her passte der auf jeden Fall. Aber der hatte keine goldene Beschichtung und keine sichtbare Beschriftung.

"Also, davon ausgehend, dass mein Rechner die richtigen Koordinaten verarbeitet hat hätte ich den jetzt echt zu sehen kriegen müssen", sagte Laurentine. Canopus Messier fragte, wie denn der Satellit ausgesehen habe, den sie gesehen hatte. "Und der ist am 20. März 2002 in die Umlaufbahn geschossen worden?" fragte der ältere Zauberer. Laurentine bestätigte das. "Ich habe diesen Himmelsabschnitt seitdem mindestens schon fünfzigmal abgesucht, weil ich da einen Kometen beobachte, der wohl erst in zehn Jahren wieder in Sonnennähe kommt. Dann hätte ich den auf jeden Fall sehen müssen. Das künstliche Ding, was Sie gerade gesehen haben, kreist da schon seit zwanzig Jahren herum, war wohl mal ein russisches Fabrikat, wie mir ein anderer Besucher mal verraten hat. Ich hörte sowas, dass die Magielosen aus Russlandund Amerika sich mit sowas gegenseitig ausspionieren."

"Ja, aber dieses Gerät da eben sah so aus, als wäre es vor Zeiten schon ausrangiert worden", sagte Laurentine. Messier nickte und erwähnte, dass es früher einige Grade weiter nördlich geflogen sei und vor zehn Jahren wohl mit einem eigenen Antrieb die Umlaufbahn gewechselt habe. Laurentine nickte und sagte, dass viele Spionagesatelliten, deren Betriebszeit abgelaufen war, von den auszuspionierenden Standorten wegbewegt wurden, um neuen Satelliten Platz zu machen, die das noch besser konnten. Doch das hieß ja, dass sich Opa Henris Himmelsurne mit einem ausgemusterten Spionagesatelliten die Umlaufbahn, ja die gleiche Position streitig machen musste. Sowas ging ja gar nicht. Da hätte die Firma wohl Krach mit der NASA oder gar den Russen gekriegt. Auch sah der Satellit von der Form her genauso aus. eine Walze, an der vier im rechten Winkel zueinander ausgerichtete Sonnensegel mit runden Enden montiert waren. Ja, in der Unterseite des Zylinders waren sicher mal Hochleistungskameras für optische oder Wärmebildbeobachtung eingebaut gewesen.

Laurentine wiegte ihren Kopf nachdenklich hin und her. Dann hatte sie eine sehr schmerzvolle Erkenntnis. Ja, nur so konnte es sein. Aber ohne Magie? Doch, es ging auch schon heute ganz ohne Magie, dachte sie mit steigendem Unmut. Als Messier sie fragte, was ihr gerade zu schaffen mache sagte sie: "Dass ich es nicht weiß, wie ich meiner Großmutter erklären soll, dass man sie möglicherweise betrogen hat. Der Satellit ist echt, kein Zweifel. Aber die angebliche Aufschrift ist irgendwie nachträglich eingeblendet worden, also dass in ein Bild von etwas noch ein Bild eingefügt wird wie bei einem Illusionszauber."

"Illusionszauber, also eine zielführende Vortäuschung?" fragte Messier. Laurentine nickte verdrossen. Natürlich wollte der altgediente Astronom dann wissen, wie in der magielosen Welt Illusionen von Himmelsobjekten erzeugt werden konnten. "Da gibt es zwei Möglichkeiten: Eine ist, dass ein räumliches Bild erzeugt wird, eine Holografie oder dass mit Spiegeln getrickst wird, dass etwas verschwunden zu sein scheint, was in Wirklichkeit noch da ist, je danach, wie die Spiegel ausgerichtet sind, oder eben auch durch Spiegel etwas an einer anderen Stelle zu sein scheint als es ist. Die sogenannten Zauberkünstler, die sich auch als Illusionisten bezeichnen, haben da eine Menge Möglichkeiten, etwas da oder weg erscheinen zu lassen."

"o ja, davon hörte ich schon mal. Zaubern ohne Magie", sagte Messier lächelnd. Dann wurde er wieder ernst: "Aber wieso fürchten Sie, dass Ihre Großmutter einem Betrug aufgesessen ist?"

"Ja, weil sie viel Geld dafür ausgegeben hat, dass die Asche meines Großvaters auf eine Erdumlaufbahn geschossen werden sollte und die, die das Geld bekommen haben, ihr dann ein Teleskop hingestellt haben, mit dem sie den in den Orbit geschickten Satelliten sehen kann, damit sie weiß, dass er da oben zwischen den Sternen ist. Ich habe nicht gefragt, wie viel Geld sie genau dafür ausgeben musste. Aber über eine Million Dollar, also so um die zweihunderttausend Galleonen, wird das wohl schon gekostet haben. So, wenn die Firma aber jetzt nur die Teleskopanlage gebaut hat und da drin so ein winziger Bildprojektor eingebaut ist, der zu einer bestimmten Uhrzeit bei bestimmten Koordinaten ein bestimmtes Bild in das Okular überträgt, dann hat das auf jeden Fall weniger gekostet als eine richtige Weltraumbestattung, vor allem, wenn sie den ausgedienten Satelliten genommen haben, den wir gerade gesehen haben. Stellen Sie sich bitte vor, sie zahlen eintausend Galleonen für etwas, das der Firma, die es Ihnen verkauft aber nur zehn Galleonen kostet. Ist das dann kein Wucher oder Schwindel?"

"Öhm, wenn in den zehn Galleonen schon die Herstellung und/oder Nachbearbeitung mit drin sind ja", sagte Canopus Messier. Dann fragte er, ob sie ihm erzählen möge, wie genau die Anlage aussah, mit der ihre Großmutter den Satelliten beobachten könne. Sie erzählte dann von der Erinnerungsstätte für ihren Großvater. "Ja, aber wissen Sie dann wirklich, dasss Ihr Großvater nicht zu den Sternen hinaufgeschossen wurde? Womöglich haben die Herrschaften, die Ihrer Großmutter diese Anlage errichtet und eingerichtet haben, nur etwas machen sollen, damit sie einen Punkt am Himmel findet, zu dem sie blicken kann, um sich an ihren Mann zu erinnern. Das muss ja nicht heißen, dass Ihr Großvater nicht dort oben ist. Es kann eben nur sein, dass die für ihn bestimmte Urne so klein oder unscheinbar ist ..."

"Bei allem Dank für Ihre Zeit und allem Respekt, Monsieur Messier, aber meine Großmutter hat eindeutig einen Satelliten als Träger seiner Asche gebucht, nicht einfach nur eine art orbitalen Gedenkstein", schnaubte Laurentine unwirsch. Daraufhin wandte sich Messier ihr zu und fragte: "Warum erzählen wir Kindern etwas von Weihnachtselfen oder lügen ihnen was vom Regenbogenvogel vor, ohne dass sie uns dafür Gold geben? Wir könnten ihnen doch gleich nach dem Sprechenlernen erklären, wie genau sie auf die Welt gekommen sind und dass Weihnachten ein Fest ist, an dem sich liebende Menschen gegenseitig beschenken und die Geschenke daffür einkaufen. Sie würden es wohl verstehen. Also warum machen wir Erwachsenen es dann nicht so?"

"Öhm, mit dem Regenbogenvogel ist wohl eine Geschichte, weil sich viele Erwachsene dafür schämen, sich mal wie gewöhnliche Säugetiere zu benehmen und weil sie nicht wollen, dass sich ihre Kinder vor ihnen ekeln, ja und mit der richtigen Religion gewürzt geht dann sowas auch noch als unanständig, über sowas zu sprechen. Bei Weihnachten ist es wohl so, dass Kinder gerne an Wunder glauben möchten, wohin wir Erwachsenen uns das Wundern abgewöhnt haben, auch in der Zaubererwelt. Deshalb gönnen wir es den Kindern, sich noch wundern zu dürfen."

"Sich zu wundern oder sich zu erfreuen, Mademoiselle Hellersdorf?" fragte Canopus Messier. Laurentine erkannte, wohin der ältere Zauberer wollte. Sie sagte dann: "Ja, was zu haben, worauf sie sich jedes Jahr freuen, während es für die meisten in der magielosen Welt eine Menge Stress ist und auch viel Geld kostet, Weihnachten zu feiern. Sie meinen, damit sich jemand freuen kann muss er - oder sie- etwas haben, woran er oder sie glauben darf und was für ihn oder sie ein Wunder ist, etwas, dass nicht so schnöde ist wie das Einkaufengehen, um was zu bekommen. Ja, aber wenn jemand einem was verkauft, aber nicht das liefert, was bezahlt wurde ist das doch Betrug."

"Wie gesagt, Sie können den Leuten, die Ihrer Großmutter diese beruhigende Illusion verkauft haben nicht beweisen, dass sie die sterblichen Überreste Ihres Großvaters nicht in den Weltraum geschossen haben. Sie wollte aber eine erinnerungsstätte, eine Möglichkeit, ihn zu sehen. Vielleicht möchten Sie sich das noch einmal überlegen, bevor Sie ihr so heftig weh tun. Geld ist ersetzbar, schöne Augenblicke sind unbezahlbar. Und wenn Ihre Großmutter in den Himmel sieht und an Ihren Herrn Großvater denkt, braucht sie wohl einen Punkt, den sie dabei ansehen kann, genau wie wir auf den Friedhof gehen."

"Ich weiß, was Sie mir sagen möchten, Monsieur Messier und ich danke Ihnen auch dafür, dass Sie mir helfen möchten, diese Lage zu begreifen. Doch wenn ich ein Grab auf einem Friedhof besuche, dann habe ich bestenfalls gesehen, dass der geliebte Mensch dort auch wirklich begraben wurde", erwiderte Laurentine und hatte sofort Claires Grabhügel vor dem inneren Auge.

"Es gibt auch viele Gedenkstätten, wo keiner derjenigen begraben liegt, derer gedacht wird, die Gedenkstätte für das Sternenhausmassaker zum Beispiel. Da gehe ich auch immer wieder hin, wenn ich an meinen Neffen denken möchte, obwohl ich weiß, dass er sich nach seinem Tod hat verbrennen und vom fliegenden Besen aus über den Alpen hat verstreuen lassen, weil er ein leidenschaftlicher Bergsteiger war."

"Haben Sie es damals mitbekommen, wie Ihr Neffe beigesetzt wurde?" fragte Laurentine. "Natürlich nicht, weil fünfhundert Besen, die hinter einem einzigen herfliegen wäre den Muggeln zu deutlich aufgefallen. Wir gehen einfach davon aus, dass es so gelaufen ist und wissen, wo wir hingehen und hinsehen müssen, wenn wir an ihn denken und in Gedanken mit ihm sprechen möchten." Laurentine erkannte, dass sie darauf nichts mehr erwidern konnte. So sagte sie nur: "Dann finden Sie, dass ich meiner Großmutter nicht die schöne Illusion wegnehmen soll, nur weil sie vielleicht hundertmal mehr bezahlt hat, als es die ausführende Firma gekostet hat?"

"Zum einen liegt der Sinn des Handels doch darin, beim Verkauf mehr zu bekommen als beim Einkauf oder bei der Herstellung zu zahlen war. Gut, Wucher ist schlimm, da bin ich mit Ihnen völlig einig. Aber zu dem Punkt, eine schöne und lange vorhaltende Erinnerungsmöglichkeit zu haben finde ich wirklich, dass Sie es Ihrer Großmutter nicht antun sollten, sie derartig schmerzvoll zu enttäuschen. Was würde sie denn tun, wenn sie auch von Betrug ausginge? Sie würde wohl gegen die Leute klagen, die ihr diese Illusion beschert haben. Am Ende würde sie nicht wissen, wo ihr Mann ist, ob hier auf der Erde oder unter den Sternen. Mit dieser Ungewissheit, ja dieser unbeantwortbaren Frage müsste sie ihr restliches Leben lang herumlaufen. Wollen Sie das?""

"Nein, das will ich natürlich nicht. Sie glaubt ja auch an die Lehren der katholischen Kirche und fühlt sich darin gut behütet. Ich glaube diesen Heuchlern in Rom kein Wort mehr und muss für mich selbst etwas finden, wo ich mich gut aufgehoben fühle. Im Moment tue ich das in der Gewissheit, dasss hier Leute wohnen, die gerne mit mir zusammen sind und froh sind, dass ich deren Kindern was beibringen kann, was die echt mal brauchen."

"Ja, und ich fühle mich gut aufgehoben, dass ich von geliebten Menschen umgeben bin und jeden freien Abend die Wunder des Sternenhimmels ansehen darf. Für mich war es eine Qual, als Sardonias Kuppel undurchsichtig wurde und wir Wochenlang keinen einzigen Stern haben sehen können. Auch wenn ich weiß, dass viele Sterne da oben wohl schon erloschen sind und wir nur noch ihr Licht sehen, dass vor tausenden von Jahren ausgesendet wurde sehe ich mir diese Sterne dort oben immer noch sehr gerne an und gebe mich der Illusion hin, dass sie alle noch da sind. Das ist mein Regenbogenvogel, mein Weihnachtself. Wenn ihr Großvater das genauso gehandhabt hat ... öhm, hat Ihre Frau Großmutter diese Himmelsbestattung erbeten und bezahlt?"

"Öhm, nein, mein Großvater hat das schon fünf Jahre vor diesem vermaledeiten Flugzeugabsturz in Auftrag gegeben und dafür Geld zurückgelegt, das im Falle seines Todes ... Ups!"

"Defininieren Sie bitte Ups!" erwiderte Messier.

"Laut meiner Großmutter hat er festgeleegt, dass seine Asche auf eine Erdumlaufbahn geschickt werden sollte und dass meine Großmutter die Möglichkeit erhellt, den Satelliten mit seinen Lebensdaten zu sehen. Am Ende hat der diesen Trick mit den Leuten ausgeheckt, damit sie was sehen kann, was ihr hilft, sich an ihn zu erinnern, ohne ständig zu trauern. oha, da haben Sie wohl recht, dass ich ihr das nicht so knallhart vor den Kopf hauen kann, wenn ich nicht weiß, ob mein Großvater das nicht von vorne herein so ausgeheckt hat, um sie über seinen Tod hinwegzutrösten. Am Ende kommt er von da oben als Meteorit heruntergeschossen und rammt mich unangespitzt in den Boden, wenn ich da jetzt was .. Okay, reiner Aberglaube. Aber natürlich ist es ihm wichtig gewesen, dass sie nicht zu lange traurig ist und er als jemand im Gedächtnis bleibt, der zu den Sternen hinwollte, ob im Leben oder im Tod. Danke für diese wichtige Erkenntnis!"

"Wir in der Zaubererwelt haben alle Nase lang Leute zu betrauern, von denen keine ansehnlichen Reste mehr gefunden werden. Da sind wir froh, wenn wir Orte oder eben Punkte da oben am Himmel haben, mit denen wir was verbinden können, statt immer wissen zu müssen, wo ein von uns gegangener Mensch wirklich seine letzte Ruhe gefunden hat. Sicher, es ist schön und wichtig, bestimmte Orte zu haben. Doch wenn es nicht immer geht, an den Orten auch den betreffenden Menschen anzutreffen. Ich weiß, Sie denken wohl an Camilles Tochter Claire, bei deren Beisetzung Sie ja auch dabei waren. Für Sie und Claires Angehörige ist es sehr schön, zu wissen, dass sie dort ist, wo wir uns ihrer erinnern möchten. Aber das ändert ja nichts daran, dass sie auch immer bei uns und in unseren Erinnerungen und unserer Seele ist." Laurentine rang darum, nicht zu weinen. Deshalb sagte sie schnell: "Ich verstehe was Sie meinen und werde meiner Großmutter nicht die schöne Illusion wegnehmen, zumal mein Großvater dieses Geld ja dafür angespart hat. Es wäre ja sowieso in den Himmel gepustet worden, und besser, als wenn meine habgierigen Großtanten was davon bekommen hätten."

"Wollen Sie noch was anderes dort oben ansehen, den Mond oder den Mars oder die Monde des Jupiters? Fragte Messier. Laurentine wischte sich schnell über die Augen und sagte: "Sie haben was von einem Kometen erwähnt, den Sie beobachten. Können Sie mir den schon zeigen, oder müssen wir warten, bis er nahe genug ist, um eine Coma zu bilden?" Canopus Messier strahlte von innen her und sagte, dass er ihr den Kometen im Teleskop zeigen könne, jetzt, wo der Satellit weitergezogen sei.

Eine Stunde später kehrte Laurentine per Flohpulver in die Rue de Liberation 13 zurück. Sie hatte sich entschieden, ihrer Großmutter nicht zu sagen, dass sie den Satelliten nicht so gesehen hatte wie sie. Auch mochte ihre Oma Monique denken können, Laurentine wolle sich wegen des Rausschmisses rächen, weil sie sich nicht mehr zur katholischen Lehre bekannte. Nein, das musste dann wirklich nicht sein. Ihr blieb nur zu hoffen, dass die Teleskopeinrichtung nicht doch mal kaputtging und sie den Satelliten nicht mehr so sehen würde, wie sie ihn ihr gezeigt hatte.

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Am 25. August ging es durch die Zaubererweltpresse, dass Belgiens Mannschaft Russland in einem schnellen Spiel aus dem Turnier geworfen hatte. Corinne Duisenberg hatte in der fünften Minute den Schnatz gefangen, nachdem die Russen bereits sieben Tore und die Belgier nur drei erzielt hatten. Ein Foto zeigte Corinne mit dem gefangenen Schnatz winkend, während hinter ihr vier sichtlich enttäuschte und verärgerte Zauberer in mitternachtsblauen Umhängen mit kyrillischen Schriftzeichen auf dem Brustteil zu erkennen waren, die hitzig miteinander diskutierten. Im den Fotos beigeordneten Artikel erhob der Kapitän der Russen, Michail Igorowitsch Gorski Vorwürfe gegen die Belgier, die den Sucher abgeblockt hatten und somit den Schnatzfang vereitelt hatten. Doch der Fang war nach den Quidditchregeln korrekt ausgeführt worden. Somit würden Corinne und ihr Team am 31. August gegen den Gewinner der Partie Peru gegen Australien um den Weltmeisterschaftspokal 2004 spielen.

"Ich hoffe mal, Corinne hat echt keinen miesen Trick angewendet, um ihren Gegenspieler auszumanövrieren", erwähnte Julius, als er mit Béatrice, Millie und den drei kleinen Latierres frühstückte. Millie fragte ihn, wie sie das denn hätte machen können, wo klar war, dass sie keinen Félix Felicis getrunken hatte.

"Ich meine nur, dass es nicht noch einen Skandal geben muss", sagte Julius. Dann gab er Béatrice den Artikel zu lesen und legte dabei kurz die Finger an den Mund. Béatrice verstand, dass da noch was nicht ganz so kindgerechtes zu lesen stand. Sie nahm die Pergamente und las:

VITA MAGICA FEIERT BELGISCHEN SIEG MIT

Trotz der in den letzten Wochen so vorzüglich ausgeführten Abwehrmaßnahmen gegen das im letzten Sommer aufgekommene Fortpflanzungserzwingungsgas von Vita Magica muss es mindestens einem Agenten oder einer Gruppe von Agenten dieser weltweit geächteten Gruppierung gelungen sein, sich in die Zelte und auf die Feierplätze zu schleichen und dort eine Abwandlung ihres tückischen Giftes in die Getränke oder Speisen zu schmuggeln. Jedenfalls wurden die Sicherheitskräfte keine halbe Stunde nach Verkündung des belgischen Sieges Zeugen einer sich hemmungslos entladenden Orgie leiblicher Liebe. Sehr viele erwachsene Hexen und Zauberer konnten dabei beobachtet werden, wie sie im freien unbekleidet übereinander herfielen, ohne sich genau zu überlegen, wer da wen aussuchte. Es kam sogar zu einigen unschönen Schlägereien zwischen Hexen, die sich ein und denselben Zauberer ausgesucht hatten. Drei Hexen aus dem kanadischen Freiwilligentrupp fielen ebenfalls diesem tückischen Stoff zum Opfer und suchten sich willige Partner. Die durch das Treiben herbeigeeilten Ordnungszauberer und -hexen konnten die sich hemmungslos einander hingebenden nicht trennen, weder durch kaltes Wasser noch durch Schockzauber. Der Devoluptuszauber prallte ebenfalls unwirksam ab. So gerieten die hinzugerufenen Zauberer und Hexen ebenfalls in den ungehemmten Rausch wilder Fortpflanzungsakte. Es ist offensichtlich, dass Vita Magica aus den Rückschlägen im letzten Sommer gelernt hat und nun wieder andere Mittel einsetzt, um ihr verwerfliches Ziel zu verfolgen, mit magischen Mitteln eine gewaltsame Vermehrung der magischen Menschen zu erzwingen. Ebenso scheint es ihnen gelungen zu sein, die von ihrem Gift betroffenen gegen die üblichen Hemm- und Schockzauber zu immunisieren, so dass sie nicht wie noch in Millemerveilles und in Italien durch Triebunterdrückungszauber gestoppt werden können.

Zwei mögliche Agenten konnten bei der Vergiftung von Feuerwhisky gesehen werden. Doch diese entzogen sich der Festnahme durch die Flucht mit Hilfe rot leuchtender Portschlüsselspiralen. Der Leiter der Abteilung für magische Strafverfolgung in Kanada, Tony Woodrow konnte erst drei Stunden nach seinem Eintreffen am Tatort von gleich drei ihn umlagernden Hexen fortgeholt werden. Er vermutet bei der Fluchtmethode der Agenten, dass es sich um neuartige, tragbare Portschlüssel handeln müsse, die mit den üblichen Aufspürzaubern für Portschlüssel nicht erkannt werden konnten. Zwar seien die Verbrecher ohne Gesichtsmasken herumgelaufen. Doch wenige Stunden später stand fest, dass sie sich mit Vielsaft-Trank die Körper argloser Fans angeeignet haben, um in deren Erscheinungsform ihre Aktionen auszuführen. Somit steht fest, dass Vita Magica von der letztjährigen Taktik abgerückt ist, mit jener gasförmigen Mixtur, die Millemerveilles Einwohnerzahl schlagartig verdoppelt hat, möglichst viele arglose Hexen und Zauberer zu beeinflussen. Der Umstand, dass ihr neues Gift die üblichen Unterbindungszauber blockiert spricht für ein hohes Maß heilmagischer und thaumaturgischer Kenntnisse. Gegen vier Uhr morgens wurde ein Bekennerschreiben dieser Organisation vor dem mobilen Hauptquartier des kanadischen Zaubereiministeriums gefunden. Darin stellt Vita Magica klar, dass jene Hexenund Zauberer, die zur Zeugung neuer Kinder aufgefordert werden, dieser "Verpflichtung" auf jeden Fall nachkommen werden. Lebenslänggliche Nachwuchsverweigerung werde von nun an nicht mehr hingenommen.

Heute soll noch ein Krisenstab zusammentreten, um internationale Maßnahmen zur Unterbindung dieser neuen Machenschaften zu treffen.

Jedenfalls haben die Helferinnen und Helfer Vita Magicas nach den Rückschlägen des letzten Jahres wieder einen unbestreitbaren Erfolg errungen. Wieviele Hexen deshalb demnächst auf ungeplanten Nachwuchs warten müssen kann erst in einigen Wochen festgestellt werden, sofern die betroffenen Hexen gestatten, das öffentlich zu machen. Es dürften aber über einhundert Hexen zwischen 20 und 100 Jahren sein, junge Frauen bis mehrfache Großmütter.

Trotz dieses erneuten Eingriffes in viele Leben haben der Weltquidditchverband und die internationale Organisation für magische Spiele und Sportarten beschlossen, dass die Weltmeisterschaft bis zum Endspiel fortgesetzt wird. Ob die angereisten Unterstützerinnen und Unterstützer der verbliebenen Mannschaften noch einmal feiern wollen ist fraglich.

"Schon sehr beunruhigend", sagte Béatrice und reichte Millie den Artikel zurück. Dann sagte sie noch: "Am besten kürzt du die Geschichte auf familiengerechte Aussagen runter. Wir haben schon genug Unruhe in der Zaubererwelt." Millie nahm den Artikel und nickte ihrer Tante zu.

Während Julius an seinem Arbeitsplatz war besuchte Béatrice alle Hexen in Millemerveilles, deren jüngste Kinder sie auf die Welt geholt hatte. Célestine Chevallier war sehr beruhigt, dass sie sich bereiterklärt hatte, Heras beigeordnete Heilerin zu bleiben, so dass die drei Kinder, die sie von César Rocher bekommen hatte, Béatrice als Hausheilerin behalten konnten. Ebenso empfand es Césars Mutter, dass sie neben der hauptamtlichen Heilerin Hera Matine noch eine Heilerin ansprechen konnte. Das würde noch was geben, wenn sie denen hier erzählen musste, das sie selbst wegen was besonderem einstweilen nicht auf Besen herumfliegen oder apparieren konnte, dachte Béatrice. Doch nun gab es kein Zurück mehr, und sie wollte das auch nicht.

Als sie nach ihrem Rundflug durch Millemerveilles wieder im Apfelhaus war fand sie Millie in der Wohnküche auf einer Bank liegend. Sie argwöhnte schon, dass ihrer Nichte irgendwas zugestoßen sein konnte, hoffentlich keine Fehlgeburt. Millie lag auf dem Rücken und atmete ruhig. unter ihren Brüsten pulsierte ihre Hälfte des goldenen Herzanhängers. Béatrice meinte, das es im sanften Takt heller und dunkler leuchtete. Millie atmete ganz ruhig. Ihre Augen waren geschlossen. Doch sie bewegten sich hin und her, als verfolgten sie Bilder und Ereignisse. Béatrice kannte das von Träumenden.

Behutsam trat sie an ihre Nichte heran und beugte sich ganz langsam über sie. Da wachte Millie auf. "Diese Saubande", stieß sie leise aus. Dann erkannte sie ihre Tante über sich. "O, Tante Trice, 'tschuldigung, falls ich dich erschreckt haben sollte. Muss wohl eingenickt sein."

"Bist du wohl. Aber dein Anhänger da hat aus sich heraus geleuchtet wie ein schwach flackerndes goldenes Licht. Bist du dir sicher, dass du ihn nicht doch ablegen möchtest? Ich meine, das ist die viermal stärkere Version der rubinroten Anhänger, die ihr vorher getragen habt."

"Echt, der Anhänger hat geleuchtet?" stieß Millie leicht verstört aus. Dann fragte sie, wie das aussah. "Er hat pulsiert wie ein schlagendes Herz. Das ist ja üblich. Aber jedesmal, wenn er sich zusammenzog strahlte er mehr Licht aus, als von außen davon gespiegelt wurde", beschrieb Béatrice, was sie beobachtet hatte. "Okay, das erklärt, warum ich gerade das geträumt habe, was ich geträumt habe", sagte Millie. Béatrice Latierre fragte sie, ob sie ihr den Traum erzählen wollte.

"Ich war sozusagen an Julius' Stelle im Konferenzraum der Abteilung für magische Wesen. Die Unterbehördenleiter da, auch Tante Babs, haben sich mit diesem Beaubois darum gekäbbelt, inwieweit sie Julius noch als Mitglied der Abteilung anerkennen wollten. Der Charlier von der Vampirüberwachung und ein Typ, der mit Monsieur Deroubin angeredet wurde haben heftig gegen ihn gehetzt, weil der ihre Einsatzmöglichkeiten beschränke und weil er über seine Kontakte zum Laveau-Institut sehr fragwürdige Vorteile bei der Beschaffung von Ausrüstungsgegenständen habe. Deine Schwester Babs und die Mutter von Tines Schulfreundin Héméra Ventvit haben dagegengesprochen und bemerkt, dass er mit seinen Kenntnissen der Muggelwelt eine große Hilfe sei. So ähnlich hat sich auch Fleurs und Gabrielles Vater geäußert. Doch die beiden Streithähne Charlier und Deroubin haben die anderen dazu gebracht, Julius für unzuverlässig und womöglich illoyal einzustufen. Beaubois, der als Abteilungsleiter wohl nicht wusste, was er machen sollte, hat sich dann darauf eingelassen, Julius noch eine Frist von einem Monat zu geben, um zumindest die Angelegenheit mit den drei ehemaligen Mondgeschwistern zu klären. Weise er keine Erfolge vor, so würde er prüfen, ob Julius eigenständig und unbeaufsichtigt weiterarbeiten dürfe oder wieder in einem der Unterbehördenbüros im Innendienst zu schaffen habe, natürlich dann wieder mit einem Anwärtergehalt. Julius hat dann gesagt, dass er erfahren habe, dass das gesuchte Kind einer der europäischen Ex-Lykanthropen wohl in einem mit Fideliuszauber belegtem Haus verwahrt würde. Wenn er dieses Kind nicht fände kämen die beiden im Tiefschlaf liegenden Europäer nicht aus der Mondburg. Das wollten sie ihm aber so nicht durchgehen lassen. Also hat er jetzt bis Ende September Zeit, dieses Problem zu lösen. Ansonsten wird er entweder degradiert oder kommt vor ein Disziplinartribunal, dass über seinen Verbleib im Ministerium entscheiden soll. Er könne sich bis dahin ja aussuchen, was ihm lieber sei, auch wenn's um unsere Kinder geht. So eine Saubande!" schilderte Millie das wahrgeträumte. Béatrice fragte nicht erst, ob sie das wirklich quasi wie mit dem Exosensozauber aus Julius' eigener Sinneswelt mitbekommen hatte oder wirklich nur geträumt hatte. Sie erwiderte: "Der ehemalige Geisterbehördenchef hat nicht die nötige Führungsstärke, um die Abteilung zu leiten. Er ist nur genommen worden, weil die anderen Behördenleiter sich in ihren Dienststellen für unersetzbar hielten. Das kann und wird sich jederzeit ändern, wenn es weitere Streitigkeiten gibt." Millie grummelte nur was. Deshalb fügte ihre Tante noch hinzu: "Nur der oder die dann seinen Posten bekommt könnte noch unerbittlicher sein als er. Aber wenn stimmt, was du von ihm mitbekommen hast, und dieses von den Mondtöchtern gesuchte Werwolfskind in einem Fidelius-Versteck untergebracht ist findet es niemand, der nicht vom Geheimniswahrer selbst davon erzählt bekommt. Aber ich kann die Mondtöchter verstehen. Wenn sie eine Frau von der Werwut heilen, dann wollen sie wohl auch deren restliche davon befallene Familie heilen, damit sie ein von der Lykanthropie unbeschwertes gemeinsames Leben führen können. Aber diese Frau dürfte doch wissen, wo ihr Kind ist, oder?"

"Ja, wissen schon. Aber sie kann jetzt nicht mehr dahin, und verraten kann sie das Versteck ja auch nicht", erwiderte Millie. Béatrice schalt sich selbst eine Närrin, dass sie das nicht bedacht hatte. "Am besten sagen wir Julius nicht, dass du wohl im Traum in seine Sinneswelt hineingerutscht bist. Könnte die Zwillingsschwangerschaft in Verbindung mit dem stärkeren Herzanhänger sein", vermutete Béatrice Latierre. Millie wiegte den Kopf und sagte: "Stimmt, er soll es uns erzählen. Nicht dass er meint, ich würde ihn überwachen. Reicht schon, wenn Temmie das macht."

"Temmie, die mit der alten Hexenkönigin beseelte Kuh?" fragte Béatrice. Millie nickte. Dann erwähnte sie, dass die Beziehung zwischen ihr und den Latierres verstärkt worden war. Béatrice hörte es sich an. Dann sagte sie: "Das mit dem Pokal der Verbundenheit habe ich ja mitbekommen. Aber dass ihr beide daraus getrunken und euch so noch stärker mit Temmie verbunden habt ist schon sehr mutig. Aber wenn sie euch hilft, überschwengliche Gefühlswallungen abzufangen und sofort weiß, was mit Julius oder dir los ist. ... Hmm, aber ihr wisst, dass ein magischer Pakt über den Pokal der Verbundenheit über mindestens drei Generationen von Blutsverwandten aufrechterhalten bleibt. Das heißt, dass Rorie, Chrysie und Clarimonde, sowie die Kinder, die du und ich gerade von Julius austragen, auch schon mit ihr verbunden sind. Will sagen, Temmie könnte auch in die Sinne von Julius' Kind in meinem Leib hineintasten, wenn diese weit genug entwickelt sind und somit mich irgendwie ... nein, nicht nur das. Wenn das Kind einen eigenen Herzschlag hat und sein und mein Blut miteinander ausgetauscht werden könnte Temmie auch in meine Sinneswelt hineinlauschen. Öhm, ich sollte mich mit eurem besonderen Haustier mal unterhalten, dass es für mich schon schwer genug wird, Julius' uneheliches Kind zu tragen. Da muss ich nicht jeden Moment dran denken, dass dieses Kind eine Art Einfallstor in meine Sinneswelt und Gedanken bildet."

"Da hast du wohl recht, Trice", grummelte Millie. "Das klären wir dann besser am nächsten Wochenende auf Tante Babs' Hof." Béatrice war vollkommen damit einverstanden.

Als Julius am Abend nach Hause kam ließen sich Millie und Béatrice nicht anmerken, dass sie was aus seinem heutigen Tag mitbekommen hatten. Sie ließen sich nach dem Zubettbringen der Kinder erzählen, dass er wohl in einem Monat aus dem Ministerium austreten oder sich eine untergeordnete Stelle dort aussuchen müsse, eine, wo er mit nichts wirklich wichtigem mehr zu tun habe.

"Haben die dir gedroht, dich rauszuwerfen oder gar wegen irgendwelcher hahnebüchenen Vorwürfe ins Gefängnis zu bringen?" wollte Millie wissen.

"Sagen wir so. Im Moment gibt es die beiden Lager, Charlier, Deroubin, sowie der Koboldverbindungszauberer und der vom Zwergenverbindungsbüro auf der einen Seite, Tante Babs, Adrastée Ventvit und Pygmalion Delacour auf der anderen Seite. Beaubois fühlt sich immer mehr in die Enge getrieben, weil er diesen Zwist nicht auflösen kann. Ich kann denen in einem Monat nicht Ninas verstecktes Kind herbeischaffen, um sie aus der Mondburg rauszuholen. Es ist jetzt eh fraglich, ob die Mondtöchter die Festung je wieder öffnen, wenn da andauernd irgendwelche Außentruppler aus der Werwolfbehörde davor herumlungern. Deroubin hat sich vorgenommen, das Versteck der Mondbruderschaft zu finden oder zumindest ein paar wichtige Mitglieder von denen abzufischen. Er geht sogar davon aus, dass die drei, die ich in der Mondburg untergebracht habe, persönliche Vertraute der obersten Anführer sind. Doch die konnten ja nichts verraten. Ob sie es jetzt können weiß ja auch keiner. Aber Deroubin geht davon aus, dasss Ladonna Montefiori sich die Mondgeschwister Untertan machen könnte, um sie gegen die Vampire und ihre menschlichen Feinde einsetzen wird. Angeblich sei ich derjenige, der zwischen der Abwehr dieser Gefahr und einer Niederlage der freien und unbefallenen Zaubererwelt stehe und müsse mich endlich entscheiden, wem meine Loyalität gilt. Gut, dass die noch nicht wissen, dass du gerade wieder von mir schwanger bist, Millie. Und auch gut, dasss Beaubois nichts davon mitbekommt, was wir drei entschieden haben, Trice und Millie."

"Das heißt, die laden dir jetzt die Verantwortung auf, wenn diese Mondbrüder und -schwestern wieder was anstellen?" fragte Millie hörbar verstimmt. Julius nickte.

"Dann sollen die es doch besser machen. Die hätten das mit den drei Ex-Mondgeschwistern doch nicht hingekriegt, wenn die Mondtöchter sich nicht eingemischt hätten", sagte Millie. Béatrice nickte und fügte hinzu: "Wenn ich meine Schwester Barbara richtig verstehe war Simon Beaubois froh, dass er nur mit toten Wesen zu tun hatte und Geister üblicherweise nur lokale Probleme machen, falls überhaupt. Nachdem, was sie und du erzählt haben, Julius, hat er Vendredis Stuhl nur besetzt, weil die anderen in ihren Unterbehörden zu wichtig sind, auch wenn es da welche gab, die gerne diesen Platz eingenommen hätten."

"Will sagen, der ist seiner Aufgabe nicht gewachsen", sagte Millie. Julius wollte das nicht so locker bestätigen und erwähnte, dass auch für Simon Beaubois gelte, dasss jemand in ein übergroßes Kleid noch hineinwachsen könne. "Ja, aber nur wenn er oder sie noch wachsen will", sagte Béatrice dazu. Julius sah seine Schwiegertante und offiziell bestätigte Trägerin seines vierten Kindes verdutzt an. Doch dann nickte er bestätigend.

"Und was sagt Demetrius' Mitesserin?" fragte Millie. Julius sah erst Béatrice an. Doch die nickte ihrer Nichte beipflichtend zu. "na ja, die würde mich am liebsten ganz aus der Abteilung für magische Geschöpfe raushaben. Allerdings können mir Beaubois und andere dann absprechen, für die Veelas verantwortlich zu sein, weil das nun einmal Zauberwesen sind."

"Wo du es mit der Ministerin hingebogen hast, dass es diesen neuen Vertrag zwischen Veelas und Zaubereiministerium gibt, Julius?" wandte Millie ein. "Da könnte ich mir eher vorstellen, dass die Ministerin persönlich dich zu einer Art direktem Gesandten zwischen denen und uns macht. Aber das mit Mademoiselle Maxime müsstest du dann sicher aufhören."

"Ja, da hast du wohl recht, Millie", sagte Julius. "Aber ob jemand anderes einen guten Draht zu Meglamora kriegt weiß ich nicht. Mich akzeptiert die nur deswegen, weil ich mal das Blut ihrer Nichte im Körper hatte", erwähnte Julius, was Béatrice und Millie sowieso schon wussten. Millie schien darauf was sagen zu wollen, unterließ es jedoch. Béatrice erwiderte:

"Da ich jetzt von euch beiden als Mutter deines vierten Kindes auserwählt wurde und dieses Kind wirklich unterwegs ist nehme ich das Recht in Anspruch, dich als Vater dieses Kindes darauf hinzuweisen, dass du für sein Wohl zuständig bist und deshalb alles unterlassen solltest, was dich von der Fürsorge für dieses Kind abhält! Also, wenn die meinen, du dürftest nicht mehr bei denen in der Abteilung arbeiten, und Nathalie Grandchapeau oder die Ministerin winkt mit einem anderen Dienstposten, dann nimm ihn bitte an, solange der nicht irgendwo in den Überseegebieten liegt!"

"Und wenn die mir nur die Wahl lassen, wieder ein kleiner Hilfsbeamter zu sein oder ganz aus dem Ministerium rauszugehen?" fragte Julius.

"Dann kriegst du von Florymont oder Camille sicher eine neue Stelle, von unserer Familie ganz zu schweigen", kam Millie ihrer Tante mit einer Antwort zuvor. Doch diese fügte dann noch hinzu: "Ich gehe davon aus, dass Antoinettes Angebot immer noch besteht. Hera könnte deine Mentorin werden, und du könntest hier in Millemerveilles leben, wenn du die nötigen Stunden in der Delourdesklinik zusammenbekommst." Millie und Julius sahen sie mit großen Augen an. Julius nickte dann schwerfällig. "In dem Fall wäre es vielleicht die bessere Alternative, als ständig als Boxball irgendwelcher Profilneurotiker und unsicherer Führungskräfte herzuhalten. Und ich habe ja im Ministerium einiges hinbekommen. Aber noch habe ich die gewisse Bestrebung, allen Menschen mit und ohne Magie als Berater und Ansprechpartner zu dienen. Abgesehen davon könnte Léto ziemlich ungehalten werden, wenn ich nicht mehr als Vermittler zwischen ihrem Volk und dem Zaubereiministerium arbeiten kann."

"Dann arbeite lieber für Camille. Die gibt dir sicher einen gehobenen Posten im An- und Verkauf von Zauberkräutern und dem Geschäft mit den Extrakten aus den hier gezogenen Zauberkräutern. Aber dafür musst du dann nicht mehr aus Millemerveilles raus", sagte Millie. Julius erinnerte sie daran, dass Léto immer noch nach Millemerveilles hineinkommen konnte. "Die ja, aber andere, dir nach dem Leben trachtende Veelas nicht", erwiderte Millie. Béatrice nickte nur bestätigend. Julius wiederholte, dass er erst einmal zusehen wolle, ob er weiterhin als freier Zauberer im Ministerium arbeiten könne. "Ja, und wenn sie dich verhaften hoffe ich, dass Temmie das rechtzeitig mitbekommt. Dann müssen wir dich da rausholen", sagte Millie. Julius sagte dazu nichts.

Als Béatrice in ihrem Zimmer lag, in dem schon eine kleine Wiege stand dachte sie darüber nach, wie sie es hinbekommen konnte, dass Julius die Geburt seiner nächsten Kinder in Freiheit mitbekam und dann auch noch was machen konnte, um diesen Kindern eine sichere Zukunft zu geben. Vielleicht sah er ja doch ein, in die Heilerzunft einzutreten. Diese überragenden Talente und Kenntnisse durften nicht in einem Kontor oder einem abgeschlossenen Büro verschlossen werden.

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Über verschiedene Quellen erfuhren die Latierres Ende August, dass es trotz der Bedenken wegen Ladonna Montefiori ein neues trimagisches Turnier geben sollte. Hippolyte erzählte es ihrer Schwester und der verheirateten Tochter bei Kaffee und Kuchen im Apfelhaus, dass Hogwarts, Greifennest und Beauxbatons sich darauf verständigt hatten, vom 31. Oktober 2004 bis zum 1. Juli 2005 in Greifennest den neuen trimagischen Sieger zu suchen. "Ich übergebe den Pokal dann am 30. Oktober an meinen deutschen Kollegen Kieselfeld. Hoffentlich ist sein Französisch besser als mein Deutsch."

"Du kannst ja den Wechselzungentrank schlucken, Maman", meinte Millie dazu. Doch das wollte Hippolyte dann doch nicht.

Auch die Zeitungen berichteten von der Entscheidung und brachten Interviews mit Hippolyte Latierre und/oder Professeur Faucon. Die Schulleiterin von Beauxbatons bekräftigte, dass sie nur mit zwölf Schülerinnen und Schülern nach Greifennest wolle, die vier Wochen vor Abreise einen DQ von mindestens 12 erreicht hatten und bis zur Abreise nicht darunter abfielen und zudem die Deutschlernstufen Mittelstufe 1 bis Experte beherrschten. Da Deutsch nicht so weit in der Welt verbreitet war wie Englisch oder Spanisch vermuteten die Latierres, dass es für Professeur Faucon schwer sein mochte, die zwölf Schülerinnen und Schüler auszuwählen. Ein Brief von Babette an Millie bestätigte, dass von den zum Turnierstart siebzehn Jahre alt sein würdenden aus dem grünen Saal nur Armgard Munster und Patrice Roymont bereits genug Deutschkenntnisse hatten, um bis zum Oktober die Sprachanforderungen zu schaffen. Für alle anderen hieß das, dass sie entweder zusehen mussten, in den folgenden Wochen bis zur ersten Mittelstufe zu lernen und für den Fall nicht mitgenommen zu werden das restliche Jahr den Kurs fortzusetzen, oder eben auf die Teilnahme zu verzichten. Babette hatte erwähnt, es auszuprobieren, zumal sie ja nach Beauxbatons mit Laurentine weiterüben könne, um sich mit dann drei Sprachen besser irgendwo bewerben zu können als schon mit Englisch als Fremdsprache.

Außerdem hatte sie erwähnt, dass Mayette Latierre bei den roten die Silberbrosche bekommen hatte. Zwar wussten Béatrice und Millie das schon über den Pappostillon. Doch wenn Babette das berichtete war der das sicher wichtig.

Da Millie zwar Englisch und Spanisch, aber kein Deutsch konnte, würde Gilbert Latierre als Beobachter von der Temps de Liberté bei der Championsauswahl und den trimagischen Aufgaben dabeisein. Das hieß jedoch für ihn, dass er in der Zeit nicht mehr aus den Staaten berichten konnte.

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die beiden französischen Zaubererweltzeitungen vom 1. September brachten es auf Seite eins. Unter einem großformatigen Bild von Crorinne Duisenberg mit einem siegreich emporgereckten flatternden Schnatz stand in fingerlangen Buchstaben:

BELGIEN ENTGEHT DEM ABGRUND EINER SCHMACHVOLLEN NIEDERLAGE UND GEWINNT MIT 160 : 130 DIE NEUAUFLAGE DER QUIDDITCHWELTMEISTERSCHAFT 2003. CORINNE DUISENBERG STOPPT DEN BLITZSTART VON PERU IN MINUTE 12 DURCH ÜBERRAGENDEN SCHNATZFANG!

"Kuck mal an, Julius. Mit der strahlenden Kampfkugel da haben wir zwei mal Quidditch gespielt. Wird auch ihre Tante Patrice und Kevin freuen", sagte Millie, als Julius den vollständigen Artikel aus der Temps de Liberté vorgeleesen hatte.

"Na ja, Millie, Kevin dürfte immer noch damit hadern, dass Irland gegen Australien rausgeflogen ist. Aber ich freu mich auch für Corinne und ihre Kameraden", sagte Julius."

"Schon heftig, dass Peru den Belgiern in elf Minuten dreizehn Tore eingeschenkt hat", meinte Millie. "Haben die Bocafuego nicht bändigen können?"

"Hast du doch gehört, dass der nicht alleine so überragend war, sondern seine Treiberkameraden von der ersten Minute an die Klatscherhoheit hatten. Corinne hat es nur ausgenutzt, dass ihre Jägerkollegen sich den beiden Treibern als lohnende Beute angeboten haben, als sie den Schnatz gesehen hat und sie schneller an dem dran war als der peruanische Sucher", warf Béatrice ein. Aurore fragte, ob das was ganz dolles war, was Corinne gemacht hatte. Julius erklärte es ihr. Denn bei der letzten Quidditchweltmeisterschaft war sie ja gerade mal ein winziger Klumpen neues Leben in Millies warmem Bauch gewesen. Béatrice wandte ein, dass die Feiernden aber jetzt aufpassen mussten, dass sie nicht noch einmal von Vita Magica heimgesucht wurden. Dem konnten Millie und Julius nicht widersprechen. Jedenfalls freuten sie sich für Corinne und würden ihr und auch Patrice Glückwunscheulen schicken.

"Hat es geklappt, freizukriegen, damit wir morgen mit Linda und Gilbert feiern können?" fragte Millie ihren Mann. Dieser verzog das Gesicht und sagte: "Zitat von Simon Beaubois: Wenn Sie sich mit dem Gedanken tragen, eine Auslandsreise zu unternehmen, dann nur zu dem Zweck, das von Ihnen erwähnte Kind der europäischstämmigen Werwölfin zu finden und in Belenus' und Merlins Namen zur Mondburg zu bringen. Ansonsten gibt es hier in Frankreich gerade viel zu tun, auch weil wir davon ausgehen müssen, dass die sogenannte Allianz freier Nachtkinder nach ihren letzten Aktionen wieder Kontakt zu uns suchen wird", grummelte Julius. "Also habe ich keinen Urlaub bekommen. Aber ihr fliegt bitte mit dem Luftschiff rüber und feiert für mich mit! Die neuen Überseeluftschiffe sind ja jetzt noch besser gegen Höhenstrahlung abgeschirmt, dass auch Schwangere in den ersten zwölf Wochen bedenkenlos damit reisen können."

"Eigentlich will ich dich nicht alleine hierlassen, Julius", grummelte Millie. "Aber wenn die ganze Familie mitreist sieht das blöd aus, wenn ausgerechnet ich da nicht bei bin."

"Deshalb sollten wir zusehen, am dritten wieder hier zu sein", sagte Béatrice. Auch sie fühlte sich nicht wohl dabei, Julius alleine zurückzulassen. Was, wenn seine netten Kollegen und der nicht ganz so besensichere Simon Beaubois beschließen sollten, ihn vor ein Disziplinartribunal zu stellen und wegzusperren, wenn keine schützende Latierrefamilie um ihn herum war? Dann würde sie sein Kind ohne ihn austragen müssen, und Millie, die nun ganz sicher wusste, dass sie Zwillinge trug, würde ebenfalls Schwierigkeiten haben, ohne ihn zurechtzukommen. Dann straffte sie sich so gut sie konnte.

"Beaubois kann dir den Urlaub verweigern. Das ist sein gutes Recht. Aber wehe ihm, er lässt dich wegen konstruierter Anschuldigungen festnehmen! Dann wird er erfahren, warum die Latierres seit Jahrhunderten eine der mächtigsten Zaubererfamilien Frankreichs sind", sprach Béatrice eine unerwartet deutliche Drohung gegen den nicht anwesenden Leiter der Zaubergeschöpfeabteilung aus. Julius meinte dazu nur: "Im Zweifelsfall habe ich schon Rückendeckung von der Ministerin selbst, sowie von Madame Faucon und auch Antoinette von der Heilerzunft." Béatrice sah ihn verwundert an. Er grinste überlegen und sagte: "Stimmt, habe ich dir nicht erzählt, dass ich Antoinette besucht habe, als ich zwei Stunden Zeit für mich alleine hatte. Sie meint, dass jeder Vorwurf von Illoyalität ein hilfloser Versuch sei, mich um die mir anvertrauten Geheimnisse zu bringen und die HVDs des Ministeriums bereits klargestellt hätten, dass es mächtige Pakte gibt, bei denen entweder der Verlust des Gedächtnisses oder der Tod eintritt, wenn eine daran gebundene Person ihn freiwillig oder unter Folter oder erheblichem Zwang bricht. Die werden dann im Zweifelsfall vor einem Disziplinartribunal entsprechende Fälle bekunden. Also macht euch bitte keine Sorgen! Fliegt zu Lino und Gilbert und beglückwünscht die beiden zu der kleinen Lydia. Ich hätte sie zwar auch gerne selbst begrüßt. Aber ich muss denen hier keine zusetzliche Angriffsfläche bieten, wenn ich vom Arbeitsplatz fernbleibe und noch dazu den Erdteil wechsel."

"Ich bin beruhigt, wenn du dich gut genug abgesichert hast", sagte Béatrice. Millie fügte dem hinzu: "Trice und ich möchten schließlich, dass du unsere drei Neuzugänge ankommen siehst. Immerhin steht das so in unserer Vereinbarung." Béatrice nickte bestätigend.

Am Nachmittag teilte die gemalte Version Aurora Dawns den Erwachsenen im Apfelhaus mit, dass ihre natürliche Vorlage erfahren habe, dass das Mädchen Laura Rutherford, das im letzten Jahr bei der Schlangenmenscheninvasion in Australien als hochbegabte Hexe aufgefallen war, in das Schulhaus Owlstreak der Redrock-Akademie eingeschult worden war. "Sie hat bei uns unten drunter einen ähnlichen Status bekommen wie Harry Potter in Europa", sagte Auroras Bild-Ich. "Ist ihr nicht so ganz recht, weil sie ja nichts besonderes getan hat, sagt das mit ihrer großen Namensvetterin in Verbindung stehende Porträt. Aber immerhin ist sie jetzt an einem Ort, wo ihre Fähigkeiten gewürdigt werden. Redrocks Schulleiter Professor Marbleporch und die Kollegin meiner natürlichen Vorlage werden sie wohl in den nächsten Tagen auf ihre bereits entwickelten Kräfte untersuchen, weil sie ja im letzten Jahr schon viel ganz bewusst bewirkt hat, natürlich unter dem Druck einer tödlichen Bedrohung."

"Ist dabei auch herausgekommen, woher das Mädchen die starken Kräfte hat, Aurora?" fragte Julius die gemalte Version seiner australischen Bekannten.

"Ja, ist es. Aber das ist zur Heilerinternen Angelegenheit erklärt worden. Nur approbierte, in Australien praktizierende Heilerinnen und Heiler dürfen das genau wissen, julius. Hättest du Lauras Angebot angenommen dürfte mein Original dir das verraten."

"Ja, und hätte der Hund nicht gepieselt hätte er den Hasen gekriegt", erwiderte Julius darauf. Millie und Béatrice grinsten darüber. Auroras gemalte Version grinste auch. "Jedenfalls so die Kollegin Greenlief, müssen sie aufpassen, das Mädchen nicht in ein Glashaus zu setzen oder in Watte zu packen, aber auch nicht zuzulassen, dass sie von Neidern aus dem Shadelake-Stall übel angemacht wird, weil sie deren Meinung nach überhaupt nicht zaubern können darf. Die glauben immer noch die Propaganda der Todesser, dass es keine echten Muggelstämmigen oder gar Ruster-Simonowsky-Zauberbefähigte gibt. Wie erwähnt müssen Schulleiter Marbleporch und Schulkrankenschwester Greenlief da gut aufpassen", bekräftigte Auroras Bild-Ich noch einmal. Béatrice, Millie und Julius nickten zustimmend. Julius wusste ja aus eigener Erfahrung, wie schnell sich wer mit nichtmagischen Eltern Feinde in den Reihen achso auf pure Zaubererweltabstammung bezogenen Leuten machen konnte.

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"Es ist traurig, dass Julius nicht mitkommen konnte", sagte Gilbert zu seiner Cousine Béatrice, als diese die kleine Lydia Barbara Latierre auf die Arme nahm. Dabei fühlte die junge Heilerin, wie es ihr warm ums Herz wurde und sie meinte, in den Tiefen ihres warmen Unterleibes zu fühlen, dass dort jemand wohnte, der oder die ihre ganze Liebe und Fürsorge bekommen sollte. "Tante Cyn verpasst was, weil sie nicht herkommen wollte", sagte Béatrice noch. Linda nickte ein wenig betrübt und sagte: "Gilbert hat gedacht, die Kleine würde sie dazu bringen, ihren Frieden mit uns zu machen. Aber offenbar ist sie wirklich so unnachgiebig wie ein Granitfelsen."

"Sagen wir es so, Linda, meine Mutter weiß, dass sie gnadenlos dahinschmelzen wird, wenn sie unsere kleine zu sehen bekommt. Deshalb will sie sie nicht vor allen Familienangehörigen hier sehen. Aber ich gehe davon aus, dass sie in den nächsten Tagen oder Wochen herüberkommen wird, um sie sich anzusehen", wandte Lydias stolzer Vater ein.

"Das hoffe ich doch mal, Gilbert. Ich habe doch sonst keinen Krach mit deiner Familie", sagte Linda.

"Öhm, und sag Julius bitte, dass er jederzeit bei mir anklopfen kann, sollten die im Ministerium ihn echt wegzubeißen trachten", sagte Gilbert zu Millie, wo Béatrice dabeistand. "Das weiß er schon, Gilbert. Davon abgesehen stehen schon wieder alle Schlange, die ihn damals schon gerne in ihrer Firma haben wollten, allen voran Antoinette Eauvive und Camille Dusoleil."

"Oha, gegen ein Heilergehalt kann ich im Moment nicht anstinken", meinte Gilbert. Béatrice grinste überlegen und sagte: "Jeder das, was er oder sie meint, für wichtig zu halten, Gilbert. Du hättest ja damals auch Pflegehelfer werden können und dann sicher einen Einstieg in die Heilzunft kriegen können. Aber Zaubertränke waren ja nicht deines und Zauberkräuter auch nicht."

"Ich will auch nicht über verschüttete Tränke jammern, Trice, sondern nur klarstellen, dass ich bei einem Bieterwettstreit gnadenlos gegen deine oberste Chefin verlieren würde, falls Julius Geld wichtig ist."

"Sagen wir es so", sagte Millie. "Es gibt Sachen, die ihm wichtiger sind als Geld. Aber wenn er mich und unsere Kinder weiter sicher durchs Leben bringen will, braucht er leider ein sicheres Einkommen. Ich habe dir doch erzählt, dass er selbst sieben Kinder mit mir vorausgesagt hat, und die Kinder vier und fünf sind schon unterwegs. Da wird er sich das gut überlegen, für wie viel Gold er welche Arbeit macht."

"Zwillinge?" fragte Gilbert. Linda lauschte auf Millie. Diese sagte dann, dass sie wohl im Mai wieder Mutter würde und diesmal gleich zwei auf einmal ausbrüte. "Soviel dazu, was Julius wichtig ist", grinste Gilbert wie ein Schuljunge. Béatrice wirkte ein wenig wie bei Seite gestellt. Natürlich war Millie die rechtmäßig angetraute Ehefrau von Julius. Aber wenn es jetzt schon losging, dass sie wegen Zwillingen die ganze Aufmerksamkeit bekam kam sie sich doch etwas wie eine Randfigur vor, jemand, die für ein paar wilde Nächte die volle Aufmerksamkeit bekommen hatte und jetzt nicht mehr wichtig war. Einige Sekunden haderte sie mit dieser Selbstabwertung. Dann bäumte sich ihr Bewusstsein auf und schmetterte ihre Trübsal mit einem einzigen Gedanken ins Nichts: Sie half Millie und Julius, weiterhin ein glückliches und erfülltes, Angst- und Schuldgefühlfreies Leben zu führen. Millie konnte nur die neue Aufmerksamkeit genießen, weil sie beruhigt war, dass Ashtarias Forderung von wem anderen erfüllt wurde, von ihr, der jüngsten Tochter von Ursuline und Roland Latierre. An die Stelle von Selbstmitleid rückte Stolz. Sie würde eines von Julius' Kindern bekommen, das Kind eines zauberstarken, intelligenten, zuvorkommend auftretenden und verlässlichen Zauberers. Sie half mit, dass seine Blutlinie nicht erlosch. Ja, sie trug einen Teil seines Vermächtnisses in ihrem Leib. Und das war ein sehr gutes Gefühl.

Béatrice überließ Millie den anderen jungen Müttern wie Brittany Brocklehurst und Martha Merryweather. Sie wollte wegen ihrer Kollegin Chloe Palmer nicht den Eindruck bei Brittany erwecken, dass wieder so viele Heilerinnen an ihr rumkritisieren würden. Statt dessen sah sie ihren Großnichten Aurore und Chrysope zu, wie sie mit den anderen Kindern auf der Feier Ringelrein spielten. Sie unterhielt sich mit Peggy Swann, der Mutter von Larissa, die bei der Kindergruppe irgendwie den völligen Überblick zu haben schien. Auch konnte sie einige Worte mit Theia Hemlock wechseln, die als alleinerziehende Mutter ihrer Tochter Selene in Heimarbeit Recherchen über Zauberkräuter und thaumaturgische Neuheiten anstellte. Ob sie damit genug verdiente, um sich und ihre fünfjährige Tochter satt und gut bekleidet zu halten wollte sie nicht nachfragen. Zumindest sah Selene nicht so aus, als ginge es ihr schlecht. Sie wirkte sogar eher so, als strotze sie vor Stärke und Überlegenheit, dürfte das aber nicht offen zeigen. Vor allem als sie der kleinen Selene in die Augen sah vermeinte sie mehr Willenskraft und Selbstbewusstsein zu erkennen als bei einem anderen fünfjährigen Mädchen. Beinahe ritt sie der rote Wichtel, das Mädchen zu legilimentieren. Doch wenn die dann ihrer Mutter von merkwürdigen Bildern und Geräuschen von früher erzählte bekäme Béatrice Ärger. Nein, solange ihr die Kleine nicht als auffällige Patientin vorgestellt worden war gab es keinen Grund, ihr inneres Wesen auf diese drastische Weise zu erkunden. Doch sie merkte schon, dass Selene nicht viel von dem einfachen Ringelrein hielt, sondern ebenso wie sie die übrigen Gäste beobachtete. Vielleicht hatte ihre Mutter ihr erzählt, dass hier auch wichtige Leute waren, die alle die kleine Hexe Lydia ansehen wollten, Leute, denen sie irgendwann viel später vielleicht mal über den Weg laufen mochte.

Abends ließen Trice und Millie jeden Alkohol aus. Auf die Frage, warum Béatrice nichts trank sagte sie, dass sie als Hebamme immer ein gutes Vorbild für alle Schwangeren in ihrer Sichtweite sei. Dabei sah sie auf Millie und auf Lindas Cousine Rachel, die bereits im siebten Monat schwanger war. Immerhin durfte sie noch mit allen tanzwilligen Herren tanzen. Doch sie merkte, dass sich ihr Körper offenbar umstellte. So war sie froh, dass sie um elf Uhr Westküstenzeit in das in Viento del Sol wartende Luftschiff zurückkehren konnte. In vier Stunden würde es wieder losfliegen. Millie, die sich mit ihr und den drei bereits geborenen Kindern von Julius die Kabine teilte, kam eine Viertelstunde später dazu. Sie wünschten sich noch eine gute Nacht. Dann legten sie sich beide schlafen. Womöglich würden sie in Millemerveilles wieder aufwachen. Das war auf jeden Fall besser für sie und die Ungeborenen als den Ortszeitanpassungstrank trinken zu müssen.

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Es war der 11. September. Drei Jahre war es nun her, dass Julius' Mutter und ihr zweiter Mann Lucky gerade so dem Anschlag auf das New Yorker Welthandelszentrum entgangen waren. Deshalb telefonierte er nach seiner Rückkehr aus dem Ministerium in seinem neuen Baumhaus mit seiner Mutter. Béatrice und Millie passten derweil auf die drei Mädchen auf. Clarimonde eiferte ihren größeren Schwestern immer mehr nach, was das flinke laufen anging. "Und wieder zeigt sich, wie schnell sich jüngere Geschwister entwickeln, wenn sie mehrere Jahre ältere Geschwister haben", bemerkte Béatrice, als Clarimonde schon fast so schnell wie Chrysope über die Spielwiese wuselte. Aurore saß auf der Schaukel und schwang ganz ungestüm vor und zurück. "Das stimmt echt", sagte Millie. "Rorie, nicht so doll!" rief sie ihrer Erstgeborenen noch zu. Dann maßregelte sie Chrysope und Clarimonde, nicht zu nahe an die schaukelnde Schwester heranzukommen. "Ui, fast hätte Rorie Chrysie am Kopf erwischt", zischte Béatrice. "Ja, nur wenn du Chrysie jetzt da wegholst meint die erst recht, es wäre doll, Rorie in den Weg zu laufen", sagte Millie. "Kenne ich von Lilau, wenn die was haben will, was Esperance oder Felicité gerade haben", erwiderte Béatrice. Da wuselte Clarimonde auf Aurore zu. Béatrice hatte schneller ihren Zauberstab bereit als Millie. Unvermittelt umschloss Clarimonde eine lila Leuchtblase. Mit einem leisen Pjojojoing federte Aurore von der Leuchtblase zurück, während Clarimonde wie ein leicht angestoßener Gummiball über die Wiese kullerte. Die jüngste Tochter der Latierres quiekte in einer Mischung aus Schreck und Überraschung. Millie sah ihre Tante und auserwählte Retterin ihres Ehefriedens mit großen, rehbraunen Augen an und meinte: "Wie ging das denn jetzt, Trice?"

"Die Blutfriedenssphäre, Globus Sanguipacis, Millie. Ich habe gehofft, den Zauber jetzt schon bringen zu können. Der kann von werdenden Müttern oder älteren Geschwistern gewirkt werden, um eigene Kinder oder jüngere Blutsverwandte vor Zusammenstößen zu schützen, wenn klar ist, dass dabei Verletzungen drohen. Darf aber nicht zu häufig gemacht werden, weil die Kinder lernen sollen, einander friedlich zu begegnen und sich nicht gegenseitig zu gefährden", erläuterte Béatrice und senkte den Zauberstab. Die lilafarbene Leuchtblase erlosch, und Clarimonde landete auf ihrem gut gewindelten Po. Sie begann zu quängeln, während Aurore missmutig auf ihre jüngste Schwester glotzte, weil die ihr den Schwung weggenommen hatte. Béatrice stand von der Bank auf, von der aus sie die drei Großnichten beaufsichtigt hatte. Millie sprang auf und musste erst einmal ihr Gleichgewicht finden. "Rorie, nicht mit Clarimonde zanken. Die wär dir fast gegen die Beine gekommen. Wolltest du nicht wirklich!" rief Béatrice. Millie sah ihre Tante erst ein wenig verstimmt an. Doch dann musste sie nicken. Aurore bremste ihren Schwung mit den Füßen ganz ab und glitt vom Schaukelbrett.

"Die soll kucken, wenn ich schaukel", meinte Aurore. Béatrice stimmte ihr aus den zwanzig Schritten Entfernung zu. "Die ist noch so klein. Die kann das noch nicht alles sehen, was du schon sehen kannst", sagte sie. Millie straffte sich. Dann sagte sie ihrer ältesten Tochter: "Tante Trice hat recht, Rorie. Du bist die Große. Du musst auch kucken, dass du Platz zum schaukeln hast und nicht so wild sein, wenn die zwei kleineren um dich rumlaufen."

"Och mann! Will richtig schaukeln. Die zwei sollen im Sandkasten rumbuddeln, eh!" motzte Aurore, während Clarimonde merkte, dass ihr Quängeln nichts einbrachte und von alleine wieder auf ihre kurzen beine kam. Chrysope flitzte bereits auf Aurore zu, weil die Schaukel gerade frei war. "Neh, Chrysie, die ist für große Mädchen", zischte Aurore. Millie und Béatrice hörten das wohl. "Chrysie, nimm deinen Hüpfball und geh da rüber!" rief Millie und deutete auf den grasgrünen Ball mit dem pinnartigen Griff. Chrysie sah erst die Schaukel an. Doch dann drehte sie sich um und lief zu dem Ball. Als sie es schaffte, sich darauf zu setzen und ihn durch Wippbewegungen zum Hüpfen zu kriegen nickte Millie. Clarimonde trippelte zur gleichen Zeit auf die kleinere der beiden Rutschen zu. "Immerhin nett, dass du mir das letzte Wort bei den Kindern lässt, Tante Trice", meinte Millie zu ihrer Tante. Diese nickte nur bestätigend. Sich hier und jetzt mit ihrer Nichte auseinanderzusetzen, wie schnell wer irgendwelche Unfälle oder Streitigkeiten vereiteln konnte wollte sie nicht. Doch ihr wurde klar, dass sie nun, wo sie ganz offiziell hier im Haus wohnte, die nächsten Jahre immer wieder in eine Lage wie die gerade überstandene geraten würde. Ja, und sollte Millie das von ihr gerade erwartete Kind als ihr eigenes einfordern hatte sie auch weniger Rechte, es in ihrem Sinne zu erziehen und zu maßregeln. Zumindest kam ihr dieser Gedanke. Ja, da würde sie wohl noch einmal mit Millie drüber sprechen müssen, wenn die neuen Kinder auf der Welt waren.

"Juhi!" rief Clarimonde, als sie die Rutsche hinunterglitt. Das bekam Chrysope mit. Sie ließ ihren Hüpfball noch einmal heftig auftitschen und sprang dann von ihm runter. "Dann soll sie auch rutschen", sagte Millie leise, als ihre zweitgeborene Tochter auf die kleinere Rutsche zulief.

So beobachteten sie beide die kleineren Kinder, behielten aber auch Aurore im Blick, die wieder schaukelte.

Julius kam zehn Minuten später aus seinem Baumhaus herunter und ließ die Strickleiter nach oben aufrollen, damit keines von den Kindern "aus Versehen" da raufklettern konnte. Er erwähnte, dass seine Mutter mit Lucky und den Drillingen für drei Tage nach New Orleans reisen würden, um Livius Porter und Maya Unittamo zu besuchen. Sie hoffe jedenfalls, dass Julius zum zweiten Drillingsgeburtstag am 26. September mitkommen könne. "Nicht genug, dass mir Beaubois Druck macht, um das mit den Mondtöchtern zu klären. Jetzt meint meine Mutter, ich solle langsam mal mit meiner Rolle als der große Bruder warm werden", murrte er, als er sicher war, dass die drei Mädchen gut beschäftigt waren.

"Könnte glatt meine Mutter sein", grinste Béatrice ihn an. "Apropos Familie: Wann erfährt deine Mutter, was wir vereinbart haben?" wollte sie von Julius wissen. Dieser verzog das Gesicht und sah Millie an. Diese merkte, dass es nun an ihr hängen würde, ob ihre Schwiegermutter erfuhr, dass nicht nur sie Julius' nächste Kinder bekam. Dann sagte sie: "Wir machen das Weihnachten im Sonnenblumenschloss, auch wegen Oma Line und Opa Ferdinand. Dann haben alle zur gleichen Zeit die gleiche Nachricht." Béatrice nickte heftig. Damit stand fest, dass das Weihnachtsfest 2004 wirklich ein besonderes sein würde.

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Sicher merkte Louiselle es, dass Laurentine sie immer noch irgendwie so wie ein besonderes Wesen ansah. Obwohl sie beide sich schon in vielen Übungsstunden völlig nackt zu sehen bekommen hatten kam die junge Grundschullehrerin nicht davon weg, die erfahrene Kampf- und Abwehrzauberkundige immer wieder so anzusehen, als wenn sie nicht wisse, ob sie sie begehren oder sich von ihr zurückziehen sollte. Doch Louiselle Beaumont beherrschte sich so gut, dass Laurentine es ihr nicht anmerken konnte, wie sie darauf reagierte.

Sie zogen die heutige Übungseinheit durch, die sich mit Schutzzaubern gegen Fernflüche und Fernbeobachtungen befasste. Hier konnte Laurentine auf dem aufbauen, was Professeur Delamontagne ihr und allen anderen UTZ-Schülern beigebracht hatte. Sie lernte jedoch auch, dass sie ihre Lebensaura verdunkeln konnte, so dass sie mit dem Vivideo-Zauber nicht mehr sichtbar gemacht werden konnte. Hierbei musste sie an eine verwesende Leiche oder an verrottende Pflanzen denken und dann, wenn sie das Bild, den Gestank und das Gefühl des Todes so deutlich wie möglich in ihrem Bewusstsein hatte, die Zauberstabspitze in ihren eigenen Bauchnabel stupsen und "Obscurauramortis", sprechen oder denken. Der eiskalte Schauer, welcher von ihrem Zauberstab in ihren Körper eindrang ließ sie zusammenfahren und für zwei Sekunden erzittern. Doch dann war alles so wie bisher, nur dass ihre eigene Lebenskraftaura bis zum Aufwachen nach dem nächsten Schlaf nicht mehr sichtbar war.

"Auch wenn Catherine weiß, dass du bei mir Sonderstunden nimmst musst du es ihr nicht verraten, dass du heute diesen Zauber von mir gelernt hast, Laurentine", sagte Louiselle. "Der ist nämlich bei Heilern wie meiner Tante, Ligaleuten wie Blanche Faucon und Catherine Brickston und dem Ministerium sehr ungern gesehen, weil sie es nicht mögen, wenn jemand sich gegen ihre Aufspürzauber abschirmen kann. Abgesehen davon reduziert er aktive und passive Heilzauber auf ein Viertel ihrer Wirksamkeit. Ja, und wer noch vor dem Abklingen dieses Zaubers mit dem aramäischen Todesfluch getötet wird verwest viermal so schnell wie auf natürliche Weise, weil der aufgeprägte Todeshauch nicht mehr weichen kann. Du hast dich im Grunde mit vorweggenommener Todeszeit angefüllt, bis du sozusagen des Todes kleinen Bruder an dich herangelassen und dich seiner erfrischenden Fürsorge anvertraut hast. Zumindest behaupten die Jüngerinnen Hecates das so, die den Zauber vor zweitausendeinhundert Jahren in Griechenland zusammen mit dem Lebensauren-Anzeigezauber entwickelt haben."

"Öhm, wieso ist der Zauberspruch dann aber lateinisch und nicht griechisch?" fragte Laurentine. "Weil die Töchter der Hecate, wie sich die Verehrerinnen der alten Urmutter aller Hexen selbst nennen, ja auch im römischen Reich gewohnt und gewirkt haben. Du weißt ja sicher, dass die Römer viele Mythen und Gottheiten aus der griechischen Kultur übernommen haben. Ja, und mit den Römern verbreiteten sich dann auch die Zaubersprüche und Rituale in lateinischer Sprache und wurden deshalb in den entsprechenden Büchern niedergeschrieben, wie Lumos, Nox, Wingardium Leviosa und und und", dozierte Louiselle. Dann probierte sie aus, ob Laurentine auch wirklich vollwirksam gezaubert hatte. Tatsächlich konnte Laurentine die für Vivideo typische grüne Leuchterscheinung, die ihren Körper konturgenau und wie vergrößert nachzeichnete, nicht mehr um sich aufleuchten sehen. So fragte die Einzelschülerin ihre Lehrmeisterin, ob sie den Zauber schon viel früher aufheben konnte oder ob jemand anderes diesen Zauber von ihr nehmen konnte. "Nein, das kann eben nur des Todes kleiner Bruder, der Schlaf", grinste Louiselle. Laurentine erinnerte sich an die griechisch-römische Mythologie, wo Schlaf und Tod die Söhne der Nachtgöttin waren, die bei den Griechen Nyx und bei den Römern Nox geheißen hatte. Dann fragte Laurentine, warum sie diesen doch nicht so kraftzehrenden Zauber erst jetzt von Louiselle gelernt hatte. Louiselles mit einem verwegenen Grinsen gegebene Antwort tat schon richtig weh. "Weil der nur von einer Schwester an eine andere Schwester weitergegeben werden darf, Schwester."

"Gut, ich musste das fragen", erwiderte Laurentine, als sie den Schmerz über ihre eigene Einfalt verdaut hatte. Dann sagte sie: "Dann können den im Grunde alle, die als Schwestern eingeschworen sind, also auch die Führerin des Spinnenordens?" "Davon solltest du ausgehen", sagte Louiselle. "Hmm, auch solltest du davon ausgehen, dass diese mittlerweile weiß, dass du eine von uns geworden bist, Schwester Laurentine. Keine Angst, auch wenn sie einen eigenen Orden führt gilt für sie, dass sie dir nichts antun wird, weil du unter unserem Schutz stehst und auch, weil sie sicher noch einige von uns in ihre Reihen hineingelockt hat, die mit dem Weg der Geduldigen unzufrieden sind. Aber für die gilt auch, dass sie einer vorgestellten Schwester und ihren Angehörigen nichts antun dürfen, weil der Eid sie bis zum Tod bindet."

"Dann darf ich ihr aber auch nichts tun, richtig?" fragte Laurentine, als sie erkannte, dass dieses superschöne Hexenweib das so oder so irgendwann mitbekommen hätte, dass sie sich den schweigsamen Schwestern anvertraut hatte. Louiselle nickte sehr deutlich. Dann fragte sie, ob die Liga gegen dunkle Künste den Lebensauren-Verdunkelungszauber von irgendwoher kannten. Auch diese Antwort tat schon irgendwo weh. "Von den Jüngerinnen Hecates natürlich. Einige von denen sind in der griechisch-römischen Sektion der Liga tätig. Die Italienerinnen werden jedoch gerade aufpassen, sich nicht von dieser Hybridin erwischen zu lassen, die das Land mit Klingsors Bann gegen Fremdgeborene überzogen hat. Öhm, Ladonnas Schwesternschaft ist übrigens nicht an den Eid unserer Schwestern gebunden, Laurentine. Wenn die der Meinung ist, dich entweder als ihre folgsame Dienerin oder als Leiche haben zu wollen wird sie keine Rücksicht darauf nehmen, wem du dich anvertraut hast. Da musst du dann wohl ebenso gnadenlos gegenhalten."

"Ja, nur dass sie eine Veelastämmige ist und deshalb durch die Vergeltungsgesetze der Veelas abgesichert ist", grummelte Laurentine. Sie durfte dann noch einmal erwähnen, was Julius Latierre ihr über die Veelas und ihre ihm mitgeteilten Gesetze erzählt hatte. "Was diesen unnatürlich schönen Frauenzimmern noch mehr Auftrieb gibt, wie eitle Pfauen herumzustolzieren und sich für das Maß aller Dinge zu halten", schnarrte Louiselle. Ich war auch mit einer von Letos späten Töchtern in Beauxbatons, nur dass die im violetten Saal gewohnt hat, während es mich zu den Grünen geführt hat, wie dich, Julius und alle bisher geborenen Dusoleils. Trotzdem habe ich es immer wieder mitbekommen, wie überheblich und auf ihr äußeres bezogen diese Mitschülerin war. Aber ich fürchte, wir schweifen ab. Jedenfalls bleibt der Zauber, den du selbst auf dich gelegt hast, bis du mindestens zwei Stunden lang geschlafen hast wirksam und sozusagen die kleine Wiedergeburt erlebt hast." Laurentine nickte. Dann kam sie auf etwas, dass ihr auf der Seele lag, wo sie es gerade von Leben und Tod hatten. Sie wusste nicht, inwieweit sie noch Kontakt mit ihrer Großmutter suchen sollte. Denn ihr selbst war es unangenehm, dass das mit ihrer Oma Monique so auseinandergebrochen war. Das erwähnte sie dann.

"Sie weiß nicht, was wirklich mit dir ist, Laurentine, richtig?" wollte Louiselle noch einmal wissen. Laurentine nickte. "Sie nimmt dir nur übel, dass du ihrer Glaubensgemeinschaft entsagt hast. Dann ist die Frage, ob ihr diese Weltanschauung wichtiger ist als ihre Beziehung zu Verwandten. Falls ja, würde alles, was du tust ihr wie Heuchelei oder unglaubhaftes Geschwätz erscheinen, was du ihr sagst. Falls sie aber merkt, dass ihr Glaube sie von ihren bis dahin geliebten Verwandten entfremdet und sie nicht den Kontakt mit euch verlieren möchte, besteht die Möglichkeit, dass du wieder mit ihr in Frieden zusammenkommen kannst, ohne zu verraten, dass du eine Hexe bist."

"Stimmt, das darf ich ihr so oder so nicht verraten", erwiderte Laurentine. Dann überlegte sie, ob sie den ersten Schritt machen sollte. Doch dagegen sprachen so viele Sachen, unter anderem, dass ihre Großmutter ihren katholischen Glauben für so überragend wichtig hielt, dass sie es ihr wohl weiterhin nicht verzeihen würde, dass sie diese sich auf Jesus Christus berufende Konfession verlassen hatte und auch, dass sie mit ihren eigenen Eltern gebrochen hatte, was ja ein klarer Verstoß gegen das vierte Gebot war. Dass nicht sie, sondern ihre Eltern die Beziehung mit ihr aufgekündigt hatten würde schwer zu erklären sein, wenn sie nicht verraten durfte, warum ihre Eltern nichts mehr von ihr wissen wollten. Auch deshalb war es wohl erst einmal unmöglich, den Kontakt mit ihrer in den Staaten lebenden Großmutter wiederzubeleben. So sagte sie Louiselle: "Ich wollte dir sicher nicht meinen Seelenballast aufladen, Schwester Louiselle." Darauf erwiderte diese: "Auch wenn es nerven kann sind Schwestern auch für sowas da, Laurentine. Abgesehen davon sollte ich schon wissen, ob du an einem Unterrichtstag voll bei der Sache oder mit den Gedanken ganz woanders bist." Das sah laurentine ein. Aber damit hatte sie auch die Bestätigung, dass Louiselle sie ganz genau beobachtete und wohl merkte, dass sie sie immer wieder so ansah, als wisse sie nicht, ob sie sie für ganz selbstverständlich oder begehrenswert halten sollte.

Die restliche Zeit verbrachten die zwei damit, Schutzkreise gegen Fernflüche und Fernbeobachtung zu zeichnen. Wie in vielen Bereichen der Ritualmagie konnte eigenes Blut hierbei auch als Zauberkraftverstärker dienen, musste aber nicht bei jedem Schutzbann vergossen werden.

Gegen elf Uhr abends kehrte Laurentine in ihre Wohnung in der Rue de Liberation zurück. Auf die Frage, die sie umtrieb hatte sie jedoch noch keine Antwort: Wie würde es zwischen ihr und Louiselle weitergehen?

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Am 20. September stellte Hera bei Béatrice fest, dass das Herz ihres ungeborenen Kindes zu schlagen begonnen hatte. "Somit teilt ihr zwei euch nun das Blut. Jetzt gilt es besonders, auf Genussmittel zu verzichten. Aber das muss ich dir ja nicht extra erklären, Béatrice", sagte die Hebamme von Millemerveilles. "Aber ab heute fliegst du nur noch ruhige Besenmanöver und verzichtest auf unnötiges Apparieren. Ich stell dich von der Notbereitschaft frei und übernehme wieder den vollen Anteil zusammen mit dem Kollegen Delourdes."

"Du hast das Herz des Kindes gesehen?" fragte Béatrice mit gewisser Aufregung. "Ja, ich konnte ein gewisses Pulsieren innerhalb des Embryos erkennen", sagte Hera Matine. Béatrice nickte. Also war der nächste Schritt für das in ihr wachsene Kind getan. Es besaß nun ein eigenständig schlagendes Herz. Es wollte leben, und sie würde ihm dieses Leben ermöglichen, egal ob es ein Junge oder Mädchen sein würde.

Millie hatte Hera, weil die nun ihre Hebamme war, die Geschichte von den Mondtöchtern und der Beschränkung auf erst einmal nur Töchter erläutert. Hera erwiderte mit einer gewissen Abgebrühtheit: "Ja, wusste ich schon. Es gab schon sieben Hexen, deren Männer damit haderten, dass sie erst einmal nur Töchter bekamen. Aber von denen war kein Paar auf die Idee gekommen, sich eine von beiden akzeptierte Kindesmutter zu suchen."

"Na ja, hätten wir ja wohl auch nicht, wenn dieser fiese Traum von Ashtaria nicht gewesen wäre", grummelte Millie. Hera meinte dazu, dass sie es aber nun, wo sie es entschieden hatten, auch durchstehen mussten. Dem konnte Millie nicht widersprechen.

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Der 22. September 2004 begann in Millemerveilles mit einem ordentlichen Regenschauer. Eine Unwetterfront vom Mittelmeer warf ihre Ausläufer über die Küste hinaus bis an den Rand der provencalen Alpen. in Böen stürmischer Wind peitschte den aus dunkelgrauen Wolkenungetümen niederstürzenden Regen wie troffnasse Vorhänge über die Bäume und Häuser von Millemerveilles.

Trotzdem das Apfelhaus von Millie und Julius einen Wasserabstoßungszauber besaß konnten die fünf Bewohnerinnen und der Hausherr des runden, ehemaligen Reisehauses nur silbern glänzende Wasservorhänge außen vor den Fenstern sehen, die sich mit dem silbernen Leuchten des in Kraft getretenen Abweisezaubers vermischten. Ein einheitliches Rauschen drang durch die Wände.

Offenbar hatte das aufgekommene Unwetter die beiden schwangeren Bewohnerinnen besonders betroffen. Denn Béatrice hatte die erste wirklich heftige Morgenübelkeit erwischt, und Millie hatte das leckere Abendessen von gestern vollständig in die Toilette gespien. Da Aurore und Chrysope es noch nicht wussten, dass auch ihre Großtante Béatrice ein Baby von Julius im Bauch hatte war Béatrice froh, genug der nützlichen Auswurf-Verschwinde-Spucktüten mitgebracht zu haben. Am besten stellte sie sich für die kommenden Übelkeitsanfälle einen Ausscheidungsauffangeimer neben ihr Bett, sowie sie ihn ihrer Mutter verordnet hatte, als die mit den Vierlingen im vierten Monat angekommen war.

Weil die Mägen der zwei werdenden Mütter offenbar noch mit der Unpässlichkeit rangen konnten Millie und Béatrice nicht so üppig frühstücken wie sonst. Immerhin war Millie erfahren genug, dass sie sich vom üblichen Morgenquatsch Aurores und nun auch Chrysopes nicht aus der Ruhe bringen ließ, als sie Clarimonde fütterte. Julius brauchte keine Anweisung, dass er die Hauptarbeit mit den beiden schon größeren Mädchen hatte. Doch das allein war wohl nicht, was ihn so angespannt dreinschauen und ständig um die richtige Lautstärke ringen ließ. Béatrice, die ihren zeitweiligen Nachtgespielen und künftigen Vater ihres ersten Kindes doch schon etwas besser kannte brauchte keinen Herzanhänger wie Mildrid, um zu erkennen, wie sehr Julius offenbar mit etwas rang. Doch sie sagte dazu kein Wort. Da bemerkte Béatrice etwas, was ihr bisher nicht in den Sinn gekommen wäre. Denn sie hörte Millies Stimme ganz leise flüstern, ohne dass sie die Lippen bewegte.

"Du siehst aus, als müsstest du gleich mit drei Drachen aufeinmal kämpfen oder hättest einen Sack mit hundert Wichteln irgendwo hinzubringen. Nur in drei Sätzen, was ist los, Monju?"

Nun Hörte Béatrice Julius halblaut antworten, ohne dass er seine Lippen bewegte: "Satz eins: Heute ist eine Sonderkonferenz der Abteilung für magische Geschöpfe. Satz zwei: Dabei könnte Beaubois finden, dass die zwei Lager, die sich angeblich wegen mir gebildet haben, so nicht weiterdiskutieren dürfen. Satz drei: Er könnte mir die Wahl lassen, Degradierung zum Amtsanwärter, die völlige Kündigung oder sogar ein Gerichtsverfahren wegen erwiesener Illoyalität und Zurückhalten wichtiger Informationen."

"Doch jetzt? Ich dachte, wegen Tante Babs und Fleurs und Gabrielles Papa hätte sich die Stimmung bei euch entspannt", hörte Béatrice ihre Nichte gerade so flüstern, dass sie sie verstand. Doch nun erkannte sie, dass Millies Worte nicht von ihr ausgingen, sondern direkt in ihrem Kopf wisperten. Ebenso war es mit Julius' Antwort, die jedoch einen kurzen, sanften Nachhall besaß.

"Offenbar haben ihm Leute ein Ultimatum gesetzt, vielleicht die Ministerin, Mamille. Der muss das jetzt klären, auf biegen und brechen."

"Ja, aber nicht auf die Kosten deiner Freiheit, Monju", gedankenschnaubte Millie, was Béatrice als leises Wispern verstand. Sie konnte also mithören, wenn die beiden mentiloquierten. Lag das an Julius' Kind? Jedenfalls war das neu, das Nicht-Mentalauditorinnen wie sie von einem Menschen zu einem anderen mentiloquierte Worte verstanden. Das wollte sie demnächst ganz genau ergründen, als Heilerin und als Betroffene in einer Person.

"Ich hoffe mal, dass die Ministerin interveniert, ohne dass ich sie darum anrufen muss, Mamille. Denn ich will das schließlich mitkriegen, wie ihr zwei lieben Hexen wegen mir neue Kinder kriegt." Offenbar fühlte sich Béatrice mit dem Lob "Liebe Hexen" gleichermaßen geschmeichelt wie Millie. Denn beide Hexen lächelten absolut zeitgleich, obwohl das gegen die bestehenden Mentiloquismusmanieren verstieß, auf gedankliche Botschaften mit Gesten oder Mienenspiel zu reagieren. Julius bemerkte es sehr wohl und sah erst seine Schwiegertante und dann seine Frau an. Da die zwei größeren Mädchen gerade wieder meinten, ein Löffel-auf-Teller-Trommelkonzert veranstalten zu müssen und weil die zwei nicht mitkriegen sollten, wie besorgt ihr Papa war, mentiloquierte Julius: "Kann es sein, Trice, dass du irgendwie mitkriegst, was Millie und ich uns gerade zudenken?" Béatrice sah ihren Schwiegerneffen und Erzeuger ihres ersten Kindes an und mentiloquierte an sein Bewusstsein gerichtet: "Ich weiß noch nicht wieso, aber so ist es. Millie kriege ich ganz leise mit, dich schon halblaut. Aber danke für das Kompliment!"

"Monju, was meint Tante Trice. Irgendwie habe ich sie flüstern gehört, aber noch nicht verstanden", mentiloquierte Millie offenbar an ihren Mann, was Béatrice wieder als Wispern ohne Nachhall empfand.

Irgendwas macht, dass sie unsere Melogespräche mitkriegen kann, Mamille. Könnten die ganzen Sachen sein, die uns zu genialen Melopartnern machen", schickte Julius eine Vermutung an seine Frau. Die antwortete darauf: "O Drachenmist! Dann können wir uns nichts mehr meloen, ohne dass sie das mitkriegt?"

"Frag sie das bitte selbst", schickte Julius ihr wohl zurück. Das tat Millie dann auch. Jetzt vernahm Béatrice ihre Gedankenstimme laut und mit gewissem Nachhall in ihrem eigenen Geist: "Tante Trice, hängst du jetzt irgendwie zwischen Julius und mir im Meloraum?"

"Ist wohl so, Millie. Aber keine Angst. Ich bin ja immer noch deine Vertrauensheilerin, auch wenn ich im Moment auch ein Baby von Julius im Bauch habe", schickte Béatrice zurück. Julius sah erst sie und dann Millie an und gedankensprach: "Ich habe euch beide gehört, obwohl ihr nicht mich angetextet habt. Oha, hoffentlich bleibt es nur bei gemeloten Gedanken,nicht, dass wir uns noch gegenseitig abhören, was wir für uns alleine denken."

"Dann müssen wir wohl occlumentieren", schickte Béatrice an Julius. Da erklang eine andere Gedankenstimme, die so klang, wie ein sanft angestrichenes Violoncello in einem kleinen Konzertsaal:

"Das liegt wohl daran, dass ihr durch viele Dinge zugleich miteinander verbunden seid, Mildrid, Julius und ja auch Béatrice. Wenn ihr euer Morgenmahl gegessen habt kann ich zumindest Mildrid und dir erklären, was es ist. Ich bin übrigens jene, die ihr Artemis vom grünen Rain oder Temmie nennt."

"Gut, dann später nach dem Morgenmahl", bekundete Béatrice und hoffte, dass die Besitzerin dieser wunderschönen, kraftvollen und doch sanften Gedankenstimme sie verstanden hatte, auch wenn sie ihre Botschaft an Julius gerichtet hatte.

Diese unerwartete Erkenntnis hatte Julius' Angespanntheit etwas gesteigert. Denn offenbar wollte er nicht, dass nur für Millie gedachte Gedankennachrichten von seiner schwangeren Schwiegertante mitgehört wurden. Doch die Stimme von Temmie beruhigte ihn und alle anderen Mithörenden: "Es ist kein Eindringen in deine innersten Gefilde, Julius. Sieh es eher als hilfreiche Verbindung, die euch allen mehr nützen als schaden mag. Sei deshalb bitte unbesorgt!"

"Verstehe, Temmie, wo du Millie und mich schon gut überwachen kannst sollte ich mich eben damit abfinden, dass Béatrice jetzt in diesen kleinen aber feinen Kreis eingebaut wurde oder noch wird." Temmies Gedankenstimme antwortete: "Das sind die Wege körperlicher und geistiger Verbindungen der hohen Kraft."

Weil nun alles ohne hörbare Stimme zu besprechende gesagt war konzentrierten sich die drei Erwachsenen wieder auf die drei kleinen Mädchen, von denen das älteste nun seine Eltern ansah, weil die nichts sagten, aber so aussahen, als würden die miteinander reden. Julius sagte deshalb zu Aurore: "Maman und ich haben heute einen langen Tag, Rorie. Also sei bitte so lieb und mach nicht zu viel Krach. Geht das, oder bist du noch so klein wie Chrysie?"

"Ey, das geht doch, Pa", knurrte Aurore und hörte mit ihrem Löffelgetrommel auf. Chrysope machte weiter. Aurore zischte ihr zu: "Ey, nich' so laut. Pa muss für's arbeiten Ruhe haben."

"Was will der?" quiekte Chrysope etwas verdutzt. Julius sagte ihr im ruhigen aber entschlossenen Ton: "Chrysie, ich muss heute viel machen, was ganz schwer ist. Kann auch sein, dass ich heute länger wegbleiben muss. Deshalb sei bitte etwas leiser, damit mein Kopf nicht weh tut. Danke!" Chrysope sah ihren Vater an, der sie jedoch sehr unerbittlich ansah. Da ließ auch sie ihren kleinen Löffel auf dem Teller liegen und machte ihr Bin-doch-ganz-lieb-Gesicht. Das reichte ihrem Vater, um sich in der noch bleibenden Zeit drei weitere Croissants zu genehmigen, aber dafür keinen starken Kaffee trank, sondern den heißen Kakao, den er eigentlich für die drei Prinzessinnen gekocht hatte.

Kurz vor acht disapparierte er im blitzsauberen und ganz glatt gebügelten Büroumhang.

"So, ihr zwei Trommelköniginnen, ihr wascht euch jetzt erst mal die verschmierten Gesichter sauber, oder ich mach das mit dem rosa Zauberschaum weg", sagte Millie unerbittlich auf die zwei größeren Mädchen blickend. Diese verzogen ihre mit Brot- und Croissantkrümeln und Käse- und Schokoladencreme verschmierten Gesichter und flitzten los in Richtung Badezimmer. "Tante Trice, ich denke, wir gehen mit Chrysie und Clarimonde in das Schloss rüber, damit Chrysie wen zum Spielen hat. Dann können wir uns mal drüber unterhalten, was Temmie gemeint hat", sagte Millie ohne dazu aufgefordert worden zu sein. Béatrice erhob keinen Einspruch.

Als Aurore von Millie zum dorfeigenen Kinderhort gebracht worden war benutzten sie, Béatrice und die zwei kleinen Hexen die Verschwindeschrankverbindung zum Château Tournesol. Dort übergab Millie Chrysope in die Obhut von Ursuline Latierre. "Wir zwei möchten gerne für uns sein und was besprechen, weil Julius Andeutungen gemacht hat, dass es heute für ihn heftig werden könnte, Oma Line", begründete Millie die Übergabe ihrer zweitgeborenen Tochter.

"Ich nehme die noch mittlere gerne zu den vier anderen, wenn ich dafür von einer von euch Süßen oder beiden zugleich erfahre, worum es geht, wenn ihr es miteinander geklärt habt, Millie", sagte Béatrices Mutter. Beide hörten genau, dass sie das nicht als Bitte, sondern als eindeutige Aufforderung meinte.

Béatrice und Millie zogen sich in Béatrices bisheriges Sprech- und Behandlungszimmer zurück. Das war weit genug weg vom Spielsaal für die kleinen Hausbewohnerinnen und Hausbewohner.

"Verstehe ich das richtig, dass ich euch beide mentiloquieren hören kann, weil ich Julius' Kind trage und noch was anderes dazukommt?" eröffnete Béatrice die Aussprache.

"Du weißt sicher, dass Temmie Julius und mich ihre Milch aus dem Pokal der Verbundenheit hat trinken lassen, damit wir sie noch besser verstehen. Dabei sind aber die schon bestehenden Verbindungen zwischen ihr und uns beiden verstärkt worden. Da ist das Aufhockding, was deine Ma mit meinem Mann gemacht hat, wo er gerade noch wegen Claire in Trauer war. Da ist die Herzanhängerverbindung zwischen ihm und mir und ja eben die Verbindung zwischen seinem Fleisch und Blut, Temmies und meinem. Wahrscheinlich hängst du deshalb noch mit drin, weil du Oma Lines Tochter bist und jetzt von Julius ein Kind im Bauch hast, das jetzt schon mit Temmie verbunden ist, obwohl es noch nicht geboren ist."

"Verstehe. Der Pokal der Verbundenheit. Oha, ihr habt noch dann noch eine solche Verbindung mit den Kühen gemacht, weil Oma Barbara und meine gleichnamige Schwester jeweils einmal aus diesem Pokal Milch genascht haben. Deshalb können sie alle lebenden und noch die nächsten drei Generationen der Kühe gedanklich ansprechen oder eben mit tiefer Stimme besänftigen und zum Gehorsam anhalten, ohne körperliche oder magische Gewalt anzuwenden. Hoffentlich finden wir beide uns deshalb nicht irgendwann nach unserem hoffentlich sehr spät eintretenden Tod in den Körpern der Kindeskinder von Demeter oder Artemis wieder und dürfen dann selbst kräftigende Milch geben und jedes Jahr mehrere Zentner warmer Wolle spendieren."

"Das wäre sicher sehr erheiternd, mir eine Tochtertochter mit eurem inneren Selbst vorzustellen, eine Daisiria", mischte sich Temmies cellogleiche Gedankenstimme ein. "Aber außer den genannten Verbindungen gibt es da noch was, was euch beide und mich noch mehr verbindet: Ich, also meine Seele, die in Temmie neu aufgewacht ist, gehört einer Vorfahrin jener, die als Brückenseherin zwischen den Lebenden und Toten besteht, Ashtaria. Julius wurde von dieser selbst wiedergeboren, weshalb er etwas von ihr in sich trägt. Damit schließt sich ein weiterer Kreis von ihm zu mir. Jetzt trägst du sein Kind im Leib, das nun auch mit dir sein Blut vermischt, um heranzuwachsen. Deshalb hast du jetzt auch ein wenig der hohen Kraft in dir, die Ashtarias nichtfleischlicher Leib in Julius' Körper und Geist eingeflößt hat. Ob ihr deshalb bei zunehmender Größe seiner Kinder in euren Bäuchen mehr von euren Gedanken mitbekommt oder von meinen mitbekommt weiß ich nicht. Doch wenn dies geschehen sollte kann ich euch helfen, damit zu leben. Denn ich habe mit meiner Mutterschwester eine ähnliche Vereinigung erlebt, als ihr Gefährte nach zwei Jungen und zwei Mädchen mein zeitweiliger Nachwuchsgefährte war und er sich auf eine Übereinkunft mit einem anderen Begeher der Weltenbrücke eingelassen hat. Wir lernten, uns gegenseitig auseinanderzuhalten, zu wissen, wessen Gedanken die jeweils andere empfand und die eigenen von den mitgefühlten unterscheiden lernte. Sollte es euch also widerfahren, dass auch ihr eine vollständige Vereinigung eurer beiden inneren Regungen erlebt, seid unverzagt!"

"Das sind ja sehr illustre Aussichten", gedankenmurrte Béatrice. Millie fügte dem hinzu: "Am Ende wechseln wir zwei andauernd die Körper, weil unsere Seelen zu einer in zwei Körpern werden. Ich hoffe das mal nicht. Öhm, kriege ich das dann vielleicht klar, wenn ich meine Herzanhängerhälfte ablege, bis die beiden kleinen geboren sind, Temmie?"

"Das solltest du besser nicht tun, weil diese ja nun auch bald ihr Blut mit deinem vermischen, um in deinem inneren Nest zu gedeihen und zur Lebensreife heranzuwachsen", gedankenantwortete Temmie. Béatrice verstand. Immerhin hatte Millie sowas während der Schwangerschaft mit Aurore erlebt, und Julius hatte alle ihre Gefühle und ihre Hungeranfälle abbekommen, so wie sie damals seine Gefühlswallungen unter Einfluss des Halbriesenblutes von Madame Maxime abbekommen hatte.

"Ich hoffe, du verzeihst mir das, dass ich das nicht vorher überlegt habe, Tante Béatrice. Denn dann hätte ich vielleicht doch überlegt, wen ich als Friedensretterin für Julius und mich ansprechen kann, die nicht mit mir Blutsverwandt ist."

"Millie, das ist jetzt genauso unnötig zu sagen: Wäre der Kessel nicht umgekippt wäre der Trank nicht unrettbar versickert. Ich habe mich trotz der mir da schon bekannten Verbindungen zwischen euch beiden auf diese Übereinkunft eingelassen, weil mir klar war, dass diese Ashtaria mächtig genug ist, deine Seele an sich zu reißen, wenn du ihr nicht gehorchst. Außerdem hatten wir zwei es davon, wen du denn sonst hättest fragen können, die auch Julius' Einverständnis gefunden hätte. Abgesehen davon: Wer sagt dir, dass diese aufkommende Verbindung zwischen dir, Temmie und mir nur wegen meiner Blutsverwandtschaft besteht. Sicher, die bestärkt das alles. Aber stell dir mal vor, ihr zwei hättet Sandrine, Belisama oder Pina dazu bekommen, Julius' Kind zu empfangen oder gar die achso gestrenge Blanche Faucon. Dann wäre ja auch diese Verbindung zwischen ihm und Temmie und zwischen ihm und Ashtaria in dieses Kind eingebracht worden, und diejenige hätte dann vielleicht auch mit dir Gedanken geteilt oder zumindest zwischen dir und Julius mentiloquierte Worte so mithören können wie ich. Wolltest du, dass Blanche Faucon weiß, was du denkst oder dich mit Sandrine oder Belisama drum zanken, wer mit Julius intensiver zu tun hat?"

"Nun, ihr habt beide sehr zeitnah von Julius empfangen und tragt nun drei seiner Kinder zur fast gleichen Zeit heran", warf Temmie noch ein. "Da bin ich froh, dass ich nicht auch gerade wieder ein Kalb in meinem inneren Nest beherberge." Béatrice und Millie sahen einander verdutzt an. Denn beide hatten wohl denselben Gedanken: Dann hätten sie beide vielleicht auch die Empfindungen der Latierre-Kuh oder ihres ungeborenen Kalbes geteilt. So war es wieder so wie immer, dass es immer ein noch größeres Übel geben konnte als das, was einer als unerträgliches Übel empfand. Die zwei Hexen, die durchaus auch Schwestern hätten sein können, grinsten einander an. Dann sagte Millie mit hörbarer Stimme:

"Wir haben das beide ausgeheckt. Dann müssen wir beide halt dadurch, bis Julius' drei neue Kinder bei uns durch die kleine Hexentür sind", sagte Béatrice. Millie nickte.

Sie saßen noch einige Minuten so da und horchten in sich hinein. Da zog Millie ihr Zuneigungsherz hervor. Es pulsierte wild und glomm ein wenig heller als das durch die Fenster darauf treffende Licht. "Ui, Julius ist ziemlich angespannt und wütend. Offenbar ist echt was eingetreten, was ihn in die Enge treibt. Ich lehne mich mal zurück und überlass mich mal der bestärkten Exosenso-Verbindung mit ihm."

"Vielleicht kann deine Tante und bewahrerin eures Friedens mitverfolgen, was du mitbekommst, wenn ihr einander bei den Händen haltet", gedankensprach Temmie. Millie verzog das Gesicht. Béatrice wiegte den Kopf. Dann streckte Millie ihre rechte Hand aus. Béatrice legte ihre rechte Hand hinein. Augenblicklich wechselte für beide die Umgebung, als seien sie appariert.

Béatrice vermutete, dass sie und wohl auch Millie durch Julius' Augen sahen. Denn sie sahen nicht ihn, sondern nur mehrere Leute, darunter Barbara Latierre die jüngere.

"Ich kann, will und werde nicht mehr zulassen, dass das zwischenbehördliche Klima innerhalb dieser Abteilung dauerhaft so kalt und angespannt bleibt, die Herrschaften", sprach ein Mann, von dem Béatrice irgendwie wusste, dass es Simon Beaubois war. "Ich habe gerade klargestellt, dass Sie, Monsieur Latierre, Ihrer Verantwortung gerecht zu werden haben, die Sie durch mich und die Ministerin zugesprochen bekamen. Sie müssen sicherstellen, dass unsere Abteilung die aufgeworfenen Schwierigkeiten überwindet. Sie haben der Werwolfüberwachung dieses Experiment mit der Mondordensfestung in den Pyrenäen abgerungen, weil die drei gefassten Lykanthropen ja wegen Verratsunterdrückungszauber keine brauchbaren Informanten waren. Doch wenn sie jetzt wirklich von der Lykanthropie befreit und damit aus jeder damit verknüpften Bezauberung gelöst sind, dann sollten wir sie auch als Informanten befragen können. Diese Mondbruderschaft aus Spanien und Südamerika ist eine zu ernste Gefahr für alle Menschen ohne den Werwutkeim, dass sie keine Minute länger unbeherrscht fortbestehen darf als nötig. Außerdem gilt es, die Verbindungen zu anderen Bekämpfungstruppen von Vampiren oder Werwölfen zusammenzubringen und deren Kräfte zu bündeln. Insbesondere nach den jüngsten Zerstörungsakten gegen Kunstfaserfabriken, die von den Mitgliedern der sogenannten Liga freier Nachtkinder und den Werwölfen im Wechsel verübt wurden, ist es sehr wichtig, von uns aus eine einheitliche, geschlossen auftretende Kontrollinstanz darzustellen. Daher gilt auch, dass Sie, Monsieur Latierre, die Leute vom Laveau-Institut dazu bringen, ihre probaten Vampirblutresonanzkristalle in größerer Stückzahl zu fertigen und mit Genehmigung ihres Zaubereiministers und unserer Zaubereiministerin nach Frankreich auszuführen und nicht wie geschehen als unter jeder Hand hindurch gereichte Gefälligkeit für Madame Grandchapeaus Büro hinzunehmen. Ebenso bestehe ich nun darauf, dass Sie, Monsieur Latierre, mit den Kindern Ashtarias Verbindung aufnehmen und diese dazu auffordern, sich klar zu bekennen, wem ihre Loyalität gehört und damit auch Ihre. Ich werde mich nicht länger als handlungsunfähiger Abteilungsleiter dem Mitleid meiner ranggleichen Kolleginnen und Kollegen ausliefern. Ja, und bevor Sie sich wieder hinter der Ministerin selbst zu verschanzen wagen sollten, Monsieur Latierre: Ich habe der Ministerin nahegelegt, ihre eigene Handlungsfähigkeit zu überprüfen, wenn wir gerade nach den offenbarten Übergriffen einer Ladonna Montefiori oder dieser gefährlichen Nachtschatten und zwei sich heimlich befehdender Vampirvereinigungen unfähig bleiben sollten, entsprechend zu handeln, wo zu handeln dringend geboten ist. Und jetzt kommen Sie mir gütigst nicht damit, dass wir bisher doch viel Ungemach verhütet haben, Monsieur Latierre. Denn ich muss auch auf Grund meiner eigenen Erfahrungen mit Geisterwesen davon ausgehen, dass das bisherige nur ein Auftakt war und die gegenwärtige Stille die Ruhe vor einem Sturm ist, der uns alle vernichten kann, wenn wir nicht ergründen, aus welcher Richtung er uns heimsucht und wie wir ihm trotzen können. Also wiederhole ich, was ich zu Beginn sagte: Sie, Monsieur Latierre, überdenken sehr schnell und sehr gründlich Ihre bisherige Haltung im Bezug auf magisches Wissenund der Loyalität gegenüber dem Zaubereiministerium, oder ich werde verfügen, dass Sie wegen erwiesener Illoyalität vor das Disziplinartribunal gestellt werden, ja vielleicht sogar wegen Verrats vor den geheimen Zwölferrat des Zaubergamot gebracht werden, der ohne Öffentlichkeit verhandeln und urteilen darf. Vielleicht hatte mein unselig aus diesem Ministerium entfernter Vorgänger ja doch recht, als er Ihnen bei der Anhörung wegen der Riesen-Waldfrauen-Hybridin vorwarf, nur eigenen Ansichten und Ihnen aus uneinsichtigen Quellen entstehenden Einflüssen zu folgen und somit an uns vorbei bis gegen uns zu arbeiten. So, und jetzt dürfen Sie antworten."

"Gut, dann antworte ich", hörten Béatrice und Millie Julius und empfanden es so, als sprächen sie selbst. "Offenbar möchten Sie alle gerne die bereits im November letzten Jahres geführte Diskussion wiederholen. Gut, wie Sie wünschen. Was irgendwelche Einflüsse angeht, Monsieur Beaubois, so fürchte ich, dass Sie ebenfalls von äußeren Quellen zu bestimmten Ansichten oder Handlungen bewegt werden. Gut, das geschieht echt jedem von uns und ist keine Untat. Aber was mich angeht, so habe ich Ihrem Vorgänger, der auf eine uns immer noch ungeklärte Weise in einen mächtigen Entomanthropen verwandelt wurde, oft genug gesagt, dass jeder Versuch von mir, die mir anvertrauten Geheimnisse der Kinder Ashtarias zu verraten, mein Gedächhtnis auslöschen wird. Ich werde also nichts tun, was meine geistige Existenz auslöscht, nur damit Sie zufrieden sind. Denn dem Ministerium würde das nichts einbringen. Ich könnte wohl nicht mal eine mir anvertraute Sache verraten, bevor mein Gedächtnis ausgelöscht wird. Damit würde ich alles vergessen, was dem Ministerium nützt und könnte ihm demnach nicht weiter dienen. Soviel zu meiner Loyalität. Sie drängen darauf, dass ich den Kollegen hier alles sage und gebe, was denen hilft, ihre Arbeit noch besser zu machen. Gleichzeitig bestehen Sie gemäß der Dienstvorschriften und der Vorgaben aus der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit darauf, dass ich nur die Dinge anstoßen darf, die ein anderer Zaubereiminister erlaubt. Jetzt wissen wir alle hier, dass die Lage in den Staaten, wo das Laveauinstitut besteht, sehr instabil ist. Es bilden sich dort neue Machtinteressen. Der kommissarische Zaubereiminister Buggles will trotz der gerichtlichen Niederlage an seiner Politik der gewissen Toleranz von Vita Magica festhalten, auch nachdem, was diese Gruppierung in Kanada angerichtet und weltweit angedroht hat. Andere wollen offen dagegen Front machen. Also wen bitte soll ich in Washington anschreiben, um eine rechtmäßige Genehmigung für die Ausfuhr amerikanischer Zaubergegenstände und -tränke zu erhalten? Da geht nur das Laveauinstitut. Öhm, Kollege Charlier, ich möchte das noch zu Ende bringen. Dann dürfen Sie gerne was sagen. Danke." Tatsächlich hatte der Leiter der Vampirüberwachungsbehörde immer wieder Anstalten gemacht, was zu sagen, war jedoch von Beaubois durch Handgesten davon abgehalten worden. Julius kam auch schon zum Abschluss: "Was die Kinder Ashtarias angeht, so galt und gilt ihre unverbrüchliche Loyalität allen Menschen der Welt mit und ohne Magie und nicht einem einzelnen Zaubereiministerium. Da dieses Engagement jedoch im wesendlichen mit unserem Engagement zum Schutz aller Menschen vor gefährlichen Zauberwesen vereinbar ist müssen die Kinder Ashtarias sich nicht für ein einzelnes Zaubereiministerium aussprechen, weder für uns noch für ein anderes. Ähnlich halten es die Brüder des blauen Morgensternes in den muslimischen und hinduistischen Zauberergemeinschaften. Die verwahren sich auch gegen die Vereinnahmung durch einzelne Zaubereiministerien. Doch die leben und arbeiten sehr gut damit, dass sie die Morgensternbrüder nicht weiter bedrängen. Und einmal mehr, ich habe nicht darum gebeten, mit einer der Abgrundstöchter zusammenzukommen und deshalb in die Jahrtausende alte Fehde zwischen denen und den Kindern Ashtarias hineingezogen zu werden. Auch wenn Sie mir geraten haben,mich nicht auf die Ministerin zu berufen, so bin ich zuversichtlich, dass Sie bereits abgewogen hat, ob ich mit oder ohne Gedächtnis wertvoller für das Zaubereiministerium sein kann. Ja, und weil sie vorhin noch angedeutet haben, meine bisherigen Errungenschaften aufzukündigen und mich sozusagen ins zweite Anwartschaftsjahr zurückversetzen wollen ändert das nichts an dem Verhältnis der Veelas zu mir und dem Auftrag Mademoiselle Maximes, mich um die Familie ihrer Tante zu kümmern."

"Was die Veelas angeht mögen Sie leider recht haben, Monsieur Latierre. Aber was die Riesen in den Pyrenäen angeht darf und werde ich diese Aufgabe an wen anderen übergeben und habe dies auch schon getan. Die ministerielle Betreuung der Riesenfamilie in den Pyrenäen übernimmt der von mir aus dem Überseeterritorium Martinique zurückbeorderte Bartholomé Montferre. Er wird bei seiner Rückkehr in das Büro für eigenständig handlungsfähige Zauberwesen über der Jardinanegrenze die entsprechenden Akten und Gesprächsprotokolle erhalten, Monsieur Latierre. Und was Sie und ihre einmal mehr geäußerte Weigerung angeht, so werde ich nach dieser Unterredung beschließen, dass eine gerichtliche Untersuchung Ihres Verhaltens und eine Ihrem Verhalten angemessene Disziplinarmaßnahme verfügt wird. Sie sehen hier genug Zeugen, die mir beipflichten werden. Aber vielleicht möchte der Kollege Charlier noch einen Vorschlag machen, der uns allen eine unerfreuliche Gerichtsverhandlung ersparen kann", sagte Beaubois und deutete auf den Leiter der Vampirüberwachungsbehörde.

"Einen alternativen Vorschlag würde ich das nicht nennen, Monsieur Beaubois. Ich will nur bekräftigen, dass Monsieur Latierre durch sein Verhalten und seine unautorisierten Handlungen die französische Zauberergemeinschaft in große Gefahr bringt, den beiden bekannten Vampirgruppierungen zur Beute zu fallen. Wenn meine Leute die achso probaten und mächtigen Zauber der Kinder Ashtarias beherrschen würden könnten wir die uns bedrohenden Blutsauger und vor allem deren durch die dunkle Zauberkraftwelle vom April 2003 bestärkte Führungsentität effektiver bekämpfen und in die Schranken weisen. Unser Auftrag lautet: menschen vor den Übergriffen der Menschenbluttrinker zu schützen. Monsieur Latierre kennt Mittel und Wege, diesen Auftrag zu erfüllen. Außerdem besitzt er Kontakte zu Herstellern wirksamer Vampirbekämpfungsmittel. Diese Kontakte soll er uns mitteilen und uns die alleinige Nutzung derselben überlassen. Ach ja, damit der Kollege Deroubin auch noch seine Arbeit machen kann geben Sie ihm die mit den Mondtöchtern ausgemachten Losungswörter und Übereinkünfte bekannt, damit er diese im Namen des Zaubereiministeriums zur Herausgabe der drei von ihnen in Obhut gehaltenen Mondgeschwister bewegen kann!"

"Öhm, darf ich noch mal?" fragte Julius Beaubois. Dieser schüttelte den Kopf und sagte: "Sie haben gehört, was der Kollege Charlier fordert. Sie werden dieser Forderung nachkommen oder sich bereits morgen vor dem Disziplinartribunal des Zaubereiministeriums wiederfinden, Monsieur Latierre. Mein Maß ist nun voll. Entweder Sie teilen alles Wissen mit den dafür zuständigen Unterabteilungen oder verlieren Ihre Anstellung, vielleicht sogar Ihre Freiheit. Falls Ihnen wirklich das Gedächttnis abhanden kommen sollte, wenn Sie endlich erkennen, wem Ihre Loyalität gebührt, kann einer unserer HVDs Sie gegebenenfalls genesungsverjüngen und Sie in die Obhut einer Amme geben, die nicht mit Ihrer Familie oder Ihrer Schwiegerfamilie verwandt ist. Sie sind hiermit belehrt und gewarnt."

"Bevor er die Ashtaria-Geheimnisse verrät soll er mir die genauen Vereinbarungen mit den Mondtöchtern mitteilen", bestand Deroubin auf sein Recht, mehr über die geheimnisvollen Mondtöchter zu erfahren. Béatrice und Millie wussten, dass es nur die eine Vereinbarung gab: Gesicherte Partnerschaft und gesunde Kinder, solange das erste Kind eine Tochter wurde. Julius sagte dann auch: "Das kann ich Ihnen gleich sagen, Kollege Deroubin: Die zwischen Mildrid und mir mit den Mondtöchtern getroffene Vereinbarung lautet: Sie bestätigen unsere gemeinsame Partnerschaft, was der Gang über die gläserne Brücke bewirkt hat, wenn wir innerhalb der ersten sechsunddreißig Monate nach dieser Bestätigung das erste Kind haben, nach meinem jetzigen Wissen auf jeden Fall eine Tochter, die vielleicht selbst einmal dem Orden der Mondtöchter beitreten mag. Beide Punkte der Vereinbarung wurden von Mildrid und mir sowie den Mondtöchtern erfüllt. Das diese danach immer noch mit mir in Verbindung stehen erfuhr ich eben erst durch den von ihnen übermittelten Auftrag. Da sie schon verheiratet sind, Monsieur Deroubin können Sie leider nicht denselben Pakt mit den Mondtöchtern schließen wie Mildrid und ich. Soviel dazu. Und was das Tribunal angeht warte ich jetzt auf die Entscheidung. Sie wissen ja, dass Sie die Ministerin über diesen Schritt zu informieren haben und diese Beisitz- und Vetorecht genießt. Mehr muss ich dazu nicht mehr sagen."

"Die Ministerin wird sich selbst einer Anhörung stellen müssen, sollte sie mit ihrer Haltung Ihnen gegenüber das Ministerium weiterhin beschränken und somit gegen ihren Amtseid verstoßen", schnarrte Beaubois und erhielt ein heftiges Kopfnicken von Charlier, Deroubin und zwei anderen Zauberern, die Béatrice nicht kannte. Barbara Latierre, die jüngere sah genau in die Richtung, wo Julius wohl sitzen musste, weil Millie und Béatrice meinten, dass sie ihnen direkt in die Augen blicke. Monsieur Delacour bat ums Wort und sagte, dass er erst jetzt vom Rückruf von Bartholomé Montferre erfahren habe."Das ist auf jeden Fall früh genug", sagte Beaubois. "Die schriftliche Bestätigung geht Ihnen gleich nach der Unterredung zu. Stimmen Sie sich mit ihm ab, was die Riesenfamilie in den Pyrenäen angeht!"

Da Béatrice gerade nur das sah, was auch Julius sah und er Pygmalion Delacour ansah bemerkte sie, wie hinter diesem ein kleiner, korpulenter Zauberer in moosgrünem Umhang aus einem dunkelbraun gerahmtem Bild verschwand. Da Beaubois links neben Fleurs und Gabrielles Vater saß bemerkte dieser diese heimliche Absetzbewegung nicht. Statt dessen sagte Beaubois: "Ich überlege auch wegen Ihrer Beziehungen zu den Veelastämmigen, dass ich der längeren Dienstzeit Monsieur Montferres wegen womöglich noch die Rangordnung Ihres Büros umändere, weil die ministerielle Aufsicht über so gefährliche Wesen wie Riesen nur von ranghohen Beamten gewährleistet werden kann. Aber das mache ich davon abhängig, wie gut Sie und der heimgerufene Kollege Montferre sich einigen, die leidige Sache mit den Riesen eindeutig und ohne verbleibende Zweifel zu regeln." Pygmalion Delacour sah Beaubois etwas verunsichert an. Dieser bekräftigte seine Worte durch ein Nicken. "Ich habe verstanden", sagte Pygmalion Delacour. Das galt dann auch für alle anderen im Raum.

"Damit schließe ich diese au´ßerordentliche Sitzung. Monsieur Latierre, Sie kehren einstweilen in das Ihnen zugeteilte Büro zurück und erwarten weitere Entscheidungen. Sie nehmen keinen Kontakt mit ausländischen Zaubererweltangehörigen auf und unterlassen auch jede Kontaktaufnahme mit Ihrer Familie, bis entschieden ist, was weiterhin mit Ihnen geschieht!"

"Bei allem verbliebenen Respekt, Monsieur Beaubois", setzte Julius an. Beaubois wollte ihm schon das Wort abschneiden, als Julius noch sagte: "Madame Grandchapeau hat mir die klare Anweisung erteilt, nach zehn Uhr in das Rechenzentrum zu gehen und dort für ihr Büro nötige Recherchen durchzuführen. Da Sie Ihnen ranggleich ist bitte ich Sie darum, es mit ihr zu klären, wessen Befehl für mich gültig ist." Béatrice fühlte wohl auch wie Millie die schwer beherrschte Wut in Julius. Sie bewunderte ihn, dass er sich bisher so ruhig verhielt und sogar noch einen rechtskräftigen Einwand gegen den erteilten Befehl anbrachte.

"Auch das ist ein unhaltbarer Missstand, der dringendst zu beheben ist", schnaubte Simon Beaubois. "Aber leider haben Sie recht, und ich muss dies gleich erledigen. Gehen Sie derweilen in Ihr Büro, da es noch eine halbe Stunde bis zehn Uhr ist!" Julius nickte wohl. Denn für Béatrice fühlte es sich an, als bewege sie ihren Kopf in dieser Weise. Dann sahen sie und Millie, wie sie von einem Stuhl aufstanden und den Konferenzraum verließen. Da verschwamm die Wahrnehmung und machte wieder dem Behandlungszimmer von Béatrice Platz. Die beiden Hexen fühlten ihre warmen Hände ineinander. Dann sahen sie sich an.

"Offenbar hat uns Temmie beide in seine Wahrnehmung rübergehoben, weil du den Herzanhänger trägst und wir zwei von ihm schwanger sind", vermutete Béatrice. Millie nickte. Das hatte sie auch so verstanden.

"Falls sie ihn echt vor das Tribunal stellen und ihn verurteilen, alles zu verraten, was er weiß oder für unbestimmte Zeit einzufahren fliegt sein Bluff auf, Trice. Dann kommt raus, dass er nicht nur von Ashtarias Kindern Wissen hat. Nur könnte ihm dann das passieren, was Adrian Moonriver passiert ist, nämlich dass die große goldene Dame aus der versteckten Stadt ihn holt, bevor er was echt heftiges ausplaudern muss. Dann sehen wir ihn nie wieder", fürchtete Millie.

"Ja, aber dann ist er für diese alten Meisterinnen und Meister ebenso wertlos, und wir müssen dann zusehen, wie wir seine Kinder alleine ins und durchs Leben bringen, falls die nicht noch auf Beihilfe zum Verrat kommen und zumindest dich anklagen", sagte Béatrice unachtsam. Dann erkannte sie, dass sie ihrer Nichte einen sehr heftigen Schreck einjagte und llegte sofort nach: "In dem Fall gilt die Gefahrenschutzübereinkunft unserer Familie. Wenn dich oder mich jemand bedroht dürfen wir in das Schloss und dort solange wohnen, bis die Bedrohung beseitigt ist. Kein Ministeriumszauberer, der dir nach Freiheit oder Leben trachtet, kommt dann durch die Sanctuafugium-Bezauberung. Das gilt dann übrigens auch für die Mädchen und mich." Millie atmete erleichtert auf und bekam ihre gesunde Gesichtsfarbe wieder. Dann grinste sie sogar: "Ich glaube, die kämen dann nicht mal nach Millemerveilles rein, wenn sie sich feindlich gegen eine Mitschöpferin der neuen Schutzglocke verhalten wollen."

"Hat diese Ammayamiria euch das so erzählt?" wollte Béatrice wissen. Millie wiegte den Kopf und sagte nur, dass die sicherstellen wollte, dass mindestens einer von denen, die ihren lebendigen Ursprungsseelen wichtig waren, dauerhaft und unangefochten in Millemerveilles lebten. Sicher würde die Schutzglocke auch halten, weil Camille und ihre Kinder und Enkel in Millemerveilles waren. Aber die Latierres stellten auch einen wichtigen Teil dieser Schutzbezauberung dar.

"Im Moment können wir nicht viel ausrichten. Aber falls wir wirklich vor übereifrigen Ministeriumsleuten flüchten müssen sollten wir schon mal genug von unseren Sachen hier im Schloss haben. Also gehen wir rüber zu euch und packen zwei große Reisetaschen! Wir nehmen nicht alles mit, nur was für zwei Wochen reichen soll. Öhm, dein besonderes Kleid hängt dort wo es hängt ganz gut. Wir müssen Ma und Ferdinand nicht darauf stoßen, was ihr alles für Schätze bei euch aufbewahrt."

"Ja, das verstehe ich", sagte Millie.

Nur eine Viertelstunde später hatten sie bei Béatrice im Sprechzimmer zwei große Reisetaschen aufgestellt, in denen auch Pflegeutensilien für die drei Mädchen waren. Dann warteten sie auf den Zehn-Uhr-Schlag der Abraxaner-Turmuhr.

Millie musste unvermittelt breit grinsen. Als Béatrice fragte, was sie nun so erheiterte griff ihre Nichte sie wieder bei der Hand. Unvermittelt fanden sich beide wieder in einer Exosensoverbindung zu Julius. Der saß offenbar in seinem Büro, doch er war nicht alleine. Béatrice sah mit Bewunderung die scheinbar schlanke Nathalie Grandchapeau, die Zaubereiministerin höchstselbst und einen nicht mehr ganz so überlegenen Simon Beaubois. Gerade hörten sie noch durch Julius' Ohren Madame Grandchapeaus Stimme sagen: "... ist die Angelegenheit doch klar, Kollege Beaubois. Ihre Mitarbeiter misstrauen Monsieur Latierre oder werfen ihm ungenügende Zusammenarbeit vor. Da ist mein Angebot für uns alle die bessere Lösung, vorausgesetzt, Sie verzichten auf die Einberufung des Disziplinartribunals, Kollege Beaubois, und Monsieur Latierre stimmt einem Dienstpostenwechsel in mein Büro zu, nachdem er alle Monsieur Delacours Büro betreffenden Akten an diesen selbst ausgehändigt hat. Sie können sich dann auf die ministerielle Anordnung berufen, dass Monsieur Latierre ausschließlich in der friedlichen Kontaktüberwachung zwischen Zaubererwelt und nichtmagischer Welt eingesetzt wird und aussschließlich noch die ihm vom Ältestenrat der Veelas anvertraute Vermittlungsarbeit fortführt, zumal es unter den französischen Veelastämmigen nun nichtmagischstämmige Verwandtschaftsbeziehungen gibt."

"Und Sie glauben, dass sich dieser junge, unangenehm eigensinnige Monsieur hier bei Ihnen loyaler benimmt als bei uns?" fragte Beaubois. "Wenn Sie mit Loyalität meinen, dass er im Sinne des Ministeriums handelt glaube ich es nicht, sondern weiß es zu einhundert Prozent. Was die Zusammenarbeit mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern betrifft ist diese nur deshalb nicht optimal, weil Monsieur Latierre überwiegend für Ihre Abteilung arbeitet und daher seine Zeit und seine Fähigkeiten nicht vollumfänglich für meine Behörde einsetzen kann. Ansonsten haben weder meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch ich selbst ein Problem mit seiner Zusammenarbeitsbereitschaft. Im Gegenteil, auch wenn Monsieur Latierre meine Behörde nicht als erste Berufsoption betrachtet hat konnte er sich bisher dort sehr konstruktiv und effektiv einbringen und sehr wichtige Vorhaben zum erfolgreichen Abschluss bringen. Ihn vor die Wahl zu stellen, das Gedächtnis oder die Freiheit zu verlieren würde genau das bewirken, was Sie ihm vorwerfen, nämlich eine unverzeihliche Einschränkung der Handlungs- und Reaktionsfähigkeit des Zaubereiministeriums. Abgesehen davon haben wir bisher keinen Streit mit den Kindern Ashtarias. Ihn zu zwingen, ihre Geheimnisse zu verraten wäre ein sehr starker Streitgrund. Aber vielleicht möchte die Ministerin selbst noch was sagen, bevor wir Monsieur Latierre die endgültige Entscheidung treffen lassen."

"Ich gehe davon aus, dass weder Monsieur Latierre noch Ihnen was daran liegt, die Handlungsfähigkeit des Ministeriums und seiner Abteilungen zu beschneiden", begann die Ministerin. "Auch gehe ich sehr stark davon aus, dass Ihnen daran gelegen ist, nicht als Aufrührer vor das Tribunal zitiert zu werden und bestenfalls mit einer Rückstufung zum untergeordneten Büromitarbeiter rechnen zu müssen, Simon. Denn die von Ihnen geäußerte Drohung, mich selbst vor das Tribunal zu bringen, falls ich Monsieur Latierre weiterhin stütze, darf ich schon als versuchten Angriff auf meinen Rang wie auf meine natürliche Person werten. Denn die mir unterstellte Beschränkung und damit schädigung des Ministeriums hätten Sie nicht beweisen können. Hinzukommt, dass Sie mich bisher nicht über Ihr Vorhaben unterrichteten, Ihre Abteilung durch Einbeziehung in den Überseegebieten tätiger Beamter umzubauen, sondern ohne eine fristgerechte Ankündigung zu meinen Händen vollendete Tatsachen schufen und den vor zwanzig Jahren aus gewichtigen Gründen aus Paris nach Martinique gewechselten Monsieur Montferre herbeorderten. Sie waren damals gerade mit Ihrer Anwartschaft fertig und als Außendienstmitarbeiter der Geisterbehörde eingeteilt worden. Vielleicht haben Sie deshalb nicht mitbekommen, wie Bartholomé Montferre massiv Stimmung gegen mehrere anerkannte Kolleginnen und Kollegen gemacht und versucht hat, sich die Leitung der Zauberwesenbehörde durch gezielte Intrigen gegen meine damalige Amtsvorgängerin Diane Latierre zu ergattern. Auf Grund dieser Intrigen wurde ihm Seitens Minister Grandchapeau nahegelegt, entweder nach Martinique zu wechseln oder wegen unlauteren Verhaltens im Amt und Verleumdung gegen eine ranghöhere Amtsperson unehrenhaft entlassen und womöglich zehn Jahre lang in Tourresulatant inhaftiert zu werden. Öhm, wann haben Sie bitte die Akte über Monsieur Montferre, Bartholomé gelesen, Monsieur Beaubois?"

"Die Vorwürfe gegen ihn sind fünf Jahre nach dem Abschied von Diane Latierre aus dem Ministerium verjährt. Die anderen Vorwürfe wurden fallen gelassen, nachdem er sich bereiterklärt hat, auf Martinique zu sein, wo er eindeutig großartige Arbeit im Büro für halbintelligente Zauberwesen geleistet hat. Außerdem kennt er sich mit übergroßen Zaubertieren und handlungsfähigen Zauberwesen aus, hat über die letzten großen Riesenkriege geforscht und unterhält gute Kontakte in die slawischen Zaubereiministerien. Er ist der richtige Zauberer, um die fragile Lage zwischen uns und den Riesen in den Pyrenäen auf ein festes Fundament zu stellen, wenn er die entsprechenden Befugnisse und Mitarbeiter erhält. Das können Sie nicht abstreiten."

"Ich fürchte, ich habe bei Ihrer Beförderung zum Abteilungsleiter versäumt, Sie zu fragen, wie gut Sie sich in den Verhaltensrichtlinien im Ministerium auskennen. und was Sie über rechtliche Verfahren und Verjährungsfristen wissen. Denn dann hätten wir beide erfahren, dass Sie offenbar noch einmal nachlesen müssen, dass jemand, der mehrere Kollegen wissentlich in Verruf bringen wollte und dabei nicht einmal vor der unrechtmäßigen Beschaffung privater Lebensdaten zurückschreckte, mindestens zwanzig Jahre untadelig arbeiten muss, bevor alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe aus den Akten getilgt werden, ob gerichtlich aufgearbeitet oder nicht. Es sei denn, die ihm oder ihr zur Last gelegten Vorwürfe wurden gerichtlich aufgearbeitet und das oder die Verfahren mit einem Freispruch oder eine Einstellung aus Mangel an Beweisen beendet. Das wusste mein Amtsvorgänger Grandchapeau sehr wohl und auch dessen Interimsnachfolger Montpellier."

"Louvois, über dessen Verbleib bisher immer noch unklarheit besteht, hat erwogen, ihn bei seiner Wahl zum Minister nach Paris zurückzubeordern", sagte Beaubois. Doch das hätte er besser nicht gesagt. Denn die beiden exosenso-Mitbeobachterinnen konnten durch Julius' Augen sehen, wie sowohl die Ministerin als auch Nathalie Grandchapeau sehr wütend aussahen. Dann sagte Ministerin Ventvit: "Ihnen wurde genau wie allen anderen Abteilungsleitern mitgeteilt, dass Égiste Louvois offenbar in erheblicher Weise zur Erpressung oder sonstigen Einflussnahme geeignete Unterlagen über Ministeriumsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter beschafft hat, die erst durch den gerade noch vereitelten Suizid von Posites Champverd vernichtet wurden. Daher glauben alle hauptamtlichen Richter und alle offiziellen Gamotsmitglieder, dass er sich der fälligen Verhandlung durch eine Flucht und einen Identitätswechsel entzogen hat. Wie erwähnt bekamen alle Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleiter eine ausführliche Dokumentation über diese sehr unliebsame Angelegenheit zu lesen. Also sollten wir Ihre gerade getätigte Äußerung als nicht stattgefunden werten, Monsieur Beaubois."

Béatrice wusste nicht, ob es Julius' Gefühle oder ihre eigenen waren, als sie mit gewisser Genugtuung sah, wie Beaubois erbleichte. Denn hier saßen drei Zeugen, die im Zweifelsfall doch behaupten konnten, dass er Barttholomé Montferre mit Louvois in Zusammenhang gebracht hatte. Er fragte verhalten, was er jetzt tun solle.

"Widerrufen Sie die Dienstpostenverlegung von Monsieur Montferre bis zum zweiten Februar 2005. Erst dann werden alle ihn betreffenden Vorgänge und Vorhaltungen aus den Akten getilgt! Was Monsieur Latierre angeht, so erhält er wie erwähnt die Gelegenheit, sich für einen dauerhaften Dienstpostenwechsel in die Zuständigkeit von Madame Grandchapeau zu begeben, wo er dann alle freiwerdende Arbeitszeit und Ausdauer einbringen kann. Allerdings werde ich mit Madame Grandchapeau Abstimmen, ob Monsieur Latierre weiterhin Mensch-Zauberwesen-Vermittler bleiben soll, aber dann nur noch an sie und/oder mich persönlich zu berichten hat oder er ausschließlich die Belange von Menschen mit und Ohne Magie und falls gegeben deren Beziehung zu den Veelas bearbeiten soll und ansonsten mit keiner Zauberwesenart zu tun bekommen soll."

"Und wenn ich doch darauf bestehe, ihn wegen Illoyalität und Arbeitsverweigerung vorladen zu lassen?" fragte Beaubois.

"Werden Sie und die von Ihnen benannten Zeuginnen und Zeugen wahrheitsgemäß aussagen müssen, inwieweit sie mitgewirkt haben, dass die Zusammenarbeit erbaulich oder unliebsam verrichtet wurde", sagte die Ministerin.

"Öhm, dann erteile ich Ihnen, Monsieur Latierre, hiermit die Anweisung, sich hier und jetzt in Wort und Schrift eindeutig zu entscheiden, ob Sie weiterhin ausschließlich in Madame Grandchapeaus Behörde arbeiten werden und alle diesbezüglichen Aufgaben und Rahmenbedingungen erfüllen oder weiterhin darauf bestehen, in der Abteilung für magische Geschöpfe tätig zu sein", sagte Simon Beaubois. Weil Julius gerade den Kopf nach rechts drehte konnten Béatrice und Millie durch seine Augen sehen, dass eine grüne Mitschreibefeder auf einem Stück Pergament dahinglitt und gerade zitternd auf einer Stelle stehenblieb. Dann hörten sie ihn sagen:

"Da mir sowohl meine Freiheit, wie meine Erinnerungen, sowie mein Wille zur einträglichen Arbeit für dieses Zaubereiministerium wertvoll sind, bedanke ich mich bei Madame Grandchapeau, mir all diese Möglichkeiten zu erhalten und nehme Ihre Bitte um eine verbindliche Überstellung in die von ihr geführte Behörde mit sofortiger Wirkung an und erbitte von ihr und meinem ersten Vorgesetzten, Monsieur Simon Beaubois, die schriftliche Möglichkeit, dies zu beurkunden. Danke!"

"Dies wird hiermit gewährt", sagte Nathalie Grandchapeau mit einem unverhohlenen Lächeln und öffnete ihre bordeauxrote Aktentasche. Simon Beaubois klappte die Kinnlade herunter, während die Ministerin ein sachtes Nicken andeutete. Denn nun förderte die Leiterin des Büros für friedliche Koexistenz zwischen Menschen mit und ohne magische Kräfte vier von grünen Holzringen zusammengehaltene Pergamentrollen ans Licht der magischen Fenster. Eine davon gab sie Julius, dessen Hände Béatrice und Millie nun vor den Augen sehen konnten. zwei weitere Rollen bekamen die Ministerin und Beaubois. Nathalie behielt die vierte Rolle.

Alle zogen die Halteringe ab. Nun hatte jeder und jede drei lange Pergamentbögen vor sich. Es waren Formulare und ein für ein amtliches Dokument kurzer Text. In die Formularfelder mussten Datum der Kenntnisnahme und das Datum der Wirksamkeit eingetragen werden, sowie die Namen des Dienstpostenwechselantragstellers, dessen bisheriger Vorgesetzter oder Vorgesetzte und der Name der Person, die gerade das Ministeramt innehatte. Der Text besagte, dass die Formulare gemäß ministerieller Dienstvorschrift von 1723 gemäß §22 (Personalbelegungsrichtlinie) ein Dienstpostenwecchsel beantragt und genehmigt wurde, wenn der/die wechselwillige oder wechselbeauftragte vollständige Formulare für Art, Ablauf und Grund des Wechsels vorlegen konnte. Beaubois grummelte einmal, dass er eine rechtskräftige Begründung für den Wechsel angeben solle. Offenbar war der zu sehr auf seine Zermürbungstaktik festgelegt gewesen, statt einen einfachen Dienstwechsel geplant zu haben. Durch Julius' Augen konnten die zwei Latierre-Hexen mitlesen, dass die Formulare und die Abschlussurkunde durch einen Proteus-interactus-Zauber miteinander verbunden waren. Das hieß, was auf einem Schriftstück verändert wurde änderte sich auch auf den drei anderen Schriftstücken, egal auf welchem der vier die Veränderung eingetragen wurde. Das war bei Dokumenten, von denen es mehr als zwei Kopien geben sollte schon sehr praktisch. Abgesehen davon, dass derartig bezauberte Schriftstücke auch als Mitteilungszettel benutzt werden konnten. So flimmerten die einzelnen Pergamentbögen, wenn jemand mit den dafür bereitgelegten smaragdgrünen Schreibfedern etwas eintrug. so erschinen die geforderten Datumsangaben wie von Geisterhand geschrieben. Julius trug sich dann in den Feldern für Dienstpostenwechselbereitwillige Amtsperson ein, gab seinen bisherigen Dienstgrad und Dienstvorgesetzten an und trug auch Geburtsdatum und Familienstand ein. Dann unterschrieb er die abschließende Urkunde und wartete, bis erst die Ministerin als Beurkundungszeugin, Nathalie als neue Vorgesetzte und Simon Beaubois mit gewissem Unmut als bisheriger Dienstvorgesetzter unterschrieben hatten. "Bitte prüfen Sie alle Ihre Ausgabe auf Unstimmigkeiten oder fehlende Punkte!" sagte die Ministerin und ging mit gutem Beispiel voran. Als dann alle drei nach nochmaliger Prüfung ihrer Unterlagen laut und vernehmlich bekundeten, dass die Dokumente und Formulare in allen geforderten Punkten korrekt ausgefertigt waren hob Ministerin Ventvit ihren Zauberstab und ließ ihn über den Schreibtisch schwingen. "Hoc est scriptum in momentum semper stato nunc!" Die vier Ausgaben des Wechseldokumentes flirrten eine Sekunde lang blau. Dann lagen sie so wie sie waren vor. "Somit haben wir alle eine gültige, rechtskräftige Ausgabe der erforderlichen Dokumente. Somit ist der vollständige Dienstanstellungswechsel gemäß Paragraph zweiundzwanzig der zaubereimministeriellen Dienstvorschriften vollzogen. Monsieur Latierre, bitte händigen Sie Monsieur Beaubois alle Unterlagen aus, die nicht im Zusammenhang mit Veelas und Veelastämmigen stehen!"

"Natürlich, Ministerin Ventvit", sagte Julius und öffnete die Schubladen seines Schreibtisches. Er holte mehrere Packen Pergament hervor und holte noch den Ordner mit der Akte "Riesenfamilie Pyrenäen" aus einem der Regale. All das übergab er seinem früheren Vorgesetzten. Dieser notierte sich die ausgehändigten Akten und Einzeldokumente, bis Julius für die immer noch mitschreibende Feder verkündete: "Hiermit bestätige ich, Julius Latierre, dass ich gemäß Dienstpostenwechsel alle für meine frühere Haupttätigkeit angelegten Akten und Einzelschriftsätze an Monsieur Simon Beaubois zur Weitergabe an die dafür zuständigen Stellen übergeben habe."

"Ich lese hier merkwürdige Adressen, das sind keine Hausanschriften, oder?" fragte Beaubois. Julius erwähnte, dass es elektronische Postanschriften waren, die mit Hilfe von internetfähigen Rechnern adressiert werden konnten. "Entschuldigung, Monsieur Latierre, aber was bitte sollen wir in unserer Abteilung mit diesen kryptischen Anschriften anfangen, wenn wir keine solchen Elektrorechner benutzen?"

"Sie baten mich um vollständige Aushändigung aller für meine bisherige Tätigkeit wichtigen Kontakte. Die meisten von denen liefen über diese kryptischen Anschriften, weil ich diese mit Genehmigung von Madame Grandchapeau von der Computerzentrale ihrer Behörde aus anschreiben und Antworten entgegennehmen durfte, was die Verwendung von Blitzeulen oder langwierigen Eulenflügen einsparte. Wohl gemerkt, das sind nur die Kontakte, die ich im Rahmen der mit der Abteilung für magische Geschöpfe anschreiben sollte."

"Dann erteile ich Ihnen den Auftrag ..." setzte Beaubois an. Doch Nathalie Grandchapeau schüttelte den Kopf. "Da Sie unterschrieben haben, dass der Dienstpostenwechsel mit sofortiger Wirkung erfolgt sind Sie meinem Mitarbeiter gegenüber nur noch dann weisungsberechtigt, wenn Sie ihn im Rahmen eines begründeten Amtshilfeersuchens für eine bestimmte Aufgabe anfordern möchten, Simon." Der ehemalige Geisterbehördenleiter knirschte mit den Zähnen. Béatrice und Millie fühlten nur große Erheiterung und Überlegenheit. "Gut, dann werde ich nun die diese Riesenfamilie betreffenden Unterlagen an Monsieur Montferre übergeben ..."

"Wenn er am ersten Februar 2005 seinen Dienst in Paris antritt, Simon. Vorher darf nur Monsieur Delacour diese Akte erhalten und die entsprechenden Fälle bearbeiten", sagte die Ministerin. "Schicken Sie Montferre unverzüglich wieder nach Martinique! Sonst droht ihm eine Wiederaufnahme aller noch nicht verjährten Verfahren, weil er sich wieder im Mutterhaus des Ministeriums aufhält. Danke!"

"Ihnen auch noch einen schönen Tag, Mademoiselle la Ministre", knurrte Beaubois und verließ mit dem Stapel ausgehändigter Akten das Büro, das Julius im Zuge seiner Vermittlungstätigkeit und Veelabetreuung weiternutzen durfte.

"Bitte begleiten Sie mich zur längst überfälligen Morgenkonferenz meiner Behörde, Monsieur Latierre!" ordnete Nathalie mit unüberhörbarer Genugtuung an. Die Ministerin nickte ihr und wohl auch Julius zu und verließ mit den beiden das Büro. "Falls noch etwas anliegt, Memo genügt", sagte Ornelle Ventvit. Dann wandte sie sich den golden vergitterten Fahrstühlen zu. In diesem Moment verschwamm die Umgebung wieder. Alle fremden Geräusche versickerten in einem leisen Rauschen. Dann waren die zwei Latierre-Hexen wieder in ihrer eigenen Sinneswelt zurück.

"Passiert das häufig, dass du bei ihm mithörst und beobachtest?" fragte Béatrice nach einigen Sekunden Bedenkzeit. Millie schüttelte den Kopf. "Ich bekomme für gewöhnlich nur seine Gefühle mit. Es ist jedoch schon einige male Passiert, dass ich direkt mitbekommen habe, was er sieht und hört, da konnte ich ihm dann sogar gedanklich was zurufen, weil Temmie sozusagen die Verbindung zwischen ihm und mir verstärkt hat. Dass sie das solange durchhält ist mir auch neu. Aber dass du jetzt mit in diese Fernbeobachtungsverbindung einbezogen wurdest liegt wohl echt daran, dass du einen winzigen Teil von ihm und Ashtaria und damit Darxandrias Nachfahrin im Körper hast, genau wie ich. Deshalb konnte mir diese weißgoldene Wunderdame ja diesen hammerharten Horrortraum ins Hirn pusten, weshalb wir zwei jetzt auf Julius' Nachwuchs warten." Millie erwähnte dann auf Béatrices direkte Frage nach den bezeichnenden Vorfällen, was damals am Uluru und später in der Himmelsburg passiert war und dass sie ihn auch in Khalakatan finden konnte, als er nach dem grauenvollen Ausflug nach Garumitan dort hingebracht worden war."

"Mädchen, warum erzählst du mir das alles jetzt erst, wo ich seit deiner Hochzeit sozusagen deine Hausheilerin und erwählte Hebamme bin?" fragte Béatrice mit vorwurfsvoller Stimme. "Aber gut, jetzt kriege ich es ja in jeder Hinsicht hautnah mit, was eure Verbindung hergibt. Aber was wir heute morgen besprochen haben ist durchaus ernst gemeint. Nicht, dass diese Verbindung so stark wird, dass wir nicht mehr unsere eigenen Gedanken unterscheiden können. Deshalb hoffe ich, dass wir in den nächsten Monaten nicht zu häufig davon Gebrauch machen müssen. Mentiloquieren geht wohl noch. Aber diese intensiven Exosenso-Sitzungen könnten Probleme bereiten. Außerdem steht fest, dass Julius bei den Geburten unserer Kinder wach sein muss, wenn er andauernd mitbekommt, wenn mit ihm verbundene Hexen Kinder bekommen oder er da selbst im Traum in der Sinneswelt eines solchen Kindes steckt. Aber zumindest haben wir nun die Gewissheit, dass Julius' heute wieder nach Hause kommt und wir weiterhin mit ihm in Freiheit leben können."

"Das alleine war der Grund, weshalb ich euch beiden half, seine Umgebung mitzuerleben", gedankensprach Temmie offenbar zu beiden gleichzeitig. "Multidirektionales Mentiloquieren", dachte Béatrice dabei. "Das übersteigt den Vocamicus-Zauber."

"Dieser Proteus-Interactus-Zauber ist schon praktisch, Trice. Soweit ich es von Julius habe konnte die Widerstandsgruppe um Harry Potter in Hogwarts auf diese Weise bezauberte Goldmünzen als Nachrichtenträger nutzen", erwähnte Millie. "Ja, aber sie dürften da nur den Zauber benutzt haben, wo ein Original verändert wurde und alle damit gekoppelten Kopien sich änderten, nicht die, wo eine veränderung egal auf welchem Träger. - Öhm, wir müssen Julius nicht heute mitteilen, dass wir beide zusammen auf seine Sinne eingestimmt werden konnten. Von dir kennt er das wohl. Aber wenn ich jetzt auch noch sozusagen bei ihm mit hineinsehe könnte er sich ständig von mir und dir gleichzeitig beobachtet fühlen. Unterschätz das bitte nicht, Mildrid!" sprach Béatrice zu ihrer Nichte. Die angesprochene musste erst überlegen, warum ihre Tante das sagte. Dann sagte sie, dass sie mit dieser Absprache einverstanden sei.

Eigentlich hatten Béatrice und ihre Nichte Mildrid vorgehabt, ihre Mutter Ursuline erst zu Weihnachten von der Übereinkunft zu erzählen, wenn es sich nun wirklich nicht mehr verbergen ließ. Doch Ursuline kannte ihre Verwandten zu gut und merkte, dass sich Béatrice ein wenig anders verhielt, ja mehr aß als vorher und irgendwie eben eine andere Ausstrahlung hatte. Sie sagte davon erst nichts. Doch als die Kinder im Freien spielten forderte Ursuline die beiden Blutsverwandten auf, sie in das kleine Zimmer zu begleiten, von dem aus der Spielgarten des Sonnenblumenschlosses gut einzusehen war. Dann schloss Ursuline die Tür und wartete, bis sie alle saßen. Wie es ihre Art war kam sie gleich und ohne behutsames Vorspiel auf den Punkt:

"Trice, seit wann bist du selbst schwanger und von wem bitte? Nicht, dass ich dir das nicht gönnen würde und nicht, dass mich das ärgern würde, dass du endlich selbst brütest, statt nur zu pflücken. Aber wissenmöchte ich doch schon, wie und wann es geschah. War das als Mildrid wieder in dieser Stadt war und Julius und die drei Kleinen bei uns gewohnt haben?"

"Ja, war es", sagte Béatrice schnell, bevor Millie was einwenden konnte, von wegen, "Wie, Tante Trice, du bist auch schwanger?" Dann holte sie ihre Ausgabe der Übereinkunft zwischen Millie und Julius hervor. Millie nickte und holte ihre Ausgabe der Übereinkunft hervor. Ursuline las beide Schriftstücke und gab sie dann mit einer Mischung aus Belustigung und Besorgnis zurück. "Mädchen, ihr macht ja echt heftige Sachen mit mir. Öhm, und das alles, weil du, liebe Enkeltochter, einen sehr beängstigenden Traum hattest, von dem du sicher bist, dass er von dieser Ashtaria geschickt wurde?" Millie bejahte es und erwähnte, dass sie keinen Zweifel hatte, dass Ashtaria ihr diesen Traum geschickt hatte. Béatrice flocht ein, dass sie die Auswirkungen dieser Entität ja selbst vor zwei Jahren gesehen hatte. Millie bestätigte es.

"Ich bin froh, dass ich nie im Leben diese Entscheidung habe treffen müssen oder Roland oder Ferdinand. Denn das ist ganz sicher eine sehr anstrengende und höchst gefühlsgeladene Angelegenheit", bekundete Ursuline. Dann fuhr sie fort: "Du, Béatrice, hast dich mit Julius auf ein paar heiße Stunden einlassen müssen, es wohl auch genossen, wie ich unser heißes Hexenblut einschätze. Er jedoch musste sich überwinden, gegen die nicht nur ihm anerzogenen Grundsätze zu verstoßen. Sicher, es gibt Männer, die nehmen jedes Mädchen ran, dass sich ihnen anbietet. Aber Julius ist ein Bursche, der verlässlich, treu und aufrichtig sein will. Er hat sich von dieser Ashtaria dazu drängen, ja schon nötigen lassen, zwischen euch beiden das Lager zu wechseln, einmal hin und wieder zurück. Ja, und nun seid ihr beide fast zeitgleich von ihm schwanger geworden. Ihr verlangt ihm auch mit seinem Einverständnis ab, dass er seine Aufmerksamkeit und Fürsorge, Liebe und Hilfsbereitschaft auf euch beide verteilt, wo jede von euch seine ganze Aufmerksamkeit nötig hat. Dass du als Heilerin dich darauf eingelassenhast, liebe Béatrice, erstaunt mich jetzt doch, wo du uns und vor allem mir so überstreng und auf jede Einhaltung pochend gekommen bist. Ja, und dann kommtnoch dazu, dass da schon zwei Mädchen sind, die mitbekommen, was in ihrer Umgebung passiert. Was wollt ihr denen denn erzählen, von wem du, Béatrice, das Baby im Bauch hast. Du kannst Rorie wohl schlecht sagen, dass ihr geliebter Papa auch mit anderen Hexen nach dem buntenVogel ruft. Und du, Millie, kannst deinen Töchtern wohl schlecht die Geschichte vom Endzeitalbtraum Ashtarias erzählen und dass du deshalb ihren Papa an die nette, aber auch mal strenge Tante Heilerin Trice ausgeborgt hast, damit die den Jungen kriegt, den du bisher nicht kriegenkonntest und laut dem, was ihr mir da gerade erzählt habt auch in zwölf oder jetzt fünfzehn oder achtzehn Jahren nicht kriegt. Wie habt ihr euch das vorgestellt? Immerhin wolltest du, Millie, deine älteste Tochter bei der nächsten Geburt eines Geschwisterchens zusehen lassen. Immerhin wird sie da ja fünf Jahre alt sein."

"Ma, ich verstehe sehr gut, dass dich das jetzt heftig erschüttert, dass ich ohne zu heiraten ... Gut, geht ja auch ohne Eheschluss. Aber dich erschüttert, dass Millie und Julius mich als ihre Vertraute ausgewählt haben, damit ihr ehelicher Frieden gewahrt bleibt, aber ich dann entweder das von mir ausgetragene und geborene Kind an Millie abgeben muss oder dann mit einem unehelichen Kind weiterleben soll, ohne einen nährenden Vater. Dann lies bitte noch einmal die Übereinkunft richtig durch!"

Meine Tochter, mir geht es nicht darum, ob ihr drei erwachsenen euch auf ein solches Vorgehen geeinigt habt und wie viel Spaß du dabei hattest. Zumindest hoffe ich sehr, dass die im Abkommen von Millie geforderten "glücklichen Stunden" tatsächlich stattfanden, wenn ihr zwei es schon ganz heimlich unter diesem Dach miteinander getrieben habt. Es geht mir gerade darum, was die Kinder davon mitbekommen, wie sie mit euch beiden und Julius weiter auskommen, die drei Prinzessinnen und die drei, die auf eure beiden Bäuche verteilt heranwachsen. Eine drei-Personen-Ehe gibt es in den Zaubererweltgesetzen nicht, auch weil es eben darum geht, möglichen Kindern eine sichere Umgebung und Zukunft zu schaffen. Und jetzt komm mir ja nicht mit Orion und seinen dreißig übers Land verteilten Kindern von fünf verschiedenen Hexen!"

"Wir werden Aurore, Chrysope, Clarimonde und wer da nun in Millie und mir heranwächst als eine zusammenhängende Familie großziehen", sagte Béatrice und legte ihre rechte Hand auf den schon ein wenig ausgebeulten Unterbauch. "Laut von uns dreien ausgefertigter Übereinkunft, von der Hera Matine ein Exemplar hat, werde ich bei Millie und Julius weiterwohnen und an der Erziehung des Kindes mitwirken dürfen, auch wenn Millie das in mir wachsende Kind, sofern ein Junge, als ihr Kind beansprucht. Denn ihr war von vorne herein klar, dass ich sehr damit zu kämpfen haben würde, ein Kind zu bekommen und es dann auf nimmer wiedersehen abgeben soll. Außerdem habe ich verlangt, dass auch Millie möglichst zeitnah nach mir ein Kind bekommt, auch um klarzustellen, dass sie immer noch Julius' wahre Hexe an seiner Seite ist. Das es so gut funktioniert hat überrascht auch mich. Aber daran sehe ich nur, dass Millie und Julius sehr fruchtbar sind." Millie grinste verwegen, während Ursuline ihre beiden Blutsverwandten mit einem Blick zwischen großer Erheiterung und mütterlicher Sorge ansah. "Wie wir das den beiden größeren beibringen klären wir, wenn Millie und nur Millie sich entschieden hat, ob ich das in mir wachsende Kind an sie abgeben oder behalten soll. Wenn es eine Tochter wird ist es eben noch eine mehr und das eigentliche Vorhaben leider unwiederholbar fehlgeschlagen. Aber selbst dann werden da drei neue Kinder auf der Welt sein, denen wir, Mildrid, Julius und ich, eine warme, sichere und zielführende Umgebung bieten wollen und müssen. Was Ashtarias Ultimatum angeht hat die dann das Nachsehen, und wir haben es dann eben nur versucht. Ob das Kind in meinem Leib dann Millies Cousine ist oder als ihr Adoptivsohn aufwächst oder ich noch ein Mädchen für die große Familie herantrage oder Millie den Jungen, wenn es einer sein sollte, als ihren Cousin akzeptiert liegt ganz bei ihr. Da dürfen Julius und ich ihr nicht dreinreden." Millie verzog etwas das Gesicht und nickte schwerfällig. Béatrice hatte es auf den Punkt gebracht. Am Ende entschied Millie über Wohl und Wehe von Béatrices Baby, und die Matriarchin der Latierres wusste es nun.

"Damit ist immer noch nicht klar, was ihr den zwei größeren Mädchen vor der Geburt und allen dann bei euch aufwachsenden Kindern nach der Geburt erzählt", sagte Ursuline. "Ich meine, ich freue mich schon, dass du, meine liebe Tochter Béatrice, auch endlich ein Kind erwartest. Aber ich hätte mich noch mehr gefreut, wenn du es ganz als dein Kind annehmen könntest. Also klärt das bis zum siebten Monat bitte, wie ihr es deinen Kindern sagt, Millie."

"Die Heilerbibliothek enthält Berichte über diese Übereinkünfte und wie die dabei entstandenen Kinder aufwuchsen, Maman", rückte Béatrice mit etwas heraus, womit ihre Mutter offenbar nicht gerechnet hatte. "gut, die meisten beliefen sich darauf, dass die Retterin des Ehefriedens nach erfolgter Niederkunft ihr Kind an die angetraute Ehefrau des Kindsvaters abgab und dann ihres eigenen Weges zog. Dass wir das anders handhabenzeigt uns und damit auch dir, Maman, dass es uns allen dreien wichtig ist, uns einander zu achten und zumindest das Kind in meinem Bauch als zu respektierendes Wesen ansehen, das später einmal erfahren wird, wie es entstanden ist. Andere solche Kinder erfuhren selten, dass ihre Mutter eine andere warr als die, bei der sie aufwuchsen. Aber eins stand immer schon fest, es ging immer um einen zeugungsfähigen Zauberer und zwei Hexen, davon eine als dessen Ehefrau. Derlei Übereinkünfte zwischen zwei Männern und einer Frau wurden wohl vom Gesetzgeber untersagt, weil es daran scheiterte, wessen Eigenschaften das Kind dann eher erhielt, die der Mutter oder die des ausgeborgten Vaters."

"Also halten wir fest, dass ihr Aurore, Chrysope und Clarimonde erst dann erzählt, dass sie ein Halbgeschwister kriegen, das auch eine Base oder ein Vetter von ihnen ist, wenn sie alle alt genug dafür sind. Bis dahin wachsen die alle wie Geschwister zusammen auf, richtig?" forschte Béatrices Mutter nach.

"In gewisserweise sind es ja dann auch Geschwister, zumindest Halbgeschwister", sagte Millie unvermutet ruhig und sah Béatrice an. "Ich bin jedenfalls erleichtert, dass mein Mann sich trotz aller Bedenken bereiterklärt hat, dieses leidige Ultimatum aus der Welt zu schaffen."

"Na ja, es zu befolgen schafft es nicht aus der Welt, sondern bringt die oder der es stellt nur darauf, sowas bei einer neuen sich bietendenGelegenheit zu wiederholen. Das grenzt schon sehr laut knirschend an Erpressung, was diese Geistermutter da von Julius verlangt, nur weil einer der lebenden Nachfahren dieser ursprünglichen Hexe kinderlos ermordet wurde. So gefährlich wie die leben kann das jeden Tag wieder passieren. Dann könnte eine ihrer Töchter, vielleicht Camille, draufgehen, sowie Aurélie. Gut, dann ist noch Jeanne da. Aber ich meine nur, wenn noch wer aus dieser besonderen Familie kinderlos stirbt, soll Julius dann auch diese Lücke ausfüllen?" fragte Ursuline sehr ernst. Millie sah Béatrice an. Die sah wiederum Millie und ihre Mutter an. Dann sagte Béatrice: "Wie es das Gesetz vorsieht darf nur ein Versuch durchgeführt werden, die geforderte Bedingung zu erfüllen. Falls es nicht gelingt, dann wird sich diese Ashtaria was anderes einfallen lassen müssen. Sie wird wohl sicher nicht auf die Idee kommen, Millie und Julius derartig zu bedrängen."

"Dein Wort in den Ohren der Urmutter", sagte Ursuline. Dann lächelte sie wieder. Sie stand auf, ging zu Béatrice und schlang sie in eine innige Umarmung. Sie schmatzte ihr auf die Stirn, den Mund und Jede Wange einen Kuss auf und sagte: "Schön, dass du endlich eine ganze Frau wirst, kleine Trice. Du trägst jetzt Rolands und mein Erbe aus, egal, ob das Kind bei dir allein bleibt oder bei lieben Menschen groß wird. Aber es trägt dann genauso unsere Erbanlagen wie die Kinder von Hipp, Barbara oder Eleonore." Dann löste sie die Umarmung auf. Béatrice wurde nicht schlau aus ihrer Mutter. Vor allem nicht, als die dann fragte: "Wann wolltet ihr zwei süßen Brötchenbäckerinnen mir das eigentlich erzählen, wenn überhaupt?" Millie erwähnte die Weihnachtsfeier, wenn auch Martha aus Kalifornien im Schloss war. Dann wollten sie es auch Millies Eltern erzählen, allerdings ohne die anderen dabeizuhaben. "Oh oh, das tut ihr aber ganz bestimmt nicht", sagte Ursuline nun wieder sehr streng dreinschauend. "Ihr werdet der guten Martha nicht am höchsten Familienfeiertag des Jahres erzählen, dass ihr einen sehr verwegenen Handel abgeschlossen habt. Immerhin trägt Béatrice auch ihren Enkel in sich, nicht nur meinen. Kriegt das irgendwie hin, zumindest ihr diese Geschichte zu erzählen, bevor Weihnachten ist. Wenn sie dann nichts mehr von uns Latierres wissen will müssen wir uns damit abfinden. Aber wenn sie erst hier davon erfährt und es in einem Anflug von Verärgerung in die Welt hinausbrüllt und dann Hals über Kopf von hier verschwindet tut ihr diesem Kind keinen Gefallen. Wie gesagt, es ist auch ihr Enkelkind, das ein Recht auf beide Omas hat, wenn die noch gesund und fidel unterwegs sind. Außerdem wäre es sehr schade, wenn Julius seine drei Halbgeschwister nie wieder besuchen darf. Ich weiß, er kennt das nicht mit Geschwistern und so. Aber ich musste mich ja auch an Diane und die drei anderen gewöhnen. Das kann er auch, zumal sie ja doch über viele Tage im Jahr weit genug von ihm weg sind. Ja, und was Hippolyte und Albericus angeht, Mildrid Ursuline Latierre, so macht das mit denen auch vor Weihnachten klar, und zwar wenn Julius dabei ist. Nur wie ich Hipp kenne könnte sie euch beide heftig ausschimpfen, dass du, Millie, deinen Mann an eine andere Hexe ausleihst, nur um ein Kind zu haben, dass du selbst nicht kriegen kannst, und was Julius angeht, dass er "ihre kleine Schwester" für den Rest ihres Lebens davon abgebracht hat, eine eigene Familie mit Ehemann und ihr von der Zeugung an verbleibenden Kindern zu ermöglichen."

"Ma, was Hippolyte angeht werde ich ihr das beibringen, dass sie in einer ähnlichen Lage genauso gehandelt hätte, allein um sicherzustellen, dass Albericus und sie weiter das Ehelager teilen", sagte Béatrice unerwartet aufbegehrend. "Und seit wann schickst du Hippolyte vor, um wen anderen zu maßregeln, Ma. Wirst du langsam alt?"

"Wenn du da nicht gerade meinen Enkel im Bauch hättest würde ich dir zeigen, wie alt ich bin, freches Mädchen", kknurrte Ursuline. Doch dann strahlte sie. "Ja, es stimmt schon, dass wir Latierre-Hexen noch entschlossener und zielstrebiger werden, sobald ein neues Leben in uns reift. Das hat schon deinen Vater Roland manchmal sehr erschreckt und auch Ferdinand."

"Ja, aber als du Ferdinands vier jüngsten Kinder erwartet hast, geliebte Mutter, habe ich dir zeigen müssen, wie entschlossen wir Latierre-Hexen auch ohne Kind im Leib sein können, nicht wahr?" entgegnete Béatrice mit ernster Miene. Millie wusste gerade nicht, ob sie dazu noch was sagen durfte oder vielleicht besser den Raum verließ, um Mutter und Tochter für sich zu lassen. Zumindest meinte Béatrice das an ihrem zwischen ihr und der Hausherrin von Château Tournesol wechselnden Blicken abzulesen. Da schnaufte die stolze Vielfachmutter, Großmutter und Urgroßmutter: "Ich sag's ja, freches Mädchen." Mehr brachte sie nicht heraus, und das beruhigte Béatrice.

"Eigentlich wollten wir ja in vier Tagen nach Santa Barbara, um den Geburtstag der Drillinge zu feiern. Da können wir es Martha aber garantiert nicht unterjubeln", sagte Millie und bekam ein Nicken von Béatrice. "Das stimmt wohl. Aber zwischen da und Weihnachten sind es noch einige Monate. Bitte bitte klärt das, im Namen eurer geborenen und noch ungeborenen Kinder, die ein Recht auf beide Großmütter haben!" erwiderte Ursuline.

"Stimmt, sie hat recht", sagte Béatrice nach einigen Sekunden Bedenkzeit. Millie nickte ihr und ihrer Großmutter zu. "Das wäre was geworden", sagte sie noch. "Vor allem, wenn wir am Weihnachtstag auch deine neue Tante Linda bei uns haben. Denn die werde ich auf jeden Fall einladen, damit auch die die kleine Lydia Barbara zu sehen kriegen, die nicht beim Willkommensfest dabei sein konnten. Millie stieß darauf ein verstörtes "Ups!" aus. Ursuline grinste nur. "Ja, das wäre wirklich ein Ups geworden.

"Und du lässt Hera dein Kind auf die Welt holen, Trice. Da hast du aber viel Anlauf genommen, um über diesen breiten Schatten zu springen. Ob ich das gemacht hätte weiß ich nicht", sagte Béatrices Mutter noch mit einer hörbaren Anerkennung in der Stimme. "Dafür hast du dich mit Blanche ausgesöhnt, Maman", sagte Béatrice. "Na ja, wohl eher die mit mir, Trice. Aber du hast recht. Die musste über einen noch breiteren Schatten springen als du. Immerhin hast du mit Hera Matine nie wirklich Streit gehabt und mit ihr in diesem Frühling eine Menge neuer Kinder auf die Welt geholt. Tja, und gegen deren Schicksal ist das von euren ungeborenen Kindern ja doch erträglicher", seufzte sie. Doch wieder sah Béatrice eine Spur von Verachtung in den Augen ihrer Mutter, jene Verachtung, die sie immer dann empfand, wenn es um die Machenschaften von Vita Magica ging.

Millie grinste unvermittelt. Auf die Frage, was sie gerade so amüsierte sagte sie: "Offenbar hat Julius gerade was sehr lustiges oder angenehm überraschendes erlebt", sagte sie nur. Béatrice hütete sich, gezielt zu fragen, was Millie von Julius mitbekommen hatte. "Ach ja, die goldenen Herzenin Verbindung mit mindestens einem ungeborenen Kind", erkannte Béatrices Mutter. Tochter und Enkeltochter nickten bestätigend.

Da nun auch Béatrices Mutter zu den Eingeweihten gehörte konnten sie wieder in den allgemeinen Trubel zurückkehren. Irgendwie war Béatrice auch froh, dass es jetzt schon eine wichtige Aussprache gegeben hatte. Ob die Aussprache zwischen ihnen und Hippolyte und Martha auch in einer erträglichen Atmosphäre verlaufen würde wollte Béatrice noch nicht abschätzen.

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Nathalie Grandchapeau hatte Julius Latierre einen eindeutigen Auftrag erteilt, nämlich am Geburtstag seiner drei Halbgeschwister mit den sicher auch anwesenden Kollegen aus dem US-Zaubereiministerium zu vereinbaren, wie die Zusammenarbeit auch im Falle eines Ministerwechsels nahtlos weitergehen konnte.

"Das hat dir echt gefallen, wie du den alten Geistermeister ausgetrickst hast, ne?" hörte sie die Gedankenstimme ihres bereits weit vor der Geburt geistig gereiften Sohnes Demetrius. Schnell hängte sie sich einen der Cogison-Ohrringe an. Das entsprechende Gegenstück umspannte wie ein elastisches Band ihren Unterleib. Sie musste sich erst mal wieder auf ihre eigenen Geräusche einhören, weil diese Form des Cogisons auch die hörbare Umgebung des damit verbundenen übermittelte. "Es wurde Zeit, Demetrius, dass dieses unsägliche Gezerre endlich aufhört. Sicher weiß ich, dass Julius weiterhin gerne mit intelligenten Zauberwesen zu tun haben möchte. Aber was sich Simon Beaubois vorgenommen hat hätte uns den Jungen für alle Zeit abspenstig gemacht. Ich verstehe den nicht, dass er nicht so weit denken wollte."

"Tja, dem fehlt das richtige Bauchgefühl, meine weiche, warme Wohnstatt und duldsame Trägerin und Ernährerin", hörte sie die einem kleinen Jungen gleichende Cogison-Stimme ihres ungeborenen Sohnes, in dessen Körper der durch Euphrosynes bösartigen Zauber eingetriebene Mann Armand auf die Wiedergeburt warten musste. "Na ja, aber ihm gleich das Tribunal mit Aussicht auf Inhaftierung anzudrohen war eindeutig zu viel", dachte Nathalie. Denn wenn sie den Ohrring trug konnte sie ohne die üblichen fünf Stufen mit Demetrius Vettius mentiloquieren.

"Dein Bauchgefühl sagt, dass er sich von Charlier, Deroubin und deren Unterstützern in den Behörden hat treiben lassen, entweder alles aus Julius rauszuholen, was in ihm steckt oder ihn loszuwerden, weil sie ihn nicht nach ihrem Willen lenken können. Die werden jetzt denken, gewonnen zu haben. Dann werden sie denken, dass sie eigentlich erst recht alles vermasselt haben. Kann Simon passieren, dass sie ihn aus dem Chefsessel rütteln, weil er nicht in ihrem Interesse gehandelt hat. Da muss die gute Ornelle aufpassen, dass sich da kein zwischenbehördlicher Aufstand entwickelt. Am besten bereden wir das mit ihr, wenn ihr wieder euer Treffen der Gesegneten habt", erwiderte Demetrius.

"Zumindest hat Julius dann nichts damit zu tun. Ich kläre das noch mit Ornelle Ventvit, dass die Abteilung für internationale Zusammenarbeit die Vorfälle mit ausländischen Zauberwesen an mich weitergibt und ich das dann je nach seinen Möglichkeiten an ihn weitergebe."

"Gut, du hast meine Erlaubnis nicht nötig, maman. Aber ich stimme dir zu", erwiderte Demetrius' Cogisonstimme. Dann fragte sie noch: "Na, ob Michels exilierter Onkel schon im Ministerium angekommen ist?"

"Vielleicht solltest du lieber fragen, ob er schon wieder aus dem Ministerium raus ist, kleiner Bauchhöhlentaucher", dachte Nathalie zurück. Dann wandte sie sich an ein kleines Porträtgemälde, dass einen hageren Zauberer im flaschengrünen Umhang mit einem tulpenroten Zylinder auf dem Kopf zeigte. "Urgroßonkel Jacques-Jerome, kannst du bitte mal nachfragen, ob Bartholomé Montferre im Ministerium ist oder schon war?" Der gemalte Zauberer lüftete den roten Hut und grinste die natürliche Hexe Nathalie an. Seine stahlblauen augen blitzten höchst vergnügt, als er Nathalies Frage ohne Überprüfung beantwortete. Nathalie teilte die Erheiterung ihres gemalten Urgroßonkels so sehr, dass sie lauthals und wild bebend lachte, dass der in ihr geborgene Demetrius heftig in seiner weichen Umhüllung auf und abgeschüttelt wurde. "Ich hätte nicht fragen sollen", quängelte seine Cogisonstimme über das Lachen seiner Mutter hinweg.

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Ein sichtlich erheiterter Julius Latierre apparierte nach diesem langen und entscheidenden Tag in der Wohnküche seines Hauses. Er lauschte. Es herrschte Stille. Dann sah er den Zettel auf dem Tisch liegen, an dem seine um Béatrice erweiterte Familie zu essen pflegte, wenn sie keinen Besuch hatten. Millie hatte aufgeschrieben, dass sie mit Béatrice und den Mädchen ins Sonnenblumenschloss gewechselt sei, um dort in Ruhe über die neue Entwicklung zu reden. Ja, dass seine Schwiegertante, die er mehrere Nächte im Juni und Juli wild und ja auch mit Leidenschaft geliebt hatte, seine und Millies Gedankenbotschaften mithören und beide zugleich anmentiloquieren konnte kannte er von den Sonnenkindern. Beinahe hätte er sich verplappert. Denn dass er mehr mit den Sonnenkindern zu tun hatte wussten Millie und Béatrice noch nicht.

Julius nutzte den orangeroten Verschwindeschrank, um innerhalb weniger Sekunden in die große Halle der Schränke im Château Tournesol zu wechseln. Seine Armbanduhr zeigte sechs Uhr abends. Womöglich würden seine Schwigergroßeltern ihn und die anderen zum Abendessen einladen.

Die ersten, denen er über den Weg lief waren seine beiden ersten Töchter Aurore und Chrysope. Sie quiekten erfreut, ihren Papa wiederzusehen. Einen winzigen Moment dachte er daran, wie er es den beiden erklären sollte, dass ihre Großtante Béatrice ein Halbgeschwisterchen von ihnen im Bauch hatte. Doch erst mal war wichtig, sich von Aurore nicht umwerfen und von Chrysope nicht mit Apfelmuss beschmieren zu lassen. "Sag mal, hat dir Maman nicht den Mund abgewischt?" fragte Julius Chrysope. "Mjamm, Appelbällchen", sagte Chrysope sehr begeistert. Julius holte ein selbstreinigendes Reinigungstuch aus seinem Umhang und putzte Chrysopes Gesicht ab. "Dann brauchst du ja nicht mehr Abendessen", sagte er und stupste den kleinen Kugelbauch seiner zweiten Tochter. Er wusste, dass die nichts essbares rumstehen lassen konnte, vor allem nicht wenn es was süßes war.

"Wo ist denn die Maman?" wollte Julius von Aurore wissen.

"Ma und Tante Trice machen Musik", sagte Aurore. "Och, und du darfst keine Musik machen?" wollte Julius wissen.

"Nöh, ich hab viel Besenfliegen mit Blanche, Lilau und Fauni gemacht. Chrysie ist auch schon ganz schnell auf dem Schweinchenschwebebesen." Chrysope bejahte das laut und stolz.

"Gut, ich sag eben Hallo zu Maman, Tante Trice und Oma Line und Opa Ferdi. Vielleicht kuck ich mir das dann gleich mal an, wie ihr fliegen könnt."

"Au ja, sagte Aurore und lief schon mal los, ihren kleinen Spielzeugbesen zu holen. Ihre jüngere Schwester wuselte hinterher.

Als Julius um die Ecke bog, wo er den Musikraum fand traf er seine Schwiegergroßmutter Ursuline. Diese winkte ihm zu und sagte: "Schön, du bist da, und hinter dir rennt keiner her. Ich möchte gerne mit dir allein reden."

"Habe ich was böses getan?" fragte Julius, der eine ganz deutliche Vorahnung hatte. "Nach meiner Meinung nicht. Ob Hippolyte das anders sieht müsst ihr mit ihr klären", sagte sie. Damit wurde seine Vorahnung zur Gewissheit: Line wusste über Béatrices außereheliche Schwangerschaft mit seinem Kind bescheid.

Im Musikzimmer war keiner. Julius schloss die Tür von innen. Jetzt konnte niemand von draußen hören, was hier gesagt wurde, und sie hörten auch keine Geräusche aus dem Schloss.

"So, bevor wir uns setzen, Julius: Wehe du hast Béatrice nicht zur glücklichen Hexe gemacht, als ihr zwei unter unserem Dach euren exotischen Eherettungsplan ausgeführt habt." Line kam immer gleich auf den Punkt, direkt, ohne diplomatisches Schleichen um den heißen Brei, unabhängig davon, ob es ihrem Gegenüber gefiel oder weh tat. Julius sah sie genau an und sagte: "Dann haben Millie und Trice es dir gesagt? Ach ja, die Antwort: Es war für mich erst eine Überwindung. Aber weil deine Tochter und ich uns schon vorher so gut verstanden haben und wir beide wollten, dass der nötige Ruf nach dem Vogel zur beiderseitigen Befriedigung erfolgen sollte, bin ich sehr froh, dass ich Béatrice doch sehr beglückende Stunden verschafft habe. Immerhin wusste ich ja, dass meine Frau nichts dagegen haben würde, ja das sogar ausdrücklich gewollt hat."

"Gut, mehr muss ich nicht wissen. Ich denke aber, dass Ferdinand nicht wissen muss, dass du und Béatrice unter unserem Dach wilde Nächte der Liebe verbracht habt." Dann umarmte sie Julius und bedankte sich dafür, dass er ihre Tochter Béatrice endlich zur richtigen Latierre-Hexe gemacht hatte. "Ich habe echt gefürchtet, die steigt mit zweihundert Jahren als kinderlose Hutzelhexe ins Grab. Das wäre für mich ein Grund gewesen, als Geist auf der Welt zu bleiben. So weiß ich, dass jetzt alle meine erwachsenen Töchter die Früchte der Liebe kosten und Freuden und Leiden der Mutterschaft erleben dürfen. War ja schon peinlich, dass Pattie ihrer älteren Schwester zuvorkam."

"Sind Millie und Trice zu dir gekommen?" fragte Julius. "Neh, ich hab's gemerkt, dass Trice sich immer mehr verändert, auch wenn sie es versucht hat, zu verbergen. Aber die gewisse Freude, den Kindern beim Spielen zuzusehen als auch die Bewegungen von ihr und das innere Strahlen, dass ich bei jeder meiner Töchter gespürt habe, wenn sie was Kleines im Bauch hatten, das hat mich draufgebracht, da mal nachzufragen. Dann haben die mir diese unglaubliche Geschichte erzählt, dass Millie von dieser Ashtaria im Traum gepiesackt worden ist. Bin ich froh, dass ich nie so eine Entscheidung treffen musste. Du hast diese Übereinkunft sicher auch bei dir, richtig?" Julius nickte und tippte sich an seinen Brustkorb, wo sein kleiner Practicus-Brustbeutel hing. Darin steckte auch die mit Béatrice und Millie schriftlich ausgefertigte Übereinkunft. "Gut, du brauchst sie mir nicht zu zeigen. Ich habe sie gelesen. Ich will nur von dir wissen, wie es dir jetzt geht, wo du weißt, dass Millie und Trice von dir schwanger sind."

"Ist nicht einfach, beide gleichgut zu beachten, Oma Line. Ich habe auch schon manche Nacht wachgelegen und mich gefragt, wie abgedreht das ist, dass ich mit zwei Frauen im selben Haus wohne, die beide von mir was Kleines erwarten. Ich habe es dir ja damals gesagt, wo Trice und ich Orions gemeinen Fluch ausgekontert haben, dass ich zu keiner Zeit vorhabe, deine Tochter Trice zu entehren oder dumm dastehen zu lassen. Deshalb war mir das auch wichtig, dass sie mit dem Kind, ob Millie es als ihr Adoptivkind einfordert oder nicht, mit uns zusammenlebt. Mir ist auch klar, dass Béatrice als ledige Mutter ganz schwer an einen richtigen Ehemann kommt, weil für viele Zauberer vor allem aus alteingesessenen Familien die Unberührtheit der Braut noch immer wichtig ist und ja auch diese ungeschriebene Regel gilt, keine nichtverwandte Hexe oder einen nackten Zauberer anzusehen, wenn es keinen heilmagischen Grund gibt. Doch ich halte die Ankündigungen Ashtarias für glaubhaft. Ich kenne diese Entität, die in gewisser Weise meine zweite Mutter geworden ist, doch schon ganz gut. Deshalb hoffe ich, dass wir, Millie, Trice und ich, diese verdrehte Kiste für uns drei und Trices Baby anständig hinkriegen."

"War das für dich sehr schwer, weil du doch sicher gelernt hast, die eigene Frau nicht mit einer anderen Frau zu betrügen."

"Ja, war es. Erst als ich es ganz begriffen habe, dass ich Millie nicht nur nicht betrüge, sondern auch ihren Willen erfülle und damit auch mein Eheversprechen einhalte, ihr beizustehen, hat mein Gewissen endlich Ruhe gegeben. Und jetzt, wo ich weiß, dass Trice mein Kind im Bauch hat, fühle ich mich doppelt verantwortlich, für Millieund für Trice, egal, ob Millie das Baby als ihr Kind beansprucht oder nicht. Du weißt ja, dass Millie immer sehr darauf pocht, dass nur sie meine Kinder bekommen soll. Aber diese Mondtöchter und Ashtaria haben da was anderes entschieden."

"Gut, das mit den Mondtöchtern habt ihr ja entschieden", sagte Ursuline. "Und das mit Ashtaria würde ich jetzt doch mal ganz gerne von dir hören. Ich weiß, dass du es sowieso schon als Familiengeheimnis gesichert haben wirst. Aber so richtig ausführlich hast du es bisher nicht erzählt."

"Aus dem wohl dir sehr klaren Grund, weil das unmittelbar mit Claires körperlichem Tod zu tun hat", setzte Julius an, atmete tief durch und berichtete Ursuline das Erlebnis in der Festung der Morgensternbrüder, Aurélies und Claires Opfer, deren Verschmelzung zu Ammayamiria und ihre und seine Wiedergeburt aus Ashtarias astralenergetischem Körper. Er beendete den Bericht damit, dass er seitdem mit beiden immer mal wieder Kontakt hatte und die Sache mit den zwei Abgrundstöchtern im Sommer 2001 ganz anders ausgegangen wäre, wenn Ashtaria ihm nicht geholfen hätte. "Deshalb", setzte er zum Schlusspunkt an, "beansprucht Ashtaria mich jetzt als den, der die erloschene Ahnenlinie ersetzen soll. Dass sie Millie mit einem Endzeitalbtraum beballert habe ich nicht gewusst. Doch jetzt haben sie, Trice und ich dieses Abkommen umgesetzt und ich hoffe, fvür die beiden und alle Kinder von ihnen und mir geht es irgendwie gut weiter. Ich möchte es nur nicht jedem auf die Nase binden."

"Ja, aber deine Mutter und Millies Eltern sollten schon wissen, dass du noch ein Kind mehr auf den Weg gebracht hast", sagte Ursuline. "Ich musste den beiden hoffnungsvollen Hübschen schon ausreden, das am Weihnachtstag zu erzählen. Ich hoffe, ihr kriegt das irgendwann zwischen dem 26. September und Alains erstem Geburtstag hin, ohne euch mit der einen oder den anderen zu verkrachen.""

"Ich hoffe, Hippolyte meint nicht, ich hätte die Gunst der Stunde genutzt und ihre Tochter mit ihrer Schwester betrogen und damit beide und damit auch euch entehrt oder sowas."

"Hast du Angst vor Hippolyte?" fragte Ursuline frei heraus. "Sagen wir so, sie hat damals, wo das mit Orions Fluch war klar angesagt, dass sie sich als große Schwester immer noch für Béatrice verantwortlich fühlt, auch wenn die schon längst erwachsen ist. Es gibt für einen Mann keine schlimmere Hölle als eine Schwiegermutter, die ihm sein ganzes Leben lang alle seine Verfehlungen vorhält. Brauche ich nicht wirklich."

"Gut, dann klärt ihr, Millie, Trice und du es mit ihr zusammen, und zwar so, dass sie erkennt, dass du weder Millie noch Béatrice entehrt hast, sondern ihnen beiden einen wichtigen Dienst erwiesen hast."

"Ich Béatrice? Die wohl eher mir", erwiderte Julius. "Aber sicher hast du ihr einen sehr wertvollen Dienst erwiesen. Du hast sie zur vollendeten Frau gemacht und ihr geholfen, ihr Erbe zu vermehren, was ihr mit allen möglichen Spaßbremsen blockierter Beruf nicht erlaubt. Auch wenn sie dir in den nächsten Monaten vielleicht mal Vorhaltungen macht, dass sie sich nicht auf diese Sache hätte einlassen sollen, und auch wenn ihr die Geburt eures Kindes sicher genauso weh tun wird wie allen anderen Hexenmüttern vor und nach ihr, wird sie am Ende doch froh sein, das erlebt zu haben, auch und vor allem als gelernte Hebamme. Apropos, dass Hera sie betreut ist dir hoffentlich recht."

"Ich hatte bisher mit Hera keinen Streit. Aber ich habe Millies Wunsch respektiert, sich ihre Hebamme auszusuchen. Natürlich weiß ich, dass Hera auch mal gerne eines meiner Kinder auf die Welt holen möchte. Die wird sich jetzt sicher freuen, dass das geht. Die einzig echte Sorge, die ich habe ist, dass Millie und Trice sich darüber zerstreiten, wenn Millie ihr Kind als ihr Adoptivkind einfordern möchte. Zumindest wird das Kleine dann mit Millies und meinen Zwillingstöchtern zusammen groß werden wie mit gleichaltrigen Geschwistern.

"Würdest du Millie raten, was sie wegen des Kindes entscheiden soll?" fragte Ursuline. Julius überlegte kurz, welche Antwort er geben sollte. Dann sagte er: "Es wird ja so oder so auch mein Kind. Und ich möchte Millie nicht in den Rücken fallen, wenn sie hofft, auf diese Weise noch einen Jungen zu kriegen, wo das wegen der Mondburgmagie erst mal nicht möglich ist. Ich werde ihr deshalb nicht raten, ob sie das Kind als ihres einfordern soll oder Béatrice erlaubt, ganz offiziell dessen Mutter zu sein, egal ob Junge oder Mädchen. Ich werde Millies Entscheidung akzeptieren und unterstützen, wie immer sie ausfällt. Ich hoffe nur, dass Béatrice auch mit dieser Entscheidung leben kann, weil rückgängig machen können wir das jetzt ja nicht mehr."

"Wohl wahr. Ja, und ich seh das auch so, dass es möglichst nur die wissen, was ihr drei auf den Weg gebracht habt, die euch auf die Welt gebracht haben", bekundete Ursuline, dass sie nicht von sich aus allen möglichen Leuten was erzählte. "Was die gute Blanche Faucon angeht, so solltet ihr der das erst erzählen, wenn der Geburtsmelder bei ihr geklingelt hat und klar ist, wer ganz offiziell die Mutter des Kindes sein soll, dass Trice gerade austrägt. Ich schlage euch deshalb vor, dass ihr mit der lauten Namensvergebung erst abwartet, bis Millie sich klar und deutlich und am besten mitprotokolliert äußert, ob sie die Adoptivmutter wird oder Trice die Mutter sein darf. Erst dann könnt ihr den Namen aussprechen. Denn dann wird meiner Kenntnis nach der Geburtenmelder bei der werten Madame Faucon die Ankunft des neuen Beauxbatons-Kandidaten verkünden."

"Öhm, woher kennst du dich mit der entsprechenden Vorrichtung aus?" fragte Julius. "Tja, weil hier in diesem Schloss das Porträt eines Mitgründers von Beauxbatons hängt und der mir, als ich von meiner Mutter Barbara Hippolyte das Château Tournesol übergeben bekam, alles erzählt hat, was seine wilde, natürliche Vorlage so angestellt hat. Das gehört zu den Vorrechten eines neuen Schlossherren oder einer Schlossherrin. Deshalb kenne ich den Neotokographen, den du sicher damals mitbekommen hast, als du mit Olympe Maxime zusammengebunden warst." Julius nickte. Natürlich konnten die gemalten Gründer von Beauxbatons ihren lebenden Nachfahren alles erzählen, was sie damals angestellt hatten. Sicher hätte ihm die gemalte Viviane Eauvive das auch schon längst erzählen können. Doch er war ja kein Clanhäuptling beziehungsweise keine regierende Königin des Clans wie gerade Ursuline Latierre.

"Gut, ich werde das mit Millie und Béatrice so abstimmen, dass erst dann das Kind seinen Namen bekommt, wenn klar ist, zu wem es offiziell Maman sagen darf", nahm Julius Ursulines Ratschlag an.

"Wie auch so schon gilt, dass du nicht alleingelassen wirst, egal wie meine Kronprinzessin Hippolyte sich darüber äußert. Umbringen oder dich in irgendwas anderes verwandeln wird sie jedenfalls nicht, weil du dann ja nicht mehr für ihre Enkelkinder sorgen könntest."

"Das ist logisch. Aber weiß ich, ob Hippolyte auch immer logisch denkt, wenn's um ihre Familie geht?" fragte Julius. Ursuline lachte darüber. "Nöh, die denkt dann nicht, die handelt nach ihren erfreulicherweise gesunden Mutterinstinkten. Und da du ihr die kleinen Enkelkinder beschert hast wird sie nicht zulassen, dass du denen nichts mehr zu essen geben kannst. Abgesehen davon wird sie darauf drängen, dass du ihrer Schwester bei der Niederkunft zusiehst, um zu erleben, wie weh ihr das tut, dein Kind zu kriegen. Aber da du nicht nur Millie, sondern schon sehr vielen anderen Hexen bei diesem erhabenen, leider von skrupellosen Zeitgenossinnen und Schuften missbrauchtem Vorrecht der Hexen zusehen und helfen durftest wird das keine Drohung für dich sein, sondern eine Verheißung."

Julius hätte fast gesagt, dass er sogar schon die Geburt ihrer vier jüngsten Kinder miterlebt hatte, allerdings von deren Warte aus. Doch das behielt er lieber für sich, um die lebensfrohe Matriarchin nicht auf merkwürdige Ideen zu bringen.

"Gut, ich hoffe, Millie und ich kriegen das mit Béatrice hin, Hippolyte und Albericus hoffentlich schonend von ihrem unverhofften Glück zu informieren", sagte Julius.

"Damit haben wir alles durch, was ich von dir noch wissen wollte. Du hast dich anständig leidenschaftlich mit meiner Béatrice zusammengelegt, sie sicher richtig glücklich gemacht und möchtest gerne der Vater eures gemeinsamen Kindes sein und sie nicht alleine lassen oder nach erledigter Aufgabe zurückweisen. Mehr will und mehr darf ich nicht wissen. Der Rest gehört euch, Millie und dir und Béatrice und dir. Dann gehen wir mal raus und kucken unseren kleinen Wuselwichteln zu, was die so anstellen, bevor die das ganze Schloss zusammenbrüllen, weil sie dich suchen."

So verbrachte Julius mit seiner Frau, mit Béatrice und Ursuline noch einige anstrengende aber schöne Viertelstunden, bis die Glocke zum Abendessen läutete. Ursuline hatte gar nicht erst angesagt, dass die Latierres auf dem Apfelhaus bei ihr und Ferdinand im Schloss essen sollten. Es passierte einfach.

Während des Abendessens erzählte Julius in einer kindgerechten Sprache, dass er ab heute nur noch mit der leiterin des Büros für Leute mit und ohne Zauberkräfte zusammenarbeiten würde, weil es am Ende doch zu viele Schwierigkeiten mit den Leuten aus der Abteilung für magische Wesen gegeben hatte. "Ich werde also jetzt nur noch das machen, was eure Oma Martha in Amerika macht, Rorie und Chrysie", sagte Julius. "Aber Madame Grandchapeau, die Chefin vom Büro für friedliches Zusammenleben, hat mir ganz klar gesagt, dass ich mit euch zu Oma Martha hinfahren und da den Geburtstag von Linda, Hillary und Euripides feiern darf. Eure Tante Trice darf mit, weil sie ja auf eure Maman aufpasst, weil die ja die zwei neuen Geschwisterchen von euch im Bauch hat", sagte er zum Schluss."

Als er mit Millie und Trice später allein im Musikzimmer vom Apfelhaus in Millemerveilles saß fragte Millie ihn, was wirklich im Ministerium passiert war, weil er doch am Vormittag wütend und angespannt und nachmittags so belustigt war. Er erzählte ihr und Trice die Ereignisse vom Vormittag, vor allem, dass Beaubois ihm mit dem Tribunal und einer möglichen Freiheitsstrafe gedroht hatte und gemeint hatte, man könne ihn ja neu aufwachsen lassen, wenn er sein Gedächtnis verlöre, aber dann eben bei einer Ziehmutter, die nicht mit ihm verwandt oder verschwägert sei. Millie und Trice nickten nur. Doch sonst zeigten sie keine Regung, als wenn diese heftige Androhung keine Überraschung für sie sei. Dann erzählte Julius, was am Nachmittag los war.

"Ich wollte nach dem Mittagessen wieder in mein Büro zurück, Millie und Trice. Da saß dann dieser Zauberer im sonnengelben Umhang vor der Tür, von den Grauen Haaren abgesehen eindeutig mit Michel Montferre verwandt. Der hat sich dann zu mir umgedreht und durch den wilden grauen Walrossbart gefragt, ob ich der Julius Latierre sei, der diese höchst fragwürdige Nachzucht von gefährlichen Halbmenschen angeregt habe. Ich fragte ihn dann, mit wem ich die Ehre habe, als wenn ich das da nicht schon gewusst hätte. Er stellte sich mir als Bartholomé Montferre vor und erwähnte, dass er durch Eilauftrag von Simon Beaubois ab sofort in der Behörde für Zauberwesen größer als Kobolde und Hauselfen arbeiten und die "riskante Sache mit den Riesen" übernehmen wolle. Ich stellte mich dann auch korrekt vor und erwähnte, dass ich seit dem Vormittag nur noch als Veelabeauftragter mit Zauberwesen größer als Kobolden und Hauselfen zu tun habe und alle anderen Akten als bisheriger Mensch-Zauberwesen-Beauftragter an Monsieur Delacour abgegeben habe. Da meinte der doch glatt, ich hätte nicht nur diese Nachzucht von Halbriesen verzapft, sondern "Diese Brut" und ihre unbeherrschbare Mutter und deren "Hüterin" vorgewarnt und zur Flucht verholfen, weshalb ich gleich wohl von den Sicherheitstruppen ergriffen und in die Arrestzelle gesperrt würde. - Gut, weil ich jetzt hier sitze ist das nicht passiert, was der gesagt hat. - Jedenfalls habe ich gesagt, dass ich nicht mitbekommen habe, dass die Riesenfamilie als Gefangene des Ministeriums geführt würden, denen man nicht zur Flucht verhelfen dürfe und dass ich Mademoiselle Maxime seit schon zwei Wochen weder per Eule noch im direkten Gespräch kontaktiert habe. Das sollte ich dann unter Veritaserum dem Tribunal erzählen, sagte der ältere Montferre mir dann. Da kamen dann auch tatsächlich fünf Sicherheitstruppler um die Ecke. Ich habe echt erst gedacht, die sollten mich festnehmen. Doch als die Ministerin selbst mit Beaubois im Schlepptau hinterherkam habe ich erst mal nicht gewusst, was läuft. Dann hat die Ministerin ein Pergament aus ihrer Tasche gezogen und laut vorgelesen, dass Monsieur Montferre, Bartholomé, mit sofortiger Wirkung das Zaubereiministerium Frankreichs zu verlassen habe und es vor Ablauf der nächsten fünf Jahre, mit Wirkung vom heutigen Tag, nicht wieder betreten solle, da er sich nicht an die vor zwanzig Jahren festgelegten Fernbleiberegeln gehalten habe. Er könne sogar froh sein, dass das Disziplinartribunal den schriftlichen Rückkehrbefehl von Beaubois als "amtlich generiertes Missverständnis" werte, sonst hätte er wegen dieser Fernbleiberegel zehn Jahre weiteres Ministeriumsbetretungsverbot oder eine Haftstrafe von fünf Jahren zu erwarten. Um sicherzustellen, dass er sich im Ministerium nicht verlaufe würden die Sicherheitstruppler ihn begleiten, sicherstellen, dass er seine mitgebrachten Habseligkeiten an sich nehme und dann auf dem kürzesten Weg aus dem Ministeriumsgebäude und zum pariser Reisesphärenkreis begleiten, um ihn nach Martinique zurückzuschicken. Da hat der Typ erst mich angesehen und gesagt, dass er die Truppen angefordert habe, mich wegen Fluchthilfe für hochgradig gefährliche Zauberwesen zu inhaftieren. Da hat einer der Sicherheitsleute, ein Onkel von Leonie Arbrenoir, geantwortet, dass er sich schon sehr gewundert habe, für einen offiziell noch auf Bewährung befindlichen Mitarbeiter einen derartigen Dienst erfüllen zu sollen. Deshalb habe er sich bei der Strafverfolgung erkundigt, ob die Bewährung vollständig erfüllt sei und ein klares Nein zurückbekommen. Tja, und die Ministerin hat es wohl irgendwie mitbekommen, was lief und ist dann mit Beaubois hinter den fünfen her, weil sie ja wusste, wo die hin wollten. Sie hatte da schon den Verweis gegen ihn in der Tasche. Davon übergab sie dann eine Kopie an den Sicherheitstruppführer, der unter Absicherung seiner Leute las und dann nickte. Bartholomé Montferre hat dann blitzschnell den Zauberstab gezogen und auf die Ministerin gerichtet. Ich bin dann in Deckung gegangen, weil ich nicht einsah, mich mit dem Typen zu duellieren, wo genug Schutztruppler am Ort waren. Drei von denen haben sich dann als Schutzschild vor die Ministerin gestellt und einen silbernen Barrierenzauber aufgespannt, in dem dann Montferres Mondlichthammer mit lautem Knall verpufft ist. Die beiden noch freien Schutzzauberer haben ihm dann den Zauberstab aus der Hand geschossen und ihn dann mit zwei Incarcerus-Zaubern verschnürt wie einen Rollschinken. Danach haben sie ihn mit dem Mobilicorpus-Zauber zum schweben gebracht und vor sich her durch den Gang gleiten lassen. Ich erfuhr dann noch, dass die Ministerin von Mademoiselle Maxime eine Nachricht bekommen habe, dass sie sich mit ihrer Tante und deren Kindern vor einem möglichen Zugriff Montferres in Sicherheit gebracht habe, da sie seit dem schmutzigen Wahlkampf Louvois jeden Moment damit rechnen musste, den schnellen Rückzug anzutreten. Ein Kontakt, den sie unter den Porträts im Ministerium habe, hätte sie vorgewarnt, dass Bartholomé Montferre mit ihrer Angelegenheit betraut werden sollte. Also träfe mich keine Schuld. Das musste dann auch Simon Beaubois einsehen. offenbar hat ihm jemand ganz wichtiges außer der Ministerin eingeschenkt, dass er sich da auf verdammt dünnes Eis begeben hat und darunter ein viele hundert Meter tiefer Abgrund sei. Zumindest sah Beaubois seinen früheren Clienten wesentlich ähnlicher als einem lebendem Menschen." Millie machte "Häh?!" Béatrice machte "Schschsch!" Julius beendete dann noch seinen Bericht damit, dass die Ministerin ihm das Platzverweisdokument zu lesen gegeben hatte und es klar war, dass Montferre vor dem 1. Februar 2005 keinen Fuß mehr ins Ministerium setzen dürfe, sollten die gegen ihn zurückgestellten Verfahren wegen übler Nachrede, versuchter Erpressung und versuchter Freiheitsberaubung mit Hilfe des Tribunals nicht wieder aufgenommen werden. Abgesehen davon hat er damals wohl eine Fernbleibeklausel unterschrieben, dass er mindestens bis zum ersten Februar 2005 mehr als eintausend Kilometer von Paris entfernt arbeiten solle, um die ganzen Verfahren endgültig verjähren zu lassen. Vorzeitige Rückkehr sei ein Verstoß gegen diese Auflage und hätte ihm echt fünf Jahre Freiheitsentzug eingebrockt, von den schwebenden Verfahren ganz zu schweigen. Tja, die fünf Jahre muss er jetzt wohl wieder auf Martinique bleiben, schön weit weg von Paris, falls das Tribunal die Bewährungsauflagen nicht auf Anfang zurücksetzt, also er noch einmal zwanzig Jahre in den Überseeregionen aushalten müsse, wenn er nicht ins Gefängnis wolle. Das kam mir vor wie ein dreifaches Eigentor des Hüters selbst, bei dem er den Quaffel einmal durch jeden Ring geschossen hat. Ich musste mich erst mal ins Büro setzen und das heftige Grinsen aus dem Gesicht kriegen. Zumindest musste ich an dem Nachmittag mit keinem mehr direkt sprechen. Kann sein, dass der gute Simon Beaubois bald sein Amt zur Verfügung stellt", beschloss Julius seinen Kurzbericht.

"Der Herr ist der Großonkel von Bine und San Montferre, Julius", sagte Béatrice. "Der hat damals versucht, bei Tante Diane zu landen. Als das nicht geklappt hat hat der wohl alles mögliche über sie nachgeschnüffelt und dabei erfahren, dass wir Latierres von der Mütterlichen Seite von einer reinrassigen Riesin abstammen. Da wollte er die doch glatt wegen unberechenbarkeit und unerwähnter Abstammung von hochgefährlichen Zauberwesen der Stufe XXXXX belangen. Weil Tante Diane sich das nicht hat gefallen lassen ging das ganze vor das Tribunal. Dabei kam raus, dass Montferre auch andere Ministeriumsmitarbeiter wegen irgendwas belangen beziehungsweise in seinem Sinne beeinflussen wollte. Minister Grandchapeau hat ihm damals die Wahl gelassen, entweder in die Tierwesenbehörde auf Martinique zu wechseln, wo er die Lavalurche und Schwefelsalamander betreuen sollte, oder für mindestens zehn Jahre wegen mehrfacher Erpressungsversuche und Störung des innerministeriellen Betriebes in besonders schwerem Fall nach Tourresulatant zu wandern. Wie die Geschichte ausging wisst ihr ja jetzt. Tante Diane hat dann von sich aus ihren Dienst in der Familienstandsabteilung gekündigt, weil sie sich nicht ständig vorhalten lassen wollte, dass sie vielleicht mal aus einer unbedachten Lage heraus zur Berserkerhexe werden könnte. Immerhin haben sie meine Schwestern Barbara und Hippolyte in Ruhe gelassen, wohl auch, weil sie ja schon eine Generation weiter waren als Tante Diane. Dass sie seit zwanzig Jahren in der magischen Veranstaltungsbranche arbeitet und die zweibeinige Temmie das Gasthaus bekommen hat wisst ihr ja." Millie und Julius nickten.

"Ich gebe dir recht, Julius. Die Kiste ist ein dreifaches Eigentor. Hmm, was davon darf ich dann berichten?" wollte Millie wissen.

"Das was du, wenn du einen offiziellen Interviewtermin mit mir vereinbarst und von der Pressetante der Ministerin genehmigt bekommst, von mir erfahren kannst, wenn du mich in meinem Büro besuchst, Millie."

"Lustig, Julius Latierre geborener Andrews", knurrte Millie verdrossen. Doch Béatrice kicherte mädchenhaft. "Gut, dann kriegt Madame Perignon morgen meine Anfrage, weil ich erfahren habe, dass der Veelabeauftragte des Ministeriums offenbar eine neue Aufgabenzuweisung erhalten habe und ich gerne darüber berichten würde."

Als Julius neben seiner Frau im Bett lag meinte sie noch: "Das hätte uns gefehlt, wenn dieser übereifrige Geisterbändiger dich ins Gefängnis gesperrt oder irgendeiner mir fremden Amme zum Großfüttern überlassen hätte. Aber diese Anfrage muss ich doch nicht echt stellen, wo die im Ministerium wissen, dass ich dich jederzeit interviewen kann. Oder ist die Sache zur Geheimsache erklärt worden?"

"Dann hätte ich das erzählt, Mamille. Aber es ist eine C5-Angelegenheit. Deshalb darfst du offiziell erst dann was davon wissen, wenn die Ministerin findet, dass das Ministerium deshalb nicht in Verruf kommt oder seine Arbeit nicht mehr ausführen kann."

"Rrrr", knurrte Millie und kniff ihm in die Nase. "So wie das heute lief brauchen die mich und die Temps sicher nicht dazu, sich selbst zu zerlegen, Monju. Aber ich nehm dich beim Wort und stelle echt diese Anfrage."

"Ja, mach das ruhig, Mamille", sagte Julius.

"Eh, du weißt, dass ich zwei Babys von dir im Bauch habe. Hera könnte finden, dass du mich nicht so durch die Gegend scheuchen darfst. Und Trice, die sich trotz des Kleinen, den ihr zwei auf den Weg gebracht hat, immer noch für mich zuständig fühlt, könnte dich auch deshalb zurechtweisen, mich nicht unnötig durch die Gegend flitzen zu lassen."

"Könnte sie, macht sie aber sicher nicht", sagte Julius. Dann küsste er seine Frau zur guten Nacht und drehte sich in seine Lieblingseinschlafhaltung. Er ertappte sich einige Sekunden dabei, dass er auch so neben Béatrice im Bett gelegen hatte, weil sie darauf bestanden hatte, neben dem Mann aufzuwachen, mit dem sie Liebe gemacht hat. Ja, sie waren sich sehr ähnlich, nicht wie Tante und Nichte, sondern eher wie zwei Schwestern, die er nun um sich hatte, weil sie beide was von ihm in sich hatten und er beide nicht verärgern oder demütigen durfte und die zwei das auch verdammt gut wussten. Millie liebte er. Sie hatte ihm von Anfang an gezeigt, was sie von ihm wollte und wie sie es anstellte, dass er auch wollte, was sie wollte. Sie hatte ihm durch viele Gefahren beigestanden, ihm bei der dreimonatigen Zeit mit Madame Maximes Blut im Körper geholfen und mit ihm die dunkle Kuppel Sardonias überstanden. Letzteres galt auch für Béatrice. Die hatte mit ihm Orion Lesauvages Fluch ausgetrieben und Millie geholfen, Chrysope und Clarimonde zur Welt zu bringen, aber auch ihm gezeigt, dass sie durchaus mehr von ihm wollen könnte, wenn da nicht ihre junge, entschlossene Nichte gewesen wäre, die ihn über die Brücke der Mondtöchter getragen hatte. Es würde sehr schwer für ihn sein, beide Hexen gleichgut zu achten und ... ja ... zu lieben. Hoffentlich gelang das, was sie drei angefangen hatten! Ein Misserfolg würde nicht nur den Ehefrieden zwischen Millie und ihm zerstören, sondern auch das sehr gute Verhältnis von ihnen dreien beenden. Fast wollte er beten, dass Béatrice seinen Sohn trug. Dann fiel ihm ein, dass es ihr sicher weh tun würde, wenn Millie ihr den Jungen gleich nach der Geburt abnahm und sagte: "Der ist meiner!" Aber er durfte ihr nicht die Entscheidung abnehmen. Der eheliche Frieden galt nach diesem abgedrehten Sondergesetz nur als gesichert, wenn die Vertraute der Ehefrau das in ihrem Namen und Auftrag vom Ehemann empfangene Kind ohne Widerspruch und Widerstand an sie übergab, wenn sie dies verlangte, ja am besten gleich nach Vollendung der Geburt an sie abgab und sich dann zurückzog. Nein, so wollte er Béatrice nicht abservieren. Sollte er dann doch lieber hoffen, dass sie seine vierte Tochter im Bauch hatte? Doch Millie konnte auch diese einfordern, so die Übereinkunft. Nein, er musste hoffen, dass Millie sich so entscheiden würde, dass Béatrice damit zurechtkam und dass sie alle drei mit den dann sechs Kindern eine friedliche, ja auch glückliche Familie bilden würden. Ja, er hatte sich so sehr an Béatrices Anwesenheit gewöhnt, und seine drei Töchter wuchsen sowieso schon mit ihr als liebende Tante auf. Jetzt, wo er sie auch körperlich geliebt hatte und wusste, dass er auch sie glücklich machen konnte, wenn sie beide das wollten, war sie für ihn aber mehr als nur die Schwiegertante oder eine Vertraute und Heilerin. Er erkannte, dass er gerade mehr mit sich tragen musste als Millie und Béatrice zusammen. Was für eine bescheuerte Prüfung war das, die Ashtaria ihm abverlangte?

Als Millie ganz ruhig neben ihm atmete fand auch er aus der grübelnden Stimmung heraus und glitt ganz entspannt in den nötigen Schlaf hinüber.

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Es wirkte auf Béatrice, als wenn das US-amerikanische Zaubereiministerium einen landesweiten Angriff befürchtete. Nur damit ließ sich erklären, was bei der Landung des Überseeluftschiffes um 12:00 Uhr Pazifikstandardzeit geschah. Die zwanzig Mitreisenden, davon die Familie Latierre, konnten nicht mal eben aus dem Luftschiff aussteigen, sondern gelangten erst in eine von zwölf Meter hohen Pallisaden gebildete Abgrenzung mit zwei Toren. Auf der Innen- und der Außenseite der Tore warteten je eine Hexe und ein Zauberer in blau-weiß-roten Umhängen mit blauen hüten, auf denen weiße Sterne prangten. Béatrice musste sich der Befragung einer kleinen, sehr zierlichen Hexe mit kastanienbraunem Haar stellen, wer sie war, wo sie hinwollte und was sie dort machte und wielange sie bleiben würde. Béatrice gab der Hexe die vorsorglich auf dem Flug ausgefüllten Reiseformulare, die jeder Besucher der US-amerikanischen Zaubererwelt bei den üblichen Einreisewegen auszufüllen hatte. Als sie dann noch gefragt wurde, ob sie hochwirksame Tränke und Zaubergegenstände mitführte zählte sie den Inhalt ihrer Heilertasche auf. "Seit Aufhebung der Sonderbestimmungen für heilmagische Gebräue und Hilfsgegenstände vom 19. September ist Ihnen die Einfuhr solcher Gegenstände und Gebräue erst bei Vorlage einer Genehmigung der Abteilung für magischen Handel und der Behörde für magische Ausbildung, Studien und Familienfürsorge gestatte. Die Anmeldung hat einen vollen Kalendermonat vor gewünschtem Reiseantritt zu erfolgen", sagte die Hexe, die laut Namensplakette auf ihremUmhang Suzanne Hillcrest hieß. Béatrice wollte sie schon fragen, seit wann die Aufhebung der internationalen Sonderrechte für international zertifizierte Heilhexen und -zauberer zulässig sei, als Chloe Palmer durch das Tor kam und sofort sagte: "Sue, die Dame ist eine approbierte und erfahrene Heilerin aus Frankreich und darf trotz Minister Buggles' fragwürdiger Sofortmaßnahmen weiterhin ihre Ausrüstung ein- und wieder ausführen, sagt unsere Zunftsprecherin Greensporn, sowie der oberste Rat unabhängiger magischer Justiz der vereinigten Staaten von Amerika. Seine Ehren, Richter Chrysostomos Ironside hat vor zwei Tagen klargestellt, dass die Arbeit von Heilerinnen und Heilern zum Wohle aller magischen Menschen innerhalb der vereinigten Staaten nicht durch aufwändige Einfuhrbeschränkungen für ihre Hilfsmittel behindert werden darf und der Ministeriumserlass zur verstärkten Einfuhrbeschränkung somit nicht für eingetragene Mitglieder der magischen Heilzunft gilt. Machen Sie bitte Ihre Hausaufgaben, Sue."

"Nur weil Sie die Gelegenheit genutzt haben, meine nur zu Besuch in ihrer Ansiedlung verweilenden Mutter bei meiner Geburt zu unterstützen haben Sie kein Recht, in meine Arbeit einzugreifen, Madam Palmer. Außerdem sagt Minister Buggles, dass die USA gerade von ausländischen Mächten bedroht werden und daher alle bisher geltenden Rechte und Sonderrechte einstweilen eingeschränkt bis aufgehoben bleiben müssen, auch wenn die sich immer noch für unabhängig haltenden Justizvertreter es anders werten. Machen Sie doch Ihre Hausaufgaben, Madam Palmer", sagte Suzanne Hillcrest sichtlich ungehalten. Da kam ein Kollege von ihr herüber und zischte: "Miss Hillcrest, wenn die Dame da eine Heilerin ist lassen wir ihr die Ausrüstung durchgehen. Wir brauchen keinen weiteren Ärger mit Greensporns Gilde." Seine Kollegin sah ihn verstört an. Da sagte er: "Greensporn hat den Abzug der residenten Heilerinnenund Heiler aus dem Ministerium anempfohlen, da die Heiler dort offenbar nicht mehr im Rahmen ihrer Möglichkeiten tätig sein können, solange deren Rechte beschränkt bleiben. Lass die Dame also mit ihrer Ausrüstung einreisen, bevor wir echt noch Probleme kriegen."

"Sie will uns erpressen, Jack", knurrte Suzanne Hillcrest. "Diese alte Kinderpflückerin will uns drohen, Ministeriumsangehörige und ihre Familienangehörigen nur noch gegen Extrabezahlung zu behandeln", zischte Suzanne. "Darauf dürfen wir uns nicht einlassen, Jack."

"Tja, wenn deine Schwester demnächst hundert Galleonen für die Geburtshilfe deiner künftigen Nichte oder deines Neffens bezahlen soll mach so weiter, Sue. Meine Tochter soll jedenfalls nicht mit Schulden in die Mutterschaft eintreten. Also gib ihr die Genehmigung und gut ist."

"Hallo, wie redest du denn jetzt mit mir, Jack. Ich bin dir zehn Dienstjahre voraus." Dann schien sie zu überlegen. Schließlich nickte sie verdrossen und gab die Passage für die Heilerin und ihr Gepäck frei. Dabei merkte diese, wie von Chloe Palmer etwas ausging, das ihren Unterleib kurz erwärmte. Sie ahnte, was es war. Sie hatte davon im Heilerherold gelesenund es bei Gesprächen mit Hera und anderen Hebammenhexen besprochen, dass neuerdings Armbänder hergestellt wurden, die einer Heilerin die Nähe ungeborener bis neugeborener Kinder zwischen sechster Schwangerschaftswoche und einem Lebensjahr anzeigten. Das hättte sie bedenken müssen. Doch Chloe sagte nichts dazu. Vielleicht kam das noch.

"Ja, ein Kulleraugendrache, der fröhliche Lieder blöken kann ist ja auch ein tödlich gefährliches Artefakt, weil der ja die kleinen Kinder auffrisst, denen er geschenkt wird", knurrte Millie, als Béatrice neben ihr stand. Dann flüsterte sie: "Außerdem hat mich Heilerin Palmer gefragt, ob es mir gut ginge und ich habe dabei so'n starkes Wärmegefühl im Bauch gehabt, als wollte die meinen kleinen Hexenofen zusätzlich anheizen. Ich habe ihr gesagt, dass ich mich voll in Ordnung fühle und darauf hoffe, dass es auch für die neuen Erdenbürger in meiner kleinen Unterstube gelte." Béatrice Nickte. "Dieh amerikanischen Hebammen tragen wohl seit der VM-Sache bei uns und bei der Quidditchweltmeisterschaft in Kanada ein neues Armband aus Waldfrauenhaar, eigenem Haupthaar und dem Deckfell eines Wanzbären aus dem Sumpfland von Louisiana, Mississippi und Florida. Sehr umstritten aber auch sehr effektiv, was die Erfassung von Ungeborenen und Säuglingen in zehnfacher Armreichweite angeht. Bei dir ist es natürlich dann doppelt so wirksam gewesen", sagte sie laut und mentiloquierte: "Und mich hat es auch erfasst. Kann sein, das die Kollegin da noch mal nachhakt."

"Drachenmist!" mentiloquierte Millie. "Na, nicht solche Ausdrücke von Mutter zu werdender Mutter", schickte Béatrice zurück. Millie sog nur Luft zwischen ihren Zähnen ein.

Im Vergleich mit der verstärkten Einreisebürokratie war die Überfahrt nach Santa Barbara und das Geburtstagsfest für die Drillinge ein wunderschöner erquicklicher Ausflug, so wie es sein sollte. Tatsächlich traf nicht nur Chloe Palmer für einen kurzen Besuch, sondern auch die silbergrauhaarige Heilzunftsprecherin Eileithyia Greensporn ein. Die altehrwürdige Großheilerin mit Spezialisierung auf Mutterschaftsbetreuung und Kinderheilkunde begrüßte auch Millie und Béatrice. Dabei konnte die französische Heilerin es sehen, das schwarz-blaue, mit einigen silbergrauen Linien durchzogene Armband am Zauberstabarm Eileithyias. Sofort fühlte sie wieder diesen Wärmeschauer, sobald der Arm der Großheilerin in ihre Richtung wies. "Sonderregelung 17 C, richtig?" fragte Eileithyia Béatrice. Diese war erst perplex. Dann sagte sie: "Deine direkte Ortsvorsitzende und erwählte Hebamme hat uns im Vorfeld informiert, weil sie von unserer neuen Ausrüstung wusste. Kein weiterer Kommentar nötig", flüsterte die Heilerin. Béatrice wies mit ihrem Kopf in eine bestimmte Richtung, wo Linda Latierre-Knowles sich gerade mit Brittany Brocklehurst und einer Hexe namens Nancy Unittamo unterhielt. Deren Ehemann, ein Urenkel der weltberühmten Verwandlungsgroßmeisterin Maya Unittamo, saß bei den jungen Vätern, zu denen auch ein schrill bunt angezogener Lucky Merryweather gehörte.

"Sei unbesorgt, Kollegin Latierre. Die Armbänder haben einen zusätzlichen Vorteil: Sie verleihen ihren Trägerinnen Schutz vor magischer Fernbeobachtung und -belauschung. Das liegt an den Anteilen grüner Waldfrauen. Ja, ich weiß, ein sehr heiß und kontrovers diskutiertes Thema. Aber wir haben in den Staaten vier zivilisierte Waldfrauen, die uns gegen eine erträgliche Gegenleistung von ihrem Haar gelassen haben."

"Das wusste ich noch nicht. Ich erfuhr nur was von der Wechselwirkung mit ungeborenem oder neugeborenem Leben", flüsterte Béatrice. Millie, die danebenstand und wohl nicht wusste, wie sie das Gefühl in ihrem Bauch einordnen sollte meinte: "Da ist Sabberhexenhaar im Armband. Oha, die natürlichen Exemplare fangen kleine Kinder. Öhm, ja, ist wohl sehr diskussionswürdig."

"Ja, aber sicher, wenn es um den Nachweis von Schwangerschaften geht", sagte Eileithyia Greensporn.

"Die Großmutter einer Schulkameradin meines Mannes hat einen dafür eingestimmten Ehering", sagte Millie. Eileithyia nickte. "Ist auch möglich, aber für unverheiratete Heilerinnen schon auffälliger als ein unter dem Ärmel verstaubares Armband. Vor allem hält es die Finger frei für heilmagische Handreichungen", erläuterte die Großheilerin. Béatrice und Millie nickten zustimmend. Sie beide hatten ja selbst erfahren, wie wichtig es war, die Hände freizuhaben, um Gebärenden zu helfen. "Ach ja, und was diese höchst seltene und mit sehr, sehr viel gegenseitigem Vertrauen und Anerkennung einhergehende Sache angeht wünsche ich euch beiden eben dieses, Vertrauen ineinander, gegenseitige Unterstützung und fortdauernde Anerkennung. Mehr zu sagen steht mir als nicht von euch beiden erwählte Heilerin nicht zu", beschloss Eileithyia das Thema.

"Natürlich hat Hera das an Chloe Palmer weitergereicht und die das wohl an ihre Zunftsprecherin", gedankensprach Béatrice mit Millie, nachdem die Großheilerin sich wieder auf mehr als Flüsterreichwweite entfernt hatte. "Aber diese Armbänder sind schon heftig", gedankenantwortete Millie.

Am Nachmittag fühlte Béatrice eine steigende Müdigkeit. Klar, sie durfte ja genausowenig den Ortszeitanpassungstrank einnehmen wie Millie, weil der bei Ungeborenen mit eigenem Herzschlag eine Verlangsamung desselben bewirken konnte, nicht immer, aber einmal von fünfzig war auch schon einmal zu viel, wussten die Heilerinnen. Um sich einigermaßen Wachzuhalten beteiligten sich die zwei werdenden Mütter an musikalischen Aufführungen, bis sie den Tiefpunkt ihrer Müdigkeit überwunden hatten. Dafür waren sie beide dann um zehn Uhr abends Ortszeit so munter, als wenn sie gerade erst aufgestanden wären. Hätten sie nicht gut und viel gegessen müssten sie jetzt wohl frühstücken.

So lag Béatrice um elf Uhr hellwach in dem ihr bereitgestellten Bett im kleinen Gästezimmer von Marthas und Luckys Haus. Millie schlief mit Julius zusammen im großen Gästezimmer, wo für die drei Mädchen kleine Betten eingestellt worden waren. Béatrice ermüdete sich mit komplizierten Zaubertrankrezepten und deren Abwandlungen und Auswirkungen.

Acht Stunden später weckte der im Zimmer vorhandene Wecker sie mit fröhlichem Spiel. Sie fühlte sich immer noch sehr müde. Es fiel ihr schwer, aus dem Bett zu kommen. Der Raum schien sich um sie zu drehen und zu wanken. Erst nach viermaligem Ein- und ausatmen stabilisierte sich das Zimmer und damit auch ihr Kreislauf. Sie konnte jetzt ungefährdet ins Badezimmer.

Um Martha noch nicht merken zu lassen, was mit ihr los war hatte Béatrice ihre etwas blass aussehenden Wangen geschminkt und sich aus ihrer Heilertasche eine kleine Dosis Kreislaufanregungstrank verordnet. Zu viel davon durfte sie nicht nehmen, weil ja auch ihr ungeborenes Kind davon betroffen wurde.

Sie genossen ein langes, reichhaltiges Frühstück. Dann durften die Kinder noch im Garten spielen. Um elf Uhr kam das kleinere und langsamere Luftschiff angeglitten, dass die Latierres wieder nach Viento del Sol brachte. Dort bestiegen sie um genau zwölf Uhr Mittags, nachdem sie sich bei den am Startplatz postierten Einreisezauberern ordentlich abgemeldet hatten, das Überseeluftschiff nach Millemerveilles.

Der Rückflug über den Atlantik zeigte einen überschnellen Sonnenlauf mit einem weißgolden versinkenden Tagesgestirn. Denn in der durchflogenen Höhe streute die Luft das Licht nicht so sehr wie am Boden. Nur zur Meeresoberfläche hin war ein orangeroter Lichthof zu erkennen, bevor die Sonne unter den Horizont kippte und die Sterne am Himmel aufleuchteten.

Weil es in Millemerveilles schon elf Uhr Abends war mussten sie ganz leise sein, bis sie wieder in ihrem Apfelhaus waren. Die Kinder bekamen den Ortszeitanpassungstrank und wurden schlagartig ganz müde. Millie und Julius brachten ihre drei Töchter zu Bett. Béatrice dachte daran, ob sie Martha wirklich gegenübertreten und ihr ins Gesicht sagen wollte, dass sie ein Kind von ihrem Sohn trug. Wannund wo würde sie das denn machen? Denn der Kindergeburtstag gestern war absolut ungeeignet gewesen. Aber nun wussten auch zwei US-amerikanische Kolleginnen, vor allem die Sprecherin der nordamerikanischen Heilerzunft persönlich, worauf sie sich eingelassen hatte. Deshalb sollte sie es bald entscheiden, ob Martha es erfuhr oder nicht, bevor Chloe ihr vielleicht was zuspielte von wegen drei kommenden Enkelkindern, wo Millie mit Zwillingen schwanger war.

"wie bringen wir es ihr bei, dass da demnächst drei Enkelkinder verteilt auf zwei Hexenbäuche ankommen werden?" fragte Béatrice, als sie drei sich noch einmal in der Wohnküche des Apfelhauses trafen.

"Auf jeden Fall muss ich nicht haben, dass Lucky dabei ist. Ich kann den immer noch nicht richtig einschätzen, wann er der Spaßvogel ist und wann er mal was ernstes sagen will", meinte Julius. Millie sagte dazu nur: "Außerdem muss der nichts davon erfahren, höchstens Martha, weil die deine Mutter und damit auch die Oma von den beiden in meinem und dem einen in Trices Bauch ist. Macht der nicht immer mal wieder Dienstreisen?"

"Ja, macht er. Du meinst, ich sollte Mum dann auf einen Spontanbesuch einladen oder wir fliegen zu ihr rüber?"

"Ich würde sie lieber hierher einladen, aber nicht in das Apfelhaus, sondern zu Hera", erwiderte Béatrice. Die beiden Verwandten sahen sie verdutzt an. Dann schien es bei Julius im Kopf einzurasten. Er sah sie verstehend an und nickte. "Ah, du meinst auf neutralem Boden und mit einer Moderatorin, die nicht zur Familie gehört, aber in unser kleines Übereinkommen eingeweiht ist. Hmm, dann können wir das auch gleich mit deinen Eltern machen, Millie."

"Wenn wir das noch vor dem Halloweentag hinkriegen, den die da drüben so begeistert feiern oder zwischen Halloween und Alains erstem Geburtstag bin ich völlig einverstanden", bekundete Millie. Béatrice stimmte dem auch zu. Dann fragte sie noch, ob Martha wusste, dass in diesem Haus ein Denkarium stand. Julius antwortete, dass er es ihr in den Briefen geschrieben hatte, während er unter Madame Maximes Aufsicht stand. Millie erwähnte, dass sie es ihrer Mutter auch schon erklärt hatte, dass sie und Julius ein eigenes Denkarium hatten, dass aber vor den Kindern gut verschlossen blieb. "Gut, dann schlage ich vor, dass wir Hipp, Albericus und Martha deinen Albtraum nacherleben lassen, falls die uns nicht abnehmen wollen, dass wir sozusagen in höherem Auftrag handeln."

"Bin ich da so für?" fragte Millie. Julius meinte, dass er dann wohl Hippolyte und Albericus von Ammayamiria erzählen müsse. Doch das würde er hinbekommen, da ihre Existenz ja auch ein Latierre-Geheimnis sein mochte. Da meinte Millie noch: "Ja, und wie bringen wir es Rorie und Chrysie bei, dass du auch wen kleines im Bauch hast, Trice?"

"Da würde ich sagen, nachdem wir deine Eltern und Julius' Mutter unterrichtet haben. Sonst könnte es Rorie passieren, dass sie sich bei Martha oder Hipp verplappert und die Angelegenheit auf unschöne Bahnen abgleitet." Millie und Julius nickten. Julius meinte noch, dass das wohl die logisch sinnvollste Reihenfolge war. Damit war es beschlossen, demnächst die künftigen leiblichen Großeltern der drei Kinder zu informieren. Béatrice hoffte darauf, dass bis dahin schon klar sei, ob sie einen Jungenoder ein Mädchen erwartete.

Um halb eins nachts lag Béatrice in ihrem Bett und gab sich endlich dem Schlafbedürfnis hin, da sie ja sowieso noch auf europäische Ortszeit eingestimmt war.

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Julius erfuhr durch behutsames Nachfragen, dass seine Mutter zwischen dem 25. und 27. Oktober mit den Drillingen allein sein würde. Denn Lucky sollte für die Abteilung für friedlichen Kontakt zwischen Menschen mit und ohne Magie Verhandlungen in Mexiko Stadt führen, weil es einige goldgierige Schleuser gab, denen es egal war, ob sie nur magisch begabte Menschen oder auch Nichtmagier über den Rio Grande schmuggelten. Buggles ging offenbar davon aus, dass vom Süden der langen Grenze her Werwölfe oder andere Feinde in die Staaten eindringen wollten. Damit stand fest, dass Martha und die Drillinge für den 26. Oktober eingeladen wurden, ebenso Hippolyte und Albericus Latierre. Hera Matine hatte sich bereiterklärt, im Namen und Auftrag der Latierres aus dem Apfelhaus die Einladungen zu verschicken und Martha, Hippolyte und Albericus in ihr Haus zu bitten.

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Die rotbraun gerahmte Wanduhr mit den römischenZiffern zeigte sechs Uhr abends, als Hera Matine Martha Merryweather und Millies Eltern in ihrem Salon begrüßte. Dann traten auch Millie, Béatrice und Julius ein. Aurore und die beiden anderen Mädchen wurden von Ursuline beaufsichtigt.

"Jetzt bin ich doch mal gespannt, was ihr uns sagen möchtet, wozu ihr Madame Matine als Botin und womöglich Vermittlerin dazwischenschalten musstet", sagte Hippolyte ihrer mittleren Tochter und dann ihrer eigenen Schwester zugewandt. Martha nickte und sah ihren Sohn an, der ganz ruhig, aber konzentriert dasaß und wartete, bis Hera ihm das Wort erteilte.

"Mum, Belle-Maman Hippolyte und Beau-Papa Albericus: Ihr wisst ja im Gegensatz zu den meisten anderen, dass ich nicht nur mit den Kindern Ashtarias zu tun bekommen habe, sondern von dieser Selbst gerettet und damit zu ihrem zweiten Sohn wurde, als das mit Aurélie Odin und Claire passiert ist. Deshalb beansprucht diese überirdische Entität das Recht, in gewisser Weise mein Leben mitbestimmen zu dürfen, nachdem sie es mir wiedergegeben hat." Hippolyte nickte. Martha nickte dann auch. Julius erwähnte dann, dass sie ihm zum preis für die Hilfe und für die Unterstützung bei der neuen Absicherung von Millemerveilles mit Hilfe ihrer drei lebenden Nachfahren Camille, Maria und Adrian aufgetragen habe, den Verlust einer ihrer Blutlinien auszugleichen und bis 2005 einen eigenen Sohn aus Fleisch und Blut gezeugt zu haben. Martha sah Julius verdutzt an. Hippolyte und Albericus warfen erst sich verdrossene Blicke zu um dann genau in Béatrices Augen zu blicken. Diese straffte sich erst und entspannte sich dann. Julius erwähnte dann, dass er kein Problem sah, dass Millie und er im fraglichen Zeitraum einen Sohn bekommen könnten. Doch dann hätten sie erfahren, dass die Magie der Mondburg, die sie beide zusammengebracht hatte, einen eigenen Preis für ihr Werk verlangte und schilderte das Ding mit der Wartezeit, bis die Wahrscheinlichkeit für einen Sohn und eine Tochter gleichgroß sei. Martha sah ihren Sohn verstört an, dann Millie und dann auch Béatrice. Diese erkannte, dass Martha bereits ahnte, worauf das hinauslief. Julius erwähnte dann noch, dass er eben dann Ashtarias Ultimatum ignorieren wollte, wenn es eben nicht ginge. Dann übergab er Millie das Wort. Diese erwähnte dann ihren schlimmen Traum, den sie für eine geistige Botschaft Ashtarias hielt und dass sie deshalb einsah, dass Julius tatsächlich auf einen eigenen Sohn hinarbeiten sollte. Deshalb habe sie sich durch die Gesetze für Zaubererfamilien gewühlt und einen Paragraphen gefunden, der eine gewisse, wenn auch außergewöhnnliche Lösung verhieß. Darauf meinte Martha: "Familienstandssondergesetz siebzehn C, nicht wahr, Mildrid." Millie und die beiden anderen zuckten kurz zusammen. Doch dann nickten sie gleichzeitig. Hippolyte sah Albericus an, der eine abbittende Geste machte, weil er offenbar keine Ahnung hatte. Millie zitierte dann das Gesetz wortwörtlich. Martha Merryweather blickte nun mehrfach von ihr zu Béatrice und dann zu Julius. in ihren Augenlag ein gewisser Vorwurf, aber auch eine Art von Hilflosem Mitgefühl. Hippolyte sprang auf und sah ihre jüngere Schwester an:

"Soll das jetzt heißen, dass Julius dich dazu aufgefordert hat, sein Kind zu bekommen, nachdem er wusste, dass Millie in den nächsten Jahren nur Töchter bekommen kann?" Béatrice bejahte es. Dann sagte sie: "Er hat mich nicht allein aufgefordert, sondern mit deiner Tochter Mildrid zusammen mit mir darüber gesprochen und mich mit ihr zusammen gefragt, ob ich dazu bereit sei, ihnen beiden zu helfen, Hipp. Setz dich bitte wieder hin!"

"Das heißt, Millie hat ihren Mann an dich ausgeliehen, weil du die Kriterien erfüllst und ..." stieß Albericus aus. Da sagte Millie: "Pa, bevor du Béatrice beschuldigst, Julius zum Ehebruch verführt zu haben: Wir beide haben sie gefragt, weil wir beide der Meinung sind, dass die Drohungen von Ashtaria ernstgemeint sind und wahrgemacht werden können. Ich will es jedenfalls nicht drauf anlegen, von der aus dem Weg geräumt zu werden, damit Julius wieder völlig frei für andere Hexen ist."

"Ja, aber ihr habt uns herbestellt, um uns zu fragen, ob wir dem ... nein, ihr wollt uns das nur mitteilen", sagte Martha und sah Béatrice genau auf den nun ein wenig vorgewölbten Unterleib. "Will sagen, wir sollen hier nur erfahren, dass ihr drei einhellig und einvernehmlich ausgeheckt habt, dass mein Sohn Julius mit dir einen Sohn zeugen soll, Béatrice." Sie sah ihren Sohn mit einer Mischung aus Tadel und Hilflosigkeit an. "Dann hast du mit deiner eigenen Schwiegertante ... geschlafen? Oder hat es gereicht, ihr von deinem Samen abzugeben, dass sie diesen in sich selbst einführt?" Darauf antwortete jetzt Millie.

"Martha, ich, die Frau deines Mannes, habe ihm den klaren Auftrag erteilt, mit meiner Tante, deiner Schwester, Maman, so oft Liebe zu machen, bis sicher ist, dass sie sein Kind trägt und sie dabei ja so sehr zu befriedigen, dass sie glücklich dabei wird. Ja, Martha, ich, Mildrid, habe deinem Sohn das angeraten."

"Wo habt ihr es getan, Béatrice?" fragte Hippolyte. Die Gefragte erwähnte, dass sie es im Sonnenblumenschloss getan hatten. "Immerhin nicht im Ehebett von Millie und Julius", grummelte sie. Albericus sah seine Tochter und Julius an. "Und das nur wegen eines kuriosen Traumes?" fragte Millies Vater dann. "Wie finde ich denn das?"

"Am besten du dich damit ab, dass ich zwei Enkel von dir trage und Oma Line einen Enkel von Julius bekommt, der dann mit uns allen zusammen groß wird."

"Und das ist eine Ausnahmegenehmigung, die keine finanzzielle Gegenleistung erlaubt, Albericus", sagte Martha. "Ich habe diese Regelung einmal gelesen, um mich auf Zaubererwelthochzeiten vorzubereiten. Es ist war, dass es früher durchaus Situationen gab, wo ein verheirateter Zauberer sich mit einer unverheirateten Hexe zusammentun durfte, wenn seine Frau dies klar erlaubte und zudem wegen Unfruchtbarkeit oder anderer Schwierigkeiten kein weiteres Kind oder ein Kind mit einem erforderlichen Geschlecht bekommen konnte. Aber ich bin auch sichtlich erschüttert. Denn ihr zwei habt damit Julius eine sehr schwere Last aufgebürdet, nämlich sich um zwei Frauen zugleich zu kümmern, nicht im Sinne von Beischlaf, sondern als Unterstützer und Ernährer. Was meint ihr denn, warum auch in der westlich orientierten Zaubererwelt die Bigamie oder Polygamie unerwünscht bis verboten ist?"

"Mum, ich muss Béatrice nicht heiraten, und ich darf und werde bei Millie bleiben und Béatrice und das mit ihr gezeugte Kind im selben Haus wohnen lassen. Es kommt jetzt nur darauf an, ob sie meinen ersten Sohn oder meine vierte Tochter trägt."

"Öhm, aber du hast nach ihr gleich Millie neu aufge... öhm, mit neuem Leben betraut", sagte Albericus, wobei seine eigene Frau ihn sehr streng ansah. Darauf erwähnte Béatrice, dass dies ihre nichtfinanzielle Bedingung war, dass die beiden möglichst zeitnahe noch ein eigenes Kind zeugen sollten, damit sie sich sicher waren, dass sie immmer noch zusammen waren. Dass es gleich zwei seien würde die ganze Sache nur bestätigen."

"Ja, und weil du, Béatrice, dir nicht alleine bei der Entbindung helfen kannst hast du diese Zwergenhasserin da als deine Hebamme ausgewählt. Oder ist das auch eine von Millie und Julius festgelegte Bedingung?" wollte Hippolyte wissen.

"Nein, das war ich selbst, große Schwester. Ich bbrauche wie du ganz richtig erkannt hast eine geburtshilfliche Unterstützung. Ja, und weil ich womöglich selbst im Wochenbett liege, wenn Millie deine zwei nächsten Enkeltöchter bekommt, hat sie ebenfalls die residente Hebammenhexe von Millemerveilles um Beistand gebeten."

"Wenn das unsere Mutter wüsste", grummelte Hippolyte. "Ach, die weiß es doch schon längst, weil sie einen Riecher für neue Kinder hat", erwiderte Béatrice. Hippolytes Kinnlade klappte herunter. Dann riss sie sich wieder zusammen und nickte. Martha sah Julius und Béatrice an und dann Millie. "Ich weiß, dass Erlebnisse und Träume als nacherlebbare Empfindungen übertragen werden können. Besteht die Möglichkeit, dass ich diesen ausschlaggebenden Angstrtraum irgendwie nachbetrachten kann, Mildrid?"

"Ja, die besteht", sagte Millieund deutete in eine Ecke. Hera nickte und ging hinüber. Sie zog eine silbrige, seidenweiche Decke aus dem Nichts. Darunter kam ein großes Granitbecken mit silberweißem Inhalt zum Vorschein. "Mildrid kann die betreffende Erinnerung hervorholen. Zwei normalgroße Menschen können zeitgleich ihre Köpfe in das Denkarium eintauchen und die hervorgerufene Erinnerung oder Erinnerungskette nacherleben."

"Dann machen wir das zuerst, Hippolyte", sagte Martha zu Millies Mutter. Albericus sah das Denkarium an und verzog das Gesicht, wohl weil die beiden normalgroßen Hexen sich so schnell einig waren.

Millie holte die Erinnerung an ihren Albtraum von Ashtaria hervor. Martha und Hippolyte knieten vor dem Denkarium nieder, umschlossen einander in einer halben Umarmung und senkten ihre Köpfe hinein, dass sie Wange an Wange lagen, bis ihre Schöpfe von einem wabernden silberweißen Leuchten überdeckt wurden.

"Du hättest zumindest Martha vorwarnen können", mentiloquierte Béatrice an Millie. "Nein, wollte ich nicht. Die muss da jetzt genauso durch wie deine ganz große Schwester und Pa, falls der will", schickte Millie zurück.

Zwischendurch sahen die Anwesenden, wie Hippolytes und Marthas Körper zuckten, als bekämen sie Schläge. Ihre Lungen pumpten schneller Luft ein und aus. Dann endlich hoben sie ihre Köpfe aus der silbernen Substanz ausgelagerter Erinnerungen.

"Holla, das ist wirklich sehr heftig", sagte Hippolyte. Martha sah ihren Sohn an und fragte ihn, ob er sich das auch angesehen habe. Er nickte. Sie wurde bleich. Offenbar dachte sie jetzt daran, dass er sich dann auch im Licht einer letzten Beschwörung von Ashtarias Macht in ein blankes Skelett verwandelt hatte.

"Ich muss dir leider zustimmen,Mildrid. Ich muss diesen Traum für eine echte Geistesbotschaft halten", sagte Martha.

"Zumindest ist er so überwältigend, dass er jeden einschüchtern würde, der ihn ohne Vorwarnung durchleben muss", sagte Hippolyte.

"Wirklich, dann will ich den auch sehen", sagte Albericus. Es wurde ihm gestattet.

Als er fünf Minuten später den Kopf wieder aus dem Denkarium zog keuchte er heftig: "Diese Nachtschattenkönigin brütet aus unschuldigen Seelen neue Abkömmlinge aus. Das ist die schwarze Mutter, von der die Zwerginnen ihren Kindern erzählen, wenn die nicht gehorsam sind. Meine Mutter hat das mal erwähnt, dass damit die kleinen Zwergenmädchen brav und die Zwergenjungen stillgehalten wurden, dass die schwarze Mutter sie holen und ihre Seelen fressenund daraus neue dunkle Kinder machen würde, wenn sie sie durch ihren Ungehorsam herbeiriefen."

"Ui, diese Kinderschreckgeschichte hat mir Oma Tetie nie erzählt", sagte Millie. "Weil du sie nie gefragt hast, was die Zwergenmütter ihren Kindern auftischen, um sie in der Spur zu halten", zischte Albericus, der sichtlich bleich war. "Ich weiß, dass es einen übergroßen, weiblich ausgerichteten Nachtschatten gibt, den dieser Irre Vengor erschaffen haben soll. Wenn die so ihre willigen Diener macht ... dann hat es das schon mal gegeben."

"Nicht dass ich wüsste", sagte Hera Matine. "Denn soweit ich informiert wurde hat der geisteskranke Nachahmer eines noch wahnhafteren Verbrechers zwei materielle Foki zu einem einzigenArtefakt verschmolzen, an die zwei individuelle Nachtschatten gebunden waren. Wenn das vorher schon mal wer gemacht hat ..."

"Im Zweifelsfall Swartwin, der Lenker der Totengeister, ein mit dunkler Magie befasster Zwergenfürst vor zweitausend Jahren", sagte Albericus. Millie zuckte zusammen und nickte. "Ja, stimmt, der Herr der dunklen Knechte, Peiniger von Lebenden und Toten, einer, dessen Namen auch kein Zwerg freiwillig ausspricht. Aber dann hätte ja schon mal so eine schwarze Mutter herumschweben müssen."

"Ja, so oder auf eine andere Weise", sagte Albericus. Dann meinte er: "Gut, die Sache mit den drei Silbersternen hat mich auch überzeugt, dass deren Magie nicht unendlich ist. Falls Ashtaria echt sieben lebende Blutlinien braucht, um diese Kraft immer wieder nachzubilden verstehe ich sie. Aber schon sehr gewöhnungsbedürftig, dass Béatrice von Julius ein Kind bekommt, das nicht mein Enkel sein soll. Öhm, Madame echte Hebammenhexe, kann das jetzt schon festgestellt werden?"

"Nicht so abfällig, Monsieur Latierre, Albericus! Mit unseren Hilfsmitteln können wir nach dem vierten Schwangerschaftsmonat schon ziemlich gut erkennen, welches körperliche Geschlecht das ungeborene Kind besitzt. Ich gehe davon aus, dass bis Weihnachten klar ist, ob Ihre Schwägerin einen Jungen oder ein Mädchen erwartet. Bei Ihrer Tochter Mildrid bin ich mir sicher, dass sie wirklich zwei Töchter trägt, weil die Magie der Mondburg wahrhaftig so ausgerichtet ist." Hippolyte nickte und bestätigte das. "Wie, dann wusstest du die ganze Zeit, dass Millie von Julius nur Mädchen kriegen kann, wenn die nicht lange genug warten?" fragte Albericus.

"Ja. Aber du hast ja selbst auch ohne Mondburg drei gesunde Töchter hinbekommen, bevor wir es vor einem Jahr noch mal gewagt haben, nach dem bunten Vogel zu rufen."

"Piep-piep", knurrte Albericus. Offenbar hatte er doch auf einen baldigen Enkelsohn gehofft. Den würde jetzt nur Martha haben, sofern Béatrice nicht doch eine Tochter trug.

"Also, da ich die Kenntnishoheit über meinen Körper habe", setzte Béatrice an und wies ihre große Schwester durch einen Konzentrierten Blick an, ruhig zu bleiben, "erlaube ich hiermit meiner erwählten Hebamme, Madame Matine, euch allen mitteilen zu dürfen, mit welchem Geschlecht Julius' und mein Kind zur Welt kommen wird, sobald dies erkannt wurde. Ich hoffe, ihr könnt damit leben."

"Öhm, ja", sagte Albericus, der immer noch mehr damit hadern musste, dass seine Tochter erst mal keine Enkelsöhne vorstellen würde. Doch dann fiel ihm was ein: "Habt ihr nicht eben erwähnt, dass die Frau des Kindsvaters das von der sogenannten Friedensretterin ausgebrütete ... öhm, geborene Kind einfordern kann, um es als ihr eigenes großzuziehen?"

"Ja, das haben wir erwähntt", sagte Millie. "Die Entscheidung liegt bei mir, ob Béatrice das Kind an mich abgibt oder offiziell seine Mutter bleibt. Ende der Mitteilung." Albericus sah seine Tochter verdutzt an. Hippolyte nickte ihr nur zu, womit sie ihr zugestand, diese sehr schwere Entscheidung zu treffen. Dann sah sie ihre Schwester mit einer Mischung aus Hochachtung aber auch Bedauern an. Béatrice hielt diesem Blick stand.

"Um euch zu zeigen, dass wir uns wirklich geeinigt haben möchten wir euch die für euch bestimmten Kopien der Übereinkunft geben", sagte Millie und nahm die für ihre Mutter einbehaltene Kopie der Übereinkunft heraus. Julius tat es mit seiner Kopie für seine Mutter.

Die Eltern der beiden Eheleute lasen die von drei Beteiligten abgefassten Punkte durch. Hippolyte nickte ihrem Mann zu. Dieser durfte dann auch lesen. "Ich weiß nicht, ob ich meinem Mann das abverlangt hätte, mit Tante Diane oder Tante Cyn genauso lustvoll zu schlafen wie mit mir, damit sie den Empfängnisvorgang als ein schönes bis sehr glückliches Erlebnis in Erinnerung behält", sagte sie Millie zugewandt. Dann stand sie auf und ging ruhig zu Julius und Béatrice hinüber. "Dir ist ja klar, dass Trice jetzt erst recht keinen eigenen Zauberer an ihrer Seite haben wird, wenn rauskommt, dass sie von wem anderen ein Kind bekommen hat. Also hast du sie jetzt an der Backe, Bürschchen. Da sie immer noch meine kleine Schwester ist, auch wenn du sie jetzt doch vom Mädchen zur Frau gemacht hast, wag dich ja nicht, ihr weh zu tun. Sonst komm ich persönlich vorbei und wickel dich viermal um den längsten Besen, den ihr habt, falls mir nicht noch was gemeineres einfällt. Und mit meiner werten Frau Mutter werde ich auch noch mal reden, was der denn einfiel, euch so unbeaufsichtigt miteinander herumtoben zu lassen, ohne einzuschreiten."

"Vielleicht weil deine und meine Mutter wollte, dass ich auch mal so rund und füllig werde wie du, Hipp?" verkleidete Béatrice eine Behauptung als Frage.

"Da reden wir drüber, wenn du das Kleine aus dir rausgedrückt hast, kleine Schwester."

"O ja, das werden wir, überbehütsames Frauenzimmer", erwiderte Béatrice trotzig.

"Gut, ihr könnt meine Kopie wiederhaben", sagte Martha und gab Julius die Kopie der Übereinkunft zurück. "Aber wie wollt ihr es den beiden größeren Mädchen sagen, dass sie drei neue Geschwister kriegen, wo eines von ihrer Großtante und zwei von ihrer Maman geboren werden?"

"Das haben wir uns schon genau überlegt, Mum", sagte Julius. "Wir wollten aber erst euch drei informieren, weil ihr ja diejenigen seid, die uns damals erlaubt haben, zu heiraten, obwohl wir noch nicht volljährig waren."

"Da, du bist das in Schuld, dass deine kleine Schwester unverheiratet schwanger wurde, Hipp", feixte Albericus. "Wo möchtest du heute nacht schlafen, Kleiner?" fragte Hippolyte ihren Mann. "Öhm, ichziehe meine Aussage zurück", sagte Albericus. "Will ich dir auch geraten haben. Ich möchte nicht mit einer Wärmflasche kuscheln müssen, wenn es heute nacht kalt wird", sagte Hippolyte. Hera räusperte sich und sagte: "Gut, da wir nun die höchst pikante Angelegenheit eurer Tochter und eures Schwiegersohnes erörtert haben müssen wir nicht auch intime Details von euch erfahren. Es sei denn, ihr beauftragt mich, euer fünftes Kind auf die Welt zu holen." Bums! Das saß. Die zwei älteren Eheleute Latierre sahen perplex auf die residente Heilerin von Millemerveilles. Dann nickten sie einander zu.

"Ich hoffe, ihr könnt es euren schon geborenen Kindern so beibringen, dass sie nicht an euch verzweifeln müssen", sagte Martha. Béatrice und Julius nickten. Dann nickte auch Millie.

Zehn Minuten später waren Hippolyte und Albericus abgereist. Martha durfte ihre drei Kinder im Sonnenblumenschloss abholen, wo Ursuline auf sie aufgepasst hatte. Was die zwei unterschiedlich alten Hexen sich einander noch zu sagen hatten interessierte Millie, Béatrice und Julius nicht. Erst als Martha wieder zu den beiden Eheleuten und Béatrice zurückkehrte wurden sie aufmerksam.

"Noch einmal zu eurem Dreierabkommen, Millie und Julius. Ihr habt nur mich hergebeten. Ihr wolltet Lucky nichts davon erzählen?" fragte Martha.

"Nein, wollten wir nicht. Es sollte eine Angelegenheit der leiblichen Blutsverwandten sein", sagte Julius. Millie nickte bestätigend. "Gut, dass Millie zwei Kinder trägt habt ihr ja schon oft genug erwähnt. Wenn dann noch ein drittes dazukommt hat sich die Hebamme eben bei der Untersuchung verzählt."

"Hättest du Hera oder Madam Greensporn das auch ins Gesicht gesagt?" fragte Béatrice mit einem verwegenen Lächeln. "Um dann für den Rest meines Lebens neugeborene Kinder zählen zu dürfen? Bin ich wahnsinnig?" erwiderte Martha. Béatrice verneinte das entschieden.

So übernachtete Martha mit ihren drei Kindern im Apfelhaus, sehr zur Freude von Aurore und Chrysope. Am nächsten Tag reisten die vier Besucher aus Übersee wieder nach Hause.

"Tja, jetzt noch Rorie und Chrysie", seufzte Julius. Béatrice meinte dazu: "Ja, aber wie abgesprochen erst, wenn die Ungeborenen als kleine Menschenwesen zu erkennen sind, damit die zwei sie durch den Einblickspiegel ansehen können, ohne zu erschrecken."

__________

Am 30. Oktober erfuhren Millie, Béatrice und Julius Latierre von Claudine, dass Babette nicht zur Auswahl der zwölf Turnierteilnehmer gehören würde. Zwar hatte sie den DQ immer gut über 12 gehalten und sich auch im Deutschkurs gut reingekniet, aber im entscheidenden schriftlichen Test gerade mal den fünfzehnten von zwanzig Plätzen erreicht hatte, damit aber leider nicht unter die mitreiseberechtigten zwölf kam. Somit fuhren aus dem grünen Saal nur Armgard Munster und Patrice Roymont mit. Auch Mayette, die sich gar nicht erst auf einen zusätzlichen Sprachkurs einlassen wollte, blieb in Beauxbatons. Sie ärgerte sich nur darüber, dass es dort kein Quidditchturnier geben würde, weil acht Spielerinnen und Spieler aus den sechs Häusern zur Beauxbatons-Delegation gehörten und aus Solidarität mit Greifennest auch in Beauxbatons und Hogwarts kein Quidditchturnier stattfinden würde. Dafür durfte sie an Stelle der mitreisenden Laura Brelles, die bisher die goldene Brosche trug, als stellvertretende Saalsprecherin aushelfen und von Melanie Odin vertreten werden, die eine provisorische bronzene Brosche erhielt, die extra für solche Ausnahmelagen hergestellt worden war. Das kannte Julius bisher auch nicht, freute sich aber für Melanie, dass sie dadurch eine gewisse Anerkennung bekam, auch bei den Roten, zu denen sie auf Drängen ihrer Mutter ja eigentlich nicht hingewollt hatte.

Da Halloween in der französischen Zaubererwelt kein so beachteter Feiertag war wie die Walpurgisnacht beließen es die Eheleute Latierre dabei, mit ihren Kindern einen vollen Tag in bunten Kostümen herumzulaufen. Abends konnte Béatrice noch über das Armband von Julius mit ihrer australischen Kollegin Aurora Dawn sprechen und sich erzählen lassen, wie die Halloweennacht in Australien verlaufen war. Es hatte mal wieder einige Scherzbolde gegeben, die über das Ziel hinausgeschossen waren. Aber es hatte keine schwerwiegenden magischen Unfälle gegeben. Aurora fragte Béatrice einmal, warum sie einen so weiten, bunten Umhang trug. Béatrice grinste und meinte, dass sie für Aurore und Chrysie den Regenbogenvogel dargestellt habe. "Klar, weil meine beinahe Namensvetterin noch immer an den glaubt, Béatrice?" Die gefragte wiegte den Kopf und sagte: "Neh, ich glaube, jetzt können wir ihr die Geschichte nicht mehr so erzählen, wo Millie und Julius ihr schon bei Clarimonde erzählt haben, dass die bei ihrer Maman im Bauch gewartet hat, bis sie "gebort" werden durfte. Aurora lachte laut. Das rief Rosey auf den Plan. Die in ihrer eigenen, auf Aurora übergewechselten Tochter wiedergeborene Heather Springs war froh, mit wem zu sprechen, der und die wusste, wer sie war. Julius fragte sie, was sie zu ihrem zweiten Geburtstag haben wollte.

"Gäste, die mit mir wie mit einer vernünftigen Großen reden und nicht zu viele Normalokinder um mich herum. Ich merk doch jetzt echt, dass mit vollem Gedächtnis wieder aufzuwachsen anstrengender ist als zu lernen, Pipi ins Töpfchen zu pullern oder was den Löffel von der Gabel unterscheidet."

"Im Moment können wir nicht zu euch hin, weil ich wegen meiner Dienstplanänderung einiges mehr um die Ohren habe als vorher, wo ich auch noch in der Abteilung für magische Geschöpfe zu tun hatte. Außerdem bekommen wir ja nächstes Jahr wieder Nachwuchs. Millie trägt Zwillinge."

"Dann ist die ja wieder sehr glücklich", meinte Aurora. Julius nickte, Béatrice auch.

"Dann rufst du aber mit diesem genialen Armband durch, wenn sie hier die zwei Kerzen ausgeblasen hat", sagte Aurora. Julius bestätigte das.

Gerade als Millie und Julius sich von Béatrice zur Nacht verabschiedeten pingelte Millies Distantigeminuskasten. Das Gegenstück davon hatte Béatrices Cousin Gilbert mit nach Deutschland genommen. "Ui, der war aber schnell", sagte Millie, als sie mit zwei Pergamentblättern aus ihrem Arbeitszimmer kam. "Also, von Hogwarts geht eine gewisse Stella Boot aus dem Schulhaus Ravenclaw ins Rennen, von Greifennest ein Uriel Feuerkiesel aus dem Greifennest-Haus Sonnengold und aus Beauxbatons .... Laura Brelles aus dem kirschroten Saal von Beauxbatons!! Ha! Haben die Roten doch noch mal wen für dieses Turnier hingekriegt."

"Oh, und was sagt Professeur Faucon dazu?" fragte Julius.

"Sie wird von meinem Chef und derzeitig vor Ort befindlichen Reporter der Temps mit folgenden Worten zitiert: "Ich freue mich, dass mit Mademoiselle Brelles eine sehr enthusiastische, ausdauernde und vielseitig begabte junge Hexe die Ehre haben wird, die Beauxbatons-Akademie zu vertreten und in Gedenken an die großartigen Leistungen von Mademoiselle Hellersdorf von vor fünf Jahren eine würdige Wettkämpferin antreten wird. Natürlich ist mir bewusst, dass elf andere mitgereiste Schülerinnen und Schüler nun sehr enttäuscht darüber sind, nicht ausgewählt worden zu sein. Doch konnte ich diesen jungen Damen und Herren verbindlich zusichern, dass die Reise nicht vergebens ist und sie durch die Teilnahme am Unterricht in Greifennest eine hervorragende Grundlage für international ausgerichtete Berufe erwerben werden, und selbstverständlich auch, dass sie unsere Championette nach besten Kräften und bestem Wissen bei ihren Vorbereitungen und den drei großen Turnieraufgaben unterstützen dürfen.""

"Öhm, 'tschuldigung! Hast du eben den Namen Stella Boot genannt, Mildrid?" fragte die gemalte Ausgabe von Aurora Dawn, die neben der Vollporträtversion von Viviane Eauvive die Wand zierte. Millie prüfte das noch einmal nachund bestätigte es. "Oh, da wird sich die Schulkameradin meiner natürlichen Vorlage freuen, dass ihre Nichte als trimagische Championette antreten darf." Julius wollte dann natürlich wissen, wessen Nichte genau und erfuhr mit seinen erwachsenen Mitbewohnerinnen, dass Stella die zweitgeborene Tochter von Priscilla Boot geborene Woodlane war und somit die Nichte von Auroras in der Handelsabteilung tätigen Klassenkameradin Petula Woodlane. Julius fragte verschmitzt grinsend, ob der Tagesprophet ebenso schnell sein würde wie die Temps. Aurora erwähnte, dass die vom Tagespropheten wohl zwei Silberdosen benutzten, um wichtige Neuigkeiten möglichst schnell weiterzusprechen. "Aber wenn ich meiner Hogwarts-Version die Nachricht weitergebe haben die es noch vor dem Tagespropheten", erwiderte die gemalte Version von Aurora Dawn. Julius nickte. Er wusste auch, dass eine von drei Klonen dieser Bilderversion bei Auroras Schulfreundin Petula hing. So war es auch völlig klar, dass Auroras Bild-Ich ganz schnell aus dem Stammbild verschwand, um ihre dort befindliche Version auf den neusten Stand zu bringen.

"Ich reich das hier mal weiter. Vielleicht sind wir noch schneller als die schnelle Eule vom Mirroir Magique", sagte Millie und verließ trotz Béatrices strengen Blick das Apfelhaus, um die Druckerpresse mit den neuesten Nachrichten zu beschicken.

"Das wird sicher noch lustig, wenn die drei Aufgaben anstehen", grummelte Béatrice zu Julius. "Du meinst, weil sie dann noch spät abends losflitzen will, um die Neuigkeiten weiterzugeben?" fragte Julius. "Ja, und obwohl ich ihr wie mir untersagt habe, schnelle Besenflüge zu machen oder zu apparieren wird sie wohl gerne vergessen, dass sie zwei Kinder austrägt."

"Glaube es mir bitte, Trice, dass sie das garantiert nicht vergisst", sagte Julius.

Wie zu seiner Bestätigung kam Millie nach einer halben Stunde wieder zurück und schnaufte. "Ich habe die ganze Druckerei zusammenschrumpfen lassen und bei uns auf das Grundstück unter das schalldicht bezauberbare Zelt gestellt, dass wir von meinen Eltern zu deinem Geburtstag und unserem Hochzeitstag gekriegt haben. Ich hab's voll gemerkt, dass da im Moment zwei mehr in mir drinstecken, als ich mit zwei beinen oder einem Besen in der nötigen Geschwindigkeit bewegen kann. Also, falls du Bedenken hattest, Trice, dass ich wegen des trimagischen Turnieres die zwei neuen Prinzessinnen unterwegs verlieren könnte, das wird nicht passieren."

"Das hoffe ich sehr, weil die zwei außerhalb von deinem Bauch sicher noch schöner aussehen als so zusammengeknäuelt", sagte Béatrice. "Nur kein Neid, weil ich zwei im Unterbau habe", grummelte Millie. "Neid? Garantiert nicht", sagte Béatrice und legte sich selbst die Hand auf den leicht gewölbten Unterbauch. Dann grinsten sich die zwei Hexen einander an. "Die drei werden hier ordentlich ausgeliefert, wenn sie auch die nächsten hundert und mehr Jahre eigenständig atmen, essen und trinken können", sagte Millie und zwinkerte ihrem Mann zu. Der künftige Vater von drei auf zwei Mütter verteilten Kindern nickte nur und sagte besser nichts dazu.

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Es war der Abend des achten Novembers. Béatrice fand Julius nach seinem Arbeitstag in jenem Baumhaus, in dem er seine neuen elektronischen Nachrichtengeräte verstaut hatte. Offenbar gab es was, dass ihn dort sehr beanspruchte. Sie schnaufte ein wenig, weil ihr das Hochklettern an der Strickleiter doch ein wenig zugesetzt hatte. Dann fragte sie Julius, was ihn gerade davon abhielt, bei seiner Frau und seinen Kindern zu sein.

"Die Nichtmagier in den Staaten wählen heute ihren Präsidenten. Wenn George W. Bush noch mal drankommt könnte denen noch mal vier Jahre Krieg und Argwohn passieren", sagte Julius. "Und Buggles hat seinen Ausnahmezustand jetzt bis zum ersten Januar verlängert bekommen, schreibt meine Mutter ins Arkanet."

"Kannst du das für mich mal auf gewöhnlichem Papier oder Pergament hinschreiben lassen, was genau an dieser Präsidentenwahl in den Staaten so dranhängt und warum das für uns hier in Europa so wichtig ist?" fragte Béatrice. Julius fragte zurück, wieso sie sich dafür interessiere. "Weil es deine Mutter und dich offenbar sehr beschäftigt. Also ist es für die nichtmagischen Menschen da und hier sehr wichtig."

"Das ist aber eine Menge zu lesen, Trice", erwiderte Julius darauf. Béatrice nickte. Daraufhin stellte Julius aus allen ihm verfügbaren Quellen eine Abhandlung über das US-amerikanische Wahlrecht, den Wahlvorgang als solchen und die politischen Ereignisse der letzten vier Jahre zusammen. Als er eine kompakte Textdatei zusammengefügt hatte, wählte er die Funktion "Ausdrucken" und ließ mit seinem Laserdrucker all die Seiten auf Papier werfen. Dabei vergingen mindestens vierzig Minuten. Als Béatrice den dicken Stapel entgegennahm meinte sie: "So, und jetzt gehen wir drei wieder ins Haus zurück. Deine zwei Großen und die Kleine sollten nicht ohne ihr gewohntes Gutenachtritual ins Bett gelegt werden. Denke bitte daran, dass Millie jetzt wieder mehr mit ihrem eigenen Bauch zu tun hat!" Julius sah sie verkniffen an, holte Luft und atmete hörbar wieder aus. Offenbar hatte er was nicht ganz so freundliches erwidern wollen, es sich dann doch wieder überlegt. Er nickte seiner Schwiegertante und Trägerin seines vierten Kindes zustimmend zu, wählte die Funktion "Herunterfahren" auf seinem Rechner aus und schaltete auch das Satellitenmodem aus, über das er Kontakt zu diesem ominösen Internet halten konnte. Dann folgte er ihr die Strickleiter wieder hinunter zurück ins Apfelhaus.

"Du hast ihm gesagt, er soll bitte die beiden größeren Mädchen ins Bett bringen?" fragte Millie ihre Tante, als Julius hörbar mit Aurore im Badezimmer zu tun hatte.

"Du magst dich daran gewöhnt haben, dass dein Mann viel Zeit in diesem neuen Nachrichtenzimmer zubringt, Millie. Aber wenn er seine Verantwortung für euch und ja auch für mich und das Kleine in meinem Bauch ernstnimmt sollte er sich auch mehr mit uns befassen als mit Sachen, die weit weg von hier laufen, ohne dass er oder wir was daran drehen können."

"Was hat ihn denn so konkret im Baumhaus gehalten, Trice?" wollte Millie wissen. Béatrice präsentierte ihr zur Antwort das, was Julius ihr hatte ausdrucken lassen. "Ui, 'ne Menge Zeugs", meinte sie dazu. Béatrice nickte bestätigend. "Ja, haben Martha und Laurentine unabhängig voneinander von geredet, dass dieser Kriegstreiber noch einmal vier Jahre weitermachen könnte, wenn er die nötigen Wahlmännerstimmen kriegt. Ja, und Onkel Gilbert hat mir gedigekastelt, dass Buggles eine immer stricktere Abgrenzung zur nichtmagischen Welt durchziehen will. Kann sein, dass Martha das auch noch zu spüren kriegt."

"Was ist an den Vorwürfen von Atalanta Bullhorn, dass Buggles die Vorfälle selbst inszeniert, die seine Behauptung vom Ausnahmezustand stützen?" wollte Béatrice wissen.

"Das in den letzten drei Wochen überall in den Staaten marodierende Werwölfe außerhalb der Vollmondnächte gesichtet wurden, ja und dass es Hinweise geben soll, dass in New York und San Francisco ein Machtkampf zwischen nichtmagischen Verbrechergruppen stattfindet, bei dem auch Vampire mitmischen sollen", seufzte Millie. "Jedenfalls ist das für Buggles Wasser auf seine Mühlen. Die Richter kriegen jede Woche einen Bericht aus dem Ministerium und entscheiden dann, ob die Ausnahmeparagraphen weiterhin gelten oder nicht." Béatrice verstand. Dann sagte sie: "Falls er drüben Probleme kriegt sollte er zusehen, ins Château zurückzukommen, am besten mit seiner Frau und der kleinen Lydia Barbara." Millie nickte erst, schüttelte dann aber behutsam den Kopf und sagte: "Der fühlt sich in der Rolle des Katastrophenbeobachters ganz wohl, Trice. Da müsste deine Mutter ihn schon persönlich am Kragen packen und durch den Schrank ziehen, den sie und dein Bruder Otto ihm ins Haus gestellt haben."

"Oh, dann bekäme sie Krach mit ihm und wohl auch Tante Cynthia", meinte Béatrice. Millie schloss das nicht ganz aus.

Als Julius wieder in die Wohnküche zurückkam berichtete er: "So, Fräulein Heilerin, die zwei größeren Mädchen schlafen jetzt auch, ohne magisches Zutun." Dann fragte er noch leise: "Musste das eben echt sein?"

"Wie erwähnt, Millie und ja auch ich müssen uns jetzt mehr auf die Kinder konzentrieren, die wir erwarten. Ich weiß, du möchtest gerne weiter alles mitbekommen, was in der magielosen Welt vorgeht. Aber ich möchte dich sehr bitten, darüber nicht die drei Kinder zu vernachlässigen, die Millie und du schon hinbekommen habt. Außerdem hhast du den ganzen Tag im Ministerium gearbeitet und bist sicher sehr erschöpft. Da musst du dir nicht noch mehr Last aufladen", sagte Béatrice.

"Ich geb zu, dass du recht hast. Doch ich kann doch nicht nur so tun, als gebe es nur noch das Apfelhaus hier und sonst nichts mehr."

"Du wirst vielleicht lachen, Julius. Aber die meisten Hexen und Zauberer, auch die mit nichtmagischer Verwandtschaft, haben überhaupt kein Problem damit, sich nur auf die Arbeit und ihr eigenes Zuhause zu beschränken und dabei ganz glücklich zu werden", sprang Millie ihrer Tante und immer noch zuständigen Heilerin bei.

"Ja, das ist genau, was Brittanys Oma väterlicherseits uns vorwirft", sagte Julius. "Wo die es gerade nötig hatte, sowas zu sagen, Julius. Sie war doch nur wütend, weil ihre Schwiegertochter und ihre Enkelin über Jahre weg in einer ihr nicht zugänglichen Welt gelebt haben und dort auch weiterhin leben", sagte Millie darauf. "Mann, Monju, wir wollen dir doch nichts böses", knurrte sie dann noch. Julius setzte schon an, was abfälliges darauf zu erwidern, besann sich aber, weil ihn Béatrice und Millie ungehalten ansahen. So sagte er nur: "Okay, ich verstehe, drei Kinder auf der Welt und drei unterwegs zur Welt sind nicht leicht zu versorgen. Gut, ich werde mich außerhalb der Arbeitszeit nur noch auf Radiomeldungen aus der magielosen Welt beschränken. Du hast ja leider recht, Trice, dass wir hier in Frankreich nichts am Wahlausgang in den Staaten drehen können, ob das, was dabei rumkommt uns passt oder nicht. Ich denke halt auch an meine Mutter, die in diesem großen, mit vielen verschiedenen, teils heftig weit auseinanderliegenden Meinungen befassten Land wohnt. Das Recht gestehst du mir sicher zu, Trice." Die Angesprochene bejahte es.

Nachdem diese Spannung doch noch hatte abgebaut werden können sprachen sie noch über die nächsten Tage, wann genau sie Aurore und Chrysope das mit Trices kleinem Bauchturner erzählen wollten. Dann waren alle drei auch schon sehr müde.

In ihrem eigenen Zimmer verstaute Béatrice die von Julius ausgedruckten Unterlagen in ihrem Schreibtisch. Jetzt wollte sie nichts damit zu tun haben. Das in ihr wachsende Kind und sie brauchten genug Schlaf, um den nächsten Tag wohlbehalten durchstehen zu können.

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Béatrice trug seit Ende Oktober die eine Schwangerschaft verbergende Unterkleidung. So machte es ihr auch nichts aus, als sie am frühen Morgen mitteleuropäischer Zeit des 10. November zusammen mit Millie und Julius der "Kleinen" Rosey Dawn zum zweiten Geburtstag gratulierten und sich ein paar Minuten lang mit ihr unterhielten, wie das denn war, dass sie jetzt offiziell mit dem Löffel essen durfte. Julius fragte sie einmal, ob sie sich denn auch schon im Spiegel erkennen könne, worauf die in ihrer eigenen Tochter wiederverkörperte Heather Redrobe glockenhell lachte, dass die drei Erwachsenen schon bangten, die natürlich aufwachsenden Kinder könnten sie hören. "Ich konnte mich schon im Spiegel erkennen, als ich gerade zwei Monate auf der Welt war und meine duldsame Mutter mit mir auf dem Arm vor dem Badezimmerspiegel posiert hat. Aber einen Schminkspiegel will sie mir erst vor der Einschulung in Redrock geben."

"Och, dabei habe ich echt schon überlegt, ob ich unserer Kronprinzessin nicht schon zum sechsten Geburtstag einen kleinen, unzerbrechlichen Spiegel schenke", scherzte Millie. Rosey meinte darauf nur: "Ja, aber die, die mich dankbarerweise ausgetragen, geboren und über das erste Jahr mit eigener Milch ernährt hat meint, das wäre zu auffällig. Aber so Zöpfe wie sie hatte, als sie vier war werde ich mir ganz sicher nicht machen lassen."

"Zur Kenntnis genommen", sagte Aurora Dawn, die ja die magische Fernbildverbindung aufrechterhielt. Die Latierres wünschten dem besonderen Mutter-Tochter-Gespann noch einen schönen Tag, weil für sie ja jetzt erst die Nacht zum elften November kam.

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Laurentine freute sich wieder über die Geburtstagsgrüße aus dem Brickston-Haus und von ihren Freunden und Kollegen. Sie feierte den Nachmittag im Chapeau du Magicien in Millemerveilles mit Sandrine, der Jahrgangskameradin Béatrice, sowie Belisama, Céline und den Latierres zusammen. Besonders freute sie sich jedoch, als sie abends wieder im Haus der Brickstons war, dass Louiselle Beaumont ihren Kopf in ihren Kamin schickte und ihr gratulierte. "Und hast du viel schönes bekommen, Laurentine?" fragte die Verteidigungszauberexpertin. Laurentine zählte ihr auf, was sie alles dazubekommen hatte, vor allem das veilchenblaue, unbeschmutzbare Abendkleid mit den rauminhaltsbezauberten Taschen, in die sie wohl eine Menge Zeug packen konnte, für das sonst eine Reisetasche nötig wäre. "Diese Madame Arachne ist eine geniale Hexenschneiderin, Louiselle. In dem Kleid könnte ich sogar mit Zwillingen im achten Monat rumlaufen, ohne dass jemand das von außen sieht. Einige von den anderen Hexen in Millemerveilles haben sich auch so Kleider machen lassen."

"Oh, dann kriegt meine werte Tante ja nicht mehr mit, ob die von ihr betreuten Patientinnen noch schwanger sind oder nicht", scherzte Louiselles Kopf im Kamin. Laurentine grinste und meinte, dass die residente Hebammenhexe sicher was mit Madame Arachne ausgemacht hatte, dass sie ihre schwangeren Patientinnen trotzdem weiterhin gut überwachen kann. "Stimmt, das wird sie sicher getan haben", pflichtete Louiselle ihrer Einzelschülerin bei. Dann fragte sie, ob sie ihr morgen das Kleid einmal vorführen könne. Laurentine hatte nichts dagegen. Danach verabschiedete sich Louiselle. Ihr Kopf verschwand mit leisem Plopp aus dem Kamin.

Spät abends trällerte dann noch das Telefon. Am Apparat waren die Kenworthys aus New York, die Laurentine gratulierten und auch Grüße von den anderen Verwandten bestellten. "Meine Mutter weiß nicht, ob sie wieder mit dir reden will oder nicht", sagte Tante Suzanne. "Sie meinte zu uns, dass sie im Moment erst mal klarbekommen müsse, wie es mit ihr weitergeht. Offenbar ist was vorgefallen, was ihr zugesetzt hat. Aber sie will nicht oder besser noch nicht mit uns darüber reden."

"Sagen wir es so, Tante Suzanne. Mémé Monique hat meine Adresse, meine Telefonnummer, sogar meine E-Mail-Adresse. Wenn Sie mit mir reden möchte werde ich ihr zuhören. Nur werde ich nicht von dem abrücken, was ich damals am Tag nach ihrer Geburtstagsfeier erwähnt habe."

"So wie sie mir das gesagt hat macht sie dir auch im Moment keine weiteren Vorwürfe", sagte Suzanne Kenworthy. Dann übergab sie den Hörer an ihre Tochter Vicky.

"Hi Vicky, nah, hat George II. Graf Stimmenzahl endlich alle ihm genehmen Stimmen zusammengezählt, um noch mal vier Jahre drannzubleiben oder darf er doch schon aus dem weißen Haus ausziehen?" fragte Laurentine frei heraus.

"Komm, hör auf, Laurentine! Das ganze Wahlmännersystem gehört in die nächste Tonne gekloppt und in Beton eingegossen am tiefsten Punkt im Atlantik versenkt oder besser im Bermudadreieck verschwindibus gezaubert."

"Da stimme ich dir völlig zu", sagte Laurentine. "Aber bedenke bei dem ganzen Frust, den die Wahl euch allen bringt, es kann immer noch schlimmer kommen. Stellt euch mal vor, so selbstdarstellungssüchtige, selbstverliebte Typen wie Bill Gates, Steve Jobs oder Donald Trump wollen Präsident werden."

"Trump, der von "Der Auszubildende"? Ui, da malst du aber jetzt einen ganz großen, feuerroten Teufel an die Wand. Der könnte beim Bushwahlverein glatt raketenmäßig durchstarten. Aber wenn soeiner echt mal Präsident wird habe ich da besser schon einen Einwanderungsantrag für Kanada in der Schublade. Stell dir mal vor, der gibt 'ne Pressekonferenz, ein Reporter fragt ihm was, was dem nicht passt und der blafft den an: "Sie sind gefeuert."

"Stimmt, schon ziemlich gruselig", meinte Laurentine. "Dann doch lieber Georgie Porgie zwo, wenngleich das mit Guantanamo echt voll gegen alles internationale Recht ist", meinte sie noch. "Ja, nur dass im Moment keiner, auch John Kerry, nicht wirklich was dagegen machen will", sagte Vicky Kenworthy. Dann hörte Laurentine Vickys Schwester Hellen knurren. Es klapperte im Hörer, dann gratulierte Hellen ihrer Cousine im alten Europa zum Geburtstag. "ich weiß, du bist mit Vicky in vielen Sachen einig, aber im Moment brauchen wir in den Staaten echt Leute, die keine Angst vor heftigen Maßnahmen haben. Und was Guantanamo angeht, wer da sitzt war vorher in Afghanistan bei den Taliban. Und wer mit denen zusammen kämpft ist ein Freund von Al-Qaida. Dann haben die sich das eben selbst zuzuschreiben."

"Ich fang jetzt mit dir besser keine Grundsatzdebatte an, wie feige das ist, Kriegsgefangene auf einer Insel zu deponieren, die außerhalb des rechtlichen Raumes der USA liegt", sagte Laurentine und übertönte das verärgerte Knurren ihrer anderen Cousine mit dem Zusatz: "Aber wenn bei euch echt so viele Leute finden, dass alle von denen schuldig sind, dann bringt es mir hier in Frankreich nichts, euch drüben was anderes erklären zu wollen. Wenn dir das was bringt, mit denen ins selbe Horn zu stoßen hoffe ich, dass dir nicht eines Tages die Puste ausgeht, Hellen. Denk bitte daran, dass es eine Männergesellschaft ist, die Bushs Partei da bevorzugt, wo Frauen gerade mal zum hübsch aussehen da sind, ach ja, und um den hart am Weltgeschehen arbeitenden Männern die Last der Familienfürsorge von den Schultern zu nehmen. Mehr muss und will ich dazu nicht sagen, um mir nicht doch noch den Abend zu versauen." Im Hintergrund hörte sie Vicky verächtlich kichern. Hellen meinte dann nur noch: "Stimmt, du hast recht. Für euch im alten Europa ist das hier ja weit genug weg, um sich nicht weiter damit befassen zu müssen. Damit war diese für Laurentine unangenehme Debatte vorbei. Die Kenworthys wünschten ihr dann noch im Chor eine gute Nacht. Bei denen war es ja gerade fünf Uhr nachmittags.

"Das kann noch was geben, wenn das in vielen Familien so läuft wie bei Tante Sue und den zwei Schwestern", dachte Laurentine, als sie den Hörer wieder aufgelegt hatte.

__________

Es war der 21. November. Béatrice hatte mal wieder eine Menge unverdauten Mageninhalt in ihre besondere Spucktüte gewürgt. Da spürte sie etwas erst behutsam tastendes unter ihrer Bauchdecke. Dann wurde es ein unverkennbarer Stupser gegen ihre Blase. "Neh, komm, in die Hose machen muss ich wegen dir doch nicht, oder?" fragte sie mit einer Streichelbewegung über den Bauch. Da fühlte sie die nächste wie ein leichtes Kribbeln wirkende Bewegung. Ja, sie trug neues Leben in sich. Jetzt wusste sie das ganz genau. Ja, und jetzt würde sie es auch Aurore beibringen können, dass auch ihre liebe Tante ein neues Kind bekommen konnte.

Millie würde wohl noch vier Wochen warten müssen, bis auch sie sicher war, die ersten Bewegungen ihrer Zwillinge zu spüren. Obwohl sie hinter Béatrice zurücklag sah sie jedoch schon so aus wie im sechsten Monat. Das würde sicher noch sehr anstrengend.

Béatrice empfand erst eine unbändige Euphorie, weil sie jetzt wirklich wen lebendiges in sich fühlte. Doch dann war da die Angst, dass dem Kind was zustieß und sie das erst merkte, wenn es die Bewegungen nicht mehr fühlte. Außerdem war da die bange Frage, ob Millie ihr das Kind wegnehmen oder bei ihr lassen würde. Sicher, sie würde es ja jeden Tag sehen und wohl auch versorgen. Aber wenn das Kleine nicht Maman oder Ma zu ihr sagen durfte machte sie das sicher traurig. Aber diese Übereinkunft sagte, dass die Retterin des Ehefriedens nicht widersprechen durfte, wenn die Frau des Kindsvaters ihr Kind als das ihre einforderte. Ansonsten fühlte sie sich abgesehen von zwischenzeitlichen Problemen mit der Arm- und Beinbewegung sehr gut, wie sie es selbst ja von vielen anderen werdenden Müttern im zweiten Schwangerschaftsdrittel berichtet bekommen hatte.

Am 23. November konnte Hera eine wichtige Ankündigung machen. Sie hatte Millie und Béatrice gerade mit dem Einblickspiegel untersucht. Nun wusste sie das, was beide wissen wollten. "Béatrice, ich bin froh, dir mitteilen zu dürfen, dass sich dein körperlicher Einsatz für die beiden lohnt. Ich konnte unzweifelhaft ein Zipfelchen zwischen den Beinen deines Kindes sehen. Bei Millie ist es nun offiziell, dass sie zwei Schwestern heranträgt. Ihr dürft euch gerne gegenseitig ansehen, wen ihr da unter euren Herzen tragt", sagte Hera.

So konnte Béatrice die kleinen aneinandergekuschelten Winzmädchen sehen, die sich Millies Gebärmutter schwesterlich teilten. In Anbetracht, dass sie im ersten Halbjahr so viele Drillinge und Vierlinge in ihren Müttern hatte wachsen sehen können erschien es fast schon Luxus zu sein, was Mildrid ihren Kindern an Platz bot. Zu gerne hätte sie auch ihren kleinen Untermieter angesehen. Doch an Millies und vor allem Julius' Gesicht konnte sie ablesen, dass er sie beeindruckte. "Schon ein merkwürdiges Gefühl, in den Bauch einer Tante reinzusehen und das Kind darin als mein eigenes zu erkennen", sagte Julius. Millie meinte nur: "der Kleine hat sicher mehr Platz als die zwei Ballettprinzessinnen in meiner warmen kleinen Hexenstube." "Camille konnte sogar vier sicher unterbringen", meinte Julius dazu. "Nicht freiwillig, so wie wir zwei Süßen, Süßer", sagte Millie. Sie wirkte ein wenig nachdenklich. Béatrice dachte, ja hoffte, dass ihr nun klar war, dass Béatrice genauso ein neues Menschenwesen in sich trug wie sie, nicht einfach nur dicker und runder wurde wie ein Ballon, der ganz langsam aufgepustet wird. Denn jetzt, wo sie wusste, dass sie Julius' Sohn trug dachte sie noch mehr daran, dass Millie ihn ihr gleich nach der Geburt wegnehmen konnte, noch bevor der ihn nährende Mutterkuchen aus ihr freigesetzt war.

"Gut, dann holen wir die zwei größeren rein, damit die sich die drei neuen mal kurz angucken", sagte Julius. Hera fragte, ob Chrysope es wirklich schon sehen sollte, wie ungeborene Kinder aussahen. Millie meinte: "Wenn wir es Rorie zeigen erzählt die es Chrysie und reibt es ihr immer und immer wieder unter die Nase, dass sie noch zu klein sei, sowas zu sehen. Also beide oder keine von beiden." Julius nickte.

Als Hera mit Flohpulver durch den Kamin verschwunden war rief Millie Aurore und Chrysope in die Küche hoch.

Aurore und ihre jüngere Schwester wuselten die Wendeltreppe so schnell hoch, dass Béatrice schon beim zugucken ihr Frühstück ausgewürgt hätte. Chrysie krabbelte noch eher als zu laufen, während Aurore ganz gezielte schnelle Schritte machte.

Millie erzählte Aurore, dass sie zwei neue Schwesterchen von ihr in ihrem Bauch wohnen hatte. Dann sah sie ihre Tante an und sagte: "Und Tante Trice hat auch wen neues bei sich im Bauch wohnen. Weil die aber keinen hat wie ich den Papa, haben dein Papa und ich gedacht, dass Tante Trice auch mit dem kleinen hier wohnen kann."

"Schon wieder ein Baby?" grummelte Aurore. Millie und Julius sahen sich vielsagend an, während Aurore Béatrice ansah und jetzt wohl begriff, dass die echt ein Baby im Bauch haben konnte, weil sie etwas rundlicher und üppiger aussah. Zur Bestätigung legte sich Béatrice die Hand auf den Bauch und sagte: "Ja, ich habe auch einen kleinen Bauchturner wie deine Maman. Darf ich und der dann auch hier wohnen, wenn noch genug Betten und Zimmer da sind?"

"Ist da echt wer in dir drin, Tante Trice. Aber du hast doch keinen großen Zauberer bei dir", sagte Aurore. Millie holte einen Einblickspiegel hervor und hielt ihn erst vor ihren Unterbauch. Aurore trat näher und schrak erst zurück: "Maman hat ein Loch im Bauch. Da sind zwei kleine Leute drin, die stupsen und drücken sich", quiekte Aurore. Deshalb wollte es auch Chrysope sehen. "Ah, Maman hat Loch im Bauch. Angst!"

"Du brauchst keine Angst zu haben. Der Spiegel macht nur, dass jemand in mich reingucken kann. Ich bin nicht aufgeschnitten worden", sagte Millie. Dann stellte sich Béatrice zur Anschauung bereit. Aurore sah und staunte. "Nur einer, aber schon gut groß. Ups, was is'n das? da zwischen den dünnen Beinchen."

"Meinst du die Nabelschnur oder das Pipimännchen?" fragte Béatrice. Aurore legte sich dann auf das Zipfelchen zwischen den Beinen des kleinen Jungen fest.

"Wie heißen die kleinen Bauchmädchen denn?" wollte Aurore wissen. Julius antwortete: "Das müssen Maman und ich noch herauskriegen. Du weißt ja, ein Name ist was für die ganze Zeit, die du da bist." Aurore nickte. Sowas hatte ihr Papa ja wohl schon mal erklärt, warum sie Aurore hieß. dann sagte Millie: "Wenn es der Tante Trice zu viel wird gibt sie mir den kleinen Jungen sicher ab."

"Wie ab?" fragte Aurore. Millie erzählte ihr dann, dass eine Hexe das Baby von einer anderen in ihrem Haus wohnen lassen und seine Maman sein konnte.

"Aber wenn das Baby in Tante Trice drin ist und aus der rauskommt dann ist die doch seine Maman", sagte Aurore. Millie erstarrte. Kleine Tränen drangen aus ihren Rehbraunen Augen und rannen ihr langsam über die Wangen. Julius sagte: "Deine Maman meinte das auch so, dass der Kleine dann zu ihr Maman sagen kann, wenn sie und Tante Trice das wollen, dass der kleine Junge von Maman und mir großgefüttert wird."

"Neh, Maman hat gesagt: Wenn eine Hexe ein Baby im Bauch hat, ist sie dem seine Maman", entgegnete Aurore mit einem einfachen und doch so dreinschlagenden Satz. Millie und Béatrice sahen einander an. Julius war ganz still. Dieser einfache Satz Aurores schlug so tief ein, dass die beiden Hexen erst einmal gar nichts sagen konnten. Dann sagte Millie: "Da hast du wohl recht, Aurore." Über ihre Wangen rannen die Tränen in größeren Tropfen. Sie musste sich die Augen wischen. Aurore fragte, ob Maman Aua hatte. "ich finde es nur schön, dass du so viel verstehst", sagte Millie mit einem dicken Kloß im Hals. Béatrice merkte auch, wie ihr die Tränen kamen. Aurore hatte mit dem einfachen Satz alles bisherige umgestoßen und doch alles geklärt. Doch wenn Millie auf den Teil der Übereinkunft bestand, dass sie die Mutter von Julius' Kind sein wollte, was dann?

"Also, ihr habt nichts dagegen, dass Tante Trice bei uns wohnt und wenn der Kleine da in ihrem Bauch aus ihr herauskommt, darf der auch bei uns wohnen?" fragte Julius. Aurore sah Trice an und ließ sich noch mal mit dem Einblickspiegel zeigen, wie das Baby aussah. "War ich auch mal so da drin?" fragte sie ihre Mutter. Diese nickte. "Wenn die Tante Trice auch für immer bei uns wohnt und dem Baby Nuckelmilch gibt darf der hier mit seiner Maman wohnen."

Millie kämpfte nun mit einer Tränenflut. Béatrice kapierte, was in ihr vorging. Eine gewisse Hoffnung glühte auf, dass sie das in ihr heranwachsende Kind, Julius' Sohn, behalten dürfe. Doch Millie musste das entscheiden, nur sie allein, weil sie die Ehefrau war, die die bestimmte Bedingung nicht erfüllt hatte.

"Aber wenn die Babys da bei euch drin wohnen, müssen die dann rausgeschnitten werden wie Männchen aus Pergamentschmipseln? Oder wie geht das. Eure Pullerdöschen sind doch kleiner. Da passt doch kein Baby durch." Jetzt blickten sich alle drei erwachsenen Latierres an. Dann rang sich Millie trotz der Tränen eine Antwort ab. Sie sagte: "Weil die zwei neuen zu uns kommen, wenn es schon wieder neue Blumen gibt sage ich jetzt ganz klar, dass du zusehen darfst, wenn sie aus meinem runden Bauch wieder raus wollen. Aber nicht rumschreien oder angeekelt weglaufen", brachte Millie gerade noch mit fester Stimme hervor, bevor sie sich wieder über die Augen wischen musste. Ein vielfaches Kopfnicken war die Antwort.

"Dann bedanke ich mich, dass du Tante Trice und dem Kleinen erlaubst, hier zu wohnen", sagte Julius seiner ältesten Tochter.

"Wie wollt ihr zu dem Jungen von Tante Trice sagen, wenn der Geboren ist?" fragte Aurore. Béatrice sah Julius an, der nickte und sagte: "Der heißt dann Félix Richard Roland, wenn Tante Trice sagt, dass sie das so will."

"Danke, Julius", schniefte nun Béatrice, während Millie schwerfällig nickte. Dann sagte Julius: "Ich denke, wir haben dich alles gefragt und dir alles gesagt und gezeigt und Chrysope auch. Ihr dürft wieder raus und spielen." Die letzten Worte waren unzweifelhaft streng, knapp an der Grenze zum harschen Befehlston. Aurore und Chrysope murrten nicht einmal, sondern wuselten auf ihre erprobten Weisen wieder die Wendeltreppe hinunter. Als die drei Erwachsenen im Apfelhaus sahen, dass sie auf dem kleinen Spielplatz waren meinte Julius: "Wennich mit vier nicht auch schon so gründlich aufgeklärt worden wäre müsste ich jetzt fragen, wozu das gut ist, dass Aurore schon so viel fragt oder ahnt. Aber das eben war ziemlich heftig, einfach aber heftig." Millie nickte nur schwerfällig. Dann sagte sie: "Dann ist das jetzt auch geklärt. Fehlt nur noch Blanche Faucon." Julius wiederholte, was Hera erwähnt hatte. "Trotzdem wird die fragen, wie da drei Kinder ankommen konnten, wo ganz offiziell nur zwei angekündigt waren. Aber das klären wir, wenn es soweit ist." Julius und Béatrice stimmten ihr da vollkommen zu.

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Während Melanie Thornton das Weihnachtslied von einem wundervollen Traum von Liebe und Frieden für jedermann sang und dazu die üblichen Weihnachtsliedglöckchen bimmelten dekorierte Laurentine ihre Wohnung für die Advents- und Weihnachtszeit. Louiselle hatte ihr für diesen Abend freigegeben, wenn sie dafür am nächsten Tag mehr über die westlichen Weihnachtsbräuche erfahren würde. Hierfür hatte Laurentine sogar eine spielzeuggroße Version eines Coca-Cola-Trucks beschafft und das gerade laufende Lied aus dem Gedächtnis in ein kleines Musikfass kopiert. Diese Dinger waren echt genial, dachte sie. Doch mit gewisser Wehmut musste sie auch daran denken, dass im Namen dieser schon sehr amerikanisiert verkitschten Weihnachtstour vor drei Jahren ihr Großvater Henri gestorben war, weil er unbedingt mit den tourenden Popstars zusammen was aushecken wollte, wo sie nach der Weihnachtstour auftreten sollten.

"Kommst du bitte runter zu uns, Laurentine. Claudine und ich möchten nicht, dass du da oben alleine bist", hörte Laurentine Catherines Gedankenstimme in sich, als es gerade sieben Uhr war. Das klang schon fast wie ein Befehl, dachte sie. Aber Catherine hatte es nicht nötig, Claudine vorzuschieben, um ihr was abzuverlangen. So schickte sie zurück: "Gut, ich komme runter. Besser ist das wohl, wo wieder dieser Tag im Jahr ist."

"Genau das finde ich auch", erwiderte Catherine ohne Umweg über Laurentines Ohren.

Sie aßen zusammen zu abend. Joe war gerade gut gelaunt, weil er wohl von seinem neuen Arbeitgeber erfahren hatte, dass er ab nächsten Januar zwanzig Prozent mehr Geld verdienen würde. "Ich überlege schon, ob wir über Weihnachten nach England rüberfliegen und mit meinen Eltern feiern", sagte er noch. Darauf meinte Catherine: "Lade sie doch zu uns ein. Ich kann Jennifer und James am Flughafen abholen. Jetzt gerade, wo Maman in Deutschland ist möchte ich mir zumindest die Möglichkeit freihalten, dass sie ihren Enkeln über den Kamin frohe Weihnachten wünscht." Das brachte Joe erst zum nachdenken. Dann sagte er: "Stimmt, sie hat ja auch ein Anrecht, ihren Enkeln frohe Feiertage zu wünschen. Aber wo sollen meine Eltern schlafen, wo das ehemalige Gästezimmer jetzt Justins Reich ist."

"Das ist ja wirklich kein Ding, Joe. Justin kommt wieder zu uns ins Schlafzimmer, die Babysachen kann ich bis zur Abreise deiner Eltern auch bei uns unterkriegen und das große Gästebett wieder aufbauen."

"Kommt Babette über Weihnachten rüber?" fragte Laurentine. "Sie hat noch damit ringen müssen, ob sie mit Jacqueline in Beauxbatons bleibt. Aber da alle, die ihr wichtig sind Einladungen bekommen haben kommt sie auch nach Hause. "Ist sie immer noch verschnupft, weil sie nicht mit zum Trimagischen konnte?" fragte Laurentine. "Nein, das ist überstanden, Laurentine. Sie hat es begriffen, dass es nicht mal eben in zwei Monaten möglich ist, eine Fremdsprache bis zur nötigen Lernstufe zu können. Und jetzt, wo nicht Armgard, sondern Laura Brelles die Championette geworden ist muss sie auch nicht aus Solidarität mit ihr in Beauxbatons bleiben, hat sie geschrieben."

"Oh, dann haben wir ja ein volles Haus hier", sagte Laurentine. Joe meinte dazu: "Das kannst du wohl sagen, Laurentine."

"Dann finde ich das um so bedeutsamer, dasss ihr mich auch dabeihaben wollt", sagte Laurentine. Catherine und Claudine nickten. Joe schwieg. Vielleicht bereute er es auch schon, auf Catherines Vorschlag eingegangen zu sein.

Mit mehr oder weniger belanglosen Gesprächen vertrieben sich die Brickstons und Laurentine die Zeit bis zehn Uhr. Claudine wurde zwischendurch zu Bett gebracht, weil ja morgen wieder Schule war. Weil Joe noch was am Rechner erledigen wollte waren die zwei Hexen im Wohnzimmer alleine. Deshalb nahm Laurentine die Einladung Catherines an, mit ihr im dauerklangkerkerbezauberten Arbeitszimmer weiterzusprechen. Laurentine kapierte, dass ihre Wohnungsnachbarin und Vermieterin in einer Person die bewusste Tagesstunde überbrücken wollte, zu der Laurentine vor drei Jahren vom Tod ihres Großvaters erfahren hatte. Letztes Jahr hatte sie um diese Uhrzeit mit ihrer Großmutter Monique telefoniert, um sich gegenseitig Trost zu geben. Doch in diesem Jahr war das sicher nicht zu erwarten. Doch sie ging darauf ein, wen zum reden zu haben, auch über die nicht ganz kindgerechten Einzelheiten aus ihrem Besuch im Spätfrühling. Laurentine erwähnte, dass sie nicht die reuige Sünderin geben wollte, nur weil sie sich von der römisch-katholischen Kirche losgesagt hatte und das mit ihren Eltern auch nicht mehr reparieren konnte. Catherine meinte dazu, dass sie das auch nicht von ihr verlangen würde. Ihr sei es nur wichtig, dass Laurentine wisse, dass sie nicht allein sei. Aber vor allem sei es ihr wichtig, dass Laurentine sich nicht von irgendwelchen unlauteren Absichten einer Ladonna Montefiori oder einer schwarzen Spinne verleiten lasse, Sachen zu tun, die auch gegen ihre eigene Überzeugung seien. "ich sage es dir im vollen Vertrauen, dass es hier in diesem gesicherten Raum bleibt, Laurentine: Die Liga gegen dunkle Künste fängt an, vor allem Hexen zu überwachen, die sich durch besondere Kräfte oder Eigenschaften hervorgetan haben. Das mit Italien hat doch sehr viele kalt erwischt, obwohl nicht nur ich früh genug vor Ladonnas Rückkehr gewarnt habe. Wir müssen sehr aufpassen, uns nicht in einen unerträglichen Verfolgungswahn hineinzusteigern. Doch in der Liga sind einige, die sich bestätigt fühlen, dass Hexen eher der dunklen Seite verfallen können als Zauberer, obwohl wir in den letzten Jahren das genaue Gegenteil mitbekommen mussten. Ich gehe zwar davon aus, dass du hier in unserem Haus unangetastet bleibst und weil du hier und in Millemerveilles ein- und ausgehen kannst noch keine Nachstellungen zu befürchten hast. Doch sollten meine werten Ligakollegen mitbekommen, dass du dich Louiselle Beaumont anvertraut hast, die zwar auch in der Liga ist aber von einigen vor allem Herren dort argwöhnisch beäugt wird, könnnten die auf die Idee kommen, dir einen oder zwei Überwacher auf den Hals zu schicken, wenn du aus dem Haus gehst und nicht in Millemerveilles bist. Du hast es mir nicht erzählt, aber mitgekriegt habe ich schon, dass du noch weitere Einzelstunden bei Louiselle nimmst. Kriegt es beide bitte hin, dass nur wir drei und Hera Matine das wissen, egal, was dabei herumkommt!"

"Das ist ganz in meinem Sinne", sagte Laurentine unverzüglich. "Aber sind die bei euch in der Liga echt schon derartig auf Alarmstufe Rot?" fragte Laurentine noch. "Öhm, noch ist es Alarmstufe Gelb, Laurentine. Aber das Gelb wird immer oranger. Ich weiß auch nicht, wie meine Mutter das fände, wenn sie erführe, dass du dich mit einer Expertin für wirklich heftige Kampfzauber eingelassen hast. Sie ist da doch weniger tolerant als ich, die weiß, dass Hexen auch mal graue Pfade beschreiten müssen, um nicht abzurutschen."

"Also, Louiselle und ich werden es in keine Zeitung setzen, dass wir weiterhin Übungseinheiten machen", sagte Laurentine. "Aber danke, dass du mir das mit den angespannten Leuten bei euch in der Liga erzählt hast. Nicht, dass ich mich mit einen von denen aus Versehen herumschlage, weil der mir hinterherläuft."

"Falls du den oder die überhaupt mitbekommst. Die meisten von uns können sich sehr gut unsichtbar machen."

"Dann gehen immer noch Homenum Revelius und Vivideo", sagte Laurentine. Catherine verzog ihr Gesicht, wiegte den kopf und nickte dann. Laurentine hatte jetzt damit gerechnet, dass Catherine ihr da widersprechen mochte. Doch wohl gerade soeben noch war Catherine eingefallen, dass sie ihr wohl besser nicht verriet, dass die Lebenskraftaura eines Zauberkundigen auch abgedunkelt werden konnte. So sagte sie nur: "Wie erwähnt ist das im Moment noch eine angespannte Stimmung und kein konkretes Vorgehen gegen dich. Aber passt weiterhin gut auf, dass es keiner außer den schon eingeweihten mitbekommt!" Laurentine versprach es, auch schon aus eigenem Interesse. Dann durfte sie wieder in ihre eigene Wohnung zurückkehren.

Sie blickte auf ihren Anrufbeantworter. Doch der zeigte keine gespeicherten Nachrichten. Wie konnte sie auch denken, dass ihre Großmutter so einfach von einmal gefassten Ansichten abrücken würde? Vielleicht saß die gerade in dieser Gedächtnispyramide und trauerte im stillen um ihren Mann Henri Lacroise. Laurentine fand, dass sie deshalb jetzt den Abend beenden und schlafen gehen sollte. Sie drehte die Lautstärke für Telefon und AB auf 0 herunter, weil es doch schon ein paar mal passiert war, dass irgendwelche Leute sie mitten in der Nacht angerufen hatten, weil sie sich verwählt hatten oder austesten wollten, wie sie eine alleinstehende Frau ärgern konnten. Sie ging ins Badezimmer und machte sich bettfertig. Gegen halb zwölf lag sie in ihrem Bett. Sie dachte wieder an Louiselle Beaumont. Wieder fühlte sie eine Mischung aus Hingezogenheit und Drang, ihr nicht zu nahe zu kommen. Gut, morgen würden sie über westliche Weihnachtsbräuche sprechen, da mussten sie sich nicht für ausziehen wie bei den Duellierübungen, wo sie nichts am Körper tragen sollten außer ihren Zauberstäben.

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Am Morgen des 25. Novembers machten beide französischen Zaubererzeitungen mit dem Artikel über die erste Runde des trimagischen Turnieres auf. Der Mirroir Magique titelte "Beauxbatonschampionette bezwingt böse Bande". Die Temps titelte "Laura Brelles, Schrecken der Elementarbanditen". Beide berichteten in jeweils eigenem Stil von einem Parcours aus mehreren Gebäuden, in denen jeweils etwas aus den vier Elementen zu finden war. Natürlich wurden die zu findenden Gegenstände von entsprechenden Elementarwesen bewacht. Auch wenn es ähnlich der zweiten Runde des trimagischen Turnieres in Beauxbatons sein mochte galt hier doch der Schwierigkeitsgrad, dass zum einen eine Vielzahl von zu überwindenden Gegnern aufgeboten wurde und um an den jeweiligen Gegenstand zu kommen nicht nur zauberisches Können wichtig war, sondern auch die Fähigkeit, den eigenen Körper zu beherrschen und Rätsel zu lösen. Hier erwiesen sich Uriel Feuerkiesel und Stella Boot als besonders wendige Mitstreiter. Doch Laura hatte offenbar wie Julius vor Beauxbatons sowohl eine ordentliche Tanzausbildung bekommen, als auch eine umfassende Turn- oder Kampfsportausbildung gehabt und konnte sich fast ohne Zauber durch einen Haufen grabschlustiger Grindelohs hindurchwursteln, vier russische Feuerfeen so verwirren, dass diese sich gegenseitig beharkten, sechs über je einem Topf mit einem goldenen Gegenstand hockenden Niffler mit etwas ablenken, dass diese im Moment für noch interessanter hielten als die Metallgegenstände und sich im wilden Besenflugduell mit einem Schwarm Wichteln durchsetzen, die einen über einem festen Punkt schwebenden Ballon bewachten, an dem acht Teile zum Elementarbereich Luft hingen. Wer die alle eingesammelt hatte befreite den Ballon aus der Ortsbeharrung, und er stieg für alle weithin hellgrün leuchtend in den freien Himmel hinauf.

"So haben die für Feuer vier, für Wasser zwanzig, für Erde sechs und für die Luft acht Einzelteile zusammenkriegen müssen", meinte Millie und las, dass die Zahl der zu erlangenden Gegenstände der Flächenzahl der dem jeweiligen Element zugewiesenen Körper entsprach, wie sie ein altgriechischer Philosoph namens Platon bestimmt hatte. Julius erwähnte dazu, dass Platon auch der erste war, der vom versunkenen Land Atlantis berichtet hatte. Die meisten glaubten, dass er sich die Geschichte ausgedacht habe, um seine Ansicht von einem vollkommenen Staat zu beschreiben. Ob der Schüler von Sokrates, der wusste, dass er nichts wusste, nicht doch noch vom echten alten Reich erfahren hatte blieb auch unter den heute lebenden Zaubereigeschichtskundigen umstritten.

"Ja, und jetzt müssen sie erraten, wie genau die eroberten Einzelteile zusammengefügt werden müssen, um die Hilfsmittel für Runde zwei zu erhalten", bemerkte Béatrice, die sich beide Artikel hatte vorlesen lassen. Millie und Julius bejahten es. Millie vermutete, dass hier wieder Schlüssel gefunden oder zusammengesetzt werden sollten, mit denen bestimmte Türen oder Tore geöffnet werden sollten. Sowas kannten sie ja schon von Beauxbatons, und Julius kannte es ja auch von Hogwarts, wo die Champions aus einem Gelege von Dracheneiern ein goldenes Ei herausholen mussten, um zu erfahren, dass die zweite Runde im schwarzen See von Hogwarts entschieden werden musste.

"Tja, dann ist Laura wegen der schnellsten Zeit und der wenigsten Fehler beim Zaubern die Rundensiegerin vor Uriel Feuerkiesel. Die Nichte von Auroras Schulkameradin kam gerade so durch alle vier Einzelabteilungen. Ob der alte Trinkbecher da echt die richtige für Hogwarts ausgeworfen hat?" fragte Millie. Julius wies sie darauf hin, dass viele Laurentine am Anfang auch nicht zugetraut hatten, dass sie das Turnier gewinnen würde.

"Tja, dann wird sich wohl am 24. Februar zeigen, wer die besten Aussichten hat", meinte Béatrice dazu. Dem pflichteten die beiden Hauseigentümer bei.

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Nun wo Aurore und Chrysope wussten, dass auch ihre nette Heilerinnentante eine Maman sein würde konnte Béatrice ganz entspannt im Haus herumlaufen und sich mit Millie einen Wettstreit um die schnellsten Gefühlswechsel und die abgedrehtesten Essensvorlieben liefern. Doch bis zu Alains erstem Geburtstag mussten sie sich wieder zusammenraufen.

Als sie dann am 12. Dezember bei den Latierres im Honigwabenhaus saßen und mit nichtalkoholischen Getränken auf die neuen Kinder anstießen war auch Martine dabei. Auch sie sah schon sichtlich gerundet aus. Sie rechnete am 12. bis 16. Februar mit ihren beiden neuen Kindern. Es war also immer noch neues Leben unterwegs. Das mochte zuversichtlich stimmen oder die Besorgnis nähren, ob diese ganzen neuen Kinder eine glückliche, friedliche und sichere Zukunft haben mochten oder nicht? Doch heute, wo ein kleiner Junge mit zwölf Fingern an den Händen die erste von hoffentlich gaaanz vielen Geburtstagskerzen ausgepustet hatte, wollte niemand an eine düstere Zukunft denken.

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"Grandma Monique ist aus der Kirche ausgetreten, Laurentine. Das hat mir Tessie Willes aus einem Internetcafé heraus geschrieben. Das hängt wohl damit zusammen, dass hier in allen überregionalen Zeitungen stand, dass Padre Rojas in der Krypta seiner Kirche ein Drogenlager versteckt hat, angeblich, um die Stoffe des Teufels vor den leicht zu versuchenden zu verbergen. Aber so richtig will dem das wohl keiner glauben, zumal einige besonders schlaue Zeitungsschreiber herausgefunden haben wollen, dass er Kontakte zu einem mexikanischen Drogenkartell haben soll. Grandma Monique meinte Tessie gegenüber, dass alle die doch recht hatten, die ihr vorgehalten hatten, was für ein heuchlerischer Laden diese Kirche doch sei. Aber bevor sie die reuige Sünderin gebe und sich bei allen entschuldigen wolle müsse sie erst einmal selbst herausfinden, woran sie noch glauben dürfe und woran nicht", berichtete Vicky Kenworthy ihrer Cousine Laurentine bei einem Telefongespräch am 13. Dezember um elf Uhr abends mitteleuropäischer Ortszeit. "Ach ja, und dann habe ich über zwanzig Ping-Pong-Stellen, dass Onkel Simon und Tante Renée, also deine Eltern, ab dem 10. Dezember bis zum 10. Januar auf einer kleinen Insel irgendwo im indischen Ozean ihren zweiten oder dritten Honigmond verbringen werden, nur für den Fall, dass du denen fröhliche Weihnachten wünschen möchtest. Die haben ihren Hausangestellten nur gesagt, dass sie möglichst weit von der Zivilisation fort wollen, damit irgendwelche "sie" sie nicht finden, vielleicht die von Ariane Space."

"Oha, Vater macht Urlaub? Der ist doch sonst das geborene Arbeitstier", erwiderte Laurentine, um zu überspielen, wie heftig sie diese Nachricht betraf. Ihre Eltern glaubten offenbar immer noch, die Zaubererwelt sei hinter ihnen her oder überwache sie. Dabei hatten die Ministeriumsleute überhaupt keinen Grund mehr dazu, und sie selbst hatte ja zugestimmt, mit ihren Eltern keinen Kontakt mehr zu haben. So sagte sie noch: "Der indische Ozean ist groß, von der Ostküste Afrikas über Indiens Südküste, Thailand, Indonesien, Srilanka, Singapur, bis zur australischen Westküste. Da können die sich gut verstecken, vor wem auch immer.

"Wie gesagt, nur für den Fall, dass du dir Sorgen machen solltest, wenn sie an Weihnachten nicht erreicht werden können. Die schalten sicher alle Mobiltelefone aus, wenn die da sind, wo sie hin wollen."

"Garantiert schon unterwegs. Denn was bringt es, nicht gefunden werden zu wollen, aber eine unverkennbare Spur von Einbuchungsdaten zu legen", sagte Laurentine. Vicky bejahte das.

"Öhm, bist du denn Weihnachten zu Hause?" fragte Vicky noch. "Ich bin am Weihnachtstag selbst zu einem Fest eingeladen. Aber mein Anrufbeantworter wacht über meinen Festnetzanschluss", erwiderte Laurentine. "Okay, dann können Mom, Hellen und ich dich dann wohl anrufen, wenn auch bei uns der 25. Dezember ist. Ihr seit uns ja immer sechs Stunden voraus. "Okay, ruft mich dann besser so um drei Uhr nachmittags mitteleuropäischer Zeit an, also wenn es bei euch neun Uhr morgens ist. Dann werde ich wohl noch direkt erreichbar sein", sagte Laurentine. Vicky bestätigte es. Dann sprachen sie noch über die Tage zwischen dem 24. November und heute. Vielleicht kam ihre gemeinsame Großmutter ja doch noch darauf, bei den Verstoßenen anzurufen, um wieder mit ihnen in Kontakt zu kommen, wenn sie wusste, wie sie das anstellen konnte, ohne als geläuterte Sünderin rüberzukommen.

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Jetzt spürte Béatrice es auch in den Beinen und den Armen immer mehr. An die Bewegungen des nun als Fötus bezeichneten Félix Richard Roland - wie schön, dass er einen Namen hatte - war sie nun gewöhnt. Ja, die Erhabenheit, neues Leben zu behüten, überwog die unangenehmen Empfindungen.

Als dann die Matriarchin der Latierres ihre ganze über die Welt verstreute Familie für den ersten Weihnachtstag einlud freuten sich alle. Doch zuvor kam der heilige Abend.

Die Dorfbewohnerinnen und Bewohner von Millemerveilles feierten ihre Gemeinschaft, ihre Wärme, die selbst in Dunkelheit und Kälte ihren Raum eroberte. Wie es Sitte war durfte die jüngste gerade schwangere Mitbürgerin eine kleine Kerze an der großen Verbundenheitskerze entzünden und von dem Licht weitergeben, bis alle davon hatten. Als sie dann im Apfelhaus ankamen und mit dem Licht in jedem Kamin ein munteres Feuer entzündeten erfasste Béatrice einmal mehr, wie wichtig Rituale waren, und sie gehörte jetzt wirklich dazu.

Ursuline hatte sofort klargestellt, dass sie alle die Nacht zwischen dem 25. Dezember und dem 26. Dezember im Schloss verbrachten. Martha war mit Lucky und den Drillingen sowie Linda, Gilbert und der kleinen Lydia herübergekommen. Wie es Ursuline prophezeit hatte war die bis dahin Linda ablehnende Mutter Gilberts regelrecht dahingeschmolzen, als sie ihre kleine Enkeltochter sah und natürlich sofort viele Gemeinsamkeiten mit ihr sah, vor allem die Augen. Ursuline lächelte ganz offen und ehrlich, als sie sah, dass Cynthia das kleine Mädchen als ihre Blutsverwandte anerkannte.

Julius wirkte ein wenig beunruhigt. Er hatte Millie und Béatrice erzählt, dass er gestern eine Welle von Erdmagie durch den Boden laufen gefühlt hatte. Er vermutete dieselbe Quelle wie bei der Beendigung der Schlangenmenschenplage in Australien. Millie fragte ihn bei einem extra für die werdenden Mütter gespielten Rumba, ob er schon häufiger Erdbeben oder dergleichen fühlen würde."

"Nur wenn Erdmagie im Spiel ist, Millie. Das war damals bei dem Eigentor mit dem Quod aus Antimaterie, mit dem der zeitweilige Zaubereiminister Sandhearst sich und sein Ministeriumsgebäude verdampft hat. Das mit der Erdzauberwelle, die von Australien um die ganze Welt gelaufen ist habe ich dir ja erzählt." Millie nickte. "Es kann sein, dass in der Nähe von Australien ein natürliches Beben war und die im australischen Kontinent eingelagerte Erdmaagie mit erschüttert hat, so wie ein Radiosender Schall in Funkwellen umwandelt und ein Radio Funkwellen auffängt und in Schall zurückverwandelt. Ich bin da sozusagen das Radio."

"Oha, verstehe", sagte Millie und mentiloquierte: "Mir geht es ja ähnlich mit Feuermagieentladungen, wenn sie stark und nahe genug sind. "Ja, und ich war seit vorgestern nicht mehr am Rechner, um zu prüfen, ob es echt im Pazifik oder indischen Ozean gewackelt hat. Da könnte nach Stärke echt schlimmes passieren, vor allem wenn der Erdbebenherd unter dem Meer ist", flüsterte Julius. "Mein Karatelehrer hat mir das mal erzählt, wie seine Familie nach einem solchen Beben vor einer davon ausgelösten Flutwelle, Tsunami genannt, flüchten musste. Wegrennen alleine reicht nicht. Du musst auf jeden Fall so hoch es geht steigen, um die größten Überlebenschancen zu haben."

"Stimmt, hat Onkel Charles auch erwähnt. Der war ja mal auf einer Südseeinsel. Da hat es wohl auch gerumpelt, und der hat gesehen, wie erst das Meer zurückgewichen ist und dann nur noch eine haushohe Wasserwand gesehen. Da konnte er nur noch disapparieren, von einer Insel zur anderen, bis er weit genug weg war, dass die ihm nachlaufende Welle ihn nicht mehr einholen konnte. Der war echt erschöpft."

"Wieso ist der heute eigentlich nicht hier, der Herr Anwalt?" fragte Julius laut. Millie erwiderte ebenso mit Ohren hörbar: "Der will eine Massenklage gegen VM auf Martinique durchdrücken, weil die dortige Vertretung des Zaubereiministeriums meint, Hinterleute von denen erkannt zu haben. Aber nichts mehr davon zu Oma Line. Die ist eh schon traurig, dass nicht alle ihre sechzehn Kinder hier sind. Aber dafür sind ja viele andere da." Dem wollte und konnte Julius nicht widersprechen. Er beschloss auch, dieses Unbehagen wegen der gespürten Erdmagie abzulegen. solange er nicht unmittelbar betroffen war sollte er sich nicht für alle Katastrophen der Welt verantwortlich fühlen. So ähnlich hatten es die Erdkraftkundigen von Madrashainorians Schule gesagt. "Ihr könnt nicht überall den Zorn der großen Mutter zähmen. Und selbst wenn ihr es wagt, ihre Wut an einem Ort zu bekämpfen, so wird sich diese Wut an einer anderen Stelle um so schlimmer austoben." Goorwurrulon Madrashai, "die große Wut der Erdmutter", so wurden natürliche, nicht durch Feuerberge entstehende Erdbeben damals genannt.

Julius schaffte es, seine Stimmung wieder zu bessern, vor allem, weil er sich mit den Verwandten unterhielt, die ihn für den baldigen Nachwuchs alles gute und das richtige Durchhaltevermögen wünschten. Seine Schwiegertante Barbara, die zweimal Zwillinge geboren hatte, meinte, dass Zwillinge sich immer so schnell abstimmen konnten, was sie anstellten, bevor ihre Eltern auch nur ahnten, was sie vorhatten. Aber dafür sei es niemals Langweilig. Sabine und Sandra Montferre, selbst eineiige Zwillingsschwestern, tanzten zum selben schnellen Musikstück abwechselnd mit ihm. Sabine beglückwünschte Julius, dass er sich so wacker gegen ihren Großonkel Bartholomé behauptet hatte. Sandra sagte ihm, dass er bloß nicht anfangen sollte, eine der kommenden Zwillingsschwestern gegen die andere auszuspielen. Ihr Vater Michel hätte das bitter bereut, als sie gerade acht Jahre alt waren. was genau er zu bereuen hatte verriet sie ihm nicht.

Béatrice beobachtete Julius beim Tanz mit so vielen tanzwilligen Hexen. Sie war nicht so darauf aus wie ihre Nichten Martine, Callie, Pennie und Millie. Aber sie fühlte eine gewisse Eifersucht auf die rothaarigen Montferre-Schwestern, mit denen Julius schon seit seiner Schulzeit sehr gut klarkam. Einen Moment dachte sie doch ernsthaft, dass er nun, wo er mit Millieund ihr zugleich Nachwuchs haben würde, er durchaus mit den zwei unverheirateten Schwestern sowas hinbekommen mochte, jede nur ein Baby, damit es keinen Zank gab, aber jede eins von ihm, damit keine auf die andere eifersüchtig war.

"Trice, komm von diesen abwegigen Ideen weg, sonst wird dir das Fruchtwasser bitter oder später die Milch sauer", ermahnte sie sich selbst. Ja, sie war ständigen Gefühlsschwankungen unterworfen. Aber sie war immer noch eine ausgebildete Heilerin. Sie musste sich besser beherrschen als die anderen Schwangeren, die ihren Gefühlen freien Lauf ließen. Sie fühlte die Bewegungen des Jungen Félix Richard Roland. Hoffentlich durfte der nach der Geburt weiter bei ihr bleiben und sie ganz offiziell Maman nennen. Béatrice sah Millie, die mit ihrer großen schwester zusammensaß und schön außer Hörweite ihrer Tante Heilerin über die bisherigen Erfahrungen mit einer Zwillingsschwangerschaft plauderten. Sollten sie doch, dachte Béatrice.

Im Moment gab es bei den Eauvives kein Familienmitglied, dass gerade vierzehn Jahre alt wurde. Deshalb fand auch keine große Feier im nachbarlichen Clanhaus statt. So konnten sie nach einem langen und sowohl erheiterten wie besinnlichen Abend in die zugewiesenenGästezimmer zurückkehren und sich nachtfertig machen. Um halb eins lagen Millieund Julius in jenem Doppelbett, in dem sie schon so oft übernachtet hatten. Julius war vom vielen Tanzen erschöpf, Millie von der voranschreitenden Schwangerschaft. So drehten sie sich zueinander hinund wärmten sich gegenseitig. Unter gleichmäßigen Atemzügen schliefen sie ein.

Einige Zimmer weiter weg rang Béatrice damit, dass ihr ungeborener Sohn jetzt erst richtig munter zu werden schien. "Eh, Kleiner, lass mich bitte für uns beide schlafen!" maulte sie und versuchte sich durch Streicheln ihres langsam in hoffnungsvolle Form kommenden Bauches, den offenbar aufgedrehten kleinen Zauberer zu beruhigen. Endlich fand dieser wohl eine Lage, die für ihn und seine künftige Mutter angenehm genug war. Jetzt trug sie ihn schon 24 Wochen. Er bekam sicher schon einiges mit, was um ihn herum vorging. Da wollte sie es ihm wirklich so angenehm wie möglich machen.

Béatrice dachte noch einige Minuten an all das, was im letzten Jahr gewesen war. Sie hatte mitgeholfen, die von Vita Magica erzwungenen Kinder auf die Welt zu holen. Dabei hatte sie keinen Moment daran gedacht, dass sie am Weihnachtsabend desselben Jahres selbst mit einem Kind im Leib die Nacht zubringen würde. Sie dachte jedoch auch an die erst schüchternen und dann immer leidenschaftlicheren Liebesakte mit Julius, aus denen dieser kleine Bauchturner da unter ihrem Nachthemd entstanden war. Sie war Julius' Hoffnung, dass diese überirdische Entität Ashtaria ihn und Millie in Ruhe ließ. Ja, Millie trug auch neues Leben, gleich zwei Mädchen. Da mochte er sich gerne warm anziehen, wenn sie sich an die ersten Jahre von Callie und Pennie erinnerte. Doch sie würde es ja mitbekommen. Sie hoffte darauf, dass Millies Tränen, als Aurore ihnen gesagt hatte, dass die Hexe, die ein Kind im Bauch hatte, dessen Maman sein würde, sowas wie Tränen der Reue waren, weil Millie wohl daran gedacht hatte, den kleinen Félix gleich nach der Geburt an sich zu nehmen, ja den vor ihren Augen zu stillen, um ihn als ihr Kind fest an sich zu binden. Sie hoffte, dass sie ihn nicht nur austragen und gebären, sondern auch füttern, wiegen und ja, auch wickeln durfte und dass er sie in einem Jahr oder etwas mehr Maman nennen durfte. Dann, so dachte sie, hatte sie nicht nur den Ehefrieden ihrer Nichte Mildrid gerettet, sondern auch ihren eigenen Frieden mit den beiden gerettet. Doch sie durfte Millie nicht dazu bringen, auf den kleinen Burschen unter ihrem Nachthemd zu verzichten. Das Sondergesetz gab der Ehefrau des Kindsvaters das Recht, das Kind der Friedensretterin zu behalten. Ja, sie dachte immer wieder daran, wusste sie. Das war auch eine Auswirkung der Schwangerschaft. Doch bei allen roten Trollen, das war doch ihr Kind. Sie spürte ihn. Er bekam von ihr Nahrung und Sicherheit. Wohl wahr, die ganze Aktion mit ihr als Friedensretterin war eine sehr schwere Sache. Doch sie dachte daran, dass nur sie das durchstehen konnte, keine Belisama Lagrange, keine Pina Watermelon und erst recht keine Sandrine Dumas. Für so eine schwere Angelegenheit musste es eine Latierre-Hexe sein, und ja, sie war eine, auch jetzt und vor allem, weil sie ein Kind in sich trug.

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Wie vorgeschlagen riefen die Kenworthys Laurentine um kurz nach drei Uhr nachmittags mitteleuropäischer Zeit an. Laurentine freute sich sehr über die Weihnachtsgrüße aus New York. Dann kam die große Überraschung. Jemand bekam den Telefonhörer in die Hand gedrückt. Dann sprach ihre Großmutter Monique: "Hallo, Tinette. Sue hat mir angeboten, die Weihnachtstage bis zum Jahreswechsel an der Ostküste zu verbringen. Ich wollte dir auf jeden Fall frohe Weihnachten wünschen, auch wenn ich mich im Moment fragen muss, wie es im nächsten Jahr für mich weitergeht. Denn ich sah mich gezwungen, deine Einwände und auch die meiner eher sozialistisch ausgerichteten Enkeltochter Victoria zu überdenken, nachdem der Mensch, dem ich meine Seele anvertraut habe, sich als skrupelloser Heuchler und Verführer offenbart hat."

"Wen meinst du genau?" fragte Laurentine, schon sehr heftig an einer Lüge entlangbalancierend. Denn sie wusste es ja schon von Vicky, was ihrer Großmutter passiert war.

"Padre Rojas, der scheinheilige Herr, der meine Geburtstagsfeier gesegnet hat", schnaubte ihre Oma Monique. "Es hat sich herausgestellt, dass er für eine mexikanische Drogenschmugglerbande ein Depot von Kokain und dieses Teufelszeug namens Speed unterhalb seiner Kirche eingerichtet hat. Angeblich wollte er beschlagnahmte Rauschgiftmengen vor jugendlichen verstecken. Doch es kam raus, dass er seinem Vetter in Tijuana einen Gefallen erweisen musste, auch um ihn vor Nachstellungen einer rivalisierenden Bande zu schützen. Außerdem kam heraus, dass Padre Rojas ein wahrhaftiger Hurenbock ist, dessen unzölibatäre Eskapaden ihn für dieses Pack aus Mexiko erpressbar gemacht haben. Am Ende haben sie ihn auch noch am Gewinn beteiligt. Angeblich hat er damit den Ausbau der Kirche finanziert, die Kirche, in der ich nach dem Tod von Opa Henri viele Stunden der Einkehr verbracht habe, während unter meinen Füßen dieses Teufelszeug gehortet wurde.

Nachdem ich deine Mutter und dich so brüsk und verblendet von meinem Grundstück verjagt habe wollte ich eigentlich das Testament ändern, dass ihr nur noch einen kleinen Pflichtteil vererbt bekommt und eine große Hypothek auf die Ranch aufnehmen, dass keiner von euch sie veräußern kann. Doch dann erfuhr ich, dass längst nicht alles so sauber mit Padre Rojas war, wie ich erst gehofft habe. Dann kam es ans Licht. Ich konnte mich sogar erinnern, die großen Kisten selbst einmal gesehen zu haben, bei denen die Drogenspürhunde so wild angeschlagen haben. Gut, dass ich das Testament nicht geändert habe. Im Zweifelsfall werde ich mich anderen gemeinnützigen Stiftungen anvertrauen, deren Seriosität gesichert ist und wohl noch die eine oder andere Unterstützung leisten, damit ihr alle gut über die Runden kommt, auch wenn ich Vickys Auffassung von der Welt nicht wirklich schätze und Hellens Hingabe an den Kapitalismus als Götzenanbeterei tadeln muss ist Blut doch immer noch dicker als Wasser. Ich wollte es dir mitteilen, dass ich dir gegenüber keine Abneigung mehr habe, Laurentine. Du warst zumindest so ehrlich, deinen Standpunkt klarzustellen und sogar die Konsequenzen daraus zu ziehen."

"Ich nehme deine Entschuldigung an, Mémé Monique. Ich hoffe, diese heftige Enttäuschung hat dich nicht ganz aus der Bahn geworfen", sagte Laurentine. "Wie war das? Enttäuschung ist das Ende der Täuschung", erwiderte Monique Lacroise. "Dagegen ist die kleine Lüge, die sich dein Opa Henri mit mir geleistet hat, noch harmlos."

"Welche Lüge?" fragte Laurentine, die zwar ahnte, was gemeint war, es aber nicht laut aussprechen wollte. "Dein Großvater Henri hat ja mit dieser Weltraumbestatterfirma ausgemacht, dass die einen Satelliten im Weltraum unterbringen, auf dem seine Initialen und seine Lebensendpunktdaten stehen. Jetzt habe ich am 24. November zwei mal drei Stunden in seinem Gedächtnishaus gesessen und mir diesen Satelliten angesehen. Dabei ist einmal der Strom ausgefallen, und die goldene Aufschrift auf dem Satelliten ist verschwunden. Dann bekam Buck, mein Hausmeister und Pferdehüter heraus, dass wohl in der Teleskopspitze ein winziger Projektor verbaut ist, der über echt gesehene Bilder noch ein weiteres, räumliches Bild legt. Das hat mir immer dann, wenn ein bestimmter Satellit durch die Sicht gewandert ist, den Weltraumkörper als Henris letzte Ruhestatt angezeigt. Da war ich auch erst mal sehr wütend, weil Henri offenbar Betrügern auf den Leim gegangen ist. Aber dann habe ich in den ganzen im Gedächtnishaus gelagerten Unterlagen den Originalvertrag gefunden und mir durchgelesen. Da steht eindeutig drin, dass er zusammen mit neunzehn anderen Verstorbenen in einem kugelrunden Satelliten so tief es geht in den Weltraum geschossen werden soll und dass die Trauernden zum Angedenken ausrangierte Satelliten als Erinnerungshilfe für die Verstorbenen zugewiesen bekommen. Zu dem Zweck wurde dann eben dieses präparierte Teleskop installiert. Mir hat er damals einen erzählt, dass er für sich einen eigenen Satelliten anmieten würde, den ich bei klaren Nächten immer wieder über uns hinwegziehen sehen könnte. Ich habe das so aufgefasst, dass seine Asche in diesem Satelliten steckt. Doch wenn ich den Originalvertrag so lese und seine Worte höre erkenne ich, dass er nie behauptet hat, dass der vorgeführte Satellit seine Asche enthalten muss. Abgesehen davon hätte mich eine Einzelbestattung sicher das fünf bis zehnfache der zu zahlenden Gebühr gekostet. So habe ich dann, wenn kein Stromausfall ist, immer wieder diesen goldenen Flugkörper am Himmel, auf dem Henris Initialen stehen, während er mit neunzehn anderen immer weiter zu den Sternen hinausfliegt. Deshalb habe ich gesagt, dass es eine kleine Lüge von ihm ist, ja oder eine von mir bewusst beibehaltene Fehlinterpretation dessen, was er mit der Weltraumbestatterfirma ausgeheckt hat. Wenn ich an ihn denken will, dass er da oben ist kann ich diesen halbechten Satelliten angucken und an ihn denken, besser, als wenn er über dem Meer ausgestreut worden wäre oder sein Körper von fiesen Würmern zerfressen wird."

Laurentine hatte ihre Großmutter in aller Ruhe sprechen lassen. Sie nickte, was durch das Telefon keiner mitbekam. Dann sagte sie: "Solange du es den zwei geldgierigen Gewitterziegen nicht auf die Nasen bindest kann ich damit leben, dass du diese Erinnerungsstätte hast, Mémé Monique."

"Und das mit deinen Eltern ist immer noch nicht ausgestanden?" fragte ihre Oma Monique. Laurentine musste erst schlucken. Dann sagte sie: "Die wollten mir einen bestimmten Lebensweg vorschreiben. Den konnte ich aber bei meinen Veranlagungen und eigenen Vorstellungen nicht gehen. Deshalb haben die mir gesagt, dass ich auch ganz ohne sie auszukommen habe. Das und nichts anderes habe ich meiner Mutter bestätigt, als wir bei dir waren, Mémé Monique."

"Apropos deine Eltern. Ich wollte mit ihnen sprechen. Doch offenbar sind sie vorzeitig in den Urlaub geflogen. Ich erfuhr auf Nachfrage, dass sie wohl auf einer kleinen Privatinsel bei Sumatra unterkommen wollten, wo es sogar ein Urwaldreservat gibt. Ich weiß, dass Simon gerne einmal freilebende Tiger beobachten wollte. Solange er von denen nicht gefressen wird sei es ihm gegönnt. Aber wenn sie wiederkommen, Laurentine, würde ich euch alle noch einmal gerne auf die Ranch einladen, damit wir uns über die bestehenden Missverständnisse unterhalten und hoffentlich alles klären können. Ich möchte nicht ins Grab steigen, ohne zu wissen, dass meine Kinder und Enkel sich doch noch irgendwie zusammenraufen können."

"Bei allem Respekt, Mémé Monique, was zwischen meinen Eltern und mir steht möchten weder diese noch ich in den Rest der Familie hinaustragen. Bitte nimm es als vernünftigen Entschluss beider Seiten hin, dass wir uns in gegenseitiger Anerkennung der jeweils anderen Auffassung voneinander getrennt haben. Etwas zu erzwingen tut viel mehr weh als das Gefühl, verlassen zu sein. Außerdem haben wir in der Schule, wo ich unterrichte, demnächst Halbjahresprüfungen. Die, die danach eine höhere Schule besuchen wollen wissen, welche Aussichten sie haben. Die ganz kleinen, die ihr erstes Jahr haben, wollen möglichst gut dastehen. Da brauchen die jede Fachkraft. Aber wenn du wieder Geburtstag hast und wen aus Übersee dabeihaben möchtest komme ich sicher gerne wieder", sagte Laurentine, die sehr mit den aufsteigenden Tränen der Rührung rang. Ihre Großmutter bestätigte diese Zusage und wünschte allen, mit denen Laurentine heute noch feiern würde, fröhliche und friedliche Weihnachtstage. Laurentine versprach, das so und nicht anders weiterzugeben. Sie lauschte. Joes Eltern waren gerade vom Flughafen Orly eingetroffen. Dann würde es gleich die Weihnachtsfeier bei den Brickstons geben. Sie verabschiedete sich von den Kenworthys. Dann startete sie noch einmal jene Weihnachts-CD, auf der auch das Lied von Melanie Thornton war und stellte die Lautstärke etwas höher als Zimmerlautstärke. Sie freute sich, dass der Geist von Weihnachten auch ohne Papst und Vatikan zu allen Menschen dieser Welt finden konnte und freute sich auch auf die kommenden Stunden mit denen, die ihr schon seit Jahren ein sicheres und warmes Zuhause ermöglichten.

ENDE

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