DER GOLDENE DREIZACK

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Die Auswirkungen von Ladonna Montefioris unbeabsichtigt ausgelöster, die ganze Welt umlaufenden Welle dunkler Zauberkräfte halten alle Zaubereiverwaltungsbehörden weiterhin in Atem. Gebannte Wesen, verfluchte und von dunklen Geistern beseelte Dinge erwachen zu einem neuen, mörderischen Eigenleben, darunter Morgauses silberner Hexenkessel, die letzten vier Schlangenmenschen Skyllians und das Schwert des japanischen Erzdunkelmagiers, der als dunkler Wächter gefürchtet war. Der annähernd unzerstörbare Silberkessel Morgauses wird im darum geführten Kampf zwischen Ladonna und Anthelia zerstört und Morgauses Seele als Nachtschattenfrau im Duell mit der Nachtschattenkaiserin Birgute Hinrichter von dieser selbst einverleibt. Die iim australischen Felsenberg Uluru wiedererwachten Schlangenmenschen bedrohen australiens magische und nichtmagische Gemeinschaft, ob Einwanderer oder Ureinwohner. Erst Anthelias wiedergezüchtete Entomanthropen sowie ein das ganze Land überspannendes Gemeinschaftsritual der magisch begabten Ureinwohner am Uluru selbst beenden die Gefahr der vergessenen vier Schlangenmenschen und ihrer Unheilssaat. Der im Schwert des dunklen Wächters lauernde Geist des Hanjos kann für mehrere Wochen den Körper des halbwüchsigen Takeshi Tanaka in Besitz nehmen und eine große Zahl grausamer Mordtaten unter Ausnutzung dunkler Feuermagie verüben. Die sich ihm entgegenstellende Izanami Kanisaga, die selbst ein starkes Zauberschwert besaß, unterliegt in einem Schwertkampf der Magie des dunklen Wächters und stirbt. Daraufhin tritt ihm Anthelia persönlich mit Yanxothars machtvollem Flammenschwert entgegen und schafft es, das Schwert des dunklen Wächters zu entmachten und zu zerstören. Sein Geist wird dabei freigesetzt und von der ebenfalls durch die dunkle Zaubgerkraftwelle erstarkten Yamauba Yamanonechan durch einen inversen Geburtsvorgang aus der Welt gerissen.

Als wenn das alles nicht genug war entlädt sich beim schweren Erdbeben vom 26. Dezember 2004 ein seit Jahrhunderten auf dem Meeresgrund bei Sumatra liegender Dunkelkristall und erzeugt eine heftige Gegenströmung Erdmagie, die wie die Bebenwellen selbst den ganzen Erdball umlaufen und vieles, was mit Erdzaubern zusammenhängt beeinträchtigen oder zerstören, darunter die von den Kobolden geführten Bankhäuser. Erdzaubergebundene Wesen ohne starke Abwehrkräfte sterben, was bei Kobolden und Zwergen zu gegenseitiger Schuldzuweisung führt. MNach drei blutigen Ausscheidungskämpfen wird der Zwerg Malin Eisenknoter zum neuen König deutschsprachiger Schwarzalben und kündigt an, gegen die Verursacher der Erdmagieentladungswelle vorzugehen.

In Europa sowie den Staaten wollen Zauberer das Jahrhunderte alte Monopol der Kobolde beenden und scheuen sich nicht einmal vor der Täuschung der Gringotts-Kunden. Doch ein in Frankreich durchgeführtes Betrugsmanöver dieser Art wird von den Veelastämmigen Apolline Delacour und Gabrielle Marceau und ihren Ehepartnern enthüllt und führt zum Rücktritt der zuständigen Behördenchefs der Handels- und Zauberwesenabteilung.

Laurentine Hellersdorf nimmt wegen der Furcht vor Übergriffen dunkler Hexenorden Sonderunterricht bei der Kampfzauberexpertin Louiselle Beaumont, einer Nichte Hera Matines. Sie empfindet befremdliche Gefühle für die Hexe, von denen sie nicht weiß, ob es die Anerkennung vor der Lehrmeisterin oder geschlechtliches Begehren ist. Als Laurentines Eltern auf einer Reise in die Inselwelt des Indischen Ozeans Opfer der Tsunami-Katastrophe werden können nur die schweigsamen Schwestern, in deren Reihen sie sich hat eingliedern lassen, über den Verlust hinweghelfen. Die Hingezogenheit zu Louiselle wird dabei noch stärker. Bald muss sie sich darüber klar werden, was genau sie empfindet und wie sie damit umgehen soll.

Millie und Julius Latierre finden heraus, dass der Pakt mit den Mondtöchtern ihnen ausschließlich Töchter bescheren wird, wenn sie nicht mindestens zwölf Jahre warten, bis sie das nächste Kind zeugen. Doch Ashtaria drängt auf die Geburt eines leiblichen Sohnes von Julius und sendet Millie einen endzeitartigen Albtraum, der ihr und Julius vorführt, dass Ashtarias Macht erlöschen wird und die mächtigen Dunkelwesen die ganze Menschheit vernichten könnten. Deshalb bitten sie beide Béatrice Latierre, mit ihnen einen heimlichen Pakt zu schließen. Julius soll mit Béatrice ein außereheliches Kind zeugen, um die Wahrscheinlichkeit für einen Jungen so groß wie für ein Mädchen zu machen. Millie soll dann vor oder unmittelbar nach der Geburt bestimmen, ob das Kind dann Béatrice als rechtliche Mutter hat oder Millie als rechtliche Mutter anzuerkennen hat. Tatsächlich empfängt Béatrice von Julius einen Jungen. Hera Matine, sowie Millies, Béatrices und Julius leibliche Elternteile erfahren von dem Vorhaben, bei dem Béatrice als "Friedensretterin" auftreten soll. Als sie wirklich erfährt, dass sie den von Ashtaria erwünschten Jungen austrägt hadert Béatrice heimlich damit, dass sie womöglich nicht dessen anerkannte Mutter sein darf. Aurore Latierre sagt zwar, dass eine Hexe, die ein Baby trägt dessen Maman ist, doch Millie will das erst nach der Geburt entscheiden. Als dann am 6. April 2005 der kleine Junge mit einer Glückshaube auf die Welt kommt gesteht Millie ihn Béatrice als ihren eigenen Sohn zu. Sie konnte es nicht verkraften, einer Mutter ihr Kind wegzunehmen. Da sie selbst von Julius Zwillinge erwartet ist sie auch nicht länger traurig, dass er mit einer anderen als ihr ein Kind gezeugt hat. Béatrice nennt den Jungen Félix Richard Roland, nach den beiden verstorbenen Großvätern des Jungen. Genau in der Walpurgisnacht gebiert Millie ihre Töchter vier und Fünf, Flavine kurz vor Mitternacht am 30. April und deren Schwester Fylla eine Minute nach Mitternacht am 1. Mai, womit jede Zwillingsschwester einen eigenen Geburtstag feiern kann.

Doch die magische Welt ist weiterhin in Aufruhr, weil Hexen und Zauberer versuchen, mehr Macht zu erlangen, vor allem der in den Staaten amtierende Lionel Buggles, der nicht einmal davor zurückgescheut hat, ganze Ansiedlungen unter einer magischen Absperrglocke von der Außenwelt abzuschneiden. Buggles will mit Hilfe von mächtigen Unterstützern eine den gesamten nordamerikanischen Kontinent umfassende Zaubereiadministration errichten, mit ihm als ersten Magier an der Spitze.

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30.04.2005

Albertrude strahlte aus sich heraus, als sie bei Anthelias Walpurgisnachtfeier dabei war. Die höchste Spinnenschwester merkte das und fragte sie einmal, wo sie beide alleine waren, ob sie einen arglosen Mann dazu bekommen hatte, mit ihr das Lager zu teilen.

"Ja, das war sehr schön, nach langer Zeit mal wieder zweigeschlechtlichen Verkehr zu erleben, kraftvolles Leben in mir zu spüren, einen starken Geliebten zu umarmen und dann zu fühlen, wie er und ich den Gipfel der Lust erklimmen. Tja, und offenbar ist seine Saat auf dankbaren Boden gefallen. Denn soweit ich durch eigene Probeelixiere nachweisen konnte trage ich nun seit neun Wochen neues Leben in mir. Das wird sicher auch wieder sehr schön, wen neues ins Leben zu tragen, als allererste zu fühlen, wie ein neuer Mensch seine Umgebung erkundet."

"Ja, und ihn dann unter großen Schmerzen aus dir hinaus zu pressen", sagte Anthelia ein wenig verärgert. Doch andererseits liebte sie auch die Liebe und musste sich zwischendurch immer wen nettes, starkes, ausdauerndes suchen, um nicht ständig an einen Liebhaber oder auch Beilagergefährten denken zu müssen.

"Und, wem kannst und wirst du dich mit dem kleinen Steinbeißer anvertrauen, Schwester Albertrude?" fragte Anthelia leise genug, dass die draußen singenden und feiernden Mitschwestern es nicht hörten.

"Ich habe da schon eine Hebamme. Die kauft es mir ab, dass ich als Sapphistin oder Lesbierin auch mein Recht auf Nachwuchs wahrnehmen möchte und mich in der Welt der Unfähigen mit ausgelagerter Saat befruchtet habe. Das machen ja doch viele homophilen Frauenpaare, wenn sie doch nicht ohne Kind bleiben wollen."

"Nun, der Handel gilt ja weiterhin. Gegenseitiger Respekt und gegenseitige Hilfe, Schwester. Du musst das Testament Gertrudes erfüllen, um an ihr stoffliches Erbe zu gelangen. Ich muss mich fragen, welcher unserer Feinde deemnächst wieder unsere Aufmerksamkeit erzwingt", seufzte Anthelia/Naaneavargia.

"Ich tippe auf die Kobolde und Zwerge. Denke daran, dass die Kobolde uns beide immer noch nicht vergessen haben."

"Natürlich tu ich das. Aber in dieses Haus kommen die nicht rein. Außerdem haben die genug damit zu tun, ihre für naturgegeben gehaltenen Goldhüteransprüche wieder durchzusetzen. Viele aus den Staaten verjagte Kobolde sammeln sich in Kanada und lauern darauf, hier wie die Heuschrecken einzufallen. Außerdem habe ich gehört, dass die Australier ein altes Kohlefrachtschiff erwischt haben, dass statt Kohle Kobolde geladen hatte. Diese Geheimvollstrecker und Spione von denen haben versucht, sich über Australien zu verteilen, um die früheren Reviere wieder zu besetzen. Deren Pech nur, dass die Ureinwohner dem Zaubereiministerium geholfen haben, ein Überwachungsnetz auszuspannen, dass jeden Kobold und jeden Zwerg meldet, der einen der ausgelegten Fäden kitzelt. Die haben ja dank der schwarzen Spinne Übung darin", spottete Anthelia. Albertrude grinste zurück. Dann sagte sie:

"Wo sind eigentlich Donatella und Safira aus Italien. Hast du sie nicht eingeladen?"

"Doch, habe ich. Doch diese halbgrüne Rosenzüchterin hat sie auch eingeladen, wohl weil ihr wer zugetragen hat, dass die beiden aus wichtigen Familien sind. Tja, sie hat versucht, sie in ihre eigenen Reihen zu berufen. Doch sie haben sich gewehrt, auch als sie diese stinkende Feuerrosenkerze unter die Nase gehalten bekommen haben. Ich bekam sozusagen die letzten drei Sekunden mit. Sie wollten Ladonna totfluchen. Auf dem Weg ist es geblieben. Jetzt fehlen mir zwei weitere Mitschwestern in Italien, und die, die ich habe werden jetzt erst recht in Deckung bleiben oder sich totstellen, und ich kriege nichts neues mehr von dieser aufdringlichen Hybridin mit. Tja, und wie du sicher mitbekommen hast scheint ein unscheinbarer Beamter sich zum neuen König von Nordamerika erheben zu wollen. Da müssen wir Schwestern auch drauf aufpassen."

"Echt, Buggles, dieser kleine Mitläufer von Dime? Offenbar berauscht der Trunk der Macht manchen mehr als andere. Was will er denn genau?" wollte Albertrude wissen.

"Wie es von den südamerikanischen Mitschwestern und den drei Grazien aus Kanada mitgehört wurde streckt er seine Fühler über die Nord- und Südgrenze aus. Offenbar liebäugelt er mit der Idee, der Oberzauberer oder eben Rex Magarum Magorumque zu werden, genau wie damals Sardonia oder ich oder Gertrude."

"Ach, Hecates tönernes Nachtgeschirr! Wollen wir ihm das durchgehen lassen, Schwester?"

"Ich werde es erst einmal beobachten und dann befinden, ob es mir recht ist, wer unter mir König ist", sagte sie.

"Vielleicht will er bei dir aber lieber oben sein, lebenshungrige Schwester."

"Hmm, nicht wenn er wie sein Vorgänger unter der Flagge der Nachwuchserzwinger marschiert. Dann sollen die dem die passende Hexe dafür aussuchen", grummelte Anthelia/Naaneavargia. Dann meinte sie: "Besser ist es, wir kehren zu den anderen zurück. Einige sind schon argwöhnisch, was wir zwei so geheimes zu bereden haben, Schwester."

"Tja, das ist unser guter Ruf, Schwester", erwiderte Albertrude den derben Scherz. Walpurgis war in manchen keltisch-germanischen Gegenden eine regelrechte Orgie, bei der Hexen und Zauberer auch mal waagerecht auf grünen Wiesen tanzen konnten.

"Apropos Fortpflanzung, hast du das auch mitbekommen, dass Julius Latierre in Millemerveilles drei neue Kinder dazubekommen hat und eines davon von seiner Schwiegertante geboren wurde?" fragte Anthelia.

"Natürlich habe ich das mitbekommen. Also wollte er doch mal einen Jungen haben und hat sich dafür die entsprechende begehrenswerte Hexe ausgesucht", erwiderte Albertrude. "es heißt, sie habe den Jungen ausgetragen, weil im Bauch seiner eigenen Frau kein Platz für drei war oder sowas."

"Das sollen alle die anständigen glauben, die damit leben müssen, dass er drei gesunde Kinder gezeugt hat. Aber ich denke, die Latierres haben für mehr als drei Kinder Platz in ihren fruchtbaren Schößen. Nein, diese wie ihre Großmutter mütterlicherseits auf eigene Kinder versessene Hexe und er waren bei den Mondtöchtern. Na, was sagt dir das, wo du Gertrudes Wissen in dir trägst?"

"O, natürlich", grinste Albertrude. "In den kurzen Zeitabschnitten konnte er bisher mit ihr nur Töchter zeugen und hätte wohl noch Jahre warten müssen, bis er mit ihr auch einen Sohn hätte zeugen können. Irgendwer, vielleicht Ashtaria oder ihre lebenden Kinder, haben von ihm verlangt, ebenfalls einen Sohn zu zeugen. Das konnte er dann nur mit einer Hexe, mit der er nicht bei diesen Mondanbeterinnen gewesen ist."

"Genau. Aber weil das längst nicht jeder weiß und es die meisten auch nicht betrifft muss das auch nicht jeder wissen, dass er entweder einen höchst unfeinen Ehebruch begangen hat oder mit ganz offizieller Erlaubnis seiner Frau mit seiner Schwiegertante erst das Lager geteilt hat und nun einen gemeinsamen Sohn großziehen darf. Da millie und Béatrice sich offenbar bisher nicht gegenseitig wegen ihm zerfleischt oder möglichst weit voneinander entfernt angesiedelt haben vermute ich die zweite Möglichkeit", erwiderte Anthelia verwegen grinsend.

"Tjoho", grinste Albertrude. Dann sah sie wieder nach draußen und meinte: "Aber jetzt gehen wir besser raus. Du wolltest ja noch was wegen unserer Schwestern in Russland sagen, nachdem Arcadi nun wieder den Rausch der Macht genießt."

"Ja, das ist richtig", sagte Anthelia. Dann hakte sie sich bei Albertrude unter und ging mit ihr zusammen wieder nach draußen. Sofort wurde es völlig still. Dann mussten beide lachen. "Das gefällt mir, wie ihr euch darüber die Gehirne verbiegt, ob Albertine und ich doch mal zusammenfinden. Aber sie ist und bleibt eine unserer Schwestern und damit außerhalb von geschlechtlichen Begehrlichkeiten. Wir wollen ja schließlich die Gleichberechtigung untereinander waren, Schwestern", sagte Anthelia ruhig. Die anderen nickten. Dann wandte sie sich an die Mitschwestern aus Russland und erwähnte, dass diese noch besser aufpassen mussten, dass Arcadi in seinem Machtrausch nicht auch noch anfing, ihm lästige Hexen zu jagen, zumal er sich ja auch vor Ladonna Montefiori fürchten musste.

Nach dieser kurzen Ansprache feierten alle Spinnenschwestern bis fast in die Morgendämmerung die Hexennacht. Anthelia war nicht die einzige, die sich dabei wünschte, einen Zauberer dabei zu haben, mit dem die Nacht die richtige Würze bekommen hätte.

Kurz vor der Morgenröte verschwanden alle Festgästinnen aus dem Haus Tyches Refugium.

"Ja, das wird sicher sehr abwechslungsreich, dich mit einem Kind im Bauch und später auf den Armen zu erleben, werte Schwester Albertrude Steinbeißer", dachte Anthelia, als sie ihr Schlafzimmer aufsuchte. Louisette Richelieu war ein wenig traurig, dass ihre heißblütige Geliebte nicht im Haus übernachtete und sie immer noch nicht nach Frankreich zurückkehren durfte, weil sie dort als von Ladonna getötet angesehen wurde. Vielleicht, so dachte Anthelia, sollte sie ihrer dauerhaft unter ihrem Dach lebenden Mitschwester eine neue Gefährtin suchen, mit der sie außerhalb des schützenden Hauses ein paar schöne Liebesstunden erleben konnte. Doch erst einmal galt es, die politischen und gesellschaftlichen Nachbeben der Goldebbe zu überwachen. Auch wenn Albertrude sich beinahe lückenlos vor ihrem Gedankenhörsinn verschließen konnte hatte Anthelia doch einen besorgten Gedanken mitgehört: Die Zwerge rasselten mit den Säbeln. Sie scharrten mit ihren eisern gestifelten Füßen. Sie wollten Vergeltung für die Toten in ihrem Reich. Sicher wollten sie die Kobolde verdrängen. Doch es ging diesem neuen König wohl auch darum, mehr Macht zu gewinnen. Albertrude wollte das genau im Auge behalten. Ob ihr da eine uneheliche Schwangerschaft rechtkam?

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02.05.2005

Elysius Davidson rechnete jeden Tag damit, dass der Zaubereiminister Anklage gegen das Laveau-Institut erheben würde. Doch bis zum heutigen Tag war nichts dergleichen geschehen.

Um sicherzustellen, dass sie gut aufgestellt waren trafen sich die vier ältesten Mitarbeiter am Abend und berieten, ob die aus reinen Vermutungen und Vorhaltungen bestehenden Äußerungen im Zauberradio des Weißrosenweges weitergeführt oder beendet werden sollten. Quinn Hammersmith, der Ausrüstungsbeschaffer des Institutes, durfte ebenfalls dabei sein.

"Buggles sitzt das aus. Viento del Sol ist abgeschirmt und mundtot, dito Misty Mountain. Sind also nur wir im Weißrosenweg noch im Stande, magischen Rundfunk auszustrahlen", sagte Davidson. "Doch bisher erfolgte keine weitere Reaktion außer jener, alle Reporter anzuhalten, nicht auf uns einzugehen. Geht irgendwer hier noch davon aus, dass das Zaubereiministerium unterwandert ist?" Alle hoben die Hände. Davidson nickte schwerfällig. "Wir können es nur nicht beweisen."

"Natürlich können wir das, Mr. Davidson, sagte Quinn. "Wir müssen nur ein Kommando Hauselfen da reinschicken und nach verdächtigen Unterlagen suchen lassen. Allerdings glaube ich nicht, dass Vita Magica noch einmal sowas wie einen sogenannten Friedensvertrag verzapft. Sowas kann zu leicht auf den Urheber zurückschlagen."

"Dann haben Sie Ihren Vorschlag gerade selbst wertlos geredet, Quinn. Denn wenn es keinen solchen Vertrag gibt brächte es ja nichts, eine Gruppe Hauselfen dort hinzuschicken, außer wenn wir Buggles den letzten Hinweis geben wollen, dass wir mit ihm nicht mehr einverstanden sind. Doch das sollte er möglichst erst dann wissen, wenn wir auf andere Weise Beweise für eine neuerliche Kolaboration haben. Außerdem können auch Gegenstände so bezaubert werden, dass sie von ihren Besitzern ein bestimmtes Verhalten erzwingen, wie Sie ja alle wissen", erwiderte Davidson. So meinte Sheena O'Hoolihan: "Dann bleibt uns eigentlich nur eins: Wir müssen darauf warten, bis wir von ihm oder Catlock eingeladen werden, sei es wegen unserer Vorwürfe im Rundfunk oder sei es, weil er sicher sein will, dass wir ihm treu ergeben sind."

"Stimmt, dann könnten wir ganz offiziell zu ihm hin", sagte Quinn. So sagte Davidson: "Gut, dann bleibt uns eben nur, zu warten."

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Aurore bedankte sich artig bei all denen, die zu ihrem fünften Geburtstag gekommen und ihr wieder so viele schöne Geschenke gemacht hatten. Zwar war sie am Anfang etwas verschnupft gewesen, weil die großen Leute alle erst mal den Félix und die beiden kleinen Mädchen sehen wollten, die aus ihrer Maman herausgedrückt worden waren. Doch dann hatten sich natürlich alle daran erinnert, wer heute wirklich wichtig war. Aurore bekam aber mit, dass viele von den Großen, ob Claudines Maman Catherine oder ihre Oma Hippolyte und ihre Tante Martine, irgendwas hatten, was sie etwas traurig oder ängstlich machte. Auch fehlte die große Britt mit den goldenen Haaren und der kleine Leo, mit dem sie immer gerne zusammen spielte, wenn er da war. Ihr Papa hatte ihr erzählt, dass Leo und seine Eltern nicht mit dem schnellen Flugschiff herüberkommen konnten, weil sie auf ihren Ort Viento del Sol aufpassen mussten, dass den keiner kaputtmachte. Mehr wollten sie ihr wohl nicht sagen. Doch die meisten anderen kamen, auch die Pina, die ähnlich goldene Haare wie Britt hatte und ihr eine kleine goldene Harfe schenkte, die extra für kleine Hände gemacht worden war. Denn dass sie gerne Musik machte wussten sie hier alle. Ihr Papa hatte dazu mit grinsendem Gesicht gesagt, dass er Pina sicher bald die ersten immer wieder nachgespielten Lieder vorsingen konnte, die Aurore auf der kleinen Harfe zu spielen versuchte. Oder sie spielte dann auf der kleinen Flöte, die sie von der Jeanne bekommen hatte. Warum Aurores Papa dann ein wenig traurig aussah wusste sie erst nicht. Aber dann lächelte er wieder und meinte, dass er froh war, dass Jeanne seiner Tochter so ein wichtiges Geschenk gemacht hatte. Was bitte war denn wichtig? Das konnte die ja gerade mal so alt wie sie Finger an einer Hand hatte nicht wissen.

Abends, als der kleine Zeiger schon bei der Zehn stand und der große Zeiger schon auf der Sieben war machte Aurores Papa was mit einem Glitzerarmband, dass die Britt wie Herappariert im Wohnzimmer war. Warum sie aber so ein leicht blaues Licht um sich hatte erklärte ihr Papa damit, dass sie eben unter einer besonderen Schutzzauberei wohnte, die auch machte, dass Britt nicht laut sprechen konnte. Dafür hob Britt ihren kleinen Leo auf die Schultern und machte, dass er Aurore zuwinkte. Dann zauberte sie eine frei in der Luft hängende Geburtstagstorte mit fünf golden leuchtenden Kerzen. Aurore durfte dann so tun, als würde sie die Kerzen alle ausblasen. Als das gelang zerfiel die gezauberte Geburtstagstorte in viele bunte Lichtbälle, die auf und abhüpften und dabei Buchstaben zeigten, aus denen Aurore die Buchstaben von ihrem Namen erkennen konnte. Dann war das Licht- und Zauberspiel von Britt vorbei. Sie winkte Aurore noch einmal zu und war ohne das laute Knallen weg, dass sonst war, wenn wer wegapparierte.

"Na, Kronprinzesschen Aurore, da hat dir die lliebe Britt doch noch zum Geburtstag gratulieren können", sagte Aurores Papa sehr fröhlich. Dann brachte er sie in das Badezimmer, wo sie sich noch mal das Gesicht wusch und die Zähne mit der lustig singenden Zahnbürste putzte, bevor sie ins Bett ging. Ihr Papa legte ihr den heute geschenkten Schlummerdrachen Schnarchibald in die Arme und sang ihr noch ein paar langsame Lieder zum besser einschlafen können. Dann war für sie der fünfte Geburtstag vorbei. Wenn der nächste kam, der mit sechs Kerzen, würde sie nach dem Sommer in die Schule gehen, wo auch schon Chloé, Viviane und Claudine hingingen.

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Julius war froh, dass er diesen angenehmen, ja alles böse dieser Welt vergessen machenden Tag erleben durfte. Seine Schwiegeroma Ursuline hatte doch recht. Kinder machten viel Mühe und auch wohl immer Sorgen. Aber sie gaben dafür von aller Liebe und Aufmerksamkeit zurück, die ihnen geschenkt wurde.

"Hast du gesehen, wie Britt gestrahlt hat, als sie diesen Tortentrick mit Rorie gemacht hat?" fragte Millie ihren Mann, als er neben ihr im Bett lag. Die von Camille mit Ashtarias Segen versehene Zwillingswiege stand am Fußende des großen Doppelbettes. Flavine und Fylla schliefen wie kleine Engel. Doch spätestens um halb drei oder halb vier würden sie wieder aufwachen, wusste Julius.

"Britt ist auch froh, diesen Terror mit der Käseglocke für einige Minuten vergessen zu können. Ja, dass sie trotz Buggles Strafmaßnahme noch mit uns Kontakt halten kann ist für sie wie ein kleiner Triumph", sagte Julius.

"Hoffentlich kann sie zum Willkommensfest für die drei kleinen kommen", sagte Millie. "Irgendwie scheint sich das ja doch anzubahnen, dass unsere Kronprinzessin den kleinen Leonidas so lieb hat, dass sie den vielleicht noch heiraten will", grinste die zu drei Wochen Bettruhe verordnete junge Zwillingsmutter.

"Dann müssten die rauskriegen, wie diese Käseglocke von innen oder außen geknackt werden kann. Die Dame Bullhorn hat wohl recht, dass Buggles nicht aus eigenem Antrieb handelt. Aber wenn dem das nicht bewiesen werden kann ... wir können da ja im Moment nichts machen", seufzte Julius. Millie bejahte das. Dann bat sie ihn, sich an sie zu kuscheln, dass sie gemeinsam aus diesem schönen, fröhlichen Tag hinausgleiten und gemeinsam in den nächsten Tag hinüberschlafen konnten. Er nahm diese Aufforderung wie eine Einladung, selbst in großer Geborgenheit zu schlafen.

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In seiner neuen Lieblingsniederlassung, der tiefseetauglichen Metallkugel, die er Aquasphäre 1 nannte, bekam Perdy am Abend des zweiten Mais hohen Besuch. Mater Vicesima Secunda wollte ihm etwas direkt mitteilen. Sie grinste wie ein Schulmädchen, was Perdy daran erinnerte, dass er selbst bald auch wieder ein vollwertiger Mann sein würde und dann vielleicht mit ihr da ein weiteres Kind zeugen konnte, wenn sie das wollte.

"Ich habe hier gerade von unserer kundigen Mitstreiterin Valerie eine höchst amüsante Nachricht erhalten. Offenbar hat der Ruster-Simonowsky-Zauberer und Veelabeauftragte Julius Latierre nicht nur zwei neue Kinder, sondern drei Kinder ins Leben gerufen. Angeblich hat seine heilkundige Schwiegertante eines von drei im Bauch seiner Frau entstandenen Kinder austragen müssen, weil es für die drei zu eng war oder Ursulines ihr herrlich nachschlagende Enkeltochter keine Drillinge zur Lebensreife ernähren konnte oder wie auch immer. Aber das ist unfug. Erstens hätte sie so oder so nur Töchter von ihm empfangen können, weil der Segen der Mondburg das so festlegt, wenn ein dort vereintes Parr in so kurzer Zeit so viele Kinder bekommt. Zweitens kenne ich keine Zaubererfamilie auf der Welt, die fruchtbarer und familienbezogener ist als die Latierre-Sippe. Allein dass Ursuline in einem sehr beachtenswerten Alter noch vier Kinder tragen und gebären konnte entlarvt die Behauptung als Unfug. Tja, aber wie kam dann ein kleiner Latierre in eine jungfräuliche Heilhexe und gesund wieder aus dieser heraus?"

"Hmm, dieses Friedensrettergesetz vielleicht, falls er für irgendwas oder irgendwen unbedingt einen eigenen Sohn zeugen musste?" verkleidete Perdy eine Vermutung als Frage. Véronique lächelte überlegen. "Tja, kennt nicht jeder und lehnen die meisten, die es kennen als die nur über deren Leiche zu praktizierende Lösung ab. Aber offenbar war es Julius und auch seiner lieben Mildrid Ursuline wichtig, dass er nicht viele Jahre wartet, bis er mit ihr einen Sohn haben kann. Was bleibt dann?"

"Das er mit seiner eigenen Tante geschlafen hat, wie du mit deinem Neffen Antoine vor sechzig Jahren?"

"Genau das. Er wollte wissen, wie er eine Hexe lieben kann, ohne von ihr ausgelacht zu werden. Tja, Danach hatte er zwei süße kleine Cousinen mehr", säuselte Véronique. "War schon ein süßer Bursche. Nur hat er irgendwann, weil er ein biederer Kaufmann und Familienvater sein wollte, nichts mehr davon wissen wollen, dass er seine Knabenzeit in meinem kleinen Garten begraben hat", erwiderte Perdys Wegführerin und Mutter von vier seiner eigenen Kinder aus erstem Leben. Dann fügte sie mit einer Spur Verruchtheit in der Stimme hinzu: "Also ist er doch nicht der auf eine einzige Hexe festgelegte biedere Anstandszauberer. Das lässt mich hoffen, dass eine meiner Töchter oder Enkeltöchter oder ich da selbst mal von ihm sowas süßes kleines zu tragen bekommen wie diesen Félix Richard Roland, falls er noch einen Sohn für irgendwen oder irgendwas braucht."

Perdy wollte schon sagen, dass er ja selbst noch hoffte, mit ihr ein weiteres Kind zu haben. Doch er verkniff es sich. Seine Mentorin, Geliebte und Unterstützerin hatte da so ihre ganz eigenen Vorstellungen. Da konnte er nur abwarten, bis sie sich ihm wieder zuwandte. Doch hoffen durfte er, sonst hätte er sich sicher auch nicht auf eine Wiederverjüngung eingelassen.

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04.05.2005

Er war kurz vor dem Ziel. Piedraroja war ihm nun sicher. Es hatte einige Wochen gedauert, ihn zu beschwatzen, ihm Angebote zu machen und mögliche unangenehme Auswirkungen anzudeuten. Heute wollte er noch einmal mit zwei ihm treu ergebenen Unterhändlern nach Mexiko-Stadt, Piedraroja zu besuchen. Natürlich durfte keine Zeitung was davon mitbekommen.

Er wusste, dass es eine riskante Sache war, sich bei aller Missstimmung gegen sein Ministerium aus dem sicheren Haus zu wagen. Doch wenn er sein Vorhaben zu Ende bringen wollte, dann ging das nicht anders.

Lionel Buggles und die beiden Außentruppler Ryan McFarlane und Silas Cumberland hielten sich an einem zerfledderten Tischtuch fest, das wohl schon mit den ersten Kolonisten aus Europa in die neue Welt gekommen sein mochte.

Buggles zählte die letzten drei Sekunden bis neun Uhr Ostküstenzeit herunter. Dann wurden sie drei in einen bunten Farbenwirbel hineingesogen. Der rasante Flug durch das unendliche Farbenmeer dauerte etliche Atemzüge lang. Dann fielen sie aus dem wilden Wirbel heraus genau auf einen ausgebreiteten Teppich aus Alpacawolle. Als sie sich wieder orientieren konnten sahen Buggles und seine beiden Begleiter, dass sie in einer tempelartigen Vorhalle herausgekommen waren, die eindeutig den Kultstätten der Azteken nachempfunden war. Unter der Decke schwebten goldene Zauberzeichen, und an einer der Wände hing ein lebensgroßes Vollporträt von Ernesto Alvaro Lunaplata de los Rios dorados, dem ersten im unabhängigen Mexiko geborenen obersten Zauberrat. Ja, hier waren sie goldrichtig gelandet. Die Portschlüsselabteilung hatte wieder einmal zuverlässig gearbeitet.

"Buenvenidos Señores!" grüßte eine schwarzgelockte Hexe im Kostüm aus hellgrünem wadenlangen Rock und sonnengelber Bluse. "Ich bin Rosaroja Hidalga Puenteverde. Ministre Piedraroja erwartet sie bereits. Doch bitte füllen Sie diese Besucheranmeldung für hochrangige Auslandsgäste aus", sagte die Empfangsdame im akzentfreien US-Englisch. Offenbar hatte sie eine lange Zeit dort zugebracht.

"Selbstverständlich", erwiderte Buggles leutselig und füllte das ihm vorgelegte Formular aus, wobei er im Feld "Grund des Besuches" nur "vertrauliche Unterredung benachbarter Zaubereiminister" eintrug. Auch Ryan McFarlane und Silas Cumberland füllten die Besucheranmeldungen aus. Eigentlich hatte Buggles damit gerechnet, ohne diese offizielle Anmeldung auszukommen. Denn je weniger Leute wussten, was er hier wollte, desto sicherer würde sein Erfolg sein.

Die junge Empfangshexe führte die drei Besucher aus dem nördlichen Nachbarland zu einem diskreten Vier-Personen-Aufzug, der nicht an jeder Zwischenetage anhielt, sondern nur zwischen Empfangshalle und Ministeriumsetage pendeln konnte. Deshalb erfolgte auch keine magische Ansage des erreichten Stockwerks, sondern nur ein melodischer Dreiklanggong.

Buggles war nur zweimal in seinem bisherigen Leben im Büro von Andrés Piedraroja gewesen, einmal mit Milton Cartridge und einmal mit seinem direkten Vorgänger Chroesus Dime, der bis heute verschwunden blieb. Deshalb nahm er den breiten Mahagonischreibtisch und die drei Besucherstühle und den wuchtigen Sessel mit schwarzem Büffellederbezug nur am Rande zur wahr. Er konzentrierte sich auf den kleinen, untersetzten Mann im himbeerfarbenen Umhang, der im Sessel saß. An der Wand hinter ihm hing ein breitkrempiger weißer Hut, wie er für die mexikanische Folklore typisch war.

"Willkommen in der Residenz des mexikanischen Zaubereiministeriums", grüßte der kleine Mann die drei Besucher. Buggles bedankte sich bei ihm und stellte ihm seine beiden Begleiter vor. Er gab an, dass sie zu seinen Unterhändlern gehörten und neben Englisch auch Spanisch und Brasilportugiesisch sprachen. "Das ist oft sehr praktisch, wenngleich ich mich auch manchmal frage, ob die Nachbarn in Guatemala oder die Chilenen Spanisch sprechen oder ob ich was anderes spreche", erwiderte Andrés Piedraroja. Buggles räumte ein, dass er sich das bei Australiern oder Leuten aus Texas auch immer wieder fragte, wer da Englisch und wer was anderes sprach. Dann waren der humorvollen Belanglosigkeiten genüge getan.

Die nächsten fünfzehn Minuten verliefen in einer teils angeregten bis angespannten Atmosphäre. Natürlich wollte Piedraroja eine vertiefung der Beziehungen mit dem nördlichen Nachbarn. Natürlich erhoffte er sich auch eine Verbesserung der Lebensqualität seiner Landsleute. Doch ebenso sorgte er sich um die Eigenständigkeit der mexikanischen Zauberergemeinschaft, wenn es zu dem von Buggles vorgeschlagenen nordamerikanischen Dreierbund kommen sollte. Abgesehen davon wollte Piedraroja nun ganz genau wissen, welche Vor- und welche Nachteile es habe, wenn er sein Amt als Minister aufgeben und in einer vereinten Zaubereiadministration eine eher untergeordnette Rolle spielen würde. Denn es war ja unzweifelhaft, dass Buggles diesen Dreierbund nicht vorschlug, nur um selbst darin eine untergeordnete Rangstellung zu bekleiden. So entwarf US-Zaubereiminister Buggles seinem Kollegen eine rosige Zukunft, in der es keine Einreisebeschränkungen mehr für dessen Landsleute gab, wo es sogar gemeinsame Forschungsprojekte auf dem Gebiet der Thaumaturgie und Zaubertrankbraukunst geben mochte. Ja, und sofern die Kanadier dem angestrebten Dreierbund zustimmten ergaben sich wie auch schon bei den Magielosen wesentlich bessere Handelsmöglichkeiten, auch wenn die nichtmagischen Mitbürger über die gehäufte illegale Einwanderung aus Mexiko schimpften. Doch wenn es eine gemeinsame Administration der Zauberergemeinschaften Nordamerikas gebe, so könnten zumindest die magisch begabten Mexikaner ihren Wohnsitz frei wählen, falls sie dies wünschten. Natürlich wurde Buggles gefragt, ob Kanada einer solchen Zusammenführung zustimmen würde, zumal die kanadische Zaubererwelt sich ja doch noch sehr von London vorgeben ließ, was sie zu tun und zu lassen hatte, was ja im sogenannten dunklen Jahr 1997 zu einigen unangenehmen Zwischenfällen geführt habe. Buggles konnte das nicht verneinen, legte jedoch sofort nach, dass dieses nicht möglich gewesen wäre, wenn Kanadas Zaubereiverwaltung selbst über die Einreise von Hexen und Zauberern hätte bestimmen dürfen und gerade das dunkle Jahr die Nachbarn im hohen Norden Amerikas dafür empfänglich waren, vom fernen London unabhängig zu sein. Das wiederum griff Piedraroja auf und fragte: "Ja, unabhängig von England. Aber dann würden sie ihre Eigenständigkeit aufgeben, um mit Ihnen und vielleicht mit mir einen Dreierbund zu begründen. Immerhin gibt es in Kanada viele wichtige Hexen und Zauberer, die gerade die gewisse Entfernung zu London schätzen, aber auch die Anbindung an das ehemalige britische Weltreich verehren, vor allem die Königin und ihre Ehrentruppen. Was bieten Sie den Kollegen in Kanada an?"

"Im wesentlichen dasselbe wie Ihnen, Andrés. Wir bündeln alle unsere Möglichkeiten und schaffen eine wehrhafte Vereinigung, die sich gegen unser aller Feinde, die Vampire, Werwölfe und dunklen Bruderschaften und Schwesternschaften behaupten kann. Jedes unserer drei Länder ist so schon stark. Aber wenn wir uns zusammentun und vereint auftreten gewinnen wir mehr als die Summe der einzelnen Stärken", pries Buggles die Vorzüge einer vereinten nordamerikanischen Zaubererwelt an. Gerade mit den Werwölfen, so wusste er, hatte er Piedraroja gut am Haken. Denn diese betrachteten Mexiko als ihren eigenen Rückzugsraum. Piedraroja hatte dagegen nicht viel ausrichten können. So spielte Buggles seinen bisher verdeckten Trumpf aus.

"Ich stehe in sehr vielversprechenden Verhandlungen mit den Erfindern jener Vorrichtung, mit der missfällige Werwölfe in großer Zahl und ohne Gefährdung unschuldiger Menschen ausgeschaltet werden können. Bisher plane ich die Einrichtung eines entsprechenden Abwehrnetzes für die USA. Doch ich gehe davon aus, dass Kanada ebenfalls daran interessiert ist, diese üblen Verbrecher, die sich Mondgeschwister nennen, aus der Welt zu schaffen. Das könnten Sie auch haben, Andrès."

"Öhm, viele vor allem von indigenen Hexen und Zauberern abstammende Mitbürger verachten diese Methode, und viele Hexen wollen nichts mit der Gruppierung zu schaffen haben, aus deren Reihen diese Erfindung stammt, Lionel", wisperte Piedraroja. "Doch wenn wir beide ehrlich sind, so nutzen diese Bandidos von der Mondbruderschaft diese Abneigung aus, um ihre eigenen Untaten zu begehen. Haben Sie denn überhaupt den Rückhalt in ihrer Behörde, um sich mit den Erfindern dieser Methode zu einigen?" wollte Piedraroja noch wissen.

"Bis auf jene, die meinen, ich hätte mich an Vita Magica verkauft stehen alle Ministeriumsbeamten hinter mir und billigen die aus der Notlage erwachsenen Notmaßnahmen. Abgesehen davon haben die Kritiker doch keine Ahnung, wie bedrohlich die Lage schon ist. Doch sobald ich es ihnen zu erklären versuche schimpfen sie mich einen Lügner. All das, was wir bisher erörtert haben läuft darauf hinaus, dass wir uns sehr bald schon fragen müssen, ob wir unsere magischen Mitbürger diesen Bestien überlassen sollen oder nicht. Wie gerade erwähnt, Andrés, plane ich deshalb bereits ein Überwachungs- und Abwehrnetzwerk für die USA. Dann werden wir dieses Problems schon Herr."

"Sie ja. Aber diese bepelzten Verbrecher werden dann weiter zu uns herüberkommen und sich bei uns zwischen die nichtmagischen Kriminellen mischen, deren Skrupellosigkeit und Verschlagenheit ebenso gefährlich ist, auch ohne dass sie den Lykanthropiekeim im Blut tragen."

"Das ist leider nicht ausgeschlossen", sagte Buggles. "Wie gut haben Sie bisher gegen diese Gruppierung angekämpft?"

"Die haben sich verlassene Haciendas und Geisterdörfer der Indios angeeignet und paktieren mit den Nachfahren jener Stämme, die uns europäischstämmige Mexikaner lieber gestern als morgen aus dem Land jagen wollen, Lionel. Sie finden Zulauf und Nachwuchs in den Armenvierteln unserer Städte, ebenso die verfemten Vampiros dieser Puta grande, die sie als ihre Göttin verehren. Jetzt muss ich sie fragen, wie Sie mit diesen Unwesen zurechtkommen, Lionel."

Lionel Buggles zählte alle getroffenen und bereits in Vollzug befindlichen Maßnahmen auf, um die Vampire zu vergrämen oder bei Sichtung zu töten. Er baute da auch auf das Marie-Laveau-Institut, das ja trotz einiger Kritiker nach wie vor eine eigenständige, aber mit dem Ministerium zusammenwirkende Institution sei. So wäre es in den USA gelungen, einige Rückzugsorte dieser angeblichen Göttin zu vernichten. Doch die Vampire seien sehr beweglich und würden sich dann eben andere Rückzugsgebiete suchen, von wo aus sie eine Invasion der Staaten vorantreiben konnten. Buggles warf wie nebensächlich ein, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis die Grenzen für mexikanische Besucher oder einwanderungswillige abgeriegelt werden würden. Falls es mit Kanada zu einer Einigung käme gäbe es eben einen angloamerikanischen Zweierbund. Piedraroja stehe ja selbst wohl schon in Beistandsverhandlungen mit den südlichen Nachbarn.

"Verhandlungen? Möchten Sie mich jetzt verhöhnen, Kollege Buggles? Wir Mexikaner werden von denen doch als Ihr dreckiger Hinterhof gesehen und dass sie, die angeblich einzig wahren Hispanoamerikaner im Zusammenwirken mit den Inddios mehr magische Vielfalt und Unabhängigkeit erreicht hätten als wir. Unser peruanischer Kollege hat mich doch auf dem letzten hispanoamerikanischen Zaubererwelttreffen gefragt, ob es nicht besser wäre, dass unsere Bundesstaaten nicht auch noch US-Bundesstaaten würden, wo doch da alles so reich und erfolgversprechend ist. Tja, und der argentinische Kollege hat dazu nur gegrinst."

"Ja, davon habe ich gehört, als ich mich mit dem kolumbianischen Kollegen darüber beraten hatte, wie wir den Strom von südamerikanischen Zauberkräutern in die Staaten besser überwachen können. Der meinte dann zu mir, dass ich ja dann erst mal meinen Hinterhof kehren sollte, bevor ich ihn wegen unerlaubter Warenbeförderung belangen könnte und hat ziemlich deutlich mit dem Finger auf Ihr großes Land gezeigt. Ich habe so getan, als verstünde ich nicht, was er meine, ja sogar die Frechheit besessen, ihm geografische Unkenntnis zu unterstellen. Resultat: Der Kollege aus Bogota hält Sie bereits für an uns angeschlossen." Buggles musste sehr scharf aufpassen, nicht triumphierend dreinzuschauen, als er Piedraroja diese Vorhaltung machte.

"So, meint er das wirklich?" fragte Piedraroja verstimmt. Buggles und seine Begleiter nickten heftig. "Das ist der blanke Neid, weil der mit den immer aufsessiger werdenden Eingeborenen nicht fertig wird und die von sich aus eine Wiederbelebung der alten Reiche vor Columbus erträumen. Aber das Problem haben wir bei uns doch auch, dass alte Zauber der Azteken und Mayas wieder an Beliebtheit gewinnen und unsere beiden Zauberschulen sich sehr anstrengen müssen, die Unsicherheit dieser uralten Zauber zu belegen, damit ihre Schüler die nicht klammheimlich erlernen."

"Wirklich, Ihre Lehrer unterdrücken das alte Wissen?" fragte Buggles. "Bei unseren Zauberschulen gibt es genug Angebote, auch alte Zauber der ersten Völker zu erlernen, wie die ursprünglichen Bewohner sich jetzt bei uns und in Kanada nennen lassen wollen. In Ilvermorney, Dragonbreath und Thorntails haben in den letzten Jahren auch Angehörige der Ureinwohner wichtige Posten erreicht, was wiederum den Nachfahren der afrikanischen Sklaven nicht so behagt, weil die sich gleich zwischen zwei Interessengruppen eingekeilt empfinden", sagte Buggles. "Deshalb ist es doch wichtig, dass wir die Vielfalt und die Gemeinsamkeiten gleichermaßen zusammenbringen, um keine Angriffspunkte zu bieten, wo Gruppierungen wie die Mondgeschwister oder die Spinnenhexen ansetzen können."

"Und was ist nun mit Vita Magica. Sind diese für Sie nun teilweise geisteskranke Kriminelle oder eine zu beachtende Interessensgruppe?"

"Wie erwähnt stehe ich in Verhandlungen mit den Erfindern der Werwolfvernichtungsmethode. Dabei geht es auch darum, ob Vita Magica einfach so Leute dazu treiben kann, gegen ihren Willen Nachwuchs zu bekommen oder es als reines Angebot für jene zu sehen, die bisher keine Kinder hatten und gerne welche haben möchten. Das bedingt jedoch, dass die Unterhändler nicht fürchten müssen, wie Verbrecher verhaftet und eingesperrt zu werden."

"Dime hat damals unter Zwang gehandelt, wissen wir doch. Würden Sie einen neuerlichen Friedensvertrag mit diesen Leuten schließen, oder haben Sie dies sogar schon längst, Kollege Buggles?" fragte Piedraroja argwöhnisch.

"Sagen wir es so, ich habe bereits einen Waffenstillstand zwischen denen und uns erreicht, weil wir ja doch alle gemeinsame Feinde haben, die sich nur noch mehr freuen, wenn wir uns gegenseitig vom fliegenden Besen schupsen. auf dem Boden der USA ist es seit jener auch Ihnen bekannten Halloweenfeier zu keiner unfreiwilligen Fortpflanzungsorgie mehr gekommen."

"Ja, aber in Kanada und Italien ist es dazu gekommen", sagte Piedraroja. Buggles hätte fast vor Freude aufgeschrien. Denn das Stichwort Italien hatte einen weiteren Grund für eine Zusammenlegung der nordamerikanischen Staaten eröffnet.

"Sie wissen ja auch, dass Ladonna Montefiori versucht hat, sich alle europäischen Zaubereiminister auf einmal gefügig zu machen. Sie wird es wohl auch bei uns versuchen. Gelingt ihr das bei einem, sind die beiden anderen genauso hinfällig. Wollen Sie, dass diese Sabberhexentochter sich in Ihrem bequemen Sessel flätzt? Ich biete ihr jedenfalls nicht meinen Sessel an."

"Das fehlte mir noch", grummelte Piedraroja. Dann sagte er: "Sprechen wir davon, was ich in diesem Bündnis noch bewirken kann, Kollege Buggles."

Eine weitere Viertelstunde später war Buggles endlich am Ziel. Unter der schriftlichen Bedingung, dass Piedraroja und seine Familie weiterhin wichtige Ämter in der neuen Vereinigung bekommen würden war er bereit, auf das Ministeramt zu verzichten, zumal Buggles ihm klargemacht hatte, dass es ja nur noch eine Frage der Zeit sei, bis die Lykanthropen ihn und seine Familie als legitimes Angriffsziel auswählen würden. Auch wollte Piedraroja für seine Landsleute dieses blaue Licht, mit dem die Werwölfe vernichtet werden konnten. So willigte er ein, ein bereits von den letzten Treffen und dem heutigen Protokoll abgeleitetes Abkommen zu unterschreiben, dem sich Kanada auch noch anschließen konnte, wenn es sich von London lossagen konnte.

"Unsere großen sieben müssen dem noch zustimmen, weil es ja auch um deren Kompetenzen geht", sagte Piedraroja. Damit hatte Buggles gerechnet und musste sich erneut sehr stark beherrschen, keine Überlegenheit zu verraten. Denn Ms. Whitecap, die Vermittlerin zwischen ihm und der Gruppierung, hatte bereits angedeutet, dass die sieben höchsten Rechtsweisen Mexikos bereits mehrheitlich mit der Gruppierung zusammenarbeiteten, auch weil drei von denen Mitglieder sein sollten. So sagte er: "Dann legen Sie Ihren sieben höchsten Richtern dieses Protokoll und die von Ihnen und mir erarbeitete Vorvereinbarung vor, Andrés! Falls ich recht informiert bin gilt bei den sieben Richtern in solchen Fällen eine mehrheit über fünf von sieben für ein Ja oder Nein. Richtig?" Piedraroja nickte. "Ja, aber solche Entscheidungen können Wochen oder Monate dauern, weil immer wieder welche von denen neue Unterlagen und Gutachten anfordern oder sogar Zeugen befragen, die erst im Laufe der Verhandlung ermittelt wurden. Gehen Sie also davon aus, dass wir vor dem ersten Juni oder ersten Juli nicht zusammenfinden, Lionel."

"Machen Sie den fünf Herren und zwei Damen begreiflich, dass umständliches Wiederholen von vorgelegten Grundlagen möglicherweise Menschenleben kosten kann, da die Werwölfe je länger die Unterredung dauert über ihre eigenen Spione erfahren könnten, dass jemand was gegen sie plant. Das wollen Sie sicher nicht wirklich, Andrés."

Piedraroja schüttelte wild den Kopf. Dann sagte er: "Ich werde auf die Gefahrenlage hinweisen und auf bereits von den sieben erlassene Geheimurteile zur Ermittlung und Bestrafung krimineller Zauberwesen. Auf der Grundlage können sie dann hoffentlich ein wenig schneller befinden, ob oder ob nicht. Aber Ihre großen Zwölf müssen da sicher auch noch drüber beraten, oder?"

"Denen liegt bereits mein Entwurf für eine Zusammenlegung vor. Ich werde ihnen gleich nach meiner Rückkehr unsere Vorvereinbarung dazulegen. Sollten die zwölf, die mit mindestens sieben Stimmen dafür oder dagegenstimmen müssen, an unserem Abkommen was unzulässiges finden, dann sollen die mir mitteilen, wie sie es gerne hätten."

"Tja, und die Kanadier hängen an der Londoner Langlaufleine und unterstehen damit deren Gamot, wenn sie eine Gesetzesnovellierung planen", grummelte Piedraroja. Buggles nickte. Doch auch hier wusste er schon, dass an dem Problem gearbeitet wurde.

Mit einem unterschriebenen Vorvertrag über die Zusammenlegung der mexikanischen und US-amerikanischen Zaubereiverwaltung kehrten Buggles und seine Begleiter nach Washington zurück. Wahrscheinlich hatte er Piedraroja auch damit bekommen, dass er dann die spanischsprachige Zauberergemeinschaft Kaliforniens, Neumexikos und Texas' verwalten durfte und somit de facto die im mexikanisch-US-amerikanischen Krieg verlorenen Gebiete zurückgewinnen würde, ohne dass die Magielosen dies- und jenseits des Rio Grande oder Rio Bravo das mitbekamen.

Jetzt fehlte nur noch Kanada, um den Traum von der nordamerikanischen Zaubereiadministration Wirklichkeit werden zu lassen.

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6. Mai

Atalanta Bullhorn musste den Leitartikel des Kristahllheroldes zweimal lesen, um es zu glauben, was da stand. Obwohl, war das überhaupt die Wahrheit. Der wie mit Teer und Pech an seinen Ministersessel angeklebte Lionel Buggles hatte allen Ernstes über seinen willigen Kettenhund Catlock verbreiten lassen, dass jeder, der an angeblich den Frieden störenden Wortbeiträgen beteiligt war, mit einer mehrmonnatigen Haft in Doomcastle rechnen müsse, allerdings nicht wie bei Schwerverbrechern getrennt an Leib und Seele. Da Atalanta Bullhorn sich gerade gestern wieder sehr kritisch oder gar abfällig über Buggles und seine Notstandspolitik geäußert hatte galt das dann auch für sie.

"Na, werden Sie demnächst noch einmal aus unserem schönen Gässchen hinausgehen um zu gucken, wie das Wetter draußen ist, Atalanta?" fragte Virginia Picket die Hexe, die von der Stimme des Westwinds als "die ewige Kandidatin" bezeichnet wurde.

"Ich habe langsam den Eindruck, dass Ihr werter Herr Vater sich mit Buggles zusammengetan hat, um einen Gefängnisstaat aus den USA zu machen. Anders kann ich das nicht begreifen, dass Ihr Vater und die anderen elf obersten Richter dieses Vorgehen immer noch dulden oder gar unterstützen."

"Da sagen Sie was, Madam Bullhorn. Ich habe meinen Vater vorgestern ganz privat angeeult und gefragt, ob er und die anderen elf nach dem großen Paukenschlag vom letzten Jahr, wo sie diesen obskuren Friedensvertrag mit den VM-Banditen abgelehnt haben, einen eigenen Friedensvertrag mit ihm geschlossen haben, dass er immer mehr Überwachungsgesetze durchsetzen kann, wenn sie dafür noch mehr Einfluss auf das allgemeine Leben kriegen. Der hat mir da tatsächlich einen Heuler zurückgeschickt, den ich gleich im Pontchartrain-See versenkt habe. Trotzdem konnte ich noch hören, dass er mir unterstellt, ich wolle alles kaputtmachen, was in den letzten zweihundert Jahren gewachsen sei und ich solle nicht zu viel auf "altjüngferliche Hexenweiber" hören, die sich ihrer "natürlichen Verpflichtung" verweigerten und ihnen auch nicht weiter nacheifern, sondern endlich wen finden, der meine und damit auch seine Blutlinie verlängern hilft. Dann käme ich auch nicht mehr auf so paranoide Ideen."

"Mit den altjüngferlichen Hexenweibern meint der doch nicht etwa mich oder Tana Beanroot?" fragte Atalanta Bullhorn.

"So alt sind Sie doch noch nicht, Atalanta", sagte Virginia Picket. Doch damit verriet sie der Hexe mit der goldblonden Löwenmähne und den stahlblauen Augen, dass Fitzroy Picket, Mitglied des obersten Zwölferrates der magischen Gerichtsbarkeit der USA, tatsächlich sie gemeint haben musste.

"Und, wer ist der glückliche, der Ihnen beim Verlängern der Blutlinie helfen darf?" fragte Atalanta Bullhorn mit verwegenem Grinsen. "Ich verstehe nicht, dass er jetzt auf sowas kommt, wo es doch wichtigere Sachen gibt", meinte Virginia. "Abgesehen davon hat er mir vor nicht einmal einem halben Jahr geraten, erst einmal meine Endprüfung zur hauptamtlichen Beisitzerin zu machen, damit ich bei öffentlichen Verhandlungen mitwirken darf. Er meinte, ich würde ihn sicher gut beerben, wenn ich mich ranhielte. Wenn das nicht seine Stimme und nur von ihm gewählte Worte gewesen wären würde ich behaupten, dass der Heuler nicht von meinem Vater sein kann", flüsterte Virginia. Atalanta nickte unmerklich. "Aber ansonsten hat er nichts zu Ihrem Einwand geäußert, Virginia?"

"Nein, mit keinem Wort, als hätte ich ihm die größte Unverschämtheit seines Lebens an den Kopf geworfen oder dergleichen. Noch einen angenehmen Tag, Atalanta!"

"Ihnen auch, Virginia", wünschte die ehemalige Majorin der Inobskuratorentruppe. Dann sah sie der derzeitigen Nachbarin nach, wie sie im Haus Weißrosenweg 21 verschwand.

"Kann es sein, dass diese Babymacherbagage sich jetzt auch an die höchsten Richter heranmacht?" fragte sich Atalanta. "Nur solange das nicht bewiesen werden kann riskiere ich sicher nicht meine körperlich-seelische Einheit. Aber bedenken muss ich das wohl und zumindest andere zum nachdenken anhalten", dachte sie noch. Dann ging sie zum Gasthaus zum betrunkenen Drachen, das um diese Tageszeit sehr gut besucht war. Für Bachus Vineyard und seine Frau Philomena erwies sich die angespannte Lage als Konjunkturbeschleuniger. Denn es hatte sich herumgesprochen, dass der Protectio-Nativorum-Zauber, der über dem Weißrosenweg aufgespannt war, nicht nur gegen Vampire und Werwölfe schützte, sondern auch vor aufdringlichen Ministeriumsmitarbeitern. Außerdem hatte sich der zwischen den Straßen der Magielosen versteckte Weißrosenweg als Symbol für den Kampf um die eigene Bewegungsfreiheit entwickelt. Der einzige, den das störte, war der bärengleiche Grizwald Paddington, weil dessen Bekannte, die Sabberhexe Aubartia, nicht durch den Schutzbann gelangen konnte, wohl weil das Verzehren kleiner Kinder in der Natur ihrer Daseinsform lag, auch wenn sie sich schon längst nicht mehr von unschuldigen Kindern ernährte. Deshalb kam Paddington auch nicht mehr zum üblichen Stammtisch der Zauberwesenkundler in den Betrunkenen Drachen.

"hallo, Madam Bullhorn. Haben Sie Buggles heute wieder tüchtig eingeschenkt?" fragte der rundliche Gastwirt die athletische Hexe. "Ja, hoffe ich wenigstens. Deshalb dürfen Sie mir gleich gerne einschenken. Haben Sie wieder was von diesem südfranzösischen Apfel-Honigwein-Gemisch da?"

"Seitdem VDS von der restlichen Welt abgeschnitten ist kommen keine Express-Himmelswürste mehr über den Salzwassergraben rüber. Und seitdem wir nur noch unser grünes Fitzelgeld benutzen dürfen ist das mit internationalen Geschäften schwierig, Atalanta", sagte Bachus Vineyard. "Aber ich habe von Tori Davenport aus Kentucky was gleichwertiges zugeschickt gekriegt, Erdbeerlikör mit 30 Jahre altem Bourbon verfeinert."

"Whisky? Dann lieber doch den kalifornischen Orangenlikör mit Zimt", sagte Atalanta Bullhorn. Darauf rief ein Mann mit unverkennbar irischem Akzent: "Bourbon ist kein Whisky, sondern eine Frechheit."

"Ach, Aidan Riley, auch wieder da?" wollte die "ewige Kandidatin" wissen. Der Angesprochene, unverkennbar von irischen Einwanderern abstammende Gast grinste breit. "Seitdem Sie mir sozusagen den Weg zur Arbeit verschüttet haben, Ma'am, immer dann, wenn ich genug vom grünen Confetti zusammenkriege, um anständigen irischen Single-Malt zu trinken."

"Ich habe Ihnen nicht dazu geraten, bei Ihrem Vorgesetzten Picton Stunk zu machen, weil Sie mit ihrem Großonkel wieder Frieden haben wollen, Aidan. Ich habe nur gesagt, dass wir es uns nicht mehr gefallen lassen dürfen, dass jemand mit Angst und Panikmache unser aller Freiheit Stück für Stück abbaut und dann auch noch die internationalen Handelsmöglichkeiten verdirbt, indem er ein nur in den Staaten gültiges Zahlungsmittel durchsetzt."

"Was genau das ist, was ich meinem Abteilungsleiter auf den Tisch geknallt habe, Madam Bullhorn. Tja, und da hatte ich dann nur die Wahl, entweder wegen erwiesener Insubordination gekündigt werden und für drei Monate in den Seelenkäfig abzuwandern oder freiwillig zu kündigen. Und was meinen Großonkel, den Halbkobold, angeht, der würde Sie auch nicht wählen, wo sie vor einem Tag wieder was von einer Kopfsteuer für gemischtstämmige Bürgerinnen und Bürger losgelassen haben."

"Nur so kriegen wir das mit den unterschiedlichen Zauberwesenabkömmlingen unter Kontrolle, Aidan", sagte Atalanta Bullhorn. "Sie hatten es bisher ja noch nicht mit solchen Gegnern zu tun, die von Wassermenschen, Vampiren oder Ogers abstammen oder gar von kanadischen Bergtrollinnen."

"Ja, Ihr Pech, dass Gloria Puddyfoot sich offen zu Buggles bekannt hat", grinste Riley.

"Ja, und Ihr Pech, dass unser fröhlicher Gastwirt hier demnächst nur noch amerikanische Spirituosen ausschenken kann. Denn wenn ich meinen französischen Honigwein-Mix nicht mehr bekomme, dann ist es bald auch aus mit dem irischen Single-Malt-Whisky."

"Wohl dem, der weiß, wo er welchen herkriegt", grinste Riley. "Aber das verrate ich besser nicht, weil sonst jeder Verehrer des edlen Lebenswassers da rankommen will und der Stoff für mich selbst zu teuer wird. Zum Wohl!"

Atalanta Bullhorn unterhielt sich noch mit weiteren Gästen, darunter Livius Porter vom Kristallherold. Der war gerade dabei, einen Artikel über die nun endgültig verdorbene Quodpotsaison zu schreiben. Weil es dabei auch und vor allem um die von Buggles und seinen Leuten aufgeladenen Beschränkungen ging hatte ihn sein Kollege Midstone, der sonst über reine Gesellschafts- und Politikereignisse schrieb schon gefragt, ob er diesen nicht mal vertreten wolle, um mitzukriegen, wie verschlungen und schlüpfrig die Pfade der höheren Ministerialpolitik sein konnten.

"Ich bleibe aber beim Sport. Da weiß ich wenigstens, was Fair und was unfair ist", grummelte Livius Porter und genoss das angeblich nach echt deutschem Rezept gebraute Weizenbier aus Texas.

Gegen Abend sah auch Melanie Chimer im Betrunkenen Drachen vorbei. Dass sie seit zwölf Wochen schwanger war konnte ihr noch keiner ansehen. Auch konnte Atalanta es nicht nachempfinden, dass sie angeblich aus sich heraus vor neuer Lebenskraft strahlte. Solche Behauptungen mussten sich werdende Hexenmütter immer wieder anhören. Dass die meisten dabei lächelten nahm sie als Ausdruck einer hilflosen Heuchelei, weil sie die Komplimentemacher nicht verärgern durften.

Livius Porter verließ gegen halb elf die Außenterrasse des berühmten Wirtshauses. Offenbar hatte er dem Weizengebräu nach deutscher Rezeptur wohl ein wenig zu gut zugesprochen. Denn er musste beim Aufstehen von seiner älteren Tochter gestützt werden. Viele behaupteten, dass Livius seit dem Tod seiner Frau gerne mal einen über den Durst trank, aber auf der anderen Seite auch sehr verbissen seiner Arbeit nachging, ja lieber vier Überstunden herausarbeitete als etwas auf den nächsten Tag zu verschieben. Seitdem Atalanta im Weißrosenweg "Asyl" gefunden hatte bekam sie solche Geschichten mit, ob es sie betraf oder nicht, ob sie was davon hatte oder nicht. Doch irgendwie merkte sie, dass das Leben eben nicht nur aus Jagd und Kampf, Bedrohung und Entscheidungsschlacht bestand, sondern auch mit ganz alltäglichen Schicksalsschlägen und unentgeltlicher Fürsorge und Hilfsbereitschaft zusammenhing. Falls sie doch noch einmal für das Ministerinnenamt kandidieren wollte sollte sie das vielleicht beherzigen, nicht nur nach Feindbildern oder Gegensätzen zu suchen, sondern auch dem allgemeinen, nicht minder wichtigen Beachtung zu gewähren.

Als sie um kurz vor Mitternacht in ihrem angemieteten Appartment im Weißrosenweg Nummer neun im Bett lag dachte sie daran, wielange sie das noch so laufen lassen konnte, wie es lief. Jeden zweiten Tag eine Rundfunkansprache halten, den Missbrauch von Angst und Besorgnis zur eigenen Machterhaltung anprangern, aber dabei im Grunde selbst auf eine eigene Rangstellung abzielend. Vielleicht sollte sie doch davon ablassen und sich mit den anderen abtrünnigen Inobskuratoren in deren sicherer Festung bei Phoenix zurückziehen und warten, wann ihr Tag kommen würde. Doch dann fiel ihr ein, dass ihre innere Tiergestalt eine Löwin war, kein Vogel Strauß. Sie hatte aus dem Kelch der möglichen Machtfülle genippt und wollte nun nicht mehr einfach nur noch Befehle ausführen, sondern grundsätzliches bewirken, und sei es, erst einmal einen riesigen Scherbenhaufen zusammenzukehren und irgendwie zu kitten, weil es mit dem Reparo-Zauber nicht klappen würde.

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07.05.2005

Lucky Merryweather betrachtete die von ihm zusammengetrommelte Gruppe von Hexen und Zauberern. Seit einem halben Monat tüftelte er schon mit den Thaumaturgen von VDS an diesem großen Zauberstück. Heute würden sie denen da draußen zeigen, dass sie noch da und noch nicht verhungert waren.

"Okay, Ladies and Gentlemen, jeder nimmt im Abstand von genau sieben Metern zum Nachbarn Aufstellung. Ja, ich weiß, die Hüte sind schwer. Aber ihr kriegt das schon hin, sie gleichmäßig hochzustrecken. Jill, du hast den Setzkasten mit?" Eine junge schlanke Hexe, eigentlich als Nachwuchsvorblockerin der Windriders gestartet, trat mit einem silbernen Kasten hervor. "Ich habe den Kasten, Lucky. bin gespannt, ob das im großen auch so klappt. Von unten können wir's ja nicht sehen."

"Leider wahr. Aber du hast ja die Kontrolle, ob die Buchstaben alle ruhig liegen. Öhm, Mac, ist der Brathahn auf Posten?"

"Du meinst Old Screamy. Joh, der dreht schon seine Runden über uns und hat auch diese Mitglotzlinse am Hals hängen, der arme Vogel."

"Okay, Leute! Zeit für die große Schau!" kommandierte Lucky Merryweather.

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Cane Warrington war Catlocks oberster Späher. Das hieß, er hielt bestimmte Häuser oder Ortschaften mit Hilfe von dressierten Greifvögeln unter Beobachtung, während er selbst im geschützten Haus saß und die beobachteten Eindrücke in einen Schallsammler sprach. Gerade flog der mit einem Mitsehauge versehene Adler Skyscreamer über Viento del Sol seine Runden. Der Vogel konnte weit genug außerhalb des Schutzbanns von Viento del Sol sehr gut beobachten, was dort passierte. Andere Vögel mit den nützlichen Mitsehaugen wurden in roten Lichtexplosionen weit entfernt abgesetzt, wenn sie in den Feindesabwehrbereich eindrangen.

Gerade beobachtete Skyscreamer, den sein Halter auch Screamy rief, wie auf dem Wochenmarkt neue Waren verkauft wurden. Wie kam der Fischhändler an frischen Fisch heran? Dass die Bewohner weiterhin Gemüse anbauten, das sie mit offenbar selbstgemachtem Dünger nährten, hatte Warrington ja schon längst weitergemeldet. Aber wie kam bitte der frische Fisch auf den Markt, wo die Bewohner nicht einmal ans Meer konnten? Dann konnte Warringtons Späher noch was merkwürdiges beobachten. Auf dem Marktplatz fanden sich 350 Hexen und Zauberer ein. Zunächst trugen sie alle blütenweiße Spitzhüte. Doch dann formierten die Versammelten sich zu einem Rechteck, dessen lange Seiten genau entlang der Nord-Süd-Richtung verliefen. Als sie so aufgestellt waren sah es so aus, als flössen die Spitzen der weißen Hüte zu einer einheitlich weißen Fläche zusammen. Die Fläche wuchs auf das dreifache und dann auf das fünffache an, schien den ganzen Marktplatz überdecken zu wollen. Was dies sollte erfuhr der Späher keine halbe Minute später. Denn nun traten erst grau und dann tiefschwarz deutlich lesbare Buchstaben auf der Fläche hervor:

Eure Glocke ist der Käse.
Draußen stinkt es mehr als hier drinnen.
Ihr meint, uns aushungern zu können?
Doch wir leben noch. Merkt euch das!

Dieser Text stand ganze zwei Minuten deutlich von oben lesbar da, so groß, dass er wohl aus mehr als einem Kilometer Höhe von unbewaffneten Augen erfasst und verstanden werden konnte. Offenbar hatten die Leute da ihre unfreiwillige Freizeit sehr gut ausgeschöpft und einen neuen Zauber erfunden, mit dem solche von oben lesbaren Botschaften abgesetzt werden konnten. Das diktierte Warrington in seinen Schallsammler, während die Buchstaben wieder verblassten und im Einheitsweiß verschwanden. Dann schrumpfte die rechteckige Fläche wieder auf die ursprünglichen Maße zusammen und zerfiel wieder in die 350 Spitzen hoher Hüte. Deren Träger hüpften ein paarmal auf und ab wie den Boden berührende Quods. Dann gingen sie einfach in alle sich bietenden Richtungen auseinander.

"Notiz für Wochenbericht: Viento del Sol trachtet wohl danach, auswärtigen Beobachtern Botschaften zu übermitteln." sprach Warrington weiter in seinen Schallsammler. Er überlegte, ob er das Empfangsartefakt für die von Screamy gesehenen Bilder abnehmen und Catlock jetzt schon alarmieren sollte. Doch am Ende war es genau das, was die Leute in VDS erreichen wollten, um unbeobachtet was viel gravierenderes anzustellen, als einen großen Buchstabenbeschwörungszauber. Tatsächlich entstand nun über dem Marktplatz ein goldgelber Schriftzug: "EURE GLOCKE IST DER WAHRE KÄSE!"

Die Botschaft drehte sich wie ein gemütliches Karussell um die lotrechte Achse zwischen Glockenscheitelpunkt und Boden. Dabei wurden die Buchstaben immer größer, bis sie verschwammen und zu einer einheitlichen goldenen Kreisfläche verschmolzen. Der goldene Kreis wuchs immer weiter an, überdeckte nun den Marktplatz, wuchs immer weiter, bis er unvermittelt in einer Unzahl goldener Lichtkugeln auseinanderflog. Die Lichtkugeln wirbelten über dem ganzen Ort dahin und zerplatzten an der Absperrglocke. Die besaß auf einmal viele tausend golden schimmernde Flecken, die langsam immer größer wurden, aber dafür auch immer durchsichtiger. Als sie jeder für sich so groß wie ein Quodpotstadion zu sein schienen verschwanden sie. Nun war die Sicht wieder ungetrübt. Das Treiben auf dem Markt war wieder gut zu erkennen.

Als es Mittag war konnte Warrington sehen, wie alle dort noch tätigen Bewohner die Stände zudeckten und in die kleinen Hütten gingen, wo sie selbst was zu Mittag aßen. Diese Pause, die jeden Wochentag um genau zwölf Uhr mittags stattfand, nutzte auch Warrington aus, um seine Beobachtungen abzuschreiben und an seinen direkten Vorgesetzten Catlock weiterzuleiten.

Jetzt aß er selbst was, um die nächsten Stunden Tageslicht auszuhalten. Doch als er den würzigen Gemüseauflauf seiner Frau genoss drang Catlocks Stimme durch die Luft. "Chefbeobachter Warrington umgehend zu Minister Buggles kommen!"

"Das hat man davon, alles gleich weiterzupetzen", knurrte Warrington und klappte den gleichwarm bezauberten Behälter zu, aus dem er gerade essen wollte.

"Wir haben Ihre Nachricht mit sehr großer Besorgnis zur Kenntnis genommen, Mr. Warrington", sagte der Zaubereiminister, als Warrington sich befehlsgemäß bei ihm eingefunden hatte. "Offenbar sind sich die Bewohner von VDS der Tatsache Bewusst, beobachtet zu werden und versuchen nun, entweder Botschaften nach außen zu leiten oder die Beobachtung von außen zu vereiteln. Was die Buchstaben angeht sind sie schon am Ziel. Sie müssten jetzt nur einen Weg finden, sicherzustellen, dass ihre Botschaften auch gelesen werden können. Was die Beobachtungsabschirmung angeht üben sie offenbar noch", fügte der Minister noch hinzu.

"Ja, oder sie wollen uns zeigen, dass sie uns jederzeit vom Zugucken abbringen können", vermutete Warrington.

"Nein, ich gehe davon aus, dass sie noch daran arbeiten müssen, die Glocke völlig undurchsichtig zu machen und sie wieder durchsichtig zu machen, wann sie selbst das wollen. Sie haben wohl einen Versuch beobachtet. Abgesehen davon müssten die Bewohner ja noch einen Weg finden, ihnen scheinbar gewogene Beobachter auf ihre Botschaften aufmerksam zu machen. Sonst hat das ja keinen Sinn."

"Wenn Sie das so sehen, Minister Buggles", sagte Warrington nachgiebig. Denn auch er hatte das schriftliche Bekenntnis zu Lionel Buggles als einzig wwahren obersten Zauberer Nordamerikas unterschrieben und musste entsprechend Gehorsam üben.

"Mich hat aber auch gewundert, woher der Fischhändler auf dem Markt frische Ware bezieht. Denn frischer Fisch kann ja wohl schlecht durch die Locattractus-Sperren hineingeschickt werden", sagte Warrington.

"Öhm, bis wohin haben Sie Verwandlungszauber erlernt?" fragte der Minister verdrossen. "Bis zur Zwischenprüfung, warum?" fragte Warrington. Denn er hatte sich eher was aus Zauberkunst, Zaubertränken und magischen Wesen gemacht als aus Verwandlungsübungen.

"Da haben Sie aber wenigstens die Vivo-ad-Vivo-Verwandlung erlernt, vor allem die von Tieren in andere Tiere oder von Pflanzen in niedere Tiere, gehe ich mal sehr stark von aus", fuhr der Minister fort. "Gamps erste Ausnahme besagt, dass keine Nahrung aus dem Nichts erschaffen werden kann. Es ist aber seit dreihundert Jahren bekannt, dass Pflanzen in ihrer eigenen Lebenszeit entsprechende Nutztiere verwandelt werden können. Wer das gut genug einschätzen kann vermag eine kleine Pflanze in ein schlachtreifes Schwein und einen Baum in ein schlachtreifes Rind oder einen Hirsch zu verwandeln. Wenn er oder sie das so hervorgebrachte Tier eine Mondphase lang so belässt, kann es wie ein natürlich geborenes Tier verwertet werden. Auf diese Weise können sie auch aus niederen Tieren wie Mäusen oder Ratten verzehrbaren Fisch jeder Richtung machen, wenn irgendwo in Viento del Sol ein entsprechendes Wasserbecken für Süß- oder Salzwasserfische bereitsteht."

"Ich Fliegenhirn", knurrte Warrington. Die Lösung war ja wirklich zu einfach, wenn man mit genug magischen Fähigkeiten ausgestattet war.

"Ja, so können sie sich selbst alle erwünschte Nahrung beschaffen, indem sie eben entsprechende Lebendquellen manipulieren, vielleicht sogar aus Gemüsepflanzen Fleischlieferanten machen", sagte Catlock verdrossen. Dann griff er das Thema mit dem Buchstabenzauber noch einmal auf.

"Es ist schon sehr frech, diese Botschaften zu verbreiten. Denn es beweist, dass sie zumindest wissen, dass wir sie beobachten. Wir müssen aber auch davon ausgehen, dass sie schon an Mitteln feilen, um außenstehende Unterstützer darauf zu bringen, zu bestimmten Zeiten nach Viento del Sol zu reisen, um von oben her alles zu beobachten. Leider kommen unsere Leute nicht näher als auf einfache bis dreifache Sichtweite an dieses Dorf heran. Wer also ohne feindliche Absichten dort hinfliegt könnte jeden, der von den Bewohnern als Feind eingestuft wurde abschütteln und dann ganz gemütlich mitlesen, welche Botschaften sie da schreiben."

"Dann bleibt nur, die angelockten Mitleser zu registrieren und gleich nach Entgegennahme der Botschaften wegen Umsturzversuche festzunehmen", schlug Warrington vor.

"Ja, dann halten Sie VDS gut unter Beobachtung, Warrington!" sagte der Minister. Catlock stimmte ihm zu.

Nach der Besprechung beim Minister schaffte es Warrington noch, seinen Gemüseauflauf zu Ende zu essen. Dann setzte er die Beobachtung fort, nun nicht mehr erstaunt, woher Fischhändler Finn seine Ware bezog.

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08.05.2005

Der Gemeinderat von Viento del Sol tagte wie seit vier Wochen üblich im Freien. Da die Glocke über dem Ort jede Schallwelle schluckte brauchten sie keinen Klangkerker. Allerdings trugen sie bunte Masken vor Mund und Nase, damit die über der Gemeinde patrouillierenden Spionenvögel keine verräterischen Lippenbewegungen weitermelden konnten.

"Also, die werten Kolleginnen und Kollegen, das Buchstabenspiel von Lucky Merryweather hat geklappt. Unsere unsichtbare Überwachungsdrohne hat die weiße Fläche und den geschriebenen Text eindeutig erfassen können. Dann hat Old Screamy das auch mit seinem Anhängsel eingefangen und weitergereicht. Jetzt weiß der Eisenpodex Buggles, dass wir uns noch nicht aufgegeben haben. Wird ihn und seinen Kettenhund Catlock sicher ärgern. Das ist eine sehr gute Ablenkung von dem, was wir eigentlich vorhaben. Silkropes Lumiglobulus-Zauber hat auch die gewünschte Wirkung getan, nämlich zu zeigen, wie lange ein auf Sonnenlicht basierender Zauber sich Kraft aus der Glocke ziehen kann, solange er nicht an einen stofflichen Träger gebunden ist. Das war sehr wichtig zu wissen. Das weitere darf meine holde Angetraute nun verkünden", sagte Fornax Hammersmith. Dann sprach seine Frau, die gerade eine grüne Maske mit Gänseblümchenaufprägungen trug und erklärte, was sie und die im Ort lebenden späten Mütter ohne ausdrücklichen Kinderwunsch ausgeheckt hatten. "Wir können das nur um den fünfzehnten Mai herum ausführen, kurz vor Neumond. Die für das Ritual nötigen Magneteisensteine werden gerade hergestellt und vorbehandelt. Ich hoffe, wir bekommen das hin, dieses gläserne Gefängnis zu öffnen und damit zumindest wieder erreichbar und hörbar zu sein. Aber vertut euch bitte nicht. Wenn die Glocke weg ist kommen wir trotzdem nicht ohne Gefahr für Leib und Seele von hier weg, weil Mr. Eisenpodex dann erst recht zur Jagd auf uns blasen wird."

"Warum macht ihr das dann überhaupt?" wollte Gemeinderat Woodpole wissen, der in Personalunion Vereinssprecher der Windriders und Gemeinderat für Feste und Sportveranstaltungen war.

"Wir tun das, um uns und allen anderen zu beweisen, dass wir uns unsere Freiheit nicht ohne Widerstand wegnehmen lassen. Außerdem können wir so endlich wieder anständig mit unseren Verwandten und Freunden Kontakt bekommen. Die würden uns ja längst für tot halten, wenn nicht einige von uns geniale Fernverständigungsmittel zur Verfügung hätten. Wir müssen uns wehren, Leute, nicht hinnehmen, dass wir unschuldig in unserem eigenen Heimatort eingesperrt sind", erwiderte Stella Hammersmith entschlossen. Ihre Kollegen und Kolleginnen sahen es ein. So war es nur eine reine Formsache, darüber abzustimmen, dass das von Stella und den anderen späten Müttern ohne eigenen Kinderwunsch geplante und über Wochen geübte Ritual, das hoffentlich die Absperrung über Viento del Sol aufbrechen konnte, genehmigt wurde. Vorher sollten zur besseren Abstimmung und Einstimmung noch Versuche mit den Buchstabenprojektionszaubern und dem Lumiglobulus-Zauber angestellt werden, um die auf die Gestirne bezogene Natur der Absperrglocke genau zu ermitteln.

Als Stella nach der Ratssitzung ihre für Schreibkram zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um sich versammelte teilte sie diesen mit, dass der Gemeinderat beschlossen habe, in den nächsten Wochen einen neuen Versuch zu wagen, die Undurchlässigkeit der glasartigen, mehr als diamantharten und dabei völlig Schallschluckenden Glocke zu beenden. Wie genau das angestellt werden sollte wollte sie jetzt noch nicht verraten, da dies, so Stella, eine Angelegenheit nur für bereits Mutter gewordene Hexen sei.

Einige Minuten später bat sie Brittany Brocklehurst in ihr Sprechzimmer. Dieser teilte sie mit, dass sie in den nächsten Tagen nach einer zuverlässigen und erfahrenen Nachfolgerin für ihren Posten suchen würde. Denn was sie vorhatten konnte die eine oder andere das Leben kosten.

"Und Chloe spielt da mit?" fragte Brittany.

"Sagen wir es so, sie verlangt von allen späten Müttern, dass wir unsere Testamente machen und Abschiedsbriefe für unsere Kinder hinterlassen, damit diese wissen, wofür wir das Leben gelassen haben. Natürlich hat sie als Heilerin Bedenken und weiß auch nicht, ob das Vorhaben so funktioniert. Sowas wurde bisher nie gemacht. am Ende ist in dieser Glocke was verwoben, dass grausam zurückschlägt und uns alle umbringtt, wenn wir dagegen ankämpfen. Aber wir können uns das nicht weiter gefallen lassen, dass unsere Angehörigen hier nicht mehr mit ihren Freunden draußen reden oder Posteulen austauschen können. Nicht jeder hat Vollporträts mit Gegenstücken außerhalb der Sperrglocke oder diese höchst praktischen Distantigeminuskästen.".

"Na ja, immerhin bekommen wir über die auch Nachrichten aus der amerikanischen Zaubererwelt mit, seitdem der Eauvive-Clan uns über seine in den Staaten, Mexiko und Peru lebenden Mitglieder beliefert", sagte Brittany.

"Ja, aber die da draußen brauchen auch wieder ein Lebenszeichen von uns. Buggles' Belagerer halten jeden davon ab, uns näher als Sichtweite zu kommen. Keiner kann unsere Rundfunksendungen mithören. Im Grunde haben wir nur Glück, dass wir diese beiden Verbindungen haben, um überhaupt mit draußen Kontakt zu haben. Kriegt Buggles das auch noch spitz wird er die Gegenstellen bedrängen, den Kontakt mit uns abzubrechen. Dann bliebe nur noch die Distantigeminus-Verbindung."

"Ja, und die Verbindung zwischen den Mehrlingen von Viviane Eauvives Vollporträt. Buggles kann hier in den Staaten auf alles den Deckel oder Käseglocken knallen. Aber bis nach Millemerveilles oder dem Château Florissant reicht sein Arm doch nicht hin", erwiderte Brittany Brocklehurst.

"Ja, aber Frankreich ist für die allermeisten von uns wie ein entfernt um die Sonne kreisender Planet, schön anzusehen und interessant, aber für das eigene Leben unbedeutend, mal von Linos Mann abgesehen."

"Wollte gerade sagen", meinte Brittany.

"Jedenfalls werde ich dir ein Empfehlungsschreiben für die ausgewählte Nachfolgerin ausstellen, dass du auch für diese eine zuverlässige Assistentin sein kannst. Oder wolltest du doch noch was anderes machen?"

"Kes Jones meinte mal, ich könne ja seinen Posten übernehmen, wenn die Windriders wieder spielen dürfen. Hätte schon was, aber eben nur einmal alle zwei Wochen. Ist mir doch zu wenig, vor allem, wo das blaue Verhütungselixier zu ende geht."

"Hmm, ja, ist wohl so. Und ja, ich freue mich, dass du etwas tun möchtest, was nicht nur alle zwei Wochen stattfindet", sagte Stella Hammersmith.

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11.05.2005

Sie wussten es nicht. Doch im Grunde hatten sie keine andere Wahl. Ja, sie hielten das überhaupt für die beste Lösung. Als die zwölf obersten Richter der US-Zauberergemeinschaft alle Unterlagen auf Formulierungsfehler und versteckte Fallstricke oder Gummiparagraphen geprüft hatten ergänzten sie die Vorvereinbarung von Buggles und Piedraroja dahingehend, dass diese nur dann unterschreiben durften, wenn sie bereits je ein Dokument von den jeweiligen obersten Richtern in Händen hielten, das nicht nur eine Zusammenlegung der Exekutive, sondern auch der Judikative ermöglichte. Ironside erinnerte sich daran, dass er mit dem mexikanischen Kollegen Orlando Torrefuerte bereits häufiger über grenzübergreifende Urteile diskutiert und für internationale Verbrecherorganisationen eine Übereinkunft getroffen hatte, wie dieser beiderseits der Grenze beizukommen war. Gerade nach dem scheinbaren Mord an Lucas Wishbone war diese heimliche Zusammenarbeit sehr wichtig geworden. Anders als die Magielosen legten die Gerichtszauberer wert auf eine gute Abstimmung im gegenseitigen Respekt. Insofern brauchten Ironside und seine elf Kollegen auch eine Rückmeldung von Torrefuerte und seinen sechs Amtskollegen vom Concilio de las leyes mágicas méxicanas. diese sehr wichtige Grundbedingung fügte Ironside den bereits vorliegenden Entwürfen an. Er machte sich dabei keine Gedanken, dass solche schwerwiegenden Umstrukturierungen öffentlich abzulaufen hatten. Sie konnten es einfach mit der bestehenden Notlage begründen, dass jede zu frühe Information oder jeder der Öffentlichkeit bekannt werdende Zwischenstand die Feinde aller Hexen und Zauberer warnen und zu unerwünschten Handlungen verleiten würde. Dies galt es zu vermeiden. Hoffentlich sahen das auch die Kollegen südlich des Rio Grandes ein.

Ein Gerichtsbote brachte den versiegelten Umschlag mit den genehmigten und den ergänzten Unterlagen zu Buggles' Büro zurück. Ironside und seine Kollegen widmeten sich wieder den Gesetzesneuerungen. In wenigen Tagen würden neue Strafgesetze in Kraft treten, zu denen auch die absichtliche Schwächung ministerialer Sicherheitsorgane durch böswillige Falschaussagen und hetzerischer Behauptungen gehören würden. Allerdings würde ab Inkrafttreten der neuen Gesetze kein magischer Mensch mehr in Doomcastle eingesperrt, ob an Leib und Seele vereint oder getrennt. Der Kerker des Schreckens, das Seelengrab der USA, würde dann nur noch als Zwischenverwahrung dienen. Was mit den dort befindlichen Gefangenen geschehen würde mochte dann etliche Leute verwundern. Doch rein vernunftgemäß war es blanker Unfug, jemanden über mehr als hundert Jahre handlungsunfähig wegzusperren, wenn er oder sie in der Zeit zur Verbesserung der magischen Gesellschaft und zur natürlichen Vermehrung der magischen Menschheit beitragen konnte. So sahen es die zwölf Richter, weil sie es immer schon so empfunden hatten und nur auf die Gelegenheit gewartet hatten, es umfänglich und gründlich zu ändern.

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12.05.2005

Serge Worthington arbeitete schon seit zwanzig Jahren im Besenkontrollamt des britischen Zaubereiministeriums in London. Seine Hauptaufgabe war es, die Berichte von Besentestern zu bewerten und darauf aufbauend die Zulassung neuer Besen zu genehmigen. Ursprünglich war er einer der Tester gewesen, die für Sauberwisch Himmelsstürmer, Comet oder Nimbus neue Besen probegeflogen hatten. Doch wie es so war, wenn es eine Stufe höher in der Rangordnung ging wartete nur noch eine Schreibstube. Zumindest hatte er ein Einzelbüro für sich. Das war kein Kunststück, weil es von den Berichteschreibern und -auswertern ja nur vier gab, von seinem Abteilungsleiter Orville Wood abgesehen. So richtig interessant war der Job seit der Beförderung nicht mehr, da ja nicht jeden Tag neue Besen auf den Markt gebracht wurden. So ging es nur noch um Zulassungen weiterer Stücke einer Serie und die Abrechnung der damit verbundenen Zulassungsgebühr, welche dann dem Endkunden auf den Kaufpreis aufgeschlagen wurde. Da vorgeschrieben war, immer 500 Stück einer laufenden Serie zum Verkauf anzumelden, entfielen für den Einzelkunden keine zu hohen Kosten. Ja, wohl wahr, trockene Bürokratie, die einem den Spaß am Besensport oder an privaten Flügen verleiden konnte.

Gerade war Worthington dabei, die Zulassung für die zwanzigste Fünfhundertschaft des Typs Shooting Star 601 abzuschließen, als er eine wohl vertraute Gedankenstimme in seinem Kopf vernahm.

"Serge, es ist soweit. Geh zu ihm hin und erwähne das, was wir gestern besprochen haben."

"Ja, Oma", erwiderte Worthington ebenfalls nur auf gedanklichem Weg. Er griff in eine der Schubladen und zog eine Pergamentrolle hervor, die er vorgestern heimlich ins Ministerium gebracht hatte. Wer sie las, ohne den richtigen Codesatz zu kennen würde nur ein mehrseitiges Schreiben aus Deutschland erkennen, dass die Besenmanufaktur Donnerkeil eine Zulassung ihres Rennbesens der 21er-Reihe beantragte und diese auf dem freien Markt anbieten wollte. Nur wer den abgestimmten Codesatz kannte konnte lesen, dass es ein ministerielles Genehmigungsschreiben war, mit denen London die Überseezuständigkeit Kanada an die dortigen Beamten zur Herstellung einer unabhängigen Zaubereiverwaltung abtrat. Es war ihm ein wenig unheimlich, dass der Minister darauf eingehen würde. Doch gemäß der Hierarchie musste er damit erst einmal zu Wood, um sich dessen Bestätigung zu holen, dass er das Dokument gelesen und den Prüfungsvorgang genehmigt hatte.

Worthington verschloss mit einem Zauberstabstupser alle Schreibtischschubladen. Dann begab er sich ins Büro von Orville Wood. Dieser war in einer blendenden Laune. Denn vor nicht einmal einer Stunde hatte er erfahren, dass sein Enkelsohn Oliver in der kommenden Saison für die Tornados spielen würde. Die Tornados hatten die beiden letzten Ligameisterschaften gewonnen und stellten für die Nationalmannschaft drei Spieler, darunter den Jäger Roger Davis, der für Ginny Potter nachgerückt war.

"Ah, das ist das Schreiben aus Lüneburg?" fragte Wood und nahm die zusammengerollten drei Pergamentseiten. "O der Kollege in Berlin meint, dass die Zulassung nur gültig sei, wenn der Minister den Vertrieb genehmigt. Da reicht meine Zustimmung alleine nicht aus. Aber damit Minister Shacklebolt mitbekommt, dass alles seinen amtlichen Gang geht bekommen Sie die entsprechende Lesebestätigung und Genehmigung, in weitere Unterhandlungen mit den Donnerkeildrechslern einzutreten."

Als Serge Worthington fast genauso glücklich wie Wood aus dessen Büro kam hatte er das entsprechende Formular, dass er nur noch an den bereits seit zwei Tagen in seiner Schublade ruhenden Originalantrag anheften musste.

"Oh, hallo Mr. Worthington! Lange nicht mehr gesehen", grüßte ihn Shacklebolts Sekretärin. "Was eiliges?"

"Sagen wir so, falls Minister Shacklebolt es noch in drei Minuten abhandeln kann könnte ich seine Antwort heute noch wegschicken. Mein Vorgesetzter hat es auf jeden Fall schon bestätigt", erwiderte Serge Worthington.

"Warten Sie bitte vor der Tür. Minister Shacklebolt ist gerade im Gespräch."

"Gut, ich warte draußen", bestätigte Worthington. Hoffentlich war das, was der Minister gerade besprach, keine stundenlange Debatte. Sowas hatte er damals mitbekommen, als er wegen der anzumeldenden Besen für die Quidditchweltmeisterschaft in England eine Unterredung zwischen Cornelius Fudge und Orville Wood mitbekommen hatte, inwieweit die ausländischen Besen die Standards für Wettkämpfe erfüllten und dass Länder wie Frankreich, Deutschland und Schweden womöglich schon auf Exporte setzten.

Vor der Tür las er noch einmal die Pergamentrollen. Hoffentlich kam keiner darauf, die Rollen mit Prüfzaubern zu untersuchen. Doch seine Großmutter hatte versichert, dass die Pergamente jeder bekannten Überprüfung standhalten sollten. Doch was, wenn die Sicherheitsleute des Ministers mit nicht ganz so bekannten Zaubern oder Prüfgeräten über die Pergamente gingen? Die Frage bereitete ihm ein gewisses Unbehagen. Dagegen half ihm nur, ruhig durchzuatmen und an bereits errungene Erfolge zu erinnern. Der größte davon war, dass er schon seit dreißig Jahren unter dem Namen Worthington in England lebte und einen lückenlosen Stammbaum vorweisen konnte, der jeder genauen Prüfung standhielt. Selbst als die Todesser das Ministerium übernommen hatten war er nicht aufgefallen, wohl weil er bis zur zwölften Generation reinblütig war. Auch war das Besenkontrollamt diesen Schurken nicht so wichtig gewesen, als dort ihre Leute unterzubringen. Die hätten wohl auch sehr gestaunt, wenn er sich gegen die hätte wehren oder wen zu Hilfe rufen müssen.

Er konnte beobachten, wie zwei Zauberer und eine Hexe das Büro des Ministers verließen. Die blonde Hexe kannte er. Das war Tessa Highdale, die Werwölfin, die das Sonderkommando Remus Lupin anführte. Der ältere der beiden Zauberer konnte demnach entweder der Leiter der Werwolfüberwachungsbehörde oder Amos Diggorypersönlich sein. Den jüngeren Zauberer konnte er nicht einordnen, und fragen wollte er ihn nicht. Denn die drei wirkten sehr angespannt, wenngleich die Werwölfin ein leicht überlegenes Lächeln darbot.

"Mr. Worthington, der Minister hat jetzt Zeit für Sie", rief ihn Shacklebolts Sekretärin herein. Also galt es nun, dachte Serge Worthington.

Kingsley Shacklebolt wirkte ein wenig abgekämpft. Das mochte daran liegen, dass es schon drei Uhr nachmittags war und er heute bestimmt schon mehr als die Unterredung gerade eben hinter sich hatte. Serge Worthington dachte daran, dass dies seinem Auftrag hinderlich sein mochte. Denn, so wusste er von seiner Großmutter persönlich, er musste den Minister mindestens eine halbe Stunde beschäftigen und in der Zeit alles unterbringen, was anfiel. So grüßte Worthington mit geheucheltem Ehrerbieten und waartete, bis er platznehmen durfte. Gleich darauf holte er die mitgebrachten Unterlagen hervor und sagte: "Ich komme gerade von Mr. Wood und soll mit Ihnen klären, ob Sie die Genehmigung dazu erteilen. Das wird mich von diesem komischen Gedicht ablenken, dass meine Tochter Candida mir gestern vorgelesen hat und das mir wie ein hartnäckiges Lied im Kopf herumgeht."

"Ein Gedicht?" fragte Shacklebolt, der bei der Erwähnung von Worthingtons Tochter Candida merkwürdig dreinschaute, als müsse er an die eigenen nicht vorhandenen Kinder denken oder vielleicht daran, dass ihm jemand vor bald zweieinhalb Jahren eine gewisse Pflichtübung abverlangt hatte und er meinte, sie durch Ignoranz aus der Welt geschafft zu haben.

"Ja, Candida meint wohl, eine große Poetin zu werden. Die hat mir ein total verdrehtes Gedicht aufgesagt", erwiderte Serge und deklamierte:

"Wenn rot der Himmel leuchtet hell,
und golden sprudelt frisch die Quell'
wenn rosarot das Gras sich wiegt,
und sanft im warmem Winde biegt,
und leis der blaue Ahorn spricht
vom Bad im grünen Sonnenlicht.
Er Sagt: "Sei treu und unbekümmert nun,
Und was auch immer ist soll ruh'n."

Worthington sah, wie Shacklebolt erst belustigt über diesen kindlichen Farbenvertauscher dreinschaute, doch dann, als das mit dem blauen Ahorn im grünen Sonnenlicht gesprochen war, erst angespannt und dann völlig weltentrückt dreinschaute, als habe er gerade etwas sehr belastendes gehört, dann aber empfunden, dass doch alles ganz in Ordnung, ja wunderschön und friedlich sei. So sagte er ruhig, um nicht gleich damit rauszukommen, dass das kuriose Gedicht nicht so unschuldig war wie es klang: "Ja, und Candida hat es den ganzen Abend aufgesagt, mit allen möglichen Betonungsformen."

"Ja, das klingt auch sehr verspielt", sagte Shacklebolt mit einer sanften, beinahe tranceartigen Stimme. Dann fragte er: "Was wünschen Sie jetzt von mir?"

"Lesen Sie dies hier und unterschreiben Sie dort, wo Ihre Unterschrift nötig ist, Minister Shacklebolt!" sagte Worthington. "Es ist genau das, was Sie für richtig halten, um den Verwaltungsapparat endlich zu verkleinern und denen mehr Möglichkeiten zur schnellen Reaktion zu geben, die sonst immer erst nachfragen müssen, was sie tun sollen. Helfen Sie mit Ihrer ganzen Autorität, dass die uralten Lasten endlich beseitigt werden und ein neues Bündnis entstehen darf!"

Shacklebolt ließ sich von Worthington die Pergamentrollen geben. Darauf stand jedoch nichts mehr von einer Zulassungs- und Einfuhranfrage aus Deutschland, sondern eine klare Bitte um Zustimmung, die kanadische Zaubereiverwaltung vollständig von Großbritannien abzukoppeln. Shacklebolt nahm die Rollen und breitete sie aus. Worthington behielt ihn genau unter Beobachtung. "Das ist eine quasi oberste Verordnung, dass die Anliegen Kanadas vom Tag der Unterschrift an vollständig von den in Kanada geborenen und lebenden Hexen und Zauberern wahrgenommen und erledigt werden sollen. Wie kommt dieses Schreiben in Ihre Hände?" fragte Shacklebolt, wobei er weiterhin eher weltentrückt sprach.

"Es wurde wohl versehendlich mit Unterlagen zu Verhandlungen mit den Staaten über die Ausnahmegenehmigung zur Einfuhr von Bronco-Besen jünger als zwanzig Jahre zugestellt. Offenbar hat Resident Bowland befunden, dieses Anliegen am selben Tag wie die Anfrage zu schicken und beide Dokumente zusammen an mich geschickt", sagte Worthington. "Aber wie dem auch sei, sie erkennen an, dass Kanada eigenständig genug ist, um von unseren Anweisungen unabhängig zu sein. Es wird den Posteulenverkehr verringern und die Kanadier erfreuen, dass sie nicht als Großbritanniens letzte amerikanische Kolonie gelten. Deshalb lesen und unterschreiben Sie das Dokument!" Worthington sprach leise. Doch er betonte jeden Befehl so, als würde er ihn laut herausbrüllen, um eine ganze Armee im Zug zu halten. Außerdem wiederholte er leise, dass es für das Zaubereiministerium von großem Vorteil sei, Kanada mit einem einzigen ministeriellen Erlass in die vollständige Eigenständigkeit zu entlassen. Das konnte der Minister nun zwar auch nachlesen. Doch Worthingtons Großmutter hatte ihm gesagt, dass es wichtig sei, dass der Minister nicht nur die klaren Anweisungen erhielt, sondern auch die Idee von einer spontanen und sofort gültigen Loslösung Kanadas übernahm, sie wie seine eigene Idee wertschätzte und deshalb erst recht umsetzte. außerdem musste er die Zeit ausfüllen, durfte nicht zulassen, dass der Minister wen anderen zu sich vorließ, weil der oder die dann genauso wie Worthington dem Minister alles mögliche abverlangen konnte, sofern Shacklebolt wahrhaftig unterschrieb.

Es vergingen zehn bange Minuten, in denen Shacklebolt das Dokument immer wieder las. Worthington erinnerte sich, dass darin auch aufgefordert wurde, das Schriftstück mindestens dreimal gründlich zu lesen. Am Ende verzählte er sich noch und las immer wieder, bis die halbe Stunde um war. Doch nach weiteren zwei Minuten nahm er seine Adlerfeder, tunkte sie in das Fässchen mit der königsblauen Tinte und schrieb was an bestimmte Stellen des ersten, des zweiten und dritten Pergamentes. Dann stempelte er das Dokument auch auf jeder Seite ab und drückte neben seiner Unterschrift noch das amtliche Siegel auf. Damit wurde das Schreiben vom Zeitpunkt des eingetragenen Datums an rechtskräftig und somit wirksam. "Und Bowland hat Ihnen auch was über Rennbesen geschickt?" fragte Shacklebolt leicht schleppend. Worthington bejahte das. Dann sagte er noch: "Ja, er wollte sicherstellen, dass wir wissen, dass er nicht ohne unsere Zustimmung mit den USA verhandelt."

"Die Genehmigung hat er ja jetzt. Doch könnte es mit den unteren Abteilungen Schwierigkeiten geben, dass Kanada ab heute nicht mehr weisungsgebunden ist", sagte Shacklebolt. "Das war ja der Grund, warum jeder Minister gezögert hat. Doch die Argumente von Mr. Bowland oder besser dessen Sekretär Bullfinch sind überzeugend."

"Falls Sie finden, dass wir in England auch eine klare Rechtfertigung für die Lossprechung Kanadas haben sollen, dann erstellen Sie ein entsprechendes Erläuterungsdokument!" sagte Worthington und prüfte, ob das von ihm vorgelegte Dokument wirklich ausgefüllt und unterschrieben war. Er musste sich sehr beherrschen, nicht lauthals loszujubeln. Shacklebolt hatte jeden Punkt korrekt beantwortet, wo es um seine Genehmigung ging und wo er verbindlich versichern sollte, dass die beantragte Lossagung von London seine Zustimmung fand. Nun schrieb der Minister noch einen Erlass, mit dem er alle Verwaltungsstrukturen des Zaubereiministeriums von Kanada löste und die kanadischen Hexen und Zauberer sich selbst verwalten sollten. Danach fertigte er sogar noch vier Kopien an. Das dauerte weitere zehn Minuten. Jetzt blieben nur noch acht Minuten übrig, bis die Wirkung des Gedichtes mit den verfremdeten Farbdarstellungen abklang und dann für mindestens eine Stunde nicht noch einmal benutzt werden durfte.

Diese acht Minuten nutzte Worthington damit, dass er mit dem Minister über die Ein- und Ausfuhr von ausländischen Besen sprach und dabei anklingen ließ, dass die Hersteller des Feuerblitzes gerne vereinfachte Auslieferungskonditionen für Australien haben wollten, ja ein Angebot an Ministerin Rockridge weiterleiten wollten, bei dem ein mehr als vollwertiger Ersatz für die nicht mehr verfügbaren Willy-Willy-Besen geleistet werden könne, wenn das Ministerium die Besen subventionierte, damit die Australier sie für weniger kaufen konnten als üblicherweise dafür verlangt wurde. So bekam er in den verbleibenden Minuten sogar noch eine Genehmigung für die Feuerblitz-Manufaktur, dass das Ministerium jeden nach Australien und anderen Überseegebieten verkauften Besen mit 100 Galleonen pro Besen unterstützte. Allerdings konnte Shacklebolt nur unter dem Vorbehalt aus der Handels- und Finanzabteilung schreiben. Doch das reichte Worthington schon aus, um sicher zu sein, dass der Minister im Augenblick auf alles einging, was er diesem zu tun und zu denken vorgab. Natürlich gab es im Moment keinen solchen Antrag der Manufaktur, und ebenso natürlich würde der Leiter der Handels- und Finanzabteilung laut aufschreien, wenn ihm jemand zumutete, hundert Galleonen für jeden exportierten Besen zu zahlen. Doch als Beweis für die gegenwärtige Fügsamkeit des Ministers reichte das völlig aus. Dann war die halbe Stunde um. Worthington merkte es nicht nur an der Uhrzeit, sondern auch daran, dass der Minister für zwei Sekunden irgendwie einnickte und dann hellwach und ungehindert sprach: "Das ist eine ganze Menge gewesen, was Sie mir da aufgeladen haben. Aber ich denke, jetzt ist alles nötige getan." Worthington bejahte dies und verabschiedete sich von dem Minister.

Unverzüglich kehrte Serge Worthington in sein Büro zurück und mentiloquierte: "Ich habe den Vertrag und einen Entwurf, Besen zu subventionieren, Oma."

"Gut, dann schick die Unterlagen schnellstmöglich zu Händen von Fred Stonepick in Ottawa. Der wird das Dokument dann an Bowland weitergeben."

""Ist nicht nötig. Der Minister wird zwei Kopien davon mit seiner eigenen dienstlichen Blitzeule durch das Flohnetz schicken. Ich hoffe, der hat wirklich verinnerlicht, dass Kanada nun selbstständig sein soll."

"Das werden wir erfahren, wenn Bowland entweder das Dokument bekommt oder jemand dich verfolgt oder gar festzunehmen versucht", gedankenantwortete Worthingtons Großmutter.

"Und dieser Abschüttelzauber ist sicher?" gedankenfragte er zurück. "Sobald dir jemand folgt und dir feindlich gesinnt ist", bekam er zur Antwort. Also blieb ihm nur, abzuwarten. Ja, und sollte der Plan nicht aufgehen und ihm jemand nachstellen, dann musste er das behutsam aufgebaute und lange aufrechterhaltene Leben zurücklassen und woanders unter anderem Namen weitermachen. Doch mit den Beziehungen seiner Oma würde das nicht so anstrengend sein. Ganz sicher konnte er dann auch seine Familie mitnehmen. Mit dieser gewissen Hoffnung, dass er nicht alleingelassen wurde beendete Serge Worthington, der Zulassungsüberwacher im Besenkontrollamt des Londoner Zaubereiministeriums, seinen Arbeitstag.

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In der durch Ortsverharrungszauber über derselben Stelle dreihundert Meter unter der Meeresoberfläche und mindestens noch fünfhundert Meter über dem Meeresgrund schwebenden Niederlassung Aquasphäre 1 trafen sich die nordamerikanischen Mitglieder des hohen Rates des Lebens mit dem seine zweite Jugend durchlebenden Perdy und seiner Mentorin Mater Vicesima Secunda zu einer Besprechung, wie es beim Projekt goldener Dreizack voranging.

"Ja, und Buggles konnte diesen kleinen runden Mexikaner Piedraroja damit kriegen, dass er an unsere Vorrichtungen für den blauen Mond herankommt und der nicht", meinte Perdy. "Aber was Buggles da wegen dieser Buchstaben- und Lichtzauberei von den Leuten aus VDS gemeint hat ist wohl eine fahrlässige Unterschätzung, Leute. Zwar habe ich auch noch nichts davon gehört, dass man mit genug bezauberten Zauberhüten ein mehr als zweihundert Meter messendes Rechteck projizieren kann, aber ich komm noch drauf, wie die das machen. Aber was diese goldenen Lichtkugeln, die aus einer anderen Buchstabenprojektion entstanden sind angeht, Leute, da glaube ich, dass die schon weiter sind als Buggles denkt. Sie werden die in der Glocke wirkenden Kräfte von Sonne, Mond und Wind nutzen, um diese Lichtprojektion dauerhaft zu machen, und zwar so, dass sie von innen her locker durchblickt werden kann, wie bei dem Blickschutzzauber Vitrimurus unidirectionalis. Die hatten genug Zeit, die Glocke auf bestimmte Zauberreaktionen zu testen, Leute. Wenn die finden, dass sie die jetzt für sich nutzen sollen, was Buggles seinen Mitbürgern ja schon seit Wochen predigt, dann könnten die sie echt zu einer Ausrichtung für einen großräumigen Vetter der einseitig durchsichtigen Wand nutzen, ähnlich wie es ja die Varanca-Geschwister auch mit den Fenstern ihrer transportablen Wohnhäuser gemacht haben."

"Ach, und du befürchtest, sie könnten sich unserer Überwachung entziehen, um was zu tun?" fragte Pater Duodecimus Occidentalis.

"Daran arbeiten, sich einen Weg unter der Glocke hindurch zu buddeln, ohne dass Buggles und seine Beobachter das mitbekommen zum Beispiel", erwiderte Perdy. "Oder sie brauchen Platz, um eine neue Version der Firepan-Flöte zu bauen, die wir nicht mitbekommen sollen. Sie müssten halt nur herausfinden, wie genau unsere Absperrglocke ihre Kraft bezieht und eine Form von gebündelten oder großflächigen Interferenzfeldern zu erschaffen, um die Kräfte gegeneinander aufzuheben, vielleicht nur in bestimmten Abschnitten, aber für einen Ausbruch schon ausreichend. Denkt mal daran, was wir machen würden, wenn uns jemand so eine Käseglocke überstülpen würde. Immerhin haben ja die Bewohner von Millemerveilles auch Sardonias mit superviel dunkler Magie nachgeladene Kuppel geknackt. Wenn wir denen in VDS auch das Licht abgedreht hätten wie Sardonias Kuppel das gemacht hat, dann würden die nicht so locker leben und sich aus ihrem Gemüsegarten frischen Heilbutt oder Katzenfisch zurechtzaubern wie ein Star-Trek-Replikator. Achso, das ist eine rein fiktive kleine Maschine, die aus genug verfügbarer Grundsubstanz je nach Einstellung fast jedes Lebensmittel oder jeden gewünschten Gebrauchsgegenstand herstellen kann."

"Wir wissen, dass du diese Zukunftsphantastereien der Magielosen bewunderst", knurrte Mater Decima Canadensis, die aus ganz eigenen Interessen auf Buggles' Erfolg hoffte.

"Phantasien, die für uns Magiebegabte längst Alltag sind, werte Mater Decima Canadensis", sagte Perdy ganz unbeeindruckt von der verächtlichen Vorhaltung. "Und wie in der nichtmagischen Welt macht auch bei uns Not erfinderisch und kann Hunger der beste Koch sein. Nur so viel zu diesem Punkt. Ihr hattet ja noch was wegen des Dreizack-Projektes", erinnerte Perdy alle daran, dass sie ja eigentlich wegen was anderem hier in dieser vor den unverdienten Glückspilzen der ehemaligen US-Quidditchnationalmannschaft sicheren Niederlassung waren.

Tatsächlich ging es nun um das Einverständnis Kanadas, dem neuen Dreierbund beizutreten und damit eine besser zu beherrschende, gesamte Administration Nordamerikas zu schaffen. Mater Decima Canadensis wandte ein, dass Bowland und seine Mitarbeiter gerne einen von jedem unabhängigen Staat Kanada hätten. Doch in der Bevölkerung grassiere die Bequemlichkeit, ein gutes Leben nicht durch irgendwelche Neuanfänge zu gefährden. Außerdem fühlten sich viele ältere Zauberer und Hexen noch ganz wohl, Untertanen eines Königshauses zu sein, vor allem, weil es einigen Kanadiern ermöglichte, Adelstitel zu erwerben. Dagegen setzten die US-Bürger aus dem Rat, dass es auch für die Zaubererwelt ein weiter Weg sei, zwischen London und Ottawa zu kommunizieren.

"Die Leute wollen einfach nur gut leben. Das bessere ist der Feind des guten, und wenn der Nachbar mehr Möglichkeiten hat, um die Sicherheit seiner Mitbürger zu schützen als Kanada, dann werden sich viele fragen, ob es echt so wichtig ist, eine Königin als Staatsoberhaupt zu haben. Abgesehen davon können die ja weiter so tun, als bliebe alles beim alten, solange die Zaubererwelt mit dem Rest von Nordamerika zusammengeht. Aber was wir denen in Kanada anbieten können ist der Schutz fruchtbarer Hexen und Zauberer vor unfreiwilliger Kindeszeugung", sagte Mater Vicesima Secunda. Außerdem könnten wir den Frankokanadiern zusichern, dass sie dann auch nicht weiter von der französischen Zaubereiministerin behelligt werden können, wenn sie ein eigenes Mitspracherecht in Kanada erhalten, was bisher wegen der Anbiederung an London nicht eingerichtet wurde."

"Ja, doch werden die dann zustimmen, dass Bowland mit Buggles einen entsprechenden Vertrag unterschreibt?" wollte Pater Duodecimus Occidentalis wissen.

"Wie gesagt, besseres Leben, höhere Sicherheit auch und vor allem gegen die Werwölfe und Vampire, sowie mindestens drei neue hohe Ämter und das uneingeschränkte Recht, ihre eigene Sprache als eine Amtssprache des neuen Bundes einzuführen, also was Buggles ja auch Piedraroja zugesagt hat, damit die Mexikaner, die es mit dem Englischen nicht so haben, weiterhin auf Spanisch kommunizieren können", sagte Mater Vicesima Secunda. "Ich kann mich nämlich gut erinnern, dass in Kanadas Zaubereiministerium nur Englisch erlaubt ist und frankokanadische Zauberschüler nur in die Snowdancer-Akademie gehen dürfen, wo aussschließlich Englisch gesprochen werden muss, sofern sie nicht ein Austauschjahr in Beauxbatons oder einer anderen fremdsprachigen Zauberschule zubringen. Unsere Botin hat die entsprechenden Vorschläge schon längst weitergeleitet. Was wir heute noch klären ist, dass Kanada von der britischen Zaubereiadministration losgesprochen werden kann." Darauf teilte sie den Anwesenden etwas mit, was außer Perdy alle erstaunte. Perdy dachte sich seinen Teil. Denn er kannte die durch die meisten eigenen Kinder zur gewissen Ratsvorsitzenden gewordene von allen hier am besten. Außerdem kannte er die Geschichten aus der technischen Welt, wo es gerne die eine oder andere Hintertür gab.

"Wenn wir das Projekt wie gewünscht bis Anfang Juni abschließen wollen sollten wir also jetzt handeln", sagte Mater Vicesima Secunda, während alle außer Perdy nur erstaunt bis verunsichert dreinschauten. Womöglich dachten viele daran, dass das, was die Vorsitzende ausgeführt hatte, auch an ihnen selbst ausgeführt werden könnte.

Als die Ratssitzung beendet war und die Mitglieder auf die der Gruppierung verfügbare Weise an ihre unverdächtigen Wohn- und Arbeitsplätze zurückgekehrt waren sagte Perdy zu Véronique: "Ich weiß nicht, ob das so gut war, denen zu stecken, was du angestellt hast, Véronique. Einige von denen sahen dich an, als befürchteten sie, dass du das bei ihnen auch machst."

"Ja, doch die meisten wissen, dass wir uns solche Möglichkeiten nicht entgehen lassen dürfen. Abgesehen davon sind sie alle so entschlossen, dass Buggles unser Mann in Nordamerika wird, dass sie jedes uns verfügbare Mittel nutzen wollen, um ihn auf diesen Posten zu hieven."

"Und du hast keine Angst, dass mal wer meint, die von dir an Shacklebolt angewandte Methode an dir anzuwenden?"

"Das fragt mich einer, der selbst genug Sachen erfunden hat, die ihm selbst zusetzen können ... wenn er da nicht genug Sicherungen eingebaut hätte", erwiderte Véronique mit verwegenem Grinsen. Perdy nickte. "Ich habe auch in meine Erfindung mehrere Sicherungen eingebaut, dass sie sich sofort unbrauchbar macht, sobald sie mit mir in Berührung gebracht wird. Welche das genau sind verrate ich auch dir nicht. Du hast deine Geheimnisse, ich habe meine. Ein schönes Gleichgewicht der Macht", schnurrte sie. Perdy meinte, dass sie ihn dabei so ansah, als wolle sie abschätzen, ob er schon wieder attraktiv genug für sie war. Doch vielleicht war das auch nur eine dieser aus der zweiten Pubertät entspringenden Fehldeutungen.

Drei Stunden später erfuhr Perdy, dass Véroniques Vorgehen tatsächlich erfolgreich verlaufen war. Bowland hatte eine vom Minister persönlich übersandte Erklärung erhalten, die kanadischen Zaubererweltangelegenheiten unabhängig von britischen Beschlüssen zu verwalten. Also musste jetzt nur noch Bowland auf Buggles' Angebot eingehen. Das konnte noch heute der Fall sein oder noch Monate dauern.

Perdy kümmerte sich um die Aufzeichnungen aus dem geheimen Hauptquartier der Hände Amaterasus. Der von ihnen dort untergebrachte Stellvertreter des Vorsitzenden hatte länger gebraucht als gedacht, um sämtliche Unterlagen über die eisernen Diener zu beschaffen. Im Grunde waren das auch nur magicomechanische Geschöpfe, nur dass sie schon künstliche Organismen waren, so wie sich die Muggel Androiden vorstellten. Außerdem besaßen die Eisernen der Hände Amaterasus neben erhöhter Geschwindigkeit und Gewandtheit eine wesentlich höhere Haltbarkeit und Widerstandskraft. Perdy ging davon aus, dass er die ersten für die Gruppierung zur Bewahrung und Mehrung des magischen Lebens gehörenden eisernen Diener in zwei Monaten vorstellen konnte. Wie sie dann verwendet wurden oblag dann dem hohen Rat des Lebens. Er musste nur dafür sorgen, dass diese Geschöpfe nicht gegen ihn selbst eingesetzt werden konnten. Außerdem wollte er mit der Steuerungstechnik dieser Wesen genau wie die nichtmagischen Leute hochleistungsfähige Rechner herstellen, die gegebenenfalls auch die Massenproduktion thaumaturgischer Artefakte durchführen konnten.

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13.05.2005

"Guten Morgen Viento del Sol und alle, die es bisher mit uns unter dieser bleischweren Käseglocke aushalten. Hier ist wieder Roderic Krueger, der Morgenprophet von VDSR 1923 und bringt euch garantiert mit Schwung in diesen neuen Tag rein. Die Himmelstrinker aus Tantchen Finnigans buntem Garten sind weit geöffnet. Die armen Pflanzen wissen ja nicht, dass Regen von der Buggles-Gedächtnis-Käseglocke abperlen und nicht zu ihnen durchkommen. Aber für alle Sonnenkinder und Freunde des blauen Himmels habe ich doch noch eine gute Botschaft: zur Maimitte kriegen wir den vollen Frrrrrüüüüüühling! Also macht was draus und haltet durch! Ja und hier noch das Wecklied der Saison, Tiny Tony Heycourts Tanz der Morgenröte im Flott-aus-den Federn-Mix", sprudelte Roderic Krueger, der Moderator der allmorgentlichen Frühstückssendung von VDSR 1923 seine Ansage heraus und löste das an den Schallsammler gehängte Musikfass aus, in dem mal wieder hundert schnelle, mal alberne, mal laute, mal ein wenig schlüpfrige Lieder steckten, die er je nach Laune über den magischen Sender schickte."

Als das Lied lief klappte er den Sprechtrichter seines Schallsammlers zu und rief herein. "Ui, Lino. Morgen. Oh, die kleine Pullerfee ist auch dabei?" fragte er Linda Latierre-Knowles.

"Ja, Roddy. Ich habe die Kleine mitgebracht, weil mein Mann sich mit Lucky und dem Auswahlkommitee von "Neuer Käse für die Glocke" beraten will, was diese Woche den ersten Preis macht. Vielleicht werden es ja die Mondfarbsprühdosen, mit denen unsere jungen Leute die Innenseite der Glocke mit Parolen oder Schmähungen überziehen, solange es dunkel ist. Aber es könnte auch dieser Buchstabenzauber sein, den sie am siebten Mai in den Himmel geschickt haben."

"Joh, und Buggles musste seine Obleviatoren ausschwärmen lassen, weil die Satteliten der Magielosen das mitgekriegt haben. Der ärgert sich jetzt grün und blau, dass seine Elektrorrechnerabteilung ausgefallen ist, weil das mit der viel schneller gegangen wäre, die Bilder einzufangen. Was hat er getönt, er will uns wegen gefährlichen Bruches der internationalen Geheimhaltung lebenslänglich in VDS einsperren. Dann müssen die aber rauskriegen, wie sie die Glocke auch bei Tag vernebeln."

"Ist nicht lustig, Roddy. Die in Millemerveilles mussten mehrere Monate unter einer eingetrübten bis völlig abgedunkelten Kuppel ausharren", sagte Linda Latierre-Knowles. Sie setzte sich neben Roddy und wiegte die kleine Lydia auf ihren Knien.

"Der kann die Glocke nicht lichtdicht machen, weil er das schon längst gemacht hätte, um uns alle wortwörtlich im dunkeln zu halten. Aber dann bekämen all die Kinder, die VM uns aufgeladen hat große Angst, und das darf der sich wohl nicht leisten", sagte Roddy.

Nach dem laufenden Lied verlas Roddy die über Digeka hereingekommenen Nachrichten, die Linda mitgebracht hatte. "Ja, in Kanada stapeln sich die Kobolde, die nicht zu uns durchgelassen werden. Brandon Riley, der eine Koboldin als Mutter hat, besteht darauf, dass das Koboldembargo, wie er es nennt, augenblicklich wieder aufgehoben wird. Er verlangt eine nochmalige Untersuchung von Gringotts, ob etwas ähnliches da passiert ist wie in Fronkreische, wo der dortige Finanzwächter meinte, halbleere Verliese vortäuschen zu müssen, um den dortigen Kobolden das Goldverwahrungsrecht absprechen zu können. Picton lehnt eine nochmalige Überprüfung ab und verwarnt Big Brandon wegen unhaltbarer Unterstellungen und hat ihm nahegelegt, selbst nach Kanada auszuwandern, wenn er ... ohohohooo, Zitat: "eine Gespielin in seiner Größe nötig hat" Ende des Zitates. Joh, der weiß noch, was Männer brauchen. Das weiß auch die gute Shary Sugarwhite. Deshalb hier gleich nach dem fröhlichen Tanz der Morgenröte "Frohes Gießen lässt neues sprießen. Und ich freue mich schon auf den Heuler der Woche von unseren ewigen Gouvernanten!!"

"Moment mal, das Lied ist aber sehr, öhm, freizügig", meinte Linda lächelnd. Dann sagte sie: "Ich kann mich noch an je zwei Ohrfeigen auf jede Wange erinnern, als ich als siebenjähriges Mädchen mit diesem Lied anfing und erst mal erklärt bekommen musste, was damit gemeint ist."

"Dann halt dir schon mal deine Wunderohren zu, Linda, denn sicher fliegt schon in den nächsten fünf Minuten Mrs. Ironquills Heuler zu mir. Ich spiele gerade mit dem Gedanken, den direkt über den Sender loszulassen. Vielleicht zerspringt dann die Käseglocke unter dem wilden Getöse."

"Roddy, ich weiß, du machst dich gerne über bestimmte Denkweisen lustig. Aber hast du keine Angst, dass dir jemand mal den Mund oder sonst was zustopft?" fragte Linda.

"Fragt die, die sonst immer alles brisante weiterreicht, was ihre Ohren auffangen", sagte Roddy.

"ich musste auch deshalb häufiger das Weite suchen", sagte Linda Latierre-Knowles.

"Ich habe vor Mrs. Ironquill keine Angst. Die wettert zwar rum, wie unanständig wir jungen Leute sind. Aber mehr traut sie sich nicht, schon gar nicht, wo wir gerade alle unter dieser Käseglocke festhängen. Außerdem musste sie ihre Tiraden zurückschrauben, nachdem sie wegen dieser Neujahrsparty 2002 vier VM-Babys ausbrüten musste, und es Chloe verdankt, dass sie dabei nicht gestorben ist."

"Ja, was auch ein Grund ist, sie nicht unnötig zu ärgern", sagte Linda.

Als das Lied zu Ende war meinte Roddy: "Offenbar sind wir mit unserem Frühstücksradio noch ein wenig zu früh für die Gouvernanten vom Dienst. Öhm, Linda, was gibt's noch neues in der Welt?"

Linda verlas nun abwechselnd mit Roddy Nachrichten aus der Sportwelt. Da die Quodpotsaison zur Zeit auf Eis lag ging es nur um Quidditch und die Zauberschachmeisterschaft in New York, die Samuel Blackstone gewonnen hatte. Roddy wusste über diesen Zauberer noch, dass er Manager der Jersey Jolly Jays (3Js) war, die vor der Goldebbe gute Aussichten gehabt hatten, in die Serie der besten Quodpotmannschaften reinzukommen. "Tja, womöglich werden wir uns damit anfreunden, dass die komplette Saison noch mal neu gestartet werden muss, wenn unsre Windriders nicht mehr mitspielen können und der Spielerstreik wegen der aufgedrückten Gehaltskürzungen länger dauert", sagte Roddy. "Insofern kommt dem alten Blackstone der Gewinn des Schachturniers sicher ganz recht, auch wenn er mit einem Beutel voller grüner Schnipsel gerade mal bei Tantchen Annie um die Ecke einkaufen gehen kann, statt wie früher um die Welt zu segeln", sagte Roddy. Linda bestätigte, dass sämtliche Privatunterstützer der Mannschaften damit spielten, ihre Unterstützung zu beenden, weil in den Verträgen was von allen Pflichtspielen der Saison stand. Sie erklärte den schon wachen Hörerinnen und Hörern, dass sie so einen Privatunterstützungsvertrag mal hatte lesen dürfen, als es um die Rossfield Ravens und die Windriders ging. Dann meinte Roddy. "Ui, ich fürchte, einige Leute dürften wieder eingeschlafen sein, weil wir lange kein Lied mehr gespielt haben. Also Leute, jetzt ist es genau drei Minuten vor acht Uhr und hier kommt die Drei-Minuten-Polka von Karel und Antonin Havliczek. Fröhliches Wachtanzen!"

"Acht uhr gleich, dann darf ich mich gleich wieder verabschieden, sagte Linda. Gerade in dem Moment wachte ihre Tochter auf und fing an zu brabbeln. 2Joh, Lydie wir gehen gleich weiter", säuselte sie. Roddy bedankte sich für die mitgebrachten Nachrichten von draußen und lud sie auch für die nächste Morgensendung wieder ein.

Linda Latierre-Knowles interviewte dann noch die Gartenbauexpertin des Ortes und befragte sie zu Auswirkungen der Glocke auf die Himmelstrinker. Dann beschrieb sie für spätere Ausgaben des Westwindes den seltenen Regen, der über Viento del Sol herabfiel und in silbernen Funkelperlen von der unsichtbaren Glocke abtropfte wie von einer mit Impervius bezauberten Glasscheibe. Sie dachte daran, dass Mrs. Ironquill auch zu den Hexen gehörte, die in einigen Tagen einen gewagten, weil unvorhersehbaren Versuch durchführen wollten, sofern sie eine der vierzehn aus vierzig sein würde, die das Ritual durchführen sollten.

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Buggles konnte sich ein überlegenes Grinsen nicht verkneifen. Sein Quasi Amtskollege in Ottawa hatte ihm am frühen Morgen eine Blitzeule zugeschickt, dass er nun alle Freigaben von London hatte, die quasi schon als Dekret des Zaubereiministers Shacklebolt gelten konnten. Außerdem fragte Bowland, ob es bei den Zusagen bliebe, wenn er "seine Truppe" in den nächsten Tagen dazu bekam, die Vereinigung mit dem US-Zaubereiministerium zu vollziehen, natürlich nur, wenn alle hochrangigen Mitglieder der kanadischen Residenz weiterhin in wichtigen und gutbezahlten Anstellungen blieben. Buggles hätte fast laut aufgelacht, weil er daran dachte, dass er Bowland und Piedraroja wunderbar gegeneinander ausspielen konnte, wer von beiden die meisten eigenen Leute in die neue Administration einbringen konnte. als Administrationsgebäude, so hatte Buggles es sich schon vor zwei Monaten ausgeguckt, würden sie das aus Europa herübergeholte Schloss eines längst verstorbenen belgischen Barons in einem von Bergen umfriedeten Tal des San-Gabriel-Gebirges nutzen. Buggles wollte dort ein jederzeit vollständig abschirmbares neues Verwaltungszentrum errichten, wenn die exponierte Lage in Washington zu unsicher wurde. Er würde sich das Prunkgebäude noch einmal ansehen, bevor er sich endgültig dazu entschloss, seine neue Residenz dort einzurichten. Doch zunächst galt es, mit Bowland zu sprechen und ihm die Zustimmung zum Dreierbund Nordamerikas zu entlocken. Die Operation "Goldener Dreizack" trat in ihre entscheidende Phase.

"Sieh ja zu, dass du alles absicherst, bevor du mit deinem großen Erfolg an die Öffentlichkeit gehst. Nicht jeder wird es dir gönnen", hörte er die Stimme seiner Herrin im Kopf. Da wusste er auch wieder, wem er es zu verdanken hatte, dass Kingsley Shacklebolt Bowland die Freiheit zur Selbstbestimmung gegeben hatte, eine Selbstbestimmung, die der närrische Bursche nur wenige Wochen genießen durfte, dachte Buggles. Doch er selbst war ja auch nicht mehr Herr seines ganz eigenen Willens. Zwar folgte er seinem eigenen Wunsch, eine einzige nordamerikanische Zaubereiadministration zu erschaffen. Doch ohne sie und den Beistand ihrer Mitstreiter würde er niemals länger als ein paar Tage aushalten. Außerdem konnte er auch dann nicht gegen sie angehen, wenn sie ihm nicht zugesagt hätte, dass er der mächtigste Zauberer Nordamerikas werden würde. Das wusste er zu gut und hütete es als sein größtes Geheimnis, wie damals Chroesus Dime.

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14.05.2005

Château Beautemps stand in mannsgroßen, goldenen Lettern über dem östlichen der beiden Rundbogentore jenes in einem zu Fuß unbetretbaren Tals in den San-Gabriel-Bergen Kaliforniens gelegenen Schlosses. Das Gebäude wurde von einer rechteckig verlaufenden, fünf Meter hohen Mauer umschlossen. An jeder Ecke stand ein an die dreißig Meter hoher Turm.

Das Schloss selbst besaß einen E-förmigen Grundriss, wobei die drei Seitenschenkel nach Osten ausgerichtet waren, während der langgezogene Hauptteil genau in Nord-Südrichtung verlief. In der genauen Mitte des Gebäudes wuchs ein fünfter, an die vierzig Meter hoher Turm aus dem restlichen, fünfstöckigen Gebäude heraus. Genau so hatte das Schloss in seiner belgischen Heimat gestanden, bis es vor dreißig Jahren von einem sich für sehr geschäftstüchtig haltenden Zauberer namens Charles Bleuville aufgekauft worden war. Der hatte es dann nach Auswahl eines neuen Standortes in einer wortwörtlichen Nacht-und-Nebel-Aktion von seinem ursprünglichen Standplatz in der Region von Brüssel abtragen und mit den Mitteln des magischen Warentransportes in die Staaten überführen lassen, wo er es an seinem neuen Standplatz wieder aufbauen ließ. Doch Bleuville hatte sich im Laufe der Jahre bei verschiedenen Vorhaben finanziell verausgabt und drohte, sämtliche Besitzungen zu verlieren. Darauf hatte er sich mit einem Gifttrunk das Leben genommen um der Schmach zu entgehen, dass all sein Besitz vor seinen Augen gepfändet und fortgetragen wurde. Seine beiden Söhne Peter und Paul hatten dann das Erbe ausgeschlagen, um nicht auch noch für die lauernden Gläubiger Gold heranzuschaffen. Da die vier Hauptgläubiger sich nicht einig werden konnten, ja von einem fünften, Barabbas Burke genannt Big B, gegeneinander aufgewiegelt wurden, hatten sie sich entschlossen, ihren Anteil am Anspruch auf ihn zu übertragen, wodurch er zum Alleinbesitzer des Schlosses geworden war. Doch Burke schaffte es nicht, das aus Belgien herübergeholte Prunkgebäude zu verkaufen. Denn es lag zu abgelegen für solche Leute, die gerne mit ihrem Besitz angaben. So war ihm nur geblieben, die Möbel, Hauswäsche und Bücher zu veräußern und das leere Schloss und seine mittlerweile stehengebliebene Turmuhr als "hausgroßen Klotz an beiden Beinen" zu ertragen. Die Goldebbe nach der Erdmagieentladung im Dezember hatte scheinbar alle Goldreserven des Landes unerreichbar gemacht. Dadurch waren Immobilien wie das Schloss wieder wertvoll geworden. Dennoch hatten es Buggles und Picton auf einen Hinweis von Ms. Whitecap hin erreicht, dass Burke ihnen das Schloss für einen Gegenwert von 100 Kilo unverarbeiteten Goldes überließ, auch weil Burke was brauchte, um seine internationalen Geschäfte fortzusetzen. Das grüne Notgeld, auch Buggles-Schnipsel genannt, galten ja nur in den Vereinigten Staaten. So hatte das Zaubereiministerium von der magischen Öffentlichkeit unbemerkt ein scheinbar nutzloses Prunkschloss erworben. Doch Buggles und seine Vertrauten sowie die halboffiziellen Unterstützer hatten schon Pläne damit.

Die Sonne ging gerade über den Gipfeln der San-Gabriel-Berge auf. Das nach osten blickende Zifferblatt der im hohen Mittelturm verbauten Turmuhr gleißte orangerot wie der Zwilling des gerade aufsteigenden Tagesgestirns. Das Glänzen war wie ein Leuchtfeuer für die drei aus östlicher Richtung heranfliegenden Besenreiter.

Buggles, Catlock und Picton, die drei wichtigsten Männer des US-Zaubereiministeriums, wollten sich das ausgesuchte Schloss genauer ansehen, dass sie seit März 2005 besaßen. Hier sollte nach Buggles' Vorstellungen die neue gesamte nordamerikanische Zaubererweltadministration eingerichtet werden. Es galt nun, wo die Verhandlungen über eine Vereinigung Mexikos, der USA und Kanadas unmittelbar vor ihrem Abschluss standen, das ausgewählte Bauwerk zu begutachten.

Das Tal, das nach dem Schloss als Good-Times-Valley benannt worden war, zog sich geradlinig von Norden nach süden zwischen sechs Berghängen dahin und wurde von zwei breiten Berghängen abgeschlossen, so dass niemand zu Fuß oder zu Pferd hineinkam. Ob es noch möglich war, in das Schloss als solches hineinzuapparieren wussten sie nicht. Auch wussten sie nicht, ob der von Barabbas Burke errichtete Überflugzauber noch wirksam war oder beim Verkauf des Schlosses an das Ministerium aufgehoben worden war. Deshalb umflogen die drei ranghohen Besucher auf ihren Harvey-7-Besen das rechteckige Grundstück ohne Begrünung erst einmal großräumig. Doch als Catlock und Buggles auf ihren an den Armen getragenen Zauberkraftspürern keine Reaktion feststellten trauten sie sich näher heran. Sie hoben die bis dahin für die meisten anderen wirkende Unsichtbarkeit der Besen und sich selbst auf und überquerten im ganz langsamen Flug die Mauer. Es erfolgte keine weitere Reaktion der mitgeführten Zauberkraftspürgeräte. Auch als sie jeden Turm einzeln in einer auf- und abwärts führenden Spirale umkreist hatten erschien es so, dass im Schloss selbst keine magische Absicherung oder ein Fluch wirkte. Doch Buggles und Catlock wollten das genau wissen. So warfen sie aus den mitgebrachten Rucksäcken Gegenstände ab, die wie silberne Hühnereier aussahen. Diese fielen so wie üblich abgeworfene Dinge auf das Dach und die Kopfsteine im Hof zwischen Mauer und Hauptgebäude. sie kullerten etliche Meter und zersprühten dann in blauen Lichtern. "Okay, die Fluchkitzler haben nichts aufgescheucht", sagte Buggles nach einer Minute. Hätte in dem Haus noch ein von Bleuville oder Burke ausgesprochener Fluch gewirkt, so hätten die Entladungen der abgeworfenen Zaubergegenstände diesen in irgendeiner Farbe leuchten lassen. Das war eine noch neue, ausschließlich für das Zaubereiministerium entwickelte Methode, gut abgeschirmte, aber machtvolle Verwünschungen zu erkennen, bevor sie auf Menschen wirken konnten. Damit waren sogar die gefürchteten Situationsflüche, deren magische Kraft auf einen winzigen Raum gebündelt war, anmessbar geworden. "Bei Big B hätte ich mindestens mit einem Lähmfluch oder einem Albtraumnebel gerechnet", meinte Catlock. Burke galt wegen seiner Abkunft als eher den dunklen Künsten zugetaner Zauberer, auch wenn ihm diesbezüglich bisher nichts bewiesen werden konnte.

"Gut, dann können wir uns das kleine Schloss mal in ruhe ansehen", meinte Buggles zuversichtlich.

Da sie sich nicht verlieren wollten dauerte die gemeinsame Begehung mehr als eine Stunde an. Über sechshundert kleinere und größere Räume mussten besichtigt werden, wobei diese wegen der fehlenden Möbel und anderen Einrichtungen sehr trostlos aussahen. Immerhin waren die Decken, Böden und Wände noch in einem sehr guten Zustand. Es mussten halt nur neue Möbel eingestellt werden. In einem Zimmer, dass doppelt so groß wie das Foyer des Zaubereiministeriums war, vermutete Buggles einen Ballsaal. Der Boden sah danach aus, als währe hier bis vor nicht all zu langer Zeit Parkett verlegt gewesen. Auch wies die Decke die charakteristischen Löcher und Rußstellen auf, wo sicher einmal große Kronleuchter aufgehängt gewesen waren. "Gentlemen, wie lange denken Sie würde es dauern, dieses Gebäude wiederzubeleben?" fragte Buggles.

"Wenn wir an einigen Stellen sparen könnten wir innerhalb von drei Wochen die wichtigsten Räume ausstatten. Auch könnten wir alle Möbel aus den bisherigen Räumen herüberschaffen. Dazu ist dank magischer Transportmöglichkeiten eine Zeit von einer Woche völlig ausreichend", sagte Picton und fügte hinzu, dass ja wegen der neuen, unabhängigen Währung keine finanziellen Grenzen bestanden, sofern sie die Ausgaben in den nächsten Jahren auf andere Weise ausglichen.

"Gut, Cyrus, betrachten Sie die vollständige Einrichtung als in Auftrag gegeben. Da Ihnen ja alle magischen Handwerksbetriebe und Baufirmen bekannt sind erhalten Sie nachher noch die entsprechende Anweisung von mir. Als Titel dieser Maßnahme tragen Sie Nordamerikanische Magieadministration (NAMA) ein!" befahl Minister Buggles. Er hatte sich bereits mit einem Arbeits- und Wohnbereich im mittleren Turm angefreundet. Dazu wollte er auf jeden Fall die zur Zeit nicht gangbare Turmuhr reparieren und magisch an die Bewegung von Sonne, Erde und Mond anbinden lassen. Denn eine richtige Turmuhr wie die von Big Ben in London hatte schon stil. Für seinen Wohn- und Schlafbereich konnte er ja dann Schallschluckzauber einrichten lassen, um nicht bei jedem Viertelstundenschlag aus dem Bett zu fallen.

Catlock indes prüfte, welche Sicherheitszauber eingerichtet werden konnten. Ein wahlweise aufrufbarer Feindesblickverhüllungszauber war schon mal möglich. Außerdem sollte ein im Gefahrenfall wirksam werdender Locorefusus-Zauber und eine Überflugsperre eingerichtet werden, neben den üblichen Schutzzaubern gegen Fernflüche und elementare Angriffe. In Friedenszeiten sollte es zumindest möglich sein, innerhalb eines begrenzten Bereiches zu apparieren und zu disapparieren. Hierfür sollte der östliche Hofabschnitt genutzt werden. Ja, wenn es keine bevorstehenden Angriffe gab konnte die Sperre so beschaffen sein, dass sie nicht wirkte, solange die Tore offenstanden. Waren sie verschlossen, sollte jeder Eindringling ob zu Lande, zu Luft oder aus dem magischen Ortswechsel heraus am Zutritt gehindert werden. Buggles eröffnete Catlock, dass es nach Ms. Whitecap möglich sein würde, eine kleinere, dafür noch festere Absperrglocke zu errichten, die nicht nur den Durchflug und die Übermittlung von Gedankenbotschaften und Schallübertragungen vereiteln, sondern auch die Absicht, einzudringen verdrängen konnte. Da die Bewohner von Viento del Sol und Misty Mountain ja bisher keinen Weg kannten, die über ihren Orten aufgespannten Sperrglocken zu durchbrechen, konnte dieses neuartige Prinzip auch als magische Festung eingerichtet werden. Ms. Whitecap hatte Buggles sogar in Aussicht gestellt, dass die Glocke in Friedenszeiten mit Durchflugschneisen ausgestattet werden konnte, die beliebig geöffnet und geschlossen werden konnten. Zwar sei dies noch nicht ganz spruchreif, werde jedoch gegenwärtig ausgearbeitet. Wenn sicher war, dass Bowland der Vereinigung aller drei nordamerikanischen zaubereiverwaltungsbereiche zustimmte wollte er sich noch einmal mit ihr darüber unterhalten. Doch das sagte er nicht, wo Picton dabei war, selbst wenn dieser genauso wie Catlock durch Anerkenntnis seiner obersten Autorität an ihn gebunden war.

"Also, meine Herren, ich reise gleich nach Ottawa und prüfe, ob Bowland mit unserem Angebot einverstanden ist. Bekomme ich ihn dazu, dass er dem Dreierbund zustimmt und einen Beitrittstermin in den nächsten Tagen befürwortet, dann soll dieses Gebäude als künftige Zentralstelle der nordamerikanischen Magieadministration eingerichtet werden. Das Codewort dafür ist "Goldener Dreizack"", sagte der amtierende US-Zaubereiminister, nachdem sie jeden Raum besichtigt und auf seine Verwendbarkeit hin überprüft hatten. Die Kellerräume sollten wie üblich als Archive, aber auch als Versuchsräume verwendet werden. Womöglich konnte das Tal an sich entsprechend weiter ausgehöhlt werden, um groß angelegte Zaubertrankbrau- und Versuchslabore und thaumaturgische Werkstätten einzurichten. Die mit Fenstern ausgestatteten Räume sollten als Arbeitszimmer dienen. Wie er es sich schon überlegt hatte wollte Buggles im mittleren Turm sowohl seinen Arbeits- wie seinen Wohnbereich einrichten. Dabei wollte er jedoch alles so bezaubern lassen, dass er den Turm zu seiner ganz eigenen kleinen Festung machen konnte, selbst wenn das ganze Schloss oder auch das ganze Tal mit Feindesabwehrzaubern überspannt werden konnte.

Eine Stunde nach Mittag verließen die drei Besucher des Château Beautemps, dass laut dem Minister demnächst als Good Times Castle bezeichnet werden sollte. Sie flogen aus dem Tal heraus, landeten auf dem nächstgelegenen Gipfel und disapparierten mit ihren Besen von dort aus, um den langwierigen Rückweg abzukürzen.

Eine Stunde später traf Buggles mit drei Sicherheitszauberern aus seiner eigenen Garde in Ottawa, Kanada ein, wo er den bis dahin amtierenden Residenten des britischen Zaubereiministeriums Murray Bowland aufsuchte.

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Auch wenn hier niemand anderes mehr war trugen sie ihre Außeneinsatzkleidung, blaue, rosarote, gelbe und grüne Strampelanzüge und die den ganzen Kopf überdeckenden, pausbäckigen, kahlköpfigen Babykopfattrappen mit großen blauen Augen. Wenn sie miteinander sprachen klangen sie wie Kleinkinder, obwohl ihr Körperbau eindeutig der von Erwachsenen war. zwei der zwanzig aus grünen Lichtspiralen erschienenen stachen aus der Truppe der scheinbaren Riesenbabys heraus. Es waren eine Frau im blütenweißen Babykostüm, die sogar eine weiße Kappe auf der Babykopf-Vollmaske trug und ein halbwüchsiger im silbernen Strampelanzug, der ein schwarzes Käppchen mit silbernen Punkten wie der klare Sternenhimmel auf dem Riesenbabykopf trug. Sie beide hatten die Einsatzleitung. Sie sagten an, wer wo was zu verstauen hatte. Dann blickten sie auf einen in freier Luft auftauchenden Bauplan. Der in Silber deutete mit der behandschuhten Rechten auf eine golden markierte Stelle.

"Er will da sein Amtszimmer haben", sagte der Silberne mit der zur Verkleidung gehörenden Kunststimme. Die in Weiß bejahte es und las noch einmal vor, was ihr und ihrem in Silber gekleideten Mitstreiter berichtet worden war.

"Dann vorgehen wie besprochen", sagte der Silberne in einem befehlsgewohnten Ton, während die weiß kostümierte Mitstreiterin sich um die anderen Räumlichkeiten kümmerte.

"Seid ihr Sicher, dass hier in den nächsten Tagen keiner hinkommt?" fragte einer in Grün, der keine zusätzliche Kopfbedeckung trug.

"Die offiziell inoffiziellen Arbeiten gehen am achtzehnten los, weil ja erst dann klar ist, ob es nur zwei oder drei sind", sagte die Riesenbaby-Frau in Weiß. Ihr silbern gewandeter Mitstreiter bestätigte, dass sie bis dahin aus dem Rückschaufenster heraus sein würden.

"Warum haben wir keine von deinen neuen Unortbarkeits-Schmusedecken mitgenommen?" fragte der in Grün den in Silber.

"Weil die den blöden Nebeneffekt haben, dass damit die Portierungsfestlegung verschoben wird. Das habe ich trotz der Zweiwegeabstimmung noch nicht ausräumen können", knurrte dieser verdrossen und klang wie ein wütender Zweijähriger, dem jemand den Lutscher aus dem Mund gepflückt hatte.

"''Tschuldigung, ich bin eher Biomaturg als Raum-Zeit-Interaktions-Thaumaturgieexperte."

"Deshalb bist du ja auch hier, weil wir unsere neuen Zusatzdekorationen anbringen, Mr. Chlorophyll", sagte der silberne, der sich im Einsatz "Mr. Silvermoon" ansprechen lassen wollte. Zwar kannte hier jeder von den anderen die wahren Namen. Doch die Einsatzvorschriften besagten, dass sie in Verkleidung nur mit festgelegten Decknamen anzusprechen waren, auch um vor allem mögliche Fernbelauschung zu umgehen.

Die Einsatzgruppe versah die festgelegten Tätigkeiten, prüfte nach, ob alles so war wie gewünscht. Dann stellten sie sich wieder an den Platz, an dem sie aufgetaucht waren. "Alles klar?" fragte Mr. Silvermoon. Alle nickten. "Gut. Zwanzig hochbeamen! Energie!" rief der Silberne höchst vergnügt. Daraufhin verschwanden alle in smaragdgrünen Lichtspiralen. Nun war der Ort wieder so verlassen wie zuletzt vor drei Stunden.

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Bowland war ein hünenhafter Zauberer mit dunkelbraunem Haar und tiefblauen Augen. Er trug bei Buggles' Eintreffen einen hellgrünen Umhang mit Stehkragen und wirkte sehr entspannt, auch wenn es gleich darum gehen würde, ob er sein Land von einer Abhängigkeit in eine andere überführen oder mehr Vorteile für sich herausschlagen konnte.

Buggles war schon einige Male hier gewesen. Daher nahm er die üppige Zimmermannskunst in diesem Raum nur am Rande zur Kenntnis. Wichtiger war für ihn, was sein Gegenüber von dem umfangreichen Angebot hielt, dass er ihm hatte zukommen lassen.

"Nun, ich erfuhr, dass meine Anfrage in London positiv beschieden wurde. Meine Mitbürger haben gefeiert, als bekannt wurde, dass Kanada nun wie alle anderen ehemaligen Kolonien völlig frei über das eigene Schicksal bestimmen kann. Nur wenige haben beklagt, dass damit der letzte Akt im britischen Weltreich vollzogen worden sei und wir nun den Wirrnissen einer ungewissen Zukunft ausgeliefert seien oder beklagten, dass das britische Zaubereiministerium uns offenbar für nicht mehr wichtig genug halte, um mit uns zusammenzuarbeiten. Ja, und ein paar wenige haben den Verdacht geäußert, dass Minister Shacklebolt von irgendwem auf eine unlautere Weise zur Abtretung seiner Vorrangstellung gegenüber uns gezwungen worden sein mochte, auch und vor allem im Angesicht der weltweiten Goldkrise."

"Ja, und was haben Sie darauf geantwortet, Murray?" fragte Buggles sein Gegenüber.

"Das wir eben ein Land seien, wo es ungefährlich sei, seine oder ihre eigene Meinung zu äußern und weder Minister Shacklebolt noch ich irgendwem eine Rechtfertigung lieferten, warum Kanada nun eigenständig sei und sich alle magischen Mitbürger freuen sollten, dass wir endlich unsere ganz eigenen Angelegenheiten ohne Rückfragen in London erledigen könnten", erwiderte Bowland mit seiner sonoren Bassstimme, die der Shacklebolts nahekam, wenngleich Bowland ein europäischstämmiger Zauberer war.

"Nun, Kollege Bowland, wann möchten Sie sich zum kanadischen Zaubereiminister ausrufen lassen?" fragte Buggles. Bowland grinste. "Habe ich schon gestern erledigt. Allerdings habe ich da auch schon in Aussicht gestellt, dass es eine Konföderation mit den USA geben könnte, sofern die dafür nötigen Voraussetzungen geschaffen werden. Gut, das hat die Kritiker nicht gerade verstummen lassen. Doch viele, die dem althergebrachten nicht mehr so zugetan sind, würden eine Konföderation oder gar eine Föderation mit kanadischer Beteiligung gutheißen, sofern ihnen dadurch keine Verluste widerfahren. Allerdings rate ich zur größtmöglichen Behutsamkeit, was eine solche Zusammenführung angeht. Wir haben noch etliche Handlanger britischer Interessen in unserer Residenz. Die könnten auf die Idee kommen, jede Annäherung zu stören, sie als undurchführbar hinzustellen und eine Rückkehr an die lange Leine Londons fordern."

"Ich gehe davon aus, diese Spielverderber sind Ihnen durchaus bekannt, Murray", raunte Buggles verschwörerisch. Bowland überlegte kurz, wie er diese Bemerkung auslegen sollte. Dann nickte er. "Sie haben es bis gestern nicht für nötig gehalten, ihre Meinung und ihre Haltung zu verbergen, ja sehen sich weiterhin als im Recht. Natürlich sind mir die Namen und alle anderen Angaben wohl bekannt."

"Gut zu wissen, mit wem dann geredet werden muss, wenn es Schwierigkeiten geben sollte", sagte Buggles zweideutig. Denn einerseits ging er davon aus, dass selbst die größten Kritiker unter dem Druck der Mehrheit nachgeben mussten, wenn die Mehrheit mehr Vor- als Nachteile für sich sah. Andererseits wollte er natürlich seine Widersacher kennen und je nach Gefährlichkeit behandeln, also ignorieren, mit ihnen unterhandeln oder sie mal eben verschwinden lassen, falls dies die letzte anwendbare Möglichkeit sein sollte. Ms. Whitecap hatte ihm da in den letzten Tagen auch schon gewisse Andeutungen gemacht. Doch darauf durfte er hier und jetzt natürlich nicht eingehen. Ihm war wichtiger, dass Bowland seinen Vorschlägen zustimmte und den vielleicht noch bestehenden Widerstand gegen einen völligen Zusammenschluss aufgab oder zumindest zustimmte, dass es eine gesamte Nordamerikanische Administration geben würde. Unterschrieb er sowas konnte Buggles das Dokument wie jede bisher verlangte Anerkenntnis seiner Autorität mit dem Beistandsvertrag von Vita Magica zusammenbringen und Bowland so auch daran und somit an sich binden, ohne dass er dann noch was dagegen tun konnte. Früher wäre ihm ein solches Vorgehen als widerwärtig aufgestoßen. Doch wenn er jetzt nicht alle Möglichkeiten nutzte, sein Ziel zu erreichen, würde er es auch nicht mehr erreichen, selbst wenn er Piedraroja aus Mexiko schon sicher hatte.

"Sie wissen sicher, dass ich in Verhandlungen mit den Erfindern der Werwolfdezimationsvorrichtung stehe, Murray. Derzeitig bieten sie mir diese Erfindung nur für die USA an."

"wir wissen, dass hinter diesen großflächigen und rücksichtslosen Vernichtungsaktionen Vita Magica steckt, Lionel. Das beunruhigt mich, mit solchen Leuten verhandeln zu sollen. Doch wir beobachten auch die Zunahme menschenfeindlicher Aktivitäten bei uns. Die Diener dieser Vampirgötzin lauern darauf, ihr auf unserem Grund und Boden ein Reich zu errichten. Das können wir natürlich nicht zulassen. Die Mondgeschwister sind ja wohl eher auf Südamerika beschränkt, weil sie dort wohl mehr Unterschlupfmöglichkeiten haben. Aber ich darf nicht ausschließen, dass sie auch in unseren Wäldern oder unseren Bergen geheime Verstecke finden und dann, wenn wir es nicht mehr erwarten, aus diesen heraus zuschlagen. Ja, und es gibt auch sehr viele Leute bei uns, die Shacklebolt all zu zögerliches Handeln gegen diese lykanthropischen Verbrecher vorwerfen und die es lautstark begrüßen würden, wenn wir Zugang zu dieser Massenabtötungsvorrichtung bekämen, mit der Lykanthropen aus sicherer Entfernung ausgelöscht werden können. Auch deshalb habe ich die Liste Ihrer Angebote sorgfältig durchgelesen", sagte Bowland. "Ich will sichergehen, dass wir diese Unholde aus unserem Land herausbekommen, Registration oder Anihilation, so hat es mein für magische Wesen unterstellter Kollege Blackwood formuliert. Diggory in London hat ihn schon fast zurückbeordert, weil er diese Auffassung nicht teilt. Doch Shacklebolts Freistellungsdekret hat diese Einbestellung wohl verhindert. Er würde Ihnen sofort zustimmen, wenn Sie ihm anbieten, diese Blaulichtvorrichtung für Kanada zu beschaffen. Aber unser Finanzleiter fürchtet, dass wir dann Schwierigkeiten mit den Kobolden bekämen. Die haben klar bekundet, dass sie jeden Versuch, sie von den USA fernzuhalten, als indirekte Kriegserklärung ansehen werden. Sollten wir sie auch aus Kanada verjagen wollen könnten sie wirklich handgreiflich werden. Es sei denn, wir finden deren Kraftsteine, die ihnen eine überlange Lebenserwartung und die Befähigung zur zauberstablosen Erdmagienutzung ermöglichen."

"Haben Sie das je versucht, diese ominösen Kraft-oder Weihesteine zu finden, Murray? Das dürfen Sie getrost vergessen, da diese garantiert im tiefsten Innneren einer Festung aufbewahrt werden, womöglich in Gringotts London. Da werden wir so nicht herankommen", sagte Buggles. Natürlich hatte auch er von der Natur der Kobolde gehört, dass ihre besondere Zauberkraft auf besonderen Steinen beruhte. Doch keiner der bisher bekannten Kobolde führte einen solchen Stein mit sich. Also mussten diese keinen unmittelbaren Körperkontakt damit haben.

"Wollen Sie die völlige Unabhängigkeit von den Kobolden? Wollen Sie die von Zauberern ausgeübte Bestimmung über das von Ihnen besessene Gold, Silber und andere Wertvolle haben, Murray?" fragte Buggles, der die Antwort schon sicher wusste.

"Ich weiß nicht, wie Sie es geschafft haben, die Kobolde bei sich als unzuverlässig und fahrlässig hinzustellen. Sicher hatten Sie mehr Glück als die einfältigen Franzosen, die es mit reinen Illusionszaubern versucht haben und jetzt winzigkleine Baguettes backen müssen, um weiterhin auf ihr Gold zugreifen zu dürfen. Doch wenn ich Ihrem Vorschlag zustimme und unterschreibe, dass ich einer Zusammenführung der kanadischen und US-amerikanischen Zaubereiverwaltung zustimme, dann wird diese nur solange bestehen, wie es mehr Leute gibt, die ohne sie nicht mehr leben wollen als jene, die sie als neue Gängelei von uns verstehen. Ich selbst weiß es ja im Moment auch nicht, ob ich dem zustimmen soll, ohne die gerade erst gewonnene Eigenständigkeit zu verspielen. Also, was spricht für die Zusammenführung, was die dagegensprechenden Argumente überwiegt?" wollte Bowland wissen.

Nun begann Buggles in Befolgung vorangegangener Absprachen mit seinen Gönnern und Unterstützern, all die Vorteile aufzuzählen, die sich aus einer Zusammenführung aller drei nordamerikanischen Staaten ergaben. Buggles erwähnte auch, dass die Gefahr von Ladonna Montefiori in Europa noch nicht ausgestanden sei. Der Versuch, viele europäische Zaubereiminister auf einmal zu unterwerfen, habe gezeigt, dass mit dieser Hexe noch zu rechnen war. Auch die ausdrücklich außerhalb der Gesetze handelnden Gruppierungen würden sich auf kurz oder lang zusammenschließen, um gegen die halbmenschlichen Feinde zu bestehen. Wer Frieden wolle, könne dies nur noch in einer vereinten Stärke gegenüber jenen, die keinen Frieden wollten erreichen, so Buggles. Auf die Frage, wie er denn Vita Magica einschätze sagte er, dass er diese Organisation als unorthodox beurteilte, nicht mit bisherigen als moralisch einwandfrei eingeordneten Verhaltensweisen einverstanden, aber dennoch dem menschlichen Wesen verbundene Gruppierung, die mehr dem Leben als der Vernichtung verbunden sei. Weil er das erkannt habe, würde er angefeindet, wisse aber auch, dass es ohne eine Abstimmung mit allen dem Schutz des Menschen verbundenen Organisationen keine friedliche Zukunft mehr geben werde. "Oder wollen Sie von einer auf alleinige Macht versessene Hybridin wie Ladonna Montefiori oder deren irregeleiteten Dienerinnen beherrscht werden, Murray?" fragte Buggles sein Gegenüber. "Falls nicht, dann kann ich Ihnen helfen, sich gegen diese Mächte zu wehren. Falls doch, dann vergessen Sie mein Angebot und gestatten Sie mir, dass ich Ihr Land verlasse!" fügte er noch provokant hinzu. Denn Bowland zu unterstellen, er könne sich ja mit einer Königin Ladonna abfinden, war in mehrfacher Hinsicht gefährlich. Denn falls dies stimmte konnte Bowland Buggles als Gefahr für diese dunkle Hexe einordnen und umbringen wollen. Falls es nicht stimmte könnte Bowland Buggles unterstellen, ihn vor den anderen Hexen und Zauberern in Misskredit bringen zu wollen und ihn mundtot machen wollen. Ja, und falls sich Bowland von Buggles bedrängt fühlte könnte er seinerseits zum Widerstand gegen die US-Administration aufrufen. Dann würde es nichts mit dem goldenen Dreizack. Bowland erkannte das wohl, dass er nun in Händen hatte, wie er und Buggles in Zukunft miteinander auskommen würden. Deshalb brauchte er auch eine halbe Minute. Dann sagte er:

"Falls ich Ihrem Vorschlag zustimme, eine gesamte Administration für Nordamerika zu errichten, dann brauche ich Garantien, dass wir Kanadier dabei nicht unter den Hammer kommen, sondern in dieser Zusammenführung mehr Vorteile haben als am Gängelband von London. Können Sie das garantieren?"

"Das habe ich in den letzten Minuten doch deutlich dargelegt", grummelte Buggles. Dann sprach er ganz ruhig weiter und erwähnte, dass er bereit sei, Bowland als einen seiner beiden Stellvertreter zu etablieren, mit denselben Rechten wie er, falls ihm was zustieße. Er könne dann mit Piedraroja, dem er dieselbe Garantie erteilt habe, eine Doppelführung bilden, die die jeweiligen Interessen auslote und nach außen einen vereinten Weg einschlagen konnte. Doch um dem mehrheitlich US-amerikanisch-mexikanischen Zauberervolk eine einheitliche Führung zu bieten sei es sinnvoll, wenn der Partner mit der größeren Zahl magischer Mitbürger die oberste Administration übernehme. Derzeitig sei dies eben die US-Magieadministration. Bowland grummelte. Denn das wusste der auch. Wo es bei den nichtmagischen Menschen ziemlich ausgewogen zuging, was die Anteile von Einwanderern aus aller Welt betraf, so waren viele Hexen und Zauberer lieber in die Vereinigten Staaten eingewandert, weil sie von den bisherigen Zaubereiverwaltungen wegkommen wollten. Nach Mexiko waren seit dreißig Jahren keine Hexen und Zauberer mehr eingewandert, weil die dort gewachsene Gemeinschaft alle Ausländer als besserwisserische Gringos oder mittellose "Gusanos Nudos" ansah. Nach Kanada wanderte nur alle paar Jahre wer neues aus der britischen Zaubererwelt ein, wenn jemand den Trubel auf der britischen Hauptinsel leid war und sich nach den scheinbar unendlichen Weiten Kanadas sehnte, wo der nächste Nachbar mehr als 30 Kilometer entfernt wohnte. Gut, für Zauberer war diese Entfernung lächerlich, weil jeder halbwegs gute Apparator sie mit einem Sprung überwinden konnte. Doch die Vorstellung, ein Haus oder Gehöft für sich allein zu haben, reizte schon manchen "Stadtflüchter", wie die von Britannien zuwandernden von den Kanadiern abfällig genannt wurden.

"Und Sie können uns sowohl die Kobolde vom Hals schaffen, ohne unser Gold zu gefährden und auch die Werwölfe in Schach halten, wenn diese doch wieder frech werden?" wollte Bowland wissen. Buggles sagte dies fest zu. Dann gab sich Bowland den entscheidenden Ruck. Er unterschrieb die Vereinbarung zur Zusammenführung aller drei nordamerikanischen Zauberergemeinschaften unter eine einzige Administration. Da diese dann staatenübergreifend sein würde entfiel dabei die Betitelung Zaubereiminister oder Ministerialresident. Buggles schlug vor, den Titel "Magus Primus" oder oberster Administrator zu vergeben. Er musste dabei sehr aufpassen, nicht vorfreudig zu lächeln. Bowland fragte dann, wie er dann heißen würde. "Coadministrator für den Bereich Nord", sagte Buggles und zählte ihm auf, dass er damit nicht nur Kanada, sondern auch alle US-Nordstaaten mitverwalten dürfe, einschließlich Alaska, was Bowland insofern sehr behagte, weil er dann alle dort lebenden Inuitschamanen unter demselben Hut haben würde. Dann unterschrieb er das Vereinigungsabkommen, in dem auch aufgeführt war, dass die Gesamtadministration in einem für Nichtmagier unzugänglichen Gebirgsbereich zwischen Kanada und Mexiko eingerichtet werden sollte. Tja, und zwischen Kanada und Mexiko lagen nun einmal die USA. Buggles berichtete ihm, dass das Ministerium zwei solche Immobilien hatte und lud Bowland ein, mit ihm und Piedraroja diese Gebäude zu besichtigen. , Piedraroja würde als Coadministrator mit der Zuständigkeit der südlichen Staaten der USA und Mexiko als ganzes betraut. Trennlinie der Zuständigkeiten war die auch bei den Nichtmagiern gültige Mason-Dickson-Linie. Damit hatte Buggles Bowland nun ganz sicher.

Nur fünf Minuten später besaß er ein an mehreren Stellen unterschriebenes Dokument von Bowland. Morgen würden sie beide und Piedraroja das neue Gebäude besichtigen und über dessen Einrichtung abstimmen.

Mit dem guten Gefühl, endlich am Ziel zu sein, kehrte Buggles am Abend des 14. Mai in das US-Zaubereiministerium zurück. Der goldene Dreizack war geschmiedet. Er musste nur noch offiziell bekannt gegeben werden. Doch dies, so wusste er all zu gut, durfte nicht vor der Vollendung aller Tatsachen geschehen. Sollte sich die Presse darüber ärgern, diesen prozess nicht interessiert bis kritisch begleiten zu dürfen. Am Ende zählten die Unterschriften. Ja, und Buggles würde Bowland und Piedraroja in den nächsten Tagen schon ganz ohne weiteren Widerstand an den mit Vita Magica geschlossenen Vertrag binden und sie dazu auffordern, ihre eigenen Leute eine Anerkenntnis der neuen Administration mit ihm als ersten Administrator unterschreiben zu lassen. Wer dies nicht tat konnte leicht in Verdacht geraten, mit den Feinden zu konspirieren. Doch das würden die zwei schon begreifen, wenn er die von ihnen unterschriebenen Dokumente mit dem magisch bindenden Beistandsvertrag zusammengebracht haben würde.

Buggles riet Bowland, noch keinem aus seinem Ministerium zu verraten, was er gerade unterschrieben hatte. Er stellte ihm dafür in aussicht, einen Gutteil des Ministerialgoldes in allen Gringottsfilialen Kanadas zu erhalten, wenn er bis zur öffentlichen Bekanntgabe der Zusammenlegung Stillschweigen bewahrte. Das genügte hoffentlich, um den letzten Schritt dieses brisanten Manövers zu vollenden. Buggles hoffte auch darauf, dass niemand in den Staaten mehr gegen ihn aufbegehren würde, wenn er verkündete, dass nun alle Reste europäischer Vorherrschaft in Nordamerika beendet seien.

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15.05.2005

Chefbeobachter Cane Warrington behielt wie üblich die Ansiedlung Viento del Sol im Blick. Doch im Moment sah er nichts anderes als vergnügt auf ihren Besen herumfliegende junge Leute, die es offenbar als eine Art Mutprobe auffassten, so nahe wie möglich an die Absperrglocke heranzukommen. Zwei von ihnen tippten sogar kurz mit ihren Besenstielspitzen gegen die Sperrglocke und sackten sogleich nach unten weg, weil die Glocke jede Form magischer Bewegungsenergie absaugte und damit auch die im Gegenstand steckende Wärme.

"Was soll das bringen?" fragte Warrington sich in Gedanken, während sein mit dem Spähauge ausgerüsteter Adler Screamy seine Kreise über der Dorfmitte zog. Dann winkte eine junge Frau mit weizenblonden Haaren nach oben und genau ins Blickfeld Screamys. Cane Warrington erkannte die Hexe, Brittany Brocklehurst, bis zu ihrer ersten Mutterschaft Vorgeberin der Viento del Sol Windriders. Ja, und sie hatte gewunken, weil sie den Adler als das erkannte, was er darstellte. Die da unten verhöhnten ihn, den ministeriellen Überwacher. Das war wie wenn Belagerte ein rauschendes Fest feierten, zechten und gröhlten, um den Belagerern zu zeigen, dass sie es noch ganz lange durchhalten konnten. Denen da unten ging es offenbar gut.

Dann sah Warrington, wie die jüngeren Besenflieger von mittelalten Zauberern mit weißen Spitzhüten verscheucht wurden. Oder besser, als die Zauberer auftauchten, zogen sich die ungestümen Besenreiter wortlos zurück. Dann formierten sich die Neuankömmlinge wieder so, dass sie ein Rechteck bildeten. Also wollten sie wohl wieder eine Botschaft versenden. Warrington war gespannt, was sie jetzt schreiben würden.

Wie schon einmal beobachtet schienen die Spitzen der weißen Hüte sich auszuddehnen und zu einer einheitlichen weißen Fläche zu verschmelzen, die dann weiterwuchs, bis sie den Marktplatz vollständig überdeckte. Nun entstanden wieder aus erst grauen und dann dunklen Formen geschriebene Zeilen:

An den Adlerführer aus Buggles' Marionettentheater. Bitte an den angeblich großen Führer weiterreichen, dass wir mitbekommen haben, dass er gerne der König Nordamerikas sein möchte. Doch er ist und bleibt nur eine willige Marionette Vita Magicas. Außerdem brauchen wir keinen König, denn wir sind freie Bürger der USA und werden uns unser Recht auf Freiheit wiederholen, wenn die Zeit gekommen ist. Wann das sein wird liegt nur bei uns. Das Schöne ist, ihr könnt uns nicht zwingen, euch zu verraten, wann genau. Aber keine Sorge, ihr werdet es früh genug mitbekommen, wenn es passiert.

"Diesmal keine Gedichtzeilen?" fragte Warrington die beschriebene Fläche, obwohl er natürlich wusste, dass die sie aufrechthaltenden ihm nicht antworten konnten, selbst wenn sie es wollten. Allerdings wussten die auch, dass er ihre neue Botschaft weitermelden würde. Verdammt, die wollten, dass Buggles und Catlock wussten, was sie da gerade getextet hatten. Warrington empfand sich gerade selbst wie Skyscreamer, der nur weitergab, was er sah, aber nicht mehr unternehmen konnte.

Die beschriebene Fläche löste sich wieder in 350 Hutspitzen auf. Die unter den Hüten stehenden Zauberer gingen in unterschiedliche Richtungen davon. Mehr geschah nicht.

Warrington meldete pflichtgemäß weiter, was er beobachtet und mitgelesen hatte. Catlock schickte ihm zurück: "Sie stampfen bockig auf, weil sie wissen, dass sie die Glocke nicht knacken können." Doch Warrington war sich da nicht mehr so sicher. Denn wie Protestparolen oder wütende, beleidigende Ausrufe hatte das nicht ausgesehen, was er gelesen hatte. Doch dann kapierte er, dass diese Leute ihn und das Ministerium unter Druck setzen wollten. Sie wollten erwirken, dass sie noch genauer und rund um die Uhr beobachtet wurden, um jede verdächtige Regung zu erfassen. Das war für Beobachter anstrengender als einfach nur mitzuschreiben, wann wer was gemacht hatte. Denn jede kleinste Regung konnte verdächtig sein, selbst die vollschlanke Hexe, die gerade mit einem Einkaufsbesen, an dem mehrere Taschen hingen, über dem Marktplatz herunterging und bei der Gemüsehändlerin landete. Hatte Warrington früher nur vermeldet, wenn sich Leute an den Rändern der Sperrglocke aufhielten oder gegen diese weisende Zauber ausführten, so musste er wohl jetzt jede Bewegung und jede Regung notieren. Dann kam noch das Problem dazu, dass Screamy nur bei Tag flog und trotz seiner exzellenten Sehschärfe eben nur ein Tagvogel war.

Eulenvögel mussten näher an das Beobachtungsobjekt heran und riskierten, durch den Feindesabwehrzauber zurückgewiesen zu werden, weil sie etwas feindliches an sich hatten. Das hatten Flugversuche schon ergeben. Sicher wussten die Leute in Viento del Sol das auch schon. Somit schloss der Chefbeobachter erst einmal lieber nur für sich alleine, dass die Leute von VDS was auch immer im Schutze der Nacht ausführen würden. Doch dann musste er grinsen. Die Glocke speiste sich vor allem aus der Kraft von Mond und Sternen. Das hieß, dass sie bei Nacht am stärksten war. Sich darunter hindurchzugraben würde auch nicht gelingen, weil die Glocke bis auf einen Kilometer tief alles davon durchdrungene Erdreich und Gestein auf den zwanzigfachen Härtegrad verstärkte. Somit konnten Granit und Basalt härter als Diamant werden. Doch die Leute da unten hatten drei Monate Zeit gehabt, die Natur der sie einschließenden Glocke zu erforschen. Am Ende gruben sie bereits einen viele Meilen tiefen Schacht und ließen den Abraum magisch einschrumpfen oder ganz verschwinden, um nicht aufzufallen. Doch dann mussten sie ja auch Querstreben graben und abstützen, um unter der Glocke herauszukommen. Das würden wiederum die außerhalb postierten Wachen merken, die ständig mit Lotungszaubern in den Boden tasteten, um genau sowas zu erkennen. Der Minister hatte angeordnet, dass niemand aus Viento del Sol herauskam, bis die Wachposten vermeldeten, dass die von denen ausgeführte Feindesabweisebezauberung aufgehoben worden war.

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Los siette señores supremos, el concilio e las leyes mágicas mexicanas, hatten zugestimmt, wohl auch nach mehreren hin und her geschickten Posteulen. Piedraroja hatte Buggles bekundet, dass er die Genehmigung für die alles beschließende Zusammenkunft erhalten hatte.

Also war es nun soweit. Heute, am 15. Mai 2005, stand Lionel Buggles, der kleine, nur als Stellvertreter gedachte Zaubereibeamte, vor der letzten Stufe auf dem Weg zu seinem größten Traum.

In seinen Amtsräumen saßen der kleine, runde Andrés Piedraroja und der hünenhafte Murray Bowland. Sie hatten ihre Stellvertreter mitgebracht und ihre eigenen Pressesprecher. Auf dem breiten Konferenztisch lag er, der alles besiegelnde Vertrag, der aus den ehemaligen europäischen Zaubereiverwaltungsbezirken Britisch-Kanada, Vereinigte Staaten von Amerika und Mexiko die gesamtnordamerikanische Magieadministration (NAMA) machte. Mit dem Vertrag wurden auch die Verwaltungsregionen und -bezierke neu geordnet. Piedraroja und zehn handverlesene Getreue von ihm würden die Angelegenheiten der bewohnten Gebiete südlich der sogenannten Mason-Dickson-Linie verwalten, während Bowland die Zuständigkeit für alle nördlich davon liegenden Gebiete erhielt. Allerdings waren sie ihm, Buggles, weisungsgebunden. Das hieß, wenn er ansagte, was alle zu tun hatten, dann sollten es alle tun. Natürlich hatten Bowland und Piedraroja noch keine Ahnung davon, dass sie in Wirklichkeit nur ausführende Offiziere, aber keine Regionalkommandanten sein würden. Das konnte nur wissen, wer die zwanzig versteckten Hinweise innerhalb des zwanzigseitigen Vertragswerkes zusammenfügte und daraus las, dass es nur einer Ausnahmeerklärung bedurfte, um die gesamte Verwaltung auf eine einzige Person zu beschränken, nämlich den Magus Primus, den ersten Administrator, ihn, Lionel Buggles.

"Verhülle deine Euphorie, Lionel. Lass diese Cretins noch nicht erkennen, dass du ihnen überlegen sein wirst", hörte er die Stimme seiner Schutzherrin in seinem Geist. Sie war mit ihm und behielt ihn unter ihrer Beobachtung. Könnte er noch frei denken wie früher, so hätte ihn das gestört, ja geärgert. Doch so dachte Buggles nur daran, dass er gut behütet war. Was sollte ihm da noch widerfahren?

"Normalerweise würden wir sowas jetzt vor der großen Presseversammlung zelebrieren", setzte Buggles an. "Doch die uns allen, auch Ihnen, Gentlemen, in den letzten Tagen immer wieder entgegenschlagenden Anfeindungen auch von den Rundfunk- und Zeitungsvertretern, hat diesen das Recht auf die Anwesenheit verwehrt. Somit ist es an uns, vor unseren Stellvertretern, Sicherheitsbeauftragten und Vertretern für magischen Handel und internationale magische Zusammenarbeit, diesen feierlichen Akt zu vollenden, der unsere drei bisherigen Verwaltungsgefüge zu einem einzigen, unangreifbaren, und trotz seiner Größe reaktionsschnellen Gesamtgefüge verschmelzen wird. Wir drei, Gentlemen, werden in die Geschichte des nordamerikanischen Kontinentes eingehen, als die Zauberer, die die Altlast europäischer Staatenbildung abgeworfen haben, um uns den Anforderungen der ganzen Welt als mit einer Stimme sprechendes Nordamerika entgegenzustellen. Wir sind groß, wir sind stark und wir sind vereint! So schreiten wir nun zur feierlichen Unterzeichnung dieses diese Stärke und Einheit vollendenden Dokumentes!" sprach Buggles zu den beiden, die im Moment scheinbar nicht mehr wussten, ob sie das tun wollten, was sie hier tun sollten.

In der großen Konferenzhalle standen oder saßen wichtige Würdenträger der drei nun zu einem einzigen Verwaltungsgefüge zusammenfindenden Zaubereiministerien. Buggles sah neben Piedraroja und Bowland noch je fünf weitere Mexikaner und Kanadier. Vor allem ein schlanker, kleiner Mann mit schwarzem Schnurrbart und eine hochgewachsene dunkelhaarige Hexe mit sehr üppiger Oberweite wie bei einer gerade Mutter gewordenen oder als Amme tätigen Hexe, wirkten besonders auf ihn. Da hörte er auch ihre Namen in seinem Kopf. "Alonso Buenavida" war der kleine Schnurrbärtige. "Louanne Carfax" war die hochgewachsene Hexe in Bowlands Gefolge. Offenbar galt es, dass Buggles den beiden nach der vollzogenen Zusammenfügung wichtige Posten zuteilte. Also gehörten sie auch dazu, dachte Buggles.

Piedraroja zögerte noch einen Moment. Doch dann tunkte er seine mitgebrachte grüne Feder in die königsblaue Zaubertinte und schrieb seinen Namen in die drei dafür vorgesehenen Felder auf dem zwanzigseitigen Dokument. Damit hatte der sich schon an die lange Leine gebunden, die Buggles im Auftrag seiner heimlichen Unterstützer ausgeworfen hatte. Jetzt fehlte noch der Kanadier.

Bowland wiegte den Kopf. Er hatte vor wenigen Tagen erst die schriftliche Bestätigung aus London erhalten, dass Kanada nun völlig eigenständig war. Wenn er jetzt unterschrieb gab er diese Eigenständigkeit wieder aus den Händen. Kein Wunder, dass er da keine seiner Pressevertreter beihaben wollte. Die würden ihm noch genug zu schaffen machen und versuchen, die magische Bevölkerung gegen ihn aufzubringen und nach einer "Befreiung Kanadas" schreien. Doch wenn er jetzt nicht unterschrieb, dann würden alle die, die Buggles und Piedraroja nicht mehr in ihren Zuständigkeitsbereichen haben wollten, zu ihm nach Kanada flüchten, die Werwölfe, die Kobolde, die Vampire und wohl auch alle dunklen Bruder- und Schwesternschaften, die von einem gebündelten Sicherheitsapparat Nordamerikas verdrängt würden. Ja, er musste jetzt unterschreiben, nachdem Piedraroja unterschrieben hatte. Er wollte nicht die ganzen Werwölfe in seinem Heimatland haben, die gerade noch in Mexiko herumstreunten. Auch hatte er die Garantieerklärung Vita Magicas gelesen, dass Kanada keine neuerlichen Fortpflanzungsrauschgiftanschläge mehr zu befürchten habe, wenn er Buggles' Vorschlag annahm. Sicher konnten echte Verbrecher getroffene Vereinbarungen ignorieren und nach belieben brechen. Doch damit würden sie sich dann auch als Verbrecher demaskieren. Also nahm Bowland seine scharlachrote Schreibfeder, tunkte sie in die königsblaue Zaubertinte ein und unterschrieb als dritter wichtige Amtsträger die drei Abschnitte des zwanzigseitigen Abkommens. Ja, er tat es.

Als Buggles sah, dass auch Bowland sein langes Zögern überwunden und seine Unterschrift geleistet hatte, atmete er auf. Jetzt hatte er alle drei Unterschriften auf einem Vertrag, in dem Stand, dass sie ihn als Magus Primus und ersten Administrator anerkannten, den sie als Coadministratoren vertraten. Auch stand da drin, dass er bei Ausruf einer Notlage oder Belagerungssituation die alleinige Befehlsgewalt über alle magischen Kampftruppen bekam. Ja, in einer solchen Lage konnte er sogar verfügen, dass einer oder beide Stellvertreter dauerhaft ihrer Ämter enthoben werden konnten, wenn sie nicht mithalfen, das den Notfall bedingende Problem schnellstmöglich zu lösen. Das stand jedoch so umständlich formuliert darin, nämlich, dass im Falle eines mehr als ausreichenden Verdachtes feindlicher Kolaboration die Amtsführung und Befugnisse einstweilig und bis zur Ausräumung der Verdachtsgründe außer Kraft gesetzt werden konnten. Auch verpflichteten sich die beiden anderen, den Weisungen des ersten Administrators zu folgen, auch wenn dies nicht als Klartext so da stand, sondern als Formulierung, die Administration und ihren ersten Sprecher immer und überall bestmöglich zu unterstützen, so dass die Gesamtheit der Verwaltungseinheit Nordamerikas zu jeder Zeit klar und unerschütterlich blieb. Das hieß soviel wie, wenn einer offen oder nur im kleinen Kreis widersprach, erschütterte er das gesamte Gefüge.

Buggles dachte daran, wie anstrengend es war, diese klare Anerkenntnis seiner Führungsrolle so zu verklausulieren, dass die beiden schon lange im Geschäft befindlichen Nachbarn das unter allen Vorteilsbekundungen nicht mitbekamen. Bei Bowland hatte er gerade befürchtet, dass der es doch noch erfassen würde. Doch dann hatte der Unterschrieben und war damit so gut wie auf Lebenszeit gebunden. Buggles musste die Dokumente nur noch mit dem einen Vertrag in Berührung bringen und mehrere Sekunden lang zusammenlassen, um die Bindung unaufhebbar zu machen. Erst dann, wenn er das gemacht hatte, würde er eine Pressekonferenz einberufen und den nach Neuigkeiten gierenden Schreiberlingen und Nachrichtenkrämern die große Sensation verkünden.

"Meine Herren, ich bedanke mich bei Ihnen für Ihr Vertrauen, Ihre Einsatzbereitschaft und Ihre Entschlossenheit, die bestehenden Probleme gemeinsam zu lösen. Es lebe die nordamerikanische Zaubererwelt! Möge sie allen drohenden Stürmen trotzen! Möge sie uns allen mehr Wohlstand, Sicherheit und Fortschritt bescheren!" sprach der nun erste Administrator der vereinten nordamerikanischen Zaubererwelt, nachdem er die mit keiner unmagischen Methode zerstörbaren Pergamentseiten betrachtet hatte. Wie es vorgesehen war gab es von diesem Werk sechs Kopien, die zeitgleich mit dem Original die Unterschriften der großen drei Zauberer Nordamerikas erhalten hatten.< /p>

"Ich bitte meine geschätzten Coadministratoren Piedraroja und Bowland darum, die Ihnen zustehenden Abschriften sicher zu verstauen. Falls die Gentlemen dies wünschen, gestatte ich auch diesen, Ihre zugestandenen Kopien an sicheren Orten zu verstauen. Wann und wie wir gemeinsam vor die Presse treten werden entscheiden wir gemeinsam, wenn wir die Strategie gegen die Mondgeschwister und Blutgötzinnenanbeter beschlossen haben werden. Ich hoffe darauf, dass die Gesellschaft zur Wahrung und Mehrung magischen Lebens mir bis dahin die in Aussicht gestellten Zusagen bestätigt und schriftlich fixiert", sagte er noch. Dann nahm er die Originaldokumente mit den Originalunterschriften an sich und winkte Catlock, eine der bereitliegenden Scriptocopia-Abschriften in die gesicherten Archive zu bringen. Natürlich wusste Catlock längst, dass der Vertrag über die Blaulichtvorrichtungen längst unterschriftsreif in Buggles Bürotresor lag. Er musste ihn nur hervorholen und selbst unterschreiben und auch seine neuen Coadministratoren unterschreiben lassen. Doch das wollte er erst, wenn die beiden und damit alle ihre Gefolgsleute fest an sein Wort gebunden waren. Die betreffenden Anerkenntnisurkunden hatte er bereits bereitliegen und musste sie nur verteilen, so wie er es bei seinen eigenen Leuten getan hatte.

Er verließ gedeckt von zwei unter Tarnumhängen steckenden Leibwächtern den großen Konferenzraum in seinem Arbeitsbereich und steuerte sein eigenes Büro an. Gleich würde er noch das Türschild austauschen lassen. Dann würde da "Magus Primus, erster Administrator der nordamerikanischen Zaubererwelt" zu lesen sein. Er freute sich darauf. Doch vorher musste er die beiden Vertreter aus den Nachbarländern magisch an sein Amt und seine Befehlsgewalt ketten.

Er verschloss die Tür von innen. Dann zog er sich in einen geschützten bereich zurück, wo er in einer zeitgleich mit ausströmendem Schlafgas um ihn entstehenden Luftblase und hinter einer dreifach wirksamen Barriere gegen Zauber, körperliche Angriffe oder Geschosse vor Zauberstabträgern, Kobolden und Hauselfen geschützt wurde.

Nun holte er den Originalvertrag von Vita Magica hervor, den er zunächst auch nicht hatte unterschreiben wollen. Dann legte er jedes Pergamentstück aus dem neuen Vereinigungsvertrag auf dieses so machtvolle Abkommen. Die Luft flimmerte, und für einige Sekunden schienen alle Buchstaben zu verschwimmen. Die Unterschriften glommen mittelblau. Dann war alles wieder wie vorher. Bowland und Piedraroja waren jedoch nun unablösbar an seine Anweisungen und die Erhaltung seiner Macht gebunden und damit auch ihr unterworfen, die ihm gezeigt hatte, wie er seinen großen Traum in weniger als zwei Monaten verwirklichen konnte. Jetzt war er der wichtigste, der mächtigste und höchste Zauberer von der Südgrenze Mexikos bis hinauf zum Nordpol, vom Atlantik bis zum Pazifik. Was für ein erhabenes Gefühl!

"Alle wichtigen Dokumente in die mit vier Körperspeicherschlössern verriegelte Ferrifortissimuss-Schublade einschließen", hörte er die Stimme seiner Herrin und Beschützerin im Kopf, als er schon auf dem Weg zum begehbaren Wandtresor war, wo er die geheimsten Unterlagen unterzubringen pflegte. Er fragte sich nicht, warum ihm was anderes befohlen wurde. Womöglich hielt sie seinen Schreibtisch für sicherer als den erprobten Wandelraumtresor, der nur in Verbindung mit dem Siegelring am Finger des rechtmäßigen Zaubereiministers geöffnet werden konnte. So legte er alle Verträge in die neue, mit gehärtetem Stahl verstärkte Schublade. Dann Drückte er diese spielendleicht zu und wartete einige Sekunden. Dann drehte er in einer ihm erklärten Reihenfolge an den vier winzigen Knäufen und zog am Griff. Die Schublade glitt ohne Laut und Widerstand auf und wieder zu. Er zog noch einmal am Griff. Doch nun rührte sich nichts. Er musste wieder die vier Knäufe in der ihm gezeigten Abfolge drehen. Jetzt begriff er. Die Schublade war besser als der begehbare Tresor, weil er in ihr blitzschnell wichtige Dokumente verstauen und vor An- und Zugriffsversuchen schützen konnte. "Wenn Eindringlingsalarm komt rufe "Sonnentau", nicht vorher!" hörte er ihre Stimme wieder in sich. Es war, als pulsierten ihre Worte durch seine Adern, als drängen sie nicht aus dem umgebenden Raum in seinen Geist, sondern rührten aus seinem schlagenden Herzen. Doch er dachte nicht weiter daran, warum er das so empfand. Wichtig war nur, dass er jetzt übte, wie schnell er wichtige Unterlagen fortpacken konnte.

Nach zwanzig Durchgängen wusste er, dass er den Verbindungsvertrag und alles andere innerhalb von nur fünfzehn Sekunden fortschließen konnte, wenn er die Schublade bei seiner Anwesenheit zu einem Viertel offenließ. So viel Zeit musste er also vor fremden Angriffen geschützt bleiben.

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Der hohe Rat des Lebens traf sich zwei Stunden nach der erschlichenen Unterschrift der beiden Zaubereiverwaltungsoberhäupter Mexikos und Kanadas in jener unter Wasser stationierten Niederlassung. Mater Vicesima Secunda verkündete ihren Mitgliedern voller Stolz, dass der geplante Zugriff auf ganz Nordamerika nun vollzogen worden war. Auch die beiden Richterräte Mexikos und der USA hatten dem Abkommen ihren Segen erteilt. Kanada hatte ja wegen der erst vor wenigen Tagen erhaltenen Eigenständigkeit noch keinen obersten Richterrat, der da noch was gegen machen konnte. Bowland und seine Stellvertreter waren sozusagen als temporäre Rechtsinstanz eingesprungen, indem sie ein uraltes Gesetz genutzt hatten, das im Fall, dass das britische Zaubereiministerium nicht erreicht werden konnte oder für bestimmte Vorgänge bereits eine Generalvollmacht erteilt hatte, der amtierende Zaubereiministerialresident und seine amtlichen Beigeordneten rechtliche Fragen klären durften, die nicht gegen die Interessen Londons verstießen. Da London ja Kanada eben eine solche Generalvollmacht erteilt hatte, die eigenen Dinge zu regeln und zugleich auch bekundet hatte, dass Kanada endlich die vollständige Eigenständigkeit erhalten sollte, verstieß Bowlands Unterschrift zur Vereinigung der drei nordamerikanischen Zaubereiverwaltungszonen zu einer einzigen nicht gegen Londons Interessen. Woanders wären solche Fragen über Monate hinweg immer und immer wieder debattiert und analysiert und neu verhandelt worden. Warum es in dem Fall so schnell ging wussten nur diejenigen, die gerade in der großen runden Konferenzhalle der stählernen Riesenblase tief im Atlantik zusammenkamen.

"Hat unser großzügiges Budget noch nicht für eine Weltraumstation oder ein Sternenschiff gereicht?" feixte Pater Decimus Sixtus in Richtung des äußerlich knapp dreizehn Jahre alten Perdy.

"Hier sind wir vor so Leuten am besten sicher, die dieses Glückspacht-Ritual vollzogen haben, Pater Decimus Sixtus. Aber wenn dir die Aussicht auf die wunderbare Unterwasserwelt nicht gefällt: An meiner Mondbasis wird schon gearbeitet. Allerdings erweisen sich die dort wirksamen Naturkräfte und Umweltbedingungen als sehr Magiedivergierend. Deshalb bleiben wir lieber noch ein wenig auf der Erde." Die anderen sahen ihren wiederverjüngten Mitstreiter teils belustigt, teils angenervt an. Sie alle kannten seine Passion für die Zukunftsfiktionen der Magielosen. Deshalb sagte Mater Vicesima Secunda: "Kommen wir bitte auf den Anlass unserer außerordentlichen Sitzung, zumal ja viele unter Zeitdruck stehen." Das war jedem klar, auch Perdy.

Pater Duodecimus Occidentalis, der aus den USA stammte, bekundete noch einmal, dass er erst einmal zusehen wollte, ob Buggles wirklich ganz und ausdrücklich im Sinne der Gesellschaft magischen Lebens handelte.

"Hat er nicht schon längst so gehandelt. Immerhin hat er Shana Moreland zur neuen Familien- und Ausbildungsverwalterin ernannt, nachdem die bisherige Beamtin freiwillig auf das Amt verzichtet hatte, weil sie den "übergroßen Stress" nicht mehr aushalte", sagte Mater Vicesima Secunda. "Außerdem wird er in den nächsten Tagen noch unsere Mitstreiter Alonso Buenavida und Louanne Carfax, die kurz vor einem Sitz in diesem hohen Rat des Lebens steht, in wichtige Ämter zur Überwachung der neuen Gesetze und magischen Bildung und Familienfürsorge einsetzen. Damit haben wir dann neun Mitstreiter in der neuen Administration, die im Zweifelsfall unsere Interessen wahren können", fügte sie noch hinzu. Sie wartete, bis alle ihr zustimmend zunickten. Dann erwähnte sie noch: "Die neuen von uns ausgearbeiteten Gesetze treten vier Tage nach Unterschrift aller drei in Kraft. Es wird keine Seelentrennungen in Doomcastle mehr geben. Alle, die dort noch einsitzen werden auf einen neuen Spruch unseres Zwölferrates zur Widerverjüngung begnadigt. Dank unserer Reinitiatoren müssen die Delinquenten nicht mehr bei geistiger Gesundheit sein, um reinitiiert zu werden. Es reicht, dass erst das Gedächtnis zurückgesetzt wird und dann die körperliche Verjüngung stattfindet. Buggles wird diese neue "Straferleichterung" als längst überfälligen Schritt zu einer humanen Ahndung schwerer Strafen verkaufen, wobei die Bestraften quasi als neue nützliche Mitglieder der magischen Gesellschaft heranwachsen dürfen, ohne sich ihrer früheren Untaten bewusst zu sein oder mit deren Last leben zu müssen."

"Das werden die Opfer dieser Leute, die bisher so gerne damit gelebt haben, dass ihre Peiniger für immer leiden müssen, nicht so ohne weiteres hinnehmen", warf Mater Decima Germanica ein und erwähnte, dass es deshalb ja auch keine Hinrichtungen mehr gebe, da diese ja die Verurteilten nur sehr kurz leiden ließen.

"Dennoch rufen immer noch welche in den von uns bewohnten Ländern nach einer Wiedereinführung der Todesstrafe zur größtmöglichen Abschreckung", warf Pater Duodecimus Occidentalis ein, der zu denen gehörte, die die Vereinbarung mit Buggles unterschrieben hatten.

"Ja, und unser Vorgehen ist die vernünftigste der drei Alternativen, weil die Bestraften wieder als nützliche Mitglieder der magischen Gesellschaft aufwachsen und handeln können, auch und vor allem, um unser vorrangiges Ziel zu erfüllen, die Mehrung magischen Lebens auf diesem Planeten", sagte Mater Vicesima Secunda. "Deshalb führen wir für Nordamerika die exemplarische Lebensänderungsstrafe ein, statt eine Todesstrafe oder eine lebenslängliche Verwahrung unter unheimlich anmutenden Umständen."

"Spätestens dann werden die meisten in den drei Staaten lebenden Leute wissen, wer da die Fäden zieht", wandte Pater Decimus Tertius Borealis ein, von dem Mater Vicesima drei ihrer zweiundzwanzig Kinder bekommen hatte. Die Ratssprecherin nickte ihm eifrig zu.

Sicher wird es da welche geben, die uns das zurechnen, dass das geschieht. Sollen sie doch!" erwiderte Mater Vicesima Secunda entschlossen.

"Dann werden die aufmüpfigen Leute aus VDS und das nicht minder lästige Laveau-Institut alles versuchen, diese Administration zu bekämpfen und zu entmachten", bemerkte Pater Duodecimus Occidentalis dazu, der sich bereits einen nicht ganz so exponierten aber strategisch wichtigen Posten in der Nordamerikanischen Magieadministration verschafft hatte.

"Du hast Angst vor einem Bürgerkrieg der Zaubererwelt, richtig?" fragte Mater Vicesima Secunda. Ihr Ratskollege nickte. Dann sagte er: "Aber womöglich können wir den dadurch verhindern, dass wir Erfolge gegen die äußeren Feinde erringen und verbreiten, dass wir mit Gegenschlägen zu rechnen haben. Wie war das mit den in Kanada lauernden Kobolden?"

"Die werden wohl bald ihr Ultimatum kriegen, bis wann sie Nordamerika zu verlassen oder für immer und ewig da zu bleiben haben", wandte ein anderer nordamerikanischer Ratskollege ein.

"Ja, und falls es dann zum Krieg kommt werden sich die Hexen und Zauberer genau überlegen müssen, auf wessen Seite sie stehen", wandte Mater Vicesima Secunda ein. Dem stimmten alle zu. Perdy nickte sogar noch heftiger, weil er dieses heikle Thema ja schon vor der Unterzeichnung des neuen Friedensvertrages mit ihr und anderen besprochen hatte.

"Eine Frage", erbat eine deutsche Mitstreiterin das Wort. "Wie konnte es möglich sein, dass Kanadas Ministerialresident trotz des von Martha Merryweather weltweit ausgestreuten Textes dem Abkommen zustimmte, ohne einen Moment zu zögern, dass Buggles womöglich fremdbestimmt handelt?"

"Aus demselben Grund, warum auch die mexikanischen Sieben und Piedraroja zustimmten. Weder in Mexiko noch Kanada stehen diese vertückten Elektrorechner in irgendeinem Zaubereiministerium herum. Sicher, in London gibt es solche Dinger, weil die von unmagischen Eltern stammenden Beamten dort so viel davon halten, dass sie Shacklebolt und dessen Finanzabteilungsleiter dazu bringen konnten, sie ihnen zu genehmigen. Doch in Kanada gab es solche Sachen nicht, wissen wir von Mater Decima Canadensis", sagte Véronique alias Mater Vicesima Secunda. Die erwähnte Mitstreiterin nickte und fügte hinzu, dass ihre zweite Tochter, die ja mit dem Sekretär Bowlands verheiratet sei, durch Gedächtniszauber sichergestellt habe, dass Bowland alle Warnungen wegen dieses Textes von Martha Merryweather vergessen habe und somit keinen Grund zum weiteren Argwohn mehr hatte. "Im Zweifelsfall hätten wir ähnlich wie damals Wishbone einen Mordanschlag der Spinnenhexen oder Ladonnas auf Bowland fingiert, um dessen Nachfolger in unserem Sinne zu beeinflussen", sagte Mater Decima Canadensis noch.

"Ja, aber dafür dürft ihr dann, wenn Buggles denen die Erweiterung unseres Friedensvertrages vorlegt, keine unfreiwilligen Massenzeugungen mehr einbrocken", sagte die deutsche Mitstreiterin. Véronique lächelte und verwies auf den Grund, warum Kanada überhaupt im Stande war, diesem neuen Dreierbund beizutreten. "Wir verfahren nun wieder gezielt. Wir suchen aus, wer wertvolles Blut vererben kann und stellen ihn oder sie vor die Wahl, freiwillig Nachwuchs hervorzubringen oder ihn oder sie so heimlich wie vor kurzem mit dem Japanischen Friedenskämpfer einen zeitweiligen Aufenthalt bei uns zu veranlassen. Außerdem werden wir wie bereits in den Staaten Einladungen zu leidenschaftlichen Partys versenden. Wer daran teilnimmt verpflichtet sich ja dann, unsere Bedingungen zu erfüllen. Öhm, außerdem hatten wir es ja vor drei Monaten, dass Aktionen wie bei den Quidditchweltmeisterschaften oder Millemerveilles dazu führen können, dass die auf diesem Weg entstandenen Kinder entweder selbst zu Hasspersonen erklärt werden oder gegen unsere Gesellschaft aufgewiegelt werden können. In dem Moment, wo jemand freiwillig auf unsere Bedingungen eingeht wird er oder sie den dabei entstehenden Kindern keine solchen Flausen in die Köpfe setzen. Dass wir ganze Wellen von Kindeszeugungen auslösen können haben wir bewiesen. Wir können das wiederholen, wann immer wir und nur wir es für nötig halten. Öhm, Perdy wies uns alle ja auch darauf hin, dass unser Regenbogenwind nicht nur magische Menschen, sondern jedes fruchtbare Säugetier zur Fortpflanzung anregt, also auch Schädlinge wie Ratten und Mäuse. Daran haben wir damals noch nicht gedacht, als wir Millemerveilles' Bevölkerung mit dem Regenbogenwind beglückt haben."

"Meine Alchemisten und ich und die uns angehörenden Heilzunftmitglieder arbeiten daran, eine nur auf magische Menschen anwendbare Abwandlung zu erstellen", sagte Perdy. "Bis dahin tun wir so, als wenn wir unsere sogenannten Untaten eingesehen und davon Abstand genommen hätten. Das hilft auch unseren nun in Nordamerika wohnenden Mitstreitern, freier zu atmen."

"Und was tun wir wegen der Lykanthropen? Ich darf euch daran erinnern, dass wir die Operation "Blauer Mond" beendet haben", wandte Mater Duodecima Borealis aus Norwegen ein.

"Tja, wir verkaufen unsere Vorrichtungen als Geheimwaffe an die, die sich bereiterklärt haben, uns auf ihrem Verwaltungsgebiet unbehelligt leben und wirken zu lassen", sagte Pater Duodecimus Canadensis und erhielt Zuspruch von seinem Kollegen aus Südamerika. "Wenn die finden, dass sie zu viele ungemeldete oder gar kriminelle Werwölfe haben, dann liegt es bei denen, die zu vernichten, nicht mehr bei uns."

Perdy sah Véronique ein wenig beklommen an. Immerhin hatten sie beide ja miterleben müssen, dass seine Erfindung auch unschuldige Kinder tötete, sobald in denen der Keim der Lykanthropie aufgegangen war. Dann sagte Véronique alias Mater Vicesima Secunda: "Wir werden Buggles und jeden anderen, der die Vorrichtungen von uns erhält darauf hinweisen, dass er oder sie damit auch kleine Kinder umbringen kann und dann sicher sehr viel Protest und Anklagen zu erwarten hat. Abgesehen davon hat Perdy in die neueren Versionen ja nun auch Erkennungsabläufe eingefügt, die das Alter eines Werwolfes ermitteln können. Außerdem kann die aufgeladene Mondlichtstrahlung wie ein obskures Lichtbündelungsgerät namens Laser auf einen engen Bereich konzentriert werden, wodurch auch gezielte Abtötungen einzelner Lykanthropen möglich werden. Dank an unseren fleißigen und immer für neue Ideen guten Mitstreiter Perdy."

"Na ja, das klappte auch nur deshalb, weil wir Zugriff auf echtes Gestein vom Mond bekommen haben, dass uns Buggles freundlicherweise aus den Tresoren der Raumfahrtbehörde NASA "organisieren" ließ, ohne dass denen auffällt, dass was fehlt. Sind ja auch nur 900 Gramm, genug, um neunzig Präzisionsglocken zu bestücken, die das eingefangene Mondlicht bei Bedarf auf einen halben Meter Durchmesser bündeln können. Immerhin blockieren sie nun auch alle Portschlüssel im Umkreis von zwanzig Kilometern und sind schwebende Locattractus-Fallen. Wie ich das hingebogen habe, dass der LA-Zauber nicht mehr auf festen Boden angewiesen ist bleibt mein Betriebsgeheimnis und wird auch unseren "Kunden" nicht offenbart."

"ich hatte auch ein schlechtes Gewissen wegen der zu breit und ungezielt wirkenden Vernichtungskraft, werte Mitstreiterinnen und Mitstreiter", räumte Mater Vicesima Secunda ein. "Doch muss ich ebenso eingestehen, dass wir die Gefahr dieser Lykanthropen nicht überhand nehmen lassen dürfen, wenn wir Mittel haben, sie zu bannen. Dann würden wir uns ja auch mitschuldig machen, wenn diese Werwolfseuche ungebremst grassiert. Öhm, wegen der Vampire werden wir demnächst ähnliches aufbieten können, nachdem Perdy und drei ägyptische Mitstreiter, die noch nicht Ratsmitgliedschaftsstatus erreicht haben, die Zähne des Ra als die Zauber erkannt haben, mit denen die Lykantrhopen die Vampire bekämpfen. Die Blutgötzin, die aus einem Konglomerat in den Mitternachtsdiamanten eingeschlossener Vampirseelen besteht, wird bald lernen, dass sie eben nicht allmächtig ist und ihre Diener nicht unauslöschlich sind." Das kam bei allen Ratsmitgliedern sehr gut an. Doch da gab es ja noch Ladonna Montefiori und ihre Konkurrentinnen wie die Spinnenhexe mit dem magischen Flammenschwert, von dem Perdy stark vermutete, dass es aus Atlantis oder wie immer das alte Reich genannt wurde stammte. Wie sie diesen Gegnerinnen beikommen sollten wussten selbst die achso überlegen auftretenden Mitglieder Vita Magicas noch nicht. Was Ladonna anging stand sie was die Brisannz ihrer Gefährlichkeit anging den Werwölfen nicht nach. Mit den Zähnen des Ra, so Perdy, würden sie auch ein durchschlagendes Mittel gegen die neuen Nachtschatten in Händen haben. Da er gerade die Geheimnisse der japanischen Kunstgeschöpfe zu Lande und zur Luft entschlüsselte konnte er gegen diese womöglich einen Schwarm unermüdlicher, aufmerksamer Kampfmaschinen entwickeln. Die bange Frage war nur, wie viel Zeit die Nachtschattenkönigin ihren Feinden ließ.

Von dieser kamen sie aber auch auf Vendredis Verwandlung und den Verdacht, dass irgendwo auf der Welt weitere solcher Ameisenmenschen gezüchtet wurden, die als vielleicht noch größere Bedrohung der Menschheit auftreten konnten. Gegen sie gab es im Moment keine magischen Mittel, weshalb Perdy dazu tendierte, die unmagischen Waffen der reinen Technikzivilisation als Vorbilder für einen Kampf gegen die Werameisen und vielleicht auch die schwarze Spinne einzusetzen. Genug Versuchsobjekte würde es dann wohl sicher geben.

Als die Sitzung vorbei war trafen sich Perdy und Véronique noch einmal in der Überwachungszentrale der Unterwasserniederlassung. Hier waren sie genauso vor Belauschungs- und Beobachtungszaubern geschützt und konnten den Ausblick auf das sie umschließende Meer noch mehr genießen als im kreisrunden Sitzungssaal.

"Du wolltest unseren Mitstreitern nicht erzählen, was wir alles schon aufgeboten haben, falls es nicht so läuft, wie wir wollen, richtig?" sagte Véronique. Perdy bejahte es und meinte: "Die müssen nicht alles wissen. Ich hoffe mal, die Leute aus der Truppe halten solange dicht, bis wir wissen, ob alles so läuft oder anders", sagte Perdy noch. Véronique pflichtete ihm bei. Dann fragte sie ihn, was er sich zum dreizehnten Wiedergeburtstag wünsche. Er wiegte den Kopf und dachte nach. Vor zwei Jahren hätte er noch gesagt, einen Schnellalterungstrank zu kriegen, um wieder als vollwertig erwachsener Mann zu gelten. Doch im Moment genoss er die Jugend. Allerdings fühlte er auch schon die ersten geschlechtlichen Begierden. Er erinnerte sich, dass er um den ersten dreizehnten Geburtstag herum zum ersten mal erlebt hatte, dass er zeugungsfähig war, falls damals eine ihn an sich herangelassen hätte. Doch jetzt zu sagen, dass er sich eine Liebesnacht mit jemandem wünschte, um den zweiten dreizehnten Geburtstag zu würdigen, traute er sich bei dieser Hexe da nicht. So sagte er nur: "Das wir sicher sein können, dass uns die beiden amerikanischen Erdteile offenstehen und mir bis dahin was einfällt, um diese Ladonna Montefiori zu besiegen."

"Hohe Ziele", erwiderte Véronique lächelnd. "Ja, diese Sabberhexenbrut muss weg", schnarrte sie noch. Sie hatte keine Sekunde vergessen, dass Ladonnas üble Falle ihre Enkeltochter Martinella und drei gerade erst wenige Wochen alte Urenkel getötet hatte. Das würde dieses schwarzhaarige, makellos schöne Unding bitter büßen. Die Frage war nur, wann und wie.

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16.05.2005

Vierzig unterschiedlich alte Hexen versammelten sich unter einem pilzförmigen Überdach in der Mitte von Viento del Sol. Zwischen ihnen stand eine Trommel, in der weiße und rote Kugeln lagen. Die roten waren mit Buchstaben von A bis N beschriftet, die weißen Kugeln mit Zahlen von 1 bis 26. Stella Hammersmith nickte allen Schicksalsgenossinnen zu. Denn es waren alles späte Mütter ohne nochmaligen Kinderwunsch. "So, die Damen, es gilt jetzt. Wer von euch sagt, dass sie es nicht tun möchte kann gerne gehen. Wir brauchen ja nur vierzehn Auswahlkandidatinnen." Doch es wollte keine gehen. Thelma Ironquill forderte statt dessen dazu auf, die Auslosung zu beginnen.

"So sei es", sagte Stella und schloss die durchsichtige Trommel. Dann stupste sie diese mit dem Zauberstab an. Die Trommel begann sich immer schneller zu drehen. Die darin liegenden Kugeln kullerten immer wilder durcheinander, klackerten gegen die Wandung und schienen wegen der Fliekraft daran hängen zu bleiben. Doch als Stella den starren Boden der Trommel erneut anstupste kam diese so abrupt zum Stillstand, dass alle darin kreiselnden und kullernden Kugeln laut rasselnd durcheinanderpurzelten. Danach wurde die Trommel völlig undurchsichtig. "Thelma, du bitte zuerst", sagte sie der ältesten, Mrs. Ironquill, zugewandt. Diese nickte und griff in das faustgroße Loch im Trommeldeckel hinein. Sie tastete einige Sekunden, dann zog sie die zur Faust geschlossene Hand zurück. Sie öffnete die Hand ... und sah die blutrote Kugel mit dem Buchstaben I auf ihrer Handfläche. Also war sie mit dabei. Sie nickte, zeigte den anderen ihr Los und trat zurück. Die weiteren Hexen zogen nun, die ältesten zuerst. Wer weiße Kugeln zog war nicht mit dabei. Zu diesen gehörte auch Mrs. Partridge, die Hexe, die nicht wusste, ob sie noch Ehefrau oder schon Witwe war. Stella Hammersmith erwischte die rote Kugel mit dem Buchstaben M, der besagte, dass sie die Mittelposition auf dem Boden einzunehmen hatte. Sie nickte und überließ die Trommel den noch verbleibenden späten Müttern.

Nach und nach fanden die restlichen zwölf Kugeln ihre Auserwählten. Jene, die es nicht geschafft hatten sahen die vierzehn Hexen an, auf die es nun ankam.

"Gut, Brittany und die anderen Quodpotter erregen die Aufmerksamkeit des eingesetzten Spähvogels. Dann sind wir dran", sagte sie.

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Es hatte Cane Warrington nicht in Ruhe gelassen, dass die Leute in VDS so dreist mit ihm umsprangen. Auch wenn dressierte Eulen nicht näher als einen halben Kilometer an die magische Sperrglocke heranfliegen konnten waren sie allemal besser als überhaupt keine Beobachter. Warrington verwünschte den Umstand, dass diese Feindesabwehrbezauberung der Dorfbewohner jeden mit Nachtsichtbrillen oder -bezauberung arbeitenden Menschen bis auf zwei Kilometer abwies, sobald er oder sie versuchte, in den geschützten Bereich einzudringen. So blieben eben nur dressierte Vögel übrig.

Tweety, ein zehn Jahre altes Sperlingskauzweibchen, trug die auf deren Größe zugeschnittene Version des von Hugo Dawn in England entwickelten Mitsehauges am Hals. Der winzige Eulenvogel eignete sich sogar noch besser für eine ständige Beobachtung aus der Luft als Screamy, der Adler. Doch so musste das kleine geflügelte spionagetier knapp einen halben Kilometer an die Glockenbegrenzung heran. Warrington schien zu fühlen, dass es Tweety nicht behagte, sich in der Nähe dieses magischen Bollwerks herumzutreiben. Doch außer dass er über eine winzige Mithörmuschel unterhalb von Tweetys linkem Gehörkanals zu ihr sprechen konnte vermochte er nicht, ihre Gefühle zu verspüren. So konnte er ihr nur zuflüstern, ruhig zu bleiben.

Laut Warringtons auf Stimmkommando die Uhrzeit ansagender Weckuhr war es gerade halb zwei morgens, als Tweety und damit er die ersten schattenhaften Bewegungen unter der magischen Glocke erkannte. Er diktierte seine Beobachtung unverzüglich in den Schallsammler und befahl Tweety, nun ganz ruhig über der Dorfmitte zu bleiben. Doch das reichte nicht. Denn die nächtlichen Gestalten flogen wohl auf Besen und verteilten sich über dem Ort. Als es Warrington klar wurde, was da vorging wollte er schon Alarmschlagen. Doch dann fiel ihm ein, dass es wieder mal ein Ablenkungsmanöver oder eine Form der Frustrationsbewältigung sein mochte, was all die wegen der Draufsicht von oben nicht gleich geschlechtlich einzuordnenden Leute da unten trieben. Dann sah er, wie wieder etwas leuchtendes über der Dorfmitte schwebte. Diesmal waren es jedoch keine goldenen Buchstaben, sondern eine kompakte, blutrote Kugel, die wie ein anschwellender Ballon immer größer wurde. Dann platzte sie auseinander, doch nicht wie bei einem überblasenen Ballon in unregelmäßige Fetzen, sondern in winzige, blutrote Tropfen, die mit irrwitziger Geschwindigkeit in alle Richtungen davonjagten und natürlich an der Innenseite der Glocke aufprrallten. Dort wurden sie breitgedrückt und breiter und breiter und breiter. Nun erkannte Warrington, dass die Leute aus VDS diesmal jeden Beobachter ausschließen wollten. Denn die roten Leuchtflecken pulsierten und wuchsen unaufhaltsam an, bis die Sperrglocke viele Meter große Leuchtflecken aufwies, die sich immer weiter zusammenschoben und dann mit einem letzten Ruck zu einer einheitlichen, blutroten Glocke verschmolzen, die nun jede Beobachtung vereitelte. Warrington griff nach der kleinen Alarmglocke, um die Sicherheitsleute zu warnen, die VDS umzingelt hielten. Doch dann erkannte er, dass die sicher schon wussten, was passiert war. außerdem konnten sie außer die Locattractus-Zauber aufrechtzuerhalten nichts anderes machen. Ja, und falls die Bewohner von VDS meinten, sich nun endgültig gegen jeden Beobachter abzuschotten, dann konnte ihnen auch niemand helfen, wenn was passierte. Doch was dann tatsächlich passierte überraschte den nächtlichen Beobachter so sehr, dass er zunächst an eine Nebenwirkung seines Wachhaltetrankes dachte und nicht mehr rechtzeitig reagieren konnte.

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Zuerst hatten sie sich in die Finger gestochen und Blut auf ihre Zauberstäbe tropfen lassen. Damit hatten sie jenen Lumiglobulus-Zauber gewirkt, aus dem üblicherweise freischwebende Leuchtgebilde zusammengesetzt werden konnten. Doch die erweiterte Version konnte vom mit dem Zauberstab in Berührung stehenden Stoff dessen Eigenschaften auf die Leuchtwirkung abstimmen. In dem Fall stand das Blut sowohl für das Leben an sich als auch wegen seines Eisenanteils für die Erde und wegen seines Wasseranteils für das Wasser und den Mond und mit dem Sonnenzauber des Lumiglobulus-Zaubers vereint entstand eine aus den Kräften von Erde, Mond und Sonne gebündelte Zauberei, die beim Auftreffen auf die Innenseite der Glocke mit deren Mond- und Sonnenkomponente wechselwirkte und sich daran ausbreitete. Zugleich aber wurde die Glocke mehr und mehr auf Blutmagie eingestimmt, etwas, was die Thaumaturgen und Biomaturgen des Ortes einzig wirkungsvolles Mittel erkannten, um die Glocke und den Schutzzauber für die hier geborenen und ihre Eltern gegeneinander aufzuwiegen.

Zwölf der vierzehn Ausgelosten standen wie Zahlen auf dem Zifferblatt einer Uhr verteilt keine zwei Meter von der Glocke entfernt, als diese vollständig im blutroten Licht erglühte. Stella stand ganz genau im Mittelpunkt der Senkrechtachse zwischen Boden und Scheitelpunkt. Knapp unter dem nun klar sichtbaren Scheitelpunkt der Glocke schwebte Lynn Fenwick, eine bereits dreifache Großmutter und Expertin für die Magien der amerikanischen Ureinwohner. Nun zogen sich alle auf der Erde stehenden ihre Schuhe und Strümpfe aus. Dann brachten sie sich mit kleinen Silbermessern X-förmige Wunden in beiden Fußssohlen bei. Jene, die weiter oben schwebte brachte sich eine Wunde am vorher enthaarten Oberkopf bei und hielt ihren Zauberstab so, dass dessen hinteres Ende genau in diese Wunde tauchte. Dann erfolgte ein grünes Lichtsignal von einer, die eine weiße Kugel gezogen hatte. Nun begannen alle, sich im Uhrzeigersinn auf der Stelle zu drehen und dabei eine in mehreren Wochen einstudierte und tongenau erprobte Litanei zu singen, erst leise und dann immer lauter.

Mich treiben all der Mutter Sorgen
um meiner Kinder wohl und sein.
Mich bangt vor jenem ersten Morgen,
wenn sie vor Hunger lauthals schrei'n.
Versperrt ist uns der Weg zur Nahrung
Aus Sorg' wurd' Angst, aus Angst wurd' wut
Mein Feind ist diese Wehr so die Erfahrung
Dies klag' ich an mit meinem Blut
Wie einst genährt mein Blut die Kinder
als sie gereift in meinem Schoß
Soll seine Kraft nicht mehr noch minder
Dich feind aus Zauberwerk nun stellen Bbloß.
Vergehe Feind, weich von uns allen,
Wie unser Schutzbann es befiehlt!
Die Glocke soll nun endlich fallen
Die unser aller Freiheit stiehlt.
Abace Campana Inimicorum! Abace Campana Inimicorum!!

Diese beschwörenden Zeieln sangen sie immer und immer wieder. Dabei fühlten sie, wie ihnen das Blut aus den zugefügten Wunden gesaugt wurde. Der bereits wirkende Schutzbann gegen Feinde wechselwirkte mit der vorbehandelten Sperrglocke. Diese begann erst sacht zu erbeben. Dann trat die eigentliche Reaktion ein.

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Warrington sah durch Tweetys Eulenaugen, wie die nun einheitlich blutrot erstrahlende Glocke erst erbebte und dann in kurzen Abständen erst flach und dann immer weiter ausgreifend pulsierte. Irgendwas machte, dass die Glocke nicht mehr starr und unverrückbar blieb. Tweety wollte abdrehen. Doch Warrington befahl ihr, über der Glocke zu bleiben. Er musste gegen die Angst des Tieres ansprechen, obwohl ihm selbst mehr als mulmig zu Mute war. Die da unten hatten was angestellt oder taten es immer noch, was die bisher so unverrückbare Glocke beeinflusste. Jetzt sah Warrington, dass die Pulsrate geringer wurde. Dafür wurde jedoch die Auslenkung größer. Dann sah er, dass die Glocke nicht mehr enger als vorher wurde, sondern gerade auf die Ausgangsabmessungen zurückfiel, jedoch bei jeder Ausdehnung immer weiter ausgriff. Bei sechzig Pulsschlägen wie bei einem ruhig schlagenden Menschenherzen, dehnte sich die Glocke immer weiter aus, Puls für Puls. Da Tweety nur Bilder übermittelte aber keine Geräusche konnte Warrington nicht wissen, ob dabei was zu hören war. Dann passierte das, womit er und seine Vorgesetzten nicht mehr gerechnet hatten.

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Immer weiter strebte die unerwünschte Zauberglocke auseinander. Immer mehr Blut sog das gemeinsame Ritual aus den Verletzungen der vierzehn Hexen. Eine blutrote Achse entstand zwischen Lynn Fenwick und Stella Hammersmith, die bereits Probleme hatte, die Töne für die Bannformel zu treffen. Ihr Herz pumpte laut pochend gegen die beschworene Kraft an. Dann zersprang die blutrote Glocke mit einem dumpfen, metallischen Knall, gefolgt von einem vielfach wiederhallenden Klirren in abertausend kleine rote Lichtkugeln ähnlich den Lumiglobuili, mit denen sie vorher beladen worden war. Stella fühlte, wie mit einem Ruck ein Großteil ihrer Kraft aus ihrem Leib gerissen wurde. Vor ihren Augen tanzten rote Kreise. Dann hörte sie, wie in der Ferne der Boden bebte. Doch im Ort selbst fühlte sie keine Erschütterung. Dann sah sie durch den immer dichter werdenden roten Schleier, wie in der Ferne feurige Fontänen in den Himmel schossen und violette und rote Blitze zuckten. Sie hörte das ferne Krachen und Prasseln herabstürzender Gesteinsbrocken. Dann sah sie nach oben. Lynn hatte die Notlandefunktion ihres Besens in Kraft gesetzt und sank wie eine Feder herunter. Dann fühlte Stella Hammersmith, wie sie selbst in die Knie ging und dann nach vorne überkippte und die Besinnung verlor. Der letzte Gedanke, den sie vor dem Sturz in das schwarze, unendliche Nichts empfand war, dass sie es geschafft hatten. Die Absperrglocke über Viento del Sol gab es nicht mehr.

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Warrington sah, wie die rot leuchtende Glocke bei ihren letzten drei Pulsen mehr als zehn Meter mehr Durchmesser gewann und dann, mit einem mal, an unzähligen Stellen aufriss. Blutrote Lichtkugeln, ähnlich wie die, die vorhin das rote Leuchten auf die Glocke übertragen hatten, schossen mit irrwitziger Geschwindigkeit in alle Richtungen davon. Tweety konnte einer auf sie zurasenden Leuchtkugel nicht mehr ausweichen. Warrington sah nur noch einen grellen Blitz und meinte, nun völlig erblindet zu sein, weil er nur noch völlige Schwärze sah. Doch dann löste sich die unendliche Schwärze in die Ansicht des Beobachtungsraumes auf. Die Mitsehbrille hatte den Kontakt zu Tweety verloren. So wie es ausgesehen hatte war Tweety getötet worden. Warrington rief noch einmal in seine kleine weiße Mithörmuschel hinein, die den Kontakt mit dem winzigen schwarzen Gegenstück aufrechthielt. Doch seine Stimme versickerte nicht wie in einem sehr dicken Federkissen, sondern hallte aus der Muschel wider. Das war der Beweis, dass die Verbindung vollständig zerstört war.

Warrington gab sofort Großalarm für die Einsatzgruppe VDS. Doch ein sehr, sehr ungutes Gefühl plagte ihn, dass dieser Alarm bereits zu spät erfolgte.

Eine aus der Luft dringende Stimme rief ihn an: "Warrington, was geht in VDS vor. Wir haben gerade die Verbindung zu allen Wachen verloren und ... oha, Erdbebenwarnung aus den weiter ab gepflanzten Erdspürern. Erdbeben eindeutig magischen Ursprungs und ... Ausfall der Erdbebenspürer. Was haben Sie beobachtet, Mann?!"

"Mr. Dorkins, ich habe folgendes beobachtet", setzte Warrington an und schilderte das mitverfolgte Geschehen, wie Tweetys Eulenaugen es ihm vermittelt hatten. "Und wann dachten Sie, dass es wichtig genug sein mochte, uns davon zu berichten, Mr. Warrington?" fragte die magisch übermittelte Stimme von Jarrel Dorkins, Catlocks Nachtwache vom Dienst. Warrington wusste, dass diese Frage schon auf einen Anstehenden Gerichtsprozess hindeutete. Deshalb sagte er: "Sir, ich ging von einer reinen Verhüllungsaktion der Einwohner aus, um die fortwährende Beobachtung zu vereiteln. Als die Glocke dann zu pulsieren und sich auszudehnen anfing konnte ich gerade noch eine Warnung an die Locattractus-Posten rausgeben. Doch da zersprang die Glocke wie ein auf den Boden klatschender Quecksilbertropfen in viele tausend kleinere Tropfen. Einer davon zerstörte die Verbindung zu meinem Spähervogel. Dieser dürfte dem Aufprall erlegen sein."

"Weitere Erdbebenmessstellen zeigen eine magisch induzierte Welle, deren Ausgangspunkt der Rand der Absperrung ist. Die reine Erderschütterung ist gerade mal spürbar. Doch die davon getragene Magie entspricht einer mittleren Stärke jener Erdmagie, die am 26. Dezember die Staaten durchzogen hat. Was immer die dort getan haben hat vielleicht auch sie verheert. Sofortige Entsendung eines weiteren nachtsichtigen Spähervogels! Aber unverzüglich!"

"Zu Befehl, Mr. Dorkins", bestätigte Warrington und eilte nach nebenan, wo er feststellen musste, dass sechs der acht dort gehaltenen Eulen unterwegs waren. Es war nur noch Woody, ein betagter Postuhu da, den er eigentlich nicht als Späher einsetzen konnte, weil der nicht länger als fünf Minuten über derselben Stelle bleiben wollte, wenn er sich dort nicht hinsetzen konnte. "'tschuldigung, alter Federwisch. Ich muss dich mal losschicken, um mir was anzusehen. Nimm's nicht so tragisch", sagte er. Doch Woody sah ihn aus seinen großen Augen angespannt an. Als Warrington ihn vorsichtig zu ergreifen versuchte hackte der Vogel nach ihm. Nur seine Reflexe als ausgebildeter Falkner und die Drachenhauthandschuhe bewahrten ihn vor einer schmerzenden Verletzung. Woody machte "Wuuuhuuuuh!", spannte die Flügel aus und flog durch eine der Auslassluken hinaus in die Nacht. "Dieser schlaue Bursche hat gemerkt, dass ich ihn ins offene Drachenmaul werfen wollte", knurrte Warrington. Dann ergriff er Inga, die fünf Jahre alte und als Blitzbotin und Späherin ausgebildete Schneeeule.

Als er sie mit einem Mitsehauge ausgestattet hatte hängte er ihr noch einen kleinen blauen Ring ans rechte Bein, der als Portschlüssel auf den Bereich von VDS eingestimmt war. "Pass gut auf dich auf, Inga!" sagte er. Dann sah er zu, wie die hellgefiederte Eule in einer blauen Lichtspirale verschwand. Schnell setzte er sich die auf das Mitsehauge abgestimmte Brille auf. Wie von Hugo Dawn in langjähriger Erfahrung entwickelt sah er zunächst nur schwarzes Nichts. Dann sah er blaue Lichtblitze und dann eine Landschaft von oben. Nun flog Inga über dem erreichten Zielgebiet.

Über die kleine Mithörmuschel dirigierte er die Schneeeule auf den Ort zu, den er seit Wochen beobachtet hatte. Doch als Inga in einen schnellen Sinkflug ging, um nahe genug an VDS heranzukommen, sah er nur einen blutroten Doppelblitz. Dann sah er erst einmal nur weiße Funken in grauem Nebel. Als der Nebel sich lichtete erkannte er, dass Inga im wilden Flug über das Umland dahinjagte. Was immer sie getroffen hatte machte ihr mehr Angst als jeder Befehl niederkämpfen konnte. Er erkannte, dass sie wohl zu ihm zurückkommen wollte wie eine freigelassene Brieftaube der Nomajs.

"Inga, Umkehren. Wieder zurück! Zurück!" Doch Inga gehorchte nicht mehr. Was immer ihr zugestoßen war hatte ihren tierischen Selbsterhaltungstrieb erregt. Sie wollte nicht dahin, wo etwas sie nicht haben wollte.

Warrington erkannte mit dem Wissen des erfahrenen Falkners, dass kein Befehl und keine Magie ein an sich vor keinem Feind scheuendes Raubtier aufhalten konnte, wenn es doch mal in wilder Panik floh. Er würde auch keine weiteren Eulen dazu bekommen, sich VDS wieder zu nähern.

Zehn Minuten später wurde er wie andere Kollegen zum Rapport befohlen. Dorkins war sichtlich ungehalten, wirkte jedoch auch sehr in die Enge getrieben, als er seine Leute um sich versammelte. Dann kam auch Ray Catlock herbei, der noch mit den letzten Spuren des Schlafes zu kämpfen hatte. Schließlich tauchten auch noch zwanzig ziemlich angeschlagen wirkende Kollegen auf, die Warrington sofort als die Wachhabenden an den Locattractus-Fallen erkannte.

"So, alle da?!" rief Dorkins. Dann übergab er das Wort an seinen Vorgesetzten Catlock. "Gentlemen, mir wurde gerade übermittelt, dass es den auf Befehl unseres obersten Dienstherren in ihrer Ansiedlung festgesetzten Bewohnern Viento del Sols gelungen sein soll, die Absicherung zu sprengen und, was noch viel schwerwiegender ist, ihren eigenen Feindesabwehrzauber auf die geschätzt fünffache Ausdehnung zu erweitern. Da diese Mitteilung sehr ernst ist verlange ich nun von Ihnen allen genaue Berichte. Sie, Mr. Warrington, fangen an!" befahl Catlock. Warrington hörte dem Befehl bereits an, dass Catlock ihm die Schuld geben würde, weil er nicht früh genug gewarnt hatte. Doch wovor genau hätte er seine Kollegen denn warnen können? Die Frage stellte er genau dann, als er seinen eigenen Bericht erstattet hatte, der damit endete, dass jeder weitere Beobachtungsvogel zu weit über der Ansiedlung abgewiesen würde, womöglich wegen der ihm angehängten Späherausrüstung.

Nun berichteten die offenbar von ihren Posten vertriebenen Wachen, dass sie zunächst die sich ausdehnende Glocke beobachtet hatten, bis diese dann mit einem gläsernen Klirren in eben viele Millionen Einzelstücke zerborsten sei. Sie hätten nicht schnell genug reagieren können und wären von diesen roten Tropfen getroffen worden. Als sie wieder zur Besinnung kamen hatten sie sich fast zwanzig Kilometer von der Ortsgrenze entfernt auf verschiedenen Untergründen wiedergefunden. Immerhin sei niemand in übergroße Höhe geschleudert worden und aus dieser abgestürzt, bemerkte der Leiter der Wachtruppe.

"Ja, weil es ein erdgebundener Zauber war", knurrte Catlock verbissen. Dann forderte er weitere Berichte ein. Als er alles gehört hatte, was er hatte anhören müssen, fasste er zusammen: "Halten wir für das Protokoll fest, dass die Bewohner von Viento del Sol einen machtvollen Zauber gewirkt haben, der nicht nur die sie überdeckende Sperrglocke sprengte, sondern deren Magie auch als Abweisung gegen im Umkreis befindliche Lebewesen wirken ließ. Simultan dazu erfolgte eine Ausdehnung des von ihnen bereits eingerichteten Feindesabwehrzaubers auf die fünffache Ausdehnung, was unsere Leute allesamt aus dem neuen Wirkungsbereich hinausbefördert hat. Dabei wurde offenbar ein erdmagischer zauber verwendet, der ziemlich wahrscheinlich durch ein von mehr als zehn Personen durchgeführtes Ritual in Kraft trat. Was für ein Ritual dies war und warum sie es jetzt erst verwendeten wissen wir noch nicht. Es muss als gesichert angenommen werden, dass wir keinen neuerlichen Zugang zur Ortsgrenze von Viento del Sol mehr erhalten, solange die dort lebenden Hexen und Zauberer uns als ihre Feinde einordnen. Ja, es erscheint sehr wahrscheinlich, dass auch magische Spürvorrichtungen nicht mehr näher als doppelte oder dreifache Sichtweite an die Ortsaußengrenze herangeführt werden können, was auch die Beobachtung aus großer Flughöhe einschließt. Dies zu den derzeit erkennbaren und unleugbaren Tatsachen. Offenbar haben die Hexen und Zauberer in Viento del Sol die drei Monate der Isolation sehr konstruktiv und effektiv genutzt, im Gegensatz zu uns, die wir davon ausgingen, dass wir diese Leute völlig unter Kontrolle haben. Übrigens, Radio VDSR 1923 ist wieder zu hören, und das erste was zu hören war, war das Lied "Neue Sonne wärmt das Herz, Freiheit spannt die Flügel aus", dasss nach der versuchten Zwangsrepatriierung unserer Vorfahren gedichtet wurde und als inoffizielle Zaubererhymne der USA gilt. Ihnen ist sicher klar, dass wir die Verbreitung jeder von dort ausgehenden Hetzbotschaften und Lügen nicht mehr unterbinden können. Wir haben schlicht weg unsere Hausaufgaben nicht gemacht, wobei was Mr. Warrington angeht noch grobe Unterlassungsfehler dazukommen."

"Bei allem Respekt, Mr. Catlock, ich bin nur Falkner und Beobachtungsexperte, kein Thaumaturg oder Fluchbrecher", verteidigte sich Warrington, der keinesfalls als Sündenbock herhalten wollte. Ein Kollege von ihm sprang ihm bei und sagte: "Was hätte Mr. Warrington auch melden können. Hilfe, die Glocke leuchtet jetzt rot und fängt an, immer mehr zu pulsieren?"

"Höre ich da eine unverhohlene Renitenz aus Ihrer Frage, Mr. Bosley?" fragte Catlock. Der Gefragte erkannte, dass er sich da sehr weit ans vordere Besenende gewagt hatte. So sagte er schnell: "Ich wollte nicht ungehorsam wirken, Mr. Catlock, Sir. Ich wollte lediglich anmerken, dass Mr. Warrington nur eine Beobachtung gemacht hat, aber nicht wissen konnte, was diese bedeutet, Sir."

"Dennoch hätte er uns alle frühzeitig warnen können. Dann hätten Sie und Ihre Kollegen zumindest einen Gegenstoß versuchen können", sagte Catlock.

"Gegenstoß wogegen?" fragte nun ein anderer Außentruppmitarbeiter. Catlock erkannte, dass er hier nicht jedem Renitenz oder gar Insubordination unterstellen durfte, wenn jemand völlig legitime Fragen stellte. Wogegen hätten sie denn einen Gegenstoß führen können. Die Glocke selbst galt bis zu diesem Zeitpunkt als unaufbrechbar.

Die Tür flog auf, und ein sichtlich verärgerter Lionel Buggles stürmte grußlos herein. "Dann trifft es zu, dass sich die Bewohner von VDS vor einer Viertelstunde aus der Absperrung befreit haben?" fragte er in die plötzliche Stille hinein. Catlock und die anderen nickten. "Und ebenso stimmt es, dass deren Haussender nun ungehindert alle möglichen Falschmeldungen verbreiten kann, ohne dass wir ihn erneut zum schweigen bringen können?"

"Das ist leider sehr wahrscheinlich, Sir", sagte Catlock. "Auch müssen wir damit rechnen, dass die Bewohner von VDS ihre Ansiedlung nun ihrerseits zum Bollwerk gegen uns ausbauen und ihre Gesinnungsgenossinnen und -genossen einladen, bei ihnen sichere Zuflucht zu finden, wie es die Bewohner des Weißrosenweges in New Orleans bereits getan haben", sagte Catlock.

"Dann muss ich den Notstand ausrufen. Denn so könnten die einen magischen Bürgerkrieg heraufbeschwören, dem es zu begegnen gilt", sagte der Minister. Warrington, der als geschulter Beobachter auf die winzigsten Regungen zu achten gelernt hatte, sah wohl als einziger eine Spur von Triumph in Buggles Blick. Auch wenn er nach außen sehr verärgert wirkte schien ihm dieser Vorfall höchst willkommen zu sein. Natürlich konnte er jetzt wieder Notstandsverordnungen in Kraft setzen, das Land unter Überwachung stellen, Freiheitsrechte aushebeln, all das, was seine Widersacher im Zaum hielt. Da hier ausnahmslos alle die Erklärung unterschrieben hatten, die ihn als ranghöchsten Zauberer Nordamerikas anerkannte wagte es niemand, seiner Ansicht zu widersprechen oder gar etwas gegen seine Beschlüsse zu unternehmen.

"Nun gut, Flucht nach vorne ist angeraten. Ray, Sie begleiten mich gleich in den Presseraum. Ich werde all die auf Neuigkeiten ausgehenden Zeitungsschreiber und Nachrichtenkrämer darauf einschwören, der möglichen Hetzkampagne aus Viento del Sol nicht auf den Leim zu kriechen und gleichzeitig die Meldung des Monats verkünden. Sie, Gentlemen, kehren in Ihre Bereitschaftsräume oder quartiere zurück und erholen sich von Ihrem Einsatz! Im Moment können wir ja nichts anderes tun, als die Bevölkerung zur Besonnenheit und Wachsamkeit aufzurufen", knurrte Buggles. Doch wieder meinte Warrington, eine gewisse Siegesfreude zu erkennen. Mochte es sein, dass die Bewohner von Viento del Sol ihm einen unschätzbaren Gefallen erwiesen hatten?

Da der Minister persönlich befohlen hatte, dass er in sein Quartier zurückkehrte tat Warrington das. Dort trank er einen Aufhebungstrank gegen den Wachhaltetrank. Da er ja Nachtschicht gehabt hatte und es sowieso gerade unmöglich war, Viento del Sol aus der Nähe zu beobachten, befand er, dass er erst einmal schlafen sollte. Falls Catlock ihn ernsthaft disziplinieren wollte, dann brauchte er alle Konzentration und Ausdauer.

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Klio Sweetwater saß zusammen mit Linda Latierre-Knowles und deren Mann Gilbert im Senderaum von VDSR 1923. Dort bekamen sie die Sprengung der magischen Glocke mit und auch, dass deren kugelförmigen Bruchstücke von der Ansiedlung fortflogen und somit keine Gefahr darstellten. Nur einmal hörte Linda einen kurzen,tierhaften Aufschrei wie von einem kleinen Vogel. Doch mehr deutete nicht auf eine Verletzung hin.

"An alle, die zu dieser frühen Stunde wach sind und uns hören. Hier ist Radio VDSR 1923. Soeben konnten wir uns mit Hilfe entschlossener Hexen aus der seit drei Monaten dauernden, ungerechtfertigten Einschließung befreien. Laut unseren Informationen konnte die uns seit drei Monaten überdeckende Glocke im Zusammenspiel mit einer Ausdehnung unseres eigenen Feindesabwehrzaubers beseitigt werden. Somit sind wir nun wieder im Stande, frei in diesem Land herumzureisen, sobald die angespannte Lage dies erlaubt. Wir, die Bewohnerinnen und Bewohner von Viento del Sol, grüßen alle, die uns zu dieser Stunde zuhören. Wir sind noch da!" verkündete Klio Sweetwater. Dann spielte sie das erste aus einem Musikfass klingende Stück ab, jenes, dass nach der Vereitelung der versuchten Zwangsrepatriierung im 17. Jahrhundert komponiert worden war und als eigene Hymne der magischen Menschen Nordamerikas galt. Danach sprach Linda Latierre-Knowles und bedankte sich bei ihren Kollegen und Anverwandten, dass die Bewohner ihrer Heimat trotz der Isolation genug Wissen und genug Nahrung zur Verfügung hatten, um die unrechtmäßige Einschließung zu überstehen. gilbert Latierre bedankte sich vor allem bei den Bewohnerinnen und Bewohnern von Millemerveilles, die mitgeholfen hatten, die Zeit unter Buggles Glocke zu überstehen und rief dazu auf, sich weiterhin gegen diesen offenkundigen Alleinherrschaftssüchtigen Zauberer zu stemmen. Klio korrigierte Gilbert dahingehend, dass sie fürchtete, Buggles könne von wem anderen fremdbestimmt sein und im auftrag dieser Macht im Hintergrund darauf ausgehen, erst die Staaten und dann den ganzen Erdteil zu unterwerfen. "Wer mit und für uns ist, der oder die ist eingeladen, uns wieder zu besuchen, uns wieder Eulen zu senden. Alle Feinde von uns werden wohl weiterhin von uns abgehalten", sagte Klio. Dann spielte sie noch einen Zaubererweltschlager, der vor allem in den Nachtstunden gerne gesungen oder abgespielt wurde: "Wenn des Morgens Ruf die Nacht vertreibt".

"Tja, dann kann Roddy ja nachher den ersten Morgen der Rückkehr auf die nordamerikanische Landkarte feiern", sagte Gilbert.

"Sie werden uns die Reisen durchs Land vermiesen", sagte Klio. Linda nickte. Gilbert nickte auch. "Ja, aber gegen die Luftschiffe kamen sie nicht an, bis sie diese Glocke über uns gestülpt haben. Wenn sie das nicht wiederholen können können wir locker zwischen hier und sonstwo im Land herumfliegen oder eben auch nach Frankreich überwechseln. Ich würde gerne Martines neue Töchter besuchen und mit meiner Mutter sprechen. Die wird sicher froh sein, dass wir noch leben." Linda bestätigte das. "Außerdem können wir jetzt auch wieder Eulen verschicken. Nur mit dem Flohpulvern sollten wir vorsichtig sein. Die haben uns sicher schon längst vom Netz getrennt."

Chloe Palmer klopfte während eines Liedes an die Studiotür. Sie vermeldete, dass alle vierzehn Ritualteilnehmerinnen nach einer kurzen Ohnmacht wieder bei Bewusstsein waren und für einen vollen Tag im Heilerhaus von Viento del Sol verbleiben würden. Auch habe sie schon mit Großheilerin Greensporn gesprochen. Diese hatte eine Delegation aus dem HPK herübergeschickt und würde gleich noch mit Chloe reden.

"Das wird diesen ewigen Zaubereiminister in Washington nicht freuen", meinte Gilbert Latierre. Dem stimmten alle Anwesenden zu.

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Buggles musste sich sehr stark beherrschen. Diese dummen Dorftrottel hatten ihm alle Trümpfe in die Hand gespielt. Ihr Aufbegehren gegen die Isolation und die unverzügliche Inbetriebnahme ihres Rundfunksenders halfen ihm, den herbeigesehnten Ausnahmezustand zu verkünden. Doch zunächst wollte er sich das Vergnügen gönnen, die Pressemeute mit dem größten Bissen der Geschichte zu füttern.

Er hatte nicht erwartet, dass Linda Latierre-Knowles oder ihr französischstämmiger Ehemann es wagen würden, dieser Presseeinladung zu folgen. Aber er vermisste auch Drusilla Ascella Yargdgate, Lindas amtierende Stellvertreterin in der Sparte Gesellschaft und Politik der Stimme des Westwindes. Auch wunderte er sich, dass Livius Porter, der Sportredakteur vom Kristallherold, dieser Pressekonferenz beiwohnte. Was er zu berichten hatte hatte doch nichts mit Quodpot oder Quidditch zu tun. Abgesehen davon, dass ein an bequeme Redaktionssessel gewöhnter, über sechzig Jahre alter Zauberer doch nicht selbst in eine Pressekonferenz ging, deren Ergebnisse er eigenhändig abschreiben und ausformulieren musste. Für sowas hatte man bestenfalls einen Chefreporter, mindestens aber einen Voluntär, der sich seine Sporen verdienen musste. Was sollte das also? Gut, dann bekam eben die Sportecke vom Kristallherold die Nachricht des Monats. Da traf dann auch noch der dunkelhaarige Remo Desmond Waldon Midstone ein, der üblicherweise für den Kristallherold aus Politik und Gesellschaft berichtete, und das, wie Buggles schon selbst erlebt hatte, oftmals sehr unangenehm bis unerträglich.

"Meine Damen und Herren, Sie haben über Wochen und Monate immer wieder mal mehr mal weniger lautstark Stellungnahmen zu den gegen uns erhobenen Vorwürfen gefordert. Wie mein Ihnen allen wohlvertrauter Pressesprecher Ihnen mitteilte sahen und sehen wir es nicht als unsere Pflicht, wüste Verleumdungen und wilde Spekulationen zu kommentieren. Außerdem hatten wir eine Menge zu tun. Wie Sie alle wissen werden wir von verschiedenen inneren und äußeren Feinden bedroht und können daher nicht auf jede noch so sensationell anmutende Vorhaltung reagieren, Wie einige von Ihnen dies sicherlich gerne gehabt hätten", begann Buggles und ließ den Blick über die versammelten Reporter gleiten. Im Moment hoffte er noch darauf, dass einer aus VDS sich hier blicken lassen würde. Dann konnte er den als Boten übler Lügen hinstellen und vor allen Augen und Ohren verhaften lassen. Doch es kam niemand.

Nun erwähnte er, dass es im Laufe der letzten Monate ersichtlich wurde, dass die Bekämpfung von feindlichen Mächten erfolglos bleiben würde, deren Anhänger beliebig aus den Nachbarstaaten einfallen und nach begangenen Untaten wieder über die Grenze verschwinden würden. Er erwähnte die Werwolfbruderschaft, die sich in Mexiko offenbar einen sicheren Hafen verschafft hatte und ging auch auf die Forderungen und offenen Beschimpfungen der Kobolde ein, die ihm vorwarfen, ihre Zuverlässigkeit in Frage gestellt zu haben und ihnen deshalb die Betriebserlaubnis für Gringotts entzogen habe. "Kobolde sind wie Terrier. Was sie haben wollen, daran beißen sie sich gerne fest. In unserem konkreten Fall ist es das Verlangen, die einzig berechtigten Goldhüter und Münzpräger zu bleiben. Das neue Zauberergeld, unsere grünen Freihheitsnoten, waren den Kobolden daher schon lästig. Nachdem wir ihnen auch noch beweisen konnten, dass ihre Verliese unser Gold zerstört haben waren sie als unser aller Währungshüter untragbar. Dass sie sich damit nicht abfinden war zu erwarten, ist aber keinesfalls hinnehmbar", sagte Buggles. Dann rückte er damit heraus, dass er mit Mexiko und Kanada verhandelt habe, wie den Bedrohungen gemeinsam Einhalt geboten werden könne. Daraus habe sich dann ergeben, dass mit einem reinen Nebeneinander und Jeder für sich allein nicht mehr gedient war. Er genoss es, die Anspannung in den Gesichtern der Presseleute zu sehen. Dann legte er den großen Knüller des Tages auf den Tisch, eine Abschrift des von ihm, Bowland und Piedraroja unterzeichneten Vereinigungsdokumentes. "Das Resultat dieser Absprachen ist eine Übereinkunft, die unsere großartige Nation mit allen anderen nordamerikanischen Nationen vereint und uns damit stark gegen alle unseren Erdteil heimsuchenden Bedrohungen ist", sagte er und verkündete, dass Piedraroja und Bowland mit ihm beschlossen hatten, die nordamerikanische Magieadministration NAMA ins Leben zu rufen. Er bedankte sich bei Bowland und Piedraroja für das Vertrauen, dass sie ihn als ersten Administrator anerkannten. Dann sagte er: "Wir haben vereinbart, dass wir nach Beendigung der derzeitigen Bedrohungslagen eine allgemeine Wahl des neuen ersten Administrators und seines aus den drei vereinten Staaten stammenden Stellvertreterstabes abhalten werden. Doch wir drei sind uns einig, dass wir zunächst alle Bedrohungen in den Griff bekommen müssen, weil jeder Feind, der ungehindert wirken kann, jede demokratische Entscheidung zu hintertreiben versucht. Auch deshalb hatten sie sich zu diesem einen großen Schritt erklärt. Dann kam er auf Viento del Sol und dass die Bewohner von dort wohl beschlossen hatten, ihre monatelange Stille zu brechen, um nun "im Auftrag böswilliger Mächte" gegen die neue nordamerikanische Magieadministration zu hetzen und ihre Behörden an der Ausübung ihrer Pflichten zu hindern. Wer jetzt meine, dass es in Wirklichkeit Buggles sei, der von böswilligen Mächten gesteuert werde, der oder die sei den Aufwieglern bereits auf den Leim gekrochen und diene der Schwächung einer stabilen, den Frieden bewahrenden Zaubereiverwaltung. Zwar sei es in allen drei bisherigen Verwaltungsbereichen erlaubt, eine eigene Meinung zu äußern. Dieses schließe jedoch auch ein, dass diese eigene Meinung nicht zur Abwertung oder gar körperlich-geistigen Schädigung von Menschen führen dürfe. Zu behaupten, das ehemalige Zaubereiministerium der USA sei von fremden Mächten unterwandert, rufe dazu auf, es zu zerstören, was fraglos einen gesellschaftlichen und rechtlichen Scherbenhaufen erzeugen musste, den die ohnehin gegen alle magischen Gesetze aufbegehrenden Gruppierungen ausnutzen würden. "Ich habe Sie deshalb alle hergebeten, um mit Ihnen allen klarzustellen, dass wir für eine Fortsetzung unseres Friedens, eine gemeinsame Haltung gegen uns bedrohende Wesen und Gruppen und eine Bewahrung unser aller Unversehrtheit eintreten müssen. Jede unsere Institution als nicht mehr zulässig bezeichnende Aussage schadet nicht nur uns, sondern allen anderen magischen Mitbürgern von der Grenze zu Hispanoamerika bis hinauf in die eiskalten Gebiete um den Nordpol herum. Doch weil ich fürchten muss, dass viele böswillige Hexen und Zauberer die von uns friedlichen Menschen gewährten Bewegungs- und Mitteilungsfreiheiten ausnutzen werden, rufe ich hiermit den laut Paragraph sieben des Vereinigungsvertrages vom 14. Mai festgelegten Notzustand aus. Lasst uns alle gegen unsere Feinde vorgehen, Sie mit Ihren Worten, wir mit den nötigen Taten! Soviel dazu. Ich bin bereit für Ihre Fragen."

Natürlich wollte der Kristallheroldsreporter Midstone erst einmal wissen, wann genau die Verhandlungen begonnen hatten und wieso es keinem der drei Anwesenden Minister oder Ministerialresidenten eingefallen war, die magische Öffentlichkeit darüber zu informieren, wie es zum guten Ton gehöre. Darauf antwortete der Chef der NAMA:

"Ach ja, Sie hätten dann fröhlich verkündet, dass wir vorhaben, gegen alle grenzübergreifenden Organisationen durch Zusammenlegung unserer Verwaltungsbereiche vorzugehen und damit genau denen geholfen, die uns und damit auch Sie und Ihre Angehörigen an Leib und Leben bedrohen. Dies galt es zu verhindern. Nun, wo wir alle aufgekommenen Streitpunkte ausräumen und vor allem eine von allen Rechtsinstanzen erfolgte Genehmigung im Rücken die Vereinigung vollzogen haben, kann keine wider uns geführte Aktion dieses Bündnis zerschlagen. Ja, Sie beschweren sich, dass wir Sie alle vor vollendete Tatsachen gestellt haben, statt jeden mitdenken und mitdiskutieren zu lassen, der oder die meint, wer eine Zeitung richtig herum halten kann sei bereits ein Experte für magische Verwaltungsangelegenheiten. Dann, Ladies and Gentlemen, hätte das Verfahren nicht nur zehnmal solange gedauert wie es dauerte, sondern hätte vor allem unseren eindeutigen Widersachern Gelegenheit gegeben, sich zu formieren, ihrerseits etwas gegen uns zu unternehmen. Doch nun wissen diese unlauteren Zeitgenossen nur, dass alle nordamerikanischen Zaubereigemeinschaften unter einer starken Gesamtleitung miteinander und füreinander eintreten, dass jeder magische Mensch von Geboren bis hochbetagt, der sich keines Verbrechens schuldig gemacht hat, auf Hilfe und Schutz hoffen darf und nicht erst abwarten muss, wie sich Kanada, die USA und Mexiko entscheiden werden. Nächste Frage bitte!"

"Sie tun jetzt so, als seien die magischen Menschen unseres Landes unfähig, zwischen unnötigem Streit und nötiger Absprachen zu unterscheiden", setzte Sunnydale von Radio HCPC 2623 an. "Ist das, was Sie taten nicht eine Form der Entmündigung aller magischen Bürger und somit ein klarer Verstoß gegen die von Ihnen und wohl auch den Gentlemen aus Mexiko und Kanada geschworenen Eide?"

"Den Vorwurf der Entmündigung habe ich von einem Sensationsreporter erwartet, Mr. Sunnydale. Den darf ich Ihnen sehr gerne wortwendend zurückreichen. Denn ich darf Sie daran erinnern, dass Sie während des laufenden Wahlkampfes immer wieder behauptet haben, die einzig durchblickenden Leute zu sein und besser zu wissen, wer dieses Land führen soll. Ihre Arbeitgeber, womit ich die Eigner Ihrer Rundfunkstation meine, fürchteten um Gewinneinbußen, wenn ich nach einer möglichen Wiederwahl für die Bekämpfung der unbestreitbaren Feinde mehr Gold fordern müsse. Daher haben Sie doch angeblich im Namen aller vernünftigen Hexen und Zauberer zur Wahl von Bullhorn aufgerufen, statt einfach nur über die Grundstimmung zu berichten. Stimmungsmache ist auch eine Form der Entmündigung. Das gilt nicht nur für Sie, Mr. Sunnydale, sondern ausnahmslos für jede und jeden hier. Und wir erleben es wohl gerade wieder, wie Ihr Sender und auch dieser illegale Hetzparolenverbreiter im Weißrosenweg daran arbeitet, erst Misstrauen und dann Angst in die Herzen unserer Mitbürger zu pflanzen. Soviel zum Vorwurf der Entmündigung. Was den Amtseid angeht, so besagt der, wie Sie alle nachlesen können, dass wir an jedem Ort und zu jeder Zeit das Wohl und den Schutz aller untadeligen magischen Mitbürger zu wahren haben, ja deshalb auch schnelle und entschlossene Vorhaben im geheimen treffen und durchführen dürfen, wenn dieses Wohl der untadeligen Bürgerinnen und Bürger in Gefahr ist. Nordamerika ist nicht die Schweiz, wo es seit hundert Jahren zum angeblich guten Ton gehört, bei jeder anstehenden Entscheidung erst mal zwei Wochen über die Auswirkungen für jeden einzelnen Bürger diskutieren und dann jeden magischen Mitbürger darüber abstimmen zu lassen, ob das Ministerium das nun tun oder lassen soll. Unser Land ist ein wenig größer und stärker bevölkert. Abgesehen davon weiß ich aus erster Hand, dass auch in der sich selbst bürgerbestimmten Schweiz etliche dringende Vorhaben mal eben von einem Ministeriumsrat gefällt und umgesetzt werden können, wenn deren Durchführung über Wohl und Wehe der magischen Gemeinschaft entscheiden kann und jede Verzögerung die Lage verschlimmert. Nächste Frage bitte!" erwiderte der erste Administrator der nordamerikanischen Zauberergemeinschaft. Natürlich hatte er mit dem Vorwurf der Entmündigung durch gezielte Stellungnahmen keine Freunde unter den Reportern gefunden, vor allem, wo er das auch noch in die ihm hingehaltenen Schallsammeltrichter der Rundfunkvertreter hineingesprochen hatte. Nun wandte sich Livius Porter an Buggles.

"Wo wir dabei sind, Minister Buggles oder wie immer Sie sich gerne ansprechen lassen möchten; unsere Leserinnen und Leser wollen wissen, wieso es bisher keine offizielle Gerichtsverhandlung gegen die angeblich straffällig gewordenen Anstifter eines obskuren Aufstandes gab, der von Viento del Sol ausging. Vor allem die Fans der Quodpotliga wollen wissen, ob nach der Verächtlichmachung ihrer Spieler nun auch eine willkürliche Unterbrechung der Saison besteht, wo die Windriders ja seit dem 15. Februar nicht mehr an den Ligaspielen teilnehmen konnten und somit keine Entscheidung über die Meisterschaft möglich ist."

"Punkt eins, Mr Porter", setzte Buggles an, der nun wusste, warum Livius Porter hier war. "Der Dorfrat von Viento del Sol hat beschlossen, dass das bis gestern auf dem Boden der USA bestehende Zaubereiministerium seine Rechtmäßigkeit verloren hat und dass Viento del Sol daher nicht mehr unter die Rechtsprechung des Ministeriums falle. Sie haben damit gedroht, hochansteckende Erreger unter unseren Mitarbeitern zu verteilen, ja die gesamten Mitbürger zu infizieren, um zu zeigen, wie unfähig wir sind. Daher musste der Leiter der Behörde für magische Gesundheitsfragen die sofortige Quarantäne über Viento del Sol verhängen. Die Bewohner dieses Ortes konterten mit einem Zauber, der all die Ordnungskräfte, die dort einschreiten wollten, zu Angreifern einer feindlichen Macht bestimmt und zurückgeprellt hat. Daher blieb uns nichts anderes übrig, als das Dorf gegen jede Form magischen oder nichtmagischen Personen- und Warenverkehrs abzuschließen. Offenbar haben die Rädelsführer der Verschwörung gegen uns die Isolation genutzt, um sich der Isolation zu entledigen. Wir müssen also jederzeit mit gezielten Anschlägen rechnen. Außerdem besteht die Gefahr, dass arglose Mitbürger sich von deren aufwieglerischen Reden vereinnahmen lassen und somit zu deren ahnungslosen Helfershelfern werden könnten, wenn wir nicht klar und entschlossen gegen diese Form der von innen heraus betriebenen Zersetzung vorgehen. Dass die Windriders dabei von allen Pflichtspielen abgehalten wurden ist ein zu vernachlässigender Randeffekt. Sollten die Bürgerinnen und Bürger Viento del Sols den Mut aufbringen, die unter ihnen lebenden Verschwörer auszuliefern, kann über eine Entschädigung der Spieler im Rahmen der neuen Gehaltsabstimmungen verhandelt werden. Was die Ligameisterschaft angeht können alle ausgefallenen Spiele auch nachgeholt werden. Die Ligarichtlinien besagen, dass die Saison im Juli enden sollte, aber im Fall ausgefallener Spiele bis spätestens September verlängert werden kann, aber nicht bis zum Start der nächsten Saison im Oktober andauern darf. Dass Sie das ganz sicher wissen ist mir bekannt, Mr. Porter. Ich erwähnte es ja auch für Ihre Kolleginnen und Kollegen, die nicht so gut über die Organisation der Quodpotliga unterrichtet sind."

"Sie behaupten also nach wie vor, die Bewohner von Viento del Sol hätten von sich aus einen Aufstand, ja sogar einen Umsturz geplant oder bereits begonnen. Wie sieht das denn der Zwölferrat der obersten Richter?" wollte der Gesellschaftsreporter des Kristallherolds wissen. Zur Antwort legte Buggles ihm und allen anderen eine schriftliche Mitteilung Ironsides vor, dass der Zwölferrat alle Hinweise auf einen geplanten Umsturz geprüft und Minister Buggles freie Hand zur Niederschlagung dieses Umsturzes gewährt habe. Das Schreiben stammte laut Datum vom 12. Februar, also vor der Abriegelung von Viento del Sol.

"Das möchte ich gerne von Chefrichter Ironside selbst hören, nicht nur von einem Stück Pergament abgelesen", grummelte Midstone. Buggles sah ihn ruhig an und sagte: "Niemand von Ihnen ist hier eingeschlossen. Sie dürfen den Raum verlassen und versuchen, ein spontanes Interview mit seiner Ehren Chrysostomos Ironside zu erhalten. Ich wünsche Ihnen für dieses Vorhaben viel Glück. Sollten Sie es sogar schaffen, noch vor Ende dieser Pressekonferenz hierher zurückzukehren stehen ich oder meine Mitarbeiter gerne für weitere Fragen von Ihnen bereit."

Der Reporter sah seinen Kollegen Livius Porter an. Der nickte ihm zu. Dann ging er tatsächlich hinaus. Alle anderen blickten ihm nach. Die Rundfunkreporter sprachen leise in ihre Schallsammler. "Wer von Ihnen möchte die nächste Frage stellen?" wandte sich der erste Administrator Nordamerikas an die verbliebenen Vertreter der Zaubererweltmedien. Natürlich wollte nun jeder wissen, was in Mexiko und Kanada über das Abkommen gesagt wurde und inwieweit diese neue Gesamtadministration eine Notstandsvereinigung war oder auf Dauer angelegt war. Buggles zitierte aus dem Vereinigungsvertrag und bekundete, dass es nach all den Jahrhunderten verbliebener Abhängigkeit von Europa endlich an der Zeit war, dass Nordamerika mit einer Stimme spreche und mit einem wohl abgestimmten Körper handele. Er ließ auch nicht aus, dass wohl auch Kingsley Shacklebolt in Großbritannien dies so sehe und deshalb den Kanadiern freie Hand gewährt habe, die eigenen Angelegenheiten zu klären, ohne bei jeder anstehenden Aktion erst einmal per Eule oder Blitzboten nachzufragen, ob es London erlaube oder untersage. "Minister Shacklebolt ist ein ehemaliger Auror. Er weiß also, wie schädlich lange Nachrichtenwege und Wartezeiten für den Kampf gegen gefährliche Wesen oder Gruppierungen sind", beschloss Buggles seine Antwort auf die Frage, warum Kanada so schnell und scheinbar so widerspruchslos aus der einen in eine andere Abhängigkeit übergewechselt sei.

"Was Sie aufwieglerische Hetzparolen nennen, Sir, basiert auf der Furcht, dass Sie und Ihre Kollegen von freiheitsfeindlichen Mächten unterwandert worden sein können. Sie werden nicht abstreiten, dass Ihr Vorgänger Dime von derartigen Kräften beeinflusst und zu unzulässigen Handlungen gezwungen wurde. In Europa gab es vom August 1997 bis zum Mai 1998 ebenfalls eine von dunklen Kräften gelenkte Marionettenregierung in Großbritannien. Wie wollen Sie diese Besorgnis ausräumen?" wollte der Reporter vom Westwind wissen, der für Drusilla Yardgate gekommen war.

"Indem wir durch unser Handeln zeigen, dass nicht wir die Feinde der hier lebenden magischen Menschen sind. Das geht jedoch nur, wenn wir nicht jede Stunde gegen aufgehetzte Hexen und Zauberer vorgehen müssen, die meinen, uns mit Gewalt entmachten zu müssen. Diese Zeitgenossen müssen davon abgehalten werden, eine Gefahr für alle anderen zu werden", sagte Buggles. "Ich kann nur wiederholen, dass alle die, die sich an die bestehenden Gesetze halten und sich nicht zu schädlichen Taten verleiten lassen, nichts von uns zu befürchten haben und ihr Leben so fortsetzen können, wie sie es für richtig halten. Was Viento del Sol und Misty Mountain angeht, so sind es die bedauerlichen Ausnahmen, weil die dortigen Räte sich dafür entschieden haben, die viele Jahrzehnte bestehende Ordnung zu beenden, wohl auch, weil sie durch die Goldebbe den Anlass für eine umfangreiche Neuordnung gegeben sehen. Ich kann eben nur dazu aufrufen, solche Kräfte nicht zu unterstützen. Wenn der Dorfrat von Viento del Sol sich einer gründlichen Ermittlung zur Verfügung stellt besteht durchaus die sehr große Wahrscheinlichkeit, dass alle unter der Abriegelung zu finanziellem Schaden gekommenen Bürger von Viento del Sol entschädigt werden. Doch dazu müssen die eben all diejenigen zu uns schicken, die gegen uns Front machen. Anders wird diese unangenehme Lage nicht enden, mein Wort darauf."

"Was ist mit Misty Mountain und dem Weißrosenweg. Die Leute da denken doch auch, dass Sie und Ihre Leute die Feinde sind oder von Feinden instrumentalisiert werden", warf Sunnydale ein, dem der Vorwurf von eben offenbar nichts ausmachte.

"Für die gilt dasselbe. Wenn die uns den Zugang zu ihren Ansiedlungen beziehungsweise Wohnstätten gewähren und wir die wahren Feinde dort finden können kann die angespannte Lage beendet werden, nicht vorher. Wenn dieser Konflikt beendet werden kann besteht kein Anlass, die Freiheit so vieler unbescholtener Mitbürger weiter zu beschränken."

"Sie haben auch alle in den letzten zehn Jahren eingewanderten Hexen und Zauberer befragt, was diese von Ihrer Amtsführung und der Verwaltungsorganisation halten. Einige von denen haben Ihre Leute dazu aufgefordert, das Land zu verlassen, weil deren Antworten Ihnen nicht genehm waren. Was hat das bitte mit der Wahrung von Freiheit und Selbstbestimmung zu tun, Minister Buggles?"

"Erstens heißt es seit gestern Administrator Buggles, weil wir ja wie erwähnt die alteuropäischen Amtsstrukturen aufgekündigt haben. Zweitens müssen wir natürlich jedem Vorwurf entgegentreten, unsere Gesellschaft werde von außen unterdrückt. Daher war es nötig, alle dazugekommenen Hexen und Zauberer zu befragen und bei schwerwiegenden Verdachtsfällen des Landes zu verweisen. Ich erinnere daran, dass einige von Ihnen damals laut Hurra gerufen haben, als Zaubereiminister Pole vor zwölf Jahren Helfer jenes dunklen Magiers aus Großbritannien aus dem Land gejagt hat, dessen Namen sie drüben auf den Inseln immer noch nicht auszusprechen wagen. Damals haben Sie und Ihre tätigen Kollegen danach gerufen, ich zitiere "solche Giftkäfer" aus unserem Land hinauszuwerfen. Kollegen aus Europa haben einhellig berichtet, dass eine bösartige, machtversessene Hexe versucht habe, sie durch einen auf mehrere Leute zugleich anwendbaren Fügsamkeitszauber zu willfährigen Helfern zu machen. Sie haben auch die schwerwiegende Vermutung geäußert, dass das italienische Zaubereiministerium bereits vollständig unter der Kontrolle dieser dunklen Hexe stehe und nur noch in ihrem Sinne handele. Die mit einem tödlichen Zauberbann verstärkten Grenzen zu Italien haben diesen schwerwiegenden Verdacht erhärtet. Ich denke nicht, dass Sie, wie Sie hier sind, von dieser dunklen Hexe unterjocht und als deren willige Marionette geführt werden wollen. Natürlich ist es denen, die derartig beeinflusst sind leicht, uns zu unterstellen, solche Marionetten zu sein, ob von Vita Magica, jener Hexenbande, die für das Verschwinden von Lucas Wishbone verantwortlich ist oder Nachfolgern jenes britischen Massenmörders, der sich als Lord Voldemort hat ansprechen lassen, sofern man sich traute, diesen Kampfnamen auszusprechen."

So richtig schien der ehemalige Zaubereiminister der USA und jetzige Gesamtadministrator Nordamerikas die versammelten Nachrichtenverbreiter nicht überzeugt zu haben. Denn jeder von denen versuchte immer wieder, ihn auf die Gerüchte und Warnungen von der einen oder anderen Stelle festzuklopfen. Doch er legte das immer so aus, dass er der Angegriffene sei und nicht der Feind und dass die Richter ihm ja nicht die Vollmachten gegeben hätten, wenn sie mit ihrer jahrzehntelangen Erfahrung auch nur einen Zweifel an der Rechtmäßigkeit hegten. Da die Presseleute ihn nicht zu irgendwelchen verfänglichen Aussagen bringen konnten und er ihnen ja schon längst vermittelt hatte, dass er seit gestern der neue erste Administrator sei und sie den Vertrag gerne im einzelnen nachlesen durften knallte er ihnen noch vor, dass er seine Leute vor der Konferenz angewiesen habe, sich bereitzuhalten. Auf die Frage wofür antwortete er: "Auf Grund der gefahrenträchtigen Aktionen aus Viento del Sol und weil die dort untergeschlüpften Umstürzler nun meinen könnten mit Worten oder gezielten Taten Unheil zu stiften habe ich gemäß des im Vereinigungsabkommen zwischen uns, Kanada und Mexiko festgelegten Notstandsparagraphens den Ausnahmezustand erklärt und erkläre hiermit den Boden aller drei ehemaligen Einzelnationen für von Feinden belagert und bestürmt. Auch wenn ich dies eigentlich erst dann ausrufen wollte, wenn konkrete Beweise für solche Handlungen vorliegen sehe ich hier eine große Gefahr für unseren Frieden und unsere Unversehrtheit. Hier sind die ab diesem Morgen geltenden Ausnahmeregeln für das Zusammenleben, den Waren- und Personenverkehr", sagte Buggles und präsentierte einen Packen dünner Pergamentblätter, aus dem er jeder und jedem drei Blätter zu lesen und/oder zu kopieren überlies.

Ein erst leises, dann immer lauteres Getuschel hob an, weil die versammelten Reporterinnen und Reporter nun nicht mitbekommen hatten, dass mal eben die Zaubererweltordnung geändert worden war. In dieses erregte Durcheinanderschwatzen kehrte Remo Midstone zurück, der mit Richter Ironside hatte sprechen wollen. Er wirkte beinahe so blass wie ein Vampir. Er stellte sich erst einmal wortlos zu den Kollegen. Porter gab ihm die angereichten Kopien der Notstandsregeln und nickte ihm zu. Er las sie und nickte nun auch. Allerdings blieb sein Gesicht weiterhin sogut wie blutleer. Buggles sah ihn an und fragte ihn mit einer scheinheiligen Ruhe, ob all seine Fragen beantwortet worden seien.

"Der Richter hat alles bestätigt und dazu noch einiges erwähnt, dass ich um meiner Freiheit willen nicht veröffentlichen darf. Im Moment kann ich nicht anders, als bestätigen, dass Sie das volle Vertrauen und die vollständige Handhabe besitzen, alles zu tun, was Sie und Ihre Mitarbeiter für geboten halten", seufzte der Reporter. "Und das hat Ihnen derartig Angst eingejagt, dass Sie fast zu zittern anfangen?" fragte Buggles nun unverblümt verächtlich. "Sagen wir es so: Als Reporter vor allem für magische Vorgänge muss ich jeden Tag damit rechnen, hinter eine geheime Tür zu blicken und danach zu fragen, ob ich wirklich habe sehen wollen, was dahinterlag. Doch wenn stimmt, was Ironside mir unter der Bedingung anvertraute, dass kein Wort davon in die Zeitung darf und ich bei Verstoß gegen diese Anordnung mein bisheriges Leben verlieren würde, bleibt mir nichts übrig, als abzuwarten, wie sich die Lage entwickelt und zu hoffen, dass wir alle in den nächsten Wochen und Monaten noch Herren unseres eigenen Lebens und Willens bleiben dürfen, sofern Ihre Maßnahmen nicht den erhofften Erfolg erzielen. Mehr darf ich wie erwähnt nicht offen aussprechen, Sir."

"Dann können Sie gerne fragen, was Sie noch veröffentlichen dürfen", bot Buggles dem erbleichten Reporter an. Dieser verzichtete auf weitere Fragen und begnügte sich mit der Abschrift der ab heute geltenden Notfallvorschriften.

"Sie verurteilen uns alle zu Hausarrest und Reiseverzicht", sagte Porter, der die Maßnahmenliste studiert hatte. "Sie und offenbar auch die Richter meinen, wir dürften ab heute nicht mehr unbeobachtet herumlaufen. Das kann doch nicht angehen, dass wir, die untadeligen Bürger, eingesperrt oder zumindest eingeschränkt werden und die wirklichen Verbrecher dürfen sich frei bewegen. Bitte prüfen Sie diese Maßnahmen doch noch einmal, bevor die Öffentlichkeit davon erfährt!"

"Erstens dürfen Sie und alle anderen weiterhin im Rahmen ihrer üblichen Lebensgewohnheiten reisen. Allerdings gilt, dass sie für jede Apparition eine An- beziehungsweise Abmeldung erstatten müssen und dass Sie die von uns in den kommenden Stunden ausgegebenen Besenfindeartefakte an Ihren Besen zu befestigen haben, damit wir Ihre Flugbewegungen von verdächtigen Flugbewegungen unterscheiden können. Wenn Sie das als Einschränkung oder gar Freiheitsentziehung bezeichnen möchte ich Sie nicht erleben, wenn Sie oder einer Ihrer Angehörigen wahrhaftig dauerhaft eingesperrt werden muss. Bedanken Sie sich bei den Aufwieglern aus Viento del Sol. Denn nur deretwegen müssen wir zu derartigen Sicherungsmaßnahmen greifen", sagte Buggles laut. "Außerdem ist allen Anweisungen der durch Nordamerika patrouillierenden Sicherheitskräfte unverzüglich und ohne jeden Widerspruch Folge zu leisten. Diese Notlage wird nur solange bestehen, solange wir die feindlichen Kräfte verfolgen müssen, die unsere Gemeinschaft bedrohen."

"Vorsicht und Paranoia sind nicht all zu weit voneinander entfernt", tönte der Reporter von HcPC 2623. "Damit werden Sie erst recht Stimmung gegen sich machen, Sir."

"Natürlich, wenn Sie oder sonst jemand hier dazu aufruft, gegen uns Stimmung zu machen", sagte Buggles ruhig. Er musste sich sehr beherrschen, seine Erheiterung nicht offen zu zeigen. Diese Meute machte genau das, was er und seine neue Schutzherrin erwartet und erwünscht hatten. Denn je mehr Leute sich gegen die neuen Beschlüsse wendeten, desto mehr Beschränkungen konnte er verhängen, bis jene, die wieder ein friedliches Leben wollten, entweder zum offenen Bürgerkrieg aufstanden oder alle Bedingungen annahmen, um wieder unbeschränkt weiterleben zu dürfen. Jedenfalls würden sie sich gegenseitig belauern, wer wie reagierte. So ging es auch, dachte Buggles.

Die Reporter versuchten, sich gegenseitig zu übertönen, weshalb Buggles ganz ruhig abwarten konnte und dann sagte: "Nun, offenbar haben Sie es jetzt alle sehr eilig, die hier erhaltenen Kenntnisse in ihre Redaktionen zu bringen. Leider konnte ich die letzten zwanzig Fragen nicht mehr verstehen, weil Sie nicht abwarten wollten, wer was fragt. Deshalb nur noch so viel: Wenn Sie mir helfen, die neue Lage mit friedlichen Mitteln zu vermitteln, besteht die ganz große Chance, dass wir in nicht all zu vielen Tagen die Aufhebung dieser Notstandsverordnung verkünden dürfen. Also helfen Sie bitte dabei mit, dass es zu keinen unliebsamen Zwischenfällen kommt! Und falls Sie aus den ausgestreuten Beiträgen aus Viento del Sol zitieren möchten, dann vermerken Sie diese Zitate gütigst auch so, dass sie mit Vorsicht zu genießen sind! Mehr kann und möchte ich nicht von Ihnen verlangen. Danke schön!"

Als Buggles das gesagt hatte winkte er in eine Ecke. Vier Schutzzauberer enttarnten sich und flankierten den ersten Administrator. Es waren alle vier ausnahmslos magisch an sein Amt und seinen Willen gebundene Kampfzauberer. Die Reporter erkannten, dass es hier nichts mehr zu holen gab. Buggles Pressesprecher mühte sich noch ab, die versammelten Nachrichtensammler zum geordneten Verlassen aufzufordern. Buggles bekam das nur noch am Rande mit. Eingeschlossen in einen vereinten Zauberschild gegen die allermeisten stofflichen Geschosse und Schadenszauber verließen er und seine Leibwächter den Presseraum.

"Jetzt hast du lange genug im Ameisenhaufen herumgestochert, Lionel. Sieh nun zu, dass alle beschlossenen Maßnahmen durchgesetzt werden und versuche, diese Störenfriede aus VDS zu ergreifen!" hörte er die Stimme seiner Schutzherrin in seinem Geist. Doch sie wusste sicher, dass es gegen den auf Blut basierenden Abwehrzauber keinen wirksamen Gegenzauber gab, nachdem die Glocke über VDS gesprengt und alle Locattractus-Fallen durch magische Entladungen entschärft worden waren. Jetzt galt es, die Aufwiegler und Widerständler zu erwischen, wenn sie sich aus ihrer Deckung wagten, um Verstärkung zu organisieren oder lange entbehrte Lebensmittel und Materialien zu beschaffen. Nur wenn es bald niemanden in Viento del Sol gab, dessen gesunder Blutkreislauf den Abwehrzauber in Kraft hielt, dann erst konnten Buggles' Getreue dort einrücken und verkünden, dass "der Unruheherd" Viento del Sol erkaltet war. Doch Buggles wusste, dass die Leute von da das auch wussten und deshalb nicht so trolldumm sein würden, von sich aus durch die Gegend zu reisen oder gar in der Öffentlichkeit aufzutauchen. Alles sah nach einem umfangreichen Katz-und-Maus-Spiel aus, bei dem Buggles gerade nicht wusste, ob seine Administration wirklich noch die Katze war. Auf jeden Fall würden die Bewegungsüberwachungen auch die illegalen Werwölfe auffliegen lassen. Vielleicht musste er dann ja nicht die Blaulichtvorrichtungen benutzen, die ihm die Gruppierung in Geheimverträgen zugesichert hatte.

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Sie hatten sich die letzten beiden Wochen sehr still verhalten. Denn im Moment brodelte und knisterte es an vielen Ecken zugleich. Misty Mountain war genauso durch eine besondere Absperrglocke abgeschnitten wie Viento del Sol in Kalifornien. Doch nun hatten sich die Bewohner von Viento del Sol aus dieser Umschließung befreit und damit auch wieder ihre weitreichende Stimme, das Radio, ertönen lassen. Natürlich wies Buggles alles von dort ausgehende als Lüge und Hetze zurück. Doch Atalanta Bullhorn, die sich immer noch als um ihr Amt gebrachte Ministerin wähnte, hatte die Gelegenheit genutzt und sich als neue Hoffnungsträgerin genau in Viento del Sol niedergelassen. Die Zeichen standen auf einen Zaubererweltbürgerkrieg.

"Ich werde nicht für eine Hexe kämpfen, die mich genauso für Unrat hält wie diese Pelzwechsler oder die Nachwuchserzwinger. Und für diesen in ungeahnte Höhen geschnellten Lionel Buggles erst recht nicht", bekundete Anthelia ihren nordamerikanischen Schwestern gegenüber. Portia, die ihr das mit der magisch bindenden Anerkenntniserklärung berichtet hatte, trat für Bullhorn ein. "Uns muss es doch recht sein, wenn eine Hexe dieses Land führt", sagte sie. Romina Hamton indes bekundete, dass Atalanta keine richtige Hexe sei, sondern ein Zauberer, der wohl wegen einer üblen Laune der Natur im Körper einer Hexe geboren worden war und zu feige war, das laut zuzugeben. Anthelia sagte nur: "Wir sollten uns darauf besinnen, das Übel bei der Wurzel zu packen, und das ist die geheimnisvolle Unterstützung von Lionel Buggles. Ihr habt ja alle die Gerüchte vernommen, dass er mit Kanada und Mexiko den Schulterschluss und womöglich sogar die Vereinigung sucht. Ich habe nichts gegen Vereinigungen und habe auch schon mal mit zwei Partnern zugleich eine wilde Nacht verbracht. Aber dass dieser erfahrene zauberkämpfer Shacklebolt in London den Kanadiern von jetzt auf nachher die völlige Eigenständigkeit zubilligte und diese Schneestapfer und Elchreiter nichts besseres zu tun haben, als sich dem großen Nachbarn im Süden in den Arm zu werfen, gefällt mir nicht. Ich kann es nicht klar bekunden, was, aber ich argwöhne, dass Shacklebolt trotz aller Erfahrungen überrumpelt und mit dem Imperius-Fluch belegt wurde, um Kanada freizugeben. Tja, und dreimal dürft ihr raten, wer ein Interesse daran hat."

"Wer wohl, Vita Magica", warf Romina ein. Beth McGuire nickte heftig. Sie war hier ja die einzige Betroffene der Nachwuchsförderungsmachenschaften Vita Magicas.

"Damit steht es fast sicher fest, dass Buggles keine eigene Macht in die Waagschale werfen kann, es aber jemanden gibt, der das kann und ihn als seinen treuen Erfüllungsgehilfen ins Licht stellt. Also müssen wir uns wohl oder übel entscheiden, wie wir unsere eigene Freiheit verteidigen, ohne dass auch wir zum Instrument auswärtiger Mächte werden. Wir dürfen also nichts unternehmen, was einer der zwei Seiten Vorteile beschert. Wir müssen die kleine Kugel zwischen den Waagschalen bleiben, zusehen, wie wir unsere eigene Position stärken können. Wer mir dabei folgen will hebe die Hand!" Die Abstimmung erbrachte, dass es fünfzehn Ja-Stimmen und drei Enthaltungen gab. Portia hätte zu gerne für die Bullhorn gekämpft. Doch Anthelia hatte leider recht, dass sie sich nicht von einer der Gruppen ausnutzen und instrumentalisieren lassen durften.

So legten sie fest, dass sie für die Freiheit von Misty Mountain kämpfen wollten. Denn dort hatte es niemand geschafft, die aufgebaute Sperrglocke zu sprengen oder anderweitig verschwinden zu lassen. Also würden sie das übernehmen, von außen. Dabei galt, dass sie vor den Magierin in und um Misty Mountain auf der Hut sein mussten. Anthelia brachte ein, die sicher bestehenden Ankersteine zu orten und dann mit gebündelten Erdzaubern zu überladen. Das fanden alle richtig gut. Damit war es beschlossen und verkündet.

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Sheena O'Hoolihan hatte die Pressekonferenz über ihr eigenes kleines Zauberradio mitverfolgt. Sie hatte sich erst gewundert, dass auch Janes Mann Livius dort erschienen war. Doch weil der eine klare Sportfrage gestellt hatte verstand sie es.

Als sie dann erfuhr, was Buggles und die beiden benachbarten Zaubereiminister ausgeheckt und klammheimlich Tinte auf Pergament gestrichen hatten griff sie eine der kleinen Silberdosen, die seit einigen Jahren zur neuen Fernverständigungsausrüstung gehörten.

"Mr. Davidson, es ist tatsächlich eingetreten, womit Jane und Sie schon seit März gerechnet haben", sprach sie in die aufgeklappte Dose hinein. Aus dieser kam Davidsons Stimme zurück: "Ich habe es auch mitgehört und bin sehr gespannt, wie weit dieser neue erste Administrator gehen wird, um die Interessen seiner neuen Einheitsverwaltung durchzusetzen und wessen Interessen sonst noch. Am besten unterlassen wir es erst einmal, weiterhin zur Vorsicht zu mahnen, was die Führung des US-Zaubereiministeriums angeht. Wir schweigen uns aus. Das wird Buggles und wer noch alles mit ihm drinhängt eher verstören als ständig neue Munition für eine Gegenpropaganda zu erhalten. Wir müssen, öhm, oder wir dürfen davon ausgehen, dass er sich demnächst an uns wenden wird, um mit uns zu besprechen, wie wir ihm dabei helfen können, unsere unschuldigen Mitbürger vor seinen Feinden zu schützen. Ich sag das gleich auch allen anderen im Innen- und Außendienst."

"Was ist mit Jeff und Justine?" wollte Sheena wissen.

"Die beiden sind mit der kleinen Chamäleondame unterwegs in den Staaten. Sie haben Frühwarner und Drachenhautunterkleidung dabei und genug VBRKs, um eine ganze Armee von Blutsaugern abzuwehren. Aber ich werde es ihnen über Brenda weitergeben lassen."

"Gut, Sir, sonst hätte ich Brenda anmentiloquiert. Sie ist ja noch in Langley und kann deshalb keine Eule entgegennehmen."

"Ja, aber Mr. Hammersmiths Nachrichtenring reicht aus. Ich informiere sie über die Lage und wie wir damit umgehen werden. Nachher wirkt sich diese leidige Angelegenheit auch noch auf die Nichtmagier aus, und wir müssen auflodernde Feuer austreten."

"Das kennen wir ja schon", sagte Sheena O'Hoolihan." Davidson bestätigte das.

Als Sheena die kleine Silberdose wieder zuklappte räusperte sich eine ältere Frauenstimme von der Wand her. Sheena grinste. "Jane, falls du ganz herüberkommen möchtest, ich habe gerade keinen Termin vor der Brust-"

"Nein, ich lasse mich gleich nach Frankreich übersetzen und melde es an die Stellen weiter, die das auch betrifft. Vor allem soll sich die Herrin der elektrischen Rechengeräte hüten, nordamerikanischen Boden zu betreten. Sie steht genauso auf der Fahndungsliste wie Gilbert Latierre."

"Juckt ihn das, wo der in VDS sitzt und da selbst eine Tochter hat, die mithilft, den Protectio-Nativorum-Zauber aufrechtzuhalten?" fragte Sheena O'Hoolihan.

"Es sollte ihn zumindest interessieren, dass Buggles offenbar geflügelte Späher hat, die nach ihm suchen, viele viele Vögel mit Mitsehaugen, in denen noch Sonderfunktionen stecken, zum Beispiel, bei Erfassung bestimmter Leute Alarm zu schlagen. Wie der so schnell an diese Mitsehaugen aus England gekommen ist weiß ich noch nicht."

"Beziehungen und sehr gute Nachahmer, Jane. Wirst du alt oder drückt das Intrakulieren dir das Gehirn langsam platt?" frotzelte Sheena die wie ein Vollporträt in einem roten Holzrahmen aussehende Kollegin.

"Die Frage war durchaus nicht einfältig, Sheena. Hugo Dawn, der diese Spähvorrichtung entwickelt hat, wollte nur je zwei davon für verschieden große Trägervögel an befreundete Zaubereiministerien ausliefern, vom Sperlingskauz bis zum Condor, von der Wachtel bis zum Strauß. So eine Inflation seiner Spähvorrichtungen findet er sicher nicht richtig, auch und vor allem, weil er immer schon befürchtet hat, dass sie zu völliger Überwachung unschuldiger Leute missbraucht werden kann."

"Wird ihn nicht freuen", bemerkte Sheena dazu. "Aber Quinn arbeitet schon dran, diese Spähaugen zu vernebeln, ohne die damit herumfliegenden Piepmätze zu verletzen."

"Na ja, beim großen Glockenläuten diese Nacht hat es die Spionageeule erwischt, Sheena. eine von den ausgeschwärmten Fragmentsphären ist wohl wie von einem Magneten genau auf den über VDS eingesetzten Spionagevogel übergeschlagen und hat diesen dabei so heftig überlastet, dass er vom Schlag getroffen vom Himmel fiel und nicht wieder auffliegen konnte. Ich hoffe, dass dies der einzige Kollateralschaden in diesem erklärten Krieg bleibt."

"Sagtest du gerade "Krieg", Jane? Das meinst du nicht ernst", erschrak Sheena und fühlte, wie ihr das Blut aus den Wangen wich.

"Sheena, mach dir bitte nichts vor. Aber der Freiheitsdrang unserer Freunde aus VDS wird von diesem neuen Administrator und vor allem seinen Hinterleuten als Kriegserklärung aufgefasst werden. Du hast ja selbst gehört, was er darüber getönt hat. Im Grunde haben sich die Leute von da keinen wirklichen Vorteil verschafft. Denn wenn einer von denen irgendwo hinfliegt oder appariert könnte er oder sie sofort erwischt werden. Die wissen das noch nicht, dass immer mehr harmlose Vögel mit diesen Spionageaugen behängt werden, vor allem die, die üblicherweise um VDS leben."

"Ja, nur, dass die mit diesen Spickerdingern nicht in den Wirkungsbereich des erweiterten Feindesabwehrzaubers einfliegen können, Jane. Also ins Dorf reinfliegen können die so nicht."

"Hmm, natürlich nicht, du hast recht, Sheena. Aber anderswo könnten solche unfreiwilligen Feindmelder herumflattern und jeden gesuchten ohne eigenes Zutun verraten."

"Wissen die Leute in VDS das?" fragte Sheena. "Viviane Eauvives Bild-Ich weiß das, damit ist das im Dorf sicher schon rum. Aber denen geht es ja auch um was ganz anderes, meine kleeäugige Bundesgenossin."

"Mmhmm, nicht rauszukommen, sondern all die reinzulassen, mit denen sie gegen diese Administration vorgehen. Öhm, warum dieses Konstrukt so schnell und lautlos zusammengeklebt wurde hast du sicher auch schon begriffen, Jane, falls dein Gehirn nicht doch vom vielen Intrakulieren zusammengedrückt wird."

"Ja, weil Buggles' Puppenspieler ihre Fäden auch in Mexiko und Kanada ausgeworfen haben. Aber dass Shacklebolt Kanada so ohne weiteres losgesprochen hat, ohne große Diskussion und vor allem ohne öffentliche Bekanntgabe macht mir eher Sorgen. Denn das riecht nach einem Doppelgänger vom ihm oder, was noch viel schlimmer wäre, dass er bereits von denen beeinflusst wurde. Da wir jedoch nicht in England herumsuchen dürfen und es im Moment leider auch nur ein Verdacht ist dürfen wir deshalb kein lautes Getöse darum veranstalten", sagte Jane Porter aus dem ansonsten leeren Bild heraus sprechend.

"Ja, und dann gilt dasselbe wie bei Mäusen und Ratten", grummelte Sheena O'Hoolihan. Jane machte eine einem Nicken entsprechende Kopfbewegung und vollendete den Gedankengang: "Wo eine zu seh'n sind sicher noch zehn." Sheena nickte. Die Vorstellung, dass die nicht ganz so geheimnisvolle Macht im Hintergrund von Lionel Buggles nicht nur einen Zaubereiminister kontrollieren mochte gefiel ihr genausowenig wie der gerade in der magischen Bilderwelt ausharrenden Kollegin. Doch dann dachte sie, dass es auch eine wichtige Erkenntnis sein mochte, und vor allem eine herausfordernde Aufgabe war, die unterjochten Würdenträger ausfindig zu machen und falls möglich aus der magischen Unterdrückung zu befreien. Schließlich war das ja ihr Job. Jetzt verstand sie auch, was der Geist ihrer Schutzpatronin und Institutsnamensgeberin vor acht Jahren einmal geweissagt hatte:

Erst werden viele neue Kinder auf die Welt kommen, gerufen von jemandem, der nicht auf die Liebe zählt. Dann wird eine Zeit der stillen Ungewissheiten und Belauerungen folgen, aus der heraus Licht und Finsternis ihr Schattenspiel im Lauf der Zeit vollführen werden.

Ja, viele neue Kinder waren auf die Welt gekommen, hier in den Staaten und in Europa. Also mochte jetzt die Zeit der stillen Ungewissheiten und Belauerungen dran sein. Und dass Vita Magica sich nicht auf menschliche Liebe verließ war ja auch bekannt.

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Julius kam von seinem Arbeitstag aus dem Ministerium zurück. Er traf Hippolyte und Martine, die sich ihre neuen Verwandten ansehen wollten und zugleich den beiden stolzen Müttern beistehen wollten. "Wie fühlt man sich, gleich zwei dralle Hexen zu glücklichen Müttern gemacht zu haben?" fragte Hippolyte, während Martine sich mit ihrer Tante Béatrice über Felix unterhielt.

"Ich denke manchmal, dass das für mich schwerer ist als für die beiden, drei gleichzeitig versorgen zu müssen. Aber dann merke ich, dass es für Trice und Millie doch schwerer ist, weil Millie in Félix ja irgendwie auch ihren Sohn sieht und Trice jetzt ihr Leben komplett anders ausrichten muss, wo der Kleine da ist. Aber so freut es mich natürlich, dass wir drei uns nicht verkracht haben und die drei Kleinen zusammen großfüttern wollen. Was ich dabei machen kann mache ich, wie schon bei Rorie, Chrysie und Clarimonde. Rorie war ja erst ein wenig verschnupft wegen gleich drei neuer Kinder. Aber jetzt freut sie sich, dass da noch drei kleinere als sie sind und sie zeigen kann, dass sie das große Mädchen ist. Öhm, ach ja, dass Rorie offenbar kleine Feuerzauber machen kann habe ich euch noch nicht erzählt", sagte Julius und berichtete, Wie Aurore vor zwei Tagen aus Verdrossenheit die Fäuste geballt hatte und dabei kleine rote Funken zwischen ihren Händen entstanden waren, die zu einer morgenrotfarbenen kleinen Lichtkugel zusammengefunden hatten.

"gefühlsgeweckte Elementarzauber, Julius. Oh, ein Licht- oder Feuersphärenzauber. Ui, hatte ich auch zuerst hingekriegt", sagte Hippolyte. Da war ich schon sieben Jahre alt. Dann fängt Rorie aber früh mit sowas an. Da kommen wohl bald erste Farbverdreher und dann unwillkührliche und dann vielleicht gezielte telekinetische Erscheinungsformen. Bei mir war es allerdings eher eine Materialveränderung. Weil ich nicht in diesem quietschgrünen Rock zur Grundschule wollte, den Oma Babs mir geschenkt hat, habe ich den wohl aus reinstem Frust auf Puppenkleidchengröße schrumpfen lassen. Im Klartext heißt das, dass ihr ab jetzt immer aufpassen müsst, wenn ihr mit Rorie und später mit den anderen in der nichtmagischen Welt unterwegs seid. Und, öhm, Omas Rat: Nicht zu laut schimpfen, wenn was passiert, weil das noch mehr Frust und Angst machen und noch wüstere Zufallszauber auslösen kann. Streng sein ja, immer darauf achten, dass sie sich beherrscht ja. Aber nichts auslösen, was keiner von euch will!", flüsterte Hippolyte.

"Ma, der Félix ist schon größer als Klein-Alain mit vier Monaten", flötete Martine aus Béatrices Zimmer.

"Das hoffe ich doch mal, denn sonst hätte Trice ja nicht viel von seiner Geburt gespürt."

"Wie überaus lustig, große Schwester", erwiderte Béatrice aus dem Zimmer. "Aber immerhin konnte ich so einen großen Burschen sicher zur Welt bringen."

"Und wie viele willst du noch für die zwei kriegen, Trice?" fragte Hippolyte.

"Die Antwort unterliegt der Heilerschweigepflicht", erwiderte Béatrice ganz ernst. Darauf mentiloquierte Hippolyte an Julius: "Hast du gehört, sie hat es genossen, deinen Sohn zu empfangen und bis zur Geburt auszureifen. Ich fürchte, Millie muss ab jetzt noch besser auf dich aufpassen."

"Sie hat deiner Schwester aber zugestanden, dass die Félix' rechtmäßige Mutter ist", schickte Julius zurück. Hippolyte gedankenantwortete: "Ist ihr garantiert sehr schwer gefallen. Tu ihr bloß nicht weh, mit noch einer anderen Hexe was kleines hinzukriegen!" Julius versprach, sich daran zu halten. Ashtaria wollte nur diesen einen Sohn in der Welt haben. Das sollte genug sein. Vielleicht waren Félix, Flavine und Fylla auch seine allerletzten Kinder. Denn sechs Kinder zu haben war alles andere als ein Spiel oder reiner Spaß.

Julius begrüßte seine Frau, die wie von Hera angeordnet im Wochenbett war, wenn sie nicht gerade die beiden Kinder wickeln oder Clarimonde saubermachen und füttern musste. Dann ging er auch zu Béatrice und meldete sich vom Arbeitstag zurück. Er durfte seinen Sohn in die Arme nehmen und sich von seiner Schwägerin Martine fotografieren lassen. Dann durfte er auch Tines Zwillinge Giselle und Odette auf seine Arme nehmen. "Du hast echt Übung darin", sagte Tine. "Alon ist dabei immer noch ziemlich unsicher."

"Ich hatte ja schon mit Barbara van Helderns kleinen Schwestern geübt, die auch schon wieder so groß sind", sagte Julius. Tine nickte. Die Geschichte kannte sie ja längst aus verschiedenen Perspektiven außer der von Lunette und Été Lumière.

Die Besucherinnen durften noch bis zum Abendessen bleiben, auch wenn Claudine Brickston sich mal wieder von ihrer Mutter Catherine ein Abendessen bei den Latierres erbettelt hatte. "Ganz viele Babys", meinte Claudine, als sie alle Kinder zählte, die jetzt im Haus waren. "Ja, aber die zwei kleinen Ballerinen nehme ich wieder mit nach Hause", meinte Martine und deutete auf Giselle und Odette.

Endlich war die lange Besuchs-und Besichtigungszeit vorbei. Die drei im Apfelhaus wohnenden Erwachsenen räumten das Geschirr weg und unterhielten sich über den sonstigen Tag. Da meldete sich Vivianes Bild-Ich und verkündete, dass Viento del Sol wieder frei war. Das veranlasste Julius, Brittany umgehend über das Orichalkarmband anzurufen.

"Hi, Britt. Ich hörte sowas, dass jemand bei euch die große Käseglocke abgehoben hat und ihr jetzt wieder frische Luft kriegt", sagte Julius, als Brittanys räumliches Abbild erschienen war.

"Abgehoben ist gut, abgesprengt, so richtig mit Wums! Leider hat es wohl die zur Spionage abgerichtete kleine Eule erwischt, die Buggles' Vogeljongleur über uns postiert hat. Das hätte nicht sein müssen. Aber wahrscheinlich hat dieses Mitsehdings an ihrem Hals auf den Feindesabwehrzauber reagiert und die Eule im Flug getötet wie der Todesfluch. Wie gesagt, das hätte echt nicht sein müssen."

"Wird Mr. Dawn nicht freuen, dass seine Erfindung jetzt zur Totalüberwachung benutzt wird. Buggles weiß wohl nicht, welchen Geist er da aus der Flasche freilässt. Am Ende wollen alle Zauberer und Hexen mit Kontrollzwang so Dinger haben."

"Hat Auroras Dad dir das auch mal vorgeführt?" fragte Brittany. Julius bestätigte es und räumte ein, dass er das damals faszinierend fand, durch die Augen eines fliegenden Greifvogels auf den Boden zu sehen. Deshalb legte er nach: "Ich verstehe zumindest, welch verlockende Versuchung es ist, damit zu arbeiten."

"Ach ja, Madam Greensporn hat uns vorhin besucht und sich die Heldinnen von Viento del Sol angesehen", erwähnte Brittany noch. "Einige hat es ja wirklich ziemlich heftig ausgelaugt."

"Stimmt, das ausgelagerte Luftschiff fliegt in einer Stunde los. Lino und ihre Familie wollten mit, die Verwandtschaft besuchen. Aber ich muss noch hier zusehen, Stellas Arbeit mitzuerledigen, solange sie sich von dem Ritual erholt", sagte Brittany. Julius nickte. Er hatte ja genug Erfahrungen mit auszehrenden Zaubern oder Ritualen.

"Mit dem Luftschiff ist das ja wie ein Wochenendausflug. Wenn ihr Lust habt, mal rüberzukommen, fragt uns wann wir können, dann sehr gerne. Noch sind ein paar Gästezimmer frei", sagte Millie in der Rolle der Hausherrin.

"Ja, aber wenn du in dem Tempo weitermachst müsst ihr in drei Jahren noch ein Haus auf das Grundstück pflanzen", scherzte Brittany.

"Nur kein Neid, Britt", sagte Millie. "Sicher kannst du auch bald wieder wen neues in dir herumkullern fühlen."

"Das schließe ich nicht aus. Aber wenn ich noch eins kriegen will dann nicht, solange dieser Eisenpodex auf dem Ministerstuhl ... Moment, Nachrichten", sagte Brittany und drehte das Radio lauter. Ein junger Zauberer verlas die neuesten Nachrichten. Dabei erfuhren alle, dass Buggles sich mit dem mexikanischen Zaubereiminister und dem Ministerialresidenten Großbritanniens in Kanada auf einen gesamten nordamerikanischen Zaubererweltbund geeinigt und auch schon die entsprechenden Rechtshürden genommen hatte. Demnach seien die Staaten ab sofort Teil dieses nordamerikanischen Administrationsbereiches. "Damit ist es amtlich, dass Buggles ein Gierschlund ist", sagte die Stimme aus dem Radio. "Aber glaubt es mir, das werden wir Buggles nicht durchgehen lassen, dass wir jetzt die Ausgestoßenen sind und der sich erst die Eisbärenbändiger und dann noch die Burritobäcker untertan gemacht hat. Ey, und Ironsides mächtiges Dutzend hat die ganze Nummer einfach nur durchgewunken. Sowas geht, wenn einer alleine einen Notstand ausrufen darf und damit alle Gesetze vom Brett fegt. Ach ja, die Himmelswurst geht auch wieder. Die erste Gruppe wird noch diesen Abend loszischen, um unseren Sieg über die Käseglocke des Mr. Buggles zu verkünden. Wann genau das Schiffchen losbraust darf ich nicht über den Sender rauslassen, sagt der Gemeinderat. Oh, noch 'ne Nachricht. Ich merk echt, dass Klio, Lino und Gilbert gerade außer Reichweite sind. "Ja, wir kriegen hohen Besuch. Schon in zwei Stunden. Leute. Es wird spannend. Und deshalb verrate ich das auch nicht. Klio ist sicher schon drachenfeuerheiß drauf. Ich mach lieber noch ein bisschen flotte Musik am neuen Unabhängigkeitstag von Viento del Sooooollllll!"

"Was soll denn da so spannend dran sein?" fragte Julius. "Ist doch sicher Atalanta Bullhorn, die sich mit euch zusammen fotografieren lassen will, dass Widerstand nicht zwecklos ist."

"Gute Idee, ich eul den Roddy an und texte ihm, dass seine Sendung sogar schon in Frankreich gehört wird. Da kriegt der sicher ganz große Augen", erwiderte Brittany. Doch dann meinte sie: "Besser nicht. Das mit den Armbändern ist ja unser geheimes Ding." Julius nickte sehr heftig. Man musste wirklich keine schlafenden Drachen kitzeln.

"So, ich glaube, ich kümmer mich mal weiter um den ganzen Pergamentwust, der hier noch liegt, damit Stella morgen wirklich einen Grund zum Feiern hat", sagte Julius' Stiefcousine. Dann trennte sie die Verbindung.

"Jetzt hast du der armen Britt die ganze Spannung verdorben", utzte Millie, als Brittanys räumliches Abbild erloschen war. "Da wär die sicher auch von selbst drauf gekommen", sagte Julius. "Ich war halt nur fünf Sekunden schneller." Millie grinste darüber.

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17.05.2005

Es war eigentlich nur eine Idee, mal eben in das befreite Dorf gehen, denen gratulieren und dann wieder nach New Orleans zurück. Doch als sich Atalanta Bullhorn mit den Gemeinderäten unterhielt und dabei Stella Hammersmith gratulierte, dass sie den entscheidenden Schritt getan hatten, hatte Richterin Benchurch vorgeschlagen, dass Atalanta als einzige noch übrige freie Kandidatin um das Ministeramt mit ihren Anhängern und Kampfgefährten in Viento del Sol Quartier nehmen sollte und eine von der Richterin beaufsichtigte Wahl, die alle in der Reichweite des Senders betreffenden oder von denen informierten Zauberer und Hexen aufforderte, darüber abzustimmen, ob sie Buggles weiterhin vertrauten oder sie, Atalanta, als provisorische Zaubereiministerin annehmen wollten, bis entschieden war, ob Buggles aus eigenem Antrieb handelte oder auch ganz offiziell wegen Bruch des Amtseides entmachtet werden konnte. Da hatte sie nicht lange gezögert, sondern sich bereiterklärt, als mögliche Gegenministerin aufzutreten, so wie Phoebus Delamontagne dies in Frankreich getan hatte. Nur hatte ihn dort nur eine kleine Gruppe in Millemerveilles berufen. Hier in Viento del Sol konnte sie eine gewisse demokratische Legitimation erhoffen. Natürlich würde Buggles und wer immer hinter ihm stand das als illegitim zurückweisen, als Verrat an der nordamerikanischen Bevölkerung bezeichnen und ihr die schlimmsten Strafen androhen. Doch sie hatte ja schon längst geklärt, dass sie kein Vogel Strauß war, der den Kopf in den Sand steckte, wenn es ihm zu stressig wurde.

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"wie bitte?! Dieser Vogelbändiger aus Devonshire will uns verklagen, weil sich herausgestellt hat, dass wir angeblich sein Patent für eine Vorrichtung zur Begleitung fliegender Vögel unrechtmäßig kopieren und zweckentfremden?" amüsierte sich Administrator Buggles. Piedraroja und Bowland saßen ihm an seinem neuen Administratorenschreibtisch gegenüber.

"Ich kann nur das weitergeben, was in die Postzentrale Kanada hineingeflattert ist, erster Administrator", sagte Murray Bowland. "Demnach will Hugo Dawn, seines Zeichens freischaffender Vogelkundler und Tierabrichter, mitbekommen haben, dass bei der Überwachung von VDS und anderen als bedenklich eingestuften Orten augenförmige Vorrichtungen zur Anwendung kamen oder noch kommen, mit denen die von den diese tragenden Vögeln gesehenen Umwelteindrücke an mit darauf abgestimmten Sehhilfen ausgerüsteten Menschen übermittelt werden können. tja, da er sich nicht bewusst ist, dass er die Genehmigung zur Vermarktung dieser von ihm erfundenen Vorrichtung erteilt hat will er über die britische Abteilung für magischen Handel und jene für internationale magische Zusammenarbeit anrufen und erwirken, dass wir alle uns zur Verfügung gestellten Vorrichtungen an das britische Zaubereiministerium abgeben sollen."

"Sonst passiert was?" fragte Buggles mit unverhohlenem Vergnügen. "Sonst dürfen wir für jede illegal erworbene Vorrichtung eintausend Galleonen plus für jede Nutzungsstunde pro Artefakt noch mal fünfzig Galleonen Strafe zahlen. Zumindest droht uns dieser Vogelfänger das an", sagte Bowland.

"Ui, weiß Cyrus Picton das schon?" fragte Buggles immer noch erheitert. "Ich habe es über seinen Stellvertreter Flowater weitergeben lassen", sagte Bowland. "Im Moment bin ich ja die Verbindung mit der alten Insel."

"Wohl wahr", erwiderte Buggles. "Aber ich kriege das über unseren Patentjongleur hin, dass wir im Verwaltungsdienst gemäß der Sachhilfeleistungsverträge von 1945 alle von uns erworbenen Hilfsmittel in unserem Sinne einsetzen dürfen und Hugo Dawn es erst mal beweisen muss, dass es mehr als die zwanzig großzügig an unsere Tierwesenabteilung übersendeten Vorrichtungen sind. Der soll sich nicht so haben. Abgesehen davon werde ich dann im Gegenzug verlangen, dass er seine Informationsquelle benennt, um diese dann als unzuverlässig beziehungsweise böswillig verleumderisch darzustellen. Das hat ja mit dem Propagandasender in VDS bisher auch geklappt."

"Das du dich da mal nicht vertust, Jungchen", hörte er leise aber unüberhörbar ungehalten die Stimme seiner Herrin im Kopf. Er stutzte und verlor augenblicklich jeden Spaß an dieser hilflosen Drohgebärde aus England. Er dachte zurück: "Was weißt du, was ich besser auch wissen sollte, meine Beschützerin?"

"Das dir und deinen Untergebenen bald keiner mehr wirklich glaubt, Lionel. Seitdem Atalanta Bullhorn und ihre Schattenfänger das Angebot der Hammersmiths angenommen haben und sich in VDS einquartiert haben nutzt sie diesen "Propagandasender" von dort, um gegen euch Stimmung zu machen. Da nützt es auch nichts, dass das LI seit deiner großen Verkündungsarie ganz still und leise abwartet, was ihr so vorhabt. Sei dir also bitte nicht so sicher, dass deine Behauptungen mehr Gewicht haben als deren Vorwürfe!"

"Ich hab es dem Schreibknecht vom Herold gesagt, dass wenn VDS Krieg will auch Krieg bekommt und deren Kinder dann wohl in anständigere Familien umgesiedelt werden."

"Was eine genauso hilflose Drohung ist wie das Anliegen von Hugo Dawn. Außerdem rate ich dir ganz dringend, diesen Zauberer nicht zu unterschätzen. Du weißt so gut wie nichts über ihn, erst recht nicht, welche Verbindungen er hat."

"Soso, in die Handelsabteilung und die Tierwesenbehörde in London. Weiß ich doch", dachte Buggles, während Bowland ihn abwartend ansah, aber nichts zu sagen wagte. "Ja, auch dorthin. Aber er hat vor allem über seine Familie gute Beziehungen zu deren guten Beziehungen. Mehr musst du im Moment nicht wissen, Lionel, nur, dass er diese Beziehungen nutzen könnte, um zu klären, ob an den Gerüchten über deine Willensfreiheit etwas dran ist. Vertraue besser auf Kingsley Shacklebolt. Noch kann er Ungemach verhindern."

"Nun, wo waren wir?" fragte Buggles, nach außen hin immer noch erheitert wirkend. Ach ja, Hugo Dawn und VDS. Diese Idioten in VDS meinen, weil die frustrierte Atalanta Bullhorn sich bei denen einquartiert hat mehr Gewicht in die Waagschale werfen zu können als unsere Berichterstattung. Ja, und was Hugo Dawn angeht so verlassen wir uns einfach darauf, dass die zwischen London und Washington geschlossenen Sachhilfeverträge ausreichen. Immerhin dürfen wir ja auch die französischen Rückschaubrillen benutzen. Oder hat dderen Hersteller auch schon Klage angedroht?"

"Ich habe noch keine solche Beschwerde erhalten", sagte Bowland.

"Das kann sicher noch kommen, sollte sich dieser Hugo Dawn an alle Ministerien wenden, denen er seine Mitsehaugen überlassen hat", sagte Buggles scheinbar verdrossen. In Wirklichkeit musste er aufpassen, nicht laut loszulachen.

"Kann es sein, dass Sunnydale recht hat und der Unterschied zwischen Vorsicht und Verfolgungswahn wirklich sehr klein ist?" fragte Bowland verdrossen.

"Mag sein. Aber Sunnydale weiß auch nicht, dass er und sein Sender uns gerade die bestmögliche Ausgangsstellung verschaffen, um den goldenen Dreizack zu präsentieren", sagte Buggles.

"Wird unsere Leute sicher verstimmen, dass die neue nordamerikanische Magieadministration keine der drei Landesflaggen benutzen will", raunte Bowland. Buggles wischte diesen Einwand mit einer Handbewegung fort. "Haben die denn gedacht, wir hissen immer drei Flaggen? Die können ja gerne weiter die kanadische, die US-amerikanische und die mexikanische Flagge hissen. Aber wir brauchen eine vereinte Flagge, Murray. Wir waren uns doch einig, dass wir dafür einen goldenen Dreizack nehmen, als Symbol für Wohlstand, dreifacher Einigkeit und Wehrhaftigkeit." Bowland setzte schon an, zu erwähnen, dass Buggles dieses Vereinigungssymbol festgelegt hatte. Doch weil er ihm vollkommen untergeordnet war brach er diese Vorhaltung ab und nickte. Buggles sagte dazu nur: "Andrés gefällt dieses Zeichen. Es erinnert ihn an das Gemälde von einer Meerkönigin, die von fünf Wächtern begleitet wird, die mit roten Dreizacken bewaffnet sind. Also findet er sich da in gewisser Weise auch wieder."

"Wann erklären Sie VDS zum ausgeschlossenen Gebiet?" wollte Bowland wissen. "Wenn Fornax Hammersmith und seine Bande mein letztes Angebot ablehnen, was sehr wahrscheinlich in der nächsten Stunde der Fall sein wird. Ab da kann ich dann VDS zum gesetzlosen Land erklären, also es von jedem Anspruch auf Hilfe und Anerkennung seiner Bürger entheben. Dann dürfen alle, die von dort kommen, egal ob dort geboren oder nur zu Besuch gewesen, ohne weiteren Grund wegen illegaler Einreise festgesetzt und abgeurteilt werden. Catlock hat bereits die entsprechenden Vorschriften in Kraft gesetzt. Vorher hätten wir sie nur aufspüren und bei verdächtigen Handlungen verhaften dürfen. Falls Stella und Fornax Hammersmith mein Friedensangebot ablehnen dürfen sie und ihre Mitbürger und Besucher gleich zur Verwahrung in Doomcastle abgeführt werden, bis die neuen Strafmaßnahmen in Kraft treten, also am 20. Mai. . Offener Widerstand und Umsturzversuch werden ab dann mit vollständiger Wiederverjüngung geahndet. Bin gespannt, wen es zuerst erwischt."

"Sei ja auf der Hut, keine der jungen Mütter so abzustrafen!" drang die Stimme seiner Beschützerin in seine Gedanken. Er wusste, dass selbst die Fernbeobachtungsabwehrzauber sie nicht aus seinem Geist aussperrten. Denn er wusste, dass sie mit ihm etwas angestellt hatte, dass sie, wenn sie es wollte, in seinen Geist und seine Sinne eindringen konnte.

"Wir müssen nur aufpassen, keine der Hexen derartig zu bestrafen, die vor ein paar Jahren Mehrlingskinder bekommen haben. Die stehen unter dem Schutz unserer stillen Unterstützer", sagte er Bowland. Dieser nickte. Mittlerweile wusste der kanadische Ex-Ministerialresident, dass Buggles wahrhaftig mit Vita Magica zusammenarbeitete. Doch konnte er nichts mehr dagegen tun, weil allein der Gedanke an Aufbegehren starke Kopfschmerzen und einen schlagartigen Schwächeanfall hervorriefen, sobald er ihn zu lange im Bewusstsein hegte.

Andrés Piedraroja klopfte an die Tür und wurde eingelassen, weil er einen von vier Goldringen trug, die das magische Türschloss öffnen konnten. "Die Lykos bei uns haben es begriffen, dass wir ihnen nun wohl mit ganzer Macht ans Fell wollen. Die von meinen Leuten beobachteten Schlupfwinkel werden zu kleinen Festungen ausgebaut. Außerdem liegt eine Drohung eines gewissen Don Fino vor, dass jeder Versuch, einen von ihnen einzufangen oder zu töten mit der "Einberufung" von zwei für eine Gefangennahme und sechs für einen Getöteten geahndet werden. Die Meinen wohl, eigene Gesetze zu haben", keuchte der rundliche Mexikaner, dessen Markenzeichen, der breitkrempige weiße Sombrero, schief auf seinem Kopf saß.

"Natürlich glauben die, dass die nach ihren eigenen Gesetzen leben", meinte Buggles. "Sie halten sich ja für eine überstaatliche, auf Schlau auch Multinationale oder globale Organisation, bei der es nur darum geht, wie viele Mitglieder sie haben. Aber das wird denen bald klar werden, wenn wir die Blaumondvorrichtungen einsetzen können. Liegt irgendwas vor, dass die Pelzwechsler das schon wissen oder zumindest damit rechnen?" wollte der erste Administrator der nordamerikanischen Zaubererwelt wissen.

"Falls ja, dann wissen wir das noch nicht", sagte Piedraroja. "Ach ja, und die Hexen und Zauberer in Mexiko trachten danach, unseren Dreierbund als ungesetzlich abzulehnen, weil sie meinen, wir seien sowas wie die neuen Bundesstaaten der USA geworden. Nur eine öffentliche Abstimmung dürfe festlegen, ob wir Mitglied einer übergeordneten Allianz sein sollen oder nicht, sagt Doña Cecilia Casarica, die sich für eine legitime Nachfahrin des mit den Conquistadores eingewanderten Zauberers Rafael Burgos de Casarica ausgibt und wohl sowas wie alten Adel darstellen will. Ich habe ihr und allen anderen Ablehnern über unsere Rundfunksender mitgeteilt, dass wir im Rahmen der Notstandsparagraphen von 1920 berechtigt sind, mit anderen Zaubereiministerien in einer engen Partnerschaft zusammenzuarbeiten, ohne erst das Volk fragen zu müssen. Die siete gran Jueces unseres magischen Gerichtes haben das auch noch einmal bestätigt."

"Dann sagen Sie diesen Leuten, dass wir jeden Versuch, die getroffenen Absprachen zu unterlaufen, als Kolaboration mit den Mondgeschwistern betrachten werden. Gemäß der in der gemeinsamen Übereinkunft festgelegten Regelung dürfen die dann auch als Feinde unserer zusammengeführten Bürgerschaften eingestuft werden", sagte Buggles. Er dachte daran, dass die Casarica schon versucht hatte, durch geschicktes Heiraten als Frau eines Zaubereiministers in die Casa triangular in Mexiko-Stadt einzuziehen, die Auserwählten jedoch nicht darauf eingegangen waren. Da es in Mexiko ein Gesetz gab, dass nur Männer die obersten Ämter bekleiden durften konnte sie nur so an eigene Macht gelangen. So fragte Buggles: "Ich dachte, die freut es, dass durch die Zusammenlegung auch die Gleichberechtigung bei der Amtsvergabe eingeführt wurde, weil unser Mitstreiter Bowland darauf bestanden hat."

"Sie weiß genau, dass sie mit ihrem angeblichen Familienstammbaum außerhalb von Mexiko keine Macht beanspruchen kann", sagte Piedraroja. "Daher will sie eben verhindern, dass Mexiko Teil eines größeren Staatsgebildes wird."

"Ach ja, will sie das? Ein wenig zu spät dran, würde ich mal sagen", stichelte Buggles. Natürlich wusste der sehr gut, dass Doña Cecilia de Casarica davon ausging, dass weder er noch Bowland ihr irgendeine Möglichkeit lassen würden, selbst an Macht zu gewinnen. Dann meinte Piedraroja noch, dass sie auch nicht ganz von dem Verdacht freigesprochen werden könne, eine der schweigsamen Schwestern zu sein. Allerdings, so meinte Bowland dazu, würde das jeder Hexe unterstellt, die sich deutlich um mehr Einfluss bemühe. In Wirklichkeit seien die echten schweigsamen Schwestern die, die es schafften, möglichst unauffällig zu bleiben. Sie wollten ja nicht denselben Fehler wie Lucas Wishbone begehen. Buggles bestätigte das. Er forderte Piedraroja auf, die Entwicklung in Mexiko und den angrenzenden Regionen genauer zu verfolgen und dann, wenn jemand mehr als nur laute Sprüche machte, die vereinbarten Gesetze anwendete, die ja nun wegen der erklärten Bedrohungslage ohne große Verhandlungen vollstreckt werden dürften. Buggles dachte, dass womöglich diese Casarica die erste sein mochte, die der neuen Bestrafung zugeführt würde. "Wir kümmern uns um sie", hörte er die Stimme seiner Beschützerin. "Sie hat nämlich bis heute jeden eigenen Nachwuchs vermieden." Laut sagte Buggles: "Sie halten Sie und die anderen Ablehner unter strenger Beobachtung. Fällt auf, dass sie irgendwas gegen uns unternimmt, dann können Sie sie festnehmen und bestrafen lassen", sagte Buggles. Piedraroja bestätigte es ohne zu murren.

"Unsere neue Residenz wird übrigens am 27. Mai bezugsfertig sein", sagte Buggles. "Ich denke, Sie wird Ihnen gefallen."

Es klopfte an die Tür. Der Minister legte seine beringte Hand auf den Schreibtisch. Die Tür wurde scheinbar völlig durchsichtig. Dahinter sahen sie den dunkelhäutigen Botengänger Lenny mit einem Umschlag. "Kommen Sie rein, Lenny!" rief der Minister. Damit wurden alle Verriegelungen aufgehoben. Die Tür wurde wieder undurchsichtig. Lenny trat ein und reichte seinem obersten Chef den mitgebrachten Umschlag. "Gut, warten Sie auf meine Antwort, Lenny!" befahl der erste Administrator.

Lionel Buggles las, dass der Gemeinderat von Viento del Sol den Schutzbann gegen feindliche Eindringlinge nicht aufheben werde, weil sie weiterhin davon ausgehen mussten, dass das US-Zaubereiministerium von auswärtigen Mächten beherrscht werde.

"Gut, ihr wollt es so haben", grummelte Buggles. "Lenny, Nachricht an unseren Pressesprecher. Ich werde in einer Viertelstunde eine Bekanntmachung verkünden!" gab Buggles dem auf seinen Befehl wartenden Boten weiter. Dieser bestätigte den erhaltenen Befehl und verließ das Büro.

Tatsächlich dauerte es nur eine Viertelstunde, bis er in Begleitung seiner Leibwächter vor eilig eingetroffenen Nachrichtenverbreitern stand. Er überblickte sie alle. Zu gerne würde er jeden von denen mit dem Unterwerfungskunststück an sich binden, mit dem er seine Ministerialbeamten an sein Wort und sein Amt gekettet hatte. Doch so einfach wie bei seinen Mitarbeitern und jetzt den wichtigsten Leuten aus Mexiko und Kanada würde es nicht gehen. Doch irgendwann würden sie eine Erklärung unterschreiben müssen, dass sie nur die von ihm freigegebenen Mitteilungen und Erkenntnisse veröffentlichen durften.

"Ladies and Gentlemen, vor nicht einmal einer halben Stunde erfuhr ich, dass der Gemeinderat von Viento del Sol das von mir unterbreitete Angebot zur friedlichen Beilegung unserer Meinungsverschiedenheit ablehnt, ja sich nicht mehr für unseren Gesetzen unterworfen erklärt. Sie wollen kein friedliches Miteinander mit uns, weil sie meinen, ich sei die Marionette einer auswärtigen Macht. Allein schon mal diese Unterstellung ist unerhört. Doch dass sie jetzt auch meinen, sich nicht mehr an unsere Gesetze halten zu müssen ist inakzeptabel. Daher verbleibt mir nur, im Rahmen von Paragraph zwei Absatz drei des Vereinigungsvertrages vom 14. Mai 2005 und in Befolgung von Paragraph sieben Absatz zwei, Notstandsbestimmungen, das Gebiet der Ansiedlung Viento del Sol für nicht mehr auf dem Gebiet der nordamerikanischen Zaubereiverwaltung gelegen zu erklären, zum Land ohne Gesetze auszurufen und somit jedem sich dort befindenden magischen Menschen alle Bürgerrechte unserer vereinten drei Staatsgebiete abzuerkennen und jede rechtliche Unterstützung zu versagen. Ebenso darf ab sofort niemand mehr aus diesem Gebiet in die nordamerikanische Zaubererwelt eindringen, ohne unverzüglich bei Erfassung festgenommen und abgeurteilt zu werden. Viento del Sol ist ab heute eine Terra sine legibus, ein gesetzloses Stück Erde außerhalb unserer Zuständigkeit und Rechtsprechung. An den ehemaligen Gemeinderat dieses Gebietes: Sie hätten sich diesen drastischen Schritt ersparen und mit uns an einer friedlichen und sicheren Zaubererwelt mitarbeiten können. Jetzt sind Sie ganz und gar auf sich allein gestellt. An alle die, welche ab jetzt meinen, in die ehemals US-amerikanische Gemeinde Viento del Sol einzureisen: Wer ohne ausdrückliche Genehmigung durch Mr. Catlock oder gar mich selbst dort hinreist und mehr als eine halbe Minute dort verweilt, verliert die eigenen Bürgerrechte unserer vereinten drei Hoheitsgebiete und wird bei der Abreise genauso als unerwünschter Eindringling behandelt wie alle, die dort selbst wohnhaft sind. Sie wurden alle gewarnt. Daher nützt auch keine lautstarke Beschwerde. Soweit meine bekanntmachung, die ich im Einvernehmen mit meinen Bundeskollegen Piedraroja und Bowland und in Abstimmung mit dem Rat der obersten Richter schriftlich festgelegt habe. Ich danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit."

"Herr Administrator", übertönte Sunnydale das auf diese Bekanntmachung folgende Getuschel. "Heißt das, dass Viento del Sol ab diesem Moment keinen Zugang mehr zu unserem Hoheitsgebiet haben darf?"

"Genau das heißt es, Mr. Sunnydale", sagte Buggles. "Des weiteren ist jede Handlung oder öffentliche Bekanntmachung auf Grund von dort selbst ausgehender Ankündigungen oder Behauptungen strafbar, da nun davon auszugehen ist, dass dort gesetzlose Elemente an der Zerstörung unserer Welt arbeiten."

"Will heißen, wer deren Rundfunksender mithört und auf dessen Berichterstattung hin handelt macht sich strafbar?" wollte ein Reporter vom Westwind wissen.

"Ja, genau, wenn er oder sie auf Grundlage solcher Falschmeldungen und Aufwiegelungen gegen uns arbeitet", verdeutlichte Buggles, was er gerade entschieden hatte. Sie hätten einfach nur diesen Schutzbann wieder aufheben müssen.

"Was ist mit Misty Mountain und dem Weißrosenweg in New Orleans?" wollte eine Vertreterin der Hexenwelt wissen.

"Misty Mountain gilt nach wie vor als zu den Vereinigten Staaten von Amerika gehörig. Der Weißrosenweg an sich kann weiterhin besucht werden, solange von dort keine schädlichen Mittel in den Rest unserer Welt eingeführt und zur Anwendung gebracht werden", bestätigte der erste Administrator Nordamerikas. Er wusste, dass die Stimme des Westwinds und der Kristallherold sich dort neu angesiedelt hatten, auch aus Angst vor übermächtigen Feinden von außerhalb.

"Falls jemand aus Viento del Sol in die anderen Zaubereigemeinschaften reisen möchte ist er oder sie dann ernsthaft vogelfrei?" wollte Sunnydale wissen.

"Ja, Frank, genau das ist er oder sie", bestätigte Chefadministrator Lionel Buggles. Er nahm die langen Gesichter der versammelten Presseleute als zu erwarten hin. "Ich bitte Sie hiermit, um keine unliebsamen Vorfälle zu verursachen, diese Mitteilung unverzüglich in ihren Medien zu veröffentlichen, Ladies and Gentlemen", sagte er noch. Dann empfahl er sich und verließ mit seinen vier Leibwächtern den Pressekonferenzraum. Er ignorierte die hinter ihm hergerufenen Fragen. Sie hatten von ihm bekommen, was sie brauchten, um in seinem Sinne zu dienen. Mehr brauchten diese überneugierigen, teilweise sehr aufsässigen Leute nicht von ihm.

Wieder in seinem Büro lachte er laut. Denn er dachte daran, dass seine schärfste Konkurrentin um das Ministeramt und die selbsterklärte Stimme der freien Zaubererwelt seit gestern in VDS war und die Befreiung dieser einfältigen Leute als Ausgangspunkt für ihre eigenen Vorhaben nutzte. Wenn die jetzt wieder da raus kam konnten seine Leute sie sofort festnehmen und bis zum 20. Mai wegsperren. Dann durfte sie von den neuen Reinitiatoren vollständig wiederverjüngt werden und anderswo neu aufwachsen, falls seine heimlichen Unterstützer keine anderen Pläne mit ihr hatten.

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Elysius Davidson hatte in den letzten Jahren lernen müssen, dass das Vertrauen und die beinahe bedingungslose Unterstützung des Zaubereiministeriums auch schaden konnte. Auch wenn sein Gewissen ihm immer wieder zusetzte, dass sein Institut nicht offen gegen das Zaubereiministerium vorgehen durfte, hatte er sich doch von Sheena und den drei anderen Mitgliedern des Viererrates überzeugen lassen, dass das Laveau-Institut nur dann seine Eigenständigkeit und Schlagkraft gegen dunkle Mächte behalten würde, wenn es sich nicht auf Buggles Seite schlug.

Die für das Institut in den Nachrichten lesenden und den Rundfunksendungen lauschenden Kollegen vom Innendienst hatten ihm unabhängig voneinander zugetragen, dass der seit vorgestern als erster Administrator der gesamten nordamerikanischen Zauberergemeinschaft anzusprechende Lionel Buggles nun auch die Acht über ganz Viento del Sol ausgesprochen hatte. Von diesem tonnenschweren Hammer hatte Davidson bis heute noch nichts gewusst. Das musste er sofort nachlesen. Denn über den Kristallherold hatte er eine Ausgabe des neuen Dreierbundes zugespielt bekommen. Trotzdem Livius Porter immer noch davon ausgehen musste, dass seine Frau Jane tot und begraben war hielt er sich an die mit ihr und Davidson getroffene Absprache, bei womöglich geschichtsträchtigen Ereignissen alle ihm zugänglichen Berichte weiterzuleiten, die das LI sonst offiziell hätte beantragen müssen.

"Es steht hier wirklich drin, dass der erste Administrator festlegen kann, welche magischen Ansiedlungen nicht mehr unter dem Schutz der Administration stehen und welche neu dazugenommen werden können", sagte Davidson zu Sheena O'Hoolihan, seiner stellvertreterin und zugleich der dienstältesten Mitarbeiterin des Marie-Laveau-Institutes. Die rothaarige Hexe mit irischen Wurzeln nickte ihrem offiziellen Vorgesetzten zu.

"Sehen Sie, Brenda und Justine hatten doch recht. Buggles wollte immer schon mehr Macht haben als ihm zugestanden wurde. Jetzt hat er VDS zum Land ohne Gesetze erklärt und zugleich Kanada, die Staaten und Mexiko unter vollständige Überwachung gestellt. Der wird auch noch viel mehr anstellen, wenn er fürchten muss, dass er seine Macht verliert, Elysius."

"Ich habe nach der Enthüllung von Dimes Zustand erkannt, dass wir vom LI aufpassen müssen, nicht von Vita Magica instrumentalisiert zu werden, Sheena. Glauben Sie, dass Buggles ganz aus eigenem Antrieb handelt?"

"So wie Sie diese Frage stellen heißt es wohl eher, ob ich glaube, dass wieder einmal ein Zaubereiminister unter fremdem Einfluss steht, wie es die Leute aus VDS behaupten oder wie es Martha Merryweather in der letzten aus den Staaten versandten Elektronachricht angedeutet hat. Wir sind ja von Berufungs- und Berufswegen dazu verurteilt, uns schon zu kratzen, wenn wir die Flöhe husten hören. Ja, und offenbar muss was mit den Mitarbeitern des nun in dieser fragwürdigen Gesamtadministration aufgegangenen Zaubereiministeriums passiert sein, dass die nicht einmal in den Weißrosenweg eindringen können, weil dessen Bewohner den Protectio-Nativorum-Zauber gewirkt haben. Auch die aus Mexiko und Kanada dazugeholten Leute kamen nicht hinein, wohl weil sie innerlich darauf eingestimmt waren, im Namen der neuen Chefetage zu handeln. Wenn das so weitergeht steigt das Misstrauen auf beiden Seiten immer mehr. Wir könnten entweder einen Zustand gegenseitiger Belauerung bekommen, wie das Patt einer Schachpartie oder einen offenen Zaubererweltbürgerkrieg, der den der Nichtmagier, Muggles oder Nomajs um ein vielfaches an Grausamkeit und Zerstörungen übertrifft. Unser Pressesprecher hält sich an die Weisung des Viererates, keine neuerlichen Behauptungen über die Legitimität von Buggles zu verbreiten. Aber nur abzuwarten und zu hoffen, dass nichts schlimmes geschieht macht uns in dem Moment zu Mittätern, wenn es geschieht", sagte Sheena noch. Davidson nickte schwerfällig. Dann sagte er: "Wenn ich das hier richtig verstehe wird sich die nordamerikanische Magieadministration vordringlich damit befassen, die kriminellen Werwölfe zu jagen. Ich argwöhne, dass Buggles oder Piedraroja bereits daran denken, mit Vita Magica einen neuen Friedensvertrag zu schließen, wo ihnen das doch sowieso schon viele unterstellen, darunter auch etliche Kolleginnen und Kollegen von uns."

"Natürlich, wegen dieser blauen Todesstrahlung, die ausschließlich Werwölfe betrifft", grummelte Davidson. "Quinn hat herausgefunden, dass sie im Grunde um ein vielfaches verstärktes Mondlicht ist, somit eine quasi Überdosis der bei Vollmond wirksamen Kraft, die die Verwandlung auslöst. Piedraroja traue ich das durchaus zu, dieses Vernichtungsmittel einsetzen zu wollen."

"Und Buggles oder Bowland nicht?" wollte Tyla Benchwood wissen, die nur zwölf Jahre jünger als Sheena war. Davidson berichtigte sich deshalb und räumte ein, dass Bowland und Buggles wohl auch dieses Machtmittel in Besitz haben würden. Er äußerte jedoch die Einschränkung, dass die Erfinder dieser Vorrichtung sie nicht aus den Händen geben würden, damit sie genauso untersucht werden konnte wie die Mitsehaugen, die flugfähigen Vögeln umgehängt werden konnten.

"In Europa liegen mehrere Dutzend Kernspaltungsfeuerbomben in Ländern, die selbst keine dieser Schreckenswaffen herstellen können, Mr. Davidson", sagte Tyla Benchwood, deren Enkelsohn mit einer nichtmagischen Reporterin der London Times verheiratet war und seit fünf Jahren in der britischen Hauptstadt wohnte. "Was spricht also dagegen, dass Vita Magica diese Werwolfabtötungsvorrichtung von eigenen Leuten in den Staaten oder Mexiko verwalten und einsetzen lässt, sofern Buggles mit diesen Verbrechern einen Handel abschließt, beispielsweise den von Dime abgepressten Friedensvertrag erneuert?" fragte sie noch. Davidson und die anderen Mitglieder des Viererrates nickten. Es sprach nichts dagegen. Dann meinte Sheena: "Tja, falls er diesen Vertrag erst noch schließen muss, Leute."

"Sheena, die zwölf obersten Richter haben den letzten Vertrag doch voll in der Luft zerpflückt", wandte Buck Morefield ein, der nur vier Jahre jünger als O'Hoolihan war. Dann zuckte er zusammen und nickte. "Sie müssten an die Richter ran. Unmöglich ist das nicht. Die haben ja auch dieser neuen Allianz zugestimmt und sich wohl auch nicht gegen die Entrechtung von VDS und seinen Bewohnerinnen und Bewohnern ausgesprochen. Vielleicht hat ihnen Buggles was verraten, dass sie zu einer bestimmten Gefolgschaft zwingt, wenn sie nicht den von Ihnen, Sheena angedeuteten Kriegszustand herbeiführen möchten."

"Ja, und wie Sie sagten, Mr. Davidson, ist abzuwarten und darauf zu hoffen, dass etwas schlimmes nicht geschieht die falsche Taktik", sagte Sheena. "Deshalb sollten wir handeln, solange man uns noch freie Hand lässt."

"Wir hatten es eben davon, dass er die Werwölfe bekämpfen wird. Dazu muss er wissen, wo welche sind. Dazu könnte ihm einfallen, weitere Werwolfsuchartefakte zu beschaffen. Na, und wer hat sowas nützliches?" fragte Tyla Benchwood. Natürlich kannten alle die Antwort auf diese Frage. Davidson sagte dann: "Aber ob er sich jetzt traut, nachdem wir seine Eigenständigkeit doch ein paar mal in Zweifel gezogen haben, bei uns welche zu beantragen beziehungsweise dienstlich anzufordern?"

"Wenn es nicht so ernst wäre würde ich jetzt mit Ihnen eine Wette darauf abschließen", meinte Sheena. "Öhm, haben wir denn genug davon? Bisher sind die von Quinn noch nicht als Standardausrüstung deklariert worden."

"Ich frage ihn gleich", erwähnte Elysius Davidson. "Ich werde das gleich so machen, dass ich eine Vollversammlung einberufe, um uns alle auf die möglichen Entwicklungen der nächsten Tage oder Monate vorzubereiten. Das dürfen Sie dann auch erwähnen, dass wir durch das gerade angesetzte Stillhalten nicht viel gewinnen, Sheena." Sheena O'Hoolihan nickte. So wurde beschlossen, am 18. Mai, wenn sicher war, dass alle Institutsangehörigen auch Zeit hatten, eine Vollversammlung zu veranstalten. Sheena beschloss, über die mit Jane ausgehandelten heimlichen Kontakte zu ihr weiterzugeben, wann die Versammlung war und dass sie da besser auch bei war.

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Martha Merryweather und ihre drei Kinder waren ffroh, als mit dem ersten Luftschiff aus Viento del Sol auch Lucky Merryweather herüberkam. Linda Latierre-Knowles besuchte zusammen mit ihrem Mann und der kleinen Lydia Barbara ihre Verwandten im Château Tournesol und durfte auch die fünf neuen Kinder in der Latierre-Sippe begutachten. Weil sie aber unbedingt am Quod bleiben wollte, was den Konflikt zwischen Buggles und Viento del Sol anging, reiste sie nach nur einem Tag wieder nach Viento del Sol zurück.

Martha musste ihren Mann enttäuschen. Sie wollte erst wieder mit ihm in die Staaten zurückkehren, wenn sie dort auch überall, nicht nur in Viento del Sol, willkommen war. Falls er es jedoch wünschte konnte sie ihm die Kinder zuschicken. Doch er sagte: "nein, ich erkenne an, dass sie mit dir und bei dir gerade am sichersten untergebracht sind, Martha. Ich gebe dir auch recht, dass VDS nicht das ganze Land ist, zumal Buggles den Ort zur gesetzlosen Zone erklärt hat. Am Ende meint noch wer, eine dieser Atombomben über VDS abzuwerfen."

"Das glaube ich nicht, Lucky, oder war das nur ein ziemlich derber Witz?" knurrte Martha. Dann sagte sie: "Falls Buggles oder seine Leute euch irgendwas tun, dann auch den ganzen da geborenen Kindern. Ob er mit VM paktiert oder gar von denen ferngesteuert wird oder heimlich gegen die Krieg führt werden die es ihm nicht durchgehen lassen, dass die von ihnen ermöglichten magischen Kinder verletzt oder getötet werden. Das wird er seinen Leuten sicher auch so weitergeben. Er hat euch damit nur auf die neuen Schutzgrenzen beschränkt, damit ihr nicht wieder frei im Land herumreisen könnt, wie ihr es gehofft habt."

"Da hast du wohl recht, Martha. Aber ich würde es wieder gerne so haben wie vorher, wo wir alle zusammen waren", sagte er mit absolut ernster Betonung. Martha gestand ihm das zu und versprach, in dem Moment wieder zu ihm zurückzukehren, wenn sie sicher sein konnte, dass sie und ihre Kinder wieder in den Staaten willkommen und erwünscht waren. Zwar hielt sie nicht viel von Atalanta Bullhorn, die sich gegen die Einbeziehung nichtmagischer Technologie und für eine Kopfsteuer auf Abkömmlinge menschengestaltlicher Zauberwesen ausgesprochen hatte. Aber vielleicht gab es ja demnächst wieder eine freie Wahl. Ja, und sei es, dass diese mal eben aus dem Boden gestampte Dreierföderation dauerhaft blieb, dann konnte sie eben auch Mexiko und Kanada betreuen. Doch im Moment ging sie davon aus, dass mit der völligen Entmachtung von Buggles auch diese nordamerikanische Dreierallianz zerfallen würde. Es sei denn, eine wirklich große Bedrohung zwang die drei Staaten, dauerhaft zusammenzuarbeiten.

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18.05.2005

Sie trat selten aus der gemalten Welt heraus. Wenn sie es tat, dann war es auch wichtig. Jane Porter, die seit nun acht Jahren von der überwiegenden Mehrheit aller magischen Menschen für tot und begraben gehalten wurde, trug ihr geblümtes Kleid und den strohhut auf dem graublonden Lockenschopf. Beide Kleidungsstücke waren ihr persönliches Erkennungs- und Markenzeichen. Natürlich hatte sie nicht nur das eine Kleid oder den einen Strohhut. Aber es sah für die, die sie offiziell trafen immer so aus.

Als sie den großen Versammlungssaal im Herzen des Institutsgebäudes betrat schlug die verzierte Standuhr dort gerade fünf Uhr Nachmittags Ortszeit. Die an die zwei Meter hohe Uhr besaß vier quadratisch angeordnete Zifferblätter, von denen jedes eine in den Staaten geltende Ortszeit anzeigte. In New York war es schon sechs Uhr, hier in New Orleans erst fünf, in Texas und Colorado gerade vier und an der Westküste erst drei Uhr nachmittags. Doch die Institutszeit war die von New Orleans.

"Ah, Jane, ich habe schon befürchtet, dass Sheenas geheime Boten Sie nicht erreichen", grüßte Davidson die für tot gehaltene Mitarbeiterin. Jane nickte ihm zu. Der Zwischenfall vor bald drei Jahren war bereits vergessen. Dafür waren beide zu pragmatisch veranlagt. Außerdem hatte Davidson ja eingesehen, dass er damals zu weit gegangen war. Diesen Fehler wollte er garantiert nicht noch einmal machen, geschweige denn immer wieder darüber reden.

Als alle saßen führte Davidson aus, was gestern verkündet worden war. Einige der Mitarbeiter hier wussten das offenbar noch nicht. Andere, die selbst Verwandte in Viento del Sol hatten und deshalb auch deren Vorsichtsmaßnahme mit dem Protectio-Nativorum-Zauber ausgeführt hatten, nickten nur verdrossen. Davidson stellte klar, dass Buggles mit dieser Ächtung eines ganzen Ortes und seiner Bürger einen sehr drastischen Schritt getan hatte und er möglicherweise bei anderen reinen Zaubereransiedlungen oder gar bei Schulen wie Thorntails ähnliche Maßnahmen ergreifen mochte, wenn es seinem noch nicht klar erkannten Zielen diente. Er erwähnte dann auch, dass Buggles und die beiden sich ihm ohne zu erwartende Bedenken untergeordneten Nachbarn aus Mexiko und Kanada sicher einen Feldzug gegen die Werwölfe und Vampire führen würde, sei es, dass er diese nur gefangennehmen lassen wollte oder dass er sämtliche Lykanthropen töten lassen wollte, die es in Kanada, den USA und Mexiko gab, um den nordamerikanischen Kontinent zur werwolffreien Zone zu machen. Dass er die von einer obskuren Stelle vorgeführten Vernichtungsmittel nutzen mochte war mehr als wahrscheinlich. Ja, und um Werwölfe zu orten würde er auch auf alle die zugehen, die entsprechende Hilfsmittel dafür entwickelten. Dabei sah er Quinn Hammersmith an, der selten aus seinem Labor herauskam, wo er die abenteuerlichsten aber auch kreativsten Hilfsmittel für die Außendienstkolleginnen und -kollegen erfand und herstellte. "Wie viele Lykanthroskope haben wir derzeitig vorrätig, Mr. Hammersmith?" fragte der LI-Direktor. Quinn sagte ohne zu zögern:

"Derzeitig haben wir fünfzig Lykanthroskope vorrätig und zwanzig weitere in Arbeit. Aber wir dürfen diese nur in geringer Stückzahl ausgeben, wenn das Zaubereiministerium uns dazu auffordert und klar begründet, wozu sie eingesetzt werden sollen. Öhm, Vita Magica hat ja die von den Franzosen gestohlenen Geräte analysiert, wohl um ihre Blaulicht-Mordvorrichtungen auf echte Lykanthropen hetzen zu können. Die könnten auch tragbare Lykanthroskope gebaut haben, um ihre eigenen Leute auf Werwolfjagd schicken zu können."

"Gut, das ist jetzt erst mal nur Mutmaßung, Mr. Hammersmith", sagte Davidson. "Aber falls der nun als erster Administrator anzusprechende Mr. Buggles Lykanthroskope beantragt könnte er also fünfzig verfügbare Geräte dieser Art anfordern."

"Kann er aber nur, wenn er klarstellt, dass die damit gefundenen Werwölfe nicht getötet werden, weil unser Institutsgrundsatz den Einsatz thaumaturgischer Mittel zur gezielten Tötung von denkfähigen Wesen verbietet", sagte Quinn Hammersmith entschlossen. "Abgesehen davon habe ich noch keine Ausgabe der neuen Zaubereigesetze, die für Großnordamerika gelten sollen. Haben Sie die, Herr Direktor?"

"Nur das, was in diesem Vertrag steht. Ich stehe über die Kontakte zum Zwölferrat in Verhandlungen, alle weiterhin geltenden und neuen Gesetze in Schriftform zugeschickt zu bekommen. Doch gerade gilt ja ein Notlageerlass, da sind ja schon sehr viele Gesetze außer Kraft."

"Ja, zum Beispiel die Bewegungsfreiheitsregeln", grummelte Quinn. das wusste er ja von seinen Verwandten aus Viento del Sol.

"Bisher haben wir noch keinen Antrag oder gar eine ministerielle Anforderung, Lykanthroskope auszuliefern", sagte Davidson. "Sind die verfügbaren Geräte gut genug gesichert, um nicht gewaltsam entwendet zu werden?"

"Nachdem, was Boris in den letzten Wochen so über den Stadteilsender aus dem Weißrosenweg in die Welt getrötet hat hätte Buggles schon längst wen losgeschickt, um das Institut zu stürmen und dabei alles an sich zu raffen, was wir bei uns haben. Dass er es bisher nicht getan hat liegt wohl daran, dass wir noch zu beliebt in der Bevölkerung sind", sagte Sheena O'Hoolihan. Quinn, der eigentlich antworten sollte nickte und sagte dann: "Nach dem Zwischenfall in Frankreich habe ich alle Artefakte, die aus meinen Labors kommen so untergebracht, dass jeder Versuch, sie zu stehlen fünf Dämonsfeuer auslöst und nur noch zwei Sekunden hat, um zu disapparieren, bevor das ihn oder sie verbrennt. Ich habe auch Gitter aus geschmiedetem Eisen unter dem Depot ausgelegt, um jeden langfingrigen Kobold zurückzuweisen. Die Pläne für alle meine Erfindungen habe ich noch anderswo untergebracht und durch Fidelius-Zauber versteckt. Ein Angriff auf uns oder gar ein Erpressungsversuch gegen mich persönlich würde dazu führen, dass alle meine gerade nicht im Feldeinsatz befindlichen Erfindungen zerstört werden. Gut, der Kessel ist ja längst umgekippt, was die Lykanthroskope angeht. Auch versuchen wohl einige gewitzte Leute, die VBR-Kristalle zu enträtseln, die wir ausgegeben haben. Kann also sein, dass irgendwem das doch irgendwann gelingt und wir dann was ähnliches zur Massenabtötung von Vampiren kriegen."

"Ja, um einen Angriff auf das Institut zu vermeiden gilt ja gerade das Zurückhaltungsgebot. Aber Madam O'Hoolihan hier hat dazu noch was zu sagen", erwiderte Davidson. Sheena erwähnte dann, was sie bei der Ratssitzung gesagt hatte. Dem pflichteten alle bei. Dann meinte sie: "Wenn stimmt, dass diese drei neuen Verbündeten jetzt massiv gegen alle Werwölfe vorgehen werden sie uns fragen, ja auffordern, ihnen die nötigen Hilfsmittel zu überlassen, sofern wir nicht auch zur unerwünschten Vereinigung erklärt oder als bekannte Mitglieder geächtet werden sollen. Ich sehe das als eine Chance, näheres über die Hintergründe zu erfahren, ja vielleicht ähnlich wie Silvester Partridge was konkretes zu unternehmen, selbst wenn das heißt, dass wir die Lage für uns alle verschlimmern könnten. Daher möchte ich Sie alle fragen, ob Sie dazu bereit sind, dieses Wagnis einzugehen und wie wir in welchem Fall vorgehen sollen?"

Die folgenden Minuten wurde besprochen und diskutiert, was das Laveau-Institut unternehmen konnte, oder gar musste, je danach, was von den möglichen Szenarien eintreten mochte. Klar war, dass im Falle eines erklärten Feldzuges gegen eine bestimmte Gruppe unschuldiger Menschen, beispielsweise aller Hexen oder aller zugewanderten Bürgerinnen und Bürger oder Menschen mit einer teilweisen Abstammung von humanoiden Zauberwesen, das Institut sich gemäß der Gründungsstatuten den Anweisungen der hoheitsrechtlichen Zaubereiverwaltung verweigern musste, so wie es im Fall Wishbone fast geschehen war und seit Dimes Verschwinden jederzeit anstehen mochte. am Ende stand ein konkretes Vorgehen, wenn Buggles das direkte Gespräch mit dem LI suchte.

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20.05.2005

Die vergangenen Tage hatte Buggles mit seinen nun völlig ergebenen Coadministratoren das Personal der Administration geordnet. Natürlich blieben die US-Amerikaner alle in ihren Ämtern. von den Mexikanern wurden zweitausend Mitarbeiter übernommen, die nach und Nach auch dem Magus Primus unterworfen werden sollten. Mit Unterstützung seiner neuen Helfer schusterte er Alonso Buenavida aus Mexiko das Amt des Flugbesenzentralamtes zu, das im Grunde alle in Nordamerika erhältlichen oder im Gebrauch befindlichen Flugbesen registrieren und dabei mit Fernüberwachungszaubern versehen sollte, damit im Bedarf immer festgestellt werden konnte, wann wessen Besen wohin geflogen war. Ebenso wurde Louanne Carfax aus Kanada als neue Gesundheitsbeauftragte der Nordamerikanischen Magieadministration eingesetzt, womit sie neben Shana Moreland die wichtigste Überwacherin der Entwicklung magischer Menschen wurde. Louanne freute sich schon darauf, sich mit der immer noch amtierenden Großheilerin Eileithyia Greensporn zu treffen, um der klarzumachen, dass die Unabhängigkeit der Heilerzunft zu Ende ginge und sie, Eileithyia, nach mehr als hundert Arbeitsjahren durchaus einen verdienten Ruhestand antreten mochte, falls ihr nicht wegen heimlicher oder offener Kolaboration mit den Aufrührern der Prozess gemacht werden sollte. Doch das, so hatte Buggles von Carfax gehört, wollte sie dieser uralten Hebammenkönigin erst entgegenhalten, wenn alle für den Kampf gegen innere und äußere Feinde wichtigen Posten vergeben und besetzt und die neue Hauptresidenz bezugsfertig war. Doch davon würde Buggles den Reportern, die er gleich mit Richter Ironside über die neuen Gesetze informieren würde, nichts erzählen.

Was jedoch jeder mitbekommen sollte war die Umdekorierung des ehemaligen Ministeriumsgebäudes von außen und von innen. Wo vorher noch das Sternenbanner der Vereinigten Staaten im Wind geweht hatte, flatterte nun eine Fahne, die auf himmelblauem Feld einen nach oben gereckten goldenen Dreizack zeigte. Anders als bei früheren Institutionen wie dem MAKUSA und dem ihm folgenden Zaubereiministerium wurde kein lateinischer Wahlspruch gewählt, weil man sich ja von den europäischen Sitten lösen wollte. Dafür prangte unterhalb der wehenden Flagge in blau-goldenen Lettern der englische und spanische Satz: "Für ein Starkes Nordamerika - Por la Fuerza de junta Norteamerica"

Natürlich zog die Umdekoration alle Reporter der drei vereinten nordamerikanischen Zaubereiadministrationen an. Da in Mexiko-Stadt die Regionalverwaltung Süd und in Ottawa die Regionalverwaltung Nord eingerichtet worden war galt das Gebäude bei Washington als Verbindungsstelle. Die brandneue Gesamtresidenz würden die drei obersten Administratoren der Öffentlichkeit erst am 27. Mai vorstellen.

Lionel Buggles präsentierte voller Stolz die neuen öffentlichen Räumlichkeiten, allerdings nur für die, die sich den minutenlangen Sicherheitsprüfungen stellten. Denn gemäß des Notfallerlasses herrschte seit gestern die höchste Sicherheitsstufe. Das hieß auch, dass Gerichtsverhandlungen nicht mehr im ehemaligen Zaubereiministerium stattfanden, sondern in einem Extragebäude, wo die Schutzzauber für die Zwölferratsmitglieder weiter erhöht worden waren. Nur Gäste, die eine zertifizierte Besucherplakette trugen, gelangten aus dem Foyer zu den Aufzügen. Das freie Apparieren war unterbunden worden. Wer die sechs Flohnetzkamine im Foyer benutzen wollte brauchte eine bestimmte Sorte Flohpulver, ansonsten wurden die Flohnetznutzer entweder von den Kaminen zurück an den Startpunkt geschleudert oder versagten die Abreise. Ja, und auch was die Bilder von ehemaligen Größen der nordamerikanischen Geschichte anging hatte der für die Sicherheit zuständige Ray Catlock umgedacht. Jetzt hingen nur noch Landschaftsbilder in den Fluren oder den Amtsstuben. Auf Grund der Existenz von Linda Latierre-Knowles besonderem Gehör war ja schon vor mehreren Monaten jeder Arbeitsraum zum Dauerklangkerker ausgebaut worden. Doch zusätzlich waren noch aktivierbare Verwirrungszauber mit grellen Lichtblitzen, schmerzenden Tönen oder gespeicherten Erstarrungszaubern eingerichtet worden. Wer nicht legitimiert war konnte also entweder um die eigenen Sinne gebracht werden oder als quasi Standbild von sich in einem Korridor herumstehen, bis die Sicherheitstruppe ihn oder sie lossprach, nur um den Eindringling dann festzunehmen.

Natürlich war auch etwas gegen einen möglichen Angriff von Hauselfen getan worden. Die Sache mit Silvester Partridge hatte gezeigt, dass hier eine schwerwiegende Sicherheitslücke bestand. Man konnte den kleinen, dienstbaren Zauberwesen zwar nicht verwehren, hereinzuapparieren, aber etwas machen, um sie unverzüglich handlungsunfähig zu machen. Das erwähnte auch Buggles, als er den zutrittsberechtigten Reporterinnen und Reportern erklärte, dass diese Sicherheitsmaßnahmen sein mussten, nachdem der verbotene Sender VDSR 1923 zu Streiks und Protestaktionen gegen den angeblichen Usurpator Buggles aufgerufen hatte. "Falls es zu einem Angriff auf uns kommt, treten unverzüglich vorbereitete Wehrzauber in Kraft, die unser Gebäude abschirmen. Wer es dennoch schaffen sollte oder da bereits in das Gebäude einzudringen vermochte, der oder die wird dann von den längst nicht vollständig erwähnten Abwehrzaubern kampfunfähig gemacht. Falls einer von Ihnen meint, hier ohne Zutrittsplakette hinauszugehen wird er oder sie nicht einmal einen Schritt von dieser Tür da fortkommen. Selbst ich muss mich ab Heute mit einer solchen Plakette versehen. Ich muss sie jedoch nicht offen tragen, da ich als eindeutig zutrittsberechtigter Mitarbeiter nicht jedem meine Anwesenheitsberechtigung zeigen muss", sagte Buggles. Er deutete dann auf den Gesellschaftsreporter vom Westwind: "Ach ja, und falls Ihnen daran liegt, dass die Stimme des Westwinds weiterhin ihre Akkreditierung behalten möchte sorgen Sie und Ihr Chef gütigst dafür, dass die unhaltbaren Tiraden Ihrer Exkollegin Latierre-Knowles nicht mehr ungekürzt und unkommentiert in Ihrer Zeitung abgedruckt werden. Die späten Mütter ohne eigenen Kinderwunsch haben auf Grund Ihrer unvorsichtigen Wiedergabe solcher Behauptungen gefordert, dass ich wegen nicht auszuräumender Zweifel an meiner Eigenständigkeit den Administratorposten für eine von Ihnen freimachen soll und Mitarbeiterinnen wie Shana Moreland verhaften lassen sollte, weil diese die Absicherung der vielen von Vita Magica bewirkten Kinder von der Loyalität zu unserer Administration abhängig machen möchte, was ihr gutes Recht ist und was von Finanzabteilungsleiter Picton bereits bestätigt wurde. Also denken Sie an all die Hexen und Zauberer, die auf unsere Zuwendungen angewiesen sind, bevor sie mal wieder eine solche Hetzbotschaft aus dem verbotenen Ort abdrucken!"

"Heißt das, dass wir nicht mehr frei berichten dürfen?" wollte Sunnydale wissen.

"Das heißt, dass Sie und Ihre Kollegen und Mitbewerber endlich begreifen sollen, dass die Zeit, wo Ihre Berichte keine Auswirkungen auf unsere Mitbürger hatten vorbei ist. Wenn wir wirkungsvoll und hoffentlich erfolgreich gegen alle Bedrohungen von außen und innen vorgehen wollen brauchen wir die volle Unterstützung aller redlichen Hexen und Zauberer, keinen geschürten Unfrieden. Wenn Sie das als Einschränkung Ihrer Berichterstattung sehen möchten sind Sie denen bereits in die Falle gegangen, die unsere Administration aus dem Weg räumen wollen, um für ihre ganz eigenen, Ihnen noch weniger zusagenden Vorhaben freie Bahn zu haben. Die wegen der ihnen aufgebürdeten Verpflichtungen für ungeplanten Nachwuchs verärgerten Hexen und Zauberer sind in ihrer Frustration und Verärgerung all zu empfänglich für solche Hetzparolen. Ich will keinen zweiten Silvester Partridge, auch wenn sowas nun Dank der verstärkten Schutzmaßnahmen noch unwahrscheinlicher geworden ist. Sie alle hier haben noch die Berechtigung, aus unserer Administration zu berichten, unsere Vorgehensweise zu erfragen und darüber zu berichten. Bitte setzen Sie dieses Vorrecht nicht wegen kurzfristiger Auflagensteigerungen oder Berühmtheiten aufs Spiel!"

"Dieser Dreizack auf den Fahnen draußen, warum sowas und kein dreiblättriges Kleeblatt oder ein aus allen drei Wappen gebildetes Triptychon?" fragte eine Reporterin, die für den Menzajero Magica aus Mexiko schrieb. "Weil der Dreizack sowohl wie ein Zepter als auch als Verteidigungswaffe gesehen werden kann und unser Dreierbund genau diesen Zweck erfüllt, stark zu sein und nach außen hin wehrhaft, wurde er von mir und meinen Bündnispartnern aus Kanada und Mexiko als gemeinsames neues Wappen erwählt.", antwortete Lionel Buggles darauf.

Ein anderer Reporter aus Mexiko fragte, wann endlich die versprochene Unterbindung der Mondbruderschaftsaktivitäten stattfinden würde. Darauf sagte Buggles: "Nun, wenn ich das genau ausführen würde könnten die Verbrecher ja Gegenmaßnahmen treffen. Ich weiß natürlich, dass die Mondgeschwister bereits versuchen, sich der Entmachtung in Ihrem Land zu entziehen. Solange sie nicht wissen, wie genau wir gegen sie vorgehen drohen Sie mit Vergeltungsmaßnahmen. Lassen Sie sich nicht von diesen Drohungen einschüchtern! Unsere Gegenmaßnahmen sind geplant und werden schon in die Wege geleitet. Wann und wie dies geschieht ist geheim. Bitte berücksichtigen Sie das! Es ist nicht das erste mal, dass gezielte Maßnahmen zur Bekämpfung magischer Verbrecher erst dann genau berichtet werden, wenn sie zum Erfolg geführt haben, nicht vorher." Diese Antwort quittierten die Reporter mit einem leisen Murren. "Weil sonst müste ich mit meinen Mitarbeitern erörtern, ob die Zusammenarbeit mit Ihnen weiterhin dienlich ist oder in der gegenwärtigen Lage eher die Probleme vergrößert als verkleinert. Das möchten Sie alle sicherlich nicht." Den letzten Satz betonte Buggles Silbe für Silbe, damit auch jede und jeder hier begriff, dass der erste Administrator keine seine Arbeit behindernden oder gefährdenden Fragen mehr hinnehmen würde.

Als Sunnydale nun fragte, ob der erste Administrator von ihm und seinen Kollegen verlange, nur noch brave und willige Hofberichterstatter zu sein, statt ernsthafte und konstruktive Fragen zu laufenden Vorgängen zu stellen sagte Buggles: "Was an dem Begriff Notstandsverordnung und Notfallmaßnahme ist so schwer zu verstehen, Mr. Sunnydale. Wir befinden uns in einem Zustand äußerer Bedrohung. Jede kleinste Information über unser Vorgehen gefährdet uns alle und damit auch Sie und Ihre Angehörigen. Und wenn mir nach Hofberichterstattung wäre, Mr. Sunnydale, dann hätten Sie sich gerade als Kandidat dafür selbst aus dem Spiel geworfen. Mir ging und geht es darum, mit Ihnen zusammen die von uns für die Öffentlichkeit nötigen Dinge zu kommunizieren. Aber wenn Sie der Meinung sind, immer und immer wieder zu prüfen, wie wir auf wüste Spekulationen anspringen, dann ist dies nur noch Zeitverschwendung, mit Ihnen zu sprechen. Denn was auch immer wir Ihnen sagen dürfen, Sie würden es um der Auflagen oder Zuhörerzahl wegen doch mit wüsten Vermutungen unterlegen, um irgendwas zu haben, was sich gut verkaufen lässt. Dafür brauchen Sie weder meine Zeit noch die meiner Mitarbeiter. Doch falls ich mich da irren sollte, und Ihnen doch was an seriöser und konstruktiver Berichterstattung liegt, dann respektieren Sie bitte, dass Sie im Moment, wohl gemerkt im Moment, nur die Dinge erfahren dürfen, die Sie auch ohne Gefahr für die Allgemeinheit berichten dürfen oder wie im Falle des Rundfunks auch direkt übertragen dürfen. Ich hoffe sehr, dass Sie nicht der reinen Gerüchteverbreitung zugeneigt sind."

"Gut, wie Sie wollen, dann eine ernste Frage, Sir: Sind wir noch ein freiheitliches Land oder ein Überwachungsstaat?" fragte Sunnydale.

"Dass Sie und alle anderen hier sind ist die Antwort, Mr. Sunnydale. Denn wenn wir ein alles und jeden unterdrückender Staat wären, dürften Sie nicht mehr frei herumlaufen und sogar für den Rundfunk arbeiten. Doch selbst ein freiheitliches Staatsgefüge muss um der allgemeinen Sicherheit wegen willens und fähig sein, unliebsame Einschränkungen zu verhängen, wenn sie zeitlich begrenzt und begründet sind. Je schneller wir uns der bestehenden Gefahren entledigen, desto schneller werden die allgemeinen Beschränkungen aufgehoben. Beachten Sie dies bitte bei Ihren heutigen und künftigen Veröffentlichungen!"

"Sie legen also keinen Wert darauf, uns die Sinnhaftigkeit Ihrer Arbeit zu erläutern?" fragte der Westwindreporter. "Dann könnte ich ja gleich wen von der Mondbruderschaft oder der Sekte der angeblichen Nachtgöttin fragen, ob es Sinn macht, gegen diese Organisationen zu kämpfen. Die würden natürlich mit "Nein" antworten oder darstellen, dass sie entweder die Opfer sind oder wegen ihrer angeblichen überlegenen Lebensform alles Recht haben, uns Menschen in ihrem Sinne benutzen zu dürfen. Wie erwähnt müssen viele Dinge geheim bleiben, ob nur für die entsprechende Lage oder auf dauer wird sich erst nach dem Ende der betreffenden Lage erweisen. Wir bitten Sie alle nur darum, uns das nötige Vertrauen zu gewähren, in Ihrem Sinne und zu ihrem Wohl zu handeln. Solange kann und werde ich keine Fragen nach unserem Vorgehen mehr beantworten. Bitte nehmen Sie das zur Kenntnis! Falls Sie noch Fragen über die künftige Verwaltungsstruktur unserer neuen Administration haben, sehr gerne." Sunnydale nahm die Gelegenheit wahr und fragte, ob dieses in so kurzer Zeit entstandene Dreierbündnis für immer sei oder eben nur, um gemeinsame Probleme zu lösen. "Nun, wir haben erkannt, dass es mit einer reinen Nachbarschaftshilfe füreinander nicht getan ist, wenn wir international bestehen wollen. In Europa mag es noch schick sein, möglichst viele Klein- und Freistaaten zu haben, doch für einen Kontinent wie Nordamerika ist das zu kurzsichtig, wenn die Grenzverläufe derart lang sind und es große Flächen und unwegsame Gebirge gibt, die zahlreiche Versteckmöglichkeiten bieten. Da gilt: Nur zusammen sind wir stark genug. Wenn Sie auf den Nationalstolz von uns oder dem von Mexiko anspielen, dann taugt dieser nur was, wenn es um Sportveranstaltungen oder Kunstwerke geht. Für Sicherheitspolitik und Handel ist er eher hinderlich. Das haben wir erkannt und daher die nordamerikanische Magieadministration NAMA oder meinetwegen auch Dreizackföderation geschaffen. Sie ist entstanden, um zu bleiben, nicht nur als Ausdruck einer angeblichen Hilflosigkeit der jeweiligen Einzelstaaten." Diese Ansage schien bei vielen vor allem aus Mexiko nicht so angenehm rüberzukommen. Sicher dachten wohl viele, dass die USA das nördlichste Land Hispanoamerikas quasi im Vorbeigehen übernommen hatten, ohne Debatte, ohne Kampf, ohne Vorankündigung. Doch die sieben Richter hatten es genehmigt, und Piedraroja hatte die Befugnis gehabt, solche Bündnisse wie die NAMA zu schließen. Buggles legte noch nach: "Selbst im ehemaligen Kernland des britischen Weltreiches, aus dem ja unter anderem auch unsere Staaten hervorgingen, gibt es vier unterschiedliche Länder, die nach ihren Volksgruppen geordnet sind und jedes für sich ein eigener Staat sein könnten. Doch England, Irland, Schottland und Wales sind weiterhin in einem Staat vereint unter einem einzigen Zaubereiminister, der sich deshalb noch Minister nennen lässt, weil er sich der Mehrheit der nichtmagischen Mitbürger unterordnet und deren Staatsgefüge anerkennt, wo es ja noch eine Königin gibt. Sicher könnten wir die jeweiligen auf welche Weise legitimierten Staatsoberhäupter als unsere eigentlichen Vorgesetzten anerkennen und haben dies auch bis zu einem bestimmten Grad getan. Doch nun verlangen neue internationale Widersacher ein von den Nichtmagiern entkoppeltes Handeln, und wir haben es in den eigenen Händen, damit umzugehen. Insofern nehmen wir die neue Lage als Ansporn, die überholten Strukturen und überkommenen Zuordnungen abzuschütteln und uns neu zu finden."

"Meine Landsleute fühlen sich übergangen. Sie fordern das Recht, befragt zu werden und werfen Ihnen vor, die Notlage auszunutzen, dass sie mit diesen Werwölfen nicht alleine klarkamen. Eine Bruja öhm, Hexe aus San José verglich diesen Zusammenschluss mit der Geschichte, wo das Pferd den Menschen bat, ihm gegen Wölfe beizustehen und der Mensch dafür verlangte, es zu satteln und ihm Zaumzeug anzulegen. Als dann die Wölfe vertrieben oder erlegt waren bat das Pferd darum, ihm Sattel und Zaumzeug wieder abzunehmen, damit es seine gewohnte Freiheit zurückerhalte. Der Mensch hat ihm diese Freiheit verweigert, weil er es für zu bequem hielt, ein so starkes Tier für sich arbeiten zu lassen", meldete sich ein mexikanischer Rundfunkreporter zu Wort.

"So, Señor Molinoblanco, wer sagt Ihnen, ob nicht wir aus den ehemaligen USA oder aus Kanada das um Hilfe bittende Pferd sind? Und wer ist die besorgte Dame, dass Sie sowas unterstellt?"

"Die besorgte Dame ist Doña Casarica, und nein, sie hat schon klar begründet, warum sie unser Heimatland für das um Hilfe bittende Pferd hält und nicht für den Menschen, der die Hilfe leisten soll."

"Dann bestellen Sie, sofern Sie mit der Doña in brieflichem Kontakt stehen schöne Grüße und fragen Sie, wie es angehen konnte, dass sie bis vor wenigen Wochen noch ganz zufrieden mit der misslichen Lage in Mexiko war und jetzt, wo endlich was geschieht, um das zu ändern, so lautstark protestiert? Womöglich muss sie dann erkennen, dass Andrés Piedraroja deshalb bereit war, mit mir und Mr. Bowland zusammenzuwirken, weil die Rufe nach entschlossenem Handeln in seiner Heimat zu laut wurden, um sie weiterhin zu überhören. Jedenfalls ist die neue Administration kein Notfallplan, kein Bündnis der Hilflosigkeit, sondern die einzig sinnvolle Antwort auf die Frage nach der Zukunft der magischen Menschen Nordamerikas", stellte Buggles klar.

Der erste Administrator sah, dass es den versammelten Reportern schwer fiel, noch was über den Wert dieses Bündnisses zu fragen. Denn natürlich fühlten sie sich alle übergangen, ohne langen Entscheidungsprozess und ohne Mitspracherecht. Doch das war Buggles nun sowas von egal. Wenn es ganz nach ihm gehen würde - was er doch noch hoffte - würde er wirklich nur noch eine Form von Hofberichterstattung zulassen. Doch hier und jetzt konnte er den hier versammelten Reportern nur noch mitteilen, dass es bald neue gemeinsame Abkommen geben würde, was die Reisemöglichkeiten, den Handel und das Finanzwesen anging. Was Kanada und die dorthin geflüchteten Kobolde anging, so gelte sein Angebot, dass die Bewohner des Landes ihre Goldvorräte in die neuen Banknoten eintauschen könnten und sich aus der Abhängigkeit der Kobolde zu befreien. Mehr wolle und könne er im Moment nicht dazu sagen.

Damit endete die Pressekonferenz. Die Reporter gingen ihrer Wege, um mit dem zu arbeiten, was er ihnen verraten hatte.

Lionel Buggles atmete auf, als er in seinem Büro saß. Er hatte gewusst, dass sich die Meute nicht so einfach mit vorgekauten Happen abspeisen lassen würde. Er rechnete auch damit, dass sie sich weiterhin von angeblich hintergangenen Mitbürgern dazu treiben ließen, die Rechtmäßigkeit und den Nutzen der nordamerikanischen Magieadministration zu kritisieren. Doch die vielen bestehenden Feinde halfen ihm dabei, diese Bagage im Zaum zu halten. Nicht die Mexikaner waren das Pferd in jener Geschichte, sondern die Journalie, die meinte, wie bei den Nichtmagiern die vierte Teilgewalt eines freien Staates zu sein. Was würde es geben, wenn erst die neuen Gesetze verkündet wurden. Shana Moreland wollte eine monatliche Abgabe für alleinstehende ohne Kinder einführen, um den Sinn von Ehe und Familie hervorzuheben. Da würde es sicher schon laut knallen. Lief es am Ende vielleicht doch darauf hinaus, dass die bisherigen Freiheiten nach und nach abgeschafft werden mussten, um alle unter einem Hut zu behalten? Tja, womöglich würden die von Viento del Sols Widerstandssender aufgewiegelten Mitbürger ihm noch einen guten Grund liefern, weiterführende Beschränkungen zu veranlassen oder sogar einen offenen Zaubererweltkrieg vom Zaun brechen. Wie sagten die alten Römer: "Inter armas silent leges - Im Waffenlärm schweigen die Gesetze." Solange die in VDS gegen ihn hetzten boten sie sich als Feinde an, gegen die er Einigkeit schaffen musste.

Piedrarojas bisherige Sicherheitstruppe wurde um zwei Uhr nachmittags bei ihm vorstellig. Sie erbaten jene Hilfsmittel, mit denen Werwölfe auf mehreren Kilometern Entfernung geortet werden konnten. Außerdem erfuhr er, dass für die Einsetzung von vier Mitstreitern aus der Gruppierung Vita Magica in die Regionalverwaltungen Süd und Nord je dreißig jener schlagkräftigen Vorrichtungen bereitgestellt wurden, mit denen die Lykanthropen auf größerer Fläche vernichtet werden konnten. Beim nächsten Vollmond würden die Mondgeschwister wortwörtlich ihr blaues Wunder erleben. Nur musste er es dann so heimlich ablaufen lassen, dass die Mehrheit der magischen Mitbürger nichts davon mitbekam. Zu gut erinnerte er sich noch daran, wie erschrocken alle reagiert hatten, als diese blauen Vernichtungsstrahlen zum ersten mal über freiem Land eingesetzt wurden.

"Ray, Sie verabreden mit denen vom LI eine Lieferung dieser roten Dinger, mit denen Werwölfe gefunden werden können. Am besten zitieren Sie Davidson oder seinen ranghöchsten Mitarbeiter persönlich zu sich. Dann bekommen wir auch heraus, ob das LI noch auf unserer Seite steht oder wir einen gerechtfertigten Grund haben, dieses Institut zu schließen und alle seine Errungenschaften in unsere Abteilungen zu holen", sagte Buggles zu Ray Catlock.

"Das LI ist in den letzten Tagen sehr still geworden, erster Administrator", sagte der nun für alle nordamerikanischen Hexen und Zauberer zuständige Sicherheitsleiter.

"Das ist durchaus ein Grund, nachzufragen, was deren Zurückhaltung ausgelöst hat, Ray. Die Zusammenlegung unserer Verwaltungsbehörden zu einer einzigen dürfte sie sehr überrascht haben. Das wiederum heißt, dass unsere Taktik, keine mit anderen Porträts verbundenen Bilder mehr auszuhängen, tatsächlich einige unschöne Löcher in unserer Abschirmung gestopft hat. Öhm, das erwähnen Sie aber bitte nicht, bis wir wissen, ob wir die Führungsclique vom LI gerichtlich belangen müssen. Erst dann, wenn das nötig sein sollte, kommt sicher heraus, ob die uns bis zum 14. Mai ausspioniert haben."

"Warum schreiben Sie nicht gleich ein Dekret, dass wir das Laveau-Institut im Zuge der Akquirierung aller verfügbaren Kompetenzen und Mittel in die Administration einbinden?"

"Weil die dann genug Zeit haben, alles fortzuräumen, was wir gerne hätten. Nein, ich will erst einmal nur wissen, was sie von uns halten."

"Ja, Sir", sagte Catlock, dem die Sache nicht wirklich gefiel. Denn am Ende würde es an ihm hängenbleiben, ob das Marie-Laveau-Institut ein zuverlässiger Partner oder ein weiterer Feind der gemeinsamen Sache sein würde. Buggles indes dachte daran, dass Vita Magica noch eine Rechnung mit denen vom LI offen hatte, weil die deren geheime Niederlassung in Chile aufgespürt hatten. Sicher arbeitete seine Schutzherrin schon an einem Weg, diesen Besserwissern den Tag zu verderben. Doch einfach so loszuziehen und nach dem Institut zu suchen war zu aufwendig, solange es eben keinen gerechtfertigten Grund gab, es zu schließen, und zwar ohne Vorankündigung.

Eine Stunde später wusste Buggles, dass das Treffen am 24. Mai zwischen Catlock und Sheena O'Hoolihan stattfinden würde. Das war also der Tag der Entscheidung, dachte der erste Administrator. Was ihn jedoch ein wenig bedrückte war, dass das Laveau-Institut angeblich oder wahrhaftig hochgeheime Unterlagen aus Dimes Ära besaß, die auf angebliche oder echte Verwicklungen des Zaubereiministeriums mit Vita Magica hindeuten sollten. Buggles überlegte, ob es diese Unterlagen wirklich gab und wenn ja, ob sie ihm wirklich gefährlich werden konnten. Dann argwöhnte er sogar einen Köder, der ihn zu einer bestimmten Handlungsweise verleiten sollte, zum Beispiel die Herausgabe der Unterlagen erzwingen wollte. Doch er wollte es ganz ruhig angehen. Er befahl Catlock, die Verabredung nur unter vier Augen aber mit Zugriff auf Fesselzauber und Veritaserum durchzuführen. Da im Moment nicht nur US-amerikanische, sondern auch kanadische und mexikanische Mitarbeiter in der Administration herumliefen musste er erst alle auf die bereits bewährte Weise an sich binden, bevor er allen wieder vollkommen vertrauen konnte. Bei zusammen 5000 zusätzlichen Mitarbeitern aus dem nördlichen und südlichen Nachbarland würde es dauern. Er hatte piedraroja und Bowland aufgetragen, die Mitarbeiter sowohl eine Loyalitäts- als auch ein Stillschweigeabkommen unterschreiben zu lassen. Die ersten Unterlagen aus Mexiko und Kanada waren schon da. Am besten fing er heute noch damit an, diese auf die bewährte Weise wirksam zu machen.

Er ging davon aus, dass der Vorgang für alle 5000 neuen Mitarbeiter bis zum Monatsende vollzogen sein würde. Vielleicht schaffte er es sogar, Elysius Davidson und seine direkten Mitarbeiter unterschreiben zu lassen, dass sie zum Wohl der magischen Gemeinschaft auf jede aggressive Handlung oder jedes in Abrede stellen der Administration verzichteten. Dann hatte er auch die sicher. Doch soweit durfte er noch nicht denken. Erst die bereits eingeschworenen Mitarbeiter, dann alle anderen. So musste es laufen.

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Die Nacht vom 20. zum 21.05.2005

Ja, auch sie galten als abzuweisende Feinde, hatten die Spinnenschwestern erkannt. Doch deren höchste Schwester hatte auf Grund ihrer Kenntnisse von mächtigen Erdzaubern ergründet, dass die Abwehr nicht mehr so stark war. Sicher, sie sperrte Feinde noch aus. Doch sie reichte gerade mal einen Kilometer über die unsichtbare Glocke hinaus. Außerdem flogen am Tag mehrere mit höchst verdächtigen Halsbändern geschmückte Raben- und Greifvögel herum und des Nachts kleinere Eulen. Zusätzlich lagen rings um den Ort mehrere Locattractus-Fallen aus, die alles einfingen, was versuchte, aus Misty Mountain zu disapparieren. Es waren Metallkisten, die im Boden vergraben waren und die Flüchtenden bei Eintreffen unmittelbar mit Betäubungsgas einschläferten, bis sie von alarmierten Strafverfolgungszauberern abgeholt wurden. Das sparte Ministeriumspersonal, erkannte Anthelia/Naaneavargia. Doch heute würde es soweit sein. Heute würden sie die von ihr in mehreren Etappen georteten Ankerartefakte erschüttern und die Glocke über Misty Mountain verschwinden lassen.

"Schwester Beth, du benutzt den Wühlertunnel vom Norden her. Schwester Louisette, du kommst vom Nordnordosten her ..." teilte Anthelia/Naaneavargia ihre Helferinnen ein. Sie alle hatten sich mit aus den magischen Tierparks der Welt zusammengefangenen Felsenwühlern lange Tunnel gegraben, bis die wurmartigen Tiere gegen die bis zu dreihundert Meter nach unten reichende Umrandung der magischen Glocke geprallt waren und sich beim Versuch, diese zu durchbohren, selbst vernichtet hatten. Felsenwühler konnten problemlos nachgezüchtet werden, wo es genug Quarz und Kalk gab. Doch die langen Tunnel, die nur mit Härtungszaubern stabilisiert werden mussten, reichten nun bis an die Glocke heran. Anthelia/Naaneavargia hatte die Grabungen so angesetzt, dass jeder Tunnel an einem im Boden vergrabenen zylindrischen Körper aus Tropfsteinkalk und einer Gold-Silber-Durchflechtung endete. Sie selbst konnten dort nicht hin, weil da schon der Feindesabwehrzauber der Einheimischen reichte. Doch das mussten sie auch nicht. Es reichte völlig aus, die mit starken Magneten gespickten Granitbolzen auf dem Schleim der Sandgräberschnecke gegen die betreffenden Körper zu schicken. Anthelia hatte sie mit starken Zaubern der Erde aufgeladen, die bei Kontakt mit magischen Festkörpern übersprangen. Es galt, die auf Sonne, Mond und Wind abgestimmten Festkörper mit mehr Erdmagie zu füllen, dass diese entweder nicht mehr ihre Wirkung hatten oder überladen und vernichtet wurden.

"Gut, Schwestern. Es geht los!" befahl Anthelia/Naaneavargia über die Vocamicus-Ohrringe, die sie ihren Mitschwestern verschafft hatte. So musste sie mit keiner einzeln Mentiloquieren.

Es war bereits dunkel. Das hieß, dass die die Glocke speisende Kraft der Sonne fehlte. Anthelia/Naaneavargia tastete die Umgebung mit ihrem Gedankenspürsinn ab. Natürlich konnte sie aus dieser Entfernung nichts von den Einwohnern mitbekommen, sofern diese noch lebten. Doch sie bekam die ängstlichen Tiere mit, die wohl vor einer Eule Deckung suchten. Dann sah sie die auch mit ihrem Zauberfernrohr, das selbst bei völliger Dunkelheit bis zu zwei Kilometer weite Objekte wie gerade zwei Meter entfernt zeigen konnte. "Dich brauchen wir nicht", sagte sie an die Adresse des Vogels. Sie saß auf ihrem Harvey-Besen auf und wurde unsichtbar. Dann flog sie weit nach oben und näherte sich mit der neuartigen Flüsterflugbezauberung des ergaunerten Tarnbesens dem Waldkauz, der in weiten Kreisen über dem versperrten Ort flog. So leise der Besen nun fliegen konnte, der Kauz hörte ihn doch, als er nur noch zehn Meter entfernt war. Er drehte seinen Kopf um 180 Grad und blickte in die Richtung des verdächtigen Geräusches. Da schlug ein violetter Blitz auf ihn über und ließ ihn verschwinden. Statt seiner sauste nun ein weißer Kieselstein durch die Luft in Richtung des unsichtbaren Besens. Anthelia zog mit ihrer über den Zauberstab feingebündelten Gedankenkraft den verwandelten Vogel zu sich heran und ließ ihn in einer lichtdichten Seitentasche ihres umhanges verschwinden. Damit war der von dieser Dreizack-Vereinigung aus drei früheren Ministerien eingesetzte Beobachter aus dem Weg. Anthelia/Naaneavargia hätte ihn auch einfach totfluchen können. Doch das hätte der Lenker des Spionagekauzes als solches mitbekommen.

"Schwestern, bitte beeilen. Ich musste einen mit Spionagezubehör beladenen Vogel unschädlich machen. Dessen Hüter mag schon Alarm schlagen", trieb sie ihre Bundesschwestern zur Eile. Dann musste die höchste Schwester schnell durchstarten, weil sie die auf sie lauernde Aura des Protectio-Nativorum-Zaubers fühlte. Sie wollte bestimmt nicht von diesem mal eben drei Kilometer weit zurückgeworfen werden.

"Gut, Wie kommen unsere Erdboten voran?" fragte sie, nachdem sie weit genug von der magischen Abgrenzung entfernt gelandet war und die urwüchsigen Ströme von Erdmagie unter den Füßen spürte. Alle 24 losgeschickten Schwestern meldeten, dass sie gut vorankamen. "Dieser Sandgräberschleim ist ja heftiger als der Sapovius-Zauber", meinte Beth dazu. "Ja, deshalb wurde er schon zu Sardonias Zeit gerne als Schmierschicht in Uhr- und Laufwerken verwendet. Hat den orientalischen Zauberern immer ein gutes Vermögen eingebracht, diese schnellen Schleimmleger zu züchten."

"Nur, dass ich mit Kopfblase arbeiten muss, weil das Zeugs bald so schlimm stinkt wie wochenalter Fisch", maulte Romina Hamton, die wie alle anderen ein zu den Ohrringen passendes Sprechartefakt in Form einer Halskette hatte. Das war richtig Sstilvoll, fand Anthelia, genau was für Hexen.

"Ui, dieser Bolzen fängt zu flimmern an, höchste Schwester. Soll das so?" fragte Beth McGuire. "Das ist wohl der Eingeborenenschutzzauber, Schwester Beth. Richtig interessant wird es, wenn er gegen einen dieser Glockenträger stößt", sagte Anthelia zu ihrer silbernen Halskette.

"ist gleich bei mir soweit", sagte Portia. "Ja, jetzt. Autsch! Schwestern, die Augen schützen. Ist verdammt hell! Auuauuua!"

"Warnung bestätigt", sagte Anthelia. "Ah, es reagiert. Offenbar fokussiert unsere Gabe auch Kräfte des Feindesabwehrzaubers. Wenn das schon bei einem so ist, dann bin ich sehr zuversichtlich, dass alle vierundzwanzig Gegenkörper eine entscheidende Wirkung zeigen."

Als dann alle weiteren von Anthelia hergestellten Gegenstände Kontakt mit den von ihr als Glockenträger bezeichneten Körpern hatten erwies sich, dass sie recht hatte.

Der Boden geriet in Aufruhr. Anthelia fühlte, wie latente Erdmagie aus der Umgebung angesaugt wurde. Mit dem Fernrohr sah sie, dass die glocke nicht mehr unsichtbar war. Sie glühte in einem satten Grün, einer der drei möglichen Farben für Erdzauber. Dann begann sich die Glocke erst langsam und dann immer schneller zu drehen, erkennbar an etwas heller wirkenden Spiralwindungen, die sich von unten nach oben schlängelten. Der Boden erbebte noch stärker. Nun erzitterte die sich immer schneller drehende Glocke. Offenbar kämpften die in sich einschießenden gegensätzlichen Zauberkräfte um eine einheitliche Ausrichtung und schufen damit ein Gefälle oder einen Überhang. Dann hob sich die Glocke aus dem Boden. Ja, sie wuchs erst einige Meter weiter an, um dann mit nach unten sprühenden Silberfunken abzuheben. Es war wohl ähnlich wie bei jener von Viento del Sol, nur das diese von mächtigen Blutzaubern und der Lebenskraft erwachsener Hexen bekämpft worden war. Diese Glocke hier stieg sich immer noch schnell drehend immer höher in die Luft. Der silberne Funkenstrom flog nun auch zur Seite weg. "Ah, der Mond saugt sie an", stellte Anthelia/Naaneavargia begeistert fest, als sie sah, dass der Scheitelpunkt der immer höher aufsteigenden Glocke genau auf den Mond ausgerichtet war. Natürlich, Die Erde stieß sie ab. Der Mond zog sie an. Dann beschleunigte die gesamte magische Glocke mit einem Ruck. Es sah aus, als reite sie auf silbernen Feuerwerksraketen in den Himmel. "Sieht aus wie ein startendes UFO aus den Weltraumfilmen", meinte Romina zu diesem Anblick. Anthelia wollte diesen Eindruck nicht von der Hand weisen. "Falls Magielose zusehen werden die nichts anderes als das denken, Schwester Romina", sagte sie. Dann sahen sie alle, wie die bisher so unbewegliche Glocke selbst mit raketengleicher Geschwindigkeit in den Himmel davonraste. Die silbernen Säulen, auf denen sie ritt zerstoben erst. Dann schossen laut donnernd und prasselnd turmhohe Gesteins- und Staubfontänen aus dem Boden. Im selben Augenblick konnte Anthelia/Naaneavargia eine kleine grüne Lichtkugel sehen, die schneller als ein Rennbesen in die Mondscheibe hineinraste und damit verschmolz. Nun waren nur noch der Mond und die Sterne am Himmel zu sehen. Oh, und eine neue Eule, die mit hoher Geschwindigkeit angeflogen kam. Anthelia stieg ihr auf ihrem Besen entgegen und machte auch aus ihr einen kleinen Kieselstein, den sie telekinetisch zu sich hinzog und wegpackte. Das würde dem Beobachter nun wirklich zu denken geben. "Tja, dann müsst ihr wohl herkommen und selbst nachsehen, wer eure große Käseglocke abgehoben und in den Mond hineingeworfen hat", säuselte die höchste Spinnenschwester. Dann fühlte sie, wie der nicht in den Himmel entladende Teil der angesaugten Erdmagie als mittelschweres Erdbeben kreisförmig von der Ortschaft fortraste und sich dabei in unzählige Verästelungen aufteilte. "Spätestens jetzt werden sie es wissen, dass da wer mit ganz viel Erdmagie gezaubert hat und ... Schwestern, zieht euch schnell aus den Tunnel zurück. Man ist wohl erwacht im Dörfchen Misty Mountain."

Anthelia sah zwei auf besen fliegende Hexen, die so weit nach oben stiegen, dass sie die ehemalige Abgrenzung durchstießen, bevor sie wieder landeten. Ebenso sah sie zwei Zauberer, die in mehreren Sprüngen apparierten und dabei wohl ausloteten, ob noch ein Locattractus-Zauber wirkte. Dem war nicht so. Dann sah sie etwas, was sie alarmierte.

"Schwestern, eine gute und eine sehr schlechte Nachricht. Ihr könnt jetzt auch wieder frei apparieren. Die ganz schlechte Nachricht ist, dass die Tunnel gleich zusammenbrechen. Also raus da!!" rief Anthelia/Naaneavargia.

Sie sah vom fliegenden besen aus, wie ihre 24 Tunnel zu langen, unregelmäßigen, immer tieferen Furchen wurden. Sie hörte fernes Grollen. Offenbar hatten die bei der Beseitigung der Glocke freigesetzten Erdzauberkräfte alle andere Erdmagie in der Umgebung verdrängt und damit auch die stabilisierenden Härtungszauber. Sie wartete wenige Sekunden, dann rief sie nach ihren Schwestern. Erst war nichts zu hören. Dann kam wie ein schwaches Rauschen von Blättern im Wind Beths Stimme: "Bin rechtzeitig aus dem Tunnel raus!" Auch die anderen Schwestern meldeten sich. Sie waren jedoch schon sehr weit entfernt. Der Vocamicus-Zauber reichte ohne ihn fokussierenden Gegenstand die zehnfache Rufweite weit, mit Fokusartefakt die fünfzigfache Rufweite. Also waren sie etwas weiter darüber hinaus, dass sie gerade so noch gehört werden konnten. "Treffen in unserem Haus!" befahl Anthelia und startete richtig auf ihrem Besen durch. Sollten die Handlanger von Buggles und Vita Magica eine neue Glocke errichten, dann würden sie diese eben auch wieder zerstören.

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Zur selben Zeit in der Beobachtungskammer von Cane Warrington

Der Chefbeobachter der nordamerikanischen Magieadministration traute seinen Augen nicht oder besser, den Vögeln, die er ausgeschickt hatte. Einer seiner Waldkäuze hatte plötzlich die direkte Beobachtung des seit Wochen wie verschlafen daliegenden Ortes abgebrochen und in den Himmel geblickt. Dann war in einem violetten Blitz alles Licht und alle Kontur verschwunden und hatte den Formen der zweckmäßigen Einrichtung seiner Beobachtungskammer platz gemacht. Dann hatte er noch einen Vogel losgeschickt, der ebenfalls in einen violetten Blitz geriet und die Verbindung zu ihm verlor. "Wer zaubert denn da gegen meine Vögel?" schimpfte er. Er meldete die Vorfälle weiter. Die letzte Erfahrung hatte ihn gelehrt, lieber gleich was zu sagen als sich noch einmal was vorwerfen zu lassen.

Eine Patrouille von hundert Besenfliegern wurde losgeschickt, begleitet von einem Uhu mit Mitsehauge. Die Hundertschaft erreichte nach einem Appariersprung die Abgrenzung von Misty Mountain und entdeckte, dass die Glocke nicht mehr da war und über zwanzig lange halbrunde Gräben auf die Ortsgrenze zuliefen. Die Gräben endeten in ein Dutzend Meter großen Kratern.

"Die haben Hilfe gehabt. Irgendwer hat sich von außen an die Glocke rangegraben und dann irgendwas gemacht, um die Ankerartefakte zu zerstören", bemerkte ein Thaumaturg aus Catlocks Abteilung, als der Gesetzesüberwacher der NAMA wieder einmal zum Rapport lud. Ein anderer sagte: "Irgendwer? Ich habe mal mit der Rückschaubrille in einen der Gräben reingeguckt. Ich habe noch eine Gestalt im weißen Kapuzenumhang disapparieren gesehen. Dann bin ich ganz in den Graben runter und habe nachbetrachtet, dass es eine dieser Hexen in Weiß war, maskiert und mit Kapuze über dem Kopf. Die hat einen steinernen Rammbock dirigiert, der auf echt üblem Glitscheschleim voll gegen einen der vergrabenen Anker der Glocke gerutscht ist und den dann mit roten und grünen Blitzen überladen hat, bis der selbst golden geleuchtet hat und dann mit heftigem Lichtausstoß durch die Decke geschossen ist. Gleichzeitig sind silberne und grün-rote Lichtentladungen durch den Tunnel zurückgerast. Dann erst ist der zusammengebrochen."

"Diese vermaledeiten Spinnenhexen haben Misty Mountain befreit", schimpfte Catlock. "Was haben die Bewohner davon mitbekommen?"

"Öhm, ich konnte nach dem ersten Vogel erst minuten später den Zweiten heranbringen. Doch der ist auch verschwunden oder im freien Flug verwandelt worden. Bei Verwandlungszaubern erlischt die Mitsehbezauberung", sagte Warrington.

"Dann hatten die eine fliegende Absicherung, ziemlich sicher deren ominöse Oberschwester, die Werspinne", knurrte Catlock. Warrington sah als geübter Beobachter, dass Catlock darum rang, keine Angst zu zeigen. Vor was hatte der denn jetzt angst.

"Sollen wir die Glocke neu aufbauen?" fragte einer von Catlocks Leuten. Dafür fing er sich einen gehörigen Anpfiff ein, wie er so eine dumme Frage stellen konnte. Denn die ausgelieferten Ankergegenstände reichten gerade für die beiden Glocken, und vwo die herkamen wuchsen so schnell keine neuen nach. Außerdem würde Misty Mountains Gemeinde, sofern sie genausowenig verhungert war wie die von VDS, gegen alles und jeden Hetzen, der sie in dieser Glocke eingeschlossen hatte. Jetzt gab es schon zwei abtrünnige Gemeinden, die mit Rundfunksendungen aufbegehren mochten. Würde Buggles auch Misty Mountain für vogelfrei erklären?

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22.05.2005

Anthelia, Beth und Romina lauschten der neuen Ansprache des Magus Primus, des ersten Administrators der Nordamerikanischen Magieadministration. Gerade hatte er Misty Mountain zum zweiten außergesetzlichen Gebiet erklärt und dann verkündet, dass gegen alle, die verräterischen Elementen Hilfe und Schutz gewährten, die neuen Höchststrafen vollstreckt würden. Dann sagte er was, dass nur die Spinnenschwestern verstehen konnten:

"Es zeigt sich wieder einmal mehr, dass unsere vereinte Zaubererwelt nicht nur mit äußeren Feinden zu tun hat, sondern jene auf eine Vorherrschaft der Hexen ausgehende Krawalltruppe sofort zur Stelle ist, wenn wir, die rechtmäßige Verwaltung aller magischen Dinge, verdrängt oder vernichtet werden sollten. Sie tragen zwar unschuldiges Weiß, doch haben Seelen schwarz wie die dunkelste Winternacht und werden von unseren eifrigen Sicherheitstruppen gnadenlos in diese Nacht des Vergessens zurückgeworfen, in die sie gehören, vor allem jene, die meint, wegen einer besonderen Eigenheit allen anderen überlegen zu sein. Sie mag die letzte sein, die von diesem Haufen unzufriedener Hexen übrigbleibt. Doch dann wird sie allein und ohne Unterstützung und Zuspruch sein."

"Ja, das saß doch, Schwestern", freute sich Anthelia wie ein kleines Mädchen. "Er musste zugeben, dass sie keine neuen Käseglocken mehr machen können. War das nach Viento del Sol noch nicht sicher und nur deshalb unwahrscheinlich, weil deren Protectio-Nativorum-Zauber noch weiter ausgedehnt wurde, hat er es jetzt bestätigt, dass sie sowas nicht noch einmal tun können. Seine Unterstützer werden ihm da wohl schon klargemacht haben, dass die nicht unendlich viele solcher Glocken bauen können."

"Dingdong!" gab Beth ihren Kommentar dazu ab.

"Portia erwähnte dann noch, dass der Bergbote aus Misty Mountain berichtete, dass die Mehrheit aller achthundert Bewohner vom Neugeborenen bis zum Urgroßvater, auf Beschluss des Gemeinderates vom 26. März durch Conservacorpus-Zauber in eine Überdauerungsstarre versetzt worden seien. Es habe vorher eine hitzige Debatte gegeben, ob sie nicht doch lieber aufgaben, sich wie in VDS durch Pflanze-zu-Tier-Verwandlungen aus Gemüse schlachtbare Nutztiere machten oder nur noch von Pflanzen ernährten. Einer habe sogar vorgeschlagen, dass alle Bewohner in grasfressende Tiere verwandelt werden sollten. Doch am Ende hatte die Heilerin Rosanna Lakebottom ihren Vorschlag durchgesetzt, um mehr als zehn Jahre überstehen zu können. Nur je vier Hexen und vier Zauberer wären wach geblieben, um den Schutzbann aufrechtzuhalten und darauf zu warten, dass die Glocke verschwand. Romina grinste, als sie Anthelia und den anderen vorlas:

"Wir haben erst stunden später aus uns zugeflogenen Eulenbriefen erfahren, dass wir wohl den Schwestern vom Spinnenorden unsere Freiheit verdanken müssen. Das hat einige von unseren auf die Ehre, das eigene Land zu verteidigen erpichte Zauberer verstimmt, weil sie ausgerechnet von einem männerfeindlichen Hexenclub aus dem drachendreck gezogen worden seien und sie jetzt nicht wüssten, ob sie sich da echt für bedanken müssten."

"Ich werde mir das Dorf mal ansehen, wenn die ihren Feindesabwehrzauber widerrufen haben und mir da wen schönes raussuchen, der mir im Namen seiner Leute die Dankesschuld abstattet", sagte Anthelia.

"Was schönes? Da wohnen nur mit Städten und Kulturbetrieben hadernde Bergbauern und ihre knorrigen Weiber", meinte Portia. "Eigentlich hätte die auch niemand so richtig vermisst."

"Hallo, werte Schwester Portia. Natürlich wurden die vermisst, von ihren Müttern oder Schwestern oder Enkeltöchtern, die nicht - wie saggtest du? - mit Städten und Kulturzaubereien hadern und deshalb in eben solchen Ansiedlungen wohnen. Außerdem haben wir Buggles' Banditen bewiesen, dass sie dieses Land eben nicht vollständig beherrschen. Das war die Sache wert, Schwester Portia. Außerdem habe ich schon mit sehr drallen Bergbauernburschen das Lager geteilt. Wenn sie vorher baden sind sie teilweise schöner als die verweichlichten Stadtburschen und wesentlich ausdauernder als solche und haben vor allem einen Sinn dafür, einen begehrlichen Garten umzugraben und zu wässern." Portia lief knallrot an. Beth sah Anthelia verdrossen an, während Romina grinste wie ein junges Schulmädchen.

"Öhm, lassen wir es bitte dabei, dass wir denen gezeigt haben, dass Sie vielleicht ein paar nette Zaubertricks können, aber nicht all zu lange was davon haben", sagte Beth McGuire. Anthelia erfasste aus ihren Gedanken, dass sie nach jener von VM ausgerichteten Halloweenfeier jede Lust am lustvollen Beilager verloren hatte. Damit konnte sie leben, dachte die Verschmelzung aus Anthelia und Naaneavargia.

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"Hast du das auch mitbekommen, dass die Spinnenschwestern wohl Misty Mountain von deren Käseglocke befreit haben?" fragte Millie ihren Mann am Nachmittag des 22. Mai. Dieser schüttelte den Kopf. So durfte er die aus VDS geschickte Kopie des Misty Mountain Bergbotens lesen und nickte. "Oha, dass mit der Dankbarkeit hätte der hier zitierte Collin Proudfoot besser mal nicht so formulieren dürfen. Könnte sein, dass die ihren Feindesschutz-Zauber nie mehr auflösen dürfen, weil Anthelia/Naaneavargia sonst mal nachsieht, wer ihr diese Dankbarkeit abstatten kann."

"Stimmt, könnte der einfallen, so wie Aurora Dawn und du sie beschrieben haben."

Brittany war zumindest heilfroh, dass es gelungen war, die Glocke über Misty Mountain aufzusprengen. Denn dorthin hatte niemand aus VDS Bilderkontakt gehabt, um denen zu beschreiben, wie sie sich selbst davon befreien konnten. "Jetzt brauchen wir hier in VDS zumindest kein schlechtes Gewissen oder Mitleid mehr für die Leute aus Misty Mountain zu empfinden. Aber das ist schon richtig dreist, dass diese Spinnenschwestern mal eben Tunnel dahingraben und dann was mit Erdmagie machen, um die Glocke wegzusprengen, ohne zu wissen, ob das klappt."

"Britt, glaub's mir bitte. Die höchste von den Spinnenschwestern hat eine verdammt große Ahnung von Erdzaubern. Die ist eine Großmeisterin der Erdmagie. Die hat das sicher klar durchgeplant, mit welchen Zaubern sie diese Glockenträger überladen kann, dass die keine Mond- und Sternenmagie mehr zapfen konnten", sagte Julius. Er war sich auch sicher, welche fünf Zauber das genau waren, vor allem das Lied der nährenden Erde, das Metalle und Gesteinskörper mit Erdmagie aus der Umgebung auflud, dass sie solange unzerstörbar blieben, wie sie nicht für mehr als eine Minute vom Erdboden gelöst wurden. Auf Lebewesen angewendet stärkte es deren Ausdauer und ließ sie beliebig lange wach bleiben und sogar mehr Körperkräfte und Schnelligkeit aufbieten als sonst, solange sie eben Kontakt mit der Erde behielten.

"Mit anderen Worten, die von Misty Mountain sind dieser Spinnenschwester jetzt was schuldig?" wollte Brittany wissen.

"Wenn sie das so sieht, Britt. Sonst nicht", erwiderte Julius darauf. Dann wünschten sie sich gegenseitig noch einen schönen Tagesausklang. Danach beendete er die Verbindung über das Orichalkarmband aus der Villa Binoche.

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24.05.2005

Sie hoffte, dass selbst die erhöhten Sicherheitsvorkehrungen des zur Festung gemachten Zaubereiministeriums beziehungsweise der nordamerikanischen zaubereiadministration nicht alles mitbekamen, was sie so bei sich hatte. Natürlich rechneten die Prüfer an den vier mächtigen Zugangstüren mit besonderen Mitbringseln, die sie vor böswilligem Zauberwerk aus verschiedenen Kulturkreisen beschützen sollten. Darauf legte sie es ja auch an. So trug sie eine Kette aus eigenem Haar mit einem silbernen Amulett, das durch eigenes Blut und entsprechende Zauber zu einem Schutzgegenstand gegen Fernzauber des Voodoo schützte, trug ein Frühwarnarmband gegen feindliche Wesen und lauernde Flüche, sowie zwei Goldblütenhonigphiolen zur Abwehr mittelstufiger Direktangriffe und Fernflüche. Ihre Kleidung selbst bestand aus Akromantula-Spinnseide, Drachenhaut und Metallschließen, in die Occamysilber eingewirkt war. Ebenso trug sie eine gegen Diebstahl gesicherte Goldspange im feuerroten Haar, die das Legilimentieren erschweren sollte, was Quinn Hammersmith als "Gedankenvorhang" bezeichnete und was seit einigen Monaten zur Standardausrüstung aller Außeneinsatzmitarbeiterinnen und -mitarbeiter gehörte. Das alles strahlte so viel Magie aus, dass die Prüfer sicher nicht die stark abgeschirmten Vorkehrungen erkannten, die Sheena O'Hoolihan noch am und im Körper trug.

Wie zu erwarten war wurde die irischstämmige Hexe, die als Elysius Davidsons Stellvertreterin tätig war, mit Seriositätssonden, Maledictometern und anderen Zauberkraftspürgeräten abgetastet. Immerhin hatten Buggles' Leute genug Anstand, dass zwei Hexen aus seinem Personal sie ab- und durchsuchten. Das eine davon, Meridith Hilltop, ihr mit einer dieser Spürgeräte in den Unterleib drang, um dort versteckte unerwünschte Dinge zu erkennen empfand sie zwar als sehr lästig, machte darum aber kein all zu lautes Getöse. "Gut, Sie können ihre Ausgehkleidung wieder anziehen, Madam O'Hoolihan", meinte Ms. Hilltop, als sie nichts widernatürliches im Schoß der altgedienten Laveau-Mitarbeiterin finden konnte. "Das ist aber sehr nett von Ihnen, Meridith", sagte Sheena und bekleidete sich wieder. Dabei rasselten und zirpten die um sie herum platzierten Spürgeräte wie wild. Denn ihre Kleidung war auf ihre eigene Körperaura abgestimmt.

"Nach den von Ihren Kollegen verbreiteten Behauptungen mussten wir sicherstellen, dass Sie keine wandelnde Bombe sind oder Mr. Catlock irgendwas anderes unliebsames zufügen. Sicher haben Sie die Entführung von Minister Dime noch in Erinnerung."

"Selbstverständlich", erwiderte Sheena O'Hoolihan scheinbar verständnisvoll. Sie wollte nicht davon anfangen, dass Dime und Partridge womöglich Opfer von Vita Magica geworden waren, weil Partridge das dunkle Geheimnis des ehemaligen Zaubereiministers gelüftet hatte.

Durch eine weitere mit antifluchbezauberten Metallbeschlägen geschützte Tür ging es dann zum Fahrstuhl für besondere Gäste, die sowohl besonders zu schützende Ehrengäste oder gefährliche Gefangene der Zaubereiverwaltung sein konnten, die ihren Gerichtstermin hatten. Sheena empfand sich als genau dazwischen. Jedes verfrühte Wort konnte das Vorhaben ihres Institutes scheitern lassen und Buggles die letzte und entscheidende Rechtfertigung liefern, das Laveau-Institut zum Feind der nordamerikanischen Zaubererwelt zu erklären. Falls gelang, was sie mit ihren Leuten abgesprochen und mit Hilfe eines Bergesteines in ihrem Geist versteckt hatte, so mochte heute der zweite Versuch Vita Magicas enden, offizielle Macht auszuüben. Falls nicht, war Nordamerika genauso verloren wie Italien.

Von einer Hexe und einem zauberer flankiert fuhr Sheena bis zur Etage von Strafverfolgungsleiter Raymond Catlock hinauf. Vor dessen Tür standen gleich drei sichtbare Zauberer Wache. Doch Sheena konnte auch Dank ihrer hauchdünnen Kontaktlinsen über den kleegrünen Augen vier unsichtbare Menschen sehen, wenngleich sie diese als geisterhaft unscharfe und größtenteils durchsichtige Nebelgestalten sah. Die völlige Durchdringung von Tarnzaubern gelang nur mit Hilfe besonderer Brillen oder biomaturgischer Kunstaugen, hatte Quinn Hammersmith klargestellt. Doch gut zu wissen, wo die wirklich gefährlichen Gegner lauerten, dachte Sheena.

Sie warf noch einmal einen Blick auf ihre kleine, silberne Armbanduhr. Jetzt war es fünf vor zehn. Sie war also eigentlich fünf Minuten zu früh dran. Sie rechnete also damit, auf einem der unbequemen Wartestühle sitzen zu müssen. Doch Ihre Sicherheitsbegleitung steuerte unverzüglich auf die Tür des Strafverfolgungsleiters zu.

Auf ein gesondertes Klopfzeichen wurde Sheena der Einlass gewährt. Ray Catlock, einst selbst ein Inobskurator des Zaubereiministeriums, erhob sich von seinem dunkelblauen Bürosessel und winkte der Besucherin leutselig zu. Sheena wusste, dass sie jetzt die Höhle von gleich vier Drachen auf einmal betrat. Ab jetzt galt es, ruhig und nach außen hin gefühlfrei aufzutreten und sich nicht zu unbedachten Äußerungen verleiten zu lassen. Jedenfalls verließen die Begleiter das Büro, und es stand auch niemand in einer mit Tarnzauber verhüllten Ecke. Offenbar hatte der athletische Zauberer mit dem nachtschwarzen Haar den ausgeworfenen Köder geschluckt, dass das Laveau-Institut hoch geheime Dinge kannte, die es nur ranghohen Ministeriumsmitarbeitern offenbaren wollte. Womöglich hoffte Catlock auch darauf, Sheena mit Veritaserum, Fügsamkeitstrank oder dem Imperius-Fluch wichtige Geheimnisse zu entlocken, die sonst keiner kennen durfte. Wissen war und blieb Macht, vor allem in der magischen Welt.

Guten Morgen, Madam O'Hoolihan!" begrüßte Catlock die Besucherin und deutete auf einen bequemen Stuhl ihm Gegenüber. Sheena nickte und setzte sich. Sofort fühlte sie, wie etwas in dem Stuhl ihren Körper durchflutete. Doch was immer das war wurde bereits erwartet und für sie unschädlich abgeschwächt, ohne einen Alarmzauber auszulösen. "Was macht Ihr Institut?" fragte Catlock so, als habe er nichts von dem mitbekommen, was in den letzten Wochen geschehen war.

"Das was Sie mitbekommen konnten, Mr. Catlock. Es sorgt und bemüht sich um die Aufrechterhaltung der Sicherheit und den Schutz unser aller Mitbürgerinnen und Mitbürger", erwiderte Sheena O'Hoolihan darauf.

"Nun, ich wurde beauftragt, die Beschaffung weiterer Lykanthroskope für unsere neuen Verbündeten in Mexiko auszusprechen und mit Ihnen die Lieferung und die Handhabung abzustimmen. Doch natürlich müssen wir auch über alles reden, was in den letzten Wochen gesagt oder geschrieben wurde", sagte Catlock.

"Dann möchte ich Ihre Frage gerne ergänzend beantworten, dass das Marie-Laveau-Institut darauf achtet, dass das neue große Verwaltungsgefüge Nordamerikas nicht von vorne herein von freiheitsfeindlichen Kräften durchdrungen und unterwandert wird. Denn je größer eine Verantwortung ist, desto gefährlicher ist es, wenn die Verantwortlichen gegen ihren Willen zu unlauteren Taten getrieben werden sollen. Aber wem sage ich das?"

"Ja, das ist einer der Gründe, warum wir beide nun diese Unterredung führen. Denn offenbar bestehen einige dringend zu klärende Punkte, wer da für was zuständig ist und ob es bei den Ereignissen der letzten Wochen und Monate einige Dinge gab, die zu schwerwiegenden Missverständnissen geführt haben, die dringendst behoben werden müssen. Ich hoffe, in diesem Punkt stimmen Sie und Ihr Vorgesetzter mir zu", entgegnete Ray Catlock.

"Dies werden wir tun, sollte sich erweisen, dass es wirklich Missverständnisse gab, die zu klären sind", sagte Sheena O'Hoolihan ganz ruhig. "Zum Beispiel wüsste ich gerne von Ihnen, was es bedeutet, dass die uns allen gewährte Meinungsfreiheit mal eben so außer Kraft gesetzt wurde, auch auf höchst richterlichen Beschluss hin."

"Sie spielen auf unsere zugegeben sehr verärgerte Antwort auf die Aussagen Ihres Pressesprechers im Weißrosenweg an und dass dieser die Besorgnis geäußert hat, unser Zaubereiministerium sei bereits von auswärtigen Gruppierungen fremdbestimmt? Nun, dies ist eine sehr drastische und für die Sicherheit unserer magischen Mitbürger höchst gefährliche Behauptung, weil jene, die auf jeden Fall gegen uns und auch gegen Sie agieren nun neuen Zulauf erhalten werden und dann von sich aus gegen uns vorgehen. Denn wie Sie wissen, Madam O'Hoolihan, gedeiht nichts schneller und üppiger als ein Gerücht auf mit Misstrauen gedüngtem Boden. Ja, und statt sich gleich und in aller gebotenen Stille mit uns zu beraten und abzustimmen pauken und trompeten Sie in alle Welt, dass wir von gesetzlosen Gruppierungen unterwandert werden sollten. Wer sagt denn, dass nicht Sie von böswilligen Zeitgenossen beeinflusst werden?"

"Der Umstand, dass Sie diese Frage noch stellen durften, ohne von mir schon vorher mit einem zur Gefolgschaft zwingendem Zauber belegt worden zu sein", erwiderte O'Hoolihan. Diese Bemerkung löste ein lautes Lachen bei Catlock aus. "Imperius-Fluch oder Fügsamkeitstränke lösen sogleich Alarmzauber aus, wenn sie in diesem Raum oder anderen hochsensiblen Bereichen der Zaubereiverwaltung registriert werden, werte Madam O'Hoolihan", schaffte es Catlock, trotz seiner Erheiterung auszusprechen. "Aber kommen wir zu dem, was Sie behauptet haben und dem, was wir dem entgegenhalten müssen. Hinterher werden Sie zugeben müssen, dass Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen viele hundert Besenlängen über das Ziel hinausgeschossen sind", sagte Catlock.

"Gut, unsere öffentlichen Aussagen kennen Sie. Falls nicht habe ich sie hier noch einmal in schriftlicher Form vorliegen. Ihre Zauberprüfer haben die Akten als unbehext und unbedenklich eingestuft", sagte Sheena O'Hoolihan und öffnete ganz ruhig ihre kleine grasgrüne Handtasche. Catlock warf schnell einen Blick zur Decke hoch. Sheena wusste, dass dort eine Warnlinse befestigt war, die für unbefugte Augen unsichtbar war und auf verdächtige Zauber eingestimmt war. Quinn Hammersmith hatte an dieser Vorrichtung mitgewirkt, wenngleich er schon eine wesentliche Verbesserung davon entwickelt und im Institut eingerichtet hatte.

"Der erste Administrator Buggles hat mich autorisiert, Sie darauf hinzuweisen, dass das Laveau-Institut trotz aller beharrlichen Autonomie weiterhin ein Bestandteil unseres Sicherheitsgefüges ist und somit in letzter Konsequenz den Weisungen der Sicherheitsabteilung unterliegt, also meinen Weisungen. Zumindest erkennt Ihr Vorgesetzter diesen Umstand an. Dann gilt, dass alle gegen unsere Verwaltungsbehörde zielenden Äußerungen als illoyal eingestuft werden, sollten wir hier und heute nicht klarstellen, dass Sie und wir weiterhin auf derselben Seite stehen." Sheena hielt es für klug, da besser nicht drauf zu antworten.

Es ging nun um die Behauptungen, dass die Zaubereiadministration von Mächten wie dem Spinnenorden oder Vita Magica unterwandert sein mochten, sowie die Übereinstimmung des Laveau-Institutes mit den seit dem 16. Mai wieder frei empfangbaren Rundfunkmeldungen aus Viento del Sol. Catlock blieb dabei, dass die Abriegelung Viento del Sols eine reine Quarantänemaßnahme gewesen sei, um die Ausbreitung eines aus den Tropen eingeschleppten Erregers zu unterbinden und die Bewohner von VDS versucht hätten, die Quarantäne zu unterlaufen. Das glaubte O'Hoolihan zwar nicht, drückte es jedoch nicht so direkt aus. Sie entgegnete statt dessen, dass sie verwundert sei, dass die magische Heilzunft nicht von Anfang an in die Gegebenheiten wegen dieser Quarantänemaßnahmen einbezogen worden war und selbst mit der Begründung Gefahr im Verzug eine unmittelbare Information an die Heilzunft hätte erfolgen müssen, statt über Wochen hinweg alle Nachrichtenverbindungen nach Viento del Sol zu unterbrechen, was schon den gewissen Eindruck einer rein politischen Isolation erweckt haben mochte. Catlock hielt dem entgegen, dass die Bewohnerinnen und Bewohner von Viento del Sol wohl selbst nicht zugeben wollten, dass sie, das Vorzeigedorf der nordamerikanischen Zaubererwelt, einen so tückischen Erreger bei sich hatten ausbrechen lassen und die Heilerzunft wohl gerade selbst damit befasst sei, die residente Heilerin von Viento del Sol zu befragen, was genau dort vorgefallen sei.

Sheena blieb auf der Hut, keine von sich aus provokanten Antworten zu geben, solange sie nicht wusste, ob der Verdacht des Institutes gerechtfertigt war oder nicht. Sie sagte deshalb nur, dass die Mitarbeiter des Laveau-Institutes problemlos nach Viento del Sol gelangen konnten und es dort keine Anzeichen einer vor kurzem grassierenden Seuche gefunden habe und das LI auch in ständigem Kontakt mit der Heilerzunft stand, ob es eine derartige Epidemie gegeben habe und falls ja, ob diese wirklich erfolgreich eingedämmt werden konnte. Allerdings drückte sie im Namen ihrer größtenteils autonomen Wirkungsstätte die Verwunderung aus, dass die nordamerikanische Zaubereiverwaltung auch die Verbreitung des magischen Rundfunks blockiert habe. Damit, so Sheena, habe die Zaubererweltadministration den unschönen Eindruck genährt, man wolle die Bewohner dieser Ansiedlung, ja auch jene von Misty Mountain, an ihrer freien Meinungsäußerung hindern. Somit sei das von Catlock erwähnte Gift des Misstrauens von sehr besorgten bis übereifrigen Mitarbeitern seines Zuständigkeitsbereiches ausgestreut worden und nicht vom Laveau-Institut. Der als große Ankündigung zelebrierte Auftritt von Lionel Buggles habe dieses Misstrauen nicht beseitigt, sondern noch mehr gestärkt. Denn nach den Vorfällen um den ehemaligen Minister Pole und dem in den Staaten wütenden Succubus, sowie die offenbarte Abhängigkeit von Chroesus Dime von einer Sympahtisantin Vita Magicas sei die Bevölkerung hochgradig angespannt, was verdächtige Vorgänge anginge.

"Natürlich fürchten viele unserer Mitbürger gerade nach der schweren Welle dunkler Magie und der nicht minder gefährlichen Entladungsfront ungerichteter Erdzauber, dass fremde Mächte unsere Administration unterwandert und übernommen haben könnten", sagte Catlock. "Doch genau wie die zwölf höchsten Richter damals Dimes Verfehlungen benannt und geahndet haben würden die Richter weiterhin jede unregelmäßige Entscheidung in Frage stellen. Dass sie dies nicht tun liegt daran, dass diese im Gegensatz zu Ihnen sämtliche Kenntnisse über unsere Arbeit und die Zusammenführung der drei nordamerikanischen Zaubereiadministrationen zu einer einzigen sehr genau verfolgt haben. Zweifeln Sie etwa auch die Unabhängigkeit des höchsten Gerichtes an?" wollte Catlock wissen. Sheena hätte fast mit "was für eine Frage?" geantwortet. Denn die von ihrem Pressesprecher erhobenen Vorwürfe zielten bereits in genau diese Richtung, nämlich, dass die zwölf höchsten Richter der Vereinigten Staaten ebenfalls unter fremden Einfluss genommen worden waren. Doch laut sagte sie: "Nun, es entging uns nicht, dass der rat der zwölf bereits entscheidende Gesetzesänderungen beschlossen hat. So sollen ja keine Schwerverbrecher mehr an Leib und Seele getrennt in Doomcastle weggesperrt werden, sondern im Akt einer erweiterten Genesungsverjüngung zu neuen, gesetzestreuen und verlässlichen Mitgliedern der magischen Gesellschaft heranwachsen. Ich brauche Ihnen ja nicht zu erzählen, dass sowas durchaus auch eine Denkweise von Vita Magica sein mag, magisches Blut nicht dauerhaft an der Vermehrung zu hindern, wie es die bisherigen Höchststrafen für Mörder und Umstürzler bewirkt haben. Uns besorgt auch, dass der Strafenkatalog in dieser Hinsicht auch minderschwere Gesetzesverstöße in diese Art von Wiedereingliederung vorsieht, ja dass sogar weitere Strafandrohungen hineingeschrieben wurden, wie eben der Paragraph fünf, der jede mit Worten begangene Gefährdung des allgemeinen Friedens betrifft, womit Sie ja die Beschränkung der bisherigen Meinungsfreiheit rechtfertigen. Ja, auch da haben wir vom Institut eine gründliche Prüfung durch den Zwölferrat des Zaubergamots erwartet. Es ist sicher hilfreich, wenn Sie mir mitteilen, ob diese Prüfung noch andauert oder welches Ergebnis sie erzielt hat."

"Sollte es eine derartige Prüfung geben, so gehört sie sicherlich nicht an die Öffentlichkeit, weil sie ja nicht nur dieses einge Gesetz betrifft, sondern den vollständigen Strafrechtskatalog umfasst", erwiderte Catlock und legte gleich nach: "Ja, und höchst bedauerlicherweise hat Ihr Institut das Recht verwirkt, in derlei Vorgänge Einsicht zu nehmen, da Ihr Pressesprecher ja so unerfreulich voreilig auftrat, was die Quarantänemaßnahmen für Viento del Sol anging und diese Abwehrzauber, mit denen der Weißrosenweg gegen alle Verwaltungsbeamten abgesperrt wurde, den unschönen Verdacht einer Kolaboration mit umstürzlerischen Kräften erweckt hat. Sie sind hier, um diese Missstände zu erläutern und mit mir einen gemeinsamen Beschluss zu deren Abschaffung zu finden. Erst wenn wir sicher sein können, dass das Laveau-Institut mit uns auf derselben Linie ist dürfen Sie die von Ihnen leichtfertig verspielten Vorrechte zurückerhalten, Einblick in geheime Rechtsvorgänge zu nehmen."

"Dieser Zauberbann, den nicht wir selbst bewirkt haben, aber zumindest für geboten erachten, dient der Abwehr feindlicher Mächte von den im Weißrosenweg aufwachsenden Kindern und dem Schutz ihrer Eltern, ebenso wie es der erweiterte Schutzzauber über Viento del Sol bewirkt", wagte sich Sheena O'Hoolihan doch ein wenig weiter vor als sie eigentlich wollte. Doch Catlock hatte ja längst die Maske fallen gelassen. Ihm ging es nicht um eine Aussprache, sondern um eine verbindliche Absprache und vor allem, klare Verhaltensvorgabe an das Laveau-Institut. Natürlich war es der alten und neuen Administration lästig, dass das mächtige, größtenteils unabhängige Institut klar für die bedrängten eintrat und sich nicht zurückhielt. Also ging es Catlock darum, sie auf seine Linie zu bringen, ihre Mitarbeit zu erwirken, ja falls nötig zu erzwingen. So sagte sie noch: "wie erwähnt liegt dem Laveau-Institut nichts daran, eine offene Auseinandersetzung innerhalb der Zaubererwelt zu entfachen. Andererseits sollten Sie im Namen Ihres Vorgesetzten darlegen, was genau ihn und Sie veranlasst hat, viele verdiente Mitarbeiter unter den Verdacht der Illoyalität, ja des offenen Umsturzes zu stellen und die Ehepartner amerikanischer Mitbürger zum Verlassen unseres Landes zu drängen, sofern diese nicht von sich aus abreisen wollten oder sich bereits dem Zugriff Ihrer Administration entzogen haben. Da wir nach wie vor in unserer Unabhängigkeit einen sehr wichtigen Beitrag zur Wahrung von Frieden und Sicherheit sehen bitte ich Sie darum, uns diese Fragen unmissverständlich zu beantworten und nicht nur auf Vorwürfen und Vorhaltungen zu beharren."

"Wenn Sie mit den in unsere Gemeinschaft eingeheirateten Personen unter anderem Gilbert Latierre und Martha Merryweather meinen, so hat deren Verhalten offenbart, dass unser Verdacht leider zutraf. Oder haben Ihre Spione aus unserer Verwaltung nicht weitergemeldet, dass die so für überaus wichtig gehaltene elektronische Überwachung der nichtmagischen Fernmeldemedien von Martha Merryweather sabotiert wurde, dass wir wieder zur althergebrachten Überwachung der magielosen Welt zurückkehren mussten?"

"Das ist bedauerlich, dass Sie uns jetzt auch noch unterstellen, Sie auszuspionieren, Mr. Catlock. Da kein Wort der Welt Sie von diesem Gedanken abbringen mag werde ich mich dazu nicht weiter äußern. Allerdings benötigten wir keine Spione, die uns dieses Vorgehen mitteilten, da Martha Merryweather selbst eine entsprechende Mitteilung an alle an ihre Unterbehörde angeschlossenen Nachrichtenempfänger versandt hat, dass von Ihrer Administration bis auf weiteres keine weiteren elektronischen Mitteilungen erfolgen werden. Zumindest erhielten wir den Wortlaut dieser Nachricht von allen mit uns weiterhin im guten Einvernehmen zusammenarbeitenden Stellen."

"Moment, diese Person hat das auch noch angekündigt, dass sie diese überbezahlte Abteilung lahmgelegt hat?" fragte Catlock verdrossen. O'Hoolihan wusste, dass sie gerade ihren eigenen Kopf ins offene Drachenmaul legte. Denn natürlich wollte Catlock jetzt wissen, woher das LI diese Angaben hatte, ja ob es gar selbst solche elektronischen Überwachungsmittel verwendete.

"Soweit ich den Text verstanden habe ging es Martha Merryweather darum, dass keine unbefugten Mitglieder der Zauberergemeinschaft Zugriff auf das von ihr entwickelte Überwachungsnetzwerk und die darin arbeitenden Programme erhielten und offenbar von ihrer Seite aus der Verdacht bestand, dass das Zaubereiministerium bereits von solchen Leuten unterwandert worden sein mochte. Soweit ich von den bei uns tätigen Fachleuten für nichtmagische Nachrichtenverbreitungsmittel erfahren habe kann ein unerwünschter Zugriffsversuch durch die Einrichtung von Selbstvernichtungsschaltungen abgefangen werden. Abgesehen davon dürfte jeder, der weiterhin das Vertrauen von Mrs. Merryweather besitzt, weiterhin diese elektrischen oder elektronischen Überwachungsstrukturen nutzen. Sicher ging sie davon aus, eines Tages wieder für Ihre Verwaltungsbehörde tätig sein zu dürfen, wenn jenes Missverständnis ausgeräumt wurde, das sie in diesen Verdacht gebracht hat."

"Missverständnis?! Das war ein klarer Akt von mutwilliger Beschädigung und Beeinträchtigung ministeriumseigener Mittel, was die Nomajs auch als Sabotage bezeichnen. Das ist ein eindeutiger Gesetzesverstoß in Tateinheit mit gefährlicher Gehorsamsverweigerung und Bruch des Diensteides. Mrs. Moreland ist bereits dabei, zu untersuchen, ob ihr und allen anderen zum Verlassen unseres Landes aufgeforderten nicht der Status eines Ehepartners abgesprochen werden soll. Falls der Zwölferrat ihr folgt - was bei der Faktenlage sehr wahrscheinlich ist - werden ihr alle Besitztümer auf nordamerikanischem Boden abgesprochen und das Sorgerecht für ihre drei hier geborenen Kinder aberkannt. Das heißt dann, dass sie sobald sie den Zuständigkeitsbereich der Administration betritt in Haft genommen werden kann und möglicherweise gemäß der Gesetzesreform vom 20. Mai der Wiederverjüngung und Verwahrung in einer loyalen Familie zugeführt werden wird. Bedenken Sie dies gütigst, wenn Sie solchen Subjekten eine gewisse Berechtigung zur mutwilligen Zerstörung in Tateinheit mit Verrat zuerkennen!"

"Ich bin mir bewusst, dass Mrs. Merryweather sich dieses Eindrucks bewusst ist, den ihr notwendiges Vorgehen machen musste und sie deshalb bis auf weiteres keine Veranlassung hat, in die Staaten zurückzukehren, zumal ihre drei Kinder ja bei ihr untergebracht sind", rückte O'Hoolihan mit etwas heraus, dass Catlock noch mehr dazu bringen mochte, sie nicht mehr so einfach aus diesem Zimmer zu lassen. Der Drache war jetzt gekitzelt und wand sich. Wenn er aufwachte mochte er gleich einen Feuerstrahl ausspeien oder nach dem Grund für die Störung schnappen. So sagte sie nun gänzlich bewusst, dass sie sich nun endgültig auslieferte: "Ist es Ihnen und Ihrem Vorgesetzten recht, dass wir über die mit Mrs. Merryweater gehaltenen Kontakte weitergeben, was sie genau erwartet, auch und vor allem, um jede Nachahmungstat zu verhüten?"

"Sie haben also Kontakt mit dieser illoyalen Frau?" fragte Catlock.

"Ja, das habe ich gesagt", erwiderte Sheena O'Hoolihan ganz ruhig. "Allerdings dürfte es nicht so leicht sein, ihr etwas anzuhaben, zum einen, weil sie in einem mit Sanctuafugium-Zauber gesicherten Haus untergebracht ist und zum zweiten, weil sie zu jenen Müttern gehört, die auf Betreiben von Vita Magica mehrere Kinder auf einmal geboren hat. Falls unsere Besorgnis bis jetzt unbegründet war, dass die nordamerikanische Zaubererweltadministration von auswärtigen Kräften unterwandert wurde, so besteht dann zumindest die gewisse Wahrscheinlichkeit, dass Vita Magica erneut versuchen wird, das Ministerium vollständig zu übernehmen und Sie gegen einen ihrer eigenen Leute auszutauschen. Dann spätestens dürften unsere Vermutungen gerechtfertigt sein."

"Achso, Sie meinen, Martha Merryweather stehe unter dem Schutz von Vita Magica und dürfe deshalb alles tun, um uns zu diskreditieren und in unserer Verwaltungstätigkeit zu behindern?" fragte Catlock. Sheena verdrängte das Gefühl der Verachtung, dass sie gerade empfand und antwortete ruhig:

"Ich dachte, Sie hätten es deshalb mit Mrs. Merryweathers direktem Vorgesetzten abgestimmt, dass sie unangefochten das Land verlassen darf, weil ihre Verhaftung oder ihr Verschwindenlassen Schwierigkeiten mit Vita Magica nach sich gezogen hätte. Insofern wundere ich mich gerade sehr, dass Sie hier die große Pauke schlagen, dass Sie sie am liebsten enteignen und bei der Gelegenheit eines physischen Zugriffs körperlich und geistig zur Neugeborenen zurückverjüngen wollen. Denn das hätten sie ja dann auch ohne die direkte Ausweisung von ihr oder die Androhung weiterer Strafverfahren anstellen können, wenn sie arglos wieder von ihrem Auslandsaufenthalt zurückgekehrt wäre. Ja, Sie hätten ihr Verschwinden sogar als klare Bestätigung der Wehrhaftigkeit Ihrer neuen nordamerikanischen Gesamtverwaltung darstellen können."

"Das ist jetzt eine sehr schwere Unterstellung, die Sie da äußern. Finden Sie nicht, dass Sie da gerade zu weit gegangen sind?" fragte Catlock.

"Nein, finde ich nicht. Ich habe lediglich versucht, mir darüber klar zu werden, in welcher Zwangslage Sie stecken, dass Sie schon Angst vor Hexen und Zauberern aus dem Ausland solche Maßnahmen andenken, wie Sie sie gerade selbst geschildert haben", erwiderte Sheena O'Hoolihan ruhig. "Wir möchten Ihnen gerne helfen, aus dieser Zwangslage herauszukommen, Ihre neue gesamtnordamerikanische Administration auf sichere Füße zu stellen und mitzuhelfen, dass weder Vita Magica noch eine andere auf Unfrieden ausgehende Gruppierung in unserer Heimat an Macht gewinnt. Daher bitte ich Sie als meinen direkten Ansprechpartner, dass wir eine gemeinsame Formulierung finden, wie wir die angespannte Lage beenden können. Denn Sie haben völlig recht, nur wenn Ihre Administration und das Laveau-Institut am selben Strang ziehen besteht die Wahrscheinlichkeit, dass ein neuer Übergriff von Vita Magica vereitelt werden kann."

"Ach, dann unterstellen Sie uns gerade nicht mehr, dass wir bereits von Vita Magica fremdbestimmt werden?" fragte Catlock überrascht.

"Sagen wir es so, Sie haben es jetzt in der Hand, zu beweisen, dass es nur eine haltlose Unterstellung anderer ist und nicht den Tatsachen entspricht. Gewähren Sie uns Einblick in die Gesetzesvorhaben und gerichtlichen Verfahren, diese zu prüfen oder umzusetzen!" preschte O'Hoolihan vor. Jetzt musste Catlock aus seiner Deckung heraus. Denn stimmte er zu, dann mochte herauskommen, dass es doch Unregelmäßigkeiten gab. Ging er nicht darauf ein, so verstärkte sich der Verdacht, dass bereits andere das Sagen in den Staaten, Mexikos und Kanadas hatten. Ja, und von der dritten Möglichkeit die ihm blieb würde abhängen, ob das LI heute noch die Befreiung des Zaubereiministeriums feiern durfte oder es auf eine offene Konfrontation mit ungewissem Schaden an Vertrauen, Personen und Dingen ankommen lassen musste, ob Buggles' Bollwerk bestürmt werden musste oder seinerseits einen Angriffskrieg gegen alle Andersdenkenden führen würde.

"Ich wähle die Möglichkeit Nummer drei, Madam O'Hoolihan. Denn was Sie vorhin alles offenbart haben und wie Sie die uns feindlich gesinnte, ja den Frieden bedrohende Haltung Ihres Institutes gegenüber uns verteidigt haben, ohne zu provokante Wörter zu wählen, gibt mir das Recht, Sie auf einen Eidesstein schwören zu lassen, dass Sie von heute an nur noch in unserem Sinne tätig sein und alle von uns geforderten Informationen zu übermitteln haben. Widrigenfalls darf ich sie festnehmen und zu einem weiterführenden Verhör einbestellen lassen, ohne alle Ihre kleinen und großen Abwehrtalismane."

"Muss mich diese Ankündigung jetzt wirklich wundern?" fragte O'Hoolihan jetzt doch sehr provokant. "Lief es nicht die ganze Zeit darauf hinaus, mich zu konditionieren, Ihnen als willfährige Erfüllungsgehilfin im Laveau-Institut zu dienen?" legte sie nach, wohl wissend, dass solche Äußerungen mit magischer Gegenwehr beantwortet werden mochten.

"Wir beide sind zivilisierte Leute, Madam O'Hoolihan. Daher hoffe ich, dass Sie es nicht auf eine handgreifliche Auseinandersetzung anlegen, zumal ich gegen jeden magischen Angriff abgesichert bin. Selbst wenn Sie offenbar die Kooperationsbereitschaftsbezauberung, die in Ihrem Stuhl wirkt überwinden können, so legen Sie es sicher nicht darauf an, Sie als Ausführungsgehilfin eines Mordanschlages gegen mich zu präsentieren. Also unterschreiben Sie mir dieses Einverständnisdokument hier und schwören Sie auf einen Eidesstein, dass Sie sich an die schriftlich vereinbarten Verhaltensgrundlagen halten werden!"

"O, kein magisch bindendes Schriftstück? Verstehe, Sie haben davon gehört, dass sowas auch leicht auf den zurückschlagen wird, der mitunterschreibt. Ein Eidesstein wirkt sich nur auf die auf ihn schwörende Person aus. Aber ich habe dem Laveau-Institut einen Eid geleistet, es nicht zu verraten und jeden Schaden von ihm abzuhalten. Außerdem kann ich mich auch ohne die Schutzzauberartefakte an meinem Körper ganz gut wehren und zur Not auch schnell verschwinden."

"Ich biete Ihnen die Möglichkeit, als freie Hexe aus diesem Büro zu gehen und ohne weitere Behelligung in Ihr Institut zurückzukehren oder als Ausführungsgehilfin eines gegen mich geplanten Attentats festnehmen zu lassen und damit dem Laveau-Institut den maximalen Schaden zuzufügen, nämlich den des Ansehensverlustes und der Gesetzlosigkeit, was mit einer Erstürmung und Besetzung Ihres Zentralgebäudes einhergehen wird. Das wollen Sie sicher nicht wirklich", erwiderte Catlock.

"Nein, das will ich nicht wirklich", sagte Sheena O'Hoolihan. "Deshalb werde ich Ihnen auch nicht verraten, wo genau unser Zentralgebäude ist. Abgesehen davon, dass das LI sich mit sehr wirksamen Bannzaubern gegen feindliche Angriffe abgesichert hat, die Zauber aus den uns bekannten Kulturkreisen widerstehen können, und das sind sehr viele."

"Ich gehe davon aus, werte Dame, dass Sie mir und dem ersten Administrator schon in einer Stunde alles erzählen werden, was wir über die von Ihrem sogenannten Institut betriebenen Machenschaften wissen wollen", offenbarte Catlock nun endgültig seine wahren Beweggründe. Sheena nahm diese Aussage als zu erwarten hin. Der Drache hatte sein maul geöffnet und gefaucht. Ob er nun Feuer spuckte oder zuschnappte war nicht mehr so wichtig. Denn mit seiner feindseligen Äußerung hatte er die heimlich am Körper getragenen Zaubergegenstände aktiviert, die bis dahin im Hintergrund ihrer eigenen Lebensaura unentdeckt geblieben waren.

"Dass ich Sie nicht offen angreifen kann weiß ich, und das würde mir auch nicht im Traum einfallen. Aber denken Sie, ich könnte nicht einfach aufstehen und zur Tür hinausgehen. Wie Sie ja gerade zugegeben haben hält mich der in Ihrem Besucherstuhl steckende kleine Fügsamkeitszauber nicht zurück", sagte Sheena O'Hoolihan ruhig und stand auf, darauf gefasst, dass Catlock ganz plötzlich den zauberstab freiziehen mochte.

Catlock grinste jedoch nur verhalten. Dann sagte er: "Wennich jetzt das Signal gebe ist die Tür solange verriegelt und ich bin vor Ihnen solange sicher, bis in nicht mal einer Minute meine Sicherheitsleute hier sind um Sie festzunehmen, Sie dummes Stück. Denn disapparieren können Sie nicht. Portschlüssel können dank der neuen Sperren seit dem Cartridge-Zwischenfall auch nicht mehr benutzt werden, und unregistrierte Hauselfen lösen einen sofortigen Betäubungsgasausstoß aus. Oder dachten Sie, sich hinaustranslokalisieren zu lassen?"

"Würde das auch nicht funktionieren?" fragte Sheena O'Hoolihan.

"Nein, hier nicht, weil wir entsprechende Sperren errichtet haben. Denken Sie ernsthaft, wir lernen nicht aus den Fehlern der anderen?"

"Stimmt, Sie machen lieber eigene Fehler", sagte Sheena O'Hoolihan. "Bevor ich fort bin nur so viel, kämpfen Sie gegen denZwang an, Buggles als Ihren wahren Herren anerkennen zu müssen. Sonst reißt er sie mit sich in das schwarze Loch, auf das er gerade zusteuert. Ach ja, ich hatte übrigens noch zwei Methoden im Plan, von hier fortzukommen. Eine von denen wäre sehr ruppig geworden, und die zweite hätte womöglich eine Kettenreaktion nach sich gezogen, die das ganze Haus bis auf weiteres unbenutzbar gemacht hätte. wie erwähnt ..."

"Sicherheitsalarm!" rief Catlock. Sheena rief im selben Moment "Snotty!"

Erst ging der Katzenjammerzauber los. Dabei verriegelte sich die Tür und zwischen Sheena und Catlocks Schreibtisch schnellte eine silberne Lichtwand hinunter. Fast gleichzeitig krachte es laut, und ein gerade mal 80 Zentimeter hohes Wesen mit roter Rübennase stand neben Sheena. Beide griffen einander blitzschnell bei den Händen. Unvermittelt strahlte eine goldene Plakette auf dem Brustteil des gelben Geschirrtuches auf, mit dem der Eindringling bekleidet war. Zeitgleich explodierte zwischen beiden eine rosarote Lichtkugel, die sich in dem Moment zu einer halbdurchsichtigen Lichtkuppel formte, als aus den Wänden rote und silberne Blitze überschlugen. Es piffte und prasselte laut, als die Entladungen von der scheinbar stahlharten Lichtkuppel abprallten oder daran zersprühten. Gleichzeitig paffte es von der Decke her. ein erst schwacher Nebeldunst füllte den Raum aus. Doch keine hundertstelsekunde später umschloss Sheenas Kopf eine bläuliche Blase, genauso wie den Kopf des kleinen Wesens mit den Fledermausohren und dem sonnengelben Geschirrtuch am Leib. In einer nur wenigen Menschen eigenen Kaltblütigkeit griff Sheena mit der linken Hand an die rosarote Lichtkuppel. Der berührte Abschnitt schmiegte sich wie ein warm und leicht prickelnder Gummihandschuh um ihre Finger. Doch als sie damit durch die Barriere langen wollte prallte ihre Hand von roten und blauen Blitzen umzuckt ab. Sie hatte eigentlich vorgehabt, die Pergamente auf dem Tisch zu ergreifen. Doch dann passierte was ganz anderes.

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Der Magus Primus hörte unvermittelt den Alarm durch alle Räume dringen. Ein unbefugter Eindringling hatte es wahrhaftig geschafft, bis in einen der sensiblen Arbeitsräume vorzudringen, womöglich ein Hauself.

Schlagartig schnellte zwischen Buggles' Schreibtisch und der einzigen Zugangstür eine silberne Lichtwand herunter. Jetzt kam kein wie auch immer gearteter Angriff durch. Gleichzeitig paffte es von der Decke her. Buggles wusste, dass jenseits der Sicherheitslinie Schlafgas der Stufe 3 freigesetzt wurde. Tauchte nun ein unerwünschter Hauself auf würde der sofort betäubt. Doch was, wenn der Elf direkt bei ihm auftauchte?

"Sonnentau!!" rief Buggles und wollte nach den Pergamenten auf dem Tisch langen. Doch diese hoben wie von selbst ab und sausten wie von einem mächtigen Magneten angezogen in die gleichzeitig ganz aufschnellende Schublade. Innerhalb von nur einer Sekunde landeten sämtliche Unterlagen, darunter der Vertrag mit Vita Magica, in der besonderen Schublade. Diese erzitterte kurz und schnellte zu. Dann zog irgendwas Buggles' Hände magisch zum Tisch hin. Er berührte die leere Schreibtischplatte. Dann meinte er, mit samt dem Schreibtisch und seinem bequemen Stuhl in einen smaragdgrünen Strudel zu stürzen.

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Catlock hieb mit beiden Handflächen auf seinen Schreibtisch. Im Nächsten Moment umfloss ein smaragdgrünes Licht seinen Stuhl, dehnte sich so weit aus, dass es den Schreibtisch mit umschloss und wurde in nur einer halben Sekunde zu einer an die Decke stoßenden Lichtspirale. Diese wirbelte eine weitere halbe Sekunde. Dann erlosch sie mit einem lauten, dumpfen Knall. Catlock auf seinem Stuhl und der Schreibtisch waren weg. Nur die silberne Barriere stand noch fest wie eine meterdicke Stahlwand. Sheena war allein mit ihrem apparierten Helfer.

Die sie und den Elfen sichernde Lichtkuppel flackerte nun sehr bedrohlich unter weiteren roten Schockblitzen, die eine glühende Spur durch den im Raum aufgewallten Nebel zogen. "Und weg hier", stieß sie aus, während der Dunst dichter wurde. Dann krachte es nicht ganz so laut wie gerade vorhin, und Sheena und der Eindringling waren weg.

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Das hatte ihm keiner verraten, das der Tisch oder sein Stuhl ein besonderer Portschlüssel war. Doch jetzt war es eben passiert. Administrator Buggles raste mit wie am Tisch festgeklebten Händen und am bequemen Sessel festgenagelten Gesäß durch einen von grünen Blitzen beherrschten Farbenstrudel. Er meinte, etwas ziehe ihn unbändig am Bauchnabel voran. Dann kreiselte noch einmal ein smaragdgrüner Lichtwirbel um ihn, und Buggles und seine Büromöbel befanden sich in einem anderen Raum.

Er erkannte, dass er in jener runden Turmkammer war, die er als seinen Arbeitsbereich im neuen Verwaltungssitz Nordamerikas bezogen hatte. Durch acht kreisrunde Fenster fiel das fahle Morgenlicht herein. Er sah die Sonne, die sich bereits über die östliche Bergflanke tastete.

Buggles sah sich schnell um. Außer dem Tisch, dem Stuhl und ihm selbst war nichts hier. Doch er hatte doch gestern noch gehört, dass sein neuer ebenholzfarbener Schreibtisch mit goldenen Schubladengriffen schon hier war, genau wie sein neuer schwarzer Ohrensessel. Sicher, sein bisheriger Chefsessel war auch bequem, aber noch nicht so erhaben wie das thronartige Sitzmöbel, dass er sich ausgesucht hatte.

"Warum bin ich nicht im Büro geblieben?" fragte sich der Magus Primus. Darauf bekam er jedoch erst zehn Sekunden später Antwort.

"Bei ausgelöstem Alarm und ausgerufenem Fall Sonnentau werden die dreißig wichtigsten von euch in diese neue Residenz versetzt. Wenn alle da sind schließen die Tore, und die Verbergung der Residenz tritt in Kraft. Verweile mit deinen Leuten, bis die Eindringlinge ergriffen oder vertrieben sind!"

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Vor der Tür von Catlock trafen vier Sicherheitszauberer ein. Die Tür flimmerte, und auf dem Türschild stand in feuerroten Buchstaben:

WARNUNG!!
Schlafgasausstoß Stufe 3
Unerwünschter Hauself in Arbeitszimmer!

"Kopfblasen!" rief der Führer des Sicherheitstrupps über den Alarm hinweg. Als er mit gutem Beispiel voranging folgten sie seiner Anweisung. Dann hoben er und zwei weitere Mitarbeiter die Barriere vor der Tür auf und entriegelten die mit dem Türrahmen verwachsene Tür. Zwei Truppenmitglieder berührten mit den Zauberstabspitzen die Tür an bestimmten Stellen. Damit sprang sie auf.

Ein leicht gelblicher Nebel wallte ihnen entgegen. Gerade löste sich eine silberne Lichtwand in Ströme aus nach oben und unten verschwindenden Funken auf. Ansonsten war das Büro bis auf zwei Aktenschränke und die drei Besucherstühle leer. Catlocks Schreibtisch und sein dunkelblauer Stuhl fehlten, genauso Catlock selbst. Das war eigentlich nicht die Sicherheitsmaßnahme, die sie erwartet hatten. "Mr. Catlock, sind Sie noch hier?" rief der Truppenführer in das leere Büro hinein. Doch es kam keine Antwort. So durchsuchten die Mitarbeiter es mit Aufspürzaubern und bekamen dabei heraus, dass hier vor wenigen Sekunden eine starke den Raum beeinflussende Kraft gewirkt haben musste, deren unhörbarer Nachklang noch im Arbeitsraum hing. Sofort nahmen die Catlock zu Hilfe geeilten mit weiteren Spürvorrichtungen die Untersuchung auf. "Als wenn hier vier zeitgleich ausgelöste Portschlüssel gewirkt hätten", sagte der Truppführer. Dann verstummte der laute Katzenjammer, um von einem alle zwei Sekunden tönenden Hupsignal abgelöst zu werden. Das war das Signal für den Sicherheitsalarm, der das Gebäude vollständig abriegelte.

Sogleich wurde Frischluft in den Raum eingeblasen. Nun konnten die Eingreiftruppler ihre Kopfblasen auflösen. Sie konnten sich nun besser verständigen.

"Rückschaubrille!" befahl der Truppenführer. Einer mit Dusoleils Retrocular trat vor und blickte durch dieses im ganzen Raum herum. Dann sagte er:

"Die angemeldete Besucherin rief einen Hauselfen in gelbem Tuch. Dadurch wurden die Trennwand und die in den Wänden bereitgehaltenen Lähmzauber ausgelöst. Doch den Elfen und sie umschloss bereits ein dem Amniosphaera-Zauber vergleichbarer Schutz, und die Gasentladung wirkte nicht, weil die beiden einen wohl vorbereiteten Kopfblasenzauber nutzen konnten, der innerhalb eines Sekundenbruchteils entstand. Erst verschwand Mr. Catlock mit Tisch und Stuhl in einer grünen Portschlüsselspirale. Dann verschwanden O'Hoolihan und ihr Helfer wohl per Hauselfenapparition."

"Bitte hergeben! Das will ich selbst sehen", knurrte der Truppenführer. Dann sah er es auch selbst.

"Der Administrator!" rief er aus. Ist Administrator Buggles in Sicherheit?!"

Unverzüglich eilte die für das oberste Stockwerk zuständige Gruppe zum Büro des Administrators. Dort sahen sie einen weiteren Eindringling.

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Sheena O'Hoolihan landete mit dem Hauselfen Snotty im Einsatzraum des Laveau-Institutes. Sofort erlosch jene rosarote Lichtkuppel um sie beide. Zehn Zauberer aus dem Innendienst warteten hier, bereit, mögliche Verfolger abzuwehren. Doch es kam keiner.

"Catlock ist mit seinem Schreibtisch und seinem Stuhl in einem smaragdgrünen Portschlüsselwirbel verschwunden", meldete Sheena. "Hoffentlich kriegt Droopy den obersten Kerl noch zu fassen, bevor der auch verschwindet", sagte sie mit unüberhörbarer Verunsicherung. Die Aktion "Befreiungsschlag" drohte gerade zum Fehlschlag zu werden.

Eine bange Minute später apparierte ein weiterer Hauself, auf dessen Brust ein sonnenhell gleißendes Medaillon glänzte und um den eine rosarote Leuchtsphäre lag. Beide Lichtquellen erloschen. Dann sagte der zweite Elf: "Droopy konnte Mr. Buggles nicht mitbringen. Mr. Buggles war nicht in dem Raum, den Meister Elysius Davidson ihm mitgeteilt hat."

"Droopy, war noch was zu finden, als du da ankamst?" fragte der von vier seiner Leute abgeschirmte Elysius Davidson.

"Droopy hat keine geschriebenen Sachen gefunden. Starke Tür in der Wand war zu fest zu. Droopy konnte sie nicht aufmachen, weil andauernd Fang- und Betäubungszauber aus den Wänden kamen. Nur gute starke Leuchtblase hat Droopy geschützt. Aber kein Schreibtisch da, und kein großer Stuhl da. Nur schmale Stühle für Besucher", vermeldete der Hauself. "Droopy hatte keine Zeit mehr, weil Leuchtblase schon fast zerstört war und dann andere Zauberer durch die Tür kamen. Droopy hat den Befehl befolgt, sofort wegzuapparieren, wenn jemand fremdes kommt."

"Gut, er wurde weggeholt. Wir haben also jetzt nicht den Fall "Befreiungsschlag" sondern den Fall "Flächenbrand". "Gut, Mr. Hammersmith, geben Sie das Signal zum geordneten Rückzug für alle ins Institut. Wenn er Zugang zu Fernverständigungsmitteln hat wird er gleich zur Jagd auf uns alle blasen."

"Befehl rotes Schneckenhaus oder Winterschlaf, Sir?" wollte Quinn Hammersmith wissen.

"Rotes Schneckenhaus, Mr. Hammersmith. Winterschlaf würde uns endgültig von allem abschneiden, was wir noch machen können. Abgesehen davon kommen die nicht in unser Institut rein, selbst wenn sie selbst Hauselfen schicken wollten oder den ganzen Sumpf trockenlegen", sagte er.

"was ist mit dem Weißrosenweg?" wollte Quinn wissen.

"Da dürfen wir uns nicht mehr sehen lassen. Die einzig sichere Stationen sind das Institut, die sicheren Häuser ... und Viento del Sol. Misty Mountain ist mir zu abgelegen. Ja, rufen Sie erst mal alle zu uns hin. Schnell!"

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Jeff Bristol war mit seiner Familie auf Urlaubsreise durch Florida. Gerade wollten sie nach Cape Canaveral, weil Jeff seiner Frau die dort ausgestellte Saturn V zeigen wollte. Da bekamen sie beide über ihre Eheringe ein Vibrationssignal: Kurz lang kurz. Das passierte in den nächsten drei Sekunden noch zweimal. Jeff nahm die beringte Hand vom Lenkrad und hielt sie genauso an seinen Kopf wie seine Frau ihre beringte Hand an den Kopf hielt. Darauf hörten sie die mit Quinn Hammersmiths Stimme gesprochene Anweisung: "Achtung! Rotes Schneckenhaus! Rotes Schneckenhaus! Rotes Schneckenhaus! Alle unter Tarnung des Rückzuges sofort ins Institut zurückkehren! Alle ins Institut zurückkehren! Rotes Schneckenhaus!"

"Verdammt!" fluchte Jeff, auch wenn seine gerade zwei Jahre alte Tochter im für dieses Auto überflüssigen Kindersitz mithörte.

"Kriegen wir den von Quinn eingebauten Notsprung hin?" fragte Justine.

"Gut, dass wir drei in dem Auto sitzen und unsere Koffer hinten im Kofferraum sind. Dann geht's los", sagte er.

Schnell betätigte er einen gut versteckten Hebel. Sofort brüllte der sowieso schon PS-starke Motor seines schwarzen Ford Mustang lauter auf. Der Wagen wurde in einen silbernen Nebelschleier eingehüllt. Das war ein Ich-seh-nicht-recht-zauber, der für den fall sehr gewagter Manöver in Kraft trat. Nun rammte Jeff seinen Fuß aufs Gaspedal. Sein Wagen schoss wie von Raketen angetrieben nach vorne und überschritt in nur einer Sekunde die Marke von 150 Stundenkilometer. "Notsprung rotes Schneckenhaus!" rief Jeff. Da wurden sie alle drei in ihre Sitze gepresst, während der Wagen in einen silber-blauen Lichtwirbel hineinsprang, für eine Sekunde schwerelos dahinglitt und dann mit leicht quietschenden Reifen wieder aufkam. Jeff stieg nun genauso heftig auf die Bremse, wie er vorhin Gas gegeben hatte. Innerhalb nur einer Sekunde kam der Wagen zum stehen. Seine Insassen wurden jedoch nicht in die Sicherheitsgurte geschleudert.

"Quinn, bin am Parkplatz. Fahr uns in die Ankunftshalle runter!" rief er der Lenkradnabe zugewandt. "Ui, das ging aber flott, Jeff. Okay. Keinen Schrecken kriegen!"

"Sag das meiner Kleinen auf dem Rücksitz", sagte Jeff in Richtung Lenkrad. Da stoppte der noch laufende Motor. Im nächsten Moment meinten sie, in einen plötzlich aufklaffenden Schacht hinabzustürzen. Innerhalb von nur zwei Sekunden war der Wagen mehr als zehn Meter tief unter der Erde. Über ihm schloss sich der Boden wieder. Dieser Blitztreibsandtrick, den Quinn für unbefugte Eindringlinge oder schnell zu versteckende Sachen entwickelt hatte ließ den Wagen bis auf dreißig Meter in die Tiefe durchsacken. Dann entstand eine kreisrunde Öffnung, als würde jemand eine metergroße Blende öffnen. Dann fuhr der Wagen ohne eigenen Antrieb in einen an die dreißig Meter langen Tunnel hinein. Dieser endete in einer Halle, die dem Bahnhof einer mittelgroßen Stadt Ehre gemacht hätte.

"Gut, Laura, das mit der ganz großen Mondrakete wird wohl erst mal nichts. Justine, zeigst du ihr bitte die sichere Wohnung?"

"Ja, mach ich. Aber sag Quinn, er soll nicht zu erzählen anfangen, bevor ich nicht in der Versammlungshalle bin!" erwiderte Justine Bristol.

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In der Unterwasserniederlassung von Vita Magica hörte Perdy das leise Bimmeln und sah die an den Wänden gelb aufleuchtenden Lichter. Offenbar hatte eine seiner Fernüberwachungsvorrichtungen Alarmstufe Gelb ausgelöst.

Sofort eilte er in die runde Überwachungszentrale und sah, dass es wohl der mit Véronique abgesprochene Fall Sonnentau war, also die zeitgleich erfolgte Portierung von dreißig Administrationsmitarbeitern einschließlich dem ersten Administrator. Er informierte Véronique darüber.

"Ist es doch passiert?" gedankenfragte sie. "Dann griffen ihre tollen Hauselfenabwehrzauber nicht. Warte auf mich in deinem neuen Spielzimmer!"

Zwei Minuten später traf nicht nur Véronique, sondern auch Eartha Dime in der neuen Niederlassung ein. Véronique sagte sofort: "Er will denen vom LI den Krieg erklären. Dann ist alles, was wir angefangen haben verloren. Dann haben die Werwölfe und Vampire freie Bahn in den Staaten."

"Das LI wollte ihn entführen?" fragte Perdy. Véronique bestätigte das.

"Lasst mich bitte ganz in Ruhe nachdenken. Er soll fünf Minuten warten, ob wer sich über die neue Zweiwegespiegelverbindung meldet. Die Zeit nutze ich, um den nächsten Zug zu durchdenken. War auf jeden Fall richtig, einen gezielten Entführungsversuch durch Hauselfen einzuplanen. Dein Fachkollege vom LI ist ja nicht dumm. Der hat aus der Sache mit Partridge wohl gelernt, dass Hauselfen gegen Schlafgas geschützt in den Einsatz gehen müssen. Näheres wird mir Louanne gleich noch erzählen, wenn ich weiß, wie es weitergeht."

"Sollen wir ihn nicht herholen?" fragte Eartha. "Dann kann ihn keiner mehr wegholen, und er kann die bereits gebundenen Mitarbeiter in unserem Sinne weiterbefehligen."

"Taktisch mag es so funktionieren. Aber Psychomorphologisch und strategisch ist es nicht gut, wenn er nicht mehr von seinen Leuten angesprochen werden kann. Aber jetzt lasst mich bitte in Ruhe, bis ich wieder spreche!" sagte Véronique.

Die beiden mentiloquierten nun. Eartha hatte sich daran gewöhnt, dass Perdys Gedankenstimme die eines Mannes im fortgeschrittenen Alter war. Denn er war ja nur körperlich verjüngt worden. "Glaubst du, es gibt Krieg zwischen uns und dem LI?" fragte Eartha.

"Keinen offenen Krieg, wo auch Unschuldige bei draufgehen werden. Das LI kann nicht dauerhaft abtauchen, und die Yankees und ihre neuen Untergebenen können es sich nicht leisten, gegen so starke und gewitzte Hexen und Zauberer zu kämpfen, wenn nebenan Vampire und Werwölfe herumlaufen."

"Ja, aber er wird auch nicht zulassen, dass auf seinem Hoheitsgebiet jemand gegen ihn Front macht", erwiderte Eartha rein geistig.

"Er könnte sich die Führungsriege rauspicken und exemplarisch aburteilen lassen. Die anderen sollen dann sozusagen als Bewährung der Administration dienen, mit allem was sie haben und können. War ja eh unser weitergestecktes Ziel. Das LI hat nur das Tempo angezogen", erwiderte Perdy.

"Und, können wir das mitgehen?" fragte Eartha. "Das hoffe ich doch mal ganz stark", gedankenantwortete Perdy. Dann regte sich Véronique.

"Er wollte dem ganzen LI den Krieg erklären. Ich habe ihm mitgeteilt, dass das seine und unsere Sache zum scheitern bringt und er sich nicht vom LI provozieren lassen soll", sagte sie. "Er soll es vielmehr so hinstellen, dass das LI die neuen Sicherungsmaßnahmen getestet hat, und der Test erfolgreich verlief. So kann nun niemand mehr mit hörigen Hauselfen einen wichtigen Würdenträger entführen. Allerdings darf er diesen Davidson und seine obersten Mitarbeiter dazu veranlassen, ihm eine Anerkenntnisbekundung zu unterschreiben, und zwar ohne irgendwelche ihrer Spielsachen dabei zu haben. Tun sie das nicht, kann er immer noch Haftbefehle gegen sie erwirken, wegen Beihilfe zur Flucht von Werwölfen oder Verdächtigen, die wohl zu Ladonna oder den Spinnenhexen gehören und dann eben vollständig wiederverjüngen lassen. Dann sollten die Nachfolger wesentlich umgänglicher sein. Er wollte sogar alle Familien von LI-Mitarbeitern einsperren lassen, um die Mitarbeiter zu zwingen, sich zu stellen. Aber das habe ich ihm strickt untersagt."

"Wie strickt?" fragte Perdy verschmitzt grinsend. "Sehr strickt, Perdy", erwiderte Véronique.

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Es waren alle im Versammlungssaal des Laveau-Institutes. Brenda Brightgate hatte es fertiggebracht, ihre nichtmagischen Dienstherren glauben zu machen, dass sie auf einer Weiterbildung in Denver, Colorado sei, die noch bis zum 1. Juli dauern würde. Ira Waterford war zu ihrem Glück gerade in einer anderen Abteilung unterwegs. So hatte sie unbemerkt disapparieren können.

Davidson erläuterte nun, was passiert war und dass Sheena, Quinn und Er diese Aktion geplant hatten, um Buggles und bestenfalls Beweise für eine neuerliche Verstrickung mit Vita Magica zu erlangen. Jetzt mussten sie jedoch damit rechnen, dass Buggles zum krieg aufrief, auch wenn dies seine eigenen Vorhaben gefährden würde. "Bekommen Sie es hin, dass Ihre Familienangehörigen unverzüglich nach Viento del Sol oder in den Weißrosenweg übersiedeln. Nur dort sind sie vor Zugriffen wirklich sicher. Was Ihre Tarnexistenzen in der magielosen Welt angeht müssen wir Kommandounternehmen schicken, die alle Spuren Ihres Wirkens dort aus allen Erinnerungen, ob lebender Wesen oder lebloser Speichervorrichtungen und Akten tilgen. Auch wird jeder von Mr. Hammersmith einen Notportschlüssel erhalten, mit dem er oder sie bei Feldeinsätzen in eines der sicheren Häuser flüchten kann. Das ganze läuft als Operation Nebelschweif", sprach Davidson weiter. Dann meinte Quinn: "Sir, gerade kommt eine Ansprache von Buggles. Offenbar hat er einen Draht zu HCPC 2623."

"Bitte einspielen, Mr. Hammersmith", sagte Davidson.

"... melde ich mich wohlbehalten und höchst erfreut aus meinem neuen runden Arbeitszimmer im stilvollen wie mit allen Zaubern der höchsten Komfort- und Sicherheitsstufen versorgten Administrationsgebäudes. Ich spreche vor allem zu meinen Angestellten, die wohl gerade die schlimmsten zehn Minuten ihres Berufslebens überstanden haben.

Ja, es sah ganz danach aus, als würde eine uns feindliche Macht versuchen, mich und hochrangige Mitarbeiter zu entführen. Mit diesem Szenario mussten wir seit der Zusammenführung und dem erklärten Krieg gegen die Werwölfe und Vampire rechnen. Deshalb habe ich mit Mr. Elysius Davidson vom Marie-Laveau-Institut, unserem schlagkräftigsten Bündnispartner, einen Plan durchgesprochen, wie man meiner wohl trotz aller Abwehrzauber noch habhaft werden könnte. Er meinte, dass hörige Hauselfen durch alle Apparierabwehrzauber brechen und mit ihren Zauberkräften auch erhebliche Schläge austeilen können. Ich wagte zu widersprechen und meinte, dass Hauselfen durch vorbereitete Gegenzauber und Betäubungsmittel ausgeschaltet werden könnten. Er beharrte darauf, dass es eben doch ginge. Daher schlug ich vor, dass er es darauf ankommen lassen sollte. Ich würde hingegen mit meinen Mitarbeitern Abwehrmaßnahmen ergreifen, falls es doch einem Hauselfen gelänge, bis zu uns durchzudringen und unbehelligt von allen Abwehrzaubern Hand auf mich legen wollte. Tatsächlich gelang es seinen hervorragenden Mitarbeitern, ihre Hauselfen so auszurüsten, dass sie selbst von mehreren Schock- und Lähmzaubern auf einmal nicht ausgeschaltet werden konnten. Ebenso waren sie bereits mit einem Schutz vor Betäubungsmitteln ausgestattet. Für diesen Fall haben meine Leute und ich einen Notfallplan vorgesehen, der mich und die dreißig wichtigsten Beamten zeitgleich in Sicherheit bringt, sollte auch nur ein Hauself länger als drei Sekunden auf den Beinen bleiben. Das Manöver hat geklappt. Meine Auserwählten und ich konnten unverzüglich in Sicherheit gebracht werden. Allerdings weiß ich nun auch, dass es wirklich nötig ist, gegen gegen uns geschickte Hauselfen Vorkehrungen zu treffen. Dies ist das Ergebnis jenes Manövers, dass wir und das Laveau-Institut durchgeführt haben. Es hilft uns, unser beider Organisationen gegen ohne jeden Selbsterhaltungstrieb vorgehende Hauselfen, die auch als Selbstmordattentäter eingesetzt werden können, vorzugehen. Ich danke Mr. Elysius Davidson und seinem sehr fachkundigem und höchst motiviertem Mitarbeiterstab für dieses so wichtige Ergebnis. So können und werden wir miteinander auch allen Gefahren die Stirn bieten und allen Widersachern Klauen und Zähne zeigen, die es wagen, die Nordamerikanische Zaubererwelt zu bekämpfen, egal ob Mensch, Zauberwesen oder Geistererscheinung. Dies ist meine Botschaft an alle da draußen, die schon daran denken, mich abzusetzen: Kommt herr, dann kriegen wir euch.

Diese Botschaft gilt auch für jene Elemente, die meinen, aus einer scheinbaren Sicherheit heraus den Umsturz unserer Administration zu wagen. An die machtlüsterne Madam Bullhorn: Hören Sie damit auf, unschuldige Leute gegen mich und meine Mitarbeiter aufzuhetzen! An die Gesetzlosen aus den hoheitslosen Ansiedlungen: Ihr werdet nicht einen Fuß in die Nähe wichtiger Stätten unserer Administration setzen, ohne dass wir euch ergreifen und eurem falschen Treiben ein Ende machen. Es ist sicher besser, Sie geben gleich auf und liefern uns jene, die Ihnen allen diese irrwitzigen Ideen von einer Befreiung Amerikas ins Hirn gesetzt haben. Dann dürfen Sie alle auch wieder in den großen und schützenden Schoß unserer magischen Gemeinde zurückkehren und ihrem redlichen Leben unbeschwert nachgehen.

Ich, Magus Primus, erster Administrator der Dreizack-Föderation, grüße Sie."

"Das war der erste Administrator der Nordamerikanischen Magieadministration mit einer Ansprache zu den vermeintlichen Entführungsversuchen im ehemaligen Zaubereiministeriumsgebäude der USA. Wir geben wieder zurück in das Morgenstudio mit Carla Meadows", sprach die Stimme eines jungen Moderators. Quinn drehte den großen Lautstärkeregler wieder auf null zurück.

"Was war das denn jetzt?" wollte Mia Silverlake wissen.

"Politik war das, Mia", sagte Sheena. "Buggles hat uns gerade heftigst verhöhnt, ohne uns offen anzugreifen. Gleichzeitig hat er sich und seine Leute als allem überlegen verkauft. So muss er mit uns keinen Krieg anfangen, weil wir ihm ja geholfen haben und hat uns zugleich bei denen verdächtig gemacht, die in uns so eine Art Hoffnungsträger sehen."

"Ach ja, wir sind die Feinde von denen in VDS?" fragte ein junger Mitarbeiter des Institutes, der eine Tante in Viento del Sol hatte. "Heißt das, wenn ich da jetzt hinfliege, drängt mich deren PNZ zurück, weil der König von Amerika gesagt hat, dass wir mit ihm zusammenarbeiten?"

"Hic Rhodus hic salta, Rafferty! Reisen Sie nach Viento del Sol und fotografieren sie den Uhrenturm zehn mal im Minutenabstand, damit wir wissen, ob Sie länger als zehn Minuten dort verweilen können. Es ist jetzt elfhundertdreißig. Wir erwarten sie also um elfhundertfünfundvierzig wieder hier, hoffentlich mit zehn gestochen scharfen Fotos", sagte Davidson.

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"Hallo, warst du das, meine körperlich wie geistig sehr fruchtbare Weggefährtin?" fragte Perdy, der immer noch grinsen musste. Véronique nickte. "Ich habe ihm erzählt, dass er das LI damit besser in Schach halten kann, wenn alle seine Widersacher denken, dass es auf seiner Seite ist, als wenn er es offen angeklagt oder mit einem Großaufgebot angegriffen hätte. Bleibt nur zu hoffen, dass sie es auch gehört haben", sagte Véronique mit großmütterlichem Lächeln.

"Ich denke aber, dass die vom LI immer noch nach VDS reinkommen können und sich da locker in die kalifornische Sonne legen können", meinte Eartha.

"Ja, aber dann gilt, dass sie bei der Rückkehr beziehungsweise, wenn bekannt ist, dass sie dort waren und irgendwo in der Zaubererwelt wieder auftauchen als unerwünschte Eindringlinge festgenommen werden können. Also werden sie sich hüten, das laut herumzuposaunen, dass sie dort immer noch nach belieben ein- und ausgehen können", grinste Véronique. Perdy musste sogar lachen. "Du bist immer noch die größte Schachspielerin der Welt. Aber pokern liegt dir offenbar auch gut", lobte er seine Weggefährtin.

"Na ja, mit zweiundzwanzig Kindern lernst du doch einiges, wie man einen Streit schlichtet und trotzdem von beiden Seiten als Respektsperson anerkannt bleibt", sagte Véronique. Eartha nickte. Das würde sie wohl auch noch lernen müssen.

"Dann richten die von Buggles sich jetzt sicher im Schloss ein, zumal wir denen ja auch Zauber für Volltarnung und Vergrämung eingebaut haben, und die vom LI müssen jetzt aufpassen, dass ihnen keiner der gefrusteten Mitbürger die Hucke vollhaut", sagte Perdy. Véronique bejahte das.

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Milo Rafferty grinste überlegen. "Quinn darf zwanzig Fotos entwickeln. Ich habe Venus Partridge, meine Tante Maggy, Britt Brocklehurst und Quinns Tante Stella und die zehn geforderten Bilder von der Turmuhr im Minutenabstand gemacht. Quinn, Sie dürfen Sie gerne entwickeln."

"Hoffentlich hast du Tante Stella von der Seite geknipst, sonst fallen den Jungs hier die Augen raus, weil die so üppig ist", sagte Quinn. Davidson räusperte sich laut und verwies darauf, dass sie hier in einem hochanständigen Institut und nicht auf dem Schulhof waren. Dann sagte er noch: "Es ist uns also klar, dass wir noch in VDS erwünscht sind. Ebenso sollte uns aber auch klar sein, dass wir dies keinem außenstehenden verraten dürfen, weil dieser Gesetzlosenerlass von Buggles noch gilt. Aber ich möchte dennoch mit dem Gemeinderat verhandeln, alle unsere unmittelbaren Angehörigen dort unterzubringen, bevor Buggles meint, seine Hauselfen zum Gegenbesuch zu ihnen hinzuschicken."

"Autsch!" machte Jeff. Dann sah er seine Frau an. "Wieder ein heftiger Ausstieg", mentiloquierte er ihr. Sie gedankenantwortete: "Laurie und ich ziehen um. Du bleibst in dem Job." Er kapierte es sofort. Was er tat war zu wichtig, um wieder einmal von der Bildfläche zu verschwinden. Zumindest würde es keinem auffallen, dass er für eine gewisse Zeit weg war. Denn er hatte ja noch Urlaub.

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Am Nachmittag wurden weitere Beamte aus dem Administrationsgebäude in das Schloss Gute Zeiten herübergeholt. Buggles musste sich sehr beherrschen, nicht zu zeigen, wie er sich fühlte. Eigentlich hatte er vorgehabt, diesen Frechlingen vom LI hundert Drachenfeuer unter den Füßen zu machen. Doch sie, seine Herrin, hatte ihn erst mit Worten und dann mit den ganzen Leib peinigenden Schmerzen davon abgebracht und ihm dann erklärt, dass er das LI mehr schwächte, wenn er es so hinstellte, als sei es ihm in unverbrüchlicher Treue ergeben. So hatte er den von ihr in seinen Kopf gesprochenen Text gesprochen, als er die von ihrem Ausrüstungsspezialisten eingerichtete Rundfunksendeanlage bediente, die ihn mit einem Helfer der Gruppierung verband und auf HCPC 2623 bringen konnte.

Es war ihm wieder klar geworden, dass er nur eine Marionette war, ein Strohmann, eine auf einem hohen Turm aufgestellte Vogelscheuche, die sich im Wind wiegte, woher er auch blies. Hatte er bisher gedacht, dass er sehr gut aufgehoben war, wusste er nun, dass es nur solange dauerte, wie er ihr nützte und ihr keinen Ärger machte. So zu denken hatte sie ihm durchgehen lassen. Sie war eine Mutter, die strafen und liebkosen, trösten oder schimpfen konnte. An ihm lag es, was sie ihm zudachte.

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Anthelia/Naaneavargia wurde von der Nachricht aus Washington heftig überrascht. Das Laveau-Institut sollte diesem Emporkömmling Buggles geholfen haben, die Sicherheitsmaßnahmen seines Hauses zu überprüfen. Da hätten sie mal lieber sie machen lassen. Dann begriff sie, was wirklich passiert war. Hatte Wishbone ihr damals seine Ermordung anhängen wollen, damit sein hexenfeindliches Gebaren doch noch Anklang fand, so stellte Buggles einen gescheiterten Entführungsversuch nun als Glanztat der Zusammenarbeit hin, um die Entführer erst recht zu demütigen. Dann erfuhr sie auch, dass Atalanta Bullhorn in Viento del Sol eine Posteule erhalten hatte, die angeblich von ihr, der obersten der Spinnenschwestern stammte und ihr anbot, im Namen ehrbarer Hexen gegen den falschen König von Amerika zu Felde zu ziehen. Sie erkundigte sich, wer ihr da dieses Vorhaben unterstellt hatte, dass die ehemalige Inobskuratorin natürlich strickt zurückgewiesen hatte. Sie fand keine ihrer Schwestern, die sowas gewagt hatten. Beth meinte dazu nur, dass Bullhorn einen ähnlichen Trick praktiziert habe wie Buggles, nämlich sich besser darzustellen, weil jemand anderes meinte, ihr beispringen zu müssen, sie aber keine falschen Freundinnen haben wolle.

"Sollte sie das noch mal machen werde ich ihr entweder die Wahl lassen, mir freiwillig beizutreten, selbst als Wickelhexlein vor einem magielosen Krankenhaus abgelegt zu werden oder als lebendiges Puzzle über ihr Heimatstädtchen verteilt zu werden", grummelte Anthelia/Naaneavargia. Dann fiel ihr ein, dass Bullhorn es ja darauf anlegte, dass die Spinnenhexen auf eigene Faust gegen Buggles vorgingen, weil das Laveau-Institut es ja nicht tat. Auch musste sie sich eingestehen, dass sie wohl keine andere Wahl hatte, wenn sie den Machenschaften von Vita Magica Einhalt gebieten wollte. Aber zunächst galt es auch, gegen die immer größenwahnsinnigeren Kreaturen zu kämpfen, die sich als Beherrscher der Nacht verstanden. Außerdem wollte sie endlich was wirksames gegen dieses dunkle Dornröschen aus Italien erreichen, das ihr zwei wichtige Mitschwestern entrissen hatte. Das durfte und wollte sie ihr nicht durchgehen lassen.

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25.05.2005

Julius wollte es nicht glauben, als er doch allen Ernstes las, dass Davidson vom Laveau-Institut mit Buggles zusammenarbeitete. Der hatte dem geholfen, seine Sicherheitsmaßnahmen zu prüfen? Das war doch nie im Leben das Laveau-Institut gewesen. Oder war Davidson wieder rückfällig geworden, was seine Ministeriumshörigkeit anging?

"Viviane, fragst du Madame Reichenbach mal bitte, was da bei ihrem alten Arbeitgeber abgegangen ist? Den Artikel von Gilbert kann ich unmöglich so hinnehmen", sagte er der gemalten Viviane Eauvive zugewandt. Diese nickte nur und verschwand für einige Minuten. Als sie wiederkam hielt sie Jane Porter bei der Hand.

"Darf ich dem, was du Viviane gefragt hast entnehmen, dass du den Unrat auch nicht glauben möchtest, den Buggles gestern über seinen neuen Heimatsender HCPC 2623 verbreitet hat?" fragte die scheinbar nur als Porträt existierende Großmutter von Melanie, Myrna und Gloria.

"Gut, ich habe mich an unseren ersten Besuch im Institut erinnert, wo er mir glatt das Gedächtnis ausradieren wollte, weil jemand mir die wahre Geschichte um meinen Vater erzählt hat. Insofern ist es wenigstens nicht unmöglich", brachte Julius hervor.

Dann erzählte Jane Porter alias Araña Blanca, alias Madame Reichenbach, was Elysius Davidson und Sheena O'Hoolihan mit zwei Hauselfen versucht hatten. "Super, ihr habt gewürfelt und wer anderes hat Schach gespielt und vorausgedacht, was wer probieren könnte", grummelte Julius.

"Das wer anderes Schach mit uns gespielt hat lasse ich gerne so stehen, aber das mit dem Würfeln verbitte ich mir als noch immer geführtes Mitglied des Laveau-Institutes. Die haben schon geplant und überlegt, was ihnen entgegengeworfen werden kann. Ja, und wenn Sheena nicht erst Snotty gerufen hätte sondern gleich den Hauselfen, der für Buggles abgestellt war, dann hätte dieser ihn wohl noch erwischt und mit allem was er gerade an Unterlagen hatte fortschaffen können."

"Tja, aber der Hund musste Häufi und kriegte deshalb den Hasen nicht", erwiderte Julius. Jane räusperte sich sehr streng. Da fiel ihm auf, wie überheblich er, der sonst eher zurückhaltend auftrat, sich gerade verhielt. Hinterher wusste man es immer besser als vorher. Deshalb sagte er mit geröteten Ohren. "O, entschuldigung, war jetzt wohl ziemlich arrogant, wo ich selbst nicht dabei war und da auch nicht gewusst habe, was die alles so aufbieten können, die Buggles an der langen Leine laufen lassen."

"Im Namen des LIs: Entschuldigung angenommen", sagte Jane Porter. "Ja, aber immerhin gehörst du zu den Leuten, die es noch offen aussprechen. Gut, in Frankreich bist du ja relativ sicher. Aber in den Staaten wissen viele jetzt nicht mehr, auf wen sie sich noch verlassen können. Zwar haben meine Leute es schon bewiesen, dass sie nicht die Feinde der Feinde von Buggles sind, weil sie locker nach Viento del Sol hineinkamen. Aber sie dürfen es keinem erzählen, dass sie das können."

"Ui, stimmt. Er hat ja alle, die von da kommen für vogelfrei erklärt", grummelte Julius.

"Nicht nur die, die von da kommen, sondern auch die, die kurz nur da vorbeigesehen haben, ob ihre Freunde und Verwandten noch leben", erwiderte Viviane Eauvives Vollporträt. Julius nickte. Er sagte dann: "Stimmt, ich könnte da mal hinfahren, mich ganz offen sehen lassen, sofern da immer noch Spionagevögel herumfliegen und dann mit dem nächsten Luftschiff wieder nach Millemerveilles fliegen."

"Was die Spionagevögel angeht kommen die mit Hugo Dawns Mitseh augen nicht mehr näher als vier Kilometer über Viento del Sol herunter. Sie haben es dann wohl mit geflügelten Fotoapparaten versucht. Aber die sind keine zwei Kilometer über VDS in einem roten Feuerball verglüht. Also wirkt der Schutzbann für die dort geborenen auch gegen von feinden bezauberte Gegenstände", sagte Jane. Julius fragte: "Drohnen? Da ist aber wer nicht scheu, auch die angeblich so unzureichende Technik der Muggelwelt zu nutzen."

"Unser Ausrüstungswart sagt, dass die bei VM mindestens einen haben, der auch ganz geniale technische Ideen hat. Vielleicht ist es ein Zwerg oder ein sehr gelehriger Schüler der Gebrüder Diggle, sagt unser Ausrüstungsspezialist."

"Stimmt, die beiden Diggle-Brüder, Daedalus und Perdix. Daedalus lebt ja noch und war wohl auch im Phönixorden mit dabei", erinnerte sich Julius. Jane nickte. "Ja, und sein Bruder Perdix ist irgendwann losgezogen und nicht mehr wiedergekommen, weil es wohl Streit um was gab, wovon der alte Daedalus nichts verraten will. Der müsste aber heute älter sein als die resolute Großheilerin Greensporn", ergänzte sie.

"Oha, die hat jetzt sicher auch nichts mehr zu lachen, wo Buggles wohl angekündigt hat, dass die nordamerikanischen Heiler nicht gegen seine Politik aufbegehren dürfen", sagte Julius. "Nein, zu lachen wohl nicht. Aber sich das gefallen lassen werden sie auch nicht", sagte Viviane Eauvives Porträt. Sie musste es wissen, wo sie ja mit der lebenden Heilzunftsprecherin von Frankreich Kontakt hatte und da sicher auch Vollporträts von ihren Kollegen zu sehen bekam.

"So, ich lasse mich von Viviane hier wieder nach VDs bringen, von wo ich dann ins LI zurückreisen kann. Aber schön, dass du wenigstens auch nicht an den zum Himmel stinkenden Drachenmist von Lionel Buggles glaubst.", sagte Jane und winkte ihm zu.

"Und, was sagt Madame Ich-bin-doch-nichtt-tot?" fragte Millie, die gerade die Zwillinge badete.

"Sie sagt, dass es zum Himmel stinkender Drachenmist ist, dass das Laveau-Institut Buggles nur geholfen haben soll, seine eigenen Abwehrmaßnahmen zu testen und dass sich Eileithyia Greensporn wohl nicht von Buggles' Marionettentheater beeindrucken lassen wird", fasste Julius zusammen, was Jane Porter ihm erzählt hatte.

"So wie wir die rüstige Großheilerin erlebt haben kaufe ich das ihr sofort ab", sagte Millie und zwinkerte Julius zu. Dieser küsste sie leidenschaftlich. "Bis nachher, Pangyanimiria, meine fruchtbare Feuerprinzessin."

"Besser Fruchtbar als furchtbar", grinste Millie und wünschte auch ihren "Erdenprinzen Madrashainorian" einen angenehmen Tag.

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27.05.2005

Es blitzte und qualmte rot. Schallsammeltrichter reckten sich mal hier hin und dahin. Flotte-Schreibe-Federn jagten über Pergamentblätter und hinterließen Spuren der Worte, die in ihrer Erfassungsreichweite gesprochen wurden. Die Reporter aller Zeitungen und Sender des vereinten Nordamerikas nahmen begierig alle Einzelheiten auf, die sich boten. Ja, das war ein herrliches, kleines Schlösschen, eingebettet in einem zu Fuß unerreichbarem Tal.

Auf jedem der vier Ecktürme wehte die Fahne des neuen Nordamerikas, der goldene Dreizack auf himmelblauem Grund. Die Uhr des Turmes auf dem Hauptgebäude hatte vergoldete Zifferblätter. Sonnenquarzlack auf Zeigern und den römischen Ziffern sorgte dafür, dass die Uhr auch in tiefster Nacht weithin sichtbar die Zeit anzeigen konnte. Auf der Aussichtsplattform stand ein einzelner Mann im grün-goldenen Samtumhang, einen hellblauen Hut mit dem goldenen Dreizack als Symbol an der Vorderseite. Er winkte in die staunende, teilweise aber auch verstörte Menge hinunter. Reporter und alle Beamte der nordamerikanischen Zaubererwelt waren im Hof versammelt.

Da stand er also, Lionel Buggles, der Magus Primus, der mächtigste Zauberer Nordamerikas und ließ sich feiern wie ein alteuropäischer König. Das Bild von ihm auf dem Turm würde durch alle Zeitungen gehen, die, die ihm gewogen waren und jenen, die zumindest zeigen mussten, was er tat, auch wenn sie nicht mehr gegen ihn schreiben würden. Doch er wusste, dass sein Amt endlich war, davon abhängig, jenen zu gefallen, deren Unterstützung er brauchte. Er wusste auch, dass er bald liefern musste, was die Bekämpfung der Vampire und Werwölfe anging. Er war sich sicher, dass sie seine Kriegserklärung vernommen und im Stillen auch angenommen hatten. Doch hier und heute, auf seinem neuen Turm, wollte er einfach nur der sein, für den sich ein jahrelanger Traum erfüllt hatte.

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28.05.2005

"Wo haben die das Schlösschen denn her?" wunderte sich Julius. Gerade sah er auf das E-förmige Gebäude, auf dessen einzelnem Turm ein Mann in grün-goldenem Umhang mit blauem Hut stand.

"Angeblich hat das mal einem belgischen Baron gehört, bis ein Zauberer aus den Staaten es gekauft und in sein Land geholt hat", sagte Millie, die ihm den Artikel aus dem Westwind gegeben hatte, den Linda Latierre-Knowles den Apfelhaus-Latierres gedigekastelt hatte.

"So sieht er also aus, der erste Magier der nordamerikanischen Zaubererwelt", sagte Julius. "Womöglich ist sein Türmchen mit mehrfach gestaffeltem Schutzschirm gegen alle Formen böser Magie gesichert, dass er sich so frei und überlegen präsentiert", grummelte er. Dann las er die Eckdaten über das Good Times Castle, dass im gleichnamigen Good Times Valley gelegen war, das ein Talkessel mit dicht an dicht stehenden Berghängen war. Dann las er noch, wer alles zur feierlichen Eröffnung des neuen Amtssitzes gekommen war, darunter ein Elysius Davidson vom Laveau-Institut. Julius zauberte sich mit dem Falcoculus-Zauber eine gesteigerte Sehschärfe und betrachtete das Bild, wo angeblich alle Gäste der Eröffnung aufgenommen waren. Nach zwei Minuten nickte er. "Der war echt da. Hat aber sehr weit im Hintergrund gestanden, bloß nicht zu weit vorne", sagte er. Dann stellte er seine übliche Sehkraft wieder her um seine Augen nicht zu überanstrengen.

"Pflichttermin", meinte Millie. "Ma musste auch häufig zu Veranstaltungen, die sie am liebsten vermieden hätte. Wird uns beiden sicher auch noch passieren, dass wir wo hingehen müssen, um nicht dumm aufzufallen."

"Ja, wenn Meglamora den nächsten kleinen Halbriesen vorstellen will", sagte er. Millie nickte.

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30.05.2005

Dreizehn schlanke, weiße Kerzen brannten auf einer bunten Geburtstagstorte. Véronique hatte es sich nicht nehmen lassen, dieses herrliche Stück süßer Versuchung und Lebensfreude zu backen.

perdy blies die Backen auf und pustete kräftig in die dreizehn Flämmchen. Dabei wünschte er sich heimlich, noch vor seinem vierzehnten Geburstag wieder mit einer willigen Frau Liebe gemacht zu haben. Denn die letzten Tage hatten ihm irgendwie zugesetzt, dass alle um ihn herum auch das leibliche Vergnügen genießen konnten und er als angeblicher Kopfmensch nur die tollsten Sachen bauen konnte. Die Kerzenflammen erloschen. Alle Klatschten Beifall, die ihn in seiner selbst errichteten Heimstatt, der Unterwasserresidenz Aquasphäre 1, ihre Aufwartung machten.

Er bekam auch viele Geschenke, darunter zwei Logenplatz-Kinokarten für ein Londoner Filmtheater. Er durfte die seit Monaten angekündigte Episode III aus der Star-Wars-Saga sehen "Die Rache der Sith". Das hatte ihn mehr gefreut als die Bücher, das dreidimensionale Schachspiel oder der neueste Bronco-Parsec-Besen, mit dem einer alleine in nicht achtzig Tagen, nicht fünfzig oder dreißig Tagen, sonder nur einem einzigen Tag um die ganze Welt reisen konnte. Die zwei Kinokarten sagten ihm, dass da jemand seine Leidenschaft ehrte und ihm zeigen wollte, dass er trotz seiner Vorliebe für die sogenannte Science Fiction, den Zukunfts- und Weltraummärchen der magielosen Welt, anerkannte. Es waren zwei Karten für die Abendvorstellung am ersten Juni. Doch mit wem sollte er dort hingehen?

Als es später Abend wurde kehrten die meisten Gäste wieder zurück in ihre eigenen Familien oder die bevorzugten Niederlassungen der Gesellschaft. Er ging davon aus, gleich ganz allein in dieser mehrere Dutzend Meter durchmessenden Ferrifortissimus-Stahlblase zu sein. Dann trat sie zu ihm, eingehüllt in einen blauen, den Körper vollkommen nachzeichnenden Seidenstoff mit einer dicken blauen Schleife um die Hüften. Sie hatte ihre schwarzen Haare sorgfältig gekämmt und präsentierte sich ihm in einer unstrittig auffordernden Pose. Als sein Blick den Blick ihrer Augen einfing lächelte sie.

"Sie hat gemeint, dass du diese Nacht schon groß genug werden solltest, Perdix Diggle. Da ich das beim ersten Mal so herrlich fand habe ich sie gebeten, dein wirklich großes Geburtstagsgeschenk zu sein, falls du nicht so undankbar und gemein bist, es zurückzuweisen."

"Öhm, ihr habt das abgesprochen?" fragte er ein wenig verstört. Sie nickte. Dann sagte sie: "Irgendwas musste sie dir schenken, was du garantiert noch nicht hattest, wo mit du jetzt nicht gerechnet hast und von dem sie wusste, dass du es dir eigentlich schon letztes Jahr gewünscht hast. Und, möchtest du es auspacken, dein Geschenk?" fragte Sie

"Öhm, ich weiß nicht, ob ich es schon so bringen kann wie mit neunzehn. Aber ich hoffe, dass du nicht all zu sehr enttäuscht sein wirst, Eartha Dime", sagte Perdy.

"Finden wir es heraus, und solltest du mir im Gegenzug was schenken werden wir drei oder vier dann noch glücklicher sein."

"Öhm, heiraten darf ich dich aber erst mit vierzehn, so unsere Statuten", sagte er.

"Aber schwängern darfst du mich, sobald du das kannst und ich das dir auch erlaube", sagte sie. Dann streckte sie sich noch lockender vor ihm aus, bog ihren Unterkörper auffordernd in seine Richtung.

Ja, dieses Geschenk wollte er annehmen und sich mit ihr freuen, wenn es jetzt schon wieder klappte. Dann würde auch er wieder richtig dazugehören, nicht nur als Bastelbubi und Alchemietrickserlein, sondern als vollwertiges Mitglied der großartigen Gesellschaft zur Wahrung und Mehrung magischen Lebens.

ENDE

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